Wissen im Recht: Definition des Gegenstandes der Kenntnis und Bestimmung des Kenntnisstandes als rechtlich relevantes Wissen 9783161546426, 9783161546419

Zahlreiche Normen des Bürgerlichen Rechts knüpfen an das Vorliegen positiver Kenntnis Rechtsfolgen. Teilweise bezieht si

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German Pages 514 [516] Year 2017

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Vorwort
Inhaltsübersicht
Inhaltsverzeichnis
§ 1 „Der Wissensbegriff“ als Ausgangspunkt der Untersuchung
I. Untersuchungsgegenstand „Wissen“
II. Wirtschaftswissenschaftliche Aufgliederungen des Wissensbegriffs als terminologische Orientierungsmöglichkeit für die rechtswissenschaftliche Begriffsbildung
1. Bedeutung des Wissens in der Wirtschaftswissenschaft
2. Definitionsansätze für Wissen
a. Unterscheidung zwischen Zeichen, Daten, Information und Wissen
(1) Zeichen, Symbole, Daten
(2) Information
(3) Wissen
b. Kategorisierung von Wissen; Wissensarten
(1) „Knowing how“ und „Knowing that“ bzw. implizites und explizites Wissen
(2) Lokalisierung – internes und externes Wissen
(3) Metawissen – Wissen über Wissen
III. Terminologische Differenzierung zwischen Kenntnis und Wissen, Teilwissen und Information sowie Kennenmüssen und Kennenkönnen
§ 2 Gang und Ziel der Untersuchung
§ 3 Wissen als Schutzgegenstand und Grundlage einer möglichen künftigen Rechtsmacht
I. Notwendige Begrenzung möglicher Schutzrechte durch inhaltliche Anforderungen wegen der Gefahr der Fortschrittshemmung
II. Neuheit der Erfindung und „Erfindungsqualität“ als Schutzvoraussetzungen des Patentrechts
1. Qualitative Anforderungen an patentschutzfähige Erfindungen de lege lata
2. Auswirkungen des Fehlens materiell-rechtlicher Voraussetzungen des Erfindungsschutzes
a. Ursprüngliche Beeinflussung der Schutzvoraussetzungen durch die Zielsetzung des Privilegienwesens
b. Verwässerung der inhaltlichen Anforderungen an die Erteilung der Privilegien durch fiskalische Belange
c. Festschreibung der Voraussetzungen des Erfindungsschutzes als wesentliche Säule des modernen Patentrechts
d. Ausdehnung des Prüfungsumfangs der Schutzvoraussetzungen als Kennzeichen des modernen Erfindungsschutzes
3. Neuheit und Qualität der geistigen Leistung als Voraussetzungen des Patentschutzes von Erfindungen
4. Nützlichkeit und Fortschritt als ungeschriebene Voraussetzungen patentfähiger Erfindungen
5. „Erfindungshöhe“ als erfindungsbezogene qualitative Voraussetzung der patentfähigen Erfindung
6. „Beruhen auf erfinderischer Tätigkeit“ als gesetzliche Voraussetzung des patentrechtlichen Erfindungsschutzes seit 1978
7. Zusammenhang zwischen Erfindungsqualität und Rechtsmacht aus dem Schutzrecht
a. Keine Abhängigkeit zwischen der Rechtsmacht aus dem Schutzrecht und der Erfindungsqualität im Patentrecht
b. Zusammenhang zwischen der „eingeschränkten Rechtsmacht“ des Gebrauchsmusters und der Qualität der Erfindung?
(1) Ursprüngliche Unterschiede zwischen Patent und Gebrauchsmuster
(2) Identische qualitative Voraussetzungen an die patent- und gebrauchsmusterfähige Erfindung nach dem BGH
8. Zwischenergebnis
III. Prüfungsmethode bei den Patentierungsvoraussetzungen „Neuheit“ und „erfinderische Tätigkeit“ nach derzeitiger Rechtslage
1. Bestimmung der Vergleichsobjekte
a. Gliederung der Merkmale
b. Definition und Recherche des Prüfstoffs
(1) Obligatorische Recherche des Prüfstoffs im Patentrecht
(2) Besonderheiten im Gebrauchsmusterrecht
c. Zwischenergebnis
2. Zweistufiger Vergleich
a. „Neuheit“ als fehlender Nachweis aller Merkmale im Stand der Technik
(1) „Fotographischer, buchstabengetreuer“ Neuheitsbegriff?
(2) Unschärfebereich des Informationsgehalts einer Quelle durch das „fachmännische Verständnis“
aa. Wissen des Fachmanns
bb. Können des Fachmanns
cc. Abwandlungen als mitoffenbarte Lösungsvarianten?
(3) Möglichkeit der Kenntnisnahme des Offenbarungsmittels durch den Fachmann
(4) Auffindbarkeit des Erfindungsgegenstandes außerhalb des druckschriftlichen Nachweises
b. „Erfinderische Tätigkeit“ als Nichtnaheliegen der Erfindung
(1) Funktion und Inhalt des Merkmals „Beruhen auf erfinderischer Tätigkeit“
(2) Bestimmung der erfinderischen Tätigkeit mit Hilfe der fiktiven Person des Durchschnittsfachmanns
aa. Eigenschaften (Wissen und Können) des Durchschnittsfachmanns
(i) Relevanz der Aufgabe für die Bestimmung des technischen Gebiets des Fachmanns
(ii) Lösungsansätze aus mehreren Fachgebieten
(iii) Zwischenergebnis
bb. Verfahren bei der Bestimmung der erfinderischen Tätigkeit
(i) Prüfungsschrittfolge nach dem „Aufgabe- Lösung“-Ansatz des EPA
(ii) Kritik an dem „Aufgabe-Lösung“-Ansatz
(iii) Zwischenergebnis
c. Zwischenergebnis
IV. Ergebnis
1. Patentrechtlich relevantes Wissen
2. Verfahren bei der Bestimmung des patentrechtlich relevanten Wissens
§ 4 „Wissen“ als Tatfrage oder Rechtsfrage
I. Abgrenzung von Tatfrage und Rechtsfrage
1. Abgrenzung nach dem teleologischen Ansatz
2. Abgrenzung nach dem begrifflichen Ansatz
II. „Wissen“ als Tatfrage oder als Rechtsfrage
1. Doppelnatur des Tatbestandsmerkmals „Wissen“ als Tatfrage und Rechtsfrage
a. Einordnung der Normvoraussetzung „Wissen“ in die Kategorien Tatfrage und Rechtsfrage
b. Zivilrechtliche Beispiele für Einordnungsschwierigkeiten
2. Notwendigkeit einer differenzierten, abgestuften Einordnung des Merkmals „Wissen“ in die Kategorien Rechts- und Tatfrage
a. Bestimmung der qualitativen Voraussetzungen des Patentschutzes als Rechts- oder Tatsachenfragen
(1) Eingeschränkte Relevanz der Unterteilung in Tat- und Rechtsfrage im Patentrecht
(2) „Beruhen auf erfinderischer Tätigkeit“ als Rechtsfrage
(3) „Neuheit“ als Tatfrage?
b. Hilfserwägungen und „Beweisanzeichen“ für das Vorliegen erfinderischer Tätigkeit
III. Ergebnis
§ 5 Wissen als Ausgangspunkt zeitlicher Begrenzung von Rechten
I. Verjährung
1. Funktion und Bedeutung des Merkmals „Wissen“ für die Verjährung
a. Regelungsanliegen und Ziele der Verjährung
b. Differenzierungen bei dem Beginn von Verjährungsfristen in Abhängigkeit vom Kenntnisstand
(1) Grundsätzliche Abhängigkeit des Verjährungsfristbeginns vom Kenntnisstand des Gläubigers
aa. Regelungsgrund für die ausschließlich kenntnisabhängig beginnende Verjährungsfrist in § 852 I BGB i. d. F. bis 2001
bb. Lösung der Probleme der kurzen, kenntnis unabhängig beginnenden Verjährungsfristen durch Beachtung der Kenntnis
cc. Reform der Verjährungsvorschriften: Forderung nach der Relevanz der Kenntnis für den Beginn der Verjährungsfrist
dd. Reformergebnis: Relevanz der Kenntnis für den Beginn der Verjährungsfrist
(2) Ausnahmen von der grundsätzlichen Abhängigkeit des Verjährungsfristbeginns vom Kenntnisstand des Gläubigers
aa. Parallel laufende objektive Maximalfristen
bb. Abweichungen von der Regelverjährung wegen des gesteigerten Interesses an Rechtsklarheit in Abhängigkeit von Anspruchscharakter und betroffenem Rechtsgut
(i) Bedürfnis nach rascher Klarheit über Mängelgewährleistungsansprüche
(ii) Bedürfnis nach rascher Klarheit über Ersatzansprüche in Bezug auf den Zustand zurückgegebener Gegenstände
(iii) Gesteigertes Interesse an Rechtssicherheit bei besonders wertvollen Rechtsgütern
cc. Sekundärverjährung als Korrektiv zum kenntnis unabhängigen Verjährungsfristbeginn in § 51b BRAO i. d. F. bis 2004 und § 68 StBerG i. d. F. bis 2004
(3) Gleichstellung von positiver Kenntnis und grob fahrlässiger Unkenntnis
2. Abstrakte Definition und konkrete Bestimmung des für den Lauf der Verjährungsfrist relevanten Kenntnisstandes
a. Abstrakte Definition des Wissens als Tatbestandsvoraussetzung – Festlegung des Gegenstandes der Kenntnis
b. Bestimmung des Vorliegens positiver Kenntnis im konkreten Einzelfall
(1) Summe der Einzelinformationen als tatbestandlich geforderte Kenntnis?
(2) Die „anspruchsbegründenden Umstände“ als bloße Einzelinformationen ohne Rechtskenntnis vom „bestehenden Anspruch“?
(3) „Zumutbarkeit der Klageerhebung“ als wertendes Kriterium bei der Bestimmung des Tatbestandsmerkmals „Kenntnis“
(4) Beginn der Verjährungsfrist beim „Sich-der-Kenntnis-Verschließen“
c. Vorschlag einer zweigliedrigen Methode zur Bestimmung des Vorliegens positiver Kenntnis
(1) Definition der „anspruchsbegründenden Umstände“ und „der Person des Schuldners“
(2) Kontextuierung der Tatsachen als rechtliche Bewertung bekannter Einzelinformationen
(3) Freiheit einer informierten Entscheidung des Gläubigers
(4) Bestimmung des Vorliegens der Kenntnis von den relevanten und kontextuierten Tatsachen
aa. Zumutbarkeit „als Maß“ der notwendigerweise vorliegenden Einzelinformationen
bb. Der gedachte Dritte als konkretisierendes Merkmal der „Zumutbarkeit der Klageerhebung“
cc. Ermittlung des Bezugspunktes der Kenntnis als „Zielvorgabe“
dd. Ermittlung des tatsächlichen Kenntnisstandes als Vergleichsgröße
ee. Vergleich zwischen tatsächlichem Kenntnisstand und der Zielvorgabe als Bestimmung der tatbestandlich geforderten Kenntnis
3. Ergebnis
II. Ausschlussfristen
1. Wirkung von Ausschlussfristen
2. Kenntnis von der reisevertraglichen Ausschlussfrist
3. Kenntnis als Voraussetzung einer Entscheidungsmöglichkeit, § 626 II BGB
4. Arbeitsvertragliche Ausschlussfristen bei unbekannten Ansprüchen
5. Anwendung der zweigliedrigen Methode der Bestimmung der relevanten Kenntnis auf Ausschlussfristen
III. Verwirkung
1. Allgemeiner zivilrechtlicher Verwirkungstatbestand
2. Verwirkungstatbestand des § 21 MarkenG und allgemeine kennzeichenrechtliche Verwirkungslehre
a. Spezieller Verwirkungstatbestand des § 21 MarkenG
b. Allgemeine kennzeichenrechtliche Verwirkungslehre
3. Zwischenergebnis: Kenntnis als Grundlage von Vertrauensbildung im Rahmen der Verwirkung
IV. Ersitzung
V. Ergebnis
1. Funktion, Bedeutungsgehalt und Bezugspunkt der Kenntnis
2. Erhöhung der Einzelfallgerechtigkeit durch Verobjektivierung der Bestimmung des Vorliegens der Kenntnis
§ 6 Begründung von Vertrauen auf der Grundlage eines Kenntnisstandes
I. Kondiktionsausschluss bei Leistung in Kenntnis der Nichtschuld
II. Anfechtungsausschluss durch Bestätigung des anfechtbaren Rechtsgeschäfts
III. Kenntnis von Mietmängeln und vorbehaltlose Zahlung
1. Vor Vertragsschluss bestehende Mängel
2. Nach Vertragsschluss auftretende Mängel
3. Analogie zu § 539 BGB i. d. F. bis August 2001 bei Kenntnis des Mangels und vorbehaltloser Mietzahlung
IV. Geltendmachung eines Teilbetrages als Vorauszahlung
V. Ergebnis
1. Zusammenfassung
2. Fazit
§ 7 Zerstörung von Vertrauen auf der Grundlage eines Kenntnisstandes (Bösgläubigkeit)
I. Ausschluss der (Fort-)Bestandsfiktion einer Vertretungsmacht bei Bösgläubigkeit, § 173 BGB
1. Kenntnisstand des Vertreters
2. Kenntnisstand des Dritten
a. Kenntnisstand entscheidet über Fortbestand von Rechtsmacht
b. Unkenntnis als Basis für Vertrauensbildung
c. Bezugspunkt des Kenntnisstands: Nichtbestehen der Vollmacht
d. Ergebnis
II. Wissen verhindert Gutgläubigkeit
1. Interdependenz zwischen objektivem Rechtsschein und Wissen als Vertrauensausschlusstatbestand
2. Beeinflussung der notwendigen Intensität der schädlichen Kenntnis durch die Stärke des Rechtsscheins
a. Erforderlichkeit positiver Kenntnis
(1) Grund für die erhöhten Anforderungen an die den Rechtsschein zerstörenden subjektiven Voraussetzungen
(2) Bezugspunkt der Kenntnis
(3) Inhaltliche Anforderungen an das Vorliegen positiver Kenntnis
aa. Materiell-rechtliche Voraussetzungen der Kenntnis von der Unrichtigkeit
bb. Vorliegen positiver Kenntnis als Wertungskriterium
(i) Einzelfälle
(ii) Folgerungen aus den Einzelfällen
(iii) Möglichkeit individualisierter Verobjektivierung der Feststellung der erforderlichen Kenntnis?
cc. Treuwidriges Verhalten und Schaffung des eigenen Kenntnisstandes
b. Gleichstellung von positiver Kenntnis und grob fahrlässiger Unkenntnis
(1) Verhältnis von fahrlässiger Unkenntnis und positiver Kenntnis
(2) Ergebnisbezogene Konkretisierung der Sorgfaltsanforderungen
(3) Wechselwirkung zwischen objektiven und subjektiven Voraussetzungen als flexible Lösung des Interessenausgleichs zwischen Erwerber und früherem Eigentümer
(4) Unabhängigkeit des gutgläubigen Erwerbs vom (hypothetischen) Kenntnisstand des Erwerbers
(5) Anfängliche Perpetuierung bestehender Nachforschungsobliegenheiten zur Verhinderung überzogener Anforderungen
3. Ergebnis
III. Verschärfte Haftung bei Wissen um Rückgabeverpflichtung
1. Grund für Verschärfung oder Erleichterung der Haftung
2. Kenntnis als subjektives Tatbestandsmerkmal oder „objektive Kenntnis“ als Haftungsgrund – Der normative Maßstab des redlich Denkenden
a. Normativer Ausgangspunkt: Kenntnis ist kein Kennenmüssen
b. Tatsachen- und / oder Rechtskenntnis
(1) Äquipollenz der tatbestandlich geforderten Kenntnis mit der Kenntnis eines redlich Denkenden in gleicher Situation
(2) Objektiv-normative Sichtweise ohne Berücksichtigung subjektiver Vorstellungen
(3) Generelle Überflüssigkeit des subjektiven Tatbestandsmerkmals bei seiner objektiven Bestimmung?
c. Trennung der tatbestandlichen Anforderungen an den „objektiven Dritten“ von ergebnisorientierten Wertungskriterien
(1) Verdrängung subjektiver Unwägbarkeiten durch rechtsfolgenseitige Gleichbehandlung
(2) Verobjektivierung der tatbestandlichen Anforderungen
aa. Definition der Kenntnisse und Fähigkeiten des gedachten Dritten
bb. Fähigkeit zu rechtlichen Folgerungen aus bekannten Tatsachen
(3) Ausblendung von ergebnisbezogenen Wertungen bei der Bestimmung tatbestandsrelevanter Kenntnis
3. Ergebnis
IV. Zahlung des Schuldners an den früheren Gläubiger
1. Kenntnis des Schuldners von der Zession als Wirksamkeitsvoraussetzung für den Rechtsübergang im gemeinen Recht
2. Schuldnerseitige Kenntnis der Zession nach dem BGB
a. Notwendigkeit von Schuldnerschutzvorschriften als Folge kenntnisunabhängiger Zession
b. Schuldnerseitige positive Kenntnis als Schutzausschlussgrund
(1) Kenntnis von der Abtretung als Tatsachen- oder Rechtskenntnis
(2) „Wirkliche Kenntnis“ als Gegenteil eines bestehenden Zweifels?
(3) Kenntnisnahmemöglichkeit als Kenntnis
c. „Kenntnis von der Abtretung“ als Tatbestandsmerkmal und Wertungskriterium für den Schuldnerschutz
3. Ergebnis
V. Kenntnis als Voraussetzung der Insolvenzanfechtung
1. Funktion des Merkmals der Kenntnis im Rahmen der Insolvenzanfechtung
2. Abstufungen der Kenntnisintensität und Ausdehnung des Gegenstandes der Kenntnis – materiell-rechtliche Entsubjektivierung der Anfechtungstatbestände
a. Geplante (aber nicht umgesetzte) Gleichstellung von positiver Kenntnis und grob fahrlässiger Unkenntnis von der Krise
b. Alternative zur Einbeziehung der grob fahrlässigen Unkenntnis: Ausdehnung des Gegenstandes der Kenntnis
(1) Ausdehnung der kenntnisrelevanten Tatsachen anstatt Gleichstellung von Kenntnis und grob fahrlässiger Unkenntnis
(2) Historisches Verständnis der Gleichstellung von Zahlungsunfähigkeit und Zahlungseinstellung
(3) Konzept der Neuregelung in § 130 II InsO
c. Begrenzung der kenntnisrelevanten „Umstände“: Möglichkeit, „zwingende Schlüsse“ aus den bekannten Tatsachen zu ziehen
(1) Die „Umstände“ als Bezugstatsachen für die Schlüsse auf die tatbestandsrelevanten Tatsachen
(2) Art und Weise der Schlüsse von den Bezugstatsachen auf die Zahlungsunfähigkeit oder den Eröffnungsantrag: „zwingend“
3. Beweislast und Vermutungswirkungen – Prozessuale Entsubjektivierung der Anfechtungstatbestände
4. Ergebnis
§ 8 Kenntnisstand des Erklärenden und des Erklärungsempfängers als Grundlage der Willensbildung und damit der Vertragsrechtslehre
I. Bedeutung des Kenntnisstandes für den rechtsgeschäftlichen Willen
II. Innerer Wille und dessen Äußerung als Bestandteile der Willenserklärung
III. Interessenwiderstreit zwischen der Geltung des Willens und dem Vertrauens- bzw. Verkehrsschutz
IV. Relevanz des Kenntnisstandes des Erklärenden und des Erklärungsempfängers für den Inhalt und die Bindungswirkung von Willenserklärungen
1. Gesetzliche Regelungen der Auswirkungen des Kenntnisstandes des Erklärungsempfängers bei bewusstem Abweichen des Erklärten vom Gewollten
a. Auswirkung des Vorliegens und des Umfangs des empfängerseitigen Kenntnisstandes auf die Wirksamkeit der Willenserklärung
b. Wirtschaftliche Kompensation enttäuschten Vertrauens bei fehlendender Relevanz des Kenntnisstandes des Empfängers für die Wirksamkeit der Willenserklärung
2. Sonderfall: Fehlendes Erklärungsbewusstsein als (bloß) fehlender Wille?
a. Streitstand über die Wirksamkeit der Willenserklärung bei Fehlen des Erklärungsbewusstseins
b. Weder bewusste noch unbewusste Abweichung von Wille und Erklärung
c. Anfechtungsmöglichkeit bei Fehlen des Erklärungsbewusstseins?
(1) Einseitige Anfechtungsmöglichkeit bei „fahrlässig“ abgegebener Willenserklärung
(2) Beiderseitiges Lösungsrecht nach Herstellung der Kongruenz des einen Kenntnisstandes mit dem anderen Kenntnisstand
aa. Inkonsequenz der uneingeschränkten Bindung des Vertragspartners
bb. Keine Äquipollenz des beiderseitigen Lösungsrechts mit der Erforderlichkeit des Neuabschlusses
cc. Anfechtungsrecht wegen Inhaltsirrtums des Vertragspartners
3. Folgen unbewussten Abweichens des Erklärten vom Gewollten (Irrtum)
a. Unterscheidung zwischen erklärungsbezogenen und willensbildungsbezogenen Mängeln der Willenserklärung
(1) Grundsatz der Anfechtbarkeit der Willenserklärung bei erklärungsbezogenen Mängeln
(2) Grundsatz der Nichtanfechtbarkeit bei willensbildungsbezogenen Mängeln der Willenserklärung
(3) Eigenschaftsirrtum als Ausnahme von der grundsätzlichen Unanfechtbarkeit bei willensbildungsbezogenen Mängeln
aa. Eigenschaftsirrtum als Fremdkörper in der Systematik der Regeln für die Anfechtung wegen eines Irrtums
bb. Notwendigkeit der Einschränkung von Anfechtbarkeitsmöglichkeiten wegen eines Eigenschaftsirrtums
(i) Allgemeine umfeldbezogene Definition: „Verkehrswesentlichkeit“ als objektivierendes Merkmal der Vorstellung von der Eigenschaft
(ii) Vertragsbezogene Einschränkung: „Vertragswesentlichkeit“ der Eigenschaft als individualisierendes Einschränkungsmerkmal
(iii) Risikosphärenbezogene Einschränkung: Eigenschaftsirrtum im System der Risikozuweisung für Fehlvorstellungen
(iv) Kenntnisstandbezogene Einschränkung: „Erkennenwürden“ der Vorstellung von der Eigenschaft als wesentliche Eigenschaft i. S. d. § 119 II BGB
b. Relevanz des Kenntnisstandes des Erklärungsempfängers für den Inhalt der Erklärung und die Folgen von Willensmängeln des Erklärenden
(1) Auswirkung des Kenntnisstandes des Erklärungsempfängers auf den Inhalt und die Bedeutung der Erklärung
aa. Relevanz des vom Erklärenden Gewollten für den Inhalt der Erklärung
bb. Relevanz des vom Empfänger Verstandenen für den Inhalt der Erklärung
cc. Relevanz der beiderseitig erkennbaren Umstände für den Inhalt der Erklärung
dd. Bedeutung des übereinstimmenden Kenntnisstandes für den Inhalt der Willenserklärung trotz abweichen-der Bedeutung des objektiven Gehalts der Erklärung (falsa demonstratio)
ee. Ermittlung des übereinstimmenden Kenntnisstandes
(2) Beeinflussung der Rechtsfolgen von Fehlvorstellungen des Erklärenden durch den Kenntnisstand des Empfängers
aa. Ausschluss des Schadensersatzanspruchs bei Kenntnis bzw. Kennenmüssen des Empfängers
bb. Beidseitiger Motivirrtum als Störung der Geschäftsgrundlage
cc. Aufklärungspflicht über den erkannten (Kalkulations-)Irrtum oder Einwand unzulässiger Rechtsausübung
(3) Beeinflusste Vorstellung des Erklärenden als arglistige Täuschung
aa. Fehlvorstellung als Motiv für die Willensbildung des Erklärenden
bb. Kenntnis des Erklärungsempfängers als Arglist bei der Hervorrufung der Fehlvorstellung des Erklärenden
cc. Kenntnisstand des Erklärungsempfängers als (einzig) konstitutives Element des Anfechtungsrechts gemäß § 123 I BGB?
(i) Begrenzung des Anfechtungsrechts auf Vorspiegeln unrichtiger Tatsachen
(ii) Begrenzung des Anfechtungsrechts auf vom Geschäftspartner bewusst hervorgerufene Fehlvorstellungen
(iii) Sonderfall der Täuschung durch einen Dritten: Kenntnis vom Tätigwerden des Dritten oder von der Täuschung als zusätzliche Anfechtungsvoraussetzung
(iv) Begrenzung des Anfechtungsrechts auf vom Geschäftspartner erkannte und bewusst ausgenutzte Fehlvorstellungen
dd. Ermittlung des Kenntnisstandes des Erklärungs­empfängers
c. Kenntnis vom Anfechtungsgrund als tatsächliche Voraussetzung und rechtliche Einschränkung des Anfechtungsrechtes
(1) Kenntnis des Anfechtenden vom Anfechtungsgrund
(2) Erforderlichkeit der Kenntnis des Anfechtungsgegners vom Anfechtungsgrund
(3) Bestimmung der Kenntnis vom Anfechtungsgrund
§ 9 Zusammenführung der Untersuchungsergebnisse
I. Relativität des Begriffs „Kenntnis“
II. Problemfälle bei ungeklärtem Vorliegen der Kenntnis
1. Unterscheidung zwischen deskriptivem Tatbestandsmerkmal und normativem Wertungskriterium
a. Deskriptive Begriffe als Lebenswirklichkeit
b. Normative Rechtsbegriffe als Ergebnis der Wertung des Rechtsanwenders
c. Unterschied zwischen Lebenswirklichkeit und Wertbegriff
d. Zuordnungsschwierigkeiten bei einzelnen Rechtsbegriffen
e. Merkmal „Kenntnis“ sowohl als deskriptiver als auch als normativer Begriff
2. Grenzen der normativen Bestimmung des Merkmals der Kenntnis
3. Einteilung kenntnisbezogener Normen nach enthaltenen deskriptiven bzw. normativen Merkmalen
a. Grundsatz: Kenntnis als deskriptives Merkmal
b. Ausnahme: Normative Bestimmung der Kenntnis
(1) Erlangung der Kenntnis durch Folgerung aus bekannten Einzeltatsachen
(2) Kenntnis als Verfügen über die Information mit Herstellung des Kontextbezugs (Kontextuierung)
(3) Feststellung rechtlicher Bindungswirkung von rechtsgeschäftlichen Erklärungen
(4) Im Tatbestand enthaltene Grenzen normativer Bestimmung durch Nennung möglicher Gegenstände der Kenntnis
III. Vermeidung der Rechtsanwendungsprobleme im Wege einer gestuften Prüfung der Kenntnis
1. Unterscheidung von drei Fallkonstellationen
a. Unkenntnis beruht auf Fahrlässigkeit des Betroffenen
b. Würde die behauptete Unkenntnis bei Reflexion über tatbestandlichen Sachverhalt nicht vorliegen?
c. Beruhen der Unkenntnis auf Umständen, die den Eintritt der tatbestandlich vorgesehenen Rechtsfolge unbillig erscheinen lassen
2. Problemfall der (bloß) behaupteten Unkenntnis
a. Definitorische Ebene
b. Tatsächlich bekannte und verfügbare Informationen
c. Subsumtion des Tatsächlichen unter den Tatbestand der Norm
(1) Gesamtvergleich
(2) Der sich aus den Einzelinformationen durch wertende Gesamtschau ergebende Kenntnisstand
aa. Ähnlichkeit zwischen den Methoden der Bestimmung eines zivilrechtlich relevanten Kenntnisstandes und patentrechtlicher erfinderischer Tätigkeit
bb. Ähnlichkeit der Defizite der Bestimmung der erfinderischen Tätigkeit und des zivilrechtlichen Kenntnisstandes
(i) Anfängliche Unsicherheit bei der Rechts- anwendung – Lösungsweg im Patentrecht
(ii) Unsicherheit bei der Bestimmung eines zivilrechtlich relevanten Kenntnisstandes einer Person
(iii) Übertragbarkeit der Bestimmungsmethode aus dem Patentrecht in das Zivilrecht
d. Ergebnis: Bestimmung eines zivilrechtlich relevanten Kenntnisstands mit patentrechtlicher Methode
(1) Trennung von Definition und Sachverhaltsermittlung
(2) Definition des Begriffsinhalts der Kenntnis als tatbestandliche Anforderung
(3) Sachverhaltsermittlung: Bekannte Einzeltatsachen, Wissen und Können des Betroffenen
(4) Wertende Ermittlung des Vorliegens der Kenntnis durch „could-would“-Fragestellung
aa. Plötzliche situationsgebundene Aktualisierung des Kenntnisstandes – Der Anlass zum Nachdenken
bb. Bekannte Einzelinformationen als Ausgangspunkt der Überlegung der betroffenen Person
cc. Abstand der Einzelinformation als zu überwindende Hürde zwischen bekannten Einzelinformationen und dem Gegenstand der tatbestandsrelevanten Kenntnis
dd. Rückgriff auf Fakten- und Erfahrungswissen bei der Aktualisierung des Kenntnisstandes
ee. Abgrenzung der üblicherweise erwartbaren Aktualisierung des Kenntnisstandes von der Formulierung von Sorgfaltsanforderungen (Abgrenzung zwischen „könnte“ und „würde“)
§ 10 Zusammenfassung
I. Trennung von Definition und Bestimmung eines Kenntnisstandes
II. Vergleich von beanspruchter Erfindung mit den vorbekannten Kenntnissen im Rahmen der Prüfung patentrechtlicher Voraussetzungen
III. Tatfrage und Rechtsfrage – Die Dichotomie von Wissen
IV. Kontextuierung von Informationen als Voraussetzung von Wissen
V. Entstehung schutzwürdigen Vertrauens durch einen Kenntnisstand
VI. Rechtsverlust durch einen Kenntnisstand
VII. Kenntnisstand als Grundlage und Voraussetzung vertraglicher Bindungen
VIII. Übertragbarkeit der patentrechtlichen Methode des Vergleichs von einem Kenntnisstand mit einem anderen Kenntnisstand auf zivilrechtlich relevante Sachverhalte
Literaturverzeichnis
Stichwortverzeichnis
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 9783161546426, 9783161546419

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JUS PRIVAT UM Beiträge zum Privatrecht Band 213

Paul Tobias Schrader

Wissen im Recht Definition des Gegenstandes der Kenntnis und Bestimmung des Kenntnisstandes als rechtlich relevantes Wissen

Mohr Siebeck

Paul Tobias Schrader, geboren 1977; Studium der Rechtswissenschaft an der Universität Jena (Erstes juristisches Staatsexamen, LL.M. oec.); Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Gerd Bucerius-Lehrstuhl für Bürgerliches Recht mit deutschem und internationalem Gewerb­ lichen Rechtsschutz, Jena; 2006 Promotion; Zweites juristisches Staatsexamen; seit 2009 Junior­professor für Bürgerliches Recht, Gewerblichen Rechtsschutz und Zivilprozessrecht an der Universität Augsburg; 2016 Habilitation.

Gedruckt mit Unterstützung des Förderungsfonds Wissenschaft der VG WORT. e-ISBN PDF 978-3-16-154642-6 ISBN 978-3-16-154641-9 ISSN 0940-9610 (Jus Privatum) Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2017  Mohr Siebeck Tübingen. www.mohr.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mi­ kroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Gulde Druck in Tübingen gesetzt und auf alterungs­beständiges Werkdruckpapier gedruckt und von der Buchbinderei Spinner in Otters­weier gebunden.

Vorwort Im Wintersemester 2015/2016 wurde die vorliegende Arbeit der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Augsburg als Habilitationsschrift angenommen. Besonderer Dank gilt dem Betreuer der Arbeit, Herrn Prof. Dr. Michael Kort, sowie den weiteren Mitgliedern des Fachmentorats, Frau Prof. Dr. Martina Benecke und Herrn Prof. Dr. Christoph Becker. Sie begleiteten die Entstehung, unterstützten mit zahlreichen Anregungen und begutachteten die Arbeit abschließend. Darüber hinaus möchte ich allen Angehörigen der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Augsburg danken. Die Arbeit entstand, während ich dort als Juniorprofessor tätig war. Die Entstehung der Arbeit wurde einerseits durch eine Vielzahl von Anregungen gefördert, andererseits auch durch vielfältigen Austausch unterschiedlichster Art unterstützt, vor allem aber durch meine sehr herzliche Aufnahme in die Juristische Fakultät erst ermöglicht. Meinem ursprünglichen akademischen Lehrer, Herrn Prof. Dr. Volker M. ­Jänich, gebührt mein herzlicher Dank. Er riet mir zur Juniorprofessur sowie zur parallelen Habilitation. Trotz der entstandenen räumlichen Distanz nahmen weder die Unterstützung noch der geistige Austausch ab. Ich danke der VG WORT für die Ermöglichung der Drucklegung des vorliegenden Werkes durch die Gewährung eines großzügigen Druckkostenzuschusses sowie dem Verlag Mohr Siebeck für die Aufnahme der Arbeit in die Schriftenreihe Jus Privatum. Augsburg, im August 2016

Paul T. Schrader

Inhaltsübersicht Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V Inhaltsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XI §  1  „Der Wissensbegriff“ als Ausgangspunkt der Untersuchung . . . . . 1 I. II.

Untersuchungsgegenstand „Wissen“ . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Wirtschaftswissenschaftliche Aufgliederungen des Wissens­begriffs als terminologische Orientierungsmöglichkeit für die ­rechtswissenschaftliche Begriffsbildung . . . . . . . . . . . . . . 4 III. Terminologische Differenzierung zwischen Kenntnis und Wissen, Teilwissen und Information sowie Kennenmüssen und Kennenkönnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 §  2  Gang und Ziel der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 §  3  Wissen als Schutzgegenstand und Grundlage einer möglichen künftigen Rechtsmacht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 I.

Notwendige Begrenzung möglicher Schutzrechte durch inhaltliche Anforderungen wegen der Gefahr der Fortschrittshemmung 23 II. Neuheit der Erfindung und „Erfindungsqualität“ als Schutzvoraussetzungen des Patentrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 III. Prüfungsmethode bei den Patentierungsvoraussetzungen „Neuheit“ und „erfinderische Tätigkeit“ nach derzeitiger Rechtslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 IV. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 §  4  „Wissen“ als Tatfrage oder Rechtsfrage . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 I. Abgrenzung von Tatfrage und Rechtsfrage . . . . . . . . . . . . . 96 II. „Wissen“ als Tatfrage oder als Rechtsfrage . . . . . . . . . . . . . 99 III. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114

VIII

Inhaltsübersicht

§  5  Wissen als Ausgangspunkt zeitlicher Begrenzung von Rechten . . . 115 I. Verjährung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 II. Ausschlussfristen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 III. Verwirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 IV. Ersitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 V. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 §  6  Begründung von Vertrauen auf der Grundlage eines Kenntnisstandes 191 I. II.

Kondiktionsausschluss bei Leistung in Kenntnis der Nichtschuld . 192 Anfechtungsausschluss durch Bestätigung des anfechtbaren ­Rechtsgeschäfts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 III. Kenntnis von Mietmängeln und vorbehaltlose Zahlung . . . . . . 197 IV. Geltendmachung eines Teilbetrages als Vorauszahlung . . . . . . 204 V. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 §  7  Zerstörung von Vertrauen auf der Grundlage eines Kenntnisstandes (Bösgläubigkeit) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 I.

Ausschluss der (Fort-)Bestandsfiktion einer Vertretungsmacht bei Bösgläubigkeit, §  173 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 II. Wissen verhindert Gutgläubigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 III. Verschärfte Haftung bei Wissen um Rückgabeverpflichtung . . . 253 IV. Zahlung des Schuldners an den früheren Gläubiger . . . . . . . . 268 V. Kenntnis als Voraussetzung der Insolvenzanfechtung . . . . . . 280 §  8  Kenntnisstand des Erklärenden und des Erklärungsempfängers als Grundlage der Willensbildung und damit der Vertragsrechtslehre . . 301 I.

Bedeutung des Kenntnisstandes für den rechtsgeschäftlichen Willen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301 II. Innerer Wille und dessen Äußerung als Bestandteile der ­Willens­erklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303 III. Interessenwiderstreit zwischen der Geltung des Willens und dem Vertrauens- bzw. Verkehrsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305 IV. Relevanz des Kenntnisstandes des Erklärenden und des ­Erklä­r ungsempfängers für den Inhalt und die Bindungswirkung von ­Willenserklärungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 308

Inhaltsübersicht

IX

§  9  Zusammenführung der Untersuchungsergebnisse . . . . . . . . . . . 387 I. Relativität des Begriffs „Kenntnis“ . . . . . . . . . . . . . . . . . 387 II. Problemfälle bei ungeklärtem Vorliegen der Kenntnis . . . . . . 391 III. Vermeidung der Rechtsanwendungsprobleme im Wege einer gestuften Prüfung der Kenntnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 409 §  10  Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 435 Trennung von Definition und Bestimmung eines Kenntnisstandes 435 Vergleich von beanspruchter Erfindung mit den vorbekannten ­Kenntnissen im Rahmen der Prüfung patentrechtlicher Voraus­setzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 437 III. Tatfrage und Rechtsfrage – Die Dichotomie von Wissen . . . . . 439 IV. Kontextuierung von Informationen als Voraussetzung von Wissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 440 Entstehung schutzwürdigen Vertrauens durch einen V. Kenntnisstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 443 VI. Rechtsverlust durch einen Kenntnisstand . . . . . . . . . . . . . . 444 VII. Kenntnisstand als Grundlage und Voraussetzung vertraglicher ­Bindungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 450 VIII. Übertragbarkeit der patentrechtlichen Methode des Vergleichs von einem Kenntnisstand mit einem anderen Kenntnisstand auf ­zivilrechtlich relevante Sachverhalte . . . . . . . . . . . . . . . . . 454 I. II.

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 461 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 485

Inhaltsverzeichnis Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V Inhaltsübersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII

§  1  „Der Wissensbegriff“ als Ausgangspunkt der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 I. II.

Untersuchungsgegenstand „Wissen“ . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Wirtschaftswissenschaftliche Aufgliederungen des Wissensbegriffs als terminologische Orientierungsmöglichkeit für die ­rechtswissenschaftliche Begriffsbildung . . . . . . . . . . . . . . 4 1. Bedeutung des Wissens in der Wirtschaftswissenschaft . . . . 4 2. Definitionsansätze für Wissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 a. Unterscheidung zwischen Zeichen, Daten, Information und Wissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 (1) Zeichen, Symbole, Daten . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 (2) Information . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 (3) Wissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 b. Kategorisierung von Wissen; Wissensarten . . . . . . . . . 9 (1) „Knowing how“ und „Knowing that“ bzw. implizites und explizites Wissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 (2) Lokalisierung – internes und externes Wissen . . . . . . 11 (3) Metawissen – Wissen über Wissen . . . . . . . . . . . . 11 III. Terminologische Differenzierung zwischen Kenntnis und Wissen, Teilwissen und Information sowie Kennenmüssen und Kennenkönnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12

§  2  Gang und Ziel der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . 15 §  3  Wissen als Schutzgegenstand und Grundlage einer möglichen künftigen Rechtsmacht . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 I.

Notwendige Begrenzung möglicher Schutzrechte durch inhaltliche Anforderungen wegen der Gefahr der Fortschrittshemmung

23

XII II.

Inhaltsverzeichnis

Neuheit der Erfindung und „Erfindungsqualität“ als Schutzvoraussetzungen des Patentrechts . . . . . . . . . . . . . . 25 1. Qualitative Anforderungen an patentschutzfähige Erfindungen de lege lata . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 2. Auswirkungen des Fehlens materiell-rechtlicher Voraussetzungen des Erfindungsschutzes . . . . . . . . . . . . 26 a. Ursprüngliche Beeinflussung der Schutzvoraussetzungen durch die Zielsetzung des Privilegienwesens . . . . . . . . . 26 b. Verwässerung der inhaltlichen Anforderungen an die Erteilung der Privilegien durch fiskalische Belange . . . . 28 c. Festschreibung der Voraussetzungen des Erfindungsschutzes als wesentliche Säule des modernen Patentrechts . 28 d. Ausdehnung des Prüfungsumfangs der Schutzvoraussetzungen als Kennzeichen des modernen Erfindungsschutzes . 29 3. Neuheit und Qualität der geistigen Leistung als Voraussetzungen des Patentschutzes von Erfindungen . . . . . 30 4. Nützlichkeit und Fortschritt als ungeschriebene Voraussetzungen patentfähiger Erfindungen . . . . . . . . . . 33 5. „Erfindungshöhe“ als erfindungsbezogene qualitative Voraussetzung der patentfähigen Erfindung . . . . . . . . . . 36 6. „Beruhen auf erfinderischer Tätigkeit“ als gesetzliche Voraussetzung des patentrechtlichen Erfindungsschutzes seit 1978 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 7. Zusammenhang zwischen Erfindungsqualität und Rechtsmacht aus dem Schutzrecht . . . . . . . . . . . . . . . . 42 a. Keine Abhängigkeit zwischen der Rechtsmacht aus dem Schutzrecht und der Erfindungsqualität im Patentrecht . . 42 b. Zusammenhang zwischen der „eingeschränkten Rechtsmacht“ des Gebrauchsmusters und der Qualität der Erfindung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 (1) Ursprüngliche Unterschiede zwischen Patent und ­Gebrauchsmuster . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 (2) Identische qualitative Voraussetzungen an die patentund gebrauchsmusterfähige Erfindung nach dem BGH 47 8. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 III. Prüfungsmethode bei den Patentierungsvoraussetzungen „Neuheit“ und „erfinderische Tätigkeit“ nach derzeitiger Rechtslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 1. Bestimmung der Vergleichsobjekte . . . . . . . . . . . . . . . . 51 a. Gliederung der Merkmale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 b. Definition und Recherche des Prüfstoffs . . . . . . . . . . . 52 (1) Obligatorische Recherche des Prüfstoffs im Patentrecht 52 (2) Besonderheiten im Gebrauchsmusterrecht . . . . . . . . 55

Inhaltsverzeichnis

XIII

c. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 2. Zweistufiger Vergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 a. „Neuheit“ als fehlender Nachweis aller Merkmale im Stand der Technik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 (1) „Fotographischer, buchstabengetreuer“ Neuheitsbegriff? 59 (2) Unschärfebereich des Informationsgehalts einer Quelle durch das „fachmännische Verständnis“ . . . . . . . . . 60 aa. Wissen des Fachmanns . . . . . . . . . . . . . . . . 63 bb. Können des Fachmanns . . . . . . . . . . . . . . . . 64 cc. Abwandlungen als mitoffenbarte Lösungsvarianten? 66 (3) Möglichkeit der Kenntnisnahme des Offenbarungsmittels durch den Fachmann . . . . . . . . . . . . . . . . 70 (4) Auffindbarkeit des Erfindungsgegenstandes außerhalb des druckschriftlichen Nachweises . . . . . . . . . . . . 72 b. „Erfinderische Tätigkeit“ als Nichtnaheliegen der Erfindung 74 (1) Funktion und Inhalt des Merkmals „Beruhen auf ­erfinderischer Tätigkeit“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 (2) Bestimmung der erfinderischen Tätigkeit mit Hilfe der fiktiven Person des Durchschnittsfachmanns . . . . . . 76 aa. Eigenschaften (Wissen und Können) des Durch­schnittsfachmanns . . . . . . . . . . . . . . . 78 (i) Relevanz der Aufgabe für die Bestimmung des ­technischen Gebiets des Fachmanns . . . . . . 79 (ii) Lösungsansätze aus mehreren Fachgebieten . . 80 (iii) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 bb. Verfahren bei der Bestimmung der erfinderischen Tätigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 (i) Prüfungsschrittfolge nach dem „AufgabeLösung“-Ansatz des EPA . . . . . . . . . . . . 83 (ii) Kritik an dem „Aufgabe-Lösung“-Ansatz . . . 87 (iii) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 c. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 IV. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 1. Patentrechtlich relevantes Wissen . . . . . . . . . . . . . . . . 92 2. Verfahren bei der Bestimmung des patentrechtlich relevanten Wissens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92

§  4  „Wissen“ als Tatfrage oder Rechtsfrage . . . . . . . . . . . . . 95 I.

II.

Abgrenzung von Tatfrage und Rechtsfrage . . . . . . . . . . . . . 96 1. Abgrenzung nach dem teleologischen Ansatz . . . . . . . . . . 97 2. Abgrenzung nach dem begrifflichen Ansatz . . . . . . . . . . 98 „Wissen“ als Tatfrage oder als Rechtsfrage . . . . . . . . . . . . . 99

XIV

Inhaltsverzeichnis

1. Doppelnatur des Tatbestandsmerkmals „Wissen“ als Tatfrage und Rechtsfrage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 a. Einordnung der Normvoraussetzung „Wissen“ in die Kategorien Tatfrage und Rechtsfrage . . . . . . . . . . . . . 99 b. Zivilrechtliche Beispiele für Einordnungsschwierigkeiten . 101 2. Notwendigkeit einer differenzierten, abgestuften Einordnung des Merkmals „Wissen“ in die Kategorien Rechts- und Tatfrage 103 a. Bestimmung der qualitativen Voraussetzungen des Patentschutzes als Rechts- oder Tatsachenfragen . . . . . . 104 (1) Eingeschränkte Relevanz der Unterteilung in Tat- und ­Rechtsfrage im Patentrecht . . . . . . . . . . . . . . . . 104 (2) „Beruhen auf erfinderischer Tätigkeit“ als Rechtsfrage . 106 (3) „Neuheit“ als Tatfrage? . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 b. Hilfserwägungen und „Beweisanzeichen“ für das Vorliegen erfinderischer Tätigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 III. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114

§  5  Wissen als Ausgangspunkt zeitlicher Begrenzung von Rechten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 I.

Verjährung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 1. Funktion und Bedeutung des Merkmals „Wissen“ für die Verjährung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 a. Regelungsanliegen und Ziele der Verjährung . . . . . . . . 115 b. Differenzierungen bei dem Beginn von Verjährungsfristen in Abhängigkeit vom Kenntnisstand . . . . . . . . . . . . . 118 (1) Grundsätzliche Abhängigkeit des Verjährungsfristbeginns vom Kenntnisstand des Gläubigers . . . . . . . 118 aa. Regelungsgrund für die ausschließlich kenntnisabhängig beginnende Verjährungsfrist in §  852 I BGB i. d. F. bis 2001 . . . . . . . . . . . . 118 bb. Lösung der Probleme der kurzen, kenntnis­unabhängig beginnenden Verjährungsfristen durch Beachtung der Kenntnis . . . . . . . . . . . . . . . . 119 cc. Reform der Verjährungsvorschriften: Forderung nach der Relevanz der Kenntnis für den Beginn der ­Verjährungsfrist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 dd. Reformergebnis: Relevanz der Kenntnis für den Beginn der Verjährungsfrist . . . . . . . . . . . . . 125 (2) Ausnahmen von der grundsätzlichen Abhängigkeit des Verjährungsfristbeginns vom Kenntnisstand des Gläubigers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126

Inhaltsverzeichnis

XV

aa. Parallel laufende objektive Maximalfristen . . . . . 127 bb. Abweichungen von der Regelverjährung wegen des gesteigerten Interesses an Rechtsklarheit in ­Abhängigkeit von Anspruchscharakter und betroffenem ­Rechtsgut . . . . . . . . . . . . . . . . 129 (i) Bedürfnis nach rascher Klarheit über Mängel­gewährleistungsansprüche . . . . . . . 130 (ii) Bedürfnis nach rascher Klarheit über Ersatzansprüche in Bezug auf den Zustand zurückgegebener Gegenstände . . . . . . . . . 133 (iii) Gesteigertes Interesse an Rechtssicherheit bei ­besonders wertvollen Rechtsgütern . . . . . . 137 cc. Sekundärverjährung als Korrektiv zum kenntnis­un­abhängigen Verjährungsfristbeginn in §  51b BRAO i. d. F. bis 2004 und §  68 StBerG i. d. F. bis 2004 . . . 138 (3) Gleichstellung von positiver Kenntnis und grob fahrlässiger Unkenntnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 2. Abstrakte Definition und konkrete Bestimmung des für den Lauf der Verjährungsfrist relevanten Kenntnisstandes . . . . . 146 a. Abstrakte Definition des Wissens als Tatbestandsvoraussetzung – Festlegung des Gegenstandes der Kenntnis . . . 147 b. Bestimmung des Vorliegens positiver Kenntnis im konkreten Einzelfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 (1) Summe der Einzelinformationen als tatbestandlich geforderte Kenntnis? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 (2) Die „anspruchsbegründenden Umstände“ als bloße Einzelinformationen ohne Rechtskenntnis vom „bestehenden Anspruch“? . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 (3) „Zumutbarkeit der Klageerhebung“ als wertendes Kriterium bei der Bestimmung des Tatbestandsmerkmals ­„Kenntnis“ . . . . . . . . . . . . . 153 (4) Beginn der Verjährungsfrist beim „Sich-der-Kenntnis-­Verschließen“ . . . . . . . . . . . . 154 c. Vorschlag einer zweigliedrigen Methode zur Bestimmung des Vorliegens positiver Kenntnis . . . . . . . . . . . . . . 155 (1) Definition der „anspruchsbegründenden Umstände“ und „der Person des Schuldners“ . . . . . . . . . . . . . . . 156 (2) Kontextuierung der Tatsachen als rechtliche Bewertung bekannter Einzelinformationen . . . . . . . . . . . . . . 157 (3) Freiheit einer informierten Entscheidung des Gläubigers 158 (4) Bestimmung des Vorliegens der Kenntnis von den relevanten und kontextuierten Tatsachen . . . . . . . . . 160

XVI

Inhaltsverzeichnis

aa. Zumutbarkeit „als Maß“ der notwendigerweise ­vorliegenden Einzelinformationen . . . . . . . . . . 160 bb. Der gedachte Dritte als konkretisierendes Merkmal der „Zumutbarkeit der Klageerhebung“ . . . . . . . 161 cc. Ermittlung des Bezugspunktes der Kenntnis als ­„Zielvorgabe“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 dd. Ermittlung des tatsächlichen Kenntnisstandes als ­Vergleichsgröße . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 ee. Vergleich zwischen tatsächlichem Kenntnisstand und der Zielvorgabe als Bestimmung der tatbestandlich geforderten Kenntnis . . . . . . . . . 164 3. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 II. Ausschlussfristen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 1. Wirkung von Ausschlussfristen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 2. Kenntnis von der reisevertraglichen Ausschlussfrist . . . . . . 167 3. Kenntnis als Voraussetzung einer Entscheidungsmöglichkeit, §  626 II BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 4. Arbeitsvertragliche Ausschlussfristen bei unbekannten Ansprüchen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 5. Anwendung der zweigliedrigen Methode der Bestimmung der relevanten Kenntnis auf Ausschlussfristen . . . . . . . . . . . 175 III. Verwirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 1. Allgemeiner zivilrechtlicher Verwirkungstatbestand . . . . . 177 2. Verwirkungstatbestand des §  21 MarkenG und allgemeine ­kennzeichenrechtliche Verwirkungslehre . . . . . . . . . . . . 179 a. Spezieller Verwirkungstatbestand des §  21 MarkenG . . . . 179 b. Allgemeine kennzeichenrechtliche Verwirkungslehre . . . 181 3. Zwischenergebnis: Kenntnis als Grundlage von Vertrauensbildung im Rahmen der Verwirkung . . . . . . . . 182 IV. Ersitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 V. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 1. Funktion, Bedeutungsgehalt und Bezugspunkt der Kenntnis . 186 2. Erhöhung der Einzelfallgerechtigkeit durch Verobjektivierung der Bestimmung des Vorliegens der Kenntnis . . . . . . . . . . 188

§  6  Begründung von Vertrauen auf der Grundlage eines Kenntnisstandes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 I. II.

Kondiktionsausschluss bei Leistung in Kenntnis der Nichtschuld 192 Anfechtungsausschluss durch Bestätigung des anfechtbaren ­Rechtsgeschäfts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195

Inhaltsverzeichnis

XVII

III. Kenntnis von Mietmängeln und vorbehaltlose Zahlung . . . . . . 197 1. Vor Vertragsschluss bestehende Mängel . . . . . . . . . . . . . 198 2. Nach Vertragsschluss auftretende Mängel . . . . . . . . . . . . 199 3. Analogie zu §  539 BGB i. d. F. bis August 2001 bei Kenntnis des Mangels und vorbehaltloser Mietzahlung . . . . . . . . . . . . 200 IV. Geltendmachung eines Teilbetrages als Vorauszahlung . . . . . . 204 V. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 1. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 2. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210

§  7  Zerstörung von Vertrauen auf der Grundlage eines Kenntnisstandes (Bösgläubigkeit) . . . . . . . . . . . . . . . 213 I.

II.

Ausschluss der (Fort-)Bestandsfiktion einer Vertretungsmacht bei Bösgläubigkeit, §  173 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 1. Kenntnisstand des Vertreters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 2. Kenntnisstand des Dritten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 a. Kenntnisstand entscheidet über Fortbestand von Rechtsmacht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 b. Unkenntnis als Basis für Vertrauensbildung . . . . . . . . . 217 c. Bezugspunkt des Kenntnisstands: Nichtbestehen der Vollmacht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 d. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 Wissen verhindert Gutgläubigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 1. Interdependenz zwischen objektivem Rechtsschein und Wissen als Vertrauensausschlusstatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . 224 2. Beeinflussung der notwendigen Intensität der schädlichen Kenntnis durch die Stärke des Rechtsscheins . . . . . . . . . . 228 a. Erforderlichkeit positiver Kenntnis . . . . . . . . . . . . . 229 (1) Grund für die erhöhten Anforderungen an die den ­Rechtsschein zerstörenden subjektiven Voraussetzungen 229 (2) Bezugspunkt der Kenntnis . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 (3) Inhaltliche Anforderungen an das Vorliegen positiver Kenntnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 aa. Materiell-rechtliche Voraussetzungen der Kenntnis von der Unrichtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 bb. Vorliegen positiver Kenntnis als Wertungskriterium 236 (i) Einzelfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 (ii) Folgerungen aus den Einzelfällen . . . . . . . . 239 (iii) Möglichkeit individualisierter Verobjektivierung der Feststellung der erforderlichen Kenntnis? . . . . . . . . . . . . 241

XVIII

Inhaltsverzeichnis

cc. Treuwidriges Verhalten und Schaffung des eigenen Kenntnisstandes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 b. Gleichstellung von positiver Kenntnis und grob fahrlässiger Unkenntnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 (1) Verhältnis von fahrlässiger Unkenntnis und positiver Kenntnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 (2) Ergebnisbezogene Konkretisierung der ­Sorgfaltsanforde­r ungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 (3) Wechselwirkung zwischen objektiven und subjektiven ­Voraussetzungen als flexible Lösung des Interessenausgleichs zwischen Erwerber und früherem Eigentümer . 247 (4) Unabhängigkeit des gutgläubigen Erwerbs vom ­(hypothetischen) Kenntnisstand des Erwerbers . . . . . 250 (5) Anfängliche Perpetuierung bestehender Nachforschungsobliegenheiten zur Verhinderung überzogener Anforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 3. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 III. Verschärfte Haftung bei Wissen um Rückgabeverpflichtung . . . 253 1. Grund für Verschärfung oder Erleichterung der Haftung . . . 253 2. Kenntnis als subjektives Tatbestandsmerkmal oder „objektive Kenntnis“ als Haftungsgrund – Der normative Maßstab des redlich Denkenden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 a. Normativer Ausgangspunkt: Kenntnis ist kein Kennenmüssen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 b. Tatsachen- und / oder Rechtskenntnis . . . . . . . . . . . . 257 (1) Äquipollenz der tatbestandlich geforderten Kenntnis mit der Kenntnis eines redlich Denkenden in gleicher Situation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 (2) Objektiv-normative Sichtweise ohne Berücksichtigung subjektiver Vorstellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 (3) Generelle Überflüssigkeit des subjektiven Tatbestands­ merkmals bei seiner objektiven Bestimmung? . . . . . . 263 c. Trennung der tatbestandlichen Anforderungen an den „objektiven Dritten“ von ergebnisorientierten Wertungskriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 (1) Verdrängung subjektiver Unwägbarkeiten durch rechts­folgenseitige Gleichbehandlung . . . . . . . . . . 264 (2) Verobjektivierung der tatbestandlichen Anforderungen 264 aa. Definition der Kenntnisse und Fähigkeiten des gedachten Dritten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 bb. Fähigkeit zu rechtlichen Folgerungen aus bekannten Tatsachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266

Inhaltsverzeichnis

IV.

V.

XIX

(3) Ausblendung von ergebnisbezogenen Wertungen bei der Bestimmung tatbestandsrelevanter Kenntnis . . . . . . 266 3. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266 Zahlung des Schuldners an den früheren Gläubiger . . . . . . . . 268 1. Kenntnis des Schuldners von der Zession als Wirksamkeits­ voraussetzung für den Rechtsübergang im gemeinen Recht . . 268 2. Schuldnerseitige Kenntnis der Zession nach dem BGB . . . . 270 a. Notwendigkeit von Schuldnerschutzvorschriften als Folge kenntnisunabhängiger Zession . . . . . . . . . . . . . . . . 270 b. Schuldnerseitige positive Kenntnis als Schutzausschlussgrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 (1) Kenntnis von der Abtretung als Tatsachen- oder Rechts­kenntnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 (2) „Wirkliche Kenntnis“ als Gegenteil eines bestehenden ­Zweifels? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 (3) Kenntnisnahmemöglichkeit als Kenntnis . . . . . . . . 276 c. „Kenntnis von der Abtretung“ als Tatbestandsmerkmal und Wertungskriterium für den Schuldnerschutz . . . . . . . . 277 3. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279 Kenntnis als Voraussetzung der Insolvenzanfechtung . . . . . . 280 1. Funktion des Merkmals der Kenntnis im Rahmen der Insolvenz­anfechtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280 2. Abstufungen der Kenntnisintensität und Ausdehnung des ­Gegenstandes der Kenntnis – materiell-rechtliche Entsubjektivierung der Anfechtungstatbestände . . . . . . . . 284 a. Geplante (aber nicht umgesetzte) Gleichstellung von positiver Kenntnis und grob fahrlässiger Unkenntnis von der Krise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284 b. Alternative zur Einbeziehung der grob fahrlässigen Unkenntnis: Ausdehnung des Gegenstandes der Kenntnis 286 (1) Ausdehnung der kenntnisrelevanten Tatsachen anstatt ­Gleichstellung von Kenntnis und grob fahrlässiger Unkenntnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286 (2) Historisches Verständnis der Gleichstellung von Zahlungsunfähigkeit und Zahlungseinstellung . . . . . 288 (3) Konzept der Neuregelung in §  130 II InsO . . . . . . . 289 c. Begrenzung der kenntnisrelevanten „Umstände“: Möglichkeit, „zwingende Schlüsse“ aus den bekannten Tatsachen zu ziehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289 (1) Die „Umstände“ als Bezugstatsachen für die Schlüsse auf die tatbestandsrelevanten Tatsachen . . . . . . . . . 290

XX

Inhaltsverzeichnis

(2) Art und Weise der Schlüsse von den Bezugstatsachen auf die Zahlungsunfähigkeit oder den Eröffnungsantrag: ­„zwingend“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290 3. Beweislast und Vermutungswirkungen – Prozessuale Entsubjektivierung der Anfechtungstatbestände . . . . . . . . 293 4. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297

§  8  Kenntnisstand des Erklärenden und des Erklärungsempfängers als Grundlage der Willensbildung und damit der Vertragsrechtslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301 Bedeutung des Kenntnisstandes für den rechtsgeschäftlichen Willen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301 II. Innerer Wille und dessen Äußerung als Bestandteile der Willens­erklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303 III. Interessenwiderstreit zwischen der Geltung des Willens und dem Vertrauens- bzw. Verkehrsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305 IV. Relevanz des Kenntnisstandes des Erklärenden und des Erklä­r ungsempfängers für den Inhalt und die Bindungswirkung von ­Willenserklärungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 308 1. Gesetzliche Regelungen der Auswirkungen des Kenntnisstandes des Erklärungsempfängers bei bewusstem Abweichen des Erklärten vom Gewollten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 309 a. Auswirkung des Vorliegens und des Umfangs des emp­fän­gerseitigen Kenntnisstandes auf die Wirksamkeit der ­Willenserklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 309 b. Wirtschaftliche Kompensation enttäuschten Vertrauens bei fehlendender Relevanz des Kenntnisstandes des Empfängers für die Wirksamkeit der Willenserklärung . . . . . . . . . . 312 2. Sonderfall: Fehlendes Erklärungsbewusstsein als (bloß) fehlender Wille? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313 a. Streitstand über die Wirksamkeit der Willenserklärung bei ­ Fehlen des Erklärungsbewusstseins . . . . . . . . . . . . . . 313 b. Weder bewusste noch unbewusste Abweichung von Wille und Erklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315 c. Anfechtungsmöglichkeit bei Fehlen des Erklärungsbewusstseins? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 316 (1) Einseitige Anfechtungsmöglichkeit bei „fahrlässig“ ­abgegebener Willenserklärung . . . . . . . . . . . . . . . 316 (2) Beiderseitiges Lösungsrecht nach Herstellung der Kongruenz des einen Kenntnisstandes mit dem anderen Kenntnisstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 318 I.

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XXI

aa. Inkonsequenz der uneingeschränkten Bindung des Vertragspartners . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 319 bb. Keine Äquipollenz des beiderseitigen Lösungsrechts mit der Erforderlichkeit des Neuabschlusses . . . . 320 cc. Anfechtungsrecht wegen Inhaltsirrtums des Ver­trags­partners . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321 3. Folgen unbewussten Abweichens des Erklärten vom Gewollten (Irrtum) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 322 a. Unterscheidung zwischen erklärungsbezogenen und willens­ bildungsbezogenen Mängeln der Willenserklärung . . . . . 322 (1) Grundsatz der Anfechtbarkeit der Willenserklärung bei erklärungsbezogenen Mängeln . . . . . . . . . . . . . . 323 (2) Grundsatz der Nichtanfechtbarkeit bei willensbildungs­ bezogenen Mängeln der Willenserklärung . . . . . . . . 324 (3) Eigenschaftsirrtum als Ausnahme von der grundsätzlichen Unanfechtbarkeit bei willensbildungsbezogenen Mängeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 325 aa. Eigenschaftsirrtum als Fremdkörper in der Systematik der Regeln für die Anfechtung wegen eines Irrtums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 326 bb. Notwendigkeit der Einschränkung von Anfechtbar­ keitsmöglichkeiten wegen eines Eigenschaftsirrtums 329 (i) Allgemeine umfeldbezogene Definition: „Ver­kehrswesentlichkeit“ als objektivierendes Merkmal der Vorstellung von der Eigenschaft 331 (ii) Vertragsbezogene Einschränkung: „Vertrags­ wesentlichkeit“ der Eigenschaft als individualisierendes Einschränkungsmerkmal . . . . . . . 333 (iii) Risikosphärenbezogene Einschränkung: Eigenschaftsirrtum im System der Risikozuweisung für Fehlvorstellungen . . . . 334 (iv) Kenntnisstandbezogene Einschränkung: ­„Erkennenwürden“ der Vorstellung von der ­Eigenschaft als wesentliche Eigenschaft i. S. d. §  119 II BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 338 b. Relevanz des Kenntnisstandes des Erklärungsempfängers für den Inhalt der Erklärung und die Folgen von Willensmängeln des Erklärenden . . . . . . . . . . . . . . . 341 (1) Auswirkung des Kenntnisstandes des Erklärungsempfängers auf den Inhalt und die Bedeutung der Erklärung . 341 aa. Relevanz des vom Erklärenden Gewollten für den Inhalt der Erklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . 342

XXII

Inhaltsverzeichnis

bb. Relevanz des vom Empfänger Verstandenen für den Inhalt der Erklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . 343 cc. Relevanz der beiderseitig erkennbaren Umstände für den Inhalt der Erklärung . . . . . . . . . . . . . . . 345 dd. Bedeutung des übereinstimmenden Kenntnisstandes für den Inhalt der Willenserklärung trotz abweichender Bedeutung des objektiven Gehalts der Erklärung (falsa demonstratio) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 347 ee. Ermittlung des übereinstimmenden Kenntnisstandes 349 (2) Beeinflussung der Rechtsfolgen von Fehlvorstellungen des Erklärenden durch den Kenntnisstand des Empfängers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 350 aa. Ausschluss des Schadensersatzanspruchs bei Kenntnis bzw. Kennenmüssen des Empfängers . . . . . . . . 352 bb. Beidseitiger Motivirrtum als Störung der Geschäfts­grundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . 353 cc. Aufklärungspflicht über den erkannten (Kalkulations-)Irrtum oder Einwand unzulässiger Rechtsausübung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 356 (3) Beeinflusste Vorstellung des Erklärenden als arglistige ­Täuschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 362 aa. Fehlvorstellung als Motiv für die Willensbildung des Erklärenden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 363 bb. Kenntnis des Erklärungsempfängers als Arglist bei der Hervorrufung der Fehlvorstellung des Erklärenden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 366 cc. Kenntnisstand des Erklärungsempfängers als (einzig) konstitutives Element des Anfechtungsrechts gemäß §  123 I BGB? . . . . . . . . . . . . . . . . . . 367 (i) Begrenzung des Anfechtungsrechts auf Vorspiegeln unrichtiger Tatsachen . . . . . . . 367 (ii) Begrenzung des Anfechtungsrechts auf vom ­Geschäftspartner bewusst hervorgerufene Fehl­vorstellungen . . . . . . . . . . . . . . . . 368 (iii) Sonderfall der Täuschung durch einen Dritten: Kenntnis vom Tätigwerden des Dritten oder von der Täuschung als zusätzliche Anfechtungs­voraussetzung . . . . . . . . . . . 369 (iv) Begrenzung des Anfechtungsrechts auf vom ­Geschäftspartner erkannte und bewusst ausgenutzte Fehlvorstellungen . . . . . . . . . 374

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XXIII

dd. Ermittlung des Kenntnisstandes des Erklärungs­empfängers . . . . . . . . . . . . . . . . 379 c. Kenntnis vom Anfechtungsgrund als tatsächliche Voraussetzung und rechtliche Einschränkung des Anfechtungsrechtes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 381 (1) Kenntnis des Anfechtenden vom Anfechtungsgrund . . 381 (2) Erforderlichkeit der Kenntnis des Anfechtungsgegners vom Anfechtungsgrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . 382 (3) Bestimmung der Kenntnis vom Anfechtungsgrund . . . 383

§  9  Zusammenführung der Untersuchungsergebnisse . . . . . . 387 I. II.

Relativität des Begriffs „Kenntnis“ . . . . . . . . . . . . . . . . . 387 Problemfälle bei ungeklärtem Vorliegen der Kenntnis . . . . . . 391 1. Unterscheidung zwischen deskriptivem Tatbestandsmerkmal und normativem Wertungskriterium . . . . . . . . . . . . . . 392 a. Deskriptive Begriffe als Lebenswirklichkeit . . . . . . . . . 393 b. Normative Rechtsbegriffe als Ergebnis der Wertung des ­Rechtsanwenders . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 393 c. Unterschied zwischen Lebenswirklichkeit und Wertbegriff . 393 d. Zuordnungsschwierigkeiten bei einzelnen Rechtsbegriffen . 394 e. Merkmal „Kenntnis“ sowohl als deskriptiver als auch als ­normativer Begriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 394 2. Grenzen der normativen Bestimmung des Merkmals der Kenntnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 396 3. Einteilung kenntnisbezogener Normen nach enthaltenen deskriptiven bzw. normativen Merkmalen . . . . . . . . . . . . 398 a. Grundsatz: Kenntnis als deskriptives Merkmal . . . . . . . 398 b. Ausnahme: Normative Bestimmung der Kenntnis . . . . . 399 (1) Erlangung der Kenntnis durch Folgerung aus bekannten Einzeltatsachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 400 (2) Kenntnis als Verfügen über die Information mit Herstellung des Kontextbezugs (Kontextuierung) . . . 403 (3) Feststellung rechtlicher Bindungswirkung von rechts­geschäftlichen Erklärungen . . . . . . . . . . . . . 405 (4) Im Tatbestand enthaltene Grenzen normativer Bestimmung durch Nennung möglicher Gegenstände der Kenntnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 407 III. Vermeidung der Rechtsanwendungsprobleme im Wege einer gestuften Prüfung der Kenntnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 409 1. Unterscheidung von drei Fallkonstellationen . . . . . . . . . . 409

XXIV

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a. Unkenntnis beruht auf Fahrlässigkeit des Betroffenen . . . 409 b. Würde die behauptete Unkenntnis bei Reflexion über tatbestandlichen Sachverhalt nicht vorliegen? . . . . . . . . 411 c. Beruhen der Unkenntnis auf Umständen, die den Eintritt der tatbestandlich vorgesehenen Rechtsfolge unbillig erscheinen lassen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 413 2. Problemfall der (bloß) behaupteten Unkenntnis . . . . . . . . 413 a. Definitorische Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 414 b. Tatsächlich bekannte und verfügbare Informationen . . . . 415 c. Subsumtion des Tatsächlichen unter den Tatbestand der Norm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 415 (1) Gesamtvergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 416 (2) Der sich aus den Einzelinformationen durch wertende ­Gesamtschau ergebende Kenntnisstand . . . . . . . . . 416 aa. Ähnlichkeit zwischen den Methoden der Bestimmung eines zivilrechtlich relevanten Kenntnisstandes und patentrechtlicher erfinderischer Tätigkeit . . . 417 bb. Ähnlichkeit der Defizite der Bestimmung der erfin­derischen Tätigkeit und des zivilrechtlichen Kenntnis­standes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 418 (i) Anfängliche Unsicherheit bei der Rechts­anwendung – Lösungsweg im Patentrecht . . . 419 (ii) Unsicherheit bei der Bestimmung eines zivilrechtlich relevanten Kenntnisstandes einer Person . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 421 (iii) Übertragbarkeit der Bestimmungsmethode aus dem Patentrecht in das Zivilrecht . . . . . . . . 422 d. Ergebnis: Bestimmung eines zivilrechtlich relevanten Kennt­nisstands mit patentrechtlicher Methode . . . . . . . 423 (1) Trennung von Definition und Sachverhaltsermittlung . 423 (2) Definition des Begriffsinhalts der Kenntnis als tatbestandliche Anforderung . . . . . . . . . . . . . . . 424 (3) Sachverhaltsermittlung: Bekannte Einzeltatsachen, Wissen und Können des Betroffenen . . . . . . . . . . . 424 (4) Wertende Ermittlung des Vorliegens der Kenntnis durch „could-would“-Fragestellung . . . . . . . . . . . 427 aa. Plötzliche situationsgebundene Aktualisierung des Kenntnisstandes – Der Anlass zum Nachdenken . . 428 bb. Bekannte Einzelinformationen als Ausgangspunkt der Überlegung der betroffenen Person . . . . . . . 429

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XXV

cc. Abstand der Einzelinformation als zu überwindende Hürde zwischen bekannten Einzelinformationen und dem Gegenstand der tatbestandsrelevanten Kenntnis . . . . . . . . . . . 429 dd. Rückgriff auf Fakten- und Erfahrungswissen bei der Aktualisierung des Kenntnisstandes . . . . . . . . . 431 ee. Abgrenzung der üblicherweise erwartbaren Aktuali­sierung des Kenntnisstandes von der Formulierung von Sorgfaltsanforderungen (Abgrenzung zwischen „könnte“ und „würde“) . . 432

§  10  Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 435 I. II.

Trennung von Definition und Bestimmung eines Kenntnisstandes 435 Vergleich von beanspruchter Erfindung mit den vorbekannten ­Kenntnissen im Rahmen der Prüfung patentrechtlicher Voraus­setzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 437 III. Tatfrage und Rechtsfrage – Die Dichotomie von Wissen . . . . . 439 IV. Kontextuierung von Informationen als Voraussetzung von Wissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 440 V. Entstehung schutzwürdigen Vertrauens durch einen Kenntnisstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 443 VI. Rechtsverlust durch einen Kenntnisstand . . . . . . . . . . . . . . 444 VII. Kenntnisstand als Grundlage und Voraussetzung vertraglicher ­Bindungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 450 VIII. Übertragbarkeit der patentrechtlichen Methode des Vergleichs von einem Kenntnisstand mit einem anderen Kenntnisstand auf ­zivilrechtlich relevante Sachverhalte . . . . . . . . . . . . . . . . . 454

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 461 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 485

§  1  „Der Wissensbegriff“ als Ausgangspunkt der Untersuchung I.  Untersuchungsgegenstand „Wissen“ Die Untersuchung konzentriert sich auf das rechtlich relevante Wissen, dessen Bestimmung und Wirkungen. In der Rechtswissenschaft wird der Begriff des Wissens weder einheitlich verstanden noch existieren allgemeingültige Definitionen.1 Einheitliche Maßstäbe für die Bestimmung einer tatbestandsrelevanten Kenntnis existieren nicht. Im Rahmen der Ausführungen zur Zurechnung von Wissen brachte vor allem Medicus 2 die Frage auf den Punkt: „Die im Gesetz nirgendwo geregelte Grundfrage der Wissenszurechnung lautet: Was ist Wissen überhaupt? Denn daß jemand in der Vergangenheit etwas erfahren hat, bedeutet nicht ohne weiteres, daß er es zu einem späteren Zeitpunkt tatsächlich oder doch im Rechtssinn (normativ) noch weiß.“

Für die Wissenszurechnung und -zusammenrechnung bedeutet das Fehlen einer Definition des Zurechnungsgegenstandes einerseits, dass ein weitgefasster Begriff des Wissens zur Folge hat, dass diese Institute entsprechend weniger Relevanz besitzen, denn was bereits definitorisch Wissen ist, braucht nicht mehr zugerechnet zu werden; andererseits steigt bei einem eng gefassten Begriff des Wissens die Bedeutung der Zurechnungsfragen.3 In dieser Arbeit steht aber nicht die Wissenszurechnung bzw. Wissenszusammenrechnung im Vordergrund.4 Untersucht wird der Begriff des Wissens selbst, d. h. die Vorfrage zur Wissenszurechnung und Wissenszusammenrechnung. Historisch betrachtet ist die Frage nach „dem Wissen“ keinesfalls neu. Bereits in der Philosophiegeschichte lässt sich die Schwierigkeit bei der Suche nach dem Begriff des Wissens erkennen. Die Frage nach dem Ursprung des Wissens bildet 1  Vor allem im Bereich der Wissenszurechnung wird dies häufig beklagt und die Vorfrage zur Wissenszurechnung bzw. Wissenszusammenrechnung entweder offen gelassen oder es werden die Überlegungen zur Zurechnung von Wissen mit kürzer begründeten Arbeitsde­ finitionen fortgeführt, vgl. Medicus, VersR Beil. 1994, 4 f.; Sallawitz, Gleichstellung, 1973, S.  50 ff.; Schilken, Wissenszurechnung, 1983, S.  6 ff.; Baum, Wissenszurechnung, 1999, S.  27 ff. 2  Medicus, BGB AT, 10.  A ., 2010, Rn.  9 04a. 3 Vgl. Taupitz, VersR Beil. 1994, 16, 29; Buck, Zurechnung, 2001, S.  326 ff. 4 Hierzu und zu den Interdependenzen zwischen Wissen und Zurechnung umfassend Buck, Zurechnung, 2001, S.  24 ff.

2

§  1  „Der Wissensbegriff“ als Ausgangspunkt der Untersuchung

die Grundlage der Epistemologie. Die Antwort auf die Frage, was die Quelle des Wissens ist, unterscheidet sich nach den beiden Ansätzen des Rationalismus und des Empirismus und begründet eine der maßgeblichen Unterschiede beider Strömungen der Philosophiegeschichte: Das rationale Denken ist die einzige Erkenntnisquelle des Rationalismus. Als Begründer des Rationalismus geht Platon davon aus, dass Wissen nur die eigene Erkenntnis sei. Diese ist nicht die materielle Welt selbst, sondern nur das Vorgestellte, d. h. die Wahrnehmung dessen, was der Betrachter durch seine Sinneswahrnehmung und durch seine Vernunft erkennen kann. 5 Absolute Wahrheit erschließt sich daher nicht durch Beobachtung, sondern allein durch logisches Denken, das auf Axiomen beruht. 6 Das Wissen schließt Erkenntnis ein. Erkenntnis zeichnet aus, dass sie zusätzlich zu der Vorstellung, die sich eine Person gemacht hat, richtig ist, d. h. mit einer Erklärung versehen ist.7 Gegen den Rationalismus wandte sich Aristoteles8 als bedeutendster Vertreter des Empirismus. Nach seiner Ansicht ist die einzige Erkenntnisquelle die Sinneserfahrung. Wahre Erkenntnis ist nur das, was durch die Beobachtung und das Experiment nachgewiesen werden kann. Wissen ist nach dieser Ansicht untrennbar mit den materiellen Objekten verbunden. Wissen ist die Sinneswahrnehmung dieser materiellen Objekte. Es hat aber keine von den materiellen Objekten unabhängige Existenz. Nur die Beobachtung, nicht die Erklärung kann eine Verifizierung einzelner Sinneswahrnehmungen sein. Diese beiden Ansichten, die die Grundlage der Erkenntnistheorie bilden, zeigen anschaulich, dass der Streit um den Begriff des Wissens weder neu noch fachgebunden ist. Der Unterschied zwischen Rationalismus und Empirismus macht darüber hinaus deutlich, dass es bereits frühzeitig Zweifel am Erfolg der Versuche gab, den Begriff des Wissens durch möglichst objektive Kriterien (nur Beobachtung, keine Wertung durch Erklärung) von seinem ursprünglich höchst subjektiven Charakter zu lösen. Eine allgemeingültige Definition des Begriffs Wissen existiert auch heute weder allgemeinsprachlich noch in der wissenschaftlichen, funktionsbezogenen Auseinandersetzung. Begriffe werden unterteilt in Allgemeinvorstellungen und Spezialbegriffe. Allgemeinbegriffe beschreiben Gegenstände des Alltags. Hierzu zählen begrifflich noch nicht zergliederte Vorstellungen.9 Allgemeinsprachlich wird unter Wissen die Gesamtheit dessen verstanden, was man weiß, wobei sich einige Begriffsfacetten abzeichnen. Im Allgemeinen bedeutet Wissen, Kenntnis von 5 

Platon, Phaidon, c. 10 ff., in: Sämtliche Dialoge, Band II, 2.  A., 1988, S.  40 ff. Beispiel hierfür ist die Mathematik; vgl. Platon, Theätet, c. 36, in: Sämtliche Dialoge, Band IV, 2.  A., 1988, S.  121 ff. wie auch dortige Anm.  54 auf S.  178 ff. 7  Platon, Theätet, c. 8, 31, 42, in: Sämtliche Dialoge, Band IV, 2.  A ., 1988, S.  4 4 ff., 103 ff., 137 f. 8  Aristoteles, Analytica posteriora, Zweite Analytik, Band 3, Teil II, Hb. 1, Kap.   17–19 (99a–100b), 1993, S.  81 ff. 9  Wank, Begriffsbildung, 1985, S.  5. 6  Typisches

I.  Untersuchungsgegenstand „Wissen“

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etwas bzw. jemandem zu haben, „beispielsweise durch eigene Erfahrung oder Mitteilung von außen, so dass zuverlässige Aussagen gemacht werden können“.10 Weiter wird als Wissen auch der Zustand beschrieben, „über jemanden oder etwas unterrichtet zu sein bzw. sich einer Sache in ihrer Bedeutung, Tragweite, Auswirkung bewusst zu sein“.11 Damit wird neben dem Zustand der Kenntnis um eine Tatsache auch eine gewisse Reflexion und Bewertung der Tatsache erfasst.12 Eine weitere allgemeinsprachliche Bedeutung hebt auf die Zuverlässigkeit der kognitiven Reflexion ab, indem Kenntnis von etwas mit „sich sicher sein“ beschrieben wird. Dies bedeutet, dass jemand beispielsweise weiß, dass „sich etwas oder jemand in einem bestimmten Zustand oder an einem bestimmten Ort befindet“.13 Das allgemeinbegriffliche Verständnis von Wissen erfasst nicht nur die Kenntnis von Tatsachen, sondern auch die Kenntnis von Möglichkeiten, und dies nicht allein im Sinne von Handlungsoptionen, sondern auch im Sinne von Können eines bestimmten Verhaltens.14 Synonym wird hierfür „in der Lage sein, etwas zu tun“ verwendet.15 Vom mittelhochdeutschen und alt­hochdeutschen Wortursprung her bedeutet Wissen eigentlich „gesehen haben“ und stammt ursprünglich von „erblicken“, „sehen“.16 Die Bedeutungsentwicklung des Wortes „Wissen“ liegt somit in der Umschreibung „gesehen haben und daher wissen“. Den Allgemeinvorstellungen von Wissen stehen die Spezialbegriffe gegenüber. Rechtsbegriffe sind solche Spezialbegriffe. Diese werden durch Definitionen in Begriffe umgewandelt und haben eine spezifische (z. B. rechtliche) Bedeutung.17 Die Begriffsbildung erfolgt dabei i. d. R. teleologisch, d. h. sie ist vor dem Hintergrund ihrer jeweiligen Fragestellung und dem Zweck ihrer Bildung zu sehen. Die Bildung der Spezialbegriffe erfolgt demnach im Hinblick auf die Funktion, die die Spezialbegriffe erfüllen sollen.18

10 

Duden, Deutsches Universalwörterbuch, 8.  A., 2015 – Stichwort: wissen, Bedeutung 1. Duden, Deutsches Universalwörterbuch, 8.  A., 2015 – Stichwort: wissen, Bedeutung 2. 12  Hierzu ferner Duden, Deutsches Universalwörterbuch, 8.  A ., 2015 – Stichwort: Kenntnis. 13  Duden, Deutsches Universalwörterbuch, 8.  A ., 2015 – Stichwort: wissen, Bedeutung 3. 14  Der hierzu erforderliche Schritt des Erwerbs des Wissens in diesem Sinne der Reflexion wird allgemeinsprachlich mit Erkenntnis umschrieben, vgl. Duden, Deutsches Universalwörterbuch, 8.  A., 2015 – Stichwort: Erkenntnis, Bedeutung 1: „durch geistige Verarbeitung von Eindrücken und Erfahrungen gewonnene Einsicht“. 15  Duden, Deutsches Universalwörterbuch, 8.  A ., 2015 – Stichwort: wissen, Bedeutung 4. 16  Duden, Deutsches Universalwörterbuch, 8.  A ., 2015 – Stichwort: wissen. 17  Wobei die Rechtsbegriffe selbst nochmals nach ihren jeweiligen Urhebern (z. B. Gesetzgeber oder Rechtswissenschaft) unterteilt werden können, was wiederum Einfluss auf das Verständnis des jeweiligen Begriffs hat, vgl. Wank, Begriffsbildung, 1985, S.  5 ff. 18 Zu den funktionsbestimmten Rechtsbegriffen umfassend: Larenz, Methodenlehre, 6.  A., 1991, S.  482 ff. 11 

4

§  1  „Der Wissensbegriff“ als Ausgangspunkt der Untersuchung

II.  Wirtschaftswissenschaftliche Aufgliederungen des Wissensbegriffs als terminologische Orientierungsmöglichkeit für die rechtswissenschaftliche Begriffsbildung Eine allgemeingültige Definition von Wissen existiert in der Rechtswissenschaft nicht. Der Grund für das Fehlen einer solchen allgemeinen Definition liegt in der Vielzahl unterschiedlicher Rechtsfolgen, die das Vorliegen oder Nichtvorliegen von Wissen nach sich ziehen kann. Dabei kommt es je nach Regelungszusammenhang auf verschiedene Facetten des rechtlich relevanten Wissens an. Beispielsweise kann das Vorliegen von Wissen Rechte entstehen lassen, wenn eine neue Lösung zu einer technischen Aufgabe entwickelt wurde (Recht an der Erfindung, das durch die Patentanmeldung zu einem Recht auf das Patent wird, §  6 PatG). Außerdem kann das Wissen (von der Unrichtigkeit des Grundbuchs) einen gutgläubigen Rechtserwerb verhindern (§  892 I 1 BGB). Diese zwei Beispiele zeigen exemplarisch, wie weit gefächert der Begriff und die Wirkungen des rechtlich relevanten Wissens sind. In der Wirtschaftswissenschaft bewirkt dagegen das Vorliegen von Wissen keine spezielle Folge, sondern die Betrachtung des Wissens erfolgt unter dem Gesichtspunkt, dass Wissen als ein Gut angesehen wird. Wie bei der Betrachtung der Eigenschaften anderer Güter auch, führt die Auseinandersetzung mit den Merkmalen von Wissen als ein solches wirtschaftliches Gut zu einer dezidierten Abstufung nach Qualitätsmerkmalen und Nutzungsmöglichkeiten des Wissens. Daraus folgt eine starke terminologische Ausdifferenzierung des wirtschaftswissenschaftlichen Wissensbegriffs. Diese Abstufungen sind für die spätere Betrachtung der rechtswissenschaftlichen Begriffsbildung hilfreich, da den in der Rechtswissenschaft ausgeprägten Definitionen von Normen mit tatbestandlich vorausgesetztem Wissen kaum Differenzierungen beispielsweise im Hinblick auf die Abstufung zwischen Wissen, Information und Daten zugrunde liegen.19

1.  Bedeutung des Wissens in der Wirtschaftswissenschaft In der Wirtschaftswissenschaft wird der Begriff des Wissens im Zusammenhang mit dem Wissensmanagement näher definiert.20 Hierbei spielen die Nutzung, Umsetzung und Veränderung von Wissen eine zentrale Rolle und bilden den Gegenstand der Auseinandersetzung. Wissen wird als Produktionsfaktor 19  Für den Begriff der Information schlägt Zech, Information als Schutzgegenstand, 2012, S.  197 ff., 259 ff., 309 ff. vor, diese semantisch (nach der Bedeutung), syntaktisch (nach der Darstellung) und strukturell (nach der Verkörperung) zu untergliedern. 20  Statt vieler Lehner, Wissensmanagement, 5.  A ., 2014, S.  30 ff.; insbes. mit Darstellung verschiedener Wissensmanagementkonzepte.

II.  Wirtschaftswissenschaftliche Aufgliederungen des Wissensbegriffs

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bzw. Ressource betrachtet, 21 das ein veräußerbares Produkt ist und mithin aus dieser Sichtweise pragmatisch-instrumentell bestimmt wird.22 Insbesondere im Bereich von Problemlösungsprozessen wird die Bedeutung von Wissen und dessen Organisation deutlich. Problemlösungen sind Innovationen und stellen für Unternehmen einen Produktionsfaktor dar.23 Problemlösungen finden regelmäßig in mehreren Phasen statt: 24 Nach einer Problemanalysephase, in der das Problem als solches erkannt wird, folgt eine Ideenfindung.25 Hierbei werden in Form der Ideengenerierung Verknüpfungsvarianten vorhandener Informa­ tionen gesucht. Es folgt die Bewertungs- und Realisierungsphase der Problemlösung, in der durch Nutzung von vorhandenem Wissen die Ideen bewertet und auf ihre Lösungseignung hin überprüft werden.26 Dabei kommt dem Wissensmanagement eine entscheidende Rolle zu. Zum einen müssen die zu kombinierenden Informationen bereitgestellt werden. Zum anderen ist eine Unterstützung im Rahmen der Bewertungsphase (Prüfung der gefundenen Lösung mit Hilfe von vorhandenem Wissen) notwendig. Diese Aufgaben stellen sich im Rahmen des Informations- bzw. Wissensmanagements.27

2.  Definitionsansätze für Wissen In der Wirtschaftswissenschaft wird oftmals beklagt, der Begriff des Wissens sei einer der unschärfsten in der wirtschaftswissenschaftlichen Literatur.28 In der wissenschaftlichen Auseinandersetzung wird eine Definition des „Wissens“ häufig mit der Abgrenzung vom Begriff der Information und der Daten verbunden. Des Weiteren wird Wissen nach seiner Art eingeteilt, indem man nach den Kriterien der Zugänglichkeit, der Lokalisierung und der Anwendung des Wissens unterscheidet. 21 

Lehner/Maier, Information, 1994, S.  14 f. Wissel, Konzeption Managementsystem, 2001, S.  85. 23  Produktionsfaktoren werden in Elementarfaktoren (Arbeit, Betriebsmittel etc.) und dis­ positive Faktoren (Planen, Steuern, Entscheiden) eingeteilt, vgl. Gutenberg, Grundlagen ­Betriebswirtschaftslehre, Band 1, 18.  A., 1971, S.  11 ff. Der Produktionsfaktor „Wissen“ wird dabei regelmäßig dem Elementarfaktor „Arbeit“ zugeordnet, weil er an die Ressource eines Mitarbeiters gebunden ist. Marshall, Principles of Economics, 1922, S.  115 f., teilt Produktions­ mittel in Land, Arbeit, Kapital und Organisation ein und geht dabei davon aus, dass Kapital im Wesentlichen aus Wissen und Organisation besteht. Wissen bezeichnet er in diesem Zusammenhang als einflussreichstes Triebwerk („most powerful engine“) der Produktion. 24  Vgl. die graphische Darstellung einer idealtypischen Problemlösung bei Wissel, Konzeption Managementsystem, 2001, Abb. 3–13, S.  122. 25  Vgl. hierzu die graphische Darstellung des kreativen Planungsmodells bei Linneweh, Kreatives Denken, 1981, Abb. 11, S.  66. 26  Linneweh, Kreatives Denken, 1981, S.   66 ff.; Wissel, Konzeption Managementsystem, 2001, S.  125 f. 27  Umfassend hierzu Welter, Informationsmanagement, 2005, S.  42 ff. 28  Welter, Informationsmanagement, 2005, S.  50; Wissel, Konzeption Managementsystem, 2001, S.  85. 22 

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§  1  „Der Wissensbegriff“ als Ausgangspunkt der Untersuchung

a.  Unterscheidung zwischen Zeichen, Daten, Information und Wissen Zeichen, Daten und Informationen gehören zu jeweils aufeinander aufbauenden Teilmengen, die sich teilweise überschneiden. Die Zuordnung zu einer Teilmenge ist sowohl von der Qualität der Einzelelemente als auch von der Beziehung der Einzelelemente untereinander abhängig.29 (1)  Zeichen, Symbole, Daten Zeichen und Symbole haben keinen Bezug zueinander und stehen in keinem Kontext zu anderen Zeichen oder Symbolen. Aus Zeichen werden Daten, wenn sie bestimmten Syntaxregeln folgen.30 Allein der nicht zufällige Bezug der Zeichen untereinander in einer Gruppe begründet die Eigenschaft als Daten.31 Ein typisches Merkmal von Daten ist, dass sie keinen Verwendungsbezug haben.32 Sie sind vielmehr abstrakt33 und haben für sich betrachtet keine Bedeutung.34 Daten liegen kodiert vor und bedürfen für ihre Wahrnehmung zunächst einer Verarbeitung.35 Aus Daten werden bei ihrer Übertragung (von einem Sender an einen oder mehrere Empfänger) Nachrichten.36 (2) Information Eine Information hat im Gegensatz zu Daten einen Zweckbezug, d. h. die Information unterscheidet sich durch ihre Kontextabhängigkeit von bloßen Daten.37 Während Daten ohne Kontext und nur für sich selbst stehen (d. h. abstrakt sind), sind Informationen Daten mit einer Relevanzzuordnung.38 Deutlich wird dies anhand eines Beispiels: „Schuh“ ist keine Information. Wird jedoch eine Liste mit verschiedenen Schuhen erstellt, deren Auswahl das Angebot eines Wa29 

Probst/Raub/Romhardt, Wissen managen, 7.  A., 2012, S.  16 ff. Krcmar, Gablers Magazin 1998 Heft 3, S.  6 ff. in Bezug auf Informationsbeschaffung und Informationsverteilung. 31  Weber, Datenverarbeitung, 1978, S.  3. 32  Wissel, Konzeption Managementsystem, 2001, S.   87 f.; Welter, Informationsmanagement, 2005, S.  40. 33 Vgl. Schlange, Qualitätsinformationssysteme, 1992, S.   69: „abstrahierte Abbilder von Objekten, Gegebenheiten und Vorgängen“; vgl. auch Rey/Maassen/Gadeib/Brücher, Information Management & Consulting 1998 Heft 1, S.  30. 34  Brödner, in: Zoche, Herausforderungen Informationstechnik, 1994, S.  209, 233; Daten werden auch als „maschinell verarbeitbare Abbildungen der Realität“ beschrieben, vgl. Rey/ Maassen/Gadeib/Brücher, Information Management & Consulting 1998 Heft 1, S.  30. 35  Wissel, Konzeption Managementsystem, 2001, S.  87. 36  Weber, Datenverarbeitung, 1978, S.  3 ; ausführlich Lehner, Wissensmanagement, 5.  A ., 2014, S.  314 f. m. w. N. 37  Müller-Merbach, t&m 1995, 3, 4; Hasler Roumois, Studienbuch Wissensmanagement, 3.  A., 2013, S.  34 f.; Wittmann, 1959, S.  14 f., bezeichnet Information als zweckorientiertes Wissen und grenzt den Begriff Wissen über die Gewissheit (d. h. den Wahrscheinlichkeitsfaktor) ab. 38  Brödner, in: Zoche, Herausforderungen Informationstechnik, 1994, S.  209, 233; Wissel, Konzeption Managementsystem, 2001, S.  88. 30 

II.  Wirtschaftswissenschaftliche Aufgliederungen des Wissensbegriffs

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renhauses widerspiegelt, so werden den einzelnen Daten Relevanzbezüge zugeordnet und aus Einzeldaten werden Informationen.39 Die Relevanzbeziehungen können teilweise sehr einfach strukturiert sein. Zum Beispiel gehören alle Schuhe in der Liste zum Angebot des Warenhauses oder jede Schuhsorte hat einen Lagerbestand, einen Einkaufs- und Verkaufspreis usw. Nur die Speicherung von Einkaufs- und Verkaufspreis wird hierbei im Hinblick auf den jeweiligen Schuh in einen Bezug gesetzt und begrenzt dadurch die Information. Eine einzelne Information kann wiederum außerhalb ihres bisherigen Kontextes (dann in Form von Daten) zur Gewinnung weiterer Informationen dienen, indem sie in einen neuen Kontext gesetzt wird: Beispielsweise kann aus der Kombination der Daten der Lagerhaltung („Ein- und Ausgänge“) in Verbindung mit den Daten „Einkaufs- und Verkaufspreis“ die Information „Umsatz und Gewinn“ gebildet werden. Dieses Beispiel zeigt, wie im Rahmen neuer Kontexteinbindung aus Einzeldaten Informationen werden. Das Besondere an den auf diese Weise gewonnenen Informationen ist, dass sie wieder zu Daten werden können, wenn ihnen der Kontextbezug genommen wird. Dies kann zum Beispiel durch kontextloses Speichern der Informationen geschehen.40 (3) Wissen Nimmt ein Mensch Informationen auf, wird aus der Information Wissen.41 Wissen ist daher wahrgenommene bzw. „verstandene Information“.42 Die Information muss dazu von einer Person verarbeitet, reflektiert und analysiert werden, um zu Wissen zu werden.43 Der menschliche Aufnahmeakt der Information setzt voraus, dass die Person die Information wahrnimmt und versteht. Das Verstehen setzt sich zusammen aus dem objektiven Tatbestand der Wahrnehmung der Information selbst und einer zugehörigen Begründungsstruktur.44 Die Information steht nicht für sich selbst. Sie besteht aus einem Kontext, einer intellektuellen Auseinandersetzung, einer Begründung und wird somit bei demjenigen zu Wissen, der diese Information mit einer Begründung (einem 39 

Weitere Beispiele bei Lehner, Wissensmanagement, 5.  A., 2014, S.  57 f. Teilweise wird daher die Information auch „objektiviertes Wissen“ genannt, vgl. Seiler, Wirtschaftspsychologie 2003 Heft 3, S.  41, 45. 41  Gegen einen solchen „menschgebundenen Ansatz“ Bode, ZfbF 1997 (49) Heft 5, S.  4 49, 458 ff., der jede Form der Repräsentation von Teilen der realen oder gedachten Welt in einem materiellen Trägermedium als Wissen bezeichnet und hiermit vor allem auch andere Speichermedien neben dem menschlichen Gehirn erfassen will. 42  Müller-Merbach, t&m 1995, 3, 4; Bullinger, Electronic Business and Knowledge Management, 1999, S. 53, 61. 43  Welter, Informationsmanagement, 2005, S.  50 unter Bezugnahme auf Mittelstraß, Leonardo-Welt, 1992, S.  228 und Müller-Merbach, t&m 1995, 3, 5. 44  Mittelstraß, Leonardo-Welt, 1992, S.   228; Jacobsen, Unternehmensintelligenz, 2000, S.  33; Willke, Systemisches Wissensmanagement, 2001, S.  11, stellt auf die Einbindung in den Erfahrungskontext ab. 40 

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§  1  „Der Wissensbegriff“ als Ausgangspunkt der Untersuchung

Kontext) kennt. Es besteht deshalb ein qualitativer Unterschied zwischen Information und Wissen.45 Voraussetzung von Verstehen ist individuelles Bewusstsein des Menschen. Wissen ist daher immer an einen Menschen gebunden,46 d. h. personaler Natur.47 Aus der Bindung des Wissens an den Menschen folgt, dass Wissen nur in Form von Information übertragen werden kann. Wissen selbst kann als solches nicht übertragen werden. Die Kommunikationsform von Wissen ist somit die Information.48 Durch sie wird Wissen transportabel.49 Diese Information wird bei dem Empfänger durch dessen menschliches Verstehen, d. h. dessen Aufnahme wieder zu Wissen.50 Ein typischer Vorgang für die „Übertragung von Wissen“ in Form der Informationsübermittlung ist das Lehren bzw. das Lernen.51 Aus der Einschränkung, dass Wissen nur als Information übertragen werden kann, folgt, dass eine Speicherung von Wissen selbst nicht möglich ist, sondern nur in der Form von Informationen erfolgen kann.52 Die Speicherung ist somit nur ein verlängerter Weg der (potentiellen) Übertragung. Durch die Notwendigkeit des Verarbeitungsvorgangs der Information durch das Bewusstsein eines Menschen handelt es sich bei Wissen daher um verstandene Information.53 Allerdings ist das menschliche Gedächtnis nicht in der Lage, Wissen abzuspeichern, sondern es wird die einzelne Information (mit weiteren Informationen als Verknüpfung) abgespeichert.54 Information ist mithin eine Teilmenge von Wissen.55 Inhaltlich ist der Wissensbegriff ähnlich weit gefasst wie der der Information bzw. der Daten. Häufig wird der Gegenstand des Wissens umschrieben mit der „Gesamtheit der Kenntnisse und Fähigkeiten, die Individuen zur Lösung von Problemen einsetzen“.56 Aus diesem Bezug zum Kontext (Problemlösung) und 45  Rey/Maassen/Gadeib/Brücher, Information Management & Consulting 1998 Heft 1, S.  30, stellen stärker auf die neuartige Vernetzung der Informationen ab, zeigen jedoch auch die Personengebundenheit von Wissen auf. 46  Welter, Informationsmanagement, 2005, S.  51 f. 47  Vgl. u. a. Seiler, Wirtschaftspsychologie, 2003 Heft 3, S.  41, 45; Probst/Raub/Romhardt, Wissen managen, 7.  A., 2012, S.  17 ff. 48 Vgl. Seiler/Reinmann, in: Reinmann/Mandl, Psychologie des Wissensmanagements, 2004, S.  11, 18 f. 49  Welter, Informationsmanagement, 2005, S.  51; Mittelstraß, Leonardo-Welt, 1992, S.  2 29 f. 50  Rey/Maassen/Gadeib/Brücher, Information Management & Consulting 1998 Heft 1 S.  30; Wissel, Konzeption Managementsystem, 2001, S.  88; Krcmar, Gablers Magazin 1998 Heft 3, S.  6 ff.; Willke, Systemisches Wissensmanagement, 2001, S.  11. 51 Vgl. Hasler Roumois, Studienbuch Wissensmanagement, 3.  A ., 2013, S.  34 f. 52 Vgl. North, Wissensorientierte Unternehmensführung, 6.  A ., 2016, S.  33 ff.; zur eingeschränkten Speicherbarkeit von Wissen vgl. anschaulich Lehner, Wissensmanagement, 5.  A., 2014, Abb. 2–8, S.  57. 53  Bullinger, Electronic Business and Knowledge Management, 1999, S. 53, 61 f. 54  Martinez/Barea-Rodriguez, in Lüer/Lass, Erinnern und behalten, 1997, S.  39 ff. 55 Vgl. Bode, ZfbF 1997 (49) Heft 5, S.  4 49, 459 f. 56  Arbeitsdefinition des Wissensbegriffs von Probst/Raub/Romhardt, Wissen managen, 7.  A., 2012, S.  23.

II.  Wirtschaftswissenschaftliche Aufgliederungen des Wissensbegriffs

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zum Individuum wird der Unterschied von Wissen zu Daten und Informationen deutlich. b.  Kategorisierung von Wissen; Wissensarten In der Wirtschaftswissenschaft unterscheidet man verschiedene Arten von Wissen. Diese Kategorisierungen sind im Rahmen des Wissensmanagements von Nutzen. Beispielsweise sind Wissensmanagementaktionen wie die Internalisierung von Wissen (z. B. durch Einkauf) nur erforderlich, wenn die Ressource nicht bereits zum Bestand zählt. Wissen, das nicht übertragen werden kann, kann auch nicht als solches internalisiert werden.57 Ein weiterer Aspekt bei der Kategorisierung von Wissen ergibt sich beispielsweise durch das Bestreben eines Unternehmens, die Bindung des Wissens an einzelne Mitarbeiter aufzuheben und die Informationen dem gesamten Unternehmen zugänglich zu machen, ohne dass es auf den einzelnen Mitarbeiter ankäme. Diese Form der Bindung des bei den Mitarbeitern vorhandenen Wissens an ein Unternehmen ist nur bei solchem Wissen möglich, das in der Form von Informationen überhaupt übertragen und möglichst auch unabhängig von dem einzelnen Mitarbeiter gespeichert werden kann. Anhand der genannten Kriterien (als Information speicherbares, übertragbares (explizites) Wissen einerseits und implizites Wissen, das nicht in der Form von Informationen übertragen werden kann andererseits) haben sich in der wirtschaftswissenschaftlichen Diskussion die nachfolgend darzustellenden Kategorien bei der Unterscheidung von Wissensarten herausgebildet. (1)  „Knowing how“ und „Knowing that“ bzw. implizites und explizites Wissen Die wohl bedeutendste Unterscheidung im Hinblick auf die Arten von Wissen liegt in der Differenzierung zwischen implizitem und explizitem Wissen bzw. zwischen „knowing how“ und „knowing that“.58 Die Unterscheidung nach implizitem und explizitem Wissen hängt von der Art der Zugänglichkeit ab.59 Implizites Wissen (auch „tacit knowledge“60 oder faktisches, stilles Wissen genannt) ist Wissen, „das ein Individuum aufgrund seiner Erfahrungen, seiner persönlichen Entwicklung, seiner täglichen Praxis sowie seines Lernens im Sinne von Know-how“61 von Handlungsabläufen erwirbt. 62 Der Träger von implizitem Wissen muss nicht einmal wissen, dass er 57 Zu den verschiedenen Werkzeugen des Wissensmanagements Böhmann/Krcmar, in: Bellmann/Krcmar/Sommerlatte, Praxishandbuch Wissensmanagement, 2002, S.  385 ff. 58  Weitere Begriffspaare sind „konzeptuelles Wissen“ und „prozedurales Wissen“, wobei dieses Begriffspaar starke Überschneidungen zu den Begriffen „knowing how“ und „know­ing that“ aufweist, vgl. zu dieser Einteilung insbes. Gruber, Kompetentes Handeln, 1999, S.  57 f. 59 Vgl. Nonaka, Organization Science, Vol.  5, 1994, No. 1, S.  14, 19 f. 60  Polanyi, Personal Knowledge, 1958, S.  69 ff. 61  Wissel, Konzeption Managementsystem, 2001, S.  9 0. 62  Willke, Systemisches Wissensmanagement, 2001, S.  12.

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§  1  „Der Wissensbegriff“ als Ausgangspunkt der Untersuchung

dieses Wissen besitzt: 63 So ist es möglich, dass jemand weiß, wie man schwimmt; schwimmt er dann, wendet er das implizite Wissen an, er muss jedoch nicht darüber nachdenken, wie Schwimmen eigentlich funktioniert. 64 Am besten lässt sich implizites Wissen als „Erfahrung“ beschreiben. Im Gegensatz dazu steht das explizite Wissen. Dieses ist aussprechbar und dokumentierbar.65 Der Wissensträger weiß um sein Wissen und kann darüber sprechen.66 Explizites Wissen kann einfacher übertragen und gespeichert werden als implizites Wissen. Die Differenzierung nach „knowing how“ und „knowing that“ beruht auf der verschiedenen Anwendbarkeit von Wissen. 67 „Knowing that“ beschreibt Faktenwissen. „Knowing that“ heißt, sich sicher zu sein, dass etwas so ist und nicht anders. 68 Es umschreibt Sachverhalte, die sich objektiv und empirisch nachprüfen lassen und wird auch als Lexikonwissen69 bezeichnet.70 Im Gegensatz dazu stellt „knowing how“ Handlungswissen dar. Handlungswissen geht weiter als das Faktenwissen und beschreibt die Fähigkeiten, das vorhandene Faktenwissen für den Prozess von Problemlösungen anzuwenden.71 Handlungswissen ist daher das Können, d. h. „die Fertigkeiten und Fähigkeiten“.72 „Knowing how“ kann am besten umschrieben werden mit der Aussage: „Ich bin fähig, etwas zu tun“.73 Die Begriffspaare „implizit – Handlungswissen“ und „explizit – Faktenwissen“ sind jeweils eng miteinander verwandt.74 So ist implizites Wissen nahezu identisch mit Handlungswissen. Die Erfahrungen, die ein Individuum gesam-

63 

Willke, Systemisches Wissensmanagement, 2001, S.  13. Machlup, Knowledge, Vol. 1, 1981, S.  31. 65  Jacobsen, Unternehmensintelligenz, 2000, S.  34; Willke, Systemisches Wissensmanagement, 2001, S.  13. 66  Willke, Systemisches Wissensmanagement, 2001, S.   13; Wissel, Konzeption Managementsystem, 2001, S.  91. 67  In Bezug auf die Wissenskomplexität wird als weitere Abstufung zwischen „knowing how“ und „knowing that“ sog. „know-about“ genannt; weitere qualitative Stufungen folgen (know-why und know what-to-do) in Bezug auf Kompetenz und Expertise. Vgl. hierzu ­Hasler Roumois, Studienbuch Wissensmanagement, 3.  A., 2013, S.  45 ff. 68  Machlup, Knowledge, Vol. 1, 1981, S.  31. 69  Hierzu zählt jede Form der Speicherung, beispielsweise in Datenbanken, Produktbeschreibungen und auch Patenten, vgl. Bullinger, Electronic Business and Knowledge Management, 1999, S. 53, 61 f. 70 Vgl. Wissel, Konzeption Managementsystem, 2001, S.  94 m. w. N.; Willke, Systemisches Wissensmanagement, 2001, S.  12, bezeichnet aufgrund des fehlenden Erfahrungskontextes von „know that“ dieses als statisches Wissen, welches an sich nichts mit Wissen, sondern vielmehr mit Information zu tun hat. Wissen sei dagegen „in Erfahrung eingebettete Information“. 71  Wissel, Konzeption Managementsystem, 2001, S.  94. 72  Wissel, Konzeption Managementsystem, 2001, S.  94. 73  Machlup, Knowledge, Vol. 1, 1981, S.  31. 74  Zur Verwandtschaft von Handlungswissen und implizitem Wissen sowie Faktenwissen und explizitem Wissen Polanyi, Personal Knowledge, 1958, S.  53. 64 

II.  Wirtschaftswissenschaftliche Aufgliederungen des Wissensbegriffs

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melt hat, bilden sein Handlungswissen.75 Handlungswissen ist sowohl schwer erkennbar als auch schwer zugänglich. Es wird erst in der Interaktion wahrnehmbar.76 Das explizite Wissen, welches gespeichert und dokumentiert werden kann, ist dem Faktenwissen ebenfalls sehr ähnlich.77 Das Faktenwissen ist einfacher lokalisierbar und übertragbar als das (implizite) Handlungswissen und ist daher auch dem expliziten Wissen ähnlich. (2)  Lokalisierung – internes und externes Wissen Das Wissen wird des Weiteren vor allem im Zusammenhang mit Wissensmanagementsystemen anhand seiner Lokalisierung unterschieden. Verfügt ein Unternehmen über Wissen (d. h. über Mitarbeiter, die dieses (meist explizite) Wissen haben), so handelt es sich um unternehmensinternes Wissen. Darauf können Unternehmen zugreifen, ohne andere (Externe) einbinden zu müssen. Explizites und implizites Wissen, das nur außerhalb des Unternehmens verfügbar ist, ist dagegen externes Wissen. Einem Unternehmen steht externes Wissen nur zur Verfügung, wenn es dieses Wissen internalisiert. Eine Möglichkeit der Internalisierung ist die Einstellung eines Mitarbeiters, der das (oft implizite Experten-) 78 Wissen mitbringt. Handelt es sich bei dem benötigten Wissen um explizites Wissen, kann die Internalisierung auch durch die Beschaffung von Information geschehen. Ein Beispiel für eine solche Internalisierung ist der Kauf von Datenbanken oder Zeitschriften bzw. dem Zugang zu diesen.79 Bei der Generierung von Innovationen (d. h. der Schaffung neuen Wissens durch Kombination von Informationen) kann sich ein Unternehmen beider Formen des Wissens (externes und internes) bedienen. (3)  Metawissen – Wissen über Wissen Eine Mischform zwischen Anwendung und Lokalisierung des Wissens bildet die Kategorie des Metawissens. Dies ist das Wissen über das Wissen. Ein Beispiel verdeutlicht dies: Der Vorgesetzte weiß, dass sein Mitarbeiter etwas Bestimmtes weiß. Damit hat der Vorgesetzte Wissen über Wissen des Mitarbeiters. Der Vorgesetzte hat damit Metawissen. Metawissen ist reines Faktenwissen. Es wird als speicherbare Information verstanden80 und ist im Hinblick auf Wissensmanagementsysteme besonders bedeutsam, denn Metawissen gibt Aufschluss darüber, wo (intern oder extern) Wissen vorhanden ist. Somit stellt es einen wesentlichen Aspekt der Wissensorganisation dar. 75 

Willke, Systemisches Wissensmanagement, 2001, S.  12. Wissel, Konzeption Managementsystem, 2001, S.  9 0 f. 77  Lehner/Maier, Information, 1994, S.  40 f. 78 Hierzu Wissel, Konzeption Managementsystem, 2001, S.  92, insbes. Fn.  73. 79  Allesch/Klasmann, PRIMA, 1989, S.  30 f. 80  Wissel, Konzeption Managementsystem, 2001, S.  94 f. 76 

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§  1  „Der Wissensbegriff“ als Ausgangspunkt der Untersuchung

III.  Terminologische Differenzierung zwischen Kenntnis und Wissen, Teilwissen und Information sowie Kennenmüssen und Kennenkönnen Als Ausgangspunkt der weiteren Betrachtung erweist sich die Suche nach einer allgemeingültigen, abstrakten und von der konkreten Fallsituation unabhängigen Definition des rechtlich relevanten Wissens als nicht zielführend. Eine solche Definition ist ebenso wenig möglich wie diejenige anderer vielschichtiger Begriffe, beispielsweise der „guten Sitten“ oder „Treu und Glauben“ als wertungsgeladene Rechtsbegriffe, die ebenfalls keinen subsumtionsfähigen, verallgemeinerbaren Definitionskern aufweisen. Wissen entfaltet in der Rechtswissenschaft an verschiedensten Stellen Relevanz. Diese Stellen sind so unterschiedlich, dass eine allgemeine Definition den Blick für die jeweilige Funktion des Begriffs verstellen würde, die der Begriff des rechtlich relevanten Wissens in den einzelnen Regelungskontexten leisten soll. Im Folgenden wird daher der Begriff des rechtlich relevanten Wissens nicht definiert, sondern eingegrenzt. Hierbei werden die jeweiligen Funktionen, die der Begriff in den einzelnen Regelungsbereichen erfüllt, auf Gemeinsamkeiten untersucht. Von besonderem Interesse ist die Methode, wie das Vorhandensein dieses Wissens bestimmt wird. Dabei stehen die Gemeinsamkeiten bzw. die Übertragbarkeit der Bestimmungsmethode zwischen verschiedenen Regelungsbereichen im Fokus der Betrachtungen: Ein konkretes Beispiel hierfür ist die Übertragung der Grundsätze bei der Bestimmung eines Wissensstandes für den möglichen Schutz einer geistigen Leistung in den Bereich der Bestimmung der Voraussetzungen eines gutgläubigen Erwerbs, bei dem es für die Gutgläubigkeit des Erwerbers auf das Vorhandensein eines Kenntnisstandes ankommt. Folgende Begriffe sollen einheitlich verwendet werden: Wissen und Kenntnis werden entsprechend der Verwendung der Begriffe im Gesetz synonym verwendet.81 Sie beschreiben den konkreten Wissensstand einer Person oder die Gesamtheit von Kenntnissen.82 In Anlehnung an die wirtschaftswissenschaftliche Differenzierung liegt Wissen in Abgrenzung zur Information nur dann vor, wenn die Information einen personalen Bezug aufweist. Informationen setzen sich aus Daten zusammen, die in einem Kontext stehen. Ein solcher Kontext wird regelmäßig bereits durch die Relevanz einzelner Daten für eine Rechtsfolge begründet. Rechtlich relevantes Wissen setzt sich daher aus Informationen mit einem personalen Bezug zusammen. Die einzelne Information hat regelmäßig einen Kontextbezug durch ihre Relevanz für die Rechtsfolge der Norm, die 81  Ein Beispiel für die synonyme Verwendung der Begriffe Kenntnis und Wissen findet sich in §  1472 II BGB. 82 Die Äquipollenz der Begriffe Wissen und Kenntnis ist allgemeine Auffassung, vgl. Baum, Wissenszurechnung, 1999, S.  27; Bruns, Zurechnung von Wissen, 2007, S.  14; Buck, Zurechnung, 2001, S.  47; Riedhammer, Kenntnis, 1999, S.  97; Fatemi, NJOZ 2001, 2637, 2640.

III.  Terminologische Differenzierung

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als Tatbestandsmerkmal das Vorliegen der Kenntnis voraussetzt. Die in gesetzlichen Normen geforderte Information muss bei der jeweiligen Person vorliegen, auf deren Kenntnisstand es ankommt. Dadurch wird der personale Bezug der rechtlich relevanten Information hergestellt und es handelt sich dann um rechtlich relevantes Wissen. Aus der dargestellten wirtschaftswissenschaftlichen Zergliederung von Wissen ergibt sich, dass die Information eine Teilmenge des Wissens ist.83 Von dem rechtlich relevanten Wissen wird in der Rechtswissenschaft die Teilmenge des sogenannten „Teilwissens“ abgegrenzt. 84 Dieser Begriff beschreibt einen Zustand, in dem von der Person, auf deren Kenntnis es nach der jeweiligen Norm ankommt, nicht alle einzelnen Informationen in den Kontext der rechtlichen Relevanz gebracht wurden. In diesem Fall liegt das rechtlich relevante Wissen, das der Tatbestand der Norm fordert, nicht vor. Ein Beispiel für die Relevanz von Teilwissen taucht regelmäßig bei arbeitsteiligen Organisationsformen auf, die neben der Arbeitsteilung auch eine Wissensspaltung mit sich bringen. Wird beispielsweise einer juristischen Person jeweils ein Teilwissen von unterschiedlichen Teilwissensträgern zugerechnet, so stellt sich die Frage, ob bereits die Summe des Teilwissens das rechtlich relevante Wissen ist (Wissenszusammenrechnung) oder ob über die bloße Summe des Teilwissens hinaus die einzelnen Wissensteile noch in ihrer Gesamtheit in den Kontext der rechtlichen Relevanz gebracht werden müssen, damit rechtlich relevantes Wissen vorliegt.85 Die Frage, ob die Summe einzelner Wissensteile bereits Wissen in seiner Gesamtheit sein kann, welches von einer Norm vorausgesetzt wird, stellt sich nicht nur in den genannten Konstellationen, bei denen die Wissensteile personal aufgespalten sind oder gar einer juristischen Person normativ zugerechnet werden. Etwas versteckter, aber dafür ebenso problemgeladen ist die Frage, bei welcher Intensität des Wissens bzw. welcher Informationsdichte die tatbestandlich geforderte Kenntnis vorliegt, wenn der betroffenen Person zwar einzelne Tatsachen bekannt sind, nicht aber die letztlich vom Tatbestand der Norm geforderte Tatsache. Konkret sichtbar wird dieses Problem, wenn ein Tatbestand Rechtskenntnis voraussetzt: §  892 I BGB: „die Unrichtigkeit“ des Grundbuchs; §  819 I BGB: „der Mangel des rechtlichen Grundes“. Dieses Problem ist nicht auf die rechtliche Bewertung von bekannten Tatsachen beschränkt: Die in §  130 I Nr.  2 InsO geforderte Kenntnis von der „Zahlungsunfähigkeit“ beinhaltet eine Bewertung der dem Gläubiger bekannten Tatsachen, die auf die Zahlungsfähigkeit schließen lassen, vgl. §  130 II InsO. Bei allen genannten Normen stellt sich die Frage, ob der Gutgläubige (§  892 I BGB), der Leistungsempfänger (§  819 I BGB) oder der Insolvenzgläubiger (§§  129 ff. InsO), dem einzelne Informationen bekannt 83 

Vgl. u. a. Bode, ZfbF 1997 (49) Heft 5, S.  4 49, 459 f. Vgl. z. B. BGH NJW 1996, 1339, 1341. 85  Hierzu insbes. MünchKommBGB/Schubert, 7.  A ., §  166 Rn.  59. 84 

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§  1  „Der Wissensbegriff“ als Ausgangspunkt der Untersuchung

sind, auch das tatbestandlich geforderte Wissen („die Unrichtigkeit des Grundbuchs“, „den Mangel des rechtlichen Grundes“ oder die „Zahlungsunfähigkeit“) hat, wenn die ihm bekannten Informationen nur auf das tatbestandlich relevante Wissen hindeuten bzw. aus den einzelnen bekannten Informationen auf das tatbestandlich geforderte Wissen in naheliegender Weise geschlossen werden kann. Im Gegensatz zur Kenntnis ist Kennenmüssen kein Synonym von Wissen. Kennenmüssen beschreibt keinen tatsächlich vorliegenden (kognitiven Seins-)Zustand, sondern einen Sollenszustand. Es setzt sich aus der Definition des Gegenstandes der geforderten Kenntnis und den Anforderungen zusammen, die an denjenigen, um dessen Kenntnisstand es geht, gestellt werden, um diesen Kenntnisstand zu erreichen. Diese Anforderungen umschreiben daher die Pflicht bzw. Obliegenheit der Person, die auf ihren Kenntnisstand einwirken muss, indem sie sich entsprechende Informationen verschafft und verinnerlicht. Sowohl von der Kenntnis als auch vom Kennenmüssen ist das Kennenkönnen abzugrenzen. Das Kennenkönnen ähnelt dem Kennenmüssen, weil tatsächlich die tatbestandlich geforderte Kenntnis nicht vorliegt. Kennenkönnen unterscheidet sich jedoch vom Kennenmüssen darin, dass derjenige, der Kenntnis haben kann, nicht verpflichtet ist, einzelne Informationen in den eigenen Kenntnisstand aufzunehmen, d. h. für die Gestaltung des eigenen Kenntnisstandes zu sorgen. Die Person wäre jedoch tatsächlich in der Lage, über das relevante Wissen zu verfügen, sie trifft aber keine Pflicht, den eigenen Wissensstand zu erweitern.

§  2  Gang und Ziel der Untersuchung Zahlreiche Normen des Zivilrechts und der angrenzenden Rechtsgebiete des Sonderprivatrechts enthalten Rechtsfolgen, die von dem Vorliegen oder Nichtvorliegen von Wissen abhängen. Dabei stellen sich bei der Rechtsanwendung regelmäßig zwei Fragen: Was ist das rechtlich relevante Wissen (Definition des Tatbestandsmerkmals „Wissen“)? Wie wird das Vorliegen des Wissens bestimmt (Bestimmung des Vorliegens des tatbestandsrelevanten Wissens)? Beide Fragen sind voneinander zu trennen, wenngleich ihre Beantwortung Überschneidungen aufweist. Diese Fragestellungen treten allerdings nicht nur im allgemeinen Zivilrecht auf. Auch bei der Bestimmung des rechtlich relevanten Wissens im Patentrecht ergibt sich eine ähnliche Problematik. Den Ausgangspunkt der Überlegungen bilden die Ähnlichkeiten der Fragestellung nach dem rechtlich relevanten Wissen im Patentrecht und im allgemeinen Zivilrecht. Im Bereich des Patentrechts wird rechtlich relevantes Wissen durch einen zweistufigen Vergleich des Standes der Technik (d. h. dem vorbekannten Kenntnisstand) mit dem Wissen von der Erfindung bestimmt. Der erste Schritt beinhaltet die Definition der Vergleichsobjekte einschließlich der Kriterien, anhand derer der Vergleich des Standes der Technik mit der Erfindung vorzunehmen ist. Erst im zweiten Schritt ist im konkreten Fall zu untersuchen, ob das Wissen von der Erfindung, die der Erfinder getätigt hat, bereits zum Stand der Technik, d. h. dem vorbekannten Wissensstand gehört. Die Vorgehensweise des Vergleichs der Erfindung mit dem Stand der Technik anhand fester Kriterien ist das Ergebnis eines langen historischen Entwicklungsprozesses in der Rechts­praxis. Ziel der Untersuchung ist es, die Grundlagen (insbesondere das methodische Vorgehen und die entwickelten Abgrenzungskriterien) der zweigliedrigen Bestim­ mung des rechtlich relevanten Wissens aus dem Patentrecht auf ihre Übertragbarkeit auf das allgemeine Zivilrecht zu prüfen. Bei der im allgemeinen ­Zivilrecht auftretenden Problematik der Bestimmung positiver Kenntnis verschwimmt häufig die Trennung zwischen der Feststellung tatsächlich vorliegen­der Kenntnis, einer fiktiv unterstellten Kenntnis (die betroffene Person konnte sich der ihr „aufdrängenden Kenntnis nicht verschließen“) und der Gleichbehandlung der vermeintlich wissenden Person mit derjenigen, die tatsächlich Kenntnis hat. Zivilrechtliche Normen, deren jeweilige Rechtsfolge von der tatbestandlichen Voraussetzung „Wissen“ abhängt (beispielsweise §§  199 I Nr.  2 Alt.  1, 407 I, 814,

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§  2  Gang und Ziel der Untersuchung

892 I, 2366 BGB), unterscheiden im Hinblick auf den Gegenstand der Kenntnis (Bezugspunkt) folgende Bereiche: Selten sind Normen, die eine Rechtsfolge bereits bei Vorliegen reiner Tatsachenkenntnis anordnen. Meistens verlangen Normen die Kenntnis von Tatsachen, die zusätzlich in einen rechtlich erheblichen Kontext gebracht werden müssen (Kontextuierung), damit das tatbestandlich relevante Wissen vorliegt. Beispiele hierfür sind die Kenntnis von den „den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners“, die gemäß §  199 I Nr.  1 BGB für den Beginn der Verjährungsfrist maßgeblich ist oder die Kenntnis des (außerordentlich) Kündigungsberechtigten „von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen“ gemäß §  626 II 2 BGB. In diesen Fällen muss von der betreffenden Person, um deren Kenntnisstand es geht, zusätzlich zu der Wahrnehmung der äußeren Tatsache eine Beziehung der bekannten Tatsache zu einem rechtlichen Kontext, in dem die Tatsache relevant sein kann, hergestellt werden. Von dieser Tatsachenkenntnis ist die Rechtskenntnis zu unterscheiden. Die Kenntnis bezieht sich in diesen Fällen nicht auf eine Tatsache, sondern umfasst eine Wertung, meist eine rechtliche Bewertung bekannter Tatsachen. Rechtskenntnis wird beispielsweise in §  407 I BGB vorausgesetzt: Die Kenntnis des Schuldners von der Abtretung bewirkt den Ausschluss der Privilegierung der schuldbefreienden Leistung an den bisherigen Gläubiger. Bei der Rechtskenntnis ist der Bezugspunkt der Kenntnis nicht eine äußere, wahrnehmbare Tat­ sache, die in einen rechtlichen Bedeutungskontext zu bringen ist, sondern eine Wertung von (bekannten) Tatsachen im Sinne einer Folgerung aus diesen bekannten Tatsachen. Regelmäßig handelt es sich bei der vorzunehmenden Folgerung um eine rechtliche Wertung. Durch die Konkretisierung des Gegenstandes, auf den sich die Kenntnis beziehen muss, werden gleichzeitig die Anforderungen an das Vorliegen der Kenntnis und damit des rechtlich relevanten Wissens selbst konkretisiert. Konkret bedeutet das für die von §  407 I BGB geforderte Kenntnis von der Abtretung, dass der Schuldner nicht nur die Abtretungserklärung sowie die Annahme dieser Abtretungserklärung kennen muss, sondern auch die rechtliche Folge, die sich aus diesen beiden Erklärungen ergibt, nämlich den damit verbundenen Gläubigerwechsel, d. h. „die Abtretung“ i. S. d. §  407 I BGB. Das Ergebnis der Untersuchung der Frage, ob der Schuldner Kenntnis von der Abtretung hat, wird unmittelbar von den Anforderungen beeinflusst, die man an den Umfang der Kenntnis stellt: Reicht schon der Verdacht einer Abtretung aus oder müssen die bekannten Tatsachen zutreffend bewertet worden sein? Hat der Schuldner „Kenntnis von der Abtretung“ i. S. d. §  407 I BGB, wenn er nur die Abtretungserklärung kennt und annimmt, dass diese einseitige Erklärung zur Abtretung bereits für einen Übergang des Rechts ausreicht? Erst nach der Definition des tatbestandlich notwendigen Wissens ist die Frage zu beantworten, ob das Wissen im konkreten Fall vorliegt. Dies betrifft den Vorgang der Bestimmung des Wissens. Die Definition des rechtlich relevanten

§  2  Gang und Ziel der Untersuchung

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Wissens und der Vorgang der Bestimmung dessen Vorliegens hängen unmittelbar miteinander zusammen; sie sind konsekutiv. Einfach ausgedrückt, kann nur dasjenige bestimmt werden, was zuvor definierbar und somit begrifflich fassbar gemacht worden ist. Dieser Zusammenhang bleibt in der Rechtspraxis häufig außer Betracht, wenn ohne zuvor festgelegte Kriterien das tatbestandlich geforderte Wissen nur anhand des Einzelfalls untersucht wird. Kommt es auf eine Tatsachenkenntnis an, ist auf die Wahrnehmung der äußeren Tatsache durch eine Person abzustellen. Damit verbunden sind zahlreiche Probleme im Bereich der Beweisbarkeit der inneren Tatsache. Wesentlich schwieriger noch ist die Rechtskenntnis zu bestimmen. Hier liegt das Problem nicht erst in der Schwierigkeit der Beweisbarkeit, sondern bereits in der Definition der Qualität des Wissens. Die Qualität des Wissens betrifft Umfang und Tiefe des tatbestandlich vorausgesetzten Wissens. Der Umfang und die Tiefe des tatbestandlich notwendigen Wissens stammen primär aus dem Bereich der Definition der Anforderungen, nicht der Bestimmung im Einzelfall. Jedoch treten bereits bei der allgemeinen Definition der Anforderungen an die Wissenstiefe erhebliche Schwierigkeiten auf, wenn es nicht um die Kenntnis von bloßen Tatsachen, sondern um die Rechtskenntnis, d. h. das Ergebnis der rechtlichen Bewertung von Tatsachen geht. Ein Beispiel hierfür ist die Tatbestandsvoraussetzung der Kenntnis in §  814 Alt.  1 BGB („wenn der Leistende gewusst hat, dass er zur Leistung nicht verpflichtet war“): Die Feststellung, ob der Leistende gewusst hat, dass er zur Leistung nicht verpflichtet war, setzt eine rechtliche Bewertung der zutreffend erkannten Tatsachenlage voraus. Ob der Leistende über dieses Wissen verfügt hat, hängt maßgeblich von der Vorgehensweise der Bestimmung seines Kenntnisstandes ab. Die Bestimmung kann sowohl subjektiv als auch objektiv erfolgen. Die subjektive Bestimmung orientiert sich ausschließlich am tatsächlichen Wissensstand des Einzelnen, d. h. die Rechtskenntnis wird wie eine reine Tat­ sache betrachtet. Die objektive Bestimmung hingegen stellt an die Person des Wissenden (bzw. Leistenden) verallgemeinernde Anforderungen und erwartet von demjenigen, der die Tatsachen kennt, dass er die relevante rechtliche Wertung vornimmt. Ist zu erwarten, dass die rechtliche Wertung vorgenommen wird, dann liegt die relevante Rechtskenntnis vor. Diese Vorgehensweise kann dazu führen, dass die die Rechtskenntnis voraussetzenden Tatbestände bereits erfüllt sind, obwohl die Rechtskenntnis tatsächlich nicht vorliegt, sondern nur die bloße Kenntnis der Tatsachen, aus denen die Rechtskenntnis abgeleitet werden kann. Dann liegt nicht Wissen im Sinne einer Rechtskenntnis vor, sondern „Wissenkönnen“, denn es besteht nur die Möglichkeit der Kenntnis. Folgt man dem Ansatz,1 dass das „Wissenkönnen“ bereits das tatbestandlich geforderte „Wissen“ ist, verwischt die Grenze zwischen dem „Wissen“ und dem „Wissen1 Vgl.

Martinek, JZ 1996, 1099 ff.

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§  2  Gang und Ziel der Untersuchung

müssen“ der relevanten Rechtstatsache. „Wissenmüssen“ beschreibt den Zustand, bei dem gerade keine Kenntnis vorliegt, jedoch bei Erfüllung der Erwartungen, die an die vermeintlich wissende Person gestellt werden, die Kenntnis vorliegen müsste. Die Vorgehensweise der Rechtsprechung zu der Bestimmung der von einer Norm geforderten Kenntnis lässt nicht immer eine klare Grenzziehung zwischen den genannten Fällen erkennen.2 Die Rechtsprechung geht regelmäßig davon aus, dass die erforderliche Kenntnis bereits in den Fällen besteht, in denen „ein redlich und vom eigenen Vorteil nicht beeinflußt Denkender sich der Überzeugung […] nicht verschließen würde“3 oder die Person den „Kenntnisstand positiv nicht besessen, wohl aber die Möglichkeit gehabt hat, sich die erforderlichen Kenntnisse in zumutbarer Weise ohne nennenswerte Mühe zu beschaffen“4. Dem ist entgegenzuhalten, dass die in der gewählten Definition bereits enthaltenen, einschränkenden Wertungen („redlich denken“; „vom eigenen Vorteil unbeeinflusst denken“ bzw. die unverkennbare Aussage, dass der Kenntnisstand nicht vorliegt) deutlich machen, dass das von der jeweiligen Norm vorausgesetzte Wissen (wie die z. B. in §  852 I BGB (i. d. F. bis 2001) geforderte Kenntnis von Schaden und Schädiger) gerade nicht gegeben ist. Diese Fälle sind daher gesondert zu betrachten und tragen für die Bestimmung, wie das von einer Norm tatbestandlich vorausgesetzte Wissen allgemein zu definieren und nachfolgend im konkreten Fall zu bestimmen ist, nichts bei. Vielmehr handelt es sich um eine im Hinblick auf die Rechtsfolgen vorzunehmende Gleichbehandlung aus Wertungsgründen: Diejenige Person, die tatsächlich keine Kenntnis hat (sich diese aber verschaffen könnte) wird genauso behandelt, wie diejenige Person, die über die Kenntnis tatsächlich verfügt. Die Frage nach den Anforderungen, die an die Definition und die Frage des tatsächlichen Vorliegens der Kenntnis gestellt werden, wird durch diese Fälle und ihre Lösungen nicht konkretisiert. Es besteht vielmehr Einigkeit darüber, dass die tatbestandsrelevante Kenntnis nicht vorliegt und die Rechtsfolge bloß aus Wertungsgründen angewandt wird, ohne dass die Tatbestandsvoraussetzungen vorliegen. Die Untersuchung verfolgt das Ziel, dem im Zivilrecht relevanten Wissen verschiedenster Tatbestände mehr Konturen zu geben und dadurch die Definition und Bestimmung des rechtlich relevanten Wissens vorhersehbarer und klarer zu machen. Tertium comparationis aller Fälle im Zivilrecht wie auch im Patentrecht ist die Methode, Anforderungen an das tatbestandlich vorausgesetzte Wissen zu definieren und anschließend anhand des Einzelfalls zu bestimmen, ob dieses Wissen vorliegt. Dazu erfolgt eine Entlehnung einer aus dem Patent2  Vgl. BGH WM 2001, 1026, 1027; BGH NJW 1996, 2933, 2934; BGH NJW 1994, 3092, 3093; BGH NJW 1989, 2323, 2324. 3  BGH NJW 1958, 668; BGH MDR 1969, 128, 129. 4  BGH WM 2001, 1026, 1027; BGH NJW 1996, 2933, 2934; BGH NJW 1994, 3092, 3093; BGH NJW 1989, 2323, 2324, argumentativ jeweils auf §  162 BGB abstellend.

§  2  Gang und Ziel der Untersuchung

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recht bekannten und dort bewährten Methodik. Die erfinderische Tätigkeit, auf der eine patentfähige Erfindung beruhen muss, ist die qualitative Voraussetzung des Patentschutzes. Die erfinderische Tätigkeit umschreibt den Abstand des vorbekannten Wissens („Stand der Technik“) von der Erfindung, deren neuer Lösungsgedanke bislang nur dem Erfinder bekannt ist. Die Methodik und die Vorgehensweise, die dem Vergleich zwischen dem vorbekannten Wissen und dem vom Erfinder aufgefundenen Lösungsgedanken zugrunde liegen, sind in das Zivilrecht übertragbar. Die im Patentrecht seit langem angewandten Schrittfolgen der Definition und Bestimmung der erfinderischen Tätigkeit sind durch eine erhebliche Verobjektivierung der Bestimmung der sehr subjektiv geprägten Tatbestandsmerkmale (allgemeine Bekanntheit der Lösungsgedanken, Naheliegen des Erfindungsgedankens) gekennzeichnet. Die eigentliche Feststellung, ob eine Information Bestandteil des Wissens einer Person ist, kann anhand von zahlreichen zuvor durchlaufenen (die Entscheidung vorbereitenden) Stufen genauer und vorhersehbarer getroffen werden. Im Patentrecht wurde zu diesem Zweck die Methode entwickelt, die Bewertung des „Naheliegens einer Erfindung“ als Negativabgrenzung zur erfinderischen Tätigkeit aus der Perspektive eines gedachten „Durchschnittsfachmanns“ vorzunehmen. Dabei ist auffällig, dass die Definition der Kenntnisse und Fähigkeiten des Durchschnittsfachmanns sehr aufwändig und kleinteilig zu erfolgen hat, bevor aus der Sicht der auf diese Weise „künstlich erschaffenen“ Person die Frage beantwortet wird, ob sie unter Zugrundelegung ihrer Kenntnisse und unter Anwendung ihrer Fähigkeiten bei der sich stellenden Aufgabe zu der durch den Erfinder aufgefundenen Lösung gelangt wäre. Die Frage, ob die Person auf die Lösung kom­men würde, ist von der Frage abzugrenzen, ob sie auf die Lösung hätte kommen können (sog. „could-would-Ansatz“) 5 , denn es werden keine verschul­ densähnlichen Sorgfaltsanforderungen an die Gestaltung des eigenen Kenntnis­ standes formuliert. Eine derartige Vorgehensweise ist auch im Zivilrecht bei der Bestimmung des rechtlich relevanten Wissens möglich und teilweise bereits in Ansätzen zu erkennen. Beispielsweise wird der Inhalt einer empfangsbedürftigen Willens­ erklärung „vor dem objektiven Empfängerhorizont“ bestimmt, wobei dies zu dem Ergebnis führt, dass die Erklärung den Inhalt hat, den ein Dritter in der ihm zugegangenen Erklärung in der gleichen Situation und in Kenntnis der Begleitumstände verstehen würde. Ähnliches gilt bei der Bestimmung, wann Rechtskenntnis (zum Beispiel die Kenntnis von der „Unrichtigkeit“ des Grundbuchs i. S. d. §  892 BGB, dem Fehlen der rechtlichen Verpflichtung zur Leistung i. S. d. §  814 Alt.  1 BGB oder die Kenntnis von der Abtretung i. S. d. §  407 BGB) vorliegt. Auch in diesen Fällen hilft eine Orientierung an der patentrechtlichen 5  Umfassend hierzu Szabo, Mitt. 1994, 225, 233 f.; Schulte/Moufang, PatG, 9.  A ., 2014, §  4 Rn.  58; ferner EPA (T 0939/92) ABl. EPA 1996, 309, 314 ff. – Triazole/AGREVO.

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§  2  Gang und Ziel der Untersuchung

Methodik, nach der zunächst die Kenntnisse und Fähigkeiten detailliert benannt werden, die der betroffenen Person (im Patentrecht dem gedachten Durch­schnittsfachmann) in der fraglichen Situation zur Verfügung standen, um aus der somit (definitorisch) geschaffenen Ausgangssituation heraus zu bestimmen, ob die rechtlich relevante Kenntnis vorliegt. Eine solche stufenweise Vorgehensweise entschärft zudem die prozessual notwendige Abgrenzung zwischen Tatsachen- und Rechtsfrage. Die vorgeschlagene Vorgehensweise und die damit einhergehende klare Abgrenzung der zugrunde zu legenden Tatsachen (in der jeweiligen Situation verfügbare Kenntnisse und Fähigkeiten, auf die die betroffene Person bei einer Aktualisierung ihres Kenntnisstandes zurückgreift) von den vorzunehmenden Wertungen (Fragestellung, ob die betroffene Person in dieser Situation über das notwendige rechtlich relevante Wissen verfügen würde) bewirken schließlich eine Klärung hinsichtlich des Nachprüfungsumfangs durch die Rechtsmittelinstanzen.

§  3  Wissen als Schutzgegenstand und Grundlage einer möglichen künftigen Rechtsmacht Wissen kann von Schutzrechten des geistigen Eigentums erfasst sein. Dann ist die Nutzung des Wissens dem Inhaber des Schutzrechts rechtlich zugeordnet und der Schutzrechtsinhaber kann das Wissen exklusiv wirtschaftlich nutzen. Anderen ist die Nutzung verboten. Beispielsweise werden der rechtliche Schutz und die wirtschaftliche Zuordnung einer geistigen Leistung auf technischem Gebiet (d. h. einer Erfindung) durch das Patentrecht gewährleistet. Durch die Patenterteilung1 ist der Patentinhaber allein befugt, die patentierte Erfindung zu benutzen und jedem Dritten ist es verboten, die geschützte Erfindung ohne 9 PatG. die Zustimmung des Patentinhabers wirtschaftlich auszubeuten, §   Kennzeichnende Voraussetzung für einen solchen Schutz von Wissen (wie ihn das Patentrecht bietet) ist, dass sich das zu schützende Wissen von dem Vorbekannten unterscheidet. Im Patentrecht wird dies durch die Anforderungen deutlich, dass die zu schützende Erfindung neu sein muss und qualitativ keine bloße (zu erwartende) Weiterentwicklung menschlichen Wissens sein darf, die sich bereits aus der Anwendung von vorbekanntem Wissen ergibt.2 Der Erfinder verdankt die Auffindung des Erfindungsgedankens nicht nur seiner eigenen geistigen Leistung, sondern in erheblichem Maße dem bereits vorhandenen, wissenschaftlichen und praktischen Entwicklungsstand, den er durch systematische Versuche um bislang unbekannte Lösungsvarianten erweitert.3 Jede neue Idee ist mit dem vorbekannten Wissensschatz dadurch verbunden, dass sie eine frühere Überlegung fortsetzt.4 Erfindungen sind daher keine isolierten neuen Gedanken. Erfinden ist vielmehr ein „komplexer Vorgang minimalen Vorrückens“.5 Der geistige Fortschritt der Erfindung ist dadurch mit dem Netzwerk des menschlichen Wissens eng verflochten. 6 Demnach ist das Erfinden ein gesellschaftliches Phänomen: Der Erfinder baut auf dem allgemein bekannten 1  Die (vollständigen) gesetzlichen Wirkungen des Patents treten mit der Veröffentlichung der Patenterteilung im Patentblatt ein, §  58 I 3 PatG. 2  Kraßer/Ann, PatR, 7.  A ., 2016, §  10 Rn.  2. 3  Mises, Human action – A Treatise on Economics, 1949, S.  658; Bernhardt, Bedeutung des Patentschutzes, 1974, S.  9. 4  Bernhardt, Bedeutung des Patentschutzes, 1974, S.  9. 5  Machlup, Die wirtschaftlichen Grundlagen des Patentrechts, 1962, S.  49. 6  Polanvyi, Patent Reform, in: The Review of Economic Studies, Vol. 11, No. 2 (Summer, 1944), S.  61, 70.

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§  3  Wissen als Schutzgegenstand und Grundlage

Stand der Technik auf und bereichert das vorhandene menschliche Wissen um seine Weiterentwicklung in Form der Erfindung. Die individuelle Erfindung des Einzelnen steht in einem engen Zusammenhang mit dem Stand der Technik, der den allgemeinen Wissensschatz umfasst. Dies wird bereits durch die formalen Anforderungen deutlich, die an eine Patentanmeldung gestellt werden: Beansprucht der Erfinder, dass ihm die wirtschaftliche Nutzung der Erfindung ausschließlich zusteht, setzt dies unter anderem voraus, dass er die von ihm getätigte Erfindung zum Patent anmeldet, §  34 I PatG. In der Anmeldung ist die Erfindung zu beschreiben, §  34 II Nr.  4 PatG. Diese Beschreibung beinhaltet zum einen die Angabe der Aufgabe, die der Erfindung zugrunde liegt und zum anderen die Angabe der Lösung dieser Aufgabe.7 Beides hat einen unmittelbaren Bezug zum Stand der Technik. Die Aufgabe ist das technische Problem, welches nach dem vorbekannten Stand der Technik nach der Einschätzung des Erfinders bislang in nicht zufriedenstellender Weise gelöst wird. Seine Erfindung ist eine Bereicherung des Standes der Technik, da sie die Nachteile der vorbekannten Lösungen der Aufgabe vermeidet. Der Patentanmelder muss daher bei der Beschreibung seiner Lösung zu der Aufgabe nicht nur die Merkmale der Erfindung darstellen, sondern den Stand der Technik angeben, auf dem seine Erfindung aufbaut. Dies wird zusätzlich hervorgehoben durch die Regelung des §  34 VII PatG. Danach hat der Anmelder auf Verlangen des Patentamtes „den Stand der Technik nach seinem besten Wissen vollständig und wahrheitsgemäß anzugeben und in die Beschreibung der Erfindung aufzunehmen“. Diese Angaben sind der Ausgangspunkt der vor der Prüfung und Patenterteilung obligatorischen Recherche des Standes der Technik (§  43 PatG) durch das Patentamt. Bei dieser Recherche wird der Stand der Technik zusammengestellt, der für die anschließende Prüfung der Erfindung auf ihre Schutzfähigkeit relevant ist. Der Zusammenhang zwischen dem vorbekannten Stand der Technik und der einzelnen Erfindung, für die der Patentanmelder Schutz begehrt, wird in der Formulierung der Patentansprüche deutlich, die gemäß §  14 S.  1 PatG den Schutzumfang eines Patents maßgeblich beeinflussen. Die Formulierung eines Patent­ anspruchs ist in der Regel in einen Oberbegriff und einen kennzeichnenden Teil untergliedert.8 Bei dieser üblichen zweiteiligen Anspruchsfassung sind gemäß §  9 II 1 PatV in den Oberbegriff die Merkmale der Erfindung aufzunehmen, die durch den Stand der Technik bereits bekannt sind. Der kennzeichnende Teil enthält dagegen die Merkmale der Erfindung, die die Erfindung zu einer neuartigen Lösung machen, d. h. die in dieser Kombination noch nicht bekannt sind. Der Patentanmelder begehrt Patentschutz für diese kennzeichnenden Merkmale, die in Verbindung mit den Merkmalen des Oberbegriffs stehen. Durch diese Dar7 Hierzu 8 

Mes, PatG, 4.  A., 2015, §  34 Rn.  48 ff. Kraßer/Ann, Patentrecht, 7.  A., 2016, §  24 Rn.  33.

I.  Notwendige Begrenzung möglicher Schutzrechte

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stellungsform der Merkmale der Erfindung im Patentanspruch wird die enge Verbindung zwischen den Merkmalen deutlich, die aus dem Stand der Technik bekannt sind und denjenigen, die die Erfindung als neu und erfinderisch kennzeichnen und den Schutzumfang des Patents bestimmen (§  14 PatG).

I.  Notwendige Begrenzung möglicher Schutzrechte durch inhaltliche Anforderungen wegen der Gefahr der Fortschrittshemmung Das von dem Patent ausgehende Nutzungsverbot der Erfindung (§  9 PatG) hat eine blockierende Wirkung für die Anwendung und Weiterentwicklung von Wissen. Daher sind Schutzrechte an Wissen eine Ausnahme vom Grundsatz der Freiheit des Nachahmens von Vorbekanntem. In der Regel baut die Schaffung neuen Wissens auf dem schon vorbekannten Wissen auf und steht nicht nur für sich selbst. Bereits die Anwendung von prozeduralem Wissen („wie wird etwas gemacht“) führt ständig zu Modifikationen und Weiterentwicklungen des Vorbekannten.9 Um diesen Prozess des regelmäßigen und erwartbaren Weiterentwickelns nicht zu blockieren, haben Schutzrechte des geistigen Eigentums eine gemeinsame Grundvoraussetzung: Ein Schutzrecht an Wissen kann nur begründet werden, wenn das zu schützende Wissen über die übliche Weiterentwicklung hinausgeht, die im Rahmen der Anwendung des Bekannten zu erwarten ist. Es ist daher eine wesentliche Voraussetzung für den Schutz von Wissen, dass das Wissen eine im Vergleich zum Vorbekannten qualitativ über einer normalen Weiterentwicklung liegende geistige Schöpfung ist.10 Die Weiterentwicklung darf nicht eine bloß „handwerksmäßige“ Anwendung von Vorbekanntem und einer damit zusammenhängenden Weiterentwicklung sein.11 Nur wenn die Weiterentwicklung über dem normalerweise Üblichen und zu Erwartenden liegt, ist es einerseits gerechtfertigt, dem Schöpfer dieses Gedankens ein Ausschließlichkeitsrecht an der Nutzung dieses Wissens zuzuordnen.12 Andererseits ist damit auch die Gefahr einer Hemmung der üblichen Weiterentwicklung des Wissens begrenzt, wenn nur herausragende Schöpfungen von Schutzrechten erfasst und damit der allgemeinen Nutzung durch jedermann entzogen sind. 9 

Kraßer/Ann, PatR, 7.  A., 2016, §  10 Rn.  2 ; Seligsohn, PatG, 1932, §  1 Rn.  9. die historischen Hintergründe vgl. Beier, GRUR 1985, 606, 608. In diesem Sinne auch Gesetzesbegründung zu §  4 PatG in Art.  5 IntPatÜkG: BT-Drcks. 7/3712, S.  381. 11  Für das Urheberrecht BGH GRUR 1991, 449, 450 – Betriebssystem; BGH GRUR 1993, 34, 36 – Bedienungsanweisung. Für das Patentrecht grundlegend Kraßer/Ann, PatR, 7.  A., 2016, §  10 Rn.  2 sowie BGH GRUR 1956, 73, 76 – Elastiksohle. 12  Für das Patentrecht und das Urheberrecht vergleicht Bunke, GRUR 1978, 137, 141, das Maß der überdurchschnittlichen Leistung im Hinblick auf die Erfindungshöhe und Schöpfungshöhe. 10  Für

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§  3  Wissen als Schutzgegenstand und Grundlage

Bei dem durch das Urheberrecht vorgesehenen Schutz von Werken der Literatur, Wissenschaft und Kunst wird das Ziel, eine Hemmung der Weiterentwicklung zu vermeiden, unter anderem dadurch verfolgt, dass nur Werke geschützt sind, die eine sogenannte „Gestaltungshöhe“ aufweisen. Diese Voraussetzung ist in §  2 II UrhG enthalten.13 Danach muss das Werk eine persönliche geistige Schöpfung des Urhebers sein, d. h. eine Individualität aufweisen. Dies setzt zwar keine (objektive) 14 Neuheit des Werkes voraus, jedoch fehlt die persönliche geistige Schöpfung bei der bloßen Wiedergabe eines bereits vorhandenen Werkes ohne eigenschöpferische Auseinandersetzung.15 Im Patentrecht ist die (absolute) Neuheit der Erfindung eine der bedeutendsten materiell-rechtlichen Voraussetzungen für den Schutz der Erfindung. Mit dem Merkmal der Neuheit wird die Erfindung vom Vorbekannten abgegrenzt. Nur was nicht zum Vorbekannten zählt, kommt für einen Schutz durch das Patentrecht in Betracht. Von der Feststellung der Schutzvoraussetzungen hängt die Entscheidung über die Schutzfähigkeit der Erfindung bzw. des Werkes ab. Die Definition der Voraussetzungen des Schutzes hat somit wesentlichen Einfluss auf die exklusive Zuordnung der Nutzungsmöglichkeit des Wissens, die auf der Einräumung eines Ausschließlichkeitsrechts beruht. Nur wenn ein Schutzrecht besteht, darf der Urheber anderen die Nutzung seines Werkes verbieten. Der Erfinder einer technischen Lehre (d. h. einer technischen Lösung zu einer technischen Aufgabe) 16 darf anderen die gewerbliche Nutzung dieser Lehre nur dann verbieten, wenn er ein Schutzrecht (Patent oder Gebrauchsmuster) hat, das diese Lehre erfasst. Liegen die Voraussetzungen des Schutzrechts nicht vor, ist das Wissen für jeden frei anwendbar und die Nutzung kann durch den Schöpfer des Wissens nicht beeinflusst werden. Eine getätigte Erfindung bedeutet für die Gesellschaft, wenn sie von der Erfindung Kenntnis erlangt, technischen Fortschritt und somit eine Weiterentwicklung des Wissens. Individuell bedeutet die Erfindung beim Erfinder zunächst einen Wissenszuwachs: Da er die technische Lehre auffand bzw. ent­ wickelte, kennt er die technische Lehre. Für die Frage der Schutzfähigkeit der Erfindung ist allerdings entscheidend, ob die Erfindung nur für den Erfinder individuell neu ist und für ihn einen Fortschritt bedeutet oder ob seine Er13 

Vgl. statt vieler Wandtke/Bullinger, UrhG, 4.  A., 2014, §  2 Rn.  23. Im Urheberrecht kann es daher auch im Fall einer Doppelschöpfung zu einem Doppelschutz kommen: Wenn zwei (identische) Werke unabhängig voneinander geschaffen werden, d. h. das Werk subjektiv für beide Urheber neu ist, dann sind beide Werke vom Urheberrecht geschützt, vgl. KG GRUR-RR 2002, 49, 50 – Doppelschöpfung; OLG Köln, GRUR 2000, 43, 44 – Klammerpose. 15 Fromm/Nordemann, UrhG, 11.  A ., 2014, §  2 Rn.  26. 16  Zur Voraussetzung des Technikbezuges von Aufgabe, Lösung und Lösungsmitteln vgl. BGH GRUR 2005, 143, 144 – Rentabilitätsermittlung; BGH GRUR 2005, 141, 142 – Anbieten interaktiver Hilfe; BGH GRUR 2004, 667 – Elektronischer Zahlungsverkehr; BGH GRUR 2002, 143 – Suche fehlerhafter Zeichenketten. 14 

II.  Neuheit der Erfindung und „Erfindungsqualität“

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kenntnis bislang noch nicht zum allgemeinen Wissensstand zählt und somit von allgemeiner Bedeutung und von Wert für die Gesellschaft ist. Nur im zweiten Fall kommt die Erlangung eines Schutzrechts in Betracht. Außerdem muss sich die vom Erfinder gefundene Lehre qualitativ von einer zu erwartenden Weiterentwicklung abheben.17 Bei der Prüfung der Schutzfähigkeit einer Erfindung erfolgt ein Vergleich von einem Kenntnisstand mit einem anderen Kenntnisstand: Verglichen wird der individuelle Kenntnisstand von demjenigen, der die Erfindung kennt, mit dem Wissensstand, der allgemein verfügbar ist und der alles bisher Vorbekannte enthält. Die Konkretisierung der Merkmale, die eine patentfähige Erfindung im Hinblick auf den Unterschied zum Vorbekannten aufweisen muss, sowie die Vorgehensweise bei der Prüfung haben eine wechselvolle Geschichte (unten Teil II). Wegen der herausragenden Bedeutung der Frage nach dem Unterschied zwischen Erfindung und Vorbekanntem für die Schutzfähigkeit der Erfindung hat sich im Patentrecht eine Bewertungsmethode der geistigen Leistung der Erfindung herausgebildet, die auf verobjektivierte Kriterien abstellt (unten Teil III).

II.  Neuheit der Erfindung und „Erfindungsqualität“ als Schutzvoraussetzungen des Patentrechts 1.  Qualitative Anforderungen an patentschutzfähige Erfindungen de lege lata Nach derzeitiger Rechtslage stellt §  1 I PatG qualitative Anforderungen an eine patentschutzfähige Erfindung auf: Sie muss neu (§  3 PatG) sein und auf einer erfinderischen Tätigkeit (§  4 PatG) beruhen. Sowohl die Prüfung der Neuheit als auch die Prüfung, ob die Erfindung auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht, erfolgen durch einen Vergleich der Erfindung mit dem vorbekannten Wissensstand. Das vorbekannte Wissen ist der Prüfstoff und wird unter dem Begriff des „Standes der Technik“ zusammengefasst. Gemäß §  3 I 1 PatG gilt eine Erfindung als neu, „wenn sie nicht zum Stand der Technik gehört“. Bei dieser Prüfung ist der Stand der Technik daraufhin zu untersuchen, ob die Erfindung mit allen ihren Merkmalen bereits zum Stand der Technik zählt. Es findet daher ein Gesamtvergleich statt. Im Gegensatz dazu hat bei der Prüfung, ob die Erfindung auf erfinderischer Tätigkeit (§  4 PatG) beruht, ein Einzelmerkmalsvergleich zu erfolgen (Mosaikvergleich).18 Dabei steht die geistige Leistung im Vor17  Dörries, GRUR 1985, 627, 631: Die qualitativen Patentierungsvoraussetzungen stellen sicher, dass „zwischen dem […] Stand der Technik und dem Gebiet der Erfindungen ein angemessener Freiraum für normale technische Entwicklung bleibt“. 18 Schulte/Moufang, PatG, 9.  A ., 2014, §  4 Rn.  17; vgl. auch EPA-Prüfungsrichtlinien C-IV 11.6 (G-VII 6 in GL2012); ferner BGH GRUR 1953, 120, 121 – Rohrschelle.

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§  3  Wissen als Schutzgegenstand und Grundlage

dergrund der Untersuchung, die erforderlich ist, um von dem bekannten Stand der Technik, in dem nur einzelne Merkmale der Erfindung nachgewiesen sind, zu der Erfindung mit den sie kennzeichnenden Merkmalen zu gelangen. Diese detaillierten qualitativen Anforderungen des Erfindungsschutzes wurden erst 197819 gesetzlich kodifiziert. Bis dahin unterlagen die qualitativen Anforderungen an patentfähige Erfindungen einem langwierigen und wechselhaften Entwicklungsprozess, der von den Schwierigkeiten gekennzeichnet war, die bei dem Vergleich der Erfindung mit dem vorbekannten Wissensstand auftreten.

2.  Auswirkungen des Fehlens materiell-rechtlicher Voraussetzungen des Erfindungsschutzes a.  Ursprüngliche Beeinflussung der Schutzvoraussetzungen durch die Zielsetzung des Privilegienwesens Bevor ein Patentsystem geschaffen wurde, das dem heutigen im Hinblick auf Zielrichtung und Voraussetzungen ähnlich ist, gab es Instrumente, die wirtschaftlich vergleichbar wirkten wie Patente und daher gemeinhin als Vorläufer patentrechtlicher Regelungen gelten. Im Mittelalter war die Nutzung von technischen Neuerungen durch einen Zunftzwang reglementiert. Danach war es Handwerkern und Gewerbetreibenden vorgegeben, wie ein Handwerk oder Gewerbe auszuführen ist. Abweichungen vom Zunftzwang waren generell untersagt, selbst wenn sie die bisherigen Technologien verbesserten. Dieses Verbot galt auch gegenüber demjenigen, der eine Erfindung tätigte, d. h. eine neue Technologie entwickelte. Die Erfindung ging automatisch in das Eigentum der Zunft über und diese entschied über die Anwendung der Technologie.20 Daraus erschließen sich die in einigen überlieferten Zunfturkunden enthaltenen, offensichtlich fortschrittsfeindlichen Ausführungen, wie beispielsweise, dass „kein Handwerksmann etwas Neues erdenken, erfinden oder gebrauchen“ solle.21 Der Zunftzwang bewirkte, dass weder derjenige, der eine Erfindung tätigte noch ein anderer, der von der Erfindung Kenntnis erlangte, diese nutzen durfte. Daher bewirkte das Zunftwesen durch das generelle Verbot der Anwendung der Neuerung auch einen umfassenden Schutz vor Nachahmungen. Wollte der Erfinder seine Erfindung nutzen, musste er eine Freistellung vom Zunftzwang beantragen, die regelmäßig von einer Geldzahlung abhängig gemacht wurde.22 19  PatG vom 16.12.1980, BGBl. 1981 I S.  1. Diese Regelung erfolgte aufgrund von Art. IV Nr.  3 des Gesetzes über internationale Patentüberkommen vom 21.06.1976, BGBl. 1976 II S.  6 49, 654; vgl. auch Entwurf des Gesetzes über internationale Patentübereinkommen vom 02.06.1975, BT-Drcks. 7/3712, S.  28. 20  Klostermann, Patentgesetz, 1877, S.  14 f. 21  Dies berichtet Kurz, Weltgeschichte des Erfindungsschutzes, 2000, S.  26, von der Thorner Zunfturkunde von 1523, die diesen Satz enthalte. 22  Klostermann, Patentgesetz, 1877, S.  15.

II.  Neuheit der Erfindung und „Erfindungsqualität“

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Durch den weiterhin bestehenden Zunftzwang aller anderen erwarb der Erfinder eine exklusive Stellung, seine Erfindung zu nutzen. Das Privilegienwesen führte daher zu der Möglichkeit für den Erfinder, eine Belohnung für seine Erfindung zu erhalten, indem die Anwendung nur ihm gestattet und allen anderen die Nachahmung der Erfindung verboten war. Ursprünglich war das Privilegienwesen ein Instrument lokaler Wirtschaftsförderung. Es setzte einen Anreiz, neue Technologien zu entwickeln, um vom bestehenden Zunftzwang aller anderen zu profitieren und durch die eigene Ausnahmegenehmigung (die neue Technologie einsetzen zu dürfen) eine exklusive Stellung zu erlangen. Durch die Erteilung von Privilegien sollte die eigene Wirtschaft des Souveräns eines Hoheitsgebietes gefördert werden.23 Diese Anreizfunktion des Privilegienwesens führte nicht nur zu eigenen Neuentwicklungen (Erfindungen), sondern auch dazu, dass eine eingeführte Technologie, die in anderen Ländern entwickelt wurde, aber im eigenen Hoheitsgebiet noch nicht bekannt war, in dieses importiert wurde.24 Dafür wurden Einfuhrprivilegien erteilt. Die eingeführte Technologie war (wie die Neuentwicklung) territorial neu, weil sie in dem Hoheitsgebiet noch nicht bekannt war.25 Demnach waren sowohl die Einführungsprivilegien als auch die Erfindungsprivilegien für die Förderung der heimischen Wirtschaft ein gleichermaßen wirksames Mittel.26 Wenngleich das erteilte Privileg vom Souverän erkauft werden musste, stellte es zugleich eine Belohnung für denjenigen dar, der den Aufwand getätigt hatte, die Technologie für die heimische Wirtschaft verfügbar zu machen, sei es durch Erfindung oder durch Einfuhr. Der Aufwand für die Einfuhr einer Technologie war nicht zwingend geringer als der Aufwand, der für eine Erfindung erforderlich war. Sowohl die Abwanderung einheimischer Handwerker als auch die Weitergabe von Informationen über die in der heimischen Wirtschaft vorhandene Technologie waren in vielen Staaten mit drakonischen Strafen sanktioniert,27 so dass das in Aussicht Stellen eines Einfuhrprivilegs in einem anderen Staat eine starke Anreizfunktion für Einzelne hatte, die mit der Abwanderung oder Ausfuhr der Technologie verbundene Gefahr einer Strafe einzugehen.

23 

Beier, GRUR 1977, 282, 283 m. w. N. Silberstein, Erfindungsschutz, 1961, S.  99 ff. 25  Zahlreiche Beispiele für Einfuhrprivilegien nennen Osterrieth, Patentrecht, 5.  A ., 2015, Rn.  75 und Beier, GRUR 1977, 282, 283. 26  Der Zweck der Wirtschaftsförderung der heimischen Wirtschaft konnte nur erreicht werden, wenn die Technologie, die Gegenstand des Privilegs war, auch tatsächlich angewendet wurde. Dafür war regelmäßig mit der Erteilung des Privilegs ein Ausübungszwang für den Privilegierten verbunden, vgl. Wadle, Geistiges Eigentum, Band 2, 2003, S.  31; Dölemeyer, GRUR Int. 1985, 735, 740. 27  Kurz, Weltgeschichte des Erfindungsschutzes, 2000, S.  24, berichtet davon, dass in Vene­ dig das Abwandern von Glasbläsern mit der Todesstrafe bedroht war. 24 

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§  3  Wissen als Schutzgegenstand und Grundlage

b.  Verwässerung der inhaltlichen Anforderungen an die Erteilung der Privilegien durch fiskalische Belange Allerdings führte die Möglichkeit der Belohnung des Erfinders durch das Privilegienwesen nicht zu einer Fortschrittsförderung. Im Gegenteil verkehrte sich das Privilegienwesen in ein Fortschrittshemmnis. Maßgeblicher Grund dafür war, dass die Privilegienerteilung nicht konsequent von den verfolgten Zielen der Wirtschaftsförderung abhängig gemacht wurde. Zunächst war es dem Souverän möglich, zusätzliche Privilegien auch an Personen zu erteilen, die die Technologie nicht erfunden (oder auch bloß eingeführt) hatten. Somit wurde die Belohnung des Aufwandes des Erfinders oder Importeurs der Technologie der ständigen Gefahr ausgesetzt, durch Erteilung weiterer Privilegien an andere Personen entwertet zu werden. Außerdem führte das Fehlen von festgelegten 28 Kriterien für die Vergabe der Privilegien zu einer fiskalisch motivierten Günstlingswirtschaft.29 Die Erteilung von Privilegien wurde zunehmend nur noch von einer Geldzahlung abhängig gemacht. Die ursprünglich wirtschafts­ fördernde Intention der Privilegienerteilung trat folglich in den Hintergrund. Damit verbunden spielte das Merkmal der (wenn auch territorial begrenzten) Neuheit für die Erteilung von Privilegien keine Rolle mehr.30 Um aus fiskalischen Gründen noch mehr Privilegien vergeben zu können, wurde der allgemein bestehende Zunftzwang ausgedehnt, so dass auch die Anwendung von Technologien verboten war, die für die Ausübung üblicher Gewerke notwendig waren. Beispiele hierfür sind Herstellungsverfahren essentieller Dinge wie Seife, Essig, Salz, Eisen und Glas.31 Dies führte letztlich zu einer enormen Steigerung der Preise für alltägliche Dinge. c.  Festschreibung der Voraussetzungen des Erfindungsschutzes als wesentliche Säule des modernen Patentrechts Eine entscheidende Wende in der weltweiten Entwicklung des Privilegienwesens brachte das „Statute of Monopolies“32 des Parliament of England im Jahre 1624, welches mittelbar die nationale Praxis im Hinblick auf die Privilegienerteilung maßgeblich beeinflusste. Mit dem Erlass des Statute of Monopolies beabsichtigte das Parliament of England, die Missstände, die mit der stetigen Preis­ steigerung verbunden waren, zu beseitigen. Dazu wurden alle bestehenden Privilegien abgeschafft und die Erteilung künftiger Privilegien untersagt. Eine 28  Eine Ausnahme ist das venezianische Gesetz von 1474, welches durch die Anmeldung einer neuen und erfinderischen Vorrichtung bei einer Behörde die Gewährung eines Schutzes vorsah, vgl. hierzu Götting, Gewerblicher Rechtsschutz, 10.  A., 2014, S.  16. 29  Osterrieth, Patentrecht, 5.  A ., 2015, Rn.  79. 30  Silberstein, Erfindungsschutz, 1961, S.  201 f. 31 Vgl. Osterrieth, Patentrecht, 5.  A ., 2015, Rn.  8 0. 32  An Act concerning Monopolies and Dispensations with penall Lawes and the Forfey­ ture thereof, 1624.

II.  Neuheit der Erfindung und „Erfindungsqualität“

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Ausnahme war für Erfindungen vorgesehen, für die ihrem „wahren und ersten Erfinder“ ein Privileg auch künftig erteilt werden durfte. Diese Ausnahmeregelung für Erfindungen wird aus heutiger Sicht als Grundstein des Patentwesens gesehen, weil dadurch die Erteilung von Monopolrechten von sachlichen Voraussetzungen abhängig gemacht wurde.33 Nach dem Statute of Monopolies war es fortan nur noch „dem wahren und ersten Erfinder“ möglich, ein Privileg für die Anwendung seiner Erfindung zu erhalten. Anderen war die Nutzung dieser Erfindung verboten. Diese Regelung bewirkte einen Schutz des Erfinders vor Nachahmung seiner Erfindung durch andere. Der Schutz vor Nachahmung wirkte jedoch nur im Hinblick auf die Erteilung eines Privilegs in dem jeweiligen Hoheitsgebiet, dessen Hoheitsträger das Privileg gewährte. Die Erteilungsvoraussetzungen waren allerdings nach wie vor darauf ausgerichtet, auch Nachahmungen von Technologien aus dem Ausland unter den Schutz eines Privilegs zu stellen.34 Dies hatte zum einen die weiterhin bestehenden protektionistischen Gründe der inländischen Wirtschaftsförderung, für die es sich auch weiterhin positiv auswirkte, wenn neuartige Technologien eingeführt und fortan im Inland angewandt wurden. Zum anderen lag der Grund für die Erteilung von Privilegien auch für Einfuhrerfindungen in einem rein praktischen Problem: Eine Prüfung, ob die Neuerung tatsächlich neu war, für die ein Privileg beantragt wurde, konnte allenfalls im Inland bewältigt werden. Eine Informationsbeschaffung aus dem Ausland über eine etwaige dortige Benutzung der Erfindung war rein tatsächlich nicht realisierbar. Daher wurde die für eine Privilegienerteilung notwendige Voraussetzung der Neuheit weit verstanden: Als „wahrer und erster Erfinder“ wurde auch derjenige angesehen, der die Erfindung erstmals in das Inland einführte.35 Das Privilegienwesen wirkte daher weiterhin als ein territorial beschränkter Schutz gegen Nachahmungen im Inland. d.  Ausdehnung des Prüfungsumfangs der Schutzvoraussetzungen als Kennzeichen des modernen Erfindungsschutzes Für eine Neuheitsprüfung, die sich über die Landesgrenzen eines einzelnen Staates hinweg erstreckte, mussten die einzelnen Staaten zusammenarbeiten.­ In der Zeit der aufkommenden Patentgesetzgebung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts war Deutschland vollkommen zersplittert und stand davor, geeint zu werden. Es zeigte sich frühzeitig, wie sich die Zusammenarbeit im Patentbereich für die nächsten Jahrzehnte entwickeln wird. Für die Abschaffung der als Handelshemmnis identifizierten Zölle wurde ein Zollverein gegründet.36 Dabei offenbarte sich zunächst das Bedürfnis nach einer vereinheit33 

Kohler, Hdb. PatR, 1900, Nachdr. 1980, S.  16. Kurz, Weltgeschichte des Erfindungsschutzes, 2000, S.  139. 35  Klostermann, Patentgesetz, 1877, S.  26. 36 Hierzu Beier, GRUR 1978, 123, 129. 34 

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§  3  Wissen als Schutzgegenstand und Grundlage

lichten Patentgesetzgebung, da die in den einzelnen Staaten erteilten Patente eine durch den Zollverein herzustellende Verkehrsfreiheit der Waren erheblich beeinträchtigten.37 Dies führte zu der Regelung in Art. I des „Zollvereinsvertrages in Betreff der Erfindungspatente“38 vom 21.09.1842, nach der die Patenterteilung davon abhängig gemacht wurde, dass der zu patentierende Gegenstand „wirklich neu und eigentümlich“ war. Mit der Überbetonung der sachlichen Voraussetzungen des Patentschutzes („wirklich“) war vor allem gemeint, dass sich die Neuheitsprüfung auf das gesamte Vereinsgebiet bezieht. Die Erfindung musste in allen Vereinsstaaten neu sein. Außerdem war geregelt, dass für einen Gegenstand, für den bereits in einem Vereinsstaat ein Patent erteilt wurde, in einem anderen Vereinsstaat ein Patent nur noch für den Erfinder oder dessen Rechtsnachfolger erteilt werden durfte.39 Damit waren Einfuhrpatente innerhalb des Zollvereins verboten, wenn die Erfindung in einem anderen Vereinsstaat des Zollvereins bereits von einem Patent geschützt war. Dadurch wurde es dem Erfinder einerseits möglich, in jedem Vereinsstaat um Patentschutz nachzusuchen, andererseits war er auch vor der Übernahme seiner Erfindung im Wege des Einfuhrpatents in einem anderen Vereinsstaat geschützt.40 Gleichzeitig verschärften sich die Anforderungen an die Neuheit einer patentfähigen Erfindung: Eine patentfähige Erfindung musste im gesamten Vereinsgebiet neu sein. Dies führte zu einem umfassenden Schutz vor Nachahmung der Erfindung innerhalb der Vereinsstaaten.

3.  Neuheit und Qualität der geistigen Leistung als Voraussetzungen des Patentschutzes von Erfindungen In §  1 S.  1 PatG 187741 war geregelt, dass Patente für „neue Erfindungen“ erteilt werden. §  2 PatG 1877 enthielt eine Negativdefinition des Merkmals der Neuheit, wonach eine Erfindung nicht als neu galt, wenn sie zum Anmeldungs­ zeitpunkt „in öffentlichen Druckschriften bereits derart beschrieben oder im Inlande bereits so offenkundig benutzt ist, dass danach die Benutzung durch andere Sachverständige möglich erscheint“. Der Gesetzgeber wählte diese Ne37 

Klostermann, Patentgesetz, 1877, S.  104. Abgedruckt in: Dingler, Polytechnisches Journal 1843, S.  154 ff. 39  Während der Verhandlungen über die genaue Fassung der Regelung über die Neuheit als Erteilungsvoraussetzung war überlegt worden, wie die Anmeldung einer Erfindung im Ausland gewährleistet werden konnte, ohne dass sich eine vorherige Veröffentlichung der Erfindung im Inland wegen der dortigen Erteilung neuheitsschädlich auswirkte. Angedacht waren unter anderem spezielle Neuheitsschonfristen und die Begründung von Prioritätsrechten und deren gegenseitige Anerkennung durch die Vertragsstaaten, vgl. hierzu Grothe, Das Patentgesetz, 1877, S.  66. 40  Allerdings wirkte der Schutz nicht zu Gunsten von Angehörigen dritter Staaten, die am Zollverein nicht beteiligt waren, hierzu Wadle, Geistiges Eigentum, Band 2, 2003, S.  91. 41  Patentgesetz vom 25. Mai 1877, RGBl. 1877 Nr.  23, S.  501. 38 

II.  Neuheit der Erfindung und „Erfindungsqualität“

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gativdefinition, weil er davon ausging, dass die Voraussetzung, wann eine Erfindung neu sei, nicht verallgemeinernd im Gesetz definiert werden könne und „nach den Umständen des einzelnen Falles zu beurteilen“ sei.42 Teilweise wurde in der Literatur der Gesetzeswortlaut dahingehend kritisiert, dass die beiden genannten Voraussetzungen „Erfindung“ und das Merkmal „neu“ ein Pleonasmus seien und das Attribut „neu“ damit vollkommen überflüssig sei, weil in dem Begriff der Erfindung bereits enthalten sei, dass das Erfundene neu ist.43 Allerdings war diese Doppelung vermeintlicher Selbstverständlichkeiten wegen der weiteren Definition der Neuheit in §  2 II PatG 1877 notwendig. Neben dem Merkmal der Neuheit enthielt das Patentgesetz 1877 keine weiteren qualitativen Anforderungen an patentfähige Erfindungen. Hiergegen sind bereits in der Reichstagsdebatte über die Fassung des Patentgesetzes Bedenken geäußert worden: Der Erfindungsbegriff sei nicht ausreichend definiert, um bloße Verbesserungen von Vorbekanntem abzugrenzen und damit sei der Umfang dessen, was dem Patentschutz zugänglich ist, nicht sicher bestimmbar.44 Diese Unsicherheiten zeigten sich in der Rechtsanwendung des damals neuen Patentgesetzes. Die normierte Patentierungsvoraussetzung der Neuheit barg bei der Rechtsanwendung bezüglich der inhaltlichen Festlegung klarer Abgrenzungskriterien für die Patentfähigkeit erhebliche Probleme in sich. Die vom Gesetzgeber beabsichtigte Einzelfallbezogenheit der Prüfung der einzigen qualitativen Voraussetzung des Patentschutzes führte zu erheblichen Beurteilungsspielräumen und wenig vorhersehbaren Ergebnissen bei der Beurteilung der Patentfähigkeit einer Erfindung. Von Anfang an verstand man die Neuheitsprüfung der Erfindung nicht bloß als einen fotografischen Vergleich der Erfindung mit dem Prüfstoff, der durch Druckschriften und inländische Vorbenutzungen definiert war.45 Vielmehr wurden bereits nach dem ersten Patentgesetz von 1877 Erfindungen, die Kombinationen46 von vorbekannten Merkmalen waren, nicht bereits deshalb als patentfähig angesehen, weil sie nicht genauso (mit allen Merkmalen) vorbekannt waren.47 Der Entscheidung über die Patentschutzfähigkeit 42  Motive zum PatG 1877, Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Deutschen Reichstags, I. Session 1877, Band 3, Aktenstück Nr.  8 , S.  12, 18 li. Sp. 43  Damme/Lutter, Das deutsche Patentrecht, 3.  A ., 1925, S.  164 ff., gehen davon aus, dass das Attribut „neu“ überflüssig sei, weil es in dem Begriff der Erfindung inbegriffen sei; hierzu ausführlich: R. Pietzcker, FS GRUR 1991, S.  415, 425 (Rn.  15) sowie Dörries, GRUR 1985, 627. 44  Beitrag vom Abgeordneten Reichensperger in der 34. Sitzung des Deutschen Reichs­t ages am 1.5.1877, abgedruckt Verhandlungen des Reichstages, Band 46, 1877 (Nr.  2) S.  915, 916 f. 45  R. Pietzcker, FS GRUR 1991, S.  417, 440 (Rn.  4 4). Vgl. auch Schiff, GRUR 1899, 45, 48, der sich aber dagegen wendet, dass in der Neuheitsprüfung „subjektive Momente“ einfließen und die „Größe des Erfindungsgedankens beurteilt“ werde. 46  Zu den Kombinationserfindungen von vorbekannten Merkmalen Wirth, GRUR 1905, 181, 189. 47  Der Grund für die strengen Anforderungen, die das Patentamt an patentfähige Erfindungen stellte, lag in der Befürchtung einer Überlastung des Patentamtes, wenn quantitativ

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§  3  Wissen als Schutzgegenstand und Grundlage

lag nicht nur die bloße Suche nach exakt gleichem Vorbekannten zugrunde, sondern es erfolgte eine wertende Entscheidung,48 ob die Erfindung „neu“ und damit patentschutzfähig war, indem das Vorbekannte um einen gewissen Unschärfebereich erweitert wurde. Dieser Unschärfebereich ergab sich aus dem Verständnis dessen, was der Prüfung auf Neuheit der Erfindung als vorbekannt zugrunde gelegt wurde. Diese Bewertungsschwierigkeiten traten besonders deutlich zu Tage, wenn alle Merkmale der angemeldeten Erfindung vorbekannt und damit eigenständig nicht neu waren, in der Kombination der Erfindung aber nicht vorbekannt (d. h. neu) waren. Die Beurteilung der Patentfähigkeit der angemeldeten Erfindung erfolgte aus der Sicht und mit dem Verständnis eines Sachverständigen: Gemäß §  2 PatG 1877 muss der Sachverständige durch die Vorveröffentlichung oder die vorherige Benutzung in der Lage sein, die vorbekannte Erfindung zu benutzen. Dann ist die angemeldete Erfindung nicht neu und nicht patentschutzfähig. Das Abstellen auf das Verständnis des Sachverständigen ermöglichte bei der Patentprüfung das Anlegen eines objektivierbaren Maßstabes, der von den Vorstellungen und Mühen des Erfinders unabhängig war.49 Was der Sachverständige den Druckschriften oder inländischen Benutzungen an Kenntnissen entnahm, ohne erfinderisch tätig zu sein, war bekannt und konnte nicht patentiert werden.50 Bereits bei der Zusammenstellung des Vorbekannten, mit dem die Erfindung verglichen werden sollte, erfolgte eine wertende Entscheidung „des Sachverständigen“, was er den Quellen im Hinblick auf die zu beurteilende Erfindung an Kenntnissen entnehmen kann.51 Die (am Einzelfall orientierte) Wertung, ob eine Erfindung neu ist, war bereits kurze Zeit nach Inkrafttreten des Patentgesetzes von 1877 Gegenstand der Beratungen über etwaige Änderungen des Patentgesetzes. Es wurde bemängelt, dass der Patentanmelder, der seine „Frucht angestrengten Nachdenkens und lang­jähriger Arbeit“ zum Patent anmeldet, vom Patentamt die Antwort erhält, die Neuerung sei nur „handwerksmäßige Gepflogenheit, die jedem Sachkundigen geläufig sei“.52 Der Streit entzündete sich an der fehlenden Wertschätzung der erfinderischen Arbeit, die von einer abschlägigen Entscheidung über die Patentanmeldung ausging. Dieser Mangel wurde jedoch nicht durch eine Änderung der materiellen Patentierungsvoraussetzungen abgestellt, sondern durch unzählige Erfindungen zum Patent angemeldet und geprüft werden müssten. Daher wurden die qualitativen Anforderungen an die Patentschutzfähigkeit hoch angesetzt. 48  Das Urteil, ob eine neue Erfindung vorliegt, ist nicht das Ergebnis eines nur „kognitiven Denkaktes“, sondern eines „Werturteils“, Isay, PatG, 1931, §  1 Rn.  3. 49  R. Pietzcker, FS GRUR 1991, S.  417, 426 (Rn.  16); Schütze, GRUR 1901, 217, 226. Auf die Anstrengungen des Durchschnittsfachmanns statt des Erfinders stellt E. Müller, GRUR 1919, 186, 202 ab. 50  Isay, Mitt. 1912, 214 f. 51  Kohler, Hdb. PatR, 1900, Nachdr. 1980, §  67 (S.  185 f.). 52  Bericht der XI. Kommission über den Entwurf der Änderung des PatG, RT-Drcks. 1890 (Nr.  322), S.  2129.

II.  Neuheit der Erfindung und „Erfindungsqualität“

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eine geänderte Amtspraxis im Hinblick auf den Begründungsumfang abschlägiger Entscheidungen.53 Es blieb während der Gesetzesberatungen bei der Feststellung, dass „es doch außerordentlich schwierig sei, durch eine allgemeine Formel eine Grenze zu ziehen zwischen dem, was so auf der Hand liege, daß es jeder Sachkundige machen könne und dem, was besondere geistige Arbeit – oder besonderes Glück – erfordere“.54 Im Rahmen der Änderung des Patentgesetzes 1891 blieb der Gesetzeswortlaut unverändert und die einzige qualitative Voraussetzung für den Patentschutz war, dass eine Erfindung lediglich „neu“ sein musste.55

4.  Nützlichkeit und Fortschritt als ungeschriebene Voraussetzungen patentfähiger Erfindungen Das Patentgesetz von 1877 stellte neben der Neuheit der Erfindung keine weiteren qualitativen Anforderungen an die Patentfähigkeit der Erfindung. Im Rahmen der Prüfung der Erfindung auf ihre Patentfähigkeit musste der Patentprüfer eine wertende Entscheidung treffen: Einerseits musste er das bereits Vorbekannte unter dem Blickwinkel eines Sachverständigen auf den Informationsgehalt prüfen und bewerten, welchen Offenbarungsgehalt die Quelle im Hinblick auf die Erfindung hat („Was ist der Inhalt der vorliegenden und damit vorbekannten Quelle?“). Andererseits bewertete der Patentprüfer auch die angemeldete Erfindung, wenn er diese mit dem vorbekannten Stand der Technik verglich. Um die geschilderten Wertungen an einer gesetzlichen Grundlage fixieren zu können, wurde in der Rechtslehre56 vorgeschlagen, das einzige gesetzlich vorhandene Qualitätskriterium („Neuheit“) der Erfindung graduell abzustufen.57 Die Suche nach dem „Grad der Neuheit“ führte zu der Einschätzung, ob eine Erfindung „mehr“ oder „weniger“ neu ist. Diese Vorgehensweise stieß auf Kritik und führte dazu, dass die Möglichkeit einer wertenden Entscheidung über die Patentfähigkeit nicht dem attributiven Merkmal „neu“ einer Erfindung, sondern bereits dem Begriff der „Erfindung“ selbst zu entnehmen sei: 58 Nur 53  Zu diesem Ergebnis kommt auch Schiff, GRUR 1899, 45; ähnlich Wirth, GRUR 1906, 57, 68. 54  RT-Drcks. 1890 (Nr.  322) S.  2129, 2130. 55  Lediglich der Umfang des Prüfstoffs wurde im Hinblick auf die Druckschriften eingegrenzt (nur in den letzten 100 Jahren erschienene Druckschriften), vgl. §  2 I PatG vom 7.4.1891, RGBl. 1891 Nr.  12, S.  79 f. sowie die hierzu geführten Beratungen im Bericht der XI. Kommission über den Entwurf der Änderung des PatG, RT-Drcks. 1890 (Nr.  322) S.  2199, 2130 re. Sp. 56  Schiff, GRUR 1899, 45, 46 f.; Mintz, GRUR 1903, 372, 378; E. Pietzcker, PatG I, 1929, §  2 Rn.  4. 57 Zu den anderen Rechtsordnungen („wesentliche Neuheit“ in den USA) vgl. Beier, GRUR 1985, 606, 608. 58  Isay, Mitt. 1912, 124, 125; Isay, PatG, 1931, §   1 Rn.  3; E. Pietzcker, PatG I, 1929, §  2 Rn.  3 ff.

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§  3  Wissen als Schutzgegenstand und Grundlage

etwas „Erfinderisches“ könne eine Erfindung sein. Eine Erfindung müsse daher mehr als nur etwas Neues, noch nicht Bekanntes sein. Eine Erfindung war nach dieser Ansicht nur dann neu, wenn sie mit allen Merkmalen nicht vorbekannt war. Damit war die Frage der identischen Vorbekanntheit der Erfindung geklärt, nicht aber die Frage nach der Patentfähigkeit der Erfindung. Patentfähig war nur eine Erfindung, die eine Erfindungsqualität aufweist, d. h. die Erfindung musste sich nicht nur vom Vorbekannten, sondern auch von der zu erwartenden, durchschnittlichen technischen Weiterentwicklung deutlich abheben. Wie die (neu aufgeworfene) Frage nach der Erfindungsqualität zu beantworten sein sollte, blieb streitig. Die Frage wurde wegen der damit verbundenen Entscheidung über die Patentierbarkeit der Erfindung in engem Zusammenhang mit der Zielsetzung des Patentrechts beantwortet. In der weiteren Rechtsentwicklung bildeten sich verschiedene Begründungswege und Beurteilungsmethoden heraus, die Antwort auf die Frage nach den qualitativen Kriterien patentierbarer Erfindungen geben sollten. Die Schwierigkeit dabei war, dass es keinen klaren gesetzlichen Bezugspunkt für weitere Patentierungsvoraussetzungen gab. Damit war die Definition von Merkmalen einer patentfähigen Erfindung ebenso problematisch wie die Subsumtion unter die vagen Kriterien, die zur Konkretisierung vorgeschlagen wurden. Daher wurde in Anlehnung an den Wortlaut des Gesetzes neben der ausdrücklich im Patentgesetz genannten (sog. „formellen“) Neuheit auch eine „materielle“ Neuheit gefordert, die die Qualität der Erfindung beschreibe.59 Materielle Neuheit ist dabei als subjektives Kriterium im Gegensatz zur formellen Neuheit verstanden worden, die als objektives Kriterium diene.60 Neben den beiden möglichen – im Gesetz genannten – Bezugspunkten (Neuheit und Erfindungsbegriff) wurde in der Diskussion und der Rechtspraxis ein weiteres Tatbestandsmerkmal eingeführt, das erfüllt sein musste, damit die Erfindung patentfähig war. Dieses wurde aus dem Zweck des Patentgesetzes abgeleitet, der darin liegt, den technischen Fortschritt zu fördern.61 Eine patent­ fähige Erfindung musste danach für den technischen Fortschritt „nützlich“ und „fortschrittlich“ sein. 62 Mit der Anwendung der Tatbestandsmerkmale Nützlichkeit und Fortschritt löste sich die Beurteilung der Patentfähigkeit der Erfindung von der Bewertung der geistigen Leistung, die der Erfindung zugrunde liegt63 und die Entscheidung über die Patentfähigkeit wurde von äußeren Fak59  Tetzner, PatG, 1972, §   1 Rn.  95 (Unterscheidung zwischen formeller und materieller Neuheit); Klauer/Möhring, PatG, 1940, §  1 Rn.  5, 10 ff. (Unterscheidung zwischen objektiven und subjektiven Kriterien der Neuheit). 60  Klauer/Möhring, PatG, 1940, §  1 Rn.  10. 61  Wirth, GRUR 1906, 57, 59 ff.; RG PatBl. 1890, 197, 198 – Transformator. 62  Wirth, GRUR 1906, 57, 63 ff.; vgl. E. Müller, GRUR 1919, 186, 191, der betont, dass Fortschrittlichkeit bereits in dem Begriff der Neuheit richtungsweisend enthalten sei. 63  Wirth, GRUR 1905, 181 verweist auf zwei Maßstäbe, die bei der Frage nach der Patentfähigkeit einer Erfindung entscheidend seien: ein wirtschaftlicher Aspekt (die Förderung des

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toren (d. h. von der Verwertbarkeit und damit vom volkswirtschaftlichen Nutzen der Erfindung für die Gesellschaft) abhängig gemacht. Die dem Patentanmelder vom Patentamt bekanntzugebende Entscheidung über die Patentfähigkeit bezog sich nicht mehr auf eine Bewertung der geistigen Leistung, die der Schaffung der Erfindung zugrunde lag, sondern konnte unabhängig von subjektiven Elementen mit (objektiver) volkswirtschaftlicher Brauchbarkeit begründet werden, d. h. anhand des Kriteriums, ob die Erfindung im Ergebnis64 fortschrittlich und nützlich war. Auf den ersten Blick erschien damit die Problematik gelöst, dass das Patentamt die geistige Leistung des Patentanmelders bewertete. Stattdessen wurde die Entscheidung über die Patentierung von äußeren, objektiven Umständen abhängig gemacht.65 Allerdings wurde diese vermeintliche Objektivierung der Neuheitsprüfung auch kritisiert: Im Zeitpunkt der Vorprüfung (d. h. vor Erteilung des Patents) sei gar nicht abschätzbar, ob die Erfindung nützlich ist oder einen wirtschaftlichen Fortschritt bedeutet.66 Vielmehr zeige sich erst im Laufe der Markteinführung der Erfindung, ob die Erfindung einen wirtschaftlichen Fortschritt beinhaltet. 67 Ein im Zeitpunkt der Prüfung von der Erfindung bloß vermutet bewirkter Fortschritt führte in der Rechtsanwendung nicht zwingend zu dem Ergebnis, dass das Patentamt die Erfindung als patentfähig bewertete. Stellte das Patent­ amt die Fortschrittlichkeit der angemeldeten Erfindung fest, war dies aber ein objektiv ermitteltes Indiz, das in die Bewertung der technischen Neuerung im Hinblick auf deren Patentwürdigkeit einfloss. 68 Der Fortschritt als selbständige Voraussetzung des Patentschutzes verlor in der Rechtsanwendung zunehmend an Bedeutung. Dies lag weniger an der fehlenden gesetzlichen Kodifika­ tion der Voraussetzung und deren dadurch erforderlich gewordenen Herleitung aus dem Gesetzeszweck. Vielmehr war die Unbestimmtheit des Begriffsinhalts der Grund für die schwindende Bedeutung des Kriteriums. Die Probleme bei Gewerbes) und ein individualrechtlicher Aspekt (der Schutz der geistigen Arbeit). R. Pietzcker, FS GRUR 1991, S.  417, 443 f. (Rn.  52 f.), sieht in diesen Ausführungen zu Recht den Beginn des Verständnisses der Patentierungsvoraussetzungen, wie sie erst viel später (1978) in das Patentgesetz Eingang fanden. 64  Auf die Wesentlichkeit des Ergebnisses des technischen Erfolges verweisen zahlreiche Autoren, u. a. Kohler, Hdb. PatR, 1900, Nachdr. 1980, §  19 (S.  53 f.); Schanze, Recht der Erfindungen und Muster, 1899, S.  143 f. („technischer Effekt“ nötig). Andererseits stellt Isay, PatG, 5.  A., 1931, §  1 PatG Rn.  26 f. darauf ab, dass sich der Erfindungswert sowohl aus der ihr zugrunde liegenden geistigen Leistung als auch aus ihrem Erfolg ableite; vgl. dazu Beier, GRUR 1985, 606, 615. 65  Dörries, GRUR 1985, 627, 628, bezeichnet den zur Bestimmung der Erfindungshöhe herangezogenen Durchschnittsfachmann als „Regulativ gegen mutmaßliche oder jedenfalls mögliche Behördenwillkür“. 66  Wirth, GRUR 1905, 181, 187. 67  Ein Vergleich sei nur zwischen in den Markt eingeführten Dingen und Verfahren möglich, nicht zwischen bloß abstrakten Ideen, Wirth, GRUR 1905, 181, 190. 68  Zum Verhältnis zwischen den sich gegenseitig ausgleichenden Voraussetzungen des Patentschutzes: E. Pietzcker, PatG I, 1929, §  1 Rn.  43, 48.

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§  3  Wissen als Schutzgegenstand und Grundlage

der antizipierten Bestimmung des mit der Erfindung verbundenen wirtschaftlichen Fortschritts führten zu einem Wandel in der Definition des Begriffs „Fortschritt“: Dieser sollte bereits vorliegen, wenn ein sozialer Fortschritt mit der Erfindung verbunden sei (beispielsweise durch einen Gewinn an Sicherheit und Bequemlichkeit). 69 Bedingt durch diese Ausweitung des Begriffsinhalts verringerte sich in der Rechtspraxis die eigenständige Bedeutung der den Patentschutz eingrenzenden Voraussetzung. Schließlich stellte sich die Frage, ob neben der Neuheit und einer etwaigen geistigen Leistung überhaupt noch eine Voraussetzung für den Patentschutz erforderlich sei, die von einem zusätzlichen (wirtschaftlichen oder sozialen) Vorteil der Erfindung abhängt. Während der Änderung des Patentgesetzes 1978 entschied der Gesetzgeber, die Patentierung nur von der Neuheit und der erfinderischen Tätigkeit abhängig zu machen, auf der die Erfindung beruht. Damit war der Prüfung der zusätzlichen (nicht im Gesetz geregelten) Voraussetzung „Fortschritt“ der Boden entzogen.70 Diese Abkehr von einem Merkmal, das auf die von der Erfindung ausgehenden Wirkungen abstellt, ist darauf zurückzuführen, dass der Patentschutz dem Patentinhaber bereits ermöglicht, wirtschaftliche Vorteile der Erfindung durch die Einräumung eines Alleinbenutzungsrechtes zu ziehen.71 Daher bleibt die Bewertung der Neuerung dem Markt überlassen und der Patentinhaber muss sich wegen der stetig steigenden Jahresgebühren für das Patent regelmäßig selbst fragen, ob ihm die Aufrechterhaltung des Patents wirtschaftlich noch so viel wert ist.72 Damit ist die Prüfung eines zu antizipierenden, mit der Erfindung verbundenen Fortschritts durch das Patentamt nicht notwendig.

5.  „Erfindungshöhe“ als erfindungsbezogene qualitative Voraussetzung der patentfähigen Erfindung Kurze Zeit nach Inkrafttreten des Patentgesetzes von 1877 entwickelte sich in der rechtswissenschaftlichen Diskussion neben der Etablierung der ungeschriebenen Patentierungsvoraussetzungen „Nützlichkeit“ und „Fortschritt“ eine zweite Argumentationslinie im Hinblick auf die Anforderungen an eine patentfähige Erfindung.73 Nicht bloß die Wirkung einer Erfindung sei für die Patent69  Trüstedt, GRUR 1956, 349, 350 f.; E. Pietzcker, PatG I, 1929, §  1 Rn.  36; dagegen Reimer, PatG I, 1949, §  1 Rn.  25. 70 Die Gesetzesbegründung zu §   1 und §  2a PatG 1978 enthält nur den Hinweis, dass durch die Kodifikation der Voraussetzung der „erfinderischen Tätigkeit“ die Rechtspraxis in Bezug auf die Erfindungshöhe perpetuiert werden soll. Die Voraussetzung des Fortschritts sollte künftig keine gesonderte Voraussetzung der Patentfähigkeit mehr sein, weil das Merkmal keine eigenständige Bedeutung (mehr) habe, BT-Drcks. 7/3712, S.  27, 30. 71  Kraßer/Ann, PatR, 7.  A ., 2016, §  18 Rn.  5 ff. 72  Hierzu bereits Siemens, Positive Vorschläge zu einem Patentgesetz, 1869, S.  11 f. 73  Allgemein zur Entwicklung der qualitativen Anforderungen an patentfähige Erfindungen Ochmann, GRUR 1985, 941 f.

II.  Neuheit der Erfindung und „Erfindungsqualität“

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fähigkeit entscheidend, sondern vielmehr der geistige Gehalt, der der Erfindung zugrunde liegt. Teilweise wurde daher von Vertretern der Auffassung in der Literatur 74 der Grund für die Erteilung eines Patents vor allem in der Belohnung des Erfinders für seine erbrachte geistige Leistung gesehen. Die Prüfung der Erfindung auf ihre Patentfähigkeit müsse demnach darauf gerichtet sein, herauszufinden, welche geistige Leistung zu der Erfindung führte. Diese Betrachtungsweise entfernte sich von der Untersuchung der objektiv zu bestimmenden Wirkungen (dem Fortschritt oder der Nützlichkeit), die mit der Er­findung erreicht werden. Vielmehr stand das subjektive Merkmal der in der Erfindung enthaltenen geistigen Leistung im Mittelpunkt der Patentfähigkeitsprüfung.75 Damit gab es zwei Aspekte, die bei der Frage nach der Patentfähigkeit einer Erfindung relevant wurden: Einerseits wurde in der Prüfung auf Patentfähigkeit das Ergebnis, d. h. die fertige Erfindung dahingehend untersucht, ob sie nützlich und fortschrittlich war. Andererseits war die Patentfähigkeit von einer Beurteilung der Erfindertätigkeit, d. h. von der Qualität des Schöpfungsvorganges abhängig.76 Beide Bezugspunkte der Beurteilung der Patentfähigkeit einer Erfindung (Erfindung als Ergebnis bzw. Erfindungstätigkeit als geistige Leistung) wiesen jedoch erhebliche Nachteile auf: Die schöpferische Tätigkeit für die Beurteilung der Patentfähigkeit einer Erfindung war bereits frühzeitig als bloß theo­ retisches Merkmal einer Patentprüfung erkannt worden, weil die schöpferische Tätigkeit praktisch nicht nachweisbar war.77 Dagegen hatte die bloße Betrachtung der Nützlichkeit bzw. Fortschrittlichkeit zur Folge, dass nur die Wirkungen des Erfindungsergebnisses für die Patentfähigkeit der Erfindung relevant wurden und damit auch kleine und unbedeutende Neuerungen, die wirtschaftlichen Erfolg nach sich zogen, unter Patentschutz gestellt werden konnten. Wirth78 machte daher den Vorschlag, beide Betrachtungsweisen zu kombinie­ ren. Nach seiner Ansicht kommt es auf die Eigenart der schöpferischen Tätigkeit als Maßstab der Patentfähigkeit an. Die Eigenart der schöpferischen Tätigkeit liege zwischen der rein objektiven Betrachtung des Erfindungsergebnisses und der subjektiven Betrachtung des Schöpfungsaktes (der Erfindungstätigkeit). Die Patentfähigkeit hängt danach davon ab, ob die Erfindung eine von Wirth sogenannte „Erfindungshöhe“ aufweist.79 Auszugehen sei bei der Bestimmung der Erfindungshöhe von einem Ergebnisvergleich: Die fertige Erfin74 

Kohler, Hdb. PatR, 1900, Nachdr. 1980, §  32 (S.  84 ff.). eine Differenzierung zwischen objektiven und subjektiven Merkmalen wendet sich R. Pietzcker, FS GRUR 1991, S.  417, 444 (Rn.  54.), unter Bezugnahme auf Wirth, GRUR 1905, 181, 187, der bereits auf die subjektiven Elemente der Beurteilung des der Erfindung innewohnenden Fortschritts hinweist; dazu auch E. Müller, GRUR 1919, 186, 190. 76 Die Unterscheidung zwischen Erfinden (Tätigkeit) und dem Erfundenen (Ergebnis) macht bereits Kohler, Hdb. PatR, 1900, Nachdr. 1980, §  31 (S.  83 f.), deutlich. 77  Wirth, GRUR 1906, 57, 67 f. 78  Wirth, GRUR 1906, 57 ff. 79  Wirth, GRUR 1906, 57, 67. 75  Gegen

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§  3  Wissen als Schutzgegenstand und Grundlage

dung wird in einem ersten Schritt auf ihre Neuheit geprüft, d. h. ob sie in beweisbarer Form bereits bekannt ist.80 Dieser Umstand ist einfach beweisbar, indem die vorherigen Veröffentlichungen mit der angemeldeten Erfindung verglichen werden, ohne aber dabei wertend tätig zu werden. Ist die Erfindung noch nicht bekannt, erfolgt eine Beurteilung des Weges, der erforderlich ist, um von dem Vorbekannten zu der Erfindung zu gelangen. Dieser Weg ist die sog. „Erfindungshöhe“.81 Eine patentrechtliche Erfindungshöhe liegt nur vor, wenn der Weg von dem Vorbekannten zu der Erfindung eine gewisse Schwierigkeit aufweist. Diese Schwierigkeit ist nicht subjektiv zu bestimmen, d. h. nicht aus der Sicht des individuellen Erfinders. Vielmehr kommt es auf den Durchschnittssachverständigen an.82 Dies ist ein „gedachter Normaltypus“83 eines sachverständigen Erfinders, der die der Erfindung zugrunde liegende Aufgabe zu lösen versucht. Es handelt sich dabei nicht um eine individuell bestimmbare Person, sondern um eine Abstraktion eines Sachverständigen. Die Beurteilung der erfinderischen Leistung nimmt nicht der Sachverständige vor. Vielmehr liegt eine erfinderische Leistung nur dann nicht vor, wenn der gedachte Normaltypus des durchschnittlichen Sachverständigen, dem die der Erfindung zugrunde liegende Aufgabe gestellt wird, ohne Schwierigkeiten zu der zu beurteilenden Erfindung gelangt. 84 Die entscheidende Fragestellung bei der Beurteilung der erfinderischen Leistung bezieht sich daher auf die Schwierigkeiten, die der Durchschnittssachverständige zu überwinden hat, um von dem Vorbekannten zu der Erfindung zu gelangen. 85 Die auftretenden Schwierigkeiten und ihre Überwindung sind nach Wirth86 nicht vom Erfinder zu beweisen, sondern von demjenigen, der behaup80  Wirth, GRUR 1906, 57, 67: „Das, was alt ist, liegt in beweisbarer Form vor, sodaß es ohne weiteres damit verglichen werden kann. Die Schwierigkeit beginnt erst, wenn man den Weg feststellen soll, auf welchem der Erfinder zu dem Neuen gelangt ist, um dann darüber zu befinden, ob dieser Weg die Charakteristik einer erfinderischen Tätigkeit hat.“. 81  Der Terminus „Erfindungshöhe“ diente fortan bis zur Patentgesetzänderung 1978 als Maß für die Beurteilung der Erfindungsqualität. Im Detail unterschieden sich die Ansichten über die Definition dessen, was unter dem Begriff zu verstehen sei. In der Denkschrift zur Gesetzesbegründung zu §  4 PatG 1978 wird die Erfindungshöhe (bzw. die „erfinderische Tätigkeit“ als gleichbedeutender Terminus) als das Maß des „technologischen Abstandes“ der Erfindung „von dem vorbekannten Stand der Technik“ bezeichnet, BT-Drcks. 7/3712, S.  381. 82  Die Heranziehung des Durchschnittsfachmanns für die Bestimmung der Erfindungshöhe war damals nicht unumstritten, vgl. vor allem Seligsohn, PatG, 1932, §  1 Rn.  9 (38 f.). 83  Kraßer/Ann, PatR, 7.  A ., 2016, §  18 Rn.  9. 84  Zum Ganzen vgl. Kraßer/Ann, PatR, 7.  A ., 2016, §  18 Rn.  1 ff. 85 Teilweise wird dieser Weg und die Überwindung der Schwierigkeiten als „Abstand vom vorbekannten Stand der Technik“ bezeichnet (u. a. BT-Drcks. 7/3712, S.  381). Diese Bezeichnung verleitete einige Autoren dazu, den „Abstand“ mathematisch bestimmen zu wollen. Diese Vorgehensweise ist wegen der enthaltenen Wertung jedoch nicht zielführend; vgl. hierzu Dolder/Ann/Buser, Mitt. 2007, 49, 51 ff.; Öhlschlegel, GRUR 1964, 477, 478 ff. m. w. N. sowie zu der Kritik an diesem konkreten Ansatz Olering, GRUR 1966, 84 f.; Beyer, GRUR 1986, 345 ff. 86  Wirth, GRUR 1906, 57, 67 f.: Diese Vorgehensweise verhinderte die pauschale Aussage,

II.  Neuheit der Erfindung und „Erfindungsqualität“

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tet, dass die Erfindung „auf einem schulmäßigen Wege gefunden worden“ sei.87 In der weiteren Rechtsentwicklung wurde die von Wirth vorgeschlagene Vorgehensweise der Bestimmung der Erfindungshöhe rezipiert.88 Die dabei notwendige Präzisierung der „Schwierigkeiten“, die zu überwinden sind, um zu der Erfindung zu gelangen, bestimmte die weitere Diskussion über die Frage der Patentierungsvoraussetzungen. Die Rechtspraxis verfolgte neben der Objektivierung der Beurteilung durch den Durchschnittssachverständigen das Ziel, die der Erfindungshöhe zugrunde liegende geistige Leistung möglichst anhand objektiver Kriterien zu bestimmen. In den von Lindenmaier 89 ausgewerteten ­patentamtlichen Entscheidungen stellte das Patentamt in der Prüfung einer Erfindung auf deren Patentfähigkeit häufig darauf ab, ob die Erfindung für den Durchschnittsfachmann eine handwerksmäßige Maßnahme ist, die nicht erfinderisch ist, oder ob es sich um eine Neuerung handelt, die über das Durchschnittskönnen des Fachmanns hinausgeht. Die Rechtspraxis machte das notwendige Überragen der der Erfindung zugrunde liegenden geistigen Leistung über das Durchschnittskönnen eines Sachverständigen an objektiv feststell­ baren Umständen fest: 90 Ein Entwicklungssprung91, eine entwicklungsraffende Bedeutung der Erfindung92 oder auch das Vorliegen von Fortschritt und Nützlichkeit der Erfindung93 waren Kriterien, aus denen die Erfindungshöhe abgeleitet wurde. Lagen diese (objektiven) Voraussetzungen vor, zog das Patentamt daraus regelmäßig den Schluss, dass die Erfindung schwierig zu tätigen war und daher eine Erfindungshöhe aufwies, die die Patentfähigkeit der Erfindung begründete.94 Dies führte zu einer Kumulation der Voraussetzungen der Patent­ fähigkeit: Eine Erfindung war fortan nur dann patentfähig, wenn sie sowohl dass der Sachverständige die Erfindung ohne Probleme finden würde, wie es bisher vom Patentamt praktiziert wurde. 87  Diese Verteilung der Begründungslast entspricht der heutigen Rechtslage: Wird eine angemeldete Erfindung wegen des Fehlens der qualitativen Voraussetzungen nicht patentiert, muss das Patentamt begründen, warum die Erfindung für den Durchschnittsfachmann nahelag, der Anmelder muss nicht nachweisen, dass die Erfindung auf erfinderischer Tätigkeit beruht, vgl. EPA (T 219/83) GRUR Int. 1986, 548 – Zeolithe/BASF. 88  Vgl. u. a. Damme/Lutter, Patentrecht, 3.   A., 1925, S.  178 ff.; später auch von den Beschwerdekammern des Reichspatentamtes, die sich von den rein objektiven Voraussetzungen lösten und für die Patentfähigkeit neben den Voraussetzungen Neuheit und Fortschritt auch „eine gewisse Erfindungshöhe“ forderten, vgl. Bl.PMZ 1933, 267. 89  Lindenmaier, GRUR 1939, 153, 156. 90 A.A. Seligsohn, PatG, 1932, §  1 Rn.  9, der darauf verweist, dass in einem wenig erforschten Gebiet auch ein verhältnismäßig geringer Fortschritt patentwürdig sei. Er stellt maßgeblich darauf ab, dass die Erfindung eine erhebliche Bereicherung der Technik bedeute. 91 „Ruckartige“ Unterbrechung des allmählichen Gangs des Fortschritts, Bernhard, GRUR 1917, 26. 92  Trüstedt, GRUR 1956, 349, 353; Dersin, GRUR 1955, 311, 312; Kumm, GRUR 1964, 236, 244; BGH GRUR 1953, 483. 93  Isay, PatG, 1931, §  1 GebrMG Rn.  19 (S.  613). 94  Vgl. zu Rechtsprechung und Patentamtspraxis Lindenmaier, GRUR 1939, 153, 156.

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§  3  Wissen als Schutzgegenstand und Grundlage

eine Erfindungshöhe aufwies als auch fortschrittlich war. Die Kurzformel der qualitativen Patentierungsvoraussetzungen lautete daher: Patentfähigkeit liegt vor, wenn Erfindungshöhe und Fortschritt gegeben sind.95

6.  „Beruhen auf erfinderischer Tätigkeit“ als gesetzliche Voraussetzung des patentrechtlichen Erfindungsschutzes seit 1978 Im Patentrecht ist häufig zu beobachten, dass der Gesetzgeber einen Rechtszustand (nachträglich) perpetuiert, der sich in der Rechtspraxis herausgebildet hat, ohne dass mit der gesetzlichen Kodifikation eine Änderung der bisherigen Rechtspraxis beabsichtigt ist.96 Mit entsprechender Begründung fasste der Gesetzgeber durch Art. IV des Gesetzes über internationale Patentübereinkommen97 von 1978 den §  1 PatG neu. Durch die Neufassung beabsichtigte der Gesetzgeber ausdrücklich keine Änderung der bisherigen Rechtspraxis: Ausweislich der Gesetzesmaterialien bedingt die Gesetzesänderung „im wesentlichen keine Änderung des bisherigen Rechtszustandes“.98 Nach dem neugefassten §  1 I PatG 1978 wurden Patente für „Erfindungen erteilt, sofern sie neu sind, auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhen und gewerblich anwendbar sind“. Neben der bereits bestehenden gesetzlichen Voraussetzung der „Neuheit der Erfindung“ fügte der Gesetzgeber das zusätzliche Merkmal ein, dass eine patentfähige Erfindung „auf erfinderischer Tätigkeit beruhen“ muss. Die Voraussetzung eines mit der Erfindung verbundenen „Fortschritts“ nahm der Gesetzgeber ausdrücklich nicht in den Gesetzestext auf.99 Da die vom Gesetzgeber gewählte Gesetzesfassung keine inhaltliche Änderung der von der Rechtspraxis entwickelten Voraussetzung des Patentschutzes bewirken sollte,100 erschöpfte sich die Gesetzesänderung in einer terminologischen Anpassung des Begriffs der „Erfindungshöhe“ an eine international einheitliche und übliche Terminologie.101 Die qualitativen Voraussetzungen des 95 

Lindenmaier, GRUR 1939, 153, 156. Beispiel ist die Aufnahme des Zusatzes „auf allen Gebieten der Technik“ in §  1 I PatG, um das sachliche Gebiet zu konkretisieren, auf dem Patente erteilt werden. Diese Änderung erfolgte durch Art.  2 des Gesetzes zur Umsetzung der Akte vom 29.11.2000 zur Revision des Übereinkommens über die Erteilung europäischer Patente vom 24.08.2007, BGBl. 2007 I S.  2166. Eine Änderung der Rechtslage war ausdrücklich nicht beabsichtigt, BT-Drcks. 16/4382, S.  10. Die Änderung des Gesetzes sollte nur die bereits erfolgte Rechtsentwicklung nachzeichnen. 97 Gesetz zu dem Übereinkommen vom 27.11.1963 zur Vereinheitlichung gewisser Begriffe des materiellen Rechts der Erfindungspatente, dem Vertrag vom 19.06.1970 über die internationale Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Patentwesens und dem Übereinkommen vom 5.10.1973 über die Erteilung europäischer Patente, BT-Drcks 7/3712, S.  5. 98  BT-Drcks. 7/3712, S.  5, 26. 99  Gesetzesbegründung zu Art. IV IntPatÜG BT-Drcks. 7/3712, S.  27. 100  BT-Drcks. 7/3712, S.  26 f. 101  Es sollte unter anderem das „Straßburger Übereinkommen zur Vereinheitlichung ge96  Ein

II.  Neuheit der Erfindung und „Erfindungsqualität“

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Patentschutzes wurden in Deutschland unter dem Begriff der „Erfindungs­ höhe“ und international eher unter „erfinderische Tätigkeit“102 zusammengefasst.103 Inhaltlich sind beide Begriffe synonym.104 Die ausdrückliche Ausklammerung des Merkmals „Fortschritt“ aus den Patentierungsvoraussetzungen erfolgte in der Annahme, dass Erfindungen, die auf erfinderischer Tätigkeit beruhen, stets einen Fortschritt bedeuteten.105 Die unterbliebene Kodifizierung des Merkmals „Fortschritt“ sollte jedoch nur dazu führen, dass der Fortschritt künftig keine gesonderte Voraussetzung der Patentfähigkeit mehr ist, wie es bisher von Teilen der Literatur und der Rechtsprechung gefordert wurde. Weiterhin sollte es möglich bleiben, bei der Beantwortung der Frage, „ob eine Erfindung auf erfinderischer Tätigkeit beruht, zu berücksichtigen, dass die Erfindung einen technischen Fortschritt darstellt“.106 Daher ging der Gesetzgeber davon aus, dass die unterbliebene Kodifizierung der Voraussetzung des Fortschritts keinerlei Auswirkungen auf die bisherige Rechtspraxis habe.107 Durch die Änderung des §  1 I PatG 1978 machte der Gesetzgeber deutlich, dass an eine patentfähige Erfindung qualitative Anforderungen zu stellen seien, um die Patentfähigkeit zu beurteilen. Diese Anforderungen seien anders als bisher nicht aus dem Begriff der „Neuheit“ und auch nicht aus dem Begriff der „Erfindung“ abzuleiten, sondern aus einem zusätzlichen (nunmehr gesetzlich geregelten) Kriterium, und zwar der „erfinderischen Tätigkeit“, auf der die Erfindung beruhen musste. Dadurch war vorgezeichnet, dass auch die Prüfung der einzelnen Patentierungsvoraussetzungen nicht mehr ineinander fließt, sondern jede einzelne Voraussetzung geprüft werden muss. Die Frage nach der Neuheit ist unabhängig von jener nach der qualitativen Voraussetzung der erfinderischen Tätigkeit zu beantworten. Die Prüfung beider Voraussetzungen geht von einem terminologisch gleichen Bezugspunkt (dem Stand der Technik) wisser Begriffe des materiellen Rechts der Erfindungspatente“ vom 27.11.1963 umgesetzt werden; hierzu Pagenberg, GRUR Int. 1978, 190, 194. 102  Der insbes. in der englischsprachigen Terminologie gebräuchliche Begriff „inventive step“ war bislang durch die Abgrenzung zu dem „erfinderischen Schritt“ im Gebrauchsmusterrecht in Deutschland schwierig; Pagenberg, GRUR Int. 1978, 143, 147. 103  Vgl. hierzu ausführlich Pagenberg, GRUR Int. 1978, 143, 147; Kraßer/Ann, PatR, 7.  A ., 2016, §  18 Rn.  11–15. 104  BT-Drcks. 7/3712, S.  27. 105  BT-Drcks. 7/3712, S.  27 li. Sp. 106  BT-Drcks. 7/3712, S.  27. Nach Art.  27 TRIPs-Übereinkommen (1994) ist vorzusehen, dass „Patente für Erfindungen auf allen Gebieten der Technik erhältlich sind, […] vorausgesetzt, daß sie neu sind, auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhen und gewerblich anwendbar sind“. Die dort verwendete (internationale) Terminologie wird in der amtlichen Anmerkung des Übereinkommenstextes zu dieser Norm ausgeweitet: „Im Sinne dieses Artikels kann ein Mitglied die Begriffe ‚erfinderische Tätigkeit‘ […] als Synonyme der Begriffe ‚nicht naheliegend‘ […] auffassen.“ 107  Anders sahen das zahlreiche Vertreter in der Literatur kurz nach der Gesetzesänderung: Blumenberg, GRUR 1978, 63; Pagenberg, GRUR Int. 1978, 190, 194; kritisch bereits Tetzner, GRUR 1974, 766, 767.

