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German Pages 449 Year 1997
HANS-JOACHIM MENGEL
Gesetzgebung und Verfahren
Schriften zum Öffentlichen Recht Band 722
Gesetzgebung und Verfahren Ein Beitrag zur Empirie und Theorie des Gesetzgebungsprozesses im föderalen Verfassungsstaat
Von
Hans-Joachim Mengel
Duncker & Humblot * Berlin
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme
Mengel, Hans-Joachim: Gesetzgebung und Verfahren : ein Beitrag zur Empirie und Theorie des Gesetzgebungsprozesses im föderalen Verfassungsstaat / von Hans-Joachim Mengel. - Berlin : Duncker und Humblot, 1997 (Schriften zum öffentlichen Recht ; Bd. 722) ISBN 3-428-08022-X brosch.
Alle Rechte vorbehalten © 1997 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0200 ISBN 3-428-08022-X Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 ©
Inhaltsverzeichnis Einleitung: Verfassungsrechtliche Entscheidungsprozesse als Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchung
1
Teill
Gesetzgebungsverfahren Die Empirie des Gesetzgebungsprozesses am Beispiel hessischer Hochschulgesetzgebung I. Die Rahmenbedingungen hessischer Hochschulgesetzgebung 1. Die politischen Rahmenbedingungen hessischer Hochschulgesetzgebung
11 13 13
a) Die bevorstehende Landtagswahl
13
b) Der Termindruck
15
2. Die verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen
17
a) Die Gesetzgebungskompetenz in der hessischen Verfassung
17
b) Die Vorgaben durch das Hochschulrahmengesetz
18
c) Die Stellung der Betroffenen und Verbände auf Landesebene bei Anpassungsgesetzen an die Rahmengesetzgebung des Bundes II. Der intraministerielle Prozeß der Gesetzgebung 1. Die vorbereitenden Arbeiten in der Ministerialbürokratie
20 24 24
a) Organisatorische Zentralfragen
24
b) Grundsätzliche Probleme der Projektgruppenarbeit
26
c) Die Projektgruppe zur Erarbeitung der hessischen Hochschulgesetzentwürfe
31
aa) Die organisatorische Zuordnung
31
bb) Die Auswahl der Gruppenmitglieder
33
2. Die Tätigkeit der Projektgruppe a) Erste Arbeitsschritte
39 39
VI
Inhaltsverzeichnis b) Zur Gruppenpsychologie
41
c) Die Außenbeziehungen
44
d) Technisch-organisatorische Probleme
45
e) Projektgruppe und Interessenteneinflüsse
47
f) Die Beziehungen zum Landtag
47
g) Gruppenarbeit und Richtlinienkompetenz des Ressortchefs
48
h) Die Beziehungen zwischen Gruppe und Ministerbüro
51
i) Der Einfluß wissenschaftlicher Beratung auf den Gesetzgebungsprozeß
55
3. Der Einfluß der Interessengruppen
59
a) Die Anhörung zum Referentenentwurf
60
aa) Die Auswahl der Anzuhörenden
60
bb) Die Stellung der Verbände und Einzelpersonen, die nicht zur offiziellen Stellungnahme aufgefordert wurden
65
cc) Der 'Streik' und Protest der Studenten
67
dd) Die Diskussion mit den Hochschulangehörigen
70
ee) Der Einfluß von Kirchen, Arbeitgeberorganisationen und DGB
73
b) Die Auseinandersetzung um Einzelfragen
77
aa) Der Klinikbereich
77
bb) Die Dozentenfrage
80
cc) Die verfaßte Studentenschaft
85
c) Der Verarbeitungsprozeß der eingegangenen Stellungnahmen
92
d) Wertung des Interesseneinflusses
99
e) Die Beziehungen zwischen Kultusministerium und den anderen Landesressorts
101
f) Die Schlußredaktion des Referentenentwurfs
104
g) Die Kabinettsvorlage
105
III. Die Stellung der Staatskanzlei 1. Die Richtlinienkompetenz der Ministerpräsidenten und die eigenverantwortliche Führung der Ressorts durch die Minister 2. Die Staatskanzlei und Interessengruppen
109 110 115
Inhaltsverzeichnis 3. Die institutionalisierte Mitwirkung der Staatskanzlei
122
a) Die Staatssekretärsrunde
122
b) Die 'Montagsrunde'
123
c) Die Stellung der Staatskanzlei im Anhörungsverfahren zum Referentenentwurf
124
4. Die besonderen Bedingungen des Entscheidungsfindungsprozesses einer Regierungskoalition 5. Die Kabinettsentscheidung IV. Parteien und Gesetzgebung 1. Der Einfluß der Mehrheitsfraktionen auf die Gesetzgebung a) Die SPD-Fraktion und ihr 'Fachabgeordneter'
125 128 131 131 131
aa) Die Mitwirkung der 'einfachen' Abgeordneten
134
bb) Der kulturpolitische Arbeitskreis der SPD-Fraktion
136
b) Die theoretischen Implikationen antizipierter Einflußnahme der Mehrheitsfraktion c) Die FDP-Fraktion
140 141
2. Der Einfluß der Parteien auf die Willensbildung der Exekutive und der Fraktionen
143
a) Die kulturpolitischen Ausschüsse der SPD
145
aa) Die Gespräche mit dem Minister
145
bb) Keine Resonanz in der Fraktion
149
b) Die Auseinandersetzung mit den Jungsozialisten
151
c) Kontakte zu hochschulpolitisch interessierten 'einfachen' Mitgliedern... 155 d) Die negative Bilanz für die Basis
156
e) Das Verhältnis der FDP-Basis zu ihren Entscheidungsträgern
161
aa) Der Einfluß der FDP-Basis auf die FDP-Fraktion
161
bb) Der liberale Hochschulverband als treibende Kraft
162
f) Parteiprogramme und Gesetzgebung V. Der parlamentarische Prozeß der Gesetzgebung 1. Das Gesetzgebungsverfahren in der Geschäftsordnung des hessischen Landtages
164 171 171
VIII
Inhaltsverzeichnis 2. Die Lesungen im Plenum des hessischen Landtages
172
a) Die 1. Lesung
172
b) Die 2. Lesung
175
c) Die 3. Lesung
179
3. Das Landtagshearing
179
a) Der Ablauf
179
b) Die Auswertung
184
4. Die Stellung der Opposition und die Wahrnehmung der Parlamentsaufgaben VI. Zusammenfassende Thesen und Bemerkungen zu Teil 1
188 201
Teil II
Gesetzgebungsverfahren und seine gerichtliche Kontrolle im demokratischen Rechtsstaat I. Voraussetzungen und Aufgaben einer Gesetzgebungslehre
205 210
1. Das Fehlen einer Gesetzgebungslehre des Parlamentarismus
210
2. Ausgewählte historische Wurzeln einer Gesetzgebungslehre des Parlamentarismus
215
a) Robert von Mohl
217
b) Jeremy Bentham
220
3. Der Stand der Diskussion um die Entwicklung einer Gesetzgebungslehre....221 4. Die Aufgaben einer Gesetzgebungslehre des demokratisch-föderalen Verfassungsstaates
225
5. Rechtsphilosophische und rechtspolitische Voraussetzungen einer Lehre der Gesetzgebung
229
a) Zweckbestimmung der Gesetzgebung
229
b) Gesetz als rechtgründendes Instrument
232
c) Freiheitsgründende und freiheitsbeschränkende Gesetzgebung
235
d) Gesetz und ethische Standards
237
Inhaltsverzeichnis e) Fragmentarischer und periodischer Charakter demokratischer Gesetzgebung
239
f) Gesetz als Politikgestaltung
241
g) Gesetzgebung und sinngebende geistige Idee
243
h) Gesetzgebung zwischen Gemeinwohlmaximierung und individueller Selbstbestimmung
248
i) Der Befriedungscharakter von Gesetzgebung
250
j ) Gesetzgebung im Bundesstaat
252
k) Gesetzgebung in ihternationaler Interdependenz
253
6. Verfassungsrechtliche Voraussetzungen einer Theorie der Gesetzgebung....255 a) Die formalen Grundlagen des Gesetzgebungsverfahrens in Bund und Ländern
255
b) Notwendigkeit und Risiko der Entwicklung von rechtsstaatlichdemokratischen Verfahrensvoraussetzungen
257
c) Demokratie und Rechtsstaatsprinzip als verfassungsrechtliche Wurzeln der Grundvoraussetzungen des Gesetzgebungsverfahrens II. Grundvoraussetzungen demokratisch-rechtsstaatlicher Gesetzgebung
263 271
1. Legitimation der Entscheidungsträger
272
2. Transparenz der Entscheidungsfindung und des Entscheidungsinhalts
276
3. Entscheidungsfreiheit der Entscheidungsträger
280
4. Chancengleichheit der Entscheidungsträger in Ausübung kompetenzmäßiger Mitwirkungsrechte
282
III. Effektivitätsvoraussetzungen demokratisch-rechtsstaatlicher Gesetzgebung
284
1. Die Notwendigkeit gesetzlicher Normierung
286
2. Das Gesetzgebungspersonal
287
a) Die Exekutivebene
287
aa) Ministerialbeamte
287
bb) Exekutivfiihrung
290
b) Parlamentsebene
291
3. Impulswirkungen der Gesetzgebung
293
4. Geschäftsordnung zwischen effizienter Autonomie und Grundvoraussetzungen demokratischer Gesetzgebung
295
Inhaltsverzeichnis IV. Möglichkeiten einer Implementierung demokratischer Grundvoraussetzungen im Gesetzgebungsprozeß 299 1. Institutionelle Strukturveränderungen
299
a) Bundesamt für Gesetzgebung
299
b) Übertragung von Gesetzgebungskompetenz auf Ausschüsse
301
2. Verfahrensmäßige Strukturveränderungen a) Die Anhörungen als Keimzelle des kooperativen inneren Gesetzgebungsverfahrens
304
304
aa) Parlamentsanhörung
304
bb) Die Exekutivanhörung
314
b) Experimentelle Gesetzgebung
317
c) Wirkungsanalyse erfolgter Gesetzgebung
323
V. Justiziabilität der Grundvoraussetzungen demokratischer Gesetzgebung
326
1. Notwendigkeit der verfassungsrechtlichen Überprüfung des inneren Gesetzgebungsverfahrens
326
a) Das Ungenügen inhaltlicher Kontrolle
326
b) Die verfassungsrechtlichen Grundlagen richterlicher Überprüfung des gesetzgeberischen Procedere c) Die Schranken der verfassungsrechtlichen Verfahrensüberprüfung
329 334
aa) Mindestanforderungen und nicht optimale Methodik
334
bb) Der Eigenbereich der Exekutive und Legislative
336
2. Die Rechtsprechung zur Überprüfung des Gesetzgebungsverfahrens
341
a) Das Gericht zwischen Kompetenzvernachlässigung und Kompetenzüberschreitung
341
b) Einzelentscheidungen zum gesetzgeberischen Procedere
344
aa) Kompetenzvernachlässigung
344
(1) Zurückhaltung bei Verletzung von Verfahrensvorschriften
345
(2) Unbeachtlichkeit von Täuschung und Irrtum der Entscheidungsträger
350
(3) Unbeachtlichkeit von Zeitdruck und unsachgemäßen Entscheidungsmotiven einzelner beteiligter Organe
351
Inhaltsverzeichnis (4) Unbeachtlichkeit der Nichtteilnahme der überwältigenden Mehrheit der Abgeordneten bei der Schlußabstimmung
354
(5) Ansätze zur Überwindung der Zurückhaltung bei der Verfahrenskontrolle
357
bb) Kompetenzüberschreitung
359
( 1 ) Sachgerechtigkeit, Erforderlichkeits- und Verhältnismäßigkeitsprüfung als Einfallstor kompetenzüberschreitender Überprüfungspraxis 359 (2) Einzelbeispiele kompetenzüberschreitender Überprüfungspraxis
360
(3) Die Kontrolle von Tatsachenfeststellungen und Aufklärungskompetenz
367
VI. Neustrukturierung des verfassungsrechtlichen Überprüfungsprozesses durch Zwei-Stufen-Prüfung
371
1. Beschränkung der Prüfungskompetenz und Rückverlagerung originärer Aufgaben an den Gesetzgeber
371
2. Stärkung der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers
378
3. Qualitätssteigerung der Gesetze
379
VII. Die Folgen festgestellter Verfahrensmängel des Gesetzgebungsverfahrens
381
VIII. Zusammenfassende Thesen zu Teil II
384
Anhang: Chronik des zeitlichen Ablaufs
390
Literaturverzeichnis
396
Verzeichnis der Abkürzungen AdmSciQ
Administrative Science Quarterly
ADV
Allgemeine Datenverarbeitung
AdvMgmt
Advanced Management - A quarterly journal
AmPSR
American Political Science Review
ARSP
Archiv fur Rechts- und Sozialphilosophie
AStA
Allgemeiner Studentenausschuß
BayVBl
Bayerische Verwaltungsblätter
BdWi
Bund demokratischer Wissenschaftler
BerlHschLG
Berliner Hochschullandesgesetz
BGBl
Bundesgesetzblatt
BGHZ
Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen
BMG
Bundesministerium für Gesamtdeutsche Fragen
Bulllnterp
Bulletin Interparlamentaire
BVerfGE
Entscheidungssammlung des Bundesverfassungsgerichts
DE
Darmstädter Echo
DGB
Deutscher Gewerkschaftsbund
DIHT
Deutscher Industrie- und Handelstag
DÖV
Die öffentliche Verwaltung
DUZ
Deutsche Universitätszeitung
DVB1
Deutsches Verwaltungsblatt
EDV
Elektronische Datenverarbeitung
EuGRZ
Europäische Grundrechtezeitung
FAΖ
Frankfurter Allgemeine Zeitung
FB
Fachbereich
Verzeichnis der Abkürzungen FHK
Fachhochschulkonferenz
FNP
Frankfurter Neue Presse
FR
Frankfurter Rundschau
GEW
Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft
GHK
Gesamthochschule Kassel
GMBl
Gemeinsames Ministerialblatt
GO
Geschäftsordnung
GOHessLR
Geschäftsordnung der Hessischen Landesregierung
GOHessLT
Geschäftsordnung des Hessischen Landtages
HessDSG
Hessisches Datenschutzgesetz
HessFHG
Hessisches Fachhochschulgesetz
HHG
Hessisches Hochschulgesetz
HLZ
Hessische Landeszeitung
HRG
Hochschulrahmengesetz
HUG
Hessisches Universitätsgesetz
JPol
Journal of Politics
JuA
Juristische Arbeitsblätter
Juso-HG
Jungsozialisten-Hochschulgruppe
KHGHess
Hessisches Kunsthochschulgesetz
KHU
Konferenz Hessischer Universitätspräsidenten
LHV
Liberaler Hochschulverband
NGes
Neue Gesellschaft
NJW
Neue Juristische Wochenzeitung
OP
Oberhessische Presse
ÖstZöR
Österreichische Zeitschrift für öffentliches Recht
ÖVD
Öffentliche Verwaltung und Datenverarbeitung
PublAdm
Public Administration (London)
PVS
Politische Vierteljahresschrift
RCDS
Ring Christlich Demokratischer Studenten
XIII
XIV
Verzeichnis der Abkürzungen
SJZ
Schweizerische Juristenzeitung
StuttgZ
Stuttgarter Zeitung
sz
Süddeutsche Zeitung
UnivChicLR
University of Chicago Law Review
VDS
Vereinigten Deutschen Studentenschaften
VerwArch
Verwaltungsarchiv
VVDStRL
Veröffentlichungen der Vereinigung Deutscher Staatsrechtlehrer
WRK
Westdeutsche Rektorenkonferenz
ZBR
Zeitschrift fur Beamtenrecht
ZfP
Zeitschrift fur Politik
ZG
Zeitschrift für Gesetzgebung
ZgStW
Zeitschrift fur die gesamte Staatswissenschaft
ZO
Zeitschrift für Organisation
ZParl
Zeitschrift fur Parlamentsfragen
ZRP
Zeitschrift für Rechtspolitik
ZSR
Zeitschrift für Schweizerisches Recht
ZSSP
Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie
Einleitung: Verfassungsrechtliche Entscheidungsprozesse als Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchung Die vorliegende Studie entstand aus dem Wunsche heraus, die vielfältigen Erfahrungen, die der Verfasser während eines konkreten Gesetzgebungsverfahrens sammeln konnte, aufzuarbeiten und für den Bereich des Gesetzgebungsverfahrens wissenschaftlich fruchtbar zu machen. Daß der Gesetzgebungsprozeß, dem der empirische erste Teil zugrunde liegt, längere Zeit zurückliegt, mindert seine Relevanz als kleiner Baustein für das zu schaffende Gebäude einer komplexen interdisziplinären Gesetzgebungslehre nicht. Nur durch eine Vielzahl solcher Studien kann dieses Gebäude auf sicherem, wirklichkeitswissenschaftlich gegründetem Fundament ruhen. Ältere Studien können mit aktuellen verglichen werden, um zu sehen, ob sich einschneidende Änderungen im gesetzgeberischen Procedere der Verfassungswirklichkeit in Bund und Ländern ergeben haben. Die Zahl solcher Studien ist immer noch zu gering, da jedes Gesetzgebungsverfahren ein nicht wiederholbarer geschichtlicher Verfassungsprozeß ist.1 Nur durch eine Vielzahl empirischer Studien, besonders auch über den inneren Gesetzgebungsprozeß, können Gemeinsamkeiten und Defizite demokratietheoretischer Natur erkannt und womöglich beseitigt werden. Glücklicherweise nimmt sich seit geraumer Zeit sowohl die Politikwissenschaft als auch die Staatswissenschaft der Probleme des Organisationsverfassungsrechts im gleichen Maße an, wie das zuvor für den Grundrechtsbereich geschah.2 Be-
1 Vgl. aus der jüngeren Literatur grundlegend Schulze-Fielitz, H., Theorie und Praxis parlamentarischer Gesetzgebung - besonders des 9. Deutschen Bundestages (1980-1983) -, Berlin 1988. 2 Vgl. Böckenförde, E. W., Die Organisationsgewalt im Bereich der Regierung. Eine Untersuchung zum Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Berlin 1964, S. 7. Deshalb kann inzwischen die Feststellung von Hennis , W., Aufgaben einer modernen Regierungslehre, PVS 1965, S. 422ff., „Das Regieren scheint... zum zentralen Problem der Politischen Wissenschaft avanciert zu sein" (S. 424), inzwischen auch auf die Staatsrechtswissenschaft bezogen werden. Zu den Gründen, der Tatsache, „daß die Erforschung der Regierung, sowohl ihrer Organisationsprobleme als auch ihrer Techniken, Aufgaben und ihres Vollzugs, des eigentlichen 'Regierens' so lange Zeit weder von der staatsrechtlichen, noch von der historischen, noch von der politikwissenschaftlichen Forschung überhaupt betrieben wurde". Vgl. Stammen, Th. (Hrsg.), Strukturwandel der modernen Regierung, Darmstadt 1967, S. lf.
2
Einleitung
sonders schwierig und selten sind Studien aus dem Bereich der Exekutive, da die Befürchtung, Interna könnten mißbraucht werden, immer präsent ist. Auf die Gefahr des Mißbrauchs solcher Studien hat R. Schnur eindrucksvoll hingewiesen, als er in einem Vorwort zu einer Arbeit, die sich mit dem 'Innenleben' der baden-württembergischen politischen Verwaltung befaßt, ausführte: „So wenig der Verfasser das ihm entgegengebrachte Vertrauen mißbraucht hat, so wenig sollte seine wissenschaftliche Redlichkeit politisch mißbraucht werden. Hingegen ist sachlich fundierte Kritik nötig, um die noch sehr bruchstückhafte wissenschaftliche Erkenntnis auf diesem Gebiet weiter voranbringen zu können. Reagiert die 'politische Umwelt' auf eine solche Arbeit in diesem Sinne falsch, so wird es für dieses Buch keine Folgen haben. Aber dann wird es wahrscheinlich dazu kommen, daß vielversprechende Ansätze zu verwaltungswissenschaftlicher Arbeit im Keim erstickt werden." 3 R. Schnur möge dem Verfasser verzeihen, wenn er diese trefflichen Sätze auch auf seine Arbeit bezieht, ohne daß er damit auch nur im entferntesten den hervorragenden Verwaltungsgelehrten in seine ureigenste Verantwortung für die hier vorgelegte Untersuchung einbeziehen will. Zu den Ausführungen R. Schnurs ist jedoch hinzuzufügen, daß nicht nur die Reaktion der 'politischen Umwelt' für die weitere Forschung auf diesem wichtigen Gebiet entscheidend ist, sondern auch die des Wissenschaftsbetriebes selbst. Es ist nicht nur von Bedeutung, daß sich die jeweilige Opposition der 'Ausschlachtung' der aufgedeckten Entscheidungsmechanismen für den politischen Alltagsgebrauch enthält, sondern, daß auch die Wissenschaft die, wenn auch teilweise nicht offen erkennbare Gefahr minimisiert, daß der jeweilige Autor einer solchen 'Innenlebenstudie' in die eine oder andere politische 'Schublade' einkatalogisiert und so der objektive Wert dererlei Untersuchungen von vornherein mit Skepsis betrachtet wird. Beiden Seiten, sowohl der Wissenschaft als auch der Praxis würden wertvolle Impulse verlorengehen, wenn durch verengten Blick auf der einen oder anderen Seite das Herüber- und Hinüberwechseln der in beiden Feldern Tätigen unmöglich gemacht würde. 4 Im Gegenteil, es erscheint notwendig, die Fluktua-
3 Schnur, R., Vorwort in Katz, Α., Politische Verwaltungsführung in den Bundesländern - dargestellt am Beispiel der Landesregierung Baden-Württemberg, Schriften zur Verwaltungswissenschaft, Bd. 3, Berlin 1975, S. 7. 4 Zur Notwendigkeit empirischer Kenntnisse und Erfahrungen auch Forsthoff,\ E., 'Der Staat der Industriegesellschaft' - dargestellt am Beispiel der Bundesrepublik Deutschland, München 1971, Vorwort.
Einleitung
tion der Akteure zwischen beiden für die Weiterentwicklung unserer Demokratie so eminent wichtigen Feldern, der Wissenschaft und des politischen Entscheidungs- und Verwaltungsapparats, zu verstärken. 5 Dabei ist Vertrauen sowohl der Wissenschaftler in die 'Berichterstattung' ihrer praxiserfahrenen Kollegen, als auch der Praktiker gegenüber wissenschaftlicher Aufarbeitung und sich daraus ergebender Beratung unerläßlich. So wäre es gut, von der 'wissenschaftlichen Redlichkeit', von der R. Schnur spricht, als alleiniger Diskussionsgrundlage solcher, auf Erfahrungen 'vor Ort' beruhender Arbeiten auszugehen, wenn die Forschung in diesem Bereich weitere Fortschritte machen soll, wenn sich weitere Wissenschaftler in diesen brisanten, weil politischen Bereich vortasten. Es wäre wertvoll, wenn es gelingen könnte, da in diesen Entscheidungszentren die Lebensbedingungen unserer Gesellschaft und des einzelnen Bürgers zu einem nicht unwesentlichen Teil durch eine Flut von rechtlichen Regelungen mitbestimmt werden. 6 In der Tat würden die Utopier, von denen Thomas Morus 1516 schrieb: „An Gesetzen haben die Utopier ungewöhnlich wenig; sie kommen bei ihren Einrichtungen mit einem Mindestmaß davon aus. Bei den anderen Völkern mißbilligen sie vor allen anderen Dingen, daß selbst unendliche Bände von Gesetzen und Gesetzesauslegung nicht genügen",7 heute Grund zur Kritik finden. Da diese Entwicklung jedoch kaum eine Änderung erfahren wird, ist es um so wichtiger, von den sich bei der Gesetzgebung abspielenden Mechanismen eine ausreichende Zahl von Bestandsaufnahmen verwerten zu können, da nur auf dieser Grundlage die Wissenschaft die Entscheidungsbedingungen theoretisch wirklichkeitsnah aufarbeiten und der Praxis Hilfestellung für eine Verbesserung leisten kann. Wie schwierig solche Bestandsaufnahmen zu erstellen sind, geht auch daraus hervor, daß eine - allerdings rein sozial- und politikwissenschaftliche - Studie zur Entstehungsgeschichte des Baden-Württembergschen Hochschulgesetzes von 19688 sich allein auf die parlamentarische Phase beschränken mußte, da das
5
Vgl. auch den Hinweis von Friesenhahn, E., in seinem grundlegenden Referat Parlament und Regierung im modernen Staat, VVdStRL 1958, S. 9. 6 Welcher Stellenwert der Forschung im Bereich der gesetzgeberischen Entscheidungsmechanismen zukommen müßte, zeigt das Ausmaß der Gesetzgebung. So waren schon zu Beginn des Jahres 1976 ca. 1.300 Bundesgesetze und 2.500 Rechtsverordnungen des Bundes in Kraft ohne die sogenannten Vertragsgesetze und entsprechenden Rechtsverordnungen, die zusammen mit etwa 1.000 gerechnet werden. Diese Zahlen nannte der Parlamentarische Staatssekretär De With in der 220. Sitzung der 7. Wahlperiode des Deutschen Bundestages. Vgl. Sitzungsprotokoll v. 12.12.1975, S. 14546. 7
Morus, Th., Utopia, übersetzt von G. Ritter, Berlin 1922, S. 85.
8
Klotz, D., Länderparlamentarismus: Bürgernähe als Chance? Zur hochschulpolitischen Entscheidungsfindung im Landtag von Baden-Württemberg 1965-1968 am Beispiel des Hochschulgesetzes von 1968, Frankfurt a. M. / Bern 1977. 2 Mengel
Einleitung
4
Kultusministerium die Einsicht in seine Akten verweigert hatte. So sehr die Scheu der Institutionen, „sich in die Karten blicken (zu) lassen",9 gerade bei politischen Entscheidungsprozessen zu verstehen ist, 10 und sich deshalb „nicht jedwedem Besucher Tür und Tor öffnet", 11 so beklagenswert ist das sich daraus ergebende partielle Realitätsdefizit der wissenschaftlichen Diskussion. Erinnert sei im Zusammenhang mit einer solchen Studie auch an die klassisch gewordene Rektoratsrede von v. Triepel aus dem Jahre 1926, in der er die Wechselwirkungen von Staatsrecht und Politik aufdeckt. 12 In der Tat bleibt die Mehrzahl aller Entscheidungsmechanismen, die sich im Bereich des Staatsrechts abspielen und hier besonders auch im Gesetzgebungsprozeß in ihrer komplexen Wirklichkeit unerfaßbar, wenn man nicht zugleich die politischen Bedingungen in die Betrachtungen einbezieht.13 Sicherlich kann die Gefahr für den Wissenschaftler nicht übersehen werden, durch die Einbeziehung tagespolitischer Auseinandersetzungen in seine Untersuchungen den analytischen Blick für die grundlegenden Linien der Mechanismen, die sich in ihnen spiegeln, zu verlieren. Doch solche Gefährdungen können nichts an der Richtigkeit des unauflösbaren Zusammenhangs von Politik und Staatsrecht ändern. Nahezu unübersehbar ist das Schrifttum zur Problematik des schwindenden Einflusses der Parlamente im Gesetzgebungsprozeß, zum Verlust der Balance zwischen Exekutive und Legislative und der dadurch hervorgerufenen vermeintlichen Gefährdung der demokratischen Grundlagen westlicher Demokratien. Dabei befaßt sich die überwältigende Anzahl der Autoren mit den theoreti9 Rüss, G., Anatomie einer politischen Verwaltung. Das Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen - Innerdeutsche Beziehungen 1949-1970, München, die von einer „Beamten offensichtlich eigenen Abneigung, irgend etwas über ihre Arbeit in die Öffentlichkeit dringen zu lassen", spricht (S. Vf.), trifft zwar den Tatbestand für die Ministerialbürokratie in ihrem Kern richtig, jedoch bedürfen die oft berechtigten Gründe, die diese Abneigung verursachen trotz des begrenzten Hinweises auf die Motive im konkreten Fall einer eingehenderen Analyse. Grundsätzlich dazu Hämmerlein, H., Öffentlichkeit und Verwaltung, Göttingen 1966. 10
Maier, H., Politische Wissenschaft in Deutschland, München 1969, S.224.
11
Schnur, R., Geleitwort zu P. Olivet, Die Organisation der Organisation der öffentlichen Verwaltung in der Bundesrepublik Deutschland, Berlin 1978, S.6. 12 Triepel, H., Staatsrecht und Politik, Rede beim Antritte des Rektorats der Friedrich-WilhelmUniversität zu Berlin am 15. Oktober 1926, Berlin / Leipzig 1927. 13 Vgl. auch Peters, H., Die Gewaltenteilung in moderner Sicht, Köln / Opladen 1954, S. 6, Anm. 4: „Wenn die Staatsrechtslehre um die letzte Jahrhundertwende die Politik ausschalten wollte, mußte sie notwendig auf Abwegen erstarren. In der Praxis wirkt diese Lehre noch nach, indem Politik vielfach für etwas unsachliches gehalten wird, während in Wirklichkeit sachliches Handeln meist politische und fachliche Erwägung zur Voraussetzung hat." Zur Problematik des Verhältnisses von Recht und Politik vgl. auch Kassimatis, G., Der Bereich der Regierung, Berlin 1967, S. 167f. mit weiteren Nachweisen.
Einleitung
sehen Implikationen dieser Phänomene, die in ihrer Gesamtheit die Krise des Parlamentarismus verursachen, die wiederum, wie K. D. Bracher feststellt, „fast so alt wie die Erscheinung der modernen parlamentarischen Demokratie (ist)", 14 ohne eigene empirische Forschungen zur Grundlage ihrer Ausführungen zur Verfügung zu haben. Sie kommen dennoch teilweise zu dem Schluß, daß das parlamentarische System nur noch Fassade sei. 15 Bei dieser Diskussion besteht die Gefahr, daß man einige wenige empirische Studien über den tatsächlichen Verlauf des Entscheidungsprozesses im parlamentarischen Gesetzgebungsverfahren zur Grundlage nimmt, ohne zu berücksichtigen, daß diese unter Umständen Jahre zurückliegen oder spezifischen Charakter haben. Die Anzahl solcher Studien,16 die dem Bereich der noch in den Anfangen steckenden Soziologie des Staatsrechtes zuzuordnen sind, ist nach wie vor im Vergleich zur Folgeliteratur unangemessen gering. Dies hat mehrere Ursachen, deren wichtigste die Schwierigkeit ist, hinter die 'Kulissen' der Entscheidungsträger zu schauen. Der Idealfall für den Wissenschaftler, das unmittelbare Miterleben eines solchen Gesetzgebungsprozesses, ist bei der gegenseitigen Distanz von Praxis und Wissenschaft, die im Gegensatz zu den Vereinigten Staaten oder Frankreich bei uns besonders ausgeprägt ist, kaum erreichbar. So sind die meisten der vorliegenden Fallstudien mehr oder minder Beschreibungen aus zweiter Hand. Die Autoren haben sich von den Mitwirkenden und den Betroffenen die Entscheidungsabläufe berichten lassen. Unter Zuhilfenahme der ihnen zugänglichen Dokumente und Aktenvermerke konnte dann eine Rekonstruktion des Prozesses erfolgen. Die Unsicherheiten und Fehlerquellen bei einem solchen methodischen Vorgehen liegen auf der Hand. Insbesondere wird man von den berichtenden mitwirkenden Beamten und Politikern immer nur deren subjektive Einschätzung erfahren und diese dann auch nur unter besonderer Betonung der jeweiligen eigenen Rolle und unter Verdrängung ihnen unangenehmer Abläufe. Dabei fängt die Schwierigkeit schon bei der Auswahl derjenigen an, die man 'interviewt'. Wie soll man feststellen, ob der oder ein anderer Beamter die entscheidenden Wei-
14 Bracher, K. D., Deutschland zwischen Demokratie und Diktatur, Beiträge zur Neueren Politik und Geschichte, Bern / München / Wien 1964, S. 382. 15
Vgl. Wenzel, W., Vergebliche Kosmetik am Parlamentarismus in der BRD, Staat und Recht, Jg. 20, 1971, H. 4, S. 615ff. Er lehnt die These von der Weiterentwicklung der parlamentarischen Demokratie als demagogische Phrase des staatsmonopolistischen Herrschaftssystems ab. Sehr kritisch auch Agnoli , J., Thesen zur Transformation der Demokratie und zur außerparlamentarischen Opposition, in: Neue Kritik, April 1968, S. 23ff.; Agnoli , J. ! Brückner, P., Die Transformation der Demokratie, Frankfurt a. M. 1968. 16 Zu nennen sind hier Schatz , Α., Der parlamentarische Entscheidungsprozeß, Bedingungen der verteidigungspolitischen Willensbildung im Deutschen Bundestag, Meisenheim a. G. 1970; Knorr, H., Der parlamentarische Entscheidungsprozeß während der großen Koalition 1966 bis 1969. Struktur und Einfluß der Koalitionsfraktionen und ihr Verhältnis zur Regierung der großen Koalition, Meisenheim a. G! 1975.
6
Einleitung
chen bei der Erarbeitung des Referentenentwurfes gestellt hat? Wie ist zu erfahren, welcher Abgeordnete oder Interessenvertreter seinen Einfluß besonders geltend machen konnte? Die offizielle Funktionsverteilung, ζ. B. der Geschäftsverteilungsplan eines Ministeriums oder die Mitgliedschaft eines Abgeordneten im relevanten Fachausschuß des Parlaments, sind hier nur wenig aussagekräftig und können bestenfalls als Hinweis für die tatsächliche Einflußnahme der dort als zuständig aufgeführten Personen gelten.17 Eine noch unsicherere Grundlage wissenschaftlicher Forschung in diesem Bereich ist die Heranziehung von Dokumenten zur Rekonstruktion des Entscheidungsablaufs. Jedem, der an einem solchen Gesetzgebungsprozeß teilgenommen hat, ist klar, daß aus den Dokumenten lediglich der formale Entscheidungsgang ersichtlich ist. Wie unergiebig sie für die wahrheitsgemäße Rekonstruktion sind, mag an einem Beispiel verdeutlicht werden. Nehmen wir an, daß der Wissenschaftler bei der Untersuchung des Hochschulgesetzgebungsprozesses in Hessen den Referentenentwurf und eine Stellungnahme der Konferenz hessischer Universitätspräsidenten vor sich hat, die auf Einführung des Privatdozenten drängt. Im Regierungsentwurf steht dann tatsächlich, daß derjenige, der sich habilitiert, den Titel Privatdozent verliehen bekommt. Der Wissenschaftler muß daraus schließen, wenn ihm nicht andere Anhaltspunkte vorliegen, daß nach Dokumentenlage hier die K H U erheblichen Einfluß ausgeübt hat. Selbst wenn er die Beamten aus der Projektgruppe, die sich mit der Gesetzgebung befaßt hatte, befragte, würde sich der Entscheidungsablauf nicht anders darstellen und zu falschen Schlüssen führen. In Wirklichkeit war es nämlich einer der engeren Mitarbeiter des Ministers, der diesen eindringlich auf dieses Problem hinwies und, noch ehe die Stellungnahme der KHU vorlag, für den Privatdozenten plädierte, dessen Einführung dann gegen erheblichen Widerstand einzelner Projektgruppenmitglieder durch Ministerentscheidung durchgesetzt wurde. Dieses Beispiel zeigt, wie irreführend Dokumente sein können, selbst wenn, und auch dies ist in den seltensten Fällen möglich, alle vorhandenen Unterlagen einem Wissenschaftler zugänglich gemacht werden. Hinzuzufügen ist noch, daß diese dann vorliegenden Dokumente nicht nur sehr irreführend sein können, sondern auch in der Regel die Entscheidungsabläufe unvollständig wiedergeben. Protokolle von Sitzungen der Referenten und der Referenten mit dem Minister existieren kaum.
17 Selbst die Beschaffung von solch simplen, unabdingbaren Grundlagen empirischer Analyse wie es der Geschäftsverteilungsplan eines Ministeriums ist, scheint offenbar auf große Schwierigkeiten zu stoßen, wenn man das Beispiel von Rüss, G., als symptomatisch ansieht. Sie bat für ihre Studie am 22.8.1968 um die Überlassung des Geschäftsverteilungsplanes des Gesamtdeutschen Ministeriums und erhielt ihn nach längerem Schriftverkehr etc. im Juni 1970. Daß für diese objektiven Hindernisse für die Forschung beachtenswerte Gründe der Verwaltung eine Rolle spielen, wird dabei nicht bestritten, macht die wissenschaftliche Arbeit aber sicherlich nicht leichter.
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Ebenso werden keine Aktenvermerke über Einflußnahmen inoffizieller Natur bestehen. Genauso wenig wie es Protokolle von den Gesprächen des Ministers mit seinen engsten Mitarbeitern gibt. Alles in allem hat der nicht beteiligte Wissenschaftler nur eine geringe Chance, wirklichkeits-wissenschaftlich fundiert zu arbeiten. Im optimalen Fall kann er hoffen, annäherungsweise den tatsächlichen Ablauf des Entscheidungsprozesses in einem konkreten Gesetzgebungsverfahren wiederzugeben, und auch dies nur, wenn er das absolute Vertrauen der betreffenden Stellen erworben hat, bzw. in ihnen selbst gearbeitet hat. Die letzten beiden Voraussetzungen schaffen jedoch gerade wiederum die Gefahr, daß man an seiner Objektivität, berechtigt oder nicht, Zweifel anmelden könnte. Auf die Schwierigkeiten macht auch F. Morstein-Marx aufmerksam: „Zudem sind die meisten Verwaltungseinrichtungen, weil sie auf funktional-technischen Voraussetzungen fußen, von außen schwer zu veranschaulichen, ebenso wie sie dem persönlichen Eindringen kaum zugänglich sind. Der Kult des an sich rechtsstaatlich unerläßlichen Amtsgeheimnisses, das auch den Einzelnen gegen Preisgabe von Information über ihn schützt, tut ein weiteres. Die öffentliche Verwaltung hat gegen dichte Schwaden des Verdachts anzukämpfen. Sie gibt sich als eine abgesonderte Welt, die den Draußenstehenden draußen läßt." 18 Bei dieser Sachlage ist es nicht verwunderlich, daß die Studien in diesem Bereich, wie erwähnt, außerordentlich rar sind. Soweit ersichtlich, sind sie im deutschsprachigen Raum für die Ländergesetzgebung seit Bestehen der Bundesrepublik an einer Hand abzuzählen.19 Der Mangel an empirischen Untersuchungen macht sich besonders auf der Erarbeitungsebene ministerieller Gesetzesentwürfe in den Ländern bemerkbar. 20 Eine solche Sachlage mag auf den ersten Blick die Feststellung von N. Luhmann vom „Scheitern der Bewegung zu einer empirische und normative Disziplinen umfassenden Staatswissenschaft" 21 bestätigen. Doch weder war 1971 ein abschließendes 'Todesurteil' für alle Bemühungen in Richtung einer umfas-
18 Morstein-Marx, F., Verwaltung im öffentlichen Bewußtsein, in: ders. (Hg.), Gegenwartsaufgaben der öffentlichen Verwaltung, Köln / Berlin / Bonn u. a. 1968, S. 41 Iff. (416). 19
Vgl. kritisch dazu Friedrich,
M., Der Landtag als Berufsparlament?, Bad Wörishofen 1977,
S. 26. 20 Dagegen ist die generelle Klage von Johnson, N., Die Organisation der Operational Sections in zentralen Ministerien, in: Aktuelle Probleme der Ministerorganisation, Schriftenreihe der Hochschule Speyer, Bd. 48, S. 115ff, über den „Mangel an empirischem Material über die innere Struktur staatlicher Ministerien" (S. 115) und die Feststellung, „Untersuchungen sind bisher entweder überhaupt nicht durchgeführt worden, oder ihre Erkenntnisse sind in den meisten Fällen einer öffentlichen Diskussion und Auswertung nicht zugänglich" (ebd.) inzwischen überholt. 21 Luhmann, N., Reform des öffentlichen Dienstes, in: ders., Politische Planung. Aufsätze zur Soziologie von Politik und Verwaltung, Opladen 1971, S. 203ff. (232).
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senden 'Verfassungssoziologie' im Sinne von E. Fraenkel 22, die insbesondere auch die Handhabung der praeter constitutionem wirksamen Verfassungsnuancen empirisch einbezieht, begründet, noch ist dies heute der Fall. Auch die Entwicklung auf dem Wege einer umfangreichen Verwaltungswissenschaft ist keine hinreichende Todesursache. Wird doch gerade hier zu Recht Kritik an der methodisch getrennten Betrachtung von Organisation und Institution laut. 23 Die bereits erwähnte Untrennbarkeit von politisch-gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und staatsrechtlich zu bewertenden Entscheidungsstrukturen macht nach wie vor Bemühungen um eine umfassende Methodik der wissenschaftlichen Erkenntnis in diesem Bereich auch unter Einbeziehung des Instrumentariums anderer Disziplinen unabdingbar. Die hier vorgelegte Arbeit begibt sich deshalb nicht nur auf das wiederentdeckte Feld der wissenschaftlichen Erforschung des Gesetzgebungsprozesses durch die Staatsrechtslehre, 24 sondern auch auf den Pfad einer zumindest in der deutschen Staatsrechtslehre neuen und noch kaum gesicherten Methodik wissenschaftlicher Erkenntnissuche. So bedarf es der Erklärung, warum dem theoretischen Teil ein nahezu gleich umfangreicher historisch-empirisch beschreibender Teil vorangestellt wird. Dazu seien einige Sätze von J. C. Bluntschli zur Methodik des wissenschaftlichen Staatsrechts zitiert: „Alles Recht und alle Politik nämlich hat eine ideale Seite, einen sittlichen und geistigen Gehalt in sich, aber beide ruhen zugleich auf einem realen Boden, und haben auch eine leibliche Gestalt und Geltung. Die letztere Seite ist von der abstracten Ideologie verkannt und übersehen worden. Sie pflegt sich ein abgezogenes Statsprincip auszudenken, und daraus eine Reihe logischer Folgerungen zu ziehen, ohne Rücksicht auf den wirklichen Stat und dessen reale Verhältnisse ... Der Stat als ein sittlich organisches Wesen ist nicht ein Product der bloszen kalten Logik, und das Recht des States ist nicht eine Sammlung speculativer Sätze. Diese Methode fuhrt, wenn sie als wissenschaft22
Fraenkel, E., Deutschland und die westlichen Demokratien, Stuttgart 1964, S. 53.
23
Diese Methodenfrage spielt auch in der politischen Wissenschaft eine erhebliche Rolle, wobei sie sich auf die Entscheidung zwischen 'decisional approach' und 'systemic approach' zuspitzt. Sucht ersterer die Lösung vieler Probleme in der Untersuchung und theoretischen Erfassung des 'decision-making' innerhalb der Institutionen, geht letzterer von der überragenden Bedeutung der formalen Zuordnung von Funktionen aus und sucht ihr Zusammenwirken zu erfassen. Speziell auf die Notwendigkeit interdisziplinärer Zusammenarbeit von „Organisationsspezialisten, Juristen, Soziologen, Wirtschaftswissenschaftlern u. a." bei der Aufarbeitung und Lösung der Probleme der Ministerialbürokratie wies auch Herzog, R., auf einer Tagung der Hochschule Speyer hin. In: Organisation der Ministerien des Bundes und der Länder, Schriftenreihe der Hochschule Speyer, Bd. 52, Berlin 1973, S.9. 24 Schulze-Fielitz, weisen.
H., Theorie und Praxis parlamentarischer Gesetzgebung, mit weiteren Nach-
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liehe Untersuchung betrieben wird, leicht zu unfruchtbaren Resultaten ... Der entgegengesetzten Einseitigkeit macht sich die ausschlieszlich empirische Methode schuldig, indem sie sich blosz an die vorhandene äuszerliche Form, an den Buchstaben des Gesetzes oder an die thatsächlichen Erscheinungen hält... Sie gefährdet zwar selten die ganze Statsordnung, wie die ideologischen Gegenfuszler, aber sie setzt sich wie ein Rost in das blanke Schwert der Gerechtigkeit an ..." 25 Als einzig richtige Methodik der Staatswissenschaft sieht Bluntschli - und der Verfasser wagt es, sich mit ihm, in aller Unvollkommenheit eines solchen Versuches, auf diesen methodischen Weg zu begeben - die Verbindung der 'historischen Methode' und der 'philosophischen Methode'. 26 Unter ersterer ist im Unterschied zur rein empirischen Methodik zu verstehen, „dasz sie nicht blosz das gerade vorhandene Gesetz oder die vorhandenen Thatsachen gedankenlos und knechtisch verehrt, sondern den inneren Zusammenhang zwischen Vergangenheit und Gegenwart, die organische Entwicklung des Volkslebens ... erkennt, nachweist und beleuchtet."27 Dies bedeutet für die Methodik vorliegender Arbeit, daß der erste Teil den Empiriker enttäuschen wird, da es sich eben nicht um eine rein empirische Studie handelt, die Fakt an Fakt reiht, sondern mit der der Versuch gemacht werden soll, die organische Entwicklung eines Gesetzgebungsprozesses begreifund nachvollziehbar zu machen. Diese historische-beschreibende Methodik im Sinne Bluntschlis führt auch zu Passagen, die sicherlich sowohl in einer juristischen Studie als auch einer soziologisch-politologischen Arbeit nach herrschenden Maßstäben wissenschaftlicher Methodik schwer einzuordnen sind, sich jedoch methodisch über Bluntschli hinaus auch in die Methodik eines Bentham 28 oder Sinzheimer 29 einfügen und sich besonders auch in der Methodik des Staatsrechts des französisch-sprachigen Raumes, die weitgehend von den Arbeiten Burdeaus 30 geprägt wird, wiederfmden. Auch Burdeau verbindet wie Bluntschli mit der solcherart vorstehend beschriebenen historisch beschreibenden Methode wissenschaftlicher Erkenntnissuche die philosophische Methodik, die als Methode zu definieren ist, welche 25
Bluntschli, J. C., Allgemeine Staatslehre, 5. Aufl., Stuttgart 1875, S. 5ff.
26
Ebd., S.7ff.
27
Ebd., S.7f.
28
Bentham , J., The Theory of Legislation, London 1931
29
Sinzheimer, H., Theorie der Gesetzgebung. Die Idee der Evolution im Recht, Haarlem 1948
30
Burdeau, G., Traité de Science Politique, 3. Aufl., Paris 1981; vgl. auch Burdeau, G., Du droit à la science politique, JÖR 1984, S. 15Iff.
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nicht „blosz abstract speculiert, sondern concret denkt und eben darum Idee und Realität verbindet." 3 1 Diesem Anspruch zu genügen, w i r d besonders i m T e i l I I der hier vorgelegten Studie versucht. In beiden Teilen der Arbeit w i r d es unternommen, den A n spruch einer Verbindung historisch-beschreibender Methodik mit der philosophischen Methodik i. S. der Genannten fruchtbar zu machen. 3 2
31 Bluntschli , J. C., S. 8; vgl. auch Burdeau , G., Du droit à la science politique, S. 164f.: „II y a dans cette assimilation du droit à un ordre statique un contresens énorme. Certes, le droit est bien lafigure d'un ordre mais il est aussi l'instrument le plus efficace du mouvement... C'est cette crise d'identité que reflète le désarroi actuel des Facultés de droit déchirées entre le souci d'enseigner les règles du droit et la nécessité d'etre perméables aux impératifs de la politique. C'est ce conflit à transcender l'opposition droit/politique en me réérant à l'analyse de la dialectique de l'ordre et du mouvement dont toute société est le résultat provisoire." 32 Vgl. auch Szirtes , R., Die Rechtswissenschaft - eine Kulturmacht. Zur Frage der gesellschaftlichen Vorbereitung der Gesetze, Hannover 1916, S. 38f.: „Die 'Entdeckung', daß die Rechtswissenschaft keine bloße Gesetzeskunde und Dogmenlehre, sondern eine 'Beobachtungswissenschaft' sei, hatte hauptsächlich in den ersten Zeiten die begeisterten, mannigfachen Vergleiche mit den Naturwissenschaften zur Folge ... Nach Vorbeigehen der Begeisterung des Anfanges muß es jedoch heute in unserer Methodik bereits außer Streit stehen, daß die Rechtswissenschaft eine Beobachtungswissenschaft sui generis ist, die sich die Methode ihrer Induktion selbständig ausbauen muß ... Nicht das Ziel, sondern der Stoff der betreffenden Wissenschaft bestimmt die Methode. Das Ziel jeder Beobachtungswissenschaft ist dasselbe: ihren Stoff zu erforschen, die Gesetzmäßigkeiten in den beobachteten Erscheinungen aufzufinden und diese aufgefundenen Gesetzmäßigkeiten ... als Mittel zu weiteren Beobachtungen und weiteren Forschungen zu benützen. Das ist das Ziel ebenso der Rechtswissenschaften, wie der Naturwissenschaften. Das Ziel ist also das ewige Forschen, denn die aufgefundenen Gesetzmäßigkeiten werden nicht als letztes Ziel, sondern bloß als Mittel betrachtet zu weiteren Forschungen. In dieser Grundauffassung liegt eigentlich der Schutz gegen den Dogmatismus".
To make formal rules and formal institutions the center of attention, and to ignore the way events, values and people affect them would distort the picture badly. L. M. Friedman
Teil I : Gesetzgebungsverfahren Die Empirie des Gesetzgebungsprozesses am Beispiel hessischer Hochschulgesetzgebung
I. Die Rahmenbedingungen hessischer Hochschulgesetzgebung 1. Die politischen Rahmenbedingungen hessischer Hochschulgesetzgebung a) Die bevorstehende Landtagswahl Neben dem Wahltermin der Landtagswahl, der eine politisch motivierte zeitliche Vorgabe bedeutete, gab es zeitlich unabhängige politische Rahmenbedingungen zu beachten, die allerdings von dem sich nähernden Wahltermin nicht vollkommen unbeeinflußt blieben. Nach dem Regierungswechsel in Hessen von Oswald zu Börner unter Fortsetzung der sozial-liberalen Koalition lag es im Interesse beider Koalitionsparteien, FDP und SPD, die Landespolitik nach einigen bundesweit beachteten Skandalen in ein ruhigeres Fahrwasser zu bringen. Bei allen Gesetzgebungsvorhaben der Koalition mußte deshalb darauf geachtet werden, daß diese keine vermeidbaren Konfliktpunkte boten. Daß eine solche Grundstimmung nicht dazu geeignet war, richtungsweisende Neuerungen in die Gesetzgebungsarbeit einzuführen, liegt auf der Hand. Ob allein dies der Grund war, daß konkret die Hochschulgesetze auf 'Neues' verzichteten, wird an anderer Stelle zu untersuchen sein. War diese auf Beruhigung der landespolitischen Szene bedachte Grunddevise der sozial-liberalen Koalition für alle Gesetzvorhaben gültig, so kam in der Hochschulpolitik eine weitere politische Rahmenbedingung hinzu. Die hessische Hochschulpolitik war durch den Vorgänger des damaligen Kultusministers Krollmann, unter dessen Verantwortung die neuen Gesetze geschaffen werden sollten, in starken Mißkredit geraten. Die Berechtigung der Kritik an dieser Politik des damaligen Kultusministers von Friedeburg, auf die einzugehen hier nicht die Stelle ist, wurde von breiten Kreisen der Sozialdemokratischen Partei in Hessen anerkannt. Lediglich die Mehrheit des kulturpolitischen Ausschusses der südhessischen Sozialdemokraten schien der 'Epoche Friedeburg' manch nostalgischen Gedanken zu widmen.
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I. Die Rahmenbedingungen hessischer Hochschulgesetzgebung
Eine der wesentlichen Grundbedingungen, unter denen der neue verantwortliche Minister angetreten war, bestand deshalb darin, soweit es ging, vorausgegangene Fehlentwicklungen im hochschulpolitischen Bereich zu korrigieren. Bedingt durch die Reformeuphorie seines Vorgängers und durch die Tatsache, daß in Hessen gerade vier Jahre vorher einschneidende neue Hochschulgesetze in Kraft getreten waren, mußte und wollte der neue Kultusminister in Übereinstimmung mit den verantwortlichen Koalitionspolitikern den Hochschulen so wenig wie möglich an Änderungen und neuer Unruhe zumuten. Auf der anderen Seite stand der politische Fakt, daß die Bevölkerung von den Verantwortlichen Gesetze erwartete, die sicherstellten, daß die Hochschulen in Hessen angesichts der proportional zum gesamten Landeshaushalt beträchtlichen Mittel, effektive Dienstleistungsbetriebe der Gesellschaft werden sollten. Die Schwierigkeit für die politisch Verantwortlichen bestand deshalb einmal darin, in der Gesellschaft, ja selbst in der eigenen Fraktion, für die ζ. T. berechtigten und verfassungsrechtlich abgesicherten Autonomieforderungen der Hochschulen33 zu werben, auf der anderen Seite jedoch deutlich zu machen, daß der Staat innerhalb der Hochschulen sich seines Einflusses nicht begeben wollte, ihn im Gegenteil auf Grund der immensen Investitionen zu verstärken beabsichtigte, um ein Mehr an tatsächlicher oder vermeintlicher Effektivität zu erreichen.
33
Hier sei besonders auf das Urteil des BVerG vom 29.5.73 (BVerfGE 35, S. 79ff.) verwiesen, daß eine wichtige Zäsur in der Diskussion um die institutionelle Garantie der Hochschulselbstverwaltung brachte. Zu der sich daran anschließenden lebhaften Diskussion vgl. Thieme, W., Grundprobleme des Hochschulrechts, Darmstadt 1978, S. 37ff. mit ausführlichen Nachweisen. Zu den grundsätzlichen gegensätzlichen Positionen Koettgen , Α., Das Grundrecht der deutschen Universität. Gedanken über die institutionelle Garantie wissenschaftlicher Hochschulen, Göttingen 1959 und Roellecke, G., Wissenschaftsfreiheit als institutionelle Garantie?, JZ 1969, S. 726ff. Ferner Koettgen , Α., Die Freiheit der Wissenschaft und die Selbstverwaltung der Universität, in: Neumann, F. L. / Nipperdey, H. C. / Scheuner, U. (Hg.), Die Grundrechte, Handbuch der Theorie und Praxis der Grundrechte, Berlin 1954, S. 29Iff.; Schmitt Glaeser, W., Die Freiheit der Forschung, WissR 1974, S. 106ff. und S. 177ff.; Rupp, Η. H., Die Universität zwischen Wissenschaftsfreiheit und Demokratisierung, JZ 1970, S. 165ff.; Knemeyer, F. L., Garantie der Wissenschaftsfreiheit und Hochschulreform, JZ 1969, S. 780ff.; Kaufmann, E., Wissenschaftsfreiheit und Mitbestimmung, JZ 1972, S. 45ff
1. Die politischen Rahmenbedingungen
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b) Der Termindruck Als weitere Rahmenbedingung konnte das Zeitmoment nicht außer acht bleiben. 3 4 Die terminlichen Vorgegebenheiten entsprangen der Notwendigkeit einer Anpassung der hessischen Hochschulgesetze innerhalb der v o m Hochschulrahmengesetz gesetzten Frist bis zum 26. Januar 1979. Hinzu kam die spezifische Besonderheit, daß i m Herbst 1978 Landtagswahlen anstanden, bei denen die regierende Koalition nach allen bis dato vorliegenden Prognosen ernsthaft mit der Möglichkeit rechnen mußte, sich nach dem Wahltag auf den Bänken der Opposition wiederzufinden.
So war es nicht verwunderlich, daß man den
Wahltermin von politisch verantwortlicher Seite genauso ernsthaft in die Planung einbeziehen mußte wie den gesetzlich fixierten Termin des Hochschulrahmengesetzes.
34 Das Zeitmoment ist offenbar inzwischen für die weitaus größte Zahl aller Verwaltungsvorgänge, gleich welchen Gewichts, besonders auf Ministerialbürokratieebene eine wesentliche Komponente geworden, dessen Bedeutung in ihrer Wirkung nicht hoch genug eingeschätzt werden kann. Insbesondere wird sie von den Handelnden als Rechtfertigung für viele Schwächen der Endentscheidung verantwortlich gemacht. Vgl. auch Luhmann, N., Die Knappheit der Zeit und die Vordringlichkeit des Befristeten, in: ders., Politische Planung, S. 143ff., der von der Zeitknappheit und dem Termindruck entsprechenden „Verzerrung der sachlichen Präferenzen als strukturbedingt und weithin typisch" spricht (S. 152). Vgl. dazu auch die Äußerungen von dem Ministerialrat in der Staatskanzlei des Landes Nordrhein-Westfalen, H. W. Scheerbarth, und dem Ministerialdirigenten im Bundeskanzleramt, H. Hegelau, auf der Speyerer Tagung, in: Aktuelle Probleme der Ministerialorganisation, Schriftenreihe der Hochschule Speyer, Bd. 48, Berlin 1971, S. 294ff. und 299f. Grauhan, R., Modelle politischer Verwaltungsführung, PVJ 1969, S. 269ff. bezweifelt mit Berufung auf Hamilton's Ausspruch „promptitude of decision is oftener an evil than a benefit" (The Federalist Papers, Nr. 70) die Notwendigkeit des ministerialen Termindrucks und spricht vom häufigen „scheinrationalen Zwang von völlig irrationalen Terminsetzungen (S. 283). Dem ist grundsätzlich voll zuzustimmen. Als Beispiel soll hier die Terminplanung zur Erstellung eines hessischen Hochschulentwicklungsplanes genannt werden. Hier wurden die beteiligten Referenten der Hochschulplanungsabteilung vom zuständigen Abteilungsleiter unter starken Zeitdruck gesetzt, nur weil dieser der Ressortspitze einen Zeitpunkt der Fertigstellung genannt hatte und diesen einhalten wollte und daneben auch der kleinere Koalitionspartner FDP, dem der Abteilungsleiter angehörte, von Zeit zu Zeit öffentlich nach der Fertigstellung des Planes fragte. Daß dann nicht entschieden daraufhingewiesen wird, daß solche Arbeiten Gründlichkeit und damit Zeit erfordern, schlägt unvermeidlich auf die Qualität und letztendlich auf den Ruf und die Glaubwürdigkeit der Ministerialverwaltung zurück. Im Fall der Hochschulgesetzgebung konnte der Termindruck demgegenüber rationaler aus den genannten Gründen erklärt werden. Jedoch bleibt zumindest hier die Frage, warum die Vorbereitungsarbeiten nicht viel früher begonnen wurden?
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I. Die Rahmenbedingungen hessischer Hochschulgesetzgebung Letzterer spielte insofern eine große Rolle, da man sich bei allen zeitlichen
Überlegungen bewußt war, daß bei einem Regierungswechsel dieser T e r m i n v o n der neuen Regierung nicht würde eingehalten werden können.
Dieser
staatspolitische Aspekt, daß man verhindern wollte, daß ein L a n d den v o n einem Bundesgesetz vorgeschriebenen Termin, aus welchen Gründen auch immer, nicht e i n h i e l t , 3 5 spielte eine entscheidende R o l l e . 3 6 I m Vergleich dazu hatte das L a n d Nordrhein-Westfalen weniger Skrupel, dort war die Anpassungsgesetzgebung auch nach A b l a u f des i m H R G vorgesehenen Termins noch nicht abgeschlossen.
35 Dabei ist davon auszugehen, daß der Bund mittels der Rahmengesetzgebung keinem Land die Pflicht zum Erlaß ausfüllender Landesgesetze auferlegen kann. Die Rahmengesetzgebung bedeutet grundsätzlich nur, daß die Länder sich im vorgegebenen Rahmen halten, falls sie ein ausfüllendes Gesetz verabschieden. So auch Maunz, Th. / Dürig, G. / Herzog, R. u. a., Grundgesetz. Kommentar, München, Stand Juni 1978, Art. 75, Randnr. 18. Allerdings sind die Länder verpflichtet, bestehende Gesetze, die dem neu gesetzten Rahmen widersprechen, in der im Rahmengesetz vorgesehenen Frist anzupassen. 36
Daß in der Frage, ob eine Anpassung der Ländergesetze an das HRG verfassungsrechtlich unausweichlich war, erhebliche Unsicherheit, besonders bei den Studenten herrschte, zeigt der Bericht der FR vom 24. November 1977 'Spielraum bedroht. Streik gegen Hochschulgesetze in der nächsten Woche?' über eine Vollversammlung der Studenten an der Universität Frankfurt, in dem es heißt, daß nach Auffassung der Studenten der hessische Kultusminister H. Krollmann, den ihm durch das HRG verbleibenden Spielraum schon dadurch nicht voll ausgeschöpft habe, indem „er überhaupt Anpassungsgesetze vorgelegt hat".
2. Die verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen
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2. Die verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen a) Die Gesetzgebungskompetenz in der hessischen Verfassung Wie in allen vergleichbaren Verfassungen der Welt, nimmt der Abschnitt über die Gesetzgebung vom äußeren Umfang her einen verschwindend geringen Teil des geschriebenen Verfassungstextes ein. Von den 160 Artikeln der hessischen Verfassung im hier behandelten Zeitraum sind gerade neun in dem VI. Abschnitt, der die Überschrift 'Die Gesetzgebung' trägt, enthalten. Wenn man berücksichtigt, daß sich einige Artikel daran mit technischen Formalien (Art. 120; Art. 122) oder aber mit der Feststellung des Ausnahmezustandes (Art. 125) befassen, dann verstärkt sich der Eindruck, daß auch der hessische Verfassungsgeber - wie die meisten anderen auch - die Gesetzgebung einer ins einzelne gehenden verfassungsrechtlichen Regelung nicht öffnete. Dies ist um so überraschender, da manch andere, meist weniger wichtige Bereiche sehr viel ausfuhrlicher in den Verfassungen geregelt werden. Die Gründe, warum die Verfassungsgeber diese Zurückhaltung gegenüber der zentralen Aufgabe der Gesetzgebung üben, können lediglich mehr oder weniger spekulativ vermutet werden. Mit Sicherheit kann das Argument ausgeschlossen werden, daß der Verfassungsgeber sich der Bedeutung der Gesetzgebungskompetenz nicht immer voll bewußt sei. Weit weniger sicher muß die Zurückweisung des Arguments ausfallen, daß der Verfassungsgeber in der Gesetzgebung lediglich institutionelle Grundstrukturen festlegen wollte, um der Vielfalt der politischen Praxis ein nicht zu enges verfassungsrechtlich normiertes Korsett aufzuzwingen. Der Wahrheit am nächsten erscheint mir jedoch der Gedanke zu sein, der darauf hinausläuft, daß der Verfassungsgeber es aus demokratisch überkommener Tradition für eine Selbstverständlichkeit hielt, daß alle Gewalt vom Volke ausgeht und entweder dieses selbst oder dessen vom Volk gewählte Vertreter - das Parlament - die Gesetzgebungskompetenz hat und darüber nicht viele Worte zu verlieren sind. Gerechtfertigt sah er sich dadurch, daß formal stets das Parlament die Gesetze verabschiedet. Unterschätzt wird dabei der gesamte Komplex, der Gesetzen vorbereitend vorausgeht. Daß dieser Bereich durchaus regelungsbedürftig ist, zeigen die Geschäftsordnungen der Exekutive und deren zumeist nicht einmal veröffentlichte intraministerielle Richtlinien zum Gesetzgebungsprozeß, aber auch die Geschäftsordnungen der Legislative. Mit sparsamen Worten legt die hessische Verfassung fest, daß die Gesetzgebung in Hessen 'durch das Volk im Wege des Volksentscheids' und 'durch den Landtag' ausgeübt wird. In dieser Gesetzgebungskompetenz kann der Landtag lediglich durch die direkte Teilnahme des Volkes im Wege des Volksentschei-
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I. Die Rahmenbedingungen hessischer Hochschulgesetzgebung
des und durch das Veto der Landesregierung eingeschränkt werden. Muß er sich bei ersterem letztlich seiner autonomen Gesetzgebungskompetenz begeben, kann das Veto der Landesregierung mit mehr als der Hälfte der gesetzlichen Zahl der Mitglieder des Landtages überstimmt werden. Es ist inzwischen allgemein anerkannt, daß die Zuweisung der Gesetzgebungskompetenz an die Parlamente in der Verfassungspraxis weitgehend materiell ausgehöhlt worden ist. Andere institutionalisierte Organe und besonders auch nichtinstitutionalisierte Kräfte haben einen Stellenwert in der Gesetzgebung bekommen, der dem Wortlaut der Verfassung nicht entspricht. Mit der verfassungsrechtlichen Zuweisung der Gesetzgebungskompetenz ist noch nichts über die Ausgestaltung des Gesetzgebungsprozesses im parlamentarischen Raum gesagt. Um die positivrechtliche Seite der Gesetzgebungskompetenz des hessischen Landtages zu beschreiben, ist deshalb auch seine Geschäftsordnung von erheblicher Bedeutung. b) Die Vorgaben durch das Hochschulrahmengesetz Die Bedingungen, unter denen die Hochschulgesetze der Länder verändert werden mußten, waren durch das Hochschulrahmengesetz des Bundes vom 26. Januar 1976 vorgegeben. 37 Dieses war ein schwer zustande gekommener Kompromiß zwischen allen politischen im Bundestag vertretenen Parteien. 38 Ein Kompromiß, der notwendig geworden war, da das Hochschulrahmengesetz als zustimmungsbedürftiges Gesetz nicht ohne die Zustimmung der CDU-CSUMehrheit im Bundesrat zustande gekommen wäre. Der Kompromißcharakter dieses Gesetzes sollte noch eine wesentliche Rolle bei der Anpassung in den einzelnen Ländern spielen. Hatte doch hierdurch jeder verantwortliche Minister ein viel genutztes Argumentationsreservoir zur Hand, um Gegner seiner Anpassungsgesetze ziemlich hilflos zu machen. Den grundsätzlichen politischen Gegnern im Landesparlament konnte er vorhalten, daß er im Grunde genommen nur das ausführe, was deren politische Freunde in Bonn mit ausgehandelt hätten.39 Den grundsätzlichen Gegnern der Gesetzgebung außerhalb des Parlaments, ζ. B. den Studenten, konnte vorgehalten werden, daß
37
Abgedruckt in BGBl I, 1976, S. 185.
38
Vgl. Martin, B., Überlegungen zum Hochschulrahmengesetz des Bundes, DUZ 69, Juli-Heft,
S. Iff. 39 So warf Kultusminister H. Krollmann während der Beratungen zum Gesetzentwurf der CDU-Opposition zur Neuordnung der hessischen Fachhochschulen der Opposition vor, nicht einmal mehr den 4 Minimalkonsens' mittragen zu wollen, der in Bonn bei Verabschiedung des HRG zwischen den Regierungsparteien und der CDU/CSU in Bundestag und Bundesrat ausgehandelt worden sei. Vgl. Bericht der FR vom 28.4.1978.
2. Die verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen
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jede K r i t i k au fond zu spät käme, da hier nur pflichtgemäß die Landesgesetzgebung an ein bereits bestehendes Bundesgesetz angepaßt werde, und deshalb so gut wie kein Spielraum mehr bestehe. 40 Diese Argumentation verunsicherte nicht nur die grundsätzlichen inner- und außerparlamentarischen Gegner der Anpassungsgesetzgebung, sondern verfehlte auch ihre Wirkung nicht, wenn es um Einzelheiten der Anpassungsgesetzgebung ging. 4 1 Es war für alle verantwortlichen Ressortchefs ziemlich einfach, sich auch bei Detailfragen auf die Position des non liquet mit Verweis auf die Rahmengesetzgebung zurückzuziehen. N i c h t nur für sie war ein solcher Hinweis ein beliebter Rettungsanker, sondern auch die Referenten in den einzelnen Ministerien untereinander und gegenüber dem Ressortchef zögerten nicht, ihre Meinung als einzige mit dem Rahmengesetz zu vereinbarende hinzustellen.
40 Auf diese Argumentation zog sich der Minister schon in seiner ersten Diskussionsveranstaltung mit Hochschulangehörigen in der Fachhochschule Frankfurt vom 10.11.1978 zurück als er deutlich machte, daß es „nicht die geringste politische Chance" gebe, das HRG im Bundestag oder Bundesrat zu ändern. Die FNP vom 11.11.1978 berichtete über diese Veranstaltung: „Mit seinen Statements zur Verfaßten Studentenschaft, dem Ordnungsrecht, der Mitbestimmung und den Regelstudienzeiten fand er beim Publikum in der überfüllten Aula wenig Gegenliebe. Immer wieder zog er sich darauf zurück, daß im HRG bestimmte Regelungen vorgesehen seien, die das hessische Hochschulrecht entsprechend ausfüllen müsse " Auf einer Veranstaltung in der Universität Marburg erklärte der Minister, die jetzige Fassung des HRG sei ein schwer erkämpfter Kompromiß mit dem er auch „nicht hundertprozentig einverstanden" sei, eine weitere Initiative im Bundestag hätte aber keine weiteren Folgen als eine Verschärfung der Bestimmungen. Vgl. Bericht der OP vom 12.11.1977, 'Minister verteidigt Ordnungsrecht'; vgl. auch H. Krollmann, 'Auf dem Schlachtfeld ist der Gegner längst nicht mehr', in: FR vom 25.11.1977: „Wir müssen von der Tatsache ausgehen, daß uns das HRG den Rahmen setzt und daß alle, die gegen unsere Entwürfe kämpfen, aber das HRG meinen, auf einem Schlachtfeld kämpfen, das der Gegner schon längst verlassen hat. Gleich wie man zum HRG steht: es nutzt nichts, zu lamentieren." Daß diese Argumentation nicht auf Hessen beschränkt war, zeigt der Bericht der FAZ vom 25.11.1977 'Hochschul-Proteste an die falsche Adresse' über die HRG-Anpassungsgesetzgebung in Rheinland-Pfalz. Dort heißt es: „Die Kritik der Studenten richtet sich an die falsche Adresse. In keinem Kernpunkt - Regelstudienzeit, Ordnungsrecht, Mitbestimmung - geht der Gesetzentwurf über die bindenden Vorschriften des Hochschulrahmengesetzes oder des Bundesverfassungsgerichts im Sinne einer Verschärfung hinaus." 41
Daß der durch das HRG gelassene Spielraum in der Tat außerordentlich begrenzt war, wurde allgemein anerkannt. So betonten auf der genannten Veranstaltung (FN 38) auch die Landtagsabgeordneten W. Heyn (SPD) und E. Weghorn (FDP) den engen Spielraum. Fachhochschuldirektor Uthoff sprach „von der Unausweichlichkeit des neuen Hochschulrechts". Vgl. Bericht der FNP vom 11.11.1978. Daß diese 'Unausweichlichkeit' auch von der öffentlichen Meinung so gesehen wurde, erhellt der Satz in dem Bericht der FNP: „Fazit des Nachmittags in der Demokratischen Gegenhochschule" - so nennen Fachschul-AstA und BdWi ihre Veranstaltungsreihe - „Es ist später als sie glauben"! 3 Mengel
I. Die Rahmenbedingungen hessischer Hochschulgesetzgebung
20
c) Die Stellung der Betroffenen und Verbände auf Landesebene bei Anpassungsgesetzen an die Rahmengesetzgebung des Bundes Die im vorangegangenen Kapitel beschriebenen Fakten sind deshalb erwähnens- und bedenkenswert, weil sie typisch die Situation der Landesgesetzgebung unter der Rahmengesetzgebung des Bundes widerspiegeln. 42 Im Grunde genommen höhlt solche Rahmengesetzgebung nicht nur auf lange Sicht gesehen die Länderkompetenz weiter aus - dies ist eine in der Diskussion viel besprochene Tatsache43 -, sondern, und dies ist bisher, soweit ersichtlich, wenig beachtet worden, sie verwischt auch im Gesetzgebungsverfahren auf Landesebene in schwerwiegender Weise die Verantwortlichkeit. 44 In der Tat ist es schwer einsehbar für die Betroffenen, daß man sie zur Stellungnahme zu einem Landesgesetz auffordert, jedoch von vornherein feststeht, daß wichtige Teile dieses Gesetzes überhaupt nicht mehr zur Disposition stehen. Welche Teile dies sind, mußten die zur Stellungnahme Berechtigten selbst herausfinden, was bei der zur Verfugung stehenden Zeit Probleme mit sich brachte. Die Einschränkung der landesgesetzgeberischen Dispositionsfreiheit wäre für die zur Stellungnahme bei Landesgesetzen berechtigten Verbände und Institutionen oder für die Betroffenen dann noch vertretbar, wenn sie die Möglichkeit gehabt hätten, bei der Rahmengesetzgebung mitzuwirken. Dies ist jedoch in den meisten Fällen nur mittelbar, teilweise überhaupt nicht möglich.
42
Vgl. dazu Kuckuck, G., Probleme des Vollzugs von Rahmengesetzen, DÖV 1978, S. 354ff.; Beyer, W. R., Das Wesen der Rahmenvorschriftsgesetzgebung, NJW 1957, S. 348ff.; Weber, W., Erfordernisse der Rahmengesetze, DÖV 1954, S. 417ff.; Thiele, W., Zur Problematik der Rahmengesetzgebung. Ihr Inhalt und ihre Ausübung, Jur. Diss., Münster 1962; Maunz, Th., Rahmengesetze des Bundes, BayVBl 1955, S. 2ff; Bettermann, K. A. / Goessl, M., Schulgliederung, Lehrerbesoldung in der bundesstaatlichen Ordnung. Zugleich ein Beitrag zur Rahmenkompetenz des Bundes und zu Konflikten zwischen Bundes- und Landeskompetenzen, Berlin 1963; Müller, K., Zur Problematik der Rahmenvorschriften nach dem Grundgesetz, DÖV 1964, S. 332ff.; Schröder, G., Die Rahmengesetzgebung. Ein Prüfstein innerstaatlicher Rechtsbeziehungen, RiA 1955, S. 21ff.; Bruns, H. J., Erweiterte Rahmengesetzgebungsbefugnisse für den Bund?, ZBR 1957, S 155ff; Brenken, G., Revisibilitätsbestimmungen und Rahmenkompetenz, DVB1 1959, S. 409f.; Erbguth, W., Bundesstaatliche Kompetenzverteilung im Bereich der Gesetzgebung, in: DVB1 1988, S. 317ff.; Schneider, T., Die Rahmengesetzgebungskompetenz des Bundes, Diss. Kiel 1994. 43 Kritisch zur Rahmengesetzgebung auch Lerche, P., Aktuelleföderalistische Verfassungsfragen, München 1968, S. 23f.; Friedrich, M., Landesparlamente in der Bundesrepublik, Opladen 1975, S. 64; a. Mg. Hesse, K., Aspekte des kooperativen Föderalismus in der Bundesrepublik, FS fur G. Müller, Tübingen 1970, S. 156; vgl. zur Diskussion im Rahmen der Verfassungsreform Rybak, H., Verteilung der Gesetzgebungsrechte zwischen Bund und Ländern nach der Reform des Grundgesetzes, in: Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht 1995, S. 230ff.; Karpen, U., Verfassungsänderung und Föderalismus, in: Zeitschrift für Gesetzgebung 1995, S. 356ff. 44 Friedrich, M., Zur Lage und Entwicklung der Parlamentskontrolle in den Bundesländern der Bundesrepublik, in: Landesparlamente in der Bundesrepublik, Opladen 1975, S. 1 Iff., bringt weitere Beispiele für „das weite Ausmaß einer faktischen Freistellung der Landesregierung von der Möglichkeit des politischen Einklagens ihrer Verantwortlichkeit" (S. 34f.).
2. Die verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen
21
So konnten die hessischen Hochschulen sich zwar mittelbar in Bonn während des Gesetzgebungsprozesses zur Hochschulrahmengesetzgebung45 vertreten fühlen, indem dort die Repräsentanten der westdeutschen Rektorenkonferenz gehört wurden, oder auch die hessischen Studenten konnten sich in dieser Form durch ihre Vertreter beteiligt fühlen. Die Problematik in dieser mittelbaren Beteiligung liegt jedoch darin, daß eben kein Vertreter hessischer Studenten oder Hochschulen durch sein direktes Votum Einfluß auf die weichenstellende Gesetzgebung nehmen konnte. Der Wert solcher mittelbarer Einflußnahme hängt deshalb von zwei Komponenten ab, einmal von der Willensbildung innerhalb der bundesweit organisierten Interessenverbände, und zum anderen von dem Bewußtsein der Betroffenheit, welches die Unterorganisationen auf Länderebene im konkreten Fall entwickeln. Je stärker die Willensbildung in den Verbänden, die bei einem Rahmengesetz in Bonn gehört werden, demokratisiert ist, desto größer ist die Chance, daß auch die Betroffenen auf Länderebene schon in den Hearings zum Rahmengesetz ihre Argumente vertreten sehen, und nicht erst bei der Stellungnahme zu den Anpassungs- bzw. Ausführungsgesetzen auf Landesebene ihr Votum abgeben können. Je stärker der Bewußtseinsstand der Betroffenheit auch schon bei Rahmengesetzen ist, desto intensiver wird man sich auch auf Landesebene mit der Problematik des Rahmengesetzes beschäftigen. Nur wenn beide Komponenten optimal zusammentreffen, ist die Problematik der Rahmengesetze für die zur Stellungnahme im Landesgesetzgebungsprozeß berechtigten Verbände und Betroffenen in vertretbarer Weise entschärft. Jedoch wird dies in den seltensten Fällen möglich sein. Oft wird nur ein 'öffentlichkeitsträchtiges' Rahmengesetzgebungsvorhaben die Länderbasis der Organisationen und der später Betroffenen den erforderlichen 'Bewußtseinsstand' schon bei dem Rahmengesetzgebungsprozeß entwickeln lassen. Nur dieser ermöglicht es, auf die Willensbildung auch des demokratisch organisier-
45
Speziell zur Rahmengesetzgebung auf dem Hochschulsektor vgl. Kuhn, G., Die Rahmenkompetenz des Bundes für das Hochschulwesen, DVB1 1969, S. 727ff.; Kölble, J., Bildungs- und Forschungsförderung als Aufgabe von Bund und Ländern, DÖV 1964, S. 76ff. und 592ff.; Lüthje, J., Die Gesetzgebungskompetenz des Bundes im Hochschulwesen, DÖV 1973, S. 545ff.; Maunz, Th., Die Abgrenzung des Kulturbereichs zwischen dem Bund und Ländern, FS G. Müller, Tübingen 1970, S. 257fT.; ders., Das Hochschulrahmengesetz des Bundes, BayVBl 1976, S. 289ff; Hall, K.-H., Hochschulrahmengesetz und Landeshochschulrecht, in: Birk, H. J. / Dittmann, A. / Erhardt, M. (Hg.), Kulturverwaltungsrecht im Wandel. Festschrift für Th. Oppermann, Stuttgart / München / Hannover 1981, S. 15ff. Vgl. zur Diskussion im Rahmen der Verfassungsreform Karpen, U., Die gescheiterte Reform des Art. 75 Nr. la GG. Ist ein Schritt in die hochschulpolitische Kleinstaaterei verhindert worden?, in: Recht der Jugend und des Bildungswesens 1994, S. 456ff.
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I. Die Rahmenbedingungen hessischer Hochschulgesetzgebung
ten Bundesverbandes effektiv Einfluß zu nehmen. In der Regel ist bei weniger publikumswirksamen Rahmengesetzen als das der Hochschulgesetzgebung das Bewußtsein der Betroffenheit auf Landesebene noch geringer, so daß man erst 'aufwachen' wird, wenn die Anpassungs- oder Ausführungsgesetzgebung die Landesebene erreicht. Selbst bei einem solch wichtigen von zahlreichen Presseberichten begleiteten Rahmengesetz zur Hochschulgesetzgebung war der Bewußtseinsstand von unmittelbarer Betroffenheit und dementsprechend auch das Einflußinteresse der Länderebene vergleichsweise gering, wenn man sich als Gradmesser an dem Mobilisationsgrad der Studentenschaft und der Konferenz hessischer Universitätspräsidenten orientiert. Auch der Mobilisierungsgrad der Studenten auf Landesebene war verschwindend gering, wenn man bedenkt, daß später, als es in die Anpassungsgesetzgebungsphase ging, nach offizieller Schätzung des hessischen Kultusministeriums rund 13.000 Studenten allein an den Veranstaltungen mit dem verantwortlichen Minister teilnahmen, während vorher, als es um die weichenstellende Rahmengesetzgebung ging, entsprechende Öffentlichkeitsaktionen kaum Resonanz fanden. Aber auch der umgekehrte Fall, daß der Mobilisierungsgrad bei der Rahmengesetzgebung und auch das Interesse der Öffentlichkeit groß sind, sich aber dann bei der Länderanpassungsgesetzgebung erschöpft haben, kann eintreten und ist dann nicht minder problematisch. 46 Ist die Rahmengesetzgebung schon vom Standpunkt derjenigen betroffenen oder interessierten Verbände, die immerhin auf dem beschriebenen Wege mittelbar beteiligt sind, problematisch, so ergeben sich noch tiefer greifende Bedenken aus der Sicht derer, die nicht einmal mittelbar an der Rahmengesetzgebung beteiligt sind. Die Gründe für den völligen Ausschluß auch einer mittelbaren Beteiligung mögen vielfältig sein. Sei es, daß sich der betreffende Verband
46 Auf diese Gefahr verwies der Frankfurter Universitätspräsident und Präsident der KHU H.-J. Krupp, Nach der Enttäuschung droht nun die Verbürokratisierung. Eine Antwort auf die hessischen Hochschulentwürfe aus der Sicht der Universitätspräsidenten, in: FR vom 25.11.1977: „1976 verabschiedete der Deutsche Bundestag das HRG. Damit wurde der Schlußstrich unter eine jahrelange bildungspolitische Diskussion gezogen, an der zum Schluß die breite Öffentlichkeit kaum noch Interesse hatte ... Die Situation, in der die gegenwärtige Anpassungsdiskussion stattfindet, hat sich für die Hochschulen nicht verbessert: Das öffentliche Desinteresse ist geblieben ... Eine vom Desinteresse der Öffentlichkeit wie der Betroffenen geprägte Situation ist eine große Versuchung für den die Gesetze verantwortenden Kultusminister. Er kann mehr oder minder unbemerkt, wie es am Beispiel Baden-Württemberg gerade vorgeführt wurde, die Kompetenzen von den autonomen Hochschulen auf den Kultusminister verlagern, ohne für ihn gefährliche Reaktionen der Öffentlichkeit fürchten zu müssen."
2. Die verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen
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erst später konstituiert hat, sei es, daß er keine Bundesorganisation besitzt. Diese Gruppen, die dann zur Stellungnahme zur anpassenden Landesgesetzgebung aufgefordert werden, finden tatsächlich faits accomplis vor, die sie weder mittelbar beeinflussen konnten, noch im nachhinein verändern können. Für sie stellt sich die Frage der Rahmengesetzgebung des Bundes im Lichte ihrer Betroffenheit noch düsterer dar als bei den übrigen Verbänden.
II. Der intraministerielle Prozeß der Gesetzgebung 1. Die vorbereitenden Arbeiten in der Ministerialbürokratie a) Organisatorische Zentralfragen Für die Ministerialbürokratie 47 bedeutet die Erarbeitung eines umfangreichen Gesetzentwurfs eine nicht unerhebliche Belastung. Dies insbesondere dann, wenn die Rahmenbedingungen dergestalt sind, daß sowohl jede Phase der Arbeit von einer interessierten Öffentlichkeit genau beobachtet und kritisch begleitet wird, als auch die gesamte Arbeit unter erheblichem Zeitdruck steht. Insbesondere bei der Beurteilung der Gesetzgebungsarbeit ist zu berücksichtigen, daß die mit konkreten Entwürfen befaßten Beamten in der normalen Ministerialbürokratie sehr oft nicht freigestellt werden, sondern weiterhin ihre Referate vollverantwortlich betreuen müssen. Allein daraus ergibt sich manche Erklärungsmöglichkeit für Unzulänglichkeiten oder eine lange Erarbeitungsdauer von Gesetzgebungsentwürfen. Es gibt eben keine 'Einsatzreserve' in den Ministerien, die von Fall zu Fall besondere Aufgaben wahrnehmen könnte. Jede Verwaltung ist ohnehin daran interessiert und in ihrer Struktur auch darauf angelegt, ihre Arbeit im stillen außerhalb des Rampenlichts der Öffentlichkeit zu machen. Dies gilt auch für Gesetzgebungs-, Verordnungs- und Planungsprozesse. Unter normalen Umständen, die in der Regel für die Ministerialbürokratie dann gegeben sind, wenn in Arbeit befindliche Gesetzgebungsentwürfe kein besonderes Interesse der Öffentlichkeit erregen, kann der zuständige Referent seine in oft jahrelanger Vorarbeit entwickelten Vorstellungen zu Papier bringen. Ein langer, schrittweiser, sich auf die endgültigen Formulierungen vortastender Abstimmungsprozeß mit den mitzeichnenden Kollegen, mit den interessierten Fachleuten der Parteien und mit den Sachverständigen ist hier die Regel. Der oder die zuständigen Referenten brauchen nicht zu fürchten, daß sie am Morgen
47 Speziell zur Ministerialbürokratie der Kultusverwaltung vgl. Wäschle, K. / Bergold, H., Die Organisation der Kultusverwaltung in Baden-Württemberg, Baden-Württembergisches Verwaltungsblatt, Landesbeilage von: Die öffentliche Verwaltung, 11. Jg., 1966, S. 81ff; Wäschle, K., Rationalisierung der Haushaltsarbeit im Kultusministerium Baden-Württemberg, in: MorsteinMarx, F. (Hg.), Gegenwartsaufgaben der öffentlichen Verwaltung, Köln / Berlin / Bonn u. a. 1968, S. 107fT.
1. Die vorbereitenden Arbeiten in der Ministerialbürokratie
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die Zeitung aufschlagen und einen heftigen Angriff auf geplante Regelungen finden. Ihre Arbeit findet unter keinem extrem erhöhten Verantwortungsdruck statt. Auch das zeitliche Moment spielt in der Regel bei 'normalen' Gesetzgebungsprozessen keine dominante Rolle. Zwar wird ein verantwortlicher Minister seinem Apparat immer zeitliche Vorgaben machen, jedoch findet dabei ein vernünftiger Austausch zwischen Beamtenschaft und der Spitze des Hauses auch hinsichtlich der zeitlichen Bedingungen statt, so daß der Verantwortungsdruck fur den einzelnen Referenten nicht über die Maßen erhöht wird. Anders sieht die Situation für die Ministerialbürokratie aus, wenn sich der zu erarbeitende Entwurf im Blickpunkt der Öffentlichkeit findet und dazu noch unter erheblichem Zeitdruck fertiggestellt werden muß. Ersteres veranlaßt den zuständigen Beamten, sich bei jedem Schritt, den er unternimmt, rückzuversichern, Kollegen mitzeichnen zu lassen und so oft wie nur möglich sich solche Rückversicherung bei seinem unmittelbaren Vorgesetzten zu holen. Da dieser unter ähnlichem Verantwortungsdruck steht, sucht er, wenn er Referatsgruppenleiter ist, die für seine Entlastung förderliche Zustimmung bei dem Abteilungsleiter und dieser wiederum bei der Spitze des Hauses, dem Staatssekretär oder dem Minister selbst. Insbesondere das Mitzeichnungsverfahren, 48 in dem die Mitzeichnenden „als Verwalter ihre oft sehr spezifischen und eng begrenzten Referatsinteressen in erster Linie berücksichtigen und weniger als autonome Problemloser auftreten, so daß eine Einigung regelmäßig nur 'auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner' stattfindet und keine gemeinsame integrierte Problemlösung erfolgt", 49 macht für besondere Aufgaben eine andere Organisationsstruktur unausweichlich. Aus diesem Grund wird in der Regel in solchen Fällen eine Projektgruppe innerhalb des Ministeriums gebildet. Diese besteht aus einer Anzahl von Beamten, die aufgrund des Geschäftsverteilungsplanes mit der zu regelnden Materie im Rahmen ihrer Referate befaßt sind. Durch die Zusammenfassung ihrer Arbeitskapazität und des vorhandenen Sachverstandes ergeben sich eine Reihe 48 Zum Zeichnungsrecht vgl. ausführlich Höhn, R., Verwaltung heute. Autoritäre Führung oder modernes Management, Bad Harzburg 1970, S. 377ff; kritisch zur Praxis Thieme, W., Verwaltungslehre, Köln / Berlin / Bonn u. a. 1967, Rdz. 981. Zur Reform des Zeichnungsrechts vgl. Morell, P., Was kostet die Verwaltung - was darf sie kosten?, Bad Harzburg 1973, S. 36ff. und 76f. 49 Baars, Β. Α., Strukturmodelle für die öffentliche Verwaltung. Eine Untersuchung der Hierarchie und ihrer wesentlichen Strukturvarianten unter besonderer Berücksichtigung der Ministerialverwaltung, Schriften zur Verwaltungslehre, H. 13 Ministerialverwaltung, Köln / Berlin / Bonn u. a. 1973, S. 59. So auch Lepper, M., Teams in der öffentlichen Verwaltung, in: Die Verwaltung 1972, S. 14Iff.
II. Der intraministerielle Prozeß der Gesetzgebung
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von Vorteilen. So wird der einzelne Beamte von der Verantwortung relativ entlastet. Die Gruppe steht gegenüber der Spitze des Ministeriums in gemeinsamer Verantwortung für ihre Arbeit, und nicht der einzelne Beamte gegenüber seinem unmittelbaren Vorgesetzten. Insofern entfällt der mühsame Rückversicherungsprozeß. b) Grundsätzliche Probleme der Projektgruppenarbeit In der wissenschaftlichen Literatur 50 überwiegt weitgehend die positive Beurteilung der Projektgruppe als inzwischen nicht mehr fremdkörperartige Institution auf Zeit oder auf Dauer innerhalb einer Bürokratie. So wird die „Addition der Kräfte, um eine größere Sachgerechtigkeit zu erreichen" 51 genauso hervorgehoben wie die Tatsache, daß in einem Kollegium in der Regel jeder mit jedem reden kann und „eine unmittelbare Auseinandersetzung, d. h. eine intensive Beratung möglich" ist, 52 sachgerechtere Entscheidungen zu erwarten sind, da „die Kollegialität ... größere Gründlichkeit der Erwägungen der Verwaltung" gewährleiste. 53 Β. A. Baars faßt die Vorteile in drei Thesen zusammen: - Die Zusammenfassung und Zusammenarbeit vieler, für die jeweilige Aufgabe fachlich qualifizierter Verwaltungsangehöriger aus verschiedenen Teilen der Organisation in einer Projektgruppe ermöglichen eine qualitativ und quantitativ verbesserrte Informationsberatung und daher eine sowohl inhaltlich und methodisch bessere als auch schnellere Problemlösung. - Die formale Weisungsfreiheit sowie subjektive Unabhängigkeit der Gruppenmitglieder von ihren 'Muttereinheiten' im Rahmen der Gruppenarbeit begünstigen eine von einseitigen fachlichen Gesichtspunkten oder/und partikularen Interessen freiere Informationsverarbeitung und Problemlösung. Sie erhöhen zudem die Bereitschaft für risikoreichere und innovative Entscheidungen, die verfestigte Interessen und/oder die Existenz bestehender organisatorischer Einheiten infrage stellen können. Diese positive Funktion von Projektgruppen macht diese auch zum geeigneten Instrument der Führung, wenn und soweit diese eigene Entscheidungsprogramme ohne die restriktiven Vorbehalte des 'Apparats' entwickeln lassen will. 50 Vgl. Horton, W. F., Organisation and Management Techniques in the Federal Gouvernment, in: Adv Mgmt 1970, S. 66ff. (S. 67 und 72); Baars , Β. Α., S. 59ff.; Lepper, M., Die Verwaltung, S. 150f.; AWV-Fachbericht, Teamarbeit im Verwaltungsbereich, Nr. 9, Frankfurt 1970, S. 14. 51 Prior, H., Die interministeriellen Ausschüsse der Bundesministerien. Eine Untersuchung zum Problem der Koordinierung heutiger Regierungsarbeit, Stuttgart 1968, S. 59. 52
Eschenburg, Th., Worauf gründen sich die Entscheidungen?, in: ders., Die politische Verantwortung der Nichtpolitiker, München 1964, S. 42ff. 53
Weber, M., Wirtschaft und Gesellschaft, Köln / Berlin 1964, S. 206.
1. Die vorbereitenden Arbeiten in der Ministerialbürokratie
27
- Die einzelnen Merkmale der Gruppenarbeit und der sich daraus ergebende Arbeitsstil in Projektgruppen erhöhen die Arbeitsmotivation der Gruppenmitglieder und verbessern damit zugleich den Problemlösungsprozeß. Die objektiv und subjektiv wichtigsten Merkmale der Gruppenarbeit sind dabei die gleichberechtigte und statusfreie Diskussion, die sanktionsfreie Zusammenarbeit sowie die Konfliktregelung durch objektive und sachverständige Analyse statt durch subjektives Aushandeln.54 Inwieweit die genannten Vorteile im konkreten Gesetzgebungsprozeß zum Tragen kamen und inwieweit das Nichtvorhandensein Rückschlüsse auf die generelle Bewertung der Projektgruppenarbeit zuläßt, wird im weiteren Verlauf der Untersuchung festzustellen sein. Soweit ersichtlich war es wiederum Baars der zum ersten Male versucht hat, eine Typologie von möglichen Projektgruppen innerhalb der Ministerialbürokratie aufzustellen, wobei diese Typologie sicherlich auch weitestgehend Geltung für andere vergleichbare Bürokratiestrukturen besitzt. Aus dieser Typologie kommt für die Projektgruppe, die mit der Entwurferstellung der hessischen Hochschulgesetze befaßt war, die Beschreibung, als Projektgruppe, „die für ein bestimmtes Problem eine umfassende und detaillierte Lösung" erarbeitet, „die unmittelbar in Verwaltungsmaßnahmen (Gesetz, Verordnung, Vereinbarung usw.) umsetzbar sind", in Betracht. 55 Weiteres Differenzmerkmal zwischen einzelnen Projektgruppen ist die „Verortung" (Baars) in der Bürokratie. 56 Ob sie im interministeriellen Bereich angesiedelt ist und die Mitarbeiter aus verschiedenen Ressorts kommen, oder lediglich Beamte aus einem einzigen Ressort ihr angehören. Andere Unterscheidungen werden vorgenommen, indem man feststellt, welche Zuordnung die Projektgruppe innerhalb des Ministeriums erhält und auf wessen Initiative sie ins Leben gerufen wurde. 57 Letztere Merkmale können besonders über ihren Stellenwert Auskunft geben. Angesichts der mannigfachen Vorteile muß es erstaunen, daß die Arbeit der Projektgruppen die hohen Erwartungen, die mit ihnen verbunden werden, nicht
54
Baars , Β. Α., S. 59ff.
55
Die anderen Typisierungen, die von Baars , Β. Α., S. 57f. genannt worden sind: Projektgruppen, die Probleme oder 'Schwachstellen' der Gesellschaft ftlr die Verwaltung wegen ihres potentiellen Entscheidungsbedarfs identifizieren; Projektgruppen, die bestimmte Problembereiche analysieren und relativ abstrakte Zielvorstellungen ftlr eine einzige oder alternative Lösungsmöglichkeit vorschlagen; Projektgruppen, die organisatorische Konzeptionen ausarbeiten. 56
Vgl. dazu auch Baars , Β. Α., S. 61ί
57
Baars, Β. Α., S. 58.
'
II. Der intraministerielle Prozeß der Gesetzgebung
28
immer erfüllt. Die Gründe hierfür haben vielfältige Ursachen, die zum großen Teil nicht in der Institution Projektgruppe liegen, sondern in Schwierigkeiten zu suchen sind, die mit der Zusammensetzung, der inneren Organisation, dem Verhältnis zur übrigen Hierarchie oder in mangelhaften inhaltlichen oder zeitlichen Vorgaben im Einzelfall zu suchen sind. 58 In diesem Zusammenhang ist es von Interesse, daß in der Regel auch solche ad hoc gebildeten Arbeitsgruppen für besondere Aufgaben keine eigene Ausstattung weder im personellen Unterbau der Sacharbeiterebene, noch in der Sachausstattung bekommen. Alle anfallenden Aufgaben müssen mit dem jeweiligen Personal der einzelnen Referate der Gruppenmitglieder bewältigt werden. Ursache für diesen, angesichts der Bedeutung mancher Sonderaufgaben, wie ζ. B. hier der Hochschulgesetzgebung, außerordentlich unbefriedigenden Zustand, ist die mangelnde Flexibilität der Bürokratie. Es ist nicht ohne weiteres möglich ζ. B. einen Sachbearbeiter eines nur wenig ausgelasteten Referates für eine solche Gruppe auch nur vorübergehend abzuordnen. Hier muß der Personalrat und der betroffene Referent mitwirken. Welcher Referent wird jedoch zugeben, daß er, wenn auch nur für kurze Zeit auf seinen Mitarbeiter verzichten kann. Dies könnte Rückschlüsse auf die Arbeitsbelastung seines Referats zulassen. Auf der anderen Seite ist es genausowenig wie auf Referentenebene, auf der Sachbearbeiterebene machbar, einen Stellenpool zur besonderen Verwendung vorzuhalten. So haben die Referate, deren Referenten an der Arbeitsgruppe beteiligt sind, nicht nur die zusätzliche persönliche Arbeitsbelastung neben der Weiterführung ihres Referats in dieser Zeit zu ertragen, sondern müssen notwendigerweise auch noch auf die personelle und Sachmittelausstattung ihrer Referate zurückgreifen, um die ihnen gestellten Aufgaben bewältigen zu können. Aufgrund der Erkenntnis, daß durch diese Inflexibilität der Ministerialstruktur die Bewältigung von Sonderaufgaben erheblich erschwert wird, wurden im Verlaufe der vergangenen Jahre in verschiedenen Bundesministerien ständige Gruppen eingerichtet, die R. Mayntz als „eher teamartig strukturierte Großreferate" beschreibt. 59 Daneben wurden auch nichtständige Projektgruppen ins Leben gerufen, die sofort nach Erledigung des speziellen Vorhabens wieder aufgelöst wurden. Ihre Mitglieder wurden für solche Arbeiten zeitweise freigestellt. Da besonders letzteres keine optimale Lösung ist, zeigt sich schon bei der 58 Zur Projektgruppenarbeit speziell in einem Landesministerium vgl. Kuhn, G., Führungsorganisation und Führungsstil in der öffentlichen Verwaltung, in: Der Städtebund 10/1971, S. 24Iff. 59
Mayntz, R., Soziologie der öffentlichen Verwaltung, Heidelberg / Karlsruhe 1978, S. 194.
1. Die vorbereitenden Arbeiten in der Ministerialbürokratie
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Überlegung, wer die Arbeit für die zeitweilig freigestellten Referenten bewältigen soll. Bei der ersten Form der „teamartig strukturierten Großreferate" kann eine solche Sonderaufgabenbewältigung erfolgversprechender erledigt werden, wenn hier die Möglichkeiten der flexiblen Arbeitsverteilung genutzt werden. Insgesamt führten diese Reformansätze nicht zu weiteren Folgen. R. Mayntz weist daraufhin, daß ζ. B. die Einführung der 'Gruppen' manchmal wirkungslos geblieben sei, weil sich faktisch die alte Organisationsform unter neuem Gewand wieder durchgesetzt habe.60 Ein weiteres Beispiel für das Beharrungsvermögen einmal eingeübter Organisations- und Verhaltensstrukturen der Bürokratie. Die Reformansätze fanden keine nennenswerte Nachahmung. Daran änderte auch die Chance nichts, daß solche Reformen dazu beitragen könnten, die Gesetzgebungs- und Planungskapazität zu effektivieren. Auch im hessischen Kultusministerium spielten derartige Reformüberlegungen bisher keine Rolle, wobei es ohnehin für den konkreten Gesetzgebungsprozeß zu spät gewesen wäre, in diesem strukturellen Bereich Neuerungen einzuführen. So mußte die umfangreiche Gesetzgebungsentwurfsarbeit im Rahmen der überkommenen Ministerialstruktur erfolgen. Das hieß mit unzureichender personeller und technisch-organisatorischer Ausstattung in 'Nebenarbeit' der beteiligten Referenten. Zu dieser schwierigen, aber 'normalen' Situation der Referenten kam noch die Erschwernis, daß nicht alle übrigen Referentenkollegen für eine solche extreme Situation Verständnis aufbringen. Hier spielt dann auch ein gewisser allzu menschlicher Neid auf die in dieser Zeit hervorgehobene Rolle des Gruppenmitgliedes eine nicht zu unterschätzende Rolle. Dabei geht es für die Beamten insbesondere um folgende Frage: Wann kommt ein Referent schon einmal im Rahmen seiner alltäglichen Referatsarbeit mit der Spitze des Ressorts in unmittelbare Berührung? Der Referent, der in der Gruppe mitarbeitet, hat dagegen in dieser Zeit sehr häufig Gelegenheit, mit dem Minister zu sprechen. So ist es nicht verwunderlich, daß dann schon einmal eine Mahnung wegen eines bei dem in der Gruppe mitarbeitenden Referenten liegengebliebenen Vorgangs von einem Kollegen eintrifft. Hier muß dann der Referatsgruppenleiter oder gar Abteilungsleiter mit psychologischem Einfühlungsvermögen Reibungspunkte beseitigen. Um solche ungünstigen Bedingungen und Einflüsse für die Projektgrupenarbeit weitgehend auszuschalten, hat sich eine Arbeitsgruppe während der Speye-
60
Mayntz, R., S. 195.
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II. Der intraministerielle Prozeß der Gesetzgebung
rer Tagung zum Thema Organisation der Ministerien des Bundes und der Länder' mit den Voraussetzungen befaßt, die für eine erfolgreiche Projektgruppenarbeit notwendig sind. 61 Dabei ging man von nachstehenden Notwendigkeiten aus: 1. Einsetzung durch die Ressortleitung. 2. Organisatorische Anbindung an die Leitung. 3. Aufgabe ist klar zu umreißen, Absteckung zu enger Grenzen ist zu vermeiden. 4. Mitglieder sind namentlich festzulegen. 5. Berechtigung, von allen berührten Stellen des amtlichen und des nichtamtlichen Bereichs Informationen einzuholen, einschließlich der Hinzuziehung externer Fachleute. 6. Ausstattung mit Hilfskräften und sachlichen Hilfsmitteln ist zu regeln. 7. Termin für Vorlage und Ergebnisse (ggf. auch Zwischenbesprechungen, an die Leitung und für die Auflösung der Projektgruppe ist festzulegen. 8. Regelung für die weitere Behandlung der Ergebnisse ist zu treffen. Für die innere Struktur und die Arbeitsweise der Gruppenarbeit hielt man folgende Komponenten zur reibungslosen Arbeit für erforderlich: 1. Alle Mitglieder sind gleichberechtigt und für die Gesamtaufgabe berufen. 2. Der Leiter ist Sprecher, er führt den Vorsitz in den Sitzungen. 3. Die Mitglieder arbeiten grundsätzlich weisungsfrei, sie halten Kontakt zu ihren Entsendestellen. 4. Mitgliedschaft bedeutet grundsätzlich 'full-time-job', wenn das ausnahmsweise nicht erforderlich oder möglich ist, haben die sich aus der Mitarbeit ergebenden Aufgaben Vorrang vor den übrigen Aufgaben eines Mitglieds. 5. Bei Beschlußfassung ist Übereinstimmung anzustreben, Minderheitsvoten sind festzuhalten. 6. Die Mitglieder sollten nach etwa zwei Jahren ausgewechselt werden.
61 Quiske, G., Projektgruppe - Gruppe auf Zeit. Thesen zur Diskussion in der Arbeitsgruppe IV, in: Organisation der Ministerien des Bundes und der Länder, Schriftenreihe der Hochschule Speyer, Bd. 52, Berlin 1972, S. 156f.
1. Die vorbereitenden Arbeiten in der Ministerialbürokratie
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c) Die Projektgruppe zur Erarbeitung der hessischen Hochschulgesetzentwürfe aa) Die organisatorische Zuordnung Funktional ist die Projektgruppe, die zur Ausarbeitung des Gesetzentwurfes im hessischen Kultusministerium gebildet wurde, jener Kategorie, die für die Lösung bestimmter Probleme ins Leben gerufen wird, zuzurechnen. Ferner ist sie als innerministeriell einzuordnen, weil keine Beamten anderer Ressorts in der Projektgruppe als 'ordentliche Mitglieder' mitarbeiteten. Auch daß die Projektgruppe zu einem späteren Zeitpunkt Beamte einzelner Hochschulen in ihre Arbeit mit einbezog, verändert nichts an der Klassifizierung als innerministerielle Projektgruppe. Zugeordnet war die Projektgruppe unmittelbar der Spitze des Hauses, also dem Ressortchef und der Staatssekretärin. Von ihnen empfing sie ihre Weisungen. In ihnen fand die Gruppe ihre Hauptgesprächspartner. Von ihren unmittelbaren Vorgesetzten oder auch von Abteilungsleitern waren die einzelnen Referenten in ihrer Eigenschaft als Mitglieder der Gruppe und die Gruppe in ihrer Gesamtheit weisungsunabhängig. Dabei handelte es sich um 'formelle Weisungsfreiheit' von den einzelnen Vorgesetzten und Abteilungen. Inwieweit die innere, subjektive Unabhängigkeit von den Einflüssen ihrer einzelnen Abteilungen gegeben war, ist nur schwer festzustellen. Diese innerliche Unabhängigkeit der einzelnen Mitglieder ist sicherlich eine wichtige Voraussetzung für den Erfolg der Gruppenarbeit 62 jedoch kann sie nicht erzwungen werden. Eine Möglichkeit, sie zu fordern, wäre ζ. B., die Beurteilung der zeitweisen Mitarbeit in der Gruppe deren Vorsitzenden zu übertragen und angemessen bei der Gesamtbeurteilung des Beamten zu berücksichtigen. 63 Allerdings ist die Annahme, daß die innerliche Unabhängigkeit der Gruppenmitglieder durch eine starke Einschaltung der Ressortspitze gefordert und „der Einfluß der permanenten Organisation abgeschirmt wird" 6 4 , zweifelhaft. Die einzelnen Beamten wissen sehr wohl, daß das Gedächtnis der Ressortspitze im Hinblick auf Karriereförde-
62
Vgl. These 3 bei Quiske, G.; Baars , Β. Α., S. 64.
63
So auch Upper, M., S. 153f.; Baars , Β. Α., S. 64.
64 So aber Baars , Β. Α., S. 65, der als Beispiel die Erarbeitung des 'Leber-Plans', dem verkehrspolitischen Programm der Bundesregierung für die Jahre 1968-1972 durch eine unmittelbar für die Spitze des Hauses arbeitende Projektgruppe heranzieht. Vgl. auch Kussau, A. J. / Oertel, L., Fallstudie zum verkehrspolitischen Programm, unveröffentlichtes Manuskript, Bonn 1970; Wilkenloh, F., Das verkehrspolitische Programm der Bundesregierung für die Jahre 1968 bis 1972 im Spiegel der Verwaltungsarbeit, in: Die Verwaltung 1969, S. 65ff.
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I Der intraministerielle Prozeß der Gesetzgebung
rung 65 auch bei engagierter Mitarbeit nicht unbedingt eine Gewähr für spätere Vorteile ist. Auch kann der Minister sehr schnell abgelöst werden, während Referatsgruppen- oder Abteilungsleiter mit großer Wahrscheinlichkeit sehr viel länger auf ihr berufliches Fortkommen Einfluß nehmen werden. Die Mitglieder der Projektgruppe bemühten sich deshalb, während der Mitarbeit in der Gruppe einen guten und engen Kontakt zu ihrer Basis im Ministerium zu halten, insbesondere weil sie sich bewußt waren, daß ihre zeitweise herausragende Stellung nicht immer mit Gleichmut oder Wohlwollen der jeweiligen direkten Vorgesetzten gesehen wurde, die den Minister unter Umständen während ihrer gesamten Laufbahn nicht so oft zu sprechen bekommen, wie ihr Untergebener innerhalb weniger Monate. Im konkreten Gesetzgebungsentwurfsverfahren gab es hinsichtlich der inneren Unabhängigkeit, soweit meßbar, keine größeren Probleme. Dies schließt nicht aus, daß der eine oder andere Vorgesetzte von Gruppenmitgliedern unmittelbar sichtbaren Einfluß auf die Arbeit 'seines Referenten' in der Gruppe genommen hat und sei es auch nur in einem Gespräch, in dem er seine Vorstellungen zur Lösung eines gewissen Problems, welches die betreffende Abteilung oder die Referatsgruppe besonders interessierte, einfließen ließ. Allerdings wäre dies nicht so gravierend für die Arbeit der Referenten oder der Gruppe insgesamt, da auch bei 'innerer Unabhängigkeit' des in der Gruppe mitarbeitenden Referenten in erster Linie dessen subjektive Vorstellungen in 'seine Formulierungen' einflossen, ohne daß sie immer allein an der Sache ausgerichtete und referatsübergreifende Gesichtspunkte berücksichtigt hätten. Warum sollten dann nicht auch Vorschläge seines Vorgesetzten - wenn auch verdeckt - in der Gruppenarbeit berücksichtigt werden. Das erscheint um so unschädlicher, als auch Abteilungs- und Referatsleiter ohnehin die Möglichkeit der offenen Einflußnahme besitzen, indem sie ihre Gedanken der Spitze des Hauses oder zumindest der Gruppe durch eine kurze Stellungnahme nahebringen konnten. Zusammenfassend ist bei einem Vergleich der Praxis mit den während der Speyerer Tagung aufgestellten Forderungen über die strukturellen Bedingungen von Projektgruppen festzustellen, daß von den acht die Einsetzung der Projektgruppe betreffenden Bedingungen, hier nur eine nicht erfüllt worden ist. Allerdings handelt es sich um einen schwerwiegenden Mangel, wenn keine eigenständige Ausstattung mit Hilfskräften und sachlichen Hilfsmitteln ermöglicht wurde (Ziffer 6). Dagegen erfolgte die Einsetzung durch die Ressortleitung (Ziffer 1), die organisatorische Anbindung an die Leitung (Ziffer 2), die Aufgabe war klar umrissen (Ziffer 4), die Berechtigung, von internen und externen 65 Dazu Pippke, W., Karrieredeterminanten in der öffentlichen Verwaltung. Hierarchiebedingte Arbeitsanforderungen und Beförderungspraxis im höheren Dienst, Baden-Baden 1975.
1. Die vorbereitenden Arbeiten in der Ministerialbürokratie
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Stellen Informationen einzuholen, war gegeben (Ziffer 5) und wurde auch durch die Hinzuziehung der Universitätsjuristen und die Hinzuziehung der in anderen Bundesländern schon erarbeiteten Entwürfe etc. genutzt, der Termin für die Vorlage des Ergebnisses stand fest (Ziffer 7) und schließlich war auch klar, wie die Ergebnisse der Projektgruppenarbeit weiter behandelt werden sollten (Ziffer
8). Von den fünf für die innere Struktur aufgestellten hier relevanten Forderungen waren vier in der Praxis erfüllt. Alle Mitglieder waren gleichberechtigt (Ziffer 1), der Leiter der Gruppe war ihr Sprecher und führte den Vorsitz (Ziffer 2). Die Mitglieder arbeiteten grundsätzlich weisungsfrei, hielten allerdings Kontakt zu ihren Basisreferenten (Ziffer 3), bei der Beschlußfassung strebte man Einigkeit an (Ziffer 5), wobei jedoch angesichts der Zeitnot die ebenfalls in Ziffer 5 enthaltene Forderung nach Vorlage von Minderheitsvoten nur sehr unvollkommen durchgeführt wurde und auf extreme Differenzen innerhalb der Gruppe beschränkt blieb. Lediglich der in Ziffer 4 enthaltenen Feststellung, daß die Mitgliedschaft ein 'full-time-job' sei, wurde nicht Rechnung getragen. Allerdings hat man offenbar auch in Speyer erkannt, daß die Folgen aus dieser Fetstellung nicht ohne weiteres in einer Freistellung der betreffenden Beamten münden können und hat aus diesem Grunde gleich die Bemerkung hinzugefügt, daß dann die Arbeit in der Gruppe Vorrang vor den anderen Referatstätigkeiten habe. Diese Lösung lief auf die an anderer Stelle beklagte Überlastung, wenn nicht Überforderung des einzelnen Referenten hinaus und mußte sich mit Sicherheit auch auf die Qualität der geleisteten Arbeit auswirken.
bb) Die Auswahl der Gruppenmitglieder Bei der Bildung der Arbeitsgruppe ergeben sich nicht selten erhebliche Probleme, die der verantwortliche Minister oder sein Staatsekretär mit viel Fingerspitzengefühl gegenüber dem Beamtenkörper lösen muß. Sie sehen sich zuerst vor die Frage gestellt, welche Beamten sie in diese Gruppe berufen sollen. Die Spitze eines Ministeriums ist sich dabei darüber im klaren, daß die Ergebnisse der Gruppenarbeit von großer Bedeutung auch für ihre politische Zukunft sein können. Die Formulierungen, die die Gruppe einmal zu Papier gebracht hat, gewinnen im Rahmen des Gesetzgebungsprozesses ein gewisses Eigengewicht, welches nur durch die persönliche Entscheidung des Ministers wieder beseitigt werden kann, bevor der endgültige Referentenentwurf das Haus verläßt und den Verbänden und den anderen betroffenen Ministerien zur Stellungnahme zugeleitet wird.
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II. Der intraministerielle Prozeß der Gesetzgebung
Aus diesem Grunde wäre es leichtsinnig von einem politisch bewußten Minister unbesehen jeden Referenten automatisch in die Gruppe zu delegieren, der in irgendeiner Form mit dem zu regelnden Fragenkomplex im Rahmen seines Geschäftsbereichs zu tun hat. Erste Prämisse für die Entscheidung des Ministers ist deshalb, daß jeder der in der Gruppe mitarbeitenden Referenten sein uneingeschränktes Vertrauen besitzen muß. Dies ist um so gewichtiger, desto bedeutender das Gesetzgebungsvorhaben ist. 66 Auf der anderen Seite ist es für das Arbeitsklima in einem bürokratischen Apparat äußerst problematisch, wenn die Spitze des Hauses, Referenten, die nach dem Geschäftsverteilungsplan mit dem Gesetzgebungsverfahren von der Sache her befaßt werden müßten, die Mitarbeit in der Arbeitsgruppe versagt. Ein solcher Ausschluß mag dann noch so diplomatisch begründet werden. Er richtet nicht nur bei dem betroffenen Beamten, sondern auch im gesamten Mikrokosmos Ministerium einen auf lange Zeit schwer wieder gut zu machenden Schaden an. Die Mitarbeit bei einem wichtigen Gesetzgebungsvorhaben ist auch innerhalb der Beamtenschaft eine Prestigefrage. Der Ausschuß eines von der Sache her zuständigen Beamten würde nicht nur dessen Prestige gegenüber den anderen Referenten und Untergebenen schwächen und Autoritätsverlust mit sich bringen, sondern auch die Ursache für Spekulationen derart sein, daß hier Parteipolitik wieder einmal triumphiere. 67 Letztere Spekulation könnte nur dann
66 Das Problem der politischen Einstellung der Ministerialbeamten stellt sich nicht nur bei der Erarbeitung eines wichtigen Gesetzgebungswerkes, sondern ist für die gesamte Ministerialarbeit von großer Bedeutung, da besonders in dem Bereich, in dem keine reine Verwaltungarbeit geleistet, sondern gestaltet wird, die Beamten weitgehend die Gestaltung leisten, bzw. vorprogrammieren, die politisch dann dem Ressortchef höchstpersönlich zugerechnet wird, ohne daß dieser in ausreichendem Maß in der Lage wäre, auf diese 'Vorprogrammierung' Einfluß zu nehmen. Deshalb plädiert Koch, R., Personalsteuerung in der Ministerialbürokratie. Eine theoretisch-empirische Studie zur Möglichkeit organisatorischer Neuerungen, Baden-Baden 1975, trotz der Schranken des geltenden Dienstrechts dafür, daß der Ressortchef stärker als bisher bei Befbrderungsentscheidungen 'politische Gesichtspunkte' berücksichtigt. „Wenn die Leitungen nur vergleichsweise geringe Möglichkeiten haben, auf der Programmebene selbst Prämissen für das Handeln vorzugeben, so wäre es denkbar, daß die Programmentwicklung nun in einer funktional äquivalenten Weise Uber eine gezielte und somit auch politisch ausgerichtete Rekrutierung des Personals der Basiseinheiten gesteuert würde" (S. 206). Allerdings bliebe hier das Problem zu lösen, wie sichergestellt werden kann, daß die Qualität nicht unter diesen geforderten 'politischen Gesichtspunkten' leidet. 67 Die Mehrheit der Beamten lehnt Parteizugehörigkeit als Auswahlkriterium sogar bei der Besetzung von ministeriellen Spitzenpositionen ab. Zu diesem Ergebnis kommt die Befragung von Beamten im Bundesministerium für Wirtschaft. Vgl. Moths , E. / Wulf-Mathies, M., Des Bürgers teure Diener, Karlsruhe 1973, S. 59; Siehe auch Luhmann, N. / Mayntz, R., Personal im öffentlichen Dienst. Eintritt und Karrieren, Anlageband 7 zum Bericht der Studienkommission für die
1. Die vorbereitenden Arbeiten in der Ministerialbürokratie
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vermieden werden, wenn der Ausgeschlossene der Parteirichtung angehört, die auch die Spitze des Ministeriums stellt. Aber gerade in diesem Fall wird die Wirkung für den betroffenen Beamten besonders katastrophal sein, da man darauf verweisen wird, daß nicht einmal seine Parteimitgliedschaft ihn vor der 'Mißachtung' seines Ministers bewahrt habe. Die daraus von den Kollegen abgeleitete Schlußfolgerung über die Qualität des Sachverstandes des Beamten liegt nahe. Auf der anderen Seite ist es bei strikter Berücksichtigung des Geschäftsverteilungsplanes nicht ausgeschlossen, daß Referenten, die einer solchen Teamarbeit skeptisch gegenüberstehen oder sie ablehnen, in eine solche Gruppe berufen werden, da ihr Referat in diesem Gesetzgebungsverfahren von der Sache her betroffen ist. Dieses Verhalten braucht nicht unbedingt nur auf eine generelle Abneigung gegen die vermeintliche oder tatsächliche Ineffektivität von Gruppenarbeit zurückzuführen sein,68 sondern auch darauf, daß das Leistungsprinip in der Verwaltung noch weitestgehend unterentwickelt ist 69 und die besondere Arbeitsbelastung, die durch die Mitarbeit in der Gruppe entsteht, nicht durch unmittelbare Karrierevorteile honoriert wird. 70 Mittelbar besteht allerdings ein Zusammenhang mit Karrieregesichtspunkten, indem durch solch eine Projektgruppe, wenn sie möglichst hoch und eng entweder mit der Abteilungsleiterebene oder sogar mit der Ressortspitze verbunden ist, den Mitarbeitern nicht zu unterschätzende Profilierungschancen geboten werden. Nur sind sich die Beamten auch der damit verbundenen Risiken bewußt. Was geschieht, wenn während der Gruppenarbeit, die u. U. ein politisch brisantes Thema behandelt, die Ressortspitze in ihrer politischen Ausrichtung wechselt? Angesichts der relativ vagen karrierefördernden Gesichtspunkte einer Projektgruppenmitarbeit ist es
Reform des öffentlichen Dienstrechts, Baden-Baden 1973, S. 255f.; Putnam , R. D., Die politischen Einstellungen der Ministerialbeamten in Westeuropa, PVS 1976, S. 23ff. 68 Vgl. dazu besonders Laux, E., Führung und Führungsorganisation in der öffentlichen Verwaltung, Beiträge zur Diskussion, Stuttgart / Berlin / Köln u.a. 1975, S. 108ff. 69
Zum Leistungsprinzip vgl. Schönfelder, H., Hierarchie und Management im Wandel der öffentlichen Verwaltung, Bad Harzburg 1972, S. 96; Röslinger , H. M., verweist zu Recht auf die Tatsache daß das leistungsunabhängige Besoldungssystem vor allem auch die Einstellung qualifizierten Personals erschwert, Managementsysteme für den Staat, in: Wirtschaftswoche Nr. 17, 1971, S. 72. Vgl. auch Koch, R., Dienstrechtsreform und Leistungsbereitschaft: Zur Wirkungsweise eines leistungsbezogenen Anreiz- und Besoldungssystems, VerwArch 1979, S. 13Iff., Schnorbus , Α., Vom Staatsdiener zum Manager, in: FAZ vom 10.2.1971, S. 17. 70
So auch Baars , Β. Α., S. 63.
4 Mengel
II. Der intraministerielle Prozeß der Gesetzgebung
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nicht überraschend, wenn insbesondere mit zunehmendem Alter der engagierte Wille, hier mitzuarbeiten, nachläßt.71 Weitere Prämisse für die optimale Zusammensetzung der Gruppe ist ihre Ausgewogenheit72 zwischen innovativen und eher auf vorsichtiges Herantasten an Neues bedachten Beamten. Dieser Gesichtspunkt hat jedoch bei der Auswahl der Gruppenmitglieder im konkreten Prozeß keine Rolle gespielt. Dies ist insofern überraschend, da es sich bei der der Gruppe zugewiesenen Aufgabe keineswegs nur um 'programmierte Entscheidungen', sondern um einen beträchtlichen Anteil innovatorisch zu lösender Probleme handelte. All dies muß der zuständige Minister bei der Berufung der Arbeitsgruppe sorgfältig bedenken. Denn gleich welch parteipolitischer Couleur er angehört, ein Minister hat nicht nur Pflichten gegenüber seiner Partei, die ihn faktisch in dieses Amt geschickt hat, er hat auch durch seinen Amtseid Verantwortung gegenüber seinen Beamten übernommen. 73 Für das Erscheinungsbild des Ministers in Partei und Öffentlichkeit, auf das der letztlich vorgelegte Referentenentwurf in einer so wichtigen Frage wie ζ. B. der Hochschulgesetzgebung nachhaltigen Einfluß ausübt, ist es wichtig, daß eine Gruppe den Entwurf erarbeitet, die sowohl seine politischen Grundanschauungen mitträgt, als auch vom Sachverstand her optimal besetzt ist. Für seine Qualität als Vorgesetzter und Verantwortlicher für den einzelnen Beamten kommt es dagegen in erster Linie darauf an, seiner Fürsorgepflicht zu genügen und die Übungen beamtenrechtlicher Regeln, besonders aber auch die ungeschriebenen Verhaltensmuster in einer Ministerialbürokratie, nicht zu verletzen.74 Der Widerspruch ist schwer lösbar. Wie der einzelne Minister ihn bewältigt, hängt von einer Reihe von Faktoren ab. Hier spielt eine Rolle, welches Verhältnis der betreffende Ressortchef zur Bürokratie allgemein hatte, als er in dieses Amt berufen wurde. Ob er selbst von beamtentypischen Verhaltensmu-
71 Vgl. ebd.: „Im allgemeinen läßt sich sagen, daß die Bereitschaft zur Gruppenarbeit je nach Alter und organisatorischen Status der Mitarbeiter variiert: Sie ist bei jungen und rangniederen Mitarbeitern höher als bei alten." 72
Zur Frage der fachlichen und personellen Homogenität oder Heterogenität der Gruppe vgl.
ebd. 73 Zu dieser Doppelfiinktion vgl. Kölble, F., Die Ministerialverwaltung im parlamentarisch-demokratischen Regierungssystem des Grundgesetzes, DÖV 1969, S. 25ff; ders., Grundprobleme einer Reform der Ministerialverwaltung, ZfP 1970, S. 118ff. (S. 124); Arndt, C., Parlament und Ministerialbürokratie, in: Die Verwaltung 1969, S. 265ff. (S. 270f.). 74
Vgl. auch Sontheimer, K., Grundzüge des politischen Systems der Bundesrepublik Deutschland, München 1971, S. 166.
1. Die vorbereitenden Arbeiten in der Ministerialbürokratie
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stern durch einen entsprechenden Werdegang geprägt ist, ob er mit einem starken politischen Gestaltungswillen dieses Amt übernommen hat oder eher von seiner Partei als guter Verwaltungsfachmann an diesen Platz gestellt wurde. Die Regel ist, daß die Verantwortlichkeit des Ministers als Vorgesetzter gegenüber seinem Apparat im Wettstreit mit der politischen Verantwortlichkeit gegenüber der Partei und der Öffentlichkeit obsiegt, und somit die öffentliche Erwartung erfüllt wird. Diese Regel wird auch mit seltenen Ausnahmen von Ressortchefs eingehalten, die ursprünglich mit starkem politischen Impetus ihre Arbeit begannen und auch nicht in der Verwaltung 'groß geworden sind'. Auch bei ihnen gelingt es der Verwaltung, immer klar zu machen, daß er oder sie in erster Linie Behördenchef und erst in zweiter Linie politische(r) Gestalter(in) ist. Ein Phänomen, auf das an anderer Stelle noch einzugehen ist. Der Ressortchef wird deshalb eine Gruppe bilden, deren Zusammensetzung mit dem Geschäftsverteilungsplan im wesentlichen in Einklang steht, keine parteipolitischen oder persönlichen Präferenzen erkennen läßt und keine für den Apparat spektakulären Berufungen oder Ausschlüsse beinhaltet. Um dies zu gewährleisten, wird der Ressortchef mit den zuständigen Abteilungsleitern und dem Amtschef, dem für die tägliche Verwaltungsarbeit zuständigen Staatssekretär, beraten und letztlich sich von diesem einen konkreten Besetzungsvorschlag erstellen lassen. Nicht anders war es in dem hier konkret zu beschreibenden Gesetzgebungsverfahren. Die Gruppe bestand aus neun Referenten. 75 Diese waren ausschließlich Verwaltungsjuristen, 76 von denen lediglich einer als Outsider' in die Verwaltung des hessischen Kultusministeriums gekommen war. Alle anderen hatten
75 Ref. V A (Universitäten, Kunsthochschulen, Wiss. Bibliotheken, Staatsarchive) - Gruppenleiter; Ref. V A 1 (Grundsatzangelegenheiten, allg. Angelegenheiten der Universitäten und Kunsthochschulen); V A 3 (Technische Hochschule Darmstadt, Universitätsverfassungsrecht); V A 5 (Universität Gießen, Mitwirkung bei der Lehrerbildung); V Β (Fachhochschulen, Studentenangelegenheiten, Erwachsenenbildung) - Gruppenleiter; V Β 1 (Grundsatzangelegenheiten, allg. Angelegenheiten der Studenten, Fachhochschulen, Erwachsenenbildung); V Β 2 (Fachhochschulen Frankfurt, Gießen, Fulda, Private Fachhochschulen); VI A 4 (Kapazitätsfragen, Studiengangsplanung und Forschungsplanung für Rechts- und Sozial Wissenschaften); VI Β (Strukturplanung, Rechtsund Verwaltungsangelegenheiten) - Gruppenleiter; VI Β 1 (Grundsatzangelegenheiten, Strukturplanung, Gesamthochschule Kassel); VI Β 2 (Rechts-, Struktur-, Organisations- und Personalfragen der Hochschulentwicklung). 76 Kritisch zum Juristenmonopol Brinkmann, G., Die Diskriminierung der Nichtjuristen im allgemeinen höheren Verwaltungsdienst in der Bundesrepublik Deutschland, ZgS 1973, S. 150ff.; Brinkmann, G. / Pippke, W. / Rippe, W., Die Tätigkeitsfelder des höheren Verwaltungsdienstes. Arbeitsansprüche, Ausbildungserfordernisse, Personalbedarf, Opladen 1973, S. 386f. Zur geschichtlichen Entwicklung vgl. Bleek, W., Von der Kameralausbildung zum Juristenprivileg. Studium, Prüfung und Ausbildung der höheren Beamten des allgemeinen Verwaltungsdienstes in Deutschland im 18. und 19. Jahrhundert, Berlin 1972.