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§  3  Wissen als Schutzgegenstand und Grundlage

aus, betrifft aber unterschiedliche Methoden des Vergleichs. Vom Gesetzgeber offengelassen wurde die konkrete Vorgehensweise bei der Bestimmung der erfinderischen Tätigkeit.108 Der Gesetzessystematik lässt sich entnehmen, dass bei der Neuheitsprüfung ein Einzelvergleich der Erfindung einschließlich aller ihrer Merkmale mit dem Stand der Technik zu erfolgen hat. Bei der Prüfung auf erfinderische Tätigkeit erfolgt dagegen die Prüfung im Hinblick auf das Naheliegen der Erfindung, d. h. es findet eine Bewertung der einzelnen Merkmale durch einen Vergleich mit dem Stand der Technik statt. Wie aber der Stand der Technik der Erfindung gegenübergestellt werden soll, blieb offen: In Betracht kommt ein Vergleich der Erfindung mit jedem einzelnen Nachweis aus dem Stand der Technik oder ein Vergleich der Erfindung mit einer Gesamtschau aller bereits vorbekannten Quellen. Die Konkretisierung dieser Vorgehensweise wurde der Rechtspraxis überlassen (dazu unten III.).

7.  Zusammenhang zwischen Erfindungsqualität und Rechtsmacht aus dem Schutzrecht a.  Keine Abhängigkeit zwischen der Rechtsmacht aus dem Schutzrecht und der Erfindungsqualität im Patentrecht Ein Patent verleiht seinem Inhaber einerseits ein ausschließliches Benutzungsrecht und andererseits ein umfassendes Verbietungsrecht von Nutzungshandlungen Dritter, §  9 PatG. Der Umfang der aus dem Patent folgenden Rechtsmacht ist unabhängig von der geistigen Leistung, die der Erfindung zugrunde liegt (d. h. der Erfindungsqualität). Beruht eine neue Erfindung auf erfinderischer Tätigkeit, so wird das Patent erteilt. Der Patentinhaber erhält nicht mehr Rechtsmacht, wenn für seine Erfindung besonders viel erfinderische Tätigkeit erforderlich war. Umgekehrt erhält er auch nicht weniger Rechtsmacht, wenn die Erfindung auf einem Geistesblitz beruht, solange sich die Erfindung für den Durchschnittsfachmann nicht in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik ergab und somit nicht auf erfinderischer Tätigkeit beruht (sog. „Alles-oder-Nichts-Prinzip“).109 Ein alternativer Regelungsansatz wäre, die Rechtsmacht aus dem Patent abhängig von dem Maß der erfinderischen Tätigkeit zu gestalten. Als Beschränkung für Erfindungen, denen eine geringere geistige Leistung zugrunde liegt, käme eine Laufzeitverkürzung des Schutzrechts oder die Einschränkung des grundsätzlich gegebenen Unterlassungsanspruchs in Betracht. Umgekehrt könnte die Laufzeit für Patente, deren Gegenstand eine Erfindung ist, die auf besonders erfinderischer Tätigkeit beruht, nach der derzeitigen Laufzeit von 20 Jahren noch verlängert werden. Eine Verlängerung der Laufzeit des Patent108  109 

Vgl. BT-Drcks. 7/3712, S.  377, 381. Kritisch hierzu Ohly, JZ 2003, 545, 553.

II.  Neuheit der Erfindung und „Erfindungsqualität“

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schutzes ist bei den ergänzenden Schutzzertifikaten bekannt, §  16a PatG. Dieser ergänzende Schutz wurde 1993110 in das Patentgesetz aufgenommen.111 Hintergrund dieser Ausweitung des zeitlichen Schutzes durch das Patentrecht ist, dass Erzeugnissen, die einer Zulassung bedürfen (wie Arzneimittel und Pflanzenschutzmittel) in der Regel ein längeres Verwaltungszulassungsverfahren vorausgeht. Während dieser Zeit kann die patentierte Lehre nicht genutzt und entsprechende Medikamente können nicht auf den Markt gebracht werden. Um die effektive Patentlaufzeit für zulassungspflichtige Arzneimittel derjenigen von Erzeugnissen anzugleichen, die ohne ein solches Zulassungsverfahren sofort nach der Entwicklung auf den Markt kommen können, sind die ergänzenden Schutzzertifikate eingeführt worden.112 Diese Regelungen der Ausdehnung der Laufzeit stehen nicht im Zusammenhang mit der erfinderischen Lei­stung, die der patentierten Lehre zugrunde liegt. Eine Flexibilisierung der Rechtsmacht, die aus dem Patent folgt – insbesondere der Laufzeit – ist im Patentgesetz nicht vorgesehen. Daher ist die Rechtsmacht nicht von der erfinderischen Leistung abhängig. Der Grund hierfür liegt in der Bestrebung, die Patenterteilung an objektiven Kriterien auszurichten. Der hierdurch entstehende Verlust an Einzelfallgerechtigkeit wird durch die mit der verlässlichen und festen Laufzeit des Patentschutzes erreichte Rechtssicherheit kompensiert. Denkbar erschiene allerdings auch, die Laufzeit des Patents als Ermessensentscheidung der erteilenden Patentbehörde auszugestalten. Dies würde jedoch die oben genannten Probleme vervielfachen, die bereits bei der Frage auftreten, ob die Erfindung überhaupt auf erfinderischer Tätigkeit beruht. Käme bei der Entscheidung über Erteilung des Patents noch die Frage hinzu, wie groß die erfinderische Leistung ist, würde die Rechtsmacht aus dem Patent von einem ohnehin bereits stark subjektiv geprägten Urteil des einzelnen Patentprüfers abhängen. Die Kriterien, nach denen ein Maß an erfinderischer Tätigkeit bestimmt werden könnte, sind wiederholt in der Rechtslehre untersucht worden.113 Eine zufriedenstellende Lösung, die einigermaßen vorhersehbare (objektivierbare) Ergebnisse liefert, ist ähnlich wie bei der früher vorgenommenen Einschätzung, ob die Erfindung einen Fortschritt bedeutet, nicht gefunden worden.114 110 Art.   1 des Gesetzes zur Änderung des Patentgesetzes und anderer Gesetze vom 23.03.1993, BGBl. 1993 I S. 366. 111  Als Blankettgesetz ordnet §  16a PatG nur an, dass die Europäischen Verordnungen in diesem Kontext gelten sollen (derzeit für Arzneimittel und Pflanzenschutzmittel). 112 Vgl. Mes, PatG, 4.  A ., 2015, §  16a Rn.  4 m. w. N. 113  Dolder/Ann/Buser, Mitt. 2007, 49, 51 ff.; Öhlschlegel, GRUR 1964, 477, 478 ff. m. w. N.; Beyer, GRUR 1986, 345 ff. 114  So eindeutig BGH GRUR 2006, 842, 845 Tz.  19 – Demonstrationsschrank: „Verallgemeinerungsfähige Kriterien [für das Maß der erfinderischen Tätigkeit], sind bislang noch nicht entwickelt worden; für sie sind hinreichend sichere Kriterien auch nicht zu erkennen“. Kritisch bereits Nähring, GRUR 1959, 57, 60.

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§  3  Wissen als Schutzgegenstand und Grundlage

Vielmehr hat sich das System mit einer fest vorgegebenen maximalen Laufzeit von 20 Jahren (§  16 PatG) bewährt.115 Das einzig bestehende Korrektiv, das zu einer Verkürzung dieser Laufzeit führen kann, ist die Entscheidung des Patentinhabers selbst, das Patent nicht weiter aufrechtzuerhalten. Durch die stetig steigenden Jahresgebühren muss sich der Patentinhaber regelmäßig fragen, ob ihm die Aufrechterhaltung des Schutzes und damit verbunden seiner exklusiven Stellung (positives Benutzungsrecht und negatives Verbietungsrecht der Nutzung gegenüber jedermann) tatsächlich noch die jährlich zu zahlende Patentgebühr wert ist. Dieser selbstregulatorische Ansatz spiegelt daher den wirtschaftlichen Erfolg der Verwertung der Erfindung wider: Der Patentinhaber hat es selbst in der Hand, ein etwaiges Bedürfnis nach den Erzeugnissen, auf die sich seine patentierte Erfindung bezieht, zu befriedigen, indem er die Produkte auf den Markt bringt und dabei eine durch das vom Patentrecht verliehene Ausschließlichkeitsrecht ermöglichte Monopolrente realisiert.116 Diese wird regelmäßig höher ausfallen, wenn nach dem Erzeugnis ein besonderes Bedürfnis besteht, etwa weil es verglichen mit dem sonstigen Stand der Technik einen besonderen Fortschritt darstellt und daher auch die Nachfrage nach dem Erzeugnis auf dem Markt entsprechend größer ist. Obwohl es möglicherweise angemessener erschiene, die Rechtsmacht aus dem Patent von der geistigen Leistung, die der Erfindung zugrunde liegt, oder zumindest von der Qualität der Erfindung abhängig zu machen, erfolgt keine solche Verbindung der Voraussetzungen mit den Rechtsfolgen des Patents. Stattdessen wird dieselbe Rechtsfolge jedem Patentinhaber in gleicher Weise eingeräumt, um ein möglichst objektives und vorhersehbares Ergebnis der Entscheidung über den Patentschutz zu erhalten. Die Verobjektivierung der Erteilung führt zu einem „Alles-oder-Nichts-Prinzip“: Die Erteilung des Patents erfolgt, wenn die Erfindung auf erfinderischer Tätigkeit beruht, unabhängig von dem Maß der geistigen Leistung, die der Erfinder zur Auffindung der erfindungsgemäßen Lösung aufbringen musste. b.  Zusammenhang zwischen der „eingeschränkten Rechtsmacht“ des Gebrauchsmusters und der Qualität der Erfindung? (1)  Ursprüngliche Unterschiede zwischen Patent und Gebrauchsmuster Das Gebrauchsmuster wird häufig als „kleines Patent“ bezeichnet.117 Dies hat verschiedene, insbesondere entstehungsgeschichtliche Hintergründe. Das Ge115  Durch Art. IV §  1 Nr.  8 IntPatÜG (Gesetz über internationale Patentübereinkommen vom 21.06.1976), BGBl. 1976 II S.  6 49, 655, wurde die maximale Patentlaufzeit von 18 auf 20 Jahre verlängert. Mit dieser Änderung war eine Angleichung an die Laufzeit des damals neuen europäischen Patents beabsichtigt. Die Ratifizierung des Europäischen Patentübereinkommens erfolgte im gleichen gesetzgeberischen Kontext wie die nationale Patentlaufzeitangleichung; vgl. hierzu BT-Drcks. 7/3712, S.  30. 116 Vgl. Kraßer/Ann, PatR, 7.  A ., 2016, §  3 Rn.  2 f. sowie §  3 Rn.  15–18. 117  So bereits in der Gesetzesbegründung bei der Einführung des Gebrauchsmusters: Ent-

II.  Neuheit der Erfindung und „Erfindungsqualität“

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brauchsmuster wurde Ende des 19. Jahrhunderts geschaffen, um eine Schutz­ lücke zu schließen, die zwischen dem Patentrecht und dem Geschmacksmusterrecht bestand. Das 1876 geschaffene Geschmacksmusterrecht schützte die ­ästhetische Gestaltungsform eines Erzeugnisses.118 Das 1877 geschaffene Patentrecht119 erfasste zwar neue und gewerbliche Erzeugnisse, nicht aber solche, bei denen bloß die äußere Gestaltungsform verbessert wurde. Dann lag keine Erfindung im Sinne des Patentrechts vor.120 Somit waren Formschöpfungen, die nicht einen rein ästhetischen, sondern einen Gebrauchszweck verfolgten, in der Regel nicht schutzfähig. Um den Schutzzweck des neu geschaffenen Gebrauchsmusterrechts zu verdeutlichen, wurde der Schutzgegenstand in §  1 I GebrMG 1891 auf „Modelle von Arbeitsgeräthschaften oder Gebrauchsgegenständen“ beschränkt.121 Diese Beschränkung des gebrauchsmusterrechtlichen Schutzgegenstandes hat die Rechtspraxis verallgemeinernd dahingehend ausgelegt, dass eine sog. „Raumform“ des Erzeugnisses eine zwingende Voraussetzung des Gebrauchsmusterschutzes ist.122 Darin lag ein entscheidender Unterschied zum Patentrecht, bei dem es auf eine räumliche Verkörperung der zu schützenden Lehre nicht ankommt. Das Raumformerfordernis wurde kritisch hinterfragt, als es um den Schutz von elektrischen Schaltkreisen ging.123 Der Gesetzgeber reagierte auf diese Frage zunächst zögerlich und weitete in einem ersten Schritt den Schutzgegenstand des Gebrauchsmusterrechts explizit auf elektrische Schaltungen aus.124 Kurze Zeit später hob er die Beschränkung des gebrauchsmusterrechtlichen Schutzes auf Raumformen vollständig auf und dehnte den möglichen Schutz auf sog. „gestaltlose Stoffe“ aus.125 Zur Begründung führte der Gesetzgeber an, dass sich das Gebrauchsmuster als ein ursprünglich zwischen dem Patent und Geschmackmuster angelegtes Schutzrecht „im Laufe der Zeit zu einem das wurf eines Gesetzes, betreffend den Schutz von Gebrauchsmustern, RT-Drcks. 1890 (Nr.  153) S.  978, 979. 118  Gesetz betreffend das Urheberrecht an Mustern und Modellen vom 11.01.1876, RGBl. 1876 S.  11. 119  PatG vom 25.5.1877, RGBl. 1877 Nr.  23, S.  501. 120  Entwurf eines Gesetzes betreffend den Schutz von Gebrauchsmustern, RT-Drcks. 1890 (Nr.  153) S.  978, 979; Damme, Schutz technischer Erfindungen, 1910, S.  10. 121  §  1 I des Gesetzes betreffend den Schutz von Gebrauchsmustern vom 01.06.1891, RGBl. 1891, S.  290: „Modelle von Arbeitsgeräthschaften oder Gebrauchsgegenständen oder von Theilen derselben werden, insoweit sie dem Arbeits- oder Gebrauchszwecke durch eine neue Gestaltung oder Vorrichtung dienen sollen, als Gebrauchsmuster nach Maßgabe dieses Gesetzes geschützt“. 122  BGH GRUR 1965, 239, 241 – Verstärker m. w. N.; BPatGE 20, 52, 55 f. – Dachrinnenformstück. 123  BGH GRUR 1965, 239, 241 – Verstärker; umfassend dazu Reimer, PatG II, 1950, §  1 GebrMG Rn.  13, S.  1168. 124  Im Rahmen der Neufassung des Gebrauchsmustergesetzes vom 28.08.1986, BGBl. 1986 I S.  1455, 1456. 125  Art.  5 des Gesetzes zur Stärkung des Schutzes des geistigen Eigentums und zur Bekämpfung der Produktpiraterie vom 07.03.1990, BGBl. 1990 I S.  422, 428.

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§  3  Wissen als Schutzgegenstand und Grundlage

Patent ergänzenden Schutzrecht entwickelt“ habe und daher sei „kein rechts­ politischer Grund mehr ersichtlich, dieses das Patent ergänzende Schutzrecht […] auf gegenständlich konkretisierte Erfindungen zu beschränken“.126 Nachdem im Rahmen dieser Gesetzesänderungen das zentrale Unterscheidungskriterium zwischen Patent- und Gebrauchsmusterrecht (das Raumformerfordernis) aufgegeben wurde, stellte sich die Frage nach dem Unterschied zwischen den beiden Schutzinstrumenten. In der Gesetzesbegründung zur Änderung von §  1 GebrMG127 führte der Gesetzgeber aus, dass er den maßgeblichen Unterschied zwischen Patent und Gebrauchsmuster nunmehr weniger in der Beschränkung der Schutzgegenstände sehe,128 sondern vielmehr in den qualitativen Anforderungen, die an die Schutzfähigkeit einer Erfindung zu stellen seien. Es entsprach zur Zeit der beiden beschriebenen Gesetzesänderungen des Gebrauchsmusterrechts (1985/1990) der gefestigten Ansicht in der Rechtslehre129 wie auch in der Rechtsprechung,130 dass für den Schutz nach dem Gebrauchsmusterrecht ein geringeres Maß an erfinderischer Qualität vorliegen müsse als für das Patentrecht. Der Gesetzgeber griff diese Ansicht auf und stellte durch eine unterschiedliche Terminologie im Patentrecht und Gebrauchsmusterrecht diesen qualitativen Unterschied zwischen den beiden Schutzrechten heraus: Im Patentrecht muss die schutzfähige Erfindung auf erfinderischer Tätigkeit beruhen (§§  1 I, 4 PatG), im Gebrauchsmusterrecht reicht dagegen ein erfinderischer Schritt (§  1 I GebrMG).131 Seither war der Wesensunterschied zwischen den beiden Schutzrechten am besten (wie ursprünglich vom Gesetzgeber angedacht) damit umschrieben, dass das Gebrauchsmuster ein „kleines Patent“ im Hinblick auf die erfinderische Qualität, d. h. die geistige Leistung, die der Erfindung zugrunde liegt, sei. Die Instanzrechtsprechung perpetuierte diese Ansicht, indem ein gebrauchsmusterrechtlich relevanter „erfinderischer Schritt“ schon dann angenommen wurde, wenn der Fachmann die Erfindung „nicht bereits auf der Grundlage seines allgemeinen Fachkönnens und bei routinemäßiger Berücksichtigung des Stands der Technik ohne Weiteres finden kann“.132

126 

BT-Drcks. 11/5744, S.  33. Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gebrauchsmustergesetzes vom 26.09.1985, BT-Drcks. 10/3903, S.  17 f. 128  Diese schutzgegenstandsbezogenen Einschränkungen sind immer noch gegeben, denn nach dem Gebrauchsmustergesetz werden keine Verfahren und auch keine biotechnologischen Erzeugnisse geschützt (§  2 Nr.  3 und §  1 II Nr.  5 GebrMG), was nach dem Patentrecht aber möglich ist (§  2 II PatG und arg. e contrario §  9 Nr.  2 PatG). 129  Isay, PatG/GebrMG, 5.  A ., 1931, GMG §  1 Rn.  20 (S.  613 ff.); Reimer, PatG II; 1950, §  1 GebrMG Rn.  21 (S.  1173); abweichend insoweit Breuer, GRUR 1997, 11, 17 f. 130  RG Bl.PMZ 1908, 188, 189 – Schartenblende; RG MuW 1929, 131 – Garndocke. 131  BT-Drcks. 10/3903, S.  17 f. 132  BPatG GRUR 2004, 852 – Materialstreifenpackung; ferner BPatG Mitt 2002, 46. 127 

II.  Neuheit der Erfindung und „Erfindungsqualität“

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(2)  Identische qualitative Voraussetzungen an die patent- und gebrauchsmusterfähige Erfindung nach dem BGH Die Differenzierung der Schutzrechte im Hinblick auf die qualitativen Anforderungen gab (damals etwas überraschend133) der BGH134 in einer wegweisenden Entscheidung im Jahr 2006 auf. Der BGH führt in dem Beschluss aus, dass die gebrauchsmusterrechtliche Voraussetzung des „erfinderischen Schritts“ inhaltlich identische Anforderungen an die schutzfähige Erfindung stelle wie die patentrechtliche Voraussetzung der „erfinderischen Tätigkeit“.135 Die Begründung des BGH für diese Rechtsprechungsänderung ist umfassend: Der BGH verweist auf „die verfassungsrechtlich geschützte Handlungsfreiheit Dritter“, die ungerechtfertigt eingeschränkt werde, wenn ein als Verbietungsrecht wirkendes Gebrauchsmuster auch für Erfindungen erlangt werden könnte, welche der Fachmann „auf der Grundlage seines allgemeinen Fachwissens und bei routinemäßiger Berücksichtigung des Standes der Technik ohne weiteres finden kann“.136 Außerdem führt der BGH aus, dass sich die Wertungskriterien zwischen Patent und Gebrauchsmuster im Hinblick auf die Schutzvoraussetzungen nur marginal unterscheiden können, weil die Rechtsfolgen, die aus den Schutzrechten folgen (abgesehen von einer längeren maximalen Laufzeit im Patentrecht), nahezu identisch sind.137 Dieses Argument ist nachvollziehbar und darüber hinaus sprechen sogar noch weitere Erwägungen für die vom BGH vorgenommene Wertung: Der Unterschied der maximalen Laufzeit der Schutzrechte wirkt sich nämlich kaum aus. Das Patent läuft maximal 20 Jahre ab Anmeldung, §  16 I 1 PatG. Der effektive Schutz beginnt gemäß §  58 I 3 PatG aber erst mit der Veröffentlichung der Patenterteilung im Patentblatt. Dieser Zeitpunkt kann wegen der grundsätzlich bestehenden Möglichkeit der aufgeschobenen Prüfung des Patents sehr spät eintreten: Es ist gemäß §  44 II 3 PatG möglich, den (notwendigerweise vor der Erteilung zu stellenden) Antrag auf Prüfung des Patentes erst nach sieben Jahren nach der Anmeldung zu stellen. Erst danach wird im regelmäßigen Turnus die Prüfung der Erfindung auf ihre Patentfähigkeit durchgeführt. Daher verkürzt sich die effektive Patentlaufzeit ohnehin um einige Jahre. Der Unterschied zur kürzeren Laufzeit des Gebrauchsmusterrechts relativiert sich dadurch, dass das Gebrauchsmuster ohne eine inhaltliche Prüfung auf 133  Zur Kritik an der Entscheidung vgl. v. a. Goebel, GRUR 2008, 301, 302 ff., der befürchtete, dass die Angleichung des Maßstabes der erfinderischen Leistung, die für den Schutz erforderlich ist, nicht bloß in erhöhten Anforderungen an den gebrauchsmusterrechtlichen erfinderischen Schritt, sondern vor allem in abgesenkten Anforderungen an die patentrechtliche erfinderische Tätigkeit (bis hin zu Trivialpatenten) liegen könnte. Weniger folgenschwer schätzen Hüttermann/Storz, NJW 2006, 3178, 3180, diese Rechtsprechungsänderung ein. Ferner hierzu König, Mitt. 2009, 159; Eisenführ, Mitt. 2009, 165. 134  BGH GRUR 2006, 842, 845 Tz.  20 – Demonstrationsschrank. 135  BGH GRUR 2006, 842, 843 ff. Tz.  11 ff. – Demonstrationsschrank. 136  BGH GRUR 2006, 842, 845 Tz.  20 – Demonstrationsschrank. 137  BGH GRUR 2006, 842, 845 Tz.  18 – Demonstrationsschrank.

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§  3  Wissen als Schutzgegenstand und Grundlage

die Schutzfähigkeit der angemeldeten Erfindung eingetragen wird und der Schutz des Gebrauchsmusters mit der Eintragung beginnt, §  11 GebrMG. Zwischen der Anmeldung und der Eintragung des Gebrauchsmusters liegen in der Regel nur wenige Wochen. Somit ist der Unterschied der effektiven Schutzdauer beider Schutzrechte nicht besonders groß. Aus diesen Ähnlichkeiten der Rechtsmacht, die beide Schutzrechte dem Inhaber vermitteln, folgerte der BGH, dass keine unterschiedlichen Anforderungen an die Qualität der Erfindung als Schutzgegenstand beider Schutzrechte gestellt werden könnten.138 Zusätzlich stützte der BGH seine Argumentation auf einen rechtspraktischen Ansatz: 139 Der BGH ging davon aus, dass Erfindungen nur dann schutzfähig sind, wenn sie für den Fachmann nicht naheliegend sind. Dabei handele es sich um „ein qualitatives Kriterium, nicht etwa ein quantitatives“140 , d. h. maßgeblich ist, wie weit sich die der Erfindung zugrunde liegende erfinderische Tätigkeit vom Stand der Technik und dem Durchschnittskönnen des Fachmanns abhebt. Der BGH verweist darauf, dass ein „solches ‚Maß‘ für die erfinderische Leistung“ weder im Patentrecht noch im Gebrauchsmusterrecht existiert: 141 „Verallgemeinerungsfähige Kriterien“ für die Bestimmung einer etwaigen Quantität einer erfinderischen Leistung, die der Erfindung als Voraussetzung für den Schutz gegeben sein müsste, „sind bislang noch nicht entwickelt worden; für sie sind hinreichend sichere Kriterien auch nicht zu erkennen“.142 Damit stützt der BGH die Identität der Voraussetzungen der für den Schutz notwendigen erfinderischen Tätigkeit im Patent- und Gebrauchsmusterrecht maßgeblich auf die tatsächlichen Hindernisse bei der Bestimmung des Maßes an erfinderischer Tätigkeit. Der BGH macht daher den Schutz durch das Patent- und Gebrauchsmusterrecht einheitlich davon abhängig, ob die Erfindung auf erfinderischer Tätigkeit beruht, d. h. für den Fachmann nicht naheliegend ist. Dies vermeidet die Frage danach, „wie viel“ an erfinderischer Leistung für den jeweiligen Schutz erforderlich ist. So begrüßenswert das Urteil im Hinblick auf die Rechtsklarheit durch Vermeidung von Unsicherheiten bei der Bestimmung des Maßes an erfinderischer Tätigkeit auch ist, ist das Urteil auch der Kritik ausgesetzt: Es bleibt bei dieser Gleichsetzung der zentralen wesensunterscheidenden Voraussetzung beider Schutzrechte unklar, worin der entscheidende Unterschied zwischen Patentund Gebrauchsmusterrecht nunmehr liegen soll.143 Ein wesentlicher Unter138 

BGH GRUR 2006, 842, 845 Tz.  18 ff. – Demonstrationsschrank. BGH GRUR 2006, 842, 845 Tz.  18 f. – Demonstrationsschrank. 140  BGH GRUR 2006, 842, 845 Tz.  19 – Demonstrationsschrank. 141  BGH GRUR 2006, 842, 845 Tz.  19 – Demonstrationsschrank. 142  BGH GRUR 2006, 842, 845 Tz.  18 – Demonstrationsschrank. 143  Kraßer/Ann, PatR, 7.  A ., 2016, §  1 Rn.  62–67 sowie §  18 Rn.  25 ff., die insbes. auf die praktische Notwendigkeit eines Schutzinstruments unterhalb der Anforderungen des Patentrechts verweisen. Ausführlich dazu Kraßer, FS Loewenheim, 2009, S.  157 ff. 139 

II.  Neuheit der Erfindung und „Erfindungsqualität“

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schied (d. h. der entscheidende) 144 liegt in der im Patentrecht erfolgenden Vorprüfung der sachlichen Schutzvoraussetzungen im Gegensatz zu der ungeprüften Eintragung des Gebrauchsmusters. Vollkommen offen ist die Frage, welchen rechtsmethodischen Ansatz der BGH in der genannten Entscheidung anwandte. Da der Wortlaut von §  1 I PatG und §  1 I GebrMG zwei unterschiedliche Begriffe (erfinderische Tätigkeit und erfinderischer Schritt) aufweist, die der Gesetzgeber bewusst und ausdrücklich begründet verwendete,145 verlässt die Rechtsprechung des BGH die Grundsätze der Auslegung einer Rechtsnorm. Die Erwägungen über die Identität der Rechtsfolgen und die Schwierigkeiten des Nachweises, die die tragenden Argumente für ein identisches Verständnis der beiden Begriffe – entgegen dem geäußerten Willen des Gesetzgebers – waren, sind offensichtlich Gegenstand einer Rechtsfortbildung contra legem. Bei dieser Abweichung des Rechtsanwenders von dem historischen Gesetzeszweck handelt es sich um Rechtsfortbildung praeter legem.146 Diese wäre durchaus zulässig, wenn der Rechtsanwender (BGH) mit dem heute anzuwendenden Gesetz147 durch das zugrunde gelegte Verständnis den Willen des Gesetzgebers „unter den gewandelten Bedingungen möglichst zuverlässig zur Geltung“ bringt.148 Dabei wäre es wünschenswert gewesen, dass der BGH auf das Vorliegen der Voraussetzungen einer solchen Rechtsfortbildung eingegangen wäre.

8. Zwischenergebnis Eine Erfindung ist „prozedurales Wissen“, denn der Erfinder findet eine Möglichkeit, „wie etwas gemacht“ wird.149 Erfindungen werden vom Patentrecht geschützt, indem die Benutzungsmöglichkeit der Erfindung dem Erfinder exklusiv zugeordnet wird und andere von der Nutzung ausgeschlossen sind. Die ausschließliche Zuordnung der Nutzung der Erfindung ist an eine Reihe von Voraussetzungen gebunden. Der Anmeldungsgrundsatz ist eine der formalen Voraussetzungen, d. h. der Patentschutz setzt eine Anmeldung des Erfindungsgegenstandes und eine genaue Beschreibung dessen voraus, was die „Lösung der Aufgabe“ (d. h. die Erfindung) ist und wofür der Erfinder Schutz beansprucht. In materiell-rechtlicher Hinsicht setzt der Patentschutz voraus, dass die Erfindung neu ist und auf erfinderischer Tätigkeit beruht. Die inhaltlichen („qualitativen“) Voraussetzungen des Patentschutzes sind notwendig, damit das Ziel des Patentschutzes (Fortschrittsförderung) nicht in das Gegenteil verkehrt wird. 144 

So zumindest Schrader, Mitt. 2013, 1, 6. BT-Drcks. 10/3903, S.  17 f. 146  Neuner, Rechtsfindung contra legem, 2.   A., 2005, S.   132  f.; Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, 8.  A., 2015, Rn.  730d. 147  Larenz/Canaris, Methodenlehre, 3.  A ., 1995, S.  139 f. 148  BVerfG NJW 2011, 836, 838 Tz.  53. 149  Vgl. zu prozeduralem Wissen allgemein Gruber, Kompetentes Handeln, 1999, S.  57 f.; Machlup, Knowledge, Vol. 1, 1981, S.  31. 145 

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§  3  Wissen als Schutzgegenstand und Grundlage

Diese Anforderungen wurden erst in der Patentgesetzgebung des 19. Jahrhunderts etabliert. Der damalige Versuch, die Patenterteilung von festen Kriterien abhängig zu machen, führte – historisch bedingt – zunächst dazu, dass die patentfähige Erfindung zumindest „neu“ sein muss. Unklar blieb, „wie neu“ die Erfindung sein muss, um patentschutzfähig zu sein. Die vorgeschlagenen und in der Rechtspraxis entwickelten graduellen Abstufungen der Neuheit führten schließlich zu erheblichen Unsicherheiten bei der Bestimmung der Neuheit. Dies wurde nachfolgend vor allem damit begründet, dass ein (zu) hoher subjektiver Anteil in der Bestimmung der Neuheit der Erfindung läge. Um die Einschätzung der Patentierungsvoraussetzungen von möglichst nachvollziehbaren und objektiven Kriterien abhängig zu machen, orientierte man sich bei der Beantwortung der Frage nach der Patentierbarkeit der Erfindung einerseits an deren Neuheit im engeren Sinn, d. h. an beweisbaren Vorveröffentlichungen desselben Erfindungsgegenstandes (ohne subjektive Wertung) und andererseits an einem mit der Erfindung verbundenen Fortschritt bzw. der Nützlichkeit und der Brauchbarkeit der Erfindung. Die Trennung der Frage nach der Patentfähigkeit von der Frage nach der geistigen Leistung, die der Erfindung zugrunde liegt, führte zwar zu objektiv nachvollziehbaren Ergebnissen, entfernte sich aber von dem Zweck des Patentrechts, auch die geistige Leistung des Erfinders zu belohnen.150 Durch die im Zuge internationaler Angleichung erfolgte Patentrechtsreform im Jahre 1978 wurden die Patentierungsvoraussetzungen gesetzlich neu geregelt. Seither sind die inhaltlichen Anforderungen an eine Erfindung auch nach den gesetzlichen Voraus­ setzungen aufgeteilt: Im Rahmen der Neuheitsprüfung wird untersucht, ob der identische Erfindungsgedanke im Stand der Technik bereits nachgewiesen ist. Im Rahmen der Prüfung, ob die Erfindung auf erfinderischer Tätigkeit beruht, wird danach gefragt, ob der Durchschnittsfachmann, der sich die Aufgabe stellt, unter Zuhilfenahme seines Fachkönnens aus den Mitteln, die aus dem Stand der Technik bekannt sind, auf die erfindungsgemäße Lösung kommen würde.151 Würde er nicht auf die vorliegende Erfindung kommen, liegt die Erfindung nicht nahe, d. h. sie beruht auf erfinderischer Tätigkeit und ist somit patentfähig. Wegen der tatsächlichen Schwierigkeiten der Quantifizierung einer geistigen Leistung wird bei der Frage der Schutzfähigkeit einer Erfindung nur nach deren Naheliegen gefragt. Eine weitere Abschichtung des Naheliegens (d. h. danach, „wie nahe liegend“ die Erfindung ist) erfolgt nicht.152 Daher gibt 150 

Vgl. insbes. Kohler, Hdb. PatR, 1900, Nachdr. 1980, §  32 (S.  84 ff.). Belohnung erhält der Erfinder daher für den mit der Erfindungsveröffentlichung verbundenen volkswirtschaftlichen Nutzen, der zunächst für die Patentlaufzeit dem Patent­ inhaber zugeordnet, danach aber frei verfügbar ist, vgl. hierzu Machlup, Wirtschaftliche Grundlagen, 1961, S.  20 f.; Schwander, Theorien über das Patentrecht, 1937, S.  13 ff. 152  Damit verbunden ist auch eine fehlende Abschichtung der Rechtsmacht, die aus einem Patentrechtsschutz folgt: Unabhängig von „dem Maß“ der erfinderischen Tätigkeit erhält der Patentinhaber immer dieselben Rechte aus dem Schutzrecht, wenn die Erfindung nur über151  Die

III.  Prüfungsmethode bei den Patentierungsvoraussetzungen

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es auch nur eine einheitliche qualitative Voraussetzung für die Schutzfähigkeit einer Erfindung, unabhängig davon, ob für die zu schützende Erfindung Patent­ schutz oder Gebrauchsmusterschutz beansprucht wird. Diese neuere Rechtsprechung des BGH153 erfolgte wegen der tatsächlichen Schwierigkeiten des Nachweises eines Maßes an erfinderischer Tätigkeit und gegen den ausdrücklich erklärten Willen des Gesetzgebers bei der Schaffung der Regelungen über die erfinderische Tätigkeit im Hinblick auf die Schutzfähigkeit durch das Patentrecht und das Gebrauchsmusterrecht. Diese Entwicklung in der Rechtspraxis zeigt deutlich die Schwierigkeiten, die mit der allgemeinen Definition und der Bestimmung (im Konkreten) der erfinderischen Tätigkeit verbunden sind; außerdem offenbart sie das regelmäßige Bestreben, möglichst objektive Methoden der Bewertung des Maßes geistiger Leistungen zu finden und anzuwenden.

III.  Prüfungsmethode bei den Patentierungsvoraussetzungen „Neuheit“ und „erfinderische Tätigkeit“ nach derzeitiger Rechtslage 1.  Bestimmung der Vergleichsobjekte Die Patentierungsvoraussetzungen „Neuheit“ und „erfinderische Tätigkeit“ haben die Funktion, zu verhindern, dass an bereits Bekanntem oder Naheliegendem ein Ausschließlichkeitsrecht begründet werden kann.154 Bei der Prüfung beider Voraussetzungen erfolgt ein objektiver Vergleich der Erfindung mit dem bereits Vorbekannten. Dieser Vergleich ist unabhängig davon, ob der Erfinder von dem (allgemein) vorbekannten Material wusste oder es hätte kennen müssen.155 Für den Vergleich ist die Erfindung in einem ersten Schritt anhand ihrer Merkmale zu zergliedern, damit sie in kleineren Einheiten vergleichbar wird. In einem zweiten (ebenfalls der eigentlichen Gegenüberstellung vorgelagerten) Schritt ist das Vergleichsobjekt zusammenzustellen, mit dem die zergliederte Erfindung zu vergleichen ist. Diese Zusammenstellung umfasst das bisher Vorbekannte. Da das Vorbekannte die Grundlage der Prüfung der Erfindung auf ihre Schutzfähigkeit ist, nennt man das für diese Prüfung herangezogene Vorbekannte den „Prüfstoff“.156

haupt auf erfinderischer Tätigkeit beruht. Kritisch zu diesem „Alles-oder-Nichts“-Prinzip Ohly, JZ 2003, 545, 553. 153  BGH GRUR 2006, 842 – Demonstrationsschrank. 154  Zum Gebrauchsmusterrecht eindeutig und umfassend BGH GRUR 1997, 360, 362 – Profilkrümmer. 155  Held/Loth, GRUR Int. 1995, 220, 222. 156  Kraßer/Ann, PatR, 7.  A ., 2016, §  16 Rn.  5 4.

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§  3  Wissen als Schutzgegenstand und Grundlage

a.  Gliederung der Merkmale Für die Anmeldung ist es nicht notwendig, den Patentanspruch nach Merk­ malen zu untergliedern. Es ist jedoch in Patentstreitverfahren üblich, dass der Patentanspruch, der für den Schutzumfang maßgeblich ist (§  14 PatG), in eine nach Merkmalen gegliederte Fassung „übersetzt“ wird.157 Die Merkmalsgliederungen werden sehr häufig in Verletzungsverfahren gebraucht, wenn es um den Vergleich der patentierten Erfindung mit der angegriffenen Ausführungsform geht.158 Das gleiche Vorgehen ist jedoch auch im Rahmen des Erteilungs- bzw. Bestandsverfahrens des Patents möglich und hilfreich. Bei der Merkmalsgliederung geht es nicht bloß darum, eine Liste der Merkmale der Erfindung zu erstellen. Mit der Merkmalsgliederung wird vielmehr beabsichtigt, den Gedankengang der Erfindung in gedankliche Schritte oder Stufen einzuteilen, so dass die „Merkmale in ihrer Funktion als Bausteine der Lehre voneinander“ abgegrenzt werden können.159 Allerdings darf bei der Erstellung der Merkmalsgliederung keine analytische Zusammenfassung des Patentanspruchs erfolgen, denn die Gliederung darf keine eigenständige Wertung der Merkmale enthalten.160 Einzig die Wortfolge darf geändert werden, damit die Merkmale und ihre Bezüge untereinander deutlich werden.161 Die in der Merkmalsgliederung enthaltene feine Abschichtung der (einzeln bezeichneten) Merkmale der Erfindung dient einem Punkt-für-Punkt-Vergleich der Erfindung mit dem Vergleichsobjekt: Bei der Anmeldung und im Bestandsverfahren erfolgt der Vergleich der patentierten Erfindung mit dem Stand der Technik und im Verletzungsverfahren mit der angegriffenen Ausführungsform. b.  Definition und Recherche des Prüfstoffs (1)  Obligatorische Recherche des Prüfstoffs im Patentrecht Das Patent ist ein geprüftes Schutzrecht, d. h. vor seiner Erteilung werden die sachlichen Schutzvoraussetzungen vom Patentamt geprüft, §§  44 I, 49 I PatG. Zwar verpflichtet §  34 VII PatG den Patentanmelder, „den Stand der Technik nach seinem besten Wissen vollständig und wahrheitsgemäß anzugeben“ und in die Beschreibung der Patentanmeldung aufzunehmen. Die Prüfung der Schutzfähigkeitsvoraussetzungen ist jedoch nicht auf den vom Anmelder mitgeteilten Stand der Technik beschränkt. Vielmehr recherchiert das Patentamt vor der Prüfung in einem gesonderten Rechercheverfahren den Stand der Technik und 157 

Kraßer/Ann, PatR, 7.  A., 2016, §  24 Rn.  38. Osterrieth, Patentrecht, 5.  A., 2015, Rn.  921. 159  Windisch, GRUR 1978, 385, 392. 160  Osterrieth, Patentrecht, 5.  A ., 2015, Rn.  921. 161  Ein Beispiel einer Merkmalsgliederung ist in Osterrieth, Patentrecht, 5.  A ., 2015, im Anhang 3 abgedruckt sowie (etwas tiefer untergliedert) in Kraßer/Ann, PatR, 7.  A., 2016, §  24 Rn.  39 zu finden. 158 

III.  Prüfungsmethode bei den Patentierungsvoraussetzungen

53

stellt den der späteren Prüfung zugrunde zu legenden Prüfstoff zusammen, §  43 I PatG. Ergibt diese Recherche weitere Nachweise im Stand der Technik, so verpflichtet §  34 VII PatG den Anmelder, diesen recherchierten Stand der Technik in die Beschreibung seiner angemeldeten Erfindung auch mit aufzunehmen.162 Nachdem ein Rechercheantrag gestellt wurde, ermittelt das Patentamt denjenigen Stand der Technik, der „für die Beurteilung der Patentfähigkeit der angemeldeten Erfindung in Betracht zu ziehen“ ist. Zwar enthielt §  43 I 1 PatG a. F. (bis April 2014) die Formulierung, dass das Patentamt auf Antrag „die öffent­ lichen Druckschriften“ zusammenstellt, „die für die Beurteilung der Patentfähigkeit in Betracht zu ziehen sind“, jedoch war bereits vor der Gesetzesänderung bei dieser Recherche sämtlicher Stand der Technik, der für die Beurteilung der materiellen Schutzvoraussetzungen relevant wird, zu ermitteln. Die eingeschränkte Fassung des Rechercheumfangs ist auf einen früher bis zur Patentrechtsreform 1981163 geltenden eingeschränkten Prüfungsumfang zurückzuführen.164 Bis dahin war der für die Beurteilung der Schutzfähigkeitsvoraussetzungen der Erfindung relevante Stand der Technik beschränkt auf Erfindungen, die „bereits in öffentlichen Druckschriften165 beschrieben oder im Inlande offenkundig benutzt“166 wurden. Erst durch die Internationalisierung des Patentrechts, die durch die Umsetzung von staatsvertraglichen Verpflichtungen167 erforderlich wurde, ist eine umfassende Definition des Prüfstoffs in das Patentrecht aufgenommen worden. Seither besteht der Prüfstoff für die Frage nach der 162 

Mes, PatG, 4.  A., 2015, §  34 Rn.  78. Der Kreis der neuheitsschädlichen Tatsachen wurde in §  3 PatG erheblich erweitert und erstmals gesetzlich unter dem Begriff des „Standes der Technik“ zusammengefasst, vgl. PatG vom 16.12.1980, BGBl. 1981 I S.  1. Diese Regelung erfolgte aufgrund von Art. IV Nr.  3 des Gesetzes über internationale Patentübereinkommen vom 21.06.1976, BGBl. 1976 II S.  649, 654. 164  Gesetzesbegründung zur Änderung des §  43 PatG, BT-Drcks. 17/10308, S.  17, in dem „Entwurf eines Gesetzes zur Novellierung patentrechtlicher Vorschriften und anderer Gesetze des gewerblichen Rechtsschutzes“ in der Fassung vom 12.7.2012. 165 Eine Einschränkung des Erscheinungsortes der neuheitsschädlichen Druckschrift enthielt das Patentgesetz von 1877 im Gegensatz zu der offenkundigen Vorbenutzung, die im Inland erfolgt sein musste, nicht, vgl. hierzu Dambach, Das Patentgesetz für das Deutsche Reich, 1877, S.  9 ff.; Grothe, Patentgesetz, 1877, S.   66; Klostermann, Patentgesetz, 1877, S.  123 ff.; ferner Damme/Lutter, Patentrecht, 3.  A., 1925, S.  175 f. 166 Dies entspricht der Definition der Neuheit in §   2 PatG 1877 (PatG vom 25.5.1877, RGBl. 1877 Nr.  23, S.  501) als damals einziger Schutzvoraussetzung. Im Jahr 1891 (PatG vom 7.4.1891, RGBl. 1891 Nr.  12, S.  79 f.) wurde §  2 I PatG 1891 insoweit eingeschränkt, als Erfindungen sogar dann als neu galten, wenn sie „in öffentlichen Druckschriften aus den letzten hundert Jahren bereits derart beschrieben“ waren, dass sie ausführbar sind oder im Inland vorbenutzt wurden. 167  Umgesetzt werden musste das „Übereinkommen zur Vereinheitlichung gewisser Begriffe des materiellen Rechts der Erfindungspatente“ in Straßburg vom 27.11.1963. Die Umsetzung erfolgte durch das Gesetz über internationale Patentübereinkommen vom 02.06.1975. Die dazu notwendigen Änderungen sind ausführlich begründet in BT-Drcks. 7/3712, S. 1. ff. 163 

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§  3  Wissen als Schutzgegenstand und Grundlage

Patentfähigkeit einer Erfindung aus einer einschränkungslosen und vom Informationsmedium unabhängigen Momentaufnahme des Wissens, das zu dem jeweiligen Prioritätstag (in der Regel dem Anmeldetag) der Öffentlichkeit verfügbar war. Dies hat in der Definition des Standes der Technik in §  3 I 2 PatG seinen Niederschlag gefunden: „Der Stand der Technik umfaßt alle Kenntnisse, die vor dem für den Zeitrang der Anmeldung maßgeblichen Tag durch schriftliche oder mündliche Beschreibung, durch Benutzung oder in sonstiger Weise der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden sind.“. Durch die generalklauselartige Formulierung „oder in sonstiger Weise“ und der fehlenden territorialen Einschränkung wird deutlich, dass der Umfang des Standes der Technik umfassend zu verstehen ist. Rein tatsächlich erstreckt sich die Recherche des Patent­ amtes jedoch primär auf den schriftlich nachgewiesenen Stand der Technik, weil die Recherche von offenkundigen Vorbenutzungen oder mündlichen Beschreibungen, die auch Teil des Standes der Technik sind, das Patentamt überfordern würde.168 Dennoch wird der Stand der Technik als Vergleichsgröße im Rahmen der Prüfung der materiellen Schutzvoraussetzungen nicht wegen der bestehenden Nachweisschwierigkeiten eingeschränkt. Die dahinterstehende Erwägung ist, dass in schriftlichen Nachweisen bereits sehr viel an menschlichem Wissen perpetuiert ist. Die Entscheidung des Patentamtes, das Patent zu erteilen, ist daher auf eine belastbare Grundlage gestellt. Sollte dennoch eine mündliche Beschreibung, die bei der Prüfung nicht vorlag oder eine offenkundige Vorbenutzung stattgefunden haben, die das Patentamt nicht ermittelte, so kann genauso wie in dem Fall, dass bei der Recherche eine Druckschrift übersehen wurde, im Rahmen des Rechtsbestandsverfahrens (Einspruchsverfahren, §§  21 I, 61 I 1 PatG oder Nichtigkeitsklage, §§  22 I, 81 I PatG) ein Dritter gegen das Patent vorgehen und den Widerruf bzw. die Löschung (ex tunc) des Patents verlangen. Gemäß §  3 I 2 PatG zählen nur diejenigen Kenntnisse zum Stand der Technik, die zum maßgeblichen Zeitrang der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden sind. Das sind insbesondere die vorherigen Patentanmeldungen.169 Diese werden spätestens 18 Monate nach dem Anmeldetag bzw. dem Prioritätstag als Offenlegungsschrift veröffentlicht, §§  31 II Nr.  2, 32 II PatG. In der Zeit zwischen Anmeldung und Offenlegung sind diese Erfindungen meist noch nicht öffentlich verfügbar. Die noch nicht veröffentlichten, aber angemeldeten Erfindungen werden jedoch gemäß §  3 II PatG als sog. „fiktiver Stand der Technik“170 mit in die Prüfung der Neuheit einbezogen. Die Berücksichtigung des 168 

Kraßer/Ann, PatR, 7.  A., 2016, §  16 Rn.  54: „aus praktischen Gründen“. offengelegten Patentanmeldungen werden als sog. „Patentliteratur“ vom Patentamt primär zur Zusammenstellung des Standes der Technik herangezogen. Daher sind über 85 % der Entgegenhaltungen, die im Rahmen der Recherche zusammengestellt wurden, aus der Patentliteratur, vgl. Greif, Angebot an und Nachfrage nach Patentinformationen, 1982, S.  49 ff., 55. 170  Bzw. „fiktive Neuheit“: Mes, PatG, 4.  A ., 2015, §  3 Rn.  6 4. 169  Die

III.  Prüfungsmethode bei den Patentierungsvoraussetzungen

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fiktiven Standes der Technik bezweckt die Vermeidung von Doppelerfindungen.171 Wäre es möglich, ein Patent auf eine Erfindung zu erhalten, deren Gegenstand nur in (noch unveröffentlichten) Anmeldeunterlagen verfügbar ist und somit nicht zum allgemeinen Stand der Technik zählt, so bestünde die Möglichkeit, dass auf ein und dieselbe Erfindung zwei unterschiedliche Patente (auch von unterschiedlichen Inhabern und Erfindern) erteilt werden.172 Um dieses Ergebnis zu vermeiden, wird der fiktive Stand der Technik bei der Neuheitsprüfung gebildet.173 Bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit bleibt dieser fiktive Stand der Technik jedoch außer Betracht (§  4 S.  2 PatG), da bei der qualitativen Beurteilung der Erfindung keine Gefahr einer Erteilung von mehreren Patenten besteht, wenn sich der Anmeldungsgegenstand im Ganzen vom Stand der Technik unterscheidet.174 (2)  Besonderheiten im Gebrauchsmusterrecht Das Gebrauchsmusterrecht ist im Gegensatz zum Patent ein ungeprüftes Schutzrecht, d. h. obwohl dessen materiell-rechtliche Voraussetzungen denen des Patentrechts sehr ähnlich sind, wird das Vorliegen dieser Schutzvoraus­ setzungen vor der Eintragung des Gebrauchsmusters nicht geprüft, §  8 I 2 ­GebrMG. Die Frage, ob die Schutzvoraussetzungen tatsächlich vorliegen, wird erst dann relevant, wenn der Gebrauchsmusterrechtsinhaber aus seinem Recht vorgehen will und einen vermeintlichen Verletzer in Anspruch nimmt175. Dieser wird regelmäßig den fehlenden Rechtsbestand des Gebrauchsmusters einwenden. Damit der Schutzrechtsinhaber eine gewisse Sicherheit hat, kann er beim Patentamt einen Rechercheantrag gemäß §  7 GebrMG stellen. Dann erhält der Antragsteller einen Bericht, in dem der Stand der Technik angegeben wird, der für die Frage der Schutzfähigkeit des Gebrauchsmusters relevant sein würde. Eine Prüfung der Voraussetzungen erfolgt jedoch durch das Patentamt nicht. Die Recherche des Standes der Technik erfolgt im Patentamt von den gleichen Prüfern, die auch für eine Patentprüfung den Stand der Technik recherchieren. Der für den Gebrauchsmusterschutz relevante Stand der Technik unterscheidet sich von dem im Patentrecht relevanten Stand der Technik. Gemäß §  3 I 2 GebrMG umfasst der Stand der Technik „alle Kenntnisse, die vor dem für den Zeitrang der Anmeldung maßgeblichen Tag durch schriftliche Beschreibung“ 171  Die Vermeidung von Doppelpatentierungen ist gemäß Art.  4 III und Art.  6 Straßburger Übereinkommen von 1963 vorgeschrieben. Umfassend hierzu Benkard/Melullis, PatG, 11.  A., 2015, §  3 Rn.  288 ff. Außerdem im Hinblick auf den Umfang des Offenbarungsgehalts einer Vorveröffentlichung BGH GRUR 1995, 330, 332 – Elektrische Steckverbindung. 172  Die damit verbundene unübersichtliche und unerwünschte Rechtslage soll vermieden werden, vgl. statt vieler Rogge, GRUR 1996, 931, 933. 173  Instruktiv BGH GRUR 1995, 330, 332 – Elektrische Steckverbindung. 174  Teschemacher, GRUR 1975, 641, 649; ferner BGH GRUR 1991, 376, 377 – Beschusshemmende Metalltür. 175  Oder wenn ein Dritter einen Löschungsantrag stellt, §  15 Nr.  1 GebrMG.

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§  3  Wissen als Schutzgegenstand und Grundlage

oder durch eine im Inland erfolgte Benutzung der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden sind. Die Beschränkung des gebrauchsmusterrechtlichen Prüfstoffs ist im Hinblick auf den unbeschränkten Prüfstoff des Patentrechts kaum sachlich zu rechtfertigen176 und nur historisch zu erklären. Die Umsetzungsverpflichtung hinsichtlich einer Ausdehnung des Prüfstoffs auf einen weltweiten Stand der Technik im Straßburger Übereinkommen177 betraf ausschließlich Patente und nicht Gebrauchsmuster. Daher sah der Gesetzgeber im Rahmen von zwischenzeitlich erfolgten Gebrauchsmusterreformen ausdrücklich178 davon ab, den umfassenden (patentrechtlich relevanten) Begriff des Standes der Technik auch als Voraussetzung für den Schutz nach dem (sonst dem Patentrecht so ähnlichen) 179 Gebrauchsmusterrecht zu normieren und die beiden Bereiche, aus denen der Prüfstoff zusammengestellt wird, aneinander anzugleichen. c. Zwischenergebnis Bei der Prüfung der qualitativen Voraussetzungen der technischen Schutzrechte (Patent und Gebrauchsmuster) ist die angemeldete Erfindung mit dem Stand der Technik zu vergleichen. Der Stand der Technik ist der Prüfstoff. Dieser wird vor der Prüfung vom Patentamt zusammengestellt (recherchiert). Die Prüfung der Schutzfähigkeitsvoraussetzungen erfolgt beim Patent durch das Patentamt vor der Erteilung des Patents. Beim Gebrauchsmuster erfolgt jedoch vor der Registrierung des Gebrauchsmusters keine Prüfung der materiell-rechtlichen Schutzvoraussetzungen. Der Umfang des Prüfstoffs beeinflusst die Möglichkeit der Erlangung bzw. die Beständigkeit des Schutzrechts. Je umfassender der Prüfstoff ist, desto schwieriger ist die Erlangung des Schutzrechts bzw. dessen Verteidigung gegen Angriffe auf den Rechtsbestand. Der Umfang des Prüfstoffs ist im Patent- und Gebrauchsmusterrecht unterschiedlich. Während beim Patentrecht sämtliche Nachweise zum Stand der Technik unabhängig von dem Medium, in dem sie vorliegen und ohne jegliche territoriale Beschränkung gehören, setzt sich im Gebrauchsmusterrecht der relevante Prüfstoff nur aus schriftlichen Beschreibungen und offenkundigen Benutzungen im Inland zusammen. 176  Krieger, GRUR Int. 1996, 354, 356 f.; Breuer, GRUR 1997, 11, 14; Loth, GebrMG, 2. A., 2017, §  3 Rn.  30. 177  Übereinkommen zur Vereinheitlichung gewisser Begriffe des materiellen Rechts der Erfindungspatente in Straßburg vom 27.11.1963. 178  Es erschien dem Gesetzgeber „nicht angemessen, den ‚absoluten Neuheitsbegriff‘, wie er […] für Patente vorgezeichnet ist, auch den Schutzvoraussetzungen des weiterhin sehr viel kurzlebigeren Schutzrechts ‚Gebrauchsmuster‘ zugrunde zu legen“, Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gebrauchsmustergesetzes vom 26.09.1985, BT-Drcks. 10/3930, S.  20. 179  So ausdrücklich BT-Drcks. 11/5744, S.  33 im Rahmen der Begründung zu Art.  5 des Gesetzes zur Stärkung des Schutzes des geistigen Eigentums und zur Bekämpfung der Produktpiraterie vom 07.03.1990, BGBl. 1990 I S.  422, 428.

III.  Prüfungsmethode bei den Patentierungsvoraussetzungen

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Somit ist es beispielsweise jedem Dritten möglich, eine auf einer Messe im Ausland vorgestellte Technologie, die bisher weder schriftlich beschrieben noch in Deutschland offenkundig vorbenutzt wurde, in Deutschland zu einem bestandskräftigen Gebrauchsmuster anzumelden.180 Als maßgebliche Begründung für die fragwürdige Beschränkung des gebrauchsmusterrechtlich relevanten Standes der Technik werden Nachweisprobleme und Rechercheprobleme angeführt.181 Dies zeigt, dass schon die Zusammenstellung der Vergleichsgrößen bei dem Vergleich der Erfindung mit dem bereits Vorbekannten maßgeblichen Einfluss auf das Ergebnis des Vergleichs hat. Schwierigkeiten, die bei der Zusammenstellung der Vergleichsgrößen auftreten, begründen Defizite, die sich in dem Abwägungsergebnis des Vergleichs niederschlagen.

2.  Zweistufiger Vergleich Die patentrechtliche Schutzfähigkeit einer Erfindung hängt davon ab, ob die Erfindung neu ist (§  3 PatG) und auf erfinderischer Tätigkeit (§  4 PatG) beruht. Bei der Prüfung der Neuheit ist der Stand der Technik danach zu untersuchen, ob die vorliegende zu prüfende Erfindung mit allen ihren Merkmalen im Stand der Technik bereits zu finden ist. Es erfolgt ein Gesamtvergleich aller Merkmale mit den einzelnen Vorveröffentlichungen bzw. Benutzungen. In einem davon unabhängigen zweiten Schritt ist zu prüfen, ob die Erfindung auf erfinderischer Tätigkeit beruht. Hierbei handelt es sich um die Feststellung, ob die Erfindung naheliegend ist, d. h. sich in der (neuen) Kombination vorbekannter Merkmale aus dem Stand der Technik ohne Weiteres ergibt oder ob für die Schaffung der Erfindung erfinderische Tätigkeit erforderlich ist.182 Diese beiden Fragestellungen (nach der Neuheit und der erfinderischen Tätigkeit) sind voneinander unabhängig und können nicht miteinander kombiniert werden. Die Frage nach der erfinderischen Tätigkeit baut nicht zwingend auf der Frage nach der Neuheit auf. Daher besteht keine zwingende Prüfungsreihenfolge der beiden Patentierungsvoraussetzungen.183 Dennoch erscheint es zumindest zweckmäßig, den Stand der Technik zunächst daraufhin zu untersuchen, ob die Erfindung darin identisch nachgewiesen ist, denn entweder ist die Erfindung mit allen Merkmalen im Stand der Technik enthalten (dann ist sie nicht neu) oder sie ist im Stand der Technik (nur) mit Merkmalsänderungen zu finden. 180 

Hierauf weist bereits Krieger, GRUR Int. 1996, 354, 357, hin. So bereits die Motive zum PatG 1877, RT-Drcks. 1877/III (Nr.  8) S.  12, 18, in denen der weltweite druckschriftliche Nachweis von der nur lokal zu recherchierenden Vorbenutzung abgegrenzt wurde. 182  Rogge, GRUR 1996, 931, 932, bezeichnet die Unterscheidung zwischen Gesamtvergleich und Einzelmerkmalsvergleich zutreffend als den „wichtigsten methodischen Unterschied“ zwischen beiden Prüfungspunkten. 183  A. A. Held/Loth, GRUR Int. 1995, 220 f. und Rogge, GRUR 1996, 931, 932; ferner Ochmann, GRUR 1985, 941, 944. 181 

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§  3  Wissen als Schutzgegenstand und Grundlage

Nur wenn die Erfindung nicht im Stand der Technik zu finden ist, erscheint es sachgerecht, die gefundenen Abweichungen zwischen dem Stand der Technik und der Erfindung auf ein etwaiges Naheliegen der Erfindung zu untersuchen. Eine insgesamt vorweggenommene (d. h. „nicht neue“) Erfindung braucht nicht mehr auf ihr (dann logischerweise nicht mehr) mögliches Naheliegen überprüft zu werden. Dieser Befund spiegelt sich allerdings nicht in der Rechtsprechung wider. Vielmehr lässt der BGH die Frage nach der Neuheit in mehreren Entscheidungen ausdrücklich offen, weil die Erfindung „zumindest nicht auf erfinderischer Tätigkeit“ beruhe.184 Damit umgeht die Rechtsprechung die Beantwortung der Frage, ob eine Vorveröffentlichung neuheitsschädlich ist, wenn diese nur in einem Merkmal von der angemeldeten Erfindung abweicht und das Merkmal in der Vorveröffentlichung zwar nicht („druckschriftlich“) erwähnt ist, dieses sich aber ohne Weiteres (als naheliegend) aufdrängt. Neben der Zweckmäßigkeit sprechen für eine scharfe Trennung der Fragen nach der Neuheit und dem Beruhen auf erfinderischer Tätigkeit auch die (teilweise) unterschiedlichen Vergleichsgrößen beider Prüfungsabschnitte: Nur bei der Neuheitsprüfung ist auch der sog. fiktive Stand der Technik zugrunde zu legen. Der fiktive Stand der Technik beinhaltet gemäß §  3 II PatG die noch nicht veröffentlichten Patentanmeldungen. Damit wird eine Doppelpatentierung identischer Erfindungen vermieden. Der fiktive Stand der Technik ist aber nicht für die Prüfung auf erfinderische Tätigkeit relevant, §  4 S.  2 PatG. Daher ist jede Stufe der Prüfung unabhängig von der anderen zu beantworten. a.  „Neuheit“ als fehlender Nachweis aller Merkmale im Stand der Technik Bei der Neuheitsprüfung ist die Frage zu beantworten, ob die angemeldete Erfindung, d. h. die Lösung zu einer Aufgabe, mit den angegebenen technischen Mitteln (die Merkmale der Erfindung) in dieser Weise185 im Stand der Technik zum Zeitpunkt186 der Anmeldung187 nachgewiesen ist.188 Verknüpfungen von Elementen des Standes der Technik sind für die Neuheitsprüfung nicht relevant.189 184  BGH GRUR 2004, 407, 410 – Fahrzeugleitsystem; BGH GRUR 2002, 146, 147 – Luftverteiler. 185  Pagenberg, GRUR Int. 1978, 190, 191: „objektive Identitätsprüfung“. 186  Dabei ist der Tag des Prioritätszeitpunktes entscheidend. Entgegenhaltungen und Anmeldungen vom gleichen Tag stehen der Neuheit dagegen nicht entgegen, BGH GRUR 1965, 473, 478 – Dauerwellen I; vgl. Schulte/Moufang, PatG, 9.  A., 2014, §  3 Rn.  12. 187 Bzw. zum Zeitpunkt der in Anspruch genommenen Priorität, beispielsweise gemäß §  41 PatG: Wenn dieselbe Erfindung bereits im Ausland angemeldet wurde, kann dieser Anmeldetag als Priorität auch für eine nationale Anmeldung gemäß Art.  4 PVÜ in Anspruch genommen werden. 188  BGH GRUR 1990, 33, 34 – Schüsselmühle. 189  BGH GRUR 1984, 797, 798 – Zinkenkreisel; Rogge, GRUR 1996, 931, 932.

III.  Prüfungsmethode bei den Patentierungsvoraussetzungen

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Hierbei stellt sich die Frage nach dem Abgrenzungsbereich zwischen dem Vorliegen einer „noch“ neuheitsschädlichen Vorveröffentlichung und einer „bereits“ für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit relevanten Kombination von Merkmalen. Die Frage ist auf die Bestimmung des Informationsgehaltes der Vorveröffentlichung gerichtet. Die Frage lautet daher zunächst, wie der Stand der Technik zu verstehen ist, der mit der Erfindung verglichen werden soll. (1)  „Fotographischer, buchstabengetreuer“ Neuheitsbegriff? Zunächst liegt es nahe, die Frage nach der Identität der Erfindung und einer Lösung, die im Stand der Technik nachgewiesen ist, restriktiv zu beantworten, denn es folgt noch eine Prüfung hinsichtlich der Kombinationen von Merkmalen, die im Stand der Technik einzeln enthalten sind.190 Dieser Ansatz verfolgt einen „engen Neuheitsbegriff“.191 Da (nach dem engen Neuheitsbegriff) der Vergleich zwischen der Erfindung und dem Stand der Technik schematisch verläuft und nach identischer, wortlautexakter Übereinstimmung gesucht wird, wird diese Vergleichsmethode als „fotographische“ bzw. „buchstabengetreue“ Neuheitsprüfung bezeichnet.192 Gegen ein solch enges Verständnis des Neuheitsbegriffs spricht, dass der Offenbarungsgehalt einer im Stand der Technik nachgewiesenen Quelle meist über den Wortlaut hinaus Informationen enthält, die nicht ausdrücklich erwähnt sind, jedoch als in der Quelle mitveröffentlicht angesehen werden müssen. Rogge193 erklärt die Wahrnehmung einer Informationsquelle zutreffend wie folgt: „Der menschliche Geist ist dazu befähigt und darauf trainiert, Sinneswahrnehmungen vielfach sogleich zu verarbeiten und unwillkürlich auf der Grundlage von Erfahrung und Phantasie unwillkürlich mit für notwendig oder selbstverständlich gehaltenen Details zu ergänzen. Unwichtiges wegzulassen, anstelle des Zufälligen das Prinzipielle zu sehen oder gleichzeitig naheliegende weitere Varianten ins Auge zu fassen.“ In diesem Zusammenhang verdeutlicht Rogge194 die Problematik des über den Wortlaut der Quelle hinausgehenden Informationsgehalts, indem er folgendes Beispiel bildet: In einer Quelle ist ein 190 

V. Falck, Mitt. 1969, 252, 255. Diesen engen Neuheitsbegriff favorisiert Dörries, GRUR 1984, 240, 243, vor allem wegen der damit zu erreichenden klaren Trennung zwischen den Voraussetzungen Neuheit und erfinderische Tätigkeit. V. Schmied-Kowarzik, GRUR 1978, 663, 666 (Punkt VI.), meint, dass der enge Neuheitsbegriff zumindest in der Chemie gelten solle, weil allgemein durch eine weite Auslegung des Neuheitsbegriffs „unweigerlich subjektive Maßstäbe und Überlegungen eingebracht werden“ und konkret in der Chemie der „Versuch, die ‚Vorstellbarkeit‘ nicht konkret beschriebener Verbindungen in die Neuheitsprüfung einzubeziehen“, nicht bestimmbar ist. 192  Vgl. BGH GRUR 1995, 330 – Elektrische Steckverbindung unter Bezugnahme auf die Vorinstanz (BPatG, Beschluss vom 04.05.1993 [23 W (pat) 75/91]). 193  Rogge, GRUR 1996, 931, 933. 194  Rogge, GRUR 1996, 931, 935. 191 

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§  3  Wissen als Schutzgegenstand und Grundlage

Stuhl beschrieben, dessen Lehne in besonderer Art ausgeführt ist. Obwohl in der Quelle eine Sitzfläche nicht erwähnt ist, ist die Sitzfläche des Stuhls als selbstverständlich mitveröffentlicht. Es ist daher die dem Vergleich der Erfindung mit dem Stand der Technik vorgelagerte Aufgabe des Vergleichenden, den Offenbarungsgehalt des Dokuments zutreffend zu analysieren und hierbei ein nicht zu enges Verständnis der Quelle anzulegen. Dadurch verlagert sich die Fragestellung: Vor der Analyse der Quelle muss klargestellt werden, wer die Quelle verstehen soll und welche Kenntnisse und Verständnisfähigkeiten die Person, die die Quelle analysiert, haben muss. Davon hängt ab, was als Selbstverständlichkeit vorausgesetzt wird. Nachfolgend ist die Quelle mit diesen Verständnismöglichkeiten und dem begleitenden Wissen auf ihren Offenbarungsgehalt zu untersuchen. (2)  Unschärfebereich des Informationsgehalts einer Quelle durch das „fachmännische Verständnis“ Als die „Neuheit“ noch die einzige Voraussetzung einer patentierbaren Erfindung war, wurde dieses Merkmal in §  2 PatG 1877195 (insoweit unverändert bis 1981196) konkretisiert: Eine Erfindung gilt als neu, wenn sie „in öffentlichen Druckschriften bereits derart beschrieben oder im Inland bereits so offenkundig benutzt ist, daß danach die Benutzung durch andere Sachverständige möglich erscheint“. Die ausdrückliche Bezugnahme auf die Nacharbeitungsmöglichkeit eines Sachverständigen machte klar, dass die vorveröffentlichte Quelle mit dem Verständnis eines Fachkundigen und nicht eines Laien gelesen und verstanden werden muss. Die Bezugnahme auf das Verständnis des Sachverständigen übernahm der Gesetzgeber bei der Neufassung197 des §  3 I 1 PatG in heutiger Fassung nicht. Hiermit war aber nicht intendiert, dass es bei der Bestimmung des Offenbarungsgehalts einer vorveröffentlichten Quelle nunmehr198 auf das Verständnis einer „indifferenten“ Öffentlichkeit ankäme. Vielmehr sei weiterhin auf das Erkenntnisvermögen des Durchschnittsfachmanns abzustellen, „der auf dem einschlägigen Fachgebiet tätig und mit der Lösung entsprechender technischer Probleme befasst ist“ und über „durchschnittliches Fachwissen und Fachkönnen“ verfügt.199 Der BGH hob in diesem Zusammen195 

PatG vom 25.5.1877, RGBl. 1877 Nr.  23, S.  501. PatG vom 16.12.1980, BGBl. 1981 I S.  1. Diese Regelung erfolgte aufgrund von Art. IV Nr.  3 des Gesetzes über internationale Patentübereinkommen vom 21.06.1976, BGBl. 1976 II S.  6 49, 654. 197  PatG vom 16.12.1980, BGBl. 1981 I S.  1. 198  Bis dahin entsprach es allgemeiner Meinung, dass bei der Analyse einer Quelle das Wissen und Können eines Fachmanns und nicht die Erkenntnismöglichkeiten einer nicht sachkundigen Öffentlichkeit maßgebend sind, vgl. Ochmann, GRUR 1984, 235, 238; abweichend insoweit Preu, GRUR 1980, 691, 692. 199  Eindeutig BPatG, Beschluss vom 04.05.1993 [23 W (pat) 75/91] als Vorinstanz zu BGH GRUR 1995, 330 – Elektrische Steckverbindung (darin wird diese Ansicht bestätigt: S.  331). 196 

III.  Prüfungsmethode bei den Patentierungsvoraussetzungen

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hang hervor, dass sich die Offenbarung immer an einen bestimmten Empfängerkreis richte und daher auf die „Bedürfnisse des Fachverständnisses zugeschnitten“ sei.200 Deshalb müsse die Veröffentlichung für diesen Empfängerkreis verständlich sein.201 Der Informationsgehalt der Vorveröffentlichung umfasst daher nicht nur die Informationen, die der Empfänger der Quelle unmittelbar entnimmt, sondern auch die Erkenntnisse und Folgerungen, die der Empfänger der Information aus der Quelle ableiten kann, d. h. wie er sie versteht.202 Der Informationsgehalt der Quelle ist nicht rückschauend auf den Zeitpunkt der Veröffentlichung der Quelle zu ermitteln, sondern auf den für die Patentanmeldung relevanten Zeitpunkt.203 Zu diesem Zeitpunkt kann sich der der Quelle zu entnehmende Informationsgehalt auch erweitert haben, wenn diese Quelle nach dem allgemeinen Fachwissen eines Fachmanns zum Prioritätszeitpunkt anders verstanden wird, als dies bei der Veröffentlichung der Quelle der Fall war.204 Nach dem BGH 205 ist im Hinblick auf die Neuheitsprüfung einer Quelle über ihren ausdrücklichen Wortlaut hinaus auch zu entnehmen, „was aus der Sicht des Fachmanns jedoch nach seinem allgemeinen Fachwissen für die Ausführung der unter Schutz gestellten Lehre selbstverständlich oder nahezu unerläßlich ist und deshalb keiner besonderen Offenbarung bedarf“. Im Hinblick auf Abwandlungen, die in der zu analysierenden Quelle keine ausdrückliche Erwähnung finden, geht der BGH 206 davon aus, dass diese mitveröffentlicht sind, wenn sie „nach dem Gesamtzusammenhang der Schrift für den Fachmann derart naheliegen, daß sie sich ihm bei aufmerksamer, weniger auf die Worte als auf ihren erkennbaren Sinn achtenden Lektüre ohne weiteres erschließen, so daß er sie gewissermaßen in Gedanken gleich mitliest, auch wenn er sich dessen nicht bewußt ist“.207 Der BGH beschreibt damit das, was andernorts208 häufig unter dem Begriff der „fachnotorisch bekannten Austauschmittel“ umschrieben wird. Dieser Begriff ist jedoch sehr unscharf und ist zu stark an der generellen Austauschbar200 

BGH GRUR 1995, 330, 331 – Elektrische Steckverbindung. und nur für diesen“ Kreis müsse die Veröffentlichung verständlich sein: BGH GRUR 1995, 330, 331 – Elektrische Steckverbindung. 202  Gramm, GRUR 1998, 240. 203 Benkard/Melullis, PatG, 11.  A ., 2015, §  3 Rn.  191; grundlegend für die Prüfung auf erfinderische Tätigkeit Schickedanz, GRUR 2001, 459. 204  Der Offenbarungsgehalt kann sich jedoch durch diese Verschiebung des Betrachtungszeitpunktes nicht verkleinern (denn er „geht nicht verloren“), sondern kann allenfalls vergrößert werden, Rogge, GRUR 1996, 931, 932. Vgl. ferner Held/Loth, GRUR Int. 1995, 220, 224. 205  BGH GRUR 1995, 330, 332 – Elektrische Steckverbindung. 206  BGH GRUR 1995, 330, 332 – Elektrische Steckverbindung. 207  Bestätigend BGH GRUR 2000, 296, 297 – Schmierfettzusammensetzung. 208  Beispielsweise in der der BGH-Entscheidung vorausgehenden Entscheidung des BPatG vom 04.05.1993 [23 W (pat) 75/91] sowie BPatGE 30, 6, 9; sowie eingehend Dreiss, GRUR 1994, 781, 784 f.; Ullmann, GRUR 1988, 333, 335. Ursprünglich den Begriff prägend Bernhardt/Kraßer, PatR, 4.  A., 1986, §  32 III e) (S.  525 ff.). 201  „[…]

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§  3  Wissen als Schutzgegenstand und Grundlage

keit der Mittel ausgerichtet, so dass die Anwendung dieses Begriffs für die Abgrenzung keine brauchbaren Ergebnisse liefern kann.209 Eine schärfere Grenzziehung ist dem BGH später dadurch gelungen, dass er den zu bestimmenden und für die weitere Beurteilung maßgeblichen Informationsgehalt einer Quelle darauf beschränkt hat, dass es sich dabei um diejenige Information handeln muss, „die der fachkundige Leser der jeweiligen Quelle vor dem Hintergrund seines Fachwissens entnimmt“.210 Allerdings zielt eine solche Erschließung der Quelle mit Hilfe des fachmännischen Verständnisses nicht auf eine Ergänzung des aus der Quelle gewinnbaren Inhalts im Hinblick auf Abwandlungen und Weiterentwicklungen, sondern vielmehr auf die Erfassung der in der Quelle enthaltenen Information in ihrer Gesamtheit.211 Der BGH grenzt daher die aus der Quelle mithilfe des fachmännischen Verständnisses zu entnehmende Information von derjenigen ab, die erst durch Folgerungen aus der bereits vorliegenden Information ableitbar ist. Zudem muss es sich um die Information handeln, die aus der Veröffentlichung tatsächlich gewinnbar ist. Es reicht beispielsweise nicht aus, wenn ein Verfahren in der Quelle beschrieben wird und ein weiteres, zeitlich nachfolgendes, mit dem ersten Verfahren in unmittelbarem Zusammenhang stehendes Verfahren in seiner Existenz bloß erahnen lässt. Dann gehört das zweite Verfahren nicht zum Offenbarungsgehalt der Veröffentlichung, wenn es in der Quelle nicht erwähnt wird. Dies gilt sogar dann, wenn das erste Verfahren nur dann technisch und wirtschaftlich sinnvoll genutzt werden kann, wenn das zweite Verfahren auch bekannt ist, wie dies beispielsweise bei einem Verschlüsselungsverfahren als zeitlich vor dem Entschlüsselungsverfahren beschriebenen Verfahren der Fall ist. Wird das Entschlüsselungsverfahren nicht in der Quelle erwähnt, dann gehört es nicht zum Offenbarungsgehalt der Quelle, auch wenn sich mit den bloß verschlüsselten Daten keinerlei technisch oder wirtschaftlich sinnvolle Ergebnisse erzielen lassen.212 Allerdings kann der Informationsgehalt einer Vorveröffentlichung nicht isoliert und abstrakt gewonnen werden. Vielmehr hängt dieser maßgeblich von dem fachmännischen Verständnis ab, d. h. von den Kenntnissen und Fähigkeiten, die der Fachmann hat, der die Information aus dem Stand der Technik zur Kenntnis nimmt. Hierdurch entsteht ein Unschärfebereich bei der Bestimmung des Informationsgehalts einer Vorveröffentlichung, da die Kenntnisse und Fähigkeiten des Fachmanns, die für die Ermittlung des Informationsgehalts ausschlaggebend sind, von Fall zu Fall variieren. Daher ist vor der Bestimmung des Informationsgehalts einer Quelle durch den Fachmann, an den sich die Vorveröffentlichung wendet, dessen Wissen und Können zu ermitteln. 209 

Rogge, GRUR 1996, 931, 936; kritisch dazu Kraßer/Ann, PatR, 7.  A., 2016, §  17 Rn.  41–45. BGH GRUR 2009, 382, 348 Tz.  26 – Olanzapin. 211 BGH GRUR 2014, 758, 761 Tz.   39 – Proteintrennung; BGH GRUR 2009, 382, 348 Tz.  26 – Olanzapin. 212  BGH GRUR 2013, 809, 811 Tz.  16 – Verschlüsselungsverfahren. 210 

III.  Prüfungsmethode bei den Patentierungsvoraussetzungen

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aa.  Wissen des Fachmanns Der BGH 213 verweist auf die Verständnismöglichkeit, die ein Fachmann, der die Veröffentlichung zur Kenntnis nimmt, „nach seinem allgemeinen Fachwissen“ hat. Um den Offenbarungsgehalt einer in einer Quelle enthaltenen Information einzugrenzen, kommt es demnach darauf an, wie der Fachmann die Quelle versteht. Dieses Verständnis ist daher primär davon abhängig, über welches Wissen der jeweilige Fachmann, an den sich die Veröffentlichung richtet, verfügt. Dieses Wissen ist zunächst das allgemeine Fachwissen, das der Fachmann im Rahmen seiner Ausbildung erlernt.214 Es ist in der Ausbildungsliteratur des Fachmanns nachweisbar. Außerdem versteht ein Fachmann eine Veröffentlichung regelmäßig auch vor dem Hintergrund seines Erfahrungswissens, das er im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit durch Anwendung seines Fachwissens erwirbt.215 Dieses Erfahrungswissen ist regelmäßig nicht in schriftlichen Quellen nachweisbar.216 Eine Zwischenstufe zwischen Fachwissen und Erfahrungswissen bildet das Allgemeinwissen, auf das der Fachmann selbstverständlich regelmäßig zurückgreift.217 „Der Fachmann“ ist eine fiktive Person, der Kenntnisse und Fähigkeiten unterstellt werden, die ein durchschnittlicher Fachmann auf dem betreffenden Gebiet hat.218 Das betreffende Gebiet ist das, auf dem die Erfindung liegt bzw. aus dem die einschlägige Vorveröffentlichung stammt, um deren Informationsgehalt es geht.219 Bei der Feststellung, welche Kenntnisse und Fähigkeiten der Fachmann haben muss, wird der Erfindungsgegenstand technischen Gebieten zugeordnet. Anschließend ist nach Berufsbildern, Ausbildungsberufen und Studiengängen zu suchen, in denen ein Fachmann auf dem Gebiet, auf dem die Erfindung liegt, seine Kenntnisse „typisiert“ erworben haben kann. Dem fiktiven Durchschnittsfachmann werden sodann alle Kenntnisse unterstellt, die ein Auszubildender bzw. Student im Rahmen seiner Ausbildung regelmäßig erwirbt, um den Beruf seines Berufsbildes ordnungsgemäß ausführen zu können.220 Bei der Einordnung des Erfindungsgegenstandes bzw. der Vorveröffent213 

BGH GRUR 1995, 330, 332 – Elektrische Steckverbindung. Umfassend hierzu v. Falck, Mitt. 1969, 252 ff. 215 BGH NJOZ 2010, 2503, 2507 Tz.   27 – Gleitlagerüberwachung; ferner BGH GRUR 1955, 386, 387; Gramm, GRUR 1998, 240, 241; Rogge, GRUR 1996, 931, 932: „präsentes Fachwissen“; Osterrieth, Patentrecht, 5.  A., 2015, Rn.  509. 216  Gramm, GRUR 1998, 240, 241 f., bezeichnet dieses ungeschriebene Fachwissen als „geistiges Rüstzeug“ des Fachmanns. 217  Vgl. beispielsweise BGH GRUR 1962, 350, 352 – Dreispiegel-Rückstrahler. 218  Zum fiktiven Fachmann, der für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit herangezogen wird, Kraßer/Ann, PatR, 7.  A., 2016, §  18 Rn.  46–51. Zur Vergleichbarkeit beider fiktiver Personen (d. h. der Rechtsbegriff des Durchschnittsfachmanns gilt im gesamten Patentrecht einheitlich) vgl. Melullis, FS Ullmann, 2006, S.  503, 511 f.; Kolle, GRUR Int. 1971, 63, 67; v. Falck, Mitt. 1969, 252 ff.; ferner Held/Loth, GRUR Int. 1995, 220, 224. 219  Kraßer/Ann, PatR, 7.  A ., 2016, §  18 Rn.  52. 220  BGH GRUR 2004, 1023, 1025 – Bodenseitige Vereinzelungseinrichtung: Abzustellen 214 

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§  3  Wissen als Schutzgegenstand und Grundlage

lichung in ein technisches Gebiet kann es dazu kommen, dass dem einschlägigen, fiktiven Durchschnittsfachmann auch Kenntnisse aus Doppelstudiengängen unterstellt werden.221 Dies hängt maßgeblich von der Einordnung des Erfindungsgegenstandes bzw. der Vorveröffentlichung in das technische Gebiet ab. Das Wissen des Fachmanns, das dieser bei dem Verständnis und der Erschließung des Informationsgehalts einer Quelle zugrunde legt, setzt sich daher zusammen aus dem allgemeinen Fachwissen, das er im Rahmen eines Studiengangs oder Ausbildungsberufs erworben hat sowie aus dem Erfahrungswissen, das er durch regelmäßige (berufliche) Anwendung seines Wissens erhält. Die Einbeziehung des Erfahrungswissens in die Bestimmung des Informationsgehalts einer Veröffentlichung ist nicht unproblematisch. Einerseits ist dieses Erfahrungswissen regelmäßig nicht in einer schriftlichen Quelle nachweisbar und daher nur sehr schwer für eine (möglichst objektive) Bestimmung des Informationsgehalts der Veröffentlichung im Streitfall darzulegen. Andererseits ist eine Grenzziehung zwischen „üblichem“ und „speziellem“ Erfahrungswissen eines auf dem einschlägigen technischen Gebiet tätigen Fachmanns nahezu unmöglich. Eine durchschnittliche (Lebens-)Erfahrung eines Fachmanns bei der Anwendung des Fachwissens ist kaum auszumachen und hängt maßgeblich von der Spezialisierung der Tätigkeit ab, die der das allgemeine Fachwissen anwendende Fachmann ausübt. Daher zählt das Erfahrungswissen an sich nicht zum Stand der Technik und ist somit nicht Prüfstoff für die Beurteilung der Patentfähigkeit der Erfindung; es wird lediglich für das Verständnis der Veröffentlichung, die zum Stand der Technik zählt, herangezogen.222 bb.  Können des Fachmanns Für das Verständnis des Offenbarungsgehalts einer Vorveröffentlichung kommt es neben dem Vorwissen, das der Fachmann dem Verständnis zugrunde legt, maßgeblich darauf an, welche Erwartung an den Fachmann gestellt wird, die Quelle zu verstehen. Dies betrifft die Anstrengungen, die der Fachmann unternimmt, um den Informationsgehalt der Quelle zu ergründen. Dabei steht nicht eine normativ formulierte Frage im Vordergrund („Hätte der Fachmann diesen ist auf das fachmännische Denken, Erkennen und Vorstellen, „um mit dem auf dem betreffenden Gebiet der Technik üblichen allgemeinen Fachwissen sowie den durchschnittlichen Kenntnissen, Erfahrungen und Fähigkeiten der dort tätigen Fachwelt und dem hierdurch geprägten sinnvollen Verständnis vom Inhalt einer Lehre zum technischen Handeln eine verlässliche Entscheidungsgrundlage zu haben“. 221  Beispielsweise führte der BGH (GRUR 1986, 372, 373 – „Thrombozyten-Zählung“) aus, dass der einschlägige Fachmann, wenn er mit dem Erfindungsgegenstand befasst ist, ­neben seinen „fachspezifischen Berufserfahrungen über besondere Kenntnisse und Erfahrungen auch auf den Gebieten der medizinischen Diagnostika, der klinischen Chemie und der Häma­tologie“ verfügt. 222  Insoweit ausdrücklich Benkard/Ullmann, PatG, 9.  A ., 1993, §  3 Rn.  2 2 (nicht mehr so deutlich in der Folgeauflage).

III.  Prüfungsmethode bei den Patentierungsvoraussetzungen

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oder jenen Informationsgehalt aus der Veröffentlichung lesen müssen bzw. können?“) 223, sondern es wird danach gefragt, „welcher geistige und experimentelle Aufwand vom Fachmann erwartet werden kann“, um die Quelle zu verstehen.224 Dies wird insbesondere in dem Fall relevant, in dem die Quelle keinen von „vornherein evidenten Sachverhalt“ umschreibt, dessen Inhalt problemlos erschlossen werden kann.225 Die Grenze des mitoffenbarten Informationsgehaltes, den der Fachmann bei der Lektüre ohne Weiteres erschließt und in Gedanken „gleich mitliest“,226 ist zumindest dann überschritten, wenn die angegebene Information nicht nahelag, d. h. ihr Auffinden bereits erfinderische Tätigkeit voraussetzt.227 Die dem Fachmann zumutbare gedankliche Tätigkeit ist auf das „Übliche und Normale“ begrenzt.228 Die übliche und normale gedankliche Tätigkeit kann jedoch auch einen erheblichen Aufwand an Zeit und Arbeit beinhalten.229 Handelt es sich um ein fachübergreifendes und komplexes Fachgebiet, so geht der BGH 230 davon aus, dass für die Auswertung des Informationsgehalts einer Quelle „spezielle labortechnische Einrichtungen und ein Team von Fachleuten zu Gebote stehen“, dessen Mitglieder auf den verschiedenen Gebieten bewandert sind,231 „denn auch der mit durchschnittlichen Kenntnissen und Fähigkeiten ausgestattete Einzelfachmann muß sich, wenn es um die Erkenntnis von Sachverhalten geht, die über sein engeres Fachgebiet hinausgreifen, die Kenntnisse und Fähigkeiten der anderen mit ihm auf dem einschlägigen Fachgebiet tätigen Spezialisten zurechnen lassen.“232 Überspannt werden die Anforderungen an den Durchschnittsfachmann allerdings, wenn der BGH 233 davon ausgeht, dass von einem Fachmann, der auf der Grundlage seines Fachwissens erkennen konnte, dass in einem anderen Fachgebiet ähnliche Probleme auftreten können, verlangt wird, einen weiteren Fachmann aus dem Gebiet zu 223  Wegen dieser unscharfen Abgrenzungsmöglichkeit stellt Troller, GRUR Int. 1973, 393, 394 f.; Troller, Immaterialgüterrecht, Band I, 2.  A., 1968, S.  190 ff., maßgeblich auf das Wissen und nicht auf das Können des Durchschnittsfachmanns ab. 224  Dreiss, GRUR 1994, 781, 785. 225  Dreiss, GRUR 1994, 781, 785. 226  BGH GRUR 1995, 330, 332 – Elektrische Steckverbindung. 227  Dreiss, GRUR 1994, 781, 785. 228  BGH GRUR 1986, 372, 374 – Thrombozyten-Zählung; Dreiss, GRUR 1994, 781, 785. 229  In Bezug auf den Aufwand, der zur Erschließung einer technischen Lehre erforderlich ist, die nur durch Demontage und „reverse engineering“ herausgefunden werden kann: Fähndrich/Freischem, GRUR Int. 2002, 495, 499 (5.2.2); allgemein Dreiss, GRUR 1994, 781, 785. 230  BGH GRUR 1986, 372, 374 – Thrombozyten-Zählung. 231  Umfassend zu den Erfinderteams und den damit verbundenen Auswirkungen auf die Eigenschaften des Durchschnittsfachmanns Ehlers/Haft/Königer, GRUR Int. 2010, 815 sowie Koch, GRUR Int. 2008, 669, 674 ff., vor allem im Hinblick auf die Funktion der patentrechtlichen Voraussetzung der erfinderischen Tätigkeit als „Korrektiv des Patentrechts“. 232  BGH GRUR 1986, 372, 374 – Thrombozyten-Zählung; dazu Dreiss, GRUR 1994, 781, 785. 233  BGH GRUR 1986, 798, 799 – Abfördereinrichtung für Schüttgut.

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§  3  Wissen als Schutzgegenstand und Grundlage

befragen, um auch an dessen Kenntnisse und Fähigkeiten zu gelangen.234 In diesen Fällen würde die bloße Vermutung, in einem fremden Fachgebiet Lösungen finden zu können, dazu führen, dass das Wissen und Können durch die Befragungsmöglichkeit eines auf diesen anderen Fachgebieten tätigen Fachmanns dem Durchschnittsfachmann zugerechnet wird.235 Dies kann allerdings dann nicht richtig sein, wenn ein solcher Austausch zwischen den beiden Fachgebieten (im Gegensatz zu den genannten Erfinderteams mit Fachleuten unterschiedlicher Fachrichtungen) 236 regelmäßig nicht stattfindet. cc.  Abwandlungen als mitoffenbarte Lösungsvarianten? Das fachmännische Können, das der Fachmann dem Verständnis des Offenbarungsgehalts einer Quelle zugrunde legt, ist eng verbunden mit der Frage, auf welche („selbstverständlichen“) Austauschmittel der Fachmann zurückgreift, wenn er die in der Veröffentlichung beschriebene Lehre nacharbeitet. Werden durch die Beschreibung in einer Vorveröffentlichung der Fachwelt auch Kenntnisse zugänglich gemacht, „die bei der Nacharbeitung unmittelbar und zwangsläufig offenbar werden“, obwohl sie nicht ausdrücklich erwähnt werden, so sind auch diese zusätzlichen, nicht ausdrücklich bezeichneten Informationen mit­ offenbart.237 Der Einsatz von Abwandlungen oder Austauschmitteln setzt sowohl fach­ liches Wissen als auch fachliches Können voraus. Allerdings ist nicht jede Abwandlung mitveröffentlicht, die der Fachmann in Betracht ziehen würde, denn das Austauschen eines Mittels kann auf erfinderischer Tätigkeit beruhen und damit keinesfalls zum Stand der Technik gehören. Nur die „fachnotorischen Austauschmittel“238 oder „selbstverständlichen Abwandlungen“239 sind neuheitsschädlich vorweggenommen. Die Abgrenzung der für den Fachmann selbstverständlichen Abwandlungen und Austauschmittel von denjenigen, die der Fachmann nur nach einiger Befassung und weiteren Überlegungen (möglicherweise erfinderischen Kombina­ tionen) mit zusätzlichen Anhaltspunkten aus dem Stand der Technik kennt, ist sehr schwierig. Zur trennscharfen Bestimmung, welche Austauschmittel bzw. Abwandlungen der Fachmann als fachnotorisch und selbstverständlich ansieht, ist vorgeschlagen worden 240 , die Kriterien für die Bestimmung des Schutzum234 

So zu Recht Dreiss, GRUR 1994, 781, 787. Eisenführ, in: FS Preu, 1988, S.  13, 20 ff.; Gramm, GRUR 1986, 801, 802 ff. 236  BGH GRUR 1986, 372, 374 – Thrombozyten-Zählung. 237  BGH GRUR 1980, 283, 285 – Terephtalsäure. 238  BPatGE 30, 6, 9; Dreiss, GRUR 1994, 781, 784 f. Ursprünglich hat Bernhardt/Kraßer, PatR, 4.  A., 1986, §  32 III e) (S.  525 ff.), den Begriff geprägt; Ullmann, GRUR 1988, 333, 335, stimmt dieser Begriffsbildung zu. 239  BGH GRUR 1995, 330, 332 – Elektrische Steckverbindung. 240 Insbes. Bossung, Mitt. 1974, 141, 144; etwas differenzierender Ochmann, GRUR 1984, 235 

III.  Prüfungsmethode bei den Patentierungsvoraussetzungen

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fangs eines Patents im Fall einer äquivalenten Ausführungsform auf die Bestimmung der Grenzen des Offenbarungsgehalts einer Vorveröffentlichung im Rahmen der Neuheitsprüfung zu übertragen. Der BGH hatte ein solches Vorgehen in einigen früheren Entscheidungen angedeutet. Dabei führte er aus, dass eine völlige Vorwegnahme eines Lösungsmittels trotz dessen fehlender ausdrücklicher Erwähnung in der Veröffentlichung auch dann vorliege, „wenn die gleiche oder eine ähnliche technische Aufgabe im gleichen Gebiet der Technik mit im wesentlichen übereinstimmenden technischen Mitteln gelöst war“.241 Ausdrücklich als „technisches Äquivalent“ bezeichnete der BGH in einer weiteren Entscheidung242 eine Abwandlung, die „nach den Lehren der Technik allgemein, d. h. ohne Beschränkung auf den Sonderfall der zu beurteilenden Erfindung, ihrer regelmäßigen Funktion nach als zur Erzielung gleicher Wirkung bekannt“ war. Aus diesen Entscheidungen ist von Vertretern der Auffassung in der Literatur243 teilweise abgeleitet worden, dass sich der Offenbarungsgehalt von Vorveröffentlichungen generell auf Äquivalente der angegebenen Lösungsmittel erstrecke. Der Begriff der patentrechtlichen Äquivalenz spielt im Rahmen der Feststellung einer Patentverletzung eine wesentliche Rolle. Bei der Frage, ob eine Benutzung einer patentgemäßen Lehre durch eine angegriffene Ausführungsform vorliegt, ist zunächst der Schutzumfang des Patents zu bestimmen. Dieser ist gemäß §  14 S.  1 PatG primär den Patentansprüchen zu entnehmen und unter Zuhilfenahme der Beschreibung und Zeichnungen der Patentschrift (§  14 S.  2 PatG) durch einen Fachmann auszulegen. Die angegriffene Ausführungsform ist eine sog. wortsinngemäße Benutzung, wenn jedes Merkmal der patentierten Lehre (d. h. jedes Merkmal, das im Patentanspruch erwähnt ist) nach seinem Wortsinn, wie es in der Patentschrift verstanden wird,244 in der Ausführungsform verwirklicht wird. Weicht ein Merkmal der angegriffenen Ausführungsform von der patentierten Erfindung ab, stellt sich die Frage nach einer Benutzung der patentierten Lehre in Form einer äquivalenten Ausführungsform. Eine solche liegt vor, wenn die „Austauschmittel dem Durchschnittsfachmann ohne nähere Überlegung zur Verfügung standen“ bzw. die ausgetauschten Mit235, 237. Letztlich teilt der BGH diesen Ansatz nicht, BGH GRUR 1995, 330, 332 – Elektrische Steckverbindung. 241  BGH GRUR 1953, 29, 32 – Plattenspieler. 242  BGH GRUR 1962, 86, 89 – Fischereifahrzeug. 243  Bossung, Mitt. 1974, 141, 144; ferner Kraßer/Ann, PatR, 7.  A ., 2016, §  18 Rn.  125. 244  Der Wortsinn eines Merkmals bedeutet, dass „Patentschriften im Hinblick auf die in ihr gebrauchten Begriffe gleichsam ihr eigenes Lexikon darstellen“, weil „die Begriffe abweichend vom allgemeinen Sprachgebrauch benutzt werden können und daß letztlich nur der aus der Patentschrift sich ergebende Begriffsinhalt maßgeblich ist. Deshalb wird für einen Rückgriff auf den allgemeinen Sprachgebrauch umso weniger Raum sein, desto eindeutiger der Wortlaut des Merkmals und seine Bestimmung aus dem Inhalt der Patentschrift erscheint.“, BGH GRUR 1999, 909, 912 – Spannschraube.

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§  3  Wissen als Schutzgegenstand und Grundlage

tel sich „geradezu angeboten haben“ oder sie für den Fachmann aufgrund seines Fachwissens „ohne weiteres zu erkennen gewesen“ waren.245 Die Bestimmung, wann sich solche Austauschmittel „geradezu anbieten“ bzw. „ohne weiteres erkennbar“ sind, nimmt die Rechtspraxis in drei Schritten vor: Das abgewandelte Lösungsmittel muss erstens objektiv gleichwirkend, zweitens für den Fachmann naheliegend und drittens gleichwertig mit dem in dem ausgelegten Patentanspruch genannten Merkmal sein.246 Objektiv gleichwirkend bedeutet, dass mit dem Austauschmittel der gleiche technische Erfolg erzielt wird, wie mit dem Merkmal, das im Patentanspruch genannt wird.247 Kann der angestrebte Erfolg mit dem Austauschmittel nicht erreicht werden, ist das Austauschmittel nicht gleichwirkend und damit nicht in den Schutzbereich des Patents einzubeziehen.248 Die Verwendung des Austauschmittels in der angegriffenen Ausführungsform darf außerdem nicht auf erfinderischer Tätigkeit beruhen, d. h. positiv formuliert: Es muss naheliegend sein.249 Schließlich muss das ausgetauschte Mittel mit dem Mittel, das im Patentanspruch für die erfindungsgemäße Lösung angegeben wurde, gleichwertig sein. Bei diesem Merkmal handelt es sich (im Unterschied zu den beiden vorangegangenen tatsächlichen/technischen Kriterien) um ein wertendes Kriterium. Gleichwertig kann nur ein Mittel sein, dem im Kontext der erfindungsgemäßen Lehre überhaupt eine Bedeutung zukommt.250 Dies ist immer im Hinblick auf den Patentanspruch zu beurteilen.251 Das Austauschmittel ist daher beispielsweise nicht gleichwertig, wenn in der Patentbeschreibung mehrere Möglichkeiten beschrieben werden, eine technische Wirkung zu erzielen, in den für den Schutzumfang (§  14 S.  1 PatG) maßgeblichen Patentanspruch aber nur eine der Möglichkeiten aufgenommen wurde.252 Dann kann die nicht im Patentanspruch genannte Lösungsmöglichkeit nicht gleichwertig mit einem in dem Patentanspruch genannten Merkmal sein. Die dritte Voraussetzung für das Vorliegen einer äquivalenten Ausführungsform (Gleichwertigkeit der Mittel) hängt sehr stark von Wertungen ab, die durch den Richter im Patentverletzungsstreit vorgenommen werden müssen. Bei der Bewertung einer äquivalenten Ausführungsform im Rahmen eines Verletzungs245  BGH GRUR 1975, 484, 486 – Etikettiergerät. Schramm, Grundlagenforschung, 1954, S.  153 f., nennt die Verwendung dieser Austauschmittel „verschleierte Identität“. 246  BGH GRUR 2002, 515, 517 – Schneidmesser I m. w. N. 247  Umfassend hierzu Schulte/Rinken/Kühne, PatG, 9.  A ., 2014, §  14 Rn.  59; grundlegend BGH GRUR 2000, 1005, 1006 – Bratgeschirr. 248  BGH GRUR 1999, 909, 913 (unter IV. 3.) – Spannschraube. 249  BGH GRUR 1999, 977, 980 f. – Räumschild; so bereits BGH GRUR 1969, 534, 536 – Skistiefelverschluß; BGH GRUR 1960, 474, 476 – Landkarten; BGH GRUR 1957, 20, 22 – Leitbleche; Schulte/Rinken/Kühne, PatG, 9.  A., 2014, §  14 Rn.  63. 250  BGH GRUR 2012, 45, 47 Tz.  39 ff. – Diglycidverbindung. 251  BGH GRUR 1989, 205, 208 – Schwermetalloxidationskatalysator; BGH GRUR 2002, 515, 517 – Schneidmesser I. 252  BGH GRUR 2011, 701 Tz.  35 f. – Okklusionsvorrichtung; BGH GRUR 2012, 45, 47 Tz.  4 4 – Diglycidverbindung.

III.  Prüfungsmethode bei den Patentierungsvoraussetzungen

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rechtsstreits stellt sich eine ähnliche Frage wie bei dem Austausch von fachnotorischen Austauschmitteln im Rahmen der Bestimmung des Offenbarungsgehalts einer Vorveröffentlichung. Dennoch lehnt der BGH eine parallele Betrachtung der beiden Fälle und gegenseitige Bezugnahmen ab.253 Maßgeblich dafür sind die Unterschiede zwischen der Verletzungssituation (in deren Rahmen der Schutzumfang des Patents zu bestimmen ist) und der Bestimmung des Offenbarungsgehalts einer Vorveröffentlichung. Außerdem beschränkte der BGH in früheren Entscheidungen 254 die Übertragung der Äquivalenzgrundsätze auf die Bestimmung des Offenbarungsgehalts einer Vorveröffentlichung auf sog. „glatte“ (bzw. „technische“) Äquivalente. Die Übertragung der Äquivalenzgrundsätze vom Verletzungsstreit auf die Neuheitsprüfung dehnte der BGH in keiner Entscheidung auf sog. „nichtglatte“ Äquivalente aus. Glatte Äquivalenz liegt vor, wenn anstelle der erfindungsgemäß vorgesehenen Mittel ein anderes verwendet wird und der Durchschnittsfachmann dieses ohne Weiteres als gleichwirkend zu den in der Patentschrift genannten Merkmalen erkennt.255 Davon sind „nichtglatte“ äquivalente Ausführungsformen unterschieden worden. Unterscheidungskriterium zwischen glatten und nichtglatten Äquivalenten ist die vom Fachmann erforderliche Denktätigkeit, die zur Auffindung des Austauschmittels erforderlich ist. Nichtglatte Äquivalente liegen dann vor, wenn sich dem Fachmann das Austauschmittel erst nach „näherer Überlegung“ (aber ohne erfinderisch tätig zu sein) „aufgrund seines Fachkönnens erschließt“.256 Die Unterscheidung zwischen glatten und nichtglatten Äquivalenten ist in der Rechtsprechung allerdings nicht aufrechterhalten worden.257 Die nichtglatten Äquivalente wurden nicht mehr zum Schutzumfang gerechnet, weil sich die Bestimmung des Schutzumfangs von Patenten im Rahmen von Internationalisierungsbestrebungen änderte.258 Durch den Wegfall der Differenzierung innerhalb der äquivalenten Ausführungsformen entfiel auch die Möglichkeit, den insoweit sachlich abgegrenzten Teil der Äquivalenzlehre aus dem Bereich der Schutzbereichsbestimmung von Patenten in den Bereich der Bestimmung des Offenbarungsgehalts einer Vorveröffentlichung zu übertragen. Die Übertra253 

BGH GRUR 1995, 330, 332 – Elektrische Steckverbindung. GRUR 1953, 29, 32 – Plattenspieler; BGH GRUR 1962, 86, 89 – Fischereifahr-

254  BGH

zeug. 255  BGH GRUR 1972, 597, 598 – Schienenschalter II; BGH GRUR 1969, 534, 536 – Skistiefelverschluß. 256  BGH GRUR 1969, 534, 536 – Skistiefelverschluß; BGH GRUR 1957, 20, 22 – Leitbleche; BGH GRUR 1964, 132, 134 – Kappenverschluß; BGH GRUR 1964, 606, 609 – Förderband. 257  BGH GRUR 1964, 132, 134 f. – Kappenverschluß; kritisch zu der Unterscheidung bereits Schramm, GRUR 1975, 335, 338 f.; v. Falck, FS GRUR, 1991, S.  545, 572 f. Rn.  32. 258  Vgl. zu der Rechtsentwicklung Gesthuysen, GRUR 2001, 909, 912 f.; Krieger, GRUR 1980, 683 f. Hintergrund war die Aufgabe der Bestimmung des Gegenstandes der Erfindung durch die sog. Dreiteilungslehre, zu der auch der „allgemeine Erfindungsgedanke“ gehörte, an dem sich die Bestimmung der nichtglatten Äquivalente orientierte; umfassend hierzu v. Falck, FS GRUR, 1991, S.  545, 572 f. Rn.  32.

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§  3  Wissen als Schutzgegenstand und Grundlage

gung der bei der Bestimmung des Schutzbereichs anzustellenden Äquivalenz­ überlegungen auf die Bestimmung des Neuheitsbegriffs bezeichnete der BGH daher als „weder sachgerecht noch praktikabel“.259 Damit verbleibt bei der Bestimmung des Offenbarungsgehalts einer Vorveröffentlichung das Problem der Abgrenzung von einer patentrechtlich neuheitsschädlichen Vorveröffentlichung zu bislang noch nicht vorveröffentlichten Informationen, wenn die mit dem Stand der Technik zu vergleichende Erfindung nur geringfügige Änderungen der Merkmale gegenüber dem Vorbekannten aufweist. Dabei kann nicht auf die Vorgehensweise im Rahmen vermeintlich ähnlicher Abgrenzungssituationen bei der Äquivalenzprüfung zurückgegriffen werden. Vielmehr geht der BGH in einer jüngeren Entscheidung260 davon aus, dass das „Mitlesen“ eines Merkmals nicht dazu führen darf, dass der Offenbarungsgehalt der Patentanmeldung im Hinblick auf Austauschmittel erweitert wird. Es geht beim „Mitlesen“ bloß darum, „die technische Information, die der Fachmann durch eine (vorveröffentlichte) Schrift erhält, in ihrer Gesamtheit zu erfassen“.261 Die offenbarte Erfindung dürfe nicht „durch das Fachwissen“ ergänzt werden, sondern der Sinngehalt der Information müsse „vor dem Hintergrund des Fachwissens“ des fachkundigen Lesers aus der Quelle entnommen werden.262 (3)  Möglichkeit der Kenntnisnahme des Offenbarungsmittels durch den Fachmann „Der Stand der Technik umfasst alle Kenntnisse, die […] der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden sind“, §  3 I 2 PatG. Die Erschließung des Offenbarungsgehalts (des Inhalts), der in der Quelle im Stand der Technik nachgewiesen ist, erfolgt – wie dargestellt – durch die Betrachtungsweise des fiktiven Fachmanns. Eine andere Frage ist die nach der Verfügbarkeit der Quelle. Damit eine Quelle zum Stand der Technik gehört, muss das Offenbarungsmittel der „Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden“ sein, §  3 I 2 PatG. In der ursprünglichen Gesetzesformulierung des §  2 PatG 1877 war eine Erfindung dann nicht neu, wenn die Erfindung bereits so beschrieben oder benutzt wurde, dass „die Benutzung durch andere Sachverständige möglich erscheint“. Die nunmehr seit 1981 geltende263 Definition der Neuheit bezieht sich nicht auf einen Sachverständigen oder einen Fachmann, sondern nur auf „die Öffentlichkeit“. 259  So im Ergebnis BGH GRUR 1995, 330, 332 – Elektrische Steckverbindung; zustimmend Rogge, GRUR 1996, 931, 936, weil andernfalls die Konturen der Prüfung auf Neuheit und erfinderische Tätigkeit sowie die des Verletzungsrechtsstreits mit dem dort zu bestimmenden Schutzbereich verwischt werden. 260  BGH GRUR 2009, 382 – Olanzapin. 261  BGH GRUR 2009, 382, 384 Tz.  26 – Olanzapin unter Bezugnahme auf Rogge, GRUR 1996, 931, 935. 262  BGH GRUR 2009, 382, 384 Tz.  26 – Olanzapin; nachfolgend und umfassend bestätigend BGH GRUR 2014, 758, 761 Tz.  39 – Proteintrennung. 263  Geändert durch die Neufassung des Patentgesetzes vom 16.12.1980, BGBl. 1981 I S. 1, 2.

III.  Prüfungsmethode bei den Patentierungsvoraussetzungen

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Uneinheitlich wird die Frage beantwortet, unter welchen Umständen eine Quelle der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden sein muss, damit sie zum Stand der Technik gehört. Hinsichtlich der bis 1981 geltenden Regelung, dass die Erfindung durch andere Sachverständige benutzt werden kann, verlangte die ständige Rechtsprechung264 bei der Neuheitsprüfung eine „gewisse Wahrscheinlichkeit“ dafür, dass die erfinderische Lehre in den Fachkreisen (d. h. von den Sachverständigen) zur Kenntnis genommen wird. Insbesondere für die Neuheitsrelevanz einer offenkundigen Vorbenutzung, d. h. der Alternative zu der schriftlichen Beschreibung, die beispielsweise in (Fach-)Bibliotheken nachgewiesen sein kann, war es erforderlich, dass „im Einzelfall die Weiterverbreitung der von dem Empfänger des Anerbietens erhaltenen technischen Kenntnisse an beliebige Dritte nach der Lebenserfahrung naheliegt“265 und dass für die Benutzung eine „nicht entfernt liegende Möglichkeit besteht, daß andere Sachverständige ausreichende Kenntnis von dem vorbenutzten Gegenstand und dessen Eigenschaften erlangen“.266 Daraus ist teilweise abgeleitet worden, dass eine Verlautbarung, von der nur (technische) Laien Kenntnis erhalten haben, generell nur dann patentrechtlich relevanter „Stand der Technik“ sein kann, wenn auch Fachkreise von dem technischen Inhalt der Verlautbarung mit einer „gewissen Wahrscheinlichkeit“ erfahren.267 Damit wurde die Frage nach der Verfügbarkeit des Offenbarungsmittels in den Fachkreisen ebenso aus der Sicht des Fachmanns beantwortet wie die Frage nach dem Verständnis des Inhalts der Quelle.268 Nur die Informationen, von denen der Fachmann Kenntnis erlangen kann, sind nach dieser Ansicht Stand der Technik. Allerdings ist besonders ­wegen der Zielsetzung des Patentrechts zu beachten, dass die „Offenlegung“ bereits bekannter Zusammenhänge keinen großen volkswirtschaftlichen Mehrwert bringt und es damit nicht gerechtfertigt wäre, hierfür ein (wenn auch zeitlich begrenztes) Ausschließlichkeitsrecht zu gewähren, das gegenüber jedermann als Verbotsrecht wirkt. Daher ist die Formulierung in §  3 I 2 PatG vor diesem Hintergrund auch objektiv und umfassend zu verstehen: Eine Patentierung ist ausgeschlossen, wenn die Erfindung bereits „irgendwo in der Welt“, „irgendwann“ vor dem Prioritätstag, „in irgendeiner Weise“269 bekannt geworden ist. Daher ist die „Öffentlichkeit“ nicht gleichzusetzen mit der „Fach264  RG GRUR 1942, 261, 265; BGH GRUR 1966, 484, 486 – Pfennigabsatz; BGH GRUR 1973, 263, 264 – Rotterdam-Geräte. 265  BGH GRUR 1962, 86, 89 – Fischereifahrzeug; BGH GRUR 1959, 178, 179 – Heizpreßplatte; RG GRUR 1942, 261, 265. 266  BGH GRUR 1986, 372, 373 – Thrombozyten-Zählung; ferner BGH GRUR 1966, 484, 486 – Pfennigabsatz; BGH GRUR 1973, 263, 264 – Rotterdam-Geräte. 267  Held/Loth, GRUR Int. 1995, 220, 222 unter Bezugnahme auf BGH GRUR 1963, 311, 313 – Stapelpresse; BGH GRUR 1966, 484, 486 – Pfennigabsatz. 268  In diese Richtung tendierend Preu, GRUR 1980, 691, 692; Poth, Mitt. 1998, 453, 454. 269  Begründung zu §  2 PatG im Entwurf des Gesetzes über internationale Patentübereinkommen vom 02.06.1975, BT-Drcks. 7/3712, S.  28 re. Sp.

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§  3  Wissen als Schutzgegenstand und Grundlage

welt“.270 Vielmehr ist die Lehre eines Patents schon dann „der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden“, „wenn ein nicht überschaubarer, unbegrenzter Personenkreis, darunter auch Fachleute, die Möglichkeit zur Kenntnisnahme in einer Weise hatte, daß ein Fachmann die technische Lehre unter Zuhilfenahme seines Fachwissens ausführen kann“ und nicht erst dann, wenn die Lehre tatsächlich einem Fachmann bekannt geworden ist.271 Es kommt auch nicht auf die Wahrscheinlichkeit an, mit der ein Fachmann von der Erfindung Kenntnis erhalten kann. Vielmehr greift die Rechtsprechung272 mittlerweile darauf zurück, ob ein Fachmann, der nach einer Lösung sucht, Anlass und Gelegenheit hat, den Nachweis im Stand der Technik zu finden. Der Fachmann hat bereits dann Anlass, ein auf dem Markt erhältliches Produkt zu analysieren und die enthaltene, sich nicht unmittelbar ergebende Lehre zur Kenntnis zu nehmen, wenn es sich um ein neues Produkt handelt, an dem ein Mitbewerber in der Regel Interesse hat.273 Bei der chemischen Zusammensetzung eines Erzeugnisses bedeutet das nach der Rechtsprechung sogar, dass sich das Interesse an dem neuen Stoff auch auf die Zusammensetzung bezieht und nach einer dem Fachmann möglichen Analyse des (frei erhältlichen) Stoffes auch dessen Zusammensetzung dem Fachmann bekannt ist.274 Somit ist auch eine nur eingeschränkt verfügbare Informationsquelle für die Frage nach der Neuheit einer Erfindung relevant, wenn die Öffentlichkeit (zu der beliebige Dritte gehören) zu der Quelle überhaupt Zugang hatte.275 Sogar notwendige spezielle Fähigkeiten eines Fachmanns bei der Erschließung des Informationsgehalts der Quelle schränken deren Verfügbarkeit nicht ein. Der Fachmann, der nach einer Lösung im Stand der Technik sucht, muss nur Anlass und Gelegenheit haben, die Quelle zu finden und zu verstehen. Dann gehört die Information, die der Fachmann dieser Quelle entnehmen kann, zum Stand der Technik, wobei der Anlass bereits die Aufmerksamkeit ist, die der Fachmann einem neu auf dem Markt erhältlichen Produkt entgegenbringt. (4)  Auffindbarkeit des Erfindungsgegenstandes außerhalb des druckschriftlichen Nachweises Zum Stand der Technik zählen nicht nur die druckschriftlichen Nachweise, sondern auch öffentliche Vorbenutzungen, d. h. wenn eine Vorrichtung zum re270 Ebenso

Gramm, GRUR 1998, 240. BPatG GRUR 1994, 107, 108 – Tauchcomputer II. 272  BGH GRUR 1986, 372, 373 – Thrombozyten-Zählung. 273  BGH GRUR 1986, 372, 373 – Thrombozyten-Zählung. 274  EPA Gr. BK (0001/92) ABl. EPA 1993, 277 – Öffentliche Zugänglichkeit; hierzu kritisch Schulte/Moufang, PatG, 9.  A., 2014, §  3 Rn.  53. 275  Abstellend auf die Lebenserfahrung einer Weitergabe der Informationen an beliebige Dritte, wenn nur wenigen Personen außerhalb der Fachwelt die Information gegeben wurde, BGH GRUR 1996, 747, 752 – Lichtbogen-Plasma-Beschichtungssystem. 271 

III.  Prüfungsmethode bei den Patentierungsvoraussetzungen

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levanten Zeitrang bereits benutzt wird und dies von einer unbestimmten Zahl von Personen wahrgenommen werden kann. Ein klassischer Fall einer offenkundigen Vorbenutzung ist, wenn eine vermeintlich erfinderisch neue Maschine bereits zuvor in den Verkehr gebracht wurde und in dieser Maschine die Lehre verwirklicht wird, für die der Patentwerber mit seiner Anmeldung Schutz begehrt. Im Bereich der Mechanik ist die Beantwortung der Frage, ob die beanspruchte Lehre mit derjenigen, die in der bereits erhältlichen Maschine übereinstimmt, meist mit den oben dargestellten Möglichkeiten herauszufinden. Insbesondere der Unschärfebereich, der sich durch das fachmännische Können des die Beurteilung vornehmenden Durchschnittsfachmanns ergibt, wenn er eine (druckschriftliche) Quelle liest oder eine tatsächlich erfolgte Umsetzung der Lehre in einer Maschine analysiert, führt zu nachvollziehbaren und meist verständlichen Ergebnissen. Schwieriger gestaltet sich die Beurteilung der Neuheit eines Stoffs oder einer chemischen Zusammensetzung. Dies liegt vor allem daran, dass bereits zu der Beurteilung der stofflichen Zusammensetzung eines chemischen Erzeugnisses in der Regel nur Fachleute in der Lage sind, die nicht nur über Fachwissen, sondern auch über entsprechende Laboreinrichtungen verfügen. Der BGH 276 stellt bei der Beurteilung der Neuheit eines Stoffes darauf ab, ob dieser „allgemein verfügbar ist oder jedenfalls der Fachmann in der Lage ist“, die beanspruchte Zusammensetzung „mit Hilfe seines Fachwissens und -könnens in die Hand zu bekommen“.277 Kann der Fachmann den erfindungsgemäßen Gegenstand analysieren und ohne unzumutbaren Aufwand reproduzieren, ist die Stoffzusammensetzung nicht neu.278 Der BGH stellt damit bereits bei der Frage nach der Neuheit auf den notwendigen Aufwand ab, den der Fachmann zur Auffindung der Zusammensetzung betreiben muss, obwohl sich diese Frage an sich eher im Rahmen der erfinderischen Tätigkeit (gemäß §  4 PatG) stellt. Dies ist offenbar ein Spezifikum der Beurteilung der Neuheit von chemischen Stoffen, da diese nicht unmittelbar in ihrer Zusammensetzung wahrnehmbar sind. Dies wird bestätigt, wenn der BGH im Weiteren für die Neuheitsbeurteilung von nicht ohne Weiteres identifizierbaren komplexen Zusammensetzungen ausführt, dass es ausreiche, „wenn der Fachmann eine überschaubare Anzahl plausibler Hypothesen über die mögliche Beschaffenheit der Zusammensetzung entwickeln kann, von denen sich eine mit ihm zur Verfügung stehenden Analysemöglichkeiten verifizieren lässt.“279 Auch dabei gibt es einen Unschärfebereich bei der Ergebnisanalyse, denn es wird nicht gefordert, dass „der Fachmann [nach seiner Analyse] jede denkbare andere Zusammensetzung ausschließt“, sondern vielmehr reicht aus, „dass für den Fachmann keine vernünftigen Zweifel an dem 276 

BGH GRUR 2013, 51 – Gelomyrtol. BGH GRUR 2013, 51, 52 Tz.  15 – Gelomyrtol. 278  BGH GRUR 2013, 51, 52 Tz.  15 – Gelomyrtol. 279  BGH GRUR 2013, 51, 52 Tz.  15 – Gelomyrtol. 277 

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§  3  Wissen als Schutzgegenstand und Grundlage

Ergebnis seiner Analyse bestehen“.280 Ist die komplexe Stoffzusammensetzung bereits auf dem Markt erhältlich, der Fachmann aber nicht in der Lage, diese Zusammensetzung zu analysieren, weil ihm beispielsweise die Anhaltspunkte fehlen, eine anfängliche Hypothese zu formulieren, wie der Stoff zusammengesetzt sein könnte, ist der Stoff neu.281 Bei der Auffindbarkeit der Merkmale der Erfindung im Stand der Technik außerhalb des druckschriftlichen Nachweises wird die wertende Erfassung der Vergleichsobjekte bei der Neuheitsprüfung besonders deutlich. Der Unschärfebereich der Festlegung der Vergleichsobjekte beruht auf dem „fachmännischen Verständnis“, durch das der Informationsgehalt der Quelle bzw. die erkennbare (offenkundige) Vorbenutzung seine Konturen erhält. b.  „Erfinderische Tätigkeit“ als Nichtnaheliegen der Erfindung (1)  Funktion und Inhalt des Merkmals „Beruhen auf erfinderischer Tätigkeit“ Im Rahmen der Prüfung der Patentfähigkeit einer Erfindung ist nach der Bejahung der Neuheit die Frage zu stellen, ob die Erfindung auf erfinderischer Tätigkeit beruht, §  1 I PatG. Eine Erfindung gilt gemäß §  4 S.  1 PatG als auf erfinderischer Tätigkeit beruhend, wenn die Erfindung „sich für den Fachmann nicht in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik ergibt“. Prüfungsgegenstand ist daher nicht, wie §  1 I PatG vermuten lässt, die vom Erfinder erbrachte „erfinderische Tätigkeit“, sondern vielmehr die Untersuchung, ob der Erfindungsgegenstand, d. h. das Ergebnis der Tätigkeit des Erfinders, „naheliegend“ ist.282 Die Betrachtungsweise verschiebt sich demnach von der Beurteilung der erfinderischen Leistung, die der Erfinder erbrachte, hin zu der Bewertung, ob das Ergebnis des Erfindungsvorgangs patentwürdig erscheint. Nicht die individuelle Leistung des Erfinders ist ausschlaggebend für die Patentfähigkeit der Erfindung, sondern vielmehr die Frage, ob „der Fachmann“ die Erfindung in naheliegender Weise, d. h. ohne große Schwierigkeiten tätigen kann, wenn er sich die erfindungsgemäße Aufgabe stellt. Diese Betrachtungsweise ist darauf zurückzuführen, dass die Patenterteilung zwar den individuellen Erfinder für seine Leistung belohnen soll, jedoch das gegenüber jedermann wirkende Ausschließlichkeitsrecht des Patents seine Rechtfertigung finden muss.283 Da280 

BGH GRUR 2013, 51, 52 Tz.  15 – Gelomyrtol. Nickel, GRUR-Prax 2013, 578. 282  Kraßer/Ann, PatR, 7.  A ., 2016, §  18 Rn.  11 ff.; Pagenberg, GRUR Int. 1978, 143, 150; Schulte/Moufang, PatG, 9.  A., 2014, §  4 Rn.  7; vgl. auch EPA (T 24/81) ABl. EPA 1983, 133, 137. Etwas anders insoweit Godt, Eigentum an Informationen, 2007, 564 ff., die den individuellen Aufwand des Erfinders wegen der Belohnungsfunktion des Patentrechts in den Vordergrund stellt, womit ein gewisser Investitionsschutz durch das Patentrecht realisiert werden soll. 283  Kraßer/Ann, PatR, 7.  A ., 2016, §  18 Rn.  19; ferner hierzu Eisenführ, FS Preu, 1988, S.  13, 14 ff. 281 Hierzu

III.  Prüfungsmethode bei den Patentierungsvoraussetzungen

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her kann die Entscheidung über die Erteilung des Patents nicht bloß von der individuellen, subjektiven, erfinderischen Leistung des Erfinders abhängen, sondern muss insoweit objektiviert festgestellt werden.284 Das Merkmal des „Beruhens der Erfindung auf erfinderischer Tätigkeit“ bezieht sich daher zwar auf die subjektive Leistung des Erfinders, ist jedoch durch die Bezugnahme auf das Naheliegen für den Fachmann als gedachten Normaltypus eines Erfinders objektiviert.285 Außerdem ist die Beurteilung des individuellen, subjektiven Erfindungsvorgangs im Gegensatz zum Erfindungsergebnis nur sehr schwer objektiv zu beurteilen.286 Inhaltlich ist bei der Prüfung des Merkmals „Beruhen auf erfinderischer Tätigkeit“ ein Gesamtvergleich anzustellen, wobei die Lösungsansätze, die im Stand der Technik bereits vorhanden sind, durch eine mosaikartige Zusammenstellung daraufhin untersucht werden, ob sich aus diesen einzelnen Lösungsansätzen die erfinderische Lehre ohne Schwierigkeiten ergibt, d. h. diese naheliegend ist.287 Bei der Neuheitsprüfung steht die Frage im Vordergrund, was der Fachmann einer Quelle entnehmen kann und „welchen geistigen und experimentellen Aufwand“ man von ihm erwarten kann, um den Informations­gehalt der Quelle zu verstehen.288 Bei der Frage nach der erfinderischen Tätigkeit geht es dagegen um die Vorstellungskraft des Fachmanns.289 Anders ausgedrückt handelt es sich bei der Neuheitsprüfung um die Wahrnehmung von etwas real Vorhandenem und bei der Prüfung auf erfinderische Tätigkeit um einen ab­ strakten Bewertungsvorgang.290 Dies wird in einer neueren BGH-Entscheidung 291 deutlich, in der das Gericht ausführt, dass die Herstellung eines bislang in der Fachwelt noch nicht beschriebenen Stoffes dem Fachmann nahegelegen habe, wenn sich dieser Stoff durch bloße Lagerung einer Zusammensetzung anderer Stoffe nach einiger Zeit zwangsläufig selbst bildete. Nach dem BGH fehlte es in dem Fall nicht an der Neuheit des Herstellungsverfahrens, sondern das Ergebnis habe nahegelegen, d. h. die Zurverfügungstellung des Stoffes beruhte nicht auf erfinderischer Tätigkeit.292 Damit zeigte der BGH, dass es bei der Beurteilung der erfinderischen 284 Schulte/Moufang,

PatG, 9.  A., 2014, §  4 Rn.  7. Kraßer/Ann, PatR, 7.  A., 2016, §  18 Rn 9; Pagenberg, GRUR Int. 1978, 143, 148. 286  Dreiss, GRUR 1994, 781, 785. 287 Schulte/Moufang, PatG, 9.   A., 2014, §  4 Rn.  19; Kraßer/Ann, PatR, 7.  A., 2016, §  18 Rn.  86; ferner BGH GRUR 1953, 120, 121 – Rohrschelle. 288  Dreiss, GRUR 1994, 781, 785. 289  Dreiss, GRUR 1994, 781, 785. 290  Kraßer/Ann, PatR, 7.  A ., 2016, §  18 Rn.  16–19; Dreiss, GRUR 1994, 781, 785. 291  BGH GRUR 2012, 1130 – Leflunomid. 292  BGH GRUR 2012, 1130, 1132 Tz.  29 – Leflunomid. Der BGH ließ die Frage der Neuheit in dieser Entscheidung dahinstehen (Tz.  18) und stützte die Entscheidung darauf, dass der Erfindungsgegenstand nahegelegen habe. In einer nachfolgenden Entscheidung (BGH GRUR 2012, 1133, 1135 Tz.  29 – UV-unempfindliche Druckplatte) führte der BGH zur vorangegangenen Entscheidung aus, dass zur „Vorbekanntheit einer Verfahrensanweisung, deren Befol285 

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§  3  Wissen als Schutzgegenstand und Grundlage

Tätigkeit nicht auf eine Feststellung von Vorbekanntem, sondern auf die Aufmerksamkeit und die Erkenntnismöglichkeiten des Fachmanns ankommt, der auch gelagerte Stoffe und ihre damit zwangläufig verbundene Umwandlung beobachtet. Das Merkmal „Beruhen auf erfinderischer Tätigkeit“ hat den Zweck, die Patentierung von normalen und üblichen Weiterentwicklungen des Standes der Technik zu verhindern.293 Wäre auch jede geringfügige Weiterentwicklung des Standes der Technik patentierbar, so würde dies durch das mit der Patentierung verbundene Ausschließlichkeitsrecht dazu führen, dass anderen die Anwendung der geringfügigen Weiterentwicklung verboten wäre, die sie möglicherweise selbst durch bloße Anwendung und geringe Abwandlung der bekannten Lösungen entwickelt haben.294 Eine solche ausgedehnte Patentierbarkeit von naheliegenden Lösungsvarianten ist nicht mehr vom Zweck gerechtfertigt, der mit der Patenterteilung verbunden ist, nämlich der Förderung des Fortschritts durch Einräumung einer Ausschließlichkeitsstellung als Belohnung für die ­Erfindung.295 Demnach geht es bei der Prüfung, ob die Erfindung auf erfinderischer Tätigkeit beruht, um die Bestimmung des qualitativen Abstandes zwischen dem Stand der Technik und der erfinderischen Lösung.296 (2)  Bestimmung der erfinderischen Tätigkeit mit Hilfe der fiktiven Person des Durchschnittsfachmanns Eine Erfindung, die auf erfinderischer Tätigkeit beruht, darf gemäß §  4 S.  1 PatG „für den Fachmann“ nicht naheliegend sein. Die Entscheidung über das Vorliegen des Merkmals „erfinderische Tätigkeit“ trifft der Patentprüfer im Rahmen des Erteilungsverfahrens (§  49 I PatG) oder Einspruchsverfahrens (§§  59 I 3, 21 gung zwangsläufig eine Sache oder einen Zustand zur Folge hat, die objektiv die von der Erfindung gelehrte Beschaffenheit aufweist, für die Vorwegnahme der erfindungsgemäßen Lehre im Sinn der Neuheitsprüfung“ genüge. In der nachfolgenden Entscheidung geht es jedoch nicht um eine „Neuheitsprüfung“ im weiteren Sinn, sondern um die Frage des Offenbarungsgehalts einer Anmeldung. Zur Bestimmung dieses Offenbarungsgehalts ist es notwendig, dass der Fachmann die technische Lehre den Unterlagen „unmittelbar und eindeutig“ entnehmen kann (BGH GRUR 2012, 1133 Tz.  31). Die sich daran anschließende Frage war mit der hier diskutierten identisch: In der Anmeldung war ein Merkmal nicht erwähnt, das zur Ausführung der angemeldeten Lehre aber erforderlich war. Dann hing die Bestimmung des Offenbarungsgehalts davon ab, ob der Fachmann dieses Merkmal als selbstverständlich mitliest und damit eine implizite Offenbarung vorliegt oder ob der Fachmann einen entsprechenden Hinweis erwartet hätte. 293  Gesetzesbegründung zu §  4 PatG in Art.  5 IntPatÜkG, BT-Drcks. 7/3712, S.  381; ferner Eisenführ, FS Preu, 1988, S.  13, 17 f. 294  Kraßer/Ann, PatR, 7.  A ., 2016, §  18 Rn.  2 ; Schulte/Moufang, PatG, 9.  A ., 2014, §  4 Rn.  6 ; ferner EPA (T 0939/92) ABl. EPA 1996, 309, 320 – Triazole/AGREVO. 295  Machlup, Wirtschaftliche Grundlagen, 1961, S.  20 f.; Schwander, Theorien über das Patentrecht, 1937, S.  13 ff.; Beier, GRUR Int. 1970, 1, 2 ff.; so bereits RGZ 85, 95, 98 f. 296  Kraßer/Ann, PatR, 7.  A ., 2016, §  18 Rn.  24.

III.  Prüfungsmethode bei den Patentierungsvoraussetzungen

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I Nr.  1 PatG) bzw. der Richter im Rahmen der gerichtlichen Prüfung der patent­ amtlichen Entscheidung. Weder der Patentprüfer noch der Richter ist „der Fachmann“, der in §  4 S.  1 PatG erwähnt ist. Der „Fachmann“ ist eine fiktive Person, die als Rechtsbegriff zum Zwecke der anschließenden Bewertung der Erfindung mit Hilfe des fiktiv geschaffenen Fachmanns gebildet wird.297 Die „Kunst­ figur“298 des Fachmanns ist vergleichbar mit anderen Rechtsbegriffen, bei denen typisierte Personen zum Zwecke einer nachfolgenden Bewertung eines Sachverhalts fiktiv geschaffen werden. Ein Beispiel hierfür ist der „billig und gerecht denkende“ Teilnehmer des Privatrechtsverkehrs, wenn es um die Beurteilung der Sittenwidrigkeit eines Geschäfts (§  138 BGB) geht.299 Bereits bei der Analyse einer Vorveröffentlichung, die auf ihre Relevanz für die Neuheit der Erfindung untersucht wird, ist die Sichtweise des Fachmanns und der durch ihn zu ergründende Informationsgehalt der Quelle entscheidend, weil sich der Stand der Technik regelmäßig an den Fachmann und damit an Personen wendet, die über fachmännisches Verständnis verfügen.300 Bei der Prüfung auf erfinderische Tätigkeit spielt „der Fachmann“ eine noch größere Rolle. Nur durch die vorherige Aufstellung nachvollziehbarer Kriterien, anhand derer die Entscheidung über die erfinderische Tätigkeit getroffen wird, kann der wertende Entscheidungsvorgang verständlich und damit justiziabel werden. Die individuellen Fähigkeiten bzw. Schwierigkeiten des Erfinders, die er bei der Erfindung zu überwinden hatte, müssen bei der Entscheidung ausgeblendet werden.301 Außerdem muss es ein objektives Ergebnis sein, d. h. anhand der zuvor festgelegten Kriterien muss die wertende Entscheidung von jedermann nicht bloß nachvollzogen, sondern bei Kenntnis sämtlicher entscheidungserheblicher Umstände gleichermaßen gefunden werden können. Weder Patentprüfer noch Richter haben bei der Entscheidung über die Patentierungsvoraussetzungen einen Ermessensspielraum.302 Diese starke Verobjektivierung der Bewertung einer Erfindung im Rahmen der Prüfung auf ihre Patentfähigkeit 303 liegt an der Wirkung der Entscheidung über die Patenterteilung. Wird das Patent erteilt, wird damit nicht nur der Erfinder belohnt, sondern das Patent 297 

Kraßer/Ann, PatR, 7.  A., 2016, §  18 Rn.  16 ff. Meier-Beck, Mitt. 2005, 529, 530. 299  Diese Parallele zeigt Meier-Beck, Mitt. 2005, 529, 530, auf: Der Fachmann im Patentrecht ist nichts anderes als der „billig und gerecht denkende Teilnehmer am Privatrechtsverkehr, der uns lehrt, was Treu und Glauben zu tun gebieten“. 300  Vgl. statt vieler BGH GRUR 1998, 1003, 1004 – Leuchtstoff: Bei dem Verständnis von Patentschriften ist „nicht die Sicht des Semantikers, sondern die des Durchschnittsfachmanns entscheidend“. 301  Eindeutig BGH GRUR 2004, 1023, 1025 – Bodenseitige Vereinzelungseinrichtung. 302  Pagenberg, GRUR Int. 1978, 143, 147 f.; Pagenberg, GRUR Int. 1978, 190, 191; Bossung, Mitt. 1974, 141, 148. 303  Gleiches gilt auch bei der Bestimmung des Schutzumfangs, wobei auch die Sichtweise des Durchschnittsfachmanns entscheidend ist, vgl. Dreiss, GRUR 1994, 781. Zur Einheitlichkeit des Begriffs des Durchschnittsfachmanns bei der Beurteilung der Patentfähigkeit und der 298 

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§  3  Wissen als Schutzgegenstand und Grundlage

gilt gegenüber jedermann als Verbotsrecht. Durch diese allgemeine Wirkung gegenüber jedermann muss die Entscheidung über die Patenterteilung wegen des Gebotes der Rechtssicherheit 304 auf eine verlässliche Grundlage gestellt werden. Dies wird dadurch erreicht, dass für die Frage nach der Patentfähigkeit der angemeldeten Erfindung die durchschnittlichen Kenntnisse, Erfahrungen und Fähigkeiten der Fachwelt auf dem betreffenden Gebiet ohne die Berücksichtigung individueller Fähigkeiten und Kenntnisse des Erfinders ausschlaggebend sind.305 Die Bildung eines gedachten (fiktiven) Durchschnitts des Wissens und des Könnens eines Fachmanns auf einem Fachgebiet dient als Hilfsbegriff für die nachfolgende Prüfung, ob die Erfindung naheliegend ist. Kraßer/Ann306 vergleichen die Vorgehensweise der Bildung eines gedachten Durchschnitts mit der Bewertung einer Prüfungsleistung, bei der vor der Bewertung der individuellen Leistung ein durchschnittlicher Prüfungsmaßstab festgelegt wird. Hierbei könne die Zielmarke einer sehr guten Leistung jedoch nicht im Vorfeld definiert werden, weil eine sehr gute Leistung sehr vielgestaltig sein kann, wenn sie (weit) oberhalb der durchschnittlichen Leistung liegt. Der erste Schritt bei der Prüfung, ob die Erfindung auf erfinderischer Tätigkeit beruht, ist daher eine sehr genaue Feststellung, „wer“ der betreffende Durchschnittsfachmann ist, für den die Erfindung naheliegend ist oder nicht. Besser ist die Frage dahingehend formuliert, welche Eigenschaften und Fähigkeiten der (fiktive) Durchschnittsfachmann haben muss, mit dessen Hilfe die Bewertung der Erfindung erfolgt. Durch die Festlegung der Kenntnisse und Fähigkeiten des Fachmanns wird die Entscheidung über die Frage des Naheliegens einer Erfindung maßgeblich beeinflusst: Je mehr Kenntnisse und Fähigkeiten der einschlägige Fachmann hat, desto einfacher fällt ihm das Auffinden des erfindungsgemäßen Lösungsvorschlags und desto weniger Erfindungen beruhen (aus der Sicht des sehr umfassend informierten und befähigten Fachmanns) auf erfinderischer Tätigkeit.307 aa.  Eigenschaften (Wissen und Können) des Durchschnittsfachmanns Dem Durchschnittsfachmann wird das Fachwissen und Fachkönnen unterstellt, welches zum Stand der Technik im Prioritätszeitpunkt zählt.308 AllerPatentauslegung sowie ferner der ausreichenden Offenbarung vgl. ferner Eisenführ, FS Preu, 1988, S.  13, 16 f. 304  Vgl. BGH GRUR 2004, 1023, 1025 – Bodenseitige Vereinzelungseinrichtung. 305  Für die objektive Auslegung einer patentierten Lehre durch das fachmännische Verständnis im Verletzungsverfahren vgl. BGH GRUR 2004, 1023, 1025 – Bodenseitige Vereinzelungseinrichtung. 306  Kraßer/Ann, PatR, 7.  A ., 2016, §  18 Rn.  16. 307  Melullis, FS Ullmann, 2006, S. 503, 511 f.; Niedlich, Mitt. 2000, 281 282; Ochmann, GRUR 1985, 941, 944; Pagenberg, GRUR Int. 1978, 143, 149. 308  Mes, PatG, 4.  A ., 2015, §  4 Rn.  18; Meier-Beck, Mitt. 2005, 529, 530 (begrenzt auf das „betroffene“ bzw. „einschlägige“ Fachgebiet).

III.  Prüfungsmethode bei den Patentierungsvoraussetzungen

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dings wird nicht der gesamte Stand der Technik als dem Fachmann bekannt vorausgesetzt, sondern nur ein sachlich begrenzter Teilbereich, in dem der einschlägige, fiktive Fachmann über Kenntnisse und Fähigkeiten regelmäßig verfügt. Die sachliche Begrenzung der Kenntnisse und Fähigkeiten spielt bei der Prüfung auf erfinderische Tätigkeit eine weit größere Rolle als bei der Neuheitsprüfung.309 Bei der Neuheitsprüfung ist das fachmännische Verständnis zugrunde zu legen, um die Quelle zu verstehen. Durch die Zugehörigkeit der Quelle zu einem bestimmten Fachgebiet ist der „einschlägige“ Fachmann310 und damit die sachliche Begrenzung seiner Kenntnisse und Fähigkeiten festgelegt.311 Dagegen geht es bei der Prüfung auf erfinderische Tätigkeit nicht um die Beurteilung des Informationsgehalts einer Quelle, sondern darum, ob die vorliegende Erfindung für den fiktiven Fachmann „naheliegend“ ist. Die Begrenzung des sachlichen Umfangs der Kenntnisse und Fähigkeiten des fiktiven Fachmanns muss sich daher an der zu beurteilenden Erfindung orientieren.312 (i)  Relevanz der Aufgabe für die Bestimmung des technischen Gebiets des Fachmanns Fraglich ist jedoch, ob das technische Gebiet, auf dem die Erfindung liegt, nur dasjenige ist, auf dem die Lösung liegt oder auch dasjenige, auf dem auch die Aufgabe zu der erfindungsgemäßen Lösung liegt. In Betracht kommt ebenfalls eine Kombination der Kenntnisse und Fähigkeiten aus beiden technischen Gebieten von Aufgabe und Lösung. Einigkeit besteht darüber, dass der Fachmann zumindest über umfassende Kenntnisse und Fähigkeiten auf dem technischen Gebiet verfügt, aus dem die erfindungsgemäße Lösung stammt.313 Aus diesem Fachgebiet werden dem fiktiven Fachmann sämtliche Fähigkeiten und Kenntnisse unterstellt, unabhängig davon, wie inhaltlich entlegen und schwer auffindbar der Stand der Technik ist.314 Das Fachgebiet, aus dem die der Erfindung zugrunde liegende Aufgabe stammt, spielt hingegen für die sachliche Eingrenzung der Kenntnisse und Fähigkeiten des Durchschnittsfachmanns nach über309 

Eisenführ, FS Preu, 1988, S.  13, 16 f. BGH PMZ 1991, 159 – Haftverband. 311  Dabei treten nur Unsicherheiten auf, wenn es um die generelle Verfügbarkeit der Quelle in der einschlägigen Fachwelt geht, die sich für die Erfindung interessiert; letztlich kommt es darauf an, ob es der Lebenswahrscheinlichkeit entspricht, dass die Fachwelt die Informa­ tion zur Kenntnis nimmt, BGH GRUR 1996, 747, 752 – Lichtbogen-Plasma-Beschichtungssystem. 312  Meier-Beck, Mitt. 2005, 529: Die Kenntnisse und Erfahrungen des Fachmanns hängen davon ab, „welchem Fachgebiet die Erfindung zuzuordnen ist“. 313  BGH GRUR 1986, 798, 799 f. – Abfördereinrichtung für Schüttgut; BGH GRUR 1959, 532, 536 f. – Elektromagnetische Rühreinrichtung; Eisenführ, FS Preu, 1988, S.  13, 23 ff. 314  Meier-Beck, Mitt. 2005, 529, 530. Beispielsweise gehört auch eine Dissertation bzw. Diplomarbeit zum Stand der Technik, wenn „nur ein einziges Exemplar in einer entlegenen Hochschulbibliothek von Nutzern gelesen oder ausgeliehen werden könnte“, Kraßer/Ann, PatR, 7.  A., 2016, §  16 Rn.  21, unter Bezugnahme auf BPatGE 30, 1. 310 

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§  3  Wissen als Schutzgegenstand und Grundlage

wiegender Ansicht keine Rolle.315 Teilweise ist vorgeschlagen worden, auch den technischen Bereich der Aufgabe mit für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit heranzuziehen, weil bereits die Aufgabenstellung Ansatzpunkte für die erfinderische Tätigkeit liefern könne.316 Jedoch spricht gegen eine solche Einbeziehung der Aufgabe in die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit, dass es bei einer Berücksichtigung der Aufgabe dazu kommen kann, dass die bloße Aufgabenformulierung eine erfinderische Tätigkeit begründen könnte, wenn die Aufgabenstellung nicht naheliegend ist. Allerdings ist allgemein anerkannt, dass sog. Aufgabenerfindungen keine patentrechtlich schutzfähigen Erfindungen sind.317 Patentrechtlich schutzfähig sind nur Lösungen zu Aufgaben, nicht die Aufgabe bzw. die Aufgabenstellung selbst. Dies wird dann relevant, wenn die Lösung zu der Aufgabe für den Fachmann ohne Weiteres naheliegt, die Auf­ gabenformulierung (für die die Lösung dann naheliegend ist) für den Fachmann jedoch nicht naheliegend ist. Dies kann beispielsweise daran liegen, dass lange existierende technische Vorurteile den Fachmann bislang davon abhielten, überhaupt in diese Richtung zu denken und daher eine entsprechende Aufgabe bisher noch nicht formuliert wurde.318 Dennoch ist im Patentrecht die der Erfindung zugrunde liegende Aufgabe für die Bewertung der Erfindung nicht ausschlaggebend, da mit dem Patent nicht die Aufgabenstellung (Problem­ formulierung), sondern nur die Lösung von Problemen belohnt wird. Daher kann aus der allgemein fehlenden Relevanz der gestellten Aufgabe für die patentrechtliche Beurteilung der Erfindung geschlossen werden, dass die Auf­ gabenstellung keine Auswirkungen auf die sachliche Begrenzung oder Aus­ weitung des Fachgebietes hat, aus dem der fiktive Durchschnittsfachmann seine Kenntnisse und Fähigkeiten bezieht.319 (ii)  Lösungsansätze aus mehreren Fachgebieten Erstreckt sich die erfinderische Lösung auf verschiedene technische Fachgebiete, so ist zunächst das technische Gebiet zu bestimmen, auf dem der primäre Lösungsansatz liegt. Die Kenntnisse aus den Gebieten, die auch zur Lösung beitragen, sind dem Fachmann dann zu unterstellen, wenn er Anlass hatte und es ihm zugemutet werden kann, in diesen weiteren Gebieten nach Lösungen zu suchen.320 Außerhalb des Fachgebietes der erfinderischen Lösung verfügt der 315 Vgl.

Dreiss, GRUR 1994, 781, 787 m. w. N. Hesse, GRUR 1981, 853, 856. Die Rechtsprechung tendiert in diese Richtung, wenn „die Aufgabenstellung bereits einen Schritt in Richtung auf die Lösung enthält“ BGH GRUR 1978, 98, 99 – Schaltungsanordnung: Dann könne die Aufgabenstellung „bei der Beurteilung der erfinderischen Leistung nicht unberücksichtigt bleiben“. 317  St. Rspr. ausdrücklich seit BGH GRUR 1984, 194, 195 – Kreiselegge. 318  BGH GRUR 1984, 580 – Chlortoluron; BGH GRUR 1996, 857, 860 – Rauchgasklappe; ausführlich dazu Hesse, GRUR 1982, 514, 516. 319  Dreiss, GRUR 1994, 781, 787; Eisenführ, FS Preu, 1988, S.  13, 23 ff. 320  Ochmann, GRUR 1985, 941, 944 f. 316 

III.  Prüfungsmethode bei den Patentierungsvoraussetzungen

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Durchschnittsfachmann, abgesehen von allgemeinem und verbreitetem Grundlagenwissen, grundsätzlich über keine Kenntnisse.321 Ausgenommen sind davon die Kenntnisse aus dem Fachgebiet, das technisch benachbart oder übergeordnet ist, falls von dem Fachmann erwartet werden kann, dass er dort Lösungen zu einem ähnlichen Problem sucht, das er lösen will.322 Dazu muss die sachliche Nähe der fachübergreifenden Problemähnlichkeit für den Fachmann mit den Kenntnissen aus seinem Fachgebiet erkennbar sein 323 und der Fachmann muss Anlass gehabt haben, in dem fachfremden Gebiet nach Lösungsmöglichkeiten zu suchen.324 Der Anlass für die Informationseinholung auch aus einem fachfremden Gebiet muss hinreichend konkret sein. Der BGH325 hat die Kriterien jüngst konkretisiert, wann ein Fachmann Anlass hat, eine Lösung in anderen Bereichen als denen, aus denen die Erfindung stammt, als Lösungsmöglichkeit für die erfindungsgemäße Aufgabe heranzuziehen. Der Fachmann hat entsprechenden Anlass „wenn sich die Nutzung ihrer Funktionalität in dem zu beurteilenden Zusammenhang als objektiv zweckmäßig darstellt und keine besonderen Umstände feststellbar sind, die eine Anwendung aus fachlicher Sicht als nicht möglich, mit Schwierigkeiten verbunden oder sonst untunlich erscheinen lassen“.326 Bei der Ausdehnung der Quellen der Information, deren sich der Fachmann bedient und die ihm daher als bekannt unterstellt werden, ist allerdings die sich daraus ergebende Folge zu beachten, dass der Kreis der patentierbaren Gegenstände kleiner wird. Würde man das einschlägige Fachgebiet des Fachmanns zu weit fassen und dem Fachmann umfassende Kenntnisse auf zahlreichen Fachgebieten unterstellen, ohne dass Anlass bestand, sich in diesen Gebieten über Lösungen zu informieren, so entstünde ein „allwissender“327 fiktiver Fachmann, für den auch sog. Übertragungserfindungen immer naheliegend sind.328 Eine Übertragungserfindung liegt vor, wenn eine Problemlösung aus einem technischen Gebiet in ein vollkommen anderes technisches Gebiet übertragen wird und die Problemlösung in dem neuen Gebiet bislang ungebräuchlich ist.329 Die Übertragungserfindung ist jedoch nicht per se bereits wegen einer sehr umfassend definierten Kenntnis des fiktiven Fachmanns über die Grenzen seines Fachgebietes hinweg von der Patentierbarkeit ausgeschlossen. Vielmehr muss die Patentfähigkeit der Verwendung eines in einem anderen 321 

Mes, PatG, 4.  A., 2015, §  4 Rn.  19. BGH GRUR 1986, 372, 374 – Thrombozyten-Zählung; Schulte/Moufang, PatG, 9.  A., 2014, §  4 Rn.  48 f. 323  BGH GRUR 2010, 41, 43 Tz.  29 – Diodenbeleuchtung. 324  Dreiss, GRUR 1994, 781, 787; Niedlich, Mitt. 2000, 281, 283 f. 325  BGH GRUR 2014, 461, 643 Tz.  38 – Kollagenese I; BGH GRUR 2014, 647, 649 Tz.  25 ff. – Farbversorgungssystem. 326  BGH GRUR 2014, 647, 649 Tz.  25 ff. – Farbversorgungssystem. 327  Ochmann, GRUR 1985, 941, 944 f. 328  Pagenberg, GRUR Int. 1978, 143, 149 f. 329 Benkard/Melullis, EPÜ, 2.  A ., 2012, Art.  52 Rn.  140. 322 

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§  3  Wissen als Schutzgegenstand und Grundlage

Fachgebiet bekannten Lösungsmittels in einem neuen Fachgebiet vom Naheliegen der Übertragung von dem einen in das andere Fachgebiet abhängen. Dies beurteilt sich nach der wertenden Entscheidung, ob der Fachmann (auf dem Gebiet, in das die Lösungsmittel übertragen werden) die Lösungsmittel als naheliegende Lösung zu der gestellten Aufgabe in Betracht ziehen würde.330 Diese Entscheidung wäre vorweggenommen, wenn bereits der Kreis des Fachgebietes, dem der Fachmann angehört, zu groß wird. (iii) Zwischenergebnis Bei der Prüfung, ob die Erfindung auf erfinderischer Tätigkeit beruht, ist die Definition des fiktiven Durchschnittsfachmanns eine notwendige Vorüberlegung für den Vergleichsvorgang der Erfindung mit den einzelnen aus dem Stand der Technik bekannten Merkmalen. Die Vorüberlegung endet mit dem Ergebnis, dass eine fiktive Person definiert wurde und ihr Kenntnisse aus den abgegrenzten Fachbereichen gänzlich bzw. aus angrenzenden Fachbereichen dann unterstellt werden, wenn Anhaltspunkte bestanden, dass sich der Fachmann in diesen Gebieten nach Lösungen für das zu lösende Problem informieren würde. Durch die Definition des einschlägigen Fachmanns steht überdies fest, über welche Fähigkeiten der „Fachmann“ gemäß §  4 S.  1 PatG verfügt. Diese Fähigkeiten und Kenntnisse nutzt der Fachmann in einem weiteren Schritt, um zu der eigentlich zu beantwortenden Frage zu gelangen, ob die Erfindung für ihn nicht naheliegt und somit auf erfinderischer Tätigkeit beruht. bb.  Verfahren bei der Bestimmung der erfinderischen Tätigkeit Nur weil eine technische Information zum einschlägigen Stand der Technik, d. h. dem Fachgebiet des Durchschnittsfachmanns, gehört, bedeutet dies nicht, dass der Fachmann sich dieser Kenntnis für die Lösung der erfindungsgemäßen Aufgabe bedient und die Anwendung des Lösungsmittels daher für ihn auch nahegelegen hat.331 Ob der Fachmann die Überlegungen und Handlungen der erfinderischen Lehre dadurch anstellt, dass er die ihm im vorangegangenen Schritt unterstellten technischen Kenntnisse und Fähigkeiten für die Auffindung der erfindungsgemäßen Lehre nutzt, ist Gegenstand einer wertenden Betrachtung. Es stellt sich somit die Frage, ob der Fachmann über die Erkennbarkeit des technischen Problems und die Kenntnis von einzelnen, eventuell möglich erscheinenden Lösungsansätzen hinaus Anlass hatte, das der Erfindung 330  Eisenführ, FS Preu, 1988, S.  13, 23 ff., stellt in Auseinandersetzung mit der einschlägigen Rechtsprechung des BGH darauf ab, dass der einschlägige Durchschnittsfachmann auch das weiß, was er „von Fachleuten anderer Disziplinen gezielt erfragen kann“, wobei der befragte Fachmann keine andere Funktion hat als ein „sein Fachgebiet behandelndes Nachschlagewerk“. 331  BGH GRUR 2009, 743, 745 Tz.  37 – Airbag-Auslösesteuerung.

III.  Prüfungsmethode bei den Patentierungsvoraussetzungen

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zugrunde liegende Problem gerade in der Weise zu lösen, wie es die Erfindung beschreibt.332 Dabei kann der Fachmann auch Anlass haben, mehrere unterschiedliche Lösungswege zu beschreiten, wenn diese durch den Stand der Technik und die erfindungsgemäße Aufgabe angelegt waren.333 (i)  Prüfungsschrittfolge nach dem „Aufgabe-Lösung“-Ansatz des EPA Um die Prüfungsschritte anhand der gedachten Überlegungen des fiktiven Fachmanns im Rahmen einer strukturierten Prüfung abzuarbeiten, hat sich in der Praxis des europäischen Patentrechts eine dreistufige Prüfungsabfolge herausgebildet.334 Diese Prüfungsreihenfolge ist allerdings nicht als eine feststehende und stets anzuwendende Methode anzusehen, sondern nur als eine von vielen möglichen Methoden zur Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit einer Neuerung.335 Dennoch hat sich die Prüfungsmethode in der überwiegenden Zahl der Fälle als zielführend herausgestellt.336 Die Prüfung nach dem sog. „Aufgabe-Lösung“-Ansatz ist dreistufig: 337 Zunächst ist der der Erfindung „nächstkommende“ Stand der Technik zu ermitteln. Dann ist die objektive technische Aufgabe zu formulieren, die von der Erfindung gelöst wird. Anschließend wird die Frage gestellt, ob die anmeldungsgemäße Lösung zu der formulierten Aufgabe aus der Sicht des Fachmanns mit den objektiv zu erwartenden Fähigkeiten nahelag.338 Kennzeichnend für diese 332  BGH GRUR 2009, 746, 748 Tz.  20 – Betrieb einer Sicherheitseinrichtung; BGH Mitt. 2015, 124 Tz.  35 – Zwangsmischer. 333  BGH GRUR 2015, 356, 360 Tz.  31 – Repaglinid. 334  Die materiell-rechtlichen Normen der Patentierung sind im europäischen Patentrecht (Artt.  52 ff. EPÜ) insoweit wortlautidentisch mit denjenigen der nationalen Regelung (§§  1 ff. PatG). Während des Erteilungsverfahrens sind europäische und nationale Patente vonein­ ander unabhängig. Erst wenn nach der Erteilung die Einspruchsfrist gegen das europäische Patent abgelaufen ist, wirkt das europäische wie ein nationales Patent (Art.  6 4 I EPÜ), so dass sich auch die Frage nach einer Verletzung (d. h. auch des Schutzumfangs) nach nationalem Recht richtet (Art.  6 4 III EPÜ). Daher ist zwar nicht normativ, wohl aber von der Regelungsintention angelegt, dass die Erteilungsvoraussetzungen nationaler und europäischer Patente nahezu deckungsgleich sind. Die gegenseitigen Bezugnahmen von BGH und den Beschwerdekammern des EPA zeigen eine wechselseitige harmonische Orientierung der Rechtspraxis. Zu den auftretenden Unterschieden zwischen europäischer Patentrechtsrechtspraxis der Beschwerdekammern und der Rechtsprechung des BGH vgl. Benkard/Kinkeldey/Karamanli, EPÜ, 2.  A., 2012, Art.  56 Rn.  25. 335  So eindeutig EPA (T 465/92) ABl. EPA 1996, 32, 50 f.; insoweit abgedruckt in GRUR Int. 1996, 723. Diese Entscheidung stellt jedoch einen Einzelfall dar, der keine allgemeine Aussage über die sonstige Anwendbarkeit der Methode zulässt. 336 Im Sinne einer „Richtschnur“ soll diese Methode nützlich und praktikabel sein, ­Kraßer/Ann, PatR, 7.  A., 2016, §  18 Rn.  93. 337  Zum Ganzen umfassend Kraßer/Ann, PatR, 7.  A ., 2016, §  18 Rn.  89–94. Die Prüfung kann in noch kleinere Schritte gegliedert werden, die jeweils einzelne Zwischenschritte enthalten, vgl. Schulte/Moufang, PatG, 9.  A., 2014, §  4 Rn.  29. 338  EPA (T 24/81) ABl. EPA 1983, 133, 137 – Metallveredlung/BASF; EPA (T 01/80) ABI. EPA 1981, 206 – Reaktionsdurchschreibepapier; ausführlich hierzu Niedlich, Mitt. 2000, 281,

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§  3  Wissen als Schutzgegenstand und Grundlage

Prüfungsabfolge ist, dass die eigentlich interessierende Frage nach dem Naheliegen der erfinderischen Lösung zurückgestellt wird und zunächst die vorhandenen Informationen gefiltert werden. Zunächst wird der (umfassende) Stand der Technik eines Fachgebietes, auf dem die anmeldungsgemäße Lösung liegt, einer ersten Sortierung und Auslese unterzogen. Dabei ist derjenige Stand der Technik herauszugreifen, der der erfindungsgemäßen Lösung am nächsten liegt, d. h. die Quelle, die der Fachmann aus gutem Grund als Ausgangspunkt seiner Überlegungen gewählt hätte.339 Die Überlegungen erschöpfen sich nicht in der Betrachtung dieser Quelle als Ausgangspunkt der Überlegungen, sondern die Quelle dient als das „erfolgversprechendste Sprungbrett“340 zur Erfindung, zu deren Auffindung häufig auch eine Reihe weiterer Quellen in die Überlegungen einbezogen werden.341 Welches die für die Auffindung der erfindungsgemäßen Lösung nächstliegende Informationsquelle ist, bestimmt sich primär danach, welche vorveröffentlichte Lösung die meisten Gemeinsamkeiten mit der Erfindung aufweist bzw. welche vorveröffentlichte Lösung eine hohe Übereinstimmung in Wirkung und Zielrichtung mit der Erfindung hat.342 Die Auswahl des nächstliegenden Standes der Technik als Ausgangspunkt für die Prüfung auf das Naheliegen der Erfindung hat im Wesentlichen zwei Gründe: 343 Zunächst entspricht es der Lebenserfahrung, dass nahe beieinander liegende (inhaltlich benachbarte) Informationen eher kombiniert werden, als etwa allzu unterschiedliche und weit voneinander entferntere Informationen in einen Zusammenhang gebracht werden. Außerdem spricht für diese Herangehensweise ein methodisches Argument: Wenn schon die Erfindung bei Zugrundelegung der nächstliegenden Information nicht naheliegend ist, dann kann sie erst recht nicht bei der Prüfung einer inhaltlich weiter entfernt liegenden Information naheliegend sein. Außerdem ist im Rahmen des „Aufgabe-Lösung“-Ansatzes die angemeldete Erfindung daraufhin zu untersuchen, welche technische Aufgabe mit den angemeldeten Lösungsmitteln objektiv gelöst wird.344 Diese Schärfung der Aufga282; Kraßer/Ann, PatR, 7.  A., 2016, §  18 Rn.  89–94; Knesch, Mitt. 2000, 311, 312; Szabo, Mitt. 1994, 225, 226 ff. 339  EPA (T 1000/92) vom 11.05.1994 Tz.  4.3 – Bisphenols/SHELL; vgl. hierzu ABl. EPA SonderA 1995, 12, 38. 340 „The most promising springboard“: EPA (T 254/86) ABl. EPA 1989, 115; EPA (T 644/97) ABl. EPA 2000, 21; zum spekulativen Charakter der Auswahl des nächstliegenden Standes der Technik EPA (T 1764/09). 341  Zum Ganzen Schulte/Moufang, PatG, 9.  A ., 2014, §  4 Rn.  30; Szabo, Mitt. 1994, 225, 232. 342  Hierzu EPA (T 964/92) vom 23.08.1994, Tz. III – Benzodioxane derivatives/EISAI. Zahlreiche weitere Kriterien für die Auswahl des nächstliegenden Standes der Technik bei Schulte/Moufang, PatG, 9.  A., 2014, §  4 Rn.  32. 343 Hierzu Kraßer/Ann, PatR, 7.  A ., 2016, §  18 Rn.  87. 344  Umfassend EPA (T 39/93) ABl. EPA 1997, 134 (5.3.2) – Polymerpuder/ALLIED COLLOIDS LIMITED.

III.  Prüfungsmethode bei den Patentierungsvoraussetzungen

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benstellung als Ausgangspunkt der Betrachtung ist ein Spezifikum in der europäischen Patentrechtspraxis. Auch in der nationalen Rechtsprechung ist zu erkennen, dass die Aufgabe verobjektiviert verstanden und die von der Erfindung tatsächlich gelöste Aufgabe betrachtet wird.345 Allerdings stellt die Formulierung der objektiven Aufgabe in der nationalen Rechtsprechung nicht den Ausgangspunkt der Prüfung auf erfinderische Tätigkeit dar, sondern die objektiv durch die Erfindung gelöste Aufgabe spielt erst bei der Feststellung eines erheblichen Fortschritts eine Rolle, dessen Vorliegen auf eine erfinderische Tätigkeit hinweisen kann.346 Die vermeintlich verschiedenen Prüfungsansätze (europäisch und national) liegen im Ergebnis nicht weit auseinander.347 Bei beiden Betrachtungen der Aufgabe geht es darum, die Aufgabe (unabhängig davon, welche Rolle sie in der Bewertung der erfinderischen Tätigkeit spielt) möglichst objektiv zu verstehen und von den subjektiv geprägten Darstellungen des Erfinders bzw. Anmelders zu befreien. Das mit der (Neu-)Formulierung einer objektiven Aufgabe verfolgte Ziel ist es daher, die Prüfung auf das Naheliegen der Erfindung möglichst stark zu verobjektivieren. Die vom Erfinder bzw. Anmelder formulierte Aufgabe, die mit den erfindungsgemäßen Mitteln gelöst werden soll, enthält häufig eine subjektive Sichtweise der Hindernisse, die sich dem Erfinder bei der Auffindung der erfinderischen Lehre stellten.348 Durch die Formulierung einer objektiven Aufgabe wird die der Erfindung zugrunde liegende Problematik auf die Aufgabe zurückgeführt, die von der angemeldeten Lehre tatsächlich gelöst wird.349 Bei der Definition des der Erfindung zugrunde liegenden tech­ nischen Problems warnt der BGH in jüngeren Entscheidungen davor, mit der ­Definition bereits eine Vorentscheidung über die Frage der Patentfähigkeit zu treffen.350 Daher blendet er Elemente der erfindungsgemäßen Lösung bei der Definition der Aufgabe bewusst aus.351 Die der Erfindung zugrunde liegende Aufgabenstellung ist daher „allgemein und neutral zu stellen“.352 Der Schritt der Aufgabenformulierung dient der Verobjektivierung der Prüfung auf erfinderische Tätigkeit.353

345 BGH GRUR 1991, 522, 523 – Feuerschutzabschluß; BGH GRUR 1986, 803, 805 – Formstein; BGH GRUR 1981, 186, 188 f. – Spinnturbine II; BGH GRUR 2010, 602 Tz.  27 – Gelenkanordnung; BGH GRUR 2011, 607 Tz.  12 – Kosmetisches Sonnenschutzmittel III; BGH GRUR 2012, 1122, 1123 Tz.  22 – Palettenbehälter III. 346  BGH GRUR 1991, 522, 523 – Feuerschutzabschluß. 347  Kraßer/Ann, PatR, 7.  A ., 2016, §  18 Rn.  89–94. 348  So eindeutig und ausführlich BGH GRUR 1991, 522, 523 – Feuerschutzabschluß. 349  BGH GRUR 1991, 522, 523 – Feuerschutzabschluß. 350  BGH GRUR 2015, 352, 353 Tz.  16 f. – Quetiapin. 351  BGH GRUR 1991, 811, 814 – Falzmaschine; BGH GRUR 2010, 44 Tz.  14 – Dreinahtschlauchfolienbeutel. 352  BGH GRUR 2015, 352, 353 Tz.  17 – Quetiapin. 353  EPA (T 248/85) ABl. EPA 1986, 261, 268 – Bestrahlungsverfahren/BICC; EPA (T 24/ 81) ABl. EPA 1983, 133, 137 – Metallveredlung/BASF.

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§  3  Wissen als Schutzgegenstand und Grundlage

Erst im dritten Schritt stellt sich die Frage nach dem Naheliegen der Erfindung im engeren Sinne. Dabei wird aus der Sicht des fiktiven Fachmanns im Rahmen einer wertenden Entscheidung die Frage beantwortet, ob dieser gedachte Fachmann, der über sämtliche Kenntnisse in dem Fachgebiet (und bei Anlass auch in angrenzenden Gebieten) verfügt, wenn er die (objektive) Aufgabe gestellt bekommt, unter Zuhilfenahme seiner Kenntnisse und Fähigkeiten ausgehend von dem nächstliegenden Stand der Technik auf die angemeldete Lösung kommen würde.354 Entscheidend ist dabei nicht, ob der Fachmann auf die erfinderische Lösung kommen könnte, sondern ob er auf die angemeldete Lösung kommen würde, d. h. er die erfindungsgemäße Lösung zu der Aufgabe auch als seine Lösung zu der Aufgabe vorgeschlagen hätte. Diese Differenzierung wird in der europäischen Rechtspraxis „could-would“-Ansatz genannt.355 Die wertende Entscheidung, ob der Fachmann auf die angemeldete Lösung kommen würde, orientiert sich in der Regel an den „Unterschieden zwischen der Erfindung und dem nächstliegenden Stand der Technik“356 (d. h. „dem Überschuss“). Es bedarf „eines Anlasses oder bestimmter Anhaltspunkte oder Anregungen“ 357, dass der Fachmann auf „diese“ (angemeldete) Lösung kommen würde. Bei der Bestimmung der „Anregung“ des Fachmanns ist darauf zu achten, dass es sich bei einer Anregung um „einen passiven, unwillkürlichen Vorgang“358 handelt. Die Anregung, zu der erfindungsgemäßen Lösung zu gelangen, liegt vor, wenn der Hinweis auf die erfindungsgemäße Lehre dem Fachmann „zufällt“, ohne dass er den Hinweis gesucht hat.359

354  EPA (T 163/84) ABl. EPA 1987, 301, 306 f. – Acetophenonderivate/BAYER: Entscheidend ist nicht, dass der Fachmann die Möglichkeit „hätte vorhersehen können“, sondern „er dies in Erwartung einer Verbesserung oder eines Vorteils auch getan hätte.“; EPA (T 513/90) ABl. EPA 1994, 154, 161 – geschäumte Körper/JAPAN STYRENE: Es ist nicht nur zu erwarten, dass „der Fachmann diese speziellen Harze verwenden konnte, sondern vielmehr [ist es] höchst wahrscheinlich, daß er sie in der Praxis für diesen Zweck tatsächlich auswählen würde.“; EPA (T 455/91) ABl. EPA 1995, 684, 703 f. – Expression in Hefe/GENENTECH: Die Frage ist „nicht, ob der Fachmann den Versuch hätte unternehmen können, die […] offenbarte technische Lehre zu ändern, sondern ob er dies auch tatsächlich getan hätte.“; ferner EPA (T 234/03) GRUR Int. 2007, 249, 252 Tz.  8.6.1 – Druckertinte/VIDEOJET TECHNOLOGIES. In ähnliche Richtung gehend und maßgeblich auf die Veranlassung abstellend, die der Fachmann hatte, in die bestimmte Richtung zu denken BGH GRUR 2006, 666, 672 Tz.  54 ff. – Stretchfolienhaube. Zum Ganzen Kraßer/Ann, PatR, 7.  A., 2016, §  18 Rn.  73. 355  Hierzu eingehend Szabo, Mitt. 1994, 225, 233 f.; Schulte/Moufang, PatG, 9.  A ., 2014, §  4 Rn.  58; ferner EPA (T 0939/92) ABl. EPA 1996, 309, 314 ff. – Triazole/AGREVO. 356  Niedlich, Mitt. 2000, 281, 282; Schickedanz, GRUR 2001, 459, 460. 357 Schulte/Moufang, PatG, 9.  A ., 2014, §  4 Rn.  58. 358  Eisenführ, FS Preu, 1988, S.  13, 19 f. 359  Eisenführ, FS Preu, 1988, S.  13, 16 ff. und 19 f.; auch zur schwierigen Grenzziehung zwischen „Mitlesen“ eines Merkmals im Hinblick auf die Neuheitsprüfung und „Anregen“ des Fachmanns im Hinblick auf die Prüfung der erfinderischen Tätigkeit, wenn der Fachmann eine Quelle liest. Eisenführ, FS Preu, 1988, S.  19, verweist drauf, dass jeder Mensch, der etwas liest, beim Lesen zusätzliche Informationen aufnimmt, die über den Informationsgehalt der

III.  Prüfungsmethode bei den Patentierungsvoraussetzungen

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(ii)  Kritik an dem „Aufgabe-Lösung“-Ansatz Die Vorgehensweise nach dem „Aufgabe-Lösung“-Ansatz bietet den Vorteil, eine sehr enge Verknüpfung zwischen dem tatsächlich gelösten Problem und den dafür benötigten Lösungsmitteln herzustellen. Damit fokussiert sich die Prüfung der qualitativen Patentschutzvoraussetzung „Beruhen auf erfinderischer Tätigkeit“ auf den eigentlichen Schutzgegenstand des Patentrechts, nämlich die Erfindung, die sich aus Aufgabe und Lösung zusammensetzt. In den Entscheidungen der Beschwerdekammern des EPA 360 wird häufig als Recht­ fertigung des „Aufgabe-Lösung“-Ansatzes auf Regel 27 (1) c) EPÜ 1973 (heute unverändert: Regel 42 (1) c) EPÜ 2000) verwiesen, nach der eine Erfindung in der Anmeldung so darzustellen ist, dass die technische Aufgabe und deren Lösung verstanden werden können. Wegen der Orientierung an der für die Patenterteilung an sich im Patentrecht irrelevanten Aufgabenstellung steht die aufgabenorientierte Betrachtungsweise, wie sie nach dem „Aufgabe-Lösung“-Ansatz vorgenommen wird, häufig in der Kritik.361 Daneben steht der „Aufgabe-Lösung“-Ansatz auch deswegen in der Kritik, weil dieser Ansatz die Gefahr einer „rückschauenden Betrachtungsweise“ in sich birgt, die jedoch zu vermeiden ist.362 Der Beurteilungszeitpunkt, an dem die Neuheit gegeben und die Erfindung auf erfinderischer Tätigkeit beruhen muss, ist der Prioritätstag363, der i. d. R. wesentlich vor dem Tag liegt, an dem die Prüfung der sachlichen Schutzvoraussetzungen der Erfindung stattfindet.364 Bei dieser späteren Prüfung treten regelmäßig zwei Fehlerquellen auf: Erstens darf nur der Stand der Technik der Prüfung zugrunde gelegt werden, der bis zum Prioritätstag der Öffentlichkeit zugänglich war. Der Stand der Technik wird regelmäßig weiterentwickelt und damit entwickelt sich auch das Wissen und Können des Fachmanns weiter. Daher kann eine zum PrioritätsQuelle hinausgehen, aber nur die in der Quelle angeregten Informationen für den Fachmann naheliegend sind. 360 EPA (T 01/80) ABI. EPA 1981, 206 – Reaktionsdurchschreibepapier (im Entscheidungskopf: „angewandte Normen“); EPA (T 248/85) ABl. EPA 1986, 261, 268 – Bestrahlungsverfahren/BICC. Zur Bedeutung von Regel 27 EPÜ 1973 allgemein EPA (T 20/81) ABl. EPA 1982, 217, 220 ff. – Behälter. 361  Zur stärkeren Orientierung an der Aufgabe Hesse, GRUR 1981, 853, 856; kritisch dagegen Ochmann, GRUR 1985, 941, 946 m. w. N. 362 Schulte/Moufang, PatG, 9.  A ., 2014, §  4 Rn.  2 2; BGH GRUR 1980, 100, 103 – Bodenkehrmaschine; BGH GRUR 1989, 899, 902 – Sauerteig; EPA (T 229/85) ABl. EPA 1987, 237, 239 f. Tz.  5 – Ätzverfahren/SCHMID. 363  Der Prioritätstag ist meist der Anmeldetag oder ein Zeitpunkt, der gestützt auf eine andere Anmeldung der Erfindung (beispielsweise im Ausland) in Anspruch genommen werden kann, vgl. Art.  8 PCT und Art.  4 PVÜ. 364  Nach dem Prinzip der aufgeschobenen Prüfung erfolgt diese erst nach Stellung eines Prüfungsantrages, der bis zu sieben Jahre nach der Anmeldung gestellt werden kann, §  4 4 II 1 PatG. Dies entlastet das Patentamt und sichert dem Anmelder dennoch einen möglichst frühen Prioritätstag, vgl. BGH GRUR 1995, 45, 46 – Prüfungsantrag.

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§  3  Wissen als Schutzgegenstand und Grundlage

zeitpunkt verfügbare Quelle zu einem späteren Zeitpunkt inhaltlich anders verstanden werden, als es zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung bzw. zu dem maßgeblichen Prioritätszeitpunkt möglich war. Dies verkompliziert die zeitlich nachgelagerte Prüfung. Dennoch ist dieses Problem durch eine klare Begrenzung der dem Fachmann unterstellten Kenntnisse und Fähigkeiten, die zum Prioritätszeitpunkt öffentlich verfügbar waren, in den Griff zu bekommen. Zweitens erweist sich eine verzögerte Prüfung der Patentierungsvoraussetzungen deshalb als besonders schwierig, weil die qualitative Beurteilung einer bereits vorliegenden Erfindung im Hinblick auf die Schwierigkeiten, die es zu ihrer Schaffung zu überwinden galt, immer von der Kenntnis der Erfindung beeinflusst wird.365 Dies ist das Hauptproblem der möglichen, aber im Patentrecht unzulässigen rückschauenden Betrachtung.366 Eine Beurteilung der Schwierigkeit der Auffindbarkeit einer Lösung zu einer Aufgabe ist in Kenntnis der Lösung regelmäßig einfacher als ohne die Kenntnis der Lösung.367 Es besteht daher die Gefahr, die Information der erfindungsgemäßen Lösung in eine Vorveröffentlichung des Standes der Technik „hineinzuinterpretieren“368 . Ob der „Aufgabe-Lösung“-Ansatz im Hinblick auf die Vermeidung einer rückschauenden Betrachtung ein geeignetes Instrument ist, wird unterschiedlich beantwortet. Die diese Prüfungsmethode anwendenden Beschwerdekammern des EPA weisen regelmäßig darauf hin, dass durch den „Aufgabe-Lösung“-Ansatz eine rückschauende Betrachtung (ex-post facto) gerade vermieden würde, da durch die Formulierung einer objektiven Aufgabe und eines objektiv bestimmten, nächstliegenden Standes der Technik eine detaillierte Auswahl der Beurteilungskriterien möglich sei.369 Dagegen wird allerdings zu Recht angeführt,370 der Blick auf den (der Lösung) am nächsten liegenden Stand der Technik sowie die Fragestellung, ob der Fachmann auf „die Lösung“ (die er 365  Dies ist ein allgemein in der Psychologie unter den Begriffen „knew it all along effect“ bzw. „hindsight bias“ bekanntes Phänomen: Testpersonen haben nach Eintreten des Ereignisses regelmäßig das Gefühl, genau dieses Ereignis vorhergesehen zu haben, ohne dass dies nachweislich möglich ist, weil die Erwartungen so einfach mit den beobachteten Ereignissen in Einklang zu bringen sind. Hierzu umfassend: Fessel/Epstude/Roese, Organizational Behavior and Human Decision Processes 110 (2009) 56 ff.; Christensen-Szalanski/Willham, Organizational Behavior and Human Decision Processes 48 (1991), 147 ff.; Fischhoff/Beyth, Organizational Behavior and Human Performance 13 (1975), 1 ff. 366  BGH GRUR 1980, 100, 103 – Bodenkehrmaschine; BGH GRUR 1989, 899, 902 – Sauerteig; EPA (T 631/00) vom 5.5.2004 Tz.  3.1.1; Kraßer/Ann, PatR, 7.  A., 2016, §  18 Rn.  98; Niedlich, Mitt. 2000, 281, 283. 367  EPA (T 106/84) ABl. EPA 1983, 132, 139 Tz.  8 .7 – Verpackungsmaschine/MICHAELSEN; Kraßer/Ann, PatR, 7.  A., 2016, §  18 Rn.  97 f.; Eisenführ, FS Preu, 1988, S.  13, 19. 368  BGH GRUR 1989, 899, 902 – Sauerteig. 369  Insbes. EPA (T 631/00) vom 5.5.2004 Tz.  3.1.1. sowie EPA (T 24/81) ABl. EPA 1983, 133, 137 Tz.  4 – Metallveredlung/BASF; EPA (T 564/89) vom 10.2.1993 Tz.  4.3. – Printing plates/TORAY; EPA (T 730/96) vom 19.10.1999 Tz.  2.1 – Quinoxalinyloxyphenoxy propanoate/UNIROYAL. 370  Niedlich, Mitt. 2000, 281, 284.

III.  Prüfungsmethode bei den Patentierungsvoraussetzungen

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ja gerade noch nicht kennen soll) kommen würde, seien gerade die unzulässige rückschauende Betrachtung in Kenntnis (und sogar unter Nutzung der Kenntnisse) der Lösung.371 Niedlich372 – als Kritiker des „Aufgabe-Lösung“-Ansatzes – schlägt eine etwas modifizierte Fragestellung an den fiktiven Fachmann vor. Danach soll nach der Veranlassung für den Fachmann gefragt werden, in die Richtung zu denken, in der die erfinderische Lösung liegt,373 d. h. nur die Aufgabe ist der Ausgangspunkt der Suche nach der Lösung. In dieser Aufgabe dürfen allerdings keine Lösungselemente oder Lösungsansätze enthalten sein, denn dann hätte der Fachmann immer Anlass, in diese Richtung zu denken und die Lösung zu suchen.374 In diese Richtung tendiert auch die Rechtspraxis des EPA, wenn explizit darauf verwiesen wird, dass die Aufgabe objektiv so festzulegen sei, „dass sie nicht schon teilweise die Lösung vorwegnimmt“.375 Problematisch ist dabei aber, dass die Kenntnis der Erfindung die Beurteilung ganz ungewollt beeinflusst. Um dies zu verhindern, ist der Vorschlag gemacht worden, praktikable und angemessene Ergebnisse dadurch zu erzeugen, dass sowohl der Stand der Technik, der erst nach dem Prioritätstag liegt, als auch die Erfindung selbst „zu vergessen“ seien.376 Da das Vergessen einer einmal bekannten Information regelmäßig schwer fällt, ist der Vorschlag einer „Blindrecherche“ gemacht worden, bei der die Recherche des Standes der Technik und die Bewertung auf erfinderische Tätigkeit von zwei unterschiedlichen Personen durchgeführt wird und der Beurteilende zwar die Aufgabe und den zuvor bereits recherchierten Stand der Technik, nicht aber die Erfindung kennt.377 Die vorgeschlagene „Blindrecherche“ (bzw. besser „Blindbewertung“) vermag inhaltlich sicherlich überragend brauchbare Ergebnisse zu liefern, die weniger ­anfällig für Fehlerquellen sind, jedoch übersteigt eine solche Doppelprüfung die Kapazitäten des ohnehin arbeitsbelasteten Patentamtes in einem sicherlich nicht mehr vertretbaren Umfang, so dass diese Lösung an ihrer praktischen Umsetzungsfähigkeit scheitert.

371  Vgl. hierzu auch die kritische Erwägung von Kraßer/Ann, PatR, 7.  A ., 2016, §  18 Rn.  94, die die Erforderlichkeit des Zwischenschrittes (der objektiven Aufgabenformulierung) in Zweifel ziehen. 372  Niedlich, Mitt. 2000, 281, 284. 373  Unter Bezugnahme auf BGH GRUR 1999, 914, 918 – Kontaktfederblock; BGH Mitt. 1991, 32, 34 f. – Haftverband. 374  BGH Mitt. 1991, 32, 34 f. – Haftverband; BGH GRUR 1991, 522, 523 – Feuerschutzabschluß; BGH GRUR 1986, 803, 805 – Formstein. 375  EPA (T 99/85) vom 23.10.1986 – Diagnostisches Mittel/Boehringer-Kodak unter Verweis auf EPA (T 229/85) ABl. EPA 1987, 237, 239 f. Tz.  5 – Ätzverfahren/SCHMID. 376  Schickedanz, GRUR 2001, 459, 461 ff., unter Berufung auf die Ausführungen von Schachenmann, Begriff und Funktion, 1986, S.  122 ff. 377  Schickedanz, GRUR 2001, 459, 467 ff.

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§  3  Wissen als Schutzgegenstand und Grundlage

(iii) Zwischenergebnis Der „Aufgabe-Lösung“-Ansatz gibt für die Beantwortung der Frage des „Naheliegens der Erfindung für den Fachmann“ trotz einzelner Kritikpunkte im Detail eine strukturierte Prüfungsreihenfolge vor, die von einer stufenweisen Informationssortierung geprägt ist und letztendlich zu einer Entscheidungsgrundlage führt, deren Ergebnis von vorhersehbaren und objektiven Kriterien abhängt. c. Zwischenergebnis Das Ziel der speziellen Vorgehensweise bei der Prüfung einer Erfindung auf deren Patentfähigkeit ist es, ein nachvollziehbares, auf objektiven Kriterien beruhendes Ergebnis zu erreichen. Die Prüfung auf Patentfähigkeit ist ein Vergleich der beanspruchten Erfindung mit dem Stand der Technik. Jede Vergleichsgröße ist ein Kenntnisstand: Von der angemeldeten Erfindung hat der Erfinder individuelle Kenntnis; der Stand der Technik umfasst alle Kenntnisse, die der Öffentlichkeit bis zum Prioritätstag öffentlich zugänglich gemacht worden sind. Dem eigentlichen Vergleich geht eine genaue Festlegung der Vergleichsgrößen voraus. Daher ist die Erfindung zunächst anhand ihrer Merkmale zu zergliedern und festzustellen, was die Erfindung objektiv leistet, d. h. welche objektive Aufgabe von ihr gelöst wird.378 Dies schließt ein, dass subjektive Hindernisse, die der Erfinder bei dem Auffinden der Lösung zu bewältigen hatte, ausgeblendet werden.379 Außerdem ist der Stand der Technik als zweite Vergleichsgröße festzustellen. Bereits bei dieser Feststellung des vorbekannten Wissens kommt es zu Unschärfebereichen. Jede Quelle, die im Stand der Technik zum jeweils entscheidenden Prioritätstag nachweisbar ist, muss mit dem fachmännischen Verständnis auf ihren Offenbarungsgehalt untersucht werden, denn der Adressat des Standes der Technik ist der Fachmann auf diesem technischen Gebiet.380 Durch das fachmännische Verständnis ergibt sich ein Offenbarungsgehalt der zu untersuchenden Quelle, der in der Regel über deren Wortlaut hinausgeht. Die in der Quelle nicht ausdrücklich erwähnten Informationen, die der Fachmann aufgrund seines Fachwissens und Fachkönnens bei dem Verständnis der Quelle „mitliest“, ohne sich dessen bewusst zu sein, sind mit der Quelle ebenfalls offenbart.381 Das umfasst technische Selbstverständlichkeiten, aber auch fachnotorische Austauschmittel, auf die der Fachmann aufgrund seines Fachwissens ohne Weiteres zurückgreift, wenn er die in der Quel-

378  BGH GRUR 2012, 1122, 1123 Tz.   22 – Palettenbehälter III; vgl. Kraßer/Ann, PatR, 7.  A., 2016, §  18 Rn.  87. 379  BGH GRUR 1991, 522, 523 – Feuerschutzabschluß. 380  BGH GRUR 1995, 330, 332 – Elektrische Steckverbindung. 381  BGH GRUR 1995, 330, 332 – Elektrische Steckverbindung.

III.  Prüfungsmethode bei den Patentierungsvoraussetzungen

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le beschriebene Lehre nacharbeitet.382 Das spätere Vergleichsergebnis wird unmittelbar von dem vorherigen Verständnis der bekannten Quellen beeinflusst: Je umfangreicher der Offenbarungsgehalt der vorveröffentlichten Quellen ist, desto weniger „neue“ Erfindungen gibt es. Die Prüfung der Erfindung auf deren Patentfähigkeit ist der Vergleich der Erfindung mit dem Stand der Technik. Dieser Vergleich erfolgt zweigliedrig. Im ersten Schritt wird im Rahmen eines „Gesamtvergleichs“ der Stand der Technik daraufhin untersucht, ob die Erfindung mit allen ihren Merkmalen bereits im Stand der Technik zu finden ist.383 Wird diese Frage verneint, ist nachfolgend zu untersuchen, wie groß der qualitative Abstand der Erfindung zum Stand der Technik ist, d. h. ob sich die Erfindung aus dem Stand der Technik und den darin enthaltenen Anregungen im Rahmen eines „Mosaikvergleichs“ in naheliegender Weise für den Fachmann ergibt.384 Der Fachmann ist eine gedachte Person, der die Kenntnisse und Fähigkeiten unterstellt werden, die in einem Fachgebiet bekannt sind und über die ein Durchschnittsfachmann verfügt. Besteht Anlass, in entlegenen technischen Fachgebieten (die nicht Gegenstand der der Erfindung zugrunde liegendenden Aufgabe sind) zu suchen, so gehören auch diese Gebiete zu dem relevanten Stand der Technik und dem Fachmann werden auch diese Kenntnisse im Hinblick auf die Frage des Naheliegens der Erfindung unterstellt.385 Während bei der ersten Frage nach der Neuheit die Unschärfe der Beantwortung auf das fachmännische Verständnis der Quelle zurückzuführen ist, liegt bei der zweiten Frage die Ursache für eine unscharfe Grenzziehung zwischen naheliegenden und erfinderischen Lösungsmöglichkeiten in den zuvor festzulegenden Kenntnissen und Fähigkeiten des (fiktiven) Durchschnittsfachmanns. Die Frage nach dem Naheliegen ist daher ein Abwägungsvorgang, und zwar in Form eines Aktes wertender Erkenntnis.386 Je umfangreicher die Kenntnisse und Fähigkeiten sind, die dem Durchschnittsfachmann unterstellt werden, desto weniger Erfindungen beruhen auf erfinderischer Tätigkeit.

382  BGH GRUR 1962, 350, 352 – Dreispiegel-Rückstrahler; BGH GRUR 1955, 386, 387; Gramm, GRUR 1998, 240, 241; Rogge, GRUR 1996, 931, 932: „präsentes Fachwissen“; Osterrieth, Patentrecht, 5.  A., 2015, Rn.  506. 383 Eingehend Rogge, GRUR 1996, 931, 932. 384 Schulte/Moufang, PatG, 9.   A., 2014, §  4 Rn.  17; vgl. auch EPA-Prüfungsrichtlinien C-IV 11.6 (G-VII 6 in GL2012); ferner BGH GRUR 1953, 120, 121 – Rohrschelle. 385  BGH GRUR 2010, 41, 43 Tz.  29 – Diodenbeleuchtung; Dreiss, GRUR 1994, 781, 787; Niedlich, Mitt. 2000, 281, 283 f.; Ochmann, GRUR 1985, 941, 944 f. 386  BGH GRUR 1995, 330, 331 f. – Elektrische Steckverbindung; BGH GRUR 2004, 411, 413 – Diabehältnis; BGH GRUR 2006, 663, 665 Tz.  28 – Vorausbezahlte Telefongespräche.

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§  3  Wissen als Schutzgegenstand und Grundlage

IV. Ergebnis 1.  Patentrechtlich relevantes Wissen Eine Erfindung ist eine technische Lösung zu einer technischen Aufgabe. Es handelt sich um prozedurales Wissen, d. h. die Erfindung lehrt, „wie etwas gemacht wird“. Eine patentrechtlich schutzfähige Erfindung zeichnet unter anderem aus, dass sie sich von dem vorbekannten Wissen unterscheidet, d. h. noch nicht zu dem allgemein bekannten Wissen zählt. Außerdem darf sich eine patentfähige Erfindung nicht aus dem vorbekannten Stand der Technik für den Fachmann in naheliegender Weise ergeben. Die Erfindung muss also einen qualitativ größeren Abstand vom Stand der Technik aufweisen als dasjenige Wissen, das sich durch die bloße Anwendung des vorbekannten Wissens durch leichte und übliche Modifikationen vorbekannter Lösungsvarianten ergibt.387 Die Definition der Voraussetzungen der dem Patentschutz zugänglichen Erfindungen ist für ein funktionierendes Patentsystem von enormer Bedeutung. Dies zeigen die Schwierigkeiten, die bei unklaren Abgrenzungskriterien und unscharfen Voraussetzungen des Patentschutzes in der Vergangenheit auftraten. Erst die über lange Zeit gesammelte Erfahrung im rechtspraktischen Umgang mit den Patentierungsvoraussetzungen brachte schließlich verlässliche, vorhersagbare und objektive Ergebnisse bei der Frage nach den Voraussetzungen des Patentschutzes und damit eine die Ziele des Patentsystems fördernde Vorgehensweise bei der Prüfung der Patentierungsvoraussetzungen.

2.  Verfahren bei der Bestimmung des patentrechtlich relevanten Wissens Das patentrechtlich relevante Wissen, d. h. die patentschutzfähige Erfindung, wird zweigliedrig auf ihre qualitativen Anforderungen, die für den Patentschutz nötig sind, geprüft. Die Prüfung ist unterteilt in die Untersuchung der Neuheit und in die Untersuchung, ob die Erfindung auf erfinderischer Tätigkeit beruht. In einem ersten Schritt ist im Rahmen eines Gesamtvergleichs zu untersuchen, ob die Erfindung mit allen ihren Merkmalen bereits im Stand der Technik enthalten ist („Identitätsvergleich“).388 Der Vergleich enthält keine eigene Wertung des Beurteilenden, denn der Vergleich erschöpft sich in einer Gegenüberstellung der einzelnen (fachmännisch verstandenen) 389 Merkmale in ihrer Gesamtheit.

387 

Kraßer/Ann, PatR, 7.  A., 2016, §  10 Rn.  2. Pagenberg, GRUR Int. 1978, 190, 191: „objektive Identitätsprüfung“. 389  Rogge, GRUR 1996, 931, 933 ff. 388 

IV. Ergebnis

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Der zweite Schritt der Prüfung beruht auf einer wertenden Erkenntnis.390 Dabei geht es um die Feststellung, ob die Erfindung auf erfinderischer Tätigkeit beruht, d. h. einen qualitativen Abstand zum Stand der Technik aufweist. Dabei sind die Kombinationen der (aus dem Stand der Technik vorbekannten) Lösungsmerkmale der Erfindung auf deren Naheliegen zu untersuchen. Die Bewertung nimmt kein real existierender Sachverständiger oder Fachmann vor, sondern die Bewertung erfolgt aus der Sicht einer fiktiven Person, der alle durchschnittlichen Kenntnisse und Fähigkeiten unterstellt werden, die am Prioritätstag auf dem technischen Gebiet der Erfindung bekannt waren.391 Um die wertende Entscheidung nach dem Naheliegen der Erfindung auf möglichst objektive Kriterien zu stützen, hat sich in der Patentrechtspraxis der sog. „Aufgabe-Lösung“-Ansatz herausgebildet.392 Danach ist zunächst die objektive Aufgabe zu bestimmen, die von der Erfindung gelöst wird.393 Nachfolgend wird der der Erfindung am nächsten liegende Stand der Technik bestimmt.394 Nachdem diese Vorfragen geklärt wurden, ist aus der Sicht eines fiktiven Fachmanns, der über durchschnittliche Kenntnisse und Fähigkeiten auf dem technischen Gebiet der Erfindung verfügt, die Frage zu beantworten, ob dieser Fachmann Anlass hatte bzw. Anregungen im Stand der Technik findet, die ihn anregen würden, in Richtung der Erfindung zu denken, so dass er zu der Erfindung gelangen würde.395 Nicht entscheidend ist dagegen, ob der Fachmann auf die durch die Erfindung vorgeschlagene Lösung kommen könnte, sondern dass er darauf kommen würde.396 Würde der Fachmann nicht zu der durch die Erfindung vorgeschlagenen Lösung gelangen, dann liegt die Erfindung für den Fachmann nicht nahe. Die Erfindung beruht dann auf erfinderischer Tätigkeit und erfüllt somit die qualitativen Anforderungen an eine patentschutzfähige Erfindung.

390 

BGH GRUR 1995, 330, 331 f. – Elektrische Steckverbindung. Kraßer/Ann, PatR, 7.  A., 2016, §  18 Rn.  46 ff.; Melullis, FS Ullmann, 2006, S.  503, 511 f.; Kolle, GRUR Int. 1971, 63, 67; v. Falck, Mitt. 1969, 252 ff.; 392 EPA (T 465/92) ABl. EPA 1996, 32, 50 f.; dazu Kraßer/Ann, PatR, 7.   A., 2016, §  18 Rn.  89 ff. 393 EPA (T 39/93) ABl. EPA 1997, 134 (5.3.2) – Polymerpuder/ALLIED COLLOIDS LIMI­T ED. 394  „The most promising springboard“: EPA (T 254/86) ABl. EPA 1989, 115; EPA (T 644/ 97) ABl. EPA 2000, 21. 395  BGH GRUR 2006, 666, 672 Tz.  5 4 ff. – Stretchfolienhaube. 396  So genannter „could-would“-Ansatz EPA (T 455/91) ABl. EPA 1995, 684, 703 f. – Expression in Hefe/GENENTECH. 391 

§  4  „Wissen“ als Tatfrage oder Rechtsfrage Unsicherheiten bei der Definition materiell-rechtlicher Grenzen des Tatbestandsmerkmals „Wissen“ haben häufig die Ursache, dass die Kenntnis einer Person (im Sinne von verfügbarem Wissen) im Streitfall nachgewiesen werden muss. Regelmäßig wird sich die vermeintlich wissende Partei darauf zurückziehen, ihre Kenntnis zu bestreiten und diese nicht zuzugestehen, um hieraus einen Vorteil für sich zu erringen. Für den Rechtsanwender – insbesondere den Richter – stellt sich die Frage, wie das Vorliegen des Merkmals „Kenntnis“ einer Person, das von einer Norm tatbestandlich vorausgesetzt wird, ermittelt werden kann. Zuvor muss die Frage beantwortet werden, ob es sich bei dem Merkmal „Wissen“ um eine Tatsache handelt, die einem Beweis zugänglich ist oder ob es sich um eine Rechtsfrage handelt, die einem Beweis unzugänglich ist und nur der richterlichen Würdigung des Sachverhalts (d. h. unstreitiger oder bewiesener Tatsachen) unterliegt. Erst nachfolgend kann der Frage nachgegangen werden, wie die als Tatsachen identifizierten Merkmale von Wissensnormen im Zivilprozess bewiesen werden können. Aus prozessualer Sicht sind Tatfragen von Rechtsfragen zu unterscheiden. Was tatsächlich geschehen ist, ist Tatfrage. Rechtsfrage ist dagegen, wie das Geschehene anhand der Kriterien der Rechtsordnung einzuordnen ist.1 Diese Unterscheidung wird im Prozessrecht für zahlreiche Bereiche relevant: Nur über Tatfragen darf Beweis erhoben werden. Über Rechtsfragen trifft das Gericht hingegen eine wertende Entscheidung. Eine Beweisaufnahme ist grundsätzlich nur über Tatsachen zulässig, über Rechtsfragen dagegen nicht.2 Eng mit der Abgrenzung von Tat- und Rechtsfragen ist die Frage nach der Dar­legungslast der Parteien verbunden. Im Zivilprozess brauchen die Parteien nur Tatsachen vorzutragen. Rechtsfragen entscheidet das Gericht unabhängig von dem Parteivortrag. Bei der Feststellungsklage entscheidet die Einordnung des festzustellenden Verhältnisses als „Rechtsverhältnis“ im Sinne des §  256 I ZPO (in Abgrenzung zum tatsächlichen Verhältnis) über die Zulässigkeit der Klage.3 Schließlich tritt die deutlichste Unterscheidung zwischen Tat- und Rechtsfrage 1 

Larenz, Methodenlehre, 6.  A., 1991, S.  307. Ausnahme hiervon bildet die Möglichkeit, über ausländisches Recht Beweis zu erheben, §  293 ZPO. 3  Ausführlich hierzu Scheuerle, AcP 157 (1958), 1, 5; Zöller/Greger, ZPO, 31.   A., 2016, §  256 Rn.  4. 2 Eine

96

§  4  „Wissen“ als Tatfrage oder Rechtsfrage

in der Beschränkung der Revisionsmöglichkeit zu Tage: Die Revision kann das Berufungsurteil nur in rechtlicher, nicht aber in tatsächlicher Hinsicht überprüfen, §  546 ZPO.4 Das bedeutet, dass der Umfang der revisionsrechtlich zulässigen Prüfung auf die Rechtsfragen beschränkt ist. Für Tatfragen besteht nur ein eingeschränkter Prüfungsumfang: Der Beantwortung einer Tatfrage durch das Berufungsgericht ist von der Revision nur im Hinblick auf Verstöße gegen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungsregeln zu überprüfen, nicht dagegen im Hinblick auf die „individuelle Feststellung einmaliger Tatsachen“.5

I.  Abgrenzung von Tatfrage und Rechtsfrage Obwohl die Abgrenzung der Tatfragen von den Rechtsfragen die dargestellte weitreichende Bedeutung hat, überließ der Gesetzgeber die Abgrenzung zwischen revisibeler Rechtsfrage und grundsätzlich nicht revisibeler Tatfrage bewusst der Wissenschaft und Rechtsprechung. 6 In der Rechtsprechung wendet das Revisionsgericht etwaige Revisionsangriffe, die das Revisionsgericht nicht prüfen kann (oder will), regelmäßig mit dem Argument ab, dass die Frage auf tatsächlichem Gebiet liege und sich daraus die fehlende (eigene) Kompetenz zur Überprüfung ergebe und das Revisionsgericht auf das tatrichterliche Ermessen verweist, das grundsätzlich nicht der revisionsrechtlichen Überprüfung unterliegt.7 Die Rechtsprechung lässt dabei die Beantwortung der methodischen Frage offen. Eine dogmatische Begründung der getroffenen Abgrenzung von Tat- und Rechtsfrage erfolgt nicht. Teilweise ist in der Rechtsprechung angenommen worden, dass das ermittelte Tatsachengebiet so eng mit dem Vorgang der Auslegung verbunden sei, dass die Tatsachenfeststellung und die Beurteilung der Tatsachen zu einem einheitlichen Denkvorgang verwoben seien, der nicht revisibel ist.8 In der Regel nimmt die Rechtsprechung daher eine ergebnisorientierte Abgrenzung von Tat- und Rechtsfrage vor. 4  Zur Abgrenzung von Tat- und Rechtsfrage in der Revisionsinstanz allgemein Zöller/ Heßler, ZPO, 31.  A., 2016, §  546 Rn.  1. 5 Zöller/Heßler, ZPO, 31.  A ., 2016, §  5 46 Rn.  1. 6  Hahn/Mugdan, Die gesammten Materialien zur Civilprozeßordnung, 1.   A.t., 1880, Nachdr. 1983, S.  366 f. (S.  319 im Original); diese Offenheit billigend Henke, ZZP 81 (1968), 196, 201 f. 7  BGHZ 3, 162, 165 (für die bei der Schadensbemessung maßgebenden Tatsachen); BGHZ 6, 62, 63 (Kenntnis von der richtigen Einlösungsstelle eines Schecks); BGHZ 10, 14, 17 (Feststellung der groben Fahrlässigkeit gemäß §  932 BGB); BGH VersR 1966, 162, 163 (weiter tatrichterlicher Ermessensspielraum bei der Schadensschätzung gemäß §  287 ZPO). 8  BAG AP BGB §  133 Nr.  30, Bestätigung von BAG AP BGB §  242 Nr.  15. Dem setzen aber Henke, ZZP 81 (1968), 196, 217 ff. und Scheuerle, AcP 157 (1958), 1, 28 f., entgegen, dass eine solche Trennung zwischen Rechts- und Tatfrage durchaus möglich sei, umstritten ist nur der methodische Ansatz hierzu, vgl. auch Nierwetberg, JZ 1983, 237 ff.

I.  Abgrenzung von Tatfrage und Rechtsfrage

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In der Literatur wird die Abgrenzung von Tat- und Rechtsfrage im Wesentlichen mit Hilfe von zwei Methoden vorgenommen: nach dem teleologischen und dem begrifflichen Ansatz.

1.  Abgrenzung nach dem teleologischen Ansatz Nach dem teleologischen Ansatz erfolgt die Abgrenzung der Rechtsfrage von der Tatfrage durch eine Orientierung an der Aufgabe der Revision.9 Die Aufgabe der Revision liegt in der Vereinheitlichung und der Fortbildung des Rechts. Daher können als Rechtsfragen diejenigen verstanden werden, für die eine einheitliche Beantwortung erforderlich ist. Alle anderen Fragen sind Tatfragen. Aus der Notwendigkeit einer einheitlichen Beantwortung der Frage ergibt sich, dass Rechtsfragen gleichzeitig eine über den einzelnen Fall hinausgehende Bedeutung haben. Ihnen kommt somit „Richtliniencharakter“ über den einzelnen Fall hinaus zu.10 Eine solche Richtlinienfrage, die das Revisionsgericht prüfen darf, liegt demnach nur bei abstrakten Fragen vor, beispielsweise „ob in abstracto ein bestimmtes Handeln, eine bestimmte Eigenschaft oder ein bestimmtes Ereignis einen wichtigen Grund zur Auflösung eines Dienstverhältnisses bilden kann“.11 Diese richtlinienmäßigen, generellen und typischen Fragen sind abzugrenzen von den individuellen, atypischen und auf den Einzelfall bezogenen Fragen.12 Erstere sind Rechtsfragen, letztere sind Tatfragen. Aus der Stellung der Revision als Rechtsvereinheitlichungsinstanz und der von dieser Instanz zu leistenden Entscheidung wird in Anlehnung an den Strafprozess in der Literatur13 eine weitere Abgrenzung zwischen revisibelen Rechtsfragen und nicht revisibelen Tatfragen abgeleitet. Mit der Zentralisierung der Revisionsverfahren bei einem Revisionsgericht ist im Gegensatz zum Be­ rufungsgericht regelmäßig eine Sachferne des Revisionsgerichts verbunden. Daraus folgt, dass die Ausblendung der Tatfragen von der Revision den Blick auf die Rechtsfragen schärft und diese klarer zu Tage treten lässt.14 Dabei ist entscheidend, ob die Annahme allgemein (dann Rechtsfrage) „oder nur in ihrer 9  Schwinge, Grundlagen Revisionsrecht, 2.   A., 1960, S.  34 ff.; umfassend hierzu Henke, ZZP 81 (1968), 196, 199 ff.; Henke, Tatfrage, 1965, S.  25 ff. 10  Schwinge, Grundlagen Revisionsrecht, 2.  A ., 1960, S.  50. 11  RGZ 110, 297, 300; BAG NJW 1956, 239, 240: „Nachprüfbar bleibt, ob das LAG den Begriff des wichtigen Grundes an sich verkannt hat und ob der Sachverhalt allgemein gesehen, also ohne die Besonderheiten des Einzelfalles als rein tatsächliche Umstände, geeignet ist, einen wichtigen Kündigungsgrund abzugeben“. Diese Ausführungen führt Schwinge, Grundlagen Revisionsrecht, 2.  A., 1960, S.  51 und S.  134 fort und führt aus, dass die Anwendung dieser Richtlinien auf den konkreten Fall dann wiederum Tatfragen sind. 12  Kuchinke, Grenzen der Nachprüfbarkeit, 1964, S.  107 ff.; Schwinge, Grundlagen Revisionsrecht, 2.  A., 1960, S.  134 ff. 13  Umfassend hierzu Henke, Tatfrage, 1965, S.  23 ff. 14  Henke, ZZP 81 (1968), 321, 323 ff., 330.

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§  4  „Wissen“ als Tatfrage oder Rechtsfrage

Besonderheit erkennbar, wertbar und wägbar ist“ (dann Tatfrage).15 Das Abgrenzungskriterium der Sachferne des Revisionsgerichts stammt ursprünglich aus dem Strafrecht.16 Das Argument der Sachferne des Revisionsgerichts trägt jedoch zur Abgrenzung von Tat- und Rechtsfrage im Zivilprozess wenig bei. Dies liegt vor allem an der fehlenden Vergleichbarkeit des straf- mit dem zivilprozessualen Verfahren, denn im Strafrecht beruht das Urteil im Gegensatz zum Zivilrecht ausschließlich auf dem Stoff der mündlichen Hauptverhandlung, aus deren Eindruck das Revisionsgericht nur durch das Protokoll Informationen erhält und dadurch an seine Leistungsgrenzen stößt.17 Zwar gilt auch im Zivilprozess der Mündlichkeitsgrundsatz, jedoch entscheidet das Zivilgericht nicht nach seiner freien, „aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung“ (§  261 StPO), sondern das Zivilgericht „hat unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses einer etwaigen Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden“ (§  286 I ZPO). Daher kann das Zivilurteil auch auf Akteninhalte, schriftliche Gutachten, protokollierte Aussagen etc. gestützt werden.18 Die Prüfungsgrundlage des Revisionsgerichts ist folglich im Strafprozess wesentlich eingeschränkter als im Zivilprozess. Demnach sind funktionsbedingte Einschränkungen der strafrechtlichen Revision nicht ohne Weiteres auf den Zivilprozess übertragbar.

2.  Abgrenzung nach dem begrifflichen Ansatz Nach der begrifflichen Methode ist die Abgrenzung zwischen Tatfrage und Rechtsfrage anhand der Unterscheidung zwischen Alltagsbegriff und Rechtsbegriff vorzunehmen.19 Ausgangspunkt dieser Begriffsbildung ist die Erkenntnis, dass einer juristischen Subsumtion nicht ein „Sachverhalt als Geschehen“, sondern nur ein „Sachverhalt als Aussage“ zugänglich ist.20 Der „Sachverhalt als Geschehen“ wird vom Richter aufgeklärt und in dem Medium der Sprache zur Verfügung gestellt, so dass aus dem „Sachverhalt als Geschehen“ der „Sachverhalt als Aussage“ gemacht wird. Bei dieser „Versprachlichung“ des Sachverhalts ist zwischen einem „sprachlich-begrifflichen“ und einem „außersprachlichen“ 15  Peters, Strafprozess, 2.  A . 1966, §  75 I (S.  562); ähnlich in der 4.  Auflage, 1985, §  75 I 2 (S.  638), in der Peters die Abgrenzung zwischen Tat- und Rechtsfrage für die Revision insgesamt in Frage stellt, weil auch die Sachverhaltsfeststellung immer rechtsgebunden sei, so dass eine Trennung der beiden Bereiche nicht möglich ist. 16  Peters, Strafprozeß, 2.  A . 1966, §  75 I (S.  562). 17  So auch Henke, ZZP 81 (1968), 196, 216 f. 18 MünchKommZPO/Prütting, 4.  A ., 2013, §  286 Rn.  8 . 19 Hierzu Scheuerle, AcP 157 (1958), 1, 8 ff.; Henke, ZZP 81 (1968), 196, 217 ff.; Kuchinke, Grenzen der Nachprüfbarkeit, 1964, S.  98 ff.; Schwinge, Grundlagen Revisionsrecht, 2.  A., 1960, S.  53 ff.; ferner Stein, Privates Wissen des Richters, 1893, Nachdr. 1969, S.  5 ff. und S.  107 ff. 20  Larenz, Methodenlehre, 6.  A ., 1991, S.  304 ff.

II.  „Wissen“ als Tatfrage oder als Rechtsfrage

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Erfassen des Sachverhalts zu unterscheiden.21 Diese Unterscheidung ist identisch mit der Unterscheidung von Tat- und Rechtsfrage.22 Das sprachlich-begriffliche Erfassen eines Sachverhalts ist dadurch gekennzeichnet, dass der Sachverhalt rein faktisch festgestellt wird, d. h. mit den alltäglichen Begriffen, die einen unstreitigen Bedeutungsgehalt haben, beschrieben wird.23 Sobald ein begriffsschöpferisches Element auftritt, handelt es sich um eine „außersprachliche“ Erfassung des Sachverhalts, insbesondere wenn es bei der Begriffsbildung um die Erfassung von Relationsstrukturen und nicht um die reine Abbildung von wahrnehmbaren Gegebenheiten geht.24 Wird dem Begriff ein Faktum gegenübergestellt, wenn also der „Sachverhalt als Geschehen“ unstreitig dem „Sachverhalt als Aussage“ gleicht, dann ist diese Vorgehensweise die Beantwortung einer Tatfrage. Die entsprechende Frage, ob das Faktum der Aussage entspricht, wird idealtypisch nur mit „ja“ oder „nein“ beantwortet werden können.25 Wird dem Begriff aber ein anderer Begriff gegenübergestellt, dann ist diese Vorgehensweise die Beantwortung einer Rechtsfrage. Die entsprechende Frage kann dann erst beantwortet werden, wenn die Prozessbeteiligten (vor allem der Richter) im Hinblick auf die zu vergleichenden Begriffe vor Beantwortung der (Rechts-)Frage zunächst geklärt haben, was unter den Begriffen zu verstehen ist, d. h. die Antwort auf die Frage nach der Übereinstimmung der Begriffe weder „ja“ noch „nein“, sondern „es kommt darauf an, wie man den Begriff versteht“, lautet.26

II.  „Wissen“ als Tatfrage oder als Rechtsfrage 1.  Doppelnatur des Tatbestandsmerkmals „Wissen“ als Tatfrage und Rechtsfrage a.  Einordnung der Normvoraussetzung „Wissen“ in die Kategorien Tatfrage und Rechtsfrage Die in einem Prozess auftretende Frage, ob eine Person über ein bestimmtes Wissen verfügt (bzw. gleichbedeutend: Kenntnis hat), kann häufig nicht mit „ja“ oder „nein“ beantwortet werden. Oftmals ist die zu klärende Vorfrage auf 21 

Larenz, Methodenlehre, 6.  A., 1991, S.  308; Scheuerle, AcP 157 (1958), 1, 21 ff. Nierwetberg, JZ 1983, 237, 241. 23  Scheuerle, AcP 157 (1958), 1, 21 ff. 24  Scheuerle, AcP 157 (1958), 1, 38 f. 25  Unabhängig von der Einordnung in rechtliche oder natürliche Begriffe nennt Nierwetberg, JZ 1983, 237, 240 f., diese Fragen „Elementarfragen“, da „der gefragte Begriff in diesem konkreten Rechtsstreit unstreitig zu einer unmittelbaren Konfrontation mit der ‚Faktizität‘ geeignet ist“. 26  Nierwetberg, JZ 1983, 237, 240 f. 22 

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§  4  „Wissen“ als Tatfrage oder Rechtsfrage

das Verständnis des Begriffs des „Wissens“ gerichtet, das in der zu subsumierenden Norm zu Grunde gelegt wird. Daher lässt sich zunächst festhalten, dass es sich bei dem Merkmal „Wissen“, wenn es in einer Norm als Voraussetzung enthalten ist, nach dem begrifflichen Ansatz nicht um eine reine Tatfrage handeln kann. Vielmehr ist der Begriff des „Wissens“ vor einer Subsumtion als ein Rechtsbegriff zu bilden. Nicht ganz so eindeutig ist die Einordnung nach dem teleologischen Ansatz, da das Ergebnis dieser Methode häufig vom Einzelfall abhängt: Wenn der Revisionsangriff darauf gerichtet ist, die Richtlinienfrage, die der Begriffsbildung zu Grunde liegt, in Frage zu stellen, handelt es sich um eine revisible Rechtsfrage. Wird dagegen die Ermittlung kleinteiliger Tatsachen in Frage gestellt, deren Ermittlung erst im Ergebnis zu der Wertung führt, dass das von der Norm vorausgesetzte Wissen vorliegt, handelt es sich bei der Feststellung der einzelnen Tatsachen um eine auf den Einzelfall bezogene, individuelle Frage und damit um eine Tatfrage. Bei der Einordnung des Merkmals „Wissen“ in die Kategorien Tatfrage und Rechtsfrage erweist sich das von Eike Schmidt 27 vorgeschlagene Verständnis von „Normtatsachen“ als hilfreich. Er unterscheidet „Subsumtionstatsachen“ und „Normtatsachen“ anhand ihres Konkretisierungsgrades: Begriffe in Generalklauseln einer Norm sind wenig konkretisiert und müssen zunächst mit Inhalt gefüllt werden, damit die von der Norm ausgehende Steuerungswirkung eintreten kann. Dabei erfolgt die Konkretisierung häufig durch Fallgruppenbildung. Ähnlich ist dies bei unbestimmten Rechtsbegriffen: Darin ist die „bereits latent angelegte Steuerungsfunktion“ enthalten.28 Die Konkretisierung von un­ bestimmten Rechtsbegriffen erfolgt meist durch Präjudizienvergleiche29 unter Zugrundelegung einer „wertenden Betrachtungsweise“.30 Begriffe in Generalklauseln und unbestimmte Rechtsbegriffe weisen eine „mangelnde tatbestand­ liche Geschlossenheit“ auf.31 Im Gegensatz dazu gibt es Normvoraussetzungen, die zwar in sich geschlossen sind, im Gegensatz zu den Subsumtionstatsachen jedoch erst unter „Zuhilfenahme ‚vorjuristischer‘ Wissens- und Erkenntnis­ bestände“ angewandt werden können.32 Muss daher zunächst der Inhalt von Normtatsachen geklärt werden, entspricht die Einordnung solcher Merkmale als Rechtsfrage dem „begrifflichen Ansatz“ der Abgrenzung. Die Normtatsachen kennzeichnen sich nach Schmidt dadurch, dass ihr Einsatz in die Zukunft gewandt ist und nicht wie die Subsumtionstatsachen ausschließlich eine retro­ spektive Bedeutung haben.33 Das Abgrenzungskriterium des zukunftsgewen27 

E. Schmidt, Umgang mit Normtatsachen, FS Wassermann, 1985, S.  807 ff. E. Schmidt, Umgang mit Normtatsachen, FS Wassermann, 1985, S.  807, 810. 29  E. Schmidt, Umgang mit Normtatsachen, FS Wassermann, 1985, S.  8 07, 810 unter Be­ zug­nahme auf Henke, Tatfrage, 1965, S.  106 ff. 30  E. Schmidt, Umgang mit Normtatsachen, FS Wassermann, 1985, S.  8 07, 810. 31  E. Schmidt, Umgang mit Normtatsachen, FS Wassermann, 1985, S.  8 07, 810 f. 32  E. Schmidt, Umgang mit Normtatsachen, FS Wassermann, 1985, S.  8 07, 811. 33  E. Schmidt, Umgang mit Normtatsachen, FS Wassermann, 1985, S.  8 07, 811. 28 

II.  „Wissen“ als Tatfrage oder als Rechtsfrage

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deten Einsatzes von Normtatsachen weist eine Ähnlichkeit zu dem Abgrenzungskriterium des Richtliniencharakters des teleologischen Ansatzes auf, bei dem es auch auf die Allgemeingültigkeit der zu beantwortenden Frage ankommt. b.  Zivilrechtliche Beispiele für Einordnungsschwierigkeiten Setzt eine Norm für den Eintritt ihrer Rechtsfolge das Vorliegen von Wissen voraus, so erfolgt dies häufig wegen eines übergeordneten Wertungskriteriums: Beispielsweise begründet das Wissen von der Unrichtigkeit eines Rechtsscheinträgers regelmäßig den Ausschluss eines andernfalls möglichen (gutgläubigen) Erwerbs. Das übergeordnete Wertungskriterium und die damit von der entsprechenden Norm (§  892 BGB oder auch §  932 II BGB) verfolgte Steuerungsfunktion ist hierbei das fehlende Bedürfnis des Schutzes einer nicht auf die scheinbare Rechtslage vertrauenden Person. Häufig wird das Merkmal „Kenntnis von der wahren Rechtslage“ oder „Kenntnis von Umständen, die auf die wahre Rechtslage schließen lassen“ als Möglichkeit einer wertenden Entscheidung gebraucht, um das übergeordnete Wertungskriterium („Rechtfertigung des gutgläubigen Erwerbs“) zur Geltung zu bringen.34 Die Anreicherung des Tatbestandsmerkmals „Wissen“ erfolgt in diesen Fällen durch eine vor der Subsumtion durchgeführten wertenden Definition, die den Inhalt der Normvoraussetzung konkretisiert. Damit handelt es sich bei „Wissen“ in der Regel um Normtatsachen, deren Inhalt vor einer Subsumtion mit Wertungen im Hinblick auf das Ergebnis („Ist der gutgläubige Erwerb in diesem Fall gerechtfertigt?“) bestimmt wird. Hierbei werden häufig auch Fallgruppen gebildet, die in der Rechtsprechung der Instanzgerichte als Richtlinien für Wertungsentscheidungen in ähnlich gelagerten Fällen als Entscheidungshilfe dienen und damit Richtliniencharakter im teleologischen Sinne haben. Die Schwierigkeiten der Einordnung von Wissen in die Kategorien Tat- und Rechtsfrage werden teilweise verwendet, um vertretene Abgrenzungskriterien zwischen Tat- und Rechtsfragen zu verifizieren bzw. auch deren Methoden auf den Prüfstand zu stellen: Nierwetberg 35 greift die arglistige Täuschung (mit Vorsatz) gemäß §  123 BGB als typisches Beispiel für die Normativierung natürlicher Begriffe heraus und führt gerade das Beispiel der spezifisch rechtlichen Bedeutung des „Wissens“ im Rahmen der Arglist (als über den Alltagsbegriff hinausgehendes „Bewusstsein der Rechtswidrigkeit, also das Wissen um das Fehlen von Rechtfertigungsgründen“36) dafür an, dass eine Unterscheidung zwischen natürlichen und rechtlichen Begriffen, wie sie nach dem begrifflichen 34  Beispiele sind vor allem in dem Bereich zu finden, in dem es um (möglicherweise „vermeintlich“) fehlende Rechtskenntnis geht: RG JW 1928, 102; RG JW 1929, 581; RG JR 1927, 738 (Nr.  1323); RG BayZ 1928, 138 f.; KG JW 1926, 2215; vgl. ferner Ratz, AcP 128 (1928), 309, 335 ff., 342; Trenck, JW 1926, 2661 f. 35  Nierwetberg, JZ 1983, 237, 239. 36  Nierwetberg, JZ 1983, 237, 239.