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die normale Beförderungskarriere durchlaufen. Insofern bestätigte die Zusammensetzung der Gruppe nicht die Tendenz zur Auflockerung des Juristenmonopols in der höheren Ministerialverwaltung. 7 7 Hinzu kamen als nicht ständige Mitglieder einzelne Referenten, die i m Hause für bestimmte Sachgebiete, wie ζ. B. den Universitätsklinikbereich, zuständig waren. Sie wurden zu den Beratungen hinzugezogen, wenn die ihre Referate betreffenden Fragen anstanden. Teilnahmeberechtigt waren auch die Abteilungsleiter der Hochschul- und der Hochschulplanungsabteilung (Ab. V und V I ) . Sie machten jedoch relativ selten von diesem Recht Gebrauch und ließen sich über ihre Beamten vom Verlauf der Beratungen berichten. Als Vorsitzender wurde das dienstälteste M i t g l i e d der Gruppe vom Minister bestimmt. Nach politischer Affinität war die Gruppe durchaus nicht homogen besetzt, wenn auch ein eindeutiges Übergewicht für die politische Richtung, der der Minister angehörte, bestand. 78 Dies lag allerdings nicht an einer gezielten Auswahl der Gruppenmitglieder, sondern beruhte entweder auf Zufall oder, was wahrscheinlicher ist, darauf, daß sich in dem seit über 30 Jahren von einer bestimmten Partei geleiteten Haus auch in der Beamtenschaft ein Übergewicht an Affinität zu dieser Partei aus Gründen, die hier nicht zu untersuchen sind, entwickelt hat.
77 Vgl. Clauss, J. U., Moderne Administration zwischen Juristendominanz und Verwaltungsreformern, Konstanz 1976, S. 6; Dahrendorf, R., Gesellschaft und Demokratie in Deutschland, München 1967, S. 260ff.; Rieth, H., Bürokratische Entscheidungsfindung und Juristenmonopol. Versuch einer Einschätzung, maschinenschriftl. Seminarbericht, Konstanz 1976. 78
Dies ist auch nicht durch eine in Hessen noch auf Initiative der alliierten Besatzung eingeführte zentrale Auswahl der Beamten des allgemeinen nichttechnischen Verwaltungsdienstes durch das Landespersonalamt zu vermeiden. 'Fachpersonal' wird immer durch die Fachbehörden, also auch durch die Ministerien, ausgewählt. Vgl. dazu Nümann, E., Die Organisation des Personalwesens in der Ministerialverwaltung von Bund und Ländern, Schriften zur Verwaltungslehre, H. 15, Berlin / Bonn / München 1975, S. 18ff. Im übrigen ist diese 'Politisierung' keineswegs ein Spezifikum hessischer Landespolitik, sondern liegt mit einiger Wahrscheinlichkeit an der Tatsache, die Steinkemper, B., Klassische und politische Bürokraten in der Ministerialverwaltung der Bundesrepublik Deutschland, Berlin / Bonn / München 1974, folgendermaßen umschreibt (S. 51): „Parteimitglieder haben grundsätzlich größere Aufstiegschancen als Nichtparteimitglieder; Mitglieder der jeweiligen Regierungspartei haben die größten Aufstiegschancen." Nicht verwunderlich, wenn dann die Zahl der Parteimitglieder innerhalb der Verwaltung ungefähr 25mal so groß ist wie im Durchschnitt der Bevölkerung. Vgl. Steinkemper, B., S. 55; Eschenburg, Th., Ämterpatronage, Stuttgart 1961. Auf die Tatsache, daß die parteipolitische Durchdringung der Ministerialbürokratie durchaus kein sozialdemokratisches Spezifikum ist, verweist Sontheimer, K., mit der Feststellung: „Es war der CDU in jahrelanger Praxis gelungen, die hohe deutsche Ministerialbürokratie mit Persönlichkeiten ihrer Couleur zu durchsetzen." (S. 165)
2. Die Tätigkeit der Projektgruppe
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2. Die Tätigkeit der Projektgruppe a) Erste Arbeitsschritte Nachdem die Projektgruppe gebildet worden war, erhielt sie vom Ressortchef den Auftrag, die Anpassung der hessischen Hochschulgesetze an das HRG vorzunehmen. Die bisher vier eigenständigen hessischen Hochschulgesetze79 sollten in einem einzigen Gesetz zusammengefaßt werden. Diese Entscheidung fiel nach Beratungen zwischen der Arbeitsgruppe und der Staatssekretärin bzw. dem Minister und erfolgte ohne große vorhergehende Beratungen mit dem Koalitionspartner, der Staatskanzlei oder der SPD-Fraktion des Landtages. Insofern kann von einer relativ einsamen Entscheidung des Ministers gesprochen werden. Eine Entscheidung, die dieser jedoch gegenüber dem Koalitionspartner gut hätte vertreten können, da der Leiter der Abteilung VI, die sich mit Grundsatz- und Planungsfragen der Hochschulen befaßt, der Partei des Koalitionspartners FDP angehörte und gegenüber dem Minister keine Einwände erhoben hatte. In den ersten Sitzungen80 einigte sich die Gruppe über die Arbeitsaufteilung. 81 Entsprechend der Zuständigkeiten des normalen Geschäftsverteilungsplanes befaßte sich ein Referent mit dem Bereich Fachhochschulen, ein anderer mit den grundsätzlichen Regelungen des Hochschulbereiches wie Paritäten oder Ordnungsrecht. Wieder ein anderer mit besonderen Regelungsfragen der Gesamthochschule Kassel. Dabei ist zu berücksichtigen, daß der einzelne Referent nicht nur ein solches 'Spezialgebiet' zu bearbeiten hatte, sondern die Gruppenmitglieder eine ganze Reihe von Bereichen als einzelne abdecken mußten mit der Folge, daß nicht immer eine vertiefte Beschäftigung mit der Problematik möglich war. Der nächste Arbeitsschritt der Projektgruppe bestand darin, daß man sich über den Stand der Anpassungsgesetzgebung in den anderen Bundesländern
79
Hessisches Hochschulgesetz, hessisches Universitätsgesetz, hessisches Fachhochschulgesetz und hessisches Kunsthochschulgesetz. 80 Zur Sitzungstechnik vgl. Bleicher, K., Konferenzen, Wiesbaden 1960; Prior, H., S. 67 mit weiteren Nachweisen. 81
Durch diese Aufteilung der Arbeit zu weitgehender selbständiger Betreuung wurden die Nachteile der Kollegialarbeit (vgl. Prior, H., S. 60; Weber, M., S. 206ff.; Morste in-Marx, Einführung in die Bürokratie, Neuwied 1959, S. 113; Dagtoglou, P., Kollegialorgane und Kollegialakte der Verwaltung, Stuttgart 1960, S. 24ff.; Meyer, P., Verwaltungsorganisation, Göttingen 1962, S. 143f.) in großem Maße ausgeglichen, ohne die Vorteile zu beeinträchtigen.
F.,
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informierte. 82 Man war in der glücklichen Lage, auf eine Reihe von schon vorhandenen Referentenentwürfen anderer Bundesländer zurückgreifen zu können. Dies ermöglichte es, darauf zu achten, daß Hessen sich nicht mit allzu spektakulär von den in anderen Ländern vorgesehenen Regelungen entfernte und sich nicht in die vorderste Frontspitze hochschulpolitischer Auseinandersetzung begab. Dabei ist an die vorgegebene Rahmenbedingung eines bevorstehenden harten und schweren Wahlkampfes der Koalitionsparteien zu erinnern, der ihnen die Macht erhalten sollte. Es lag deshalb im Interesse der Koalition, zumindest im Mittelfeld zwischen allzuweit vorpreschender Reformaktivität und allzu vorsichtiger, buchstabengetreuer Anpassung an das Hochschulrahmengesetz zu bleiben. Zu erinnern ist jedoch auch an das Positivum des föderalen Staates, dessen Regulierungsfunktion durch Konkurrenz hier einmal mehr zum Tragen kam. Vorteilhaft war auch, daß die Projektgruppe sowohl auf Entwürfe aus A- als auch aus B-Ländern zurückgreifen konnte.83 Sowohl SPD als auch CDU regierte Länder hatten entsprechende Referentenentwürfe fertiggestellt. So hätte man sich durch kleine Nuancen sowohl den CDU als auch den SPD/FDP regierten Ländern gegenüber als reformfreudigstes Bundesland profilieren können. Einer weiteren Versuchung, der die Arbeitsgruppe nicht nachgeben durfte, die jedoch ungleich stärker war, bestand darin, daß man den einfachsten Weg ging und sich an diesem oder jenem bereits fertig formulierten Entwurf allzu stark anlehnte und auf eigenes Nachdenken und eigene gestaltende Kreativität verzichtete. Diese Gefahr bestand besonders unter dem erwähnten Termindruck. Inwieweit man dieser Versuchung partiell erlegen ist, läßt sich empirisch nur schwer feststellen, da einmal unter dem HRG der Spielraum für kreative, von den Entwürfen der übrigen Bundesländer erheblich abweichende Neuregelungen begrenzt war und zum anderen die Mitglieder der Arbeitsgruppe bei nicht durch das HRG notwendigerweise gebotenen Übereinstimmungen der Entwürfe der ehrlichen Überzeugung sein mochten, die Regelung des Landes A oder Β
82 Zur Problematik der selektiven Informationsbeschaffung durch die Bürokratie, vgl. Luhmann, N., Reform und Information. Theoretische Überlegungen zur Reform der Verwaltung, in: ders., Politische Planung, S. 181ff. 83 Mit dieser Terminologie arbeitet inzwischen die gesamte Ministerialbürokratie von Bund und Ländern; Α-Länder sind die von einer CDU geführten Koalition bzw. allein regierten Länder, BLänder die von einer SPD geführten Koalition bzw. SPD-Alleinregierung regierten Länder.
2. Die Tätigkeit der Projektgruppe
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sei eben optimal. In der Tat wäre es dann unsinnig gewesen, nur um der Unterscheidung willen eine andere Regelung zu suchen.84 Die nach und nach eingegangenen Entwürfe der anderen Länder, die man offiziell von deren zuständigen Ministerien erbeten hatte, wurden in einer Synopse verarbeitet. So konnte man ζ. B. über die Regelung des Ordnungsrechts oder ähnlich brisante Probleme in den anderen Entwürfen auf einen Blick Klarheit gewinnen. Die Synopse wurde von Sachbearbeitern der an der Arbeitsgruppe beteiligten Referenten erstellt, deren Arbeit solange liegen blieb, da auch sie nicht etwa freigestellt wurden. b) Zur Gruppenpsychologie Die Arbeitsgruppe stellte einen Mikrokosmos dar, in dem die Beteiligten um Einfluß rangen, in dem Aversionen und Sympathien, politische Grundeinstellungen, Arbeitsintensität, Redegewandheit und Durchsetzungsvermögen wie in jedem anderen Mikrokosmos eine Rolle spielten.85 Da gab es den stillen Typ des Beamten, der sich möglichst auf sein enges Fachgebiet beschränkt und sich nur notgedrungen in andere Bereiche vorwagt. Er redet anderen nicht drein, duldet jedoch auch sehr ungern fremde Gedanken in seiner 'domaine reservée'. Ihm gegenüber kann in einer solchen Gruppe der 'allround Beamte' sitzen, der in einer solchen Aufgabe die große Stunde seiner Entfaltung und Bewährung sieht. Der stille Fachbeamte will kaum gestaltend Einfluß auf die Gesetzgebung nehmen und schon gar nicht unter politischen Gesichtspunkten. Wenn er gestaltend mitwirken will, ist es lediglich im Bereich seiner gemachten Erfahrungen. Dabei hat er nicht selten auch eine technokratische Erleichterung der Bewälti-
84 Allerdings drängte sich generell bei der Beobachtung des Gesetzgebungsverfahrens der Eindruck auf, daß man bei weitem nicht in allen Fällen eigenständige Entscheidungen gefällt, sondern einfach 'übernommen* hat. Zu diesem Schluß muß man zumindest kommen, wenn man die Definition von Dill des 'administrative decision-making" zugrunde legt, die davon ausgeht, daß „at the simplest level, a decision is a choice among alternatives", Dill , W. R., Administrative DecisionMaking, in: Golembiewski , R. T. / Gibson , F. / Cornog , G. Y. (Hg.), Public Administration, 2. Aufl., Chicago 1972, S. 90ff. (S. 93). In zahlreichen Fällen machte man sich keinerlei Gedanken über mögliche Alternativen. Dies ist jedoch nicht unbedingt der Projektgruppe anzulasten, sondern beruhte einmal auf der grundsätzlichen Vorgabe, so wenig wie möglich an den bestehenden Gesetzen zu ändern und der Zeitnot, unter der die Arbeit litt. Dennoch hätte man bei der Lösung der Sachprobleme, die Alternativen offen ließen, sich sicherlich eine ausführlichere Aufarbeitung dieser verschiedenen Möglichkeiten nicht nur innerhalb der Projektgruppe, sondern auch mit dem Minister vorstellen können. Dies um so mehr, als es hier nicht um 'programmiertes Entscheiden' in der alltäglichen Arbeit der Verwaltung ging. Vgl. Luhmann, N., Opportunismus und Programmatik in der öffentlichen Verwaltung, in: ders., Politische Planung, S. 196ff. 85
Vgl. Hofstätter,
P. R., Gruppendynamik, Hamburg 1957.
42
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gung seiner Aufgaben innerhalb des Referats im Auge. Wenn sich jemand ständig und erfolglos als Referent mit der rechtswidrigen Wahrnehmung des 'politischen Mandats' der Studentenvertretungen im Wege der obersten Rechtsaufsicht befassen muß, versucht er, auch als politisch in keiner Weise motivierter stiller Fachbeamter gestalterisch dahingehend Einfluß zu nehmen, daß er Instrumente in die Hand bekommt, die ihm diese Rechtsaufsicht erleichtern. Diese technokratisch bedingte gestalterische Einflußnahme hat sehr wenig mit allgemeinpolitisch motivierter Gestaltung von gesellschaftlichen Verhältnissen zu tun. 86 Diese wiederum liegt dem 'allround Beamten' in einer solchen Gruppe mehr am Herzen. Er möchte, insbesondere wenn er auch politisch motiviert ist, soviel eigene Vorstellungen wie möglich durchsetzen. Er genießt seinen Einfluß. Wenn er Überzeugungskraft und Redegewandtheit besitzt, bestimmt er weitgehend die Weichenstellungen in der Gruppe, auch auf Gebieten, die von anderen Mitgliedern der Gruppe federführend bearbeitet werden. Natürlich gelingt es ihm nur, wenn er sich in allen Feldern der komplexen Materie sachkundig gemacht hat. Wo andere sich noch informieren müssen, kennt er die Problemstellung genau und bietet eine fertig formulierte Lösung an. Die Kollegen sind dankbar für die aufgezeigte Lösung, hilft sie ihnen doch häufig, ihr Nichtwissen nicht allzu deutlich werden zu lassen. Auf jeden Fall wird durch einen fertig formulierten Vorschlag Zeit gespart. Der Einfluß dieses Beamtentypus ist um so größer, je geringer die zur Verfügung stehende Zeit zur ausgiebigen Diskussion in der Gruppe ist. Es wäre grundsätzlich falsch, diesen Typus negativ zu bewerten. Im Gegenteil: Ohne den Einsatz solcher Gruppenmitglieder, ohne solches, bis zur physischen Erschöpfung getriebenes Engagement, würden Gesetze noch technokratischer, noch weniger politischen Willen deutlich machen, als das bei der Mehrzahl aller Gesetze ohnehin schon der Fall ist. Die Motivation eines solchen Beamten erschöpft sich nicht allein in den genannten eher individualegoistischen Komponenten. Hinzu kommt in der Regel auch ein Gefühl für die gestalterische Verantwortung, die der Gruppe zukommt. Angesichts der unterschiedlichen Charaktere und Motivationen der Gruppenmitglieder 87 ist es nicht überraschend, wenn in solchen Gruppen auch Span86 Dies führt dazu, daß „die Gesetzgebung in großem Umfange ein Mittel der Verwaltung (wird), mit dessen Hilfe sie sich zusätzliche Ermächtigungen schafft, wie sie aus dem Verwaltungsalltag heraus als wünschenswert erscheinen" {Ellwein, Th., Regierung als politische Führung, Stuttgart 1970, S. 14). 87 Mayntz, R., (S. 201) unterscheidet generell vier Ministerialbeamtentypen: 1. den 'Administrator', der sich vorzugsweise mit den Aufgaben des Abteilungsmanagements befaßt, 2. den
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nungen entstehen und es dem Geschick des Gruppenleiters oder in schweren Fällen dem Staatsekretär oder dem Minister überlassen bleibt, die Gruppe zu weiterer Arbeit, insbesondere Zusammenarbeit, zu motivieren. Ob eine solche, auch von der psychologischen Grundstruktur der Mitglieder her pluralistisch zusammengesetzte Gruppe grundsätzlich positiv zu werten ist, erscheint insbesondere zweifelhaft, wenn einzelne Gruppenmitglieder nahezu vollkommen selbständig wichtige Gesetzentwurfpassagen entwerfen. Wenn diese Formulierungen ζ. B. von dem Beamtentypus erstellt werden, der keinen Sinn für den gestalterisch-innovativen Aspekt seiner Aufgabe hat, dann leidet mit Sicherheit der politisch gestaltende Charakter des Entwurfs. Ob dieser Mangel in der Plenumsdiskussion der Gruppe oder in der weiteren Bearbeitung des Entwurfs noch bemerkt und ausgeglichen werden kann, ist zweifelhaft. In dem hier zu beschreibenden Prozeß war dies allein schon aus arbeitstechnischen Gründen nicht mit völliger Sicherheit gewährleistet. Insofern wäre gerade für politisch wichtige Gesetzgebungsvorhaben eine Gruppe optimal, die einigermaßen homogen mit dem Typus des 'politischen Beamten' besetzt werden könnte.88 Die notwendige Korrektur allzuviel gesellschaftlichen Innovationseifers 89 müßte dann auf der Ebene des Ministers, des Staatssekretärs und deren engerer Mitarbeiter erfolgen. Erst durch eine solche Besetzung wäre gewährleistet, daß mögliche Innovationsspielräume auch ausgeschöpft werden, da dies weder auf der Ministerbüroebene wegen zu geringer personeller Kapazität noch durch den Minister selbst nachgeholt und auch in der Hierarchie offenbar nicht geleistet werden kann. 90 Zu betonen ist allerdings, daß die Ausnutzung solchen Innovationspotentials politisch motivierter Ministerialexperten auch im Detailbereich nicht Selbstzweck sein darf. Die Prüfung, ob eine Neuerung nötig und vor allem sinnvoll ist, muß sehr sorgfältig auf der Ebene des Ministerbüros und des Ministers
'Fachmann', der sich mit Vorliebe an der sachlichen Arbeit der Referate beteiligt, selber an Entwürfen mitformuliert etc., 3. den durchsetzungsorientierten, aber politisch neutralen 'Promoter', der vor allem versucht, den Vorhaben zum Erfolg zu verhelfen, 4. den 'Politiker', der sein Handeln primär an politischen Kriterien orientiert. Vgl. auch Grottian, P., Zum Planungsbewußtsein der Bonner Ministerialorganisation, PVS, Sonderheft 4, 1972, S. 127ff. (S. 147ff). 88 Die Studie von Grottian, P., PVS, die das Ergebnis von 72 Befragungen innerhalb der Ministerialbeamtenschaft auf Bundesebene wiedergibt, schreibt 22% der befragten Beamten eine 'aktivstrukturverändernde', 38% eine 'strukturmodifizierende' Einstellung zu. 16% bezeichnet er als 'passiv-strukturkonservierend'. 89 Daß diese Gefahr nicht überzubewerten ist, geht aus der empirischen Studie von Grottian, P., PVS, hervor. 90
Grundsätzlich zur Hierarchiediskussion vgl. Zimmermann, H. / Stihl, H. / Gökelmann, D., Verwaltungslehre, Berlin / Köln / Mainz 1977, S. 35ff.
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vorgenommen werden. Eine solche Prüfung ist jedoch weitaus eher zu leisten, als eigene Innovationen unter den auf dieser Ebene gegebenen Belastungen fruchtbar zu formulieren. c) Die Außenbeziehungen Natürlich arbeitete die Gruppe nicht im hermetisch abgeschirmten Raum. Die Beziehungen der Gruppe als Ganzes und der einzelnen Mitglieder zur übrigen Bürokratie des Hauses, zu den anderen Ministerien im eigenen Lande und zu den Ministerien in anderen Bundesländern oder zu Bundesministerien waren ähnlich differenziert wie die Beziehungen zur Öffentlichkeit. Die Beziehungen zu den Ministerien in anderen Ländern erschöpften sich im konkreten Gesetzgebungsverfahren auf die Bitte um Überlassung der schon erarbeiteten Entwürfe und dem einen oder anderen Telefongespräch. Letzteres geschah jedoch meistens in der Verantwortung eines einzelnen Mitgliedes der Gruppe ohne besonderen Gruppenauftrag. Meistens beruhten solche Kontakte auf schon vorher bestehenden Bekanntschaften mit dem entsprechenden Referenten in einem anderen Bundesland. Solche Gespräche dienten auch dazu, dem betreffenden Mitglied der Gruppe einen Informationsvorsprung vor den anderen zu verschaffen, sich eine Untermauerung seiner eigenen Vorstellung oder Argumente für die Disqualifikation anderer Auffassungen zu besorgen. Dabei handelte es sich, soweit nachprüfbar, lediglich um Gespräche zwischen Kollegen von Ministerien, die von Politikern einer SPD/FDP-Koalition geleitet wurden. Offzielle Treffen oder Kontakte zwischen den verschiedenen Gruppen der Ministerien in den Bundesländern, auch wenn sie von einer SPD/FDP-Koalition geführt wurden, fanden nicht statt. Eine 'konzertierte Anpassung' wurde allein schon durch den unterschiedlichen Stand der Arbeiten in den einzelnen Kultusministerien dieser Länder faktisch vereitelt. 91 Im übrigen ist diese Tatsache für die Bewahrung Systems nur zu begrüßen. Die Gefahren, die für dieses auf der einen Seite die SPD/FDP-regierten Länder kungsgleich koordinierten und auf der anderen Seite Länder das Gleiche täten, liegen auf der Hand.
unseres föderalistischen System erwachsen, wenn ihre Gesetzgebung dekdie CDU/CSU-regierten
Auch die Beziehungen der Gruppe zu Ministerien innerhalb Hessens waren minimal. Zumindest in dieser Phase erreichten sie keinen offiziellen Status. Sie beschränkten sich auf den „Kleinen Dienstweg", 92 d. h. auf informative Tele91 Die der SPD angehörenden und für die Hochschulpolitik zuständigen Minister auf Länderebene tagten lediglich einmal am 19.1.1978 in München. 92
Καίζ,Α., S. 209.
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fongespräche, und andere bilaterale Gespräche auf Referentenebene, 93 ζ. B. mit Referenten des Sozialministeriums über Fragen des Klinikbereichs, da der Sozialminister von seinem Verantwortungsbereich her ein starkes Interesse hatte und außerdem den Sachverstand seiner Beamten einbringen konnte. Jedoch wurde besonders letzterer nicht allzugerne von der Gruppe und dem in ihr für diesen Bereich Verantwortlichen in Anspruch genommen, besaß das Kultusministerium doch selbst einen medizinisch ausgebildeten Referenten für das Universitätsklinikwesen, so daß dessen Sachverstand mit größerer Bereitschaft in der Gruppe fruchtbar gemacht wurde. Direkte Beziehungen der Gruppe zu den Massenmedien gab es nicht. Jeder Außenkontakt zur Presse, zum Fernsehen oder zum Rundfunk wurde ohne nach außen hin sichtbare Beteiligung der Gruppe durch das Pressereferat, durch die Staatssekretärin oder den Minister selbst abgewickelt. Die Gruppe als Ganzes oder einzelne Gruppenmitglieder wurden nur beteiligt, indem sie aufgefordert wurden, einzelne Fragen für das Pressereferat und die Spitze des Hauses für deren Öffentlichkeitsarbeit aufzubereiten. Ob und inwieweit informelle Kontakte einzelner Mitglieder der Gruppe zu Journalisten bestanden, ist nicht bekannt. Die Isolation der Gruppe gegenüber den Massenmedien war einseitig im Beamtenrecht begründet. Dennoch konnte nicht vermieden werden, daß die einzelnen Mitglieder ständig mit den Vermutungen, der vorweggenommenen Kritik und der oft auf Fehlinformationen beruhenden Kommentierung der Arbeit durch die Öffentlichkeit in Berührung kamen. Selbstverständlich konnte auch nicht ausgeschlossen werden, daß solche Einflüsse zumindest mittelbare Wirkung auf die Arbeit der Gruppe besaßen. Dies um so weniger, da die veröffentlichte Meinung unter den genannten politischen Rahmenbedingungen der bevorstehenden Wahl und der damit verbundenen Direktive, möglichst wenig Spektakuläres zu produzieren, einen noch größeren Stellenwert besaß als unter 'normalen' Bedingungen. Inwieweit die Gruppe sich direkt in ihrer Arbeit davon beeinflussen ließ, ist nicht einmal graduell erfaßbar, da diese Beeinflussung den einzelnen Mitgliedern nicht unbedingt bewußt geworden sein muß. d) Technisch-organisatorische Probleme In der gesamten Literatur zu Problemen der Gesetzgebung wird in kaum nennenswerter Weise auf Fragen eingegangen, die die 'Niederungen' des rein 93 Zur informellen Abstimmung zwischen den verschiedenen Ministerien vgl. Hesse, J. J. / Ellwein, Th., Das Regierungssystem der Bundesrepublik Deutschland, 7., völlig neubearbeitete und erweiterte Auflage, Opladen 1992, Bd. 1, S. 267f.
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organisatorischen Ablaufs der Gesetzgebungsarbeit betreffen. Nur wer mit der Gesetzgebungsarbeit unmittelbar konfrontiert ist, kann ermessen, welchen Einfluß diese Ebene der Arbeit auf den Gesetzestext besitzt. Dies gilt insbesondere dann, wenn Gesetze unter Zeitdruck erstellt werden müssen. Referenten, die sich um die simpelsten organisatorischen Fragen selbst kümmern müssen, haben naturgemäß weniger Zeit, den Inhalt der Entwürfe zu gestalten. Wie komplex selbst so einfache Vorgänge, deren Bewältigung oft als selbstverständlich und deshalb als kaum erwähnenswert betrachtet werden, sind, soll das Problem des 'Schreibens' des Gesetzestextes und dessen Vervielfältigung exemplarisch andeuten. Jede Studie, die diese Ebene der Komplexität unterschätzt, umfaßt mit Sicherheit nicht die ganze Problematik. Spätestens beim Bemühen, möglichst schnell einen wichtigen gestalterischen Gedanken zu Papier zu bringen und über den Kopierdienst auch die Kollegen der Projektgruppe an der Geistesfrucht teilhaben zu lassen, erfährt jeder Gesetzesschöpfer die Grenzen seiner Möglichkeiten. Von der Chefin des Schreibbüros wird er mit der Tatsache vertraut gemacht, daß die Damen auch noch anderes zu tun haben, ζ. B. die Beförderungsurkunden von zahllosen Beamten noch vor Jahresende zu schreiben etc. Natürlich kann all dies geregelt werden, doch ehe die Verwaltung sich mit hochfliegenden und tiefgreifenden Reformplänen beschäftigt, sollte sie sich erst einmal an der organisatorisch-technischen Ausstattung eines mittleren Betriebes der freien Wirtschaft orientieren. Wie schwer sich die Verwaltung mit den einfachsten Vorgängen tut, illustriert auch die Beschreibung des 'Kopierens' in einem renommierten Handbuch: „Kopieren bedeutet, daß von einer Vorlage eine bis auf die Details genaue ggf. im Maßstab veränderte - Wiedergabe (Reproduktion) hergestellt wird. Die Bürokopiergeräte können nach verschiedenen Merkmalen unterschieden werden, ζ. B. nach Kopierverfahren, Art des Kopiervorganges, Art der Bauform, Art der Vorlage, Abbildungsmaßstab, Entwicklungsverfahren. Hier soll nur auf die in der Verwaltung überwiegend gebräuchlichen Kop'iQTverfahren näher eingegangen werden ... u 9 4
94
Kreuser, C. / Friedrich, Aufl., Herford 1993, S. 216.
K., Organisations- und Bürokunde für die Verwaltung, 12. überarb.
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e) Projektgruppe und Interessenteneinflüsse Einzelne Mitglieder der Gruppe oder auch die Gruppe als Einheit hatten auch direkten Kontakt mit der 'organisierten Öffentlichkeit', mit Interessengruppen. So traf die Gruppe einmal mit Vertretern des DGB zusammen, ein anderes Mal empfingen Gruppenmitglieder Assistentenvertreter hessischer Hochschulen. Allerdings blieben solche 'offiziellen' Kontakte zwischen Projektgruppe und Interessengruppen bzw. direkt Betroffenen die seltene Ausnahme. Diese Kontakte erfolgten auch nicht auf eigene Initiative der Gruppe, sondern auf Bitten des Ministerbüros, dessen verantwortlicher Mitarbeiter den Termin ursprünglich selbst wahrnehmen wollte, dann aber aufgrund von anderen Verpflichtungen ad hoc andere Gesprächspartner für die entsprechenden Gruppen finden mußte. Festzustellen bleibt in diesem Zusammenhang, daß die Interessengruppen auch gar nicht den Wunsch äußerten, in direkten Kontakt mit den Referenten zu treten, so daß das Problem der Zulässigkeit von Kontakten der Gruppe mit Verbänden nicht grundsätzlich entschieden werden mußte. Bei einer solchen Entscheidung hätte man davon ausgehen müssen, daß diese Kontakte die Ausnahme hätten bleiben müssen. Die Gruppe wäre schwerlich noch zu der eigentlichen Arbeit an den Entwürfen gekommen, wenn alle Interessenten Gelegenheit zu direktem Kontakt erhalten hätten. Schwerer wiegt jedoch ein demokratietheoretisches Argument, daß nämlich die Chancengleichheit der Einflußnahme von Interessengruppen und Betroffenen gewährleistet sein muß. 95 Dazu ist bei der Betrachtung des Interesseneinflusses auf den gesamten Gesetzgebungsprozeß näher einzugehen. Konkret zu Kontakten zwischen Interessenverbänden und ministerieller Projektgruppe muß hier jedoch noch festgehalten werden, daß diese Praxis nach herrschender Meinung weder rechtswidrig noch ungewöhnlich ist. f) Die Beziehungen zum Landtag Die Beziehungen der Gruppe und einzelner ihrer Mitglieder zu Parlamentariern und dem Landtag insgesamt mußten im Einzelfall von der verantwortlichen Spitze des Ministeriums genehmigt werden. So nahmen einzelne Gruppenmitglieder, wenn sie bestimmte Fragenkomplexe bearbeitet hatten, die in Sitzungen des kulturpolitischen Ausschusses der SPD- oder FDP-Fraktion eine Rolle
95 Vgl. dazu Mertgel, H.-J., Bundeswirtschafts- und Sozialrat als Beitrag zur Parlamentsreform. Eine verfassungsvergleichende Untersuchung mit Blick auf den Conseil Economique et Social der V. Republik Frankreichs, Jur. Diss., Marburg 1975, S. 160f.; ders., Grundvoraussetzungen demokratischer Gesetzgebung. Zur Notwendigkeit einer Prozeßordnung des inneren Gesetzgebungsverfahrens, ZRP 1984, S. 153ff.
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spielten, an diesen Sitzungen teil. Allerdings in der Regel nur in Anwesenheit des Ministers als dessen unmittelbare Informationsquelle. Sie hatten hier keine eigenen Vorstellungen zu entwickeln oder Informationen preiszugeben, sondern nur den Minister oder die Staatssekretärin zu beraten und mit deren Einverständnis unmittelbar zu einem Problem zu referieren. Ähnliche Funktionen besaßen die Referenten während der offiziellen Anhörung des kulturpolitischen Ausschusses des Landtages, welche den Interessenverbänden und Vertretern der Betroffenen Gelegenheit zur Stellungnahme geben sollte. Allerdings hatten sie hier keine Redemöglichkeit. In erster Linie sollten sie sich hier noch einmal über die vorgebrachten Argumente informieren, um entweder danach dem Minister eine Änderung oder ein Festhalten an den vorgesehenen Bestimmungen zu empfehlen, sofern sich überhaupt in dieser Anhörung ein neuer bedenkenswerter Aspekt ergab. Schließlich hatte das Ministerium eine solche Anhörung schriftlich schon sehr viel früher und umfassender veranstaltet. Informative Funktion hatte für die Referenten auch die Teilnahme an den Plenarsitzungen des Landtages, die sich mit den vorgelegten Entwürfen befaßten. Dies geschah von der Zuhörerbank des Landtages aus. Zusammenfassend ist über das Verhältnis Projektgruppe - Landtag festzustellen, daß die Beziehungen zwischen beiden in keiner Weise der Bedeutung der Gruppe für das Gesetzgebungsverfahren entsprachen. Im Verhältnis Parlament Exekutive hatte allein der politisch verantwortliche Minister den Hauptpart übernommen. Allerdings wäre es durchaus denkbar und verfassungstheoretisch einzuordnen gewesen, wenn hier zwischen den Experten der Mehrheitsfraktionen und der Gruppe ein engerer Kontakt zustande gekommen wäre. g) Gruppenarbeit und Richtlinienkompetenz des Ressortchefs Die erste Phase der Projektgruppenarbeit war gekennzeichnet von der politischen Vorgabe 96 des Ministers, die Anpassung der hessischen Hochschulgesetze an das Hochschulrahmengesetz dazu zu benutzen, aus den bisher vier selbständigen hessischen Hochschulgesetzen, dem Universitätsgesetz, dem Fachhochschulgesetz, dem Kunsthochschulgesetz und dem hessischen Hochschulgesetz, 96 Solche Vorgaben erfolgen in der Regel nicht schriftlich, sondern der politische Wille des Ministers wird im Rahmen einer Besprechung mit den betroffenen Beamten und deren Hierarchievorgesetzten deutlich gemacht, wobei konkrete Anweisungen wie im vorliegenden Fall eher die Ausnahme sind. Üblicherweise wird nur die generelle Richtung der zu treffenden Regelungen angedeutet und den Beamten ein außerordentlich weiter Spielraum eingeräumt. Vgl. auch Schmid , G. / Treiber , H., Bürokratie und Politik. Zur Struktur und Funktion der Ministerialbürokratie in der Bundesrepublik Deutschland, München 1975, S. 123f.
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ein einheitliches Gesetz mit Geltung für alle hessischen Hochschulen zu entwerfen. In dieses einheitliche Gesetzeswerk sollte auch das Gesetz zur Errichtung der Gesamthochschule Kassel einfließen. Politisch war eine solche Entscheidung deshalb, weil sie nach außen hin zumindest den Eindruck erwecken konnte, daß die hessische Hochschulpolitik sich von ihrer Vergangenheit völlig löste, oder aber, daß diese grundlegende Änderung dazu diente, das Gesamthochschulkonzept mit Energie voranzutreiben. Letzterer Eindruck konnte berechtigterweise dadurch entstehen, daß nunmehr für alle Hochschulen, gleich ob Universität oder Fachhochschule, ein einziges Gesetz Geltung haben sollte. Die Befürworter und Gegner der Gesamthochschulen gingen davon aus, daß dadurch die Unterschiede zwischen den einzelnen Hochschularten kleiner würden. Die Gegner befürchteten eine Nivellierung aller Hochschulen mit der Tendenz, sich auf einem niedrigen Qualitätsniveau wiederzufinden. Die Befürworter sahen darin einen wesentlichen Schritt zur Aufwertung der praxisorientierten Ausbildung der Fachhochschulen. Trotz dieser entgegengesetzten Meinungen, die bei den an der Gesetzgebung Interessierten vorhanden waren, erregte die Entscheidung des Ministers zunächst keinerlei Aufsehen. So konnte sich die Projektgruppe an die Verwirklichung der Vorgabe des Ministers machen. Auch war weder den Beamten noch dem Minister selbst bewußt, welche Erwartungen und Befürchtungen sie mit dieser Gesetzesentscheidung erregten. Man wollte lediglich die erwarteten technischen Schwierigkeiten in der Gesetzesanwendung vermeiden helfen, indem man ein Gesetz entwarf, das für alle Hochschulen gelten sollte. Eine hochschulpolitische Grundsatzentscheidung war damit nicht im entferntesten intendiert. Dies um so weniger, da der Minister einem Gesamthochschulkonzept reservierter gegenüberstand, als dies ein Einheitsgesetz hätte vermuten lassen. Nachdem die Arbeitsgruppe sehr weit in ihrer Arbeit am Entwurf eines einheitlichen hessischen Hochschulgesetzes vorangekommen war, begann der Kampf gegen die Grundsatzentscheidung des Ministers hinter den Kulissen. Weitgehend unbemerkt von der interessierten Öffentlichkeit versuchten diejenigen, die vier getrennte Gesetzentwürfe erwartet hatten, die Entscheidung für den Einheitsgesetzentwurf zu revidieren. Die Einzelheiten dieser Einflußnahme werden in einem anderen Abschnitt dieser Studie dargestellt. In dem konkreten Zusammenhang 'Richtlinienkompetenz des Ministers und Arbeit der Projektgruppe' ist nur von Interesse, daß der Minister angesichts einer Reihe von Argumenten, die von den Gegnern eines Einheitsgesetzentwurfs vorgetragen worden waren, seine Entscheidung überprüfte.
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Selbstverständlich blieb das erneute Überdenken der ursprünglichen Entscheidung den Mitgliedern der Projektgruppe nicht verborgen, und sie setzten alles daran, den Minister in seiner ursprünglichen Entscheidung zu bestärken. Es ist nicht ganz auszuschließen, daß die hochschulpolitisch engagierten Mitglieder der Gruppe dem Minister die Entscheidung für ein Einheitsgesetz nahegelegt hatten, um damit einen wichtigen Schritt in Richtung auf ein hessisches Gesamthochschulsystem voranzukommen. Außerdem waren auch die eher bedächtigen, hochschulpolitisch nicht in eine bestimmte Richtung engagierten Beamten aus arbeitsökonomischen Gründen am Bestand der Entscheidung interessiert. Die Aufgabe des Einheitsgesetzentwurfs, der inzwischen in einer ersten Fassung hausintern vorlag, bedeutete unabweislich eine erneute hohe Arbeitsbelastung. Trotz dieser Widerstände entschied der Minister entgegen den Wünschen der Gruppe. In seiner Besprechung mit der Gruppe im Büro des Ressortchefs verkündete der Minister seine Entscheidung in knappen Worten, die eine lange Diskussion nicht mehr zuließen.97 Bis zuletzt hatte die Gruppe noch Hoffnung gehabt, die Entscheidung werde nicht revidiert. Nunmehr versuchten lediglich einzelne Gruppenmitglieder, die dem Typus des 'politischen Beamten' zuzurechnen sind, den Minister umzustimmen, indem sie insbesondere auf die technische Unmöglichkeit der Erhaltung der vier hessischen Hochschulgesetze hinwiesen. Diese Schwierigkeit ergebe sich vor allem daraus, daß aufgrund der notwendigen Anpassungen an das HRG der alte Text der existierenden Gesetze nicht mehr verwendbar sei. Dieses Argument hatte der Minister aber auch schon in seine erneute Entscheidungsfindung einbezogen. Einen seiner engeren Mitarbeiter hatte er vertraulich beauftragt festzustellen, welche Paragraphen der hessischen Hochschulgesetze zwingend einer Änderung nach dem Hochschulrahmengesetz unterzogen werden mußten. Die Studie war zu dem Ergebnis gekommen, daß durchaus noch ein wesentlicher Teil der alten Gesetzestexte auch vor dem HRG Bestand hatte und deshalb nicht zwingend geändert werden mußte.
97 Die Notwendigkeit, auf kollegiale Führung in der Spitze zu verzichten, unterstreicht auch Hennis , W., Richtlinienkompetenz und Regierungstechnik, Tübingen 1964, S. 10: „Es hat sich nun aber überall gezeigt, daß die ... Führungsaufgaben nicht mehr von politischen Leitungsgremien erfüllt werden können, die nach dem Prinzip kollegialer Beratung organisiert sind." Vgl. auch
Prior, H., S. 60, FN 31; Meyer, P., S. 147f. und 182.
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h) Die Beziehungen zwischen Gruppe und Ministerbüro In wichtigen Entscheidungsprozessen, die politische Gestaltungskapazität in sich bergen, muß auch der Einfluß des Ministerstabs, der gerade in letzter Zeit erhöhte wissenschaftliche Aufmerksamkeit gefunden hat, einbezogen werden. Wie beschrieben, gibt es für konkrete Planungs- und Gesetzgebungsvorhaben in der Regel im Ministerium ad hoc zusammengestellte Projektgruppen. Insofern wird der normalen Hierarchie ein außerordentlich großer Einfluß auf die Gesetzgebung eingeräumt. Die Projektgruppe entwirft die ersten Formulierungen. Einmal formulierte Sätze haben ein nicht zu unterschätzendes Eigengewicht. Je begrenzter der zeitliche Spielraum ist, desto stärker kommt eine solche Prädestinationsfunktion zur Geltung. Wenn keine Zeit mehr bleibt, Alternativen zu den vorgelegten Entwürfen zu formulieren, sind alle Beteiligten und besonders auch die verantwortliche Spitze des Ressorts froh, wenn einigermaßen brauchbare Formulierungen vorliegen. Daneben hängt der Einfluß der Linienbeamten auf die Planung und Entscheidung davon ab, ob in der engeren Umgebung des Ministers, d. h. im Ministerbüro, ein stärkerer Einfluß und Gestaltungswille vorhanden ist, vor allem aber auch, ob die organisatorisch-technischen Voraussetzungen gegeben sind, daß dieser im Ministerbüro vorhandene Gestaltungswille auch umgesetzt werden kann. 98 Nicht zuletzt wird die strukturelle Einbettung des Ministerbüros wie überhaupt „die Kommunikationsstruktur zwischen politischer Führung und Verwaltung" weitgehend davon bestimmt, wie die politische Führung ihr Amt versteht, „entweder additiv koordinierend oder mehr zukunfisantizipierend ..."" In der Regel ist davon auszugehen, daß die Mitarbeiter im Ministerbüro nach zwei Kriterien in ihre Funktion berufen werden. Einmal muß ein solcher Mitarbeiter im guten Sinne des Wortes 'L'homme politique' sein. Er muß bei allen Entscheidungen, bei allen Vorlagen, die über seinen Schreibtisch gehen, die
98 Zur geringen Informationsverarbeitungskapazität aufgrund mangelnder Ausstattung der Leitungsbüros vgl. Schmid , G. / Treiber, H., S. 122f.: „Die Leitungsebene ist insbesondere infolge ihrer geringen Informationsverarbeitungskapazität, was unmittelbar aus der Anzahl der ihr zur Verfügung stehenden (organisatorischen) Einheiten und dem dazugehörigen Personal abzuleiten ist, grundsätzlich nur bedingt in der Lage, sich 'aktiv' am Prozeß der Programmentwicklung zu beteiligen. In der Regel beschränkt sich die Teilnahme der Leitungsebene bei der Programmentwicklung darauf, Anstöße zur Entwicklung von Programmen zu geben." 99
Ellwein, Th., Planen und Entscheiden, in: Ronge, V. / Schmieg, G., Politische Planung in Theorie und Praxis, München 1971, S. 26ff. (S. 26). 5 Mengel
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politischen Implikationen für 'seinen Minister' beurteilen können. Dies ist um so notwendiger, da nach dem heute noch herrschenden Idealbild eines Beamten, auch wenn er in der Ministerialverwaltung tätig ist, dieser unpolitisch zu sein hat. Nichts ist in den Augen der Bürger verwerflicher, als wenn ein Beamter politische oder gar spezifisch parteipolitische Erwägungen in seine Entscheidungen und Vorlagen einfließen läßt. Ob ein solches Idealbild zumindest für die Ministerialverwaltung noch Gültigkeit besitzt, kann in diesem Rahmen nicht abschließend untersucht werden. Hier ist nur die Tatsache wichtig, daß der Linienbeamte in der Hierarchie in der Regel politisch neutrale Vorlagen entwirft und deshalb auch nicht die Möglichkeit politischer Komplikationen überprüfen muß und auch nicht will. Die im Schrifttum vorherrschende Auffassung, daß selbstverständlich der Linienbeamte bei seinen Entscheidungen und Vorlagen die politische Grundeinstellung der Ressortspitze berücksichtige, und sich ζ. B. an den inhaltlichen Aussagen der Regierungserklärung orientiere, entspricht nicht den Tatsachen. Welcher Linienbeamte hat schon die politischen Grundsatzerklärungen seines Ressorchefs oder auch nur die Regierungserklärung studiert. Solche Grundsatzaussagen werden der Hierarchie auch nicht systematisch etwa durch Umlauf zur Kenntnis gebracht, da man hierin schon wieder eine einseitige Politisierung des Hauses sehen könnte. Es bleibt also dabei, daß der Linienbeamte nur dann politische Implikationen berücksichtigt, wenn er vom Minister oder seinem unmittelbaren Vorgesetzten entsprechende Vorgaben bekommen hat. Dies ist ζ. B. für die Mitglieder einer Projektgruppe der Fall. Hier haben die Beamten politische Vorgaben und sind sich auch der Tatsache bewußt, daß sie eine gestalterisch-politische Aufgabe wahrnehmen. Insofern ist davon auszugehen, daß sie bei den Diskussionen in der Gruppe schon die voraussichtlichen politischen Reaktionen bei dieser oder jener Alternative berücksichtigen. Wenn ihnen dabei klar wird, daß bestimmte Vorschläge ernstere politische Implikationen haben, dann gebietet es ihnen die Loyalität, den Minister auf mögliche Folgen hinzuweisen und seine persönliche Entscheidung möglichst frühzeitig einzuholen. 100 Nichts wäre für einen politischen verantwortlichen Ressortchef
100 Wie wichtig diese Loyalität der Beamten ist, ergibt sich aus der von Sozialwissenschaftlern unterstrichenen Tatsache, daß es im sozialen Raum keine 'reine' Information gibt, sondern daß jeder Informationsvorgang durch soziale, physische und politische Interessen beeinflußt wird. So wird der andere nicht allein sachlich informiert, sondern man achtet auch darauf, daß das eigene Interesse möglichst gewahrt bleibt. Kübler, H., Organisation und Führung in Behörden, Bd. 1,3. Aufl., Stuttgart / Berlin / Köln u. a. 1978, schließt daraus für den Bereich der Bürokratie (S. 126): „Durch die bei Innovationsentscheidungen gegebenen Spielräume für die Beteiligten können daher die formalen Zuständigkeiten und Verantwortlichkeit wesentlich verschoben werden. Mitarbeiter auf den unteren Ebenen der Hierarchie haben ζ. B. die Möglichkeit, durch die Auswahl von Daten und Alternativen die Entscheidung der 'letzten Instanz' weitgehend vorprogrammieren"
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unangenehmer als bei solchen Projekten mit illoyalen oder auch nur indifferenten Beamten zusammen zu arbeiten. Hier wird wiederum die außerordentliche Bedeutung der Gruppenzusammensetzung deutlich. Dennoch verläßt sich kein Amtschef ausschließlich auf die Loyalität und den politischen Instinkt der Linienbeamten. Als 'Kontrollinstanz', unter Umständen 'als Gegenpol' oder als 'Entscheidungszentrum in letzter Instanz' dient ihm sein persönlicher Stab im Ministerbüro. Dessen Funktion in einem konkreten Gesetzgebungsprozeß hängt von zwei Faktoren wesentlich ab. Wenn die Projektgruppe, die entwirft und plant, optimal im Sinne des Ministers zusammengesetzt wurde, wenn sie also aus Beamten der Hierarchie besteht, die das volle Vertrauen des politisch Verantwortlichen besitzen, die Sachverstand, Gestaltungswillen und politisches Gespür für das vernünftig Machbare einbringen, wird die Funktion des Ministerstabes auf ein Minimum reduziert. Wenn allerdings diese Voraussetzungen nicht vorliegen, der Minister jedoch aus den an anderer Stelle genannten notwendigen Rücksichtsnahmen die Gruppe nicht anders zusammensetzen konnte, dann gewinnt die engere Umgebung des Ressortchefs eine gewichtige Funktion. In einem solchen Falle müssen alle von der Gruppe kommenden Vorschläge und Formulierungen auf das sorgfältigste noch einmal auf ihre politischen Implikationen überprüft werden. Insbesondere muß berücksichtigt werden, ob die Vorschläge im Einklang mit der grundsätzlichen Linie des Ministers oder dessen öffentlichen Äußerungen stehen, ob sie in der Partei, gegenüber dem Koalitionspartner und der Öffentlichkeit vertretbar und durchsetzbar sind. Bei dieser Konstellation ergibt sich auch die Notwendigkeit, daß die 'politischen Vorgaben' des Ministers an die Projektgruppe sehr viel detaillierter sind als im ersten Fall. Auch hier sind in erster Linie seine engeren Mitarbeiter gefordert, da der Minister in den seltensten Fällen angesichts der Belastung, die sein Amt mit sich bringt, in der Lage ist, sich über einzelne Details der Gesetzgebung, auch wenn sie wichtig sein mögen, Gedanken zu machen. 101 Ein anderer Faktor, der den Einflußrahmen der Ministerumgebung bestimmt, ist der Wille des Ministers selbst zur politischen Gestaltung. Wenn dieser Wille im konkreten Prozeß, aus welchen Gründen auch immer, schwach ist, dann wird er seinen Stab wenig motivieren, politische Vorgaben für die Gruppe zu entwer101
Vgl. Sontheimer, K., S. 166: „Sicher ist jedoch, daß die Minister aufgrund ihrer fachlichen wie politischen Doppelbeanspruchung besonders stark belastete Persönlichkeiten sind, die relativ wenig Zeit aufbringen, ihren politischen Aufgabenbereich in einer langfristigen Perspektive zu sehen."
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fen, sondern darauf bedacht sein, daß seine Mitarbeiter lediglich noch einmal eine Kontrolle dahingehend ausüben, daß sie die von den Linienbeamten vorgelegten Entwürfe auf Punkte prüfen, die Probleme mit Partei, Parlament und Öffentlichkeit bringen könnten. Findet ein starker Gestaltungswille in der Gruppe keine ausreichende Unterstützung, ist die Stunde des Ministerstabes gekommen. Voraussetzung für die effektive Wahrnehmung der von den Mitarbeitern des Ressortchefs dann auszufüllenden Funktion ist allerdings, daß die Ausstattung des Ministerbüros sowohl in personeller als auch in technischer Hinsicht den damit verbundenen Anforderungen genügt. Damit ergibt sich eine weitere wichtige Voraussetzung, die die Mitarbeiter des Ministers erfüllen müssen. Sie müssen nicht nur 'hommes politiques' sein, sondern auch höchsten Qualitätsprüfungen genügen. Denn nur in diesem Falle kann der Stab in der zweiten genannten Konstellation seinen Aufgaben gerecht werden. Zu dieser Qualifikation gehört dann nicht nur die als selbstverständlich vorausgesetzte intellektuelle Kapazität, sondern auch Durchsetzungsvermögen und Charakterstärke. Im konkreten Gesetzgebungsverfahren gab es innerhalb der Gruppe einige Beamte, die sich sehr stark als politisch-gestalterisch empfanden. Andere empfanden dagegen die Gesetzgebungsarbeit mehr als schwere zusätzliche Belastung. Letzteres konnte insbesondere bei denen nicht überraschen, die innerhalb einer kurzen Zeitspanne zum zweiten Male an der Erarbeitung von Hochschulgesetzen beteiligt waren. Insgesamt war eine solche Zusammensetzung jedoch als glücklich anzusehen, da die einen in ihrem politischen Gestaltungsdrang etwas gebremst und die anderen in Momenten der Ermüdung, in denen die Aufgabe zur Routine zu werden drohte, erneut motiviert wurden. 102 Bei dieser Zusammensetzung der Projektgruppe war es nicht unbedingt notwendig, daß sich die engeren Mitarbeiter des Ministers im größeren Umfange einschalteten. Hinzu kam noch, daß der Minister unter den eingangs aufgeführten Rahmenbedingungen, die zur Maxime einer Minimalanpassung geführt hatten, keinen Ehrgeiz entwickelte, bildungspolitische Vorstellungen spezifisch sozialdemokratischer Natur als Schrittmacher der bundesrepublikanischen Hochschulpolitik in den Gesetzgebungsprozeß einzuführen. Ihm ging es ver-
102 Vgl. auch Mayntz, R., S. 202. Sie spricht generell davon, daß „Mischtypen der Orientierung oder aber komplementär zusammengesetzte Leitungsteams unter funktionellen Gesichtspunkten als besonders günstig" anzusehen sind.
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ständlicherweise nach den unruhigen Jahren, die mit dem Namen seines Vorgängers v. Friedeburg verbunden waren, darum, Hessen aus den bildungspolitischen Schlagzeilen herauszuhalten und den Hochschulen eine längere Phase der Ruhe zu geben. Dabei ging er davon aus, daß diese die Zurückhaltung später mit einem großen Maß an Eigeninitiative in Fragen der Studienreform und Bewältigung der Aufgaben, die mit der Überlastung der Hochschulen zusammenhingen, honorieren würden. In einer solchen Situation ging es für die Mitarbeiter des Ministers darum, alle Vorschläge der Projektgruppe oder später auch der Abgeordneten, Verbände und Institutionen daraufhin zu überprüfen, ob sie mit der grundsätzlichen Linie des Ministers vereinbar waren. Hinzu kam, daß sich sowohl der Minister als auch sein im Büro für die Gesetzgebung zuständiger Referent darum bemühten, die 'Mitte' der Hochschulangehörigen mit ihrer Arbeit zu erreichen. Dabei war man sich bewußt, daß dies um den Preis der Unzufriedenheit besonders im linken Spektrum der Partei und ihrer Mitglieder an den Hochschulen geschehen müßte. Gerade dieser Kreis hatte jedoch in der Gruppe nicht nur verschlossene Ohren gefunden, so daß sich hier einiger Konfliktstoff besonders zwischen dem Mitarbeiter des Ministers und einzelnen Mitgliedern der Gruppe bot, der letztlich vom Minister gemäß seiner Grundlinie beseitigt wurde. i) Der Einfluß wissenschaftlicher Beratung auf den Gesetzgebungsprozeß In der juristischen und politikwissenschaftlichen Literatur spielt die Frage der Einflußnahme von Wissenschaftlern und Experten eine große Rolle. Die Bedeutung, die der wissenschaftlichen Beratung hier zugemessen wird, 1 0 3 steht
103 Aus der umfangreichen Literatur vgl. Dietzel, G., Wissenschaft und staatliche Entscheidungsplanung, Berlin 1978; Albert, H., Sozialwissenschaft und politische Praxis-Bemerkungen zu Lompes Analyse des Problems der wissenschaftlichen Beratung der Politik, ARSP 1968, S. 247ff.; Lompe, K., Wissenschaftliche Beratung der Politik, Göttingen 1966; Gäfgen, G., Formale Theorie des politischen Handelns. Wissenschaftliche Politik als rationale Wahl von Strategien, in: Politik und Wissenschaft, München 1971, S. 209ff.; Grimmer, K., Über wissenschaftliche Beratung der Politik, Der Staat 1968, S. 223ff.; Leibholz, G., Der Einfluß der Fachleute auf die politischen Entscheidungen, in: ders., Strukturprobleme der modernen Demokratie, Neuausgabe der 3. Aufl., Frankfurt a. M. 1974, S. 317ff; Lang, F., Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und politischer administrativer Praxis. Gedanken zu amerikanischen Plänen im kommunalen Bereich, DÖV 1967, S. 488ff.; Matz, U., Über die Bedingungen einer Kooperation von Wissenschaft und Politik, ZfP 1968, S. 14ff.; Morkel, Α., Politik und Wissenschaft. Möglichkeiten und Grenzen wissenschaftlicher Beratung in der Politik, Hamburg 1967; Maier, H. / Ritter, K. / Matz, U. (Hg ), Politik und Wissenschaft, München 1971; Wilhelm, W., Wissenschaftliche Beratung der Politik in der Bundesrepublik Deutschland, Frankfurt a. M. 1968; Stammer, O., Der Politikwissenschaftler als Berater der politischen Praxis, in: Wissenschaft und Praxis, Festschrift zum 20jährigen Bestehen d. Westdeutschen Verlages, Köln / Opladen 1967, S. 35ff.; Krauch, H. (Hg.), Wissenschaft und Politik, Heidelberg 1966; Hanau, P., Staat und Universität - Ihr Verhältnis bei der Vorbereitung von
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allerdings in keinem Verhältnis zur tatsächlichen Rolle, die solche Beratung innerhalb der Entscheidungsfindung der Ministerialbürokratie spielt. Gewiß kann man nicht allein von der Untersuchung des konkreten Hochschulgesetzgebungsprozesses zu diesem die Wissenschaft enttäuschenden, wenn nicht gar entmutigenden Ergebnis kommen. Deshalb stützen sich nachfolgende allgemeine Ausführungen zu diesem Problemkreis nicht nur auf die Beobachtung des Entscheidungsprozesses hessischer Hochschulgesetzgebung, sondern beziehen mannigfache Erfahrungen während anderer Planungs- und Entscheidungsprozesse ein. Die Hochschulgesetzgebung ist nur ein Indiz in der Kette, die zu dem vorausgeschickten Ergebnis führt. Im konkreten Entscheidungsfindungsprozeß zur hessischen Hochschulgesetzgebung spielte die wissenschaftliche Beratung keine Rolle. Da wurden weder Fragen des Hochschulrechts, ζ. B. der Rechtsstellung der Emeriti etc. anhand wissenschaftlicher Beiträge, und seien diese auch nur aus der zugänglichen Literatur ohne besonderen Beratungscharakter, in den Entscheidungsprozess wahrnehmbar eingebracht, noch irgendwelche Gutachten bestellt. Wenn hier von dem Nichtvorhandensein wissenschaftlicher Beratung gesprochen wird, geschieht dies unter der Prämisse, daß man die zahllosen Stellungnahmen und Einflußnahmeversuche von Professoren und Hochschulen in diesem Fall nicht als wissenschaftliche Beratung, sondern als Interessenvertretung einordnen muß. 104 Die Gründe, warum dies so war, sind sicherlich vielschichtig. Fest steht jedoch, daß es nicht allein der Zeitdruck war, der eine fundierte wissenschaftliche Beratung ausschloß. Auch bei der Hochschulentwicklungsplanung, die vor dem Gesetzgebungsprozeß eine der Hauptaufgaben der Hochschulplanungsabteilung und der Hochschulabteilung gewesen waren und die unter keinem solchen Termindruck stand, fand ein Rückgriff auf externe wissenschaftliche Beratung nicht statt. Daß dieses Defizit externer wissenschaftlicher Beratung keineswegs ein Spezifikum des hier in Frage stehenden Ministeriums ist, sondern daß die Skepsis der Ministerialbürokratie insgesamt gegenüber solcher-
Gesetzen, in: Zeitschrift für Gesetzgebung 1987, S. 97ff.; Seibel, W., Die Nutzung verwaltungswissenschaftlicher Forschung für die Gesetzgebung. Chancen und Risiken weniger komplexer Rechtsetzungen, München 1984; Hampel, F., Politikberatung in der Bundesrepublik: Überlegungen am Beispiel von Enquete-Kommissionen, ZParl 1991, S. 11 Iff. 104 Kuhn, M., Herrschaft der Experten? An den Grenzen der Demokratie, Würzburg 1961, prägte für den Fachmann, der gleichzeitig Interessenvertreter ist, die Bezeichnung 'unechter Fachmann' (S. 17f). Auf die Schwierigkeit und teilweise Unmöglichkeit 'unechte Fachleute' von 'echten Fachleuten' zu unterscheiden, weist Canenbley, H.-W., Die Zweckmäßigkeit der Verwendung von Ausschüssen in der Verwaltung, Schriften zur Verwaltungslehre, H. 2, Köln / Berlin / Bonn u. a. 1968 hin (S. 80f.).
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lei Beratung groß ist, zeigen zahlreiche Untersuchungen. 105 Daraus läßt sich erkennen, daß die Ministerialbürokratie und die verantwortlichen Politiker die Wissenschaft als Alibi für diese oder jene Auffassung nutzen, die sich bei den Entscheidungsträgern - sei es bei den den Entwurf eines Gesetzes fertigenden Beamten oder dem diesen Entwurf im Parlament verteidigenden Ministern - in einem mehr oder minder zufälligen oder sorgfältigen Entscheidungsprozeß gebildet hat. Daß dem so ist, liegt schwerpunktmäßig bei der Selbsteinschätzung der Ministerialbürokratie. Der einzelne Referent versteht sich selbst als Fachmann. In diesem Verständnis ist Fachmann gleich Praktiker zu setzen. Für ihn mag Wissenschaft hier und da eine nützliche Anregung geben. Sie vernachlässigt aber die Praxis. Insofern kann sie in den Augen des Praktikers oft nur zur Verwirrung der Entscheidungsfindung beitragen. Besonders aufschlußreich ist im Hinblick auf die 'Abwehrhaltung' der Ministerialbürokratie gegenüber wissenschaftlicher Beratung die Untersuchung von H. Friedrich. 106 Auf die Frage: 'Kann die Beratung eigentlich auch Nachteile haben oder nicht?' sahen von 103 befragten Ministerialbeamten 67 % Nachteile und Gefahren in der wissenschaftlichen Beratung. So meinten 12,6 %, daß hier Leute mitentscheiden würden, die die politisch-administrativen Gegebenheiten nicht kennen. Besonders interessant ist die Tatsache, daß 33 % die Gefahr der Präjudizierung und Einschränkung der Entscheidungsfreiheit der politisch verantwortlichen Instanzen sahen. Hier wird offenbar, wenn auch sicherlich teilweise unbewußt, eine Bedrohung des eigenen Einflußreservates gesehen. Denn wer präjudiziell denn augenblicklich die Entscheidungen der politischen Instanzen, insbesondere die der politischen Ressortführung? Offenbar fürchten die Ministerialbeamten, daß durch wissenschaftliche Beratung den politischen Instanzen, insbesondere der verantwortlichen Spitze der Ministerien, Alternativen zu den im Hause erarbeiteten Entwürfen und Plänen zur Verfügung stehen, die es der Ministerialhierarchie in mancherlei Beziehung schwerer machen könnten. Was sich den Ministerialbeamten als Gefahr darstellt, könnte in Wirklichkeit eine erhebliche Erweiterung des Entscheidungsspielraumes für die politischen Instanzen und besonders für die Ressortchefs werden. Aber auch heute schon stellt sich das Verhältnis der verantwortlichen Politiker zur wissenschaftlichen Politikberatung sehr viel entkrampfter dar als zwi-
105
Vgl. die Nachweise bei Friedrich, H., Staatliche Verwaltung und Wissenschaft. Die wissenschaftliche Beratung der Politik aus der Sicht der Ministerialbürokratie, Frankfurt 1970, S. 25Iff. 106
Friedrich,
H., S. 345f.
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sehen Ministerialbürokratie und Wissenschaft. Sie sind eher als der Ministerialbeamte bereit, den Wissenschaftler als Fachmann anzusehen. Insofern ist sein Urteil in manchen Fällen sicherlich genauso wichtig, wie das der Ministerialbeamten. Hier zerfließt im Meinungsbildungsprozeß der Verantwortlichen die starre Grenze zwischen Praxis und Wissenschaft. Zumindest in der ersten Phase der Überlegungen, um dann in der zweiten Phase der Entscheidungsfindung, wenn die Überlegungen über politische Implikationen, ζ. B. der Durchsetzbarkeit der Vorschläge in der Partei oder dem Parlament, beginnen, wieder aufgerichtet zu werden. Hier wird dann der verantwortliche Politiker nicht selten unter 'Beratungsdruck' seiner Praktiker auf den vermeintlichen Boden der Wirklichkeit zurückgeholt. Sätze wie 'Haben Sie denn, Herr Minister, jemals vorher in der öffentlichen Diskussion auf die Möglichkeit einer solchen Entscheidung hingewiesen?' oder 'Das müßte noch einmal eingehend durchdacht werden' oder 'Das hat ungeahnte Folgen in der Praxis' lassen auch den Verantwortlichen vorsichtig werden, der grundsätzlich bereit wäre, das immense Innovationspotential wissenschaftlicher Politikberatung zu nutzen. Noch erfolgreicher in der Abwehr eines Eindringens der Wissenschaft in ihre Domäne waren die Ministerialbeamten aller Ebenen bisher bei der Frage, ob die Wissenschaftler, die ihnen Vorschläge gemacht haben, auch an der Implementierung, und sei es auch nur beobachtend und beratend, mitwirken sollen. 107 Es wäre falsch, den Ministerialbürokraten unredliche Motive wie Eifersucht oder Neid auf die Wissenschaftler, die sich einmischen wollen, zu unterstellen. Sie sind aufgrund ihrer Ausbildung vorsichtig gegenüber allen Innovationen, besonders, wenn sie von außen kommen. Dabei spielt natürlich eine Rolle, daß die Disziplinen, die einen wertvollen Beitrag zur Beratung der Ministerialbürokratie leisten könnten, die Politikwissenschaft, die Soziologie und die Jurisprudenz, zumindest in großen Teilen, besonders bei den erstgenannten Fächern, wenig Vertrauen in den Bürokratien finden. Es ist Zeit, daß sich Politikwissenschaft und Soziologie Gedanken darüber machen, ob dieser bedauerliche Zustand allein der Ministerialbürokratie zuzuschreiben ist. Wie Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Politik auszusehen hat, und wie fruchtbar sie für beide Seiten sich gestalten kann, lehren mannigfache Beispiele in den USA oder Frankreich. In der Bundesrepublik müßten beide Seiten aufeinander zugehen und Mißverständnisse abbauen. Ein langer, aber, angesichts der immensen
107
Vgl. Mayntz, R, Zur Nichtbeteiligung der Wissenschaft bei der Implementierung von Reformen, in: Böhret, C. (Hg.), Verwaltungsreformen und Politische Wissenschaft. Zur Zusammenarbeit von Praxis und Wissenschaft bei der Durchsetzung und Evaluierung von Neuerungen, Baden-Baden 1978, S. 45ff., die an Beispielen deutlich macht, daß diese Beteiligung nicht einmal erfolgt ist, wenn vorher eine diesbezügliche Zusage gegeben wurde.
3. Der Einfluß der Interessengruppen
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M i t t e l , die die Gesellschaft i n die Wissenschaft fließen läßt, u n d der Bedeutung der Ministerialbürokratie, ein notwendiger Weg.
3. Der Einfluß der Interessengruppen I n der Parlamentsdiskussion ist die Stellung der Verbände und insbesondere ihre Einflußnahme a u f den politischen Willensbildungsprozeß ein zentrales Thema sowohl der staatsrechtlichen 1 0 8 als auch der politikwissenschaftlichen 1 0 9 Literatur. D a b e i steht i m M i t t e l p u n k t die Frage, w i e m a n die Verbände verfassungsmäßig institutionalisiert an der staatlichen W i l l e n s b i l d u n g m i t w i r k e n lassen kann. A u c h nach der überwiegenden A b l e h n u n g v o n Wirtschafts- u n d Soz i a l r ä t e n , 1 1 0 insbesondere durch die Enquete-Kommission zur Verfassungsref o r m , 1 1 1 hat dieses Thema noch nichts v o n seiner Aktualität eingebüßt. D i e v o n J. H. Kaiser als Verfassungsfrage des 20. Jahrhunderts charakterisierte Problematik, „ d i e gegebene u n d notwendige Relation v o n Interessengruppen u n d Staat ihrer Gefahren für Staat u n d Organisation zu entkleiden u n d sie konstitutionell
108
Vgl. etwa Steinberg, R., Staat und Verbände, Darmstadt 1985; Huber, H., Staat und Verbände, Recht und Staat, H. 218, Tübingen 1958; Scheuner, U., Politische Repräsentation und Interessenvertretung, DÖV 1965, S. 577ff.; ders., Die Vertretung wirtschaftlicher Interessen in der Demokratie, Schriftenreihe des DIH, H. 73, Bonn 1961; Wittkämper, G. W., Grundgesetz und Interessenverbände, in: Staat und Politik, Bd. 5, Köln / Opladen 1963; Wertenbruch, W., Die rechtliche Einordnung wirtschaftlicher Verbände in den Staat, GS für H. Peters, Berlin / Heidelberg/New York, S. 587ff. 109 Streeck, W. (Hg.), Staat und Verbände, PVS-Sonderheft Nr. 25, Opladen 1994; Hennis , W., Verfassungsordnung und Verbandseinfluß, PVJ 1961, S. 23ff.; Eschenburg, Th., Institutionelle Sorgen in der Bundesrepublik. Politische Aufsätze 1957-1961, Stuttgart 1961, S. 171ff.; Stammer, O., Verbände und Gesetzgebung, Schriften des Instituts für politische Wissenschaft, Bd. 18, Köln / Opladen 1965; ders., Interessenverbände und Parteien, ZSSP, 9. Jg., 1957, S. 587ff.; Schäfer, F., Wie ist der Einfluß der Verbände auf die Tätigkeit des Gesetzgebers zu beurteilen?, in: Bundesvorstand DGB (Hg ), Die Stellung der Verbände im demokratischen Rechtsstaat, Düsseldorf 1968, S. 45ff.; ders., Die Stellung der Verbände in der Demokratie aus der Sicht der politischen Praxis, in: Alemann, U. v. (Hg.), Verbände und Staat, Opladen 1979, S. 187ff.; Schröder, H. J., Gesetzgebung und Verbände, Berlin 1976; Damaschke, K., Der Einfluß der Verbände auf die Gesetzgebung. Am Beispiel des Gesetzes zum Schutz vor gefährlichen Stoffen , München 1986; Benzer, B., Ministerialbürokratie und Interessengruppen. Eine empirische Analyse der personellen Verflechtung zwischen bundesstaatlicher Ministerialorganisation und gesellschaftlichen Gruppeninteressen in der Bundesrepublik Deutschland im Zeitraum 1949-84, Baden-Baden 1989. 110
Vgl. Stern, K., Zur Einführung eines Wirtschafts- und Sozialrates, JÖR 1976, S. 103ff.; vgl. auch Mengel, H.-J., Bundeswirtschafts- und Sozialrat, mit ausfilhrl. Nachweisen. 1,1 Beratungen und Empfehlungen zur Verfassungsreform (I) in: Zur Sache, H. 3 (1976), herausgegeben vom Presse- und Informationszentrum des Deutschen Bundestages, Bonn, S. 232ff.
II. Der intraministerielle Prozeß der Gesetzgebung
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in Form zu bringen", 112 ist insbesondere auch nach dem Scheitern des Modells der 'Konzertierten Aktion' in der Bundesrepublik, aber auch in vergleichbaren westlichen Demokratien, keineswegs befriedigend gelöst. Es liegt nicht in der Konzeption der hier vorgelegten Studie, noch einmal die Problematik verbandlichen Wirkens auszubreiten. Auch soll es nicht darum gehen, eine systemtheoretische Eingliederung des Verbandswesens zu versuchen. Das Wirken der Interessengruppen und Verbände in seinen vielfältigen Erscheinungsformen wird hier als verfassungspolitische Tatsache akzeptiert. Ziel der Bemerkungen über das Einwirken der Gruppen ist hier allein, einen weiteren Beitrag zur Erfassung der sich oft in verfassungsrechtlichen Grauzonen abspielenden Einflußnahme und zur Erhellung der Komplexität dieser Vorgänge zu leisten. Mehr noch als in allen anderen Bereichen einer noch zu entwickelnden Verfassungssoziologie sind hier empirisch nachprüfbare Vorgänge und Berichte Fundament aller weiteren Überlegungen. a) Die Anhörung zum Referentenentwurf aa) Die Auswahl der Anzuhörenden Nachdem der endgültige Text des Entwurfs vorlag, begann die Anhörung der Interessenverbände, Institutionen und Betroffenen. Dabei stellte sich das Problem, welche Verbände und Betroffene den Entwurf zugeschickt bekommen und zur Stellungnahme aufgefordert werden sollten. Auch hier spielte die Projektgruppe eine nicht unerhebliche Rolle. Sie erstellte eine Liste mit all den Verbänden und Organisationen, die den Entwurf zur Stellungnahme zugeschickt bekommen sollten. Diese Liste ging über das Ministerbüro, wo sie noch verändert wurde, an den Minister, der sich darauf verließ, daß seine Mitarbeiter schon geprüft hatten, ob alle relevanten Verbände berücksichtigt worden waren. Nach welchen Kriterien wurden die Verbände ausgewählt? Im Gegensatz zur Auffassung des einen oder anderen Verbandes, der seine Nichtberücksichtigung auf das Wirken 'finsterer parteipolitischer Mächte' zurückführte, gab es hier keinerlei politische Kriterien. Es ging lediglich darum, alle Verbände zur Stellungnahme einzuladen, die in irgendeiner Weise mit der Hochschulgesetzgebung zu tun hatten oder auf deren Meinung die politische verantwortliche Führung aufgrund ihrer gesellschaftlichen Relevanz Wert legte. Unstrittig war die Beteiligung der Verbände, die spezifische Interessen von den an den Hochschulen Tätigen und Lernenden vertraten: die Professoren-,
112
Kaiser, J. H., Die Repräsentation organisierter Interessen, Berlin 1956, S. 308
3. Der Einfluß der Interessengruppen
61
Dozenten- und Assistentenvereinigungen etc. Dabei spielte bei der Institutionalisierung eines solchen Anhörungsrechts der sich immer stärker durchsetzende Gedanke eine Rolle, daß die Betroffenen auch außerhalb justizförmiger Verfahren ein Recht auf Anhörung haben. Daneben sollte jedoch durch die Anhörung dieses Personenkreises auch dessen Fachverstand ausgeschöpft werden. Betroffene können oft sehr viel besser mögliche Auswirkungen der geplanten Regelungen vor Ort abschätzen als Ministerialbeamte. Aus diesem Grunde sind letztere hier auch sehr viel kooperationswilliger als gegenüber rein wissenschaftlicher Beratung. Sie wissen sehr wohl, daß sie sich manchen Ärger im weiteren Verlauf der Gesetzesberatung und insbesondere auch später in der Gesetzesanwendung ersparen können, wenn sie Gelegenheit haben, Schwachstellen ihres Entwurfs mit Hilfe der Betroffenen erkennen und überprüfen zu können. Sind die Gründe für die Heranziehung der Direktbetroffenen einleuchtend, bedürfen solche, die dafür sprechen, daß ζ. B. Gewerkschaften, Kirchen oder Arbeitgeber als Verbände und Institutionen, die nicht unmittelbar oder nur im eng begrenzten Umfang von der Gesetzgebung berührt werden, einer Erklärung. Warum legen die politisch Verantwortlichen Wert darauf, nicht etwa nur die Meinung der Kirchen zur speziellen Frage der theologischen Hochschulen oder der Ausbildung von Theologen an den staatlichen Hochschulen zu hören, sondern zum Gesamtkomplex der Hochschulgesetzgebung? Warum begnügt man sich nicht damit, die Gewerkschaften um ihre Meinung zur Mitbestimmungsregelung der an der Hochschule Tätigen und allenfalls noch zur Weiterbildungsaufgabe der Hochschulen zu befragen? Ist diese Bereitschaft auch diesen Verbänden und Institutionen ein Mitspracherecht für den Gesamtkomplex des Gesetzgebungsverfahrens einzuräumen, ein Zeichen für den viel beschworenen Verbändestaat, oder, wie es hier und dort auch einseitiger ausgedrückt wird, für den Gewerkschaftsstaat? Die Motive der politisch Verantwortlichen, diesen Verbänden auch in Fragen, die ihre Interessen nicht unmittelbar berühren, ein Mitspracherecht einzuräumen, sind vielschichtig. Sie wollen ihre Entscheidungen möglichst breit absichern, um nicht durch die Gegnerschaft eines gesellschaftlich starken Verbandes oder einer Institution, die einflußreich ist, in das Kreuzfeuer der Kritik zu geraten. Dieser Absicherungsprozeß ist besonders bei öffentlich beachteten und umstrittenen Vorhaben für manchen Politiker oder für eine ganze Partei eine existenzielle Frage. Als extremes Beispiel einer solchen Absicherung kann die hessische Hochschulgesetzgebung nicht gesehen werden. Allerdings gab es ein Rückversicherungsbedürfnis zu den einflußreichen Universitätspräsidenten.
II. Der intraministerielle Prozeß der Gesetzgebung
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Zur gleichen Zeit, in der sich das Ressort mit der Hochschulgesetzgebung zu befassen hatte, lief ein Planungsvorgang ab, der als Musterbeispiel für das Sicherungsbedürfiiis der Exekutive bei gesellschaftlich relevanten Gruppen gelten kann. Es handelte sich um die Arbeit an dem letzten Entwurf der hessischen Rahmenrichtlinien für die Fächer Biologie und Germanistik. Nach dem politischen Aufsehen, das der erste Entwurf unter dem damaligen Kultusminister v. Friedeburg ausgelöst hatte, und der diesen Minister dann letzten Endes auch scheitern ließ, war sein Amtsnachfolger Krollmann bemüht, jeden weiteren Schritt der Neufassung auf die Grundlage eines breiten Konsenses aller gesellschaftlichen Kräfte zu stellen. Zu diesem Zweck wurde ein sogenannter Rahmenrichtlinienbeirat konstituiert, in dem Kirchen und Gewerkschaften neben anderen Verbänden ihren Platz hatten und diesen nicht nur als Feigenblatt für die Exekutive ansahen, sondern kräftig Einfluß nahmen. Gerade dieses Beispiel macht deutlich, daß hier in dieser Phase teilweise sehr viel mehr stattfindet, als Legitimation durch Verfahren zu schaffen. Es bleibt dann die Frage, wenn - wie dieses Beispiel zeigt - der Einfluß der Verbände derart stark wird, ob der Preis für den Konsens nicht zu hoch ist. Mit welchem Recht ist der Einfluß der Bürger, die in einem solchen Verband oder einer solchen Institution organisiert sind, letztendlich doch faktisch um ein Erhebliches größer als der der Nichtorganisierten. 113 Letztere haben nur einmal mittelbar über ihre Abgeordneten, über die von ihnen gewählte Partei Einfluß. Die anderen, ζ. B. Gewerkschaftsmitglieder, haben darüber hinaus noch einmal, unter Umständen quantitativ und qualitativ sehr viel größeren, wenn auch nur mittelbaren Einfluß. Gegen diese Feststellung kann auch nicht eingewendet werden, daß auch zwischen den Bürgern, die sich in einer politischen Partei engagieren und den anderen Nichtengagierten ein Unterschied in der Einflußnahmemöglichkeit besteht. Parteien haben diese Aufgabe verfassungsmäßig zugewiesen bekommen, ihr Handeln unterliegt den Anforderungen des Parteiengesetzes. Sie sind der Gesamtbevölkerung verantwortlich und nicht Partikularinteressen. Ob ein solcher Absicherungsdruck, den die Politiker empfinden, objektiv zwingend ist, erscheint sehr fraglich. Sicherlich gibt es politische Konstellationen, wie ζ. B. die unmittelbare Zeit vor einer wichtigen Wahl, in der es auch objektiv verständlich erscheint, daß die regierenden Politiker jegliches Aufse-
1,3
Dies ist keineswegs eine neuere Erscheinung, sondern der Einfluß der Interessenverbände ist traditionsreich. Vgl. zur historischen Entwicklung Schulz, G., Über Entstehung und Formen von Interessengruppen in Deutschland seit Beginn der Industrialisierung, PVJ 1961, S. 124ff; Nipperdey, Th., Interessenverbände und Parteien in Deutschland vor dem Ersten Weltkrieg, PVJ 1961, S. 268ff.
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hen vermeiden wollen und Wege des geringsten Widerstandes suchen. Aber selbst unter solch politischen Rahmenbedingungen, wie sie bei der hessischen Hochschulgesetzgebung vorlagen, ist fraglich, ob die Befürchtungen der Politiker gerechtfertigt sind, daß der eine oder andere innovative und vielleicht auch umstrittene Weg die Bürger veranlassen könnte, den Politikern, die ihnen solche Lösungen vorschlagen, ihr Vertrauen zu entziehen. Wahrscheinlicher ist, daß sie im Gegenteil Vertrauen zu den Verantwortlichen fassen, die sorgfältig überlegte Lösungen vorschlagen, die Probleme nicht nur verwalten, sondern auch einmal neue Wege zu deren Lösung aufzeigen. Natürlich müssen solche Vorschläge fundiert sein. Ideologie in der einen oder anderen Richtung verunsichert die Bürger zu Recht. Mißtrauisch werden sie allerdings auch, wenn das ungeheure personelle Reservoir der politischen und bürokratischen Eliten zu problemlösenden Innovationen kaum mehr fähig ist, weil das vorsichtige Absichern eines Gesetzentwurfes nach allen Seiten hin notwendigerweise innovationserstickend ist. Insofern erscheint das Absicherungsbedürfiiis der Politiker, das in diesem Stadium der Gesetzgebung nichts mit dem richtigen Verfahren von 'trial and error' zu tun hat, objektiv nicht gerechtfertigt. Zu untersuchen bleibt, ob der Absicherungsprozeß nicht als erweiterte Kontrolle der zu treffenden Entscheidungen eine wichtige demokratietheoretische Funktion erfüllt. Dies könnte dann bejaht werden, wenn die Entscheidungen keiner anderen Kontrolle als der Prüfung durch die großen relevanten gesellschaftlichen Gruppen unterlägen. In der Tat würden dann diese Verbände eine wichtige Funktion der Offenlichkeitsherstellung' im Entscheidungsprozeß erfüllen. Da diese Funktion jedoch institutionell vom Parlament wahrgenommen werden soll und wahrgenommen werden muß, entfällt eine solche Funktionszuordnung für die Verbände. Allerdings nehmen sie faktisch eine solche Kontrollfunktion dann wahr, wenn im Parlament eine schwache Opposition den Entscheidenden gegenübersteht und auch die Regierungsparteien sich nicht allzu sehr bemühen, Entscheidungen der Exekutive zu beeinflussen und zu kontrollieren. Dann nehmen die großen gesellschaftlichen Verbände die Offentlichkeitsmobilisierungsfunktion' wahr und können dadurch Minister oder eine ganze Regierung in Bedrängnis bringen. Daß die Regierenden in dieser Beziehung den Verbänden sehr viel mehr zutrauen als der Opposition, zeigt die Tatsache, daß sie sich bei ersteren absichern, das Gespräch mit der Opposition jedoch meiden. Diese faktisch durch die Verbände gegenüber der Exekutive wahrgenommene Kontrollfunktion kann solange nicht als positiv eingeschätzt werden, solange die Verantwortlichen ihre Entscheidungsautonomie partiell aufgeben.
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Auch das Argument einer zusätzlichen Legitimationsfunktion solcher Rückversicherung ist nicht tragfähig. Sie könnte damit begründet werden, daß es begrüßenswert ist, daß Entscheidungen auf eine möglichst breite Grundlage gestellt werden. Wenn alle Auffassungen der großen Verbände in der einen oder anderen Form berücksichtigt werden, wird auf entscheidende Weise das Konfliktpotential in der öffentlichen Diskussion herabgesetzt. Sicherlich ist der Kompromiß, die Berücksichtigung möglichst vieler Interessen in den Entscheidungsprozessen, der Demokratie immanent. Demokratie ist ohne Kompromisse zum Scheitern verurteilt. Vertreter der 'reinen Lehre' auf allen Seiten des politischen Spektrums werden sich mit dieser Grundvoraussetzung demokratischer Spielregeln immer schwer tun. So wie dies unbestritten ist, so zweifelhaft ist es, ob die Kompromisse sozusagen außerhalb des institutionellen Rahmens geschlossen werden müssen. Dabei ist die Berücksichtigung der direkt betroffenen Verbände bei dem Gesetzgebungsprozeß hier nicht gemeint. Es liegt vollkommen im institutionell vorgegebenen Rahmen, daß diejenigen, die von der Gesetzgebung direkt berührt werden, möglichst frühzeitig ihre Vorschläge einbringen können. Hier ist die Kompromißebene sicherlich legitim. So ist nichts dagegen einzuwenden, sondern unabdingbare Notwendigkeit, daß im Anhörungsverfahren zur Hochschulgesetzgebung die Hochschulen, die an ihr Lehrenden und Studierenden angehört werden. Sie vertreten direkt betroffene Interessen. Kritisch überprüft werden müßte jedoch, warum Gewerkschaften, Kirchen und Arbeitgeberverbände etc. zu der Gesamtheit solch spezifischer Gesetzgebungsentwürfe gehört werden müssen. Wie ausgeführt, läßt sich weder eine Rückversicherungs-, Kontroll- oder Legitimationsfunktion als ausreichende Grundlage für eine derartig weitgehende Beteiligung rechtfertigen, solange man eine solche nicht in einer institutionell verfassungsmäßig abgesicherten Form, ζ. B. in Wirtschafts- und Sozialräten, transparent macht. Im Verlauf der Anhörungsphase zum Referentenentwurf spielten Bedenken solcher Art in Bezug auf die Beteiligung auch nicht unmittelbar betroffener gesellschaftlicher Verbände keine Rolle. Auch wurde das 'Mitspracherecht' oder das 'Anhörungsrecht' nicht etwa nur auf solche Bestimmungen beschränkt, die den einen oder anderen Verband direkt betrafen, sondern derjenige, der den Entwurf zugeschickt bekam, konnte zu allen Bestimmungen seine Meinung abgeben. Dabei hatte man jedoch eine gewisse Einschränkung hinsichtlich der Form der Stellungnahme vorgesehen. Der Begleitbrief, in dem die Stellungnahmen erbeten wurden, enthielt die Aufforderung, die Kritik mit einem konkreten Änderungsvorschlag zu verbinden. Die Initiative zu dieser Forderung war von der Projektgruppe ausgegangen. Sie war zu recht der Auffassung, daß
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unter dem bestehenden Zeitdruck es wenig nütze, wenn die Betroffenen und Interessierten dickleibige allgemeine kommentierende Papiere vorlegten. Weder hätten die Zeit, noch die personelle Kapazität ausgereicht, solche Stellungnahmen gebührend in den Entscheidungsprozeß einfuhren zu können.
bb) Die Stellung der Verbände und Einzelpersonen, die nicht zur offiziellen Stellungnahme aufgefordert wurden Wie die Beschreibung der Auswahl der Verbände und Institutionen, die offiziell den Referentenentwurf mit der Bitte um Stellungnahme zugeschickt bekommen hatten, deutlich zeigte, spielte hier ein großes Maß an Flexibilität eine entschiedene Rolle. So bekam ein breitgestreuter Kreis von Verbänden und Institutionen die Entwürfe zugesandt. Dennoch konnte es nicht ausbleiben, daß Verbände nicht berücksichtigt wurden, die aber der Auffassung waren, daß solches hätte geschehen müssen. Natürlich kann es das Selbstwertgefühl eines Verbandes empfindlich treffen, wenn er von einem wichtigen landespolitischen Entscheidungsprozeß ausgespart wird, obwohl er nach seinem Selbstverständnis hier Wesentliches beitragen könnte. Die relative Willkürlichkeit der Auswahl, die durch ihre Flexibilität gemildert wurde, wurde weiter abgeschwächt durch eine große Bereitschaft, auch nachträglich noch den Kreis der Anzuhörenden zu erweitern. Jeder Verband, der sich nachträglich um die Aufnahme in den 'offiziell' aufgeforderten Kreis der Anzuhörenden bemühte, fand Berücksichtigung und bekam ein oder mehrere Exemplare der Entwürfe zugeschickt. Darüber hinaus wurden auch alle Stellungnahmen von Verbänden und Institutionen bei der Auswertung berücksichtigt, die ohne 'offizielle Aufforderung' eingegangen waren. Diese großzügige Regelung der Beteiligung am Anhörungsverfahren für die Referentenentwürfe erstreckte sich auch auf Einzelpersonen. Jeder Bürger, gleich ob er nun vom Gesetz unmittelbar betroffen wurde oder nicht, hatte die Möglichkeit, sich schriftlich dazu zu äußern. Vereinzelte Wünsche nach Übersendung der Entwürfe wurden, soweit es technisch möglich war, erfüllt. Von dieser Möglichkeit, als Individuum seine Meinung zu äußern, machten naturgemäß solche Bürger Gebrauch, die ein besonderes Interesse an bestimmten Regelungen hatten. Hier waren es in der Mehrzahl Professoren, die ein verständliches Interesse an bestimmten Regelungen bekundeten und als Einzelpersonen konkrete Änderungsvorschläge machten und auf Gefahren und Risiken verschiedener Regelungen hinwiesen. Da diese Stellungnahmen oft direkt an den Minister persönlich gerichtet waren, gingen sie auch über dessen Schreibtisch und hatten insofern sogar eine etwas größere Chance, mit Auf-
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merksamkeit geprüft zu werden als die Flut der Stellungnahmen, die das Ministerium auf'normalem' Weg erreichte. Ein Minister überfliegt zumindest an ihn persönlich gerichtete Schreiben, ohne vorherige 'Filterung' durch seine engeren Mitarbeiter. Er verhindert damit, daß diese aus Befürchtungen heraus, der Minister werde mit Unwichtigem belastet, Briefe nicht vorlegen. Allerdings werden die Eingaben ohne besonderen Kommentar oder eine direkte Anweisung an die Mitarbeiter weitergegeben, die das weitere veranlassen. Nichts kann für sie unangenehmer werden, als eine Vernachlässigung dieser persönlichen Eingaben, da der Minister auch die Beschwerde über eine verzögerte Behandlung, die der betroffene Bürger erhebt, wiederum direkt auf seinen Tisch bekommt. Nicht immer bleiben die Eingaben unkommentiert. Ein O K ' drückte im Kultusministerium den Wunsch des Ministers aus, dem Vorschlag Rechnung zu tragen. Wenn Mitarbeiter seines Büros oder die Projektgruppe gegen eine solche 'einsame Entscheidung' Bedenken hatten, bestand die Möglichkeit, das Problem mit dem Minister noch einmal zu besprechen. Im übrigen traf er solche Entscheidungen 'via Grünstift' aufgrund einer persönlich an ihn gerichteten Eingabe nur in weniger wichtigen Fragen. Bei bedeutenderen Problemen wurde vorerst nicht von ihm entschieden, sondern er machte deutlich, daß er das Problem noch einmal mit einem Mitarbeiter zu besprechen wünschte. Diese 'bevorzugte Behandlung' der persönlich an den Minister gerichteten Eingaben ist insofern problematisch, als sie alle benachteiligt, deren Stellungnahmen dem Minister nicht unmittelbar vorgelegt werden, sondern höchstens bis zu seinen engeren Mitarbeitern gelangen und in der Regel bei der Hochschulgesetzgebung ihre vorläufige Endstation bei der Projektgruppe fanden. Auf der anderen Seite muß auch die Möglichkeit gewährleistet bleiben, daß der Bürger oder ein Verband sich auch während eines Gesetzgebungsprozesses unmittelbar an den politisch Verantwortlichen wenden können und sicher sein dürfen, daß ihre Eingabe diesen auch persönlich erreicht. Das Problem kann jedoch - auch in arbeitstechnischer Hinsicht - dadurch entschärft werden, daß der Minister sich bei der persönlichen Prüfung und Wertung der ihm vorgelegten Eingaben weise zurückhält. So geschah es im konkreten Gesetzgebungsprozeß auch. Die übergroße Anzahl solcher Eingaben wiesen nur einen Grünstrich nach Verlassen des Ministerschreibtisches auf. Zeichen dafür, daß der Minister die Eingabe zumindest gesehen hatte. Nicht mehr aufrecht zu erhalten, wird ein solches Verfahren dann sein, wenn die Mehrzahl aller Eingaben auch während eines Gesetzgebungsprozesses persönlich an den Minister gerichtet werden. In einem solchen Falle wird er zumindest um die 'Vorprüfung' durch einen persönlichen Mitarbeiter nicht verzichten können.
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In dem hier zu beschreibenden Entscheidungsablauf gingen die überwältigende Mehrzahl der Stellungnahmen direkt bei der Projektgruppe ein. Auch dies war nicht ganz problemlos. Erreichten die Eingaben, die direkt über den Ministerschreibtisch gegangen waren, sehr schnell über den im Ministerbüro für die Gesetzgebung zuständigen Mitarbeiter die Gruppe, gestaltete sich der umgekehrte Informationsfluß schwieriger. Die Projektgruppe sah oft keinen Anlaß, von eingegangenen Stellungnahmen eine Kopie an das Ministerbüro zu senden. Es war offensichtlich, daß sich im Verlauf der Arbeit ein gewisses Ressentiment gegen eine allzu intensive Beteiligung des Ministerbüros an der Gruppenarbeit herausgebildet hatte. cc) Der 'Streik ' und Protest der Studenten Die Interessengruppen und Betroffenen versuchten jedoch nicht nur auf diesem offiziellen Wege die Entscheidungen zu beeinflussen. Gleichzeitig wurde die jeweilige 'Basis' mobilisiert und mehr oder minder erfolgreiche Öffentlichkeitsarbeit betrieben. Bei den Studenten war das Mobilisationspotential besonders groß. Während die Studentenschaft bzw. der hochschulpolitisch aktive Teil bei der Erarbeitung des Hochschulrahmengesetzes kaum Resonanz mit Protestaufrufen bei der Mehrheit der Studenten gefunden hatte, sah jetzt die hochschulpolitische Landschaft bei der Anpassungsgesetzgebung etwas differenzierter aus. Während das HRG damals noch weit entfernt von der persönlichen Interessensphäre des einzelnen Studenten schien, fühlte sich jetzt ein beträchtlicher Teil durch die Landesgesetzgebung unmittelbar betroffen und von Themen wie Regelstudienzeit, Ordnungsrecht und verstärktem Leistungsdruck beunruhigt. Eine Unruhe, die von einzelnen politischen Gruppierungen durchaus nicht mit Blick auf die Wahrnehmung studentischer Interessen weiter gesteigert wurde. In dieser Situation entschieden sich die VDS zur Ausrufung des „ersten nationalen Streiks der deutschen Hochschulgeschichte".114 In der Tat hatte es zwar in der Vergangenheit immer wieder mehr oder minder lange regional begrenzte 'Hochschulstreiks' gegeben, aber noch nie war bis zu diesem Zeitpunkt ein zentral gesteuerter 'Streik' organisiert worden. In der letzten Novemberwoche fanden an den Universitäten, Hochschulen und Fachhochschulen aller Bundesländer mit Ausnahme Baden-Württembergs, wo die Aktion wegen der parlamentarischen Verabschiedung der Hochschulgesetznovelle um vierzehn Tage
1,4
Vgl. StuttgZ vom 25.11.1977, 'Der erste nationale Streik der Hochschulgeschichte'.
6 Mengel
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vorverlegt worden war, Urabstimmungen statt, mit dem Ziel festzustellen, ob 'gestreikt' werden sollte oder nicht. Die politisch Verantwortlichen aller Parteien sahen der Entwicklung mit Sorge entgegen. Schon zu Beginn des Wintersemesters 1977/1978 hatten sich die Wissenschafts- und Kultusminister der SPD/FDP-regierten Länder in einem spektakulären gemeinsamen Appell an die Studenten gewandt. Die VDS, so beschreibt die Stuttgarter Zeitung die Reaktion, „seit langem gewohnt, nicht mehr als Partner angesprochen sondern mit Stillschweigen übergangen zu werden, reagierten mit skeptischer Verblüffung". 115 In einem Schreiben an die Minister unterstrichen die VDS: „Wir begrüßen es, wenn Sie in Ihrer Stellungnahme erstmals nicht Drohungen und Einschüchterungen gegen die Studenten in den Vordergrund stellen." Zu dem geplanten 'Streik' selbst erklärten die VDS, „daß von uns keinerlei gewaltsame Auseinandersetzung geplant ist. Kein Student wird zum Streik gezwungen werden ... Physische Auseinandersetzungen sind nicht das Mittel unserer Politik. Der Gewaltvorwurf ist deshalb ein demagogisches Hilfsargument der CDU zur Panikmache gegen den Streik". 116 Der rheinland-pfälzische Ministerpräsident und ehemalige Kultusminister Bernhard Vogel rief seine Kollegen dazu auf, „den Dialog mit der studentischen Generation nicht zu scheuen" 117 und warnte vor den Gefahren, die daraus erwachsen könnten, wenn man die Universitäten „im doppelten Sinne links" liegenlasse.118 Auch die Besorgnis der Öffentlichkeit über eine ähnliche Eskalation wie am Ende der sechziger Jahre war groß. K. Reumann schrieb in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung: „Kann man noch etwas tun, um zu verhindern, daß Ende November, Anfang Dezember die Lehrveranstaltungen an allen deutschen Hochschulen blockiert, gesprengt oder in Foren der politischen Auseinandersetzung umgewandelt werden? Die Vereinigten Deutschen Studentenschaften (VDS) haben einen Streik von vierzehn Tagen beschlossen und vorbereitet. Sie werden beherrscht von einer Volksfrontkoalition aus Juso-Hochschulgruppen, Liberalem Hochschul verband (vorwiegend 4 antikapitalistische ' Freidemokraten), Marxistischem Hochschulbund (meist Stamokaps in der SPD) sowie sozialistischen und maoistischen Basisgruppen. Im Verein mit dem immer stärker in die Regie DKP-naher Hochschullehrer genommenen Bund
115
Ebd.
1.6
Ebd.
1.7
Ebd.
1.8
Ebd.
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demokratischer Wissenschaftler möchte der studentische Dachverband verhindern, 'daß die Länder ihre Hochschulgesetze an das Rahmengesetz des Bundes anpassen, was sie tun müssen. Alle Gruppen der Volksfrontkoalition hoffen, die mit ihrer sozialen Lage unzufriedenen und wegen ihrer Berufsaussichten beunruhigten Studenten politisch gegen die Unionsparteien, wenn nicht gegen alle demokratischen Parteien und gegen den Staat mobilisieren zu können. Einige Extremisten wollen ihre Übungen für den bewaffneten Aufstand wieder an die Universität verlegen." 119 In Anbetracht der Befürchtungen begann der Boykott der Studenten in Hessen eher gemächlich. Zwar war die Beteiligung an den Urabstimmungen für Hochschulverhältnisse h o c h , 1 2 0 jedoch verliefen sie ruhig. A u c h wenn sich an den meisten hessischen Hochschulen 1 2 1 eine Mehrheit der Abstimmenden für den 'Streik' aussprachen, bedeutete das noch nicht, daß alle bereit waren, auch aktiv für die Ziele des Boykotts einzutreten. 1 2 2 Die ' Kampfmaßnahmen ' stießen auf so wenig Resonanz, daß der keineswegs auf Kooperation m i t der M i n i sterialbürokratie eingestellte A S T A der Universität Frankfurt am 12. Dezember 1977 den Boykott „vorläufig aussetzte". 123 Diese Aussetzung wurde m i t „großer Mehrheit" auf einer studentischen Vollversammlung bestätigt. E i n
ASTA-
Sprecher erklärte, daß die Studenten besonders darüber enttäuscht seien, „daß ihr Streik bei zuständigen, politischen Stellen und in der Öffentlichkeit so wenig Resonanz gefunden h a b e " . 1 2 4 W i e gering das Interesse der Öffentlichkeit war, zeigt ein Bericht der Frankfurter Rundschau über eine Studentendemonstration in Frankfurt: „ M i t Flugblättern versuchten sie die Bevölkerung über ihre Kritikpunkte am hessischen Gesetzgebungsentwurf aufzuklären (Gegen das Ordnungsrecht, gegen die Regelstudienzeit, für die verfaßte Studentenschaft). Doch die meisten Passanten blieben gleichgültig. Einige reagierten böse, nur wenige zeigten Verständnis. Auch an den Schulen hatten die Studenten wenig Erfolg: Elisabethenschülerinnen - vor ihrer Schule zum Mitmachen aufge-
119
Reumann, K., 'Vor einem Sturm', in: FAΖ vom 4.11.1977.
120
An der GHK lag die Beteiligung ζ. B. bei 62,5 %. Davon hatten 23,6 % gegen den Boykott gestimmt. 121
Lediglich an der FH Fulda und Darmstadt fand sich keine Mehrheit für den Boykott.
122
So waren nur etwa 1.000 Studenten von den 7.500, die sich an der Universität Frankfurt für den 'Streik' ausgesprochen hatten, dann auch 'aktiv'. Vgl. Bericht der FR vom 10.12.1977, Studenten: 'Nur wenig positive Ergebnisse. Erkenntnisse nach dem Vorlesungsboykott'. 123 FAZ vom 13.12.1977, 'Vorlesungsboykott wird zunächst ausgesetzt. Kultusminister Krollmann soll wieder mit Studenten reden'. 124
FAZ vom 13.12.1977
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fordert - erzählten, sie hätten die sechste Stunde frei bekommen. Und Lessingschüler gingen lieber nach Hause." 1 2 5
Insgesamt hatten der 'Streik' und die damit verbundenen Aktionen in keiner Weise Einfluß auf den gesetzgeberischen Willensbildungprozeß. Sehr viel wirksamer waren hier die Diskussionen zwischen Minister und Abgeordneten auf der einen und Studenten auf der anderen Seite, trotz der dabei vorkommenden Zwischenfälle. dd) Die Diskussion mit den Hochschulangehörigen Teilweise in die Phase des 'Streikes' und der offiziellen Anhörung der Verbände, Betroffenen und Institutionen zum Referentenentwurf fielen die Diskussionen des Ministers 'vor Ort' an den hessischen Hochschulen. Diese Veranstaltungen, die sich auf einen relativ kurzen Zeitraum konzentrierten, hatten einen ungeheuren Mobilisierungseffekt innerhalb der Hochschulen. Ca. 13.000 Hochschulangehörige nahmen an den Diskussionen, die in den Universitäten Frankfurt, Gießen, Marburg, der Gesamthochschule Kassel, der Technischen Hochschule Darmstadt und den Fachhochschulen Fulda und Frankfurt stattfanden, teil. Die Einladungen zu diesen Veranstaltungen erfolgten durch die Präsidenten, teilweise in Verbindung mit den Studentengremien. Die Motive des Ministers und seiner engeren Umgebung, diese Diskussionen zu initiieren waren vielschichtig. Im Vordergrund stand der Wunsch, die Betroffenen unmittelbar und nicht nur über ihre Interessenvertretungen zu hören und sie so davon zu überzeugen, daß hier keine fernen anonymen Mächte am Werk seien, sondern, daß sie mit dem Verantwortlichen reden könnten. In der Tat war der Minister bereit, sich von jedem auch praktizierbaren Vorschlag zu einem Überdenken seiner Position bewegen zu lassen. Er ging an die Hochschulen, nicht zuletzt um von den Betroffenen zu lernen. Daran änderte auch nichts die zuerst überraschte und hilflose Reaktion der K-Gruppen und ihres Umfeldes, die die ganze Veranstaltungsreihe als 'Augenwischerei' und 'Beruhigungsmittel' diffamierten. Ihre Agitation ging dahin, daß im Grunde genommen alles entschieden sei und die Staatsgewalt sich durch die Diskussionen mit den Betroffenen nur noch ein 'demokratisches Mäntelchen' umhängen wollte. Als diese Argumentation, die teilweise auch zum Boykott der Veranstaltungen aufrief, nichts fruchtete, sondern die größten Hörsäle hoff-
125
Füssel, 10.12.1977.
U./Schwall,
G. (Studenten), 'Nur wenig positive Ergebnisse', in: FR vom
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nungslos überfüllt waren, schlug die Taktik in Agressivität um, die bis zur Gewaltanwendung führte. Neben dem Wunsch des Ministers, sich in diesen Veranstaltungen zu informieren, und dem Willen, den Betroffenen das Gefühl des Gehörtwerdens zu vermitteln, beabsichtigte er auch seinerseits zu informieren. In der Tat war die Informationslücke zwischen Exekutive und Studenten generell auf beiden Seiten beträchtlich, jedoch geradezu gefährlich auf studentischer Seite. Die Exekutive hatte ihre Informationen über das Hochschulleben via Präsidenten und ihrer Hochschulverwaltungen immerhin recht kontinuierlich, wenn auch sicherlich einseitig bekommen. Die Hochschulverwaltungen ihrerseits waren auch recht gut über das Gesetzgebungsverfahren informiert und teilweise sogar sehr intensiv beteiligt. Die Studenten waren von diesem Informationsfluß weitgehend abgeschnitten. Die wenigen Ausnahmen, bei denen es zu direkten Gesprächen zwischen Vertretern studentischer Gruppierungen mit dem Minister gekommen war, konnten einem solchen großen Informationsdefizit in keiner Weise abhelfen. Die fehlende Information der Studentenschaft war deshalb gefährlich, weil das Vakuum von Gruppen ausgenutzt wurde, die die Ängste und Unsicherheiten des einzelnen Studenten dazu benutzten, um sie dem demokratischen Staat und seinen Mechanismen insgesamt zu entfremden. So bestand und besteht die nicht zu unterschätzende Gefahr, daß hier durch geschickte Propaganda 'der Staat', 'die Gesellschaft' und zwar der 'demokratische Staat' und die 'demokratischpluralistische Gesellschaft' generell für individuelle Existenzsorgen und Nöte verantwortlich gemacht werden, und daß der konkrete Vorgang der Hochschulgesetzgebung als Anlaß benutzt wird, all die angestaute Verzweiflung und den Zorn gegen diesen 'vermeintlich' verantwortlichen Staat zum Ausdruck zu bringen. Den Propagandisten, die durch Falschinformationen und Unwahrheiten die Hochschulgesetzgebung als unmittelbare Bedrohung für die Freiheit des einzelnen Studenten erscheinen ließen, konnte nur durch direkte möglichst umfassende und glaubhaft erscheinende Information vor Ort die Massenbasis entzogen werden. Der Minister war hier persönlich um so mehr gefordert, als man ihn, den ehemaligen Polizeipräsidenten, als besonders begierig hinstellte, die Freiheit der Studenten einzuschränken. Mit Geschick, Sorgfalt und unglaublicher Energie einiger Aktivisten wurde der hochschulpolitische Konflikt landesweit personifiziert. Es bestand die Chance, daß der Minister dieses Feindbild bei vielen Studenten abbauen konnte, wenn er ihnen nicht als anonyme Inkarnation eines 'halbfaschistischen Staates' auf einer Unzahl von
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Pamphleten vorgestellt wurde, sondern ad personam seine Absichten erklären und diskutieren konnte. Drittes Motiv für die aufwendige Veranstaltungsreihe war, daß insbesondere der Dialog zwischen Gesellschaft und Hochschule auf breiter Front eingeleitet werden sollte. Die Hochschulen sollten nicht länger Inseln in ihrer gesellschaftlichen Umwelt bleiben. Im engeren Kreis des Ministers bestand Einigkeit darüber, daß dieser Dialog für alle Beteiligten fruchtbar und notwendig sein würde. Die Hochschulangehörigen, und besonders die Studentenschaft, hatten in großen Teilen das Gefühl für die Realitäten der gesellschaftlichen Umwelt und des darin Mach- und Erreichbaren verloren. Sie sahen mehr und mehr ihre Schwierigkeiten, nicht aber, daß finanzielle Mittel nur einmal ausgegeben werden können, daß es auch noch Berufsschulen und Lehrlingswerkstätten zu bauen gab. Umgekehrt war das Verständnis der Gesellschaft für die Hochschulen eher Unverständnis. Für die spezifischen Gegebenheiten geistigen Arbeitens an den Hochschulen hatte der Bürger und die weitaus größte Zahl der Parlamentarier recht wenig Verständnis. Ein Dialog zwischen den beiden Welten fand kaum statt. Nicht zuletzt aus diesem Grunde ermunterten seine Mitarbeiter den Minister, sich in vorderste Reihe derer zu stellen, die einen solchen Dialog führen sollten. Dies erschien um so unabdingbarer, da es immer schwieriger für die Repräsentanten der Gesellschaft, insbesondere für Politiker wurde, ungestört in Hochschulen zu diskutieren.Insofern kam als weiterer Grund in die Hochschulen zu gehen, auch der Wunsch, dort 'Flagge zu zeigen', hinzu. Dies bedeutete auf keinen Fall, daß hier die Konfrontation provoziert werden sollte, sondern einfach die Wahrnehmung der selbstverständlichen Möglichkeit für gewählte Vertreter der Gesellschaft, sich an den Hochschulen zu informieren und zu diskutieren. Besonders der Wunsch, einen breiten Dialog zwischen Hochschulen und Gesellschaft zu eröffnen und die gegenseitige Information zu verstärken, veranlaßte den Minister, Vertreter aller Parteien, die im hessischen Landtag repräsentiert waren, also SPD, CDU und FDP, dazu einzuladen, an diesen Diskussionsveranstaltungen teilzunehmen. Die Einladung wurde auch von der oppositionellen CDU angenommen. Es wäre falsch, diese Annahme damit zu erklären, daß die CDU ein Forum zur Darstellung ihrer hochschulpolitischen Ziele gebraucht hätte. Der Verlauf der Veranstaltungen zeigte sehr deutlich, daß auch den hochschulpolitischen Sprechern der CDU als Opposition die Notwendigkeit des Dialogs mit den Hochschulen und zwar des Dialoges mit allen politischen Kräften des Landes mehr bedeutete als die bloße Wahrnehmung der Möglichkeit, vor einem zahlenmäßig starken Auditorium und im Blickpunkt der Öffentlichkeit zu sprechen. Wenn es ihr nur darum gegangen wäre, hätte die Opposition auch eigene Veranstaltungen durchführen können. Hier wurde relativ unbe-
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achtet von den politischen Kommentatoren ein gerade in bildungspolitisch polarisierter Zeit bemerkenswertes Beispiel für die Solidarität der demokratischen Parteien gegeben, die sich alle darum bemühten, das mühsame Unterfangen zu beginnen, den Einfluß der K-Gruppen und ihrer Desinformationsstrategie im konkreten Hochschulgesetzgebungsprozeß entgegenzutreten. Die doch recht ungewöhnliche Beteiligung der Opposition an Diskussionsveranstaltungen mit dem Minister war nicht unumstritten in der engeren Umgebung des Ressortchefs. Insbesondere die Staatssekretärin vertrat den Standpunkt, daß hier der Opposition unnötigerweise breite Publicityhilfe gewährt werde. Auch innerhalb der Opposition fand die Teilnahme an den 4 RegierungsVeranstaltungen' offensichtlich nicht einhellige Zustimmung. Hier bestand teilweise die Befürchtung, man werde durch die Teilnahme in eine 4 Quasi Verantwortung' für den von der Exekutive erarbeiteten Entwurf hineingezogen. Die Unsicherheit, ob eine Teilnahme politisch klug sei, verstärkte sich, nachdem die Erfahrung der ersten Veranstaltungen gezeigt hatte, daß der Minister allein schon aufgrund seines Amtes die Vertreter der Parteien zu Statisten werden ließ. So unterbrach die Opposition vorübergehend ihre Teilnahme und die Veranstaltung in Fulda wurde alleine vom Minister durchgeführt, da die Vertreter von SPD und FDP nicht übermäßig daran interessiert waren, lediglich die 'Begleitmannschaft' des Ressortchefs zu verstärken, wenn sich nicht durch die Teilnahme der CDU die Notwendigkeit dazu ergab.
ee) Der Einfluß von Kirchen, Arbeitgeberorganisationen und DGB Kirchen-, Arbeitgeber- und Gewerkschaftsverbänden wird in der Bundesrepublik entscheidender Einfluß auf die staatliche Willensbildung in der öffentlichen Meinung und auch in der wissenschaftlichen Literatur eingeräumt. Gewiß sind die Genannten nicht ohne Einfluß, jedoch ist die Frage zu stellen, ob es ihnen letztendlich gelingt, konkret Entscheidungen innerhalb des Gesetzgebungsprozesses zu formen oder gar ihren Willen den für den Gesetzgebungsentwurf verantwortlichen Ministern und wenn nicht diesen dem Kabinett und zuletzt dem Parlament wenn auch nur indirekt aufzudrängen. Kann der Eindruck der Stärke der Einflußnahme nicht auch zumindestens zum Teil dadurch entstanden sein, daß diese organisatorisch und personell hervorragend ausgestatteten großen Verbände und Institutionen es auch verstehen, sich souverän der Massenmedien zu bedienen. Naturgemäß stellen die Verantwortlichen in diesen Verbänden und Institutionen ihren Einfluß mit gebührender Deutlichkeit in der Öffentlichkeit heraus, da sie nicht nur ihrer eigenen Mitgliedschaft be-
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weisen müssen, daß die Stimme der Institution oder des Verbandes Gewicht hat, sondern auch besonders die Verbände, die auf den ständigen Zustrom neuer Mitglieder angewiesen sind, gegenüber potentiellen Interessenten attraktiv sein müssen. Wer würde Interesse am Eintritt in eine Organisation haben, von der man wenig hört und die keinen Einfluß besitzt. Also liegt es nahe, auf jeden Fall entscheidendes Gewicht der Mitgliedschaft und der Öffentlichkeit zu suggerieren. In der Wirklichkeit hängt der Einfluß dieser Verbände und Institutionen von zahlreichen Faktoren ab, die in ihrer Variationsmöglichkeit untereinander und in ihrer Komplexität kaum vollständig zu erfassen sind, da sie sich in jedem Entscheidungsvorgang anders darstellen. Anhand der Hochschulgesetzgebung in Hessen kann deshalb nur auf einige dieser Einflußbedingungen eingegangen werden. Einmal hängt die Mitwirkung der Verbände davon ab, inwieweit ihre Interessen durch geplante Regelungen berührt werden. Die Interessen der Kirchen, der Arbeitgeber und der Gewerkschaften waren durch die Hochschulgesetze sicherlich nicht unmittelbar in der Weise berührt, daß die Mitgliedschaft durch die geplante Gesetzgebung auf den ersten Blick erkennbare Nach- oder Vorteile zu gegenwärtigen hatte. Dennoch schließt dies nicht zwingend aus, daß sich auch bei einer solchen Interessenlage ein Verband veranlaßt fühlt, ein 'allgemeinpolitisches Mandat' wahrzunehmen und aus Gründen gesamtgesellschaftlicher Verantwortung lobend oder kritisch sich über dieses oder jenes Gesetzgebungsvorhaben äußert. Diese Tendenz wird bei den großen Verbänden noch dadurch gefördert, daß sie so gut wie zu allen bedeutsamen Referentenentwürfen von den Ministerien zur Stellungnahme aufgefordert und von den Parlamenten zu 'Hearings' geladen werden, auch wenn sie nur entfernt betroffen sind. Die Kirchen in Hessen hielten sich mit Äußerungen 'allgemeinpolitischer' Art über die Hochschulgesetzentwürfe vollkommen zurück. Sie versuchten lediglich, auf dem 'normalen' Wege im Rahmen der Stellungnahme zum vorgelegten Referentenentwurf für den Bereich der Theologenausbildung - sei es an den Universitäten oder an den theologischen Hochschulen - ihre Vorstellungen deutlich zu machen. Dies geschah weder mit direktem oder indirektem Druck. Auch die Einflußnahme der Arbeitgeber vollzog sich im Rahmen der Anhörung zum Referentenentwurf und während des Hearings im Landtag, ohne daß die Entscheidungsträger irgendwelchem wenn auch nur subtilen Druck ausgesetzt worden wären.
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Bei Kirchen und Arbeitgebern lag mit der erwähnten Ausnahme der Theologenausbildung die Interessenberührung auf einer niedrigen Ebene. Bei den Gewerkschaften wurden dagegen Interessen ihrer Mitglieder, die an den Hochschulen tätig waren, direkt berührt, so daß hier die Gesetzgebung erheblich höhere Beachtung fand. Für die direkte Einflußnahme, insbesondere für ihre Intensität ist neben der Interessenberührung als weiterer Faktor von Bedeutung, welche personellen Voraussetzungen in dem entsprechenden Verband gegeben sind. Eine inaktive schwache Verbandsführung gestaltet ihre Einflußnahme sehr viel anders als ein kämpferischer Vorstand. Ja in den meisten Fällen hängt es von einer Person innerhalb der Vorstandsetage ab. Wenn sich auch nur einer findet, der sich in die Problematik einarbeitet und danach mit mehr oder minder großer Sachkenntnis das 'Geschäft' der Einflußnahme betreibt, genügt dies. In der Regel wird er dann die Zustimmung seines Vorstandes bekommen, der zufrieden ist, daß Aktivität entfaltet wird. In den seltensten Fällen ist die Interessenberührung durch geplante gesetzgeberische Maßnahmen so stark, daß sich auch aus der Mitgliedschaft ein nicht zu vernachlässigender Druck auf die Verbandsführung ergibt. Im DGB bzw. der GEW waren es in Hessen zwei Funktionäre, die sich stark für die Hochschulgesetzgebung interessierten. Dies kommt auch in der Tatsache zum Ausdruck, daß einer der beiden Mitglied in der Hochschulkommission des SPD-Bezirkes Hessen Süd war. Die Forderungen des DGB konzentrierten sich auf vier 'gewerkschaftliche Markierungspunkte', die der stellvertretende Vorsitzende des DGB Hessen, gleichzeitig Landtagsabgeordneter der SPD, folgendermaßen umriß: 1. Öffnung der Hochschulen für Bewerber aus der beruflichen Praxis ohne die traditionelle Hochschulberechtigung, 2. Festlegung eines umfassenden und differenzierten Weiterbildungsauftrages der Hochschulen, 3. Gleichberechtigte Mitbestimmung von Studenten und 'Arbeitnehmern der Hochschulen mit oder ohne Lehrauftrag', 4. Sicherung der verfaßten Studentenschaft einschließlich der Wahrnehmung des politischen Mandats. Gleichzeitig 'appellierte' der DGB an die hessische Landesregierung „in Abstimmung mit anderen Bundesländern das Hochschulrahmengesetz des Bun-
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des zu verwerfen, weil es eine vernünftige Reformpolitik der Länder verhindere" 1 2 6 . Allerdings bemühte auch der DGB sich relativ spät um die Durchsetzung dieser Forderungen in der Entwurfsphase. Da nicht davon auszugehen ist, daß ein solch erfahrener Verband nicht wüßte, welche Bedeutung die Entwurfsphase besitzt, müssen andere Gründe für den 'Spätstart' des DGB vorliegen. Einmal kann es der zeitlich nicht sehr umfangreiche Spielraum für die Einflußnahme gewesen sein, wobei sich dann allerdings die Frage stellt, warum der DGB sich nicht auf Bundesebene koordiniert nach Verabschiedung des HRG auf die mit Sicherheit zu erwartenden Länderanpassungsgesetze längerfristig gut vorbereitet hat? Ein anderer Grund für das zögerliche Verhalten des DGB speziell in Hessen könnte die nach außen hin nicht deutlich gewordene Überzeugung der Führungsspitze gewesen sein, daß die weitgehend von der zuständigen Einzelgewerkschaft GEW entwickelten Forderungen ohnehin in weiten Teilen keine Chance hätten, verwirklicht zu werden. So z.B. die Forderung nach dem allgemeinpolitischen Mandat der verfaßten Studentenschaft und auch die Forderung nach 'Verwerfung' des HRG. Während der Anhörungsphase der Verbände trafen Vertreter des DGB mit den Mitgliedern der Projektgruppe im Kultusministerium auf Wunsch des Ministers zusammen. Auch der stellvertretende DGB-Landesvorsitzende sprach in dieser Zeit einmal mit dem Minister über die Hochschulgesetzgebung. Nach der ersten Lesung im Landtag fand ein weiteres Gespräch über die Hochschulgesetzgebung im Landtag zwischen DGB-Vertretern und Minister am Rande einer Landtagssitzung statt. Zu keinem Zeitpunkt mußte jedoch der Minister sich in irgendeiner Weise unter Druck gesetzt sehen. Es lag ohne jede Einschränkung in seiner freien Entscheidung, Vorschläge des DGB anzunehmen oder abzulehnen. Der einzige Startvorsprung, den der DGB als große, wichtige Interessengruppierung besaß, die dazu auch noch mit der regierenden Sozialdemokratischen Partei traditionell enge Bindungen hat, bestand darin, daß ihre Forderungen mit großer Aufmerksamkeit geprüft wurden und daß der Zugang zum verantwortlichen Minister ohne Schwierigkeiten möglich war. Insgesamt kann der Einfluß des DGB auf die Exekutive als gering angesehen werden. Auch ein Druck auf die der SPD-Fraktion angehörenden Gewerkschaftsmitglieder im Rahmen der Hochschulgesetzgebung war nicht erkennbar. Wenn dennoch Teile der Forderungen des DGB, z.B. die Öffnung der Hochschulen für qualifizierte Berufstätige unter bestimmten Bedingungen in der vom Landtag dann verabschiedeten Gesetzgebung berücksichtigt worden war, ge-
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FAZ vom 26.4.1978, 'Der DGB fordert Öffnung der Hochschulen'.
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schah dies allein aufgrund der freien Diskussion und Entscheidung im Ministerium und in den Koalitionsgremien. Anhand dieses Gesetzgebungsprozesses kann deshalb die These von dem immer stärker werdenden Einfluß der Interessenverbände nicht bestätigt werden. Daß dies in einem anderen Gesetzgebungsprozeß sehr viel anders sein kann, wurde bereits unterstrichen. b) Die Auseinandersetzung um Einzelfragen aa) Der Klinikbereich Wie unzulässig es ist, Einflußnahme, die sich auf den ersten Blick als bloßer Interessentendruck darstellt, mit einem negativen Pauschalurteil zu belegen, zeigen die Versuche maßgeblicher hessischer Univresitätsklinikprofessoren, eine wesentliche Änderung der bisherigen Verwaltungsstruktur im Rahmen der Hochschulgesetzgebung für die Kliniken zu verhindern. Sie waren in der Tat davon überzeugt, auch im Interesse der Patienten und der Öffentlichkeit zu handeln, wenn sie versuchten, auch mit mehr oder minder subtilem Druck auf Minister, Ministerpräsidenten und Abgeordnete eine Lösung in ihrem Sinne durchzusetzen. Ihre Gegner unterstellten ihnen natürlich, daß sie lediglich ihre ganz subjektiven Interessen durch die Erhaltung des status quo wahren wollten. Es ist offenbar außerordentlich schwierig, der Erkenntnis zum Durchbruch zu verhelfen, daß jede Forderung im politischen Raum zwar in erster Linie von subjektiven Interessen der Fordernden geprägt wird, daß sie deshalb jedoch nicht unbedingt auch der objektiv-sachlich besten Lösung und dem Gemeinwohl entgegenzustehen brauchten. Deshalb ist es durchaus legitim, diese Forderungen deutlich zu machen. Der Exekutive ist es dann nach sorgfältiger Abwägung aller Gesichtspunkte überlassen, dem Parlament die ihrer Meinung nach beste Lösung vorzuschlagen. Dabei sollten dem Parlament, dem letztendlich entscheidenden Organ, auch die verschiedenen Alternativforderungen und Lösungen zugänglich gemacht werden. Starke Interessengruppen werden ihre Alternativen ohnehin im Parlament deutlich machen können. Jedoch sollte sich nicht der geschickteste und stärkste Interessenverband durchsetzen, sondern die bessere Lösung. Die Einflußnahme der Klinikprofessoren zielte darauf - überraschend genug dem Minister den Rücken gegen andere Kräfte zu stärken. Im Referentenentwurf war in § 35a des Universitätsgesetzes vorgesehen, daß ein 'Abteilungsleiter auf Dauer' eingesetzt wird. Dagegen gab es heftige Proteste einer überregionalen Gruppe von Medizinprofessoren, die sich zur 'Initiative Hochschulreform' zusammengefunden hatten mit dem Ziel, gegen 'Tendenzen
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zur Restaurierung der vergangenen Hochschulhierarchie' zu kämpfen. Sie wollten den § 35a des Entwurfes ersatzlos gestrichen sehen. Stattdessen forderten sie die kollegiale Leitung der Klinikabteilung und die Wahl der Abteilungsspitze durch die dort Beschäftigten. Die Rückenstärkung des Ministers durch die Mehrheit der Professoren gegenüber dieser zahlenmäßig schwachen, aber geschickt die Medien benutzenden Minderheit erschien um so notwendiger, da auch der DGB diesem Mitbestimmungsmodell, das die Gruppe vorgelegt hatte, positiv gegenüberstand. Besonders bedeutend war jedoch, daß es der 'Initiative Hochschulreform' gelungen war, bei der FDP eine gewisse Resonanz zu finden. Der Minister selbst war in einer nicht ungünstigen Situation, da er sich nicht einer einigen Betroffenenfront gegenübersah, die seinen Regelungsvorschlag ablehnte, sondern darauf verweisen konnte, daß die Mehrheit der Klinikprofessoren seinen Entwurf billigte. 127 Diejenigen, die eine Änderung erreichen wollten, mußten erst einmal einen Druck erzeugen, dem er sich nicht hätte entziehen können. Daß dies geschehen könnte, war trotz der unklaren Haltung der FDP, die nicht nur in dieser Frage den Minister in vermeintlicher Progressivität zu übertrumpfen suchte, ziemlich unwahrscheinlich. Die Auseinandersetzungen fanden zu sehr in der Interessentengruppe selbst statt. Gegen die Behauptung der 'Initiative Hochschulreform', mit dem Abteilungsleiter auf Dauer ziehe die alte Ordinarienherrschaft wieder ein, argumentierte der langjährige Dekan des Frankfurter Fachbereichs Humanmedizin, Abteilungsleiter und Geschäfisführender Direktor eines Medizinischen Zentrums, Prof. Hövels. Nach seiner Ansicht sollte die Leitung einer Abteilung mit dem Abschluß des Berufungsverfahrens unter Einschaltung der Selbstverwaltungsgremien vom Kultusminister langfristig übertragen werden. Anderenfalls sei eine langfristig angelegte Konzeption von Krankenversorgung, Lehre und Forschung nicht zu verwirklichen. Sie könne unmöglich von der Wahl derjenigen abhängen, deren Tätigkeit zu beaufsichtigen und deren Qualifikation zu beurteilen sei. Die Behauptung, diese Konzeption der Abteilungsleitung schaffe den Professoren, die keine Abteilung führten, unkontrollierte Abhängigkeit, sei falsch. Gemäß dem Gesetzentwurf handelten diese Hochschullehrer in Krankenversorgung, Lehre und Forschung in eigener Verantwortung. Würde die Abteilungsleitung nur befristet und nach einer Wahl vergeben, dann hätte das nach Ansicht vieler Professoren zur Folge, daß es in Hessen unmöglich würde, qualifizierte Personen für Leitungsfunktio-
127 Diese Entwurfsregelung war besonders aufgrund der Überzeugung geschaffen worden, daß sich hochqualifizierte Mediziner von Zeit zu Zeit einer Wahl für die Bestätigung in seinem Amt als Abteilungsleiter stellen würde. So die FAZ vom 3.2.1978 unter der Überschrift 'Professoren ergreifen die Flucht'.
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nen von auswärts berufen zu können. Eine solche Politik müßte mit einer Leistungminderung einhergehen, die auf Jahrzehnte nicht mehr zu beseitigen wäre. Nach Prof. Hövels Auffassung war das Problem der Universitäten derzeit wahrhaftig nicht, geknechtète unterprivilegierte Mitarbeiter aller Stufen vom Frondienst zu befreien, sondern daß vielerorts usurpierte Privilegien der Unfähigen unter den Emanzipierten so reduziert werden müßten, daß wieder vertretbar gearbeitet werden könne. Im übrigen sei nicht zu leugnen, daß eine nicht kleine Anzahl von Leuten nach 'Reformreferaten' strebe, in die sie aus eigener Kraft nie gelangen würden. Die Lage wurde noch komplizierter durch die weiteren andersartigen Vorschläge der KHU. Sie hatte vorgeschlagen, eine Regelung gemäß dem ihrer Ansicht nach seit längerer Zeit erfolgreich praktizierten 'Frankfurter Modell' zu treffen. Danach sollten Universitätsklinik und medizinischer Fachbereich zur Gewährleistung einer straffen Betriebsführung und klarer Kompetenzverteilung einheitlich verwaltet und geführt werden. Das Klinikum selbst sollte nur gegliedert werden: statt der bisherigen, in der Krankenbehandlung weitgehend eigenverantwortlich arbeitenden großen Klinik unter der Leitung eines Direktors sollte es in Zukunft Fachabteilungen geben, die der Verantwortung eines weisungsfreien Arztes unterstellt wären. So hätte es demnach eine zentrale Leitung des gesamten humanmedizinischen Fachbereichs an der Spitze, eigenverantwortliche Tätigkeit in den unteren Abteilungen und Kooperation und kollegiale Leitung auf der mittleren Ebene der Medizinischen Zentren zur Wahrnehmung der abteilungsübergreifenden Aufgaben, wie z.B. Organisation der Lehre für die Studenten, Weiterbildung der Ärzte, gegeben. Hinzu kam, daß auch zwischen den verschiedenen Ressorts der Landesregierung über die Verwaltungsstruktur der Kliniken tiefgreifende Differenzen bestanden. Eine interministerielle Arbeitsgruppe, an der Kultusminister, Sozial- und Finanzminister beteiligt waren, hatte Reformvorschläge erarbeitet, die zum Schwerpunkt die rationelle betriebswirtschaftliche Leitung der Universitätskliniken hatten. Während Finanzministerium und Sozialministerium diese Vorschläge verwirklichen wollten, verweigerte der Kultusminister in zentralen Punkten sein Placet auch gegen das Votum seines zuständigen Referenten, der in dieser Gruppe mitgewirkt hatte. Der Minister wollte offenbar nicht auch noch die ihn verteidigenden Klinikprofessoren auf unnötige Weise verärgern, indem er tiefgreifende strukturelle Reformen festschreiben ließ. Diese Auseinandersetzungen können als eindrucksvolle Bestätigung der Theorie der gegenseitigen Ausbalancierung von Interessenwünschen dienen. Dadurch, daß vielfältigste Interessen auch für die Öffentlichkeit sichtbar aufein-
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anderstießen, konnte der verantwortliche Minister letzten Endes seine ursprüngliche Vorstellung durchsetzen. bb) Die Dozentenfrage Eine wichtige Rolle spielte bei den Beratungen auch das Problem, welche Funktion die bisherigen Dozenten aufgrund des neuen Hochschulrechts zu übernehmen hatten. Angesichts der ansteigenden Studentenzahlen hatte man nicht nur in Hessen Stellen geschaffen, 128 die neben der 'normalen' Qualifikationsstelle des wissenschaftlichen Assistenten eine schnelle Qualifikation zum Hochschullehrer ohne die zusätzliche Belastung der Verwaltungsarbeit auf einer Assistentenstelle ermöglichen sollte. In einigen Ländern nannte man dieses Nachwuchsreservoir Assistenzprofessoren, in anderen Dozenten. In der Regel waren diese Stellen als befristete Qualifikationsstellen für vier bis sechs Jahre ausgewiesen. In dieser Zeit sollten die Stelleninhaber sich möglichst durch eine Habilitation weiter qualifizieren und auch einen Ruf auf eine ordentliche Professur anstreben. 129 Nach neuerem Hochschulrecht unter dem HRG war vorgesehen, diese Qualifikationsstellen durch die ähnlich ausgestatteten Stellen der Hochschulassistenten abzulösen. Obwohl der Besitzstand der bisherigen Dozenten bzw. Assistenzprofessoren durch das neue Recht in keiner Weise angetastet wurde, nutzten die Interessenverbände der Dozenten und Assistenzprofessoren die Gunst der Stunde, um für eine möglichst große Zahl im Wege der Anpassungsgesetzgebung Überleitungen zu ordentlichen Professoren zu erreichen. Dabei wurde wenig Rücksicht darauf genommen, ob die Betreffenden die Erwartungen, die hinsichtlich der Weiterqualifikation auf den Assistenz- und Dozentenstellen verbunden worden waren, erfüllt hatten oder nicht. Als Argument für eine generelle Überleitung wurde vorgebracht, daß man die Betroffenen getäuscht habe, indem man sie jetzt der Konkurrenz der Hochschulassistenten aussetze. Die Darmstädter Dozenten brachten ein weiteres Argument in die Diskussion. In Hessen solle es nach den Vorstellungen der Ministerialbürokratie ein
128 § 39 Abs. 4 HUG vom 12.5.1970, abgedruckt in der Fassung vom 6.12.1974 bei Wengler, W. / Tittel, J., Die Hochschulgesetze der Welt, Bd. 1, Berlin 1968-81 (Losebl. Ausg.), Deutschland, 1 Ε 1. Bei den zitierten Gesetzesregeln handelt es sich um die, die zum Zeitpunkt der empirischen Untersuchung Rechtskraft besaßen. 129
§ 20 Abs. 3 HochschulG von Rheinland-Pfalz vom 22.12.1970; § 95 Abs. 2 HochschulG von Schleswig-Holstein vom 2.5.1973; § 56 Abs. 2 Saarländisches UniversitätsG vom 7.7.1971 (alle abgedruckt bei Wengler, W. / Tittel, J.).
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Hausberufiingsverbot geben, in anderen Bundesländern sei eine solche Regelung dagegen nicht vorgesehen. Dies hätte zur Folge, daß hessische Nachwuchs - Hochschullehrer in anderen Bundesländern „nicht übernommen werden" 130 , weil dort der eigene Professoren-Nachwuchs vorrangig berücksichtigt werde. Unterstützung fanden die Vertreter der Dozenten bei der GEW. Bernhard Nagel, Professor an der GHK und einer der führenden hochschulpolitischen Sprecher der GEW schrieb in einem Zeitungsbeitrag 131: „Sehr rasch muß etwas für mehrere hundert hessische Universitätsdozenten geschehen. Ihre Arbeitsverträge laufen aus oder werden widerrufen. Es muß politisch verdeutlicht werden, daß weder die von diesen Dozenten vertretenen Lehrinhalte überflüssig sind, noch ihre Aufgaben nach dem viel beschworenen Ende des 4 Studentenberges' im Jahre 1985 hinfällig werden ... Politisch und juristisch muß die Tatsache aufgearbeitet werden, daß der Staat die Dozenten unter Vorspiegelung glänzender Perspektiven an die Hochschulen gelockt und sie zum Teil seit über zehn Jahren dort beschäftigt hat. Es widerspricht seiner Fürsorgepflicht, wenn er sie jetzt wie menschlichen Schrott wegwerfen w i l l ... Die Kollegen müssen über die Situation aufgeklärt, die Prozesse mit Geschick gefuhrt werden. 44
Trotz dieser Argumente und der Tatsache, daß sich die Dozenten und Assistenzprofessoren, „die die wenig durchdachte Offerte 44132 angenommen hatten, nach Ablauf der Qualifizierungszeit von in der Regel sechs Jahren „ohne Zukunftsperspektive 44133 sahen und für die Hochschule „ein schwerwiegendes, nicht zuletzt soziales Problem darstellten 44134 , gab es keinen hochschulpolitisch vertretbaren Grund für eine generelle Überleitung.
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Vgl. DE vom 17.12.1977, 'Dozenten sorgen sich um ihre Zukunft. Keine Überlebenschancen im Hochschuldienst nach neuem Gesetz'. 131 Nagel, B., Nach der Verabschiedung der Hochschulgesetze jetzt die Arbeitsplätze an den Hochschulen sichern!, in: HLZ H. 7-8/1978, S.5f. 132
Randelzhofer, Α., Personalstruktur und Personalwirtschaft zwischen Staat und Universität, Probleme im Zusammenhang mit den Assistenzprofessoren, Bonn / Bad Godesberg 1978, S 3. '»Ebd. 134
Ebd.
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Obwohl deshalb die gruppenegoistische Argumentation der Dozentenschaft sehr deutlich für die Fachleute der Hochschulpolitik hervortrat, gelang es den Interessenvertretern dieser Gruppe, eine weitgehende Solidarisierung der übrigen Hochschulangehörigen zumindest der Öffentlichkeit mit ihren Forderungen vorzuspiegeln. Hierbei kam die problematische Rolle, die die Medien in solch einem Gesetzgebungsprozeß oft ohne Not freiwillig übernehmen zum Ausdruck. Ohne die tatsächliche Berechtigung der Dozentenforderungen einmal an Hand eigener Recherchen durch Gespräche mit allen Beteiligten zu klären, übernahmen die Medien ungeprüft die 'Waschzettel' der Interessenten. Wenn es diesen gelungen war, die eine oder andere geringe Zahl von Hochschulangehörigen oder Gewerkschaftsvertretern zur Unterstützung ihrer Forderungen zu veranlassen, dann war dies Teilen der Medien allemal eine Meldung wert. Dadurch, daß diese 'Solidaritätserklärungen' ohne Gegenposition abgedruckt wurden, konnte sich nur der Leser ein objektives Bild machen, der mit großer Sorgfalt den gesamten Gesetzgebungsprozeß verfolgte. Als Beispiel solcher Interessenunterstützung durch Medien sei der Bericht der Frankfurter Rundschau über eine Meinungsäußerung von hessischen Professoren zu dem Dozentenproblem zitiert: 135 „70 Professoren aus sechs hessischen Hochschulen wenden sich wenige Tage vor der dritten Lesung der hessischen Hochschulgesetze an die Landesregierung und den Landtag mit der dringenden Aufforderung, die geplanten Massenentlassungen von mehreren hundert Dozenten zu verhindern. Die Folgen dieser - durch das Hochschulrahmengesetz keineswegs vorgeschriebenen - Maßnahme seien unter wissenschaftlichen, finanziellen und sozialen Gesichtspunkten nicht zu vertreten. In der von 70 Professoren aus Kassel, Gießen, Darmstadt, Marburg und Frankfurt unterzeichneten Erklärung werden als Folge dieser Maßnahme genannt: ein spürbares landesweites Defizit an Lehrkapazität, welches die ohnehin angespannte Lehrsituation zusätzlich verschärfe; eine Reihe kostspieliger finanzieller Belastungen durch Ablösezahlungen, Vermittlungskosten überqualifizierter Arbeitsloser, Schließung von Labors, Verschrottung überflüssiger Geräte, entgehende oder abgebrochene Forschungsaufträge, entgehende personengebundene Mittel.
135 FR vom 29.5.1978, 'Erklärung von 70 Professoren. Gegen die geplante Entlassung mehrerer hundert hessischer Dozenten'.
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Durch die Entlassung, erklären die Professoren weiter, wird das wissenschaftliche Niveau der hessischen Hochschulen zweifellos stark beeinträchtigt. An einzelnen Fachbereichen werden ganze wissenschaftliche Forschungsgebiete, die nicht selten über lange Jahre hindurch aufgebaut worden seien, aufhören zu existieren. Die Entlassungen bringen nach Ansicht der Professoren unzumutbare soziale Belastungen für die Betroffenen mit sich, die zum Zeitpunkt ihrer Entlassung rund 40 Jahre alt sein würden und aufgrund ihres Alters und ihrer hohen Spezialisierung nur sehr schwer eine neue Arbeit finden werden, bei der ihre kostspielige Ausbildung sachgerecht angewandt werden kann. Die Professoren schlagen in ihrer Erklärung vor, in der Gesetzgebung Möglichkeiten für die Weiterbeschäftigung der Dozenten zu schaffen. Es sollten nicht nur entsprechend qualifizierten Dozenten die Möglichkeit der Übernahme in Professuren gegeben werden. Dozenten sollten auch auf eigenen Wunsch in Beamtenverhältnisse als Professoren auf Zeit oder als Hochschulassistenten und wissenschaftliche Mitarbeiter übernommen werden. Auslaufende Arbeitsverhältnisse sind bis zum Abschluß der Habilitation oder gleichwertiger Leistungen hinreichend zu verlängern. Durch eine Interimlösung muß gewährleistet werden, daß es 1978 zu keinen Entlassungen kommt."
Die Frankfurter Rundschau weist mit keinem Wort darauf hin, daß der Rechtsstatus der Dozenten durch die geplanten Regelungen überhaupt nicht angetastet werden konnte, sondern daß die Dozenten von Anfang an befristete Verträge hatten. Ähnliche einseitige Darstellungen brachten auch andere Presseorgane 136 . N u r selten wehrten sich sachkundige Leser bzw. wurde deren Meinung veröffentlicht. So veröffentlichte das Darmstädter Echo einen Leserbrief, der nach einer solch einseitigen ' Interessentenveröffentlichung'
eingegangen war unter der
Überschrift ' D i e ach so armen Dozenten', in dem die Arbeit, die eigentlich der Redaktion oblegen hätte, nämlich sachgerechter Problemaufklärung nachgeholt wurde:137
136 So das DE vom 17.12.1977, 'Dozenten sorgen sich um ihre Zukunft. Keine Überlebenschance im Hochschuldienst nach neuem Gesetz'. 137
DE vom 24.12.1977
7 Mengel
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„... Wieso haben die Dozenten eigentlich nur nach dem neuen Hochschulgesetz keine Überlebenschance? Auch nach dem alten Gesetz wußten sie bereits bei ihrem Dienstantritt vor inzwischen acht bis zwölf Jahren, daß ihre Verträge befristet sind...und sie den Arbeitsplatz für andere qualifizierte Hochschulabsolventen freizumachen haben. Was diese Damen und Herren schamlos verschweigen, ist die Tatsache, daß sie den wohlklingenden Titel keineswegs ihrer eigenen Qualifikation verdanken, sondern dem Zufall, gerade zum richtigen Zeitpunkt ihr Studium abgeschlossen zu haben, und einem Fehler der Hochschulgesetzgebung durch den sie während einer Zeitspanne von etwa zwei Jahren automatisch zu Hochschullehrern ernannt wurden. Alle später eingestellten Hochschulabsolventen degradierte man - ebenfalls automatisch - zu wissenschaftlichen Mitarbeitern, die maximal fünf Jahre an der Hochschule bleiben dürfen; die meisten Dozenten haben es bereits auf mehr als zehn Jahre gebracht! ... Jetzt, wo ihre Verträge auslaufen, kommen sie und wollen aufgrund des ersten geschenkten Titels und der damit - wie nur sie selbst glauben - verbundenen Qualifikation nun einen besseren, sprich Professorentitel (für ein paar Jahre natürlich nur) ebenfalls gratis bekommen. Und was wollt Ihr dann in ein paar Jahren haben, ο erhabene Dozenten?... Wollen diese Damen und Herren etwa garnicht weg von den Fleischtöpfen der Hochschule, sondern ihre Bürosessel dort bis zur Pensionierung weiter ausbeulen und Generationen von guten Leuten die Promotionsmöglichkeit versperren oder kennt man draußen bereits 'die wahre Klasse' dieser Hochschulklasse und übt deshalb Zurückhaltung? ... Die Dozenten haben meiner Meinung nach Privilegien lange genug genossen - es wird höchste Zeit, daß die Dozentenära an den Hochschulen beendet wird, sonst stehen später den Studenten lauter Sechzigjährige gegenüber, die sich seit 30 Jahren auf ihren nicht erworbenen Lorbeeren ausruhen."
Diese - gewiß streckenweise polemische - Bürgeräußerung wurde hier nicht ohne Grund so ausführlich zitiert. Sie kann als Musterbeispiel dafür dienen, wie zumindest auf der noch relativ überschaubaren Landesebene mit nur einer begrenzten Zahl von Publikationsorganen auch der einzelne Bürger durch seine Aktivität an dem Entscheidungsfindungsprozeß teilnehmen kann, vorausgesetzt die Medien gewähren dazu ihre Unterstützung, wie sie dies hier getan haben. Der zitierte Leserbrief wurde dem Kultusministerium von einem anderen Bürger mit der Bemerkung zugeschickt „für den Fall, daß er Ihnen noch nicht vorliegt, übersende ich Ihnen den nachstehenden Leserbrief ...". A u c h dieser Bürger bewies ein vorbildliches Interesse. Allerdings hatte das Pressereferat den Leserbrief ohnehin schon in einer Kopie dem Minister und den interessierten Beam-
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ten vorgelegt. Ohne Zweifel stärkten solche Bürgeräußerungen die Position derer, die im Ministerium oder generell innerhalb der entscheidenden Gremien dem Interessentendruck Widerstand leisten wollten. Bei der Dozentenfrage war eine solche Unterstützung um so wichtiger, da hier einer der seltenen Fälle während des Gesetzgebungsverfahrens eingetreten war, indem unverhohlener Interessentendruck sich durchzusetzen drohte. Dieser Vorgang kann auch als Beispiel dafür dienen, daß sich die Interessenten nicht immer gegenseitig annähernd neutralisieren, sondern daß der Öffentlichkeit und besonders der Presse hier eine wichtige Funktion zukommt, indem sie erkennt, wann unter Außerachtlassung des Gemeinwohls versucht wird, spezifisch gruppenegoistische Interessen unter dem Deckmantel gerade dieses Gemeinwohls durchzusetzen. Daß die Dozenten sich als Interessengruppe letztlich nicht durchsetzen konnten, kann durchaus nicht beruhigen, wenn man sich vergegenwärtigt, daß es ihnen weitgehend gelungen ist, die Medien für ihre Interessen 'einzuspannen' und dieses virtuose Spiel auf der Klaviatur der Öffentlichkeitsarbeit bei den Entscheidungsträgern sowohl im Ministerium als auch im Parlament nicht vollkommen ohne Resonanz geblieben ist.
cc) Die verfaßte Studentenschaft Neben Regelstudienzeit und Ordnungsrecht stand besonders die Problematik eines sinnvollen Repräsentativorgans für die Studenten der Hochschulen im Mittelpunkt des Interesses. Es ging darum, ob man überhaupt eine öffentlich-rechtlich verfaßte Studentenschaft in Hessen mit Zwangsmitgliedschaft für alle Studenten erhalten oder auf diese Repräsentativform verzichten wollte. Daß eine solche Zwangskörperschaft durchaus nicht selbstverständlich war, hatte das Beispiel Berlins und Nordrhein-Westfalens gezeigt, die jahrelang ohne eine solche ausgekommen waren, allerdings im Zuge ihrer HRG-Anpassung planten, die öffentlich-rechtlich verfaßte Studentenschaft wieder einzuführen. Die Diskussion hatte besonderes politisches Gewicht auch in Hinblick auf den kommenden Landtagswahlkampf dadurch bekommen, daß die Studentenvertretungen fast aller hessischer Hochschulen auf der Wahrnehmung eines allgemein-politischen Mandats bestanden. Nur unvollständig und mit erheblichem Aufwand konnten die Hochschulpräsidenten und das Kultusministerium bisher gegen die auch durch die Rechtsprechung mehrfach festgestellte mißbräuchliche Wahrnehmung des politischen Mandats vorgehen. In Marburg ζ. B. hatten die Auseinandersetzungen zwischen Kultusminister und ASTA vor etwas zurückliegender Zeit sogar zur Amtsenthebung der Studentenvertretung und Einsetzung eine Staatskommissars geführt. Auch kam als aktueller Anlaß in diesem Streit über die Rolle der Allgemeinen Studentenausschüsse die Veröffentli-
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chung des ' Buback-Nachrufs ' an zahlreichen Hochschulen, so auch in Hessen, durch die Studentenvertretungen. Nichts lag deshalb näher, grundsätzlich nach Alternativen zur öffentlich-rechtlichen Zwangskörperschaft der verfaßten Studentenschaft Ausschau zu halten. Folgende Möglichkeiten waren denkbar: 1. Verzicht auf eine zentrale Repräsentation der Studenten auf Hochschulebene. Dieser Vorschlag konnte durch den Hinweis auf die Mitarbeit der gewählten Studentenvertreter in den Leitungsorganen der Fachbereiche und der Hochschule insgesamt gerechtfertigt werden. Für diese Mitwirkung war keine eigenständige verfaßte Studentenschaft nötig. 2. Beibehaltung der Körperschaft des öffentlichen Rechts, jedoch mit der Möglichkeit für den einzelnen Studenten, die Körperschaft zu verlassen bzw. erst gar nicht Mitglied zu werden. Bei einer Entscheidung für die erste Alternative wäre der Konfliktstoff mit der Studentenschaft außerordentlich erweitert worden, ohne daß die Folgen noch kalkulierbar gewesen wären. So wurde diese Alternative gar nicht näher in die Überlegungen innerhalb des Kultusministeriums einbezogen. Dagegen gab es sowohl im Stab des Ministers als auch in der Projektgruppe Befürworter der zweiten Lösung. Auch außerhalb des Ministeriums war eine starke Tendenz für die sogenannte 'Kirchenaustrittslösung' vorhanden. So hatten die Präsidenten der hessischen Hochschulen sich auf einer Sondertagung der KHU eingehend mit dem Problem befaßt. In einer vom damaligen Präsidenten der KHU und Präsidenten der Universität Marburg R. Zingel verbreiteten Stellungnahme hieß es, daß die Konferenz davon ausgehe, daß die verfaßte Studentenschaft gegenwärtig eine Zuständigkeit, sich über allgemeinpolitische Probleme zu äußern, nicht besitze. Gleichzeitig werde jedoch ein solches Mandat von nahezu allen studentischen Gruppen gefordert. Hinzu komme, daß eine Abgrenzung zwischen hochschulpolitischen und allgemeinpolitischen Erklärungen „immer wieder auf Schwierigkeiten stößt" 138 . Angesichts der vorhandenen verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Zuerkennung des allgemeinpolitischen Mandats an eine Organisation mit Zwangsmitgliedschaft, wie es die Studentenschaft sei, heißt es weiter, „regt die K H U den Gesetzgeber an zu überlegen, eine Möglichkeit zu schaffen, daß Studenten mit einer Erklärung ihren Austritt aus der Körperschaft Studentenschaft vollziehen können" 139 .
138
FAZ vom 24.5.1977, 'Zwischen Zustimmung und Bedenken. Hessische Universitätspräsidenten zum allgemeinpolitischen Mandat'. 139
Ebd.
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Die Präsidenten unterstrichen in ihrer Erklärung, daß die Entwicklung in dieser Richtung sich durch neuere Urteile abzeichne, die den Studenten ein Recht zur Beitragsverweigerung einräumten, wenn die Studentenschaft wiederholt außerhalb ihrer Zuständigkeitsgrenzen tätig geworden sei. Sollte eine solche Lösung nicht zustande kommen, müßten die „Maßnahmen der Rechtsaufsicht über die Studentenschaft durch Gesetz erweitert werden" 140 . Auch die hessische CDU neigte offenbar dieser Lösung zu. So kündigte am 19. August der Landesvorsitzende Dr. Dregger an, daß seine Partei nach dem Landtagswahlsieg „auch an den hessischen Universitäten die Zwangsbeiträge und die Zwangsmitgliedschaft der Studenten abschaffen" und die Grundlagen für eine „freiheitliche Studentenvertretung" schaffen werde, die in geheimer Briefwahl zu bestimmen sei. Die neue Studentenschaft sollte aus dem Haushalt der Hochschule finanziert und gegen mißbräuchliche Ausnutzung für „Systemüberwindungspropaganda" 141 durch Minderheiten geschützt werden. Noch kurze Zeit zuvor hatte sich ein Landesparteitag der CDU in Marburg für die völlige Abschaffung der Studentenschaft als öffentlich-rechtliche Körperschaft ausgesprochen 142. Naturgemäß verwahrten sich die Nutznießer der bestehenden Regelung gegen diese Pläne auf das Heftigste. Sie sahen in derartigen Überlegungen Versuche zur „Disziplinierung" 143 der Studentenschaft. Der ASTA der Universität Frankfurt wandte sich gegen die veröffentlichte „persönliche Meinung" 144 der Universitätspräsidenten über die Möglichkeit eines Austritts aus der verfaßten Studentenschaft. In seiner Erklärung betonte der ASTA in sicherlich richtiger Einschätzung der Stimmung unter der Mehrzahl der Studenten, daß mit einer solchen Regelung eine Kürzung der dem ASTA zur Verfügung stehenden Finanzmittel verbunden sei. Die Studentenvertretung könne „ihrem Aufgabenbereich in der politischen und staatsbürgerlichen Bildung nicht mehr gerecht werden" 145 . Durch das Votum der Präsidenten werde die verfaßte Studentenschaft mit einer Glaubensgemeinschaft gleichgesetzt, in der es auch ein Austrittsrecht gebe. Auch einzelne Persönlichkeiten griffen in den Streit um die verfaßte Studentenschaft ein. So erklärte der Frankfurter Rechtswissenschaftler Prof. E. Denninger, der einer der Väter des umstrittenen hessischen Universitätsgesetzes der
140
FAZ vom 20.8.1977
141
Ebd.
142
FAZ vom 24.5.1977, 'Auseinandersetzung um verfaßte Studentenschaft'.
143
Ebd.
144
FAZ vom 25.5.1977
145
Ebd.
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Friedeburgära war, in einem Interview des hessischen Rundfunks, daß die Beibehaltung der verfaßten Studentenschaft notwendig sei. Dies sei unter anderem auch sinnvoll, u m der Regierung und den Behörden ein Gegenüber zu geben und die sachgerechte Mitvertretung der Studenten bei sie betreffenden Gesetzesmaßnahmen zu gewährleisten. 1 4 6 Andere Hochschullehrer stellten der Altenative des Austritts aus der Körperschaft die des Eintritts gegenüber. 1 4 7 Dies hätte einen noch empfindlicheren Schlag für die verfaßte Studentenschaft bedeutet als die Austrittslösung; in der weiteren Diskussion spielte dieser Vorschlag allerdings keine wesentliche Rolle mehr. Die Tendenz nicht nur der veröffentlichten, sondern auch der öffentlichen Meinung zu diesem Problem spiegelt der folgende Zeitungskommentar w i d e r 1 4 8 :
„Über kurz oder lang wird der Allgemeine Studentenausschuß der Frankfurter Universität, eine der wichtigsten Hochburgen kommunistischer Gruppen, ebenso von der politischen Bildfläche verschwinden wie die nicht minder links geprägten Ausschüsse anderer hessischer Hochschulen. Diese Prognose ist unabhängig von der gestrigen Ankündigung Dreggers zu stellen, seine Partei werde den ASTA als zwangsdotierte Körperschaft öffentlichen Rechts auflösen - vorausgesetzt, sie gewinnt die Landtagswahl im nächsten Jahr. Auch der Frankfurter Universitätspräsident, der Sozialdemokrat Hans-Jürgen Krupp, hat gemeinsam mit seinen Kollegen in den anderen Hochschulpräsidien Hessens erkennen lassen, daß er dem derzeitigen, auf Zwangsmitgliedschaft basierenden AStA keine Chance mehr gibt. Die Mehrheit der Studenten hat längst gezeigt, was sie von 'ihrer' Selbstverwaltung hält kontinuierlich magere Wahlbeteiligungen um dreißig Prozent signalisieren dieses Desinteresse Jahr für Jahr, allerdings auch schon zu Zeiten, als der ASTA nicht als Hebelwerkzeug roter Ideologien diente. Einem Ende der verfaßten Studentenschaft in ihrer jetzigen Erscheinungsform werden wohl nur jene nachtrauern, die davon profitieren konnten, die beispielsweise in Frankfurt mehr als sechshunderttausend Mark an studentischen Zwangsbeiträgen zur Finanzierung ihrer ureigenen politischen Ziele nutzen konnten. Ansonsten braucht man gerade dem Frankfurter ASTA keine Träne nachzuweinen. Seit er in der Verfügungsgewalt sozialistischer Gruppen ist, ist all das dahin, was Frankfurts Studentenschaft einst großen und bisweilen internationalen Ruhm eingetragen hat: eine Kulturszene von hohem Rang und einen florierenden Studentenaustausch, unabhängig von
146
FAZ vom 20.8.1977
147
Vgl. FAZ vom 24.5.1977
148
Vildebantt,
K., "Verspielte Selbstverwaltung", FAZ vom 20.8.1977.
3. Der Einfluß der Interessengruppen
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politischen Glaubensbekenntnissen. Das Studententheater in Bockenheim, das nach dem Krieg Bert Brecht den Weg in die Bundesrepublik mitebnete und Könner wie Karl-Heinz Braun und Wolfgang Wiens hervorbrachte, ging im ASTA-gelenkten Revolutionsrummel ebenso dahin wie die Studiogalerie, die den Trend der modernen Kunstszene zeitweilig mitbestimmte, oder die Studentenzeitung 'Diskus', die einst heute hochgerühmte Schriftstellern als Podium diente und mittlerweile zu einem aufwendigen Linkssektiererblatt verkümmert ist. Die Linksgruppen haben da ebenso versagt wie in den vor ihrer Machtübernahme leidlich funktionierenden sozialen Einrichtungen der Studentenschaft. Es besteht in der Tat kein Grund mehr, sie weiterhin mit den Zwangsgeldern der wahrscheinlich nicht auf Rosen gebetteten Studenten zu alimentieren."
Der Kultusminister selbst machte in öffentlicher Stellungnahme klar, daß er für eine endgültige Regelung noch bis zur letzten Minute offen sei. Wenn man die verfaßte Studentenschaft als Zwangskörperschaft beibehalten wolle, komme ein allgemeinpolitisches Mandat nicht in Frage. „Eine Organisation, in der die Mitgliedschaft obligatorisch sei, könne vom Staat nur mit einem solchen Maß an Rechten ausgestattet werden, das den Schutz der Minderheit garantiere" 149 . Wenn die verfaßte Studentenschaft auf dem politischen Mandat beharre, dann müsse den Studenten die Möglichkeit zum Austritt eingeräumt werden. Der Kultusminister machte auch wiederholt deutlich, daß er bei Beibehaltung der Zwangskörperschaft Instrumente zur Verfügung haben wolle, die die Rechte der Minderheit gegenüber der Wahrnehmung eines allgemeinpolitischen Mandats wahren sollten. Dazu diene die im Referentenentwurf vorgesehene vorbeugende Finanzkontrolle. Diese solle dafür sorgen, „die mißbräuchliche Verwendung von Zwangsbeiträgen, etwa für radikale Pamphlete zu verhindern" 150 . Von einem nachträglichen Zugriff auf einen persönlich Haftenden im ASTA hielte er nichts, da er staatliche Organe nicht der Lächerlichkeit preisgeben wolle wenn sie Jahrelang hinter einem mittellosen Studenten herhetzen" 151 . Die Taktik des Ministers, lediglich seine unverzichtbaren Positionen aufzuzeigen, ansonsten aber trotz einer schon vorgelegten Entwurfsregelung für ande-
149
FAZ vom 22.12.1977, 'Krollmann verteidigt Hochschulentwurf.
150
Ebd.
151
Ebd.
90
II. Der intraministerielle Prozeß der Gesetzgebung
re Lösungen offen zu sein, muß besonders in der Rückschau als politisch klug bewertet werden. Angesichts der klar von ihm gesetzten Rahmenbedingungen konnte man ihm keinen Opportunismus vorwerfen. Zusätzlich erhielt er sich aber einen ausreichenden Handlungsspielraum, innerhalb dessen er auf die öffentlich geführte Diskussion, insbesondere aber auch auf den Druck der Beteiligten reagieren konnte, ohne dabei 4das Gesicht' zu verlieren. Dieser Spielraum war auch im Hinblick auf die erforderliche Rücksichtnahme gegenüber dem Koalitionspartner durchaus angebracht. Zwar war der Minister jederzeit in der Lage, sich in der eigenen Fraktion mit seinen Vorstellungen durchzusetzen, jedoch mußte vermieden werden, daß es zu Kraftproben mit dem Koalitionspartner FDP kam. Die Haltung der FDP berücksichtigte jedoch weitgehend die Vorstellungen des Liberalen Hochschulverbandes (LHV). Zumindest war für den Kultusminister nicht von Anfang an absehbar, inwieweit die FDP-Spitze und die FDP-Minister im Kabinett sich die eine oder andere Position des LHV zu eigen machen würden und sie als unverzichtbaren Bestandteil liberaler Politik betrachten würden. Konkret hieß das für die Regelung der verfaßten Studentenschaft, daß der Minister nicht ohne weiteres seinen vorhandenen Sympathien für die 'Kirchenaustrittslösung' nachgeben und den eigenen Entwurf entsprechend ändern konnte. Er mußte abwarten, wie die Diskussion sich zwischen den verschiedenen Kräften und in erster Linie in der FDP entwickelte. In einer solch zentralen Frage konnte und wollte er es auch nicht auf sich nehmen, dem kleineren Koalitionspartner eine Profilierung auf seine persönlichen Kosten zu gestatten, indem er sich eindeutig auf die 'Austrittslösung' festgelegt hätte, um dann auf Druck der FDP diese Festlegung revidieren zu müssen. In weniger wichtigen Punkten dagegen ist es durchaus üblich, daß man dem kleineren Koalitionspartner Profilierungschancen gibt. Die Meinungsbildung in der FDP entwickelte sich eindeutig dahin, daß man an der bisherigen rechtlichen Ausgestaltung der verfaßten Studentenschaft nichts verändern wollte. Auch hier hatte sich der LHV-Vorsitzende Döring durchgesetzt. In den weiteren Gesprächen zwischen den zuständigen Politikern verwies der Kultusminister lediglich darauf, daß man bei Beibehaltung der bisherigen Lösung, von der auch in seinem Entwurf ausgegangen worden war, eine wirksame Kontrollmöglichkeit dieser verfaßten Studentenschaft durch die Rechtsaufsichtsorgane schaffen müsse. Er konnte in diesem Zusammenhang auf einen einstimmigen Beschluß des hessischen Landtages verweisen, der angesichts des 'Bubacknachdrucks' eine derartige Kontrolle gefordert hatte. Der Verzicht auf ein Eintreten für die 'Kirchenaustrittslösung' fiel dem Minister auch politisch um so leichter, als der linke Flügel seiner Partei, dem, wie
3. Der Einfluß der Interessengruppen
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erwähnt, auch der hochschulpolitische Sprecher der Landtagsfraktion angehörte, eine solche Regelung dem Minister nicht verziehen hätte. Zwar fühlte sich der Minister nicht auf die Sympathie dieses Teils der Partei angewiesen, war allerdings auch nicht unbedingt dafür, den Konflikt zu suchen, wenn er ohne Verzicht auf Grundsatzpositionen vermeidbar war. Auch die Mehrheit seiner Beamten in der Projektgruppe hatte sich gegen eine Änderung der Entwurfsregelung ausgesprochen. Buchstäblich in letzter Minute, in der Nacht vor einem entscheidenden Koalitionsgespräch des Ministers, hatte ein Stabsmitarbeiter mit einem Vertreter der Mindermeinung in der Projektgruppe noch ein Papier erarbeitet, das dem Minister die Nachteile der bisherigen Lösung und die Vorteile der Austrittslösung noch einmal verdeutlichen sollte. Angesichts der geschilderten Umstände konnte auch dieser letzte Versuch, den Minister zu bewegen, diese Dinge im Sinne der Austrittslösung auch um den Preis heftiger Auseinandersetzungen innerhalb der Koalition und mit den Studenten zu regeln, nicht zum Erfolg führen. Es blieb bei der im Entwurf vorgesehenen Zwangsmitgliedschaft ohne Austrittsmöglichkeit. Im Verlaufe der weiteren Beratungen über die Rechtsfragen der verfaßten Studentenschaft mußte der Minister seinen Entwurf nicht ändern, während eine solche Veränderung bei der vorgesehenen Regelung der Kontrolle über die verfaßte Studentenschaft erfolgte. Der Minister hatte wiederholt erklärt, daß er eine wirksame Kontrollmöglichkeit schaffen wolle, und hatte dementsprechend Bestimmungen über die sogenannte vorbeugende Finanzkontrolle der Allgemeinen Studentenausschüsse in den Entwurf aufgenommen. Hierauf mußte er unter dem Druck der FDP und des linken Flügels seiner Partei verzichten. Wiederum war es bei der FDP der LHV-Vorsitzende Döring, der entschieden dafür eintrat, „die Selbstverwaltung der Studentenschaft abzusichern und damit eine vorbeugende Finanzkontrolle der Allgemeinen Studentenausschüsse zu unterbinden" 152 . So wurde im Vergleich zum Referentenentwurf in § 69 HochschulG in der Kabinettsvorlage eine verstärkte studentische Vertretung im Vermögensbeirat, der die Mittelverwendung der verfaßten Studentenschaft überwachen sollte, festgelegt. In § 72 Abs.3 HochschulG wurden die Befugnisse der Aufsichtsbehörde zu Auflagen, die die Mittelbewirtschaftung bei Mißbrauch durch die verfaßte Studentenschaft betrafen, präzisiert. Der endgültige Verzicht auf die vorbeugende Finanzkontrolle erfolgte allerdings erst drei Wochen vor der abschließenden Lesung, nachdem sich die Koalitionsparteien hierauf verständigt hatten. Nach der ersten Lesung des Entwurfs, in dem die vorbeugende Finanzkontrolle noch enthalten war, hatten die Allgemeinen Studentenausschüs-
152
FAZ vom 13.12.1977
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se der hessischen Hochschulen ihren Widerstand gegen diese Kontrolle bekräftigt und erklärt, daß „die Studenten ihre politische Entmündigung durch eine Finanzhoheit der Hochschulverwaltung über studentische Gelder nicht hinnehmen." 153 Der Vorsitzende der Konferenz hessischer ASten, Funk, betonte, „der Konflikt zwischen Studenten und Kultusverwaltung ist vorprogrammiert." 154 Die endgültige Kontrollregelung sah vor, daß ein Vermögensbeirat die Finanzen der verfaßten Studentenschaft überwacht. Neu gegenüber der Ausgestaltung dieses Beirates im ursprünglichen Entwurf war, daß die Studenten mit sechs Vertretern gegenüber vier Professoren und dem Kanzler im Vermögensbeirat die Mehrheit haben sollten. Allerdings sollte der Kanzler Vetorecht besitzen. Gegen seine Stimme sollte der Vermögensbeirat die Finanzordnung der verfaßten Studentenschaft nicht verabschieden können. Auch eine Entlastung wäre dann nicht möglich. Bei rechtswidriger Verwendung von Geldern der Studentenschaft sollte das Sanktionsmittel der Finanzsperre befristet angewendet werden. 155 c) Der Verarbeitungsprozeß der eingegangenen Stellungnahmen Obwohl die Frist für die Stellungnahmen der Betroffenen und gesellschaftlich relevanten Verbände angesichts der Komplexität der vorgelegten Entwürfe und ihrer Bedeutung für die weitere Entwicklung des Hochschulwesens kurz bemessen war, gingen ca. achtzig Stellungnahmen ein. Etwas relativiert wurde die Kürze der Anhörungsfrist durch zwei Faktoren. Einmal hatten die interessierten Gruppen schon vorher ständig Gelegenheit gehabt, Eingaben auch unaufgefordert zu machen. Desgleichen konnten sich die Gremien der Hochschulen und die Interessenvertretungen der an ihr Lehrenden und Lernenden auch schon vor Anhörung zum Referentenentwurf mit der Hochschulgesetzgebung befassen. Zwar lagen bis zu diesem Zeitpunkt noch keine Referentenentwürfe vor, jedoch war auch den Hochschulen bewußt, daß sich die hessische Gesetzgebung weitgehend am HRG orientieren mußte. Sie waren deshalb durchaus in der Lage, sich Gedanken darüber zu machen, was man nicht wollte. Außerdem drangen immer wieder durch Indiskretionen, deren Quellen bis heute nicht verifizierbar sind, Einzelheiten über beabsichtigte Regelungen an die Öffentlichkeit. Insofern waren die Formulierungen in dem dann in die Anhörung gegebenen Entwurf keineswegs in ihren bedeutsamen Teilen
153
FAZ vom 22.3.1978, 'Studenten kündigen Widerstand an'.
154
Ebd.
155
Vgl. zu dem Änderungsantrag der Koalitionsfraktionen zur dritten Lesung FAZ vom 18.5.1978, 'Korrekturen am hessischen Universitätsgesetz-Entwurf.
3. Der Einfluß der Interessengruppen
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Überraschungscoups der Exekutive, sondern weitgehend in dieser Form erwartete Regelungen. Insbesondere gab es für die Hochschulen nichts grundlegend Neues, da sie in sehr enger Kooperation an den Planungen beteiligt waren. Allerdings war sowohl der Kooperationsgrad als auch die daraus folgende Information für die einzelnen Hochschulen mit dem Ministerium unterschiedlich. Besonders der Informationsstand einzelner Hochschulpräsidenten und ihrer engeren Mitarbeiter war unvergleichlich höher als bei anderen Gruppen oder Institutionen. Für die betreffenden Hochschulen insgesamt bedeutete dies jedoch keine Erhöhung des Wissensstandes ihrer Mitglieder, da die beteiligten Hochschulbeamten zur Verschwiegenheit verpflichtet waren. Aber selbst wenn man davon ausgeht, daß die Hochschulen über die entscheidenden Probleme und ihre in den Entwürfen vorgesehenen Lösungen schon in größerem Maße informiert waren, kann mit Sicherheit davon ausgegangen werden, daß der Zugang zu Informationen für die Betroffenen nicht chancengleich war. Insbesondere in den Hochschulen gab es Gruppen, die kaum informiert wurden. Zumindest für letztere war die offizielle Anhörungsfrist dementsprechend nicht ausreichend, da sie nicht über die notwendigen 'VorabInformationen' verfügten, die zur Erarbeitung fundierter Stellungnahmen erforderlich gewesen wären. Auch der zweite Faktor, der die kurze Anhörungsfrist relativierte, die Gelegenheit später noch einmal im Landtagshearing zu Wort zu kommen und bis dahin detailliertere Stellungnahmen ausarbeiten zu können, galt nicht für alle Betroffenen. Diese Gelegenheit bekamen nur die wichtigsten Verbände. Nur sie wurden vom Landtagspräsidenten zum Hearing eingeladen. Aber gerade sie hatten die Möglichkeiten zur Vorabinformation vor der Anhörung zum Referentenentwurf auch schon gut zu nutzen gewußt. Insofern schlug die Kürze der Anhörungsfrist zum Referentenentwurf lediglich in voller Wirkung auf kleinere Interessengruppen und Betroffene durch, die weder frühzeitig Zugang zu Informationen hatten, noch zum Hearing des Landtages eingeladen waren. Als die Frist zur Stellungnahme zum Referentenentwurf abgelaufen war, begann die Auswertung der gemachten Änderungsvorschläge durch die Arbeitsgruppe. Hier erwies sich das Verfahren, daß die Verbände und Hochschulen aufgefordert worden waren, konkrete Neuformulierungen vorzuschlagen, als außerordentlich positiv und zeitsparend. So konnte sehr schnell festgestellt werden, wo einfache gesetzestechnische Formulierungsfehler unterlaufen waren. Ferner war schnell ersichtlich, bei welchen Bestimmungen die Änderungswünsche sich häuften, ähnelten oder unterschieden. Es war für die Projektgruppe einfacher, an ihrer Formulierung festzuhalten, wenn die Änderungswünsche für einen bestimmten Paragraphen nicht übereinstimmten, sondern jede Stel-
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II. Der intraministerielle Prozeß der Gesetzgebung
lungnahme einen anderen Vorschlag enthielt. In solchen Fällen hatte die Gruppe nicht allzu große Skrupel, sich auf den Standpunkt zu stellen, daß es legitim sei, nichts an der geplanten Regelung zu ändern, da es offenbar bei den Betroffenen keine einheitliche Auffassung gebe. Schwieriger war es, wenn alle oder zumindest eine überwiegende Anzahl zu einem bestimmten Paragraphen Änderungswünsche mit gleichlautender Zielrichtung einbrachten. Hier mußte die gewählte Lösung des Referentenentwurfs noch einmal sorgfältigst überdacht werden. Naturgemäß versuchten die Mitglieder der Arbeitsgruppe ihre Formulierungen zu erhalten, so daß in der Gruppe die Überprüfung eher einer Suche nach Argumenten für die vorgeschlagene Lösung und gegen den Änderungswunsch darstellte, als eine unvoreingenommene Prüfung der Alternativen. Nachdem die Stellungnahmen in der Projektgruppe beraten worden waren, begann eine Sitzungsserie mit dem Minister, in der er die letzte Entscheidung über das Schicksal der Änderungswünsche traf. Schwierigkeiten ergaben sich durch den völlig überfrachteten Terminkalender des Ressortchefs, der im Flächenstaat Hessen immerhin in einer Person alle Pflichten wahrzunehmen hat, die sich z.B. in Stadtstaaten wie Hanburg und Berlin drei Senatoren teilen. Die Terminschwierigkeiten wurden nicht leichter dadurch, daß sich zur gleichen Zeit auch die Arbeit des Rahmenrichtlinienbeirates, die ebenfalls im Mittelpunkt des landespolitischen Interesses stand, in der entscheidenden Phase befand, und nicht selten allein die ständige Präsenz des Ministers bei den Sitzungen einen erfolgreichen Abschluß mit dem erstrebten Konsens aller vertretenen Verbände und Institutionen, insbesondere der Kirchen, Gewerkschaften und Arbeitgeber verhieß. Trotz dieser Terminnot wurden teilweise halbtägige Sitzungen auch am Wochenende anberaumt, in denen alle Änderungswünsche der Angehörten mit dem Minister und dessen Mitarbeitern aus seinem Büro durchgesprochen und über ihr Schicksal entschieden wurde. Dabei arbeitete man mit folgendem Verfahren: Die Gruppe hatte eine lange Liste der Änderungswünsche erstellt und teilweise schriftlich daneben vermerkt, ob sie ihren Vorschlag aufrecht erhalten wollte bzw. völlige oder modifizierte Übernahme des neuen Vorschlages empfahl. Allerdings geschah dies nur in der ersten Phase der Sitzungen. In den letzten Zusammenkünften mit dem Minister legte die Gruppe weder dem Minister noch vorher seinen Mitarbeitern entsprechende Papiere vor. Dies führte zu einer kurzen Auseinandersetzung zwischen Mitgliedern der Gruppe und einem Stabsmitarbeiter. Letzterer hatte darauf bestanden, daß vor den Sitzungen mit dem Minister eine Liste der zu besprechenden Probleme dem Ministerbüro zugeleitet werden sollte. Dies geschah mit dem Ziel, daß der Minister selbst
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vorher sich noch einmal Gedanken über die konkreten Änderungsvorschläge machen konnte und nicht in der Sitzung selbst - wie in den meisten Fällen geschehen - ad hoc nach kurzer Diskussion mit 'ja' oder 'nein' entscheiden mußte. Während sich die Gruppe damit entschuldigte, daß es zeitlich unmöglich sei, eine Tagesordnung aufzustellen, beurteilte der Stabsmitarbeiter dies als Vorwand, um möglichst ungestört durch den Minister oder seinen eigenen Stab ihre Vorstellungen durchzusetzen. Erneut wird in diesem Vorgang die Gefahr der Verselbständigung des 'Apparates' und das daraus resultierende Spannungsverhältnis zwischen Stab und Linie deutlich. Letztlich wurde zugesagt, Abhilfe zu schaffen, jedoch geschah dies nur zögernd und unvollständig. Bei der Einschaltung des Ministers in die Entscheidung, ob ein Änderungsvorschlag akzeptiert werden sollte oder nicht, entstand die Gefahr, daß dem Minister nicht alle Änderungswünsche der Verbände und betroffenen Hochschulangehörigen von der Gruppe unterbreitet wurden. Hier fand keinerlei Kontrolle statt. Das Ministerbüro war aus Zeitgründen daran gehindert, die Eingaben und Vorschläge systematisch zu sichten und zu prüfen, ob die Gruppe alle in ihre Beratungen einbezogen hatte. Insofern wurde den Mitgliedern der Projektgruppe vertraut. Um einen bildlichen Umfang von der Papierflut, die während des Anhörungsverfahrens auf die betroffenen Mitarbeiter des Hauses zukam, zu erhalten, mag der Hinweis dienen, daß die aufeinandergeschichteten Eingaben einen ca. zwei Meter hohen Stapel Papier ergaben. Daß angesichts der Komplexität der Materie die Verarbeitungskapazität der damit befaßten Beamten sowohl in der Hierarchie als auch im Stab in personeller und organisatorisch-technischer Hinsicht ungenügend war, ergab sich allein schon aus der zu bewältigenden Papierflut. Insofern konnten weder die Mitglieder der Gruppe und schon gar nicht der zuständige engere Mitarbeiter im Ministerbüro eine adäquate Prüfung aller Vorschläge vornehmen. Eine solche Prüfung hätte darin bestehen müssen, ob der gemachte Vorschlag mit den bildungspolitischen Vorstellungen der verantwortlichen politischen Führung im Einklang stand oder diesen Vorstellungen sogar näher kam, als die bisher vorgelegte Formulierung. Ferner hätte in einer ausführlichen Prüfung die Verifizierung so mancher Tatsachenbehauptung, auf der ein entsprechender Vorschlag beruhte, erfolgen müssen. Mit anderen Worten, es hätten Gespräche über die gemachten Erfahrungen, die den Vorschlägen zum Teil zugrundelagen, geführt werden müssen, um eine tragfähige Entscheidungsgrundlage über die verschiedenen Alternativen in einzelnen Fragen zu schaffen.
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Grundsätzlich ist bei solchen Anhörungsverfahren die Frage zu stellen, ob es tatsächlich genügt, bei der Verwertung der eingegangenen Vorschläge zwar formal korrekt vorzugehen, sie auch mit in die Überlegungen einzubeziehen, jedoch insgesamt ihre Prüfung nicht mit dem erforderlichen Aufwand vorzunehmen. Diese doch recht oberflächliche Verwertung der Eingaben wiegt um so schwerer, als die Erstformulierung der Entwürfe weitgehend der Gruppe überlassen blieb, also einem sehr kleinen Kreis und in diesem in der Regel auch nur ein einziger Referent mit der konkreten Formulierung befaßt war. Verständlich, wenn das subjektive Bestreben des Referenten darin bestand, seine Formulierung auch weiterhin möglichst unverändert durch die Gefahren der Anhörung zu bringen. Thomas Ellwein charakterisiert den Tatbestand treffend, wenn er ausführt: „Selbstverständlich kennen wir alle das Problem des Mannes, der still an seinem Schreibtisch die Sache bis zum letzten I-Tüpfelchen fertig machen will, um sie dann als seine Leistung in den Geschäftsgang zu geben. Dann ist es, wie wir wissen, oft viel zu spät um noch alle Gesichtspunkte wirklich zur Geltung zu bringen. Wer schreibt, hat recht, heißt es beim Skatspielen und beim Entwerfen von Gesetzestexten."156
Der Referent ist weder daran interessiert, daß seine Kollegen in der Gruppe tiefer in die Problematik sich vertiefen, noch daß jemand im Ministerbüro Kontrolle ausübt, noch daß der Minister seinen Paragraphen besondere Aufmerksamkeit widmet. Derselbe psychologische Tatbestand trat ein, wenn die Gruppe insgesamt eine 'Formulierung' durchbringen wollte. Die Gefahren dieses menschlich verständlichen Verhaltens für die objektiv in Einklang mit den politischen Vorstellungen der verantwortlichen Führung stehende bestmögliche Lösung liegen auf der Hand. Einzelne Mitglieder der Gruppe gerieten insbesondere bei der Verwertung der Stellungnahmen in Versuchung, sie ungelegenen Mitarbeitern vorzuenthalten oder deren Stellenwert und objektive Berechtigung im schlechten Licht erscheinen zu lassen, nicht zuletzt auch um die vermeintliche Blöße zu vermeiden, vorher eine weniger gute Lösung vorgeschlagen zu haben.
156 Ellwein, Th., Drei Hauptaufträge der Staatskanzlei, in: Die Staatskanzlei: Aufgaben, Organisation und Arbeitsweise auf vergleichender Grundlage, Schriftenreihe der Hochschule Speyer, Bd. 34, 1967, S. 201ff. (S. 205).
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Nicht zuletzt aus diesen psychologischen Entscheidungsbedingungen heraus hätte eine eingehendere Prüfung und Diskussion aller Änderungsvorschläge unter ständiger Beteiligung des engeren Kreises der politischen Führung erfolgen müssen. Daß die vorgängig gemachten Ausführungen ihre Berechtigung haben, mag an dem in anderem Zusammenhang schon herangezogenen Beispiel der Einführung des 'Privatdozenten' an hessischen Hochschulen verdeutlicht werden. Besonders die 'politisch motivierten' Mitglieder der Gruppe wehrten sich von Anfang an gegen die Einführung des Privatdozenten. Sie hatten diese spezifische Stellung und Bezeichnung von Habilitierten nicht in ihrem Entwurf vorgesehen. Als Grund nannten sie, daß hier der 'Fortschritt', der durch die Friedeburgsche Hochschulgesetzgebung, die den Privatdozenten abgeschafft hatte, wieder aufgehoben werde. Warum sie die damalige Abschaffung als Fortschritt ansahen, wurde nicht deutlich erkennbar. Der Hinweis, daß es Privatdozenten auch im Dritten Reich gegeben habe und der Titel dadurch eine gewisse Signalwirkung für den fortschrittlichen oder konservativen Charakter hessischer Hochschulpolitik habe, war in keiner Weise überzeugend. In mehreren Sitzungen der Gruppe mit dem Minister wurde dieses Thema, welches im Verhältnis zu anderen Problemen keineswegs wichtig war, ausführlich behndelt. Der Grund für diesen Zeitaufwand lag allein darin, daß die Gruppe es inzwischen offenbar als Prestigefrage empfand, ob die Regelung in ihrem Sinne oder nach den Vorstellungen des Ministermitarbeiters entschieden wurde. Die Vorschläge, die sich für die Einführung des Privatdozenten aussprachen, gingen davon aus, daß denen, die die Mühe einer Habilitation auf sich genommen hatten, wenn schon keine Stelle im Hochschulbereich, wenigstens die Anerkennung in Form eines Titels, der dem Staat keine weiteren Folgekosten verursachte, nicht versagt werden sollte. Unterstützung fand diese Auffassung in den Stellungnahmen der Hochschulen, der Konferenz hessischer Hochschulpräsidenten und der Verbände wissenschaftlicher Mitarbeiter. Verstärkt wurden entsprechende Vorschläge noch durch mündliche Interventionen auf den öffentlichen Veranstaltungen des Ministers in den Hochschulen. Aufgrund all dieser recht massiven rechtlichen Stellungnahmen zugunsten der Einführung des Privatdozenten war der Minister entschlossen, diesem Wunsch nachzugeben. Als er zum ersten Mal diese Frage mit der Gruppe unter Teilnahme auch der Staatsekretärin ansprach, kam es zu langen Diskussionen darüber, insbesondere auch welche Folgen mit der Verleihung des Titels verbunden sein sollten. Die Diskussion wurde mehrmals wieder in anderen Sitzungen aufgegriffen, da einzelne Mitglieder immer wieder neue Argumente gegen den Wunsch des Ministers vorbrachten. Inzwischen hatte der
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Mitarbeiter des Ministers mit dem Präsidenten der KHU bei einem persönlichen Gespräch in Frankfurt eine Formulierung abgesprochen, die in etwa mit dem Vorschlag der K H U übereinstimmte. Als die Gruppe in der Schlußbesprechung mit dem Minister über die gemachten Änderungsvorschläge wiederum einen Text vorlegte, der den vorher vom Minister deutlich geäußerten Wünschen zur Stellung der künftigen Privatdozenten nicht entsprach, wurde er von seinem Mitarbeiter darauf hingewiesen. Mit einer Entschiedenheit, die keinen Widerspruch mehr von Seiten der Gruppe duldete, wurde dann die mit dem Präsidenten der K H U abgesprochene Lösung in den Entwurf aufgenommen. 157 Dieses Beispiel zeigt, daß die Gruppe ein außerordentlich starkes Eigengewicht gegenüber der politischen Führung in Anspruch nahm und dieses auch in Einzelfragen zum Tragen bringen konnte. Kaum abzuschätzen sind all die Fälle, in denen eine ähnliche Kontrolle gegenüber den Vorschlägen der Gruppe hätte ausgeübt werden müssen. Etwas relativiert wurde die mangelnde Kontrolle über die Gruppe dadurch, daß der Minister sich in zahllosen Problemen, die strittig diskutiert wurden, hervorragend auskannte und deren Komplexität durch dezidierte Anweisungen politischer Natur an die Gruppe zwar nicht aufhob, jedoch hierbei die eindeutigen Präferenzen seiner Entscheidung deutlich machte. Solche Entscheidungen wurden gewöhnlich nur am Ende einer ausführlichen Diskussion über jeden einzelnen von der Gruppe aufgrund der Stellungnahmen vorgelegten Entscheidungspunkt getroffen. Allerdings erlaubte die Tatsache, daß der Minister jedem überflüssigen Wort mit Ungeduld gegenüberstand, ohnehin keine ausufernde Debatte, insbesondere über grundsätzliche Fragen sozialdemokratischer Hochschulpolitik. Die Gefahr solcher Debatten bestand besonders dann, wenn die Gruppenmitglieder untereinander verschiedener Auffassung waren und ihre interne Arbeit nicht durch ein einheitliches Votum beendet hatten. Im Austausch der Argumente versuchten dann die Teilnehmer der Sitzungen den Minister für ihre Auffassungen zu gewinnen. Dies hätte angesichts des relativ großen Teilnehmerkreises sehr leicht in Grundsatzdiskussionen abgleiten können. Der Minister hörte sich die verschiedenen Argumente an, beteiligte sich intensiv am 'brain storming', um dann oft ziemlich abrupt zu entscheiden. Grundlage seiner Entscheidungen waren allerdings nicht nur die Beiträge der Gruppenmitglieder oder Meinungsäußerungen seiner engeren Mitarbeiter, sondern viele Probleme waren auch in den Diskussionsveranstaltungen in den 157 Die endgültige Regelung des § 42 Abs. 3 HUG lautet: „Auf Antrag verleiht der Fachbereich dem Habilitanden die akademische Bezeichnung 'Privatdozent'. Der Privatdozent ist zur Lehre berechtigt und verpflichtet. Er hat keinen Anspruch auf einen Arbeitsplatz oder eine Vergütung ... Das Nähere regelt die Habilitationsordnung."
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Hochschulen mit Repräsentanten von Hochschulgruppen und Einzelpersönlichkeiten behandelt worden. Außerdem hatte er so manche Hinweise, Warnungen oder Ermutigungen für die eine oder andere Entscheidung auf informellem Wege, im Gespräch mit Professoren, Studenten oder Abgeordneten erhalten. d) Wertung des Interesseneinflusses Bis hierhin wurde der Prozeß eines konkreten Gesetzgebungsvorgangs auf Länderebene nachgezeichnet, den Blank/Hirsch allgemein für die Bundesebene einer Wertung unterziehen, die jedoch auch für die Landesebene ihre Bedeutung hat: „ A u f diesem Wege kommen Gesetzesentwürfe zustande, in die nicht nur die Interessen der einzelnen Ressorts eingearbeitet sind, sondern die auch die möglichen Widerstände und Wünsche der Verbände, des Parlaments und die Wirkung in der breiten Öffentlichkeit antizipieren und im Interesse eines reibungslosen Ablaufs der Gesetzgebung einkalkulieren. Schon im Kabinett präsentiert sich also der von der Verwaltung ausgearbeitete Gesetzesentwurf als sorgsam ausgewogener Kompromiß, die möglichen Alternativen werden schon vorher ausgeschieden und erreichen diese Ebene der Politik nicht mehr." 1 5 8
Diese wertende Beschreibung muß aufgrund der tatsächlichen Vorgänge zumindest für diesen hier zur Diskussion stehenden Gesetzgebungsentwurfsvorgang in mehreren Punkten relativiert und verdeutlicht werden. Relativiert dort, wo davon ausgegangen wird, daß mit den Gesetzgebungsentwürfen aufgrund der Einflußnahme von Verbänden, Parlament und Öffentlichkeit ein 'sorgsam ausgewogener Kompromiß' vorgelegt wird, wobei impliziert wird, daß keiner der Beteiligten nunmehr noch ein Interesse daran hätte, in der 'Parlamentsphase' hieran noch etwas zu ändern, da dann unter Umständen das kunstvolle Kompromißgebäude in sich zusammenstürzen könnte. Diese Sicht ist insofern für den konkreten Entscheidungsfindungsprozeß nicht zu bestätigen, als sie beinhaltet, daß die Ministerialbürokratie innerhalb der Entwurfsphase unter Leitung des Ressortchefs mit großer Kompromißbereitschafi die Vorschläge der Interessengruppen aufnimmt, auf die Wünsche des Parlaments auch schon in dieser Phase Rücksicht nimmt und mehr oder minder
158 Blank, H.-J. / Hirsch, J., Zum Verhältnis von Parlament und Verwaltung im Gesetzgebungsprozeß, in: Schäfer, G. / Nedelmann, C. (Hg.), Der CDU-Staat, Studien zur Verfassungswirklichkeit der Bundesrepublik, München 1967, S. 80ff. (92).
8 Mengel
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II. Der intraministerielle Prozeß der Gesetzgebung
ängstlich auf die veröffentlichte Meinung achtet, um dadurch das Konfliktpotential für die weitere Phase im Parlament möglichst gering zu halten. Dem war nicht so. Die Ministerialbürokratie behielt auch in dieser Entwurfsphase ihre beinahe unbeschränkte Autonomie. Dabei ist allerdings die Ebene Projektgruppe von der Führungsspitze zu unterscheiden. Die erstere ließ sich noch sehr viel weniger in ihren Vorstellungen von der Lösung der verschiedensten Probleme durch noch so massive Einflußnahmeversuche abbringen als die Ressortspitze. Wenn die Projektgruppenmitglieder meinten, sie hätten eine brauchbare Lösung gefunden, wurde daran solange festgehalten, bis eine anderslautende Entscheidung des Ministers vorlag. Inwieweit die Beamten auf dessen Entscheidung Einfluß - allein schon durch Problemvorlage - besaßen, wurde beschrieben. Das Verhalten der Beamten ist verständlich, wenn man, abgesehen von der menschlich psychologischen Komponente, berücksichtigt, daß sie in keiner Weise an einer Konfliktpotentialminimierung für den weiteren Fortgang der Gesetzgebung interessiert sein mußten. Dieses Interesse lag allein bei der politischen Führung, die allerdings erwarten kann, daß von den Referenten dieses Interesse in ihre Überlegungen mit einbezogen wird. Wie stark jedoch das Bedürfnis nach Konfliktreduzierung für die Parlamentsphase in der Ressortspitze ausgeprägt ist, hängt wiederum von einer ganzen Facette einzelner Faktoren ab. Ein politisch starker, fest in der Partei verwurzelter Minister braucht weniger auf Wünsche der Interessengruppen einzugehen als ein schwacher Minister, der sich öffentliche Auseinandersetzungen nicht leisten kann, ohne sein Amt zu gefährden. Aber auch andere politische Rahmenbedingungen spielen eine große Rolle, so z.B. die Nähe eines Wahltermins oder die konzentrierte Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit für die Forderungen eines Interessenverbandes. Aber selbst solche Rahmenbedingungen müssen nicht immer zu einer erhöhten Konfliktminimierungsbereitschafi und einem Entgegenkommen der Ministerialbürokratie führen. Letztlich hängt das Durchsetzungsvermögen der Interessenten zu einem nicht unwesentlichen Teil von der Persönlichkeit des jeweiligen Amtsinhabers ab. Sie bestimmt, ob er die Entwürfe seiner Beamten gegenüber den Alternativvorschlägen der Interessenten deckt oder den Interessenteneinflüssen Raum gibt. Wobei noch bemerkt werden muß, daß ein weiser Minister sehr wohl die Vorschläge der Gruppen auf ihre Brauchbarkeit und Qualität insbesondere im Vergleich mit denen in seiner Hierarchie erarbeiteten prüfen sollte, um dann die bessere Lösung zu wählen. Dies ist auch während der Entwurfsphase der hessischen Hochschulgesetze in dem beschriebenen Verarbeitungsprozeß der eingegangenen Stellungnahmen geschehen. Jedoch kann man dabei nicht von einem zwischen Ministerialbürokratie und Interessenten ausgehandelten Kompromiß sprechen, sondern von einer völlig souveränen Entscheidung der Bürokratie entweder mit Schwerpunkt
3. Der Einfluß der Interessengruppen
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in der Projektgruppe oder bei dem Minister persönlich. Das gleiche gilt auch für andere Einflüsse, ob sie aus dem Parlamentsbereich oder aus dem Bereich der veröffentlichten Meinung kommen. Solche grundsätzlichen Feststellungen schließen auch für den konkreten Hochschulgesetzgebungsprozeß nicht aus, daß in Einzelfragen tatsächlich von einem Kompromiß zwischen Auffassungen der Interessenten und der Ministerialbürokratie gesprochen werden kann, oder daß sich sogar die Interessenten voll gegenüber der Bürokratie durchgesetzt haben. Eine solche Einzelfrage, in der sich die Interessenten durchgesetzt haben, war die Entscheidung für getrennte Gesetzentwürfe und gegen einen Einheitsgesetzentwurf. Wenn auch der Einfluß der Interessentengruppen im konkreten Gesetzgebungsprozeß in bezug auf die oft überspitzt dargestellten Gefahren für das parlamentarische System relativiert werden muß, ist nichtsdestoweniger zu unterstreichen, daß sie im Vergleich mit dem Einfluß der Parteien durchaus Schritt halten konnten. Daß sie generell als „Konkurrenten der politischen Parteien" 159 anzusehen sind, ist allerdings in dieser Form nicht zu bejahen. Im Gegenteil, oft versuchen sie, die Parteien als Transmissionsriemen zur Exekutive und in der späteren Phase auch zur Legislative für ihre Interessen einzuspannen. Konkurrenz ergab sich nur dort, wo die Vorstellungen unvereinbar waren. Die Zusammenarbeit zwischen den die Regierung tragenden Parteien und den Interessenten funktioniert besonders gut, wenn die Experten der Parteien und besonders ihrer Fraktionen nicht genügend Sachverstand und Kraft für eigene Alternativen entwickeln und dankbar sind, sich durch das Aufgreifen der Interessentenvorschläge in Öffentlichkeit und Partei profilieren zu können. e) Die Beziehungen zwischen Kultusministerium und den anderen Landesressorts Die Kontakte, die während des Gesetzgebungsprozesses zwischen dem Kultusministerium und den anderen hessischen Ministerien bestanden, sind in formelle und informelle Beziehungen einzuteilen. Beide Formen der Einflußnahmemöglichkeiten beschränkten sich im wesentlichen auf die Periode, bevor die Entwürfe dem hessischen Landtag zugeleitet wurden. Die formellen Kontakte bestanden darin, daß die Landesressorts ohne Ausnahme die Referentenentwürfe zur gleichen Zeit wie die Verbände und Betroffenen übersandt bekamen, mit der Bitte um ihre Stellungnahme. Der Zweck
159
So Ehrlich, St., Die Macht der Minderheit. Die Einflußgruppen in der politischen Struktur des Kapitalismus, Wien / Frankfurt / Zürich 1962, S. 49.
102
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dieser Regelung ist leicht einsichtig. Wenn die Ressortkollegen schon in dieser Phase die Gelegenheit bekommen, Einwände gegenüber einzelnen Regelungen geltend zu machen, wird gewährleistet, daß sich im weiteren Fortgang der Gesetzgebung zu einem späteren Zeitpunkt, insbesondere im Kabinett, keine Verzögerungen durch Meinungsdifferenzen über die richtige Lösung eines Problems ergeben. 160 Den Ministerien ging der gleiche Vordruck wie den anderen zur Stellungnahme Aufgeforderten zu. Sie hatten zur Stellungnahme die gleiche Frist wie jene einzuhalten. Naturgemäß verteilte sich wie auch bei den anderen eingehenden Stellungnahmen die Gewichtung im Verarbeitungsprozeß nicht vollkommen einheitlich. Einwände eines Ressorts, das für den angesprochenen Komplex kompetent war, wurden ernsthafter geprüft als Vorschläge dieses Ressorts für die Lösung eines Problems, für welches es eigentlich keine Sachkompetenz hatte. Trotzdem blieb es den Ressorts unbenommen, zu jedem Paragraphen der Entwürfe Stellung zu nehmen. Nicht nur durch die Zuständigkeit der einzelnen Ressorts wurde die Bewertung ihrer Stellungnahmen vorgenommen, sondern auch nach dem Gewicht der Ressorts selbst. So wurden Einwände und Änderungsvorschläge des Finanzministeriums und des Justizministeriums außerordentlich ernst genommen. Ersteres hatte schließlich die finanziellen Auswirkungen der vorgesehenen Regelungen, insbesondere derjenigen, die die beamten- und statusrechtlichen Fragen betrafen, zu überprüfen und letzteres achtete darauf, daß auch juristisch die Entwürfe einwandfrei waren. Betrafen die Stellungnahmen dieser beiden Ressorts grundsätzlich die Gesamtheit der Entwürfe, so beschränkten sich die anderen Ministerien auf ihren speziellen Bereich. So machte das Sozialministerium einen weitgehenden Änderungsvorschlag für die Regelung des Klinikwesens an den hessischen Hochschulen. Der Grund dafür lag darin, daß über einen längeren Zeitraum hinweg eine interministerielle Arbeitsgruppe, die mit Vertretern des Sozial-, Kultus- und Finanzministeriums besetzt war, Untersuchungen über eine Neugestaltung des Klinikwesens angestellt hatte und dazu auch umfangreiche Gutachten vorlagen. Der Vertreter des Kultusministeriums in dieser Arbeitsgruppe, der das Referat Wirtschaftlichkeit und Rationalisierung leitete, war mit seinem Wunsch, daß die Ergebnisse der Gruppenarbeit auch in die Entwurfsregelungen Eingang finden mögen, weder bei der Projektgruppe, die die Entwürfe bearbeitete noch bei dem Minister selbst durchgedrungen. Da besonders das Sozialministerium und das Finanzministerium an einer Regelung für die Kliniken interessiert waren, die betriebswirtschaftliche Gesichtspunkte stärker berücksichtig160 Vgl. Loewenbergy G., Parlamentarismus im politischen System der Bundesrepublik Deutschland, Tübingen 1969, S. 341.
3. Der Einfluß der Interessengruppen
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te, lag es nahe, daß diese Ressorts nunmehr versuchten, über den Weg der Ressortstellungnahme die erarbeiteten Vorschläge der Gruppe erneut auf den Tisch zu bringen. An diesem Beispiel wird allerdings deutlich, wie groß das Beharrungsvermögen von Ministerialbeamten, die ihre eigenen Vorstellungen durchsetzen wollen, sein kann und wie wichtig die Durchsetzungsmöglichkeit der Ressortspitze gegenüber der Ministerialhierarchie ist. Nachdem entschieden worden war, daß das Kultusministerium nicht daran interessiert war, die Überlegungen der interministeriellen Arbeitsgruppe in größerem Umfang in den Entwürfen durchzusetzen, hätte sich auch der zuständige Referent ohne wenn und aber an diese 'Marschroute' halten müssen. Stattdessen nahm er die erneute Vorlage der Vorschläge zum Anlaß, seine Bemühungen um eine Aufnahme in die Entwürfe wieder aufzunehmen. Mit der Beschreibung dieses Vorgangs ist gleichzeitig die Brücke zu den informellen Kontakten zwischen Kultusministerium und anderen Ressorts geschaffen. Diese bestanden vor der 'offiziellen Anhörung' in erster Linie darin, daß die Experten der verschiedenen Häuser für bestimmte Sachgebiete sich miteinander in Verbindung setzten und die eine oder andere Regelung besprachen. So gab es zwischen Justiz- und Kultusministerium Gespräche - auch auf höchster Ebene - über die Frage des Vorsitzes der unter Umständen zu schaffenden Ordnungsausschüsse oder über die Frage des politischen Mandats. Im ersten Bereich hatte man nämlich im Kulturressort erwogen, den Vorsitz solcher Ausschüsse Richtern zu übertragen, was dem Justizministerium insofern nicht recht sein konnte, da einmal erhebliche personelle Belastungen entstünden und gleichzeitig sich schwierige Fragen rechtlicher Natur ergäben. Beim Komplex 'politisches Mandat' der Studentenvertretungen war das Justizressort daran interessiert, daß eine möglichst justiziable Lösung vorgeschlagen wurde, die die Verwaltungsgerichte nicht übermäßig belastete. Nur wenn die informellen Gespräche zu keiner Einigung geführt hatten, nutzten die Ressorts die Anhörung, um ihre Vorstellungen erneut vorzulegen. Ein Teil der Ressorts verzichtete allerdings auf solche Einflußnahme, da die in Frage stehenden Probleme offenbar nicht als so wichtig empfunden wurden. Von Interesse ist es im Zusammenhang mit der Einflußnahme der anderen Ressorts zu überprüfen, ob ein Unterschied zwischen der Einflußnahmeintensität von Ministerien, die von Ministern der gleichen Partei, der auch der Ressortchef des Kultusressorts angehörte, geleitet wurden und denen, die von der kleineren Koalitionspartei angehörenden Ressortkollegen geführt wurden, bestand. Die Annahme, daß der kleinere Koalitionspartner auf diesem Wege versuchen wird, seine Vorstellungen vor Beginn der Landtagsphase durchzusetzen und sie auf recht unspektakulärem Wege auch noch in die Kabinettsberatungen zu bringen, liegt nicht allzu fern. In der Tat war ein von der Ressortzuständigkeit nicht
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II. Der intraministerielle Prozeß der Gesetzgebung
allzu naheliegendes Interesse an der Gesetzgebung im Wirtschaftsministerium festzustellen, welches von dem damals in der FDP Hessens einflußreichen Minister Karry geleitet wurde. Dieses Interesse und die aus diesem Hause kommenden Vorschläge wurden aufmerksam im Kultusministerium beachtet, führten letztlich jedoch nicht zu nennenswerten Veränderungen in den ursprünglichen Vorstellungen des Kultusressorts. Die wenigen zentralen Fragen, in denen sich der Kultusminister den Wünschen des Koalitionspartners nicht verschließen konnte, wurden auf anderer Ebene, dem Koalitionsausschuß, behandelt. Dabei stand man immer unter Einigungszwang, da in der Regel eine Koalitionsregierung glaubt, es sich schwerlich leisten zu können, die Differenzen bis zur Landtagsberatung weiter offen zu lassen. In der Tat könnte dann die Lösung der Probleme den führenden Repräsentanten der Koalition entgleiten und auf die Abgeordneten übergehen, ganz abgesehen von dem Bild der Uneinigkeit, das in einem solchen Fall in der Öffentlichkeit entstehen könnte. Weniger wahrscheinlich ist es, daß Minister unabhängig von Koalitionsdifferenzen, nachdem sie gegenüber dem federführenden Ressort nicht durchgedrungen sind und auch im Kabinett keine Mehrheit erhalten haben, Abgeordnete veranlassen, „die strittigen Punkte aufzugreifen" 161 Dies könnte der Regierungschef mit einigem Recht als Illoyalität ansehen und entsprechende Konsequenzen ziehen. f) Die Schlußredaktion des Referentenentwurfs Nachdem die Beratungen über den endgültigen Text abgeschlossen worden waren, ging es für die einzelnen Gruppenmitglieder darum, in möglichst kurzer Zeit die Schlußformulierung für den Teil des Entwurfes anzufertigen, für den sie innerhalb der Gruppe verantwortlich waren. Daneben entstand das Problem, daß zu den einzelnen Bestimmungen, die gegenüber den früheren Gesetzen verändert worden waren, Begründungen für die jeweiligen Änderungen niedergelegt werden mußten. Aus den Begründungen des Entwurfs sollte sowohl das Kabinett als auch das Parlament ein Mehr an Informationen erhalten. Allerdings ist hier die Frage zu stellen, warum solche Begründungen nicht auch schon dem Referentenentwurf, der an die Verbände und Betroffenen gegangen war, beigefügt wurden? Auch hier spielte das zeitliche Moment eine Rolle. Mit Sicherheit lag es nicht an dem mangelnden Willen des Ressortchefs, der während des gesamten Gesetzgebungsverfahrens außerordentlichen Wert auf einen transparenten Prozeß legte, in dem alle, die etwas zur Entscheidungsfindung beizutragen
161
So aber Loewenberg, G., S. 341, der diesen Vorgang „Gegensätze innerhalb der Regierung auszunützen" als „eine der wirksamsten Waffen" des Parlaments im legislativen Prozeß betrachtet.
3. Der Einfluß der Interessengruppen
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hatten, gehört werden sollten. Allerdings war dieser Anspruch nicht immer zu erfüllen. Neben den Begründungen für die einzelnen Bestimmungen, die eine wesentliche Änderung erfahren hatten, mußte auch noch eine Gesamtbegründung für die Gesetzentwürfe erarbeitet werden. Hier hätte es sich angeboten, daß eine solche Begründung, die ja auch weitgehend politischen Charakter besitzt, da sie die Ziele und Motive, die mit den Entwürfen verbunden wurden, deutlich machen soll, von einem Mitarbeiter des Ministerbüros erarbeitet hätte werden müssen. Wiederholt wurde jedoch schon darauf hingewiesen, daß die Arbeitskapazität des Ministerbüros für die Hochschulgesetzgebung unangemessen gering war, so daß erst gar nicht zur Diskussion stand, diese Aufgabe wahrzunehmen. g) Die Kabinettsvorlage Nach dem komplexen Prozeß der Veränderung, dem die Referentenentwürfe durch die vielfältige Einflußnahme der Betroffenen, der Verbände, der Mehrheitsfraktionen im Landtag, der anderen Ressorts und der Staatskanzlei unterworfen wurden, ging es nunmehr darum, die endgültige Kabinettsvorlage zu erstellen, d.h. den Gesetzestext, den das Kultusministerium der hessischen Landesregierung zur Verabschiedung und anschließenden Zuleitung an den Landtag vorschlagen wollte. Dabei galt es, 42 Änderungen im Vergleich zum Referentenentwurf zu berücksichtigen. Jedoch ist auch hier noch einmal zu betonen, daß keine dieser vom Minister akzeptierten Änderungen auf unausweichlichen Druck zustande gekommen war, sondern daß diese Änderungen Ergebnis des an anderer Stelle beschriebenen Prozesses waren. Daß das Kultusministerium die große Zahl der Änderungen in keiner Weise als politisch inopportun gewertet wissen, sondern im Gegenteil damit den Beweis führen wollte, es sei ständig bereit gewesen, die Ergebnisse der Diskussion auch tatsächlich zu berücksichtigen, geht auch daraus hervor, daß der Minister in einer Presseerklärung ausdrücklich auf die Vielzahl der Änderungen hinwies. 162 In dieser Erklärung betonte der Kultusminister, daß der Dialog mit den Hochschulen zu fruchtbaren Ergebnissen geführt habe, und unterstrich seine Bereitschaft, dieses Gespräch fortzuführen, „um seinen Teil dazu beizutragen, die Kluft zwischen Hochschule und Gesellschaft zu verkleinern." 163
162 Informationen des hessischen Kultusministers Nr. 23/78 unter der Überschrift: Oesetzentwürfe zum HRG - Anpassung in vielen Punkten verändert. Kabinettsvorlage berücksichtigt zahlreiche Stellungnahmen'. 163
Ebd.
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II. Der intraministerielle Prozeß der Gesetzgebung
Die wichtigsten Änderungen der Referentenentwürfe im Vergleich zur Kabinettsvorlage betrafen folgende Punkte: - Die Hochschulautonomie insbesondere im Bereich des Studiums, der Studienberatung, der Ausbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses und der Hochschul- und Forschungsplanung wurde deutlich verstärkt. - Es wurde klargestellt, daß die Regelstudienzeit nicht rückwirkend und ohne starre Prüfungsfristen eingeführt wird. Solange nicht reformierte Studienund Prüfungsordnungen vorliegen, hat jeder Student die Zeit zum Studium, die seine Kommilitonen in den letzten drei Jahren im Durchschnitt benötigt haben; Nachfristen treten auf Antrag hinzu. - Die Verantwortung aller Hochschulangehörigen für einen geordneten Lehrund Forschungsbetrieb wurde in den Bestimmungen über das Ordnungsrecht stärker zum Ausdruck gebracht: Kommt es zu Störungen, soll der Ordnungsausschuß, dem Vertreter aller Gruppen angehören, die Möglichkeit der Schlichtung nutzen. - Die Bestimmungen über die Verfaßte Studentenschaft wurden beibehalten; aufgrund der Stellungnahmen wurde jedoch eine stärkere Vertretung der Studenten im Vermögensbeirat und eine Präzisierung der Befugnisse der Aufsichtsbehörde bei Auflagen, die die Mittelbewirtschaftung der Studenten betreffen, vorgesehen. Im einzelnen betrafen die Änderungen folgende Paragraphen:
Universitätsgesetz § 11 Abs. 3
Verbesserung der Rückkehrmöglichkeit ehemaliger UniPräsidenten in ein Professorenamt bzw. Übernahme in den übrigen Landesdienst.
§ 19 Abs. 2
Zusammensetzung der Ständigen Ausschüsse wie im geltenden Recht.
§ 24 Abs. 2
Verstärkung der Vertretung der wissenschaftlichen Mitarbeiter im Fachbereichsrat.
§41 Abs. 9
Hochschulassistent auch als Zeitangestellter, da bessere soziale Absicherung nach Ausscheiden.
§ 42
Wiedereinführung des 4 Privatdozenten \
3. Der Einfluß der Interessengruppen
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Fachhochschulrecht § 1 (in Verb. m. § 4 Abs. 3 EHHG) Erweiterung des Auftrags der Fachhochschule: Erschließung wissenschaftlicher Erkenntnisse für die Praxis § 18
Stimmrecht der Dekane im Rat der Fachhochschule.
§ 24
Wissenschaftliche Einrichtungen können gebildet werden.
§ 31
Honorarprofessoren auch an Fachhochschulen möglich.
Hochschulgesetz § 5 Abs. 4
Forschungskonzentration an Gesamthochschulen
§7
Bei Zusammensetzung der Hochschulkommissionen mehr Spielraum.
§ 12
Wegfall des Quorums: Jeder Gruppe steht unabhängig von Wahlbeteiligung die volle Sitzzahl in den Gremien zu.
§ 14 Abs. 2
Entscheidung über den Umfang des Stimmrechts sonstiger Mitarbeiter vereinfacht.
§ 15 Abs. 1 und § 66 Abs. 3 Maßnahmen zur Erhöhung der Wahlbeteiligung: Wahl zu Kollegialorganen der Hochschule und der Studentenschaft (Konvent, Fachbereichsrat, Studentenparlament, Fachschaftsrat) gleichzeitig; Briefwahl zu diesen Organen möglich. § 18 Abs. 2
Aufnahme u. a. von Immatrikulation und Studienberatung in den Katalog der Selbstverwaltungsangelegenheiten.
§21
Bei Studienordnungen, Promotions- und Habilitationsordnungen Beschränkung auf Rechtskontrolle durch den Minister.
§ 22 Abs. 3
Annahme von Vermögensgegenständen im Rahmen des Haushaltsrechts möglich; Verzicht auf zusätzliche Genehmigung.
§ 26 Abs. 4
Einbeziehung der Landeshochschulkonferenz in Planungsverfahren.
§ 27 Abs. 3 und Abs. 4 Aufbau eines einheitlichen Hochschulinformationssystems durch
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II. Der intraministerielle Prozeß der Gesetzgebung
die Hochschulen und Bestellung des Datenschutzbeauftragten durch die Hochschule, nicht durch den Minister. §35 Abs. 6
Eröffnung von Studienmöglichkeiten auch für qualifizierte Berufstätige.
§38
Weitere Liberalisierung des Ordnungsrechts durch Schlichtungsausschuß.
§ 42
Richtlinien für Studienberatung von Hochschulen sind nicht vom Minister zu erlassen.
§ 44
Keine Studienordnung erforderlich bei Studiengängen mit kleiner Studentenzahl.
§ 45 Abs. 5
Auf die Regelstudienzeit werden über die bisherigen Regelungen hinaus nicht angerechnet: Die bei Vor- und Zwischenprüfungen eingeräumten Nachfristen, Studienzeiten außerhalb des Geltungsbereiches des Hochschulrahmengesetzes, eine Beurlaubung.
§ 49 Abs. 5
Weiterbildung auch im Zusammenhang mit Trägern der beruflichen und außerschulischen Jugend- und Erwachsenenbildung.
§ 51 Abs. 2
In geeigneten Studiengängen Möglichkeit, Ausbildungsteile projektbezogen zu gestalten (Projektstudium).
§ 53 Abs. 3 und Abs. 4 Beteiligung aller Hochschulgruppen in den Studienreformkommissionen; Mehrheit der Hochschule in den Studienreformkommissionen des Landes für Studiengänge, die mit Hochschulprüfung abschließen § 69
Verstärkte studentische Vertretung im Vermögensbeirat.
§ 72 Abs. 3
Präzisierung der Befugnisse der Aufsichtsbehörde bei Auflagen, die Mittelbewirtschaftung durch Studentenschaft betreffen.
§ 82 Abs. 2
Die Regelstudienzeit wird bis zum Inkrafttreten neuer Studienund Prüfungsordnungen nach der durchschnittlichen Studiendauer der letzten drei Jahre bemessen.
I I I . Die Stellung der Staatskanzlei W e n n das Innenleben der Ministerien i n der Öffentlichkeit schon weitgehend unbekannt ist und erst i n letzter Z e i t auch die weißen Flecken a u f der wissenschaftlichen Landkarte i n diesem Bereich ausgemerzt w e r d e n , 1 6 4 so ist die Staatskanzlei a u f Länderebene noch u m einiges abgeschirmter. 1 6 5 Das
4
Geheim-
nisumwitterte' dieser Institution k o m m t in den Ausführungen v o n MorsteinM a r x zu Beginn einer Tagung der Hochschule Speyer, die sich a u f die K l ä r u n g der F u n k t i o n und Struktur der Staatskanzlei konzentrierte, ironisch-distanziert z u m Ausdruck:
„Wer sich unbeschwert durch Sachkunde dem Flug der Phantasie anvertraut, mag die Staatskanzlei als die ragende Hochburg des Regierungshaupts sehen, Raum um Raum gefüllt mit 'wirklichen geheimen Räten'. An dieser romantischen Vision ist eins wahr: das Entrücktsein der Staatskanzlei von dem geläufigen Bild der politischen Zusammenhänge. Es ist nicht ohne weiteres klar, ob die Unkenntnis über das, was sich in dieser entrückten Sphäre abspielt, auf Abgelegenheit oder auf Geheimniskrämerei beruht. Beides wäre aus dem gleichen Grunde unerwünscht. Eine demokratisch gestaltete öffentliche Ordnung widerspräche sich selbst, wenn sie es zuließe, daß Wichtiges durch Abgelegenheit aus der Sicht geriete. Ebenso aber müßte das Urteil ausfallen, wenn dem Wähler absichtlich Kenntnis vorent-
164 Noch 1967 umschrieb Kassimatis, G., diesen Zustand folgendermaßen: „Der Bereich der Regierung ist rechtswissenschaftlich sehr wenig erforscht, obwohl davon nicht wenig gesprochen worden ist. Das Gespräch darüber, oft unwissenschaftlich, gleicht den umlaufenden Gerüchten über die fernen Grenzbereiche oder das Niemandsland, in denen man niemals war. Der Grund liegt darin, daß die Regierung wirklich ein Grenzbereich ist, wo sich das Recht und Macht vermischen." (S.21) 165 Vgl. aber Bar schei, U., Die Stellung des Ministerpräsidenten von Schleswig-Holstein unter besonderer Berücksichtigung der Lehre von der Gewaltenteilung, Diss, phil., Kiel 1971; etwas zurückliegender Uhlitz, O., Zur Frage des Staatsoberhauptes in den Ländern, DÖV 1966, S. 293ff.; zur historischen Entwicklung vgl. Beyme, K. v., Die Entstehung des Ministerpräsidentenamtes in den parlamentarischen Systemen Europas, PVJ 1969, S. 249ff.
III. Die Stellung der Staatskanzlei
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halten wird, etwa weil er insoweit nicht ins Vertrauen genommen werden könnte." 1 6 6
Knöpfle spricht auf der gleichen Tagung von der Staatskanzlei als , jene dem Außenstehenden im allgemeinen verschlossene Sakristei des Staates".167 Die Tatsache, daß das als Machtzentrum sicherlich weitaus bedeutendere Bundeskanzleramt besonders in der wissenschaftlichen Diskussion eine seiner Bedeutung gemäße Beachtung gefunden hat, obwohl hier die Abschirmungsmechanismen sicherlich ungleich höher und effektiver sind als auf Länderebene, spricht eher dafür, daß die mangelnde wissenschaftliche Erhellung der Machtzentren der Länder in erster Linie nicht der 'Verschlossenheit' der Staatskanzleien anzulasten ist, sondern die 'Abgelegenheit' der Länderproblematik, die sich auch in vielen anderen Gebieten der Verfassungsproblematik nur langsam beseitigen läßt, tiefere Ursache ist.
1. Die Richtlinienkompetenz der Ministerpräsidenten und die eigenverantwortliche Führung der Ressorts durch die Minister Die Macht der Staatskanzlei fußt auf der in den Länderverfassungen verankerten Richtlinienkompetenz168 des Ministerpräsidenten. 169 Lediglich in den drei Stadtstaaten finden sich davon abweichende Regelungen. In Hamburg 170 und Bremen 171 bestimmt der Senat die Richtlinien der Politik, in Berlin der Regierende Bürgermeister „im Einvernehmen mit dem Senat". 172
166 Morstein-Marx, F., Vorwort des Tagungsleiters, in: Die Staatskanzlei: Aufgaben, Organisation und Arbeitsweise auf vergleichender Grundlage, Schriftenreihe der Hochschule Speyer, Bd. 34, Berlin 1967, S. 9. 167
Knöpfle, F., Tätigkeitssphären und Organisationsstrukturen, in: Die Staatskanzlei: Aufgaben, Organisation und Arbeitsweise auf vergleichender Grundlage, Schriftenreihe der Hochschule Speyer, Bd. 34, Berlin 1967, S. 39ff. (S. 41). 168 Vgl. Junker, E. U., Die Richtlinienkompetenz des Bundeskanzlers, Jur. Diss., Tübingen 1964; Wiek, G. v., Wer bestimmt die Richtlinien der Politik?, Diss., Würzburg 1958. 169 Art. 55 NordrheinWVerf.; Art. 29 SchleswigHVerf.; Art. 49 BaWüVerf.; Art. 104 RheinlPfVerf ; Art. 91 SaarlVerf.; Art. 37 NiedersVerf.; Art. 47 BayVerf.; Art. 89 BrandenbgVerf.; Art. 46 MecklVVerf.; Art. 63 Sachs Verf.; Art. 68 Sachs Anh Verf.; Art. 76 Thür Verf. 170
Vgl. Art. 33 HBG: „(1) Der Senat ist die Landesregierung. Er bestimmt die Richtlinien der Politik, führt und beaufsichtigt die Verwaltung." 171 172
Art. 118 Brem Verf.
Art. 58 Beri Verf.: „(2) Der Regierende Bürgermeister bestimmt im Einvernehmen mit dem Senat die Richtlinien der Regierungspolitik. Sie bedürfen der Billigung des Abgeordnetenhauses."
1. Die Richtlinienkompetenz der Ministerpräsidenten
111
In Hessen bestimmt Art. 102 der Verfassung: „Der Ministerpräsident bestimmt die Richtlinien der Regierungspolitik und ist dafür dem Landtag verantwortlich. Innerhalb dieser Richtlinien leitet jeder Minister den ihm anvertrauten Geschäftszweig selbständig und unter eigener Verantwortung gegenüber dem Landtage." 173 Wie jede verfassungsrechtliche Bestimmung sagt auch diese Regelung noch nichts endgültiges über die Verfassungswirklichkeit aus. Dies gilt um so mehr, je unschärfer die Definitionsgrenzen des in den rechtlichen Regelungen verwendeten Begriffs sind. Erstaunlicherweise sind die Versuche einer Definition des Begriffs 'politische Richtlinien', der für das politische und verfassungsrechtliche Leben eine kaum zu überschätzende Bedeutung hat, nicht sehr zahlreich und bis heute auch kaum erfolgreich zu nennen. Besonders im älteren Schrifttum 174 umfaßten die Richtlinien der Politik lediglich das Grundsätzliche und Generelle der auf das Staatsganze gerichteten Machtausübung. Einzelfallentscheidungen dagegen fielen nicht mehr unter diesen Begriff. Bei anderen 175 wird die Richtlinienkompetenz keineswegs mehr auf diese enge Weise eingeschränkt, sondern sie soll die gesamte politische Leitung einschließlich Einzelfallentscheidungen enthalten. Daß auch diese erweiterte Umschreibung der Richtlinienkompetenz nicht befriedigend ist, wird schnell deutlich bei der Frage, wo die Grenze für das Ansichziehen von Einzelfällen durch den Ministerpräsidenten aus der Ressortzuständigkeit gezogen werden kann und, wenn man ζ. B. den Text der hessischen Verfassung genau nimmt, auch gezogen werden muß. Praktikabler erscheint dagegen einer der jüngeren Versuche einer defmitorischen Erfassung. W. E. Pfister umschreibt die Richtlinien nicht nur als „die programmatische Grundlage und der Bezugspunkt der Staatslenkung im allgemeinen und aller Planungsarbeiten im besonderen, sondern (sie, d. Verf.) dienen auch als Leitlinie der Koordination und Maßstab der Kontrolle." 1 7 6 Mit einiger Skepsis ist jedoch auch diese definitorische Annäherung zu bewerten, da gerade dieser im übrigen soweit ersichtlich nur in deutschen Verfassungstexten expressis verbis vorkommende verfassungsrechtliche Begriff mehr als andere in der Ausfüllung seines rechtlichen Rahmens von den in ihm handelnden Personen abhängt.
173
Vgl. auch die §§ 1 und 2 GOHessLR vom 1.10.1964.
174
Maunz, Th. / Dürig, G., Grundgesetz. Kommentar, München / Berlin, Stand 1958, Art. 65; Maurtz, Th., Die Richtlinien der Politik im Verfassungsrecht, BayVBl 1956, S. 260ff. 175 Knöpfte, F., Inhalt und Grenzen der 'Richtlinien der Politik' des Regierungschefs, DVB1 1965, S.857ff. und S.925ff.; Gruber, D., Die Stellung des Regierungschefs in Deutschland und Frankreich. Eine rechtsvergleichende Studie, Hamburg 1964. 176 Pfister, 1974, S. 21.
W. E., Regierungsprogramm und Richtlinien der Politik, Bern / Frankfurt a. M.
112
III. Die Stellung der Staatskanzlei
Aber nicht nur die konkrete Handhabung des Amtes und der damit verbundenen Autorität durch die einzelnen Ministerpräsidenten oder den Bundeskanzler relativiert die praktische Bedeutung einer scharf umrissenen Definition, sondern auch andere Umstände können zu einer solchen Relativierung in entscheidendem Maße beitragen. So kann die Richtlinienkompetenz, gleich ob man sie nun eng oder weit faßt, dem Regierungschef in der Praxis vollkommen abhanden kommen, wenn er ζ. B. durch KoalitionsVereinbarungen auch bis ins Detail hinein Vorgaben bekommt und auch in den Koalitionsausschüssen nicht das entscheidende Wort hat. Umgekehrt bedarf es keiner Drohung mit der Wahrnehmung seiner Richtlinienkompetenz, wenn er ζ. B. gegenüber einem Minister eine bestimmte Regelung gerne sähe. Dies klärt er dann in einem Gespräch, ohne daß formal die Richtlinienkompetenz eine Rolle spielen müßte. Wenn dennoch hier zum Abschluß dieser Betrachtungen zur Richtlinienkompetenz der Versuch gemacht werden soll, wenigstens noch einmal zu unterstreichen, worin der Kern der Richtlinienkompetenz zu sehen ist, dann nicht deshalb, weil hier unter allen Umständen eine justiziable Definition vonnöten wäre - man stelle sich nur einen Minister vor, der gegen seinen Regierungschef klagt, weil dieser ihm gegenüber seine Richtlinienkompetenz überschritten habe - sondern weil eine möglichst praktikable Abgrenzung den Handelnden eine Leitlinie für die Grenzen ihrer verfassungsrechtlichen Möglichkeiten bietet, wobei davon auszugehen ist, daß in einer Demokratie die verantwortlichen Politiker nicht unbedingt bis an die Grenzen ihrer verfassungsrechtlichen Möglichkeiten gehen sollten. Richtlinienkompetenz bedeutet - gleich ob vom Regierungschef allein oder im Einvernehmen mit seinem Kabinett, bzw. auch von diesem wahrgenommen daß nicht nur die groben Umrisse der Politik antizipatorisch verpflichtend aufgezeigt werden, sondern auch daß der Kompetenzinhaber jede Einzelentscheidung, die im Rahmen der Ausfüllung durch die Ressorts grundsätzlich eigenverantwortlich zu treffen ist, materiell an sich ziehen kann, indem er den Ressortchef anweist, wie er die Entscheidung zu fällen hat. Die Verfassungszuweisung der Richtlinienkompetenz in diesem weiten Sinne verstanden, überlagert die Zuweisung zur eigenverantwortlichen Ressortführung. So kann die Richtlinienkompetenz des Ministerpräsidenten von diesem extensiv ausgelegt und wahrgenommen werden, oder er kann sich auch lediglich als zurückhaltender Moderator und Koordinator der Tätigkeit seiner Minister verstehen. Entsprechend diesem unterschiedlichen Verständnis wird auch die Machtstellung der Staatskanzlei sich innerhalb der Landespolitik verschieden auswirken. Auch die Organisationsstruktur der Staatskanzlei kann nicht unbeeinflußt von der Persönlichkeit des Ministerpräsidenten und dessen Amtsverständnis sein.
1. Die Richtlinienkompetenz der Ministerpräsidenten
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Die Richtlinienkompetenz steht in einem so verstandenen permanenten Spannungsverhältnis zur eigenverantwortlichen Führung der Ressorts durch die Minister. Welche Schwierigkeiten die Nutzbarmachung dieses Verhältnisses offenbar in der Praxis, insbesondere auf Länderebene, mit sich bringt, zeigen die Ausführungen des damaligen schleswig-holsteinischen Innenministers H. Schlegelberger auf der schon erwähnten Tagung in Speyer: „Das, was die Staatskanzleien heute auszeichnet, ist, daß ihre Mitglieder eigentlich ein Wunder dadurch vollbringen, daß sie nicht alle an Herzinfarkt umkommen. Sie sollen etwas ersetzen, was wir nicht haben. Sie gliedern nämlich die Sachaufgaben, die das Ressortprinzip vertikal aufspaltet, in sich noch einmal um. Das Ressortprinzip kann auf Länderebene nicht funktionieren, so daß praktisch alles, was in vielen Ministerien erarbeitet wird, noch einmal in der Staatskanzlei umgepreßt werden muß, damit ein annehmbarer Akt herauskommt, der Entgleisungsgefahren von vornherein verhindert. Ich bin ein Anhänger der These, daß die Staatskanzlei oder besser gesagt der Ministerpräsident Führungsfunktionen haben soll und daß die Richtlinien mehr sind als nur schwache Linien. Sie sollen die Politik prägen. Das ist bei dem gegenwärtigen Zustand aber nicht möglich." 1 7 7
Der hier geschilderte Zustand, in dem sich die Führungsfunktion der Staatskanzlei zu den einzelnen Ressorts befindet, kann allerdings lediglich ein Schlaglicht auf die Problematik, wie sie sich auch entfalten kann, darstellen, aber sicherlich nicht für die funktionalen Beziehungen von Staatskanzlei und Ressorts verallgemeinert werden. Sicherlich hat die Staatskanzlei die Aufgabe, innerhalb ihrer Führungsfunktion auch eine gewisse Kontrolle gerade über wichtige Vorhaben der Länderressorts auszuüben. Eine solche Kontrolle kann und muß sich jedoch in der Regel auf die grundsätzlichen Dinge beschränken und nicht im Detail nachvollziehen, was die Ministerien erarbeitet haben. Diese Kontrolle ist vergleichbar mit derjenigen, die der Stab des Ministers und dieser selbst über die Bürokratie des Ministeriums ausüben. Eine ständige bis ins Detail gehende Beaufsichtigung, wie sie der Minister über das eine oder andere Referat, wenn auch nur vorübergehend ausüben kann, dürfte allerdings im Verhältnis Ministerpräsident - Minister verfassungsrechtlich unzulässig sein und müßte zumindest aufgrund der hessischen Verfassung zur Entlassung oder zum
177 Schlegelberger, H., Bildung von Stabsstellen, in: Die Staatskanzlei: Aufgaben, Organisation und Arbeitsweise auf vergleichender Grundlage, Schriftenreihe der Hochschule Speyer, Bd. 34, Berlin 1967, S. 143ff. (S. 144).
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III. Die Stellung der Staatskanzlei
Rücktritt des betreffenden Ministers als verfassungsrechtlich sauberer Lösung führen, da in einem solchen Fall das Vertrauensverhältnis zwischen Regierungschef und Minister offenbar ohnehin gestört ist. Allerdings schließt diese grundsätzliche Beschränkung der Staatskanzlei auf die großen Linien der Politik nicht aus, daß unter besonderen politischen Bedingungen die von ihr ausgehenden Richtlinien über längere Zeit stärker in die Ressortarbeit hineinwirken. Der hessische Ministerpräsident Börner war mit der Erwartung seiner Partei für dieses Amt nominiert worden, daß er die politische Führung in erster Linie darauf konzentrieren würde, die sich in den letzten Amtsmonaten seines Vorgängers häufenden Skandale zu bereinigen und wieder eine erkennbare Linie in die hessische Politik zu bringen. Diese Rahmenbedingung zu erwähnen ist wichtig, weil nur so die Einflußnahme der Staatskanzlei auf die Hochschulgesetzgebung in ihren Voraussetzungen deutlicher wird. Im Verhältnis zum Kultusressort konnte der Ministerpräsident allerdings die Gewißheit haben, daß das Ressort von einem Minister geleitet wurde, der auf langjährige politische Erfahrung und Verwaltungspraxis auch schon als Ressortchef eines anderen Ministeriums zurückgreifen konnte, so daß die Gefahr von politischen Eskapaden ausgeschlossen war. Gerade bei den Ressortchefs der Kultusministerien der Länder und des Bundes ist dies keineswegs eine Selbstverständlichkeit, da hier durchaus die Berufung von 'Außenseitern', die weder politische Erfahrung noch Verwaltungspraxis besitzen, nicht so selten ist wie in anderen Bereichen. Insofern brauchte sich die Staatskanzlei nicht um die Einzelheiten der Gesetzgebungsarbeit zu kümmern. Jedoch ist mit großer Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, daß die Entscheidung, die bisher vier selbständigen hessischen Hochschulgesetze nicht zu einem einzigen Gesetz zusammenzufassen, zu einem wesentlichen Teil vom Ministerpräsidenten persönlich getroffen worden ist. Eine solche Entscheidung von grundsätzlichem Charakter lag durchaus im Rahmen seiner Richtlinienkompetenz gemäß Art. 102 Hess Verf. und berührte den ebenfalls dort statuierten Verantwortungsbereich des Ressortchefs nicht in verfassungsrechtlich problematischer Weise. Nur sehr selten wird der Regierungschef in der Ausübung der Richtlinienkompetenz dem zuständigen Minister vor versammeltem Kabinett das 'Muß' diktieren, sondern der politische Wille des Regierungschefs wird in der Regel den Ministern in einem persönlichen Gespräch, welches Beratungscharakter besitzt, deutlich gemacht. So behalten die Ressortchefs noch ausreichend Spielraum, den Willen des Regierungschefs nach außen hin als eigenen Entschluß darzustellen. Dies ist besonders wichtig für die Autorität des Ministers in seinem eigenen Haus gegenüber seinen Beamten. Nur wenn diese Vorgespräche zwischen Regierungschef und Minister zu
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keiner Einigung führen, wird ersterer auch nach außen hin, und sei es auch nur im Kabinett, gegenüber seinem Minister deutlichere Anweisungen geben, die bei unüberbrückbaren Differenzen mitunter zum Rücktritt des Ressortchefs führen.
2. Die Staatskanzlei und Interessengruppen Die Wahrnehmung der Richtlinienkompetenz durch den Ministerpräsidenten verlangt, daß die Staatskanzlei ständig über die Arbeit in den einzelnen Ministerien zumindest in groben Zügen unterrichtet wird, und daß sich der Ministerpräsident und seine Mitarbeiter auch von außen, aus dem gesellschaftlichen Bereich, ihre Informationen holen und sie nicht nur 'gefiltert' über die jeweiligen Ressorts zur Kenntnis nehmen. Solche Informationen gehen der Staatskanzlei in großer Fülle zu, ohne daß sie sich darum bemühen müßte. Dafür sorgen auch Interessengruppen und Betroffene, die ihre Vorstellungen in dem Entscheidungsprozeß der Exekutive gerade bei wichtigen gesetzgeberischen Vorhaben möglichst effektiv durchsetzen wollen, noch bevor das Kabinett die Entwürfe dem Parlament zuleitet, da danach nur noch selten Änderungen von substantiellem Gewicht erfolgen. Wenn die genannten gesellschaftlichen Kräfte weder bei den Ministerialbeamten noch bei der Spitze des betreffenden Hauses mit ihren Wünschen die erforderliche Resonanz finden, wenden sie sich nicht selten an die Staatskanzlei. Dabei stehen ihnen mehrere Wege offen. Die Eingabe kann auf offiziellem Wege erfolgen, indem der betreffende Verband den Regierungschef persönlich anschreibt und ihn auf das Problem aufmerksam macht und ihm nahelegt, die berechtigten Vorschläge mittels seiner Richtlinienkompetenz dem renitenten Minister doch noch zur Verwirklichung weiterzureichen. Dieser Weg wird jedoch von den wichtigen, in den Entscheidungsvorgängen schon versierten Interessengruppen, nur selten beschritten und bleibt in der Regel den unerfahrenen, sich spontan zusammenfindenden Gruppen von Betroffenen vorbehalten, die oft noch ihrer Intervention mit einer Unterschriftensammlung politisches Gewicht verleihen. Sie wissen nicht, daß ein Regierungschef gerade durch solche offiziellen, oft noch publicityträchtigen Eingaben auf keinen Fall veranlaßt werden kann, die Entscheidungen seines Ministers zu desavouieren, da er dann in Gefahr läuft, das 'Klima' zwischen diesem und sich nachhaltigst zu zerstören. Solches Wissen kann jedoch bei den 'erfahrenen' Verbänden vorausgesetzt werden, genauso wie ihnen bewußt ist, daß sie durch eine offizielle Eingabe an den Regierungschef die Kommunikation zwischen ihrem Verband und dem betroffenen Minister unter Umständen auf lange Zeit nachhaltig stören, und sie mit ihm sicherlich bei der Durchsetzung ihrer Interes-
9 Mengel
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III. Die Stellung der Staatskanzlei
sen noch in anderen Zusammenhängen zu tun haben werden, und sie nicht in jedem Falle auch den Regierungschef bemühen können. Aus allen diesen Gründen wählen solche Verbände tunlichst einen etwas subtileren Weg, um ihren Vorstellungen in dem Entscheidungsprozeß möglicherweise doch noch zum Erfolg zu verhelfen. In der Regel besitzen sie persönlichen Kontakt zu maßgeblichen Beamten in der Staatskanzlei und machen sie in einem Telefongespräch darauf aufmerksam, daß „hier etwas falsch läuft" und man fur die Wirkung bei den Betroffenen keinerlei Voraussage machen könne, oder noch massivér, daß man „bevor man an die Öffentlichkeit gehe" im Interesse der bisherigen guten Zusammenarbeit doch noch eine gütliche Einigung, d.h. die Erfüllung der Forderungen, versuche. Dies liege ja gerade auch im Interesse des Ministers, den man auf keinen Fall desavouieren wolle, der aber durch seine Beamten „auf ein falsches Gleis geschoben worden sei", etc. Die Wahrscheinlichkeit, daß die Vorstellungen des Verbandes zumindest dem Regierungschef bei wichtigen Gesetzgebungsvorhaben durch den betreffenden Referenten dann auch nahegebracht werden, ist recht hoch, da es in Machtzentren, wie der Staatskanzlei, das allzumenschliche Bestreben gibt, den 'Chef durch rege Aktivität und umfangreichen aktuellen Wissensstand zu beeindrukken. So kann es durchaus sein, wenn der Einflußnahmeversuch des betreffenden Verbandes an der richtigen Stelle angesetzt war, daß der Referent den Regierungschef bei der Lagebesprechung auf die Interventionen hinweist und den Kern des Problems darstellt. Noch günstiger für den Verband ist es, wenn der Referent sich der Auffassung des Verbandes angeschlossen hat und mit eigener Überzeugungskraft die Vorstellungen der Interessenten dem Regierungschef nahebringt. Allerdings hat auch dies nur Erfolg, wenn es sich nicht um Marginalien des Gesetzgebungswerkes handelt, sondern um wichtige Grundsatzfragen. Der Verband tut auch gut daran, zu diesem Zeitpunkt nur auf die grundsätzliche Problematik hinzuweisen und erst wenn es gelungen ist, den Regierungschef persönlich für die Frage zu interessieren, auf die konkret vorliegenden Alternativen zu verweisen. Das Günstigste, was die Interessenten auf diesem Wege erreichen können, ist, daß der Regierungschef sich über den strittigen Punkt mit dem zuständigen Ressortchef unterhält und sich die Gründe darlegen läßt, warum dieser den Alternativen der Interessenten ablehnend gegenübersteht. Da der Regierungschef bei Vorliegen von vertretbaren Argumenten die Eigenverantwortlichkeit, in der die Ressortchefs ihre Ämter führen, respektiert, wird er nur selten den Entscheid des Ministers korrigieren, bzw. ihm den mehr oder minder deutlichen Hinweis geben, daß ihm die Vorschläge des Interessenverbandes vernünftiger erscheinen. Eine solche Korrektur ist nicht zuletzt deshalb so selten, weil bis zu diesem Zeitpunkt ohnehin der betreffende Verband bei dem zuständigen Minister alles versucht hat, um sich durchzusetzen, und
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sich mit Sicherheit auf eine ganze Reihe von Argumenten, die für die Lösung seines Hauses sprechen, stützen wird. Da jede einmal gefällte Entscheidung innerhalb der Erarbeitung des Gesetzesentwurfes ein nahezu statisches Bestandsvermögen bekommt, wird der Minister gegenüber dem Regierungschef für seine Lösung kämpfen, selbst wenn sie ihm inzwischen auch schon obsolet erscheint. Wenn die Auseinandersetzung zwischen ihm und dem Verband bis zu dieser Ebene gedrungen ist, geht es nunmehr gar nicht allein um die sachgerechteste Lösung, sondern auch und vor allem um das Prestige des Ministers. Ein weiterer Weg, den Interessenten gehen können, um über das Ressort hinweg doch noch zum Ziel zu gelangen, ist die direkte Eingabe an den Ministerpräsidenten. Dabei erreicht der Schriftsatz, wenn der Verband nicht über zusätzliche persönliche Kontakte zu einem höherrangigen Referenten in der Staatskanzlei verfügt, nicht in jedem Fall den Ministerpräsidenten, es sei denn dieser hat Weisung gegeben, daß alle an ihn gerichtete Eingaben über seinen Schreibtisch laufen müssen. Wenn dies nicht der Fall ist, wird der zuständige Referent ihm mehr oder minder ausführlich - je nach Bedeutung des eingebenden Verbandes und des Sachverhaltes - in der Lagebesprechung berichten. Ansonsten wird er dem zuständigen Minister über dessen Büro Kenntnis von der Eingabe geben. In einzelnen Fällen kann es durchaus vorkommen, daß die Staatskanzlei noch um zusätzliche Informationen des zuständigen Ministeriums bittet, damit sich der Ministerpräsident in dieser Frage sachkundig machen kann, da er durchaus gegenwärtig sein muß, wenn es sich um eine bedeutendere Angelegenheit handelt, daß er auch in der Öffentlichkeit darauf angesprochen wird. Unter keinen Umständen wird jedoch der Ministerpräsident sich durch eine solche direkt an ihn gerichtete Eingabe bewegen lassen 'über den K o p f seines Ministers hinweg eine Entscheidung zu treffen. Wenn er den Eindruck hat, daß die Vorschläge, die ihm auf diesem Wege gemacht wurden, von einiger Relevanz sind, insbesondere wenn er befürchtet, die Suche nach Konsensbildung im vorparlamentarischen Stadium des Gesetzgebungsprozesses sei durch den Ressortchef noch nicht voll ausgeschöpft worden, wird er mit diesem ein Gespräch suchen, dessen Ergebnis durchaus die erneute Aufiiahme von Gesprächen zwischen Verband und Ministerium sein kann. Eine weitere Möglichkeit der Einflußnahme auf den Ministerpräsidenten bildet das direkte Gespräch zwischen Verbänden oder Betroffenen und dem Regierungschef. Dabei ist zu beachten, daß diese Form der Einflußnahme sehr selten ist, da hier die Gefahr der Desavourierung des Ressortministers erheblich ist. Denn allein schon die Tatsache, daß der Regierungschef auch öffentlich wahrnehmbar 'die Sache in die Hand nimmt', kann zu einem Prestigeverlust des Ministers zumindest gegenüber den betreffenden Gesprächspartnern führen. Aus diesem Grund werden solche Gespräche meistens unter Beteiligung des
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Ressortministers geführt und der Regierungschef dient eher als Vermittler divergierender Auffassungen seines Ministers und des Verbandes bzw. der Betroffenen. Daß überhaupt solche Formen der Einflußnahme bestehen, ist wiederum durch das auch oftmals bei Ministerpräsidenten stark ausgeprägte Konsensbedürfiiis bedingt. Der hessische Ministerpräsident stand subjektiv unter einem besonders starken Konsenszwang kurz vor der Landtagswahl. Nichts lag deshalb näher für interessierte Kreise, als ihm deutlich vor Augen zu führen, daß es 'unruhige Zeiten' geben werde, wenn man diese oder jene Forderung nicht erfülle. Natürlich nur, wenn man vorher beim Kultusminister kein Gehör gefunden hatte. Die Konferenz hessischer Universitätspräsidenten (KHU) unternahm den schwerwiegendsten und auch wohl erfolgreichsten Versuch einer solchen Einflußnahme. Unter allen Umständen wollte sie mit großem Einsatz verhindern, daß die bisher vier verschiedenen hessischen Hochschulgesetze nunmehr im Zuge der HRG-Anpassung in einem einheitlichen Gesetz für alle Hochschulen aufgingen und so auch das eigenständige hessische Universitätsgesetz zu existieren aufgehört hätte. Dem Eindruck, daß sie mit dieser Haltung die besondere Rolle der Universitäten erhalten wollten und eine Nivellierung der Hochschullandschaft befürchteten, der besonders bei den Fachhochschulrektoren entstanden war, widersprach der Präsident der KHU. Er verwies darauf, daß es den Universitätspräsidenten in erster Linie darum gegangen sei, möglichst wenig an den bestehenden Gesetzen zu ändern. Nachdem diese erst 1974 in Kraft getreten seien, hätten die Universitäten Ruhe gebraucht und es sei ihnen nicht zuzumuten gewesen, sich in grundlegend veränderte Gesetzesstrukturen neu einzuarbeiten. Im übrigen hätte eine solche einschneidende Neufassung als Signal dafür verstanden werden können, daß die hessische Hochschulpolitik endgültig Abschied von den Reformen der Friedeburgschen Ära nehme und somit ihr bisheriges Versagen dokumentierte, obwohl in dieser Zeit auch einige positive Zeichen gesetzt worden seien. Um ihr Ziel zu erreichen, nutzte die KHU durch ihren Präsidenten, den Frankfurter Universitätspräsidenten Krupp, verschiedene Einflußebenen. Natürlich war wichtigster Gesprächspartner der Kultusminister selbst. Die Schwierigkeit, auf die Wünsche der K H U einzugehen, lag darin, daß die Projektgruppe sich schon sehr schnell auf den Text eines einheitlichen Gesetzes festgelegt hatte, und der Minister bei seiner Weisung, ein solch einheitliches Gesetz zu erarbeiten noch nicht gewußt hatte, welche Widerstände diese Entscheidung auslösen könnte und wie sie die verschiedenen Interessenten interpretieren würden. Offenbar hatte er sich bei dieser Entscheidung zu sehr auf die Beratung durch die auf den Hochschulbereich spezialisierte Staatssekretärin und den Rat seiner Beamten verlassen. Nach den Gesprächen mit Prof. Krupp, in
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denen mehr oder minder deutlich geworden war, daß bei Nichterfüllung der Forderung der KHU die Universitätspräsidenten die Ablehnung des Gesetzes in öffentlichkeitswirksamer Form deutlich machen würden, stand der Minister in folgender Entscheidungssituation: Er mußte damit rechnen, daß die Studentenschaft geschlossen die HRG-Anpassung ablehnen würde, da sie ja schon die Ablehnung des HRG deutlich gemacht hatte. Wenn nunmehr auch die Universitätspräsidenten die Gesetzgebung massiv bekämpften, wobei deren Stimme nicht nur in der Öffentlichkeit, sondern auch in den Koalitionsfraktionen als die Meinungsäußerung von Experten Gewicht besaß, sah sich der Minister einer ziemlich geschlossenen Hochschulfront gegenüber. Der Trost, daß zumindest die Fachhochschulrektoren, die durch ein Einheitsgesetz eine Aufwertung der Fachhochschulen erwarteten, seinem Gesetzentwurf zustimmten, erschien in einer solchen Lage kaum hilfreich zu sein. Im Gegenteil: Erstens bestand die Gefahr, daß sich die Fachhochschulen aufgrund einzelner Bestimmungen, ζ. B. des Ordnungsrechts ohnehin auch gegen den Entwurf des Einheitsgesetzes aussprachen, oder aber versuchten, ihre Zustimmung durch weitere 4 Aufwertungszugeständnisse' des Ministers für die Fachhochschulen zu erzwingen. Sprachen alle diese Umstände für ein Eingehen auf die Forderung der Universitätspräsidenten, so mußte demgegenüber abgewogen werden, welche Gründe für einen einheitlichen Gesetzentwurf ins Gewicht fielen. Hier gab es in der Tat keine besonderen hochschulpolitischen Erwägungen spezifisch sozialdemokratischer Ausprägung. Insofern waren alle Interpretationen der einen oder der anderen Seite von falschen Voraussetzungen ausgegangen. Die Entscheidung des Ministers war allein aufgrund der gesetzestechnischen Erwägung gefallen, daß ein einheitlicher Gesetzentwurf sehr viel sauberer zu erstellen sei, als Änderungsgesetze für vier verschiedene Hochschulgesetze. Ferner glaubte man gerade den Hochschulen entgegenzukommen, indem man ihnen die Arbeit erleichtere, wenn die verstreuten Bestimmungen in einem Gesetz zusammengefaßt würden. Daß innerhalb der Projektgruppe Tendenzen vorhanden waren, das Einheitsgesetz zu benutzen, um grundlegene Änderungen in die hessische Hochschulgesetzgebung in Richtung ζ. B. Gesamthochschule unterzubringen, erschien nicht ausgeschlossen, wurde dem Minister aber zu diesem relativ frühen Zeitpunkt, zu dem er den Entschluß ein Einheitsgesetz zu entwerfen faßte, nicht deutlich gemacht. Der Minister hatte an diese Entscheidung also keine politische Grundsatzaussage geknüpft, so daß es ihm von daher leicht fallen mußte, die Vorgabe zu revidieren. Wenn er dennoch zögerte, dem Drängen der Universitätspräsidenten nachzugeben, dann beruhte dies auf zwei Gedanken: Er war sich noch nicht vollkommen sicher, welche der beiden Lösungen, unabhängig von den politischen Wirkungen, die sachgerechtere war, und er hatte die
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verständliche Scheu, seinen Beamten von einem Tag auf den anderen eine andere Vorgabe für ihre Arbeit zu geben, zumal der Entwurf schon weit fortgeschritten war. In dieser Situation machte der Präsident von allen ihm zur Verfügung stehenden Einflußmöglichkeiten Gebrauch. Die gewichtigste war bei einer solchen Grundsatzentscheidung der direkte Kontakt mit dem Regierungschef, dem wie ausgeführt wichtig war, daß dieses vor den Wahlen wichtigste Gesetz nicht überall auf Ablehnung stoßen würde. Insbesondere auch, weil überhaupt nicht abzuschätzen war, wie weit der Protest der Studenten gehen würde. Nicht wenige sprachen von einem 'heißen Herbst', der bevorstünde. Die Einflußnahme der KHU war um so wirksamer in der Staatskanzlei, da Präsident Krupp auch noch den mächtigsten Mann des Koalitionspartners FDP, den Wirtschaftsminister Karry, anläßlich eines Empfanges in Frankfurt beiseite genommen hatte und ihm die Bedeutung und Dringlichkeit der KHU-Forderung offenbar mit Erfolg deutlich machen konnte. Bei diesem Gespräch war es offensichtlich gelungen, die FDP zu bewegen, von ihrem Votum für ein Einheitsgesetz abzugehen. Auch der SPD-Fraktionsvorsitzende Karl Schneider wurde von Prof. Krupp persönlich angesprochen, so daß die führenden Machtträger der Koalitionsregierung zumindest außerordentlich problembewußt sich der Frage 'Einheitsgesetz oder nicht' widmeten. Es ist mit großer Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, daß auf die Intervention von Prof. Krupp hin diese Frage sowohl in Gesprächen zwischen Ministerpräsidenten und Minister als auch innerhalb der Koalitionsrunde eine Rolle gespielt hat. Mit Sicherheit kann auch gesagt werden, daß hier keiner der Gesprächspartner auf den anderen irgendwelchen Druck ausübte, sondern daß man in diesen Gesprächen auf höchster Ebene noch einmal gemeinsam das Für und Wider der verschiedenen Alternativen gegeneinander abwog. Dies konnte vollkommen unbefangen geschehen, da der Minister wie erwähnt keinerlei politische Aussage mit seiner ursprünglichen Arbeitsvorgabe an seine Beamten verbunden hatte und auch die Presse die Angelegenheit noch nicht aufgegriffen hatte. Insofern war die H K U gut beraten, ihre Einflußnahme sehr diskret vorzunehmen, da eine bereits öffentlich gewordene Festlegung des Ministers es sehr viel schwerer gemacht hätte, diese einmal getroffene Entscheidung zu ändern. Dies kann als Beispiel dafür dienen, daß eindimensionale Zielmodelle, etwa zur Maximierung der Transparenz nur unter Vernachlässigung anderer Ziele durchgesetzt werden können. 178 Permanente Öffentlichkeit in jeder Phase der Ent-
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Vgl. dazu Stejfani, W., Parlamentarische und präsidentielle Demokratie. Strukturelle Aspekte westlicher Demokratien, Opladen 1979, S. 144ff.
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Scheidung dient eben oftmals nicht der Sachgerechtheit der Entscheidung, da die Entscheidenden sich zu Recht oder Unrecht subjektiv ständig in ihren früheren Aussagen und Vorentscheidungen gefangen fühlen. 179 Ergebnis der Gespräche auf höchster Ebene über diese Frage war, daß der Minister seinen Beamten mitteilte, es würde bei den vier getrennten Gesetzen bleiben und es sollten nur dort Änderungen vorgenommen werden, wo sie durch das HRG zwingend vorgeschrieben worden seien, und wo sie sich aufgrund der bisherigen Erfahrungen mit den hessischen Hochschulgesetzen in der Hochschulpraxis anböten bzw. aufdrängten. Daß dieses Ergebnis nicht auf einer Wahrnehmung der Richtlinienkompetenz durch den Ministerpräsidenten beruhte, zeigt auch die Tatsache, daß der Minister auch mit seinen engsten Mitarbeitern das Für und Wider diskutierte und sich von ihnen die Möglichkeiten, die die eine oder andere Alternative mit sich brachte, aufzeigen ließ. Dennoch zeigt dieser exemplarische Fall, welche Bedeutung die Einflußnahme der Staatskanzlei auch unterhalb der Schwelle der Richtlinienkompetenz besitzen kann. Wenn man mehr und mehr die vorparlamentarische Phase der Gesetzgebungsarbeit als eine Suche nach Konsens zu betrachten hat, dann ist die Staatskanzlei sozusagen das letzte Sicherheitsventil, welches in Funktion tritt, wenn die Konsensbildung zwischen Ministerialebene und gesellschaftlichen Gruppen gescheitert oder wie in diesem Falle gefährdet ist.
179 Hier soll nicht gegen die prinzipiell zu bejahende weitgehende Öffentlichkeit aller staatlichen Entscheidungsvorgange Stellung genommen werden, sondern deutlich gemacht werden, daß es um der Sache willen, um der besten Lösung willen auch Arkanbereiche geben muß, die zumindest für den Prozeß bis zur Entscheidung ihre Bedeutung besitzen und die nicht ausschließen, daß nach der Entscheidung die Wege, die dort hinführten, offengelegt werden müssen. Hinzugefügt sei noch, daß diese Arkanbereiche zumindest solange als notwendig erscheinen, solange Politiker und Öffentlichkeit, einschließlich der Medien, die sie herstellen, nicht vernünftig mit erschöpfender Transparenz umzugehen, zu reagieren wissen: Politiker müssen eben den Mut haben, auch schon 'veröffentlichte Entscheidungen' aufgrund besserer Einsicht oder anderer Bewertung zu revidieren und Medien sowie die von ihnen informierte Öffentlichkeit müssen lernen, ein solches Verhalten nicht als Schwäche und Umfallen zu bewerten, sondern als legitimes anerkennenswertes Verhalten, solange die Politiker die Gründe für ihr Verhalten offenlegen.
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III. Die Stellung der Staatskanzlei
3. Die institutionalisierte Mitwirkung der Staatskanzlei Die vorgängig beschriebene Mitwirkung der Staatskanzlei und besonders des Ministerpräsidenten, ausgelöst durch die mehr oder minder diskrete Intervention von Interessenvertretern, hatte eher den Charakter des Inoffiziellen. Daneben gibt es Wege, die der Staatskanzlei und dem Regierungschef die ständige Einsichtnahme und Partizipationsmöglichkeit in und an der Ressortarbeit ermöglichen, ohne daß dabei gleich an die Kompetenzabgrenzung zwischen Regierungschef und Ressortchef gedacht werden muß. Denn selbst, wenn man die Verantwortlichkeit des Ministers für die Führung eines Ressorts weit auslegt und das 'Hineinregieren' des Ministerpräsidenten restrikt gehandhabt wissen will, schließt dies nicht aus, daß der Ministerpräsident ständig über die wichtigsten Vorgänge in den Ministerien unterrichtet wird. 1 8 0 a) Die Staatssekretärsrunde Zu diesem Zweck waren in Hessen unter der Kabinettsebene zwei andere Gremien institutionalisiert: die Staatsekretärsrunde und die sogenannte Montagsrunde, in der sich alle vier Wochen Vertreter der Ministerbüros mit höheren Beamten der Staatskanzlei trafen. Die Staatssekretärsrunde diente weniger dazu, den Informationsfluß Ministerium - Staatskanzlei und umgekehrt bzw. die Kommunikation der Führungsebenen der Ministerien untereinander zu intensivieren, sondern ist eher als 'Clearing-Gremium' für die Kabinettsitzungen einzuordnen. 181 Hier wird die Tagesordnung des Kabinetts durchgesprochen und bestehende Schwierigkeiten
180 Vgl. § 3 GOLHess: „(1) Die übrigen Mitglieder der Landesregierung unterrichten die Ministerpräsidentin oder den Ministerpräsidenten über Maßnahmen und Vorhaben, die für die Bestimmung der Richtlinien der Regierungspolitik und für die Leitung der Geschäfte der Landesregierung von Bedeutung sind. Die Ministerpräsidentin oder der Ministerpräsident kann Auskünfte verlangen. (2) Hält ein Mitglied der Landesregierung eine Erweiterung oder Änderung der Richtlinien der Regierungspolitik für erforderlich, unterrichtet es die Ministerpräsidentin oder den Ministerpräsidenten und bittet um Entscheidung. (3) Maßnahmen von allgemeiner politischer Bedeutung auf einem Gebiet, für das noch keine Richtlinien bestimmt sind, bedürfen der Zustimmung der Ministerpräsidentin oder des Ministerpräsidenten. (4) In Zweifelsfällen ist die Entscheidung der Ministerpräsidentin oder des Ministerpräsidenten einzuholen."
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sollen hier zumindest ansatzweise schon gelöst werden, so daß das Kabinett sich wirklich kontrovers nur mit Fragen befaßt, die auf keiner anderen Ebene einer Lösung zugeführt werden können. Ansonsten billigt es lediglich die gefällten Entscheidungen, wenn dies aus formalen oder politischen Gründen notwendig erscheint, ohne längere Grundsatzdiskussionen. Da die Staatssekretärsrunde auf die Kabinettsitzungen ausgerichtet ist, tagt sie in der Regel einige Tage vorher. Vertreten werden die Staatssekretäre üblicherweise in dieser Runde von einem Abteilungsleiter, meistens von dem Leiter der Zentralabteilung, der das besondere Vertrauen der Führungsspitze eines Ressorts besitzen muß. Geleitet werden die Sitzungen von dem Chef der Staatskanzlei. Es liegt auf der Hand, daß die Staatskanzlei durch den Vorsitz auch schon vor der Kabinettsitzung erheblichen Einfluß geltend machen kann, wenn der politische Wille und das zu seiner Durchsetzung notwendige Personal vorhanden ist. Auf dieser Ebene ist es der Staatskanzlei möglich - besonders bei Koalitionsregierungen - auszuloten, welche Einflußnahme ihrerseits möglich ist, ohne daß bei Widerständen gleich Komplikationen und Mißstimmungen auf höchster Ebene die Folge sind. Während der Hochschulgesetzgebung spielte allerdings die Staatssekretärsrunde für die Einflußnahme der Staatskanzlei keine wesentliche Rolle. Die Gründe dafür mögen darin liegen, daß der Ressortchef sich außerordentlich stark selbst engagierte, und wenn es Differenzen zwischen Staatskanzlei bzw. Ministerpräsidenten und ihm gab, diese dann im persönlichen Gespräch geklärt wurden. b) Die 'Montagsrunde' Unterhalb der Staatssekretärsrunde hatte sich die 'Montagsrunde' eingerichtet. Ihre Aufgabe war es, unter Vorsitz eines hohen Beamten der Staatskanzlei und unter Beteiligung weiterer Referenten aus der Staatskanzlei zusammen mit den Vertretern der Ministerbüros - gewöhnlich deren Leiter - den Informationsaustausch über die anstehenden bzw. sich in Arbeit befindlichen Projekte in den einzelnen Ressorts zu gewährleisten und die Arbeit miteinander abzustimmen. In der Praxis war diese Abstimmung und gegenseitige Information mehr ein Ritual. Tatsächliche Einflußnahme ζ. B. auf die Hochschulgesetzgebung ging von diesem Gremium nicht aus.