102

§  4  „Wissen“ als Tatfrage oder Rechtsfrage

Ansatz zur Abgrenzung von Tat- und Rechtsfrage herangezogen wird, nicht geeignet sei, um belastbare Ergebnisse zu erhalten. Vielmehr erhalten natürliche Begriffe in rechtlichem Zusammenhang immer eine normative (d. h. rechtliche Bedeutungs-)Qualität. Auch in weiteren Bereichen treten die Schwierigkeiten bei der Unterscheidung zwischen Tat- und Rechtsfrage vor allem im Zusammenhang mit einem Kenntnisstand zu Tage: Hat das Gericht über das wirksame Zustandekommen eines Vertrages zu entscheiden, muss zunächst das Vorliegen von Willenserklärungen sowie deren Inhalt eruiert werden. Die Frage, ob die Auslegung einer Willenserklärung eine Tatsachen- oder eine Rechtsfrage ist, ist nicht eindeutig geklärt. Alle tatsächlichen Vorfragen, beispielsweise ob überhaupt eine Willenserklärung abgegeben wurde, ob eine Verkehrssitte besteht oder der Erklärende oder der Erklärungsempfänger zu einem bestimmten Verkehrskreis gehört, sind Tatsachenfragen.37 Ob der rechtliche Bedeutungsgehalt der Willenserklärung eine Rechtsfrage ist, beantwortet zwar die Literatur38 in dieser Richtung eindeutig. Der BGH39 sieht dagegen die Auslegung einer Willenserklärung als „in der Revisionsinstanz nur eingeschränkt überprüfbar“ an. Er begrenzt den revisionsrechtlichen Prüfungsumfang darauf, „ob der Tatrichter die gesetzlichen oder allgemein anerkannten Auslegungsgrundsätze, die Denkgesetze und Erfahrungssätze beachtet und die der Auslegung zu Grunde gelegten Tatsachen ohne Verfahrensfehler ermittelt hat“.40 Ob es sich damit bei der Auslegung einer Willenserklärung um eine Rechts- oder um eine Tatsachenfrage handelt, lässt der BGH allerdings in diesem Zusammenhang unerwähnt. Die Vertreter der Ansicht, die die (von individuellen Faktoren abhängige) Entscheidung, welchen Bedeutungsgehalt der Empfänger der Erklärung letztlich beimessen durfte, eindeutig als Rechtsfrage einstufen, verstehen den (bloß) eingeschränkten Revisionsumfang des richterlichen Auslegungsvorgangs dahin, dass „dem Tatrichter damit ein gewisser Ermessensspielraum bei der Deutung einer Willenserklärung“ eingeräumt wird,41 der als solcher nicht revisibel ist. Einerseits wird dabei auf Funktionsgrenzen des Revisionsgerichts verwiesen, andererseits darauf, dass bei „Individualrechtsgeschäften die Feststellung der erheblichen Tatsachen mit deren Auswertung und Deutung […] praktisch […] ineinander übergehen“.42 37 

Wolf/Neuner, BGB AT, 10.  A., 2010,§  35 Rn.  79. Wolf/Neuner, BGB AT, 10.  A., 2010, §  35 Rn.  77 ff.; Bork, BGB AT, 4.  A., 2016, Rn.  557 (S.  217). 39  BGH NJW 2010, 146, 147 Tz.  10; BGH NJW 2009, 1810, 1811 Tz.  8 m. w. N. 40  BGH NJW 2009, 1810, 1811 Tz.  8 . 41  Wolf/Neuner, BGB AT, 10.   A., 2010, §  35 Rn.  82; ferner Bork, BGB AT, 4.  A., 2016, Rn.  557 (S.  217). 42  Wolf/Neuner, BGB AT 10.  A ., 2010, §  35 Rn.  82 (sowie dort Fn.  161). Diese Differenzierung ablehnend: Bork, BGB AT, 4.  A., 2016, Rn.  557 (S.  217). 38 

II.  „Wissen“ als Tatfrage oder als Rechtsfrage

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Das Ergebnis der Auslegung einer Willenserklärung ist zwar einerseits von zahlreichen richtlinienartigen Normen abhängig, insbesondere von der Ver­ objektivierung, wie ein objektiver Dritter die zugegangene Willenserklärung verstehen durfte, dennoch handelt es sich nicht eindeutig um eine Rechtsfrage, denn die Entscheidung – nicht, welcher Inhalt der Willenserklärung beigemessen wird, sondern welchen Inhalt die Willenserklärung letztlich im Hinblick auf das Rechtsgeschäft hat – wird vor dem Hintergrund getroffen, wie der Empfänger die ihm zugegangene Erklärung verstehen durfte: Was für sich genommen wie die Statuierung einer Richtlinie und einer generellen Anforderung erscheint, entpuppt sich bei näherer Betrachtung als eine Beurteilung eines gedachten, d. h. hypothetischen (aber doch sehr individuellen) Kenntnisstandes des Erklärungsempfängers, denn dem Erklärungsempfänger wird mit der Auslegung unterstellt, dass er die ihm zugegangene Erklärung nur in dieser Weise in seinen Kenntnisstand hätte aufnehmen dürfen, d. h. so verstehen durfte, wie es das Ergebnis der Auslegung gebietet. Diese sehr individuellen Ansatzpunkte der Beurteilung sprechen eher für eine vom Einzelfall abhängige Entscheidung und damit eher für eine Tatfrage als für die Einordnung der Auslegung einer Willenserklärung als eine (verallgemeinerbare) Rechtsfrage. Dieses Ergebnis spiegelt sich in dem Argument der Gewährung eines (nicht revisibelen) Ermessensspielraums bei der Auslegung wider.

2.  Notwendigkeit einer differenzierten, abgestuften Einordnung des Merkmals „Wissen“ in die Kategorien Rechts- und Tatfrage Das Merkmal „Wissen“ in einer Norm ist weder eindeutig als Tatfrage noch als Rechtsfrage einzuordnen. Vielmehr ist zu differenzieren. Zunächst ist zu klären, was „das Wissen“ (oder gleichbedeutend „die Kenntnis“) in der jeweiligen Norm für eine inhaltliche und funktionelle Bedeutung wahrnimmt. Inhaltlich kann dabei im Hinblick auf den Bezugspunkt des Wissens zwischen Tatsachenund Rechtskenntnis unterschieden werden. Die funktionelle Bedeutung betrifft diejenigen Fälle, in denen eine ergebnisorientierte, wertende Betrachtung stattfindet und diese am Merkmal des Vorliegens oder Nichtvorliegens von Wissen festgemacht wird. Die funktionelle Bedeutung ist immer Rechtsfrage, denn sie hat Richtliniencharakter und generalisiert den Einzelfall. Bei der Ermittlung der inhaltlichen Bedeutung des Merkmals „Wissen“ kann es in seltenen Fällen dazu kommen, dass die Kenntnis mit dem „Sachverhalt als Geschehen“ zusammenfällt.43 Dies ist allerdings nur dann denkbar, wenn das Vorliegen oder Nichtvorliegen des Wissens unstreitig ist. Andernfalls wird das von der Norm vorausgesetzte Wissen in der Regel zu einem „Sachverhalt als Aussage“, weil zunächst sprachlich-begrifflich definiert werden muss, was unter dem Wissen 43 

Vgl. hierzu: Larenz, Methodenlehre, 6.  A., 1991, S.  304 ff.

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§  4  „Wissen“ als Tatfrage oder Rechtsfrage

zu verstehen ist und unter welchen einzelnen Voraussetzungen das normgegenständliche Wissen vorliegt. Die auf diese Weise gewonnene Definition dessen, was den Inhalt des Begriffs „Wissen“ ausmacht, ist in der Regel eine Rechtsfrage. Die Feststellung, ob die einzelnen (kleinteiligen) Voraussetzungen des normgegenständlichen Wissens vorliegen, ist dagegen eine Tatsachenfrage. a.  Bestimmung der qualitativen Voraussetzungen des Patentschutzes als Rechts- oder Tatsachenfragen Die Abgrenzung zwischen Tatsachenfragen und Rechtsfragen spielt auch bei dem im Patentrecht üblichen Vergleich zweier Wissensstände (individuelle Kenntnis von der Erfindung / Stand der Technik als allgemeiner Kenntnisstand) eine Rolle. Die qualitativen Anforderungen, die an eine patentfähige Erfindung gestellt werden, sind die Neuheit (§§  1, 3 PatG) und das Beruhen auf erfinderischer Tätigkeit (§§  1, 4 PatG). Im gerichtlich zu klärenden Streitfall, ob eine Erfindung neu ist und auf erfinderischer Tätigkeit beruht, stellt sich zunächst die Frage, ob die Parteien für das Vorliegen der Merkmale der Norm darlegungs­ belastet sind oder ob das Gericht eine Rechtsfrage entscheidet. Die Abgrenzung zwischen Tatfrage und Rechtsfrage ist im Patentrecht nicht so stark umstritten, wie sie es für den allgemeinen Zivilprozess ist, obwohl auch dort unterschiedliche Auffassungen bestehen. (1)  Eingeschränkte Relevanz der Unterteilung in Tat- und Rechtsfrage im Patentrecht Die fehlende Nachhaltigkeit, mit der der Streit über die Abgrenzung von Tatund Rechtsfrage geführt wird, ist im Patentrecht prozessual bedingt: Die Patent­ erteilungsvoraussetzungen (Neuheit (§  3 PatG) und das Beruhen auf erfinderischer Tätigkeit (§  4 PatG)) werden zunächst im Patenterteilungsverfahren vor dem DPMA geprüft, §  44 I PatG. Die Entscheidung über die Erteilung des Patents ist gerichtlich weder den ordentlichen noch den Verwaltungsgerichten zur Überprüfung zugewiesen, sondern der Patentgerichtsbarkeit (§§  65, 81 PatG). Abgesehen von der (zeitlich) eingeschränkten Möglichkeit,44 gegen die Erteilung eines Patents Einspruch einzulegen, kann jedermann gegen die Patenterteilung Klage auf Erklärung der Nichtigkeit des Patents erheben, §  81 I 1 PatG. Über diese Klage entscheidet erstinstanzlich (§§  81 I, 84 I PatG) das BPatG (§  65 I PatG). Die verfahrensrechtliche Besonderheit liegt in dem Rechtsmittel gegen das Urteil des Nichtigkeitsverfahrens: Gemäß §  110 I PatG findet „gegen die Urteile der Nichtigkeitssenate des Patentgerichts […] die Berufung an den Bundesgerichtshof statt“. 44  Der Einspruch kann nur innerhalb von 3 Monaten nach der Veröffentlichung der Erteilung eingelegt werden, §  59 I PatG. Während dieser Zeit, und wenn ein Einspruchsverfahren läuft, ist die Nichtigkeitsklage unzulässig, §  84 II 1 PatG.

II.  „Wissen“ als Tatfrage oder als Rechtsfrage

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In der Berufungsinstanz (BGH) als letzte Instanz, die über den Rechtsbestand des Patentes entscheidet, stellt sich die Frage nach der Unterscheidung zwischen Tat- und Rechtsfrage nicht in der gewohnten Schärfe, da die Kompetenzverteilung zwischen Berufungs- und Revisionsgericht nicht tangiert wird. Dennoch wird die Frage auch in patentrechtlichen Urteilen aufgegriffen. Dies liegt vor allem daran, dass auch vor dem BGH, wenngleich er die Funktion eines Berufungsgerichts wahrnimmt, die Darlegungslast der Parteien nur für Tatsachen gegeben ist und der BGH über die Notwendigkeit einer Beweisaufnahme entscheiden muss. Einschlägige Rechtsprechung existiert daher zu der Frage, welche Aufgabe der gerichtliche Sachverständige in dem Berufungsverfahren vor dem BGH wahrnimmt und inwieweit das Urteil auf die Ausführungen des Sachverständigen gestützt werden kann45 bzw. das Gericht selbst (rechtliche) Erwägungen anstellen muss.46 In einem Großteil der beim BGH geführten patentrechtlichen Rechtsbestandsverfahren geht es um die Frage, ob die Erfindung auf erfinderischer Tätigkeit beruht.47 Das liegt hauptsächlich daran, dass der Anteil der erfolgreichen Angriffe auf den Rechtsbestand eines Patents insgesamt wesentlich höher ist, wenn die erfinderische Tätigkeit in Zweifel gezogen wird, als wenn sich der Angriff darauf beschränkt, dass die Erfindung nicht neu sei. Dies erklärt sich daraus, dass der (Identitäts-)Vergleich von einer Quelle aus dem Stand der Technik wesentlich weniger von (angreifbaren) Wertungen abhängig ist als die Bewertung der durchschnittlichen Fähigkeiten des Fachmanns, um die erfindungsgemäße Lösung zu finden.48 Abgesehen von den Rechtsbestandsverfahren tritt die Abgrenzung von Tatund Rechtsfrage in einem weiteren Gebiet patentrechtlicher Gerichtsverfahren 45  Wobei gerade der Sachverständigenbeweis strukturell dem Nachweis von Tatsachen im Vergleich zu den anderen Beweismitteln am wenigsten ähnelt und vielmehr in die Nähe der richterlichen Erkenntnis rückt, vgl. dazu bereits Wach, Vorträge über die Reichs-Civilprocessordnung, 1879, S.  57: Der Sachverständige sei „nicht Beweismittel, sondern Gehülfe des Richters“, der „den Inhalt des Beweismaterials zur Evidenz, nicht zur Existenz“ bringe. 46 Vgl. BGH GRUR 2006, 663, 665 Tz.   28 – Vorausbezahlte Telefongespräche; BGH GRUR 2004, 411, 413 – Diabehältnis; BGH GRUR 1995, 330, 332 – Elektrische Steckverbindung. Sehr deutlich zu der richterlichen Aufgabe, die Ausführungen des Sachverständigengutachtens nicht einfach zu übernehmen Meier-Beck, Mitt. 2005, 529, 534: „Der bloße Umstand, daß der Sachverständige eine bestimmte Frage in einem bestimmten Sinne beantwortet hat, ist in dieser Hinsicht regelmäßig unerheblich und unergiebig und wird auch nicht dadurch ergiebiger, daß der Richter die Antwort mit dem Attribut ‚überzeugend‘ adelt.“ 47  Umfassend hierzu unter Verweis auf die Rechtsprechung Kraßer/Ann, PatR, 7.  A ., 2016, §  18 Rn.  4 ff. 48  Daher verwundert es wenig, dass die tragenden Urteilsgründe der meisten (zumindest teilweise) erfolgreichen Nichtigkeitsverfahren diejenigen der erfinderischen Tätigkeit betreffen (insgesamt 83 % der untersuchten Fälle) und nicht diejenigen der Neuheit, vgl. hierzu die Untersuchung von Liedel, Patentnichtigkeitsverfahren, 1979, S.  199 sowie die Auseinandersetzung damit bei Kraßer/Ann, PatR, 7.  A., 2016, §  18 Rn.  4 ff.; ferner Pagenberg, Erfindungshöhe, 1975, S.  4 ff.

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§  4  „Wissen“ als Tatfrage oder Rechtsfrage

deutlich hervor: In einem Patentverletzungsverfahren geht der Patentinhaber gegen einen vermeintlichen Verletzer des Patents vor. In diesem vor den ordentlichen Gerichten zu führenden Verfahren wird der Beklagte nicht mit dem Einwand gehört, dem Klagepatent mangele es an Rechtsbeständigkeit, weil die Ertei­lungsvoraussetzungen nicht vorlägen (sog. Trennungsprinzip von Verletzungs- und Bestandsverfahren) 49. Insoweit ist der Richter im Verletzungs­ rechts­streit an die Entscheidung des Erteilungsverfahrens gebunden.50 Im Rahmen des Verletzungsrechtsstreits ist die Frage nach den Patenterteilungsvoraussetzungen daher nicht relevant. Jedoch tritt im Verletzungsstreit häufig die Frage nach dem „Naheliegen“ von Lösungsvarianten für die erfinderische Lehre im Zusammenhang mit der Bestimmung des Schutzbereichs eines Patents auf. Dies ist beispielsweise im Rahmen der Beurteilung äquivalenter Ausführungsformen der Fall.51 In diesen Fällen stellt sich dieselbe Frage wie bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit gemäß §§  1 I, 4 PatG, nämlich ob sich die Lösung für den Durchschnittsfachmann in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik ergibt oder auf erfinderischer Tätigkeit beruht. Im Verletzungsverfahren stellt sich in der Revisionsinstanz wegen des eingeschränkten Prüfungsumfangs der Revision – wie bei jedem anderen zivilprozessualen Verfahren – die Frage, ob es sich bei der untersuchten Frage um eine Tatfrage oder um eine Rechtsfrage handelt. (2)  „Beruhen auf erfinderischer Tätigkeit“ als Rechtsfrage Das Beruhen auf erfinderischer Tätigkeit ist gemäß §  1 I PatG eine Patenterteilungsvoraussetzung. Gemäß §  4 S.  1 PatG gilt eine Erfindung „als auf erfinderischer Tätigkeit beruhend, wenn sie sich für den Fachmann nicht in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik ergibt“. Als die erfinderische Tätigkeit (vor der Neufassung des Patentgesetzes 1978) 52 noch nicht ausdrücklich im Gesetz als Patentierungsvoraussetzung genannt war, ging die Rechtsprechung davon aus, dass es sich bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit ebenso wie bei der (gesetzlich geregelten Voraussetzung der) Neuheit um eine Tatfrage han49  BGH GRUR 1979, 624, 625 – Umlegbare Schießscheibe; Busse/Keukenschrijver, PatG, 7.  A., 2013, §  139 Rn.  180 m. w. N. 50  Von der grundsätzlich denkbaren Möglichkeit der Aussetzung des Verletzungsverfahrens bei einer parallel laufenden Nichtigkeitsklage gemäß §  148 ZPO machen die Gerichte nur zurückhaltend Gebrauch, weil durch die Aussetzung des Verletzungsstreits die Durchsetzungskraft des (zeitlich befristeten) Patentes erheblich geschmälert wird, vgl. BGH GRUR 1979, 624, 625 – Umlegbare Schießscheibe; OLG Düsseldorf, Mitt. 2011, 193, 194 f.; OLG Düsseldorf, GRUR-RR 2008, 329, 331 – Olanzapin. 51  Die zweite Frage bei der Äquivalenzprüfung bezieht sich auf das Naheliegen des alternativen Lösungsmittels für den Durchschnittsfachmann (Auffindbarkeit), vgl. BGH GRUR 1994, 597, 600 – Zerlegvorrichtung für Baumstämme; Meier-Beck, GRUR 2003, 905, 907 f., und ist somit identisch mit der Frage nach der erfinderischen Tätigkeit gemäß §  4 PatG. 52  BT-Drcks. 7/3712, S.  5 ff.

II.  „Wissen“ als Tatfrage oder als Rechtsfrage

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delt.53 Dieser Annahme lag das Verständnis zugrunde, dass die „Erfindungs­ höhe“ noch keine selbständige Voraussetzung des Patentschutzes, sondern nur ein im Rahmen der Neuheitsprüfung zu berücksichtigendes Merkmal war.54 Nachdem die erfinderische Tätigkeit ausdrücklich eigenständig im Gesetz (durch die Neufassung des Patentgesetzes 1978) als Patentierungsvoraussetzung aufgenommen wurde, 55 ging der BGH in mehreren Entscheidungen davon aus, dass die erfinderische Tätigkeit bzw. das Naheliegen der Erfindung für den Fachmann eine Tatfrage sei.56 Nunmehr nimmt der BGH allerdings einheitlich an, dass es sich bei der Frage, ob sich die Erfindung in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik ergibt, um eine Rechtsfrage handelt, weil diese Frage ein „Akt wertender Erkenntnis“ ist.57 Begründet wird diese Ansicht damit, dass „eine einheitliche Beurteilung einer Erfindung […] auf der Grundlage individueller Kenntnisse und Fähigkeiten nicht möglich“ sei und die Rechtssicherheit verlange, Erfindungen einheitlich zu beurteilen.58 Melullis fügt dem hinzu, dass sowohl die Voraussetzungen der Patenterteilung als auch die Bestimmung des Schutzumfangs einheitlich und verbindlich für jeden (unabhängig von einer Einschätzung eines einzelnen Sachverständigen) erfolgen müssen, weil sich der Verbotscharakter des Patents an alle und nicht nur an den Einzelnen richte, der gerade im Prozess die gegnerische Partei ist.59 Die maßgebliche Sicht, d. h. das fachmännische Denken, das Erkennen und das Vorstellen des Fachmanns, orien­tiert sich somit an den durchschnittlichen Fähigkeiten und Kenntnissen und ist damit „unmittelbarer Feststellung entzogen“. 60 Daher kann ein gerichtlich bestellter Sachverständiger nichts über das Naheliegen der erfindungsgemäßen Lehre aussagen, denn es kommt nicht auf seine Sichtweise im Hinblick auf die zu beurteilende Erfindung an. 61 Der Sachverständige kann aber über die für die wertende Entscheidung des Gerichts notwendigen Tatsachen Auskunft erteilen. Solche Tatfragen sind insbesondere die Kenntnisse und Fähigkeiten, 53  BGH GRUR 1984, 797, 798 f. – Zinkenkreisel; BGH GRUR 1987, 510, 512 – Mittelohrprothese; BGH GRUR 1999, 508, 510 – Spreizdübel. 54 Vgl. zum damaligen Verständnis der „graduell abgestuften Neuheit“ insbes. Schiff, GRUR 1899, 45, 46 f.; Mintz, GRUR 1903, 372, 378; E. Pietzcker, PatG I, 1929, §  2 Rn.  4. 55  Art. IV des Gesetzes über internationale Patentübereinkommen, BT-Drcks 7/3712, S.  5, 9 f. 56  BGH GRUR 1984, 797, 798 f. – Zinkenkreisel; BGH GRUR 1987, 510, 512 – Mittelohrprothese; BGH GRUR 1999, 508, 510 – Spreizdübel. 57  BGH GRUR 1995, 330, 331 f. – Elektrische Steckverbindung; BGH GRUR 2004, 411 413 – Diabehältnis; BGH GRUR 2006, 663, 665 Tz.  28 – Vorausbezahlte Telefongespräche; umfassend zur Änderung der Rechtsprechung: BGH GRUR 2006, 842, 843 Tz.  11 – Demonstrationsschrank. 58  BGH GRUR 2006, 663, 665 Tz.  28 – Vorausbezahlte Telefongespräche. 59  Melullis, FS Ullmann, 2006, S.  503, 504 f. 60  BGH GRUR 2004, 1023, 1025 – Bodenseitige Vereinzelungseinrichtung (in Bezug auf die Auslegung des Schutzbereichs eines Patents); BGH GRUR 2006, 663, 665 Tz.  28 – Vorausbezahlte Telefongespräche. 61  BGH GRUR 2006, 663, 665 Tz.  28 – Vorausbezahlte Telefongespräche.

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§  4  „Wissen“ als Tatfrage oder Rechtsfrage

über die der Fachmann auf dem technischen Gebiet allgemein verfügt sowie die Arbeitsweise des Fachmanns auf dem technischen Gebiet. 62 Die weitere Überlegung, ob „vom Durchschnittsfachmann nach seiner Ausbildung, seiner praktischen Erfahrung“ und der in dem technischen Fachgebiet angewandten Methodik der Problemlösung erwartet werden konnte, die Erfindung zu tätigen, ist Aufgabe des Gerichts im Rahmen der zu beantwortenden Rechtsfrage. 63 Die Einordnung der Frage nach dem Naheliegen einer Erfindung für den Durchschnittsfachmann als Rechtsfrage ist sowohl nach dem teleologischen als auch nach dem begrifflichen Ansatz der Abgrenzung von Tat- und Rechtsfrage überzeugend. Aus teleologischer Sicht liegt eine Rechtsfrage vor, da die Feststellung der erfinderischen Tätigkeit (auf die es gemäß §  1 I PatG ankommt) abstrakte, richtlinienmäßige und generelle Fragen64 hinsichtlich des Wissens und Könnens des Durchschnittsfachmanns aufwirft. 65 Die Frage nach dem Naheliegen der konkreten Erfindung sieht auf den ersten Blick zwar wie eine konkrete, individuelle und auf den Einzelfall bezogene Frage aus. Jedoch stellt sie sich wegen der Beurteilungsperspektive vom Standpunkt des Durchschnittsfachmanns als nicht beweisbar dar. Damit stößt die Sachaufklärung an ihre Funk­ tionsgrenzen und die Frage kann nur auf der Grundlage einer wertenden Beurteilung vorgenommen werden. 66 Für das Vorliegen einer Rechtsfrage spricht auch das von der Rechtsprechung67 angeführte Argument der Rechtssicherheit, die mit der Rechtseinheit einhergeht, wenn einheitliche Maßstäbe für die Beurteilung der Erfindung angelegt werden. Vom begrifflichen Ansatz liegt die Einordnung des Naheliegens der Erfindung als Rechtsfrage auf der Hand, denn es geht bei der Prüfung auf ein Naheliegen der Erfindung gerade darum, dass ein nicht alltäglicher, außersprachlicher Begriff68 („Naheliegen“) bei der Beantwortung der Frage eingesetzt wird. Der Bedeutungsgehalt des Begriffs „Naheliegen“ wird durch die detaillierten Eigenschaften (Wissen und Können), die an den Durchschnittsfachmann gestellt werden, im Rahmen der Erwartungshaltung gegenüber dem Fachmann vom sprachlichen Verständnis abgesetzt und mit einer ganzen Reihe von Wertungen angereichert.69 Diese geben letztlich den 62  BGH GRUR 2004, 411, 413 – Diabehältnis; Meier-Beck, Mitt. 2005, 529, 531 f.; Melullis, FS Ullmann, 2006, S.  503, 507 f. 63  BGH GRUR 1995, 330, 331 f. – Elektrische Steckverbindung; BGH GRUR 2004, 411, 413 – Diabehältnis; BGH GRUR 2015, 365, 370 Tz.  49 – Zwangsmischer. 64  Allgemein zum teleologischen Ansatz Schwinge, Grundlagen Revisionsrecht, 2.  A ., 1960, S.  51, 134; Kuchinke, Grenzen der Nachprüfbarkeit, 1964, S.  107; Henke, Tatfrage, 1966, S.  25 ff. 65  Kraßer/Ann, PatR, 7.  A ., 2016, §  18 Rn.  16 ff. 66  Zur sog. „Leistungsmethode“ vgl. Henke, Tatfrage, 1966, S.  23 ff. sowie Henke, ZZP 81 (1968), 196, 215 ff. 67  BGH GRUR 2006, 663, 665 Tz.  28 – Vorausbezahlte Telefongespräche. 68  Zur begrifflichen Abgrenzungsmethode allgemein Larenz, Methodenlehre, 6.  A ., 1991, S.  308; Scheuerle, AcP 157 (1958), 1, 21 ff.; Nierwetberg, JZ 1983, 237, 241. 69  Bruchhausen, Mitt. 1981, 144, 145; so auch Kraßer/Ann, PatR, 7.  A ., 2016, §  18 Rn.  16:

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Ausschlag für die Entscheidung, ob die Erfindung für den Durchschnittsfachmann naheliegend ist oder nicht. Keine Rechtsfrage ist dagegen, welche Tatsachen der Entscheidung über das Naheliegen der Erfindung zugrunde gelegt werden.70 Zu diesen Tatfragen zählen die konkret benennbaren Kenntnisse des Fachmanns, die Inhalte der Ausbildung eines solchen Fachmanns sowie das Erfahrungswissen, das ein auf dem technischen Gebiet tätiger Fachmann regelmäßig erwirbt.71 Die Sachaufklärung dieser Tatsachen obliegt dem Tatrichter und ist von der Revision nur eingeschränkt überprüfbar. (3)  „Neuheit“ als Tatfrage? „Seit jeher“ wird die Prüfung der Neuheit einer Erfindung im Gegensatz zu der „Prüfung der erfinderischen Tätigkeit […] überwiegend als (reiner) Erkenntnis­ akt gesehen“.72 Die Beschwerdekammern des EPA legen ihren Entscheidungen ebenfalls die Auffassung zugrunde, dass das, was der Öffentlichkeit in einer schriftlichen Beschreibung zugänglich gemacht wurde und damit nicht mehr neu ist (Art.  54 I, II EPÜ: entspricht im Wesentlichen §  3 I PatG), eine Tatfrage ist, die im Kontext des Einzelfalls zu entscheiden sei.73 In der Literatur wurde diese Auffassung bekräftigt und gefordert, dass die Neuheit „als Tatfrage beurteilt“ werden müsse und „nicht zu vermeintlichen Rechtsfragen hochgespielt werden“ dürfe.74 Dieses maßgeblich auf die historische Erfahrung mit der Prüfungsmethode zurückgreifende Argument ist in seiner Überzeugungskraft zweifelhaft. Im Ausgangspunkt ist richtig, dass die Frage, „ob“ eine Quelle am entscheidenden Prioritätstag zum Stand der Technik zählte, eine Tatfrage ist.75 Diese Tatsache ist einem Beweis zugänglich und bei dieser Frage kommt es nur auf den vorliegend zu entscheidenden Einzelfall an. Eine Rechtsfrage ist es jedoch, welchen Inhalt die Quelle dem Stand der Technik hinzufügt. Dies folgt aus dem begrifflichen Ansatz zur Abgrenzung von Tat- und Rechtsfrage, weil der Offenbarungsgehalt der Quelle vor dem fachmännischen Verständnis erschlossen wer„Entscheidung“ oder „Verhalten“ des fiktiven Fachmanns kann nicht Gegenstand einer hypothetischen Tatsachenfeststellung sein. 70  BGH GRUR 2015, 365, 370 Tz.  49 – Zwangsmischer. 71  Eingehend dazu Meier-Beck, Mitt. 2005, 529, 531 ff. 72  BGH GRUR 1995, 330, 331 f. – Elektrische Steckverbindung. 73  EPA (T 59/87), ABl. EPA 1991, 561 564 – reibungsverringernde Zusätze/MOBIL IV. Diese Entscheidung bezieht sich auf die spezielle Frage, ob eine vorher nicht offenbarte technische Wirkung mit offenbart ist, falls die Wirkung zwangsläufig eintritt, wenn die in einer schriftlichen Beschreibung offenbarte technische Lehre ausgeführt wird. Dies ist nach Einschätzung des EPA eine Tat­frage. Vgl. zu einer ähnlichen Sachverhaltskonstellation auch BGH GRUR 2012, 1130 – Leflunomid. 74  Cornish, GRUR Int. 1983, 221, 223. 75 Zutreffend Bruchhausen, Mitt. 1981, 144, 145.

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§  4  „Wissen“ als Tatfrage oder Rechtsfrage

den muss.76 Diese Erschließung des Inhalts kann sich für den Fachmann als einfach erweisen, weil der Fachmann der Quelle genau den Inhalt entnimmt, der identisch mit dem begrifflichen Verständnis dessen ist, was die angemeldete Erfindung ausmacht. Sobald der Fachmann allerdings sein Fachwissen und sein Erfahrungswissen einsetzen muss, um der Quelle einen Offenbarungsgehalt zu entnehmen, der über das allgemeinsprachliche Verständnis der verwendeten Begriffe hinausgeht, wird der bei der Prüfung der Neuheit der Erfindung vorzunehmende Vergleich zu einer Rechtsfrage. Dabei wird jedem kennzeichnenden Merkmal der Erfindung ein Begriff gegenübergestellt, der auf wertender Erkenntnis beruht.77 Obwohl der Vergleich der Erfindung mit der zuvor offenbarten, fachmännisch verstandenen Lehre ohne Wertungen erfolgt, ist die Bildung der Vergleichsgröße (Offenbarungsgehalt der Quelle aus dem Stand der Technik) das Ergebnis einer Wertung. Dieses Ergebnis ist ein „Sachverhalt als Aussage“ und weicht daher von dem „Sachverhalt als Geschehen“ ab.78 Am deutlichsten wird die Begriffsbildung des mit der angemeldeten Erfindung zu vergleichenden Offenbarungsgehalts des Standes der Technik, wenn der Fachmann erst durch Anwendung seines Fachkönnens den wahren Offenbarungsgehalt der Quelle erschließt, d. h. wenn er aufgrund seines Fachwissens über den wörtlichen Gehalt der Quelle hinaus auch fachnotorische Austauschmittel und dasjenige als mitoffenbart erkennt, was er aufgrund seines Fachwissens „als selbstverständlich mitliest“.79 Das fachmännische Verständnis dient abstrakten, richtlinienartigen Feststellungen, die den Vergleich der Quelle aus dem Stand der Technik mit der angemeldeten Erfindung vorbereiten. Dieses Verständnis einer Quelle aus dem Stand der Technik hat in der Regel über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung und ist damit auch nach dem teleologischen Ansatz der Abgrenzung von Tat- und Rechtsfrage den Rechtsfragen zuzuordnen. b.  Hilfserwägungen und „Beweisanzeichen“ für das Vorliegen erfinderischer Tätigkeit Das Beruhen auf erfinderischer Tätigkeit und die Prüfung der Erfindung, ob sich diese für den Fachmann in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik 76 

BGH GRUR 1995, 330, 332 – Elektrische Steckverbindung. Sendrowski, GRUR 2009, 797, 800 (dort in Fn.  25) weist zu Recht darauf hin, dass bei der Klärung, was „Kenntnis“ i. S. d. §  3 I 2 PatG geworden sei, eine Reihe „gedanklicher Schritte unternommen“ werden müsse und diese Schritte daraufhin zu untersuchen seien, ob sie „unmittelbar und eindeutig“ zu gehen sind oder nicht. „Über die Kenntnisse einer Person, die es per definitionem nicht gibt“, könne man keinen Beweis erheben. Letzteres Argument bemühen auch Kraßer/Ann, PatR, 7.  A., 2016, §  18 Rn.  16. 78 Vgl. Larenz, Methodenlehre, 6.  A ., 1991, S.  304 ff. 79  BGH GRUR 1995, 330, 332 – Elektrische Steckverbindung; BGH GRUR 2000, 296, 297 – Schmierfettzusammensetzung. Dieses „Mitlesen“ ist allerdings nicht mit eigener erfinderischer Aktivität verbunden; vgl. hierzu eindeutig: EPA (T 39/93) ABl. EPA 1997, 149 (Gliederungspunkt 7.8.4.) – Polymerpuder/ALLIED COLLOIDS LIMITED. 77 

II.  „Wissen“ als Tatfrage oder als Rechtsfrage

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ergibt, sind Rechtsfragen. 80 Die Beurteilung dieser Rechtsfragen beruht auf tatsächlichen Bezugspunkten, die das Urteil über den Vergleich der Erfindung mit dem Stand der Technik stützen81. Die Zusammenstellung des Standes der Technik, d. h. die Frage nach der Zugehörigkeit einer Quelle zum Stand der Technik im Prioritätszeitpunkt, ist eine Tatfrage82 . Die eigentlich entscheidende Frage nach dem „Abstand“ der Erfindung vom Stand der Technik, der die erfinderische Tätigkeit kennzeichnet, 83 ist der richterlichen Wertung vorbehalten. 84 Um die Beantwortung der Frage nach dem Naheliegen der Erfindung für den Durchschnittsfachmann nachvollziehbarer zu machen und eine Möglichkeit zu schaffen, eine Argumentationsstruktur für das Vorliegen erfinderischer Tätigkeit zu geben, wird häufig auf sogenannte „Beweisanzeichen“ für das Vorliegen erfinderischer Tätigkeit zurückgegriffen. Dabei wurden teilweise die von der Rechtsprechung aufgegriffenen Anzeichen in ein stark einzelfallorientiertes System von zahlreichen „Beweisanzeichen“ eingeordnet. 85 Da es sich weder bei dem Merkmal der erfinderischen Tätigkeit noch bei der Frage nach dem Naheliegen für den Fachmann um eine Tatfrage (d. h. um eine Tatsache, die dem Beweis zugänglich ist) handelt, ist die Bezeichnung als „Beweisanzeichen“ unpassend.86 Dennoch vereinfachen solche Hilfserwägungen die Beantwortung der (Rechts-)Frage nach dem Vorliegen erfinderischer Tätigkeit bzw. dem Naheliegen für den Fachmann. 87 Allerdings kann die Heranziehung der Hilfserwägungen die Frage nach der erfinderischen Tätigkeit weder allein begründen noch ersetzen. 88 Zwar ist ein Schluss von dem Vorliegen einer

80  BGH GRUR 1995, 330, 331 f. – Elektrische Steckverbindung; BGH GRUR 2004, 411, 413 – Diabehältnis; BGH GRUR 2006, 663, 665 Tz.  28 – Vorausbezahlte Telefongespräche. 81  Meier-Beck, Mitt. 2005, 529, 531 f. 82  Bruchhausen, Mitt. 1981, 144, 145. 83  Der Terminus „Abstand“ der Erfindung vom Stand der Technik geht auf BT-Drcks. 7/3712, S.  381 zurück. Zu den Schwierigkeiten einer mathematischen Bestimmung dieses Abstandes Dolder/Ann/Buser, Mitt. 2007, 49, 51 ff.; Öhlschlegel, GRUR 1964, 477, 478 ff.; Beyer, GRUR 1986, 345 ff. Zur Argumentationsstruktur im Hinblick auf den „Abstand“ zwischen Stand der Technik und Erfindung vgl. Niedlich, Mitt. 2000, 281, 282; ferner Beckmann, GRUR 1998, 7, der ein mathematisches Abhängigkeitssystem zwischen Verletzungsgrad und Erfindungshöhe mit Hilfe von „Maßzahlen“ vorgeschlagen hat. 84  Melullis, FS Ullmann, 2006, S.  503, 508 ff.; Meier-Beck, Mitt. 2005, 529, 530 ff. 85  Pagenberg, GRUR Int. 1978, 190, 191 ff.; Pagenberg, Erfindungshöhe, 1975, S.  187 ff.; vgl. auch die alphabetische Auflistung denkbarer Beweisanzeichen bei Schulte/Moufang, PatG, 9.  A., 2014, §  4 Rn.  6 4 ff. 86  Daher steht der Ansatz der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit über die „Beweisanzeichen“ häufig in der Kritik, vgl. Cornish, GRUR Int. 1983, 221, 225 f.; Bruchhausen, Mitt. 1981, 144, 146; Ochmann, GRUR 1985, 941, 942 ff.; Wächtershäuser, GRUR 1982, 591, 595; Völcker, GRUR 1983, 83, 90; ebenfalls kritisch zu den „Beweisanzeichen“ EPA (T 24/81) ABl. EPA 1983, 133, 141 f. Tz.  15 f. – Metallveredlung/BASF. 87  So auch Kraßer/Ann, PatR, 7.  A ., 2016, §  18 Rn.  123 ff. 88  BGH GRUR 1991, 120, 121 – Elastische Bandage. Zur eingeschränkten Aussagekraft von Beweisanzeichen vgl. Jestaedt, GRUR 2001, 939, 943.

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§  4  „Wissen“ als Tatfrage oder Rechtsfrage

Hilfserwägung auf das Vorliegen erfinderischer Tätigkeit nicht zwingend,89 jedoch indiziert das Vorliegen einer Hilfserwägung das Beruhen der Erfindung auf erfinderischer Tätigkeit, wenn zwischen Hilfserwägung und der erfinderischen Tätigkeit bzw. dem Naheliegen für den Fachmann ein schlüssiger Zusammenhang besteht.90 Die Prüfung von Hilfserwägungen (bzw. Indizien) erleichtert daher das „Abwägen zwischen erfinderischem Bemühen und dem Aufgreifen von Naheliegendem“,91 weil die Prüfung der Hilfserwägungen die Beurteilungsgrundlage für die zu entscheidende Frage nach dem Nahe­liegen der Erfindung erweitert.92 In der Regel werden diese Hilfserwägungen nur für das Vorliegen von erfinderischer Tätigkeit herangezogen, nicht aber als Argument, um eine etwaige bereits festgestellte erfinderische Tätigkeit zu entkräften.93 Die zahlreichen einzelnen Hilfserwägungen und Indizien können im Wesentlichen in zwei Gruppen eingeteilt werden: 94 Zunächst spricht für das Vorliegen erfinderischer Tätigkeit, wenn bei der Auffindung der erfinderischen Lehre Schwierigkeiten überwunden werden mussten. Diese können darin liegen, dass ein lange bestehendes technisches Vorurteil mit der Erfindung überwunden wurde,95 ein seit langem existierendes Bedürfnis erstmals befriedigt wurde,96 oder in der Fachwelt lange vergebliche Bemühungen zu verzeichnen sind, die erfinderische Lehre aufzufinden.97 Außerdem kann die Wirkung und Rezeption der Erfindung ein Indikator für das Vorliegen von erfinderischer Tätigkeit sein, auf der die Erfindung beruht. In diesem Zusammenhang herangezogene Hilfserwägungen sind das Eintreten eines wirtschaftlichen Erfolges

89  BGH GRUR 1979, 619, 620 – Tabelliermappe; BGH GRUR 1962, 350, 352 f. – Dreispiegel-Rückstrahler. 90 Schulte/Moufang, PatG, 9.  A ., 2014, §  4 Rn.  62; vgl. auch kritisch zu diesem Zusammenhang (wirtschaftlicher Erfolg und erfinderische Tätigkeit) BGH GRUR 1991, 120, 121 f. – Elastische Bandage. 91  Niedlich, Mitt. 2000, 281, 284; BGH GRUR 1991, 120, 121 f. – Elastische Bandage. 92  Kraßer/Ann, PatR, 7.  A ., 2016, §  18 Rn.  126. 93 Insoweit anders Bardehle, FS VPP, 2005, S.   151, 158 f.; Pagenberg, Erfindungshöhe, 1975, S.  187 ff.; Ochmann, GRUR 1985, 941, 945; dazu auch Kraßer/Ann, PatR, 7.  A., 2016, §  18 Rn.  126 und Liedel, Patentnichtigkeitsverfahren, 1979, S.  211 ff. 94  Ochmann, GRUR 1985, 941, 945, fasst die Hilfserwägungen unter den Gruppen Zeit­ fak­tor, technisches Neuland, Vorurteilsüberwindung, Glücksgriff, technisch oder wirtschaft­ lich erheblicher Fortschritt zusammen. 95  Dies setzt eine allgemeine, eingewurzelte technische Fehlvorstellung voraus, die den Fachmann bisher gehindert hat, in Richtung der erfindungsgemäßen Lehre zu arbeiten oder Versuche anzustellen, vgl. BGH GRUR 1984, 580 – Chlortoluron; BGH GRUR 1996, 857, 860 – Rauchgasklappe; ausführlich dazu Hesse, GRUR 1982, 514, 516. 96  BGH GRUR 1979, 619, 620 – Tabelliermappe; BGH GRUR 1953, 120 – Erfindungs­ höhe; Pagenberg, Erfindungshöhe, 1975, S.  203 ff. 97  BGH GRUR 1982, 289, 290 – Massenausgleich; BGH GRUR 1972, 704, 707 – Wasser-­ Aufbereitung; Pagenberg, Erfindungshöhe, 1975, S.  208.

II.  „Wissen“ als Tatfrage oder als Rechtsfrage

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(auch belegt durch umfangreiche Nachahmung der Erfindung) 98 oder eines erheblichen technischen Fortschritts.99 Die genannten Hilfserwägungen sind größtenteils mit denjenigen materiell-rechtlichen Erwägungen deckungsgleich (Fortschritt und Erfindungshöhe), die vor der Kodifizierung der erfinderischen Tätigkeit im Jahre 1976100 als gesetzliche Voraussetzung des Patentschutzes in die bis dahin einzige gesetzlich geregelte patentrechtliche Voraussetzung der Neuheit einer Erfindung hineininterpretiert wurden.101 Bis zur Kodifizierung der Patentierungsvoraussetzung der erfinderischen Tätigkeit im Jahr 1976 dienten die genannten Hilfserwägungen (Fortschritt und Erfindungshöhe) der Konkretisierung der materiell-rechtlichen Patentierungsvoraussetzung der Neuheit. Daher sind diese Hilfserwägungen zur Frage nach dem „Grad der Neuheit“ (die sich in der „Erfindungshöhe“ widerspiegelte) 102 ebenso wie die Frage nach der Neuheit der Erfindung zutreffend als Tatsachenfragen eingeordnet worden.103 Nachdem die Voraussetzungen des Patentschutzes in „Neuheit“ und „Beruhen auf erfinderischer Tätigkeit“ gesetzlich aufgespalten wurden, waren die Hilfserwägungen zur „Fortschrittlichkeit“ und „Erfindungshöhe“ nicht mehr Teil der Neuheitsprüfung, sondern in der Voraussetzung der erfinderischen Tätigkeit zusammengefasst.104 Damit werden nunmehr die Merkmale Fortschritt und Erfindungshöhe, die damals die Neuheit als Tatfrage konkretisierten, als tatsächliche Anhaltspunkte herangezogen, um die Rechtsfrage nach der erfinderischen Tätigkeit zu stützen. Die heutigen Hilfserwägungen für die Bestimmung der erfinderischen Tätigkeit weisen daher einen materiell-rechtlichen Ursprung auf. 98  BGH GRUR 1991, 120, 121 f. – Elastische Bandage, wobei jedoch ein großer Markt­ erfolg nur dann eine die erfinderische Tätigkeit stützende Hilfserwägung sein kann, „wenn er auf einer sprunghaften (überraschenden) Bereicherung des Stands der Technik beruht, hingegen nicht, wenn er auf ein erfolgreiches Marketing […] zurückzuführen ist“. So auch Pagen196  f.; ferner Liedel, Patentnichtigkeitsverfahren, 1979, berg, Erfindungshöhe, 1975, S.   S.  230 ff.; Lewinsky, Mitt. 1986, 41, 42 f.; Lacroix, GRUR 2006, 625. 99  BGH GRUR 1978, 98, 99 – Schaltungsanordnung; BGH GRUR 1999, 145, 148 – Stoßwellen-Lithotripter (Erfindung bringt eine „erhebliche Verbesserung“); Pagenberg, Erfindungshöhe, 1975, S.  210 ff. 100  Vgl. Art. IV des Gesetzes über internationale Patentübereinkommen, BT-Drcks 7/3712, S.  5, 9 f. 101 Vgl. Schiff, GRUR 1899, 45, 46 f.; Mintz, GRUR 1903, 372, 378; E. Pietzcker, PatG I, 1929, §  2 Rn.  4. 102  Schiff, GRUR 1899, 45, 46 f.; Mintz, GRUR 1903, 372, 378; E. Pietzcker, PatG I, 1929, §  2 Rn.  4. 103  BGH GRUR 1984, 797, 798 f. – Zinkenkreisel; BGH GRUR 1987, 510, 512 – Mittelohrprothese; BGH GRUR 1999, 508, 510 – Spreizdübel. 104  Der Gesetzgeber ging davon aus, dass das Merkmal des Fortschritts bereits in der erfinderischen Tätigkeit enthalten sei, vgl. Gesetzesbegründung zu Art. IV IntPatÜG, BT-Drcks. 7/3712, S.  27. Kraßer/Ann, PatR, 7.  A., 2016, §  18 Rn.  133 meinen, dass dadurch von dem Argument der Fortschrittlichkeit bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit sogar ein „unbefangenerer Gebrauch gemacht [werden] kann als früher“.

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§  4  „Wissen“ als Tatfrage oder Rechtsfrage

III. Ergebnis Wissen ist weder bloße Tatfrage noch bloße Rechtsfrage. Vielmehr ist Wissen als Tatbestandsvoraussetzung einer Norm meist das Ergebnis einer Wertung. Beruht dieses Ergebnis auf einer wertenden Erkenntnis, handelt es sich um eine Rechtsfrage. Die Aufklärung der dieser Erkenntnis zu Grunde liegenden Tatsachen sind Tatfragen, die dem Tatrichter vorbehalten und von der Revision daher nur eingeschränkt nachprüfbar sind. Der Bewertungsvorgang selbst, durch den der Begriffsinhalt der Tatbestandsvoraussetzung „Wissen“ erst definiert wird, ist eine Rechtsfrage. Solche allgemeinen, normkonkretisierenden Definitionen haben Richtliniencharakter im Sinne des teleologischen Ansatzes der Abgrenzung von Tatfragen und Rechtsfragen. Dagegen ist die Feststellung von Sachverhalten, denen eine konkretisierende Definition nicht vorausgegangen ist, regelmäßig eine Tatfrage. Dies ändert sich aber dann, wenn auch bei der Aufklärung tatsächlicher Umstände der zu ermittelnde tatsächliche Inhalt eine wertende Zwischenstufe enthält. Dies ist bei dem Tatbestandsmerkmal „Wissen“ regelmäßig der Fall. Kann beispielsweise die Information aus einer Quelle erst durch das fachmännische (vom Gericht zu definierende) Fachverständnis des einschlägigen Fachmannes entnommen werden, wird diese Tatsachenfeststellung (Informationsgehalt der Quelle) zu einer Rechtsfrage, weil die Feststellung des Informationsgehalts auf einer zuvor vorgenommenen Wertung (Anforderungen an die Verständnisfähigkeiten des Fachmanns) beruht. Gleiches gilt beispielsweise für die Auslegung einer Willenserklärung vor dem objektiven Empfängerhorizont, denn auch bei der Auslegung erfolgt keine reine Sachaufklärung der bloßen Gestalt der Willenserklärung, sondern die Auslegung ist das Ergebnis der durch Wertung gewonnenen Kriterien der Beurteilung des Inhalts der Willenserklärung (vorherige Definition des „objektiven Empfängerhorizonts“).

§  5  Wissen als Ausgangspunkt zeitlicher Begrenzung von Rechten Häufig bewirkt die Kombination eines Wissensstandes mit einem bestimmten Zeitablauf, dass der Wissende an der Durchsetzung seines bestehenden Rechts gehindert wird. Typische Beispiele hierfür sind die Rechtsinstitute der Verjährung und der Verwirkung. Darüber hinaus bewirken Ausschlussfristen (z. B. das Recht zur fristlosen Kündigung gemäß §  626 II BGB) unmittelbar den Verlust eines Rechts durch Zeitablauf. In allen genannten Fällen ist das Unterlassen der Geltendmachung eines bestehenden Rechts durch den Anspruchsinhaber isoliert betrachtet eine neutrale (bedeutungslose) Handlung. Seine rechtliche Bedeutung erhält das Unterlassen der Handlung in der Regel erst durch einen zusätzlich vorliegenden Kenntnisstand des Rechtsinhabers. Somit beeinflusst regelmäßig nicht allein der Zeitablauf die Rechtsdurchsetzungsmöglichkeit, sondern die Kombination des Zeitablaufs mit dem Wissensstand des Rechtsinhabers. Typischerweise ist der Beginn der Zeitspanne vom Kenntnisstand des Rechtsinhabers abhängig, während die notwendige Intensität der Kenntnis häufig von der bereits verstrichenen Zeit abhängt.

I. Verjährung Ansprüche unterliegen der Verjährung, §  194 I BGB. Nach Ablauf der Verjährungsfrist steht dem Schuldner ein Leistungsverweigerungsrecht zu, §  214 I BGB.

1.  Funktion und Bedeutung des Merkmals „Wissen“ für die Verjährung a.  Regelungsanliegen und Ziele der Verjährung Die Schaffung von Rechtssicherheit ist das übergeordnete Regelungsziel der Verjährungsvorschriften.1 Mit der Verjährung werden die gegenläufigen Interessen des Gläubigers und des Schuldners in Ausgleich gebracht.2 Allerdings 1  Vgl. umfassend Spiro, Begrenzung privater Rechte, Band I, 1975, §  259 (S.  609 f.). Zu den wei­teren Aspekten ausführlich Oetker, Verjährung, 1994, S.  33 ff.; vereinzelt wird auch die Sicherheit des Verkehrs als Regelungsgrund für die Verjährung angeführt, BGH NJW 1972, 1460. 2 Umfassend Zimmermann, JZ 2000, 853, 857.

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§  5  Wissen als Ausgangspunkt zeitlicher Begrenzung von Rechten

wird nicht ohne Grund bezweifelt, dass mit der durch die Verjährung zu erreichenden Rechtssicherheit auch immer Rechtsfrieden verbunden sein muss: Wird ein unstreitig begründeter Anspruch nur wegen der Verjährung abgewiesen, führt dies zwar zu Rechtssicherheit, durch den damit verbundenen fak­ tischen Rechtsverlust des Gläubigers jedoch nicht zu Rechtsfrieden.3 Die mit der Verjährung beabsichtigte Rechtssicherheit wird vor allem dadurch erreicht, dass existierende Ungewissheit über das Bestehen von Rechten „in bestimmte Zeitgränzen eingeschlossen wird“.4 Die Verjährung dient in erster Linie dem Schuldner bzw. Nichtschuldner: Wird eine Person als vermeintlicher Schuldner in Anspruch genommen, trägt diese die Last des Gegenbeweises für anspruchsbegründende bzw. die Last des Vollbeweises für den Anspruch hindernde, vernichtende oder hemmende Tatsachen.5 Mit zunehmendem zeitlichen Abstand zur vermeintlichen Begründung des streitigen Rechts kann der Schuldner in Beweisnot geraten. „Grund und Zweck der Verjährung von Ansprüchen ist es [daher], der Behelligung mit veralteten Ansprüchen ein Ende zu setzen.“6 In der Vergangenheit liegende und lange verschwiegene Tatsachen sollen nicht zur Quelle von Forderungen „in einem Zeitpunkt gemacht werden, in welchem der in Anspruch genommene Gegner infolge der verdunkelnden Macht der Zeit entweder nicht mehr oder doch nur schwer in der Lage ist, die ihm zur Seite stehenden entlastenden Umstände mit Erfolg zu verwerten“.7 Im Hinblick auf den Regelungsgrund ist die Verjährung der Ersitzung ähnlich: 8 Durch beide Rechtsinstitute wird bestehende Ungewissheit über eine unklare Rechtslage beseitigt, wenngleich dies auf unterschiedliche Weise geschieht. Die Bedeutung der Verjährung liegt nicht darin, „dass dem Berechtigten sein gutes Recht entzogen, sondern darin, dass dem Verpflichteten ein Schutzmittel gegeben wird, sich ohne ein Eingehen auf die Sache gegen (vermeintliche) Ansprüche zu verteidigen“.9 Dieses Schutzmittel besteht in einem Leistungsverweigerungsrecht des Schuldners. Der Anspruch besteht materiell-rechtlich noch und der Schuldner muss sich auf den Eintritt der Verjährung berufen, um nicht zur Leistung verurteilt zu werden. Die Verjährung wird nicht von Amts wegen geprüft. Es ist daher auch möglich, dass der Schuldner trotz Vorliegens der Verjährungsvoraussetzungen zur Leistung verurteilt wird. Auch ist eine 3 Staudinger/Peters/Jacoby, BGB, 2014, Vorbem. zu §§  194–225 Rn.  7; daher nur auf die Rechtssicherheit abstellend BGH NJW 1995, 252, 253. 4  v. Savigny, System des heutigen Römischen Rechts, Band V, 1841, §  237 (S.  267 ff.). 5 Staudinger/Peters/Jacoby, BGB, 2014, Vorbem. zu §§  194–225 Rn.  5. 6  Mot. I 291, abgedr. in Mugdan, Materialien zum BGB, Band 1, 1899, Nachdr. 1979, S.  512; vgl. Piekenbrock, Befristung, Verjährung, 2006, S.  326 ff.; Staudinger/Peters/Jacoby, BGB, 2014, Vorbem. zu §§  194–225 Rn.  8 : „Irgendwann muss einmal Schluss sein“. 7  Mot. I 291, abgedr. in Mugdan, Materialien zum BGB, Band 1, 1899, Nachdr. 1979, S.  512. 8  v. Savigny, System des heutigen Römischen Rechts, Band V, 1841, §  237 (S.  267 ff.). 9 Mot. I 291, abgedr. in Mugdan, Materialien zum BGB, Band 1, Nachdr. 1979, S.   512; Spiro, Begrenzung privater Rechte, Band I, 1975, §  4 (S.  8); BGH NJW 1972, 1460.

I. Verjährung

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Leistung an den Gläubiger nach Eintritt der Verjährung kondiktionsfest (§§  813 I 2, 214 II 1 BGB). Allerdings steht die Berufung des Schuldners auf Verjährung de facto einem Forderungsverlust (und damit von der Wirkung her einer bewussten Erfüllung oder einem Erlass) gleich.10 Der Schutz des Schuldners durch die Verjährung erfolgt zu Lasten des Gläubigers. Im Rahmen der Verjährung muss daher das Gläubigerinteresse an einer Durchsetzung seines Rechts Berücksichtigung finden. Der Gläubiger muss somit zumindest eine reale, faire Chance haben, sein Recht zu realisieren.11 Allerdings genügt es, wenn die Chance der Rechtsdurchsetzung tatsächlich bestand. Nicht erforderlich ist das bewusste Unterlassen der Durchsetzung eines dem Gläubiger bekannten Rechts.12 Zwar führte die Rechtsprechung zu den Verjährungsregelungen vor der Schuldrechtsreform aus, dass „kein Ansatzpunkt für den Beginn einer Verjährung vorhanden“ sei, wenn „der Gläubiger keinen Anlaß und keine Möglichkeit [hatte], in irgendeiner Beziehung gegen den Schuldner gerichtlich oder außergerichtlich vorzugehen“.13 Jedoch liegt dieser Gedanke dem heutigen Gefüge der Verjährungsvorschriften nicht mehr in dieser Deutlichkeit zugrunde: Zwar ist der Beginn der heutigen Regelverjährungsfrist (§  195 BGB) grundsätzlich vom (wenn auch teilweise hypothetischen) Kenntnisstand des Gläubigers abhängig (§  199 I Nr.  2 BGB). Allerdings führen die bestehenden Ausnahmen von diesem grundsätzlich kenntnisabhängigen Beginn der Verjährung (beispielsweise in Form der parallel laufenden, objektiven Maximalfristen (§  199 II–IV BGB) sowie der kenntnisunabhängig beginnenden Verjährungsfrist von Gewährleistungsansprüchen (§  438 II BGB)) dazu, dass die Chance der Anspruchsdurchsetzung durch den Gläubiger faktisch nicht besteht, wenn er von den anspruchsbegründenden Tatsachen gar keine Kenntnis erlangt und auch nicht erlangen konnte. Außerdem sieht §  199 III 1 Nr.  2 BGB vor, dass ein Anspruch bereits vor seiner Entstehung verjähren kann. Im Hinblick auf die damit unberücksichtigt bleibenden Gläubigerinteressen rufen solche Regelungen vor allem auch verfassungsrechtliche Zweifel hervor.14

10 

Vgl. BT-Drcks. 14/6040, S.  100. Spiro, Begrenzung privater Rechte, Band I, 1975, §  24 (S.  35); Staudinger/Peters/Jacoby, BGB, 2014, Vorbem. zu §§  194–225 Rn.  9 ; BT-Drcks. 14/6040, S.  95 f.; Leenen, JZ 2001, 552, 553, 558; Zimmermann, JZ 2000, 853, 858, 861; MünchKommBGB/Grothe, 7.  A., 2015, Vor §  194 Rn.  9. 12  Vgl. hierzu die allgemeinen Ausführungen zur alten Rechtslage vor der Schuldrechts­ reform BGH NJW 1980, 1950, 1951. 13  BGH NJW 1972, 1460. 14  Vgl. hierzu Staudinger/Peters/Jacoby, BGB, 2014, Vorbem. zu §§  194–225 Rn.  8 ; Münch­ KommBGB/Grothe, 7.  A., 2015, Vor §  194 Rn.  9. 11 

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§  5  Wissen als Ausgangspunkt zeitlicher Begrenzung von Rechten

b.  Differenzierungen bei dem Beginn von Verjährungsfristen in Abhängigkeit vom Kenntnisstand Im Hinblick auf die Abhängigkeit des Verjährungsfristbeginns von dem Kenntnisstand des Gläubigers von den anspruchsbegründenden Umständen und dem Schuldner (und/oder dem Bestehen des Anspruchs selbst) können drei Konstellationen unterschieden werden: (1) Die Verjährungsfrist beginnt erst bei Vorliegen positiver Kenntnis des Gläubigers. (2) Die Verjährungsfrist beginnt unabhängig vom Kenntnisstand des Gläubigers. (3) Der Lauf der Verjährungsfrist ist zwar abhängig vom Kenntnisstand des Gläubigers, allerdings reicht bereits die verschuldete (grob fahrlässige) Unkenntnis des Gläubigers aus, um die Verjährungsfrist auszulösen. (1)  Grundsätzliche Abhängigkeit des Verjährungsfristbeginns vom Kenntnisstand des Gläubigers Vor der Schuldrechtsreform15 regelte §  852 I BGB i. d. F. bis 2001, dass Schadensersatzansprüche aus unerlaubter Handlung „in drei Jahren von dem Zeitpunkt an [verjähren], in welchem der Verletzte von dem Schaden und der Person des Ersatzpflichtigen Kenntnis erlangt“. Diese Regelung stellte eine Ausnahme zu der vor der Schuldrechtsreform geltenden Regelverjährung (§  198 BGB i. d. F. bis 2001) dar, nach der Ansprüche einer dreißigjährigen, kenntnisunabhängig beginnenden Verjährung unterlagen. aa.  Regelungsgrund für die ausschließlich kenntnisabhängig beginnende Verjährungsfrist in §  852 I BGB i. d. F. bis 2001 Die Beratungen während der Schaffung des BGB zeigen, dass die schadensersatzrechtliche Verjährungsfrist bewusst von der ordentlichen Verjährungsfrist abweichen sollte und dies eine gezielte Neuerung gegenüber dem römischen Recht war.16 Die Abkürzung der Verjährungsfrist von 30 auf drei Jahre begründete man mit dem Bedürfnis, „daß, wenn Jemand erst nach Verlauf einer beträchtlichen Reihe von Jahren seit der angeblichen Verübung der schadenden Handlung mit einem Anspruche auftritt, nicht allein der Gegner regelmäßig in seiner Vertheidigung ungebührlich beschränkt erscheint, sondern auch die Vermuthung dafür streitet, der Anspruch sei aus dem einen oder anderen Grunde ungerechtfertigt.“17 Der Gesetzgeber sah daher die Umstände deliktischer Schadensersatzansprüche von einer besonderen Gefahr der Verdunkelung der dem Anspruch zugrunde liegenden Tatsachen bedroht.18 Wegen der Beweis15 

Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts vom 26. November 2001 (BGBl. I S.  3138). Mot. II 741, abgedr. in Mugdan, Materialien zum BGB, Band 2, 1899, Nachdr. 1979, S.  414. 17  Mot. II 742, abgedr. in Mugdan, Materialien zum BGB, Band 2, 1899, Nachdr. 1979, S.  414. 18  Peters, JZ 1983, 121. 16 

I. Verjährung

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schwierigkeiten, in die der Schuldner (hinsichtlich des ihm obliegenden Gegenbeweises) geraten kann, erschien es dem Gesetzgeber daher gerechtfertigt, die Verjährung des Schadensersatzanspruchs erheblich abzukürzen.19 Um auch die Gläubigerinteressen bei der erheblichen Verkürzung der Verjährungsfrist deliktischer Ansprüche hinreichend zu berücksichtigen, war der Beginn der Verjährungsfrist von der Kenntnis des Gläubigers „von dem erlittenen Schaden und der Person des Schuldners“20 abhängig gemacht worden. Dem Gläubiger sollte damit ein ausreichender Zeitraum zur Verfügung stehen, um die Anspruchsvoraussetzungen prüfen zu können 21 und damit eine reelle Chance zu haben, sein Recht auch durchzusetzen.22 Danach kommt dem Erfordernis der positiven Kenntnis in §  852 I BGB i. d. F. bis 2001 vor allem eine kompensatorische Wirkung zu: Der Vorteil des Schuldners, in überschaubarer Frist geklärt zu wissen, ob er in Anspruch genommen wird, wird durch die Abhängigkeit von der gläubigerseitigen Kenntnis relativiert. Aber auch dieser Aufschub des kenntnisabhängigen Beginns der Verjährungsfrist hatte zu Gunsten des Schuldners eine maximale Grenze: Parallel zu der kenntnisabhängigen, kurzen Verjährungsfrist von drei Jahren enthielt §  852 I BGB eine kenntnisunabhängige, 30-jährige Verjährungsfrist, die mit der Begehung der Handlung begann.23 bb.  Lösung der Probleme der kurzen, kenntnisunabhängig beginnenden Verjährungsfristen durch Beachtung der Kenntnis Die Problematik, die das Verhältnis zwischen Dauer der Verjährungsfrist und der (teilweise fehlenden) Abhängigkeit von subjektiven Elementen mit sich bringt, wird bei einer Betrachtung der Rechtslage der Verjährungsvorschriften deutlich, die vor der Schuldrechtsreform 2001 galt. Gemäß §  477 BGB i. d. F. bis 2001 verjährte „der Anspruch auf Wandelung oder auf Minderung sowie der Anspruch auf Schadensersatz wegen Mangels einer zugesicherten Eigenschaft […] bei beweglichen Sachen in sechs Monaten von der Ablieferung […] an.“ Eine ähnliche Regelung galt im Werkvertragsrecht. Die Kombination aus sehr kurzer Verjährungsdauer (sechs Monate) und dem kenntnisunabhängigen Beginn der Verjährungsfrist (Ablieferung) führte zu einer Reihe von Fällen, für die die einschneidend ausgestaltete Verjährungsregelung der Gewährleistungsrechte unbillige Ergebnisse mit sich brachte. In dem Gesetzentwurf zur Schuldrechtsmodernisierung wird ein Beispielsfall genannt, 19  Spiro, Begrenzung privater Rechte, Band I, 1975, §   4 (S.  8); Peters/Zimmermann, in: BMJ, Gutachten und Vorschläge zur Überarbeitung des Schuldrechts/1, S.  77, 189 ff. 20  Mot. II 742, abgedr. in Mugdan, Materialien zum BGB, Band 2, 1899, Nachdr. 1979, S.  414. 21  Kreft, in: BGB/RGRK, 12.  A ., 1989, §  852 Rn.  23. 22  Peters, JZ 1983, 121 ff. 23  Mot. II 743, abgedr. in Mugdan, Materialien zum BGB, Band 2, 1899, Nachdr. 1979, S.  414 f.; Kreft, in: BGB/RGRK, 12.  A., 1989, §  852 Rn.  1.

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§  5  Wissen als Ausgangspunkt zeitlicher Begrenzung von Rechten

an dem die Problematik besonders deutlich wird: 24 Werden die in der Nebensaison (Frühsommer) günstig gekauften Ski in den Weihnachtsferien erstmalig benutzt, können wegen eines Mangels, der die Funktion der Ski betrifft und erst durch die Benutzung festgestellt werden kann, dann keine Rechte mehr geltend gemacht werden, da die kenntnisunabhängig beginnende Verjährungsfrist von sechs Monaten bereits abgelaufen ist. In der Gesetzesbegründung des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes hebt der Gesetzgeber explizit hervor, „dass die Gewährleistungsfristen des §  477 BGB zu kurz sind“.25 Das sich in der Rechtspraxis stellende Problem der kurzen Verjährungsfrist mit kenntnisunabhängigem Beginn gewann zunehmend an Schärfe, weil der BGH die kurze Verjährung auch auf die zu den Gewährleistungsansprüchen konkurrierenden und neben diesen stehenden Ansprüche, insbesondere auf ­deliktische Ansprüche oder solche aus nebenvertraglicher Pflichtverletzung („positive Vertragsverletzung“) im Hinblick auf den Mangel- bzw. Mangelfolgeschäden, anwandte.26 Der BGH begründet diese ausgedehnte Anwendung der kurzen Verjährungsfrist mit „dem rechtspolitischen Sinn der gewährleistungsrechtlichen Verjährung, im Kaufrecht möglichst bald nach Vertragsabwicklung den Rechtsfrieden wiederherzustellen und die mit zunehmendem Zeitablauf schwieriger werdenden Ermittlungen darüber entbehrlich zu machen, ob und in welchem Umfang Mängel bei Gefahrübergang vorhanden waren und welche Schäden sie verursacht haben“.27 Ansprüche auf Ersatz von Mangelfolgeschäden wegen einer Schlechtlieferung müssen nach Ansicht des BGH daher auch unter die kurze Verjährung fallen, da diesen Ansprüchen im Hinblick auf ins Gewicht fallende Schäden gerade besondere Bedeutung zukomme.28 Der Ausgleich zwischen den Gläubiger- und Schuldnerinteressen, der in der kurzen und kenntnisunabhängig beginnenden Verjährungsfrist des §  477 I BGB i. d. F. bis 2001 getroffen ist, wurde vielfach als misslungen angesehen: Teilweise ist daher vorgeschlagen worden, die Unbilligkeit hinsichtlich der Folgen der einseitig die Verkäuferinteressen bevorzugenden Regelung des §  477 I BGB i. d. F. bis 2001 dadurch abzumildern, dass die Verjährung nicht bereits mit ­Ablieferung, sondern erst zu einem späteren Zeitpunkt beginnen solle.29 Dafür wurde der Zeitpunkt der „Erkennbarkeit des Schadens“ vorgeschlagen.30 La24 Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Schuldrechts vom 14.05.2001, BTDrcks. 14/6040, S.  88 re. Sp. 25 Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Schuldrechts vom 14.05.2001, BTDrcks. 14/6040, S.  88 li. Sp. 26  BGH NJW 1980, 1950, 1951; BGH NJW 1972, 246, 247. 27  BGH NJW 1980, 1950, 1951 unter Verweis auf BGH NJW 1973, 276, 277. 28  BGH NJW 1980, 1950, 1951. 29  Bereits angedeutet in BGH NJW 1973, 276, 277 sowie BGH NJW 1973, 843, 845; vgl. BGH NJW 1980, 1950, 1951 m. w. N. 30  Schubert, JR 1977, 458, 460 (Beginn der Verjährungsfrist des Anspruchs aus positiver

I. Verjährung

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renz befürwortete grundsätzlich eine analoge Anwendung des §  477 BGB i. d. F. bis 2001 auf Ansprüche, die auf den Ersatz von Mangelfolgeschäden gerichtet waren und aus einem Verschulden bei Vertragsschluss hergeleitet wurden, allerdings mit der Maßgabe, dass die Verjährungsfrist „erst von deren [den Folgenschäden] erkennbaren Eintritt an laufen“.31 Gegen eine Modifikation des Verjährungsfristbeginns ist eingewandt worden, dass ein Hinausschieben des Verjährungsfristbeginns auf den Zeitpunkt, an dem die Kenntnis eintritt (oder auch der Mangelfolgeschaden entstanden ist), mit dem Gebot der Rechtssicherheit, das mit §  477 BGB i. d. F. bis 2001 intendiert ist, nicht zu vereinbaren sei.32 Der Käufer sei hinreichend dadurch geschützt, dass ihm die Möglichkeit offen stünde, den Verkäufer wegen des Mangelfolgeschadens nicht nur wegen nebenvertraglicher Ansprüche, sondern auch nach den Grundsätzen deliktischer Haftung (§  823 BGB) in Anspruch zu nehmen.33 Dieser Vorschlag beinhaltet damit auch einen Verweis auf die für deliktische Ansprüche geltende Verjährungsfrist von drei Jahren, die mit der positiven Kenntnis von Schaden und Ersatzpflichtigem beginnt. Der BGH setzte sich eingehend mit den Lösungsansätzen der Problematik der kurzen und kenntnisunabhängig beginnenden gewährleistungsrechtlichen Verjährungsfrist auseinander.34 Im Ergebnis entschied er jedoch im Sinne der Zielsetzung der kurzen gewährleistungsrechtlichen Verjährung, die in „der ­baldigen Wiederherstellung des Rechtsfriedens und damit zugleich auch der Rechtssicherheit“ liege35 und lehnte Modifikationen des Verjährungsfristbeginns letztlich ab.36 Die Unkenntnis des Käufers von seinem Anspruch bzw. den anspruchsbegründenden Umständen blieb damit außer Betracht und die Chance des Käufers auf eine reelle Möglichkeit einer Anspruchsdurchsetzung37 war kaum gegeben. Forderungsverletzung soll abhängig von der Erkennbarkeit des Fehlers sein); sowie auch in diesem Sinne Rengier, JZ 1977, 345, 347 unter Anlehnung an BGH NJW 1973, 843, 845. 31  Larenz, SchuldR, Band II, Halbband 1, 13.  A ., 1986, §  41 II e (S.  71). 32  Schmitz, NJW 1973, 2081, 2084; außerdem Rebe/Rebell, JA 1978, 605, 610: Aufschiebung stelle zudem einen Verstoß gegen den „ausdrücklich auf die Ablieferung abstellenden Wortlaut des §  477 BGB“ dar. 33  Schmitz, NJW 1973, 2081, 2084. 34  BGH NJW 1980, 1050, 1051 f. 35 Wobei allerdings der Eintritt von Rechtssicherheit nicht zwangsläufig auch die Her­ stellung von Rechtsfrieden bedeutet, vgl. Staudinger/Peters/Jacoby, BGB, 2014, Vorbem. zu §§  194–225 Rn.  7 sowie oben unter § 5 I 1a; nur auf die Rechtssicherheit abstellend BGH NJW 1995, 252, 253. 36  BGH NJW 1980, 1050, 1052. 37  Diese Gewährung einer reellen Chance der Anspruchsdurchsetzung wird einhellig als wesentliches Regelungsziel der Verjährungsvorschriften angesehen, vgl. Spiro, Begrenzung privater Rechte, Band I, 1975, §  24 (S.  35); Staudinger/Peters/Jacoby, BGB, 2014, Vorbem. zu §§  194–225 Rn.  9 ; BT-Drcks. 14/6040, S.  95 f.; Leenen, JZ 2001, 552, 553, 558; Zimmermann, JZ 2000, 853, 858, 861; MünchKommBGB/Grothe, 7.  A., 2015, Vor §  194 Rn.  9.

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cc.  Reform der Verjährungsvorschriften: Forderung nach der Relevanz der Kenntnis für den Beginn der Verjährungsfrist Vor dem Hintergrund der Probleme mit der kurzen und kenntnisunabhängig beginnenden Verjährungsfrist war bereits zu Beginn der Diskussion um die Änderung von Verjährungsvorschriften im Rahmen der Schuldrechtsreform klar, dass bei einer Reform der Verjährungsvorschriften einerseits die sehr knappen Gewährleistungsfristen verlängert werden müssten und andererseits bei der Ausgestaltung des Beginns der Verjährungsfristen verstärkt auf subjektive Elemente abgestellt werden müsste, um Gläubigerinteressen hinreichend zu berücksichtigen und dem Gläubiger tatsächlich eine reelle Chance zur Anspruchsdurchsetzung zu gewähren.38 Bereits vor der Diskussion im Rahmen des die Verjährungsvorschriften letztlich ändernden Gesetzgebungsvorhabens der Schuldrechtsreform wurde eine umfangreiche Diskussion über die Verjährungsvorschriften hinsichtlich der „Vorschläge zur Überarbeitung des Schuldrechts“ geführt.39 Einmütig befürwortet wurde, dass das Verjährungsrecht stärker von subjektiven Voraussetzungen geprägt sein sollte und damit dem Kriterium der Kenntnis der rechtsbegründenden Umstände eine entscheidende Bedeutung für die Verjährung beigemessen werden sollte. Im Detail unterschieden sich die Vorschläge im Hinblick auf die Wirkungsweise der Kenntnis im System der Verjährung und im Hinblick auf die Intensität der Kenntnis (Forderung nach positiver Kenntnis oder Ausreichen verschuldeter Unkenntnis), die für die Verjährungsfrist relevant sein sollte. Im Abschlussbericht der Kommission zur Überarbeitung des Schuldrechts 1992 wurde eine Regelung favorisiert, die den Beginn der Regelverjährung von der Kenntnis des Gläubigers vom Schaden und von der Person des Verpflichteten abhängig machte.40 Dies überraschte letztlich, denn in dem vorangegangenen Gutachten von Peters/Zimmermann41 war zwar einerseits hervorgehoben, dass der Verjährungsfristbeginn „nach dem Vorbild des §  852 BGB […] generell von einem subjek­ tiven Element abhängig gemacht werden [muss, nämlich] der Kenntnis von Rechts­grund, Inhalt und Gegner des Anspruchs.“42 Andererseits wurde auf die erheblichen Nachweisschwierigkeiten der positiven Kenntnis des Gläubigers 38 Vgl. Zimmermann/Leenen/Mansel/Ernst, JZ 2001, 684, 686; kritisch zu diesen Änderungen Staudinger/Honsell, BGB Eckpfeiler, 2014, Abschnitt B, Rn.  39; Honsell, JZ 2001, 18, 20 f.; Honsell, FS Druey, 2002, S.  177, 180 ff. 39  Peters/Zimmermann, in: BMJ, Gutachten und Vorschläge zur Überarbeitung des Schuldrechts/1, 1981, S.  77 ff. 40  BMJ, Abschlußbericht der Kommission zur Überarbeitung des Schuldrechts, 1992, S.  71. 41  Peters/Zimmermann, in: BMJ, Gutachten und Vorschläge zur Überarbeitung des Schuldrechts/1, 1981, S.  77 ff. 42  Peters/Zimmermann, in: BMJ, Gutachten und Vorschläge zur Überarbeitung des Schuld­rechts/1, 1981, S.  77, 305.

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hingewiesen.43 Wegen der einfacheren Möglichkeit der Ermittlung, wann sich der Gläubiger Kenntnis verschaffen konnte, plädierten Peters/Zimmermann trotz der damit verbundenen Unsicherheit für die Gleichstellung von Kenntnis mit grob fahrlässiger Unkenntnis im Hinblick auf den Beginn der Verjährung.44 Außerdem sahen sie es als gerechtfertigt an, dem Gläubiger die Beweislast dafür aufzuerlegen, „daß er durch Unkenntnis daran gehindert war, seinen Anspruch früher zu verfolgen, weil dies eine Vergünstigung für ihn darstellt und die maßgeblichen Gesichtspunkte in seiner Sphäre angesiedelt sind“.45 Rechtstechnisch sollte daher die fehlende Kenntnis als Hemmungsgrund der Verjährung ausgestaltet sein und nicht als Bedingungseintritt in Bezug auf den Beginn der Verjährung an sich.46 Der in dem Abschlussbericht 1992 enthaltene Vorschlag einer Regelung der deliktischen Verjährung beruhte auf einer ausdrücklichen Anlehnung an die bisherige Regelung der deliktischen Verjährung nach §  852 I BGB i. d. F. bis 2001 und wurde damit begründet, dass „die Anwendung in der Rechtspraxis […] keine Schwierigkeiten bereitet“ hat.47 Dass diese Regelung (§  852 I BGB i. d. F. bis 2001) in der Rechtspraxis keine Schwierigkeiten hervorrufe, wurde allerdings zu Recht bezweifelt und es wurde darauf hingewiesen, dass die von der Rechtsprechung48 vorgenommene Begriffsbildung bezüglich des Vorliegens positiver Kenntnis eher der Umschreibung von grob fahrlässiger Unkenntnis entspreche, wenn die Rechtsprechung die „Kenntnis“ mit der „Möglichkeit der

43  Peters/Zimmermann, in: BMJ, Gutachten und Vorschläge zur Überarbeitung des Schuldrechts/1, 1981, S.  77, 306. 44  Peters/Zimmermann, in: BMJ, Gutachten und Vorschläge zur Überarbeitung des Schuldrechts/1, 1981, S.  77, 306. 45  Peters/Zimmermann, in: BMJ, Gutachten und Vorschläge zur Überarbeitung des Schuldrechts/1, 1981, S.  77, 306; dazu auch eingehend: Peters, JZ 1983, 121 sowie MünchKommBGB/Grothe, 7.  A., 2015, Vor §  194 Rn.  31. 46 §   199 S.  1 BGB-E von Peters/Zimmermann lautete daher: „Die Verjährung ist gehemmt, solange dem Berechtigten ohne grobe Fahrlässigkeit Schuldner, Gegenstand und Rechtsgrund des Anspruchs unbekannt bleiben.“ Mit dieser Bestimmung sollte §  852 I BGB i. d. F. bis 2001 modifiziert aufgegriffen und verallgemeinert werden, Peters/Zimmermann, in: BMJ, Gutachten und Vorschläge zur Überarbeitung des Schuldrechts/1, 1981, S.  77, 316, 320; vgl. ferner Zimmermann, JZ 2000, 853, 865. 47 BMJ, Abschlußbericht der Kommission zur Überarbeitung des Schuldrechts, 1992, S.  71. 48  Als Beispiele: BGH NJW 2002, 2787, 2788: „Der Kenntnis steht es erst gleich, wenn der Verletzte sich die Kenntnis in zumutbarer Weise ohne nennenswerte Mühe und Kosten verschaffen kann, sich aber vor einer sich aufdrängenden Kenntnis missbräuchlich verschließt.“ BGH NJW 1994, 3092, 3093: Positive Kenntnis im Sinne des §  852 I BGB liegt in Fällen vor, „in denen es der Geschädigte versäumt, eine gleichsam auf der Hand liegende Erkenntnismöglichkeit wahrzunehmen, […] und letztlich das Sichberufen auf die Unkenntnis als Förmelei erscheint, weil jeder andere in der Lage des Geschädigten unter denselben konkreten Umständen die Kenntnis gehabt hätte“.

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§  5  Wissen als Ausgangspunkt zeitlicher Begrenzung von Rechten

Kenntnisnahme“ über den Umweg der Unzulässigkeit rechtsmissbräuchlichen Verhaltens im Hinblick auf das Berufen auf die eigene Unkenntnis gleichsetze.49 Der „Diskussionsentwurf des geplanten Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes“ aus dem Jahr 2000 50 enthält in §  198 I 1 BGB-DiskE die Regelung, dass die Verjährung „mit der Fälligkeit des Anspruchs“ beginnt. In der Begründung wird dazu ausgeführt, dass damit, dass die Vorschrift für den Beginn der Verjährung grundsätzlich auf die Fälligkeit des Anspruchs abstellte, im Hinblick auf den bisherigen §  198 S.  1 BGB, der die Regelverjährung ebenfalls von der „Entstehung des Anspruchs“ abhängig mache, keine „sachliche Änderung gegenüber der bisherigen Rechtslage“ gegeben sei.51 Außerdem diente der Vorschlag eines kenntnisunabhängigen Beginns der Verjährung dem Schuldnerschutz, denn der Schuldner müsste andernfalls „die Verjährungseinrede ‚auf Verdacht‘ erheben“, wenn die Verjährung von Umständen abhinge (dem Kenntnisstand des Gläubigers), die er nicht kennt bzw. kennen könne.52 Dieser rein auf objektiven Umständen beruhende Beginn der Regelverjährung wurde begrüßt, weil er einerseits für Rechtssicherheit sorgte und insbesondere „unlieb­ same Überraschungen für den Schuldner“ verhindere, wenn auf „klare Daten bzw. regelmäßig bekannte Sachverhaltselemente“ abgestellt werde.53 Andererseits enthielt der Diskussionsentwurf eine ganze Reihe von Ausnahmetatbeständen, beispielsweise für die Verjährung von Ansprüchen aus unerlaubter Handlung und aus Gefährdungshaftung (§  200 BGB-DiskE). Danach sollte der Verjährungsfristbeginn von der Kenntnis des Berechtigten von dem Schaden und der Person des Verpflichteten abhängen. Ein solcher nach der Art des Anspruchs differenzierter Beginn der Verjährungsfrist ist zu Recht erheblich – insbesondere aus ökonomischer Sicht – wegen der damit einhergehenden fehlenden Klarheit der Regelung kritisiert worden.54 Erst im Regierungsentwurf zum Schuldrechtsmodernisierungsgesetz entschied man sich für die Einführung einer regelmäßigen Verjährungsfrist von drei Jahren, deren Beginn nicht von bloßen objektiven Bezugspunkten abhängig sein sollte, sondern vielmehr von einem Kenntnis- oder Erkennbarkeitskriterium. In der Begründung des Regierungsentwurfs55 wird ausdrücklich auf das 49  Mansel, in: Ernst/Zimmermann, Zivilrechtswissenschaft und Schuldrechtsreform, 2001, S.  333, 179. 50  Abrufbar: http://www.dnoti.de/DOC/2001/eschurmo.pdf. (07.03.2016) 51  Begründung zu §  198 I S.  1 BGB des Diskussionsentwurfs des BMJ 2000, S.  230; hierzu Mansel, in: Ernst/Zimmermann, Zivilrechtswissenschaft und Schuldrechtsreform, 2001, S.  333, 390 ff. 52  Begründung zum Diskussionsentwurf (unter 3. Verjährung) des BMJ 2000, S.  201. 53  Bydlinski, in: Schulze/Schulte-Nölke, Schuldrechtsreform vor dem Hintergrund des Gemeinschaftsrechts, 2001, S.  381, 387. 54  Eidenmüller, JZ 2001, 283, 286. 55 Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Schuldrechts vom 14.05.2001, BTDrcks. 14/6040, S.  96.

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Verjährungsmodell der „Principles of European Contract Law“ verwiesen, das die Kommission für europäisches Vertragsrecht (Lando-Kommission) kurz zuvor erstellt hatte.56 Dieses Verjährungsmodell beruht konsequent auf dem subjektiven System, das aber abweichend von dem darauf verweisenden Regierungsentwurf zur Schuldrechtsmodernisierung einen Hemmungstatbestand der Verjährung enthält, „solange der Gläubiger (a) die Person seines Schuldners oder (b) die Umstände, auf denen sein Anspruch beruht, einschließlich der Art des Schadens bei einem Schadensersatzanspruch nicht kennt und vernünftigerweise nicht kennen kann“.57 In dem Regierungsentwurf zum Schuldrechtsmodernisierungsgesetz wurden das rein subjektive System, das den Verjährungsfristbeginn ausschließlich von dem Kenntnisstand des Gläubigers bzw. der Erkennbarkeit der anspruchsbegründenden Umstände abhängig machte, und das rein objektive System, das den Verjährungsfristbeginn nur an die Entstehung des Anspruchs bzw. dessen Fälligkeit knüpfte, kombiniert. Damit sollte ausdrücklich „an die im Bereich der unerlaubten Handlungen entwickelte Regelung des bisherigen §  852 Abs.  2 BGB58 angeknüpft“ werden.59 dd.  Reformergebnis: Relevanz der Kenntnis für den Beginn der Verjährungsfrist Nach §  199 I Nr.  2 BGB ist der Verjährungsfristbeginn nunmehr von dem Zeitpunkt der Kenntniserlangung des Gläubigers (wie aus §  852 I BGB i. d. F. bis 2001 bekannt) abhängig. Alternativ reicht für die subjektive Komponente des Verjährungsfristbeginns der Regelverjährung auch die grob fahrlässige Unkenntnis aus. Ausweislich der Gesetzesbegründung ist die grobe Fahrlässigkeit von der „Kenntnis, wie sie in §  852 Abs.  1 verlangt wird, nicht weit entfernt“. 60 Der Gesetzgeber entschied sich dafür, den Verjährungsfristbeginn von dem subjektiven Merkmal der Kenntnis bzw. des Kennenmüssens abhängig zu machen, und nicht für einen Hemmungstatbestand, wenn der Gläubiger keine Kenntnis hatte oder haben konnte. Diese Entscheidung begründete er nicht, obwohl in der Gesetzesbegründung auf das insoweit anderslautende Gutachten von Peters/Zimmermann Bezug genommen wurde. 61 56 Vgl.

Zimmermann/Leenen/Mansel/Ernst, JZ 2001, 684, 686. „Hemmung bei Unkenntnis“, Grundregeln des Europäischen Vertragsrechts: Verjährung, abgedruckt in ZEuP 2001, 400 ff. 58  Gemeint ist in diesem Zusammenhang aber offensichtlich §  852 Abs.  1 BGB. 59  BT-Drcks. 14/6040, S.  96. 60  BT-Drcks. 14/6040, S.  108. In der Praxis wurde das Erfordernis der Kenntnis „nicht unerheblich aufgelockert“, Zimmermann, JZ 2000, 853, 861; ähnlich Mansel, NJW 2002, 89, 91. 61  BT-Drcks. 14/6040, S.  108. Dies ist letztlich auf die vom BMJ eingesetzte Bund-Länder-­ Kommission zurückzuführen, vgl. dazu Koller/Roth/Zimmermann, Schuldrechtsmodernisierungsgesetz 2002, S.  18; ferner Zimmermann/Leenen/Mansel/Ernst, JZ 2001, 684, 687. 57 Art.   17:105:

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§  5  Wissen als Ausgangspunkt zeitlicher Begrenzung von Rechten

Der heutige Rechtszustand (§  199 I BGB) zeichnet sich daher dadurch aus, dass die Verjährungsfrist zumindest immer zum Schluss des Jahres zu laufen beginnt, in dem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt hat. Ferner ist der positiven Kenntnis die grob fahrlässige Unkenntnis für den Beginn der Verjährungsfrist gleichgestellt. Der Beginn der Regelverjährungsfrist ist daher immer von dem Kenntnisstand bzw. den Erkenntnismöglichkeiten des Gläubigers abhängig. (2)  Ausnahmen von der grundsätzlichen Abhängigkeit des Verjährungsfristbeginns vom Kenntnisstand des Gläubigers Gemäß §  199 I BGB ist der Beginn der kurzen Regelverjährungsfrist grundsätzlich von dem Kenntnisstand (bzw. bei der Variante der groben Fahrlässigkeit vom hypothetischen Kenntnisstand) des Gläubigers abhängig. Von diesem Grundsatz der Relevanz des Kenntnisstandes gibt es einige Ausnahmen. Die erste wesentliche Ausnahme sind die Verjährungshöchstfristen (§  199 III–IV BGB), die parallel zu der kenntnisabhängigen (kürzeren) Regelverjährungsfrist laufen und unabhängig von der Kenntnis oder der (grob) fahrlässigen Unkenntnis des Gläubigers zu laufen beginnen. 62 Sie beginnen in der Regel mit der „Entstehung“ des Anspruchs (§  199 IV BGB) und bei bestimmten Schadensersatzansprüchen mit der „Begehung der Handlung, der Pflichtverletzung oder dem sonstigen, den Schaden auslösenden Ereignis“, §  199 III 1 Nr.  2 BGB. Weitere Ausnahmen von der kenntnisabhängig beginnenden Regelverjährung sind zahlreiche, speziell geregelte Verjährungsfristen, die in der Regel unabhängig von der Kenntnis des Gläubigers zu laufen beginnen. Oftmals sind die speziellen Verjährungsfristen, die kenntnisunabhängig zu laufen beginnen, kürzer als die regelmäßige Verjährungsfrist (z. B. zwei Jahre bei §  438 I Nr.  3 BGB und §  651g II 1 BGB). Dies ist aber nicht zwingend: §  199 II BGB sieht in Abweichung von der Regelverjährung eine kenntnisunabhängig beginnende Verjährungsfrist von 30 Jahren für Schadensersatzansprüche vor, die auf der Verletzung besonders hochwertiger Rechtsgüter (Leben, Körper, Gesundheit und Freiheit) beruhen. Auch spezielle Mängelgewährleistungsansprüche unterliegen in Abhängigkeit vom regelmäßig erhöhten Wert des betroffenen Rechtsgutes und der damit erhöhten Schadensgeneigtheit längeren Verjährungsfristen als die Regelverjährung (z. B. fünf Jahre: §  438 I Nr.  2 BGB und §  634a I Nr.  2 BGB jeweils für Bauwerksmängel). 63 62 

Die Verjährung tritt bei Ablauf der jeweils früher endenden Frist ein: §  199 III 2 BGB. der Entscheidung BGH NJW 2014, 845, 846 Tz.  21 definiert der BGH „die übliche Verwendungsweise für ein Bauwerk“ i. S. d. §  438 I Nr.  2 lit.  b) BGB eng. Damit zählte im konkreten Fall eine auf einem Scheunendach installierte Photovoltaikanlage nicht als „Sache, die entsprechend ihrer üblichen Verwendungsweise für ein Bauwerk verwendet worden ist“, denn die bloß zweckdienliche Installation auf einem Hausdach macht die Anlage noch nicht 63  In

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Die speziell geregelten Verjährungsfristen, die kenntnisunabhängig zu laufen beginnen, können im Wesentlichen in zwei Gruppen eingeteilt werden: In die erste Gruppe fallen insbesondere spezielle Regelungen zu Gewährleistungsrechten: Beispielsweise beginnt die Verjährungsfrist von Mängelansprüchen im Kaufrecht gemäß §  438 II Alt.  2 BGB mit der Ablieferung der Sache, im Werkvertragsrecht (soweit nicht die Regelverjährung gilt) gemäß §  634a II BGB mit der Abnahme, im Reisevertragsrecht gemäß §  651g II 2 BGB „mit dem Tage, an dem die Reise dem Vertrag nach enden sollte“. Die zweite Gruppe von kenntnisunabhängig beginnenden Verjährungsfristen betrifft die Verjährung von Ersatzansprüchen, die in der Regel den Zustand einer zurückerhaltenen Sache betreffen: Der praktisch wichtigste Fall mit dem größten Anwendungsbereich ist die Regelung des §  548 BGB. Danach verjähren die Ersatzansprüche des Vermieters „wegen Veränderungen oder Verschlechterungen der Mietsache“ (Abs.  1) und des Mieters im Hinblick auf den „Ersatz von Aufwendungen oder auf Gestattung der Wegnahme einer Einrichtung“ (Abs.  2) in sechs Monaten. Diese Frist beginnt kenntnisunabhängig mit dem Rückerhalt der Mietsache (für Ansprüche des Vermieters) bzw. mit der „Beendigung des Mietverhältnisses“ für den Mieter. Ähnlich kurze Verjährungsfristen von Ersatzansprüchen, die kenntnisunabhängig beginnen, gelten im Pachtvertrag (§  591b BGB), im Leihvertrag (§  606 BGB), im Nießbrauch (§  1057 BGB) sowie im Pfandrecht (§  1226 BGB). Häufig enthalten die Regelungen einen Verweis auf §  548 BGB, so dass diese Norm als eine Grundnorm für eine Fallkonstellation angesehen werden kann, in der die kenntnisunabhängig beginnende Verjährung von Ersatzansprüchen geregelt ist. 64 aa.  Parallel laufende objektive Maximalfristen Durch die Abhängigkeit der Regelverjährung von dem Kenntnisstand des Gläubigers im Hinblick auf die anspruchsbegründenden Umstände und die Person des Schuldners besteht die Gefahr, dass der Verjährungseintritt nicht absehbar ist, d. h. er auf unabsehbare Zeit hinausgeschoben sein kann. 65 Damit sich der (etwaige) Schuldner nicht auf unbestimmte Zeit zur Leistung bereithalten muss bzw. eine Inanspruchnahme befürchten muss, 66 laufen parallel zur kenntnisabhängig beginnenden Regelverjährungsfrist Verjährungshöchstfristen67, die kenntnisunabhängig beginnen. Den Grundsatz für die kenntnisunab„bauwerksähnlich“ und damit unterfallen die Gewährleistungsansprüche der zweijährigen Frist gemäß §  428 I Nr.  3 BGB und nicht der fünfjährigen Frist gemäß §  438 I Nr.  2 lit.  b) BGB. 64  In diesem Sinne auch MünchKommBGB/Häublein, 6.  A ., 2012, §  606 Rn.  1: „§  606 ist Ausdruck eines allgemeinen Rechtsgedankens, der sich ebenso in §  548 […] findet“. 65  BT-Drcks. 14/6040, S.  108; ferner Zimmermann, JZ 2000, 853, 863. 66 Staudinger/Peters/Jacoby, BGB, 2009, Vorbem. zu §§   194–225 Rn.  8: Verbot „einer ‚endlosen‘ Belastung des Schuldners“; ferner BT-Drcks. 14/6040, S.  109. 67  Wobei der Terminus „Höchstfrist“ irreführend ist, da die Regelungen zur Hemmung,

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§  5  Wissen als Ausgangspunkt zeitlicher Begrenzung von Rechten

hängig beginnenden Verjährungshöchstfristen statuiert §  199 IV BGB: Danach verjähren Ansprüche68 grundsätzlich „in zehn Jahren von ihrer Entstehung an“ – unabhängig von einer Kenntnis oder grob fahrlässigen Unkenntnis. Isoliert betrachtet entspricht diese kenntnisunabhängig beginnende Maximalfrist strukturell der vor der Schuldrechtsreform geltenden Regelverjährung mit der einzigen Abweichung, dass die 30-jährige Frist auf ein Drittel verkürzt ist. Die die Funktion der Verjährung am treffendsten umschreibende Formulierung „Irgendwann muß einmal Schluß sein“69 hat für die frühere 30-jährige Verjährungsfrist durchaus ihre Berechtigung. Die den Schuldner erheblich entlastende Verkürzung dieser Frist auf zehn Jahre (§  199 IV BGB) ist nach Ansicht des Gesetzgebers „so lang, dass die Gefahr, dass Ansprüche verjähren, bevor der Gläubiger von ihnen Kenntnis erlangt, auf ein hinnehmbares Maß reduziert“ ist.70 Diese Ansicht, dass zehn Jahre eine grundsätzlich ausreichende Zeit für eine Haftungszuweisung ist, spiegelt sich auch in der Grundnorm für die Verjährung von Schadensersatzansprüchen (§  199 III 1 BGB) wider: Grundsätzlich unterliegen Schadensersatzansprüche der kenntnisunabhängig beginnenden Verjährungsfrist, die gemäß §  199 III 1 Nr.  1 BGB zehn Jahre ab Ent­ stehung des Anspruchs beträgt. Auch bei dieser Frist zeigt sich das Bedürfnis, eine absolute Grenze zu ziehen: Die Entstehung des Schadensersatz­anspruchs kann auf unbestimmte Zeit hinausgeschoben sein. Wird beispielsweise der im Jahr 2009 erworbene schadstoffbelastete Acker erstmals im Jahr 2045 bestellt, wobei sich erst dann die Belastung mit Giftstoffen in der Ernte feststellen lässt, dann ist der etwaige Anspruch auf Schadensersatz hinsichtlich der Unverkäuflichkeit der Ernte zwar auch erst zu dieser Zeit entstanden. Der Schadensersatzanspruch ist aber dennoch bereits wegen der parallel laufenden absoluten und ebenfalls kenntnisunabhängig beginnenden Frist des §  199 I Nr.  2 BGB im Jahr 2039 verjährt gewesen. Obwohl dieser Anspruch zur Zeit seiner Verjährung noch gar nicht entstanden war, ist eine abschließende und zeitlich determinierte Risikozuweisung für die Haftung geboten. Schließlich wird sich kaum jemand nach 30 Jahren z. B. noch an Umstände des Verkaufs oder etwaige noch weit vor dem Verkauf aufgetretene Verunreinigungen eines Grundstücks erinnern können. Es ist nachvollziehbar, dass der Gesetzgeber in diesen Fällen die „alte“ Verjährungsfrist von 30 Jahren wählte und er damit eine Abweichung von der sonstigen Verjährungsfrist von 10 Jahren statuierte. Schließlich hat der Gläubizur Ablaufhemmung und zum Neubeginn auch auf diese Fristen Anwendung finden und die absolut bezifferte Frist der „Höchstfrist“ dadurch wesentlich länger als die 10 oder 30 Jahre laufen kann, Palandt/Ellenberger, BGB, 2016, §  199 Rn.  42. 68 Mit Ausnahme der in Abs.   2 genannten Schadensersatzansprüche und in Abs.  3a genannten erbrechtlichen Ansprüche, deren Verjährungsfrist jeweils ausschließlich kenntnis­ unabhängig beginnt und daher keine „parallele“ Höchstfrist ist. 69 Staudinger/Peters/Jacoby, BGB, 2014, Vorbem. zu §§  194–225 Rn.  8 . 70  Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Schuldrechts, Begründung zu §  199 I BGB, BT-Drcks. 14/6040, S.  108.

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ger eines (zumindest entstandenen) Anspruchs, der „nur“ keine Kenntnis von den anspruchsbegründenden Umständen und der Person des Schuldners hat bzw. diese Unkenntnis nicht auf grober Fahrlässigkeit beruht, es mehr oder weniger selbst in der Hand, etwas im Hinblick auf seinen Kenntnisstand zu unternehmen. Derjenige „Gläubiger“ eines noch nicht einmal entstandenen Schadensersatzanspruchs kann allerdings keine eigenen Anstrengungen unternehmen, „den Anspruch entstehen“ zu lassen, außer man würde ihn dazu anhalten, alles dafür zu tun, damit sich ein etwa angelegter Schaden auch realisiert und der Anspruch entstehen kann. Das ist jedoch fernliegend. Schließlich kann der Erwerber des im obigen Beispielsfall genannten Ackers nicht gehalten sein, diesen nur deswegen bestellen zu müssen, damit ihm etwaige Schadstoffbelastungen auffallen, die sich auf seine Ernte auswirken. Daher ist auch die erheblich längere Zeitspanne in §  199 III 1 Nr.  2 BGB im Vergleich zu §  199 IV BGB gerechtfertigt. bb.  Abweichungen von der Regelverjährung wegen des gesteigerten Interesses an Rechtsklarheit in Abhängigkeit von Anspruchscharakter und betroffenem Rechtsgut Es bringt erhebliche Unsicherheit mit sich, den Beginn der Verjährungsfrist von subjektiven Umständen wie der Kenntnis oder dem Kennenmüssen des Gläubigers abhängig zu machen. Der Schuldner kann dann nicht wissen, ob der Anspruch bereits verjährt ist. Diese Unsicherheit geht zu Lasten des Schuldners und steht dem mit der Verjährung zu erreichenden Ziel der Rechtssicherheit entgegen. Andererseits greift eine kenntnisunabhängig beginnende Verjährung regelmäßig erheblich in die Gläubigerinteressen ein und kann dazu führen, dass der Gläubiger seinen Anspruch wegen seiner bloßen Unkenntnis nicht realisieren kann, d. h. im Ergebnis verringert sich die „reelle Chance“ der Anspruchsdurchsetzung durch den Gläubiger. Daher müssen für solche Regelungen, die die Verjährungsfrist kenntnisunabhängig beginnen lassen, erhebliche Gründe streiten. Das vor der Schuldrechtsreform überzeugende Argument, dass der Gläubiger nach einer besonders langen Frist von 30 Jahren in der Regel hinreichend Gelegenheit hatte, seinen Anspruch durchzusetzen (was sich auch auf die Kenntnisnahme von dem Anspruch bzw. zu ihm führenden Umständen bezieht), kann in Anbetracht der erheblichen Verkürzung der Verjährungsfrist nun nicht mehr überzeugen. Erst recht überzeugt es unter diesem Gesichtspunkt nicht, wenn eine kenntnisunabhängig beginnende Verjährungsfrist sogar kürzer als die kenntnisabhängig beginnende Regelverjährungsfrist (§  199 I Nr.  1 BGB) bemessen ist (wie beispielsweise die kaufrechtliche Mängelgewährleistungsfrist gemäß §  438 I Nr.  1 und 2, II BGB).

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§  5  Wissen als Ausgangspunkt zeitlicher Begrenzung von Rechten

(i)  Bedürfnis nach rascher Klarheit über Mängelgewährleistungsansprüche Ausnahmen von der Regelverjährung sind die kürzeren und kenntnisunabhängig beginnenden Verjährungsfristen, die häufig (aber auch nicht immer) für Ansprüche (auf Gewährleistung bzw. Schadensersatz gerichtet) wegen eines Mangels gelten. Mängelrechte beim Kauf beweglicher Sachen verjähren grundsätzlich in zwei Jahren ab Übergabe der Sache, §  438 II, I Nr.  3 BGB. Reisevertragliche Mängelrechte verjähren in zwei Jahren ab geplantem Reiseende, §  651g I BGB. Werkvertragliche Mängelrechte unterliegen dagegen grundsätzlich der (kenntnisabhängig beginnenden) Regelverjährung, §  634a I Nr.  3 BGB, wobei auch in diesem Bereich ausnahmsweise eine zweijährige (kenntnisunabhängige, mit der Abnahme (§  634a II BGB) beginnende) Verjährungsfrist gilt, wenn es sich um eine körperliche Werkleistung handelt, §  634a I Nr.  1 BGB.71 Im Diskussionsentwurf zum Schuldrechtsmodernisierungsgesetz war vorgesehen (§  198 BGB-DiskE), dass die kaufrechtliche Verjährungsfrist auch drei Jahre betragen soll. Die Verjährung von Ansprüchen wegen der Lieferung einer mangelhaften Sache sollte nach §  198 III BGB-DiskE „im Zeitpunkt der Pflichtverletzung“ (kenntnisunabhängig) beginnen. Die Regelverjährung sollte nach §  198 I BGB-DiskE ebenfalls kenntnisunabhängig mit der Fälligkeit des Anspruchs beginnen. Mit diesem Regelungspaket war eine Vereinheitlichung im Hinblick auf die Dauer der Verjährung angestrebt. Diese Einheitlichkeit ging im Laufe der weiteren Diskussion verloren, als die Regelverjährung einerseits kenntnisabhängig und andererseits auch erst zum Jahresende zu laufen beginnen sollte.72 In der geplanten Regelung mit drei Jahren Verjährungsfrist (auch) für kaufrechtliche Gewährleistungsansprüche kam klar das Bestreben zum Ausdruck, die bis dahin geltende Sechs-Monats-Frist zu verlängern.73 Im weiteren Verlauf der Beratungen orientierte sich der Gesetzgeber bei der Bemessung der kaufrechtlichen Gewährleistungsfrist an der (im Rahmen der Schuldrechtsreform umzusetzenden) Verbrauchsgüterkaufrichtlinie74. Nach deren Art.  5 haftet der Verkäufer für die Vertragswidrigkeit des Verbrauchsguts in einer Frist von zwei Jahren ab Lieferung. Diese Vorgabe für die Gewährleistungsregelungen für den Verbrauchsgüterkauf verallgemeinerte der Gesetzgeber und unterwarf die kaufrechtlichen Mängelrechte generell (d. h. einerseits Gewährleistungs- und Schadensersatzansprüche, andererseits auch im Verhält71 

Zu dieser Ausnahme kritisch Zimmermann/Leenen/Mansel/Ernst, JZ 2001, 684, 690. Daher kritisch zu dem Bestreben der einheitlichen Frist Zimmermann/Leenen/Mansel/ Ernst, JZ 2001, 684, 689. 73  Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Schuldrechts, Begründung zu §  438 I BGB, BT-Drcks. 14/6040, S.  229 li. Sp. 74  Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Mai 1999 zu bestimmten Aspekten des Verbrauchsgüterkaufs und der Garantien für Verbrauchsgüter (ABl. Nr. L 171 S.  12). Hierzu eingehend Gsell, JZ 2001, 65, 72 f., insbes. im Hinblick auf eine zusätzlich einzuführende Kompensation durch eine Rügeobliegenheit des Käufers. 72 

I. Verjährung

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nis von Unternehmern untereinander) der kürzeren zweijährigen Verjährungsfrist. Diese Entscheidung wurde mit Ergebnissen aus Studien belegt, nach denen „bei industriellen Massengütern Mängel ganz überwiegend während der ersten 6 Monate auftreten“ und damit der Käufer auch bei einer zweijährigen Verjährungsfrist eine „faire Chance“ erhalte, seine Ansprüche geltend zu machen.75 Freilich drängt sich bereits bei der Betrachtung der Ergebnisse der Studien die Frage auf, warum dann eigentlich die bis dahin geltende Sechs-MonatsFrist verlängert werden muss. Konsentiert war eine Verlängerung der Frist aber vor allem vor dem Hintergrund des Verjährungsfristbeginns, der einhellig unabhängig von einer Kenntnis des Gläubigers beginnen solle. Es bestand Einigkeit darüber, dass der Verkäufer nicht für einen unbestimmten Zeitraum für verborgene Mängel haften solle.76 Ausschlaggebend für einen kenntnisunabhängigen Verjährungsfristbeginn von Mängelansprüchen waren offensichtlich die Spezifika von Kaufverträgen als typische Verträge mit Massencharakter,77 wenngleich man der Begründung insofern skeptisch gegenüber stehen kann, als es auch Käufer von „kurzlebigen“ Gütern oder von Gütern mit einer „hohen Innovationsrate“ gebe, die an langen Gewährleistungsfristen (und den damit verbundenen Preissteigerungen) gar nicht interessiert seien.78 Abgesehen von der kürzeren Dauer der Verjährungsfrist von Mängelansprüchen im Vergleich zur Regelverjährung liegt der Hauptunterschied zwischen beiden Verjährungsfristen in deren Beginn in Abhängigkeit vom Kenntnisstand des Gläubigers.79 Leenen verwies darauf, dass sich jede Regelung, die auf subjektive Aspekte abstelle (d. h. insbesondere, ob „der Mangel bekannt oder erkennbar“ ist), von „dem Kernstück“ der Verjährung, d. h. der zeitlichen Befristung von Ansprüchen, wegbewege.80 In der Diskussion um die Änderung der 75  Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Schuldrechts, Begründung zu §  438 I BGB, BT-Drcks. 14/6040, S.  228 re. Sp.; ähnlich Eidenmüller, JZ 2001, 283, 286, der eine damals noch diskutierte dreijährige kenntnisunabhängig beginnende Verjährungsfrist „für verschuldensunabhängige Sachmängelansprüche ab Gefahrübergang sicherlich nicht zu lang be­ messen“ findet. 76  So eindeutig: „Würde die Verjährungsfrist […] subjektiv bestimmt, dann würde deren Funktion als Variable zur Festlegung des effizienten Haftungsumfangs des Schuldners eliminiert“, Eidenmüller, JZ 2001, 283, 285. Vgl. auch Zimmermann/Leenen/Mansel/Ernst, JZ 2001, 684, 688, die darauf hinweisen, dass bei einer Haftung in den Regelfristen „die Funktion dieser Fristen, das Mängelrisiko angemessen zwischen den Vertragsparteien zu verteilen, nicht“ zu erfüllen sei. Umfassend dazu Haug, Neuregelung des Verjährungsrechts, 1999, S.  81 ff.; Leenen, §  477 BGB, Verjährung oder Risikoverteilung, 1997, S.  15 ff. 77  Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Schuldrechts, Begründung zu §  438 I BGB, BT-Drcks. 14/6040, S.  228 re. Sp. 78  Eidenmüller, JZ 2001, 283, 285. 79  Zimmermann/Leenen/Mansel/Ernst, JZ 2001, 684, 688. 80  Leenen, §  477 BGB Verjährung oder Risikoverteilung, 1997, S.  26 unter Bezugnahme auf Zillich, Anwendungsbereich von §  477 BGB, 1976, S.  71 (der dies im Zusammenhang mit der Möglichkeit einer Einbeziehung subjektiver Elemente in den Tatbestand des §  477 BGB i. d. F. bis 2001 diskutiert).

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§  5  Wissen als Ausgangspunkt zeitlicher Begrenzung von Rechten

Verjährungsvorschriften im Rahmen der Schuldrechtsreform wurde daher hervorgehoben, dass es „auf die Festigkeit der Gewährleistungsfrist“ ankomme, und zwar „weit mehr als auf ihre Kürze“. 81 Diese Gründe der zu erreichenden Rechtssicherheit überwogen daher die Bedenken, dass der Käufer wegen fehlender Kenntnis des Mangels an der Geltendmachung seiner Ansprüche gehindert sein kann und gaben den Ausschlag für einen kenntnisunabhängigen Beginn der Verjährung von kaufrechtlichen Mängelrechten. Dass dies eine erhebliche Privilegierung des Verkäufers bedeutet, wird bei einer Betrachtung der Regelung des §  439 III 1 BGB deutlich: Danach unterliegen die Käuferrechte der „regelmäßigen Verjährungsfrist, wenn der Verkäufer den Mangel arglistig verschwiegen hat“. Oberflächlich betrachtet wird mit dieser Regelung nur „der Gefahr begegnet, dass die Verjährung der Mängelansprüche zu laufen beginnt, obwohl der Käufer gerade wegen des arglistigen Handelns des Verkäufers den Mangel nicht zeitnah nach der Ablieferung der Sache entdecken kann.“82 Diese Regelung ist auf das aus §  242 BGB folgende Gebot von Treu und Glauben zurückzuführen. Der Verkäufer soll nicht arglistig auf den Kenntnisstand des Käufers einwirken und sich danach auf den Zeitablauf berufen dürfen, obwohl der Käufer den Anspruch gerade wegen dieser Einflussnahme in der kurzen Zeit nicht geltend gemacht hat. Andererseits wird durch diese Regelung aber auch deutlich, dass die „Sanktion“ des arglistigen Verhaltens des Verkäufers bloß darin liegt, dass die Regelverjährung eingreift. Diese ist ein Jahr länger als die kaufrechtliche Verjährungsfrist und beginnt erst mit Kenntnis bzw. auf grober Fahrlässigkeit beruhender Unkenntnis von den anspruchsbegründenden Umständen. An den Käufer, dem ein Mangel arglistig verschwiegen wurde, werden Sorgfaltsanforderungen gestellt, die arglistige Täuschung zu erkennen, die letztlich zu seinem Anspruch führt: Die Regelverjährung beginnt schließlich bereits bei grob fahrlässiger Unkenntnis (§  199 I Nr.  2 BGB). Das bedeutet, dass der den Mangel arglistig verschweigende Verkäufer nur fürchten muss, in der regelmäßigen Verjährungsfrist in Anspruch genommen zu werden. Dies verwundert schließlich bei einer Betrachtung anderer Folgen, die arglistige Täuschungen haben können: Gemäß §  124 I BGB hat der arglistig Getäuschte ein Jahr Zeit, um anzufechten, gerechnet ab der Entdeckung der arglistigen Täuschung, §  124 I 1 BGB. Diese Ausnahme ist mit der sonst für die Anfechtung geltenden Frist („ohne schuldhaftes Zögern“, d. h. unverzüglich, §  121 I 1 BGB) ins Verhältnis zu ­setzen. In der Abweichung dieser Fristen ist eine erheblich stärkere „Sanktion“ des arglistigen Verhaltens enthalten als die bloße Anordnung, dass dann „der Regelfall“ gelten soll. 81  Ernst, in: Ernst/Zimmermann, Zivilrechtswissenschaft und Schuldrechtsreform, 2001, S.  559, 587. 82  Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Schuldrechts, Begründung zu §   438 III BGB, BT-Drcks. 14/6040, S.  230 li. Sp.

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Die kenntnisunabhängig beginnende und im Verhältnis zur Regelverjährung kürzere Mängelrechteverjährung ist eine erhebliche Privilegierung des Verkäufers. Ein Vergleich der Verjährungsvorschriften der kaufrechtlichen mit denen der werkvertraglichen Mängelrechte zeigt überdies, dass das Spezifikum der Massengeschäfte im Kaufvertrag für die kurze und kenntnisunabhängig beginnende Verjährungsfrist ausschlaggebend sein muss: Anders als im Kaufrecht gilt für Mängelrechte des Bestellers grundsätzlich gemäß §  634a I Nr.  3 BGB die regelmäßige Verjährungsfrist einschließlich eines kenntnisabhängigen Beginns der Verjährungsfrist. Zwar werden auch Werkverträge sehr zahlreich abgeschlossen, jedoch ist der Gegenstand eines Werkvertrages durch die Erbringung der Werkleistung regelmäßig wesentlich individueller als beim Verkauf einer Sache, die der Verkäufer häufig selbst nicht hergestellt und teilweise selbst kaum gesehen hat (Massenware, Versandhandel). Daraus erklärt sich der Regelungsgrund für die in den Gewährleistungsregeln als Fremdkörper erscheinende Regelverjährung des Werkvertragsrechts. 83 (ii)  Bedürfnis nach rascher Klarheit über Ersatzansprüche in Bezug auf den Zustand zurückgegebener Gegenstände Wird eine (z. B. vermietete, entliehene oder verpfändete) Sache zurückgegeben, besteht regelmäßig Klärungsbedarf, ob die Parteien hinsichtlich des (veränderten) Zustandes der Sache Ansprüche haben. Dies betrifft einerseits Ansprüche für den Ausgleich von Verbesserungen, die der Mieter, Entleiher oder Pfandnehmer an der Sache während der Besitzzeit getätigt hat (z. B. §§  539, 601, 1216 BGB) und andererseits Ansprüche des Vermieters, Verleihers oder Pfandgebers wegen der Verschlechterung der Sache während der Zeit (z. B. §  538, §  280 i. V. m. §  604 I BGB), in der die Sache nicht in seinem Besitz war. Dabei ist die Rück­gabe ein Zäsurzeitpunkt. Das Bestehen von Ausgleichsansprüchen hängt in der Regel von dem Zustand der Sache im Moment der Rückgabe ab. Die Sache, von deren Zustand die Ersatzansprüche abhängen, unterliegt nach der Rückgabe nicht mehr dem Einflussbereich des Schuldners etwaiger Schadensersatzansprüche wegen Verschlechterungen (Mieter, Entleiher, Pfandnehmer) bzw. dem Gläubiger etwaiger Verwendungsersatzansprüche. Es ist auch nicht zwingend, dass die Sache von dem Zeitpunkt der Rückgabe an im Besitz des Gläubigers der Ansprüche wegen Verschlechterung (Vermieter, Verleiher, Pfandgeber) bzw. des Schuldners etwaiger Verwendungsersatzansprüche ist. Vielmehr ist es eine Besonderheit von den Sachen, deren Besitz wechselte, dass 83  Zu Recht verweisen Zimmermann/Leenen/Mansel/Ernst, JZ 2001, 684, 690, auf den sich ergebenden Wertungswiderspruch im Hinblick darauf, dass die Verjährungsfrist eines Bestellers eines nichtkörperlichen Werkes wegen der kenntnisabhängig beginnenden Regelverjährung identisch ist mit der Verjährungsfrist eines Bestellers eines körperlichen Werkes, der vom Unternehmer arglistig getäuscht wurde (§  634a I Nr.  1, III BGB).

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§  5  Wissen als Ausgangspunkt zeitlicher Begrenzung von Rechten

sie einfach (z. B. bei beweglichen Sachen) weitergegeben werden können bzw. sich ihr wirtschaftlicher Wert gerade in der weiteren Besitzüberlassung realisiert (z. B. bei der Mietwohnung). Dadurch ergibt sich die Situation, dass die Parteien (Vermieter, Verleiher, Pfandgeber auf der einen und Mieter, Entleiher, Pfandnehmer auf der anderen Seite) über Ansprüche streiten, deren tatsächliche Grundlagen sie gar nicht oder nur sehr eingeschränkt im Nachhinein aufklären können. Die Sache kann im Hinblick auf Verwendungen oder Verschlechterungen (d. h. ihren Zustand) nicht einfach besichtigt werden, wenn sie bereits einem Dritten überlassen wurde. Hat der Dritte zusätzlich die Möglichkeit, auf den Zustand Einfluss zu nehmen oder ist ihm dies sogar ausdrücklich gestattet (der Mieter gestaltet die Mietwohnung nach seinen Vorstellungen als seinen persönlichen Lebensbereich) 84, dann drohen die gegenseitigen streitigen Ansprüche der früheren Vertragsparteien am bloßen Fehlen von Nachweismöglichkeiten zu scheitern. Ein typischer Fall ist ein Streit über vom (dazu wirksam verpflichteten) 85 Mieter (mangelhaft) ausgeführter Schönheitsreparaturen. Das gleiche Problem stellt sich, wenn die Verpflichtung zur Erbringung der Schönheitsreparaturen durch den Mieter unwirksam ist, der Mieter dennoch renoviert hat und er nachfolgend dafür Ersatz vom Vermieter verlangt.86 In diesen Fällen hat der Nachmieter umfangreiche Möglichkeiten, auf den Zustand der Mietwohnung Einfluss zu nehmen. Im ersten Fall (Vermieter verlangt Schadensersatz wegen mangelhafter Ausführung der Schönheitsreparaturen) kann der Vormieter die Behauptungen des Vermieters im Hinblick auf den Zustand der Wohnung nicht mehr prüfen, weil er keinen Zutritt zur Wohnung mehr hat. Auch im zweiten Fall (Mieter verlangt Ersatz für rechtsgrundlos erbrachte Schönheits­ reparaturen) 87 kann der Vermieter häufig nur erschwert die bereits weitervermietete Wohnung betreten, um den vom Mieter behaupteten Zustand (erbrachte Renovierungen) zu prüfen. In diesen Fällen besteht ein erhebliches Bedürfnis an einer raschen Klärung, ob wechselseitige Ansprüche im Hinblick auf den Zustand der Wohnung bestehen. 88 Dies liegt an den eingeschränkten Informationsmöglichkeiten der streitenden Parteien hinsichtlich des Zustands der Sache. Die Parteien geraten regel84  Vgl. hierzu BGH NJW 2006, 1963, 1964 f.; BGH NJW 1968, 1472; BGH NJW 1987, 187; hierzu Schrader, ZJS 2012, 720, 721 f. 85  Die grds. dem Vermieter obliegende Pflicht zur Erbringung von Schönheitsreparaturen (im Rahmen der Erhaltungspflicht gemäß §  535 I BGB) kann vertraglich auf den Mieter abgewälzt werden, vgl. BGH NJW 2007, 3776, 3777 Tz.  16; BGH NJW 1985, 480, 481 (Gliederungspunkt 3b cc). Dies erfolgt häufig in Formularverträgen. Die Klausel ist in der Praxis oft so formuliert, dass sie den Mieter unangemessen benachteiligt, BGH NJW 2006, 2115 Tz.  11; BGH NJW 2003, 2234 (Gliederungspunkt II 1); BGH NJW 2003, 3192 (Gliederungspunkt III 2)); zu diesen Klauseln vgl. Schrader, JURA 2010, 241. 86  BGH NZM 2011, 452; BGH NZM 2012, 557: nur Zahlung eines Abgeltungs­betrages. 87  BGH NJW 2009, 2590, 2592 Tz.  21 ff. 88  Gsell, NZM 2010, 71, 77; Jacoby, ZMR 2010, 335.

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mäßig in Beweisnot. 89 Daher statuiert §  548 BGB für den praktisch wichtigsten Fall des Streits über den Zustand einer zurückgegebenen Mietsache, dass die wechselseitigen Ansprüche (Aufwendungsersatz, Ersatz wegen Verschlechterungen, ferner Wegnahmerechte) in einer Frist von sechs Monaten verjähren. Diese ohnehin sehr kurze Frist beginnt unabhängig vom Kenntnisstand der Parteien. Die Verjährung beginnt gemäß §  548 I 2 BGB für die Ersatzansprüche des Vermieters „mit dem Zeitpunkt, in dem er die Mietsache zurückerhält“ (d. h. tatsächlich). Die Verjährung der Ansprüche des Mieters auf Aufwendungsersatz bzw. Wegnahme beginnen dagegen mit „der Beendigung des Mietverhältnisses“ (d. h. rechtlich).90 Diese Differenzierung verhindert, dass eine Partei durch verfrühte oder verspätete Räumung auf den Beginn der Verjährungsfrist Einfluss nehmen kann (durch den Mieter) und stellt dennoch sicher, dass die Informationsbeschaffung hinsichtlich des Zustandes der Mietsache überhaupt möglich ist (für den Vermieter).91 Der Grund für die kurze und kenntnisunabhängig beginnende Verjährung der (wechselseitigen) zustandsbezogenen Ansprüche liegt daher vor allem an der drohenden Beweisnot und den typischerweise eingeschränkten Möglichkeiten der Beschaffung von Informationen hinsichtlich des tatsächlichen Zustandes der zurückgegebenen bzw. zurückerhaltenen Sache.92 Allerdings gibt es in §  548 BGB eine von der Rechtsprechung93 entwickelte Ausnahme von dem kenntnisunabhängigen Beginn der Verjährungsfrist: Gemäß §  548 II BGB verjähren die Ersatzansprüche des Mieters sechs Monate „nach der Beendigung des Mietverhältnisses“. Das Mietverhältnis mit dem bisherigen Vermieter endet im Fall der Veräußerung der Mietwohnung und der Erwerber tritt gemäß §  566 I BGB „anstelle des Vermieters in die sich während der Dauer seines Eigentums aus dem Mietverhältnis ergebenden Rechte und Pflichten ein“. Diese Beendigung des Mietverhältnisses vollzieht sich in der Regel „im Stillen“ und wird mit 89  Vgl. bereits Mot. II 1947 f., abgedr. in Mugdan, Materialien zum BGB, Band 2, 1899, Nachdr. 1979, S.  841 f.; Blank/Börstinghaus, Miete, 4.  A., 2014, §  548 Rn.  1; so auch BGH NJW 1993, 2797, 2798 (Gliederungspunkt III 1 d); ähnlich Schmidt-Futterer/Streyl, MietR, 12.  A., 2015, §  548 Rn.  1 f. 90  Im Gegensatz zu der Verjährung gemäß §  5 48 II BGB, bei der es auf die rechtliche Beendigung ankommt und nicht darauf, dass der Vermieter die Mietsache nur tatsächlich zurück­erhält (etwa durch Auszug des Mieters ohne vorherige Kündigung), vgl. BGH NJW 2008, 2256, 2257 Tz.  15; BGH NJW 2006, 1588 Tz.  9 ; BGH NJW 1991, 3031; BGH NJW 1991, 2416, 2418. 91  Allgemein dazu Witt, NZM 2012, 545, 547 f. Das entscheidende Argument für den Beginn der Verjährungsfrist ab tatsächlicher Rückgabe enthält BGH NJW 2012, 144 Tz.  14: „die Rückgabe im Sinne dieser Vorschrift [setzt] grundsätzlich eine Änderung der Besitzverhältnisse zugunsten des Vermieters voraus, weil er erst durch die unmittelbare Sachherrschaft in die Lage versetzt wird, sich ungestört ein umfassendes Bild von etwaigen Veränderungen oder Verschlechterungen der Sache zu machen“. 92  BT-Drcks 14/4553, S.  45; BGH NJW 2011, 1866, 1867 Tz.  15; BGH NZM 2012, 557, 558 Tz.  14. 93  BGH NJW 2008, 2256; BGH NJW 1965, 1225 (im Ergebnis noch offengelassen).

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§  5  Wissen als Ausgangspunkt zeitlicher Begrenzung von Rechten

der Eintragung im Grundbuch wirksam („während der Dauer seines Eigentums“, d. h. ab Eigentumserwerb).94 Wäre der Beginn der Verjährungsfrist der mieterseitigen Ersatzansprüche auch in diesen Fällen vollkommen kenntnisunabhängig, dann könnten „die Ansprüche des Mieters verjähren, ohne dass er etwas von den tatsächlichen Voraussetzungen des Verjährungsbeginns erfährt“.95 Dies sieht der BGH – obwohl er es nicht ausdrücklich erwähnt – wegen der dann fehlenden reellen Chance, die Ansprüche durchzusetzen, als nicht gerechtfertigt an und geht davon aus, dass die kurze Verjährungsfrist des §  548 II BGB erst dann beginnt, „wenn der Mieter hinreichend sichere Kenntnis von der Eintragung des Erwerbers [im Grundbuch und damit von dem die Verjährungsfrist auslösenden Eigentumserwerb] hat“.96 Die Unabhängigkeit des Verjährungsfristbeginns vom Kenntnisstand bzw. den Kenntnisverschaffungsmöglichkeiten erfährt noch in weiterer Hinsicht eine Relativierung: 97 Von der kurzen Frist des §  548 BGB kann vertraglich abgewichen werden. Werden diese Regelungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen getroffen, unterliegen sie gemäß §  307 II Nr.  1 BGB der Prüfung, ob die Bestimmung in AGB „mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, von der abgewichen wird, nicht zu vereinbaren ist“. Nach überwiegender Ansicht halten formularvertragliche Vereinbarungen, die die kurze Frist des §  548 BGB verlängern, wegen des verfolgten Gesetzeszwecks (rasche Schaffung von Rechtssicherheit) einer AGB-Prüfung grundsätzlich nicht stand.98 Eine Ausnahme ist allerdings für die Konstellationen angenommen worden, bei denen sich eine Verschlechterung der Mietsache sowie das Vertretenmüssen des Mieters innerhalb der kurzen Frist regelmäßig nur schwer klären lässt.99 Liegt der Vereinbarung daher die mit ihr zu lösende Problematik zugrunde, dass sich die relevanten Informationen regelmäßig nicht in der kurzen Frist des §  548 BGB beschaffen lassen, kann auch formularvertraglich von dieser Frist abge­ wichen werden. Dabei ist allerdings erforderlich, dass die Verlängerung der Verjährung symmetrisch, d. h. sowohl für die Ansprüche des Mieters als auch des Vermieters, geregelt werden muss, da sonst eine unangemessene Benachteiligung gemäß §  307 II Nr.  1 BGB vorliegt.100

94 

BGH NJW 2008, 2256, 2257 Tz.  18. BGH NJW 2008, 2256, 2257 Tz.  18. 96  BGH NJW 2008, 2256, 2257 Tz.  18. 97  Umfassend hierzu Staudinger/Emmerich, BGB, 2014, §  5 48 Rn.  46. 98 Blank/Börstinghaus, Miete, 4.  A ., 2014, §  5 48 Rn.  86; Staudinger/Emmerich, BGB, 2014, §  548 Rn.  47; Gruber, WuM 2002, 252, 255. 99  Braun, VersR 1985, 1119 ff.; Gruber, WuM 2002, 252; MünchKommBGB/Bieber, 6.  A ., 2012, §  548 Rn.  26; Fritz, NZM 2002, 713, 718; Kandelhard, NJW 2002, 3291, 3295; Kandelhard, NZM 2002, 929 ff.; Scheffler, ZMR 2008, 512, 514. 100  Blank/Börstinghaus, Miete, 4.   A., 2014, §  548 Rn.  86; Staudinger/Emmerich, BGB, 2014, §  548 Rn.  47. 95 

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(iii)  Gesteigertes Interesse an Rechtssicherheit bei besonders wertvollen Rechtsgütern Der Gesetzgeber entschied sich, Schadensersatzansprüche grundsätzlich (und zwar nicht bloß deliktische, sondern alle Schadensersatzansprüche, sofern für sie nicht spezielle gewährleistungsrechtliche Verjährungsfristen gelten) einer Verjährungsfrist von zehn Jahren ab „Entstehung des Anspruchs“ bzw. unabhängig von der Entstehung des Anspruchs einer 30-jährigen Verjährungsfrist ab „der Begehung der Handlung, der Pflichtverletzung oder dem sonstigen, den Schaden auslösenden Ereignis“ zu unterwerfen, §  199 III 1 BGB. Diese Fristen beginnen in Abweichung von der deliktische Schadensersatzansprüche erfassenden Verjährungsregelung des §  852 I BGB i. d. F. bis 2001 gänzlich kenntnis­ unabhängig. Der dadurch erreichte erhöhte Gehalt an Objektivität und damit verbundener Rechtssicherheit für den Schädiger geht zu Lasten des Geschädigten. In den meisten Fällen wird dies durch die Verlängerung der (Regel-)Frist von drei Jahren ab Kenntnis bzw. Kennenmüssen auf immerhin zehn Jahre ab Anspruchsentstehung aufgefangen. Der Gesetzgeber sah sich jedoch veranlasst, die Regelung zu treffen, dass die Verkürzung auf zehn Jahre nicht anzuwenden ist, wenn Rechtsgüter von sehr hohem Wert betroffen sind: Gemäß §  199 II BGB unterliegen daher „Schadensersatzansprüche, die auf der Verletzung des Lebens, des Körpers, der Gesundheit oder der Freiheit beruhen“ nur der sonst als absolute Maximalfrist für die Verjährung sonstiger Schadensersatzansprüche dienenden 30-Jahresfrist, gerechnet „von der Begehung der Handlung, der Pflichtverletzung oder dem sonstigen, den Schaden auslösenden Ereignis an“. Auf den Kenntnisstand des Gläubigers (d. h. des Geschädigten) kommt es nicht an. Regelungsgrund für eine solche rein objektive und sehr lange Verjährungsfrist ist das deutliche Überragen an Rechtssicherheit, welches in Bezug auf die sehr wertvollen Rechtsgüter (mit deren Schädigung auch regelmäßig ein sehr hoher Schaden droht, der auch meist erst viel später erkennbar wird) erreicht werden soll.101 Auch in anderen Bereichen ist eine Verlängerung der kenntnisunabhängig beginnenden Verjährungsfrist in Abhängigkeit von dem Wert der betroffenen Rechtsgüter (in etwas abgeschwächter Form) zu beobachten: Wie dargestellt, ist die kenntnisunabhängig beginnende und im Verhältnis zur Regelverjährung kürzere Mängelrechteverjährung im Ergebnis eine erhebliche Privilegierung des Verkäufers. Ausschlaggebend für eine solche Regelung ist die spezifische Interessenlage bei den für Kaufverträge typischen Massengeschäften. In Fällen, 101  Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Schuldrechts, Begründung zu §  199 II BGB, BT-Drcks. 14/6040, S.  108 re. Sp. Diese Regelung kann allerdings auch dazu führen, dass Ansprüche, die auf einem einheitlichen Geschehen beruhen (Verkehrsunfall), unterschiedlichen Verjährungsfristen unterliegen (Personenschaden und Sachschaden), vgl. dazu BT-Drcks. 14/6040, S.  109 und Palandt/Ellenberger, BGB, 2016, §  199 Rn.  48; vgl. ferner Zimmermann, JZ 2000, 853, 865.

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in denen es weniger um Massengeschäfte geht und bei denen regelmäßig ein hohes Schadensrisiko besteht (etwa bei Bauwerken), sind bereichsspezifische Ausnahmen eingefügt worden: Gemäß §  438 I Nr.  2 BGB gilt für Mängel an Bauwerken und für Sachen, die typischerweise in solchen verbaut werden, statt der zweijährigen eine fünfjährige Verjährungsfrist. Diese Abweichung ist aber auch auf den beabsichtigten Gleichlauf der Verjährungsregeln von Werkmängeln an Bauwerken und vergleichbaren kaufrechtlichen Mängeln (neu hergestellter Bauwerke) zurückzuführen.102 Ebenso ist in dem Regelkontext der werkvertraglichen Verjährung ist ein ähnliches Regel-Ausnahme-Verhältnis festzustellen: Abweichend von der grundsätzlich im werkvertraglichen Mängelrecht geltenden Regelverjährung (§  634a I Nr.  3 BGB) gilt für die Verjährung von Mängelrechten an „einem Bauwerk und einem Werk, dessen Erfolg in der Erbringung von Planungs- oder Überwachungsleistungen hierfür besteht“, gemäß §  634a I Nr.  2 BGB eine fünfjährige Frist, die (kenntnisunabhängig) mit der Abnahme beginnt, §  634a II BGB. Obwohl sich Mängel an einem Bauwerk auch erst später zeigen können, ging der Gesetzgeber davon aus, dass mit dieser Regelung ein „angemessener Ausgleich der Parteiinteressen“ angesichts der Schwierigkeiten bei der Abgrenzung zwischen Mängeln und Abnutzungsschäden vorgenommen werde.103 cc.  Sekundärverjährung als Korrektiv zum kenntnisunabhängigen Verjährungsfristbeginn in §  51b BRAO i. d. F. bis 2004 und §  6 8 StBerG i. d. F. bis 2004 Bis zum Erlass des Verjährungsrechtsanpassungsgesetzes104 existierte eine Reihe von spezialgesetzlichen Verjährungstatbeständen, die hinsichtlich des Beginns der Verjährungsfrist eine Besonderheit aufwiesen: Gemäß §  51b BRAO i. d. F. bis 2004 unterlagen Schadensersatzansprüche des Auftraggebers gegen den Rechtsanwalt (z. B. wegen Falschberatung) einer dreijährigen Verjährungsfrist. Gemäß §  68 StBerG i. d. F. bis 2004 galt für Schadensersatzansprüche des Auftraggebers gegen den Steuerberater eine dreijährige Verjährungsfrist. Gemäß §  37a WpHG i. d. F. bis 2009 unterlagen Schadensersatzansprüche des Kunden gegen ein Wertpapierdienstleistungsunternehmen wegen der Verletzung der Pflicht zur Information oder wegen fehlerhafter Beratung einer dreijährigen Verjährungsfrist. In allen genannten Fällen begann die Verjährungsfrist zu dem Zeitpunkt, in dem der Anspruch entstanden war (speziell bei Rechtsanwälten alternativ: spätestens nach der Beendigung des Auftrages). Der Beginn der Ver102  Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Schuldrechts, Begründung zu §  438 I BGB, BT-Drcks. 14/6040, S.  227 li. Sp. 103  Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Schuldrechts, Begründung zu §  634a I BGB, BT-Drcks. 14/6040, S.  264 li. Sp. 104  Gesetz zur Anpassung von Verjährungsvorschriften an das Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts vom 09.12.2004 (BGBl. I S.  3214).

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jährungsfrist war nach diesen Spezialgesetzen von der Kenntnis des Gläubigers unabhängig.105 Dies führte in einer Vielzahl von Fällen zu unbilligen Ergebnissen: Gemeinsames Ziel dieser Beratungsverträge ist, dass der Berater (Rechtsanwalt, Steuerberater, Wertpapierdienstleister) die zwischen ihm und dem jeweils Beratenen (Mandant bzw. Kunde) bestehende Informationsasymmetrie beseitigt. Kommt es hierbei zu einem Fehler der Beratungsleistung bzw. Informationszurverfügungstellung, hat die regelmäßig weniger informierte Partei (Mandant, Kunde) kaum eine Chance, diesen Fehler des Beraters überhaupt zu erkennen und damit auch kaum eine Chance, eine fehlerhafte Beratungsleistung als Ansatzpunkt etwaiger Schadensersatzansprüche in Betracht zu ziehen.106 Die gesetzliche Regelung zur Verjährung der Schadensersatzansprüche gegen den Berater (§  37a WpHG i. d. F. bis 2009, §  51b BRAO i. d. F. bis 2004, §  68 StBerG i. d. F. bis 2004) war eindeutig so formuliert, dass der Beginn der Verjährungsfrist von einer etwaigen Kenntnis des Beratenen unabhängig sein soll. Die Rechtsprechung107 behalf sich in diesen Fällen allerdings mit einer Hilfskons­ truktion: Sie statuierte eine Aufklärungspflicht des Rechtsanwalts gegen sich selbst. Bereits das RG führte dazu aus, dass sich aus dem Beratungsvertrag die Pflicht des Rechtsanwalts „zur sorgfältigen Prüfung und Sicherung des Anspruchs nach jeder Richtung [ergebe]. Diese Prüfung darf vor seiner eigenen Person, seiner etwaigen eigenen Haftung, nicht haltmachen. Der Auftraggeber kann dadurch nicht schlechter gestellt sein, daß der beauftragte Rechtsanwalt etwa selbst ihm gegenüber Schuldner ist. Unterläßt er diese Prüfung, dann haftet er, falls seinem Auftraggeber daraus ein Schaden erwächst, wegen dieser schuldhaften Unterlassung“.108 Der dem Mandanten entstehende Schaden liegt darin, dass er den primären Schadensersatzanspruch gegen den Anwalt wegen des mit der eingetretenen Verjährung verbundenen Leistungsverweigerungsrechts des Anwalts nicht mehr durchsetzen kann. Die sekundäre Haftung verpflichtet den Anwalt, den Mandanten so zu stellen, wie wenn er von der drohenden Verjährung gewusst hätte, §  249 BGB.109 Dieser sekundäre Haftungstatbestand unterlag wiederum der Verjährungsfrist des §  51b BRAO i. d. F. bis 2004 Die Verjährungsfrist begann allerdings erst mit der Entstehung des Sekundäranspruchs, d. h. mit dem Unterlassen der Aufklärung des Anwaltes.110

105 

So ausdrücklich für §  51b BRAO i. d. F. bis 2004: BGH NJW 1985, 2250, 2252. fehlt es an einer notwendigen „fairen Chance“ zur Anspruchsdurchsetzung, BVerfG, Beschl. v. 16.2.1999 (1 BvR 812/96). 107  Ursprünglich RGZ 158, 130; BGH NJW 1985, 2250 (für Rechtsanwälte); BGH NJW 1982, 1285 (für Steuerberater); BGH NJW 2005, 1579 (ablehnend für Schadensersatzansprüche wegen fehlerhafter Anlageberatung, §  37a WpHG i. d. F. bis 2009). 108  RGZ 158, 130, 134. 109  BGH NJW 1985, 2250, 2252; BGH NJW 1985, 1151, 1152 jeweils m. w. N. 110  BGH NJW 1985, 2250, 2253. 106 Daher

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Die somit statuierte Sekundärhaftung des beratenden Rechtsanwalts dehnte der BGH111 auch auf den Steuerberater aus, wodurch auch die in §  68 StBerG i. d. F. bis 2004 enthaltene kenntnisunabhängig beginnende Verjährungsfrist relativiert wurde.112 Diesen beiden Fällen (Beratung durch Rechtsanwalt/Steuerberater) ist nicht nur gemein, dass der Berater eine bestehende Informations­ asymmetrie im Rahmen des Beratungsvertrages auflösen sollte, sondern auch, dass der Mandant in einer besonderen Abhängigkeit zum Rechtsanwalt bzw. Steuerberater steht.113 „Um die Abhängigkeit des Mandanten von seinem Rechts­anwalt zu kompensieren […], muß jenem durch die anwaltliche Sekundärhaftung eine „faire Chance“ gewährt werden, seinen Regreßanspruch durchsetzen zu können.“114 Gleiches gilt auch für den die wirtschaftlichen und auch rechtlichen Belange des Mandanten in erheblichem Umfang wahrnehmenden Steuerberater.115 Eine ausnahmsweise begründete Sekundärhaftung nahm der BGH allerdings nicht in allen Bereichen von Beratungsleistungen an. Nur weil der Beratene wegen der Komplexität der Beratungsmaterie nicht in der Lage war, die Falsch­ beratung durch den Berater zu erkennen, bedeutet das nicht gleichzeitig, dass immer eine „Aufklärungspflicht gegen sich selbst“ besteht. Die Begründung einer solchen Aufklärungspflicht ist ein Spezifikum der Beratungsverträge von Rechtsanwälten und Steuerberatern, die für den Mandanten gerade wirtschaftliche und rechtliche Zusammenhänge und Möglichkeiten etwaiger Anspruchsrealisierung aufspüren und über diese beraten sollen. Daraus erklärt sich, dass der BGH116 es ausdrücklich ablehnte, die Schadensersatzansprüche – ähnlich wie den Beginn der Verjährung von Ansprüchen gegen den Rechtsanwalt oder Steuerberater auf die bloße Anspruchsentstehung abstellend – gegen ein Wertpapierdienstleistungsunternehmen wegen einer Falschberatung oder einer defizitären Informationszurverfügungstellung mit der Begründung einer Sekundärhaftung einer somit „verlängerten“ Verjährungsfrist zu unterstellen und somit in den Regelungsgehalt des §  37a WpHG i. d. F. bis 2009 einzugreifen. Den beratenden Wertpapierdienstleister trifft keine Pflicht, wirtschaftliche und rechtliche Möglichkeiten der Anspruchsdurchsetzung aufzuspüren und zu realisieren, sondern „bloß“ die Pflicht, dem Kunden komplexe Finanzprodukte zu erklären. 111 

BGH NJW 1995, 2108, 2109. Zugehör, WM 2000 (Sonderbeilage 4), 1, 26. 113  Vgl. hierzu BVerfG, Beschl. v. 16.2.1999 (1 BvR 812/96). 114  BGH NJW 2003, 822, 823. 115  Vgl. BGH NJW 1995, 2108, 2109. 116  BGH NJW 2005, 1579, 1581. Allerdings stellt der BGH in dieser Entscheidung nur darauf ab, dass die Sekundärverjährung, die für die „Verjährung von Schadensersatzansprüchen gegen Rechtsanwälte entwickelt“ wurde, „auf die Fälle schuldhafter Anlageberatung durch Wertpapierdienstleister mangels eines vergleichbaren dauerhaften Vertrauensverhältnisses nicht übertragbar ist.“ 112 Hierzu

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Die vom BGH statuierte Sekundärhaftung von Anwälten findet ihre Grenzen dort, wo eine Aufklärung des Mandanten nicht erforderlich ist, weil er bereits ohne Schwierigkeiten anderweitig vom Bestehen seines gegen den Rechtsanwalt oder Steuerberater bestehenden Rückgriffsanspruchs Kenntnis erhalten konnte. Dies ist insbesondere der Fall, wenn sich der Mandant an einen anderen Rechtsanwalt in dieser Angelegenheit wendet. Dann besteht die Aufklärungspflicht des ursprünglich beauftragten Rechtsanwalts nicht mehr.117 Gleiches gilt in Fällen, in denen der Falschberatene das Fehlverhalten seines beauftragten Rechtsanwalts aufgrund eigener Fachkenntnisse unschwer erkennen kann.118 Die Hilfskonstruktion der Sekundärverjährung ist nach heutiger Rechtslage überflüssig geworden.119 Dies liegt allerdings nicht an den Änderungen der Verjährungsregelungen im Zuge der Schuldrechtsreform. Schadensersatzansprüche unterliegen zwar seither der Regelverjährungsfrist (§§  195, 199 I BGB) und der Verjährungshöchstfrist gemäß §  199 II–IV BGB. Die spezialgesetzlichen Sonderregelungen (§  51b BRAO i. d. F. bis 2004, §  68 StBerG i. d. F. bis 2004, §  37a WpHG i. d. F. bis 2009) galten jedoch auch nach der Schuldrechtsreform fort. Erst durch das Verjährungsrechtsanpassungsgesetz120 wurden die zahlreichen spezialgesetzlich geregelten Verjährungstatbestände vereinheitlicht, indem die Spezialvorschriften abgeschafft wurden und damit die durch die Schuldrechtsreform bereits verlängerten (allgemeinen) Verjährungsfristen gelten. Damit unterliegen nun auch die Haftungsansprüche der Rechtsanwälte und der Steuer­ berater gegenüber ihren Mandanten der Regelverjährung. Daher kommt es nunmehr für den Beginn der Verjährungsfrist darauf an, ob der Mandant Kenntnis von den den Haftungsanspruch begründenden Umständen hat, §  199 I Nr.  2 BGB. Diese Kenntnis liegt nicht bereits dann vor, wenn der Mandant erfährt, dass zu seinen Lasten ein Rechtsverlust eingetreten ist, sondern erst, wenn er Kenntnis von solchen Tatsachen erlangt hat, „aus denen sich für ihn – zumal wenn er juristischer Laie ist – ergibt, dass der Rechtsberater von dem üblichen rechtlichen Vorgehen abgewichen oder er Maßnahmen nicht eingeleitet hat, die aus recht­licher Sicht zur Vermeidung eines Schadens erforderlich waren.“121 Dazu muss der Mandant allerdings umfassende Kenntnis auch von der anwaltlichen Pflichtverletzung haben, denn der (regelmäßig rechtsunkundige) Mandant hat wegen der typischerweise vorliegenden anwaltseitigen Überlegenheit des Wissens „keine Veranlassung, die anwaltliche Leistung in Frage zu stellen“, so dass er etwaige Fehlleistungen des Anwalts gar nicht erkennen kann.122 117 

BGH NJW 2003, 822, 823. Hierzu umfassend Taupitz, Offenbarungspflicht, 1989, S.  80 f. 119  Medicus, BGB AT, 10.  A ., 2010, Rn.  114d. 120  Gesetz zur Anpassung von Verjährungsvorschriften an das Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts vom 09.12.2004, BGBl. 2004 I S.  3214. 121  BGH WM 2014, 1015 f. Tz.  8 ; BGH WM 2014, 575, 576 f. Tz.  15. 122  BGH WM 2014, 1015, 1016 Tz.  9. 118 

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(3)  Gleichstellung von positiver Kenntnis und grob fahrlässiger Unkenntnis Bis zur Schuldrechtsreform begann die Regelverjährungsfrist von 30 Jahren kenntnisunabhängig. Eine Ausnahme galt für die deliktischen Ansprüche, deren dreijährige Verjährungsfrist mit der positiven Kenntnis des Gläubigers begann.123 In diesem Ausnahmefall erhielt der Gläubiger durch die Abhängigkeit des Verjährungsfristbeginns vom Kenntnisstand eine reelle Chance der Durchsetzung seines Anspruchs trotz der gegenüber der Regelverjährung erheblich verkürzten Frist. Im Rahmen der Schuldrechtsmodernisierung orientierte sich der Gesetzgeber bei der Bemessung der Regelverjährungsfrist an der bis dahin geltenden deliktischen Verjährung des §  852 I BGB i. d. F. bis 2001; die Regel­ verjährungsfrist sollte also auf ein Zehntel verkürzt werden.124 Auch der Beginn der Verjährung sollte aus den Gesichtspunkten des Gläubigerschutzes von dem Kenntnisstand des Gläubigers abhängen. Die offensichtlich existierenden Pro­ bleme des rechtspraktischen Umgangs mit der Bestimmung der positiven Kenntnis, die die Verjährung beginnen ließ, waren der Grund für die Einführung einer bis dahin im BGB noch nicht enthaltenen Gleichstellung der die Verjährungsfrist anlaufen lassenden Voraussetzung der positiven Kenntnis und der grob fahrlässigen Unkenntnis. Diese Entscheidung wurde ausdrücklich mit den Nachweisschwierigkeiten der subjektiven Voraussetzung sowie mit den letztlich dann doch anerkannten „Auflockerungstendenzen“ begründet, die sich bei der Begriffsbestimmung der (positiven) „Kenntnis“ durch die Rechtsprechung zu §  852 I BGB i. d. F. bis 2001 feststellen lassen.125 Die Gesetzesbegründung der Schuldrechtsreform bringt diese Problematik auf den Punkt: „Davon [d. h. von der grob fahrlässigen Unkenntnis] ist Kenntnis, wie sie in §  852 Abs.  1 BGB verlangt wird, nicht weit entfernt.“126 Der Gesetzgeber erklärte die im Rahmen der Schuldrechtsreform erstmals im BGB vorgenommene Gleichsetzung von der für den Beginn der Verjährungsfrist notwendigen Kenntnis und der grob fahrlässigen Unkenntnis (§  199 I Nr.  2 BGB) zudem mit dem Argument, dass „in §  12 des ProdHaftG […] der Gesetzgeber diese Angleichung auch schon vollzogen“ habe.127 Dieser Verweis überrascht und verzerrt den Blick auf die zugrunde liegende Wertung. Gemäß §  12 I ProdHaftG verjährt der Haftungsanspruch gegen den Hersteller des fehlerhaften Produkts in drei Jahren, wobei diese Frist in dem Zeitpunkt beginnt, „in 123  Mot. II 743, abgedr. in Mugdan, Materialien zum BGB, Band 2, 1899, Nachdr. 1979, S.  414 ff. 124 Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Schuldrechts, Begründung zu den Verjährungsregeln, BT-Drcks. 14/6040, S.  104 re. Sp. 125  Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Schuldrechts, Begründung zu §  199 I Nr.  2 BGB, BT-Drcks. 14/6040, S.  108 re. Sp. unter Bezugnahme auf den auf deren Gutachten beruhenden Vorschlag von Peters/Zimmermann. 126  BT-Drcks. 14/6040, S.  108 li. Sp. 127  BT-Drcks. 14/6040, S.  108 re. Sp.

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dem der Ersatzberechtigte von dem Schaden, dem Fehler und von der Person des Ersatzpflichtigen Kenntnis erlangt hat oder hätte erlangen müssen“. Es reicht daher bereits leichte Fahrlässigkeit aus, um die Verjährungsfrist von Ansprüchen nach dem ProdHaftG anlaufen zu lassen.128 Der Gesetzgeber des ­ProdHaftG stellte für den Beginn der Verjährungsfrist damit der Kenntnis nicht nur die grob fahrlässige Unkenntnis gleich (wie es in der Neuregelung des §  199 I Nr.  2 BGB beabsichtigt war), sondern richtete wesentlich mehr Sorgfaltsanforderungen an den Gläubiger im Hinblick auf dessen Anstrengungen, den eigenen Kenntnisstand zu erweitern, als es bei grob fahrlässiger Unkenntnis der Fall ist. Dies führte vor der Schuldrechtsreform im Ergebnis dazu, dass ein Anspruch, der auf dem ProdHaftG beruhte, in der Regel schneller verjährte als ein mög­licherweise daneben bestehender deliktischer Anspruch, obwohl der deliktische Anspruch weit umfangreichere Voraussetzungen hat als der Produkthaftungsanspruch (insbesondere im Hinblick auf das Verschulden). Die verschuldensunabhängige Haftung nach dem ProdHaftG ist daher in viel mehr Fällen gegeben als die deliktische. Diese umfassende Haftung des Herstellers wird allerdings vielfach relativiert: Beispielsweise ist der Schadensersatzanspruch auf Produkte im privaten Ge- oder Verbrauch beschränkt (§  1 I 2 ProdHaftG). Das ProdHaftG enthält Haftungshöchstgrenzen (§  10 ProdHaftG) sowie eine Selbst­beteiligung im Falle des Schadensersatzes für die Beschädigung einer ­Sache (§  11 ProdHaftG). Aus Sicht des Anspruchsgegners ist daher die Haftung aus dem ProdHaftG trotz der Verschuldensunabhängigkeit gegenüber der verschuldensabhängigen deliktischen Produkthaftung privilegiert. Ein Teil dieser Privilegierung ist auch die gegenüber der allgemeinen deliktischen Haftung kürzere Verjährung der Haftung nach dem ProdHaftG.129 Der nationale Gesetzgeber hat diese Wertungszusammenhänge nicht in Abstimmung mit dem Haftungssystem des BGB vorgenommen. Vielmehr stammen die (im Hinblick auf die gegenüber der deliktischen Haftung häufiger eingreifende Produkthaftung) kompensatorischen Anforderungen im Rahmen der Verjährung aus der Produkthaftungsrichtlinie130 , die der nationale Gesetzgeber ohne eigenen Wertungsspielraum umzusetzen hatte.131 Von einer „bereits vollzogenen“ Gleichstellung der die Verjährungsfrist beginnen lassenden Kenntnis mit einer verschuldeten Unkenntnis durch den nationalen Gesetzgeber kann daher kaum gesprochen werden. Dieser Entscheidung liegen die Besonderheiten 128 MünchKommProdHaftG/Wagner,

6.  A., 2013, §  12 Rn.  5. weitere kompensatorische Wohltat“ für die verschuldensunabhängige Haftung: Mansel, Reform des Verjährungsrechts, in: Ernst/Zimmermann, Schuldrechtsreform, 2001, S.  333, 379 f. 130  Richtlinie 85/374/EWG des Rates vom 25. Juli 1985 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Haftung für fehlerhafte Produkte (Produkthaftungsrichtlinie), ABl. L 210 vom 7.8.1985, S.  29. 131 Hierzu Riedhammer, Kenntnis, grobe Fahrlässigkeit und Verjährung, 2004, S.  192 f. 129  „Eine

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der Produkthaftung zugrunde, für die auch spezielle Regelungen gelten sollten.132 Die gesetzgeberische Intention für die Neuregelung der Regelverjährung im Zuge der Schuldrechtsreform lag in der Entscheidung, einerseits die dem Gläubiger fairerweise zu gewährende reelle Chance, seinen Anspruch durchzusetzen, von seinem Kenntnisstand abhängig zu machen und andererseits dem Schuldner dadurch eine Planungssicherheit zu geben, dass die subjektiven Vo­ raussetzungen des Beginns der Verjährungsfrist auch von verobjektivierten Kriterien abhängen, nämlich den Sorgfaltsanforderungen, die an den Gläubiger hinsichtlich der Gestaltung des eigenen Kenntnisstandes gestellt werden: Daher beginnt die Verjährung bereits, wenn „ganz naheliegende Überlegungen nicht angestellt oder beiseitegeschoben wurden, und dasjenige unbeachtet geblieben ist, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen.“133 Durch die tat­ bestandliche Gleichstellung von Kenntnis und grob fahrlässiger Unkenntnis verlagern sich die rechtspraktischen Schwierigkeiten bei der Bestimmung des Verjährungsfristbeginns von der begrifflich definitorischen Bestimmung, was unter Kenntnis verstanden wird, in den Bereich der Festlegung der Sorgfalts­ anforderungen, die an den Gläubiger gestellt werden, insbesondere, ob ein subjektiver Fahrlässigkeitsmaßstab anzulegen ist. Während der Maßstab der ein­ fachen Fahrlässigkeit ausschließlich objektiv zu bestimmen ist, sind bei der groben Fahrlässigkeit auch subjektive Umstände zu berücksichtigen, die in der Individualität des Handelnden liegen.134 Solche subjektiven Besonderheiten können im Einzelfall im Sinne einer Entlastung von dem schweren Vorwurf der groben Fahrlässigkeit ins Gewicht fallen. Allerdings steht die Einbeziehung ­solcher subjektiven Maßstäbe für die grobe Fahrlässigkeit, die regelmäßig von den Umständen des Einzelfalls abhängen, dem erklärten Ziel der Schuldrechtsreform, nämlich einer klareren und einheitlichen Regelung der Verjährungsvorschriften, entgegen.135 Abgesehen von der starken Individualisierung der Feststellung, ob im Einzelfall grob fahrlässige Unkenntnis des Gläubigers vorliegt, kann verallgemeinernd davon ausgegangen werden, dass ein Verbraucher nicht jedem Verdacht und jeder Möglichkeit eines eventuell bestehenden Anspruchs 132  Die Produkthaftungsrichtlinie enthält keine ausdrückliche Begründung für das Abstellen bezüglich des Beginns der Verjährungsfrist auf die Unkenntnis, die auf einfacher Fahrlässigkeit beruht. Die Haftung des Herstellers sollte „nach einem angemessenen Zeitraum […] erlöschen“, da es „unbillig [sei], den Hersteller zeitlich unbegrenzt für Mängel seiner Produkte haftbar zu machen“, weil sich Produkte „im Laufe der Zeit ab[nutzen], […] strengere Sicherheitsnormen entwickelt [werden], und die Erkenntnisse von Wissenschaft und Technik [fortschreiten]“, Produkthaftungsrichtlinie, ABl. L 210, S.  29 f. 133  Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Schuldrechts, Begründung zu §  199 I Nr.  2 BGB, BT-Drcks. 14/6040, S.  108 li. Sp. unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung zum Verschulden, das auf grober Fahrlässigkeit beruht: BGH NJW-RR 1994, 1469, 1471 und weitere BGH-Entscheidungen. 134  BGH NJW 1992, 2418; allgemein Palandt/Grüneberg, BGB, 2016, §  277 Rn.  5. 135  Kritisch in dieser Hinsicht insbes. Zöllner, FS Honsell, 2002, S.  153, 163 ff.

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nachgehen muss, während dies bei einem Unternehmer der Fall sein wird.136 Dies gilt insbesondere für berufsmäßig mit der Abwicklung von Ansprüchen befasste Personen wie Rechtsanwälte oder Betreiber von Inkassobüros. Der vom Gesetzgeber137 im Zusammenhang mit den Sorgfaltsanforderungen angeführte Rechtsgedanke des §  277 BGB vermag in diesem Zusammenhang wenig helfen: Die Sorgfaltsanforderungen, die an einen Gläubiger im Hinblick auf seinen Kenntnisstand gestellt werden, sind keine von §  277 BGB erfassten „eigenen Angelegenheiten“, denn die Gestaltung des eigenen Kenntnisstandes ist zwar letztlich vom Gläubiger selbst vorzunehmen, allerdings geschieht dies immer im Interesse des Schuldners, der dadurch die Möglichkeit erhält, seine Leistung nach Ablauf der Verjährung zu verweigern.138 In einer Reihe von Entscheidungen konkretisierte der BGH139 das neu eingeführte Merkmal der grob fahrlässigen Unkenntnis des Gläubigers im Sinne des §  199 I Nr.  2 BGB: Danach liegt grob fahrlässige Unkenntnis im Sinne von §  199 I Nr.  2 BGB vor, wenn „dem Gläubiger die Kenntnis deshalb fehlt, weil er ganz nahe liegende Überlegungen nicht angestellt oder das nicht beachtet hat, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen“.140 Fälle, die vom BGH unter diese Definition subsumiert werden, sind solche, in denen „sich dem Gläubiger die anspruchsbegründenden Umstände förmlich aufgedrängt haben und er leicht zugängliche Informationsquellen nicht genutzt hat“.141 Der BGH stellt auf einen schweren Obliegenheitsverstoß in seiner eigenen Anspruchsverfolgung ab, d. h. es kommt darauf an, ob „dem Gläubiger eine schwere Form von ‚Verschulden gegen sich selbst‘ vorgeworfen werden“ könne.142 Dabei betont der BGH jedoch, dass den Gläubiger keine generelle Obliegenheit im Interesse des Schuldners treffe, Nachforschungen zu betreiben.143 Das Unterlassen von Ermittlungen muss nach Lage des Falls geradezu unverständlich sein.144 Dazu zählt beispielsweise das bloße Unterlassen des Lesens eines Emissionsprospekts nicht, selbst wenn sich daraus der Beratungsfehler des Kapitalanlageberaters als anspruchsbegründendes Verhalten ergeben hätte.145 Der Anleger muss den Berater nicht kontrollieren. Vielmehr kann er sich aufgrund des bestehenden Ver136 

Heinrichs, BB 2001, 1417, 1418. BT-Drcks. 14/6040, S.  108 re. Sp. 138 So eingehend Riedhammer, Kenntnis, grobe Fahrlässigkeit und Verjährung, 2004, S.  189 f. 139  BGH WM 2010, 1493; BGH WM 2010, 1690; BGH NJW-RR 2010, 681. 140  BGH NJW-RR 2012, 1240, 1241 Tz.  17 m. w. N. 141  BGH WM 2010, 1493, 1495 Tz.  28; BGH NJW-RR 2010, 681, 684 Tz.  16; BGH NJWRR 2009, 544, 546 Tz.  34 f.; BGH WM 2010, 1690, 1692 Tz.  12; BGH NJW-RR 2012, 1240, 1241 Tz.  17. 142  BGH NJW 2012, 1789, 1791 Tz.  17; BGH WM 2010, 1493, 1495 Tz.  28 unter Verweis auf MünchKommBGB/Grothe, 7.  A., 2015, §  199 Rn.  28; BGH NJW-RR 2010, 681, 683 Tz.  13. 143  BGH NJW-RR 2010, 681, 683 Tz.  15 f. m. w. N. 144  BGH NJW-RR 2010, 681, 683 Tz.  15 f. 145  BGH WM 2010, 1493, 1496 Tz.  29; BGH NJW 2011, 3573, 3574 Tz.  11. 137 

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trauensverhältnisses zum Anlagevermittler auf dessen Angaben verlassen. Daher ist das Nichtlesen des Anlageprospekts keine „schlechthin unverständliche“ und „unentschuldbare“ Handlung, die den Vorwurf grober Fahrlässigkeit begründen könnte.146 Wann eine solche „Unverständlichkeit“ des Unterlassens eigener Nachforschungen vorliegt, ist nach Ansicht des BGH eine Frage des Einzelfalls und revisionsrechtlich nur eingeschränkt überprüfbar.147 Letztlich wurden durch die tatbestandliche Gleichstellung von positiver Kenntnis und grob fahrlässiger Unkenntnis im Hinblick auf den Beginn der Verjährungsfrist die (vor allem rechtspraktischen) Schwierigkeiten zwar nicht gelöst, aber verschoben.148 Allerdings ist im Rahmen der Sorgfaltsanforderungen, die an einen Gläubiger hinsichtlich der Gestaltung seines eigenen Kenntnisstandes gestellt werden, eine wesentlich flexiblere Lösung möglich, als es bei den in der Rechtsprechung entwickelten Definitionsansätzen des Begriffs der positiven Kenntnis der Fall war.

2.  Abstrakte Definition und konkrete Bestimmung des für den Lauf der Verjährungsfrist relevanten Kenntnisstandes Gemäß §  852 I BGB i. d. F. bis 2001 begann die Verjährungsfrist des deliktischen Anspruchs des Geschädigten in dem Zeitpunkt, „in welchem der Verletzte von dem Schaden und der Person des Ersatzpflichtigen Kenntnis erlangt“. Auch die derzeitige Regelverjährungsfrist ist vom Kenntnisstand des Gläubigers abhängig: Gemäß §  199 I Nr.  2 BGB ist eine für den Beginn der Verjährungsfrist notwendige Voraussetzung, dass „der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste“. Für die Auslegung des Tatbestandsmerkmals der Kenntnis in §  199 I Nr.  2 BGB greift die Rechtsprechung auf die zu §  852 I BGB i. d. F. bis 2001 entwickelten Grundsätze für die Bestimmung des für den Beginn der Verjährungsfrist deliktischer Ansprüche notwendigen Merkmals der positiven Kenntnis zurück.149 Durch die tatbestandliche Gleichstellung der Voraussetzung der positiven Kenntnis mit der grob fahrlässigen Unkenntnis hat allerdings die Problematik der Bestimmung der positiven Kenntnis im Hinblick auf den Verjährungsfristbeginn an Schärfe verloren. Dies 146  BGH NJW-RR 2010, 1623; BGH NJW 2010, 3292 Tz.  33; BGH NJW 2011, 3573, 3574 Tz.  11. 147 Daher enthält die höchstrichterliche Rechtsprechung hierzu auch weniger Aussagekraft, vgl. BGH WM 2010, 1690, 1691 f. Tz.  12; BGH WM 2010, 1493, 1495 Tz.  27; ferner BGH NJW 2012, 1789, 1791 Tz.  16. 148 Ähnlich Willingmann, Reform des Verjährungsrechts, in: Micklitz/Pfeiffer/Tonner/ Willingmann, Schuldrechtsreform und Verbraucherschutz, 2001, S.  1, 29 f. 149  BGH NJW 2008, 506 Tz.  15; BGH NJW 2008, 2576 Tz.  27.

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wird beispielsweise in einem der ersten Fälle deutlich, die der BGH150 zu den subjektiven Voraussetzungen des Verjährungsfristbeginns zu entscheiden hatte: In der Entscheidung legte der BGH dezidiert dar, dass der Anspruchssteller Kenntnis von den anspruchsbegründenden Umständen hatte und verwies im Nachsatz darauf, dass „eine etwaige Unkenntnis des Klägers von der Rechtsgrundlosigkeit der Leistung“ im Übrigen auf grober Fahrlässigkeit beruhe.151 Der Gesetzgeber ging davon aus, dass die in §  199 I Nr.  2 BGB geforderte „Kenntnis“ mit der in §  852 I BGB i. d. F. bis 2001 enthaltenen Voraussetzung identisch sei und „das aus dem bisherigen §  852 Abs.  1 bekannte Merkmal der Kenntniserlangung erweitert [sei] um die grob fahrlässige Unkenntnis.“152 Daher kann zumindest im Hinblick auf den Bezugspunkt der Kenntnis auf die frühere Rechtsprechung zurückgegriffen werden, denn die gesetzliche Terminologie hat sich nur leicht verändert: „den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners“ (§  199 I Nr.  2 BGB) und „dem Schaden und der Person des Ersatzpflichtigen“ (§  852 I BGB i. d. F. bis 2001). Hinsichtlich des tatsächlich vorliegenden Kenntnisstandes als Tatbestandsvoraussetzung der Verjährung ist darauf zu achten, dass die Verhaltensanforderungen an den Gläubiger nach der alten und der neuen Rechtslage hinsichtlich der Gestaltung eines eigenen Kenntnisstandes unterschiedlich sind (nur positive Kenntnis oder auch grob fahrlässige Unkenntnis). Die Voraussetzung der grob fahrlässigen Unkenntnis in §  199 I Nr.  2 BGB führt dazu, dass auch bei tatsächlich nicht vorliegender Kenntnis die Verjährungsfrist beginnt, wenn der Gläubiger den Kenntnisstand nur (hypothetisch bei Beachtung der Sorgfaltsanforderungen) hätte haben können. a.  Abstrakte Definition des Wissens als Tatbestandsvoraussetzung – Festlegung des Gegenstandes der Kenntnis Der erste Schritt bei der Prüfung, ob die Voraussetzungen vorliegen, die die Verjährungsfrist zu laufen beginnen lassen, ist die Festlegung des Gegenstandes, der von der Kenntnis des Gläubigers umfasst sein muss: Wie bereits ausgeführt, sind das nach dem Wortlaut von §  199 I Nr.  2 BGB die anspruchsbegründenden Umstände sowie die Person des Schuldners bzw. gemäß §  852 I BGB i. d. F. bis 2001 der Schaden und die Person des Ersatzpflichtigen. Die Rechtsprechung konkretisierte den Gegenstand näher, auf den sich die Kenntnis beziehen muss. Dies ist vor allem aus Gründen des Schuldnerschutzes notwendig: Geht man davon aus, dass der Gläubiger alle Details und Einzelheiten beispielsweise des Schadenshergangs kennen muss, damit die Verjährungs150 

BGH NJW 2008, 1729. BGH NJW 2008, 1729, 1732 Tz.  26. 152  Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Schuldrechts, Begründung zu §  199 I Nr.  2 BGB, BT-Drcks. 14/6040, S.  108 li. Sp. 151 

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frist beginnt, wäre der Verjährungsfristbeginn oft auf sehr lange Zeit hinausgeschoben. Geboten ist daher eine Begrenzung des Gegenstandes, auf den sich die Kenntnis beziehen muss. Der Gläubiger muss die seinen Anspruch begründenden Tatsachen kennen, d. h. für die von §  852 I BGB i. d. F. bis 2001 erfassten deliktischen Ansprüche die Tatsachen, „die ihn als Geschädigten und Inhaber des Schadensersatzanspruchs erscheinen lassen“.153 Dies erfordert nach der Rechtsprechung zumindest die Kenntnis von der Vermögensbeeinträchtigung und der „Verursachung in ihrer wesentlichen Gestaltung“.154 Es ist dagegen nicht erforderlich, dass der Geschädigte alle Einzelheiten des Schadens überblickt, sondern nur den Hergang der Schädigung in seinen Grundzügen kennt, so dass sich „erhebliche Anhaltspunkte für eine Ersatzpflicht“ ergeben.155 Daher brauchen weder das Schadensbild (Umfang, Höhe des Schadens) noch die Schädigung in allen Einzelheiten (schadensstiftendes Ereignis und Ursachenverlauf) von der konkreten Kenntnis umfasst sein.156 Eine Besonderheit bilden Rechtfertigungsgründe: Von der notwendigen Kennt­nis der anspruchsbegründenden Umstände sind sie als den Anspruch ausschließende Tatsachen grundsätzlich nicht erfasst, außer wenn der darlegungs- bzw. beweisbelastete Anspruchsgegner sich auf solche rechtfertigenden Tatsachen berufen wird, die offensichtlich (aufgrund der Verletzungssituation) nahe liegend sind: Dann sind auch die Tatsachen, die den Gegenbeweis zu den Rechtfertigungsgründen stützen, anspruchsbegründende Tatsachen, auf die sich die Kenntnis i. S. d. §  852 I BGB i. d. F. bis 2001 erstrecken muss.157 In einem Arzthaftungsfall ist für den Beginn des Verjährungsfristlaufs gemäß §  852 I BGB i. d. F. bis 2001 nicht ausreichend, dass der Patient bloß den negativen Ausgang einer ärztlichen Behandlung und die medizinische Ursache dafür kennt. Die Kenntnis der anspruchsbegründenden Tatsachen liegt nach der Rechtsprechung des BGH erst vor, wenn der Patient Kenntnis von dem Behandlungsfehler hat.158 Das setzt nicht nur die Kenntnis „der wesentlichen Umstände des Behandlungsverlaufs“ voraus, der Patient muss vielmehr auch die Tatsachen kennen, „aus denen sich für ihn als medizinischen Laien ergibt, daß der behandelnde Arzt von dem üblichen Vorgehen abgewichen ist“.159 Grundsätzlich reicht die Kenntnis von den tatsächlichen Umständen, die zu einem Schadensersatzanspruch führen können. Einhellig geht die Rechtsprechung davon aus, dass sich die Kenntnis nicht auf die „zutreffende rechtliche 153 

BGH NJW 1996, 117, 118. BGH NJW 1993, 648, 653. 155  BGH NJW 1990, 176, 179. 156  BGH NJW 1993, 648, 653. 157  BGH NJW 1993, 2614. 158  BGH NJW 1995, 776, 778. 159  BGH NJW 1995, 776, 778. 154 

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Würdigung“ der anspruchsbegründenden Tatsachen zu erstrecken braucht.160 Der BGH entschied zu der Frage nach der Notwendigkeit der rechtlichen Würdigung eines Sachverhalts im Hinblick auf die notwenige Kenntnis vom Eintritt der Rechtsfolge in einem bereicherungsrechtlichen Fall, dass die Kenntnis von den einen Bereicherungsanspruch begründenden Umständen bereits dann gegeben sei, wenn der Gläubiger „von der Leistung und vom Fehlen des Rechtsgrundes, d. h. von den Tatsachen, aus denen dessen Fehlen folgt, weiß“.161 Die Subsumtion der bekannten Tatsachen unter die Rechtsnorm, die den Bereicherungsanspruch letztlich gewährt, ist nicht erforderlich. Von diesem Grundsatz macht die Rechtsprechung jedoch in den Fällen eine Ausnahme, in denen die anspruchsbegründende Tatsache selbst eine Rechtskenntnis ist: Für den Beginn der Verjährungsfrist gemäß §  852 I BGB i. d. F. bis 2001 eines Amtshaftungsanspruchs gemäß §  839 I BGB ist grundsätzlich erforderlich, dass der Geschädigte Kenntnis davon hat, dass die Amtshandlung widerrechtlich und schuldhaft war. Für diese Kenntnis reicht es allerdings aus, dass „der Verletzte die tatsächlichen Umstände kennt, die eine schuldhafte Amtspflichtverletzung als nahe liegend […] erscheinen lassen.“162 Aus den bekannten Tatsachen braucht kein zutreffender rechtlicher Schluss gezogen werden. Die Pflichtwidrigkeit der Amtsausübung ist dem Verletzten jedoch in dem Moment bekannt, „wenn sie sich auch einem außenstehenden Dritten aufdrängen muss“. 163 Wird ein Beamter (bzw. der Hoheitsträger) für nur fahrlässiges Verhalten i.R.d. Amtshaftung in Anspruch genommen, besteht der Amtshaftungsanspruch gemäß §  839 I 2 BGB nur dann, „wenn der Verletzte nicht auf andere Weise Ersatz zu erlangen vermag“. In diesem Fall wird die subsidiäre Inanspruchnahme eines anderen Haftungssubjekts zu einer Tatsache, auf die sich die Kenntnis erstrecken muss. Der BGH geht davon aus, dass dieser Ausnahmefall von der grundsätzlich für den Beginn der Verjährungsfrist nicht relevanten Rechtskenntnis nur dann gegeben ist, wenn die Rechtslage unsicher oder zweifelhaft ist.164 Eine in haftungsrechtlicher Sicht subsidiäre Inanspruchnahme kann auch darin liegen, dass eine „aussichtsreiche Möglichkeit bestand“, den Schaden dadurch abzuwenden, dass durch Verhandlungen mit der Behörde ein die Vermögenseinbuße kompensierender Betrag erlangt werden könnte.165 160 

BGH NJW 1991, 2351; BGH NJW 1993, 648, 653; BGH NJW 1996, 117, 118. BGH NJW 2008, 1729, 1732 Tz.  26. 162  BGH NJW 2007, 830, 833 Tz.  28. 163  BGH NJW 2007, 830, 833 Tz.  28. Hierzu auch BGH NJW 1999, 2041, 2042: Unübersichtlich und zweifelhaft ist die Rechtslage dann, wenn „sie selbst ein rechtskundiger Dritter nicht einzuschätzen vermag“. Der BGH (NJW 2007, 830, 833 Tz.  28) konkretisiert das sich Aufdrängen der Kenntnis hinsichtlich der Pflichtwidrigkeit der Amtsausübung i. S. d. §  839 BGB: Diese ist dem Verletzten in dem Moment bekannt, „wenn sie sich auch einem außenstehenden Dritten aufdrängen muss“. 164  BGH NJW 1994, 3162, 3164; sowie BGH NJW 2014, 3713, 3716 Tz.  51 ff. 165  BGH NJW 1994, 3162, 3164. 161 

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Der BGH stellte in mehreren Entscheidungen,166 in denen er das Vorliegen der positiven Kenntnis des Gläubigers von der Person des Schädigers und dem Schaden prüfen musste, darauf ab, dass die Kenntnis vorliege, wenn so viel bekannt sei, dass eine Klage (wenn auch als Feststellungsklage) auf der bekannten Tatsachengrundlage zumutbar ist: Das ist der Fall, wenn die „Klage bei verständiger Würdigung Erfolgsaussicht hat“.167 Das Kriterium der „Zumutbarkeit der Klage“ wurde in einigen Nuancen (Klage kann „mit einigermaßen sicherer Aussicht auf Erfolg erhoben werden“168 ; Kenntnis liegt vor, wenn „dem Geschädigten die Erhebung einer Schadensersatzklage […] Erfolg versprechend, wenn auch nicht risikolos möglich ist“169) als ein selbstständiges Merkmal für die Bestimmung des für den Beginn der Verjährungsfrist notwendigen Kenntnisstandes herangezogen. Der BGH nennt das Kriterium der „Zumutbarkeit der Klageerhebung“ im Rahmen der Bestimmung des Umfanges der Kenntnis in §  852 I BGB i. d. F. bis 2001, die die Verjährungsfrist anlaufen lässt, eine „übergreifende Voraussetzung“170 , die gegeben sein muss, damit die Verjährungsfrist zu laufen beginnt. Durch die in der Rechtsprechung vorgenommene Konkretisierung der Kriterien der „Zumutbarkeit einer Klage“ für den Gläubiger wurden ihm Verhaltensanforderungen auferlegt. Umfasst sein Kenntnisstand so viele Informationen, dass die Erhebung einer Schadensersatzklage Erfolg versprechend erscheint, beginnt die Verjährungsfrist und der Gläubiger muss verjährungsunterbrechende Maßnahmen ergreifen. Wann eine Klage Erfolg versprechend und damit zumutbar ist, grenzte die Rechtsprechung meist negativ ab: Zumindest ist die Klage nicht erst dann zumutbar, wenn sie „risikolos“ geführt werden könnte, weil der Gläubiger beispielsweise „bereits hinreichend sichere Beweismittel in der Hand“ hat.171 Die Klage ist dem Geschädigten auch dann noch nicht zumutbar, wenn er noch keine ladungsfähige Adresse des Ersatzpflichtigen kennt.172 Im Allgemeinen kann daher formuliert werden, dass die Kenntnis von den anspruchsbegründenden Tatsachen und der Person des Ersatzpflichtigen nach der Rechtsprechung dann vorliegt, wenn der Sachvortrag für eine schlüssige Schadensersatzklage möglich ist.

166  BGH NJW 1993, 2303; BGH NJW 1993, 648, 653; BGH NJW 1994, 3162, 3164; BGH NJW 1999, 2041, 2042; BGH NJW 2007, 830, 833 Tz.  28; BGH NJOZ 2010, 2277, 2281 Tz.  46. 167  BGH NJW 1993, 2303. 168  BGH NJW 1993, 648, 653. 169  BGH NJOZ 2010, 2277, 2281 Tz.  46. 170  BGH NJW 1999, 2041, 2042. 171  BGH NJOZ 2010, 2277, 2281 Tz.  46. 172  BGH NJW 1998, 988, 989.

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b.  Bestimmung des Vorliegens positiver Kenntnis im konkreten Einzelfall (1)  Summe der Einzelinformationen als tatbestandlich geforderte Kenntnis? Nachdem die „anspruchsbegründenden Tatsachen“ und „die Person des Schuldners“ begrifflich eingegrenzt wurden, stellt sich die wesentlich schwieriger zu beantwortende Frage, wie das Vorliegen der tatbestandlich geforderten Kenntnis im konkreten Einzelfall bestimmt werden kann. Häufig verfügt der Gläubiger (insbesondere: nachweisbar) nur über einzelne Informationen, nicht aber über „die Kenntnis“ von „den anspruchsbegründenden Tatsachen“ bzw. „der Person des Schuldners“. Konkret geht es darum, ob aus dem Vorliegen der Kenntnis von Einzelinformationen auch auf die tatbestandlich geforderte Kenntnis geschlossen werden kann. Nach der Rechtsprechung ist es nicht notwendig, dass „der Geschädigte alle Einzelumstände kennt, die für die rechtliche Beurteilung möglicherweise Bedeutung haben“.173 Umgekehrt stellt sich aber die Frage, ob die Kenntnis von Einzelumständen für die tatbestandlich geforderte Kenntnis ausreichen kann, insbesondere, wenn sich aus den Einzelinformationen die Tatbestandsvoraussetzung ergibt oder zumindest ableitbar ist. Es ist nach der Rechtsprechung nicht davon auszugehen, dass dem Geschädigten auch diejenigen Tatsachen bekannt sind, die sich aus dem „in Betracht kommenden naturwissenschaftlich zu erkennenden Kausalverlauf“ ergeben.174 Dies betrifft beispielsweise die schädlichen Nebenwirkungen eines Medikaments, wenn die Ausfälle des Patienten (nur allgemein) mit dem Medikament „in Verbindung“ gebracht werden. In diesem Fall hat der Patient von dem Schaden keine Kenntnis, der zu einem Schadensersatzanspruch gegen den Hersteller des Medikaments führen kann; vielmehr muss dem Patienten auch bekannt sein, dass andere Ursachen der unerwünschten Wirkungen des Medikaments ausgeschlossen sind (falsche Dosierung, Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten).175 Von den Umständen, die einen deliktischen Anspruch gemäß §  823 I BGB begründen, hat der Gläubiger Kenntnis, wenn er „die Rechtsgutsverletzung, die Handlung des Schädigers, ihre Kausalität für die Rechtsgutsverletzung, die Rechtswidrigkeit, die den Verschuldensvorwurf begründenden Tatsachen und den Schaden“ kennt.176 Die Kenntnis liegt nicht vor, wenn der tatsächlich Verletzte annimmt, die empfundenen Schmerzen beruhten nur auf einer vorübergehenden Unpässlichkeit.177 Ähnliches gilt bei Arzthaftungsfällen. Die bloße Kenntnis einer verheerenden Infizierung eines Neugeborenen schließt nicht die Kenntnis ein, auf welche eventuellen ärztlichen Fehler diese zurückzuführen 173 

BGH NJW 2008, 2576, 2578 Tz.  27. BGH NJW 1991, 2351. 175  BGH NJW 1991, 2351. 176 Staudinger/Peters/Jacoby, BGB, 2014, §  199 Rn.  63. 177 Staudinger/Peters/Jacoby, BGB, 2014, §  199 Rn.  63. 174 

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ist.178 Ob der Geschädigte diese Kenntnis aufgrund der Erfüllung etwaiger eigener Informationspflichten bzw. -obliegenheiten haben müsste, ist eine Frage der (grob) fahrlässigen Unkenntnis. Ebenso wenig liegt Kenntnis einer ärzt­ lichen Falschbehandlung vor, die als Voraussetzung eines Schadensersatzes dienen soll, wenn der Geschädigte nur vermutet, falsch behandelt worden zu sein.179 Die Kenntnis tritt erst mit dem Erhalt eines medizinischen Gutachtens ein, das diesen Verdacht bestätigt.180 Von einem zukünftig eintretenden Schaden in Form von später auftretenden Verletzungsfolgen hat der Gläubiger nach der Rechtsprechung bereits Kenntnis im Sinne von §  852 I BGB i. d. F. bis 2001, wenn die Verletzungsfolgen „als solche schon alsbald nach dem Unfall in medizinischen Fachkreisen vorhersehbar gewesen sind“.181 Damit stellte der BGH in dem entschiedenen Fall nicht auf eine tatsächlich vorliegende Kenntnis ab, sondern auf eine hypothetisch mögliche Kenntnis, die nicht einmal beim Geschädigten, sondern nur in medizinischen Fachkreisen vorhanden sein könnte. Dieses Begriffsverständnis der positiven Kenntnis stieß auf erhebliche Kritik in der Literatur.182 Die Kritik setzt an dem vom BGH zugrunde gelegten Verständnis der Schadenseinheit an.183 Danach sind dem Geschädigten auch solche Schäden bekannt, die er neben den bereits bekannten Schäden erkennen konnte, die aber noch nicht eingetreten sind. Die Kenntnis von bereits vorliegenden Schäden schließe daher die Kenntnis aller Folgezustände ein.184 Dieser Grundsatz der Schadenseinheit stand zu Recht in der Kritik,185 insbesondere wenn mit diesem Grundsatz die Kenntnis des Geschädigten von dem später auftretenden Schaden begründet wurde und dabei nicht einmal auf die Erkennbarkeit durch den Geschädigten, sondern auf die Erkennbarkeit aus der Sicht von Fachleuten abgestellt wurde.186 (2)  Die „anspruchsbegründenden Umstände“ als bloße Einzelinformationen ohne Rechtskenntnis vom „bestehenden Anspruch“? Für das Vorliegen positiver Kenntnis im Sinne von §  852 I BGB i. d. F. bis 2001 ist grundsätzlich nicht erforderlich, dass der Gläubiger die ihm bekannten Ge-

178 

BGH NJW 1995, 776, 778. LG Aurich VersR 1983, 46. 180  LG Aurich VersR 1983, 46. 181  BGH NJW 1991, 973 f. 182  Peters, NZV 1991, 143, 144. 183  Nicht als verjährungsrechtliche Schadenseinheit werden dagegen mehrere gleichartige Fehler des Steuerberaters in unterschiedlichen Jahren angesehen, weil durch die jahresweisen Veranlagungszeiträume keine Einheit gebildet werden könne, BGH NJW-RR 2013, 113 Tz.  7 m. w. N. 184  BGH NJW 1991, 973 m. w. N. 185  Peters, JZ 1983, 121. 186  Wie in BGH NJW 1991, 973; hierzu Peters, NZV 1991, 143, 144. 179 

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gebenheiten einer zutreffenden rechtlichen Würdigung unterzieht.187 Mit Kenntnis der anspruchsbegründenden Umstände ist (im bürgerlich-rechtlichen Sinne) 188 somit nicht die Rechtskenntnis gemeint. Nach §  852 I BGB i. d. F. bis 2001 war die Kenntnis vom Schaden und von der Person des Ersatzpflichtigen für den Verjährungsfristbeginn notwendig, nicht aber (wie nach heutiger Rechtslage gemäß §  199 I Nr.  2 BGB) die Kenntnis der den Anspruch begründenden Umstände.189 Dennoch geht der BGH190 davon aus, dass zu der Kenntnis des Gläubigers im Hinblick auf Umstände, die den Anspruch begründen, auch diejenigen zählen, „aus denen sich ergibt, dass ein Teilnehmer [an einer haftungsbegründenden Handlung auch] als Haftender in Betracht kommt“.191 Daher reicht die bloße Kenntnis der Einzeltatsachen als isolierte Information nicht für das Vorliegen der für den Beginn der Verjährungsfrist notwendigen positiven Kenntnis der anspruchsbegründenden Umstände aus. (3)  „Zumutbarkeit der Klageerhebung“ als wertendes Kriterium bei der Bestimmung des Tatbestandsmerkmals „Kenntnis“ Der BGH bestimmt die gemäß §  852 I BGB i. d. F. bis 2001 bzw. §  199 I Nr.  2 BGB tatbestandlich vorausgesetzte Kenntnis unter Zuhilfenahme des bereits angesprochenen weiteren Merkmals: Die vorliegenden und dem Gläubiger bekannten Tatsachen müssen ihm eine Klage als verjährungsunterbrechende Maßnahme zumutbar erscheinen lassen. 192 Wann genau dies der Fall sein soll, lässt der BGH regelmäßig offen und subsumiert stattdessen unter das zusätzliche Tatbestandsmerkmal eine Reihe von Billigkeitserwägungen. Die Zumutbarkeit der Klageerhebung sei eine „übergreifende Voraussetzung“.193 Diese Annahme lehnt sich an die Rechtsprechung zu §  852 I BGB i. d. F. bis 2001 an, die sich allerdings hauptsächlich auf die Kenntnis der Person des Schuldners (auf die §  852 I BGB i. d. F. bis 2001 abstellte) bezog. Nach dieser Rechtsprechung war es dem Gläubiger daher nicht zumutbar, eine Klage zu erheben, wenn er nicht wusste, wer der richtige Schuldner ist. Die Kenntnis der Person des 187  BGH NJW 2009, 984 Tz.  13; BGH NJW-RR 2008, 1237, 1237 f. Tz.  7; BGH NJW 2007, 830, 833 Tz.  28; BGH NJW 1999, 2041, 2042; BGH NJW 1996, 117, 118; mit umfassenden Nachweisen Riedhammer, Kenntnis, grobe Fahrlässigkeit und Verjährung, 2004, S.  118 ff. 188  Nach umstrittener Ansicht ist im Verwaltungsrecht im Rahmen der Rücknahmemöglichkeit gemäß §  48 IV VwVfG von der Tatsachenkenntnis auch die Rechtsanwendung erfasst, wenn die Verwaltungsbehörde den „Sachverhalt“ unrichtig gewürdigt hat oder den Inhalt des anzuwendenden Rechts verkannt hat, vgl. BVerwG NVwZ 1983, 91, 92; ablehnend Stelkens/ Bonk/Sachs, VwVfG, 8.  A. 2014, §  48 Rn.  221 ff. 189 Hierzu Theisen/Theisen, FS Nobbe, 2009, S.  453, 466 ff. 190  BGH NJW-RR 2012, 1240, 1241 Tz.  15. 191 BGH NJW-RR 2012, 1240, 1241 Tz.   15 unter Bezug auf BGH NJW-RR 2012, 844 Tz.  59 und BGH NJOZ 2010, 2277 Tz.  46. 192  BGH NJW-RR 2009, 547, 548 Tz.  19 m. w. N.; ferner BGH NJW 1999, 2041. 193  BGH NJW-RR 2009, 547 Tz.  14; BGH NJW 1999, 2041.

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Schuldners liegt im Allgemeinen vor, „wenn dem Gläubiger die Erhebung einer Klage erfolgversprechend, wenn auch nicht risikolos, möglich ist“,194 wozu es unter anderem der Kenntnis von Name und Anschrift des Schuldners bedürfe.195 Die Rechtsprechung wandte das Kriterium der Zumutbarkeit der Klageerhebung allerdings auch im Zusammenhang mit der Kenntnis allgemeiner (von der Klage unabhängiger) Umstände an. Beispielsweise wurde die Zumutbarkeit einer Klageerhebung im Grundsatz angenommen, „wenn der Verletzte die tatsächlichen Umstände kennt, die eine schuldhafte Amtspflichtverletzung (§  839 BGB) als naheliegend und eine Amtshaftungsklage – sei es auch nur als Feststellungsklage – als aussichtsreich erscheinen lassen“.196 Letztlich sichert die zusätzliche, vom BGH aufgestellte „übergreifende Voraussetzung“ der Zumutbarkeit der Klage dem BGH die Möglichkeit, die Instanzentscheidungen über das Vorliegen der für den Beginn der Verjährungsfrist notwendigen Kenntnis zu einer revisibelen Rechtsfrage zu machen: 197 Der BGH geht davon aus, dass die Feststellung selbst, ob der Gläubiger Kenntnis hatte, eine Tatfrage sei und damit von der Revision nur eingeschränkt überprüft werden könne.198 Die vorgelagerte und auf Billigkeitserwägungen beruhende Frage nach der Zumutbarkeit der Klage ist dagegen eine Rechtsfrage, über die der BGH umfassend entscheidet.199 Bei der vom BGH favorisierten Zumutbarkeits-Formel bleibt allerdings ungeklärt, wann dem Gläubiger eine Klage zugemutet werden kann, wenn er die Person, gegen die er beispielsweise einen Schadensersatzanspruch hat, zwar kennt (beispielsweise als seinen Nachbarn), aber nicht in der Eigenschaft als Schuldner seines Anspruchs, weil er beispielsweise noch keine Kenntnis von dem Hergang der schädigenden Handlung hat, die den Nachbarn als Täter identifiziert. Ähnlich schwierig ist die Beantwortung der Frage, wann dem Patienten ein Arzthaftungsprozess zugemutet werden kann, wenn er zwar die zutreffend festgestellten Krankheitssymptome „irgendwie“ (vor allem zeitlich) mit der ärztlichen Behandlung in Verbindung bringt, aber über den Kausalverlauf noch keine Information hat. (4)  Beginn der Verjährungsfrist beim „Sich-der-Kenntnis-Verschließen“ Wenn der Gläubiger „die Verjährungsfrist missbräuchlich dadurch zu verlängern [sucht], dass er die Augen vor einer sich aufdrängenden Kenntnis ver-

194  BGH NJW 2009, 587, 588 Tz.  12; BGH NJW 2008, 2576 Tz.  27; BGH NJW-RR 2009, 544, 546 Tz.  32. 195  BGH NJW 1998, 988, 989; BGH NJW 2001, 1721, 1722; BGH NJW 2003, 288, 289. 196  BGH NJW 1994, 3162, 3164; BGH NJW 1993, 2303. 197  Siehe hierzu oben §  4 III. 198  BGH MDR 2012, 1330 Tz.  4 4. 199  BGH MDR 2012, 1330 Tz.  4 4 unter Verweis auf BGH WM 2010, 1399 Tz.  13; BGH NJW 1993, 2303, 2305.

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schließt“, beginnt die Verjährungsfrist dennoch zu laufen.200 In diesem Fall tritt die Rechtsfolge (Beginn der Verjährungsfrist) ein, obwohl die tatbestandlichen Voraussetzungen des kenntnisabhängigen Verjährungstatbestandes nicht erfüllt sind. Der Schuldner verfügt dann tatsächlich nicht über den tatbestandlich relevanten Kenntnisstand, er könnte sich den Kenntnisstand jedoch „in zumutbarer Weise ohne nennenswerte Mühe und ohne besondere Kosten“ beschaffen.201 Ähnlich umschrieben wird der Zustand des bewussten Sichverschließens, wenn der Gläubiger „eine gleichsam auf der Hand liegende Erkenntnismöglichkeit“ versäumt hat und „deshalb letztlich das Sichberufen auf Unkenntnis als Förmelei erscheint, weil jeder andere in der Lage des Geschädigten unter denselben konkreten Umständen die Kenntnis gehabt hätte“.202 Hintergrund der Anwendung der Rechtsfolgen der Norm trotz ihrer offensichtlich nicht erfüllten tatbestandlichen Voraussetzungen im Fall des Verschließens vor der sich aufdrängenden Kenntnis203 ist die Verhinderung der Möglichkeit der einseitigen Einflussnahme auf die Verjährungsfrist.204 Da das Fehlen der Kenntnis des Gläubigers eine für ihn günstige Bedingung im Hinblick auf die Verjährung ist, wendet die Rechtsprechung §  162 II BGB entsprechend an und stellt den Gläubiger so, als würde er über den Kenntnisstand verfügen, wenn er treuwidrig auf den Bedingungseintritt (d. h. die Kenntnis von den anspruchs­ begründenden Umständen) Einfluss genommen hat. Dies ist aber keine Ausdehnung der tatbestandlichen Grenzen des Merkmals der Kenntnis, sondern beruht auf einer wertenden Entscheidung, die auf den Grundsatz von Treu und Glauben in entsprechender Anwendung von §  162 BGB zurückzuführen ist. Dieser Fall hat nichts mit der Bestimmung des Vorliegens tatbestandlich geforderter positiver Kenntnis zu tun. c.  Vorschlag einer zweigliedrigen Methode zur Bestimmung des Vorliegens positiver Kenntnis Um die Frage nach den subjektiven Voraussetzungen für den Beginn der Regelverjährung zu beantworten, sollte man die Frage in die zwei oben bereits dargestellten Teile gliedern: 205 Was ist der Gegenstand der Kenntnis, d. h. was sind abstrakt und vom Einzelfall losgelöst „die den Anspruch begründenden Umstände“ i. S. d. §  199 I Nr.  2 BGB? Erst nachfolgend ist der Fokus auf den indivi200 

BGH NJW 2001, 1721, 1722. BGH NJW 2001, 1721, 1722. 202  BGH NJW 2003, 288, 289; BGH NJW 2001, 1721, 1722; BGH NJW 1996, 2933, 2934; BGH NJW-RR 1990, 606, 607. 203  Sichverschließen als „bewusstes Wegschauen“, Rohlfing, MDR 2006, 721, 722. 204  BGH NJW 2001, 1721, 1722; BGH NJW 1985, 2022, 2023. 205  Die Rechtsprechung nimmt diese Aufgliederung nicht vor; vielmehr fließen regelmäßig die Definition tatbestandlicher Anforderungen und letztlich auf Subsumtionsebene liegende Bewertungen (durch das zusätzliche Merkmal der Zumutbarkeit der Klage) ineinander. 201 

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duellen Fall zu richten und konkret festzustellen, ob der Kenntnisstand des Gläubigers diese „den Anspruch begründenden Umstände“ enthält. Letzteres ist freilich schwer zu bestimmen, weil es sich um eine innere Tatsache handelt. Die Vorgehensweise bei der Bestimmung (d. h. die mögliche Objektivierung bei der Untersuchung hinsichtlich subjektiver Tatsachen wie der Kenntnis) sollte aber nicht dazu führen, dass die allgemeinen Merkmale, die unter den Begriff der tatbestandsrelevanten Kenntnis gefasst werden, eingeschränkt oder ausgedehnt werden. Beispielsweise erfüllt die Gleichbehandlung desjenigen, der sich der Kenntnis verschließt, mit demjenigen, der über die Kenntnis verfügt,206 eindeutig nicht die tatbestandlichen Erfordernisse, wenn diese die positive Kenntnis verlangen, wie es in §  852 I BGB i. d. F. bis 2001 der Fall war. (1)  Definition der „anspruchsbegründenden Umstände“ und „der Person des Schuldners“ Die beiden genannten Beispielsfälle (Kenntnis von der Person als Nachbar, aber nicht als Schädiger sowie das eigene Zurückführen von Schmerzen auf allgemeines Unwohlsein ohne Zusammenhang mit einer vorherigen ärztlichen Behandlung) verdeutlichen das Problem bei der Festlegung, was Gegenstand der Kenntnis sein muss. Der Gläubiger kennt die Person. Im ersten Fall ist diese der Nachbar. Es ist ohne Probleme möglich, diese Person zu verklagen und von ihr den dem Gläubiger ebenfalls bekannten Schaden an seinem Fahrzeug ersetzt zu verlangen. Die Rechtsprechung wendet die Formel von der Zumutbarkeit der Klage an, ohne konkret zu benennen, wann eine solche Zumutbarkeit gegeben ist. Dies ist meist einzelfallgebunden. Es bleibt damit wenig vorhersagbar, ob in dem geschilderten Einzelfall die Verjährungsfrist bei der Kenntnis der isolierten Tatsachen (Person als Nachbar; Schaden am eigenen Fahrzeug) beginnen würde oder das Vorliegen der verjährungstatbestandlich relevanten Kenntnis mit der Begründung abzulehnen ist, dem Gläubiger sei „nicht zumutbar“, ihm bekannte Personen aufs Geratewohl zu verklagen. Verfügt der Gläubiger nicht nur über die isolierten Tatsachen, sondern darüber hinaus auch über einen Verdacht, dass der Nachbar mit der Schadensentstehung in Verbindung stehen könnte, hängt der Beginn der Verjährungsfrist ausschließlich von der Wertung des letztlich über den Fall entscheidenden Richters im Einzelfall ab. 206  Diese klare Trennung wird nicht deutlich, wenn der Gesetzgeber im Rahmen der Schuld­ rechtsreform die tatbestandliche Gleichstellung der grob fahrlässigen Unkenntnis mit der positiven Kenntnis damit begründet, dass die Rechtsprechung „bislang der positiven Kenntnis die Fälle gleichgestellt [hat], in denen der Gläubiger es versäumt, eine gleichsam auf der Hand liegende Erkenntnismöglichkeit wahrzunehmen“ und hierbei die Fälle anführt, in denen nur eine wertungsmäßig gebotene Rechtsfolgengleichstellung erfolgt, Begründung zu §  199 I Nr.  2 BGB: BT-Drcks. 14/6040, S.  108. Freilich verweist der BGH auch missverständlich darauf, dass in diesen Fällen die tatbestandlich geforderte Kenntnis als vorliegend „gilt“ (wenn der Gläubiger „auf entsprechende Erkundigung hin die Kenntnis erhalten hätte“) und damit auf eine Fiktion anspielt, BGH NJW 2003, 288, 289 unter Verweis auf weitere Entscheidungen.

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(2)  Kontextuierung der Tatsachen als rechtliche Bewertung bekannter Einzelinformationen Die skizzierten Beispiele verdeutlichen, dass der in §  199 I Nr.  2 BGB erwähnte „Umstand“ (bzw. die „Umstände“) nicht selbst als eine Tatsache im Sinne einer isolierten Information ausschlaggebend sein kann. Vielmehr kommt eine Kennt­nis des Umstandes nur dann in Frage, wenn der Gläubiger die einzelne Information in den Kontext einer rechtlichen Erheblichkeit bringt. Er muss die Information als eine für eine Rechtsfolge relevante Information bewerten, d. h. er muss sie kontextuieren.207 Eine solche Relevanzbildung der Information zeigt folgendes Beispiel des Beginns der Verjährungsfrist eines Bereicherungsanspruchs: Damit die Verjährungsfrist zu laufen beginnt, muss der Bereicherungsschuldner die Tatsachen kennen, aus denen das Fehlen des Rechtsgrundes folgt.208 Er braucht den Schluss von den Tatsachen auf das Fehlen des Rechtsgrundes nicht zu ziehen. Es reicht, wenn er die Relevanz der Tatsachen für das Fehlen des Rechtsgrundes erkennt und es ihm möglich ist, den Schluss zu ziehen. Tatsächlich braucht der Gläubiger aber keine (zutreffenden) rechtlichen Schlüsse ziehen.209 Ein weiteres (werkvertragliches) Beispiel verdeutlicht die Kontextbezogenheit einer Information für die für den Beginn der Verjährungsfrist relevante Kenntnis: Als Gläubiger eines Rückforderungsanspruchs wegen einer überhöhten Schlussrechnung hat der Besteller Kenntnis von den anspruchsbegründenden Umständen (nämlich der vertragswidrigen Abrechnung), wenn er das Leistungsverzeichnis, die Aufmaße und die Schlussrechnung kennt, aus denen die vertragswidrige Abrechnung ohne Weiteres ersichtlich wird.210 In diesem Fall drängt sich die Kontextbezogenheit der Information auf. Sie ist aus den vorliegenden Informationen problemlos ersichtlich. Besonders deutlich wird die Notwendigkeit kontextueller Einbindung der verfügbaren Information bei dem oben dargestellten Beispiel des Schmerzes, dessen Ursache falsch interpretiert wird.211 Bewertet der Gläubiger die Information nicht als für einen Anspruch relevant, so liegt noch keine Kenntnis der für den verjährenden Anspruch relevanten Tatsache vor. Die bloße Information („Schmerz“) bedeutet noch keine Kenntnis, die für die Verjährung eines möglicherweise mit der Herbeiführung des Schmerzes zusammenhängenden Anspruchs relevant wäre.212 207  Ähnlich und am Beispiel der Kenntnis eines Mangels auf die innere Schlussfolgerung abstellend, Fatemi, NJOZ 2010, 2637, 2639. Peters, JZ 1983, 121, 123 f., stellt für die Kenntnis eines künftigen Schadens darauf ab, ob der Schaden der Höhe nach fassbar und dem Eintritt nach sicher ist, so dass dem Geschädigten eine Klage geboten erscheinen muss. 208  BGH NJW-RR 2009, 544, 546 Tz.  36; BGH NJW 2008, 1729, 1732 Tz.  26. 209  BGH NJW 1996, 117, 118; BGH NJW 1999, 2041, 2042. 210  BGH NJW 2008, 2427, 2428 Tz.  13. 211 Staudinger/Peters/Jacoby, BGB, 2014, §  199 Rn.  63. 212  In diesem Sinne Prütting/Wegen/Weinreich/Kesseler, BGB, 11.  A ., 2016, §  199 Rn.  14,

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§  5  Wissen als Ausgangspunkt zeitlicher Begrenzung von Rechten

Die durch den Gläubiger vorgenommene Bewertung als rechtlich relevante Information im Hinblick auf eine Anspruchsbegründung gegen einen anderen unterscheidet die Information von anderen Informationen, denen dieser Kontext fehlt. Dies setzt eine rechtliche Bewertung durch den Anspruchsinhaber voraus, die jedoch im Unterschied zu einer Subsumtion unter eine Rechtsnorm eines Anspruchs nur eine Einstufung der Information als rechtlich relevant bedeutet. Dem Anspruchsinhaber muss klar sein, dass die ihm bekannten Einzelinformationen hinsichtlich einer Anspruchsbegründung Bedeutung haben können. Auch die Rechtsprechung geht teilweise davon aus, dass eine solche Relevanzeinstufung vorzunehmen sei. So führt der BGH aus, dass für die Zumutbarkeit der Klagerhebung und damit für den Beginn der Verjährung zwar nicht die Kenntnis aller Einzelheiten erforderlich sei, es jedoch genüge, dass „der Anspruchsberechtigte den Sachverhalt, etwa den Schadenshergang, in seinen Grundzügen kennt und weiß, dass der Sachverhalt erhebliche Anhaltspunkte für die Entstehung eines Anspruchs bietet“.213 Auch müsse sich die „hinreichende Kenntnis des Verletzten vom Schaden darauf erstrecken, dass er selbst geschädigt ist und daher als Inhaber einer Schadensersatzforderung in Frage komme, die er zwecks Vermeidung der Verjährung in zumutbarer Weise gerichtlich geltend zu machen hat“.214 Der Verletzte muss daher grundsätzlich die Tatsachen kennen, die ihn als Geschädigten und Inhaber des Schadensersatz­ anspruchs erscheinen lassen. Dabei muss er jedoch nicht den konkreten Schluss auf eine eigene Anspruchsinhaberschaft gezogen haben, d. h. er braucht sich seiner Anspruchsinhaberschaft nicht bewusst zu sein.215 (3)  Freiheit einer informierten Entscheidung des Gläubigers Ein solches Erfordernis der Relevanzeinstufung der bekannten Informationen wird dem mit den subjektiven Voraussetzungen der Verjährung verfolgten Ziel am ehesten gerecht. Die Zielsetzung der Verjährungsvorschriften, dem Gläubiger eine faire Chance zu geben, sein Recht geltend zu machen,216 setzt voraus, dass er die anspruchsbegründenden Tatsachen kennt (oder die Unkenntnis dieser Tatsachen auf grober Fahrlässigkeit beruht). Nur diese subjektive Beziehung zu der relevanten Information ermöglicht dem Gläubiger die Entscheidung, ob er das Recht verfolgen will. Dadurch erhält er die Chance, gegen einen zeitab­ wonach sich das Vorliegen eines anspruchsbegründenden Merkmals für den Laien erschließen muss. 213 BGH NJW-RR 2009, 544, 546 Tz.   32; wortgleich BGH NJW-RR 2009, 547 Tz.  14; BGH NJW 1990, 176, 179. 214  BGH NJW 1996, 117, 118. 215  BGH NJW 1996, 117, 118. 216 Vgl. Spiro, Begrenzung privater Rechte, Band I, 1975, §  24 (S.  35); Staudinger/Peters/ Jacoby, BGB, 2014, Vorbem. zu §§  194–225 Rn.  9; BT-Drcks. 14/6040, S.  95 f.; Leenen, JZ 2001, 552, 553, 558; Zimmermann, JZ 2000, 853, 858, 861; MünchKommBGB/Grothe, 7.  A., 2015, Vor §  194 Rn.  9.

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laufgebundenen Rechtsverlust entsprechende Maßnahmen zu ergreifen. Auf eine solche informierte Entscheidung kommt es im Rahmen der kenntnisabhängigen Verjährung an. Andernfalls würde ein Abstellen auf die Kenntnis bzw. die grob fahrlässige Unkenntnis, d. h. den tatsächlichen oder zumindest möglichen Kenntnisstand des Gläubigers, keinen Sinn machen. Der Kenntnisstand rechtfertigt die im Verhältnis zu den kenntnisunabhängigen Verjährungstatbeständen (§  199 II–IV BGB) kürzere Verjährungsfrist bei der kenntnisabhängigen Regelverjährung (§§  195, 199 I BGB). Auf eine Zumutbarkeit der Klageerhebung braucht nicht isoliert abgestellt zu werden. Die in diesem Zusammenhang von der Rechtsprechung angestellten Zumutbarkeitserwägungen 217 sind überflüssig, wenn man allein auf die Möglichkeit einer informierten Entscheidung, das Recht geltend zu machen, abstellt. Besonders deutlich wird die Überflüssigkeit des Zumutbarkeitskriteriums bei der Unkenntnis des Gläubigers von der Person des Schuldners. Das Zumut­bar­ keitskriterium stammt noch aus der Zeit der früheren Rechtslage vor der Schuld­ rechtsreform, nach der gemäß §  852 I BGB i. d. F. bis 2001 bloß die po­si­tive Kenntnis für den Beginn der Verjährungsfrist deliktischer Ansprüche ausschlag­ gebend war, nicht hingegen bereits die grob fahrlässige Unkenntnis a­ usreichte. Ist dem Gläubiger die Person des Schuldners unbekannt und beruht diese Unkenntnis nicht auf grober Fahrlässigkeit, so ist nicht die Klageerhebung unzumutbar, sondern es sind die Voraussetzungen des §  199 I Nr.  2 BGB nicht erfüllt und damit hat der Lauf der Verjährung noch nicht begonnen. Eine in­formierte Entscheidung des Gläubigers ist in diesem Fall noch gar nicht möglich. Eine Klageerhebung als verjährungsfristunterbrechende Maßnahme soll nach der Rechtsprechung dann unzumutbar sein, wenn die Rechtslage verworren ist.218 Dieser Fall unterscheidet sich von der sonstigen Unkenntnis, die einem Beginn der Verjährungsfrist entgegensteht, denn nach objektiver Klärung der Rechtslage beginnt die Verjährung bereits zu laufen, ohne dass es auf einen Kenntnisstand des Gläubigers ankommt.219 Dies begründet der BGH damit, dass derjenige, der „wegen fortdauernder Rechtsunkenntnis keine verjährungshemmenden Maßnahmen ergreift, nicht anders behandelt werden dürfe als derjenige, der bei von Anfang an klarer Rechtslage die anspruchsbegründenden tatsächlichen Umstände kennt, wegen Rechtsunkenntnis aber keine Klage erhebt“.220 Im Ergebnis ist dem zuzustimmen, jedoch lässt sich das Ergebnis besser mit der von §  199 I Nr.  2 BGB intendierten Freiheit einer informierten Entscheidung begründen. Ist es dem Gläubiger bei zutreffender Kenntnis der Tat217  BGH NJW 2009, 587, 588 Tz.  12; BGH NJW 2008, 2576 Tz.  27; BGH NJW-RR 2009, 544, 546 Tz.  32. 218  BGH NJW-RR 2009, 547 Tz.  19; ferner Schwintowski, BKR 2009, 89, 94; eingehend dazu Bitter/Alles, NJW 2011, 2081 ff. 219  BGH NJW-RR 2009, 547 Tz.  19. 220  BGH NJW-RR 2009, 547 Tz.  19.