181 Vgl. § 14 GOLHess: „(1) Vorlagen an die Landesregierung werden vor der Beschlußfassung im Kabinett in einer Besprechung der Staatsekretäre ... beraten."
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Einflußreicher war dieses Gremium bei der Festlegung der Haltung des Landes Hessen im Bundesrat zu den dort vorgelegten Gesetzen. Hier hatte es Empfehlungen für die Staatssekretärsrunde abzugeben, die oft gleichbedeutend mit einer Empfehlung für das Kabinett waren, da die Staatssekretäre in der Regel über diese Empfehlungen nicht lange berieten, sondern sie lediglich zur Kenntnis nahmen. c) Die Stellung der Staatskanzlei im Anhörungsverfahren zum Referentenentwurf Spielten die beiden Gremien in der Hochschulgesetzgebung eine unbedeutende Rolle für die Einflußnahme der Staatskanzlei, bleibt eine weitere institutionalisierte Möglichkeit, durch die solche Einwirkung hätte erfolgen können, zu beschreiben. Wie die anderen Ressorts im Rahmen der Stellungnahme zu den Referentenentwürfen hatte auch die Staatskanzlei Gelegenheit, ihre Änderungswünsche schriftlich dem Kultusminister vorzutragen. Dies geschah dann auch auf ausführliche Weise, betraf allerdings keine grundsätzlichen Fragen oder sehr umstrittene Regelungspunkte, wie etwa Ordnungsrecht und Regelstudienzeit. Diese Fragen waren auf höherer Ebene besprochen worden. Dennoch wurde naturgemäß das Papier der Staatskanzlei mit besonderer Aufmerksamkeit behandelt. Dies Schloß nicht aus, daß die Projektgruppe, die dem Minister zu jedem Änderungsvorschlag eine Empfehlung zu geben hatte, keine Scheu hatte, Wünsche der Staatskanzlei abzulehnen und auch der Minister selbst, wenn er von den Empfehlungen seiner Beamten hinreichend überzeugt worden war, nicht anstand diese zu stützen. Es wurde dann auch nicht weiter von der Staatskanzlei insistiert. Obwohl auch dies zeigt, daß die Staatskanzlei in ihrer Einflußnahme durchaus sehr zurückhaltend war, herrschte insgesamt bei den mit der Hochschulgesetzgebung im Kultusministerium befaßten Beamten während des gesamten Gesetzgebungsverfahrens der Eindruck vor, daß die Staatskanzlei unter Ministerpräsident Börner versuche, die Ministerien und auch das Kultusressort 4 an die kurze Leine' zu legen. Insofern baute man eine - wenn teilweise auch unbewußte - Abwehrhaltung gegenüber allen Kontakten zur Staatskanzlei auf. Ein solcher Eindruck war sicherlich auch durch die Einflußnahme der Staatskanzlei auf die Grundsatzentscheidung des Ministers 'Einheitsgesetz oder nicht' entstanden, fand jedoch in der weiteren Praxis der Gesetzgebungsarbeit keine Bestätigung. Bei dem Verhältnis Staatskanzlei - Ministerium ist auch zu berücksichtigen, daß natürlich der Ministerpräsident daran interessiert sein mußte, kurz vor der Wahl und nach einer längeren Periode desolater Verhältnisse als ein Mann zu erscheinen, der die Zügel fest in der Hand hält. Insgesamt kann jedoch nicht davon die Rede sein, daß die Grenzen der Einflußnahme der
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Staatskanzlei bei diesem Gesetzgebungsprozeß berührt worden sind, so daß kein Anlaß besteht, am konkreten Beispiel weiterführende Ausführungen zu Art. 102 der hessischen Verfassung zu machen, die über das zu Beginn des Abschnittes Gesagte hinausgehen.
4. Die besonderen Bedingungen des Entscheidungsfindungsprozesses einer Regierungskoalition Noch relativ unerforscht ist das Feld der spezifischen Gegebenheiten, die den politischen Entscheidungsprozeß beeinflußen und auch die institutionelle Verfassungswirklichkeit nicht unberührt lassen, wenn die Regierung nicht allein von einer Partei, sondern von mehreren gestellt wird. 1 8 2 Die Schwierigkeiten einer wirklichkeitswissenschaftlichen auch nur partiellen Bestandsaufnahme sind hier noch größer als in anderen Bereichen des Entscheidungsprozesses. Hier ist es den Beteiligten noch angelegener als in anderen Fragen, die Abläufe nicht allzu transparent werden zu lassen. Koalitionsregierungen sind mehr als jede andere politische Struktur, die von Parteien getragen wird, von ständigen Spannungen und der Gefahr des endgültigen Endes und Auseinanderfallens bedroht. Der gegenseitige Interessenaustausch, der soziologische Einstellungsprozeß, findet deshalb hier mehr als anderswo auf höchster Ebene im kleinsten Kreis und in der Regel unter strenger Verschwiegenheit statt. Weder für die jeweilige Parteimitgliedschaft noch für die Öffentlichkeit insgesamt soll der Prozeß des gegenseitigen Forderns aber mehr noch des Nachgebens in diesem Kreis der Entscheidungsträger allzu deutlich von Außenstehenden nachvollzogen werden können. Dies geschieht in der vermeintlichen oder auch teilweise
182 Die meisten Studien beziehen sich auf die generellen Voraussetzungen und Abläufe von politischen Koalitionen. Bohnsack, K., Bildung von Regierungskoalitionen, dargestellt am Beispiel der Koalitionsentscheidung der FDP von 1969, ZParl 1976, S. 400ff. Vgl. auch die Nachweise bei Dodd, L. C., Coalitions in Parliamentary Government, Princeton 1976, dessen Arbeit die wohl ergiebigste für die Aufarbeitung der Problematik darstellt; aus dem angelsächsischen Raum ist noch Kirchheimer, O., Majorities and Minorities in Western European Governments, in: Western Political Quarterly vom 10.6.1957, 318ff. zu nennen. Andere grenzen die Untersuchung zu sehr auf die Vereinbarungen vor der eigentlichen Koalitionsbildung ein. Vg. Schule , Α., Koalitionsvereinbarungen im Lichte des Verfassungsrechts, Tübingen 1964; Hermann, H., Über die rechtliche Natur der Vereinbarungen politischer Parteien untereinander, AÖR 1926, S. 40Iff.; Maiwald, J. W., Zum Wesen des 'verfassungsrechtlichen Vertrages', dargestellt am Beispiel der zwischenparteilichen KoalitionsVereinbarung, Diss, jur., München 1963; lediglich die Arbeit von Lederer, W., Die Einflußnahme der kleinen Koalitionsparteien auf die Regierungspolitik des Bundeskanzlers in den Jahren 1949-1957, Diss, jur., Kiel 1967, liefert einen empirischen Beitrag zum 'Innenleben' der Koalitionen. Grundsätzlich zur verfassungsrechtlichen Einordnung Scheidle, H., Die staatsrechtlichen Wirkungen einer Koalitionsvereinbarung bei der Bildung der Bundesregierung, Jur. Diss., Erlangen-Nürnberg 1965; Gerber, H., Koalitionsabkommen im Bund, Jur. Diss., Tübingen 1964.
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III. Die Stellung der Staatskanzlei
begründeten Befürchtung, daß die Transparenz dieser Entscheidungsabläufe, die Auseinandersetzungen unter den Machtträgern der an der Koalition beteiligten Parteien, mehr schaden als nützen könne. In der Tat ist zweifelhaft, ob die notwendige Kompromißbereitschaft der Beteiligten genügend ausgeprägt wäre, wenn die Steuerung von grundsätzlichen und zentralen Problemen, die die Regierungspolitik betreffen, in foro publico abliefe. Weil man ein solches Risiko der Transparenz - deren institutionelle Absicherung nicht unproblematisch wäre - nicht eingehen zu können glaubt, haben sich mehr und mehr informelle aber bereits nicht mehr aus der Verfassungswirklichkeit der Bundesrepublik auf Bund- und Länderebene hinwegzudenkende Koalitionsgremien gebildet 183 , die zum großen Teil die Funktion des höchsten institutionellen Leitungszentrums der Exekutivgewalt übernommen und damit die Funktion des Kabinetts zumindest in zentralen Fragen materiell übernommen haben. 184 Nicht genug damit, angesichts der engen Verflechtung von Exekutivführung und Parlamentsmehrheit wirken die Entscheidungen dieser Gremien, deren wahre Bedeutung sich oft hinter solch phantasielosen Bezeichnungen, wie 'Kreßbronner Kreis' oder schlicht 'Koalitionsrunde' verbirgt, bis in die Parlamente hinein. Hier ist nicht der Ort, die Problematik dieser neuartigen, aber in absehbarer Zukunft mit großen Überlebenschancen ausgestatteten Gremien zu erörtern 185 . Diese Arbeit beschränkt sich darauf, zu dem mühsamen Unterfangen, die Mechanismen dieser Machtzentren transparenter zu machen, einen kleinen empirischen Beitrag zu leisten. 186 Die Koalitionsrunde, an der die Spitzen der Koalitionsparteien SPD und FDP teilnahmen, traf sich, wenn nicht wichtige andere Termine des Ministerpräsidenten unaufschiebbar dazwischen kamen, dienstags und wurde deshalb auch zum Teil als 'Dienstagsrunde' bezeichnet. Um die Atmosphäre möglichst entspannt zu gestalten, fanden die Treffen in der Dienstvilla des Ministerpräsidenten statt. Hier wurden auch die zentralen Fragen der Hochschulgesetzgebung, die zwi183 Zum ersten Male sah die Koalitionsabsprache zwischen den Parteien bei Bildung der Bundesregierung 1961 expressis verbis die Bildung eines 'Koalitionsausschusses' vor. Dagegen war der 'Kreßbronner Kreis' ursprünglich ungeplant. 184 Z. B. legte der 'Kreßbronner Kreis' wesentliche Teile des Regierungsprogrammes der Großen Koalition fest und beriet über die Zielvorstellungen der Regierungsarbeit. Vgl. FAZ vom 1.7.1968. 185
Vgl. dazu besonders Steiger, H., Organisatorische Grundlage des parlamentarischen Regierungssystems. Eine Untersuchung zur rechtlichen Stellung des Deutschen Bundestages, Berlin 1973, S. 250ff.; Rudzio, W., Mit Koalitionsausschüssen leben? Zum Unbehagen an einem Phänomen parteienstaatlicher Demokratie, ZfParl 1970, S. 206ff. 186
Daß solche Gremien keine spezifische Erscheinung unserer Verfassungsrealität sind, zeigt die Untersuchung von Rudzio, W., Entscheidungszentrum Koalitionsausschuß. Zur Realverfassung Österreichs unter der großen Koalition, PVJ 1971, S. 87ff.; Secher, H. P., Coalition Government: The Case of the Second Austrian Republic, in: AM PSR 1958, S. 791ff.
4. Die besonderen Bedingungen des Entscheidungsfindungsprozesses
127
sehen den Koalitionsparteien umstritten waren, besprochen. Die Ergebnisse wurden dann allerdings nicht etwa in den weiteren Entscheidungsprozeß als Entscheidungen dieses Kreises gegeben, sondern die jeweiligen Ressortchefs setzten die dort getroffenen Vereinbarungen mittels Anweisungen um, die nicht die Entscheidungsgrundlage erkennen ließen. Wie vertraulich dieses Gremium wirkte, ergibt sich auch aus der Tatsache, daß nicht einmal engsten Mitarbeitern der Beteiligten Zutritt zu den Sitzungen gewährt wurde* Zumindest im Kultusressort ließ der Minister auch gegenüber seiner engeren Umgebung in den Lagebesprechungen so gut wie nie etwas über die Gegenstände und Ergebnisse dieser Runde verlauten. Wer die Öffentlichkeit und Transparenz oder gar die verfassungsrechtlich-institutionelle Legitimierung eines solchen Gremiums fordert, verkennt, daß es auch im politischen Prozeß einer auf Transparenz angelegten Demokratie Arkanbereiche geben muß, die informellen und nicht institutionalisierten Charakter besitzen müssen, damit überhaupt verantwortliche Entscheidungen vorbereitet werden können, gleichgültig, ob man die dort in ihrem koalitionspolitischen Umfeld getroffenen Vereinbarungen nur dem „Vorfeld der von den Staatsorganen zu treffenden Entscheidungen" zuordnet 187 , zum Vorverfahren des Gesetzgebungsprozesses188 zählt oder darin bereits „Ausübung staatlicher Funktionen im Bereich der Formung des politisch-staatlichen Willens" sieht 189 . Wenn jeder Weg, der zu einem Kompromiß führen soll, von Anfang an vor der Öffentlichkeit beschritten wird und diese Öffentlichkeit Gelegenheit nehmen kann, jeden Schritt mit Kritik und Beifall zu begleiten, besteht die Gefahr, daß die Kompromißkapazität derer, auf deren Zusammenwirken das Funktionieren der parlamentarischen Einrichtungen angewiesen ist, sehr gering bleibt. Keine Partei glaubt, es sich leisten zu können, ständig in aller Öffentlichkeit von ihren Positionen etwas abstreichen zu können. Ein solches Nachgeben läßt sich sehr viel leichter hinter verschlossenen Türen vertreten und wird im weiteren Betrieb des Entscheidungsprozesses sehr viel weniger beachtet und
187
So Sasse, Ch., Koalitionsvereinbarung und Grundgesetz, JZ 1961, S. 719ff. (S. 725).
188
So Marcie , R., Die Koalitionsdemokratie. Das österreichische Modell im Lichte der Wiener rechtstheoretischen Schule, Karlsruhe 1966, S. 39 und 41. 189 So Steiger, H., S. 254. Die Entscheidungsfunktion, die dem höchsten Koalitionsgremium zukommt und das qualitative Umschlagen von Vorschlägen der einzelnen Koalitionsparteien in konkrete Regierungsziele (vgl. auch Kewenig, W., Zur Rechtsproblematik der Koalitionsvereinbarungen, AÖR 1965, S. 182ff. [S. 194]) spricht eher für letztere Auffassung. Dies um so mehr, als an diesen Entscheidungen in der Regel mehrheitlich Verantwortungsträger staatlich-institutioneller Ebenen und nicht allein Parteifunktionäre beteiligt sind, was nicht ausschließt, daß erstere auch bedeutende Parteifunktionen neben ihren Staatsämtern innehaben. Wie die Koalitionskommissionen, die erst zu einer Koalitionsregierung führen sollen, zu bewerten sind, kann hier dahingestellt bleiben. Vgl. dazu Steiger, H., S. 256; Schule , Α., S. 201ff.
III. Die Stellung der Staatskanzlei
128
lokalisiert als unmittelbar nachdem die Entscheidung in diesem oder jenem Sinne gefällt worden ist. Daß diese Arkanbereiche die Machtträger nicht von der Verpflichtung entbinden, die im weiteren Entscheidungsverlauf öffentlich werdenden Entscheidungen zu begründen und sie notfalls zu korrigieren, ist eine selbstverständliche Voraussetzung jedes demokratischen Prozesses.
5. Die Kabinettsentscheidung Nachdem die Überarbeitung der Referentenentwürfe im Kultusministerium aufgrund der eingegangenen Stellungnahmen abgeschlossen war, wurden die Entwürfe nunmehr als Regierungsvorlage dem hessischen Kabinett zur endgültigen Beschlußfassung übersandt. 190 Denn nicht etwa das federführende Ressort bringt die Entwürfe in den Landtag ein, sondern die Regierung als Ganze, die damit auch als Einheit die Verantwortung übernimmt 191 , obwohl in der politischen Praxis in erster Linie der federführende Minister für 'seine' Entwürfe in die Verantwortung genommen wird. Inwieweit dieses politische Haftbarmachen der Regierung als Einheit in der Praxis eine Rolle spielt, hängt jeweils von der Strategie der Opposition ab, die natürlich darum bemüht ist, ihrer Kritik ein Höchstmaß an politischer Effektivität zu verleihen. Ähnlich wie bei der Zuleitung der Entwürfe als Regierungsentwurf an den Landtag, sind die wesentlichen Entscheidungen auch hier schon vor dem formalen Einbringungsakt ins Kabinett gefallen. Der Prozeß, den die Entwürfe bis zu diesem Stadium durchlaufen haben, wird von H. J. Blank / J. Hirsch folgendermaßen umrissen: „Die Gesetzgebungsvörbereitung geschieht in den Ministerien auf Referentenebene. Wenn ein Ministerium nicht allein mit einem Gesetzesentwurf beschäftigt ist, wird stets ein federführendes Ressort benannt, dem die Abstimmung mit den anderen beteiligten Ministerien obliegt. Selbst wenn eine gesetzlich zu regelnde Frage sachlich nur ein Ministerium betrifft, ist doch stets das Justizministerium - zur juristischen Absicherung und Einordnung des Entwurfs - und in der Mehrzahl der Fälle auch das Finanzministerium mit eingeschaltet, denn es gibt wohl sehr wenig gesetzliche Regelungen, die nicht in der einen oder anderen Form mit finanziellen Konsequenzen verbunden sind. Diese interministeriellen Abstimmungen werden meist schon von den Referenten erledigt und nur im Konfliktfalle auf höherer Ebene (Abteilungsleiter, Staatssekretäre, Minister) oder gar im Kabinett herbeige-
190
Vgl. § 15 GOLHessLR
191
Vgl. § 24 GOLHessLR
5. Die Kabinettsentscheidung
129
fuhrt. Parallel dazu laufen Kontakte und Gespräche mit den Länderministerien, die an dem zu regelnden Sachverhalt interessiert sind." 1 9 2
Hinzuzufügen ist noch eine weitere wichtige Kompromißebene, nämlich die wöchentlichen Koalitionsgespräche in der Dienstagsrunde, in der alle wichtigen noch kontroversen Fragen beigelegt worden waren, bevor sie das Kabinett zur kontroversen Diskussion erreichten. Hier wurden höchstens noch einmal die gefundenen Lösungen formal 'abgesegnet'. Lediglich unbedeutendere Randfragen, über deren Lösung sich die übrigen interessierten Ministerien nicht mit dem Kultusressort innerhalb der Anhörungsphase hatten einigen können, 193 so ζ. B. die Frage, ob die Vorschläge der interministeriellen Arbeitsgruppe zur Rationalisierung der Universitätsklinikstruktur stärker in den Entwürfen zum Ausdruck kommen sollten oder nicht, beschäftigten das Kabinett in seiner Gesamtheit. Diese Sitzung war somit die letzte Chance der übrigen Ressorts, ihre Vorstellungen in der einen oder anderen Frage doch noch gegen den Willen des federführenden Ministers durchzusetzen. Allerdings war dieses Durchsetzungsvermögen außerordentlich begrenzt. Wenn der Kultusminister tatsächlich ein non liquet ausgesprochen hatte, konnte auch in der Kabinettsitzung schlechterdings gegen seinen ausdrücklichen Willen nicht sehr viel geändert werden, es sei denn Ministerpräsident und Kabinett hätten eine Verstimmung zwischen sich und dem zuständigen Minister riskiert. Eine Situation, die vor den Wahlen, bei denen gerade das Feld der Bildungspolitik eine entscheidende Rolle spielte, unter allen Umständen zu vermeiden war. Das einzige, was die anderen Ressortchefs erreichen konnten, war, daß der
192
193
Blank., H. J. / Hirsch, J., S. 90f.
Katz, Α., Politische Verwaltungsführung in den Bundesländern, dargestellt am Beispiel der Landesregierung Baden-Württemberg, Schriften zur Verwaltungswissenschaft, Bd. 3, Berlin 1975, unterscheidet drei Einigungsebenen, auf denen die Interessen des Ressorts einander angeglichen werden können: Den „Kleinen Dienstweg" (vgl. auch S. 177ff ), die interministeriellen Gremien und den Ministerrat, wie in einzelnen Bundesländern, ζ. B. Baden-Württemberg, das Kabinett bezeichnet wird. Allerdings gilt seine Bewertung für die letztgenannte Ebene, „daß der Stellenwert dieses Kooperations- und Kommunikationsorgans hoch einzuschätzen ist" (S. 208) besonders für Koalitionsregierungen nur eingeschränkt. An die Stelle der Ministerrunde tritt hier die Koalitionsrunde, die versucht, zentrale Streitigkeiten zwischen Ressorts, die von Ministern der verschiedenen Koalitionspartnern geleitet werden, zu schlichten. Handelt es sich um Streit zwischen Ressortchefs, die demselben Koalitionspartner angehören, wird man versuchen, diesen 'in familia' zu lösen, bevor er die Regierung beschäftigt. Generell wird der Regierungschef unabhängig, ob Koalitionsregierung oder nicht, immer versuchen, Interessengegensätze in Vorgesprächen zu klären und auszugleichen, so daß auch dadurch die Beurteilung von A. Katz nicht überzeugend erscheint.
130
III. Die Stellung der Staatskanzlei
Minister aufgrund der Kabinettsdiskussion Bereitschaft zeigte, die eine oder andere Änderung an den Entwürfen im Sinne seiner Kollegen doch noch vorzunehmen. Nachdem das Kabinett die Entwürfe im Wesentlichen nicht verändert und ihnen zugestimmt hatte, war der Referentenentwurf, der dem Kabinett als Regierungsvorlage zugeleitet worden war, zum Regierungsentwurf der hessischen Hochschulgesetze geworden und konnte nunmehr dem Landtag zur weiteren Behandlung zugeleitet werden.
I V . Parteien und Gesetzgebung 1. Der Einfluß der Mehrheitsfraktionen auf die Gesetzgebung a) Die SPD-Fraktion und ihr iFachabgeordneter' Wenn in der Parlamentarismusdiskussion teilweise davon ausgegangen wird, daß der Landtag bzw. das Parlament seine Gesetzgebungsfunktion in dem hier vorausgesetzten Gesetzgebungsbegriff nicht erfüllt, sondern sich weitgehend auf die formale Akzeptanz der von der Exekutive vorgelegten Entwürfe beschränkt, bedeutet dies jedoch noch nicht unbedingt, daß das Parlament sich völlig aus dem materiellen Gesetzgebungsprozeß hat verdrängen lassen. Der vermeintliche Rückzug der Institution kann möglicherweise durch verstärkte Einflußnahme bestimmter Teile des Parlaments - unabhängig von ihrer verfassungsrechtlichen Qualifizierung als Kontrolle im Sinne Bäumlins 194 oder über diesen Ansatz hinausgehend als Mitregieren im Sinne Kewenigs 195 - bis hin zu einer 'Verbunddezision' von Regierung und Parlament" 196 kompensiert worden sein. 197 Dabei könnten sowohl die Fraktionen 198 , die die Regierung tragen oder aber auch einzelne Abgeordnete, eine entscheidende Rolle spielen.
194 Bäumlin, R., Die Kontrolle des Parlaments über Regierung und Verwaltung, in: Referate und Mitteilungen des schweizerischen Juristenvereins, 100. Jg, Basel 1966, S. 168ff. 195 Kewenig, W. Α., Staatsrechtliche Probleme parlamentarischer Mitregierung am Beispiel der Arbeit der Bundestagsausschüsse, Bad Homburg v. d. H. / Berlin / Zürich 1970, ders., Planung im Spannungsverhältnis von Regierung und Parlament, DÖV 1973, S. 23ff. 196 Lutterbeck, B., Parlament und Information. Eine informationstheoretische und verfassungsrechtliche Untersuchung, München / Wien 1977, S. 158. 197
Dabei wird der Auffassung des BVerfG, das die Fraktionen gleichzeitig als Organe und Gliederungen des Parlaments versteht (Organ: BVerfGE 1, 22 = DÖV 1952, S. 445; 3, 365 = DÖV 1953, S. 160; Organteil: BVerfGE 1, 359 = DÖV 1952, S. 700; Gliederung: BVerfGE 2, 14 = DÖV 1953, S. 83) gefolgt. Dabei ist allerdings der Begriff Organ nicht als terminus technicus im gängigen Sinne zu verstehen ; vgl. Moecke, H. J., Die verfassungsmäßige Stellung der Fraktion, DÖV 1966, S. 162ff. (163). Die gegenläufige Meinung, daß die Fraktionen Organe der Parteien sind, wird der verfassungssoziologischen Wirklichkeit im Verhältnis Partei - Fraktion nicht gerecht. So aber Wellmann, B., Parlament und Abgeordneter in der staatlichen Willensbildung, Jur. Diss., Erlangen 1956, S. 59. Gegen diese Auffassung spricht auch, daß die Mitgliedschaft der Abgeordneten einer Fraktion in einer politischen Partei kein begriffsnotwendiges Merkmal des Fraktionsbegriffs darstellt. 198 Vgl. zur Rechtsstellung und Arbeit der Fraktionen grundsätzlich Hauenschild, W. D., Wesen und Rechtsnatur der parlamentarischen Fraktion, Berlin 1968; ders., Die parlamentarischen
10 Mengel
132
IV. Parteien und Gesetzgebung
Bei der Untersuchung solcher Einflußnahme ist die Phase vor offizieller Zuleitung der Entwürfe an den Landtag und nach dieser zu unterscheiden, da erst im letzteren Fall das Parlament formal die Gesetzgebungstätigkeit aufnimmt. Ist diese Unterscheidung durchaus noch empirisch nachvollziehbar, so bereitet die der Trennung der Mitwirkung einzelner Abgeordneter und der Mehrheitsfraktion schon vom Ansatz her größere Schwierigkeiten, weil der einzelne einflußnehmende Abgeordnete üblicherweise der Experte für den betroffenen Bereich innerhalb der Fraktion und gleichzeitig ihr Sprecher für dieses Gebiet ist. Dabei handelt er nicht als 'einfacher' Abgeordneter in 'Privatmission', sondern als Beauftragter und Sprecher der Fraktion, ohne daß diese ihm für den konkreten Gesetzgebungsvorgang eine ausdrückliche Ermächtigung erteilt haben müßte. Die von den Experten vorgeschlagenen Lösungen werden in den meisten Fällen von der Fraktion übernommen und von ihren Mitgliedern „mangels näheren fachlichen Urteilsvermögens in der Regel auch widerspruchslos akzeptiert". 199 Von Seiten der Exekutive aber auch aus der Sicht der Betroffenen und Verbände repräsentiert er die Fraktion. Insofern ist zweifelhaft, ob hier die Fraktion oder der einzelne Abgeordnete als Einflußträger bezeichnet werden muß. Allerdings hängt die Intensität der Fraktionsmitwirkung über ihren Sprecher sehr wesentlich von zwei Faktoren ab: - von der Kompetenz des 'Experten' und - dessen politischem Gewicht in Partei und Fraktion. Ersteres bedingt nicht unbedingt letzteres. Beide Komponenten stehen jedoch in gewisser Wechselwirkung. Ist die Kompetenz für das berührte Fachgebiet hoch, wird auch das politische Gewicht zumindest in diesem Bereich stark sein, auch wenn der Abgeordnete sonst im politischen Alltagsgeschäft ein Hinterbänkler ist. Umgekehrt kann ein Abgeordneter ohne viel Sachkompetenz, aber mit größerem politischen Ansehen in Partei und Fraktion Gesetzgebungs-
Fraktionen als Vereine des öffentlichen Rechts, NJW 1965, S. 567ff; Jekewitz, J., Politische Bedeutung, Rechtsstellung und Verfahren der Bundestagsfraktion, in: Schneider, H.-P. / Zeh, W., Parlamentsrecht und Parlamentspraxis, Berlin / New York 1989, S. 102 Iff; Schönberger, K., Die Rechtsstellung der Parlamentsfraktionen, Hamburg 1990; Hagelstein, B., Die Rechtsstellung der Fraktionen im deutschen Parlamentswesen, Frankfurt am Main 1992; Schmidt-Jortzig, E. / Hausen, F., Neue Rechtsgrundlage für die Bundestagsfraktionen, in: Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht 1994, S. 1145ff; Kürschner, S., Das Binnenrecht der Bundestagsfraktionen, Berlin 1995. 199
Koja, F., Das freie Mandat des Abgeordneten, Salzburger Universitätsreden, H. 42, Salzburg / München 1971, S. 105; vgl. auch Hesse, J. J. / Ellwein, Th., S. 254ff.
1. Der Einfluß der Mehrheitsfraktionen auf die Gesetzgebung
133
verfahren vom Parlament her durchaus im gleichen, wenn nicht sogar stärkeren Maße beeinflußen, wie sein Kollege mit höherer Sachkompetenz. Die genannten Komponenten sind nicht nur entscheidend für den Einfluß in der Fraktion, sondern auch parallel dazu für das Gewicht, welches die Exekutive den Vorschlägen dieses Abgeordneten zumißt. Besitzt er große Sachkompetenz, wird man in der Ministerialbürokratie die Vorschläge sogar als Hilfe betrachten, ohne daß es ihr auf politisches Gewicht ankommt. Fehlt sowohl die Sachkompetenz als auch politisches Gewicht, wird man den Vorschlägen keine große Aufmerksamkeit schenken. Ermangelt es dem Abgeordneten lediglich an ersterem, werden seine Vorschläge zumindest sehr ernsthaft geprüft, aber eher mit dem Ziel, die politische Spitze mit fundierten Sachargumenten auszustatten, mit denen sie den Vorschlägen des Abgeordneten gegenübertreten kann. Sachkompetenz verbunden mit politischem Gewicht sind auch für die Beurteilung der Frage, ob in den Äußerungen des Abgeordneten die Auffassung der Gesamtfraktion oder lediglich seine persönliche Meinung zum Ausdruck kommt, durch den Minister und seine Mitarbeiter bedeutend. Bei hoher Sachkompetenz und politischem Durchsetzungsvermögen muß damit gerechnet werden, daß - auch wenn bis dahin über den konkreten Punkt die Gesamtfraktion noch nicht beraten hat - die Meinung des betreffenden Fraktionsmitgliedes durchaus mehrheitsfähig ist. Dies hängt insbesondere auch von dem Verhältnis ab, welches der Abgeordnete und der Minister zum Fraktionsvorstand haben, da dieser einen ganz erheblichen Einfluß schon durch die Festlegung der Tagesordnung auf die Willensbildung innerhalb der Fraktion ausüben kann. 200 Aber nicht nur die Kompetenz des Fraktionsexperten und dessen politisches Gewicht bestimmen den Einfluß der Fraktion, den er gegenüber der Exekutive repräsentiert, sondern auch der politische Gestaltungswille, der ihn motiviert. Ein Abgeordneter, der diesen Willen nicht oder nur in geringem Maße besitzt, wird seine Fachkompetenz und sein Durchsetzungsvermögen im wesentlichen darauf beschränken, die Exekutive technokratisch zu kontrollieren, d.h. mehr auf die praktische Anwendbarkeit und Durchsetzbarke it, z.B. die finanziellen Implikationen, achten als auf die Durchsetzung von programmatischen Aussagen seiner Partei.
200
Zu diesem Einfluß vgl. Schulte, M., Manipulateure am Werk? Zur Funktion des Fraktionsvorstandes und der Parlamentarischen Geschäftsführer, in: Oberreuter, H. / Rausch, H. (Hg.), Der Bundestag von innen gesehen, München 1969, S. 68ff.
134
IV. Parteien und Gesetzgebung
aa) Die Mitwirkung
der 'einfachen ' Abgeordneten
Der Begriff 'einfacher Abgeordneter* ist zugegebenermaßen problematisch. Jedoch paßt für eine zutreffende Umschreibung weder der angelsächsische Begriff 'backbencher' noch die deutsche Bezeichnung 'Hinterbänkler'. Zumindest im Landtag sitzen solche 'einfachen Abgeordneten', die weder eine Funktion in der Fraktion noch in der Partei innehaben, nicht hinten im Plenum, sondern können durchaus ihren Platz auf einer der vorderen Plenarsaalsitze einnehmen. Zur Charakterisierung dieses Abgeordnetentyps genügt nicht, daß er keine über das Mandat hinausgehenden Funktionen in Partei, Fraktion und Landtag wahrnimmt, sondern es muß noch die Tatsache hinzukommen, daß er auch von der aktuell zu regelnden Materie - hier der Hochschulgesetzgebung - so gut wie nichts weiß. Problematisch ist der Begriff 'einfacher Abgeordneter' auch deshalb, weil von der verfassungsmäßigen Stellung her die Mandatsträger gleich ausgestattet sind. Die Praxis des parlamentarischen Lebens ist über diese Fiktion schon lange hinweggegangen. Ein Abgeordneter kann weder im Plenum reden wann er will noch die Anträge stellen, die er eigentlich von der Sache her für geboten hält. Wenn Th. Ellwein ausführt: „Auch die Stellung des Abgeordneten hat sich mit seiner starken Bindung an Partei und Fraktion grundlegend verändert. Er kann sich nicht mehr während einer erschöpfenden Diskussion eine eigene Meinung bilden, sondern nimmt an einem vielfach verzweigten Einigungsprozeß teil ...", 2 0 1 so gilt dies insbesondere für den Abgeordneten, der 'nichts weiter' als das Mandat seiner Wähler mit in das Parlament einbringt, nur daß hier zusätzlich noch die Einschränkung gemacht werden muß, daß seine Teilnahme an dem 'verzweigten Einigungsprozeß' sich in der Regel auf das unreflektierte Abstimmen in der Fraktion oder dem Parlamentsplenum beschränkt, und daß er von der Fraktionsführung weitgehend als 'freiverfügbare Masse' angesehen wird. Nimmt dieser Typus von Abgeordneten eine solcherart 'degradierte' Parlamentstätigkeit noch als selbstverständlich hin, da ihm das Ansehen, das das Mandat besonders im heimischen Wahlkreis mit sich bringt, genügt, so könnte man erwarten, daß zumindest die Abgeordneten, die eine etwas herausgehobene Funktion innerhalb der Fraktion haben, sich nicht als 'frei verfügbare Masse' betrachten und auch in den Bereichen, die sie nicht unbedingt als Experten beherrschen, die jedoch von ihrer gesamtgesellschaftlichen Bedeutung wichtig genug sind, sich ein eigenes Bild vor den Entscheidun-
201 Ellwein, Th., Das Regierungssystem der Bundesrepublik Deutschland, 4. Aufl., Opladen 1977, S. 243; vgl. auch Kremer, K., Der Abgeordnete zwischen Entscheidungsfeiheit und Parteidisziplin, 2. Aufl., München 1957.
1. Der Einfluß der Mehrheitsfraktionen auf die Gesetzgebung
135
gen in der Fraktion machen und dann versuchen, ihre Anregungen und Vorschläge noch in den Fraktionswillensbildungsprozeß rechtzeitig genug einzubringen. Jedoch ist dies bedauerlicherweise nicht häufig der Fall. Auch diese Abgeordneten beschränken sich lieber auf ihre 'Spezialgebiete' und liefern sich in ihrer Entscheidung dem Experten der Fraktion und der von der Partei gestellten Exekutivführung aus. Auch im Prozeß der Hochschulgesetzgebung wurden die einzelnen Sachfragen der Entwürfe in keinem nennenswerten Umfang von der Fraktion unter Beteiligung einer größeren Anzahl von Abgeordneten kontrovers diskutiert. Dieser unbefriedigende Zustand der partiellen Selbstaufgabe der mit der Abgeordnetentätigkeit verbundenen Möglichkeiten durch den Mandatsträger selbst hat nichts zu tun mit der Ablehnung von Fraktionsdisziplin, die hier nicht im Sinne Fraenkels als „freiwillige Unterwerfung von Mitgliedern einer Parlamentsfraktion unter die Autorität der demokratisch gewählten Fraktionsführung" 202 , sondern als Akzeptanz der interfraktionellen Willensbildung und Mehrheitsentscheidungen und deren loyale Unterstützung auch nach außen hin, verstanden wird 2 0 3 . Auch mit dem ohnehin nicht zulässigen Fraktionszwang 204 hat dies nichts zu tun. Hier geht es allein darum, daß die Abgeordneten innerhalb der Fraktion bis zu deren Entscheidung nicht aktiver an der Willensbildung mitwirken, sondern die Verhaltensmuster, die dann später aus akzeptablen Gründen im Plenum des Parlaments geübt werden, schon unnötigerweise in der Fraktion antizipieren. Daß dies so sein muß und sich die Fraktionen in ihren Sitzungen „ähnlich wie ein Parlament verhalten", um „überhaupt zu Beschlüssen zu gelangen" 205 , mag unter Umständen für die großen Bundestagsfraktionen und die Landtagsfraktionen der Bundesländer, die eine hohe Anzahl von Abgeordneten haben, wie z.B. Nordrhein-Westfalen und Bayern, zutreffen, da hier in der Tat die aktive Mitarbeit einer größeren Zahl von Abgeordneten Probleme aufwerfen könnte, trifft jedoch nicht für zahlenmäßig kleinere Landtagsfraktio-
202
Fraenkel, E., in: Staat und Politik, Fischer-Lexikon 2, Frankfurt a. M. 1964, S. 99; vgl. dazu auch Wette, W., Parteienstaat und Volksvertretung, in: Politische Studien 1967, H. 171, S. 12ff.; Deneke, J. F. V., Das Parlament als Kollektiv, in: Kluxen, K. (Hg.), Parlamentarismus, 3. Aufl., Köln / Berlin 1971, S. 272ff., der im übrigen dem Fraktionszwang als „unverhüllte(m) materiellein) Zwang" in der Praxis eine wesentlich geringere Rolle zuspricht als er in der Theorie der Parlamentskritiker spielt (S. 281). 203 Vgl. auch grundsätzlich dazu Vasella, rechtliches Problem, Winterthur 1956.
M., Die Partei- und Fraktionsdisziplin als staats-
204 Vgl. das Urteil des Staatsgerichtshofs Bremen vom 13.5.1953, abgedruckt bei Flechtheim, Ο. K., Dokumente zur parteipolitischen Entwicklung in Deutschland, Bd. 1, Berlin 1962, S. 186ff.; a. Mg. offenbar Koja, F., S. 38: „... ist eine rechtliche Anerkennung der Bindung der Abgeordneten an Beschlüsse seiner Fraktion, an denen er selbst mitgewirkt hat, nicht von der Hand zu weisen ..." 205
Ellwein, Th., Das Regierungssystem, S. 252.
IV. Parteien und Gesetzgebung
136
nen zu. In diesen wäre eine Mitwirkungsmöglichkeit einer größeren Zahl durchaus möglich, ohne daß sich hier organisatorisch-technische Schwierigkeiten ergeben müßten. Wenn dies nicht geschieht, so liegt es allein an den betreffenden Parlamentariern. Die Gründe für ihre 'Selbstbescheidung' sind mit Sicherheit außerordentlich differenziert und mögen von schlichtem Mangel an intellektueller Kapazität bis hin zu bewußter Verhaltensstrategie mit Blick auf eine weiterführende Karriere, für die das Wohlverhalten in der Fraktion als unabdingbare Voraussetzung angesehen wird, reichen. Nur in Einzelfällen wird vorhandene Zeitnot ein Grund dafür sein, daß sich Abgeordnete nicht mit einem wichtigen Gesetz beschäftigen und ausreichend ihre Auffassung dazu vorbereiten 2 0 6 und letztlich an der erstrebten „Geschlossenheit durch Kompromiß" 207 innerhalb der Fraktion nur durch ihr Schweigen beitragen. Dabei ist gerade im Hinblick auf diese notwendige Geschlossenheit der Fraktion nach außen hin von der Pflicht des Abgeordneten auszugehen, dann zumindest innerhalb des Fraktionsbildungsprozesses als freier, seinem Gewissen und seinen Wählern verantwortlicher Mandatsträger mitzuwirken. 208 Nur dann kann das Spannungsverhältnis zwischen dem Anspruch des freien Mandats 209 und den Erfordernissen der Parteienmitwirkung am politisch-parlamentarischen Prozeß annäherungsweise ausbalanciert werden.
bb) Der kulturpolitische
Arbeitskreis
der SPD-Fraktion
Häufig wird die soziologische Einstellung innerhalb von Beziehungen und Prozessen auch durch vorgegebene institutionelle Rahmenbedingungen begünstigt bzw. überhaupt erst möglich gemacht. Solche Rahmenbedingungen erlauben den Beteiligten, sich ohne Gesichtsverlust auf rein formaler Ebene zu begegnen und ihre Beziehungen auf einer sachlichen Ebene zu halten. Eine dieser institutionellen Bedingungen, die auch im konkreten Prozeß für die Beziehungen zwischen Ressortchef und Abgeordneten hilfreich war, ist die Einrichtung von Arbeitskreisen innerhalb der Fraktionen für bestimmte Sachgebiete. 210 So gibt es neben dem hier relevanten kulturpolitischen Arbeitskreis
206 Vgl. dazu Kevenhörster, P. / Schönbohm, W., Zur Arbeits- und Zeitökonomie von Bundestagsabgeordneten, ZParl 1973, S. 18ff. 207
Reif\ H., auf dem 38. Deutschen Juristentag 1950, Verhandlungsbericht (Staatsrechtliche Abteilung), Tübingen 1951, S. C 35. 208
Koja, F., S. 35.
209
Vgl. dazu grundsätzlich Müller, Chr., Das imperative Mandat und freie Mandat, Leyden
1966. 210
Zur Institution 'Fraktionsarbeitskreis' vgl. Apel, H., Die Willensbildung in den Bundestagsfraktionen. Die Rolle der Arbeitsgruppen und Arbeitskreise, ZParl 1970, S. 223ff.; Dexheimer,
1. Der Einfluß der Mehrheitsfraktionen auf die Gesetzgebung
137
weitere Arbeitskreise für die wichtigen Felder der Landespolitik. Zweck der Arbeitskreise, die in der Regel ihre Parallelen auch in den anderen Fraktionen auf Landes- und Bundesebene finden 211 , ist nicht in erster Linie ein Forum für den Austausch der Auffassungen zwischen Fachabgeordneten und sich für den betreffenden Bereich besonders interessierenden Abgeordneten und dem von der Fraktion getragenen Minister zu schaffen, sondern durch sie soll auch gleichzeitig ein Maximum an vorhandenem Sachverstand in der Fraktion mobilisiert werden. Mehr und mehr haben sich die Arbeitskreise der Fraktionen auch als Gremien etabliert, die die eigentliche Ausschußarbeit des Parlaments vorbereiten 212 . Aber nicht nur in Richtung Parlament besitzen die Arbeitskreise eine entscheidende Schlüsselstellung innerhalb des Willensbildungsprozesses, sondern auch in den Fraktionen selbst hat ihre Empfehlung Gewicht. Wenn sich die Vorlage des betreffenden Arbeitskreises mit den Vorschlägen der zuständigen Ministerialbürokratie deckt, wird es innerhalb der Fraktion nur selten eine Wortmeldung geben. Lediglich wenn die Vorschläge des Ministers und des Arbeitskreises nicht übereinstimmen, ist die Fraktion als „Schiedsrichter" aufgerufen. 213 Ein Fall, der nicht allzu häufig eintritt, da man vorher nichts unversucht lassen wird, sich zu einigen, wobei dieser Einigungsprozeß in erster Linie auf den Minister bzw. seine Beamte und den zuständigen Sprecher der Fraktion, der in der Regel auch Vorsitzender des Arbeitskreises ist, beschränkt ist. Die Existenz der Arbeitskreise stellt den politischen Einfluß der Fraktion auf den Gesetzgebungsprozeß auch in der Phase, in der der Landtag noch nicht 'offiziell' mit dem Gesetzentwurf befaßt ist, auf eine potentiell breitere Basis.
W. F. / Hartmann, M., Zur Geschichte und Struktur der Arbeitskreise und -gruppen in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, ZParl 1970, S. 232ff.; Schatz , Α., S. 52ff 211
Zur historischen Entstehung der Arbeitskreise vgl. Loewenberg, G., S. 198.
212
Vgl. auch Hereth, M., Die Reform des Deutschen Bundestages, Opladen 1971, S. 65.
213
Vgl. Löffler, G., Parlamentarische Willensbildung. Ein Beitrag aus der Praxis der gesetzgeberischen Arbeit des Abgeordnetenhauses von Berlin, in: Gegenwartskunde 1967, S. 115ff. (S. 119): „Die allgemeine Willensbildung, außer in Grundsatzfragen, vollzieht sich nun im Arbeitsicreis, nicht in der Fraktion. Wenn die wenigen Experten, die die Fraktionen zu jedem Sachgebiet haben, in einer konkreten Frage eine Mehrheit gefunden haben, dann ist die Entscheidung praktisch gefallen. Nur wenn in einem Arbeitskreis keine gemeinsame, von allen getragene Auffassung zustande kommt, muß die Gesamtfiraktion entscheiden. Der normale Ablauf ist: Der Arbeitskreis erarbeitet klare Empfehlungen; sie werden der Fraktion bekanntgegeben, diese nimmt sie zustimmend zur Kenntnis. Damit ist der Fraktionswille gebildet. Selbstverständlich kann die Fraktion in die Sachdebatte eintreten, wenn die Ergebnisse der Arbeitskreisbesprechungen vorgetragen werden, sofern es ein Fraktionsmitglied wünscht. Das geschieht meistens nicht, weil die Fachpolitiker klare Beschlußempfehlungen ausgearbeitet haben."
138
IV. Parteien und Gesetzgebung
Besteht in der Wirklichkeit des Entscheidungsfindungsprozesses jedoch tatsächlich durch die Arbeitskreise eine solch verbreiterte Basis und hätten sich deshalb die längeren Ausführungen zum Einfluß eines oder zweier Fachabgeordneter als überflüssig erwiesen, da das Einflußzentrum der Fraktion nicht der einzelne Fachexperte in dieser Phase ist, sondern der Arbeitskreis? Macht die Fraktion tatsächlich von der Gelegenheit Gebrauch, die Einflußnahme auf den Minister und seine Bürokratie auf mehrere Abgeordnete zu verteilen und damit diesen Einfluß pluralistischer zu machen, indem nicht nur die Auffassung des einen Experten gegenüber der Ministerialbürokratie geltend gemacht wird, sondern hier die Meinungen der verschiedenen Strömungen der der Fraktion angehörenden Abgeordneten, die in dem betreffenden Arbeitskreis mitarbeiten, zum Tragen kommen 214 ? Um es vorwegzunehmen: Im hessischen Hochschulgesetzgebungsprozeß nutzte die Fraktion diese Chance nicht und erlag der Gefahr, die J. Raschke mit dem Satz umschreibt: „Ohne eine gewisse Fraktionsautonomie droht die Regierungsmehrheit zu einem reinen Instrument der Regierung zu entarten." 215 Dies lag gar nicht einmal so sehr an der relativ kleinen Zahl der Abgeordneten der Fraktion, die sich in dem kulturpolitischen Arbeitskreis engagierten, sondern eher an der mangelnden Bereitschaft, die gegebene Einflußchance auszuschöpfen. Waren die Möglichkeiten des hochschulpolitischen Sprechers der Fraktion gegenüber einem starken Minister und angesichts der übrigen genannten Bedingungen nicht sehr groß, hätte jedoch durchaus die reale Chance bestanden, daß sich der kulturpolitische Arbeitskreis als echter einflußreicher Gesprächspartner an der Gesetzgebungsarbeit der Ministerialbürokratie durch die Vermittlung des Ressortchefs hätte beteiligen können. Jedoch fanden sich außer dem hochschulpolitischen Sprecher der Fraktion und einem anderen Abgeordneten, der sich jedoch in seiner Arbeit mehr auf schulpolitische Fragen konzentriert hatte, nicht einmal ansatzweise mit der nötigen intellektuellen Fachkompetenz versehene Abgeordnete, die in der Lage gewesen wären, hier Gegenvorstellungen und Alternativen zu entwickeln. Es blieb dem hochschulpolitischen Sprecher überlassen, auch in diesem Arbeitskreis die führende Rolle zu übernehmen. Insofern ist den an anderer Stelle gemachten Ausführungen, die sich mit dem Verhältnis dieses Fachabgeordneten zum Ressortchef befaßten und über die ihm zur Verfügung stehenden Einflußmöglichkeiten nichts wesentliches hinzuzufügen, da sich die Qualität dieser Beziehungen und der daraus resultierende Einfluß des
214 Vgl. Hereth, M., der betont, „daß die durchaus mögliche Modifizierung der Regierungspolitik (soweit sie sich in Gesetzen manifestiert) in erster Linie innerhalb der Arbeitskreise der regierenden Mehrheit geschieht" (S. 65). 2,5
Raschke, J., Der Bundestag im parlamentarischen Regierungssystem, Berlin 1968, S. 33.
1. Der Einfluß der Mehrheitsfraktionen auf die Gesetzgebung
139
Abgeordneten lediglich nunmehr in einem institutionalisierten Gremium entfalteten, dadurch aber nicht verändert wurden. Eine solche Veränderung und damit eine qualitativ höhere Einflußnahme hätte sich für den hochschulpolitischen Sprecher nur dann ergeben können, wenn der kulturpolitische Arbeitskreis den Vorstellungen des Abgeordneten eher gefolgt wäre als denen des Ministers. Da sich, wie ausgeführt, an der Konstellation der Komponenten, wie Sachverstand, politisches Gewicht etc. zwischen Minister und dem Fachabgeordneten nichts geändert hatte, bestand auch kein Anlaß, daß die übrigen Mitglieder des Arbeitskreises sich auf die Seite des hochschulpolitischen Sprechers schlagen sollten, der im übrigen gar nicht den Versuch machte, über dieses Gremium den Minister in entscheidenden Fragen unter Druck zu setzen und insofern die Erfolgsaussichten eines solchen Unterfangens realistisch einzuschätzen wußte. Die Tatsache, daß sich die Konstellation zwischen hochschulpolitischem Sprecher und Minister auch in den Gremien nicht verändert hatte, wäre abzugleichen gewesen, wenn der eine oder andere Abgeordnete im Arbeitskreis wenigstens in bezug auf Sachkompetenz ein ernstzunehmender Gesprächspartner für den Minister hätte sein können, ganz zu schweigen von einem im Vergleich mit dem hochschulpolitischen Sprecher höheren politischen Gewicht in der Fraktion. Da dem nicht so war, aber die theoretische Möglichkeit im Bereich der Verwirklichung lag 2 1 6 , ist im Folgenden zu prüfen, wie die beschriebene tatsächliche Einflußnahme und die theoretisch mögliche die Stellung des Parlaments insgesamt im Gesetzgebungsprozeß erscheinen lassen.
216
Über die gelungene Einflußnahme eines Fraktionsarbeitskreises berichtet Brauswetter, H., Kanzlerprinzip, Ressortprinzip und Kabinettsprinzip in der ersten Regierung Brandt 1969-1972, in: Konrad-Adenauer-Stiflung (Hg.), Beiträge zu Wissenschaft und Politik, Bd. 14, Bonn 1976. In dieser empirischen Studie führt er aus: „Abgelehnt wurde von den Koalitionsfraktionen keines der Vorhaben der Regierung. Die Meinung der Fraktion wurde meist vorher schon von den Arbeitskreisen und deren Vorsitzenden, den Fraktionsvorsitzenden und Parlamentarischen Geschäftsführern der Regierung gegenüber in Gesprächen vertreten. Auch Fachleute wie Schellenberg, Möller und Buschfort brachten die Meinung der Fraktion in die Regierungsvorlagen ein (ζ. B. Betriebsverfassungsgesetz). Besonders großen politischen und sachlichen Einfluß hatte der Vorsitzende des SPD-Arbeitskreises Sozialpolitik, Prof. Schellenberg. Der sozialpolitisch unerfahrene Arendt überließ dem unbestrittenen Sozialexperten Schellenberg die publikumsträchtigen Dispute im Bundestag um die Sozialreformen, die in enger Zusammenarbeit zwischen Fraktionsarbeitskreis und Ministerium entstanden waren. Von Seiten der Fraktionen wurde positiv vermerkt, daß die Minister und Staatssekretäre regelmäßig an den Sitzungen der Arbeitskreise und der Fraktionen teilnahmen und so Gelegenheit zum Meinungsaustausch gegeben war ... Dadurch, daß die Minister in Fraktion und Arbeitskreisen ständig Rede und Antwort zu stehen hatten, konnte die Fraktion die Regierung laufend kontrollieren." (S. 144)
H.
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IV. Parteien und Gesetzgebung
b) Die theoretischen Implikationen antizipierter Einflußnahme der Mehrheitsfraktion Wie nicht nur aus dieser Untersuchung, sondern auch aus anderen empirisch gegündeten Arbeiten hervorgeht, ist ein einmal im Parlament eingebrachter Gesetzgebungsentwurf kaum noch veränderbar. Dabei spielt es keine Rolle, ob er als Regierungsentwurf oder Fraktionsentwurf eingebracht wird. Unterschiede im weiteren Schicksal solcher Entwürfe bestehen in der parlamentarischen Praxis lediglich zwischen Entwürfen der Parlamentsmehrheit und -minderheit. Daraus wird der nicht fernliegende Schluß gezogen, daß der Einfluß des Parlaments als Institution in den Gesetzgebungsprozessen gering ist, daß die wichtigen Entscheidungen auf anderer Ebene vorher gefallen sind 217 . Bekanntermaßen wird deshalb das Parlament von den Gegnern parlamentarischer Demokratie mit Genugtuung, von den Verfechtern mit Bedauern und Resignation als lediglich formalinstitutionelle Absegnungsinstitution empfunden und bewertet. In der Tat gibt auch die hier vorgelegte Studie keinen Anlaß, dieses Bild unmittelbar zu re vidieren, jedoch die vielgebrauchte Wendung vom „Funktionsverlust des Parlaments" weiter zu differenzieren 218. In den nachfolgenden Abschnitten wird deutlich, daß der hessische Landtag, nachdem die Gesetzentwürfe eingebracht worden waren, kaum Änderungen an ihnen vorgenommen hat und daß es in erster Linie darauf ankam, noch vor Ende der Legislaturperiode die zweite Lesung abhalten zu können. Allerdings wäre es grundsätzlich falsch, diese so zu beschreibende Behandlung der Entwürfe allein auf den Zeitdruck zurückzuführen. Auch die schon erwähnten Arbeiten über andere Gesetzgebungsprozesse - so beschränkt ihre Zahl auch noch ist - zeigen eine ähnlich formale Behandlung von Gesetzentwürfen durch die Parlamente auf Landes- und Bundesebene. Aus diesem Grund erscheint es nicht leichtfertig,
217 Selbst der Einfluß von Fachabgeordneten auf eine materiell bedeutsame Veränderung eingebrachter Entwürfe nach Beginn der 'offiziellen Parlamentsphase' ist gering. Daran ändert auch nichts die teilweise subjektiv andere Sicht von Parlamentariern (vgl. das Beispiel bei Rausch, H. / Oberreuter, H., Parlamentsreform in der Dunkelkammer? Zum Selbstverständnis der Bundestagsabgeordneten, in: Stejfanì , W. (Hg.), Parlamentarismus ohne Transparenz, Opladen 1971, S. 150), die nicht erkennen oder nicht erkennen wollen, „daß die Bürokratie ihnen in der Regel nur die Möglichkeit gelassen hat, in Hack- und Sägearbeit einige Wurzelstöcke zu entfernen oder neue zu pflanzen, während die Schneisen schon längst geschlagen sind" (ebd.). Allerdings kann diese Beurteilung von Rausch, H. / Oberreuter, H., nur für die 'offizielle Phase' der Gesetzgebung geteilt werden. Die damit implizierte Auffassung, daß das Parlament im gesamten Entscheidungsfindungsprozeß am 'Schlagen der Schneisen' auch vor der Einbringung in den parlamentarischen Ablauf nicht beteiligt ist, ist - wie die Studie nachzuweisen versucht - unrichtig. 218 Vgl. auch Hennig, W., Die mißverstandene Demokratie. Demokratie - Verfassung - Parlament. Studien zu deutschen Problemen, Freiburg / Basel / Wien 1973, der diese allgemeine undifferenzierte Beschäftigung mit dem Funktionsverlust „des Parlaments" als Beschreibung eines „Märchenreiches" beurteilt (S. 75).
1. Der Einfluß der Mehrheitsfraktionen auf die Gesetzgebung
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wenn unter alleiniger Berücksichtigung des 'offiziellen' Gesetzgebungsprozesses, also der Phase, in der sich das Parlament mit Gesetzgebungsentwürfen befaßt, der Schluß gezogen wird, daß der Einfluß dieser Institution gering ist. Die überwiegende Anzahl der Autoren, die sich mit dem Phänomen der formalisierten Beteiligung des Parlaments, seiner Reduzierung auf eine Formalinstitution beschäftigen, enden in ihren Untersuchungen mit der Akzeptanz dieser Wirklichkeit. Allerdings ist es fraglich, ob diese Untersuchungen, sofern sie sich nur auf die 'offizielle Gesetzgebungsphase' oder lediglich auf die Vorbereitungsphase durch die Ministerialbürokratie unter Außerachtlassung der wechselseitigen Korrelationen gerade in dieser Phase zwischen einzelnen Abgeordneten und Bürokratie beschränken, ein vollständiges Bild der Wirklichkeit vermitteln können. Wenn jedoch Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit des Bildes, welches man sich von den tatsächlichen Abläufen macht, bestehen, erscheinen auch die Schlußfolgerungen in einem anderen Licht. Insbesondere die getrennte Betrachtung von Abläufen in der Ministerialbürokratie und in den Parlamenten muß kritisch betrachtet werden. Im Rahmen der Gesetzgebung bedeutet sie das Auseinanderreißen eines homogenen Prozesses, dessen Wertung nur in seiner Gesamtheit erfolgen kann. Jede Konzentrierung auf einen Schwerpunkt innerhalb des Prozesses, sei es auf die Funktion der Ministerialbürokratie, sei es auf die Funktion der offiziellen Beteiligung der Abgeordneten oder auch auf den Einfluß von Gruppen und Verbänden, läuft in Gefahr, zu einseitigen und damit zweifelhaften Schlußfolgerungen zu führen. Eine realitätsbezogene Wertung kann nur unter gleichberechtigter Einbeziehung aller Elemente und Phasen des Gesetzgebungsprozesses erfolgen. c) Die FDP-Fraktion Die FDP-Fraktion des hessischen Landtages hatte in der in Frage stehenden Legislaturperiode neun Mitglieder. Es liegt auf der Hand, daß sich bei einer derart kleinen Zahl von Abgeordneten jeweils nur einer um ein bestimmtes Sachgebiet kümmern konnte. Für den Bereich der Hochschulgesetzgebung war der Abgeordnete Dr. Brans zuständig, der gleichzeitig auch Sprecher seiner Fraktion für Landwirtschaft und Umwelt war und dann auch Staatssekretär im hessischen Ministerium für Landwirtschaft und Umwelt geworden ist. Der Grund, warum dieser Abgeordnete innerhalb seiner Fraktion für den Hochschulbereich zuständig geworden war, liegt mit großer Wahrscheinlichkeit darin, daß man meinte, er habe als Lehrer noch am ehesten die Kompetenz für den bildungspolitischen Bereich.
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IV. Parteien und Gesetzgebung
Im Gegensatz zu dem betreffenden 'Fachabgeordneten' der Mehrheitsfraktion des größeren Koalitionspartners stand er unter dem doppelten Zwang, sich einmal als Abgeordneter und gleichzeitig für seine Partei profilieren zu müssen. Bei der größeren Regierungspartei übernahm die letztere Funktion der der Partei angehörende Minister. Dieser doppelte Profilierungszwang des Fachabgeordneten eines kleineren Koalitionspartners ist sehr viel mehr geeignet, Konfliktstoff zwischen Exekutivspitze und Abgeordneten zu schaffen als zwischen Fachabgeordneten und Minister, die der gleichen Partei angehören. Hier kommt zu dem Prozeß der soziologischen Einstellung ein sehr wichtiges, den Prozeß erschwerendes Element hinzu, daß nämlich diese Einstellung nicht mehr oder minder von der Öffentlichkeit beachtet hinter verschlossenen Türen zwischen zwei Einzelpersonen oder einer kleinen Gruppe von Machtträgern vonstatten geht, sondern daß hier auch gleichzeitig das Erscheinungsbild der koalierenden Parteien vor einer interessierten Öffentlichkeit auf dem Spiele steht. Der Fachabgeordnete der kleineren Koalitionspartei weiß sehr wohl, daß die nicht sehr große Wahlklientel genau beobachtet, inwieweit sich die Partei ihres Vertrauens in solch einem wichtigen Gesetzgebungsprozeß gegenüber den Vorstellungen des der anderen Partei angehörenden Ressortchefs durchzusetzen vermag. Aber nicht nur die Öffentlichkeit interessiert sich für dieses Durchsetzungsvermögen, sondern auch die Gesamtpartei. Sie beurteilt die Arbeit ihrer Politiker generell im starken Maße danach, inwieweit sie es verstehen, gegenüber zahlenmäßig sehr viel gewichtigeren Koalitionspartnern das eigenständige Profil der Partei deutlich zu machen. Insofern kann es nicht überraschend sein, daß der Einfluß der kleineren Koalitionsfraktion der FDP, repräsentiert durch ihren Fachabgeordneten Dr. Brans, summa summarum auf die letztlich verabschiedeten Gesetze stärker war als der der SPD-Fraktion. Dabei mußte allerdings auch die Minderheit in der Koalition eine Gradwanderung am Rande von mehreren Abgründen unternehmen. Einmal hatte sie als Gesprächspartner den politisch erfahrenen, in der Mehrheitsfraktion der Koalition fest verankerten kompetenten Ressortchef, der zwar bereit war, hier und dort den Vorstellungen der FDP nachzugeben, aber auch deutlich machte, worüber nicht mit ihm zu handeln sei. Überspannte der Fachabgeordnete hier den Bogen der Forderungen, riskierte er zumindest eine Verstimmung innerhalb der Koalition. Nichts wäre jedoch gerade der kleineren Partei innerhalb der Koalition kurz vor der Wahl schlechter bekommen als eine zerstrittene Regierung. Die Wählerklientel der FDP wollte zwar, daß diese Partei energisch ihre Vorstellungen durchsetzte, aber niemand konnte das Verhalten dieser Wählerschicht bei einem Koalitionsstreit voraussagen. Deshalb funktionierte auch hier zwar unter erschwerten Bedingungen, aber letztlich doch für alle Seiten zufriedenstellend das Prinzip der soziologischen Einstellung.
2. Der Einfluß der Parteien auf die Willensbildung
143
Gewiß spielen auch im Verhältnis der Exekutive zu der Minderheit in der Koalition, die bei dem Verhältnis Fachabgeordneter der Mehrheitsfraktion innerhalb der Koalition und Ressortchef genannten Komponenten, wie das persönliche Verhältnis, der Sachverstand, das Durchsetzungsvermögen etc. eine nicht zu unterschätzende Rolle, jedoch werden alle diese Komponenten der soziologischen Einstellung durch die Profilierungsnotwendigkeit des kleineren Koalitionspartners überlagert und können letztlich lediglich dazu dienen, entweder die aufgrund dieser Notwendigkeit entstehenden Spannungen zu vermindern - etwa wenn der Minister und der betreffende Fachabgeordnete ein ausgezeichnetes persönliches Verhältnis zueinander haben - oder aber sie können auch dazu beitragen, daß die unvermeidlichen Spannungen noch verstärkt werden - wenn z.B. Profilierung ohne jeden Sachverstand gesucht wird. Das Verhältnis zwischen Kultusminister und dem Fachabgeordneten der FDP war im hier in Frage stehenden Entscheidungsprozeß von gegenseitigem Respekt bestimmt. Der Minister anerkannte die Notwendigkeit der Profilierung des kleineren Koalitionspartners. Das Verhältnis war auch deshalb entspannt, weil Dr. Brans diese Profilierung besonders in der Öffentlichkeit nicht als 'Einzelkämpfer' zu erreichen suchte, sondern meist war es der kulturpolitische Fachausschuß der Gesamtpartei in Hessen, der die Entwürfe des Ministers angriff und 'progressivere Lösungen' forderte. Es ist auch davon auszugehen, daß in vielen dieser Fragen wie z.B. Ordungsrecht, Regelstudienzeit etc. der Fachabgeordnete der Position des Ministers sehr viel näher stand als dem Ausschuß seiner Partei.
2. Der Einfluß der Parteien auf die Willensbildung der Exekutive und der Fraktionen Die Frage nach dem Einfluß der Parteiebene innerhalb von Fraktionen ist von der Forschung weitgehend vernachlässigt worden, obwohl schon A. Salter 1952 in seinem Standardwerk 'Parliament - a Survey' 219 festgestellt hatte: „Vielleicht sollte ich unser Regierungssystem heute nicht so sehr eine parlamentarische Bürokratie als vielmehr eine Kabinettsbürokratie nennen. Nicht ausgeschlossen ist es - obwohl ich hoffe, daß wir jenen Punkt nicht erreichen werden - , daß unsere Nachfolger in absehbarer Zeit eher den Ausdruck 4Parteibürokratie' anwenden müssen, um die Herrschaft einer au-
219
Salter , Α., Parliament - a Survey, London 1952.
IV. Parteien und Gesetzgebung
144
ßenstehenden Parteiorganisation über alle Parlaments- und Kabinettseinrichtungen zu kennzeichnen." 220
Die nachstehenden Beobachtungen bestätigen die Befürchtungen zwar nicht 221 , jedoch ist gerade in den letzten Jahren die Diskussion um die Anbindung der Fraktionen an die Parteien und insbesondere an deren Parteitagsbeschlüsse stärker geworden 222 . Diese Auseinandersetzung hängt allerdings nicht unmittelbar mit der Frage des imperativen Mandats zusammen. Sie betrifft vielmehr die Problematik, inwieweit die Willensbildung grundsätzlicher Art in wichtigen gestalterischen Bereichen der Politik innerhalb der Gesamtpartei sich auf die Arbeit der Fraktionen auswirkt und die Regierung die innerparteiliche Willensbildung berücksichtigt oder zumindest in ihre Überlegungen einbezieht. Denn wenn man die Aufgabe der Parteien „für eine ständige lebendige Verbindung zwischen dem Volk und den Staatsorganen zu sorgen" 223 ernst nimmt und von ihnen erwartet, daß sie „im Bereich der Vorformung des politischen Willens wie im Bereich der institutionalisierten staatlichen Willensbildung" die „auf politische Macht und ihre Ausübung gerichteten Meinungen, Interessen und Bestrebungen hervorzubringen oder zu sammeln, sie gestaltend zu formen und geltend zu machen" 224 , dann kann die Frage nach Erfüllung dieser Aufgaben nicht an der Schwelle der Fraktionszimmer oder Ministerien halt machen.
220
Die Übersetzung von Schindel stammt aus dem Kapitel 'Kabinett und Parlament', in:
Stammen, Th., S. 47. 221 Befürchtungen, die andere Autoren schon als Realität nehmen und deren Meinung Friesenhahn,, E., VVdStRL, S. 19, auf die Formel zuspitzte, daß sie Regierung und Parlament im modernen massendemokratischen Staat „nur noch" als „Fassade" ansehen und „in Wahrheit... die politischen Parteien, genauer gesagt die Parteibürokratien", die Macht ausüben. 222
Erinnert sei an die ζ. T. erfolgreichen Versuche innerhalb der Labour Party, die Abgeordneten stärker an die Partei zu binden, oder die Praxis der Bremer Sozialdemokraten, die Senatoren vom Parteitag 'bestätigen' zu lassen, vgl. FAZ vom 30.10.1979. Interessant ist dabei, daß sich der Eindruck verstärkt, daß je enger die 'Anbindung' der staatlichen Verantwortungsträger an die Partei erfolgt, desto schwieriger die Kommunikation zwischen diesen und der nichtparteigebundenen Bevölkerung wird und darüber hinaus die betreffende Partei sich weitaus schwerer tut als Transmissionsriemen politischer Meinung von unten nach oben wirksam werden zu können. 223 224
§ 1 Abs. 2 ParteiG
Hesse, K., Die verfassungsrechtliche Stellung der politischen Parteien, VVDStRL 17, S. 51 Iff ; vgl. auch Willms, G., Aufgabe und Verantwortung der politischen Parteien, Karlsruhe 1958.
2. Der Einfluß der Parteien auf die Willensbildung
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a) Die kulturpolitischen Ausschüsse der SPD aa) Die Gespräche mit dem Minister Während der gesamten Phase der Gesetzgebungsvorbereitung und auch in der offiziellen Phase nach Einbringung der Entwürfe waren die Kontakte des die Entwürfe zu verantwortenden Ministers zu den Mitgliedern der SPD, die sich mit hochschulpolitischen Fragen befaßten, vielfältiger Natur. Grundsätzlich ist festzustellen, daß das Interesse der Gesamtmitgliedschaft an solchen hochschulpolitischen Fragen auch während des laufenden Gesetzgebungsprozesses außerordentlich gering war, obwohl gerade die Hochschulpolitik eines der wenigen wichtigen Felder ist, welche der Landespolitik überhaupt noch zur - durch die Rahmengesetzgebung nunmehr auch begrenzten - Gestaltung offenstehen. Dieses Desinteresse der Mitgliedschaft der größeren Regierungspartei manifestierte sich äußerlich darin, daß auf den in die Gesetzgebungsphase fallenden oder kurz vorher abgehaltenen Parteitagen das Thema Hochschulgesetzgebung kaum eine Rolle spielte und dementsprechend auch keine Anträge, diese oder jene Frage in einem bestimmten Sinne zu lösen, von den Untergliederungen der Partei verabschiedet wurden. Das Desinteresse wurde auch deutlich in der geringen Beteiligung an den Sitzungen der kulturpolitischen Ausschüsse der SPD Hessen Nord und Süd, als sie sich mit der Materie Hochschulgesetzgebung befaßten. Trotz der geringen Teilnahme der Mitglieder dieser Ausschüsse, die im übrigen auch interessierten Nichtmitgliedern durchaus freistand, waren die kulturpolitischen Ausschüsse, die sich für die Hochschulgesetzgebung zu gemeinsamer Sitzung zusammenfanden, der 'offizielle' Transmissionsriemen zwischen Partei auf der einen und Exekutive und Fraktion auf der anderen Seite. Dabei erfolgte allerdings der Informationsaustausch zwischen den Ausschüssen und Fraktion teilweise getrennt von dem zwischen Ausschüssen und dem verantwortlichen Ressortchef oder dessen Beauftragten. Die erste Kontaktaufhahme zwischen den Fachausschüssen der Partei, deren Mitglieder von den jeweiligen Bezirksvorständen berufen werden, wobei auch in der Praxis 'unberufene' interessierte Mitglieder der Partei teilnehmen, und dem Minister fand am 25.2.1978 in Gießen statt. Zu dieser Zeit lagen die Referentenentwürfe des Ministeriums schon vor, so daß die Bemühungen der Parteiausschüsse reichlich spät einsetzten. Eingeladen hatten die Vorsitzenden der Ausschüsse von Hessen Süd und Hessen Nord. Die damalige Vorsitzende des Ausschusses Hessen Nord Frau Rüdiger war gleichzeitig Staatssekretärin im
146
IV. Parteien und Gesetzgebung
hessischen Kultusministerium. 225 Der Vorsitzende des Ausschusses Süd, das MdL Wolfram Heyn, war gleichzeitig hochschulpolitischer Sprecher der SPDLandtagsfraktion. Aktiver Promoter besonders in Hessen Süd war jedoch das Mitglied des Hauptvorstandes der GEW Gerd Köhler. In erster Linie auf seine Initiative hin war die Sitzung zustande gekommen, an der auch von der Gesetzgebung betroffene Parteimitglieder, die mit den Hochschulen zu tun hatten, also Studenten, Assistenten und Professoren, teilnahmen. Eingeleitet wurde das Treffen, an dem ca. 30 Personen teilnahmen, mit einem Grundsatzreferat des Ministers über seine Vorstellungen zur Hochschulpolitik in Hessen. Ihm folgten Statements von verschiedenen Teilnehmern, die die Lage an den Hochschulen in Verbindung mit dem Gesetzgebungsprozeß darstellten. Besondere Beachtung fand die Teilnahme der der Partei angehörenden Universitätspräsidenten von Frankfurt und Marburg. Besonders sie gewährten dem Minister nicht zu unterschätzenden Rückhalt, wenn er vorgeworfen bekam, in den Gesetzentwürfen zu wenig auf sozialdemokratische Vorstellungen Rücksicht zu nehmen. Die Antwort des Ministers lautete, daß es zum gegenwärtigen Zeitpunkt keine definierte spezifisch sozialdemokratische Hochschulpolitik gebe. Die sich über mehrere Stunden hinziehende Diskussion erbrachte für die konkrete Gesetzgebungsphase nichts, was sich dann in der Form von Änderungen in den Entwürfen in nennenswerter Form niedergeschlagen hätte. Immerhin wurden die Bedenken und die Vorschläge dieses Kreises von einem Mitarbeiter des Ministers vermerkt. Später fixierten die Ausschüsse ihre Vorschläge noch einmal schriftlich und übermittelten sie dem Ministerbüro. Es fand auch noch eine andere Sitzung der Ausschüsse statt, an der jedoch aus Termingründen weder der Minister noch die Staatssekretärin und auch kein Vertreter des Ministerbüros teilnahm. Ein sicherlich durchaus symbolhaftes Desinteresse der verantwortlichen Exekutive an der parteiinternen Willensbildung der sie tragenden Partei. Damit stellt sich die Frage, warum die Fachausschüsse der Partei, die ja in diesem konkreten Bereich die Parteibasis repräsentieren, keinen Einfluß auf die Willensbildung der politisch aus der Partei kommenden Führung der betreffenden Exekutive besaßen. Einer der Gründe hierfür ist gewiß, daß die Autorität solcher Gremien zu einem nicht geringen Teil von der Qualität der dort geleisteten Arbeit abhängt. Solche Fachausschüsse, die in allen Parteien bestehen, und zwar auf den verschiedenen Ebenen, haben nur dann eine Chance, auf die letztlich institutionell dafür vorgesehenen Entscheidungsträger wie Ministerialres-
225
Die Verbindung von Partei- und Staatsamt wird heute genauso als selbstverständlich akzeptiert wie die Verbindung von Parteiamt und Parlamentsmandat, die allerdings noch den 38. Deutschen Juristentag beschäftigte, der sich damals einstimmig gegen eine Unvereinbarkeit ausgesprochen hatte. Vgl. Empfehlungen der staatsrechtlichen Abteilung C97 Ziff. 11 in: Verhandlungen des 38. Deutschen Juristentages, Teil C, Frankfurt / Tübingen 1951.
2. Der Einfluß der Parteien auf die Willensbildung
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sorts und Fraktionen einzuwirken, wenn sie über einen längeren Zeitraum hinweg sich durch ihre Arbeit in der Partei Ansehen erworben haben. Je fundierter diese Arbeit ist, insbesondere auch, wenn sie zwischen Wünschenswertem und Machbaren unterscheidet, desto eher werden die Entscheidenden, die aufgrund ihrer Mitgliedschaft in den entsprechenden Parteien zu ihren Ämtern gekommen sind, bereit sein, die Umsetzung solcher Vorschläge zu prüfen. Ja, sie würden in gewisser Weise eine solch begleitende beratende Tätigkeit begrüßen, da darin die Chance liegen könnte, daß sie das eine oder andere Mal daran erinnert würden, daß die Parteien von ihren Verantwortlichen nicht nur die Umsetzung der von der Ministerialbürokratie erarbeiteten technokratischen Regelungen erwarten, sondern daß man auch gestalterische innovative Arbeit wünscht. Da in der Regel die Ressortchefs durchaus den Wunsch haben, in ihren Parteien und in der Öffentlichkeit als nicht nur in den Tag hineinverwaltende höhere Beamte, sondern als zukunftsorientierte tatkräftige Politiker eingeschätzt zu werden, könnten die Fachausschüsse der Parteien hier durchaus als 'Ideenlieferanten' dienen. Sie sind sehr viel weniger in mannigfache Rücksichtnahmen eingebunden als die Verantwortlichen, die auf Koalitionspartner angewiesen sind 226 . Noch sehr viel bedeutender könnte die Rolle dieser Fachausschüsse der Parteien eingeschätzt werden, wenn man sich vor Augen hält, daß in der Ministerialverwaltung in ihrer heutigen Struktur kein Platz für einen parteipolitischen 'brain trust' ist. Zwar könnte man in den Stäben der Ressortchefs Ansätze dazu vermuten. Die Wirklichkeit jedoch sieht in den meisten Fällen so aus, daß die Stabsmitarbeiter mit der täglich anfallenden Unterstützungstätigkeit für den Minister derart ausgelastet werden, daß ihnen keine Zeit für ein Nachdenken über Grundsätzliches bleibt. Schon eher könnten die Arbeitskreise der Fraktion in Konkurrenz mit den Fachausschüssen in der Erarbeitung der parteispezifisch orientierten Politik für den betreffenden Bereich treten. Jedoch besteht hier kein großer Ehrgeiz, dies zu tun. Einmal fühlen sich die Abgeordneten ohnehin genügend ausgelastet und sehen ihre Rolle nicht darin, die Politik bestimmen zu wollen. Dies gilt zumindest für die Regierungsfraktionen auf Länderebene, die den Entwurf der Politik weitestgehend den von ihnen besetzten Ressorts überläßt. Eine größere Rolle in der Formulierung grundsätzlicher Aussagen spielen die Fraktionsarbeitskreise in den Oppositionsfraktionen der Länder und generell in allen Fraktionen des Bundestages. Die Fachausschüsse der Parteien auf Landesebene könnten ihr Gewicht gegenüber den Entscheidungsträgern im institutionellen Bereich bei entsprechender Qualität ihrer Arbeit selbst dann steigern, wenn die in Frage kommenden
226
Zu den besonderen Bedingungen der Entscheidungsspielräume in Koalitionen vgl.
Knorr, H. 11 Mengel
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IV. Parteien und Gesetzgebung
Ressortchefs eine solch begleitende Beratung als nicht wünschenswert empfinden. Die Möglichkeit, die Entscheidenden zumindest zu veranlassen, sich mit den Vorstellungen der Fachausschüsse auseinanderzusetzen, wird dann erhöht, wenn letztere ihre Konzeption von breiteren Gremien der Partei beschließen lassen. So wäre der Minister im konkreten Gesetzgebungsprozeß sicherlich gezwungen gewesen, sich über die Vorstellungen der Ausschüsse ernsthaft Gedanken zu machen, wenn z.B. ein Landesparteitag sich diesen Vorschlägen angeschlossen hätte. Allerdings ist es unwahrscheinlich, daß ein solch wichtiges Gremium der Partei gegen den Willen des verantwortlichen, dieser Partei angehörenden Ministers entscheidet227. Hier wird er rechtzeitig das Gewicht seiner Autorität in die Waagschale werfen, um solches zu verhindern. Je fundierter die Vorstellungen, die solcherart von der 'Basis' der Partei kommen, sind, desto ernsthafter muß sich der Minister damit auseinandersetzen, selbst wenn es ihm schließlich in der Mehrzahl aller Fälle gelingt, seine Vorstellungen durchzusetzen. Häufiger kann es dagegen passieren, daß die Vorstellungen der 'Experten' der Parteien in unteren Gliederungen beschlossen werden. Dies geschieht deshalb, weil der Minister nicht auf dieser Parteiebene ständig präsent sein kann und die Mehrzahl der Mitgliedschaft in Sachfragen oft vorgelegte Papiere beschließt, deren Tragweite sie kaum einschätzen kann. Neben der Qualität der Ausschußarbeit beeinflußt auch das politische Gewicht und die Persönlichkeit der jeweiligen Vorsitzenden die Einflußmöglichkeiten. Ähnlich wie bei dem Verhältnis zwischen Fachabgeordneten und Minister spielt auch hier diese Komponente eine wesentliche Rolle. Daneben ist natürlich auch sehr wichtig, zu welcher Strömung die jeweilige Ausschußmehrheit in den Parteien gerechnet wird und ob der betreffende Minister mit dieser Richtung konform geht. Dieser Faktor ist bei der Sozialdemokratischen Partei gegenüber den anderen Parteien besonders bedeutend, da hier die Strömungen Links und Rechts sehr viel ausgeprägter sind. Die kulturpolitischen Ausschüsse der SPD Hessen Süd und Nord, die für die Zeit der Hochschulgesetzgebung auf ihren Sitzungen durch die Anwesenheit von Hochschulmitgliedern, die sonst nicht in den Ausschüssen mitarbeiteten, aber hier eine Möglichkeit sahen, ihre Interessen deutlich zu machen, verstärkt wurden, lagen zusammengenommen mehrheitlich sicher nicht auf der 'politischen Grundlinie' des Ministers. Stark beeinflußt von den südhessischen Mitgliedern erwarteten sie von dem Minister 'progressive' Lösungen in allen brisanten Fragen wie dem Ordnungsrecht, der Regelstudienzeit etc. Insofern bestand wenig Bereitschaft auf Ministerseite, den Vorstellungen zu folgen. Auf 227 Skeptisch zum Einfluß der Parteitage auch Dittberner, der innerparteilichen Willensbildung, PVS 1970, S. 236 ff.
J., Die Rolle der Parteitage im Prozeß
2. Der Einfluß der Parteien auf die Willensbildung
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der schon erwähnten Sitzung in Gießen kam es dann auch zu teilweise erheblichen Spannungen. Der Minister konnte die Angriffe jedoch gelassen hinnehmen, da erstens seine politische Stellung in der Partei genügend abgesichert war und zweitens die Ausschüsse auch keine geschlossenen Alternativen vorlegen konnten. Das lag nicht nur an der qualitativen Zusammensetzung, sondern auch an der Tatsache, daß sie sich erst u m den Gesetzgebungsprozeß zu kümmern begannen, als die Entwürfe der Ministerialbürokratie schon vorlagen.
bb) Keine Resonanz in der Fraktion Ebensowenig Glück hatten die Ausschüsse mit ihren Einflußnahmeversuchen auf die SPD-Fraktion des Landtages 2 2 8 . Der sehr agile Gerd Köhler hatte die Fraktionsmitglieder zu einer gemeinsamen Sitzung eingeladen. Da zur selben Zeit eine wichtige Landtagssitzung stattfand, fanden sich nur etwa vier Abgeordnete ein. A u c h von den Ausschußmitgliedern selbst war nur ein verschwin-
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Wie unabhängig sich die Fraktionen gegenüber den Parteien auch bei grundsätzlichen Entscheidungen, die tief in die Parteien hineinwirken, fühlen, zeigt das auch bei Steiger, H., S. 257, zitierte Beispiel. Obwohl die Landesdelegiertenkonferenz der SPD Baden-Württemberg eine Koalition mit der CDU abgelehnt hatte, Schloß die SPD-Fraktion des Landtages im Juni 1968 mit der CDU-Fraktion ein Koalitionsabkommen. Insofern ist die Ansicht von Schule , Α., daß die Fraktionen „kaum etwas akkordieren können, was nicht die Billigung der Parteiinstanzen gefunden hat" nur differenziert richtig. Insbesondere hängt es vom Stellenwert der Parteiinstanz in der Parteihierarchie ab, inwieweit die Fraktion sich danach richtet. Jedoch ergeben sich hier zwischen hohen Parteiinstanzen und Fraktion noch die wenigsten Probleme auseinanderlaufender Willensbildung, da in der Regel die Mitglieder der höheren Partei instanzen auch Mitglieder der Fraktion sind und besonders auf Länderebene den einheitlichen Willen der verschiedenen Gremien persönlich fördern können. So auch Wette, W., Politische Studien, S. 40. Wo dieser einheitliche Willensbildungsprozeß nicht mehr durch Personalunion erleichtert wird, ζ. B. zwischen Fraktion und Landesparteitag, behält die Fraktion gegenüber diesen Parteigremien, obwohl sie höchsten Stellenwert in der Parteihierarchie besitzen, ihre Unabhängigkeit, solange sie die 'Rückendeckung' vom Landesvorstand besitzt. Vollkommen unabhängig ist die Fraktion dagegen von Beschlüssen unterer Organe der Partei. Die These A. Schales ist zusammenfassend in einer Vielzahl der Fälle gerade umgekehrt zutreffend. Oft wirkt die Fraktion, wenn sie eine qualitativ gute Besetzung hat, auf die Willensbildung der Partei ein. So auch Lohmar, U., Innerparteiliche Demokratie. Eine Untersuchung der Verfassungswirklichkeit politischer Parteien in der Bundesrepublik Deutschland, Stuttgart 1963: „Die Stellungnahmen der Bundestagsfraktionen grenzen die Entscheidungsfreiheit der Vorstände der Parteien sachlich ein, weil man die Fraktion ja nicht 'desavouieren' kann und will. So hat insbesondere die Fraktion der SPD über den Weg der Sachentscheidungen Einfluß auf die Festlegung der 'Parteilinie' gewinnen können" (S. 74). A. Mg. offenbar Abendroth, W., Wirtschaft, Gesellschaft und Demokratie in der Bundesrepublik, Frankfurt 1965, der davon spricht, daß „der Einfluß der Fraktion als einer politischen Einheit auf die politischen Entscheidungen der Parteien ohnedies gegenüber der Lage in frühen Entwicklungsperioden erheblich zurückgegangen (ist)" (S. 102). Ähnlich Schütz, K., Die Meinungs- und Willensbildung in der SPD, in: Neue Gesellschaft, H. 5 (1958), S. 369; Wildenmann, R., Partei und Fraktion, Meisenheim a. G. 1954, der betont, daß die Fraktion keine Entscheidungen fällen könne, die zur Parteiführung im Gegensatz stehe (S. 28). Beide Auffassungen sind durch den Verlauf der tatsächlichen Ereignisse widerlegt; vgl. auch Winters, Abgeordnete als Parteimarionetten?, in: FAZ vom 10.3.1970; er bezieht sich dabei auf den Einfluß der SPD-Reichstagsfraktion auf die Partei.
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dend geringer Teil anwesend. Offenbar waren die Fernbleibenden sich der Vergeblichkeit ihres Tuns bewußt. Als Vertreter des Ministers nahm dessen Referent teil. Dabei kam es mehrfach zu Auseinandersetzungen, als Teilnehmer der Sitzung den Minister angriffen, weil er die Partei nicht genügend in den Willensbildungsprozeß einbinde. Diese Vorwürfe wurden von dem Vertreter des Ministers energisch zurückgewiesen, obwohl allen Beteiligten klar war, daß die Kritik ein fundamentales und noch wenig auch wissenschaftlich abgeklärtes Problem ansprach, welche Rolle die Parteien hier zu spielen haben und welche sie faktisch ausfüllen. Auch in der Sitzung in Gießen waren schon lebhafte Klagen laut geworden, daß Hochschulmitglieder, die nicht der Partei angehören, leichter einen Termin in Sachen Gesetzgebung beim Minister bekämen als die 'Experten' der eigenen Partei. Damals hatte schon der Mitarbeiter des Ministers daraufhingewiesen, daß in der Tat bei der Terminplanung dafür gesorgt werde, daß die Gesprächspartner des Ministers im Rahmen der Hochschulgesetzgebung pluralistisch zusammengesetzt seien. Diese Haltung war in der Grundlinie der Hochschulpolitik des Ministers begründet, daß man sich sehr stark um einen breiten Konsens der 'Mitte' bemühen müsse. Vergeblich bemühten sich die Mitglieder der Ausschüsse, den wenigen Abgeordneten klarzumachen, daß dieser Weg des Ministers falsch sei. Der Hochschulexperte der Fraktion drückte die Vergeblichkeit aller Bemühungen sinngemäß in folgender Formulierung aus: „Ich kann versuchen, diesen Änderungswunsch in der Fraktion vorzubringen. Ich sage Euch aber gleich, was dann passiert. Der Hans steht auf und erklärt in zwei Sätzen, warum dies nicht möglich ist, und damit hat sich die Sache." Der Abgeordnete gab damit dem allgemein vorherrschenden Gefühl der Ohnmacht auch der Parteibasis gegenüber dem Ressortchef Ausdruck. Den Ausschüssen blieb deshalb nicht viel übrig, als die Aiternatiworschläge, die sie erarbeitet hatten, schriftlich an die Fraktion und an das Ministerium zu verschicken, wo sie nicht sehr viel anders behandelt wurden als all die anderen Stellungnahmen von Betroffenen und Verbänden. Hinzu kam noch, daß die Stellungnahme der Parteiausschüsse sehr spät in den Entscheidungsfmdungsprozeß eingeführt wurde. Auf jeden Fall war die Frist für die Abgabe von Stellungnahmen während der Anhörung zum Referentenentwurf innerhalb der Ministerialbürokratie schon lange verstrichen. Jedoch wurde ohnehin jede auch noch danach eingehende Stellungnahme im Rahmen des Möglichen in den an anderer Stelle beschriebenen Verarbeitungsprozeß eingegeben.
2. Der Einfluß der Parteien auf die Willensbildung
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b) Die Auseinandersetzung mit den Jungsozialisten
Die Kontakte des Ministers während der Gesetzgebungsphase zur Partei beschränkten sich allerdings nicht allein auf die Fachausschüsse, sondern sind durchaus vielschichtiger gewesen. So empfing er auf deren Wunsch Vertreter von Juso-Hochschulgruppen hessischer Hochschulen. Ursprünglich hatten sich hier Vertreter von allen Hochschulen angesagt. Es kamen dann nur etwa 10 Studenten, deren Befangenheit im Ministerbüro deutlich gegenüber dem forschen Auftreten gegenüber dem Minister auf ' Heimplätzen ' an der Universität abstach. Dennoch kam es zu teilweise harten Auseinandersetzungen, in deren Verlauf sich die Studenten über die repressive Situation an den Hochschulen etc. lebhaft beschwerten und darauf hinwiesen, daß durch die augenblickliche Hochschulpolitik diese Tendenz auch noch verstärkt würde. Wie in allen Diskussionen spielte auch hier wieder das politische Mandat eine herausragende Rolle. Die Haltung des Ministers, die im anderen Zusammenhang dargestellt wurde, fand naturgemäß hier wenig Gegenliebe. Nach etwa zwei Stunden wurde das Gespräch beendet, ohne daß die Juso-Hochschulgruppenvertreter etwa davon ausgehen konnten, sie hätten den Minister in der einen oder anderen Frage von ihrem Standpunkt überzeugt. Dennoch darf man solche Gespräche nicht als Zeitvergeudung für beide Seiten ansehen. Alle Beteiligten lernen sich etwas besser kennen. Lernen vielleicht sogar das eine oder andere Argument, wenn auch nicht zugegebenermaßen, zu akzeptieren. Die wohl wichtigste Funktion solcher Gespräche ist jedoch die Legitimierungsfunktion, die sie den Gruppenvertretern gegenüber ihrer Anhängerschaft bieten. Im konkreten Fall war ein solches Treffen zwar nicht von dem Minister initiiert, jedoch konnte er den Wunsch nach einem Gespräch nicht abschlagen. Wie wichtig die Juso-Hochschulgruppen das Gespräch genommen haben, zeigt die Tatsache, daß sie sich einige Zeit später noch einmal einen Termin geben ließen. Auch dieser Wunsch wurde erfüllt, ohne daß irgendetwas Substantielles bei den Gesprächen herausgekommen wäre. Im übrigen hätte der Minister auch Vertreter z.B. des RCDS empfangen, wenn diese den Wunsch geäußert hätten, so daß der Kontakt zu den Jungsozialisten gar nicht so sehr unter die Rubrik 'Parteieinfluß', sondern eher unter die des Betroffeneneinflusses gehört. Wie tief die Gräben zwischen den Vorstellungen der Jungsozialisten und dem Minister in der Hochschulpolitik waren, die auch nicht durch solche Gespräche überbrückt werden konnten, zeigt die Tatsache, daß der Landesverband der hessischen Jungsozialisten und die Juso-Hochschulgruppen „alle Studenten zum Widerstand gegen die Pläne der hessischen Landesregierung „zur
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IV. Parteien und Gesetzgebung
Anpassung des hessischen Hochschulgesetzes an das Rahmengesetz" aufforderten und mit „einem heißen Winter" 2 2 9 drohten. Die südhessischen Jungsozialisten forderten auf einer Bezirkskonferenz in Nieder-Erlenbach am 16.4.1978, daß die Landesregierung die Entwürfe wieder zurückziehe. 230 Auf dieser Konferenz stand insbesondere die Regelstudienzeit im Kreuzfeuer der Kritik. Auch die vom Kultusminister gemachte Zusage, daß vor der Überprüfung der Semesterzahl die Studienreform verwirklicht sein müsse, veranlaßte die Jungsozialisten nicht, ihre Bedenken zurückzustellen. Heftig abgelehnt wurde auch die vorbeugende Finanzkontrolle, die dazu dienen sollte, die Verwendung von studentischen Zwangsbeiträgen für politische Zwecke unmöglich zu machen. Zum öffentlichen Höhepunkt der Auseinandersetzung zwischen Jusos und SPD-Kultusminister kam es Mitte Oktober, als den Jusos der erste Referentenentwurf auf ungeklärtem Wege bekannt wurde und diese, ohne Rücksprache bzw. Nachfrage, ob der Text authentisch sei, Auszüge des Textes mit beißender Kritik versehen in die Öffentlichkeit brachten. Gleichzeitig kündigten sie an, einen aktiven Vorlesungsboykott zu unterstützen, „um zu verhindern, daß auch die Reste der Hochschulreform zerstört werden" 231 . Gegen den Entwurf, der sozialdemokratischen bildungspolitischen Beschlüssen widerspreche und „reaktionäre Inhalte", die CDU-Thesen im Bildungsbereich ähnelten, enthalte, werde man ..knallhart" 232 agieren. Derartig massive öffentlich Kritik konnte der Minister nicht völlig unbeachtet lassen. In einer Presseerklärung wandte er sich gegen „die voreilige und unberechtigte Kritik" 2 3 3 und wies daraufhin, daß den Jungsozialisten ein bereits überholter Entwurf durch die 'gezielte Indiskretion' zugespielt worden sei. Die Entwürfe, die dem Kabinett zugeleitet werden sollten, befänden sich noch im Druck. Nach der Beratung durch die Landesregierung könnten die Entwürfe zur öffentlichen Diskussion gestellt werden. Dann sei er bereit, unvoreingenommen zu diskutieren und Verbesserungsvorschläge aufgeschlossen zu erörtern. 229 FAZ vom 12.10.1977, 'Die Jusos drohen mit heißem Winter. Front gegen den Hochschulgesetzentwurf Krollmanns'. 230
FAZ vom 17.4.1978 unter der Überschrift 'In der Bildungspolitik gehen die Jusos eigene
Wege'. 231
FR vom 12.10.1977, 'Gesetz mit reaktionärem Charakter. Jusos wollen mit Kampfmaßnahmen gegen Entwurf des Kultusministers vorgehen'; vgl. auch den Bericht von Füssel, U., ebenfalls in der FR vom 12.10.1977, 'Studentenschaften sollen entmachtet werden. Vorzeitig bekannt gewordener Gesetzentwurf sieht angeblich restriktives Ordnungsrecht' vor. 232 233
Ebd.
FAZ vom 13.10.1977 unter der Überschrift: 'Krollmann: Voreilig und unberechtigt. Der hessische Kultusminister zur Kritik am Hochschulgesetzentwurf.
2. Der Einfluß der Parteien auf die Willensbildung
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Selbstverständlich sei allerdings, daß die Forderungen des HRG auch vom Lande Hessen ohne Einschränkung erfüllt werden müßten. Mit einem Anflug von Mitleid kommentierte der hochschulpolitische Experte der FAZ die Situation des Kultusministers:
„Der hessische Kultusminister Krollmann ist bei der Anpassung des hessischen Hochschulgesetzes zwischen die Fronten geraten. Aus einer Richtung wird er angegriffen von der CDU, die mit einem eigenen Entwurf zu einem neuen Universitätsgesetz einen Schlager für die hessische Landtagswahl im nächsten Jahr präsentiert. Aus der anderen Richtung kritisieren ihn die Jungsozialisten. Krollmann wehrt sich gegen die CDU mit dem Vorwurf, deren Entwurf 'atme den Geist der Illiberalität', um sich von den Jusos sagen lassen zu müssen, sein eigener Entwurf sei reaktionär. Was wird in Hessen eigentlich gespielt? Nun ist den hessischen Jungsozialisten ein Referentenentwurf des hessischen Kultusministers zugespielt worden, aus dem hervorgeht, daß die Regelungen zur verfaßten Studentenschaft, zum Ordnungsrecht und zu den Regelstudienzeiten strenger gefaßt werden sollen, als es das Rahmengesetz des Bundes unbedingt gebietet. In Hessen ist die Koalition aus SPD und FDP indessen nicht darauf angewiesen, mit der CDU-Opposition Kompromisse zu schließen. Also muß es ihrer eigenen Überzeugung entspringen, daß Studenten, die Gewalt anwenden oder Gewalttätigkeiten provozieren, von den Universitäten zu verweisen sind und daß Studentenschaften studentische Gelder nicht zweckentfremden sollen. Also muß auch der Kultusminister der SPD selbst fur Regelstudienzeiten eintreten. Für die Jungsozialisten bedeutet das, daß sie dies alles nicht mehr als reaktionär bezeichnen können - oder daß sie die SPD selbst als reaktionär brandmarken müssen. Sie entscheiden sich dafür, gegen die eigene Partei Front zu machen. An den hessischen Hochschulen haben sie bereits damit begonnen, wenigstens die Landesregierung als reaktionär anzuschwärzen und Kampfmaßnahmen gegen den Referentenentwurf vorzubereiten. Sie setzen auf Vorlesungsboykotts im Wintersemester, das jetzt beginnt. Kultusminister Krollmann begegnete der Kritik der Jungsozialisten mit dem Hinweis, daß der ihnen zugespielte Entwurf alt sei; inzwischen liege eine überarbeitete Fassung vor. Wenn die hessische Landesregierung beim Konzept der öffentlich-rechtlich verfaßten Studentenschaft bleiben will, in die jeder Student mit seiner Einschreibung an der Hochschule automatisch eintritt, muß sie indessen dafür sorgen, daß die Studentenschaft mit den Zwangsbeiträgen der Studenten nur studentische Belange besorgt; andernfalls würde die CDU im Landtagswahlkampf die Landesregierung für die Zweckentfremdung der Gelder verantwortlich machen. Sie muß auch ihre Entschlossenheit zeigen, Gewalttätigkeiten an den Hochschulen verhindern
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IV. Parteien und Gesetzgebung zu wollen. Tut sie das aber in der Form des Referentenentwurfs, stößt sie ihren eigenen Nachwuchs vor den Kopf, verärgert sie die Gewerkschaften, ja provoziert sie eine Zerreißprobe der Partei. Nicht nur der Kultusminister, die ganze hessische Landesregierung steckt in einem Dilemma." 2 3 4
Der Unmut der linken Parteibasis artikulierte sich nur selten. Eine der wenigen nennenswerten Veranstaltungen war eine Diskussion an der Frankfurter Universität, die auf Einladung der Arbeitsgemeinschaft fur Sozialdemokraten im Bildungsbereich und Jungsozialisten zustanden gekommen war. Welch nostalgische Züge dieses Treffen besaß, zeigte die Äußerung des Frankfurter Professors Hennig, der davon sprach, daß es der Studentenbewegung darum gegangen sei 'kritische Potenz des Studiums' in die Gesellschaft zu tragen. Dieses Stichwort tauche indessen bei der Hochschulgesetzgebung nicht mehr auf. Für Hessen sei es symptomatisch, daß Kultusminister Krollmann auch Vertreter der Arbeitgeber und der Berufspraxis in die Kommission zur Beratung der Rahmenrichtlinien für die Schulen berufen habe. Das werfe ein Licht auf das, was auch von der Studienreform zu erwarten sei: die Ausbildung solle auf die berufsverwertbare Qualifikation verengt werden. 235 Der Sprecher der Landesastenkonferenz, der Jungsozialist Funck, Schloß sich dieser Kritik an und erklärte, daß der Widerstand an den Hochschulen sich auf die Forderung konzentrieren müsse, eine wissenschaftlich-kritische Ausbildung durchzusetzen, die es erlaube, „die Herrschaftsverhältnisse zu hinterfragen" und „mitverändernd" in die Gesellschaft einzugreifen. 236 Dagegen hielt sich der ehemalige Kultusminister v. Friedeburg mit Kritik an seinem Nachfolger zurück und konzentrierte diese auf den CDU-Entwurf für ein hessisches Hochschulgesetz.237
234
FAZ vom 13.10.1977.
235
FAZ vom 24.11.1977, 'Die Gruppenuniversität als Erzübel? Auseinandersetzung um ein neues hessisches Hochschulgesetz'. 236 237
Ebd.
Ebd. Allerdings meinte L. v. Friedeburg auch, daß der wichtigste Punkt, um den es gehen müsse, die Studienreform, übersehen werde.
2. Der Einfluß der Parteien auf die Willensbildung
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Festzuhalten bleibt, daß solche Veranstaltungen in der Regel den Prozeß der Entscheidungsfindung in irgendeiner Form beeinflussen. Wenn die Entscheidenden überhaupt von solchen Treffen durch die Presse erfahren, messen sie ihnen meistens keine Bedeutung bei.
c) Kontakte zu hochschulpolitisch interessierten 'einfachen' Mitgliedern Eine andere Ebene des Parteieinflusses, bei der sich aber ebenfalls die Grenze zum Interessenteneinfluß schwer ziehen läßt, waren die Gespräche, die der Minister oder seine Mitarbeiter mit Parteimitgliedern führten, die an der Hochschule tätig und dem Minister persönlich bekannt waren, und meinten diese Bekanntschaft, 'dieser Draht nach oben', dürfe nicht völlig ungenutzt bleiben. Je nach Intensität der 'Bekanntschaft' und auch nach wissenschaftlichem Rang des Betreffenden wurden die Gesprächswünsche erfüllt. Für jedes Parteimitglied, aber auch jeden anderen Bürger, bestand sozusagen als letztes Mittel, dem Minister unmittelbar seine Gedanken vortragen zu können, die Möglichkeit, in dessen Wahlkreissprechstunde zu kommen. Es wäre falsch, wenn man den Parteimitgliedern die Ausnutzung all dieser Möglichkeiten 'Einfluß zu nehmen' als egoistisch vorwerfen wollte. Oft waren diese sehr stark davon überzeugt, daß es dem Wohle der Partei außerordentlich abträglich sei, wenn diese oder jene Regelung Wirklichkeit werde. Die einen klagten, bei einer Änderung der Paritäten zugunsten der Hochschullehrer sei der Mittelbau und die Studenten für die Partei auf ewig und immer verloren. Die anderen ermutigten den Minister, in dieser oder jenen Frage hart zu bleiben und 'linkem Druck' nicht nachzugeben, da sonst die Hochschulmitte sich endgültig von der Partei abwende. In den seltensten Fällen hatten solche Interventionen aus der Parteibasis irgendwelche konkreten Änderungen für die Entwürfe zur Folge. Lediglich wenn es um ein ganz spezifisches Problem ging, von dem der Minister aufgrund der Intervention den Eindruck hatte, es sei unbefriedigend gelöst, konnte es geschehen, daß diese Frage in den gemeinsamen Sitzungen mit der Projektgruppe aufgegriffen wurde. Inwieweit sich allerdings solche Einzelgespräche zur Meinungsbildung während der Sitzungen mit der Projektgruppe niederschlugen, ist nicht genau meßbar. Grundsätzlich ist der Wert gering einzuschätzen, wenn die Gesprächspartner nicht gerade anerkannte Experten waren. Solche Experten waren mit Sicherheit die der Partei angehörenden Hochschulpräsidenten. Jedoch sind diese Kontakte kaum als 'Einfluß der Parteibasis' einzuordnen, sondern fallen eher unter 'Einflußnahme der Betroffenen und
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IV. Parteien und Gesetzgebung
Interessenten'. Eine scharfe Trennungslinie zu ziehen ist jedoch nicht möglich. Dem Minister lag daran, daß die Hochschulen generell seinen Entwürfen nicht allzu stark den Kampf ansagten. Insbesondere wollte er vermeiden, daß sogar die Hochschulpräsidenten, die seiner eigenen Partei angehörten und deren Wort auch in der Partei selbst - zumindest bei den innerparteilichen Gegnern des Ministers - große Resonanz bei einer totalen Ablehnung gefunden hätte, die Hochschulgesetzentwürfe ablehnten. Insofern galten die Gespräche nicht nur der Steigerung der Sachkenntnis, sondern auch der mittelbaren Absicherung der Position des Ministers in der Partei. Als direkter Einfluß der Parteibasis kann die Teilnahme der Hochschulpräsidenten jedoch deshalb nicht gewertet werden, weil sie keinerlei Legitimation für diese Rolle von der Partei her bekommen hatten, sondern sich ihre Einflußstellung in erster Linie allerdings in untrennbarer Verbindung mit der Parteimitgliedschaft aus ihrem Amt als Hochschulpräsident ergab. d) Die negative Bilanz für die Basis Zusammenfassend läßt sich über den Einfluß der Parteibasis der größten Mehrheitsparteien innerhalb der Koalition feststellen, daß dieser während des gesamten Gesetzgebungsverfahrens, also sowohl während der Entwurfsphase innerhalb der Ministerialbürokratie als auch in der 'Landtagsphase' kaum vorhanden war. 238 Die Gründe hierfür lagen in der mangelnden politischen Übereinstimmung der 'Parteibasisexperten' in den Fachausschüssen der Partei und dem Minister über die Grundtendenz der Gesetzgebung, in der schwachen qualitativen Besetzung der Ausschüsse, in der zu späten Beschäftigung mit diesem Thema und nicht zuletzt in der starken politischen Stellung des Ressortchefs innerhalb der Partei, die es ihm erlaubte, seine Überzeugungen ohne allzu viel Rücksicht auf die 'Parteibasisexperten' zu verwirklichen. Angesichts dieser Sachlage muß die Einschätzung von W. Heyn und G. Köhler bezüglich der Einflußnahme der Parteibasis auf die Hochschulgesetzgebung überraschen. In einer Pressekonferenz des kulturpolitischen Ausschusses der SPD-Hessen-Süd erklärten sie, daß die heftigen Angriffe von Jusos, JusoHochschulgruppen und SPD gegen den von Kultusminister Krollmann vorgelegten Entwurf ihre Wirkung getan hätten. Wenn in den nächsten Tagen die in der letzten Woche verabschiedete Kabinettsvorlage veröffentlicht werde, könne man erkennen, daß an den Kernpunkten wesentliche Änderungen vorgenommen
238
Positiv zu dem zurückgedrängten Einfluß der Parteibasis äußert sich Varain, H. J., Das Parlament im Parteienstaat, in: PVS 1964, S. 339ff. „Die Parteien sind wieder zurückgetreten in die Rolle der dienenden Institutionen zugunsten der ihnen verbundenen parlamentarischen Kräfte" (S. 343).
2. Der Einfluß der Parteien auf die Willensbildung
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worden seien. Der ursprüngliche Entwurf habe die SPD erschreckt, weil er der Position der Partei „ins Gesicht geschlagen" habe; jetzt sei aber in der Kabinettsvorlage „die Richtung Bremen" erkennbar, wenn auch der Weg dorthin noch nicht ganz zurückgelegt sei. 239 In einem Bericht der FAZ über diese Pressekonferenz heißt es wörtlich: „Die Form, in der Bremen sein Hochschulgesetz an das des Bundes angepaßt habe, erscheint den hochschulpolitischen Sprechern der SPD HessenSüd als 'lupenreine sozialdemokratische Politik', die sie als Vorbild für ihr eigenes politisches Handeln in Anspruch nehmen. In den nächsten Monaten, in denen die Kabinettsvorlage bereits diskutiert werden soll, hoffen sie, daß sich durch 'politische Initiativen noch weitere Veränderungen in dieser Richtung durchsetzen lassen.' Wesentliche Veränderungen seien aber schon festzustellen. So würden in der Kabinettsvorlage die Vorschriften des Hochschulrahmengesetzes 'praktisch unterlaufen', sagte Heyn. Denn bis zum Inkrafttreten neuer Studienund Prüfungsordnungen gelte die durchschnittliche Studiendauer der letzten drei Jahre als Regelstudienzeit. Dazu käme noch die Möglichkeit der Verlängerung, so daß in den meisten Fällen der Student auch weiter 13-14 Semester studieren könne. Als einen Erfolg werteten es die hochschulpolitischen Sprecher der SPD Hessen-Süd auch, daß die Kabinettsvorlage 'allen Versuchungen', die verfaßte Studentenschaft aufzuheben, widerstanden habe. Entsprechend der Absicht des Kultusministers 'einem Mißbrauch studentischer Gelder nicht waffenlos gegenüberzustehen' sieht die Kabinettsvorlage jetzt einen Vermögensbeirat vor, der dafür sorgen soll, daß die Gelder nicht zweckentfremdet ausgegeben werden. Diesen Vermögensbeirat hält der Kulturausschuß der SPD Hessen-Süd für einen Versuch, Zensur über die Studenten ausüben zu wollen und lehnt ihn deshalb ab. Grundsätzlich ist die SPD Hessen-Süd auch gegen jedes Ordnungsrecht an den Universitäten. Die jetzige Fassung des Hochschulgesetzes komme dieser Forderung schon entgegen, hieß es auf der Pressekonferenz, weil kein Ordnungsausschuß wie ursprünglich von Krollmann vorgesehen, Ordnungsstrafen verhängen kann, wenn Studenten Vorlesungen und Seminare stören, sondern ein Schlichtungsausschuß aufgefordert sei, erst einmal alle Möglichkeiten der Schlichtung auszuschöpfen, bevor er dem Präsidenten der Universität Vorschläge unterbreite. Einen weiteren Erfolg ihrer Linie sehen die schulpolitischen Sprecher der SPD Hessen-Süd in der Abschaffung des Quorums, die den Studenten größere Mitbestimmungsmöglichkei-
239
FAZ vom 2.3.1978
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ten eröffne. Scharf griffen sowohl Heyn wie Köhler die CDU an, die mit ihren Vorschlägen eine Universität wiederherstellen wollten, in der die Professoren, wie vor der Studentenbewergung, herrschen sollten."240 Aufgrund dieser Pressekonferenz kann tatsächlich der Eindruck entstehen, daß die letztendlich entscheidende Macht im Hochschulentscheidungsprozeß hier nicht bei dem Kultusminister, Kabinett oder Landtag lag, sondern daß die Partei und in ihr besonders die Jusos und die Juso-Hochschulgruppen im Verein mit dem kulturpolitischen Ausschuß der SPD Hessen-Süd das entscheidende 'Sagen' hatten. Der unbefangene Beobachter und Zuhörer mußte davon überzeugt sein, daß diese Gruppierungen den Minister zwar erst einmal hatten gewähren lassen, um ihm eine Chance zu geben 'vernünftige' Entwürfe vorzulegen. Nachdem dieser aber diese Gelegenheit nicht wahrgenommen habe, hätte eben die Partei ihm den richtigen Weg weisen müssen. Daß auch die Medien diesem Anschein unterlagen, zeigt die Überschrift des Berichts der FAZ 'Kritik verursacht Änderung am Hochschulgesetz. SPD-Sprecher erläutern Kabinettsvorlage'. Sicherlich hat es nach Anhörung der Verbände und Betroffenen die an anderer Stelle aufgeführten Änderungen an den Referentenentwürfen gegeben, ehe sie dann dem Kabinett zugeleitet wurden. Jedoch war es im seltenstenFall die stärkste Regierungspartei oder gar Jusos und kulturpolitischer Ausschuß der SPD Hessen-Süd, die nennenswerten Einfluß ausübten.241 Wenn es Änderungen gab, dann waren diese in ihrer überwiegenden Zahl darauf zurückzufuhren, daß sich der Minister und seine Mitarbeiter von besseren Argumenten der Verbände und Betroffenen hatten überzeugen lassen, nicht aber etwa weil die Kritik der Partei hier auch nur indirekten Zwang ausgeübt hätte.
240 241
Ebd.
Zur Bedeutungslosigkeit der bildungspolitischen Parteigremien vgl. auch die Feststellung des Hochschulexperten J. Roitsch, Hessens Hochschulen werden an die Leine gelegt, in der FR vom 11.4.1978: „In unscheinbares Grau gehüllt kamen die ersten Exemplare (Referentenentwürfe) im November auf den Markt. Kein Präsident, kein Rektor, kein Gewerkschaftsfunktionär, geschweige denn die bildungspolitischen Parteigremien der Regierungskoalition hatten die Entwürfe zuvor gesehen oder waren um eine Stellungnahme gebeten worden."
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Diese große, wenn nicht gar völlige Unabhängigkeit von der Parteibasis in Ausübung der Regierungsgeschäfte ist keineswegs ein exzeptioneller Tatbestand, der nur während der Hochschulgesetzgebung festzustellen war. 2 4 2 Im Gegenteil, nach dem herrschenden Verfassungsverständnis sind die Minister und der Ministerpräsident - auf Bundesebene der Bundeskanzler - mit gutem Grund nur dem Parlament verantwortlich und nicht etwa den Parteitagen der Parteien, denen sie angehören. Wer dies anzweifelt oder gar für änderungsbedürftig ansieht, unterliegt einem groben Mißverständnis parlamentarischer Demokratie. Selbstverständlich schließt dies nicht aus, daß die Beschlüsse der Parteibasis in den Willensbildungsprozeß auch der institutionell-staatlichen Ebene auf mannigfache Weise mit einfließen, jedoch bleibt die alleinige freie und dann auch zu verantwortende Entscheidung bei den verfassungsmäßig dazu legitimierten Organen. Inwieweit die Willensbildung der Parteibasis, die ad hoc zu bestimmten Problemen stattfindet - langfristig angelegte Programme sind hier nicht gemeint - in den Bereich der Exekutive, die von der betreffenden Partei 'beherrscht' wird, vordringt, hängt wie im Zusammenhang mit dem konkreten Fall der hessischen Hochschulgesetzgebung deutlich gemacht von verschiedenen Faktoren ab, die entweder den Einfluß der Partei begünstigen oder aber auf Null zurückdrängen. Diese Faktoren, Sachverstand, politisches Gewicht der Beteiligten, Durchsetzungsvermögen etc. spielen auch eine Rolle in der Einflußsphäre der Parteibasis auf die Fraktion. Dabei ist grundsätzlich davon auszugehen, daß die Fraktion sehr viel offener für den Einfluß der Parteibasis ist als etwa der Ressortchef. Jedoch ist für die Parteibasis diese durch das stark ausgeprägte Selbstbewußtsein243 der Fraktionen ohnehin nur enge 'Einbruchstelle' Fraktion oder
242 A. Mg. Schäfer, F., Der Bundestag, 4. Aufl., Opladen 1982, der von weitgehendem Einfluß der Parteien bis zur Einbringung der Gesetzentwürfe auf deren Inhalt ausgeht und ihnen die führende Rolle in dem Willensbildungsprozeß zuschreibt: „Bis zur Einbringung eines Gesetzentwurfs im Bundestag werden die politischen Erörterungen über das zu lösende Problem im außerparlamentarischen Raum geführt. Es sind insbesondere die politischen Vorstellungen der Parteien, die sie beherrschen. Auf Parteitagen werden die grundsätzlichen Richtlinien erarbeitet und gutgeheißen. Für die Parlamentsmehrheit und die von ihr getragene Regierung sind diese Richtlinien Ausgangspunkt für die Konkretisierung ihrer Vorstellungen, insbesondere für die politische Zielsetzung der von der Regierung vorzulegenden Gesetzentwürfe." (S. 18) 243 Vgl. auch Leibholz, G., Der Parteienstaat des Bonner Grundgesetzes, in: Recht, Staat, Wirtschaft. Auswahl aus den Vorlesungen und Vorträgen d. Verwaltungslehrgangs Nordrhein-Westfalen, hrsg. von H. Wandersieb, Bd. 3, Stuttgart / Köln / Düsseldorf 1951, S. 99ff. (S. 106), der noch die Fraktion als „Stätte, an der sich gebundene Parteibeauftragte treffen und außerhalb des Parlaments getroffene Entscheidungen registriert werden" kennzeichnete. Differenzierter Lohmar, U., der die These von Leibholz, G., zumindest für die „konkrete(n)" Entscheidung vieler politischer Sachprobleme, die sich die Abgeordneten oft auch nicht nehmen lassen wollen, mit Hinweis auch auf rechtsvergleichende Beispiele (FN 209) nicht gelten lassen will (S. 74).
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einzelne Abgeordnete aus einem anderen Grund in den seltensten Fällen von Wert. 2 4 4 Es nützt nämlich nicht viel, daß der eine oder andere Abgeordnete sich vor diesem oder jenen Parteitag verpflichtet hat, einen bestimmten Beschluß, mit dem ζ. B. auf eine Änderung des Entwurfs zur Hochschulgesetzgebung hingewirkt werden soll, auch im Parlament gegenüber der Exekutive zu vertreten. Wenn der Ressortchef nichts von dem Beschluß hält, wird er keine Wirkung zeigen. In der Regel wird es erst gar nicht zu einem formellen Abänderungsantrag des betreffenden Abgeordneten in der Fraktion kommen. Es wäre für die Parteibasis schon ein 'Erfolg', wenn der Abgeordnete die Wünsche der Basis in dem betreffenden Arbeitskreis der Fraktion vorbringt. Dazu muß er aber dessen Mitglied sein. Da dies nur selten der Fall ist, wird die Anregung der Basis vielleicht mit einem Kollegen besprochen, der in dem Arbeitskreis mitarbeitet und dieser verspricht, die Sache zur Sprache zu bringen. Wenn sich der Abgeordnete sehr für den Beschluß der Parteigliederung engagieren will, weil diese vielleicht in Kürze über seine Wiedernominierung als Kandidat zu entscheiden hat, dann sucht er sogar ein Gespräch mit dem Ressortchef. Die Erfolgsaussichten sind allerdings auch hier von zahlreichen Komponenten abhängig und in der Regel bleiben einmal vorliegende Entwürfe so wie sie sind. Bei der Beurteilung des Einflusses der Parteibasis durch ad hoc-Beschlüsse auf einen laufenden Gesetzgebungsprozeß ist allerdings noch zwischen dem Gewicht der beschließenden Gliederung zu differenzieren. So besteht schon ein Unterschied, ob der Ortsverein X, der Unterbezirk Y oder der Landesparteitag oder gar der Bundesparteitag beschließt. Der Unterschied besteht nicht darin, daß die Endentscheidung der institutionell zur Entscheidung legitimierten Verantwortungsträger diesen aus der Hand genommen wird, wenn ζ. B. ein gewichtiges Parteigremium beschließt, sondern er ist in der Qualität der Abwägung der betreffenden Beschlüsse zu sehen. Der Beschluß eines Ortsvereins, daß jegliches Ordnungsrecht an hessischen Hochschulen fehl am Platze sei und sich kein verantwortlicher sozialdemokratischer Minister auf die Einfuhrung des Ordnungsrechtes einlassen solle, wird vom betreffenden Ressortchef kaum zur Kenntnis genommen. Beschließt ein Landesparteitag etwas ähnliches, ist der Minister immerhin gezwungen, sich vor der Fraktion oder dem Arbeitskreis mit einem solchen Anliegen unter Umständen argumentativ auseinanderzusetzen. Allerdings ist es unwahrscheinlich, daß ein höheres Gremium der Partei gegen den Willen des Ressortchefs entsprechende Beschlüsse faßt.
244 Grundlegend für das Verhältnis Partei-Fraktion in der SPD vgl. Nowka, H., Das Machtverhältnis zwischen Partei und Fraktion in der SPD. Eine historisch-empirische Untersuchung, Köln 1973.
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e) Das Verhältnis der FDP-Basis zu ihren Entscheidungsträgern aa) Der Einfluß der FDP-Basis auf die FDP-Fraktion Wenn man bei dem größeren Koalitionspartner von keinem nennenswerten Einfluß auf 'ihre' Parlaments- und Exekutivrepräsentanten sprechen kann, ist nunmehr zu prüfen, ob die daraus allgemein gezogenen Schlüsse auch für eine kleinere Partei innerhalb einer Koalition gelten können. 245 Dabei ist zwischen Einflußfaktoren, die generell bei allen Parteien unabhängig von ihrer Größe gegeben sind und denen, die spezifisch auf die geringe Mitgliederzahl und Fraktionsstärke zurückzuführen sind, zu differenzieren. Erstere sind Faktoren wie Sachverstandskapazität der Parteibasis, Ebene des beschlußfassenden Organs etc. Letztere könnten sich durch die geringe personelle Kapazität der Fraktion einer kleineren Partei ergeben, die dadurch anfälliger für die Einflußnahme der Basis wird, ja unter Umständen sogar auf den in der Basis zu mobilisierenden Sachverstand dringend angewiesen ist. Dies um so mehr, wenn ihr nicht im konkreten Entscheidungsflndungsprozeß eine Ministerialbürokratie, an deren Spitze ein Ressortchef aus ihrer Mitte steht, mit ihrem Potential Entscheidungshilfe leisten kann. Der entsprechende Fall war für die kleine FDP-Fraktion gegeben, die jedoch im gewissen Umfange einen direkten 'Draht' zur Ministerialbürokratie durch einflußreiche Beamte, die der Partei angehörten, besaß. Der Vorteil dieser 'Brückenköpfe' in einem von der größeren Koalitionspartei geführten Haus lag deshalb nicht so sehr darin, daß hier die Vorstellungen der FDP direkt in den Entwürfen durch die betreffenden Beamten umgesetzt wurden, sondern eher darin, daß sie auf einen gewissen nicht durch den Mehrheitskoalitionspartner gesteuerten und überwachten Informationsfundus zurückgreifen konnte. Dieser Informationsfluß ging sehr viel mehr als bei dem Koalitionspartner direkt in die Partei ein. Das liegt mit großer Wahrscheinlichkeit daran, daß auch von der Fraktion her ein Interesse daran bestand, die Parteibasis mit Informationen zu versorgen, um ihr Gelegenheit zu geben, ohne das Risiko einer Koalitionsverstimmung die Partei als Ganzes zu profilieren. Dagegen bestand auf sozialdemokratischer Seite keinerlei Notwendigkeit, daß sich die Partei noch neben dem von ihr gestellten Ressortchef profilieren mußte, da die Öffentlichkeit letzteren ohnehin mit der Partei identifizierte.
245 Vgl. auch Ullrich, H., Die Rolle von BT-Fraktion und außerparlamentarischen Gremien in der politischen Willensbildung der FDP, PVS 1967, S. 103ff.
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Der kulturpolitische Ausschuß der Landes-FDP wurde aufgrund der Informationen, die allerdings auch zum großen Teil von dem Fachabgeordneten der Partei gegeben wurden, zum sehr viel potenteren kritischen Begleiter der Gesetzgebung als etwa die Ausschüsse der SPD Hessen-Süd und Nord. Dabei darf nicht übersehen werden, daß sich der FDP-Ausschuß auch eine sehr viel offenere und kritischere Öffentlichkeitsarbeit gegenüber dem Ressort leisten konnte, da es eben nicht von einem Mitglied seiner Partei geführt wurde. Wesentlich war auch, daß der Ausschuß es verstand, durch einzelne besonders engagierte Mitglieder seine Vorstellungen bis in die höchste Ebene der Partei im Landesvorstand zu bringen. Bei der Betrachtung des Einflusses der SPD-Basis wurde schon konstatiert, daß es von großer Bedeutung ist, auf welcher Ebene der Parteibasis - verstanden als Gesamtpartei einschließlich des Landesvorstands - die Beschlüsse mit dem Ziel, die Fraktion der Partei im Parlament oder die von ihr geführte Exekutive zu beeinflussen, gefaßt werden. Bei der SPD wurden die Vorschläge der kulturpolitischen Ausschüsse nicht vom Landesvorstand behandelt. Bei der FDP hatte die hohe Ebene, auf der die Wünsche der Basisexperten verhandelt wurden, die Wirkung, daß die Fraktion und die der FDP angehörenden Kabinettsmitglieder nicht vollkommen über sie hinwegsehen konnten, zumal in einigen Fällen Personalunion zwischen der Mitgliedschaft im Landesvorstand und der Mitgliedschaft in der Fraktion und dem Kabinett bestand. Wenn man weiß, wie leicht in einem relativ kleinem Gremium wie dem Landesvorstand einer Partei ein 'Experte' in einem Spezialgebiet wie hier der Hochschulgesetzgebung seine Auffassung durchsetzen kann, weil die Mehrheit eines solchen Gremiums entweder ohnehin desinteressiert ist oder teilweise dem Experten Vertrauen schenkt bzw. nicht deutlich werden lassen will, daß sie eben keinen Sachverstand in dem Bereich besitzt, wird die Bedeutung der 'Einbruchsstelle' für den Einfluß der Basis mittels ihres höchsten Gremiums auf Landesebene auf die Willensbildung der in den institutionellen Repräsentativorganen staatlicher Willensbildung verantwortlichen Parteimitglieder deutlich. bb) Der liberale Hochschulverband als treibende Kraft Treibende Kraft und Sachverständiger der Partei unterhalb der Fraktionsebene war der Vorsitzende der LHV-Hochschulgruppen, der 24 Jahre alte Jurastudent Harald Döring, dessen erklärtes Ziel war, daß der Liberale Hochschulverband (LHV) ein „Zurückdrehen der Hochschulreform" 246 verhindern mußte. Als 'Kernstück' der hessischen Hochschulreform unter dem Vorgänger Kultusmi-
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FAZ vom 21.7.1977
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nister Krollmanns bezeichnete er die Erhaltung und den Ausbau von Gesamthochschulen, die Fortfuhrung der Studienreform, ohne das „Zwangskorsett von Regelstudienzeiten" und den Verzicht auf „autoritäre Ordnungsmaßnahmen" zugunsten einer Beteiligung aller an Entscheidungen im Hochschulbereich. 247 In dieser ersten öffentlichen Stellungnahme zu den Gesetzgebungsarbeiten äußerte der LVH-Vorsitzende auch: „Wenn es Ordnungsrecht und Regelstudienzeiten gibt, dann sind wir die ersten, die auf die Straße gehen." Er erinnerte die FDP-Fraktion auf Bundesebene, besonders die Bundestagsfraktion, an ihr im Wahlkampf gegebenes Versprechen, das HRG in einigen umstrittenen Punkten zu novellieren. 248 Solange diese Novellierung noch ausstehe, „darf der hessische Gesetzgeber keine vollendeten Tatsachen schaffen" 249 . Als erkennbar wurde, daß ein grundsätzlicher Verzicht auf die Anpassung oder auch nur ein Aufschub in der SPD/FDP Koalition überhaupt nicht zur Diskussion gestellt werden konnte, gab der LHV-Vorsitzende seinen prinzipiellen Widerstand gegen die Anpassung auf und verlegte sich auf massive Einflußnahmeversuche im Rahmen des anlaufenden Gesetzgebungsverfahrens. Erstes Ziel hier war die Erhaltung der vier selbständigen Hochschulgesetze Hessens, die „nur insoweit geändert werden sollten, als dies durch das bundeseinheitliche Hochschulrahmenrecht zwingend geboten ist" 2 5 0 . Mit dieser Forderung befand sich der LHV in Übereinstimmung mit der Konferenz hessischer Universitätspräsidenten und in Gegnerschaft zur CDU-Opposition, die die Anpassung als Gelegenheit zur ' Totalrevision ' der hessischen Hochschulgesetze verstanden wissen wollte. Unbestreitbar spielte die Einflußnahme des LHV in dieser Frage eine wesentliche Rolle für die Haltung der FDP. Als weiteren weniger umstrittenen Schwerpunkt seiner Einflußnahmepolitik setzte der L V H die Forderung „die GHK als integrierte Gesamthochschule gesetzlich abzusichern" 251. Hierzu brachte der LHV dann auch einen Antrag auf dem Landesparteitag der FDP am 24. und 25. September in Michelstadt ein. Ein weiteres Zeichen für das im 247
Ebd.
248
Insbesondere die bildungspolitische Sprecherin der FDP-Bundestagsfraktion H. Schuchardt hatte sich wiederholt für eine punktuelle Verbesserung' des HRG eingesetzt. Dabei wollte sie die öffentlich-rechtlich verfaßten Studentenschaften bundesgesetzlich festschreiben, das Ordnungsrecht auf genau definierte, schwerwiegende 'Anlaßtaten' beschränkt sehen, den Ablauf von Studienreform und Regelstudienzeit eindeutig regeln und die Studienreform-Kommissionen mit einer größeren Zahl von Hochschulvertretern besetzen. Vgl. Bericht der FAZ vom 30.12.1977. 249
FAZ vom 21.7.1977
250
FAZ vom 24.9.1977
251
Ebd. Der LHV meinte hier die gesetzestechnische Gleichstellung der GHK mit den Universitäten. Bis dahin waren die rechtlichen Grundlagen der GHK in einem besonderen Gesetz geregelt. 12 Mengel
164
IV. Parteien und Gesetzgebung
Vergleich mit sozialdemokratischen Hochschulpolitikern der Basis sehr viel geschicktere Vorgehen bei der Verfolgung der als richtig empfundenen Ziele. Auch einen „letzten Appell" 2 5 2 an den Kultusminister einen Tag vor Beginn der Kabinettsberatungen versäumte der LHV-Vorsitzende nicht. Darin forderte er den Minister auf, dem Kabinett eine überarbeitete Vorlage zu präsentieren. Als ob er nicht gewußt hätte, daß dies ohnehin der Fall sein würde. Auch die nochmals erhobene Forderung, die Abschaffung der studentischen Vertretungen auf FB-Ebene rückgängig zu machen, war offenbar nur dazu gedacht, den Einfluß des LHV in der Öffentlichkeit zu unterstreichen. Der Minister hatte schon sehr früh im Verlaufe des Anhörungsverfahrens der Betroffenen und Verbände öffentlich deutlich gemacht, daß er in diesem Punkte seine Referentenvorlage korrigieren werde und die Fachbereichsvertretungen für die Studenten erhalten bleiben sollten. Im übrigen enthielt dieser 'Appell' die im gesamten Verlauf der Diskussion vom LHV oft wiederholten Forderungen, daß die studentische Selbstverwaltung unter voller Wahrung der Finanzautonomie erhalten bleiben müsse, und daß das „undemokratische Quorum" fallen müsse, „das bei Wahlen den Studenten und den nichtwissenschaftlichen Mitarbeitern die Ausschöpfung ihrer Mandate in den verschiedenen Gremien erschwere" 253. Schließlich wandte man sich erneut gegen eine weitere Einschränkung der Autonomie der Hochschulen, „wie dies in Form einer zusätzlichen Genehmigungspflicht für Studienordnungen" 254 vorgesehen sei. Stattdessen sollten die fachkundigen Vertreter der Hochschulen gegenüber der staatlichen Bürokratie die Mehrheit haben. f) Parteiprogramme und Gesetzgebung Nachdem wir feststellen konnten, daß besonders bei der größeren der Regierungsparteien der Einfluß der Parteibasis nicht nennenswert war, ist in diesem Zusammenhang von Interesse, inwieweit die von den Parteien beschlossenen langfristigen über den Tag und aktuellen Anlaß der Hochschulgesetzgebung hinaus beschlossenen programmatischen Aussagen in die gesetzgeberische Gestaltung eingeflossen sind. 255 Hierfür gibt es zwei methodische Wege. Einmal könnte man die Parteiprogramme der SPD und der FDP in den die Hochschulund weitergehend auch allgemein bildungspolitischen Aussagen betreffenden Passagen mit den in den Gesetzen getroffenen Regelungen vergleichen. Dieser 252
FAZ vom 21.2.1978 unter der Überschrift 'Ein letzter Appell an den Kultusminister'.
253
Ebd.
254
Ebd.
255
Vgl. grundsätzlich Flohr, H., Parteiprogramme in der Demokratie, Göttingen 1968.
2. Der Einfluß der Parteien auf die Willensbildung
165
Vergleich des 'Soll' zum 'Ist' führte allerdings noch nicht zu einer realistischen Beantwortung der Frage, inwieweit eine Übereinstimmung von Anspruch und Wirklichkeit auf reinem Zufall beruht. Gewiß ist eine solche Übereinstimmung ein gewichtiges Indiz dafür, daß hier die Parteiprogrammatik in praktische gestaltende Politik umgesetzt worden ist, aber eben nur ein Indiz. Darüber hinaus stößt diese Methodik der Überprüfung auf die unüberwindliche Schwierigkeit, daß die langfristigen programmatischen Parteiaussagen wohlweislich in sehr allgemeiner Form abgefaßt werden, so daß ein empirischer vergleichender Rückgriff nur bedingt möglich ist. Sehr viel wirklichkeitsnäher erscheint die Methode der beobachtenden Begleitung des Entscheidungsprozesses. Die Schwierigkeiten einer solchen Beobachtung liegen auf der Hand, da in der Regel nur der unmittelbar Beteiligte, der in alle Abläufe Einblick hat, nachvollziehen kann - oder besser noch mitvollziehen kann, da gerade die unmittelbare Präsenz wichtig ist - inwieweit parteiprogrammatische Aussagen bei der Entscheidungsfindung auf den verschiedenen Ebenen Ministerialbürokratie, Minister, Fraktion, Koalitionsausschuß eine Rolle gespielt haben. Die Ergebnisse solch begleitender Beobachtung für die verschiedenen Entscheidungsebenen sollen nunmehr getrennt voneinander dargestellt werden. Wie an anderer Stelle erwähnt, spielten bei der Besetzung der Projektgruppe mit Beamten des Kultusministers parteipolitische Gesichtspunkte keine entscheidende Rolle, sondern allein die Referatszuständigkeit. Warum dennoch ein Übergewicht der Mitglieder den politischen Parteien der Koalition zugeneigt war, wurde ebenfalls schon kurz erörtert. Trotz dieser mehrheitlich vorhandenen politischen Grundeinstellung spielten parteiprogrammatische Aussagen der Koalitionsparteien in den Diskussionen keine Rolle. Es bedarf sogar bezweifelt werden, ob die Mitglieder der Gruppe je diese die Hochschulpolitik betreffenden Aussagen von SPD und FDP zur Kenntnis genommen hatten. Insofern ist von einem direkten Einfluß der Parteiprogramme auf die Arbeit der Gruppe nicht zu reden. Auch eine mittelbare Einflußnahme dieser Programme, ζ. B. über grundsätzliche auf den Programmen beruhende Ausagen des Ministerpräsidenten oder des Ressortchefs in Regierungserklärungen ist nicht feststellbar. Selbst wenn man davon ausgehen könnte, daß diese Erklärungen den Beamten zumindest aus der Presse in ihren Grundlinien bekannt gewesen sind 256 , ist
256
Wenn Lepper, M., Die Basiseinheit in der Organisation der Ministerien, in: Organisation der Ministerien des Bundes und der Länder, Schriftenreihe der Hochschule Speyer, Bd. 52, Berlin 1973, S. 125ff, die Beachtung des Regierungsprogrammes durch die Ministerialbeamten als „eine Selbstverständlichkeit" (S. 128) ansieht, so erscheint dies zu optimistisch. Auch die Relativierung dieser Feststellung „... aber wegen seiner häufig fehlenden Operationalität bleibt es doch eine mehr abstrakte Handlungsanweisung, die dem Referenten, von gelegentlichen Einzelanweisungen abge-
166
IV. Parteien und Gesetzgebung
damit noch lange nicht geklärt, inwieweit solche Aussagen auf die Arbeit der Projektgruppe Einfluß hatten. Nicht verifizierbar ist die unbewußte Langzeitwirkung programmatischer Grundaussagen der Partei auf die Arbeit ihr nahestehender Beamten. Eine Erörterung dieser Wirkung übersteigt jedoch die hier in Frage stehende Erfaßbarkeit des Einflusses der Parteiprogramme auf die Arbeit der Beamten und berührt die Problematik, inwieweit Beamte überhaupt politisch neutrale, politisch wertfreie Entscheidungen treffen können, wenn sie im Ministerialbereich tätig sind. Während die Beamtenschaft selbst in ihrer Mehrheit nach wie vor den politisch wertfreien Ministerialbeamten als Idealtypus ansieht, und auch die wissenschaftliche Literatur nur zögernd die politische Funktion der Ministerialbürokratie akzeptiert und sie nicht mehr als Bedrohung der „Gesetzesfindung und Objektivität" empfindet 257 , herrscht völlige Einigkeit darüber, daß der Ressortchef zumindest zu einem großen Teil ausschließlich politische Aufgaben wahrzunehmen hat, die unabdingbar voraussetzen, daß er seine Politik auf die Grundvorstellungen seiner Partei gründet und auf diese Partei ständig zur Durchsetzung seiner Politik angewiesen ist. Insofern wäre es in den Augen von niemanden verwerflich, wenn die Politik, die der Ressortchef betreibt, sich an den programmatischen Grundaussagen der politischen Partei, die ihn stützt, orientiert und er im Falle einer Koalitionsregierung lediglich darauf achten muß, daß ein gangbarer Kompromiß zwischen den programmatischen Aussagen der Koalitionsparteien gefunden werden kann. Im Verlaufe der hessischen Hochschulgesetzgebung fand eine solche enge Anlehnung an die Parteiprogramme der SPD und FDP nicht statt. Wie aufgezeigt, hätte eine solche enge parteipolitische Ausrichtung der Entwürfe mit bewußten parteipolitischem Gestaltungswillen innerhalb der Entwurfsphase nur noch auf der Ministerebene einschließlich seines Büros erfolgen können, da sie in der Projektgruppe so gut wie keine Rolle spielte und auch keine entsprechenden Vorgaben gemacht worden waren. Eine solche Möglichkeit mußte allerdings schon an dem heutigen Verständnis der Rolle, die der persönliche Stab des Ministers zu spielen hat, scheitern. Wie die meisten Stäbe der Minister auf Bundes- und Landesebene war der Stab des hessischen Kultusministers angesichts der dürftigen personellen und technischen Ausstattung zufrieden, wenn es
sehen, freie Hand in seinen Aktivitäten läßt" (ebd.) gründet m. E. auf der falschen Prämisse M. Leppers, daß die Referenten das politische Wollen der Ressortleitung verfolgen und sich aufgerufen fühlen, alles in ihren Kräften stehende zu tun, es in Praxis umzusetzen. 257 So aber noch Kopp, F. O., Vorwort, in: Seemann, K., Abschied von der klassischen Ministerialverwaltung, Studien zum öffentlichen Recht und zur Verwaltungslehre, Bd. 21, München 1978, S. V.
2. Der Einfluß der Parteien auf die Willensbildung
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gelang, die Tagesarbeit zu bewältigen. Gestaltende programmatische Arbeit war unter diesen Umständen nicht möglich. Allenfalls konnte man hier und dort einige Akzente setzen und die Vorstellungen der Projektgruppe revidieren. Nur geschah dies nicht etwa an Hand der programmatischen Aussagen der Regierungsparteien, sondern eher nach den eigenen Vorstellungen des Mitarbeiters im Ministerbüro, der sich besonders mit der Hochschulgesetzgebung befaßte. Die Korrekturen, die in Übereinstimmung mit dem Minister gegenüber der Projektgruppe durchgesetzt wurden, liefen deshalb mehr darauf hinaus, die Entwürfe möglichst für eine breite Mitte der Hochschulangehörigen konsensfähig zu machen, als spezifisch sozialdemokratische Vorstellungen von Hochschulpolitik in Gesetzesform zu gießen. Dies lag nicht zuletzt daran, daß gar nicht auf eine grundsätzlich definierte Politik für diesen Regelungsbereich zurückgegriffen werden konnte, und auch der Koalitionspartner diese Lücke nicht auffüllen konnte. Dieser Mangel an einer geschlossenen Konzeption wurde mehr oder minder durch eine pragmatische Politik ersetzt, die allerdings auch ihre tiefere Berechtigung fand. Die Hochschulen brauchten mit Sicherheit nicht die Umsetzung der einen oder anderen parteipolitischen Programmatik, sondern nach den stürmischen Umstrukturierungen, die auf programmatischen Ansätzen aller Parteien ohne geschlossenes weiterführendes Konzept beruhten, forderten sie zu Recht eine längere Konsolidierungsphase, da sie immerhin zur gleichen Zeit mit den erhöhten Studentenzahlen eine für alle erträgliche Lösung zur Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit suchen mußten. Insofern ist der Verzicht auf an parteipolitischen Grundsatzprogrammen orientierte Politik im konkreten Einzelfall erklärbar. Die Beobachtung anderer Entscheidungsprozesse zeigt jedoch, daß weithin der Verzicht auf die gestalterischen Möglichkeiten langfristiger Art von allen Parteien über die von ihnen geführte Exekutive symptomatisch ist, und daß die pragmatische Politik, die jeweils Probleme ad hoc zu lösen sucht, eindeutig die größte Rolle spielt. Nicht zuletzt deshalb kommt es den Bürgern für ihre Wahlentscheidung nicht mehr so sehr auf die politischen Aussagen in den Programmen, von denen sie wissen, daß ihre Umsetzung ohnehin sehr fraglich ist, sondern mehr und mehr auf das Personalangebot der verschiedenen Parteien an. Ob dieser Verzicht der Exekutive auf an parteipolitischen Grundsatzaussagen orientierte Gestaltung zu begrüßen oder zu bedauern ist, soll hier nicht weiter untersucht werden, insbesonders auch deshalb nicht, da diese Annahme bisher noch nicht in ausreichendem Maße empirisch belegt ist. So fehlt bisher jegliche Untersuchung darüber, inwieweit sich die Exekutive an Parteiprogrammatik,
IV. Parteien und Gesetzgebung
168
wenn auch nur indirekt, orientiert. 258 Die notwendigerweise knappen Ausführungen zu einem Gesetzgebungsprozeß in dieser Studie können deshalb noch nicht als Grundlage für eine ausführliche Wertung dienen, sondern nur als Hinweis auf ein noch weiter zu untersuchendes Problem. Jedoch lassen sich aufgrund der vorliegenden Untersuchungen und auch des hier beschriebenen Gesetzgebungsverlaufs die Ausführungen von F. Schäfer, der von einem weitgehenden Einfluß der Parteien bis zur Einbringung der Gesetzentwürfe auf deren Inhalt ausgeht und ihnen die fuhrende Rolle in dem Willensbildungsprozeß zuschreibt 259 , in dieser Form nicht bestätigen. Als Zwischenergebnis ist festzuhalten, daß innerhalb des Ministeriums in der Entwurfsphase keine feststellbare Orientierung an programmatischen Aussagen weder der SPD noch der FDP erfolgte. Diese Feststellung wird gestützt durch einen Vergleich der bis dahin vorliegenden Referentenentwürfe aus anderen Bundesländern, die eine andere politische Mehrheit hatten, mit den Entwürfen der hessischen Kultusbürokratie. Die Unterschiede betrafen lediglich Nuancen. Von tiefgreifenden programmatischen Unterschieden konnte kaum gesprochen werden, wenn man einmal von dem Komplex Gesamthochschule absieht. Dieses etwas angerostete Schlachtschiff sozialdemokratischer Hochschulpolitik zur Zeit der Reformeuphorie wurde in den hessischen Entwürfen im Zusammenhang mit der Gesamthochschule Kassel behandelt. Diese Passagen waren eher ein Beweis aus der Vergangenheit, daß in die Gesetzgebung durchaus und einschneidend auch parteipolitische Programmatik einfließen kann und eine Revidierung einmal auf dieser Grundlage getroffener Entscheidungen sehr viel schwerer fällt als die Zurücknahme von Entscheidungen, die weniger mit Parteipolitik zu tun haben. Eine Herausnahme der Gesamthochschulprogrammatik in Bezug auf die Gesamthochschule Kassel durch eine Umwandlung dieser Hochschule in eine Universität wäre aufgrund der vorangegangenen politischen Auseinandersetzungen als grundsätzliche Kehrtwendung sozialdemokratischer Hochschulpolitik und als Eingeständnis vorhergehenden Versagens bewertet worden und wurde deshalb nicht einmal in den Bereich des Möglichen gerückt, obwohl man um der objektiv besten Lösung willen hier sicherlich eine kritische Bestandaufnahme hätte durchführen müssen. Dieses Beispiel ist nicht so sehr
258 Die an anderer Stelle festgestellte zunehmende Zugehörigkeit von Ministerialbelamten zu einer politischen Partei kann noch nicht allein als ausreichende Grundlage für eine Folgerung dergestalt sein, daß die Beamten, die einer Partei angehören, deren Programmatik in ihrer Arbeit umsetzen. Dazu sind die Motive, die die überdurchschnittliche Zugehörigkeit von Ministerialbeamten zu politischen Parteien ausmachen, noch zu wenig erforscht. Vgl. dazu Steinkemper, B., S. 55; Seemann, K., Abschied von der klassischen Ministerialverwaltung, Studien zum öffentlichen Recht und zur Verwaltungslehre, Bd. 21, München 1978, S. 5ff. 259
Schäfer, F., S. 18.
2. Der Einfluß der Parteien auf die Willensbildung
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dafür geeignet, das Zwischenergebnis, daß so gut wie keine parteiprogrammatische Orientierung innerhalb der Ministerialbürokratie einschließlich der Ministerebene stattgefunden hat, zu erschüttern, sondern kann lediglich dafür dienen, diesem Zwischenergebnis die Komponente hinzuzufügen, daß Parteiprogrammatik verhindert hat, in Teilbereichen notwendige kritische Bestandsaufiiahmen vorzunehmen. Weiterhin ist zu klären, ob die Fraktionen, insbesondere deren kulturpolitische Arbeitskreise dieses Defizit an parteiprogrammatischer Ausrichtung der vorgelegten Entwürfe in irgendeiner Form wenigstens ansatzweise aufzufüllen versuchten. Die Fragestellung ist ohne größere Ausführungen dahingehend zu beantworten, daß der gesetzgeberische Einfluß der Koalitionsfraktionen, sei es nun in ihrer Gesamtheit oder durch ihre Fachabgeordneten, auf die Gesetzesentwürfe und dann später auf den endgültig verabschiedeten Gesetzestext außerordentlich gering war. Man hatte gar nicht den Versuch gemacht, Gegenpositionen, die sich unter Umständen auf Parteiprogrammatik hätten gründen lassen, in nennenswertem Umfang aufzubauen. Die Wünsche nach Veränderung der Vorstellungen der Ministerialbürokratie entsprangen nicht etwa dem Anspruch, daß man nach eingehender Prüfung zu dem Schluß gekommen sei, dieser oder jener Paragraph sei mit der grundsätzlichen Linie der jeweiligen Partei unvereinbar, sondern sehr viel eher wurden solche Forderungen dann formuliert, wenn es Interessenten gelungen war, eine wirksame Öffentlichkeitsarbeit in Gang zu setzen und dadurch die mit dem Hochschulbereich befaßten Abgeordneten es relativ leicht hatten, sich entweder als volksnah und bürgerfreundlich durch das Hineinnehmen dieser Wünsche in den parlamentarischen Prozeß zu zeigen oder aber auch sich als sachverständig gegenüber den eigenen Kollegen und dem Ministerium zu profilieren, indem sie die Sachforderung der Interessenten mit deren Begründung mehr oder minder als ihre eigene ausgeben konnten, und nur daraufhinwiesen, daß auch der Verband X diese Forderung unterstütze, was ja nur für die Fundiertheit des Wunsches nach einer Revidierung der Ministerialbürokratievorstellungen sprechen könne. In der Tat gab es keinen Abgeordneten, der sich der Mühe unterzog, eigenständig auf der Grundlage der Grundprogrammatik seiner Partei einmal die eine oder andere Initiative zu entfalten. 260
260 Trotz des bereits erwähnten Defizits an einer geschlossenen hochschulpolitischen Konzeption der SPD hätten sich zumindest punktuell Themen und Bereiche angeboten, für die die Partei auf höchster Ebene in die Praxis umsetzbare Beschlüsse gefaßt hatte. So hatte der Bundesparteitag der SPD am 21. März 1968 in Nürnberg im Rahmen der 'Sozialdemokratischen Perspektiven im Übergang zu den siebziger Jahren' beschlossen, in den Abschnitt 'Wissenschaft und Forschung' den Passus 'Den Universitätsangehörigen Vertreter der Länder und der Gemeinden sowie des Wirtschaftslebens angehören' aufzunehmen. Bei den Beratungen griff die Fraktion nichts derglei-
170
IV. Parteien und Gesetzgebung
A u c h hier muß betont werden, daß diese Situation keineswegs i n strukturellen Unzulänglichkeiten des Parlaments liegt, sondern allein i n der Persönlichkeit der Abgeordneten, die weitgehend sich mit dem begnügen, was ihnen von der Exekutive vorgesetzt wird. Gewiß ist es richtig, daß die Mehrheitsfraktionen i m parlamentarischen Prozeß auf Geschlossenheit und Solidarität ihrer Mitglieder angewiesen sind, u m einmal gegenüber der Opposition die ausreichende Anzahl von Stimmen zu erhalten und zum anderen u m gegenüber der Öffentlichkeit nicht den Eindruck innerer Zerrissenheit zu vermitteln. Diese Notwendigkeit erklärt jedoch nicht nicht die widerstandslose Hinnahme von Exekutiventscheidungen in den Fraktionen selbst, auch wenn diese parteiprogrammatisches Profil vermissen ließen. 2 6 1
chen auf. Mit einiger Wahrscheinlichkeit ist davon auszugehen, daß sich nicht einmal der 'Experte' für den Hochschulbereich näher mit den bildungspolitischen Aussagen der Partei auf Bundes- und Landesebene im ausreichenden Maße vertraut gemacht hatte. 261
Dies mag nicht zuletzt daran gelegen haben, daß nur die wenigsten Abgeordneten in allen Fraktionen die Gesetzentwürfe selbst einmal durchgearbeitet oder auch nur die wichtigsten Passagen sich angesehen hätten. Ein Zustand, der nicht nur auf diesen Gesetzgebungsprozeß oder dieses Parlament beschränkt ist. Vgl. Scholz, P., Zur Praxis der Parlamentsreform, ZfP 1970, S. 148ff. (S. 150): „Schließlich leben wir in einer arbeitsteiligen Welt. Auch ein Minister unterschreibt viele Dinge, die er nicht durchgearbeitet hat. Er verläßt sich meistens auf das Urteil derjenigen, die ihm eine Sache vorlegen. Genauso verläßt sich der Abgeordnete auf das Urteil seiner Kollegen, die sich mit der Sache enger befassen." Ob allerdings der Vergleich mit dem Minister treffend ist, erscheint fraglich, wenn man allein schon die unterschiedliche Arbeitsbelastung besonders auch auf Landesebene der beiden Funktionsträger vergleicht.
V . Der parlamentarische Prozeß der Gesetzgebung 1. Das Gesetzgebungsverfahren in der Geschäftsordnung des hessischen Landtages Gesetzesentwürfe, gleich ob sie von der Exekutive, durch Volksbegehren oder aus der Mitte des Landtages kommen, werden im Landtag in der Regel in zwei Lesungen beraten (§ 38 Ziff. 1 GOHessLT). 262 Lediglich Entwürfe für Haushaltsgesetze, für verfassungsändernde Gesetze und wenn eine Fraktion es vor dem Beginn der Schlußabstimmung in zweiter Lesung verlangt, werden in drei Lesungen beraten. Der Landtag kann einen Gesetzesentwurf nach jeder Lesung ablehnen oder für erledigt erklären. In solchen Fällen findet keine weitere Lesung statt. Die erste Lesung eines Gesetzesentwurfes soll frühestens am achten Tag nach der Verbreitung der Drucksache beginnen. Diese Frist erscheint sehr kurz bemessen, wenn es um umfangreiche und gewichtige Vorlagen geht, zu denen sich die im Parlament vertretenen Parteien selbst erst einmal eine Meinung bilden müssen. Relativiert wird die Kürze der Frist dadurch, daß in der ersten Lesung lediglich die Grundzüge der Vorlage besprochen werden sollen (§ 39 Ziff. 2 GOHessLT). In der Verfassungspraxis des Landes Hessen wird in den seltensten Fällen nur diese kurze Frist zwischen Verbreitung der Drucksache und erster Lesung eingeräumt. In der Regel bleibt sehr viel mehr Zeit, sich mit dem Entwurf bis zur ersten Lesung zu befassen. Kritiker dieser Frist sollten auch bedenken, daß Gesetzgebung in besonderen Fällen sehr zügig erfolgen muß. Am Schluß der ersten Lesung kann der Landtag beschließen, den Gesetzentwurf ohne Überweisung an einen Ausschuß anzunehmen, abzulehnen oder für erledigt zu erklären, wenn ein entsprechender Antrag gestellt wird (§ 39 Ziff. 3 GOHessLT).
262 Bei den zitierten Gesetzesregeln handelt es sich um die, die zum Zeitpunkt der empirischen Untersuchung Rechtskraft besaßen.
172
V. Der parlamentarische Prozeß der Gesetzgebung
2. Die Lesungen im Plenum des hessischen Landtages a) Die 1. Lesung Z u Beginn der 1. Lesung wurde dem Kultusminister zur Begründung der Gesetzesentwürfe v o m Landtagspräsidenten das Wort erteilt. Der Minister stellte den politischen Rahmen, in dem die Entwürfe erarbeitet worden waren, dar. A u f Einzelheiten ging er nur in beschränktem Maße ein. A u c h die Richtung der Hochschulpolitik insgesamt wurde nur in allgemeiner Form behandelt. I m A n schluß an die Begründung durch den Minister legte der Vertreter der oppositionellen C D U , der hochschulpolitische Sprecher Borsche, die Auffassungen der CDU-Fraktion dar. A u c h er blieb bei allgemein hochschulpolitischen Fragen. Genau wie der Minister legte er Wert darauf festzustellen, daß der Entwurf der C D U für ein hessisches Universitätsgesetz ebenfalls unter Beteiligung der interessierten Gruppen zustandegekommen sei. 2 6 3
„Der jetzt eingebrachte Entwurf der CDU für ein hessisches Universitätsgesetz ist durch eine lange Phase von Anhörungen, Beratungen und Diskussionen gelaufen, bevor er seine jetzige Form gefunden hat. Während eines öffentlichen Kongresses zum Thema Universitäten im Frühjahr 1977 wurden die Grundkonzeption und die Zielsetzung für ein Universitätsgesetz diskutiert und erarbeitet. Wir wollen damit die schwierigste und komplizierteste hochschulrechtliche Materie in Gesetzesform bringen. Der auf den Erkenntnissen und Erfolgen, die aus dieser Aussprache auf diesem Kongreß gewonnen worden sind, basierende erste Entwurf für ein Gesetz ist erneut in zahlreichen Veranstaltungen mit Betroffenen und Fachleuten diskutiert und im Hinblick auf die praktische Notwendigkeit eines anwendbaren Universitätsgesetzes verbessert worden. Daraus ist schließlich eine Gesetzesvorlage entstanden, deren Verabschiedung durch das Landesparlament die Funktionsfähigkeit und Leistungsfähigkeit der hessischen Universitäten für die Zukunft gewährleisten könnte. Das Verfahren bei der Erarbeitung eines Entwurfes kann als beispielhaft für das verantwortungsbewußte Arbeiten einer Opposition gelten, die sich als die Regierung von morgen darstellt. (Beifall bei der CDU) Mit großer Gründlichkeit und mit vorbildlicher Bereitschaft zur Einbeziehung parteilich ungebundenen Sachverstandes in die Parlamentsarbeit sind die Beratungen des Entwurfs vorangetrieben worden."
263
Hess. Landtag, 8. Wahlperiode, Sten. Ber. 8/74, S. 4525.
2. Die Lesungen im Plenum des hessischen Landtages
173
Die CDU-Opposition in Hessen hatte den Schwerpunkt ihrer Politik seit Jahren auf die Bildungspolitik gelegt. Dies lag nahe, da die Regierungsparteien auf diesem Feld durch die Politik des Kultusministers von Friedeburg sich sehr viele Fehler erlaubt hatten. Fehlentwicklungen, die von seinem Nachfolger nicht so ohne weiteres beseitigt, sondern nur langsam und vorsichtig korrigiert werden sollten. Naturgemäß drängte die CDU jedoch auf eine schnelle und tiefgreifende 'Umkehr' und nutzte auch die Hochschulgesetzgebung, diese Forderung deutlich zu machen. Um „die politische Deformierung der hessischen Hochschulen zu überwinden" 264 , legte der CDU-Landesvorsitzende Dr. Dregger am 5. Oktober 1977 einen eigenen CDU-Entwurf für ein hessisches Hochschulgesetz vor. Wie sehr die Hochschulgesetzgebung auf keiner Seite unbeeinträchtigt von der politischen Rahmenbedingung 'Landtagswahr bleiben konnte, zeigt die bei dieser Gelegenheit gemachte Ankündigung Dr. Dreggers, daß die im Entwurf niedergelegten Grundsätze für eine „entideologisierte Universitätsverwaltung" in seine neue Regierungserklärung übernommen werden würden, „wenn sich die Bürger in der Landtagswahl 1978 für die CDU entschieden"265. Der Kultusminister wiederum warf, unter dem gleichen ' Wahldruck ' stehend, der Opposition vor, ihr Gesetzentwurf „atme den Geist der Illiberalität" 266 . Auch in den Medien wurde der CDU-Entwurf unter wahlpolitischen Gesichtspunkten auf seine Relevanz für den Ausgang der Landtagswahlen beurteilt. So führt die FAZ aus, 267 „der CDU-Entwurf setzt sich nicht zum Ziel, Studenten und Mitarbeiter der Hochschulen von der Mitbestimmung in der akademischen Selbstverwaltung auszuschließen, wie das seine Kritiker schon vor der Bekanntgabe vermutet hatten. Der Möglichkeit, daß die Vertreter der Studenten und der Gruppen der Mitarbeiter die Hochschullehrer majorisieren könnten, wird allerdings im CDUEntwurf deutlicher vorgebeugt, als dies bisher in der SPD/FDP-Regierung erwogen worden ist. Diese beiden Fraktionen dürften den CDU-Vorschlag zwar ablehnen, wohl ist ihnen jedoch nicht dabei. Niemand kann vorerst abschätzen, welche Bedeutung gerade eine solche Absage im hessischen Landtagswahlkampf haben wird. Nach Einschätzung maßgeblicher SPD- und FDP-Politiker eröffnet der CDU-Entwurf dieser Partei die Aussicht, Protesthaltungen in der
264
FAZ vom 6.10.1977
265
Presseerklärung vom 7. Oktober 1977.
266
FAZ vom 6.10.1977
267
Ebd.
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V. Der parlamentarische Prozeß der Gesetzgebung
Arbeiterschaft und unter Steuerzahlern gegenüber mehreren Erscheinungsformen des Universitätslebens für sich zu nutzen. Vor allem bei Auswüchsen des angekündigten ' Studentenstreiks ' könne die CDU erklären: „Dahin wäre es in Hessen nie gekommen, hätte man unsere Warnungen ernster genommen." Schwerpunkt des Entwurfs war es, einen Kompromiß zwischen Ordinarienund Gruppenuniversität vorzuschlagen. Der Konvent sollte auf ein reines Universitätsparlament zurückgeführt werden und nicht mehr durch ständige Ausschüsse die Hochschulen regieren. 40 Vertreter der Professoren sollten gegenüber 30 der anderen Gruppen im Konvent die Mehrheit besitzen (10 für wissenschaftliche und sonstige Mitarbeiter, 10 für Studenten). Zuständig sollte der Konvent vor allem für die Wahl der wichtigsten Hochschulorgane und die Verabschiedung der Hochschulsatzung sein. Die für die Entwicklung und Verwaltung der Hochschulen entscheidenden Beschlüsse sollten nicht mehr durch ständige Ausschüsse des Konvents, sondern im Senat bzw. dessen Kommissionen getroffen werden. Grund für diese Verlagerung der Kompetenz war, daß die CDU davon ausging, daß diese Senatskommissionen unbelasteter durch politische Auseinandersetzung arbeiten könnten. In diesem Senat, der sich aus dem Rektor, den Prorektoren, den Dekanen der Fakultäten und je drei Vertretern der Professoren, der wissenschaftlichen Mitarbeiter, der sonstigen Mitarbeiter und der Studenten zusammensetzen sollte, hätten die Professoren in jedem Fall eine stabile Mehrheit erhalten. Die Verteilung der Haushaltsmittel der Hochschulen sollte nach den Vorstellungen der CDU nicht mehr die Hochschule nach Maßgabe des ihr zugewiesenen Globalhaushaltes, sondern der Landtag im einzelnen entscheiden. Über die bewilligten Gelder hätte dann der Kanzler unter Fachaufsicht des Kultusministers zu verfügen. Besonders dieser Vorschlag wurde von den Koalitionsparteien als schwerwiegende Bedrohung der Hochschulautonomie, die sich „am Rande der Verfassungsgemäßheit" bewege, kritisiert. 268 Die 10 Vertreter, welche die Studenten in den Konvent wählen, sollten auf Vorschlag der CDU gleichzeitig die Studentenvertretung der Hochschule bilden. Ein 'allgemeinpolitisches Mandat' sollte untersagt werden. Zwangsbeiträge entfallen. Ähnlich wie im ursprünglichen Entwurf des Kultusministers sah die CDU eine vorbeugende Finanzkontrolle über die Mittel der Studentenvertretung vor. Danach sollte der Kanzler darüber wachen, daß die Studenten die ihnen vom Staat im Rahmen des Haushalts zugewiesenen Mittel nur zweckgerichtet verwendeten.
268
FAZ vom 7.10.1977
2. Die Lesungen im Plenum des hessischen Landtages
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Da es nicht Zielsetzung dieser Studie ist, die hochschulpolitischen Vorstellungen der Beteiligten näher zu erläutern und zu bewerten, sollen diese schlagwortartigen Hinweise genügen. Die inhaltlichen Vorstellungen sind nur insoweit von Interesse, als sie zum Verständnis der Erarbeitungs- bzw. Entstehungs- und der Durchsetzungsmechanismen unentbehrlich sind. Der Entwurf, den die CDU-Opposition vorlegte, wurde genau wie der Referentenentwurf des Ministeriums in eine Anhörung bei den Interessenverbänden gegeben. Die FAZ bewertete die Entstehungsgeschichte des Oppositionsentwurfes folgendermaßen: „Offenbar ist der Gesetzesvorschlag der CDU nicht von einem der etatmäßigen Bildungspolitiker der CDU ausgearbeitet worden, sondern von einem mit allen Wassern und Wässerchen der Bildungspolitik gewaschenen Fachmann, der die hessischen Universitäten von innen her genau kennt." 2 6 9
Im übrigen richtet sich der Entwurf stark an dem Referentenentwurf von Baden· Württemberg, in dem die CDU allein regierte, aus. Der vorgelegte Entwurf unterschied sich letztlich außerordentlich von den kurz vorher von einem Landesparteitag der CDU verabschiedeten hochschulpolitischen Thesen. Waren diese noch davon geprägt, die Gruppenuniversität zu überwinden und nur schwer in den vom HRG gesetzten Rahmen einzuordnen, war der nunmehr vorgelegte Entwurf sehr viel stärker auf die Möglichkeit der praktischen Durchsetzung abgestellt. b) Die 2. Lesung Die zweite Lesung stand ganz im Zeichen der Kritik, die die Opposition an der Verfahrensweise im kulturpolitischen Ausschuß übte. Zu Beginn der 2. Lesung hatte als Berichterstatter für den Ausschuß der hochschulpolitische Sprecher der SPD dem Plenum die Arbeit des Kulturpolitischen Ausschusses erläutert. Dabei ging er auf inhaltliche Probleme der Gesetze nicht ein, sondern gab bekannt, wer am 'Hearing' teilgenommen hatte und lobte die Arbeit des Gremiums, für das er berichtete. Abschließend gab er die Beschlußempfehlung des Ausschusses bekannt, die nach dem Auszug der CDU-Ausschußmitglieder mit den Stimmen der SPD und FDP-Ausschußmitglieder gefaßt worden war. Sie lautete:
26
Ebd.
V. Oer parlamentarische Prozeß der Gesetzgebung
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„Der Kulturpolitische Ausschuß empfiehlt dem Plenum mit den Stimmen der Vertreter der Fraktionen der SPD und der FDP - ohne Beteiligung der Vertreter der Fraktion der CDU in der Abstimmung - den Gesetzentwurf in zweiter Lesung unverändert anzunehmen und dem Kulturpolitischen Ausschuß zur Vorbereitung der dritten Lesung zurückzuüberweisen."
Er gab dem Plenum auch die Empfehlung des Ausschusses für die Behandlung des von der CDU eingebrachten Entwurfs für ein Gesetz über die Universitäten des Landes Hessen bekannt: „Der Kulturpolitische Ausschuß empfiehlt dem Plenum mit den Stimmen der Vertreter der Fraktionen der SPD und der FDP - ohne Beteiligung der Vertreter der Fraktion der CDU an der Abstimmung -, den Gesetzentwurf in zweiter Lesung unverändert anzunehmen und dem Kulturpolitischen Ausschuß zur Vorbereitung der dritten Lesung zurückzuüberweisen." 270
Diese Empfehlung mag überraschen, da die Mehrheit des Ausschusses sicherlich nicht inhaltlich mit dem Oppositionsentwurf übereinstimmte. Auch stehen beide Beschlußempfehlungen im Widerspruch zueinander. Die Entwürfe, die von der Mehrheit des Landtages getragen wurden, enthielten wesentlich andere, mit den von der Opposition vorgeschlagenen nicht zu vereinbarende Regelungen. Dem Plenum wurde jedoch empfohlen, alle Entwürfe 'anzunehmen' und zur weiteren Beratung in den Kulturpolitischen Ausschuß zu überweisen. Mit dieser dem Bürger wohl kaum verständlichen parlamentarischen Spitzfindigkeit sollte gewährleistet werden, daß der Oppositionsentwurf, der bisher im Kulturpolitischen Ausschuß überhaupt noch nicht beraten worden war, weiter Gegenstand der Beratungen in diesem Gremium sein konnte. Daß das Plenum selbst dieses Verfahren kaum begriff, zeigte die Verwirrung bei der Abstimmung. Zunächst stellte der Präsident des Landtages die vier Entwürfe der Landesregierung zur Zustimmung oder Ablehnung. Mit der Mehrheit des Landtages wurden die Entwürfe für ein hessisches Hochschulgesetz, das Gesetz über die Universitäten des Landes Hessen, das Gesetz über die Fachhochschulen des Landes und das Gesetz über die Kunsthochschulen des Landes in 2. Lesung angenommen. Der Landtagspräsident sah darin auch gleichzeitig den Beschluß zur Überweisung in den Kulturpolitischen Ausschuß zur Vorbereitung der 3. Lesung. Nach Intervention des CDU-Fraktionsvorsitzenden, daß die
270
Ebd.
2. Die Lesungen im Plenum des hessischen Landtages
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Zustimmung in 2. Lesung und Überweisung an den Ausschuß zwei verschiedene Dinge seien, sagte der Präsident eine gesonderte Abstimmung zur Überweisung zu. Zunächst gab es weitere Verwirrung. Der Entwurf der Opposition zu einem Gesetz über die Universitäten stand zur Abstimmung. Wie ausgeführt, hatte der Kulturpolitische Ausschuß auch dazu Annahme in 2. Lesung und anschließende Überweisimg empfohlen. Die SPD- und FDP-Parlamentarier folgten dieser Empfehlung bei Enthaltung des SPD-Berichterstatters des Kulturpolitischen Ausschusses nicht und lehnten den Entwurf ab. Damit war jedoch gemäß § 38 Abs. 3 der Geschäftsordnung eine Überweisung des CDU-Entwurfs an den Ausschuß zur Vorbereitung der 3. Lesung nicht mehr möglich. In dieser Bestimmung heißt es: „Der Landtag kann einen Gesetzentwurf nach jeder Lesung ablehnen oder für erledigt erklären. In diesem Fall findet keine weitere Lesung statt."
Protesten des Berichterstatters des Ausschusses, dem es offenbar peinlich war, daß damit der Oppositionsentwurf überhaupt in der Ausschußberatung keine Rolle gespielt hatte und nunmehr auch nicht mehr Gegenstand von Beratungen sein konnte, entgegnete der Präsident kühl: „Wer künftig einen Fulltime-Job als Abgeordneter ausüben will, der sollte bereits jetzt beginnen, sich um die Geschäftsordnung zu kümmern." 271 Wie leichtfertig auch in Parlamenten mit feststehendem Recht umgegangen werden kann, zeigt dann folgende Entwicklung: Der Fraktionsvorsitzende der SPD schlug unbekümmert von der vorausgegangenen, vollkommen korrekt zustandegekommenen Abstimmung vor, „daß wir die gesamte Abstimmung wiederholen oder zumindest folgendes klarstellen: Die Absicht war, über das gesamte Paket entsprechend der Beschlußempfehlung in der zweiten Lesung abzustimmen und das gesamte Paket zur erneuten Beratung und zur Vorbereitung der dritten Lesung dem Ausschuß zurückzuüberweisen." 272 Auf den Einwand des Präsidenten, daß dies nur bei entsprechendem Abstimmungsverhalten möglich gewesen wäre, entgegnete der SPD-Fraktionsvorsitzende: „... ich meine, daß dies nicht möglich gewesen wäre, weder für die Oppositionsfraktion noch für die Koalitionsfraktionen. Wir hätten nämlich sonst nach diesem Verfahren zwei unterschiedlichen Gesetzen mit unterschiedlichen Zielsetzungen jeweils unsere Zustimmung gegeben." Deshalb bitte er, „daß wir
271
Hess. Landtag, 8. Wahlperiode, Sten. Protokoll v. 28.4.1978, S. 5478.
272
Ebd.
V. Der parlamentarische Prozeß der Gesetzgebung
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bei der Gesetzabstimmung davon ausgehen, daß die zweite Lesung hier für alle Gesetzentwürfe erfolgt ist ... und alle Gesetzentwürfe geschlossen dem Ausschuß zur Vorbereitung der dritten Lesung überwiesen werden." 273 Der erste Teil der Bitte war ohne erfüllt. Tatsächlich hatte die 2. Lesung für alle Entwürfe stattgefunden. Die Regierungsentwürfe waren angenommen, der Oppositionsentwurf abgelehnt worden. Der zweite Teil des Begehrens bedeutete eine Umgehung des eindeutigen Wortlauts der Geschäftsordnung des Landtages. Nachdem der Präsident, während er erneut Bedenken gegen den Wunsch des SPD-FraktionsVorsitzenden vortrug, von diesem mit dem Zwischenruf: 'Über den gesamten Bericht abstimmen! ' unterbrochen wurde, gab er nach. „Ich lasse nunmehr unter Ausklammerung der hier bereits erfolgten Abstimmung über Tagesordnungspunkt 10 e (der Entwurf der Opposition) über die Beschlußempfehlung abstimmen." Daraufhin stimmten die Mitglieder des hessischen Landtages einstimmig bei einer Enthaltung der 'Beschlußempfehlung' des Kulturpolitischen Ausschusses zu. Der Präsident konnte befriedigt feststellen: „Damit haben wir die berühmte Kuh vom Eis ...", und die Sitzung schließen.274 Die gewählten Volksvertreter hatten sich damit ohne Skrupel über die eindeutigen Bestimmungen der Geschäftsordnung hinweggesetzt. Selbst der zu diesem Zwecke gefaßte einstimmige Beschluß war inhaltlich auch unrichtig. Der Ausschuß hatte zwei Beschlußempfehlungen gegeben. Die eine war auf die Regierungsentwürfe bezogen, die andere auf den Oppositionsentwurf. Jede dieser Beschlußempfehlungen war noch einmal in Empfehlung zur Annahme und Überweisung zur Vorbereitung zur 3. Lesung gegliedert. Eine einzige 'Beschlußempfehlung des Kulturpolitischen Ausschusses', wie sie vom Präsidenten des Landtages zur Abstimmung gestellt wurde, gab es gar nicht. Die ausführliche Darstellung erschien nötig, um beispielhaft zu zeigen, wie notwendig die Beobachtung und Kontrolle des inneren Gesetzgebungsprozesses sind. 275 Wie mag es in anderen wichtigen Phasen des inneren Gesetzgebungsprozesses zugehen, wenn schon der relativ eindeutig geregelte Verfahrensablauf innerhalb der parlamentarischen Phase nicht immer beachtet wird.
273
Ebd.
274
Hess. Landtag, 8. Wahlperiode, Sten. Protokoll v. 28.4.1978, S. 5478f.
275
Vgl. dazu Mengel, H.-J., ZRP.
3. Das Landtagshearing
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c) Die 3. Lesung Die dritte Lesung wurde wiederum durch den Vortrag des Berichterstatters des Kulturpolitischen Ausschusses eingeleitet. Dieses Mal konnte er einige Änderungsvorschläge begründen. Allerdings war die Mehrzahl dieser Änderungen nicht etwa auf Initiative der Abgeordneten während der Arbeit im Ausschuß erarbeitet worden, sondern die Exekutive hatte entweder auf direktem Wege den Ausschuß wissen lassen, daß sie die eine oder andere Nachbesserung gern sähe oder aber hinter den Kulissen in den Arbeitskreisen der Mehrheitsfraktionen oder über einzelne Abgeordnete im Ausschuß angeregt, Änderungen vorzunehmen. Im Anschluß an den Bericht, der weder ausführliche Begründungen für die Änderungen noch Alternativen aufzeigte, kam es ähnlich wie in der ersten Lesung zu einer generellen hochschulpolitischen Debatte, die in diesem Rahmen nicht von Interesse ist.
Zusammenfassend läßt sich über die Plenumsbehandlung der Entwürfe feststellen, daß nicht eine einzige Anregung in den hier gehaltenen Reden Einfluß auf den endgültigen Wortlaut der Gesetze hatte. Dennoch ist die Bedeutung dieser Plenumslesungen groß. Ist doch das Plenum der einzige Ort, an dem die Parlamentarier ihre Meinung der Öffentlichkeit deutlich machen können. Daß die Mehrheitsparlamentarier dabei ihrer Exekutive stets und bedingungslos den Rücken stärken und weitgehend auf eigene Initiativen verzichten, liegt nicht an den gegebenen Möglichkeiten, sondern hat Gründe, die an anderer Stelle angedeutet worden sind. Für die Opposition sind diese Lesungen dagegen völlig unentbehrlich. Hier hat sie Gelegenheit, Alternativen sichtbar zu machen. Bedauerlich ist jedoch, daß die Medien ihrer Informationspflicht nur ungenügend nachkommen. Auch darüber wurde an anderer Stelle berichtet.
3. Das Landtagshearing
a) Der Ablauf Auf Einladung des Landtagspräsidenten wurden 17 Verbände, Institutionen und Einzelpersonen eingeladen, ihre Auffassungen zum Gesetzgebungsentwurf vor dem kulturpolitischen Ausschuß des hessischen Landtags darzulegen. 276 Über die Einzuladenden hatten sich vorher die Mitglieder des Ausschusses 13 Mengel
180
V. Der parlamentarische Prozeß der Gesetzgebung
geeinigt. In der Praxis wird in der Mehrzahl aller Fälle ein Konsens zwischen Mehrheit und Opposition hergestellt. Grundlage für das 'Hearing' bildete § 21 der Geschäftsordnung des hessischen Landtags, nach dem die Ausschüsse beschließen können, „öffentliche Sitzungen abzuhalten, insbesondere zur Anhörung von Sachverständigen, Interessenvertretern und sonstigen Auskunftspersonen zu Beratungsgegenständen, die einem Ausschuß überwiesen sind." 277 Das äußere Erscheinungsbild des ganztägigen Hearings stellte sich folgendermaßen dar: Die Beteiligten hatten an einem riesigen Konferenztisch Platz gefunden, an dessen Spitze der Ausschußvorsitzende der Mehrheitsfraktion, der auch der Minister angehörte, präsidierte. Zu seiner Linken der Minister mit einem Stabsmitarbeiter aus dem Ministerbüro und dessen Leiter. Zur Rechten der Stellvertreter des Ausschußvorsitzenden, der der Opposition angehörte. Insgesamt waren einschließlich des Ministers 18 Vertreter der Exekutive anwesend. Eine Zahl, die zufällig der der 18 anwesenden Parlamentarier entsprach. Ferner waren die Verbände und Institutionen mit 57 Vertretern erschienen. Die Plazierung des Ministers wird nicht um der Ausschmückung willen erwähnt, sondern verdeutlicht im symbolhafter Weise, wer auch bei dieser Veranstaltung der eigentliche Machtträger ist, auch wenn er das Wort nicht ohne Not ergreift und die Hauptrolle nach außen hin anderen überläßt. Sein Platz neben dem Ausschußvorsitzenden versetzt ihn in die Lage, ohne Aufsehen unerwünschte Entwicklungen im Ablauf der Veranstaltung diskret mit deren Leiter zu besprechen. Der Ausschußvorsitzende wiederum ist darum bemüht, die Veranstaltung zu einem Erfolg für die Regierung und die sie tragende Mehrheit zu machen und kann sich dabei - von immer möglichen Ausnahmen abgesehen -
276 Eingeladen wurden die Konferenz hessischer Universitätspräsidenten, die Dekane der Fachbereiche Humanmedizin, die Konferenz der Rektoren hessischer Fachhochschulen, der Rektor der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst, der Rektor der Hochschule für Gestaltung, die hessische Landes-AStenkonferenz, der Hochschulverband - Landesverband Hessen -, die hessische Professorenkonferenz, der Bund demokratischer Wissenschaftler, der Hochschullehrerbund e.V. Landesverband Hessen -, die Arbeitsgemeinschaft der Dozentenvertreter an hessischen Universitäten, die Versammlung der wissenschaftlichen und künstlerischen Mitarbeiter an den hessischen Hochschulen, die Konferenz der hessischen Bibliotheksdirektoren, der Deutsche Gewerkschaftsbund - Landesverband Hessen -, die Deutsche Angestellten-Gewerkschaft - Landesverband Hessen, der Deutsche Beamtenbund - Landesverband Hessen e.V., die Vereinigung der hessischen Arbeitgeberverbände e.V. und der hessische Datenschutzbeauftragte. Vgl. zu diesem Hearing auch Mengel, H.-J., Die Funktion der parlamentarischen Anhörung im Gesetzgebungsprozeß, DÖV 1983, S. 226ff. 277
GOHessLT vom 1. Dezember 1978, GVB1. Hess. I, S. 694ff.
3. Das Landtagshearing
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der Unterstützung der anderen dieser Mehrheit angehörenden Ausschußmitglieder gewiß sein. Dieser Zwang, die eigene Partei und den von ihr gestellten Minister möglichst unbeschadet durch das Hearing zu bringen, ist insbesondere dann ausgeprägt, wenn die Medien stark vertreten sind. Dies war im Hearing zur hessischen Hochschulgesetzgebung der Fall. 2 7 8 Fernsehen, Rundfunk und Presse waren zumindest zu Beginn in starker Besetzung erschienen. Im Vergleich mit der späteren Berichterstattung ein hoher Aufwand. Dabei muß man sich aber darüber im klaren sein, daß es teilweise den Medien - wie an anderer Stelle ausführlicher beschrieben - lediglich darauf ankommt, über die Veranstaltung als solche berichtet zu haben, weniger über ihren inhaltlichen Verlauf. So genügt es ζ. B. dem Fernsehen, für die Nachrichten einen Kameraschwenk der Teilnehmer und eine Großaufnahme des Ministers zu senden, um damit seiner Informationspflicht genügt zu haben. Nicht anders erging es in dem Hochschulhearing. Die in der Geschäftsordnung des hessischen Landtages ebenfalls in der Regel verpflichtend vorgesehene Herstellung weiterer Öffentlichkeit durch die Zulassung von Bürgern als Zuhörer „soweit es die Raumverhältnisse gestatten" 279 , wurde nicht einmal ansatzweise erfüllt. Der Raum, in dem das Hearing stattfand, gestattete durch seine Größe keine Zuhörer. Angesichts des großen Interesses, das die Gesetzgebung bei Teilen der Bevölkerung fand, war diese Raumwahl sicherlich nicht glücklich, auch wenn sie vermutlich unter dem Gesichtspunkt gefällt worden war, Störungen zu vermeiden und einen reibungslosen Ablauf der Anhörung zu gewährleisten. Beispielhafter ist in diesem Zusammenhang das Hearing des Landtages zum Bau einer dritten Startbahn des Frankfurter Flughafens gewesen. Hier fand die Anhörung im Plenarsaal statt. Zu Beginn gab der hochschulpolitische Sprecher der CDU für seine Fraktion eine Erklärung ab, in der er das Hearing als 'Farce' bezeichnete. Es sei grotesk, ein Gesetzespaket, zu dessen Erarbeitung die Landesregierung mehr als zwei Jahre gebraucht habe, in wenigen Stunden zur Anhörung zu stellen. Die Abgeordneten sollten in diesem Anhörungsverfahren 442 Seiten Gesetzentwürfe abhaken. Es gehe offenbar nicht darum, unterschiedliche Standpunkte in einem offenen Verfahren abzuwägen. Demgegenüber stellte der Vorsitzende fest, daß keine zeitliche Begrenzung vorgesehen sei und ohne Mittagspause durchgetagt werde. Die SPD stellte ihre Auffassung vom Zweck des Hearings dar. Die Anhörung sei als Instrument zu
278 Das Recht auf Teilnahme der Presse ergibt sich zwingend aus § 21 Ziff. 2 GOHessLT vom 1. Dezember 1978. 279
Ebd.
182
V. Der parlamentarische Prozeß der Gesetzgebung
verstehen, in dem politische Grundsatzprobleme eines Gesetzentwurfs dargelegt werden können. Die Funktion des Hearings liege vor allem in der Konzentration auf das Wesentliche. Die Anhörung gestaltete sich nach und nach sehr strapaziös für alle Beteiligten. Auch der aufmerksamste und engagierteste Abgeordnete wird nach acht Stunden oder mehr nicht die notwendige Interessiertheit für die Ausführungen der Anzuhörenden aufbringen können. Der Minister selbst verließ das Hearing, das um 9 Uhr begonnen hatte, gegen 14 Uhr, um einen anderen, länger festgelegten Termin wahrzunehmen. Auch der im Ministerbüro für die Gesetzgebung zuständige Mitarbeiter verließ kurz darauf die Veranstaltung, um erst am späten Abend zurückzukehren. Von der 'Stabsabteilung' des Ressorts blieb allein der Leiter des Ministerbüros zurück. Die Staatssekretärin war nicht anwesend, da sie andere Termine wahrzunehmen hatte. Lediglich die Mitglieder der Projektgruppe aus dem Ministerium hörten sich alle Statements an und wohnten dem Hearing fortlaufend bei. Während der Minister selbst nur einige Male sehr kurz das Wort ergriff, um unmittelbar auf Beiträge der Anzuhörenden bzw. Fragen einzugehen, beteiligten sich die anwesenden Ministerialbeamten überhaupt nicht am Hearing. 280 Im konkreten Landtagshearing hielt sich die Exekutive auf exemplarische Weise zurück. Dies jedoch allein auf die verfassungspolitische Erkenntnis zurückzuführen, daß das Hearing sich in erster Linie im parlamentarischen Rahmen abzuspielen hat, wäre nicht zutreffend. Die Exekutive hatte hier das sichere Gefühl, daß die vorgelegten Gesetze 'gelaufen' seien. Jede ausführliche Diskussion mit den teilnehmenden Parteien, sei es mit den Anzuhörenden oder mit den Abgeordneten, hätte nur Verwirrung stiften und die eine oder andere Formulierung in den Entwürfen in Gefahr bringen können, da dann unter Umstän-
280 Dieses Teilnahmerecht der Exekutive ist nicht ganz unproblematisch (vgl. dazu Appoldt, F. W., Die öffentlichen Anhörungen ['Hearings'] des Deutschen Bundestages. Ein Beitrag zur Beobachtung der Entfaltung eines lebendigen Verfassungssystems an Hand von organisatorischen und geschäftsordnungsmäßigen Entwicklungen eines obersten Staatsorgans, Berlin 1971, S. 56), insbesonderefìlr diejenigen, die die Hearings als wesentliches Element zur Festigung der parlamentarischen Stellung im Gesamtgesetzgebungsprozeß bewerten. Für sie muß die Teilnahme der Exekutive und ihr Recht, sich hier zu äußern, eine Gefahr für die 'neutrale Sachbezogenheit' des Hearings darstellen, da naturgemäß die Exekutive ihre vorgelegten Entwürfe und Vorstellungen erneut verteidigen und erläutern kann. Augenfällig wird dies besonders dann, wenn in einem solchen Hearing die Mehrzahl der Anwesenden Exekutivvertreter sind. (Vgl. die Beispiele bei Appoldt, F. W., S. 56, wo Ministerialbeamte teilweise „die Verhandlungsinitiative an sich reißen und in eine freihändige Diskussion mit den Auskunftspersonen eintreten" [FN 66] oder die Mehrheit der Anwesenden stellen. Vgl. auch Dahrendorf,\ R., S. 256 und 258). Daß sich eine solche Tendenz der Exekutive zur extensiven Wahrnehmung ihres Präsenzrechts und auch ihres Rederechts nicht alleine auf die Hearings, sondern auch auf Ausschüsse des Parlaments erstreckt, ist dabei für die Verfechter der im obigen Sinne verstandenen Hearings kein Grund zur Beruhigung.
3. Das Landtagshearing
183
den der Eindruck hätte entstehen können, hier und dort seien doch noch Spielräume zur Veränderung offen. Von der Staatskanzlei war kein Vertreter erschienen. Die Fachabgeordneten der Fraktionen blieben unter sich, 281 da ihre Kollegen, die nicht dem kulturpolitischen Ausschuß angehörten, nicht teilnahmeberechtigt waren. 282 Der wesentliche Teil des Hearings bestand in der Verlesung von langen Statements. Zu einem ausführlichen Dialog zwischen Abgeordneten und Verbandsvertretern und den Vertretern betroffener Institutionen kam es nicht. Ansätze dazu wurden von dem Vorsitzenden mit dem Hinweis unterbunden, „daß wir eine Anhörung und keine Beratung haben" 283 . Fragen an die Anzuhörenden wurden lediglich von 7 der zwanzig Abgeordneten gestellt. Vier dieser Abgeordneten begnügten sich dabei mit einer einzigen Frage. Die übrigen Fragen wurden von drei Abgeordneten aus der CDU und SPD gestellt. Von den insgesamt 44 Fragen kamen 26 von CDU-Abgeordneten, 16 von SPD-Abgeordneten und zwei von der FDP. Neue Erkenntnisse brachte das Hearing nicht und wurde auch von den Abgeordneten als Pflichtübung empfunden. Die Mitglieder des Ausschusses, die der Opposition angehörten, protestierten mehrfach heftig gegen die Zeitnot, unter der das Hearing an einem einzigen Tage 'durchgezogen' werde. Ein mit Sicherheit nicht unberechtigter Protest, wenn man berücksichtigt, daß ζ. B. andere Landtage Hochschulhearings über mehrere Tage abhielten. 284 Natürlich wäre die Bedeutung des Hearings im hessischen Landtag auch durch eine mehrtägige Veranstaltung nicht größer geworden. Jedoch muß man sich darüber im klaren sein, daß auch solche Rituale, deren wesentliche Funktion gerade im Formalen
281
Die Teilnahme der Hilfskräfte der Fraktionen erfolgte aufgrund von § 21 Abs. 5 GO
HessLT. 282 Lediglich den Abgeordneten der Hamburger Bürgerschaft war damals gemäß § 64 Abs. 5 GO BürgerschHambg. die grundsätzliche Teilnahme mit beratendem Charakter an den Ausschußsitzungen erlaubt. Im Schleswig-Holsteinischen Landtag ist gem. § 16 Abs. 1 die beratende Teilnahme von ausschußfremden Personen möglich. Dies gilt heute auch in vielen anderen Landtagen. 283 284
KPA 8. Wahlperiode, 41. Sitzung v. 13. April 1978, Kurzbericht S. 43.
Kritisch zum Zeitdruck, unter dem die Parlamentarier in der Regel arbeiten müssen, Scholz, P., ZfP, S. 148ff, der in dessen Beseitigung einen wesentlichen Faktor sieht, die Stellung des 'einfachen' Abgeordneten zu stärken: „Anderseits aber ist zu prüfen, ob nicht die Übermacht der Bürokratie, aber auch der Fraktionsexperten, nicht eigentlich nur auf einem Informationsvorsprung basiert, der möglicherweise abgebaut werden kann. Sei es durch bessere Information des Abgeordneten oder durch Beseitigung des Zeitdrucks; denn unter Zeitdruck reagieren nur noch die Experten, anderen Abgeordneten bleibt nur noch das Vertrauen in sie." (S. 151) Ob allerdings hierdurch eine Aktivierung der 'back-bencher' möglich ist, erscheint fraglich, jedoch nimmt man ihnen zumindest durch eine ausreichenden zeitliche Vorgabe ftlr die Bearbeitung der Vorlagen ein Argument der Rechtfertigung für ihr 'Nichtwissen'.
184
V. Der parlamentarische Prozeß der Gesetzgebung
liegt, mit der notwendigen Sorgfalt und dem notwendigen Ernst durchgeführt werden müssen, wenn sie nicht vollkommen ihren Sinn verlieren sollen. 285 Wenn der Vorsitzende des kulturpolitischen Ausschusses in seinem Bericht über das Hearing im Landtag das Verfahren lobte, indem er daraufhinwies, daß die Anhörung in einer ununterbrochenen Sitzung von neun Stunden Dauer stattgefunden habe und dies eine Leistung des kulturpolitischen Ausschusses gewesen sei, dann erheben sich Zweifel, ob sich die Parlamentarier nicht selbst entmachten und diesem Vorgang noch positive Seiten abgewinnen. b) Die Auswertung Sicher ist bei der Institution des Hearings allein weder Dauer noch Zahl der Eingeladenen Beweis für die praktische Relevanz dieses parlamentarischen Instruments für den Gesetzgebungsprozeß. Hinzukommen muß die Prüfung der Frage, inwieweit sich die Abgeordneten mit dem gemachten Änderungsvorschlag, mit der Kritik insgesamt auseinandersetzen und die von der Exekutive vorgeschlagenen Regelungen anhand der im Hearing gemachten Erkenntnisse überprüfen. Soweit ersichtlich, geht die Literatur zu den parlamentarischen Hearings in der empirischen Überprüfung davon aus, daß eine solche gründliche Verarbeitung der Anhörungserkenntnisse durch die Abgeordneten auch tatsächlich erfolgt. Dies wird insbesondere bei den Teilnehmern an der wissenschaftlichen Diskussion deutlich, die das Hearing als Stützung der Legislative gegenüber der Exekutive beurteilen. Im konkreten Fall der Anhörung zur Hochschulgesetzgebung besaßen die Protokolle der Hearings einen Umfang von 217 eng beschriebenen Schreibmaschinenseiten. Als der kulturpolitische Ausschuß fünf Tage nach dem Marathonhearing am 18. April zusammentrat, um die Ergebnisse der Anhörung aufzuarbeiten, lag lediglich Teil 1 des Protokolls im Umfang von 123 Seiten vor, da die Kapazität des technischen Dienstes für die Fertigstellung in dieser kurzen Zeit nicht ausgereicht hatte. Diese 42. Sitzung des KPA, die die zweite Sitzung des Ausschusses war, in der er sich nach Einbringung der Entwürfe - die erste Sitzung bestand in der Anhörung - mit diesen ausführlicher beschäftigte, begann um 14.00 Uhr und endete um 15.00 Uhr. Auf der Tagesordnung standen die vier eingebrachten Entwürfe der Landesregierung, der Entwurf der Fraktion der CDU für ein Gesetz über die Universitäten des Landes Hessen (Universitätsgesetz) 286 und jeweils eine 'Anregung' des 'Kuratoriums der Deutschen Wirtschaft für Berufsbildung' (Bonn) zur
285
Mendel, H.-J., DÖV, S. 226ff.
286
Drucksache 8/5758.
3. Das Landtagshearing
185
'Berücksichtigung der Ingenieurausbildung in den Landeshochschulgesetzen' und des 4 Vereins Deutscher Ingenieure' (Düsseldorf) zum gleichen Thema. Anwesend waren bei dieser nichtöffentlichen Sitzung neben 8 Abgeordneten der CDU 9 Abgeordnete der SPD, 1 Abgeordneter der FDP, der Minister mit einem Stab von 9 Referenten seines Hauses, 1 Vertreter des Ministeriums der Finanzen und 1 Vertreter der Staatskanzlei und die Fraktionsassistenten. In dieser Sitzung standen den 18 Abgeordneten als Mitglieder des KP A 12 Vertreter der Exekutive gegenüber. Der Vorsitzende des Ausschusses eröffnete die Sitzung mit dem Hinweis, daß der erste Teil des Protokolls der Anhörung vom 13. April, das die wesentlichen Teile der Äußerungen während des Hearings enthalte, an die Ausschußmitglieder verteilt worden sei. Nunmehr müsse das weitere Verfahren geklärt werden. Außerdem könnten zu den vorliegenden Gesetzesentwürfen, sofern notwendig, Fragen an das Kultusministerium gerichtet werden. Die C D U 2 8 7 erklärte daraufhin, daß die Abgeordneten noch keine Gelegenheit gehabt hätten, den bis jetzt vorliegenden Text des Protokolls der Anhörung zu lesen. Auch sei es sicherlich falsch, davon auszugehen, daß der noch nicht vorliegende Teil keine wesentlichen Äußerungen mehr enthalte. Ohne das vollständige Protokoll durchgearbeitet zu haben, sei eine weitere Arbeit an den Entwürfen nicht möglich. Vertreter der Verwaltungsdirektoren hessischer Hochschulen, die Dekane der Fachbereiche Humanmedizin, die Fachbereichsleiter der Fachhochschulen, Vertreter der Kammern, Vertreter derjenigen, die die Hochschulabsolventen später im Berufsleben aufnehmen sollten, Vertreter der Ingenieurverbände, die Träger privater Fachhochschuleinrichtungen, insbesondere die Kirchen sollten gemäß einem Antrag der CDU noch gehört werden. Ferner wurde beantragt, in die Erweiterung der Anhörung den Gesetzentwurf der CDU für ein hessisches Universitätsgesetz einzubeziehen.288 Die SPD entgegnete, daß man davon ausgehen könne, daß genügend Zeit für die Auswertung des Hearings bleibe. Damit das Gesetzgebungsverfahren so bald wie möglich abgeschlossen werden könne, solle allerdings schon in der nächsten Plenarsitzung - also am 28. April - die zweite Lesung der Gesetzent-
287
Aufgrund Ziff. 4 der Richtlinien für die Behandlung von Ausschußprotokollen des hessischen Landtages vom 13.2.1979 dürfen wörtliche Zitate aus den Protokollen und Angaben darüber, welchen Standpunkt einzelne Abgeordnete vertreten haben, nicht gemacht werden. 288 Diesen Antrag hatte die CDU für das Hearing am 13. April nicht gestellt. Auch war zu diesem Hearing der Kreis der Einzuladenden einvernehmlich zwischen Koalitionsparteien und CDU erstellt worden.
186
V. Der parlamentarische Prozeß der Gesetzgebung
würfe stattfinden. Da bis dahin die Auswertung des Hearings nicht möglich sei, werde beantragt, in der darauffolgenden Plenarsitzung eine dritte Lesung durchzufuhren. 289 Ein weiterer Sprecher der SPD verwies darauf, daß die Abgeordneten, die an der Materie interessiert seien, ständig mit den Fraktionen Kontakt gehabt hätten und dabei ihre Vorstellungen vorgelegt hätten. Auch seien die Texte der Entwürfe schon lange den Hochschulen bekannt gewesen und dort permanent diskutiert worden. Daher sei es nicht notwendig, weitere Stellungnahmen zu hören. Nachdem die SPD/FDP-Mehrheit eine von der CDU geforderte Verschiebung der 2. Lesung im Plenum abgelehnt hatte, beantragte die Opposition um 14.25 Uhr eine Unterbrechung der Ausschußsitzung. Nach Wiederaufnahme der Verhandlungen um 14.45 Uhr gab ein CDU-Sprecher der Bestürzung seiner Fraktion über den Stil der Mehrheit Ausdruck, der die Ausschußberatungen zur Farce mache. Er wiederholte die Ansicht der Opposition, daß es unmöglich sei, die 2. Lesung unter Einbeziehung der Anhörungsergebnisse sorgfältig vorzubereiten und eventuelle Änderungsanträge zu erarbeiten. Da das Protokoll nicht vollständig vorliege, sei es auch nicht einmal möglich, in dieser Ausschußsitzung eine kursorische Lesung der Entwürfe mit Blick auf die im Hearing erfolgten Stellungnahmen vorzunehmen. Die CDU lehne daher eine Beratung der Entwürfe in dieser Sitzung ab. Ohne daß auf diese Erklärung der Opposition eingegangen wurde, begann die Beratung über die Entwürfe. Der Kultusminister nahm Stellung zu einem die verfaßte Studentenschaft betreffenden Problem. Hierauf stellte ein Abgeordneter der CDU fest, daß der Vorsitzende über die Erklärung der Opposition hinweg zur Tagesordnung übergegangen sei. Die Opposition verließ nach dieser Feststellung geschlossen die Ausschußberatungen. Hierauf faßte der Ausschuß ohne weitere Beratungen einstimmig folgenden Beschluß: „Der Ausschuß empfiehlt dem Plenum, die Gesetzentwürfe - Drucksache 8/5749 bis 8/5752 - unverändert anzunehmen und dem Kulturpolitischen Ausschuß zur Vorbereitung der dritten Lesung zurückzuüberweisen. Die
289
Nach § 38 GOHessLT werden Gesetzentwürfe in der Regel nur in zwei Lesungen beraten. Eine dritte Lesung ist obligatorisch bei Entwürfen für Haushaltsgesetze, Entwürfe für verfassungsändernde Gesetze und bei allen anderen Entwürfen, wenn eine Fraktion vor dem Beginn der Schlußabstimmung in zweiter Lesung eine dritte Lesung verlangt.
3. Das Landtagshearing
187
Beschlußfassung zu den Petitionen Nr. 3027/VIII, 3219/VIII wird zurückgestellt."
Damit endete diese 42. Sitzung des Kulturpolitischen Ausschusses. Am 18. Mai 1978 kam der KPA zu seiner 43. Sitzung zusammen. Inzwischen hatte die 2. Lesung der Entwürfe im hessischen Landtag am 28. April stattgefunden. Die Beratungen begannen um 9.10 Uhr. Auf der Tagesordnung standen, wie in der 42. Sitzung, die Entwürfe der Regierung und der Entwurf der CDU zu einem hessischen Universitätsgesetz. Zusätzlich aufgenommen worden war der Entwurf der CDU zu einem Gesetz über die Fachhochschulen des Landes. 290 Daneben standen 8 Petitionen auf der Tagesordnung. Die Tatsache, daß erst jetzt der Entwurf der CDU zu einem Fachhochschulgesetz auf die Tagesordnung des Ausschusses kam, erklärt sich damit, daß die Opposition diesen Entwurf erst spät im Parlament eingebracht hatte. Anwesend waren in dieser Sitzung, in der es in erster Linie wiederum um die Aufarbeitung der Anhörung vom 13. April gehen sollte, um die Ergebnisse dann in die 3. Lesung der Entwürfe einzubringen, zwanzig Mitglieder des Ausschusses und Vertreter der Ministerialbürokratie. Der Kultusminister selbst war nicht anwesend. Zu Beginn beantragte die CDU erneut die Anhörung weiterer Personenkreise. Ein Sprecher der FDP griff demgegenüber die Argumentation der SPD aus der 42. Sitzung des Ausschusses wieder auf, daß die Fraktionen auch schon vor dem Hearing genügenden Kontakt mit den Arbeitgebern, den Kammern und Berufsverbänden gehabt hätten. Die CDU entgegnete daraufhin, daß Besprechungen der einzelnen Fraktionen oder ihrer Vertreter mit Verbänden nicht das offzielle Hearing ersetzen können. Nur durch dieses könnte gewährleistet werden, daß alle Ausschußmitglieder den gleichen Informationsstand hätten. Nachdem klar wurde, daß die Mehrheit des Ausschusses einer nochmaligen Anhörung von zusätzlichen Verbänden nicht zustimmen würde, diskutierte man das weitere Verfahren der Beratungen. Der Vorsitzende verwies darauf, daß es keine Regelung in der Geschäftsordnung des Landtages gebe, jedoch bisher immer eine kursorische Lesung im Ausschuß stattgefunden habe. Die SPD wies darauf hin, daß während der kursorischen Lesung Fragen gestellt werden könnten, die für die Beratung sinnvoll seien. Allerdings müsse sie darauf hinweisen, daß eigentlich eine kursorische Lesung nicht mehr zulässig sei. Diese hätte vor der zweiten Lesung erfolgen müssen. Vor der dritten Lesung müßte es nur noch um die Beratung von konkreten Änderungsanträgen gehen.
290
Drucksache 8/5897.
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V. Der parlamentarische Prozeß der Gesetzgebung
Im Ergebnis führte man dann eine schnelle kursorische Lesung durch. Dabei schlug die Opposition zum HHG 21 Änderungen, zum HUG 16 Änderungen, zum FHG 5 und zum KHG 6 Änderungen vor, von denen keine akzeptiert wurde. Bei der kursorischen Lesung wurde in keinem nennenswerten Umfang auf die Stellungnahmen im Hearing Bezug genommen. Die Mehrheitsfraktionen beschlossen zum FHG fünf Änderungen, zum KHG 8 Änderungen, zum HHG 6 Änderungen und zum HUG 5 Änderungen. Auch bei diesen Änderungen ist das Hearing nicht als auslösendes Moment zu werten.
4. Die Stellung der Opposition und die Wahrnehmung der Parlamentsaufgaben Immer mehr setzt sich die Erkenntnis durch, daß Parlamentsmehrheit und Regierung auf solch vielfältige Weise miteinander verbunden und voneinander abhängig sind, daß eine wirksame Kontrolltätigkeit gegenüber der Exekutive von der Parlamentsmehrheit genausowenig zu erwarten ist, wie eigene von der Regierungsauffassung abweichende gesetzgeberische Initiativen. Diese vergröberte Grundstimmung in der wissenschaftlichen Diskussion, die die Gefahr beinhaltet, das Parlament als Institution im steten Niedergang zu begreifen, wird relativiert, indem man die Hoffnung auf ein wirksames Wahrnehmen parlamentarischer Funktionen auf einen Teil des Parlaments - auf die Opposition reduziert. 291 Solchermaßen findet sich die Opposition nicht nur als Hofifhungsträger für die mit der jeweiligen Exekutivführung Unzufriedenen, sondern steht auch im Mittelpunkt der Überlegungen derer, die die überkommenen Funktionen des 291
Grundsätzlich dazu Haberland, St., Die verfassungsrechtliche Bedeutung der Opposition nach dem Grundgesetz, Berlin 1995; Steffani, W. (Hg ), Regierungsmehrheit und Opposition in den Staaten der EG, Opladen 1991; Schneider, H.-P., Verfassungsrechtliche Bedeutung und politische Praxis der parlamentarischen Opposition, in: ders. / Zeh, W. (Hg.), Parlamentsrecht und Parlamentspraxis in der Bundesrepublik Deutschland, Berlin / New York 1989, S. 1055ff.; Oberreuter, H. (Hg.), Parlamentarische Opposition. Ein internationaler Vergleich, Hamburg 1975; Gehrig, N., Parlament - Regierung - Opposition. Dualismus als Voraussetzung für eine parlamentarische Kontrolle der Regierung, München 1969; Schneider, H. P., Die parlamentarische Opposition im Verfassungsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Frankfurt 1974; Schmid, C., Die Oposition als Staatseinrichtung, in: Der Wähler 1955, S. 499ff.; Schnabel, R. (Hg.), Die Opposition in der modernen Demokratie, Stuttgart 1972; Veen, H. J., Die CDU/CSU-Opposition im parlamentarischen Entscheidungsprozeß, München 1973; Loewenberg, G., Political Opposition im Germany, in: Festschrift für K. Loewenstein, Tübingen 1971, S. 227ff.; Hereth, M., Die parlamentarische Opposition in der Bundesrepublik, München / Wien 1969; Dahl, R. Α., Patterns of Opposition, in: ders. (Hg.), Political Oppositions in Western Démocraties, New Haven / London 1966; Sternberger, D., Über parlamentarische Opposition, in: Eisermann, G. (Hg.), Wirtschaft und Kultursystem, Erlenbach-Zürich / Stuttgart 1955, S. 301ff.; Sebaldt, M., Die Thematisierungsfunktion der Opposition. Die parlamentarische Minderheit des Deutschen Bundestages als innovative Kraft im politischen System der Bundesrepublik Deutschland, Frankfurt am Main / Berlin / Bern u. a. 1992.
4. Die Stellung der Opposition und die Wahrnehmung der Parlamentsaufgaben
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Parlaments von diesem auch ohne strukturell tiefgreifende Veränderungen weiterhin wahrgenommen sehen wollen. Nichts ist hier einfacher als alle funktionalen Zuordnungen zumindest materiell bei der Opposition aufgehoben zu sehen. Einfach deshalb, weil man meint, die Zuordnung für das Parlament bleibe erhalten, da dieses als Ganzes stets letztendlich über alle in seiner Kompetenz liegenden Fragen entscheide. An anderer Stelle der Studie wird ausführlicher begründet, warum die Wahrnehmung von parlamentarischen Funktionen, die gemeinhin dem Parlament als institutioneller Ganzheit zugerechnet werden, durch seine einzelnen Teile, insbesondere wenn sie selbst innerhalb der Institution Parlament eine eigene institutionelle Gründung finden, dem Parlament auch als Aufgabenerfüllung in seiner Gesamtheit zugeordnet werden kann und muß. Insofern spricht nichts gegen die Auffassung, daß die Opposition für das Parlament eine zentrale Kontrollfunktion wahrnimmt. 292 Anhand konkreter Entscheidungsabläufe muß allerdings untersucht werden, ob die Opposition ihre Rolle auch in dieser Weise versteht 293 und insbesondere auch, ob die äußeren Voraussetzungen für die Wahrnehmung einer solch wichtigen, für das Parlament als Ganzes überlebenswichtigen Funktion, gegeben sind. In der Regel erhält die Opposition in der Realität des Parlamentarismus in der Bundesrepublik erst dann offiziell Kenntnis von einem Gesetzgebungsentwurf der Exekutive, wenn die entsprechende Gesetzgebungvorlage von der Regierung oder von den Mehrheitsparteien aus technisch organisatorischen Gründen 'aus der Mitte' des Parlaments eingebracht wird und der Landtagspräsident diesen dann den Fraktionen zuleitet. Es ist leicht erkennbar, daß eine Opposition sehr große Schwierigkeiten hätte, wenn sie erst zu diesem Zeitpunkt beginnt, sich mit der Problematik des in Frage stehenden Gesetzgebungsbereichs zu beschäftigen. Aus diesem Grund begann auch die CDU Opposition des hessischen Landtages ungefähr zur gleichen Zeit wie die Ministerialbürokratie Überlegungen zur Anpassung der hessischen Hochschulgesetze an das HRG anzustellen. Die Arbeit der Opposition wird dadurch erschwert, daß sie nicht den fachlich notwendigen Stab zur Verfügung hat, um einen gleichwertigen Counterpart gegenüber
292
Vgl. Bäumlin, R., Die Kontrolle des Parlaments über Regierung und Verwaltung, ZSR II, S.
165 ff. 293
Das Selbstverständnis der Oppositionspolitiker versucht Hereth, M., Die Reform, S. 63, aufgrund von gesammelten Äußerungen zu systematisieren. Danach ist die Opposition: 1. Gegenspielerin und Alternative der regierenden Mehrheit, 2. Instrument der Veröffentlichung der Politik, 3. Garantie gegen Machtmißbrauch, 4. Alternative für den Wahlbürger, 5. Motor der parlamentarischen Auseinandersetzungen und 6. öffentliche Kritikerin der Regierung im Parlament.
190
V. Der parlamentarische Prozeß der Gesetzgebung
der Exekutive und der mit ihr verbundenen Parlamentsmehrheit zu spielen. Auch der tüchtigste Fachabgeordnete der Opposition könnte nicht das leisten, was zur gleichen Zeit eine Vielzahl von Ministerialreferenten erarbeitet. Dieses Ungleichgewicht wird noch dadurch verstärkt, daß auch die Ausstattung der Fraktionen des hessischen Landtages mit notwendigen Hilfspersonal zum damaligen Zeitpunkt nicht gut und im Vergleich mit anderen Bundesländern gering war. 2 9 4 Allerdings trifft diese mangelhafte Ausstattung nicht nur die Opposition. Daß in der Regel die Mehrheitsparteien viel schneller auf die Unterstützung und die Information des Ministerialapparates zurückgreifen 295, ist eine empirisch nicht mehr haltbare Auffassung, nachdem H. Quaritsch nachgewiesen hat 2 9 6 , daß Regierungswechsel die quantitativen Relationen der Inanspruchnahme der Hilfsdienste des Deutschen Bundestages nicht beeinflußt haben, wenn man die Relationen zwischen den einzelnen Fraktionen betrachtet. Daß die Opposition des hessischen Landtages mit ihrem Wunsch, einen funktionsfähigen parlamentarischen Hilfsdienst beim hessischen Landtag einzurichten, bei der Mehrheit auf Widerstand stieß, lag nicht daran, daß die Mehrheit ihren Informationsbedarf in der Ministerialbürokratie genügend abdecken konnte, sondern eher an der Befürchtung dieser Mehrheit, durch einen solchen Dienst die Opposition unnötig zu stärken. Dabei nahm man selbst eine eventuelle Einbuße an Unterstützung durch die Nichteinrichtung eines ausreichenden Hilfsdienstes in Kauf. Die CDU-Fraktion brachte schon am 25.5.1965 einen Initiativantrag „betreffend den Entwurf eines Gesetzes über die Errichtung ernes parlamentarischen Hilfsdienstes beim hessischen Landtag" ein. 297 In § 3 des Gesetzentwurfs wurden die Aufgaben eines solchen Hilfsdienstes genau umschrieben. Danach
294
Vgl. zur Hilfsausstattung der Länderparlamente und der einzelnen Fraktionen: speziell im Niedersächsischen Landtag Giesing , H. H., Gesetzgebungs- und Beratungsdienst beim Niedersächsischen Landtag, AÖR 1981, S. 25Iff.; Odewald, J., Der parlamentarische Hilfsdienst in den Vereinigten Staaten von Amerika und der Bundesrepublik Deutschland, Berlin 1967, S. 5Iff ; zu Rheinland-Pfalz ders., ebd., S. 54ff; zu Baden-Württemberg ders., ebd., S. 56ff.; vgl. auch die Übersicht von Creutzig, J., Die parlamentarischen Hilfsdienste im Bund und in den Ländern, DVB1 1967, S. 225ff. 295 So auch Kölble, J., DÖV 1964, S. 132. Deshalb plädiert Gehrig, N. auch ftlr „einen speziellen oppositionellen Kontrollapparat" (S. 305), der neben den noch weiter auszubauenden, allen Fraktionen zur Verfügung stehenden Hilfsapparat treten soll (S. 308). Für eine Differenzierung zwischen Parlamentsmehrheit und -minderheit hinsichtlich des Ausmaßes des Hilfsapparates auch Keller, Th. / Raupach, H., Informationslücke im Parlament. Wissenschaftliche Hilfseinrichtungen für die Abgeordneten des Deutschen Bundestages und der Länderparlamente, Hannover 1970, S. 91. 296 Quaritsch, H., Die wissenschaftlichen Dienste des Bundestages, in: FS für E. Forsthoff, München 1972, S. 303ff. 297
Hessischer Landtag, V. Wahlperiode, Drucksachen Abteilung I, Nr. 1415.
4 Die Stellung der Opposition und die Wahrnehmung der Parlamentsaufgaben
191
sollte er dem Landtag und seinen Fraktionen sowie den Abgeordneten bei der Erledigung ihrer parlamentarischen Arbeit zur Verfügimg stehen und insbesondere folgende Aufgaben wahrnehmen: a) Hilfeleistung bei der Erstellung von Gesetzentwürfen und Anträgen, b) rechtliche, insbesondere verfassungsrechtliche Überprüfung von Gesetzentwürfen und Anträgen, c) Erstellung von Rechtsgutachten und Auskunfterteilung in Rechtsfragen verfassungs- und verwaltungstechnischer Art, d) Anfertigung von rechtsvergleichenden Übersichten über die Rechts- und Verwaltungsvorschriften des Bundes und der Länder, e) Anfertigung von Übersichten und Quellenverzeichnissen zu Rechtsfragen, f) Hilfeleistung bei der Arbeit der Ausschüsse und Unterstützung der Berichterstatter bei der Abfassung von schriftlichen Ausschußberichten, g) Erstellung von Literaturübersichten zu politischen Themen. Die Notwendigkeit von Hilfseinrichtungen für die Parlamente wird inzwischen als wesentliches Mittel anerkannt, den Informationsvorsprung der Exekutive, insbesondere für die Opposition zu verringern. 298 Auch dieser Gesetzentwurf fiel der Tendenz jeder Parlamentsmehrheit, alles was von der Minderheit kommt erst einmal abzulehnen, zum Opfer. An dieser Ablehnung änderte weder die Tatsache etwas, daß sich der Entwurf der CDU eng an den beim Niedersächsischen Landtag eingerichteten Gesetzgebungs- und Beratunsdienst anlehnte noch, daß er fast wörtlich mit dem Gesetzgebungsentwurf der Fraktionen von SPD und FDP übereinstimmte, den diese 1964 im Bayerischen Landtag eingebracht hatten, und dessen Erfolg ebenso kläglich war wie im hessischen Landtag. Da damals kein größerer Hilfsdienst der Opposition für den Hochschulgesetzgebungsprozeß zur Verfügung stand, mußte sie sich auf die bescheidenen vorhandenen Hilfsressourcen stützen. Technisch konnte die Oppositionsfraktion genau wie die anderen Fraktionen auf die Materialsammlungen des Landtages zurückgreifen, die von der Biblio-
298
So Herzog, R., Möglichkeiten und Grenzen einer Beteiligung des Parlaments an der Zielund Ressourcenplanung der Bundesregierung, Gutachten, erstattet der Projektgruppe Regierungsund Verwaltungsreform, Bonn 1971, S. 99f. Dabei wird in der Euphorie, endlich ein Allheilmittel gegen den schwindenden Einfluß des Parlaments, den man festzustellen glaubt, gefunden zu haben, die Kontrolle oft mit der Legislativfunktion gleichgesetzt. So ζ. B. Gehrig, N., wenn er ausführt: „Nur mit Hilfe eines modernen oppositionellen Kontrollapparates kann den Tendenzen einer sich der parlamentarischen Kontrolle allmählich entziehenden, immer mächtiger werdenden Regierung entgegengewirkt werden!" (S. 308)
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V. Der parlamentarische Prozeß der Gesetzgebung
thek betreut werden. Jedoch helfen auch die ca. 30.000 Bände und der konventionelle Katalog nicht sehr viel weiter, fundiert eigenständige Alternativen zum Gesetzgebungsentwurf der Exekutive zu entwerfen. Die CDU griff deshalb weitgehend auf den Sachverstand der außerhalb der Fraktion, aber in der Partei vorhanden war, zurück. 299 In Arbeitskreisen etc. wurden Gegenvorstellungen entwickelt. Auch außerhalb der Partei stehende Hochschulangehörige und Experten wurden dankbar als Gesprächspartner und Helfer akzeptiert. Um besonders diesen Sachverstand zu mobilisieren, wurde ein hochschulpolitisches Hearing veranstaltet. Dennoch reichte die Kapazität der Opposition offenbar nicht aus, auf allen Gebieten dem Regierungsentwurf einen eigenen ausformulierten Alternatiworschlag gegenüberzustellen. Die Ursache war nicht etwa, daß man mit den Vorschlägen der Exekutive hier uneingeschränkt zufrieden gewesen wäre oder gar die wichtigen Bereiche der Fachhochschulen oder Kunsthochschulen vernachlässigen wollte, sondern hier zeigte sich sehr deutlich, daß bei der augenblicklichen Ausstattung der Opposition mit Hilfspersonal und organisatorisch-technischem Apparat, diese gerade bei umfangreichen Gesetzgebungsvorhaben - die zugegebenermaßen nicht allzu häufig in den Länderparlamenten vorkommen - in der Konkurrenz mit dem Ministerialapparat unterliegen muß. Gewiß ist es deshalb fehl am Platze, wenn die Regierung oder die sie tragende Mehrheit mit Schadenfreude darauf verweist, daß es mit der Qualität einer Opposition nicht allzu weit her sein könne, wenn sie es nicht einmal fertig bringe, einen geschlossenen Gegenentwurf zu erstellen. Um das Dilemma, in dem sich jede Opposition befindet zu lösen, gibt es zwei Möglichkeiten. Entweder man versucht alles, um die Opposition institutionell und materiell dergestalt auszustatten, daß sie ein wirksames Gegengewicht zur Parlamentsmehrheit und ihrer Exekutive nicht nur in der Wahrnehmung ihrer Kontrollfunktion, sondern auch im Legislativprozeß bilden kann, oder aber man verzichtet darauf, daß die Ausstattung auch für den Legislativprozeß 'reichen' muß, und akzeptiert letztlich, daß die Opposition hier nur eine beschränkte Rolle zu spielen hat 3 0 0 , da die Chancen, daß ihre Vorschläge eine Mehrheit finden, ohnehin sehr gering sind.
299 Zu solch informellen Kontakten vgl. Kruse, H., Hilfsdienst für die Parlamente, in: Handbuch der Interparlamentarischen Arbeitsgemeinschaft, bearbeitet von der Geschäftsstelle der Interparlamentarischen Arbeitsgemeinschaft, Bonn 1954, S. 20ff. 300 Nicht zuzustimmen ist der Ansicht, daß auch die Parlamentsmehrheit im legislativen Prozeß nur eine beschränkte Rolle spielen und auf 'Gesetzgebungs-Detailarbeit' grundsätzlich verzichten und sich mit dem Parlament als Ganzem auf die Aufgabe des politischen Richtungsgebers beschränken sollte. So aber Fromme, F. K., Totalrevision' des Grundgesetzes, Eine situationsbedingte Forderung als Ausdruck des sich wandelnden Verfassungsverständnisses, ZfP 1970, S. 87ff. (S.
4. Die Stellung der Opposition und die Wahrnehmung der Parlamentsaufgaben
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Diese Alternativen setzen allerdings voraus, daß man den Ausstattungsaufwand - verstanden als Personal und Informationsmaterial - unterschiedlich ausgeprägt bei Kontrollfunktion und Legislativfunktion beurteilt. Hier ist ein nicht nur gradueller Unterschied, sondern auch ein großer qualitativer gegeben. Die Kontrolle der Exekutive in ihrem Verwaltungshandeln kann der einzelne Abgeordnete sehr gut mit geringem Aufwand ausüben, auch wenn er der Opposition angehört. Allem durch das Instrument der parlamentarischen Anfrage kann er mit Unterstützung der Medien einen Verwaltungsapparat in Bewegung setzen und die Regierung sehr wohl dazu veranlassen, nicht allzu übermütig zu werden. Hier braucht der Abgeordnete keinen großen wissenschaftlichen Apparat, sondern eine vernünftige Sachausstattung und alles andere hängt weitgehend von seiner Energie, seinem Mut und seiner Intelligenz ab. 301 Anders sieht es bei komplexen Gesetzgebungsprozessen aus. Hier kann der Abgeordnete der Opposition sich in den seltensten Fällen neben semen anderen Verpflichtungen auch noch mit nur annähernd gleichem Aufwand an die Erarbeitung eines kompletten Alternativentwurfs machen, ohne daß ihm dafür ein institutionell abgesicherter Apparat von qualifizierten Leuten zur Seite steht. Alle Überlegungen, die in der Institutionalisierung eines parlamentarischen Hilfsdienstes ein Mittel sehen, das Parlament insgesamt und besonders die Opposition gegenüber der Exekutive und ihrer Parlamentsmehrheit zu stärken, gehen davon aus, daß der Hilfsdienst sowohl einer Stärkung der Kontroll- als auch der Legislativfunktion zugute kommt. Solange man jedoch nicht zwischen den verschiedenen Funktionen, die von den einzelnen Teilen des Parlaments von Mehrheit und Opposition wahrgenommen werden - oder in erster Linie wahrgenommen werden müssen - differenziert und auch keinen Unterschied zwischen dem verschiedenen Hilfsbedarf bei Wahrnehmung der Kontrollfunktion und Legislativfunktion macht, wird man zu keiner befriedigenden Einigung
115 FN 63). Dies würde die endgültige Kapitulation der Legislative vor der Exekutivbürokratie beinhalten. 301 Dies gilt auch für die sehr komplexen Entscheidungen, die mit der fortschreitenden Entwicklung der Technologie in Zusammenhang stehen. Es erscheint sehr zweifelhaft, ob eine eigenständige Bürokratie des Parlaments für diesen Bereich, wie sie in dem Antrag der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag auf Einrichtung eines 'Amtes zur Bewertung technologischer Entwicklungen beim Deutschen Bundestag' (Deutscher Bundestag, 7. Wahlperiode, Drucksache 7/468) enthalten ist, um die Auswirkungen der technologischen Entwicklung und der damit verbundenen Entscheidungen besser kontrollieren zu können (vgl. die Begründung des Antrags der CDU/CSU-Fraktion v. 16.4.1973), tatsächlich die Kontrolleffektivität der Abgeordneten erhöhen kann. Positiv zu diesem Vorschlag mit eingehender Begründung und Hinweis auf das Office of Technology Assessment' beim amerikanischen Kongreß Quick, H. J., Organisationsformen der wissenschaftlichen Beratung des Parlaments. Eine Untersuchung zur institutionellen Verankerung einer Technologiebewertungseinrichtung beim Deutschen Bundestag, Berlin 1976, S. 80ff.
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V. Der parlamentarische Prozeß der Gesetzgebung
über den Umfang der grundsätzlich von allen geforderten Hilfsdienste kommen. Wie sollte man auch? Fordert die Komplexität der immer vielfältiger werdenden Gesetzgebungsbereiche von der Sache her einen ständig bereiten, sich immer auf dem laufenden haltenden hochqualifizierten Hilfsapparat, bedarf es für die Kontrolle der Alltagsarbeit der Exekutive weit weniger. Wenn man aber solche Differenzierungen nicht macht, muß man von dem Bedarf an Hilfe ausgehen, der eine optimale Erfüllung der zugewiesenen Funktion ermöglicht. Dies bedeutet trotz aller Warnungen, daß man selbstverständlich keine „parlamentarische Gegenbürokratie" anstrebe, 302 letztlich nicht viel anderes. Denn wo soll die Grenze hier gezogen werden? Handelt es sich um ein kompliziertes finanzrechtliches Gesetz, kann man nicht die Hilfe des Hochschulexperten aus dem parlamentarischen Hilfsdienst in Anspruch nehmen? Die Beispiele ließen sich ins Unendliche weiterführen. 303 Die Lösung des parlamentarischen Dilemmas der Opposition liegt nicht in einer Ausweitung des Hilfsdienstes, 304 sondern in einer grundsätzlichen Neuformulierung der funktionalen Rolle der Opposition und der Parlamentsmehrheit untereinander und in ihrem Verhältnis zur Exekutive. 305 Bei dieser funktionalen Neuverteilung, die sich im übrigen in der politisch-parlamentarischen Praxis faktisch schon vollzogen hat, muß man stärker von der Differenzierung zwischen Kontroll- und Legislativfunktion ausgehen. Tatsache ist, daß die Opposition innerhalb der Legislativfunktion, die dem Parlament immer noch auch materiell zur gesamten Hand zugeordnet wird, schwache materielle Einflußmöglichkeiten besitzt. 306
302
So Kölble, J., ZfP, S. 132.
303
Daß ein solcher Hilfsapparat auch bei extensiver Ausstattung niemals in der Lage sein wird, mit der Ministerialbürokratie gleichzuziehen, unterstreicht Sontheimer, K., S. 154. Auch Bracher, K. D., Gegenwart und Zukunft der Parlamentsdemokratie in Europa, in: Kluxen, K., Parlamentarismus, 2. Aufl., Köln / Berlin 1969, S. 70ff. warnt in diesem Zusammenhang vor einer „Bürokratisierung des Parlamentarismus" (S. 80). 304 So auch Ellwein, Th., Regieren und Verwalten, Opladen 1976, der die „als möglich angesehene" Aufarbeitung der Komplexität durch Erweiterung der Hilfsapparate „als Irrweg" bezeichnet (S. 111); vgl. Odewald, J., S. 17 und S. 138ff., der allerdings im Ergebnis zu einer Zustimmung kommt (S. 108f.). 305 Für eine funktionsbeschränkende, selbstbescheidende Neudefinition parlamentarischen Selbstverständnisses und parlamentarischer Aufgaben offenbar auch Sontheimer, K., der die Aufgabe „des in Regierungsmehrheit und Opposition gegliederten Parlaments" als „ein kritischer Begleiter der Regierung zu sein - die einen stützend, die anderen rügend ..." sieht (S. 153). 306 A. Mg. Steiger, H., S. 85: „Bei der Gesetzgebung hat sich in der bisherigen Praxis weitgehend eine Kooperation des gesamten Bundestages und eine gewisse Gegenüberstellung zur Bundesregierung durchgesetzt." Kritisch dazu Hereth, M., Die Reform, S. 24ff.: „Die Kooperationsori-
4. Die Stellung der Opposition und die Wahrnehmung der Parlamentsaufgaben
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Wer dies beklagt, übersieht dabei, daß das V o l k durch sein Wahlvotum dies auch so wollte. Deshalb wäre niemand überraschter als der Bürger, wenn plötzlich nicht mehr die Parlamentsmehrheit und 'ihre' Exekutive gestalterisch die Lebens Verhältnisse beeinflußten, sondern auch die Opposition, die man durch sein V o t u m eben gerade davon ausschließen wollte, da man ihre gestalterischen Grundkonzeptionen ablehnte. A l s Zwischenergebnis der Betrachtungen über die Notwendigkeit ernes eigenständigen
4
Kontrollapparates ' der Opposition muß festgestellt werden, daß
weder die Kontrollfunktion, die die Hauptaufgabe der Opposition ist, noch die Legislativfunktion, in der die Opposition eine qualitiativ andere Aufgabe als die Parlamentsmehrheit zu erfüllen hat, den Ausbau eines eigenständigen größeren Hilfsaparates erfordern. Z u diesem Ergebnis führten uns allein die Überlegungen, ob die Vorteile eines solchen Apparates, nämlich eine Stärkung der Opposition und damit auch des Parlaments in toto einen solchen Hilfsapparat rechtfertigen könnten. Dabei blieb noch unberücksichtigt, ob ein solcher Apparat nicht sogar Nachteile m i t sich bringen könnte, die unseren Standpunkt einer Ablehnung eines extensiven Hilfssystems noch untermauern könnten.
entierung der Arbeitsweise des Bundestages scheint uns ein wesentlicher Defekt der deutschen politischen Ordnung zu sein" (S. 25). Will die Opposition tatsächlich Einfluß nehmen und Hereth, M., Die Reform, unterstellt ihr dies, „Die Opposition ist eine Gruppe im Parlament neben anderen, die sich meist ebenso wie diese bemüht, Gesetzgebungswerke in ihrem Sinn zu beeinflussen" (S. 63), dann macht sie tunlichst davon kein großes politisches Aufsehen. Insofern steht sie hier in einem kaum lösbaren Konflikt. Will sie Veränderungen an den Entwürfen um der Sache willen bewirken, muß sie dies in diskreten Ausschußverhandlungen tun - die Fälle, in denen sie durch Mobilisierung der Öffentlichkeit effektiv Druck ausüben kann, sind selten - will sie ihrer Rolle als Instrument zur Veröffentlichung der Schwächen der Regierungspolitik und personell-sachlichen Alternative zur regierenden Mehrheit gerecht werden, verliert sie konkrete Einwirkungsmöglichkeiten, da die Parlamentsmehrheit immer meint, sich keine öffentlich erkennbaren 'Rückzüge' leisten zu können. Vgl. zur Entwicklung Raschke, J., S. 36. Kritisch zur Kooperationsorientierung Vare in, H. J., Das Parlament im Parteienstaat, PVS 1964, S. 339ff. (S. 345). Hereth, M., Die Reform, S. 25, sieht gar in dieser den wesentlichen Defekt der deutschen politischen Ordnung. Dies erscheint jedoch von der bisher immer noch nicht schlüssig bewiesenen These auszugehen, daß Demokratie bis in die letzte Verästelung hinein auch Konflikt und dessen offene Austragung bedeuten muß. Zur historischen Entwicklung der Kooperationsmechanismen vgl. Lehmbruch, G., Proporzdemokratie, Tübingen 1967; Grosser, D., Die Sehnsucht nach Harmonie. Historische und verfassungsstrukturelle Vorbelastungen der Opposition in Deutschland, in. Obeiteuter, H. (Hg ), Parlamentarische Opposition. Ein internationaler Vergleich, Hamburg 1975, S. 206ff. 14 Mengel
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Auch die Befürworter eines oppositionellen Kontrollapparates bzw. eines „politischen Planungs- und Aktionsstabes" 307 sehen die möglichen Nachteile auch bei der Frage eines Hilfsdienstes für das gesamte Parlament. Einmal besteht die Gefahr, daß der dienende Hilfsstab sich anstelle der Abgeordneten setzt 308 , indem er ihnen fertig formulierte Gesetzgebungsentwürfe etc. in die Hand gibt. 3 0 9 Nur zu Recht weist man hier darauf hin, daß dieselbe Gefahr im Verhältnis von Ministerialbürokratie und politischer Führung besteht und im großen Ausmaß schon nicht mehr Gefahr sondern Realität ist. Insofern ist G. Leibholz zuzustimmen, wenn er meint, daß „letzten Endes die Persönlichkeit des einzelnen Abgeordneten entscheidet", ob er „den Apparat oder der Apparat ihn beherrscht" 310 . Gerade in der Notwendigkeit den Hilfsapparat dann unter Kontrolle zu halten, sieht Th. Ellwein anstatt einer Hilfe eine weitere Belastung für den Abgeordneten. 311 Der Nachteil liegt jedoch auch bei dem Ausbau eines solchen umfangreichen Hilfssystems darin, daß sich dessen Verbürokratisierung nicht vermeiden läßt. Es besteht die große Gefahr, daß sich dann mehrere Bürokratien, die der Ministerialseite und die der Parlamentsmehrheit auf der einen Front und die der Opposition auf der anderen mit fließenden Übergängen gegenüberstehen und noch mehr als bisher die politische Gestaltungskraft auf der Strecke bleibt, deren bester Garant nach wie vor die Persönlichkeit, die Kreativität, der Mut, das politische Gespür der politisch Verantwortlichen in Parlament und Exekutive ist. Durch eine Verbürokratisierung des parlamentarischen Betriebes ginge auch der Kontakt und das Vertrauen der Bevölkerung zum Parlament weiter zurück. Man stelle sich nur einmal vor, wenn eine Eingabe an den Abgeordneten von diesem nicht durch den einen oder anderen Telefonanruf, wenn auch teilweise mit Hilfe eines seiner unmittelbaren Kontrolle unterliegenden Assi-
307
So Kölble, J., ZfP, S. 136. Vgl. Bracher, K. D., Gegenwart und Zukunft der Parlamentsdemokratie in Europa, in: ders., Deutschland zwischen Demokratie und Diktatur, Beiträge zur neueren Politik und Geschichte, Bern / München / Wien 1964, S. 382ff. (S. 395). 308 Schäfer, F., Der Bundestag, plädiert zwar für einen gewissen Ausbau der Hilfsdienste, warnt jedoch gleichzeitig davor, daß bei einem Ausbau nach amerikanischem Vorbild die Parlamentsbürokratie zu einem eigenen Gesetzgeber werden kann (S. 19). Vgl. dazu auch Keller, Th. / Raupach, H.; Petermann, Th. (Hg.), Das wohlberatene Parlament. Orte und Prozesse der Politikberatung beim Deutschen Bundestag, Berlin 1990; Jekewitz, J., Das Personal der Parlamentsfraktionen: Funktion und Status zwischen Politik und Verwaltung, ZParl 1995, S. 395ff. 309 Hierin sieht Jochimsen, R., die Gefahr der „gegenseitigen Informationsabschirmung", Gutachterliche Stellungnahme, in: Präsident des Landtages Nordrhein-Westfalen (Hg.), Parlamentarische Kontrolle der Regierungsplanung, Düsseldorf 1973, S. 55ff. 310 311
Leibholz, G., S. 309, der deshalb meint „der Versuch sollte gewagt werden" (S. 308).
Ellwein, Th., Regieren und Verwalten, S. 111: „Der ihm persönlich zugeordnete Stab will als Potential zur Geltung kommen, so daß der Abgeordnete Uber seine eigenen Kräfte hinaus tätig werden muß. Das entfernt ihn noch mehr von seiner ursprünglichen Funktion als Volksvertreter."
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stenten bearbeitet würde, sondern in den Geschäftsgang des Parlamentsbetriebes gegeben würde, und von dort letztendlich wiederum auf dem Tisch eines Ministerialbeamten landen würde? So ist abschließend festzuhalten, daß nicht nur die eventuellen Vorteile eines eigenständigen oppositionellen Hilfsdienstes nicht zu einer Stärkung der oppositionellen Stellung führen, sondern daß ein solcher Apparat sogar auf die politische Durchschlagskraft, auf die Lebendigkeit oppositioneller Politik und den Kontakt zum Bürger nachteilig wirken kann. Letzteres besonders dann, wenn man das Heil der Opposition nicht nur in der Schaffung eines konventionell ausgerüsteten Apparates sieht, sondern auch noch darauf abhebt, daß dieses Hilfsorgan „stark genug zu Entwicklung echter sachlicher Alternativen zum Regierungsprogramm sein müßte, wobei er sich insbesondere auf die allgemeine Datenbank im Verbund mit den in Betracht kommenden Spezialdatenbanken stützen..." könnte. 312 Die ablehnende Haltung gegenüber einem größeren oppositionellen Hilfsapparat führt nicht dazu, jegliche Ausstattung zu verweigern. 313 Im Gegenteil, damit die Abgeordneten ihre Funktion erfüllen können, bedürfen sie besonders einer parlamentarischen Grundausstattung auf Sachbearbeiterebene, die ihnen die Routinearbeiten erleichtern. In vielen Länderparlamenten und im Bundestag sind diesbezüglich in den letzten Jahren große Fortschritte gemacht worden. Wenn eine solche Grundausstattung vorhanden ist, liegt es dann in der Tat an der Qualität der Abgeordneten der Oppositionsfraktion, ob sie die ihr zuzuordnende Funktion optimal wahrnehmen kann oder nicht. Mangel an Qualität kann man auch durch noch so perfektionierte Hilfseinrichtungen nicht ersetzen, da ein unfähiger Abgeordneter auch mit einem optimal erarbeiteten Entscheidungshilfepapier nur wenig anzufangen weiß. Wenn jedoch in Übereinstimmung mit der gängigen Auffassung der Bürgerschaft die Opposition im Gesetzgebungsprozeß nicht dieselbe Rolle spielen kann und soll wie die Parlamentsmehrheit, dann bleibt zu fragen, ob sie überhaupt im Legislativbereich eine Funktion - außer der der letztendlich formalen Schlußabstimmung und den vorhergehenden anderen Formalien - wahrzuneh312 So Kölble, J., ZfP, S. 136. Allerdings hat sich der hier zum Ausdruck kommende Optimismus über den effektiven Einsatz von Datenbanken etc. im Rahmen politischer Planung in dem seither vergangenen Jahrzehnt außerordentlich relativiert, so daß es durchaus zweifelhaft sein kann, ob Kölble noch heute daran festhalten würde. Auch die SPD fordert auf dem Parteitag in Nürnberg am 21.3.1968 den „gesetzlich gesicherten Zugang des Parlaments zu einer von der Bundesregierung zu errichtenden zentralen Datenbank", in: Vorstand der SPD (Hg.), Sozialdemokratische Perspektiven im Übergang zu den siebziger Jahren, Bad Godesberg 1968, Abschnitt III E. 313
Dies ist auch bei den Gegnern einer Ausweitung des Hilfsdienstes unumstritten. Vgl. Ellwein, Th., Regieren und Verwalten, S. 111.
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V. Der parlamentarische Prozeß der Gesetzgebung
men hat und welche dies ist. Dabei darf man sich nicht durch die zahlreichen formalen Funktionen, die auch die Abgeordneten der Opposition in einem Legislativprozeß wahrnehmen, täuschen lassen. Die Teilnahme an den Lesungen, an den Ausschußsitzungen, den Hearings, sagt noch nichts über die tatsächlichen Einflußmöglichkeiten und die materielle Funktion aus. Einigkeit besteht über den auch empirisch nachzuweisenden Tatbestand, daß diese materielle Einflußmöglichkeit auf ein Gesetzgebungsvorhaben der Parlamentsmehrheit, gleich ob es von dieser selbst oder von der von ihr getragenen Exekutive initiiert wurde, sehr gering ist. Wenn dies jedoch so ist, dann stellt sich die Frage, warum sich die Opposition der Mühe unterziehen soll, einen eigenen vollständigen Alternativentwurf vorzulegen. Wie ausgeführt, erwartet die Öffentlichkeit kaum, daß ein solcher Oppositionsentwurf von der Mehrheit des Parlaments plötzlich übernommen wird. In diesem Falle kann es nicht Aufgabe der parlamentarischen Opposition sein, Gesetzgebungsvorhaben der Mehrheit oder/und der Exekutive Alternativentwürfe gegenüberstellen. Damit entfällt jedoch auch ein wesentliches Argument für einen großen qualifizierten Hilfsdienst, der besonders die Opposition zu unterstützen hätte. Dennoch hat auch die Opposition im Legislativprozeß eine wichtige Funktion wahrzunehmen, die allerdings eher eine Wahrnehmung ihrer Kontrollfunktion innerhalb des Legislativprozesses darstellt als eine materielle Ausübung und Beteiligung an diesem. Die Rolle der Opposition im Legislativprozeß besteht einmal darin, sehr genau zu kontrollieren, ob die Formalien der Gesetzgebung eingehalten wurden und den Prozeß, der zu Regierungs- bzw. Mehrheitsentwürfen geführt hat, transparent zu machen. Zu fragen, welche Interessen Einfluß genommen haben und wer nicht gehört wurde. Ferner ist es Aufgabe der Opposition in diesem Prozeß, das Vorhaben politisch einzuordnen und zu werten und den Bürger kritisch darüber aufzuklären. Zwar ist es richtig, daß zu dieser Kritik auch eigene Vorstellungen von der richtigen Lösung und Handhabung eines Problems Voraussetzung i s t 3 1 4 , jedoch beinhaltet dies durchaus nicht, daß die Opposition ständig gezwungen ist, konkret formulierte Alternativen vorzuschlagen. Dies ist nur dann sinnvoll, wenn sie der Öffentlichkeit beweisen will, daß bei einer wichtigen Frage eine bessere Lösung schon fertig vorlag, die Mehrheit jedoch aus politischen Gründen die ihrer Auffassung nach objektiv schlechtere gewählt hat. Dazu braucht sie jedoch keinen größeren Hilfsapparat, sondern hier kommt es in erster Linie auf das politische Gespür an. Der für solch einzelne konkrete Alternativformulierungen notwendige Sachverstand 314 Vgl. Gehrig, N.: „Um kritisieren zu können, benötigt das Kontrollorgan ein eigenes Konzept, einen selbständigen Maßstab, an dem das Verhalten der Regierung gemessen wird." (S. 4)
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sollte in der Regel bei den Fachabgeordneten der Oppositionsfraktion oder, wenn dort nicht, in der Gesamtpartei zu mobilisieren sein. Noch nicht beantwortet ist die Frage, ob ein Hilfsapparat für die Opposition nicht dann erforderlich ist, wenn sie selbst einmal initiativ werden will und einen eigenen Gesetzentwurf einbringen möchte, um ihre Regierungsfähigkeit deutlich zu machen, oder aber darauf hinzuweisen, daß die Parlamentsmehrheit und die Exekutive diesen betreffenden Bereich bisher vernachlässigt haben. Erstere Absicht ist sicherlich sinnvoll. Alles, was dazu dient, die Machtwechselchancen im parlamentarischen Betrieb zu erhöhen, verdient Unterstützung. Wenn das Vorlegen von eigenständig formulierten Gesetzgebungsentwürfen der Opposition tatsächlich die Chance erhöht, von "der Mehrheit der Bürger als regierungsfähig anerkannt zu werden, dann müßte darüber nachgedacht werden, ob dafür nicht ein hochqualifizierter Apparat zur Verfügung stehen müßte. Die dafür notwendige Prämisse, daß die Vorlage von eigenen Gesetzgebungsentwürfen, die nicht als Alternative zu einem gerade laufenden Gesetzgebungsentwurf der Exekutive oder der Parlamentsmehrheit angesehen werden können, die Wertschätzung der Opposition in der Bürgerschaft erhöht und damit zu einem Regierungswechsel nach der nächsten Wahl beiträgt, ist nirgends nachgewiesen und mehr als zweifelhaft. Es interessiert die Mehrzahl der Bürger wenig, ob die Opposition einen fertig ausformulierten Gesetzgebungsantrag eingebracht hat oder lediglich im Parlament die Regierung drängt, auf diesem Gebiet initiativ zu werden und dabei natürlich ihre Grundvorstellungen in die Diskussion einbringt. Lediglich der eine oder andere Interessenverband ist daran interessiert, die Opposition auf schon gesetzesreife Formulierungen, mit denen er bisher bei der Exekutive und der Mehrheit des Parlamentes kein Erfolg hatte, festzulegen, da bei einer eventuellen Regierungsübernahme die augenblickliche Opposition in Zugzwang gebracht werden kann. Ansonsten ist die Wirkung in der Öffentlichkeit und damit die Beeinflußbarkeit der Chancen der Opposition in der Bürgerschaft durch eigene Initiativgesetze gering. Dabei ist trotzdem nicht ausgeschlossen, daß die Opposition auch einmal in einem ihr wichtig genug erscheinendem Gebiet einen vollständigen Gesetzentwurf einbringt, um deutlich zu machen, daß die Regierung dieses Gebiet vernachlässigt hat. Für ein solches Vorhaben kann sie sich jedoch Zeit nehmen und hier genügt auch die Mobilisierung des innerhalb und außerhalb der Fraktion und Partei vorhandenen Sachverstandes; auch durch solche Arbeiten wird ein eigenständiger Hilfsapparat mit beträchtlichem Aufwand nicht gerechtfertigt. Auf den konkreten Prozeß der Hochschulgesetzgebung im hessischen Landtag bezogen, bedeuten die Ausführungen über die Stellung der Opposition, daß ein ihr zur Verfügung stehender Hilfsdienst in keiner Weise ihre Mitwirkungs-
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V. Der parlamentarische Prozeß der Gesetzgebung
möglichkeiten oder die Chance eines Machtwechsels bei der nächsten Wahl erhöht hätte. Weder hätten sich die Koalitionsparteien von einem geschlossenen vollständigen Alternativentwurf der Opposition, der unter Umständen mit Unterstützung eines solchen Hilfsdienstes hätte erstellt werden können, veranlaßt gesehen, diesem Entwurf zuzustimmen oder auch nur Teile davon zu übernehmen noch hätte eine solche Vorlage erhöhte Anerkennung oder Interesse bei den Bürgern bewirkt. Die Opposition hat m. E. in dieser Hinsicht schon zu viel getan, indem sie sich dazu entschloß, einen eigenen Gesetzgebungsentwurf zum hessischen Universitätsgesetz vorzulegen. Es wäre sicherlich nützlicher gewesen, wenn sie sich auf die wesentlichen Bestimmungen aller Gesetzentwürfe der Exekutive konzentriert hätte und hier ihre abweichenden Auffassungen deutlich gemacht hätte. Insofern hätte sie die schadenfrohen Bemerkungen aus dem Mehrheitslager, daß sie als Opposition es nicht einmal fertigbringe, vollständige Alternativen zu entwickeln, offensiv mit dem Hinweis kontern müssen, daß es nicht ihre Aufgabe sei, der Regierung und den sie tragenden Parteien die gestalterische Gesetzgebung abzunehmen, sondern daß die Opposition die Alternativen im Grundsätzlichen aufzuzeigen habe und Details nur aufgrund der vorliegenden Regierungsentwürfe beurteilen wolle. Hier allerdings hätte die Opposition sehr viel mehr tun können. Nur auch in diesem Bereich hätte es keines größeren Hilfsapparates bedurft, da es durchaus zumutbar und machbar erscheint, wenn sich der oder die entsprechenden Experten der Fraktion und Partei unter Umständen in Zusammenarbeit mit Fachleuten, die zwar nicht Mitglied der Partei sind, jedoch ihr ihren Rat zur Verfügung stellen, zusammengefunden hätten und Paragraph für Paragraph auch unter Zuhilfenahme der Stellungnahmen der Betroffenen und Interessenverbände Alternativen geprüft und dann in den Gesetzgebungsprozeß hätten einfließen lassen. Auf diese Weise hätte die Opposition sehr viel besser die andere Seite unter Zugzwang gebracht. Die Exekutive hätte zu jedem Punkt erklären müssen, warum sie der Alternative der Opposition nicht folgen wolle. Daß dies nicht nötig war und die Diskussion sich darauf beschränkte, im wesentlichen die von beiden Seiten vorliegenden Entwürfe wechselseitig pauschal und grundsätzlich abzulehnen, lag in keiner Weise an der fehlenden Ausstattung der Opposition mit einem Hilfsapparat.
VI. Zusammenfassende Thesen und Bemerkungen zu Teil I Aus der Analyse des hessischen Hochschulgesetzgebungsprozesses lassen sich schwerpunktmäßig folgende zusammenfassende Thesen und Bemerkungen ableiten, deren allgemein gültige Bedeutung für andere gesetzgebende Prozesse auch unter Berücksichtigung spezifischer Besonderheiten jedes einzelnen solchen Verfahrens nicht ohne weiteres von der Hand zu weisen ist. 1. Die Ministerialbürokratie orientiert sich nicht unbedingt an objektiven Kriterien der Sachgerechtheit und Effektivität der Lösung. Dazu wäre Voraussetzung, daß man den erreichbaren Sachverstand innerhalb und außerhalb der Bürokratien aktiviert. Ferner wären eine grundsätzlichere Analyse der bisherigen Regelungen, ihren Wirkungen in der Praxis und der Mut erforderlich, auch frühere Entscheidungen des eigenen Hauses zu revidieren. 2. Die Ministerialbürokratie orientiert sich auch in außerordentlich geringem Umfang an politisch-gestalterischen Vorgaben der politischen Führung. Ursache dafür ist die mangelnde Ausstattung der Führungsebene der Ressorts und die Überlastung der verantwortlichen Führung. ' 3. Innovations- und Änderungsanstöße, die von außen in die Ministerialbürokratie kommen, ζ. B. während der Anhörung der Betroffenen und der Verbände, werden in unzureichendem Maße aufgegriffen. Diese Vorschläge, die oftmals auch unter der notwendigen Relativierung durch gruppenspezifische Gesichtspunkte sachgerechter sind, stoßen auf zwei, ihrer Durchsetzung hinderliche Tatsachen: - Sie haben das Odium lediglich Interessen zu vertreten. Die Akzeptanz pluralistischer Interessenvorschläge im demokratischen Entscheidungsprozeß ist noch unterentwickelt. - Sie müssen einen bereits niedergeschriebenen Entwurfstext verdrängen, dessen Autoren durch ihre Nähe zur Führungsspitze diesen Verdrängungsprozeß auf sehr effektive Weise verhindern können. 4. Potenziert wird der unbefriedigende Prozeß der Entscheidungsfindung auf Ministerialbürokratieebene zum negativen hin durch Zeitdruck. Dieser wird allerdings nicht selten als 'Alibi' für vieles benutzt, was auf dieser Ebene auch ohne terminliche Vorgaben eher ungeplant, unkoordiniert und unreflektiert entstanden wäre.
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VI. Zusammenfassende Thesen und Bemerkungen zu Teil I
5. Der Interesseneinfluß, der so oft als Gefahr für die Grundstruktur westlicher Demokratien angesehen wird, kann - soweit er offen auf der Ebene der Anhörungen zu den Referentenentwürfen oder später im Parlamentshearing erfolgt - ein wesentliches Korrektiv für die Versäumnisse und Fehler der eigentlichen Entscheidungsträger - Ministerialbürokratie, Parlament - sein. Voraussetzung dafür ist, daß die Stellungnahmen aller Gruppen und Verbände der Öffentlichkeit und insbesondere auch den konkurrierenden Gruppen zugänglich sind, und insbesondere die Ministerialbürokratie mit dem Willen an die Aufarbeitung dieser Vorschläge herangeht, die politisch an der Spitze des Hauses auch politisch vertretbaren, besseren Lösungen zu akzeptieren. Eine Institutionalisierung von Gesprächen und Diskussionen zwischen Interessengruppen und Ministerialbürokratie schon während der Erarbeitung des Referentenentwurfs könnte hier weiterführen. 6. Das Parlament als bedeutendes Korrektiv von Entscheidungen der Ministerialbürokratie scheidet zumindest in der parlamentarischen Beratungsphase aus. Selbst 'intern' machen die Mehrheitsfraktionen nur unter besonderen Bedingungen - ζ. B. starker Druck der Öffentlichkeit - 'Front' gegen 'ihren' Minister. Am effektivsten kann das Parlament - vertreten durch einige wenige 'Fachabgeordnete' - in der ministeriellen Entwurfsphase 'Einfluß' nehmen. Aus diesem Grunde ist eine Institutionalisierung dieser 'Teilnahme', die die betreffenden Abgeordneten gegenüber dem Minister auch formal stärkt, unter Berücksichtigung aller sich daraus ergebenden verfassungsrechtlichen Probleme zu diskutieren. 7. Die Stellung der Opposition im Gesetzgebungsprozeß ist nur insofern von Bedeutung, daß sie zwar konkret die eine oder andere Regelung nicht beeinflußen kann, die Mehrheit und die von ihr getragene Exekutive als aufmerksame Wächterin vor dem Übermut der Macht bewahren kann, wobei sie auf die Unterstützung der Massenmedien angewiesen ist. 8. Die Massenmedien nehmen ihre Funktion zur ausführlichen objektiven Berichterstattung nur bedingt wahr. Oft verstehen sie sich nur als 'Sprachrohr' von Ministern, Abgeordneten und Interessenten, ohne auch eigenverantwortliche Recherchen in die öffentliche Diskussion einzubringen. Die Studie hat bestätigt, daß sich die Probleme der Parlamentarismusdiskussion in voller Brisanz auch auf die Länderebene erstrecken. Sie werden hier zusätzlich verschärft durch das unstillbare Bedürfiiis des Bundes, den Spielraum der Bundesländer weiter einzuengen. Dennoch kann mit einigem Optimismus und bei Erfüllung gewisser Bedingungen die angstvolle Frage 'Haben die Länderparlamente eine Zukunft?', mit der sich die 'Deutsche Vereinigung für Parlamentsfragen' im März 1971 in Bonn auf einer Tagung mit namhaften Vertre-
VI. Zusammenfassende Thesen und Bemerkungen zu Teil I
tern der Legislativen, der Exekutiven, der Wissenschaft und der Massenmedien beschäftigte 315, positiv beantwortet werden. Diese Bedingungen, die zur optimalen Entfaltung gerade des Länderparlamentarismus führen können, weiter aufzuhellen, ist vordringliche Aufgabe. Dazu muß weiter empirisch der Ablauf von Entscheidungsprozessen und ihren Spielräumen auf Länderebene erforscht werden. Als Schlußfolgerung auch gerade der hier vorgelegten Arbeit im Hinblick auf die spezifische Zukunftsperspektive der Länderparlamente muß als wichtigstes Element weiteren Nachdenkens sicherlich die Frage bleiben, wie die Stellung der Länderparlamente bei der Rahmengesetzgebung gestärkt werden kann, und wie eine Beteiligung der Betroffenen auf Länderebene bei dieser Gesetzgebung sichergestellt werden kann. Die allerdings wichtigste Bedingung für einen gestalterischen zukunftsorientierten Länderparlamentarismus, der sich - in dieser Funktion sicherlich zu hoch dotiertem - bloßem Vollstreckungsorgan des Bundes machen läßt, kann auch durch wissenschaftliches Nachdenken und daraus resultierenden Vorschlägen nicht erfüllt werden, sondern bleibt ohne Netz und Boden dem freien Spiel der politischen Kräfte überlassen: in die Landtage Abgeordnete mit schöpferischer, gestaltender Phantasie, mit Sachkompetenz und Zivilcourage zu entsenden. Die Krise des Parlaments und speziell der Landtage ist nur zum geringsten Teil eine Krise der Institution, sondern der in ihr tätigen Parlamentarier, die Tendenz zur Technokratisierung der Gesetzgebung, nicht so sehr allein ein Sachzwang des hochtechnisierten, planenden Sozialstaates, sondern zum beträchtlichen Teil ein schlichtes Versagen auf den verschiedenen Ebenen des Gesetzgebungsprozesses. Wenn Voltaire 1751 in 'Le siècle de Louis X I V ' schreibt, „Man mag einem Minister das Unheil verzeihen, das er anrichtet, wenn das Staatssteuer ihm durch die Stürme aus der Hand gerissen wird. Aber bei Windstille trägt er die Verantwortung für alles, was er an Gutem nicht tut" 3 1 6 , besitzt diese Erkenntnis auch heute ihre volle Gültigkeit und ist lediglich dahingehend zu erweitern, daß nicht nur die Minister für die Möglichkeiten, die sie ungenutzt lassen, die Verantwortung tragen, sondern alle, die Einfluß auf die Entscheidungsmechanismen im Gesetzgebungsprozeß haben. Trotz dieser kritischen Anmerkungen kann der beobachtete Gesetzgebungsprozeß als Beleg dafür genommen werden, daß unser parlamentarisches System den besten institutionellen Rahmen für die Entscheidungsfindung auch höchst komplexer, in starkem Interessenwiderstreit stehender Materien bietet. Was
315 Vgl. den Bericht der Deutschen Vereinigung für Parlamentsfragen, Haben die Länderparlamente eine Zukunft? (Protokollauszüge), ZParl 1971, S. 277ff. 316
Voltaire,
Le siècle de Louis XIV, 6. Kapitel, 1751.
204
VI. Zusammenfassende Thesen und Bemerkungen zu Teil I
jedoch auch deutlich wird, ist, daß dieser institutionelle Rahmen von den Handelnden nicht nur formal, sondern auch materiell ausgefüllt werden muß. Die andere Erkenntnis ist, daß es weder dem Rechtsstaat noch der Demokratie angemessen ist, daß dieses Verfahren, gleich ob auf Länder- oder auf Bundesebene, oft aus Zufälligkeiten besteht, dem Belieben einzelner Fachreferenten oder Abgeordneter überlassen, nahezu ohne 'Selbstkontrolle' abläuft. Wenn der Gesetzgeber aber offenbar bislang nicht in der Lage war, weder auf ministerialbürokratischer und noch weniger auf parlamentarischer Ebene durch Verfahrensmodalitäten zumindest optimale Voraussetzungen 'guter Gesetzgebung' unter rechtsstaatlich-demokratischen Verfahrensbedingungen zu schaffen, dann ist es an der Zeit, daß Wissenschaft und Rechtsprechung hier dem Gesetzgeber Hilfestellung leisten und ihn, wie in vielen anderen, weniger wichtigen Bereichen an seine Pflichten erinnern. Dies kann nur durch die Entwicklung von Verfahrensmaßstäben demokratisch-rechtsstaatlicher Gesetzgebung und die Sicherstellung ihrer Anwendung durch angemessene verfassungsgerichtliche Verfahrenskontrolle geschehen. Damit befaßt sich der folgende zweite Teil der Abhandlung.