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§  5  Wissen als Ausgangspunkt zeitlicher Begrenzung von Rechten

sachen nicht möglich, diesen Informationen eine Relevanz für einen Anspruch beizumessen, um dessen Verjährung es geht, kann er diese Informationen demnach nicht kontextuieren. Er hat daher noch keine Kenntnis von diesen Tatsachen im Sinne des §  199 I Nr.  2 BGB. Erst wenn er die Relevanz der Informatio­ nen für einen möglichen Anspruch erkennt, liegt Kenntnis der in §  199 I Nr.  2 BGB vorausgesetzten Tatsachen vor. Ob diese Informationen letztlich zutreffend unter die Merkmale eines Anspruchs subsumiert werden und hieraus der Schluss gezogen wird, dass ein Anspruch besteht oder nicht, kann dagegen nicht für die Kenntnis der Tatsachen selbst entscheidend sein.221 Die im Vergleich zu den kenntnisunabhängigen Verjährungstatbeständen (§  199 II–IV BGB) kürzere Regelverjährungsfrist (§§  195, 199 I BGB) ist gerade deshalb an die Kenntnis bzw. die grob fahrlässige Unkenntnis gekoppelt, weil sie eine Entscheidungsmöglichkeit für den Gläubiger eröffnet. Diese Entscheidungsmöglichkeit besteht nicht, wenn er bei zutreffend erkannter Lage der Einzeltat­ sachen keine Bewertung der Relevanz für einen Anspruch vornehmen (lassen) kann. Versteht man die in §  199 I Nr.  2 BGB genannten „den Anspruch begründenden Umstände“ in der Weise, dass eine Kontextuierung und Relevanzbewertung erforderlich ist, hat dies den Vorteil, dass sich der Verschuldensvorwurf („ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste“) auch auf die Kontextuierung bezieht. Damit können Fälle der verworrenen und ungeklärten Rechtslage insoweit ohne eine Bemühung eines gesetzlich nicht vorgesehenen Kriteriums der „Zumutbarkeit der Klageerhebung“ erfasst werden. Dann bleibt letztlich nur noch die Frage zu beantworten, ob die Relevanzbildung der zutreffend wahrgenommenen Einzeltatsache ohne grobe Fahrlässigkeit nicht stattfand oder bei Beachtung der Sorgfaltsanforderungen hätte stattfinden müssen. (4)  Bestimmung des Vorliegens der Kenntnis von den relevanten und kontextuierten Tatsachen aa.  Zumutbarkeit „als Maß“ der notwendigerweise vorliegenden Einzelinformationen Die schwierigste Aufgabe für den Rechtsanwender besteht in der Klärung der Frage, ob subjektive (innere) Tatsachen einer anderen Person vorliegen. Liegt kein Geständnis vor, bleibt meist nur der Weg über Folgerungen aus bekannten anderen Umständen, d. h. von den (unstreitig) bekannten Einzelinformationen auf die tatbestandlich relevante Kenntnis zu schließen. Die Rechtsprechung greift auch in diesem Fall auf das Kriterium der „Zumutbarkeit der Klage“ zu221  Insoweit st. Rspr. vgl. BGH NJW-RR 2008, 1237 f.; BGH NJW-RR 2005, 1148, 1149; BGH NJW 1996, 117, 118; BGH NJW 1994, 3162, 3164; BGH NJW 1993, 648, 653; BGH NJW 1993, 2614; BGH NJW 1991, 2351.

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rück: Liegen so viele Einzelinformationen vor, dass eine Klage als verjährungsunterbrechende Maßnahme zumutbar ist, dann liegt tatbestandlich Kenntnis von den für den Beginn der Verjährungsfrist notwendigen anspruchsbegründenden Umständen vor. Die Zumutbarkeitsschwelle soll dann überschritten sein, wenn „bei verständiger Würdigung“ die Klage, die auf der Grundlage der bekannten Einzelinformationen „soviel Erfolgsaussicht hat, daß sie ihm [dem Anspruchsinhaber] zumutbar ist“222 . Der BGH ersetzt daher „das Maß“ der notwendigen Einzelinformationen, die bekannt sein müssen, mit „dem Maß“ der Erfolgsaussicht einer hypothetischen Klage. Ein zufriedenstellendes Kriterium ist diese weitere (rein auf Wertung beruhende) Begriffsbildung nicht, insbesondere weil von dem Ergebnis der Zumutbarkeitserwägung der Verjährungsfristbeginn abhängt und die Zielsetzung, dass Ergebnisse im Hinblick auf den Verjährungsfristbeginn verlässlich bestimmt werden können, mit solchermaßen wertenden Gesichtspunkten nicht erreicht werden kann. bb.  Der gedachte Dritte als konkretisierendes Merkmal der „Zumutbarkeit der Klageerhebung“ Eine Lösung für die Probleme bei der Bestimmung der Kenntnis lässt sich aus einer speziellen Ausprägung eines Gedankens entwickeln, den der BGH 223 bereits mehrfach am Rande andeutete: Für die Beurteilung des Vorliegens der tatbestandsrelevanten Kenntnis könnte auf einen „gedachten Dritten“ abgestellt werden. Diese Figur kann für die Frage herangezogen werden, ob bei Vorliegen von einigen Einzelinformationen (wobei unklar ist, ob diese in ihrer Summe bereits die tatbestandsrelevante Kenntnis ausmachen, weil beispielsweise die Bewertung der Informationen „als für den Anspruch erheblich“ (d. h. deren „Kontextuierung“) fehlt) auf das Vorliegen der tatbestandsrelevanten Kenntnis geschlossen werden kann. Es geht dabei um die Bestimmung, ob die tatbestandlich geforderte Kenntnis vorliegt. Bislang beantwortet die Rechtsprechung diese Frage allein vor dem Hintergrund der Wertung, ob bei einer vorliegenden Tatsachenkenntnis von Einzelinformationen eine Klage zumutbar erscheint.

222 

BGH NJW 1993, 2303, 2305. die Rechtslage „unübersichtlich und zweifelhaft“ ist, verneint der BGH beispielsweise die Kenntnis des Gläubigers von den anspruchsbegründenden Umständen, wenn die Rechtslage „selbst ein rechtskundiger Dritter nicht einzuschätzen vermag“, BGH NJW 1999, 2041, 2042; ebenso BGH NJW 2014, 3713, 3718 Tz.  60; obwohl die tatbestandlich geforderte Tatsachenkenntnis keine rechtlichen Schlüsse umfasst, liegt nach dem BGH Kenntnis von der Pflichtwidrigkeit einer haftungsbegründenden Amtsausübung (§  839 I BGB) in dem Moment vor, „wenn sie sich auch einem außenstehenden Dritten aufdrängen muss“, BGH NJW 2007, 830, 833 Tz.  28. Vgl. ferner BGH NJW 2009, 984 Tz.  13 f.: Die Verjährung beginnt ausnahmsweise dann nicht zu laufen, wenn die Rechtslage „selbst ein rechtskundiger Dritter nicht zuverlässig einzuschätzen vermag“, denn dann fehlt die Kenntnis der anspruchsbegründenden Voraussetzungen. 223 Wenn

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§  5  Wissen als Ausgangspunkt zeitlicher Begrenzung von Rechten

Für die Konkretisierung der Zumutbarkeitsschwelle durch den „gedachten Dritten“ gilt: Um verlässliche Ergebnisse zu erreichen, sind im Vorfeld die Eigenschaften des Dritten festzulegen, die sein „Wissen und Können“ ausmachen. Von dieser Definition hängt die nachfolgend zu treffende Entscheidung maßgeblich ab, ob aus der Sicht des „gedachten Dritten“ von den bekannten Einzel­ informationen auf die tatbestandlich geforderte Kenntnis der anspruchsbegründenden Umstände zu schließen ist. Die Abgrenzung zur fahrlässigen Unkenntnis liegt in den Anforderungen, die an den gedachten Dritten gestellt werden: Ihm wird die Kenntnis unterstellt, wenn aus der Sicht des gedachten Dritten die Kontextuierung der Einzelinformationen (d. h. die Relevanzbildung der ihm bekannten Tatsachen für einen etwaigen Anspruch) vorgenommen werden würde; (grob) fahrlässige Unkenntnis liegt dagegen vor, wenn aus der Sicht des gedachten Dritten die Kontextuierung hätte vorgenommen werden können (möglicherweise sogar erst unter Inanspruchnahme weiterer Hilfe oder Erlangung weiterer Informationen). Eine solche Vorgehensweise orientiert sich an der aus dem Patentrecht bekannten Methode der Bestimmung, ob die Erfindung auf erfinderischer Tätigkeit beruht. Eine ganzheitliche Übertragung der patentrechtlichen Grundsätze auf die Bestimmung der verjährungsrechtlich relevanten Kenntnis eines Gläubigers ist nicht möglich. Dies verbietet sich bereits deshalb, weil dem Durchschnittsfachmann sämtliche Kenntnisse aus dem Stand der Technik unterstellt werden. Dies kann nicht das Maß für die Bestimmung einer individuellen Kenntnis der verjährungserheblichen, anspruchsbegründenden Umstände sein. Dennoch kann die generelle Vorgehensweise Orientierungspunkte für die Bestimmung der Kenntnis des Gläubigers von den anspruchsbegründenden Umständen geben. cc.  Ermittlung des Bezugspunktes der Kenntnis als „Zielvorgabe“ Für die konkrete Bestimmung der Kenntnis des Gläubigers von den anspruchsbegründenden Umständen i. S. d. §  199 I Nr.  2 BGB ist in einem ersten Schritt der Bezugspunkt der zu ermittelnden Kenntnis zu klären: Im Patentrecht ist das die Bestimmung der objektiven Aufgabe und der tatsächlich für ihre Lösung notwendigen Mittel. Für die Bestimmung der hier in Rede stehenden, für den Verjährungsfristbeginn notwendigen Kenntnis muss klar sein, was „die den Anspruch begründenden Umstände“ gemäß §  199 I Nr.  2 BGB sind. Das hängt vom jeweiligen Anspruch ab, dessen Verjährung gerade geprüft wird. Diese Bestimmung ist unabhängig davon vorzunehmen, ob sich die tatbestandlich geforderte Kenntnis der Umstände später nachweisen lässt. Entscheidend ist nur, ob die Umstände anspruchsbegründend sind. Die Umstände erfüllen den gesetz­ lichen Tatbestand bzw. beziehen sich auf die Person des Schuldners. Außerdem muss die Kontextuierung der Tatsachen stattgefunden haben.

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dd.  Ermittlung des tatsächlichen Kenntnisstandes als Vergleichsgröße Nachdem die Tatsachen feststehen, die vom Kenntnisstand des Gläubigers umfasst sein müssen, ist im folgenden Schritt der tatsächlich vorliegende Kenntnisstand des Gläubigers festzustellen. Im Patentrecht ist dieser Schritt die Recherche des Standes der Technik, der dem Durchschnittsfachmann als bekannt unterstellt wird. Freilich ist der Vergleichsvorgang bereits an dieser Stelle beendet, wenn der Vergleich zwischen gefordertem und tatsächlichem Kenntnisstand ergibt, dass sich beide decken: Dann liegt Kenntnis vor. Dieser Fall ist im Patentrecht der speziellen Prüfung der Neuheit vorbehalten. Bei der Prüfung des Kenntnisstandes des Gläubigers im Hinblick auf die anspruchsbegründenden Umstände ist diese Konstellation nur gegeben, wenn ein umfassendes Geständnis vorliegt. Andernfalls weichen der tatsächliche Kenntnisstand und der tatbestandlich geforderte Kenntnisstand des Gläubigers voneinander ab. Die Untersuchung der tatsächlich vorliegenden Kenntnis endet mit dem Ergebnis, dass die Umstände feststehen, die der Schuldner kennt. Es sind weiterhin diejenigen Informationen herauszufiltern, die am deutlichsten in die Richtung der tatbestandlich geforderten Umstände weisen. Bei einer nächtlichen Beschädigung eines Fahrzeugs sind dies beispielsweise die dem Gläubiger des Schadensersatz­ anspruchs bekannten Umstände, dass der Nachbar bereits mehrfach wegen Trunkenheitsfahrten verurteilt wurde und dessen Fahrzeug seit der Beschädigung nicht mehr wie sonst üblich vor der Garage steht (sondern nur noch in der Garage) und die Lackspuren an der Beschädigung des eigenen Fahrzeugs die Farbe des Autos vom Nachbarn aufweisen. Der Kenntnisstand des Gläubigers umfasst allerdings nicht nur die für den Anspruch relevanten Tatsachen, sondern erheblich viel mehr (Alltags- und Erfahrungs-)Wissen. Wegen der Möglichkeit, aus den bekannten Tatsachen unter Zuhilfenahme des Alltags- und Erfahrungswissens Folgerungen abzuleiten, umfasst der Kenntnisstand auch Bedeutungsvarianten der einzelnen bekannten Informationen. Die patentrechtlichen Grundsätze bezüglich des dem (fiktiven) Durchschnittsfachmann unterstellten üblichen Fachwissens und Fachkönnens können nur eingeschränkt bei der Beantwortung der Frage nach dem Kenntnisstand eines Gläubigers im Hinblick auf die für den Beginn der Verjährungsfrist notwendigen Umstände helfen. Die Bestimmung der erfinderischen Tätigkeit, auf der die patentschutzfähige Erfindung beruhen muss, ist ausschließlich objektiv vorzunehmen und ist gerade vollkommen unabhängig von den subjek­ tiven Anstrengungen des einzelnen Erfinders.224 Dies liegt an der volkswirtschaftlichen Wirkung der Patenterteilung, dass die Nutzung der Erfindung 224 EPA (T 39/93) ABl. EPA 1997, 134 (5.3.2) – Polymerpuder/ALLIED COLLOIDS ­ IMITED; EPA (T 248/85) ABl. EPA 1986, 261, 268 – Bestrahlungsverfahren/BICC; EPA L (T 24/81) ABl. EPA 1983, 133, 137 – Metallveredlung/BASF; BGH GRUR 1991, 522, 523 – Feuer­schutzabschluß.

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§  5  Wissen als Ausgangspunkt zeitlicher Begrenzung von Rechten

nach ihrer Patentierung nur noch dem Patentinhaber zugeordnet und der Allgemeinheit entzogen ist. Daher muss die Erfindung für jedermann (objektiv) neu und erfinderisch sein. Bei der Bestimmung der Kenntnis des Gläubigers spielt die Erkenntnismöglichkeit „aller anderen“ für den zu erreichenden Zweck eine untergeordnete Rolle, denn es soll gerade (und nur) dem Gläubiger die Möglichkeit eingeräumt werden, seinen Anspruch durchsetzen zu können; dafür hängt der Verjährungsfristbeginn von seiner Kenntnis von den anspruchsbegründenden Umständen ab.225 Andernfalls wäre eine Verobjektivierung dieser Bestimmung geboten, weil der Gläubiger es sonst in der Hand hätte, wann er Kenntnis erlangt und den Beginn der Verjährungsfrist somit einseitig hinauszögern könnte. Eine solche Verobjektivierung geht aber nicht soweit, dass eine Verhaltensanforderung an den Gläubiger gerichtet wird, sich bestimmte Kenntnisse oder Fertigkeiten noch zu verschaffen, wenn er noch nicht über sie verfügt. Die Bestimmung der Kenntnisse und Fähigkeiten, auf die der Gläubiger bei der Beurteilung der ihm bekannten Tatsachen zurückgreift, kann sich jedoch an den durchschnittlichen Kenntnissen und Fähigkeiten orientieren, die ein Gläubiger in vergleichbarer Situation hat. Diese Betrachtungsweise deckt sich insoweit mit der Rechtsprechung, die zumindest bei der Anwendung der Rechtsfolge trotz nicht vorliegender tatbestandlicher Voraussetzungen darauf abstellt, dass „jeder andere in der Lage des Geschädigten unter denselben konkreten Umständen die Kenntnis gehabt hätte“.226 Um allerdings eine vergleichbare Situation zu haben, müssen in den Fällen auch dieselben konkreten Umstände vorliegen. Dies betrifft die Vorkenntnisse des Gläubigers beispielsweise im Hinblick auf die rechtliche Bedeutung von Tatsachen für das Bestehen eines Ersatzanspruches. Einem Rechtsanwalt wird eine Kontextuierung von bekannten Tatsachen, die auf ein deliktisches Verhalten und einen entsprechenden Anspruch hindeuten, wesentlich einfacher fallen als einem juristisch nicht Vorgebildeten. Diese (individuellen oder auch gruppenspezifischen) Kenntnisse und Fähigkeiten zur Bewertung der Einzeltatsachen sind in die Bewertung mit einzubeziehen. ee.  Vergleich zwischen tatsächlichem Kenntnisstand und der Zielvorgabe als Bestimmung der tatbestandlich geforderten Kenntnis Bei der sich an die Feststellung der Vorkenntnisse und Fertigkeiten des Gläubigers anschließenden Frage ist deren konkrete Formulierung zu beachten: Es geht bei der Bestimmung der (positiven) Kenntnis nicht darum, dem Gläubiger einen Verschuldensvorwurf im Hinblick auf die Unterlassung von Folgerungen zu machen. Vielmehr geht es darum, ob der Gläubiger die Kontextuierung der 225  BGH NJW 2003, 822, 823 f.; BGH NJW 2008, 2256, 2257 Tz.  18; Peters, JZ 1983, 121 ff.; Zimmermann/Leenen/Mansel/Ernst, JZ 2001, 684, 686. 226  BGH NJW 2003, 288, 289; BGH NJW 2001, 1721, 1722; BGH NJW 1996, 2933, 2934; BGH NJW-RR 1990, 606, 607.

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ihm bekannten Tatsachen vornehmen würde und nicht, ob er es könnte. Diese Fragestellung orientiert sich an dem aus dem Patentrecht bekannten „couldwould“-­Test.227 Dabei ist der Sachverhalt insbesondere darauf zu untersuchen, ob der Betroffene, um dessen Kenntnisstand es geht, „Anlass“228 hatte, in die Richtung der tatbestandlich geforderten Umstände zu denken, oder ob dem Hindernisse entgegenstanden. Bestand Anlass, in diese Richtung zu denken, muss abgewogen werden, ob dieser Anlass ausreicht, um daraus abzuleiten, dass dann die Kenntnis (beispielsweise auch von der Relevanz der bekannten Tatsachen für das Bestehen eines Anspruchs) von den tatbestandsrelevanten Umständen naheliegt oder ob die Hindernisse überwiegen, die einer solchen Kenntnis­ erlangung für den Gläubiger entgegenstehen. Auch die Rechtsprechung zu §  852 I BGB i. d. F. bis 2001 erwähnt, dass es für die Bestimmung der Kenntnis darauf ankäme, dass der Gläubiger „Anlass“ gehabt haben müsse, von dem Schaden oder der Person des Schädigers Kenntnis zu erlangen, beispielsweise weil eine sich aufdrängende und kostenneutrale Erkenntnismöglichkeit unschwer genutzt werden könnte.229 Die Frage lautet daher: Hatte der Gläubiger ausgehend von den ihm bekannten Tatsachen unter Rückgriff auf sein verfüg­bares Allgemein- und Erfahrungswissen Anlass, in die Richtung der tatbestandlich geforderten Umstände zu denken, so dass davon auszugehen ist, dass er auf die tatbestandsrelevanten Umstände gekommen wäre? Maßgeblich ist dagegen nicht, ob er auf die tatbestandsrelevanten Umstände hätte kommen können, denn dies würde die fahrlässige Unkenntnis umschreiben.

3. Ergebnis Verjährungsregeln sollen Rechtssicherheit und Rechtsfrieden schaffen. Bis zu dem Eintritt der Verjährungsfrist und dem damit verbundenen Leistungsverweigerungsrecht des Schuldners muss der Gläubiger eine reelle Chance gehabt haben, seinen Anspruch durchzusetzen. Dies ist in der Regel (vor allem bei kurzen Verjährungsfristen) nur dann gegeben, wenn der Gläubiger Kenntnis von seinem Anspruch hat. Nur ausnahmsweise ist es gerechtfertigt, dass durch kurze und kenntnisunabhängig beginnende Verjährungsfristen rasch Rechtssicherheit geschaffen wird (Gewährleistungsfristen, zustandsabhängige Ansprüche bezüglich zurückgegebener Sachen). Sonst ist der Beginn der Verjährungsfrist regelmäßig von dem Kenntnisstand des Gläubigers abhängig. Die Abhängigkeit des Verjährungsfristbeginns von der Kenntnis von Umständen bringt eine 227  Szabo, Mitt. 1994, 225, 233 f.; Schulte/Moufang, PatG, 9.  A ., 2014, §  4 Rn.  58; ferner EPA (T 0939/92) ABl. EPA 1996, 309, 314 ff. – Triazole/AGREVO. 228  Für das Patentrecht BGH GRUR 1999, 914, 918 – Kontaktfederblock; BGH Mitt. 1991, 32, 34 f. – Haftverband; BGH GRUR 2009, 746, 748 Tz.  20 – Betrieb einer Sicherheitseinrichtung; Schulte/Moufang, PatG, 9.  A., 2014, §  4 Rn.  58. 229  BGH NJW 2001, 1721, 1722.

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enorme Rechtsunsicherheit, weil der Kenntnisstand als innere Tatsache in den meisten Fällen nur schwer nachweisbar ist. Bei der Bestimmung, wann die verjährungsrelevante Kenntnis des Gläubigers vorliegt, ist zweistufig zu prüfen: Welche Anforderungen werden allgemein an die tatbestandsrelevante Kenntnis gestellt; d. h. wie wird die tatbestandsrelevante Kenntnis allgemein definiert? Anschließend ist im konkreten Fall danach zu fragen, über welche Informationen der Gläubiger verfügt. Kennt er alle Einzelheiten, auf die sich die tatbestandsrelevante Kenntnis beziehen muss, liegt die Kenntnis vor. Kennt der Gläubiger dagegen nur einzelne Informationen, ist stufenweise zu prüfen, ob aus der Sicht eines mit dem Gläubiger vergleichbaren Dritten, dem die Einzelinformationen vorliegen, dieser unter Anwendung seines alltäglichen Wissens und auch der üblichen Fähigkeiten im Hinblick auf die Folgerungen und Ableitungen aus den Einzelinformationen zu der tatbestandsrelevanten Kenntnis gelangt wäre und damit die tatbestandlich vorausgesetzte Kenntnis vorliegt. Davon abzugrenzen ist die Frage, ob es aus der Sicht des gedachten Dritten nur möglich gewesen wäre, dass er zu der tatbestandlich relevanten Kenntnis hätte kommen können. Kommt man zu dem Ergebnis, dass aus der Sicht des gedachten Dritten zu der tatbestandsrelevanten Kenntnis zu gelangen ist, dann liegt Kenntnis vor; hätte man aus der Sicht des gedachten Dritten dagegen nur auf die Kenntnis kommen können, liegt fahrlässige Unkenntnis vor. Hinsichtlich des Maßes der Einzelinformationen, die beim Gläubiger vorhanden sein müssen, damit der gedachte Dritte zu der tatbestandsrelevanten Kenntnis gelangt wäre, kann unterstützend auf die in der Rechtsprechung entwickelten Zumutbarkeitserwägungen der (Feststellungs-) Klage zurückgegriffen werden. Wäre der gedachte Dritte auf die tatbestandsrelevante Kenntnis gekommen, dann ist dem Gläubiger auch die Erhebung einer Klage als verjährungsunterbrechende Maßnahme zumutbar. Durch diese Verobjektivierung der schritt- und stufenweisen Bestimmung der für den Beginn der Verjährungsfrist relevanten Kenntnis kann dem mit dem Verjährungsinstrument bezweckten Ausgleich zwischen Schuldnerinteressen an möglichst rascher und von objektiven Kriterien abhängender Klärung der Rechtslage und Gläubigerinteressen bezüglich der Einräumung einer reellen Chance der Anspruchsdurchsetzung am besten Genüge getan werden.

II. Ausschlussfristen 1.  Wirkung von Ausschlussfristen Bei Eintritt der Verjährung erhält der Schuldner nur eine Einrede und darf die Leistung verweigern. Läuft eine Ausschlussfrist ab, erlischt der Anspruch,230 230 

Auch prozessuale Ausschlussfristen, die durch Klage zu wahren sind, wirken letztlich

II. Ausschlussfristen

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ohne dass es einer weiteren Handlung als dem Unterlassen der Geltendmachung bedarf. Der Gläubiger verliert sein Recht qua Gesetz. Der Ablauf einer Ausschlussfrist ist daher im Gegensatz zur Verjährung von Amts wegen zu beachten.231 Der unabhängig vom Willen der Beteiligten eintretende Verlust des Rechts dient noch stärker als die Verjährung der Herbeiführung von Rechtssicherheit und Rechtsklarheit.232 Für Ausschlussfristen ist typisch, dass die bei der Verjährung üblichen Regelungen zur Hemmung und zum Neubeginn nicht existieren. Ist die Ausschlussfrist angelaufen, muss innerhalb der Frist die geforderte Handlung vorgenommen werden, andernfalls tritt der Rechtsverlust ein.233 Einem großen Teil der Ausschlussfristen ist gemein, dass diese als eine Art Entscheidungs- bzw. Erklärungsfrist ausgestaltet sind. Innerhalb dieser Frist muss die geforderte Handlung oder Erklärung vorgenommen bzw. abgegeben werden. Oftmals beginnt die Ausschlussfrist in diesen Fällen jedoch nicht anzulaufen, ohne dass die entscheidungserheblichen Umstände dem Entscheidenden zur Verfügung stehen. Eine tatsächliche Entscheidung kann daher noch nicht getroffen werden. Zu den Ausschlussfristen nach Art einer Entscheidungsfrist zählen beispielsweise die Mangelanzeigeobliegenheit im Reisevertragsrecht (§  651g BGB) sowie die Erklärungsfrist für die außerordentliche Kündigung des Dienstvertrages (§  626 II BGB). Beide Normen stellen jedoch in unterschiedlicher Art und Weise den Bezug von dem Kenntnisstand des Betroffenen zu den durch den Zeitablauf eingeschränkten Rechten her. Arbeitsvertragliche Ausschlussfristen weisen zudem die Besonderheit auf, dass der an sich von objektiven Umständen abhängende Beginn der Frist (nämlich der Fälligkeit des Anspruchs) erheblichen Einflüssen durch subjektive Elemente der Bestimmung der Fälligkeit des Anspruchs ausgesetzt ist.

2.  Kenntnis von der reisevertraglichen Ausschlussfrist Abweichend von den allgemeinen Verjährungsregeln gelten im Reisevertragsrecht zusätzlich zu kürzeren Verjährungsfristen sehr kurze Ausschlussfristen für die Geltendmachung von Ansprüchen des Reisenden wegen eines Reisemangels. Schadensersatzansprüche stehen dem Reisenden nur zu, wenn er diese Ansprüche „innerhalb eines Monats nach der vertraglich vorgesehenen Beendigung der Reise gegenüber dem Reiseveranstalter geltend macht“, §  651g I 1 BGB. wie Regelungen des materiellen Rechts: Staudinger/Peters/Jacoby, BGB, 2014, Vorbem. zu §§  194–225 Rn.  17. 231 Staudinger/Peters/Jacoby, BGB, 2014, Vorbem. zu §§  194–225 Rn.  14. 232 MünchKommBGB/Grothe, 7.  A ., 2015, Vor §  194 Rn.  10. 233 Teilweise existieren Mischtatbestände, die wie Verjährungshöchstfristen wirken, jedoch als Ausschlussfristen ausgestaltet sind. Ein Beispiel ist §  13 ProdHaftG: Auf diese Höchstfrist der Geltendmachung des Anspruchs sind allgemeine verjährungsspezifische Tatbestände (Hemmung und Neubeginn) nicht anwendbar; vgl. hierzu Palandt/Sprau, BGB, 2016, §  13 ProdHaftG Rn.  2.

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§  5  Wissen als Ausgangspunkt zeitlicher Begrenzung von Rechten

Dem Anspruchsteller stehen nach Ablauf der Frist nur noch Ansprüche zu, „wenn er ohne Verschulden an der Einhaltung der Frist verhindert worden ist“, §  651g I 3 BGB. Hierunter zählen vor allem die Fälle, in denen der Reisende die relevante Frist nicht kannte oder nicht kennen musste und sie deshalb nicht eingehalten hat. Damit wirkt sich die reisevertragliche Ausschlussfrist primär zu Lasten des Reisenden aus, den eine Reihe von Obliegenheiten treffen, diese Frist einzuhalten. Allerdings ist das Risiko der Notwendigkeit der Fristeinhaltung dem Reisenden nicht allein zugeordnet. Der Reisende trägt zwar grundsätzlich das Risiko der Fristeinhaltung. Eine Ausnahme bildet aber die unverschuldete Verspätung der Geltendmachung. Fehlendes Vertretenmüssen der Geltendmachung kann auch dann vorliegen, wenn der Reisende von der Fristeinhaltung keine Kenntnis hatte. Das Risiko der Unkenntnis des Reisenden von der Frist wird primär dem Reiseveranstalter zugewiesen. Ihm wird eine Pflicht auferlegt, dem Reisenden „die nach §  651g BGB einzuhaltenden Fristen unter namentlicher Angabe der Stelle, gegenüber der die Ansprüche geltend zu machen sind“, auf der Reisebestätigung mitzuteilen, §  6 II Nr.  8 BGB-InfoVO. Diese Angaben können auch im Rahmen eines zur Verfügung gestellten Prospekts gemacht werden, auf den in der Reisebestätigung verwiesen wird, §  6 IV 1 BGB-InfoVO. Ein allgemeiner Hinweis auf Allgemeine Geschäftsbedingungen des Reiseveranstalters, in denen auf die Frist hingewiesen wird, genügt dafür nicht, weil ein solcher Hinweis den Gesetzeszweck verfehlt, „den Reisenden vor der einmonatigen Ausschlussfrist zu warnen“.234 Der Funktion einer Warnung wird eine Klausel nicht gerecht, die bloß eine unter vielen Klauseln ist, wenn nicht an der exponierten Stelle der Reisebestätigung der Verweis zum einen auf die Existenz von Ausschlussfristen und zum anderen auf die genaue Fundstelle erfolgt.235 Informiert der Reiseveranstalter nicht oder nur unvollständig, so ist dies ein Umstand, der das Vertretenmüssen des Reisenden im Hinblick auf die verzögerte Anspruchstellung in der Regel ausschließt. Die kurze Ausschlussfrist gilt nur, wenn der Anspruchsteller von ihr Kenntnis hat. Die kurze Ausschlussfrist privilegiert den Reiseveranstalter und schützt ihn vor Nachweisschwierigkeiten hinsichtlich der Berechtigung der Mängelrüge sowie vor Beweisnot im Hinblick auf eigene Rückgriffsansprüche.236 Dem Interesse an einer möglichst raschen Abwicklung und einem geringen Aufwand bei Beweissicherungsmaßnahmen durch den Reiseveranstalter steht der Exkulpationsbeweis des Reisenden gegenüber. Er kann durch Darlegung und gegebenenfalls Beweis der Entschuldigungsgründe für die Fristversäumung seine Ge234 

BGH NJW 2007, 2549, 2551 Tz.  28. Staudinger, BGB, 2016, Anh. zu §  651a BGB, BGB-InfoV, §  6 Rn.  18; MünchKommBGB-InfoVO/Tonner, 2012, §  6 Rn.  15 f. 236  Begründung zu §  21 im Entwurf eines Gesetzes über den Reiseveranstaltungsvertrag, BT-Drcks. 8/786, S.  32 re. Sp. 235 Staudinger/A.

II. Ausschlussfristen

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währleistungsansprüche auch nach der Ausschlussfrist geltend machen. Die Fristversäumung ist dann nicht verschuldet, wenn „der Reisende diejenige Sorgfalt [nicht] außer Acht gelassen hat, die ein vernünftiger Kunde bei der Fristwahrung seiner Ansprüche gegen den Reiseveranstalter walten lässt“.237 Der BGH führt weiter aus, dass „Fahrlässigkeit die Vorhersehbarkeit der Gefahr voraussetzt“ und es darauf ankommt, „ob der Reisende die Versäumung der Anmeldefrist zumindest voraussehen konnte“.238 Dies scheidet aus, wenn der Reisende von dem Lauf der kurzen Ausschlussfrist keine Kenntnis haben konnte.239 Die Rechtsprechung arbeitet in den Fällen, in denen die Informa­ tionspflicht durch den Reiseveranstalter verletzt wurde, mit einer widerleglichen Vermutung zu Gunsten des Reisenden. Diese Vermutung wird aus der in §  6 II Nr.  8 BGB-InfoV und §  651a III BGB niedergelegten Wertung des Gesetzgebers abgeleitet, dass Reisende in der Regel die Ausschlussfrist nicht kennen und deshalb zu ihrem Schutz darüber belehrt werden müssen. Dem Reiseveranstalter obliegt dann der Beweis, dass der nicht belehrte Reisende nicht auf andere Weise Kenntnis von der Ausschlussfrist erlangt hat. Dies kommt beispielsweise bei Rechtsanwälten oder Angestellten eines Reisebüros in Betracht. Die Erreichung des mit der reisevertraglichen Ausschlussfrist verfolgten Zieles der Rechtssicherheit ist damit nach der gesetzgeberischen Konzeption nicht nur einer, sondern beiden Vertragsparteien zugewiesen. Sie tragen somit beide die Last der negativen Konsequenzen der Aussschlussfrist und auch zur Erreichung des Ziels der Rechtssicherheit bei. Der Anspruchsteller (Reisender) muss den Anspruch geltend machen, d. h. dem Reiseveranstalter die Tatsachen mitteilen, die den Mangel begründen. Der Anspruchsgegner (Reiseveranstalter) muss dem Reisenden die Existenz der Frist und die Folgen ihrer Versäumnis mitteilen, so dass diese dem Reisenden klar sind, wenn er von ihm festgestellte, mangelbegründende Umstände nicht meldet und damit seinen Anspruch nicht fristgerecht geltend macht. Der Reisende muss daher in die Lage versetzt werden, ihm bekannte Informationen zu kontextuieren und die Entscheidung über die Geltendmachung des Anspruchs zu treffen.

3.  Kenntnis als Voraussetzung einer Entscheidungsmöglichkeit, §  626 II BGB Ein Dienstverhältnis kann aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden. Gemäß §  626 II 1 BGB kann die außerordentliche Kündigung „nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen“. Bei dieser Frist handelt es sich um eine materiell-rechtliche Ausschlussfrist, deren Versäumung 237 

BGH NJW 2007, 2549, 2552 Tz.  35. BGH NJW 2007, 2549, 2552 Tz.  35. 239  BGH NJW 2007, 2549, 2552 Tz.  37; weitere Nachweise bei Staudinger/A. Staudinger, BGB, 2016, §  651g Rn.  29 ff. 238 

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§  5  Wissen als Ausgangspunkt zeitlicher Begrenzung von Rechten

zur Unwirksamkeit der außerordentlichen Kündigung führt, weil dann der möglicherweise tatsächlich gegebene wichtige Grund nicht mehr zur Kündigung berechtigt.240 Regelungsziel des §  626 II BGB ist es, für den betroffenen Dienstverpflichteten (meist Arbeitnehmer) „rasch Klarheit darüber zu schaffen, ob der Kündigungsberechtigte einen Sachverhalt zum Anlass für eine außerordent­liche Kündigung nimmt“.241 Daher dient diese kurze Frist vor allem der Schaffung von Rechtssicherheit. Der knappen Frist des §  626 II 1 BGB liegt allerdings kein verallgemeinerungsfähiger Rechtsgedanke für eine außerordentliche Kündigung von Dauerschuldverhältnissen zugrunde. Nach der allgemeinen Norm des §  314 III BGB kann ein Dauerschuldverhältnis aus wichtigem Grund nur innerhalb einer „angemessenen Frist“ gekündigt werden, ohne dass diese einer konkreten zeitlichen Schranke unterworfen wäre.242 Beide Normen setzen Kenntnis des Kündigungsberechtigten voraus, wobei §  314 III BGB als Bezugspunkt der Kenntnis auf den Kündigungsgrund und der Wortlaut des §  626 II 2 BGB auf die Kenntnis der für die Kündigung maßgebenden Tatsachen abstellt. Allerdings ist in beiden Fällen einheitlich erforderlich, dass die Kenntnis der Tatsachen vorliegt, die zur Kündigung berechtigen, nicht hingegen die richtige rechtliche Würdigung, so dass trotz des unterschiedlichen Wortlauts der Normen kein Unterschied hinsichtlich der Bezugspunkte der Kenntnis besteht.243 Die Rechtsprechung versteht §  626 II BGB als einen gesetzlich konkretisierten Verwirkungstatbestand.244 Daher spielt es bei der Bestimmung des Beginns der Ausschlussfrist eine Rolle, ob sich der Vertragspartner durch ein länger anhaltendes Untätigbleiben auf einen dadurch geschaffenen Vertrauenstatbestand einstellen durfte.245 Die Frage, wann Kenntnis im Sinne von §  626 II 2 BGB vorliegt, damit die Ausschlussfrist zu laufen beginnt, beantwortet die Rechtsprechung vor dem Hintergrund eines möglicherweise entstehenden Vertrauens auf Seiten des Vertragspartners, das darauf gerichtet ist, dass der Vorfall keinen Einfluss auf den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses hat. Der Kündigungsberechtigte muss eine zuverlässige und möglichst vollständige Kenntnis der kündigungsrelevanten Tatsachen haben.246 Diese müssen ihm die Entscheidung ermöglichen, ob die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zumutbar ist oder nicht.247 Die Ausschlussfrist soll allerdings nicht bewirken, dass der Kündigungsberechtigte zur Eile getrieben wird und ohne Prüfung des Sachverhalts 240 

St. Rspr., vgl. BAG NJW 1973, 214. BAG NZA 2006, 101, 103; BAG NZA-RR 2006, 440, 441. 242 Hierzu MünchKommBGB/Henssler, 6.   A., 2012, §  626 Rn.  288; ferner Gesetzesbegründung zu §  314 III BGB-E, BT-Drcks. 14/6040, S.  178. 243  Vgl. MünchKommBGB/Gaier, 6.  A ., 2012, §  314 Rn.  21. 244  BAG NZA 2006, 101, 103; BGH WM 2013, 931, 932 Tz.  14. 245  BAG NZA 2006, 101, 103; BAG NZA-RR 2006, 440, 441 Tz.  20. 246  BAG NZA-RR 2006, 440, 441 Tz.  21; BAG NZA 2003, 1055. 247  BAG NZA-RR 2006, 440, 441 Tz.  21. 241 

II. Ausschlussfristen

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oder hinreichend vorhandene Beweismittel vorschnell eine Kündigung erklären muss.248 Die Ausschlussfrist beginnt nicht zu laufen, bevor nicht Ermittlungen abgeschlossen sind, durch die der Kündigungsberechtigte überhaupt erst hinreichende Kenntnis vom Kündigungssachverhalt und von den erforderlichen Beweismitteln erhält. Solange der Kündigungsberechtigte den Sachverhalt noch nicht aufgeklärt und nach pflichtgemäßem Ermessen erforderlich erscheinende Maßnahmen durchgeführt hat, beginnt die Frist nicht zu laufen.249 Die maßgeblichen Tatsachen, auf die sich die Kenntnis beziehen muss, sind sowohl solche Umstände, die für die Kündigung sprechen, als auch solche, die gegen sie sprechen. Die Kenntnis des konkreten, die Kündigung auslösenden Anlasses („Vorfall“) genügt nicht, sondern es ist auch die Kenntnis solcher Aspekte zum Kündigungssachverhalt erforderlich, die für den Dienstverpflichteten und gegen die Kündigung sprechen.250 Ohne eine umfassende Kenntnis vom Sachverhalt kann der Kündigungsberechtigte sein Kündigungsrecht nicht verwirken, denn ein schutzwürdiges Vertrauen kann auf Seiten des Dienstverpflichteten noch nicht entstehen.251 Wiederholt betont das BAG, dass es für den gemäß §  626 II 2 BGB erforderlichen Kenntnisstand nicht ausreicht, wenn der Kündigungsberechtigte bloß grob fahrlässig nicht über Kenntnis von den kündigungsrelevanten Tatsachen verfügt.252 Zumindest vor Abschluss von Aufklärungsaktivitäten, die nach pflichtgemäßem Ermessen erforderlich erscheinen, läuft die Frist nicht an, 253 denn dann kann von einem schutzwürdigen Vertrauen des Gegners im Hinblick auf den Charakter eines Verwirkungstatbestandes noch nicht ausgegangen werden. Sind die Ermittlungen durch den Kündigungsberechtigten abgeschlossen oder nicht mehr notwendig, da der Sachverhalt zugestanden wurde,254 liegt Kenntnis des Kündigungsberechtigten vor und die Kündigungserklärungsfrist beginnt zu laufen. Unterlässt der Kündigungsberechtigte dagegen notwendige Aufklärungsarbeiten und liegt deswegen keine Kenntnis des Kündigungsberechtigten vor, stellt sich die Frage, ob die Kündigungserklärungsfrist dennoch zu laufen beginnt. Zumindest nach Ablauf der notwendigen Ermittlungszeit entsteht schutzwürdiges Vertrauen auf Seiten des Dienstverpflichteten. Dann läuft die Ausschlussfrist an. Die so einmal angelaufene Kündigungserklärungsfrist kann auch durch später aufgenommene Ermittlungsaktivitäten nicht wieder unterbrochen werden, selbst wenn dadurch das Vertrauen des Dienstver248  BAG NZA 2006, 101, 103; BAG NZA 1996, 419, 423; BAG NZA 1994, 171, 173; BAG NZA 1989, 105, 106; BAG NJW 1976, 1766; BAG NJW 1972, 1486, 1487. 249  BAG NZA 1989, 105, 106; BAG NJW 1973, 214. 250  BAG NZA 2006, 101, 103. 251  BAG NZA-RR 2006, 440, 441 Tz.  20 f.; BAG NZA 2003, 1055. 252  BAG NZA 2006, 101, 103; BAG NZA 1996, 419, 423; BAG NZA 1994, 171, 173; BAG NZA 1994, 409, 410; ebenso BGH WM 2013, 931, 932 Tz.  15. 253  BAG NZA 2006, 101, 103; BAG NZA 1989, 105, 106; BAG NJW 1973, 214. 254  BAG NZA 2003, 1055.

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§  5  Wissen als Ausgangspunkt zeitlicher Begrenzung von Rechten

pflichteten möglicherweise zerstört wird. Anderenfalls hätte es der Kündigungsberechtigte in der Hand, durch Verschleppung der Aufklärungsaktivitäten den Beginn der Ausschlussfrist hinauszuschieben. Die schleppende Aufklärung, d. h. die verzögerte Informationsbeschaffung des Kündigungsberechtigten, kann gezielt erfolgen oder aber auf reiner Nachlässigkeit beruhen. Hierbei stellt sich das Problem, dass (auch grob) fahrlässige Unkenntnis für die in §  626 II 2 BGB geforderte Kenntnis nicht ausreicht.255 Führt das Unterlassen oder Verschleppen der Ermittlungsaktivitäten regelmäßig zu einem Vertrauenstatbestand beim Dienstverpflichteten, so statuiert dies eine Ermittlungsobliegenheit für den Kündigungsberechtigten. Die Kündigungserklärungsfrist beginnt bei Verletzung der Obliegenheit jedoch nicht aufgrund der Kenntnis zu laufen, denn die Kenntnis vom Kündigungsgrund liegt gerade nicht vor. Die Kündigungserklärungsfrist beginnt zu laufen, weil der Kündigungsberechtigte mit demjenigen gleich behandelt wird, der redlicherweise Kenntnis gehabt hätte, wenn er nach dem zur Kündigung berechtigenden Vorfall entsprechend ermittelt hätte. Der BGH 256 konkretisierte in einer Entscheidung zu einer Kündigung eines selbstständigen Beratervertrages die Kriterien, nach denen das Vorliegen der Kenntnis der kündigungsrelevanten Tatsachen i. S. d. §  626 II BGB zu bestimmen sei. Zu entscheiden war über die Wirksamkeit einer fristlosen Kündigung eines Geschäftsführers. Die kündigungsrelevanten Tatsachen standen im Zusammenhang mit dem Abschluss eines Beratervertrages, dessen Abschluss erstens zum Schein und zweitens unter Verletzung der Kompetenz des Kündigungsgegners erfolgte. Es stellte sich die Frage, ob der Kündigungsberechtigte von diesen beiden Tatsachen Kenntnis im Sinne des §  626 II BGB hatte. Dem Kündigungsberechtigten lag nämlich nur ein Schreiben des Vertragspartners (des Scheinvertrages, der unter Kompetenzverletzung von dem Kündigungsgegner abgeschlossen wurde) vor, aus dem die Beendigung des betreffenden Vertrages und ein formelhafter Dank für die Zusammenarbeit hervorging. Der BGH nahm an, dass der Kündigungsberechtigte damit weder Kenntnis hinsichtlich der Tatsache eines Scheinvertrages noch des Kompetenzverstoßes hatte, weil dem Kündigungsberechtigten bloß die Vertragsbeendigung, nicht aber der Inhalt des Vertrages selbst und dessen zugrunde liegendes Leistungsspek­ trum bekannt waren. Der BGH stellte entscheidend darauf ab, dass die Modalitäten der Vertragsbeendigung „nichts Ungewöhnliches“ seien.257 Daher könne der Kündigungsberechtigte nicht auf die eigentlich kündigungsrelevanten Tatsachen schließen und habe somit keine Kenntnis von diesen.258 255 

So ausdrücklich BGH WM 2013, 931, 932 Tz.  15. BGH WM 2013, 931. 257  BGH WM 2013, 931, 932 Tz.  16. 258  BGH WM 2013, 931, 932 Tz.  16. 256 

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4.  Arbeitsvertragliche Ausschlussfristen bei unbekannten Ansprüchen Ausschlussfristen haben im Arbeitsvertragsrecht eine erhebliche Bedeutung. Sie dienen dem Rechtsfrieden und der Rechtssicherheit und sollen dem Schuldner innerhalb angemessener Frist Klarheit verschaffen, ob gegen ihn noch Ansprüche geltend gemacht werden oder ob er sich darauf verlassen kann, dass nach Fristablauf keine Ansprüche mehr erhoben werden.259 Die arbeitsvertragliche Gestaltungsfreiheit solcher arbeitsvertraglichen Ausschlussfristen wird durch die zwingenden Regelungen des Verjährungsrechts und regelmäßig auch durch das Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen determiniert. Daher entsteht häufig auch Streit über die Wirksamkeit der in einem Arbeitsvertrag enthaltenen Ausschlussfristen. Die Entwicklung der Rechtsprechung zur Wirksamkeit arbeitsvertraglicher Ausschlussfristen wurde dementsprechend nicht nur durch die Novellierung des Verjährungsrechts, sondern auch durch die Eröffnung der Inhaltskontrolle arbeitsvertraglicher Allgemeiner Geschäftsbedingungen (§  310 IV 2 BGB) beeinflusst. Bei der Prüfung formularvertraglicher Vereinbarungen ist vom Leitbildcharakter (im Sinne von §  307 I BGB) der dreijährigen Regelverjährungsfrist (§  195 BGB) auszugehen und es sind die Besonderheiten des Arbeitsrechts zu berücksichtigen, §  310 IV 2 BGB.260 Nach überwiegender Ansicht in der Literatur sind Ausschlussfristen von weniger als drei Monaten 261 in formulararbeitsvertraglichen Klauseln in jedem Fall unwirksam. Das gilt nach der Literatur in unterschiedlichen Nuancierungen für beide Stufen der im Arbeitsrecht typischen zweistufigen Ausschlussfristen (erste Stufe: formgerechte Geltendmachung und nachfolgende zweite Stufe: gerichtliche Geltendmachung).262 Von wesentlich größerer Bedeutung als die Dauer der Ausschlussfrist ist der Beginn der Frist. Regelmäßig ist der Anfang der Ausschlussfrist von der Fälligkeit des Anspruchs abhängig. Das ist nach §  271 BGB im Zweifel der Zeitpunkt der Entstehung des Anspruchs. Um die durch den objektiven Beginn der Ausschlussfrist auftretenden Härten abzumildern, stellt die Rechtsprechung bei der Bestimmung der Fälligkeit auf eine ganze Reihe von subjektiven Elementen ab.263 Das BAG264 modifiziert den allgemeinen Begriff der Fälligkeit eines An259 

Krause, RdA 2004, 36, 37; ErfK/Preis, §  218 Rn.  32. 2016, §  218 BGB Rn.  46. 261  Die Fristlänge wird in der Rechtsprechung nicht einheitlich beurteilt, vgl. BAG NZA 2005, 1111, 1114; BAG AP HGB §  74b Nr.  2 ; BAG AP BGB §  241 BGB Nr.  1; BAG AP TVG §  4 Ausschlussfristen Nr.  162; BAG AP BGB §  241 BGB Nr.  2. 262  Henssler, RdA 2002, 129, 138; Singer, RdA 2003, 194, 201; Preis/Roloff, RdA 2005, 144, 157 f.; Krause, RdA 2004, 106, 111; ErfK/Preis, §  218 Rn.  46 m. w. N. 263  Vgl. beispielsweise BAG AP TVG §  4 Ausschlussfristen Nr.  14; umfangreich und mit zahlreichen Rechtsprechungsbeispielen hierzu Krause, RdA 2004, 106 f.; ErfK/Preis, §  218 Rn.  52. 264  Im Hinblick auf tarifvertragliche Ausschlussfristen vgl. BAG AP TVG §  4 Ausschlussfristen Nr.  71; BAG AP TVG §  4 Ausschlussfristen Nr.  85. 260 ErfK/Preis,

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spruchs, indem der arbeitsrechtliche Begriff der Fälligkeit unter Einbeziehung des Kenntnisstandes des Gläubigers und subjektiver Zurechnungsgesichtspunkte interessengerecht bestimmt wird.265 Die Fälligkeit des Anspruchs ist demnach davon abhängig, dass der Anspruch vom Gläubiger feststellbar ist und geltend gemacht werden kann. Dies ist möglich, sobald der Gläubiger in der Lage ist, sich ohne schuldhaftes Zögern einen Überblick zu verschaffen und seine Forderungen wenigstens annähernd zu beziffern.266 Andererseits muss der Gläubiger ohne schuldhaftes Zögern die Voraussetzungen schaffen, um seinen Anspruch beziffern zu können. Diese Anforderungen hängen zwar von den Umständen des Einzelfalls ab, sind allerdings an einem allgemeinen und objektiven Maßstab zu messen 267 und müssen sich am gesetzlichen Leitbild einer kenntnisabhängigen Verjährung gemäß §  199 BGB orientieren. Eine einheitliche Systematik, die hinter der Subjektivierung des objektiven Fälligkeitsbegriffs steht, ist nicht zu erkennen. Bei der Modifizierung der Fälligkeit steht das Bestreben der Rechtsprechung im Vordergrund, eine angemessene Risikozuweisung mit Hilfe der Subjektivierung des Begriffs der Fälligkeit zu erreichen. Das BAG begründet durch die Prüfung subjektiver Elemente Obliegenheiten im Hinblick auf die Kenntnisverschaffung. Alternativ zur Modifizierung des Fälligkeitsbegriffs wäre eine Hemmung des Fristlaufs denkbar, solange der Gläubiger von der Existenz eines Anspruchs schuldlos keine Kenntnis hat, 268 denn einem Abstellen auf einen rein subjektiven Beginn der Ausschlussfrist stehen häufig tarifvertragliche Regelungen entgegen. Die von der Rechtsprechung vorgenommene Subjektivierung des Fälligkeitsbegriffs bietet allerdings ein äußerst flexibles Instrument, um einen Anspruch an einer Ausschlussfrist scheitern zu lassen oder nicht. Diese an Treu und Glauben orientierten (Wertungs-)Erwägungen liegen auch der Rechtsprechung zugrunde, nach der sich der Anspruchsgegner nicht auf eine Versäumung der Ausschlussfrist berufen kann, wenn der Anspruchsinhaber von seinem Anspruch keine Kenntnis hatte und auch nicht haben konnte.269 Bei der Konkretisierung der subjektiven Elemente differenzierte das BAG häufig im Hinblick auf den Charakter des (von der Ausschlussfrist erfassten) Anspruchs (rechtsgeschäftlich oder deliktisch).270 Dies ist vor allem damit zu erklären, dass nach der Rechtslage bis zur Schuldrechtsreform für den Beginn der Verjährungsfrist ebenfalls nach dem Charakter des (verjährenden) Anspruchs differenziert wurde (Regelverjährung 265 

BAG NZA 2005, 814 (zu III 5c) m. w. N. BAG NZA 2005, 1111, 1114; BAG NZA 2005, 814, 818; BAG NZA 1997, 45; BAG NZA 1995, 897, 898. 267 Damit soll vor allem die Zielsetzung der Rechtsklarheit erreicht werden, vgl. BAG NZA 1995, 897, 898 m. w. N. 268  Zu dieser Annahme mit weiteren Nachweisen Krause, RdA 2004, 106, 107. 269  BAG NZA 2001, 723, 727. 270 BAG AP TVG §   4 Ausschlussfristen Nr.  85; BAG AP BAT §  70 Nr.  26; ausführlich hierzu Krause, RdA 2004, 106, 107. 266 

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gemäß §  195 BGB i. d. F. bis 2001 bzw. Verjährung deliktischer Ansprüche gemäß §  852 I BGB i. d. F. bis 2001). Insbesondere hinsichtlich deliktischer Ansprüche wurde dem Arbeitgeber in den oben genannten Konstellationen grundsätzlich nur dann eine nähere Untersuchung des Geschehens abverlangt, wenn er bereits positive Kenntnis des Schadensereignisses hatte. Dies steht im Einklang mit der Kenntnis, die für den Beginn der Verjährungsfrist nach §  852 I BGB i. d. F. bis 2001 relevant war. Eine ständige, durch grobe Fahrlässigkeit verletzbare Überwachungsobliegenheit hinsichtlich eintretender Schäden oblag dem Arbeitgeber nach der Rechtsprechung des BAG dagegen nicht.271 Ob diese ­Differenzierung nach der heutigen Rechtslage noch getroffen werden kann, ist bislang, soweit ersichtlich, noch nicht beantwortet worden. Unter Beachtung der Bedeutung der die Verjährungsfrist ebenfalls anlaufen lassenden grob fahrlässigen Unkenntnis der schadensbegründenden Umstände ist auch eine Modifizierung der Anforderungen an die Überwachungsobliegenheiten des Arbeitgebers angebracht. Die Unkenntnis des Gläubigers von bestehenden Ansprüchen lässt die Ausschlussfrist ferner dann nicht anlaufen, wenn der Schuldner auf den Kenntnisstand des Gläubigers Einfluss nehmen musste. Ist beispielsweise der Arbeit­ geber verpflichtet, über das Arbeitsentgelt eine Abrechnung zu erstellen, so läuft trotz der Fälligkeit des Anspruchs eine hieran gekoppelte Ausschlussfrist nicht an, sondern erst mit Rechnungslegung, weil dem Arbeitnehmer erst dadurch eine Prüfung hinsichtlich eventueller Ansprüche möglich wird.272

5.  Anwendung der zweigliedrigen Methode der Bestimmung der relevanten Kenntnis auf Ausschlussfristen Die Wirkung der Ausschlussfristen tritt unabhängig vom Willen der Beteiligten ein, denn der Schuldner braucht sich nicht auf die Ausschlussfrist berufen. Der bloße Ablauf der Ausschlussfrist bewirkt bereits den Rechtsverlust. Daher entfernt sich die Wirkung einer Ausschlussfrist von den individuellen Möglichkeiten und Fähigkeiten der Beteiligten noch stärker, als die Wirkung bei Eintritt der Verjährung von den individuellen Eigenschaften abhängig ist (insbesondere den Kenntnissen und dem Können im Hinblick auf mögliche Folgerungen aus bekannten Tatsachen). Demnach hat auch der jeweilige individuelle Kenntnisstand der Beteiligten noch weniger Relevanz für die Ausschlussfristen. Da der Rechtsverlust qua Gesetz eintritt, entscheidet die bloße Sichtweise eines objektiven Dritten, ob er in der konkreten Situation in der Lage war, auf der Basis der zur Verfügung stehenden Informationen und mit einem durch271 

BAG AP TVG §  4 Ausschlussfristen Nr.  85. AP TVG §  4 Ausschlussfristen Nr.  93; vgl. weiterführend ErfK/Preis, §  218 Rn.  52. 272 BAG

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schnittlichen weiteren Kenntnisstand sowie mit durchschnittlichen Fähigkeiten des Rechtsinhabers zu Ableitungen aus diesen Informationen zu kommen, d. h. ob die geforderte Handlung (meist die Entscheidung, den Anspruch geltend zu machen) daher überhaupt möglich war. Bei der Vorgehensweise orientiert man sich am besten an der Einschaltung des gedachten Dritten, wie oben bei der Verjährung dargelegt wurde. Allerdings sollten dabei die individuellen Fähigkeiten und der jeweilige Kenntnisstand der Beteiligten (noch) weniger gewichtet werden, um ein noch stärker an objektiven Gesichtspunkten orientiertes Ergebnis herbeizuführen. Damit wird das Ziel, möglichst große Rechtsklarheit und Rechtssicherheit zu erreichen, am besten verfolgt. Um das Ergebnis von Rechtssicherheit durch einen zeitlich gebundenen Ausschluss des Rechts nicht einseitig zu Lasten von nur der Partei auszugestalten, die die Entscheidung trifft bzw. die Handlung vornehmen muss, kann der anderen Partei die Pflicht auferlegt werden, für eine ausreichende Entscheidungsgrundlage zu sorgen. Dies ist das Regelungskonzept der reisevertraglichen Ausschlusstatbestände hinsichtlich der Mängelrechte: Der Reiseveranstalter kommt nur in den Genuss rascher Rechtssicherheit, wenn er die andere Partei auf die Folgen der unterbliebenen Mängelanzeige ausdrücklich hinweist. Dieses Konzept könnte im Rahmen arbeitsrechtlicher Ausschlussfristen fruchtbar gemacht werden. Dann obliegt es dem jeweiligen Vertragspartner, die entscheidungserheblichen Umstände dem anderen Vertragspartner mitzuteilen, der daraus ein Recht herleiten könnte, so dass eine objektive Möglichkeit der Entscheidung besteht bzw. deren Ausbleiben nicht auf einen mangelhaften Kenntnisstand zurückzuführen ist. Dieses Konzept versagt allerdings in den Fällen, in denen es um eine Aufarbeitung von Verantwortlichkeit für ein Handeln geht (§  626 II BGB). Im Rahmen der Entscheidung über die außerordentliche Kündigung kann dem Arbeitnehmer nicht die Pflicht auferlegt werden, für ihn belastende Umstände dem Arbeitgeber zu präsentieren, um dann rasch eine Entscheidung über die Fortführung oder Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu erhalten. Obwohl freilich für den Arbeitnehmer diese Möglichkeit der raschen Herbeiführung der Entscheidung besteht, ginge die Begründung einer Mitwirkungsobliegenheit des Arbeitnehmers an der Aufklärung des eigenen Fehlverhaltens allein zur Erreichung rascher Rechtsklarheit und Rechtssicherheit zu weit. Für diesen Bereich der Bestimmung des Fristbeginns der außerordentlichen Kündigung muss daher auf die Einschätzung aus der Sicht des objektiven Dritten zurückgegriffen werden: Danach muss aus dieser Sichtweise nach den im Rahmen der Verjährung beschriebenen Grundsätzen die Frage beantwortet werden, ob der objektive Dritte auf der Grundlage der verfügbaren Informationen unter Zuhilfenahme seines sonstigen Wissens und Könnens in der Lage ist, eine Entscheidung über den Fortbestand oder die Kündigung des Arbeitsverhältnisses zu treffen.

III. Verwirkung

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III. Verwirkung 1.  Allgemeiner zivilrechtlicher Verwirkungstatbestand Die Verjährung dient vor allem dem Schuldnerschutz. Dennoch ist das Schuldnerinteresse in dem gesetzlichen Tatbestand der Verjährung nur durch den bloßen Zeitablauf erkennbar, nach dem der Schuldner das Recht der Leistungsverweigerung erlangt. Insbesondere kommt es für das Leistungsverweigerungsrecht des Schuldners nicht darauf an, dass er Kenntnis von dem gegen ihn gerichteten Anspruch hat. Auch ist nicht maßgebend, dass auf Seiten des Schuldners während der Verjährungsfrist ein Vertrauen entsteht273, dass der Anspruch nach dem Ablauf der Verjährungsfrist nicht mehr geltend gemacht werde. Der Grund für die Verwirkung eines Anspruchs ist dagegen nicht allein der Zeitablauf.274 Vielmehr ist die Verwirkung ein Sonderfall unzulässiger Rechtsausübung und dient neben dem Bedürfnis nach Rechtsklarheit vor allem dem Vertrauensschutz.275 Mit der Verwirkung wird die „illoyal späte Geltend­ machung“ von Rechten ausgeschlossen.276 Daher muss im Gegensatz zur Verjährung für die Ausfüllung des Tatbestandes der Verwirkung neben das Zeitmoment ein „Umstandsmoment“277 treten. Sowohl im Verhalten des Berechtigten als auch in dem des Verpflichteten müssen zum Zeitmoment besondere Umstände hinzukommen, die es rechtfertigen, die späte Geltendmachung des Rechts als mit Treu und Glauben unvereinbar und für den Verpflichteten als unzumutbar anzusehen.278 Die lange Zeit der Nichtausübung des Rechts muss bei dem Schuldner die Überzeugung hervorrufen, der Gläubiger werde seinen Anspruch nicht mehr geltend machen.279 Der Schuldner muss sich hierauf eingerichtet haben, und schließlich darf ihm die Erfüllung des Rechts des Gläubigers nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung aller Umstände des Falles nicht mehr zumutbar sein.280

273  Wenngleich der Gläubiger durch die Nichtgeltendmachung des Anspruchs sein Des­ interesse deutlich macht und dann eine Ähnlichkeit zwischen Verjährung und Verwirkung besteht, vgl. Peters/Zimmermann, in: BMJ, Gutachten und Vorschläge zur Überarbeitung des Schuldrechts/1, S.  77, 288 sowie Zimmermann, JZ 2000, 853, 857. 274  BAG NJW 2001, 2907 f.; so bereits RGZ 159, 99, 105 f. 275  BAG NJW 2001, 2907, 2908; BAG ZInsO 2000, 411, 569; vgl. auch Palandt/Grüneberg, BGB, 2016, §  242 Rn.  87. 276  BGH NJW 2007, 2183 f. Tz.  8 ; BGH NJW 1957, 1358; Staudinger/Looschelders/Olzen, BGB, 2015, §  242 BGB Rn.  306. 277  Kritisch zu dem Begriff des Umstandsmoments, der an sich das „Vertrauensmoment“ umschreibt, Staudinger/Peters/Jacoby, BGB, 2014, Vorbem. zu §§  194–225 Rn.  28. 278  BGH NJW 1989, 836, 838; BGH NJW 1984, 2466, 2468; BAG NJW 1988, 1616. 279  BGH NJW 2007, 2183 f. Tz.  8 . 280  BAG NJW 2001, 2907, 2908; BAG NJW 1988, 1616.

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§  5  Wissen als Ausgangspunkt zeitlicher Begrenzung von Rechten

Für die Verwirkung ist daher der Kenntnisstand sowohl des Gläubigers als auch des Schuldners von Bedeutung. Wichtig für die Verwirkung ist, ob ein schutzwürdiges Vertrauen auf Schuldnerseite entsteht. Das ist der Fall, wenn der Schuldner das Recht des Gläubigers, das über längere Zeit nicht geltend gemacht wird, kennt, so dass er überhaupt damit rechnen kann, dass der Berechtigte später doch noch das ihm zustehende Recht geltend macht.281 Die Kenntnis des Berechtigten vom Bestehen des Rechts ist für die Begründung eines Vertrauenstatbestandes auf Seiten des Schuldners grundsätzlich nicht erforderlich.282 Daher kann das Recht des Gläubigers verwirkt sein, ohne dass er von dessen Bestehen wusste.283 Schutzwürdiges Vertrauen kann zumindest dann nicht entstehen, wenn der Schuldner davon ausgehen muss, dass der Berechtigte von den ihm zustehenden Ansprüchen nichts weiß.284 Dieser Fall liegt jedenfalls vor, wenn „dem Berechtigten gerade wegen eines unredlichen und heimlichen Verhaltens des Verpflichteten der ihm zustehende Anspruch unbekannt geblieben ist. Denn eine dadurch bedingte verspätete Geltendmachung des Schadensersatzanspruchs kann bei objektiver Beurteilung niemals als ein Verstoß gegen Treu und Glauben betrachtet werden“.285 Teilweise wird die Schutzwürdigkeit des Verpflichteten, der auf die Nichtgeltendmachung vertraut, auch in den Fällen verneint, in denen der Berechtigte von seinem Recht unverschuldet nichts weiß, 286 oder die Gegenpartei gut oder sogar besser als der Berechtigte in der Lage ist, die Situation einzuschätzen.287 Bei dem allgemeinen Verwirkungstatbestand ist der Kenntnisstand des Schuldners daher die Basis für das Entstehen schutzwürdigen Vertrauens. Zumindest mittelbar spielt der Kenntnisstand des Gläubigers auch eine Rolle, wenn der Schuldner diesen kennt bzw. auf ihn (unredlich) Einfluss nimmt. Dann kann ein schutzwürdiges Vertrauen nicht entstehen und eine Verwirkung kommt nicht in Betracht. Anders kann der Fall zu beurteilen sein, wenn der Schuldner den Gläubiger gerade auf das Bestehen des Rechts hinweist und daraufhin lange Zeit keine Reaktion des Gläubigers erfolgt. Dann spricht vieles für die Entstehung eines Vertrauenstatbestandes.

281  Vgl. BGH NJW 2007, 2183 f. Tz.  8 . Für besondere Ausnahmesituationen im Hinblick auf schützenswerte wettbewerbs- und warenzeichenrechtliche Vertrauenstatbestände vgl. BGH GRUR 1960, 137, 141 – Astra und BGH NJW 1957, 1358 – Hausbücherei. 282  BGH NJW 1957, 1358; so bereits RGZ 134, 41. 283  BGH NJW 2007, 2183 f.; BGH NJW 1957, 1358; anders im Hinblick auf die Sonder­ regelung des §  626 II BGB: BAG NJW 1978, 723, 724 f. 284  BGH NJW 2000, 140, 142. 285  BGH NJW 1957, 1358 f. 286 MünchKommBGB/Schubert, 7.  A ., 2016, §  242 Rn.  369; Beier, GRUR 1976, 567, will besonders strenge Maßstäbe für das Vorliegen von Verwirkung anlegen. 287 Staudinger/Looschelders/Olzen, BGB, 2015, §  242 BGB Rn.  309; MünchKommBGB/ Schubert, 7.  A., 2016, §  242 Rn.  370.

III. Verwirkung

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2.  Verwirkungstatbestand des §  21 MarkenG und allgemeine kennzeichenrechtliche Verwirkungslehre a.  Spezieller Verwirkungstatbestand des §  21 MarkenG 21 Eine spezielle Ausgestaltung eines Verwirkungstatbestandes enthält §   ­ arkenG. Diese Norm betrifft die Kollision zweier Marken oder geschäftlicher M Bezeichnungen unterschiedlicher Inhaber. Der Inhaber der älteren Marke kann grundsätzlich die Benutzung der Marke auch dem Inhaber einer jüngeren Marke untersagen, wenn eine Verletzungssituation (§  14 MarkenG) vorliegt. §  21 I MarkenG enthält eine Ausnahme von §  14 MarkenG, wenn der Inhaber der älteren Marke die Benutzung der jüngeren Marke während eines Zeitraums von fünf aufeinanderfolgenden Jahren in Kenntnis dieser Benutzung geduldet hat. Eine Gegenausnahme bildet die bösgläubige Markenanmeldung des Inhabers der jüngeren Marke. Neben dem Zeitelement (fünf aufeinanderfolgende Jahre) erfordert §  21 I, II MarkenG auch das Umstandsmoment der Duldung der dem Inhaber der älteren Marke bekannten Benutzung der Marke. Es kommt nicht auf den Zeitraum der Benutzung durch den Prioritätsjüngeren an, sondern allein auf die Dauer der Kenntnis von der Benutzung durch den Prioritätsälteren.288 Für die markenrechtliche Verwirkung ist es nicht erforderlich, dass der Betroffene auch die Person des Markenverletzers kennt. Dies ist ein Unterschied zum verjährungsrechtlichen Umfang der Kenntnis, die sich auch auf die Person des Schuldners beziehen muss. Wohl aber ist positive Kenntnis des Berechtigten von der Benutzung notwendig.289 Kennenmüssen oder (auch verschuldete) Unkenntnis genügt nicht.290 Diese bewusste Entscheidung des Gesetzgebers, die grob fahr­ lässige Unkenntnis der Kenntnis nicht gleichzustellen, zeigt das besondere Gewicht der Rechtssicherheit, das bei der Verwirkungsregelung in §  21 I–III MarkenG in der konkreten zeitlichen Schranke (fünf Jahre) zum Ausdruck kommt.291 Die Beantwortung der Frage, wann positive Kenntnis im Sinne dieser Norm vorliegt, bereitet die gleichen Probleme wie im Rahmen des §  852 I BGB i. d. F. bis 2001. Es werden für die Beantwortung beider Fragen ähnliche Lösungsvorschläge unterbreitet.292 Es sei treuwidrig (arg. ex §  162 I BGB), wenn sich der Kennzeicheninhaber der Kenntnis verschließt.293 Kann er sich die Kenntnis in zumutbarer Weise ohne nennenswerte Mühe verschaffen, weil die Tatsachen 288 

Ingerl/Rohnke, MarkenG, 3.  A., 2010, §  21 Rn.  10. MarkenG, 11.  A., 2015, §  21 Rn.  19; Kochendörfer, WRP 2001, 1040,

289 Ströbele/Hacker,

1044. 290 Ströbele/Hacker, MarkenG, 11.  A ., 2015, §  21 Rn.  20 m. w. N. 291  Ingerl/Rohnke, MarkenG, 3.  A ., 2010, §  21 Rn.  10. 292  Vgl. den Rückgriff von Klaka, GRUR 1994, 321, 329 (dort in Fn.  91), auf die Rechtsprechung von §  852 BGB i. d. F. bis 2001. 293  Kochendörfer, WRP 2001, 1040, 1047; Fezer, MarkenR, 4.  A ., 2009, §  21 Rn.  13.

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§  5  Wissen als Ausgangspunkt zeitlicher Begrenzung von Rechten

offenkundig sind, sei es nicht erforderlich, dass er die Kenntnis auch tatsächlich besitzt und er sei so zu behandeln, als habe er Kenntnis gehabt.294 Diese Argumentation lehnt sich an die Rechtsprechung zu §  852 I BGB i. d. F. bis 2001 an. Sie schafft zwar ein flexibles Instrument zur Klärung, in welchen Fällen es treuwidrig ist, sich auf eigene Unkenntnis zu berufen. Für die Bestimmung positiver Kenntnis ist der Rückgriff auf Treu und Glauben aber ebenso eingeschränkt hilfreich wie im Rahmen der Bestimmung der Kenntnis i. S. d. §  852 I BGB i. d. F. bis 2001.  A.gesichts der Schwierigkeiten beim Nachweis der positiven Kenntnis wurde in der Literatur die Anwendung eines Anscheinsbeweises vorgeschlagen.295 Die Kenntnis gilt danach als bewiesen, wenn der Verletzer Umstände nachweist, die nach dem typischen Verlauf der Dinge dazu führen, dass der Kennzeicheninhaber von der Verletzung Kenntnis erlangt. Für solche Umstände, die eine Kenntnis nahe legen, werden in der Literatur unterschiedliche Kriterien genannt: Umfangreiche, regelmäßige Werbung in derselben Fachzeitschrift oder auch das Bestehen eines unmittelbaren Konkurrenzverhältnisses.296 Die darüber hinaus in der Literatur vorgeschlagene Beweislastumkehr des subjektiven Tatbestandsmerkmals der Kenntnis297 wird überwiegend als zu weit gehend abgelehnt und es wird darauf hingewiesen, dass der Nachweis fehlender Kenntnis durch den Kennzeicheninhaber wohl noch schwerer zu führen sein wird als der Beweis der positiven Kenntnis.298 Der Rückgriff auf die Rechtsprechung zu §  852 I BGB i. d. F. bis 2001 liegt zwar auf den ersten Blick nahe, denn auch §  21 MarkenG verlangt positive Kenntnis, die der (grob) fahrlässigen Unkenntnis nicht gleichgestellt ist. Dennoch besteht ein wesentlicher Unterschied. Die Verjährungsfrist des §  852 I BGB i. d. F. bis 2001 beginnt mit dem bloßen Vorliegen der Kenntnis zu laufen. Dagegen fordert §  21 MarkenG (wie jeder Verwirkungstatbestand) noch ein gewisses Umstandsmoment. Zusätzlich zum Vorliegen positiver Kenntnis setzt §   21 ­MarkenG voraus, dass die (bekannte) Benutzung „geduldet“ wird. In der Duldung liegt ein bewusstes Unterlassen von Gegenmaßnahmen. Die Umstände der Benutzung müssen vom Markeninhaber in den Kontext einer möglichen Markenverletzung gesetzt werden, damit er Kenntnis im Sinne von §  21 MarkenG hat. Erst wenn er es bewusst unterlässt, gegen den Markenverletzer vorzugehen, obwohl er erkennt, dass er dies könnte (was die Kenntnis vom Bestehen des ­eigenen Unterlassungsanspruchs voraussetzt), duldet er die Benutzung. Unterbleibt eine solche (bewusste) Relevanzbildung des Benutzungstatbestandes, der für sich bekannt ist, liegt keine positive Kenntnis i. S. d. §  21 MarkenG vor. 294 Ströbele/Hacker,

MarkenG, 11.  A., 2015, §  21 Rn.  20. Klaka, GRUR 1994, 321, 329; Ströbele/Hacker, MarkenG, 11.  A., 2015, §  21 Rn.  21 m. w. N. 296  Zu diesen Beispielen Ströbele/Hacker, MarkenG, 11.  A ., 2015, §  21 Rn.  21. 297  Kochendörfer, WRP 2001, 1040, 1047 f. 298 Ströbele/Hacker, MarkenG, 11.  A ., 2015, §  21 Rn.  21. 295 

III. Verwirkung

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b.  Allgemeine kennzeichenrechtliche Verwirkungslehre §  21 IV MarkenG bestimmt, dass neben den speziellen Verwirkungstatbeständen in §  21 I, II MarkenG „die allgemeinen Grundsätze über die Verwirkung von Ansprüchen unberührt“ bleiben. Diese „allgemeinen Grundsätze“ gemäß §  21 IV MarkenG hat die Rechtsprechung in einer langen Entwicklung in Form einer spezifisch kennzeichenrechtlichen Verwirkungslehre herausgearbeitet.299 Danach tritt Verwirkung dann ein, „wenn durch eine länger andauernde red­ liche und ungestörte Benutzung einer Kennzeichnung ein Zustand geschaffen ist, der für den Benutzer einen beachtlichen Wert hat, ihm nach Treu und Glauben erhalten bleiben muss und den selbst der Verletzte ihm nicht streitig machen kann, wenn er durch sein Verhalten diesen Zustand erst ermöglicht hat“.300 Die einzelnen Elemente stehen in einer Wechselwirkung: Beispielsweise kann ein verhältnismäßig geringer Besitzstand durch einen erhöhten Duldungsanschein kompensiert werden 301 oder die erforderliche Benutzungsdauer abhängig von der Duldung und dem Kenntnisstand des Kennzeicheninhabers erheblich variieren.302 Eine Duldung der Benutzungshandlung setzt grundsätzlich die Kenntnis von der Benutzungshandlung durch den Kennzeicheninhaber voraus. Allerdings stellt die von der Rechtsprechung entwickelte allgemeine kennzeichenrechtliche Verwirkungslehre nicht bloß auf die Kenntnis von der Benutzungshandlung ab, sondern lässt bereits ein Kennenmüssen der Benutzungshandlung durch den anderen ausreichen.303 Der Kenntnis steht es daher gleich, wenn es der Kennzeicheninhaber unterlässt, eine im eigenen Interesse gebotene und zumutbare Marktbeobachtung durchzuführen.304 In diesem Zusammenhang wird vom BGH305 eine Marktbeobachtungsobliegenheit statuiert.306 Ein Faktor, der die 299 

Vgl. BGH GRUR 1966, 623, 626 – Kupferberg. diese Definition führten Ingerl/Rohnke, MarkenG, 3.  A., 2010, §  21 Rn.  25, unter Bezugnahme auf die Entscheidungen BGH GRUR 2008, 1104, 1107 Tz.  33 – Haus & Grund II; BGH GRUR 2004, 784, 785 – NEURO-VIBOLEX/NEURO-FIBRAFLEX; BGH GRUR 2001, 1161, 1163 – CompuNet/ComNet; BGH GRUR 2000, 605, 607 – comtes/ComTel; BGH GRUR 1993, 913, 914 – KOWOG; BGH GRUR 1990, 1042, 1046 – Datacolor, die Ausführungen der Rechtsprechung zusammen. 301  Ingerl/Rohnke, MarkenG, 3.   A., 2010, §  21 Rn.  26; BGH GRUR 1993, 913, 915 – KOWOG m. w. N. 302 Vgl. zu den unterschiedlichen, für notwendig erachteten Fristen die Beispiele bei ­Ingerl/Rohnke, MarkenG, 3.  A., 2010, §  21 Rn.  29 und Ströbele/Hacker, MarkenG, 11.  A., 2015, §  21 Rn.  63. 303  BGH GRUR 1966, 623, 626 – Kupferberg; BGH GRUR 1985, 72, 73 – Consilia; BGH GRUR 1989, 449 – Maritim. 304  BGH GRUR 1993, 913, 915 – KOWOG; GRUR 1993, 151, 153 – Universitätsemblem; GRUR 1989, 449, 452 – Maritim; GRUR 1985, 72, 73 – Consilia; GRUR 1966, 623, 626 – Kupfer­berg. 305  BGH GRUR 1993, 913, 915 – KOWOG; BGH GRUR 1993, 151, 153 – Universitäts­ emblem. 306  Ingerl/Rohnke, MarkenG, 3.  A ., 2010, §  21 Rn.  35 m. w. N. 300  Auf

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§  5  Wissen als Ausgangspunkt zeitlicher Begrenzung von Rechten

Beobachtungsobliegenheit begründen kann, ist beispielsweise eine Eintragung im selben Handelsregister.307 Eine solche Obliegenheit zur Beobachtung steht allerdings im Gegensatz zu den speziellen Verwirkungstatbeständen des §  21 I–II MarkenG.308 Nach der Rechtsprechung reicht es für die Kenntnis des wirtschaftlichen Betätigungsfeldes des Mitbewerbers und somit auch für die Kenntnis dessen benutzter Kennzeichen aus, wenn die Parteien in Geschäftsbeziehungen zueinander stehen.309 Bei der Unterstellung der Kenntnis des wirtschaftlichen Betätigungsfeldes wird dem Kennzeicheninhaber somit die Obliegenheit auferlegt, das Vertrauen des Benutzers des Kennzeichens, der in engem geschäftlichen Kontakt mit dem Kennzeicheninhaber steht, nicht übermäßig lange Zeit durch Untätigkeit zu nähren.310 Für die Vertrauensbildung des die Marke Benutzenden ist es ferner entscheidend, ob er weiß, dass der Verletzte selbst positive Kenntnis von der Benutzung der Marke hat. Die Kenntnis von der Benutzung kann dem Kennzeicheninhaber indirekt durch intensive Werbung des Benutzenden oder direkt durch das Angebot des Benutzenden an den Markeninhaber auf Abschluss einer Abgrenzungsvereinbarung entstehen. Erhält der Benutzende auf seine Bemühungen, dem Kennzeicheninhaber die Benutzung zur Kenntnis gelangen zu lassen, lange Zeit keine Reaktion, darf er darauf vertrauen, künftig nicht wegen der Markenbenutzung in Anspruch genommen zu werden.311

3.  Zwischenergebnis: Kenntnis als Grundlage von Vertrauensbildung im Rahmen der Verwirkung Verwirkung ist ein stark an Billigkeitsentscheidungen orientiertes Instrument, bei dem die Vermeidung enttäuschten Vertrauens im Vordergrund steht. Die Verwirkung führt zu einem Ausschluss des Rechts, wenn der Verpflichtete auf das Ausbleiben der Geltendmachung vertrauen durfte. Neben einem Zeitmoment setzt die Verwirkung ein Umstandsmoment voraus, so dass bei dem Verpflichteten Vertrauen entstehen kann. Dieses Vertrauen kann nur bei Kenntnis des Verpflichteten von dem Recht des anderen entstehen. Teilweise kommt es auch auf den Kenntnisstand des Berechtigten an. Grundsätzlich ist die Kenntnis des Berechtigten von seinem Recht aber unerheblich für die Entstehung von Vertrauen auf Seiten des Verpflichteten. Ausnahmen hiervon finden sich in der Beeinflussung des Kenntnisstandes des Berechtigten durch den Verpflichteten. 307 

BGH GRUR 1993, 913, 915 – KOWOG. ist die Ursache für Abgrenzungsprobleme im Hinblick auf die abschließende Funktion der speziellen Verwirkungstatbestände, vgl. hierzu ausführlich Ströbele/Hacker, MarkenG, 11.  A., 2015, §  21 Rn.  71 ff. 309  BGH GRUR 1988, 776, 778 – PPC; ferner BGH GRUR 2000, 605, 607 – comtes/ComTel. 310  BGH GRUR 1970, 308, 310 – Duraflex. 311 Hierzu Ingerl/Rohnke, MarkenG, 3.  A ., 2010, §  21 Rn.  43. 308 Dies

IV. Ersitzung

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Besonders deutlich wird der Zusammenhang von Zeit- und Umstandsmoment bei der Verwirkung im Markenrecht. Die starre Fünfjahresfrist (§  21 I, II ­MarkenG) setzt dort positive Kenntnis voraus und dient mit der Aufstellung objektiver Kriterien der Rechtssicherheit. Die allgemeine kennzeichenrecht­ liche Verwirkungslehre beruht auf einer Wechselbeziehung zwischen der Dauer der Benutzungshandlung, dem Entstehen eines schutzwürdigen Besitzstandes, der Duldung der Benutzung durch den Berechtigten und einem darauf gegründeten Vertrauen des Verletzers. Ob ein berechtigtes Vertrauen entstehen konnte, ist in hohem Maße vom Grad der Kenntnis bzw. dem Bestehen von Kenntnisnahmemöglichkeiten des Berechtigten abhängig, der die Benutzung duldete. Die Bildung von Vertrauen durch den Verletzer auf die beanstandungslose Benutzung der Marke wird gefördert durch seine Kenntnis von der Duldung der Benutzung durch den Markeninhaber. Zur Duldung der Benutzung gehören die Kenntnis von der Benutzung sowie das bewusste Unterlassen von Beanstandungen. Dies setzt voraus, dass der Markeninhaber die ihm bekannte Benutzung der Marke als relevant für einen Rechtsverlust bewertet und einen entsprechenden Willen bildet, Beanstandungen zu unterlassen. Bei der für die Verjährung relevanten Kenntnis ist die Vorgehensweise der Einschaltung eines objektiven Dritten zielführend. Dies gilt im Rahmen der Verwirkung nur eingeschränkt: Die Entscheidung, ob ein Anspruch verwirkt ist, ist stark von der Wertung abhängig, ob das gebildete Vertrauen des Gegners schützenswert ist. Diese Entscheidung ist eine Wertungsfrage, die nicht unmittelbar aus dem Kenntnisstand eines Beteiligten ableitbar ist. Bei der der Wertung vorgelagerten Frage, ob die Voraussetzungen dafür bestehen, dass überhaupt Vertrauen entstehen kann, kommt es darauf an, ob der Inanspruch­ genommene Kenntnis von dem Kenntnisstand des Anspruchsinhabers hat: Bei der Beantwortung dieser (Vor-)Frage kann die gestufte Vorgehensweise unter Zuhilfenahme eines gedachten Dritten hilfreich sein. Allerdings wird es regelmäßig bei der anschließend zu treffenden Billigkeitsentscheidung, ob etwaiges Vertrauen im konkreten Fall schutzwürdig ist, auf überwiegend individuelle und damit auch subjektive Kriterien ankommen, so dass die möglichst objektive Bestimmung des jeweiligen Kenntnisstands bei der Beurteilung der Schutzwürdigkeit des Vertrauens in den Hintergrund tritt.

IV. Ersitzung Die Ersitzung bewirkt einen Rechtsverlust des Eigentums durch Zeitablauf. Gemäß §  937 BGB erwirbt derjenige Eigentum an einer beweglichen Sache, der diese 10 Jahre redlich im Eigenbesitz hat. Die Ersitzung ähnelt daher der Verjährung. Allerdings liegt der Geltungsgrund der Ersitzung nicht primär in der Untätigkeit des Eigentümers, sein Recht geltend zu machen, sondern vielmehr

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§  5  Wissen als Ausgangspunkt zeitlicher Begrenzung von Rechten

in dem Beharrungsinteresse des Eigenbesitzes.312 Im Gegensatz zur Verjährung, bei der der Gläubiger bei der Leistungsverweigerung nur mit seinem Anspruch gegen den Schuldner ausgeschlossen ist, ändert sich bei der Ersitzung die sachenrechtliche Güterzuordnung, d. h. sie entfaltet absolute Wirkung. Eine alternative Regelung wäre durchaus denkbar: Beispielsweise in der Form, dass der Eigentümer nur mit seinem Herausgabeanspruch gegen den Ersitzenden ausgeschlossen ist, wie in §  241a BGB bei unverlangt zugesandten Waren. Dies ist bei der Ersitzung jedoch nicht der Fall, vielmehr tritt die neue Rechtszuordnung gegenüber jedermann ein. Diese weitreichende Wirkung der Ersitzung (Änderung der sachenrechtlichen Güterzuordnung) ist nicht vom Kenntnisstand des ursprünglichen Eigentümers abhängig. Die Ersitzung ist unabhängig von dessen Kenntnisstand hinsichtlich des Zeitablaufs oder der sonstigen Umstände, die zum Eigentumsverlust führen. Darin unterscheidet sich die Ersitzung von der Verjährung. Die Rechtsänderung ist in subjektiver Hinsicht vielmehr vom Kenntnisstand des Ersitzenden abhängig: Die Anforderungen an den Kenntnisstand des Ersitzenden unterscheiden sich in zeitlicher Hinsicht, wobei der Zeitpunkt der Besitzerlangung eine Zäsur markiert: 313 Eine Ersitzung ist ausgeschlossen, wenn der Erwerber bei Besitzerlangung nicht in gutem Glauben ist. Nach Besitz­ erlangung steht der Ersitzung nur die positive Kenntnis des Erwerbenden entgegen. Bezugspunkt der Gutgläubigkeit bzw. der Kenntnis ist jeweils das vermeintliche Eigentum des Ersitzenden. Darin unterscheiden sich die Anforderungen an die Redlichkeit in §  937 II BGB von denen in §  932 II BGB: Im Rahmen des gutgläubigen Erwerbs (§  932 BGB) bezieht sich der Kenntnisstand auf die Rechtsstellung eines Vorgängers im Besitz, während bei der Ersitzung der Ersitzende davon ausgehen muss, er sei Eigentümer.314 In §  937 II BGB sind zeitlich differenzierte Anforderungen an die Kenntnis enthalten. Eine vergleichbare Regelung enthält §  990 BGB. Angesichts dieser Ähnlichkeit der Abstufung des jeweiligen Kenntnisstands in §  937 II BGB und §  990 BGB nimmt die Literatur315 für die Bestimmung des jeweiligen Kenntnisstands im Rahmen der Ersitzung auf die zu §  990 BGB ergangene Rechtsprechung316 Bezug. Die Anforderungen an den guten Glauben in §  937 II Alt.  1 BGB sind ähnlich wie diejenigen in §  932 II BGB. Die Sorgfaltsanforderungen, die im Rahmen der groben Fahrlässigkeit gelten, unterscheiden sich ebenfalls

312 

Baur/Stürner, Sachenrecht, 18.  A., 2009, §  53 Rn.  85. Insoweit ist die amtliche Überschrift irreführend, die allein den „Ausschluss bei Kenntnis“ erwähnt, vgl. auch MünchKommBGB/Baldus, 6.  A., 2013, §  937 Rn.  28. 314  Baur/Stürner, Sachenrecht, 18.  A ., 2009, §  53 Rn.  88. 315 Staudinger/Wiegand, BGB, 2011, §  937 Rn.  7 ff. 316  BGH NJW 1958, 668. 313 

IV. Ersitzung

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nicht. Daher besteht bei der Ersitzung ebenso wie bei §  932 II BGB keine Nachforschungsobliegenheit beim Erwerb.317 War der Besitzer bei Erwerb des Eigenbesitzes gutgläubig, steht der Ersitzung nur eine während der Ersitzungszeit erlangte positive Kenntnis vom fehlenden Eigentum entgegen. Unter Rückgriff auf die Rechtsprechung zu §  990 BGB wird in der Literatur318 vertreten, dass die Kenntnis solcher Umstände, die berechtigten Anlass für Zweifel an der eigenen Eigentümerstellung geben, noch nicht für die in §  937 II BGB geforderte Kenntnis ausreiche. Daher liegt positive Kenntnis des Besitzers von seinem fehlenden Eigentum erst vor, wenn dem Besitzer die Rechte des Eigentümers „durch liquide Beweise dargetan [sind] oder er über den Mangel seines Rechts in einer Weise aufgeklärt wird, dass sich ein redlich Denkender der Überzeugung hiervon nicht verschließen würde“.319 Eine objektivierte positive Kenntnis liegt folglich auch dann vor, wenn der Wille, aus einer bekannten Sachlage die gebotenen Schlüsse zu ziehen, beim Besitzer durch den Blick auf den eigenen Vorteil beeinflusst wird. Er kann sich nicht auf seine Arglosigkeit berufen, sondern muss sich so behandeln lassen wie ein redlich Denkender, der von dem Gedanken an den eigenen Vorteil nicht beeinflusst wäre.320 Somit kommt es bei der Bestimmung positiver Kenntnis weniger auf den tatsächlichen Kenntnisstand, als vielmehr auf eine wertende Betrachtung an: Aus den vorliegenden Einzelinformationen muss der Schluss auf den Umstand gezogen werden, auf den sich die relevante Kenntnis bezieht. Es handelt sich um die Wertung eines verobjektivierten Betrachters, der von den Vorbzw. Nachteilen einer möglichen Kenntnis unbeeinflusst Schlüsse zieht. Die Einschränkung, eigene Vorteile des Ergebnisses eigenen Nachdenkens auszublenden, hat nichts mehr mit der Bestimmung eines tatsächlich vorliegenden Kenntnisstandes zu tun. Vielmehr wird die Norm dann angewendet, ohne dass ihre Voraussetzungen vorliegen. Diese Entscheidung beruht auf einer wertenden Entscheidung, die im Ergebnis darauf abzielt, zu klären, ob die Ersitzung als Änderung der Güterzuordnung gerechtfertigt ist. Hierbei spielt eine erhebliche Rolle, ob der Ersitzende auf den Rechtszustand, an den er bislang nur glaubte (die eigene Eigentümerstellung) und der sich durch Zeitablauf perpetuiert, vertrauen durfte. Umgekehrt ausgedrückt wird das Vertrauen bei dem Besitzerwerb bereits durch aufkommende und naheliegende Zweifel (grob fahr­ lässige Unkenntnis) und nach Besitzerwerb nur durch positive Kenntnis von der wahren Rechtslage zerstört. 317 MünchKommBGB/Baldus, 6.  A ., 2013, §  937 Rn.  33; Staudinger/Wiegand, BGB, 2011, §  937 Rn.  8. 318 MünchKommBGB/Baldus, 6.  A ., 2013, §  937 Rn.  27; Bamberger/Roth/Kindl, BeckOK/ BGB, Ed. 37, 2015, §  937 Rn.  6 . 319  BGH NJW 1958, 668. 320  BGH NJW 1958, 668; MünchKommBGB/Baldus, 6.  A ., 2013, §  937 Rn.  37: „eigennützige Blindheit“ schließt positive Kenntnis nicht aus.

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§  5  Wissen als Ausgangspunkt zeitlicher Begrenzung von Rechten

Geltungsgrund der Ersitzung ist mithin vor allem das gebildete Vertrauen des Ersitzenden. Daher ist für die Möglichkeit der Ersitzung zwar der Kenntnisstand des Ersitzenden mittelbar relevant, so wie es der Tatbestand des §  937 II BGB ausdrückt. Unmittelbar ist der Kenntnisstand jedoch nur für die Vorfrage des Entstehens des Vertrauens bzw. dessen Zerstörung erheblich. Die Anwendung der Ersitzungsvorschriften beruht letztlich auf einer wertenden Entscheidung, bei der aber die tatbestandliche Voraussetzung des Kenntnisstandes in den Hintergrund rückt. Damit hängt die Ersitzung nicht mehr von der Tat­ sachenfrage eines vorliegenden Kenntnisstandes ab, sondern ist vielmehr eine ergebnisbezogene Wertungsentscheidung.

V. Ergebnis 1.  Funktion, Bedeutungsgehalt und Bezugspunkt der Kenntnis Das Regelungsziel der Verjährung ist es, Rechtsfrieden und Rechtssicherheit durch die zeitliche Befristung der Durchsetzbarkeit von Ansprüchen zu schaffen. Im Rahmen der Verjährung kam es vor der Schuldrechtsreform häufig zu unbilligen Ergebnissen, wenn die Verjährungsfrist kenntnisunabhängig zu laufen begann. Die Kombination von kenntnisunabhängigem Beginn der Verjährungsfrist mit teilweise sehr kurzen Verjährungsfristen führte häufig dazu, dass der Anspruch bereits verjährt war, bevor der Gläubiger überhaupt von den anspruchsbegründenden Tatsachen und dem Bestehen seines Anspruchs Kenntnis erlangt hatte. In dem speziellen Fall, dass der Schuldner (Rechtsanwalt, Steuerberater) beratend tätig war, behalf sich die Rechtsprechung angesichts des Wissensvorsprungs des Beraters mit der Konstruktion der Sekundärverjährung. Dadurch wurden die Folgen der kenntnisunabhängig beginnenden Verjährungsfrist abgemildert. Diese Konstruktion war allerdings nur möglich, wenn der Gläubiger seinen Kenntnisstand nicht anderweitig (als durch die Beratung, in der die Pflichtverletzung begangen wurde) erweitern konnte, beispielsweise weil er von einem anderen sachkundig beraten wurde. Die Konstruktion der Sekundärverjährung war auch nur im Bereich der Rechtsberatung möglich. In anderen (bezogen auf die Beratungssituation vergleichbaren) Fällen lehnte die Rechtsprechung eine Sekundärhaftung ab, selbst wenn die Unkenntnis für den Beratenen kaum erkennbar war (z. B. bei der Wertpapierberatung). Der Beginn der Regelverjährung ist nach der Schuldrechtsreform gemäß §  199 I Nr.  2 BGB grundsätzlich von dem Kenntnisstand des Gläubigers im Hinblick auf die anspruchsbegründenden Tatsachen und die Person des Schuldners abhängig. Das Abstellen auf die positive Kenntnis erfolgt insbesondere angesichts der Unbilligkeit im Bereich des bis zur Schuldrechtsreform von subjektiven Elementen unabhängigen Beginns der Regelverjährung. Die Gleichstel-

V. Ergebnis

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lung von Kenntnis mit der ebenfalls die Verjährungsfrist anlaufen lassenden grob fahrlässigen Unkenntnis erfolgte, um Schwierigkeiten des Nachweises der positiven Kenntnis zu vermeiden, wie sie bis zur Schuldrechtsreform regelmäßig im Bereich der Verjährung deliktischer Ansprüche auftraten, deren Beginn an die positive Kenntnis von dem Schaden und der Person des Ersatzpflichtigen gekoppelt war (§  852 I BGB i. d. F. bis 2001). Kenntnis und grob fahrlässige Unkenntnis beziehen sich gemäß §  199 I Nr.  2 BGB auf die Person des Schuldners und auf die den Anspruch begründenden Umstände. Liegen dem Gläubiger einzelne oder alle Einzelinformationen isoliert vor, aus denen sich die anspruchsbegründenden Umstände ableiten lassen, besteht jedoch noch keine Kenntnis der anspruchsbegründenden Umstände. Der Gläubiger muss die ihm verfügbaren einzelnen Informationen in den Kontext einer rechtlichen Erheblichkeit für das Bestehen eines Anspruchs bringen. Er muss die Information als eine für eine Rechtsfolge relevante Information bewerten, d. h. sie kontextuieren. Die rechtliche Bewertung der einzelnen Information bedarf keiner Subsumtion unter einen Tatbestand. Der Gläubiger muss lediglich die Relevanz der Information für das Bestehen eines Anspruchs erkennen. Erkennt er diese Relevanz, liegt Kenntnis von einem anspruchsbegründenden Umstand vor. Die Unkenntnis des Gläubigers von den anspruchsbegründenden Umständen beruht auf grober Fahrlässigkeit, wenn die Relevanz der einzelnen Information für das Bestehen eines Anspruchs von jedermann unschwer zu erkennen ist. Das Regelungsziel der Verjährung ist, Rechtssicherheit zu schaffen. Dieses Ziel wird durch die Abhängigkeit des Beginns der Verjährungsfrist von subjektiven Elementen nicht gefördert. Im Gegenteil ist es der Rechtssicherheit eher abträglich, wenn subjektive, einzelfallorientierte Elemente, die in der Person des Berechtigten liegen, den Lauf der Verjährungsfrist beeinflussen. Allerdings wird die kenntnisabhängige Verjährungsfrist von einer objektiven (absoluten) Verjährungshöchstfrist flankiert. Der Beginn dieser Verjährungshöchstfrist ist vom Kenntnisstand des Berechtigten unabhängig (§  199 IV BGB sowie in Abs.  2, 3 und 3a). Teilweise verjähren Ansprüche auch unabhängig von der Kenntnis des Berechtigten. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn ein erhöhtes Bedürfnis an einer schnellen Klärung möglicher Ansprüche besteht, insbesondere im Gewährleistungsrecht von Massengeschäften. Die Notwendigkeit einer schnellen Klärung führt jedoch nicht zwingend zu einem objektiven und von der Kenntnis der Beteiligten unabhängigen Beginn einer Frist, nach deren Ablauf das Recht nicht mehr durchgesetzt werden kann. Die Gemeinsamkeit von arbeitsvertraglichen Ausschlussklauseln, der kurzen Verjährung von Ansprüchen bei der Beendigung von Mietverträgen (§  548 BGB) und der reisevertraglichen Ausschlussfrist bei der Anspruchsgeltend­ machung (§  651 I BGB) liegt in der Notwendigkeit einer raschen Klärung der Frage, ob ein Anspruch besteht oder nicht. Den Beginn einer arbeitsvertragli-

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§  5  Wissen als Ausgangspunkt zeitlicher Begrenzung von Rechten

chen Ausschlussfrist bestimmt die Rechtsprechung, indem sie auf die Fälligkeit des Anspruchs abstellt, diese jedoch danach bestimmt, wann der Anspruch dem Berechtigten bekannt sein konnte. Die mietvertragliche kurze Verjährung beginnt kenntnisunabhängig. Sie kann vertraglich verlängert werden. Im Rahmen von Formularverträgen ist dies jedoch nur zulässig, wenn eine Informationsbeschaffung in der gesetzlichen (kurzen) Verjährungsfrist nicht möglich ist. Dabei kommt es maßgeblich auf die Möglichkeit der Informationsgewinnung der Beteiligten, d. h. der Erweiterung ihres Kenntnisstandes, an. Die kurze Ausschlussfrist, in der reisevertragliche Mängelansprüche nach Beendigung der Reise beim Reiseveranstalter geltend gemacht werden müssen, zeigt deutlich das Zusammenspiel von (möglichst objektiver) zeitlicher Befristung und dem Kenntnisstand des Anspruchstellers. Die Monatsfrist des §  651 I 1 BGB beginnt kenntnisunabhängig im Zeitpunkt der vertraglich vorgesehenen Beendigung der Reise. Nach der Ausschlussfrist kann der Reisende Ansprüche nur noch geltend machen, wenn er die Frist unverschuldet versäumt hat. Dies liegt jedenfalls dann vor, wenn er von dieser Frist keine Kenntnis hatte. Für die Erlangung dieser Kenntnis des Reisenden ist der Reiseveranstalter verantwortlich, indem ihm entsprechende Informationspflichten (§  6 II BGB-InfoVO) auferlegt werden. Die Durchsetzung bzw. das Bestehen von Rechten wird durch Vertrauen eines Verpflichteten in die nicht (mehr) erfolgende Geltendmachung des Rechts beeinträchtigt. Beispiele hierfür sind die Verwirkung von Ansprüchen und die Erklärungsfrist für die außerordentliche Kündigung des Dienstvertrages (§  626 II BGB). Die Kündigungserklärungsfrist beginnt erst zu laufen, wenn der zur Kündigung berechtigende Sachverhalt hinreichend aufgeklärt wurde und dem Kündigungsberechtigten bekannt ist, so dass er eine informierte Entscheidung treffen kann. Bei der Verwirkung kommt es auf das Entstehen von Vertrauen des Verpflichteten an. Dieses setzt die Kenntnis des bestehenden Rechts und des Unterlassens der Geltendmachung voraus. Der Berechtigte muss das Recht ebenfalls kennen und auf seine Ausübung bewusst verzichten. Andernfalls fehlt es an einem für die Verwirkung notwendigen Umstandsmoment, wenn er das Recht (innerhalb der Verjährungsfrist) beispielsweise nur deswegen nicht ausübt, weil er von dem Bestehen keine Kenntnis hatte.

2.  Erhöhung der Einzelfallgerechtigkeit durch Verobjektivierung der Bestimmung des Vorliegens der Kenntnis Sofern eine Norm das Vorliegen positiver Kenntnis als Tatbestandsvoraussetzung hat, soll dies regelmäßig zu einer Erhöhung der Einzelfallgerechtigkeit führen, die bei einem Abstellen auf objektive Merkmale nicht gleichermaßen erreichbar ist. Die hierdurch subjektiv beeinflussten Rechtsfolgen wirken sich jedoch zu Lasten der Rechtssicherheit aus, weil sie weniger vorhersehbar sind.

V. Ergebnis

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Um dennoch vorhersehbare Ergebnisse bei der Bestimmung des Vorliegens der positiven Kenntnis zu erzielen, verwendet die Rechtsprechung bei der Definition des Kenntnisbegriffs objektive Kriterien. Besonders deutlich wird dies bei der Bestimmung des Kenntnisstandes des Ersitzenden: Dieser hat Kenntnis von dem fehlenden Recht, wenn sich ein redlich Denkender, der über den Mangel seines Rechts aufgeklärt wurde, der Überzeugung des Fehlens des Besitzrechts nicht verschließen würde. Zweifelt er hingegen nur an seiner Berechtigung, hat er noch keine Kenntnis von der mangelnden Berechtigung. Teilweise tritt die mit dem Vorliegen der Kenntnis verbundene Rechtsfolge nur dann ein, wenn derjenige, den die für ihn nachteilige Rechtsfolge trifft, auf die Folge seiner Kenntnis hingewiesen wurde. Dies verdeutlicht, dass nicht die Verfügbarkeit der Information selbst bereits die Kenntnis begründet (z. B. §  651g BGB: „die Reise weist einen Mangel auf“), sondern erst die Relevanzeinstufung der bekannten Tatsache für eine spezielle Rechtsfolge („aus der Mangelhaftigkeit können sich Gewährleistungsrechte ergeben“). Bei Ausschlussfristen werden diese beiden Bereiche (Verfügbarkeit der Information und Relevanzeinstufung) besonders deutlich. Nicht die Verfügbarkeit der Information führt zum Beginn der Ausschlussfrist, sondern erst das Erkennen der rechtlichen Relevanz der Information. Auf die Bedeutung der rechtlichen Relevanz muss zum Teil derjenige hinweisen, der aus dem Vorliegen der positiven Kenntnis einen Vorteil für sich ableitet (z. B. im Reisevertragsrecht).

§  6  Begründung von Vertrauen auf der Grundlage eines Kenntnisstandes Bei der zeitlichen Begrenzung von Rechten i. R. d. Verjährung ist der Kenntnisstand des Gläubigers ein wesentliches Tatbestandselement: Hat der Gläubiger Kenntnis (oder konnte er sie ohne Weiteres aus den ihm bekannten Tatsachen ableiten), beginnt die Verjährungsfrist zu laufen. Bei der Verwirkung tritt zu der notwendigen, rein tatbestandlich vorliegenden Kenntnis des Gläubigers noch eine weitere Voraussetzung hinzu: Das Umstandsmoment ist erst erfüllt, wenn die Kenntnis des Gläubigers vorliegt und auf Seiten des Schuldners zusätzlich Vertrauen entstanden ist, das schutzwürdig ist, d. h. der Schuldner vertrauen durfte. Da die Verwirkung neben dem Umstandsmoment auch auf einem Zeitmoment beruht, ist häufig nicht eindeutig, welche konkreten Anforderungen an das Vorliegen der Kenntnis des Gläubigers zu stellen sind. Insbesondere geht es regelmäßig um die Frage, ob das gebildete Vertrauen des Schuldners schutzwürdig ist. In diese wertende Entscheidung über das Vorliegen der Vo­ raussetzungen der Verwirkung spielen alle Faktoren (d. h. neben der Kenntnis und des daraus resultierenden Vertrauens vor allem auch die bisher vergangene Zeit) hinein. Auch andere Normen (§§  144 und 814 Alt.  1 BGB), die tatbestandlich auf eine vorliegende Kenntnis abstellen, weil darauf gegründetes Vertrauen geschützt wird, haben eine ähnliche Struktur wie die Verwirkung. Beispiele hierfür sind der Kondiktionsausschluss gemäß §  814 Alt.  1 BGB sowie der Anfechtungsausschluss nach Bestätigung des Rechtsgeschäfts gemäß §  144 BGB. Bei diesen Tatbeständen wird das Verhältnis zwischen Rechtsfolge und der vom Tatbestand vorausgesetzten, rechtlich relevanten Kenntnis deutlicher als bei der Verwirkung, da das Zeitmoment fehlt. Wiederum andere Tatbestände weisen nur ein relativ kurzes Zeitmoment auf. Beispiele hierfür sind Konstellationen, in denen sich ein Vertragspartner auf eine Aussage oder eine Handlung des anderen verlässt und dieser Aussage oder Handlung einen erweiterten Erklärungsgehalt beimisst. Dies ist beispielsweise bei der Bemessung einer Vorauszahlung der Betriebskosten in einer Mietwohnung im Hinblick auf die zu erwartenden (später abzurechnenden) tatsächlichen Kosten der Fall. Gleiches gilt für die vorbehaltlose Weiterzahlung der Miete, obwohl die Mietsache mangelhaft ist und sowohl Mieter als auch Vermieter dies wissen. Dabei geht es um die Frage, ob die Kenntnis der vorbehaltlosen Weiterzahlung der Miete durch den Mieter die

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§  6  Begründung von Vertrauen auf der Grundlage eines Kenntnisstandes

Grundlage für ein vermieterseitiges, schutzwürdiges Vertrauen bieten kann, dass der Mieter auch nachfolgend keine Rechte in Bezug auf den Mangel herleiten wird.

I.  Kondiktionsausschluss bei Leistung in Kenntnis der Nichtschuld Nach §  814 Alt.  1 BGB kann das zum Zwecke der Erfüllung einer Verbindlichkeit Geleistete „nicht zurückgefordert werden, wenn der Leistende gewusst hat, dass er zur Leistung nicht verpflichtet war“. Es kommt nach dem Wortlaut daher maßgeblich auf die Kenntnis des Leistenden an, dass die Verbindlichkeit zum Zeitpunkt der Leistung nicht bestand. Der Rückforderungsausschluss greift nur ein, wenn der Leistende über positive Kenntnis von dem Nichtbestehen der Verbindlichkeit verfügt.1 Kennenmüssen ist der Kenntnis nicht gleichgestellt. Der Rückforderungsanspruch ist nicht ausgeschlossen, wenn die Unkenntnis auf grober Fahrlässigkeit beruht.2 Insofern stellen sich ähnliche Probleme wie im Zusammenhang mit §  852 I BGB i. d. F. bis 2001, wonach die Verjährung erst ab der positiven Kenntnis vom Schaden und von der Person des Ersatzpflichtigen zu laufen begann. Nach ständiger Rechtsprechung des BGH schließt §  814 BGB eine Kondiktion erst aus, wenn der Leistende nicht nur die tatsächlichen Umstände kennt, „aus denen sich ergibt, dass er zur Leistung nicht verpflichtet ist, sondern auch weiß, dass er nach der Rechtslage nichts schuldet“.3 Der Leistende muss daher zum einen Kenntnis der tatsächlichen Umstände haben und zum anderen aus diesen Umständen die Rechtsfolge der Nichtschuld ableiten.4 Für die rechtliche Schlussfolgerung genügt allerdings eine entsprechende „Parallelwertung in der Laiensphäre“.5 Auch wenn der Leistende die tatsächlichen Umstände kennt und zudem anwaltlich beraten wird, lässt dies nicht unmittelbar den Schluss zu, dass der Leistende Kenntnis von der Nichtschuld hatte. 6 Die Anforderungen an den relevanten Wissensstand des Leistenden bei §  814 BGB sind daher höher als im Falle des Beginns der Verjährungsfrist, bei der es für die relevante Kenntnis allein auf die Tatsachenkenntnis der anspruchsbegründenden Umstände ankommt. Um die Verjährungsfrist anlaufen zu lassen, müssen die einzelnen Informationen in den Zusammenhang mit einem verjährenden Anspruch gebracht werden, d. h. die Relevanz der Informationen für den verjährenden Anspruch muss erkannt werden. Anders ver1 

BGH NJW 1969, 1165, 1167; BGH NJW 2002, 3772, 3773 m. w. N. BAG NZA 2007, 321, 324 Tz.  34. 3  BGH NJW 2002, 3772, 3773 m. w. N.; ferner BGH NJW 1969, 1165, 1167; BGH NJW 1991, 919, 920 f.; BGH NJW 1997, 2381, 2382. 4  BGH NJW 1997, 2381, 2382. 5  BAG NZA 2007, 321, 324 Tz.  34. 6  BGH NJW-RR 2005, 1464, 1466. 2 

I.  Kondiktionsausschluss bei Leistung in Kenntnis der Nichtschuld

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hält es sich beim Kondiktionsausschluss gemäß §  814 Alt.  1 BGB. Die bloße Kenntnis, dass die (zutreffend erkannten) Tatsachen irgendeine rechtliche Relevanz haben können, reicht nicht aus. Vielmehr muss die Rechtskenntnis der Nichtschuld als Schluss aus den bekannten Tatsachen gezogen werden. Hierbei ist allerdings unerheblich, woher die Rechtskenntnis stammt. Sie braucht insbesondere nicht auf eigener Erkenntnis beruhen, sondern kann auch von anderen stammen.7 Der Regelungsgrund des Kondiktionsausschlusses des §  814 BGB liegt darin, dass der Leistende dem Leistungsempfänger deutlich macht, dass er trotz der Nichtschuld leisten will. Die Kenntnis der Nichtschuld muss im Zeitpunkt der Leistung vorliegen. Hierdurch erhält die Handlung (durch die Leistung) einen Erklärungswert. Voraussetzung für die Beimessung eines solchen Erklärungswertes ist, dass dem Handelnden bewusst ist, dass er die Leistung nicht schuldet. Dies setzt Rechtskenntnis der Nichtschuld voraus, d. h. der Schuldner muss aus den ihm bekannten Tatsachen gefolgert haben, dass die Schuld nicht besteht, auf die er leistet. Andernfalls liegt bloß ein Erfüllungsversuch des Leistenden vor. Die in §  814 Alt.  1 BGB geforderte Kenntnis unterscheidet sich von der Kenntnis, die für den Beginn der Verjährungsfrist gemäß §  199 I Nr.  2 BGB erforderlich ist. Die für den Beginn der Verjährungsfrist relevante Kenntnis fügt keiner punktuellen Handlung einen Erklärungswert bei. Vielmehr beginnt durch die Kenntnis der anspruchsbegründenden Umstände erst eine Zeitspanne, in der der Anspruch geltend gemacht werden kann bzw. muss, damit er nicht verjährt. Daher ist bei der für den Anlauf der Verjährungsfrist relevanten Kenntnis der anspruchsbegründenden Umstände keine rechtliche Folgerung notwendig. Es genügt, wenn dem Gläubiger die für den Anspruch erheblichen Tatsachen und deren Erheblichkeit für die Begründung des Anspruchs bekannt sind. §  814 BGB stellt seinem Wortlaut nach zwar nicht auf die Kenntnis und Sichtweise des Leistungsempfängers ab. Dennoch kann der Kenntnisstand des Leistungsempfängers bei und in Bezug auf den Empfang der Leistung nicht gänzlich unbeachtet bleiben.8 Bei der Anwendung des Kondiktionsausschlusses ist gerade auch die Sichtweise des Leistungsempfängers relevant.9 Der Kondiktionsausschluss beruht maßgeblich auf dem Gedanken der Unzulässigkeit widersprüchlichen Verhaltens und ist eine konkrete Ausgestaltung des Grundsatzes von Treu und Glauben.10 Widersprüchlich ist ein Verhalten insbesondere dann, 7 Palandt/Sprau,

BGB, 2016, §  814 Rn.  4 m. w. N. So jedoch Staudinger/Lorenz, BGB, 2007, §  814 Rn.  2. 9  BGH NJW 1997, 2381, 2382. 10  BGH NJW 1979, 763; BGH NJW 2008, 1878, 1879 Tz.  16; Larenz/Canaris, SchuldR II/2, §  68 III 1 a, die zwar die ratio legis von §  814 Alt.  1 BGB in dem Verbot widersprüchlichen Verhaltens sehen, jedoch nicht in einer Ausprägung des Vertrauensschutzes, sondern vielmehr in der des Verhältnismäßigkeitsprinzips. Derjenige, der sich freiwillig durch Erbringung seiner eigenen Leistung des Rechtes begibt, die Leistung zu verweigern, könne nicht nach erfolgter Leistung in Kenntnis der Nichtschuld 8 

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§  6  Begründung von Vertrauen auf der Grundlage eines Kenntnisstandes

wenn es missbräuchlich ist. Dies ist etwa der Fall, wenn bei dem Leistungsempfänger ein Vertrauen entstanden ist und der Leistende dieses Vertrauen hervorrief und er dennoch anschließend seine Leistung zurückfordert.11 Im Hinblick auf §  814 BGB greift daher ein Kondiktionsausschluss jedenfalls dann, wenn beim Leistungsempfänger ein schützenswertes Vertrauen entstanden ist. Durch den Kondiktionsausschluss soll der Leistende Nachteile erleiden, „während der Empfänger darauf vertrauen darf, daß er eine Leistung, die bewußt zur Erfüllung einer nicht bestehenden Verbindlichkeit erbracht worden ist, behalten darf“.12 Mithin kommt es für den Kondiktionsausschluss mittelbar auch auf den Leistungsempfänger an. Die Ansicht, dass der Kondiktionsausschluss nur dann eingreift, wenn ein schützenswertes Vertrauen auf Seiten des Leistungsempfängers entstanden ist, findet zwar im Wortlaut des §  814 BGB keine unmittelbare Stütze.13 Wenn aber sowohl auf Seiten des Leistenden als auch auf Seiten des Leistungsempfängers Kenntnis von der Nichtschuld besteht, wird der Leistungsempfänger typischerweise auf das Behaltendürfen (als Folge von §  814 Alt.  1 BGB) vertrauen können und sich der Leistende widersprüchlich verhalten, wenn er die Leistung nachfolgend wegen des Fehlens eines Rechtsgrundes zurückfordert. Aus der zu §  814 BGB existierenden Rechtsprechung wird deutlich, dass die Rechtsfolge (Ausschluss des Kondiktionsanspruchs) nicht unmittelbar von dem Kenntnisstand des Schuldners abhängt, wie es der Wortlaut des §  814 BGB nahelegt. Vielmehr bietet das Vorliegen der schuldnerseitigen Kenntnis nur einen ersten Anhaltspunkt dafür, ob der Bereicherungsanspruch ausgeschlossen sein soll: Letztlich hängt diese Entscheidung jedoch von der Wertung ab, ob das auf der Grundlage der Kenntnis des Bereicherungsschuldners von der Nichtschuld gebildete Vertrauen des Bereicherungsgläubigers (im Hinblick auf das Behaltendürfen des Geleisteten) schutzwürdig ist. Die Frage nach der Schutzwürdigkeit ist eine Wertungsfrage, keine Tatsachenfeststellung. Die Feststellung der Tat­sache, ob die tatbestandsrelevante Kenntnis vorliegt, ist nur eine Vorfrage. Das Besondere bei der Anwendung von §  814 BGB durch die Rechtsprechung ist, dass sie die Wertungsfrage in die Beantwortung der Tatsachenfrage aufnimmt. Somit wird die Klärung der Tatsachenfrage nach dem Vorliegen der Kenntnis durch zahlreiche Wertungselemente angereichert („Ist es gerechtfertigt, den Bereicherungsanspruch auszuschließen?“). Da die Wertungselemente an sonst keinem anderen Element von §  814 BGB festgemacht werden können, dann Gerichte mit der Durchsetzung seines (ursprünglich einfacher zu erlangenden) Rechtsschutzes bemühen. 11  Vgl. Palandt/Grüneberg, BGB, 2016, §  242 Rn.  55 m. w. N. 12  BGH NJW 1997, 2381, 2382; ferner BGH NJW 1991, 560. 13  Insoweit wie Staudinger/Lorenz, BGB, 2007, §  814 Rn.  2.  A .A. BGH NJW 1979, 763 f., der darauf abstellt, dass §  814 BGB unanwendbar sei, wenn der Empfänger nicht auf das Behaltendürfen des trotz Nichtschuld Geleisteten vertraute. Allein die Kenntnis der Nichtschuld des Leistungsempfängers reiche nicht für den Kondiktionsausschluss gemäß §  814 BGB.

II.  Anfechtungsausschluss durch Bestätigung des anfechtbaren Rechtsgeschäfts

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werden sie in das am wenigsten scharf abgegrenzte Element der Kenntnis hinein­interpretiert. Diese Vorgehensweise stößt in der Literatur zu Recht auf Ablehnung.14 Die im Rahmen der Anwendung des §  814 BGB auftretenden Probleme mit dem Verständnis des Tatbestandsmerkmals der Kenntnis von der fehlenden Rechtspflicht zur Leistung liegt daher nicht in der konkreten Bestimmung der Kenntnis, sondern in einer wertungsgeladenen Definition des Tatbestandsmerkmals, unter welchen Voraussetzungen der Leistende gewusst hat, dass er zur Leistung nicht verpflichtet ist.

II.  Anfechtungsausschluss durch Bestätigung des anfechtbaren Rechtsgeschäfts Der Kondiktionsausschluss gemäß §  814 BGB ist angesichts des Grundgedankens des Verbots widersprüchlichen Verhaltens eng verwandt mit dem Anfechtungsausschluss gemäß §  144 BGB. Das Anfechtungsrecht ist ausgeschlossen, wenn der Anfechtungsberechtigte das anfechtbare Rechtsgeschäft bestätigt hat. Der Sache nach geht es bei §  144 BGB um den Verzicht auf das Anfechtungsrecht.15 Im Ergebnis handelt es sich wie bei §  814 Alt.  1 BGB um eine spezielle Form des Verbots widersprüchlichen Verhaltens, denn derjenige, der ein anfechtbares Rechtsgeschäft bestätigt, würde sich in Widerspruch zu seinem eigenen Verhalten stellen, wenn er das Rechtsgeschäft nachfolgend dann doch anfechten könnte. Für die Bestätigung i. S. d. §  144 BGB kann ein schlüssiges Verhalten ausreichen. Es genügt ein Verhalten, das den Willen offenbart, trotz Kenntnis der Anfechtbarkeit an dem Rechtsgeschäft festzuhalten,16 d. h. das „Rechtsgeschäft ungeachtet des Anfechtungsgrundes gelten zu lassen“.17 Vo­ raussetzung für die Bestätigung des anfechtbaren Rechtsgeschäfts ist die Kenntnis der Anfechtbarkeit der Willenserklärung.18 Überdies erfordert §  144 BGB, dass sich die Bestätigung des Rechtsgeschäfts und der damit verbundene Ausschluss der Anfechtbarkeit nur auf die dem Anfechtungsberechtigten bekannten Anfechtungsgründe bezieht.19 Kenntnis der Anfechtbarkeit liegt nicht schon dann vor, wenn nur die Tatsachen bekannt sind, die ein Anfechtungsrecht begründen können. Der Anfechtungsberechtigte muss darüber hinaus die Vorstellung gebildet haben, gegen das 14 Staudinger/Lorenz,

BGB, 2007, §  814 Rn.  2. BGB, 2016, §  144 Rn.  1. 16  BGH NJW 1958, 177. 17  BGH NJW 1990, 1106 unter Bezugnahme auf Flume, BGB AT II, 4.  A ., 1992, §  31 Pkt. 7 (S.  568 f.). 18  RGZ 68, 398, 400; BGH NJW 1995, 2290, 2291. 19 MünchKommBGB/Busche, 7.  A ., 2015, §  144 Rn.  7; Staudinger/Roth, BGB, 2010, §  144 Rn.  9. 15 Palandt/Ellenberger,

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§  6  Begründung von Vertrauen auf der Grundlage eines Kenntnisstandes

Rechtsgeschäft etwas unternehmen zu können.20 Die Rechtsprechung21 behandelt die Frage der Intensität der relevanten Kenntnis nur im Hinblick auf den Anfechtungsgrund der arglistigen Täuschung, da es nur bei diesem Anfechtungsgrund aufgrund der relativ langen Anfechtungsfrist gemäß §  124 I BGB (ein Jahr) möglich ist, eine Bestätigung abzugeben. Andernfalls ist für die Bestätigung nach dem Erkennen des Irrtums die Unverzüglichkeitsgrenze des §  121 BGB zu beachten. Die Rechtsprechung erachtet es im Falle der arglistigen Täuschung als ausreichend, dass der Anfechtungsberechtigte zumindest „mit der Möglichkeit rechnet, dass der Gegner ihn bewußt getäuscht hat“.22 Das Verhindern widersprüchlichen Verhaltens als gemeinsames Regelungsziel, das sowohl dem Ausschluss der Kondiktion als auch der Anfechtbarkeit zugrunde liegt, zeigt sich an einem weiteren Punkt. Leistet ein Schuldner auf eine Forderung, die auf einem anfechtbaren Rechtsgeschäft basiert, liegt in der Leistung trotz Kenntnis der Anfechtbarkeit eine Bestätigung des Rechtsgeschäfts. Dies gilt auch dann, wenn man in der Kondiktion nach Anfechtung des Verpflichtungsgeschäfts einen Fall des §  812 I 2 Alt.  1 BGB sieht. Würde man hingegen §  812 I 1 Alt.  1 BGB anwenden, bestünde nach einer erklärten Anfechtung von Anfang an keine Leistungspflicht. Nur dieser Fall wird von §  814 Alt.  1 BGB erfasst.23 Er kann jedoch nur dann eintreten, wenn der Leistende im Zeitpunkt der Leistung positive Kenntnis von der Anfechtbarkeit hatte. Dann wird allerdings in der Leistung in Kenntnis der Anfechtbarkeit regelmäßig auch eine Bestätigung des anfechtbaren Rechtsgeschäfts liegen, denn für die Bestätigung genügt bereits, dass der Anfechtungsberechtigte damit rechnet, dass der andere ihn getäuscht hat. Hat der Anfechtungsberechtigte bereits angefochten, so kann er das Rechtsgeschäft nicht mehr bestätigen.24 Daher ist kein Fall denkbar, in dem es im Hinblick auf die Kenntnis tatsächlich darauf ankäme, welche Wirkung die Anfechtung (ex tunc/ex nunc) hat. Der Fall der Leistung in Kenntnis der Anfechtbarkeit wird daher bloß von §§  144, 142 II BGB erfasst, nicht hingegen von §  814 BGB. Dabei reicht es schon, wenn der Anfechtungsberechtigte damit rechnet, dass Tatsachen vorliegen könnten, die einen Anfechtungsgrund bilden können und er diese Möglichkeit in Verbindung mit einem für das Bestehen des vertraglichen Anspruchs relevanten Zusammenhang bringt. Ist umgekehrt nicht der Leistende anfechtungsberechtigt, sondern der Leistungsempfänger, so stellt sich die Frage der Bestätigung des anfechtbaren Rechtsgeschäfts durch die Leistung in Kenntnis der Anfechtbarkeit nicht, da der Leistende das Rechtsgeschäft weder anfechten noch bestätigen kann. Lei­ 20 

BGH NJW-RR 1990, 817, 819; MünchKommBGB/Busche, 7.  A., 2015, §  144 Rn.  7. BGH NJW-RR 1990, 817, 819; BGH NJW 1971, 1795, 1800. 22  BGH NJW-RR 1990, 817, 819; allein auf die Kenntnis der Anfechtbarkeit abstellend BGH NJW 1990, 1106. 23  Zu diesen Konstellationen Staudinger/Lorenz, BGB, 2007, §  814 Rn.  3. 24 MünchKommBGB/Busche, 7.  A ., 2015, §  144 Rn.  2. 21 

III.  Kenntnis von Mietmängeln und vorbehaltlose Zahlung

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stet der vor der erklärten Anfechtung Verpflichtete, greift der Ausschluss der Kondiktion gemäß §  814 BGB nicht ein, weil der Leistende bis zu der Anfechtung keine Kenntnis von seiner Nichtschuld hat und die Schuld bis zur Anfechtung noch besteht.25 Die Bestimmung der Anforderungen an die Bestätigung eines Rechtsgeschäfts gemäß §  144 BGB ist nicht identisch mit der Bestimmung einer vorliegenden Kenntnis gemäß §  814 BGB. Trotz der aufgezeigten engen Verwandtschaft von §  144 BGB mit §  814 BGB schlägt sich bereits im Tatbestand der Befund nieder, dass der Ausschluss des Rechts nicht allein von der bloßen Kenntnis abhängt: §  144 BGB stellt nicht auf eine Kenntnis des Anfechtungsberechtigten ab, sondern setzt diese nur durch die Notwendigkeit der „Bestätigung“ voraus, einschließlich eines entsprechenden Bestätigungswillens, der auf der Kenntnis der Anfechtungsmöglichkeit beruhen muss. Letztlich ist allerdings der Kenntnisstand des Anfechtungsberechtigten nicht fallentscheidend, sondern vielmehr die darauf beruhende Wertung, ob in dem (schlüssigen) Verhalten eine Bestätigung liegt. Wird eine ausdrückliche Bestätigung abgegeben, liegt in der Regel auch die entsprechende Kenntnis des Anfechtungsberechtigten von der Anfechtbarkeit des Rechtsgeschäfts vor, die mit der Bestätigung gerade ausgeräumt werden soll.

III.  Kenntnis von Mietmängeln und vorbehaltlose Zahlung Die Kenntnis des Mieters von einem Mangel beeinflusst dessen Gewährleistungsrechte. Im Kaufrecht besteht die Beeinflussung von Gewährleistungsrechten des Berechtigten durch dessen Kenntnis von einem Mangel (§  442 I 1 BGB) in ähnlicher Weise wie im Mietrecht. Im Gegensatz zum Kaufvertrag ist der Mietvertrag aber ein Dauerschuldverhältnis. Hieraus resultieren erhebliche Differenzierungen hinsichtlich der Bedeutung des Zeitpunkts, zu dem der Mangel vorliegt und der Bedeutung des jeweils relevanten Kenntnisstands. Der Mieter ist gemäß §  536 BGB bei Mangelhaftigkeit der Mietsache von der Entrichtung der Miete befreit. Dies gilt unabhängig davon, ob die Mietsache zur Zeit der Überlassung einen Mangel aufweist oder ein solcher erst später entsteht. Der Kenntnisstand des Mieters von dem Mangel beeinflusst jedoch die Gewährleistungsrechte des Mieters. Hierbei ist der Zeitpunkt maßgeblich, zu dem der Mangel vorliegt.

25 

Vgl. BGH NJW 2008, 1878, 1879 Tz.  15.

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§  6  Begründung von Vertrauen auf der Grundlage eines Kenntnisstandes

1.  Vor Vertragsschluss bestehende Mängel Liegt der Mangel bereits bei Vertragsschluss vor, sind die Gewährleistungsrechte des Mieters im Hinblick auf seinen Kenntnisstand von dem Mangel in ähn­ licher Weise wie im Kaufvertragsrecht eingeschränkt. Ebenso wie nach §  442 I 1 BGB26 sind Gewährleistungsrechte gemäß §  536b S.  1 BGB wegen eines Mangels ausgeschlossen, wenn der Mieter positive Kenntnis von dem Mangel hat. Ist der Mangel infolge grober Fahrlässigkeit unbekannt geblieben, so bestehen die Gewährleistungsrechte nur, wenn der Vermieter den Mangel arglistig verschwiegen hat (§  536b S.  2 BGB in Entsprechung zu §  442 I 2 BGB). Die für §  536b S.  1 BGB relevante Kenntnis des Mieters von dem Mangel muss sich sowohl auf die Kenntnis der konkreten Ursachen und des äußeren Erscheinungsbildes des Mangels als auch auf dessen Auswirkungen auf die Gebrauchstauglichkeit der Sache beziehen.27 Der Mieter hat daher erst dann Kenntnis von dem Mangel, wenn er die tatsächlichen Umstände als Ursachen für das Vorliegen eines Mangels erkennt und die Schlussfolgerung zieht, dass aus diesen Umständen ein Mangel resultiert.28 §  536b S.  2 BGB stellt die positive Kenntnis eines Mangels dem Unbekanntbleiben des Mangels infolge grober Fahrlässigkeit gleich. Die für die grobe Fahrlässigkeit notwendige besonders schwere Sorgfaltspflichtverletzung (bzw. Obliegenheitsverletzung) bezieht sich auf die Gestaltung des eigenen Kenntnisstandes des Mieters. Bei der Bestimmung der Sorgfaltspflicht ist allerdings zu beachten, dass den Mieter keine Prüfungspflicht trifft und ihm damit nicht der Vorwurf gemacht werden kann, er hätte sich über den Zustand der Mietsache informieren können.29 Vielmehr trifft den Vermieter die Pflicht zur Prüfung der Mietsache bei anfänglichen Mängeln. Aber auch bei nachträglichen Mängeln trifft diese Pflicht grundsätzlich den Vermieter, denn er hat die Mietsache während der Mietzeit in vertragsgemäßem Zustand zu erhalten, §  535 I 2 BGB. Hinzu tritt allerdings die Anzeigepflicht des Mieters von auftretenden Mängeln, §  536c I 1 BGB.30 Auch wenn nach den gesamten Umständen der Verdacht eines Mangels besonders nahe liegt, ist grobe Fahrlässigkeit des Unbekanntbleibens auch nur dann zu bejahen, wenn der Mangel und die Auswirkungen der Umstände auf die Gebrauchstauglichkeit der Sache bei einer oberflächlichen Prüfung jedermann sofort aufgefallen wären.31 26  Früher enthielt §  539 S.  2 BGB i. d. F. bis 2001 zumindest für den Fall der fahrlässigen Unkenntnis von dem Mangel einen Verweis in das kaufrechtliche Gewährleistungssystem (§§  460, 464 BGB i. d. F. bis 2001). 27  OLG Düsseldorf ZMR 2006, 518 unter Bezugnahme auf BGH NJW 1979, 713. 28  So die h. M. (statt vieler Staudinger/Emmerich, BGB, 2014, §  536b Rn.  9 f.) auch oft unter Berufung auf die Rechtsprechung zu kaufrechtlichen Gewährleistungsfällen. 29  BGH WM 1976, 537; BGH NJW 1977, 1236, 1237. 30  BGH NJW 1977, 1236, 1237. 31  BGH NJW 1980, 777, 779. Ein öffentlich-rechtliches Gebrauchshindernis im Hinblick auf den angestrebten Gebrauch der Mietsache ist dann nicht ohne Weiteres zu erkennen, wenn

III.  Kenntnis von Mietmängeln und vorbehaltlose Zahlung

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2.  Nach Vertragsschluss auftretende Mängel Bei nachträglich auftretenden Mängeln kommt es für das Bestehen der Gewährleistungsansprüche nach dem Wortlaut von §  536c I 1 BGB nicht auf die Kenntnis des Mieters an. Die Norm setzt voraus, dass sich im Laufe der Mietzeit ein Mangel der Mietsache „zeigt“. Ein solches „Sich-Zeigen“ des Mangels impliziert jedoch ein notwendiges Erkennen der Umstände, die einen Mangel der Mietsache begründen. Die erforderliche Intensität des Kenntnisstandes des Mieters von den nach Vertragsschluss auftretenden Mängeln war bis zur BGH-Entscheidung32 zu dieser Frage heftig umstritten. Die Entscheidung des BGH zu dieser Frage hat auch wenig zur Konkretisierung des Begriffs des „Sich-Zeigens“ beigetragen. Daher bleiben die vor der Entscheidung in der Literatur entwickelten Abgrenzungskriterien weiterhin Orientierungspunkte. In der Literatur wurde teilweise die positive Kenntnis vom Mangel für erforderlich gehalten.33 Andere stellten darauf ab, dass der Mieter den Mangel bemerkt,34 wofür aber bereits genüge, dass der Mieter den Mangel bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt erkennen könne35. Weiter wurde vertreten, dass es trotz nichtbestehender Nachforschungspflichten des Mieters ausreiche, wenn der sich zeigende Mangel vom Mieter zu spät wahrgenommen wurde, weil „der Mieter dasjenige übersehen habe, was jedermann sehe“.36 Einigkeit bestand jedoch auch vor der BGH-Entscheidung zumindest dahingehend, dass der Mangel objektiv erkennbar hervorgetreten sein muss, denn sonst „zeigt“ sich der Mangel noch nicht. Die Anzeigepflicht besteht jedenfalls, wenn der Mieter den Mangel positiv kennt. Darüber hinaus besteht nach dem BGH die Anzeigepflicht auch, wenn der Mieter während „der Mietzeit übersieht, ‚was jedermann sieht‘“,37 da den Mieter hinsichtlich der gemieteten Sachen eine Obhutspflicht treffe. Aus der Obhutspflicht ergebe sich im Zusammenhang mit der Einschränkung der Prüfungsmöglichkeiten der Mietsache durch den Vermieter, dass dieser in gleichem Maße geschützt werden muss, wie wenn der Mieter positive Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis von dem Mangel hat.38 Maßgeblich für die Gewährleistungshaftung ist damit die durch die mietvertragliche Überlassung der Sache bedingte Einschränkung der Erkenntnismöglichkeit des Vermieters im Hinblick auf den Mangel. für ein drohendes Einschreiten der Verwaltungsbehörde nichts ersichtlich ist, OLG Düsseldorf DWW 2005, 20 f. 32  BGH NJW 1977, 1236. 33  Schmidt-Futterer, MietR, 4.  A ., 1973, S.  30 Stichwort „Anzeige” unter Punkt II (auch keine Überprüfungspflicht des Mieters). 34 Erman/Schopp, BGB, 6.  A ., §  5 45 Rn.  1, 7. 35  Niendorff, MietR nach dem BGB, 10.  A ., 1914, S.  2 22. 36  Mittelstein, Die Miete, 4.  A ., 1932, S.  354; Roquette, MietR, 1966, §  5 45 Rn.  7, 10. 37  BGH NJW 1977, 1236, 1237. 38  BGH NJW 1977, 1236, 1237.

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§  6  Begründung von Vertrauen auf der Grundlage eines Kenntnisstandes

Die eingeschränkte Möglichkeit der Kenntniserlangung des Vermieters begründet eine erhöhte Pflicht des Mieters, für ihn bestehende Möglichkeiten zur Kenntnisnahme des Mangels zu nutzen. Erkennt der Mieter den Mangel nicht, folgt aus dem Mangel keine Gewährleistungshaftung, da der Mieter ihn nicht angezeigt hat, §  536c II 2 BGB.

3.  Analogie zu §  539 BGB i. d. F. bis August 2001 bei Kenntnis des Mangels und vorbehaltloser Mietzahlung Die Gewährleistungsrechte wegen anfänglicher Mängel waren bis zur Mietrechtsreform im Jahre 200139 gemäß §  539 BGB i. d. F. bis August 2001 ebenso wie nach geltender Rechtslage (§  536b BGB) ausgeschlossen, wenn der Mieter den Mangel bei Abschluss des Vertrages kennt. Trat während der Mietzeit ein Mangel auf, war der Mieter nach §  545 I BGB i. d. F. bis August 2001 zur Anzeige des Mangels ebenso wie nach geltender Rechtslage (§  536c I 1 BGB) verpflichtet, sobald sich ein Mangel zeigt. Für die Zeit bis zur Mängelanzeige konnte der Mieter keine Gewährleistungsrechte geltend machen. Im Falle positiver Kenntnis des sich im Laufe der Mietzeit zeigenden Mangels hat die Rechtsprechung zusätzlich zu der Statuierung der Verpflichtung, den Mangel anzuzeigen, aus einem Analogieschluss zu §  539 BGB i. d. F. bis August 2001 den Ausschluss der Gewährleistungsrechte auch für die Zukunft hergeleitet: Nach der ständigen Rechtsprechung des BGH zur Rechtslage vor der Mietrechtsreform führte die positive Kenntnis des Mieters von einem sich nach Vertragsschluss zeigenden Mangel zum Ausschluss von Gewährleistungsrechten des Mieters, wenn er dennoch den ungeminderten Mietzins über eine gewisse Zeit vorbehaltlos weiterzahlte.40 Der BGH stützte diese Argumentation auf eine entsprechende Anwendung der Regelung über die anfänglichen Mängel (§  539 BGB i. d. F. bis August 2001), nach der bei positiver Kenntnis vom Mangel die Gewährleistungsrechte für die Zukunft ausgeschlossen sind. Hierin liege nach der Ansicht des BGH eine im mietrechtlichen Gewährleistungssystem enthaltene spezielle Ausformung des Rechtsinstituts der Verwirkung.41 Wer in Kenntnis des Mangels ungemindert die Miete weiterzahle, verliere damit entsprechend der Regelung über den Ausschluss der Gewährleistungsrechte für anfängliche Mängel 39  Entwurf eines Gesetzes zur Neugliederung, Vereinfachung und Reform des Mietrechts (Mietrechtsreformgesetz) vom 19.06.2001 (BGBl. I 2001, S. 1149), abgedr. in NZM 2000, 802, 812. 40  BGH NJW-RR 1992, 267; BGH NJW 1997, 2674; BGH NZM 2000, 825, 826. 41 Dies deckt sich mit der von Bydlinski, Privatautonomie und objektive Grundlagen, 1967, S.  190, hervorgehobenen Voraussetzung, dass die Verwirkung nur in Betracht kommt, wenn der Schuldner nicht nur auf die Meinung des Gläubigers schließen konnte, dass das Geschuldete nicht gefordert werde, sondern darüber hinaus auch auf den Willen geschlossen werden durfte, der Gläubiger wolle auf das Geschuldete verzichten.

III.  Kenntnis von Mietmängeln und vorbehaltlose Zahlung

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(§  539 BGB i. d. F. bis August 2001) im Falle der positiven Kenntnis42 auch die Rechte hinsichtlich später auftretender Mängel. Zusätzlich musste eine gewisse Zeit vergehen, in der der Mieter in positiver Kenntnis vorbehaltlos weiterzahlte. Die Rechtsprechung forderte eine Weiterzahlung über einen Zeitraum von ungefähr sechs Monaten.43 Im Schrifttum vermuten einige Autoren als Grund für die Bemessung der Frist eine Anlehnung an die vor der Schuldrechtsreform geltenden kurzen Gewährleistungsfristen des Kauf- und Werkvertragsrechts, die dadurch auch mittelbar in das Mietrecht Eingang fanden.44 Die analoge Anwendung von §  539 BGB i. d. F. bis August 2001 auf die Fälle der vorbehaltlosen Mietzahlung trotz Kenntnis des Mangels war bereits nach alter Rechtslage nicht unumstritten.45 Gegen sie wandte die Literatur ein, dass es zwar nicht an einer Regelungslücke fehle, zumindest aber an der Plan­wi­ drigkeit der Regelungslücke.46 Die Rechtslage bis zur Mietrechtsreform ­unterschied sich in der Regelungssystematik des mietrechtlichen Gewährlei­s­ tungssystems kaum von der Rechtslage seit Inkrafttreten des Mietrechtsreform­ gesetzes: Gemäß §  539 I BGB i. d. F. bis August 2001 waren die Gewährlei­s­ tungsrechte des Mieters ausgeschlossen, wenn er von dem Mangel der gemieteten Sache bei Abschluss des Vertrages Kenntnis hatte. Gemäß §  545 I 1 BGB i. d. F. bis August 2001 war der Mieter verpflichtet, sich während der Mietzeit zeigende Mängel dem Vermieter (unverzüglich) anzuzeigen. In der Gesetzesbegründung des Mietrechtsreformgesetzes47 wies der Gesetzgeber darauf hin, dass bei späterer Kenntnis des Mieters von dem Mangel die (nach bisheriger Rechtslage) bestehenden Rechtsfolgen ausreichend und sinnvoll seien. Insbesondere ließen sich Fälle der bewussten Zahlung in Kenntnis des fehlenden Rechtsgrundes mit §  814 BGB oder mit dem allgemeinen Rechtsinstitut der Verwirkung lösen.48 Einer Analogie zu §  539 BGB i. d. F. bis August 2001 bedürfe es nicht. Zwar blieben die Regelungen hinsichtlich der mietvertraglichen Gewährleistungsrechte (§  536b BGB und §  539 BGB i. d. F. bis August 2001) nach dem Mietrechtsreformgesetz 2001 im Wesentlichen gleich, doch zeigten die Auseinandersetzung des Gesetzgebers mit der Problematik und die Entscheidung des 42  Teilweise wurde sogar statt der positiven Kenntnis auch die grob fahrlässige Unkenntnis (in Analogie zu einem anfänglichen Mangel) als ausreichend für einen Ausschluss angesehen, vgl. Kraemer/Ehlert, in: Bub/Treier, Hdb. Geschäfts- u. Wohnraummiete, 4.  A., 2014, Kap.  III. B. Rn.  3394. 43  BGH NJW 1997, 2674; BGH NJW 1974, 2233, 2234. 44  Kandelhard, NZM 2005, 43, 44; Wichert, ZMR 2000, 65. 45  Wichert, ZMR 2000, 65, 67 f.; Riesenhuber, ZMR 1994, 393. 46  Kandelhard, NZM 2005, 43 ff. m. w. N. 47 Gesetz zur Neugliederung, Vereinfachung und Reform des Mietrechts (Mietrechts­ reformgesetz) vom 19.06.2001 (BGBl. I 2001, S. 1149) (Gesetzesbegründung abgedr. in NZM 2000, 802). 48  Entwurf eines Gesetzes zur Neugliederung, Vereinfachung und Reform des Mietrechts vom 19.06.2001 (BGBl. I 2001, S. 1149), abgedr. in NZM 2000, 802, 812.

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§  6  Begründung von Vertrauen auf der Grundlage eines Kenntnisstandes

Gesetzgebers, keine der früheren Rechtsprechung entsprechende Regelung in das Gesetz aufzunehmen, dass es seit 2001 an einer planwidrigen Regelungslücke fehlt, da diese bekannt und Teil des gesetzgeberischen Plans war. Daher ist seit der Mietrechtsreform die früher mögliche analoge Anwendung des §  536b I BGB in den Fällen ausgeschlossen, in denen dem Mieter während der Mietzeit ein Mangel bekannt wird und er die Miete gleichwohl über einen längeren Zeitraum vorbehaltlos weiterzahlt. Der BGH sieht seit der Mietrechtsreform 2001 keine Möglichkeit mehr für eine analoge Anwendung von §  536b BGB auf Fälle, in denen der Mieter die Miete ungemindert in Kenntnis des Mangels fortzahlt.49 Anders entscheiden vielfach die Instanzgerichte.50 Auffällig ist das Bestreben der Instanzgerichte, in den Urteilsbegründungen eine Lösung aus dem speziellen mietrechtlichen Gewährleistungsregime heraus zu entwickeln. In Fortführung der analogen Anwendung des §  539 BGB i. d. F. bis August 2001 wandten mehrere Instanzgerichte §  536b BGB auch nach der Mietrechtsreform 2001 analog auf Fälle an, in denen der Mieter die Miete ungemindert in Kenntnis des Mangels fortzahlt. Dies geschah entweder unter Ausblendung der Problematik der Analogievo­ raussetzungen 51 oder unter der Annahme, eine Analogie sei nur ausgeschlossen, wenn ihr der Gesetzeswortlaut entgegenstehe.52 Auch bezeichnete die instanzgerichtliche Rechtsprechung53 die Ausführungen des Gesetzgebers hinsichtlich der Ablehnung der Kodifizierung der Analogielösung als „nicht verständlich“. Der Ausschluss des §  536b BGB wurde von den Instanzgerichten – wie vor der Mietrechtsreform – entsprechend auch auf Fälle nachträglicher Mängel angewandt, von denen der Mieter Kenntnis hat und dennoch die Miete vorbehaltlos weiterzahlt. Die instanzgerichtlichen Bestrebungen zeigen das Bemühen, die positive Kenntnis des Mieters von dem Mangel in ausreichendem Maße in der gewährleistungsrechtlichen Rechtsfolge zu berücksichtigen. Die analoge Anwendung von §  536b BGB auf Fälle, in denen der Mieter positive Kenntnis hat und dennoch nicht seiner Obliegenheit nachkommt, den Mangel anzuzeigen, hat nach dem mietrechtlichen Gewährleistungssystem bloß die Folge, dass der Mieter für die Vergangenheit keine Rechte mehr herleiten kann, §  536c II 2 BGB. Der darüberhinausgehende Ausschluss der Gewährleistungsrechte auch für die Zukunft beruht auf dem Gedanken der Verwirkung. Bei dem Rechtsinstitut der Verwirkung kommt es auf Seiten des Vertragspartners darauf an, dass ein Vertrauenstatbestand entstanden ist. Der BGH stuft die Regelung in §  536b BGB 49 

BGH NJW 2003, 2601, 2603. Naumburg NZM 2002, 251; OLG Frankfurt am Main NZM 2002, 1025; OLG Dresden NZM 2002, 662. 51  OLG Naumburg NZM 2002, 251. 52  OLG Frankfurt am Main NZM 2002, 1025, 1026. 53  OLG Dresden NZM 2002, 662. 50  OLG

III.  Kenntnis von Mietmängeln und vorbehaltlose Zahlung

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(als Nachfolgenorm von §  539 BGB i. d. F. bis August 2001) als einen Unterfall der Verwirkung ein.54 In der diesbezüglichen Entscheidung des BGH verließ sich der Mieter darauf, dass der Vermieter, der eine Minderung über einen längeren Zeitraum rügelos hinnehme, die vertraglich vereinbarte Miete nicht rückwirkend verlangen werde. Dabei ließ der BGH offen, ob eine spiegelbildliche Anwendung von §  539 BGB i. d. F. bis August 2001 in Betracht kommen könne, da die allgemeinen Voraussetzungen der Verwirkung hier gegeben seien. Das Umstandsmoment für die Verwirkung bestehe „nämlich in der Illoyalität der verspäteten Geltendmachung des Anspruchs, die darin zu sehen sei, dass eine Forderung verfolgt wird, obwohl der Vertragspartner darauf vertrauen durfte, dass keine Forderungen mehr geltend gemacht werden und er sich hierauf auch bereits eingerichtet habe“: 55 Der BGH ging davon aus, dass das Umstandsmoment zumindest dann vorliegt, wenn zwischen den Vertragsparteien kein Streit über die Minderung dem Grunde nach (sondern nur über die Höhe) besteht und zugesagte Mangelbeseitigungen unterbleiben. Diese Situation ist allerdings nur eingeschränkt vergleichbar56 mit der vorbehaltlosen Mietzahlung nach Mängel­ anzeige. Vertrauen kann auf Seiten des Vermieters nämlich überhaupt nicht entstehen, wenn ihm der Mangel angezeigt wurde und er nichts unternimmt. Bis zur Anzeige des Mangels kann er dagegen noch überhaupt nicht wissen, dass ein Mangel besteht und die Miete kraft Gesetzes gemäß §  536 I 1 BGB gemindert ist. Diese Wertung hat ihren Niederschlag in §  536c II 2 BGB gefunden: Bis zur Anzeige des Mangels kann der Vermieter nicht wissen, dass sich am Zustand der Mietsache etwas geändert hat und kann daher darauf vertrauen, dass die Mietsache auch weiterhin mangelfrei ist. Durch die Mängelanzeige erfolgt jedoch ein Einschnitt. Bloß auf die vorbehaltlose Weiterzahlung der Miete abzustellen, um daraus eine Verwirkung der Minderung für die Zukunft ableiten zu wollen, greift dabei zu kurz. Für die vorbehaltlose Leistung der Miete gilt §  814 Alt.  1 BGB, d. h. der Mieter weiß um die Nichtschuld und kann die Leistung nicht zurückfordern. Das gilt jedoch nicht für die Zukunft, sondern nur für bereits erbrachte Leistungen. Für eine Verwirkung der zukünftigen Rechte ist eine Vertrauensbildung auf Seiten des Vermieters erforderlich. Hat der Mieter den Mangel angezeigt, steht dies einer Vertrauensbildung grundsätzlich entgegen, selbst wenn der Mieter die ungekürzte Miete weiterzahlt. Nach Anzeige des Mangels müssen weitere Umstände hinzutreten, die ein Vertrauen auf Seiten des Vermieters begründen können. Solche vertrauensbegründenden Umstände liegen beispielsweise vor, wenn der Mieter die Anzeige des Mangels nur deswegen gemacht hat, damit er nicht für eventuelle Folgeschäden haftet (§  536c II 1 54 

BGH NZM 2003, 355; in diesem Sinne auch Ventsch/Storm, NZM 2003, 577, 580. BGH NZM 2003, 355, 356. 56 Dieses Ergebnis befürchtete Kandelhard, NZM 2005, 43, 45: „das Verwirkungsgespenst spukt auch im Vermieterlager“. 55 

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§  6  Begründung von Vertrauen auf der Grundlage eines Kenntnisstandes

BGB). Eine Vertrauensbildung ist auch in Fällen möglich, in denen der Vermieter Reparaturversuche unternimmt und deren Erfolg zweifelhaft ist. Dann kann der Vermieter in Unkenntnis des Misserfolges des Reparaturversuchs bei Erhalt der ungekürzten Miete darauf vertrauen, dass die Mietsache nach dem Reparaturversuch nicht mehr mangelhaft ist. Dieses Vertrauen des Vermieters bildet das Umstandsmoment der Verwirkung der Gewährleistungsansprüche des Mieters. Ein Ausschluss der mietrechtlichen Gewährleistungsrechte ohne ein vorliegendes Umstandsmoment (wie es bei einer Analogie zu §  536b BGB der Fall wäre, der bloß auf die Kenntnis des Mangels abstellt) führt zu einem Wertungswiderspruch. Stellt man allein auf die Weiterzahlung der ungekürzten Miete in Kenntnis des Mangels ab, wird der Mietzahlung ein weiterer Erklärungsgehalt beigemessen. Dies läuft darauf hinaus, dass der Mieter, der positive Kenntnis von dem Mangel und der Nichtschuld für die Zeit der Mangelhaftigkeit der Mietsache hat, trotz der durch die Mangelanzeige hergestellten Parität des jeweiligen Kenntnisstands von Mieter und Vermieter weitere Erklärungen abgeben muss, wenn er nicht auch für die Zukunft seine Rechte verlieren will. Dies passt jedoch nicht in das System der Anzeigepflichten des Mietvertragsrechts. Zeigt der Mieter einen bestehenden Mangel lange Zeit gar nicht an, so haftet er zwar für eventuelle weitere Schäden (§  536c II 1 BGB). Eine Minderung der Miete für die Vergangenheit ist jedoch ausgeschlossen, §  536c II 2 BGB. Mangels Vertrauensbildung auf Seiten des Vermieters (der noch gar nichts von dem Mangel weiß) ist auch keine Verwirkung der Gewährleistungsrechte möglich. Andernfalls würde der den Mangel anzeigende Mieter insgesamt schlechter gestellt als derjenige, der zunächst abwartet und sich nicht äußert.

IV.  Geltendmachung eines Teilbetrages als Vorauszahlung Gemäß §  556 II 1 Alt.  2 BGB können Mieter und Vermieter vereinbaren, dass Betriebskosten als Vorauszahlungen zu leisten sind.57 Diese dürfen gemäß §  556 II 2 BGB „nur in angemessener Höhe vereinbart werden“. Häufig fordert der Vermieter solche Vorauszahlungen, da er dem Mieter andernfalls die laufenden Kosten bis zur jährlichen Abrechnung kreditieren müsste. Kontrovers diskutiert58 wird die Frage, ob die Vorauszahlungsforderung des Vermieters einen vertrauensbildenden Tatbestand beim Mieter begründen kann; gerade im Hin57  Die Abrede, dass der Mieter die Betriebskosten tragen soll, muss „klar und eindeutig“ sein, denn es muss dem Mieter möglich sein, „sich zumindest ein grobes Bild davon zu machen, welche zusätzlichen Kosten auf ihn zukommen können“, BGH NJW-RR 2012, 1034 Tz.  14. 58  BGH NZM 2004, 251; Artz, NZM 2004, 328; Derckx, NZM 2004, 321; Gsell, DWW 2010, 122; ferner LG Arnsberg NJW-RR 1988, 397.

IV.  Geltendmachung eines Teilbetrages als Vorauszahlung

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blick darauf, dass sie von den später abgerechneten Betriebskosten erheblich abweichen kann. Liegt in der Forderung einer Vorauszahlung eines Teilbetrages der später zu zahlenden Betriebskosten ein vertrauensbildender Tatbestand, hat dies eine Aufklärungspflicht des Vermieters über die Bemessungsgrundlage des Betriebskostenvorschusses zur Folge.59 Der Inhalt der Aufklärungspflicht ist schwierig zu bestimmen, auch ist die Frage nach der Folge des Unterbleibens der Aufklärung problematisch, etwa die Art und die Höhe eines Schadensersatz­ es. 60 Vorab ist zu prüfen, ob überhaupt eine Aufklärungspflicht besteht. Die Begründung einer Aufklärungspflicht des Vermieters setzt ein vom Mieter gebildetes Vertrauen darauf voraus, dass die Vorauszahlung im Hinblick auf die später abzurechnenden Kosten kalkuliert wurde. Letztlich geht es darum, ob der Mieter berechtigterweise darauf vertrauen durfte, dass die einseitig durch den Vermieter „festgesetzte“ Vorauszahlung den später abzurechnenden, tatsächlich anfallenden Kosten entspricht. Anders formuliert stellt sich die Frage, ob der Vermieter kostendeckend kalkulieren muss oder zumindest über die nicht erfolgte Kalkulation und eine kostenunabhängige („willkürliche“) Festlegung der Vorauszahlung aufklären muss. Nach §  556 II 1 Alt.  2 BGB können die Vertragsparteien Vorauszahlungen der Betriebskosten vereinbaren. Daher steht es dem Vermieter frei, eine Vorauszahlung zu fordern. Alternativ können die Parteien auch eine Pauschale vereinbaren. Dann wird nicht mehr abgerechnet und die Kosten sind mit Zahlung der Pauschale abgegolten.61 Macht der Vermieter von der Forderung einer Vorauszahlung Gebrauch, so darf diese nur in angemessener Höhe geltend gemacht werden. 62 Die Festlegung einer bestimmten Höhe der Vorauszahlung bewirkt allein eine Absicherung der späteren Abrechnung der vom Vermieter im Laufe des Abrechnungszeitraumes zu begleichenden laufenden Kosten. Eine Vorauszahlung kann bei verbrauchsabhängig abzurechnenden Kosten stets nur eine Schätzung der erwarteten, aber beiden Vertragsparteien unbekannten Kosten sein. 63 Allerdings hat der Vermieter bei Mietvertragsabschluss regelmäßig Zu59  Im vorliegenden Kontext kommt es weniger auf die Begründung und den Inhalt der Aufklärungspflicht als vielmehr allein auf den vertrauensbildenden Tatbestand selbst an, der durch die Handlung, d. h. die „Festsetzung“ der Vorauszahlung, möglicherweise gesetzt wird. 60  Zu diesen Fragen ausführlich Artz, NZM 2004, 328; Derckx, NZM 2004, 321; Gsell, DWW 2010, 122. 61  Die Vereinbarung einer Pauschale verfolgt den Zweck, dass eine Abrechnung durch den Vermieter erspart wird. Daher steht dem Mieter auch grundsätzlich kein Auskunftsanspruch gegen den Vermieter hinsichtlich der tatsächlichen Höhe der angefallenen Betriebskosten zu, obwohl der Mieter dadurch keine Kontrolle darüber hat, ob der Vermieter seiner Pflicht aus §  560 III BGB nachgekommen ist. Etwas anderes gilt nur dann, wenn konkrete Anhaltspunkte für eine nachträgliche Ermäßigung der Betriebskosten bestehen, BGH NZM 2012, 20 Tz.  11 ff. 62  Vgl. statt vieler zum Regelungsgehalt des §  556 II 2 BGB Blank/Börstinghaus, Miete, 4.  A., 2014, §  556 Rn.  123. 63  Vgl. BGH NJW 2004, 1102; OLG Stuttgart, NJW 1982, 2506.

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§  6  Begründung von Vertrauen auf der Grundlage eines Kenntnisstandes

gang zu besseren Informationsquellen wie beispielsweise vorangegangenen Abrechnungen oder er verfügt über die Kenntnis der zu erwartenden durchschnittlichen Kosten vergleichbarer Wohnungen (etwa bei einem Neubau). Anders als vielfach in der Literatur64 vertreten, lehnt der BGH in ständiger Rechtsprechung65 das Bestehen einer Pflicht, unaufgefordert Auskunft über die zu erwartenden Betriebskosten zu erteilen, grundsätzlich ab. Für die Begründung einer Aufklärungspflicht müssen nach dem BGH besondere Umstände vorliegen, wie zum Beispiel eine ausdrückliche Zusicherung der Höhe der Betriebskosten oder eine bewusst zu niedrig angesetzte Vorauszahlung in Täuschungsabsicht über den Umfang der tatsächlichen Mietbelastung, damit der Mietvertrag dennoch zustande kommt. 66 Zutreffend ist die Frage nach der Aufklärungspflicht als „Gretchenfrage“ bezeichnet worden. 67 Doch ist hierbei zu differenzieren. 68 Das Bestehen einer Aufklärungspflicht kann von dem Umstand abhängig gemacht werden, dass der Vermieter eine Vorauszahlung in einer von ihm festgelegten Höhe fordert. Dann fragt sich, ob er über die Zusammensetzung der Vorauszahlung auskunftspflichtig ist. Dabei geht es darum, ob der Vermieter über seine Kalkulationsgrundlage Auskunft geben muss. Geht man von einer solchen Aufklärungspflicht aus, erstreckt sie sich auch auf die Aussage, dass die Korrelation zwischen Vorschuss und zu erwartenden Betriebskosten fehlt, weil der Mieter möglicherweise von einem solchen Zusammenhang ausgeht. Neben der sich aus der Vorauszahlungsforderung ergebenden Aufklärungspflicht kann auch eine generelle Aufklärungspflicht des Vermieters bestehen, die sich auf die zu erwartenden Gesamtkosten des Mietobjekts (neben der vereinbarten Nettomiete) bezieht. 69 Sollte eine solche generelle Aufklärungspflicht bestehen, dann gilt diese unabhängig von einer vom Vermieter geforderten Vorauszahlung, denn auch in Fällen, in denen kein Vorschuss verlangt wird, besteht ein Interesse des Mieters, die zu erwartenden Gesamtkosten des Mietobjekts zu kennen. 64  Artz, NZM 2004, 328; Derckx, NZM 2004, 321; Blank/Börstinghaus, Miete, 4.  A ., 2014, §  556 Rn.  124 ff. 65  BGH NJW 2004, 1102; BGH NJW 2004, 2674; BGH NJW 2010, 671, 672 Tz.  14 f. 66  BGH NZM 2004, 251; LG Frankfurt a. M. WuM 1979, 24.  A .ch der Umstand, dass abgerechnete Betriebskosten mehr als das Siebenfache der im Mietvertrag als „angemessen“ bezeichneten Vorauszahlung betrugen, soll ein solcher besonderer Umstand sein, OLG Naumburg NJW-RR 2002, 655 f. Zu dem eingeschränkt möglichen Schluss von Lockvogel­a ngeboten auf die Benachteiligungsabsicht vgl. Schmidt-Futterer/Langenberg, Mietrecht, 12.  A., 2015, §  556 Rn.  388. 67  Gsell, DWW 2010, 122, 129. 68 Zutreffend Artz, NZM 2004, 328 f. 69  In diesem Sinne eine allgemeine Aufklärungspflicht über die Höhe der Betriebskosten bejahend: LG München II ZMR 2002, 758, 760; Blank/Börstinghaus, Miete, 4.  A., 2014, §  556 Rn.  124 ff.; MünchKommBGB/Emmerich, 7.  A., 2016, §  311 Rn.  9 0 f.; Emmerich, NZM 2002, 362, 363; Schmidt-Futterer/Langenberg, MietR, 12.  A., 2015, §  556 Rn.  388 ff.; Derleder/ Pellegrino, NZM 1998, 550, 551.

IV.  Geltendmachung eines Teilbetrages als Vorauszahlung

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Im Fall der Begründung der Aufklärungspflicht wegen der Vorauszahlungsforderung durch den Vermieter macht sich der Mieter eine (unzutreffende) Vorstellung von der Zusammensetzung der geforderten Vorauszahlung. Er geht nicht davon aus, dass die Vorauszahlung bloß das Vermieterinteresse an den vom Vermieter vorzustreckenden laufenden Kosten absichert, sondern bezieht diese Forderung auf einen angemessenen Abschlag der zu erwartenden Forderungen. Die Rechtsprechung 70 hat die einschlägigen Fälle regelmäßig nur unter diesem Blickwinkel entschieden. Zu Recht forderte der BGH dabei zusätzlich zu der Vorauszahlungsforderung das Vorliegen besonderer Umstände, denn die Vorauszahlung verfolgt andere Zwecke, als dem Mieter eine Information über die zu erwartenden Kosten zu geben. Sie dient allein dem Vermieterinteresse. Eine Vorauszahlung ist keine Pauschale und zieht eine (verbrauchsabhängige) Abrechnung nach sich. Ihr Zweck ist die Kreditabsicherung, wobei die Übersicherung untersagt ist (§  556 II 2 BGB). Die gedankliche Verbindung von der Höhe der Vorauszahlung und der Höhe der zu erwartenden Betriebskosten stellt der Mieter her. Eine Pflicht, den Mieter auf einen eventuellen Irrtum aufmerksam zu machen, trifft den Vermieter nur, wenn besondere Umstände wie die Täuschungsabsicht des Vermieters hinzukommen oder der Vermieter zusätzlich zu der Vorausforderung erklärt, die Vorauszahlung sei angemessen,71 so dass die Vorstellung des Mieters von einem Zusammenhang zwischen Vorauszahlung und zu erwartenden Kosten suggeriert wird. Eine weitere Frage ist, ob eine generelle Aufklärungspflicht des Vermieters über die zu erwartenden Kosten besteht und diese auch die Aufklärung über die Höhe der Betriebskosten mit einschließt, die zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses wegen deren Verbrauchsabhängigkeit weitgehend ungewiss ist. Häufig wird eine Aufklärungspflicht des Vermieters hinsichtlich der voraussicht­ lichen Kosten angenommen, weil der Mieter ein erkennbares wirtschaftliches Interesse an der Kenntnis der zu erwartenden Kosten hat, die die Entscheidung, den Mietvertrag überhaupt abzuschließen, erheblich beeinflussen. Die Statuierung einer Aufklärungspflicht des Vermieters, die Information über die Höhe der Betriebskosten unaufgefordert zu offenbaren, geht jedoch zu weit. Hierfür spricht zwar, dass der Vermieter „näher am Objekt“ ist und daher typischerweise auch bessere Erkenntnisquellen hat. Allerdings leuchtet eine solche Verteilung der Verantwortung für eine informierte Entscheidung über das anzumietende Objekt nicht ein.72 Die in §  556 I 1 BGB vorgesehene Einigung bezieht sich nur auf die generelle Pflicht zur Tragung der Betriebskosten. Auch wenn es regelmäßig dem Mieter auf die Information über die (vom Vermieter nur ge70 

Vgl. BGH NZM 2004, 251 m. w. N. auch die Angabe im Mietvertrag, dass die Vorauszahlungen „angemessen“ seien, OLG Naumburg NJW-RR 2002, 655 f. 72  In diesem Sinne auch Gsell, DWW 2010, 122, 129. 71  Beispielsweise

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§  6  Begründung von Vertrauen auf der Grundlage eines Kenntnisstandes

schätzten) zu erwartenden Betriebskosten ankommt, so sagt dies noch nichts darüber aus, in wessen Risikobereich eine uninformierte Entscheidung fällt. Der Vermieter muss wahrheitsgemäß auf Rückfragen des Mieters antworten. Das betrifft aber eine ganz andere Frage als die Frage nach der generellen Risikozuweisung einer uninformierten Entscheidung. Wenn es dem Mieter darauf ankommt, zu erfahren, wie hoch die Nebenkosten der Vormieter waren oder der Durchschnitt im Haus ist, so hat er die Obliegenheit, sich diese Informationen zu beschaffen, indem er sie etwa vom Vermieter verlangt. Daher besteht trotz der besseren Kenntnis des Vermieters eine Nachfrageobliegenheit des Mieters und keine Pflicht des Vermieters, unaufgefordert Auskunft zu erteilen. Etwas anderes gilt allenfalls dann, wenn ausnahmsweise ein überlegener Kenntnisstand des Vermieters vorliegt und der Mieter keinen Zugang zu diesen Informationen hat, etwa bei der Kenntnis des Vermieters von einem untypisch hohen Verbrauch (z. B. bei schlechter Dämmung des Mietobjektes). Weiterhin kommt ausnahmsweise eine Aufklärungspflicht bzw. zumindest eine Hinweispflicht des Vermieters in Betracht, wenn dieser erkennt, dass sich der Mieter über die Höhe oder die Berechnung der Betriebskosten irrt. Diese Ausnahmen sind jedoch nicht verallgemeinerungsfähig. Nicht bei jedem objektiv bestehenden (auch erheblichen) Informationsgefälle zwischen Mieter und Vermieter (das bei einer Vermietungsgesellschaft mit zahlreichen ähnlichen Objekten regelmäßig gegeben ist) besteht eine Aufklärungspflicht des informierten Vermieters, da sich der Mieter bei Vertragsabschluss ohne Probleme über die Höhe der Betriebskosten im Hinblick auf die Erfahrungswerte des Vermieters informieren kann.73

V. Ergebnis 1. Zusammenfassung Oft wird die Möglichkeit, ein Recht geltend zu machen, durch den Kenntnisstand des Berechtigten beeinflusst. Nimmt der Berechtigte eine Handlung gegenüber einem anderen vor, ändert sich häufig der mit der Handlung verbundene Erklärungswert, wenn sie in Kenntnis bestimmter, die Handlung betreffender Umstände vorgenommen wird. Die mit der Handlung verbundene Rechtsfolge hängt oftmals von dem Kenntnisstand desjenigen ab, gegenüber dem die Handlung vorgenommen wird. Sein Kenntnisstand wird von dem Erklärungswert beeinflusst, der von der Handlung in Kenntnis des Handelnden ausgeht. 73  Das gezielte Fragen begründet in jedem Fall eine umfassende Offenbarungspflicht des Gefragten, vgl. hierzu Lorenz, Unerwünschter Vertrag, 1997, S.  421 f.; Fleischer, Informations­ asymmetrie, 2001, 254; ferner BGH 1989, 763, 764; BGH NJW 1982, 376; BGH NJW 1977, 1914, 1915.

V. Ergebnis

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Sowohl der Kenntnisstand des Handelnden als auch desjenigen, gegenüber dem die Handlung vorgenommen wird, können zur Entstehung von Vertrauen auf Seiten desjenigen, gegenüber dem die Handlung vorgenommen wird, führen. Das Vertrauen entsteht dabei häufig dadurch, dass der Handelnde Kenntnis davon hat, dass er die Handlung gar nicht vorzunehmen braucht (z. B. Kondiktionsausschluss bei der Leistung trotz Nichtschuld, §  814 Alt.  1 BGB). Nimmt er die Handlung trotz Kenntnis vom Nichtbestehen einer Pflicht zur Vornahme der Handlung oder in Kenntnis von Gründen, die zum Nichtbestehen der Pflicht führen, vor, erhält die Handlung einen erweiterten Erklärungswert. Die Handlung enthält die Erklärung, dass trotz des Mangels der der Handlung zugrunde liegenden Verpflichtung dennoch geleistet werden soll. Der Empfänger vertraut in diesen Fällen darauf, dass aus dem bekannten Mangel nicht das Ausbleiben der Handlung folgen wird. Konkret betrifft dies die Fälle der Leistung auf eine nicht bestehende Schuld in Kenntnis der Nichtschuld (§  814 Alt.  1 BGB) sowie die Bestätigung eines anfechtbaren Rechtsgeschäfts (§  144 BGB). Beides sind Unterfälle des aus dem Grundsatz von Treu und Glauben folgenden Verbots widersprüchlichen Verhaltens. Die bewusste Leistung auf eine nichtbestehende Schuld führt zu einem Vertrauen des Leistungsempfängers, die Leistung auch ohne Verpflichtung hierzu behalten zu dürfen. Macht der Anfechtungsberechtigte in Kenntnis der Anfechtbarkeit Rechte aus dem Rechtsgeschäft geltend, entsteht bei dem Vertragspartner das Vertrauen, dass das Rechtsgeschäft trotz der Anfechtbarkeit nicht angefochten wird. Eine Sonderstellung nimmt die Beeinflussung mietvertraglicher Gewährleistungsrechte durch den jeweiligen Kenntnisstand des Mieters und Vermieters von Mängeln ein. Bei anfänglichen Mängeln, die der Mieter kennt, entsteht beim Vermieter das Vertrauen, dass der Mieter aus diesen Mängeln keine Rechte herleitet (§  536b S.  1 BGB). Ist dem Mieter der Mangel aufgrund grober Fahrlässigkeit unbekannt geblieben, kann beim Vermieter nur dann schutzwürdiges Vertrauen entstehen, wenn er auf den Kenntnisstand des Mieters nicht durch arglistige Täuschung Einfluss genommen hat (§  536b S.  2 BGB). Bei nachträglich auftretenden Mängeln gibt die unterschiedliche Kenntnisnahmemöglichkeit von dem Mangel den Ausschlag für das Bestehen der Gewährleistungsrechte. Kennt der Vermieter den Mangel nicht, vertraut er auf die Mangelfreiheit, weil er die Mietsache nicht in Besitz hat und sie demzufolge nicht auf Mängel überprüfen kann. Der Vermieter ist auf die Anzeige des Mangels durch den Mieter angewiesen. Wird dem Vermieter ein Mangel angezeigt (§  536c I 1 BGB), zerstört dies sein Vertrauen in die Mangelfreiheit und das Bestehen des Anspruchs auf ungeminderte Miete. Die nach erfolgter Mangelanzeige vorbehaltlos gezahlte Miete kann wegen des widersprüchlichen Verhaltens des Mieters gemäß §  814 Alt.  1 BGB nicht zurückgefordert werden. Zahlt der Mieter die Miete über einen längeren Zeitraum vorbehaltlos ungekürzt fort, kann der Vermieter hierauf jedoch kein Vertrauen gründen, dass der Mieter aus dem Mangel

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§  6  Begründung von Vertrauen auf der Grundlage eines Kenntnisstandes

keine Rechte für die Zukunft herleitet. Ein diesbezüglicher Vertrauensschutz stünde im Widerspruch zu der Anzeigeobliegenheit, die den Mieter aufgrund der Schadensersatzpflicht für unterlassene Anzeigen (§  536c II 1 BGB) zu einer frühzeitigen Anzeige zwingt. Wäre es dem Mieter möglich, den Mangel folgenlos nicht anzuzeigen, könnte er durch die stillschweigende Fortzahlung verhindern, dass bei dem Vermieter überhaupt ein Vertrauen entsteht, dass aus diesem (dem Vermieter nicht bekannten) Mangel keine Rechte hergeleitet werden. Der Grund für die Anzeigeobliegenheit liegt in den unterschiedlichen Möglichkeiten von Mieter und Vermieter, von dem Mangel Kenntnis zu erlangen. Durch die Anzeigeobliegenheit des Mieters wird das Risiko der Informationsbeschaffung zwischen Mieter und Vermieter ausgeglichen. Allerdings hat die Anzeigeobliegenheit nicht die Aufgabe, auch Gewährleistungsrechte für die Zukunft auszuschließen. Auch aus diesem Grund ist eine vor der Mietrechtsreform mögliche analoge Anwendung von §  536b BGB (§  539 BGB i. d. F. bis August 2001) auf Fälle der vorbehaltlosen Fortzahlung der ungekürzten Miete nicht möglich. Die Risikozuweisung bei der Informationsbeschaffung spricht gegen eine Aufklärungspflicht des Vermieters, wenn der Mieter hinsichtlich der Kalkula­ tion von Betriebskostenvorschüssen einer Fehlvorstellung in Bezug auf die nachfolgend abzurechnenden Kosten des tatsächlichen Verbrauchs unterliegt. Der Vermieter hat zwar regelmäßig bessere Möglichkeiten der Informationsbeschaffung als der Mieter (aus vorherigen Abrechnungen und Vergleichsobjekten), jedoch liegt die Kenntnis von der Höhe der Betriebskosten überwiegend im Interesse des Mieters. Dadurch fällt es grundsätzlich in seinen Risikobereich, die Informationen zu beschaffen, was ihm durch entsprechende Nachfrage beim Vermieter auch unschwer möglich ist. Unterlässt er die Nachfrage, kommt eine Aufklärungspflicht bzw. zumindest eine Hinweispflicht des Vermieters nur in außergewöhnlichen Fällen in Betracht, wenn der Vermieter den Irrtum des Mieters über die Höhe der Betriebskosten oder deren Berechnung erkennt oder der Vermieter bewusst auf eine Fehlvorstellung beim Mieter hinwirkt. Ansonsten bleibt es bei dem Grundsatz, dass der an der Information interessierte Mieter die Informationsbeschaffungslast trägt und der Vermieter nicht unaufgefordert die für den Mieter interessanten Informationen bereitstellen muss.

2. Fazit In den Fällen, in denen Vertrauen auf der Grundlage eines Kenntnisstandes begründet wurde, ist die angeordnete Rechtsfolge der jeweiligen Norm nicht unmittelbar mit dem Tatbestandsmerkmal der Kenntnis verbunden, sondern in der Regel hängt der Eintritt der Rechtsfolge von der Wertung ab, ob das Vertrauen schutzwürdig ist. Teilweise stellen Tatbestände ausdrücklich auf das Vorliegen der positiven Kenntnis ab (§  814 BGB), teilweise setzen Tatbestände

V. Ergebnis

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die Kenntnis implizit voraus (§  144 BGB für die Bestätigung). In anderen Konstellationen geht es um einen komplexen Ausgleich von unterschiedlichen Informationsbeschaffungsmöglichkeiten (Anzeige von Mietmängeln und ungekürzte Weiterzahlung der Miete) oder aber schlicht um eine Risikozuweisung einer uninformierten Entscheidung (Vertrauen auf die Höhe der erwarteten Betriebskosten in Abhängigkeit zu dem verlangten Vorschuss). In allen Fällen tritt die jeweilige Rechtsfolge nicht unmittelbar dann ein, wenn ein bestimmter Kenntnisstand vorliegt. Vielmehr dient der Kenntnisstand als ein gewichtiges Indiz für das Entstehen eines Vertrauens bei dem Empfänger einer Leistung oder Erklärung bzw. demjenigen, gegenüber dem eine sonstige Handlung vorgenommen wird. Auch wenn der Tatbestand der Norm die Rechtsfolge nur dann anordnet, wenn positive Kenntnis vorliegt und nicht auch Vertrauen (wie beispielsweise in §  814 BGB) vorliegen muss, wird die Entscheidung über den Eintritt der Rechtsfolgen von einer an sich vom Tatbestand der Norm nicht vorgesehenen Wertung abhängig gemacht. Diese Wertung fließt in die Definition und Bestimmung des Tatbestandsmerkmals der Kenntnis ein. Die Kenntnis ist tatbestandlich schwer zu bestimmen und eignet sich daher bereits bei deren Definition besonders, mit Wertungen angereichert zu werden. Konstruktiv greift die Rechtsprechung dabei auf den Grundsatz von Treu und Glauben zurück, um zu erklären, warum es bei §  814 BGB auf ein etwaiges, nicht tatbestandlich erwähntes Vertrauen ankommen soll, das im Ergebnis schützenswert ist.74 Bei der Argumentation fällt auf, dass der jeweilige Kenntnisstand dessen, bei dem ein schützenswertes Vertrauen entstanden ist, von der tatbestandlichen Definition abweicht. Konkret geht es nicht mehr darum, was der Vertrauende tatsächlich wusste, sondern welchen Kenntnisstand er haben konnte. Ähnlich verhält es sich mit den anderen Fallkonstellationen, die häufig (ähnlich dem Rechtsinsti­ tut der Verwirkung) auf den Grundsatz von Treu und Glauben zurückgeführt werden, insbesondere wenn es um die Verteilung von Risiken uninformierter Entscheidungen oder eingeschränkter Beschaffungsmöglichkeiten von Informationen geht. Gerade in diesen Fällen spielt der tatsächliche Kenntnisstand eine nur untergeordnete Rolle. Er ist nur als Vorfrage relevant, ob überhaupt (schutzwürdiges) Vertrauen entstehen konnte, da der Betroffene ohne eine Informationsgrundlage nicht auf eine Lage vertrauen kann, die er gar nicht kennt. Dieser Befund führt dazu, dass in den Fällen, in denen Vertrauen auf der Grundlage eines Kenntnisstandes entstehen kann, die tatbestandliche Bestimmung des Kenntnisstandes in den Hintergrund rückt. Für die Vorfrage, ob überhaupt ein relevanter Kenntnisstand besteht, kann das Modell des objektiven Dritten, dem die Kenntnisse und Fähigkeiten dessen unterstellt werden, um dessen Kenntnisstand es geht, durchaus hilfreich sein. Für die Beantwortung der Frage, ob der Bereicherungsschuldner (Rechts-)Kenntnis vom Fehlen des 74 

BGH NJW 1979, 763; BGH NJW 2008, 1878, 1879 Tz.  16.

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§  6  Begründung von Vertrauen auf der Grundlage eines Kenntnisstandes

Rechtsgrundes hat, können dem objektiven Dritten zunächst diejenigen Kenntnisse unterstellt werden, die dem Bereicherungsschuldner auf jeden Fall bekannt sind. In einem nächsten Schritt ist zu prüfen, ob der gedachte objektive Schuldner anhand der sonstigen Kenntnisse und Fähigkeiten zu der Folgerung kommen würde, dass er nicht zu leisten braucht. Gleiches gilt für die Beantwortung der Frage, ob sich für den Mieter „ein Mangel zeigt“: Hat er eine Verfärbung der Parkettstäbe unstreitig wahrgenommen, ist lediglich zu prüfen, ob dies ein objektiver Dritter an der Stelle des Mieters als einen Mangel der Mietsache ansehen würde, so dass eine Mängelanzeige geboten erscheint. In gleicher Weise lassen sich die Konstellationen beurteilen, in denen der Mieter die Miete vorbehaltlos weiterzahlt und den Mangel dennoch angezeigt hat. Ein objektiver Dritter als Vermieter, der die ungekürzte Mietzahlung in dieser Situation erhält, würde bei der Sachlage nicht davon ausgehen, dass der Mieter auch künftig aus dem Mangel keine Rechte herleiten wird. Schwieriger ist allerdings zu beurteilen, ob das auf dem (so objektiv festgestellten) Kenntnisstand gegründete Vertrauen schutzwürdig ist. Dies ist eine Wertungsfrage und kann nicht mit Hilfe eines objektiven Dritten als Tatsache bestimmt werden. Sieht der jeweilige Tatbestand keine solche wertende Einschränkung vor, kann eine Wertung nicht in das Tatbestandselement eines etwaigen Kenntnisstandes hineininterpretiert werden. Denkbar ist jedoch eine normative Einschränkung, die auf die Grundsätze von Treu und Glauben als übergeordnetes Regelungsprinzip gestützt wird. Dies ist allerdings nur in Einzelfällen möglich und entsprechend begründungsbedürftig. Ein Subsumtionsautomatismus einer tatbestandlichen Einschränkung des Merkmals eines bestimmten Kenntnisstandes kann dabei keine überzeugenden Ergebnisse liefern.

§  7  Zerstörung von Vertrauen auf der Grundlage eines Kenntnisstandes (Bösgläubigkeit) Bösgläubigkeit umschreibt einen Zustand, in dem wegen eines Kenntnisstandes redlicherweise kein Vertrauen gebildet werden kann. Vertraut die betroffene Person dennoch auf das Vorliegen von rechtserheblichen Umständen, obwohl sie von der wahren Tatsachen- oder Rechtslage Kenntnis hat (oder teilweise sogar nur „haben müsste“), wird dieses „blinde“ Vertrauen nicht geschützt. Umgekehrt bedeutet Bösgläubigkeit die Begründung eines Wissensstandes, der bei seiner Abwesenheit zu einer Bildung schützenswerten Vertrauens führen würde. Vertraut eine Person auf das Vorliegen einer Situation, kann dies zu einer besonderen Rechtstellung und zum Erwerb von Rechten führen, die sonst nicht möglich sind (beispielsweise gutgläubiger Eigentumserwerb oder die rechtsgeschäftliche Bindung eines Dritten durch das vermeintliche Bestehen einer Vollmacht). Dies ist aber nur möglich, wenn das gebildete Vertrauen von der Rechtsordnung geschützt ist. Ebenso hängt eine vorteilhafte Rechtsstellung in ihrem Bestand davon ab, ob das Vertrauen in das Behaltendürfen von der Rechtsordnung geschützt ist. Beispielsweise führt die Kenntnis des Bereicherungsschuldners vom Mangel des rechtlichen Grundes zu dessen verschärfter Haftung (§  819 I BGB) und die Kenntnis von der wirtschaftlichen Krise eines Schuldners zu insolvenzrechtlichen Anfechtungsmöglichkeiten einer empfangenen Leistung. Der Schutz des Vertrauens ist in der Regel eingeschränkt, wenn der Vertrauende die wahre Lage kennt. Hierbei spielt allerdings der jeweilige tatsächliche Kenntnisstand des Vertrauenden nicht selten eine nur untergeordnete Rolle. Für die Frage der Einschränkung der jeweiligen Vertrauenstatbestände ist häufig lediglich ein unterstellter Kenntnisstand entscheidend. Ein solcher unterstellter Kenntnisstand entspricht nicht der tatsächlichen Kenntnis, sondern beruht auf einer wertenden Entscheidung, ob das Vertrauen schutzwürdig ist oder nicht. Diese Entscheidung über die Rechtsfolge der Vertrauenshaftung ist zwar regelmäßig eng mit dem subjektiven Tatbestandsmerkmal der Kenntnis argumentativ verbunden; häufig wird die Kenntnis jedoch anhand (rein) objektiver und wertender Kriterien bestimmt. Der Wertung liegen Billigkeitserwägungen zugrunde, ob das Vertrauen schutzwürdig erscheint. Besonders deutlich wird dies bei den Tatbeständen, die nur auf positive Kenntnis als Ausschlusskriterium des Vertrauens abstellen (§§  819 I, 892, 407 I BGB), da bei diesen die Möglichkeit fehlt, Sorgfaltsanforderungen im Hinblick auf die grob fahrlässige Unkenntnis

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§  7  Zerstörung von Vertrauen auf der Grundlage eines Kenntnisstandes

an den Vertrauenden bezüglich möglicher Nachforschungspflichten zu stellen, in die die wertende Entscheidung einfließen könnte.

I.  Ausschluss der (Fort-)Bestandsfiktion einer Vertretungsmacht bei Bösgläubigkeit, §  173 BGB Die rechtsgeschäftlich eingeräumte Rechtsmacht, nach der die Folgen eines Vertreterhandelns für und gegen jemand anderen wirken, führt in dem Verhältnis von Vertreter, Vertretenem und Drittem zu einer Vervielfachung des jeweils relevanten Kenntnisstands der beteiligten Personen. Der jeweilige Kenntnisstand wird insbesondere in den Fällen relevant, in denen das Verhältnis zwischen Vertreter und Vertretenem oder Vertreter und Drittem durch Umstände beeinflusst wird, die nur in dem jeweiligen Zweipersonenverhältnis vorliegen. Diese Umstände können die Legitimierung des Vertreterhandelns betreffen, wie etwa das Erlöschen der Vollmacht. Diese objektive Änderung der Rechtsmacht des Vertreters ist jedoch für sein wirksames Vertreterhandeln nicht unmittelbar entscheidend. Vielmehr kommt es für das Weiterbestehen der Vollmacht nur auf den jeweiligen Kenntnisstand der Beteiligten im Hinblick auf die objektive Änderung der Vertretungsmacht an.

1.  Kenntnisstand des Vertreters Der Kenntnisstand des Vertreters wird im Rahmen der Fortwirkungsfiktion der Vollmacht nach deren Erlöschen gemäß §§  674, 168 BGB relevant. Hat der Vollmachtgeber nicht etwas anderes bestimmt, erlischt die Vollmacht mit „dem ihrer Erteilung zugrunde liegenden Rechtsverhältnis“, §  168 S.  1 BGB. Die Vollmachtserteilung basiert häufig auf einem Auftragsverhältnis. Der Auftrag kann grundsätzlich jederzeit widerrufen werden (§  671 I BGB). Der Widerruf als empfangsbedürftige Willenserklärung wird erst ab Zugang beim Beauftragten wirksam, §  130 I BGB.1 Der Tod und der Eintritt der Geschäftsunfähigkeit des Vollmachtgebers bewirken im Zweifel nicht die Beendigung des Auftrages, §  672 S.  1 BGB. Dennoch kann der Widerruf des Auftrages beispielsweise auf den Tod des Auftraggebers bedingt sein.2 Bei einem solchen bedingten Widerruf, bei dem der Beauftragte keine Kenntnis von dem Bedingungseintritt hat, greift die ansonsten recht enge Fortwirkungsfiktion nach §  674 BGB trotz des 1 Vgl. MünchKommBGB/Seiler, 6.   A., 2012, §   671 Rn.   3; Staudinger/Martinek, BGB, 2006, §  674 Rn.  4. 2  Trotz der prinzipiellen Bedingungsfeindlichkeit einseitiger Rechtsgeschäfte ist der bedingte Widerruf des Auftraggebers wegen der weniger schutzwürdigen Positionen des Beauftragten seit jeher anerkannt, vgl. MünchKommBGB/Seiler, 6.  A., 2012, §  671 Rn.  4 ; bereits Mot. II 544, abgedr. in Mugdan, Materialien zum BGB, Band 2, 1899, Nachdr. 1979, S.  304.

I.  Ausschluss der (Fort-)Bestandsfiktion einer Vertretungsmacht bei Bösgläubigkeit

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insoweit missverständlichen Wortlauts („in anderer Weise als durch Widerruf“) ein.3 Diese Fiktion dient allein dem Schutz des gutgläubigen Beauftragten in der Schwebezeit zwischen dem Erlöschen des Auftrages und der Kenntnis bzw. dem Kennenmüssen des Erlöschens des Auftrages und beruht auf Billigkeits­ erwägungen.4 In diesem Fall der Fiktion des Fortbestehens des Auftrages gilt daher auch die Vollmacht als fortbestehend.5 Die Fortwirkungsfiktion der Vollmacht erfährt eine Einschränkung, wenn der Beauftragte das Erlöschen kennt oder kennen muss, §  674 BGB. 6 Die Fortbestehensfiktion des Auftrages und damit auch der Vollmacht kommt daher nur in Betracht, wenn der Beauftragte weder Kenntnis noch fahrlässige Unkenntnis von dem Erlöschen des Auftrages hatte. Hierfür reicht bereits leicht fahrlässige Unkenntnis. Für den Maßstab des Kennenmüssens gelten nach allgemeiner Ansicht die gleichen Anforderungen wie im Rahmen von §  122 II BGB.7 Nach der Ansicht der Literatur wird die Kenntnis der Umstände, aus denen das Erlöschen hervorgeht, nicht der Kenntnis des Erlöschens selbst gleichgestellt.8 Bei der Fortbestehensfiktion gemäß §  674 BGB hat die fehlende Gleichsetzung von der Kenntnis der Umstände, die zum Erlöschen führen und der Kenntnis des Erlöschens selbst kaum Auswirkungen, da auch eine fahrlässige Unkenntnis des Erlöschens der Fortbestehensfiktion entgegensteht. So ist es durch die Statuierung der Sorgfaltsanforderung an den Vertreter möglich, den Schluss von den zum Erlöschen der Vollmacht führenden Umständen auf das Erlöschen selbst zu verlangen. Zieht der Vertreter diesen Schluss nicht, obwohl er dazu in der Lage ist, liegt fahrlässige Unkenntnis vor. Praktische Relevanz entfaltet die Anforderung des Kennenmüssens des Erlöschens, wenn der Beauftragte selbst das der Vollmacht zugrunde liegende Auftragsverhältnis kündigt und den genauen Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung beim Auftraggeber nicht kennt.9 Dann ist dem Vertreter zwar das generelle (irgendwann eintretende) Erlöschen der Vollmacht klar, der Zeitpunkt kann jedoch meist nur durch Konkretisierung der Anforderungen an das Kennenmüssen als bekannt unterstellt werden. Hinter der Fiktionswirkung gemäß §§  674, 168 BGB steht folglich das Schutzbedürfnis des Vertreters, der auf den Fortbestand der Legitimation seines Handelns vertraut. Dieses Schutzbedürfnis besteht nicht, wenn er leicht fahrlässig hinsichtlich der Unkenntnis des Erlöschens des der Vertretungsmacht zugrunde liegenden Auftragsverhältnisses ist. Der Vertreter ist bereits fahrlässig in Un3 Staudinger/Martinek,

BGB, 2006, §  674 Rn.  5. dem Beauftragten gegenüber bestehende nachwirkende „Fürsorgepflicht“, vgl. Mot. II 553, abgedr. in Mugdan, Materialien zum BGB, Band 2, 1899, Nachdr. 1979, S.  309. 5  Arg. ex. §  169 BGB. 6  Zu der Einschränkung im Fall der Kenntnis oder des Kennenmüssens des Dritten von dem Mangel der Vollmacht sogleich im Abschnitt „Kenntnisstand des Dritten“. 7  Statt vieler Palandt/Sprau, BGB, 2016, §  674 Rn.  1 f. 8 Staudinger/Martinek, BGB, 2006, §  674 Rn.  8 . 9 Staudinger/Martinek, BGB, 2006, §  674 Rn.  8 . 4 Eine

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§  7  Zerstörung von Vertrauen auf der Grundlage eines Kenntnisstandes

kenntnis des Erlöschens, wenn er die Umstände kennt, die zum Erlöschen führen und er den Schluss aus den Umständen auf das Erlöschen des Auftragsverhältnisses nicht gezogen hat.

2.  Kenntnisstand des Dritten a.  Kenntnisstand entscheidet über Fortbestand von Rechtsmacht Der Dritte ist in einer Vertretungskonstellation derjenige, mit dem das Rechtsgeschäft, bei dem der Vertreter mitwirkte, abgeschlossen wird. Im Hinblick auf die Folgen des Kenntnisstandes des Dritten vom Erlöschen einer Vollmacht ist nach dem ursprünglichen Adressaten der Erteilung der Vollmacht zu differenzieren. Die Vollmacht kann sowohl gegenüber dem Dritten als auch gegenüber dem Bevollmächtigten erteilt werden, §  167 I BGB. Bei der Außenvollmacht erfolgt die Erteilung der Vollmacht durch Erklärung gegenüber dem Dritten, bei der Innenvollmacht gegenüber dem zu Bevollmächtigenden. Der Widerruf der Vollmacht muss nicht gegenüber dem früheren Adressaten der Erteilung erfolgen, sondern kann sowohl gegenüber dem Bevollmächtigten als auch gegenüber dem Dritten erfolgen, §§  168 S.  2, 167 I BGB.10 Die Abweichung des Adressaten der Vollmacht und des Adressaten des Widerrufs kann dazu führen, dass der Widerruf der Vollmacht demjenigen nicht bekannt ist, demgegenüber sie ursprünglich erteilt wurde. Das Erlöschen der Vollmacht ist jedoch nicht von dem bloßen Widerruf unmittelbar abhängig: Vielmehr ordnet §  170 BGB an, dass die Außenvollmacht solange in Kraft bleibt, bis dem Dritten das Erlöschen der Vollmacht vom Vollmachtgeber angezeigt wird. Eine ähnliche Situation besteht bei der nach außen kundgegebenen Innenvollmacht, bei der der Vollmachtgeber dem Dritten (oder mehreren durch öffentliche Bekanntgabe) mitteilt, dass er dem Vertreter eine Vollmacht erteilt habe. Der besondere Regelungsgehalt des §  171 I BGB ist die Verleihung der Befugnis zur Vertretung durch den Genannten bloß wegen der Kundgabe der Bevollmächtigung.11 Hat der Vertretene keine Vollmacht erteilt oder ist die Vollmachtserteilung unwirksam, handelt der Vertreter dennoch mit Vertretungsmacht.12 Diese Vertretungsmacht besteht nur wegen der dem Dritten gegebenen (unzutreffenden) Information über eine (vermeintliche) Bevollmächti10 MünchKommBGB/Schubert, 7.  A ., 2015, §  168 Rn.  18; Staudinger/Schilken, BGB, 2014, §  168 Rn.  5. 11  Teilweise wird in der Kundgabe gegenüber dem Dritten ebenfalls eine (weitere) Bevollmächtigung (und damit die Kundgabe als Willenserklärung) gesehen, vgl. Flume, BGB AT II, 4.  A., 1992, §  49 Pkt. 2a (S.  823 ff.) und §  51 Pkt. 9 (S.  856); Staudinger/Schilken, BGB, 2014, §  171 Rn.  3 ; Wolf/Neuner, BGB AT, 10.  A., 2010, §  50 Rn.  69; v. Craushaar, AcP 174 (1974), 1, 14. 12  BGH NJW 2001, 3774, 3775; MünchKommBGB/Schubert, 7.  A ., 2015, §  173 Rn.  2 jeweils m. w. N.

I.  Ausschluss der (Fort-)Bestandsfiktion einer Vertretungsmacht bei Bösgläubigkeit

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gung. Auch bei der kundgegebenen Vollmacht besteht die Möglichkeit der Unkenntnis des Dritten von dem gegenüber dem Bevollmächtigten erklärten Widerruf der Vollmacht. Für diesen Fall der Mitteilung von einer Bevollmächtigung ordnet §  171 II BGB an, dass die Vertretungsmacht solange bestehen bleibt, bis die Kundgabe der Vollmacht in derselben Weise, wie sie erfolgt ist, widerrufen wird.13 Die Vollmacht bleibt solange bestehen, bis der Dritte (oder die durch öffentliche Bekanntmachung informierte Allgemeinheit) von dem Widerruf Kenntnis erlangt hat. Einer solchen Mitteilung von der Vollmachtserteilung steht es gleich, wenn der Vollmachtgeber dem Bevollmächtigten eine „verbriefte Kundgabe“ der Bevollmächtigung in Form einer Vollmachtsurkunde aushändigt und der Ver­ treter diese Urkunde dem Dritten vorlegt, §  172 I BGB. Auch dann bleibt die Vertre­tungsmacht solange bestehen, bis die gewählte Form der dem Bevollmächtigten „in die Hand gegebenen Bekanntgabe“ (Vollmachtsurkunde) dem Vollmachtgeber zurückgegeben oder für kraftlos erklärt wird, §  172 II BGB. Dann kann die Vollmachtsurkunde nicht mehr vorgelegt und der aus der Vollmachtsurkunde ersichtliche Inhalt damit nicht mehr mitgeteilt werden. b.  Unkenntnis als Basis für Vertrauensbildung Alle vorstehend genannten Fälle einer Verlängerung der Geltungsdauer der gewöhnlichen Vollmacht sind solche der Rechtsscheinhaftung. Ihr tragender Grundsatz ist das Vertrauen des Dritten, das er aufgrund der eingeschränkten Möglichkeiten zur Kenntnisnahme von dem Mangel der Vertretungsmacht des vermeintlich (immer noch) Bevollmächtigten bilden konnte und durfte.14 Bestätigt wird dieser Befund durch die ausdrückliche Anordnung der Relevanz der Kenntnislage des Dritten, auf die §  173 BGB abstellt. Gemäß §  173 BGB sind die Rechtsscheintatbestände in den Vorschriften der §§  170, 171 II und 172 II BGB nicht anwendbar, wenn der Dritte das Erlöschen der Vertretungsmacht bei der Vornahme des Rechtsgeschäfts kennt oder kennen muss. Einen weiteren Beleg für die Maßgeblichkeit des Kenntnisstandes des Dritten für die Anwendbarkeit der Rechtsscheintatbestände liefert die allgemein anerkannte Erweiterung der Ausschlussanordnung von §  173 BGB auf den Fall, dass die nach außen kundgegebene (vermeintliche) Bevollmächtigung fehlerhaft ist oder gar nicht vorliegt.15 13  Wobei allerdings „gleiche Art und Weise“ nicht völlige Gleichartigkeit bedeutet. Es geht vielmehr darum, dem gleichen Personenkreis in gleicher Kundgabeform das Erlöschen der Vollmacht mitzuteilen, vgl. Staudinger/Schilken, BGB, 2014, §  171 Rn.  10 m. w. N. oder zumindest den Rechtsschein zu zerstören, vgl. Flume, BGB AT II, 4.  A., 1992, §  51 Pkt. 9 (S.  856). 14  Kindl, Rechtsscheintatbestände, 1999, S.  14 f., 21. 15  BGH NJW 2001, 3774, 3775; BGH NJW 2000, 2270, 2271; BGH NJW 1985, 730; RGZ 108, 125, 127; Staudinger/Schilken, BGB, 2014, §  173 Rn.  7; MünchKommBGB/Schubert, 7.  A., 2015, §  173 Rn.  2 ; Bamberger/Roth/Valenthin, BeckOK/BGB, 37. Ed., 2013, §  173 Rn.  2 ; Medicus, BGB AT,10.  A., 2010, Rn.  946; Canaris, Vertrauenshaftung, 1971, S.  504; Soergel/ Leptien, BGB, 13.  A., 1999, §  173 Rn.  2 ; ferner Gsell, EWiR, 1999, 1103, 1104.

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§  7  Zerstörung von Vertrauen auf der Grundlage eines Kenntnisstandes

Gemäß §  171 I BGB ist auch der bloß vermeintlich Bevollmächtigte wegen der bloßen Kundgabe gegenüber dem Dritten zur Vertretung befugt. Betrachtet man nur den diesen Fall nicht erfassenden Wortlaut des §  173 BGB, würde dies sogar dann gelten, wenn der Dritte die mangelnde Bevollmächtigung kennt oder kennen musste. Zu Recht wird dies überwiegend abgelehnt. Meist wird die mangelnde Schutzwürdigkeit des Dritten als Grund für den Ausschluss der Rechtsscheinwirkungen entsprechend §   173 BGB angeführt.16 Allerdings braucht die Begründung hierfür nicht erst auf der Wertungsebene der Schutz­ würdigkeit des Dritten gesucht werden. Es fehlt in diesen Fällen bereits an einer in §  171 I BGB vorausgesetzten Basis für einen Rechtsschein und eine Vertrauensbildung. §  171 I BGB setzt die Kundgabe eines Umstandes voraus, d. h. eine Übermittlung einer Information, auf die der Empfänger vertrauen kann. An einer solchen (einen Rechtsschein möglicherweise erzeugenden) Information fehlt es aber, wenn der Empfänger bereits deren Unrichtigkeit kennt oder kennen musste. Die Information wird vom Empfänger bereits als fehlerhaft erkannt oder hätte als solche erkannt werden müssen. Sie kann gar nicht mehr dazu führen, dass er auf einen Umstand vertraut, da er dessen Unrichtigkeit bereits kennt oder kennen muss.17 Daher liegt in Fällen, in denen die nach außen kundgegebene (vermeintliche) Bevollmächtigung fehlerhaft ist oder gar nicht vorliegt, schon gar keine Basis für einen Rechtsschein vor, so dass sich die Frage nach einer Schutzwürdigkeit des Informationsempfängers gar nicht stellt. c.  Bezugspunkt des Kenntnisstands: Nichtbestehen der Vollmacht Der in §§  170 ff. BGB vorgesehene Schutz des Dritten besteht gemäß §  173 BGB nicht, wenn der Dritte das Erlöschen der Vollmacht kannte oder kennen musste. Die Kenntnis muss sich auf das Bestehen der Vollmacht selbst beziehen. Da­ gegen sind die den Mangel der Vollmacht begründenden Umstände kein aus­ reichender Bezugspunkt für die in §  173 BGB vorausgesetzte Kenntnis.18 Kennt der Dritte das Erlöschen der Vollmacht nicht, sondern nur die Umstände, die zum Erlöschen der Vollmacht führten, stellt sich die Frage, ob dann fahrlässige Unkenntnis vorliegt, d. h. der Dritte das Erlöschen der Vollmacht gemäß §  173 BGB „kennen muss“. Anders formuliert ist fraglich, ob der Dritte von den ihm bekannten Umständen auf das Erlöschen der Vollmacht schließen muss. Weiterhin gilt es zu klären, ob bei Kenntnis der Umstände, die Zweifel am 16 In diesem Sinne MünchKommBGB/Schubert, 7.   A., 2015, §  173 Rn.  2; ähnlich BGH NJW 2000, 2270, 2271; BGH NJW 1999, 486, 487. 17 Diese Folgerung wird insbes. im Zusammenhang mit der Entstehung von Vertrauen im Rahmen der Gutgläubigkeit i. S. d. §  932 II BGB vorgenommen: Wenn der Erwerber positive Kenntnis von der Nichtberechtigung hat, ist die Entstehung eines Rechtsscheins ausgeschlossen (entscheidend ist die Vorstellung des Erwerbers), vgl. Staudinger/Wiegand, BGB, 2011, §  932 Rn.  41. 18  BGH NJW 2004, 2090; BGH NJW-RR 2003, 1203; BGH NJW-RR 2004, 632.

I.  Ausschluss der (Fort-)Bestandsfiktion einer Vertretungsmacht bei Bösgläubigkeit

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Bestehen der Vollmacht aufkommen lassen, eine Beschaffungspflicht für weitere Informationen besteht, die sich auf das Bestehen der Vollmacht beziehen. Noch weiter gefasst ist die Frage nach einer allgemeinen Nachforschungsobliegenheit des Dritten im Hinblick auf den Bestand der Vollmacht. Die Kenntnis des Bestehens der Vollmacht schließt regelmäßig die Kenntnis der Umstände ihrer Erteilung ein. Daher erstreckt sich die Kenntnis der Vollmacht meist auch auf Umstände, die an dem Bestand der Vollmacht Zweifel aufkommen lassen müssten. Umgekehrt bedeutet das jedoch nicht, dass nur dann die gemäß §  173 BGB relevante Kenntnis vom Erlöschen der Vollmacht vorliegt, wenn zusätzlich zur Kenntnis der Umstände, die zum Erlöschen führten, auch die Umstände ihrer Erteilung bekannt sind. Die Kenntnis der zum Erlöschen führenden Umstände kann die Kenntnis des Erlöschens selbst einschließen, zwingend ist dies jedoch nicht. Ebenso verhält es sich mit den Umständen der Erteilung der Vollmacht. §  173 BGB stellt nur auf die Kenntnis vom Bestehen der Vollmacht ab, nicht auf das zugrunde liegende Grundverhältnis als Umstand, der zur Vollmachtserteilung führte. Daher schließt die Kenntnis von Mängeln des Grundverhältnisses grundsätzlich nicht die Kenntnis oder das Kennenmüssen des Dritten vom Mangel der Vollmacht ein. Etwas anderes gilt, wenn in der vorgelegten Vollmachtsurkunde ausdrücklich auf das Grundverhältnis Bezug genommen wird. Dann darf sich der Dritte gegenüber Bedenken hinsichtlich der Wirksamkeit der Vollmacht im Zusammenhang mit dem Grundverhältnis nicht verschließen.19 Allerdings können solche Bedenken nicht generell zu einer Prüfungsobliegenheit im Hinblick auf die Wirksamkeit der Vollmacht führen, wenn eine Vollmachtsurkunde vorgelegt wird.20 Die Rechtsprechung hat hierfür einige Grundsätze aufgestellt, die aber nicht uneingeschränkt verallgemeinerungsfähig sind. In dem vom RG21 zu entscheidenden Fall vertraute der Käufer eines Grundstücks auf die Wirksamkeit einer Vollmacht, die sich aus einer privatschriftlichen Urkunde ergab und zudem unwiderruflich war. Die zu klärende Frage war, ob der Käufer trotz der bereits aus der Vollmachtsurkunde erkennbaren Nichtigkeit der Vollmacht dennoch auf das Bestehen der Vollmacht vertrauen durfte. Das RG führte hierzu aus, dass sich der Dritte, der aus der Vollmachtsurkunde die der Vollmacht anhaftenden rechtlichen Mängel ersehen hat oder hätte ersehen müssen, auf seine Rechtsunkenntnis nicht berufen kann. Dies gelte auch, wenn er die rechtlichen Folgerungen aus den ihm bekannten Rechtstatsachen durch einen rechtlichen Irrtum nicht gezogen habe.22 Allerdings geht bereits das RG davon aus, dass der Schutz des Dritten gemäß §  173 BGB nur dann ausgeschlossen sei, wenn das Nichtvorliegen der Vollmacht bereits aus den den Rechtsschein begründenden Tatsachen 19 

BGH NJW 1985, 730, 730 f. BGB, 13.  A., 1999, §  173 Rn.  3. 21  RGZ 108, 125. 22  RGZ 108, 125, 128. 20 Soergel/Leptien,

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§  7  Zerstörung von Vertrauen auf der Grundlage eines Kenntnisstandes

ersichtlich wird.23 Dabei kommt es auf die Erkennbarkeit der rechtlichen Mängel der Bevollmächtigung durch den Dritten an. Dieser sei davor geschützt, dass Umstände, die er nicht kennen kann, gegen ihn wirken. Dies gelte sowohl für Tatsachen, die er nicht kennen konnte, als auch für rechtliche Wertungen.24 In eine ähnliche Richtung weist die Rechtsprechung des BGH 25 im Hinblick auf die Wirksamkeit einer Vollmacht. Ausgangspunkt der Feststellung, ob §  173 BGB den Schutz des Dritten versagt, ist die Frage, ob der Dritte Kenntnis von dem Nichtbestehen der Vollmacht hatte oder ob seine Unkenntnis auf Fahrlässigkeit beruht. Die Kenntnis oder das Kennenmüssen des Nichtbestehens der Vollmacht resultiert häufig aus einer rechtlichen Wertung tatsächlicher Umstände. Kommt es bei der rechtlichen Wertung, ob die Vollmacht besteht, zu unzutreffenden Schlüssen, so sind diese daraufhin zu untersuchen, ob die Unkenntnis von dem Nichtbestehen der Vollmacht verschuldet ist, d. h. auf einer Außerachtlassung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt beruht.26 Dies hat der BGH 27 in Fällen verneint, in denen die rechtliche Wertung der Wirksamkeit von einem bis dahin noch nicht höchstrichterlich entschiedenen Fall eines Verstoßes gegen das Rechtsberatungsgesetz abhing.28 Der BGH 29 stellt dabei darauf ab, dass bis dahin alle Beteiligten den Verstoß des Geschäftsbesorgungsvertrages gegen das Rechtsberatungsgesetz und die damit verbundene Unwirksamkeit der Vollmachtserteilung nicht erkennen konnten. Den vor den zu dieser Frage bislang ergangenen Entscheidungen des BGH30 ließe sich nichts entnehmen, was „für einen Verstoß eines umfassenden Treuhand- oder Geschäftsbesorgungsvertrages und der mit ihm verbundenen Vollmacht des Treuhänders oder Geschäftsbesorgers gegen Art.  1 §  1 RBerG i.V. mit §  134 BGB gesprochen hätte“.31 Welche Sorgfaltsanforderungen im Rahmen des Kennenmüssens des Dritten von dem Erlöschen der Vollmacht zu stellen sind, wird in der genannten und vielfach zitierten 32 Entscheidung des RG33 nicht präzisiert. Der BGH34 bestimmt 23 

RGZ 108, 125, 128. RGZ 108, 125, 128. 25  BGH NJW 2004, 2090; BGH NJW-RR 2004, 632, 635; BGH NJW-RR 2003, 1203, 1204 f. 26  Allgemein in Anlehnung an §§   122 II, 276 II BGB, kritisch hierzu Staudinger/Schilken, BGB, 2014, §  173 Rn.  2 m. w. N. 27  BGH NJW 2004, 2090 f. 28  Vgl. zur ähnlichen Frage, ob die Verzugsfolgen den Schuldner treffen, wenn er mit einer abweichenden rechtlichen Beurteilung durch das Gericht nicht zu rechnen brauchte, Mayer-­ Maly, AcP 170 (1970), 133, 135 ff. 29  BGH NJW 2004, 2090 f. m. w. N. 30  Bezug genommen wurde auf die Entscheidungen BGH NJW 2003, 2091; BGH NJWRR 2003, 1203; BGH NJW 2004, 62; BGH NJW 2004, 154. 31  BGH NJW 2004, 2090, 2091. 32  Beispielsweise BGH NJW 1985, 730; BGH NJW 1952, 744, 746; BGH WM 1978, 1046; OLG München NJW-RR 1989, 663, 664; OLG München NJW 1970, 709, 710. 33  RGZ 108, 125. 34  BGH NJW 1985, 730. 24 

I.  Ausschluss der (Fort-)Bestandsfiktion einer Vertretungsmacht bei Bösgläubigkeit

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die Sorgfaltsanforderungen nach einem individuellen Sorgfaltsmaßstab. So sollen an eine Bank, die über eine eigene Rechtsabteilung verfügt, im Hinblick auf die Bewertung der Wirksamkeit einer notariellen Vollmacht aufgrund eines formnichtigen Baubetreuungsvertrages strengere Anforderungen zu stellen sein „als an einen juristisch nicht vorgebildeten Durchschnittsbürger“.35 Bei Evidenz des Mangels der Vollmacht liegt dagegen immer fahrlässige Unkenntnis vor, da der Dritte bei Offensichtlichkeit des Mangels der Vollmacht leichtgläubig ist, wenn er das Nichtbestehen der Vollmacht dennoch verkennt.36 Vor dem Hintergrund des mit dem Verschuldensvorwurf der fahrlässigen Unkenntnis verfolgten Zwecks lassen sich die Sorgfaltsanforderungen, die das Merkmal des Kennenmüssens in §  173 BGB an den Dritten stellt, weiter prä­ zisieren. Die Voraussetzungen des Ausschlusses eines Rechtsscheintatbestands in §  173 BGB haben keinen Sanktionscharakter für verschuldetes Verhalten.37 Dies muss auch für die Bestimmung des Vorliegens der Voraussetzungen ­gelten. Es geht vielmehr um die „Geltungskraft der Vertretungsmacht“, wenn an der rechtsgeschäftlichen Legitimation Zweifel bestehen.38 Daher liegt fahrlässige Unkenntnis vom Nichtbestehen der Vollmacht vor, wenn „der Dritte Umstände außer Acht lässt, die nach einem vernünftigen Urteil auf ein Erlöschen der Vollmacht hinweisen“.39 Dies ist vor allem dann der Fall, wenn „besondere Umstände“ gegeben sind, „die Anlaß zu Mißtrauen oder erhöhter Vorsicht ­geben“.40 Daraus folgt, dass der Dritte zu allgemeinen Nachforschungen im Hinblick auf den Bestand der Vollmacht nicht verpflichtet ist, weil der Dritte grundsätzlich keine Zweifel haben und nicht misstrauisch sein muss.41 Kennt der Dritte einzelne Umstände, die den Bestand der Vollmacht beeinflussen können, das Erlöschen der Vollmacht dagegen nicht, kommt es darauf an, ob die ihm bekannten Umstände vernünftigerweise Zweifel am Bestand der Vollmacht aufkommen lassen und Anlass zu Misstrauen geben. An den Dritten ist im Rah35 

BGH NJW 1985, 730, 730 f. Canaris, Vertrauenshaftung, 1971, S.  505; Flume, BGB AT II, 4.  A., 1992, §  50 Pkt. 3 (S.  843 ff.). 37  Es wird daher vertreten, dass Kennenmüssen nur dann vorliegt, wenn das Nichtvor­ liegen der Vollmacht evident ist (in Anlehnung an die Regelungen über den Missbrauch der Ver­ tretungsmacht) und darin der Unterschied zum Verschulden liegt, vgl. Staudinger/ Schilken, BGB, 2014, §  173 Rn.  2 unter Bezugnahme auf Flume, BGB AT II, 4.  A., 1992, §  50 Pkt. 3 (S.  845); Canaris, Vertrauenshaftung, 1971, S.  505 (zumindest wenn Evidenz vorliegt, war der Vertrauende „leichtgläubig“) und ferner MünchKommBGB/Schubert, 7.  A., 2015, §  173 Rn.  4. 38 Staudinger/Schilken, BGB, 2014, §  173 Rn.  2. 39 Staudinger/Schilken, BGB, 2014, §  173 Rn.  2 m. w. N. 40  Canaris, Vertrauenshaftung, 1971, S.  506. 41 Eine allgemeine Informationsbeschaffungspflicht besteht nach einhelliger Ansicht nicht, vgl. BGH NJW 2001, 3774, 3775; BGH NJW 2000, 2270, 2271; BGH NJW 1985, 730; Bamberger/Roth/Valenthin, BeckOK/BGB, 37. Ed., 2013, §  173 Rn.  3 ; Palandt/Ellenberger, BGB, 2016, §  173 Rn.  2 ; Wolf/Neuner, BGB AT, 10., 2010, §  50 Rn.  65. 36 

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§  7  Zerstörung von Vertrauen auf der Grundlage eines Kenntnisstandes

men des Kennenmüssens die Sorgfaltsanforderung zu stellen, dass er die rechtliche Wertung des Bestehens der Vollmacht vornimmt, wenn ihm dies möglich ist. Nicht möglich ist ihm diese Wertung entweder, wenn die rechtliche Wertung (Nichtbestehen der Vollmacht) niemand vornehmen kann (allgemeine Rechtsunkenntnis vor Rechtsprechungsänderung) 42 oder er persönlich dazu nicht in der Lage ist. Die Gründe für die persönliche Verhinderung der Kenntnisverschaffung sind vor dem Hintergrund der aufgetretenen Zweifel an dem Bestehen der Vollmacht zu betrachten. Je umfangreicher die Kenntnis der Einzeltatsachen ist, die dem Bestehen der Vollmacht entgegenstehen, und je größer die Bedenken gegen das Bestehen der Vollmacht sind, desto höher sind die Sorgfaltsanforderungen an den Dritten, der auf den Bestand der Vollmacht vertraut. Sind dem Dritten alle Tatsachen bekannt, die zu einer Unwirksamkeit der Vollmacht führen und lassen diese Umstände Zweifel am Bestand der Vollmacht aufkommen, liegt Kennenmüssen vom Nichtbestehen der Vollmacht im Sinne des §  173 BGB vor. Geben die Umstände keinen Anlass für aufkommende Zweifel, ist der Dritte nicht zur Einholung von fachkundigem Rat verpflichtet.43 Zweifel können sich jedoch auch aus den Umständen ergeben, die zu der (vermeintlichen) Vollmachtserteilung geführt haben sollen. So kann auch eine längere Zeitspanne, die seit der Schaffung des Rechtsscheintatbestandes vergangen ist, zu Zweifeln daran führen, ob die Vollmacht noch vorliegt.44 Auch die Kenntnis von Mängeln des der Vollmachtserteilung zugrunde liegenden Geschäfts können Zweifel am Bestehen der Vollmacht begründen, wenn die Vollmachtserteilung mit dem der Vollmacht zugrunde liegenden Geschäft inhaltlich (z. B. in einer Vollmachtsurkunde) verbunden ist. d. Ergebnis Die Fortwirkungsfiktion der erloschenen bzw. die Fiktion der nicht wirksam erteilten Vollmacht ist in erster Linie vom Kenntnisstand des vermeintlichen Vertreters abhängig. Dabei handelt es sich jedoch in der Regel nicht um einen tatsächlich vorliegenden Kenntnisstand. Vielmehr geht es um den hypothetischen Kenntnisstand, den der (vermeintliche) Vertreter haben könnte, d. h. um fahrlässige Unkenntnis der wahren Sach- und Rechtslage. Das Vorliegen von positiver Kenntnis der wahren Sach- und Rechtslage spielt dagegen keine Rolle in der Rechtspraxis. Dennoch wird bei der Bestimmung des Gegenstandes der erforderlichen Kenntnis das gleiche Problem deutlich, das auch bei der Bestimmung eines tatsächlichen Kenntnisstandes auftritt: Es stellt sich die Frage, ob 42 

Wie in den Fällen BGH NJW 2004, 2090; BGH NJW-RR 2004, 632, 635.