„Das Statsrecht prüft die Rechtmäßigkeit der Zustände, die Politik prüft die Zweckmäßigkeit der Handlung." J. C. Bluntschli
Teil I I Gesetzgebungsverfahren und seine gerichtliche Kontrolle im demokratischen Rechtsstaat
Es mag auf den ersten Blick unangemessen sein, eine Arbeit über die Entstehung von Landesgesetzen mit einem Abschnitt fortzuführen, der aus den gewonnenen Erkenntnissen den Anspruch erhebt, Schlußfolgerungen genereller Art für einen Beitrag zur Gesetzgebungstheorie zu ziehen. Aus diesem Grunde seien diesem Unterfangen einige erklärende Worte vorausgeschickt. Gewiß handelt es sich bei dem beschriebenen Gesetzgebungsprozeß, der genau genommen vier Gesetze umfaßte, um einen Prozeß, der in seiner Einmaligkeit nirgends wiederholbar ist, so wenig wiederholbar wie jeder andere politische Entscheidungsprozeß, gleich auf welcher Ebene und gleich in welchem Zusammenhang. Eines der wesentlichen Merkmale solcher Prozesse ist ihre Dynamik, die sich nicht in strenge Fesseln binden läßt. Insofern ist der Wissenschaftler, der sich mit diesen Prozessen befaßt, darauf angewiesen, aus der Vielzahl der ablaufenden Prozesse, die allen gemeinsamen Grundlinien zur Basis seiner Schlußfolgerungen zu nehmen, die den Prozeß in seiner Gesamtheit betreffen. Unter dieser Prämisse ist es legitim, das Verfahren zur hessischen Hochschulgesetzgebung durchaus als Grundlage für Schlußfolgerungen für gesetzgebungstheoretische Fragen zu nehmen. Jedoch könnte noch ein weiterer Einwand dagegen sprechen, dessen Gewicht nicht verkannt werden soll. Handelte es sich hier nicht lediglich um einen Gesetzgebungsprozeß auf Länderebene? Ist diese parlamentarische Entscheidungsebene tatsächlich qualitativ mit der Bundesebene oder gar generell mit der Ebene von Gesetzgebungsprozessen in der parlamentarischen Demokratie vergleichbar? Sicherlich handelt es sich hier 'nur' um ein Gesetzgebungsverfahren auf Länderebene. Dennoch ist dieser Einwand nicht dazu geeignet, generelle Schlüsse in relevantem Maße zu verbieten. Einmal handelte es sich bei der zu regelnden Materie um eines der wenigen wichtigen Gebiete, in denen die Länder der Bundesrepublik überhaupt noch eine nennenswerte materielle parlamentarische Regelungsbefugnis besitzen. 317 Zum anderen erscheinen die Abläufe während dieses Gesetzgebungsverfahrens im Vergleich zu den vorliegenden Untersuchungen zum parlamentarischen Entscheidungsprozeß auf Bundesebene
3,7
Lemke, H., Kompetenzen der Länderparlamente und ihre Verteidigung, in: Jekewitz, J. / Melzer, M. / Zeh, W. (Hg.), Politik als gelebte Verfassung, Festschrift für Friedrich Schäfer, Opladen 1980, S. 200ff.
Teil II: Gesetzgebungsverfahrenskontrolle
208
und darüber hinaus generell der parlamentarischen Demokratie in weitestgehendem Umfange typisch für solche Prozesse, so daß gerade unter Einschluß der vorliegenden empirischen Untersuchungen der westlichen parlamentarischen Demokratien der Versuch gewagt werden kann, generelle Schlüsse für eine Gesetzgebungstheorie unter besonderer Berücksichtigung dieser hessischen Gesetzgebung zu ziehen. Dies erscheint umso legitimer, da es ja nur die Praxis ist, die in diesem Bereich Grundlage der Theorie sein muß, da wenig Aussicht besteht, daß diese Praxis sich aufgrund einer abstrakten Theorie ändern läßt. Es wäre schon viel erreicht, wenn es gelänge, hier und dort dazu beizutragen, daß die gesetzgeberische Praxis die eine oder andere Kritik aus der theoretischen Diskussion und die daran geknüpften Verbesserungsvorschläge aufgreifen würde. Wie anders wäre eine solche Chance zu schaffen, wenn nicht durch die Verknüpfung von theoretischen Erwägungen mit beobachteten Abläufen, auch wenn diese für Theoretiker, die sich allein mit der Theorie befassen, unbedeutend erscheinen mögen. Nur auf diese Weise können Maßstäbe entwickelt werden, 318 die die demokratietheoretische Meßlatte für die Praxis bilden können, ohne daß sie von vornherein so praxisfern sind, daß sie überhaupt von den im verfassungspolitischen Bereich Handelnden gar nicht beachtet werden können. Wie notwendig die 'Meßlatte' einer geschlossenen Gesetzgebungstheorie des demokratisch-föderalen Bundesstaates ist, zeigen sporadisch wiederkehrende Vorgänge um Gesetzgebungsverfahren in Bund und Ländern. Erlaubt scheint im Gesetzgebungsprozeß mehr und mehr, was zu einem Ergebnis führt, ohne Rücksicht darauf zu nehmen, ob hier nicht der Demokratie- und Rechtsstaatsgedanke des Grundgesetzes, der insbesondere in der Art und Weise, wie Gesetzgebung zustandekommt, sich bewähren muß, verletzt wird. Th. Maunz stellt die Forderung im Zusammenhang mit dem Gesetzgebungsprozeß auf, daß die Gerichte zu prüfen hätten, „ob und inwieweit sich Praktiken, die im Grundgesetz nicht vorgesehen sind, sich neben oder doch schon gegen das Grundgesetz entwickelt haben." 319 Dieser Forderung können die dazu berufenen Instanzen der Jurisdiktion jedoch nur sachgerecht nachkommen, wenn ihnen die Wissenschaft die Kriterien liefert, mit denen zu messen ist, welche Praktiken sich noch mit dem theoretisch entwickelten demokratischföderalen Gesetzgebungsverfahren vereinbaren lassen. Da im Grundgesetz und in den Länderverfassungen nur die formal-institutionellen Grundzüge des Ge-
3,8 Vgl. auch Kindermann, H., Gesetzgebungstheorie als praktische Wissenschaft (Tagungsbericht), in: Das Parlament, Nr. 22 / 1974, S. 16: „Jede juristische Disziplin muß bestrebt sein, einen Beitrag zur Verwirklichung des Grundgesetzes zu leisten. Dabei ist es der Gesetzgebungstheorie aufgetragen, einen demokratischen Gesetzgebungsprozeß fördern zu helfen." 319
BayVBl 1969, S. 1.
Teil II: Gesetzgebungsverfahrenskontrolle
setzgebungsverfahrens niedergelegt sind und sich daneben die Praxis entwickelt hat, kann nur eine in der Zusammenschau der positivrechtlichen Regelungen und der sich daraus, daneben oder dagegen betriebenen Verfassungspraxis zu entwickelnde Gesetzgebungstheorie Hilfestellung für die Grundlegung und Beurteilung des einer Demokratie angemessenen Gesetzgebungsprozesses leisten.
I. Voraussetzungen und Aufgaben einer Gesetzgebungslehre 1. Das Fehlen einer Gesetzgebungslehre des Parlamentarismus Wenn zu Beginn dieser Studie der Mangel an empirischen Untersuchungen von Gesetzgebungsabläufen beklagt wurde, so muß an dieser Stelle festgestellt werden, daß es bis heute auch an einer geschlossenen Theorie der Gesetzgebung fehlt. 320 Nicht einmal über die Bezeichnung des Gegenstandes herrscht Einigkeit. Schlagen die einen den Begriff der Thesmologie vor, 3 2 1 bleiben andere bei Formulierungen wie Gesetzgebungslehre 322 oder Theorie der Gesetzgebung323. Das Fehlen einer geschlossenen Theorie ist sicherlich zum wesentlichen Teil auf den Mangel an empirischer Forschung zurückzuführen. Allerdings nur eben zum Teil, denn in anderen Bereichen hatte man auch nicht Skrupel, Theorien ohne empirische Grundlage zu entwickeln. Die Erklärung mag eher darin liegen, daß die Zuständigkeiten bis heute nicht vollständig geklärt sind. Politologen scheuen sich, ohne ausreichende staatsrechtliche Grundlage eine solche Theorie allein anhand der festgestellten Wirklichkeit zu entwickeln, Juristen dagegen interessiert bislang mehr die positiv-rechtliche Funktionenverteilung 324
320 Darin stimmen alle Autoren, die sich mit dieser Frage befaßten, überein. Vgl. Noll, P., Gesetzgebungslehre, Hamburg 1973, S. 9; Lachmayer, F., Zur Theorie der Gesetzgebung, DÖV 1978, S. 33ff. (S. 34); Bender, R., Gesetzgebungslehre - ein neuer Zweig der Rechtswissenschaft, ZRP 1976, S. 132ff. (S. 132); Schneider, H., Über den Beruf unserer Zeit für Gesetzgebung. Bemerkungen über Kunst und Technik der heutigen Gesetzgebung, NJW 1962, S. 1273ff. (S. 1278); Schwerdtfeger, G., Optimale Methodik der Gesetzgebung als Verfassungspflicht, in: Stödter, R. / Thieme, W. (Hg.), Hamburg, Deutschland, Europa: Beiträge zum deutschen und europäischen Verfassungs-, Verwaltungs- u. Wirtschaftsrecht, Festschrift für H. P. Ipsen, Tübingen 1977, S. 173ff. (S. 177); Ballersbach , Α., Rechtswissenschaft und Sozialwissenschaft, in: Kaufmannn, A. / Hassemer, N. (Hg.), Einführung in Rechtsphilosophie und Rechtstheorie der Gegenwart, Heidelberg, Karlsruhe 1977, S. 199ff. (S. 213f.); Baden, E., Gesetzgebung und Gesetzanwendung im Kommunikationsprozeß, Baden-Baden 1977, S. 9f., S. 85. 321
Kaniak, G., Das vollkommene Gesetz, Prolegomena zu einer Thesmologie, Wien 1974.
322
Noll, P.
323
Rödig, J. (Hg.), Studien zu einer Theorie der Gesetzgebung, Berlin / Heidelberg / New York
1976. 324 Vgl. Schwerdtfeger, G., S. 177, der die Zurückhaltung der juristischen Literatur u. a. auf die positivistischen Vorstellungen, die das 'innere Gesetzgebungsverfahren' (Kindermann, H., Ministerielle Richtlinien der Gesetzestechnik, Berlin / Heidelberg / New York 1979, Anm. 2) aus-
1. Das Fehlen einer Gesetzgebungslehre des Parlamentarismus
211
u n d die Erarbeitung einer Funktionenlehre, die theoretischen Anspruch, positivrechtliches NormengefÜge und politische W i r k l i c h k e i t wieder zusammenführte. H i n z u k o m m t , daß die Zuständigkeiten der D i s z i p l i n e n auch gerade i n der Bundesrepublik für die Gesetzgebungswirklichkeit zwischen Juristen, P o l i t i k wissenschaftlern und Soziologen nicht i m selbstverständlichen,
freundschaftli-
chen interdisziplinären Miteinander, sondern eher i m verständnislosen Nebeneinander einer K l ä r u n g zugeführt werden m ü s s e n . 3 2 5 Dabei liegt es a u f der Hand, daß nur interdisziplinäre Zusammenarbeit zu einer
fruchtbaren
theoreti-
schen Erfassung des Gesetzgebungsphänomens führen k a n n . 3 2 6 A n diesem Mangel, der allgemein b e d a u e r t 3 2 7 und an dessen Behebung erst in letzter Zeit verstärkt gearbeitet w i r d , konnten auch allgemeine Entschei-
schließlich dem Bereich der Politik zuweisen, zurückführt. Lachmayer, F., S. 34, führt die „abgeschwächte Beziehung" der „traditionellen Rechtswissenschaft, wie sie im Lehrbetrieb der Universitäten vorgetragen wird", dagegen auf die Tatsache zurück, daß „der vorwiegende Gegenstand der bisherigen Lehre ... die vollziehende juristische Praxis" war. Ballersbach , Α., S. 213, spricht davon, daß „die besondere Betonung der richterlichen Rechtsanwendung, die gleichzeitig eine bestimmte Denkstruktur und ein bestimmtes dogmatisches und organisatorisches Aufbereiten der Rechtsnormen erfordert", nicht nur die Arbeitsbereiche anderer juristischer Berufe, wie ζ. B. Anwalt, Notar, Wirtschafts- und Verwaltungsjurist verdrängte, sondern auch verhinderte, „daß die Funktion des Gesetzgebers und der Inhalt seiner Tätigkeit Gegenstand einer wissenschaftlichen Theorie geworden ist." 325 Allerdings ist die Problematik der gegenseitigen Mißverständnisse von Juristen und Soziologen nicht allein ein Phänomen unseres Landes. So führen Friedmann , L. / Macaulay , S., Law and the Behavioral Sciences, 2. Aufl., Indianapolis / New York 1977, in ihrem Vorwort (S. X) aus: „We are amused that some law professors ready, willing and able to muster the black arts of the Internal Revenue Code, seem to turn pale when confronted with simple tables and graphs. And sociologists who think nothing of invading the world of medicine or religion sometimes treat the legal domain as a cave inhabited byfire-eating dragons." 326 Bestätigend auch Karpen, U., Gesetzgebungs-, Verwaltungs- und Rechtsprechungslehre. Beitrag zur Entwicklung einer Regelungstheorie, Baden-Baden 1989, S. 16. Die Defizite an Bereitschaft zur Zusammenarbeit charakterisiert Ryffel, H., Zur politisch-philosophischen Aufklärung der Rechtssetzung - insbesondere in normativer Hinsicht, in: Eichenberger, K. / Buser, W. / Métraux, A. u. a. (Hg.), Grundfragen der Rechtssetzung, Basel 1978, S. 59ff: „Die Wirklichkeitswissenschaften, im besonderen die Sozialwissenschaften, weisen entsprechende Mängel auf; denn sie ignorieren das Recht oder schieben doch die hermeneutischen und normativen Dimensionen beiseite. Dies zeigt ein Blick in übliche soziologische Gesamtdarstellungen, Lehrbücher und Grundrisse, in denen das Recht eine ganz und gar zweitrangige Rolle spielt. Selbst die Politikwissenschaft betreibt nicht selten ihre Disziplin, wie wenn sie mit dem Recht nichts zu tun hätte, weil sie die normative Dimension vernachlässigt." (S. 64); vgl. auch Gersbach, H.-U., Die Möglichkeiten der Soziologie in der Rechtssetzung, in: Eichenberger, K. / Buser, W. / Métraux, A. u. a. (Hg.), Grundfragen der Rechtssetzung, Basel 1978, S. 329ff. 327 Luhmann, N., öffentlichrechtliche Entschädigung rechtspolitisch betrachtet, Berlin 1965, beklagt, daß „wenn man von gewissen Ansätzen zu einer Methodenlehre der Rechtsfindung absieht, keine rechtspolitische Methode hervorgebracht" wurde, und daß „die ältere Diskussion um Regeln der guten Gesetzgebung ausgerechnet durch den Rechtspositivismus zum Verstummen gebracht worden ist" (S. 11); vgl. auch Noll, P., „Für die Rechtswissenschaft besteht keinerlei Notwendigkeit denselben Reflexionsabbruch zu vollziehen ..." (S. 19).
15 Mengel
212
I. Voraussetzungen und Aufgaben einer Gesetzgebungslehre
dungstheorien nichts ändern, da sie den spezifischen Voraussetzungen und tatsächlichen Gegebenheiten des gesetzgeberischen Entscheidungsprozesses nicht gerecht werden konnten. So gilt nach wie vor der von P. Noll in seiner Gesetzgebungslehre 328 zitierte Satz von K. Ball aus dessen 1921 erschienener Studie 'Vom neuen Weg der Gesetzgebung': „Es fehlt die wissenschaftliche Lehre von der guten Gesetzgebung. Nur an seinen Fehlern kann man lernen. Keine Zeit war so geeignet, diese Lehre auszubilden, wie die unsere." 329 Die zurückhaltende Beschäftigung der Juristen mit der Gesetzgebung als Verfahren und Prozeß 330 - wobei noch am ehesten Praktiker sich um die theoretische Erfassung ihres Tuns bemühen - und die Konzentration auf Grundrechtsprobleme rührt sicherlich zum Teil auch daher, daß Literatur und Rechtssprechung ein „mystisch überhöhtes Gesetzverständnis" 331 verinnerlicht haben und Gesetzgebung als „eine gleichsam rechtstranszendente Kunst" 3 3 2 ausklammern. Angesichts des Fehlens einer geschlossenen Gesetzgebungstheorie ist es auch nicht überraschend, daß das Fach Gesetzgebungslehre, trotz dringenden gesellschaftlichen Bedürfnisses, an den juristischen Fachbereichen der Universitäten der Bundesrepublik nicht vorhanden ist. 333 So müssen sich Jurastudenten damit begnügen, die positiv-rechtlichen Regelungen des Verfassungsrechts des Bundes und der Länder zum Gesetzgebungsprozeß kennenzulernen, wobei sie sicherlich auch darauf hingewiesen werden, daß durch die Verschiebung der Gewichte zwischen Exekutive und Legislative die Gesetzgebungskompetenz des Parlaments nicht mehr als unproblematisch beurteilt werden kann. Über tatsächliche Abläufe und Lösungsvorschläge werden sie wenig erfahren.
328
Noll, P., S. 9.
329
Ball, Κ., Vom neuen Weg der Gesetzgebung, Berlin 1921.
330
Vgl. auch Métraux , Α., Begründung der Rechtssetzung, Einführung, in: Eichenberger, K. / Buser, W. / Métraux, A. u. a. (Hg.), Grundfragen der Rechtssetzung, Basel 1978, S. 17ff. (S. 17): „Obschon die Probleme der Rechtssetzung (oder Gesetzgebung) primär wohl dem Bereich rechtswissenschaftlicher Analysen zugehören, stellt man nicht selten mit Befremden eine gewisse Distanz oder Scheu der Jurisprudenz gegenüber dem Thema 'Rechtssetzung' fest." 331
Schwerdtfeger,
332
Lachmayer, F., S. 34.
G., S. 177.
333 Vgl. etwa Huber, H., Umwelt und Umweltschutz als Rechtsbegriffe, in: Adamovich, L. / Pernthaler, P. (Hg.), Auf dem Weg zur Menschenwürde und Gerechtigkeit, Festschrift für Hans R. Klecatzky, Wien 1980, S. 127ff., der feststellt, daß die Rechtswissenschaft mit dem Auslassen der Rechtssetzungsproblematik ein wesentliches wissenschaftliches Anliegen verfehle; Scheuner, U., Gesetzgebung und Politik, in: Fischer, M. / Jakob, R. / Mock, E. u. a. (Hg.), Dimensionen des Rechts, Gedächtnisschrift für René Marcie, Berlin 1974, Bd. 1, S. 889ff.; Karpen, U., Gesetzgebung keine Domäne der Juristen. Eine neue Vereinigung will die Legislative verbessern, ZRP 1987, S. 447ff.
1. Das Fehlen einer Gesetzgebungslehre des Parlamentarismus
213
So gut wie nichts erfahren sie über Techniken und Mechanismen der Gesetzgebung, obwohl es Juristen sind, die in den Ministerien, Parlamenten und Verbänden Gesetzesentwürfe erstellen, bearbeiten, Stellungnahmen abgeben und auf diese Weise die Gesetzgebung weitgehend steuern. Ganz allgemein wird die Gesetzgebungsarbeit als Juristischer Beruf' 3 3 4 betrachtet, ohne daß die Juristen sich näher in ihrer Ausbildung damit befassen müssen.335 Daß dies ein Mangel ist, wird deutlich, wenn die Gesetzesqualität in ihrer technischen Ausgestaltung näher untersucht wird. So kamen insbesondere aus der gesetzgeberischen Praxis der Ministerialbürokratie immer wieder Aufforderungen an die Wissenschaft, „in einen Dialog über gesetzgeberische Probleme einzutreten." 336 In der Vergangenheit wurde dieser Aufruf zum Dialog aus den genannten Gründen von den Rechtswissenschaftlern, aber nicht nur von diesen, zögernd befolgt, so daß W. Maihofer feststellt: „So ist zwar der Bedarf an wissenschaftlich vorgebildeten Gesetzgebungsexperten offenkundig, dennoch ist die Gesetzgebung in Forschung, Lehre und Studium der Jurisprudenz, der Politologie wie auch der Soziologie ein noch kaum entdecktes Land." 3 3 7 So blieb insbesondere die ministerielle Gesetzgebungspraxis, die die Hauptlast der Gesetzgebungsarbeit zu tragen hat, weitgehend in der Entwicklung einer Gesetzgebungsmethodik auf sich gestellt. Da jedoch diese wichtige Aufgabe ministerieller Bürokratie eines geregelten Rahmens bedurfte, ging man dazu über, diesen Rahmen sich selbständig zu schaffen, indem man Richtlinien erarbeitete, nach denen die Gesetzgebungsarbeit in den Ministerien abläuft. 338
334
Ball, K., S. 19f.; Meyer, K., Diskussionsbeitrag, in: Rödig, J. / Kindermann, H., Vorstudien zu einer Theorie der Gesetzgebung, Bonn 1975, S. 31. 335 Vgl. zur juristischen Ausbildung: Hesse, Η. Α., Die Praxis der juristischen Berufe und die Juristenausbildung, JZ 1982, S. 272ff; Mattern, K.-H., Die Gesetzgebungslehre im Bildungssystem, in: Kindermann, H. (Hg.), Studien zu einer Theorie der Gesetzgebung 1982, Berlin / Heidelberg / New York 1982, S. 270ff; Gebauer , Κ. E., Gesetzgebungswissenschaft - ein neuer Fortbildungsbereich?, in: Verwaltung und Fortbildung 1976, S. 3ff. 336
Kindermann, H., S. 1.
337
Maihofer, W., Gesetzgebungswissenschaft, in: Winkler, G. / Schlicher, B. (Hg.), Gesetzgebung. Kritische Überlegungen zur Gesetzgebungslehre und zur Gesetzgebungstechnik, Wien / New York 1981, S. 3ff. (S. 5). 338
Eine wissenschaftliche Hilfestellung wurde ihnen dabei kaum gegeben, „wenn von Leitfäden verschiedenen Anspruchs einmal abgesehen wird", Baden, E., S. 10; zu diesen Werken gehören etwa Müller, H., Handbuch der Gesetzgebungstechnik, 2. Aufl., Köln / Berlin / Bonn u. a. 1968; Oftinger, K., Richtlinien der Gesetzestechnik - Abschaffung der Marginalien?, SJZ 1972, S. 243f. und SJZ 1973, S. 80; Wolff Κ., Die Gesetzessprache, Wien 1952. All diese Werke haben eher die Technik der Abfassung im Blick als das innere Verfahren. Vgl. auch Enderle, M. / Wicki, M., Tauglichkeit und Grenzen einer Rechtssetzungstechnik, untersucht an den Richtlinien des Bundes und der nordschweizerischen Kantone, in: Eichenberger, K. / Buser, W. / Métraux, A. u. a. (Hg.), Grundfragen der Rechtssetzung, Basel 1978, S. 445ff; Graeni, A. / Hess, B. / Kluiker, B. / Fardel-Zimmermann, S., Eine Betrachtung der Checkliste der eidgenössischen Justizabteilung, in:
214
I. Voraussetzungen und Aufgaben einer Gesetzgebungslehre
Inzwischen ist allerdings auch die Rechtswissenschaft diesen Problemen wesentlich aufgeschlossener 3 3 9 u n d w i d m e t den Problemen des Gesetzgebungsprozesses u n d seiner theoretischen Erfassung besonders in der Forschung größere Aufmerksamkeit, während die Lehre über Gesetzgebungsmechanismen weiterh i n stiefmütterlich behandelt w i r d . Es bleibt zu hoffen, daß sich dieses wachsende Interesse der Rechtswissenschaft am Rechtssetzungsverfahren nicht ebenso verliert, w i e es der F a l l u m die Jahrhundertwende war. N a c h d e m sich trotz intensiver Bemühungen u m gesetzgebungstheoretische F r a g e n 3 4 0 keine eigene Lehre herausbildete, erlosch das
Eichenberger, K. / Buser, W. / Métraux, A. u. a. (Hg.), Grundfragen der Rechtssetzung, Basel 1978, S. 405ff.; Grüner, R., Fragen für die Verfasser von Gesetzentwürfen, ZBR 1980, S. 165ff.; Gesellschaft für Deutsche Sprache (Hg.), Fingerzeige für die Gesetzes- und Amtssprache, Wiesbaden 1980; Hauck, W. / Moos, E. / Keller, M. u. a., Die Gesetzesredaktion in der Schweizerischen Bundesverwaltung, in: Kindermann, H. (Hg.), Studien zu einer Theorie der Gesetzgebung, Berlin / Heidelberg / New York 1982, S. 93ff; Handschuh, E., Gesetzgebung: Programm und Verfahren, Heidelberg / Hamburg 1982. 339 Vgl. die in den letzten Jahren umfangreicher gewordene Literatur, die aber im Vergleich ζ. B. der nicht wichtiger erscheinenden Grundrechtsproblematik immer noch zahlenmäßig gering erscheint. Außer den Genannten sind zu erwähnen: Schneider, H., Gesetzgebung, Tübingen 1983; Roedig y J. / Baden, E. / Kindermann, H., Vorstudien zu einer Theorie der Gesetzgebung, St. Augustin 1975; Eichenberger, K., Zur Lage der Rechtssetzung, in: Eichenberger, K. / Buser, W. / Métraux, A. u. a. (Hg.), Grundfragen der Rechtssetzung, Basel 1978, S. 3ff.; Jahrreiss, H., Größe und Not der Gesetzgebung, in: ders. (Hg.), Mensch und Staat. Rechtsphilosophische, staatsrechtliche und völkerrechtliche Grundfragen unserer Zeit, Köln / Berlin 1957, S. 17ff.; Müller, G., Inhalt und Formen der Rechtssetzung als Problem der demokratischen Kompetenzordnung, Basel 1979; Öhlinger, Th., Methodik der Gesetzgebung, Wien 1982; Rhinow, R. Α., Rechtssetzung und Methodik, Basel 1979; Schneider, H.; ders., NJW; ders., Der Niedergang des Gesetzgebungsverfahrens, in: Ritterspach, Th. / Geiger, W. (Hg.), Festschrift für G. Müller, Tübingen 1970, S. 421ff.; Buser, W., Fallen die Entscheide im Vorverfahren der Gesetzgebung?, Seperatdruck aus Documenta Helvetica, Heft 1 (1976); Lachmayer, F., DÖV, S. 33ff.; Scheuner, U., Die Aufgabe der Gesetzgebung in unserer Zeit, DÖV 1960, S. 60Iff.; Eichenberger, K., Rechtssetzungesverfahren und Rechtssetzungsformen in der Schweiz, ZSR 73 (1954), S. 30ff.; ders. / Buser, W. / Métraux , Α. u. a. (Hg.), Grundfragen der Rechtssetzung, Basel 1978; Honsell, H., Vom heutigen Stil der Gesetzgebung, H. 67 der Salzburger Universitätsreden, Salzburg 1979. Mehr Aufriß-, Handbuch- und Kurzbuchcharakter haben folgende Arbeiten: Dittrich , Κ. H., Die Bundesgesetzgebung, in: Unterrichtsblätter für die Bundeswehrverwaltung 1982, S. 239ff.; Hill, H., Einführung in die Gesetzgebungslehre, Heidelberg 1982. Zur Rechtsvergleichung seien genannt: Hart , H. M. / Sachs, Α. M., The Legal Process, Basic problems in. the making and application of Law, Cambridge 1958; Rethorn, D., 'Sunset'Gesetzgebung in den Vereinigten Staaten von Amerika, in: Kindermann, H. (Hg.), Studien zu einer Theorie der Gesetzgebung 1982, Berlin / Heidelberg / New York 1982, S. 316ff.; Strömholm, St., Legislative Material and Construction of Statutes, Scandinavian Studies in Law, Bd. 10 / 1966; Schweitzer, R. J., Allgemeine Gesetzgebungsprobleme aus der Sicht der schweizerischen Bundesverwaltung, in: Rödig, J. (Hg.), Studien zu einer Theorie der Gesetzgebung, Berlin / Heidelberg / New York 1976, S. 146ff. 340 Vgl. Kohler, Technik der Gesetzgebung, AcP Bd. 96 (1905), S. 345ff.; Gutherz, Studien zur Gesetzestechnik, Breslau 1908; Gény , La technique legislative dans la codification civile moderne, Livre du centenaire du Code civil, Bd. II, Paris 1904 (unveränderter Nachdruck Paris / Frankfurt am Main 1969).
2. Ausgewählte historische Wurzeln einer Gesetzgebungslehre
215
Interesse in der Folge vollkommen. Wenn die Probleme des Gesetzgebungsverfahrens heute wieder als „ewiges Thema" 341 aufgegriffen werden, so ist diese Wiederaufnahme solcher Themen „in der Pflicht zum Selbstdenken und in der Hoffnung, doch auf Neues zu stoßen, wohlbegründet" 342 .
2. Ausgewählte historische Wurzeln einer Gesetzgebungslehre des Parlamentarismus Die Wurzeln der Beschäftigung mit dem Verfahren, welches zur guten Gesetzgebung führen soll, reichen weit zurück und schon damals wurde zwischen Gesetzgebungs-Wissenschaft und Gesetzgebungs-Kunst unterschieden. Nicht alle historischen Ansätze der Beschäftigung mit dem Gesetzgebungsverfahren verdienen gleichermaßen Aufmerksamkeit, obwohl oft der Titel eines wissenschaftlichen Werkes zu diesem Gegenstand Anlaß gibt, davon ausgehen zu können, daß hier entsprechend der Ankündigung das Gesetzgebungsverfahren eine Rolle spielt. So beschäftigt sich eines der bekanntesten frühen Werke 'La scienza della leggislazione' von G. Filingeri aus dem Jahre 1780 weniger mit Gesetzgebung, sondern in erster Linie mit philosophischen Fragen des Staatsrechts und der Politik. Lediglich das erste Buch behandelt Fragen der Gesetze im allgemeinen und ihr Verhältnis zu den Bedürfnissen und Eigenschaften der Völker. Den einzigen Vorschlag zum Gesetzgebungsverfahren, den er kurz erörtert, ist, eine 'Gesetzes-Censur' als ständige Behörde einzurichten, die die Aufgabe übernehmen sollte, darüber zu wachen, daß die bestehenden Gesetze nicht veralten und den Bedürfnissen der Bevölkerung entsprechen. Wie diese in Anklängen an die immer wieder einmal in die Diskussion gebrachte Idee eines Bundesamtes für Gesetzgebung erinnernde Institution 343 im einzelnen aussehen und funktionieren sollte, läßt er offen. Ein weiteres Werk 'Briefe über die Gesetzgebung überhaupt und der Entwurf des preussischen Gesetzbuches insbesondere' von Schlosser aus dem Jahre 1789 hatte größten Einfluß auf Savignys Ansichten über die Gesetzgebung und Natur des Rechtes. Im übrigen gibt auch diese Arbeit wenig für Erklärungen über das Gesetzgebungsverfahren her, da Schlosser seine Zeit generell als nicht
341 Eichenberger, K., Zur Lage der Rechtssetzung, in: Eichenberger, K. / Buser, W. / Métraux, A. u. a. (Hg.), Grundfragen der Rechtssetzung, Basel 1978, S. 3ff. 342
Ebd.
343
Vgl. dazu unten den Abschnitt IV.l.a) 'Bundesamt für Gesetzgebung'.
216
I. Voraussetzungen und Aufgaben einer Gesetzgebungslehre
reif für Gesetzgebung ansah. Der Grund dafür war seiner Auffassung nach der, daß die Fürsten unter dem Vorwande des Gemeinwohls in alle Rechte des Einzelnen willkürlich eingriffen und auch die wichtigsten Bereiche der Regierungskunst noch nicht ausreichend abgeklärt seien. 'Die Theorie der Gesetzgebung' von J. A. Bergk aus dem Jahre 1802 beschäftigt sich mit Fragen, die die Rechtsphilosophie betreffen und berührt den Gang der Gesetzesentstehung in dem hier zugrundegelegten Sinn nicht. Zu erwähnen sind auch Zachariäs Arbeit 'Die Wissenschaft der Gesetzgebung. Als Einleitung zu einem allgemeinen Gesetzbuch' aus dem Jahre 1806, über das Robert von Mohl bissig, aber mit einigem Recht anmerkt, daß „kaum möchte jemand aus diesem Versuche Hoffnungen habe schöpfen können, wie solche die späteren Leistungen des Verfassers verwirklichen." 344 Wenig für die aktuellen Fragen der Gesetzgebungstheorie geben auch die Arbeiten von J. S. Beck, 'Grundzüge der Gesetzgebung' aus dem Jahre 1806, in dem dieser ein System der Rechtsphilosophie entwirft, als auch der Versuch E. Schräders aus dem 1815 her, der in seinem Werk 'Die prätorischen Edicté der Römer auf unsere Verhältnisse übertragen, ein Hauptmittel unser Recht allmählich gut und volksmässig zu bilden' den Vorschlag macht, durch eine Art von 'Gesetzgebungs-Commission' sogenannte 'Gemein-Bescheide' abfassen zu lassen. Diese sollten dann von Zeit zu Zeit gesichtet und mit der Entwicklung der Lebensverhältnisse in Einklang gebracht werden, um auf diese Weise die Nachteile, die sich aus feststehenden Kodifikationen ergäben, zu vermeiden. Weiter, aber nicht vertiefend soll A. Symonds, 'The mechanics of Law Making' aus dem Jahre 1835 erwähnt werden. Ein Werk, welches sich eher unter Anleitungen zur Gesetzgebungstechnik einordnen läßt. So enthält es, wie ähnliche Leitfäden von heute, genauere Hilfestellungen für die technische Abfertigung von Gesetzen. Dagegen ist eine weitere englischsprachige Publikation aus dieser Zeit von größerem Interesse und gleichzeitig ein Beweis dafür, daß die Gesetzgebungswissenschaft nicht unbedingt eine Domäne der Juristen sein muß. So entwarf der Historiker Macaulay ein Strafgesetzbuch für Indien, welches zwar im Namen der 'Indian Law Commission' veröffentlicht wurde, aber das alleinige Werk Macaulays war. Auch wenn dieser Entwurf nie in die Praxis umgesetzt wurde, enthält es interessante Elemente für die Abfassung von Gesetzesentwürfen und Verfahrensweisen für eine später eventuell notwendig werdende Änderung oder Ergänzung. Eine Besonderheit stellt das Werk Macaulays auch des-
344
Mohl, R. v., Staatsrecht, Völkerrecht und Politik, Tübingen 1862, Bd. 1, S. 376.
2. Ausgewählte historische Wurzeln einer Gesetzgebungslehre
217
halb dar, weil es die Idee einführt, dem Gesetzesartikel Beispiele zur Seite zu stellen, die die Anwendung in der Praxis erleichtern und den Willen des Gesetzgebers verdeutlichen sollen. Schließlich ist der Entwurf auch bemerkenswert ob der Sorgfalt, die der Verfasser auf die Begründung der einzelnen Artikel verwendet, und die nichts gemein hat mit der oftmals oberflächlich kaum die formalen Voraussetzungen einer Gesetzesbegründung erfüllenden Bedingungen, die heute im Gesetzesentwurf zu finden sind. Aus der französischen Literatur ist G. Rousset zu nennen, der mit seiner 1858 erschienenen Arbeit 'De la Redaction et de la Codification rationelle des Lois' einen bedeutenden Beitrag zu Fragen der Gesetzgebungswissenschaft leistete. Insbesondere geht er auf die Begründung von Gesetzen ein. Aus der deutschsprachigen Literatur des damaligen Zeitabschnitts seien noch genannt K. Scheuerlen, 'Über die Abfassung von Gesetzbüchern, insbesondere einer bürgerlichen Processordnung für Württemberg aus dem Jahre 1834', C. F. W. Gerstäckers 'Systematische Darstellung der Gesetzgebungskunst, sowohl nach ihren allgemeinen Prinzipien, als nach den jedem ihrer Haupttheile ... eigentümlichen Grundsätzen' aus dem Jahre 1837. Ferner J. Kitkas 'Ueber das Verfahren bei Abfassung der Gesetzbücher überhaupt und der Strafgesetzbücher insbesondere' von 1838 und F. Purgolds 'Die Gesetzgebungswissenschaft, in Entwicklung der für den Entwurf eines neuen, namentlich deutschen, Gesetzbuches sich ergebenden Grundsätze' aus dem Jahre 1840, und schließlich sei noch auf Reyscher, 'Ueber die Bedürfhisse unserer Zeit in der Gesetzgebung' von 1828, hingewiesen. a) Robert von Mohl Ein anderer Begründer der Gesetzgebungslehre, Robert von Mohl, postulierte in seinem vor hundertvierunddreißig Jahren in Tübingen erschienenen Werk 'Statsrecht, Völkerrecht und Politik', „die Erörterung von der Abfassung der Gesetze zum Mittelpunkt der Lehre zu machen ...". 345 Er beließ es nicht bei dieser Tendenz, sondern beschäftigte sich ausfuhrlich mit den Voraussetzungen guter Gesetzgebung und den Folgen schlechter. Im Verlaufe der hier vorgelegten Abhandlung wird immer wieder auf diese Arbeit von Mohls Bezug genommen, so daß dadurch schon die erstaunliche Aktualität so mancher Gedanken deutlich wird. Hier sollen diese Ausführungen von Mohls in gebotener Kürze noch einmal zusammengefaßt dargestellt werden, um die historische Kontinuität der Problematik zu verdeutlichen und dazu zu ermutigen, sich näher mit dem Gedankengut des großen Gelehrten zu befassen. Vorausgeschickt sei, daß bei 345
Mohl, R. v., Bd. 2,S.418.
218
I. Voraussetzungen und Aufgaben einer Gesetzgebungslehre
von Mohl die Erörterungen durchaus nicht solch scharfe Trennungslinien zwischen reiner Gesetzgebungstechnik und gesetzgebungstheoretischen Erwägungen und Einordnungen aufweisen, wie dies in der heutigen Diskussion der Fall ist. Wie andere vor und nach ihm, die sich an der Diskussion um das gute Gesetzgebungsverfahren beteiligten, setzt er bei den am Gesetzgebungsprozeß Beteiligten „eine große Geistesbegabung" als „die erste und unerläßlichste Bedingung des Gelingens seines Werkes" voraus. 346 Dazu gehören „Scharfsinn in der Auffindung, Menschenkenntnis zur Beurteilung der Wirkung der Mittel; beherrschende Übersicht zur Herausziehung der leitenden Grundsätze; richtiges Denken in Entwicklung des Systemes und der Einzelbestimmungen."347 Allerdings ist er sich auch darüber im Klaren, daß „selbst die glänzendsten Anlagen" noch keineswegs den vollständigen Erfolg, d. h. gute Gesetzgebung zu sichern vermögen. Um diese zu gewährleisten, entwirft er Verfahrensregeln, die bis heute weitgehend bedenkenswert sind, dies um so mehr, da die Prämisse all solcher historischer Überlegungen zum Gesetzgebungsprozeß, daß das Gesetzgebungspersonal in der Regel besonders günstige und charakteristische Voraussetzungen aufweisen müsse, von der Verfassungswirklichkeit nicht erfüllt werden kann, es also um so mehr auf die Gedanken ankommt, die schon damals dargestellt wurden, mittels des Procedere nicht auszuschließende menschliche Schwächen zumindest in dem möglichen Maße abzugleichen. Zunächst muß nach von Mohl für das gesetzgeberische Procedere eine vollständige Kenntnis des bestehenden Rechts in doppelter Richtung bei den für den Gesetzgebungsprozeß Verantwortlichen vorhanden sein. Einmal müssen sie mit den Texten vorhandener Rechtsnormen vertraut sein, „da sich die neuen Gesetze wesentlich an diese anzuschließen haben". 348 Zum anderen „ist eine Beherrschung des ganzen Rechtssystems erforderlich zur Kenntnis des Geistes der Rechtsordnung, zur Auffindung der etwa vorhandenen Mängel und zur Beurteilung der Folgen neuer Bestimmungen". 349 Zweite unabdingbare gesetzgeberische Voraussetzung ist, daß der Gesetzgeber „die Zustände und Forderungen des wirklichen Lebens kennen (muß)". 350
346
Ebd., S. 523.
347
Ebd., S. 525.
348
Ebd.
349
Ebd.
350
Ebd.
2. Ausgewählte historische Wurzeln einer Gesetzgebungslehre
219
Das bedeutet, daß der Gesetzgeber eine der Gesetzgebung „vorausgehende Erkundung der einschlägigen Tatsachen" 351 unternehmen muß. Zu dieser Information gehören die Heranziehung von Sachverständigen und eine breite Erörterung der geplanten Gesetzgebung in der Öffentlichkeit. Als Beispiel für solcherart Informationsbeschaffung durch den Gesetzgeber verweist er auf England. 352 Dieser Prozeß der Informationsbeschaffung, insbesondere die Anhörung von Sachverständigen, solle öffentlich erfolgen: „Nennenswerte Nachteile sind damit nicht verbunden. Es wird also jede Regierung, welche sich zu der Einfuhrung entschließt, im höchsten Vorteile des öffentlichen Wesens, hier zunächst der Herstellung eines umsichtig erwogenen und dem Leben angepaßten Rechtszustandes, handeln, und überdies den Ruhm erwerben, sich geistig stark genug zur Ertragung von Thatsachen und Auffassungen Dritter zu fühlen." 353
Als wesentliches Element eines guten Gesetzgebungsverfahrens verlangt von Mohl auch die Darlegung der Motive, die zu der gesetzgeberischen Entscheidungsanalyse durch die Regierung führten. Im Prozeß der Entscheidungsfindung spielt die Darlegung, warum diese und nicht jene Lösung vorgeschlagen wird, für von Mohl eine wesentliche Rolle. Im übrigen ist an diesem Prozeß über die unmittelbar an der gesetzgeberischen Entscheidungsfindung Beteiligten hinausgehend die Öffentlichkeit weitestgehend zu beteiligen: „Die zum vorläufigen Abschlüsse gekommene Arbeit ist, und zwar mit den Motiven, zu drucken, das Gedruckte aber reichlich und nach allen Seiten, wo es möglicherweise Beachtung finden kann, zu verwenden, überdies zu geringem Preise dem Buchhandel zu übergeben. Mit dieser Veröffentlichung muß sodann eine allgemeine Aufforderung zur Beschäftigung mit dem Gegenstande und zur Einreichung von Beurtheilungen des vorgelegten Entwurfes oder auch nur einzelner Teile desselben verbunden werden." 3 5 4
351
Ebd., S. 535.
352
Ebd., S. 536.
353
Ebd., S. 540.
354
Ebd., S. 549.
220
I. Voraussetzungen und Aufgaben einer Gesetzgebungslehre
Hinsichtlich der verschiedenen Stufen der Gesetzesbeurteilung innerhalb der parlamentarischen Gremien fordert er „eine allgemeine Berathung über den Zweck, über den zu Grunde liegenden Gedanken und über die gesamte Richtung", 355 eine Forderung, die weitgehend durch die heute übliche generelle Aussprache während der 1. Lesung eines Gesetzentwurfes im Parlamentsplenum erfüllt wird. Zur weiteren Behandlung der Gesetzgebungsentwürfe schlägt er die Einrichtung einer „ständischen Commission für Gesetzgebungsarbeiten" vor, 3 5 6 d. h. einer Vertretung des Parlaments, die sich stellvertretend fur dieses näher mit der Gesetzgebung befassen soll und dann dem Plenum des Parlaments Empfehlungen geben soll. 3 5 7 Die Bedeutung von Mohls für die Entwicklung einer Gesetzgebungstheorie liegt darin, daß er die Probleme wirklichkeitswissenschaftlich anging und somit die Verfassungspraxis in seine Überlegungen mit einbezog, ohne jedoch die eigenen theoretischen Vorstellungen des Ganges 'guter Gesetzgebung' willfährig der Praxis unterzuordnen. Insofern kann er beispielhaft für heutige Forschung auf dem Gebiet des Gesetzgebungsverfahrens sein, einem Feld, wo es mehr als auf anderen Gebieten des Rechts darauf ankommt, die Folgen und Voraussetzungen theoretischer Erörterung mit der Praxis zu verbinden. b) Jeremy Bentham Bentham wurde 1748 zu Beginn der industriellen Revolution geboren. Im Alter von vier Jahren begann er Latein zu lernen und graduierte mit fünfzehn in Oxford. Sein Hauptwerk 'Principles of Morals und Legislation' und das nicht weniger bedeutende Werk 'Theory of Legislation'wurden 1789 beziehungsweise 1802 veröffentlicht. Grundidee Benthams ist, daß Gesetzgebung nicht irgendwelchen vorgegebenen Strukturen wie etwa naturrechlichen Forderungen gehorchen muß, sondern allein Instrument zur Erreichung bestimmter Zielsetzungen ist. Wesentliches Ziel guter Gesetzgebung müsse sein, den Menschen zu einem größtmöglichen Maß an Glück und zu einem Minimum an Unglück zu verhelfen.
355
Ebd., S. 551.
356
Ebd., S. 513.
357
Ebd., S. 556. Allerdings sollen diese Empfehlungen nicht bindend sein (ebd.): „Dies bindet aber natürlich die Mitglieder (des Plenums) nicht, auf den Regierungsvorschlag zurückzugreifen, falls die Commission eine ihnen nicht zusagende Aenderung vorgeschlagen hat, und im eigenen Namen einen Antrag auf Wiederherstellung desselben zu machen."
3. Der Stand der Diskussion um die Entwicklung einer Gesetzgebungslehre
221
Außer von dem italienischen Strafrechtsreformer Beccaria wurde Bentham auch durch Priestly und dessen Aufsatz über 'Government' von 1768 beeinflußt. Nicht zu unterschätzen sind auch die Einflüsse von Hume und Hobbes. Insbesondere die Arbeit Treatise on Human Nature' des ersteren, in dem Hume davon ausgeht, daß Grundlage und Rechtfertigung aller Staatsgewalt nicht auf vertraglicher Basis beruhten, sondern in den menschlichen Bedürfhissen die alleinige Rechtfertigung staatlicher Gewalt zu suchen sei, beeinflußte ihn in stärkerem Maße. Ausgehend von dieser Grundidee wurde ihm, der als Student in Lincoln's Inn Blackstone als Lehrer hatte und durch diesen insbesondere in der Rechtsanwendung unterrichtet wurde, bewußt, daß es für die wissenschaftliche Arbeit nicht genügt, lediglich das Vorgefundene zu akzeptieren und anzuwenden. Wenn die Rechtfertigung staatlicher Gewalt und staatlicher Gesetzgebung darin liege, zur Wohlfahrt möglichst vieler beizutragen, dann müsse die Rechtswissenschaft auch danach fragen, ob dieses Ziel durch das vorliegende Recht auch in optimaler Weise erreicht werde, und wenn dies nicht der Fall sei, Antworten zu finden, wie dieses Ziel erreicht werden könne. Maßstab für diese Prüfung müsse das „principle of utility" sein. Wenn man diesen Maßstab anlege, um die Richtigkeit von Gesetzgebung zu überprüfen, und mit Hilfe rationaler Erwägungen müsse es möglich sein, „a complete scientific code of Jurisdiction" zu schaffen. 358 Bentham unterscheidet zwischen der 'natural method' der Gesetzgebung und der 'technical method'. Unter ersterer versteht er die Gesetzesschöpfung, die dazu dient, gestalterisch die Wohlfahrt der Bürger zu fördern. Letztere kennzeichnet die Gesetzgebung, die technokratische Regelungen ohne Gestaltungscharakter zum Gegenstand hat.
3. Der Stand der Diskussion um die Entwicklung einer Gesetzgebungslehre In der jüngeren Entwicklungsphase359 einer geschlossenen Gesetzgebungstheorie sind mehrere Tendenzen erkennbar. Da an der Diskussion verschiedene Disziplinen beteiligt sind, ist dies nicht weiter verwunderlich. Nicht überraschend ist es auch, daß sich die verschiedenen Disziplinen die Unzulänglichkeit der jeweils anderen Disziplin zur theoretischen Erfassung des Gesetzgebungsprozesses vorwerfen. Dabei ist insbesondere gerade die Jurisprudenz eher in die
358
359
Bentham. , J., S. Iff.
Vgl. Wyduckel D., Gesetzgebungslehre und Gesetzgebungstechnik: Aktueller Stand und künftige Entwicklungstendenzen, DVB1 1982, S. 1175ff.
222
I. Voraussetzungen und Aufgaben einer Gesetzgebungslehre
Defensive geraten. 3 6 0 W i e w i l l sie auch die Richtigkeit folgender Feststellung von H . Widder widerlegen:
„Zwar handelt es sich bei den positivrechtlich festgelegten parlamentsspezifischen Bestimmungen um eine mehr oder weniger konsistente Erwartungs- und Handlungsordnung, die politisches Erwarten und Verhalten, besonders insoweit es die Rechtssetzung und Rechtskontrolle durch gewählte Volksvertretungen betrifft, formal zu steuern vermag, aber es gibt neben dieser rechtlich formulierten Handlungs- und Erwartungsordnung noch andere, die die erstere sowohl dem Inhalte als auch der Form nach wesentlich determinieren. ... Eine rein rechtliche oder rechtswissenschaftliche Betrachtung kann etwa die Beziehungen zwischen Parlament und Regierung, zwischen Fraktion und Partei, Abgeordneten und Wähler, oder zwischen Verbändebürokratie und Staatsbürokratie nur insoweit erfassen, kategorisieren und problematisieren, als dafür im positiven Recht entsprechende Richtlinien und Maßstäbe in Form von Organisations- und Verfahrensnormen, Kompetenzvorschriften und Entscheidungsregeln vorhanden sind. Wie nichtssagend derartige Koppelungen zwischen Rechtsnorm und expressiv politischem Verhalten sein können, zeigt sich spätestens dann, wenn versucht wird, politisches Verhalten von relativ abstrakt und deshalb vage und unbestimmt gehaltenen Verfassungsgrundsätzen her zu erfassen und einzuordnen." 361
A n der Richtigkeit dieser Grundaussage w i r d der Jurist nicht viel bezweifeln können. Seine Reaktion muß die sein, daß er die Notwendigkeit der Einbeziehung der Verfassungspraxis in seinen Überlegungen aufgreift, auch wenn diese Praxis ihm mit Hilfe anderer Disziplinen vermittelt wird. Eine Hauptaufgabe als Verfassungsjurist in der Entwicklung einer Gesetzgebungstheorie besteht darin, aufgrund
der
Verfassungsinterpretation
unter
Einbeziehung
der
Verfas-
sungspraxis den rechtlichen Rahmen auszugrenzen und zu strukturieren, in dem die Verfassungspraxis sich bewegen kann. Er hat also keinerlei Anlaß, sich aufgrund der von Vertretern anderer Disziplinen gemachten Feststellung der Unzulänglichkeit juristischer Methodik in
360 Vgl. den interdisziplinären empirischen Ansatz von Schulze-Fielitz, fassungsstaat, Berlin 1984. 361
H., Der informale Ver-
Widder, H., Parlamentarische Strukturen im politischen System. Zu Grundlagen und Grundfragen des österreichischen Regierungssystems, Berlin 1979, S. 392f.
3. Der Stand der Diskussion um die Entwicklung einer Gesetzgebungslehre223
diesem Bereich aus seiner Verantwortung zurückzuziehen. Im Gegenteil, er hat den anderen Disziplinen den verfassungsrechtlichen Rahmen zu verdeutlichen. Wie notwendig gerade der Staatsrechtler und der Rechtsphilosoph in der Entwicklung einer Gesetzgebungstheorie sind, zeigt eine andere Tendenz in der jüngeren Diskussion. Die Vertreter dieser Richtung 362 - obgleich vereinzelt auch Juristen, in ihrer Mehrzahl jedoch mehr 'Computerexperten' - sehen die Notwendigkeit, die Gesetzgebungstheorie „vor allem als technische Wissenschaft zu konzpieren" 363 und lediglich die Juristen unter ihnen räumen äußerstenfalls noch ein, daß dabei aber „die latenten rechtsphilosophischen Probleme nicht übersehen werden dürfen." 364 Die Reaktion der Juristen auf die Herausforderung, die die Gesetzgebungstheorie für die traditionelle Rechtswissenschaft darstellt, ist außerordentlich differenziert und jeweils geprägt von dem Grundverständnis über die Aufgabe der Rechtswissenschaft in der Gesellschaft. Wenn es gelingen sollte, eine juristische Gesetzgebungstheorie unter Einbeziehung aller Methoden und Erkenntnisse anderer Disziplinen zu entwickeln, dann ist auch die schon benannte, immer stärker drohende Gefahr gebannt, daß allein die Computertechnokraten diese Aufgabe okkupieren und somit einer der wichtigsten Bereiche staatlichen Verfassungslebens in eine völlig falsche Richtung gedrängt wird. Dann geht es nicht immer mehr um den 'L'esprit des Lois' und nicht mehr um 'gute Gesetzgebung' in staatsphilosophischem Sinne, sondern vorherrschend darum, wie effektiv die Gesetzgebungsmaschinerie arbeiten kann. Dann geht es darum, wie der Input und Output möglichst datenmäßig handhabbar gemacht wird. 3 6 5
362 Hopt, K. J., Finale Regelungen, Experimente und Datenverarbeitung in Recht und Gesetzgebung, JZ 1972, S. 65ff, Jaccard, M. P., Computersimulation in der Gesetzesplanung, Zürich 1978; Bender, R. / Haft, F., Die Reform des Zivilprozesses aus der Sicht der Rechtstatsachenforschung und Rechtsinformatik, Seminar der Universität Stuttgart 1976; Grimmer, K., Die Automation und das Verhältnis der Verwaltung zum Bürger, DÖV 1982, S. 257ff.; Joe res, H., Dokumentationsgerechte Gesetzgebung, in: Bundesanzeiger Nr. 29 vom 10. 2. 1979, S. 5ff.; Lachmayer, F., Untersuchung von Referenzen und Kommunikation in der Gesetzgebung, in: Kindermann, H. (Hg.), Studien zu einer Theorie der Gesetzgebung, Berlin / Heidelberg / New York 1982, S. 46ff; Schönherr, F.; Verbesserung der Gesetzestechnik und -spräche. Versuch eines Lehrstücks, in: Kindermann, H. (Hg.), Studien zu einer Theorie der Gesetzgebung, Berlin / Heidelberg / New York 1982, S. 219ff. 363
Lachmayer, F., DÖV, S. 36.
364
Ebd. Vgl. auch Kaufmann, A. / Hassemer, W., Einführung in Rechtsphilosophie und Rechtstheorie der Gegenwart, Heidelberg / Karlsruhe 1977. 365 Symptomatisch dafür ist die Tatsache, daß die Gesellschaft für Mathematik und Datenverarbeitung zur Frage der Gesetzgebungstheorie vom 22.9.-3.10.1973 ein Seminar in Bonn veranstaltete mit Themen von Forschungsbeiträgen wie 'Legistik und elektronische Datenverarbeitung', 'Rechtstheorie und Rechtsinformatik', 'Legistische Analyse der Struktur von Gesetzen' etc.
224
I. Voraussetzungen und Aufgaben einer Gesetzgebungslehre
Sicherlich sind auch dies zu verhandelnde u n d zu untersuchende Problem e , 3 6 6 j e d o c h stehen sie i n keiner Bedeutung, i n keinem Verhältnis zu dem Raum, den sie i n der Diskussion u m die Gesetzgebung zu Zeiten eingenommen haben. U m ein Versinken i n diesem Randbereich zu verhindern, sollte j u r i s t i s c h fundierte Gesetzgebungstheorie streng zwischen diesen eher einer Gesetzgebungstechnik zugehörenden F r a g e n 3 6 7
u n d der eigentlichen
Gesetzgebung-
stheorie unterscheiden. N u r letztere ist hier v o n Interesse. Erstere w i r d nur dann für folgende Ausführungen eine R o l l e spielen, wenn ihre Problemstellungen auch für die Gesetzgebungstheorie Relevanz entwickeln. Jürgen R ö d i g sieht folgende Aufgaben einer „ z u schaffenden Gesetzgebungsl e h r e " : 3 6 8 1. Wissenschaftliche Analyse des zu statuierenden Regelungsgehalts, 2. Auslegung ex ante, d. h. Festlegung des Gesetzesanwenders a u f die gesetzgeberische Rezeption mittels Materialien, Präambeln, Einteilungsparagraphen u n d kausalen Rechtssätzen, 3. Ausrichtung der A n w e n d u n g eines Gesetzes an der Perspektive der Gesetzesreform.
366 Insbesondere auch solche Themen wie sie die nachfolgenden Abhandlungen zum Gegenstand haben: Thieler-Mevissen, G., Netztheoretische Überlegungen zu einer Gesetzgebungstheorie, in: Klug, U. / Ramm, Th. / Rittner, F. u. a., Gesetzgebungstheorie, Juristische Logik, Zivil- und Prozeßrecht. Gedächtnisschrift für Jürgen Rödig, Berlin / Heidelberg / New York 1978, S. 43ff., Lachmayer, F., Graphische Darstellungen als Hilfsmittel des Gesetzgebers, in: Klug, U. / Ramm, Th. / Rittner, F. u. a., Gesetzgebungstheorie, Juristische Logik, Zivil- und Prozeßrecht. Gedächtnisschrift für Jürgen Rödig, Berlin / Heidelberg / New York 1978, S. 50ff. 367 Neben den oben genannten Werken vgl. dazu Adamovich, L., Probleme einer modernen Gesetzestechnik, in: Winkler, G. / Schilcher, B. (Hg.) Gesetzgebung. Kritische Überlegungen zur Gesetzgebungslehre und zur Gesetzgebungstechnik, Wien / New York 1981, S. 204ff.; Fliesner, Th., Entwurf und Gestaltung von Gesetzesnormen, in: Winkler, G. / Schilcher, B. (Hg.) Gesetzgebung. Kritische Überlegungen zur Gesetzgebungslehre und zur Gesetzgebungstechnik, Wien / New York 1981, S. 137ff. (insbesondere S. 147ff); Bender, R., Das 4Sandhaufentheorem'. Ein Beitrag zur Regelungstechnik in der Gesetzgebungslehre, in: Klug, U. / Ramm, Th. / Rittner, F. u. a., Gesetzgebungstheorie, Juristische Logik, Zivil-und Prozeßrecht. Gedächtnisschrift für Jürgen Rödig, Berlin / Heidelberg / New York 1978, S. 34ff.; Bacher, E., Zur Sprachlichkeit der Gesetze, in: Rödig, J. / Baden, E. / Kindermann, H., Vorstudien zu einer Theorie der Gesetzgebung, St. Augustin 1975, S. 99ff; Döle , H., Vom Stil der Rechtsprache, Tübingen 1949; Wolff. \ K., Die Gesetzessprache, Wien 1952; Günther, L., Recht und Sprache, Berlin 1898; Karpen, U., Die Verweisung als Mittel der Gesetzgebungstechnik, Berlin 1970; Hedemann, J. W., Wesen und Wandel der Gesetzgebungstechnik, in: Festschrift zum 70. Geburtstag von Walter SchmidtRimpler, Karlsruhe 1957, S. 23ff. 368 Rödig,, J., in: Rödig, J. / Kindermann, H., S. 1 Iff. (S. 28), vgl. dazu auch Baden, E., Die gesetzgebungstheoretische Konzeption Jürgen Rödigs. Versuch einer Analyse, in: Klug, U. / Ramm, Th. / Rittner, F. u. a., Gesetzgebungstheorie, Juristische Logik, Zivil-und Prozeßrecht. Gedächtnisschrift für Jürgen Rödig, Berlin / Heidelberg / New York 1978, S. 1 lOff.
4. Die Aufgaben einer Gesetzgebungslehre
225
4. Die Aufgaben einer Gesetzgebungslehre des demokratisch-föderalen Verfassungsstaates Wenn es auch erfreulich ist, daß die Beschäftigung mit den Gesetzgebungsverfahren auf der Tagesordnung steht, so kann der beschriebene Stand der Diskussion keinesfalls befriedigen und eine konsensfähige Lösung über die Aufgabe einer zu entwickelnden Gesetzgebungstheorie oder bescheidener formuliert, Gesetzgebungslehre, ist noch nicht in Sicht. Dies liegt nur zum Teil an den grundsätzlich verschiedenen Vorverständnissen der Disputanten. Die einen sehen, da ihrer Meinung selten genug, sich Grundsätzliches in der Rechtswissenschaft bewegt, die Chance der Ausweitung des rechtswissenschaftlichen Spektrums in Forschung und Lehre und sind bemüht, die Funktionen des Rechts als gesellschaftsgestaltendes Instrument zu problematisieren. Die anderen sehen, wenn auch unausgesprochen, dies als Gefährung einer Politisierung des Rechts an und leisten inhaltlich Widerstand. Die dritte Gruppe, und diese ist wohl für die Fortführung der wissenschaftlichen Beschäftigung mit dem Gesetzgebungsverfahren am fruchtbarsten, nimmt das Gesetzgebungsverfahren in die wissenschaftlichen Untersuchungsgegenstände des Rechtes auf. Die Vertreter dieser Richtung bleiben jedoch bis jetzt eher in der Beschreibung des Gesetzgebungsverfahrens verhaftet, wagen nur hier und dort Kritik und stellen auch schon die Frage, ob das Verfahren und das Ergebnis guter Gesetzgebung entsprechen. Wenig Raum verbleibt, Maßstäbe für das gute Gesetzgebungsverfahren zu entwickeln. Zu groß ist die Scheu sich auf schwankenden Boden zu begeben, sich in die politische Gestaltungsautonomie des Gesetzgebers einzumischen. So ist es nicht verwunderlich, daß es bis heute an solchen, nach h. M. verbindlichen Maßstäben fehlt und nur vereinzelt Versuche in dieser Richtung unternommen wurden. 369 Dabei liegt hier die zentrale Aufgabe der Gesetzgebungstheorie, aus der Verfassungsordnung heraus Maßstäbe rechtsstaatlicher, demokratischer Gesetzgebungsverfahren im Bundesstaat zu entwickeln und die Fragen der Implementation und Kontrolle in befriedigender Weise zu lösen. Als Irrweg sind solche Ansätze zu bezeichnen, die die Funktion des Rechts und der Rechtslehre in Zusammenhang mit der Problematik des gesetzgeberischen Verfahrens grundsätzlich neu überdenken wollen. Dies führt mit einiger
369 Vgl. Mengel, H.-J., Grundvoraussetzungen demokratischer Gesetzgebung. Zur Notwendigkeit einer Prozeßordnung des inneren Gesetzgebungsverfahrens, ZRP 1984, S. 153ff., mit weiteren Nachweisen.
226
I. Voraussetzungen und Aufgaben einer Gesetzgebungslehre
Wahrscheinlichkeit zum Ende der Diskussion und dazu, daß die dringend notwendige weitere Forschung im Bereich des Gesetzgebungsverfahrens leiden würde. Dabei wird diese Aufgabe um so dringender, da das Bundesverfassungsgericht sich offenbar anschickt, seine Zurückhaltung hinsichtlich der gesetzgeberischen Verfahrensüberprüfung aufzugeben und im Begriff ist, hier sehr viel weitergehende Maßstäbe an das gesetzgeberische Procedere aufzubauen, als dies in Zusammenschau mit dem Beibehalten der bisherigen inhaltlich weitgehenden verfassungsgerichtlichen Überprüfung im Rahmen seiner Funktion unter der Gewaltenteilung, wünschenswert erscheint. 370 So ist die Entwicklung von Maßstäben zur Überprüfung des gesetzgeberischen Procedere nicht nur deshalb geboten, weil, wie O. Bachof in anderem Zusammenhang feststellte, „Kontrolle einen Kontrollmaßstab (voraussetzt)", 371 sondern weil es nunmehr auch gilt, dem Bundesverfassungsgericht durch das Aufzeigen von Verfahrensmaßstäben des gesetzgeberischen Procedere und gleichzeitiger ZurückfÜhrung der inhaltlichen Überprüfung der Gesetze auf das der Gewaltenteilung entsprechende Maß, Grenzen zu setzen.372 Als unrichtig muß auch die Auffassung bezeichnet werden, die das Gesetzgebungsverfahren und die darin deutlich gewordenen Willensäußerungen mittels Materialien, Präambeln und Einleitungsparagraphen in den Rechtsanwendungsprozeß über die bisher anerkannten Auslegungsgrundsätze für eine
370
Vgl. Menget, H.-J., Die verfahrensmäßigen Pflichten des Gesetzgebers und ihre verfassungsgerichtliche Kontrolle, ZG 1990, S. 193ff. 371 Vgl. Bachof ; O., Der Richter als Gesetzgeber?, in: Fröhler, L. / Göldner, D. u. a. (Hg.), Otto Bachof. Wege zum Rechtsstaat. Ausgewählte Studien zum öffentlichen Recht, Königstein / Taunus 1979, S. 344ff. (Erstveröffentlichung in Festschrift für J. C. B. Mohr, Tübingen 1977, S. 177ff): „Wenn dem Richter zwar Kontrolle aufgetragen, ihn aber der Kontrollmaßstab nicht mitgeliefert oder nur in einer so unbestimmten Formel gegeben wird, daß sie sich jeder verläßlichen Subsumtion entzieht, so bleibt ihm, der seinen Spruch ja nicht verweigern darf, gar keine andere Wahl, als seinen Maßstab- und das heißt: das von ihm angewandte 'Gesetz' - selbst zu finden, bzw. aus jener vagen Formel zu 'entwickeln'; wobei die Breite möglicher Bindungen natürlich fast unabsehbar ist." (S. 346) 372 Die Problematik, daß in ein solches Vakuum die Jurisprudenz vorstößt, ist nicht neu. Vgl. Thoma, R., Die rechtliche Ordnung des parlamentarischen Regierungssystems, in: Anschütz, G. / Thoma, R., Handbuch des Deutschen Staatsrechts, Bd. 1, Tübingen 1930, S. 503ff. (S. 505): „Zur Formulierung ungeschriebener Hilfsrechtssätze sieht sich die Jurisprudenz auch genötigt, um Antwort geben zu können auf die von der Reichsverfassung zwar nur zwischen den Zeilen, aber unausweichlich gestellten Fragen ..." Die Problematik der fehlenden Maßstäbe verfassungsgerichtlicher Prüfung ist auch nicht auf die Überprüfung des Gesetzgebungsverfahrens beschränkt, sondern auch in anderen Bereichen wie etwa der Kontrolle von Plänen gibt es Schwierigkeiten verfassungsgerichtlicher Überprüfung. Vgl. Hoppe, W., Planung und Pläne in der verfassungsgerichtlichen Kontrolle, in: Starck, Ch. (Hg.), Bundesverfassungsgericht und Grundgesetz, Bd. I, Tübingen 1976, S. 663ff. (S. 683): „Bisher fehlt ein anerkanntes System von Maßstäben für die verfassungsrechtliche und verfassungsgerichtliche Kontrolle von Plänen und eine Lehre von ihrer Anwendung."
4. Die Aufgaben einer Gesetzgebungslehre
227
Rechtsnorm hinaus einbringen will, da die herkömmliche Dogmatik den in Gesetz und Begründung enthaltenen Regelungsgehalt reduziere, wenn sie ausschließlich das Gesetz als Erkenntnisquelle ansähe.373 Das Gesetz würde dabei als Aneinanderreihung einzelner Vorschriften verstanden, die jeweils als Resultat der politischen Auseinandersetzung über die ursprüngliche Regelung in den Gesetzgebungsentwürfen anzusehen seien. Die mit den jeweiligen 'punktuellen' Formulierungen verfolgte Gesamtkonzeption der parlamentarischen Mehrheit bleibe weitgehend außer Betracht. Der Hinweis auf die systematische Auslegung und die Berücksichtigung der gesetzgeberischen Motivation in einigen höchstrichterlichen Entscheidungen vermöge diese These nicht zu entkräften, da systematische Interpretation nur innerhalb des Gesetzes betrieben werde, „die Vorstellungen des Gesetzgebers über die Funktion des Gesetzes im System unserer Rechtsordnung überhaupt dagegen nicht genügend beachtet werden." 374 Die gesetzgeberische Motivation werde regelmäßig nicht als Entscheidungshilfe herangezogen, so daß man sich des Eindruckes nicht erwehren könne, daß sie nur in Einzelfällen zur Stützung eines bereits gefundenen Ergebnisses verwendet werde. Einfluß auf die juristische Dogmatik nehme das Gesetz nur insofern, als die Dogmatik gezwungen werde, legislatorische Lösungen vom Ergebnis her zu beachten. In der Würdigung und Beurteilung der gesetzgeberischen Motivationen aber frei sei. Dadurch werde die Gestaltungskraft des Gesetzgebers, die auch in den Materialien des Gesetzgebungsverfahrens ihren Ausdruck finde, geschwächt. Diese Ausführungen verkennen die Funktion des Gesetzgebungsverfahrens als komplexitätsreduzierendes Verfahren an dessen Ende das instrumentable Ergebnis 'Gesetz' steht und überfordern die Jurisdiktion in zweifacher Hinsicht. Es ist vom verfassungstheoretischen Blickwinkel schwer begründbar, daß bei strittigen Auffassungen, die in jedem Gesetzgebungsverfahren vorkommen können und die durch Kompromisse oder Mehrheitsentscheidungen letztlich im Gesetzeswortlaut ihr Ende finden, im nachhinein Richter doch noch der einen oder anderen im Procedere des Gesetzgebungsverfahrens geäußerten Meinung zum Siege verhelfen. Auch ist dieser Vorschlag wenig praktikabel, wenn man der Jurisdiktion als Regelverpflichtung ihrer Entscheidungsfindung die Einbeziehung der gesetzgeberischen Materialien etc. auferlegt.
373 Rödig, J., Gesetzgebungstheorie als praxisorientierte rechtswissenschaftlliehe Disziplin auf rechtstheoretischer Grundlage, in: Rödig, J. / Kindermann, H., Vorstudien zu einer Theorie der Gesetzgebung, Bonn 1975, S. 11 ff; vgl. auch dessen einleitende Thesen zum Thema 'Zum Stellenwert der Gesetzgebungstheorie in der herkömmlichen Dogmatik sowie in der traditionellen Methodenlehre', ebd., S. 27f. 374
Rödig, J., Stellenwert der Gesetzgebungstheorie, S. 28.
16 Mengel
228
I. Voraussetzungen und Aufgaben einer Gesetzgebungslehre
Die auf längere Sicht einzige Aufgabe der Gesetzgebungstheorie kann sein, daß sie Maßstäbe für ein rechtsstaatliches und demokratisches gesetzgeberisches Entscheidungsverfahren entwickelt und klärt in welchem Umfange diese Maßstäbe implementiert und kontrolliert werden können und müssen und welche Folgen ihre Verletzung für das Gesetz im einzelnen hat. Ferner sollte es Aufgabe einer interdisziplinär orientierten Gesetzgebungslehre sein, Verfahrensweisen zu entwickeln, die die Koordinierung des Gesetzgebungsverfahrens zwischen den verschiedenen am Gesetzgebungsverfahren Beteiligten erleichtern 375 und gleichzeitig sicherstellen, daß die unabdingbaren Grundvoraussetzungen demokratisch-rechtsstaatlichen Procedere's nicht der Effektivität dieser Organbeziehungen untereinander geopfert werden und sie zunächst in diesen Beziehungsgeflechten, die sich weitgehend unter Ausschluß der Öffentlichkeit gebildet haben, zu implementieren. Wenn diese Aufgabe erfüllt ist, die schwierig genug sein wird, sich aber völlig auf Verfahrenserwägungen bezieht und mit dem jeweiligen politisch-gestaltenden Inhalt der Gesetzgebung nichts, sondern nur mit dem Procedere zu tun hat, mag es später auch zulässig und angebracht sein 376 Wege aufzuzeigen, wie Gesetzgebungsinhalte sachgerechter gestaltet werden können und insgesamt die Gesetzgebung effektiviert werden sollte. 377 Dies ist jedoch nicht der Kernbereich rechtlicher Erwägung zum Gesetzgebungsverfahren, sondern eher dem Bereich der Politikwissenschaft zuzuordnen. Damit ist - und dies wird in dieser Arbeit dokumentiert - nicht gesagt, daß für diesen rechtlichen zentralen Aspekt der Gesetzgebungstheorie, der Istzustand des Gesetzgebungsverfahrens alleinige Grundlage sein muß. 378 Hinzukommen
375
Vgl. BVerfGE 6, 257 (265); vgl. auch Meier, K., Kooperation von Legislative und Exekutive bei der Rechtsetzung im Bund, Heft 121 der Basier Studien zur Rechtswissenschaft 1979. 376 Die Rolle, die der Soziologie dabei zukommen kann, beschreibt Gersbach, H.-U., Die Möglichkeiten der Soziologie in der Rechtssetzung, in: Eichenberger, K. / Buser, W. / Métraux, A. u. a. (Hg.), Grundfragen der Rechtssetzung, Basel 1978, S. 329ff.; der allerdings vor einem „Umschlag des instrumentellen Charakters der empirischen Sozialforschung zum Entscheidungsmittel im Zielbildungsprozeß" des Gesetzgebungsverfahrens warnt, da die „Begründung eines Ziels wesentlicher Bestandteil der politischen Präferenzstruktur" sei (S. 360). 377 Vgl. dazu etwa Bohret, C., Entscheidungshilfen für die Regierung, Opladen 1970; ders., Grundriß der Planungspraxis, Opladen 1975. 378 Vgl. das Plädoyer zur Praxisbezogenheit der Disziplin von Rödig, J., Gesetzgebungstheorie als praxisorientierte rechtswissenschaftliche Disziplin auf rechtstheoretischer Grundlage, in: Bund, E. / Schmiedel, B. / Thieler-Mevissen, G. (Hg ), Jürgen Rödig. Schriften zur juristischen Logik, Berlin / Heidelberg / New York 1980, S. 295ff.; vgl. auch Kindermann, H., Aktuelle Probleme der Gesetzgebungslehre - ein Diskussionsbericht, in: Maihofer, W. u. a. (Hg.), Theorie und Methoden der Gesetzgebung, Frankfurt 1983, S. 87ff., der ebenfalls die Praxisbezogenheit der Gesetzgebungstheorie betont (S. 87): „Im Zusammenwirken von Theorie und Praxis sieht sie ihre Chance ..." Wenn er allerdings den Schwerpunkt dann auf die inhaltliche Gesetzgebungszusammenarbeit legt, „Der Wissenschaftler ist mehr und mehr aufgerufen, an der konkreten Gesestzgebung mitzuwirken ... und der Praktiker nimmt nicht selten auf die wissenschaftlliche Diskussion Einfluß ..." (S. 88), dann erscheint dies verfrüht. Worum es zunächst in der Diskussion gehen muß, ist zu-
5. Rechtsphilosophische und rechtspolitische Voraussetzungen
229
müssen auch Zukunfisüberlegungen unter Einschluß der rechtstheoretischen und rechtspolitischen Voraussetzungen der Gesetzgebung i m Rechtsstaat. 3 7 9 Deshalb soll i m Anschluß an einige Bemerkungen zu diesen Rahmenbedingungen der Versuch gemacht werden, als rechtliche Maßstäbe für das demokratischrechtsstaatliche Gesetzgebungsverfahren vier Grundvoraussetzungen und deren verfassungsmäßige Verankerung zu entwickeln.
5. Rechtsphilosophische und rechtspolitische Voraussetzungen einer Lehre der Gesetzgebung a) Zweckbestimmung der Gesetzgebung Eine Theorie der demokratischen Gesetzgebung kann nicht losgelöst von der Frage des Zweckes der Gesetzgebung 3 8 0 in der Demokratie entwickelt werd e n 3 8 1 . Betrachtet man das Wesen des Staatswillens, der sich am eindrucksvollsten in der Gesetzgebung manifestiert, wie Kelsen, als „eine zum Zwecke der Zurechnung vollzogene normative Konstruktion . . . u 3 8 2 , dann sind die Voraussetzungen, die man an das Zustandekommen dieser Konstruktion stellen muß, wesentlich andere als, wenn man den Zweck der Gesetzgebung mit dem großen
nächst einmal Maßstäbe zu entwickeln, die eine Optimierung rechtsstaatlich-demokratischer Grundsätze im Gesetzgebungsverfahren gewährleisten. Hier liegt der Schwerpunkt der Zusammenarbeit mit anderen Disziplinen für die Jurisprudenz darin, daß diese ihnen die verfassungswirklichen Abläufe unterstützend empirisch aufbereiten. Aus diesen verschiedenartigen Aufgabenzuweisungen, die eine Gesetzgebungslehre im augenblicklichen Stand zu erfüllen hätte, ergeben sich auch Unterschiede in den Meinungen Uber die Rolle der Rechtsvergleichung. Diese'hat für die Entwicklung von Maßstäben des Gesetzgebungsverfahrens nur begrenzten Wert, da diese Maßstäbe in erster Linie heute noch aus unserer nationalstaatlichen Verfassungsordnung gewonnen werden müssen. Für die inhaltliche Ausgestaltung der Gesetze kann sie dagegen von großem Wert sein. 379 Vgl. dazu auch Jermann, P., Die Vorgegebenheiten und Randbedingungen der Rechtssetzung, in: Eichenberger, K. / Buser, W. / Métraux, A. u. a. (Hg.), Grundfragen der Rechtssetzung, Basel 1978, S. 189ff; Bally, J. / Gersbach, H.-U. / Hagemann, P. u. a., Politik als Determinante im Gesetzgebungsprozeß, in: Eichenberger, K. / Buser, W. / Métraux, A. u. a. (Hg.), Grundfragen der Rechtssetzung, Basel 1978, S. 239ff. 380 Hier geht es nicht um den Einzelzweck eines spezifischen Gesetzes, vgl. dazu Höger, H., Die Bedeutung von Zweckbestimmungen in der Gesetzgebung der Bundesrepublik Deutschland, Berlin 1976, sondern um die generelle Zweckbestimmung demokratischer Gesetzgebung. 381 Vgl. Hegenbarth, R., Symbolische und instrumentelle Funktionen moderner Gesetze, ZRP 1981, S. 201ff.; Scheuner, U., DÖV 1960; Schreckenberger, W., Die Gesetzgebung im demokratischen Rechtsstaat, in: Jekewitz, J. / Melzer, M. / Zeh, W. (Hg.), Politik als gelebte Verfassung. Aktuelle Probleme des modernen Verfassungsstaates, Festschrift für Friedrich Schäfer, Opladen 1980, S. 76ff. 382
Kelsen, H., Über Grenzen zwischen juristischer und soziologischer Methode, Neudruck der Tübinger Ausgabe von 1911, Aalen 1970, S. 58.
230
I. Voraussetzungen und Aufgaben einer Gesetzgebungslehre
Aufklärungsphilosophen Christian Wolff darin sieht, „die Glückseligkeit des menschlichen Geschlechtes"383, zu erreichen oder wie Bentham meint, daß „the sole object of the legislator" sei „to increase pleasures and to prevent pains" 384 . Folgt man Kelsen, dann ist die Frage der Entstehung von Gesetzen ohnehin für den Juristen uninteressant mit der Folge, daß er sich aus der Diskussion um eine demokratiegemäße Rechtssetzungsverfahrensweise herauszuhalten hat. 385 Dieser Ansatz kann nicht Grundlage der Entwicklung einer demokratischrechtsstaatlichen Gesetzgebungslehre sein, so gut wie er für den rechtsanwendenden Juristen Grundlage sein kann oder muß. Allein für den demokratischen Gesetzgebungsprozeß genügt es nicht, das Ergebnis, das Gesetz zu bestimmen, sondern Verfahren und Zweck der Gesetzgebung werden zu zentralen Feldern seiner Aufmerksamkeit. Wie das Verfahren gestaltet sein muß, um demokratischen Grundforderungen zu genügen, wird anschließend erörtert. Zunächst sollen einige Anmerkungen zum Zweck des Gesetzes im demokratischen Bundesstaat gemacht werden, „... da die Zweckbestimmung des Instruments Gesetz untrennbar mit möglichen Verfahren seiner Entstehung verbunden ist" 3 8 6 . Die Frage nach dem grundsätzlichen, allen Gesetzen innewohnenden Zweck darf von einer demokratischen Gesetzgebungslehre nicht vernachlässigt werden. 387 Die Beantwortung hilft mit, eine Entfremdung 'guter Gesetzgebung' zu zwar formal rechtmäßiger, aber 'schlechter Gesetzgebung' zu verhindern. Die Frage muß nicht nur von Verfassungsjuristen beantwortet werden, sondern auch von Politikwissenschaftlern. Erstere haben allerdings nicht nur Maßstäbe für das demokratische Gesetzgebungsverfahren zu entwickeln, sondern auch den Rahmen abzugrenzen, in dem sich Gesetzgebung in ihren Zwecken bewegen kann. Die Maßstäbe dafür ergeben sich wie für das Verfahren der Gesetzgebung auch für deren Zweck aus der Verfassung. Nicht nur die Staats-
383
Wolff,
384
Bentham, J., S.31.
Ch., Vernünftige Gedanken, 2. Aufl., Frankfurt an der Oder 1725, S. 165.
385 Vgl. zum Verhältnis Kelsens zur Gesetzesentstehung Walter, R., Reine Rechtslehre und Gesetzgebungstechnik, in: Kindermann, H. (Hg.), Studien zu einer Theorie der Gesetzgebung 1982, Berlin / Heidelberg / New York 1982, S. 145ff. 386 „... the nature of the legislative process will depend largely upon the type of function it is to perform ...", in: Jordan, E., Theory of Legislation, Chicago 1952, S. 132. 387 Diese Ausführungen haben nichts mit der politischen Diskussion zu tun, wie Lebensverhältnisse zu verbessern sind. Dies kann sowohl durch ein Minimum an Gesetzgebung geschehen, indem man dem Individuum weitgehend die Gestaltung seiner Lebensverhältnisse überläßt, als auch durch erhöhte Regulierung, die meint, das Wohl der Menschen sei besser durch eine Vielzahl von Gesetzen zu fördern.
5. Rechtsphilosophische und rechtspolitische Voraussetzungen
231
Zielbestimmungen wie das Bekenntnis zum Rechts- und Sozialstaat, sondern auch die gesamte Wertordnung des Grundgesetzes sind die Grundlage für eine solche Ausgrenzung des Rahmens, in dem die Zweckbestimmung von Gesetzgebung sich bewegen muß. Allerdings ist eine solche generelle Zweckbestimmung mehr als ein weiter Rahmen. Sie dient einmal dazu festzustellen, ob ein Einzelgesetz Grundrechte der Bürger verletzt, und zum anderen dazu, prinzipielle Erfordernisse hinsichtlich des Zustandekommens von Gesetzen zu postulieren. Wenn Zweck der Gesetzgebung lediglich sein soll, technokratische Regelungskriterien aufzustellen, dann ist es nicht so wichtig, ob diese im breiten Konsens mit Betroffenen erzielt werden oder nicht. Wenn Gesetzgebung jedoch generell dazu dienen soll, Lebensverhältnisse zu verbessern, dann ist es bedeutend, daß die von den Regelungen Betroffenen die Möglichkeit haben, gehört zu werden. 388 Die Problematik der Zweckbestimmung demokratischer Gesetzgebung hat auch sehr viel mit der immerwährenden Klage über die Gesetzesflut, die über den Bürger hereinbreche, zu tun. Wenn man Gesetzgebung als das Aufzeigen der großen Ordnungsrahmen gesellschaftlichen Zusammenlebens versteht, dann sind die für eine entsprechende Theorie zu ziehenden Folgen völlig andere, als für Gesetzgebung, die dazu dienen soll, den Ausbau des Sozialstaates voranzutreiben um mittels detaillierter Regelungen die Wohlfahrt des einzelnen Bürgers insbesondere derer, die sich tatsächlich oder vermeintlich in schwächeren Positionen befinden, zu befördern. Ersteres Verständnis lag der Gesetzgebung der großen Kodifikation des Strafrechts und Zivilrechts zugrunde. Hier kam es allerdings nicht nur auf die großen Linien als Rahmen für das Verhalten der Bürger an, sondern auch auf eine theoretisch vollkommen durchdachte und stringente Konstruktion rechtlicher Beziehungen an. Diese Systembildung im Sinne der gelehrten Jurisprudenz mußte nicht immer und unbedingt der sozialen Wirklichkeit gerecht werden. Wichtig war die „Basis doktrinärer Fachkonsense" von denen J. Esser in bezug auf die Schaffung des Bürgerlichen Gesetzbuches und des Strafgesetzbuches
388
Hier wird von einem formalen Gesetzesbegriff ausgegangen. Danach ist unter Gesetz diejenige hoheitliche Geltungsanordnung zu verstehen, die im parlamentarischen Verfahren zustandegekommen ist. Vgl. auch Degenhart, Ch., Gesetzgebung im Rechtsstaat, DÖV 1981, S. 477ff. Grundsätzlich dazu Roellecke, G., Der Begriff des positiven Gesetzes und das Grundgesetz, Mainz 1969; Starck, Ch., Der Gesetzesbegriff des Grundgesetzes, Baden-Baden 1970; Böckenförde, E. W., Gesetz und gesetzgebende Gewalt, 2. Aufl., Berlin 1981, Kopp, H. W., Inhalt und Form der Gesetze als ein Problem der Rechtstheorie, mit vergleichender Berücksichtigung der Schweiz, Deutschlands, Frankreichs, Großbritanniens und der USA, 2 Teilbände, Zürich 1958; Zielcke , Α., Kritik der Gesetzesform, ARSP 1977, S. 465ff; Frohn, H., Gesetzesbegriff und Gewaltenteilung, Diss. Köln 1978; Müller, E., Gesetzgebung im historischen Vergleich. Ein Beitrag zur Empirie der Staatsaufgaben, Pfaffenweiler 1989.
232
I. Voraussetzungen und Aufgaben einer Gesetzgebungslehre
feststellt, daß sie „schon ursprünglich nicht mehr ganz auf der Höhe der Zeit standen." 389 Bei solchem Verständnis der Gesetzgebung konnte dies jedoch nicht als allzu störend empfunden werden, da gerade die Abgehobenheit der Kodifikation von der 'banalen' Wirklichkeit deren Bestand und Neutralität gegenüber flüchtigen Tages- und Zeiterscheinungen garantierte. Ob ein solches Gesetzgebungsverständnis mit der demokratisch-pluralistischen Grundordnung im Sozialstaat vereinbar ist, muß von Verfassungsjuristen geklärt werden. Dabei sehen sie sich einer Situation gegenübergestellt, in der es darauf ankommt, daß der Gesetzgeber in einer höchst komplexen sozialen Wirklichkeit ständig und möglichst planend vorausschauend versuchen muß, diese Wirklichkeit des Zusammenlebens auf der Grundlage des Rechts- und Sozialstaats demokratisch strukturiert in den Griff zu bekommen 390 . Insoweit geht es nicht mehr darum, wenige grundlegende Gesetze zu verabschieden, sondern es geht - man mag dies beklagen oder begrüßen - darum, durch eine große Zahl von gesetzlichen Regelungen den Rechts- und Sozialstaat zu bewahren und auszubauen. Der Ruf nach Umkehr mutet in diesem Bereich genauso utopisch an, wie der Ruf „zurück zur Natur". Zwar mag man darüber streiten, ob rechtliche Regelungen in solch großem Maße in Form eines Gesetzes erlassen werden müssen, jedoch ist kaum ein Streit darüber fruchtbar, ob unsere komplexe Gesellschaft mit dem breiten Zweckbestimmungsradius ihrer Rechtsetzung mit sehr viel weniger rechtlichen Regelungen auskommen könnte. b) Gesetz als rechtgründendes Instrument Schon lange herrscht kein Streit mehr darüber, daß Gesetzgebung nicht die alleinige rechtgründende Quelle auch in der demokratischen Rechtsordnung ist. 391 In erster Linie hat sich der Richter als gewichtige andere Quelle des Rechts etabliert. 392 Dabei blieb allerdings bis heute einigermaßen unklar, wie 389 Esser, K. J., Gesetzesrationalität im Kodifikationszeitalter und heute, in: Vogel, H.-J. / Esser, K. J., 100 Jahre Oberste deutsche Justizbehörde, Recht und Staat Bd. 470, Tübingen 1977, S. 13ff. (S. 14). 390 Hierzu auch Karpen, U., Gesetzgebungs-, Verwaltungs- und Rechtsprechungslehre, S. 51ff.; Hennecke, F., Gesetzgebung im Leistungsstaat, DÖV 1988, S. 768ff. 391 392
Vgl. dazu grundsätzlich Marcie , R., Vom Gesetzesstaat zum Richterstaat, Salzburg 1957.
Die jüngst auch von Schneider, H., vorgenommene Differenzierung, daß die Rechtsnorm sich von Gerichtsentscheidung und Verwaltungsakt, „durch ihren generellen Charakter" (S. 21) unterscheide, erscheint nicht überzeugend. Höchstrichterliche Rechtsprechung, aber auch die Rechtsprechung unterer Instanzen geht in ihrer Bedeutung oft weit über den Einzelfall hinaus und hat generelle Wirkungen für eine unbestimmte Anzahl nachfolgender nicht unbedingt identischer, aber ähnlicher Fälle. Dieser generelle rechtgründende Charakter der Dritten Gewalt, der sich von ähnlichen Erscheinungen in der Verwaltungspraxis durch seine Absolutheit unterscheidet, ist dort besonders ausgeprägt, wo der Gesetzgeber ersetzt, korrigiert oder ergänzt werden muß und selbst weitestgehende Interpretation nicht ausreicht, strikt nur das Gesetz anzuwenden.
5. Rechtsphilosophische und rechtspolitische Voraussetzungen
233
die nun in den Rang von „Rechtkonstitution" erhobene Rechtspraxis und deren Handeln im einzelnen analysiert und erklärt werden können. Dies zu tun ist sicherlich eine weithin noch nicht erfüllte Aufgabe der Rechtstheorie. 393 Hier ist nur von Interesse, inwieweit die Ursache für den steigenden Stellenwert konstitutiven Richterrechts im demokratischen Rechtsstaat in Mängeln der Gesetzgebung liegt. Wenn der Gesetzgeber bei der Formulierung der Gesetze nicht konkret genug wird, sondern sich im allgemeinen erschöpft, wenn er auftretenden gesellschaftlichen Regelungsbedarf überhaupt nicht erfüllt, wenn er widersprüchliche Gesetzgebung schafft oder sich gar irrt, d.h. eine Regelung verabschiedet, die er so nicht gewollt hat, 394 dann bleibt ein Regelungs- und Ordnungsbedarf, der nicht allein durch Interpretation gestillt werden kann, sondern dem ebenfalls rechtgründender normativer Charakter zukommen muß. 395 Der Institution, die diese Lücke auffüllt, deshalb Funktionsanmaßung vorzuwerfen, wäre so ungerecht wie töricht, trägt doch allein deren Tätigkeit dazu bei, das gesellschaftliche Ordnungssystem aufrechtzuerhalten, da ein Vakuum durch das Versehen anderer Institutionen nicht ohne schwerwiegende Folgen bliebe. So ist es zwar verständlich, wenn auch von der Wissenschaft in bestimmten Fällen verlangt wird, etwa wegen des Gebotes der Rechtssicherheit, „daß die Gerichte die gesetzlichen Konsequenzen ... ohne Rücksicht auf gesetzgeberische Fehlvorstellungen ziehen", 396 jedoch auch als Ausnahme, nur schwer akzeptabel. Bei all dem muß man sich darüber im klaren sein, daß die so beschriebene Funktion der Rechtsprechung ein Provisorium bleibt und zumindest auf jenes Maß zurückgeführt werden muß, bei dem die Demokratie keinen Schaden
393 Die eher mühsam und konstruiert erscheinenden Erklärungsversuche, daß die Richter gar kein neues Recht schaffen, sondern die Wertungen und Regelungen allesamt im Gesetz schon angelegt seien, werden nicht von empirischen Forschungen bestätigt. Hier gäbe es eine lohnende Aufgabe für die Rechtssoziologie, einmal festzustellen, welche Grenzen die richterliche Rechtsschöpfung und Rechtsfortbildung beachtet. Vgl. auch dazu Weimar, R., S. 244f. 394
Als eindrucksvolles Beispiel kann hier die Neufassung des § 50 Abs. II StGB gelten, die ungewollte Auswirkungen auf die Verjährung der Mordbeihilfe aus der NS-Zeit hatte. Vgl. dazu Stree, W., Das Versehen des Gesetzgebers, JuS 1969, S. 403ff. 395 Oft reicht aber gerade Interpretation durch den Richter dann nicht aus, wenn der Gesetzgeber seiner Novellierungspflicht nicht nachkommt. Um nicht zum Rechtsverweigerer zu werden, ist der Richter auf die Weiterentwicklung und Fortbildung des Rechts ohne Hilfe des Gesetzgebers, allerdings oft abgesichert durch den rechtswissenschaftlichen Diskussionsstand, angewiesen. Zur Novelllierungspflicht vgl. grundsätzlich Badura, P., Die verfassungsrechtliche Pflicht des gesetzgebenden Parlaments zur 'Nachbesserung' von Gesetzen, in: Müller, G. / Rhinow, R. A. (Hg.), Staatsorganisation und Staatsfunktionen im Wandel. Festschrift für Kurt Eichenberger, Basel / Frankfurt am Main 1982, S. 48Iff.; Stettner, R., Die Verpflichtung des Gesetzgebers zu erneutem Tätigwerden bei fehlerhafter Prognose, DVB11982, S. 1123ff. 396
So Stree, W., JuS, S. 406.
234
I. Voraussetzungen und Aufgaben einer Gesetzgebungslehre
n i m m t . 3 9 7 Dies kann nur dadurch geschehen, daß die gesetzgebende Gewalt Verfahren entwickelt, innerhalb derer sie ihre Aufgabe so wahrnehmen kann, daß nicht andere Institutionen Ersatzfunktionen leisten müssen. Die These, daß die extensive rechtkonstitutive Funktion des Richters i m demokratischen Staat nicht als selbstverständlicher Dauerzustand hingenommen werden kann, bedarf einer näheren Begründung. Dies u m so mehr, da offenbar keine nennenswerten Anstrengungen gemacht werden, diesen Zustand zu beseitigen oder zumindest einzuschränken. I m Gegenteil, es erscheint so, daß sich in der Verfassungswirklichkeit alle Beteiligten darüber einig sind, die entstandene Lage nicht mehr als Provisorium zu betrachten, sondern als außerordentlich praktisches Arrangement. 3 9 8 Der Gesetzgeber ist dankbar, daß sich jemand fand, seine Unzulänglichkeiten a b z u g l e i c h e n . 3 9 9 Dies ist insbesondere dort für den Gesetzgeber außerordentlich erfreulich, w o er, d. h. die Mehrheit in der Legislative
einen
erkennbaren
gesellschaftlichen
Regelungsbedarf
aus
poli-
tisch/taktischen Erwägungen nicht erfüllen w i l l oder k a n n 4 0 0 , w e i l die Parlamentsmehrheit, die eine Koalitionsregierung trägt, sich nicht einigen k a n n 4 0 1
397 Vgl. Mengel, H.-J., Recht und Politik. Zur Theorie eines Spannungsverhältnisses im demokratischen Staat, in: APuZ Β 13-14/1989, S. 30ff.; Greive, W. (Hg.), Die Rolle der Richter und Richterinnen zwischen Rechtsprechung und Politik. Dokumentation einer Tagung der Evang. Akad. Loccum vom 6. bis 8. Mai 1995, Rehburg-Loccum 1995; Karpen, U. (Hg.), Der Richter als Ersatzgesetzgeber. Protokoll der 14. Tagung der Deutschen Gesellschaft für Gesetzgebung e. V., in Zusammenarbeit mit der Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg am 2. Mai 1994, Hamburg 1995. 398 Vgl. auch Marcie , R., Richterstaat, der schon 1957 davon ausging, daß dem Richteramt die „politische Zukunft" (S. 248) gehöre. 399
Aus diesem Grund wendet sich Hirsch, H. J., Haushaltsplanung und Haushaltskontrolle in der Bundesrepublik Deutschland, Ellwein, Th. (Hg.), Politik - Regierung - Verwaltung, Bd. 2, Stuttgart / Berlin / Köln u. a. 1968, gegen jede richterliche Kompetenz zur gestaltenden Regelbildung. Der Gesetzgeber, der seinen Pflichten nicht nachkomme, werde dadurch „vom Druck selbst etwas tun zu müssen, befreit." (S. 341); dies untergrabe die „Moral der Legislative" lediglich noch mehr. 400
Arbeitsüberlastung kann hier als Argument nicht hingenommen werden. So aber mit entschuldigendem Verständnis Kubier, F., Kodifikation und Demokratie, JZ 1969, S. 645ff. (S. 650): „Man sollte auch die weitere Frage ernst nehmen, ob ein derartiges Verhalten der Fraktionen und ihrer Vorstände nicht legitim ist, wenn sie durch die Berlinkrise und den Finanzausgleich, durch Novellierungen der Sozialversicherung, des Lastenausgleichs und der Kriegsopferversorgung etc. in Atem gehalten werden". Diese Ausführungen, in Hinblick auf das Überlassen von Problemlösungen an die Richter, gemacht, können als ernstzunehmende Frage nur die Antwort erhalten, daß wie an anderer Stelle der Studie dargelegt - Gesetzgebung sowohl in der ministeriellen Vorbereitungsphase, als auch später im Parlament stets nur eine vergleichsweise kleine Anzahl von Spezialisten beschäftigt. Ministerialbeamte und Abgeordnete, die mit der Lösung einer politischen Krise beschäftigt sind, sind deshalb nicht notwendigerweise die Ursache für mangelhafte Gesetzgebung. 401 Etwa weil der Interessentendruck auf einen der beteiligten Koalitionspartner als zu stark von diesem empfunden wird. Vgl. die Frage bei Kühler, F., JZ (S. 650): „Spielt es eine Rolle, wenn die Parteien gerade angesichts des für sie meist lästigen Widerstandes eines einflußreichen Interessen-
5. Rechtsphilosophische und rechtspolitische Voraussetzungen
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oder dem Parlament insgesamt die moralische Kraft fehlt, Probleme zu lösen. 402 Erfreulich auch für andere an der Entstehung von Gesetzen Beteiligte, etwa der Ministerialbürokratie. Sie kann darauf vertrauen, daß Fehler der Gesetzgebung, die aus den Mängeln des Gesetzgebungsprozesses entstehen, von anderen korrigiert werden. Von anderen, deren Aufgabe eigentlich die Anwendung und nicht die Korrektur, auch wenn sie nur 'interpretierenden' Charakter hat, der Gesetze ist. Dies gilt auch für den Verwaltungsbeamten, der nicht selten ebenfalls in eine rechtssetzende und gesetzeskorrigierende Funktion gerät, nur weil der Gesetzgeber versagt. 403 Sicherlich ist die Montesquieu'sehe Vorstellung, daß der Richter lediglich „la bouche qui prononce les paroles de la l o i " 4 0 4 sei, nicht mit der Rolle des Richters im demokratischen Rechtsstaat vereinbar, aber genausowenig kann er „la bouche, qui crée les paroles de la loi" sein. Ersteres würde ihn zu einem Rechtsprechungsautomaten degradieren, für letzteres fehlt ihm die demokratische Legitimation. Solche demokratische Legitimation ist unabdingbare Voraussetzung für die Zuerkennung rechtgründender Funktion in der Demokratie. Ohne solch ausreichende Legitimation besteht die Gefahr, daß Rechtgründung zerfasert, Interessenoligarchien entstehen und auf lange Sicht Willkür einkehren kann. 405 c) Freiheitsgründende und freiheitsbeschränkende Gesetzgebung Das allgemeine Unbehagen an der stetig steigenden Flut von Gesetzen, Verordnungen und Vorschriften jeglicher Art beruht insbesondere darauf, daß der Eindruck entsteht, die große Zahl der Regelungen führe zu einer wesentlichen
ten die Vorlage im Vertrauen darauf dilatorisch behandeln, daß die Rechtsprechung an einer zu billigenden Regel festhalten wird?" 402
Marcie , R., Richterstaat, spricht davon, daß der Gesetzgeber „von seiner fachlichen und moralischen Qualität viel eingebüßt hat, und daß die Substanz nur mehr bei der Dritten Gewalt aufbewahrt ist." (S. 248) 403 Welche Folgen mangelhafte Gesetzgebung auch für die Einzelperson haben kann , zeigt die sogenannte Gehälteraffaire in Sachsen-Anhalt; der zurückgetretene Ministerpräsident Münch räumte ein, daß die Besoldung der Minister nicht präzise geregelt worden sei. Vgl. FAZ vom 11.6.1996, S. 1. 404 405
Montesquieu , De l'esprit des Lois, Livre XI, Chapitre VI.
Es wäre aber unsinnig, einen allzu puristischen Maßstab anzulegen. Gesetzgeber können, wie schon Pound , R., An Introduction to the Philosophy of Law, 8. print., New Haven 1950, ausführt (S. 105), „from the nature of the case ... make laws not so complete and all embracing that the judicial power will not be obliged to exercise a certain lawmaking function also." Jedoch darf diese auch heute gültige Erkenntnis nicht dazu führen, daß der Gesetzgeber mit der ergänzenden Funktion der Jurisdiktion rechnet und entsprechend seine Bemühungen darauf einstellt.
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I. Voraussetzungen und Aufgaben einer Gesetzgebungslehre
Einschränkung der persönlichen Feiheit des Bürgers. 406 So wies das Präsidium des Anwaltsvereins darauf hin, daß Aktivitäten und Initiativen des Bürgers bis in den höchstpersönlichen Lebensbereich hinein durch eine Vielzahl von sich laufend ändernden Vorschriften eingeengt und beschnitten würden. 407 So ist es gewiß nie falsch, die Einschränkung individueller Freiheit zu beklagen und dies auf das überzogene Geflecht sozialstaatlicher Regelungsmechanismen zurückzuführen. 408 Dies gilt insbesondere für die Durchsetzungsfähigen in einer Gesellschaft. Sie sind eher bereit und in der Lage, ihre Interessen ohne jegliche Hilfe rechtlicher Regelungen durchzusetzen. Für einen Angehörigen dieser Gruppe ist es oft leicht, die Notwendigkeit solcher Regelungen zu bestreiten, da sie ihm Zügel auferlegen, jedoch für den in der konkreten Situation Schwächeren sind sie unabdingbare Voraussetzung, seine Interessen wahren zu können. Gewerkschaften rufen solange nach einem möglichst großen Freiraum in der Tarifautonomie, solange sie mit dem Streik eine empfindliche Waffe haben, ihre Rechte bzw. die Rechte ihrer Mitglieder zu wahren und auszubauen. Sie verlangen aber dann plötzlich rechtliche Regeln, wenn ihre Stärke durch die Aussperrung auf Arbeitgeberseite relativiert wird. Industrieunternehmen verlangen stets einen möglichst von rechtlichen Regeln freien Raum für ihre Aktivitäten, da sich nur in diesem Klima der Freiheit, unternehmerische Aktivität zum Wohle aller am Gedeihlichsten entfalten könne.
406 Vgl. aus der langen Reihe der Kritiker etwa Maassen, H., Die Freiheit des Bürgers in einer Zeit ausufernder Gesetzgebung, NJW 1979, 1473ff., mit ausführlichen Nachweisen (insbesondere Anmerkung 7), und Holischneider, R., Normenflut und Rechtsversagen, Baden-Baden 1991. 407 408
Pressemitteilung Nr. 7/78 vom 1.9.1978 zitiert nach Maassen, H., NJW, S. 1474 (Anm. 6).
Bei aller berechtigter Kritik an unnötigen Gesetzen darf diese nicht dazu führen, eine gesetzesfeindliche Stimmung beim Bürger zu schaffen, die es erleichtert, das Gesetz generell zu mißachten. Wenn auch in der rechtswisssenschaftlichen Diskussion ständig davon ausgegangen wird, daß der Gesetzgeber zu viele, zu schlechte und überflüssige Regelungen schaffe, dann wird es letztendlich in den Augen so mancher Bürger zu einem Akt der Vernunft, sich solcherart kritisierter Gesetzgebung auf jede erdenkliche Weise zu entziehen. Insofern muß Gesetzgebungskritik weg von Pauschalierungen, wie sie auch in der allgemeinen Klage über die Normenflut erkennbar werden, sondern muß differenziert untersuchen, welche Ursachen ein eventuelles 'Zuviel' an gesetzgeberischer Aktivität hat und welche Wege zur Verfügung stehen, die Qualität der Gesetzgebung zu verbessern. Mit anderen Worten, Gesetzgebung ist nicht in erster Linie negativ zu bewerten, sondern grundsätzlich als Ausdrucksform staatlicher Regelungsbefugnis der dafür durch die Bürger legitimierten Organe positiv zu akzeptieren. Vgl. auch Eichenberger, K., Gesetzgebung im Rechtsstaat, VVDStRL 1982, S. 7ff. (S. 10): „Rechtsstaatliche Demokratie verwirklicht sich entscheidend in und mit zureichender Gesetzgebung." Derselbe auch kritisch gegenüber den allgemeinen Klagen Uber die Normenflut, ebd. (S. 15, Anmerkung 12): „Man knüpft am quantitativen Bild an und vermag dann weniger ursächlich als in den Wirkungen, qualitative Mängel darzustellen."
5. Rechtsphilosophische und rechtspolitische Voraussetzungen
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Sehen sie sich lästiger Konkurrenz ausgesetzt, wird nach dem regelnden Eingriff des Staates verlangt. Es kann gewiß keinen Streit darüber geben, daß Gesetzgebung freiheitsbeschränkende Wirkungen in zahllosen Bereichen menschlicher Existenz mit sich bringt. 409 Dies ist unabdingbare Voraussetzung und Folge des Rechtsstaates, dem Gemeinwesen, in dem Recht und nicht Willkür des Einzelnen oder die der Mehrheit herrscht. Streit muß und wird es immer darüber geben, wo die Grenze zwischen dem liegt, was als Verwirklichung des Rechtsstaates unabdingbar ist und was als unnötige und belastende Einschränkung persönlicher Freiheit verstanden werden muß. Diese Grenze muß in ständiger Auseinandersetzung immer neu gezogen werden, da sich die Verhältnisse ändern. Die Verteidigungslinien sind dabei allerdings, seit der Rechtsstaat das Attribut 'sozial' bekommen hat, eher zu Ungunsten persönlicher Freiheit ins Wanken geraten, ohne verkennen zu wollen, daß für nicht wenige Bürger der Sozialstaat schlicht bedeutet, daß sie nicht unter Bedingungen leben müssen, die im Extremfall auch unter Art. 1 GG nicht hinnehmbar wären. d) Gesetz und ethische Standards Neben den bisher genannten Zweckbestimmungen der Gesetzgebung, die in ihrer Berechtigung mehr oder minder auf einem breiten Konsensus der Gesellschaft beruhen, gibt es auch andere Funktionen der Gesetzgebung, die nicht nur in Einzelheiten differenzierte Meinungen hervorrufen, sondern deren grundsätzliche Berechtigung in Zweifel gezogen werden. Als zentrales Beispiel kann der Versuch des Gesetzgebers gesehen werden, mittels rechtlicher Regelungen, bestimmten moralisch/ethischen Wertvorstellungen, innerhalb der Gesellschaft entweder zum Erfolg zu verhelfen, oder entgegenlaufende Vorstellungen zu unterdrücken. 410
409 Ob an dieser Tatsache die teilweise Übertragung von Rechtssetzung auf Private etwas ändert, mag füglich bezweifelt werden. Für diese Möglichkeit privater Rechtssetzung plädiert Kloepfer, M., Gesetzgebung im Rechtsstaat, VVDStRL 1982, S. 63ff. (S. 77): „Eine wesentliche Entlastung der staatlichen Gesetzgebung könnte sich - jedenfalls zur Abwehr neuer Gesetze - durch eine private Rechtssetzung ergeben, die zugleich die gesellschaftlichen Selbststeuerungskräfte stärken und zur stabilisierenden Formung des Gemeinwesens nutzen könnte." Dagegen „insbesondere weil sich die Übertragung rechtssetzender Befungnis an Private auf Grund des demokratischen Prinzipes verbietet", Bühler-Reimann, Th., Primat des Gesetzes unter den Rechtsquellen, in: Kindermann, H. (Hg.), Studien zu einer Theorie der Gesetzgebung 1982, Berlin / Heidelberg / New York 1982, S. 53ff. (S. 53); Marburger, P., Die Regeln der Technik im Recht, Köln / Berlin / Bonn u. a. 1979, S. 333ff, mit weiteren Nachweisen. 410 Vgl. dazu Blankenburg, E., Recht als Kategorie sozialer Verhaltensregelmäßigkeiten, in: Jahrbuch für Rechtssoziologie und Rechtstheorie, Bd. 1, Bielefeld 1970, S. 227ff; Dubois , Α.,
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I. Voraussetzungen und Aufgaben einer Gesetzgebungslehre
Besonders eindringlich in der Geschichte gesetzgeberischer Tätigkeit ist hierfür die Regelung der Glaubensfreiheit. Jedoch beschränkte sich die Steuerung moralisch/ethischer Standards mittels Gesetzgebung keineswegs auf religiöse Fragen, sondern umfaßt auch andere Bereiche höchstpersönlicher Lebensäußerungen, wie ζ. B. das Sexualverhalten der Bürger. Unter der Voraussetzung, daß die Mitglieder der Gesellschaft lediglich Objekte obrigkeitsstaatlicher Verfügung waren, konnte es auch wenig Zweifel geben, daß diese Objekte sich auch in höchstpersönlichen Fragen der Lebensgestaltung dem Willen der Obrigkeit zu unterwerfen hatten. Letztere machte sich nicht einmal die Mühe der Rechtfertigung. In einem Gemeinwesen, in dem der Bürger im Mittelpunkt steht, bedürfen Regelungen, die ethisch/moralische oder religiöse Fragen berühren und dennoch zum Gegenstand der Mehrheitsentscheidungen gemacht werden, einer stärkeren Legitimation als andere Bereiche der Entscheidung.411 So genügt es für die Funktionsbestimmung der Gesetzgebung innerhalb einer Gesetzgebungstheorie des demokratischen Rechtsstaates keineswegs, daß der Wille der Mehrheit auch in solch höchstpersönlichen Freiheitsbereichen entscheidend ist. Wie ist dann aber diese Zone menschlicher Existenz, in der Mehrheitsentscheidungen allein nicht entscheidend sein können, auszugrenzen? Solche Fragestellung führt uns zurück zu der Funktionsdefinition demokratischer Gesetzgebung: Erreichung des individuellen Glücks bei gleichzeitiger Maximierung des Gemeinwohls durch Steuerung des Verhaltens der Gemeinschaftsglieder. Sie führt uns zurück zu der Feststellung, daß diese Definition sich in der Bewältigung des permanenten Spannungsverhältnisses zwischen individuellem Glücksanspruch und Gemeinwohlmaximierung bewähren muß. Daß eine ständige Abwägung der widerstreitenden, aber doch sich gegenseitig bedingenden Ansprüche des Individuums und der Gemeinschaft erforderlich ist. Nicht nur im ethisch/religiösen Bereich ist bei dieser Abwägung, in dubio pro libertate zu entscheiden und der Verzicht des Gesetzgebers zur Hinlenkung auf vorgestellte Ordnungsbilder zu fordern. Die Gesetzgebungstheorie des demokratisch-pluralistischen Rechtsstaates kann nur im Gegensatz zu allen kollektivistisch-totalitären Verfassungsordnungen von einem Menschenbild ausgehen, daß die Freiheit des Individuums zur unabdingbaren Voraussetzung aller
Außerrechtliche Normsysteme und abweichendes Verhalten, in: Eichenberger, K. / Buser, W. / Métraux, A. u. a. (Hg.), Grundfragen der Rechtssetzung, Basel 1978, S. 135ff. 411 Vgl. Höffe, O., Politische Gerechtigkeit. Grundlegung einer kritischen Philosophie von Recht und Staat, Frankfurt am Main 1987.
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Überlegungen macht. Da die Verwirklichung solcher Freiheit nur in Gemeinschaft stattfinden kann, muß sie sich dort Beschränkungen gefallen lassen, wo sie zum Funktionieren der Gemeinschaft unerläßlich sind. Funktionszuweisungen, die die Gesetzgebung als Instrument von Zielsetzungen gebrauchen, die lediglich die Freiheit des Individuums beschränken sollen, ohne daß gleichzeitig eine Notwendigkeit zur Verwirklichung der Zielbestimmungen der communitas zugrundeläge, sind kaum mit der Zweckbestimmung demokratisch-rechtsstaatlicher Gesetzgebung zu vereinbaren. Der nicht akzeptable Versuch des Staates durch Gesetzgebung sozusagen in die Gehirne der Bürger vorzudringen, um dort Vorstellungen zu initiieren, zu fordern oder abzubauen, die nach dem Willen des Gesetzgebers notwendigerweise beeinflußt werden sollen, um die mehrheitliche Auffasung von Moral, sittlichen Werten etc. durchzusetzen, ohne daß damit eine ausreichende Legitimation derart verbunden wäre, daß damit sozialschädliches Verhalten schon im Keim verhindert werden soll, wird ergänzt durch staatliche Gesetzgebung, die tatsächlich solche Legitimation aufweisen kann. Hier wird Gesetzgebung zur Steuerung gesellschaftlichen Bewußtseins gebraucht, um sozialschädliches Verhalten, als solches im allgemeinen Bewußtsein anerkannt, zu verhindern. e) Fragmentarischer und periodischer Charakter demokratischer Gesetzgebung Es gibt Stimmen, die die Qualität von Gesetzgebung an deren Dauer und Vollständigkeit messen und mit nostalgischem Blick auf die großen Kodifikationen vergangener Zeiten verweisen, die in ihren wesentlichen Teilen noch heute Bestand haben. Dennoch ist festzustellen, daß die Zeiten, in denen die Funktion des Gesetzes folgendermaßen umrissen wurde, vorbei sind: „L'office de la loi est de fixer, par de grandes vues, les maximes générales du droit; d'établir par des principes féconds en conséquences, et non de descendre dans le détail des questions qui peuvent naître sur chaque matière." 412 Obengenannte Kriterien an die Qualität demokratischer Gesetzgebung zu legen oder auch nur die Dauer oder die Wichtigkeit gesetzlicher Regelungen413 als Kriterium für die
412 Äußerung von Portalis, Gesetzesredaktor des Code Civil, zitiert nach Ebel, F., Beobachtungen zur Gesetzestechnik im 19. Jahrhundert, in: Rödig, J. (Hg.), Studien zu einer Theorie der Gesetzgebung, Berlin / Heidelberg / New York 1976, S. 337ff. 413
So aber Scheuner, U., Das parlamentarische Regierungssystem in der Bundesrepublik, DÖV 1957, S. 632ff. (S. 636); Kirchhof P., Rechtsquellen und Grundgesetz, in: Starck, Ch. (Hg.), Bundesverfassungsgericht und Grundgesetz, Tübingen 1976, S. 50ff.: „Parlamentarische Gesetzgebung ist heute insbesondere staatsleitender Rechtsakt, der eine Regelung von einiger Bedeutung und für einige Dauer trifft. Das Grundgesetz behält bestimmte grundlegende, auf Dauer bedeutsame Fragen des Gemeinwesens ausdrücklich dem Gesetzgeber vor." (S. 78) Noch deutlicher: „Der
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I. Voraussetzungen und Aufgaben einer Gesetzgebungslehre
parlamentarische Zuständigkeit anzusehen, würde die Bedingungen, unter denen Gesetze in der demokratisch-pluralistischen Ordnung Zustandekommen, außer acht lassen. Wenn man Gesetzgebung in der Demokratie in erster Linie als Instrument von Politikgestaltung zu definieren hat, dann ist darin die Veränderlichkeit, das Fragmentarische und zeitlich Begrenzte enthalten.414 Die Vorstellungen des politisch agierenden Gesetzgebers unterliegen in der Demokratie durch die regelmäßige Infragestellung des verantwortlichen Gesetzgebungspersonals und tatsächlichem Austausch von Mehrheiten einem sehr viel schnelleren Wandel als in Systemen, in denen der Gesetzgeber auf lange Zeit sich weder in Frage stellen läßt, noch ein Austausch von gesetzgeberischen Mehrheiten ermöglicht wird. Hinzu kommt, daß auch solche Materien, bei denen es nicht in erster Linie um Politikgestaltung durch Gesetze geht, sondern die ohne großen Gestaltungsraum mehr oder minder durch technokratische Sachzwänge vorgegeben sind, ständiger Wandlung unterworfen werden, so daß es hier unmöglich ist, langfristige und erschöpfende Regelungen durch den Gesetzgeber zu schaffen. 415 Im Gegenteil, der fragmentarische, periodische Charakter der Gesetzgebung ermöglicht hier die der Sache angemessenen Lösungen. 416 Allerdings nur, wenn auch diese mit der gleichen Sorgfalt unternommen werden, wie sogenannte „Jahrhundertkodifikationen" 417 und die Beteiligten sich des Gedankens enthalten, daß Fehler nicht so ins Gewicht fielen, da erstens die ausführende Verwaltung diese ausgleichen und zweitens die Rechtsprechung schwerwiegendere Mängel hinweginterpretiere und man drittens die Möglichkeit der Novellierung habe.
Gesetzgeber hat sich darauf zu beschränken, eine dauerhafte Ordnung im Grundsätzlichen herzustellen." (S. 81) 414 Vgl. dazu auch Wielinger, G., Die Zeit als Rahmen der Existenz und als Inhalt von Rechtsvorschriften, in: Winkler, G. / Schilcher, B. (Hg.), Gesetzgebung, Kritische Überlegungen zur Gesetzgebungslehre und zur Gesetzgebungstechnik, Wien / New York 1981, S. 154ff. 415 Vgl. auch Kirchhof, P., in: Starck, Ch. (Hg.), S. 81: „An die Stelle grundsätzlicher Kodifikationen tritt die gesetzliche Ausformung von Teilordnungen, die sich nur noch an bestimmte Personengruppen, nicht einmal mehr an alle Rechtskundigen wenden." 416
Wenngleich es auch berechtigte Warnungen gibt, daß „die Aufgabe der traditionellen Kodifikationen, eine gesamteinheitliche, innerlich konkordante Rechtsordnung zu schaffen, nicht gänzlich vernachlässigt werden" dürfe, da „vielleicht... gerade in diesem Verzicht auf grundsätzliche umfassende gesetzliche Lösungen eine der Gründe für die Gesetzesflut unserer Tage" liege, Koch, P. / Walpen, E. / Luethy, A.-M. u. a., Die motivierenden Ideen der Kodifikationen, in: Eichenberger, K. / Buser, W. / Métraux, A. u. a. (Hg.), Grundfragen der Rechtssetzung, Basel 1978, S. 39ff. (S. 56). 4,7 Vgl. etwa dazu Wieacker, F., Der Kampf des 19. Jahrhunderts um die Nationalgesetzbücher, Göttingen 1969; Stern, J., Zum 100-jährigen Gedächtnis des Kampfes für ein einheitliches bürgerliches Recht für Deutschland, Berlin 1914; Ebel, W., Geschichte der Gesetzgebung in Deutschland, Göttingen 1958; Gagner, St., Studien zur Ideengeschichte der Gesetzgebung, Uppsala 1960.
5. Rechtsphilosophische und rechtspolitische Voraussetzungen
241
f) Gesetz als Politikgestaltung Gesetzgebung i n der demokratischen Ordnung moderner Prägimg hat weder v i e l gemein m i t der Gesetzgebung historischer Rechtsschule als A u s d r u c k h i storisch gewachsener Überzeugungsentwicklungen, noch m i t d e m Verständnis als
Herrschaftsinstrument
i. S.
verschiedener
Ausformungen
marxistischer
Rechtstheorie. 4 1 8 Es bleibt festzuhalten, daß Gesetzgebung heute i n erster L i n i e Instrument der Politikgestaltung geworden i s t 4 1 9 u n d somit Instrument der Staatsleitung 4 2 0 , oder l e d i g l i c h i n der Hauptsache als D i e n s t l e i s t u n g 4 2 1 betrachtet w i r d . B e i ersteren ist es absolut m ü ß i g u n d höchstens v o n gewissem theoretischem Interesse, i n diesen politikgestaltenden Gesetzen den Prozentsatz an substantieller rechtlicher Regelung zu bestimmen oder m i t kritischem Unterton z u vermerken, daß es Gesetze gibt, die „ d e r rechtlichen Substanz mehr oder weniger entbehren u n d nur noch den Charakter politischer, wirtschaftlicher u n d sozialer Maßnahmen h a b e n " 4 2 2 . W e n n dem entgegengehalten w i r d , daß die Unterscheidung zwischen dem normativen u n d dem instrumentalen Gesetzesbegriff 'als analytisches K r i t e r i u m ' unverzichtbar sei, dann muß man auch die praktische Relevanz dieser Forderung näher begründen.
418 Bei Vogel, H.-J., Sozialstaatliche Rechtspolitik als Stabilitätsfaktor, ZRP 1981, S. Iff. (Anmerkung 2), finden sich allerdings auch Nachweise, daß zunehmend in der marxistischen Rechtstheorie darauf hingewiesen wurde, daß Recht nicht allein als Kampf- und Herrschafts instrument einer Klasse diente. 419 Vgl. Degenhart, Ch., Gesetzgebung im Rechtsstaat, DÖV 1981, S. 477ff. (S. 479): „Gesetzgebung als Element der parlamentarischen Demokratie formt politische Anforderungen, politische Wertungen und Entscheidungen in verbindliche hoheitliche Geltungsordnungen um. In diesem Verfahren der Umformung wird Rechtsstaatlichkeit durch Gesetzgebung verwirklicht." Vgl. auch die Äußerungen Ernst Wolfgang BöckenfÖrdes, daß im Rahmen unserer Verfassung Rechtssetzung mehr und mehr zur Realisierung politischer Programme geworden sei, laut Bericht von Harald Kindermann Uber eine gemeinsame Tagung der deutsch-schwedischen Gesellschaften für Rechtsvergleichung, in: Maihofer, W. u. a. (Hg.), Theorie und Methoden der Gesetzgebung, Frankfurt 1983, S. 87ff. (S. 89); ferner Bally, J. / Gersbach, H.-U. / Hagemann,, P. u. a., Politik als Determinante im Gesetzgebungsprozeß, in: Eichenberger, K. / Buser, W. / Métraux, A. u. a. (Hg.). Diese politikgestaltende Funktion der Gesetzgebung ist keineswegs wie Vogel, H.-J., ZRP, meint, eine spezifische Erscheinung der sozialliberalen Koalition gewesen: „Erst während der sozialliberalen Regierungszeit wurde der Begriff einer eigenständigen Rechtspolitik zur Selbstverständlichkeit." (S. 1) 420 Vgl. BVerfGE 9, 268 (Ls 2b und 281); ferner Kirchhof P., in: Starck, Ch. (Hg.), „Parlamentarische Gesetzgebung ist heute insbesondere staatsleitender Rechtsakt." (S. 78) 421
Pestalozza, Ch. v., Gesetzgebung im Rechtsstaat, NJW 1981, S. 2081ff. (S. 2082 und
2083). 422 So Öhlinger Th., Das Gesetz als Instrument gesellschaftlicher Problemlösung und seine Alternativen, in: ders. (Hg.), Methodik der Gesetzgebung, Wien 1982, S. 17ff. (S. 25).
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I. Voraussetzungen und Aufgaben einer Gesetzgebungslehre
Die Unterscheidung zwischen rechtlich gehaltvollen und Gesetzen mit eher politischem, wirtschaftlichem und sozialem Inhalt ist genauso unnötig, wie die Unterscheidung zwischen dem juristischen und soziologischen Begriff des Rechts falsch ist. 423 Es gibt keine zwei 'Rechte', allenfalls kann man je nach Disziplin den Untersuchungsgegenstand 'Recht' empirisch-soziologisch oder nach rein rechtswissenschaftlichen Kriterien angehen. Gesetz als staatsleitende Politikgestaltung kann in vielfacher Weise instrumentalisiert werden. Es kann zur konsekutiven Verwirklichung langfristiger politischer Gestaltungsvorstellungen eingesetzt werden und viele Gesetze einer oder mehrerer Legislaturperioden sind dann im großen Zusammenhang dieses Gestaltungszieles zu sehen und nähern sich somit großen Kodifikationsentwürfen vergangener Zeit. Gesetze können aber auch, und dies ist heute die überwiegende Funktion in dem Rahmen staatsleitender, politikgestaltender Tätigkeit, lediglich dazu dienen, das politisch-gesellschaftliche System funktionsfähig zu erhalten, d. h. man verzichtet auf die Erfüllung großer zukunftsweisender gestalterischer Visionen 424 , sondern spürt Mängel und Lücken der bestehenden Regelungen auf und füllt diese bzw. ändert die mangelhaften Regelungen, um Friktionen im Funktionieren gesellschaftlichen Zusammenlebens zu vermeiden. 425 Dabei fließen in die Rechtssetzung politische Überzeugungen ein, die, wie Kurt Eichenberger feststellt, mit „rein sachlicher Normschaffung" wenig zu tun haben. 426 Dies ist jedoch dem Wesen demokratischer Gesetzgebung in der im wesentlichen politisch-gestaltenden Funktion immanent. Im Gegenteil, der Gesetzgeber - besser gesagt, die für die Gesetzgebung verantwortliche Mehrheit und die von ihr getragene Exekutive - werden gescholten, wenn sie nicht gestaltend, sondern nur technokratisch-verwaltend Rechtssetzung betreiben. 427 In der Verkennung des politisch gestaltenden Wesens demokratischer Gesetzgebung,
423
So aber Imbach, B. / Spreyermann, J., Normativität und Normalität, in: Oehlinger, Th. (Hg.), Methodik der Gesetzgebung, Wien 1982, S. 113ff. (S. 113f.). 424 Vgl. auch BVerfGE 32, 111 (139), die vom Wandel der Gesetzgebungsbedeutung zur „auf den status quo zugeschnittene(n) Willensentscheidung des Gesetzgebers" spricht. 425
Vgl. dazu auch oben den Abschnitt über die Impulswirkung des Gesetzgebungsverfahrens.
426
Vgl. Eichenberger, K., in: ders. / Buser, W. / Métraux, A. u. a. (Hg.), S. 11: ,»Allein, die partei- und gruppenpolitisch geprägten Organe schaffen die sichtbare und primär durchsetzbare Verbindlichkeit der wichtigeren Normen - ein Grundtatbestand, gegen den immer wieder angerannt wird, der aber in der heutigen Kreationsordnung nicht aufzugeben ist." Aber auch er scheint diesen Tatbestand, der eben ausschließt, daß von der Warte des Juristen aus, rein sachliches Recht entsteht, eher zu bedauern, wenn er in diesem Zusammenhang feststellt (ebd.): „Wir müssen mit dem Gesetzgeber leben, den wir haben ..." 427 So etwa Pestalozza, Ch. v., NJW, der vom Gesetzgeber „Konzeptionen, vielleicht sogar Visionen" an Stelle von „periodischen Flickwerk" (S. 2086) erwartet.
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die teilweise eben auch irrationale Züge tragen kann, liegt die tiefere Ursache für die Tendenz der Verfassungsgerichtsbarkeit durch ihre Kontrolle, die allzu innovativen Rechtssetzungsakte, die nicht allein rein sachlicher Normschaffung entspringen, eben auf diese zurückzuführen. 428 Letztendlich führt dies dazu, daß sich der Gesetzgeber schon während der Gesetzgebung stets bewußt ist, daß seine Politikgestaltung qua legislatorischer Akte stets vor den gestrengen Augen der Richter bestehen muß und nicht auszuschließen ist, daß die politische Gestaltungsfreiheit dadurch in systemwidriger Weise eingeschränkt wird. g) Gesetzgebung und sinngebende geistige Idee Gesetzgebung kann in ihrer Funktionszuordnung sogar noch über die punktuell ethisch-moralische Standardsetzung hinausgehen, und insgesamt als Verwirklichung einer höheren, sie allumfassenden, tragenden Idee verstanden werden, wobei die Einzelgesetze alle dieser Idee dienen und an ihr gemessen werden müssen, mit anderen Worten: Gesetzgebung kann auch generell oder partiell ideologischen Zielen dienen. 429 So vertritt Adam H.. Müller in seiner Dreizehnten Vorlesung, 'Geist der Römischen Gesetzgebung',430 die Auffassung, daß die lediglich technokratische, der Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit dienende Gesetzgebung auf Dauer zum Untergang eines solchen Systems führen müsse: „Eine politische Ordnung, die keinen anderen, höheren Zweck hat, als eben wieder die Ordnung, die dem zu Folge nicht anderes seyn kann, als ein maschinenmäßig, in sich selbst umherlaufendes Uhrwerk, eine sich selbst mahlende Mühle (wie Novalis sagt), muß, wenn sie lebendigen Wesen aufgedrungen wird, nachdem auf eine Zeitlang die äußere Natur des Menschen ihr unterworfen gewesen, und Sinn und Geist der Bürger von diesem sogenannten Staate ausgeschlossen worden ist, zuletzt unfehlbar vor der organischen Kraft des lebendigen Stoffes, den sie zu regieren hat, weichen: sie selbst muß die Revolutionen herbeiführen, die sie unfehlbar zerschmettern werden". 4 3 1
428 Diese Feststellung der Verkennung des Wesens demokratieimmanenten politischen Charakters legislativer Rechtssetzung durch die Verfassungsgerichtsbarkeit, muß zum Nachdenken über eine Neustrukturierung verfassungsgerichtlicher Normenkontrolle führen. Vgl. unten Kapitel VI. 429
Vgl. dazu Maihofer, W., Ideologie und Recht, in: ders. (Hg.), Ideologie und Recht, Frankfurt/Main 1969, S. Iff.; Henkel, H., Ideologie und Recht, Tübingen 1973; Imbach, B. / Spreyermann, J., in: Oehlinger, Th. (Hg ), besonders S. 116f. 430
Müller , Α. H., Elemente der Staatskunst, Jena 1922, S. 246ff.
431
Ebd., S. 257f.
17 Mengel
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Auch perfekte technokratische Gesetzgebung und Gesetzesausführung kann den Mangel einer tragenden Idee nicht ausgleichen: 432 „Man glaubt, alles gewonnen zu haben, wenn man einen Codex bestimmter und unbedingter Gesetze beieinander hat; wenn man diesen Gesetzen, den Resultaten tausendjähriger Erfahrung, treue, gewissenhafte, unbestechliche Verwalter und vermeintliche Ausspender des Rechtes beigesellt..."
Die religiöse Idee habe Israel aufrechterhalten. Als diese Idee „unter den Händen der Schriftgelehrten und Pharisäer, jüdischer Secten und Sophisten aller Art" zerfallen sei, habe sich auch das politische Leben und die Freiheit der Juden zum Untergange hingeneigt. 433 Griechenland sei durch die freien göttlichen Ideen erhoben worden. Diese Ideen, die „so manches Heldengeschlecht, so viele großmüthige Thaten, späterhin so unvergängliche Kunstwerke, und, wenn auch keinen treuen, unerschütterlichen Staatenbund, so doch ein reiches politisches Leben erzeugt hatten", 434 seien ebenso wie die religiöse Idee Israels durch die Gelehrten zerstört worden und durch bloßes „gelehrtes Handwerk" ersetzt worden. Alles was in den gelehrten Schulen Alexandriens zur Welt gekommen sei, „war Begriff und todte Nachahmung". 435 Auch Rom sei an der Auflösung der das Reich tragenden Idee „der militärischen Kraft und Freiheit" 436 zerbrochen. Der tiefere Grund dafür, daß Gesetzgebung ohne zusammenhaltende sinngebende geistige Grundlage nicht als dauerhaft tragfähiges Fundament einer staatlichen Ordnung dienen kann, liegt nach dieser Auffassung darin, daß die Bürger eines solchen Gemeinwesens nur sehr bedingt für die ihr Zusammenleben gestaltende gesetzgeberische Ordnung eintreten: „Kurz, bloß weil der Mensch überzeugt ist, daß die Gesetze keinen anderen Zweck haben, als seinen individuellen, sächlichen Vortheil, so unterwirft er sich ihnen blindlings, umgeht und betriegt sie aber, wo er kann. Sein Gewissen, falls er dergleichen unsichtbares Gesetz in seiner Brust anerkennt, hat mit den Gesetzen nichts zu schaffen; die Gesetzgebung ist nichts anderes als, im günstigsten Fall, eine gute Polizei-Anstalt: Freiheit des Bürgers heißt der Theil seines Lebens und Eigenthums, der von der Aufsicht dieser Polizei eximiert ist; je größer dieser eximierte Theil, um so besser ist das Ding, welches sie 'Staat'
432
Ebd., S. 257.
433
Ebd., S. 261.
434
Ebd., S. 262.
435
Ebd.
436
Ebd.
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nennen." 437 Die Schlußfolgerung dieser pessimistischen, aber sicherlich auch heute zum Teil gültigen Beschreibung der Haltung des Bürgers zur Gesetzgebung ist, daß allein die sinngebende Idee hinter der Gesetzgebung dem Bürger an sein Gemeinwesen binden und damit dessen Bestand sichern könne. Diese Idee kann wie in den genannten Systemen ζ. B. aus der Religion, aus ethischkünstlerischen Quellen oder aus militärischen Idealen geboren werden oder aber aus einer mehr oder minder diffusen allgemeinen Idee der Liebe zum Staat bestehen: „Zeigt mir eine Liebe, die nicht zu sagen weiß, ob sie das Irdische oder das Unsichtbare am Staat mehr liebt; die nicht zu sagen weiß, ob sie den Staat mehr um der Erinnerung, oder mehr um der gegenwärtigen Freiheit, oder mehr um der Hoffnung auf die Zukunft willen liebt. Das ist eine siegreiche Liebe!" 4 3 8 Theoretische Erwägungen zur Gesetzgebung im demokratischen Staat können solche Thesen nicht als einer anderen Zeit zugehörig zuweisen, da es sich bei der dargestellten Argumentation durchaus um grundsätzliche Elemente theoretischer Überlegungen zur Gesetzgebung handelt. 439 Es geht um die Frage, ob Gesetzgebung generell, also auch im demokratischen Staat moderner Prägung von einer allumfassenden sinngebenden Idee getragen sein muß, 440 oder ob es genügt, daß sie jeweils die zu regelnde Problematik gemäß der sachlichen Erfordernisse und dem augenblicklich in den Gesetzgebungsinstanzen vorherrschenden politischen Gestaltungswillen löst. Grundsätzlich ist es möglich, daß gesetzgeberische Maßnahmen ohne jeglichen ideellen Überbau auskommen.441 Für die moderne Demokratie verbietet
437
Ebd., S. 216.
438
Ebd., S. 217.
439
Insofern ist dem Widerspruch Joseph H. Kaisers, den er Ilse Staff entgegenbrachte, als sie als Vorsitzende der Staatsrechtslehrertagung philosophische Erörterungen über den Beratungsgegenstand 'Gesetzgebung im Rechtsstaat' mit kritischen Anmerkungen versah, auf das Lebhafteste beizupflichten, VVDStRL 1982, S. 126f. 440 Auf die Bedeutung dieser Fragestellung auch für die aktuelle Gesetzgebungsdiskussion hat eindrucksvoll Michael Kern in der Diskussion der Jahrestagung der Vereinigung Deutscher Staatsrechtslehrer 1981 hingewiesen, VVDStRL 1982, S. 124f. 441 Dies besagt aber nicht, daß die einzelnen Gesetze ohne Wertentscheidung bleiben müssen. Vgl. Kopp, H. W., Inhalt und Form der Gesetze als ein Problem der Rechtstheorie, mit vergleichender Berücksichtigung der Schweiz, Deutschlands, Frankreichs, Großbritanniens und der USA, 2 Teilbände, Zürich 1958, S. 213: „Es läßt sich mit anderen Worten erst aus dem Gesetz eine hic et nunc, aber keineswegs in allen Fällen politisch oder rechtlich verbindliche, und insofern zufällige Wertgrundlage ablesen, so daß diese im Einzelfall eine Funktion der gesetzgeberischen Entscheidung, statt jene in allen Fällen eine Funktion der gleichbleibenden Wertgrundlage bildet."
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sich jedoch schon eine solche Annahme allein durch die Tatsache, daß die demokratisch-rechtsstaatliche Regierungsform solch einen ideellen Überbau darstellt, 442 der Rahmen und Maßstab ist. 443 Im besonderen Falle der Bundesrepublik kommen noch die Staatszielbestimmungen hinzu. 444 Die große Idee der rechts- und sozialstaatlichen Demokratie wird allerding niemals die Hingabe der Bürger erwarten können, wie die Ideen, die anderen Systemen in der geschichtlichen Entwicklung der Menschheit zugrundelagen. Es muß Spekulation bleiben, ob diese relative Gleichgültigkeit der Bürger gegenüber der unser System tragenden Idee der Demokratie darauf zurückzuführen ist, daß diese Errungenschaften moderner rechtsstaatlicher Demokratie als selbstverständlich angesehen werden und deshalb keine emotionale sichtbaren Zeichen der inneren Bindung an diese Idee festzustellen ist, oder aber ob die Bürger sich tatsächlich nicht bewußt sind, daß unsere Ordnung nicht nur ein technokratisch geregeltes Gemeinwesen darstellt, sondern von Grundideen geprägt ist, die in dieser Form sowohl in der Geschichte unseres Landes modellhaften Charakter haben, als auch in der Gemeinschaft der Völkerfamilie beanspruchen können, all das zu beinhalten, was als Ziel in den völkerrechtlichen Vereinbarungen und Manifestationen zu Freiheit, Gleichheit, Recht und Würde des Menschen enthalten ist. Diese die demokratische Gesetzgebung tragenden Werte unserer Ordnung ergeben sich unmittelbar aus den Grundprinzipien der demokratischen Idee und nicht etwa aus den einzelnen Gesetzen. Insofern ist für die demokratische Gesetzgebung die Feststellung von Hans W. Kopp, daß die Wertgrundlage am
442 Dies gilt auch, wenn man die 'Wertidee des Rechtsstaates' (Werner Kägi / Hans Huber) wie Eichenberger, K., VVDStRL 1982, S. 8, als „dermaßen weit, offen und wandlungsbereit" ansieht, „daß sie für eine Gesetzgebung schlechthin ganz wenige präfixierte Gestaltungen und Uberdauernde Festlegungen zu treffen vermag." Meines Erachtens wird jedoch diese Weite durch die ergänzenden Ideen demokratischer Ordnung, die sich mit der Rechtsstaatsidee in so einmaliger Weise verbinden und sie befruchten, durchaus in einer Weise konkretisiert, daß die Gesamtidee der rechtsstaatlichen Demokratie auch schon sich in einer ausreichend deutlichen Weise zeichnen läßt, ohne daß sie, wie Eichenberger isoliert für die Idee des Rechtsstaates feststellt, „ihre Konturen ... weitgehend erst in der einzelnen Verfassung und ... mit der Gesetzgebung" (ebd.) erhält. 443 Für die Demokratie in den Vereinigten Staaten von Amerika beschreibt Kopp, H. W., deren 'Gerechtigkeitsidee' mit folgenden Stichworten, S. 289: „ein sozial aufgeschlossener, dem Christentum gegenüber positiv eingestellter, der Akzentuierung nach betont individualistischer und von der Gleichheitsidee und einer gewissen Autoritätsfeindlichkeit besonders geprägter, der allgemeinen kulturkritischen Tendenz nach optimistischer Liberalismus; ein damit, wo sich Überschneidungen und Kontakte ergeben, sinngemäß übereinstimmender Demokratismus und Förderalismus ..." Vgl. zu dieser Verbindung Kägi, W., Zur Entwicklung des schweizerischen Rechtsstaates seit 1848, ZSR 71 (1951) I, S. 174ff. (S. 197f., 205ff.); Bäumlin,, R., Die rechtsstaatliche Demokratie, Zürich 1954, S. 90ff. 444 Vgl. dazu Breiter, U., Staatszielbestimmungen als Problem des schweizerischen Bundesverfassungsrechts, Diss. Zürich 1980; Driendl, J., Zur Notwendigkeit und Möglichkeit einer Strafgesetzgebungswissenschaft in der Gegenwart, Recht und Staat Bd. 511, Tübingen 1983 (S. 32): „Staatsziele stellen gleichsam immerwährende Impulse an den Gesetzgeber dar, diese unter veränderten gesellschaftlichen Bedingungen zu bewahren und einzulösen."
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Schluß statt am Anfang stehe und das Gesetz „zum Index für die jeweilige gerade maßgebliche Wertgrundlage" geworden sei, „statt Index dafür zu sein, inwieweit der Gesetzgeber das immer identische Wertfundament des in Frage stehenden Staates eingesehen, positiviert hat", 445 für die demokratische Gesetzgebungspraxis der Bundesrepublik zu relativieren, wenn nicht gar als nicht zutreffend zu charakterisieren. Sicherlich ist nicht jede gesetzliche Regelung als fundamentale Verwirklichung der Grundideen auf denen die demokratischrechtsstaatliche Ordnung beruht, zu klassifizieren, jedoch muß jegliche Regelung sich im Rahmen der Grundideen bewegen.446 Ob dies der Fall ist, kann jederzeit durch das Bundesverfassungsgericht verbindlich festgestellt werden. Aber auch in dieser Verbindlichkeit darf nicht ein für alle Mal eine Verabsolutierung liegen, sondern auch hier muß eine gewisse Offenheit für die zukünftige Entwicklung vorausgesetzt werden, da nicht nur „keine mit der Rechtssetzung betraute Instanz sich anmaßen (darf), das Absolute endgültig zu formulieren", 447 sondern dies auch in gewisser Weise für die Rechtsprechung gilt. Für die Gesetzgebungstheorie der rechtsstaatlichen Demokratie ist festzuhalten, daß die Demokratie kraft ihrer Natur nicht ohne den ideellen Überbau der demokratisch-rechtsstaatlichen Wertordnung denkbar ist, und daß dementsprechend auch demokratische Gesetzgebung von dieser umfassenden Idee der Demokratie und des Rechtsstaates ihren Rahmen und ihr Maß gezeigt bekommt. Nur weil dieser Rahmen vorhanden ist, kann, wie später zu zeigen sein wird, die Gesetzgebung auch im Verfahren ihres Zustandekommens an diesen Ideen und ihren Wertgehalten gemessen werden. Fehlte eine solche umfassende tragende Idee, dann käme es in der Tat nur darauf an, daß das Zusammenleben in der communitas in irgendeiner formalen Anforderungen moderner Gesetzgebung genügenden Weise geregelt würde, nicht jedoch auf das materielle 'Wie' des Zustandekommens.
™Kopp t H. W.,S.213. 446 Deshalb ist auch die Feststellung von Ruch, Α., Sachkunde und Entscheidungskompetenz in der Rechtssetzung, in: Eichenberger, K. / Buser, W. / Métraux, A. u. a. (Hg ), Grundfragen der Rechtssetzung, Basel 1978, S. 205ff. (S. 223), daß Recht „stets nur Entwurf eines Ordnungsmodells für die Gesellschaft, eine von mehreren möglichen Alternativen" sei, „immer auch anders denkbar" und deshalb von Jeder Dogmatisierung von Recht Abstand zu nehmen" sei, in dieser Generalität nicht zutreffend. 447
RyffeU
H., in: Eichenberger, K. / Buser, W. / Métraux, A. u. a. (Hg.), S. 77.
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I. Voraussetzungen und Aufgaben einer Gesetzgebungslehre
h) Gesetzgebung zwischen Gemeinwohlmaximierung und individueller Selbstbestimmung Die Auseinandersetzung um die freiheitsbeschränkende oder freiheitskonstituierende Funktion von Gesetzgebung bleibt innerhalb gesetzgebungstheoretischer Erwägungen in ihrem Kern lediglich ein verengter Ausschnitt aus dem Spektrum gesetzgeberischer Funktionsdefinitionen. Kehren wir zu den Quellen staatlicher Gesetzgebung zurück, dann finden wir, daß es auf individuelles Schicksal, auf Selbstverwirklichung des Einzelnen in der Gemeinschaft, die durch staatliche Maßnahmen gefördert werden sollten, in keiner Weise ankam. Die Menschen in den Demokratien an den Gestaden des Mittelmeeres lebten und starben für das Gemeinwohl. Dies allein rechtfertigte ihre Existenz als Individuum in der Gemeinschaft. Individuelle Selbstverwirklichung existierte nicht einmal als erstrebenswertes Ideal oder geheime Hoffnung. Als Rom sich anschickte, die griechischen Vorstellungen zu übernehmen, gab es keine Zweifel, daß auch hier die res publica die Hauptrolle im Herzen jedes Römers zu spielen hatte. Auch hier war es nicht Aufgabe staatlicher Tätigkeit, das Glück des Einzelnen zu fördern, sondern das Wohl der 'communitas'. Bluntschli macht deutlich, daß diese Überbetonung des Gemeinwohlgedankens ohne Rücksicht auf individuelles Schicksal zu den Katastrophen staatlicher Existenz in der Völkergemeinschaft führen mußte. 448 Offenbar ist es unendlich schwierig, zwischen den beiden Alternativen, dem Gemeinwohl und dem individuellen Glück einen vernünftigen Ausgleich innerhalb staatlicher Ordnung zu finden. Auch der schon erwähnte Staatstheoretiker Adam Müller konstatierte Anfang des 19. Jahrhunderts eine Haltung der Bürger zum Gesetz, die letzteres nicht mehr als Instrument zur Beförderung des Gemeinwohls begreift, sondern als Grundlage persönlicher Glücksverwirklichung: „Jedermann würde über ein Gesetz lachen, welches von ihm verlangte, mit Leib und Seele ein guter Patriot zu seyn, oder daran zu glauben, daß der Staat eine unsterbliche Familie, und er, der Bürger, nur einzelner, vorübergehender Nießbraucher, seines sogenannten Mein und Dein sey." 449 Es liegt nahe, daß diese beschriebene Haltung der Bürger eines Gemeinwesens zu dessen Gesetzgebung genausowenig Grundlage der definitorischen Ausgrenzung gesetzgeberischer Zweckbestimmung im demokratischen, sozialen Rechtsstaat sein kann, wie eine Haltung, die die Förderung des Gemeinwohls unter Hintanstellung des Individuums als hervorragende Aufgabe gesetzgeberischer Aktivität ansieht. 450 Die richtige, der demokratisch-
448
Bluntschli, J. C.
449
Müller, A. H., S. 216.
450
Insofern ist auch die Definition des Gesetzgebungsverfahrens als 'Gemeinwohlverfahren' (Häberle, P., öffentliches Interesse als juristisches Problem, Bad Homberg 1970, S. 251; zustimmend Arnim, H. H. v., Gemeinwohl und Gruppeninteressen, Frankfurt am Main 1977, S. 48) wohl
5. Rechtsphilosophische und rechtspolitische Voraussetzungen
249
rechtstaatlichen Ordnung entsprechende Zweckbestimmung der Gesetzgebung kann nur in einem vernünftigen Ausgleich zwischen den Erfordernissen des Gemeinwohls und dem Bedarf des Individuums an individueller, nicht reglementierter Freiheit bestehen. Dieses ist so, weil beide in einer unauflösbaren Beziehung ineinander verwoben sind. Gemeinwohl kann nicht maximiert werden, wenn der einzelne Bürger an seiner Selbstverwirklichung, die die Entfaltung von Kreativität und Initiative voraussetzt, mittels Gesetzgebung in unzumutbarer Weise eingeengt wird. Individuelles Glück und Selbstverwirklichung sind allerdings auch schwer vorstellbar in einem Gemeinwesen, in dem das Gemeinwohl darniederliegt und das Prinzip des Überlebens um jeden Preis, das Recht des Stärkeren, gilt. Adam Müllers Definition der gesetzgeberischen Funktion aus dem Jahre 1809, „die höchste Freiheit des Einzelnen bei der höchsten Macht des Ganzen" zu erreichen, 451 klingt, weil sie das Spannungsverhältnis treffend beschreibt, erstaunlich aktuell. Wenn im letzteren Teil der Definition die höchste Macht des Ganzen durch Maximierung des Gemeinwohls ersetzt wird, können wir ohne Schwierigkeit zu einer Basisdefinition der Zweckbestimmung demokratischer Gesetzgebung in Auflösung des Spannungsverhältnisses zwischen Gemeinwohl und Individualwohl kommen. Das bedeutet, daß die Aufgabe der Gesetzgebung im demokratisch-pluralistisch-sozialen Rechtsstaat ist, die höchste Freiheit des Einzelnen bei gleichzeitiger Maximierung des Gemeinwohls zu erreichen. Diese Grunddefinition ist unter Umständen zu ergänzen durch spezielle Erfordernisse, die sich aus den Anforderungen des föderalen Charakters unseres Gemeinwesens ergeben. Diese Definition läßt einmal alles hinter sich, was den Einzelnen als Opfer staatlicher Gemeinwohlerfüllung mißbrauchen will, tritt aber auch denjenigen entgegen, die den Staat lediglich als Schutzschild ihres persönlichen Interesses betrachten. In dieser Definition sind die Rechte und Pflichten des Schwachen, wie die Rechte und Pflichten des Starken eingebettet. In ihr findet die permanente Auseinandersetzung pluralistischer Gruppen ihre Grenzen.
zu eng. Gesetzgebung kann durchaus auch in gewissen Grenzen, Interessengesetzgebung darstellen. Solche Grenzen werden in BVerfGE 4, 7 (19) deutlich, wenn das Gericht in bezug auf Gesetze, die in das freie Spiel der Wirtschaft eingreifen, ausführt: „Dabei ist zu berücksichtigen, daß jede Wirtschaftslenkungsmaßnahme, in dem sie gestaltend in den Ablauf des sozialen Lebens eingreift, dasfreie Spiel der Kräfte mehr oder weniger korrigiert. Das schließt grundsätzlich auch die Möglichkeit ein, Gesetze im Interesse einzelner Gruppen zu erlassen. Allerdings müssen solche Gesetze durch das öffentliche Interesse geboten sein und dürfen nicht willkürlich die schutzwürdigen Interessen anderer vernachlässigen." 451
Müller, A. H., S. 210.
250
I. Voraussetzungen und Aufgaben einer Gesetzgebungslehre
i) Der Befriedungscharakter von Gesetzgebung Im demokratisch-pluralistischen Verfassungsstaat hat die Gesetzgebung auch eine kaum zu unterschätzende Befriedungs- und Ausgleichsfunktion zwischen den verschiedenen Interessen der Gesellschaft zu erfüllen. Folgerichtig wird sie von maßgeblichen Teilen der politisch Verantwortung Tragenden als Instrument zur Politikverwirklichung „einer friedlichen, evolutionären Veränderung gesellschaftlicher Verhältnisse" 452 angesehen. Auch diese Aufgabe führt zu völlig anderen Konsequenzen als eine Gesetzgebung, die in erster Linie der 'gelehrten Jurisprudenz' verpflichtet ist. Bei den großen Kodifikationen konnten die Gesetzgeber relativ unbehelligt von den Interessen der Betroffenen kodifizieren. 453 In der pluralistischen Demokratie geht der Kodifikation in der Regel entweder ein öffentlicher oder aber auch weit häufiger, interner Interessenkampf, unter Ausschluß der Öffentlichkeit, voraus. Der Gesetzgeber hat in dieser Diskussion letztendlich zu entscheiden.454 Erst wenn diese Entscheidung, an welcher Stelle des inneren Gesetzgebungsverfahrens auch immer, gefallen ist, geht es um die Fassung des Gesetzgebungstextes und die Einordnung in das juristische Begriffssystem. Vorher kann der Jurist lediglich den rechtlichen Rahmen dieser Interessenauseinandersetzung sowohl im formalen, aber auch sehr viel unbestimmter, im materiellen Sinne ausgrenzen. Diese Interessenauseinandersetzung nicht zur Kenntnis zu nehmen, und stattdessen zu beklagen, daß die moderne Gesetzgebung eine desintegrierte Demokratie zur Folge habe, da die Gesetze nicht mehr auf unzweifelhaften und gemeinsamen Wertungen beruhten, 455 hieße die Wirklichkeit pluralistischer Demokratie weitgehend zu verkennen. Mit Karl Josef Esser ist dieser Klage entgegenzuhalten, „daß von Ziel und Wertungskonflikten kein Teil der Gesetzgebung unberührt bleibt" und sich „diese Pro-
452
Vogel, H.-J., ZRP, S. 1.
453
Esser, J., Gesetzesrationalität im Kodifikationszeitalter und heute, in: Vogel, H.-J. / Esser, J., 100 Jahre Oberste deutsche Justizbehörde, Tübingen 1977, S. 13ff. (S. 18) spricht von Abschirmung der Legislativen. 454 Vgl. auch Schier, W., Gesetzgebung und Gesetzgebungstechnik, BayVBl 1979, S. 321ff. (S. 322): „Diese Aussage ... macht deutlich, daß die Aufgabe des Gesetzgebers heute viel umfassender sein muß als infrüheren Zeiten. Wenn es richtig ist, daß in der heutigen Gesellschaft weitgehend die Bindungskräfte fehlen, die in früheren Zeiten ein selbstverständliches, nicht in Frage gestelltes Fundament für das Leben in einer bestimmten historischen Gesellschaft waren, so ist dem Gesetz in dieser neuen Gesellschaft eine zentrale Funktion zugewachsen: Es hat die Vielfalt der in alle Richtungen strebenden Interessen der Einzelnen wie der Gruppen in einem gemeinsamen, für alle erreichbaren Ziel zusammenzufassen." 455 In diesem Sinne Wieacker, F., Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, 2. Aufl., Göttingen 1967, S. 554; kritisch dazu auch Esser, K. J., S. 27f.
5. Rechtsphilosophische und rechtspolitische Voraussetzungen
251
bleme auch nicht schlechthin mit dem Hinweis auf die Evidenz gemeinsamer Überzeugung wie im alten Privat- und Strafrechtsdenken entschärfen". 456 Anders als in Zeiten autoritärer Machtausübung wird der Gesetzgeber in rationaler Erfassung der Interessenauseinandersetzung lediglich auf den Fachkonsens bauend 457 entscheiden können. Er wird stets bemüht sein, auch denen entgegenzukommen, deren Vorstellungen er nicht folgt. Oft wird die Befriedungsfunktion der Gesetzgebung jedoch nicht so sehr im Ergebnis, dem verabschiedeten Gesetz deutlich, sondern vielmehr noch in dem Prozeß der Gesetzgebung. Durch die Möglichkeit der Interesseneinbringung und breitgefächerten Diskussion vor Verabschiedung von Gesetzen, wird auch denen die Akzeptanz solcher Gesetze erleichtert, die meinen, mit ihren Interessen zu wenig im Gesetz berücksichtigt worden zu sein. So wird nicht, wie Schier als Möglichkeit aufzeigt, „das Gesetz, allen voran die Verfassung ... eine Art Ersatzfunktion für verlorengegangene fundamentale Bindungen ... ein Integrationsfaktor" wie „Volkstum, Geschichte und Sprache", 458 sondern viel wahrscheinlicher ist, daß nicht das fertige Produkt, das Gesetz zu einem solchen Integrationsfaktor wird, bzw. geworden ist, sondern das Procedere seines Zustandekommens. Das Gesetz selbst wird in den seltensten Fällen alle detaillierten Interessen integrieren können. Integrierend ist in erster Linie der Verfahrensprozeß. Für die unterlegenen Interessen ist die Berücksichtigung im Prozeß der Gesetzgebung ein Surrogat für die Durchsetzung ihrer Vorschläge in der in Kraft zu setzenden Regelung. Ein Surrogat welches für den inneren Frieden und die Ausgeglichenheit einer demokratischen Interessengesellschaft unentbehrlich ist. Dies allerdings nur solange, wie die Verfahrensweisen der Surrogatserfüllung funktionieren, d. h. daß es stets eine wiederkehrende Chance für die einzelnen Interessen gibt, das nächste Mal im Interessenkampf des gesetzgeberischen Entscheidungsprozesses zu obsiegen. Um so wichtiger ist es, die Verfahren des Gesetzgebungsprozesses in Hinblick auf die friedensstiftende Wirkung der Gesetzgebung auszugestalten. Wenn man Gesetzgebung lediglich als Produktion in sich stimmiger juristischer Regelungen begreift, oder als autoritäres Ordnungsinstrument, sind auch hier wieder ganz andere Regelungen des 'procedere' vonnöten, als wenn man jeden
456
Esser, J., S. 27; im übrigen ist ihm auch darin zuzustimmen, daß diese Evidenz gemeinsamer Überzeugungen lediglich eine „Selbsttäuschung jener Epoche" war, „in der die Fachkonsense und Wertungstraditionen das heute vermißte einheitliche Rechtsbewußtsein vortäuschten" (ebd.). Hätte man zur damaligen Zeit die verschiedenen Verbände und damals allerdings noch weitgehend unorganisierten Interessen in die Diskussion eingeschaltet, wäre sehr schnell deutlich geworden, daß der große Konsens auch damals nicht vorhanden war. 457
Selbst dieser ist heute kaum mehr herzustellen. Bei der Komplexität der Probleme gibt es nur selten eine einhellige Meinung für eine der möglichen Gesetzgebungsalternativen. 458
Schier, W., BayVBl, S. 322.
252
I. Voraussetzungen und Aufgaben einer Gesetzgebungslehre
Gesetzgebungsprozeß als auch friedensstiftend begrüßt. Dies allein wird der Zweckbestimmung demokratischer Gesetzgebung gerecht. Nicht verkannt werden soll, daß selbstverständlich das Endprodukt der Gesetzgebung, das Gesetz, höchsten juristischen Ansprüchen an Klarheit, Stringenz und Genauigkeit gerecht werden muß, da anderenfalls die friedensstiftende Wirkung beeinträchtigt würde, wenn bei jeder Anwendung des Gesetzes die Gerichte im Einzelfall sich an die Stelle des Gesetzgebers setzen müßten. Nur sind diese Anforderungen nicht als Selbstzweck in ein juristisches System der Gesetzgebung zu gießen, wie dies durchaus teilweise bei den älteren Kodifikationen der Fall war, sondern sind unabdingbare Voraussetzungen für die friedensstiftende Wirkung der Gesetzgebung, die gleichberechtigt neben der friedensstiftenden Wirkung der mit dem Gesetzgebungsverfahren verbundenen Diskussion der Interessenten und interessierten Bürger steht. j) Gesetzgebung im Bundesstaat Gesetzgebung ist stets ein außerordentliches Verfahren, in dem widerstreitende Interessen wirksam werden, die um so komplizierter abzugleichen sind, desto mehr am Gesetzgebungsprozeß beteiligt sind. Im Bundesstaat kommt als weiterer Faktor zusätzlicher Komplexität die Mitwirkung der Länder am Gesetzgebungsverfahren auf Bundesebene hinzu. Aber nicht nur unter diesem Gesichtspunkt sollen hier die Besonderheiten der Gesetzgebung im Bundesstaat betrachtet werden. Eine solche weitere Besonderheit ist, daß, wie an anderer Stelle der Arbeit dargelegt wird, die Gesetzgebungsverfahren auf parlamentarischer Ebene sich zwar im grundsätzlichen kaum unterscheiden, sich aber in der Ausgestaltung, etwa durch die Geschäftsordnungen der Landtage und Regierungen, durchaus unterscheiden. Ein weiterer Aspekt der Gesetzgebung in einem bundesstaatlichen Aufbau ist die Möglichkeit, bei Wahrung der Homogenität der Lebensverhältnisses in den einzelnen Ländern die gesetzlich zu regelnden gesellschaftlichen Tatbestände unterschiedlich zu regeln und damit insgesamt in einen Wettbewerb um die bessere gesetzgeberischen Lösungen zu treten. Dabei gelten für alle Länder, auch für ihre Gesetzgebung, die Grundprinzipien ihrer Staatsform. Sie muß demokratisch, rechtsstaatlich und sozial, sowohl in ihrer Entscheidungsstruktur, als auch hinsichtlich der Entscheidungsinhalte angelegt sein. 459 Daraus folgt, daß Maßstäbe für das Gesetzgebungsverfahren, die demokratischen und rechtsstaatlichen Anforderungen genügen und deren Verletzung gleichwertige Rechtsfolgen nach sich ziehen sollte, wie die Verlet-
459 Vgl. Maunz, Th., Kommentierung zu Art. 28 GG, Rdnr. 22ff, in: Maunz, Th. / Dürig, G. / Herzog, R. u. a., Grundgesetz. Kommentar, München, Stand Dezember 1992.
5. Rechtsphilosophische und rechtspolitische Voraussetzungen
253
zung materiellen Verfassungsrechts, nicht nur für den Bundestag, sondern gleichermaßen für die Länderparlamente Gültigkeit besitzen. Ihre Verbindlichkeit erstreckt sich auch auf die Bundes- und Landesebene verzahnenden Mechanismen und Verfahrensweisen des gesamtstaatlichen gesetzgeberischen Entscheidungsprozesses. Etwa auf die Mitwirkung der Länderparlamente in diesem Prozeß oder auf die Verfahrensweise des Vermittlungsausschusses zwischen Bundestag und Bundesrat. Der beschriebene Landesgesetzgebungsprozeß zur hessischen Hochschulgesetzgebung macht deutlich, daß hier noch erhebliche Defizite bestehen, die aber erst dann erfolgversprechend abgebaut werden können, wenn grundsätzlich anerkannt wird, daß den gesetzgeberischen Verfahren der gleiche Stellenwert in unserer bundesstaatlichen Verfassungsordnung zukommt, wie den Inhalten der Gesetzgebung. k) Gesetzgebung in internationaler Interdependenz Gesetzgebung kann heute in weiten Teilen nicht mehr isoliert nationalstaatlich erfolgen, sondern viele gesetzgeberische Akte der parlamentarischen Demokratie werden von äußeren Einflüssen beeinflußt, wenn nicht weitgehend geprägt. 460 Auf diese im Rahmen der auswärtigen Kompetenz der Exekutive liegenden Vorentscheidungen, an die die nationalen Parlamente dann weitgehend gebunden sind, haben letztere keine oder wenig Einflußmöglichkeiten, zumal die Grundgesetzgeber sich grundsätzlich zur internationalen Zusammenarbeit bekannt haben. 461 Wieder anders gelagert ist der Fall, in dem sich der Nationalstaat wesentlicher Teile seiner innerstaatlichen hoheitlichen Gesetzgebungsbefugnis zugunsten supranationaler Einrichtungen begibt. Dies war bei den Römischen Verträgen der Fall, in denen die zuständigen Organe einschließlich des Parlaments die Regelungsbefugnis für weitere Bereiche, insbesondere auf wirtschaftlichen Gebiet, Gemeinschaftsorganen übertragen haben. Durch diese Übertragung fällt der Entscheidungsfindungsprozeß aus dem Bereich der hier vorgenommenen Untersuchung heraus und gewinnt eine eigene Dimension, die sich auf die Frage konzentriert, ob sich die gesetzgebenden Instanzen auf Dauer wesentlicher Teile ihrer Regelungsbefugnis entblößen können, wenn nicht gewährleistet ist, daß die nunmehr zuständigen Rechtssetzungsorgane die national verfassungsgemäß unabdingbaren Grundprinzipien
460 Grundsätzlich dazu Huber, H., Weltweite Interdependenz, Reihe Staat und Politik, Bd. 3, Bern 1968, S. 27ff. 461
Vogel, K., Die Verfassungsentscheidung des Grundgesetzes für eine internationale Zusammenarbeit, Tübingen 1964.
254
I. Voraussetzungen und Aufgaben einer Gesetzgebungslehre
demokratisch-rechtsstaatlicher Entscheidungsfindung einhalten. 462 Eine solche Lage besteht ζ. B. auf der Ebene der Europäischen Gemeinschaften, wo, ohne hier auf Einzelheiten einzugehen, im Prozeß der gemeinschaftlichen Entscheidungsfindung immer noch erhebliche Defizite hinsichtlich der an einen demokratisch-rechtsstaatlichen Entscheidungsfindungsprozeß zu stellenden Anforderungen, bestehen.463 Trotz der jüngeren Änderungen ist hier noch ein langer Weg bis zu Entscheidungsverfahren zurückzulegen, die demokratietheoretischen Anforderungen genügen. Wenn man das Verfahren der Gesetzgebung genauso ernst nimmt wie die inhaltliche Übereinstimmung der Regelung mit der Verfassung, dann ist das BVerfG aufgerufen, genauso wie in den Entscheidungen, die sich mit der Überprüfung der gemeinschaftsrechtlichen Regelungen hinsichtlich der Einhaltung der Grundrechte befassen, sich mit der Einhaltung unabdingbarer Verfahrensvoraussetzungen bei der rechtssetzenden Entscheidungsfindung auf europäischer Ebene zu befassen, 464 solange dies der Europäische Gerichtshof nicht tut bzw. nicht die notwendigen rechtlichen Verfahrensvoraussetzungen innerhalb der Gemeinschaft geschaffen werden. 465 Grundsätzlich ist zur Gesetzgebungsproblematik im Spannungsfeld internationaler Beziehungen, Übereinkünften und Kompetenzübertragungen festzuhalten: Es dürfen und können die internationalen Interdependenzen und die daraus 462 Diese Situation begegnet auch im Parlament selbst seit langem großem Unbehagen, welches in dem Debattenbeitrag des SPD-Abgeordneten Scheu aus der 7. Wahlperiode exemplarisch zum Ausdruck kommt: „Ich bin mir gewiss, daß das Unbehagen Uber die Behandlung der Vorlagen der Europäischen Gemeinschaft in den Ausschüssen und im Plenum des Deutschen Bundestages für alle diejenigen Kollegen, die gelegentlich einmal über solche Dinge nachdenken, außerordentlich groß ist. Wer weiß, wie die europäischen Vorlagen Zustandekommen, und dann bedenkt, daß wir hier in Bonn quasi freiwillig auf eine wirkliche Kontrolle durch das Parlament verzichten, der kann diesen Zustand auf die Dauer nicht schweigend hinnehmen ... Mir liegt daran, dies noch einmal deutlich werden zu lassen: Der Unmut über die Selbstausschaltung des Parlaments, seine mangelnde Mitwirkungsmöglichkeit bei der Beschlußfassung und der Verzicht auf seine Kontrollrechte liegen im Vertrag selbst begründet... Hinzu kommt der Mißerfolg, daß es bisher nicht gelungen ist, das im Vertrag vorgegebene Ziel der parlamentarischen Mitwirkung beim Rechtssetzungsverfahren auf europäischer Ebene zu verwirklichen." (7. WP/2007/5.12.1975/14301D-14303A). 463
Vgl. BVerfGE 89, 155.
464
Vgl. BVerfGE 37,271 (271ff.)
465 Vgl. Herzog,, R., in: Maunz, Th. / Dürig, G. / Herzog, R. u. a., Randnr. 114 zu Art. 20 GG: „Gewiß ist unbestreitbar, daß sich der Status quo des europäischen Parlamentarismus (1978) an der unteren Grenze dessen bewegt, was mit den grundgesetzlichen Schranken des Art. 24 I überhaupt noch vereinbar ist, und es ist auch nicht ganz ausgeschlossen, daß die deutsche Verfassungsgerichtsbarkeit in Hinblick darauf allzu weit tragenden Bestimmungen des sekundären Gemeinschaftsrechts eines Tages auch dort die Gefolgschaft verweigert, wo keine Grundrechte zur Debatte stehen." Vgl. auch Bieber, R., Das Verfahrensrecht von Verfassungsorganen. Ein Beitrag zur Theorie der inner- und interorganschaftlichen Rechtssetzung in der EG, im Staatsrecht und Völkerrecht, Baden-Baden 1992.
6. Verfassungsrechtliche Voraussetzungen
255
folgenden rechtlich verbindlichen Regeln weder den Inhalt der Verfassung, noch die sich aus ihren Grundprinzipien ableitbaren Verfahrensregeln verletzen. Bei Kompetenzübertragungen muß darauf geachtet werden, daß auf der internationalen Ebene zumindestens gewährleistet wird, daß sowohl inhaltlich als auch verfahrensmäßig die dortigen Regelungen der rechtlichen Entscheidungsfindung der nationalen Verfassung vergleichbar sind. 466 Ob dies der Fall ist, ist der Überprüfung der nationalen Verfassungsgerichtsbarkeit überlassen. 467
6. Verfassungsrechtliche Voraussetzungen einer Theorie der Gesetzgebung a) Die formalen Grundlagen des Gesetzgebungsverfahrens in Bund und Ländern Das Grundgesetz regelt das Gesetzgebungsverfahren in genau drei von den insgesamt hundertsechsundvierzig Artikeln, wobei die Buchstabenartikel bei letzteren nicht mitgezählt sind und erfaßt in dieser Gestaltung „nur ein Endstadium des Prozesses politischer Willensbildung, dem in aller Regel schon eine Vorformung des politischen Willens" vorausgegangen ist. 468 Hinzu kommt noch Art. 79 GG, der die Besonderheiten von Gesetzen, die grundgesetzändernden Charakter besitzen, regelt, und Art. 81 GG, der den Gesetzgebungsnotstand behandelt. Nicht viel ausführlicher behandeln die Landesverfassungen bzw. Landessatzungen den gesetzgeberischen Verfahrensbereich.
466 Mit Absicht wird hier der Begriff der Vergleichbarkeit benutzt, da nur auf diese Weise und nicht durch Forderung nach Identität das Spannungsverhältnis, welches sich aus der Entscheidung des Grundgesetzgebers für den Art. 24 GG und den übrigen Grundprinzipien der Verfassung ergibt, gelöst werden kann. Kein Weg ist jedoch, der Entscheidung für Art. 24 I GG eine derart überragende Bedeutung zuzumessen, daß die verbleibenden Wertentscheidungen des Grundgesetzes in unangemessener Weise zurückgedrängt werden.. Ein solcher Zustand kann auch nicht unbedingt durch über lange Zeit währende Verfassungspraxis verfassungsgemäß werden. Zu Fragen des Verfassungsgewohnheitsrechts vgl. Mengel, H.-J., Die Verfassung der V. Republik Frankreichs. Beispiel einer stillschweigenden Verfassungstransformation ?, JÖR 1981, S. 73ff. 467
Zur Entwicklung vgl. Hallstein, W., Zu den Grundlagen und Verfassungsprinzipien der Europäischen Gemeinschaften, in: ders. / Schlochauer, H.-J. (Hg.), Festschrift für Carl Friedrich Ophüls, Karlsruhe 1965, S. Iff; Ipsen, H. P., Verfassungsperspektiven der Europäischen Gemeinschaften, Berlin 1970; Rupp, H. H., Die Grundrechte und das Europäische Gemeinschaftsrecht, NJW 1970, S. 353ff; Schlenzka, H.-J., Die Europäischen Gemeinschaften und die Verfassungen der Mitgliedstaaten, Diss. Bonn 1967. Zur jüngeren Entwicklung vgl. Häberle, P., Gemeineuropäisches Verfassungsrecht, in: Bieber, R. / Widmer, P. (Hg.), Der europäische Verfassungsraum, Veröffentlichungen des Schweizerischen Instituts für Rechtsvergleichung, Sonderdruck Nr. 28, Zürich 1995, S. 361ff. mit weiteren Nachweisen. 468 Hesse, K., Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 20. Aufl., Heidelberg 1995, S. 220.
256
I. Voraussetzungen und Aufgaben einer Gesetzgebungslehre
Auch hier finden sich lediglich formale Kompetenzzuweisungen, deren einzige Abweichung zum Grundgesetz darin besteht, daß die Gesetzgebungskompetenz in einigen Verfassungen nicht allein dem Parlament, sondern auch dem Volk unmittelbar zugewiesen wird. Ist schon diese knappe Behandlung des wichtigsten Entscheidungsverfahrens in einer Demokratie überraschend, so wird die Vernachlässigung des gesetzgeberischen Procedere durch den Verfassungsgeber noch bedenklicher, wenn man feststellen muß, daß selbst diese spartanische Ausstattung des verfassungsmäßig festgelegten Rahmens des Gesetzgebungsverfahrens dem Gesetzgebungspersonal auf allen Ebenen zu drückend erschien, und sich in der Verfassungswirklichkeit eine teilweise erhebliche Abweichung vom ursprünglichen, als normal angesehenen Verfahren herausgebildet hat. Dies gilt einmal für das gestörte Gleichgewicht bei der Einbringung von Gesetzesvorlagen im Bundestag. Als initiativberechtigt werden in der Reihenfolge Bundesregierung, Abgeordnete und Bundesrat genannt. Selbst wenn man durch die Nennung der Bundesregierung an erster Stelle der Aufzählung dieser als Initiator von gesetzgeberischen Maßnahmen einen gewissen Vorrang einräumen wollte, so erscheint es doch unzulässig davon auszugehen, daß der Wortlaut eine derart präponderante Stellung der Regierung bei der Gesetzeseinbringung beabsichtigt hat. Nicht nur, daß die erdrückende Mehrheit aller Gesetzesvorlagen von der Regierung eingebracht wird, sondern sie führt auch in beachtenswertem Ausmaß Regie bei der Einbringung von Entwürfen 'aus der Mitte des Bundestages'. Sie läßt nicht nur eigene Entwürfe aus verfahrenstechnischen oder optischen Gründen von der sie tragenden Mehrheit einbringen, sondern kontrolliert auch weitgehend schon im Vorfeld Aktivitäten innerhalb der sie tragenden parlamentarischen Mehrheitsfraktionen, bevor diese in gesetzgeberische Initiativen einmünden. So ist es nahezu undenkbar, daß 'aus der Mitte des Bundestages' Gesetzesvorlagen mit Aussicht auf Erfolg eingebracht werden können, die nicht zuvor das Placet der Regierung bekommen haben. Auch Art. 77 Abs. 1 GG mit der imperativen Forderung 'Die Bundesgesetze werden vom Bundestag beschlossen' hat in der Verfassungswirklichkeit weitgehend seinen Gehalt, der in dem Begriff des 'Beschließens' im Unterschied zum Begriff des 'Ausfertigens' in Art. 82 GG liegt, verloren. Wenn man unter Beschließen, das Entscheiden in voller Kenntnis der relevanten Tatsachen, Vorgänge und Folgen, die mit dem Beschluß zusammenhängen, versteht, und nicht nur die 'formale Absegnung' eines anderswo getroffenen Beschlusses, wird die Verfassungspraxis des Gesetzgebungsprozesses diesem Wortlaut nicht mehr voll gerecht. Der eigentliche Beschluß gerade über wichtige Gesetze, wie zum Beispiel auf Länderebene ein Hochschulgesetz, fällt wie das dargestellte Bei-
6. Verfassungsrechtliche Voraussetzungen
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spiel zeigt, anderswo, in Koalitionsgremien, die überhaupt nicht im Grundgesetz erwähnt werden, oder auf Ebenen, die durch ihr politisches Gewicht der grundgesetzlichen Kompetenzzuweisung des Gesetzgebungsbeschlusses an das Parlament eine völlig andere Qualität geben, und nicht zuletzt fallen, ebenfalls wie dargestellt, wichtige Entscheidungen auf der Ministerialebene. Es bleibt festzuhalten, daß erstens die gesetzliche Ausgestaltung des Gesetzgebungsverfahrens außerordentlich knapp gehalten ist und sich im wesentlichen auf formale Kompetenzzuweisung beschränkt, und daß zweitens nicht einmal diese wenigen Bestimmungen in der Verfassungspraxis in einer dem Wortlaut entsprechenden Weise angewendet werden. Mit letzterer Feststellung wird auch das Argument zweifelhaft, daß der Verfassungsgeber generell gut daran tut, das gesetzgeberische Verfahren nicht in ein zu enges Korsett von Vorschriften zu zwingen und den Beteiligten die gestalterische Freiheit zu nehmen oder unmäßig einzuschränken. Deren Autonomie und auch die Dynamik des politischen Prozesses sind wesentliche Determinanten des demokratischen Systems. Allerdings hat die so erklärbare außerordentliche Zurückhaltung des Grundgesetzgebers bei den Vorgaben von Regeln für das gesetzgeberische Verfahren dazu gefuhrt, daß möglicherweise fundamentale Prinzipien demokratisch-rechtsstaatlicher Verfahrensweisen nicht im gebotenen Maße beachtet werden, und vor allem, daß das Gesetzgebungspersonal in der Praxis die Zurückhaltung des Grundgesetzes nicht honoriert und sogar die wenigen Vorschriften materiell zum Teil aushöhlt und ihrer Bedeutung beraubt. b) Notwendigkeit und Risiko der Entwicklung von rechtsstaatlich-demokratischen Verfahrensvoraussetzungen Die Beschreibung eines Gesetzgebungsprozesses hat deutlich werden lassen, daß der augenblickliche Zustand keine optimale, demokratisch und rechtsstaatlich zustandegekommene Gesetzgebung ermöglicht, und auch, aber dies betrifft in erster Linie die Effektivitätsproblematik, nicht apodiktisch davon die Rede sein kann, daß das Gesetzgebungsverfahren „besonders sorgfältig und gründlich ist". 4 6 9 Der Status quo macht nicht einmal eine ausreichende rechtsstaatliche Überprüfung der demokratischen Optimalität der Gesetzgebung möglich. 470 Das
469 470
So aber Kirchhof
P., in: Starck, Ch. (Hg.), S. 77.
Die mangelhafte Rechtsstaatlichkeit des Verfahrens und die extreme Zurückhaltung der Verfassungsgerichtsbarkeit bei der Kontrolle des Verfahrens lassen die Charakterisierung von der
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I. Voraussetzungen und Aufgaben einer Gesetzgebungslehre
heißt, es kann aufgrund fehlender ausreichend entwickelter Maßstäbe für die unabdingbar im demokratischen Gesetzgebungsprozeß einzuhaltenden Grundvoraussetzungen nicht festgestellt werden, ob das Gesetzgebungsverfahren den Anforderungen demokratischer Gesetzgebung im pluralistisch förderalen Verfassungsstaat genügt oder nicht. Vor diesem Hintergrund gewinnt die Bemerkung Otto Bachofs, „... erst aus dem Maßstab, an dem gemessen wird, bezieht das Messen seine Wirkkraft", 471 aktuelle Bedeutung und die Zurückhaltung der Verfassungsgerichtsbarkeit wird verständlich. Die verfassungsrechtliche Prüfung im Hinblick auf das gesetzgeberische Procedere beschränkt sich - von darzustellenden Ansätzen abgesehen - auf die Überprüfung der Einhaltung der wenigen formal institutionellen Gesetzgebungsanweisungen im Grundgesetz. Da hier in den seltensten Fällen Fehlerquellen liegen, die die Kritik am Zustand der Gesetzgebung heraufbeschwören, ist eine solche Überprüfung kaum relevant. Ohne solch ein rechtliches Korsett ist es tatsächlich schwer, die Grundvoraussetzungen materialisierter Maßstäbe demokratisch-rechtsstaatlicher Gesetzgebung durch „verfassungsrechtliche Kontrollen über Gesetze und Gesetzgebungsverfahren, die über die Messung an Grundrechten, namentlich der Rechtsgleichheit hinausgingen",472 praktikabel zu machen. Auch herrscht über die Notwendigkeit einer Kontrolle des inneren Gesetzgebungsverfahrens weitgehend Uneinigkeit, und die in Gang gekommene Diskussion ist weit davon entfernt, zu einem Abschluß zu kommen. 473 Dies wäre auch angesichts der tiefgreifenden Folgen, sowohl für die Verfassungstheorie, als auch für die Verfassungspraxis, verwunderlich.
„traditionelle(n) Rechtsstaatsferne des Rechtsetzungsverfahrens" als nicht unzutreffend erscheinen, vgl. Pestalozzi Ch. v., NJW, S. 2086. 471
Bachof Ο., Grundgesetz und Richtermacht, in: Fröhler, L. / Göldner, D. u. a. (Hg.), Otto Bachof. Wege zum Rechtsstaat. Ausgewählte Studien zum öffentlichen Recht, Königstein / Taunus 1979, S. 172ff. (Erstveröffentlichung in: Tübinger Universitätsreden Heft 6, Tübingen 1959). Bachof fährt fort (S. 180): „Solange die Maßstäbe richterlicher Prüfung in der Formulierung vage, in ihrer Verbindlichkeit zweifelhaft, in ihrer Geltungsdauer dem Belieben des Gesetzgebers ausgeliefert waren, mußte das richterliche Prüfungsrecht eine stumpfe Waffe bleiben und weithin ins Leere stoßen. Erst seitdem diese Maßstäbe der Verfügungsgewalt des Gesetzgebers, ja nach einer verbreiteten und vom Bundesverfassungsgericht geteilten Ansicht in ihren letzten Grundwerten sogar der Verfügungsgewalt des Verfassungsgesetzgebers entzogen sind, konnte die Rechtskontrolle der Gerichte über die Legislative sich zu dem auswachsen, was sie heute ist: Sie bedeutet heute nicht mehr und nicht weniger, als daß den Gerichten die letzte Verantwortung für die Achtung und Wahrung der verfassungsmäßigen Wertordnung übertragen ist." 472
Eichenberger, K., VVDStRL, S. 35.
473
Vgl. MengeU H.-J., ZRP und ders., ZG.
6. Verfassungsrechtliche Voraussetzungen
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Die Notwendigkeit einer solchen Überprüfung ergibt sich aus der aus dem Rechtsstaatsprinzip folgenden Notwendigkeit, 474 daß auch das Gesetzgebungsverfahren als Gemeinwohlverfahren 475 in seiner Ausgestaltung nicht schrankenlos und willlkürlich von den Beteiligten organisiert und gestaltet werden darf, 476 sondern wie das Bundesverfassungsgericht schon sehr früh feststellte, ohne allerdings daraus die notwendigen Folgerungen zu ziehen, an die Verfassung gebunden ist. Dies bedeutet die Bindung nicht nur an grundrechtliche oder kompetenzbzw. statusrechtliche grundgesetzliche Bestimmungen, sondern auch insbesondere die Bindung an die tragenden Prinzipien unserer Verfassung, dem Rechtsstaats- und dem Demokratiegebot. 477 Der einzelne Bürger, und nicht nur die unmittelbar Beteiligten am Gesetzgebungsverfahren, hat, wenn er durch das 'Endprodukt Gesetz' betroffen wird, einen aus diesen Verfassungsgrundsätzen ableitbaren Anspruch darauf, daß das Gesetz in einem demokratisch-rechtsstaatlich einwandfreien Procedere zustandegekommen ist. 478 Wenn allgemein das Prinzip der Verhältnismäßigkeit aus dem Rechtsstaatsprinzip des Grundgesetzes abgeleitet wird, muß dies auch für das Procedere gesetzlicher Entscheidungsfindung gelten, da der Inhalt eines Gesetzes in seinen Wirkungen und seiner Struktur weitgehend vom Procedere beeinflußt wird. Noch einsichtiger wird die Notwendigkeit einer solchen, an Verfassungsprinzipien zu messenden rechtlichen Ordnung des inneren Gesetzgebungsverfahrens, wenn die an der Gesetzgebung kraft Kompetenzzuweisung Beteiligten, Außenstehende zur Mitbeteiligung heranziehen. Wenn das Bundesverfassungsgericht meint, daß auch hier das Parlament zum Beispiel im Rahmen von Anhörungen völlig frei sei, einzuladen, wen es wolle, und die Geschäfis474
Vgl. dazu unten den Abschnitt 'Demokratie- und Rechtsstaatsgebot als verfassungsrechtliche Wurzel der Grundvoraussetzungen des GesetzgebungsVerfahrens \ 475
Vgl. zur Problematik des Begriffs Fußnote 135.
476
So auch Pestalozzi Ch. v., NJW, S. 2083: „Der Rechtsstaat verpflichtet den Gesetzgeber, die Beziehungen der Staatsorgane zueinander aus dem Grau der Konvention, der autonomen Satzung oder gar der Regellosigkeit herauszuholen. Der Verkehr zwischen Parlament und Regierung z. B. kann nicht einseitig und halböffentlich in exekutiven Geschäftsordnungen geregelt bleiben. Das 'Binnenrecht' muß formalisiert und parlamentarisiert werden. Mit der rechtsstaatlichen Transparenz des Staates ist es solange nicht weit her, wie er selbst bestimmen kann, was 'drinnen' und was 'draußen' ist, was den Bürger unmittelbar angeht, was nicht." 477 Vgl. auch Pestalozza, Ch. v., NJW, S. 2081: „Der Rechtsstaat stellt Verfahren und Maßstäbe zur Verfügung, die dafür sorgen, daß der Gesetzgeber den Bürger als Rechtskonsumenten nicht aus den Augen verliert." 478 Vgl. dazu unten den Abschnitt 'Demokratie und Rechtsstaatsgebot als verfassungsrechtliche Wurzeln der Grundvoraussetzungen des Gesetzgebungsverfahrens'.
18 Mengel
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Ordnungen der Parlamente auf Bundes- und Landesebene tatsächlich keine ausreichenden Kriterien zur Verfügung stellen, wann solche Einladungen an wen erfolgen sollen, entspricht dies nicht einem rechtsstaatlich-demokratischen Verfahren, da das Spannungsverhältnis zwischen autonomer parlamentarischer Gestaltungsfreiheit und anderen Verfassungswerten, genau wie bei der Entscheidung über den Inhalt der Gesetze, auch nicht bei dem Verfahren des Zustandekommens, in jedem Fall zugunsten der Parlamentsautonomie aufgelöst werden muß. So hat das Parlament gewiß einen weiten Spielraum, das Procedere seiner gesetzgeberischen Verfahrensweise zu gestalten und effektiv zu machen. Dazu gehört auch, daß es grundsätzlich Regeln aufstellen kann, wer als Außenstehender an einem Gesetzgebungsverfahren, als Anzuhörender, beteiligt werden soll. Doch solche Regeln müssen sich an der verfassungsmäßigen Ordnung messen lassen und müssen z. B. die Grundsätze der Chancengleichheit und der Öffentlichkeit beachten. Wenn jedoch überhaupt keine solchen Regeln bestehen und lediglich eine mehr oder minder eingespielte Praxis, die nicht den Grundbedingungen demokratisch-rechtsstaatlicher Gesetzgebung entspricht, geübt wird, zeigt dies eindringlich die Notwendigkeit einer stärkeren Verrechtlichung des gesetzgeberischen Procedere. Eine weitere Überlegung macht die Dringlichkeit einer „Prozeßordnung des inneren Gesetzgebungsverfahrens", 479 wobei hier noch dahingestellt sein soll, in welcher Rechtsform sie zu effektivieren wäre, deutlich. Nur ein Bruchteil von Gesetzen kommt überhaupt zur Kontrolle vor das Bundesverfassungsgericht. Um so mehr muß gewährleistet sein, daß der Bürger darauf vertrauen kann, daß auch all die Gesetze, die nicht 'nachkontrolliert' werden, zumindest in einem rechtsstaatlichen und demokratischen Verfahren zustandegekommen sind. 480 Dagegen scheinen die Risiken der Verrechtlichung gering. Die Befürchtungen gehen dahin, daß den Gesetzgebungsinstanzen zu enge Fesseln auferlegt werden, die deren Entscheidungsfreiheit beeinträchtigen könnten, und die Pro-
479 480
Vgl. dazu Menge!, H.-J., ZRP.
Vgl. Pestalozzi Ch. v., NJW, S. 2081: „Die gerichtliche Kontrolle muß wegen dieser rechtsstaatswidrigen Verfahren wenn nicht ersetzt, so doch ergänzt werden durch andere Kontrollformen." Als solche Kontrollmöglichkeiten nennt er die demokratische Konkurrenz z. B. mittels Volksentscheid und die parlamentarische Selbstkontrolle, wobei er zwar eine Reihe von Forderungen (vorbeugende Selbstkontrolle in Form von Sachverstandsaktivierung; nachträgliche Selbstkontrolle in Form von Wirkungsanalyse) aufstellt, jedoch in diesem Zusammenhang nicht noch einmal den Kernpunkt solcher, die Gerichtskontrolle ergänzenden Selbstkontrolle herausstreicht, nämlich ein formalisiertes gesetzgeberisches Procedere, in welchem diese Selbstkontrollen Ausfluß des Rechtsstaats- und Demokratieprinzips sind und bei behauptetem Versagen solch selbstkontrollierender gesetzgeberischer Entscheidungsfindungsmechanismen die Kontrolle von außen durch die Verfassungsgerichtsbarkeit ergänzt werden kann.
6. Verfassungsrechtliche Voraussetzungen
261
blematik der Gesetzgebung mit „fast verwaltungsrechtlicher Denkweise" 481 angegangen werde. Diese Befürchtung geht weitgehend an der Realität vorbei, die - und auch dies hat die empirische Darstellung der hessischen Hochschulgesetzgebung bestätigt - schon längst nicht mehr ein Gesetzgebungsverfahren kennt, in dem die freien, innovativen Kräfte der am Gesetzgebungsverfahren kraft Kompetenzzuweisung legitim Mitwirkenden sich bei der Schaffung guter Gesetzgebung beteiligen. Die Wirklichkeit kennt, und dies gilt besonders für das Parlament insgesamt und für den einzelnen Abgeordneten, ein Geflecht positivrechtlicher, metarechtlicher, gewohnheitsrechtlicher Einengungen,482 nicht zu reden von den sich im Gesetzgebungsverfahren herausgebildeten politischen Entscheidungsstrukturen, 483 die die Gewichte der Beteiligten verschoben haben und letztlich nur der Exekutive als Mitwirkende im Gesetzgebungsverfahren ein Mehr an Gestaltungsfreiheit brachten und die damit als 'Sieger' in dem Bemühen staatlicher Organe um Macht und Einfluß zu bezeichnen ist. Die Verrechtlichung kann zur Folge haben, daß zwar das Gewicht einzelner am Gesetzgebungsverfahren Beteiligter verlieren wird, dafür aber die Entscheidungsfreiheit der Mehrzahl der Abgeordneten gestärkt wird. Das weitgehend unkontrollierte Verfahren des gesetzgeberischen Procedere hat oftmals dazu geführt, daß sich im Gesetzgebungsverfahren Entscheidungsstrukturen herausgebildet haben, die letztlich nicht allein die Rechte am Prozeß Beteiligter tangieren, sondern auch die Rechte der vom Gesetz Betroffenen. Grundsätzlich verhindern die zu entwickelnden Maßstäbe zur Kontrolle des gesetzgeberischen Procedere auch ein weiteres unbegrenztes Eindringen der Verfassungsgerichtsbarkeit in den Bereich der Gesetzgebung, wenn auch bei 481 So Schiaich, K., Verfassungsgerichtsbarkeit im Gefüge der Staatsfunktionen, VVDStRL 39 (1981), S.99ff. (S. 109). 482 So auch Eichenberger, K., in: Eichenberger, K. / Buser, W. / Métraux, A. u. a. (Hg.), S. 12: „Obwohl das Schöpferische, das auch der Rechtssetzung innewohnt, sich der verfahrensmäßigen Kanalisierung angeblich entschlägt, ist das Rechtssetzen relativ streng geordnet, und zwar durch das Recht selbst, das für die Ordnung seiner Entstehung besorgt ist: Rechtssetzen ist organisiertes Handeln, und alle Hilfen und Tücken bewusster Organisation umgeben es." 483 Vgl. Eichenberger, K., in: Eichenberger, K. / Buser, W. / Métraux, A. u. a. (Hg.), S. 11: „So sehr das Schöpferische und Ungebundene in der Rechtssetzung betont zu werden pflegt, so sehr fühlt sie sich auch beengt. Es mag kreative Macht sein, die in der Rechtssetzung entfaltet wird; es ist indessen eingebundene Macht, die durch den Hinzutritt wisssenschaftllicher Klärungen ihrer Beengungen erst recht ansichtig wird. Es ist erstens das ausgedehnte Pensum, das die Rechtssetzungsorgane in Trab hält. Es ist zweitens die sachliche Komplexität der Regelungsgegenstände, die entweder fehlerhafte Entscheidungen herbeiführt oder die Verfahren erstreckt und den Preis der Beteiligten ausweitet. Drittens schmälern die politischen Einbindungen ... die ausgreifende Gestaltung. Viertens ist, selbst unter neuen Verfassungen Rechtsetzen regelmäßig Einfügen in Bestehendes, also Anpassen, Angleichen, Abschleifen, Mildern, Verbessern."
262
I. Voraussetzungen und Aufgaben einer Gesetzgebungslehre
deren Beachtung man sich den Kern dessen vor Augen führt, was Richard Thoma hinsichtlich der rechtlichen Ordnung des parlamentarischen Regierungssystems und dessen Verrechtlichung ausführte: „... im Ganzen ist zu beachten, daß die geschriebenen und ungeschriebenen Rechtssätze des Reichsstaatsrechts einen weiten und teilweise dehnbaren Rahmen bilden, innerhalb dessen die Materie bildsam bleibt und sich der politischen Formung durch Umstände und kraftvolle Persönlichkeiten ohne Rechtsbruch zu fügen vermag." 484 Durch eine weitere Verrechtlichung, d. h. auch durch die Überprüfbarkeit dieser Beengung der Gestaltungsfreiheit auf der einen und der Erweiterung auf der anderen Seite wird deshalb nicht die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers insgesamt angetastet, sondern Strukturen, die entstanden sind und nicht mit den entwickelten und auszubauenden Grundvoraussetzungen rechtsstaatlicher-demokratischer Entscheidungsfindung übereinstimmen, werden verändert. Auch die Bedenken, daß sich im Verwaltungsverfahren bewährte Maßstäbe rechtsstaatlichen, demokratischen Procederes in die Diskussion um Kontrollmaßstäbe des inneren Gesetzgebungsverfahrens nicht einbringen lassen,485 sind letztendlich nicht stichhaltig, 4 8 6 wenn man sich darüber im klaren ist, daß natürlich die Qualität von Gesetzgeber und Verwaltung eine andere ist. Auf der anderen Seite liegen gerade im Bereich der Gesetzesvorbereitung innerhalb der Ministerialbürokratie Gesetzgebung und Verwaltungsfunktion nicht so weit auseinander. Auch ist schwer einsichtig, warum der Bürger darauf vertrauen soll und kann, daß Maßnahmen, die ihm durch Akte der Verwaltung auferlegt werden, in einem rechtsstaatlich-demokratisch ausgestalteten Verfahren, das auch überprüfungsfähig ist, Zustandekommen, daß er aber nicht unbedingt darauf vertrauen kann, daß der Gesetzgeber rechtsstaatlich-demokratische Verfahrensmaßstäbe bei seiner Entscheidungsfindung einhält. Auch wenn die Ähnlichkeiten der Entscheidungsfindung im Verwaltungsverfahren und im Gesetzgebungsverfahren, insbesondere auf der Ebene der Ministerialbürokratie, oft erheblich sind, wäre es allerdings falsch, nunmehr dem Gesetzgeber ähnliche Bedingungen, wie der Verwaltung durch das Verwaltungsverfahrensgesetz auferlegt sind, nahezule-
484
Thoma, R., in: Anschütz, G. / Thoma, R., S. 505.
485
Schiaich, K., VVDStRL, S. 109.
486 Auch Schwerdtfeger, G., in: Stödter, R. / Thieme, W. (Hg.), zieht Parallelen zum Verwaltungsverfahren, gleichwohl ist er dann in der Entwicklung von Verfahrensregeln des Gesetzgebungsverfahrens eher auf der Suche nach eigenständigen Grundlagen (S. 176): „Obgleich die inneren Verfahrensbindungen der Ermessensverwaltung mit den 'inneren' oder 'subjektiven' Ermessensfehlern (Belieben, Antipathie, Sachfremdheit, détournement de pouvoir, Ermessensüberschreitung) seit langem bekannt sind, finden sich nur vereinzelte Hinweise auf die Methodik der Entscheidungsfindung im Gesetzgebungsverfahren." Vgl. auch Pestalozza, Ch. v., NJW, der unter Hinweis auf die Kritik von Schiaich, K., VVDStRL (S. 109, FN 24f), ausführt, daß er dieser Kritik sich nicht anschließen könne, da die Rechtsetzung „hier in der Tat im Vergleich zu den Verwaltungsakten erstaunliche Rechtsstaatsdefizite" aufweise (S. 2083, Anm. 14).
6. Verfassungsrechtliche Voraussetzungen
263
gen. Es gilt, v ö l l i g eigenständige Maßstäbe für das Gesetzgebungsverfahren aus der Verfassung heraus zu entwickeln, die aber durchaus dort, w o es sinnvoll ist, sich an Prinzipien die in der Verwaltung gelten, orientieren können. Z u klären bleibt die Frage, wie die Implementation solcher Maßstäbe und Grundvoraussetzungen rechtsstaatlicher und demokratischer Entscheidungsfindung in das Gesetzgebungsverfahren verbindlich erfolgen kann. Zunächst sollen jedoch die verfassungsrechtlichen Grundlagen solcher Maßstäbe des inneren Gesetzgebungsverfahrens aufgezeigt werden, ehe diese dann i m einzelnen entwickelt werden.
c) Demokratie und Rechtsstaatsprinzip als verfassungsrechtliche Wurzeln der Grundvoraussetzungen des Gesetzgebungsverfahrens Aus der Zusammenschau der der Gesetzgebung unter der demokratischrechtsstaatlichen Verfassungordnung
immanenten Elemente 4 8 7
ergeben sich
zwingend auch Schlußfolgerungen für das gesetzgeberische Verfahren, 4 8 8 die unmittelbar aus dem Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip abzuleiten s i n d 4 8 9
487 Zu den aus diesen Prinzipien abzuleitenden Voraussetzungen für staatliche Planung vgl. etwa Ossenbühl, F., Welche normativen Anforderungen stellt der Verfassungsgrundsatz des demokratischen Rechtsstaates an die planende staatliche Tätigkeit, dargestellt am Beispiel der Entwicklungsplanung?, in: Verhandlungen des fünfzigsten Deutschen Juristentages, Bd. 1 (Gutachten), München 1974. 488
Vgl. schon BVerfGE 1, 14: „Zweifel an der Gültigkeit des § 10, die nur aus dem Grundgesetz und den von ihm anerkannten Verfassungsgrundsätzen hergeleitet werden können, sind demnach nicht berechtigt." 489 So auch Schwerdtfeger, G., in: Stödter, R. / Thieme, W. (Hg ): „Nach dem Grundgesetz bestehen die genannten Anforderungen an das innere Gesetzgebungsverfahren indessen als Rechtsbindungen" (S. 177) Schwerdtfeger nennt dann als Grundlage solcher Rechtsbindungen „das demokratische Repräsentationssystem" und fährt fort: „Sodann sind die Verfahrensbindungen auch Ausdruck des Rechtsstaatsprinzips mit seinen Grundrechten", wobei er - wie an anderer Stelle erläutert - offenbar nicht die hier vertretene Ansicht teilt, daß diese Verfahrensbindungen sich auch unmittelbar aus dem Rechtsstaatsprinzip ohne die Herstellung der Verbindung zu den Grundrechten ableiten lassen, wenn auch zum Teil nur in Verbindung mit dem Demokratieprinzip. Pestalozza, Ch. v., NJW, vernachlässigt dagegen den Gesichtspunkt 'Demokratieprinzip' als Grundlage von Maßstäben des inneren Gesetzgebungsverfahrens und rekurriert mehr auf das Rechtsstaatsprinzip, „Der Rechtsstaat stellt Verfahren und Maßstäbe zur Verfügung, die dafür sorgen, daß der Gesetzgeber den Bürger als Rechtskonsumenten nicht aus dem Auge verliert" (S. 2081), aus dem er u. a. folgende Verfahrensbindungen ableitet (S. 2085): „Wenn die Parteipolitik oder andere Verbrüderungsgründe dafür sorgen, daß nicht nur der Entwurf, sondern das Gesetz selbst der Sache nach von der Exekuktive oder den politischen Parteien als solchen beschlossen wird, ist das Rechtsstaatsprinzip der Unabhängigkeit des Gesetzgebers verletzt. ... Der Rechtsstaat fordert... vom Parlament mehr Initiative und Konzeption ... Die gerichtliche Kontrolle muß wegen dieser rechtsstaatswidrigen Gefahren wenn nicht ersetzt, so doch ergänzt werden durch andere Kontrollformen ..." - „Der Rechtsstaat gibt sich mit dem 'Dienst nach Vorschrift' nicht zufrieden; er erwartet vom Gesetzgeber ... ein verfassungsrechtliches Übersoll. Den Gesetzgeber trifft eine andauernde Optimierungspflicht über das verfassungsrechtliche Minimum hinaus." (S. 2086) „Der Rechtsstaat schützt das Vertrauen des Bürgers in den Gesetzgeber... Er muß wissen können,
264
I. Voraussetzungen und Aufgaben einer Gesetzgebungslehre
und die die Festlegung verfahrensmäßiger Struktkurprinzipien des Gesetzgebungsverfahrens betreffen. Der Demokratiebegriff und der Rechtsstaatsbegriff sind nicht nur Garanten für formal einzuhaltende Verfahren, sondern sie sind auch Garanten dafür, daß ihr Bedeutungsgehalt auch für die innere strukturelle Ausgestaltung dieser Verfahren eingehalten werden m u ß . 4 9 0 Dies ist durchaus in vielen Bereichen außerhalb des Gesetzgebungsverfahrens unbestritten. Auch ist unbestritten, daß das Gesetzgebungsverfahren zumindest i m Formalen den Rechtsstaats- und Demokratiegrundsätzen entsprechen muß, wobei allerdings in der Regel nur davon ausgegangen wird, daß die formalen Kompetenzzuweisungen und sonstigen spärlichen Regeln zum Gesetzgebungsverfahren eingehalten werden müssen. Insofern liegen die Wendungen wie „das Gesetzgebungsverfahren habe demokratisch-rechtsstaatlichen Grundsätzen entsprochen" 4 9 1 weit unter dem Standard des strukturmäßig demokratisch-rechtsstaatlich
auszugestaltenden Gesetzge-
bungsverfahrens, 492 der lediglich nach hier vertretener Auffassung weitere Prä-
warum er vertraut. Dazu muß Rechtsetzung öffentlich und verständlich sein." (S. 2086) - „... nach dem Verordnungen unverzüglich dem Parlament zur Kenntnis und gegebenenfalls zur Beschlußfassung vorzulegen sind. Dieses Verfahren ist allein rechtsstaatsgemäß ..." (S. 2083) - „Der Rechtsstaat verpflichtet den Gesetzgeber, die Beziehungen der Staatsorgane aus dem Grau der Konvention, der autonomen Satzung oder gar der Regellosigkeit herauszuholen. Der Verkehr zwischen Parlament und Regierung ζ. B. kann nicht einseitig und halböffentlich in exekuktiven Geschäftsordnungen geregelt bleiben. ... Das 'Binnenrecht' muß formalisiert und parlamentarisiert werden. Mit der rechtsstaatlichen Transparenz des Staates ist es solange nicht weit her, wie er selbst bestimmen kann, was 'drinnen' und was 'draußen' ist... ein empfindliches Rechtsstaatsdefizit abzutragen, das heute noch vom BVerfG toleriert wird: Die Notwendigkeit des Gesetzes setzt die gründliche Diagnose des zu regelnden Sachverhalts voraus ..." (S.2083) - „Zugleich fordert der Rechtsstaat, daß er sich den international bestmöglichen Erkenntnisstand zunutze macht. ... Der Rechtsstaat fordert die Wiederherstellung der legislativen Balance zwischen Bund und Ländern. ... Der Rechtsstaat unterstützt diese Unabhängigkeit (der Parlamentarier, d. Verf.) gegenüber den anderen Staatsgewalten und den politischen Parteien. Die Teilung der Gewalten dient einmal... der Arbeitsteilung, vor allem aber soll sie monopolistischen Machtmißbrauch hindern ..." (S. 2084) 490 Vgl. grundsätzlich Wolff \ H. J., Rechtsgrundsätze und verfassungsgestaltende Grundentscheidungen als Rechtsquellen, in: Bachof, O. / Drath, M. / Gönnenwein, O. u. a. (Hg.), Forschungen und Berichte aus dem öffentlichen Recht. Gedächtnisschrift für Walter Jellinek, München 1955, S. 33ff. 491
So etwa der Ministerpräsident des Landes Nordrhein-Westfalen in einer Stellungnahme vor dem Bundesverfassungsgericht. Vgl. BVerfGE 47, 285 (304) und BVerfGE 47, 285 (315): „Denn zu einer solchen Beurteilung nötigen jedenfalls die weiteren Anforderungen, die unter rechtsstaatlichen und demokratischen Gesichtspunkten an gesetzliche Berufsausübungsregelungen zu stellen sind." 492 Dies bestätigt beispielhaft die Entscheidung BVerfGE 47, 285, in der das Gericht nach Postulierung rechtsstaatlicher und demokratischer Gesichtspunkte, die eingehalten werden müßten, diese folgendermaßen konkretisiert und damit im Formalen bleibt: „Zu diesen Anforderungen gehört, daß der zuständige Gesetzgeber grundsätzlich selbst für eine ordnungsgemäße Inkraftsetzung und Verkündung seiner Gesetze und deren Änderungen sorgt. Vor allem obliegt ihm die Aufgabe, den Inhalt dieser Gesetze in eigener Verantwortung und im Wege der parlamentarischen
6. Verfassungsrechtliche Voraussetzungen
265
zisierung und Auffüllung des formal demokratisch-rechtsstaatlichen Verfahrens ist, und seine Wurzel tatsächlich im Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip findet, während für die bloße Formalität des Gesetzgebungsverfahrens eine solche Gründung auf die tragenden Prinzipien der Verfassung gar nicht einmal notwendig wäre, sondern direkt aus den Zuweisungen und Verfahrensvorschriften des Grundgesetzes im Gesetzgebungsverfahren ableitbar wäre. Der Rechtsstaatscharakter unseres Gemeinwesens garantiert nicht nur formal den Instanzenweg gerichtlicher Überprüfung, sondern auch gewisse Grundregeln der inneren Ausgestaltung des justizförmigen Verfahrens. Mehr noch, die Rechtsprechung leitete direkt aus dem Rechtsstaatsprinzip den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit hoheitlicher Maßnahmen ab, und prüft damit weit in die strukturelle Ausgestaltung hoheitlicher Entscheidungsfindung hinein. Dem Vorwurf, daß wenn man mit der Ableitung aus dem Rechtsstaatsprinzip, sei es auch in Verbindung mit dem Demokratieprinzip, zu kontrollfähigen Mindestvoraussetzungen des inneren Gesetzgebungsverfahrens kommen wolle, dies die Interpretation des Rechtsstaatsprinzips überstrapaziere, ist entgegenzuhalten, daß ohnehin kein anderes Verfassungsprinzip in der Judikatur des Bundesverfassungsgerichts in dem Maße entfaltet worden ist, wie das Grundprinzip des Rechtsstaates.493 Zu erwähnen sind das Bestimmtheitsgebot, der Vertrauensschutz, die Rückwirkungsverbote, das Recht auf fairen Prozeß, 494 der Schuldvorwurf als Voraussetzung für die Ahndung begangenen Unrechts und nicht zuletzt der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Gerade letzterer wirkt schon jetzt tief auch in das gesetzgeberische Procedere hinein, ohne daß Grenzen für seine Anwendbarkeit auch in diesem Bereich sichtbar wären. Warum, so ist zu fragen, soll dann nicht auch generell eine rechtsstaatliche Verfahrensordnung des Gesetzgebungsverfahrens ihre Wurzel im Rechtsstaatsprinzip finden? 495 Diese Willensbildung selbst zu bestimmen und dabei auch ihre Verfassungsmäßigkeit zu überprüfen." (S. 315) Dabei würde gerade die Formulierung, „... den Inhalt dieser Gesetze in eigener Verantwortung und im Wege der parlamentarischen Willensbildung selbst zu bestimmen ...", einige Ansätze bieten, die Verwirklichung dieses Postulats auch tatsächlich zu überprüfen. Vgl. dazu unten den Abschnitt 'Entscheidungsfreiheit der Entscheidenden'. 493 Vgl. dazu Schneider, H., Zur Verhältnismäßigkeitskontrolle insbesondere bei Gesetzen, in: Starck, Ch. (Hg.), Bundesverfassungsgericht und Grundgesetz, Bd. 2, Tübingen 1976, S. 390ff. (S. 390f.) 494 Vgl. die Kritik von H. Schneider zur Ableitung des Rechts auf einen fairen Prozeß (BVerfGE 26, 71; BVerfGE 34,302; BVerfGE 39,111), ebd. 495 Vgl. auch Pestalozzi Ch. v., NJW, S. 2086: „Was der Rechtsstaat an Maßstäben für die Gerichtskontrolle im einzelnen hergibt, ist bekannt. Die Rechtsprechung hat ein nuancenreiches Bild gekennzeichnet, das sie stetig ergänzt: der Rechtsstaat scheint nicht auslotbar ... Mit der allmählichen Entfaltung der Verfassung in der Zeit haben sich die Maßstäbe, die an die Gesetzgebung angelegt werden, zu verschärfen. Der Gesetzgeber muß sich als kontinuierliche und lern fähige Einrichtung behandeln lassen. Je mehr alle Staatsgewalten zur Konkretisierung der Verfassung beitragen, umso mehr und strenger müssenn sie sie gegen sich selbst gelten lassen. Den Gesetzge-
266
I. Voraussetzungen und Aufgaben einer Gesetzgebungslehre
Ableitung innerhalb eines offenen Rechtsstaatsbegriffs erscheint sehr viel tragfähiger als einige derer, die vorstehend aufgezählt wurden, und ist auch in der Rechtssprechung des Bundesverfassungsgerichts des öfteren angeklungen,496 obwohl es dann offenbar die konsequente Anwendung rechtsstaatlicher Prinzipien im Gesetzgebungsverfahren nicht durchhält, sondern bei der dazu notwendig werdenden Tatsachenermittlung außerordentlich zurückhaltend ist. Diese Zurückhaltung gibt das Gericht in seiner Folgerungsziehung auch dann nicht auf, wenn feststeht, daß rechtsstaatliche Grundsätze im Procedere verletzt worden sind. Ein anderer Grundgedanke, der aus dem Rechtsstaatsprinzip abgeleitet wird, ist der der Rechtssicherheit. Diese bedeutet für den Bürger „in erster Linie Vertrauensschutz". 497 Zwar hat das Bundesverfassungsgericht diesen Satz in einer Entscheidung, in der es um Rückwirkungen eines Gesetzes ging, ausgesprochen, doch geht aus dem Zusammenhang der Formulierung nicht zwingend hervor, daß dieses Postulat des Vertrauensschutzes nicht generell als Ausfluß des Rechtsstaatsprinzips Geltung beanspruchen kann. Dies bedeutet, daß der Bürger auch darauf vertrauen kann, daß die Gesetze, denen er sich zu unterwerfen hat, nach rechtsstaatlichdemokratischen Verfahrensweisen zustandegekommen sind. Das Demokratieprinzip beinhaltet mehr als die bloße Entscheidung zur Volkssouveränität, ausgestaltet durch die formalen Bestimmungen der Repräsentation und zur Parteiendemokratie der Art. 38 I und 21 GG, sondern das demokratische Prinzip ist entsprechend einer jahrhundertelangen Tradition mit einer Reihe von Grundvorstellungen verbunden, ohne die es praktisch nicht denkbar ist und von denen infolgedessen angenommen werden muß, daß sie zugleich mit dem Bekenntnis zur Demokratie gewissermaßen stillschweigend in das geltende Verfassungsrecht rezipiert worden sind. Dazu gehören sicherlich die Grundsätze, die zur Definition der streitbaren Demokratie entwickelt worden sind, ebenso wie auch jene, die dem offenen pluralistischen Demokratiebegriff zugeordnet werden. Insofern ist es schon lange, auch von der Rechtsspre-
ber bindet die Verfassung in ihrer aktuellsten Gestalt, die sie zum Teil ihm selbst verdankt... Es geht nicht mehr darum, sich der Verfassung 'anzunähern', sondern darum, mit der sich entfaltenden Verfassung Schritt zu halten. Bei Verfahrensfehlern und Fristsetzungen etwa klingt diese Maßstabverschärfung auch in der Rechtsprechung des BVerfG an."; vgl. auch S. 2083. 496 Vgl. etwa BVerfGE 29, 221 (233f.) unter Zurückweisung des Arguments der Klägerseite, daß das Gesetzgebungsverfahren an Zeitdruck und anderen Verfahrensmängeln leide und die Norm deshalb nichtig sei: „Jedenfalls ist im vorliegenden Fall nicht festzustellen, daß ein solcher Grundsatz oder andere rechtsstaatliche Prinzipien verletzt worden sind, mit der Folge, daß das Gesetz ungültig wäre." 497
BVerfGE 13,261 (271).
6. Verfassungsrechtliche Voraussetzungen
267
chung anerkannt, daß der DemokratiebegrifF des Grundgesetzes sich nicht in den formalen, die Willensbildung des Gemeinwesens ordnenden Bestimmungen des Grundgesetzes erschöpft, sondern dies ein dynamischer Begriff ist, der der Ausformung und ständig wieder neu zu beweisenden Qualität in der Verfassungspraxis bedarf, wenn Demokratie nicht nur als statischer Begriff im Raum stehen soll oder gar nur als Worthülse für Verfahren der Willensbildung mit Alibifunktion Bedeutung haben soll. 4 9 8 So gehört auch zum pluralistischen Demokratiebegriff moderner Prägung in den westlichen Staaten mit vergleichbarer Rechtsordnung, daß die politische Willensbildung, die in rechtlicher Normenbildung einmündet, möglichst in rationaler, geordneter Auseinandersetzung zwischen den verschiedenen gesellschaftlichen und politischen Gruppierungen erfolgen soll. 4 9 9 Der Meinungsbildungsprozeß auf allen Ebenen soll sich in einem Rahmen abspielen, in dem die verschiedenen Vorstellungen ungehindert dargelegt werden können. 500 Damit verbindet sich nicht nur die Grundüberzeugung politischer Freiheit, sondern auch die Vermutung, daß durch diese Rahmenbedingungen des demokratischen Systems zwar in sehr viel komplexerer Art und Weise, als dies in anderen Systemen der Willensbildung geschieht, aber dafür ungleich effektiver dafür gesorgt wird, daß rationale Entscheidungsfindung ermöglicht wird. Insofern schließt die Grundentscheidung der Verfassung für das Demokratieprinzip teilweise in enger Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip, teilweise in direkter Überschneidung und Ergänzung, Verfahrensweisen im staatlich organisierten Entscheidungsfindungsprozeß, zu dem auch im weitesten Sinn die Willensbildung innerhalb der politischen Parteien und der an der Willensbildung beteiligten relevanten Verbände gehören, aus, die solch demokratischer Entscheidungsfindung grundsätzlich entgegenstehen. Dazu gehören Verfahrensweisen, die die Willensbildung der zur Entscheidung Legitimierten in welcher Weise auch immer behindern, zur Mitwirkung und Einflußnahme Berechtigten willkürlich ausschließen oder benachteiligen, Entscheidungsgrundlagen willkürlich aufbereiten, Entscheidungsalternativen, die in die Diskussion gebracht werden, willkürlich ohne Begründung nicht in Erwägung ziehen. Die Liste könnte sicherlich noch verlängert werden, jedoch soll hier nur deutlich gemacht werden, daß das Demokratieprinzip auch als rechtliches Fundament für die Ausgestaltung von Entscheidungsprozessen im staatli-
498 Scheuner, U., Verantwortung und Kontrolle in der demokratischen Verfassungsordnung, in: Ritterspach, Th. / Geiger, W. (Hg.), Festschrift für Gebhard Müller, Tübingen 1970, S. 379ff. 499 Vgl. auch Schwerdtfeger, G., in: Stödter, R. / Thieme, W. (Hg.), S. 177: „In Abhebung von der emotionsgeladenen unmittelbaren Demokratie will dabei das demokratische Repräsentationssystem ein möglichst rationales Einzelhandeln i. S. der behandelten Methodik sichern." 500 Vgl. Noll, P., Die Mitwirkung der Betroffenen bei der rechtlichen Regelung, in: Klug, U. / Ramm, Th. / Rittner, F. u. a., Gesetzgebungstheorie, Juristische Logik, Zivil-und Prozeßrecht. Gedächtnisschrift für Jürgen Rödig, Berlin / Heidelberg / New York 1978, S. 59ff.
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I. Voraussetzungen und Aufgaben einer Gesetzgebungslehre
chen Willensbildungsprozeß ernst genommen werden will, da es sonst in Gefahr läuft, als Deckmantel mißbraucht zu werden. 501 Beide tragenden Pfeiler unserer Verfassungsordnung, die Rechtsstaatlichkeit und Demokratie, sind unmittelbare Grundlage für die demokratischrechtsstaatliche Ausgestaltung des Gesetzgebungsverfahrens. 502 Dies sei mit folgendem Beispiel näher verdeutlicht. Das Grundgesetz postuliert als grundlegendes Merkmal des demokratischen Staates in Art. 20 II, daß alle Gewalt vom Volke ausgeht. Dies bedeutet nicht nur, daß am Besitz der Staatsgewalt alle Bürger beteiligt sind, sondern es bedeutet darüber hinaus, daß sie an diesem Besitz zu gleichen Teilen beteiligt sind. Dieser eigentlich selbstverständliche Tatbestand beschränkt sich allerdings nicht nur in der Garantie des Grundsatzes 'one man one vote', sondern in der offenen Demokratie erstreckt er sich auch darauf, daß im Willensbildungsprozeß der demokratischen Entscheidungsfindung die Bürger, die nicht durch Wahl und Amt besondere Einfluß- und Entscheidungsbefugnis eingeräumt bekommen haben, grundsätzlich gleiche Chancen der Einflußnahme und Mitwirkung besitzen müssen. Da diese ableitbare Konsequenz der 'gleichen Teilhabe' an der Staatsgewalt im pluralistischen Interessen- und Verbändestaat nicht als self-execution-Regel in der Verfassungswirklichkeit beachtet wird, sondern die Teilhabe von vielerlei Faktoren in ihrem Gewicht bestimmt wird, ist es zwingend geboten, zur Durchsetzung positivrechtliche Voraussetzungen zu schaffen, die im Bereich der Gesetzgebung Grundbedingungen gewährleisten, die dem Demokratieprinzip und Rechtsstaatsprinzip auf der Verfahrensebene der Entscheidungsfindung zum Durchbruch verhelfen. Das Mehrheitsprinzip als eines der Grundelemente demokratischer Staatsordnung berechtigt die politischen Parteien, die für eine mehr oder minder lange Zeit im Repräsentativsystem die Mehrheit der Vertreter stellen, nicht, diese
501
Dem steht nicht die Geschäftsordnungsautonomie der Parlamente entgegen, sondern auch diese kann nur im Rahmen der gesetzten Verfassung ausgefüllt werden. Vgl. dazu grundsätzlich Arndt, K. F., Parlamentarische Geschäftsordnungsautonomie und autonomes Parlamentsrecht, Berlin 1966, S. 63; vgl. auch Achterberg, N., Parlamentsrecht, Tübingen 1984: „Der Delegationszusammenhang mit der Verfassung ist auch im staatlichen Innenbereich erforderlich, sollen extraund möglicherweise sogar kontrakonstitutionelle Entwicklungen verhindert werden. Indessen ist dies nicht nur rechtspolitisches Anliegen, sondern vor allem rechtsdogmatisches Erfordernis: Die Einheitlichkeit der staatlichen Normsetzung verlangt ihre RückfÜhrbarkeit auf die Verfassung." (S. 325) und: „Da indessen für die Geschäftsordnungsgebung der Vorbehalt der Verfassung besteht, ist diese jedenfalls auch für die Geschäftsordnung vorrangig." (S. 327). Ausdrücklich sehen auch Art. 106 BremV und Art. 99 HessV die Gebundenheit der Geschäftsordnung an die Verfassung vor. 502 Vgl. auch Schenke, W.-R., Die verfassungsrechtlichen Grenzen der Tätigkeit des Vermittlungsausschusses, Berlin 1984, S. 84: „... fordert das Demokratieprinzip .... eine Gesetzesberatung, bei welcher die Mitwirkung der einzelnen Abgeordneten gesichert werden muß."
6. Verfassungsrechtliche Voraussetzungen
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Mehrheit unter Mißachtung anderer ebenso wichtiger Elemente eines demokratischen Systems des Willensbildungsprozesses zu benutzen. Das Mehrheitsprinzip schließt einen pluralistischen, transparenten und offenen Willensbildungsprozeß nicht nur nicht aus, sondern hat ihn, in den ihm unterworfenen Entscheidungsprozessen schlechthin zur Voraussetzung. Sicherlich wird es in der Intensität und Effektivität der Einflußnahme Unterschiede geben und ein Spielraum der Entscheidungsträger auch im Verfahrensbereich gewahrt werden müssen. Auch wird zu differenzieren sein zwischen den auf den verschiedenen Stufen der Entscheidungsfindung stattfindenden Einflußnahmen. So wird die Einflußnahme oder gar Mitwirkung im Bereich der vertraulich regierungsinternen vorbereitenden Gesetzesplanung anders zu bewerten sein hinsichtlich der Chancengleichheit und Transparenz als die Mitwirkung und Einflußnahme im exekutivinternen, aber schon formalisierten Vorbereitungsverfahren oder dann gar später im parlamentarischen Verfahren. Das Grundprinzip demokratischer Teilhabe des Volkes an der staatlichen Machtausübung gewährleistet somit nicht nur die Teilhabe über und an den in der Verfassung vorgesehenen formal zugewiesenen Partizipationsmöglichkeiten, sondern Teilhabe an dem gesamten Willensbildungsprozeß, so wie er sich in der Verfassungswirklichkeit herausgebildet hat. Zwar mag man zu Recht gewissen, das Repräsentativsystem aushöhlenden Entwicklungen dieser Mitwirkung und Einflußnahme gesellschaftlicher Gruppierungen skeptisch gegenüberstehen, und sie nicht ohne gewisse Zweifel als noch vereinbar mit dem repräsentativen System ansehen, doch ist solange diese Entwicklungen sich eher verfestigen als abschwächen, auch an sie der Maßstab demokratischer und rechtsstaatlicher Prüfung zu legen, anstatt sich in der verfassungsrechtlichen Beurteilung vor der Verfassungwirkllichkeit auf die Grenzlinien der formalen gesetzgeberischen Bestimmungen des Grundgesetzes zurückzuziehen. Erst durch diesen offenen Prozeß der Einflußnahme, Diskussion und Abwägung können die Mitglieder eines Repräsentativorgans sich eine sachgerechte Grundlage ihrer Entscheidungsfindung sichern, 503 die gerade im hochtechnisierten Sozialstaat sehr viel mit komplexen Sachzusammenhängen und nicht so sehr mit politischen Überzeugungen zu tun hat, ohne dabei die grundsätzliche Funktion der Gesetzgebung in der Demokratie als politisches Gestaltungsinstrument außer acht zu lassen.504 Ein solcher Prozeß der die Grundent-
503
Vgl. auch Kirchhof, P., in: Starck, Ch. (Hg.), S. 77: „Das parlamentarischverfahrensgeordnete Hervorbringen von Rechtssätzen gewährleistet im übrigen am ehesten ein bestimmtes Maß an Vemünftigkeit und Gerechtigkeit. Ein offenes Verfahren der Rechtserzeugnung fördert die inhaltliche Qualität des Rechtssatzes und stärkt seine Geltungskraft." 504
Vgl. dazu oben den Abschnitt 'Gesetzgebung als Politikgestaltung'.
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I. Voraussetzungen und Aufgaben einer Gesetzgebungslehre
Scheidung vorbereitenden Willensbildung liegt nicht im Belieben der jeweiligen Mehrheit, da auch die Minderheit eines solchen Entscheidungskörpers das Recht besitzt, sich in möglichst breiter Kenntnis der verschiedenen Aspekte zu entscheiden und zu wissen, welche Einflußnahme und Mitwirkung gesellschaftlicher Kräfte auf den Entscheidungsprozeß stattgefunden hat. Die gleichberechtigte Teilhabe der Bürger an der politischen Willensbildung erschöpft sich weder im Wahlakt, noch in der Mitarbeit innerhalb politischer Parteien. Sie geht in pluralistischen Demokratien weit darüber hinaus und findet ihren Schwerpunkt in der Einflußnahme auf die Repräsentanten staatlicher Organe, die kraft Verfassung die letztendlich entscheidende Rolle im politischen Prozeß spielen. Den jeweiligen Mehrheitsträgern in diesen entscheidenden Repräsentativorganen oder auch in der politisch verantwortlichen Exekutive bleibt es nicht allein überlassen, die Mitwirkung und Einflußnahme der Bürger, in erster Linie repräsentiert in gesellschaftlich relevanten Verbänden, sowohl hinsichtlich Form und Intensität willkürlich zu gestalten. So kann nicht etwa eine sozialdemokratische oder christdemokratische Regierungsmehrheit ausschließlich die jeweils ihr nahestehenden Kräfte innerhalb der Gesellschaft an der gesetzgeberischen Entscheidungsfindung beteiligen, ohne damit das Prinzip der gleichen Teilhabe, das sich aus dem Demokratieprinzip ergibt, zu verletzen.
II. Grundvoraussetzungen demokratisch-rechtsstaatlicher Gesetzgebung Ein zentrales Problem heutiger Gesetzgebungswirklichkeit ist, ob der weitgehend von Zufälligkeiten geprägte Entscheidungsprozeß der verschiedenen politischen Ebenen den Erfordernissen demokratischer gesetzgeberischer Entscheidung gerecht werden kann. Um dies beantworten zu können, gilt es zunächst zu definieren, welches die unabdingbaren Voraussetzungen demokratischer Entscheidungsfindung im Gesetzgebungspsrozeß sind, und zwar unabhängig davon, ob sie in der Verfassungswirklichkeit so vorhanden sind oder nicht. Geht man von der klassischen Prämisse aus, daß in demokratischer Rechtssetzung Parlamentsbeschluß und Volkswille gleichgesetzt werden, dann müssen zur Erfüllung dieses Anspruchs auch gewisse Bedingungen erfüllt werden, die vom Volkswillen zum Parlamentsbeschluß führen. Mit B. Scherrer ist zu unterstreichen, daß „genau so weit, wie es dem Menschen möglich ist, die Einhaltung dieser Bedingungen mit seinen Erkenntnismitteln zu überprüfen, er auch bestenfalls in der Lage (ist), die Rechtssetzung zu verbessern." 505 Das optimale Rechtssetzungsverfahren in der Demokratie ist demnach ein Procedere, dessen Einhaltung überschau- und kontrollierbar ist. Der Volkswille ist kein unfaßbares Mysticum, sondern er wird in einem unendlich komplexen Prozeß festgestellt. Naturgemäß gibt es auch in diesem Prozeß Irrationalität und Arkanbereiche. Eine Prozeßordnung des inneren demokratischen Gesetzgebungsverfahrens hat sich darum zu bemühen, diese auszugrenzen und nach den im folgenden darzulegenden Grundvoraussetzungen demokratischer Gesetzgebung zu strukturieren. 506
505
Scherrer, B., Demokratie und richtige Rechtssetzung, Jur. Diss., Zürich 1977, S. 133
506
Vgl. dazu Mengel, H.-J., ZRP.
II.
voraussetzungen demokratisch-rechtsstaatlicher Gesetzgebung
Solche Voraussetzungen sind: 1. Die Legitimation des jeweils entscheidenden Gremiums oder der entscheidenden Person. 2. Die Entscheidungsfreiheit des Entscheidenden. 3. Die Transparenz der Entscheidungsfindung und des Entscheidungsinhalts. 4. Die Chancengleichheit der Mitwirkung der von der Entscheidung Betroffenen.
1. Legitimation der Entscheidungsträger Diejenigen, die die Entscheidungen der Machtträger mißbilligen, beschränken sich in der Regel nicht nur darauf, die Sachgerechtigkeit des Entscheidungsinhaltes in Zweifel zu ziehen, sondern stellen auch die Frage, inwieweit das Entscheidungsgsremium oder die entscheidende Person überhaupt zu der Entscheidung legitimiert war. Mit anderen Worten, ob die Befugnis vorhanden war, so und nicht anders zu entscheiden. Eine solche Befugnis wird im Rechtsstaat in der Mehrzahl aller Fälle aufgrund einer rechtlichen Regelung vorliegen. Sucht man nach der Legitimation des Entscheidenden,507 der die Gesetze macht, dann findet man im Grundgesetz und in den Länderverfassungen das Parlament als die für die Verabschiedung der Gesetze legitimierte Institution. Dies bedeutet jedoch nicht, daß das Parlament die alleinige Legitimation besitzt, im Gesetzgebungssprozeß tätig zu werden. In den Verfassungen finden sich Bestimmungen, die entweder direkt oder indirekt anderen Verfassungsinstitutionen eine Mitwirkung am Zustandekommen des Gesetzes einräumen. Diese Mitwirkung kann sogar so weit gehen, daß sie Vetoqualität besitzt, also ohne die Zustimmung der betreffenden Institution das Gesetz nicht zustandekommt. All dies bewegt sich auf der Ebene formaler Legitimation. Jedoch gerade diese genügt im Konfliktfall den Betroffenen einer Entscheidung, die sie bekämpft haben, nicht. Sie fragen nach anderen Aspekten der Legitimation, die unter dem Stichwort materielle Legitimation zusammengefaßt werden könnten. Die materielle Legitimation der Gesetzgebung beinhaltet etwa die Frage nach der Sachgerechtigkeit 508
507 Grundsätzlich zur Legitimationsfrage vgl. Unruh, G. C. v., Die Legitimation der hoheitlichen Gewalt als konstitutionelles Verfassungsproblem, in: Schnur, R. (Hg.), Festschrift für Emst Forsthoff, München 1972, S. 433ff. 508 Vgl. auch Maihof er, W., Der Beitrag der Wissenschaft zur Vorbereitung von Gesetzen, in: Maihofer, W. u. a. (Hg.), Theorie und Methoden der Gesetzgebung, Frankfurt 1983, S. 9ff. (S. 11): „Politik läßt sich in den Parteiendemokratien unserer Industriegesellschaft nicht mehr allein aus Charisma und Tradition legitimieren. Sie bedarf in den heutigen pluralen Gesellschaften unserer
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der Entscheidungsträger
273
der Entscheidung oder der ausreichenden Beteiligung der Betroffenen u n d der Transparenz der Entscheidungsfindung. 5 0 9 Ernst v o n H i p p e l 5 1 0 sieht die L e g i t i m i t ä t i m B e z u g a u f die Verfassung i n zweifacher Ausformung. E i n m a l gehöre z u ihr die Positivität i m Sinne ihres „Daseins als Plan u n d Ausdruck w i r k l i c h e r M a c h t " u n d ihre V e r b i n d l i c h k e i t i m Sinne der rechtlichen V e r p f l i c h t u n g des Angeordneten für die Normadressaten. Diese V e r b i n d l i c h k e i t bestehe j e d o c h nur, w e n n u n d soweit der Gesetzgeber den „ K o n s t i t u t i o n s p r i n z i p i e n jedweder Rechtsordnung" Rechnung trage, insbesondere sich v o m Streben nach Gerechtigkeit leiten lasse u n d w i l l k l ü r l i c h e Regelungen vermeide. O t t o B a c h o f 6 1 1 zieht noch eine weitergreifende L i n i e des Legitimitätselements „ V e r b i n d l i c h k e i t " . Für i h n ist solche V e r b i n d l i c h k e i t nur gegeben, „ w e n n der Gesetzgeber die kardinalen Gebote des v o n der Rechtsgemeinschaft anerkannten, nach Z e i t u n d Ort möglicherweise verschiedenen Sittengesetzes beachtet, sie mindestens nicht bewußt verleugnet." Diese Diskussion, die sich bei den beiden letzterwähnten a u f die L e g i t i m i t ä t der Verfassungsordnung bezieht, braucht für die L e g i t i m a t i o n i m Verfahren der einfachen parlamentarischen Gesetzgebung nicht weiter verfolgt werden, obw o h l die 'naturrechtlichen' Elemente v o n den Z w e i f e l n an der L e g i t i m i t ä t eines einfachen Gesetzes, wenn auch vielfach unbewußt, herübergenommen werden,
säkularen Staaten immer auch einer Legitimation aus Rationalität: aus formal rationalen und damit als legitim akzeptierten Verfahren, wie sie in der Verfassungsorganisation unserer Demokratie festgeschrieben sind, aber auch aus material rationalen und damit als legitim konsentierten Zwekken und Werten, wie sie etwa in den gleichzeitigen Grundrechtsgarantien unserer Demokratie verbürgt sind. Dieses Bedürfnis und Erfordernis nach Legitimation der Politik einer Demokratie aus Rationalität: aus Zweckrationalität wie Wertrationalität, bedingt angesichts der zunehmenden Undurchschaubarkeit und Unberechenbarkeit der heutigen Lebensverhältnisse für den nichtwissenschafllichen Menschenverstand, eine wachsende Angewiesenheit der Politik auf Wissenschaft." 509 Im Zusammenhang mit dem Verordnungsrecht spricht Hesse, K., Verfassungsrecht, davon, daß das Verordnungsrecht „in schwächerem Maße demokratisch legitimiert" sei als Gesetzesrecht, da dem „Verfahren der Verordnungsgebung die Publizität des Gesetzgebungsverfahrens" fehle, die Kritik der Opposition in ihm nur schwächer zur Wirkung gelangen könne und in der Entscheidung durch das Kabinett oder ein Ministerium nicht in gleicher Weise optimaler Interessenausgleich verbürgt sei, wie in der nach dreimaliger Beratung ergehenden Entscheidung des Parlaments (S. 224). 510 Später zieht Hippel, E. v., Die Krise des Staatsgedankens und die Grenzen der Staatsgewalt, Stuttgart 1950, die Grenzen der Verbindlichkeit weiter, wenn er von den Grenzen der Zuständigkeit ausgeht, „welche im Hinblick auf Gott, auf die Menschheit, auf den einzelnen Menschen wie auf natürliche Gemeinschaften für die Befugnisse des Staates an sich gelten" und er diese „als das Minimum an Anforderungen, das auch der Staat zu beachten hat, um überhaupt als Staat im Sinne einer verbindlichen Ordnung angesehen werden zu können." (S. 53) 511 Bachofy O., Verfassungswidrige Verfassungsnormen, in: Fröhler, L. / Göldner, D. u.a. (Hg.), Otto Bachof. Wege zum Rechtsstaat. Ausgewählte Studien zum öffentlichen Recht, Königstein / Taunus 1979, S. Iff. (S. 17), Erstveröffentlichung in Recht und Staat Nr. 163/164, Tübingen 1951.
II.
voraussetzungen demokratisch-rechtsstaatlicher Gesetzgebung
um den Normadressaten die Nichtbeachtung eines solchen Gesetzes nahezulegen oder zu rechtfertigen. Ob dieses Auseinanderdividieren des Legitimationsbegriffs wirklich ein gangbarer Weg ist, erscheint zumindest für die verfassungsrechtliche Diskussion um die Legitimation von gesetzgeberischen Akten der Gesetzgebungsorgane mehr als zweifelhaft. 512 Mit ihr ist eine Auflösung letztinstanzlicher allgemeinverbindlicher Entscheidungen verbunden. Was nützt es in der Auseinandersetzung um umstrittene Entscheidungen, wenn der Entscheidungsträger formal dazu legitimiert ist, aber die Gegner dieser Entscheidung darauf verweisen können, daß der Entscheidung die materielle Legitimation fehle, auch deshalb Widerstand nun seinerseits legitim sei. Aber selbst, wenn man den Weg der Unterscheidung zwischen formeller und materieller Legitimation begehen will, bleibt alleiniger Maßstab für das Messen der Legitimation einer gesetzgeberischen Entscheidung, ob diese die Verfassung verletzt, ob sie sowohl im Procedere der Entscheidungsfindung als auch im Inhalt verfassungsmäßigen Anforderungen gerecht wird. Bei diesem Verständnis von Legitimation wäre der Legitimationsbegriff lediglich der zusammenfassende Oberbegriff, unter dem sich die anderen Grundvoraussetzungen demokratisch-rechtsstaatlicher Entscheidungsfindung wiederfinden. D. h. eine Entscheidung, bei deren Evaluierung eine der Grundvoraussetzungen nicht beachtet wurde (Entscheidungsfreiheit des Entscheidenden, Chancengleichheit der Mitwirkung, Transparenz) entbehrte der Legitimation. In diesem Sinne gibt das Element der Legitimation jedoch nichts für die Justitiabilität des Gesetzgebungsprocedere her und wäre entbehrlich, da ihm keine eigene Qualität zukommt. Wie zu zeigen sein wird, ist der Verletzung einer oder mehrerer der genannten Grundvoraussetzungen Grund zu rechtlicher Folgerung, da diese Verletzung grundgesetzwidrig ist.
512 Richtig erscheint nur die zu schließende Folgerung zu sein, daß zwar nicht die Legitimation einer Entscheidung beim Fehlen der genannten Elemente entfällt, jedoch mehr oder minder ihr Integrationseffekt; vgl. Eichenberger, K., in: Eichenberger, K. / Buser, W. / Métraux, A. u. a. (Hg.), S. 10: „Die inhaltliche Qualifizierung und die Beauftragung anerkannter, vornehmlich gewählter Organe mit dem Rechtsetzen in sanktionierenden Verfahren hat zugleich den hochgradigen Integrationseffekt, der für den modernen Staat vorwiegend rational durch Nutzenausweise zustandekommt." Im übrigen ist sicherlich im Rahmen des Repräsentativsystems zu beachten, daß Repräsentanz „zugleich Vermittlung von Informationsströmen in doppelter Richtung (bedeutet): das Wollen und Fühlen der Bürger soll in die Gesetzgebung eingebracht werden, sich in ihr hinreichend berücksichtigt oder doch wenigstens erwogen fühlen können. Umgekehrt will der Bürger den Handlungs- und Führungswillen des Parlaments erkennen.", so Benda , E., Zukunftsfragen der parlamentarischen Demokratie, ZParl 1978, S. 510ff. (S. 513); vgl. auch Hürth, W., Die Rede- und Abstimmungsfreiheit der Parlamentsabgeordneten in der Bundesrepublik Deutschland, Berlin 1983, der vom „Informationsstrom zwischen Bürger und Parlament" spricht und „um diesen in Gang zu halten, muß der Abgeordnete viel mehr als früher, heute das Gespräch mit dem Bürger suchen..." (S. 143)
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der Entscheidungsträger
275
Auch der Legitimationsgedanke Peter Häberles ist nicht tragfähig 513 , wenn er zwischen Gesetzen und „besonders legitimierten" Gesetzen unterscheidet, wobei letztere solche sein sollen, die „unter weitgehender Beteiligung und unter der wahren Kontrolle der pluralistischen Öffentlichkeit" 514 zustandegekommen sind, da hier „viele am demokratischen Prozeß der Verfassungsauslegung beteiligt gewesen sind" 515 . Als Folge dieser Differenzierung will er die besonders legitimierten Gesetze einer zurückhaltenderen verfassungsgerichtlichen Kontrolle unterwerfen. Im Ergebnis beinhaltet diese Unterscheidung jedoch, daß die dem Gesetz Unterworfenen nicht lange zögern werden, ihre Akzeptanzbereitschaft nur den „besonders legitimierten" Normen zuzuwenden, was letztendlich zu einer Aushöhlung des Repräsentativsystems führen kann 516 . Unter Legitimation kann als justitiabel zu machender Begriff nur verstanden werden, daß derjenige, der entscheidet, dann im Repräsentativsystem auf demokratischrechtsstaatliche Weise, die Kompetenz für diese Entscheidung zugewiesen bekommen hat. Das Verfahren welches er zur Findung der Entscheidung anwendet, ist wiederum nicht eine Frage der Legitimation, sondern der Erfüllung bzw. Verletzung anderer Grundvoraussetzungen rechtsstaatlich-demokratischen Entscheidungsverfahrens, deren Verletzung justitiabel gemacht werden muß. Dennoch ist der so verstandene Legitimationsbegriff bei der genannten Grundvoraussetzung 'Legitimation der jeweils Entscheidenden' nicht allein ein Problem des Vorhandenseins einer positiv-rechtlichen Entscheidungskompetenzzuweisung. Dies soll im Rahmen dieser Arbeit an zwei Beispielen verdeutlicht werden. Einmal ist es zweifelhaft, ob eine gesetzgeberische Entscheidung noch legitimiert ist, wenn in der Plenumsabstimmung nur ein verschwindend kleiner Teil der Abgeordneten an der Abstimmung teilnimmt. Ist diese kleine Minderheit dann legitimiert, oder hat das Parlament unzulässigerweise seine Entscheidungslegitimation auf eine Minderheit übertragen? Ähnlich gelagert ist die Legitimationsproblematik, wenn das Parlament wesentliche Teile seiner Entscheidungslegitimation auf einzelne Ausschußmitglieder überträgt, ohne daß diese in einem demokratischen Auswahlprozeß bestimmt worden sind.
513
Häberle, P., Die offene Gesellschaft der Verfassungsinterpreten, JZ 1975, S. 297ff.
5,4
Ebd., S. 303.
515
Ebd.
516
Kritisch auch Ossenbühl, F., Kontrolle von Tatsachenfeststellungen und Prognoseentscheidungen durch das Bundesverfassungsgericht, in: Starck, Ch. (Hg.), Bundesverfassungsgericht und Grundgesetz, Bd. 1, Tübingen 1976, S. 458ff. (S. 510): „... jedenfalls erscheint sein Rückgriff auf einen an der Verfassungswirklichkeit orientierten, juristisch gesprochen: untechnischen Legitimationsbegriff als unmittelbar anwendbares Kriterium zur Bestimmung der Kontrolldichte des Bundesverfassungsgerichts unvertretbar." 19 Mengel
II.
voraussetzungen demokratisch-rechtsstaatlicher Gesetzgebung
Ein Legitimationsdefizit entsteht auch dann, wenn zwar letztendlich das Parlament die Entscheidung der Zustimmung oder Ablehnung zu einem Gesetz trifft, die inhaltlichen Entscheidungen über die Ausgestaltung des Gesetzes jedoch an ganz anderer, dazu nicht legitimierter Stelle fallen. Mit anderen Worten: wenn die durchaus legitime Mitwirkung eines der am Gesetzgebungsprozeß Beteiligten derartiges Gewicht gewinnt, daß die anderen Beteiligten an den Rand gedrängt werden, und sie ihren ebenso legitimen Auftrag zur, unter Umständen noch wichtigeren Mitwirkung, nicht mehr erfüllen können. Wenn die Exekutive die Gesetzgebung derartig präjudiziell, daß die Legislative ihren Pflichten zur entscheidenden Mitwirkung an der Gesetzgebung nicht mehr nachkommen kann, dann handelt die Exekutive ohne ausreichende Legitimation und die Formalität der Entscheidung des Parlaments kann diese Mängel des gesetzgeberischen Procedere nicht heilen 517 . Allerdings könnte hier auch unter dem Gesichtspunkt der fehlenden Entscheidungsfreiheit der Abgeordneten ein Mangel des gesetzgeberischen Procedere vorliegen.
2. Transparenz der Entscheidungsfindung und des Entscheidungsinhalts Die demokratische Staatsform beruht zu einem wichtigen Teil auf der Transparenz ihrer Entscheidungsvorgänge 518. Der Bürger muß in die Lage versetzt sein, beim Zustandekommen von Gesetzen, sowohl das 'Warum' als auch das 'Wie' nachvollziehen zu können 519 . Das gesetzgeberische Verfahren ist keine 517
Ähnlich Pestalozzi Ch. v., NJW, der ohne Zwischenstufe der aus dem Rechtsstaatsprinzip abgeleiteten Grundforderung nach Legitimation des jeweils Entscheidenden unmittelbar auf den Rechtsstaat rekurriert (S. 2084). 5.8 Vgl. Häberle, P., Öffentlichkeit und Verfassung, ZfP 1969, S. 273ff. (auch in: ders., Verfassung als öffentlicher Prozeß, Berlin 1978, S. 225ff.) und dessen Kritik an Jürgen Habermas' 'Strukturwandel der Öffentlichkeit', daß dieser es versäume, „das Problem der Öffentlichkeit von vornherein auch von der Demokratie her anzugehen." Die geschichtliche und soziologische Ausklammerung der Demokratie aus dem Problemfeld des Öffentlichen sei ein Grund für die Einseitigkeit seiner bürgerlichen Öffentlichkeit, Häberle, P., Verfassung als öffentlicher Prozeß, Berlin 1978 (S. 237, Anmerkung 43). Dies unterstreicht für das innere Verfahren des Gesetzgebungsprozesses auch Schwerdtfeger, G., in: Stödter, R. / Thieme, W. (Hg.), S. 185: „Das Demokratieprinzip drängt auf Transparenz." Desgleichen Eichenberger, K., Rechtsetzungsverfahren und Rechtsetzungsformen in der Schweiz, ZSR N. F. 73 (1954), S. 30aff. (S. lila): „Schließlich stellt sich die Frage, ob und inwiefern die Vorbereitung der Rechtsetzung öffentlich zu geschehen habe. Von den seltenen Fällen, wo der Erlaß seiner Natur nach bis zur Inkraftsetzung geheim bleiben muß, abgesehen, ist davon auszugehen, daß die staatliche Rechtsetzung ungeachtet ihrer Form, eine öffentliche Reaktion ist." 5.9 Rödig, J., Stellenwert der Gesetzgebungstheorie, S. 29: „Die Autorität des Gesetzgebers muß in einem möglichst aktuellen Konsens aller Betroffenen bestehen ... Ein solcher Konsens bedarf aber einer gewissen Minimal-Information des Bürgers. Gesetzgebungs- und Rechtsanwendungsver-
2. Transparenz der Entscheidungsfindung und des Entscheidungsinhalts
277
geheime Kommandosache, sondern ein offener, erreichbarer Vorgang, der der Kritik und Zustimmung 520 der Öffentlichkeit ebenso unterliegt wie das fertige Ergebnis, das Gesetz. Gewiß muß und darf es auch im demokratischen Entscheidungsprozeß gewisse Arkanbereiche geben. Jedoch sind diese auf das absolut notwendige Maß zu beschränken. So ist es durchaus mit dem demokratischen Transparenzgebot vereinbar, wenn z.B. innerhalb der Exekutive über Sinn und Notwendigkeit einer gesetzgeberischen Initiative unter völligem Ausschluß Außenstehender nachgedacht wird. Es muß der Exekutive im Rahmen ihrer staatsleitenden Funktion überlassen bleiben, auch Gedanken zu ventilieren, die vorerst nicht bestimmt sind, Außenstehende zu erreichen. Was geschieht, wenn ihr dieses Recht nicht zugestanden wird, zeigt die politische Praxis. Jeder Gedanke, der von einem noch so rangniedrigen Referenten geäußert wird, wird von den Medien als 'Plan' oder, in nicht seltenen Fällen, gar als 'Gesetzgebungsvorhaben' dargestellt. Die Pflicht zur Transparenz setzt jedoch dann ein, wenn die Exekutive Außenstehende, und seien es auch nur unabhängige Wissenschaftler, durch Gutachten in den Überlegungsprozeß einbezieht. Ist diese Schwelle überschritten haben nicht nur einzelne von der Exekutive Auserwählte das Recht auf Information 521 und Beteiligung - sei es in diesem Stadium auch erst in der Möglichkeit, öffentlich zu dem Gedanken Stellung zu nehmen. 522
fahren müssen für den Bürger durch Informationsvermittlung transparent gemacht werden. Der so informierte Bürger vermag sich wirkungsvoll in den politischen Parteien zusammenzuschließen, um von da aus auf den Prozeß der Normsetzung Einfluß zu nehmen, und so das demokratische Prinzip zu verwirklichen helfen. Nicht zuletzt unter diesem Aspekt ist hinreichend Information über das Recht für das Funktionieren des demokratischen Rechtsstaates von nicht minderer Bedeutung als ein gutes, strikt beachtetes Recht selbst." Pestalozzi Ch. v., NJW, S. 2086: „Der Bürger ist kein Kind. Er muß wissen, warum er vertraut. Dazu muß Rechtsetzung öffentlich und verständlich sein. Öffentlichkeit heißt: Motive und Verfahrensablauf müssen ebenso öffentlich und leicht zugänglich sein wie der spätere Gesetzestext." 520 Wenn das BVerfG in der Entscheidung 13, 97 (112), die Meinung der Öffentlichkeit zu einem Regelungsverfahren als zu erwägendes Element in seine Überlegungen einbezieht, dann setzt es voraus, daß es eine über Gesetzgebungsvorhaben informierte Öffentlichkeit geben muß: „Der Gesetzgeber darf daher auf die Zustimmung der öffentlichen Meinung rechnen, wenn er auf die Einhaltung und Förderung des Ansehens dieses Berufsstandes bedacht ist und Maßnahmen ergreift, die nach seiner Überzeugung geeignet sind, das Vertrauen der Bevölkerung in die Qualität handwerklicher Arbeit zu rechtfertigen." 521
Vgl. grundsätzlich Leisner, W., Öffentlichkeitsarbeit der Regierung im Rechtsstaat, Berlin
1966. 522
Diese Frage wird bei der Chancengleichheit der Einflußnahme auf den Gesetzgebungsprozeß eingehender erörtert. Vgl. dazu grundsätzlich Jerschke, H.-U., Öffentlichkeitspflicht der Exekutive und Informationsrecht der Presse, Berlin 1971.
II.
voraussetzungen demokratisch-rechtsstaatlicher Gesetzgebung
Transparenz auf der Ebene der Exekuktive bedeutet, daß all ihre Pläne und Vorhaben, die in einen Gesetzgebungsprozeß münden, ab dem genannten Stadium der Beteiligung Außenstehender öffentlich gemacht werden. 523 D. h. die Öffentlichkeit und hier insbesondere die Betroffenen müssen Gelegenheit haben, sich an der Diskussion um Sinn oder Unsinn des Gesetzgebungsprojektes zu beteiligen. 524 Dies setzt voraus, daß allen Interessierten die Motive und Grundlagen der Entscheidungen der Exekutive transparent gemacht werden müssen. Dieser Prozeß wird heute durch den technischen Stand der massenmedien möglich gemacht, aber noch lange nicht in der optimalen Weise von diesen verwirklicht. Zur optimalen Form des Rechtssetzungsverfahrens ist deshalb auch die „Integration der technischen Möglichkeiten in den Dienst der Rechtssetzung" 525 zu zählen. Dieses Transparenzgebot gilt jedoch nicht nur für den Bereich der Exekutive. Auch die anderen Beteiligten am Gesetzgebungsverfahren haben sich daran zu halten, und auf diese Weise den offenen pluralistischen Entscheidungsprozeß zu fordern. So haben diejenigen, die als Betroffene oder Interessierte Einfluß auf die Entscheidungsfindung nehmen, die Willensbildung in ihren Reihen ebenso transparent zu gestalten. Das bedeutet insbesondere für Interessenverbände, daß diese bei ihren Stellungnahmen deutlich machen müssen, wie diese zustandegekommen sind. Es ist von nicht unerheblicher Bedeutung für das Gewicht einer solchen Stellungnahme, das die Entscheidenden ihr zumessen, ob ζ. B. lediglich der Justitiar einer solchen Vereinigung die Stellungnahme verfaßt hat 5 2 6 oder aber ob sie Ergebnis einer breiten Diskussion innerhalb der Mitgliedschaft des Verbandes war 5 2 7 . Auch für Stellungnahmen von Bürgerinitiativen, die sich
523 Schweizer, R. J., Motive der Rechtsetzung, in: Eichenberger, K. / Buser, W. / Métraux, Α. u. a. (Hg.), Grundfragen der Rechtssetzung, Basel 1978, S. 27ff. 524
Zur Information über in der Entstehung begriffene Gesetze vgl. Kloepfer, von Gesetzen, München 1974, S. 25ff.
M., Vorwirkung
525 Scherrer, B., S. 134. In diesem Sinne erscheint die Nutzung der Technik für das Gesetzgebungsverfahren sehr viel nutzbringender und realisierbarer zu sein, als die Bemühungen, die Gesetzgebung durch moderne Datenerfassung etc. zu reformieren bzw. computerisieren. 526
In seinem Bericht über das schwedische 'innere Gesetzgebungsverfahren' spricht Strömholm, S., Charakteristische Merkmale schwedischer Gesetzgebung, in: Rödig, J. (Hg.), Studien zu einer Theorie der Gesetzgebung, Berlin / Heidelberg / New York 1976, S. 50ff., von den Experten in den größeren Organisationen, „welche das 'Remiß-Schreiben' als Beruf - wenn nicht sogar schöne Kunst - ausüben" (S. 69). 527 Hier spielt keine Rolle, ob der Verband eine demokratische Minimalstruktur aufweist. Es geht lediglich um die Offenlegung des Entscheidungsprozesses innerhalb des stellungnehmenden Verbandes zu der konkreten Frage. So kann auch ein Verband, der eine solche demokratische Minimalstruktur nicht aufweist, seine Ansicht äußern. Wichtig ist dabei nur, daß die letztendlich über Wert oder Unwert der Vorschläge Entscheidenden wissen, wie dieser Vorschlag zustandegekommen ist. Nur so ist dessen Bedeutung richtig einzuordnen.
2. Transparenz der Entscheidungsfindung und des Entscheidungsinhalts
279
mehr und mehr in den Gesetzgebungsprozeß einschalten, ist es wichtig zu wissen, wieviele der betroffenen Bürger sich an der Ausarbeitung und Verabschiedung der Stellungnahme beteiligt haben, und ob tatsächlich die Mehrheit der Betroffenen dahintersteht oder nur eine Minderheit. 528 Das Transparenzgebot gilt auch für die parlamentarische Entscheidungsebene, und zwar sowohl für die Parlamente auf Bundes- und Landesebene als auch für das förderale Organ 'Bundesrat'. Auf allen Ebenen des parlamentarischen Verfahrens gibt es eine Tendenz, die aus Gründen der Effektivität die Transparenz von Entscheidungsfindung vernachlässigt. So sind beispielsweise die Abgeordneten immer mehr auf die Absprachen der parlamentarischen Geschäftsführer untereinander, insbesondere in Verfahrensfragen angewiesen.529 Insofern gilt die Charakterisierung einer „Übertragung der Verfahrenshoheit" auf parlamentarische Geschäftsführer und Fraktionsführer, die schon Gerhard Loewenberg feststellte, auch heute. 530 Auch darf in den Ausschüssen nicht so verfahren werden, daß nicht mehr nachvollziehbar ist, wie die Entscheidungen Zustandekommen. Dies bedeutet in letzter Konsequenz, daß Verfahren unter Ausschluß der Öffentlichkeit letztlich die Ausnahme sein müssen und nur dort ihre Berechtigung haben, wo Fragen, die für die Sicherheitsbelange des Staates eine Rolle spielen, verhandelt werden. Dieser Forderung kann auch nicht entgegengehalten werden, daß dann eine an der Sache orientierte Arbeit in den Ausschüssen unmöglich würde, da die beteiligten Abgeordneten genau wie im Plenum zu sehr mit Blick auf das Wahlvolk handelten. Erinnern wir uns an die ursprüngliche Funktion parlamentarischer Gremien. Hier soll im Widerstreit der Argumente die sachgerechteste Lösung gefunden werden. Es ist einsichtig, daß sich diese Funktion bei der ungeheuren Komplexität der Gesetzgebungsmaterien aus dem Plenum des Parlaments in die Ausschüsse verlagert hat. Jedoch ist nicht ersichtlich, daß hier
528 Die Erscheinung, daß Bürgerinitiativen sich in das Gesetzgebungsverfahien einschalten, sei es institutionalisiert, indem die Exekutive oder die Legislative sie zur Stellungnahme offiziell im Rahmen von Anhörungsverfahren einladen, sei es durch Druck in der Öffentlichkeit, wird in der Zukunft sich ausweiten. Die Chancen und Gefahren für einen demokratischen Gesetzgebungsprozeß sind an anderer Stelle zu würdigen. 529 Roll , Α., Auslegung und Fortbildung der Geschäftsordnung, in: ders. (Hg.), Plenarsitzungen des deutschen Bundestages. Festgabe für Werner Blischke, Berlin 1982, S. 93ff., der als Folge der Verlagerung von Geschäftsordnungsangelegenheiten aus dem Plenum feststellt: „Sie kann deshalb zu einer Effektivitätssteigerung des Bundestages beitragen. Damit ist jedoch untrennbar eine Verminderung der Transparenz verbunden.. Eine weitere Folge dieser Entwicklung ist, daß nur noch wenige Abgeordnete für die Möglichkeiten sensibiliert sind, die die Geschäftsordnung bietet " (S. 93) 530
Loewenberg, G., S. 259.
II.
voraussetzungen demokratisch-rechtsstaatlicher Gesetzgebung
der Wettstreit der sachverständigen Abgeordneten um die bessere Lösung hinter verschlossenen Türen und damit nicht nachvollziehbar stattfinden muß. Die Transparenz auch solcher Beratungen würde auch den bei der Bevölkerung wachsenden Eindruck mildern, daß im Plenum augenzwinkernd gegeneinander gefochten wird. Dies machen Bemerkungen von Abgeordneten deutlich, daß der Kollege X sich im Ausschuß doch recht kooperativ gezeigt habe und man jetzt über seine heftige Kritik verwundert sei. Wenn diesen Forderungen nach weitestgehender Transparenz des Gesetzgebungsverfahrens auf allen Ebenen entgegengehalten wird, daß dies den teilnehmenden Bürger verwirre und die Entscheidungen der dazu Berufenen erschweren würde, so muß man demgegenüber den mündigen Bürger voraussetzen und entscheidungsstarke und verantwortungsvolle Gesetzgeber. 531
3. Entscheidungsfreiheit der Entscheidungsträger Die Entscheidungen im demokratischen Gesetzgebungsverfahren genügen nur dann dem Demokratiegebot, wenn gewährleistet ist, daß die in den einzelnen Stadien des Verfahrens zur Entscheidung Berufenen auch wirklich die Freiheit der Entscheidung besitzen. Diese Entscheidungsfreiheit bedeutet mehr als die bloße Freiheit von physischem Zwang, sich auf die eine oder andere Weise zu entscheiden. Solche Freiheit wird durch mancherlei Maßnahmen für die Parlamentarier sichergestellt. Dazu gehören die Bannmeilengesetze, die Immunitätsregelungen, aber auch die Garantie ausreichender materieller Versorgung, 532 auch nach
531 Vgl. auch Eichenberger, K., ZSR, der die Vorteile der Transparenz folgendermaßen beschreibt: „... daß das Volk die Entstehung der Rechte miterlebte, daß eine öffentliche Meinung frühzeitig erwirkt und berücksichtigt werden könnte, daß die Entwürfe und namentlich die Anbringen dazu verantwortet, einseitige Begehren zurückgehalten, Leichtfertigkeiten in Planungen zur Rechtssetzung zurückgedämmt werden müßten." (S. 112a) 532 Vgl. dazu Arnim, H. H. v., Abgeordnetenentschädigung und Grundgesetz, Wiesbaden 1975; ders., Die Partei, der Abgeordnete und das Geld, Mainz 1991; Krüger, H., Die Diäten der Bundestagsabgeordneten, DVBI 1964, S. 220ff.; Schiaich, K. / Schreiner, H. J., Die Entschädigung der Abgeordneten, NJW 1979, S. 674ff; Schneider, H., Diäten und Rechtsstellung der Bundes- und Landtagsabgeordneten, ZParl 1978, S. 452ff.; Schindler, P., Entwicklung der Diäten für Bundestagsabgeordnete seit 1949, ZParl 1973, S. 353ff.; Friedrich, M., Der Landtag; Klatt, H., Plädoyer für eine Neuordnung des parlamentarischen Diätenwesens. Zum Problem der Transparenz, ZParl 1973, S. 407ff.; vgl. weitere Nachweise bei Achterberg., N., Parlamentsrecht, S. 265ff.; Fischer , Α., Abgeordnetendiäten und staatliche Fraktionsfinanzierung in den fünf neuen Bundesländern, Frankfurt am Main / Berlin / Bern 1995.