43 MünchKommBGB/Schubert, 7.  A ., 2015, §  173 Rn.  5 ; Canaris, Vertrauenshaftung, 1971,

S.  505 f.; BGH NJW 2000, 2268, 2269 f. 44 Soergel/Leptien, BGB, 13.   A., 1999, §  173 Rn.  3; Canaris, Vertrauenshaftung, 1971, S.  506.

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bereits die Kenntnis tatsächlicher Umstände für den jeweils entscheidenden Kenntnisstand ausreicht, wenn normativ Rechtskenntnis gefordert ist. „Das Erlöschen“ der Vollmacht ist eine Rechtstatsache, auf die sich die Kenntnis beziehen muss. Hat der vermeintliche Vertreter nur von den tatsächlichen Umständen Kenntnis, aus denen sich die Rechtskenntnis („Erlöschen der Vollmacht“) ergibt oder folgern lässt, ist fraglich, ob auch diese Folgerung zum Kenntnisstand des vermeintlichen Vertreters zählt. Da bereits leicht fahrlässige Unkenntnis vom Erlöschen der Vollmacht deren Fortbestand entfallen lässt, sind die Sorgfaltsanforderungen, die an den vermeintlichen Vertreter gestellt werden, sehr hoch. Daher liegt in der Regel fahrlässige Unkenntnis vom Erlöschen der Vollmacht vor, wenn tatsächliche Umstände (die entweder bekannt sind oder selbst nur bekannt sein müssten bzw. könnten) Anlass zu Zweifeln und Misstrauen geben, so dass bei redlicher Würdigung auf das Erlöschen der Vollmacht geschlossen werden kann. Bei der Bestimmung dieses hypothetischen Kenntnisstandes ist nicht ein tatsächlich vorliegender Kenntnisstand zu ermitteln, sondern es handelt sich ausschließlich um einen auf Wertung beruhenden Akt der Erkenntnis. Für diese Wertung steht nicht der Kenntnisstand im Vordergrund, sondern die Frage, ob der vermeintliche Vertreter auf eine Lage vertrauen durfte, die so nicht vorlag. Dabei kommt es nicht auf seine tatsächliche Vorstellung an, sondern darauf, wie diese Vorstellung in redlicher Weise gestaltet hätte sein müssen. In solchen Fällen, in denen es nicht um den tatsächlichen Kenntnisstand, sondern ausschließlich um einen hypothetischen Kenntnisstand geht, kann eine Bestimmung des tatsächlichen Kenntnisstandes über die Konstruktion eines objektiven Dritten wenig beitragen. Die Anforderungen, die an den einzelnen im Rahmen der Sorgfaltsanforderungen bezüglich der Gestaltung des eigenen Kenntnisstandes gestellt werden, weisen jedoch eine ähnliche Struktur auf wie die Bestimmung des tatsächlichen Kenntnisstandes unter Zuhilfenahme eines objektiven Dritten. Der entscheidende Unterschied zwischen der jeweiligen Bestimmung des tatsächlichen und des hypothetischen Kenntnisstandes liegt darin, dass der Person bei fahrlässiger Unkenntnis der Vorwurf gemacht wird, eine Folgerung aus bekannten Tatsachen nicht abgeleitet zu haben, während bei der Bestimmung einer tatsächlich vorliegenden Kenntnis bloß maßgeblich ist, dass die Person die Folgerung deswegen in ihrem Kenntnisstand hat, weil sich diese „aufdrängt“, beispielsweise weil sie so nahe liegend ist, dass sie sich für die Person ohne weiteres Nachdenken oder gar Nachforschen aus den vorliegenden Tatsachen ergibt bzw. ergeben muss. Die betroffene Person wäre daher ohne Weiteres zu der geforderten Kenntnis gelangt; sie hätte nicht nur von dem Erlöschen der Vollmacht Kenntnis haben können, sondern unter Beachtung der Sorgfaltsanforderungen hätte die betroffene Person über diese Kenntnis sogar verfügen müssen.

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§  7  Zerstörung von Vertrauen auf der Grundlage eines Kenntnisstandes

II.  Wissen verhindert Gutgläubigkeit 1.  Interdependenz zwischen objektivem Rechtsschein und Wissen als Vertrauensausschlusstatbestand Die Möglichkeit des gutgläubigen Erwerbs durchbricht das sonst geltende Prinzip beim derivativen Erwerb, dass niemand mehr Rechte übertragen kann, als er selbst hat.45 Die unterschiedlichen Regelungen des gutgläubigen Erwerbs (§§  932, 933, 934 BGB; §  892 BGB und auch §  2366 BGB) weisen eine ähnliche Struktur auf.46 Erforderlich ist ein objektiver Umstand, der auf eine (in Wahrheit nicht bestehende) Rechtslage hinweist. Würde dieser objektive Umstand der Wirklichkeit entsprechen, ließe er auf das Bestehen eines Rechts schließen, das einen Rechtserwerb ermöglicht, der ansonsten ausgeschlossen ist: Der Besitz lässt auf das Eigentum an beweglichen Sachen schließen.47 Bei Grundstücken enthält das Grundbuch Informationen zur Rechtslage im Hinblick auf das Grundstück (Eigentum, Belastungen). Ähnlich verhält es sich auch mit dem Erbschein: Ist er ausgestellt, ist die im Erbschein benannte die als Erbe berechtigte Person. Das Erbrecht besteht (nur) mit den Beschränkungen, die im Erbschein angegeben sind. Allen Rechtsscheintatbeständen ist gemein, dass der Rechtsscheintatbestand ausgeschlossen ist, wenn derjenige, zu dessen Gunsten der Rechtsschein wirkt, Kenntnis vom Gegenteil der objektiv scheinbar vorliegenden Umstände und damit auch von der an sich nicht bestehenden Berechtigung des Veräußernden hat.48 Ebenfalls allen Erwerbstatbeständen gemein ist, dass sie in subjektiver Hinsicht negative Voraussetzungen aufstellen: Der Inhalt des Grundbuchs gilt als richtig, es sei denn, dem Erwerber ist die Unrichtigkeit bekannt, §  892 I 1 BGB. Der Inhalt des Erbscheins gilt im Rahmen seiner Vermutungswirkung (§  2365 BGB) als richtig, es sei denn, der Erwerber kennt die Unrichtigkeit oder weiß von dem Rückgabeverlangen des Nachlassgerichtes wegen Unrichtigkeit des Erbscheins, §  2366 BGB. Gemäß §  932 I 1 BGB kann der Erwerber das Eigentum auch vom Nichtberechtigten erwerben, es sei denn, der Erwerber ist nicht in gutem Glauben. In allen Fällen sind die subjektiven Anforderungen an den 45 „Nemo plus iuris transferre potest, quam ipse habet“, vgl. Mot. III 341, abgedr. in Mugdan, Materialien zum BGB, Band 3, 1899, Nachdr. 1979, S.  189 f. 46 Die rechtspolitische Rechtfertigung des gutgläubigen Erwerbs ist regelmäßig in der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs zu suchen, vgl. für den Erwerb beweglicher Sachen vom Nichtberechtigten Zweigert, RabelsZ 23, 1, 14; Wolff/Raiser, SachenR, 10.  A., 1957, §  68 II 1; Baur/Stürner, Sachenrecht, 18.  A., 2009, §  52 A II. 47  Diese Annahme ist im Hinblick auf die Häufigkeit des Auseinanderfallens von Besitz und Eigentum, insbes. durch die üblich gewordenen Finanzierungsmöglichkeiten mit verbundenen Eigentumsvorbehalten, nicht unumstritten, vgl. hierzu Rebe, AcP 173 (1973), 186, 193; Bauer, in: FS Bosch, 1971, S.  1, 7; Wiegand, JuS 1978, 145, 146 f.; Ernst, FS Gernhuber, 1993, S.  95, 101 f. 48  Hierzu allgemein Canaris, Vertrauenshaftung, 1971, S.  504.

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Erwerber negativ formuliert, d. h. nicht in der Weise, dass ihr Gegenteil positiv vorliegen muss. Im ursprünglichen Entwurf des BGB war die Regelung des gutgläubigen Erwerbs von Mobilien zunächst umgekehrt formuliert: 49 Der Erwerber musste das Nichtvorliegen der eigenen Kenntnis oder der nicht auf grober Fahrlässigkeit beruhenden Unkenntnis vom Fehlen der Eigentümerstellung des Veräußerers beweisen.50 Bereits in der ursprünglichen Fassung der Gesetzesbegründung von §  877 BGB-E (als Vorgängernorm von §  932 BGB) wies der Gesetzgeber darauf hin, dass es sich von selbst verstehe, dass die Gutgläubigkeit als erwiesen anzusehen sei, wenn sich bei dem Beweis des tatsäch­ lichen Vorgangs der Übergabe und der begleitenden Umstände nichts ergibt, was auf eine Bösgläubigkeit hindeutet.51 Dennoch änderte der Gesetzgeber §  877 BGB-E im Lauf der Beratungen.52 In den Beratungen zur Gesetzgebung wurde teilweise argumentiert, dass dem Eigentümer, dessen Eigentum durch die „anomale Begünstigung des Erwerbers“ entzogen werde, nicht noch der von ihm regelmäßig nicht erbringbare Beweis aufgebürdet werden dürfe, dass der Erwerber bösgläubig gewesen ist. Andererseits argumentierte man in entgegengesetzter Richtung, dass der redliche Verkehr mit Rücksicht auf seine Interessen geschützt werden müsse. Diesen Schutz sahen die Befürworter der Änderung des Wortlauts des §  877 BGB-E als erheblich gefährdet an, wenn man dem Erwerber (wie im ursprünglichen Entwurf vorgesehen) auferlegen würde, das Gericht auch längere Zeit nach dem Erwerb von seiner Redlichkeit überzeugen zu müssen. Letztlich war das durchgreifende Argument für die Änderung des Entwurfes von §  877 BGB-E zu der noch heute gültigen Beweislastverteilung, dass der Eigentümer, der seine Sache einem anderen anvertraut, die Gefahr eines Eigentumsverlustes auch insoweit zu tragen habe, als ihn der Nachteil der Beweislast treffe, und nicht den Erwerber.53 Die Beweislast für die regelmäßig schwer zu beweisende innere Tatsache der Kenntnis (bzw. Rechtsvorstellung) des Erwerbers obliegt nicht demjenigen, der über den Kenntnisstand (behaupteter­ maßen nicht) verfügt, da er an eben diesem Kenntnisstand „näher dran“ ist,

49  §  877 S.  1 BGB-E: „Wenn der Veräußerer nicht Eigenthümer der Sache war, der Erwerber aber diesen Umstand bei dem sich vollziehenden Erwerbe nicht gekannt, seine Unkenntniß auch nicht auf grober Fahrlässigkeit beruht hat, so erlangt der Erwerber durch den im §  8 74 bezeichneten Vertrag das Eigenthum.“, Mugdan, Materialien zum BGB, Band 3, 1899, Nachdr. 1979, S. XXI. 50  Mot. III 347, abgedr. in Mugdan, Materialien zum BGB, Band 3, 1899, Nachdr. 1979, S.  193. 51  Mot. III 347, abgedr. in Mugdan, Materialien zum BGB, Band 3, 1899, Nachdr. 1979, S.  193. 52  Das knappe Abstimmungsergebnis von 9:8 Stimmen macht klar, dass diese Frage heftig umstritten war, vgl. Prot. III 3702, abgedr. in Mugdan, Materialien zum BGB, Band 3, 1899, Nachdr. 1979, S.  631. 53  Prot. III 3703, abgedr. in Mugdan, Materialien zum BGB, Band 3, 1899, Nachdr. 1979, S.  631.

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§  7  Zerstörung von Vertrauen auf der Grundlage eines Kenntnisstandes

sondern demjenigen, der das Gegenteil – einen Kenntnisstand des Erwerbers – behauptet.54 Vor dem Hintergrund dieser Entstehungsgeschichte von §  877 BGB-E (als Vorgängernorm zu §  932 BGB) und der Beweislastverteilung ist die in der Rechtsprechung vertretene Annahme, dass §  932 I 1 BGB eine gesetzliche Vermutung der Gutgläubigkeit enthalte,55 fragwürdig.56 Dies wirkt sich vor allem dann aus, wenn sich der Erwerber gar keine Gedanken über die Eigentumslage gemacht hat und keine deutlichen Indizien gegen das Eigentum des Veräußerers sprechen. Geht man davon aus, §  932 BGB enthalte die Vermutung eines bestehenden guten Glaubens, kann man diese Vermutung bereits durch den Nachweis widerlegen, dass sich der Erwerber überhaupt keine Vorstellungen über die Eigentumslage gemacht hat.57 Dann wäre ein gutgläubiger Erwerb ausgeschlossen. Bei einer solchermaßen vorliegenden Gleichgültigkeit gegenüber der Eigentumslage ist fraglich, ob der gutgläubige Erwerb tatsächlich ausgeschlossen sein soll. In solchen Fällen fehlt die Verbindung zwischen dem objektiven Rechtsscheinträger und der getätigten Disposition (dem Erwerb) im Vertrauen auf den Rechtsschein. Um eine solche Verbindung herzustellen, muss der Erwerber Kenntnis von dem Rechtsscheinträger und der im Vertrauen auf den Rechtsscheinträger getätigten Disposition haben.58 Die Notwendigkeit einer derartigen Verbindung zwischen objektivem Rechtsscheinträger und der getätigten Disposition erscheint jedoch zweifelhaft. Damit einher geht die Frage, ob der Erwerber von dem Rechtsscheinträger Kenntnis haben muss. Der gutgläubige Erwerb setzt eine Disposition eines durch einen Rechtsschein erzeugten Vertrauens voraus. Allerdings kann daraus nicht der Schluss gezogen werden, dass Bösgläubigkeit vorliegt (die den gutgläubigen Erwerb ausschließt), wenn die Kenntnis der den Rechtsschein begründenden Umstände und einer damit verbundenen Vorstellung über die Rechtslage fehlt.59 Dagegen spricht nämlich, dass für die Bedeutung anderer Rechtsscheinträger eine Kenntnis von ihnen auch nicht erforderlich ist. 60 Bei54 

In diesem Sinne Canaris, Vertrauenshaftung, 1971, S.  516; Wiegand, JuS 1974, 201, 208. So in BGHZ 50, 45, 52. 56  Zur diesbezüglichen Kritik vgl. auch Westermann/Gursky/Pinger, Sachenrecht, Band 1, 6.  A., 1990, §  46 2. a) (S.  340) und Wiegand, JuS 1974, 201, 208 (Fn.  100). 57  In diesem Sinne Westermann/Gursky/Pinger, Sachenrecht, Band 1, 6.  A ., 1990, §  46 2. a) (S.  304). 58  Canaris, Vertrauenshaftung, 1971, S.  507, fordert auch die Kenntnis des Vertrauenstatbestandes, da die Rechtsordnung sonst keinerlei Anlass habe, das „blinde“ Vertrauen zu schützen und das Bestehen des Vertrauenstatbestandes reiner Zufall wäre. 59 So ausdrücklich Soergel/Zimmermann, BGB, 13.   A., 2002, §  932 Rn.  30; Weber, JuS 1999, 1, 7 f. 60 Die anderen Rechtsscheinträger sieht Canaris, Vertrauenshaftung, 1971, S.   507, als „künstliche äußere Tatbestände“ an, die allerdings in der Begründung differenziert betrachtet werden, wobei er darauf abstellt, ob das Vertrauen tatsächlich aus dem Register folgte oder sich aus der Rechtslage ergab. Das „mittelbare Vertrauen“ des Erwerbenden wird in Fällen des 55 

II.  Wissen verhindert Gutgläubigkeit

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spielsweise besteht der Rechtsschein des Grundbuchs unabhängig von der individuellen Kenntnis des Erwerbenden von dem jeweiligen Rechtsscheinträger (Eintragung im Grundbuch). 61 Der Grund hierfür ist in erster Linie der öffentliche Glaube des Grundbuchs als besonders starker Rechtsscheinträger.62 Dies zeigt aber, dass der gutgläubige Erwerb auch ohne Kenntnis des Rechtsscheinträgers möglich ist. 63 Im Vergleich zum Grundbuch ist der Besitz allerdings ein sehr schwacher Rechtsscheinträger. Doch kann daraus nicht der Schluss gezogen werden, dass bei schwächeren Rechtsscheinträgern höhere Kenntnisanforderungen zu stellen sind als bei stärkeren Rechtsscheinträgern. 64 Auch bei einem auf einen schwachen Rechtsscheinträger (wie dem Besitz) zurückzuführenden gutgläubigen Erwerb kennt der Erwerber immer den Rechtsscheinträger: Der gutgläubige Erwerb beweglicher Sachen setzt in allen Varianten eine besitzrelevante Handlung voraus. Der Übereignungstatbestand nach §  929 S.  1 BGB erfordert, dass der Erwerber die Sache vom Veräußerer übergeben bekommt. Dies zeigt deutlich, dass der Erwerber immer Kenntnis von den tatsächlichen Umständen (dem Besitz) hat, die den Rechtsschein begründen. 65 Gleiches gilt für die anderen Formen der Übereignung, bei denen der Erwerber entweder erst Grundbuchs als Rechtsscheinträger an dem Voreintragungsgrundsatz festgemacht. Der Erwerber müsse auf die voreingetragene Rechtsposition vertrauen, da er sonst keine eigene Eintragung erreichen könne. Daraus sei der Schluss zu ziehen, dass auch in diesen Fällen der Rechtsschein nicht ohne Kenntnis vom Vertrauen wirken könne. Gleiches soll auch für den Erbschein gelten. Dieses Ergebnis sei durch eine teleologische Reduktion herbeizuführen, Canaris, Vertrauenshaftung, 1971, S.  508, dort Fn.  17. 61  BGH NJW 2007, 3204, 3206 Tz.  32; Lutter, AcP 164 (1964), 122, 123.  Auch das Handelsregister ist ein abstrakter Rechtsscheinträger, von dem nicht Kenntnis genommen werden muss, damit er Vertrauen entstehen lässt, vgl. BGH NJW 1976, 569 f. Wegen fehlender Kenntnis vom Rechtsscheinträger wird der Begriff „gutgläubiger Erwerb“ im Zusammenhang mit Tatbeständen des abstrakten Vertrauensschutzes kritisiert, vgl. dazu eingehend Jänich, Gei­ sti­ges Eigentum, 2002, S.  277 f. 62  Dasselbe Problem stellt sich im Rahmen der Publizitätswirkungen des Handelsregisters. Auch hier ist keine Kenntnis des Begünstigten von der Eintragung notwendig. Um dennoch eine Vertrauenshaftung begründen zu können, behilft man sich mit der Annahme einer unwiderleglichen Vermutung hinsichtlich der Kenntnis des Dritten vom Rechtsscheintatbestand, vgl. BGH NJW 1976, 569 f.; MünchKommHGB/Krebs, 4.  A. 2016, §  15 Rn.  45; Schilken, AcP 187 (1987), 1, 6; v. Olshausen, AcP 189 (1989), 223, 239 ff.; Hager, Jura 1992, 57, 61. 63  Die Wirkungen des §  892 BGB sind überdies vollkommen unabhängig von einer Kausalität zwischen dem Grundbuchinhalt und dem Erwerbsentschluss, vgl. Staudinger/Gursky, BGB, 2013, §  892 Rn.  140. 64  A.A. Staudinger/Wiegand, BGB, 2011, Vorbem. zu §§  932 ff. Rn.  9 ; Wiegand, JuS 1974, 201, 206; Wiegand, Rechtsschein und Vertrauen, in: Hof, Recht und Verhalten, 1994, S.  183, 193 f., wonach der Grundsatz gelten soll: Je stärker der Rechtsschein ist, desto geringer sind die subjektiven Erfordernisse und umgekehrt. Die subjektiven Voraussetzungen sind dabei die Vorstellungen des Erwerbers, die er sich (fälschlicherweise) aufgrund der objektiven Umstände macht. Jänich, Geistiges Eigentum, 2002, S.  277 f., stellt auf das zu schützende Interesse der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs ab: Je größer die Verkehrsschutzinteressen sind, desto geringer sind die Anforderungen an den gutgläubigen Erwerb. 65  In diesem Sinne auch Ernst, FS Gernhuber, 1993, S.  95, 114 ff.

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§  7  Zerstörung von Vertrauen auf der Grundlage eines Kenntnisstandes

gutgläubig Eigentum erwirbt, wenn ihm die Sache übergeben wird (§§  933, 934 Alt.  2 BGB), oder zumindest dann, wenn eine Abtretung des Herausgabeanspruchs aus dem Besitzmittlungsverhältnis hinzukommt (§  934 Alt.  1 BGB). Somit ist der Rechtsscheintatbestand dem Erwerber bei der Übereignung beweglicher Sachen regelmäßig bekannt. Entscheidend für den gutgläubigen Erwerb ist daher nicht die Frage nach der Nichtkenntnis, sondern ob ein entsprechender Kenntnisstand den Erwerber bösgläubig macht und somit den gutgläubigen Erwerb ausschließt. Derjenige, der sich gar keine Gedanken darüber macht, von wem er Eigentum erwirbt, kann dennoch Eigentum vom Nichtberechtigten erwerben. In diesem Fall steht weder positiv fest, dass er gutgläubig ist, noch steht fest, dass er bösgläubig ist. Mit der negativen Formulierung in §  932 I 1 BGB, dass der Erwerb ausgeschlossen ist, wenn der Erwerber „nicht in gutem Glauben“ ist, wird nur verlangt, dass das Merkmal „nicht in gutem Glauben“ nicht erfüllt sein darf. 66 Wenn die Vorstellung von der objektiv bestehenden Lage fehlt, kann weder die Gutgläubigkeit noch die Bösgläubigkeit positiv feststehen, denn §  932 II BGB definiert nur den negativen Zustand des „nicht in gutem Glauben“-Seins und stellt dabei auf die Kenntnis ab, dass die Sache dem Veräußerer nicht gehört. Ist gar kein Kenntnisstand über die Eigentumslage feststellbar, ist die Voraussetzung des §  932 II BGB, dass dem Erwerber „bekannt oder infolge grober Fahrlässigkeit unbekannt ist, dass die Sache nicht dem Veräußerer gehört“, nicht erfüllt und der Erwerber ist zumindest nicht „nicht in gutem Glauben“.67 Dies reicht jedoch aus, um das negative Merkmal „es sei denn, er ist nicht in gutem Glauben“ zu erfüllen und ermöglicht den Erwerb vom Nichtberechtigten. Daher spielt für die grundsätzliche Möglichkeit des gutgläubigen Erwerbs die Kenntnis vom Vorliegen eines Rechtsscheinträgers eine nur geringe Rolle: Der Vertrauensschutz ist somit abstrakt und unterscheidet sich von der Fallgruppe, dass das Vertrauen auf der Grundlage eines Kenntnisstandes gebildet wird (wie bei der Begründung von Vertrauen auf das Behaltendürfen einer Leistung gemäß §  814 BGB, dem Anfechtungsausschluss gemäß §  144 BGB oder dem vertrauensbegründenden Kenntnisstand im mietrechtlichen Gewährleistungsrecht).

2.  Beeinflussung der notwendigen Intensität der schädlichen Kenntnis durch die Stärke des Rechtsscheins Rechtsscheintatbestände haben objektive und subjektive Voraussetzungen. Die Begründung eines Rechtsscheins setzt objektive Umstände voraus, die den Schluss auf eine nicht bestehende Rechtslage zulassen. In subjektiver Hinsicht 66  67 

Zum Liegenschaftsrecht ebenso Lutter, AcP 164 (1964), 122, 123. So auch Wieling, SachenR I, 2.  A., 2006, §  10 III 3 a).

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darf sich nur derjenige auf die nur scheinbar bestehende Rechtslage berufen, der die wahre Rechtslage nicht kennt, d. h. die subjektiven Voraussetzungen zeichnen sich durch die fehlende Kenntnis aus. Die einzelnen Rechtsscheintatbestände unterscheiden sich im Hinblick auf die objektiven und die subjektiven Voraussetzungen untereinander. Im Allgemeinen sind die objektiven und die subjektiven Voraussetzungen voneinander abhängig. Wie bereits dargelegt, wirkt ein starker Rechtsschein (z. B. Grundbuch, Erbschein) sogar zu Gunsten desjenigen, der die Rechtsscheingrundlage gar nicht kennt. Auch sind in den Fällen des öffentlichen Glaubens die subjektiven (negativen) Anforderungen, die die Rechtsscheinwirkungen ausschließen können, sehr hoch. Hierfür ist die positive Kenntnis von der Unrichtigkeit des Rechtsscheinträgers erforderlich. Grob fahrlässige Unkenntnis reicht für den Ausschluss der Wirkungen des Rechtsscheins nicht aus. Für die Abhängigkeit zwischen objektiven und subjektiven Voraussetzungen gilt daher der Grundsatz, dass die subjektiven Erfordernisse, die die Rechtsscheinwirkungen ausschließen, umso stärker und intensiver sein müssen, je stärker der Rechtsschein ist und umgekehrt, d. h. die Wirkungen eines schwachen objektiven Rechtsscheinträgers können von weniger intensiven subjektiven (negativen) Voraussetzungen ausgeschlossen werden.68 a.  Erforderlichkeit positiver Kenntnis (1)  Grund für die erhöhten Anforderungen an die den Rechtsschein zerstörenden subjektiven Voraussetzungen Bei einem Teil der Gutglaubensvorschriften (z. B. §  892 BGB, §  2366 BGB, §  15 I, III HGB) beruht der Rechtsschein auf einem starken Rechtsscheinträger. Der Rechtsscheinträger ist stark, wenn von ihm ein öffentlicher Glaube für die Richtigkeit ausgeht. Grund für den öffentlichen Glauben und die Richtigkeitsgewähr sind regelmäßig Verfahrensvorschriften, die die Erstellung oder Änderung des Rechtsscheinträgers regeln. Beispiele hierfür sind das Grundbuch als Register,69 dessen Inhalt im Hinblick auf die Rechte an einem Grundstück als richtig gilt (§  892 I BGB) 70 sowie der Erbschein als eine in einem vorgeschriebenen Verfahren erstellte Urkunde,71 deren Inhalt hinsichtlich der Erbenstellung und (nicht) bestehenden Anordnungen beim Erwerb von Erbschaftsgegenständen als richtig gilt (§§  2365, 2366 BGB). Die Anforderungen an einen den Rechtsschein ausschließenden Kenntnisstand sind im Vergleich zu anderen 68 Staudinger/Wiegand, BGB, 2011, Vorbem. zu §§  932 ff. Rn.  9 ; Wiegand, JuS 1974, 201, 206; Wiegand, Rechtsschein und Vertrauen, in: Hof, Recht und Verhalten, 1994, S.  183, 193 f. 69 MünchKommBGB/Kohler, 6.  A ., 2013, §  892 Rn.  2. 70  Insoweit wird die gesetzliche Vermutung zumindest zu einer unwiderlegbaren Vermutung, vgl. RGZ 123, 19, 21. Teilweise wird angenommen, §  892 BGB enthalte eine Fiktion der materiell-rechtlichen Rechtslage, vgl. RGZ 86, 353, 356; RGZ 116, 177, 181; Wiegand, JuS 1978, 145, 146; Lutter, AcP 164 (1964), 122, 124 m. w. N. 71 Staudinger/Herzog, BGB, 2010, §  2366 Rn.  10; zu beidem: Wiegand, JuS 1978, 145, 146.

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§  7  Zerstörung von Vertrauen auf der Grundlage eines Kenntnisstandes

Rechtsscheintatbeständen (wie dem Besitz, bei dem bereits grob fahrlässige Unkenntnis den Rechtsschein zerstört) erhöht. Dem von einem starken Rechtsschein Begünstigten schadet nur positive Kenntnis von der Unrichtigkeit des Registers oder dem Erbschein oder aber auch die Kenntnis, dass die den Erbschein ausstellende Stelle wegen dessen Unrichtigkeit bereits die Rückgabe verlangt hat (§  2366 a. E. BGB). Die in §  15 I und III HGB72 enthaltenen Vertrauenshaftungstatbestände beruhen auf dem Rechtsscheinträger des amtlich geführten Handelsregisters. Der Grund für die mit der Publizitätswirkung des Handelsregisters einhergehende starke Rechtsscheinwirkung liegt jedoch weniger in der Zuverlässigkeit des Verfahrens der Registerführung als vielmehr in dem Sinn und Zweck des Handelsrechts, das die Sicherheit und Leichtigkeit des Handelsverkehrs durch einen erhöhten Vertrauensschutz realisiert.73 Daher ist auch das Vertrauen auf das tatsächliche Nichtbestehen eintragungspflichtiger, aber nicht eingetragener Tatsachen geschützt (negative Publizität, §  15 I HGB). Um den Zweck der Förderung der Leichtigkeit des Handelsverkehrs zu erreichen, sind die Anforderungen in §  15 I, III HGB an einen vertrauenszerstörenden Kenntnisstand des­ jenigen erhöht, zu dessen Gunsten der Rechtsschein wirkt. Ihm schadet nur positive Kenntnis von der Unrichtigkeit der eintragungspflichtigen Tatsache. Unerheblich ist die Quelle der Kenntnis. Die Kenntnis braucht nicht aus der Einsichtnahme in das Handelsregister zu stammen.74 Anders verhält es sich mit der durch das MoMiG75 geschaffenen Möglichkeit, Geschäftsanteile einer GmbH gutgläubig erwerben zu können. Nach der Neufassung von §  16 III 1 GmbHG durch das MoMiG erfordert der Erwerb von Geschäftsanteilen vom Nichtberechtigten, dass der Veräußerer als Inhaber des Geschäftsanteils in der im Handelsregister aufgenommenen Gesellschafterliste eingetragen ist. Damit soll die Sicherheit des Rechtsverkehrs gestärkt werden. Ausweislich der Gesetzesbegründung zur Änderung von §   ­ 16 III 76 ­GmbHG ist ein Vertrauensschutz beabsichtigt, der sich an §  892 BGB anlehnt. Ein vollständiger Gleichlauf der Vorschriften des guten Glaubens in §  16 III GmbHG mit den Vorschriften über den guten Glauben an den Inhalt des Grundbuchs in §  892 BGB besteht allerdings nicht. Auch wenn eine Anlehnung an den in §  892 BGB enthaltenen guten Glauben beabsichtigt war, weist bereits die Gesetzesbegründung auf deutliche Unterschiede zwischen dem Grundbuch und dem Handelsregister im Hinblick auf die Richtigkeitsgewähr der beiden 72  §  15 II HGB enthält dagegen keinen Rechtsscheinhaftungstatbestand, Baumbach/Hopt, HGB, 2014, §  15 Rn.  3. 73 Baumbach/Hopt, HGB, 2014, §  15 Rn.  1. 74  So bereits RGZ 70, 272, 273. 75  Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG) vom 23. Oktober 2008, BGBl. 2008 I S.  2026. 76  Begründung zum Entwurf des MoMiG vom 25.7.2007, BT-Drcks. 16/6140, S.  38 f.

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unterschiedlichen Register hin.77 Der Grund für die unterschiedliche Richtigkeitsgewähr liegt in den unterschiedlichen Verwaltungsstrukturen von Handelsregister und Gesellschafterliste einerseits und dem Grundbuch andererseits. Die privat geführte Gesellschafterliste und das Handelsregister können keinen Rechtsschein wie das Grundbuch erzeugen.78 Es fehlt an einer strengen, objektiven und vorgelagerten Richtigkeitsprüfung der Gesellschafterliste. Die Publizitätswirkung des Handelsregisters erstreckt sich nicht auf die Gesellschafterliste, weil sie keine Eintragung in das Handelsregister i. S. d. §  15 HGB ist, sondern nur in den Registerordner aufgenommen wird, §  9 HRV.79 Wegen der Abschwächung des Rechtsscheintatbestandes gegenüber dem Grundbuch steht einem gutgläubigen Erwerb von Geschäftsanteilen neben der Kenntnis auch die grob fahrlässige Unkenntnis der mangelnden Berechtigung entgegen, §  16 III 3 GmbHG. (2)  Bezugspunkt der Kenntnis Die Bestimmung des Bezugspunktes der Kenntnis, die Vertrauenstatbestände ausschließt, wirft bei verschiedenen Rechtsscheinträgern ähnliche Probleme auf. Als Bezugspunkt der Kenntnis kommen sowohl die Tatsache der Unrichtigkeit des Rechtsscheinträgers selbst als auch diejenigen Tatsachen in Betracht, die die Unrichtigkeit des Rechtsscheinträgers begründen oder auch nur auf sie hindeuten. Beispielsweise stellen §  892 I 1 BGB und §  2366 BGB darauf ab, dass der Erwerber „die Unrichtigkeit“ (des Grundbuchs bzw. Erbscheins) kennt. Bei der positiven Publizität gemäß §  15 III HGB geht es ebenfalls um die Kenntnis der Unrichtigkeit der einzutragenden Tatsache, bei der negativen Publizität gemäß §  15 I HGB um die einzutragende Tatsache selbst, die dem Dritten in Abweichung von dem Registerstand bekannt war. Bei der jeweils relevanten Kenntnis ist somit auf deren Bezugspunkt zu achten. Für alle Rechtsscheinträger ist nur die Kenntnis der Unrichtigkeit der jeweiligen (durch den Rechtsscheinträger scheinbar bestehenden) Tatsache selbst für den Ausschluss der Rechtsscheinwirkung relevant. Nicht ausreichend ist hingegen die bloße Kenntnis der Tatsachen, die erst zu der Unrichtigkeit der jeweiligen Tatsachen führen.80 Die Beratungen81 über die Fassung der Regelung der Wirkungen des Grund­ buchs (§  837 I.BGB-E als Vorgängernorm zu §  892 BGB) zeigen, dass Uneinig77 

Begründung zum Entwurf des MoMiG vom 25.7.2007, BT-Drcks. 16/6140, S.  38 f. Begründung zum Entwurf des MoMiG vom 25.7.2007, BT-Drcks. 16/6140, S.  38 f. 79 Michalski/Ebbing, GmbHG, 2.  A ., 2010, §  16 Rn.  164. 80  Für §  892 BGB: Staudinger/Gursky, BGB, 2013, §  892 Rn.  145; für §  2366 BGB: Staudin­ ger/Herzog, BGB, 2010 §  2366 Rn.  11; für §  15 HGB: MünchKommHGB/Krebs, 4.  A., 2016, §  15 Rn.  46, jeweils m. w. N. 81  Mot. III 220 f., abgedr. in Mugdan, Materialien zum BGB, Band 3, 1899, Nachdr. 1979, S.  122. 78 

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§  7  Zerstörung von Vertrauen auf der Grundlage eines Kenntnisstandes

keit über die Relevanz des Bezugspunktes der Kenntnis bestand. Im ursprünglichen Entwurf stellte der Gesetzgeber als Ausschlussgrund für die Wirkungen des Rechtsscheins des Grundbuchs explizit auf die Kenntnis der Tatsachen ab, aus denen sich die Nichtübereinstimmung des Grundbuchs mit der wirklichen Rechtslage ergibt. 82 Dies war in der Begründung zum ersten Entwurf des §  837 I.BGB-E noch als Selbstverständlichkeit dargestellt.83 Die Kenntnis der Tatsachen, aus denen sich die Unrichtigkeit ergebe, sei stets erforderlich, aber auch ausreichend. 84 Bösgläubigkeit im Rechtssinne sei nicht notwendig. Wer die Tatsachen kenne und dennoch nicht von dem Erwerb Abstand nehme, handele auf eigene Gefahr. Die Aufgabe des Grundbuchs wurde ausdrücklich nicht darin gesehen, den Erwerber gegen die Folgen eines Rechtsirrtums zu sichern: Der Erwerber solle durch das Grundbuch nicht vor falschen rechtlichen Schlüssen geschützt werden, die er aus zutreffend erkannten Tatsachen zieht.85 Nachdem eine geänderte Zwischenfassung (von §  810 II.BGB-E als Nachfolger von §  837 I.BGB-E) auf die Kenntnis sowohl der Unrichtigkeit als auch der Tatsachen abstellte, aus denen sich die Unrichtigkeit ergebe, 86 bezog sich die endgültige Fassung (von §  877 III.BGB-E als Nachfolger von §  810 II.BGB-E) 87 allein und nur noch auf die Kenntnis der Unrichtigkeit selbst. Maßgebend für diese Änderung waren folgende Erwägungen: 88 Aus dem Grundbuch ersichtlich sind keine Tatsachen, aus denen sich Rechte ergeben, sondern die Rechte selbst. Die Eintragung der Rechte in das Grundbuch erfolge aufgrund einer Prüfung der Tatsachen. Allein diese amtliche Feststellung als Prüfung der Tatsachen und Eintragung der Rechte habe öffentlichen Glauben. Müsste sich die Kenntnis, die die Folgen des öffentlichen Glaubens ausschließt, auf die Tatsachen beziehen, so hätte der Einzelne eine Prüfung vorzunehmen, die das Grundbuchamt bereits durchgeführt hat. Man würde erwarten, dass der Einzelne „in zweifelhaften Rechtsfragen richtiger“ entscheide als das Grundbuchamt. Dies sei dem Einzel82  §  837 Abs.  1 S.  2 des I. BGB-E: „Die Vorschriften des Abs.  1 finden keine Anwendung, wenn der Erwerber zu der angegebenen Zeit die Thatsachen gekannt hat, aus welchen sich die Nichtübereinstimmung des Grundbuches mit der wirklichen Rechtslage oder das Veräußerungsverbot ergiebt.“, Mugdan, Materialien zum BGB, Band 3, 1899, Nachdr. 1979, S. X. 83  Mot. III 220 f., abgedr. in Mugdan, Materialien zum BGB, Band 3, 1899, Nachdr. 1979, S.  122. 84 Hiergegen eindeutig Lutter, AcP 164 (1964), 122, 163  f.; Staudinger/Gursky, BGB, 2013 §  892 Rn.  145. 85  Mot. III 221 (unter Punkt I.), abgedr. in Mugdan, Materialien zum BGB, Band 3, 1899, Nachdr. 1979, S.  122. 86  §  810 Abs.  1 S.  1 des II.BGB-E: „…es sei denn, daß ein Widerspruch gegen die Richtigkeit eingetragen ist oder daß die Unrichtigkeit oder eine Thatsache, aus welcher sie sich ergiebt, dem Erwerber bekannt ist.“, Prot. III 8531, abgedr. in Mugdan, Materialien zum BGB, Band 3, 1899, Nachdr. 1979, S.  547. 87  §  877 Abs.  1 S.  1 des III.BGB-E: „…es sei denn, daß ein Widerspruch gegen die Richtigkeit eingetragen oder die Unrichtigkeit dem Erwerber bekannt ist.“. 88  Prot. III 8531, abgedr. in Mugdan, Materialien zum BGB, Band 3, 1899, Nachdr. 1979, S.  547.

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nen nicht zuzumuten. Außerdem würde diese Abschwächung des öffentlichen Glaubens den Wert der Grundbucheinrichtung beeinträchtigen. Stellt man allein auf die Kenntnis der Unrichtigkeit des Grundbuchs für den Ausschluss der Rechtsscheinwirkungen ab, ergibt sich hieraus die (auch damals bereits erkannte) Gefahr der „frivolen“ Berufung auf einen in Wirklichkeit nicht vorhandenen Rechtsirrtum. Diese Gefahr sah man allerdings durch die Möglichkeit freier richterlicher Beweiswürdigung als gebannt an. Im Übrigen verwies man auf die gleichgelagerte Frage bei Erbscheinen. Bei den Erbscheinen trete noch deutlicher hervor, dass der Einzelne gerade nicht die amtliche Feststellung nachprüfen und bessere Rechtskenntnisse haben solle als der Richter, der die Feststellung getroffen hat.89 Die ursprünglichen Entwürfe der Regelungen zu den Gutglaubensvorschriften (§  837 Abs.  2 S.  2 I.BGB-E für das Immobiliarsachenrecht und §  877 S.  2 ­I.BGB-E für das Mobiliarsachenrecht) enthielten im Hinblick auf den Bezugspunkt der Kenntnis eine Erweiterung. Diese stellte die Kenntnis von der Anfechtbarkeit eines Rechtsgeschäfts (wenn die Anfechtung erfolgte) der Kenntnis der mit der Anfechtung verbundenen Wirkungen gleich.90 Der Erwerber sollte daher auch dann nicht in gutem Glauben sein, wenn er die Tatsachen, die zur Anfechtung berechtigen, kennt, obwohl er die Anfechtungsberechtigung selbst (als sich aus den Tatsachen ergebende Rechtsfolge) nicht kennt. Diese Regelung hatte im ersten Entwurf nur eine klarstellende Funktion, denn bei der Schaffung des ersten Entwurfes der Gutglaubensvorschriften ging der Gesetzgeber (wie oben dargelegt) ohnehin davon aus, dass die Tatsachenkenntnis, die zur Rechtskenntnis führen kann, der Rechtskenntnis gleichstehe.91 Während der Beratungen des Entwurfes änderte der Gesetzgeber die Vorschriften über den Bezugspunkt der Kenntnis bei der Anfechtung, indem er diese inhaltlich nahezu unverändert in den Allgemeinen Teil aufnahm, da er diesen Regelungen eine allgemeine Wirkung beimaß.92 Die heutige Regelung in §  142 II BGB ordnet keine tatbestandliche Gleichstellung der Tatsachenkenntnis mit der Rechtskenntnis an. §  142 II BGB fordert vielmehr die im Hinblick auf die Rechtsfolgen vorzunehmende Gleichbehandlung desjenigen, der Kenntnis von den Tatsachen hatte, die zu der Anfechtung geführt haben, mit demjenigen, der (Rechts-) Kenntnis von der Nichtigkeit hatte. Durch die angeordnete Gleichbehandlung 89  Zum Ganzen Prot. III 8531, abgedr. in Mugdan, Materialien zum BGB, Band 3, 1899, Nachdr. 1979, S.  547. 90  Im Mobiliarsachenrecht galt Gleiches auch für die grob fahrlässige Unkenntnis. 91  Die Regelung betrifft vor allem die Klarstellung wegen der Rückwirkung der Anfechtung. „Der §  8 73 zieht diese Konsequenz ausdrücklich, um einer mißverständlichen Auslegung vorzubeugen.“: hierzu genauer Mot. III 221 (unter Punkt I.), abgedr. in Mugdan, Materialien zum BGB, Band 3, 1899, Nachdr. 1979, S.  122. 92 Nach den Gesetzesmaterialien handelt es sich hauptsächlich um eine redaktionelle Vereinfachung des Gesetzes, vgl. Prot. I 3714, abgedr. bei Mugdan, Materialien zum BGB, Band 1, 1899, Nachdr. 1979, S.  728.

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tritt dieselbe Rechtsfolge ein, die sich bei der Gleichstellung der Rechtskenntnis mit der Kenntnis der Tatsachen, aus denen die Rechtskenntnis folgt, ergibt. (3)  Inhaltliche Anforderungen an das Vorliegen positiver Kenntnis aa.  Materiell-rechtliche Voraussetzungen der Kenntnis von der Unrichtigkeit Unter Berücksichtigung der dargestellten Gesetzgebungsgeschichte setzt die Kenntnis von der Unrichtigkeit des Rechtsscheinträgers nach heutiger Rechtslage (z. B. in §  892 und §  2366 BGB) das Vorliegen der Kenntnis von der wirklichen Rechtslage voraus.93 Die Tatsachen, die zu einer anderen Rechtslage als der aus dem Rechtsscheinträger ersichtlichen führen, müssen bekannt sein, damit der Ausschlusstatbestand eingreift. Aus diesen Tatsachen muss ferner der korrekte Schluss auf die in Wirklichkeit bestehende Rechtslage gezogen werden.94 Fehlt es daran, liegt keine Kenntnis von der Unrichtigkeit des Rechtsscheinträgers vor, wie ihn der Tatbestand des §  892 I BGB voraussetzt.95 Somit ist auch der Rechtsirrtum für die Frage der Kenntnis von der Unrichtigkeit beachtlich.96 Problematisch ist, wann in materiell-rechtlicher Hinsicht positive Kenntnis von der Unrichtigkeit des Rechtsscheinträgers vorliegt. Der Gegenbegriff zur positiven Kenntnis ist die tatsächlich vorliegende Unkenntnis. Auch wenn die Unkenntnis verschuldet ist und ohne Verschulden Kenntnis vorliegen würde, bleibt es bei der Unkenntnis. Eine Gleichstellung von positiver Kenntnis und fahrlässiger Unkenntnis enthalten die Tatbestände des §  892 BGB und §  2366 BGB nicht, selbst wenn die Unkenntnis auf grober Fahrlässigkeit beruht.97 Das Fehlen der Gleichstellung von positiver Kenntnis mit grob fahrlässiger Unkenntnis birgt erhebliche Nachweisprobleme in sich. Diese treten nicht nur auf, weil es sich um eine innere Tatsache handelt, sondern auch vor allem dann, wenn sich die Kenntnis auf eine zu treffende, richtige rechtliche Wertung bezieht. Hinsichtlich der Nachweisbarkeit der Kenntnis deutete der Gesetzgeber bereits in den Gesetzesmaterialien an,98 dass prozessuale Erleichterungen des Nachweises der subjektiven Tatsache helfen können.99 Dies kann jedoch nur für die prozessualen Anforderungen an die Darlegung von Tatsachen und den Beweis der Kenntnis als Tatsache und Tatbestandsmerkmal der jeweiligen 93 Staudinger/Gursky,

BGB, 2013, §  892 Rn.  146. 6.  A., 2013, §  892 Rn.  47 f.; Staudinger/Gursky, BGB, 2013, §  892 Rn.  145 ff. jeweils m. w. N. 95  So bereits RGZ 144, 199, 204; vgl. auch Kaiser, JZ 1999, 495, 500. 96  So bereits RGZ 91, 218, 222 f.; RGZ 117, 180, 187 f.; Lutter, AcP 164 (1964), 122, 163 (Fn.  149). 97 Staudinger/Gursky, BGB, 2013, §  892 Rn.  161. 98  Prot. III 8531, abgedr. in Mugdan, Materialien zum BGB, Band 3, 1899, Nachdr. 1979, S.  547. 99 MünchKommBGB/Kohler, 6.  A ., 2013, §  892 Rn.  49; RG JW 1936, 804; so auch Staub/ Koch, HGB, 5.  A., 2009, §  15 Rn.  59 f. 94 MünchKommBGB/Kohler,

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Norm gelten. Wenn hingegen auf die „freie Beweiswürdigung“ durch den Richter als Korrektiv abgestellt wird, geht dies zu weit.100 Was unter Kenntnis im Sinne des §  892 BGB oder §  2366 BGB zu verstehen ist, ist Gesetzesauslegung und hat vorrangig vor einer Beweiswürdigung zu erfolgen. Die freie Beweiswürdigung kann die materiell-rechtlichen Anforderungen eines Merkmals einer Norm nicht bestimmen. Dies verdeutlicht das Beispiel des Erbscheins: Der Richter kann im Rahmen seiner Beweiswürdigung zwar durchaus zu dem Schluss kommen, dass der Betroffene aus der Kenntnis der Einzeltatsachen, die zur Unrichtigkeit des Erbscheins führen, auch folgern müsste, dass der Erbschein nicht hätte ausgestellt werden dürfen und eingezogen werden müsste. Allein durch diese Feststellungen wird aber nicht die Frage beantwortet, ob auch Kenntnis von der Unrichtigkeit des Erbscheins vorliegt. Geht man davon aus, dass bei Kenntnis der Gründe, die ein Rückgabeverlangen des Nachlassgerichts rechtfertigen, auch Kenntnis von der Unrichtigkeit des Erbscheins besteht, entfernt man sich von den Anforderungen, die das materielle Recht in §  2366 BGB aufstellt. §  2366 BGB setzt die Kenntnis von der Unrichtigkeit des Erbscheins oder die Kenntnis von dem Rückgabeverlangen des Nachlassgerichts wegen Unrichtigkeit des Erbscheins voraus. In letzterem Fall muss jedoch der Erbschein nicht unrichtig sein. Es reicht vielmehr das Rückgabeverlangen wegen vermeintlicher Unrichtigkeit.101 Geht der Betroffene unzutreffend von Tatsachen aus, die zur Unrichtigkeit des Erbscheins führen würden, stellt sich die Frage, ob der Schluss von dieser (unzutreffenden) Tatsachenkenntnis auf die Kenntnis der (in Wirklichkeit aus anderen Gründen bestehenden) Unrichtigkeit zulässig ist. Dies ist zu verneinen, weil §  2366 BGB nicht zusätzlich auf die Kenntnis der Notwendigkeit des Rückgabeverlangens abstellt, sondern nur auf die Kenntnis des Rückgabeverlangens (auch wegen nur vermeintlicher Unrichtigkeit) selbst. Daraus folgt, dass nur die Kenntnis des Rückgabeverlangens unabhängig von der Kenntnis der Unrichtigkeit oder die Kenntnis der Unrichtigkeit selbst entscheidend sein kann. Die bloße Vermutung der Unrichtigkeit kann keine Rolle spielen, da zur Vermutung der Unrichtigkeit zusätzlich das Rückgabeverlangen des Nachlassgerichts hinzukommen muss. Daher kann eine richterliche Beweiswürdigung im Hinblick auf die Kenntnis der Unrichtigkeit nicht so weit gehen, dass aus den Einzeltatsachen, die auf die Unrichtigkeit hindeuten, der Schluss auf die Unrichtigkeit gezogen wurde. Die Klärung dieser Frage obliegt vielmehr dem Nachlassgericht. Ihre Beantwortung ist nicht das Ergebnis freier Beweiswürdigung bei der Feststellung, ob positive Kenntnis von der Unrichtigkeit besteht. 100 Staudinger/Herzog, BGB, 2010, §   2366 Rn.  10; kritisch hierzu MünchKommBGB/ J. Mayer, 6.  A., 2013, §  2366 Rn.  28; ferner Bamberger/Roth/Siegmann/Höger, BeckOK/ BGB, 37. Ed., 2013, §  2366 Rn.  9a; Soergel/Zimmermann, BGB, 13.  A., 2002, §  2366 Rn.  11. 101  Zutreffend Staudinger/Herzog, BGB, 2010, §  2366 Rn.  14.

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§  7  Zerstörung von Vertrauen auf der Grundlage eines Kenntnisstandes

Abgesehen von diesen eventuellen Beweiserleichterungen muss in materiell-rechtlicher Hinsicht klar sein, welche Voraussetzungen für das Vorliegen einer Kenntnis, insbesondere einer Rechtskenntnis, gefordert werden. Die Rechtsprechung geht vom Vorliegen der Rechtskenntnis aus, wenn die Kenntnis von einzelnen Tatsachen gegeben ist, die auf die Rechtsfolge hindeuten, die eigentlich von der Kenntnis umfasst sein muss.102 Verallgemeinernde Definitionen finden sich in der Literatur.103 Danach verfügt der Betroffene über (Rechts-) Kenntnis, wenn er sich bei Vorliegen der einzelnen Tatsachen dem rechtlichen Schluss bewusst verschließt. Außerdem liegt Kenntnis von der Unrichtigkeit vor, wenn der Erwerber über die Unrichtigkeit in einer Weise aufgeklärt wird, „dass ein redlich und vom eigenen Vorteil unbeeinflusst Denkender sich der Überzeugung von der Unrichtigkeit nicht entziehen würde“.104 Bei der Konkretisierung der Anforderungen an das Vorliegen der Kenntnis werden von Literatur und Rechtsprechung die Begriffe und die Terminologie vermieden, die im Rahmen der groben Fahrlässigkeit relevant werden, insbesondere das Erfordernis, dass der Betroffene „das erkennen muss, was jedermann erkennt“. Grobe Fahrlässigkeit im Hinblick auf das Unterlassen der Schaffung des eigenen Kenntnisstandes reicht nicht aus, um von positiver Kenntnis auszugehen.105 Dies ergibt sich nicht nur aus dem Wortlaut der jeweiligen Norm (§  15 I, III HGB, §  892 BGB, §  2366 BGB), sondern ist auch eine Folge des vom Gesetzgeber angestrebten Ziels, die jeweiligen Rechtsscheinträger so auszugestalten, dass man sich auf deren Richtigkeit verlassen kann. Nachforschungsobliegenheiten stünden diesem Ziel entgegen.106 bb.  Vorliegen positiver Kenntnis als Wertungskriterium Kann die Rechtskenntnis nicht nachgewiesen werden, liegt keine Kenntnis vor, die den Genuss der Vorteile ausschließt, die durch den durch das Grundbuch, das Handelsregister oder den Erbschein erzeugten Rechtsschein gewährt werden. In einigen Fällen ist es jedoch aus Wertungsgesichtspunkten nicht gerechtfertigt, die Wirkungen des Rechtsscheins jedem gegenüber eintreten zu lassen, der lediglich keine Rechtskenntnis hat. Die Wertungsgesichtspunkte, die das 102  Die Rechtsprechung, auf die in der Literatur im Zusammenhang mit der Schlussfolgerung von den Tatsachen auf die Rechtskenntnis verwiesen wird, bezieht sich regelmäßig auf Bösgläubigkeitstatbestände im Rahmen der Haftungsverschärfung von §  819 BGB bzw. auch §  990 BGB, vgl. BGH NJW 1996, 2652, 2653; BGH NJW 1958, 668; BGH NJW 1960, 1105. 103 MünchKommBGB/Kohler, 6.  A ., 2013, §  892 Rn.  48 m. w. N.; ferner auch Staudinger/ Herzog, BGB, 2010, §  2366 Rn.  11. 104 MünchKommBGB/Kohler, 6.  A ., 2013, §  892 Rn.  48 unter Bezug auf BGH LM Nr.  5 zu §  892 BGB; OLG Stuttgart BWNotZ 1978, 124 f. 105 MünchKommHGB/Krebs, 4.  A ., 2016, §  15 Rn.  46. 106  So ausdrücklich Mot. III 221 (unter Punkt I.), abgedr. in Mugdan, Materialien zum BGB, Band 3, 1899, Nachdr. 1979, S.  122.

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Ergebnis korrigieren sollen, nimmt die Rechtsprechung107 vielfach als Kriterien bei der Bestimmung der (Rechts-)Kenntnis auf. Die nachfolgenden Einzelbeispiele verdeutlichen dies. Insbesondere zeigen diese Fälle, dass die inhaltlichen Anforderungen an das Vorliegen der positiven Kenntnis seit jeher die entscheidende Schlüsselrolle für die Schaffung der Einzelfallgerechtigkeit spielen. Die in der Rechtsprechung entschiedenen und in der Literatur diskutierten Fälle haben ihren Ursprung meist in einer außerrechtlichen Entwicklung eines Sachverhalts, wie beispielsweise dem Eintritt einer Inflation. Die Bestimmung der rechtlich relevanten Kenntnis (beispielsweise bei einem gutgläubigen Erwerbstatbestand) wird durch die außerrechtliche Entwicklung unmittelbar beeinflusst, weil sich das Kriterium der Kenntnis am besten dafür eignet, die Wertungen, die zur Herbeiführung von Einzelfallgerechtigkeit in die Rechtsanwendung einfließen sollen, bei der Bestimmung dieses Tatbestandsmerkmals heranzuziehen. (i) Einzelfälle Nimmt jemand die Unrichtigkeit des Rechtsscheins billigend in Kauf, ohne jedoch von der relevanten Rechtstatsache Kenntnis zu haben, stellt sich die Frage, ob er dennoch in den Genuss der Rechtsscheinwirkungen gelangen soll. In der Literatur wurde bereits frühzeitig vertreten, dass Kenntnis bereits bei billigender Inkaufnahme vorliege und der Erwerber damit bösgläubig sei, wenn er ernsthaft mit der Unrichtigkeit rechnet und die Folgen der Unrichtigkeit, insbesondere den Erwerb vom Nichtberechtigten, billigend in Kauf nimmt.108 Diese Ansicht beruht weitgehend auf der Überlegung, dass ein Gleichlauf von strafrechtlichem Vorsatz und zivilrechtlicher Wertentscheidung bestehen müsse. Die Verfestigung dieser Ansicht beruhte auf dem (rechtspraktisch aufgetretenen) Fall, in dem eine Hypothek durch Bezahlung mit aufgewerteter Papiermark getilgt und die Hypothek gelöscht wurde, wobei der Erwerber von den zu der Tilgung führenden Umständen Kenntnis hatte. Problematisch erwies sich hierbei §  20 I Aufwertungsgesetz, der es grundsätzlich ermöglichte, eine Wiedereintragung einer im Grundbuch bereits gelöschten Hypothek in Höhe der Währungsaufwertung zu erreichen. Dies geschah in der Regel mit dem früheren Rang des Rechts und galt allerdings nur, „soweit nicht die Vorschriften über den öffentlichen Glauben des Grundbuchs entgegenstehen“.109 Daraus ergab sich die Problematik der Bedeutung der Kenntnis von der Aufwertung und dem Löschungszeitpunkt, die schließlich zu einer ganzen Reihe von Fällen in der Recht­sprechung führte.110 Einer dieser Fälle setzt sich mit der Kenntnis des Er107 

RG JW 1928, 102; RG JW 1929, 581; RG JR 1927, 738 (Nr.  1323); RG BayZ 1928, 138 f. Ratz, AcP 128 (1928), 309, 335 ff., 342; Trenck, JW 1926, 2661 f.; KG JW 1926, 2215; weitere Nachweise bei Planck/Strecker, BGB, 5.  A., 1933, Band 3/1, §  892 II 2d γ). 109  Hierzu insbes. Hamelbeck, JR 1928, 147 ff.; Mügel, JW 1927, 961, 963 und Trenck, JW 1926, 2661 ff. 110  Beispielsweise RG JW 1928, 102; RG JW 1929, 581. 108 

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werbers von außerhalb des Grundbuchs wahrnehmbaren Tatsachen (Inflation) und der Verbindung dieser Tatsachen mit den aus dem Grundbuch ersichtlichen Rechten (Tilgung der Hypothek zu einem Zeitpunkt, zu dem der Gegenwert des für die Tilgung eingesetzten Geldes fehlte) auseinander. In dieser Konstellation nimmt der Erwerber billigend in Kauf, dass die Tilgung der Hypothek rückgängig gemacht wird (und damit das Grundbuch als Rechtsscheinträger insoweit unrichtig ist). Auch wenn der Erwerber keine positive Kenntnis von der Unrichtigkeit des Grundbuchs hatte, ist es wertungsmäßig geboten, ihn allein deswegen, weil er diesen Umstand billigend in Kauf genommen hat, zumindest so zu behandeln, als läge die Kenntnis von der Unrichtigkeit vor. Ein anderer Fall betrifft die vermeintlich gelöschte Hypothek, die im Grundstückskaufvertrag jedoch für den Fall übernommen werden sollte, dass sich die Löschung zu Unrecht herausstellt.111 Dann liegt eine billigende Inkaufnahme des Bestehens des Rechts trotz Löschung vor, denn der Erwerber rechnete mit der Möglichkeit, dass die aus dem Grundbuch ersichtliche Löschung nicht der Wahrheit entsprechen könnte. Die These, in den Fällen, in denen der Erwerber mit der Möglichkeit der Unrichtigkeit des Grundbuchs rechne, sei von positiver Kenntnis auszugehen, fand in der Rechtsprechung allerdings keine Zustimmung.112 Ein möglicherweise bestehender, nur vorgestellter Umstand sei nämlich nicht „bekannt“. Liegt dolus eventualis vor, besteht nach der einschlägigen Rechtsprechung nur dann Kenntnis von der Unrichtigkeit, wenn darunter ein „gegenüber der unumstößlichen Gewissheit niederer Grad von der Kenntnis“ zu verstehen ist.113 Dieses bloße „Fürwahrhalten“ reicht nach der Gesetzesbegründung zur Vorgängernorm von §  892 BGB für die Kenntnis aus.114 Es wird zwar nicht die unumstößliche Gewissheit gefordert.115 Ein „Fürmöglichhalten“ reicht aber im Gegensatz zum „Fürwahrhalten“ auch nicht aus. Ein weiterer Fall hat die Kenntnis zum Gegenstand, die aus dem (rechtlichen) Schluss aus den bekannten Tatsachen auf die Rechtslage gewonnen wird. Der Schluss von den bekannten Tatsachen auf die relevante Rechtstatsache kann auf der Hand liegen und sich somit demjenigen aufdrängen, der die einzelnen Tatsachen kennt.116 Insbesondere dann, wenn der rechtliche Schluss kaum Wertungen 111 Planck/Strecker, BGB, 5. A., 1933, Band 3/1, §  892 II 2d β); eine ähnliche Konstellation bei RG JR 1927, 738 (Nr.  1323). 112  RG JW 1928, 102; RG JW 1929, 581 f.; RGZ 156, 122, 128; Planck/Strecker, BGB, 5.  A ., 1933, Band 3/1, §  892 II 2d γ); Jacusiel, JR 1927, 278, 279; MünchKommBGB/Kohler, 6.  A., 2013, §  892 Rn.  47 m. w. N. 113  RG BayZ 1928, 138 f. 114  Prot. III 3452, abgedr. in Mugdan, Materialien zum BGB, Band 3, 1899, Nachdr. 1979, S.  546; zum Ganzen Staudinger/Gursky, BGB, 2013, §  892 Rn.  161. 115  RG BayZ 1928, 138; in diesem Sinne bereits Mot. III 221 (unter Punkt I.), abgedr. in Mugdan, Materialien zum BGB, Band 3, 1899, Nachdr. 1979, S.  122. 116 MünchKommBGB/Kohler, 6.  A ., 2013, §  892 Rn.  49: In tatsächlicher Hinsicht könne bei evidenter Tatsachenkenntnis das Gericht frei annehmen, dass der Erwerber den Schluss auf die Unrichtigkeit gezogen habe.

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oder besonders geschultes Urteilsvermögen erfordert, liegt der Schluss von den Tatsachen auf die Rechtsfolge häufig so nahe, dass er sich aufdrängen muss: Im Handelsrecht kann aus den vorliegenden Tatsachen zwingend die einzutragende und bekannt zu machende Tatsache folgen. In dem Fall wird jedermann den rechtlichen Schluss von der Tatsache auf ihre Eintragungspflichtigkeit ziehen. Dann hat aber auch jeder Kenntnis von der einzutragenden Tatsache, die der negativen Publizität des Handelsregisters entgegensteht, selbst wenn derjenige nur die Tatsachen kennt, die zu der Unrichtigkeit des Handelsregisters führen, ohne dass sich die Kenntnis auf die Eintragungspflicht der Tatsachen erstreckt. Dies gilt beispielsweise für den Fall bei dem Schluss auf die Kaufmannseigenschaft, wenn Kenntnis von einem Umsatz von 100 Millionen Euro und 100 in dem Betrieb beschäftigten Mitarbeitern vorliegt.117 Die Kenntnis umfasst dann auch die Kaufmannseigenschaft des Betriebes. (ii)  Folgerungen aus den Einzelfällen Gegen die Annahme eines Schlusses von Tatsachen auf die rechtliche Wertung spricht, dass offen bleibt, wann ein solcher Schluss „von jedermann“ gezogen wird. Die Fähigkeit, solche Schlüsse zu ziehen, ist individuell unterschiedlich. Die notwendige Bestimmung der individuellen Möglichkeit, die relevante Kenntnis zu haben, läuft im Ergebnis auf eine Konkretisierung von Sorgfaltsanforderungen hinaus. Verobjektiviert man hingegen die Anforderungen, wann „jedermann“ den rechtlichen Schluss zieht, statuiert man damit eine Obliegenheit des Einzelnen, der nicht in der Lage ist, diesen Schluss zu ziehen und zwingt ihn, seinen eigenen Kenntnisstand hinsichtlich der rechtlichen Wertung zu erweitern. Außerdem bereitet die Einordnung des Falls Schwierigkeiten, in dem der Betroffene zwar die einzelnen Tatsachen kennt, aus denen der Schluss auf die relevante Rechtstatsache ohne Weiteres möglich ist, er sich jedoch bewusst der Kenntnis verschließt.118 Ähnlich gelagert ist die Konstellation, dass sich der Betroffene auch der Kenntnis der Tatsachen selbst bewusst verschließt, so dass Zweifel an der Rechtslage gar nicht erst aufkommen können. Davon zu unterscheiden ist der Fall, in dem die Kenntnis unsicher ist.119 Die Kenntnis kann beispielsweise aus einem Hinweis stammen, der sich zwar später als inhaltlich zutreffend herausstellt,120 dessen Richtigkeit jedoch in dem relevanten Moment 117 MünchKommHGB/Krebs,

4.  A. 2016, §  15 Rn.  46. Sog. bewusste Rechtsblindheit vgl. u. a. Lutter, AcP 164 (1964), 122, 163 m. w. N. 119  So MünchKommHGB/Krebs, 4.  A ., 2016, §  15 Rn.  46; zumindest bei arglistigem Unterlassen weiterer Erkenntniserlangung RGZ 117, 180, 184 f.; kritisch dagegen (bereits Zweifel für Unkenntnis ausreichend): Mönckemöller, JuS 2002, 30, 31; Lieb, NJW 1999, 35, 36; Staub/ Koch, HGB, 5.  A., 2009, §  15 Rn.  59. 120  A.A. Staudinger/Gursky, BGB, 2013, §  892 Rn.  152, wonach die Quelle der Überzeugung der fehlenden Nichtberechtigung unerheblich für das Entfallen der Schutzbedürftigkeit 118 

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(d. h. grundsätzlich zur Zeit der Vollendendung des Rechtserwerbs) zweifelhaft ist. Diese Fälle sind bei begründeten Zweifeln an der Richtigkeit der Information nicht geeignet, die Wirkungen des Rechtsscheins auszuschließen.121 Die gegenteilige Annahme würde im Widerspruch zu der durch den öffentlichen Glauben des Grundbuchs erreichten verlässlichen Klärung der Rechtslage stehen.122 Die Informationen, die die Kenntnis des Berechtigten von der Rechtslage begründen sollen, müssen eine sichere Kenntnis verschaffen können. Es geht nicht darum, die eigene rechtliche Bewertung in Zweifel zu ziehen, vielmehr müssen die Informationen die positive Kenntnis des Berechtigten von der (Rechts-)Tatsache begründen. Bei einem rechtlichen Schluss wird diese Voraussetzung in der Regel nur dann erfüllt sein, wenn der Betroffene durch eine fachlich auf diesem Gebiet geschulte Person Auskunft über die Rechtslage erhält, weil dann eine gesicherte Kenntnis besteht.123 Allen genannten Fällen ist gemein, dass die Kenntnis der Rechtstatsache, die für die Kenntnis der Unrichtigkeit der sich aus dem Rechtsschein ergebenden Tatsache erforderlich ist, nicht gegeben ist. Weitgehend übereinstimmend124 wird hervorgehoben, dass es darauf ankäme, dass der Betroffene Kenntnis hatte und nicht nur hätte haben müssen. Ansonsten würden Nachforschungsobliegenheiten statuiert, die bei dem Merkmal der positiven Kenntnis gerade keine Rolle spielen.125 In dem Fall, in dem zwar keine positive Kenntnis vorliegt, der Berechtigte jedoch mit der Möglichkeit der Unrichtigkeit der sich aus dem Rechtsschein­ träger ergebenden Rechtslage rechnet, korrigierte die Rechtsprechung126 und ihr folgend vereinzelte Stimmen in der Literatur127 die Wirkungen des Rechtssein soll. Hierbei wird allerdings die Wertung der Schutzbedürftigkeit und nicht die Kenntnis in den Vordergrund gestellt. 121  So bereits RGZ 156, 122, 128 (ungesicherte Behauptung des vermeintlichen Eigentümers); RG JW 1928, 102 (unklare Rechtslage hinsichtlich der Geldwertstabilität und der Wirksamkeit von Tilgungsleistungen); RG JW 1929, 581 f. (Erkenntnis „Mark sei nicht gleich Mark“ im Zusammenhang mit der Aufwertung und mangelnder Tilgungswirkung); RG BayZ 1928, 138 (während Besichtigung des Hauses angesprochener Schwarzkauf, der etwas nicht in Ordnung erscheinen lassen könnte); ferner Planck/Strecker, BGB, 5.  A., 1933, Band 3/1, §  892 II 2d β); Staudinger/Gursky, BGB, 2013, §  892 Rn.  161. 122  Vgl. Mot. III 221 (unter Punkt I.), abgedr. in Mugdan, Materialien zum BGB, Band 3, 1899, Nachdr. 1979, S.  122. 123 Zuverlässige Kenntnis gefordert: MünchKommHGB/Krebs, 4.   A., 2016, §  15 Rn.  46; dagegen beispielsweise für den Erbschein: Staudinger/Herzog, BGB, 2010, §  2366 Rn.  11, wenn ein Richter, Notar, Rechtsanwalt auf die Unrichtigkeit hinweist, sei Unredlichkeit anzunehmen. 124  Etwas abweichend in dem Fall der „billigenden Inkaufnahme“ der Unrichtigkeit, vgl. vor allem Ratz, AcP 128 (1928), 309, 335 ff. 125  Mot. III 221 (unter Punkt I.), abgedr. in Mugdan, Materialien zum BGB, Band 3, 1899, Nachdr. 1979, S.  122. 126  In Form einer Arglisteinrede wird aus §  826 BGB heraus argumentiert, RGZ 117, 180, 189 ff.; 127  Jacusiel, JR 1927, 279, 283.

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scheins über die deliktische Haftung für arglistige Schädigung gemäß §  826 BGB. Der vom Gesetz angeordnete Gutglaubenserwerb, der grundsätzlich nur im Fall der positiven Kenntnis von der Unrichtigkeit ausgeschlossen ist, sei ausnahmsweise auch durch eine Anwendung von §  826 BGB auszuschließen, wenn der Erwerber das Eigentum in Schädigungsabsicht (aber ohne Kenntnis) gutgläubig erwerbe. Dies sei in Fällen des dolus eventualis mit unsicherer Kenntnis möglich. Eine Rückübereignungspflicht wurde mittels der Rechtsfolge der Naturalrestitution statuiert. Dies scheint auf den ersten Blick rechtsethisch wünschenswert. Jedoch ist der Weg fragwürdig. Die gesetzliche Einschränkung des Gutglaubenserwerbs ist (in §  892 BGB) nur von der Voraussetzung der nicht vorhandenen positiven Kenntnis der Unrichtigkeit abhängig. Nicht überzeugend ist, die von den Gutglaubensvorschriften angeordnete Rechtsfolge durch das Deliktsrecht einzuschränken, da die deliktische Schadensersatznorm in subjektiver Hinsicht geringere Anforderungen stellt als die Normen des Gutglaubenserwerbs. Bei unklarer Rechtslage und vorhandener Schädigungsabsicht würde bei Anwendung von §  826 BGB die Rechtsfolge des Gutglaubens­ erwerbs ins Gegenteil verkehrt.128 Überdies spricht gegen eine die Gutglaubensvorschriften korrigierende Anwendung des §  826 BGB, dass eine vom Gesetz (§  892 BGB) vorgesehene Rechtsfolge als sittenwidrige Schädigung angesehen werden müsste – und zwar auch dann, wenn die Rechtsfolge des Schadensersatz­ anspruchs nicht geltend gemacht wird, sondern dem Übereignungsanspruch einredeweise der Arglisteinwand entgegengehalten wird.129 (iii)  Möglichkeit individualisierter Verobjektivierung der Feststellung der erforderlichen Kenntnis? Hinter der Bestimmung der tatbestandlich relevanten Kenntnis steht das Ziel, den gesetzgeberischen Willen möglichst umfassend zur Geltung zu bringen. Dabei dient der Wortlaut der Gutglaubensvorschriften als erster Ansatzpunkt. Von wesentlicher Bedeutung sind darüber hinaus vorgenommene Differenzierungen bei den Voraussetzungen der einzelnen Gutglaubensvorschriften. Generell ist der Gutglaubenserwerb ausgeschlossen, wenn der Erwerber positive Kenntnis von der Unrichtigkeit des Rechtsscheinträgers hat. Nur ein Teil der Gutglaubensvorschriften beschränkt diesen Ausschluss der Gutglaubensvorschriften auf die positive Kenntnis. Andere Gutglaubensvorschriften (die auf einen schwächeren Rechtsscheinträger abstellen) ordnen den Ausschluss des Gutglaubenserwerbs bereits bei grob fahrlässiger Unkenntnis an. Diese gesetzgeberische Intention der Unterscheidung muss bei der Bestimmung der positiven Kenntnis in den Tatbeständen, bei denen es nur auf positive Kenntnis ankommt, beachtet 128  Zu Recht daher ablehnend Staudinger/Gursky, BGB, 2013, §  892 Rn.  163 m. w. N.; kritisch auch Soergel/Stürner, BGB, 6.A., 2002, §  892 Rn.  31. 129  Wie beispielsweise RGZ 117, 180, 189 ff.

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werden. Positive Kenntnis ist keine grob fahrlässige Unkenntnis und auch keine besonders grob fahrlässige Unkenntnis. Dies muss auch dann gelten, wenn tatsächlich keine Kenntnis vorliegt, aber das Ergebnis im Hinblick auf die Rechtsfolgen rechtsethisch untragbar erscheint, da die Unkenntnis auf grober Nach­ lässigkeit der betreffenden Person beruht, so dass der Vorteil (Ermöglichung des gutgläubigen Erwerbs) ungerechtfertigt ist. Solche wertenden Erwägungen dürfen nicht zu einer extensiven Tatbestandserweiterung führen. Allerdings sind Tatbestandskonkretisierungen möglich. Diese sind insbesondere in den Fällen notwendig, in denen sich die Kenntnis nicht auf wahrnehmbare Umstände bezieht, sondern der Tatbestand die Kenntnis einer rechtlichen Wertung von Tatsachen voraussetzt. Die tatbestandlich geforderte Kenntnis, die die Wirkungen der jeweiligen Gutglaubensvorschrift ausschließt, ist die positive Kenntnis der Unrichtigkeit des Rechtsscheinträgers (z. B. §  892 I BGB: „die Unrichtigkeit des Grundbuchs“). Die Unrichtigkeit des Rechtsscheinträgers ist keine als solche wahrnehmbare Tatsache, vielmehr ist der Gegenstand der geforderten Kenntnis das Ergebnis einer vorzunehmenden rechtlichen Bewertung, d. h. eine Rechtstat­ sache. Voraussetzung für die Rechtskenntnis ist zunächst, dass der Betroffene, auf dessen Kenntnisstand es ankommt, die Tatsachen kennt, aus denen der rechtliche Schluss auf die Unrichtigkeit überhaupt abgeleitet werden kann. Außerdem muss (wie bei der Verjährung) der Betroffene die rechtliche Kontextuierung der Tatsachen vornehmen, er muss sie als rechtlich erheblich einschätzen. Darüber hinaus muss er aber die Tatsachen auch rechtlich zutreffend im Hinblick auf den Rechtsscheinträger bewerten. Er muss aus den bekannten Tat­ sachen ableiten, dass sich daraus eine bestimmte Rechtslage ergibt. Außerdem muss diese tatsächliche Rechtslage von derjenigen abweichen, die aus dem Rechtsscheinträger ersichtlich ist. Auch diese Abweichung muss von dem Betroffenen erkannt werden, da sonst der Rechtsschein weiterhin seine abstrakte (von der jeweiligen Kenntnis des Betroffenen von der Existenz des Rechtsscheinträgers unabhängige) Wirkung entfaltet. Erst wenn der Betroffene diese Zusammenhänge vollständig herstellt und daraus ableitet, dass der Rechtsscheinträger unrichtig ist, d. h. er im Ergebnis nicht auf die Aussage des Rechtsscheinträgers vertrauen kann, liegt positive Kenntnis von der Unrichtigkeit des Rechtsscheinträgers vor. Es bleibt die Frage, wie die relevante Rechtskenntnis von der Unrichtigkeit des Rechtsscheinträgers verlässlich bestimmt werden kann. Dies erlangt insbesondere in den Fällen Relevanz, wenn es an einer Einlassung des Betroffen hinsichtlich seines tatsächlich vorhandenen Kenntnisstandes fehlt bzw. er in Ab­ rede stellt, die notwendige Rechtskenntnis gehabt zu haben, d. h. aus den zutreffend erkannten Tatsachen den rechtlichen Schluss gezogen zu haben. In diesen Fällen kann eine Orientierung an den Grundsätzen zur Bestimmung der erfinderischen Tätigkeit im Patentrecht helfen. Mit der Bestimmung

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der erfinderischen Tätigkeit vergleichbar ist die Bestimmung der Rechtskenntnis bei zivilrechtlichen Normen. Der Stand der Technik als Ausgangspunkt der Einschätzung, ob sich aus diesem für den Fachmann die Erfindung als naheliegend ergibt, ist bei der Frage nach dem „Naheliegen“ der Rechtskenntnis vergleichbar mit den tatsächlichen Umständen, aus denen die Rechtskenntnis ableitbar ist. Hinsichtlich der Methodik sind (eingeschränkt) Übertragungen möglich: Die im Patentrecht hilfreiche Sichtweise des Durchschnittfachmanns, aus dessen Sicht die Frage nach dem Naheliegen der Erfindung beantwortet wird, kann hier nur eingeschränkt helfen. Nicht zielführend ist eine abstrakte Verobjektivierung der Kenntnisse und Fähigkeiten der gedachten Person, aus deren Perspektive die Frage nach dem Naheliegen (der rechtlichen Folgerungen) beantwortet wird. Vielmehr ist die gedachte Person individualisiert mit den Fähigkeiten und Kenntnissen zu definieren, die die betroffene Person tatsächlich hat. Andernfalls würde man die grob fahrlässige Unkenntnis der positiven Kenntnis gleichsetzen. Aus der Perspektive der insoweit mit den Kenntnissen und Fähigkeiten konkretisierten gedachten Person, auf deren Kenntnisstand es ankommt, ist nachfolgend die Frage zu beantworten, ob die betreffende recht­ liche Wertung von dieser Person vorgenommen werden würde. Auf diese Weise vermeidet man einen Verschuldensvorwurf, der dann begründet würde, wenn man danach fragte, ob die Person die rechtliche Folgerung vornehmen hätte können. Konkret können zur Bestimmung der rechtlichen Folgerung ähnliche Fragen helfen, die auch bei der Bestimmung der erfinderischen Tätigkeit angewendet werden: Bestand ausgehend von der Tatsachenlage Anlass, in die Richtung der geforderten Rechtskenntnis zu denken? Reichten die Zweifel, um jeden anderen in dieser Situation zu der rechtlichen Folgerung zu bringen (drängte sich dieser Schluss auf?), oder gibt es zu viele (individuelle oder generelle) Hindernisse, um die Lösung, d. h. die rechtliche Bewertung im Hinblick auf die Unrichtigkeit des Rechtsscheinträgers, zu finden? Stets muss aber die Frage nach der Möglichkeit, die rechtliche Wertung vorzunehmen von der eigentlich entscheidenden Voraussetzung unterschieden werden: Es kann nur darauf ankommen, ob bei entsprechenden individuell bestimmten Parametern der betroffenen Person jeder andere in dieser Situation den rechtlichen Schluss ziehen würde. Nicht entscheidend ist dagegen, ob er den Schluss hätte ziehen können, denn durch diese Anforderung würde die Grenze der Bestimmung der positiven Kenntnis des einzelnen zu der von Sorgfaltsanforderungen geprägten grob fahrlässiger Unkenntnis verwischt werden. cc.  Treuwidriges Verhalten und Schaffung des eigenen Kenntnisstandes Bei den starken Rechtsscheinträgern gibt es nur zwei Varianten des relevanten Kenntnisstandes: Das Vorliegen positiver Kenntnis, das die Rechtsscheinwirkungen ausschließt, und das Nichtvorliegen positiver Kenntnis. Liegt keine po-

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sitive Kenntnis vor, werden die Wirkungen des Rechtsscheins auch nicht ausgeschlossen. Die Fälle, in denen das Ergebnis rechtsethisch unbillig ist, müssen anders gelöst werden als durch eine tatbestandliche Ausweitung der in den Gutglaubensvorschriften enthaltenen Ausnahmen. Eine Korrektur der Rechtsfolge des Gutglaubenserwerbs ist auch nicht durch Anwendung von Schadensersatznormen (wie §  826 BGB) möglich, die vollkommen andere Voraussetzungen haben. Ist der Gutglaubenserwerb unbillig, können seine tatbestandlichen Voraussetzungen (wie die des Nichtvorliegens positiver Kenntnis von der Unrichtigkeit) nicht einfach erweitert werden. Andernfalls würden bewusst eng formulierte Ausnahmen (wie der Ausschluss bei positiver Kenntnis statt bei grob fahrlässiger Unkenntnis) überdehnt.130 Daher liegt keine positive Kenntnis vor, wenn die Unrichtigkeit des Rechtsscheinträgers nicht bekannt ist, jedoch aus den bekannten Tatsachen abgeleitet werden könnte. Eine Obliegenheit, den eigenen Kenntnisstand zu gestalten, liefe auf die Statuierung von diesbezüglichen Sorgfaltsanforderungen hinaus, die jedoch nur für das Vorliegen von grob fahrlässiger Unkenntnis relevant sein können. Eine ganz andere Überlegung ist dagegen, ob dem Erwerber die Vorteile des Erwerbs vom Nichtberechtigten auch dann zugute kommen sollen, wenn dies unbillig ist. Sowohl der Wortlaut von §  892 BGB als auch seine wechselvolle Entstehungsgeschichte geben offensichtlich keine Möglichkeit für eine tatbestandliche Korrektur für den Fall, dass der Erwerb unbillig ist. Eine Überdehnung der Begriffe der Kenntnis in die bewusst vom Gesetzgeber ausgesparten Bereiche grob fahrlässiger Unkenntnis hinein ist schlichtweg nicht möglich. Die von §  892 BGB vorgesehene Rechtsfolge kann nur bei Vorliegen besonderer Umstände eingeschränkt werden. Als rechtlicher Ansatzpunkt dafür kommt die Wertung des Verbotes treuwidrigen Verhaltens in Betracht, welches sich aus dem das gesamte Zivilrecht durchziehenden Grundsatz von Treu und Glauben131 ableitet. Dieser allgemeine Grundsatz von Treu und Glauben und des Verbotes treuwidrigen Verhaltens wird in §  162 BGB konkretisiert.132 Nach §  162 I BGB gilt eine Bedingung als eingetreten, wenn derjenige, zu dessen Gunsten die Bedingung wirkt, ihren Nichteintritt wider Treu und Glauben verhindert. Der Einflussnehmende kann sich daher nicht auf die Rechtslage (Nichteintritt der Bedingung) berufen, die den Nachteil des anderen begründet. Die 130  Zwar gibt es keinen generellen Rechtsgrundsatz, dass Ausnahmevorschriften eng auszulegen seien, vgl. Larenz /Canaris, Methodenlehre, 3.  A., 1995, S.  174 f. Jedoch folgt aus der Charakteristik einer Ausnahmeregelung die Regelung einer singulären und keiner generellen Interessenlage. Daher ist der Anwendungsbereich einer solchen Vorschrift auf den von ihr erfassten Ausnahmefall beschränkt, Schmalz, Methodenlehre 3.  A., 1992, Rn.  261; vgl. ferner zu dem Ausnahmecharakter urheberrechtlicher Schrankenregelungen und den aus der Verfassung folgenden Vorgaben BGH GRUR 2002, 605 f. – Verhüllter Reichstag. 131 Palandt/Grüneberg, BGB, 2016, §   242 Rn.  1; ferner auch BAG NJW 2005, 775, 777; BGH NJW 1983,109 f. 132 MünchKommBGB/H. P. Westermann, 7.  A ., 2015, §  162 Rn.  1.

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Einflussnahme auf den Bedingungseintritt gemäß §  162 I BGB ist vergleichbar mit der Gestaltung des eigenen Kenntnisstandes, wenn das Nichtvorliegen der Kenntnis günstige Rechtsfolgen (wie die Ermöglichung des gutgläubigen Erwerbs) für den Erwerber nach sich zieht.133 Dann kann sich derjenige, der sich der naheliegenden Erkenntnis bewusst verschließt, nicht auf den Zustand seiner Unkenntnis berufen. Voraussetzung für §  162 I BGB ist die Verhinderung des Bedingungseintritts wider Treu und Glauben. Daher kann die in §  892 BGB angeordnete Rechtsfolge des gutgläubigen Erwerbs nicht bereits durch das grob fahrlässige Verkennen der wahren Sachlage ausgeschlossen werden. Auch reicht für eine Treuwidrigkeit nicht aus, dass der Erwerber den eigenen Kenntnisstand überhaupt nicht aktiv gestaltet, sondern nur untätig bleibt. Als treuwidrig kann auch nicht bereits das Unterlassen von Nachforschungen und Nachfragen angesehen werden. Dadurch würden Nachforschungsobliegenheiten statuiert. Diese schließen den gutgläubigen Erwerb jedoch nicht aus, weil der Gesetzgeber bei dem Ausschluss bewusst nicht auf die grob fahrlässige Unkenntnis und damit verbundene Sorgfaltsobliegenheiten abgestellt hat. Da der Erwerber demnach nicht zu einer Änderung seines Kenntnisstandes verpflichtet ist, kommt eine treuwidrige Unkenntnis im Sinne von §  162 I BGB nur dann in Betracht, wenn die Unrichtigkeit offensichtlich ist und sie sicher feststeht. Darüber hinaus unterlässt der Erwerber die Erweiterung seines Kenntnisstandes nur dann treuwidrig, wenn er dies bewusst tut. Er handelt bewusst, wenn er sich der Kenntnis verschließt, obwohl er mit der bestehenden und naheliegenden Möglichkeit rechnet, dass das Grundbuch unrichtig ist. In diesem Fall ist es nicht gerechtfertigt, ihn in den Genuss der Rechtsscheinwirkung gelangen zu lassen. Gemäß §  162 I BGB ist der sich treuwidrig der Kenntnis Verschließende so zu behandeln, als habe er Kenntnis. Diese Entscheidung beruht auf Wertung, nicht auf einer konkretisierten Tatsachenfeststellung. Sie kann nicht das Ergebnis extensiver Auslegung des Tatbestandsmerkmals der positiven Kenntnis sein. Kenntnis liegt dann tatbestandlich nicht vor; die betroffene Person wird jedoch rechtsfolgenseitig so behandelt, als läge die Kenntnis vor. b.  Gleichstellung von positiver Kenntnis und grob fahrlässiger Unkenntnis Einige Rechtsscheintatbestände sind nicht nur ausgeschlossen, wenn positive Kenntnis von der Unrichtigkeit des Rechtsscheins vorliegt, sondern auch dann, wenn die Unkenntnis der Unrichtigkeit auf grober Fahrlässigkeit beruht. Dann ist das Ausschlusskriterium der positiven Kenntnis der grob fahrlässigen Unkenntnis tatbestandsmäßig gleichgestellt. So ist beispielsweise der Erwerb von 133 In diesem Sinne (Analogie zu §   162 BGB) Staudinger/Gursky, BGB, 2013, §   892 Rn.  157; für den Parallelfall der Kenntnisnahme und der Zugangsvereitelung v. Tuhr, AT II/1, 1914 §  49 II 3 (S.  130); im Ergebnis ähnlich Staub/Koch, HGB, 5.  A., 2009, §  15 Rn.  59.

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§  7  Zerstörung von Vertrauen auf der Grundlage eines Kenntnisstandes

GmbH-Geschäftsanteilen vom Nichtberechtigten ausgeschlossen, wenn dem Erwerber die mangelnde Berechtigung bekannt oder infolge grober Fahrlässigkeit unbekannt ist, §  16 III 3 GmbHG. Ebenso ist der Erwerb beweglicher Sachen vom Nichtberechtigten angesichts der Definition des guten Glaubens in §  932 II BGB ausgeschlossen, wenn dem Erwerber bekannt oder infolge grober Fahrlässigkeit unbekannt ist, dass die Sache nicht dem Veräußerer gehört. Sowohl §  16 III 3 GmbHG als auch §  932 II BGB setzen das Vorliegen grober Fahrlässigkeit im Hinblick auf die Unkenntnis voraus. Auch im oben dargestellten Fall des Fortwirkens der Vollmacht schadet dem Betroffenen neben der positiven Kenntnis auch grob fahrlässige Unkenntnis. (1)  Verhältnis von fahrlässiger Unkenntnis und positiver Kenntnis Bei den genannten Tatbeständen, in denen für den Ausschluss der Rechtsscheinwirkungen sowohl das Vorliegen positiver Kenntnis als auch grob fahrlässiger Unkenntnis ausreicht, hat das Ausschlussmerkmal der positiven Kenntnis kaum Bedeutung. Auch soweit es um die Beurteilung von Rechtsanwendungsirrtümern bei bekannter Tatsachenlage geht, stellt die Rechtsprechung134 regelmäßig auf den Gesichtspunkt der grob fahrlässigen Unkenntnis und nicht auf das Vorliegen positiver Kenntnis für den Ausschluss der Rechtsscheinwirkungen ab. (2)  Ergebnisbezogene Konkretisierung der Sorgfaltsanforderungen Die tatbestandlichen Voraussetzungen, die die Rechtsscheinwirkungen des gutgläubigen Erwerbs beweglicher Sachen ausschließen, sind gegenüber dem oben genannten gutgläubigen Erwerb von Rechten an Grundstücken erweitert. Auf den ersten Blick erfolgt diese Erweiterung nur auf der subjektiven Ebene, da statt positiver Kenntnis bereits die grob fahrlässige Unkenntnis ausreicht, um die Rechtsscheinwirkungen auszuschließen. Diese Annahme wird durch das vom BGH135 vertretene Verständnis der Gutglaubenstatbestände gestützt. Er geht davon aus, dass der Rechtsgrund für einen gutgläubigen Erwerb nach §  932 BGB immer ein auf dem Besitz beruhender Rechtsschein sei, auf den sich der Erwerber verlassen durfte. Damit sind zunächst die zwei wesentlichen Voraussetzungen für den gutgläubigen Erwerb genannt: In objektiver Hinsicht das Vorhandensein eines den Rechtsschein begründenden Rechtsscheinträgers und in subjektiver Hinsicht das „Sichverlassendürfen“, d. h. eine berechtigte Vertrauensbildung des Erwerbenden. Allerdings ist diese vielfach als subjektives Element des Erwerbs vom Nichtberechtigten beschriebene Voraussetzung136 134  Ein Rechtsirrtum ist beachtlich, wenn er auf grober Fahrlässigkeit beruht, RGZ 74, 354, 356 f.; BGH NJW 1961, 777 f.; Wieling, SachenR I, 2.  A., 2006, §  10 III 3b (S.  376 f.); Soergel/ Zimmermann, BGB, 13.  A., 2002, §  932 Rn.  16. 135  BGH NJW 1971, 1453, 1454. 136 Staudinger/Wiegand, BGB, 2011, §  932 Rn.  35 ff.; Wiegand, JuS 1978, 145, 148.

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sehr stark von einer wertenden Entscheidung geprägt, die auf die Konkretisierung der Sorgfaltsanforderungen im Rahmen der Bestimmung der groben Fahrlässigkeit abzielt. Obwohl die Fahrlässigkeit gemäß §  932 II BGB eine grundlegend andere Funktion als im Schuldrecht hat, kann bei der Definition der Fahrlässigkeit, auf der die Unkenntnis gemäß §  932 II BGB beruht, auf die Definition der Fahrlässigkeit im Rahmen des Schuldrechts zurückgegriffen werden.137 Somit orientiert sich die Definition der groben Fahrlässigkeit gemäß §  932 II BGB sowohl an der einfachen Fahrlässigkeit, die in §  276 II BGB definiert ist, als auch an dem in §  277 BGB verwendeten Begriff der groben Fahrlässigkeit.138 Entsprechend der Definition bei Schadensersatzansprüche auslösenden Pflichtverletzungen im Schuldrecht139 wird unter grober Fahrlässigkeit (im Sinne von §  932 II BGB) ein Handeln verstanden, bei dem „die erforderliche Sorgfalt nach den gesamten Umständen in ungewöhnlich großem Maße verletzt worden ist und dasjenige unbeachtet geblieben ist, was im gegebenen Falle jedem hätte einleuchten müssen“.140 Durch das Erfordernis der groben Fahrlässigkeit erfährt der Sorgfaltsmaßstab bei §  932 II BGB eine starke Individualisierung. Die Rechtsprechung141 führt regelmäßig aus, dass die Bestimmung der Sorgfaltsanforderungen im Rahmen der groben Fahrlässigkeit nicht einheitlich für alle Fälle, sondern nur von Fall zu Fall erfolgen könne, wobei auch subjektive und individuelle Umstände zu berücksichtigen seien. Bereits aus dem Wesen der groben Fahrlässigkeit folge, dass es für die grobe Fahrlässigkeit im Gegensatz zu dem Begriff der gewöhnlichen Fahrlässigkeit keine für alle Fälle gültigen Anforderungen geben könne. Der Richter hat vielmehr nach freiem, pflichtgemäßem Ermessen zu prüfen, ob die Sorgfaltsverletzung nach der Gesamtlage der Umstände besonders schwer ist.142 (3)  Wechselwirkung zwischen objektiven und subjektiven Voraussetzungen als flexible Lösung des Interessenausgleichs zwischen Erwerber und früherem Eigentümer Bei der Beurteilung, ob die eigene Unkenntnis grob fahrlässig ist, ist grundsätzlich darauf abzustellen, ob sich der Erwerber auf den von dem Rechtsscheinträ137 Soergel/Zimmermann,

BGB, 13.  A., 2002, §  932 Rn.  18. St. Rspr., vgl. bereits RGZ 141, 129, 131; RGZ 166, 98, 101 f. 139  Wobei der Wert dieser Formel der Umschreibung der groben Fahrlässigkeit begrenzt ist, was bereits frühzeitig angemerkt wurde, vgl. Wolff/Raiser, SachenR, 10.  A., 1957, §  68 II 1 (Fn.  8); so auch Soergel/Zimmermann, BGB, 13.  A., 2002, §  932 Rn.  20. 140  BGH NJW 1953, 1139; BGH NJW 1953, 1099, 1100 mit zahlreichen Nachweisen aus der Rechtsprechung. 141  BGH NJW 1953, 1139 sowie bereits RG in JW 1924, 1977 ff. 142 Allg. Meinung, vgl. BGH NJW 1953, 1139; vgl. auch Soergel/Zimmermann, BGB, 13.  A., 2002, §  932 Rn.  20, wonach der zwar objektivierte zivilrechtliche Fahrlässigkeitsmaßstab anhand der situationsbezogenen, im Verkehr erforderlichen Sorgfalt definiert wird. 138 

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§  7  Zerstörung von Vertrauen auf der Grundlage eines Kenntnisstandes

ger ausgehenden Rechtsschein verlassen konnte.143 Dem Erwerber kann nur dann der Vorwurf grober Fahrlässigkeit gemacht werden, wenn ihm Umstände bekannt sind, die deutlich dafür sprechen, dass der Verkäufer nicht der Eigen­ tümer war. Dies bedeutet für den Erwerber, dass bei nur durchschnittlichem Erkenntnisvermögen ohne besonders hohe Aufmerksamkeit und besonders gründliche Überlegung erkennbar gewesen sein muss, dass die Verkaufssache dem Verkäufer nicht gehörte.144 Den Grundsatz, dass sich der Erwerber auf den Rechtsscheinträger verlassen darf, zog die Rechtsprechung145 für den Besitz als Rechtsscheinträger in Zweifel. Sie stellt zunehmend höhere Anforderungen an den Glauben hinsichtlich des Eigentums auf. So ist bei zweifelhafter Rechtslage der Erwerber bereits dann grob fahrlässig in Unkenntnis über das fehlende Veräußerereigentum, wenn der Erwerber keine Nachforschungen angestellt hat. Die erhöhten Anforderungen und Nachforschungsobliegenheiten bezogen sich zunächst auf Veräußerungsgeschäfte von Gegenständen, die typischerweise kreditfinanziert waren und damit regelmäßig unter Eigentumsvorbehalt standen.146 Später vermehrten sich die Zweifel in der Literatur147 an der Eignung des Besitzes als Rechtsscheinträger. In der Folge stiegen die Anforderungen an die Nachforschungsobliegenheiten, die den Erwerber treffen.148 Die Rechtsprechung erhöhte die Voraussetzungen stetig und definierte eine ganze Reihe verschiedener Faktoren, die auf das Bestehen oder Nichtbestehen von Nachforschungsobliegenheiten Einfluss haben sollten. Zu nennen sind die Person des 143  Abgeleitet von der Zielsetzung der angestrebten reibungslosen Abwicklung der Veräußerungsgeschäfte können Nachforschungspflichten keinen Platz haben, Staudinger/Wiegand, BGB, 2011, §  932 Rn.  68. 144  So BGH WM 1978, 1208, 1209. 145  BGH NJW 1953, 1139; BGH NJW 1953, 1099, 1100; auch bereits RGZ 141, 129, 132; RGZ 143,14, 18 f.; hierzu Schlechtriem, NJW 1970, 2088 ff.; Soergel/Zimmermann, BGB, 13. A., 2002, §  932 Rn.  23. 146  Wolff/Raiser, SachenR, 10.  A ., 1957, §  68 II 1; Staudinger/Wiegand, BGB, 2011, §  932 Rn.  59 f. 147  Ernst, in: FS Gernhuber 1993, S.  95, 101 f.; Bauer, FS Bosch, 1976, S.  1, 7; Wiegand, JuS 1978, 145,146 f.; ferner Kindl, Rechtsscheintatbestände, 1999, S.  314 f. Vor allem Hübner, Rechtsverlust im Mobiliarsachenrecht, 1955, S.  89 ff., plädiert dafür, den gutgläubigen Erwerb nicht mehr von dem Besitz als Rechtsscheinträger abhängig zu machen, sondern von einem Innehaben der Sache, „das nach verkehrsübliche Auffassung als Ausdruck der Stellung eines Eigentümers oder eines Verfügungsbefugten gewertet werden kann“ (S.  124). Zusätzlich zu dem in dieser Weise sehr weit gefassten (objektiven) Vertrauenstatbestand soll der gutgläubige Erwerb durch den guten Glauben sowie die Zurechenbarkeit eingeschränkt werden, die (anders als bisher) nicht in der bloßen Veranlassung (Weggeben ohne Abhandenkommen der Sache) liegt, sondern nach einem „Gefahrenbeherrschungsgrundsatz“ zu bestimmen sei (S.  125 f.). 148  Bedenklich ist insoweit auch die Rechtsprechung, die in der Vereinbarung eines Abtretungsausschlusses der Forderungen im Rahmen eines verlängerten Eigentumsvorbehalts eine Bösgläubigkeit hinsichtlich des zu erwerbenden Sicherungseigentums mit dem Argument zu sehen scheint, dass dieser Abtretungsausschluss nur dann gebraucht werde, wenn man mit Fremdeigentum des Lieferanten rechne, vgl. BGH NJW 1999, 425, 426; ferner BGH NJW 1980, 2245, 2247; kritisch dazu Gursky, JZ 2005, 285, 289 f.

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Veräußerers und des Erwerbers,149 das Geschäft selbst150 sowie die äußeren Umstände des Geschäfts.151 Gerade die Unzuverlässigkeit des Besitzes als Rechtsscheinträger und die individuell zu bestimmenden Sorgfaltsanforderungen führten zu der Verfestigung der Annahme, den subjektiven Anforderungen im Rahmen des Erwerbs von beweglichen Sachen vom Nichtberechtigten wohne grundsätzlich eine Wechselwirkung zu dem objektiven Rechtsscheinträger inne. Diese Wechselwirkung könnte nach der in der Literatur vertretenen Ansicht152 zu einer „Flexibilisierung“ der Voraussetzungen des gutgläubigen Erwerbs führen, die sich insbesondere bei den Anforderungen an Nachforschungsobliegenheiten des Erwerbers zeigen. Durch die von der Rechtsprechung gebildeten Sorgfaltsanforderungen im Rahmen der Prüfung der Fahrlässigkeit haben sich die Voraussetzungen des gutgläubigen Erwerbs verschoben. Im Vordergrund der Betrachtung, ob der Erwerber gutgläubig Eigentum erworben hat, steht nicht mehr die Prüfung, ob objektiv ein Rechtsscheinträger (Besitz) und subjektiv ein Kenntnisstand vorliegt. Vielmehr beantwortet die Rechtsprechung die Frage vor dem Hintergrund des zu lösenden Interessenwiderstreits zwischen Eigentümer und Erwerber. Hierbei ist maßgeblich, ob der gutgläubige Erwerb rechtsethisch vertretbar ist.153 Der vom Gesetz (§  932 II BGB) geforderte Kenntnisstand des Erwerbers spielt nur eine geringe Rolle. Dagegen liegt der Schwerpunkt der Prüfung des gutgläubigen Erwerbs auf der Definition der Sorgfaltsanforderungen, die im Rahmen der groben Fahrlässigkeit im Hinblick auf den eigenen Kenntnisstand aufgestellt werden. Je höher die Nachforschungsobliegenheiten für den Erwerber sind, desto schwieriger wird für ihn ein gutgläubiger Erwerb. Da die Sorgfaltsanforderungen im Rahmen der groben Fahrlässigkeit stark ­individualisiert sind, können sie für jeden Einzelfall neu definiert werden. Die flexiblen Anforderungen an die Nachforschungsobliegenheiten eröffnen damit die Möglichkeit, die gegenläufigen Interessen von gutgläubigem Erwerber und ursprünglichem Eigentümer fall- und situationsbezogen auszuglei149  Wobei der Erfahrungsschatz eine wesentliche Rolle spielt: „versierter Geschäftsmann oder harmloser Zeitgenosse“, Baur/Stürner, Sachenrecht, 18.  A., 2009, §  52 C II (S.  674). 150  Bei der Verpfändung von Sachen an eine Pfandkreditanstalt handelt es sich nach dem BGH um ein Geschäft, bei dem an die Sorgfaltspflicht des Pfandgläubigers besondere Anforderungen zu stellen seien, weil erfahrungsgemäß mit einer Verpfändung durch Nichtberechtigte zu rechnen sei, BGH NJW 1982, 38, 39. 151  Ein Beispiel hierfür ist der Erwerb einer hochwertigen Geige am Hauptbahnhof deutlich unter Verkehrswert, OLG München, NJW 2003, 673. 152  Insbes. Staudinger/Wiegand, BGB, 2011, §  932 Rn.  37 ff.; Wiegand, JuS 1974, 201, 206 ff.; Wiegand, JuS 1978, 145, 148 f.; Soergel/Zimmermann, BGB, 13.  A., 2002, §  932 Rn.  24, 29; ausdrücklich hiergegen Ernst, FS Gernhuber, 1993, S.  95, 109. 153  Im Ergebnis ähnlich auch MünchKommBGB/Oechsler, 6.  A ., 2013, §  932 Rn.  30, jedoch insoweit einschränkend, dass durch die Erhöhung der Sorgfaltsanforderungen nicht der Erwerb vom Nichtberechtigten ausgeschlossen werden kann, weil dies der Zielsetzung der Norm zuwiderlaufen würde.

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§  7  Zerstörung von Vertrauen auf der Grundlage eines Kenntnisstandes

chen.154 Auf diese Weise machte die Rechtsprechung den gutgläubigen Erwerb nicht mehr von einem bestehenden Kenntnisstand abhängig, sondern von Wertungen, die in die Bildung des Fahrlässigkeitsmaßstabes eingeflossen sind. Besonders deutlich wird der fehlende Zusammenhang zwischen gutgläubigem Erwerb und einem entsprechenden Kenntnisstand, wenn die Rechtsprechung bei der Fahrlässigkeitsprüfung nur auf das Verhalten des Erwerbers und bei der Obliegenheit nur auf das Unterbleiben von Nachforschungen abstellt.155 Den Zusammenhang zwischen gutgläubigem Erwerb und der Vorstellung des Erwerbers verneint die Rechtsprechung156 vollständig, indem sie den Gegenbeweis versagt, dass die Versäumung an sich gebotener Nachforschungen auch bei Durchführung konkreter Nachforschungen den Mangel am Eigentum nicht offenbart hätte.157 Dadurch wird deutlich, dass es nach der Rechtsprechung weder auf einen tatsächlich vorliegenden Kenntnisstand noch auf einen hypothetischen Kenntnisstand ankommt, den der Erwerber „hätte haben müssen“, wenn er die Sorgfaltsanforderungen erfüllt und nachgeforscht hätte. (4)  Unabhängigkeit des gutgläubigen Erwerbs vom (hypothetischen) Kenntnisstand des Erwerbers Letztlich bleibt festzuhalten, dass sich das Kennenmüssen im Zusammenhang mit dem Erwerb vom Nichtberechtigten (§  932 II BGB) nicht mehr auf den Kenntnisstand selbst bezieht. Kennenmüssen ist die stärkste Individualisierung von Sorgfaltsanforderungen, weil durch die individuell zu bestimmenden Sorgfaltsanforderungen auf die speziellen Fertigkeiten und Möglichkeiten des Einzelnen einschließlich seines Erfahrungswissens158 abgestellt wird. 154 Soergel/Zimmermann,

BGB, 13.A., 2002, §  932 Rn.  29. Der insoweit auf eine Erfolgsorientierung abstellende Wortlaut des §  932 II BGB („infolge grober Fahrlässigkeit“) soll hinter der Zweckrichtung der Norm zurücktreten, vgl. Soergel/Zimmermann, BGB, 13.  A., 2002, §  932 Rn.  24. 156  So bereits RGZ 143, 14, 18 f.; BGH NJW 1991, 1415, 1417; BGH NJW 1994, 2022, 2024; OLG Schleswig NJW 2007, 3007, 3009. 157 Staudinger/Wiegand, BGB, 2011, §  932 Rn.  82 ff., weist auf den Unterschied zwischen Obliegenheitsverletzung und Verschulden hin und ergänzt, dass weder Verschulden noch Ursächlichkeit (i. S. v. Kausalität) entscheidend seien und es daher richtig sei, dass es nicht auf einen Erfolg der Nachforschungsobliegenheiten ankomme, sondern der Interessenwiderstreit zwischen Eigentümer und Erwerber auf die Weise gelöst werde, dass es zumindest auf den Versuch des Erwerbers ankomme, bei Zweifeln die wahre Rechtslage zu ermitteln. Dagegen wendet sich mit überzeugenden Argumenten Bartels, AcP 205 (2005), 687, 692 ff., und fordert, dass der Gegenbeweis fehlender Kausalität zwischen fehlender Nachforschung und Unkenntnis zugelassen werden müsse, da es andernfalls auf einen dem Zivilrecht sonst fremden Strafund Präventionscharakter der Obliegenheitsanforderungen hinausliefe. 158 Wenngleich dieses Erfahrungswissen gruppenspezifisch unterstellt wird (Gewerbetreibender o. ä.). Dabei kommt es jedoch immer darauf an, wie klein die jeweilige Gruppe gefasst wird, um zu dem gewünschten Ergebnis (Vorliegen grob fahrlässiger Unkenntnis) zu gelangen. 155 

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Welche Unsicherheiten sich aus der Bezugnahme auf Nachforschungsobliegenheiten anstatt auf den Kenntnisstand selbst ergeben, zeigt die Diskussion im Rahmen der Regelung des Erwerbs von GmbH-Geschäftsanteilen vom Nichtberechtigten. Der Gesetzgeber erkannte das Problem, dass bei einem Erwerb eines Geschäftsanteils regelmäßig eine aufwändige due diligence-Prüfung durch­zuführen sei, um festzustellen, ob der Veräußerer tatsächlich (noch) Inhaber des Geschäftsanteils ist und der Erwerber daher vom Berechtigen erwerben könne.159 Abhilfe sollte durch die Einführung der Möglichkeit des Erwerbs eines in der Gesellschafterliste ersichtlichen Geschäftsanteils vom Nichtberechtigten geschaffen werden. Der gutgläubige Erwerb ist möglich, wenn dem Erwerber die mangelnde Berechtigung bekannt oder infolge grober Fahrlässigkeit unbekannt geblieben ist, §  16 III 3 GmbHG. Nach den oben dargestellten Grundsätzen kann sich der Erwerber grundsätzlich auf den von der Gesellschafterliste ausgehenden Rechtsschein verlassen, ohne Nachprüfungen anstellen zu müssen. Nachforschungen sind nur dann anzustellen, wenn Tatsachen hinzutreten, die Zweifel an der Berechtigung aufkommen lassen.160 Für den Erwerber eines Geschäftsanteils wirkt sich dies jedoch negativ aus, wenn er – wie häufig – im Rahmen einer due diligence-Prüfung auf Tatsachen stößt, die Zweifel an der Berechtigung entstehen lassen können.161 Unterlässt er eine solche Prüfung gänzlich, muss er umgekehrt den Vorwurf grober Fahrlässigkeit fürchten, da er sich der eigenen Erkenntnis verschlossen hat. In diesem Teufelskreis162 gefangen, kann sich der Erwerber kaum richtig verhalten. Diese Unsicherheit steht dem erklärten Ziel der Neuregelung des gutgläubigen Erwerbs deutlich entgegen.163 (5)  Anfängliche Perpetuierung bestehender Nachforschungsobliegenheiten zur Verhinderung überzogener Anforderungen Eine Lösungsmöglichkeit könnte darin bestehen, die Nachforschungsobliegenheiten im Rahmen der Sorgfaltsanforderungen der groben Fahrlässigkeit nicht zu erhöhen, wenn der Erwerber Nachforschungen anstellt. Die Nachforschungsobliegenheiten müssen hierfür anfangs und vor dem Beginn der Informationsgewinnung definiert werden. Die Sorgfaltsanforderungen, die an einen Erwerber eines GmbH-Gesellschaftsanteils gestellt werden, richten sich danach, was nach den gesamten Umständen von jedermann beachtet worden wäre. Sie sind verletzt, wenn dasjenige unbeachtet geblieben ist, was im gegebenen Falle jedem hätte einleuchten müssen. Letzteres ist vor dem Kenntnisstand des 159 

Gesetzesbegründung des MoMiG vom 25.7.2007, BT-Drcks. 16/6140, S.  38 f. Mayer, DNotZ 2008, 403, 422; Rodewald, GmbHR 2009, 196, 197 f. 161  Müller, GmbHR 2006, 953, 956 f. 162  Müller, GmbHR 2006, 953, 956. 163  Herbarth, ZIP 2008, 57, 60; Kort, GmbHR 2006, 169, 176; Rodewald, GmbHR 2009, 196, 197 f. 160 

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§  7  Zerstörung von Vertrauen auf der Grundlage eines Kenntnisstandes

Erwerbers zu prüfen, der besteht, bevor er bereits mit den Nachforschungen begonnen hat. Ansonsten läuft man durch die Statuierung erweiterter Nachforschungsobliegenheiten Gefahr, dass der Vorsichtige, der nachfragt und sich informiert, höheren Sorgfaltsanforderungen unterworfen wird als der Sorglose, der von Anfang an nicht fragt und Bedenken gar nicht erst aufkommen lässt.

3. Ergebnis Regelmäßig setzen die Wirkungen eines Rechtsscheins objektiv einen Rechtsscheinträger und subjektiv das Bestehen eines speziellen Kenntnisstandes voraus. Die subjektive Komponente ist dabei eine negative Voraussetzung, denn sie ist auf das Nichtvorliegen eines Kenntnisstandes gerichtet. Die Verlässlichkeit des Rechtsscheinträgers beeinflusst sowohl die Stärke des Rechtsscheins als auch die Anforderungen an die subjektiven Voraussetzungen. Je stärker der Rechtsschein durch die Verlässlichkeit des Rechtsscheinträgers ist, desto höher sind auch regelmäßig die Anforderungen an die Wirkungen des Rechtsscheins ausschließende Kenntnisintensität und umgekehrt. Beispielsweise steht dem gutgläubigen Erwerb von Grundstücken nur die positive Kenntnis von der Unrichtigkeit des Grundbuchs (welches öffentlichen Glauben hat) entgegen, §  892 BGB. Dagegen ist der gutgläubige Erwerb von beweglichen Sachen bereits bei grob fahrlässiger Unkenntnis der Eigentumslage, wie sie sich aufgrund der Besitzverhältnisse zeigt, ausgeschlossen, weil der Besitz nicht verlässlich auf die Eigentumslage schließen lässt. Wird ein gutgläubiger Erwerb in subjektiver Hinsicht nur bei positiver Kenntnis ausgeschlossen (z. B. §  892 BGB), treten regelmäßig Probleme bei der Bestimmung des Bestehens der positiven Kenntnis auf. Die in §  892 BGB geforderte Kenntnis bezieht sich auf die Unrichtigkeit des Grundbuchs und somit auf eine Rechtskenntnis. Ähnlich verhält es sich bei der Kenntnis der Unrichtigkeit des Erbscheins gemäß §  2366 BGB. Bei der Bestimmung der Rechtskenntnis kommt es zu Schwierigkeiten, wenn der Erwerber zwar alle Tatsachen kennt, aus denen sich die Rechtskenntnis ergibt, er den rechtlichen Schluss (auf die Unrichtigkeit) jedoch nicht gezogen hat. In diesen Fällen liegt keine positive (Rechts-)Kenntnis vor. Ein Abstellen auf Nachforschungs- und Nachfrage­ obliegenheiten ist nicht möglich, da die positive Kenntnis nicht gleichbedeutend mit der grob fahrlässigen Unkenntnis ist und damit bei der Ermittlung des Kenntnisstandes keine Sorgfaltsanforderungen im Hinblick auf die Gestaltung des eigenen (Rechts-)Kenntnisstandes gestellt werden können. Bei der Bestimmung der positiven Kenntnis ist eine Orientierung an der Methodik der im Patentrecht üblichen Bestimmung der erfinderischen Tätigkeit möglich. Dabei sind allerdings nur die individuell vorhandenen Informationen und Fähigkeiten der betreffenden Person, auf deren Kenntnis es ankommt, zu unterstellen. Anschließend muss aus der Perspektive dieser gedachten Person

III.  Verschärfte Haftung bei Wissen um Rückgabeverpflichtung

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die Frage beantwortet werden, ob der Schluss von den bekannten tatsächlichen Umständen auf die tatbestandlich geforderte rechtliche Wertung dieser Umstände so nahelag, dass jeder andere in gleicher Situation und mit gleichem unterstellten Kenntnisstand und gleichen Fähigkeiten diesen Schluss ziehen würde. Dies ist abzugrenzen von der Frage, ob man diesen Schluss hätte ziehen können, denn damit wird ein Verschuldensvorwurf formuliert, der jedoch bloß für die grob fahrlässige Unkenntnis, nicht aber für die Bestimmung der positiven Kenntnis zulässig ist. Kennt der Erwerber alle Tatsachen, aus denen sich die Unrichtigkeit ohne Weiteres für jedermann ergibt und verschließt er sich bewusst der Kenntnis, kann ein treuwidriges Verhalten vorliegen, welches es dem Erwerber entsprechend §  162 I BGB versagt, sich auf die Unkenntnis zu berufen. Dies ist eine Wertentscheidung und keine Feststellung der Tatsache, ob Kenntnis vorliegt. Stehen einem gutgläubigen Erwerb in subjektiver Hinsicht sowohl die Kenntnis der Unrichtigkeit des Rechtsscheinträgers als auch grob fahrlässige Unkenntnis hiervon entgegen (wie beispielsweise bei §  932 II BGB), verlagern sich die Ausschlussgründe für die Rechtsscheinwirkungen von den subjektiven Elementen zu dem Ergebnis eines von der Vorstellung des Erwerbers weitgehend unabhängigen (objektiven) Interessenausgleiches. Die Sorgfaltsanforderungen im Rahmen der grob fahrlässigen Unkenntnis (in §  932 II BGB) werden situations- und fallabhängig definiert. Dabei steht der erforderliche Interessenausgleich zwischen Eigentümer und Erwerber (der von dem Verkehrsschutz profitiert) im Vordergrund. Die Abhängigkeit des gutgläubigen Erwerbs von der Vorstellung, die sich der Erwerber macht, ist weitgehend aufgehoben. Daher kommt der Bestimmung des tatsächlichen Kenntnisstandes in den Fällen, in denen auch die grob fahrlässige Unkenntnis den gutgläubigen Erwerb ausschließt, kaum Bedeutung zu.

III.  Verschärfte Haftung bei Wissen um Rückgabeverpflichtung 1.  Grund für Verschärfung oder Erleichterung der Haftung Die Kenntnis von der Rückgabeverpflichtung lässt häufig Haftungsprivilegien des Rückgabeverpflichteten entfallen. Die Privilegierung des Bereicherungsschuldners, sich auf Entreicherung zu berufen, ist gemäß §  819 I BGB ausgeschlossen, wenn der Empfänger den Mangel des rechtlichen Grundes kannte oder später erfährt. Er haftet dann ab Erlangung der Kenntnis wie ein verklagter Bereicherungsschuldner, §  819 I BGB. Bloßes Kennenmüssen des Mangels des rechtlichen Grundes reicht nicht aus. Die Haftung des Besitzers gemäß §  990 I BGB enthält ein gestuftes Haftungssystem. Primär wird auf den Zeitpunkt des Besitzerwerbs abgestellt: Ist

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§  7  Zerstörung von Vertrauen auf der Grundlage eines Kenntnisstandes

der Erwerber zu diesem Zeitpunkt bösgläubig (i. S. d. §  932 II BGB),164 haftet er gemäß §§  987, 989 BGB auf Herausgabe der Nutzungen und auf Schadensersatz. Ist er zu diesem Zeitpunkt nicht bösgläubig, so ist er wegen der Privilegierung des §  993 I Hs.  2 BGB weder zur Herausgabe von Nutzungen noch zum Schadensersatz verpflichtet. Dies ändert sich jedoch in dem Moment, in dem der ursprünglich gutgläubige Besitzer später positive Kenntnis von seiner fehlenden Berechtigung erlangt, §  990 I 2 BGB. Ein ebenso gestuftes System der Haftung in Abhängigkeit von der Kenntnis der fehlenden Berechtigung liegt der bereits angesprochenen Ersitzung (§  937 II BGB) zugrunde. Sowohl Rechtsprechung als auch Vertreter der Auffassung in der Literatur legen im Hinblick auf die Anforderungen an das Merkmal der positiven Kenntnis in §  819 I BGB,165 §  990 I 2 BGB166 und §  937 II Alt.  2 BGB167 dieselben Maßstäbe an. Die genannten Normen der gesetzlichen Schuldverhältnisse führen bei Vorliegen von Kenntnis zu einer verschärften Haftung des Verpflichteten. Auch in schuldrechtlichen Verhältnissen kommt es zu einer Haftungsverschärfung, die vom Kenntnisstand des Schuldners abhängig ist. Beispielsweise entfällt die Haftungsprivilegierung des Rücktrittsberechtigten, wenn er von dem Rücktrittsgrund Kenntnis hat: Grundsätzlich sind beim Rücktritt die empfangenen Leistungen gemäß §  346 I BGB zurückzugewähren, ohne dass es auf eine Kenntnis von der Rückgabeverpflichtung ankäme. Macht der Vertragspartner von einem gesetzlichen Rücktrittsrecht Gebrauch, ist seine Haftung gemäß §  346 III 1 Nr.  3 BGB und §  347 I 2 BGB beschränkt. Der Grund dieser Haftungsprivilegien liegt in dem Fehlen der Kenntnis der Rückgabeverpflichtung.168 Die Pflicht zur Herausgabe der Nutzungen ist beschränkt, da hinsichtlich der Ziehung der Nutzungen auf die Sorgfalt abzustellen ist, die der Verpflich­tete in eigenen Angelegenheiten anzuwenden pflegt, §  347 I 2 BGB. Außerdem entfällt die Pflicht zum Wertersatz im Fall des gesetzlichen Rücktrittsrechts wegen Verschlechterung oder Untergang der Sache, wenn der Verpflichtete die Sorgfalt beobachtet hat, die er in eigenen Angelegenheiten anzuwenden pflegt, §  346 III 1 Nr.  3 BGB bzw. wenn er die Sache bestimmungsgemäß in Gebrauch genommen hat, §  346 II 1 Nr.  3 Hs.  2 BGB. Der Grund für die Ausnahmen von der grundsätzlich bestehenden Haftung des Rückgewähr164 MünchKommBGB/Baldus,

6.  A., 2013, §  990 Rn.  5. BGH NJW 1996, 2652, 2653; OLG Hamm NJW-RR 1987, 882, 883; Heimann-Trosien, in: RGRK/BGB, 12.  A., 1989, §  819 Rn.  3 ; Staudinger/Lorenz, BGB, 2007, §  819 Rn.  6 ; ähnlich Reuter/Martinek, Ungerechtfertigte Bereicherung, 1983, §  18 II 2 a) (S.  642 ff.); Schilken, Wissens­zurechnung, 1983, S.  293 f. 166  BGH NJW 1958, 668; BGH NJW 1960, 1105, 1107; ferner BGH NJW 1996, 2030. 167  Für §  937 BGB wird regelmäßig auf die Rechtsprechung zu §  990 I 2 BGB Bezug genommen, vgl. MünchKommBGB/Baldus, 6.  A., 2013, §  937 Rn.  27 und Staudinger/Wiegand, BGB, 2011, §  937 Rn.  9 m. w. N. 168  BT-Drcks. 14/6040, S.  191 ff.; Staudinger/Kaiser, BGB, 2012, §  346 Rn.  182 f.; Kaiser, JZ 2001, 1057, 1062 ff. 165 

III.  Verschärfte Haftung bei Wissen um Rückgabeverpflichtung

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schuldners ist die Privilegierung desjenigen, der nicht mit der Rückgabeverpflichtung rechnete und auch nicht rechnen musste, d. h. keine Kenntnis von einer anstehenden Rückgabepflicht hatte.169 Dies unterscheidet ihn von dem Rückgewährschuldner bei einem vertraglichen Rücktrittsrecht.170 Derjenige, der keine Kenntnis von der Rückgabeverpflichtung hatte und auf die Entstehung der Rückgabeverpflichtung auch keinen Einfluss hatte, kann nach seinem Belieben mit dem Gegenstand verfahren. Dabei reduziert sich der Haftungsmaßstab auf die eigenübliche Sorgfalt. Dies ist letztlich Ausdruck der grundsätzlich dem Eigentümer zugewiesenen umfassenden Rechtsmacht, mit seinem Eigentum nach seinem Belieben frei verfahren zu können (§  903 S.  1 BGB), ­insbesondere dann, wenn er nichts von der Rückgabepflicht (d. h. seiner nur vorübergehend bestehenden Eigentümerstellung) wissen konnte. Ein ähnliches Bild zeigt sich bei den Ersitzungsvorschriften. Derjenige, der auf sein Eigentum längere Zeit vertraute und die Sache wie seine eigene behandelte (und entsprechend beim Umgang mit ihr nur die eigenübliche Sorgfalt anwandte), wird durch die Ersitzung privilegiert, indem „das Rechtliche dem Faktischen folgt“.171 Allein eine solche Behandlung der Sache als „seine eigene“ kann nicht zu einer Änderung der Rechtszuordnung führen. Nur wenn diese Behandlung der Sache als seine eigene ohne eigenes Wissen von der entgegenstehenden rechtlichen Güterzuordnung erfolgte, ist eine Ersitzung überhaupt möglich. Entsprechendes gilt für die Haftungsverschärfung bei der Rückgabeverpflichtung in gesetzlichen Schuldverhältnissen, wie etwa dem Bereicherungsanspruch. Kennt der Verpflichtete die Rückgabepflicht, kann er sich nicht darauf verlassen, mit „seinem“ Eigentum wie ein Eigentümer nach seinem Belieben verfahren zu können.172 Dies gilt letztlich auch für den Fall späterer Kenntnis von der Rückgabepflicht im Rahmen des Eigentümer-Besitzer-Verhältnisses.

169 Staudinger/Kaiser,

BGB, 2012, §  346 Rn.  183 m. w. N. Gleiches gilt für die Folgen eines Widerrufs gemäß § 355 I BGB, denn der Widerrufende hat für den beim Gebrauch der Ware eintretenden Wertverlust Ersatz zu leisten, wenn dieser über die Prüfung der Ware hinausgeht, § 357 VII BGB. Der Widerrufende weiß in dem Moment, dass er die Ware nicht behalten will und somit verschärft haftet. 171  Die Ersitzung beruht auf dem Beharrungsinteresse des Eigenbesitzers, vgl. Baur/Stürner, Sachenrecht, 18.  A., 2009, §  53 Rn.  85; Bamberger/Roth/Kindl, BeckOK/BGB, 37. Ed., 2015, §  937 Rn.  1. 172  Probst, AcP 196 (1996), 225, 253, sieht daher zu Recht den Regelungsgrund des §  819 I BGB darin, dass der Zuwendungsempfänger die Fremdheit der Zuwendung missachtete, obwohl ihm wenigstens im Ergebnis die Verpflichtung zur Rückgabe bekannt war. Ähnliche rechtspolitische Rechtfertigung Koppensteiner/Kramer, Ungerechtfertigte Bereicherung, 2.  A., 1988, §  15 I 1 (S.  143). 170 

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§  7  Zerstörung von Vertrauen auf der Grundlage eines Kenntnisstandes

2.  Kenntnis als subjektives Tatbestandsmerkmal oder „objektive Kenntnis“ als Haftungsgrund – Der normative Maßstab des redlich Denkenden a.  Normativer Ausgangspunkt: Kenntnis ist kein Kennenmüssen Das Merkmal der Kenntnis wird in den sachen- und bereicherungsrechtlichen Normen teilweise unterschiedlich, teilweise aber auch in gleicher Weise gebraucht. Nach §  819 I BGB haftet der Empfänger einer Leistung wie der auf Herausgabe Verklagte, wenn er den Mangel des rechtlichen Grundes zum Zeitpunkt des Empfangs oder danach kennt. Es kommt daher nur auf die positive Kenntnis an. Eine Differenzierung nach dem Zeitpunkt und der Intensität der Kenntnis enthält §  819 I BGB nicht. Dagegen reicht bei der Haftungsverschärfung gemäß §  990 I 1 BGB beim Erhalt der Sache bereits grob fahrlässige Unkenntnis aus. Hierbei wird auf den guten Glauben abgestellt, der in §  932 II BGB definiert ist. War der Besitzer beim Erwerb nicht aufgrund grober Fahrlässigkeit hinsichtlich des fehlenden Rechts zum Besitz in Unkenntnis, so haftet er erst dann verschärft, wenn er nachträglich positive Kenntnis von dem Fehlen seines Besitzrechts erhält. Eine solche Stufung der Voraussetzungen enthält auch §  937 BGB für die Ersitzung. Der Grund für die gestuften Anforderungen hinsichtlich der relevanten Kenntnis, die zu einer stärkeren Haftung führt oder den Rechtserwerb ausschließt, ist die Überlegung, dass derjenige, der die Sache erhält, Vorsicht walten lassen soll. Dies wird dadurch erreicht, dass die subjektiven Anforderungen verschärft werden, die zu der stärkeren Haftung oder dem Ausschluss des Rechtserwerbs führen. Neben der positiven Kenntnis reicht gemäß §  937 II Alt.  2 BGB und §  990 I 1 BGB bei Erhalt der Sache bereits das Vorliegen grob fahrlässiger Unkenntnis aus. Diese liegt insbesondere dann vor, wenn bestehende Nachforschungsobliegenheiten verletzt wurden. Solche Nachforschungsobliegenheiten treffen allerdings denjenigen nicht mehr, der die Sache bereits in Besitz hat und bei der Besitzerlangung gutgläubig war (arg. ex §  937 II BGB §  990 I 2 BGB).173 Die in §  819 I BGB angeordnete verschärfte Haftung führt nicht zu einer anfänglichen Prüfungsobliegenheit. Der Empfänger haftet nur dann verschärft, wenn er positive Kenntnis vom Fehlen des Rechtsgrundes hat. Dies erklärt sich daraus, dass der Erwerb der Sache im Sinne des §  819 I BGB bei der Leistungskondiktion174 im Gegensatz zu der Situation in §  990 I 2 BGB mit dem Willen des Bereicherungsgläubigers erfolgt.175 Die von §  819 I BGB nicht erfasste 173  Zu §  937 BGB ausdrücklich in Prot. III 3749 f., abgedr. in Mugdan, Materialien zum BGB, Band 3, 1899, Nachdr. 1979, S.  6 40. 174  Hieraus schließen Koppensteiner/Kramer, Ungerechtfertigte Bereicherung, 2.  A ., 1988, §  15 I 2 b) (S.  143 f.), dass bei der Eingriffskondiktion auch grob fahrlässige Unkenntnis ausreiche; hiergegen aber u. a. MünchKommBGB/Schwab, 6.  A., 2013, §  819 Rn.  13 (m. w. N.). 175 Ähnlich Peters, AcP 205 (2005), 159, 192.

III.  Verschärfte Haftung bei Wissen um Rückgabeverpflichtung

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Gleichstellung von positiver Kenntnis mit grob fahrlässiger Unkenntnis bedeutet, dass §  819 I BGB keine Erkundigungspflichten des Erwerbers statuiert.176 Nach der Gesetzesbegründung ist dies bei §  990 I BGB anders als bei §  819 I BGB, denn bei §  990 I BGB erfolgt der Besitzerwerb nicht zwangsläufig mit dem Willen des Anspruchsinhabers. Daher kommt es bei §  819 I BGB nur auf positive Kenntnis an, denn der Bereicherungsschuldner erhält die Sache von dem Schuldner im Gegensatz zu den typischen Fällen des §§  990 I, 937 BGB freiwillig. Nach der Gesetzesbegründung sollte durch diese Fassung des §  819 I BGB auch die „oft schwierige Unterscheidung zwischen Kenntnis und grobfahrlässiger Unkenntnis“ vermieden werden.177 b.  Tatsachen- und / oder Rechtskenntnis Das Verständnis des Merkmals der relevanten Kenntnis im Sinne von §  819 I BGB ist sehr strittig, weil es bei §  819 I BGB nur auf die positive Kenntnis und nicht (auch nicht zu verschiedenen Zeitpunkten wie in §§  990 I 2, 937 II BGB) auf bloßes Kennenmüssen ankommt. Der Diskussion liegt hauptsächlich die Streitfrage zugrunde, was Gegenstand der relevanten Kenntnis ist. In Betracht kommen sowohl die Rechtskenntnis als auch die Tatsachenkenntnis, aus der die Rechtskenntnis (der Mangel des Rechtsgrundes) abgeleitet werden kann. Das Verhältnis der zwei in Betracht kommenden Gegenstände der Kenntnis ist ebenfalls umstritten. §  819 I BGB fordert, dass „der Empfänger den Mangel des rechtlichen Grundes“ kennt. Dies setzt nach überwiegender Meinung zumindest die Kenntnis derjenigen Tatsachen voraus, die zu dem Fehlen des rechtlichen Grundes führen.178 Martinek179 vertritt unter Hinweis auf andere Stimmen in der Literatur180 , dass die Kenntnis der der Rechtskenntnis zugrunde liegenden Tatsachen sogar gänzlich überflüssig sei. Die Ansicht, auf die Bezug genommen wird, beruht auf einer sprachlich sehr weit gefassten Gleichbehandlung von demjenigen, der Kenntnis vom fehlenden Rechtsgrund hat und demjenigen, der keine Kenntnis von dem fehlenden Rechtsgrund hat und diese nur deshalb nicht hat, weil er den rechtlichen Schluss auf den fehlenden Rechtsgrund nicht zieht. Derjenige, der den rechtlichen Schluss aus den ihm bekannten Tatsachen nicht ziehe, „ignoriere“ die Tatsachen, die zu dem rechtlichen Grund führen. Allerdings ver176 Prot. III 3962 f., abgedr. in Mugdan, Materialien zum BGB, Band 3, 1899, Nachdr. 1979, S.  678. 177  Prot. III 3963, abgedr. in Mugdan, Materialien zum BGB, Band 3, 1899, Nachdr. 1979, S.  678 f. 178 Staudinger/Lorenz, BGB, 2007, §   819 Rn.  6 m. w. N.; anders allerdings Martinek, JZ 1996, 1099, 1102. 179  Martinek, JZ 1996, 1099, 1100, der in diesem Zusammenhang von einer „erweiterten Fiktionstheorie“ spricht. 180  Larenz/Canaris, SchuldR II/2, 13.   A., 1994, §  73 II 1a (S.  309 ff.); nachfolgend auch Staudinger/Lorenz, BGB, 2007, §  819 Rn.  6 .

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§  7  Zerstörung von Vertrauen auf der Grundlage eines Kenntnisstandes

weisen auch die Vertreter dieser Meinung darauf, dass §  819 I BGB als Bezugspunkt der Kenntnis die „Rechts“-lage benennt. Daher kann aus dem Verweis auf das Ignorieren von Tatsachen nicht auf die fehlende Notwendigkeit des Vorliegens dieser Tatsachen geschlossen werden. Die Kenntnis der der Rechtskenntnis zugrunde liegenden Tatsachen ist daher auf jeden Fall erforderlich. Im Kern geht es bei der Diskussion über die relevante Kenntnis weniger um das Fehlen der Tatsachenkenntnis als vielmehr um das Fehlen der Rechtskenntnis im Hinblick auf den Mangel des rechtlichen Grundes (§  819 I BGB), das fehlende Besitzrecht (§  990 I 2 BGB) oder das fehlende Eigentum (§  937 BGB). Kenntnis von dem fehlenden Recht setzt regelmäßig voraus, dass bei bestehender Tatsachenkenntnis die rechtliche Bewertung mit der entsprechenden rechtlichen Folgerung getroffen wurde; beispielsweise im Fall des §  819 I BGB, dass es an einem Rechtsgrund mangelt. Die Diskussion181 ist von Billigkeitserwägungen beeinflusst. Die Festlegung der Anforderungen an die Rechtskenntnis ist von dem einheitlichen Bestreben gekennzeichnet, dass es zu keiner Ungleichbehandlung des sorgfältigen und juristisch geschulten Bereicherungsschuldners und desjenigen, der sich keine Gedanken über die Nichtigkeitsfolge macht oder zu einer rechtlich zutreffenden Beurteilung außerstande ist, kommen darf.182 Die Anforderungen an die subjektiven Voraussetzungen für §  819 I BGB werden allerdings unterschiedlich beurteilt. Im Wesentlichen kann man die hierzu vertretenen Meinungen in zwei Gruppen einteilen. Überwiegend wird eine Gleichstellung von demjenigen Bereicherungsschuldner angestrebt, der Rechtskenntnis hat, und demjenigen, der sie nicht hat, aber haben würde, wenn ein redlich Denkender in gleicher Situation und mit gleicher Erkenntnismöglichkeit die Rechtskenntnis hätte.183 Die Anforderungen an die Erkenntnisfähigkeit des redlich Denkenden sind wiederum umstritten (unten (1)). Teilweise wird auch vertreten, es komme überhaupt nicht auf die subjektiven Umstände an, sondern die Kenntnis sei nach einer bloß objektiv-normativen Methode zu bestimmen (unten (2)).184 (1)  Äquipollenz der tatbestandlich geforderten Kenntnis mit der Kenntnis eines redlich Denkenden in gleicher Situation Will man denjenigen, der keine (nachgewiesene) relevante Kenntnis von dem Mangel des rechtlichen Grundes hat, mit demjenigen, der die Kenntnis hat, gleichstellen, damit man beide im Hinblick auf die Rechtsfolge gleich behandeln 181  Das bis dahin zu verzeichnende Meinungsspektrum wird umfassend wiedergegeben von Martinek, JZ 1996, 1099 ff. 182  Exemplarisch hierzu BGH NJW 1996, 2652, 2653. 183 MünchKommBGB/Schwab, 6.  A ., 2013, §  819 Rn.  13; Staudinger/Lorenz, BGB, 2007, §  819 Rn.  6 ; BGH NJW 1958, 668; BGH NJW 1960, 1105, 1107. 184  Martinek, JZ 1996, 1099, 1101 ff. und vermeintlich OLG Hamm NJW 1977, 1824.

III.  Verschärfte Haftung bei Wissen um Rückgabeverpflichtung

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kann, verlagert sich die entscheidende Frage nach den tatbestandlichen ­Voraus­setzungen (Bestehen von Kenntnis) in den Bereich der Frage nach der Geltung der Rechtsfolge (Möglichkeit der Gleichstellung). Die herrschende Ansicht185 betont den notwendigen Ausgangspunkt der Überlegungen: Es handelt es sich bei der Kenntnis nicht um grob fahrlässige Unkenntnis. Daher kann das Merkmal der Kenntnis auch nicht durch die Statuierung von Sorgfaltsanforderungen definiert werden. Probst186 vertritt, dass die Kenntnis des Bereicherungsschuldners gemäß §  819 I BGB dann anzu­ nehmen sei, wenn eine Obliegenheit des Leistungsempfängers verletzt wurde. Danach muss der Empfänger bei Erhalt der Leistung die eigene Berechtigung für das Behaltendürfen prüfen.187 Nach dieser Ansicht ist eine entsprechende (generelle) Prüfungsobliegenheit sachbereichsspezifisch vorzusehen.188 Zur Begründung wird angeführt, dass auch in anderen Bereichen für den Empfänger einer Leistung zahlreiche Obliegenheiten statuiert sind. Ein Beispiel189 hierfür ist die Obliegenheit der Kontrolle von Kontoauszügen,190 deren Nichtbeachtung die Rückbuchung von Fehlbuchungen nach Ablauf der Einwendungsfrist ausschließt. Ein weiteres Beispiel191 für eine solche sachbereichsspezifische Obliegenheit ist die rechtsgrundlose Überzahlung des Arbeitslohns. In diesen Fällen reiche bereits die Erkennbarkeit bzw. das Kennenmüssen der Rechtsgrundlosigkeit aus, um die verschärfte Haftung auszulösen.192 Ihnen ist gemein, dass sie für Rechtssicherheit sorgen, indem Vermögensverschiebungen bei Nicht­ beachtung der Obliegenheit endgültig werden. In der überwiegenden Literatur193 fand allerdings der Versuch keine Zustimmung, die genannten Prüfungsobliegenheiten aus spezifischen Bereichen (Zahlungsverkehr, Arbeitsrecht) in das Bereicherungsrecht zu übertragen. Dies ist nachvollziehbar, denn mit der Statuierung einer bereicherungsrechtlichen Prüfungsobliegenheit würde man sich in Widerspruch mit dem erklärten Willen des Gesetzgebers setzen, der sol185 Statt vieler Staudinger/Lorenz, BGB, 2007, §   819 Rn.  6; MünchKommBGB/Schwab, 6.  A., 2013, §  819 Rn.  13. 186  Probst, AcP 196 (1996), 225 ff. 187  Zuzugestehen ist diesem Gedanken, dass zumindest der Ausgangspunkt eine Stütze in den Gesetzesmaterialien findet, wenn im Zusammenhang mit dem Erhalt der nicht geschuldeten Leistung in Kenntnis des Empfängers von der Nichtschuld ein Hinweis auf „das dann vorliegende zivilrechtliche Delikt“ vorliegt, welches ein Verschulden voraussetzt, vgl. Mot. II 469, abgedr. in Mugdan, Materialien zum BGB, Band 2, 1899, Nachdr. 1979, S.  840 ff. 188  Probst, AcP 196 (1996), 225, 252. 189  Zahlreiche weitere Beispiele nennt Probst, AcP 196 (1996), 225, 239 ff. aus dem Bereich des Unterhaltsrechts und der fehlerhaften Gesellschaft. 190  BGH NJW 1978, 2149, 2150. 191  BAG AP BGB §  394 Nr.  5 ; BAG AP BGB §  819 Nr.  1. 192  Probst, AcP 196 (1996), 225, 253. 193 Staudinger/Lorenz, BGB, 2007, §  819 Rn.  6 a. E.; Martinek, JZ 1996, 1099, 1100; Reuter/ Martinek, Ungerechtfertigte Bereicherung, 1983, §  18 II 2 e) (S.  6 48 ff.); Blaurock, NJW 1984, 1, 2 f.; MünchKommBGB/Schwab, 6.  A., 2013, §  819 Rn.  13.

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che Prüfungspflichten beim Erhalt der Leistung gerade nicht vorsehen wollte.194 Mit einer solchen Prüfungsobliegenheit würde vielmehr das bereicherungsrechtliche Haftungsgefüge ausgehebelt werden.195 Weitere in der Literatur entwickelte Definitionen der Kenntnis beruhen nicht auf der Statuierung von Obliegenheiten, sondern stellen auf das Rechtsgefühl des Betroffenen ab. Die risikoerhöhende Haftungsverschärfung, die als Folge von Kenntnis gemäß §  819 I BGB eintritt, ist nach diesen Auffassungen196 bereits dann gerechtfertigt, wenn der Zuwendungsempfänger die Rechtsgrundlosigkeit der Zuwendung missachtet, obwohl ihm im Ergebnis die Verpflichtung zur Rückgabe bekannt ist oder er sich aus „Rechtsblindheit“ dieser Erkenntnis verschließt. Bei Tatsachenkenntnis reicht daher bereits „das etwas unscharfe Bewußtsein“, dass der Bereicherungsschuldner „nicht mehr im Recht“ ist, d. h. dass der Bereicherungsschuldner „irgendwie“ Bedenken hinsichtlich der Rechtmäßigkeit der Vermögensverschiebung bekommt.197 Dagegen spricht, dass vorausgesetzt wird, dass der Betroffene ein im Kern „intaktes Rechtsempfinden“ hat.198 Die Rechtsprechung199 und einige Stimmen in der Literatur200 gehen noch einen Schritt weiter und bestimmen die Voraussetzungen der Kenntnis vor dem Sinn und Zweck von §  819 I BGB als eine die Haftung verschärfende Norm, die einen Schutz des Schuldners entfallen lasse. Danach verdient auch derjenige keinen Schutz, „der nur die Tatsachen kennt, aufgrund derer sich die Rechtsgrundlosigkeit seines Erwerbs aufdrängt“.201 Beide Ansichten stellen bei der Bestimmung, wann sich aus den Tatsachen die Rechtsgrundlosigkeit aufdrängt, nicht auf einen kognitiven Zustand des Einzelnen ab. Vielmehr ist maßgeblich, ob sich der Schuldner der eigenen (relevanten) Kenntnis bewusst verschlossen hat. Dabei ist ein Vergleichsmaßstab zu bilden. Es entscheidet nicht die Sichtweise des Einzelnen, ob er in der Lage war, den 194  Prot. III 3962 f., abgedr. in Mugdan, Materialien zum BGB, Band 3, 1899, Nachdr. 1979, S.  678. 195  Martinek, JZ 1996, 1099, 1100. 196  Mayer-Maly, FS Heinrich Lange, 1970, S.  293, 301 f. Hierauf verweist auch Probst, AcP 196 (1996), 225, 253 (Fn.  144) und sieht dies als Bestätigung der möglichen Begründung der Prüfungsobliegenheiten an. Differenzierend Peters, AcP 205 (2005), 159, 192, der im Rahmen von §  819 I BGB die Wertungen des Sphärenmodells in §  280 I 2 BGB als vertragliche Konzeption mit Rücksichtnahmepflichten in das Bereicherungsrecht übertragen will und damit zu dem Ergebnis kommt, dass bei auftretenden Zweifeln diesen auch nachzugehen sei. 197  BGH NJW 1996, 2652, 2653 unter Bezugnahme auf Mayer-Maly, FS Heinrich Lange, 1970, S.  293, 301. 198  Martinek, JZ 1996, 1099, 1001; Reuter/Martinek, Ungerechtfertigte Bereicherung, 1983, §  18 II 2 a) (S.  6 42 ff.). 199  BGH NJW 1996, 2652 m. w. N. 200 MünchKommBGB/Schwab, 6.   A., 2013, §  819 Rn.  2; Schilken, Wissenszurechnung, 1983, S.  292 ff. 201  Unter anderem BGH NJW 1996, 2652, 2653, allerdings unter unverständlicher Berufung auf Reuter/Martinek, Ungerechtfertigte Bereicherung, 1983, §  18 II 3 (S.  650) (betrifft einen anderen Fall).

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Schluss von den Tatsachen auf die Rechtsfolge zu ziehen, sondern die Sichtweise eines „redlichen Dritten“. Es wird gefragt, wie sich dieser gedachte Dritte in Kenntnis der Tatsachen und vom eigenen Vorteil unbeeinflusst verhalten hätte.202 Dieser Maßstab ist vom Standpunkt des redlichen Verkehrs aus zu beurteilen.203 Die Rechtsprechung verfolgt damit das Ziel, denjenigen, der sich der Einsicht des Fehlens des rechtlichen Grundes bewusst zur Sicherung seiner Vorteile verschließt, mit demjenigen gleich zu behandeln, der sich dieser Einsicht öffnet (sog. Gleichstellungslösung).204 (2)  Objektiv-normative Sichtweise ohne Berücksichtigung subjektiver Vorstellungen Martinek bezeichnet die von der Rechtsprechung favorisierte Gleichstellungslösung als „Fiktionstheorie“, weil nur die Rechtsfolgen des §  819 I BGB angewandt werden, ohne dass es auf das tatsächliche Vorliegen der Voraussetzung der Kenntnis überhaupt ankäme.205 Er lehnt die von der Rechtsprechung vertretene Gleichstellung ab und favorisiert stattdessen eine von subjektiven Vorstellungen des Bereicherungsschuldners unabhängige Bestimmung des Merkmals der Kenntnis vom Mangel des rechtlichen Grundes. Nach dieser Ansicht ist schon der Gegenstand der Kenntnis auf Tatsachen reduziert und bezieht sich nicht auf die sich daraus ergebenden Rechtsfolgen. Die Kenntnis erstreckt sich nach dem Gesetz (§  819 I BGB) auf „den rechtlichen Grund“, an dem es mangelt, und nicht auf die daraus folgende Herausgabepflicht. Daher brauche eine rechtliche Wertung durch den Einzelnen nicht erfolgen. Die Tatsachen, aus denen sich das Behaltendürfen ergibt, bildeten den rechtlichen Grund.206 Etwas abgeschwächter formuliert reiche daher die Tatsachenkenntnis für die Kenntnis des mangelnden rechtlichen Grundes aus, wenn ein objektiv Denkender bei Kenntnis der Tatsachen von dem Fehlen des rechtlichen Grundes überzeugt ist.207 Aus diesem Grund komme es nur auf die objektive Lage und nicht auf die 202  BGH NJW 1996, 2652, 2653; BGH NJW 1958, 668; BGH NJW 1960, 1105; BGH NJW 1996, 2030. 203  BGH NJW 1960, 1105; BGH NJW 1996, 2652, 2653. 204  So ausdrücklich BGH NJW 1996, 2652, 2653. 205  Martinek, JZ 1996, 1099, 1100. 206  Martinek, JZ 1996, 1099, 1102. 207  Schreiber, JuS 1978, 230, 231 als Anmerkung zu OLG Hamm NJW 1977, 1824. Dieses Urteil ist die einzige Stütze in der Rechtsprechung für den rein objektiven Ansatz, wobei sich dem Urteil selbst diese klare Aussage nicht unmittelbar entnehmen lässt. Es wird festgestellt, dass die Kenntnis des Bereicherungsschuldners vom fehlenden rechtlichen Grund vorliege, es aber auf die konkreten Vorstellungen nicht ankomme, sondern vielmehr auf die „Überzeugung eines objektiv Denkenden“. Der daraus verkürzt formulierte Leitsatz, dass „die Kenntnis des Bereicherungsschuldners vom Mangel des rechtlichen Grundes […] objektiv zu bestimmen“ sei, erfasst daher die Argumentation nur unvollständig und verstellt den Blick auf die in Übereinstimmung mit den vom BGH angewandten Grundsätzen, dass es auf den objektiv Denkenden ankomme (der vom eigenen Vorteil unbeeinflusst – d. h. objektiv – die Schlüsse zieht).

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subjektive Vorstellung des Einzelnen an. Dies entspreche der kondiktionsrechtlichen Funktion eines objektiven Interessenausgleichs.208 Eine solche objektive Bestimmung der relevanten Kenntnis umgeht das Problem, das die Gleichstellungslösung der Rechtsprechung regelmäßig aufwirft: Die schwierige Grenzziehung zwischen der Feststellung positiver Kenntnis und der für §  819 I BGB nicht genügenden grob fahrlässigen Unkenntnis ist überflüssig, wenn auf das Bestehen subjektiver Schuldvorwürfe konsequent verzichtet wird.209 Einer vollkommenen Verobjektivierung der für §  819 I BGB notwendigen Kenntnis steht ein entscheidender Punkt entgegen. Es wird bei der Verobjektivierung maßgeblich darauf abgestellt, dass der Verweis in §  819 I BGB auf diejenige Haftung, die bestehen würde, wenn der Anspruch auf Herausgabe rechtshängig geworden wäre, eine Gleichstellung mit der Haftung des verklagten Herausgabeverpflichteten bedeute.210 Bei der Haftung des verklagten Herausgabeverpflichteten liege auch keine Kenntnis des Betroffenen vor, dass er tatsächlich die Herausgabe schulde, da das Prozessergebnis ja noch offen sei.211 Dies ist zwar zutreffend, allerdings geht die Folgerung daraus zu weit, dass es bei dem „nur“ wissenden (unverklagten) Schuldner ebenfalls nicht auf die Rechtskenntnis der Herausgabepflicht ankommen könne. Die in §  819 I BGB geforderte Kenntnis ist kein Merkmal, das dem der erhobenen Klage im Hinblick auf den Kenntnisstand gleichsteht. Die Gleichstellung bezieht sich nur auf die ebenfalls entfallende Haftungsprivilegierung. Die Gleichstellung erfolgt auf Rechtsfolgenseite, nicht auf tatbestandlich angeordneter Gleichstellung von Kenntnis und dem Zustand des Verklagtseins. Dieses Ergebnis lässt sich aus den Beratungen 212 des Gesetzgebers über §  741 BGB-E (Vorgängernorm zu §  819 BGB) herleiten. Die Bevorzugung der Stellung des Empfängers im Vergleich zu der sonstigen Haftung, d. h. die Haftungsprivilegierung, endet mit Eintritt der Rechtshängigkeit des Rückforderungsanspruchs. Die Gesetzesbegründung zu §  741 BGB-E bezeichnet diesen Zeitpunkt als „Fixierung“ der Verpflichtung des Empfängers. Diese Fixierung werde außer durch Rechtshängigkeit auch durch den Eintritt nachträglicher Bösgläubigkeit bewirkt, allerdings nur, „wenn zugleich die in §  741 bestimmten subjektiven Voraussetzungen der mala fides superveniens vorhanden sind“.213 Bereits daraus ergibt sich, dass die Kenntnis im Hinblick auf die subjektiven Anforderungen an den Bereicherungsschuldner nicht mit der Situation gleichgesetzt werden kann, in der der Herausgabever208 

Martinek, JZ 1996, 1099, 1101. Martinek, JZ 1996, 1099, 1101. 210  Martinek, JZ 1996, 1099, 1101. 211  Martinek, JZ 1996, 1099, 1101. 212  Mot. II 468, abgedr. in Mugdan, Materialien zum BGB, Band 2, 1899, Nachdr. 1979, S.  838. 213  Mot. II 468, abgedr. in Mugdan, Materialien zum BGB, Band 2, 1899, Nachdr. 1979, S.  838. 209 

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pflichtete verklagt ist, sondern die Kenntnis gerade als zusätzliches, nicht als bedeutungsgleiches Merkmal hinzukommen soll. (3)  Generelle Überflüssigkeit des subjektiven Tatbestandsmerkmals bei seiner objektiven Bestimmung? Allgemein dient die Anwendung objektiver Kriterien, die zum Ausgleich eines Interessenwiderstreits führen, der Rechtssicherheit. Subjektive Kriterien erschweren dagegen die Vorhersagbarkeit von Entscheidungen, weil diese von den Eigenheiten des jeweiligen Einzelfalls und den Fähigkeiten des Einzelnen im Hinblick auf dessen Wahrnehmungsfähigkeit und teilweise auch von seiner Erkenntnisfähigkeit abhängig sind. So wünschenswert die Anwendung rein objektiver Kriterien auch ist, können jedoch die vom Gesetz vorgegebenen Anforderungen nicht außer Acht gelassen werden. Nach §  819 I BGB ist die Kenntnis vom Mangel des rechtlichen Grundes für die Haftungsverschärfung relevant. Die von der Rechtsprechung214 vorgenommene Gleichstellung desjenigen, der sich der Einsicht des Fehlens des rechtlichen Grundes zur Sicherung seiner Vorteile bewusst verschließt, mit demjenigen, der sich dieser Einsicht öffnet, kann nicht dahingehend verallgemeinert werden, dass es auf subjektive Elemente für die Haftungsverschärfung gemäß §  819 I BGB überhaupt nicht ankomme. Vielmehr handelt es sich bei dieser Gleichstellung um Einzelfälle, in denen die Rechtsfolge der Haftungsverschärfung gemäß §  819 I BGB gilt, obwohl die Kenntnis von dem Mangel des rechtlichen Grundes nicht vorliegt. Bei diesen Einzelfällen handelt es sich um Ausnahmen von dem Grundsatz der generellen Beachtlichkeit des Kenntnisstandes des Bereicherungsschuldners. Die Rechtsprechung stellt für die Gleichstellung zudem weitere Anforderungen auf. Der Bereicherungsschuldner haftet nur dann ebenso wie derjenige, der Kenntnis von dem Fehlen des Rechtsgrundes hat, wenn die Beurteilung durch einen Dritten dazu führt, dass der Dritte als Bereicherungsschuldner, der Kenntnis von den Tatsachen hat, auf die Rechtsfolge schließen würde und damit die für §  819 I BGB relevante Kenntnis hat. Hierdurch wird jedoch das Tatbestandsmerkmal der Kenntnis in §  819 I BGB nicht obsolet, sondern es wird aus der Sicht eines gedachten objektiven Dritten die Beurteilung vorgenommen, ob er in Kenntnis der Tatsachen auf die Rechtsfolge schließen würde. Verobjektiviert wird dabei nur die Fähigkeit, von den Tatsachen auf die Rechtsfolge (Fehlen des Rechtsgrundes) zu schließen. Nur die Fähigkeiten des Dritten werden objektiv bestimmt, weil der Dritte dabei unter anderem die Beeinflussung durch den eigenen Vorteil bei dem Schluss von den Tatsachen auf die (für ihn ungünstige) Rechtsfolge ausblendet. Aus einer solchermaßen teilweise verobjektivierten Vorgehensweise wird das subjektive Merkmal jedoch nicht überflüssig bzw. generell durch rein objektive Anforderungen ersetzt. 214 

Ausdrücklich BGH NJW 1996, 2652, 2653 m. w. N.

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§  7  Zerstörung von Vertrauen auf der Grundlage eines Kenntnisstandes

c.  Trennung der tatbestandlichen Anforderungen an den „objektiven Dritten“ von ergebnisorientierten Wertungskriterien Bei der Bestimmung der für §  819 I BGB tatbestandlich geforderten Kenntnis des Bereicherungsschuldners wird insbesondere bei der Vorgehensweise der Rechtsprechung und der hierzu vertretenen Literatur deutlich, dass das Tat­ bestandselement regelmäßig dafür gebraucht wird, um ergebnisorientierte Wertungen einfließen zu lassen. Bei der Prüfung des Vorliegens der von der Norm geforderten Kenntnis sind zwei Vorschläge zu unterscheiden. (1)  Verdrängung subjektiver Unwägbarkeiten durch rechtsfolgenseitige Gleichbehandlung Die subjektive Befassung des Bereicherungsschuldners mit der Frage des Behaltendürfens ist regelmäßig von seinem eigenen Interesse geprägt, ob er die Leistung des (vermeintlichen) Schuldners behalten darf. Dies führt in der Regel dazu, dass er sich kaum darauf einlassen wird, über den nur ihm bekannten (und bei dessen Vorliegen für ihn belastenden) Kenntnisstand Auskunft zu geben. In der Situation kann es helfen, die Frage nach dem Vorliegen der Kenntnis durch bewusste Ausblendung der subjektiven Unsicherheiten zu bestimmen. Der Bereicherungsschuldner, der die Kenntnis nicht hat, weil er sich der Kenntnis (beispielsweise in Ansehung des damit gefährdeten eigenen Vorteils) verschließt, kann mit demjenigen „gleichbehandelt“ werden, der über die tatbestandlich geforderte Kenntnis verfügt. Eine solche Entscheidung, ob die Rechtsfolge angewandt wird, ohne dass die tatbestandlichen Voraussetzungen tatsächlich vorliegen, ist eine wertende Entscheidung. Diese Vorgehensweise unterscheidet sich von der Bestimmung tatbestandsrelevanter Kenntnis. (2)  Verobjektivierung der tatbestandlichen Anforderungen Von der Ausblendung subjektiver Unwägbarkeiten ist die Verobjektivierung bei der Bestimmung der tatbestandlich vorliegenden Kenntnis zu unterscheiden. Hierzu zählt auch das Verfahren, den „objektiven Dritten“ als Kunstfigur zu schaffen, dessen Kenntnisstand hypothetisch bestimmt wird, wenn ihm die Tatsachenkenntnis des jeweiligen Bereicherungsschuldners unterstellt wird. Dadurch wird die Beantwortung der Frage nach dem (individuellen) Kenntnisstand bezüglich der Rechtskenntnis von dem – jeweils diese Rechtskenntnis in Abrede stellenden – Bereicherungsschuldner abgelöst. aa.  Definition der Kenntnisse und Fähigkeiten des gedachten Dritten Eine verobjektivierte Bestimmung des subjektiven Tatbestandsmerkmals der Kenntnis entspricht im Wesentlichen der Vorgehensweise bei der patentrechtli-

III.  Verschärfte Haftung bei Wissen um Rückgabeverpflichtung

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chen Bestimmung der erfinderischen Tätigkeit, auf der eine patentfähige Erfindung beruht. Die Eigenschaften des Fachmanns, aus dessen Sichtweise die Frage nach dem (Nicht-)Naheliegen der Erfindung beantwortet wird, sind zunächst zu definieren. Dazu müssen seine Kenntnisse und Fähigkeiten feststehen, bevor die Beantwortung der Frage nach dem relevanten „Kenntnisumfeld“ des Naheliegens (im Patentrecht) oder der „Überzeugung der Nichtberechtigung“ (im Bereicherungsrecht) 215 begonnen wird. Dabei realisiert sich allerdings eine Gefahr, die bei jeder Verobjektivierung droht: Die Definition der Kenntnisse und Fähigkeiten des „objektiven Dritten“ nimmt die Rechtsprechung nicht bloß anhand der Tatsachen vor, die wahrnehmbar sind und unstreitig vorliegen, wie beispielsweise eine eventuelle Tatsachenkenntnis des Bereicherungsschuldners. Vielmehr erfolgt die Definition der Eigenschaften (Kenntnisse und Fähigkeiten) des „Dritten“ durch zusätzliche Wertungskriterien: Der Dritte muss „redlich“ sein; der Kenntnisstand ist vor dem Hintergrund zu bestimmen, dass der Dritte „vom Gedanken an den eigenen Vorteil nicht beeinflußt ist“.216 Diese bewusste Ausblendung des eigenen Vorteils beruht nicht auf einer Unterstellung von Kenntnissen und Fähigkeiten einer gedanklich geschaffenen Person, sondern zusätzlich auf Wertung: Der Dritte darf nicht in eine bestimmte Richtung denken (in die des eigenen Vorteils), obwohl dies sogar sicherlich in den meisten Fällen naheliegend sein wird. Ebenfalls ist nicht auszuschließen, dass sich der Bereicherungsschuldner tatsächlich keine Gedanken über seine Berechtigung des Behaltendürfens gemacht hat und damit auch tatsächlich nicht über den relevanten Kenntnisstand verfügt. Dann ist die Einfügung eines auf Wertung beruhenden Kriteriums die verdeckte Statuierung einer Sorgfaltsanfor­ derung, bei dessen Verletzung der Eintritt der verschärften Haftung droht. Damit wird allerdings die tatbestandliche Bestimmung der Kenntnis der grob fahrlässigen Unkenntnis (entgegen dem eindeutigen Wortlaut des §  819 I BGB) gleichgesetzt. Konsequenterweise ist bei der Bestimmung der tatbestandsrelevanten Kenntnis in §  819 I BGB bei jeder Form der Verobjektivierung von dem tatsächlich vorliegenden Kenntnisstand auszugehen. Wertungsfragen sind bei der Vorgehensweise, die Kenntnis aus der Sicht des objektiven Dritten zu bestimmen, zunächst auszublenden. Seine Kenntnisse und Fähigkeiten sind nur anhand der tatsächlich vorliegenden Tatsachenlage zu definieren, ohne dass ihm die Fähigkeit zur Beantwortung moralischer Fragen aufgebürdet wird („Ist es richtig, mich von meinem eigenen Vorteil leiten zu lassen oder sollte ich diesen für meine kognitive Auseinandersetzung mit der Sach- und Rechtslage ausgeblendet lassen?“).

215  216 

Z. B. BGH NJW 1996, 2652, 2653. Vgl. BGH NJW 1996, 2652, 2653.

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§  7  Zerstörung von Vertrauen auf der Grundlage eines Kenntnisstandes

bb.  Fähigkeit zu rechtlichen Folgerungen aus bekannten Tatsachen Die Fähigkeit, aus der vorliegenden Tatsachenlage (rechtliche) Folgerungen abzuleiten, kann verobjektiviert werden. Dabei können die Fragen helfen, die dem fiktiven Fachmann im Patentrecht zur Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit gestellt werden. Beispielsweise kann es bei der Bestimmung der relevanten Rechtskenntnis helfen, ob der Bereicherungsschuldner Anlass hatte, in die Richtung der tatbestandlich relevanten Kenntnis zu denken. In diese Richtung geht der Ansatz217, dass es die Tatsachenlage gebietet, „ein unscharfes Bewußtsein“ davon zu haben, dass es an einem rechtlichen Grund für die Leistung mangelt. Die maßgebliche „Parallelwertung in der Laiensphäre“218 betrifft die Fähigkeiten des objektiven Dritten, aus den gegebenen Tatsachen Folgerungen abzuleiten, solange diese „naheliegend“ sind, d. h. nicht mit dem Vorwurf der (geistigen) Untätigkeit verbunden sind, der letztlich zur Statuierung von Sorgfaltsanforderungen führen würde. (3)  Ausblendung von ergebnisbezogenen Wertungen bei der Bestimmung tatbestandsrelevanter Kenntnis Eine solche Trennung der Bestimmung tatbestandsrelevanter Kenntnis von Wertungsfragen, ob das Ergebnis (Eintritt der Rechtsfolge) im Einzelfall gerechtfertigt ist, vermeidet die zu Recht kritisierten „Fiktionen“219, die man unterstellt, wenn man den redlich Denkenden neben tatbestandsrelevanten Folgerungen keine weiteren wertenden Entscheidungen zumutet. Daher ist „die Redlichkeit“ des Dritten keine ihm zu unterstellende Eigenschaft, die bei der Bestimmung der tatbestandsrelevanten Kenntnis des §  819 I BGB helfen kann. Diese Frage wird erst bei der Anwendung der Rechtsfolge relevant. Dann ist es möglich, auch bei tatsächlich nicht vorliegender (Rechts-)Kenntnis des Bereicherungsschuldners die Rechtsfolgen, die nach dem Wortlaut der Norm nur bei der tatbestandlich vorliegenden Kenntnis eintreten sollen, entsprechend auch in Fällen anzuwenden, wenn die Kenntnis zwar nicht vorliegt, jedoch eine Gleichbehandlung aus Wertungsgesichtspunkten geboten erscheint.

3. Ergebnis Die Bestimmung der in §  819 I BGB vorausgesetzten Kenntnis erfolgt ergebnisorientiert. Die Rechtsprechung und die meisten Vertreter der Auffassung in der Literatur beantworten die Frage nach der Bestimmung des Tatbestandsmerkmals der Kenntnis vom Ergebnis her, d. h. beeinflusst von der zuvor ge217 

Mayer-Maly, FS Heinrich Lange, 1970, S.  293, 301. Vgl. Staudinger/Lorenz, BGB, 2007, §  819 Rn.  6 m. w. N. 219  Martinek, JZ 1996, 1099, 1100: „Fiktionstheorie“ und „erweiterte Fiktionstheorie“. 218 

III.  Verschärfte Haftung bei Wissen um Rückgabeverpflichtung

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troffenen Entscheidung, ob der Bereicherungsschuldner verschärft haften soll oder nicht. Bei der Subsumtion des Tatbestandsmerkmals der Kenntnis ist in Literatur und Rechtsprechung die deutliche Tendenz zu erkennen, das subjektive Tatbestandsmerkmal der Kenntnis nach möglichst objektiven Kriterien zu bestimmen. Die Rechtsprechung orientiert sich dabei an der Sichtweise aus der Perspektive eines objektiven Dritten und bestimmt das Vorliegen der Kenntnis danach, ob der objektive Dritte bei vorliegender Tatsachenkenntnis auch die von §  819 I BGB geforderte Rechtskenntnis vom Fehlen des rechtlichen Grundes hat. Die Objektivität des Dritten besteht dabei darin, dass der Dritte den rechtlichen Schluss auf die Rechtsfolge aus den ihm bekannten Tatsachen unbeeinflusst von dem eigenen Vorteil zieht. Daraus kann jedoch nicht gefolgert werden, dass es auf den Kenntnisstand des Bereicherungsschuldners und damit auf subjektive Anforderungen bei der Anwendung von §  819 I BGB nicht ankäme. Die Verobjektivierung betrifft nur Zwischenschritte bei der Feststellung der Kenntnis. Ausnahmsweise kann bei nicht vorliegender Rechtskenntnis die Haftungsverschärfung des §  819 I BGB dennoch eingreifen, wenn sich der Bereicherungsschuldner bewusst der für ihn nachteiligen Kenntnis von dem Fehlen des Rechtsgrundes verschließt, obwohl ein Dritter, der von diesem Vorteil unbeeinflusst ist, zu dieser Kenntnis gelangt wäre. Bei der Beurteilung aus der Sicht des objektiven gedachten Dritten ist allerdings zu beachten, dass diesem Dritten nur solche Kenntnisse und Fähigkeiten als vorhanden unterstellt werden, die selbst objektiv benennbar und nachweisbar sind. Dies betrifft einerseits die Unterstellung der Kenntnis sämtlicher bekannter Tatsachen des Betroffenen, um dessen (Rechts-)Kenntnis es geht. Anderseits ist aber insbesondere bei der Definition der Fähigkeiten des „objektiven Dritten“, aus dessen Perspektive die Frage nach der naheliegenden (und vom Tatbestand geforderten) Rechtskenntnis zu beantworten ist, zu beachten, dass dem gedachten Dritten keine Wertungen unterstellt werden, insbesondere nicht die moralische Bewertung der eigenen geistigen Auseinandersetzung mit der Sach- und Rechtslage. Daher sind die in der Rechtsprechung bereits in dem Bereich der tatbestandlichen Bestimmung eingeführten wertenden Kriterien (der „redlich“ Denkende) ungeeignet, einen tatbestandlich geforderten Kenntnisstand zu bestimmen. Vielmehr ist dieser Kenntnisstand tatsächlich unabhängig von solchen wertenden und eigenbewertenden Kriterien vorzunehmen. Erst wenn das Vorliegen oder Nichtvorliegen der tatbestandlich geforderten Kenntnis festgestellt ist, kann man der Frage nachgehen, ob es aus Wertungsgesichtspunkten geboten erscheint, denjenigen, der über die tatbestandsrelevante Kenntnis nicht verfügt, weil er sich ihr beispielsweise bewusst verschließt, mit demjenigen (im Hinblick auf die Rechtsfolgen) gleich zu behandeln, der über die tatbestandlich geforderte Kenntnis tatsächlich verfügt. Letzteres ist eine ergebnisbezogene Wertungsentscheidung des Rechtsanwenders und gehört nicht zur Bestimmung eines tatsächlich vorliegenden Kenntnisstandes.

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§  7  Zerstörung von Vertrauen auf der Grundlage eines Kenntnisstandes

IV.  Zahlung des Schuldners an den früheren Gläubiger Für Abtretungskonstellationen existieren zahlreiche Schuldnerschutzvorschriften (§§  404 ff. BGB). Einige dieser Normen (§§  406 ff. BGB) nehmen dem Schuldner das Risiko, an den falschen Gläubiger zu leisten. Im Mittelpunkt dieser Schutzvorschriften steht §  407 BGB, der für das Eingreifen des Schutzes auf die Kenntnis des Schuldners von der Abtretung abstellt.220

1.  Kenntnis des Schuldners von der Zession als Wirksamkeitsvoraussetzung für den Rechtsübergang im gemeinen Recht Der Regelungsgegenstand der heutigen Schuldnerschutzvorschriften bei der Abtretung erhellt sich bei der Betrachtung der Wirkungsweise der Zession im gemeinen Recht. Im römischen Recht konnte das Recht selbst (die Obligatio) nicht im Wege der Singularsukzession übertragen werden.221 Wollte man eine „Übertragung“ erreichen, so musste die Obligatio „aufgeopfert“ werden und neu (mit dem neuen Gläubiger) begründet werden.222 Ein alternativer Weg der „Übertragung einer Forderung“ bestand in der Übertragung der Actio, d. h. des Klagerechts. Dabei verblieb jedoch die Obligatio bei dem bisherigen Gläubiger. Die Actio des Zessionars wurde statt der des Zedenten geltend gemacht.223 Im Rahmen der Rezeption wurden verschiedene Auffassungen vertreten, wie mit dem Auseinanderfallen von (unübertragbarem) materiellem Recht und dem (übertragbaren) Klagerecht umzugehen sei. Die Streitfrage entzündete sich an dem Verständnis der Actio selbst. Es stellte sich die Frage, ob diese ein

220 Ausführlich Larenz, SchuldR I AT, 14.  A ., 1987, §  34 IV (S.  588 ff.) sowie Nörr/Scheyhing/Pöggeler, Sukzessionen, 2.  A., 1999, §  7 I 1 (S.  74 ff.); zum Normzweck Staudinger/Busche, BGB, 2012, §  407 Rn.  1. Zur Realisierung des Schuldnerschutzes bei Zusammentreffen von Sicherungsabtretung und Insolvenz des Zedenten, wenn der Drittschuldner an den Sicherungszessionar in Unkenntnis der Insolvenzverfahrenseröffnung leistet, vgl. eingehend Becker, DZWIR 2010, 133. 221  Gaius, Institutiones, II 38: „Auch Verpflichtungen, ganz gleich, auf welche Weise sie eingegangen worden sind, können auf keine dieser Weisen übertragen werden; denn wenn ich will, dass das, was mir von einem anderen geschuldet wird, dir geschuldet werde, so kann ich dies durch keine der Weisen bewirken, durch welche körperliche Gegenstände einem anderen übertragen werden; vielmehr ist notwendig, dass du dir auf mein Geheiß von ihm durch Stipulation versprechen lässt; dadurch wird bewirkt, dass er mir gegenüber befreit wird und nunmehr dir gegenüber haftet. Das nennt man ‚Erneuerung‘ der Schuld.“ (Übersetzung nach Manthe, Gaius Institutionen, 2004, S.  125). 222  Vgl. hierzu Puchta, Vorlesungen II, 1847, §  280 (S.  117). 223  Insbes. klagt der Zessionar im eigenen Namen und nicht nur als Stellvertreter des Zedenten; ausführlich hierzu Windscheid, Actio, 1857, Nachdr. 1969, S.  127 ff. sowie Mühlenbruch, Cession der Forderungsrechte, 1836, S.  76 f. und 491 ff.; vgl. zur Unterscheidung von „cessio“ und „transferre“: Becker, Die „res“ bei Gaius, 1999, S.  52 f.

IV.  Zahlung des Schuldners an den früheren Gläubiger

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eigenes Forderungsrecht des Zessionars oder nur ein Mittel zur Geltendmachung eines Rechts war.224 Unabhängig davon war umstritten, wie der Schuldner in den Übertragungsvorgang eingebunden sei. Teilweise wurde vertreten, dass für die Übertragung der Actio eine (mit einem sachenrechtlichen Übertragungsvorgang vergleichbare) „Inbesitznahme“ der Forderung durch den Zessionar erforderlich sei.225 Die Notwendigkeit dieser „Besitzergreifung“ der Forderung durch den Zessionar wurde in zweifacher Hinsicht begründet: Zum einen sei es notwendige Voraussetzung der Übertragung der Actio, dass sich die Willensrichtung des Verpflichteten (des Schuldners) ändere, nunmehr dem Zessionar zu schulden und nicht mehr dem Zedenten. Zum anderen wurde die Parallele von der Übertragung der Actio und der Servitutenbestellung gezogen.226 Um den faktischen Genuss der Servituten auf obligatorischem Weg sicherzustellen, war zudem eine der Tradition bei beweglichen Sachen vergleichbare Inbesitznahme durch den Erwerber notwendig.227 Da der Gegenstand der vom Zessionar abgetretenen Actio keine Sache ist, sondern einen menschlichen Willen des Schuldners erfordert, etwas zu schulden, müsse dieser Wille darauf gerichtet sein, dass nunmehr ein anderer (der Zessionar) als Berechtigter anerkannt ist.228 Daraus erklärte sich die für die Wirksamkeit der Abtretung aufgestellte Voraussetzung, „dem Schuldner eine vollkommene Überzeugung von der Richtigkeit der [der] Cession (zu) gewährende[n] Benachrichtigung“229 zu geben, die als die nach außen in Erscheinung tretende Ausübung des übertragenen Rechts (sog. „Denuntiation“) anzusehen sei.230 Diese notwendige Mitteilung wirkt wie die bei körperlichen Sachen übliche Besitzergreifung. Sie hat daher – der überwiegenden Auffassung zufolge – grundsätzlich vom Zessionar auszugehen.231

224  Puchta, Vorlesungen II, 1847, §   219, 225 (S.  3, 17); Windscheid, Actio, Nachdr. 1969, 1857, S.  134 ff. 225  Mit Nachweisen und Herleitung vgl. Windscheid, Actio, 1857, Nachdr. 1969, S.  143 ff.; dagegen vor allem Bähr, JherJB 1 (1857), 351, 414 ff. 226  Ein Servitut ist eine (dingliche) Dienstbarkeit, wie z. B. der Nießbrauch. 227  Dies stand freilich im vermeintlichen Widerspruch zu der Aussage, dass „jeder weiß, dass unkörperliche (Sachen) eine Besitzübertragung nicht zulassen“, Gaius, Institutiones, II 28 (Übersetzung nach Manthe, Gaius Institutionen, 2004, S.  125); vgl. hierzu Windscheid, Actio, 1857, Nachdr. 1969, S.  146. 228  Windscheid, Actio, 1857, Nachdr. 1969, S.  145; Mühlenbruch, Cession, §  47, S.  491 f. 229  Mühlenbruch, Cession, §  47 (S.  491). 230  Windscheid, Actio, 1857, Nachdr. 1969, S.  188. 231  Windscheid/Kipp, Pandektenrecht II, 9.  A ., 1906, Nachdr. 1963, §  331 (S.  370) m.w.N; ferner Windscheid, Actio, 1857, Nachdr. 1969, S.  191 f.; Puchta, Vorlesungen II, 1847, §  283 (S.  121 f.); abweichend hiervon soll nach Mühlenbruch, Cession, §  47 (S.  491 f.), auch die Mitteilung des Zedenten an seinen Gläubiger ausreichend sein.

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§  7  Zerstörung von Vertrauen auf der Grundlage eines Kenntnisstandes

2.  Schuldnerseitige Kenntnis der Zession nach dem BGB a.  Notwendigkeit von Schuldnerschutzvorschriften als Folge kenntnisunabhängiger Zession Die heutigen dem BGB zugrunde liegenden Regelungen der Übertragbarkeit von Forderungen (§§  398 ff. BGB) unterscheiden nicht mehr zwischen Obligatio und Actio im oben dargestellten Sinne. Das BGB ermöglicht in §  398 ff. BGB statt der Übertragung der Actio die Übertragung des Rechts selbst (in materiell-rechtlicher Sicht), und zwar ohne das Erfordernis der Einbindung des Schuldners als Wirksamkeitsvoraussetzung.232 Die Denuntiation als Wirksamkeitsvoraussetzung der Abtretung wurde während des Gesetzgebungsverfahrens zum BGB kontrovers diskutiert und letztlich ausdrücklich abgelehnt.233 Dies hat zur Folge, dass die Forderung durch die Zession (vollständig wirksam) übergehen kann, ohne dass der Schuldner hiervon überhaupt Kenntnis erlangt. Er schuldet fortan nur noch dem Zessionar und kann nach allgemeinen Grundsätzen nur an diesen (neuen Gläubiger) schuldbefreiend i. S. d. §  362 I BGB leisten.234 Zum Schutz des Schuldners bei Unkenntnis von dem Forderungsübergang wird allerdings der Grundsatz der Wirksamkeit des von der Kenntnis des Schuldners unabhängigen Forderungsübergangs durchbrochen.235 Der Schuldner, der von der Abtretung noch keine Kenntnis hat, kann sich gemäß §  407 BGB so behandeln lassen, als habe der Gläubigerwechsel nicht stattgefunden. Hat der Schuldner von der Rechtsübertragung keine Kenntnis, muss er sich jedoch nicht stets so behandeln lassen, als sei die Rechtsübertragung ihm gegenüber unwirksam.236 Vielmehr kann der Schuldner wählen, ob er die betreffenden Geschäfte gegen sich gelten lassen will oder nicht.237 Dies ist insbesondere relevant, wenn der Schuldner gegenüber dem Zessionar aufrechnen könnte. Diese Möglichkeit würde ihm bei einem zwingenden Charakter der Erfüllungswirkung gemäß §  407 BGB abgeschnitten, wenn er die erfolgte Leistung an den Zedenten nicht kondizieren könnte.238 232 Vgl.

Windscheid/Kipp, Pandektenrecht II, 9.  A., 1906, §  329, S.  362 ff. Mot II 118, abgedr. in Mugdan, Materialien zum BGB, Band 2, 1899, Nachdr. 1979, S.  65 sowie nachfolgend Prot. I, S.  380 ff. 234  Larenz, SchuldR I AT, 14.  A ., 1987, §  34 IV (S.  588 ff). 235 Staudinger/Busche, BGB, 2012, §  407 Rn.  1; Weimar, JZ 1966, 461. 236  Dies ist in Übereinstimmung mit den Motiven Mot II 134, abgedr. in Mugdan, Materialien zum BGB, Band 2, 1899, Nachdr. 1979, S.  74, noch überwiegend anders gesehen worden, vgl. v. Tuhr, AT II/1, 1914, §  49 IV 5 c) (S.  141 f.) (dort in Fn.  102); Planck, BGB, 2.  A., 1900, Band  2, §  407 Rn.  1; Regelsberger, JherJB 47 (1904), 339, 367; zahlreiche Nachweise bei v. Olshausen, Gläubigerrecht, 1988, S.  92 Fn.  12. 237 Soergel/Schreiber, BGB, 13.A., 2010, §  407 Rn.  2 ; Nörr/Scheyhing/Pöggeler, Sukzessionen, 2.  A., 1999, §  7 I 3 (S.  78 ff.); Coester-Waltjen, JURA 2004, 391, 393; BGH NJW 1969, 1479, 1480; BGH NJW 1988, 700, 701; abweichend Staudinger/Busche, BGB, 2012, §  407 Rn.  8 und v. Olshausen, Gläubigerrecht, 1988, S.  92 ff. 238 Soergel/Schreiber, BGB, 13.  A ., 2010, §  407 Rn.  2 ; ferner Weimar, JZ 1966, 461. 233 Vgl.

IV.  Zahlung des Schuldners an den früheren Gläubiger

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b.  Schuldnerseitige positive Kenntnis als Schutzausschlussgrund Der Schutz des Schuldners im Hinblick auf Rechtshandlungen gegenüber dem alten Gläubiger (insbesondere die Leistung an ihn mit Erfüllungswirkung) ist ausgeschlossen, wenn der Schuldner „die Abtretung […] kennt“, §  407 I BGB. Dabei stellt §  407 BGB nur auf positive Kenntnis ab. Oft wird in diesem Zusammenhang der Begriff der Gutgläubigkeit des Schuldners gebraucht,239 was im Hinblick auf die entsprechend in §  932 BGB verwendete Terminologie missverständlich sein kann. Eine Erweiterung des Schutzausschlusses durch eine Erfassung auch der (grob) fahrlässigen Unkenntnis (wie in §  932 BGB) fehlt in §  407 BGB. (1)  Kenntnis von der Abtretung als Tatsachen- oder Rechtskenntnis Gemäß §  407 I BGB ist der Gegenstand der Kenntnis „die Abtretung“. Nach dem Wortlaut kann man die auf die Abtretung zielende Kenntnis als eine Rechtskenntnis verstehen. Dann muss die Kenntnis des Schuldners den Forderungsübergang als eine rechtliche Wertung umfassen. Mit dem Begriff „der Abtretung“ kann jedoch auch gemeint sein, dass sich die Kenntnis des Schuldners nur auf die Willenserklärungen von Zedent und Zessionar beziehen muss.240 Die Rechtsprechung tendiert dazu, nur auf die Kenntnis der Tatsachen abzustellen, die den Forderungsübergang bewirken.241 Liegt ein Fehler bei der rechtlichen Einschätzung dieser auf die Abtretung gerichteten Willenserklärungen durch den Schuldner vor (er meint, es liege keine wirksame Abtretung vor), wird ihm der Schuldnerschutz grundsätzlich versagt.242 Besonders deutlich wird der Gegenstand der von §  407 BGB vorausgesetzten Kenntnis beim gesetzlichen Forderungserwerb. Bei der cessio legis gilt §  407 BGB gemäß §  412 BGB entsprechend. Einhellige Ansicht 243 ist, dass es allein auf die Kenntnis der den gesetzlichen Forderungsübergang bewirkenden Tatsachen 239 Staudinger/Busche, BGB, 2012, §  407 Rn.  30 ff.; RGZ 102, 385, 387; RGZ 30, 117, 120; bereits in den Motiven, Mugdan, Materialien zum BGB, Band 2, 1899, Nachdr. 1979, S.  65. 240  RGZ 88, 4, 5 f. stellt darauf ab, dass es zwar Tatsachenfrage sei, ob „eine Person Kenntnis von einem Ereignis erlangt hat, bei dem sie selbst nicht beteiligt war“; Rechtsfrage sei es jedoch, „wie die Kenntnis beschaffen sein muß, um rechtliche Bedeutung zu erlangen, und welchen Wert hierfür die Vermittelungswerkzeuge beanspruchen können, durch die die Kenntnis erlangt sein soll“. Damit behält sich das RG vor allem vor, die Glaubwürdigkeit der Informationsquelle (damit sind die „Vermittelungswerkzeuge“ gemeint) selbst abschließend bewerten zu können. 241  RGZ 102, 385, 387. BGH LM §  407 BGB Nr.  2 (unter 3.) stellt sogar bloß auf die ausreichende Kenntnis der Abtretungserklärung des Zedenten ab. 242  Eine eindeutige Gefahrzuweisung für irrtümliche rechtliche Einschätzungen der richtig und zuverlässig erfassten Tatsachen enthalten BGH WM 1986, 1277, 1278; BGH VersR 1962, 515, 516; BGH LM §  407 BGB Nr.  2 (unter 3.); RGZ 102, 385, 387; RGZ 61, 245, 247; RGZ 60, 202, 204. 243 Soergel/Schreiber, BGB, 13.  A ., 2010, §  407 Rn.  7; Staudinger/Busche, BGB, 2012, §  407 Rn.  40; BGH NJW 2008, 1162, 1164; BGH NJW 1984, 607, 608; BGH VersR 1962, 515, 516; RGZ 60, 200, 204.

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§  7  Zerstörung von Vertrauen auf der Grundlage eines Kenntnisstandes

ankommt und nicht auf die Kenntnis der sich aus dem Gesetz ergebenden Rechtsfolge. Nahezu ausschließlich liegen der zu den Anforderungen an die Kenntnis des gesetzlichen Forderungsübergangs ergangenen Rechtsprechung versicherungsrechtliche Konstellationen zugrunde.244 Wegen der Besonderheiten dieser Rechtsmaterie sind nach einhelliger Auffassung niedrige Anforderungen an das Vorliegen positiver Kenntnis im Hinblick auf den gesetzlichen Forderungsübergang zu stellen. Allgemein reicht daher für die Kenntnis des gesetzlichen Forderungsübergangs bereits die Kenntnis der Tatsachen aus, die das Gesetz für den Forderungsübergang voraussetzt. Weder die gesetzliche Regelung noch ihre Folge (cessio legis) müssen von der Kenntnis des Schuldners umfasst sein oder auch nur von ihm für möglich gehalten werden. In sozialversicherungsrechtlichen Fallgruppen liegt nach der Rechtsprechung245 die Kenntnis des gesetzlichen Forderungsübergangs vor, wenn das Bestehen des Sozialversicherungsverhältnisses und der Eintritt des Schadens, aufgrund dessen der Versicherungsträger dem Verletzten Versicherungsleistungen zu gewähren hat, bekannt sind. Noch einen Schritt weiter geht die Rechtsprechung im Hinblick auf die Anforderungen an die Kenntnis des Bestehens eines Sozialversicherungsverhältnisses.246 Genau genommen ist auch dies eine Rechtstatsache, die sich beispielsweise aus der Sozialversicherungspflichtigkeit einer Tätigkeit ergibt. Auch hierbei stellt der BGH 247 allein auf die Kenntnis der tatsächlichen Umstände ab, von denen der Schuldner Kenntnis hat. Für die Kenntnis von der Sozialversicherungspflichtigkeit genügt es daher, wenn die tatsächlichen Umstände bekannt sind, die eine Sozialversicherungspflicht begründen. Beispielsweise ist davon auszugehen, dass der Schädiger Kenntnis von der Versicherungspflichtigkeit einer Arbeitstätigkeit hat, wenn der Schaden während der Verrichtung einer Arbeitstätigkeit verursacht wird. Es reicht nach der Rechtsprechung des BGH aus, wenn es „auf der Hand liege“, dass ein Anspruchsübergang auf einen Sozialleistungsträger stattfand, weil der betroffenen Person die tatsächlichen Umstände bekannt waren, die die Sozialversicherungspflichtigkeit der Tätigkeit des Mitarbeiters, der unfallbedingt Verletzungen erlitt begründet haben.248 Der BGH 249 begründet dies mit dem breiten Erfahrungswissen der Bevölkerung, dass Arbeitstätigkeiten im Allgemeinen versicherungspflichtig seien. Dies gelte zumindest dann, wenn die Kenntnis Allgemeingut des Berufskreises der Versiche­ rungsvertreter gewesen ist und der Schuldner, um dessen Kenntnis es geht, ein Haftpflichtversicherer ist, für den der Versicherungsvertreter gehandelt hat. 244 

Vgl. BGH VersR 1962, 515; BGH NJW 1956, 461. VersR 1962, 515, 516; BGH NJW 1956, 461, 462; BGH NJW 1994, 3097, 3099; BGH NJW 1996, 726, 729. 246  BGH VersR 1962, 515. 247  BGH VersR 1962, 515, 516; BGH NJW 1994, 3097, 3099. 248  BGH VersR 2014, 1395 Tz.  13. 249  BGH VersR 1962, 515, 516. 245  BGH

IV.  Zahlung des Schuldners an den früheren Gläubiger

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Das durchschnittliche Erfahrungswissen und die Rechtskenntnisse des Schuldners, der eine nicht konkrete, allgemein formulierte Mitteilung über Abrechnungsstrukturen seines Gläubigers erhält, sind regelmäßig keine Basis für die Kenntnis von der Abtretung. Das OLG Bremen 250 entschied hierzu, dass die bloße Mitteilung auf einer Rechnung „Wir nehmen am Factoring teil. Deshalb Zahlungen mit befreiender Wirkung nur auf das Konto…“ dem Schuldner keine Kenntnis von einem Gläubigerwechsel vermittele. Das Gericht stützte die Annahme fehlender Kenntnis maßgeblich auf zwei Aspekte. Es stellte heraus, dass es zwar für Juristen klar sei, dass „Factoring mit einer Abtretung aller Forderungen verbunden ist“. Für einen Laien („auch für den Kaufmann als Laien“) 251 sei es hingegen „nicht schlechterdings unvernünftig, wenn er der Mitteilung nicht die Information über einen Gläubigerwechsel entnimmt“, sondern von einer anderen Art des Forderungseinzugs ausgeht, die keinen Gläubigerwechsel voraussetzt.252 Auch deute die Angabe einer speziellen Kontonummer nur dann auf einen Gläubigerwechsel hin, wenn erkennbar sei, dass es sich um einen vom Gläubiger verschiedenen Kontoinhaber handele.253 Dieses Beispiel zeigt, dass die rechtliche Wertung der dem Schuldner mitgeteilten Tatsachen auch den konkreten Schuldner mit seinem durchschnittlichen Erfahrungswissen in die Lage versetzen muss, den zutreffenden rechtlichen Schluss ziehen zu können, dass die Forderung nun nicht mehr dem früheren, dem Schuldner bekannten Gläubiger zusteht. Andernfalls hat der Schuldner keine Kenntnis von der Abtretung. (2)  „Wirkliche Kenntnis“ als Gegenteil eines bestehenden Zweifels? Die Bestimmung der positiven Kenntnis von der Abtretung im Sinne von §  407 BGB wirft in praktischer Hinsicht erhebliche Probleme auf.254 Um die (in §  407 BGB vorausgesetzte) Kenntnis von der (nicht für einen Schutzausschluss ausreichenden) grob fahrlässigen Unkenntnis abzugrenzen, fügt die Rechtsprechung bei der Definition der relevanten Kenntnis verstärkende Attribute hinzu und definiert die in §  407 BGB geforderte Kenntnis als „wirkliche Kenntnis“255 oder „sichere Kenntnis“.256 In reichsgerichtlichen Entscheidungen 257 wird häufig nicht bloß auf die Gesetzgebungsmaterialien verwiesen, sondern auch auf die 250 

OLG Bremen NJW 1987, 912. OLG Bremen NJW 1987, 912. 252  Ähnlich auf eine „allgemeine Kenntnis von dem Rechtsverkehr des täglichen Lebens“ bei der Unterscheidung einer Urschrift von einer Abschrift abstellend RGZ 88, 4, 8. 253  OLG Bremen NJW 1987, 912. 254 Ausführlich Nörr/Scheyhing/Pöggeler, Sukzessionen, 2.  A ., 1999, §  7 I 7 (S.  81). 255  RGZ 61, 245, 247; RGZ 74, 117, 120 f; Nörr/Scheyhing/Pöggeler, Sukzessionen, 2.  A ., 1999, §  7 I 7 (S.  81); Soergel/Schreiber, BGB, 13.  A., 2010, §  407 Rn.  4. 256  Insoweit abgrenzend zwischen sicherer und wirklicher Kenntnis RGZ 74, 117, 119 f. Eine völlig sichere Kenntnis werde jedoch in §  407 BGB nicht gefordert, BGH LM §  407 BGB Nr.  7; OLG Oldenburg WM 1986, 1277, 1278. 257  RGZ 74, 117, 119, RGZ 61, 245, 248. 251 

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§  7  Zerstörung von Vertrauen auf der Grundlage eines Kenntnisstandes

im gemeinen Recht enthaltene „Denuntiation“ und die Wirkung von Abtretungsanzeigen gegenüber dem Schuldner nach dem BGB. Im gemeinen Recht war umstritten, aus welcher Quelle der Schuldner seine Kenntnis von der Abtretung erlangen musste.258 Für §  407 BGB besteht dagegen Einigkeit, dass die Quelle grundsätzlich gleichgültig ist, aus der der Schuldner seine Kenntnis bezogen hat, die zum Ausschluss der ihn schützenden Wirkungen führt.259 Die für den Ausschluss der Schutzwirkungen des §  407 BGB entscheidende Fragestellung ist daher nicht mehr, ob der Schuldner Kenntnis von der Abtretung hat, sondern ob die Quelle der Information über den Gläubigerwechsel zuverlässig ist. Die Beurteilung der Zuverlässigkeit hängt wiederum von der Quelle der Information ab. Der Schuldner hat sichere Kenntnis, wenn ihm sein bisheriger Gläubiger mitteilt, er habe die Forderung abgetreten.260 Auf eine solche Information darf der Schuldner in aller Regel vertrauen, da sie dem früheren Gläubiger die Empfangszuständigkeit nimmt und damit dem früheren Gläubiger keine Vorteile bringt. Dies ist beim Zessionar, der sich dem Schuldner gegenüber als neuer Gläubiger geriert, anders. Er verfolgt mit seiner Behauptung, nun Forderungsinhaber zu sein, unmittelbar eigene Ziele, indem er die Zahlung (nur noch) an sich verlangt. Ob der Schuldner Kenntnis von der Abtretung hat, bestimmt sich daher nach der Person, von dem die Mitteilung der Abtretung stammt. Hat diese Person ein eigenes Interesse an der Abtretung, ist eine Abtretungsanzeige von dieser Person unsicher. Dann hat der Schuldner keine sichere Kenntnis von der Abtretung. Die Sicherheit der für §  407 BGB relevanten Kenntnis umschrieb die Rechtsprechung261 mit einem Vergleich zur Sicherheit bei Schlussfolgerungen von einer bekannten Tatsache auf eine andere unbekannte Tatsache: „Man ‚kennt‘ […] eine Tatsache […], wenn man Äußerungen oder Umstände weiß, die vernünftigerweise den Schluß auf die Tatsache rechtfertigen. Ist dieser Schluß noch kein sicherer, so führt er nur zu Vermutungen, sonst zur Erkenntnis und folglich zur Kenntnisnahme.“262 Die Überzeugung des Schuldners, dass eine Abtretung erfolgt sei, kann entweder durch Mitteilung durch eine vertrauenswürdige Person oder durch die Vorlage der Abtretungsurkunde geschehen.263 Dies sind allerdings nur Beispiele, die zu einer sicheren Kenntnis führen können; sie müssen 258 

Nachweise bei v. Olshausen, Gläubigerrecht, 1988, S.  91. RGZ 61, 245, 248; RGZ 88, 4, 5 f.; BGH WM 2004, 981, 985; dieser Ansatz war bereits in den Gesetzgebungsmaterialien enthalten, vgl. Mot II 132, abgedr. in Mugdan, Materialien zum BGB, Band 2, 1899, Nachdr. 1979, S.  73. 260  Vgl. auch RGZ 61, 245, 248. Ferner unterschieden auch die Regelungen des Allgemeinen Preußischen Landrechts (§  417 A.L.R. I. 11) nach dem Urheber der Mitteilung. Die Mitteilung des bisherigen Gläubigers hatte unbedingte Kenntnis des Schuldners zur Folge, die des neuen Gläubigers nur bei Vorlegung der Abtretungsurkunde. 261  RGZ 74, 117, 120. 262  RGZ 74, 117, 120. 263  RGZ 88, 4, 6. 259  Vgl.

IV.  Zahlung des Schuldners an den früheren Gläubiger

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jedoch nicht vorliegen, damit der Schuldner sichere Kenntnis hat, denn §  407 I BGB stellt an die Sicherheit des Nachweises keine pauschalen Anforderungen, wie es beispielsweise in §  1155 BGB264 vorgesehen ist. Sichere Kenntnis besteht zumindest dann, wenn die Abtretung dem Schuldner zweifelsfrei bekannt gegeben wurde.265 Den Begriff der sicheren Kenntnis kann man mit Hilfe der Bildung seines Gegenbegriffes definieren: Bestehen Zweifel, ob der bisherige Gläubiger noch Forderungsinhaber ist, liegt keine Kenntnis von der Abtretung vor.266 Zweifel an einer Forderungszuständigkeit lassen sich damit positiv beschreiben, dass der Schuldner mit der Möglichkeit rechnet, dass die Forderung abgetreten worden ist. Umgekehrt begründet das bloße Fürmöglichhalten keine sichere Kenntnis. Allerdings kann nur die Möglichkeit eines Zweifels die sichere Kenntnis nicht ausschließen.267 Sie ist jedoch bei „einem vernünftigen, nach den Erfahrungen des Lebens gegenständlich (objektiv) gerechtfertigten Zweifel“ ausgeschlossen.268 Der Zweifel betrifft weniger die inhaltlichen Anforderungen an die Mitteilung als vielmehr die Glaubwürdigkeit der Mitteilung im Hinblick auf die Überzeugung des Empfängers. Die Bestimmung der Kenntnis des Schuldners wird daher von der Frage beeinflusst, wie überzeugt der Schuldner von der Mitteilung der angeblich erfolgten Abtretung ist. Die sichere Kenntnis des Schuldners ist damit gleichbedeutend mit der Überzeugung des Schuldners von der erfolgten Abtretung. Bei der Bestimmung der Überzeugung stellte die Rechtsprechung269 regelmäßig auf Kriterien ab, anhand derer die Überzeugung des Schuldners gemessen wurde, wie z. B. die Person und das Eigeninteresse des Mitteilenden oder der Umstand der Vorlage von Urkunden als Nachweis. Hierdurch wird die Bestimmung der Überzeugung des Schuldners verobjektiviert und gefragt, ob der Schuldner den ihm zur Verfügung stehenden Informationen Glauben schenken durfte bzw. – im Hinblick auf den Verlust der Wirkung der ihn schützenden Norm – musste. Der Schuldner ist jedenfalls nicht schutzwürdig, wenn er der Mitteilung der Abtretung erkennbar Glauben geschenkt hat, beispielsweise wenn er den Neugläubiger ohne Verlangen einer Vorlage einer Abtretungsurkunde lediglich auf264  Gemäß §  1155 S.  1 BGB wird der öffentliche Glaube des Grundbuchs hinsichtlich des Gläubigerrechts einer Hypothekenforderung auf den Besitz des Hypothekenbriefes ausgedehnt, wenn die Abtretungserklärungen aus einer zusammenhängenden und auf den eingetragenen Gläubiger zurückzuführenden Reihe von öffentlich beglaubigten Abtretungserklärungen zurückzuführen sind. 265  RGZ 102, 385, 387. 266  RGZ 61, 245, 248. 267  RGZ 88, 4, 6; BGH VersR 1962, 515, 516; BGH NJW 1988, 700, 702; BGH WM 2004, 981, 985. 268  RGZ 88, 4, 6. 269 Teilweise wird neben der Vertrauenswürdigkeit des Mitteilenden auf dessen wirtschaftliche Lage abgestellt, ob diese den Gedanken an eine Täuschung fernhält, vgl. RGZ 88, 4, 6 und RGZ 74, 117, 120 f.; BGH WM 2004, 981, 985; BGH NJW 1988, 700, 702.

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§  7  Zerstörung von Vertrauen auf der Grundlage eines Kenntnisstandes

fordert, eine Voraussetzung für die abgetretene Forderung als solche zu erfüllen.270 Die Schutzwürdigkeit fehlt auch, wenn ihm später Zweifel kommen. Letztlich steht hinter dem Tatbestandsmerkmal der Kenntnis in §  407 BGB die Risikozuweisung, wer bei der Abtretung die mit der Änderung der Rechts­ inhaberschaft verbundenen Risiken trägt. Konsequent ist, dass der an einer Abtretung grundsätzlich nicht beteiligte Schuldner durch die Abtretung nicht schlechter stehen soll als ohne Abtretung.271 Der Schuldner kann solange an den bisherigen Gläubiger leisten, wie er noch keine sichere Kenntnis von der Abtretung hat.272 Woher diese Kenntnis stammt, ist irrelevant, sie muss nur sicher sein. Die Anforderungen an die „Sicherheit“ der Kenntnis verlagern das mit der Änderung der Rechtsinhaberschaft verbundene Risiko der Zahlung an den falschen Gläubiger auf den Zessionar. Dieser muss dem Schuldner die sichere Kenntnis verschaffen, dass er nun Gläubiger ist, weil er sonst Gefahr läuft, dass der Schuldner mit befreiender Wirkung an den bisherigen Gläubiger leistet und der Zessionar auf Rückgriffsansprüche gegen den Zedenten (§  816 II BGB) verwiesen ist. (3)  Kenntnisnahmemöglichkeit als Kenntnis Fahrlässige Unkenntnis des Schuldners von der erfolgten Abtretung genügt nicht, um den Schutz des §  407 BGB auszuschließen. Auch eine Kenntnisnahmemöglichkeit reicht daher nicht für das Bestehen der in §  407 BGB vorausgesetzten Kenntnis aus, da andernfalls die Grenzziehung zwischen Kenntnis und fahrlässiger Unkenntnis verwischt würde.273 Daher ist der Schutz des Schuldners gemäß §  407 BGB auch nicht schon dann ausgeschlossen, wenn die Abtretungsanzeige derart in den Machtbereich des Schuldners gelangt, dass er unter normalen Umständen davon Kenntnis hätte nehmen können, dies aber tatsächlich nicht erfolgte.274 Hiervon existieren jedoch Ausnahmen. Zum einen hat die Möglichkeit zur Kenntnisnahme zur Folge, dass den Schuldner die Beweislast für die ihn günstige Tatsache trifft, dass er tatsächlich von der Mitteilung keine Kenntnis genommen hat.275 Dies bewirkt regelmäßig, dass die Kenntnisnahmemöglichkeit zum Entfallen des Schutzes gemäß §  407 BGB führt.

270 

OLG Hamm VersR 1985, 582, 583. RGZ 102, 385, 387; RGZ 61, 245, 248 f., auch unter Bezug auf und im Vergleich zu den Regelungen im Preußischen Allgemeinen Landrecht; ferner Mot II 118, abgedr. in Mugdan, Materialien zum BGB, Band 2, 1899, Nachdr. 1979, S.  65. 272  Eindeutig RGZ 61, 245, 250. 273 Staudinger/Busche, BGB, 2012, §   407 Rn.  39; Soergel/Schreiber, BGB, 13.  A., 2010, §  407 Rn.  6 m. w. N. 274  RGZ 87, 415, 415 ff.; RGZ 135, 247, 251. 275  RGZ 87, 412, 418; BGH VersR 1962, 515, 516; BGH NJW 1997, 1775, 1776. 271 

IV.  Zahlung des Schuldners an den früheren Gläubiger

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Aus materiell-rechtlicher Sicht steht die Möglichkeit der Kenntnisnahme der in §  407 BGB vorausgesetzten Kenntnis gleich, wenn der Berufung auf die Unkenntnis der Grundsatz von Treu und Glauben entgegensteht.276 Dies kann dann der Fall sein, wenn besondere Umstände ein Berufen auf die Unkenntnis unannehmbar machen, z. B. wenn das Fehlen der Kenntnisnahme durch den Schuldner auf seiner nachlässigen Organisation beruht und ihm deshalb die Abtretungsanzeige nicht (rechtzeitig) zur Kenntnis gelangt ist.277 Allerdings treffen den Schuldner keine Nachforschungsobliegenheiten. Dies ist nur in dem oben aufgezeigten Fall anders, wenn der Schuldner zunächst der Mitteilung der Abtretung erkennbar Glauben geschenkt hat und erst nachfolgend Zweifel daran bekommt.278 In letzterem Ausnahmefall wird jedoch nicht die Möglichkeit der Kenntnisnahme mit der tatbestandlich vorliegenden Kenntnis gleichgestellt, vielmehr erfolgt eine im Hinblick auf die Rechtsfolgen vorzunehmende Gleichbehandlung des Schuldners, der sich wegen Treu und Glauben nicht auf die Unkenntnis berufen kann, mit demjenigen, der Kenntnis von der Abtretung hat. c.  „Kenntnis von der Abtretung“ als Tatbestandsmerkmal und Wertungskriterium für den Schuldnerschutz Der Tatbestand von §  407 I BGB fordert die Kenntnis „der Abtretung“. Ziel der Norm ist es, den Schuldner zu schützen, weil dieser in Unkenntnis eines Wechsels der Forderungsinhaberschaft an den falschen Gläubiger leistet und die Leistung damit nicht schuldbefreiend wäre. Daher ist das diesen Schutz ausschließende Merkmal der Kenntnis eher eng auszulegen, d. h. sie muss umfassend vorliegen, damit der Schutz ausgeschlossen ist. Ansonsten gerät die Zielsetzung der Norm in Gefahr. Bei der Bestimmung der tatbestandlich vorgeschriebenen Kenntnis ist zu beachten, dass der Gesetzgeber der positiven Kenntnis die verschuldete Unkenntnis bewusst nicht gleichgestellt hat. Gegenstand des Erfordernisses der Kenntnis in §  407 I BGB sind zumindest die Tatsachen, die zu dem Wechsel der Forderungsinhaberschaft führen. Dies umfasst bei der rechtsgeschäftlichen Übertragung der Forderungen vor allem die Willenserklärungen von Zessionar und Zedenten und bei dem gesetzlichen Forderungsübergang vor allem die tatsächlichen Voraussetzungen der jeweiligen cessio legis. Der Schuldner muss zumindest von diesen tatsächlichen Umständen Kenntnis haben. Bei der Bewertung dieser tatsächlichen Umstände sind Abstufungen vorzunehmen. Die vom Tatbestand der Norm des §  407 I BGB angedeutete (Rechts-)Kenntnis von der Abtretung als Ergebnis der rechtlichen Bewer276 Soergel/Schreiber,

BGB, 13.  A., 2010, §  407 Rn.  6 ; BGH NJW 1997, 1775, 1776. 87, 412, 418; BGH VersR 1962, 515, 516; BGH NJW 1977, 581, 582 (Rechnungs­ abwicklung durch EDV-Anlage); BGH NJW 1997, 1775, 1776. 278  OLG HammVersR 1995, 582, 583. 277  RGZ

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§  7  Zerstörung von Vertrauen auf der Grundlage eines Kenntnisstandes

tung der bekannten Tatsachen betrifft die „Fähigkeiten“, die dem Schuldner unterstellt werden, aus den zutreffend erkannten Tatsachen rechtlich zutreffende Schlüsse zu ziehen. Bei der Festlegung der Fähigkeiten des Schuldners im Hinblick auf die zu ziehenden Folgerungen ist zu beachten, dass sich der Wechsel der Forderungsinhaberschaft ohne das Zutun des Schuldners vollzieht und er darüber hinaus kein eigenes Interesse an dem Wechsel der Person seines Gläubigers hat. Daher ist es gerechtfertigt, die das Tatbestandsmerkmal der Kenntnis konkretisierenden Anforderungen an die „Fähigkeiten“ des Schuldners, Schlüsse aus den bekannten Tatsachen zu ziehen, nicht zu überspannen. Aus diesem Grund reicht es nicht aus, dass der Schuldner die Kenntnis von den dem Wechsel der Forderungsinhaberschaft zugrunde liegenden Tatsachen hat und diese in den Kontext bringt, dass er möglicherweise einem neuen Gläubiger schulden würde. Vielmehr ist es – ähnlich der konstitutiven Voraussetzung des gemeinen Rechts (in Form der geänderten Willensrichtung des Schuldners, nun dem neuen Gläubiger zu schulden und an ihn leisten zu wollen) – notwendig, dass der Schuldner den (vermeintlichen) Zessionar als seinen neuen Gläubiger erkennt und sich diese Erkenntnis auf die ihm bekannten Tatsachen stützt. Die Bewertung des Schuldners, auf der diese Erkenntnis im Hinblick auf die neue Forderungsinhaberschaft basiert, ist kein tatsächlicher Umstand, der real bestimmt bzw. bewiesen werden kann. Die Überzeugung des Schuldners von der Rechtsstellung des neuen Gläubigers (d. h. „sichere Kenntnis“ von dem Wechsel der Forderungsinhaberschaft) kann nur durch eine wertende Entscheidung aus der Perspektive eines unbeteiligten Dritten bestimmt werden. Dabei hilft es, aus dem Blickwinkel des Dritten, dem die dem Schuldner bekannten Tatsachen genannt und übliche Fähigkeiten eines Schuldners unterstellt werden, die Frage zu stellen, ob aus diesen Tatsachen auf einen Wechsel der Forderungsinhaberschaft zu schließen ist. Hierfür wiederum sind die beiden Indikatoren („sichere Kenntnis“ und „berechtigte Zweifel“) für das Naheliegen einer solchen Folgerung und Überzeugungsbildung beim Schuldner von dem Wechsel der Forderungsinhaberschaft hilfreich. Es geht um die Frage, ob hinreichender Anlass für den Schuldner bestand, von einem Wechsel der Forderungsinhaberschaft auszugehen oder die Zweifel als Hindernisse einer Überzeugungsbildung überwogen. Dabei dienen die tatsächlichen Umstände als Anhaltspunkte: Beispielsweise spricht gegen das Bestehen von Zweifeln und für die Bildung einer Überzeugung von dem Wechsel der Forderungsinhaberschaft die Glaubwürdigkeit der Information des Schuldners, aus der ein Schuldner die Übertragung der Forderung üblicherweise ableiten würde. Ist diese Informationsquelle vertrauenswürdig, weil die mitteilende Person z. B. keine eigenen Interessen verfolgt oder die Information für sie sogar einzig nachteilig wäre (Zedent, der damit erklärt, dass er nicht mehr berechtigt ist, die Leistung schuldbefreiend anzunehmen), ist eine schuldnerseitige Überzeugung vom Wechsel der Forderungsinhaberschaft naheliegender als in den Fällen, in denen die Informationsgrundlage und deren Quelle zweifelhaft sind.

IV.  Zahlung des Schuldners an den früheren Gläubiger

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Die Bestimmung des „Überzeugungsgrades“ (d. h. des Vorliegens der „sicheren Kenntnis“) von dem Wechsel der Forderungsinhaberschaft ist eine Wertungsfrage und keine Bestimmung von tatsächlichen Umständen im Hinblick auf das Tatbestandsmerkmal der Kenntnis von der Abtretung in §  407 I BGB. 3. Ergebnis Eine den Schuldnerschutz des §  407 BGB ausschließende positive Kenntnis von der Abtretung liegt vor, wenn der Schuldner sichere Kenntnis von den Tatsachen hat, die den Schluss auf den Übergang der Forderung zulassen. Dazu muss er auf der ihm zur Verfügung stehenden Informationsgrundlage die Überzeugung gebildet haben, dass der Zessionar der neue Forderungsinhaber ist. Die Bestimmung der in §  407 I BGB geforderten Kenntnis hat zweiteilig zu erfolgen: Dem Schuldner müssen die Informationen über die dem Forderungswechsel zugrunde liegenden Tatsachen bekannt sein. Dies sind bei der Abtretung beispielsweise die Willenserklärungen von Zedent und Zessionar, aus denen die Forderungsübertragung folgt. Sowohl die rechtliche Bewertung der dem Schuldner bekannten Tatsachen als auch die Beurteilung der Glaubwürdigkeit der Informationsquelle sind Bewertungen, die der Schuldner vornimmt, die aber keine nachprüfbaren Tatsachen sind, sondern nur das Ergebnis einer Wertung sein können. Daher kommt zu der Tatsachenkenntnis zusätzlich die schuldnerseitige Überzeugung von dem erfolgten Forderungswechsel hinzu, damit positive Kenntnis von der Abtretung vorliegt. Diese Überzeugung kann nicht Gegenstand eines Tatsachenbeweises sein, sondern allenfalls als „naheliegend“ unterstellt werden, wenn ein Dritter in gleicher Situation und mit unterstellt gleichem Kenntnisstand sowie unter Berücksichtigung der Fähigkeiten des Schuldners davon überzeugt wäre, dass ein Forderungswechsel stattgefunden hat und der Zessionar der neue Gläubiger ist. Dafür muss die Kenntnis von den Tatsachen sicher sein: Die Kenntnis ist sicher, wenn sie aus einer vertrauenswürdigen Quelle stammt oder wenn weitere Umstände hinzutreten, die den Schuldner berechtigterweise veranlassen, anzunehmen, dass der neue Gläubiger Forderungsinhaber ist. Der Gegenbegriff zu dem Begriff der sicheren Kenntnis ist der Zweifel. Ist er berechtigt, schließt er die sichere Kenntnis des Schuldners vom Forderungsübergang aus. Die Bestimmung der Kenntnis des Schuldners orientiert sich an der Zuweisung des Risikos, das mit dem Gläubigerwechsel verbunden ist. Der nach der Konzeption des §  407 BGB an der Abtretung unbeteiligte Schuldner soll vor Nachteilen geschützt werden. Es kommt zwar auf seinen Kenntnisstand an, jedoch folgt aus den objektiven äußeren Tatsachen ein Schluss auf seine Kenntnis von der Forderungsinhaberschaft.

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§  7  Zerstörung von Vertrauen auf der Grundlage eines Kenntnisstandes

V.  Kenntnis als Voraussetzung der Insolvenzanfechtung Im Rahmen der Insolvenzanfechtung spielt der jeweilige Kenntnisstand der beteiligten Personen eine entscheidende Rolle für das Eingreifen von Tatbeständen, die zur Massemehrung führen sollen (siehe unten 1.). Die besondere Bedeutung der subjektiven Merkmale war insbesondere vor und während der Insolvenzrechtsreform im Jahre 1994 Gegenstand umfangreicher Diskussion (hierzu siehe unten 2.). Die mit dem Nachweis und der unscharfen Definition einhergehenden Probleme des Tatbestandsmerkmals der positiven Kenntnis führten sogar dazu, dass im Gesetzgebungsverfahren ursprünglich der tatsächliche Kenntnisstand mit einem fiktiven gleichgesetzt werden sollte (d. h. grob fahrlässige Unkenntnis sollte der positiven Kenntnis gleichgesetzt werden). Diese Möglichkeit favorisierte der Gesetzgeber jedoch nicht und beschritt einen anderen Weg, um die Problematik der Relevanz subjektiver Tatbestände zu entschärfen (siehe unten 2. b.). Zunächst dehnte er durch die Regelung des §  130 II InsO den Kreis der Tatsachen aus, auf die sich die Kenntnis beziehen muss bzw. kann, um über die tatbestandsrelevante Kenntnis zu verfügen und verringerte damit die Möglichkeit des Gläubigers, sich auf Unwissenheit zu berufen (siehe unten 2. c.). Gleichzeitig statuierte der Gesetzgeber eine ganze Reihe von Vermutungsregeln (z. B. §§  130 III, 131 II 2, 133 I 2 InsO), die die Beweislast für das Vorliegen der subjektiven Tatbestandsmerkmale erheblich beeinflusste (siehe unten 3.). Damit griff er die in der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze der Beweislastverteilung auf und legte sie der gesetzgeberischen Konzeption zugrunde. Die gesamte Rechtsentwicklung der Insolvenzanfechtung ist dadurch gekennzeichnet, den subjektiven Tatbestandsmerkmalen weniger bzw. gar keine Relevanz mehr zukommen zu lassen (sog. „Entsubjektivierung“ und „Verobjektivierung“).

1.  Funktion des Merkmals der Kenntnis im Rahmen der Insolvenzanfechtung Die Kenntnis als subjektives Tatbestandsmerkmal zahlreicher Insolvenzanfechtungstatbestände (z. B. §§  130 I 1, 132 I, 133 I 1 InsO) erfüllt hauptsächlich die Funktion, Gläubigern die Möglichkeit zu nehmen, sich unredlich zu befriedigen und daher einen Vorteil während bzw. vor allem unmittelbar vor der Insolvenzeröffnung noch vor allen anderen Gläubigern (in voller Höhe) zu erlangen. Aus diesem Grund kann der Insolvenzverwalter vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorgenommene Rechtshandlungen gemäß §  129 I InsO anfechten, wenn diese die Insolvenzgläubiger benachteiligen. Liegt eine wirksame Anfechtung vor, muss das Weggegebene, Veräußerte oder Aufgegebene zur Insolvenzmasse zurückgewährt werden, §  143 I InsO. Die Anfechtungsregeln dienen somit vorrangig dem Schutz der Insolvenzgläubiger, die ohne die Möglichkeit

V.  Kenntnis als Voraussetzung der Insolvenzanfechtung

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der Rückgewähr benachteiligt würden. Gleichzeitig wirken die Regeln zu La­ sten derjenigen Gläubiger, die in der Krise Leistungen erhalten haben. Für eine Anfechtung muss einer der Anfechtungstatbestände der §§  130 bis 136 InsO erfüllt sein.279 Diese Tatbestände unterscheiden sich im Wesentlichen hinsichtlich der durch die Rechtshandlung bewirkten Gläubigerbenachteiligung. Außerdem sind viele Anfechtungstatbestände durch die Unredlichkeit des Leistungsempfängers gekennzeichnet, die meist aus der Kenntnis unterschiedlicher Umstände, die im Zusammenhang mit der Krise stehen, abgeleitet wird. Die Möglichkeit der Anfechtung einzelner Rechtshandlungen bewirkt eine mittelbare Ausdehnung des (erst) im Insolvenzverfahren geltenden Grund­ satzes gleichmäßiger Gläubigerbefriedigung (par conditio creditorum) auf die Zeit vor dem Stellen des Eröffnungsantrags.280 Dem liegt die Abwägung der berechtigten Interessen aller Beteiligten (insbesondere der Schutz des Vertrauens eines gutgläubigen Leistungsempfängers) zugrunde.281 In diese Interessenabwägung findet die Gutgläubigkeit des Leistungsempfängers durch die Beachtung subjektiver Elemente der Anfechtungstatbestände Eingang. Sowohl bei der kongruenten Deckung (§  130 I InsO) als auch bei den unmittelbar nachteiligen Rechtshandlungen (§  132 I InsO) setzt die Anfechtbarkeit voraus, dass der Gläubiger Kenntnis von der Zahlungsunfähigkeit oder (für die Zeit nach dem Eröffnungsantrag) von dem Eröffnungsantrag hatte. Bei der inkongruenten Deckung (§  131 I InsO) gibt es neben den zwei kenntnisunabhängigen Varianten des Anfechtungstatbestandes (§  131 I Nr.  1 und 2 InsO) einer kurz vor Eröffnungsantrag erfolgten Handlung oder des Vorliegens von Zahlungsunfähigkeit282 die kenntnisabhängige Variante (§  131 I Nr.  3 InsO), bei der es in dem relevanten Zeitraum allein auf die Kenntnis des Gläubigers von der Benachteiligung der Insolvenzgläubiger ankommt. Eine Anfechtung wegen einer durch den Schuldner vorsätzlich herbeigeführten Gläubigerbenachteiligung (§  133 I InsO) erfordert die Kenntnis des Gläubigers von dem Benachteiligungsvorsatz des Schuldners.283 Bei einer unentgeltlichen Zuwendung ist die Anfechtbarkeit (§  134 InsO) nicht von einer Kenntnis des Gläubigers abhängig. Erhält jemand etwas unentgeltlich, wird er in der Regel als weniger schutzwürdig angesehen. Dies ist aber nicht auf seine Unredlichkeit, sondern auf die geringere Schutzwürdigkeit seines Vertrauens auf das Behaltendürfen zurückzuführen. Daher hat 279 MünchKommInsO/Kirchhof,

3.A., 2013, §  129 Rn.  5. 3.  A., 2013, Vorbem. vor §§  129 bis 147 Rn.  1 f. 281  Gesetzentwurf der Bundesregierung (Entwurf einer Insolvenzordnung) vom 15.04.1992, BT-Drcks. 12/2443 S.  156 ff. 282  Wobei nach der InsO die Inkongruenz selbst nicht vom Wissen des Gläubigers umfasst sein muss, vgl. Paulus, WM 2000, 2225, 2229. 283 Dies ist besonders misslich, da die Beteiligten regelmäßig weder den Benachteiligungsvorsatz noch die Kenntnis eines solchen einräumen, vgl. hierzu Gehrlein, FS Ganter, 2010, S.  169, 179 f. sowie BGH NJW-RR 2014, 231. 280 MünchKommInsO/Kirchhof,

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§  7  Zerstörung von Vertrauen auf der Grundlage eines Kenntnisstandes

der Kenntnisstand des Gläubigers, der eine Leistung unentgeltlich empfängt, für die Anfechtungsmöglichkeit keine Relevanz. Eine Ausnahme davon gilt nur bei der an sich allein objektiv zu bestimmenden Unentgeltlichkeit der Leistung, wenn die Beteiligten den Gegenwert einer Leistung zu hoch ansetzen und damit ein Entgelt anstreben.284 Dann sind die subjektiven Vorstellungen von Lei­s­ tung und Gegenleistung mit in die Bewertung einzubeziehen. Die generelle Abhängigkeit der Anfechtungsmöglichkeiten von der Kenntnis des Gläubigers ist nicht unumstritten. Bereits unter der Geltung der Konkursordnung285 standen die (im Gegensatz zur heutigen Regelung weitaus ausgeprägteren) subjektiven Voraussetzungen der Anfechtungstatbestände stark in der Kritik. So wurde in der Literatur286 die Forderung laut, die Anfechtungstatbestände für ein modernes Insolvenzrecht von deren subjektiven Voraussetzungen („historischer Ballast“) 287 zu befreien und zu verobjektivieren. Gestützt wurde diese Forderung im Wesentlichen auf zwei Argumente: Zum einen wogen die Schwierigkeiten bei der Beweisführung des subjektiven Tatbestandes der Kenntnis besonders schwer, so dass die Anfechtungsregeln ein ineffizientes Instrument der Massemehrung waren.288 Zum anderen sah man den konkurs-/ insolvenzrechtlichen Grundsatz der gleichmäßigen Gläubigerbefriedigung (par conditio creditorum) bei der Beachtung subjektiver Merkmale als gefährdet an. Überdies wurde der für das Bestehen einer Anfechtungsmöglichkeit mehr oder weniger zufällige Zeitpunkt der Konkurseröffnung kritisiert. Daher wurde vertreten, dass die in der Krisenzeit erworbene Vorzugsposition unabhängig von der Kenntnis des Gläubigers zur bloßen Verwirklichung des Grundsatzes der par conditio creditorum in jedem Fall zurück zu gewähren sei.289 Die Möglichkeit der Anfechtung solle ihren Grund nicht in einer (gewollten) Handlung des (wissenden) Gläubigers haben, sondern einzig auf die objektive Verminderung des Schuldnervermögens zurückzuführen sein. Dementsprechend sei für die Möglichkeit der Anfechtung nicht auf subjektive Merkmale abzustellen, vielmehr sei nur das Vorliegen der Krisenvoraussetzungen entscheidend. Darüber hinaus sei für die Anfechtung nicht die Verfahrenseröffnung maßgeblich, son284  Vgl. BGH NJW 1978, 1326, 1327; BGH NJW 1972, 48 f.; vgl. auch Paulus, WM 2000, 2225, 2230. 285  Konkursordnung (KO) i. d. F. der Bekanntmachung vom 20. Mai 1898 (RGBl. S.  612) BGBl. III/FNA 311–4 zuletzt geändert durch Art.  5 Gesetz zur Änderung der Haftungsbeschränkung in der Binnenschiffahrt vom 25.8.1998 (BGBl. 1998 I S.  2489). KO aufgehoben m.W.v. 1.1.1999 durch Art.  2 Nr.  4 G v. 5.10.1994 (BGBl. 1994 I S.  2911). Seit diesem Zeitpunkt gilt die Insolvenzordnung v. 5.10.1994 (BGBl. 1994 I S.  2866). 286  Weber, KTS 1959, 80, 85; Gerhardt, FS 100 Jahre KO, 1977, S.  111, 129 ff.; Siedschlag, Reform des Insolvenzrechts, 1971, S.  126 f.; Weber, FS 100 Jahre KO, 1977, S.  321, 348 f.; Henckel, ZIP 1982, 391, 396 (im Sinne einer unwiderleglichen Vermutung der Bösgläubigkeit zumindest bei inkongruenter Deckung). 287  Hanisch, ZZP 1977 (90), 1, 21. 288 Vgl. Siedschlag, Reform des Insolvenzrechts, 1971, S.  126; Hanisch, ZZP 1977 (90), 1, 21 f. 289  Weber, KTS 1959, 80, 85; Weber, FS 100 Jahre KO, 1977, S.  321, 348.

V.  Kenntnis als Voraussetzung der Insolvenzanfechtung

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dern das Vorliegen der materiellen Voraussetzungen des Konkurses.290 Da dieser Ansatz ausschließlich auf die materiellen Voraussetzungen des Konkurses abstellte, entsprach er jedoch nicht der Systematik der damaligen Konkursordnung, die für die Wirkungen des Konkurses auf den formellen Konkurs (ab Verfahrenseröffnung) abstellte.291 Für die Zeit, in der die materiellen Konkursvoraussetzungen vorlagen, sah die Konkursordnung bis zur formellen Verfahrenseröffnung nur dann Rechtsfolgen vor, wenn besondere Umstände gegeben waren. Solche besonderen Umstände konnten in der Unredlichkeit des Gläubigers liegen, d. h. in den subjektiven Merkmalen der Anfechtungstatbestände.292 Gegen die dargestellte Forderung nach gänzlicher Unabhängigkeit der Anfechtungstatbestände von subjektiven Merkmalen („Entsubjektivierung“) sprachen sich auch gewichtige Stimmen in der Literatur 293 aus: Vor allem für den Fall einer kongruenten Befriedigung und Sicherung wurde es als nicht verständlich angesehen, „dass jemand unredlich handeln soll, der eine Leistung seines – in seiner Verfügungsmacht noch freien – Schuldners eintreibt, die ihm zu dieser Zeit und in dieser Weise zusteht“.294 Die Unredlichkeit kann dann nur in dem Kenntnisstand des Gläubigers begründet liegen. Dies gilt auch, wenn es an einer Handlung des Gläubigers in dem relevanten Zeitpunkt der Stellung des Eröffnungsantrages fehlt. Dabei kann es für die Möglichkeit einer Anfechtung lediglich auf die Kenntnis des Gläubigers (d. h. auf subjektive Voraussetzungen) ankommen. Dies verdeutlicht folgender Fall: 295 Der Gläubiger erhält nach Einleitung aber vor Beendigung einer Pfändung Kenntnis von der Zahlungseinstellung oder der Stellung des Eröffnungsantrags. In der Zeit ab Pfändungseinleitung liegt keinerlei Handlung des Gläubigers vor, aus der sich dessen Unredlichkeit ergeben könnte. Daher kann in dem Fall eine die Anfechtung begründende Unredlichkeit des Gläubigers nicht mit objektiven Umständen, sondern allenfalls mit seiner Kenntnis begründet werden.296 Im Rahmen der Reform des Insolvenzrechts im Jahre 1994 griff der Gesetzgeber die Diskussion um die Entsubjektivierung der Anfechtungstatbestände wieder auf. Bei dem Gesetzgebungsvorhaben sollte in der Insolvenzordnung 290  Formeller Konkurs liegt ab Verfahrenseröffnung vor. Zeitlich zuvor liegt i. d. R. der materielle Konkurs vor, wenn die Konkursvoraussetzungen gegeben sind. 291  Früher war auch dies anders, vgl. ausführlich Gerhardt, Gläubigeranfechtung, 1969, S.  86 ff. 292  Gerhardt, FS 100 Jahre KO, 1977, S.  111, 131. 293  Vor allem Canaris, FS 100 Jahre KO, 1977, S.  73, 78; einschränkend Gerhardt, FS 100 Jahre KO, 1977, S.  111, 131. 294  Hierzu insbes. Canaris, FS 100 Jahre KO, 1977, S.  73, 78. 295  Dargestellt von Canaris, FS 100 Jahre KO, 1977, S.  73, 78 auch m. w. N. hierzu. 296  Canaris, FS 100 Jahre KO, 1977, S.  73, 78. Ein ähnlicher Fall liegt BGH KTS 1964, 166 zugrunde: Bei der Anfechtung einer Bestellung eines Rechtes an einem Grundstück ist auf die Kenntnis im Zeitpunkt der Eintragung des Rechts und nicht auf dessen Bestellung durch den Anfechtungsgegner abzustellen.

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§  7  Zerstörung von Vertrauen auf der Grundlage eines Kenntnisstandes

das Konkurs- und Vergleichsrecht modernisiert werden und gleichzeitig die Gesamtvollstreckungsordnung (GesO) wegfallen, die bislang in den neuen Bundesländern und in Ost-Berlin als Übergangsrecht fortgalt.297 Dies ist für die hier maßgeblichen subjektiven Tatbestandsmerkmale von besonderem Interesse, da für eine Anfechtung gemäß §  10 I Nr.  4 GesO298 bereits die fahrlässige Unkenntnis299 der Krisensituation ausreichte, während §  30 KO nur auf die positive Kenntnis des Konkursgläubigers abstellte. Der Gesetzgeber betrat in der Insolvenzrechtsreform 1994 bezüglich der Anfechtungstatbestände Neuland: Neben den zahlreichen Vermutungsregeln und der spezifischen Verteilung der Beweislast einzelner subjektiver Tatbestandsmerkmale rückte die Definition der relevanten Kenntnis in den Fokus der Diskussion. Das Neue an dem gesetzgeberischen Vorgehen war die Ausdehnung der möglichen Tatsachen, auf die sich die tatbestandsrelevante Kenntnis beziehen kann, so dass letztlich die geforderte Kenntnis für den Anfechtungstat­ bestand vorliegt. Konkret geht es um eine Ausdehnung der möglichen Hilfs­ tatsachen, die der Gläubiger kennt und darum, dass ihm bei Kenntnis dieser Hilfstatsachen auch der Schluss auf die eigentlich vom Tatbestand geforderten Tatsachen (insbesondere die Krisensituation) unterstellt wird.

2.  Abstufungen der Kenntnisintensität und Ausdehnung des Gegenstandes der Kenntnis – materiell-rechtliche Entsubjektivierung der Anfechtungstatbestände a.  Geplante (aber nicht umgesetzte) Gleichstellung von positiver Kenntnis und grob fahrlässiger Unkenntnis von der Krise Eines der erklärten Ziele des Insolvenzrechtsänderungsgesetzes, das im Jahre 1994 in Kraft trat, war die Verschärfung des Anfechtungsrechts, damit „Vermögensverschiebungen im Vorfeld des Insolvenzverfahrens besser als bisher rückgängig gemacht werden können“.300 Dieses Ziel sollte mit einer Aufweichung (bzw. so weit wie möglich mittels einer „Abschaffung“) der subjektiven Anforderungen im Rahmen der Anfechtungstatbestände realisiert werden. Einerseits kodifizierte der Gesetzgeber aus diesem Grunde die bisher in der Rechtsprechung entwickelten Beweislastverteilungen vor allem für die Kenntnis der dem 297 Ausführlich hierzu Entwurf einer Insolvenzordnung vom 15.04.1992, BT-Drcks. 12/2443, S.  104. 298  §  10 I Nr.  4 GesO: „Der Verwalter kann Rechtshandlungen des Schuldners anfechten, wenn […] 4. sie nach der Zahlungseinstellung oder dem Antrag auf Eröffnung der Gesamtvollstreckung gegenüber Personen vorgenommen wurden, denen zur Zeit der Handlung die Zahlungsunfähigkeit oder der Antrag auf Eröffnung der Gesamtvollstreckung bekannt war oder den Umständen nach bekannt sein mußte.“ 299  Sogar leichte Fahrlässigkeit schadete, BGH NZI 1998, 118; BGH NJW 2000, 211, 212. 300  Entwurf einer Insolvenzordnung vom 15.04.1992, BT-Drcks. 12/2443 (unter B. 3. zu Beginn des Dokuments) sowie genauer ab S.  82.

V.  Kenntnis als Voraussetzung der Insolvenzanfechtung

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Schuldner nahestehenden Personen und entwickelte sie weiter. Andererseits wollte man dieses Regelungsziel verfolgen, indem das Merkmal der „Kenntnis von der Krisensituation“ mit dem der „grob fahrlässigen Unkenntnis von der Krisensituation“ tatbestandsmäßig gleichgesetzt werden sollte.301 Begründet wurde die geplante Gleichsetzung mit dem Fehlen der Schutzwürdigkeit des Gläubigers in beiden Fällen (der Kenntnis bzw. der grob fahrlässigen Unkenntnis). Es sollte der Grundsatz gelten, dass ein Gläubiger und Leistungsempfänger darauf vertrauen darf, die ihm vertraglich zustehende Leistung auch behalten zu dürfen.302 Allerdings sollte er nicht geschützt werden, wenn er wusste, dass die Krise eingetreten war und das Insolvenzverfahren anschließend tatsächlich eröffnet wird. Der Gesetzgeber ging davon aus, dass es die zeitliche Nähe des Erwerbs zur Verfahrenseröffnung rechtfertige, den Schutz auch entfallen zu lassen, wenn der Gläubiger nur wegen grober Fahrlässigkeit keine Kenntnis von der Krise hatte, da auch in diesem Fall schutzwürdige Belange des Gläubigers nicht betroffen seien.303 Der in der fahrlässigen Unkenntnis enthaltene Vorwurf der Nachlässigkeit, den eigenen Kenntnisstand nicht erlangt zu haben, sollte aber nicht uneingeschränkt gelten: Der Regelungsvorschlag orientierte sich an der bis dahin geltenden Rechtslage nach der GesO: Gemäß §  10 I Nr.  4 GesO reichte bereits leicht fahrlässige Unkenntnis aus. Danach war der Gläubiger auch gehalten, zusätzliche Informationen über die Zahlungsfähigkeit des Schuldners einzuholen, wenn bestimmte Umstände (wie z. B. eine entsprechende Presseberichterstattung) den Verdacht einer Zahlungsunfähigkeit nahelegten.304 Der Gesetzgeber beabsichtigte allerdings nicht, solche Nachforschungsobliegenheiten auch in der Insolvenzordnung zu statuieren und machte dies damit deutlich, dass nur die grob fahrlässige Unkenntnis und nicht bereits eine Unkenntnis schaden sollte, die auf einfacher Fahrlässigkeit beruht. Dementsprechend sollte der Gläubiger nach der geplanten Regelung (§§  145 f. InsO-E) nicht verpflichtet sein, Nachforschungen über die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Schuldners anzustellen. Gleichwohl ist der Gesetzesbegründung zu entnehmen, dass sich der Gläubiger nicht „über Tatsachen hinweg[zu]setzen [darf], die den Verdacht nahelegen, daß die Krise eingetreten ist“.305 Diese Formulierung zeigt, dass die gesetzgeberische Intention darauf zielte, dem Gläubiger zwar naheliegende Erkenntnismöglichkeiten zuzumuten, Nachforschungsobliegenheiten hingegen, bei denen er aktiv werden müsste, davon jedoch nicht erfasst sein sollen. Die Differenzierung an 301 

Entwurf einer Insolvenzordnung vom 15.04.1992, BT-Drcks. 12/2443, S.  156 re. Sp. einer Insolvenzordnung vom 15.04.1992, (Begr. zu §  145 InsO), BT-Drcks. 12/2443, S.  158 li. Sp. 303  Entwurf einer Insolvenzordnung vom 15.04.1992, (Begr. zu §   145 InsO), BT-Drcks. 12/2443, S.  158 li. Sp. 304  BGH NJW-RR 2001, 1699. 305  Entwurf einer Insolvenzordnung vom 15.04.1992, (Begr. zu §  145 InsO), BT-Drcks. 12/2443, S.  158 li. Sp. 302  Entwurf

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§  7  Zerstörung von Vertrauen auf der Grundlage eines Kenntnisstandes

der Abstufung des Fahrlässigkeitsmaßstabes festzumachen, ist im Ergebnis allerdings wenig nachvollziehbar. Schließlich ist kaum zu begründen, warum die Grenze zwischen einfacher und grober Fahrlässigkeit gerade dort verläuft, wo der Betroffene aktiv werden muss. Die übliche Abgrenzung der Fahrlässigkeitsmaßstäbe erfolgt eher anhand der Formel, dass „dasjenige unbeachtet geblieben ist, was im gegebenen Fall sich jedem aufgedrängt hätte“306 . Dann bleibt indes die Frage offen, warum dies nicht gegeben sein soll, wenn besonders naheliegende Erkenntnismöglichkeiten nicht genutzt wurden, nur weil diese Erkenntnismöglichkeiten eine „Nachforschungsobliegenheit“ begründen würden, d. h. der Betroffene aktiv werden musste und sich die Information nicht aus sich selbst heraus aufgedrängt hat. Diese Grenzziehung wies daher offenbar weder eine besondere Schärfe noch eine schlüssige Begründung auf. b.  Alternative zur Einbeziehung der grob fahrlässigen Unkenntnis: Ausdehnung des Gegenstandes der Kenntnis (1)  Ausdehnung der kenntnisrelevanten Tatsachen anstatt Gleichstellung von Kenntnis und grob fahrlässiger Unkenntnis Die Lösungsvariante der geplanten Gleichstellung von Kenntnis mit grob fahrlässiger Unkenntnis verfolgte der Gesetzgeber im Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens nicht weiter. Schließlich wurde sie durch eine ganz andere Regelung (in §  130 II InsO) ersetzt. Der Rechtsausschuss307 führte hierzu in der Beschluss­ empfehlung aus, dass die positive Kenntnis in diesem Zusammenhang doch nicht gleichbedeutend mit grober Fahrlässigkeit sei. Vielmehr dürfe „die Anfechtbarkeit bei Geschäften, bei denen der Vertragspartner des Schuldners nichts anderes als die geschuldete Leistung erhält, im Interesse der Rechts­ sicherheit nicht zu weit ausgedehnt werden“.308 Zudem sei der unscharfe Begriff der „groben Fahrlässigkeit“ zu vermeiden.309 Als Hintergrund dieser Änderung vermuten Vertreter der Auffassung in der Literatur die erfolgreiche Lobby­ arbeit der maßgeblich von der geplanten Regelung betroffenen Banken.310 Diese wollten sich nicht weitreichenden Anfechtungsmöglichkeiten wegen ausgedehnter Sorgfaltsanforderungen ausgesetzt sehen. Die alternativ eingefügte Regelung stellt nicht auf die Art der gläubigerseitigen Kenntnis (positive Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis) ab, sondern 306 

St. Rspr., statt vieler BGH NJW 1992, 3235, 3236. des Rechtsausschusses zum Entwurf der InsO, BT-Drcks. 12/7302, S.  173. 308 Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses zum Entwurf der InsO, BT-Drcks. 12/7302, S.  173. 309 Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses zum Entwurf der InsO, BT-Drcks. 12/7302, S.  173. 310  Paulus, WM 2000, 2225, 2228; Gerhardt, FS Brandner, 1996, S.  605, 616; Häsemeyer, Insolvenzrecht, 4.  A., 2007, Rn.  51, 50. 307 Beschlussempfehlung

V.  Kenntnis als Voraussetzung der Insolvenzanfechtung

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belässt es bei der Notwendigkeit der positiven Kenntnis, erweitert jedoch den Kreis möglicher Bezugspunkte, auf die sich die (positive) Kenntnis beziehen muss bzw. kann. Gemäß §  130 II InsO ist die Kenntnis von Umständen, die zwingend auf die Zahlungsunfähigkeit oder den Eröffnungsantrag schließen lassen, mit der positiven Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit oder des Eröffnungsantrags im Sinne von §  130 I InsO gleichzusetzen.311 In subjektiver Hinsicht gleichen sich die Anfechtungstatbestände des §  130 I InsO (kongruente Deckung), des §  131 I Nr.  3 InsO (inkongruente Deckung), des §  132 I InsO (mittelbare Gläubigerbenachteiligung) und des §  133 I InsO (vorsätzliche Benachteiligung) insoweit, als sie für das Bestehen eines Anfechtungsrechts das Vorliegen positiver Kenntnis der Krise (§§  130 I, 132 I InsO), von der Insolvenzgläubigerbenachteiligung (§  131 I Nr.  3 InsO) oder von dem Vorsatz der Gläubigerbenachteiligung (§  133 I InsO) fordern. Der positiven Kenntnis wird in diesem Zusammenhang die Bedeutung von „für sicher gehaltenes Wissen“ beigemessen.312 Die Definition des Gegenstandes der tatbestandsmäßigen Kenntnis (d. h. worauf sich die Kenntnis beziehen muss) unterlag bis zu den heutigen Regelungen in der Insolvenzordnung einer wechselvollen Geschichte: Im Hinblick auf die Kenntnis von der Zahlungsunfähigkeit (§§  130 I, 132 I InsO) bedeutet die positive Kenntnis das sichere Wissen der in §  17 II 1 InsO normierten Tatbestandsmerkmale, d. h. die Kenntnis, dass der Schuldner „nicht in der Lage ist, die fälligen Zahlungspflichten zu erfüllen“. Auch bei der aus der subjektiven Sicht des Gläubigers zu bestimmenden Zahlungsunfähigkeit hilft die Vermutung des §  17 II 2 InsO.313 Danach besteht Zahlungsunfähigkeit, wenn der Schuldner die Zahlungen einstellt. Die Kenntnis von der Zahlungsunfähigkeit des Schuldners wird durch die Anwendung der Vermutungsregel des §  17 II 2 InsO auf weitere Tatsachen ausgedehnt: Für die Kenntnis vom Eröffnungsantrag genügt daher bereits die Kenntnis davon, dass eine Zahlungseinstellung vorliegt. Die Zahlungseinstellung ist das nach außen erkennbare Verhalten des Schuldners, das regelmäßig den internen Grund einer Zahlungsun­ fähigkeit hat.314 Daraus folgern die beteiligten Verkehrskreise in der Regel, dass der Schuldner nicht in der Lage sein wird, seine fälligen Zahlungspflichten zu erfüllen, wenn sich ihnen der „berechtigte Eindruck“ hierzu aufdrängt.315 Letzteres ist beispielsweise insbesondere der Fall, wenn der Schuldner die Zah311  Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses (6.  A .sschuss) zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung – Drucksache 12/2443 – Entwurf einer Insolvenzordnung (InsO) vom 19.04.1994, BT-Drcks. 12/7302, S.  54, 173. 312  BGH WM 1991, 150, 151; BGH NJW 2009, 1202, 1203 Tz.   13; MünchKommInsO/ Kirchhof, 3.  A., 2013, §  130 Rn.  33. 313  BGH NJW 2002, 515, 516; BGH NZI 2007, 36 f. Tz.  12 f. 314  BGH NZI 2007, 36, 37 Tz.  13; so auch bereits zur Konkursordnung RG JW 1908 Nr.  30 (S.  459) li. Sp. 315  BGH NJW 2002, 515, 517; BGH NZI 2007, 36, 37 Tz.  13.

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§  7  Zerstörung von Vertrauen auf der Grundlage eines Kenntnisstandes

lung von Sozialabgaben eingestellt hat, da deren Vorenthaltung strafbewehrt ist und der Schuldner damit an sich ein besonders hohes Interesse an der pünktlichen Zahlung hat.316 (2)  Historisches Verständnis der Gleichstellung von Zahlungsunfähigkeit und Zahlungseinstellung §  17 II InsO stellt für die Frage nach dem Eröffnungsgrund materiell-rechtlich die Zahlungsunfähigkeit der Zahlungseinstellung gleich. Die in der Rechtsprechung ausgeführte Begründung bezüglich des „berechtigten Eindrucks“ von der Zahlungsunfähigkeit und der damit schließlich verbundenen Kenntnis von der Zahlungsunfähigkeit bzw. der Zahlungseinstellung ist erst vor dem Hintergrund der Gesetzeslage vor der Insolvenzrechtsreform zu verstehen: Nach früherem Recht (§  30 Nr.  1 KO) musste sich die Kenntnis von vornherein auf die Zahlungseinstellung und nicht auf die Zahlungsunfähigkeit beziehen. Dieses Tatbestandsmerkmal der positiven Kenntnis wurde allerdings restriktiv ausgelegt. Für das Vorliegen positiver Kenntnis von der Zahlungseinstellung war es nicht ausreichend, wenn der Gläubiger mit der (auch naheliegenden) Wahrscheinlichkeit der Zahlungseinstellung rechnete: Eine Vermutung des Gläubigers genügte ebenso wenig wie die Überzeugung des Gläubigers von der bevorstehenden Zahlungsunfähigkeit.317 Die Kenntnis der Tatsachen, die auf eine Zahlungseinstellung schließen ließen, sei nicht gleichzusetzen mit der Kenntnis der Tatsache der Zahlungseinstellung selbst.318 Die Zahlungseinstellung hat die Rechtsprechung vielmehr als eine ausdrückliche oder stillschweigende Erklärung des Schuldners angesehen, durch die er nach außen zu erkennen gebe, dass er seine fälligen Geldschulden nicht mehr erfüllen kann.319 Die Rechtsprechung wies in diesem Zusammenhang oft darauf hin, dass es für die tatbestandsmäßige Kenntnis nicht darauf ankomme, dass das Gericht aus den dem Gläubiger bekannten Tatsachen auf die Zahlungseinstellung schließen konnte, sondern dass vielmehr erforderlich sei, dass gerade der Gläubiger aus den ihm bekannten Tatsachen das Vorhandensein der Zahlungseinstellung tatsächlich gefolgert hat.320 Die Rechtsprechung begründete in den entsprechenden Entscheidungen diese restriktive Haltung mit der fehlenden Gleichstellung von positiver Kenntnis und grob fahrlässiger Unkenntnis in den Anfechtungstatbeständen der KO. Konnte daher von bestimmten bekannten Tatsachen (grundlos ausbleibende Zahlung) auf die hinsichtlich der Anfechtungstatbestände relevanten Tatsachen 316  BGH NJW 2002, 515, 517; ähnlich BGH WM 2013, 2074 Tz.   5; einschränkend aber BGH NZI 2014, 23, 24 Tz.  13 ff. (Maßgeblichkeit der Gesamtverbindlichkeiten). 317  RGZ 95, 152, 153. 318  RGZ 23, 112, 115. 319  RG JW 1908 Nr.  30 (S.  459) li. Sp. 320  RG JW 1908 Nr.  30 (S.  459) re. Sp.; RG Warn 1910 Nr.  395 (S.  410); RG Warn 1912 Nr.  50 (S.  55).

V.  Kenntnis als Voraussetzung der Insolvenzanfechtung

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(Zahlungseinstellung, d. h. nicht erfolgende Zahlung wegen Liquiditätsmangels) geschlossen werden, so reichte dies für eine Kenntnis der relevanten Tat­ sachen regelmäßig nicht aus, wenn sich der Gläubiger darauf berief, die relevanten Tatsachen gerade nicht zu kennen. (3)  Konzept der Neuregelung in §  130 II InsO Der als unbefriedigend empfundene Umstand, dass sich der Gläubiger auf „Unwissen“ bezüglich der tatbestandsrelevanten Tatsachen berufen kann, wurde in der Rechtsprechung321 teilweise mit entsprechenden Beweislastverteilungen abgefedert. Bei einer inkongruenten Deckung musste beispielsweise der Anfechtungsgegner, der erst nach Zahlungseinstellung eine Leistung erhält, den ihn ent­lastenden Beweis führen, dass ihm die Zahlungseinstellung im Zeitpunkt des Erwerbs nicht bekannt war.322 Im Gesetzgebungsverfahren der Insolvenzordnung wurde dieses Problem aufgegriffen. Der Gesetzgeber begnügte sich jedoch nicht damit, die von der Rechtsprechung entwickelten Beweislastverteilungen gesetzlich zu perpetuieren, sondern regelte auch den Kreis der möglichen Tatsachen neu, auf die sich die Kenntnis beziehen konnte. Dies war eine Folge davon, dass der Gesetzgeber die grob fahrlässige Unkenntnis nicht der positiven Kenntnis gleichsetzte. Gemäß §  130 II InsO steht nunmehr die Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit oder des Eröffnungsantrags der „Kenntnis von Umständen gleich, die zwingend auf die Zahlungsunfähigkeit oder den Eröffnungsantrag schließen lassen“. Damit dehnt der Gesetzgeber den Kreis der möglichen Gegenstände, auf die sich die Kenntnis beziehen muss, in materiell-rechtlicher Hinsicht aus. Er definiert diese Tatsachen allerdings nicht explizit (wie z. B. die Gleichsetzung von Zahlungsunfähigkeit und Zahlungseinstellung in §  17 II 2 InsO), vielmehr erhält der Begriff der „Umstände“ einen Umfang, der durch (nach dem BGH323 : „tatrichterliche“) Wertung gewonnen werden muss: Die Umstände müssen geeignet sein, aus ihnen „zwingend“ auf die eigentlich tatbestandsmäßigen Tatsachen („Zahlungsunfähigkeit“ oder „Eröffnungsantrag“) schließen zu lassen. c.  Begrenzung der kenntnisrelevanten „Umstände“: Möglichkeit, „zwingende Schlüsse“ aus den bekannten Tatsachen zu ziehen Nach dem Tatbestand von §  130 I InsO setzt die Anfechtungsmöglichkeit voraus, dass der Gläubiger die Zahlungsunfähigkeit (bzw. bei §  130 I 1 Nr.  2 InsO alternativ auch den Eröffnungsantrag) kannte. Es ist positive Kenntnis erforderlich. Die Gleichstellung der positiven Kenntnis und der grob fahrlässigen Un321 

BGH NJW 1984, 1893, 1899. an diesen Beweis strenge Anforderungen zu stellen seien, vgl. BGH WM 1991, 150, 151; BGH NJW 1984, 1893, 1899; BGH WM 1961, 1371. 323  BGH NZI 2013, 932, 934 Tz.  17. 322  Wobei

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kenntnis fand trotz ursprünglicher Planung letztlich keinen Eingang ins Gesetz.324 Der Zahlungsunfähigkeit steht gemäß §  17 II 2 InsO auch die Zahlungseinstellung gleich. Die in §  130 I InsO geforderte Kenntnis bezieht sich daher auf den Eröffnungsantrag, die Zahlungsunfähigkeit oder die Zahlungseinstellung. (1)  Die „Umstände“ als Bezugstatsachen für die Schlüsse auf die tatbestandsrelevanten Tatsachen §  130 II InsO weitet den Kreis der insolvenzanfechtungsrechtlich notwendigerweise bekannten Tatsachen auf „Umstände“ aus, „die zwingend auf die Zahlungsunfähigkeit oder den Eröffnungsantrag schließen lassen“. Damit wollte der Gesetzgeber einen Zustand beschreiben, der zwischen grob fahrlässiger Unkenntnis und positiver Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit oder dem Eröffnungsantrag liegt. Eine solche Regelung ist im deutschen Recht ein Novum.325 Die Norm bewirkt eine materiell-rechtliche Verobjektivierung des für den Anfechtungstatbestand relevanten Kenntnisstandes. Der Gesetzgeber gab für die Bestimmung des für den Anfechtungstatbestand ausreichenden Kenntnisstands im Wesentlichen zwei Vorgaben: Die „Umstände“ als Bezugstatsachen und den daraus zu ziehenden zwingenden Schluss auf die anfechtungsrelevanten Tatsachen. Die „Umstände“, aus denen sich überhaupt die Zahlungsunfähigkeit oder der Eröffnungsantrag ergeben kann, müssen dem Gläubiger bekannt sein. Diese Umstände sind Tatsachen, die bewiesen werden können und objektiv feststellbar sind. Diese Umstände müssen zum sicheren Wissen des Gläubigers zählen.326 (2)  Art und Weise der Schlüsse von den Bezugstatsachen auf die Zahlungsunfähigkeit oder den Eröffnungsantrag: „zwingend“ Die „Umstände“ müssen nicht nur überhaupt auf die Zahlungsunfähigkeit oder den Eröffnungsantrag hindeuten, sie müssen sogar „zwingend“ auf die eigentlich für den Anfechtungstatbestand relevanten Tatsachen (Zahlungsunfähigkeit oder den Eröffnungsantrag) „schließen lassen“. Die Bestimmung der Art und Weise der möglichen Folgerung aus diesen Umständen ist eine wertende Entscheidung. Wie diese Wertung im Einzelnen vorzunehmen ist, hat in der Literatur und der Rechtsprechung bereits erste Konturen erhalten: Als Ausgangspunkt der Konkretisierung des in §  130 II InsO tatbestandlich geforderten „zwingenden Schlusses“ von den „Umständen“ auf „die Zahlungsunfähigkeit oder den Eröffnungsantrag“ steht die Überlegung, dass der Gesetz324 Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses zur InsO vom 19.04.1994, BT-Drcks. 12/7302, S.  173. 325  Paulus, WM 2000, 2225, 2228. 326  Vgl. BGH NZI 2013, 932, 934 Tz.  17. Kritisch zur Erreichung des Ziels der Anfechtungserleichterung durch die Regelung in §  130 II InsO Klinck, AP InsO §  130 Nr.  1.

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geber mit dem verwendeten Begriff „etwas weniger als die positive Kenntnis“, aber „etwas mehr als die grob fahrlässige Unkenntnis“ umschreiben wollte.327 In der Literatur wird daher die Auffassung vertreten, dass der „zwingende Schluss“ bei einer ganz besonders groben, „an Blindheit angrenzenden Fahrlässigkeit“ anzunehmen ist.328 Diese Sichtweise orientiert sich stark an den Anforderungen, die an den Gläubiger im Hinblick auf dessen Sorgfalt gestellt werden, sich einen eigenen Kenntnisstand zu verschaffen, d. h. die zwingenden Schlüsse selbst zu ziehen. Die Rechtsprechung orientiert sich dagegen eher an objektiven Kriterien: Die (wenn auch naheliegende) Befürchtung einer Zahlungsunfähigkeit reiche danach nicht aus, dass der Schluss zwingend sei. Vielmehr konkretisiert die Rechtsprechung den zwingenden Schluss aus den „Umständen“ auf die Zahlungsunfähigkeit, indem sie diese Voraussetzung nur annimmt, „wenn sich ein redlich Denkender, der vom Gedanken auf den eigenen Vorteil nicht beeinflusst ist, angesichts der ihm bekannten Tatsachen der Einsicht nicht verschließen kann, der Schuldner sei zahlungsunfähig“.329 Diese Definition der positiven Kenntnis ist diejenige, die im Rahmen des §  990 I 2 BGB330 zur Konkretisierung des Tatbestandsmerkmals der positiven Kenntnis herangezogen wird.331 Allerdings versteht die Rechtsprechung unter dem an sich eindeutigen Wortlaut der Norm (§  130 II InsO: „schließen lassen“) keine tatsächlich getroffene Ableitung aus den bekannten Tatsachen, sondern stellt teilweise darauf ab, ob die Umstände zwingend auf den Gegenstand der Kenntnis „hindeuten“.332 Dem Verweis auf den redlich denkenden Dritten liegt die Intention zugrunde, auch die Bewertung der Umstände im Hinblick auf den „zwingenden Schluss“ möglichst zu verobjektivieren und sie damit an sich von den subjektiven Erkenntnismöglichkeiten des Einzelnen abzukoppeln. Allerdings steht der für eine Verobjektivierung notwendigen Verallgemeinerung „des redlich denkenden Dritten“ entgegen, dass die Rechtsprechung bei der Bewertung die ­Umstände, aus denen „bei zutreffender rechtlicher Beurteilung“333 „zweifelsfrei“334 (d. h. „zwingend“ i. S. d. §  130 II InsO) auf die tatbestandsrelevante ­Zahlungsunfähigkeit geschlossen werden muss, von subjektiven Erkenntnismöglichkeiten des Gläubigers abhängig macht, indem sie auf die vorhandene Informationslage im Einzelfall abstellt. Diese Vorgehensweise ist freilich un327  Vgl. hierzu Braun/de Bra, InsO, 6.  A ., 2014, §  130 Rn.  31 sowie Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses zur InsO vom 19.04.1994, BT-Drcks. 12/7302, S.  173. 328  Paulus, WM 2000, 2225, 2228; Gerhardt, FS Brandner, 1996, S.   605, 616 f.: „Rechtsblindheit“. 329  BGH NZI 2009, 228, 229 Tz.  14 m. w. N. 330  BGH NJW 1996, 2652. 331  Explizite Bezugnahme auf diese Rechtsprechung BGH NZI 2009, 228, 229 Tz.  14. 332  BGH WM 2015, 1339, 1340 Tz.  10. 333  BGH NZI 2013, 932, 934 Tz.  17. 334  BGH NZI 2009, 228, 229 Tz.  13.

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§  7  Zerstörung von Vertrauen auf der Grundlage eines Kenntnisstandes

umgänglich, wenn man nicht dadurch einen Fahrlässigkeitsvorwurf formulieren will, dass man an den Gläubiger Sorgfaltspflichten im Hinblick auf die Informationsbeschaffung richtet. Dieser Weg ist aber versperrt, weil „grob fahrlässige Unkenntnis“ dem „zwingenden Schluss“ gerade nicht gleichgestellt ist.335 Somit verbleiben trotz aller Verobjektivierungsbestrebungen bei der ­Bestimmung der tatbestandsrelevanten Kenntnis wieder die den subjektiven Merk­malen immanenten Quellen der Unsicherheit: Bereits zu Beginn der Subsumtion des §  130 II InsO steht die Frage, welche „Umstände“ eigentlich in die Bewertung einzubeziehen sind. Regelmäßig bestehen erhebliche Unterschiede zwischen den Gläubigern bezüglich der vorhandenen Kenntnis von Umständen, die für die Beurteilung der Zahlungs(un)­ fähigkeit eines Schuldners relevant sind. Ein Arbeitnehmer, der nur stockend Lohnzahlungen erhält, kennt zwar die unregelmäßige Zahlung auf seine eigene Forderung, hat aber selten Einblick in die Gesamtfinanzlage des Unternehmens, für das er arbeitet.336 Die Rechtsprechung fordert jedoch (vor allem wegen der Abgrenzung zur grob fahrlässigen Unkenntnis) für die Kenntnis der „Umstände“ i. S. d. §  130 II InsO, dass dem Gläubiger konkrete Umstände, „die ein eindeutiges Urteil über die Liquiditätsgesamtlage des Unternehmens ermöglichen“, bekannt sind.337 Abgesehen davon nimmt die Rechtsprechung an, dass von den Umständen i. S. d. §  130 II InsO nicht nur diejenigen erfasst sind, die tatsächlich für die Beurteilung der Zahlungsfähigkeit relevant sind, sondern auch alle anderen, die der Gläubiger kennt und sich aus diesen erkannten (aber möglicherweise auch unzutreffenden) Tatsachen der Schluss auf die Zahlungsunfähigkeit nicht zwingend ziehen lässt.338 Anders formuliert können zu viele Informationen, über die der Gläubiger verfügt, dazu führen, dass der Schluss von den (allen bekannten) Umständen auf die Zahlungsunfähigkeit nicht mehr als „zwingend“ angesehen werden kann. Schließlich versucht der BGH, die Bewertung, wann der Schluss „zwingend“ ist, zu verobjektivieren, indem er Beurteilungsfehler für unbeachtlich erklärt, auf die sich ein Gläubiger beruft, wenn die vollständig bekannte Tatsachenlage „bei einer Gesamtbetrachtung“ „objektiv die Annahme der Zahlungsunfähigkeit gebietet“ und sich der Gläubiger dennoch auf seine Unkenntnis beruft.339 Diese Verobjektivierung weicht der BGH aber selbst wieder dadurch auf, dass er für den entschiedenen Fall gerade eine Ausnahme statuiert: Dieser Grund335 

Vgl. dazu Braun/de Bra, InsO, 6.  A., 2014, §  130 Rn.  33. Vgl. hierzu Gehrlein, FS Ganter, 2010, S.  169, 177. 337  BGH NZI 2009, 228, 229 Tz.  17; vgl. hierzu auch Borck, ZIP 2007, 2337, 2338; MünchKommInsO/Kirchhof, 3.  A., 2013, §  130 Rn.  34. 338  BGH NZI 2009, 228, 229 Tz.  14. 339  BGH NZI 2009, 228, 229 Tz.  14 unter Verweis auf BGH NJW 2002, 515; ebenso BGH NZI 2013, 932, 934 Tz.  17; vgl. ferner MünchKommInsO/Kirchhof, 3.  A., 2013, §  130 Rn.  34. 336 

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satz gelte nur für „institutionelle Gläubiger oder Gläubiger mit ‚Insiderkenntnissen‘“.340 Für Arbeitnehmer, die in der Krisenzeit noch rückständige Lohnzahlungen erhalten, soll allerdings §  130 II InsO nur restriktiv angewendet werden: Der Arbeitnehmer, der nicht in der Finanzbuchhaltung des Unternehmens tätig ist, habe nach dem BGH keine Kenntnis von hinreichend konkreten „Umständen“ i. S. d. §  130 II InsO und daher seien ihm „nur Schlussfolgerungen allgemeiner Art wie diejenige auf Zahlungsschwierigkeiten, Zahlungsstockungen oder eine Tendenz zum Vermögensverfall“ möglich, nicht dagegen der eigentlich notwendige Schluss auf die Zahlungsunfähigkeit.341 Damit entgeht der BGH der naheliegenden Möglichkeit, die Anforderungen an die Schlussfolgerung von objektiv „zwingend“ auf subjektive Erkenntnismöglichkeiten aufzuweichen. Dies würde auch eher einen Fahrlässigkeitsvorwurf begründen (durch das Fehlen der Einholung eines Rechtsrates, um den geringen Kenntnisstand zu erhalten), was gerade vom Gesetzgeber nicht gewollt war. Stattdessen stützt der BGH seine Ansicht darauf, dass die Kenntnis der Umstände, aus denen der Schluss zwingend zu ziehen sei, nicht umfassend genug war, um daraus die (zwingenden) Schlüsse zu ziehen. Die mangelnde Erkenntnisfähigkeit eines Arbeitnehmers bezieht sich daher nicht auf dessen Fähigkeit, aus ihm bekannten Tatsachen Schlüsse zu ziehen, sondern die relevanten Informationen bereits im Vorfeld überhaupt zu erlangen. Letztlich ist die Verfahrensweise des BGH allerdings nachvollziehbar, denn die Qualität der Schlussfolgerung („zwingend“) kann ausschließlich objektiv bestimmt werden. Zwingt sich ein Schluss auf, so geschieht dies unabhängig von den Fähigkeiten der Person des Gläubigers. Nur wenn die Tatsachengrundlage unvollständig oder weniger konkret ist, ist ein Schluss nicht immer zwingend. Der Umfang der bekannten Tatsachengrundlage ist von den einzelnen individuellen Erkenntnismöglichkeiten des jeweiligen Gläubigers abhängig.

3.  Beweislast und Vermutungswirkungen – Prozessuale Entsubjektivierung der Anfechtungstatbestände Eine Zielsetzung der Insolvenzrechtsreform 1994 war es, die Bedeutung von subjektiven Tatbestandsmerkmalen für die Anfechtungstatbestände zu verringern. Wie dargestellt, setzte der Gesetzgeber zunächst an den materiell-rechtlichen Anforderungen an und erweiterte den Kreis der Indiztatsachen, aus denen auf die tatbestandsrelevanten Tatsachen (zwingend) geschlossen werden kann, so dass nunmehr auch die Kenntnis der Indiztatsachen für das Vorliegen der tatbestandsrelevanten Kenntnis ausreicht.342 340 

BGH NZI 2009, 228, 229 Tz.  17. BGH NZI 2009, 228, 229 Tz.  17.  A.ders ist dies bei der Tatsachenkenntnis des Finanzamtes, die regelmäßig sehr detailliert ist, BGH NZI 2003, 322, 323. 342  Zu diesen Beweisanzeichen vgl. BGH NZI 2013, 932, 933 Tz.  10. Die besondere Bedeu341 

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§  7  Zerstörung von Vertrauen auf der Grundlage eines Kenntnisstandes

Außerdem nahm der Gesetzgeber die von der Rechtsprechung bereits unter der Geltung der Konkursordnung entwickelten Beweislastverteilungen und Vermutungsregelungen (insbesondere für das Vorliegen tatbestandsrelevanter Kenntnis) in das Gesetz auf. Damit sollte der Einfluss subjektiver Merkmale auf die Anfechtungstatbestände weiter verringert werden und damit das Ziel der Insolvenzrechtsreform (die „Entsubjektivierung“ der Anfechtungstatbestände) auch auf den prozessualen Bereich ausgedehnt werden. Sofern es materiell-rechtlich in dem geänderten gesetzgeberischen Konzept überhaupt noch auf subjektive Merkmale ankommt, sollte auch deren Nachweis vereinfacht werden. Hintergrund dieses gesetzgeberischen Vorgehens war die Orientierung an dem Vorgehen der bereits vorhandenen Rechtsprechung zur Bestimmung der tatbestandsmäßigen Kenntnis im Rahmen der Anfechtungstatbestände: Wie heute in §  130 I InsO gefordert, setzte §  30 Nr.  1 KO für die Anfechtungsmöglichkeit die (positive) Kenntnis von der Zahlungseinstellung „als solche“ voraus. Der BGH sah es für das Vorliegen der in §  30 Nr.  1 KO geforderten Kenntnis als nicht ausreichend an, wenn „der Anfechtungsgegner zwar sämtliche einzelnen Tatsachen kennt, die für sich eine Zahlungseinstellung begründen, aber diesen Schluß – etwa aus Unkenntnis – nicht zieht“.343 Dieser Fall wird nach der jetzigen Regelung (§  130 II InsO) materiell-rechtlich durch die Ausweitung der relevanten Indiztatsachen gelöst. Da es diese Norm in der KO nicht gab und sich die Rechtsprechung nicht dem Vorwurf aussetzen wollte, die materiell-rechtliche Grenze zwischen Kenntnis und grob fahrlässiger Unkenntnis zu verwischen, löste sie diesen Fall auf prozessualer Ebene: Maßgebend für die Bestimmung der Kenntnis des Anfechtungsgegners sollte eine „natürliche Betrachtungsweise“ sein, die „beweismäßige Schlüsse“ von den Indiztatsachen auf die Zahlungseinstellung erlauben.344 Damit lag die Kenntnis der tatbestandsrelevanten Tatsachen vor, wenn lediglich die Indiztatsachen bekannt waren. Die von der Rechtsprechung als „beweismäßige Schlüsse“ bezeichnete Qualität der Schlussfolgerung ist vergleichbar mit der heutigen (materiell-rechtlich wirkenden) Regelung des „zwingenden“ Schlusses in §  130 II InsO. Der Gesetzgeber wollte über die materiell-rechtliche Regelung hinaus auch den Nachweis der Kenntnis einfacher ausgestalten. Dieses Vorhaben diente vor allem dazu, die Darlegungs- und Beweislast für die verbleibenden subjektiven Merkmale, von denen die Anfechtung weiterhin abhängt, demjenigen aufzuertung der Beweisanzeichen wird in der Entscheidung BGH WM 2015, 293, 294 Tz.  9 deutlich. Der BGH geht in der Entscheidung davon aus, dass „von einem Benachteiligungsvorsatz des Schuldners und dessen Kenntnis beim Gläubiger ausgegangen werden“ kann, wenn „beide Teile über die Zahlungsunfähigkeit unterrichtet“ sind. 343  BGH ZIP 1995, 929, 931 in Anschluss an die st. Rspr. des RG (Nachweise dort) und BGH WM 1964, 196, 198 f. 344  BGH ZIP 1995, 929, 931 unter Verweis auf entsprechende Rspr. des RG, RGZ 23, 112, 114 f.

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legen, der über bessere Informationsquellen verfügt: 345 Daher soll derjenige den Entlastungsbeweis tragen, der „dem Schuldner auf Grund persönlicher, gesellschaftsrechtlicher oder sonstiger enger Bindungen“ nahesteht.346 Dieser „nahestehende“ Gläubiger (i. S. d. §   138 InsO) muss dementsprechend das Nichtvorliegen seiner Kenntnis von der Zahlungsunfähigkeit darlegen und beweisen. Da sich die Kenntnis auch auf die weiteren „Umstände“ beziehen kann, aus denen gemäß §  130 II InsO „zwingend“ auf die Zahlungsunfähigkeit geschlossen werden kann, muss der nahestehende Gläubiger auch die Unkenntnis dieser Umstände darlegen und gegebenenfalls beweisen.347 Dies wird dem nahestehenden Gläubiger kaum möglich sein, wenn man mit dem BGH348 die folgende Differenzierung im Hinblick auf die Erkenntnismöglichkeiten zugrunde legt: Unterscheidet man Gläubiger mit Insiderkenntnissen von solchen, die keine konkrete Kenntnis von den Umständen haben, aus denen zwingend der Schluss auf die Zahlungsunfähigkeit gezogen werden kann, werden nahestehende Gläubiger regelmäßig unter die Personen fallen, die über sehr umfangreiche Kenntnis von detaillierten und konkreten Umständen verfügen, weil sie oftmals sehr nah an dem wirtschaftlichen Geschehen sind. Die Konkursordnung hatte diese Sichtweise noch nicht zum Inhalt: Damals beruhte die Anfechtungsmöglichkeit gegenüber nahestehenden Anfechtungsgegnern gemäß §  31 Nr.  2 KO auf einem „institutionalisierten Misstrauen“ gegenüber den nahestehenden Personen.349 Dies wird durch den Regelungszusammenhang deutlich: Die Anfechtungsmöglichkeit für Rechtshandlungen gegenüber nahestehenden Personen in §  31 Nr.  2 KO war in unmittelbarem Zusammenhang mit der Absichtsanfechtung in §  31 Nr.  1 KO geregelt. Die heutigen Regelungen der Anfechtungsmöglichkeit gegenüber nahestehenden Gläubigern gründen dagegen auf der besseren Erkenntnismöglichkeit der nahestehenden Personen und sind als Vermutungsregel ausgestaltet: 350 In nahezu allen kenntnisabhängigen Anfechtungstatbeständen (§§  130 III, 131 II 2, 132 III, 133 II InsO) wird die Kenntnis der relevanten Tatsache vermutet, wenn der Anfechtungsgegner dem Schuldner nahesteht (i. S. d. §  138 InsO). Einen gesonderten Tatbestand der Anfechtung für Leistungen an nahestehende Personen gibt es indes nicht mehr.

345  Unter Geltung der Konkursordnung oblag sowohl den nahestehenden Personen (§  31 Nr.  2 KO) als auch den Anfechtungsgegnern, die in unmittelbarer zeitlicher Nähe zur Konkurseröffnung eine inkongruente Leistung erhielten (§  30 Nr.  2 KO), der Entlastungsbeweis hinsichtlich ihrer eigenen Unkenntnis. 346  Entwurf einer Insolvenzordnung vom 15.04.1992, BT-Drcks. 12/2443, S.  156 re. Sp. 347 MünchKommInsO/Kirchhof, 3.  A ., 2013, §  130 Rn.  67; Uhlenbruck/Ede/Hirte, InsO, 14.  A., 2015, §  130 Rn.  112; Braun/de Bra, InsO, 6.  A., 2014, §  130 Rn.  46. 348  BGH NZI 2009, 228, 229 Tz.  16. 349  So auch für die heutige Rechtslage Paulus, WM 2000, 2225. 350  Entwurf einer Insolvenzordnung vom 15.04.1992, BT-Drcks. 12/2443, S.  159.

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§  7  Zerstörung von Vertrauen auf der Grundlage eines Kenntnisstandes

Im Rahmen der Insolvenzrechtsreform verzichtete der Gesetzgeber in einigen Anfechtungstatbeständen gänzlich auf die subjektiven Voraussetzungen. Dies gilt insbesondere für den Tatbestand der inkongruenten Deckung gemäß §  131 I InsO. Dabei kommt es für die Anfechtungsmöglichkeit überhaupt nicht auf die Kenntnis des Leistungsempfängers an, wenn die Leistung in zeitlicher Nähe zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens erfolgt, weil der Gläubiger weniger schutzwürdig ist, der etwas erhält, was er zu dieser Zeit so gar nicht beanspruchen kann.351 Liegt der Leistungszeitpunkt dagegen bereits einige Zeit zurück (§  131 I Nr.  2 und Nr.  3 InsO), ist das Vertrauen auf das Behaltendürfen der erhaltenen Leistung nur geschützt, wenn der Gläubiger keine Kenntnis von der Zahlungsunfähigkeit oder der Insolvenzgläubigerbenachteiligung hatte. Eine Besonderheit bei dem Wechselspiel zwischen materiell-rechtlichen subjektiven Voraussetzungen der Gläubigeranfechtung und den prozessualen Anforderungen an den Nachweis dieser Voraussetzungen betrifft die Anfechtung wegen vorsätzlicher Gläubigerbenachteiligung gemäß §  133 II InsO. Die Anfechtungsmöglichkeit umfasst Rechtshandlungen, die bereits zehn Jahre vor Antragstellung erfolgt sein können. Allerdings ist erforderlich, dass der Schuldner in diesem langen Zeitraum die angefochtene Handlung mit Gläubigerbenachteiligungsvorsatz vorgenommen hat und „der andere Teil wußte, daß die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners drohte und daß die Handlung die Gläubiger benachteiligte“, denn dann wird gemäß §  133 I 2 InsO die (sonst sehr schwer zu beweisende) Kenntnis der Benachteiligung der anderen Gläubiger durch Vornahme der angefochtenen Rechtshandlung vermutet. Diese in §  133 I 2 InsO enthaltene Vermutungsregel der Kenntnis des Benachteiligungsvorsatzes führte zu erheblicher Rechtsunsicherheit.352 Es ist für den Empfänger einer Leistung nicht mehr kalkulierbar, ob die empfangene Leistung einer späteren (innerhalb der Zehnjahresfrist möglichen) Anfechtung unterliegt. Die Unsicherheiten beruhen auf dem Umfang der Vermutungsregel. Einerseits reicht es für die vermutete Kenntnis des Gläubigers vom Benachteiligungsvorsatz des Schuldners sogar bei kongruenten Deckungen bereits aus, wenn er die drohende Zahlungsunfähigkeit des Schuldners kannte. Anderseits führte die von der Rechtsprechung353 praktizierte Herabsetzung der Anforderungen an den Nach­ weis des Gläubigerbenachteiligungsvorsatzes zu einer sehr weiten Anwendung des Anfechtungstatbestandes. Danach liegt dieser bereits vor, wenn der Schuldner um Zahlungserleichterungen (insbesondere Stundungen und Ratenzahlungsvereinbarungen) nachsucht. Diese Indizwirkung trat zwar nicht ein, wenn 351 

Entwurf einer Insolvenzordnung vom 15.04.1992, BT-Drcks. 12/2443, S.  158 f. ausführlich Paschen, ZInsO 2014, 2485; Bork, ZIP 2008, 1041 ff.; Fawzy/ Köchling, ZInsO 2014, 1073; Foerste, ZInsO 2013, 897; Foerste, NZI 2006, 6; Jacoby, KTS 2009, 3; Köper/Pfoser, ZInsO 2014, 234; Marotzke, ZInsO 2014, 417; kritisch zum gesetzgeberischen Handlungsbedarf Thole, ZIP 2013, 2081. 353  BGH WM 2011, 1429, 1430 Tz.  17; BGH WM 2001, 2181, 2182. 352 Hierzu

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sich der Abschluss einer Ratenzahlungsvereinbarung im Rahmen der Gepflogenheiten des Geschäftsverkehrs hält.354 Allerdings ergeben sich Unsicherheiten, wenn die Ratenzahlung zur Überbrückung eines vorübergehenden Liquiditätsengpasses vereinbart wurde. Daher plant der Gesetzgeber eine Änderung des §  133 InsO.355 Die Kenntnis des Gläubigers vom Benachteiligungsvorsatz des Schuldners soll gemäß §  133 III 1 InsO-E nur noch dann vermutet werden, wenn der Gläubiger die eingetretene Zahlungsunfähigkeit kennt; eine drohende Zahlungsunfähigkeit reicht dafür künftig nicht mehr aus.356 Außerdem soll gemäß §  133 III 2 InsO-E der Abschluss einer Zahlungsvereinbarung oder -erleichterung nicht mehr die Vermutungswirkung des Gläubigerbenachteiligungsvorsatzes begründen können. Damit muss der Gläubiger, der dem Schuldner ermöglicht, vorübergehende Zahlungsschwierigkeiten zu überbrücken, nicht mehr befürchten, dass deswegen die empfangenen Leistungen der Anfechtung unterfallen.357

4. Ergebnis Sowohl die allgemeine Definition als auch die konkrete Bestimmung des für eine insolvenzrechtliche Anfechtung notwendigen Kenntnisstandes weisen zahlreiche Parallelen zur patentrechtlichen Definition und Bestimmung des dort relevanten Kenntnisstandes auf: Bei der patentrechtlichen Neuheitsprüfung werden die Merkmale der Erfindung mit den Merkmalen anderer, bereits bekannter technischer Lösungen im Rahmen einer direkten Gegenüberstellung verglichen. Je weiter dabei die einzelnen technischen Merkmale bekannter Lösungen in ihrer Bedeutung verstanden werden und je umfangreicher das allgemeine bekannte Fachwissen der zu der Beurteilung herangezogenen Person ist, desto weniger Gegenstände sind im Ergebnis nach dem Vergleich als neu (und damit patentfähig) anzusehen. Ähnlich verhält es sich mit dem Vergleich der Kenntnis des Gläubigers von anfechtungsrelevanten Tatsachen: Je größer der Kreis der zur Anfechtung berechtigenden Tatsachen gefasst wird, auf die sich die Kenntnis des Gläubigers beziehen kann, desto eher liegt im Ergebnis eine Anfechtungsmöglichkeit vor. Diesen Weg hat der Gesetzgeber gewählt, indem er in §  130 II InsO den Kreis der Tatsachen auf „Umstände“ (d. h. Indizien) erweitert hat, die von der anfechtungsrelevanten Kenntnis umfasst sind. Für die Kenntnis der Zahlungsunfähig354 

BGH WM 2015, 399 Tz.  3. der Bundesregierung: Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Rechtssicherheit bei Anfechtungen nach der Insolvenzordnung und nach dem Anfechtungsgesetz vom 16.03.2015, S.  8. 356  Begründung zur geplanten Änderung des §  133 II InsO, Gesetzentwurf der Bundes­ regierung, 2015, S.  17. 357  Begründung zur geplanten Änderung des §  133 II InsO, Gesetzentwurf der Bundes­ regierung, 2015, S.  17. 355  Gesetzentwurf

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§  7  Zerstörung von Vertrauen auf der Grundlage eines Kenntnisstandes

keit oder des Eröffnungsantrags gemäß §  130 I InsO reicht es daher gemäß §  130 II InsO aus, wenn die Kenntnis von Indiztatsachen besteht und von diesen zwingend auf die Zahlungsunfähigkeit oder den Eröffnungsantrag geschlossen werden kann. Dadurch vermied der Gesetzgeber, dass die Entscheidung, ob die anfechtungsrelevante Kenntnis vorliegt, ausschließlich auf einer Wertung – wie der Prüfung auf das Vorliegen grob fahrlässiger Unkenntnis – beruht. Die alternativ mögliche Regelung einer Gleichstellung von positiver Kenntnis und grob fahrlässiger Unkenntnis von den tatbestandsrelevanten Krisentatsachen favorisierte der Gesetzgeber nicht. Dies hat vor allem Auswirkungen auf die rechtsanwendende Praxis. Die Bestimmung der grob fahrlässigen Unkenntnis würde ausschließlich auf einer wertenden Entscheidung beruhen. Im Rahmen dieser Entscheidung würden Sorgfaltsanforderungen an den Gläubiger gerichtet, seinen eigenen Kenntnisstand zu erweitern. Die Fragestellung lautete dann, ob der Gläubiger Kenntnis von den tatbestandsrelevanten Tatsachen hätte haben müssen und ob es auf seinem Verschulden beruht, dass er die Kenntnis nicht hat. Die einzige Verobjektivierung in diesem Zusammenhang läge in der Definition von allgemeinen Sorgfaltsanforderungen. Hierbei wären die Anstrengungen zu bewerten, die der Gläubiger im Hinblick auf einen hypothetischen Kenntnisstand hätte erbringen müssen. Bei der vom Gesetzgeber gewählten Ausweitung der tatsächlichen Bezugspunkte (Indizien), auf die sich die tatbestandsrelevante Kenntnis auch alternativ beziehen kann, wird vor allem die Beurteilungsgrundlage um eine Reihe von Kriterien erweitert. Dadurch verlagert sich die Antwort auf die Frage, ob die tatbestandlich geforderte Kenntnis vorliegt, auf zwei Ebenen: Einerseits ist in tatsächlicher Hinsicht das Vorliegen der Kenntnis von den Indiztatsachen festzustellen. Dies ist eine Tatsachenfrage und durch die Ausdehnung des Kreises der möglichen Tatsachen lassen sich solche einfacher herausfinden, von denen der Gläubiger Kenntnis hatte. Andererseits verlagert sich der Kern der Entscheidung, ob die tatbestandsrelevante Kenntnis vorliegt, von der Feststellung der Tatsachen selbst auf die Beantwortung der Frage, ob der aus den Indiztatsachen zu ziehende Schluss „zwingend“ ist. Dies ist sicherlich auch von einer Bewertung abhängig, ob von den Indizien zwingend auf die tatbestandsrelevanten Tatsachen zu schließen ist. Diese Entscheidung ist aber – anders als die Bestimmung der groben Fahrlässigkeit – mit einem engeren Bezug zum Einzelfall zu treffen, da der Fall von den konkreten Indizien auf die tatbestandsrelevanten Tatsachen zu beurteilen ist und nicht die Subsumtion abstrakter Verhaltens- und Sorgfaltsanforderungen zu erbringen ist. Bei der Beurteilung, ob der Schluss von den Indiztatsachen auf die tatbestandsrelevanten Tatsachen zwingend ist, geht es darum, ob der Gläubiger bei Kenntnis der Indizien auch die eigentlich relevante Tatsache kennt. Der BGH stuft die Einschätzung, ob der Schluss von den bekannten „Umständen“ auf die tatbestandsrelevanten Tatsachen (Zahlungsunfähigkeit oder Eröffnungsantrag) „zwingend“ ist, als

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eine vom Tatrichter zu klärende Frage ein.358 Dem Tatrichter obliege es dabei, eine Gesamtwürdigung sämtlicher Umstände vorzunehmen und auf dieser Grundlage die Frage zu beantworten, ob der genannte Schluss „zwingend“ ist. Diese Fragestellung taucht in ähnlicher Weise auch im Patentrecht auf: Ist zu ermitteln, ob in einer Vorveröffentlichung ein Merkmal einer Erfindung bereits offenbart wurde, kommt es darauf an, wie derjenige, der die Patentschrift liest, dieses Merkmal mit Hilfe seines Fachverständnisses versteht. Es geht ebenfalls um die Bestimmung eines Kenntnisstandes, der mit einer anderen Tatsache (einem Merkmal der beanspruchten Erfindung) verglichen werden soll. In den wenigsten Fällen liegt eine vollständige Identität der Merkmale vor. Daher behilft sich die Rechtsprechung regelmäßig mit der Formulierung, dass Merkmale auch zum Kenntnisstand des die Patentschrift lesenden Fachmanns zählen, wenn diese „nach dem Gesamtzusammenhang der Schrift für den Fachmann derart naheliegen, daß sie sich ihm bei aufmerksamer, weniger auf die Worte als auf ihren erkennbaren Sinn achtenden Lektüre ohne weiteres erschließen, so daß er sie gewissermaßen in Gedanken gleich mitliest, auch wenn er sich dessen nicht bewußt ist“.359 Ein solches selbstverständliches „Mitlesen“ von Tatsachen bedeutet im Kontext anfechtungsrelevanter Tatsachen, dass der Schluss von erwähnten oder bekannten Indizien auf die tatbestandsrelevanten Tatsachen „zwingend“ i. S. d. §  130 II InsO ist.

358  359 

BGH NZI 2013, 932, 934 Tz.  17. BGH GRUR 1995, 330 – Elektrische Steckverbindung.

§  8  Kenntnisstand des Erklärenden und des Erklärungsempfängers als Grundlage der Willensbildung und damit der Vertragsrechtslehre Der Kenntnisstand des Erklärenden und des Erklärungsempfängers wirkt sich unmittelbar auf den Inhalt und die Bindungswirkung von Willenserklärungen aus. Nach dem traditionellen Verständnis der Rechtsgeschäftslehre beruht die vertragliche Bindung vor allem auf der Übereinstimmung des Willens der Vertragsparteien. Diese Annahme greift jedoch zu kurz. Die rechtsgeschäftliche Bindung an eine Willenserklärung ist in erheblich größerem Umfang von dem jeweiligen Kenntnisstand der beteiligten Personen abhängig, als dies nach der traditionellen Rechtsgeschäftslehre Berücksichtigung findet. Die übereinstimmenden Vorstellungen der künftigen Vertragsparteien bilden gerade das bestimmende Element der später eintretenden vertraglichen Bindung. Auf der übereinstimmenden Vorstellung gründet die vertragliche Einigung der künftigen Vertragsparteien, die den Willen zur rechtsgeschäftlichen Bindung durch ihre Willensäußerungen zum Ausdruck bringen. Die Grundlage der vertraglichen Bindung besteht somit in der „Verständigung“1 zwischen den Parteien, ausgedrückt durch die Willenserklärungen.

I.  Bedeutung des Kenntnisstandes für den rechtsgeschäftlichen Willen Die verfassungsrechtlich garantierte Handlungsfreiheit des Einzelnen schließt die Freiheit des Einzelnen ein, seine Rechtsverhältnisse selbst und frei zu gestalten (Privatautonomie). Der Grund für die Geltung des privatautonomen Aktes wird verbreitet in der Möglichkeit gesehen, durch die willentliche Selbstbestimmung (Abgabe einer Willenserklärung) auf das Entstehen einer Verpflichtung Einfluss zu nehmen.2 Dadurch kommt dem Willen des Einzelnen entscheidende Bedeutung für die Herbeiführung von Rechtsfolgen im Vertragsrecht zu. Der wichtigste nach außen sichtbare Bestandteil des Vertragsrechts ist die Willens1 

In diesem Sinne Kramer, Grundfragen, 1972, S.  175. Bydlinski, Privatautonomie und objektive Grundlagen, 1967, S.  127; Flume, BGB AT II, 4.  A., 1992, §  1 Pkt. 2 (S.  1 f.); Medicus, BGB AT, 10.  A., 2010, Rn.  174. 2 

302 §  8  Kenntnisstand des Erklärenden und des Erklärungsempfängers als Grundlage erklärung. Sie ist auf die Hervorbringung eines rechtlichen Erfolges gerichtet, der von der Rechtsordnung anerkannt wird.3 Die Gesetzesbegründung zum BGB führt aus, dass der rechtliche Erfolg „nach der Rechtsordnung deswegen eintritt, weil er gewollt ist“.4 Die Bildung eines Willens beruht stets auf einem Kenntnisstand. Der Kenntnisstand einer Person umfasst Informationen, die diese Person bewertet bzw. bewerten kann. Eine vom Kenntnisstand unabhängige Willensbildung, die auf die Herbeiführung eines rechtlichen Erfolges gerichtet ist, ist nicht denkbar. Daher ist der Kenntnisstand des Erklärenden die Grundlage für seine fehlerfreie Willensbildung und damit für eine selbstverantwortliche Gestaltung der eigenen Rechtsverhältnisse mit dem Mittel der Willenserklärung. Ein fehlerfreier Wille kann nur gebildet werden, wenn er nicht auf einer Fehlvorstellung beruht. Wird der vom Erklärenden gebildete rechtsgeschäftliche Wille geäußert, so ist das Verständnis des Erklärungsempfängers (d. h. dessen Kenntnisstand) von dem ihm mitgeteilten Willen des Erklärenden für die Willensbildung des Erklärungsempfängers entscheidend für eine angestrebte Willensübereinstimmung zwischen Erklärendem und Erklärungsempfänger. Daraus folgt, dass sich das Vorliegen eines Irrtums oder eines Missverständnisses bei dem Erklärungsempfänger hinsichtlich des Gewollten und eine tatsächliche Einigung begrifflich entgegenstehen.5 Die Maßgeblichkeit des Kenntnisstandes für die rechtsgeschäftliche Bindung wird bereits von Enneccerus6 betont, der die Relevanz der geistigen Vorstellung vor allem aus dem Argument ableitet, dass es für den Eintritt der Rechtsfolge gleichgültig sei, ob diese gewollt ist oder nicht. Vielmehr ginge es um die Interaktion von Geist zu Geist: „Was ist Kauf, Verkauf anders, als die beiderseitige Action von Geist auf Geist, worin der Eine sich dem Andern als Kaufenden, der Andere als Verkaufenden darstellt?“.7

3  Flume, BGB AT II, 4.   A., 1992, §  1 Pkt. 2 (S.  2) unter Bezugnahme auf Enneccerus, Rechtsgeschäft, Bedingung und Anfangstermin, 1889, §  15 (S.  152 ff.): Hinsichtlich des Geltungsgrundes kann unterschieden werden zwischen dem privatautonomen Akt („die Willenserklärung“) und der Norm, die die Rechtsfolge vorschreibt (z. B. §  433 II BGB). 4  Mot. I 126, abgedr. in Mugdan, Materialien zum BGB, Band 1, 1899, Nachdr. 1979, S.  421. 5  Schmidt-Rimpler, AcP 1941 (147), 130, 182: „Irrtum und Mißverständnis“ schließen die Richtigkeitsgewähr für die vom Annehmenden verstandene Rechtsfolge aus. 6  Enneccerus, Rechtsgeschäft, Bedingung und Anfangstermin, 1889, §  8 (S. 67 ff.). 7  Enneccerus, Rechtsgeschäft, Bedingung und Anfangstermin, 1889, §   8 (S.  73), unter Bezugnahme auf Kohlers Ausführungen vor allem im Hinblick auf die Maßgeblichkeit des geistigen Gehalts für das Erfinderrecht.

II.  Innerer Wille und dessen Äußerung als Bestandteile der Willenserklärung

303

II.  Innerer Wille und dessen Äußerung als Bestandteile der Willenserklärung Für das Zustandekommen einer rechtsgeschäftlichen Bindung zwischen mehreren Parteien ist es notwendig, dass der zuvor gebildete Wille nach außen sichtbar in Erscheinung tritt, so dass der potentielle Vertragspartner von dem rechtsgeschäftlichen Willen überhaupt Kenntnis erlangen kann. Die Ausdrucksform für den Willen, sich rechtsgeschäftlich binden zu wollen, ist die Willenserklärung. Sie setzt sich aus dem inneren Willen und der nach außen tretenden Äußerung (Erklärung) zusammen. Im Regelfall drückt die Erklärung das Gewollte aus. Das Verständnis des Erklärten durch den Erklärungsempfänger stimmt mit dem Gewollten des Erklärenden überein. Kommt es allerdings zu einer Abweichung des Erklärten oder Verstandenen von dem Willen des Erklärenden, stellt sich die Frage, was dann gelten soll. In Betracht kommt einerseits, dass allein der Wille des Erklärenden maßgeblich sein soll (sog. „Willenstheorie“). Andererseits kann auch allein das vom Erklärungsempfänger Verstandene (die Erklärung) Grundlage dessen sein, was Geltung beanspruchen soll (sog. „Erklärungstheorie“). Beide Theorien wurden vor den Beratungen zum BGB vor allem im Hinblick darauf heftig diskutiert, ob die Rechtsgeschäftslehre des BGB auf der Willenstheorie oder auf der Erklärungstheorie beruhen soll. Die Willenstheorie wurde wesentlich von Savigny8 beeinflusst. Er nahm an, dass Zwang und Irrtum bereits die Existenz eines Willens ausschließen. Der Wollende habe dann keinen freien Willen und kein „wahres (mit der Wirklichkeit übereinstimmendes) Bewußtseyn“.9 Wer durch Zwang oder Irrtum beeinflusst wird, sei ebenso wenig wie der Unmündige oder Bewusstlose zu einer wirksamen Willenserklärung fähig.10 Ein fehlerfrei gebildeter Wille ist nach der Willenstheorie ein konstitutives Element einer Willenserklärung. Savigny betont den Zusammenhang zwischen Wille und späterer rechtsgeschäftlicher Bindung vor allem wegen der Unmöglichkeit, den Willen anders als durch das Mittel der Erklärung wahrzunehmen. Der Erklärung als reines Ausdrucksmittel kann dann aber keine konstitutive Wirkung zukommen: „Denn eigentlich muß der Wille an sich als das einzig Wichtige und Wirksame gedacht werden, und nur weil er ein inneres, unsichtbares Ereignis ist, bedürfen wir eines Zeichens, woran er von anderen erkannt werden könne, und dieses Zeichen, wodurch sich der Wille offenbart, ist eben die Erklärung. Daraus folgt aber, daß die Übereinstimmung des Willens mit der Erklärung nicht etwas Zufälliges, sondern ihr naturgemäßes Verhältnis ist.“11 Folglich liegt nach der Willenstheorie 8 

Savigny, System III, 1840, §  114 (S.  99 f.). Savigny, System III, 1840, §  114 (S.  99). 10  Savigny, System III, 1840,(§  114 (S.  100). 11  Savigny, System III, 1840, §  134 (S.  258). 9 

304 §  8  Kenntnisstand des Erklärenden und des Erklärungsempfängers als Grundlage bei einem fehlerhaft gebildeten (nicht freien) Willen keine Willenserklärung vor, selbst wenn der objektive Anschein einer solchen durch die Existenz einer Erklärung vorliegt.12 Soll für den Inhalt der späteren Bindung bloß der innere Wille maßgeblich sein, bringt dies die individuelle Entfaltung des Willens des Einzelnen umfassend zur Geltung. Allerdings kann ein Konflikt mit den Interessen des Erklärungsempfängers entstehen, wenn er auf die „Richtigkeit“ der ihm zugegangenen Willenserklärung vertraut. Die Willenstheorie vermeidet zwar einen Großteil solcher möglichen Konflikte durch die Annahme, dass gar keine Willenserklärung vorliegt, wenn der Wille auf einer fehlerhaften Vorstellung gebildet wurde, aber es bleibt die Möglichkeit, dass der Erklärungsempfänger der ihm zugehenden Erklärung einen anderen Bedeutungsgehalt beimisst als der Erklärende. Dann stimmt der Wille des Erklärenden mit seiner geäußerten Erklärung überein. Das Verständnis des Erklärungsempfängers weicht allerdings von dem vom Erklärenden Gewollten ab. Eine solche Abweichung tritt immer dann auf, wenn die Erklärung mehrdeutig ist. In dem Fall hat sie einerseits (für den Erklärenden) die Bedeutung, die seinem Willen entspricht, andererseits hat sie ebenfalls (für den Erklärungsempfänger) die Bedeutung, die er ihr beimisst. Eine solche Doppeldeutigkeit kann beispielsweise bei unterschiedlichem Verständnis von Begriffen auftreten. Die Bestimmung der Bedeutung einer Willens­ erklärung erfolgt durch deren Auslegung. Die Vertreter der Willenstheorie sahen sich der Kritik ausgesetzt, dass es zu Lasten des Erklärungsempfängers geht, wenn allein der Wille des Erklärenden für den Bedeutungsgehalt der Erklärung ausschlaggebend sein soll. Vertreter dieser kritischen Ansicht stellten zunehmend auf die Relevanz der dem Empfänger zugegangenen Erklärung für die rechtsgeschäftliche Bindung ab. Zunächst machte Jhering13 in Ergänzung der Willenstheorie den Vorschlag, das enttäuschte Vertrauen des Erklärungsempfängers durch die Gewährung eines vorvertraglichen Schadensersatzanspruchs zu kompensieren. Einen „verobjektivierten“ Vertrauensschutz des Erklärungsempfängers rückte Bähr 14 in den Vordergrund und forderte, dass bei der Auslegung des Bedeutungsgehalts der zugegangenen Erklärung die äußere Erscheinung der Erklärung maßgeblich sei, wobei es dem Erklärenden überdies verwehrt sei, sich auf einen insoweit nicht vorliegenden Willen zu berufen, wenn „der ihm Gegenüberstehende bonafide Rechte daraus erlangt zu haben glaubt 12  So auch Enneccerus, Rechtsgeschäft, Bedingung und Anfangstermin, 1889, §  2 , §  10, §  17 (S.  5 ff., 101 ff., 169 f.); Windscheid/Kipp, Pandekten I, 9.  A., 1906, Nachdr. 1963, §  75 (S.  376 ff.) §  76 (S.  384 ff.); Windscheid, AcP 63 (1880), 72, 99 ff.; ähnlich Manigk, Rechtswirksames Verhalten, 1939, S.  208 ff., der vor allem anhand der „fahrlässig bewirkten Erklärungen“ (d. h. Handlungen wie Schweigen, die ohne einen zuvor gebildeten Willen einen Anschein einer Erklärung erzeugen) deutlich macht, dass es ohne einen Willen keine Erklärung geben kann. 13  Jhering, JherJb 4 (1861), 1, 2 f. 14  Bähr, JherJb 14 (1875), 393, 400 f.

III.  Interessenwiderstreit zwischen der Geltung des Willens

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oder glauben darf“.15 Die Gewährung vorvertraglicher Schadensersatzansprüche und die Verweigerung des Berufens auf einen in Wahrheit nicht vorliegenden Willen basierten noch auf der grundsätzlich anerkannten Maßgeblichkeit des Willens für den Bedeutungsgehalt einer gegenüber einem anderen abgegebenen Willenserklärung mit der Ausnahme für den Fall, dass der Erklärungsempfänger auf einen abweichenden Bedeutungsgehalt der Erklärung vertraut und vertrauen durfte. Dann kommt es nach den Vertretern der Erklärungstheorie für den Bedeutungsgehalt auf den objektiven Gehalt der Erklärung an, die dem Erklärungsempfänger zuging. Darüber hinausgehend vertrat Danz16 , dass es bei der Auslegung stets nur auf den objektiven Gehalt der Erklärung ankomme. Plakativ formulierte er, dass „die Auslegung […] mit dem inneren Willen nichts zu tun“ habe.17 Er argumentiert, dass weder die Vorstellung des Erklärenden noch die Vorstellung des Erklärungsempfängers von dem Sinn des in der Erklärung gebrauchten Begriffes von Bedeutung seien. Bei der Auslegung sei der Bedeutungsgehalt der Erklärung ausschließlich objektiv zu bestimmen. Erst bei der Frage der „Aufhebung des Vertrages wegen Willensmangels (Irrtum, Täuschung)“ erlange die Vorstellungswelt der Parteien Relevanz.18

III.  Interessenwiderstreit zwischen der Geltung des Willens und dem Vertrauens- bzw. Verkehrsschutz Die gegensätzlichen Ansichten der Willens- und Erklärungstheorie konnten beide den Interessenwiderstreit zwischen dem möglichst umfassend zur Geltung zu bringenden Willen des Erklärenden und dem Schutz des Erklärungsempfängers vor („unverschuldetem“) Missverständnis im Hinblick auf den Bedeutungsgehalt der Willenserklärung nicht zufriedenstellend in Ausgleich bringen. Bei den Beratungen zum BGB setzte sich zunächst die Ansicht durch, dass zwischen dem Willen und der Erklärung zu trennen sei.19 Demnach sei unter einem Rechtsgeschäft eine „Privatwillenserklärung“20 zu verstehen, „gerichtet auf die Hervorbringung eines rechtlichen Erfolges, der nach der Rechtsordnung deswegen eintritt, weil er gewollt ist. Das Wesen des Rechtsgeschäfts wird darin gefunden, daß ein auf die Hervorbringung rechtlicher Wirkungen gerichteter Wille sich bethätigt, und daß der Spruch der Rechtsordnung in Anerken15 

Bähr, JherJb 14 (1875), 393, 401. Danz, Auslegung der Rechtsgeschäfte, 1911, §  23 (S.  211 ff.). 17  Danz, Auslegung der Rechtsgeschäfte, 1911, §  23 2 (S.  211). 18  Danz, Auslegung der Rechtsgeschäfte, 1911, §  23 2 (S.  211). 19  Mot. I 126 ff., abgedr. in Mugdan, Materialien zum BGB, Band 1, 1899, Nachdr. 1979, S.  421 f. 20 Rechtsgeschäft und Willenserklärung werden nach dem Entwurf zum BGB gleich­ bedeutend verwendet, vgl. Mot. I 126, abgedr. in Mugdan, Materialien zum BGB, Band 1, 1899, Nachdr. 1979, S.  421. 16 

306 §  8  Kenntnisstand des Erklärenden und des Erklärungsempfängers als Grundlage nung dieses Willens die gewollte rechtliche Gestaltung in der Rechtswelt verwirklicht.“21 Diese Trennung von Wille und Erklärung wurde von Kritikern als „Dualismus“ bezeichnet.22 Dem Dualismus zwischen Wille und Erklärung stand die monistische Ansicht gegenüber, die statt der rein subjektiven Willenstheorie und der rein objektiven Erklärungstheorie die Geltung der Willenserklärung als Ganzes in ihrem sozialen Kontext beschreibt (sog. „Geltungstheorie“).23 Ihr liegt der Gedanke zugrunde, dass weder der bloße Wille noch die bloße Erklärung die rechtliche Bedeutung der Willenserklärung hinreichend abbildet. Dementsprechend sei nicht der erklärte Wille konstitutiv, sondern der durch die Erklärung in Geltung gesetzte Wille, d. h. die Verpflichtung, sich an dem geäußerten Willen festhalten lassen zu wollen.24 Damit ist die Willenserklärung keine Mitteilung des Willens, sondern dessen Vollzug.25 Die Willenserklärung ist daher eine Äußerung, die dazu bestimmt ist, für die Entfaltung ihrer Wirkung von anderen zur Kenntnis genommen zu werden.26 Nach dieser Doppelfunktion bilden Wille und Erklärung eine unzertrennliche Einheit. Entsprechend diesem monistischen Ansatz ist weder der bloße Wille des Erklärenden noch das tatsächlich Verstandene allein ausschlaggebend für den der Willenserklärung innewohnenden Gehalt. Allerdings vermag auch das monistische Verständnis der Willenserklärung zur Lösung des Interessenwiderstreits zwischen Erklärendem und Erklärungsempfänger wenig beitragen, wenn der geäußerte Wille von den Vorstellungen abweicht, auf denen die Willensbildung des Erklärenden basierte. Wird dem in Geltung gesetzten Willen ein Bedeutungsgehalt beigemessen, der erst durch den sozialen Kontext bestimmt wird, in dem die Erklärung geäußert wird, besteht die Gefahr, dass sich das Ergebnis der vorzunehmenden Auslegung von den zugrunde liegenden subjektiven Vorstellungen entfernt. Die bei der Auslegung vorzunehmende normative Wertung in Bezug auf den Bedeutungsgehalt der Willenserklärung führt dazu, dass es bei der Auslegung empfangsbedürftiger 21 Mot. I 126, abgedr. in Mugdan, Materialien zum BGB, Band 1, 1899, Nachdr. 1979, S.  421. 22  Larenz, Methode der Auslegung, 1930, Nachdr. 1966, S.  13 ff.; Larenz/Wolf, BGB AT, 9.  A., 2004, §  24 Rn.  29; differenzierend Wolf/Neuner, BGB AT, 10.  A., 2010, §  30 Rn.  6 ff., wonach eine Willenserklärung eine verpflichtende und bestimmende Komponente aufweist und die Wirkung hat, für die Erklärung auch Verantwortung übernehmen zu müssen, wenn sie in den sozialen Raum entäußert wird. 23  Wolf/Neuner, BGB AT, 10.  A ., 2010, §  30 Rn.  6 f.; Larenz, Methode der Auslegung, 1930, Nachdr. 1966, S.  34 ff.; Soergel/Hefermehl, BGB, 13.  A., 1999, Vor §  116 Rn.  7; Flume, BGB AT II, 4.  A., 1992, §  5 Pkt. 7 (S.  77 f.); Pawlowski, Rechtsgeschäftliche Folgen, 1966, S.  250 ff. 24  Anschaulich die Differenzierung zwischen Mitteilung und Verpflichtung als bestimmender Akt sozialer Kommunikation Wolf/Neuner, BGB AT, 10.  A., 2010, §  30 Rn.  6 f. 25 Eindeutig Larenz/Wolf, BGB AT, 9.  A ., 2004, §  24 Rn.  29. 26  Insbes. Soergel/Hefermehl, BGB, 13.  A ., 1999, Vor §  116 Rn.  7; Wolf/Neuner, BGB AT, 10.  A., 2010, §  30 Rn.  7.

III.  Interessenwiderstreit zwischen der Geltung des Willens

307

Willenserklärungen weder allein auf den Willen des Erklärenden ankommt noch auf das, was der Empfänger tatsächlich verstanden hat. Die Auslegung empfangsbedürftiger Willenserklärungen erfolgt vielmehr, indem die subjektiven Vorstellungen der Parteien verobjektiviert bestimmt werden müssen. Der Inhalt der Willenserklärung bestimmt sich daher nach dem in Geltung gesetzten Willen und ist dahingehend auszulegen, welchen Inhalt die Erklärung nach dem objektiven Erklärungswert hat.27 Diese Auslegung erfolgt unter Berücksichtigung aller für den Empfänger bei Anwendung der im Rechtsverkehr erforderlichen Sorgfalt erkennbaren Umstände.28 Solche Umstände können eine Verkehrssitte, ein Handelsbrauch oder das soziale Verständnis von dem Bedeutungsinhalt einer Willenserklärung sein.29 Auch die nur individuell erkennbaren Umstände fließen in die Auslegung ein: Beispielsweise kann ein Kopfschütteln freilich die Ablehnung eines gerade zugegangenen Angebots sein. Andererseits kann es aber auch genau das Gegenteil bedeuten, wenn die angebotene Leistung gerade so günstig erscheint, dass mit dem Kopfschütteln ausschließlich das „unglaublich günstige Angebot“ bewertet wird und der Erklärende damit gerade zum Ausdruck bringen will, das sehr günstige Angebot unbedingt annehmen zu wollen. Dies zeigt sich auch darin, dass die für die Auslegung zu berücksichtigenden Umstände auch die (berechtigte) Erwartungshaltung des Erklärenden umfassen können, wie seine Erklärung verstanden wird. Schließlich äußert er seine Erklärung in einem sozialen Kontext und erwartet, dass die Erklärung als in Vollzugsetzung seines Willens verstanden wird. Dabei treffen den Erklärenden ebenso wie den Erklärungsempfänger Sorgfaltsanforderungen. Vom Erklärenden wird erwartet, sich sorgfältig auszudrücken, während es dem Erklärungsempfänger obliegt, die Erklärung sorgfältig auszulegen, d. h. sie zu verstehen.30 Die Definition von Sorgfaltsanforderungen an die das Verhalten im sozialen Kontext interpretierenden Personen führt zu einem „verobjektivierten“ Verständnis des Bedeutungsgehalts, den eine Willenserklärung hat. Allerdings haben Sorgfaltsanforderungen auch einen subjektiven Aspekt, weil der für die Auslegung relevante Bedeutungskontext der Erklärung von dem sozialen Kontext der Parteien und der Situation, in der diese agieren, abhängt. Dadurch beeinflussen auch die subjektiven Elemente in der vermeintlich verobjektiviert zu 27  BGH NJW 2004, 506, 509: „Im Zweifel gilt, was nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig ist und der recht verstandenen Interessenlage entspricht.“; BGH GRUR 2001, 1036; BGH NJW 1988, 2878, 2879; Medicus, BGB AT, 10.  A., 2010, Rn.  323; Wolf/Neuner, BGB AT, 10.  A., 2010, §  35 Rn.  3 ff. 28  v. Tuhr, AT, II/1 §  6 4 I (S.  539 f.); Flume, AT II, 4.  A ., 1992, §  16 Pkt. 3c (S.  310 ff.); BGH NJW 1984, 721 m. w. N. aus der Rechtsprechung. 29  BGH NJW 2004, 506, 509: „[…] der erklärte Wille, wie er auch aus den Begleitumständen und nicht zuletzt der Interessenlage hervorgehen kann.”; BGH GRUR 2001, 1036. 30  Larenz/Wolf, BGB AT, 9.  A ., 2004, §  28 Rn.  16; ähnlich Wolf/Neuner, BGB AT, 10.  A ., 2010, §  35 Rn.  17.

308 §  8  Kenntnisstand des Erklärenden und des Erklärungsempfängers als Grundlage erfolgenden Auslegung den Inhalt der Willenserklärung. Zumindest ist ein Gleichlauf der subjektiven Elemente dadurch sichergestellt, dass die Sorgfaltsanforderungen, die an die Ausdruckssorgfalt bzw. die Auslegungssorgfalt von Erklärendem und Erklärungsempfänger gestellt werden, in der jeweiligen Situation gleich sind. Allerdings variieren diese Sorgfaltsanforderungen bei der Auslegung unterschiedlicher Willenserklärungen in Abhängigkeit von dem Geschäftstyp und der Deutlichkeit der Erklärung in der jeweiligen Situation.31 Daher ist nicht gewährleistet, dass dasselbe Verhalten auch denselben Bedeutungsgehalt hat. Der mit der Willenserklärung zur Geltung gebrachte Wille kann daher auch nach der Geltungstheorie nicht rein objektiv bestimmt werden und ist vielmehr von den Umständen des Einzelfalls abhängig. Allerdings kann durch die Sorgfaltsanforderungen, die an den Erklärenden und den Erklärungsempfänger gerichtet sind, verhindert werden, dass dem Erklärenden eine Erklärung zugerechnet wird, die er unter keinen Umständen abgeben wollte und der Erklärungsempfänger unter keinen Umständen so verstehen konnte.32 Bei einer insoweit übereinstimmenden Fehlvorstellung in Form der Unkenntnis beider Beteiligten bleiben diese für beide nicht ersichtlichen Umstände für die Auslegung nämlich außer Betracht.33 Darin zeigt sich bereits die grundlegende Relevanz des jeweiligen Kenntnisstands der Parteien für den Inhalt der Willenserklärung.

IV.  Relevanz des Kenntnisstandes des Erklärenden und des Erklärungsempfängers für den Inhalt und die Bindungswirkung von Willenserklärungen Ein fehlerfrei gebildeter Wille beruht auf dem Bewusstsein des Wollenden. Er bildet den Willen auf der Grundlage seines Kenntnisstandes. Im Regelfall wird der auf dem Kenntnisstand beruhende Wille in der Weise erklärt, dass ein Erklärungsempfänger ihn so verstehen kann, dass er den Willen des Erklärenden nach dem Empfang der Erklärung ebenfalls kennt. Bei beiden Beteiligten besteht dann eine vergleichbare Kenntnislage, so dass sie auf dieser Basis eine Willensübereinstimmung herbeiführen können. 31  Wolf/Neuner, BGB AT, 10.  A ., 2010, §  35 Rn.  17; BGH NJW 2001, 1859, 1861: „erkennbare Interessenlage beider Vertragsteile“. Lüderitz, Auslegung von Rechtsgeschäften, 1966, S.  287 f.: Auf den „evidenten Sinn kann sich der Empfänger ohne weiteres Nachdenken verlassen“ und „je unbestimmter, je mehrdeutiger eine Erklärung erscheint, desto vorsichtiger hat der Empfänger bei der Deutung zu verfahren“. 32  Flume, BGB AT II, 4.  A ., 1992, §  16 Pkt. 3c (S.  311 ff.). 33  Flume, BGB AT II, 4.  A ., 1992, §  16 Pkt. 3b (S.  310 ff.); Canaris, Vertrauenshaftung, 1971, S.  344 (Fn.  43); Medicus, BGB AT, 10.  A., 2010, Rn.  326.

IV.  Relevanz des Kenntnisstandes des Erklärenden und des Erklärungsempfängers

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Ein fehlerhaft gebildeter Wille hat seinen Ursprung in der Regel in einem Defizit des Kenntnisstandes der Person, die den Willen bildet. Entweder hat der Erklärende einen Willen auf einem unzutreffenden oder unvollständigen Kenntnisstand gebildet oder dem Erklärungsempfänger fehlen Informationen in seinem Kenntnisstand, die er für das zutreffende Verständnis der ihm zugegangenen Erklärung benötigt. Daher hat der jeweilige Kenntnisstand des Erklärenden und des Erklärungsempfängers unmittelbare Auswirkungen auf die Willensbildung und damit auf die Herbeiführung der Willensübereinstimmung, die für die vertragliche Bindung letztlich konstitutiv ist.

1.  Gesetzliche Regelungen der Auswirkungen des Kenntnisstandes des Erklärungsempfängers bei bewusstem Abweichen des Erklärten vom Gewollten Für die Herbeiführung einer Willensübereinstimmung muss der Empfänger der Willenserklärung verstehen, was der Erklärende will bzw. zumindest was er mit der Erklärung ausdrücken will. Weicht das Erklärte von dem Gewollten ab und ist diese Abweichung dem Erklärenden bewusst, stellt sich die Frage nach der Wirksamkeit der Willenserklärung, insbesondere nach der Bindungswirkung des Erklärenden an seine Erklärung. Betrachtet man bloß die Interessen des Erklärenden, ist das Ergebnis vorgegeben: Was der Erklärende erklärt, aber gar nicht will, soll auch nicht gelten. Schließlich liegt der vertraglichen Bindung der Gedanke der Willensübereinstimmung zugrunde. Anders ist die Frage nach der Bindung an die Erklärung jedoch zu beurteilen, wenn auch die Interessen des Erklärungsempfängers in die Betrachtung einbezogen werden: Das Gesetz (§§  116 ff. BGB) stellt dabei für die Wirksamkeit der Willenserklärung maßgeblich auf den Kenntnisstand des Erklärungsempfängers ab. Verallgemeinert (für die Mentalreservation, die Scherzerklärung und das Scheingeschäft) gilt, dass die Willenserklärung unwirksam ist, wenn die bewusste Abweichung von Wille und Erklärung dem Erklärungsempfänger bekannt ist. Eine Ausnahme besteht nur für den Fall, dass sich der Erklärende Gedanken darüber gemacht hat, wie die Erklärung verstanden wird (§  118 BGB), d. h. der Erklärende davon ausgeht, dass der Mangel der Ernstlichkeit und damit des erklärten Willens vom Erklärungsempfänger erkannt wird. Dann ist der wahre Kenntnisstand des Erklärungsempfängers irrelevant. a.  Auswirkung des Vorliegens und des Umfangs des empfängerseitigen Kenntnisstandes auf die Wirksamkeit der Willenserklärung Kennt der Erklärende die Diskrepanz zwischen seiner Erklärung und dem von ihm Gewollten, kommt es für die Wirkungen solcher Erklärungen maßgeblich

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§  8  Kenntnisstand des Erklärenden und des Erklärungsempfängers als Grundlage

auf das Vorstellungsbild des Erklärungsempfängers an. Dies gilt für die Mentalreservation (§  116 BGB), die Scherzerklärung (§  118 BGB) und das Scheingeschäft (§  117 I BGB). §  116 BGB bringt diesen Zusammenhang zwischen der Wirksamkeit der Willenserklärung und dem Kenntnisstand des Erklärungsempfängers sehr deutlich zum Ausdruck: Behält sich der Erklärende „insgeheim“ (d. h. dem Erklärungsempfänger nicht bekannt) vor, das Erklärte gar nicht zu wollen, ist die Willenserklärung uneingeschränkt wirksam und der Erklärende an das gebunden, was er erklärt hat, §  116 S.  1 BGB. Dies dient freilich in erster Linie dem Schutz des Erklärungsempfängers im Hinblick darauf, dass er sich darauf verlassen kann, dass das Erklärte auch gewollt ist. Kennt der Erklärungsempfänger jedoch den Vorbehalt (ist dieser daher nicht „insgeheim“), bedarf der Erklärungsempfänger keines Schutzes und die Willenserklärung ist dann nach dem Willen des Erklärenden nichtig, d. h. sie entfaltet wie gewollt keine Wirkung, §  116 S.  2 BGB.34 Gleiches gilt für das Scheingeschäft gemäß §  117 I BGB. Bei diesem wissen beide Vertragsparteien (und sind sich sogar darüber einig), dass die Erklärungen keine Rechtswirkungen 35 haben sollen. Auch in diesen Fällen der dem Erklärungsempfänger bekannten Diskrepanz zwischen Erklärtem und Gewolltem ist die Willenserklärung unwirksam; der Wille des Erklärenden kommt umfassend zur Geltung. Der Erklärungsempfänger ist nicht schutzwürdig, denn er kennt und will sogar, dass das Erklärte vom Gewollten abweicht. Ein Vertrauen kann wegen der positiven Kenntnis der Abweichung von Erklärtem und Gewolltem nicht entstanden sein. Folglich kommen auch keine Sekundärleistungsansprüche wie Schadensersatz in Betracht. Aus diesem Grund erfasst §  122 I BGB tatbestandlich auch nicht die Fälle nichtiger Willens­ erklärungen, in denen der Erklärungsempfänger von dem Willensvorbehalt positive Kenntnis hat, d. h. im Anwendungsbereich des §  116 S.  2 und §  117 I BGB. Hat der Erklärungsempfänger keine positive Kenntnis von dem Willensvorbehalt, ist er durch die umfassende Bindung des Erklärenden an dessen Willens­ erklärung hinreichend geschützt. Zu der Frage, wann der Erklärungsempfänger positive Kenntnis (z. B. von dem Vorbehalt i. S. d. §  116 I BGB) hat, wird in der Literatur36 vereinzelt auf die im redlichen Geschäftsverkehr geübte Praxis verwiesen, dass der Erklärungsgegner sich bei Zweifeln an der Ernstlichkeit oder dem Bestehen eines Vorbehalts des Erklärenden bei diesem erkundige, ob eine bindende Erklärung 34  Mit dem Ergebnis stimmen sogar Vertreter der Willenstheorie vor allem im Hinblick auf die Missbrauchsgefahr und die Nachweisschwierigkeiten überein: v. Savigny, System des heutigen Römischen Rechts, Band III, 1840, §  134 (S.  258 ff.); Enneccerus, Rechtsgeschäft, Bedingung und Anfangstermin, 1889, §  10 (S.  95 f.); Zitelmann, JherJB 16 (1878), 357, 400 ff. 35  Vgl. BGH LM Nr.  5 und 6 zu §  117 BGB; BGH NJW 1977, 294, 295; BGH NJW 1962, 295, 297. 36 MünchKommBGB/Armbrüster, 7.   A., 2015, §  116 Rn.  9; Wieacker, JZ 1967, 385, 390; Kramer, Grundfragen, 1972, S.  73 f. für die gleiche Konstellation im ABGB.

IV.  Relevanz des Kenntnisstandes des Erklärenden und des Erklärungsempfängers

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abgegeben werden sollte.37 Bei einer daraufhin erklärten Bekräftigung durch den Erklärenden ist zumindest der vom Erklärungsgegner vermutete (und damit diesem möglicherweise bekannte) Vorbehalt i. S. d. §  116 S.  2 BGB zu einem unbeachtlichen, geheimen Vorbehalt (§  116 S.  1 BGB) gemacht worden.38 Allerdings führt der Verweis auf die redliche Geschäftspraxis bei auftretenden Zweifeln nicht zu einer Beantwortung der Frage, wann positive Kenntnis – beispielsweise von dem Vorbehalt i. S. d. §  116 S.  2 BGB – vorliegt oder anhand welcher Kriterien diese zu bestimmen ist. Tatbestandlich setzt §  116 S.  2 BGB die positive Kenntnis des Erklärungsempfängers von dem Willensvorbehalt voraus. Ein Kennenmüssen reicht dafür nicht aus.39 Ein Zweifel genügt ebenfalls nicht, vielmehr muss der Erklärungsempfänger „positive Kenntnis vom vollständigen Fehlen des Rechtsfolgewillens“ haben.40 Bei den Anforderungen, die an die Kenntnisintensität gestellt werden, muss beachtet werden, in wessen Verantwortungsbereich die bewusste Abweichung des Erklärten vom Gewollten fällt. Bei der Mentalreservation entsteht die Abweichung des Gewollten vom Erklärten ausschließlich in dem Einflussbereich des Erklärenden. Daher sind an die positive Kenntnis des Erklärungsgegners hohe Anforderungen zu stellen: Er verliert seinen Schutz nur, wenn er die Abweichung von Wille und Erklärung kennt, weil er auf diese Abweichung keinen Einfluss hatte. Anders ist das aber bei dem Scheingeschäft: Dabei verabreden die Parteien gerade, dass das Erklärte vom Gewollten abweichen soll. Die Abweichung stammt daher auch aus dem Einfluss- und damit Verantwortungsbereich des Erklärungsempfängers. In diesen Fällen sind die Anforderungen an das Vorliegen positiver Kenntnis von der Abweichung zwischen Gewolltem und Erklärtem nicht genauso hoch anzusetzen wie bei der Mentalreservation. Konkret bedeutet dies, dass der bei der Ermittlung eines Scheingeschäfts notwendige Kenntnisstand bereits vorliegt, wenn der Erklärungsempfänger die Abweichung von Gewolltem und Erklärtem von seinem (potentiellen) Vertragspartner bereits kennen konnte und sich damit abfand, weil er selbst auf dieser Kenntnislage den Willen bildete, das Erklärte auch nicht zu wollen. Bei der beiderseitigen (konsentierten) Abweichung des Gewollten von dem Erklärten sind daher die Anforderungen an das Vorliegen positiver Kenntnis wesentlich geringer als bei der rein einseitigen Mentalreservation.

37  Allerdings besteht Einigkeit, dass nur bedingter Vorsatz der Kenntnis gleichsteht, nicht dagegen fahrlässige Unkenntnis, vgl. Soergel/Hefermehl, BGB, 13.  A., 1999, §  116 Rn.  7; Staudinger/Singer, BGB, 2012, §  116 Rn.  10. 38 MünchKommBGB/Armbrüster, 7.  A ., 2015, §  116 Rn.  9. 39  Wolf/Neuner, BGB AT, 10.  A ., 2010, §  40 Rn.  4. 40  Larenz/Wolf, BGB AT, 9.  A ., 2004, §  35 Rn.  9.

312 §  8  Kenntnisstand des Erklärenden und des Erklärungsempfängers als Grundlage b.  Wirtschaftliche Kompensation enttäuschten Vertrauens bei fehlendender Relevanz des Kenntnisstandes des Empfängers für die Wirksamkeit der Willenserklärung Bei der Scherzerklärung verfolgt das Gesetz in §  118 BGB einen anderen Regelungsansatz als bei der Mentalreservation oder dem Scheingeschäft. Gemäß §  118 BGB ist der Vorbehalt der Ernstlichkeit (anders als bei §  116 S.  1 BGB) dann beachtlich, wenn der Erklärende davon ausgeht, dass der Mangel der Ernstlichkeit nicht verkannt werde. Es kommt dabei nach dem Wortlaut von §  118 BGB für die Wirksamkeit der Erklärung nicht auf den wahren Kenntnisstand des Empfängers an. Vielmehr ist nur das Vorstellungsbild des Erklärenden ausschlaggebend für die Wirksamkeit der Willenserklärung. Geht der Erklärende von einem beim Erklärungsempfänger vorhandenen Kenntnisstand aus (d. h. er erwartet, der Mangel der Ernstlichkeit werde erkannt), ist die Willenserklärung unabhängig vom wahren Kenntnisstand des Erklärungsempfängers immer nichtig. Dies ist der entscheidende Unterschied zu den Folgen der Mentalreservation gemäß §  116 BGB. Für die Nichtigkeit ist stets ausschlaggebend, dass der Erklärende den Kenntnisstand des Erklärungsempfängers in seine Vorstellung mit einbezieht, indem er davon ausgeht, dass der Scherz erkannt wird. Die Erklärung entfaltet keine Bindungswirkung, der Erklärungsempfänger kann keine vertragliche Bindung durch die Annahme der Erklärung herbeiführen und somit eventuelle Vorteile, die sich aus dem Geschäft ergeben würden, auf diesem Weg realisieren. Allerdings wird sein Vertrauen auf die Wirksamkeit der ihm zugegangenen Willenserklärung geschützt. Ihm steht gemäß §  122 I BGB ein Schadensersatzanspruch zu, wenn er auf die Gültigkeit der Erklärung vertraut hat. Der Schadensersatzanspruch besteht gemäß §  122 II BGB nicht, wenn derjenige, der auf die Wirksamkeit vertraute, den „Grund der Nichtigkeit kannte oder infolge von Fahrlässigkeit nicht kannte (kennen musste)“. Daher kommt es für die wirtschaftliche Kompensation letztlich doch auf den wahren Kenntnisstand des Erklärungsempfängers an. Der Unterschied zwischen der Mentalreservation und der Scherzerklärung liegt in der geistigen Auseinandersetzung des Erklärenden mit dem Vorstellungsbild des Erklärungsempfängers. Diese Einbeziehung des anderen Kenntnisstandes in die eigene Entscheidung rechtfertigt es, etwa entstandenes und enttäuschtes Vertrauen auf die Wirksamkeit nicht im Wege der Anordnung der Wirksamkeit und der Entfaltung der vollen Bindungswirkung (wie in §  116 S.  1 BGB), sondern nur durch die Gewährung von Sekundäransprüchen im Rahmen des Schadensersatzes zu kompensieren. Die Folgen des Kenntnisstandes des Erklärungsempfängers sind bei Zugang einer Scherzerklärung weitreichender als bei dem Zugang einer Willenserklärung, die nicht gewollt ist und gemäß §  116 S.  2 BGB nichtig ist. Bei dem geheimen Vorbehalt ist ein Schutz des Erklärungsempfängers nur dann ausgeschlos-

IV.  Relevanz des Kenntnisstandes des Erklärenden und des Erklärungsempfängers

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sen, wenn er positive Kenntnis von dem Vorbehalt hat (§  116 S.  2 BGB). Bei der Scherzerklärung genügt für den Ausschluss des den Vertrauensschaden des Erklärungsempfängers ausgleichenden Anspruchs bereits die fahrlässige Unkenntnis des Empfängers von der Scherzhaftigkeit der Erklärung (§  122 II BGB).

2.  Sonderfall: Fehlendes Erklärungsbewusstsein als (bloß) fehlender Wille? Ob einer Willenserklärung ein „Erklärungsbewusstsein“ zugrunde liegen muss und welche Folgen dessen Fehlen hat, ist umstritten. Unter dem Begriff „Erklärungsbewusstsein“ fasst man üblicherweise das Bewusstsein des Handelnden zusammen, dass sein Verhalten irgendeine rechtserhebliche Erklärung darstellt bzw. als solche verstanden werden kann.41 Wolf/Neuner42 kritisieren die Verwendung dieses unscharfen Begriffs, da einerseits das voluntative Element (der Wille, eine Erklärung abzugeben) in den Hintergrund rücke, und andererseits nicht klar werde, dass sich der Wille nicht auf die bloße Abgabe (irgend-)einer Erklärung beziehe, sondern gerade auf eine rechtsgeschäftliche. Daher solle terminologisch eher auf den Willen abgestellt werden, am Rechtsverkehr teilzunehmen, d. h. an ihm zu partizipieren. Dementsprechend sei der Terminus „Partizipationswille“ besser geeignet, die Fälle zu diskutieren, bei denen eine Person eine scheinbar rechtsgeschäftliche Erklärung abgibt. In dem bekannten Schulfall43 der „Trierer Weinversteigerung“ hebt jemand seine Hand, um einen Freund begrüßen. Der Weinauktionator erteilt ihm den Zuschlag, weil er das Handheben als Abgabe eines höheren Gebotes auf der Auktion verstanden hat. Dem „vermeintlichen Bieter“ war nicht bewusst, dass das Handheben die Bedeutung hat, ein höheres Gebot abzugeben. Somit setzte der „vermeintliche Bieter“ ein Erklärungszeichen, ohne dass er dies wusste. Er handelte ohne Erklärungsbewusstsein bzw. Partizipationswillen. Die Folgen des Fehlens des Erklärungsbewusstseins bzw. Partizipationswillens sind nicht gesetzlich geregelt und Gegenstand umfassender Diskussion. a.  Streitstand über die Wirksamkeit der Willenserklärung bei Fehlen des Erklärungsbewusstseins Die Frage nach der Wirksamkeit der Willenserklärung bei fehlendem Erklärungsbewusstsein wird kontrovers diskutiert. Teilweise wird vertreten, dass derjenige, der den objektiven Tatbestand einer rechtsgeschäftlichen Erklärung 41 Vgl. statt vieler BGH NJW 1984, 2279, 2280; Brox/Walker, BGB AT, 39.   A., 2015, Rn.  85; Leipold, BGB I, 8.  A., 2015, §  10 Rn.  19. 42  Wolf/Neuner, BGB AT, 10.  A ., 2010, §  32 Rn.  20. 43 Vgl. zu diesem Beispiel Larenz/Wolf, BGB AT, 9.   A., 2004, §  24 Rn.  7; Brox/Walker, BGB AT, 39.  A., 2015, Rn 85, 137.

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§  8  Kenntnisstand des Erklärenden und des Erklärungsempfängers als Grundlage

setzt, ohne sich dessen bewusst zu sein und ohne dies zu wollen, überhaupt keine Willenserklärung abgibt.44 Eine solche „vermeintliche“ Willenserklärung sei immer nichtig. Vertreter dieser Ansicht tendieren im Ergebnis zu einer starken Gewichtung des Willenselements als konstitutives Element der Willenserklärung, wie es die Willenstheorie vorgab. Als Begründung wird zunächst angeführt, dass derjenige, dem der Wille fehlt, überhaupt am Rechtsverkehr teilzunehmen, an diesem gerade keine Gestaltungschancen für sich wahrnehmen will und daher von der Privatautonomie überhaupt keinen Gebrauch machen will.45 Fehle das Erklärungsbewusstsein bzw. der Partizipationswille, sei der Fall wertungsmäßig mit einer abhandengekommenen Willenserklärung vergleichbar.46 Dann läge nach Teilen der Literatur47 und der Rechtsprechung48 auch keine Willenserklärung vor. Außerdem vergleichen Vertreter dieser Ansicht den Fall des fehlenden Erklärungsbewusstseins mit dem der in §  118 BGB geregelten Scherz­ erklärung und begründen damit die notwendige Folge der Nichtigkeit der Erklärung. Wird eine Erklärung in vollem Bewusstsein der Rechtserheblichkeit abgegeben und gehofft, dass der Mangel der Ernstlichkeit erkannt wird, sei diese Erklärung gemäß §  118 BGB nichtig. Daher müsse erst recht eine Erklärung nichtig sein, die sogar ohne Kenntnis ihrer rechtlichen Relevanz in der Erwartung abgegeben wird, dass diese Erklärung keine rechtliche Erheblichkeit hat.49 Andere Stimmen der Literatur50 sowie die Rechtsprechung51 gehen dagegen davon aus, dass eine ohne Erklärungsbewusstsein abgegebene Willenserklärung einerseits grundsätzlich wirksam und andererseits jedoch anfechtbar ist, wenn die Erklärung vom Empfänger als Willenserklärung aufgefasst werden durfte und auch aufgefasst wurde.52 Das Erklärungsbewusstsein sei kein konstitutiver Teil einer Willenserklärung. Derjenige, der ohne Erklärungsbewusstsein han44  Enneccerus/Nipperdey, BGB AT I/2, 15.  A ., 1960, §  145, 4. (S.  9 01 f.); Thiele, JZ 1969, 405, 407; Singer, JZ 1989, 1030, 1034; Canaris, Vertrauenshaftung, 1971, S.  427 f., 548 ff.; Canaris, NJW 1974, 521, 528; Fabricius, JuS 1966, 1, 8; Frotz, Verkehrsschutz, 1972, S.  469 ff.; Wieacker, JZ 1967, 385, 389; auch noch andeutungsweise BGH JR 1956, 59. 45  Wolf/Neuner, BGB AT, 10.  A ., 2010, §  32 Rn.  2 2. 46  Neuner, JuS 2007, 881, 886; Staudinger/Singer, BGB, 2012, Vorbem. zu §§  116 ff. Rn.  49; Lobinger, Rechtsgeschäftliche Verpflichtung, 1999, S.  229 ff. 47  Canaris, JZ 1976, 132, 133 f. m. w. N. 48  BGH NJW 1975, 2101, 2102 f. 49 Eindeutig Canaris, NJW 1984, 2279, 2281: „Denn wenn nicht einmal derjenige, der bewußt den äußeren Tatbestand einer Willenserklärung setzt, nicht anzufechten braucht, dann auch und erst recht nicht derjenige, der dies unbewußt tut.“. 50  Larenz, Methode der Auslegung, 1930, Nachdr. 1966, S.  84 ff.; Flume, BGB AT II, 4.  A ., 1992, §  23 Pkt. 1 (S.  4 49); Gudian, AcP 169, (1969), 232, 233 ff.; Kellmann, JuS 1971, 609, 612 f.; Brox, Einschränkung, 1960, S.  49 ff.; v. Craushaar, AcP 174 (1974), 1, 6 ff.; Bydlinski, JZ 1975, 1, 5. 51  BGH NJW 1984, 2279, 2280; BGH NJW 1990, 454, 456; BGH NJW 1995, 953. 52  Vgl. insbes. BGH NJW 2010, 2873, 2875 Tz.  18; BGH NJW 2010, 861, 862 Tz.  19, jeweils mit der Einschränkung des „erklärungsfahrlässigen Verhaltens“ des vermeintlich Erklärenden.

IV.  Relevanz des Kenntnisstandes des Erklärenden und des Erklärungsempfängers

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delt, habe in Bezug auf die Rechtserheblichkeit seines Verhaltens noch keinen Willen gebildet. Daher gebiete es die Selbstbestimmung des Einzelnen im Sinne der Gewährleistung der Privatautonomie, dem Betroffenen noch die Möglichkeit zu geben, einen nachträglich gebildeten Willen zur Geltung bringen zu können. 53 Die Einräumung einer Anfechtungsmöglichkeit sei der geeignete Weg, damit der Handelnde, der unbewusst eine rechtlich erhebliche Erklärung abgegeben hat, seinem „richtig“ gebildeten rechtsgeschäftlichen Willen nachträglich Ausdruck verleihen könne. Unter den Befürwortern dieser Ansicht ist allerdings wiederum streitig, ob der Fall wie ein Erklärungsirrtum54 behandelt werden muss oder die Anfechtungsregeln analog angewandt werden müssen.55 b.  Weder bewusste noch unbewusste Abweichung von Wille und Erklärung Fehlt dem Handelnden das Erklärungsbewusstsein, weicht die Erklärung von dem Willen des Handelnden ab. Es liegt jedoch weder ein Fall des bewussten Abweichens von Wille und Erklärung vor noch liegt ein Fall des unbewussten Abweichens von Erklärtem und Gewollten vor, da der Erklärende gar nichts Rechtserhebliches erklären wollte, sondern eine Handlung außerhalb des rechtsgeschäftlichen Verkehrs vornehmen wollte.56 Die Frage der Auswirkungen fehlenden Erklärungsbewusstseins ist unter Beachtung der Sicht des Erklärenden und der des Erklärungsempfängers zu beantworten. Aus der Perspektive des Erklärenden liegt eine unbewusste Abweichung von Wille und Erklärung vor. Diese Situation ähnelt derjenigen, die zur Anfechtung wegen eines Erklärungsirrtums berechtigt. Aus der Sicht des Erklärungsempfängers liegt der objektive Anschein einer Willenserklärung vor.57 Das fehlende Erklärungsbewusstsein des Handelnden stellt sich aus dem Blickwinkel des Erklärungsempfängers wie der geheime Vorbehalt des Erklärenden, das Erklärte nicht zu wollen, dar. Damit gleicht die ohne Erklärungsbewusstsein abgegebene Willens­ erklärung der Mentalreservation (§  116 S.  1 BGB), denn dem Empfänger geht objektiv eine Willenserklärung zu, die nach dem Willen des Erklärenden jedoch nicht gelten soll. Die Rechtsfolge von §  116 S.  1 BGB ist die uneingeschränkte Gültigkeit der Willenserklärung. 53  Flume, BGB AT II, 4.  A ., 1992, §  20 Pkt. 3 (S.  414 f.), §  23, 1 (S.  4 49); Röder, JuS 1982, 125, 126; BGH NJW 1984, 2279, 2280; BGH NJW 1984, 2279, 2280; ferner Soergel/Hefermehl, BGB, 13.  A., 1999, Vor §  116 Rn.  14. 54  Bydlinski, JZ 1975, 1, 5; Bydlinski, Privatautonomie, 1967, S.  162 ff. 55  Medicus, BGB AT, 10.  A ., 2010, Rn.  607 f. 56  Streng genommen ist damit Wolf/Neuner, BGB AT, 10.  A ., 2010, §  32 Rn.  20, Recht zu geben, dass damit an sich keine Willenserklärung vorliegt. Allerdings wirkt sich dieses Ergebnis auf die Ersatzfähigkeit des enttäuschten Vertrauens des „Erklärungsempfängers“ aus, dem dann die Kompensation für die ihm zugegangene, für ihn „scheinbar wirksame“ Willenserklärung versagt wird. 57  Canaris, Vertrauenshaftung, 1971, S.  428 und S.  550, stellt allein auf die Haftung aufgrund des Rechtsscheins ab, der von der (objektiven) Erklärungshandlung ausgeht.

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§  8  Kenntnisstand des Erklärenden und des Erklärungsempfängers als Grundlage

Betrachtet man die Vorstellungen der Beteiligten bezüglich des Erklärungsgehalts der Handlung sowie die Interessen des Erklärenden und des Erklärungsempfängers, muss bei einem Interessenausgleich Folgendes beachtet werden: Der Wille des Erklärenden weicht unbewusst von der Erklärung ab. Darin liegt der Unterschied zu dem Fall, der in §  116 S.  1 BGB geregelt ist. Deshalb erscheint eine uneingeschränkte Bindung des Erklärenden an seine vermeintliche Erklärung als zu weitreichend. Dafür sprechen zwei Gründe: Hätte sich der Erklärende nur über den Inhalt seiner (als solcher gewollten rechtserheblichen) Willenserklärung oder das verwendete Erklärungszeichen geirrt, könnte er die Erklärung gemäß §  119 I BGB anfechten. Außerdem spricht gegen die uneingeschränkte Bindung an die Erklärung, dass der Erklärende nicht an die Erklärung gebunden ist, wenn er davon ausgeht, dass der andere die fehlende Ernstlichkeit seiner Erklärung erkennt (§  118 BGB). Dann kann er nicht ohne Einschränkung an die Erklärung gebunden sein, wenn er eine Handlung vornimmt, von der er annimmt, dass der andere sie nicht einmal als rechtserhebliche Willenserklärung versteht.58 Die ohne Erklärungsbewusstsein abgegebene Willenserklärung ähnelt damit sowohl dem Fall der bewussten Abweichung von Wille und Erklärung als auch dem Fall der unbewussten Abweichung von Wille und Erklärung. Für beide Fälle gibt es eine gesetzliche Regelung, die jedoch jeweils nur den Fall der bewussten oder der unbewussten Abweichung von Wille und Erklärung erfasst. Weder die Regelungen, die den Fall des bewussten Abweichens von Wille und Erklärung erfassen (§§  116 S.  1, 118 BGB), noch die Regelung, die den Fall des unbewussten Abweichens von Wille und Erklärung betrifft (§  119 I BGB), sind auf den Fall des fehlenden Erklärungsbewusstseins unmittelbar anwendbar. Vielmehr weichen Wille und Erklärung weder bewusst noch unbewusst voneinander ab. Für eine solche Konstellation gibt es keine gesetzliche Regelung. Weder die Regelungen für bewusstes Abweichen von Wille und Erklärung noch die Regelung für unbewusstes Abweichen von Wille und Erklärung enthalten unmittelbar passende Rechtsfolgen. c.  Anfechtungsmöglichkeit bei Fehlen des Erklärungsbewusstseins? (1)  Einseitige Anfechtungsmöglichkeit bei „fahrlässig“ abgegebener Willenserklärung Die Rechtsprechung59 und Teile der Literatur60 beschreiten den Lösungsweg, eine „Willenserklärung“, die ohne Erklärungsbewusstsein abgegeben wurde, 58 

Zu diesem argumentum e contrario zutreffend Canaris, NJW 1984, 2279, 2281. BGH NJW 2010, 2873, 2875 Tz.  18; BGH NJW 2010, 861, 862 Tz.  19; BGH NJW 1995, 953; BGH NJW 1990, 454, 456. 60  Bydlinski, JZ 1975, 1, 5 f.; Gudian, AcP 169 (1969), 232, 234; Brox, Einschränkung, 1960, S.  50 ff.; Ahrens, JZ 1984, 986 f.; Emmerich, JuS 1984, 971. 59 

IV.  Relevanz des Kenntnisstandes des Erklärenden und des Erklärungsempfängers

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grundsätzlich als wirksam zu behandeln und gestehen dem „Erklärenden“ ein Anfechtungsrecht entsprechend einem Erklärungsirrtum zu. Der erste Schritt in dieser Argumentation ist dabei, zunächst zu klären, ob überhaupt eine Willenserklärung des ohne Erklärungsbewusstsein Handelnden vorliegt. Dies betrifft das Hauptargument der Vertreter, die sich an der Willenstheorie orientieren und davon ausgehen, dass ohne Willen auch keine Willenserklärung vorliegen kann. Um dieses Argument eines fehlenden Willens als konstitutives Element einer Willenserklärung entkräften zu können, wird von der Rechtsprechung zusätzlich zu dem objektiven Schein einer abgegebenen Willenserklärung und dem notwendigen Verständnis des Empfängers von der Handlung als (gewollte) Willenserklärung ein Zurechnungstatbestand gefordert. Ein solcher Zurechnungstatbestand soll in einer Art „Erklärungsfahrlässigkeit“ liegen. 61 Der BGH nimmt an, dass ein solcher Zurechnungstatbestand gegeben sei, „wenn ein sich in missverständlicher Weise Verhaltender bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt hätte erkennen und vermeiden können, dass die in seinem Verhalten liegende Äußerung nach Treu und Glauben und der Verkehrssitte als Willenserklärung aufgefasst werden durfte, und wenn der Empfänger sie auch tatsächlich so verstanden hat“. 62 Dem vermeintlich seinen Willen Erklärenden wird daher der Vorwurf gemacht, „sich nicht so verhalten zu haben, daß der unzutreffende Schein vermieden worden wäre“. 63 Die auf diese Weise konstruierte „fahrlässige Willenserklärung“ bindet – und zwar den vermeintlich „Erklärenden“ wie auch den „Erklärungsempfänger“. Wer daher beispielsweise die im Verkehr erforderliche Sorgfalt unbeachtet lässt und jemandem winkt, obwohl er hätte erkennen können, dass dieses Handzeichen als Abgabe eines höheren Gebotes auf einer Auktion aufgefasst werden kann, ist rechtlich an diese „Willenserklärung“ gebunden, ohne dies gewollt zu haben. Für den Vertragspartner gilt dies in gleicher Weise, auch er ist an seine darauf erklärte Annahme der scheinbaren Erklärung gebunden. Allerdings hat nach dieser Ansicht der ohne Erklärungsbewusstsein Handelnde ein Anfechtungsrecht. Der Fall der scheinbaren Willenserklärung, die ohne Erklärungsbewusstsein abgegeben wird, sei dem Erklärungsirrtum insofern ähnlich, als der Handelnde etwas erkläre, was er gar nicht (so) erklären wollte. 64 Daher müsse auch eine Erklärung in gleicher Weise anfechtbar sein, die ganz ohne das Bewusstsein abgegeben wurde, überhaupt etwas rechtlich Erhebliches zu erklären. Seine Überzeugungskraft schöpft dieser Lösungsweg 61  Ahrens, JZ 1984, 986 f.; Emmerich, JuS 1984, 971; MünchKommBGB/Armbrüster, 7.  A ., 2015, §  119 Rn.  97; Gudian, AcP 169, (1969), 232, 235 f.; BGH NJW 2002, 363, 365; kritisch hierzu Wolf/Neuner, BGB AT, 10.  A., 2010, §  32 Rn.  23; Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz, 1995, S.  172, 174; Lorenz, Unerwünschter Vertrag, 1997, S.  218 ff. 62  BGH NJW 2010, 2873, 2875 Tz.  18 unter Verweis auf BGH NJW 1995, 953. 63 Eindeutig Gudian, AcP 169 (1969), 232, 235. 64  Vgl. BGH NJW 1984, 2279, 2280; Bydlinski, JZ 1975, 1, 5.

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§  8  Kenntnisstand des Erklärenden und des Erklärungsempfängers als Grundlage

vor allem aus den Folgen, die die Gewährung des Anfechtungsrechts mit sich bringt: Der Handelnde, der ohne Erklärungsbewusstsein einen Erklärungs­ anschein gesetzt hat, ist für diesen Anschein verantwortlich. 65 Er soll für dessen Setzung haften. Demzufolge kommt zum einen die volle rechtliche Bindung in Betracht, als wäre die Erklärung bewusst abgegeben worden, zum anderen eine Sekundärhaftung auf Ersatz des Schadens, den der Erklärungsempfänger im Vertrauen auf die Wirksamkeit der „Erklärung“ erleidet. Mit dem Argument, dass dem ohne Erklärungsbewusstsein Handelnden am besten im Nachhinein, d. h. nach Erkennen seines „Irrtums“ über den Bedeutungsgehalt seines gesetzten Erklärungszeichens, die Möglichkeit gegeben werden müsse, einen rechtsgeschäftlichen Willen zu bilden und zum Ausdruck zu bringen, wird dem ohne Erklärungsbewusstsein Handelnden ein Anfechtungsrecht zugestanden. 66 Dieses erfolgt in entsprechender Anwendung der Vorschriften über den Erklärungsirrtum. Insbesondere hafte der Anfechtende auf Schadensersatz gemäß §  122 I BGB, wenn der „Erklärungsempfänger“ auf die Wirksamkeit der Erklärung vertraute. Andere Befürworter einer Anfechtungsmöglichkeit sprechen sich zwar für die entsprechende Anwendung der Anfechtungsmöglichkeit aus, orientieren sich jedoch bei der Rechtsfolge nicht an dem verschuldensunabhängigen Anspruch gemäß §  122 I BGB, sondern präferieren einen Schadens­ ersatzanspruch aus vorvertraglicher Pflichtverletzung (§§  280 I, 241 II, 311 II BGB),67 was vor allem die Möglichkeit der Berücksichtigung eines etwaigen Mitverschuldens gemäß §  254 BGB eröffnet. 68 (2)  Beiderseitiges Lösungsrecht nach Herstellung der Kongruenz des einen Kenntnisstandes mit dem anderen Kenntnisstand In der Diskussion um die Rechtsfolgen einer Erklärung, der kein Erklärungsbewusstsein des Handelnden zugrunde liegt, dominiert der Grundsatz, dass derjenige, der etwas nicht weiß, dafür auch nicht verantwortlich sein soll. Bei der Anfechtungsmöglichkeit einer Erklärung ohne Erklärungsbewusstsein wird dadurch das Interesse desjenigen einseitig geschützt, der ohne Erklärungsbe65 Insbes.

Gudian, AcP 169 (1969), 232, 234. Bydlinski, JZ 1975, 1, 5; MünchKommBGB/Armbrüster, 7.  A., 2015, §  119 Rn.  97; BGH NJW 2010, 2873, 2875 Tz.  18; BGH NJW 1984, 2279, 2280; ferner Medicus, BGB AT, 10.  A., 2010, Rn.  607. 67 Vgl. Medicus, BGB AT, 10.  A ., 2010, Rn.  608. 68  Die Anwendung des Anfechtungsrechts wird von der Rechtsprechung und der Literatur auf die zurechenbare Setzung des „Erklärungsscheins“ im Hinblick auf die Rechtsfolgen des §  122 BGB eingeschränkt, was allerdings wiederum kritisch betrachtet wird, weil trotz analoger Anwendung der Anfechtungsregeln nicht zwingend auch die Rechtsfolgen der Anfechtung (vor allem der Schadensersatzanspruch) ebenfalls angewendet werden müssen. Vielmehr sei nicht das Anfechtungsrecht einzuschränken, sondern die Rechtsfolgen, die eine erklärte Anfechtung nach sich ziehen, seien im Einzelfall von der Anwendung auszuschließen, Lobinger, Rechtsgeschäftliche Verpflichtung, 1999, S.  207 ff. und 340 f. 66 

IV.  Relevanz des Kenntnisstandes des Erklärenden und des Erklärungsempfängers 319

wusstsein handelt: Er darf auch Vorteile aus seiner gar nicht rechtsgeschäftlich gewollten Erklärungshandlung ziehen, indem ihm die Entscheidungsmöglichkeit eingeräumt wird, den Vertrag aufrecht zu erhalten, beispielsweise wenn dieser für ihn vorteilhaft ist. Daher wird derjenige, der überhaupt nicht rechtsgeschäftlich handeln wollte, damit belohnt, dass er nachträglich entscheiden kann, ob er das Geschäft anfechten oder daran festhalten will. Er kann retro­ spektiv prüfen, ob ihm das Geschäft Vorteile bringt und im Nachhinein entscheiden, ob er es gegen sich gelten lassen will. aa.  Inkonsequenz der uneingeschränkten Bindung des Vertragspartners Diese Möglichkeit der nachträglichen Lösung von dem Vertrag steht dem Erklärungsempfänger bei der einseitigen Anfechtungsmöglichkeit nicht zu. Er ist nach wie vor an das Geschäft gebunden. Zwar wäre er auch gebunden, wenn der Erklärende mit Erklärungsbewusstsein gehandelt hätte. Jedoch stellt sich die Situation bei einer Einigung mit jemandem, der überhaupt nicht rechtsgeschäftlich handeln wollte, anders dar. Entscheidet der ohne Erklärungsbewusstsein Handelnde im Nachhinein, dass er die Erklärung anfechten will, dann ist der Erklärungsempfänger auf Sekundäransprüche (Ersatz des Vertrauensschadens gemäß §  122 I BGB) verwiesen. Ficht der ohne Erklärungsbewusstsein Handelnde dagegen nicht an, weil er erkennt, dass das (vermeintlich abgeschlossene) Geschäft für ihn vorteilhaft ist, bildet er zu diesem Zeitpunkt erstmals einen rechtserheblichen Willen. Es drängt sich mithin die Frage auf, warum der Erklärungsempfänger zu dem (späteren) Zeitpunkt, zu dem der Erklärende seinen rechtsgeschäftlichen Willen bildet, noch an seine damalige Erklärung gebunden sein soll. Möglicherweise hat er in der Zwischenzeit auch erfahren, dass das Geschäft für ihn nachteilig ist. Die §§  146, 147, 150 I BGB enthalten für die Begründung einer vertraglichen Bindung die Wertung, dass ein Antrag nur sofort angenommen werden kann. Daher kann die rechtserhebliche Erklärung des Empfängers einer Erklärung nur sofort angenommen werden, d. h. sofort zu einer vertraglichen Bindung führen. Andernfalls gilt gemäß §  150 I BGB die spätere Annahme als neuer Antrag. Der Ausschluss der langfristigen Bindung an eine geäußerte Willenserklärung zeigt, dass der Gesetzgeber davon ausging, dass entweder sofort zwei rechtserhebliche Willenserklärungen vorliegen, die zu einer vertraglichen Bindung führen oder bei zeitlichem Auseinanderfallen der Äußerung des rechtserheblichen Willens keine Bindungswirkung eintreten soll. Aus diesem Grunde ist es konsequent, den Empfänger einer ohne Erklärungsbewusstsein abgegebenen Erklärung nicht an seine eigene Erklärung zu binden, bevor der ohne Erklärungsbewusstsein Handelnde einen rechtsgeschäftlichen Willen gebildet hat. Es ist demgemäß auch nicht gerechtfertigt, dem ohne Erklärungsbewusstsein Handelnden eine einseitige Anfechtungs-

320 §  8  Kenntnisstand des Erklärenden und des Erklärungsempfängers als Grundlage möglichkeit zu gewähren. Eine Lösung für die Vermeidung dieses einseitigen Vorteils des ohne Erklärungsbewusstsein Handelnden ist die Einräumung eines beidseitigen Lösungsrechts von dem Vertrag. Dem Empfänger einer Erklärung, die ohne Erklärungsbewusstsein abgegeben wurde, ist folglich nach Aufdeckung der Tatsache, dass der Handelnde den äußeren Anschein einer Erklärung ohne Erklärungsbewusstsein gesetzt hat, ebenfalls die Entscheidungsmöglichkeit einzuräumen, ob er an seine Erklärung gebunden sein will oder nicht. bb.  Keine Äquipollenz des beiderseitigen Lösungsrechts mit der Erforderlichkeit des Neuabschlusses Verkürzt könnte diese Lösung dahin missverstanden werden, dass sie genau dem entspricht, dass gar keine bindende Willenserklärung vorliegt, wenn der missverständlichen Handlung kein Erklärungsbewusstsein zugrunde liegt. Auch dann müssten beide Parteien sich erneut dazu äußern, ob sie eine nicht erfolgte Einigung nun doch gelten lassen wollen. Dies ist aber nicht der Fall. Können die Vertragsparteien vollkommen neu entscheiden, könnten sie von dem vermeintlichen Vertrag folgenlos Abstand nehmen, indem sie ihn einfach nicht abschließen. Räumt man beiden Parteien dagegen jeweils ein Lösungsrecht ein, besteht für die jeweils andere Partei ein Sekundäranspruch, der das enttäuschte Vertrauen kompensiert. Bei dem einseitigen Anfechtungsrecht des ohne Erklärungsbewusstsein Handelnden muss er den Vertrauensschaden des Erklärungsempfängers ersetzen. War das Geschäft für ihn vorteilhaft, kann er diesen sich nun nicht realisierenden Vorteil gemäß §  122 I BGB ersetzt verlangen, alternativ über den verschuldensabhängigen, vorvertraglichen Schadensersatzanspruch gemäß §§  280 I, 241 II, 311 II BGB69. Löst sich der Erklärungsgegner dagegen von dem Vertrag, weil er nun doch mittlerweile erkannt hat, dass das Geschäft für ihn nachteilig ist, ist es konsequent, wenn der Ersatzanspruch auch gegen ihn gerichtet ist, der sich auf das enttäuschte Vertrauen (des ursprünglich ohne Erklärungsbewusstsein Handelnden) bezieht. Allerdings kann der Ersatzanspruch des ohne Erklärungsbewusstsein Handelnden nicht gegeben sein, denn der zum Schadensersatz Berechtigte muss auf die „Gültigkeit der Erklärung vertraut“ haben, §  122 I BGB. Dies ist gerade bei dem fehlenden Erklärungsbewusstsein nicht denkbar, denn er wusste bis dahin noch gar nichts von den möglichen Vorteilen des unerkannt abgeschlossenen Geschäfts. Damit ist aber das Ergebnis wieder stimmig: Warum sollte der ohne Erklärungsbewusstsein Handelnde aus seiner Erklärung Vorteile ziehen können, die nur deshalb bestehen, weil der Erklärungsempfänger auch gebunden wäre, wenn die Erklärung mit Erklärungsbewusstsein abgegeben worden wäre? Die Annahme eines beiderseitigen Lösungsrechts vermeidet diesen Wertungswiderspruch. 69 Vgl.

Medicus, BGB AT, 10.  A., 2010, Rn.  608.

IV.  Relevanz des Kenntnisstandes des Erklärenden und des Erklärungsempfängers

321

Der entscheidende Unterschied zu sonst üblichen Anfechtungskonstellationen, in denen sich der Erklärende irrte, liegt darin, dass der Irrende überhaupt einen rechtsgeschäftlichen Willen gebildet hatte, während der ohne Erklärungsbewusstsein Handelnde noch gar nicht am Rechtsverkehr teilgenommen hatte und damit erst viel später überhaupt den Bereich des rechtsgeschäftlichen Handelns betreten hat.70 Dieser Unterschied rechtfertigt es, den Zeitpunkt, an dem für beide potentielle Vertragsparteien überhaupt Bindungen eintreten sollen, auf den späteren Zeitpunkt hinauszuschieben und auch beiden das Lösungsrecht erst dann zuzugestehen und nicht den Erklärungsgegner von vorherein endgültig zu binden. cc.  Anfechtungsrecht wegen Inhaltsirrtums des Vertragspartners Das durch entsprechende Anwendung der Anfechtungsregeln gewährte Lösungsrecht des ohne Erklärungsbewusstsein Handelnden ist um ein ähnliches Lösungsrecht des Erklärungsempfängers zu ergänzen. Dafür kommt ein Anfechtungsrecht wegen eines Inhaltsirrtums gemäß §  119 I Alt.  1 BGB in Betracht. Bei einem Inhaltsirrtum fallen nicht das Erklärte und das Gewollte auseinander, vielmehr weichen der Wille und die Vorstellung von dem ab, was der Erklärende tatsächlich erklärt hat bzw. wie der Empfänger die Willenserklärung nach deren Auslegung verstehen durfte.71 Mit anderen Worten: Der Er­ klärende will das, was er erklärt, irrt sich jedoch über den rechtlichen Be­ deutungsgehalt dessen, was er damit erklärt.72 Wird eine Handlung ohne Erklärungs­bewusstsein von dem potentiellen Vertragspartner als Willenserklärung verstanden, bildet der „Erklärungsempfänger“ auf der Grundlage der ihm zugegangenen (scheinbar wirksamen) Willenserklärung den Willen, sich (sofort) rechtlich binden zu wollen, indem er dieses Angebot annimmt. Seiner Erklärung legt der Annehmende die Vorstellung zugrunde, dass die ihm zugegangene Willenserklärung auch auf dem Erklärungsbewusstsein basierte und damit die Bindung nur noch in den gesetzlich vorgesehenen Fällen einseitig zerstört werden kann. Diese Vorstellung des Annehmenden weicht indes von der tatsächlichen Lage ab. Diese Abweichung liegt darin, dass nach der von der Rechtsprechung und Vertretern der Auffassung in der Literatur favorisierten Lösung sich der ohne Erklärungsbewusstsein Handelnde einseitig nach Erkennen der Wirkung seiner Handlung einseitig lösen kann. Über diesen Umstand (und die damit verbundene Unvollkommenheit der Bindung) irrt sich der An70  A. A. vor allem Wolf/Neuner, BGB AT, 10.  A ., 2010, §  32 Rn.  21 f., da es wertungsmäßig keinen Unterschied mache, ob die falsche Sache gekauft wurde oder überhaupt keine gekauft werden sollte. Dies ist zwar zutreffend, aber auf Rechtsfolgenebene lässt sich durch den verschul­ densunabhängigen Schadensersatzanspruch eine interessenegerechte Lösung herbei­führen. 71 Bamberger/Roth/Wendtland, BeckOK/BGB, 37. Ed., 2015, §  119 Rn.  30; BGH NJWRR 2009, 630, 632; BGH NJW 2008, 2442, 2443; BGH NJW 1999, 2664, 2665. 72 MünchKommBGB/Armbrüster, 7.  A ., 2015, §  119 Rn.  56.

322 §  8  Kenntnisstand des Erklärenden und des Erklärungsempfängers als Grundlage nehmende. Ihm steht daher ebenfalls ein Anfechtungsrecht wegen eines Inhalts­ irrtums zu. Das jeweilige Anfechtungsrecht muss in der Anfechtungsfrist gemäß §  121 I BGB ausgeübt werden, d. h. unverzüglich nach Erlangung der Kenntnis des Anfechtungsgrundes. Sobald der ursprünglich ohne Erklärungsbewusstsein Handelnde von der Rechtserheblichkeit seines Handelns Kenntnis erlangt, kann und muss er anfechten, wenn er die Rechtsfolge der Bindung an die Erklärung nicht will. Demgegenüber muss der Erklärungsempfänger unverzüglich nach Kenntniserlangung der (ursprünglichen) Unvollkommenheit der Bindung an die Willenserklärung des Handelnden anfechten, wenn er die Rechtsfolgen nicht gelten lassen will. Er muss dazu allerdings positive Kenntnis von dem fehlenden Erklärungsbewusstsein des Vertragspartners erhalten. Der Erklärungsempfänger kann und muss unverzüglich nach Erlangung der Kenntnis von der Anfechtbarkeit der „Erklärung“ des Vertragspartners die Anfechtung erklären. Deshalb wird das beiderseitig bestehende Anfechtungsrecht spätestens zu dem Zeitpunkt bestehen, in dem beide Vertragsparteien einen kongruenten Kenntnisstand hinsichtlich des ursprünglich fehlenden Erklärungsbewusstseins haben.

3.  Folgen unbewussten Abweichens des Erklärten vom Gewollten (Irrtum) a.  Unterscheidung zwischen erklärungsbezogenen und willensbildungsbezogenen Mängeln der Willenserklärung Wie dargestellt, ist die Erklärung bei einer bewussten Abweichung des Erklärten vom Gewollten entweder nichtig (§§  116 S.  1, 117 I, 118 BGB) oder uneingeschränkt wirksam (§  116 S.  2 BGB). Weicht das Erklärte vom Gewollten unbewusst ab, ordnet das Gesetz in den §§  119 ff. BGB nicht die unmittelbare Wirksamkeit oder Unwirksamkeit der Willenserklärung an. Der Erklärende hat nach Erkennen der Abweichung seines ursprünglichen Willens von der dem Empfänger zugegangenen Erklärung ein Wahlrecht: Er darf entscheiden, ob er die Erklärung mit dem Inhalt, der von seinem ursprünglichen Willen abweicht, gelten lassen oder ob er sie anfechten will. Mit dieser nachträglichen Entscheidungsmöglichkeit über die Ausübung des Gestaltungsrechts der Anfechtung wird die Privatautonomie bestmöglich verwirklicht.73 Allerdings berechtigt nicht jede Abweichung von Wille und Erklärung zur Anfechtung der Willenserklärung. Im Hinblick auf die Anfechtungsmöglichkeit der Erklärung sind zwei Fälle zu unterscheiden: Die Abweichung von Wille und Erklärung kann einerseits im Bereich der Kundgabe (d. h. bei der Erklä73 Vgl. statt vieler: Larenz/Wolf, BGB AT, 9.   A., 2004, §  35 Rn.  36 sowie Wolf/Neuner, BGB AT, 10.  A., 2010, §  41 Rn.  8.

IV.  Relevanz des Kenntnisstandes des Erklärenden und des Erklärungsempfängers

323

rungshandlung oder der Übermittlung) der Erklärung auftreten (so genannte erklärungsbezogene Mängel). Dann entspricht das vom Erklärungsempfänger Verstandene nicht dem, was der Erklärende tatsächlich wollte. Andererseits kann die Ursache für die Abweichung von Wille und Erklärung bereits während der Willensbildung gesetzt worden sein, so dass der Wille fehlerhaft gebildet wurde (so genannte willensbildungsbezogene Mängel). Bei den willens­ bildungsbezogenen Mängeln entspricht der geäußerte Wille nicht dem wahren Willen des Erklärenden. (1)  Grundsatz der Anfechtbarkeit der Willenserklärung bei erklärungsbezogenen Mängeln Weicht der Wille wegen einer erklärungsbezogenen Ursache von der Erklärung ab, kann der Erklärende seine Erklärung anfechten (§§  119 I Alt.  1 und 2, 120 BGB), „wenn anzunehmen ist, dass er sie bei Kenntnis der Sachlage und bei verständiger Würdigung des Falles nicht abgegeben haben würde“ (§  119 I BGB). In diesen Irrtumsfällen ist ein fehlerfrei gebildeter Wille des Erklärenden vorhanden. Allerdings weicht der Inhalt der Erklärung seines Willens von dem ab, was seinem eigentlichen Willen entspricht. Die Ursache für die Abweichung kann darin liegen, dass der Erklärende ein unzutreffendes Erklärungszeichen setzt und somit ein sog. Erklärungsirrtum gemäß §  119 I Alt.  2 BGB vorliegt. Dies ist der Fall, wenn sich der Erklärende verschreibt, verspricht, vertippt, d. h. ihm bei der Äußerung seines zuvor fehlerfrei gebildeten Willens ein Fehler unterläuft. Die Abweichung des Inhalts der abgegebenen Erklärung von dem Willen des Erklärenden kann auch darauf beruhen, dass der Erklärende bei Abgabe der Erklärung über den Inhalt der Erklärung irrte. Ein solcher Fall liegt vor, „wenn der äußere Tatbestand der Erklärung dem Willen des Erklärenden entspricht, dieser aber über Bedeutung oder Tragweite der Erklärung irrt“.74 Dann ist ein sog. Inhaltsirrtum gemäß §  119 I Alt.  1 BGB gegeben. Sowohl Erklärungsirrtum als auch Inhaltsirrtum berechtigen den Erklärenden zur Anfechtung seiner Erklärung, §  119 I BGB. In diesen zur Anfechtung berechtigenden Fällen kommt der fehlerfrei gebildete Wille unzutreffend bei dem Vorstellungsbild des Erklärungsempfängers an. Noch deutlicher wird dies bei der Anfechtungsmöglichkeit gemäß §  120 BGB: Weicht der fehlerfrei gebildete und zutreffend geäußerte Wille von dem Inhalt der dem Empfänger zugegangenen Willenserklärung ab, weil die Willens­ erklärung auf dem Übermittlungsweg verändert wurde, liegt ein Übermittlungsfehler vor. Die auf diese Weise geänderte Willenserklärung berechtigt den Erklärenden gemäß §  120 BGB genauso zur Anfechtung seiner Willenserklä74 

BGH NJW 1999, 2664, 2665; BGH NJW 2008, 2442, 2443 Tz.  15.

324 §  8  Kenntnisstand des Erklärenden und des Erklärungsempfängers als Grundlage rung wie der Erklärungsirrtum gemäß §  119 I Alt.  2 BGB.75 Auch in diesem Fall stimmt die dem Empfänger zugegangene und von ihm verstandene Willens­ erklärung nicht mit dem überein, was der Erklärende wollte; die Ursache liegt in der Übermittlung bzw. der Transformation des Willens in das Medium der Willenserklärung. Diese Konstellationen, denen ein erklärungsbezogener Mangel der Willenserklärung gemein ist, berechtigen den Erklärenden zur Anfechtung seiner Willenserklärung und damit zur einseitigen Lösung von der möglicherweise eingetretenen vertraglichen Bindung. Damit ist allerdings die entstehende Schadensersatzpflicht gemäß §  122 I BGB verbunden, sofern der Erklärungsempfänger auf die Wirksamkeit der Erklärung vertraute. (2)  Grundsatz der Nichtanfechtbarkeit bei willensbildungsbezogenen Mängeln der Willenserklärung Die Erklärung weicht auch dann von dem wirklich Gewollten des Erklärenden ab, wenn bereits während der Willensbildung ein Fehler auftritt. Dann wird der fehlerhaft gebildete Wille zwar korrekt erklärt und übermittelt, jedoch weicht die geäußerte Erklärung vom wahren Willen des Erklärenden ab. Dabei wirken verschiedene Beweggründe (Motive) auf die Willensbildung ein. Liegt eine Fehlvorstellung hinsichtlich eines Beweggrundes vor, den der Erklärende seinem Willen zugrunde legt, kann ein fehlerfreier Wille nicht gebildet werden. Ein einseitiger Irrtum im Beweggrund, der zu der Willensbildung und -erklärung führt, berechtigt grundsätzlich nicht zur Anfechtung der Willenserklärung im vertraglichen Bereich.76 Solche Fehlvorstellungen und unzutreffenden Beweggründe sind für eine etwaige Anfechtungsmöglichkeit grundsätzlich unbeachtlich. Der Grund dafür liegt in der Vielzahl von möglichen Beweggründen, die zu einer Willensbildung und -erklärung führen können und damit verbunden zu einer Vielzahl an möglichen Fehlvorstellungen, auf deren Grundlage der Wille gebildet werden kann.77 Dem Erklärungsgegner ist es daher nicht möglich, etwaige Fehlvorstellungen des Erklärenden überhaupt abschätzen zu können. Zu den Beweggründen, die zur Grundlage einer Willenserklärung gemacht werden können, zählen die Erwartungen und Hoffnungen künftiger Ereignisse sowie die Gründe, die zu der Willenserklärung führen.78 75  Nach einhelliger Auffassung ist §  120 BGB ein Unterfall des Erklärungsirrtums, BGH NJW 2005, 976, 977 m. w. N. 76  Ausnahmen gelten im außervertraglichen Bereich (Erbrecht: §§  2078, 2281, 2285 BGB) sowie bei einem Irrtum bei Abschluss eines Vergleichs gemäß §  779 BGB; vgl. Mot. II 654, abgedr. in Mugdan, Materialien zum BGB, Band 2, 1899, Nachdr. 1979, S.  365 f. sowie hierzu Brauer, Eigenschaftsirrtum, 1941, S.  20. 77 Vgl. Mankowski, Beseitigungsrechte, 2003, S.  391 ff.; John, JuS 1983, 176, 177 f.; Soergel/ Hefermehl, BGB, 13.  A., 1999, §  119 Rn.  58 m. w. N. 78 Erman/H. Palm, BGB, 12.A., 2008 §  119 Rn.  50 (so nicht mehr in den Folgeauflagen).

IV.  Relevanz des Kenntnisstandes des Erklärenden und des Erklärungsempfängers

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Ließe man in all diesen Fällen eine Anfechtung durch den sich über einen Beweggrund Irrenden zu, würde dies die Rechtssicherheit gefährden, weil sich der Vertragspartner nicht mehr auf die vertragliche Bindung verlassen könnte.79 Die Beweggründe (d. h. die Motive), die zu dem erklärten Willen führen, werden nach der Konzeption der Anfechtungsregeln des BGB grundsätzlich zum Verantwortungsbereich des Erklärenden gerechnet. 80 Diese Zuweisung der Verantwortung zu dem Erklärenden korreliert mit der aus der Privatautonomie folgenden Selbstbestimmung des Erklärenden. Er kann selbst bestimmen, welche rechtsgeschäftlichen Bindungen er eingehen will, ist jedoch konsequenterweise auch an seine Erklärung gebunden. Basiert die Willensbildung des Erklärenden auf einem Motivirrtum, erhält der Vertrauensschutz des Erklärungsempfängers den Vorzug vor dem tatsächlichen Willen des Erklärenden. Auch diese starke Gewichtung des Vertrauensschutzes ist Ausfluss der Privatautonomie des Erklärenden, da er es in der Hand hat, sich vor Abgabe seiner Erklärung umfassend zu informieren, um seinen Willen auf einen umfassenden Kenntnisstand aufzubauen, ohne Fehlvorstellungen über Motive und Beweggründe seiner Willensbildung zu unterliegen. Die grundsätzliche Unbeachtlichkeit des Motivirrtums ist nicht ausdrücklich im Gesetz geregelt. Der Gesetzgeber des BGB nahm einen in den Beratungen diskutierten klarstellenden Regelungsvorschlag, nach dem ein nicht in den Anfechtungsregeln genannter Irrtum „auf die Gültigkeit der Erklärung ohne Einfluß“ sei, nicht ins Gesetz auf. 81 Allerdings ergibt sich dies bereits aus der Systematik der Anfechtungsregeln, die vorgeben, in welchen Fällen eine Lösung von der vertraglichen Bindung durch Anfechtung möglich ist.82 In allen anderen Fällen gilt der Grundsatz der Bindung an die vertragliche Abrede (pacta sunt servanda), d. h. die grundsätzliche Zuweisung der Verantwortung für eigenes rechtsgeschäftliches Handeln. (3)  Eigenschaftsirrtum als Ausnahme von der grundsätzlichen Unanfechtbarkeit bei willensbildungsbezogenen Mängeln Hinsichtlich der grundsätzlichen Unbeachtlichkeit von willensbildungsbezogenen Mängeln für die Anfechtbarkeit der Willenserklärung gibt es zwei Ausnahmen: Zum einen kann eine Willenserklärung angefochten werden, die fehlerhaft gebildet wird, weil das Vorstellungsbild des Erklärenden vom Erklärungsempfänger (oder von mit ihm in Verbindung stehenden Dritten) beeinflusst 79 Vgl.

Wieling, JURA 2001, 577, 579 m. w. N. Wolf/Neuner, BGB AT, 10.  A., 2010, §  41 Rn.  6 ; BGH NJW 1998, 3192, 3193 f. m. w. N. 81 Prot. I 246, abgedr. in Mugdan, Materialien zum BGB, Band 1, 1899, Nachdr. 1979, S.  721 f. 82  Prot. I 246 f., abgedr. in Mugdan, Materialien zum BGB, Band 1, 1899, Nachdr. 1979, S.  721 f. 80 

326 §  8  Kenntnisstand des Erklärenden und des Erklärungsempfängers als Grundlage wird, indem der Erklärende getäuscht wird, §  123 I, II BGB.83 Zum anderen besteht eine Anfechtungsmöglichkeit, wenn sich der Erklärende im Irrtum über eine verkehrswesentliche Eigenschaft einer Person oder der vertragsgegenständlichen Sache befindet (§  119 II BGB) und auf der Grundlage dieser unzutreffenden Vorstellung seinen rechtsgeschäftlichen Willen bildet. aa.  Eigenschaftsirrtum als Fremdkörper in der Systematik der Regeln für die Anfechtung wegen eines Irrtums §  119 II BGB ordnet an, dass „auch der Irrtum über solche Eigenschaften der Person oder der Sache, die im Verkehr als wesentlich angesehen werden“, „als Irrtum über den Inhalt der Erklärung gilt“. Die Norm enthält sowohl eine Erweiterung der zur Anfechtung berechtigenden Fehlvorstellungen des Erklärenden als auch gleichzeitig eine sachliche Beschränkung dieser zur Anfechtung berechtigenden Fehlvorstellungen: Die in §  119 II BGB umschriebene Fehlvorstellung hat ihren Ursprung in der Willensbildungsphase. Der Erklärende bildet seinen Willen auf der Grundlage einer Vorstellung über die Sache oder die Person, die sich als unzutreffend herausstellt. Den auf diese Weise (fehlerhaft) gebildeten Willen erklärt er in Unkenntnis der Fehlvorstellung. Die Erklärung wird auch unverändert übertragen und der Empfänger versteht die Erklärung des Willens genauso, wie er erklärt werden sollte. Einzig der Makel bei der Willensbildung bleibt bestehen und die Willenserklärung bindet den Erklärenden an den Inhalt seiner Erklärung. Grundsätzlich führt ein Fehler, der bei der Bildung des Willens auftritt, nicht zu einem Anfechtungsrecht (Grundsatz des Ausschlusses der Anfechtbarkeit bei willensbildungsbezogenen Mängeln der Erklärungen). Dies gilt für Fehlvorstellungen desjenigen, der den rechtsgeschäftlichen Willen bildet, d. h. bei einem zweiseitigen Rechtsgeschäft sowohl für Fehlvorstellungen des Antragenden als auch des Annehmenden. Von diesem Grundsatz statuiert §  119 II BGB eine Ausnahme für den Irrtum über Eigenschaften der Person oder der Sache. Die zur Anfechtung berechtigende Fehlvorstellung bezieht sich aber nicht auf jedwede Motivation, einen entsprechenden rechtsgeschäftlichen Willen zu begründen, sondern bloß auf Vorstellungen über Eigenschaften der Person oder der Sache. Damit wird zunächst eine generelle Abhängigkeit der Vorstellung zu dem Geschäft hergestellt. Eine Fehlvorstellung über eine spätere Verkaufsmöglichkeit oder einen spezifischen (entfernten, d. h. nicht unmittelbar auf dem Geschäft beruhenden) Erfolg, den sich der Erwerber mit einem erworbenen Ge83  Außerdem kann freilich eine Willenserklärung angefochten werden, die wegen einer Drohung abgegeben wurde. Dieser Fall ist allerdings bei dem hier zu besprechenden Kenntnisstand nicht relevant und stellt daher einen Sonderfall dar, der die freie Willensbildung unabhängig vom Kenntnisstand schützt. Die Anfechtung wegen arglistiger Täuschung wird weiter unten im Zusammenhang mit der Einwirkung auf das Vorstellungsbild des Erklärenden durch den Erklärungsgegner aufgegriffen.

IV.  Relevanz des Kenntnisstandes des Erklärenden und des Erklärungsempfängers

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genstand oder der Person des Vertragspartners erhofft, ist daher nicht von §  119 II BGB erfasst, es sei denn, diese Vorstellungen beruhen auf der Eigenschaft, die der Sache oder der Person anhaften. Der Kreis der für das Anfechtungsrecht relevanten Fehlvorstellungen ist noch weiter beschränkt: Für die Anfechtungsmöglichkeit sind nur die Fehlvorstellungen über Eigenschaften relevant, „die im Verkehr als wesentlich angesehen werden“, §  119 II BGB. Die Grenze zwischen dem für die Anfechtung unbeachtlichen (in der Willensbildungsphase auftretenden) Motivirrtum und dem ein Anfechtungsrecht begründenden Eigenschaftsirrtum hat der Gesetzgeber nicht vorgegeben.84 Vielmehr sollte nach dem erklärten Willen des Gesetzgebers eine klarstellende Norm gerade nicht eingefügt werden, damit die wissenschaftliche Forschung nicht präjudiziert werde.85 Wie vom Gesetzgeber erwartet, sind daher sowohl die Einordnung des Eigenschaftsirrtums in die Systematik der Anfechtungs­ tatbestände als auch dessen Grenzen Gegenstand lebhafter Diskussion.86 Hinsichtlich der Einordnung des Eigenschaftsirrtums in das System der Anfechtungstatbestände geht der überwiegende Teil der Vertreter der Auffassungen in der Literatur87 davon aus, dass es sich bei dem Eigenschaftsirrtum gemäß §  119 II BGB um eine Ausnahme von dem sonst für die Anfechtung unbeachtlichen Motivirrtum handelt. Die maßgebende Begründung ist bereits genannt: Es geht um eine Fehlvorstellung auf der Ebene der Bildung des Willens und nicht um einen Fehler auf der Ebene der Erklärung des Willens. Da die Erklärung genau das ausdrückt, was der Erklärende wollte, liegt kein erklärungsbezogener Irrtum vor, der den §§  119 I Alt.  1 und 2, 120 BGB ähnlich ist.88 Es liegt demnach eine willensbildungsbezogene Fehlvorstellung vor, die grundsätzlich nicht zur Anfechtung berechtigt, wovon §  119 II BGB eine Ausnahme statuiert.

84  Insoweit anders MünchKommBGB/Armbrüster, 7.  A ., 2015, §  119 Rn.  110 ff., der aus den Regeln über die Anfechtung und der Störung der Geschäftsgrundlage eine generelle Risikoverteilung für Fehlvorstellungen ableitet (dazu unten). 85  Prot. I 246 f., abgedr. in Mugdan, Materialien zum BGB, Band 1, 1899, Nachdr. 1979, S.  722. 86  Raape, AcP 150 (1949), 481, 501, bezeichnet dies als eine gesetzgeberische „Fahrt ins Blaue“. 87  Wolf/Neuner, BGB AT, 10.   A., 2010, §  41 Rn.  6, 50 ff.; Larenz/Wolf, BGB AT, 9.  A., 2004, §  36 Rn.  35 ff; zurückgehend auf Zitelmann, Irrtum und Rechtsgeschäft, 1879, S.  433 ff.; Flume, Eigenschaftsirrtum, S.  17 ff.; vgl. auch von Tuhr, AT II/1, 1914, §  67 II (S.  577 ff.); Hübner, BGB AT, 1996, Rn.  786; Bork, BGB AT, 4.  A., 2016, Rn.  853 ff. (S.  333 ff.); Leipold, BGB I, 8.  A., 2015, §  18 Rn.  31; Stötter, AcP 166 (1966), 149, 175 ff.; Leßmann, JuS 1969, 525; Schur, AcP 204 (2004), 883, 890 ff.; Wieling, JURA 2001, 577, 579 ff. 88  So auch Hübner, BGB AT, 1996, Rn.  786; Bork, BGB AT, 4.  A ., 2016, Rn.  853 (S.  333 ff.).

328 §  8  Kenntnisstand des Erklärenden und des Erklärungsempfängers als Grundlage Vereinzelt wird in der Literatur89 und der Rechtsprechung90 darauf verwiesen, dass der Eigenschaftsirrtum dem Erklärungsirrtum gemäß §  119 I Alt.  2 BGB ähnlich sei, weil §  119 II BGB den Eigenschaftsirrtum dem Erklärungsirrtum hinsichtlich der Rechtsfolge gleichstellt. Vertreter dieser Ansicht ordnen den Eigenschaftsirrtum daher teilweise als einen Unterfall des Erklärungsirrtums (eigener Art) ein. Hieraus ergeben sich allerdings kaum Unterschiede für die Möglichkeiten der Anfechtung wegen eines Eigenschaftsirrtums, denn die in §  119 II BGB angeordnete Gleichstellung des Eigenschaftsirrtums mit dem „Irrtum über den Inhalt der Erklärung“ bezieht sich entgegen des missverständlichen Wortlauts91 nur auf die Rechtsfolge, nicht dagegen auf die tatbestandlichen Voraussetzungen. Vertreter dieser Ansicht fordern jedoch für das Vorliegen eines beachtlichen Irrtums über eine Eigenschaft i. S. d. §  119 II BGB, dass diese Eigenschaft dann zum Inhalt der Erklärung gemacht worden sein muss.92 Diese Einschränkung auf die ausdrückliche Aufnahme der Vorstellung über die Eigenschaft in die Erklärung ist jedoch zu weitreichend. Macht der Erklärende die Vorstellung über eine Eigenschaft zum Inhalt seiner Erklärung, liegt regelmäßig ein Erklärungsirrtum vor, denn er erklärt etwas, was er gar nicht (so) erklären wollte. Dann wäre allerdings §  119 II BGB als solcher überflüssig. Außerdem könnte auch dann kein Erklärungsirrtum angenommen werden, wenn der Erklärende zwar einer Fehlvorstellung bezüglich der Eigenschaften der Sache unterliegt, er jedoch auf „diese“ Sache zeigt, um sie zu identifizieren.93 Dann liegt begrifflich kein Erklärungsirrtum vor, wohl aber eine Fehlvorstellung über eine Eigenschaft dieser Sache. Kramer und ihm nachfolgend Armbrüster 94 sehen die Unterscheidung zwischen willensbildungs- und willenserklärungsbezogenen Irrtümern für nicht geeignet an, Fehlvorstellungen, die zur Anfechtung berechtigen, von solchen abzugrenzen, die nicht zur Anfechtung berechtigen. Sie leiten aus den Regelungen über die Rechtsfolgen von Fehlvorstellungen ein allgemeines Konzept einer Risikozuweisung für das Zutreffen von Vorstellungen im Hinblick auf die vertragliche Bindung ab.95 Nach dieser Meinung ist der Eigenschaftsirrtum eine spezielle Ausformung der spezifischen Risikozuweisung für Fehlvorstellungen. 89 Insbes. Schmidt-Rimpler, FS Lehmann, 1956, S.   213, 220 ff.; Brauer, Eigenschaftsirrtum, 1941, S.  21; Soergel/Hefermehl, BGB, §  119 Rn.  35 f. 90  Vgl. BAG NJW 1992, 2173, 2174. 91  Der Wortlaut „gilt“ deutet auf eine Fiktion der tatbestandlichen Gleichstellung hin. Die Vorschrift wird allgemein als missglückt angesehen, vgl. MünchKommBGB/Armbrüster, 7.  A., 2015, §  119 Rn.  102; Medicus, BGB AT, 10.  A., 2010, Rn.  767; Raape, AcP 150 (1949), 481, 501. 92 Soergel/Hefermehl, BGB, 13.  A ., 1999, §  119 Rn.  32 ff. 93  Vgl. MünchKommBGB/Armbrüster, 2012, §  119 Rn.  109. 94 MünchKommBGB/Kramer, 5.  A ., 2006, §  119 Rn.  110 ff.; MünchKommBGB/Armbrüster, 6.  A., 2012. §  119 Rn.  110 ff. 95 MünchKommBGB/Kramer, 5.  A ., 2006, §  119 Rn.  110 ff.; MünchKommBGB/Armbrüster, 6.  A., 2012. §  119 Rn.  110 ff.

IV.  Relevanz des Kenntnisstandes des Erklärenden und des Erklärungsempfängers

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bb.  Notwendigkeit der Einschränkung von Anfechtbarkeitsmöglichkeiten wegen eines Eigenschaftsirrtums Die exakte Abgrenzung der Fehlvorstellungen, die zur Anfechtung berechtigen, von denjenigen, die für eine Anfechtung unbeachtlich sind, ist ausgesprochen schwierig. Dies betrifft vor allem die sachliche Begrenzung der für eine Anfechtungsmöglichkeit relevanten „Eigenschaften“, über die Fehlvorstellungen bestehen können. Das Anfechtungsrecht gemäß §  119 II BGB ist beschränkt auf das Vorliegen eines Irrtums über Eigenschaften, „die im Verkehr als wesentlich angesehen werden“. Das Merkmal „verkehrswesentliche Eigenschaft“ in §  119 II BGB ist hinsichtlich des Inhalts und seiner Bedeutung im Einzelnen umstritten.96 Im Kern geht es um eine sachgerechte Begrenzung des Kreises der Fehlvorstellungen über Eigenschaften, die zur Anfechtung gemäß §  119 II BGB berechtigen. Es stellt sich das Problem, dass im Rahmen der Willensbildung eine Vielzahl von Vorstellungen über Eigenschaften des Geschäftsgegenstandes oder Vertragspartners eine Rolle spielen. Diese Vielzahl der möglichen Fehlvorstellungen führt zu einem nicht kalkulierbaren Risiko für den Erklärungsempfänger, wenn jegliche Fehlvorstellung die Bindung an die abgegebene Erklärung im Nachhinein wieder entfallen lassen könnte. Einerseits soll daher der Erklärungsempfänger auf die Verbindlichkeit der Erklärung vertrauen dürfen und andererseits soll aber auch der Erklärende vor einer Bindung an eine Erklärung bewahrt werden, die er (so) überhaupt nicht wollte. Um diesen Interessenkonflikt aufzulösen, ist es notwendig, dass die zur Lösung der Bindung an die Erklärung berechtigende Fehlvorstellung für den Erklärungsempfänger erkennbar ist bzw. wird, so dass die (unzutreffende) Vorstellung des Erklärenden nicht allein in seinen Verantwortungsbereich fällt.97 Verdeutlichen lässt sich dies mit dem folgenden Beispielsfall: Es entschließt sich jemand aus Geldnot, ein altes Gemälde, dessen Wert er niedriger als tatsächlich bestehend einschätzt, zu verkaufen, um diesen Wert für sich zu Geld zu machen. Fälschlicherweise geht er dabei davon aus, dass sich dieses Bild auf seinem Dachboden befindet und verkauft es daraufhin. Er hatte nicht nachgesehen, ob es wirklich noch dort vorhanden ist. In Wahrheit ist das Gemälde bereits entsorgt worden. Außerdem nahm der Verkäufer irrigerweise an, dass das Gemälde von einem unbedeutenden Maler stammt.

96 Nachweise bei Medicus, BGB AT, 10.   A., 2010, Rn.  767 ff. und umfassend zum Meinungsstreit Müller, JZ 1988, 381, 382. 97 Vgl. dazu beispielsweise die Kritik von MünchKommBGB/Armbrüster, 7.   A., 2015, §  119 Rn.  107, dass bei der generellen Einordnung des Eigenschaftsirrtums als Motivirrtum auch eine Anfechtung möglich ist, wenn es sich um eine einseitige Fehlvorstellung handelt, die „für den Erklärungsempfänger völlig unerkennbar und von ihm auch nicht veranlasst – allein in die Risikosphäre des Erklärenden fällt“.

330 §  8  Kenntnisstand des Erklärenden und des Erklärungsempfängers als Grundlage In diesem Beispielsfall werden die Auswirkungen der möglichen Bezugspunkte der Fehlvorstellungen deutlich: Der Verkäufer hat eine bestimmte Vorstellung vom Wert des Gemäldes, von dessen Verfügbarkeit und von dessen Urheberschaft. Im weitesten Sinne sind alle drei Bezugspunkte der Vorstellung „Eigenschaften“ des Gemäldes. Allerdings berechtigen nicht alle genannten Fehlvorstellungen zur Anfechtung gemäß §  119 II BGB. Eine Fehlvorstellung über den Wert des Gemäldes stellt nach allgemeiner Meinung98 keinen Irrtum über eine in §  119 II BGB genannte Eigenschaft dar, so dass sich hieraus keine Anfechtungsmöglichkeit ergibt. Als Begründung dafür wird angeführt, dass der Preis der Sache nicht unmittelbar anhafte, sondern von den Marktverhältnissen abhänge. Der wirtschaftliche Wert einer Sache realisiert sich letztlich in dem Preis, der am Markt realisiert werden kann und damit ist eine Fehlvorstellung über den wirtschaftlichen Wert der Sache ein Irrtum über einen Umstand, der der Sache nicht unmittelbar anhaftet und daher nicht zur Anfechtung berechtigt. Ähnliches gilt für die Verfügbarkeit (bzw. die Existenz) des Gemäldes für den Verkäufer. Wurde das Bild zuvor bereits entsorgt, beeinflusst dieser Umstand die Bindung an die auf den Kaufvertragsabschluss abgegebene Erklärung grundsätzlich nicht (vgl. klarstellend insoweit §  311a I BGB).99 Der Erklärende kann seine auf den Kaufvertragsabschluss gerichtete Erklärung deshalb nicht anfechten. Anders verhält es sich aber mit einer Fehlvorstellung über die Urheberschaft des Gemäldes. Dieser Umstand haftet dem Gemälde unmittelbar an und ist nach allgemeiner Auffassung „im Verkehr wesentlich“, weil er Einfluss auf die Wertbildung des Gegenstandes hat.100 Im Kern umstritten ist, worauf sich die Fehlvorstellung über die Eigenschaft beziehen muss, damit ein Anfechtungsrecht gemäß §  119 II BGB gegeben ist: In Betracht kommt (i) eine „allgemeine umfeldbezogene Definition“ der Vorstellung, die sich als unzutreffend herausstellt: Die Vorstellung bezieht sich auf eine Eigenschaft, die in dem Umfeld der Vertragsparteien im Allgemeinen als wesentlich angesehen wird. Dieser Definitionsansatz orientiert sich stark am Wortlauft des §  119 II BGB, der einen Irrtum über solche Eigenschaften fordert, die „im Verkehr als wesentlich angesehen werden“. Daneben bietet sich eine Begrenzung der für eine Anfechtung berechtigenden Fehlvorstellungen über vertragswesentliche Eigenschaften (ii) an, d. h. die Fehlvorstellung berechtigt nur dann zur Anfechtung, wenn die Vertragsparteien der Eigenschaft eine für den Vertrag wesentliche Bedeutung beigemessen haben. Ferner kann die Anfechtung wegen eines Eigenschaftsirrtums auch aus einem System der Risiko98  Statt vieler Köhler, BGB AT, 39.  A ., 2015, §  7 Rn.  19; Wolf/Neuner, BGB AT, 10.  A ., 2010, §  41 Rn.  56. 99 Freilich entsteht dann nur ein Schuldverhältnis mit Sekundärleistungsansprüchen, §  311a II BGB, was aber keinen Einfluss auf die Wirksamkeit des Vertrages (und die Nichtanfechtbarkeit der Willenserklärung) hat, §  311a I BGB. 100  Statt vieler Köhler, BGB AT, 39.  A ., 2015, §  7 Rn.  19; BGH NJW 1988, 2597, 2599.

IV.  Relevanz des Kenntnisstandes des Erklärenden und des Erklärungsempfängers

331

zuweisung abgeleitet werden (iii), das auf einer Analyse verschiedener Normen beruht, die jeweils die Bindung an den Vertrag einschränken (Anfechtung und Störung der Geschäftsgrundlage). Letztlich ist es auch möglich, den Kreis der Eigenschaften durch die gegenseitige Vorstellung (d. h. den jeweiligen Kenntnisstand der Vertragsparteien) von den jeweiligen Eigenschaften und der Vorstellung des Erklärungsgegners vom Kenntnisstand des Erklärenden zu definieren (iv). (i)  Allgemeine umfeldbezogene Definition: „Verkehrswesentlichkeit“ als objektivierendes Merkmal der Vorstellung von der Eigenschaft Zur Beantwortung der Frage, ob eine Willenserklärung wegen eines Eigenschaftsirrtums angefochten werden kann, reicht es nicht aus, dass eine Fehlvorstellung dahingehend besteht, dass sich subjektive Hoffnungen und Erwartungen als unzutreffend herausstellen. Vielmehr muss sich die Fehlvorstellung auf eine Eigenschaft der Sache oder der Person beziehen. Zusätzlich muss diese Eigenschaft „im Verkehr als wesentlich angesehen werden“. Die Frage, was unter einer solchen verkehrswesentlichen Eigenschaft zu verstehen ist, wird unterschiedlich beantwortet. Der BGH101 geht bei der Frage nach der verkehrswesentlichen Eigenschaft gemäß §  119 II BGB regelmäßig von der von ihm gebildeten102 allgemeinen Definition einer „Eigenschaft“ im Sinne des §  119 II BGB aus. Danach sind Eigenschaften „alle tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse, die infolge ihrer Beschaffenheit und vorausgesetzten Dauer nach den Anschauungen des Verkehrs Einfluss auf die Wertschätzung der Person oder Sache in allen oder doch in gewissen Rechtsverhältnissen auszuüben pflegen“.103 Diese Definition bewirkt eine Objektivierung der Vorstellungen über mögliche Eigenschaften, auf die der Erklärende bei seiner Willensbildung Wert gelegt haben kann.104 Diese für die Willensbildung erheblichen Vorstellungen müssen in dem geschäftlichen Gegenstand oder der Person des Vertragspartners erkennbar geworden sein, d. h. der Sache oder Person unmittelbar anhaften.105 Damit werden die Eigenschaften erkennbar, auf die sich Fehlvorstellungen beziehen können. Sie liegen objektiv vor, d. h. sie sind für unabhängige Dritte bzw. den „Verkehr“ i. S. d. § 119 II BGB ebenfalls erkennbar. 101 

BGH NJW 1984, 230, 231 m. w. N. dazu Medicus, BGB AT, 10.  A., 2010, Rn.  770, der die fehlende Begründung dieser stets in der Rechtsprechung angewandten Definition bemängelt. 103  BGH NJW 1984, 230, 231; BGHZ 16, 54, 57; BGH NJW 1961, 772; so bereits RGZ 99, 214. 104  Wolf/Neuner, BGB AT, 10.  A ., 2010, §  41 Rn.  62 f. 105 BGH NJW 1978, 370: „Diese Beziehungen müssen aber in der Beschaffenheit des Kaufgegenstandes selbst ihren Grund haben, ihm selbst unmittelbar innewohnen, von ihm ausgehen; sie dürfen sich nicht erst durch Heranziehung von außerhalb des Kaufgegenstandes liegenden Verhältnissen oder Umstände ergeben“. 102  Kritisch

332 §  8  Kenntnisstand des Erklärenden und des Erklärungsempfängers als Grundlage Allerdings ist auch durch eine Objektivierung der Vorstellungen über Eigenschaften keine Abstrahierung von „regelmäßig“ im Verkehr als wesentlich anzusehenden Eigenschaften möglich. Die Wesentlichkeit der Eigenschaften, über die eine Fehlvorstellung besteht, kann nämlich nicht für alle Rechtsgeschäfte gleichermaßen definiert werden.106 Damit ist es nicht möglich, generell für alle Rechtsgeschäfte festzulegen, welche Eigenschaften wesentlich und welche unwesentlich sind. Eine geringe Generalisierung nimmt der BGH107 dennoch vor, indem er neben der Notwendigkeit des unmittelbaren Anhaftens der Eigenschaft häufig auch das Kriterium für die Verkehrswesentlichkeit insofern erwähnt, als es sich bei der Eigenschaft um typische Verhältnisse handeln muss, auf die sich die Fehlvorstellung bezieht.108 Die Bestimmung der für §  119 II BGB relevanten Fehlvorstellungen über Eigenschaften, die im Verkehr als wesentlich angesehen werden, verlagert das Problem von der Ebene der Definition der Eigenschaft auf die Ebene der Definition der Verkehrswesentlichkeit. Dies zeigen die Ausführungen des BGH in der sogenannten Mercedes-Entscheidung109, in der der BGH davon ausgeht, dass das Alter eines Kraftfahrzeugs verkehrswesentlich i. S. d. §  119 II BGB ist, denn es „versteht […] sich […] von selbst, daß das Alter des Wagens von entscheidender Bedeutung für den Kaufentschluß war und daß deshalb der Käufer von einem bestimmten Alter ausging, [und] so braucht der genaue Inhalt dieser Vorstellung nicht zum Ausdruck gebracht zu werden“.110 Folglich stellt der BGH ausdrücklich darauf ab, dass es nicht um die konkreten Vorstellungen des Erklärenden geht, sondern nur um darum, dass allgemein (d. h. für Dritte im allgemeinen Rechtsverkehr) die Eigenschaft, über die der Erklärende einer Fehlvorstellung unterliegt, für den Kaufvertragsabschluss relevant ist. Diese Entscheidung kritisierte vor allem Flume111, der wegen des Fehlens eines Bezuges der Fehlvorstellung zum konkreten Geschäft eine Ausuferung des Anfechtungsrechts befürchtete. Zustimmung verdient diese Ansicht, weil unklar blieb, was sich „von selbst versteht“ und dadurch verkehrswesentlich ist und nicht einmal für den vertraglichen Kontakt als wesentlich erachtet werden muss. Außer Acht gelassen wird bei einem solchen Verständnis freilich die Möglichkeit, 106 Vgl.

Leipold, BGB I, 8.  A., 2015, §  18 Rn.  39. BGH DB 1972, 479, 481 li. Sp. 108  Das Merkmal der Typizität stellt freilich eine Annäherung an die Vertragswesentlichkeit dar, ausführlich hierzu MünchKommBGB/Armbrüster, 7.  A., 2015, §  119 Rn.  105 f. Der BGH stellt den typischen Verhältnissen (die verkehrswesentlich sind) die nichttypischen Verhältnisse gleich, „die durch Abrede der Vertragspartner zum Inhalt des betreffenden Geschäfts gemacht worden“ sind, BGH DB 1972, 479, 481 li. Sp. unter Bezug auf BGHZ 16, 54, 57. 109  BGH NJW 1979, 160. 110  BGH NJW 1979, 160, 161. 111  Flume, DB 1979, 1637 ff. 107 

IV.  Relevanz des Kenntnisstandes des Erklärenden und des Erklärungsempfängers

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dass es dem Geschäftspartner eventuell erkennbar nicht auf das Alter des Fahrzeugs ankam, beispielsweise, wenn er dieses nicht mehr als Fahrzeug nutzen will. Dann fällt die Argumentation, die Verkehrswesentlichkeit ergebe sich daraus, dass die Wesentlichkeit sich „von selbst verstehe“, in sich zusammen. Der BGH griff die zu der Definition der Verkehrswesentlichkeit geäußerte Kritik in der weiteren Rechtsprechung auf und sah eine Ausuferung des Anfechtungsrechts als nicht gegeben, „da die Irrtumsanfechtung ohnehin nur in Fällen von gewissem Gewicht gestattet ist, nämlich wenn der Kaufsache verkehrswesentliche Eigenschaften fehlen“.112 Dabei führte der BGH aus, dass die bis dahin zu entscheidenden Fälle die Struktur aufwiesen, dass sich die Fehlvorstellungen auf Eigenschaften von „gewissem Gewicht“ bezogen oder es „sich von selbst verstehe“, dass die Eigenschaften im Verkehr als wesentlich angesehen wurden. In der sogenannten Handwerker-Entscheidung113 führte der BGH allerdings aus, dass der Begriff des Eigenschaftsirrtums nicht zu sehr „verflachen“ dürfe, weil dadurch eine „unerträgliche Rechtsunsicherheit“ entstünde. Daher seien nur solche Eigenschaften zu berücksichtigen, die von dem Erklärenden in „irgendeiner erkennbaren Weise dem Vertrag zugrunde gelegt worden sind, ohne dass er sie geradezu zum Inhalt seiner Erklärung gemacht haben muss.“114 Wegen des Erfordernisses eines konkreten Bezuges der Eigenschaft zu dem Geschäft können rein subjektive Vorstellungen des Erklärenden von Eigenschaften keine zur Anfechtung gemäß §  119 II BGB berechtigenden, verkehrswesentlichen Eigenschaften sein. Vielmehr müssen sie von allgemeiner Bedeutung für die Willensbildung sein. (ii)  Vertragsbezogene Einschränkung: „Vertragswesentlichkeit“ der Eigenschaft als individualisierendes Einschränkungsmerkmal Indem der BGH in seiner Entscheidungsfolge115 den konkreten Bezug der Eigenschaft zu dem Geschäft forderte, näherte er sich dem Verständnis von der Verkehrswesentlichkeit der Eigenschaft gemäß §  119 II BGB der in der Literatur116 vertretenen Auffassung an, nach der auf den Inhalt des konkreten Rechtsgeschäfts abzustellen sei.117 Die „Verkehrswesentlichkeit“ der Eigenschaft sei 112 

BGH NJW 1981, 224, 225. BGH NJW 1984, 230, 231 unter Bezugnahme auf RGZ 90, 342, 343 f. 114  BGH NJW 2001, 226, 227; BGH NJW 1984, 230, 231 unter Bezugnahme auf BGH RzW 1969, 94, 95; BGHZ 16, 54, 57; so bereits RGZ 64, 266, 269. 115  BGH NJW 1984, 230, 231; BGH NJW 2001, 226, 227. 116  Flume, AT II, 4.  A ., 1992, §  24 Pkt. 2 (S.  474  f f.); Medicus, BGB AT, 10.  A ., 2010, Rn.  767, 770; Pawlowski, BGB AT, 7.  A., 2003, Rn.  543. 117  Gegen eine Vertragswesentlichkeit spricht sich Bork, BGB AT, 4.  A ., 2016, Rn.  861 ff. (S.  336 ff.), aus. Er vertritt die Auffassung, die Verkehrswesentlichkeit der Eigenschaft sei nur objektiv (ohne auf die Erklärungen der Parteien abzustellen) und konkret im Hinblick auf das jeweilige Geschäft zu bestimmen. Ähnlich Schack, BGB AT, 2013, Rn.  280. 113 

334 §  8  Kenntnisstand des Erklärenden und des Erklärungsempfängers als Grundlage daher im Sinne von „Vertragswesentlichkeit“ zu verstehen.118 Es stellt sich jedoch die Frage, ob eine Fehlvorstellung über Eigenschaften, die nicht erkennbar vertragswesentlich geworden sind, zur Anfechtung gemäß §  119 II BGB berechtigt, obwohl sich die Fehlvorstellung auf Eigenschaften bezieht, die im Allgemeinen (und damit nicht im konkreten Vertragsverhältnis) als wesentlich angesehen werden.119 Die Bestimmung der Vertragswesentlichkeit kann dann nur anhand der Betrachtung des konkreten Rechtsgeschäfts vorgenommen werden. Dies bedeutet, dass Inhalt, Sinn und Zweck des konkreten Rechtsgeschäfts durch Auslegung bestimmt werden müssen und anhand der Verkehrsauffassung zu entscheiden ist, ob es sich bei den nicht erwähnten Vorstellungen von vertragswesentlichen Eigenschaften um solche handelt, die für den Abschluss des konkreten Rechtsgeschäfts für den Verkehr von Bedeutung sind. Liegen solche vor, ist die Eigenschaft verkehrswesentlich i. S. d. §  119 II BGB und eine Fehlvorstellung darüber berechtigt zur Anfechtung. Die Bestimmung der Verkehrswesentlichkeit über den Weg der Vertragswesentlichkeit bietet einen entscheidenden Vorteil: Es ist einfacher, die dem Vertrag erkennbar zugrunde gelegte Bedeutung der Eigenschaft festzustellen, als zunächst den Verkehrskreis zu bestimmen, nach dessen durchschnittlich vorhandener Vorstellung die Eigenschaft für wesentlich gehalten wird. Damit kann freilich auch die Frage nach dem Bestehen des Anfechtungsrechts leichter beantwortet werden. Allerdings treten Argumentationsprobleme auf, wenn die Eigenschaftsvorstellung keinen Niederschlag im Vertrag gefunden hat, aber „im Verkehr“ (d. h. üblicherweise und von den Vertragsparteien nur vollkommen unbewusst) als wesentlich angesehen wird. Dann ist eine trennscharfe Abgrenzung von zur Anfechtung berechtigenden Eigenschaftsvorstellungen von denjenigen nicht möglich, die nicht zur Anfechtung berechtigen. (iii)  Risikosphärenbezogene Einschränkung: Eigenschaftsirrtum im System der Risikozuweisung für Fehlvorstellungen Bei der Definition des Merkmals der „verkehrswesentlichen Eigenschaft“ gemäß §  119 II BGB geht es darum, die Bezugspunkte der für eine Anfechtung relevanten Fehlvorstellung sachgerecht einzugrenzen. Hintergrund der Begrenzung der Anfechtung ist der beabsichtigte Schutz des Erklärungsgegners, der die Wirksamkeit (und damit verbunden die Anfechtungsmöglichkeit) der Willenserklärung abschätzen will.120 Der Erklärungsempfänger muss sich dar118  Flume, AT II, 4.  A ., 1992, §  24 Pkt. 2 (S.  474 ff.); Medicus, BGB AT, 10.  A ., 2010, Rn.  768; Goltz, Motivirrtum, 1973, S.  199 ff., fordert, dass das Motiv als verkehrswesentliche Eigenschaft vereinbart wurde. 119  Dies verneinend Köhler, JR 1984, 324 f. 120  Larenz/Wolf, BGB AT, 9.  A ., 2004, §  36 Rn.  45; ähnlich Wolf/Neuner, BGB AT, 10.  A ., 2010, §  41 Rn.  64. Gegen eine rechtspolitisch motivierte Einschränkung des Anfechtungsrechts spricht sich Bork, BGB AT, 4.  A., 2016, Rn.  860 (S.  335 ff.) aus.

IV.  Relevanz des Kenntnisstandes des Erklärenden und des Erklärungsempfängers

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auf einstellen können, dass eine Willenserklärung angefochten werden kann, wenn ein Mangel bei der Willensbildung des Erklärenden vorliegt. Andererseits soll aber auch der Erklärende, der seinen Willen auf eine unzutreffende Vorstellung stützte, nicht gänzlich schutzlos stehen. Das Verhältnis zwischen dem Schutz des Vertrauens des Erklärungsempfängers und der Verantwortlichkeit für eigenes Handeln des Erklärenden eröffnet den Blick auf ein Verständnis der Anfechtungsregeln als spezielle Ausformung eines Systems der Zuweisung des Risikos einer sich als unzutreffend herausstellenden Vorstellung. Daher gehen einige Vertreter der Auffassung in der Literatur121 davon aus, dass §  119 II BGB zwar einen Spezialfall einer Anfechtungsmöglichkeit regelt, die Regelung aber in dem Kontext einer allgemeinen Risikozuweisung für willensbildungsbezogene Fehlvorstellungen zu sehen ist. Die gesetzlich angelegte Konzeption der Risikozuweisung für willensbildungsbezogene Fehlvorstellungen besteht einerseits aus Anfechtungsregeln und anderseits aus den schuldrechtlichen Regelungen über die Störung der Geschäftsgrundlage. Die Anfechtungsvorschriften durchbrechen den Grundsatz der Bindung an die vertragliche Erklärung wegen Fehlvorstellungen eines Vertragspartners. Die Regelung über die Störung der Geschäftsgrundlage (§  313 BGB) gewährt ebenfalls ein einseitiges Lösungsrecht bei beiderseitigen Fehlvorstellungen über die Geschäftsgrundlage, sofern eine Vertragsanpassung nicht zielführend ist. Betrachtet man die Regelungen über Anfechtungsrechte von Willenserklärungen (§§  119 ff. BGB) und die Störung der Geschäftsgrundlage (§  313 BGB) generalisierend, tritt der Grundsatz hervor, dass grundsätzlich jeder für seine eigene Fehlvorstellung verantwortlich ist, wenn er hierauf einen Willen bildet. Die grundsätzliche eigene Verantwortlichkeit für Fehlvorstellungen ist das Spiegelbild privatautonomen Handelns.122 Die Verlässlichkeit der Bindung an eine abgegebene Erklärung ist ein Kernbestandteil der Vertragsrechtsordnung.123 Darauf muss der Erklärungsempfänger vertrauen dürfen. Kommt es zu einer Abweichung von dem Willen des Erklärenden von dem durch die geäußerte Willenserklärung in Geltung gesetzten Willen, fällt dies grundsätzlich in den Risikobereich des Erklärenden. Diese Risikozuweisung erfolgt allerdings in anderer Weise, wenn kein Anlass für eine umfassende Geltung des geäußerten Willens des Erklärenden besteht. Dies betrifft insbesondere die Fälle, in denen der Erklärungsempfänger nicht schutzwürdig ist. Dann soll dem Erklärungsempfänger das Risiko zugewiesen sein, dass eine Abwei121 MünchKommBGB/Kramer, 5.   A., 2006, §   119 Rn.   110 ff.; MünchKommBGB/Armbrüster, 7.  A., 2015, §  119 Rn.  112 ff.; vgl. auch für die rechtsvergleichende Argumentation ­Fleischer in: Zimmermann, Störungen der Willensbildung bei Vertragsschluss, 2007, S.  35, 43 ff. 122 Ähnlich Wolf/Neuner, BGB AT, 10.  A ., 2010, §  41 Rn.  6 . 123 Staudinger/Singer, BGB, 2012, §   119 Rn.   5; Mankowski, Beseitigungsrechte, 2003, S.  391 ff.

336 §  8  Kenntnisstand des Erklärenden und des Erklärungsempfängers als Grundlage chung zwischen dem Willen des Erklärenden und dem mit der Willenserklärung geäußerten Willen besteht. Der Erklärungsempfänger ist jedenfalls nicht schutzwürdig, wenn er eine Fehlvorstellung, die der Erklärende seiner Willensbildung zugrunde legt, verursacht hat. Dies sind die Fälle, in denen der Erklärungsempfänger die Fehlvorstellung veranlasst, d. h. auf sein Vorstellungsbild einwirkt, also er den Erklärenden täuscht. In dem Fall ist der Erklärungsempfänger nicht schutzwürdig und die auf dieser unzutreffenden Informationslage gebildete und abgegebene Willenserklärung gemäß §  123 BGB anfechtbar. Folglich trägt der Erklärungsempfänger (als Täuschender) das Risiko, dass der Vertrag angefochten werden kann.124 Nicht ganz so einfach ist die Risikoverlagerung bei den anderen Fällen zu begründen, in denen ein einseitiges Lösungsrecht die grundsätzliche Bindung und damit die Risikozuweisung zu dem Erklärenden aufhebt. Die Regelungen der §§  119 ff. BGB sehen die grundsätzliche Anfechtbarkeit der Willenserklärung bei willenserklärungsbezogenen Mängeln vor. Ausnahmsweise (§  119 II BGB) sollen auch willensbildungsbezogene Mängel zur Anfechtung berechtigen. Der Schutz des Vertrauens des Erklärungsempfängers wird hauptsächlich über den gewährten Schadensersatzanspruch gemäß §  122 BGB sichergestellt. Sein Kenntnisstand von dem Mangel der Willenserklärung (Kenntnis oder Kennenmüssen des zugrunde liegenden Irrtums) sollte nach dem historischen Gesetzgeber125 für das Bestehen des Anfechtungsrechts keine Relevanz haben. Die fehlende Schutzwürdigkeit des Erklärungsempfängers und die ihm damit verbundene Risikozuweisung kann daher auf den ersten Blick nicht in der Möglichkeit der Kenntnisnahme erblickt werden. Allerdings bemühen die Vertreter des Systems der Risikoverteilung vor allem rechtsvergleichende Argumente, um die geringere Schutzwürdigkeit des Erklärungsempfängers zu begründen.126 Beispielsweise regelt die österreichische Norm §  871 I ABGB, dass die Verbindlichkeit für denjenigen nicht entsteht, der sich bei der Abgabe der Willenserklärung im Irrtum befand, „falls der Irrtum durch den anderen veranlaßt war, oder diesem aus den Umständen offenbar auffallen mußte oder noch rechtzeitig aufgeklärt wurde“. Dies zeigt deutlich die beiden möglichen Ansatzpunkte für die Zuweisung des Risikos der vertraglichen Bindung zu Lasten dessen, der die Fehlvorstellung hervorgerufen hat oder (dem gleichgestellt) diesen Irrtum bloß erkannt hat (oder hätte erkennen können) und den Erklärenden darauf nicht hingewiesen hat.127 In zahlreichen anderen europäischen Rechtsordnungen 124 

Vgl. umfassend MünchKommBGB/Armbrüster, 7.  A., 2015, §  119 Rn.  112. I 239 f., abgedr. in Mugdan, Materialien zum BGB, Band 1, 1899, Nachdr. 1979, S.  720. 126  Kramer, Grundfragen, 1972, S.  112 ff.; Goltz, Motivirrtum, 1973, S.  66 ff. (insbes. zum Obligationenrecht); Fleischer in: Zimmermann, Störungen der Willensbildung bei Vertragsschluss, 2007, S.  35, 43 ff.; MünchKommBGB/Kramer, 5.  A., 2006, §  119 Rn.  110 ff.; MünchKommBGB/Armbrüster, 7.  A., 2015, §  119 Rn.  112 m. w. N. 127 Hierzu Bydlinski, FS Stoll, 2001, S.  113 ff. 125  Prot.

IV.  Relevanz des Kenntnisstandes des Erklärenden und des Erklärungsempfängers

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(Niederlande128 , Italien129) ist die Anfechtungsmöglichkeit ebenfalls von der Erkennbarkeit des Irrtums durch den Erklärungsempfänger abhängig.130 Auch in Art.  3.5 der Unidroit Grundregeln der internationalen Handelsverträge131 ist die Anfechtung wegen eines Irrtums auf die Fälle beschränkt, in denen „die andere Partei dem gleichen Irrtum unterlag oder ihn verursacht hatte oder sie ihn kannte oder hätte kennen müssen und es redlichen Geschäftsgebarens widersprach, die irrende Partei in ihrem Irrtum zu belassen“.132 Dieselbe Regelung verfolgt die Norm II.-7:201 (1) DCFR. Auch diese Regelung stellt eine klare Beziehung zwischen der Anfechtungsmöglichkeit und der Erkennbarkeit von Fehlvorstellungen her, indem sie die Möglichkeit der Anfechtung davon abhängig macht, dass „die andere Vertragspartei (i) den Irrtum verursacht hat; (ii) den irrtumsbehafteten Vertragsschluss verursacht hat, indem sie die irrende Partei entgegen dem Gebot von Treu und Glauben und des redlichen Geschäftsverkehrs im Irrtum ließ und die andere Partei um den Irrtum wusste oder wissen musste; (iii) den irrtumsbehafteten Vertragsschluss durch Verstoß gegen eine vorvertragliche Informationspflicht oder die Pflicht, technische Mittel zur Korrektur von Eingabefehlern bereitzustellen, verursacht hat; oder (iv) demselben Irrtum unterlag.“ Die Begründung für die Risikoverteilung beruht im Wesentlichen auf der fehlenden Schutzwürdigkeit des Erklärungsempfängers. Diese Schutzwürdigkeit ist zumindest dann nicht gegeben, wenn der Erklärungsempfänger Kenntnis von dem Irrtum des Erklärenden hatte oder hätte haben können. Ein solches Verständnis der den Anfechtungsvorschriften zugrunde liegenden Risikoverteilung wird durch teilweise bestehende Ausnahmeregelungen untermauert, wie beispielsweise II.-7:201 (2) DCFR, nach der eine Anfechtung durch eine Partei ausgeschlossen ist, wenn „das Risiko des Irrtums von dieser Partei übernommen wurde oder nach den Umständen von ihr getragen werden sollte.“ Auf diesem (auf systematischen und rechtsvergleichenden Analysen beruhenden) Befund der gesetzlichen Risikoverteilung für Fehlvorstellungen aufbauend, entwickelten Vertreter der Auffassung in der Literatur die „Lehre vom erweiterten Sachverhaltsirrtum“.133 Danach sei eine Anfechtung einer Willens128  Hartkamp, AcP 191 (1991), 396, 401 (zu Art.  6 :228 Niederländisches Bürgerliches Gesetzbuch). 129  Goltz, Motivirrtum, 1973, S.  110 ff. (zu Art.  1428 des italienischen Codice Civile). 130  Vgl. umfassend MünchKommBGB/Armbrüster, 7.  A ., 2015, §  119 Rn.  112; umfassend Kramer, Grundfragen, 1972, S.  112 ff.; vgl. auch Fleischer, RabelsZ 65 (2001), 264, 272 ff. 131 Art.   3.5 Unidroit Principles of International Commercial Contract (abgedruckt in ZEuP 1997, 891, 895 f.) bzw. Art.  3.2.2 Unidroit Principles 2010. 132  Zur Vereinbarkeit der Unidroit-Regeln mit den Irrtumsregeln des BGB vgl. Wolf, in: Basedow: Europäische Vertragsrechtsvereinheitlichung, 2000, S.  85, 97 ff.; ferner Wiedemann, JZ 1998, 1176 f. 133 MünchKommBGB/Armbrüster, 7.  A ., 2015, §  119 Rn.  113 ff.; MünchKommBGB/Kramer, 5.  A., 2006, §  119 Rn.  114 ff.; ähnlich Pawlowski, JZ 1997, 741, 746.

338 §  8  Kenntnisstand des Erklärenden und des Erklärungsempfängers als Grundlage erklärung immer zulässig, wenn der Wille des Erklärenden auf einer unzutreffenden Tatsachenbasis (dem Sachverhalt) gebildet wurde und der Irrtum unter Zugrundelegung der im Einzelnen zu bestimmenden Risikoverteilung nicht in den alleinigen Verantwortungsbereich des Erklärenden fällt. Der in §  119 II BGB geregelte Eigenschaftsirrtum sei nur ein Fall des zur Anfechtung berechtigenden Irrtums über den Sachverhalt, der nicht bloß in den Verantwortungsbereich des Erklärenden fällt, wenn sich die Fehlvorstellung auf eine verkehrswesentliche Eigenschaft bezieht.134 Der Gesetzgeber habe diesen Fall des zur Anfechtung berechtigenden Sachverhaltsirrtums in §  119 II BGB „exemplarisch“ (für einen besonders wichtigen Fall des erweiterten Sachverhaltsirrtums) regeln wollen.135 (iv)  Kenntnisstandbezogene Einschränkung: „Erkennenwürden“ der Vorstellung von der Eigenschaft als wesentliche Eigenschaft i. S. d. §  119 II BGB Um die Anfechtbarkeit wegen eines Eigenschaftsirrtums sachgerecht (und nicht aus bloßen rechtspolitischen Motiven) 136 zu begrenzen, ist der Blick auf den jeweiligen Kenntnisstand der Parteien zielführend. Willensbildungsbezogene Mängel der Willenserklärung berechtigen in der Regel nicht zur Anfechtung. Der Grund dafür liegt weniger in der Vielfältigkeit der möglichen (Fehl-)Vorstellungen, die der Erklärung zugrunde liegen können, als vielmehr darin, dass der Erklärungsempfänger die Relevanz der Vorstellung des Erklärenden für dessen Willensbildung nicht voraussehen kann137 und der Erklärungsempfänger daher auf die rechtliche Bindung und Wirksamkeit der Erklärung (berechtigterweise) vertraut. Die Risikoverteilungslehre basiert bei der Verteilung der Risikosphären auf dem Gedanken, dass jeder für die Schaffung seines eigenen Kenntnisstandes selbst verantwortlich ist. Eine andere Risikozuweisung kommt immer nur in Betracht, wenn der (potentielle) Vertragspartner ebenfalls eine ähnliche Vorstellung (beispielsweise von der Eigenschaft selbst138 oder auch bloß von der Fehlvorstellung des anderen) hatte. In dem Fall ist der Erklärungs134 MünchKommBGB/Armbrüster, 7.  A ., 2015, §  119 Rn.  115; MünchKommBGB/Kramer, 5.  A., 2006, §  119 Rn.  114 ff.; ferner dazu Singer, JZ 1999, 342, 343 f. 135 Diese Ansicht wird vom gesetzgeberischen Regelungsanliegen gestützt, wonach die weitere Regelung einerseits der „modernen Rechtsentwickelung“ gerecht werden sollte (Prot. I 238) und anderseits die grundsätzliche Unbeachtlichkeit des Motivirrtums nicht gesetzlich verankert werden sollte (Prot. I 239 f.); vgl. zu der dogmatischen Grundlage MünchKomm­ BGB/Armbrüster, 7.  A., 2015, §  119 Rn.  115. 136  Daher zu Recht eine solchermaßen motivierte Einschränkung ablehnend Bork, BGB AT, 4.  A., 2016, Rn.  860 (S.  335 ff.). 137  Mit Blick auf den Vertrauensschutz: Mankowski, Beseitigungsrechte, 2003, S.  391 ff; ähnlich Soergel/Hefermehl, BGB, 13.  A., 1999, §  119 Rn.  58. 138  Wenngleich dieser Fall der beidseitigen Fehlvorstellung derzeit über die Störung der Geschäftsgrundlage gelöst wird, wenn die Eigenschaft, über die sich beide Parteien irren, zum Teil der Geschäftsgrundlage erhoben wurde.

IV.  Relevanz des Kenntnisstandes des Erklärenden und des Erklärungsempfängers

339

empfänger nicht schutzwürdig. Besonders deutlich wird dies bei der bewussten Einflussnahme auf den Kenntnisstand des Erklärenden durch eine Täuschung (§  123 I BGB). Auch in den sonstigen Fällen ist der Erklärungsempfänger nicht schutzwürdig, wenn er gar kein Vertrauen auf die Wirksamkeit der Erklärung bilden konnte, da er die Fehlvorstellung des Erklärenden kannte. Die Vorstellung des Erklärungsempfängers ist daher für eine sachgerechte Begrenzung der Anfechtungsmöglichkeit von entscheidender Bedeutung. Der Schlüssel für das Verständnis des Anfechtungstatbestandes in §  119 II BGB ist folglich die korrekte Bestimmung des Kenntnisstandes des Erklärungsempfängers. Für die Anfechtungsmöglichkeit gemäß §  119 II BGB ist es nötig, dass die Eigenschaften „im Verkehr als wesentlich angesehen werden“. Wie bereits festgestellt, kann die Verkehrswesentlichkeit der Eigenschaft auf zwei Wegen bestimmt werden: Einerseits kann die Eigenschaft generell (für den allgemeinen geschäftlichen Verkehr) wesentlich sein. Dies betrifft insbesondere die Fälle, in denen es sich mit der Rechtsprechung „von selbst [versteht], daß [die Eigenschaft, also] das Alter des Wagens von entscheidender Bedeutung für den Kauf­ entschluß war und daß deshalb der Käufer von einem bestimmten Alter ausging“.139 Andererseits können aber auch die Parteien eine Eigenschaft als wesentlich bestimmen. Dann liegt eine vertragswesentliche Eigenschaft vor, die in dem konkreten geschäftlichen Kontakt (dem engen Verkehrskreis von Erklärendem und Erklärungsempfänger) wesentlich ist.140 Anders als bei der Störung der Geschäftsgrundlage und der Vereinbarung einer Beschaffenheit des Vertragsgegenstandes kommt es für die Anfechtung nicht auf eine vertragliche Vereinbarung der Eigenschaft oder das Erheben der Eigenschaft zur Geschäftsgrundlage an, sondern auf das bloße Erkennen der Vorstellung des Erklärenden von der Bedeutung der Eigenschaft durch den Erklärungsempfänger. Es bedarf daher keiner willentlichen Billigung der Vertragsparteien mehr, damit die Eigenschaft wesentlich wird, vielmehr entscheidet die bloße Kenntnis über die Wesentlichkeit. Dabei fragt sich, auf wessen Kenntnisstand es ankommt. Bei den generell wesentlichen Eigenschaften, die im allgemeinen Verkehr als wesentlich angesehen werden, ist nicht der konkrete Kenntnisstand des Erklärungsempfängers maßgeblich, sondern eine typisierende Betrachtungsweise durch einen üblicherweise im geschäftlichen Verkehr auftretenden unabhängigen Dritten, der anstelle des Erklärungsempfängers das Geschäft abschließt. Würde ein solcher objektiver Dritter bei der Berücksichtigung der Begleitumstände und unter Zuhilfenahme seiner allgemeinen Lebenserfahrung erkennen, dass es sich bei der Eigenschaft um eine solche handelt, auf die üblicherweise Wert gelegt wird und sie daher für den Vertragsab139 

BGH NJW 1979, 160, 161. Dies tendiert in die Richtung von Goltz, Motivirrtum, 1973, S.  197 ff., der einen Eigenschaftsirrtum gemäß §  119 II BGB nur dann für beachtlich hält, wenn das Motiv als verkehrswesentliche Eigenschaft vereinbart wurde. 140 

340 §  8  Kenntnisstand des Erklärenden und des Erklärungsempfängers als Grundlage schluss wesentlich ist und würde er aus den gegebenen Umständen die Fehlvorstellung des Erklärenden erkennen? Diese Frage ist abzugrenzen von dem sorgfaltswidrigen, d. h. fahrlässigen Verkennen. Es geht nicht darum, ob der Erklärungsgegner die Wesentlichkeit und die Fehlvorstellung hätte erkennen können, sondern ob ein objektiver Dritter in gleicher Lage Kenntnis davon haben würde. Der Unterschied besteht in den Sorgfaltsanforderungen, die im zweiten Fall nicht an den Erklärungsgegner gestellt werden. Ist die Eigenschaft dagegen nicht allgemein von Bedeutung für die Bildung eines rechtsgeschäftlichen Willens, sondern messen nur die Vertragsparteien oder eine Vertragspartei der Eigenschaft eine wesentliche Bedeutung bei, müssen die Anforderungen an die Fragestellung des Erklärungsgegners erhöht werden: Würde der Erklärungsempfänger auch Kenntnis von der Vertragsrelevanz der Vorstellung über eine Eigenschaft haben, die dem Vertragsgegenstand anhaftet und würde er auch unter Zuhilfenahme seiner Erkenntnismöglichkeiten im konkreten Fall vor allem im Hinblick auf die Begleitumstände des Vertragsschlusses eine etwaige Fehlvorstellung des Erklärenden von der für wesentlich erachteten Eigenschaft haben? Auf diese Weise sind folgende Fälle lösbar: 141 Zeigt ein Kunde auf einen (goldfarbenen) Ring und erklärt, diesen „goldenen“ Ring kaufen zu wollen, stellt sich regelmäßig die Frage, ob eine eventuelle Fehlvorstellung des Erklärenden über die Materialeigenschaft (nur vergoldet oder komplett aus Gold) zur Anfechtung berechtigt oder nicht. Auszugehen ist davon, dass jeder Erklärung eine Vorstellung des Erklärenden hinsichtlich der Eigenschaften der Sache oder Person zugrunde liegt.142 Diese Vorstellungen sind durch Auslegung des Inhalts, Sinns und Zwecks des Geschäfts nur selten eindeutig bestimmbar. Daher bleibt es bei dem Grundsatz, dass Motive und Beweggründe, die zu der Erklärung führten, grundsätzlich für die Bindungswirkung der Erklärung unbeachtlich sind. Erkennt der Erklärungsempfänger allerdings diese Beweggründe und Motive als für die Erklärung ursächlich und damit als für den Vertragsabschluss wesentlich, dann entfällt die Schutzwürdigkeit des Erklärungsempfängers und infolgedessen die Rechtfertigung für einen Vertrauensschutz des Erklärungsempfängers im Hinblick auf die Wirksamkeit und Bindung an die Erklärung. Die zentrale Frage ist daher, ob der Erklärungsempfänger die Vorstellung des Erklärenden erkannt hat oder bei verständiger Würdigung erkennen würde, wenn er sämtliche Begleitumstände, die ihm bekannt sind, mit in seine Überlegungen einbezieht. Solche Begleitumstände können hinsichtlich der Materialeigenschaften beispielsweise die Höhe der geforderten Gegenleistung sein. Dies ist in der Regel ein wichtiger Indikator für die 141  Zu diesem Fall Soergel/Hefermehl, BGB, 13.  A ., 1999, §  119 Rn.  35, der allerdings diesen Fall als Erklärungsirrtum einordnet, da der Erklärende mit der Individualisierung des Gegenstandes dessen Eigenschaften zum Inhalt seiner Erklärung gemacht habe. 142  Vor allem Soergel/Hefermehl, BGB, 13.  A ., 1999, §  119 Rn.  35; Raape, AcP 150 (1949), 481, 494 ff.; Brauer, Eigenschaftsirrtum, 1941, S.  23.

IV.  Relevanz des Kenntnisstandes des Erklärenden und des Erklärungsempfängers

341

Vorstellung, ob der Ring aus echtem Gold besteht oder doch nur vergoldet ist.143 Zusätzlich können auch offengelegte Motivationen des Kaufs (Erwähnen des Zwecks des Kaufs als Wertanlage) eine Rolle spielen. Im Ergebnis besteht daher eine Anfechtungsmöglichkeit gemäß §  119 II BGB, wenn sich die Fehlvorstellung des Erklärenden auf eine Eigenschaft bezieht, die im Verkehr entweder allgemein oder im konkreten geschäftlichen Verkehr der Vertragsparteien für wesentlich erachtet wird. Die entscheidende Abgrenzung zwischen einer nicht zur Anfechtung berechtigenden Fehlvorstellung im Bereich der Motivation und einem zur Anfechtung berechtigenden Irrtum im Sinne des §  119 II BGB liegt darin, ob der Erklärungsgegner diese Vorstellung des Erklärenden von der Wesentlichkeit der Eigenschaft erkannt hat oder erkennen würde, wenn der Erklärungsgegner die ihm zur Verfügung stehenden Informationen in der Gesamtschau betrachtet. Würde er unter Zugrundelegung dieser verfügbaren Informationen über die bekannten Begleitumstände der abgegebenen Erklärung und seiner allgemeinen Lebenserfahrung von der Fehlvorstellung über die als wesentlich erachtete Eigenschaft Kenntnis haben? Wird diese Frage bejaht, besteht ein Anfechtungsrecht gemäß §  119 II BGB wegen eines Eigenschaftsirrtums. b.  Relevanz des Kenntnisstandes des Erklärungsempfängers für den Inhalt der Erklärung und die Folgen von Willensmängeln des Erklärenden (1)  Auswirkung des Kenntnisstandes des Erklärungsempfängers auf den Inhalt und die Bedeutung der Erklärung Die vorstehenden Ausführungen zur Relevanz eines Irrtums für die Wirksamkeit der Willenserklärung beruhen auf der Annahme, dass das „Gewollte“ vom „Erklärten“ abweicht. Dieser Vergleich ist jedoch nur möglich, wenn klar ist, was „das Erklärte“ ist. Der Inhalt der Erklärung ist durch Auslegung zu ermitteln. Der Erklärende hat seinen Willen mit dem durch die Auslegung ermittelten Inhalt der Willenserklärung in Geltung gesetzt. Für die Bestimmung des Inhalts der Willenserklärung durch Auslegung kommen verschiedene Sichtweisen in Betracht. Es könnte für den „gewollten Inhalt“ der Erklärung nur relevant sein, was der Erklärende tatsächlich gewollt hat. Diese Auslegung gilt bei nicht empfangsbedürftigen Erklärungen. Sobald es sich um eine Erklärung handelt, die für ihre Wirksamkeit einer anderen Person zugehen muss (empfangsbedürftige Willenserklärung), sind auch die Interessen der anderen Person bei der Bestimmung des Inhalts der Erklärung zu berücksichtigen. Dabei ist allerdings nicht entscheidend, welchen Erklärungswert der Empfänger der Erklärung dieser tatsächlich beigemessen hat, sondern wie er die ihm zugegangene Erklärung verstehen durfte. Seine Kenntnis von der 143 Ebenso

Müller, JZ 1988, 381, 383; Pawlowski, BGB AT, 7.  A., 2003, Rn.  544.

342 §  8  Kenntnisstand des Erklärenden und des Erklärungsempfängers als Grundlage Erklärung und deren Inhalt muss damit nicht mit dem Bedeutungsgehalt übereinstimmen, der für die vertragliche Bindung letztlich maßgeblich sein wird, denn dieser Bedeutungsgehalt beruht auf einer Wertung, und zwar im Hinblick darauf, was der Erklärungsempfänger verstehen und welchen Bedeutungsgehalt er der Erklärung beimessen durfte. Im Kern geht es dabei darum, den Kenntnisstand des Erklärungsempfängers im Hinblick auf die rechtsgeschäftliche Verständigung144 (und nicht einen tatsächlich vorhandenen Kenntnisstand) zu bestimmen. aa.  Relevanz des vom Erklärenden Gewollten für den Inhalt der Erklärung Die Auslegung einer Willenserklärung beginnt mit der Erforschung des mit der Willenserklärung Gemeinten und Gewollten.145 Nach dem Wortlaut des §  133 BGB ist für die Auslegung einer Willenserklärung der „wirkliche“ (der innere) Wille zu erforschen. Wie erwähnt, gilt dieser Grundsatz allerdings nur eingeschränkt und zwar für die Fälle, in denen die Wirksamkeit der Willenserklärung nicht von dem Zugang der Willenserklärung zu einer anderen Person abhängt.146 Bei empfangsbedürftigen Willenserklärungen sind die Interessen des Erklärungsempfängers, für den die Willenserklärung bestimmt ist, zu berücksichtigen: Zunächst muss der Empfänger die Erklärung verstehen, bevor er nachfolgend einen auf die zugegangene Willenserklärung bezogenen rechtsgeschäftlichen Willen bilden kann.147 Anders als bei der Willensbildung des Erklärenden (Antragender) beruht die Willensbildung des Empfängers einer Willenserklärung nicht auf einer unüberschaubaren Anzahl von Möglichkeiten, einen rechtsgeschäftlichen Willen zu bilden. Vielmehr ist der rechtsgeschäftliche Wille des Empfängers eine Reaktion auf die ihm zugegangene Willenserklärung. Die Entscheidung, den Antrag anzunehmen oder abzulehnen, beruht zwar wieder auf zahlreichen weiteren Motiven des Empfängers der Willenserklärung des Antragenden. Diese Motive, den Antrag des Erklärenden anzunehmen oder nicht, werden aber maßgeblich von dem Verständnis des Erklärungsempfängers von der ihm zugegangenen Erklärung beeinflusst. Schließlich beginnt der Erklärungsempfänger erst mit Zugang (und der Kenntnisnahme von) der Erklärung, einen Willen im Hinblick auf eine etwaige vertragliche Bindung zu bilden. Damit ist der dem Erklärungs144 

sens.

Vgl. insoweit ausdrücklich Kramer, Grundfragen, 1972, S.  175: sog. „natürlicher“ Kon-

145 Eindeutig Larenz/Wolf, BGB AT, 9.  A ., 2004, §  28 Rn.  11; einschränkend auf den objek­ tiven Erklärungswert abstellend Schack, BGB AT, 2013, Rn.  207; auf den wirklichen, erklärten Willen abstellend Leipold, BGB I, 8.  A., 2015, §  15 Rn.  3. 146 MünchKommBGB/Busche, 7.  A ., 2015, §  133 Rn.  11 f. m. w. N. 147  Köhler, BGB AT, 39.  A ., 2015, §  9 Rn.  7; Pawlowski, BGB AT, 7.  A ., 2003, Rn.  429 ff.; ferner Larenz/Wolf, BGB AT, 9.  A., 2004, §  28 Rn.  14.

IV.  Relevanz des Kenntnisstandes des Erklärenden und des Erklärungsempfängers

343

empfänger zugegangene Antrag das maßgebliche Motiv für ihn, überhaupt eine vertragliche Bindung in Betracht zu ziehen. Somit ist das Verständnis von der dem Erklärungsempfänger zugegangenen Willenserklärung die Grundlage für seine rechtsgeschäftliche Willensbildung. In die Entscheidungsphase gelangt er allerdings erst, wenn er die Willenserklärung des Antragenden überhaupt verstanden hat. Das Verständnis der Willenserklärung des Antragenden (d. h. sein Kenntnisstand) bildet demzufolge die maßgebliche Grundlage der Willensbildung des Erklärungsempfängers. Anders als alle anderen (größtenteils unbeachtlichen, für den Erklärungsgegner weder erkennbaren noch kalkulierbaren) Motive, die zur Bildung eines rechtsgeschäftlichen Willens führen, ist das Verständnis des Empfängers von der ihm zugegangenen Willenserklärung für die für einen Vertrag erforderliche Willensübereinstimmung eines der bestimmenden Elemente. Dieses Motiv (Bedeutungsgehalt der zugegangenen Willenserklärung) für den rechtsgeschäftlich gebildeten Willen ist im Gegensatz zu nahezu allen anderen Motiven (z. B. Wiederverkaufsmöglichkeit), die der Willens­ bildung des Erklärungsempfängers zugrunde liegen, nicht unbeachtlich. bb.  Relevanz des vom Empfänger Verstandenen für den Inhalt der Erklärung Haben zwei potentielle Vertragspartner unterschiedliche Vorstellungen im Hinblick auf den Bedeutungsgehalt der zwischen ihnen abgegebenen Erklärungen, kann diese Abweichung zu keiner Übereinstimmung im Willen führen, weil bereits die jeweilige Willensbildung auf einer unzutreffenden Annahme aufbaute, in der sich die unzutreffende Vorstellung verfestigte. Damit beide Vertragsparteien eine übereinstimmende Vorstellung von dem jeweiligen Bedeutungsgehalt der Willenserklärungen haben, muss der Empfänger zunächst verstehen, was der Erklärende will.148 Allerdings bedeutet dieses Verständnis des Erklärungsempfängers von der ihm zugegangenen Willenserklärung nicht, dass er den wirklichen Willen des Erklärenden kennen bzw. erforschen muss, sondern den Bedeutungsgehalt der Erklärung kennen muss, den diese durch die Auslegung erhält. Bei der Auslegung von Willenserklärungen findet bereits der Umstand Beachtung, dass es zu Unterschieden zwischen Erklärtem und Gewollten kommen kann, denn die Auslegung verfolgt das Ziel, die Selbstbestimmung des Erklärenden und den Vertrauensschutz des Erklärungsempfängers in einen angemessenen Ausgleich zu bringen.149 Bei der Abwägung dieser beiden Interessen im Rahmen der Auslegung ist die Beherrschbarkeit des Risikos eines Missverständnisses von entscheidender Bedeutung. An die rechtsgeschäftlichen Akteure werden regelmäßig Sorgfaltsanforderungen gestellt, bei deren Nichteinhaltung die Abweichung des „tatsächlich verstan148 In diesem Sinne auf die gemeinsamen Vorstellungen und Intentionen abstellend ­Pawlowski, BGB AT, 7.  A., 2003, Rn.  433. 149  Larenz/Wolf, BGB AT, 9.  A ., 2004, §  28 Rn.  13.

344 §  8  Kenntnisstand des Erklärenden und des Erklärungsempfängers als Grundlage denen“ bzw. „redlicherweise verstehbaren“ Inhalts der Erklärung von dem „wirklichen“ (inneren) Willen dazu führt, dass die Akteure zunächst eine Bindung an den „sorgfaltswidrig“ in Geltung gesetzten Willen trifft. Die Sorgfaltspflicht betrifft dabei sowohl den Erklärenden als auch den Erklärungsempfänger gleichermaßen. Dem Erklärenden obliegt wegen seiner Formulierungsherrschaft grundsätzlich das Formulierungsrisiko und infolgedessen eine Ausdruckssorgfalt.150 Den Erklärungsempfänger trifft eine Auslegungssorgfalt. Diese beschreibt die notwendigen Anstrengungen des Erklärungsempfängers, den Erklärungsgehalt der ihm zugegangenen Willenserklärung im Hinblick auf den damit ausgedrückten Willen des Erklärenden zu ergründen.151 Treffend sind diese „Anforderungen, die an die Auslegungsarbeit gestellt werden“, Deutungsdiligenz genannt worden. Darunter ist vor allem der „Grad der Aufmerksamkeit“ des Erklärungsempfängers zusammengefasst worden, d. h. „dasjenige Verhalten, das erwartet oder gefordert wird“ bzw. dasjenige, „das vorgezeichnet ist durch die Gewohnheit oder ein eingreifendes Gebot“.152 Daher trägt weder der Erklärende noch der Erklärungsempfänger allein das Risiko eines Missverständnisses, d. h. einer Abweichung des vom Empfänger verstandenen Erklärungsinhalts von dem tatsächlichen Willen des Erklärenden. Wegen der zu beachtenden Ausdruckssorgfalt des Erklärenden ist bei empfangsbedürftigen Willenserklärungen nicht allein maßgebend, was der Erklärende gewollt hat.153 Gleichzeitig ist angesichts der an den Erklärungsempfänger zu stellenden Auslegungssorgfalt bei empfangsbedürftigen Willenserklärungen auch nicht allein entscheidend, welche tatsächliche Vorstellung der Erklärungsempfänger hinsichtlich des vom Erklärenden beabsichtigt mitgeteilten Willens hatte. Der Inhalt der Erklärung wird im Spannungsverhältnis zwischen dem erklärten Willen und dem vom Empfänger Verstandenen bestimmt: Bei empfangsbedürftigen Willenserklärungen hat die Auslegung vor dem objektiven Empfängerhorizont stattzufinden.154 Damit beeinflussen rein subjektive Vorstellungen des Erklärenden zwar den Inhalt der Erklärung, jedoch bestimmen diese nicht ausschließlich den Inhalt der Erklärung, der ihr durch die Auslegung beigemessen wird. Glei150  Larenz/Wolf, BGB AT, 9.   A., 2004,§  28 Rn.  16, 56; ähnlich Wolf/Neuner, BGB AT, 10.  A., 2010, §  35 Rn.  17 f. 151  Vgl. MünchKommBGB/Busche, 7.  A ., 2015, §  133 Rn.  28 m. w. N. 152  Heck, AcP 112 (1914), 1, 43. 153  Köhler, BGB AT, 39.  A ., 2015, §  9 Rn.  8 ; Boemke/Ulrici, BGB AT, 2.  A ., 2014, §  8 Rn.  16. 154  In der Entscheidung BGH GRUR 2012, 1139 –Weinkaraffe ging der BGH davon aus, dass auch eine Anmeldung eines Geschmacksmusters bei der für die Registrierung zuständigen Behörde (in dem Fall das Harmonisierungsamt für den Binnenmarkt (Marken, Muster und Modelle)) eine Willenserklärung ist, weil der Anmelder mit seiner Erklärung Schutz für den angemeldeten Gegenstand begehrt. Der BGH wandte die Auslegungsregeln für Willenserklärungen daher auf die Geschmacksmusteranmeldung entsprechend an. Dabei sei auf den Empfängerhorizont abzustellen, der bei einer Geschmackmusteranmeldung „die Fachkreise des betreffenden Sektors“ seien, da diese Fachkreise vom späteren, durch die Anmeldung beanspruchten Schutz betroffen sind (Tz.  23).

IV.  Relevanz des Kenntnisstandes des Erklärenden und des Erklärungsempfängers

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ches gilt für die rein subjektiv geprägten Verständnismöglichkeiten des Erklärungsempfängers. Die Auslegung hat sich vielmehr an der Vorstellung beider Vertragsparteien zu orientieren, inwieweit sie sich decken.155 Dadurch kann die Vorstellung der Vertragsparteien (d. h. der für die Bedeutung der Willenserklärung maßgebliche Kenntnisstand) verobjektiviert, aber dennoch individuell ermittelt werden, weil die Gemeinsamkeiten des Kenntnisstandes gesucht werden. Die für den durch Auslegung zu ermittelnden Inhalt der Erklärung entscheidende Frage156 lautet daher, wie der Erklärungsempfänger die ihm zugegangene Erklärung verstehen durfte.157 Die Bestimmung des Inhalts der Erklärung beginnt bei der Betrachtung des äußeren Erscheinungsbilds der Erklärung, d. h. in der Form, in der sie dem Erklärungsempfänger zugeht.158 Zusätzlich ist die mit den Willenserklärungen bezweckte vertragliche Bindung in den Blick zu nehmen. Deshalb sind auch die Auslegungsgrundsätze für Verträge gemäß §  157 BGB heranzuziehen. Danach sind die Verträge und demnach auch die die Verträge begründenden Willenserklärungen „so auszulegen, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern“. Somit sind bei der Bestimmung des Inhalts der Erklärungen, die zu der vertraglichen Bindung führen, auch die Begleitumstände zu berücksichtigen, die zu der Erklärung führten, da diese die Verkehrssitte maßgeblich beeinflussen.159 Die Verkehrssitte beschreibt den sozialen Kontext, in dem die Erklärung für ihre Wirksamkeit abgegeben wurde und in dem sie auch als solche verstanden werden sollte. cc.  Relevanz der beiderseitig erkennbaren Umstände für den Inhalt der Erklärung Bei den erklärungsrelevanten Begleitumständen kommt es für deren Bedeutung hinsichtlich des Inhalts der Erklärung maßgeblich auf die Erkennbarkeit dieser Umstände für den Erklärungsempfänger an. Der Empfängerhorizont, vor dem die Auslegung zu erfolgen hat, ist nicht dasselbe wie das Verständnis des Erklärungsempfängers. Vielmehr ist der objektive Empfängerhorizont eine künstlich geschaffene Erkenntnismöglichkeit. Diese beschreibt eine normative, wertende Betrachtungsweise bei der Auslegung.160 Sie wird in der Literatur161 zutreffend 155  Pawlowski, BGB AT, 7.  A ., 2003, Rn.  4 40; bereits Bähr, JherJB 14 (1875), 393, 401; Flume, AT II, 4.  A., 1992, §  16 Pkt. 3c (S.  310 ff.). 156  Larenz, Methode der Auslegung, 1930, Nachdr. 1966, S.  67 f., formuliert treffend den Satz: „Es ist derjenige Sinn zu erforschen, den der Erklärende als verständlich ansehen darf“. 157 Vgl. Medicus, BGB AT, 10.   A., 2010, Rn.  323; Bork, BGB AT, 4.  A., 2016, Rn.  527 (S.  205); BGH NJW 1988, 2878, 2879. 158  Ausdrücklich auf den Wortlaut als meist primären Ausdrucksträger von ausdrücklichen Willenserklärungen abstellend Wolf/Neuner, BGB AT, 10.  A., 2010, §  35 Rn.  5. 159 Umfassend Flume, AT II, 4.  A ., 1992, §  16 Pkt. 3d (S.  312 ff.); Fleischer, RabelZ 65 (2001), 264, 270. 160  Vgl. statt vieler Gottwald, BGB AT, 3.  A ., 2013, Rn.  87. 161  Heck, AcP 112 (1914), 1, 43.

346 §  8  Kenntnisstand des Erklärenden und des Erklärungsempfängers als Grundlage umschrieben als „die Gesamtheit des Materials, das dem hypothetischen Ausleger zugerechnet wird, sowohl das Umstandswissen wie das Regelwissen, also sowohl die Kenntnis der vorausgegangenen Verhandlungen, begleitenden Umstände als [auch] die Kenntnis von Sprache und Verkehrssitte.“ Das Abstellen auf den objektiven Empfängerhorizont führt nicht dazu, dass eine Erklärung in der Weise auszulegen sei, dass ihr eine generelle Bedeutung zukäme. Durch die Berücksichtigung des speziellen Erfahrungswissens und der dem Empfänger bekannten Begleitumstände ist auch der „objektive Sinn“ der Erklärung nicht allgemeingültig zu bestimmen, sondern nur für das bestimmte Verhältnis zwischen Erklärendem und Erklärungsempfänger festzulegen.162 Das Verhältnis zwischen Erklärendem und Erklärungsempfänger kann typisiert betrachtet werden, indem die Erklärung in dem Kontext ausgelegt wird, wie sie innerhalb eines bestimmten Personenkreises zu verstehen ist.163 Dies wird bei der Relevanz einer Verkehrssitte für die Auslegung deutlich. Wird zur Auslegung der Willenserklärung auch eine Verkehrssitte als Gesamtumstand einer allgemeinen Gepflogenheit im Geschäftsverkehr herangezogen, muss dabei unterschieden werden, ob der Erklärungsempfänger Angehöriger desselben Verkehrskreises wie der Erklärende ist, oder beide unterschiedlichen Verkehrskreisen angehören.164 Nur wenn sie denselben Verkehrskreisen angehören, kann die Erklärung im verkehrsüblichen Sinn verstanden werden. Andernfalls ist grundsätzlich auf die Verständnismöglichkeit des Empfängers abzustellen, der von dem Bedeutungsgehalt der Erklärung in dem Verkehrskreis des Erklärenden keine Kenntnis haben konnte. Der Erklärende hat es mit der Formulierung seiner Erklärung in der Hand, die Erklärung im Hinblick auf die Verständnismöglichkeit des Empfängers zu gestalten. Dagegen kann der Erklärungsempfänger nur auf dasjenige zurückgreifen, was ihm bislang bekannt ist oder zumindest bei der Anstrengung eines Verständnisversuchs bekannt sein kann. Diese Anstrengungen beim Verständnis der Erklärung werden als die vom Empfänger der Erklärung zu beachtende Auslegungssorgfalt bezeichnet.165 Bei der Bestimmung der auslegungsrelevanten Umstände ist auch der Kenntnisstand des Erklärenden zu berücksichtigen.166 Berücksichtigt der Erklärungsempfänger bei der Auslegung auch solche Umstände, die der Erklärende nicht kennen konnte, kann dieses Auslegungsergebnis nicht zu Lasten des 162  Heck, AcP 112 (1914), 1, 44; ferner Boemke/Ulrici, BGB AT, 2.  A ., 2014, §  8 Rn.  21 zur Erkennbarkeit der Umstände, die vom Empfänger hätten erkannt werden können und der damit verbundenen möglichen unterschiedlichen Bedeutung einer Willenserklärung, die unterschiedlichen Empfängern zugeht. 163  Larenz, Methode der Auslegung, 1930, Nachdr. 1966, S.  71 ff. 164  Larenz/Wolf, BGB AT, 9.  A ., 2004, §  28 Rn.  50 f.; Wolf/Neuner, BGB AT, 10.  A ., 2010, §  35 Rn.  5. 165  Köhler, BGB AT, 39.  A ., 2015, §  9 Rn.  7. 166  Leipold, BGB I, 8.  A ., 2015, §  15 Rn.  13; BGH NJW 2006, 3777, 3778 Tz.  18; vgl. bereits Bähr, JherJB 14 (1875), 393, 401; Flume, AT II, 4.  A., 1992, §  16 Pkt. 3c (S.  310 ff.).

IV.  Relevanz des Kenntnisstandes des Erklärenden und des Erklärungsempfängers

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Erklärenden gehen.167 Dies zeigt, dass sowohl der Kenntnisstand des Erklärungsempfängers als auch der Kenntnisstand des Erklärenden für die Bestimmung des Inhalts der Willenserklärung relevant sind. Jeder Kenntnisstand beeinflusst den anderen Kenntnisstand.168 Nur auf diejenigen Umstände, die sowohl der Erklärende als auch der Empfänger erkennen konnten, ist bei der Bestimmung des Inhalts der Willenserklärung abzustellen. Diese beiderseitig erkennbaren Umstände geben der Willenserklärung damit das entscheidende Gepräge und definieren somit den Umfang der rechtsgeschäftlichen Bindung. Die Auslegung der Erklärung vor dem objektiven Empfängerhorizont kann dazu führen, dass der so ermittelte Inhalt der Erklärung, wie sie vom Empfänger verstanden werden durfte, nicht dem entspricht, was der Erklärende tatsächlich erklären wollte.169 Eine solche Abweichung von dem verobjektiviert bestimmten Inhalt der Willenserklärung des Erklärenden und dessen Willen berechtigt ihn zur Anfechtung.170 Die Anfechtungsmöglichkeit bildet mithin das Korrektiv für den Fall, dass die Auslegung der Willenserklärung ergibt, dass das vom Erklärenden Gewollte wegen der Schutzwürdigkeit des Erklärungsempfängers nicht zur Geltung kommt.171 dd.  Bedeutung des übereinstimmenden Kenntnisstandes für den Inhalt der Willenserklärung trotz abweichender Bedeutung des objektiven Gehalts der Erklärung (falsa demonstratio) Die Maßgeblichkeit des verstandenen Inhalts der dem Empfänger zugegangenen Erklärung für den Inhalt der Willenserklärung wird darüber hinaus auch an anderer Stelle deutlich. Weicht die objektive Bedeutung der abgegebenen Erklärung von dem übereinstimmend Gewollten und Verstandenen ab, ist für den Inhalt der Willenserklärung nur das subjektiv Gewollte und beiden Parteien Bekannte entscheidend. Trotz des objektiv bestimmten Inhalts der Erklärung gilt nur das beiderseits Gewollte und damit auch nur das beiden Bekannte als Inhalt der vertraglichen Einigung: Die Auslegung der empfangsbedürftigen Willenserklärung vor dem objektiven Empfängerhorizont dient dem Schutz des Vertrauens des Erklärungsempfängers, das er bezüglich des redlicherweise ermittelten Inhalts der Erklärung gebildet hat. Ein solches Vertrauen des Empfängers kann nicht entstehen, wenn der Empfänger erkennt, was der Erklärende 167  Flume, AT II, 4.  A ., 1992, §  16 Pkt. 3c (S.  310 ff.), stellt auf die fehlende Zurechenbarkeit des so gewonnenen (auf dem Erklärenden unbekannte Umstände gestützten) Auslegungs­ ergebnisses ab. Canaris, Vertrauenshaftung, 1971, S.  344, sieht für diesen Fall eine Sonderbehandlung vor. Diese Meinung wird von Medicus, BGB AT, 10.  A., 2010, Rn.  326, unterstützt. 168  So auch Bork, BGB AT, 4.  A ., 2016, Rn.  527 (S.  205), Rn.  550 (S.  214). 169  Was dem Erklärenden sowohl zum Vorteil als auch zum Nachteil gereichen kann, vgl. Boemke/Ulrici, BGB AT, 2.  A., 2014, §  8 Rn.  23. 170  Medicus, BGB AT, 10.  A ., 2010, Rn.  323, 745. 171  Bork, BGB AT, 4.  A ., 2016, Rn.  500 (S.  197 f.).

348 §  8  Kenntnisstand des Erklärenden und des Erklärungsempfängers als Grundlage wirklich gewollt hat. Dies gilt selbst dann, wenn die ihm zugegangene Erklärung des Willens des Erklärenden objektiv eine vollkommen andere Bedeutung hat. Ein solcher Fall der objektiven „Falschbezeichnung“ war bereits nach dem gemeinen Recht unbeachtlich, d. h. der objektiv ermittelte Bedeutungsgehalt der Erklärung war nicht entscheidend für deren Inhalt („falsa demonstratio non nocet“).172 Nach verbreiteter Meinung ist die objektiv falsche Bezeichnung deshalb unbeachtlich, weil es für eine vertragliche Bindung nur auf eine Übereinstimmung im Willen ankomme.173 Daher dürfe die Auslegung gemäß §  157 BGB nicht dazu führen, dass eine an sich vorliegende Willensüberstimmung allein deshalb negiert wird, weil eine objektiv anders gebräuchliche Bezeichnung verwendet wird.174 Allerdings stellt sich bei einer genauen Betrachtung dieser Ansicht heraus, dass der Grund für die Unbeachtlichkeit einer Falschbezeichnung nicht in der bestehenden Übereinstimmung im Willen, sondern vielmehr bereits in der Übereinstimmung des Kenntnisstands des Erklärenden mit dem Kenntnisstand des Erklärungsempfängers zu verorten ist. Erkennt der Empfänger der Willens­ erklärung den tatsächlichen (aber falsch bezeichneten) Willen des Erklärenden, dann bestimmt dieser (erkannte) Wille den Inhalt des Rechtsgeschäfts.175 Entscheidend ist dabei, dass der Kenntnisstand des Erklärenden, der seinen Willen objektiv unzutreffend ausdrückt, und der Kenntnisstand des Erklärungsempfängers, der den wahren Willen des Erklärenden erkannt hat, übereinstimmen. Hat der Empfänger den Willen des Erklärenden zutreffend erkannt, kommt es nach der Rechtsprechung176 nicht darauf an, ob der Erklärungsempfänger sich den wirklichen (von ihm erkannten) Willen des Erklärenden zu eigen macht. Vielmehr genüge es, dass „der Empfänger den wirklichen Willen des Erklärenden erkennt und in Kenntnis dieses Willens den Vertrag abschließt“.177 Daraus folgt, dass es für die Unbeachtlichkeit einer Falschbezeichnung nicht primär auf die Willensübereinstimmung ankommt, sondern auf die Kongruenz der Wissensstände von dem Empfänger, der den wahren Willen erkennt und dem Erklärenden, der an sich weiß, was er will, aber diesen Willen objektiv unzutreffend ausdrückt.178 Ein Beispiel verdeutlicht dies: Schließt eine Person mit einem Mietwagenunternehmen einen Vertrag über die Überlassung eines Fahrzeugs 172 

Vgl. hierzu umfassend Larenz, Methode der Auslegung, 1930, Nachdr. 1966, S.  78 ff. Hierauf abstellend BGH NJW 1983, 1610; BGH NJW 2008, 1658, 1659 m. w. N. sowie beispielsweise Medicus, BGB AT, 10.  A., 2010, Rn.  327. 174  Flume, AT II, 4.  A ., 1992, §  16 Pkt. 2a (S.  302); hierzu bereits RGZ 99, 147, 148 (Haakjöringsköd). 175 BGH NJW 1984, 373; BGH NJW-RR 1989, 931, 932; MünchKommBGB/Busche, 7.  A., 2015, §  133 Rn.  14. 176  BGH NJW 2002, 1038, 1039; BGH NJW-RR 1993, 373. 177  BGH NJW 1983, 721; BGH NJW-RR 1989, 931; BGH NJW-RR 1993, 373. 178  In diesem Sinne ausdrücklich auf den „natürlichen“ Konsens, der auf der „Verständigung“ der Vertragsparteien beruht, stellt Kramer, Grundfragen, 1972, S.  175, ab. 173 

IV.  Relevanz des Kenntnisstandes des Erklärenden und des Erklärungsempfängers

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für einen Tag, so ist es unbeachtlich, wenn er diesen Vertrag als „Leihe“ bezeichnet. Sowohl ihm als auch dem Unternehmer ist klar, dass die Gebrauchsüberlassung entgeltlich erfolgen soll. Eine Falschbezeichnung des Vertragstypus als Leihe, deren Kennzeichen die Unentgeltlichkeit der Gebrauchsüberlassung ist, hat keine Relevanz für den Inhalt der Willenserklärung, weil beide Parteien davon ausgehen, dass die Gebrauchsüberlassung entgeltlich erfolgen soll und sie auf dieser Kenntnis ihren rechtsgeschäftlichen Willen gründen, die vertragliche Bindung eingehen zu wollen. ee.  Ermittlung des übereinstimmenden Kenntnisstandes Die Auslegung einer Willenserklärung unter Zuhilfenahme der Ausdruckssorgfalt und Auslegungssorgfalt führt zu der wertenden Entscheidung, wie der Erklärungsempfänger die Erklärung verstehen durfte. Diese Vorgehensweise orientiert sich wegen der im Rahmen der zu beachtenden Sorgfalt an der Frage, wie der Erklärungsempfänger die Erklärung hätte verstehen sollen. Das kann dazu führen, dass der Erklärung im Rahmen der Auslegung ein Inhalt beigemessen wird, der ausschließlich aus normativen Sollensanforderungen an die rechtsgeschäftlich Handelnden gewonnen wird. Eine solche Auslegung im Sinne eines erklärungsfahrlässigen Verhaltens könnte vermieden werden, wenn die Methodik der Auslegung modifiziert wird. Hierzu bietet es sich an, die für die Auslegung erforderliche Betrachtung vor dem objektiven Empfängerhorizont daran auszurichten, wie ein objektiver Dritter, dem diese Erklärung zugeht, die Erklärung verstehen würde. Diese Vorgehensweise unterscheidet sich von der bislang üblichen, bei der die Frage im Vordergrund steht, wie der objektive Dritte die Erklärung verstehen könnte oder müsste. Dies vermeidet die Gefahr, im rechtsgeschäftlichen Verkehr Sorgfaltsanforderungen aufzustellen, die sonst nur für Schadensersatz- und ähnliche Haftungstatbeständen gelten. Für eine modifizierte Vorgehensweise bei der Auslegung ist die Bestimmung des Kenntnisstandes zunächst mit der Klärung von Vorfragen vorzubereiten: Zu Beginn ist festzustellen, welchen Erklärungsinhalt der Empfänger verstanden hat bzw. behauptet, verstanden zu haben. Außerdem muss deutlich sein, wovon bei der Ermittlung des Inhalts der Erklärung ausgegangen wird. Dies ist der Ausgangspunkt der Auslegung, der durch die „äußere Gestalt“ der dem Empfänger zugegangenen Willenserklärung (deren Wortlaut und Wortsinn) definiert ist.179 Als weiterer Schritt muss geklärt werden, welche Verständnismittel dem Erklärungsempfänger zur Verfügung stehen. Hierzu zählen insbesondere auch die Begleitumstände der Erklärung, die dem Erklärungsempfänger bekannt sind sowie das Erfahrungswissen, auf das sich der Erklärungsempfänger stützt, wenn er eine ihm zugegangene Erklärung versteht, um diesbezüglich nachfolgend einen rechtsgeschäftlichen Willen zu bilden. Dies betrifft vor allem 179 Einheitlich

Wolf/Neuner, BGB AT, 10.  A., 2010, §  35 Rn.  5.

350 §  8  Kenntnisstand des Erklärenden und des Erklärungsempfängers als Grundlage Erfahrungen und Kenntnisse, die in den entsprechenden Verkehrskreisen üblich sind, denen die Akteure angehören. Erst nachfolgend gelangt man zu der Frage, ob der Erklärungsempfänger ausgehend von der ihm zugegangenen Willenserklärung unter Beachtung der ihm bekannten Begleitumstände und unter Nutzung seines Erfahrungswissens (bzw. des Wissens, das einschlägigen Verkehrskreisen allgemein bekannt ist) zu dem Inhalt der tatsächlich verstandenen bzw. zu dem vom Erklärungsempfänger behaupteten Inhalt der Erklärung kommen würde. Davon abzugrenzen ist die Fragestellung, ob der Erklärungsempfänger auf diesen Inhalt hätte kommen können oder müssen, die maßgeblich durch Sorgfaltsanforderungen beeinflusst wird. Bei der Beantwortung der voranstehenden Fragen können Indizien helfen, die dafür sprechen (hatte der Erklärungsempfänger Anlass, in die Richtung zu denken, die Willenserklärung in diesem Sinne zu verstehen?), oder aber auch dagegen sprechen (es gibt viele Deutungsmöglichkeiten und Hindernisse, um zu diesem behaupteten Aus­ legungsergebnis zu kommen). Der auf diese Weise ermittelte übereinstimmende Kenntnisstand von Erklärendem und Erklärungsempfänger ist die Basis der rechtsgeschäftlichen Bindung, die die Vertragsparteien eingehen wollen. Diese übereinstimmende Vorstellung hat unmittelbaren Einfluss auf den Inhalt der rechtsgeschäftlichen Bindung, weil der Wille nur auf diesem Kenntnisstand gebildet wird und diesem damit das entscheidende Gepräge gibt. Haben beide Parteien eine gemeinsame Vorstellung vom beabsichtigten Güteraustausch im Rahmen des Vertrages, ist diese gemeinsame Vorstellung das einzig konkretisierende Element, wenn sich aus den sonstigen Umständen nichts für die Erklärungsbedeutung ergibt. Selbst wenn beide etwas erklären, das objektiv einen anderen Erklärungsgehalt hat, als ihn die beiden Vertragsparteien kennen, gilt folglich nur das, was beiden bekannt ist und von diesen gewollt wird (Grundsatz „falsa demonstratio non nocet“). (2)  Beeinflussung der Rechtsfolgen von Fehlvorstellungen des Erklärenden durch den Kenntnisstand des Empfängers Abgesehen vom Fall der Täuschung hat der Erklärungsempfänger regelmäßig weder Einfluss auf einen etwaigen Irrtum des Erklärenden noch hat er von einem solchen Kenntnis, weil die Fehlvorstellung eine bloße innere Beziehung von Vorstellung und Wirklichkeit betrifft, die dem anderen meist nicht erkennbar ist. Für das Bestehen des Anfechtungsrechts wegen eines Irrtums des Erklärenden sieht der Wortlaut der §§  119 ff. BGB keine Relevanz des Kenntnisstandes des Erklärungsempfängers für die Anfechtungsmöglichkeit vor. Der historische Gesetzgeber diskutierte, aber folgte letztlich nicht einem in den Beratungen vorgeschlagenen Lösungsweg, nach dem der Kenntnisstand für das Anfechtungsrecht relevant sein soll.180 Wie bereits aufgezeigt, ist eine sachge180 

Mot. I 239 f., abgedr. in Mugdan, Materialien zum BGB, Band 1, 1899, Nachdr. 1979, S.  720.

IV.  Relevanz des Kenntnisstandes des Erklärenden und des Erklärungsempfängers

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rechte Begrenzung des Umfangs der zur Anfechtung berechtigenden Fehlvorstellungen über Motive, die zur Willensbildung führten, anhand des Kennt­ nisstandes des Erklärungsempfängers durchaus möglich. Abgesehen von den Fällen der bewussten Täuschung des Erklärungsempfängers spielt der Kenntnisstand des Erklärungsempfängers nach der Konzeption der Regeln über die Folgen von Fehlvorstellungen des Erklärenden an weiteren Stellen eine Rolle, nämlich im Rahmen des Schadensersatzanspruchs gemäß §  122 BGB und der Regelung zur Störung der Geschäftsgrundlage (§  313 BGB). Die dort relevanten Aspekte eignen sich allerdings weniger für eine ausgewogene Lösung des Konflikts zwischen Selbstbestimmung des Erklärenden (einschließlich der Verantwortung für abgegebene eigene Erklärungen) und Vertrauensschutz des Er­ klärungsempfängers. Deren Regelungsgehalt liegt eher in der Kompensation wirtschaftlicher Einbußen (§  122 BGB) bzw. der angemessenen Verteilung vertraglicher Risiken (§  313 BGB), als dass diese Regelungen dazu beitragen, die Selbstbestimmung des Erklärenden und den Vertrauensschutz des Erklärungsempfängers in Ausgleich zu bringen. Im Einzelnen sind drei Gebiete zu lokalisieren, in denen mit dem Kenntnisstand des Erklärungsempfängers eine Rechtsfolge verbunden ist: Nach dem Wortlaut von §  119 BGB wird der Kenntnisstand des Erklärungsempfängers nicht bereits bei der Frage nach dem Bestehen des Anfechtungsrechts, sondern erst bei der Kompensation seines enttäuschten Vertrauens im Rahmen des Schadensersatzanspruchs (§  122 II BGB) relevant (aa). Nimmt man anders als hier an, dass ein beidseitiger (kongruenter) Motivirrtum nicht zur (einseitigen) Anfechtung berechtigt, sondern folgt man der h. M.181, dass ein Lösungsrecht vom Vertrag über die Regeln der Geschäftsgrundlage besteht, rückt der Kenntnisstand als Quelle der beidseitigen Fehlvorstellung in den Hintergrund. Stattdessen ist das Recht zur Lösung vom Vertrag nach den Regeln der Störung der Geschäftsgrundlage von dem beiderseitigen Willen der Vertragsparteien abhängig, den Umstand, über den die Fehlvorstellung besteht, zur Geschäftsgrundlage zu erheben (bb). Diese Abhängigkeit weist allerdings die Schwäche auf, dass die beidseitige Fehlvorstellung über bereits vorliegende Umstände eher einem fehlerhaften Kenntnisstand ähnelt als einer gemeinsam gewollten Risikoverteilung über einen von beiden Vertragsparteien noch unbekannten Umstand, den die beiden auch nicht kennen konnten, aber dennoch als Vertragsgrundlage dienen sollte. Ein Teil der Literatur182 nimmt an, dem Erklärenden sei ein Schadensersatz­ anspruch wegen einer nebenvertraglichen Pflichtverletzung zu gewähren, wenn der Erklärungsgegner den (Motiv-) Irrtum des Erklärenden erkannte (cc). Die181  Vgl. statt vieler Medicus, BGB AT, 10.  A ., 2010, Rn.  758; Bork, BGB AT, 4.  A ., 2016, Rn.  944 (S.  366 f.); John, JuS 1983, 176, 178. 182  Leipold, BGB I, 8.  A ., 2015, §  18 Rn.  26; Fleischer, RabelsZ 65 (2001), 264, 274 ff.; Lorenz, Unerwünschter Vertrag, 1997, S.  275; Grigoleit, Vorvertragliche Informationshaftung, 1997,

352 §  8  Kenntnisstand des Erklärenden und des Erklärungsempfängers als Grundlage ser Anspruch ist auf Naturalrestitution gerichtet, der Vertrag wird also aufgelöst, damit der Erklärende so steht, wie er ohne Pflichtverletzung (d. h. nach einer Aufklärung über den vom Erklärungsgegner erkannten Irrtum) stünde. Auch nach dieser Auffassung stellt sich das gleiche Problem wie bei den anderen Ansichten (Anfechtungsrecht und Störung der Geschäftsgrundlage): Das Vorliegen eines Anspruchs wegen der unterbliebenen Aufklärung des Erklärenden durch den Erklärungsgegner über den vom Erklärungsgegner erkannten Irrtum des Erklärenden hängt von der Bestimmung des jeweiligen Kenntnisstands des Erklärungsempfängers und des Erklärenden ab. aa.  Ausschluss des Schadensersatzanspruchs bei Kenntnis bzw. Kennenmüssen des Empfängers Weicht der Wille des Erklärenden unter Beachtung der Auslegungsregeln von dem ab, was er erklärt hat, kann der Erklärende regelmäßig seine Erklärung anfechten. Der Erklärungsempfänger, der auf die Wirksamkeit der Erklärung vertraute, wird in seinem Vertrauen enttäuscht. Ihm gewährt daher §  122 I BGB einen Schadensersatzanspruch, der dieses Vertrauen auf die Wirksamkeit der Erklärung wirtschaftlich kompensiert. Hat der Erklärungsempfänger Kenntnis von der Abweichung des (fehlerfrei gebildeten) Willens von dem tatsächlich Erklärten, wird sein Vertrauen in die Wirksamkeit der Erklärung nicht geschützt. Ein Schadensersatzanspruch ist gemäß §  122 II BGB ausgeschlossen. Gleiches gilt, wenn der Erklärungsempfänger den Irrtum erkennen konnte und seine Unkenntnis auf Fahrlässigkeit beruht. Der Ausschluss des Schadensersatzanspruchs gemäß §  122 II BGB wegen positiver Kenntnis oder fahrlässiger Unkenntnis des Anfechtungsgegners (des Erklärungsempfängers) hat eine geringere Bedeutung, als es auf den ersten Blick scheint. Dies liegt an dem Vorrang des Erfordernisses einer Auslegung der Willenserklärung. Die Auslegung führt häufig bereits dazu, dass bei einer Übereinstimmung des Willens die objektiv falsche Bezeichnung durch den Erklärenden unbeachtlich ist, wenn der Empfänger den wahren Willen des Erklärenden versteht.183 Dann kommt eine Anfechtung nur bei objektiv mehrdeutigen Erklärungen in Betracht oder wenn sich der Erklärende bei zutreffend erkannter Sachlage gar nicht hätte binden wollen.184 Daher führt die kenntnisstandbezogene Einschränkung des Schadensersatzanspruchs gemäß §  122 II BGB durch die vorherige (im Rahmen der Auslegung erfolgende) umfassende Beachtung

S.  137 ff.; ähnlich verfährt die Rechtsprechung: BGH NJW 1980, 180; BGH NJW-RR 1986, 569; BGH NJW 1998, 3192, 3194; BGH NJW 2001, 284, 285. 183  Bork, BGB AT, 4.   A., 2016, Rn.  942 f. (S.  365 ff.); ähnlich Pawlowski, BGB AT, 7.  A., 2003, Rn.  560. 184  Pawlowski, BGB AT, 7.  A ., 2003, Rn.  559 f.

IV.  Relevanz des Kenntnisstandes des Erklärenden und des Erklärungsempfängers

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des Kenntnisstandes des Erklärungsempfängers zu weniger Problemen, als zunächst anzunehmen wäre. Die Einschränkung der Kompensation des Vertrauensschadens durch den Schadensersatzanspruch gemäß §  122 II BGB ist allerdings nicht nur von der positiven Kenntnis des Erklärungsempfängers abhängig, sondern auch davon, ob er den „Grund der Nichtigkeit oder der Anfechtbarkeit […] infolge von Fahrlässigkeit nicht kannte (kennen musste)“. Die Einbeziehung des hypothetischen Kenntnisstandes, der bei Beachtung der zu stellenden Sorgfaltsanforderungen bestehen würde, eröffnet ein weites Feld der Wertung, ob durch die Gewährung eines Schadensersatzanspruchs der Vertrauensschaden kompensationsfähig sein soll oder nicht.185 Je nachdem, wie umfassend die Sorgfaltsanforderungen an den Erklärungsempfänger im Hinblick auf das Erkennenmüssen der zur Nichtigkeit oder Anfechtungsmöglichkeit führenden Umstände formuliert werden, rückt die Variante der positiven Kenntnis als Ausschlusstatbestand des Schadensersatzanspruchs in den Hintergrund. bb.  Beidseitiger Motivirrtum als Störung der Geschäftsgrundlage Der beidseitige (kongruente) Motivirrtum berechtigt nach dem oben dargestellten Verständnis der Anfechtungsregeln jeden Vertragspartner zur Anfechtung seiner Erklärung, die auf der beiderseits übereinstimmenden Fehlvorstellung beruht. Nach verbreiteter Meinung186 berechtigen jedoch Fehlvorstellungen über Motive grundsätzlich nicht zur Anfechtung. Damit geht einher, dass beide Vertragsparteien an ihre Erklärungen gebunden sind und bleiben, obwohl sie diese auf einer übereinstimmend unzutreffenden Vorstellung gebildet haben. Neben den vertretenen Auffassungen zum „erweiterten Inhaltsirrtum“187 und den kenntnisstandbezogenen Begrenzungen der zur Anfechtung berechtigenden Motive gibt es eine weitere Auffassung, die vom überwiegenden Teil der Literatur und der Rechtsprechung188 vertreten wird. Danach sind diese Fälle nach den Regelungen zur Störung der Geschäftsgrundlage zu behandeln: Maßgebliches Argument gegen die Anfechtungsmöglichkeit ist nach dieser Ansicht, dass es sich auch bei übereinstimmender Fehlvorstellung jeweils um einen Mo185  Hierauf weist auch BGH NJW 1998, 3192, 3194, hin, dass bei einem „‚antizipierten‘ Risikoausgleich“ durch die Beachtung des Kenntnisstandes des Erklärungsempfängers §  122 BGB leerliefe. Dies ist allerdings nur dann der Fall, wenn auch der hypothetische Kenntnisstand (d. h. das „Wissenmüssen“) für die Anfechtungsmöglichkeit relevant ist, nicht nur die positive Kenntnis. 186  Vgl. statt vieler umfassend MünchKommBGB/Armbrüster, 7.  A ., 2015, §  119 Rn.  115. 187  Die auf die reichsgerichtliche Rechtsprechung (RGZ 64, 266, 268; RGZ 162, 198, 201 m. w. N.) zurückgehen und in diesem Sinne von Staudinger/Singer, BGB, 2011, §  119 Rn.  60 f. sowie Singer, JZ 1999, 342, 345 ff. weiterhin als sog. „erweiterte Irrtumsanfechtung“ vertreten wird. 188  Insbes. im Hinblick auf den Kalkulationsirrtum BGH NJW 2002, 2312, 2313; BGH NJW 2001, 2464, 2465 f.

354 §  8  Kenntnisstand des Erklärenden und des Erklärungsempfängers als Grundlage tivirrtum handele. Für die Anwendung der Regeln über die Störung der Geschäftsgrundlage spricht nach dieser Ansicht die Flexibilität im Hinblick auf die Rechtsfolge, weil anders als bei der Anfechtung nicht bloß die volle Wirk­ samkeit oder die mit der erklärten Anfechtung verbundene Nichtigkeit der Erklärung und damit des Vertrages zur Verfügung stehe, sondern auch eine Anpassung des Vertragsinhalts möglich ist (§  313 I BGB) und in Folge dessen auch die vertragliche Risikoverteilung in die Rechtsfolge mit einbezogen werden könne.189 Das seit dem Schuldrechtsmodernisierungsgesetz 2002 gesetzlich kodifizierte Instrument der Störung der Geschäftsgrundlage ist auf die Ausarbeitungen von Oertmann190 zurückzuführen. Damit eine Vertragsanpassung nach den Regeln der Störung der Geschäftsgrundlage verlangt werden kann, muss ein Umstand „zur Grundlage des Vertrags geworden“ sein (§  313 I BGB). Gemäß §  313 II BGB steht es einer Veränderung der genannten Umstände gleich, „wenn wesentliche Vorstellungen, die zur Grundlage des Vertrags geworden sind, sich als falsch herausstellen“. Die für die Vertragsanpassung entscheidende Frage ist daher, was „die Umstände“ sind, die zur Geschäftsgrundlage geworden sind. Nach Oertmann191 ist die Geschäftsgrundlage „die beim Geschäftsabschluß zutage tretende und vom Gegner in ihrer Bedeutsamkeit erkannte und nicht beanstandete Vorstellung eines Beteiligten oder die gemeinsame Vorstellung der mehreren Beteiligten vom Sein oder vom Eintritt gewisser Umstände, auf deren Grundlage der Geschäftswille aufbaut.“ Er baute mit dieser Definition auf dem von Windscheid192 entwickelten Begriff der „Voraussetzung“ auf, die eine Einschränkung des Geschäftswillens mit einer Art stillschweigenden und unausgesprochenen – weil als sicher vorausgesetzten – Bedingung sei.193 Die Rechtsprechung194 wiederholte regelmäßig die Formel, dass die Geschäftsgrundlage „die bei Vertragsschluß bestehenden gemeinsamen Vorstellungen der Vertragsschließenden oder die dem Geschäftsgegner erkennbaren und von ihm 189 Vgl. Larenz/Wolf, BGB AT, 9.  A ., 2004, §  36 Rn.  69; Medicus, BGB AT, 10.  A ., 2010, Rn.  758 (zur unzulässigen Änderung der Risikoverteilung bei bloßer Mitteilung der Kalkulation); Bork, BGB AT, 4.  A., 2016, Rn.  944 (S.  366 f.); John, JuS 1983, 176, 178; kritisch dazu Wolf/Neuner, BGB AT, 10.  A. 2010, §  41 Rn.  85. 190  Oertmann, AcP 117 (1919), 275, 305 ff. sowie Oertmann, Geschäftsgrundlage, 1921; vgl. dazu vor allem Larenz, Geschäftsgrundlage und Vertragserfüllung, 3.  A., 1963 (passim); und auch Enneccerus/Nipperdey, BGB AT I/2, 15.  A., 1960, §  177 (S.  1074 ff.); Wolf/Neuner, BGB AT, 10.  A., 2010, §  41 Rn.  76; §  38 Rn.  5 ff.; BGH NJW 1993, 259, 262 f. 191  Oertmann, Geschäftsgrundlage, 1921, S.  37. 192  Windscheid, Lehre des Römischen Rechts von der Voraussetzung, passim, 1850, Nachdr. 1982. 193  Gegen die Maßgeblichkeit der (unzutreffenden) einseitigen Vorstellung wendet sich zu Recht Larenz, Geschäftsgrundlage und Vertragserfüllung, 3.  A., 1963, S.  5 f., 184 f. m. w. N. über die geführte Diskussion. 194  BGH NJW 1995, 2028, 2030 f.; BGH NJW 1993, 1856, 1859 jeweils m. w. N. und dem Hinwies auf die st. Rspr.

IV.  Relevanz des Kenntnisstandes des Erklärenden und des Erklärungsempfängers

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nicht beanstandeten Vorstellungen einer Vertragspartei vom Fortbestand oder dem künftigen Eintritt gewisser Umstände, sofern der Geschäftswille der Parteien auf dieser Vorstellung aufbaut“, ist. Alle Auffassungen weisen die Gemeinsamkeit auf, dass entweder eine beiderseitige Fehlvorstellung besteht oder zumindest die Fehlvorstellung des Erklärenden dem Erklärungsgegner „erkennbar“ wurde und er diesen ihm bekannten Umstand nicht beanstandet hat.195 Allerdings genügt das bloße Vorliegen von beiderseits (kongruent) unzutreffend bewerteten Motiven noch nicht dafür, dass es sich bei diesen Motiven auch um Umstände handelt, die „zur Geschäftsgrundlage geworden sind“, so dass auf das Instrument der Störung der Geschäftsgrundlage zurückgegriffen werden kann. Vielmehr muss der Umstand von den Vertragsparteien zur Geschäftsgrundlage „erhoben“ worden sein. Die Rechtsprechung beschreibt ein solches „Erheben zur Geschäftsgrundlage“ damit, dass die Umstände nur dann Geschäftsgrundlage im Sinne des §  313 I BGB geworden sind, „sofern der Geschäftswille der Parteien sich auf dieser Vorstellung aufbaut“.196 Klarer formuliert dies Wieling, nach dem es für den Wegfall der Geschäftsgrundlage nicht auf die bloße Beidseitigkeit (d. h. die Kongruenz) des Motivirrtums ankomme, sondern vielmehr auf den nach der Auslegung ermittelten beidseitigen Parteiwillen, dass das Geschäft mit dem zugrunde gelegten Motiv „steht und fällt“.197 Es reicht für die Erhebung von Umständen zur Geschäftsgrundlage insbesondere nicht aus, wenn dem Geschäftspartner mögliche Motive (wie beispielsweise die Kalkulation) bloß offengelegt werden.198 Bei der Bestimmung der Geschäftsgrundlage ist vielmehr auch auf die Risikoverteilung zu achten, wie sie die Parteien vereinbaren wollten.199 Dies zeigt sich beispielsweise auch in den Ausführungen des BGH 200 , dass die bloße Aufstellung von Kalkulationen, die keinen Umsatzsteuerausweis enthalten, nicht dazu führen kann, dass die Vorstellung, dass eine Partei die gesamte Gegenleistung ungeschmälert (d. h. ohne Umsatzsteuerabzug) erhalte, zur Geschäftsgrund­ lage wird. Vielmehr muss die offengelegte Kalkulation noch eigens zur Geschäftsgrundlage werden, damit die Rechtsfolgen des §  313 I BGB überhaupt in Betracht kommen.201 195 

BGH NJW 2001, 2464, 2465 f. bezüglich eines Kalkulationsirrtums. BGH NJW 1958, 297, 298; BGH NJW 1993, 259, 262 f. jeweils m. w. N. 197  Wieling, JURA 2001, 577, 584 unter Bezugnahme auf §  7 79 BGB bezüglich des Irrtums bei einem Vergleichsabschluss. 198  Larenz, Geschäftsgrundlage und Vertragserfüllung, 3.  A ., 1963, S.  184 f.; Leipold, BGB I, 8.  A., 2015, §  18 Rn.  25; Medicus, BGB AT, 10.  A., 2010, Rn.  758 m. w. N.; BGH NJW 2002, 2312, 2313; BGH NJW 2001, 2464, 2465 f. 199  Kindl, WM 1999, 2198, 2204; so bereits Oertmann, Geschäftsgrundlage, 1921, S.  125, 148 ff.; ferner Wolf/Neuner, BGB AT, 10.  A., 2010, §  42 Rn.  27. 200  BGH NJW 2002, 2312, 2313; BGH NJW 2001, 2464, 2465 f. 201  Wolf/Neuner, BGB AT, 10.  A ., 2010, §  42 Rn.  27 und §  41 Rn.  76; Medicus, BGB AT, 10.  A., 2010, Rn.  760; Bork, BGB AT, 4.  A., 2016, Rn.  944 (S.  366 f.). 196 

356 §  8  Kenntnisstand des Erklärenden und des Erklärungsempfängers als Grundlage Bei dem Instrument der Störung der Geschäftsgrundlage handelt es sich daher weniger um ein „flexibles Instrument“202 , mit dem beim bloßen Vorliegen beiderseitiger Fehlvorstellungen der Konflikt zwischen vertraglicher Bindung und (kongruenten) unzutreffenden Vorstellungen von vertraglichen Umständen angemessen gelöst werden kann. Vielmehr steht die vertragliche Bindung nur in Frage, wenn der Umstand von den Vertragsparteien tatsächlich zur Geschäftsgrundlage des Vertrages erhoben wurde. Eine solche willentliche „Erhebung“ des Umstandes zur Geschäftsgrundlage ist weniger als die Vereinbarung einer Bedingung, 203 er muss aber zumindest aus der beiderseitigen Fehlvorstellung oder der einseitigen Fehlvorstellung, die dem anderen erkennbar wurde und von ihm gebilligt wurde, zur Grundlage der Willensbildung geworden sein. Daher ist die Vorstellung nicht als bloßes Motiv handlungsleitend für die Bildung eines Willens geworden, vielmehr trägt der gebildete Wille das Gepräge dieser Fehlvorstellung. Dafür spricht auch die Einschränkung in §  313 II BGB, wonach nicht jede Fehlvorstellung Geschäftsgrundlage sein kann, sondern eben nur die „wesentlichen Vorstellungen“. Die Störung der Geschäftsgrundlage ist demnach nur für einen Teil der beiderseitigen Fehlvorstellungen einschlägig, nämlich für die bekannten bzw. erkannten und vor allem gebilligten und damit gewollten vertragswesentlichen Umstände. Für alle anderen beidseitigen (kongruenten) Fehlvorstellungen verbleibt die oben aufgezeigte Möglichkeit der Anfechtung, wobei ein kongruenter beidseitiger Irrtum bereits dann vorliegt, wenn der Erklärungsempfänger die Fehlvorstellung des Erklärenden zumindest erkennen würde. cc.  Aufklärungspflicht über den erkannten (Kalkulations-)Irrtum oder Einwand unzulässiger Rechtsausübung Irrt sich der Erklärende über einen Umstand, den er seiner Willensbildung zugrunde legt (über ein Motiv), so berechtigt ihn dies nach allgemeiner Meinung zumindest dann nicht zur Lösung von dem Vertrag (insbesondere durch Erklärung der Anfechtung), wenn der Erklärungsempfänger keine Kenntnis von der Fehlvorstellung des Erklärenden hatte und auch kein besonderer Fall des Eigenschaftsirrtums gemäß §  119 II BGB vorliegt.204 Problematischer ist dies allerdings in den Fällen zu beurteilen, in denen der Erklärungsempfänger entweder positive Kenntnis von dem Irrtum des Erklä202  Die vermeintliche „Flexibilität“ der Lösung folgt aus der Möglichkeit, in die Rechtsfolge die vertragliche und gesetzliche Risikoverteilung einfließen zu lassen, vgl. dazu Medicus, BGB AT, 10.  A., 2010, Rn.  758; Bork, BGB AT, 4.  A., 2016, Rn.  944 (S.  366 f.); John, JuS 1983, 176, 178. 203  Dies entspricht der Lehre von der „Voraussetzung“ des Rechtsgeschäfts nach Windscheid, Lehre des Römischen Rechts von der Voraussetzung, passim, 1850, Nachdr. 1982. 204 Zusammenfassend Fleischer, RabelZ 65 (2001), 264, 269 ff.: „erkannter und ausgenutzter Irrtum“ als einer der „unproblematischen Fälle“ des Kalkulationsirrtums.

IV.  Relevanz des Kenntnisstandes des Erklärenden und des Erklärungsempfängers

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renden hatte oder zumindest hätte haben können. Ein weitgehend einheitliches Meinungsbild zeichnet sich für die Fälle ab, in denen der Erklärungsempfänger nur die Fehlvorstellung hätte kennen können, auf der die Willensbildung des Erklärenden basierte. Sowohl Schrifttum 205 als auch Rechtsprechung206 lehnen für diese Fälle eine Anfechtungsmöglichkeit mehrheitlich ab und begründen dies maßgeblich mit der den Anfechtungsvorschriften zugrunde liegenden Risikoverteilung für eigene Fehlvorstellungen über Umstände, auf denen der Erklärende seine Willensbildung gründet. Erkennt der Erklärungsgegner allerdings den Irrtum des Erklärenden und löst er den Wissensvorsprung nicht durch einen Hinweis auf, besteht weitgehend Einigkeit, dass der im Wissen überlegene auf diese Weise Agierende gegenüber dem Irrenden nicht die Vorteile aus dem Geschäft beanspruchen darf. Der Begründungsweg dieses Ergebnisses ist allerdings unterschiedlich. Die Rechtsprechung207 lehnt beispielsweise eine analoge Anwendung der Anfechtungsvorschriften auf die Fälle ab, in denen der Erklärende sich im Rahmen der Kalkulation irrt und der Erklärungsempfänger dies erkennt. Das entscheidende Argument gegen die Anwendung der Anfechtungsvorschriften ist die befürchtete Häufung subjektiver Umstände und die damit verbundene mögliche Rechtsunsicherheit. Dies macht der BGH 208 an der Frage nach der Anfechtungsfrist fest. Die Anfechtung muss gemäß §  121 I BGB unverzüglich nach Kenntnis vom Anfechtungsgrund erklärt werden. Bezieht man den Kenntnisstand des Erklärungsempfängers in die Frage mit ein, ob überhaupt ein Anfechtungsrecht besteht, hängt der Fristbeginn für die Anfechtungserklärung davon ab, wann der Erklärende (der sich verkalkuliert hat) Kenntnis von der Kenntnis des Erklärungsempfängers (der den Kalkulationsirrtum erkennt) erlangt hat.209 Dies ist zwar eine Doppelung subjektiver Tatbestände. Eine solche Konstella­ tion ist jedoch der Rechtssicherheit nicht in der Weise abträglich, dass dieser Zustand in jedem Fall zu vermeiden ist. Schließlich liegt eine solche Doppelung subjektiver Merkmale beispielsweise auch bei dem Insolvenzanfechtungstat­ bestand des §  133 I InsO vor: Auch in diesem Fall muss der Schuldner mit Gläubigerbenachteiligungsvorsatz gehandelt haben, den der Gläubiger auch kennt. 205  Flume, AT II, 4.  A ., 1992, §  25 (S.  491 f.).; Giesen, JR 1971, 403, 406 (in Fn.  21 ausgeführt); Wieser, NJW 1972, 708, 710; Freese, BB 1982, 1271 f.; Hundertmark, BB 1982, 16, 19. 206  BGH NJW 1998, 3192, 3193 f.; BGH NJW-RR 1995, 1360; BGH NJW-RR 1986, 569 f.; BGH NJW 1980, 180. 207  BGH NJW 1998, 3192, 3193 f.: Eine Statuierung einer Aufklärungspflicht kam in dem Fall nicht in Betracht, da der Irrtum auch von dem Erklärenden erkannt wurde, d. h. der Fall konnte auch nicht durch die Verletzung einer vorvertraglichen Aufklärungspflicht gelöst werden, weil insoweit keine Informationsasymmetrie vorlag, zu deren Beseitigung eine Vertragspartei verpflichtet gewesen wäre. 208  BGH NJW 1998, 3192, 3193 f. 209  Kritisch zu der so begründeten „Flucht aus dem Anfechtungsrecht“ Singer, JZ 1999, 342, 347.

358 §  8  Kenntnisstand des Erklärenden und des Erklärungsempfängers als Grundlage Das Problem liegt zudem weniger in der Dopplung der subjektiven Merkmale an sich, sondern vielmehr in den von der Rechtsprechung gleich behandelten Fällen der treuwidrigen Kenntnisvereitelung, wenn sich also der Erklärungsgegner treuwidrig der Kenntnis verschließt. Dann ist der Fall „überhaupt nicht mehr sinnvoll handhabbar“.210 Dies liegt aber an der Ausdehnung des Kenntnisbegriffs und nicht an der Beachtung subjektiver Merkmale, selbst wenn die subjektiven Merkmale an mehreren Stellen Bedeutung erlangen. Das Problem besteht folglich nicht in der Abhängigkeit der Rechtsfolge von dem subjektiven Merkmal der Kenntnis an sich, sondern vielmehr in der ausgedehnten und diffusen, auf Wertungen beruhenden Bestimmung des subjektiven Merkmals. Auch erweist sich das Fristproblem der Anfechtung als ein Scheinproblem. Schließlich müssen im Rahmen einer Analogie der Anfechtungstatbestände nicht zwingend alle Normen – und damit auch nicht die zur Anfechtungsfrist – ebenfalls analog angewandt werden. Vielmehr könnte sich die Bemessung der Frist bei der analogen Anwendung der Anfechtungsregeln auf Fälle des Kalkulationsirrtums an entsprechend sachgerechten Kriterien orientieren.211 Die Bestimmung, wann der Anfechtungsberechtigte Kenntnis von der Kenntnis des Erklärungsgegners von dem Kalkulationsirrtum hatte, kann auch anhand ähnlich formulierter Vermutungsregeln vorgenommen werden, wie es im Insolvenzanfechtungsrecht üblich ist: Dies bedeutet, dass bei der Bestimmung des Gegenstandes der Kenntnis des Anfechtungsberechtigten von der Kenntnis des Erklärungsgegners nicht nur dessen Kenntnisstand im engeren Sinne maß­ gebend ist, sondern auch Umstände herangezogen werden können, die auf die Kenntnis des Erklärungsgegners schließen lassen. Beispielsweise können solche Umstände das Verlangen der Erfüllung des Vertrages in einem Umfang sein, wie er ohne den Kalkulationsirrtum bestehen würde. Dann wird der Anfechtungsberechtigte in der Regel auch die Kenntnis des Erklärungsgegners von dem Kalkulationsirrtum kennen. Die Rechtsprechung nimmt in den Fällen des vom Erklärungsempfänger erkannten Kalkulationsirrtums an, dass es eine unzulässige Rechtsausübung (§  242 BGB) ist, wenn der Angebotsempfänger die Vertragserfüllung des Anbietenden trotz Kenntnis von dem Kalkulationsirrtum verlangt.212 Dieses Vorgehen der Rechtsprechung ermöglicht eine Flexibilisierung der Rechtsfolge, indem der BGH die bloße Kenntnis vom Kalkulationsirrtum noch nicht für eine unzulässige Rechtsausübung ausreichen lässt, sondern „anhand aller Umstände des Einzelfalls“ zu beurteilen sei, ob dieser Einwand gegen das Verlangen der Vertragsdurchführung besteht. Dadurch spielen objektive Kriterien für die Bestimmung der vertraglichen Bindung freilich kaum noch eine Rolle, vielmehr 210 

BGH NJW 1998, 3192, 3194. Zum fehlenden Erklärungsbewusstsein Medicus, BGB AT, 10.  A., 2010, Rn.  607 f. 212  BGH NJW 1998, 3192, 3194; BGH NJW 1983, 1671, 1672; BGH NJW 1967, 876, 877. 211 

IV.  Relevanz des Kenntnisstandes des Erklärenden und des Erklärungsempfängers

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geht es dabei um das „Ausmaß des Kalkulationsirrtums“ und die Wertung, ob „die Vertragsdurchführung für den Erklärenden schlechthin unzumutbar ist, etwa weil er dadurch in erhebliche wirtschaftliche Schwierigkeiten geriete“.213 Diese Erwägungen sind allerdings eher dem Instrument der Störung der Geschäftsgrundlage entlehnt, als dass sie im Rahmen des Irrtumsrechts wurzeln würden. Bei der Störung der Geschäftsgrundlage hätten die Vertragsparteien den Umstand (die Kalkulation) zumindest willentlich zur Vertragsgrundlage gemacht haben müssen. Bei dem bloß vom Erklärungsgegner erkannten Irrtum ist dies aber nicht der Fall. Um noch mehr Flexibilität bei der Beurteilung der Relevanz von Kalkulationsirrtümern zu gewinnen, geht ein großer Teil des Schrifttums214 (und teilweise der BGH) 215 davon aus, dass den Erklärungsgegner, der den Kalkulationsirrtum des Erklärenden erkennt, eine vorvertragliche Pflicht zur Aufklärung über diesen Irrtum trifft. Unterlässt er einen solchen Hinweis, haftet er dem Erklärenden wegen einer vorvertraglichen Pflichtverletzung gemäß §§  280 I, 311 II BGB. Dieser Schadensersatzanspruch ist im Rahmen der Naturalrestitution auf die Aufhebung der vertraglichen Bindung gerichtet bzw. darauf, dass der Erklärende nicht an seiner Erklärung festgehalten werden kann.216 Für eine vorvertragliche Haftung wegen einer Aufklärungspflichtverletzung muss der Erklärungsempfänger positive Kenntnis von dem Irrtum des Erklärenden haben, d. h. der Erklärungsempfänger muss den Irrtum des Erklärenden erkannt haben.217 Allerdings steht auch die Annahme einer Aufklärungspflicht in solchen Situationen des erkannten Irrtums in der Kritik, vor allem weil unklar bleibt, unter welchen (teilweise „zusätzlichen“) Voraussetzungen diese Pflicht tatsächlich begründet ist: Unsicherheiten treten vornehmlich bei der Bestimmung auf, ab welchem Ausmaß des Kalkulationsirrtums das Unterlassen von 213 

BGH NJW 1998, 3192, 3194 unter Verweis auf Hundertmark, BB 1982, 16, 19. Leipold, BGB I, 8.  A., 2015, §  18 Rn.  26; Fleischer, RabelsZ 65 (2001), 264, 274 ff.; ­L orenz, Unerwünschter Vertrag, 1997, S.  275; Grigoleit, Vorvertragliche Informationshaftung, 1997, S.  137 ff.; ablehnend John, JuS 1983, 176, 178. 215  BGH NJW 1980, 180; BGH NJW-RR 1986, 569; BGH NJW 1998, 3192, 3194; BGH NJW 2001, 284, 285; wenn nicht eine Konstellation vorliegt, bei der eine Begründung einer Pflicht zur Aufklärung keinen Sinn ergibt, weil der sich bei der Kalkulation Irrende seinen Irrtum selbst bemerkt und daher keine für eine Aufklärung notwendige Informationsasymmetrie gegeben ist, wie in BGH NJW 1998, 3192, 3194. 216  BGH NJW 1980, 180; BGH NJW-RR 1986, 569; BGH NJW 1998, 3192, 3194; BGH NJW 2001, 284, 285; Leipold, BGB I, 8.A., 2015, §  18 Rn.  26; Fleischer, RabelsZ 65 (2001), 264, 274 ff.; Lorenz, Unerwünschter Vertrag, 1997, S.  275; Grigoleit, Vorvertragliche Informations­ haftung, 1997, S.  137 ff. Teilweise kommt eine Anfechtungsmöglichkeit gemäß §  123 I BGB in Betracht, wenn der Empfänger den Erklärenden nicht über den Irrtum aufklärt, Bork, AT, 4.  A., 2016, Rn.  944 (S.  366, dort Fn.  185); dies setzt aber ein arglistiges Verhalten voraus; Näheres dazu im Folgeabschnitt. 217 Nicht ausreichend ist, dass der Empfänger den Irrtum nur hätte erkennen können, BGH NJW 1980, 180; BGH NJW-RR 1995, 1360; Freese, BB 1982, 1271 f.; kritisch Hundertmark, BB 1982, 16, 19. 214 

360 §  8  Kenntnisstand des Erklärenden und des Erklärungsempfängers als Grundlage Rückfragen eine Aufklärungspflicht verletzt oder das Verhalten (insbesondere das Schweigen) als treuwidrig anzusehen ist oder wann dem Vertragspartner die Vertragsdurchführung unzumutbar ist.218 Alle Auffassungen weisen die Gemeinsamkeit auf, dass sie die vertragliche Bindung nur dann in Frage stellen, wenn der Erklärungsgegner von der Fehlvorstellung des Erklärenden (beispielsweise von der vorausgegangenen fehlerhaften Kalkulation) Kenntnis erlangt hat. Dieses Merkmal ist für die Eröffnung aller Lösungswege entscheidend. Die verlässliche Bestimmung der positiven Kenntnis des Erklärungsempfängers von der Fehlvorstellung des Erklärenden ist daher eine der Schlüsselfragen für das eventuelle Bestehen eines Lösungsrechts vom Vertrag. Allgemein ist zu beobachten, dass dem Bezug zwischen dem Lösungsrecht vom Vertrag und dem Kenntnisstand des Erklärungsempfängers eine große Bedeutung beigemessen wird und eine Einschränkung dieser Abhängigkeit eher nicht in Betracht kommt. Entscheidend für das Schicksal der vertraglichen Bindung ist regemäßig, ob der Erklärungsempfänger positive Kenntnis von der Fehlvorstellung des Erklärenden hat. Daher reicht es für die Annahme der unzulässigen Rechtsausübung nicht schon aus, dass sich der Erklärungsempfänger – ohne positive Kenntnis von dem Irrtum des Erklärenden zu haben – der Kenntnis treuwidrig verschließt.219 Für einen Rückgriff auf die zu der deliktischen Verjährungsnorm des §  852 I BGB i. d. F. bis 2001 entwickelten Grundsätze über die im Hinblick auf die Rechtsfolgen vorzunehmende Gleichstellung der positiven Kenntnis mit der sich aufdrängenden Kenntnis, derer sich der Betroffene nicht verschließen könne, sieht der BGH nur wenig Spielraum und führt aus, dass der „Rechtsgedanke aus §  162 BGB […] nur mit äußerster Zurückhaltung herangezogen werden“ könne.220 Teilweise wird in der Literatur221 die Übertragung der Grundsätze des treuwidrigen „Sichverschließens“ vor der Kenntnis im vertraglichen Bereich abgelehnt, weil die Fehlvorstellungen des Erklärenden eher von diesem erkannt werden könnten als von dem Erklärungsgegner. Der Erklärende sei „näher“ an dem eigenen Kenntnisstand, als es der Erklärungsempfänger ist und daher sei es nicht gerechtfertigt, dem Erklärungsempfänger Treuwidrigkeit vorzuwerfen, wenn er sich nur der Kenntnis verschließt, die der andere eigentlich haben müsste, der sich irrt.222 Um die Unterstellung des treuwidrigen Sichverschließens zu umgehen, schlägt 218 

Berger, LM §  119 Nr.  36 Bl. 6; Schöpflin, JA 1999, 89, 91. Berger, LM §  119 Nr.  36 Bl. 6, sieht in der Gleichstellung von Kenntnis mit sich aufdrängender Kenntnis und unterbliebenen Rückfragen die Intention der Rechtsprechung, damit Beweisprobleme zu bewältigen. Das Abstellen auf das Merkmal des „Sichaufdrängens“ bedeutet für ihn, auf die Voraussetzungen der groben Fahrlässigkeit abzustellen; kritisch ebenfalls Emmerich, JuS 1999, 79, 80. 220  BGH NJW 1998, 3192, 3195, im Ergebnis jedoch offengelassen. 221  In diese Richtung Waas, JuS 2001, 14, 20. 222  Waas, JuS 2001, 14, 20. 219 

IV.  Relevanz des Kenntnisstandes des Erklärenden und des Erklärungsempfängers

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Fleischer 223 vor, einen ähnlichen Maßstab an die Erkennbarkeit des Irrtums des Erklärenden anzulegen, wie er bei dem Missbrauch der Vertretungsmacht für den Vertragspartner gilt. Danach ist von der Kenntnis des Geschäftspartners auszugehen, wenn „der Mißbrauch aus der verobjektivierten Perspektive des Geschäftsgegners auf der Hand lag, [d. h. er sich] geradezu aufdrängen mußte“.224 Die Grenze des bloßen Kennenmüssens reicht daher nicht: Eine durch Nachfragen erlangbare Kenntnis sei nicht ausreichend, vielmehr muss der Irrtum evident sein.225 Ob der Erklärungsempfänger von der Fehlvorstellung des Erklärenden Kenntnis hat, kann mit Blick auf die Einschätzung eines objektiven Dritten hilfreich sein. Das zu untersuchende Ergebnis ist der Kenntnisstand des Erklärungsempfängers im Hinblick darauf, ob er die Fehlvorstellung, die der Willensbildung des Erklärenden zugrunde lag, kennt. Bevor die Beantwortung dieser Frage mit zahlreichen Wertungen beeinflusst einer der Vertragsgerechtigkeit entsprechenden Antwort zugeführt wird, kann zunächst versucht werden, herauszufinden, ob ein objektiver Dritter in der Situation diese Kenntnis haben würde. Dazu ist der individuelle Ausgangspunkt der Betrachtung genau zu lokalisieren: Über welche Informationen verfügt der Erklärungsempfänger? Dies ist zum einen die ihm zugegangene Willenserklärung des Erklärenden. Zum anderen sind dies aber auch zahlreiche weitere Begleitinformationen, die der Erklärungsempfänger kennt. Insbesondere sind das vor allem bei Ausschreibungsfällen sämtliche andere Angebote, die dem Erklärungsempfänger im Rahmen des Ausschreibungsverfahrens neben dem Angebot, das einen Kalkulationsirrtum enthielt, noch zugingen. Daraus ergibt sich für den Erklärungsempfänger ein zu erwartender Kalkulationsspielraum. Weicht das vom Erklärenden abgegebene Angebot bei ähnlichem oder gleichem Leistungsspektrum erheblich von den sonstigen Angeboten ab, so dass „evident“226 ist, dass diesem Angebot ein Kalkulationsfehler zugrunde liegen muss, so ist diese Information als Umstand in die Betrachtung einzubeziehen. Außerdem sind offen erkennbare (z. B. leicht zu erkennende) Rechen- und Summenfehler zum aktiven Wissen des Erklärungsempfängers zu rechnen. Auch außerhalb des konkreten Angebots liegende Umstände sind für die Beurteilung des Kenntnisstandes des Erklärungsempfängers relevant, wenn sie beispielsweise zu dem branchenüblichen Wissen gehören und der Erklärende und der Erklärungsempfänger der gleichen Branche angehören. Wenn diese (bekannten) Informationen und die Erfahrung, die der Erklärungsempfänger im Umgang mit der Einschätzung ei223 

Fleischer, RabelsZ 65 (2001), 264, 284 ff. Fleischer, RabelsZ 65 (2001), 264, 284 f., unter Bezugnahme auf die insoweit st. Rspr. BGH WM1968, 841, 842; BGH WM1976, 632, 633. 225  Fleischer, RabelsZ 65 (2001), 264, 284 f.; ähnlich Kindl, WM 1999, 2198, 2206, der auf ein „Kennenmüssen“ in Abgrenzung zum „Kennenkönnen“ abstellt. 226  Im Sinne der Abgrenzung von Fleischer, RabelsZ 65 (2001), 264, 284 f. 224 

362 §  8  Kenntnisstand des Erklärenden und des Erklärungsempfängers als Grundlage nes solchen ihm zugehenden Angebots hat, zusammengestellt sind, kann die entscheidende Fragestellung für die Bestimmung des Kenntnisstandes formuliert werden: Würde ein (objektiver) Erklärungsempfänger, bei den Überlegungen ausgehend von seinen einzelnen Informationen, über die er verfügt (insbesondere dem konkreten ihm zugegangenen Angebot), unter Zuhilfenahme seines allgemeinen Erfahrungswissens und des speziellen, in der Situation erlangten Wissens (insbesondere während einer Ausschreibung: die anderen Angebote) zu dem Ergebnis gelangen, dass sich der Anbietende verkalkuliert hat? Diese Fragestellung vermeidet die Formulierung von allgemeinen Sorgfaltsanforderungen und orientiert sich bei der Beurteilung, ob der Kenntnisstand des Erklärungsgegners vorlag, an den Gegebenheiten des Einzelfalls, ohne dabei die Struktur einer ausschließlich wertenden Entscheidung anzunehmen, bei der nur die Vertragsgerechtigkeit entscheidungsleitend im Vordergrund steht. Diese Aspekte können – sofern sie für die jeweils zu beantwortende Fragestellung relevant sind – an geeigneter Stelle in die Beurteilung einfließen, beispielsweise im Rahmen des Verschuldens bei einer vorvertraglichen Pflichtverletzung oder bei der Beurteilung der Unzulässigkeit der Rechtsausübung. Davon unabhängig sollte allerdings die Bestimmung des Merkmals der positiven Kenntnis des Erklärungsgegners von der Fehlvorstellung des Erklärenden sein. (3)  Beeinflusste Vorstellung des Erklärenden als arglistige Täuschung Nach dem Wortlaut des §  123 I BGB kann derjenige seine Erklärung anfechten, der „zur Abgabe einer Willenserklärung durch arglistige Täuschung […] bestimmt worden ist“. Anders als der Wortlaut vermuten lässt, besteht das Anfechtungsrecht gemäß §  123 I BGB nicht bloß dann, wenn der Vorgang der Abgabe der Willenserklärung durch Täuschung beeinflusst wurde, sondern vielmehr in all den Fällen, in denen auf den Vorgang der Entscheidung Einfluss genommen wurde. Dies erfasst somit insbesondere auch den Bereich, der zeitlich vor der Abgabe der Willenserklärung liegt, d. h. die Phase der Willensbildung. Die Willensbildung beruht dann auf einer unzutreffenden und von einem anderen hervorgerufenen Vorstellung. Bei der Anfechtung wegen arglistiger Täuschung spielen sowohl der Kenntnisstand des Erklärenden als auch derjenige des Erklärungsempfängers eine entscheidende Rolle für das Bestehen der Anfechtungsmöglichkeit. Das Ergebnis einer Täuschung ist das Vorliegen einer unzutreffenden Vorstellung des Erklärenden (aa). Der Kenntnisstand des Erklärungsempfängers ist für das Bestehen des Anfechtungsrechts ebenfalls relevant: Der Erklärungsempfänger muss von der Fehlvorstellung des Erklärenden zumindest Kenntnis haben, damit sich die Beeinflussung der Erklärenden als „arglistig“ erweist, wie es tatbestandlich in §  123 I BGB für das Anfechtungsrecht vorausgesetzt ist (bb).

IV.  Relevanz des Kenntnisstandes des Erklärenden und des Erklärungsempfängers

363

Sowohl die Fehlvorstellung des Erklärenden als auch die die exakte Formulierung der Anforderungen an den Kenntnisstand des Erklärungsempfängers sind für das Bestehen des Anfechtungsrechts von großer Bedeutung. Die prä­ zise Festlegung der Anforderungen an den jeweiligen Kenntnisstand trägt zu einer sachgerechten Begrenzung der zur Anfechtung berechtigenden Fehlvorstellungen bei (cc). Die Bestimmung des für das Anfechtungsrecht jeweils relevanten Kenntnisstands wirft im Einzelfall dann freilich doppelt Probleme auf, denn die Kenntnis des Erklärungsempfängers bezieht sich nicht auf eine äußere Tatsache, sondern auf den Kenntnisstand des Erklärenden und damit auf eine innere Tatsache einer anderen Person. Die Probleme bei der Bestimmung der inneren Tatsachen können durch eine kleinschrittig vorgegebene Prüfungsabfolge gelöst und damit zu vorhersehbaren Ergebnissen geführt werden (dd). aa.  Fehlvorstellung als Motiv für die Willensbildung des Erklärenden Der Erklärende erklärt seinen Willen, den er auf der Grundlage seines Kenntnisstandes gebildet hat. Unterliegt der Erklärende einer Fehlvorstellung, d. h. ist sein Kenntnisstand unzutreffend, ist er nicht in der Lage, einen freien und unbeeinflussten Willen zu bilden. Der somit fehlerhaft gebildete Wille schlägt sich in der Willenserklärung nieder, mit der er den Willen ausdrückt. Wie bereits ausgeführt, hängt die Wirksamkeit einer Willenserklärung jedoch nicht davon ab, ob der Wille auf der Grundlage eines ausschließlich korrekten und vollständigen Kenntnisstandes gebildet wurde. Nicht sämtliche Motive, die zur Willensbildung beitrugen, können sich auf die Wirksamkeit der Erklärung und die Bindung an eine abgegebene Willenserklärung auswirken, da sonst die Verlässlichkeit des Rechtsverkehrs, das Vertrauen in die Wirksamkeit der Erklärung sowie die Bindung des Erklärenden an die abgegebene Willenserklärung grundlegend gestört wären. Daher ist der bloße Motivirrtum, dem (nur) der Erklärende unterliegt, für die Wirksamkeit der Willenserklärung grundsätzlich unbeachtlich.227 §  123 I BGB gewährt ein Anfechtungsrecht wegen einer Fehlvorstellung, der der Erklärende unterliegt. Auch eine unzutreffende Vorstellung ist ein Motiv­ irrtum.228 Für einen Irrtum kommt jeglicher Umstand in Betracht, über den der Erklärende einer Fehlvorstellung unterliegt und der für wahr oder unwahr gehalten werden kann (d. h. einen objektiv nachprüfbaren Tatsachenkern aufweist).229 Für das Anfechtungsrecht gemäß §  123 I BGB ist allerdings zusätz227  Vgl. dazu oben zu dem Grundsatz der Nichtanfechtbarkeit bei willensbildungsbezogenen Mängeln der Willenserklärung. 228  Statt vieler MünchKommBGB/Armbrüster, 7.  A ., 2015, §  123 Rn.  2 , 26; Lorenz, Unerwünschter Vertrag, 1997, S.  314; Flume, AT II, 4.  A., 1992, §  27 Pkt. 1 (S.  530); Medicus, BGB AT, 10.  A., 2010, Rn.  787. 229 Ähnlich Weiler, Beeinflusste Willenserklärung, 2002, S.  338 ff.; Grigoleit, Vorvertrag-

364 §  8  Kenntnisstand des Erklärenden und des Erklärungsempfängers als Grundlage lich erforderlich, dass der Erklärende „durch arglistige Täuschung […] bestimmt worden ist“, die Willenserklärung abzugeben. Daher muss das unzutreffende Motiv, auf dem der Erklärende seine Willensbildung (und anschließend seine Willenserklärung als Äußerung dieses Willens) gründet, nicht von ihm allein, sondern von einer anderen Person in den Kenntnisstand des Erklärenden gebracht worden sein, d. h. der Kenntnisstand wurde im Hinblick auf das der Willensbildung zugrunde liegende Motiv beeinflusst. Dennoch handelt es sich bei der Fehlvorstellung i. S. d. §  123 I BGB strukturell um einen Motivirrtum. Das der Willensbildung zugrunde liegende Motiv muss eine Vorstellung betreffen, die in Wahrheit unzutreffend ist. Ist die Willensbildung nicht auf eine Fehlvorstellung des Erklärenden zurückzuführen, fehlt es zwar schon begrifflich an einer Täuschung, in der Regel wird jedoch der notwendige Kausalzu­ sammenhang zwischen Täuschung und abgegebener Willenserklärung abgelehnt, d. h. der Erklärende wurde nicht „durch arglistige Täuschung“ zur Abgabe der Willenserklärung i. S. d. §  123 I BGB „bestimmt“.230 Freilich ist der Erklärende dann auch nicht durch die Gewährung eines Anfechtungsrechts schutzwürdig, wenn er bei erkannter Sachlage die Erklärung (trotz Täuschung) dennoch abgibt.231 Weitergehende Einschränkungen der Anfechtbarkeit einer Willenserklärung, die auf einer Täuschung beruht, sind entgegen der bislang üblichen Rechtspraxis nicht erforderlich. In der Rechtsprechung und Literatur wird gemeinhin vertreten,232 dass der Gegenstand der Täuschung immer eine Tatsache sein müsse. Die Mitteilung von Werturteilen könne nur eine zur Anfechtung berechtigende Täuschung sein, wenn das Werturteil eine objektiv nachprüfbare Tatsache (einen „Tatsachenkern“) aufweist.233 Diese Beschränkung der für eine Täuschung relevanten Umstände dient der Eingrenzung des Kreises der möglichen Fehlvorstellungen des Erklärenden: Kann die Unrichtigkeit des vorgespiegelten Umstandes nicht nachgewiesen werden, ist es freilich schwerer, eine Fehlvorstellung des Erklärenden zu bejahen. liche Informationshaftung, 1997, S.  16; von Lübtow, FS Bartholomeyczik, 1993, S.  249, 255; anders insoweit die h. M. (einschränkend auf Tatsachen unter Ausgrenzung von Werturteilen): MünchKommBGB/Armbrüster, 7.  A., 2015, §  123 Rn.  28; Soergel/Hefermehl, BGB, 13. A., 1999, §  123 Rn.  3 ; Staudinger/Singer, BGB, 2012, §  123 Rn.  7 sowie die st. Rspr., vgl. BGH NJW 2007, 357, 358. 230 MünchKommBGB/Armbrüster, 7.   A., 2015, §   123 Rn.   21; Staudinger/Singer, BGB, 2011, §  123 Rn.  45; BGH NJW 1971, 1795, 1798. 231  Allerdings spielt es für das Bestehen der Fehlvorstellung keine Rolle, wenn der Irrtum beispielsweise auf einer unsorgfältigen Lektüre eines täuschungsgeeigneten Schreibens beruht. Nur weil es dem Täuschenden leicht gemacht wird, entfällt nicht das Vorliegen der kausalen Irrtumserregung, vgl. BGH NJW-RR 2005, 1082, 1083 f. (irreführendes Online-Angebotsschreiben). 232 MünchKommBGB/Armbrüster, 7.   A., 2015, §   123 Rn.   28; Staudinger/Singer, BGB, 2011, §  123 Rn.  7; st. Rspr., vgl. BGH NJW 2007, 357, 358. 233 Staudinger/Singer, BGB, 2012, §  123 Rn.  7.

IV.  Relevanz des Kenntnisstandes des Erklärenden und des Erklärungsempfängers

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Allerdings überzeugt eine solche Beschränkung der anfechtungsrelevanten Umstände auf Tatsachen nicht. Einleuchtend ist, dass die Frage, ob eine zutreffende oder unzutreffende Tatsache vorgespiegelt wurde, nur bei Tatsachen beantwortet werden kann, deren Richtigkeit überhaupt bewiesen werden kann. Damit wird jedoch nur der (zu) engen Definition der Täuschung als „Vorspiegelung falscher Tatsachen“ Rechnung getragen. Im Ergebnis macht es jedoch keinen Unterschied, ob der Erklärende darüber getäuscht wird, dass beispielsweise die im Baumarkt angebotene Farbe für den Außenanstrich optimal sei oder ob dem Erklärenden die Meinung des Baumarktangestellten präsentiert wird, dass er selbst diese Farbe an Stelle des Kunden auf jeden Fall kaufen würde. Freilich ist im letztgenannten Fall nicht unmittelbar die Fehlvorstellung des Kunden zu erkennen, dass er ein für ihn vollkommen ungeeignetes Produkt (z. B. Innenfarbe ohne Frostbeständigkeit) erwerben wird. Doch ist die Abgrenzung zwischen zutreffenden und unzutreffenden (beweisbaren) Tatsachen wenig überzeugend. Insbesondere kann die Hilfskonstruktion nicht überzeugen, dass die eigene Meinung als Tatsache und nicht als Werturteil von dem Erklärenden dargestellt wird und damit begrifflich doch eine Täuschung vorliegt, obwohl die Äußerung gegenüber dem Erklärenden reine Werturteile enthielt.234 Schließlich ist anerkannt, dass auch über „innere Tatsachen“ wie beispielsweise die eigene Zahlungsbereitschaft oder die Erfüllungsbereitschaft getäuscht werden kann.235 Die Abgrenzung der täuschungsgeeigneten Tatsachen zu den nicht täuschungsgeeigneten Werturteilen erweist sich daher allenfalls vor dem Hintergrund der Bestimmtheit der Aussage, die der Erklärungsempfänger tätigt, als sinnvoll: 236 Eine erkennbar übertriebene und vollkommen vage Aussage, die nicht ernsthaft zu einer Fehlvorstellung des Erklärenden führen kann, ist nicht geeignet, die Willensbildung des Erklärenden zu beeinflussen, so dass es deshalb an einer Fehlvorstellung fehlt, die auf der Beeinflussung des Erklärenden beruht. Die Abgrenzung von vagen, übertriebenen Werbeaussagen zur täuschungsgeeigneten Beeinflussung ist aus der Sicht des Erklärungsempfängers vorzunehmen: Wie in §  118 BGB zur Bestimmung der Scherzerklärung, ist auch bei der übertriebenen Werbeaussage zu ermitteln, ob die Aussage des Erklärungsempfängers „in der Erwartung abgegeben wird, der Mangel der Ernstlichkeit [der werbenden, übertriebenen Aussage] werde [vom später Erklärenden] nicht verkannt werden“. Diese Vorgehensweise weist dem Erklärungsempfänger als die Werbe234  BGH NJW 2007, 357, 358 f. Tz.  24; Staudinger/Singer, BGB, 2012, §  123 Rn.  7; MünchKommBGB/Armbrüster, 7.  A., 2015, §  123 Rn.  28. 235 Staudinger/Singer, BGB, 2012, §  123 Rn.  8 ; BGH NJW 2007, 357, 359 Tz.  26 (in Abgrenzung zu den subjektiven Werturteilen); Flume, AT II, 4.  A., 1992, §  29 Pkt. 1 (S.  541 f.). 236  Zu Recht daher Soergel/Hefermehl, BGB, 13.  A ., 1999, §  123 Rn.  3, der auf das Urteil eines „verständigen Menschen“ abstellt, der die Aussage nicht ernst nimmt. Ebenso (nimmt ein „vernünftiger Mensch“ die Aussage ernst?) Windscheid/Kipp, Pandekten I, 9.  A., 1906, Nachdr. 1963, §  78 (S.  706); von Lübtow, FS Bartholomeyczik, 1973, S.  249, 256; ähnlich v. Tuhr, AT II/1 §  68 2 (S.  605 f).

366 §  8  Kenntnisstand des Erklärenden und des Erklärungsempfängers als Grundlage aussage Tätigenden das Risiko zu, dass seine Anpreisung doch ernst genommen wird. Daher liegt eine Täuschung im Sinne des §  123 I BGB immer vor, wenn irgendwie auf das Vorstellungsbild des Erklärenden Einfluss genommen wurde und daher bei ihm eine Vorstellung induziert wurde, die sonst nicht bestehen würde und die im Ergebnis unzutreffend ist. Ob der Nachweis geführt werden kann, dass die Behauptung des Werturteils zu einer Fehlvorstellung führte, sollte nicht auf der definitorischen Stufe vorgenommen werden, ob überhaupt eine Täuschung vorliegt. Vielmehr ist jedes Hervorrufen eines unzutreffenden Vorstellungsbildes bei dem Erklärenden geeignet, eine Täuschung im Sinne des §  123 I BGB zu begründen. Ob die Vorstellung unzutreffend ist, ist keine Frage des Nachweises der Richtigkeit der präsentierten Information, sondern ist das Ergebnis der Bestimmung des Einzelfalls, ob eine Fehlvorstellung des Erklärenden vorliegt (Bestimmung des Irrtums im Einzelfall). Dies hat aus der Sicht des Erklärungsempfängers zu erfolgen. Er muss (verobjektiviert) beurteilen, ob das dem Erklärenden präsentierte Werturteil erwartungsgemäß zu einer Fehlvorstellung bei dem Erklärenden führt. In gleicher Weise kann, ohne in Abgrenzungsschwierigkeiten zu geraten, sachgerecht das Vorliegen einer Täuschung bestimmt werden, ob eine „übertriebene Anpreisung“, eine „werbende Aussage ohne sachlichen Gehalt“ oder eine bloße Tatsachenmitteilung vorliegt.237 Nur das, was der Erklärungsempfänger kennt, kann er dem Erklärenden arglistig vorspiegeln und damit Grundlage für eine zur Anfechtung berechtigende Täuschung sein. bb.  Kenntnis des Erklärungsempfängers als Arglist bei der Hervorrufung der Fehlvorstellung des Erklärenden Damit die hervorgerufene Fehlvorstellung zur Anfechtung berechtigt, muss sie gemäß §  123 I BGB arglistig erfolgt sein. Damit ist nach allgemeiner Ansicht nicht gemeint, dass das Verhalten des Täuschenden einer moralischen Prüfung unterzogen werden müsse.238 Vielmehr kommt es darauf an, dass der Täuschende die Fehlvorstellung des Erklärungsempfängers bewusst hervorgerufen hat. Die Rechtsprechung fordert hierfür, dass die Täuschungshandlung zumindest (bedingt) vorsätzlich begangen wurde.239 Das bedeutet, dass der täuschende Erklärungsempfänger zumindest Kenntnis von der Täuschungshandlung und der Hervorrufung der Fehlvorstellung des Erklärenden hat. Zusätzlich ist ein abgeschwächtes voluntatives Element (bedingter Vorsatz) notwendig. Die subjektive 237 

Hierzu BGH NJW 2007, 3057, 3058 Tz.  17. 2012, §  123 Rn.  17; BGH NJW 1990, 975, 976 jeweils mit weiteren Nachweisen; grundlegend von Lübtow, FS Bartholomeyczik, S.  249, 260 ff. (Arglist als „zivilrechtlicher Betrug“). 239  BGH NJW 2007, 3057, 3059 Tz.  29; BGH NJW 1974, 1505. 238 MünchKommBGB/Armbrüster,

IV.  Relevanz des Kenntnisstandes des Erklärenden und des Erklärungsempfängers

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Vorstellung des Erklärungsempfängers von den Umständen, die der Erklärende seiner Erklärung zugrunde legt, ist damit der Grund für das Wirksamkeitshindernis der Willenserklärung. Der Erklärungsempfänger kennt das Motiv, auf dem der Erklärende seine Willensbildung gründet, schließlich wirkt er durch die Täuschung auf das Vorstellungsbild und damit auf das Motiv des Erklärenden ein. Damit entfällt gleichzeitig das Argument der Unbeachtlichkeit des Motiv­ irrtums wegen der sonst unüberschaubaren Vielfalt möglicher Motive, in denen die Willensbildung ihren Ursprung haben kann: Der Erklärungsempfänger ist nicht schutzwürdig, da er das der Willensbildung des Erklärenden zugrunde gelegte Motiv kennt und darüber hinaus auch selbst gerade beeinflusst hat. Kennt der Erklärungsempfänger den Umstand dagegen nicht, über den der Erklärende einer Fehlvorstellung unterliegt, bleibt es bei der grundsätzlichen Unbeachtlichkeit des Motivirrtums für die Wirksamkeit der Willenserklärung. Dies ist bei einer verübten Täuschungshandlung allerdings nur schwer vorstellbar. Wird ein Umstand von den Vertragsparteien im Vorfeld der abzugebenden Willenserklärung zum „erweiterten“ Gesprächsthema gemacht, liegt zwar nicht automatisch eine arglistige Täuschung über diesen Umstand vor, wenn der Erklärende nach diesem Gespräch einer Fehlvorstellung unterliegt. Konnte der Erklärungsempfänger das hinter dem Gespräch stehende Motiv für die spätere Willensbildung des Erklärenden nicht erkennen und blieb dem Erklärungsempfänger der Grund für das Gespräch unklar, so liegt keine Täuschung über dieses Motiv vor, nur weil der Erklärende in dem Gespräch Umstände erwähnte und erfragte, daraus aber dann für sich selbst (unzutreffende) Schlüsse zog und darauf seinen rechtsgeschäftlichen Willen gründete. In diesen Fällen ist dem Erklärungsgegner das Motiv des Erklärenden nicht bekannt und es bleibt für die Wirksamkeit der Willenserklärung unbeachtlich. Es fehlt ihm dann an der in §  123 I BGB vorausgesetzten Arglist. Nur die Umstände, die dem Erklärungsempfänger bekannt sind, können von ihm auch „vorgespiegelt“ werden und damit Gegenstand einer Täuschung des Erklärenden sein, die zur Anfechtung berechtigt. cc.  Kenntnisstand des Erklärungsempfängers als (einzig) konstitutives Element des Anfechtungsrechts gemäß §  123 I BGB? (i)  Begrenzung des Anfechtungsrechts auf Vorspiegeln unrichtiger Tatsachen Für das Bestehen des Anfechtungsrechts stellt sich die Frage, wie umfangreich die Kenntnis des Erklärungsempfängers von der Fehlvorstellung des Erklärenden sein muss und insbesondere, worauf sich die Kenntnis beziehen muss. Die Rechtsprechung nimmt an, dass der Täuschende die „Unrichtigkeit der Tatsache“, die er dem Erklärenden vorspiegelt, kennen muss oder sie zumindest für möglich halten muss.240 240 

BGH NJW 2007, 3057, 3059 Tz.  29.

368 §  8  Kenntnisstand des Erklärenden und des Erklärungsempfängers als Grundlage Diese Begrenzung des Anfechtungsrechts auf das Vorspiegeln unrichtiger Tatsachen ist geeignet, den Umfang der Umstände generell zu beschreiben, auf die sich eine zur Anfechtung berechtigende Fehlvorstellung beziehen kann. Eine Reduzierung der täuschungsgeeigneten Umstände, die einen nachprüfbaren und beweisbaren Kern aufweisen, ist aber nicht geboten. Dehnt man den Kreis der möglichen Umstände, auf die sich die hervorgerufene (Fehl-)Vorstellung beziehen kann, auf jeden denkbaren Umstand aus, auf dessen Kenntnis der Wille gebildet wird, dann muss die Einschränkung des Anfechtungsrechts ausschließlich anhand des vorliegenden Kenntnisstandes des Erklärungsempfängers vorgenommen werden. Dies ist möglich und führt vor allem in Zweifelsfällen zu sachgerechten Abgrenzungsergebnissen: Der Kenntnisstand des Erklärungsempfängers muss die Fehlvorstellung des Erklärenden umfassen. (ii)  Begrenzung des Anfechtungsrechts auf vom Geschäftspartner bewusst hervorgerufene Fehlvorstellungen Eine Begrenzung des Anfechtungsrechts wegen arglistiger Täuschung anhand des Kenntnisstandes des Erklärungsempfängers ist in den Fällen unproblematisch zu bejahen, in denen der Erklärungsempfänger bewusst unrichtige Angaben macht und damit bewusst eine unzutreffende Vorstellung bei dem Erklärenden verursacht. In diesen Fällen liegt stets eine zur Anfechtung berechtigende Täuschung des Erklärenden vor. Der Erklärungsempfänger kennt dann immer die Fehlvorstellung des Erklärenden. Dabei ist unerheblich, ob der Erklärende seiner Entscheidung unzutreffende Tatsachen zugrunde legt oder ob er über eine Wertung oder eine Meinung getäuscht wird, die der Erklärungsempfänger nur zum Schein vorspielt, beispielsweise weil die behauptete Einschätzung (Meinung) auf einer fernliegenden Möglichkeit beruht, Vorteile aus dem Rechtsgeschäft zu realisieren. Der Erklärungsempfänger wirkt dabei bewusst auf das Vorstellungsbild des Erklärenden ein und ihm ist klar, dass der Erklärende diese Vorstellung zur Grundlage seiner Willensbildung machen wird. Weiß der Erklärungsempfänger, dass seine geäußerte Meinung oder Wertung abwegig ist und äußert er sie dennoch mit dem Wissen, dass der Erklärende sich davon beeinflussen lässt, liegt eine Täuschung vor. Es macht daher beispielsweise keinen Unterschied, ob der Verkäufer einer Solaranlage dem Käufer erklärt, die Anlage könne „von einem Laien montiert werden“241 oder ob der Verkäufer erklärt, „dass er meint, dass die Installation nicht besonders kompliziert sei“. Entscheidend dabei muss sein, ob der Erklärungsempfänger weiß, dass es mit seiner Darstellung zu einer Fehlvorstellung bei dem Erklärenden kommt. Der Verkäufer kennt das verkaufte Produkt. Weiß er, dass es sich bei der Solaranlage um ein komplexes Produkt mit erheblichem (und gefährlichem) 241 

Vgl. BGH NJW 2007, 3057, 3058 Tz.  19 ff.

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Montageaufwand handelt und „meint“ er gegenüber dem Kunden, dass die Montage dennoch nicht besonders kompliziert sei, dann liegt eine Täuschung vor, weil dem Verkäufer klar ist, dass der Kunde gerade den Montageaufwand abschätzen will, ohne dass es darauf ankäme, ob die Auskunft des Verkäufers dessen Meinung oder eine Tatsachenbehauptung ist. Eine Auslegung anhand des Verkehrsverständnisses im Hinblick auf den „zutreffenden“ Aussagegehalt des Begriffs des „Laien“ ist daher nicht nötig.242 Ähnlich können die „Behauptungen ins Blaue hinein“ behandelt werden, die nach der Rechtsprechung deshalb eine Täuschung sein können, weil der Erklärungsgegner nicht über die vorgespiegelte und ausdrücklich angesprochene Tatsache selbst täuscht, sondern über seine Erkenntnisgrundlage bzw. der Täuschende die Einschränkungen der Erkenntnisgrundlage nicht offenlegt.243 Auch in diesen Fällen kennt der Erklärungsempfänger die Vorstellung des Erklärenden, der die Information als aus gesicherter Quelle – nämlich aus der des Erklärungsempfängers – stammend betrachtet und seiner Willensbildung zugrunde legt. Der Erklärungsempfänger weiß zudem, dass diese vom Erklärenden gebildete Vorstellung unzutreffend ist. Entscheidend für das Anfechtungsrecht gemäß §  123 I BGB ist daher der Kenntnisstand des Erklärungsempfängers von der Fehlvorstellung des Erklärenden. (iii)  Sonderfall der Täuschung durch einen Dritten: Kenntnis vom Tätigwerden des Dritten oder von der Täuschung als zusätzliche Anfechtungsvoraussetzung §  123 I BGB regelt den Fall der Täuschung des Erklärenden durch den Erklärungsempfänger. Die Sondersituation, dass eine andere Person als der Erklärungsempfänger auf das Vorstellungsbild des Erklärenden einwirkt, ist in §  123 II BGB geregelt. Dann gilt das Anfechtungsrecht des Getäuschten nur eingeschränkt. Wurde der Erklärende vom Erklärungsempfänger getäuscht, ist die abgegebene Erklärung gemäß §  123 I BGB uneingeschränkt anfechtbar. Der Grund hierfür ist die Beeinträchtigung der freien Willensbildung des Erklärenden durch den Erklärungsempfänger. Der Erklärungsempfänger kennt diese Beeinflussung des Erklärenden. Daher sind die Interessen des täuschenden Erklärungsempfängers nicht schutzwürdig. Anders ist die Schutzwürdigkeit des Erklä242  Der BGH (NJW 2007, 3057, 3058 Tz.  20) grenzt dabei den „blutigen Laien“ vom „durchschnittlichen Laien“ und dem „gebildeten Laien“ anhand des allgemeinen Sprachgebrauchs ab, um die behauptete Tatsache auf ihren zutreffenden Tatsachenkern zu untersuchen. 243  RG Warn 1914 Nr.  109 (S.  153 f.) (etwas als Tatsache hinstellen, obwohl man darüber nicht unterrichtet ist); RG LZ 1915 S.  362, Nr.  2 (Aussage beruhte auf nicht als solcher dargestellten oberflächlichen Schätzung); BGH NJW 1980, 2460, 2461 (Richtigkeit einer Tatsache, deren Richtigkeit man nicht kennt, als wahr versichern); ferner BGH NJW 1998, 2360, 2361; BGH NJW 1977, 1055; BGH NJW 1975, 642, 645.

370 §  8  Kenntnisstand des Erklärenden und des Erklärungsempfängers als Grundlage rungsempfängers zu beurteilen, wenn ein anderer als der Erklärungsempfänger auf den Kenntnisstand des Erklärenden einwirkt, d. h. der andere die Täuschung verübt, die zu der beeinflussten Willensbildung und Erklärung führt. Auch dann beruht die Erklärung auf einem fehlerhaft gebildeten Willen. Der Gesetzgeber244 führt aus, dass es zu „unbilligen Härten“ käme, wenn auch in den Fällen der Täuschung durch einen Dritten stets eine Anfechtungsmöglichkeit bestünde, weil dann jeder von irgendeiner Person hervorgerufene Motivirrtum für die Bindung des Erklärenden an seine Erklärung beachtlich würde. Um die „unbilligen Härten“ zu vermeiden, schränkt §  123 II BGB das Anfechtungsrecht ein. Mit §  123 II BGB wird das Ziel verfolgt, dass nur derjenige schutzbedürftig ist, der berechtigterweise darauf vertraute, dass die Willensbildung des Erklärenden unbeeinflusst erfolgte. Eine solche Schutzbedürftigkeit sieht der Gesetzgeber (wenn überhaupt) nur bei denjenigen Personen als gegeben an, denen gegenüber die Erklärung abgegeben wurde, d. h. für Empfänger von empfangsbedürftigen Willenserklärungen.245 Bei nicht empfangsbedürftigen Willenserklärungen fehlt es offensichtlich an einem vertrauensbildenden Tatbestand,246 der eine Schutzbedürftigkeit begründen könnte. Für empfangsbedürftige Willenserklärungen kommt es für eine Einschränkung des Anfechtungsrechts des von einem anderen als dem Erklärungsempfänger Getäuschten auf zwei Merkmale an: Zum einen unterscheiden sich die Konstellationen von §  123 I BGB und §  123 II BGB darin, dass eine Einschränkung des Anfechtungsrechts gemäß §  123 II BGB nur in Betracht kommt, wenn ein „Dritter“ getäuscht hat, d. h. nicht der Erklärungsempfänger. Zum anderen muss der Erklärungsempfänger die Täuschung des Dritten gekannt haben oder sie zumindest hätte erkennen können. Beide einschränkenden Merkmale des §  123 II 1 BGB beruhen auf dem Kenntnisstand des Erklärungsempfängers: „Dritter“ i. S. d. §  123 II 1 BGB ist nicht jede vom Erklärungsempfänger verschiedene Person, d. h. nicht jede „andere Person“ ist gleichzeitig „Dritter“.247 Vielmehr beinhaltet der Begriff „Dritter“ die Abgrenzung von Verantwortlichkeitsbereichen.248 Die im Einzelnen 244  So die Begründung für die Norm des §  123 II BGB: Mot. I 206, abgedr. in Mugdan, Materialien zum BGB, Band 1, 1899, Nachdr. 1979, S.  466. 245  Vgl. §  123 II 1 BGB: „…so ist eine Erklärung, die einem anderen gegenüber abzugeben war, nur dann anfechtbar…“. 246  Kritisch hierzu Windel, AcP 199 (1999), 421, 439: Es soll auch die Anfechtungsmöglichkeit von nicht empfangsbedürftigen Willenserklärungen eingeschränkt werden, da auch in diesen Fällen berechtigterweise Vertrauen auf Seiten des „Empfängers“ der nicht empfangsbedürftigen Willenserklärung gebildet werden kann. Als Beispielsfall führt er an, dass derjenige, der aufgrund einer (nicht empfangsbedürftigen) Auslobung erhebliche Aufwendungen tätigt, ebenfalls schutzbedürftig sei. 247 Vgl. Medicus, BGB AT, 10.  A ., 2010, Rn.  8 01. 248  Diese Verantwortung beschreibt Mankowski, Beseitigungsrechte, 2003, S.  304 ff., zutreffend mit „Fehlinformationen als vom Erklärungsadressaten zu verantwortende Informationsdiskrepanz“. Allgemein erfolgt die Abgrenzung danach, ob die andere Person „im La-

IV.  Relevanz des Kenntnisstandes des Erklärenden und des Erklärungsempfängers

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umstrittene Bestimmung, in welchen Fällen ein anderer auch Dritter i. S. d. §  123 II 1 BGB ist, beruht auf der Überlegung, in welchen Konstellationen der beim Erklärenden von einem anderen erzeugte Motivirrtum für ein einseitiges Lösungsrecht des Erklärenden vom Vertrag beachtlich ist. Die Täuschung durch einen anderen ist allgemein nur dann beachtlich, wenn der Erklärungsempfänger irgendwie für das Handeln des anderen „verantwortlich“ ist. Besteht eine solche Verantwortlichkeit nicht, ist der andere Dritter i. S. d. §  123 II 1 BGB. Die Rechtsprechung bestimmt die Verantwortlichkeit des Erklärungsempfängers für das Handeln des Täuschenden danach, ob das Verhalten des anderen mit dem des Erklärungsempfängers gleichzusetzen ist.249 Diese Gleichsetzung kann darauf zurückzuführen sein, dass der andere ein Verhandlungsgehilfe ist oder wie eine Vertrauensperson des Erklärungsempfängers erscheint oder das Verhalten des anderen dem Erklärungsempfänger „wegen besonders enger Beziehungen zwischen beiden oder wegen sonstiger besonderer Umstände billigerweise zugerechnet werden muss“.250 In der Literatur ist die genaue Ausdifferenzierung der „Verantwortlichkeit“ des Erklärungsempfängers für das Handeln des anderen bzw. Dritten umstritten. Einige251 sehen eine Parallele zur Arbeitsteilung bei der Vollmacht und bestimmen die „Verantwortlichkeit“ des Handelns danach, ob in einer Stellvertretungssituation die Handlung (Täuschung) des anderen dem Vertretenen zugerechnet würde. Dies ist vor allem in Konstellationen der Rechtsscheinvollmachten von Bedeutung, wenn der Vertretene nur aufgrund des von ihm geschaffenen Rechtsscheins für die Folgen des Handelns des anderen (Scheinvertreters) „verantwortlich“ ist. In diesen Fällen setzt eine Zurechnung jedoch voraus, dass der Vertretene einen Rechtsschein geschaffen hat, auf dessen Grundlage der Vertragspartner das Vertrauen in das Bestehen der Vollmacht gebildet hat. Eine andere252 in der Literatur253 vertretene Auffassung stellt auf die Ähnlichkeit der Bestimmung, wer als „Dritter“ i. S. d. §  123 II 1 BGB anzusehen ist, mit der Bestimmung, wer Erfüllungsgehilfe gemäß §  278 BGB ist, ab. Für ger“ des Erklärungsempfängers steht, d. h. dessen Risikobereich zugerechnet werden kann, vgl. Bork, BGB AT, 4. A., 2016, Rn.  879 (S.  342 f.); zur „Lagertheorie“: Larenz/Wolf, BGB AT, 9.  A., 2004, §  37 Rn.  17 sowie Wolf/Neuner, BGB AT, 10.  A., 2010, §  41 Rn.  111. 249  BGH NJW 1990, 1661, 1662; BGH NJW 1978, 2144 f.; BGH NJW 1979, 1593 f.; BGH NJW 1967, 1026, 1027. 250  BGH NJW 1996, 1051; BGH NJW 1989, 2879, 2880; BGH NJW 2003, 424, 425. 251  Köhler, BGB AT, 39.  A ., 2015, §  7 Rn.  46; ähnlich BGH NJW 1978, 2144 f. und BGH NJW 1979, 1593 f. 252  In eine ähnliche Richtung tendiert die Rechtsprechung (BGH NJW 1990, 1661, 1662, unter Verweis auf BGH NJW-RR 1987, 59 und Schubert AcP 168 (1968), 470, 481), die darauf abstellt, dass „der Personenkreis, für den ein Verhandlungspartner wegen culpa in contrahendo einzustehen hat, der gleiche ist wie bei §  123 II BGB, weil diese Vorschrift für den Fall arglistiger Täuschung im Rahmen von Vertragsverhandlungen als eine gesetzliche Sonderregelung der Haftung für culpa in contrahendo anzusehen ist“. 253  Schubert, AcP 168 (1968), 470 ff.

372 §  8  Kenntnisstand des Erklärenden und des Erklärungsempfängers als Grundlage Handlungen des Erfüllungsgehilfen trifft den Geschäftsherren nur dann eine Verantwortlichkeit, wenn der Erfüllungsgehilfe mit dem Willen (und damit auch mit dessen Wissen) des Geschäftsherrn in dessen Pflichtenkreis tätig wurde.254 Grenzt man die Stellung des „Dritten“ i. S. d. §  123 II 1 BGB ähnlich wie die Erfüllungsgehilfenstellung in §  278 BGB ab, ergeben sich in Einzelfällen Unterschiede zu den Ergebnissen, die man erhält, wenn man auf die Abgrenzungskriterien bei der Bestimmung der Stellung des Stellvertreters zurückgreift.255 Dennoch beruhen beide Vorgehensweisen auf einem gemeinsamen Ansatzpunkt: Sowohl die Haftung des Geschäftsherren, der den Erfüllungsgehilfen mit Wissen und Wollen in seinem Tätigkeitsbereich handeln lässt als auch der Vertretene, der sich die Erklärung des (auch Schein-) Vertreters zurechnen lassen muss, setzen die Kenntnis von der (generellen) Handlungsmöglichkeit der anderen Personen in dem eigenen Bereich voraus. Übertragen auf die Kon­ stellation von §  123 II 1 BGB zeichnet sich daher folgendes Bild ab: Kennt der Erklärungsempfänger die Handlungsmöglichkeit des Täuschenden, auf das Rechtsgeschäft zwischen Erklärendem und Erklärungsempfänger Einfluss nehmen zu können, ist der Täuschende nicht Dritter i. S. d. §  123 II 1 BGB.256 Kennt der Erklärungsempfänger die Handlungsmöglichkeit des „Dritten“ nicht, so kommt eine Anfechtung wegen der Beeinflussung des Erklärenden durch den Dritten nur dann in Betracht, wenn der Erklärungsempfänger (§  123 II 1 BGB) oder derjenige, der aus dem Geschäft einen unmittelbaren Vorteil zieht (§  123 II 2 BGB), die konkrete Täuschung kannte oder kennen musste. Durch die tatbestandliche Gleichsetzung von Kenntnis und Kennenmüssen ist im praktischen Anwendungsbereich nur das Merkmal des Kennenmüssens relevant. Dies ist auf die Nachweisschwierigkeiten des Merkmals der positiven Kenntnis zurückzuführen. Für die zu entscheidende Frage nach dem Bestehen des Anfechtungsrechts kommt es folglich nicht auf den Nachweis eines Kenntnisstandes, sondern vielmehr darauf an, welche Sorgfaltsanforderungen an den Erklärungsempfänger gestellt werden, seinen Kenntnisstand entsprechend zu gestalten. Die Rechtsprechung257 stellt hohe Anforderungen an das Vorliegen unverschuldeter Unkenntnis, indem sie dem Erklärungsempfänger bereits bei Zweifeln, ob die Willenserklärung einwandfrei zu Stande gekommen ist, eine Nachforschungspflicht auferlegt. Geht der Erklärungsempfänger diesen Zweifeln, die aufgrund der tatsächlichen Anhaltspunkte geweckt wurden, nicht 254 

St. Rspr. BGH NJW 1996, 451, 452; BGH NJW 1968, 1569; BGH NJW 1954, 1193. ausführlich Lorenz, Unerwünschter Vertrag, 1997, S.  322 ff.; ferner Immenga, BB 1984, 5, 6 ff. 256  In ähnlicher Weise: Larenz/Wolf, BGB AT, 9.  A ., 2004, §  37 Rn.  17: Dritter seien die Personen nicht, „die in seinem Pflichtenkreis [dem des Erklärungsempfängers] tätig geworden sind, indem sie Aufgaben verrichten, die typischerweise dem Erklärungsempfänger obliegen“; ähnlich Wolf/Neuner, BGB AT, 10.  A., 2010, §  41 Rn.  111. 257  RGZ 104,191,194; BGH NJW 1990, 387. 255  Hierzu

IV.  Relevanz des Kenntnisstandes des Erklärenden und des Erklärungsempfängers

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nach, beruht seine Unkenntnis auf Fahrlässigkeit.258 Gegen eine solche weitreichende Ausdehnung von Erkundigungspflichten wird zuweilen vorgebracht, das Kennenmüssen i. S. d. §  123 II BGB sei gleichzusetzen mit dem gleichlautenden Begriff in §  122 II BGB, bei dem es sich ebenfalls nur um eine „Umschreibung für die Evidenz“ handle.259 Eine derartige Begrenzung der Erkundigungspflichten auf Fälle der Evidenz ist jedoch nicht angebracht. Vielmehr geht es bei der Berücksichtigung des Kenntnisstandes des Erklärungsempfängers um dessen Schutzwürdigkeit im Hinblick auf ein von ihm gebildetes Vertrauen. Da das Gesetz diesen Schutz bereits dann nicht eingreifen lässt, wenn er die Täuschung hätte erkennen können, spricht nichts dagegen, im Einklang mit der Rechtsprechung260 das Merkmal „Kennenmüssen“ ebenso wie in §  122 II BGB zu verstehen. Daher liegt Kennenmüssen bereits vor, wenn der Irrtum (§  122 II BGB) oder die Täuschung des Dritten (§  123 II BGB) bei gehöriger Aufmerksamkeit entdeckt worden wäre, 261 was die Notwendigkeit einer Rückfrage einschließt.262 Das hier zugrunde gelegte Verständnis von der Relevanz des Kenntnisstandes des Vertragspartners für die Rechtsfolgen bei einer Täuschung durch eine andere Person entspricht demjenigen, das in der Regelung II.-7:208 DCFR enthalten ist. Danach kommt es für die Rechtsfolgen einer Einwirkung auf die Willensbildung durch eine andere Person als der Vertragspartei darauf an, ob die Vertragspartei für das Handeln der dritten Person „verantwortlich“ ist oder diese Person mit Zustimmung des Vertragspartners in den Vertragsabschluss einbezogen ist (II.-7:208 (1) DCFR). Ist die Vertragspartei nicht für das Handeln der dritten Person verantwortlich und war die dritte Person auch nicht mit Zustimmung der Vertragspartei tätig, können Rechtsfolgen im Hinblick auf den Vertrag nur dann hergeleitet werden, wenn der Vertragspartner die „relevanten Fakten“ der Täuschung kannte oder hätte kennen können (II.-7:208 (2) DCFR). Auch die in dem Rahmen vorgenommene Abstufung der Rechtsfolgen für den Bestand des Vertrages wegen einer Handlung dritter Personen zeigt, dass es regelmäßig auf den Kenntnisstand des Vertragspartners ankommt, der für die dritte Person verantwortlich ist. Entweder hat er seine Zustimmung zur Mitwirkung an dem Vertragsabschluss gegeben oder er kennt die für die Täuschung relevanten Fakten. Eine Definition der für die Täuschung maßgeblichen Kenntnis enthält der DCFR (auch im Anhang „definitions“) allerdings nicht.

258 

BGH NJW-RR 1992, 1005, 1006. Flume, BGB AT II, 4.  A., 1992, §  29 Pkt. 3 (S.  543): Danach gehe es „vornehmlich darum, dem Anfechtenden den Beweis zu erleichtern“. 260  BGH NJW-RR 1992, 1005, 1006. 261  RGZ 116, 15, 19. 262  Ebenso Staudinger/Singer, BGB, 2012, §  122 Rn.  18. 259 

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§  8  Kenntnisstand des Erklärenden und des Erklärungsempfängers als Grundlage

(iv)  Begrenzung des Anfechtungsrechts auf vom Geschäftspartner erkannte und bewusst ausgenutzte Fehlvorstellungen Auf das Vorstellungsbild des Erklärenden kann, wie aufgeführt, durch aktives Tun eingewirkt werden, um eine Fehlvorstellung beim Erklärenden hervorzurufen. Eine zur Anfechtung berechtigende arglistige Täuschung kann allerdings auch vorliegen, wenn eine beim Erklärenden bereits vorhandene Fehlvorstellung verfestigt oder nicht richtiggestellt wird. Die Täuschungshandlung ist dann ein Unterlassen der Richtigstellung (Aufklärung). Ein solches bloßes Unterlassen ist allerdings nur dann eine zur Anfechtung berechtigende arglistige Täuschung, wenn für den Erklärungsempfänger eine Rechtspflicht zur Aufklärung besteht. Unter welchen Voraussetzungen eine solche Aufklärungspflicht besteht, ist nicht gesetzlich geregelt und vom Gesetzgeber bewusst offengelassen worden.263 Dies führt dazu, dass wenig verallgemeinerbare, regelmäßig am Einzelfall 264 orientierte Kriterien den Ausschlag geben, ob in der Rechtspraxis eine Aufklärungspflicht bejaht wird.265 Dabei nehmen die ständige Rechtsprechung266 und weitgehend einheitlich die in der Literatur267 vertretenen Meinungen an, dass jeder Erklärende für den Kenntnisstand, den er der Bildung seines Willens zugrunde legt, selbst verantwortlich ist. Aus dem Grundsatz der Selbstverantwortung für das eigene rechtsgeschäftliche Handeln folgt die eigene Verantwortung für den eigenen Kenntnisstand, auf dem der Erklärende seine Willensbildung gründet.268 Das Bestehen einer Aufklärungspflicht ist daher eine Ausnahme, für deren Vorliegen ein Grund gegeben sein muss, der es rechtfertigt, von dem Grundsatz der Selbstverantwortung abzuweichen. Die Rechtsprechung269 orientiert sich bei der Ein263  Mot. I 208, abgedr. in Mugdan, Materialien zum BGB, Band 1, 1899, Nachdr. 1979, S.  467: „[…] inwieweit eine Rechtspflicht besteht, dem anderen Theile Umstände mitzutheilen, von denen vorauszusetzen ist, daß sie auf seine Entschließung von Einfluss sein würden, entzieht sich der gesetzlichen Lösung“. 264  So ausdrücklich BGH NJW 2010, 3362 Tz.  25: „Für die Frage, ob und in welchem Umfang eine Aufklärungspflicht besteht, kommt es danach wesentlich auf die Umstände des Einzelfalls an“. 265 Häufig werden die regelmäßig in der Rechtsprechung wiederholten Kriterien kritisiert, die beschreiben, wann eine Aufklärungspflicht vorliegen soll. Es handele sich um reine Leerformeln. Durch die fehlende Subsumtionsfähigkeit dieser Merkmale sei die Begründung von Aufklärungspflichten „zwangsläufig nicht frei von Willkür“, vgl. Staudinger/Singer, BGB, 2012, §  123 Rn.  11. 266  BGH NJW 1989, 763, 764; BGH NJW 1983, 2493, 2494; BGH NJW 2001, 3331, 3332; BGH NJW 2010, 3362 Tz.  21 f. 267  Mankowski, Beseitigungsrechte, 2003, S.   327 ff. sowie Mankowski, JZ 2004, 121 ff.; Emmerich, NJW 2011, 2321, 2323; v. Tuhr, AT, II/1, 1914, §  68 I 3 (S.  608); Werres, Aufklärungspflichten, 1985, S.  30 f.; Rehm, Aufklärungspflichten, 2003, S.  240 ff.; Adams, AcP 186 (1986), 453, 468 ff.; Fleischer, Informationsasymmetrie, 2001, S.  281 ff. 268  v. Tuhr, AT, II/1, 1914, §  68 I 3 (S.  608); Werres, Aufklärungspflichten, 1985, S.  30 f.; st. Rspr., vgl. BGH NJW 1983, 2493, 2494 m. w. N. 269  BGH NJW 2010, 3362 Tz.  2 2 m. w. N.

IV.  Relevanz des Kenntnisstandes des Erklärenden und des Erklärungsempfängers

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zelfallentscheidung, ob eine Aufklärungspflicht besteht, an der vielfach zitierten Formel, ob „der andere Teil nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrsanschauung redlicherweise die Mitteilung von Tatsachen erwarten durfte, die für die Willensbildung des anderen Teils offensichtlich von ausschlaggebender Bedeutung sind“.270 Von Vertretern der Auffassung in der Literatur sind facettenreiche Kriterien entwickelt worden, anhand derer das Bestehen einer Aufklärungspflicht bestimmt werden kann: Von zentraler Bedeutung für das Bestehen einer Aufklärungspflicht ist danach das (Nicht-)Bestehen einer Nachfragemöglichkeit des Getäuschten. Durch das Regel-Ausnahme-Verhältnis (Grundsatz der Selbstverantwortlichkeit für den eigenen Kenntnisstand – ausnahmsweise bestehende Aufklärungspflicht) ist vorgegeben, dass der Erklärungsempfänger die Information zum einen nicht in jedem Fall (kostenlos) zur Verfügung stellen muss271 und der Erklärende es zum anderen in der Regel selbst in der Hand hat, durch gezieltes Nachfragen sowohl sein geschäftsbezogenes Interesse an der Information deutlich zu machen als auch sich dadurch die Möglichkeit zu eröffnen, die gewünschte Information von dem Geschäftsgegner zu erhalten.272 Für das Bestehen einer Pflicht zur unaufgeforderten Mitteilung von Informationen durch den Erklärungsempfänger müssen demnach Umstände vor­ liegen, die es geboten erscheinen lassen, den Erklärungsempfänger „zum Reden zu verpflichten“. Ob im Einzelfall eine solche Pflicht besteht, die Information mitzuteilen, hängt davon ab, ob der Erklärungsempfänger nicht nur über die Kenntnis dieser Umstände verfügt, sondern vor allem erkennt, dass es dem Erklärenden für den Vertragsschluss gerade auf den betreffenden Umstand

270  So bereits Windscheid/Kipp, Pandekten I, 9.  A ., 1906, Nachdr. 1963, §  78 (S.  406): „arglistiges Verschweigen liegt vor, wenn Treu und Glauben das Reden gebietet“; ähnlich v. Tuhr, AT, II/1, 1914, §  68 I 4 (S.  607). 271  Vgl. BGH NJW 1989, 763, 764 m. w. N.; ganz im Gegenteil kann jede Vertragspartei die ihr bekannten Umstände zum eigenen Vorteil nutzen. Dies gilt beispielsweise vor allem für die Kenntnis der Umstände der Preisbemessung. Eingehend hierzu Mankowski, Beseitigungsrechte, 2003, S.  327 ff. sowie Mankowski, JZ 2004, 121 ff.; Emmerich, NJW 2011, 2321, 2323; v. Tuhr, AT, II/1, 1914, §  68 I 3 (S.  608); Werres, Aufklärungspflichten, 1985, S.  30 f.; st. Rspr., vgl. BGH NJW 1983, 2493, 2494 m. w. N. Teilweise wird der wirtschaftliche Wert einer Information als Grund angeführt, die Information dem anderen Vertragspartner nicht (kostenlos) zur Verfügung stellen zu müssen. Dadurch liegt der Grund für den Ausnahmecharakter von Aufklärungspflichten nicht in dem Prinzip der Selbstverantwortung, sondern in der Zuordnung des wirtschaftlichen Wertes der Information. Vgl. hierzu insbes. Rehm, Aufklärungspflichten, 2003, S.  240 ff.; Adams, AcP 186 (1986), 453, 468 ff.; Fleischer, 2001, Informationsasymmetrie, S.  281 ff. 272  Vgl. BGH 1989, 763, 764; BGH NJW 1982, 376; BGH NJW 1977, 1914, 1915 (auf die Frage nach der Unfallfreiheit hat der Gebrauchtwagenhändler alles mitzuteilen, was er insoweit wusste); durch das gezielte Stellen einer Frage begründet der Fragende in jedem Fall eine umfassende Offenbarungspflicht des Gefragten: vgl. Lorenz, Unerwünschter Vertrag, 1997, S.  421 f.; Fleischer, Informationsasymmetrie, 2001, S.  254.

376 §  8  Kenntnisstand des Erklärenden und des Erklärungsempfängers als Grundlage ­ankommt.273 Dies kann beispielsweise dadurch deutlich werden, dass wegen der Unkenntnis des Umstandes der Vertragszweck vereitelt oder erheblich gefährdet wird 274 oder der Vertragspartner das Fehlen eines Umstandes sug­ geriert. Dabei verwischt allerdings die Grenze zum „konkludenten Miter­ klären“ von Umständen, die nicht ausdrücklich angesprochen wurden.275 Ein Beispiel 276 verdeutlicht dies: Wird ein Ladengeschäft in einem von Friedensreich Hundertwasser entworfenen Geschäftshaus zum Verkauf von Textilien vermietet, stellt sich die Frage der Aufklärungspflicht des Mieters, wenn dieser beabsichtigt, ein Warensortiment zu führen, das einer politischen Gruppe zugerechnet wird und dadurch eine erhöhte Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass der öffentlich ausgetragene Protest sich auch gegen den Vermieter richtet. In diesen Fällen bedarf es bereits der Feststellung, ob der Erklärungsempfänger durch aktives Tun oder doch durch Unterlassen getäuscht hat, indem er sämtliche Umstände kannte, die zu einer späteren Vertragszweckgefährdung führten und sich dennoch so verhielt, als weise sein Warensortiment keine Besonder­ heiten auf (aktive Verschleierung seiner als vertragswesentlich erkannten Absichten).277 Damit die Beantwortung der Frage nach dem Bestehen einer Aufklärungspflicht nicht bloß von der wertenden Entscheidung abhängt, ob Treu und Glauben und die Verkehrssitte eine Aufklärung des Geschäftspartners gebieten, ist die besondere Berücksichtigung des geschäftlichen Verhaltens des Erklärungsempfängers ein geeignetes Indiz, das auf das Bestehen einer Aufklärungspflicht hinweist. Teilweise wird in dem Verhalten des Erklärungsempfängers eine Gefahrerhöhung gesehen, die ihn in eine Art „Garantenstellung“ versetzt.278 Wird dem Erklärenden etwas dadurch suggeriert, dass der Erklärungsempfänger es unterlässt, auf einen Umstand hinzuweisen, wirkt dies gefahrerhöhend und begründet mit Erkennen des Irrtums des Erklärenden für den Erklärungsempfänger eine Garantenpflicht, die ihn zur Aufklärung verpflichtet. Dadurch verla273  BGH NJW-RR 1996, 690; Lorenz, Unerwünschter Vertrag, 1997, S.  419, meint dagegen, dass die Erkennbarkeit für den Aufklärungsverpflichteten nicht zum Tatbestand einer Aufklärungspflicht gehören könne, sondern die Frage des Verschuldens betreffe. Dies ist dogmatisch zutreffend, allerdings ist eine Trennung zwischen Tatbestand und Verschulden bei der arglistigen Täuschung kaum möglich: Für das Anfechtungsrecht ist Arglist erforderlich und diese impliziert bereits das Wissen von der Fehlvorstellung des Erklärenden auf tatbestandlicher Ebene. 274  BGH NJW-RR 1991, 439; BGH NJW 1990, 975; oder das Vorliegen der dem Vertragspartner unbekannten Tatsache ist geeignet, ihm erheblichen wirtschaftlichen Schaden zuzufügen, BGH NJW 2010, 3362 Tz.  22. 275  Eingehend hierzu Emmerich, NJW 2011, 2321, 2322. 276  BGH NJW 2010, 3362 sowie BGH NZM 2010, 788. 277 Zu Recht daher kritisch zur Täuschung durch Unterlassen Emmerich, NJW 2011, 2321, 2322. 278  Medicus/Petersen, Bürgerliches Recht, 25.   A., 2015, Rn.  150 (S.  65 f.); Lorenz, Unerwünschter Vertrag, 1997, S.  431 f.

IV.  Relevanz des Kenntnisstandes des Erklärenden und des Erklärungsempfängers

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gert sich die Feststellung des Bestehens einer Aufklärungspflicht in den Bereich der Bestimmung, ob eine Garantenstellung vorliegt. Diese Feststellung ist wesentlich enger mit objektiven Kriterien verbunden als die rein wertende Entscheidung, ob „Treu und Glauben ein Reden gebietet“, weil das Bestehen der Garantenpflicht und damit das Bestehen der Aufklärungspflicht in erster Linie von dem geschäftlichen Verhalten des Erklärungsempfängers abhängt. Die von der Rechtsprechung279 geforderte „Erwartbarkeit der Aufklärung“ des Erklärenden durch den Erklärungsempfänger dient primär als wertende Begrenzung der Aufklärungspflicht. Wann eine Aufklärung redlicherweise erwartet werden darf, ist nach der Rechtsprechung vom Einzelfall abhängig. Breidenbach280 entwickelte für die Festlegung, wann eine Aufklärung erwartet werden darf, ein „bewegliches System“, das mittels der Kriterien „Informationsbedarf des Berechtigten“281, „Möglichkeit der Information des Verpflichteten“ sowie „Zugehörigkeit der Information zu seinem Pflichtenkreis“ eine möglichst objektive Sichtweise durch Trennung der zur Entscheidung über das ­Bestehen der Aufklärungsplicht führenden Umstände ermöglicht. Die Entscheidung, ob eine Aufklärung erwartet werden durfte und damit eine Auf­ klärungspflicht besteht, ist nach dem vorgeschlagenen „beweglichen“ System in den Bereich verschoben, in dem die Frage zu beantworten ist, ob die Informa­ tion zu dem Funktionskreis des Aufklärungsverpflichteten zählt. Freilich ist das auch der berechtigte Ansatzpunkt für Kritik 282 , jedoch führt eine solchermaßen abgestufte Vorgehensweise dazu, zunächst die Kriterien festzuhalten, die für eine Aufklärungspflicht erforderlich sind. Insbesondere sind dies einerseits das Vorliegen einer Informationsasymmetrie und anderseits die Kenntnis des Erklärungsempfängers von der Relevanz des Vorliegens des dem Erklärenden unbekannten Umstandes für den Vertragsschluss. Der Kenntnisstand des Erklärungsempfängers kann für die Entscheidung, ob eine Aufklärungspflicht besteht, von entscheidender Bedeutung sein.283 Je klarer dem Erklärungsemp279 

BGH NJW 2010, 3362 Tz.  22; BGH NJW 2001, 3331, 3332 jeweils m. w. N. Breidenbach, Informationspflichten, 1989, S.  61 ff.: aufbauend auf Schumacher, Vertragsaufhebung, 1979, S.  98 ff. (S.  110 ff.) und auf Bydlinski JBl 1980,393, 397). 281  Lorenz, Unerwünschter Vertrag, 1997, S.  421 ff., sieht den alleinigen Grund für die Begründung von Aufklärungspflichten in der Frage der (fehlenden/eingeschränkten) Möglichkeit der Selbstinformation. 282  Vgl. beispielsweise Lorenz, Unerwünschter Vertrag, 1997, S.  310, der die vermeintlich objektive Sichtweise zu Recht durch zahlreiche subjektive Wertungen getrübte Bestimmung des Vorliegens der Aufklärungspflicht kritisiert. 283  En Aufklärungspflicht besteht daher immer, wenn der Erklärungsempfänger auf den Kenntnisstand des Erklärenden Einfluss genommen hat. Dann liegt das Bewusstsein des Täuschenden von der Beeinflussung des Kenntnisstandes des anderen immer vor und erfüllt damit stets das konstitutive Element der „arglistigen Täuschung“, vgl. hierzu die umfassende Darstellung von v. Lübtow, FS Bartholomeyczik, 1973, S.  249, 251 ff. Unterschiedlich wird dagegen die Notwendigkeit eines voluntativen Elements einer Täuschung gesehen; eingehend hierzu v. Tuhr, AT, II/1, 1914, §  68 I 3 (S.  606) und Flume, AT II, 4.  A., 1992, §  29 Pkt. 2 (S.  542 f.), insbes. wenn der Täuschende „nur das Beste“ für den Getäuschten will, vgl. BGH 280 

378 §  8  Kenntnisstand des Erklärenden und des Erklärungsempfängers als Grundlage fänger die Wichtigkeit des Vorliegens eines dem Erklärenden unbekannten Umstandes ist, desto eher liegt eine Aufklärungspflicht des Erklärungsempfängers nahe, ohne dass eine zuvor auf Wertungen beruhende Entscheidung getroffen werden muss, wer das prinzipielle Risiko einer uninformierten Entscheidung trägt. Schließlich kommen die Vertragspartner zueinander, um sich rechtsgeschäftlich zu binden. Es liegt in der Natur der Sache, dass sich die rechtsgeschäftlich Kontrahierenden zunächst verständigen müssen, bevor sie einen vertrauensvollen Güteraustausch beginnen, der die Anforderungen an den Schutz der Rechtsgüter anderer durch die schuldrechtliche Verbindung deutlich erhöht. Schließlich verpflichtet §  241 I BGB die Vertragspartner in erheblichem Umfang, auf die Rechtsgüter des anderen Vertragsteils Rücksicht zu nehmen und geht dabei über allgemeine Haftungsprinzipien hinaus, indem ein Haftungssystem geschaffen wird, das eine umfangreichere Haftung begründet, als es das allgemeine Deliktsrecht vorsieht. Dies muss konsequenterweise auch für den Bereich der Aufklärungspflichten gelten: Wenn ein potentieller Vertragspartner einem anderen die Möglichkeit gibt, durch die geschäftliche Handlung auf seine Rechtsgüter Einfluss zu nehmen, muss dementsprechend eine erhöhte Sorgfaltspflicht im Hinblick auf die in diesen Fällen typischerweise gegebene Möglichkeit der Selbstschädigung durch eine uninformierte Entscheidung bestehen. Die aufgezeigten Lösungswege zur Definition typischer Situationen, in denen eine Aufklärungspflicht besteht, sind dadurch gekennzeichnet, dass der aufklärungsverpflichtete Erklärungsempfänger nicht nur den aufklärungsrelevanten Umstand im Gegensatz zum Erklärenden kennt, sondern auch erkennt, dass dieser Umstand für die Willensbildung des anderen eine erhebliche Rolle spielt, d. h. die Willensbildung des Erklärenden von dem Vorliegen oder Nichtvorliegen des dem Erklärenden unbekannten Umstandes abhängt.284 Kennt der Erklärungsempfänger diese Relevanz des Umstandes für die Willensbildung des Erklärenden, kann der Erklärende in der Regel redlicherweise erwarten, dass der Erklärungsempfänger ihn über eine bestehende (und vom Erklärungsempfänger erkannte) Fehlvorstellung aufklärt.285 LM §  123 BGB Nr.  9. Dann fehle es nach der Rechtsprechung an der Arglist. Dagegen spricht sich die Literatur aus, weil jeder die Möglichkeit haben soll, selbst frei zu entscheiden, was für ihn das Beste ist, (vgl. Staudinger/Singer, BGB, 2012, §  123 Rn.  46 m. w. N.). Grigoleit, Vorvertragliche Informationshaftung, 1997, S.  19, weist darauf hin, dass einem „guten Willen“ des Täuschenden dadurch Rechnung getragen wird, dass es der „Bedachte“ in der Hand hat, sein „aufgedrängtes gutes“ Geschäft durch Unterlassen der Anfechtung gegen sich gelten zu lassen, wenn es tatsächlich seinem täuschungsfreien Willen entspricht. Damit würden die Interessen des „nur zum Besten“ des Getäuschten Handelnden hinreichend geschützt. 284  In diese Richtung geht die Entscheidung BGH NJW 1971, 1795, 1899. Der BGH bejahte eine Aufklärungspflicht des Verkäufers eines Tankwagens, der für den Käufer erkennbar ungeeignet war und der Käufer dies nicht wusste, darauf dennoch vertraute und der Verkäufer all dies erkannte. 285 Ähnlich Schumacher, Vertragsaufhebung, 1979, S.  105 ff.

IV.  Relevanz des Kenntnisstandes des Erklärenden und des Erklärungsempfängers

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dd.  Ermittlung des Kenntnisstandes des Erklärungsempfängers Das Bestehen der Aufklärungspflicht hängt, wie aufgezeigt, maßgeblich von dem Kenntnisstand des Erklärungsempfängers ab, der Kenntnis von der Fehlvorstellung und der vom Erklärenden beigemessenen Wichtigkeit des Umstandes für dessen Willensbildung haben muss. Dies zwingt freilich zu der Frage, wie eine solche Kenntnis von dem Kenntnisstand einer anderen Person bestimmt werden kann. Maßgeblich ist demnach die Subsumtionsfähigkeit der definitionsgemäßen Festlegung des Bestehens einer Aufklärungspflicht. Für die Bestimmung des Kenntnisstandes bietet es sich an, einen gedachten objektiven Dritten zu schaffen, aus dessen Sicht die Wertung vorgenommen wird, ob bei gegebener Sachlage eine Aufklärung des Erklärenden erwartet werden kann. Hierbei hilft eine Orientierung an der Vorgehensweise im Patentrecht. Im Patentrecht erfolgt die Bestimmung der erfinderischen Tätigkeit als wertende Bestimmung des Abstandes der Erfindung vom vorbekannten Stand der Technik, indem zunächst durch Definition ein gedachter Durchschnittsfachmann geschaffen wird. Vor der wertenden Entscheidung, ob die Erfindung auf erfinderischer Tätigkeit beruht, stehen damit die die Wertung maßgeblich beeinflussenden Faktoren fest, nämlich sowohl die Kenntnisse als auch die Fähigkeiten des Durchschnittfachmanns, aus dessen Sicht die Beurteilung auf der Grundlage seines ihm auf diese Weise unterstellten Wissens sowie die Zuhilfenahme seines unterstellten Könnens erfolgt. Für die Bestimmung, ob im Einzelfall eine Aufklärungspflicht besteht, kann ähnlich wie im Patentrecht vorgegangen werden: Die hierfür entscheidende Frage ist die nach dem Kenntnisstand des (möglicherweise) aufklärungsverpflichteten Erklärungsempfängers. Zunächst ist daher umfassend zu eruieren, was der Erklärungsempfänger tatsächlich weiß. Dies betrifft sowohl das spezielle und in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Rechtsgeschäft stehende Sonderwissen, über das der Erklärungsempfänger verfügt, als auch das allgemeine Wissen über übliche Zusammenhänge, das keinen unmittelbaren Bezug zum in Rede stehenden Rechtsgeschäft aufweist. So kennt beispielsweise der Erklärungsempfänger in der Regel das generelle Interesse des Erklärenden an dem Erwerb der speziellen Kaufsache. Die Bedeutung von Merkmalen, deren Vorliegen angesprochen wurde (beispielsweise die Unfallfreiheit eines gebrauchten Kraftfahrzeugs), kennt der Erklärungsempfänger wegen der Nachfrage. Aus dem allgemeinen Erfahrungswissen verfügt der Erklärungsempfänger auch über die Kenntnis zahlreicher Umstände, die auf die Willensbildung regelmäßig Einfluss haben. Die allgemeine Verwendungseignung der speziellen Kaufsache zu der gattungsmäßig üblichen Verwendung einer solchen Kaufsache gehört zur Erwartungshaltung eines Käufers und ist daher für den Verkäufer nicht überraschend, sondern gehört vielmehr zu dessen Kenntnisstand.286 Die Eignung der 286 

Ein Beispielsfall ist der vom BGH (NJW 2009, 2056) nach den Regeln des Gewährleis-

380 §  8  Kenntnisstand des Erklärenden und des Erklärungsempfängers als Grundlage Kaufsache für eine spezielle Verwendung gehört nur dann zu dem Kenntnisstand des Verkäufers, wenn der Käufer nach ihr gefragt hat oder er wegen besonderer Fachkenntnis erkennt, dass die Verwendung der Kaufsache für die vom Käufer beabsichtigte Verwendung scheitern wird.287 Der auf diese Weise zusammengesetzte Wissensstand des gedachten Erklärungsempfängers wird um die Fähigkeiten ergänzt, die dem gedachten Dritten anhand von konkret nachprüfbaren Anhaltspunkten als bekannt unterstellt werden können. Diese Fähigkeiten betreffen die Erwartungshaltung an die Folgerungen aus den bekannten Umständen, ohne jedoch damit eine Sorgfaltspflicht zu statuieren, den eigenen Kenntnisstand erweitern zu müssen. Es geht um die typisierte Betrachtung, ob derjenige, der von den aufgeführten Umständen Kenntnis hat, auch von den Umständen Kenntnis hat, die nicht dem unmittelbar vorhandenem Kenntnisstand des Erklärungsempfängers zuzurechnen sind. Konkret geht es meist um die Frage, ob der Erklärungsempfänger von der Wichtigkeit des Vorliegens des Umstandes Kenntnis hatte, die der Erklärende dem Umstand für seine Willensbildung zugrunde gelegt hat. Diese Frage kann dadurch beantwortet werden, dass aus der Sicht des objektiven Dritten beurteilt wird, ob dieser, ausgehend von den ihm bekannten Spezifika des konkreten Falles und den Kenntnissen der allgemeinen Lebenserfahrung unter Zuhilfenahme seiner Fähigkeiten, aus den ihm bekannten Umständen schließen würde, dass es dem Erklärenden für dessen Willensbildung auf das Vorliegen oder Nichtvorliegen eines konkreten Umstandes ankommt. Würde der Erklärungsempfänger in der Situation Anlass haben, in diese Richtung zu denken, hat er auch von der Relevanz des Umstandes auf die Willensbildung Kenntnis. Dann ist eine Aufklärung einer dem Erklärungsempfänger bekannten Fehlvorstellung des Erklärenden zu erwarten und eine Aufklärungspflicht anzunehmen.

tungsrechts (§  434 I 1 Nr.  2 BGB) entschiedene Fall, in dem ein Käufer eines Dieselkraftfahrzeugs davon ausging, dass er das Fahrzeug auch ausschließlich zu Kurzstrecken einsetzen kann. Dies war aber unzutreffend, da das Fahrzeug mit einem Dieselrußpartikelfilter ausgestattet war, der verstopfte, wenn nicht auch gelegentlich eine längere Strecke mit dem Fahrzeug gefahren wurde, wodurch der Filter ausreichend erhitzt wird. Die Besonderheit lag darin, dass es bis dahin technisch keine Alternative zu einer solchen notwendigen thermischen Reinigung des Filters gab, d. h. das Fahrzeug für die ausschließliche Kurzstreckennutzung ungeeignet war, BGH NJW 2009, 2056. Erkennt der Verkäufer dies, weil beispielsweise der Käufer ein Rentner ist, der das Fahrzeug erkennbar als Einkaufshilfe benötigt, dann besteht freilich eine Aufklärungspflicht, vgl. hierzu ausführlich Artz, ZJS 2009, 291, 292; Artz, ZJS 2009, 185, 186; Höpfner, NJW 2009, 2056, 2057; ferner Eggert, DS 2009, 247. 287  In diesem Sinne BGH NJW 1971, 1795, 1799: Es ist selbstverständlich, dass mit einem von einem Fuhrunternehmer gekauften Tanklastzug handelsübliche chemische Stoffe transportiert werden können.

IV.  Relevanz des Kenntnisstandes des Erklärenden und des Erklärungsempfängers

381

c.  Kenntnis vom Anfechtungsgrund als tatsächliche Voraussetzung und rechtliche Einschränkung des Anfechtungsrechtes Der jeweilige Kenntnisstand der Beteiligten ist nicht nur für das Bestehen eines Anfechtungsrechts relevant, sondern auch für dessen Ausübung. Gemäß §  143 I BGB setzt die Anfechtung eine Anfechtungserklärung voraus. Für die Wirksamkeit einer Anfechtungserklärung ist sowohl der Kenntnisstand des Anfechtenden (1) als auch der des Anfechtungsgegners (2) von Bedeutung. Schwierigkeiten bereitet die Bestimmung des für die Ausübung der Anfechtung jeweils relevanten Kenntnisstands (3). (1)  Kenntnis des Anfechtenden vom Anfechtungsgrund Der Anfechtende muss Kenntnis vom Anfechtungsgrund haben, damit er überhaupt in der Lage ist, die Anfechtungsmöglichkeit als solche zu erkennen. Die Kenntnis vom Anfechtungsgrund eröffnet jedoch nicht nur in tatsächlicher Hinsicht die Anfechtungsmöglichkeit des Anfechtenden, sondern schränkt sie ebenso wieder ein. Mit der Kenntnis des Anfechtungsberechtigen von dem Anfechtungsgrund beginnt der Lauf der Ausübungsfrist (§§  121 I, 124 II BGB) für die Erklärung der Anfechtung. Bei der Anfechtung wegen Irrtums muss die Anfechtung ohne schuldhaftes Zögern erfolgen, nachdem der Anfechtungsberechtigte vom Anfechtungsgrund Kenntnis erlangt hat, §  121 I 1 BGB. Die Jahresfrist zur Ausübung der Anfechtung wegen arglistiger Täuschung (§  124 I BGB) beginnt „mit dem Zeitpunkt, in welchem der Anfechtungsberechtigte die Täuschung entdeckt“, §  124 II BGB. Für die den Beginn von Anfechtungsfristen erforderliche Kenntnis reicht nach allgemeiner Meinung weder bloßes Kennenmüssen noch fahrlässige Unkenntnis aus.288 Daher stellt sich im Zusammenhang mit dem (noch) bestehenden Anfechtungsrecht die Frage, unter welchen Voraussetzungen positive Kenntnis vom Anfechtungsrecht vorliegt. Für das Vorliegen der notwendigen positiven Kenntnis vom Anfechtungsrecht reicht es nach der Rechtsprechung einerseits nicht aus, Kenntnis von Verdachtsgründen (d. h. eine Vermutung) zu haben, 289 andererseits muss aber auch keine volle Überzeugung von dem Vorliegen des Anfechtungsgrundes bestehen.290 Die Kenntnis vom Anfechtungsgrund liegt noch nicht vor, wenn dem Anfechtungsberechtigten nur „die wahre Sachlage“ oder wesentliche Teile291 davon bekannt sind und er hieraus noch nicht den Schluss auf das bestehende 288 Palandt/Ellenberger,

2815.

BGB, 2016, §  121 Rn.  2 ; deutlich OLG Bamberg NJW 1993, 2813,

289 BGH WM 1973, 750, 751 (unter Abgrenzung zur „zuverlässigen Kenntnis“); BAG NJW 1984, 446, 447. 290 Für die gleichgelagerte Konstellation der Erbausschlagung (§   1954 I, II BGB) BGH NJW-RR 1998, 797, 798. 291  Entscheidend sei insoweit „der Gesamteindruck“: BGH NJW 2009, 2532, 2534.

382 §  8  Kenntnisstand des Erklärenden und des Erklärungsempfängers als Grundlage Anfechtungsrecht gezogen hat.292 Deutlich wird der Gegenstand der Kenntnis im Rahmen des Fristbeginns bei der Anfechtung wegen arglistiger Täuschung. Dabei reicht es nicht aus, dass der Getäuschte die objektive Unrichtigkeit der Angaben des Täuschenden kennt, sondern er muss Kenntnis davon haben, „dass die unrichtigen Angaben vom Täuschenden wider besseres Wissen gemacht wurden“.293 Drängt sich der Schluss von den zur Anfechtung berechtigenden Tatsachen auf das Bestehen eines Anfechtungsgrundes auf, wird in der Literatur vertreten, dass die Frist auch dann zu laufen beginne, wenn sich der Anfechtungsberechtigte der Kenntnis vom Anfechtungsgrund bewusst verschließt.294 Diese Annahme basiert auf einer entsprechenden Anwendung des §  162 I BGB, die in ähnlichen Situationen der treuwidrigen Kenntnisvereitelung ebenfalls vertreten wird.295 Diese Vorgehensweise beruht auf einer wertenden Gleichstellung der Fälle, in denen positive Kenntnis vom Anfechtungsgrund tatsächlich vorliegt mit den Fällen, in denen der Anfechtungsberechtigte nur über einige Informationen verfügt, sein tatsächlicher Kenntnisstand aber nicht das bestehende Anfechtungsrecht umfasst. Dann erfolgt eine rechtsfolgenorientierte Gleichbehandlung der Fälle mit der wertenden Annahme, dass der Anfechtungsberechtigte, der über einen Teil der Kenntnis verfügt (beispielsweise über die zweifelhaften Verkaufsmethoden eines von ihm eingesetzten Abschlussvertreters), nicht aber die gesamte tatbestandlich geforderte Kenntnis vom Anfechtungsgrund hat, jedoch „vor sich aufdrängenden Schlussfolgerungen gleichsam die Augen verschließt“.296 (2)  Erforderlichkeit der Kenntnis des Anfechtungsgegners vom Anfechtungsgrund Der Kenntnisstand des Anfechtungsgegners ist für die Beurteilung relevant, ob die Anfechtung wirksam erklärt wurde. Konkret geht es um die Frage, ob der Anfechtungsberechtigte dem Anfechtungsgegner den Anfechtungsgrund mitteilen muss, auf den er die Anfechtung stützt. Diese Frage ist umstritten.297 Teilweise wird vertreten,298 dass der Anfechtungsgrund dem Anfechtungsgegner mitgeteilt werden muss, damit sich dieser gegen die Anfechtung verteidigen kann bzw. er zumindest wisse, „woran er ist“, nachdem der Anfechtende das 292 

RGZ 85, 221, 223; MünchKommBGB/Armbrüster, 7.  A., 2015, §  121 Rn.  6. BGH NJW 2009, 2532, 2534; RGZ 65, 86, 89. 294 Staudinger/Singer, BGB, 2012, §  121 Rn.  5 f.; so auch MünchKommBGB/Armbrüster, 7.  A., 2015, §  121 Rn.  6 . 295  Beispielsweise bei dem Merkmal der Kenntnis in §  819 I BGB oder §  990 I 2 BGB; dazu siehe oben. 296 Staudinger/Singer, BGB, 2012, §  121 Rn.  5. 297  Umfassend zum Streitstand MünchKommBGB/Busche, 7.  A ., 2015, §  143 Rn.  7 f. 298  Kipp, FS Maritz, 1911, S.  211, 216 f.; Lent, AcP 152 (1952), 401, 406 f.; v. Tuhr, AT II/1, 1914, §  53 4 (S.  215, Fn.  67): Insbes., wenn mehrere Anfechtungsgründe in Betracht kommen. 293 

IV.  Relevanz des Kenntnisstandes des Erklärenden und des Erklärungsempfängers

383

Gestaltungsrecht ausgeübt hat.299 Die Gegenauffassung beruft sich auf ein reichsgerichtliches Urteil,300 in dem das RG darauf abstellt, dass es bei der Frage, ob die Erklärung des Anfechtenden als eine Anfechtungserklärung ausgelegt werden kann, nicht darauf ankomme, dass der Anfechtungsgrund genannt wird. Soweit darauf gestützt in der Literatur301 vertreten wird, die Mitteilung des Anfechtungsgrundes sei nicht erforderlich, soll dies jedoch nur gelten, wenn dem Anfechtungsgegner der Anfechtungsgrund entweder bereits bekannt ist oder zumindest erkennbar ist.302 Regelmäßig hat der Anfechtungsgegner Kenntnis von dem Anfechtungsgrund, wenn der Anfechtungsgegner diesen Grund selbst geschaffen hat. Dies ist beispielsweise bei der Täuschung durch den Anfechtungsgegner der Fall. Gleiches gilt, wenn ein Dritter täuscht und der Anfechtungsgegner die Täuschung kennt. Kann der Anfechtungsgegner den Anfechtungsgrund dagegen nicht kennen, weil dieser in der Sphäre des Anfechtenden liegt (wie beispielsweise beim Irrtum), muss der Anfechtende den Anfechtungsgegner von dem Anfechtungsgrund in Kenntnis setzen. Für eine Mitteilungspflicht spricht das Interesse des Anfechtungsgegners an einer eigenen Einschätzung und Prüfung der Berechtigung der Anfechtung.303 Außerdem hat der Anfechtungsgegner ein Interesse daran, einschätzen zu können, ob ihm möglicherweise ein Schadensersatzanspruch gegen den Anfechtenden zusteht, wie dies nur bei der Anfechtung wegen Irrtums in Betracht kommt. (3)  Bestimmung der Kenntnis vom Anfechtungsgrund Letztlich stellt sich die Frage, wie die für den Beginn der Anfechtungsfrist notwendige Kenntnis vom Anfechtungsgrund sowie der für eine wirksame Anfechtung durch Mitteilung des Anfechtungsgrundes geschaffene Kenntnisstand konkret bestimmt wird. Bei der Beantwortung dieser Frage hilft die Betrachtung aus der Perspektive eines gedachten Dritten, dem der Kenntnisstand des Anfechtungsberechtigen bzw. Anfechtungsgegners unterstellt wird. Der Umfang der im konkreten Fall vorliegenden Kenntnis kann dann durch Verobjektivierung der Fähigkeiten des Dritten zur Folgerung aus den bekannten Tatsachen bestimmt werden. Konkret bedeutet das, dass für die Bestimmung des Kenntnisstandes des Anfechtungsberechtigten vom Anfechtungsgrund geprüft werden muss, ob der Anfechtungsberechtigte die Abweichung von seinem Wil299  Wobei die Mitteilungspflicht regelmäßig auf den Sachverhalt beschränkt wird, aus dem ein Anfechtungsgrund folgt, Bork, BGB AT, 4.  A., 2016, Rn.  9 06 (S.  352). 300  RGZ 65, 86, 88. 301 Palandt/Ellenberger, BGB, 2016, §   143 Rn.   3; Staudinger/Roth, BGB, 2015, §   143 Rn.  10 f.; Wolf/Neuner, BGB AT, 10.  A., 2010, §  41 Rn.  15. 302  Flume, AT II, 4.  A ., 1992, §  31 Pkt. 2 (S.  560); v. Tuhr, AT II/1, 1914, §  53 4 (S.  214 ff.); Medicus, BGB AT, 10.  A., 2010, Rn.  724. 303  Wolf/Neuner, BGB AT, 10.  A ., 2010, §  41 Rn.  15 m. w. N.

384 §  8  Kenntnisstand des Erklärenden und des Erklärungsempfängers als Grundlage len und seiner Erklärung erkennt. Dazu muss er freilich den Bedeutungsgehalt seiner Erklärung oder seines benutzten Erklärungszeichens kennen. Typischerweise erkennt der Anfechtungsberechtigte zumindest den vom Erklärungsgegner verstandenen Bedeutungsgehalt der eigenen Willenserklärung, wenn der Erklärungsgegner einen Erfüllungsversuch startet und dem Erklärenden eine Leistung anbietet, die von der vom Erklärenden gewollten abweicht. Dann kennt der Erklärende zumindest einen Umstand, der darauf hindeutet, dass der vom Erklärungsgegner verstandene Inhalt der Willenserklärung von dem vom Erklärenden gewollten Inhalt der Erklärung abweichen könnte. In dieser Situation stößt die Verobjektivierung der Bestimmung des Kenntnisstandes an Grenzen: Bemerkt der Erklärende die Diskrepanz zwischen seinem Willen und dem Inhalt dessen, was der Erklärungsgegner offensichtlich verstanden hat, kann nicht automatisch davon ausgegangen werden, dass der Erklärende auch Kenntnis von der Diskrepanz seines Willens und dem Bedeutungsgehalt der Willenserklärung hat, den diese nach der Auslegung hat. Schließlich muss der Erklärende auch den Inhalt der ausgelegten Willenserklärung kennen, damit er überhaupt von seinem Irrtum Kenntnis haben kann. Es reicht nicht aus, dass der Erklärende erkennt, dass der Erklärungsempfänger die Willenserklärung anders verstanden hat, als es der Erklärende wollte. Daher muss dem Erklärenden auch bewusst sein, welchen Bedeutungsgehalt die Erklärung nach der Auslegung hat. Daran kann es einerseits mangeln, wenn der Erklärende diese Auslegung vor dem objektiven Empfängerhorizont nicht kennt oder er keine Kenntnis von einer etwaigen Veränderung der Erklärung auf dem Übertragungsweg (§  120 BGB) hat. Kennt der Erklärende jedoch den Bedeutungsgehalt der Willenserklärung, weil ihm dieser beispielsweise mitgeteilt wurde, stellt sich bloß die Frage, ob der Anfechtungsberechtigte die Diskrepanz seines Willens zu dem Bedeutungsgehalt seiner Erklärung, d. h. dem Vorliegen des Irrtums, kennt. Für die Beantwortung dieser Frage ist es hilfreich, aus der Perspektive des objektiven Dritten zu beurteilen, ob die Kenntnis des Anfechtungsgrundes vorliegt. Unterstellt man, dass ein gedachter Dritter die Kenntnis des Willens des Erklärenden hat und den Bedeutungsgehalt der Willenserklärung nach der gebotenen Auslegung kennt, ist nur die Frage zu beantworten, ob der Dritte Anlass hatte, daran zu denken, dass diese auffällige Diskrepanz für die Wirksamkeit der Willenserklärung relevant sein würde. Diese Relevanzeinstufung ist ebenso zu verstehen wie bei der Bestimmung der für den Beginn der Verjährungsfrist ausschlaggebenden Kenntnis von den anspruchsbegründenden Umständen gemäß §  199 I BGB. Es kommt daher darauf an, ob der Anfechtungsberechtigte die ihm bekannten Tatsachen in den die Wirksamkeit des Vertrages in Frage stellenden Kontext bringen würde, d. h. er die Tatsachen kontextuieren würde. Ist dies der Fall, liegt positive Kenntnis von dem Anfechtungsgrund vor.

IV.  Relevanz des Kenntnisstandes des Erklärenden und des Erklärungsempfängers

385

Für die Wirksamkeit der Anfechtungserklärung ist auch die Bestimmung des Kenntnisstandes des Anfechtungsgegners von Bedeutung. Kennt der Anfechtungsgegner den Anfechtungsgrund, braucht ihm dieser für eine wirksame Anfechtungserklärung nicht mitgeteilt zu werden. Einer Mitteilung des Anfechtungsgrundes bedarf es jedoch nach umstrittener Ansicht zumindest dann, wenn der Anfechtungsgegner den Anfechtungsgrund nicht kennt. Die entscheidende Frage für die Wirksamkeit der Anfechtungserklärung ist daher, ob der Anfechtungsgegner Kenntnis vom Anfechtungsgrund hat. Hier gilt das gleiche wie bei der Bestimmung des Kenntnisstandes des Anfechtungsberechtigten von dem Anfechtungsgrund. Der Unterschied bei der Bestimmung des Kenntnisstandes des Anfechtenden und der Bestimmung des Kenntnisstandes des Anfechtungsgegners ist, dass der Anfechtungsgegner den Willen des Erklärenden regelmäßig weder kennt noch ihn sich erschließen kann. Diese Information muss dem Anfechtungsgegner in jedem Fall noch zukommen, andernfalls ist ein Erkennen der Diskrepanz zwischen dem Willen des Erklärenden und dem Erklärungsgehalt der Willenserklärung, den diese nach der gebotenen Auslegung hat, nicht möglich. Er hat bis zum Erhalt dieser Information noch keine Möglichkeit, diese Abweichung zu kennen. Allerdings hat der Anfechtungsgegner regelmäßig nach dem Zugang der Anfechtungserklärung Anlass, über den Grund der Anfechtung nachzudenken. Er kann daher selbst einschätzen, ob er den Grund eigens gesetzt hat (beispielsweise durch eine von ihm verübte Täuschung) oder er einen Anfechtungsgrund noch gar nicht kennt (beispielsweise einen Irrtum des Erklärenden). Erklärt der Anfechtende die Anfechtung und hat der Erklärungsgegner keinen Grund dafür gesetzt (d. h. nicht getäuscht oder kennt er eine Täuschung eines Dritten), kommt als Anfechtungsgrund nur ein Abweichen des Willens des Erklärenden von dem Bedeutungsgehalt der Wil­ lens­erklärung nach ihrer Auslegung in Betracht, d. h. eine Anfechtung wegen eines Irrtums des Erklärenden. Daher würde jeder Anfechtungsgegner in einer Situation, in der ihm eine Anfechtungserklärung zugeht, Kenntnis von dem Anfechtungsgrund haben.

§  9  Zusammenführung der Untersuchungsergebnisse I.  Relativität des Begriffs „Kenntnis“ Das Zivilrecht enthält zahlreiche Normen, deren Rechtsfolgen von einer vorliegenden oder nicht vorliegenden Kenntnis abhängig sind, beispielsweise §§  170, 407 I, 892 I 1, 2366 BGB. Gleiches gilt für die zivilrechtlichen Rechtsinstitute, die nicht gesetzlich geregelt sind, wie beispielsweise die Verwirkung. Die Begriffe „Kenntnis“ und „Wissen“ werden im Normgefüge synonym verwendet.1 Deutliches Beispiel hierfür ist §  1472 II BGB, der die innere Tatsache der kognitiven Auseinandersetzung mit den genannten Tatbeständen in Satz eins mit „Kenntnis“ und in Satz zwei mit „wenn er […] weiß“ umschreibt. Trotz des gleichlautenden Begriffs des Merkmals „Wissen“ bzw. „Kenntnis“ an den verschiedenen Stellen des Zivilrechts ist es nicht möglich, einen einheitlichen Inhalt des Begriffs des Wissens bzw. der Kenntnis festzustellen. Dies ist allerdings nicht untypisch für Rechtsbegriffe. Im Allgemeinen ist der Inhalt eines Begriffs von dem Regelungszusammenhang sowie der Regelungsmaterie abhängig, in deren Kontext der Begriff verwendet wird. Die vorstehenden Ausführungen verdeutlichen, dass es nicht möglich ist, einen einheitlichen Inhalt des Begriffs „Kenntnis“ festzulegen, der in der gesamten Regelungsmaterie des Zivilrechts Geltung beanspruchen könnte. Die Betrachtung hat daher kleinteiliger zu erfolgen. Außerdem weicht der Inhalt eines in einer Norm verwendeten (Rechts-) Begriffs häufig von dessen alltäglichem Verständnis ab.2 Dies liegt an der Methode der Begriffsgewinnung. Rechtsbegriffe werden vom verfolgten Regelungsziel her (d. h. funktional) gebildet.3 Die für Rechtsbegriffe im Allgemeinen geltende Struktur ihrer Bildung zeigt sich auch im Konkreten bei der Bildung des Begriffs der Kenntnis, wenn eine Norm für die Rechtsfolge das Vorliegen oder Fehlen von Kenntnis von Umständen als Merkmal voraussetzt. Die Divergenz des in zahlreichen Normen enthaltenen Merkmals der Kenntnis von dessen Alltagsverständnis ist auf die zahl­ reichen unterschiedlichen Funktionen zurückzuführen, die das in den unterschiedlichen Normen enthaltene Merkmal der Kenntnis erfüllt. 1 

Vgl. hierzu oben unter §  1 III. Wank, Begriffsbildung, 1985, S.  5 f. 3  Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, 8.  A ., 2015, Rn.  204; Wank, Begriffsbildung, 1985, S.  9 0 ff. 2 

388

§  9  Zusammenführung der Untersuchungsergebnisse

Einige Beispiele verdeutlichen die Bandbreite der Funktionen, die der Begriff der Kenntnis in zivilrechtlichen Normen einnimmt. Das auf das Vorliegen von Kenntnis begründete Vertrauen kann beispielsweise dazu führen, dass sich eine Person darauf verlassen darf, dass von ihr über einen längeren Zeitraum beobachtete Verhaltensweisen einer anderen Person auch in Zukunft so bleiben, wie es bei dem Rechtsinstitut der Verwirkung besonders erkennbar wird.4 Teilweise liegt diese Funktion des Merkmals der Kenntnis auch dem Regelungsgedanken des Verjährungsrechts zugrunde.5 Allgemein gilt allerdings, dass eine Person auf etwas, das sie nicht kennt, kein Vertrauen gründen kann. Daher ist die Kenntnis im Rahmen der Verwirkung ein Merkmal, das einen tatsächlich vorliegenden Zustand positiv beschreibt. Die Kenntnis muss vorliegen, damit die Rechtsfolge (z. B. im Fall der Verwirkung: der Ausschluss der Geltendmachung eines lange bewusst nicht geltend gemachten Anspruchs) eintritt. Eine ganz andere Funktion als den erwähnten Vertrauensschutz nimmt das Merkmal der Kenntnis im Zusammenhang mit dem gutgläubigen Erwerb von Grundstücken gemäß §  892 I 1 BGB ein. 6 Dem Erwerber darf dabei die Unrichtigkeit des Grundbuchs nicht bekannt sein. Wegen der hohen Richtigkeitsgarantie des öffentlich geführten Grundbuchs ist es grundsätzlich möglich, von einem materiell nicht Verfügungsberechtigten (jedoch im Grundbuch als Berechtigter ausgewiesenem) ein Recht an einem Grundstück zu erwerben. Der Kenntnisstand des Erwerbers von dem Grundbucheintrag ist dabei aber kein konstitutives Element des gutgläubigen Erwerbs. Vielmehr ist die Kenntnis des Erwerbers von der Unrichtigkeit des Grundbuchs ein Hinderungsgrund des Erwerbs. Der Erwerber muss für den Erwerb vom Nichtberechtigten dagegen nicht wissen, dass das Grundbuch die richtige Rechtslage an dem Grundstück wiedergibt. Der Erwerber braucht noch nicht einmal den Inhalt des Grundbuchs zu kennen, um vom Nichtberechtigten erwerben zu können.7 Diese gesetzgeberische Entscheidung, eine Rechtsfolge von der bloßen Kenntnis der Unrichtigkeit des Grundbuchs abhängig zu machen (und nicht von der Kenntnis des Grundbuchinhalts), beruht auf einer Gerechtigkeitserwägung: Die Vorteile eines unrichtigen Registers sollen nur demjenigen nicht zugutekommen, der die wahre Rechtslage kennt. 8 Der gutgläubige Erwerb ist eine Ausnahme von dem Grundsatz, dass niemand ein Recht erwerben kann, das dem Veräußerer nicht zusteht.9 Dieser Ausnahmetatbestand gilt bei §  892 I 1 BGB unab4 

Vgl. hierzu oben §  5 III. Vgl. hierzu oben §  5 I. 6  Vgl. hierzu im Einzelnen oben §  7 II. 7 Vgl. Staudinger/Gursky, BGB, 2013, §   892 Rn.   140; ferner Wiegand, JuS 1974, 201, 207 f.; Lutter, AcP 1964 (164) 122, 123 f. sowie oben §  7 II 1. 8  Vgl. oben §  7 II 2. 9  Zum gutgläubigen Erwerb als eine Durchbrechung des Grundsatzes „Nemo plus iuris transferre potest, quam ipse habet“ vgl. Mot. III 341, abgedr. in Mugdan, Materialien zum BGB, Band 3, 1899, Nachdr. 1979, S.  189 f.; vgl. dazu oben §  7 II 1. 5 

I.  Relativität des Begriffs „Kenntnis“

389

hängig von der positiv vorliegenden Kenntnis vom Inhalt des Grundbuchs. Auf den Kenntnisstand kommt es bloß bei der Gegenausnahme an, die den gutgläubigen Erwerb ausschließt. Dafür muss dem Erwerber jedoch nicht die wahre Rechtslage positiv bekannt sein, sondern „die Unrichtigkeit“ der Eintragung. Es handelt sich daher um einen negativ definierten Kenntnisstand, der sich durch die Abwesenheit der Kenntnis auszeichnet, die das (abstrakte, d. h. ohne die positive Kenntnis entstehende) Vertrauen in die Richtigkeit des Grundbuchs ausschließt. Diese negative Definition des Kenntnisstandes ist auf die Wertungsentscheidung des Gesetzgebers zurückzuführen, nach der die Kenntnis von der Unrichtigkeit des Grundbuchs im Einzelfall nicht zu der sonst ausnahmsweise bestehenden Möglichkeit führen darf, ein Recht erwerben zu können, das dem Veräußerer nicht zusteht.10 Daher nimmt der Ausschluss einer an sich bestehenden Möglichkeit (gutgläubiger Erwerb) wegen eines Kenntnisstandes (des Erwerbers von der Unrichtigkeit des Rechtsscheinträgers) die Funktion eines Korrektivs im Einzelfall wahr. Eine ähnliche Funktion eines Korrektivs erfüllt das Merkmal der Kenntnis in §  407 I BGB.11 Zweck der Norm ist es, den an der Abtretung unbeteiligten Schuldner davor zu schützen, an den falschen Gläubiger zu leisten und bei der Leistung an den falschen Gläubiger nachfolgend das Geleistete im Wege des Bereicherungsausgleichs zurückfordern zu müssen, weil der Erfüllungsversuch erfolglos war.12 Hat der Schuldner dagegen Kenntnis von dem Gläubigerwechsel, entfällt die Notwendigkeit, den Schuldner vor erfolglosen Erfüllungsversuchen schützen zu müssen. Der Schuldner hätte an den richtigen Gläubiger leisten können und müssen, um seine Verpflichtung zu erfüllen. Kennt der Schuldner nämlich den Forderungsübergang, ist der ohne seine Zustimmung vollzogene Gläubigerwechsel im Rahmen einer Abtretung für ihn kein zufälliges und überraschendes Ergebnis mehr. Dann besteht auch kein Bedürfnis mehr, den ansonsten unbeteiligten Schuldner vor erfolglosen Erfüllungsversuchen zu schützen und ihm das Risiko der bereicherungsrechtlichen Rückforderung aufzubürden, wenn er dennoch an den alten Gläubiger leistet. Kennt er den Forderungsübergang, ist sein Schutz im Einzelfall nicht notwendig. Daher schließt §  407 I BGB die Vorteile für den Schuldner bei Kenntnis der Abtretung aus. Eine wiederum andere als die dargestellten Funktionen (Vertrauens- und Verkehrsschutz bzw. Funktion eines Korrektivs) erfüllt die Kenntnis in der Rechtsgeschäftslehre.13 Die Kenntnis des Willens eines anderen ist die Basis einer rechtsgeschäftlichen Verständigung der künftigen Vertragsparteien.14 Die 10  Vgl. Mot. III 341, abgedr. in Mugdan, Materialien zum BGB, Band 3, 1899, Nachdr. 1979, S.  189 f.; ausführlich dazu oben §  7 II 1. 11  Vgl. hierzu oben §  7 IV. 12  Vgl. oben §  7 IV 2. 13  Vgl. hierzu oben §  8 . 14  Kramer, Grundfragen, 1972, S.  175; vgl. oben §  8 IV 3.

390

§  9  Zusammenführung der Untersuchungsergebnisse

zutreffende Kenntnis von dem, was der andere rechtsgeschäftlich will, ist die Grundlage der Vertragsrechtslehre. Der Kenntnisstand der jeweiligen Vertragsparteien ist dabei weder Korrektiv noch ausschließlich vertrauensbildendes Element. In erster Linie wird der jeweilige Kenntnisstand der potentiellen Vertragspartner in der Vertragsrechtslehre durch den Vorgang der Kommunikation, d. h. der Übermittlung einzelner Informationen15 zwischen den künftigen Vertragsparteien, gebildet. Durch den Abgleich des jeweiligen Kenntnisstands ist dieser die Basis des anschließend zum Vertragsinhalt erhobenen Inhalts der vertraglichen Bindung. Diese Beispiele zeigen, dass der Begriff der Kenntnis in den verschiedenen Bereichen vollkommen unterschiedliche Funktionen erfüllt. Wegen der funk­ tionsgebundenen Definition von Rechtsbegriffen16 ist klar, dass es keinen einheitlichen Begriffsinhalt der Kenntnis im Zivilrecht geben kann. Vielmehr ist der Inhalt des Begriffs der Kenntnis – wie jeder Rechtsbegriff – im Hinblick auf die jeweilige Funktion zu ermitteln, die der Begriff erfüllt, d. h. der Begriffs­ inhalt ist relativ zur Funktion des Begriffs zu bestimmen: 17 Ein Rechtsbegriff nimmt in der Regel auf die Rechtsfolgen Bezug.18 Damit rückt der Gesetzeszweck, der mit dem Eintritt oder Nichteintritt der Rechtsfolge der jeweiligen Norm verfolgt wird, in den Vordergrund der Begriffsbildung. Wegen der Vielfältigkeit der Rechtsfolgen, die von der tatbestandsrelevanten Kenntnis aus­ gehen können, ist keine einheitliche Funktion des Rechtsbegriffs der Kenntnis feststellbar und die Bandbreite des Begriffsinhalts ist entsprechend groß. Dennoch bestehen Ähnlichkeiten sowohl bei der Begriffsbildung als auch bei der Anwendung des Merkmals der Kenntnis. Das betrifft die Frage der Begriffsbildung (unten II.), die regelmäßig in den Fällen problembehaftet ist, in denen das tatsächliche Vorliegen der Kenntnis ungeklärt bleibt. Hierbei sind vor allem die dem Rechtsanwender gesetzten Grenzen der Begriffsbildung zu beachten. Einen anderen Bereich als die Begriffsbildung betrifft die Nachweisbarkeit der Kenntnis (unten III.). Hierbei geht es um die Frage, ob das im vorherigen Schritt durch Begriffsbildung gewonnene Merkmal im vorliegenden Sachverhalt erfüllt ist.

15  Vgl. zur Übertragung von Informationen zum Zwecke des Abgleichs von Wissens­stän­ d­en im Wege der Kommunikation: oben §  1 II 2. 16 Wie eingangs ausgeführt sowie Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, 8.   A., 2015, Rn.  204; Wank, Begriffsbildung, 1985, S.  9 0 ff. 17  Zur Relativität der Rechtsbegriffe: Wank, Begriffsbildung, 1985, S.  111 ff. 18  Wank, Begriffsbildung, 1985, S.  9 0 ff.

II.  Problemfälle bei ungeklärtem Vorliegen der Kenntnis

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II.  Problemfälle bei ungeklärtem Vorliegen der Kenntnis Der Inhalt eines Rechtsbegriffs und seine definitorischen Grenzen sind von der Funktion abhängig, die der Begriff erfüllen soll. Die Unschärfe der Grenzen, die bei der Definition des Begriffs regelmäßig auftritt, ist von geringem Interesse, wenn das Tatbestandsmerkmal in tatsächlicher Hinsicht offensichtlich erfüllt ist. Subjektiv geprägte Tatbestandsmerkmale (innere Tatsachen) sind im Gegensatz zu den äußerlich wahrnehmbaren Tatsachen nur dann offensichtlich, wenn sich die betroffene Person hinsichtlich des Vorliegens der inneren Tatsachen positiv äußert, d. h. insbesondere dann, wenn die inneren Tatsachen zugestanden sind. Liegt keine Äußerung der betroffenen Person vor, auf deren Kenntnis es (als innere Tatsache) ankommt, kann die Frage nach dem Vorliegen der Kenntnis nicht mehr so einfach beantwortet werden,19 wie dies bei äußeren Tatsachen (beispielsweise den Außenmaßen eines Kraftfahrzeugs) der Fall ist. Damit werden zwei Dinge deutlich: Liegt das Tatbestandsmerkmal (als innere oder äußere Tatsache) offensichtlich vor, kommt es auf die genauen Grenzen der materiell-rechtlichen Definition des Merkmals als Rechtsbegriff nicht an. Dies gilt, obwohl die einzelne Person, auf deren Wissen es ankommt, nicht die Befugnis hat, die Grenzen des Merkmals der Norm zu definieren, wohl aber sich sehr umfassend tatsächlich zur Erfüllung des Merkmals einlassen kann. Äußert sich beispielsweise ein Erwerber eines Grundstücks in der Weise, dass er wisse, dass nicht derjenige, der im Grundbuch steht und von dem er gerade erwirbt, der Berechtigte ist, so liegt die Voraussetzung des §  892 I BGB nicht vor, keine Kenntnis von der Unrichtigkeit des Grundbuchs zu haben. Gleiches gilt für einen Schuldner, der erklärt, dass er den Zessionar für den Gläubiger hält und nur versehentlich an den alten Gläubiger (Zedenten) gezahlt hat. Dann liegt Kenntnis von der Abtretung im Sinne des §  407 I BGB vor. Ist das Tatbestandsmerkmal dagegen nicht offensichtlich erfüllt, bereitet die Rechtsanwendung Schwierigkeiten. Das gilt insbesondere, wenn es sich um die Ermittlung innerer Tatsachen handelt. Dies liegt einerseits an den eingeschränkten Möglichkeiten, das Vorliegen des inneren Merkmals im Streitfall einem Beweis zugänglich zu machen. Andererseits geht mit dieser prozessualen Einschränkung der in der Rechtspraxis häufig zu beobachtende Ausweg einher, dem Merkmal vor Beginn des Subsumtionsvorgangs durch gezielte Definition genau diejenigen Grenzen und Konturen zu geben, die im Einzelfall dazu führen, das gewünschte Ergebnis als Ziel des Subsumtionsvorgangs erreichen zu können.20 19  Dieses Problem wird in der Entscheidung BGH WM 2015, 293, 294 Tz.  9 sehr deutlich herausgearbeitet, wobei zur Lösung den Beweisanzeichen eine besondere Bedeutung beigemessen wird. 20  Allgemein zu der Gefahr der Vorwegnahme des Ergebnisses durch gezielte rechtsfolgenorientierte Definition: Rüthers, Wir denken Rechtsbegriffe um, 1987, passim; sowie Rüthers/ Fischer/Birk, Rechtstheorie, 8.  A., 2015, Rn.  205: „Auslegung des zuvor Eingelegten“.

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§  9  Zusammenführung der Untersuchungsergebnisse

Diese Vorgehensweise wird in den Fällen deutlich, in denen das Merkmal der Kenntnis bei der Rechtsanwendung nicht am konkreten Sachverhalt untersucht wird, d. h. die Frage des Vorliegens der Kenntnis nicht durch eine Sachverhaltsanalyse beantwortet wird, sondern vielmehr das Merkmal der Kenntnis als bereits erfüllt angesehen wird, wenn der Betroffene „die Augen vor einer sich ihm aufdrängenden Kenntnis verschließt“.21 Damit ändert sich die Vorgehensweise von einer Feststellung der Voraussetzungen eines deskriptiven Begriffs zu einer am Sachverhalt orientierten Bildung eines normativen Begriffs. Auf diese Weise verschwimmt die Grenze zwischen der materiell-rechtlichen Definition des Tatbestandsmerkmals und dem prozessualen Nachweis des Vorliegens eines Tat­bestandsmerkmals einer Norm. Um diese Gefahr zu minimieren, sind zunächst diejenigen Fallkonstella­ tionen herauszuarbeiten, bei denen eine definitorische Ausweitung eines Tatbestandsmerkmals grundsätzlich möglich ist (Wissen als normatives Merkmal) bzw. umgekehrt formuliert sind diejenigen Fallgruppen zu lokalisieren, bei denen dem Rechtsanwender der Zugriff auf die definitorischen Grenzen grundsätzlich verschlossen bleibt (Wissen als deskriptives Merkmal). Diese Unterscheidung ist aus prozessualer Sicht bereits erörtert worden: 22 Im Zivilprozess liegt der Schwerpunkt der Betrachtungen auf der Einordnung des Begriffs in Tatfrage oder Rechtsfrage. Diese Einordnung ist im Zivilprozess für die Revisibilität der gerichtlichen Entscheidung relevant. Generell gilt für die Rechtsanwendung, dass die Einordnung des Charakters eines Begriffs als deskriptiv oder normativ unmittelbare Auswirkung auf die dem Rechtsanwender eingeräumte Möglichkeit der Bestimmung der Grenzen eines zu subsumierenden Begriffs hat. Je nachdem, ob es sich um einen deskriptiven oder normativen Begriff handelt, ist eine nachgelagerte Frage, welchen Prüfungsumfang das Revisions­ gericht im Zivilprozess hat.

1.  Unterscheidung zwischen deskriptivem Tatbestandsmerkmal und normativem Wertungskriterium Im Allgemeinen sind deskriptive Begriffe von normativen Begriffen zu unterscheiden.23 Deskriptive Begriffe enthalten in der Regel sog. Seinssätze, normative Begriffe hingegen Sollenssätze.24 21  Regelmäßig geschah dies im Rahmen der Anwendung des §  852 I BGB i. d. F. bis 2001: BGH NJW 2001, 1721, 1722; BGH NJW 2003, 288, 289; BGH NJW 1996, 2933, 2934; BGH NJW-RR 1990, 606, 607; BGH NJW 1958, 668; gleiches zu §  990 I 2 BGB: BGH NJW 1958, 668. 22  Vgl. oben §  4. 23  Schmalz, Methodenlehre, 3.  A ., 1992, Rn.  139 ff.; Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, 8.  A., 2015, Rn.  176 ff. 24  Wank, Begriffsbildung, 1985, S.  7.

II.  Problemfälle bei ungeklärtem Vorliegen der Kenntnis

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a.  Deskriptive Begriffe als Lebenswirklichkeit Deskriptive Begriffe beschreiben Zustände in der Lebenswirklichkeit, wie sie wahrgenommen werden können.25 Sie beziehen sich zwar auf nachprüfbare Tatsachen, sind jedoch häufig ungenau und daher auslegungsbedürftig.26 Wegen der Notwendigkeit der Auslegung eines deskriptiven Begriffs, der in einer Norm enthalten ist, erhält jeder deskriptive Begriff auch einen normativen Gehalt.27 Die Interpretation des deskriptiven Begriffs ist in Bezug auf den Zweck der Norm vorzunehmen, der mit ihr verfolgt und in deren Kontext der Begriff verwendet wird.28 b.  Normative Rechtsbegriffe als Ergebnis der Wertung des Rechtsanwenders Normative Rechtsbegriffe zeichnen sich unter anderem dadurch aus, dass die Bestimmung ihres Inhalts eine Wertung des Rechtsanwenders verlangt.29 Abgesehen von den verweisenden normativen Begriffen, bei denen die vorzunehmende Wertung einer anderen Norm entnommen wird,30 gibt es die „offen normativen Begriffe“, bzw. sog. „Wertbegriffe“.31 Bei deren Anwendung muss der Rechtsanwender im konkreten Fall selbst wertend abwägen, „ob die speziellen Umstände den fraglichen Wertungsmaßstab ausfüllen oder nicht“.32 Die offen normativen Begriffe sind nicht nur in ihrer Bedeutung unbestimmt, sondern sie kennzeichnet eine sog. „evaluative Offenheit“, d. h. der Rechtsanwender ist aufgerufen, „Zwecke und Ziele, die mit der Vorschrift im konkreten Fall verfolgt werden sollen, selbst zu definieren und unter ihnen abzuwägen“.33 c.  Unterschied zwischen Lebenswirklichkeit und Wertbegriff Die Unterscheidung zwischen deskriptivem und normativem Begriff erfolgt regelmäßig nach dem Umfang der dem Rechtsanwender eingeräumten Möglichkeit, den Begriffsinhalt durch Wertung selbst zu bestimmen. Hat der Begriff keinen die Lebenswirklichkeit beschreibenden Inhalt, handelt es sich in jedem 25 

Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, 8.  A., 2015, Rn.  177. Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, 8.  A., 2015, Rn.  178. 27  Dieser normative Gehalt macht die an sich rein deskriptiven Begriffe anfällig für normative Aufladung, die der Rechtsanwender in den Begriff hineininterpretiert, um ein Ergebnis zu erreichen, das dem Rechtsanwender stimmig erscheint. 28  Schmalz, Methodenlehre, 3.  A ., 1992, Rn.  139 ff.; Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, 8.  A., 2015, Rn.  180. 29  Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, 8.  A ., 2015, Rn.  181 ff. 30  Ein Beispiel ist die Bestimmung der Fremdheit der Sache in §  242 StGB, die nach den bürgerlich-rechtlichen Regelungen der Sachen durch Güterzuordnung vorzunehmen ist. 31  Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, 8.  A .,2015, Rn.  183. 32  Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, 8.  A ., 2015, Rn.  183. 33  Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, 8.  A., 2015, Rn.  183 unter Verweis auf Alexy, Logi­ sche Analyse, in: Alexy/Koch/Kuhlen/Rüßmann, Juristische Begründungslehre, 2003, S.  9, 16. 26 

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§  9  Zusammenführung der Untersuchungsergebnisse

Fall um einen normativen Begriff, dessen Inhalt ausschließlich aus den vom Rechtsanwender zugrunde gelegten Wertungen zu gewinnen ist. Beschreibt der in der Norm verwendete Begriff dagegen eine (einfach) wahrnehmbare (und damit auch einem Beweis unmittelbar zugängliche) Lebenswirklichkeit, liegt regelmäßig ein deskriptiver Begriff vor, dessen Grenzen im Rahmen der Auslegung zu ermitteln sind. Der normative Gehalt, der in der Auslegung enthalten ist, darf allerdings nicht dazu führen, dass der Rechtsanwender seine Wertvorstellungen von einem stimmigen Ergebnis an die Stelle des Gesetzgebers setzt und die dem Rechtsanwender übertragene Aufgabe der Normanwendung überschreitet, indem er die Grenzen eines möglicherweise schwer zu bestimmenden Tatbestandsmerkmals ausschließlich ergebnisbezogen vornimmt. Bei einer generellen Gleichsetzung des Tatbestandsmerkmals der „Kenntnis“ mit dem vermeintlich gleichbedeutenden Inhalt „des Verschließens vor der sich aufdrängenden Kenntnis“ überschreitet der Rechtsanwender seine Befugnis zur Begriffsbildung. d.  Zuordnungsschwierigkeiten bei einzelnen Rechtsbegriffen Schwierigkeiten bereiten dagegen die in Normen verwendeten Begriffe, die Lebenswirklichkeiten beschreiben, als solche aber nicht unmittelbar wahrnehmbar sind. Obwohl auch innere Tatsachen grundsätzlich mit deskriptiven Begriffen beschrieben werden können,34 bereitet die exakte und trennscharfe Einordnung des Begriffs der Kenntnis in die Kategorien der deskriptiven und normativen Begriffe erhebliche Schwierigkeiten. Dies liegt vor allem an den oft schwer erkennbaren Grenzen des Umfangs möglicher Wertungen, die der Rechtsanwender bei der Bildung der der Subsumtion zugrunde zu legenden Begriffe einfließen lassen darf. e.  Merkmal „Kenntnis“ sowohl als deskriptiver als auch als normativer Begriff Eine genaue Einordnung des in einer Norm verwendeten Merkmals der Kenntnis in die Kategorien „deskriptiv“ oder „normativ“ ist vor allem zeitlich vor dem Beginn der Subsumtion notwendig, damit sich der Rechtsanwender bei der Subsumtion darüber im Klaren ist, wie weit seine Wertungsbefugnis reicht: Bei den deskriptiven Merkmalen kann nicht definitorisch die Grenze des Tatbestandes ausgeweitet werden, wohingegen bei normativen Merkmalen gerade die Aufgabe des Rechtsanwenders darin besteht, diese Grenze durch eigene Wertung festzulegen. Das in einer Norm enthaltene Tatbestandsmerkmal „Kenntnis“ ist regelmäßig deskriptiv, wenn der Gegenstand, auf den sich die Kenntnis beziehen muss, eine objektiv wahrnehmbare Tatsache ist. Das kann beispielsweise ebenso das 34 

Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, 8.  A., 2015, Rn.  177.

II.  Problemfälle bei ungeklärtem Vorliegen der Kenntnis

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Außenmaß eines Fahrzeugs sein wie auch die Kenntnis von der Existenz einer Norm, sofern sich die Kenntnis tatsächlich auf die bloße Existenz und nicht auch auf die Entfaltung ihrer Regelungswirkung im Einzelfall (im Hinblick auf die Erfüllung der Tatbestandsmerkmale) bezieht. Letzteres ist durch Wertung zu ermitteln und ändert den Charakter des Tatbestandsmerkmals der Kenntnis von deskriptiv in normativ, weil die Frage, ob die Norm einschlägig ist, auf der Wertung des Rechtsanwenders beruht, d. h. keine objektiv wahrnehmbare Tatsache ist. In der Regel hat das in einer Norm enthaltene Tatbestandsmerkmal „Kenntnis“ normativen Charakter, wenn sich die Kenntnis nicht auf eine objektiv wahrnehmbare Tatsache bezieht, sondern auf einen Umstand, der selbst erst durch eine Bewertung der bekannten Tatsachen zu gewinnen ist. In den Normen, in denen die Kenntnis von einer Rechtslage vorausgesetzt wird (d. h. Normen, die auf Rechtskenntnis abzielen, wie z. B. §  819 I BGB) ist das Tatbestandsmerkmal normativ. Grund dafür ist, dass der Gegenstand, auf den sich die tatbestandlich relevante Kenntnis bezieht, zunächst von der Person, um deren Kenntnis es geht, durch eine eigene Bewertung der ihr bekannten Tatsachen zu ermitteln ist, d. h. derjenige, auf dessen Rechtskenntnis es ankommt, muss die ihm bekannten Tatsachen bewerten und aus ihnen die rechtlichen Folgen ableiten. Dies setzt folglich die Wertung des Rechtsanwenders voraus, die von der Person, um deren Kenntnisstand es geht, vorgenommene bzw. vorzunehmende Bewertung der ihr bekannten Tatschen selbst zu würdigen. Diese Würdigung muss im Hinblick auf die Frage geschehen, ob die rechtliche Beurteilung (so wie es der Tatbestand voraussetzt) überhaupt möglich und letztlich so naheliegend ist, dass die Person nicht nur über die Tatsachenkenntnis, sondern auch über die notwendige Rechtskenntnis verfügt. Die Einordnung des Merkmals der Kenntnis in die Kategorien deskriptiv und normativ ist demnach vor allem von dem Gegenstand abhängig, auf den sich die Kenntnis bezieht. Erfordert die Bestimmung des Gegenstandes dessen, auf das sich die Kenntnis beziehen muss, eine Wertung (wie beispielsweise bei der Rechts­kenntnis die rechtliche Bewertung eines bekannten Sachverhalts), dann handelt es sich nicht um einen deskriptiven, sondern um einen normativen Begriff. Im Gegensatz dazu ist das Merkmal „Kenntnis“ regelmäßig als deskriptiv einzuordnen, wenn der Gegenstand der Kenntnis nachprüfbare Tatsachen betrifft, die nicht erst durch eine Wertung der betroffenen Person, auf deren Kenntnis es ankommt, gewonnen werden müssen. Besonders deutlich wird der deskriptive Charakter des Merkmals „Kenntnis“ in solchen Normen, die mindestens ein weiteres Tatbestandsmerkmal enthalten, das durch Wertung gewonnen werden muss. Ein typisches Beispiel für ein solches weiteres Tatbestandsmerkmal ist das sog. „schutzwürdige Vertrauen“, das die betroffene Person (die über den jeweils notwendigen Kenntnisstand verfügt) gebildet haben muss. Die

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§  9  Zusammenführung der Untersuchungsergebnisse

Voraussetzung der Schutzwürdigkeit des Vertrauens bildet dann die geeignete Stelle für Wertungen, die der Rechtsanwender in die Subsumtion einstellen kann. Ein typisches Rechtsinstitut, das die Bildung eines schutzwürdigen Vertrauens voraussetzt, ist die Verwirkung. Dabei kommt es bei der Erfassung, über welchen Kenntnisstand die jeweilige Person verfügt, nicht darauf an, ob es im Ergebnis gerechtfertigt erscheint, dass die Folgen der Verwirkung den Berechtigten im Einzelfall zu Recht begünstigen, denn dieser Frage kann im Rahmen der Schutzwürdigkeit auf der Grundlage des vorliegenden oder nicht vorliegenden Kenntnisstandes nachgegangen werden. Fehlt allerdings ein solches weiteres Tatbestandsmerkmal in einer Norm, wird bei der Rechtsanwendung regelmäßig entweder das Merkmal der Kenntnis als Einfallstor für ergebnis­ bezogene Wertungsfragen zweckentfremdet 35 oder ein nicht zum gesetzlichen Tatbestand gehörendes Merkmal in den Tatbestand ergänzend hineininterpretiert, wie es im Rahmen des §  814 BGB zu erkennen ist.36 Die größten Schwierigkeiten, die das Merkmal der Kenntnis in einer Norm aufwirft, treten bereits bei der Definition des Begriffs auf. Schon die Einordnung des Merkmals in die Kategorien deskriptiv und normativ ist nicht immer zweifelsfrei möglich. Damit verbunden ist die fehlende eindeutige Bestimmung der Grenzen der dem Rechtsanwender zustehenden Definitionsbefugnis. Handelt es sich bei dem Merkmal der Kenntnis um ein deskriptives Merkmal, dann kann der Rechtsanwender keine wertende Bestimmung der Grenzen des Merkmals vornehmen. Eine am gesamten Normzweck orientierte Bestimmung der Grenzen des deskriptiven Merkmals ist dann nur im Rahmen der Auslegung möglich, nicht dagegen durch eine wertende Gewinnung des Begriffsinhalts.

2.  Grenzen der normativen Bestimmung des Merkmals der Kenntnis Auch bei den normativen Merkmalen bestehen bei der Begriffsbildung zu beachtende Grenzen. Im Rahmen der normativ zu bestimmenden Merkmale besteht die Gefahr, dass in das jeweilige Tatbestandsmerkmal der gesamte Regelungszweck der Norm hineininterpretiert wird, ohne dass die vorgenommene Wertung mit dem Tatbestandsmerkmal in Verbindung steht. Konkret bedeutet dies für das Merkmal der Kenntnis das Risiko, das vom Rechtsanwender37 als unbillig empfundene Ergebnis (insbesondere den Eintritt der von der Norm vorgesehenen Rechtsfolge) dadurch zu beeinflussen, dass das Merkmal der 35  Wie die Rechtsprechungsbeispiele der definitionsgemäßen Gleichsetzung des Zustandes der tatsächlich vorliegenden Kenntnis mit dem Zustand, dass die betroffene Person sich der sich aufdrängenden Kenntnis verschließt, deutlich zeigen. 36  Zum Streitstand, ob §  814 BGB ein berechtigtes Vertrauen voraussetzt, vgl. Staudinger/ Lorenz, BGB, 2007, §  814 Rn.  2 ; a. A. BGH NJW 1979, 763 f. sowie oben §  6 I. 37  Rechtsanwender ist jeder, der dazu berufen ist, eine Entscheidung zu treffen, bei der ein Sachverhalt unter eine Rechtsnorm zu subsumieren ist. Vorrangig sind das die Gerichte, vgl. insbes. zur Rechtsanwendung Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, 8.  A., 2015, Rn.  697.

II.  Problemfälle bei ungeklärtem Vorliegen der Kenntnis

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Kenntnis aus Wertungen gewonnen wird, die nicht mehr im Tatbestand angelegt sind, sondern allenfalls in der Zielsetzung der Norm oder gar in allgemeinen Billigkeitserwägungen ihre Rechtfertigung finden. Diese Fälle liegen ins­ besondere dann vor, wenn die Rechtsprechung bei der Normanwendung feststellt, dass die tatbestandsrelevante Kenntnis nicht vorliegt, der Betroffene jedoch so zu behandeln ist, als läge diese Kenntnis vor („sich-nicht-verschließen-dürfen“-Formel) 38 . Regelmäßig stellt die Rechtsprechung dann darauf ab, dass der Betroffene sich der sich aufdrängenden Kenntnis nicht hätte verschließen dürfen, obwohl der Norm gerade die Gleichstellung der Kenntnis mit der (grob) fahrlässigen Unkenntnis fehlt und somit an den Betroffenen keine Sorgfaltsanforderungen gerichtet werden können, seinen Kenntnisstand erweitern zu müssen.39 Meist hat der Gesetzgeber bewusst auf die Gleichstellung der tatbestandlich vorausgesetzten Kenntnis mit der grob fahrlässigen Unkenntnis verzichtet.40 Bestimmt der Rechtsanwender in diesen Fällen das normative Merkmal der Kenntnis nur unter Zugrundelegung seiner eigenen (ergebnisbezogenen) Wertungen, die mit dem Kenntnisstand selbst nicht in unmittelbarem Zusammenhang stehen, verlässt er den ihm eingeräumten Wertungsspielraum. Die normative Bestimmung des Tatbestandsmerkmals der Kenntnis ist nur im Hinblick auf den Gegenstand der Kenntnis zulässig, auf den sich die tatbestandlich geforderte Kenntnis beziehen muss. Unzulässig ist es dagegen, die nicht nachweisbare Kenntnis durch die Annahme des Rechtsanwenders zu ersetzen, und anzunehmen, die Kenntnis liege vor, weil sich der Betroffene der Erkenntnis (die er nicht hat) unredlich verschließt. Die Anwendung der Rechtsfolge trotz Fehlens der Tatbestandsvoraussetzungen ist ein Fall der Anwendung der Gleichbehandlung zweier Fälle im Hinblick auf die Rechtsfolgen (erster Fall: Tatbestand der Norm ist erfüllt und zweiter Fall: Tatbestand der Norm ist nicht erfüllt; in beiden Fällen wird dennoch die Rechtsfolge der Norm angewendet). Ein solches Vorgehen ist ein Ausnahmefall und bedarf der Rechtfertigung, die auf der Anwendung der Grundsätze von Treu und Glauben, auch in dem hierfür speziellen Fall des §  162 BGB, beruhen kann. Der Rechtsanwender muss sich dieses Ausnahmecharakters bewusst sein, wenn er die Norm trotz Nichterfüllung des Tatbestandes anwenden will. Die bloße Unterstellung von Tatbestandsmerkmalen, die nicht vorliegen, kann hierfür nicht ausreichen.

38  Vgl. zu §  852 I BGB i. d. F. bis 2001: BGH NJW 2001, 1721, 1722; BGH NJW 2003, 288, 289; BGH NJW 1996, 2933, 2934; BGH NJW-RR 1990, 606, 607; BGH NJW 1958, 668; zu §  990 I 2 BGB: BGH NJW 1958, 668. 39 Selbst wenn diese fehlende Gleichstellung der tatbestandlich geforderten Kenntnis und der für den jeweiligen Tatbestand nicht ausreichenden grob fahrlässigen Unkenntnis regelmäßig in den Entscheidungen aufgeführt wird. 40  Deutlich wurde dies beispielsweise bei den Beratungen über die Insolvenzrechtsreform, vgl. oben §  7 V.

398

§  9  Zusammenführung der Untersuchungsergebnisse

3.  Einteilung kenntnisbezogener Normen nach enthaltenen deskriptiven bzw. normativen Merkmalen a.  Grundsatz: Kenntnis als deskriptives Merkmal Setzt ein Tatbestand einen Kenntnisstand einer Person voraus, handelt es sich bei der Kenntnis grundsätzlich um ein deskriptives Tatbestandsmerkmal. Kenntnis ist grundsätzlich eine Tatsache, die einer Wahrnehmung zugänglich ist. Dies wird beispielsweise dadurch deutlich, dass derjenige, auf dessen Kenntnis es ankommt, über seinen Kenntnisstand Auskunft geben kann. Eine solche Wahrnehmung der inneren Tatsache der Kenntnis ist allerdings oft schwieriger als die Wahrnehmung einer äußeren Tatsache. Dennoch ändert diese Schwierigkeit nichts an dem grundsätzlichen Charakter des Tatbestandsmerkmals als ein deskriptives, das einen tatsächlichen Zustand beschreibt. Die Schwierigkeiten der Wahrnehmung bestehen nämlich dann nicht mehr, wenn die betroffene Person, auf deren Kenntnisstand es ankommt, über ihren Kenntnisstand Auskunft gibt. Die Auskunft über einen Kenntnisstand muss nicht erst in der Situation erfolgen, in der es um den Nachweis des streitigen Kenntnisstandes geht. Vielmehr kann die Person bereits zuvor über ihren Kenntnisstand eine Aussage getroffen haben oder die Person verfügt über die Informationen, aus denen sich der tatbestandsrelevante Kenntnisstand unmittelbar ergibt. Dies ist der Fall, wenn die Informationen der betroffenen Person von Dritten mitgeteilt wurden. Typische Konstellationen, in denen der Kenntnisstand einer Person ein deskriptives Merkmal ist, sind diejenigen, in denen die Kenntnis nur die Vorfrage eines tatbestandsrelevanten Merkmals betrifft, so beispielsweise bei der unverschuldeten Versäumung der in §  651g I 3 BGB bestimmten Frist für die Geltendmachung eines Reisemangels durch den Reisenden: Es wird widerlegbar vermutet, dass die Versäumung der Frist unverschuldet ist, wenn der Reiseveranstalter den Reisenden nicht auf die Frist gemäß §  6 II Nr.  8 BGB-Info-VO hingewiesen hat.41 Umgekehrt bedeutet dies, dass der Reisende über den Kenntnisstand bezüglich der einzuhaltenden Frist verfügt, wenn der Reiseveranstalter seine Informationspflichten erfüllt hat.42 Die Kenntnis einer Person von einem bestehenden Recht ist Voraussetzung sowohl für die Verwirkung43 als auch für verwirkungsähnliche Rechtsinstitute wie den eventuellen Verlust von Gewährleistungsrechten durch die vorbehaltlose Zahlung unverminderter Miete nach einer erfolgten Mängelanzeige.44 In diesen Fällen ist die Kenntnis von dem nicht geltend gemachten Recht eine Vorfrage für das eventuell entstandene schutzwürdige Vertrauen bei dem An41 BGH NJW 2007, 2549 Tz.   37; Bamberger/Roth/Geib, BeckOK/BGB, 37. Ed., 2015, §  651g Rn.  12; Staudinger/A. Staudinger, BGB, 2011, §  651g Rn.  5. 42  Vgl. oben §  5 II 2. 43  Vgl. oben §  5 III. 44  Vgl. oben §  6 III.

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spruchsgegner, dass das bekannte, aber nicht geltend gemachte Recht auch künftig nicht mehr geltend gemacht wird. Etwaige ergebnisbezogene Wertungen, ob das Recht im Einzelfall zu Recht als verwirkt anzusehen ist, fließen regelmäßig in die Prüfung des Merkmals der Schutzwürdigkeit eines gegebenenfalls entstandenen Vertrauens ein.45 Ein weiteres gesetzliches Beispiel, in der die Kenntnis ein deskriptives Merkmal ist, betrifft einen speziellen Fall des Erlöschens des fernabsatzrechtlichen Verbraucherwiderrufsrechts gemäß §  356 IV 1, V Nr.  2 BGB. Das Widerrufsrecht erlischt demnach bei der Erbringung von Dienstleistungen gemäß §  356 IV 1 BGB, wenn der Verbraucher „seine Kenntnis davon bestätigt hat, dass er sein Widerrufsrecht bei vollständiger Vertragserfüllung durch den Unternehmer verliert“. Gleiche Anforderungen an die Kenntnis stellt §  356 V Nr.  2 BGB für das Erlöschen des Widerrufsrechts in Download-Fällen. Der Verbraucher muss in diesen Fällen Kenntnis davon haben, dass er mit der Inanspruchnahme der Leistung und seiner diesbezüglichen Erklärung sein ihm zustehendes Widerrufsrecht verliert. Daher muss er diese Kenntnis zu seinem Erklärungsinhalt machen. Ob der Verbraucher tatsächlich das ihm zustehende Widerrufsrecht kennt oder pauschal erklärt, dass eventuell bestehende Widerrufsrechte ausgeschlossen sein sollen, ist nicht von Belang, wenngleich es wünschenswert wäre, die Aussage des Verbrauchers über die Kenntnis des Wegfalls des Widerrufsrechts mit der Belehrung über dessen grundsätzliches Bestehen zu verbinden.46 Der vom Verbraucher zu bestätigende Kenntnisstand bezieht sich nur darauf, dass mit der Leistungserbringung vor Ablauf der Widerrufsfrist das Widerrufsrecht nicht mehr besteht. b.  Ausnahme: Normative Bestimmung der Kenntnis Der tatbestandsrelevante Kenntnisstand bezieht sich immer darauf, dass der betroffenen Person Tatsachen bekannt sind. Diese Tatsachen sind der Bezugspunkt für die für die Norm relevante Kenntnis einer Person. Eine kenntnis­ bezogene Norm stellt somit nicht auf den gesamten Kenntnisstand einer Person ab, sondern betrifft nur die Kenntnis von einer ganz konkreten Tatsache oder einem Tatsachenzusammenhang. Beispielsweise setzt §  892 I 1 BGB die Kenntnis von der „Unrichtigkeit des Inhalts des Grundbuches“ voraus; §  407 I BGB setzt die Kenntnis von der „Abtretung“ voraus; §  536b S.  1 BGB setzt die Kenntnis des „Mangels der Mietsache“ voraus. In den genannten Beispielen sind die „Unrichtigkeit des Inhalts des Grundbuches“, die „Abtretung“ und der „Mangel der Mietsache“ Tatsachen, die der betroffenen Person bekannt sein müssen, damit der jeweils tatbestandlich vorausgesetzte Kenntnisstand vorliegt. Die 45 

Vgl. oben §  6 V 1.

46 Spindler/Schuster/Schirmbacher,

§  356 Rn.  47.

Recht der elektronischen Medien, 3.  A., 2015, BGB

400

§  9  Zusammenführung der Untersuchungsergebnisse

Tatsachen, auf die sich die Kenntnis bezieht, sind allerdings häufig nicht bloße Fakten, die eindeutig bestimmt werden können. Setzt ein Tatbestand die Kenntnis von Tatsachen voraus, die von der betroffenen Person, auf deren Kenntnisstand es ankommt, erst durch eine vorzunehmende Wertung gewonnen werden müssen, handelt es sich bei der Kenntnis stets um ein normatives Tatbestandsmerkmal. Dies ist immer dann gegeben, wenn der Tatbestand eine Folgerung aus bekannten Tatsachen voraussetzt, wie beispielsweise die Kenntnis von einer Rechtslage. Eine solche Rechtskenntnis liegt nur vor, wenn der betroffenen Person die ihr bekannten Umstände als Einzelinformationen bekannt sind und sie daraus die rechtliche Wertung abgeleitet hat (unten 1.). Das Tatbestandsmerkmal der Rechtskenntnis ist normativ, weil der Rechtsanwender dazu aufgerufen ist, den Gegenstand der tatbestandlich geforderten Kenntnis zunächst selbst zu bestimmen, indem er nicht nur die notwendigen Einzelinformationen, die zur Rechtskenntnis führen, benennt, sondern auch die rechtliche Bewertung dieser Informationen vornimmt. Diese rechtliche Wertung durch den Rechtsanwender definiert die Anforderungen und Grenzen des tatbestandlich geforderten Kenntnisstandes. Dadurch ist es seine Aufgabe, den Inhalt des Merkmals der Kenntnis durch seine Wertung (normativ) zu bestimmen. Erst anschließend subsumiert er den tatsächlich vorhandenen Kenntnisstand des Betroffenen unter den von ihm gebildeten Begriff und prüft, ob der Betroffene, auf dessen Kenntnisstand es ankommt, diese geforderten (rechtlichen) Wertungen ebenfalls vorgenommen hat und er daher über den Kenntnisstand verfügt. Wird von einem Tatbestand keine Rechtskenntnis vorausgesetzt, wohl aber die Kenntnis beispielsweise „anspruchsbegründender Umstände“ (§  199 I Nr.  2 Alt.  1 BGB), ist dies gegenüber der Rechtskenntnis eine graduelle Abschwächung der (rechtlichen) Bewertung bekannter Einzelinformationen. Sie ist mit der „Kontextuierung bekannter Informationen“ zu beschreiben und ist – wie die Rechtskenntnis – normativ zu bestimmen (unten 2.). Der in der Rechtsgeschäftslehre relevante Kenntnisstand ist in der Regel ausschließlich normativ zu bestimmen. Dies ist auf die Bewertung zurückzuführen, die der Auswahl der rechtlich erheblichen Informationen zugrunde liegt, aus denen sich eine eventuelle rechtliche Bindung einer auf dem jeweiligen Kenntnisstand beruhenden Erklärung ergeben kann (unten 3.). Schließlich sind bei der normativen Bestimmung der Anforderungen an einen Kenntnisstand die Grenzen zu beachten, die der jeweilige Tatbestand ausdrücklich benennt. Meist geschieht dies durch die Benennung möglicher Bezugspunkte der Kenntnis, wie beispielsweise in §  130 II InsO (unten 4.). (1)  Erlangung der Kenntnis durch Folgerung aus bekannten Einzeltatsachen Kommt es in einem Tatbestand auf die Rechtskenntnis einer Person an, muss sie nicht nur alle Einzeltatsachen kennen, aus denen der rechtliche Schluss gezogen

II.  Problemfälle bei ungeklärtem Vorliegen der Kenntnis

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werden kann, sondern sie muss die Folgerung selbst vorgenommen haben. Der Rechtsanwender, der vor der Frage steht, ob die Person die Rechtskenntnis hat, muss zunächst den Gegenstand der tatbestandlich geforderten Kenntnis selbst ermitteln. Dazu muss der Rechtsanwender alle für die Rechtskenntnis im Einzelfall erforderlichen einzelnen Tatsachen bestimmen und nachfolgend die rechtlichen Folgerungen aus diesen Einzeltatsachen eigenständig ableiten. Diese rechtliche Wertung des Rechtsanwenders legt somit gleichsam den Umfang und den Gegenstand der tatbestandlich geforderten Kenntnis fest. Damit beruht eine solche Bestimmung des Merkmals der Kenntnis stets auf einer Wertung und ist immer normativ. Einige Beispiele verdeutlichen die Notwendigkeit der rechtlichen Bewertung durch den Rechtsanwender und der damit verbundenen wertenden Bestimmung des Gegenstandes der tatbestandsrelevanten Kenntnis: Gemäß §  173 Alt.  1 BGB finden die Vorschriften über die Fortwirkung der Vollmacht zugunsten desjenigen keine Anwendung, der „das Erlöschen der Vertretungsmacht bei der Vornahme des Rechtsgeschäfts kennt“. Das Erlöschen der Vertretungsmacht ist die rechtliche Wertung der möglichen Tatsachen, die beispielsweise zu einem Widerruf der Vollmacht führten. Wenn dem Geschäftspartner z. B. die Kraftloserklärung der Vollmachtsurkunde gemäß §§  176 I, 172 II Alt.  2 BGB bekannt ist, er jedoch daraus nicht den Schluss zieht, dass damit die Vollmacht erloschen ist und er fortan nur noch mit einem falsus procurator kontrahieren kann, fehlt ihm die Kenntnis vom Erlöschen der Vollmacht i. S. d. §  173 Alt.  1 BGB. Eine solche unzutreffende rechtliche Wertung kann mitunter darauf beruhen, dass der Geschäftspartner annimmt, bei einer ihm gegenüber gesondert mitgeteilten Vollmacht müsse auch ein Erlöschen ihm gegenüber gesondert angezeigt werden, so wie es gemäß §  170 BGB bei der Vollmachtserteilung gegenüber dem Dritten wäre und eine bloße Kraftloserklärung der Vollmachtsurkunde nicht ausreichen würde.47 Gemäß §  407 I BGB muss der Schuldner „die Abtretung“ kennen. Zusätzlich zu den beiden für eine Abtretung notwendigen Willenserklärungen zwischen Zedent und Zessionar muss dem Schuldner auch die Wirkung eines Forderungsübergangs klar sein. Andernfalls fehlt ihm die Kenntnis von der Abtretung, d. h. dem Rechtsinstitut, das zum Übergang der Forderungszuständigkeit führt. Daran kann es fehlen, wenn dem Schuldner nur mitgeteilt wird, dass fortan an eine andere Person geleistet werden soll, weil sein ursprünglicher Gläubiger die Forderung im Rahmen eines dem Schuldner im Einzelnen unbekannten Factoring geltend machen lässt.48 Gemäß §  819 I BGB haftet der Empfänger einer Leistung verschärft, wenn er „den Mangel des rechtlichen Grundes“ kennt. Dies setzt voraus, dass der Emp47 

48 

Vgl. hierzu oben §  7 I. Vgl. hierzu oben §  7 IV.

402

§  9  Zusammenführung der Untersuchungsergebnisse

fänger die rechtliche Wertung vornimmt, dass der vermeintliche Anspruch, auf den der Schuldner leistet, nicht besteht. Selbst sich aufdrängende Zweifel an dem Bestand der Forderung können eine tatbestandlich geforderte Rechtskenntnis von dem Mangel des rechtlichen Grundes nicht ersetzen. Hat der Empfänger der Leistung die rechtliche Bewertung der ihm bekannten Tatsachen nicht vorgenommen, liegt keine (Rechts-) Kenntnis i. S. d. §  819 I BGB vor.49 Ähnliche Anforderungen an die rechtliche Bewertung der bekannten Tat­ sachen gelten für die von §  814 BGB vorausgesetzte Kenntnis des Schuldners, „dass er zur Leistung nicht verpflichtet war“. Auch bei der Kenntnis der Nichtschuld i. S. d. §  814 BGB reichen weder sich aufdrängende noch berechtigte oder naheliegende Zweifel für die (Rechts-) Kenntnis des Schuldners aus.50 Beide Fälle der Abgrenzung des Zweifels von der Kenntnis (§  819 I und §  814 BGB) können beispielsweise relevant werden, wenn der Mieter einer Einliegerwohnung zum Mietvertragsende die Wohnung renoviert, obwohl die in dem zugrunde liegenden Formularmietvertrag verwendete Klausel zur Erbringung der Schönheitsreparaturen durch den Mieter unwirksam ist. In diesen Fällen liegt die Annahme erheblicher Zweifel des Mieters an der Wirksamkeit der Klausel in dem Mietvertrag durch die mediale Berichterstattung über die Entscheidungen des BGH51 über mehrere Jahre zu der Wirksamkeit von solchen formularmietvertraglichen Regelungen über Schönheitsreparaturen durchaus nahe. Allerdings liegt weder bei einem Privatvermieter einer Einliegerwohnung noch bei einem Mieter ohne Weiteres die Rechtskenntnis vor, dass der im Formularvertrag (vermeintlich) begründete Anspruch auf mieterseitige Erbringung der Schönheitsreparaturen nicht besteht und damit die tatbestandlich geforderte (Rechts-) Kenntnis des Vermieters vom „Mangel des rechtlichen Grundes“ (§  819 I BGB) bzw. des Mieters, „dass er zur Leistung nicht verpflichtet war“ (§  814 BGB).52 Leistender bzw. Leistungsempfänger müssen vielmehr die ihnen bekannten Tatsachen – insbesondere im Beispiel die im Formularvertrag verwendete Klausel und die Rechtsprechung zur Unwirksamkeit solcher oder ähnlicher Klauseln – zum Anlass genommen haben, die eigene (die vermeint­ liche Vertragspflicht begründende) Klausel rechtlich zu würdigen und dabei zu dem Ergebnis kommen, dass auch diese Klausel einer Inhaltskontrolle gemäß §  307 I, II Nr.  1 BGB nicht standhält und damit unwirksam ist, so dass im Beispiel der Vermieter den Mangel des rechtlichen Grundes kennt (§  819 I BGB) bzw. der Mieter weiß, dass er zur Leistung nicht verpflichtet ist (§  814 BGB). Gemäß §  892 I BGB ist der öffentliche Glaube des Grundbuches gegenüber demjenigen Erwerber eines Rechts an einem Grundstück eingeschränkt, dem 49 

Vgl. hierzu oben §  7 III. Vgl. hierzu oben §  6 I. 51  BGH NZM 2004, 653; BGH NJW-RR 2009, 947; BGH NJW 2009, 2590; BGH NJW 2009, 3716; BGH NJW 2004, 2586, 2587; BGH NJW 2010, 2877 Tz.  21; BGH NZM 2015, 374. 52  Vgl. hierzu Schrader, JA 2015, 341, 350. 50 

II.  Problemfälle bei ungeklärtem Vorliegen der Kenntnis

403

„die Unrichtigkeit des Grundbuches bekannt ist“. Das setzt voraus, dass der Erwerber die wahre Rechtslage kennt und diese sich objektiv nicht mit der aus dem Grundbuch ersichtlichen deckt.53 Daher ist beispielsweise ein Erwerb von einem Nichtberechtigten, aber im Grundbuch als Eigentümer eingetragenen Scheinerben möglich, wenn der Scheinerbe zwar bei gesetzlicher Erbfolge Erbe sein würde, aber der Erblasser in einem bislang unbekannten Testament einen anderen Erben bestimmt hat. Kennt der Erwerber die zerstrittene Fami­ liensituation und auch die Tatsache, dass der Erblasser einst ein Testament errichtet hat, das der Erwerber bei einem noch nicht auffindbaren Angehörigen wähnt, hat er dennoch keine Kenntnis von der Unrichtigkeit des Grundbuches. Der Schluss von einem möglicherweise existierenden Testament auf eine gewillkürte Erbfolge ist zwar naheliegend, doch liegt die Kenntnis von der Unrichtigkeit der im Grundbuch wiedergegebenen Eigentumslage nicht vor. Vielmehr fehlt es in dem Beispiel bereits an der Kenntnis geeigneter Tatsachen, aus denen die rechtliche Bewertung der Unrichtigkeit des Grundbuches abgeleitet werden könnte, denn erst die Kenntnis von der Existenz des Testaments im Zeitpunkt des Erbfalls könnte überhaupt die Kenntnis von der Unrichtigkeit des Grundbuches begründen. (2)  Kenntnis als Verfügen über die Information mit Herstellung des Kontextbezugs (Kontextuierung) Setzt ein Tatbestand keine Rechtskenntnis voraus, ist das Tatbestandsmerkmal der Kenntnis von Tatsachen nicht stets deskriptiv. Der Rechtsanwender muss häufig zunächst selbst bestimmen, was die Tatsachen sind, auf die sich die Kenntnis beziehen muss, selbst wenn die Tatsachen nicht so eindeutig durch Wertung gewonnen werden, wie es bei der Rechtskenntnis zu Tage tritt. Es handelt es sich bei der Bestimmung, welche Tatsachen von der Kenntnis umfasst sein müssen, nicht lediglich um die Auslegung des Tatbestandsmerkmals der Kenntnis, die der Tatbestand voraussetzt. Vielmehr geht es um die vorgelagerte Frage, welchen Bezugspunkt die Kenntnis hat. Deutlich wird dies durch die regelmäßig in Tatbeständen zu findende Spezifizierung, worauf sich die Kenntnis beziehen muss, wobei der Bezugspunkt der Kenntnis einen Begriff enthält, der vom Rechtsanwender durch Wertung zu ermitteln ist. Beispiele hierfür sind die „den Anspruch begründenden Umstände“ in §  199 I Nr.  2 BGB, die „für die Kündigung maßgebenden Tatsachen“ in §  626 II 2 BGB oder „der Mangel der Mietsache“, der sich im Laufe der Mietzeit (dem Mieter) „zeigt“ in §  536c I 1 BGB. Die vom Rechtsanwender vorzunehmende Wertung beinhaltet dann keine rechtliche Würdigung im Sinne einer Subsum­ tion, so dass der Betroffene Kenntnis vom Subsumtionsergebnis als Rechtskenntnis hat. Allerdings reicht es für die tatbestandlich erforderliche Kenntnis 53 

Vgl. hierzu oben §  7 II.

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§  9  Zusammenführung der Untersuchungsergebnisse

nicht aus, dass der Betroffene lediglich alle Einzeltatsachen isoliert kennt, diesen aber nicht die im Tatbestand vorausgesetzte rechtliche Relevanz beimisst, dass die Einzeltatsachen für eine (im Einzelnen dem Betroffenen unbekannte) Rechtsfolge überhaupt von Bedeutung sein können. Daher reicht es im Rahmen der für die Verjährung relevanten Kenntnis i. S. d. §  199 I Nr.  2 BGB nicht aus, dass der Gläubiger zwar das Schadensbild an seinem Auto und die Person seines Nachbarn kennt und weiß, dass die Farbspuren am eigenen Fahrzeug der Farbe des Fahrzeugs des Nachbarn ähneln und er das Fahrzeug des Nachbarn seit dem Schaden nicht mehr gesehen hat, jedoch alle diese Einzelinformationen nicht in den Kontext eines möglichen Schadensersatzanspruchs gegen den Nachbarn wegen einer eventuellen Kollision beider Fahrzeuge bringt.54 Der BGH stellt für die Bestimmung der notwendigen Informationsdichte, die beim Gläubiger vorhanden sein muss, um die Verjährungsfrist in Gang zu setzen, auf die Zumutbarkeit einer Klageerhebung ab, die den (verjährenden) Anspruch zum Gegenstand hat.55 Auch die „für die Kündigung maßgebenden Tatsachen“ in §  626 II 2 BGB sind kontextbezogene Tatsachen, bei denen sich die Kenntnis auch auf den Kontext und nicht bloß auf die Einzelinformationen beziehen muss. Es reicht nicht aus, dass der Kündigungsberechtigte bloße Kenntnis von den Einzeltatsachen hat, ohne dass er diesen die Relevanz beimisst, dass diese für den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses relevant sein könnten. Ein konkretes Beispiel verdeutlicht dies. Kennt der Arbeitgeber seine Arbeitnehmer alle persönlich bzw. von ihrer Tätigkeit in seinem Betrieb und hat er daneben auch Kenntnis von regelmäßigen Kassenfehlbeträgen, weiß aber nicht, welcher Arbeitnehmer diese Kassenfehlbeträge verursacht, hat er keine Kenntnis im Sinne von §  626 II BGB, obwohl ihm fast alle Einzelinformationen bekannt sind. Freilich weiß er nicht genau, wer den Kassenfehlbestand verursacht hat. Ist dem Arbeitgeber außerdem bekannt, dass der langjährige Arbeitnehmer seit kurzer Zeit mit einem neuen und ungewöhnlich teuren Auto zur Arbeit kommt, hat der Arbeitgeber damit keine Kenntnis von der Person, die die Kassenfehlbeträge verursacht hat, obwohl die Fehlbeträge den Arbeitnehmer möglicherweise zu der Finanzierung des Fahrzeugs veranlasst haben könnten.56 Es fehlt in diesem Fall an der Kontextuierung der Tatsachen. Die Rechtsprechung umschreibt die notwendige Informationsdichte des Kündigungsberechtigten mit der Möglichkeit einer informierten Entscheidung darüber, ob das Arbeitsverhältnis weiter zumutbar ist oder nicht.57 Den Mieter trifft gegenüber dem Vermieter eine Anzeigepflicht, wenn sich während der Mietzeit ein Mangel der Mietsache „zeigt“, §  536c I 1 BGB. Das an 54 

Vgl. oben §  5 I 2b (3) sowie §  5 I 2c (4) dd. oben §  5 I 2b und c; BGH NJW-RR 2009, 547, 548 Tz.  19 m. w. N.; ferner BGH NJW 1999, 2041. 56  Ähnliches Beispiel bei Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, 8.  A ., 2015, Rn.  670. 57  Statt vieler BAG NZA-RR 2006, 440, 441 Tz.  21; vgl. oben §  5 II 3. 55  Vgl.

II.  Problemfälle bei ungeklärtem Vorliegen der Kenntnis

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sich objektiv formulierte Tatbestandsmerkmal des „Zeigens“ des Mangels hat einen umfassenden subjektiven Kern, über den die Grenzen der Anzeigepflicht bestimmt werden müssen.58 Der Mieter kann nicht verpflichtet sein, dem Vermieter einen ihm unbekannten Mangel anzuzeigen. Allerdings leitet die Rechtsprechung59 aus der Obhutspflicht des Mieters ab, dass der Mieter nicht nur diejenigen Mängel anzeigen muss, die er positiv kennt (z. B. ein defektes Türschloss in der Eingangstür), sondern die Anzeigepflicht auch dann verletzt wird, wenn der Mieter während „der Mietzeit übersieht, ‚was jedermann sieht‘“. Der BGH stellt damit eine Verbindung zwischen der Zustandsänderung, die der Mieter zwangsläufig durch seinen Gebrauch bemerkt, und dem Umstand her, dass der Mieter die Mietsache gemietet hat, d. h. dass der Vermieter die Gebrauchsüberlassung schuldet (§  535 I 2 BGB) und daher auf die Information des Mieters angewiesen ist. Der Mieter muss dementsprechend die Tatsache der bloßen Veränderung der Mietsache in den Zusammenhang der mietvertraglichen Gewährleistung bringen. Andernfalls kann aus der Obhutspflicht des Mieters keine Anzeigepflicht gegenüber dem Vermieter abgeleitet werden. Die durch den vertragsgemäßen Gebrauch entstandene Verschlechterung der Mietsache braucht der Mieter dem Vermieter nicht anzuzeigen. Daraus folgt, dass es nicht ausreicht, dass der Mieter eine Veränderung der Mietsache überhaupt bemerkt, sondern er diese auch in den Kontext einer möglichen Gewährleistungshaftung des Vermieters bringen muss. Diese Beispiele zeigen, dass es für die tatbestandsrelevante Kenntnis in der Regel nicht ausreicht, dass der Betroffene über alle Einzelinformationen verfügt, aus denen die tatbestandlich relevante Kenntnis ableitbar wäre. Zwar muss bei den Tatbeständen, die keine Rechtskenntnis voraussetzen, der Betroffene keine rechtliche Wertung der Einzeltatsachen im Sinne einer Subsumtion vornehmen. Allerdings muss er die Einzelinformationen in den Kontext der rechtlichen Relevanz bringen, auf die der Tatbestand abzielt, der die Kenntnis voraussetzt. Die Einzeltatsachen sind mithin zu kontextuieren. (3)  Feststellung rechtlicher Bindungswirkung von rechtsgeschäftlichen Erklärungen In der Rechtsgeschäftslehre ist der jeweilige Kenntnisstand der beteiligten Akteure als Ausgangspunkt für die Bindungswirkung von Willenserklärungen von entscheidender Bedeutung. Damit ist der jeweilige Kenntnisstand der Erklärenden das Fundament der Rechtsgeschäftslehre. Nach traditionellem Verständnis wird der Relevanz des jeweiligen Kenntnisstandes des Erklärenden bei der Beantwortung von Zweifelsfragen nicht immer hinreichend Rechnung getragen. Versteht man den Kenntnisstand jedoch als Grundlage vertraglicher 58  59 

Vgl. oben §  6 III 2. BGH NJW 1977, 1236, 1237.

406

§  9  Zusammenführung der Untersuchungsergebnisse

Übereinkünfte und den Abgleich des jeweiligen Kenntnisstands des Erklärenden mit dem des Erklärungsempfängers als konstitutives Element vertraglicher Bindung, dann lassen sich auch Sonderkonstellationen, wie beispielsweise die Abgabe einer Willenserklärung ohne Erklärungsbewusstsein, stimmig behandeln. 60 Dabei wird dem jeweiligen Kenntnisstand ein höherer Stellenwert eingeräumt, als dies nach dem bisherigen Verständnis der Vertragsrechtslehre der Fall ist. Wenn die vertragliche Bindung das Ergebnis der Verantwortung für eigenes rechtsgeschäftliches Handeln im Sinne der Privatautonomie ist, so ist dem Kenntnisstand des Erklärenden, der an seine Erklärung gebunden sein soll, ein ausschlaggebender Stellenwert beizumessen. Schließlich bildet der Erklärende seinen erklärten Willen gerade auf der Grundlage seines Kenntnisstandes. Gleiches gilt auch für den Erklärungsempfänger, der die ihm zugehende Erklärung deshalb zur Grundlage seiner eigenen Willensbildung und anschließend seiner Willenserklärung machen kann, weil er den vom Gegner geäußerten Willen in seinen Kenntnisstand aufnimmt. Damit wird deutlich, dass weniger die Übereinstimmung des Willens die spätere vertragliche Bindung formt als vielmehr die übereinstimmenden Vorstellungen, die durch das Medium der Willenserklärung synchronisiert werden, um darauf aufbauend einen gemeinsamen Willen zur vertraglichen Bindung erreichen zu können. Rückt man die gemeinsamen, vor Vertragsschluss bestehenden Vorstellungen (d. h. den übereinstimmenden bzw. den abgestimmten Kenntnisstand) der künftigen Vertragsparteien bei der Betrachtung der Rechte zur Lösung von einer begründeten vertraglichen Bindung in den Fokus, sind beachtliche und unbeachtliche Fehlvorstellungen besser differenzierbar. Stellt man nämlich bei der Untersuchung, ob eine Fehlvorstellung, die einer Willensbildung und -erklärung zugrunde lag, nicht bloß auf den Kenntnisstand des Erklärenden ab, sondern bezieht den Kenntnisstand des Erklärungsempfängers in die Betrachtungen mit ein, können bereits bei der Bestimmung, ob sich der Erklärende überhaupt von der vertraglichen Bindung lösen kann, die Wertungen einfließen, die andernfalls erst auf der Sekundärebene des Ersatzes des Vertrauensschadens (§  122 II BGB) Beachtung finden. 61 Der Kenntnisstand des Erklärenden und auch der des Erklärungsempfängers haben bei der Frage des Eintritts der vertraglichen Bindung zunächst eine deskriptive Komponente: Schließlich geht es um die Frage, ob derjenige, der einen Willen gebildet und anschließend geäußert hat, über einen Kenntnisstand verfügt hat, der die jeweils relevanten Informationen enthält. Allerdings ist die Frage der Relevanz und der Auswahl der Informationen, die für die Ermittlung des Eintritts der vertraglichen Bindung bzw. der Möglichkeit der Lösung von dieser Bindung maßgeblich sind, von Wertungen des Rechtsanwenders abhängig. Da60  61 

Siehe oben §  8 IV 2c (2). Vgl. oben §  8 IV 2c (2).

II.  Problemfälle bei ungeklärtem Vorliegen der Kenntnis

407

mit ist der Charakter des für die vertragliche Bindung relevanten Kenntnisstandes ein normativer Begriff. Besonders deutlich wird dies, wenn der Gegenstand der Kenntnis mit dem Vertrag in einer besonderen Beziehung stehen muss, wie dies beispielsweise bei der Vertragswesentlichkeit der Eigenschaft der Fall ist: Die Vertragswesentlichkeit der Eigenschaft ist erforderlich, damit sich eine Fehlvorstellung im Bereich der Willensbildung (d. h. ein unzutreffender Kenntnisstand) auf die Bindungswirkung der Erklärung auswirkt, der einer Willensbildung zugrunde liegt, die wiederum auf dem unzutreffende Kenntnisstand aufbaute. 62 Solche Einschränkungen der Relevanz des Kenntnisstandes beeinflussen dessen Umfang und die Bestimmung durch den Rechtsanwender unmittelbar. Er muss zunächst wertend ermitteln, über welche Informationen der Erklärende verfügen muss, damit dieser in der Lage ist, einen fehlerfreien Willen zu bilden und welche Informationen (bzw. dementsprechend auch welche möglichen Fehlvorstellungen) für die vertragliche Bindung irrelevant sind. Somit ist die für das Vertragsrecht relevante Kenntnis regelmäßig normativ zu bestimmen. (4)  Im Tatbestand enthaltene Grenzen normativer Bestimmung durch Nennung möglicher Gegenstände der Kenntnis Einige Tatbestände, die einen Kenntnisstand voraussetzen, beschreiben den Gegenstand der Kenntnis zum einen deskriptiv, indem sie die Bezugstatsachen genau auflisten. Zum anderen dehnen diese Normen häufig den Kreis möglicher Bezugstatsachen aus, wobei diese Tatsachen mit der tatbestandsrelevanten Kenntnis in besonderer Weise verbunden sein müssen. Die Einbeziehung weiterer Tatsachen, auf die sich die Kenntnis beziehen kann, ist dann darauf gerichtet, dass von den entfernteren Tatsachen in besonderer Weise auf den Gegenstand der Kenntnis geschlossen werden kann. Die mit der Ausdehnung des Kreises der Bezugstatsachen verbundene enge Verbindung zwischen weiteren Tatsachen und dem eigentlich tatbestandlich geforderten (engen) Gegenstand der Kenntnis ist regelmäßig durch Wertung zu bestimmen. Dadurch wandelt sich die an sich deskriptiv beschriebene Ausdehnung der Bezugstatsachen in die Anordnung wertender Bestimmung der Kenntnis durch den Rechtsanwender. Dieser Zusammenhang zwischen einer Erweiterung des Kreises der Bezugstatsachen und enger Verbindung dieser Tatsachen mit dem tatbestandlich geforderten (engen) Gegenstand der Kenntnis wird vor allem im Insolvenzrecht deutlich: Die insolvenzrechtlichen Anfechtungstatbestände setzen häufig die Kenntnis des Anfechtungsgegners von krisenrelevanten Tatsachen voraus: Beispielsweise muss der Schuldner gemäß §  130 I 1 InsO Kenntnis von der Zahlungsunfähigkeit oder dem Eröffnungsantrag haben bzw. muss dem Schuldner gemäß §  131 I Nr.  3 InsO bekannt gewesen sein, dass die angefochtene Handlung 62 

Siehe oben §  8 IV 3a (3) bb (iv).

408

§  9  Zusammenführung der Untersuchungsergebnisse

die Insolvenzgläubiger benachteiligte. Neben der Voraussetzung der Kenntnis schränken die Anfechtungstatbestände die Möglichkeit der Massemehrung regelmäßig durch die Eingrenzung der Zeiträume ein, in denen die angefochtene Handlung vorgenommen wurde. Bei der bloßen Betrachtung dieser Voraussetzungen erscheint die Voraussetzung der Kenntnis als einziges Merkmal des Tatbestandes, das durch Wertung gewonnen werden könnte. Die übrigen Voraussetzungen des jeweiligen Anfechtungstatbestandes betreffen in der Regel Tatsachen, in die keine Wertung einfließen kann (Berechnung von Zeiträumen). Jedoch täuscht dieser Befund. Während der Beratungen über die Neufassung der Anfechtungstatbestände im Rahmen der Insolvenzrechtsreform63 wurde der Vorschlag der tatbestandlichen Gleichstellung von positiver Kenntnis mit der (grob) fahrlässigen Unkenntnis nicht umgesetzt. Stattdessen fügte der Gesetzgeber die tatbestandliche Ausdehnung der Bezugsobjekte der Kenntnis ein: Gemäß §  130 II InsO steht es der Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit oder des Eröffnungsantrags gleich, wenn die Kenntnis von Umständen vorliegt, „die zwingend auf die Zahlungsunfähigkeit oder den Eröffnungsantrag schließen lassen.“ Ebenso stellt §  131 II 1 InsO der in §  131 I Nr.  3 InsO vorausgesetzten Kenntnis von der Benachteiligung der Insolvenzgläubiger „die Kenntnis von Umständen gleich, die zwingend auf die Benachteiligung schließen lassen.“ Dadurch wird freilich zunächst nur der tatbestandliche Bereich der Gegenstände ausgedehnt, auf die sich die Kenntnis beziehen kann. Allerdings eröffnet diese tatbestand­ liche Erweiterung jedoch auch eine Möglichkeit, die Grenzen der Voraussetzungen der insolvenzrechtlichen Anfechtung durch Wertung zu bestimmen: 64 Beide Tatbestände (§  130 II und §  131 II 1 InsO) stellen darauf ab, ob der Schluss von den Tatsachen, die dem Schuldner bekannt sind, auf diejenigen Tatsachen, auf die sich die Kenntnis beziehen muss, die von dem jeweiligen Anfechtungstatbestand vorausgesetzt werden, „zwingend“ ist. Ob ein solcher Schluss „zwingend“ i. S. d. §  130 II bzw. §  131 II 1 InsO ist, ist durch Wertung zu ermitteln. Ähnliche Fragestellungen sind diejenigen, die darauf gerichtet sind, ob ein Schluss von bekannten auf die tatbestandlich vorausgesetzten Tatsachen „auf der Hand liegend“ ist oder der Schuldner sich dieser Erkenntnis redlicherweise nicht hätte entziehen können. Die tatbestandliche Ausdehnung auf weitere (bekannte) Tatsachen, von denen zwingend der Schluss auf die tatbestandsrelevanten Tatsachen zu ziehen ist, ist eine Einfügung eines Merkmals, das durch Wertung zu ermitteln ist: 65 Die Bewertung, ob der Schluss zwingend ist, beruht auf einer Wertung, die in jedem Einzelfall vorzunehmen ist.

63 Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses zur InsO vom 19.04.1994, BT-Drcks. 12/7302, S.  173. 64  Vgl. oben §  7 V 2 c. 65  Vgl. oben §  7 V 2c (2).

III.  Vermeidung der Rechtsanwendungsprobleme

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III.  Vermeidung der Rechtsanwendungsprobleme im Wege einer gestuften Prüfung der Kenntnis 1.  Unterscheidung von drei Fallkonstellationen Rechtsanwendungsschwierigkeiten bereiten die Fälle, in denen das Tatbestandsmerkmal der Kenntnis nicht nachweisbar ist. Die daraus häufig resultierende Vermischung der Bestimmung, ob ein Sachverhalt vorliegt (Person verfügt über die tatbestandlich geforderte Kenntnis), und der Bestimmung der definitorischen Grenzen des Tatbestandsmerkmals der Kenntnis von den relevanten Tatsachen ist zu vermeiden. Auf diese Weise werden Rechtsanwendungsergebnisse einerseits vorhersehbarer und andererseits werden die Konturen von Tatbestandsmerkmalen weniger dadurch verwischt, dass sich ergebnisbezogene Wertungskorrekturen an einem in tatsächlicher Hinsicht schwierig zu bestimmenden Tatbestandsmerkmal entladen. Um die regelmäßig bei der Bestimmung der Kenntnis auftretenden Schwierigkeiten zu vermeiden, muss zunächst klar sein, in welchem Schritt der Rechtsanwendung eine Wertung vorgenommen wird und werden darf. Dabei sind im Wesentlichen drei Fälle zu unterscheiden. a.  Unkenntnis beruht auf Fahrlässigkeit des Betroffenen Für die Erfüllung des Tatbestandes einiger Normen (z. B. §§  173, 199 I Nr.  2, 932 II BGB) reicht es aus, dass statt einer positiv vorliegenden Kenntnis (grob) fahrlässige Unkenntnis gegeben ist. Für die Erfüllung dieser Tatbestandsalternative braucht keine Kenntnis des Betroffenen vorzuliegen. Es reicht, wenn der Betroffene bei Einhaltung der an ihn gerichteten Sorgfaltsanforderungen den tatbestandlich beschriebenen Gegenstand der Kenntnis kennen könnte, d. h. sich diesen erschließen könnte oder auch sich informieren könnte, so dass er schließlich über den Kenntnisstand verfügen könnte, den die Norm voraussetzt. Die Gleichstellung von fahrlässiger Unkenntnis mit der positiven Kenntnis bewirkt in der Regel, dass wesentlich mehr Fälle unter den jeweiligen Tatbestand fallen. Der Grund dafür liegt beispielsweise in der für weniger gewichtig eingestuften Schutzwürdigkeit des Betroffenen als in den Fällen, in denen nur die positive Kenntnis zur Erfüllung des Tatbestandes ausreicht. Dies zeigt sich an dem Beispiel des gutgläubigen Erwerbs und dessen Abhängigkeit von der Verlässlichkeit des Rechtsscheinträgers. Gründet der Betroffene sein Vertrauen bloß auf den Besitz einer beweglichen Sache, so reicht bereits der Zweifel an der Eigentümerstellung des als Nichtberechtigter Verfügenden aus, um den gutgläubigen Erwerb zu verhindern, §  932 BGB. Anders ist dies, wenn der Veräußerer zwar nichtberechtigt ist, sein Recht jedoch aus dem (wegen der streng formalen Verfahrensvorschriften) verlässlichen Grundbuch ersichtlich ist. Dann muss der Erwerber positive Kenntnis von der Unrichtigkeit des Rechts-

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§  9  Zusammenführung der Untersuchungsergebnisse

scheinträgers haben, §  892 I 1 BGB, damit der gutgläubige Erwerb ausgeschlossen ist. 66 Beide Fälle des gutgläubigen Erwerbs machen das Problem deutlich, das mit der Bestimmung des Kenntnisstandes einhergeht. Beim gutgläubigen Erwerb beweglicher Sachen spielt die Frage, wie der Kenntnisstand des Erwerbenden zu ermitteln ist, nur eine geringe Rolle. Die in diesem Zusammenhang diskutierte Frage ist die nach den Sorgfaltsanforderungen, die an den Erwerber gestellt werden. Er darf zwar auf den Besitz als Indiz für die Eigentümerstellung vertrauen, muss jedoch bei Anzeichen für Zweifel tätig werden und es werden dann umfangreiche Nachforschungsobliegenheiten an ihn gerichtet. Kommt er diesen nicht nach, bleibt ihm der Erwerb vom Nichtberechtigten verwehrt. Die ergebnisbezogene Wertung, ob der gutgläubige Erwerb im Einzelfall „gerechtfertigt“ erscheint, d. h. ob der Erwerber das Eigentum gutgläubig zulasten des wahren Eigentümers erwerben kann, kann der Rechtsanwender durch gezielte Formulierung der Sorgfaltsanforderungen an den Erwerber beeinflussen, dass dieser sich einen Kenntnisstand verschafft, bei dem ihm die fehlende Eigentümerstellung aufgefallen wäre. Dem Rechtsanwender von §  892 I 1 BGB fehlt diese bei den beweglichen Sachen bestehende Möglichkeit, ergebnisbezogene Wertungen in seine Rechtsanwendung im Rahmen der Formulierung der Sorgfaltsanforderungen einfließen zu lassen. Der Tatbestand von §  892 I 1 BGB sieht nicht vor, Sorgfaltsanforderungen an den Betroffenen zu stellen. Der Tatbestand unterscheidet offenbar nur zwei Fälle: Entweder verfügt der Erwerber über die Kenntnis von der Unrichtigkeit des Grundbuchs oder er kennt die Unrichtigkeit des Grundbuchs nicht. Die Rechtsprechung67 greift in Zweifelsfällen, bei denen der gutgläubige Erwerb im Ergebnis nicht gerechtfertigt erscheint, auf die „sich-nicht-verschließen-­ dürfen“-Formel zurück. Häufig legen es Zweifel an der Berechtigung des im Grundbuch eingetragenen Rechts nahe, dass die Rechtslage nicht mit der aus dem Grundbuch ersichtlichen übereinstimmt. Dem Rechtsanwender steht aber beim gutgläubigen Erwerb gemäß §  892 I 1 BGB die Definitionsmacht nicht zu, Sorgfaltsanforderungen an den Erwerber zu formulieren, nach denen ihm die Unrichtigkeit des Grundbuchs auffallen müsste, wenn er die Sorgfaltsanforderungen erfüllt. Daher überrascht es nicht, dass das tatbestandlich vorgegebene, jedoch dem Gerechtigkeitsgefühl widerstrebende Ergebnis bei der Rechtsanwendung Unbehagen hervorruft und der Rechtsanwender häufig nach Korrekturmöglichkeiten sucht. Eine solche Korrekturmöglichkeit ist beispielsweise die 66  Zum Verhältnis zwischen der Verlässlichkeit des Rechtsscheinträgers und den Anforde­ rungen im Hinblick auf den Kenntnisstand des gutgläubig Erwerbenden siehe ausführlich oben §  7 II. 67 Beispiele (hauptsächlich zu §   852 I BGB i. d. F. bis 2001) finden sich bei BGH NJW 2001, 1721, 1722; BGH NJW 2003, 288, 289; BGH NJW 1996, 2933, 2934; BGH NJW-RR 1990, 606, 607; BGH NJW 1958, 668.

III.  Vermeidung der Rechtsanwendungsprobleme

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definitorische Erweiterung des tatbestandlichen Merkmals der Kenntnis: Es erfolgt keine Feststellung, sondern vielmehr eine Unterstellung, dass der Betroffene über die Kenntnis verfügt, wenn er sich der Kenntnis verschließt, indem er es „versäumt, eine gleichsam auf der Hand liegende Erkenntnismöglichkeit wahrzunehmen, und letztlich das Sichberufen auf die Unkenntnis als Förmelei erscheint, weil jeder andere in der Lage des Geschädigten unter denselben konkreten Umständen die Kenntnis gehabt hätte“. 68 Damit deutet der BGH an, dass die tatsächlich nicht vorliegende (d. h. nicht nachweisbare) Kenntnis in den Fällen nicht nur vorliegen könnte, sondern (bei jedermann) vorliegen würde. Allerdings bleibt der BGH die Antwort auf die Frage schuldig, wann eine tatbestandliche Gleichbehandlung von einer Person, die behauptet, nicht über die Kenntnis zu verfügen, mit einer Person, die über die Kenntnis verfügt, gegeben sein soll. Insbesondere ist der Verweis auf „die Förmelei“ unscharf. Schließlich entscheidet die Antwort auf die Frage nach der Kenntnis meist über den Eintritt der Rechtsfolge der Norm. Hierbei erscheint ein vom Rechtsgefühl getragener Verweis auf den Anschein von Förmelei wenig überzeugungskräftig, wenn sich eine möglicherweise tatsächlich unwissende Person hierauf beruft. Ein erster Anhaltspunkt für eine strukturierte Vorgehensweise bei der Bestimmung des Kenntnisstandes ist jedoch der Verweis des BGH auf die von jedermann vorzunehmende Erweiterung des eigenen Kenntnisstandes in gleicher Situation. b.  Würde die behauptete Unkenntnis bei Reflexion über tatbestandlichen Sachverhalt nicht vorliegen? Der vorstehende Fall der fahrlässigen Unkenntnis zeichnet sich dadurch aus, dass der Betroffene nicht über den tatbestandlich erforderlichen Kenntnisstand verfügt. Er könnte jedoch über die Kenntnis verfügen, wenn er die Sorgfaltsanforderungen beachten würde, die an ihn gerichtet sind. Es ist unerheblich, ob der Betroffene bloß nicht nachgedacht hat und aus den ihm bekannten Informationen nicht die naheliegenden Schlüsse gezogenen hat oder ob er sich erst gar keine Informationsgrundlage geschaffen hat, die ihn in die Lage versetzen würde, zu dem tatbestandlich geforderten Gegenstand der Kenntnis zu gelangen. Der Kenntnisstand ist letztlich unerheblich, denn die Rechtsfolge tritt deshalb ein, weil die Sorgfaltsanforderungen nicht erfüllt wurden. Davon ist der Fall zu unterscheiden, dass der tatbestandlich geforderte Kenntnisstand zwar vorliegt, der Betroffene diesen Kenntnisstand aber nicht einräumt. Dann ist der Kenntnisstand nur nicht nachweisbar. Die Grenze zwischen der bloß behaupteten Unkenntnis und der tatsächlich vorliegenden Unkenntnis ist allerdings schwer zu ziehen. Dies ist aber kein bloßes Problem des Nachweises des Kenntnisstandes, sondern bereits der korrekten Erfassung des Gegenstandes der tatbestandlich erforderlichen Kenntnis selbst. In diesen Fällen muss eine Bewer68 

BGH NJW 1996, 2933, 2934.

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§  9  Zusammenführung der Untersuchungsergebnisse

tung erfolgen, wie groß der „Abstand“ zwischen der Summe der bekannten Einzelinformationen und dem von der Norm geforderten Kenntnisstand ist. Hierfür reicht ein pauschaler Verweis auf ein eventuelles „Sich-nicht-verschließen-dürfen“ nicht aus. Soll (wie nach der Rechtsprechung üblich) die ermittelte Summe der Einzelinformationen mit dem tatbestandlich geforderten Kenntnisstand gleichgesetzt werden, bedarf es einer Begründung, die über die Aussage hinausgeht, dass der Betroffene sich der Kenntnis nicht hätte verschließen dürfen. Das Ergebnis lautet in diesen Fällen, dass der Betroffene bei einer gebotenen Reflexion über den tatbestandlichen Sachverhalt über den tatbestandlich erforderlichen Kenntnisstand verfügen würde. Der Unterschied zur vorstehenden Fallgruppe der auf Fahrlässigkeit beruhenden Unkenntnis liegt darin, dass zum einen keine Obliegenheit besteht, Informationen zu beschaffen, auf die der Betroffene seine Ableitungen stützt, d. h. sich die (behauptetermaßen fehlenden) Informationen bloß auf die Verknüpfung mit und Ableitungen aus den bekannten Informationen beziehen, zu denen der Betroffene selbst in der Lage ist, d. h. er keine fremde Hilfe für die Erkenntnis braucht. Zum anderen besteht der Unterschied zwischen dem Fall, dass der Betroffene die tatbestandlich erforderliche Kenntnis haben würde und dem Fall, dass er diese Kenntnis nur haben könnte (d. h. fahrlässige Unkenntnis vorliegt), nicht in der Statuierung von Sorgfaltsanforderungen im Hinblick auf die aus den Einzelinformationen konkret zu ziehenden Schlüsse, sondern in der bloßen Statuierung der initialen Anforderung, überhaupt über den Sachverhalt nachzudenken und seinen Kenntnisstand insoweit durch Nachdenken (Reflexion) zu erweitern. Bei der Bestimmung der gebotenen Reflexion durch den Betroffenen muss beachtet werden, dass sich dieser in unterschiedlichen Situationen der geistigen Auseinandersetzung mit den von der kenntnisbezogenen Norm erfassten Sachverhalten befindet: Bei einem Grundstückskauf denkt der Erwerber viel intensiver über zahlreiche Begleitumstände nach als bei dem Erwerb eines geringwertigen Alltagsgegenstandes auf dem Wochenmarkt. Daraus ergibt sich, dass der Betroffene, auf dessen Kenntnisstand es nach dem Tatbestand der Norm ankommt und der über den Sachverhalt nachdenkt, regelmäßig zu einer eigenen Bewertung kommen wird. Die Frage ist daher nicht, ob ihn eine Obliegenheit trifft, überhaupt nachzudenken und für den Fall, dass er dazu nicht in der Lage ist, selbst Ableitungen aus den ihm bekannten Informationen zu tätigen, sondern vielmehr, zu welchem Ergebnis der Betroffene kommen würde, wenn er über diesen Sachverhalt in gebotenem Umfang nachdenkt, ohne dass ihn die Obliegenheit trifft, besonders intensiv über die Sache nachzudenken oder sogar Rat einzuholen. Es geht um die Frage, welchen Kenntnisstand der Betroffene haben würde, wenn er sich ausgehend von den bekannten Informationen und unter Nutzung seiner geistigen Fähigkeiten den Sachverhalt im gebotenen Umfang ins Bewusstsein ruft. Diese Frage dient der Verifizierung des Einwandes des Betroffenen, er habe die tatbestandlich geforderte Kenntnis tatsächlich nicht gehabt.

III.  Vermeidung der Rechtsanwendungsprobleme

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c.  Beruhen der Unkenntnis auf Umständen, die den Eintritt der tatbestandlich vorgesehenen Rechtsfolge unbillig erscheinen lassen Kommt man zu dem Ergebnis, dass der Tatbestand einer Norm nicht erfüllt ist, weil beispielsweise das Merkmal der Kenntnis tatsächlich nicht vorliegt, dann ist die Rechtsfolge der Norm grundsätzlich nicht anwendbar. Nur ausnahmsweise besteht die Möglichkeit, ergebnisbezogen eine Korrektur vorzunehmen. Dies sind Anwendungsfälle des Grundsatzes von Treu und Glauben. Eine spezielle Ausformung hat dieser Grundsatz in §  162 BGB gefunden. Wer demnach auf eine Bedingung wider Treu und Glauben Einfluss nimmt, die für ihn ungünstig ist, wird so behandelt, als sei die Bedingung eingetreten, § 162 I BGB. Übertragen auf die Gestaltung des eigenen Kenntnisstandes bedeutet das, dass derjenige, der nur deshalb nicht über den Kenntnisstand verfügt, weil er diesen wider Treu und Glauben nicht hat, im Ergebnis genauso behandelt wird, als verfüge er über diesen Kenntnisstand. 69 Diese im Hinblick auf die Rechtsfolgen erfolgende Gleichbehandlung des treuwidrig Handelnden ist jedoch eine Ausnahme und sollte nicht generell zur Begründung der Herbeiführung eines für wertungsstimmig erachteten Ergebnis herangezogen werden, wenn das Tatbestandsmerkmal des geforderten Kenntnisstandes nicht vorliegt bzw. bloß der Nachweis sich als schwierig erweist.

2.  Problemfall der (bloß) behaupteten Unkenntnis Die oben beschriebenen drei Fallgruppen sind zu trennen: Es besteht ein offensichtlicher Unterschied zwischen der positiven Kenntnis und der fahrlässigen Unkenntnis. Dies ist weitgehend unstreitig und wird von der Rechtsprechung regelmäßig deutlich hervorgehoben.70 Eine ähnlich trennscharfe Grenzziehung ist aber auch vorzunehmen, wenn der schwer aufklärbare Kenntnisstand einer Person ermittelt werden soll. In dieser Situation gibt es die Möglichkeit, die tatbestandlichen Grenzen der Definition auszuweiten, was unter der von der Norm geforderten Kenntnis zu verstehen ist. Der in der Rechtsprechung in den Fällen (vermutlich) nur behaupteter Unkenntnis verfolgte Weg, die Rechtsfolge der Norm unabhängig von der tatbestandlichen Feststellung der Kenntnis dennoch anzuwenden (Gleichbehandlung wegen des „Sich-nicht-verschließen-dürfens“), ist nur unter den Voraussetzungen der Anwendung des Grundsatzes von Treu und Glauben zulässig. Dehnt man die tatbestandlichen Grenzen des Merkmals „Kenntnis“ durch eine Erweiterung der Definition aus, darf dies je69  Vgl. für Rechtsprechungsbeispiele BGH NJW 2001, 1721, 1722; BGH NJW 1996, 2933, 2934; BGH NJW-RR 1990, 606; sowie oben §  7 II 2a (3). 70 So eindeutig beispielsweise BGH NJW 1996, 2933, 2934: „Der Senat hat stets mit Nachdruck darauf hingewiesen, daß diese Rechtsprechung nicht in dem Sinne mißverstanden werden darf, daß bereits eine – sei es auch grob fahrlässig – verschuldete Unkenntnis der vom Gesetz geforderten positiven Kenntnis gleichstehe“.

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§  9  Zusammenführung der Untersuchungsergebnisse

doch nicht am Einzelfall orientiert erfolgen. Dies ist nämlich nur abstrakt zulässig, d. h. im Vorfeld der Einzelfallbetrachtung müssen die Begriffsgrenzen per Definition gesetzt sein. Eine erst im Hinblick auf den Einzelfall (im Rahmen des Subsumtionsvorgangs) erfolgende Definitionsanpassung ist zu vermeiden, insbesondere wenn dies deshalb geschieht, weil andernfalls das Vorliegen der tatbestandlich geforderten Kenntnis nicht festgestellt werden kann. Solche Definitionsanpassungen können durch eine gestufte und strukturierte Vorgehensweise bei der Bestimmung des Vorliegens der tatbestandlich geforderten Kenntnis verhindert werden. a.  Definitorische Ebene Bei der Bestimmung, ob die von einer Norm vorausgesetzte Kenntnis vorliegt, ist zunächst zu klären, auf welchen Gegenstand sich die Kenntnis in dem jeweiligen Tatbestand bezieht. Die exakte Definition dieses Gegenstandes ist die Zielvorgabe für die nachfolgenden Schritte und fungiert als eine Vergleichsgröße im Rahmen der Subsumtion. Die Gegenstände, auf die sich die Kenntnis beziehen kann, sind vielfältig. Beispielsweise bezieht sich die jeweilige Kenntnis in §  199 I Nr.  2 BGB auf die Kenntnis „von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners“, in §  407 I BGB auf „die Abtretung“, in §  814 BGB darauf, „dass er zur Leistung nicht verpflichtet war“, in §  819 I BGB auf „den Mangel des rechtlichen Grundes“ und in §  937 II Alt.  2 BGB darauf, „dass ihm das Eigentum nicht zusteht“. Teilweise enthält das Gesetz eine Erweiterung des Kreises von Gegenständen, auf die sich die tatbestandsrelevante Kenntnis erstrecken kann. Ein Beispiel hierfür ist in §  130 II InsO enthalten, der anordnet, dass die für die Anfechtung relevante Kenntnis in §  130 I 1 InsO sich nicht bloß auf die Zahlungsunfähigkeit beziehen muss (wie es in §  130 I InsO geregelt ist), sondern es auch ausreicht, wenn der Gegenstand der Kenntnis Umstände sind, „die zwingend auf die Zahlungsunfähigkeit […] schließen lassen“. Allerdings sind solche gesetzgeberischen Bezugspunkte bei der Festlegung der Grenzen des Gegenstandes der Kenntnis selten. Meist sind die problematischen Fälle davon gekennzeichnet, dass der Rechtsanwender bereits auf dieser Stufe eine erste Wertung vornehmen muss. Es geht um die Frage der Informationsdichte, die gegeben sein muss, damit der Gegenstand hinreichend umrissen ist, auf den sich die Kenntnis des Betroffenen beziehen muss. Dabei ist es misslich, bereits in die definitorischen Überlegungen einzubeziehen, welche Informationen der Einzelne im konkreten Fall hat. Diese Vorgehensweise verfälscht häufig einen unbefangenen Vergleich der geforderten mit der vorliegenden Kenntnis. Die Probleme bei der durch den konkreten Fall beeinflussten Definition der Zielvorgabe liegen auf der Hand, denn dann ist die ergebnisgeleitete Definition kaum zu verhindern. Eine ähnliche Gefahr der Beeinflussung des Ergebnisses durch Vermischung der Vergleichsmaßstäbe besteht bei der patentrechtlichen Prüfung einer Erfin-

III.  Vermeidung der Rechtsanwendungsprobleme

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dung, ob ihr erfinderische Tätigkeit zugrunde liegt. In diesem Kontext ist das Problem der rückschauenden Betrachtung hinlänglich bekannt. Zur Vermeidung dieser Ergebnisbeeinflussung ist teilweise vorgeschlagen worden, die Prüfungsschritte nicht nur gedanklich, sondern sowohl organisatorisch als auch personell zu trennen.71 Eine solche strikte Trennung ist sicherlich zu weitreichend. Dennoch sollte zumindest die Prüfungsreihenfolge klar sein und am Ende des ersten Schrittes der Ermittlung der tatbestandlich geforderten Kenntnis ein klar umrissener, subsumtionsfähiger Begriff stehen. Es ist abstrakt zu klären, was unter „den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners“ (§  199 I Nr.  2 BGB), „der Abtretung“ (§  407 I BGB), dass der Schuldner „zur Leistung nicht verpflichtet war“ (§  814 BGB), dem „Mangel des rechtlichen Grundes“ (§  819 I BGB) bzw. „dass ihm das Eigentum nicht zusteht“ (§  937 II Alt.  2 BGB) zu verstehen ist. Diese Gegenstände, auf die sich die Kenntnis des Betroffenen beziehen muss, sind teilweise durch Wertung des Rechtsanwenders zu gewinnen. Bezieht sich die Kenntnis auf eine rechtliche Bewertung von bekannten Einzelinformationen oder einen rechtlich geprägten Begriff, muss der Rechtsanwender festlegen, welche Informationen dem Norm­ adressaten bekannt sein müssen und welche Folgerungen er aus diesen bekannten Informationen gezogen haben muss, damit der Gegenstand der Kenntnis im Sinne des jeweiligen Tatbestandes vorliegt. b.  Tatsächlich bekannte und verfügbare Informationen Erst im zweiten Schritt sind diejenigen Informationen zu bestimmen, die dem Betroffenen tatsächlich bekannt sind. Dies sind vor allem die Informationen, über die er nachweisbar verfügt, etwa weil er ihre Kenntnis zugestanden hat oder sie ihm zuvor mitgeteilt wurden. Bei der Zusammenstellung dieser Informationen ist darauf zu achten, dass sich die Ermittlung auf die tatsächlich bekannten Informationen beschränkt und keine wertende Ausdehnung im Hinblick auf den in der ersten Stufe definierten Begriff stattfindet. Es geht in diesem Schritt nicht darum, herauszufinden, ob der Betroffene aus den Informationen, über die er verfügt, auch auf den tatbestandsrelevanten Gegenstand der Kenntnis schließen könnte oder dieser Ableitung Hindernisse im Wege stünden. Die genaue Auf­l istung der bekannten Informationen ist für den nächsten Schritt des Vergleichs zwischen dem Gegenstand, der von der Kenntnis umfasst sein soll, und der tatsächlich vorliegenden Informationslage notwendig. c.  Subsumtion des Tatsächlichen unter den Tatbestand der Norm Erst in dem letzten Schritt des Subsumtionsvorgangs im engeren Sinne ist der Vergleich zwischen dem Gegenstand der tatbestandlich geforderten Kenntnis 71 

Vgl. hierzu oben §  3 III 2b (2) bb (ii).

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§  9  Zusammenführung der Untersuchungsergebnisse

(Ergebnis aus Schritt 1) und den einzelnen Informationen, über die der Betroffene tatsächlich verfügt, anzustellen (Ergebnis aus Schritt 2). (1) Gesamtvergleich Für einen solchen Vergleich bietet es sich an, zunächst einen Gesamtvergleich vorzunehmen. Kennt der Betroffene sämtliche Informationen, die den Gegenstand der tatbestandsrelevanten Kenntnis definieren, erübrigt sich jegliche Wertung. Dann liegt der tatbestandsrelevante Kenntnisstand vor. Bei dieser Feststellung ist darauf zu achten, dass die Zielvorgabe des vom Tatbestand der Norm geforderten Gegenstandes der Kenntnis tatsächlich vorliegt und sich nicht in aufdrängender Art und Weise aus den bekannten Einzelinformationen ergibt. Dadurch wird die Unschärfe bei dem Vergleich des Kenntnisstandes mit dem vom Tatbestand geforderten Gegenstand der Kenntnis vermieden. In der Regel wird ein solcher Gesamtvergleich des Kenntnisstandes mit dem von der Norm vorausgesetzten Gegenstand der Kenntnis nur dann zu einem positiven Ergebnis führen, wenn dem Betroffenen genau der von der Norm geforderte Gegenstand der Kenntnis nachweisbar mitgeteilt wurde oder er einräumt, über diese Information zu verfügen. (2)  Der sich aus den Einzelinformationen durch wertende Gesamtschau ergebende Kenntnisstand Wesentlich häufiger sind dem Betroffenen zahlreiche einzelne Informationen bekannt, die in engem sachlichen Zusammenhang mit dem tatbestandlich geforderten Kenntnisstand stehen. An dieser Stelle greift die Rechtsprechung72 auf die „sich-nicht-verschließen-dürfen“- Formel zurück. Zur Begründung, warum sich der Betroffene der sich aufdrängenden Kenntnis nicht verschließen durfte, stellt die Rechtsprechung (beispielsweise bei der für den Beginn der Verjährungsfrist gemäß §  852 I BGB i. d. F. bis 2001 tatbestandlich erforderlichen Kenntnis von Schaden und Schädiger) darauf ab, dass „jeder andere in der Lage des Geschädigten unter denselben konkreten Umständen die Kenntnis gehabt hätte“.73 Ein solches Vorgehen ist rechtspolitisch nachvollziehbar, weil das durch bloße („wertungsfreie“) Subsumtion gewonnene Ergebnis in Einzelfällen erhebliche Zweifel am Gerechtigkeitsgehalt aufkommen lässt. Allerdings sind die nach der „sich-nicht-verschließen-dürfen“-Formel vorgenommenen Korrekturen des Ergebnisses für die einzelne Situation wenig vorhersehbar. Dies ist der Rechtssicherheit abträglich. Schließlich geht es bei der Beantwortung der Frage, ob ein Kenntnisstand vorliegt oder nicht, regelmäßig um alles oder nichts: Liegt 72  Zu §  852 I BGB i. d. F. bis 2001: BGH NJW 2001, 1721, 1722; BGH NJW 2003, 288, 289; BGH NJW 1996, 2933, 2934; BGH NJW-RR 1990, 606, 607; BGH NJW 1958, 668; BGH NJW 1958, 668. 73  BGH NJW 1996, 2933, 2934.

III.  Vermeidung der Rechtsanwendungsprobleme

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der Kenntnisstand behauptetermaßen nicht vor, tritt nach der „sich-nicht-verschließen-dürfen“-Formel die gegenteilige Rechtsfolge von dem ein, was die Norm mit ihren tatbestandlichen Voraussetzungen und der damit verbundenen Rechtsfolge anordnet. Daher kann eine recht knapp begründete Annahme der üblicherweise in der Rechtsprechung verwendeten „sich-nicht-verschließen-­ dürfen“-Formel wenig überzeugen, wenn die Begründung sich in der Behauptung erschöpft, dass sich die aus den vorhandenen Einzelinformationen möglichen Ableitungen und Folgerungen jedermann aufdrängen würden. Dieses durch Wertung gewonnene Ergebnis muss künftig im Einzelfall überzeugender begründet werden. Hierzu bietet sich eine Orientierung an der im Patentrecht entwickelten Methode der Bestimmung der erfinderischen Tätigkeit an, auf der die Erfindung beruhen muss, damit die beanspruchte Erfindung patentfähig ist. aa.  Ähnlichkeit zwischen den Methoden der Bestimmung eines zivilrechtlich relevanten Kenntnisstandes und patentrechtlicher erfinderischer Tätigkeit Damit die im Patentrecht angewandte Methode in den zivilrechtlichen Kontext entlehnt werden kann, müssen sowohl die Ausgangslage als auch die Problemstellungen ähnlich sein. In beiden Fällen geht es um den Vergleich eines konkreten Informationszusammenhangs mit einem allgemein verfügbaren bzw. allgemein bestimmbaren Kenntnisstand. Im Patentrecht wird die beanspruchte Erfindung mit dem vorbekannten Stand der Technik verglichen. Bei dem im Zivilrecht relevanten Kenntnisstand einer Person kommt es auf den Informationszusammenhang an, den die Norm als Gegenstand der Kenntnis umschreibt. Dieser Gegenstand der Kenntnis ist in dem Kenntnisstand des Betroffenen zu suchen. In beiden Normbereichen geht es daher um den Vergleich eines eng umgrenzten Informationszusammenhangs mit einem sehr viel größeren „Kenntnisstand“. Die Vergleichsgröße „Kenntnisstand“ unterscheidet sich freilich in beiden Rechtsbereichen in ihrem Umfang. Während es im Zivilrecht regelmäßig bloß auf den Kenntnisstand einer Person ankommt, ist der patentrechtlich relevante Stand der Technik eine gedankliche Zusammenstellung sämtlicher verfügbarer Informationen, die auf dem Gebiet der Technik vorbekannt sind, auf dem die beanspruchte Erfindung liegt, sowie sogar teilweise angrenzender verwandter Gebiete.74 Dies ergibt sich aus der Definition des patentrechtlich relevanten Standes der Technik in §  3 I 2 PatG, nach dem der „Stand der Technik […] alle Kenntnisse [umfasst], die vor dem für den Zeitrang der Anmeldung maßgeblichen Tag durch schriftliche oder mündliche Beschreibung, durch Benutzung oder in sonstiger Weise der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden sind“. Eine sol74  Vgl. oben §  3 II 2b (2) aa (ii) sowie BGH GRUR 2014, 461, 643 Tz.  38 – Kollagenese I; BGH GRUR 2014, 647, 649 Tz.  25 ff. – Farbversorgungssystem.

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§  9  Zusammenführung der Untersuchungsergebnisse

che Definition kann im Zivilrecht freilich nicht gelten, schließlich geht es um die konkrete Bestimmung des Kenntnisstandes einer Person, nicht um einen abstrakt möglichen Kenntnisstand, wie dies beispielsweise bei der grob fahrlässigen Unkenntnis zu bestimmen wäre. Dennoch sind sich beide Rechtsbereiche im Hinblick auf die Vergleichsmethode sehr ähnlich. Der allgemein umrissene Kenntnisstand einer Person wird nicht bloß daraufhin untersucht, ob der Informationszusammenhang in dem Kenntnisstand als solcher enthalten ist. Geht diese Untersuchung ergebnislos aus, muss der „Abstand“ zwischen dem gesamten Kenntnisstand der Person (d. h. den darin enthaltenen (bekannten) Einzelinformationen) und dem tatbestandlich geforderten Gegenstand der Kenntnis bestimmt werden. Es ist ein nach Merkmalen gegliederter Vergleich vorzunehmen: Im Patentrecht wird der Abstand der Erfindung vom gesamten vorbekannten Stand der Technik vorgenommen, im Zivilrecht ist der Gegenstand der von der Norm geforderten Kenntnis mit dem gesamten Kenntnisstand einer Person zu vergleichen. bb.  Ähnlichkeit der Defizite der Bestimmung der erfinderischen Tätigkeit und des zivilrechtlichen Kenntnisstandes Der Vergleich der allgemein verfügbaren Kenntnis mit einer neuen (und patentrechtlich beanspruchten) Erfindung wirft ähnliche Probleme auf wie die Bestimmung, ob eine Information zum Kenntnisstand einer Person zählt. In beiden Fällen werden abgegrenzte Informationen mit einem zuvor definierten Kenntnisstand verglichen. Das Ergebnis dieses Vergleichs entscheidet im Patentrecht über die Frage, ob die Erfindung patentierbar sein kann oder nicht. Im Zivilrecht sind die Rechtsfolgen von ähnlich einschneidendem Gewicht; beispielsweise scheitert ein gutgläubiger Erwerb, wenn der Erwerber die Unrichtigkeit des Grundbuchs kennt (§  892 I BGB), die Leistung des Schuldners an den bisherigen Gläubiger hat keine schuldbefreiende Wirkung, wenn der Schuldner die Abtretung kennt (§  407 I BGB) oder der bereicherungsrechtliche Rückforderungsanspruch ist ausgeschlossen, wenn der Schuldner weiß, dass er zur Leistung nicht verpflichtet ist (§  814 Alt.  1 BGB). Trotz der ebenso wie im Patentrecht folgenschweren Wirkung der Beantwortung der Frage nach dem Vorliegen der Kenntnis im zivilrechtlichen Kontext hat sich in diesem Rechtsgebiet keine Vorgehensweise verfestigt, einen Kenntnisstand verlässlich zu bestimmen. Dies ist im Patentrecht anders. Dort wurden anfängliche Rechtsanwendungsdefizite rasch erkannt und das geltende Recht wurde im Laufe der Rechtsentwicklung ergänzt.75 75  Vgl. oben §  3 II 6 sowie das Gesetz zu dem Übereinkommen vom 27.11.1963 zur Vereinheitlichung gewisser Begriffe des materiellen Rechts der Erfindungspatente, dem Vertrag vom 19.06.1970 über die internationale Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Patentwesens und dem Übereinkommen vom 5.10.1973 über die Erteilung europäischer Patente, BT-Drcks. 7/3712, S.  5.

III.  Vermeidung der Rechtsanwendungsprobleme

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(i)  Anfängliche Unsicherheit bei der Rechtsanwendung – Lösungsweg im Patentrecht Ursprünglich beschränkten sich die materiellen Schutzvoraussetzungen einer patentierbaren Erfindung auf die Prüfung ihrer Neuheit. Die Voraussetzung der Neuheit war eine Errungenschaft des damaligen Gesetzgebers Ende des 19. Jahrhunderts und eine Reaktion auf die vorausgegangene, weniger an qualitativen Voraussetzungen orientierte Vergabe von Privilegien.76 Bereits kurz nach Inkrafttreten des Patentgesetzes traten erhebliche Rechtsanwendungsprobleme auf: Die beanspruchte Erfindung musste im Rahmen der Prüfung mit dem Stand der Technik, d. h. dem damals nachweisbaren und öffentlich verfügbaren Kenntnisstand, verglichen werden. Dabei trat regelmäßig das Problem auf, dass die Suche nach „der Erfindung“ in der Form, in der sie beansprucht wurde, meist ergebnislos verlief, denn häufig waren alle einzelnen Merkmale, die die Erfindung kennzeichneten, zwar einzeln bekannt, in der Summe der konkret beschriebenen Zusammenstellung jedoch noch nicht. Eine ausschließlich am Gesetzestext orientierte Prüfung musste daher das Ergebnis bringen, dass die Zusammenstellung der zwar einzelnen bekannten Merkmale der Erfindung insgesamt neu war und damit patentierbar sein musste, obwohl die Summe der Einzelinformationen der Merkmale keine besonders hervorzuhebende Bereicherung des technischen Wissens bedeutete. Dem wurde bereits frühzeitig entgegengesteuert. Neben der Suche nach „der identischen Erfindung“ im Stand der Technik wurden zusätzliche Kriterien entwickelt, die die Patentwürdigkeit der Erfindung begründen sollten. Im Kern ging es bei den Kriterien bloß um die Entwicklung eines Unschärfebereichs bei der Suche nach „der Erfindung im Stand der Technik“.77 Es sollte verhindert werden, dass die bloße Kombination von vorbekannten Merkmalen bereits zu einer patentierbaren Erfindung führen kann, ohne dass damit ein Mehrwert verbunden wäre. Zunächst fokussierte sich diese Bestrebung auf das gesetzliche Merkmal der Neuheit und deren Defini­ tion. Dabei spielte das Vorverständnis des die vorbekannte Quelle lesenden Sachverständigen eine zentrale Rolle. Je mehr Sachverstand und Vorverständnis dem Sachverständigen außerhalb der Quelle unterstellt wurde, desto größer war der Gehalt der zu erschließenden Quelle, weil zu dem Verständnis das Vorverständnis benutzt wurde. Der Sachverständige konnte bloß unwesentlich erscheinende Abwandlungen und Kombinationen (auch ohne dass diese ausdrücklich erwähnt wurden) ebenfalls dieser Quelle entnehmen. Später versuchte die Rechts­praxis, dieses Vorverständnis dadurch negativ abzugrenzen, dass nicht der Verständnishorizont des sachverständigen Lesers für die Prüfung der Erfindung auf deren Neuheit entscheidend war, sondern an die Erfindung selbst qualitative Anforderungen gestellt wurden. Im Einzelnen entwickelten sich ver76 

77 

Vgl. oben §  3 II 2 c. Vgl. oben §  3 II 3.

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§  9  Zusammenführung der Untersuchungsergebnisse

schiedene Ansichten, wie „der Abstand“ der Erfindung zum Stand der Technik am besten zu bestimmen sei. Als Indizien für eine patentwürdige „neue“ Erfindung wurden deren Fortschrittlichkeit, Nützlichkeit, ihr geistiger Gehalt sowie die sog. „Erfindungshöhe“ genannt.78 Diesen Merkmalen war allerdings gemein, dass sie kaum Anhaltspunkte im Gesetz aufwiesen und sich nur mit der Zielrichtung des Patentrechts und einem erweiterten Verständnis des Neuheitsbegriffs rechtfertigen ließen. Jedoch wurde frühzeitig darauf hingewiesen, dass es sich bei der Frage nach der Patentwürdigkeit im Hinblick auf die qualitativen Voraussetzungen nicht um einen rein „kognitiven Denkakt“ im Sinne einer reinen Neuheitsprüfung handele, sondern um eine „wertende Entscheidung“.79 Schließlich normierte der Gesetzgeber im Jahre 197880 das weitere qualitative Tatbestandsmerkmal der erfinderischen Tätigkeit, auf der die beanspruchte Erfindung beruhen muss. Allerdings geschah dies nur im Rahmen von Internationalisierungsbestrebungen und ausdrücklich nur mit dem Willen des Gesetzgebers, der entwickelten Rechtspraxis ein Normgerüst zu geben. 81 Seither verläuft die Prüfung der qualitativen Voraussetzungen der beanspruchten Erfindung zweistufig. In einem ersten Schritt erfolgt eine reine Neuheitsprüfung, d. h. ein Identitätsvergleich. In einem zweiten Schritt ist die Kombination der Merkmale der Erfindung auf deren Naheliegen zu prüfen, d. h. ob sich diese Kombination für den Durchschnittsfachmann aus dem Stand der Technik ergibt. Seither steht die Prüfung der beanspruchten Erfindung auf einem soliden normativen Fundament. Die Rechtsanwendungspraxis war dazu aufgerufen, der Prüfung (insbesondere dem Beruhen der Erfindung auf erfinderischer Tätigkeit) eine praktisch handhabbare Gestalt zu geben. Dazu entwickelte sich rasch eine Methode, die sich durch eine schrittweise Definition der einzelnen Prüfungsebenen kennzeichnet, wodurch eine erhebliche Vereinfachung der Argumentation (im Wege einer bloßen Strukturierung der Prüfung) erfolgte. Konkret kennzeichnet die heutige Prüfung auf erfinderische Tätigkeit die klare Trennung von drei Faktoren: 82 Im ersten Schritt ist die beanspruchte Erfindung als eine Vergleichsgröße zu erfassen. Davon unabhängig erfolgt die Erfassung des Standes der Technik als weitere Vergleichsgröße. Die Suche im Stand der Technik wird durch die beanspruchte Erfindung nur durch die (auch nicht zu eng zu verstehenden) Grenzen des Gebietes der Technik beeinflusst, aus denen der Fachmann Anregungen für die Lösung der der Erfindung zugrundeliegenden Aufgabe gewinnt. Erst wenn diese beiden Vergleichsgrößen feststehen, beginnt der eigent78 

Vgl. oben §  3 II 3 und 4. Isay, PatG, 1931, §  1 Rn.  3 ; vgl. auch oben §  3 II 3. 80 Gesetz zu dem Übereinkommen vom 27.11.1963 zur Vereinheitlichung gewisser Begriffe des materiellen Rechts der Erfindungspatente, dem Vertrag vom 19.06.1970 über die internationale Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Patentwesens und dem Übereinkommen vom 5.10.1973 über die Erteilung europäischer Patente, BT-Drcks. 7/3712, S.  5. 81  Vgl. BT-Drcks. 7/3712, S.  5 ; sowie oben §  3 II 6. 82  Vgl. oben §  3 III 2 b. 79 

III.  Vermeidung der Rechtsanwendungsprobleme

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liche Vergleichsvorgang, bei dem die beiden Vergleichsgrößen auf ihren Abstand überprüft werden. Bevor der dritte Schritt des Vergleichs im engeren Sinn beginnt, steht fest, über welches Fachwissen und Können der einschlägige Fachmann verfügt, auf das er bei der Erarbeitung der Lösung zurückgreift. Aus der Perspektive des solchermaßen gedachten Fachmanns ist die Frage zu beantworten, ob er ausgehend von der erfindungsgemäßen Aufgabe und unter Nutzung seines Fachwissens und Könnens Anlass hatte, die im Stand der Technik enthaltenen Anregungen für die erfindungsgemäße Lösung zu nutzen, d. h. in diese Richtung des beanspruchten Lösungsweges zu denken, oder ob dieser Lösung Hindernisse entgegenstehen, die eine ernsthafte Beschreitung dieses Lösungsweges ausschließen. Nach dem (durchaus auch kritisierten) sog. „could-would“-Ansatz des EPA83 ist die Frage zu beantworten, ob der Durchschnittsfachmann den vorgeschlagenen Lösungsweg unter Zugrundelegung seines Fachwissens und Könnens ausgehend vom nächstliegenden Stand der Technik wählen würde, um die erfindungsgemäße Aufgabe zu lösen. Diese Frage ist zu verneinen, wenn der Durchschnittsfachmann nur zu der Lösung hätte gelangen können. (ii)  Unsicherheit bei der Bestimmung eines zivilrechtlich relevanten Kenntnisstandes einer Person Die Prüfung der zivilrechtlichen Normen, die einen Kenntnisstand voraussetzen, erweist sich in der Rechtspraxis als schwerfällig. Dies liegt vor allem daran, dass die tatbestandlich geforderte Kenntnis in tatsächlicher Hinsicht häufig nicht einfach feststellbar ist. Der Betroffene wendet in der Regel ein, die Kenntnis von dem tatbestandlich umschriebenen Gegenstand nicht zu haben, was insbesondere bei der Rechtskenntnis (im Hinblick auf „die Abtretung“ in §  407 I BGB oder „nicht zur Leistung verpflichtet“ in §  814 BGB) oder bei ähnlicher, notwendigerweise erst durch Folgerungen zu gewinnender Kenntnis aus einzelnen bekannten Tatsachen („Unrichtigkeit des Grundbuches in §  892 I BGB“) letztlich dazu führt, dass der Rechtsanwender keine Handhabe gegen einen unredlich erscheinenden Einwand der Unkenntnis hat. Dann greift die Rechtsprechung aus Billigkeitsgründen auf die „sich-nicht-verschließen-dürfen“-Formel zurück. Der BGH nimmt dabei ausdrücklich an, dass der Betroffene die Kenntnis tatsächlich (noch) nicht hat, „sie sich aber in zumutbarer Weise ohne nennenswerte Mühe beschaffen kann“.84 Zur Begründung der Normanwendung trotz nicht vorliegender Tat­bestandsvoraus­ setzung der Kenntnis legt der BGH selbst offen, dass es der Betroffene „nicht in der Hand haben darf, die Verjährungsfrist dadurch einseitig zu verlängern, dass er die Augen vor einer sich ihm aufdrängenden Kenntnis verschließt“.85 83  Vgl. exemplarisch EPA (T 0939/92) ABl. EPA 1996, 309, 314 ff. – Triazole/AGREVO; sowie oben §  3 II 2b (2) bb (i). 84  Vgl. statt vieler BGH NJW 2003, 288, 289. 85  BGH NJW 2003, 288, 289; BGH NJW 1985, 2022, 2023.

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§  9  Zusammenführung der Untersuchungsergebnisse

Mit anderen Worten kommt das Instrument der „sich-nicht-verschließen-­ dürfen“-Formel immer dann zum Einsatz, wenn die Kenntnis weder eindeutig als vorliegend festgestellt werden kann noch der Betroffene die Kenntnis eindeutig nicht hat. Daher handelt es sich um die Erhaltung eines bewusst unscharf gefassten Bereichs bei der Bestimmung, ob die Kenntnis vorliegt. Liegt sie nicht vor, bleibt die Fragestellung, ob eine Gleichbehandlung mit einem dem gesetzlichen Tatbestand ähnlichen Zustand geboten erscheint. Insbesondere in den Fällen, in denen der Betroffene alle einzelnen Informa­ tionen kennt, den tatbestandlich umschriebenen Gegenstand der Kenntnis jedoch (nach seiner Aussage) nicht kennt, begibt sich die Prüfung des Sachverhalts auf Übereinstimmung mit den Normanforderungen auf die Ebene der Wertung. Im Zivilrecht besteht freilich die Einschränkung, dass bei der Prüfung des Vorliegens der Kenntnis die Fälle ausgesondert werden müssen, in denen der Betroffene nur durch weitere Aktivität (Recherche oder Inanspruchnahme von Beratung) zu der tatbestandsrelevanten Kenntnis gelangt wäre. Dies sind die Fälle, in denen an den Betroffenen Sorgfaltsanforderungen gestellt werden. Meist steht jedoch die (grob) fahrlässige Unkenntnis der Kenntnis nicht gleich, so dass die Aufstellung von Sorgfaltsanforderungen nicht möglich ist, um zu begründen, dass der Betroffene genauso behandelt wird wie derjenige, der in gleicher Situation die an ihn gerichteten Sorgfaltsanforderungen im Hinblick auf die Gestaltung seines Kenntnisstandes eingehalten hätte. Vielmehr behilft sich die Rechtsprechung mit dem Verweis darauf, dass jeder andere in dieser Situation die Kenntnis gehabt hätte und der Betroffene die Kenntnis nur deshalb nicht hat, weil er „es versäumt hat, eine gleichsam auf der Hand liegende Erkenntnismöglichkeit wahrzunehmen und deshalb letztlich das Sichberufen auf Unkenntnis als Förmelei erscheint“.86 Wann eine Berufung auf Unkenntnis bloße Förmelei ist und wann die Erkenntnismöglichkeit gleichsam auf der Hand liegt, begründet der BGH nicht allgemeinverbindlich, sondern argumentiert regelmäßig ausschließlich am konkreten Fall, ohne die Kriterien für seine Entscheidungsfindung zu nennen. (iii)  Übertragbarkeit der Bestimmungsmethode aus dem Patentrecht in das Zivilrecht Sowohl im Patentrecht als auch im Zivilrecht sind einzelne Informationszusammenhänge mit einem jeweils wesentlich größeren Kenntnisstand zu vergleichen. Im Patentrecht ist die Erfindung im Stand der Technik zu suchen. Dabei umfasst der Stand der Technik alle vorbekannten Kenntnisse. Ist die Erfindung mit allen Merkmalen nicht im Stand der Technik aufzufinden, schließt sich die Frage an, „welchen Abstand“ die Erfindung zum Stand der Technik hat. 86 

BGH NJW 2003, 288, 289; BGH NJW 1996, 2933, 2934; BGH NJW 1994, 3092, 3093.

III.  Vermeidung der Rechtsanwendungsprobleme

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Im Zivilrecht geht es um die Auffindung einer tatbestandlich vorausgesetzten Kenntnis eines Umstandes, der in der Norm genannt wird. Kann der Gegenstand der Kenntnis als solcher nicht als zum Kenntnisstand der betroffenen Person gehörend nachgewiesen werden, d. h. gehört der Gegenstand der tatbestandlich vorausgesetzten Kenntnis nicht zum Kenntnisstand des Betroffenen, schließt sich die Frage nach dem „Abstand“ an, der zwischen den dem Betroffenen bekannten Einzelinformationen (d. h. seinem tatsächlichen Kenntnisstand) und dem tatbestandlich vorausgesetzten Gegenstand der Kenntnis besteht. In beiden Fällen werden Einzelinformationen und deren Zusammenhänge mit einem Kenntnisstand verglichen. Erhebliche Unterschiede bestehen freilich bei der Gewinnung der jeweiligen Vergleichsmengen. Im Patentrecht ist ein fiktiver Kenntnisstand zu bilden (der des gedachten Durchschnittsfachmanns). Im Zivilrecht ist hingegen ausschließlich von dem konkreten Kenntnisstand des Betroffenen auszugehen. Dennoch kann die aus dem Patentrecht bekannte strukturierte und gestufte Vorgehensweise bei der Bestimmung des Abstandes der Einzelinformationen von dem damit zu vergleichenden Kenntnisstand auch im Zivilrecht hilfreich sein. Je naheliegender eine Information ist (d. h. der „Abstand“ zwischen der Summe der bekannten Einzelinformationen und dem tatbestandlich geforderten Gegenstand der Kenntnis), desto eher zählt die Information zum Kenntnisstand des Betroffenen. Sind bei der Erlangung der tatbestandlich geforderten Kenntnis aus den Einzelinformationen, über die der Betroffene verfügt, erhebliche Hindernisse zu überwinden, die sich beispielsweise nur durch aktive Recherche oder Inanspruchnahme von Beratung beseitigen lassen, gehört die tatbestandlich geforderte Kenntnis nicht mehr zum Kenntnisstand des Betroffenen. Die patentrechtlich etablierte Vorgehensweise bei der Bestimmung der erfinderischen Tätigkeit kann auf diese Weise auch im Zivilrecht zu einer strukturierten Argumentationshilfe werden. d.  Ergebnis: Bestimmung eines zivilrechtlich relevanten Kenntnisstands mit patentrechtlicher Methode Im Einzelnen ist bei der Übertragung der Vergleichsmethodik aus dem Patentrecht in das Zivilrecht vor allem darauf zu achten, dass das strukturierte Vorgehen, wie es im Patentrecht üblich ist, auch im Zivilrecht umgesetzt wird. Die Zwischenschritte sind in das Zivilrecht übertragbar. (1)  Trennung von Definition und Sachverhaltsermittlung Zunächst sind Definition und Sachverhaltsermittlung voneinander zu trennen. Eine ergebnisgeleitete Definition unter Berücksichtigung der vorhandenen bzw. bekannten und nachweisbaren Informationsteile ist möglichst zu vermeiden,

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§  9  Zusammenführung der Untersuchungsergebnisse

denn dies beeinflusst das Ergebnis der Subsumtion erheblich,87 was sich insbesondere bei einem Begriff wie der Kenntnis, der nach dem Alltagsverständnis unscharf abgegrenzt ist, deutlich manifestiert. (2)  Definition des Begriffsinhalts der Kenntnis als tatbestandliche Anforderung Der Gegenstand der Kenntnis, den eine Norm voraussetzt, muss abstrakt und unabhängig von dem konkreten Bezug zum Sachverhalt definiert werden. Diese Definition ist nicht einfach zu erarbeiten, aber erforderlich für das weitere Vorgehen. Im Einzelnen treten vor allem bei den Normen Schwierigkeiten auf, deren Gegenstand der Kenntnis kein äußerlich wahrnehmbarer Umstand ist. Meist setzen Normen die Kenntnis von Umständen voraus, die ihrerseits erst durch Wertung zu gewinnen sind.88 Besonders deutlich ist dies bei der Rechtskenntnis. Beispiele hierfür sind „das Erlöschen der Vertretungsmacht“ (§  173 BGB), 89 „die Abtretung“ (§  407 I BGB),90 „zur Leistung nicht verpflichtet“ zu sein (§  814 BGB) 91 oder auch „die Unrichtigkeit“ des Grundbuchs (§  892 I 1 BGB) bzw. des Erbscheins (§  2366 BGB) 92 . Der erste Schritt bei der Bestimmung der Kenntnis einer Person ist erst abgeschlossen, wenn ein subsumtionsfähiger, im Einzelnen weit verzweigter Begriff definiert ist, der die Einzeltatsachen enthält, die einer Person bekannt sein müssen, damit die tatbestandlichen Anforderungen des Merkmals der vorliegenden Kenntnis erfüllt sind. (3)  Sachverhaltsermittlung: Bekannte Einzeltatsachen, Wissen und Können des Betroffenen In einem nächsten Schritt ist der Sachverhalt zu ermitteln. Hierbei ist darauf zu achten, an dieser Stelle noch keine vergleichende Wertung vorzunehmen. Es ist bei der Zusammenstellung der der betroffenen Person bekannten Einzeltatsachen irrelevant, inwieweit diese einzelnen Tatsachen mit dem tatbestandlich geforderten Kenntnisstand in Zusammenhang stehen. Allerdings beschränkt sich die Zusammenstellung nicht auf die bloßen Einzelinformationen hinsichtlich der mit der Rechtsnorm in einem Zusammenhang stehenden Informationen. Dies würde den späteren Vergleich verkürzen und bei der Frage des Naheliegens einer weiteren notwendigen Information zu einer fehlerhaften Entscheidung darüber führen, ob die fragliche Einzeltatsache noch zum Kenntnisstand des Betroffenen zu zählen ist oder nicht. Bei der späteren Frage des Naheliegens 87 Im Patentrecht wird diese ergebnisbezogene Definition des Ausgangspunktes häufig unter dem Themenkreis der rückschauenden Betrachtungsweise diskutiert, vgl. bereits oben §  9 III 2 a. 88  Vgl. bereits oben §  9 II 3b (1). 89  Vgl. hierzu oben §  7 I. 90  Vgl. hierzu oben §  7 IV. 91  Vgl. hierzu oben §  6 I. 92  Vgl. zu beidem oben §  7 II.

III.  Vermeidung der Rechtsanwendungsprobleme

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geht es um den Unschärfebereich bei der Sachverhaltsermittlung, nämlich um die Frage, wie eine Information von einer Person verstanden wird. An diesem Punkt behilft sich die Rechtsprechung meist mit der Feststellung, dass eine mögliche Folgerung aus bekannten Informationen eine „auf der Hand liegende Erkenntnismöglichkeit“93 sei. Diese Annahme sollte bereits auf der Stufe der Zusammenstellung der Einzelinformationen für eine tragfähige Begründung vorbereitet werden. Dafür ist notwendig, dass bei der Sachverhaltsermittlung nicht nur die bloßen Einzelinformationen hinsichtlich des tatbestandlich geforderten Gegenstandes der Kenntnis zusammengestellt werden, sondern vor allem auch die sonstigen Kenntnisse und Fähigkeiten der betroffenen Person. Insbesondere muss für das Verständnis einer Information der Kontext mit betrachtet werden, in dem diese Information steht. Eine der Person bloß verfügbare Information ist nicht mit der Kenntnis gleichzusetzen, die eine Person hat. Kenntnis bzw. Wissen einer Person bedeutet, dass die Person diese Information verstanden hat.94 Dieses Verstehen einer verfügbaren Information hängt zum einen davon ab, wie die Information verstanden werden kann und zum anderen von den Eigenschaften und Fähigkeiten der betroffenen Person, insbesondere ist die Aufnahme der Information in den eigenen Kenntnisstand von den eigenen Verständnisfähigkeiten und dem sonstigen Wissen einer Person abhängig, in das die Information aufgenommen wird. Ein einfaches Beispiel verdeutlicht dies: Ein Notar nimmt eine rote Unterstreichung in einem Grundbuchauszug anders wahr als eine Person, die zuvor weder privat noch beruflich veranlasst einen Grundbuchauszug gesehen hat. Daher spielt für die Frage des Verständnisses einer Information (rote Unterstreichung) das fachliche Vorverständnis eine erhebliche Rolle für den Bedeutungsgehalt, den diese Information in dem Kenntnisstand letztlich einnimmt. Der Notar wird die Rötung im Grundbuch nicht als besonders wichtige Hervorhebung der unterstrichenen Information erfassen, was bei einer Person, die sonst keine Vorkenntnis und Erfahrung im Umgang mit Grundbuchauszügen hat, in der Regel anders sein wird. Die Einordnung einer Information in den Kontext des Vorbekannten ist in allen Bereichen relevant, in denen es auf die Kenntnis einer Person ankommt. Besonders deutlich wird dies im Vertragsrecht, wenn die Willenserklärung als Entäußerung in den sozialen Kontext gestellt wird und der Bedeutungsgehalt der Erklärung nach der Geltungstheorie95 über die Begleitumstände in dem Kontext be93  Beispielsweise BGH NJW 2003, 288, 289; BGH NJW 1996, 2933, 2934; BGH NJW 1994, 3092, 3093. 94  Vgl. u. a. Müller-Merbach, t&m 1995, 3, 4; Bullinger, Electronic Business and Knowledge Management 1999, 53, 61; sowie oben §  1 II 2 (3). 95  Hierzu umfassend Wolf/Neuner, BGB AT, 10.  A ., 2010, §  30 Rn.  6 f.; Larenz, Methode der Auslegung, 1930, Nachdr. 1966, S.  34 ff.; Soergel/Hefermehl, BGB, 13.  A., 1999, Vor §  116 Rn.  7; Flume, BGB AT II, 4.  A., 1992, §  5 Pkt. 7 (S.  77 f.); Pawlowski, Rechtsgeschäftliche Folgen, 1966, S.  250 ff.

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§  9  Zusammenführung der Untersuchungsergebnisse

stimmt wird, in dem die Willenserklärung geäußert wurde.96 Die Information selbst ist nicht das einzig Entscheidende für den Bedeutungsgehalt, den sie hat, sondern das Gepräge, das die Erklärung in ihrem Umfeld erhält, in dem sie entäußert und vom Empfänger verstanden (d. h. in seinen Wissensstand aufgenommen) wird. Es ist daher bereits auf der Stufe der Ermittlung der tatsächlichen Zusammenhänge notwendig, auch die Informationen des Umfeldes zusammenzustellen, in dem die tatbestandsrelevante Information eine Rolle spielen wird. Dazu zählt insbesondere das sonstige Wissen der betroffenen Person, denn mit diesem Wissen verknüpft die Person die neue Information, wenn sie von ihr nicht nur wahrgenommen, sondern verstanden wird.97 Zu diesem Vorwissen zählen freilich fachliche Kenntnisse, über die eine Person verfügt. Die Quellen für solches fachliches Wissen können vielfältig sein und hängen gewiss auch von dem Kontext ab, in dem der fragliche Gegenstand der Kenntnis relevant wird. Es kann aus einer Berufsausbildung oder auch einem Studium stammen, wie es bei einem rechtswissenschaftlichen Studium für die Rechtskenntnis am deutlichsten wird. Etwas schwächer ausgeprägt können aber auch Informationen abhängig vom Vorwissen unterschiedlich verstanden werden, wenn es um den Bedeutungsgehalt von Informationen im straßenverkehrsrechtlichen Normgefüge geht. Dabei wird eine Person, die keine Fahrerlaubnis hat, Informationen im Hinblick auf ein Schadensbild eines ungeklärten Unfalls anders wahrnehmen als eine Person, die eine Fahrprüfung absolviert und zahlreiche Kenntnisse im Hinblick auf eine Schadensabwicklung aus einer möglichen Anstellung in einer Schadensabteilung einer Versicherung hat. Das letzte Beispiel verdeutlicht, dass nicht das bloße Fachwissen, das standardisiert im Rahmen einer Ausbildung oder eines Studiums vermittelt werden kann, für das Verständnis relevant ist, sondern auch eine enge Verbindung des Verstehens einer Information mit den vorhandenen Verständnismöglichkeiten der Person besteht. Solche Verständnismöglichkeiten sind zwar schwer ermittelbar, bilden jedoch den Schlüssel für die korrekte Ermittlung des tatsächlich zu bestimmenden Kenntnisstandes einer Person. Eine Information, die vom Empfänger schlicht nicht verstanden werden kann, wird diese Person nicht in ihren Kenntnisstand aufnehmen können. Dann zählt sie auch nicht zu dem Kenntnisstand. Anschaulich wird die Relevanz der Verständnismöglichkeiten bei den nach der Vorerfahrung abgestuften Aufklärungspflichten eines Kreditinstituts bei der Anlageberatung. Präsentiert der Anlageberater eine komplexe Formel, die ein damit sich regelmäßig beschäftigender Fondmanager verstehen kann und die alle Merkmale und Ri­siken der Anlageform enthält, reicht dies aber dennoch nicht aus, um 96 

Vgl. oben §  8 III sowie §  8 IV 3b (1) bb. Welter, Informationsmanagement, 2005, S.  50 unter Bezugnahme auf Mittelstraß, Leonard-Welt, 1992, S.  228 und Müller-Merbach, t&m 1995, 3, 5; sowie oben §  1 II 2 (3). 97 Vgl.

III.  Vermeidung der Rechtsanwendungsprobleme

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einer mit Finanzprodukten unerfahrenen Person eine Entscheidungsgrundlage für ihre Altersvorsorge zu geben, weil sie die Zusammenhänge, die Wirkungsweise und die damit verbundenen Risiken nicht abschätzen kann. Dies liegt an der fehlenden Vorerfahrung und dem fehlenden Können der Person, die betreffende Information in ihrem tatsächlichen Bedeutungsgehalt zu erschließen. Daher sind insgesamt drei Bereiche bei der Sachverhaltsermittlung relevant: Zentral ist die Zusammenstellung der bekannten Einzelinformationen. Darüber hinaus ist das für das Verständnis der Informationen relevante Fach- und Alltagswissen der Person zu ermitteln, denn auf dieses Wissen greift eine Person zurück, wenn sie eine Information in ihren Kenntnisstand aufnimmt, d. h. diese Information versteht. Letztlich muss auch das Können einer Person – trotz der schwierigen Ermittlung von dessen Grenzen – umrissen werden, zu dessen Ermittlung typische Beschäftigungen in Alltagssituationen herangezogen werden können. Die Frage dabei ist, wie die betroffene Person eine sie erreichende Information typischerweise versteht. Kann die Person die Information in ihrem Bedeutungsgehalt für sich nicht verstehen, so gehört diese Information nicht zu dem Kenntnisstand der Person, es sei denn, sie hat externe Hilfe für das Verständnis in Anspruch genommen. Dann hat sie ihre Fähigkeiten des Verstehens allerdings selbst geändert. (4)  Wertende Ermittlung des Vorliegens der Kenntnis durch „could-would“Fragestellung Erst in einem letzten Schritt ist durch wertende Entscheidung zu ermitteln, ob der tatbestandlich geforderte Gegenstand der Kenntnis zu dem Kenntnisstand der betroffenen Person gehört. Die Beantwortung dieser Frage ist allerdings nicht durch eine vollkommen freie Wertung vorzunehmen, sondern erfolgt orientiert an einer spezifischen Fragestellung, die der patentrechtlichen Bestimmung der erfinderischen Tätigkeit entlehnt ist. Zusammengefasst muss folgende Frage beantwortet werden: Würde die betroffene Person, deren Kenntnisstand zu ermitteln ist, (aa) in der Situation, in der sie über den Sachverhalt, den die Norm zugrunde legt und tatbestandlich die Kenntnis voraussetzt, nachdenkt, (bb) ausgehend von den ihr bekannten sachverhaltsrelevanten Einzelinformationen (cc) zu dem Gegenstand der geforderten Kenntnis gelangen, wenn sie dabei (dd) auf ihr allgemeines und besonderes Fakten- und Erfahrungswissen zurückgreift? Die Kontroll­ frage zur Abgrenzung der bestehenden Kenntnis von der nur möglichen Kenntnis zielt darauf ab, (ee) dass die betroffene Person den Gegenstand der Kenntnis nicht haben „würde“, sondern nur haben „könnte“.

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§  9  Zusammenführung der Untersuchungsergebnisse

aa.  Plötzliche situationsgebundene Aktualisierung des Kenntnisstandes – Der Anlass zum Nachdenken Der Einwand der betroffenen Person, über die tatbestandlich vorausgesetzte Kenntnis nicht zu verfügen, folgt regelmäßig der Einlassung, sie habe erst gar nicht über die Situation nachgedacht und die Unkenntnis folge aus dem fehlenden Anlass, über die Situation überhaupt nachzudenken. Daher fehle ihr die tatbestandlich erforderliche Kenntnis, wenn sich diese auf einen Gegenstand bezieht, der durch eigene Wertung bekannter Tatsachen zu gewinnen ist. Das Nachdenken, d. h. sowohl das Bewerten als auch das Bilden von Ableitungen, ist jedoch erforderlich, wenn ein Tatbestand die Rechtskenntnis voraussetzt, denn dann müssen die bekannten Tatsachen rechtlich bewertet werden. Für die Ermittlung des Kenntnisstandes einer Person ist daher zunächst die Überlegung anzustellen, ob sie über den Sachverhalt nachgedacht hat. Fehlt jeglicher Anlass, einzelne bekannte Einzelinformationen in einen Kontext der Norm zu bringen, so kann nicht unterstellt werden, die betroffene Person habe die Kenntnis auch der Ableitungen, die erst durch Bewertung der Einzelinformation gewinnbar sind. Umgekehrt reicht die bloße Feststellung, dass die betroffene Person überhaupt die bekannten Einzelinformationen in einen Kontext gebracht hat. Davon ist auszugehen, wenn es sich um neue, insoweit überraschende und nicht vollkommen auszublendende Informationen handelt, die einer Person bekannt werden. Ein Beispiel verdeutlicht dies: Solange eine Person überhaupt nichts von einem Schaden an ihrem Fahrzeug weiß, gibt es keinerlei Anlass, über einen möglichen Schaden und einen eventuellen Schädiger nachzudenken. Daher erübrigt es sich, den Kenntnisstand des Gläubigers daraufhin zu betrachten, ob er „von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners“ Kenntnis hat (§  199 I Nr. 2 Alt.  1 BGB). Anders ist das hingegen, wenn er ein Schadensbild an seinem Fahrzeug wahrnimmt. In dem Moment überzeugt der Einwand des Gläubigers nicht, er habe überhaupt nicht über einen etwaigen Ersatzanspruch nachgedacht. Durch die Wahrnehmung der neuen Information (Schaden am Fahrzeug) besteht Anlass, diese Information in seinen Kenntnisstand aufzunehmen. Alle weiteren Fragen, insbesondere, wie naheliegend eine Verbindung zwischen den Lackspuren einer seltenen Fahrzeugfarbe und der Lackierung des Fahrzeugs des Nachbarn ist, sind nachrangige Fragestellungen.98 Anfänglich denkt die betroffene Person über die Umstände des Schadenshergangs (und damit die den Anspruch begründenden Umstände) nach, weil sie die Information in ihren Kenntnisstand aufnimmt. Gleiches gilt für andere Beispiele, in denen ein Schuldner aktiv wird, um eine (vermeintliche) Schuld zu tilgen. Im Moment der Zahlung hat der Schuldner Anlass, darüber nachzudenken, ob er zur Leistung verpflichtet ist (§  814 BGB) 98 

Vgl. zu diesem Beispiel oben §  5 I 2c (4) dd.

III.  Vermeidung der Rechtsanwendungsprobleme

429

oder ob der ursprüngliche Gläubiger noch der Forderungsinhaber ist (§  407 I BGB). Auch der Empfänger einer Leistung hat Anlass, bei deren Empfang über krisenrelevante Tatsachen nachzudenken, gerade wenn dies aus der Sicht des Gläubigers mehr oder weniger überraschend erfolgt, §§  130 ff. InsO. bb.  Bekannte Einzelinformationen als Ausgangspunkt der Überlegung der betroffenen Person Im vorausgegangen Schritt sind die der betroffenen Person bekannten Einzeltatsachen zusammengestellt worden. Sodann sind diese Einzeltatsachen daraufhin zu untersuchen, welche Information am nächsten bei dem tatbestandlich geforderten Gegenstand der Kenntnis liegt. Patentrechtlich ausgedrückt ist dies die Bestimmung des nächstliegenden Standes der Technik, bzw. deskriptiv bezeichnet: „the most promising springboard“.99 Geht es beispielsweise um die Bestimmung der Kenntnis der Unrichtigkeit des Grundbuches, weil eine (mittlerweile gelöschte) Hypothek mit entwertetem Geld getilgt wurde und in Streit steht, ob der Erwerber die Unrichtigkeit des Grundbuches kennt, die sich aus §  20 I Aufwertungsgesetz ergibt, dann ist die dem Betroffenen bekannte Information am nächstliegenden, dass er einerseits den Umstand von erheblichen Geldwertschwankungen und andererseits den Tilgungszeitpunkt kennt.100 Bei der Frage, ob sich ein Mietmangel gemäß §  536c I 1 BGB während der Mietzeit zeigt, ist die nächstliegende Information, von der die Bestimmung der Kenntnis des Mieters auszugehen hat, die Feststellung einer Änderung der Mietsache, d. h. der ursprüngliche Zustand und derjenige, den die Mietsache jetzt hat. Bei der Feststellung dieser Änderung hat der Mieter Anlass, überhaupt nachzudenken, ob sich für ihn daraus Handlungspflichten gegenüber dem Vermieter ergeben. Diese Überlegungen beginnen bei der Wahrnehmung der konkreten Änderung der Mietsache.101 cc.  Abstand der Einzelinformation als zu überwindende Hürde zwischen bekannten Einzelinformationen und dem Gegenstand der tatbestandsrelevanten Kenntnis Nachdem der Ausgangspunkt der Überlegungen (die bekannten Einzelinformationen) feststeht und die Zielvorgabe definiert ist (der Gegenstand der tatbestandlich geforderten Kenntnis), ist nun der „Abstand“ zwischen beiden Vergleichsgrößen zu bestimmen. Hierbei reicht es nicht aus, sich mit der Begründung zu begnügen, man müsse die Augen vor der Erkenntnis verschließen, um 99  Vgl. EPA (T 254/86) ABl. EPA 1989, 115; EPA (T 644/97) ABl. EPA 2000, 21; sowie oben §  3 III 2b (2) bb (i). 100  Vgl. hierzu oben §  7 II 2a (3) bb (i). 101  Vgl. hierzu oben §  6 III 2.

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§  9  Zusammenführung der Untersuchungsergebnisse

nicht von den bekannten Einzelinformationen zum Gegenstand der tatbestandlich geforderten Kenntnis zu gelangen. Diese Begründung gewinnt auch nicht an Überzeugungskraft, wenn das Sich-Verschließen vor der Erkenntnis mit einer vermuteten böswilligen Intention des Betroffenen argumentativ aufgewertet werden soll, indem ein Vergleich mit einem vermeintlich „redlich Denkenden“ angestellt wird, der in der Situation seine Eigeninteressen ausblenden soll, die er mit der Beeinflussung des Ergebnisses (Vorliegen der Kenntnis) verfolgen würde.102 Vielmehr geht es um die Klärung der Frage, ob der Betroffene Anlass hatte, ausgehend von den ihm bekannten Einzelinformationen und anlässlich der situationsgebundenen Aktualisierung seines Kenntnisstandes in die Richtung des tatbestandlich geforderten Gegenstandes der Kenntnis zu denken. Bei der Beantwortung dieser Frage kommt es darauf an, ob der Betroffene in den bekannten Einzelinformationen eine Anregung fand, in eine bestimmte Richtung zu denken, oder ob mehrere Erklärungswege ähnlich wahrscheinlich waren. Auch spielt die Nachzeichnung des gedanklich vorgenommenen Weges hinein, ob der Betroffene Anlass hatte, vertieft über die Situation nachzudenken, in der er die Information aufgenommen hat. Diese Frage wird bei dem Kauf eines Grundstücks und der Betrachtung der Voreintragungen im Grundbuch eher zu bejahen sein (im Hinblick auf eine etwaige Anwendung von §  892 I BGB) als bei der Zahlung eines geringen Betrages an einen Internethändler, der Vorkasse verlangte und ungewöhnlich lange Lieferzeiten in Aussicht stellte (im Hinblick auf eine etwaige Anwendung von §§  130 ff. InsO). Fordert ein Gläubiger bereits Zinsen für einen Zeitraum, bevor der Schuldner überhaupt in Verzug gesetzt wurde und handelt es sich dabei um einen geringen Betrag, ist auch eher von einer weniger intensiven gedanklichen Befassung mit der Sache auszugehen, als wenn ein sehr hoher Betrag taggenau verzinst werden soll und dies (zudem überraschenderweise) einen Zeitraum vor Verzugseintritt betrifft (im Hinblick auf eine etwaige Anwendung von §  814 BGB, wenn der Schuldner dennoch leistet). Wurde der Betroffene durch die ihm bekannten Einzelinformationen angeregt, in eine bestimmte Richtung zu denken, so bedeutet das nicht zwingend, dass er dies auch getan hat. Vielmehr ist auch negativ abzugrenzen, welche Hindernisse dem Betroffenen entgegenstanden, um von den bekannten Einzel­ informationen zu dem tatbestandlich geforderten Gegenstand der Kenntnis zu gelangen. Solche Hindernisse können einerseits nachvollziehbare Gründe für eine weniger intensive Befassung mit der Angelegenheit sein, weil die Informationen als nicht besonders wichtig eingeschätzt wurden (beispielsweise die Fest102  So die übliche Begründungsstruktur der Rechtsprechung und ihr nachfolgend vielfach in der Literatur bestätigt, vgl. beispielhaft zu §  892 I BGB: MünchKommBGB/Kohler, 6.  A., 2013, §  892 Rn.  48 unter Bezugnahme auf BGH LM Nr.  5 zu §  892 BGB; OLG Stuttgart BWNotZ 1978, 124 f. sowie oben §  7 II 2a (3) aa; auch zu §  819 I BGB oben §  7 III 2b (1) oder zur Ersitzung vgl. oben §  5 IV und BGH NJW 1958, 668.

III.  Vermeidung der Rechtsanwendungsprobleme

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stellung eines kleinen, weniger auffälligen Lackkratzers am eigenen Fahrzeug). Andererseits können jedoch auch Hindernisse auf dem gedanklichen Weg zu der tatbestandlich geforderten Kenntnis entgegenstehen, die in der Sache selbst angelegt sind. Teilweise kann es für wahrgenommene Veränderungen, über die der Betroffene nachdenkt, mehrere Ursachen geben, die ähnlich wahrscheinlich sind (beispielsweise kann eine Beschädigung am Fahrzeug auch durch eine unbemerkte Eigenschädigung erfolgt sein, anstatt auf einer einen Schadensersatz auslösenden Handlung zu beruhen). Außerdem ist möglich, dass der Betroffene zwar umfassend von Tatsachen Kenntnis hat, die Bewertung der Tatsachen für den tatbestandsrelevanten Kontext hingegen selbst von Fachleuten umstritten ist, so dass mithin weder der Betroffene noch irgendjemand anderer zuverlässige Kenntnis haben kann.103 dd.  Rückgriff auf Fakten- und Erfahrungswissen bei der Aktualisierung des Kenntnisstandes Die Aufnahme einer Information in den Kenntnisstand (d. h. das Wissen der Person) erfolgt durch das Verstehen der Information.104 Dies geschieht, indem die Person die Information mit den übrigen ihr bereits bekannten und verstandenen Informationen in ihrem Kenntnisstand verbindet.105 Jede Verarbeitung einer wahrgenommenen Information zu Wissen bedeutet daher, dass die Information in einen Zusammenhang mit dem Vorbekannten gebracht wird. Das Vorbekannte einer Person setzt sich aus deren Fakten- und Erfahrungswissen zusammen.106 Daher sind bei der Frage, ob eine betroffene Person einen bestimmten Kenntnisstand hat, auch die der Person bereits bekannten Informationen heranzuziehen. Mit diesen Informationen verknüpft sie die neue Information während des Verstehens, d. h. der Aufnahme der Information in den Kenntnisstand. Konkret bedeutet das, dass bei der Betrachtung des gedanklichen Weges diejenigen Informationen aus dem Kenntnisstand einer Person bedeutsam werden, auf die die Person üblicherweise bei der Aufnahme einer Information in ihren Kenntnisstand zurückgreift. Dies betrifft den Kontext, in den die neue Information gestellt wird. 103 Diese Situation ist beispielsweise bei der Beurteilung des Kennenmüssens (d. h. der fahrlässigen Unkenntnis) im Rahmen der Unwirksamkeit der Vollmachtserteilung im Zusammenhang mit einem Treuhand- und Geschäftsbesorgungsvertrag relevant geworden, vgl. BGH NJW 2004, 2090, 2091 sowie oben §  5 III. 104  Rey/Maassen/Gadeib/Brücher, Information Management & Consulting 1998 Heft 1 S.  30; Wissel, Konzeption Managementsystem, 2001, S.  88; Krcmar, Gablers Magazin 1998 Heft 3, S.  6 ff.; Willke, Systemisches Wissensmanagement, 2001, S.  11; vgl. hierzu auch oben §  1 II 2a (3). 105  Bullinger, Electronic Business and Knowledge Management 1999, 53, 61 f. sowie Hasler Roumois, Studienbuch Wissensmanagement, 3.  A., 2013, S.  34 f. und oben unter §  1 II 2a (3). 106  Zu der Unterscheidung zwischen beidem vgl. oben §  1 II 2b (1).

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§  9  Zusammenführung der Untersuchungsergebnisse

Durch die Beachtung von individuell vorhandenen Erfahrungen sowie relevanten Vorkenntnissen hängt die Bestimmung des Kenntnisstandes zwar stark von subjektiven Umständen ab und das Ergebnis der Bestimmung eines tatbestandlich geforderten Kenntnisstandes unterscheidet sich von Person zu Person. Dennoch sind diese einzelfallbezogenen Unterschiede bei der Bestimmung eines (naturgemäß höchst subjektiven) Kenntnisstandes hinzunehmen. Es geht nicht darum, allgemeinverbindliche Sorgfaltsanforderungen an bestimmte Personengruppen („den gutgläubig Erwerbenden“ i. S. d. §  892 I BGB oder „den lei­stenden Schuldner“ i. S. d. §  814 BGB oder §§  130 ff. InsO) zu richten, den eigenen Kenntnisstand in bestimmter Weise zu gestalten. Vielmehr geht es auf dieser Stufe einzig um die Feststellung, ob die konkrete Person von der ihr bekannten Einzelinformation zu dem tatbestandlich geforderten Gegenstand der Kenntnis gelangt wäre. Dabei sind das Erfahrungswissen und das Faktenwissen für das Verständnis der Einzelinformationen ebenfalls heranzuziehen. ee.  Abgrenzung der üblicherweise erwartbaren Aktualisierung des Kenntnisstandes von der Formulierung von Sorgfaltsanforderungen (Abgrenzung zwischen „könnte“ und „würde“) Die vorgestellte Vorgehensweise birgt die Gefahr in sich, dass der betroffenen Person ein Kenntnisstand als bekannt unterstellt wird, über den sie tatsächlich nicht verfügt. Diese Gefahr realisiert sich immer dann, wenn auf einen hypothetisch möglichen Kenntnisstand abgestellt wird, den die Person haben könnte, wenn sie die bekannten Einzelinformationen in ihren Kenntnisstand aufnimmt. Das ist zu vermeiden, denn es geht nicht darum, von der Person zu erwarten, einen Kenntnisstand haben zu müssen, den man üblicherweise hat, wenn man in bestimmter Weise über einen Sachverhalt nachdenkt oder sich mit diesem überhaupt gedanklich auseinandersetzt. Immer wenn der fragliche Kenntnisstand erst dann als vorliegend angesehen werden kann, wenn Handlungen der betroffenen Person hinzukommen, die die Person erst durch die Erfüllung von ausdrücklich oder auch verdeckt formulierten Sorgfaltsanforderungen erhalten „könnte“, geht es nicht mehr um die Bestimmung des Kenntnisstandes der Person, sondern bloß um die Möglichkeit, diesen Kenntnisstand haben zu können. Im Gegensatz dazu liegt Kenntnis vor, wenn die oben dargestellte Frage („Würde die betroffene Person, deren Kenntnisstand zu ermitteln ist, in der Situation, in der sie über den Sachverhalt, den die Norm zugrunde legt und tatbestandlich die Kenntnis voraussetzt, nachdenkt, ausgehend von den ihr bekannten sachverhaltsrelevanten Einzelinformationen zu dem Gegenstand der geforderten Kenntnis gelangen, wenn sie dabei auf ihr allgemeines und besonderes Fakten- und Erfahrungswissen zurückgreift?“) ausschließlich unter der Blickrichtung beantwortet wird, dass die betroffene Person den geforderten Kenntnisstand haben „würde“. Diese Differenzierung zwischen „könnte“ und

III.  Vermeidung der Rechtsanwendungsprobleme

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„würde“ ist eine im Patentrecht gängige und zuverlässige Abgrenzungsmethode bei der Frage, ob eine Erfindung auf erfinderischer Tätigkeit beruht (d. h. ob sich die Erfindung für den Durchschnittsfachmann in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik ergeben würde) oder ob der Durchschnittsfachmann nur zu dem in der beanspruchten Erfindung aufgeführten Lösungsweg hätte gelangen „können“.107

107  So genannter „could-would“-Ansatz: EPA (T 455/91) ABl. EPA 1995, 684, 703 f. – Expression in Hefe/GENENTECH; vgl. im Einzelnen oben §  3 II 2b (2) bb (i).

§  10  Zusammenfassung I.  Trennung von Definition und Bestimmung eines Kenntnisstandes Setzt eine Norm einen Kenntnisstand voraus, muss der Rechtsanwender zwischen der Definition des Merkmals der Kenntnis und der Bestimmung des Kenntnisstandes unterscheiden.1 Die Definition bezieht sich auf den Rechtsbegriff der Kenntnis und dessen Grenzen. Diese definitorische Festlegung des von der Norm geforderten Gegenstandes der Kenntnis ist abstrakt und unabhängig vom Einzelfall. Sie hat Gültigkeit für eine Vielzahl von Fällen und ist damit eine Rechtsfrage.2 Die Bestimmung des tatsächlich vorliegenden Kenntnisstandes ist die Untersuchung anhand des Einzelfalls, ob der Kenntnisstand in den von der Norm jeweils definitorisch festgelegten Grenzen vorliegt.3 Bei dieser Frage des Einzelfalls handelt es sich im Wesentlichen um eine Tatfrage, wobei jedoch bei der Feststellung, ob der Kenntnisstand vorliegt, die teilweise notwendigen Wertungen wiederum Rechtsfragen sind.4 Dies betrifft vor allem Konstellationen, in denen die Norm Rechtskenntnis voraussetzt, wie z. B. §§  814 Alt.  1,5 819 I,6 892 I 2,7 937 II Alt.  2,8 990 I 2,9 236610 BGB bzw. §  15 I, III HGB11. Definition und Bestimmung des rechtlich relevanten Wissens fließen derzeit in der Rechtsprechung häufig ineinander. Dies hat mehrere Gründe: Das rechtlich relevante Wissen ist ein schillernder Rechtsbegriff, dessen Grenzen häufig verschwommen sind, weil die subjektive (innere) Tatsache der Kenntnis einer Person schwer nachzuweisen ist.12 Diese Nachweisbarkeitsprobleme verleiten dazu, die definitorischen Grenzen bewusst durch bloße Wertungen aufzuweichen und das Vorliegen der rechtlich relevanten Kenntnis bereits dann anzu1 

Vgl. dazu insbes. oben §  9 III. Vgl. dazu oben §  4 II 1. 3  Vgl. dazu insbes. §  9 III 2. 4  Vgl. dazu oben §  4 II 2. 5  Vgl. dazu oben §  6 I. 6  Umstritten, ob Rechtskenntnis vorliegen muss, vgl. oben §  7 III 2b. 7  Vgl. dazu oben §  7 II 2. 8  Vgl. dazu oben §  5 IV sowie §  7 III 2. 9  Vgl. dazu oben §  7 III 2b. 10  Vgl. dazu oben §  7 III 2a (3) aa. 11  Vgl. dazu oben §  7 III 2a (3). 12  Vgl. hierzu bereits eingangs den Streit zwischen Platon und Aristoteles über den Inhalt des Begriffs „Wissen“, oben §  1 I. 2 

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§  10  Zusammenfassung

nehmen, wenn sich die betroffene Person der aufdrängenden Kenntnis nicht hätte verschließen dürfen.13 Auch dient das Tatbestandsmerkmal der Kenntnis oft als Einfallstor für die Findung rechtspolitisch erwünschter Ergebnisse,14 wobei die Unschärfe des Begriffs der Kenntnis für die Herbeiführung des stimmigen Ergebnisses genutzt wird, das sich aus der Anwendung der Norm sonst nicht begründen ließe (selbst wenn dies geboten erscheint), sondern allenfalls über die Anwendung der Grundsätze von Treu und Glauben.15 Steht der Rechtsanwender vor der Frage, ob ein von der Norm geforderter Kenntnisstand einer Person vorliegt, müssen drei Fälle unterschieden werden: 16 Fall 1: Die Kenntnis liegt bei der betroffenen Person nicht vor, der Betroffene könnte die fragliche Kenntnis aber haben, wenn er die im Hinblick auf die Gestaltung des eigenen Kenntnisstandes an ihn gerichteten Sorgfaltsanforderungen erfüllt hätte (fahrlässige Unkenntnis). Die (grob) fahrlässige Unkenntnis reicht zur Erfüllung des Tatbestandes nur aus, wenn die Norm die (grob) fahrlässige Unkenntnis der Kenntnis gleichstellt, wie z. B. §§  199 I Nr.  2,17 173,18 932 II BGB19. Fall 2: Aus Wertungsgesichtspunkten ist es geboten, die Person, die über den von der Norm vorausgesetzten Kenntnisstand tatsächlich nicht verfügt, mit derjenigen Person, die über den Kenntnisstand verfügt, im Hinblick auf die Rechtsfolgen gleich zu behandeln. In diesem Fall müssen die Voraussetzungen des §  242 BGB bzw. §  162 BGB vorliegen.20 Fall 3: Eine Person behauptet (bloß), die von der Norm geforderte Kenntnis nicht zu haben, diese Kenntnis würde aber vorliegen, wenn die Person Anlass hatte, ihren Kenntnisstand zu aktualisieren (d. h. über die Situation in gebotener Tiefe nachzudenken) und dabei die ihr bekannten Tatsachen mit ihrem restlichen Kenntnisstand unter Verwendung ihrer sonstigen kognitiven Fähigkeiten in der Weise zu verknüpfen, dass die Person zu dem Gegenstand der tatbestandlich geforderten Kenntnis gelangt wäre.21 13  So die st. Rspr., vgl. statt vieler BGH NJW 2001, 1721, 1722; BGH NJW 1996, 2933, 2934; BGH NJW-RR 1990, 606. 14  Dies wird besonders bei den Fällen deutlich, in denen ein gutgläubiger Erwerb gemäß §  892 I 1 BGB verneint wurde, weil die mit aufgewertetem (inflationsentwertetem) Geld bloß vermeintlich getilgte Hypothek gelöscht wurde, vgl. dazu oben §  7 II a (3) bb. 15  Zur gesonderten Behandlung desjenigen, der nicht über die Kenntnis verfügt, jedoch im Ergebnis unter Anwendung der Grundsätze von Treu und Glauben (§  242 BGB sowie insbes. §  162 BGB) ebenso wie derjenige behandelt werden soll, der über die Kenntnis verfügt, etwa weil sich die betroffene Person der Kenntnis bewusst verschließt und damit auf den Eintritt der für sie ungünstigen Rechtsfolge treuwidrig Einfluss nimmt, vgl. oben u. a. §  5 I 2b (4), §  7 II 2a (3) cc sowie §  9 III 1c. 16  Vgl. dazu in der Zusammenführung der Ergebnisse §  9 III 1. 17  Vgl. hierzu §  5 I b (3). 18  Vgl. hierzu §  7 I 1. 19  Vgl. hierzu §  7 II 2 b. 20  Vgl. hierzu oben §  5 I 2b (4), §  7 II 2a (3) cc sowie §  9 III 1c. 21  Vgl. zur Lösung dieser Fälle insbes. §  9 III 2.

II.  Vergleich von beanspruchter Erfindung mit den vorbekannten Kenntnissen

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Während in der ersten und in der zweiten Fallkonstellation die Kenntnis nicht vorliegt, bereitet die dritte Konstellation in der Rechtspraxis die größten Probleme. Häufig wird der dritte Fall im zivilrechtlichen Kontext zu einer der vorherigen beiden Konstellationen gezählt. Dies ist zu vermeiden. Stattdessen ist bei der Feststellung, ob ein zivilrechtlich relevanter Kenntnisstand vorliegt, eine Orientierung an der Vorgehensweise im Patentrecht geboten, bei der es um die Beantwortung der Frage nach der Neuheit und erfinderischen Tätigkeit geht und zu untersuchen ist, ob eine vom Erfinder beanspruchte Erfindung zum bereits vorbekannten Kenntnisstand gehört.22

II.  Vergleich von beanspruchter Erfindung mit den vorbekannten Kenntnissen im Rahmen der Prüfung patentrechtlicher Voraussetzungen Im Patentrecht haben die Definition und die Bestimmung von Wissen entscheidende Bedeutung für die Beantwortung der Frage, ob für eine beanspruchte Erfindung Patentschutz in Betracht kommt.23 Dabei hängt die Möglichkeit des patentrechtlichen Schutzes von dem Vergleich der (bislang nur dem Erfinder bekannten) Erfindung mit dem bereits vorbekannten und verfügbaren Kenntnisstand (dem Stand der Technik, §  3 I 2 PatG) ab. Die Methode dieses Vergleichs hat eine lebhafte Entwicklungsgeschichte.24 Ähnlich wie bei der Bestimmung eines zivilrechtlich relevanten Kenntnisstandes begann die Rechtsentwick­ lung im Patentrecht mit der Anreicherung von Wertungsmöglichkeiten an den sich aus dem Gesetz ergebenden Bezugspunkten.25 Wegen der Bedeutung des Ergebnisses des Vergleichs der Erfindung mit dem Stand der Technik wurde im Patentrecht seit der Schaffung der qualitativen Patentschutzvoraussetzungen eine Prüfungsmethode entwickelt, mit deren Hilfe vorhersagbare und logisch nachvollziehbare Ergebnisse erzielt werden können. Die Vorgehensweise ist davon geprägt, dass nur an wenigen (dafür aber erkennbaren) Stellen der Prüfung Wertungen des Patentprüfers in die Entscheidung einfließen.26 Konkret beinhaltet die patentrechtliche Prüfung der Schutzvoraussetzungen eine konsekutive Trennung zwischen einem Gesamtvergleich und einem Einzelmerkmals­ vergleich der Erfindung mit dem Stand der Technik.27 Dabei eröffnet der Gesamtvergleich kaum Wertungsmöglichkeiten für den Patentprüfer, denn er hat 22 

Dazu im Einzelnen oben §  3 III. den Folgen des Fehlens materiell-rechtlicher Voraussetzungen des Patentschutzes vgl. oben §  3 II 2. 24  Vgl. oben §  3 II 3. 25  Vgl. oben §  3 II 4. 26  Vgl. oben §  3 III 2b. 27  Vgl. oben §  3 III 2. 23  Zu

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§  10  Zusammenfassung

ausschließlich die Erfindung mit allen ihren Merkmalen im Stand der Technik zu suchen.28 Dennoch tritt ein subjektiver Unschärfebereich bei diesem Vergleich auf. Dieser beruht auf dem erforderlichen Verstehen des Inhalts der Quelle aus dem Stand der Technik, denn die Information muss zunächst zu Wissen transformiert werden.29 Dabei kommt es auch auf den sonstigen Kenntnisstand der Person an, die die Quelle verstehen muss.30 Der Einzelmerkmalsvergleich beruht dagegen im Wesentlichen auf Wertungen des Patentprüfers. Ein Einzelmerkmalsvergleich ist nur dann vorzunehmen, wenn die Erfindung im Rahmen des Gesamtvergleichs nicht im Stand der Technik gefunden wurde.31 Erst dann ist der „geistige Abstand“ zwischen der Erfindung und dem Stand der Technik zu ermitteln.32 Dieses Verfahren ist dadurch geprägt, dass subjektive Wertungen des Patentprüfers durch eine möglichst transparente Abfolge von Prüfungsschritten weitgehend vorhersehbar werden oder zumindest nachvollziehbar begründet werden können.33 Als entscheidende Hilfestellung bei dieser Vorgehensweise hat sich die Sichtweise eines gedachten Durchschnittsfachmanns etabliert.34 Aus dessen Sicht ist die Frage zu beantworten, ob die Erfindung als erfindungsgemäße Lösung zu der gestellten Aufgabe für ihn naheliegend war (d. h. er Anlass hatte, in Richtung der Lösung zu denken) oder ob der Auffindung der vorgeschlagenen Lösung erhebliche Hindernisse entgegenstanden.35 Um bei dieser Vorgehensweise erfolgreich zu sein, ist es notwendig, vor der Bestimmung des „geistigen Abstandes“ der Erfindung vom Stand der Technik die Vergleichsgrößen genau festzulegen: einerseits den Stand der Technik, andererseits aber auch die Erfindung.36 Außerdem muss vor dem eigentlichen Vergleichsvorgang, der im Einzelnen auf Wertungen beruht, bestimmt werden, auf welches (Vor-)Wissen und Können (d. h. die geistigen Fähigkeiten, die zur Problemlösung herangezogen werden) der Durchschnittsfachmann zurückgreift, wenn an ihn die von der Erfindung zu lösende Aufgabe herangetragen wird.37 Erst wenn diese sich in tatsächlicher Hinsicht stellenden Fragen geklärt sind, ist in einem weiteren Schritt die Wertung vorzunehmen, ob der Durchschnittsfachmann unter diesen in tatsächlicher Hinsicht feststehen28 

Vgl. oben §  3 III 2a. Vgl. oben §  3 III 2a (2). 30  Vgl. oben §  3 III 2a (2) aa und bb. 31  Vgl. oben §  3 III 2b (1). 32  Die Terminologie geht zurück auf die Gesetzesbegründung zu §   4 PatG 1978. Darin wird die Erfindungshöhe (bzw. die „erfinderische Tätigkeit“ als gleichbedeutender Terminus) als das Maß des „technologischen Abstandes“ der Erfindung „von dem vorbekannten Stand der Technik“ bezeichnet, BT-Drcks. 7/3712, S.  381; vgl. dazu auch oben §  3 II 5. 33  Vgl. oben §  3 III 2b (2) bb. 34  Vgl. oben §  3 III 2b (2). 35  Vgl. oben §  3 III 2b (2) bb. 36  Vgl. bezüglich der Erfindung oben §  3 III 2b (2) aa und bezüglich des Verständnisses des Standes der Technik §  3 III 2a (2). 37  Vgl. oben §  3 III 2b (2) aa. 29 

III.  Tatfrage und Rechtsfrage – Die Dichotomie von Wissen

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den Voraussetzungen zu der erfindungsgemäßen Lösung gelangt wäre, oder ob diese von der Erfindung vorgeschlagene Lösung für ihn nicht nahelag.38 Lag die Erfindung für den Durchschnittsfachmann nahe, ist ein Patentschutz für die beanspruchte Erfindung ausgeschlossen.

III.  Tatfrage und Rechtsfrage – Die Dichotomie von Wissen Rechtlich relevantes Wissen kann sowohl Tatfrage als auch Rechtsfrage sein.39 Die Einordnung ist eng verbunden mit der unklaren Rechtsnatur des Rechtsbegriffs des Wissens, d. h. der Frage, ob Wissen ein deskriptives oder ein normatives Merkmal ist.40 In seltenen Fällen ist Wissen ein rein deskriptives Merkmal.41 Nur dann ist dessen Ermittlung auch reine Tatfrage. In der Regel handelt es sich bei zivilrechtlich relevantem Wissen um einen normativen Begriff.42 Dann ist jedoch auch nicht die gesamte Untersuchung, ob die betroffene Person den Kenntnisstand hat, eine Rechtsfrage, sondern nur der Teil der Prüfung, der auf einer Wertung beruht und einen normativen Charakter aufweist.43 Eine solche Beschränkung des Kreises der Rechtsfragen ist im Patentrecht bei der Bestimmung der erfinderischen Tätigkeit bekannt.44 Auch diese ist keine reine Rechtsfrage. Vielmehr müssen die tatsächlichen Grundlagen, auf die die nachfolgende Wertung gestützt wird, ob die Erfindung naheliegend ist, d. h. sich aus dem (in tatsächlicher Hinsicht ermittelten) Stand der Technik ergibt, als Tatfrage und dem Beweis zugänglich angesehen werden.45 Der Maßstab, der bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit bei der Einzelfall­prüfung zugrunde gelegt wird, ist dagegen eine Rechtsfrage, denn es handelt sich bei der Formulierung der Bemessung des „geistigen Abstandes“ um einen Rechtssatz mit Leitlinienfunktion, der für eine Vielzahl von Fällen gilt.46 Ähnliches gilt auch für die rechtlich relevante Kenntnis im Zivilrecht. Die Ermittlung der tatsächlichen Grundlagen ist Tatfrage, insbesondere der tatsächliche Kenntnisstand der betroffenen Person im Hinblick auf die bekannten Einzelinformationen, über die die betroffene Person verfügt. Sobald aus diesen Einzelinformationen Folgerungen abgeleitet werden müssen, weil z. B. die Norm

38  So zumindest der Prüfungsansatz des EPA durch den sog. Aufgabe-Lösungs-Ansatz, vgl. dazu oben §  3 III 2b (2) bb. 39  Vgl. oben §  4 III. 40  Vgl. oben §  9 II 1e. 41  Vgl. oben §  9 II 3a. 42  Vgl. oben §  9 II 3b. 43  Vgl. oben §  4 II 2. 44  Vgl. oben §  4 II 2a (2). 45  Vgl. oben §  4 II 2a (2). 46  Vgl. oben §  4 III.

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§  10  Zusammenfassung

Rechtskenntnis voraussetzt, handelt es sich um eine Rechtsfrage.47 Das liegt daran, dass die Folgerung aus den bekannten Einzelinformationen im Rahmen einer rechtlichen Wertung für eine Vielzahl von Fällen gleich zu treffen ist und damit ein Rechtssatz formuliert wird, der eine Leitlinienfunktion erfüllt.48

IV.  Kontextuierung von Informationen als Voraussetzung von Wissen Die meisten Normen, deren Tatbestand einen Kenntnisstand voraussetzt, dienen dem Ziel, mehr Rechtsfrieden zu schaffen.49 Um dieses Ziel zu verwirklichen, gibt es unterschiedliche Gründe, auf die Kenntnis einer Person abzustellen. In der Regel hat die Kenntnis einer Person für diese rechtsvermindernde Wirkung. Derjenige, der etwas weiß, wird dadurch bösgläubig und zahlreiche ansonsten bestehende Möglichkeiten bestehen dann nicht mehr (z. B. der gutgläubige Erwerb (§  892 I BGB) 50 oder die Ersitzung (§  937 II Alt.  1 BGB) 51 sind ausgeschlossen). Häufig verfolgen diese Normen das Ziel, ein entstandenes Vertrauen zu schützen, ohne dieses Vertrauen jedoch in einem zu prüfenden Tatbestandsmerkmal der Norm zu enthalten.52 Das erschwert die Rechtsanwendung, da die Erreichung eines mit der Norm verfolgten Ziels in die Interpretation jedes Tatbestandsmerkmals aufgenommen werden muss und nicht nur in ein Tatbestandsmerkmal, das die unschärfsten Konturen aufweist. Dabei besteht nämlich die Gefahr, dass nicht nur die Wortlautgrenze eines Tatbestandsmerkmals verwischt wird, sondern auch die Bedeutungsgrenzen überdehnt sowie in jedem Einzelfall anders beurteilt werden. Besonders deutlich wird dies, wenn durch ein Normgefüge Rechtsklarheit und Rechtssicherheit herbeigeführt werden soll, dies allerdings nicht gelingt, weil das Tatbestandsmerkmal der Kenntnis nicht hinreichend sicher bestimmt werden kann.53 Die Reform der Verjährungsvorschriften und die dabei geführte Diskussion belegen, dass das mit der Verjährung verfolgte Regelungsziel der Rechtsklarheit nur eingeschränkt er47 

Vgl. zur Rechtskenntnis oben §  9 II 1e sowie §  9 III 2c (2) bb (ii). Vgl. oben §  4 II 1 (a). 49  Am deutlichsten wird dies bei der Verjährung: Der Gläubiger soll eine reale Chance haben, seinen Anspruch durchzusetzen. Dazu muss er freilich die Person des Schuldners und die den Anspruch begründenden Umstände kennen, vgl. §  199 I Nr.  2 BGB sowie ausführlich oben §  5 I 1a. 50  Vgl. dazu oben §  7 II. 51  Vgl. dazu oben §  5 IV. 52  Deutlich bei §  814 Alt.  1 BGB (vgl. oben §  6 I sowie kritisch zur Rspr. u. a. BGH NJW 1979, 763 f.: Staudinger/Lorenz, BGB, 2007, §  814 Rn.  2) sowie bei sämtlichen Formen der Verwirkung (allgemeine Verwirkung, vgl. oben §  5 III; Ausschluss der Gewährleistungsrechte für die Zukunft bei unvermindert und vorbehaltlos gezahlter Miete, vgl. oben §  6 III 3). 53 Zum Spannungsfeld zwischen Rechtssicherheit und Rechtsklarheit im Rahmen der Verjährungsvorschriften vgl. oben §  5 I 1a (1) bb. 48 

IV.  Kontextuierung von Informationen als Voraussetzung von Wissen

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reicht werden kann, wenn der Beginn der Verjährungsfrist von dem Kenntnisstand des Gläubigers abhängt und unklar bleibt, wann dieser Kenntnisstand gegeben ist.54 Letztlich ist das Problem durch die Gleichstellung der Kenntnis des Gläubigers von dem Schuldner und den anspruchsbegründenden Umständen mit der grob fahrlässigen Unkenntnis vom Gesetzgeber im Rahmen der Schuldrechtsreform entschärft worden (§  199 I Nr.  2 BGB). Allerdings bedeutet dies für die Rechtsanwendung nicht zwingend, dass durch den argumentativen Rückgriff auf eine zumindest grob fahrlässig vorliegende Unkenntnis die Befassung mit der Frage, ob die Kenntnis des Gläubigers vorliegt, offengelassen werden könnte. Vielmehr ist der vor der Schuldrechtsreform entwickelte Ansatz kritisch zu betrachten, nach dem die Kenntnis von Schaden und Schädiger i. S. d. §  852 I BGB i. d. F. bis 2001 vorliegen soll,55 wenn dem Gläubiger eine Klage zuzumuten sei.56 Diese Zumutbarkeitserwägungen stellen zwar aus der Sicht der Rechtsprechung ein probates Mittel dar, eine Informationsdichte zu bewerten, über die der Gläubiger verfügt, jedoch eröffnet die Einführung eines ungeschriebenen Tatbestandsmerkmals (z. B. des für den Beginn der Verjährungsfrist geforderten Kenntnisstandes, der eine „Klageerhebung zumutbar erscheinen lässt“) eine vom Gesetzgeber (auch vor der Schuldrechtsreform) nicht vorgesehene Wertungsmöglichkeit für den Rechtsanwender, deren Grenzen zu unklar sind. Eine handhabbare Bestimmung der tatbestandlich erforderlichen Kenntnis kann darin liegen, dass die für die Kenntnis erforderliche Informationsdichte durch den Blick auf den Kontext ermittelt wird, in dem die Information der betroffenen Person in Erscheinung tritt.57 Die Frage ist dann, ob die betroffene Person die Informationen, über die sie verfügt, in einen Kontext gebracht hat, der für die tatbestandlich relevante Kenntnis erheblich ist, d. h. die Person die ihr bekannten Informationen kontextuiert hat. Dabei ist eine Verobjektivierung der Betrachtung durch die Sichtweise eines gedachten Dritten dienlich.58 Bei der Bestimmung, ob die Kontextuierung stattgefunden hat, helfen die aus dem Patentrecht im Rahmen der Ermittlung des Naheliegens einer Erfindung bekannten Kriterien, z. B. ob für die betroffene Person Anlass bestand, in eine bestimmte Richtung zu denken, wenn der betroffenen Person die neue Information als Teil des tatbestandlich geforderten Kenntnisstandes bekannt wird.59 Die Frage nach dem tatsächlich vorliegenden Kenntnisstand hat im Rahmen der Verjährungsvorschriften durch die weitgehend erfolgte Gleichstellung der 54 

Vgl. oben §  5 I 1a (1) cc. Regelungsgrund für die ausschließlich kenntnisabhängig beginnende Verjährungsfrist in §  852 I BGB i. d. F. bis 2001 vgl. oben §  5 I 1b (1) aa. 56  Dazu oben §  5 I 2b (3). 57  Vgl. oben §  5 I 2c (2). 58  Vgl. oben §  5 I 2c (4) bb. 59  Vgl. oben §  5 I 2c (2) ee. 55 Zum

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§  10  Zusammenfassung

Kenntnis mit der grob fahrlässigen Unkenntnis (§  199 I Nr.  2 BGB) an Bedeutung verloren.60 Dennoch darf die Abhängigkeit des Beginns der Verjährungsfrist von dem subjektiven Merkmal des Kenntnisstandes des Gläubigers nicht zu einer bloßen Obliegenheit verkommen, einen Kenntnisstand haben zu müssen, wenn der Gläubiger die Sorgfaltsanforderungen im Hinblick auf die Gestaltung des eigenen Kenntnisstandes eingehalten hätte. Es geht um eine reale Chance, die der Gläubiger gehabt haben muss, seinen Anspruch durchzusetzen. 61 Dies setzt in erster Linie die Kenntnis des Gläubigers von dem Schuldner und den anspruchsbegründenden Umständen voraus. Nur sekundär (§  199 I Nr.  2 Alt.  2 BGB) kann es darauf ankommen, dass der Gläubiger bei der Rechtsdurchsetzung nachlässig war und die „verdunkelnde Macht der Zeit“62 einen Ausschluss seiner Rechte rechtfertigt. Diesen Anforderungen an die Bestimmung des Kenntnisstandes wird eine auf die Kontextuierung der bekannten Einzelinformationen abstellende Betrachtungsweise gerecht. Fordert man bloß eine Kontextuierung der bekannten Einzeltatsachen, bleibt auch eine tatbestandlich bestehende Begrenzung des Gegenstandes der Kenntnis gewahrt. Verlangt eine Norm (beispielsweise §  199 I Nr.  2 BGB) lediglich die Kenntnis von der Person des Schuldners und den anspruchsbegründenden Umständen, nicht dagegen die Kenntnis von dem Anspruch selbst, braucht keine Rechtskenntnis (d. h. die Kenntnis vom Bestehen des Anspruchs) vorliegen, d. h. der Gläubiger braucht die zutreffende rechtliche Bewertung des Sachverhalts nicht vorgenommen zu haben. 63 Dennoch muss er die Einzelinformationen in den rechtlich relevanten Kontext seines möglicherweise bestehenden (ihm aber im Einzelnen nicht bekannten) Anspruchs gebracht haben, damit die Verjährungsfrist zu laufen beginnt. 64 Die Kontextuierung liegt folglich zwischen der tatbestandlich nicht geforderten Rechtskenntnis und der tatbestandlich nicht ausreichenden Unkenntnis, wenn der betroffenen Person nur einzelne Informationen bekannt sind. 65

60 

Vgl. oben §  5 I 1b (3). Zur Zielsetzung der Verjährungsvorschriften vgl. oben §  5 I 1a. 62 So die blumige Umschreibung des Gesetzgebers zur Rechtfertigung des Durchsetzungsausschlusses eines bestehenden Anspruchs, Mot. I 291, abgedr. in Mugdan, Materialien zum BGB, Band 1, 1899, Nachdr. 1979, S.  512; sowie oben §  5 I 1a. 63  Zum Unterschied zwischen den „anspruchsbegründenden Umständen“ als bloße Einzelinformationen und der nicht notwendigen Rechtskenntnis vom „bestehenden Anspruch“ im Sinne des §  199 I Nr.  2 BGB vgl. oben §  5 I 2b (2). 64  Vgl. oben §  5 I 2c (2). 65  Vgl. oben §  5 I 2c. 61 

V.  Entstehung schutzwürdigen Vertrauens durch einen Kenntnisstand

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V.  Entstehung schutzwürdigen Vertrauens durch einen Kenntnisstand Teilweise setzen Normen und Rechtsinstitute die Entstehung schutzwürdigen Vertrauens voraus. Ein Beispiel dafür ist die Verwirkung, nach der ein Anspruch künftig nicht mehr geltend gemacht werden kann, weil der Gläubiger ihn so lange Zeit nicht geltend gemacht hat, so dass der Schuldner darauf vertrauen durfte, (unabhängig von den Regeln der Verjährung) auch in Zukunft nicht in Anspruch genommen zu werden. 66 Um auf einen Zustand berechtigterweise vertrauen zu können, muss die betroffene Person zumindest Kenntnis von den Umständen haben, auf die sie ihr Vertrauen bilden kann.67 Daher ist der Kenntnisstand der vertrauenden Person für die Entstehung von Vertrauen von entscheidender Bedeutung. Allerdings ist in der Regel die Ermittlung des Kenntnisstands selbst nur eine zu beantwortende Vorfrage im Rahmen der Prüfung, ob die Rechtsfolge einer Norm oder eines Rechtsinstituts anwendbar ist. 68 Der Kenntnisstand bildet dabei ein gewichtiges Indiz für die Bildung von Vertrauen. Maßgeblich für die Rechtsfolge ist jedoch meist die Beurteilung der Schutzwürdigkeit eines etwaigen Vertrauens. Häufig – jedoch nicht zwingend – hat die Bildung schutzwürdigen Vertrauens eine Wirkung in der Zukunft. Beispielsweise ist die Geltendmachung eines verwirkten Anspruchs für die Zukunft ebenso ausgeschlossen, wie bei dem speziellen verwirkungsähnlichen Tatbestand der Bestätigung des anfechtbaren Rechtsgeschäfts (§  144 BGB) die Anfechtbarkeit in Zukunft ausgeschlossen ist. 69 Die Entstehung schutzwürdigen Vertrauens verleitet dazu, diese Schutzwürdigkeit auch in anderen Konstellationen zum Tatbestandsmerkmal zu erheben, wenn die Wirkung des Merkmals der Kenntnis ähnlich wie bei den bekannten Verwirkungstatbeständen ist. So interpretiert die Rechtsprechung70 in den Tatbestand des §  814 Alt.  1 BGB die Notwendigkeit der Entstehung schutzwürdigen Vertrauens, ohne dafür einen gesetzlichen Anhaltspunkt zu haben.71 Der gesetzliche Tatbestand stellt bloß auf die Kenntnis des Schuldners von der Nichtschuld ab, nicht dagegen auf die Entstehung eines Vertrauenstatbestandes auf Seiten des Gläubigers. Auch wenn beides meist eng mit einander verwoben sein wird, erfolgt dabei eine Überinterpretation des gesetzlichen Tatbestandes. Gleiches gilt für die methodisch fragwürdige Vorgehensweise zahlreicher Instanzgerichte72 bei der Frage, ob eine vorbehaltlose ungekürzte Weiterzahlung 66 

Vgl. oben §  5 III sowie §  6 III 3. Vgl. oben §  5 III 1. 68  Vgl. oben §  5 III 3. 69  Vgl. oben §  6 II. 70  BGH NJW 1979, 763 f. 71  Kritisch daher zu Recht Staudinger/Lorenz, BGB, 2007, §  814 Rn.  2. 72  OLG Naumburg NZM 2002, 251; OLG Frankfurt am Main NZM 2002, 1025; OLG Dresden NZM 2002, 662. 67 

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§  10  Zusammenfassung

der Miete trotz Vorliegen eines (und möglicherweise sogar dem Vermieter angezeigten) Mangels der Mietsache dazu führt, dass die Gewährleistungsrechte wegen dieses Mangels ausgeschlossen sein sollen.73 Die Argumentation beruht auf der Erwägung, dem Kenntnisstand des Vermieters eine konstitutive Wirkung für ein etwaiges Vertrauen und damit einen Ausschlussgrund der Rechte des Mieters für die Zukunft beizumessen. Soweit ein schutzwürdiges Vertrauen nicht zum Tatbestand des in die Zukunft wirkenden Tatbestandes einer Norm gehört, muss eine an dem jeweiligen Kenntnisstand orientierte Lösung entwickelt werden. Das gilt insbesondere auch für Fallkonstellationen, bei denen zu untersuchen ist, ob ein Informationsaustausch, d. h. eine Angleichung des jeweiligen Kenntnisstandes, vorausgeht bzw. vorausgehen muss. Das ist dann der Fall, wenn Aufklärungspflichten beispielsweise bei Vertragsverhandlungen, insbesondere bei der Bemessung von Vorschusszahlungen, bestehen. In diesen Konstellationen muss der jeweilige Kenntnisstand der betroffenen Person erheblich stärker einbezogen werden, als es bislang durch die bloße Heranziehung als Vorfrage und argumentative Unterstützung für eine wertende Entscheidung im Rahmen der Schutzwürdigkeit eines möglicherweise entstandenen Vertrauens gehandhabt wird.74

VI.  Rechtsverlust durch einen Kenntnisstand Die weitaus häufigste Folge eines Kenntnisstandes einer Person ist, dass durch das Wissen von Umständen eine Schmälerung ihrer ohne die Kenntnis bestehenden rechtlichen Möglichkeiten eintritt: Durch die Kenntnis können beispielsweise der vom Gesetz vorgesehene gutgläubige Erwerb (§  892 I BGB bzw. §§  932 ff. BGB) 75 , das Bestehen von Haftungsprivilegien (§  819 I BGB) 76 , das Behaltendürfen einer während der Krise des Schuldners empfangenen Leistung (§§  129 ff. InsO) 77 oder die schuldbefreiende Wirkung einer Leistung an den bisherigen Gläubiger nach einer Abtretung (§  407 I BGB) 78 eingeschränkt bzw. ausgeschlossen sein. Diese Privilegien und rechtlichen Möglichkeiten sind in der Regel als Ausnahmen konzipiert, die von dem grundsätzlichen Regelungskonzept abweichen. Beispielsweise weicht der gutgläubige Erwerb (§§  892 I, 932 BGB) von dem Grundsatz ab, dass niemand einem anderen mehr Rechte verschaffen kann, als er selbst hat; 79 die Möglichkeit der Insolvenzanfechtung (§§  129 InsO) ent73 

Vgl. hierzu oben §  6 III 3. Vgl. dazu oben §  6 IV. 75  Vgl. dazu oben §  7 II. 76  Vgl. dazu oben §  7 III. 77  Vgl. dazu oben §  7 V. 78  Vgl. dazu oben §  7 IV. 79  So ist der Grundsatz „Nemo plus iuris transferre potest, quam ipse habet“ bereits in 74 

VI.  Rechtsverlust durch einen Kenntnisstand

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kräftet die Wirksamkeit einer Leistung zugunsten der gleichmäßigen Gläubigerbefriedigung; 80 der Ausschluss von Haftungsprivilegien (wie §  819 I BGB) führt zu einer grundsätzlich bestehenden umfassenden Haftung des Bereicherungsschuldners; 81 die schuldbefreiende Wirkung einer Leistung an den Zedenten weicht von dem Grundsatz ab, dass die Leistung an den Gläubiger (§  362 I BGB) zu bewirken ist.82 Diese Ausnahmevorschriften bestehen meist aus Gründen des Schutzes der Allgemeinheit (Verkehrsschutz beim gutgläubigen Erwerb) oder des Schutzes Einzelner (dem Rückgewährgläubiger, den Insolvenzgläubigern, dem Schuldner bei der Abtretung). Ein solcher Schutz ist allerdings nur dann gerechtfertigt, wenn der begünstigten Person die Kenntnis von der sich tatsächlich ergebenden (Rechts-)Lage fehlt. Die Ausnahmevorschriften setzen daher nicht einen Kenntnisstand voraus, in dem einzelne Informationen enthalten sind, sondern die Ausnahmevorschriften greifen nur dann ein, wenn ein Kenntnisstand (von der wahren Lage) fehlt, d. h. die tatbestandsrelevanten Informationen der betroffenen Person nicht bekannt sind. Auszugehen ist in den Fällen von einer „abstrakten Vertrauensbasis“, die sich auf eine scheinbare Lage bezieht, die sich beispielsweise aus dem Grundbuch, dem Handelsregister, der Besitzstellung oder ähnlichen Rechts­schein­ trägern ergibt.83 In der Rechtsanwendungspraxis hat sich eingebürgert, dass die genannten Normen von dem individuellen Kenntnisstand insoweit unabhängig angewandt werden, als es nur noch auf ein abstraktes Vertrauen in die sich scheinbar ergebende Lage ankommt. 84 Das Abstellen auf ein abstrakt bestehendes und schutzwürdiges Vertrauen ermöglicht eine wertende Entscheidung des Rechtsanwenders, ob die Ausnahme (gutgläubiger Erwerb, Haftungsprivilegierung, insolvenzunabhängige (vorrangige) Befriedigung, schuld­befreiende Wirkung der Leistung) eingreifen soll. Dabei hat das tatbestandlich geforderte Fehlen eines Kenntnisstandes zwar indizielle Bedeutung für die Entstehung eines schutzwürdigen (abstrakten) Vertrauens, durch diese Vorgehensweise werden jedoch auch Fälle einer Wertung unterzogen, in denen der Tatbestand der Ausnahmevorschrift an sich klar erfüllt ist, nämlich dann, wenn sich die betroffene Person keinerlei Gedanken zu der sich tatsächlich ergebenden Lage gemacht hat.85 Dann steht der Kenntnisstand des Einzelnen der Anwendung der jeweils begünstigenden Ausnahmevorschrift nicht entgegen. Diese Fälle sind aber nur schwer zu lösen, weil der betroffenen Person der Weg eröffnet ist, stets zu beden Mot. III 341, abgedr. in Mugdan, Materialien zum BGB, Band 3, 1899, Nachdr. 1979, S.  189 f., im Zusammenhang mit dem gutgläubigen Erwerb erwähnt, vgl. oben §  7 II 1. 80  Vgl. dazu oben §  7 V 1. 81  Vgl. dazu oben §  7 III 1. 82  Vgl. dazu oben §  7 IV 2a. 83  Zum Verhältnis zwischen der Stärke des jeweiligen Rechtsscheinträgers und der Intensität der Kenntnis, die die Wirkungen des Rechtsscheinträgers ausschließt, vgl. oben §  7 II 2. 84  Vgl. dazu oben §  7 II 1. 85  Vgl. dazu oben §  7 II 1.

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§  10  Zusammenfassung

haupten, sich keine Gedanken gemacht zu haben (Nachweisbarkeitsproblem).86 Dann verschließt sich diese Person möglicherweise bewusst einer Kenntniserlangung; Zweifel an der (Rechts-)Lage können bei ihr gar nicht erst entstehen. Die Rechtspraxis behilft sich in diesen Fällen mit einer Ausdehnung des Begriffs der Schutzwürdigkeit des Vertrauens und löst die Fälle meist nach der bekannten „sich-nicht-verschließen-dürfen“-Formel.87 Der von der Rechtspraxis eingeschlagene Weg, statt eines der Privilegierung entgegenstehenden tatbestandlich geforderten Kenntnisstandes die Schutzwürdigkeit eines Vertrauens des Begünstigten in den Vordergrund zu rücken, ist rechtspolitisch nachvollziehbar. Jedoch darf die Untersuchung des tatbestandlich geforderten Nichtvorliegens eines Kenntnisstandes durch diese Vorgehensweise nicht dazu führen, dass die Frage, ob die Privilegierung eingreift, nur noch der freien Wertung des Rechtsanwenders im Rahmen der Prüfung eines möglicherweise schutzwürdigen Vertrauens unterworfen ist. Ausgangspunkt der Überlegungen muss stets der tatsächlich vorliegende Kenntnisstand sein. Dieser ist vor jeglicher ergebnisbezogenen Wertung zunächst umfassend aufzuarbeiten und zu bestimmen. Schließlich gibt der Tatbestand der Norm vor, was für den Eintritt der Rechtsfolge erforderlich ist, nicht hingegen das Rechtsgefühl des Rechtsanwenders im Einzelfall, ein in sich stimmiges Ergebnis herbeizuführen. Falls das Ergebnis der Anwendung einer Norm mit der Rechtsordnung offenbar in Widerspruch stehen sollte, so dass insoweit Korrekturbedarf besteht, ist bei Vorliegen der jeweiligen Voraussetzungen eine Anwendung von §  242 BGB bzw. §  162 BGB in Betracht zu ziehen. 88 Dieses Vorgehen ist aber keine Bestimmung des Tatbestandsmerkmals der Kenntnis, sondern eine Anwendung der Grundsätze von Treu und Glauben im Einzelfall.89 Allerdings werden auch im Rahmen der Diskussion um den Vorgang der Bestimmung eines Kenntnisstandes facettenreiche Auffassungen vertreten. Insbesondere drei Bereiche sind in diesem Zusammenhang hervorzuheben: die verobjektivierte Feststellung des Kenntnisstandes90 (insbesondere die objektiv-normative Sichtweise sowie die Sichtweise des „redlich Denkenden“),91 die Ausdehnung der tatbestandsrelevanten Bezugstatsachen (§  130 II InsO) 92 sowie 86 Die Nachweisbarkeitsprobleme waren bereits während der Schaffung des BGB Gegenstand lebhafter Diskussion, vgl. Prot. III 3703, abgedr. in Mugdan, Materialien zum BGB, Band 3, 1899, Nachdr. 1979, S.  631 sowie oben §  7 II 1. 87  Vgl. vor allem die Rspr. zu §  852 I BGB i. d. F. bis 2001: BGH NJW 2001, 1721, 1722; BGH NJW 2003, 288, 289; BGH NJW 1996, 2933, 2934; BGH NJW-RR 1990, 606, 607; BGH NJW 1958, 668 sowie gleichlautend zu §  990 I 2 BGB: BGH NJW 1958, 668; außerdem oben §  7 II 2a (3) cc. 88  Vgl. oben §  7 II 2a (3) cc. 89  Daher ist dieser Fall gesondert zu betrachten und nicht zu den Fällen der Prüfung der tatbestandlichen Voraussetzungen des Merkmals der Kenntnis zu zählen, vgl. oben §  9 III 1 c. 90  Vgl. oben §  7 III 2b (2). 91  Vgl. oben §  7 III 2b (1). 92  Vgl. oben §  7 V 2b (3).

VI.  Rechtsverlust durch einen Kenntnisstand

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die Vertrauenswürdigkeit der Informationsquelle bzw. die eigene Überzeugung von der Richtigkeit der bekannten Information („wirkliche Kenntnis“) 93. Vor allem im Rahmen der Haftungsverschärfung des §  819 I BGB nimmt die Rechtsprechung94 eine Gleichstellung desjenigen, der sich der Einsicht des Fehlens des rechtlichen Grundes zur Sicherung seiner eigenen Vorteile verschließt, mit demjenigen vor, der sich dieser Erkenntnis öffnet.95 Dabei ist die Grenzziehung zwischen den Fällen, in denen die Kenntnis nicht vorliegt, weil die betroffene Person sich bewusst der Erkenntnis verschlossen hat und der Person, die über die Kenntnis schlicht nicht verfügt, regelmäßig ausschließlich eine Wertungsfrage, die davon abhängt, ob der Rechtsanwender der Person die Ableitung aus den bekannten Tatsachen zutraut. Eine solchermaßen „wertend verobjektivierte“ Sichtweise ist durch die argumentative Hervorhebung eines gedachten Dritten gerechtfertigt worden, aus dessen Sicht zu beurteilen sei, ob die Kenntnis im Einzelfall vorliege oder nicht.96 Allerdings beschränkt sich die Rechtsprechung nicht auf eine solche Sichtweise eines „objektiven“ Dritten, sondern unterstellt dem gedachten Dritten, dass dieser von seinem eigenen Vorteil unbeeinflusst sei. Damit stellt sich allerdings das Folgeproblem, dass diese unterstellten Eigenschaften nicht mehr der Beurteilung der Erkenntnis der jeweils betroffenen Person dienen, sondern einer Wertung unterliegen, ob die Erkenntnis nur deshalb nicht zustande kam, weil das Ergebnis für die betroffene Person möglicherweise einen Nachteil bedeuten würde.97 Um solche subjektiven Elemente bei der Bestimmung des Kenntnisstandes auszublenden, ist vorgeschlagen worden, die Ermittlung des Kenntnisstandes bloß „objektiv-normativ“ durchzuführen, d. h. den tatbestandlich geforderten Kenntnisstand unabhängig von subjektiven Vorstellungen des Einzelnen zu bestimmen.98 Eine solche Vorgehensweise führt allerdings dazu, dass bereits das Vorliegen einzelner Bezugstatsachen ausreichen kann, so dass beispielsweise die tatbestandlich erforderliche „Kenntnis vom fehlenden Rechtsgrund“ vorliegt, ohne dass die betroffene Person wirklich von der konkreten Rechtsfolge (z. B. der Nichtigkeit des Vertrages und der damit bestehenden Rechtsgrundlosigkeit der Leistung) Kenntnis hat.99 Wenn einzelne Bezugstatsachen für die tatbestandlich erforderliche Kenntnis ausreichen sollen, ist es Aufgabe des Gesetzgebers, eine solche Ausdehnung des Kreises des Gegenstandes der Kenntnis vorzunehmen. Dies ist im Insolvenz93 

Vgl. oben §  7 IV 2b (2). Statt vieler ausdrücklich BGH NJW 1996, 2652, 2653. 95  Vgl. oben §  7 III 2b (3). 96  Vgl. oben §  7 III 2b (1). 97  Die Rechtsprechung (z. B. BGH NJW 1996, 2652, 2653; BGH NJW 1958, 668; BGH NJW 1960, 1105; BGH NJW 1996, 2030) geht bei der Sichtweise des gedachten Dritten explizit davon aus, dass dieser den eigenen Vorteil ausblendet, vgl. oben §  7 III 2b (1). 98  Martinek, JZ 1996, 1099, 1100; vgl. oben §  7 III 2b (2). 99  Zur Kritik vgl. oben §  7 III 2b (3) sowie Lösungsvorschlag unter §  7 III 2 c. 94 

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§  10  Zusammenfassung

recht während der Insolvenzrechtsreform100 zu beobachten gewesen. Der Gesetzgeber wollte die Kenntnis von der Krise als Voraussetzung der Insolvenzanfechtung nicht der grob fahrlässigen Unkenntnis gleichstellen,101 dennoch aber dem Rechtsanwender Anhaltspunkte dafür geben, wann von der tatbestandsrelevanten Kenntnis von der Zahlungsunfähigkeit oder des Eröffnungsantrags auszugehen ist. Er führte ein Novum ins Gesetz ein und stellte in §  130 II InsO der tatbestandlich erforderlichen Kenntnis von der Zahlungsunfähigkeit oder des Eröffnungsantrags die „Kenntnis von Umständen gleich, die zwingend auf die Zahlungsunfähigkeit oder den Eröffnungsantrag schließen lassen.“ Damit erweitert der Gesetzgeber den Kreis der Bezugstatsachen (d. h. der Gegenstände, auf die sich die Kenntnis beziehen kann) und gibt dem Rechtsanwender aber gleichzeitig das Wertungskriterium an die Hand, das erfüllt sein muss, damit von der Kenntnis auszugehen ist: Es reicht nicht nur die Möglichkeit der Folgerung aus den bekannten Tatsachen, vielmehr muss der vorzunehmende Schluss auf die insolvenzrechtlichen Tatsachen (Zahlungsunfähigkeit oder Eröffnungsantrag) zwingend sein. Ob der Schluss zwingend ist, kann damit umschrieben werden, dass die Folgerung aus den bekannten Tatsachen auf die Zahlungsunfähigkeit oder den Eröffnungsantrag auf „besonders grober Fahrlässigkeit“ oder auch „Rechtsblindheit“ beruht.102 Die Besonderheit dieses Regelungskom­plexes liegt darin, dass der Gesetzgeber sich eingehend mit dem Verhältnis der grob fahrlässigen Unkenntnis und der Kenntnis auseinandersetzte und mit der Re­ gelung des §  130 II InsO schließlich einen Zustand zwischen beiden Begriffen kodifizieren wollte.103 Eng mit dem Vorschlag einer Verobjektivierung der Bestimmung des Kenntnisstandes verbunden ist der Vorschlag, auf das Rechtsgefühl der betroffenen Person abzustellen und bei dem unscharfen Bewusstsein des Schuldners, dass mit dem Recht des Gläubigers, die Leistung fordern zu können, etwas nicht stimme, eine Haftungsverschärfung einhergehen müsse, weil bei sich aufdrängenden Zweifeln und einem einigermaßen intakten Rechtsgefühl bereits von einer Kenntnis auszugehen sei.104 In eine ähnliche Richtung zielen die Vorschläge, die Kenntnis in §  407 I BGB zu bestimmen. Dabei wird auf die Überzeugung des Schuldners abgestellt und damit nicht nur die subjektive Reflexion über die bekannten Tatsachen in den Vordergrund gerückt, sondern vor allem die Quelle der Informationen im Hinblick auf deren Vertrauenswürdigkeit in die Untersuchung der Frage nach dem Bestehen eines Kenntnisstandes (bezüg-

100  Vgl. den Gesetzentwurf der Bundesregierung (Entwurf einer Insolvenzordnung) vom 15.04.1992, BT-Drcks. 12/2443, S.  156 ff. sowie oben §  7 V 1. 101  Vgl. oben §  7 V 2. 102  Vgl. oben §  7 III 2c (2). 103  Vgl. oben §  7 III 2b (3). 104  Vgl. oben §  7 III 2b (1); Mayer-Maly, FS Heinrich Lange, 1970, S.  293, 301 f.

VI.  Rechtsverlust durch einen Kenntnisstand

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lich der Abtretung i. S. d. §  407 I BGB) einbezogen.105 Die sich in dem Zusammenhang stellende Frage ist, ob der Schuldner „wirkliche Kenntnis“ von der Abtretung hat, oder ob nicht bloße Zweifel an der weiteren Rechtsinhaberschaft des früheren Gläubigers vorliegen.106 Die Diskussion im Rahmen der Schuldnerschutzvorschrift des §  407 I BGB muss allerdings vor dem Hintergrund des gemeinen Rechts verstanden werden.107 Danach war es konstitutive Voraussetzung für den „Übergang“ des (ausschließlich übertragbaren) Klagerechts, dass der Schuldner fortan seine Willensrichtung ändert und einem anderen Gläubiger schulden will. Dazu muss er von der Übertragung des Klagerechts in Kenntnis gesetzt worden sein (sog. „Denuntiation“) 108 und anschließend seine Willensrichtung in Bezug auf die Schuld ändern. Hierfür braucht er freilich eine innere Überzeugung von der Richtigkeit der Mitteilung eines Wechsels der Forderungsinhaberschaft (bzw. des Klagerechts). Ausgehend von diesem rechtshistorischen Ursprung ist die in der Rechtsprechung109 festzustellende Formulierung zu erklären, dass die Kenntnis im Sinne des §  407 I BGB vorliegt, wenn der Schuldner „wirkliche Kenntnis“ oder „sichere Kenntnis“ hat.110 Die individuelle Überzeugung von der Richtigkeit einer Tatsache ist die intensivste Form der Aufnahme einer Information in den eigenen Wissensstand.111 Allerdings ist die individuelle Überzeugung einer Person das am schwierigsten einem Beweis zugängliche Kriterium subjektiver Merkmale. Daher eignet sich das Maß der individuellen Überzeugung von der Richtigkeit einer Tatsache am wenigsten, um die Grenzen eines rechtlich relevanten Kenntnisstandes festzulegen. Dennoch wird die Stärke der individuellen Überzeugung von der Richtigkeit einer Tatsache beispielsweise bei der Beurteilung der einen gutgläubigen Erwerb verhindernden Kenntnis herangezogen. Bei einem Rechtsscheinträger mit einer schwachen Vertrauensbasis (z. B. dem Besitz) reichen bereits anfängliche Zweifel an der Berechtigung des Veräußerers aus, hingegen müssen bei einem Rechtsscheinträger mit einer starken Vertrauensbasis (z. B. dem Grundbuch, dem Erbschein oder dem Handelsregister) konkrete Anhaltspunkte vorliegen, die die Vertrauensbasis zerstören können.112 Dieses Wechselwirkungsverhältnis zwischen der Stärke der sich aus dem Rechtsscheinträger ergebenden Vertrauensbasis und dem diese Vertrauensbasis zerstörenden Kenntnisstand ist im Gesetz bereits dadurch angelegt, dass bei dem schwachen 105 

Vgl. oben §  7 IV 2b (2). Vgl. oben §  7 IV 2b (2). 107  Vgl. oben §  7 IV 1. 108 Vgl. Windscheid, Actio, 1857, Nachdr. 1969, S.  188 sowie oben §  7 IV 1. 109  Vor allem in reichsgerichtlichen Entscheidungen, vgl. RGZ 61, 245, 247; RGZ 74, 117, 120 f; nachfolgend aber auch BGH LM §  407 BGB Nr.  7; OLG Oldenburg, WM 1986, 1277, 1278. 110  Vgl. oben §  7 IV 2b (2). 111  Zum Verhältnis von Wissen und Information vgl. oben §  1 II 2a (3). 112  Vgl. oben §  7 II 2. 106 

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§  10  Zusammenfassung

Rechtsscheinträger des Besitzes an einer beweglichen Sache schon die grob fahrlässige Unkenntnis ausreicht, um den gutgläubigen Erwerb auszuschließen (§  932 II BGB); demgegenüber bedarf es beim starken Rechtsscheinträger des Grundbuches (§  892 I BGB), des Erbscheins (§  2366 BGB) oder des Handelsregisters (§  15 I, III HGB) der positiven Kenntnis von der jeweiligen Unrichtigkeit. Teilweise wird aus der Abstufung zwischen grob fahrlässiger Unkenntnis und positiver Kenntnis im Hinblick auf die Stärke (und Verlässlichkeit) des Rechtsscheinträgers auch innerhalb der jeweiligen Stufe (d. h. auch bei den Anforderungen an die positive Kenntnis) in Bezug auf die Überzeugung von der Richtigkeit bzw. der Stärke des aufkommenden Zweifels differenziert, ob die tatbestandlich erforderliche Kenntnis vorliegt.113

VII.  Kenntnisstand als Grundlage und Voraussetzung vertraglicher Bindungen Der Geltungsgrund für eine Bindung an einen Vertrag wird allgemein in der Übereinstimmung des Willens der Vertragsparteien gesehen.114 Der Bildung eines solchen Willens geht jedoch stets ein kognitiver Akt voraus. Bevor eine Person einen Willen bildet, greift sie auf ihren Kenntnisstand zu. Auf dessen Grundlage ist sie in der Lage, zu entscheiden, ob sie eine rechtliche Bindung eingeht oder davon Abstand nimmt. Der Akt der Kommunikation erfolgt über die Willenserklärung.115 Dabei steht jedoch weniger die Übereinstimmung des Willens im Vordergrund als vielmehr die Verständigung116 der Parteien, indem sie ihren jeweiligen Kenntnisstand einander angleichen: Der Anbietende muss nicht nur den abstrakten Willen bilden, einen Vertragspartner zu suchen, sondern gründet seinen Willen auf konkrete Vorstellungen – zumindest vom Vertragsgegenstand. Sobald der Anbietende sich als solcher nach außen geriert, ermöglicht er anderen, diese Information in ihren Kenntnisstand aufzunehmen und nachfolgend darauf aufbauend einen eigenen Willen zu bilden, auf das Angebot zu reagieren.117 Die Verständigung der potentiellen Vertragspartner, d. h. die im Rahmen der Kommunikation gegenseitig erfolgende Angleichung des jeweils anderen Kenntnisstands an den eigenen, hat somit erhebliche Auswirkungen auf die spätere vertragliche Bindung. Unzutreffende Zielvorstellungen, auf denen die Willensbildung beruht, stellen die eingegangene vertragliche Bindung dennoch 113 

Vgl. oben §  7 II 2. Vgl. oben §  8 I. 115  Vgl. oben §  8 II. 116  In diesem Sinne vor allem Kramer, Grundfragen, 1972, S.  175. 117 So bereits Enneccerus, Rechtsgeschäft, Bedingung und Anfangstermin, 1889, S.   73; vgl. oben §  8 I. 114 

VII.  Kenntnisstand als Grundlage und Voraussetzung vertraglicher Bindungen

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nicht in jedem Fall in Frage. Der Grund dafür liegt in der Verteilung des Risikos einer uninformierten Entscheidung.118 In dem Willensbildungsprozess werden regelmäßig zahlreiche Umstände relevant, die im Kenntnisstand der betroffenen Person zutreffend oder unzutreffend enthalten sein können.119 Generell hat der Gesetzgeber die vertragliche Bindung durch die Schaffung einer Anfechtungsmöglichkeit nur in den erklärungsbezogenen Irrtumsfällen eingeschränkt.120 Anfechtbar sind daher nur die Erklärungen, denen eine fehlerfreie Willensbildung zugrunde liegt, die nachfolgende Erklärung dieses Willens jedoch den Willen nicht korrekt wiedergibt. Tritt der Fehler bereits bei der Willensbildung auf (wegen einer Fehlvorstellung, auf der der Wille gegründet wird), ist die daraufhin abgegebene Erklärung des (fehlerhaft gebildeten) Willens grundsätzlich nicht anfechtbar.121 Eine Ausnahme von dieser Unbeachtlichkeit des so genannten Motivirrtums ist der Irrtum über eine verkehrs- bzw. vertragswesentliche Eigenschaft i. S. d. §  119 II BGB. Diese Regelung wird vielfach als systemfremd kritisiert122 , vor allem weil die Abgrenzung zu den unbeachtlichen Motivirrtümern unklar ist. Zur Abgrenzung des zur Anfechtung berechtigenden Eigenschaftsirrtums von dem unbeachtlichen Motivirrtum werden verschiedene Lösungsansätze vertreten. Neben der Begrenzung des zur Anfechtung berechtigenden Eigenschaftsirrtums nach einer allgemeinen umfeldbezogenen Definition der Eigenschaft, nach der die Verkehrswesentlichkeit i. S. d. §  119 II BGB ein Objektivieren des Merkmals der Vorstellung von der Eigenschaft ist,123 wird die Verkehrswesentlichkeit teilweise mit der Vertrags­ wes­entlichkeit gleichgesetzt und damit der Bezug der Eigenschaft zum Inhalt des Vertrages hervorgehoben.124 Ferner kann die Abgrenzung zwischen dem Eigenschaftsirrtum und dem Motivirrtum durch eine Betrachtung der Risiko­ zu­wei­sung erfolgen.125 Die hier vertretene kenntnisstandbezogene Einschränkung126 des Anfechtungsrechts als Abgrenzungskriterium des zur Anfechtung berechtigenden Eigenschaftsirrtums von dem unbeachtlichen Motivirrtum rückt den jeweiligen Kenntnisstand der Parteien in den Vordergrund der Betrachtungen. Dabei kommt dem Kenntnisstand des Erklärungsempfängers in Bezug auf die Vorstellung des Erklärenden von der Eigenschaft entscheidende Bedeutung zu. Es geht nicht um die Frage eines fahrlässigen Verkennens der Fehlvorstellung des Erklärenden durch den Erklärungsempfänger, sondern vielmehr darum, ob der Erklärungsempfänger die Fehlvorstellung des Erklä118 

Deutlich beispielsweise im Bereich des Motivirrtums, vgl. §  8 IV 3a (3) bb (iii). Vgl. oben §  8 IV 3a (2). 120  Vgl. oben §  8 IV 3a (1). 121  Vgl. oben §  8 IV 3a (2). 122  Vgl. oben §  8 IV 3a (3) aa. 123  Vgl. oben §  8 IV 3a (3) bb (i). 124  Vgl. oben §  8 IV 3a (3) bb (ii). 125  Vgl. oben §  8 IV 3a (3) bb (iii). 126  Vgl. oben §  8 IV 3a (3) bb (iv). 119 

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§  10  Zusammenfassung

renden erkannt hat oder erkennen würde, wenn der Gegner die ihm zur Verfügung stehenden Informationen in der Gesamtschau betrachtet.127 Für die Beantwortung der Frage, ob ein Anfechtungsrecht gemäß §  119 II BGB wegen eines Irrtums über eine Eigenschaft besteht, ist von entscheidender Bedeutung, ob der Erklärungsgegner unter Zugrundelegung seiner ihm bekannten Informationen über die Begleitumstände der abgegebenen Erklärung und seiner allgemeinen Lebenserfahrung von der Fehlvorstellung über die vom Erklärenden als wesentlich erachtete Eigenschaft Kenntnis haben würde. Sieht man den Geltungsgrund für die vertragliche Bindung weniger in der eintretenden Übereinstimmung als vielmehr in der gegenseitigen Angleichung des jeweiligen Kenntnisstandes des anderen an den eigenen im Sinne einer Verständigung, können mit dieser Sichtweise auch andere Streitfragen der Vertragsrechtslehre einer Lösung zugeführt werden. Beispielsweise liefert diese Betrachtungsweise eine überzeugende Begründung für die Unbeachtlichkeit einer Falschbezeichnung durch die Parteien (falsa demonstratio) im Hinblick auf die eintretende vertragliche Bindungswirkung. Der Grund für die Unbeachtlichkeit der Falschbezeichnung wird nach verbreiteter Meinung darin gesehen, dass die Parteien trotz anders lautender Erklärungen dennoch das Übereinstimmende gewollt haben.128 Allerdings liegt dann nicht bloß ein übereinstimmender Wille vor, vielmehr ist maßgeblich, dass sowohl der Erklärende als auch der Erklärungsempfänger einen übereinstimmenden Kenntnisstand von dem Inhalt des Rechtsgeschäfts haben.129 Ein entgegenstehender Wille, das Erklärte (d. h. auch das bloß falsch Bezeichnete) letztlich dennoch nicht zu wollen, scheitert häufig an §  116 S.  1 BGB.130 Daher kann es letztlich nicht bloß auf den Willen der Parteien ankommen, vielmehr ist die gemeinsame Kenntnislage von der Falschbezeichnung konstitutiv für die eintretende vertragliche Bindung. Bei der Bestimmung des übereinstimmenden Kenntnisstandes ist jedoch darauf zu achten, dass der jeweilige Kenntnisstand, wie er vorliegt, auf Übereinstimmungen mit dem Kenntnisstand des anderen verglichen wird. Die Statuierung von Sorgfaltsanforderungen an die Gestaltung des eigenen Kenntnisstandes ist dabei zu vermeiden. Andernfalls würde ein hypothetischer Kenntnisstand mit einem anderen Kenntnisstand verglichen. Um diese Gefahr zu vermeiden, kann eine Modifizierung der Methodik der Auslegung helfen, indem aus der Sicht eines objektiven Dritten, dem die Erklärung zugeht, die Frage beantwortet wird, wie er die Erklärung verstehen würde (nicht hingegen, wie er sie verstehen könnte oder müsste).131 127 

Vgl. oben §  8 IV 3a (3) bb (iv). Vgl. beispielsweise BGH NJW 1983, 1610; BGH NJW 2008, 1658, 1659 m. w. N. sowie Medicus, BGB AT, 10.  A., 2010, Rn.  327 sowie oben §  8 IV 3b (1) dd. 129  Vgl. oben §  8 IV 3b (1) dd. 130  Vgl. oben §  8 IV 1a. 131  Vgl. oben §  8 IV 3b (1) ee. 128 

VII.  Kenntnisstand als Grundlage und Voraussetzung vertraglicher Bindungen

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Eine verstärkte Fokussierung auf die Relevanz des jeweiligen Kenntnisstands für die vertragliche Bindung kann auch bei der Lösung des gesetzlich nicht geregelten Problems der Wirksamkeit einer Willenserklärung helfen, die ohne Erklärungsbewusstsein abgegeben wurde. Die in diesem Zusammenhang auftretende Streitfrage ist, ob die vertragliche Bindung durch das Bestehen einer Anfechtungsmöglichkeit eingeschränkt sein soll, wenn die Erklärung ohne Erklärungsbewusstsein abgegeben wurde.132 Dieser Fall ist nicht gesetzlich geregelt. Fehlt dem Erklärenden das Erklärungsbewusstsein, so fehlt ihm nicht nur der Wille, rechtsgeschäftlich zu handeln, sondern auch die Kenntnis, dass er rechtsgeschäftlich handelt.133 Vielfach wird vertreten, demjenigen, der ohne Erklärungsbewusstsein den Schein einer Willenserklärung setzt, eine einseitige Möglichkeit der Anfechtung seiner Erklärung zuzugestehen.134 Das ist inkonsequent, weil es demjenigen, der überhaupt nicht rechtsgeschäftlich tätig werden wollte, ermöglicht wird, Vorteile aus seinem unbewussten Handeln zu ziehen.135 Vielmehr ist vor dem Hintergrund der Kongruenz des jeweiligen Kenntnisstands der handelnden Personen eine Lösung zu ermitteln. Dabei spricht vieles dafür, von einem beiderseitigen Lösungsrecht nach der Herstellung eines kongruenten Kenntnisstands auszugehen. Dies ermöglicht auch dem Erklärungsempfänger, sich von einem möglicherweise ungünstigen Vertrag zu dem Zeitpunkt zu lösen, an dem der ursprünglich ohne Erklärungsbewusstsein Handelnde seine Erklärung anfechten oder sie durch Verstreichenlassen der Anfechtungsfrist (unverzüglich, §  121 I 1 BGB) bestätigen kann.136 Schließlich ist bei der Auslegung des Erklärungsgehalts einer empfangsbedürftigen Willenserklärung der Blick mehr auf den tatsächlich bestehenden Kenntnisstand des Erklärungsempfängers zu lenken. Die entscheidende Frage nach dem Erklärungsinhalt wird durch die Betrachtung der Willenserklärung vor dem objektiven Empfängerhorizont beantwortet.137 Das Streben nach Verobjektivierung bei der Bestimmung des Inhalts der Erklärung, die dem Empfänger zugegangen ist, ist allerdings derzeit stark von der Frage beeinflusst, wie der Empfänger die Erklärung verstehen durfte und damit auch, wie er sie verstehen musste. Dies lenkt den Blick auf ein eventuelles Verschulden im Sinne einer Auslegungssorgfalt, die der Erklärungsempfänger erfüllen muss.138 Berücksichtigt man dagegen bei der Bestimmung des Inhalts der Erklärung den Kenntnisstand des Erklärungsempfängers stärker, der bestehen würde, wenn die Erklärung dem Empfänger zugeht, werden etwaige Verschuldensvorwürfe bei der Gestal132 

Vgl. oben §  8 IV 2. Vgl. oben §  8 IV 2b. 134  Vgl. oben §  8 IV 2a. 135  Vgl. oben §  8 IV 2c (2) aa. 136  Vgl. oben §  8 IV 2c (2) bb. 137  Vgl. oben §  8 IV 3b. 138  Vgl. oben §  8 IV 3b (1) bb. 133 

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§  10  Zusammenfassung

tung des eigenen Kenntnisstandes vermieden und es wird dennoch eine stärkere Verobjektivierung der Bestimmung des Inhalts der Erklärung über den verstandenen Inhalt (d. h. den wahren Kenntnisstand des Erklärungsempfängers) von der ihm zugegangenen Erklärung erreicht. Die Frage, von welchem Erklärungsgehalt der Erklärungsempfänger ausgehen würde, ist an die patentrechtliche Fragestellung nach dem Vorliegen der erfinderischen Tätigkeit angelehnt und vermeidet Verschuldensvorwürfe, die im zivilrechtlichen Kontext eher im Rahmen der Haftung als im Rahmen der Auslegung Beachtung finden sollten.

VIII.  Übertragbarkeit der patentrechtlichen Methode des Vergleichs von einem Kenntnisstand mit einem anderen Kenntnisstand auf zivilrechtlich relevante Sachverhalte Der Umgang mit einem rechtlich relevanten Kenntnisstand ist eine Herausforderung für jeden Rechtsanwender. Er sieht sich vor allem mit zwei Problemen konfrontiert: Erstens sind die tatbestandlichen Grenzen des Begriffs der Kenntnis oft unscharf, weil der Gegenstand, auf den sich die tatbestandlich geforderte Kenntnis bezieht, zunächst durch Wertung (d. h. Bewertung der bekannten Tatsachen) gewonnen werden muss. Am deutlichsten wird dies, wenn eine Norm auf Rechtskenntnis abstellt. Dabei ist der Gegenstand der Kenntnis nicht die Summe der einzelnen Informationen, aus der der rechtliche Schluss gezogen werden kann, sondern die Kenntnis muss sich auf die abgeleitete Folgerung selbst be­ ziehen. Zweitens steht der Rechtsanwender regelmäßig vor dem Problem, dass sich die Kenntnis einer Person als subjektive (innere) Tatsache der unmittelbaren Wahrnehmung und damit auch einem unmittelbaren Beweis entzieht. Dieses Nachweisbarkeitsproblem erschwert den Subsumtionsvorgang. Der tatsächliche Kenntnisstand der betroffenen Person bleibt damit regelmäßig verborgen. Dies eröffnet der betroffenen Person die Möglichkeit, stets einzuwenden, dass der von der Norm geforderte Gegenstand der Kenntnis nicht zu ihrem Kenntnisstand gehöre. Der Rechtsanwender steht folglich vor dem Problem, dass zu scharfe, auf erster Stufe getroffene definitorische Grenzen des Gegenstandes der tatbestandlich geforderten Kenntnis auf der zweiten Stufe der Rechtsanwendung der Findung eines für stimmig erachteten Ergebnisses seiner Rechtsanwendung entgegen­ stehen.139 Vor allem ist es unbillig, dem Einwand der betroffenen Person zu fol139 Ein anschauliches Beispiel ist die gemäß §   892 I 1 BGB tatbestandlich erforderliche Kenntnis der Unrichtigkeit des Grundbuchs, wenn eine Hypothek im Grundbuch gelöscht wurde, weil sie mit (während der Inflation) aufgewertetem Geld getilgt wurde und die Tilgungswirkung wegen §  20 I Aufwertungsgesetzes nicht eintrat und der Erwerber aber ein-

VIII.  Übertragbarkeit der patentrechtlichen Methode des Vergleichs

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gen, von dem tatbestandlich geforderten (engen) Gegenstand der Kenntnis (z. B. der Rechtskenntnis in §§  814 Alt.  1, 819 I, 892 I 1 BGB) keine Kenntnis zu haben, obwohl der betroffenen Person alle einzelnen Informationen bekannt sind, aus denen die tatbestandlich relevante Kenntnis ableitbar ist bzw. sich unmittelbar ergibt. Bereits der Gesetzgeber des BGB140 erkannte das Problem, stufte es als reines Nachweisbarkeitsproblem ein und ging davon aus, dass es im Rahmen der freien richterlichen Beweiswürdigung gelöst werden könne. Die Rechtsprechung behilft sich häufig mit einem Mittelweg zwischen unscharfen Grenzen der Definition des Tatbestandes und einer anschließenden wertenden Gesamtbetrachtung der im Einzelfall feststellbar bekannten Informationen. Danach geht die Rechtsprechung davon aus, dass die Kenntnis der betroffenen Person vorliegt, wenn diese sich der aus den einzelnen bekannten Tatsachen aufdrängenden Erkenntnis verschließt.141 Die Grenze zwischen grob fahrlässiger Unkenntnis und dem aktiven „Sich-verschließen“ vor der Erkenntnis zieht die Rechtsprechung häufig mit dem Verweis auf den redlich Denkenden, der seinen eigenen Vorteil bzw. Nachteil, den das Ergebnis dieses Denkvorgangs mit sich bringt, ausblendet.142 Diese Argumentation ist am Rechts­ gedanken von §  162 BGB orientiert, nach dem die Bedingung als eingetreten gilt, wenn derjenige, zu dessen Lasten sie wirkt, auf den Eintritt treuwidrig Einfluss nimmt (Abs. 1). Die in der Rechtsprechung verfestigte Vorgehensweise ist ein probates Mittel, ein für stimmig erachtetes Ergebnis zu erzielen. Allerdings zeichnet sich diese Vorgehensweise weder durch Vorhersagbarkeit noch durch Nachvollziehbarkeit aus. Häufig wird dabei auch der von der Norm angeordneten Verbindung zwischen der tatbestandlich erforderlichen Kenntnis und der Rechtsfolge nicht hinreichend Rechnung getragen,143 insbesondere in den Fällen, in denen die Rechtsprechung den Regelungsgedanken des §  162 BGB zur Begründung der Anwendung der Rechtsfolge der Norm heranzieht.144 Eine denkbare Lösung für das Problem, einen zivilrechtlich relevanten Kenntnisstand einer Person rechtssicherer zu bestimmen, ist die Einhaltung ­einer strukturierten Prüfungsmethode. Eine solche Prüfungsmethode ist im wendet, dass er zwar die einzelnen Tatsachen kennt, nicht aber die Folgerung der Unwirksamkeit der Löschung im Grundbuch, vgl. dazu oben §  7 II 2a (3) bb (i). 140  Der Gesetzgeber sah die Gefahr einer „frivolen“ Berufung auf einen in Wirklichkeit nicht vorhandenen Rechtsirrtum: Prot. III 8531, abgedr. in Mugdan, Materialien zum BGB, Band 3, 1899, Nachdr. 1979, S.  547, vgl. oben §  7 II 2a (2). 141  Vgl. u. a. zu §  852 I BGB i. d. F. bis 2001: BGH NJW 2001, 1721, 1722; BGH NJW 2003, 288, 289; BGH NJW 1996, 2933, 2934; BGH NJW-RR 1990, 606, 607; BGH NJW 1958, 668; gleiches zu §  990 I 2 BGB: BGH NJW 1958, 668. 142  BGH NJW 1958, 668; BGH NJW 1960, 1105, 1107; BGH LM Nr.  5 zu §  892 BGB; OLG Stuttgart BWNotZ 1978, 124 f. sowie oben §  7 II 2a (3) aa und §  7 III 2b (1) sowie §  7 V 1c (2). 143  Vor allem bei der Bestimmung der Rechtskenntnis im Rahmen des §  814 Alt.  1 BGB vgl. oben §  6 I. 144  Vgl. insbes. oben §  7 II 2a (3) cc.

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§  10  Zusammenfassung

Patentrecht etabliert. Diese strukturierte Prüfungsfolge ist auch im Zivilrecht anwendbar, da es sich in beiden Rechtsbereichen um den Vergleich von einem Kenntnisstand mit einem anderen Kenntnisstand handelt: Setzt ein zivilrechtlicher Tatbestand einen Kenntnisstand voraus, muss der von der Norm geforderte Kenntnisstand als ein Informationszusammenhang mit dem Kenntnisstand der betroffenen Person verglichen werden. Ein ähnlicher Vergleich ist im Patentrecht vorzunehmen: Die Erfindung ist die Kenntnis des Erfinders von der erfindungsgemäßen Lösung, die der Anmelder beansprucht. Die Erfindung ist daher der Informationszusammenhang, der die Merkmale der Erfindung aufweist. Diese Kenntnis ist mit dem Stand der Technik zu vergleichen, wobei dieser die Gesamtheit der öffentlich verfügbaren Kenntnisse beinhaltet (vgl. §  3 I 2 PatG). Der jeweilige Vergleich eines Kenntnisstands mit einem anderen Kenntnisstand ist sowohl im Zivilrecht als auch im Patentrecht eine Herausforderung für den Rechtsanwender. Im Patentrecht hat sich nach anfänglichen Schwierigkeiten145 bei der Rechtsanwendung eine mehrstufige Vergleichsmethode herausgebildet, mit deren Hilfe nachvollziehbare und vorhersehbare Ergebnisse erzielbar wurden. Zunächst ist ein Gesamtvergleich vorzunehmen.146 Bei diesem Gesamtvergleich hat eine weitgehend wertungsfreie Gegenüberstellung (d. h. eine schematische Merkmalsanalyse) zu erfolgen, bei der die einzelnen Merkmale in ihrer Gesamtheit gegenübergestellt werden.147 Führt der Gesamtvergleich zu dem Ergebnis, dass die Vergleichsgrößen nicht deckungsgleich sind, ist ein Mosaikvergleich vorzunehmen.148 Dabei werden die einzelnen Merkmale betrachtet und der „Abstand“ der Erfindung von dem Stand der Technik herausgearbeitet. Die Bestimmung des Abstandes der Erfindung vom Stand der Technik enthält freilich Wertungen. Allerdings erfolgen diese vorzunehmenden Wertungen erst, nachdem die Beurteilungsgrundlagen (die Vergleichsgrößen und der Vergleichsmaßstab) festgelegt wurden. Konkret bedeutet dies, dass zunächst die Erfindung als Lösung zu einer Aufgabe herauszuarbeiten ist, um den Gegenstand zu kennen, der anschließend im Stand der Technik zu suchen ist. Des Weiteren ist der Stand der Technik einschließlich des zur Lösung der erfindungsgemäßen Aufgabe nächstliegenden Standes der Technik zu ergründen.149 Außerdem sind für die spätere Bestimmung des Abstandes der Erfindung vom Stand der Technik im Hinblick auf ein etwaiges „Naheliegen“ der Erfindung für den Durchschnittsfachmann auch dessen Kenntnisse und Fähigkeiten festzuhalten, über die er verfügt und auf die er zur Lösung der Aufgabe regelmäßig 145 

Vgl. oben §  3 II. Vgl. oben §  3 II 2a. 147  Vgl. oben §  3 II 2a (1), wobei es bei dem notwendigen fachmännischen Verständnis der Quelle aus dem Stand der Technik auch zu Unschärfen kommt, vgl. dazu oben §  3 II 2a (2). 148  Vgl. oben §  3 II 2b. 149  Vgl. oben §  3 III 2b (2) bb (i). 146 

VIII.  Übertragbarkeit der patentrechtlichen Methode des Vergleichs

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zurückgreift, d. h. die ihm bekannten Informationen, die im Zusammenhang mit der Erfindung stehen.150 Erst in einem darauf folgenden Schritt erfolgt die wertende Entscheidung, ob die Erfindung aus der Sicht des Durchschnittsfachmanns naheliegend ist. Dabei ist die Frage aus der Sicht des fiktiven Fachmanns im Rahmen einer wertenden Entscheidung zu beantworten, ob dieser gedachte Fachmann, der über sämtliche Kenntnisse in dem Fachgebiet (und bei Anlass auch in angrenzenden Gebieten) verfügt, unter Zuhilfenahme seiner Kenntnisse und Fähigkeiten ausgehend von dem nächstliegenden Stand der Technik auf die angemeldete Lösung kommen würde, wenn er die (objektive) Aufgabe gestellt bekommt.151 Entscheidend ist dabei nicht, ob der Fachmann auf die erfinderische Lösung kommen könnte, sondern ob er auf die angemeldete Lösung kommen würde, d. h. er die erfindungsgemäße Lösung zu der Aufgabe auch als seine Lösung zu der Aufgabe vorgeschlagen hätte. Diese Differenzierung wird in der europäischen Rechtspraxis „could-would“-Ansatz genannt.152 Der im Patentrecht etablierte stufenweise Vergleich eines Kenntnisstandes mit einem anderen Kenntnisstand eignet sich auch für zivilrechtliche Fragestellungen, ob eine Person über einen Kenntnisstand verfügt.153 Auch hierbei ist der von der Norm geforderte Kenntnisstand als ein Informationszusammenhang mit dem Kenntnisstand der betroffenen Person zu vergleichen. Ein (wertungsfreier) Gesamtvergleich des von der Norm geforderten Kenntnisstandes mit dem tatsächlich vorliegenden Kenntnisstand führt regelmäßig nur in den Fällen zu einem Ergebnis, in denen die betroffene Person ihren Kenntnisstand entweder offenlegt oder ihr die tatbestandlich geforderte Kenntnis von einem Dritten mitgeteilt wurde.154 Die wesentlich schwierigere Aufgabe der Rechtsanwendung liegt in der Bestimmung des Abstandes zwischen dem tatbestandlich geforderten Kenntnisstand und den einzelnen, der betroffenen Person bekannten Informationen. Für die wertende Entscheidung, ob dieser Abstand so gering ist, dass auch von der Kenntnis des tatbestandlich geforderten Kenntnisstandes auszugehen ist, kann auf die patentrechtlich etablierte Methode zurück-

150 

Zum Wissen und Können des Durchschnittsfachmanns vgl. oben §  3 II 2a (2). oben §  3 III 2b (2) bb (i) und die zahlreichen Beispiele in der Rechtspraxis: EPA (T 513/90) ABl. EPA 1994, 154, 161 – geschäumte Körper/JAPAN STYRENE (Es ist nicht nur zu erwarten, dass „der Fachmann diese speziellen Harze verwenden konnte, sondern vielmehr [ist es] höchst wahrscheinlich, daß er sie in der Praxis für diesen Zweck tatsächlich auswählen würde.“); EPA (T 455/91) ABl. EPA 1995, 684, 703 f. – Expression in Hefe/ GENENTECH (Die Frage ist „nicht, ob der Fachmann den Versuch hätte unternehmen können, die […] offenbarte technische Lehre zu ändern, sondern ob er dies auch tatsächlich getan hätte.“); ferner EPA (T 234/03) GRUR Int. 2007, 249, 252 Tz.  8.6.1 – Druckertinte/VIDEOJET TECHNOLOGIES. 152  Vgl. oben §   3 III 2b (2) bb (i) sowie EPA (T 0939/92) ABl. EPA 1996, 309, 314 ff. – ­Triazole/AGREVO. 153  Zur Vergleichbarkeit der Problemstellungen siehe oben §  9 III 2c (2). 154  Vgl. dazu oben §  9 II 3a. 151  Vgl.

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§  10  Zusammenfassung

gegriffen werden.155 Dabei ist die definitorische Stufe von der Stufe der Sachverhaltsermittlung zu trennen. Außerdem ist erst im Anschluss an die Definition und die Bestimmung des tatsächlichen Vorliegens der Einzelinformationen wertend zu ermitteln, ob die tatbestandlich geforderte Kenntnis bei der betroffenen Person vorliegt. Im Einzelnen ist auf der Ebene der Definition des Begriffs der Kenntnis abstrakt der Gegenstand festzulegen, auf den sich die Kenntnis beziehen muss, d. h. die für das Vorliegen der tatbestandsrelevanten Kenntnis notwendigerweise bekannten Einzelinformationen. Im Rahmen der Sachverhaltsermittlung ist in tatsächlicher Hinsicht zu bestimmen, welche Einzelinformationen der betroffenen Person bekannt sind. Außerdem ist in diesem Zusammenhang festzuhalten, über welche sonstigen Kenntnisse und geistigen Fähigkeiten die betroffene Person verfügt.156 Auf diese Informationen wird anschließend bei der wertenden Beurteilung zurückgegriffen, wenn der Gegenstand der Kenntnis eine Ableitung aus bekannten Tatsachen ist. Sind die Grenzen des Gegenstandes der tatbestandlich vorausgesetzten Kenntnis durch eine abstrakte Definition festgelegt und die der betroffenen Person tatsächlich bekannten Einzelinformationen geklärt, beginnt die Bestimmung des „geistigen Abstandes“ zwischen den beiden Vergleichsgrößen.157 Hierfür ist die Frage zu beantworten, ob die betroffene Person zu der tatbestandsrelevanten Kenntnis gelangen würde, wenn sie ihren Kenntnisstand ausgehend von den ihr bekannten Einzelinformationen unter Zuhilfenahme ihrer sonstigen Kenntnisse (sowohl Fakten- als auch Erfahrungswissen) und Fähigkeiten situationsbedingt aktualisiert.158 Die Frage, ob die Person zu der tatbestandsrelevanten Kenntnis gelangen würde, ist abzugrenzen von der Frage, ob die Person zu der Kenntnis gelangen könnte oder müsste.159 Letztere Fragestellung impliziert die Aufstellung von Sorgfaltspflichten und umschreibt die fahrlässige Unkenntnis und nicht die Bestimmung, ob ein Kenntnisstand vorliegt, sondern nur, ob er vorliegen könnte, wenn die Sorgfaltsanforderungen im Hinblick auf die Gestaltung des eigenen Kenntnisstandes eingehalten würden. Bei der auf einer Wertung beruhenden Frage, ob die betroffene Person zu der tatbestandsrelevanten Kenntnis gelangen würde, hilft sowohl im Patentrecht als auch im allgemeinen Zivilrecht die Ermittlung der Hindernisse, die der Kenntniserlangung entgegenstanden. Anders ausgedrückt kann an dieser Stelle der wertenden Entscheidung das Naheliegen einer Ableitung aus einzelnen bekannten Informationen in die Beurteilung einfließen und die vom BGH viel155 

Vgl. oben §  9 III 2d (4). betrifft vor allem das sonstige Fakten- und Erfahrungswissen einer Person, vgl. oben §  3 II 2a (2). 157  Vgl. oben §  9 III 2d (4) cc. 158  Vgl. oben §  9 III 2d (4) aa. 159  Vgl. oben §  9 III 2d (4) ee. 156  Dies

VIII.  Übertragbarkeit der patentrechtlichen Methode des Vergleichs

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fach erwähnte „sich so aufdrängende Kenntnis“ relevant werden, die so nahe liegt, dass man sich ihrer aktiv verschließen muss, um nicht über sie zu verfügen.160 Diese Kriterien sind allerdings erst auf der wertenden Stufe maßgeblich, bei der es um die Bestimmung des Abstandes der einzelnen bekannten Informationen von dem tatbestandlich geforderten Kenntnisstand geht. Diese Wertung muss auf einer festen Grundlage beruhen. Die Vergleichsgrößen müssen dazu im vorhergehenden Schritt durch die Definition der tatbestandlichen Grenzen festgelegt sein sowie die in tatsächlicher Hinsicht bekannten Tatsachen feststehen. Eine Veränderung der Vergleichsgrößen während des Vergleichsvorgangs ist zu vermeiden. Das gilt einerseits für eine Ausdehnung der definitorischen Grenzen für den Einzelfall, andererseits aber auch für die pauschale Annahme, eine (tatbestandlich vorausgesetzte) Kenntnis ergebe sich unmittelbar, wenn nur einzelne Informationen bekannt seien, die auf jeden Fall (auch) zu der tatbestandsrelevanten Kenntnis gehören, ohne dies weiter zu begründen. Bei dem Vergleich eines Kenntnisstandes mit einem anderen Kenntnisstand dient die Übertragung der gestuften Vorgehensweise aus dem Patentrecht in das Zivilrecht der Rechtssicherheit durch größere Transparenz bei der Rechtsanwendung der Gerichte sowie einer besseren Vorhersagbarkeit von deren Entscheidungen, wenn es für die Entscheidung auf das Vorliegen oder Fehlen eines Kenntnisstandes ankommt. Dies kann nur gelingen, wenn der Rechtsanwender bei der Beantwortung der Frage, ob eine Person über rechtlich relevantes Wissen verfügt, genau zwischen der (tatbestandlichen) Definition des Gegenstandes der Kenntnis und der Bestimmung des Kenntnisstandes im konkreten Einzelfall unterscheidet. Andernfalls verschwimmen die Grenzen beider Bereiche und das von einem Tatbestand vorausgesetzte Merkmal der Kenntnis wird zu einem Einfallstor ergebnisorientierter Wertungen des Einzelfalls ohne Bezug zum tatsächlichen Kenntnisstand einer Person.

160  Vgl. zur Sichverschließen-Formel beispielsweise zu §  852 I BGB i. d. F. bis 2001: BGH NJW 2001, 1721, 1722; BGH NJW 2003, 288, 289; BGH NJW 1996, 2933, 2934; BGH NJWRR 1990, 606, 607; BGH NJW 1958, 668 oder zu §  990 I 2 BGB: BGH NJW 1958, 668.

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Zugehör, Horst: Die neuere Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur zivilrechtlichen Haftung der steuerlichen Berater (im Anschluß an Lang, WM 1988, SBeil. 9, S.  1 ff.), in: WM 2000 (Sonderbeilage 4), 1–40.

Stichwortverzeichnis Abtretung  16, 19, 228, 248, 268–279, 389, 391, 399, 401, 414 f., 418, 421, 444 f., 449 Abwandlungen  61 f., 66–70, 491 Abweichen des Erklärten vom Gewollten (siehe auch Eigenschaftsirrtum, Inhaltsirrtum, Kalkulationsirrtum, Motivirrtum) – bewusstes 315–318, 347–349 – unbewusstes 315–318, 322–386 Analogie  121, 200–204, 210, 245, 315, 318, 357 f. Anfechtung  132, 195–197, 209, 233 f., 315–385 Anfechtungsausschluss  195–197, 228 Anfechtungsgrund  195 f., 322, 357, 381–385 Anfechtungstatbestand  280–299, 327, 339, 357 f., 407 f. Ansatz, begrifflicher  98 Anspruch, unbekannter  173–174 anspruchsbegründende Umstände  116, 152–153, 156–157 Anspruchscharakter 129 Äquipollenz  12, 258–261, 320–321 Arglistige Täuschung  101, 132 f., 196, 198, 209, 362–380 Auffindbarkeit  72–74, 88, 106 Aufgabe-Lösungs-Ansatz  83–90, 93, 439 Aufklärungspflicht  139–141, 204–208, 210, 356–362, 374–380, 426, 444 Ausdehnung  29 f., 43, 56, 81, 155, 281–286 Ausschlussfrist 166–189 Äußerung  274, 303–305, 317–319, 323, 364 f., 391, 425 Bedeutungsgehalt  99, 102, 108, 186–189, 304–308, 318, 321, 346–348, 384 f., 425–427

Begriffsbildung  3–11, 98–110, 123, 161, 390, 394, 396 Begriffsrelativität 387–390 beiderseitig erkennbarer Umstand  345– 347 Bestätigung  191–197, 443 Beweisanzeichen  110–113, 291 f., 391 Beweislast  123, 180, 225 f., 276, 280, 284 f., 289, 293–296 Bewertung, rechtliche  13, 16 f., 157–158, 187, 240, 243, 258, 279, 395, 400, 402 f., 415, 442 Bezugspunkt  16, 34, 41, 103, 111, 124, 147, 162, 170, 186–188, 218–222, 231–234, 258, 287, 298, 330, 334, 399 f., 403, 414, 437 Bezugstatsachen  290–293, 407 f., 446–450 Bindungswirkung  308–385, 405–407, 452 Bösgläubigkeit 213–299 buchstabengetreuer Vergleich  59 f. could-would-Fragestellung  19, 86, 93, 421, 427–433, 457 Daten  4–9, 12, 62 Demonstrationsschrank  42–51, 107 Denuntiation  268 f., 274, 449 Dichotomie von Wissen  439 f. Doppelnatur 99–103 Dritter –  gedachter  161–162, 166, 261, 264–266, 384 – redlicher  256, 258–261 druckschriftlicher Nachweis  72–74 Durchschnittsfachmann  20, 32, 35, 38–42, 50, 60–92, 106–111, 162 f., 379, 420 f., 433, 438 f., 456 f.

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Stichwortverzeichnis

Eigenschaftsirrtum 325–341 Eigentümer  183–186, 225, 240, 247–253, 255, 403, 409 f. Einordnungsschwierigkeiten  63 f., 95, 99–108, 239, 327 ff., 392–396, 425, 439 Einwand unzulässiger Rechtsausübung  177, 356–362 Einzelfallgerechtigkeit  43, 188–190, 237 Einzelinformationen  151–153, 157 f., 160–162, 166, 185–187, 400, 404–416, 429–459 Entscheidungsmöglichkeit  160, 169–172, 319–323 Entsubjektivierung  280, 284–297 Erfahrungswissen  63 f., 109 f., 163–165, 250, 272 f., 346–362, 379, 427–432, 458 erfinderische Tätigkeit  19, 25–57, 74–94, 104–114, 162 f., 242 f., 252, 265 f., 379, 414–433 Erfindung  4, 15, 19, 21–94, 104–114, 162 f., 243, 265, 297 ff., 379, 417 f., 418–423, 437–439 Erfindungshöhe  23, 35–41, 105–113, 420, 438 Erfindungsqualität 25–51 ergebnisbezogene Wertung  186, 246–247, 266 f., 394–399, 409–414, 424, 446 Erkennenwürden  338–341, 356, 452 Erklärender  102, 301 ff., 308, 341–343, 350–352, 362–367, 451–454 Erklärungsbewusstsein  313–322, 358, 406, 453 Erklärungsempfänger  102 f., 301–386 Erklärungstheorie 303–305 Ersatzanspruch 133–136 Ersitzung  183–186, 254–256, 430, 440–442 Fachgebiet  60–62, 65 f., 78–86, 91, 108, 457 Fachmann  19 f., 32, 35, 38–42, 50, 60–92, 106–111, 162 f., 379, 420 f., 433, 438 f., 456 f. fachmännisches Verständnis  60–63, 74, 77, 90, 109, 456 fahrlässig abgegebene Willenserklärung  316–318 Faktenwissen  10 f., 427, 431–432, 458 falsa demonstratio  347–354

Fehlvorstellungen  112, 201, 301 ff., 324–338, 350–352 – bewusst hervorgerufene 368–369 – bewusst ausgenutzte 374–379 – Risikozuweisung 334–338 fiktive Person  63, 76–78, 82, 93 Flexibilität 354–362 Folgerung aus bekannten Einzeltatsachen  16, 61 ff., 160 ff., 175, 219–223, 266 ff., 380, 383, 400–425, 439, 448 Fortbestandsfiktion 214–216 Fortschritt  21, 23 ff., 33–49, 76, 85, 113, 420 Fortschrittshemmung 23–25 Fotographischer Vergleich  59 f. Gebrauchsmuster  24, 42–51, 55–57 Geltungstheorie  306 ff., 425 gemeines Recht  268 f., 274, 278, 348, 449 Gesamtvergleich  25, 57, 75, 91 ff., 416, 437 ff., 456 f. gestufte Prüfung  183, 256, 377, 409–433 Gleichbehandlung, rechtsfolgenseitige  18, 156, 233 f., 245, 264 ff., 277, 382, 397, 411–413 Grundbuch  19, 136, 224–242, 252, 275, 388 f., 391, 399–403, 409 f., 418, 421, 424 f., 429 f., 445, 449 f., 454 f. Gutachten  98, 105, 122, 125, 152 gutgläubiger Erwerb  101, 226 f., 248–252, 388 f., 410, 418, 436, 445 Gutgläubigkeit  12, 184, 218, 224–252, 271, 281 Haftungserleichterung 353–355 Haftungsverschärfung  236, 253–255, 260, 263–276, 284, 447 f. Hilfserwägungen 110–113 Information  4–7, 12–14, 19, 58 f., 82 ff., 403–405, 415, 440–442 Informationsgehalt  33, 59–70, 72, 74–86, 114 informierte Entscheidung  158–160, 188, 207 f., 378 Inhaltsirrtum  321 ff., 353 f. Insolvenzanfechtung  280–297, 357 f., 444, 448 Interdependenz 224–228

Stichwortverzeichnis

Kalkulationsirrtum 353–362 Kategorisierung 9–11 Kennenkönnen  12–14, 361 Kennenmüssen  12–14, 125, 129, 137, 179, 181, 192, 215, 219 ff., 250–259, 311, 336, 352–353, 361, 372 f., 381, 431 Kenntnisintensität  252, 284–293, 311 Kenntnisnahme  70–72, 124, 129, 183, 200, 209, 217, 245, 274, 276 f., 336, 342 Kenntnisnahmemöglichkeit  183, 209, 276–277 Kennzeichen  29 f., 179–183, 349 Klageerhebung  150–162, 404, 441 Know how  9–11 Kompensation  312 f., 315, 351–353 Kondiktionsausschluss  191–195, 209 Konkretisierung, ergebnisbezogene  150, 162, 199, 246–247 Kontextuierung  16, 157 f., 160 ff., 242, 400–405, 440–442 Korrektiv  138–142, 235, 347, 389 f. Krisentatsachen 298 Kündigung, außerordentliche  167–176, 188 Lebenswirklichkeit  393 f. Leistung  21 f., 30–33, 192–195, 270–279, 401 f., 414 f., 418, 421 ff., 444 ff. Mängel der Willenserklärung  305 ff. – erklärungsbezogene 323–324 – willensbildungsbezogene 324–326 Mängelgewährleistungsansprüche 117, 120, 130–133, 199 ff. Markenrecht  179–183 Maximalverjährungsfristen  117 ff., 127–129, 137 Merkmalsgliederung 52 Metawissen 11 Methode, zweigliedrige  91 f., 155–161, 175–176 Mietmängel  197–204, 429 – anfängliche 198 – später auftretende 199–204 mitoffenbarte Lösungsvariante  65–70, 110 Motivirrtum  325–329, 338, 351–356, 363–373, 451

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Nachdenken  10, 32, 185, 223, 308, 412, 428–429 Nachforschungsobliegenheit  145 f., 185, 199, 214–236, 240, 245–252, 256, 277, 285 f., 372, 410 Neuheit  24–72, 109–110 Nichtnaheliegen 74–90 Nichtschuld  116, 192–195, 197, 203 f., 209, 259, 402, 443 normativer Maßstab  256 normativer Rechtsbegriff  393 Nützlichkeit  33–40, 50, 420 objektiver Dritte  103, 176, 212, 264, 267, 339 f., 349, 361 objektiv-normative Sichtweise  258, 261–263, 446 Offenbarungsmittel 70–72 Patentierungsvoraussetzungen 51–94 Patentrecht  21–94, 104–114, 419–421, 422–423 Patentschutz  30–32, 104 Perpetuierung  36, 40, 46, 54, 185, 251 f., 289 Person des Schuldners  16, 119, 126 f., 129, 146 f., 151 ff., 156–162, 179, 186 f., 414 f., 428, 440 f. Privilegienwesen 26–29 Prüfstoff  31, 33, 51–56 Prüfungsmethode  51–91, 109, 437, 455 Prüfungsschrittfolge, EPA 83–86 Prüfungsumfang  29 f., 96, 102, 106, 392 Recherche  22, 52–57, 89, 163, 422 f. Rechtsfrage  95–114, 154, 232, 271, 392, 435, 439 f. Rechtskenntnis  13, 16 f., 19, 101 ff., 149–153, 193, 223, 233, 236–253, 257–273, 395, 400–403, 421, 424–428, 435, 440 ff., 454 ff. Rechtsklarheit  48, 129–138, 167, 174 ff., 440 Rechtsmacht  21–94, 214–217, 255 Rechtsschein  101, 217–253, 315, 371, 389, 409 f., 445, 449 f. Rechtsscheinstärke 227–253

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Stichwortverzeichnis

Rechtssicherheit  43, 78, 107 f., 115–138, 165 ff., 176, 179, 183, 186 ff., 259, 263, 286, 297, 325, 357, 416, 440, 459 Rechtsverlust  116, 141, 159, 167, 175, 183, 444–450 redlich Denkender  256, 258–261 Regelverjährung  117–138, 141 f., 155, 159 f., 173 ff., 186 Reisevertrag  127, 130, 167–169, 176, 178 ff. Rückgabeverpflichtung 253–286 Sachverhaltsermittlung  423–427, 458 Schadensersatzanspruch  118–178, 241 ff., 304 f., 312, 318 ff., 351–359, 383, 404 Schuldnerschutz  124, 147, 177, 268–271, 277–279, 449 Schuldrechtsreform  117–146, 156, 159, 174, 186 f., 201, 441 Schutzgegenstand  21 ff., 45 ff. Schutzvoraussetzungen  24–30, 47–56, 87, 419, 437 Sekundärverjährung  138–142, 186 Sich-der-Kenntnis-verschließen  154 f., 360, 394, 397, 410, 412 ff., 416, 421, 446 Sorgfaltsanforderungen  19, 132, 143–160, 184, 220 f., 239, 243 f., 246–247, 397, 409 ff., 422, 432 f., 436, 446, 452, 458 Steuerberatungsgesetz 138–141 Störung der Geschäftsgrundlage  327, 331, 335, 338 f., 351–356, 359 subjektive Vorstellung  261–263, 333, 344 Symbole 6 Tatbestandsmerkmal, deskriptives  392– 396, 398 f., 439 Tatbestandsvoraussetzung  17 f., 114, 147–150, 188, 397, 421 Tatfrage  95–114, 154, 392, 439 f. Tatsachen, kontextuierte  160–165 Tatsachenkenntnis  192, 233–238, 257–279, 395 tatsächlicher Kenntnisstand  163 f., 211–213, 280, 382, 439, 454 technisches Gebiet  64, 79–81 Teilbetrag 204–208 Teilwissen 12–14 teleologischer Ansatz  97 f. Treuwidrigkeit  243–245, 360

Unbilligkeit  119 f., 139, 144, 186, 370, 396, 413, 454 uneingeschränkte Bindung  316–320 Unkenntnis  186 f., 192, 198–204, 214–253 – behauptete 411–414 –  grob fahrlässige  142–146, 245 f., 284–288 Unrichtigkeit  4, 13–19, 101, 218, 224, 234–236, 253, 364, 367, 382, 388–429, 450 Unschärfebereich  32, 60–62, 73 f., 90, 419, 425, 438 Unwägbarkeiten, subjektive  264 Vergleich  57 f., 164 f., 437 f., 454–460 Vergleichsgröße  54, 57 f., 90, 110, 163 f., 420 f., 429, 438, 456, 458 f. Vergleichsobjekte  15, 51 f., 74, 210 Verjährung 115–165 Verjährungsfrist  16, 118–165, 180, 186 ff., 192 f., 384, 404, 416, 421, 441 f. Verjährungsfristbeginn – kenntnisabhängig 118–142 – kenntnisunabhängig 119–122, 138–142 Verkehrsschutz  253, 305–308, 389, 445 Verkehrswesentlichkeit  331–334, 339, 451 Vermutungswirkungen  224, 293–297 Verobjektivierung  19, 44, 77, 85, 103, 164 ff., 188 f., 241–243, 262–267, 280, 298, 383 f., 441, 448, 453 f. Vertragsrechtslehre 301–386 Vertragswesentlichkeit  333 f., 407, 451 Vertrauen  101, 140, 170–300, 304–386 –  Bildung  182, 191–212, 217 f. – Zerstörung 213–300 Vertrauensausschlusstatbestand 224–228 Vertrauensschutz  177, 210, 227 f., 230, 304–307, 325, 338, 340, 343, 351, 388 Vertreter  214–223, 401, 424 Verwirkung  170 f., 177–183, 387 f., 396 ff., 443 Verwirkungslehre, kennzeichenrechtliche  179–183 Vollmacht  218–222, 371, 401, 431 vorbehaltlose Zahlung  197–204, 398 Vorspiegeln unrichtiger Tatsachen  365– 368

Stichwortverzeichnis

Wechselwirkung  181, 247–250 Wertbegriff 393 wertende Gesamtschau  416–423 Wertung  157, 236–245, 264–266, 277, 392–396 Wertungskriterium, normatives  392–396 Wille  167, 175, 183, 195, 200, 256–280, 301–386 Willensbildung  301 ff., 322 ff., 406 f., 450 f. Willenserklärung  19, 102 ff., 114, 195, 214, 271, 277 ff., 302–386 Willenstheorie 303–317 wirkliche Kenntnis  273–276, 447 ff. Wirtschaftswissenschaft 4–13 Wissen und Können  60–66, 78–82, 87, 108, 162, 421, 424–427, 438 Wissensarten 9–11 Wissensbegriff 1–14

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Zahlung, schuldbefreiende  16, 270, 277 f., 418, 444 f. Zahlungseinstellung  283–290, 294 Zahlungsunfähigkeit  13 f., 281–299, 407 f., 414, 448 Zeichen  6, 24 zeitliche Begrenzung  115–190 Zession  268–279, 391, 401 Zielvorgabe  162–165, 414 ff., 429 Zumutbarkeit  150–166, 404, 441 Zweifel  273–279, 310 f., 372, 402, 409 f., 416, 446–450 Zweigliedrige Methode  155–156, 175–177 Zweistufenvergleich  15, 57–91, 166, 173, 420 zwingende Schlüsse  287–294