3. Entscheidungsfreiheit der Entscheidungsträger
281
Ausscheiden aus d e m Parlament, 5 3 3 u n d die Offenlegungspflichten über A b hängigkeiten außerhalb des Parlaments. 5 3 4 I n diesen Regelungen, die letztlich Ausfluß der grundgesetzlichen Regelungen z u m Stellenwert der Freiheit der Entscheidung des einzelnen Abgeordneten sind, k o m m t das Bemühen z u m Ausdruck, die Entscheidungsfreiheit der Abgeordneten z u sichern. D i e Entscheidungsfreiheit ist j e d o c h nur dann gegeben, w e n n noch andere Bedingungen als die Freiheit v o n physischem Z w a n g gegeben sind. D a z u gehört insbesondere, daß der Entscheidende sich zwischen gegebenen Alternativen entscheiden k a n n 5 3 5 . D . h. der zu entscheidende Sachvorgang muß für die Parlamentarier derart aufbereitet sein, daß sie i n voller Freiheit sich zwischen Alternativen entscheiden k ö n n e n 5 3 6 . M i t den W o r t e n v o n G r a f Pestalozza: „Diese Hauptrolle i m Gesetzgebungsverfahren verlangt, daß sich das Parlament unabhängig entscheidet. W e n n es ohne eigene A b w ä g u n g , Diskussion u n d M e i n u n g s b i l d u n g Daten anderer Staatsgewalten und der politischen Parteien übernimmt, hat es seine Rechtssetzungsaufgabe verfehlt. E i n Schattenparlament lohnt den institutionellen und moralischen A u f w a n d der Demokratie nicht.537
533 Vgl. dazu Thaysen, U., Das Abgeordnetenverständnis des Bundesverfassungsgerichts. Die Entscheidung zur Altersversorgung der Mitglieder des Hessischen Landtages, ZParl 1972, S. 52ff; Klatt, H., Die Altersversorgung der Abgeordneten, Tübingen 1972; Eschenburg, Th., Das Problem der Abgeordnetenversorgung, in: ders., Zur politischen Praxis in der Bundesrepublik. Kritische Betrachtungen, Bd. 1, 2. Aufl., München 1967, S. 40ff. Weitere Nachweise bei Achterberg,, N., Parlamentsrecht, S. 270f. 534 Vgl. dazu Meessen, Κ. M., Beraterverträge und freies Mandat, in: Ehmke, H. / Kaiser, J. H. / Kewenig, W. A. u. a. (Hg.), Festschrift für Ulrich Scheuner, Berlin 1973, S. 431ff.; Hensel, R , Mehr Transparenz für Verbandsabgeordnete, ZRP 1974, S. 177ff.; Krause, P., Freies Mandat und Kontrolle der Abgeordnetentätigkeit. Zur Notwendigkeit und Möglichkeit der Disziplinierung des Mandatsmißbrauchs, DÖV 1974, S. 325ff; Klatt, H., Rechtliche Möglichkeiten gegen Mandatsmißbrauch, ZParl 1979, S. 445ff.; Lohmeier, M., Ausländische Regelungen für wirtschaftliche Interessenkonflikte ('Beraterverträge') von Abgeordneten, ZParl 1978, S. 470ff. 535 Vgl. auch Schwerdtfeger, G., in: Stödter, R. / Thieme, W. (Hg ), der allerdings nur dann die Einbeziehung von Alternativen in das Verfahren befürwortet, „wenn sie auf der Hand liegen oder in der Öffentlichkeit erheblich diskutiert werden." (S. 180) Die am Gesetzgebungsverfahren Beteiligten seien nicht verpflichtet, ,Alternativmodelle zu erarbeiten, welche mit ihren politischen Vorstellungen von vornherein nicht übereinstimmen würden." (ebd.) Dem kann in dieser Form nicht zugestimmt werden. Zur Entscheidungsfreiheit gehört die Kenntnis aller möglichen Alternativen, die unter vertretbarem Aufwand 'erarbeitet' werden können. Dabei bleibt es den Entscheidenden unbenommen, diejenigen Möglichkeiten abzulehnen, die ihren politischen Vorstellunge nicht entsprechen. 536 In der Praxis wird es trotzdem dabei bleiben, daß sich nur die Fachleute in den Parlamenten mit dem zu entscheidenden Gesetzgebungsvorhaben eingehender befassen. Jedoch muß auch jeder andere Abgeordnete bei Bedarf die Möglichkeit haben, sich sachkundiger zu machen. 537
Pestalozzi, Ch. v., NJW, S. 2084f.
II.
voraussetzungen demokratisch-rechtsstaatlicher Gesetzgebung
Über die Kenntnis der möglichen Alternativen hinaus gehört zur vollen Entscheidungsfreiheit die Kenntnis über 1. die Motive gesetzgeberischer Entscheidungsfindung, 2. die Auslöser des Entscheidungsprojektes, 3. die Zielrichtung 4. die Folgen, 5. die Kosten für die Gesamtgesellschaft, 6. die Stellungnahmen der Betroffenen 7. die Einflußnahme von Interessengruppen, 8. die Regelungen, die in anderen Ländern zu gleichen Problemen schon existieren und die gemachten Erfahrungen, 9. ausreichende Zeit zur Entscheidungsfindung.
4. Chancengleichheit der Entscheidungsträger in Ausübung kompetenzmäßiger Mitwirkungsrechte Das demokratische Gesetzgebungsverfahren ist auch ein pluralistisches. Schon längst ist der Anspruch des reinen Repräsentationsgedankens aufgegeben, daß die gewählten Vertreter des Volkes als alleinige Repräsentanten oder die diesen Repräsentanten verantwortliche Exekutive die Entscheidungen alleine treffen. 538 Die Wirklichkeit des pluralistisch-demokratischen Entscheidungsprozesses besteht aus einem dichtgeknüpften Netz von Einflußnahmemöglichkeiten der Betroffenen und der interessierten gesellschaftlichen Verbände. 539 Entscheidungen fallen innerhalb dieses Kommunikationsstromes, auch wenn sie formal an anderer Stelle gefällt werden. Aus diesem Grunde ist es von großer Bedeutung, das Verfahren dieses Kommunikationsstromes demokratischen Erfordernissen anzupassen. Dabei geht es nicht alleine um die notwendige Transparenz, sondern insbesondere auch darum, daß innerhalb dieses Prozesses 538
Vgl. dazu Noll, P., in: Klug, U. / Ramm, Th. / Rittner, F. u. a. (Hg.), der diesen Anspruch als Fiktion bezeichnet (S. 61): „Vergleicht man den Gesetzgebungsprozeß mit dem gerichtlichen Prozeß oder dem Verwaltungsverfahren, so fällt auf, daß bei der Gesetzgebung die Mitwirkungsrechte der Betroffenen in der Regel nicht weiter reichen als die allgemeinen politischen Rechte der Bürger als Wähler oder Stimmberechtigte. Dahinter steht die Vorstellung, daß von den gesetzlichen Regelungen wegen ihrer 'Allgemeinheit' alle in gleicher Weise betroffen würden. Daß dies eine Fiktion ist, liegt auf der Hand." 539
Vgl. Fußnote 107.
.
ncengeiheit der Entscheidungsträger
283
Chancengleichheit der Einflußnahme besteht. So geht es schlechterdings nicht an, daß ein Verband - von der Öffentlichkeit unbemerkt - einen 'heißen Draht' zu dem für seinen Bereich zuständigen Ministeriumsreferenten besitzt und dort Gesetzesinitiativen anregen kann, während andere Interessen unberücksichtigt bleiben, weil diese eine schwächere Vertretung haben. Dies widerspricht nicht nur rechtsstaatlich demokratischen Anforderungen, sondern hat auch zur Folge, daß die Akzeptanzbereitschaft der in den Verfahren Benachteiligten Schaden nimmt. Sicherlich betrifft letzteres nicht die Wirksamkeit der so zustandegekommenen Regelung, kann aber unter Umständen deren Effektivität beeinträchtigen. 540
540 Vgl. dazu auch Rödig, J., Stellenwert der Gesetzgebungstheorie, S. 29: „Wird das Gesetz dagegen als etwas entweder mit Überzeugung zu Befolgendes oder aber durch ein neues Gesetz zu Substituierendes betrachtet, so besteht die Aussicht, daß auch die durch juristische Gesetze angesprochene Bevölkerung diese Gesetze als zumindest partiell ihren Einfluß unterworfen betrachtet. Solange die von einer positiven Rechtsordnung betroffenen Personen diese Rechtsordnung als eine fremde Kraft betrachten, der sie zwar ausgesetzt sind, auf die sie jedoch nicht selbst Einfluß zu nehmen vermögen, wird es schwer halten, die Bereitschaft zur Akzeptierung der getroffenen Regelungen zu stärken. Die Autorität des Gesetzgebers muß in einem möglichst aktuellen Konsens aller Betroffenen bestehen..."
I I I . Effektivitätsvoraussetzungen demokratisch-rechtsstaatlicher Gesetzgebung Neben den Grundvoraussetzungen demokratischer Entscheidungsfindung müssen noch andere Kriterien im Gesetzgebungsverfahren berücksichtigt werden, um ein Höchstmaß an Effektivität der erstrebten Regelung zu erreichen. 541 Dabei erscheint in diesem Zusammenhang die Terminologie, daß ein Gesetz effektiv ist, wenn es befolgt, ineffektiv, wenn es nicht befolgt wird, zu eng. Die Effektivität einer gesetzlichen Regelung ist auch an anderen Kriterien zu messen, ζ. B. von der Kosten-Nutzen-Analyse gesamtgesellschaftlicher Wirkungen her oder auch danach, ob die damit verbundenen Absichten erreicht wurden. Ein weiter Effektivitätsbegriff für die Gesetzgebung schließt auch die Effektivität des Zustandekommens der Gesetze mit ein. Der hier verwendete Effektivitätsbegriff beinhaltet die Abgrenzung zu den unabdingbaren Grundvoraussetzungen demokratischer, rechtsstaatlicher Gesetzgebung. Während diese bei ihrer Verletzung Konsequenzen für die Wirksamkeit des Gesetzes nach der hier vertretenen Auffassung zeitigen müssen, ist die Nichteinhaltung von Effektivitätsvoraussetzungen zwar beklagenswert und dem Gesetzgeber vorwerfbar, unterliegt jedoch nur der politischen Kontrolle. Darüber, ob solche Effektivitätskriterien nicht zu den Grundbedingungen demokratischer Gesetzgebung gehören, deren Verletzung unter Umständen sogar die Konsequenz der rechtlichen Fehlerhaftigkeit des Gesetzes zur Folge haben kann, läßt sich allerdings durchaus diskutieren. Eine solche Diskussion ist um so dringlicher, da zu Beginn der Entwicklung einer demokratischföderalen Gesetzgebungstheorie der Grund, auf den man baut, vorsichtig auf seine Tragfähigkeit hin erprobt werden muß.
541 Vgl. dazu grundsätzlich Noll, P., Die Berücksichtigung der Effektivität der Gesetze bei ihrer Schaffung, in: Öhlinger, Th. (Hg.), Methodik der Gesetzgebung, Wien / New York 1982, S. 13 Iff. Ferner Hugger , W., Legislative Effektivitätssteigerung: Von den Grenzen der Gesetzesevaluierbarkeit zum Gesetz auf Zeit, PVS 1979, S. 202ff; Ryffel, H., Bedingende Faktoren der Effektivität, in: Rehbinder, M. / Schelsky, H. (Hg.), Zur Effektivität des Rechts, Jahrbuch für Rechtssoziologie und Rechtstheorie Bd. 3, Gütersloh 1972, S. 225ff. Allgemein zur Effizienzproblematik Wildavsky, Α., Politische Ökonomie der Effizienz: Kosten-Nutzen-Analyse, Systemanalyse, Programmbudget, in: Reckenwald, A. C. (Hg.), Nutzen-Kosten-Analyse und Programmbudget, Tübingen 1970, S. 365ff.
III. Effektivitätsvoraussetzungen demokratisch-rechtsstaatlicher Gesetzgebung
285
Diejenigen Staats- und Verwaltungsrechtler, die sich mit der Thematik befassen, neigen ganz offensichtlich dazu, die Frage der Effektivität mit zum Bereich der unabdingbaren Grundvoraussetzungen demokratischer Gesetzgebung zu zählen, deren Außerachtlassung rechtliche Konsequenzen, bis zur Nichtigkeit des Gesetzes, nach sich ziehen kann. Am weitesten geht Graf Pestalozza, der dem Gesetzgeber, mit Blick auf die über den Wortlaut der Verfassung hinausweisenden Begriffe wie Gemeinwohl und öffentliches Interesse eine „andauernde Optimierungspflicht" auferlegt, die über das verfassungsrechtliche Minimum hinausgeht.542 Wenn hier eine Aufteilung von Kriterien des demokratisch-föderalen Gesetzgebungsprozesses in unabdingbare Grundvoraussetzungen und solche, die der Effektivitätssteigerung dienen, vorgenommen wird, dann geschieht dies in der Überzeugung, daß man bei der Formulierung von Elementen einer Gesetzgebungstheorie des demokratisch-föderalen Bundesstaates mit Vorsicht zu Werke gehen muß. Angesichts der Gesetzgebungspraxis erscheint es zuvörderst geboten, die aufgezählten Grundvoraussetzungen praxisgerecht auszuarbeiten und als Maßstab des 'trefflichen' demokratischen Gesetzgebungsverfahrens zur Verfügung zu haben. Wenn man auch noch die sicherlich bedeutenden Punkte, die hier unter Effektivitätsoptimierungskriterien genannt wurden, mit zu den unabdingbaren Grundvoraussetzungen zählt, dann gerät man in die Gefahr, nichts für die Verfassungspraxis bewirken zu können. Mag dies noch um den Preis wissenschaftlicher Redlichkeit hingenommen werden können, so ist aber eine andere, oben schon benannte Gefahr, nicht als Risiko zu rechtfertigen. Eine Verrechtlichung der Effektivitätskriterien würde mit großer Wahrscheinlichkeit ein weiteres Eindringen der Verfassungsjustiz in den politisch-gestalterischen Raum zur Folge haben. Deshalb soll auch eine geforderte Optimierungspflicht' des Gesetzgebers, nicht zu verwechseln mit 'optimaler Methodik', nicht zu den Grundvoraussetzungen der Gesetzgebung mit entsprechenden Folgen bei ihrer Verletzung, sondern zu den Effektivitätsvoraussetzungen gezählt werden. Bei ersteren geht es mehr um den Inhalt der Norm der 'optimal' sein sollte, bei letzteren um das Verfahren der Entscheidungsfindung. Darauf ist zurückzukommen. 543 Beides steht insofern in engem Zusammenhang, wie optimale Methodik mehr Gewähr für optimalen Inhalt bietet, als Verfahrensweisen, die der Zufälligkeit mehr oder minder Raum bieten. Auch die Frage der Notwendigkeit eines Gesetzes soll mit zum Bereich der Effektivität gesetzgeberischen Handelns gezählt werden. Ein Gesetzgeber, der 542 543
Pestalozzi Ch. v., NJW, S. 2086.
Vgl. unten den Abschnitt 'Die Schranken der verfassungsrechtlichen Verfahrensüberprüfving Mindestanforderungen und nicht optimale Methodik'.
III. Effektivitätsvoraussetzungen demokratisch-rechtsstaatlicher Gesetzgebung
überflüssige Gesetze produziert, handelt einsichtigerweise kaum effektiv in seiner Aufgabenerfüllung, da die darauf verwendete Zeit anderen notwendigen Gesetzgebungsregelungen abgeht. 544 Neben der Notwendigkeit als Effektivitätskriterium sind Fragen der Qualität des Gesetzgebungspersonals, der Implementationskontrolle, das Zeitmoment, antizipierte Simulierung, wichtige Fakten, die zur Effektivitätssteigerung oder -minderung beitragen können.
1. Die Notwendigkeit gesetzlicher Normierung Angesichts der beklagten Vielzahl der Gesetze wird versucht, einen Damm gegenüber dem Gesetzgeber, dessen gewaltige Gesetzgebungsressourcen - vor allem in der Ministerialbürokratie, aber natürlich auch im Parlament, sowie im davorgelagerten Parteien- und Lobbybereich - die im Rahmen des rechtlich und politisch Machbaren, ständig auf neue Normierungen drängen, zu errichten. Die Vorschläge und Appelle reichen vom Aufruf zur Rückgewinnung gesetzgeberischer Distanz, 545 Entfeinerung von Gesetzen,546 ausdrücklicher verfassungsgerichtlicher Überprüfung der Notwendigkeit, 547 bis hin zur Erwägung, Gesetzgebungsentlastung durch private Rechtssetzung zu erreichen. Von all diesen Vorschlägen, die die Absicht verfolgen, den staatlichen Gesetzgeber zu entlasten und damit die verbleibende Gesetzgebung effektiver zu machen, die jedoch alle im Kern die Notwendigkeit der Regelung durch den staatlichen Gesetzgeber im Blickpunkt haben, soll diese in ihrer Eignung als Begrenzungselement überflüssiger Gesetzgebung näher behandelt werden. Insbesondere muß die These, daß die Notwendigkeit einer Regelung, Voraussetzung ihrer Rechtmäßigkeit sein soll, kritisch überprüft werden. Zu Recht unterstreicht Kloepfer 548 , daß direkte Aussagen über das zulässige Höchstmaß an Normierung im Grundgesetz nicht enthalten seien, und daß die Wesentlichkeitstheorie nicht so interpretiert werden dürfe, daß der Gesetzgeber nur Wesentliches regeln könne.
544 Zur vergleichbaren Problematik auf Erlaßebene siehe Schweitzer, R. J., Die Prüfung der Notwendigkeit neuer Erlasse, in: Klug, U. / Ramm, Th. / Rittner, F. u. a., Gesetzgebungstheorie, Juristische Logik, Zivil-und Prozeßrecht. Gedächtnisschrift für Jürgen Rödig, Berlin / Heidelberg / New York 1978, S. 66ff. Zu Fragen der Effizienz auf Exekutivebene Timmermann, M., Effizienz der öffentlichen Verwaltung, Verw. Arch. 1979, S. 31 Iff. 545
Kloepfer , M., VVDStRL, S. 75.
546
Wagener, F., Der öffentliche Dienst im Staat der Gegenwart, VVDStRL 1979, S. 215ff. (S. 254ff.); vgl. auch Leisner, W., 'Gesetz wird Unsinn'. Grenzen der Sozialgestaltung im Gesetzesstaat, DVB11981, S. 849ff. (S. 854 m. w. N.). 547
Vgl. Pestalozza, Ch. v., NJW, S. 2083; Schweitzer, R. J., in: Klug, U. / Ramm, Th. / Rittner, F. u. a., S. 67. 548
Kloepfer,
M., VVDStRL.
2. Das Gesetzgebungspersonal
287
Wenn er jedoch anschließend einen rechtlichen Anknüpfungspunkt für die Einbeziehung der Notwendigkeit in die Prüfung der Rechtsmäßigkeit einer gesetzlichen Regelung in dem aus rechtsstaatlichen Erwägungen abzuleitenden Übermaßverbot zieht, dann beschränkt sich dies auf eingriffsorientierte Normen. Aber selbst hier ist größte Zurückhaltung der Jurisdiktion geboten, da auch zwischen Maß und Übermaß die Entscheidungslinie oft auf der schwer zu ziehenden Grenze zwischen Recht und Politik liegt. Nicht eine Ausdehnung verfassungsrechtlicher Prüfungsbefugnis, und sei es auch zu einem begrüßenswerten Zweck, ist geboten, sondern eine Rückbesinnung auf die originäre Zuständigkeit der Verfassungsgerichtsbarkeit zu der mit Sicherheit nicht das rechtspolitische Ziel gehört, die Zahl der Gesetze auf das notwendige Maß zu begrenzen.
2. Das Gesetzgebungspersonal a) Die Exekutivebene Es ist einsichtig, daß zwar Grundvoraussetzungen demokratischen Gesetzgebungsverfahrens so formalisiert werden können, daß die Abweichungsmargen gering gehalten und dabei auch ständig überprüft und korrigiert werden können, die Effektivität des Verfahrens im wesentlichen aber von der Qualität des Gesetzgebungspersonals auf allen Ebenen abhängig ist. Allerdings spielt die Qualität des Gesetzgebungspersonals auch in Bezug auf die Erfüllung der Grundvoraussetzungen insofern eine Rolle, als daß es wünschenswert ist, daß die entwikkelten Grundvoraussetzungen, wie ζ. B. die Abwägung von Alternativen nicht lediglich formal erfolgt (ζ. B. daß die Entscheidenden von vornherein, ohne sich sachkundig gemacht zu haben, aufgrund von Interesseneinflüssen eine festgelegte Meinung haben), sondern daß das Gesetzgebungspersonal auch in der Lage und willens ist, die demokratischen Grundvoraussetzungen zu realisieren. So ist eine Beschäftigung mit den Menschen, die Gesetze machen, sowohl unter dem Gesichtspunkt der Effektivität als auch der Durchsetzung guter demokratischer Gesetzgebung notwendig. Dabei sind die zwei Hauptebenen der Gesetzgebung, die Ministerialbürokratie und die parlamentarische Ebene, zu unterscheiden. aa) Ministerialbeamte Wie schon im empirisch deskriptiven Teil zu dem exemplarischen Fall eines Gesetzgebungsverfahrens ausgeführt wurde, sind Ministerialbeamte auf Referentenebene stets potentielle Gesetzgeber. Sie beobachten ihren Bereich, für den sie zuständig sind, werden mit Anregungen und Wünschen aus dem gesell-
III. Effektivitätsvoraussetzungen demokratisch-rechtsstaatlicher Gesetzgebung
schaftlichen Bereich, der in ihr Zuständigkeitsgebiet fällt, versorgt, werden von Parlamentariern, die sich als Lobbyisten für bestimmte Interessen verstehen, ebenfalls informiert und mit Anregungen und Wünschen bedacht. Der Referent ist es in der Regel, der gesetzgeberische Initiativen innerhalb der Exekutive, in der Mehrzahl aller Fälle, auf den Weg bringt. Er ist es, der aufgrund seines Sachverstandes und der bei ihm zusammenlaufenden Information aus allen Ebenen zu einer der bestinformiertesten Personen in dem speziellen Bereich gehören sollte. Von ihm hängt es in großem Maße ab, ob der Regelungsbedarf erkannt und befriedigt wird, ob der Status quo verfestigt oder dynamische Weiterentwicklungen gefördert werden. Diese starke Stellung des zuständigen Referenten ergibt sich aus den Gegebenheiten innerhalb der Ministerialbürokratie mit ihren strikten Zuständigkeitsbereichen und Kompetenzabgrenzungen. Im Normalfall weniger bedeutender Gesetzgebungsvorhaben wird der Referent den Regelungsbedarf aufgrund eigener Erkenntnis, oder angeregt durch Einflüsse außerhalb der Exekutive den höheren Stellen der Exekutive zur Kenntnis bringen. Dies liegt auch in seinem Interesse, da seine Vorgesetzten einen initiativen Mitarbeiter vor sich sehen. Die Vorgesetzten und die Spitze des Hauses werden in den seltensten Fällen bremsend tätig werden, da sie dem Sachverstand des Referenten in der Regel nicht Gleichwertiges entgegenzusetzen haben, insbesondere wenn das Projekt von den betroffenen Interessenten im gesellschaftlichen Bereich gefordert wird, und es ihnen in der Regel auch willkommen ist, daß ihr Haus Aktivität nach außen hin zeigt. 549 Wie stünde in der Praxis ein Minister da, dessen Haus bei den üblichen Berichten an das Kanzleramt oder auf Länderebene an die Staatskanzleien über geplante Vorhaben, eine allzu dürftige Bilanz aufzeigte. Wenn es demnach so ist, daß dem einzelnen Referenten oder auch Gruppen von Referenten im Gesetzgebungsprozeß eine kaum zu überschätzende Rolle zukommt, dann ist die Frage zu stellen, welche Qualifikation diese Beamten spezifisch für die Gesetzgebung prädestiniert oder welche Qualifikationen sie aufweisen sollten, um optimal an der Gesetzgebung in so entscheidender Weise mitwirken zu können. Wie auch in dem beschriebenen Gesetzgebungsprozeß sind in der Regel in erster Linie Juristen in der höheren Ministerialbürokratie die potentiellen Gesetzgeber. Bekanntlich wurden sie während ihrer Ausbildung nicht mit Gesetzgebungsfragen vertraut gemacht, sondern nur als Rechtsanwender ausgebildet.
549 Kloepfer, M., VVDStRL, S. 72: „Gesetze können gerade auch der persönlichen politischen Profilierung von Ministern und MinisterialbUrokraten dienen: das Gesetz als Ministerdenkmal oder als Instrument der Karriereverbesserung für Beamte."
2. Das Gesetzgebungspersonal
289
So ist es nicht verwunderlich, daß das Hauptaugenmerk dieser Gesetzgeber auf die technokratische Effektivität der anstehenden Regelungen gerichtet ist, und wenig Platz für andere gesellschaftspolitische Implikationen bleibt. 550 Solange man aber die Fiktion des unpolitischen Beamten aufrechterhält, der ohnehin kein politisch-gesellschaftliches Gestaltungsmandat besitzt, wird der Ministerialbeamte, wie manch andere auch, die tatsächliche Macht ausüben ohne dafür ausreichend ausgebildet oder legitimiert zu sein, gesetzgeberisch tätig werden. Es wird noch ein weiter Weg sein, an den juristischen Fakultäten das Fach Gesetzgebungslehre zu integrieren und sei es auch nur als Bestandteil der Lehre des öffentlichen Rechts. Noch länger wird es dauern, bis Ministerialbeamte gesetzgeberische Fortbildungskurse in den Universitäten besuchen können. Solange jedoch nicht bei der Aus- und Fortbildung derjenigen, die die Gesetze in ganz entscheidendem Maße gestalten, angesetzt wird, ist es müßig, über die mangelnde Qualität oder ein Zuviel an Gesetzgebung zu klagen, da diese Kritikpunkte ihre Ursache in erster Linie in der Qualität des Gesetzgebungspersonals finden. Unrichtigerweise werden diese beklagenswerten Folgen in der öffentlichen Meinung jedoch zunächst den anderen an der Gesetzgebung beteiligten Personen zugeschrieben, den Parlamentariern. Sicherlich kann und darf in der Demokratie moderner Prägung Gesetzgebung nicht allein „das Werk einer streng wissenschaftlich gesonnenen Ministerialbürokratie" 551 sein, das vom Parlament „fast ohne Modifikation und Vorbehalte sanktioniert wird" 5 5 2 . Fest steht jedoch, daß die Ministerialbürokratie einen ganz erheblichen Einfluß im Gesetzgebungsprozeß einnimmt. Bei der Ausfüllung dieser Rolle kann sie sich nicht allein auf die strenge wissenschaftliche Gesinnung beschränken, mit der die Besten seinerzeit die großen Kodifikationen angingen. Notwendig erscheint aber, daß die Ministerialbürokratie sich auch vom Selbstverständnis und den Ausbildungs- und Fortbildungsmaßstäben ihrer Rolle mehr als bisher bewußt wird.
550
Vgl. Schneider, H., S. 58: „Spezialisierte Referenten laufen Gefahr, sich so zu verhalten wie die Museumsdiener im Louvre: sie kennen nur ihre Vitrine, wissen aber nichts über den benachbarten Saal. Wer lange Zeit mit einem relativ schmalen Sektor befaßt ist, neigt dazu, seine Regelungsvorschläge besonders detailliert zu konzipieren." 551 552
Wieacker, F., Privatrechtsgeschichte, S. 459. Kühler, F., JZ, S. 646.
III. Effektivitätsvoraussetzungen demokratisch-rechtsstaatlicher Gesetzgebung
bb) Exekutivführung Angesichts der Tatsache, daß der Schwerpunkt der Gesetzgebungsarbeit im Bereich der Exekutive liegt, müßte ihrer Führung naturgemäß eine große, wenn nicht die entscheidende Bedeutung für den Gesetzgebungsprozeß zukommen. Dies ist aus mancherlei Gründen in der Praxis nicht der Fall. Zu oft ist diese Führung ihrer Bürokratie mehr oder minder hilflos ausgeliefert. Nichtsdestoweniger ist dies kein unabänderlicher Zustand, wie bei der Behandlung der funktional-verfassungsrechtlichen Voraussetzungen der Gesetzgebung zu zeigen sein wird. Die soziologisch-politischen Bedingungen, unter denen die Exekutivführung arbeitet, sind in ihrer Komplexität in Teil I dargestellt worden, hier sollen deshalb nur noch einige ergänzende Anmerkungen gemacht werden. Die Exekutivspitze, die schließlich die Verantwortung für die in ihrem Haus erarbeiteten Gesetze übernimmt, und dies durch ihre Unterschrift auf den Referentenentwurf und die politische Begründung und Verteidigung des Entwurfs im Kabinett und Parlament deutlich macht, ist genausowenig auf die Gesetzgebungsarbeit vorbereitet wie die Beamten. Noch schwerer wiegt, daß nicht einmal gewährleistet ist, daß sie auf die Leitung eines großen 'Apparates' vorbereitet ist. Das parlamentarische System bringt es mit sich, daß die Auswahlkriterien für die Berufung zum Minister nicht nach Gesichtspunkten der Rationalität, die den Blick auf besondere Fähigkeiten zwingen würde, aufgestellt werden. Kompetenz tritt oft hinter Kriterien wie Regional- oder Flügelproporz und ähnlichem zurück. Mit großem Scharfblick analysiert Sören Kierkegaard schon vor über 100 Jahren diesen unbefriedigenden Zustand: „Die Staatsklugheit in den modernen Staaten ist nicht die, wie man sich verhalten solle, wenn man Minister ist; sondern wie man sich verhalten solle, um Minister zu werden; mehr weiß man nicht, so daß man eigentlich seine Weisheit verbraucht in einer Art Einleitungswissenschaft zum Ministerwerden. ... In einer älteren Zeit, als mehr Ruhe im Dasein war, gab es nur wenige, die sich Hoffnung machen konnten, Minister zu werden; diese hatten dann Zeit, sich dazu auszubilden, es zu sein. Jetzt steht die Möglichkeit für jeden offen; das Gedränge, es zu werden, ist so groß, daß eine ganze Kunst nötig ist, sich womöglich hindurchzudrängen, um es zu werden. Dazu bilden sie sich dann aus, verbrauchen Zeit und Fleiß für dieses Studium und dann wird einer Minister, aber mehr weiß er nicht. Ganz treuherzig könnte er sagen: ich habe mich nicht dazu ausgebildet, Minister zu sein, sondern Minister zu werden; und in dieser Hinsicht habe ich ja gezeigt, daß ich beschlagen war." 5 5 3
553
Kierkegaard,
S., Die Tagebücher, Düsseldorf / Köln 1980, S. 183f.
2. Das Gesetzgebungspersonal
291
Auch im demokratisch-pluralistischen Parteienstaat kann in der Tat jeder unabhängig von Fähigkeiten und beruflichen Voraussetzungen ein Ministeramt übertragen bekommen. Da dies eine der Bedingungen unserer Ordnung ist, muß um so mehr darauf geachtet werden, daß das Procedere des Gesetzgebungsprozesses innerhalb der Ministerialbürokratie in transparenten, kontrollierbaren Bahnen verläuft, die dem verantwortllichen Minister durchschaubar sind, aber besonders auch den später endgültig entscheidenden Parlamentariern, da aus den genannten Gründen, ein Minister selbst bei großer Transparenz der Entstehungsgeschichte eines ihm vorgelegten Entwurfs seines Hauses nicht unbedingt in der Lage ist, oder auch nicht die Zeit aufwenden will, noch einmal wenigstens sich kursorisch die Entwicklungsgänge der Gesetzgebungsentwurfsarbeit und deren wichtigste Punkte zu vergegenwärtigen. Selbst bei dem dargestellten Procedere zum Zustandekommen der hessischen Hochschulgesetzgebung, bei der sich der zuständige Minister, wie dargestellt, in hohem Maße persönlich in die Materie eingearbeitet hatte, die verschiedenen Entwicklungsstufen der Entwurfsarbeit ständig verfolgte und auch beeinflußte, gab es zahlreiche Punkte der Gesetzgebung, bei denen er schlicht die Entscheidung der Ministerialbürokratie akzeptierte, ohne selbständig die Alternative, die es gab, zu prüfen. Nicht selten war ihm überhaupt unklar, daß es solche Alternativen gab. Insofern ist auch ein im Kierkegaardschen Sinne zum Minister-Sein Befähigter nicht unbedingt unter den Zwängen eines solchen Amtes in der Lage, wirkliche Entscheidungsfreiheit zu praktizieren, d. h. sich so sachkundig zu machen, daß er zwar mit Hilfe seines Hauses, aber letztlich selbst in wichtigen Fragen selbständig unter Berücksichtigung der Alternativen entscheiden könnte.
b) Parlamentsebene Wenn von einem Ministerialbeamten, der mit Gesetzgebungsarbeit befaßt ist, erwartet werden muß, daß er die Erfüllung seiner Aufgabe in der Ausbildung gelernt und in der beruflichen Praxis vertieft hat, so kann man von dem gewählten Parlamentarier als Repräsentanten des Volkes nicht erwarten, daß er Gesetzgebung gelernt hat, ja man darf nicht einmal die Anforderung stellen, daß er/sie sich in einem bestimmten Gebiet des gesellschaftlichen Lebens spezialisiert haben. 554 Ferner sollte man nicht davon ausgehen, daß wenn schon nicht
554 Die Voraussetzungen, die an das Gesetzgebungspersonal zu stellen sind, faßte Bluntschli, J. C., exemplarisch zusammen (S. 552): „Es wird von der Verfassung anerkannt, dasz die Mehrheit der Bürger die Musze und die Fähigkeit nicht habe die Selbstregierung, die sie als ihr natürliches Recht in Anspruch nimmt, auch thatsächlich auszuüben. Aber es wird der Mehrheit so viel Interesse an dem Stat und so viel Einsicht zugeschrieben, dasz sie sich bei den Wahlen betheilige und die tüchtigsten Männer für die Repräsentation zu finden wisse."
20 Mengel
III. Effektivitätsvoraussetzungen demokratisch-rechtsstaatlicher Gesetzgebung
Klugheit, dann aber Lebenserfahrung dem parlamentarischen Mandat immanent sein müßte. Dem heutigen Gesetzgebungspersonal auf parlamentarischer Ebene und hier besonders auf Landesebene, wird man realistischerweise am ehesten gerecht, wenn man keinerlei spezifische Anforderungen stellt. Wissenschaftliche Betrachtungen zum Gesetzgebungspersonal auf parlamentarischer Ebene haben von der Tatsache auszugehen, daß in den Parlamenten genauso viel Klugheit und Dummheit, genausoviel Kompetenz und Inkompetenz vorhanden ist, wie in der übrigen Bevölkerung. Daran ändert auch die Tatsache, daß einzelne Berufsgruppen sehr viel stärker als andere vertreten sind, nichts. Das Übergewicht der Beamten in den Parlamenten sagt noch lange nichts über eine höhere geistige Kapazität der Parlamente aus. Wer einen repräsentativen Querschnitt der Bevölkerung im Parlament vertreten sehen will, kann dieser pessimistischen Einschätzung der Qualität der Abgeordneten nicht einmal kritisch gegenüberstehen. Im Gegenteil, in den Aufstellungskonferenzen der Parteigliederungen für die Parlamentskandidatenwahl geht es oft nicht darum, ob der in Aussicht genommene Kandidat den intellektuellen und moralischen Anforderungen als Gesetzgeber gewachsen sein wird, sondern es genügt, wenn er einer bestimmten Schicht der Bevölkerung als Arbeiter oder Landwirt angehört, um ihn als geeignet erscheinen zu lassen. Hinzu kommt, daß zur Erreichung des Zieles der Aufstellung als Kandidat oft ganz andere Qualitäten erforderlich sind als solche, die den guten Gesetzgeber ausmachen. Wer taktisch geschickt, opportunistisch, trinkfest, ohne große moralische Grundüberzeugung ist, mag es leichter haben als der kluge, integre Bürger, der ein solches Mandat eher als Dienst an der Gesellschaft, denn als Berufsersatz sieht. Wie dem auch sei, die wissenschaftliche Beschäftigung mit der Gesetzgebung hat die Fakten so zu berücksichtigen, wie sie sind. Das pessimistische Bild wird allerdings dadurch aufgehellt, daß trotz des Auswahlverfahrens der Parlamentskandidaten, das denkbar ungeeignet ist, gute Gesetzgeber zu finden, es bislang stets gelang, genügend kompetente Abgeordnete in die Parlamente zu bringen, um deren Funktionsfähigkeit zu erhalten. Dies bedeutet allerdings in letzter Konsequenz, daß die faktischen Gesetzgeber im Parlament nicht etwa alle Abgeordneten sind, sondern nur eine kleine Anzahl von Spezialisten, denen die Mehrheit der Abgeordneten bereit ist zu folgen.
der Bürger die Musze und die Fähigkeit nicht habe die Selbstregierung, die sie als ihr natürliches Recht in Anspruch nimmt, auch thatsächlich auszuüben. Aber es wird der Mehrheit so viel Interesse an dem Stat und so viel Einsicht zugeschrieben, dasz sie sich bei den Wahlen betheilige und die tüchtigsten Männer für die Repräsentation zu finden wisse."
3. Impulswirkungen zur Gesetzgebung
293
Wie bei den gesetzgebenden Ministerialbeamten wäre es auch für Abgeordnete nützlich, sich etwa in wissenschaftichen Veranstaltungen mit den Bedingungen moderner Gesetzgebung vertrauter zu machen. Aber auch hier sind keinerlei Ansätze auszumachen. Offenbar herrscht bei aller Kritik an der Qualität der Parlamentsarbeit die Ansicht vor, daß es den Abgeordneten nicht zugemutet werden dürfe, sich über grundsätzliche Mechanismen und Bedingungen der Gesetzgebung sachkundig zu machen. Zwar wird in unserer Gesellschaft kein Lehrling an eine Maschine gelassen, bevor er deren Wirkung und Funktionieren nicht erkannt hat, die gesetzgebenden Abgeordneten dürfen die Gesetzgebungsmaschinerie vom ersten Tag an ohne Bedenken mitbedienen. So ist auch die Gefahr nicht zu unterschätzen, daß die den Abgeordneten zur Seite stehenden Kräfte, wie Assistenten, die oft vertrauter mit den Bedingungen gesetzgeberischer Arbeit sind, weitgehenden Einfluß haben, und so, anstatt die Entscheidungsfreiheit des Abgeordneten sichern zu helfen, zu einem Problem der Legitimation von Einfluß werden. 555
3. Impulswirkungen der Gesetzgebung Von nicht unerheblicher Bedeutung für den Prozeß der Gesetzgebung ist, aufgrund welcher Impulse sich eine Gesetzgebungsmaschinerie, mit dem Ziel eine gesetzliche Regelung zu schaffen, in Gang setzt. 556 Der Zugang zu diesem auslösenden Faktor hat sehr viel mit der demokratischen Qualität des gesamten Gesetzgebungsverfahrens zu tun. Haben lediglich starke gesellschaftliche Gruppen oder gar Einzelpersonen mit einem 'guten Draht' zu Teilen des Gesetzgebungsapparates, insbesondere der Ministerialbürokratie die Chance, Gesetzgebung anzuregen oder ist dies auch kleineren gesellschaftlichen Gruppen oder einzelnen Bürgern ohne jegliche Beziehungen möglich? Ist es sogar so, daß das Gesetzgebungspersonal auf allen Ebenen sich all solchen Impulsen, die aus der Gesellschaft kommen, verschließen muß? Wenn in der Demokratie dem Gesetz im großen Maße gesellschaftlichgestaltender Charakter zukommt, dann ist es auch unabdingbar, daß die Gesetzgebung gestalterische Impulse aus der Gesellschaft aufnimmt.
555 Vgl. Gluckert, J., Die neuen Assistenten der Abgeordneten, ZParl 1969, S. 35ff; Hirsch, H.K., Die persönlichen parlamentarischen Mitarbeiter der Bundestagsabgeordneten, ZParl 1981, S. 203ff ; Dichgans, H. / Nölting, W., Mehr Assistenten für Abgeordnete?, ZParl 4 (1971), S. 498ff. 556
Vgl. Blankenburg, E., Die Implementation von Recht als Programm, in: Mayntz, R. (Hg ), Implementation politischer Programme, Königstein im Taunus 1980, S. 127ff.
III. Effektivitätsvoraussetzungen demokratisch-rechtsstaatlicher Gesetzgebung
Aufgabe einer Gesetzgebungslehre ist auch, diese Impulswirkungen zu verdeutlichen und damit einen Beitrag zur Rationalisierung der Aufnahme solcher Impulse in den Gesetzgebungsprozeß zu leisten. Wenn diese Impulse als notwendig, zumindestens aber nützlich für die Weiterentwicklung und Stabilität einer demokratischen Gesellschaft angesehen werden, dann müssen Verfahren entwickelt werden, die gewährleisten, daß sie auf demokratisch adäquate und rational-effiziente Weise fruchtbar gemacht werden. Aber auch wenn man meint, die Aufnahme solcher Impulse aus der Gesellschaft unterhöhle den grundsätzlichen Charakter des repräsentativen Systems, dann wird Einigkeit darüber bestehen, daß sie nicht hinwegdiskutiert oder verboten werden können und es dann besser ist, sie in ein durchschaubares Verfahren einzuspeisen.557 Obwohl schon vor zwanzig Jahren die Bedeutung solcher Impulswirkungen zur Gesetzgebung erkannt worden sind, ist auch noch heute die Feststellung von Hermann Hill als berechtigt anzusehen, „daß gerade die Erforschung der präparatorischen Gesetzgebungsarbeiten weithin noch in den Anfängen steckt" 558 . Damit ist nicht das offizielle Gesetzgebungsverfahren mit seinen Initiativrechten nach Art. 76 GG gemeint, sondern das Wirken der „soziologischen Legislativkräfte" (Eichenberger), die im Vorfeld versuchen, eine Gesetzesinitiative auf den Weg zu bringen, zu verhindern, oder ihren Inhalt in ihrem Sinne zu beeinflussen. Gegenstand von Untersuchungen über solcherart gestaltende Kräfte sind daher alle Gründe, Einflußfaktoren und -Subjekte, die die gesetzgebenden Gremien dazu bewegen, normativ tätig zu werden. Empirische Untersuchungen wären auf diesem Felde, insbesondere auch zur wissenschaftlich gesicherten Antwort, für die Gründe der großen Zahl von Gesetzen notwendig. Wenn nämlich die gesellschaftlichen Impulswirkungen in erster Linie dazu führen, daß die Gesetzgebungsmaschinerie auf Hochtouren läuft, kann man allenfalls dem Parlament vorwerfen, nicht standhaft genug diese Gesetzgebungsimpulse zurückzuweisen, aber nicht, daß die Abgeordneten sozusagen die Hauptinitiatoren der Gesetzesflut seien. Tatsächlich kommen aus der Mitte des Bundestages bei weitem nicht die Mehrzahl der Gesetzesvorlagen, so daß eine Empirie der gesellschaftlichen Impulse zur Gesetzgebung nicht nur,
557
Dazu gehört auch die Kanalisierung und Öffentlichkeit der Konflikte, die in diesen gesetzgeberischen Initiativen deutlich werden. Vgl. Kindermann, H., Rechtliche Regelung als Resultat gesellschaftlicher Konflikte, dargestellt an zwei Beispielen aus der Entstehungsgeschichte des BGB, in: Rödig, J. (Hg.), Studien zu einer Theorie der Gesetzgebung, Berlin / Heidelberg / New York 1976, S. 560ff. 558
Hill, H., Impulse zum Erlaß eines Gesetzes, DÖV 1981, S. 487ff.
4. Geschäftsordnung zwischen Autonomie und demokratischer Gesetzgebung
295
aber besonders in den wechselseitigen Beziehungen zwischen gesellschaftlichen Gruppen und Exekutive besonders fruchtbar sein wird. Zu erwarten wäre allerdings eher, daß solche gesellschaftlichen Gesetzgebungsimpulse sich sehr viel leichter und effektiver durch die Abgeordneten in den Gesetzgebungsprozeß transferieren ließen. Diese sollten zumindest doch ihr Ohr sehr viel dichter an der Basis haben als etwa die Ministerialbeamten. Daß dennoch die Impulsrichtung eher auf die Exekutive zielt, läßt mehrere Schlüsse zu. Die Impulse gehen in erster Linie von stark organisierten Interessen aus und nicht etwa von unorganisierten, zufälligen Bürgerversammlungen, die ihren Abgeordneten die eine oder andere Forderung mit auf den Weg geben. Zweitens, die solcherart einflußreichen Interessenverbände suchen sich zur maximalen Effektivierung ihrer Forderung das Impulsziel aus, das am ehesten geeignet erscheint, den Impuls auch aufzunehmen und weiterwirken zu lassen. Dies ist offenbar in den Augen der Interessengruppen die Exekutive.
4. Geschäftsordnung zwischen effizienter Autonomie und Grundvoraussetzungen demokratischer Gesetzgebung Verletzt werden auch Grunderfordernisse rechtsstaatlich-demokratischer Gesetzgebung, und zwar der Grundsatz der Chancengleichheit der Mitwirkung von nichtparlamentarischen Kräften, wenn die Auswahl der Anzuhörenden und zu Beteiligenden völlig in das Belieben des Parlaments gestellt wird. Ferner ist es nicht mit diesen Grundvoraussetzungen vereinbar, wenn die Geschäftsordnung weitgehend, insbesondere bei Ausschußberatungen, die Öffentlichkeit ausschließt, ja in einer Vielzahl von Fällen nicht einmal die Abgeordneten, die nicht Ausschußmitglieder sind, Zutritt haben. Wie dargelegt, besteht dafür aus Effektivitätsgründen keine Notwendigkeit. Schließlich sollten die Geschäftsordnungen mehr als bisher Regelungen anführen, die die Sachgerechtigkeit der Entscheidungsfindung verfahrensmäßig zwar nicht garantieren, jedoch möglicher machen. A l l diese, aus den verfassungsmäßigen Rahmen der Gesetzgebung abzuleitenden Forderungen, die die Geschäftsordnungen bei entsprechender Umsetzung zum Garanten des rechtsstaatlich-demokratischen Gesetzgebungsverfahrens machen können, sind rechtspolitisch nur durchzusetzen, wenn die Verfassungsrechtssprechung ihre Zurückhaltung hinsichtlich der Beurteilung gesetz-
III. Effektivitätsvoraussetzungen demokratisch-rechtsstaatlicher Gesetzgebung
geberischer Verfahrensweisen aufgibt, 559 insbesondere an die Verletzung der Geschäftsordnungsregeln auch Konsequenzen hinsichtlich der Gültigkeit einer Norm knüpft, 560 es sei denn, die entsprechenden Organe der Gesetzgebung kommen selbst zu der Erkenntnis, daß sie das Verfahren über Entscheidungsfindung überdenken müssen. Die Hindernisse für ein Überdenken sowohl in Rechtsprechung als auch Verfassungspolitik haben vielerlei Ursachen. Die Verfassungsgerichtsbarkeit, die, wie zu zeigen sein wird, tatsächlich tief in das inhaltlich-gesetzgeberische Procedere hineingreift, will offenbar durch die Betonung der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers, insbesondere auch im inneren Procedere deutlich machen, daß es die Gewaltenteilung sehr ernst nimmt. Auf der verfassungspolitischen Seite haben die Strukturen der gesetzgeberischen Entscheidungsfindung auf Grundlage der Geschäftsordnung sich offenbar so verfestigt, daß es schwerfällt, Änderungen herbeizuführen, obwohl die langanhaltende Diskussion um Parlamentsreform und Verbesserung der Gesetzgebung zeigen, daß der status quo nicht befriedigend sein kann. Im übrigen wird immer wieder die Scheu deutlich, daß durch von außen kommende Maßstäbe der gesetzgeberischen Verfahrensgestaltung, seien diese auch durch die Verfassung vorgegeben, die politisch notwendige Pragmatik und Spontanität der Entscheidungsfindung gefährdet werden könnte. Einhergehend mit dieser Grundstimmung, die weit verbreitet ist, findet man ein mehr oder minder großes Mißtrauen gegenüber rechtlicher Fixierung allgemein, als würde sich durch das 'laisser faire' das gute Gesetzgebungsverfahren per se herausbilden. Stellvertretend für diese Auffassung, sei August Plate aus dem Jahre 1904 zitiert: „Doch darf man auf schriftliche Festlegung der Form des parlamentarischen Verkehrs keinen allzu großen Wert legen; das parlamentarische Leben muß
559
Daß dies durchaus möglich ist, zeigt schon BVerfGE 1, 144 (151), wo das Gericht zwar konstatierte, daß die Verfassung die Ordnung des Gesetzgebungsverfahrens innerhalb des Bundestages dessen autonomer Satzungsgewalt überlasse, aber gleichzeitig von „unabdingbaren Grundsätzen der demokratischen Ordnung" spricht, an dem sich die Geschäftsordnungsregeln messen lassen müssen. 560 Bislang ist die Geschäftsordnung selbst offenbar für das Gericht kein Maßstab das gesetzgeberische Verfahren zu überprüfen. Vgl. BVerfGE 29, 221 (234): „Auch der weitere Vorwurf greift nicht durch, im Bundestag sei die Geschäftsordnung dadurch umgangen worden, daß die Koalitionsfraktionen in der zweiten Lesung bereits vorbereitete Änderungsanträge für die dritte Lesung zurückgestellt und gleichlautende Anträge der Opposition in der zweiten Lesung abgelehnt hätten, nur um die dritte Lesung der zweiten unmittelbar folgen lassen zu können. Es mag offenbleiben, ob dadurch die Geschäftsordnung verletzt worden ist. Gegen Verfassungsrecht ist hierdurch nicht verstoßen worden. Art. 77 Abs. 1 Satz 1 GG besagt lediglich, daß der Bundestag die Gesetze beschließe; eine Beratung der Gesetzentwürfe in drei Lesungen ist weder ausdrücklich vorgeschrieben noch ist sie Verfassungsgewohnheitsrecht, noch gehört sie zu den unabdingbaren Grundsätzen der demokratischen-rechtsstaatlichen Ordnung."
4. Geschäftsordnung zwischen Autonomie und demokratischer Gesetzgebung
297
sich wie das Leben überhaupt seine Form allmählich bilden und organisch gestalten ,.." 5 6 1 D a b e i braucht die verstärkte Ausrichtung der Geschäftsordnungen an den Grundvoraussetzungen
rechtsstaatlich-demokratischen
Procedere
nicht
not-
wendigerweise m i t einem Verlust derjenigen Flexibilität v o n Geschäftsordnungsregeln einhergehen, die das Bundesverfassungsgericht
schon i n einem
seiner früheren Urteile beschrieben h a t . 5 6 2 N u r kann weder dieser anzuerkennende Anspruch a u f Flexibilität noch deren Einstufung als Probefeld für die parlamentarische Praxis u n d auch nicht die A u t o n o m i e des Parlaments zur Gestaltung seiner inneren O r g a n i s a t i o n 5 6 3 rechtfertigen, daß durch die gewählten Verfahrensweisen rechtsstaatliche und demokratische
Verfassungsgrundsätze
verletzt werden; alle Flexibilität muß sich i m Rahmen der durch das Grundgesetz gesetzten Grenzen bewegen, was i m übrigen ausdrücklich v o m Bundesverfassungsgericht bezüglich der Geschäftsordnung des Bundestages festgestellt wird: „Da die Geschäftsordnung des Bundestages der Verfassung im Range nachsteht (BVerfGE 1, 144 (148)), darf sich ihr Inhalt weder zu den ausdrücklichen Regelungen des Grundgesetzes noch zu den allgemeinen Verfassungsprinzipien und den der Verfassung immanenten Wertentscheidungen in Widerspruch setzen. Zu den Verfassungsgrundsätzen, die der Bundestag bei der Regelung seiner Geschäftsordnungsangelegenheiten zu beachten hat, gehört das Prinzip der repräsentativen Demokratie." 5 6 4 I m Anschluß an diese Aussage besteht Bedarf, die Geschäftsordnungen der Parlamente 5 6 5 daraufhin zu analysieren, u m herauszufinden, ob und w i e w e i t sie
561
Plate , Α., Die Geschäftsordnung des preußischen Abgeordnetenhauses, Berlin 1904, S. Ulf.
562
BVerfGE 1, 144 (149): „Vielfach werden in einer parlamentarischen Geschäftsordnung Bestimmungen aufgenommen, die erst erprobt werden müssen. An solche Regeln in einer parlamentarischen Geschäftsordnung können nach Form und Inhalt nicht dieselben Anforderungen gestellt werden wie an ein Gesetz. Die Bestimmungen einer Geschäftsordnung können Lücken enthalten und bewußt weit gefaßt sein "; vgl. auch Schäfer, F., Der Bundestag, 4. Aufl., Opladen 1982, S. 66: „Richtig verstanden ist die Geschäftsordnung deshalb ein praktisches Instrument, das sich neuen politischen Gegebenheiten immer wieder anpassen muß. Jede Vollkommenheit wäre ihr wesensfremd und würde ihrem Charakter als Probefeld für die parlamentarische Praxis widersprechen." 563
BVerfGE 1, 144 (151); 44, 308 (314f.).
564
BVerfGE 44,308 (315)
565
Vgl. zur Rechtsnatur der Geschäftsordnungen Achterberg, N., Die Deutung der Rechtsnatur der Parlamentsgeschäftsordnung als Folge des Staatsverständnisses, in: Listi, J. / Schambeck, H. (Hg.), Demokratie in Anfechtung und Bewährung. Festschrift für Johannes Broermann, Berlin 1982, S. 317ff; Pietzner, R., Geschäftsordnung, EvStL, 3. Aufl., Stuttgart 1987, Sp. 1100, Altmann, R., Zum Rechtscharakter der Geschäftsordnung des Bundestages, DÖV 1956, S. 75Iff.;
III. Effektivitätsvoraussetzungen demokratisch-rechtsstaatlicher Gesetzgebung den aufgezeigten Maßstäben genügen können. Dabei kommt es insbesondere darauf an, ob sie gewährleisten, daß während der parlamentarischen Gesetzgebungsberatung die dort Entscheidungen Treffenden für die entsprechenden Entscheidungsebenen legitimiert sind, ob die Chancengleichheit der Einflußnahme auf den Gesetzgebungsprozeß sowohl durch den einzelnen Abgeordneten als auch von außerparlamentarischen Interesseneinflüssen geregelt ist. Ferner ob die Transparenz des inneren Gesetzgebungsverfahrens auf parlamentarischer Ebene insbesondere in der Ausschußarbeit 5 6 6 gesichert w i r d und nicht zuletzt, ob verfahrensmäßige Sicherungen in den Geschäftsordnungen vorhanden sind, die gewährleisten, daß der einzelne Abgeordnete, aber auch das Plenum des Parlaments i n voller Entscheidungsfreiheit, d. h. unter der Möglichkeit entscheiden kann, sich bei Bedarf alle notwendigen Informationen, die für die Entscheidung von Bedeutung sind, vor Augen zu führen. Ferner wäre untersuchenswert, ob die Verfahren zur Besetzung der Parlamentsausschüsse den aufgestellten Kriterien einer Demokratie- und Rechtsstaatsoptimierung entsprechen. 5 6 7
Schneider, H., Die Bedeutung der Geschäftsordnungen oberster Staatsorgane für das Verfassungsleben, in: Rechtsprobleme in Staat und Kirche. Festschrift für Rudolf Smend, Göttingen 1952, S. 303ff.; Vonderbeck,, H. J., Geschäftsordnung, in: Das Parlament vom 12.6.1968, S. 12. 566
Vgl. auch Schwerdtfeger, G., in: Stödter, R. / Thieme, W. (Hg.), S. 183: „Im Bereich des Bundestages sind die Ausschüsse die Hauptadressaten der inneren Verfahrensbindungen. Sie müssen den Gesetzesvorschlag in Kenntnis aller wesentlichen Daten und Lösungsmöglichkeiten abwägend durchleuchten ... Das Plenum des Bundestages braucht beim Gesetzesbeschluß nur die wesentlichen Daten und Lösungsmöglichkeiten sowie die zentralen Abwägungserwägungen zu kennen, kann sich ansonsten aber ohne weiteres dem Ausschußvorschlag anschließen."; Schäfer, F., Die Ausschußberatung im Deutschen Bundestag als Teil des politischen Entscheidungsprozesses, in: Wildenmann, R. (Hg.), Form und Erfahrung. Ein Leben für die Demokratie. Festschrift für Ferdinand Hermens, Berlin 1976, S. 99ff. 567 Vgl. Dexheimer, W., Die Mitwirkung der Bundestagsfraktionen bei der Besetzung der Ausschüsse, in: Roll, H.-A., Plenarsitzung des Deutschen Bundestages, Festgabe für Werner Blischke, Berlin 1982, S. 259ff. (S. 259): „Deshalb überrascht es, daß ein wichtiger Aspekt der Wechselbeziehungen zwischen Fraktionen und Ausschüssen bislang nur geringe Aufmerksamkeit gefunden hat: Gemeint ist das Verfahren der Ausschußbesetzung durch die Fraktionen." Diese Arbeit, die empirischen Charakter hat, erstreckt sich auf die Ausschußbesetzung zu Beginn der 9. Wahlperiode, auf den Zeitraum vom 5. Oktober bis 11. Dezember 1980, und umfaßt nur die zwanzig ständigen Ausschüsse, nicht dagegen Wahlmänner- oder Richterwahlausschuß, Enquete-Kommissionen oder Vermittlungsausschuß.
IV. Möglichkeiten einer Implementierung demokratischer Grundvoraussetzungen im Gesetzgebungsprozeß Im folgenden soll der Versuch unternommen werden, Ansatzpunkte zur Durchsetzung der in dieser Arbeit entwickelten Kriterien des inneren Verfahrens demokratischer Gesetzgebung aufzuzeigen. Denn nur bestehende Institutionen und Verfahren bieten die Chance, die genannten Kriterien demokratischer Gesetzgebung letztendlich wirksam werden zu lassen. Die Schwierigkeit der Implementierung von auch noch so bescheidenen Neuerungen und Reformen innerhalb der administrativen und parlamentarischen Institutionen hat bislang gezeigt, daß auch ein solches Unterfangen schon problematisch genug ist, so daß es illusionär wäre, etwa grundsätzlich neue strukturelle Veränderungen im institutionellen Bereich anzustreben, die nichtsdestotrotz kurz in einem Überblick ebenfalls vorgestellt werden sollen.
1. Institutionelle Strukturveränderungen a) Bundesamt für Gesetzgebung In dem Bemühen, die Gesetzgebung zu verbessern, wird auch - allerdings mit noch weniger Aussicht auf Realisierung, als alle anderen institutionellen Vorschläge zu Strukturveränderungen im Gesetzgebungsprozeß - die Einrichtung einer Institution gefordert, die sich neben dem Parlament ausschließlich mit der Gesetzgebung beschäftigen soll. Harald Kindermann bezeichnet diese Institution als Bundesamt für Gesetzgebung,568 wobei er allerdings in einer Anmerkung daraufhinweist, daß es ihm eher auf die inhaltliche, konzeptionelle Institutionalisierung ankomme, als auf die Errichtung eines Bundesamtes für Gesetzgebung: „Ob es wirklich zweckmäßig ist, ein eigenes Bundesamt zu errichten, oder ob eine besondere 'Gesetzgebungsabteilung' im Bundesjustizministerium
568 Kindermann, H., Zur Errichtung eines Bundesamtes für Gesetzgebung, in: Rödig, J. / Baden, E. / Kindermann, H., Vorstudien zu einer Theorie der Gesetzgebung, St. Augustin 1975, S. 147ff.
300
IV. Möglichkeiten einer Implementierung demokratischer Grundvoraussetzungen
einzurichten ist, bleibt damit zunächst noch offen." 569 Offen bleibt auch bei der Forderung Kindermanns, welche Aufgaben im Einzelnen solch eine Institution zugewiesen bekommen soll. 5 7 0 Ist ihr lediglich die Erfolgs- und Wirkungskontrolle verabschiedeter Gesetzgebung zuzuordnen oder soll sie auch aktiv an der gesetzgeberischen Entwurfsgestaltung mitarbeiten? Dagegen wird die Frage, wo dieses Gesetzgebungsamt institutionell angesiedelt werden soll, beantwortet. Nach Kindermann ist lediglich eine Zuordnung zur Exekutive grundgesetzkonform, da „die Ansiedlung des Gesetzgebungsamtes im parlamentarischen Bereich die Rechte der Regierung verkürzen" würde. 571 Die Stichhaltigkeit dieser Behauptung, die in nur sehr unzureichender Weise erläutert wird, könnte nur dann überprüft werden, wenn Klarheit über die Aufgaben einer solchen Institution bestünde. Da die Protagonisten in dieser Aufgabenausgrenzung zurückhaltend sind, soll hier in aller gebotenen Kürze der Versuch gemacht werden, Möglichkeiten einer solchen Institution aufzuzeigen. In Betracht käme, daß dieses Amt den legitimierten Gesetzgebungsinstitutionen bei der Gesetzgebungsarbeit mit wissenschaftlicher Sachkenntnis zur Verfügung stünde. 572 Nur bedarf es dazu wirklich einer neuen Institution, wo doch sowohl Exekutive als auch Legislative auf zahlreichen Wegen Sachverstand mobilisieren können? Des weiteren könnte ein solches Amt eine Koordinierungsfunktion für den Gesetzgebungsprozeß, entweder allein innerhalb der Exekutive, oder aber zwischen Exekuktive und Legislative haben. Aber auch hier ergeben sich nicht geringe Zweifel an der Notwendigkeit. Sicherlich ist die oft mangelnde gesetzgeberische Koordination und Kommunikation zwischen den verschiedenen, an der Gesetzgebung beteiligten Ebenen zu verbessern, nur dies muß auf anderen, noch zu erörternden Wegen erfolgen, als durch die Errichtung eines neuen Amtes. Als andere denkbare Aufgabe eines solchen Amtes käme in Betracht, daß es die an anderer Stelle als notwendig erachtete Wirkungs- und Erfolgskontrolle der Gesetzgebung übernehmen könnte. 573 Vorzuziehen ist jedoch auch hier, daß 569
Ebd., S. 162.
570
Offenbar sollen diese Aufgaben aber recht weit gefaßt werden (ebd., S. 161): „Vergegenwärtigt man sich alle Aufgaben, die dem Bundesamt übertragen werden sollten ..." 571
Ebd., S. 162.
572
So Mußgnug, R. / Bülow, E., Zustand und Perspektiven der Gesetzgebung. Ein Gremium soll die rechtstechnische Überprüfung aller Gesetze vor ihrer endgültigen Verabschiedung übernehmen, ZRP 1988, S. 296ff. 573
Für eine Institutionalisierung solcher Wirkungskontrolle ist auch Noll, P., Gesetzgebungslehre, S. 147; vgl. auch Schröder, H., Zur Erfolgskontrolle der Gesetzgebung, in: Rehbinder, M. / Schelsky, H. (Hg ), Zur Effektivität des Rechts, Jahrbuch für Rechtssoziologie und Rechtstheorie Bd. 3, Gütersloh 1972, S. 271ff. (S. 280). Ob allerdings die historischen Beispiele, die Schröder,
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Strukturveränderungen
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eine solche Kontrolle innerhalb der bestehenden Apparate gewährleistet wird. Ganz abgesehen davon, daß das Koordinierungsproblem der Gesetzgebungsarbeit durch eine weitere institutionalisierte Ebene nicht einfacher würde, ist bei allen Ansätzen zu einer Verbesserung der Gesetzgebungsqualität zu beachten, daß diese auch eine realistische Chance zur Verwirklichung haben. Eine solche besteht zur Zeit nur im Rahmen existierender Institutionen und politischer Strukturen.
b) Übertragung von Gesetzgebungskompetenz auf Ausschüsse Da zu Unrecht oft die mangelnde Qualität der Gesetzgebung auf die Überforderung des Parlaments in seiner Gesamtheit zurückgeführt wird, zielen auch manche Bemühungen darauf, entweder das Parlament insgesamt, oder aber zumindest das Parlamentsplenum von Teilen der Gesetzgebungsarbeit zu entlasten. 574 Ersterem entsprechen die Bemühungen der Exekutive, möglichst viel Rechtssetzungskompetenz in Gestalt von Verordnungen zu übertragen, 575 letzteres soll dadurch erreicht werden, daß den Parlamentsausschüssen weitgehende Aufgaben innerhalb der Gesetzgebungsarbeit zugewiesen werden, 576 oder gar ein gesetzgeberischer Hauptausschuß gebildet wird. 5 7 7
H., S. 281, und Meier-Hayoz , Α., Die Bedeutung der Materialien für die Gesetzesanwendung, SJZ 1952, S. 213ff, bringen und die von Kindermann, H., in: Rödig, J. / Baden, E. / Kindermann, H., S. 161, aufgegriffen werden und das 'référé législatif, ζ. Β. unter Ludwig dem XIV., das Josefinische Gesetzbuch von 1786 und eine Regelung im Allgemeinen Preußischen Landrecht betreffen, wirklich als historische Vorläufer institutionalisierter Wirkungs- und Erfolgskontrollen angesehen werden können, erscheint sehr zweifelhaft. Die zitierten Bestimmungen müssen in dem konstitutionell-historischen Zusammenhang gesehen werden und sind nur außerordentlich bedingt vergleichbar. 574 Vgl. dazu Loose, W.-D., Möglichkeiten zur Entlastung des Deutschen Bundestages bei der Gesetzgebung, Diss. Freiburg 1977; Grimm, D., Aktuelle Tendenzen in der Aufteilung gesetzgeberischer Funktion zwischen Parlament und Regierung, ZParl 1970, S. 448ff; Meessen, Κ. M., Maßnahmegesetze, Individualgesetze und Vollziehungsgesetze, DÖV 1970, S. 314ff. 575
Vgl. dazu Schenke, W. R , Gesetzgebung durch Verwaltungsvorschriften?, DÖV 1977, S.
27ff. 576 Vgl. dazu grundsätzlich Lucius, R. v., Gesetzgebung durch Parlamentsausschüsse?, AÖR 1972, S. 568ff; Berg, W., Zur Übertragung von Aufgaben des Bundestages auf Ausschüsse, Der Staat 9 (1970), S. 2Iff.; Kamber, U. W., Die Übertragung von Rechtssetzungskompetenzen vom Parlament auf Parlamentskommissionen, Basel / Frankfurt 1980. Letzterer brachte für die Schweiz einen ausformulierten Gesetzesentwurf zur Übertragung von Rechtssetzungskompetenzen an „parlamentarische Kommissionen" ein (S. 103 ff.). 577 Kritisch dazu Kremer, K., Präsenz im Plenum, in: Roll, H.-J. (Hg.), Plenarsitzungen des Deutschen Bundestages, Festgabe für Werner Blischke, Berlin 1982, S. 9ff. (S. 22): „Es gibt
302
IV. Möglichkeiten einer Implementierung demokratischer Grundvoraussetzungen
Auch in der italienischen Parlamentspraxis gab es Phasen, in der im Abgeordnetenhaus wie Senat nur ca. ein Viertel bis ein Fünftel aller Gesetze verabschiedet wurden, während die anderen allein von den jeweils damit befaßten Ausschüssen angenommen wurden. In der wissenschaftlichen Diskussion, die um die Übertragbarkeit eines derartigen Modells, das die Gesetzgebungskompetenz abschließend parlamentarischen Ausschüssen überläßt, ist zu Recht eine gewisse Reserviertheit gegenüber dieser Lösung festzustellen. Allerdings werden einige Zwischenformen vorgeschlagen, die eine weitere Stärkung der Ausschüsse im Gesetzgebungsverfahren vorsehen, wobei allerdings dem Parlamentsplenum stets die letzte Entscheidung über ein Gesetzgebungsvorhaben überlassen werden soll. Bei allen anderen Vorschlägen ergibt sich die Schwierigkeit, auszugrenzen, welche Gesetze abschließend von einem Ausschuß behandelt und verabschiedet werden können, und welche dem Plenum zur Verabschiedung vorbehalten bleiben sollen. Michael Hereth zieht die Grenzziehung dort, wo es sich um Gesetze mit politischem Gewicht handelt, oder um Gesetze die dieses nicht besitzen. Erstere sollen dem Plenum zur Verabschiedung vorbehalten bleiben, letztere nur durch Ausschüsse behandelt werden. Dasselbe Verfahren soll für Gesetze gelten, die zwar solches politisches Gewicht haben, aber in erster Lesung ohne jeglichen Widerspruch des zuständigen Ministeriums, des Kanzleramtes und des Oppositionsführers bleiben. Da auch Hereth bewußt ist, daß die Abgrenzung zwischen politisch gewichtigen und nicht gewichtigen Gesetzen schwierig ist, soll seiner Meinung nach diese Einstufung durch Erklärung der Regierung und Opposition erfolgen. Wenn eine solche Einstufung als politisch wichtiges Gesetz nicht erfolgt, soll der Entwurf unmittelbar an den zuständigen Fachausschuß überwiesen und dort auch verabschiedet werden, ohne daß das Plenum noch einmal eingeschaltet werden muß. 578
Vorschläge, die Experten-Aussprachen, überhaupt die Beschlußfassungen über Gesetzentwürfe engbegrenzter Bedeutung nicht weiterhin beim schwach besetzten Plenum zu belassen, sondern einem ständigen, natürlich öffentlich tagenden Hauptausschuß zu übertragen. Das wäre nicht nur verfassungsrechtlich bedenklich, sondern auch unangebracht. Erstens kann eine fast allen Bürgern uninteressante Gesetzesregelung für die betroffenen Berufsgruppen von immens wichtiger Bedeutung sein. Zweitens ist der jeweils aus Experten zusammengesetzte Kreis im Plenarsaal allemal ein sachkundigeres Gremium als ein allgemein zusammengesetzter Hauptausschuß." Vgl. auch Hereth, M., Die Reform, S. 65; Achterberg,, N., Parlamentsrecht, S. 344f. Positiv dagegen Dichgans, H., Vom Grundgesetz zur Verfassung. Überlegungen zu einer Gesamtreform, Düsseldorf / Wien 1970, S. 75ff.; Ellwein, Th. / Görlitz, Α., Parlament und Verwaltung, 1. Teil, Gesetzgebung und politische Kontrolle, Stuttgart 1967, S. 258ff.; Steffani, W., Parlamentarische Demokratie - Zur Problematik von Effizienz, Transparenz und Partizipation, in: ders. (Hg.), Parlamentarismus ohne Transparenz, Opladen 1971, S. 17ff. (S. 25f.). 57 8
Hereth, M., Die parlamentarische Opposition, S. 148f.
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Strukturveränderungen
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Thomas Ellwein und Axel Görlitz schlagen einen Gesetzgebungsausschuß vor, 5 7 9 dem es überlassen bleiben sollte, darüber zu befinden, ob ein Gesetzentwurf ein abgekürztes Verfahren durchlaufen kann. Dieses Kurzverfahren soll darin bestehen, daß nach Vorbereitung durch einen Fachausschuß der Hauptausschuß des Parlaments, der aus 40-50 Mitgliedern bestehen soll, über das Gesetz befindet und dessen Beschlußfassung vom Plenum lediglich bestätigt wird. Bei bestimmten Gesetzeskategorien, wie etwa einem Gesetz, welches eine statistische Erhebung anordnet, braucht nach diesem Vorschlag das Plenum überhaupt nicht eingeschaltet zu werden. 580 Die weiteren Vorschläge gehen von der weitgehenden Übertragung der Fachgesetzgebung auf die Ausschüsse und dem Verbleib der „ordentlichen Gesetzgebung" beim Plenum, bis hin zur Aufteilung der Gesetzgebungsarbeit in fünf Kammern beim Parlament. 581 So soll ζ. B. der Bundestag eine Kammer für Außenpolitik und Verteidigung, für Wirtschaft, Sozialpolitik, Landwirtschaft und Entwicklungshilfe, für Finanzen und Haushalt, für Recht und für Inneres, Wissenschaft und anderes bekommen. Der Ältestenrat soll die Gesetzesvorlagen auf die verschiedenen Kammern je nach Zuständigkeit verteilen. Die Kammern behandeln diese Gesetze dann abschließend, es sei denn, eine qualifizierte Minderheit von Abgeordneten oder der Bundesrat fordern eine dritte Lesung im Plenum. Die Kammern selbst sollen nach diesen Vorstellungen wiederum Fachausschüsse bilden. All diese Vorschläge, die die Übertragung von abschließenden Gesetzgebungskompetenzen an einzelne Ausschüsse oder besondere Institutionen zum Inhalt haben, bergen die Frage nach der Legitimation solcher übertragener Entscheidungskompetenz in sich, und sind deshalb, in welcher Form auch immer, mit größter Skepsis zu betrachten.
57 9
Ellwein, Th. / Görlitz, Α., S. 258ff.
580
Wie problematisch diese Aufteilung ist, zeigt gerade das Beispiel statistischer Erhebungen. Jüngere Erfahrungen haben gezeigt, daß auch technokratisch anmutende Gesetzesentwürfe hochpolitischen Charakter besitzen können (Volkszählungsgesetz). 581 Nottbeck, v., Das Plenum muß entlastet werden, in: Die Welt vom 18.5.1965. Dieser in der Tagespresse gemachte Vorschlag fand in der wissenschaftlichen Diskussion durchaus Resonanz. Vgl. Lucius, R. v., S. 581:, „Das Reformmodell v. Nottbecks ist daher ernsthaft zu erwägen."
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IV. Möglichkeiten einer Implementierung demokratischer Grundvoraussetzungen
2. Verfahrensmäßige Strukturveränderungen a) Die Anhörungen als Keimzelle des kooperativen inneren Gesetzgebungsverfahrens aa) Parlamentsanhörung In der gängigen staatsrechtlichen und politikwissenschaftlichen Literatur ordnet man der Institution des Hearings im parlamentarischen Leben eine herausragende Funktion zu. 5 8 2 Man betrachtet das Hearing als Lösung für manch schwerwiegendes Problem, dem sich das Parlament gegenübersieht, zumindest aber als Beitrag, die Auswirkungen von gefahrvollen Entwicklungen auf die funktionale Stellung des Parlaments zu lindern. Im Vordergrund stehen dabei Überlegungen, wie man den Verbände- und Interesseneinfluß auf den Gesetzgebungsprozeß legitimieren und institutionalisieren kann. Dieser Einfluß ist nicht auszuschließen und sogar als sachverständige Beratung höchst willkommen. Durch die Hearings glaubt man, den institutionellen Weg für eine Beteiligung der Verbände gefunden zu haben, 583 der den Vorgang der Beeinflussung transparenter macht. 584 Andere legen den Schwerpunkt darauf, daß innerhalb dieser institutionalisierten Anhörung auch noch das Parlament die Möglichkeit bekommt, nicht nur den Sachverstand der Betroffenen und großer gesellschaftlich relevanter Verbände für seine Entscheidungsfindung zu mobilisieren, 585 sondern darüber hinaus auch unabhängige Wissenschaftler hören kann. 586 Diejenigen, die die Institution Hearing in diesem Sinne als parlamentarischen Nothelfer loben, sehen in ihm
582 Vgl. grundsätzlich Appoldt, F. W.; Beyme, K. v., Interessengruppen in der Demokratie, München 1969, S. 168ff.; Mengel, H.-J., DÖV; Schüttemeyer, S., Öffentliche Anhörungen, in: Schneider, H.-P. / Zeh, W., Parlamentsrecht und Parlamentspraxis, Berlin / New York 1989, S. 1145ff; zum empirischen Ablauf anhand von Beispielen Klotz, D., S. 52ff. 583 So Varendorf, R., Die Neue Gesellschaft, S. 258; Friesenhahn, E., VVdStRL, S. 29; Loewenberg, G., Parlamentarismus, S. 388f.; Beyme, K. v., Interessengruppen, S. 168ff.; Zacher, H. F., Freiheitliche Demokratie, München / Wien 1969, S. 50f. 584 So Rausch, H., Parlament und Regierung in der Bundesrepublik Deutschland, 3. Aufl., München 1971, S. 79f.; Frank, D., Politische Planung im Spannungsverhältnis zwischen Regierung und Parlament, Meisenheim am Glan 1976, S. 246. 585 586
So Rausch, H., S. 79f.; Frank, D., S. 246; Pestalozza, Ch. v., NJW, S. 2083, Anm. 21.
MdB Majonica, E., in: Hübner, E. / Oberreuter, H. / Rausch, H. (Hg.), Der Bundestag von innen gesehen, München 1969, S. 122ff., sieht im Hearing den institutionellen Beginn „einer demokratisch belegten Begegnung von Wissenschaft und Politik" im Bereich der Legislative (S. 123); nicht so euphorisch, sondern als positiv zu wertende Chance einer demokratisch transparenten Institutionalisierung des Kontaktes zwischen Wissenschaft und Parlament wertet Appoldt, F. W., S. 66f.
2. Verfahrensmäßige Strukturveränderungen
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eine Möglichkeit des Parlaments, den Vorsprung der Exekutive an Wissen und Entscheidungshilfen zumindest teilweise aufzuholen 587 und damit insgesamt seine Stellung im Gesetzgebungsprozeß derartig zu festigen, daß es nach wie vor als der Entscheidungs- und Machtträger anzusehen ist. Als weitere Funktion wird den Hearings eine Versachlichung der Auseinandersetzungen um die richtige Lösung zuerkannt. 588 Auch sollen sie zu einer Verstärkung der Transparenz der parlamentarischen Entscheidungsprozesse gegenüber der Öffentlichkeit beitragen. 589 Nicht zuletzt werden sie als „Instrument der Kontrolle" eingeordnet. 590 Bei der Vielzahl der Funktionen, die den Hearings zugesprochen werden, ist es nicht überraschend, wenn sich ihre Zahl stetig erhöht hat. In dieser Studie wird aufgrund der gemachten Beobachtungen keineswegs die Auffassung vertreten, daß das Parlament sich weitgehend aus dem Gesetzgebungsprozeß materiell zurückgezogen hat, und seine Rolle sich auf die formale Endentscheidung beschränkt. Allerdings müssen auch an der These, daß die Funktionserhaltung im Legislativprozeß materiell nur oder überwiegend dadurch bewahrt bzw. zurückgewonnen werden konnte, weil man nunmehr in den Hearings eine wichtige Informationsquelle für die Abgeordneten eröffnet habe und diese dadurch nicht mehr auf Gedeih und Verderb dem Informationswillen der Exekutive ausgeliefert seien - dies gelte besonders für die Opposition -, erhebliche Zweifel angemeldet werden. Könnte es nicht eher so sein, daß den formalen Riten, die in der offiziellen Phase des Gesetzgebungsprozesses ablau-
587 Die Frage des „Informationsgleichgewichts" (,Simitis, S., Chancen und Gefahren der elektronischen Datenverarbeitung, NJW 1971, S. 673ff [S. 673]) zwischen Exekutive und Legislative hat sich durch die Weiterentwicklung moderner Datenverarbeitungs- und Informationssysteme weiter verschärft, da die Exekutive es nicht als selbstverständlich ansieht, das Parlament an den verbesserten Informationsmöglichkeiten teilhaben zu lassen. Vgl. dazu im einzelnen Egloff\ W., Die Informationslage des Parlaments. Eine Untersuchung zur Gesetzgebungslehre am Beispiel des Deutschen Bundestages und der Schweizerischen Bundesversammlung, Zürich 1974, S. 16, insbesondere auch das Beispiel in FN 7; ob allerdings durch die Regelung des § 10 Abs. 2 HessDSG, die den Datenschutzbeauftragten verpflichtet, die Folgen der EDV auf die Gewaltenteilung zu beobachten, auch nur ein Beitrag zur Relativierung der Problematik sein kann, ist mehr als fraglich, solange nicht wesentlich einfachere Probleme im Verhältnis von Ministerialbürokratie und Parlament gelöst werden können. Zu ähnlichen Regelungen in anderen Bundesländern vgl. Groeben, Μ. v. d., Informationsrecht der Parlamente im Rahmen der Neuorganisation der ADV, ÖVD 1974, S. 38ff. 588
Partsch, K. J., Parlament und Regierung im modernen Staat, VVDStRL 1958, S. 74ff. (S.
79). 589 Appoldt, F. W., bezeichnet das Hearing als „Schaltstation des Kommunikationsaustausches zwischen Parlament und Öffentlichkeit" (S. 68) und ordnet dieser Funktion gegenüber allen anderen Aufgaben höchste Priorität zu (S. 73); vgl. auch MdB Lohmar, U., Prot. d. A. f. Bildung und Wissenschaft, 6. WP, Nr. 15, S. 80; MdB Apel, H., SPD-Pressedienst Nr. 65/69 vom 3.5.1969 590
Appoldt, F. W., S. 70.
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IV. Möglichkeiten einer Implementierung demokratischer Grundvoraussetzungen
fen, wie 1., 2. und 3. Lesung, Ausschußberatungen lediglich ein weiterer Ritus hinzugefügt wurde, der keineswegs in dem teilweise angenommenen Umfang die materielle Entscheidungskompetenz und Entscheidungsqualität erhöht? 591 Aber nicht nur die dem Hearing zugeordnete Funktion einer verstärkten Information und einer Effektivierung der Kontrolle bedarf einer Überprüfung, sondern auch all die anderen genannten Zuordnungen. Es gibt begründeten Anlaß zu einer solchen ketzerischen Forderung. Die Beschreibung der Behandlung des Referentenentwurfs hat deutlich gemacht, daß auch in dieser Phase die Verbände, Betroffenen und interessierte Einzelpersonen und Wissenschaftler angehört werden können und teilweise auch angehört werden müssen. In diesem Stadium kommen deshalb alle Vorschläge des genannten Kreises auf den Tisch und finden Eingang in den Entscheidungsprozeß. Ferner wurde beschrieben, welche Möglichkeiten der oder die Fachabgeordneten der Mehrheitsfraktionen besitzen, an dem Entscheidungsprozeß während dieses Stadiums teilzunehmen. In den meisten Fällen werden sie persönlich Einblick in die Stellungnahmen der wichtigsten Gruppen bekommen, wenn diese ihnen nicht gleichzeitig wie dem Ministerium schon zugeschickt worden sind. Insofern wird der Informationsstand der Abgeordneten, die in der offiziellen Phase noch etwas bewegen, d. h. am Entwurf ändern könnten, durch die Hearings in keiner Weise erhöht. Die Verbände werden hier dieselben Änderungsvorschläge, dieselbe Kritik, dasselbe Lob vorbringen wie in der von der Exekutive organisierten Anhörung. Soweit ihre damals gemachten Änderungswünsche nicht berücksichtigt wurden, wird sich der Ton, in der sie jetzt noch einmal vorgetragen werden, verschärfen, in der Substanz wird sich nichts ändern. Die Wahrscheinlichkeit, daß neue Argumente und Änderungswünsche vorgetragen werden, ist gering. Dies ist nur dann der Fall, wenn inzwischen die Exekutive ihre Entwürfe in den entsprechenden Punkten verändert hat und insbesondere dann, wenn eine Interessengruppe das Gefühl hat, daß sich eine andere seit der Anhörung zum Referentenentwurf, stärker als sie selbst, hat durchsetzen können. Der Informationswert könnte dann jedoch wenigstens für die Abgeordneten gegeben sein, die nicht wie die speziell mit dieser Materie befaßten Fachabgeordneten durch die Anhörung der Exekutive ihren Wissensstand hatten erweitern können. Das könnten einmal die übrigen Mitglieder eines bestimmten parlamentarischen Ausschusses, der das Hearing im konkreten Fall veranstaltet, sein und die der Parlamentsmehrheit angehören, zum anderen auch die Mitglieder, die der Opposition angehören und zum dritten all die Parlamentarier, die
591
Vgl. dazu Menge!, H.-J., DÖV.
2. Verfahrensmäßige Strukturveränderungen
307
bisher sich überhaupt nicht mit dem Gesetzgebungsentwurf speziell befaßt haben und auch nicht dem entsprechenden Parlamentsausschuß angehören, seien sie nun Mitglieder der Mehrheitsfraktionen oder der Oppositionsfraktion. Für den ersten Kreis, die Abgeordneten der Mehrheitsfraktionen, die dem mit der Sache befaßten Ausschuß des Landtages oder, generell gesagt, dem entsprechenden Parlamentsausschuß angehören, in dessen Bereich das anstehende Gesetzgebungswerk fällt, wird der Informationswert solcher Hearings ähnlich gering sein wie für die Fachabgeordneten der Mehrheitsfraktionen, die sich ständig in den Entscheidungsfindungsprozeß innerhalb der Ministerialbürokratie einschalten konnten. Der Grund dafür liegt darin, daß die Mitglieder des betreffenden Ausschusses in dem entsprechenden Fraktionsarbeitskreis mitarbeiten. So waren alle SPD- und FDP-Mitglieder des Kulturpolitischen Ausschusses des Hessischen Landtages auch in den kulturpolitischen Arbeitskreisen der SPD- bzw. FDP-Fraktion organisiert. Wie an anderer Stelle berichtet, sind diese Arbeitskreise jedoch direkte Ansprechpartner des Fachabgeordneten oder der Ministerialbürokratie. Oft sind ihre Mitglieder je nach Interesse auch für den konkreten Gesetzgebungsprozeß alles Fachabgeordnete, so daß die Rolle eines bestimmten Sprechers überhaupt nicht ins Gewicht fällt und ihr Informationsstand und ihre Einflußmöglichkeit auch schon in der ersten Phase gleich stark ausgeprägt ist. Die Regel ist jedoch, daß sich auch die Abgeordneten in den Arbeitskreisen nicht alle mit der nötigen Intensität in eine bestimmte Materie vertiefen. Ihr Informationsstand ist dennoch in diesem Bereich sehr viel höher als der der übrigen Mitglieder der Fraktion, weil der Fachabgeordnete, der sich speziell in die Gesetzgebungsmaterie eingearbeitet hat, sie auf dem laufenden hält, und auch der Ressortchef selbst sie informiert. Insofern werden sie über die wesentlichen Einwände, die die Verbände in der Anhörungsphase zum Referentenentwurf vorgebracht haben, unterrichtet sein. Diese Unterrichtung erfolgt auch in vielen Fällen noch einmal zusätzlich vor dem Landtagshearing durch die Zusendung der Stellungnahmen der Verbände. Allerdings geschieht dies nicht durch alle Gruppen. Viele orten nicht ganz zu Unrecht das Ministerium als Hauptentscheidungsträger. Die Befürchtung, daß sie durch eine gleichzeitige Übersendung ihrer Vorschläge und Kritik an die Abgeordneten, auch wenn sie den Mehrheitsfraktionen angehören, die Ressortspitze verstimmen, hindert manchen Verband, so zu verfahren. Gewöhnlich treten sie erst dann an die Mitglieder des betreffenden Ausschusses heran, wenn sie den unumstößlichen Eindruck gewonnen haben, daß der Minister und seine Bürokratie nicht in dem gewünschten Sinne entscheiden werden. Aber auch wenn die Doppelinformation entfällt, genügte für die Mitglieder des betreffenden Ausschusses die Information, die sie in den Arbeitskreisen über die Vorstellungen der Verbände erhalten haben.
21 Mengel
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IV. Möglichkeiten einer Implementierung demokratischer Grundvoraussetzungen
Wenn demnach der Informationswert für die der Parlamentsmehrheit angehörenden Mitglieder des betreffenden Ausschusses generell nicht sehr hoch einzuschätzen ist, könnte er bei den Abgeordneten, die Mitglieder des Ausschusses sind und der Opposition angehören, höher sein. 592 Sind sie doch völlig von dem Entscheidungsfindungsprozeß, der zur Formulierung des Regierungsentwurfs führt, ausgeschlossen und in der Folge davon auch von der Anhörung zum Referentenentwurf. Von den hier gemachten Einwendungen und Änderungsvorschlägen der Verbände erfahren sie lediglich auf zweierlei Weise. Die Verbände, die glauben, die erwähnte Rücksichtnahme auf den Ressortchef nicht nehmen zu müssen, deren Beachtung bei der Zusendung ihrer Stellungnahmen an Oppositionsabgeordnete noch höheren Stellenwert besitzt, übersenden ihre Beiträge zum Referentenentwurf auch der Opposition. Der andere Weg, über den Kritik und Vorschläge der Verbände und Betroffenen in der Anhörung der Exekutive auch die Oppositionsabgeordneten erreicht, sind die Massenmedien.593 Zwar wird sich die Mehrzahl der Anzuhörenden genau überlegen, ob man schon in diesem Stadium die Kritik und die eigenen Wünsche außer dem Minister auch schon den Abgeordneten und besonders denen der Opposition zugänglich macht, aber kein Verband wird auf Öffentlichkeitsarbeit verzichten wollen. Dies ist aus zwei Gründen verständlich. Einmal muß jede Verbandsführung und Interessenvertretung über die Medien ihren Mitgliedern deutlich machen, daß sie in Gesetzgebungsprozessen nicht abseits steht, und zum anderen ist man sich auch der nachhelfenden Wirkung der Medien zur Durchsetzung der einen oder anderen Vorstellung gerade im Frühstadium des Gesetzgebungsablaufes bewußt. Die Verbände wissen auch sehr wohl, daß solche Öffentlichkeitsarbeit bei dem Ressortchef auf weniger Empfindlichkeit
592 So Gehrig, N., der das Hearing gerade für die Opposition als „eine weitere Informationsmöglichkeit außerhalb der unzulänglichen traditionellen parlamentarischen Mittel" einstuft (S. 303); vgl. auch in ähnlicher Richtung die Empfehlungen der Mitglieder der Interparlamentarischen Arbeitsgemeinschaft vom 14.10.1965, in: Burhenne, W. (Hg. im Auftrage der Interparlamentarischen Arbeitsgemeinschaft), Recht und Organisation der Parlamente, Loseblatt-Sammlung, Bd. I, Bielefeld 1958, Nr. 099989ff.; Leibholz, G., Die Kontrollfunktion des Parlamentes, in: Macht und Ohnmacht der Parlamente. Vorträge und Diskussionen auf der vom 1.-3. April 1965 von der Friedrich-Naumann-Stiftung veranstalteten Arbeitstagung, Stuttgart 1965, S. 57ff. (S. 76); Ehmke, H., Parlamentarische Untersuchungsausschüsse und Verfassungsschutzämter, DÖV 1956, S. 417ff. (S. 427); Schramm, F., Die parlamentsinterne Gesetzgebungshilfe unter besonderer Berücksichtigung der entsprechenden Einrichtungen des Deutschen Bundestages, Jur. Diss., Köln 1965, S. 169f. 593
Auf die Gefahr, daß durch die direkte Kommunikation zwischen interessierter Öffentlichkeit und Verbänden auf der einen Seite und der Exekutive auf der anderen Seite das Parlament an den Rand gedrängt wird, verweist Cornillon, P., Le Parlement et les moyens de communication de masse, Bulletin Interparlementaire Nr. 1/1969, S. 4ff. (S. 7).
2. Verfahrensmäßige Strukturveränderungen
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stößt als die enge Kooperation mit Abgeordneten. Der Minister hat mehr Verständnis für die Profilierungsnotwendigkeit der Verbandsführung gegenüber der Mitgliedschaft und der Öffentlichkeit als für eine 'Einspannung' von Abgeordneten in den Dienst des betreffenden Verbandes, da er es schließlich ist, der entscheidet. Erst wenn er definitiv gegen die Verbandswünsche entschieden hat, wächst sein Verständnis für solche Interessengruppen, die nunmehr als allerletzte Mögllichkeit sich mit den Abgeordneten - gleich welcher Parteizugehörigkeit - in Verbindung setzen. Weiß er doch zu diesem Zeitpunkt, daß sie wenig an den einmal festgelegten Entwürfen ändern können. Bei frühzeitiger Zusammenarbeit der Verbandsvertretungen mit Abgeordneten kann er dessen nicht so sicher sein. Diese kann eine gewichtige Legitimation als Verfahren nach zwei Richtungen hin besitzen. Einmal ist den Interessenvertretern bewußt, daß sich das Parlament hier selbst eine Legitimierung seiner Endentscheidung verschaffen will. 5 9 4 Indem man sich nicht allein auf die Informationen der Bürokratie verlassen will, sondern sie aus erster Hand von den Betroffenen erhält, gibt das Parlament deutlich nach außen hin seinen Anspruch auf Endentscheidung und Alleinentscheidung zu erkennen und bekräftigt den Willen, dieses legislatorische Entscheidungsmonopol nicht aufzugeben. Die Anzuhörenden sind bereit, diesen 'Schein' miterhalten zu helfen. Eine Absage etwa mit dem Inhalt, daß der betreffende Verband mitteilt, daß er seine Vorschläge alle schon im Hearing zu den Referentenentwürfen vorgebracht und auch danach noch den Fachabgeordneten der Mehrheitsfraktion eindringlich und ohne Nutzen zur Kenntnis gebracht habe, und deshalb eine nochmalige Intervention im Hearing ohnehin fruchtlos sei, da die wahren Entscheidungsträger sich ohnehin schon entschieden hätten, würde eme ausgesprochene Mißachtung des Parlaments darstellen, die sich kein ernstzunehmender, auf weitere Wirksamkeit bedachter Verband leisten kann. Dabei soll durchaus zugegeben werden, daß gewiß nicht alle Verbände so illusionslos in die Hearings gehen. Der eine oder andere Vertreter besonders kleinerer Verbände, die nicht die Routine der großen besitzen, wird in Einzelfällen sicherlich noch die Hoffnung haben, daß er durch die Vernunft
594
Das Bemühen des Parlaments um ein Mehr an Legitimation für seine Entscheidungen gegenüber der Öffentlichkeit ist nicht unbedenklich. Es besteht die Gefahr, daß der Repräsentationsgedanke immer mehr aufgeweicht wird. Schließlich hat das Parlament als höchstes Repräsentativorgan keinerlei Anlaß, seine Entscheidungen durch die Interessenvertreter, die zwangsläufig ihre Partikularinteressen vertreten, noch einmal legitimieren zu lassen. Aus diesem Grunde ist ein parlamentarisches Verständnis, das auf ein Mehr an Legitimation durch Hearings hinausläuft, abzulehnen. So auch Ruch, Α., in: Eichenberger, K. / Buser, W. / Métraux, A. u. a. (Hg.), S. 132; dabei soll nicht bestritten werden, daß die Legalität der Machtausübung nicht die einzige Legitimitätsbedingung darstellt. Vgl. zu dieser Diskussion besonders Simson, W. v., Zur Theorie der Legitimität, in: Commager, H. S. / Doeker, G. (Hg.), Festschrift für K. Loewenstein, Tübingen 1971, S. 459ff, insbesondere S. 462f.
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IV. Möglichkeiten einer Implementierung demokratischer Grundvoraussetzungen
seiner Argumente und die Überzeugungskraft seiner Rede die Abgeordneten in letzter Minute umstimmen kann. Nicht nur das Bemühen der Verbände, die Stellung des Parlaments zu achten, erklärt die Teilnahmebereitschaft der Verbände, die diese Veranstaltung ohne jegliche Illusion betrachten. Wäre dies der alleinige Grund, dann bliebe der Protest von Verbänden, die nicht eingeladen werden, unverständlich, müßten sie doch froh sein, den Aufwand zu sparen, wenn ihre Vertreter nicht gerade der Gruppe angehören, die sich noch einen Rest von Illusion über die Möglichkeit einer Einflußnahme über die Hearings erhalten haben. Es muß also noch eine weitere Funktion der Anhörung hinzukommen. Diese ergibt sich aus dem Legitimationsbedürfiiis der Verbandsführung gegenüber ihrer eigenen Mitgliedschaft. Eine Teilnahme an dem offiziellen Hearing, welches eine gewisse Öffentlichkeitsresonanz besitzt, zeigt der Mitgliedschaft, daß der Verband von den Entscheidenden ernstgenommen wird. Selbst wenn die Mitglieder - was unwahrscheinlich ist - früher oder später in ihrer Mehrheit erkennen, daß die Verbandsführung überhaupt nichts im Sinne der Interessen der Mitgliedschaft erreichen konnte, wird die Rede des Verbandsvertreters mit Sicherheit als letzter und überzeugender Versuch anerkannt werden, die Verantwortlichen von ihrem 'Irrweg' abzubringen. Aus diesem Grunde stellt das Parlamentshearing eine wichtige Plattform für die Verbandsoligarchien dar, durch die ihre Bedeutung gegenüber der Mitgliedschaft und der Öffentlichkeit gestärkt wird. Unter dem Gesichtspunkt Legitimität durch Verfahren hat das Hearing auch noch eine weitere, nicht zu unterschätzende Bedeutung. Es bietet den Verbandsvertretern nicht nur die Möglichkeit, ihre Amtsführung im konkreten Gesetzgebungsverfahren vor der Mitgliedschaft und Öffentlichkeit deutlich sichtbar zu legitimieren, sondern auch eine Gelegenheit, aufgestauten Aggressionen und Frustrationen, die sich im Verlaufe des Gesetzgebungsverfahrens im Verband angesammelt haben, ein Ventil zu verschaffen. Hier können die Betroffenen und die Verbände ihre Meinung über die verfehlte Politik deutlich sagen, ohne daß dies von den Entscheidenden allzu tragisch genommen wird. Das Gefühl der Ohnmacht schwindet dadurch in den Verbänden zwar sicherlich nicht vollständig, wird jedoch vermindert durch die Tatsache, daß man von der Institution, die in diesem Gesetzgebungsverfahren institutionell die Macht hat, gehört worden ist.
2. Verfahrensmäßige Strukturveränderungen
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Unmut und Verdrossenheit werden kanalisiert und gedämpft. 595 Das Gefühl des Beteiligtseins, auch wenn man sich teilweise über die Wirkung dieses Dabeiseins keine Illusionen macht, ist nicht zu unterschätzen. Sehr viel geringer ist die von G. Loewenberg 596 dem Hearing zugeschriebene weitere Funktion der Rechtfertigung der Gruppeninteressen vor dem 'öffentlichen Interesse' zu veranschlagen. Wenn es sich um Forderungen handelt, die auch in der Öffentlilchkeit umstritten sind, da sie zu gruppenegoistisch erscheinen, hat der betreffende Verband schon lange vor dem Hearing die notwendige Öffentlichkeitsarbeit betrieben, so daß eine erneute 'Rechtfertigung' nicht sehr viel Gewicht besitzt. Auch der institutionell auf hoher Stufe angesiedelte Platz dieses erneuten Vorbringens wird den betreffenden Verband nicht zur Modifikation seiner Haltung veranlassen können, da die Verbandsspitze gegenüber ihrer Mitgliedschaft unglaubwürdig würde. Aber auch bei weniger umstrittenen und beachteten Forderungen wird das Hearing keinen Betroffenen und keinen Verband veranlassen, aufgrund des 'öffentlichen Interesses' gerade im Hearing auch nur einen Yota von der bisher vertretenen Auffassung abzugehen. Dies gründet in der Tatsache, daß der jeweilige Verband sich nicht verpflichtet fühlt, hier das 'Gemeinwohl' zu vertreten, sondern seine Mitglieder und die Betroffenen ihre Interessen. In ihrer subjektiven Sicht bedarf es für die Wahrnehmung dieses Rechtes oder dieser Pflicht keiner Rechtfertigung mit Blick auf andere übergeordnete Interessen. Loewenberg übersieht auch, daß die Öffentlichkeit ohnehin aufgrund der mangelhaften Berichterstattung über solche Hearings kaum in die Lage versetzt wird, zu beurteilen, ob die Forderungen der Gruppen gegenüber dem öffentlichen Interesse gerechtfertigt sind oder nicht. Ganz abgesehen davon, daß die Mehrzahl der Bürger in dem konkreten Prozeß kaum als Öffentlichkeit bezeichnet werden kann, da sie überhaupt keine Notiz von dem Gesetzgebungsverfahren nimmt, fällt es auch der interessierten Öffentlichkeit schwer, das Maß des objektiven öffentlichen Interesses ζ. B. in der Hochschulgesetzgebung festzustellen. Insbesondere trägt dazu das Hearing nichts Förderndes bei, da sowohl die Forderungen der Verbände und Bürger, die im konkreten Gesetzgebungsprozeß die interessierte Öffentlichkeit repräsentieren, schon vor dem Hearing bekannt sind, also auch die Faktoren, die den Begriff des 'Gemeinwohls' im anstehenden Verfahren konstitutieren helfen.
595
Diese Funktion der psychologischen Wirkung wird mitunter expressis verbis auch von den Abgeordneten unterstrichen. Vgl. das Protokoll des Sonderausschusses Hochschulgesetz des 4. Landtags von Baden-Württemberg, 14. Sitzung, S. 9 u. 11, zitiert nach Klotz, D., der davon spricht, daß man den Gruppen gestattete, „in der Anhörung Dampf abzulassen" (S. 131). 596
Loewenberg,, G., Parlamentarismus, S. 52f.
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IV. Möglichkeiten einer Implementierung demokratischer Grundvoraussetzungen
Eine ganz spezifische Legitimationsfiinktion können die Anhörungen sowohl fur Regierungs- als auch für die Oppositionsparteien erfüllen. Beide 'Lager' können die vorgebrachten Argumente zur Stützung ihrer eigenen Position oder zur Kritik des politischen Gegners verwenden. Wenn ζ. B. die Anzuhörenden keine einheitlichen Auffassungen zu einem bestimmten Sachproblem vorbringen, fällt es der Parlamentsmehrheit genau wie in einem viel früheren Stadium der Projektgruppe sehr viel leichter, auf den einmal eingenommenen Positionen zu beharren. 597 Umgekehrt wird Kritik der Opposition wesentlich gestärkt, wenn sie von einer 'Einheitsfront' der Anzuhörenden zwar nicht in allen Punkten, jedoch tendenziell unterstützt wird. Da die Beteiligten in der Regel wissen, daß ihre Wünsche in dieser Phase wenn überhaupt - lediglich dann eine geringe Chance haben, realisiert zu werden, wenn sie möglichst geschlossen auftreten, ist es durchaus möglich, daß vorher Absprachen und gegenseitige Information unter den Anzuhörenden stattfinden, soweit deren Interessen sich nicht gegenseitig ausschließen. So berichtet D. Klotz von der baden-württembergischen Hochschulgesetzgebung aus dem Jahre 1968 über das zweite Hearing: „Die Gruppen boten bei dem Hearing u. E. keinesfalls das von einigen Abgeordneten erwartete oder gar erhoffte Bild der Uneinigkeit. Um sich auf das Hearing vorzubereiten, war am 2./3. März unter der Leitung des Vorsitzenden der Landesrektorenkonferenz Baitsch eine Kommission aus Delegierten der Landesrektorenkonferenz, Dozenten, Akademischen Räten, Assistenten, Studenten und der nichtwissenschaftlichen Bediensteten zusammengekommen. Man hatte sich dort auf einen Minimalkonsens an Änderungswünschen und abzulehnenden Einzlbestimmungen des Entwurfs in der Fassung nach den Beschlüssen der zweiten Beratung geeinigt." 5 9 8
Eine solche 'Vorbereitung' hat allerdings Ausnahmecharakter. In der Regel sind die Interessen der verschiedenen Gruppen der Betroffenen oder der beteiligten gesellschaftlich relevanten Verbände zu unterschiedlich, als daß man
597
Klotz, D., unterstreicht, daß für den Sonderausschuß des Baden-Württembergischen Landtags bei der Hochschulgesetzgebung die Funktion des Hearings in erster Linie „die Darstellung der Divergenz der Meinungen vor allem zu seiner eigenen Rechtfertigung dienen sollte. ... Die Öffentlichkeit sollte sehen, wie sehr die Gruppen uneins sind und uneins bleiben. Die vom Ausschuß nach seiner Meinung durchgehaltene mittlere Linie könne mithin nicht so falsch sein." (S. 130) 598 Klotz, D., S. 132. Auch ihm ist der Ausnahmecharakter solcher Vorbesprechungen bewußt, wenn er weiter ausführt: „Sicher ist der Inhalt ... der Vorschläge weniger bemerkenswert als die Tatsache, daß alle Gruppen sich zu einem gemeinsamen Treffen haben entschließen können und dabei den Versuch gemeinsamer Sachvorschläge unternommen haben." (S. 132)
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wenigstens einen Minimalkonsens erreichen könnte. Nicht zuletzt auf dieser Tatsache beruht die zeitweise sehr starke Auffassung in der soziologischen und politikwissenschaftlichen Literatur der USA, daß der Interesseneinfluß auf die Entscheidungen der Machtträger, deren Freiheit nicht allzu stark beeinträchtigen könnte, da die Interessen sich gegenseitig neutralisierten. Während der hessischen Hochschulgesetzgebung von 1978 gab es soweit ersichtlich keine derartigen 'konzertierten Aktionen' von Betroffenen oder gesellschaftlichen Verbänden. Dies lag schon allein daran, daß die wichtigsten Betroffenen, die sich damals auch in Baden-Württemberg zur gemeinsamen Beratung zusammengefunden hatten, in Hessen ein sehr differenziertes Verhältnis zu dem verantwortlichen Minister besaßen. Während die Konferenz Hessischer Universitätspräsidenten (KHU) durch ihren Vorsitzenden, den Frankfurter Präsidenten Krupp, ein ausgezeichnetes Verhältnis zu Minister Krollmann besaß, konnte die Konferenz Hessischer Fachhochschulen (FHK), vertreten durch den Fachhochschulrektor von Frankfurt, Uthoff, sich eines solchen Verhältnisses nicht rühmen. Eine gemeinsame Strategie war auch wegen der unterschiedlichen Interessenlage nicht möglich. Die K H U hatte vehement für getrennte Gesetze für Universitäten und Fachhochschulen gekämpft, die FHK für ein Einheitsgesetz, das die Stellung der Fachhochschulen stärken sollte. Auch die Interessen zwischen Assistenten und Dozenten rieben sich aneinander. Die Dozenten versuchten, um des Überlebens willen, ihre generelle Überleitung zu erreichen. Den Assistenten konnte solches nicht sehr recht sein, da dadurch wieder eine große Zahl an Stellen auf unabsehbare Zeit für den freien Wettbewerb, an dem sie sich über kurz oder lang zu beteiligen hofften, verlorengegangen wäre. Mit den Studenten hatte keine der Gruppen viel im Sinn, da diese sich während der Veranstaltungen an den Hochschulen durch ihr teilweise unakzeptables Verhalten etwas aus der rationalen Diskussion herausmanövriert hatten. Hinzu kam, daß der Vorsitzende der Landesastenkonferenz in seinem Auftreten nicht unbedingt Solidaritätsgefühle bei den anderen von der Gesetzgebung Betroffenen freisetzte. 599
599
Daß die Studenten grundsätzlich auf der Suche nach Verbündeten waren, um wenigstens in Einzelfragen ihre Vorstellungen durchzusetzen, zeigt der Bericht der FAZ vom 14. Mai 1977 zum Vorlesungsboykott der FH-Frankfurt, 'Studenten suchen Verbündete', wo ein Sprecher des ASTA sagte, „suchen die Studenten Verbündete in ihrem Bemühen, den Zweiten Bildungsweg nicht durch 'Erlasse versperren' zu lassen, die vorsehen, daß Fachhochschulabsolventen nach ihrem Abschluß nicht mehr weiter zu studieren in der Lage seien. Verbündete werden bei den Gewerkschaften und der Studentenschaft der Universität erwartet."
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Wenn man sich zusammenfassend über die tatsächlichen Funktionen des Hearings im Gesetzgebungsverfahren schlüssig werden will, muß man konstatieren, daß es als ritualisiertes Verfahren nicht dazu dient, Entscheidungsinhalte zu verändern, sondern sie weiter legitimiert. Wer diese Aufgabe unterschätzt, vernachlässigt die Bedeutung von Ritualen im Zusammenleben menschlicher Gemeinschaften. Allerdings braucht die Beschränkung solcher Verfahren auf ihre Ritualfunktion keineswegs endgültig zu sein. Man kann die Bedeutung der Hearings jedoch nur dann im Hinblick auf die tatsächliche Entscheidungsbeeinflussung verändern, wenn man ihre jetzige Funktion nüchtern erkennt und daraus Folgerungen zieht. Dabei muß man berücksichtigen, daß eine Bedeutungsänderung für die Hearings nur Hand in Hand mit einer tiefgreifenden strukturellen Änderung des gesamten Gesetzgebunsprozesses erfolgen könnte, über dessen Wünschbarkeit und Durchsetzbarkeit an anderer Stelle Überlegungen anzustellen sind. Festzuhalten bleibt, daß das parlamentarische Hearing in seiner jetzigen Form wenig zur Implementierung der Grund- und Effektivitätsvoraussetzungen demokratischer Gesetzgebung beitragen kann. Auch wenn man strukturelle Änderungen in der Verfahrensweise durchsetzen könnte, bliebe das grundsätzliche Problem jeder parlamentarischen Anhörung, daß die Parlamentarier durch diese Institution viel zu spät in den Entscheidungsprozeß eingeschaltet werden. Nachstehend soll deshalb untersucht werden, ob im Rahmen der Exekutivanhörungen mehr Möglichkeiten bestehen. bb) Die Exekutivanhörung In der wissenschaftlichen Diskussion findet die parlamentarische Anhörung großes Interesse, obwohl die Bedeutung dieser Institution wie vorstehend ausgeführt weitgehend überschätzt wird. 6 0 0 Dagegen findet die Exekutivanhörung kaum Interesse. Sie ist in mannigfacher Hinsicht weitaus wichtiger als die parlamentarische Anhörung. Durch sie wird der Gesetzesinhalt in sehr viel stärkerem Maße bestimmt als durch die parlamentarische Anhörung. Sie trägt ferner sehr viel mehr dazu bei, die Betroffenen und andere gesellschaftliche Gruppen in den Entscheidungsprozeß einzubinden. Die Chance der Veränderung von Ministerialentwürfen ist während, bzw. nach der Exekuktivanhörung auch sehr viel größer als in der parlamentarischen Anhörung, da es trotz des defensiven Beharrungsvermögens der am Entwurf unmittelbar beteiligten Beamten auch in ihrem Interesse liegt, die Anregungen
600
Dazu ausführlich Mengel, H.-J., DÖV.
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der Betroffenen und Verbände sorgfältig auf ihre Berechtigung hin zu überprüfen. Wie an anderer Stelle ausgeführt, kann keinem Beamten daran gelegen sein, daß sein Entwurf schwerwiegende Mängel aufweist. Dabei geht es nicht nur um das auf dem Spiel stehende Prestige, sondern auch darum, daß dieser Beamte bei der späteren Anwendung des Gesetzes nicht selten der Leidtragende fehlerhafter oder unzweckmäßiger Gesetzesbestimmungen ist, und der Prozeß der Gesetzesnovellierung eingeleitet werden muß. Insofern ist der einzelne Ministerialbeamte durchaus bereit, die Stellungnahme in diesem Stadium des Willensbildungsprozesses noch zu verarbeiten, ja mehr noch, sie ist nicht selten „eine Informationsquelle ... die für die Bearbeitung eines Gesetzentwurfs nützlich, ja zuweilen überhaupt unentbehrlich sein kann." 601 Allerdings ist selbst schon in diesem Stadium die Bereitschaft, wirklich innovative Vorschläge aus dem Kreise der Anzuhörenden aufzugreifen, begrenzt und ihr Umfang von zahlreichen variablen Faktoren abhängig. Eine große Rolle spielt dabei die bereits beschriebene verschiedenartige Persönlichkeitsstruktur der Beamten und der politischen Spitze. Auf beides soll hier nicht erneut eingegangen werden, sondern die Möglichkeiten aufgezeigt werden, wie dieser Prozeß der Exekutivanhörung unabhängiger von Zufälligkeiten wie Persönlichkeitsstruktur beteiligter Beamter, Einflußnahme der politischen Spitze, zur Verfügung stehender Zeit etc. gemacht werden kann, und so dieser Teil des Gesetzgebungsprozesses zur Keimzelle des kooperativen inneren Gesetzgebungsverfahrens ausgestaltet werden kann. Wenn eine Verfahrensordnung, die demokratischen Grunderfordernissen entspricht, für das innere Gesetzgebungsverfahren als unabdingbar erscheint, dann ist in der Exekuktivanhörung ein wesentlicher Kernbereich innerhalb einer solchen Verfahrensordnung zu regeln. Durch diese Anhörung ist nicht allein die Frage von Maßnahmen der Gesetzesvorbereitung berührt, sondern auch die fundamentale Problematik der Einflußnahme von Verbänden. 602 Durch die Hereinnahme von unmittelbar Betroffenen in solche Anhörungen, die nicht einmal notwendigerweise verbandlich organisiert sein müssen, wird darüberhinaus die Frage des Repräsentativsystems unserer demokratischen Ordnung in nicht unwesentlicher Weise tangiert. Unter Berücksichtigung dieses Hintergrundes sind die vorhandenen innerexekutiven Richtlinien oder auch die vereinzelt vorhandenen gesetzlichen Regelungen zur Anhörung auf Exekutivebene
601 602
Schneider, H., S. 63.
Aus der Literatur vgl. etwa Schröder, H. J.; Leidinger , Α., Die Mitwirkung der kommunalen Spitzenverbände an der Gesetzgebung im Bund und in den Ländern, in: Jekewitz, J. / Melzer, M. / Zeh, W. (Hg.), Politik als gelebte Verfassung. Aktuelle Probleme des modernen Verfassungsstaates, Festschrift für Friedrich Schäfer, Opladen 1980, S. 162ff.; Ammermüller, M. G., Verbände im Rechtssetzungsverfahren, Berlin 1971.
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vollkommen unzureichend. So ist es auch nicht verwunderlich, daß die Rechtsfolgen einer unterlassenen Anhörung höchst unterschiedlich sind, ohne daß diese differenzierten Regelungen durch eine rechtspolitische Ratio gerechtfertigt wären. Damit die Exekutivanhörung den Erfordernissen demokratischer Gesetzgebung entspricht, sind die für den gesamten inneren Gesetzgebungsprozeß zu berücksichtigenden, vorgehend entwickelten Grundvoraussetzungen demokratischer Gesetzgebung zu implementieren, und konkretisieren sich für den spezifischen Anhörungsprozeß in folgenden Forderungen: - Die Auswahl der anzuhörenden Verbände und Betroffenen muß chancengleich und nach kontrollierbaren Kriterien erfolgen. Der Ermessensspielraum der einladenden Exekutive muß begrenzt sein. - Die Anhörung muß in einem öffentlichen Prozeß erfolgen. - Die Anhörung muß der Legislative unter Zusendung des Exekuktivgesetzentwurfs zur Kenntnis gebracht werden. Abgeordnete haben das Recht, an der Anhörung ohne Rede- oder Fragerecht als Zuhörer teilzunehmen. - Die Stellungnahmen, die in der Anhörung abgegeben werden, müssen in einem in Einzelheiten festgelegten Procedere von den mit der Gesetzesvorbereitung betrauten Ministerialbeamten geprüft werden. Das Ergebnis dieser Prüfung ist derart aufzubereiten, daß es der politischen Spitze ermöglicht, in zentralen Fragen die Alternativen zwischen Ministerialentwurf und in der Anhörung vorgeschlagenen Änderungen zu erkennen und politisch zu entscheiden. - Die Protokolle der Anhörung und eine ausführliche Darstellung des Verarbeitungsprozesses der Anhörungsergebnisse mit den Entscheidungsgrundlagen für die möglichen Entscheidungsalternativen sind der Legislative bei Einleitung des parlamentarischen Verfahrens zugänglich zu machen. Die erste Forderung, die Chancengleichheit der Einflußnahmemöglichkeiten herzustellen, ist gewiß nicht neu. Die Möglichkeiten ihrer Verwirklichung sind nur bis zu einem gewissen Maße gegeben. Dazu gehört jedoch mit Sicherheit, daß die Auswahl der Anzuhörenden nach kontrollierbaren Kriterien erfolgt und die Verletzung des vorgegebenen Auswahlverfahrens nicht folgenlos bleibt. Die zweite Forderung nach Transparenz der Anhörung stellt durchaus nicht die grundsätzliche Notwendigkeit von Arkanbereichen, auch im demokratischpluralistischen Entscheidungsprozeß der politisch-gesetzgeberischen Willensbildung in Frage. Jedoch sind solche nur dann gerechtfertigt, wenn eine begründete Notwendigkeit für den Ausschluß der Öffentlichkeit besteht. Da an dem
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Exekutivanhörungsverfahren ohnehin Teile der Öffentlichkeit, in Gestalt von Interessengruppen und Betroffenen, teilnehmen, ist kein zwingender Grund ersichtlich, andere Teile der Öffentlichkeit von Informationen über Gegenstand und Verlauf der Anhörung auszuschließen. Da die Anhörungen sowohl schriftlich als auch mündlich erfolgen, ist auch die Information der Öffentlichkeit entsprechend differenziert zu gestalten. Im ersteren Fall sind die schriftlichen Einlassungen der Beteiligten in geeigneter Form öffentlich zu machen, im letzteren Fall bei mündlicher Anhörung die personale Öffentlichkeit herzustellen. Die dritte Forderung, daß die Vertreter der Legislative das Recht auf Information zu dem frühen Zeitpunkt des Gesetzgebungsverfahrens, den die Exekutivanhörung darstellt, eingeräumt bekommen sollen, ist sicherlich vom traditionellen Verfassungsverständnis der Gewaltenteilung her, die problematischste. Besteht nicht durch die - wenn auch schweigende - Teilnahme von Abgeordneten die Gefahr der unzulässigen Gewaltenvermengung zwischen Exekutive und Legislative? Dem ist entgegenzuhalten, daß in der Gesetzgebungspraxis schon längst in der Regel die Fachabgeordneten der Mehrheitsfraktion(en) ohne Schwierigkeiten die Stellungnahmen der Anhörung durch das zuständige Ministerium erhalten. Wenn man Forderungen nach Transparenz der Entscheidungsfindung und des Entscheidungsinhalts, nach Entscheidungsautonomie der legitimierten Organe ernst nimmt, so ist eine möglichst umfassende und frühe Information aller Abgeordneten, die die Endentscheidung zu treffen haben, also auch der, die der Opposition angehören, unabdingbar. Durch die begleitende Information auch schon während des Exekutivanhörungsprozesses, gewinnen diese ihre Entscheidungsfreiheit weitgehend zurück. Sie werden in die Lage versetzt, Alternativen, die sich während des Entscheidungsprozesses ergeben haben, auf ihre Tragfähigkeit hin zu überprüfen, Entscheidungsgründe und Einflußnahmen richtig einzuschätzen und in der Folge das parlamentarische Hearing aus seinem rituellen Charakter herauszuführen, und zu einer Institution zu machen, mittels derer effektiv noch einmal überprüft werden kann, ob die Vorschläge der Ministerialbürokratie die Lösung darstellen, zu der sich die Abgeordneten nach Kenntnis aller Entscheidungsgrundlagen in freier Entscheidung im Rahmem ihrer politischen Bindungen auch bekennen können.
b) Experimentelle Gesetzgebung
Die Kritik und das Unbehagen an der Qualität der Gesetzgebung führen auch zu Überlegungen, ob Gesetzgebung dadurch verbessert werden könne, indem
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IV. Möglichkeiten einer Implementierung demokratischer Grundvoraussetzungen
man eine Experimentalphase vorschaltet. 6 0 3 Diese Gedanken beruhen insbesondere darauf, daß nicht zuletzt Gesetze schon kurze Zeit nach ihrem Inkrafttreten wieder novelliert werden müssen, w e i l sich in der praktischen Anwendung Mängel, Irrtümer und Fehler in der Formulierung des Gesetzes herausstellen. N i c h t auszuschließen ist bei dem heutigen Standard der Gesetzgebung auch, daß ein Gesetz von dessen Qualität der Gesetzgeber selbst nicht überzeugt ist, dennoch verabschiedet w i r d und sozusagen Gesetzgebung zum „Großversuch" wird.604 So ist der Feststellung, daß „die traditionelle Gesetzgebungstechnik (Problemaufbereitung und Materialsammlung, Expertengespräche, Erstellung des Referentenentwurfs, Entwurfsbegutachtung, Erstellung des Kabinettsentwurfs) immer unzulänglicher" wird, nicht zu widersprechen. 6 0 5 Ob allerdings der W e g experimenteller Gesetzgebung der angemessene ist, zur Lösung der Problematik beizutragen, w i r d noch zu klären sein, weil man nicht andere Lebensvorgänge
603 Vgl. dazu Böhret, C. / Hugger , W., Test und Prüfung von Gesetzentwürfen - Anleitung zur Vorabkontrolle und Verbesserung von Rechtsvorschriften, Verwaltung und Fortbildung Sonderheft 5, Köln / Bonn 1980; Fr icke, P. / Hugger , W., Test von Gesetzentwürfen - Teil 1 : Voraussetzungen einer testorientierten Rechtssetzungsmethodik, Speyerer Forschungsberichte 11, Speyer 1979, dies., Test von Gesetzentwürfen - Teil 2: Experimentelle Methoden zur Unterstützung der Rechtssetzungspraxis, Band 1: Bericht / Band 2: Anlagen, Speyerer Forschungsberichte 12, Speyer 1980; Geisler, U., Computersimulation zur Vorbereitung sozialpolitischer Entscheidungen in der BRD, in: Rödig, J. (Hg.), Studien zu einer Theorie der Gesetzgebung, Berlin / Heidelberg / New York 1976, S. 514ff; Hugger , W., Die Erkenntnisleistung der experimentellen Rechtssetzungsmethodik, in: Kindermann, H. (Hg.), Studien zu einer Theorie der Gesetzgebung, Berlin / Heidelberg / New York 1982, S. 33Iff; ders., Der Test als Instrument zur Verbesserung von Gesetzen, Speyerer Forschungsberichte 1, Speyer 1978; ders., Legislative Effektivitätssteigerung. Von den Grenzen der Gesetzesevaluierbarkeit zum Gesetz auf Zeit, PVS 1979, S. 202ff.; ders., Ausgewählte Diskussionsergebnisse zu Ursachen und Abhilfemöglichkeiten von Gesetzesmängeln, in: Böhret, C. (Hg.), Gesetzgebungspraxis und Gesetzgebungslehre, Speyerer Forschungsberichte Nr. 13/1980, S. 9ff; König, K., Zur Evaluation der Gesetzgebung, in: Kindermann, H. (Hg.), Studien zu einer Theorie der Gesetzgebung, Berlin / Heidelberg / New York 1982, S. 306ff; Steiniger, Ch., Zur Nützlichkeit von Vorabkontrollen am Beispiel des JHG-Referentenentwurfs, in: Böhret, C. (Hg ), Gesetzgebungspraxis und Gesetzgebungslehre, Speyerer Forschungsberichte Nr. 13/1980, S. 26ff; Schröder, H., in: Rehbinder, M. / Schelsky, H. (Hg ); Hopt, K. J., Simulation und Planspiel in Recht und Gesetzgebung, in: Arbeitsgemeinschaft Rechtsinformatik München-Regensburg, Gesetzesplanung - Beiträge der Rechtsinformatik, Berlin 1972, S. 33ff. 604 Dies hat nichts mit den nicht vermeidbaren Prognosetatbeständen zu tun, vor denen der Gesetzgeber nach bestem Wissen eine Entscheidung treffen muß, sondern meint allein hier solche Gesetzestatbestände, zu deren sorgfältiger Abwägung und Entscheidung der Gesetzgeber aufgrund von Verfahrensbedingungen nicht in der Lage ist. Kritisch dazu auch Pestalozzi Ch. v., NJW, S. 2084: „Der Bürger taugt nicht als Versuchsobjekt. Nur im Rahmen des Föderalismus experimentiert er... Im übrigen sei Experimentelles aufs Gesetzgebungslabor beschränkt..." 605 So Fr icke, P. / Hugger, W., Sollten Gesetze vor Erlaß getestet werden?, DÖV 1979, S. 550ff. Der Terminus Gesetzgebungstechnik, den Fricke und Hugger hier für den umschriebenen Bereich wählen, erscheint allerdings zu eng, da es sich zum großen Teil um Fragen des Gesetzgebungsverfahrens handelt.
2. Verfahrensmäßige Strukturveränderungen
319
wie ζ. B. die Konstruktion eines Flugzeuges und die dabei notwendigen Tests vor Inbetriebnahme, mit der Gesetzgebung vergleichen kann. 606 Der Begriff Experimentalgesetzgebung ist durchaus facettenreich und vielschichtig. Darunter ist Gesetzgebung mit zeitlicher Begrenzung und anschließender Prüfung, ob die Regelung allgemein und auf Dauer eingeführt werden soll, zu verstehen, aber auch dann liegt experimentelle Gesetzgebung vor, wenn bestimmte Vergünstigungen zunächst nur einzelnen Personengruppen zugebilligt werden, um die Praktikabilität und Finanzierbarkeit zu testen. 607 Die bis heute geringe Neigung, sich in der Gesetzgebungspraxis mit Gesetzgebung in einer Experimentalphase zu befreunden, liegt nicht etwa an der „noch zu geringe(n) Kenntnis über die Leistungsfähigkeit von Gesetzestests" und dem „deshalb vielleicht zu skeptisch beurteilte(n) Aufwand-Ertrags-Verhältnis", 608 sondern hat eher etwas mit dem traditionellen Verständnis des Gesetzes und dem Verfahren seines Zustandekommens zu tun. Noch ist man weit davon entfernt, das Beliebige, Periodische und Fragmentarische der Gesetzgebung im demokratischen Staat auch innerlich zu akzeptieren. Gesetzgebung hat auch heute noch den Anschein von Verwirklichung wichtiger Grundsätze, die man nicht der Banalität von Experimenten aussetzen sollte. Hinzu kommt, daß die Protagonisten solcher Gesetzgebungstests auch nicht viel Gespür für die psychologische Seite der Einführung solcher Tests in der Wortwahl zeigen. Weder will der Gesetzgeber als Experimentator gelten, noch der Bürger als Testobjekt. Bevor jedoch ein Urteil über dieses vorgeschlagene Instrument zur Verbesserung der Gesetzgebung gefällt werden kann, soll im folgenden der Vorschlag näher beleuchtet werden. Ziel des Gesetzestest ist die „vorgreifende Ermittlung und Analyse der Wirkung einer in Ausicht genommenen gesetzlichen Regelung" 609 bzw. „die Aus-
606 So aber Klausa, U., Das Verwaltungsplanspiel, Mitteilung der KGSt, Sonderdruck September 1963, der daraufhinweist, daß ein Flugzeug, das nach dem Verfahren, wie ein Gesetz zustandekommt, gebaut würde, „unweigerlich abstürzen müßte", da kein „Stadium der Modellerprobung" gefordert werde. 607 Diese Art der Experimentalgesetzgebung ist laut BVerfG nur rechtens, wenn eine „Tendenz zur allmählichen Ausweitung des begünstigten Personenkreises erkennbar ist." (BVerfGE 62, 286) Nur dann, BVerfGE 39, 148 (153), „darf dem Gesetzgeber eine angemessene Zeit eingeräumt werden, in der er Erfahrungen sammeln und die gesetzliche Regelung schrittweise fortbilden kann." 608
Fricke, P. / Hugger , W., DÖV, S. 551.
609
Ebd., S. 552.
320
IV. Möglichkeiten einer Implementierung demokratischer Grundvoraussetzungen
Wirkungen einer geplanten Regelung rational antizipieren, und den eigenen Erwartungshorizont als Regelnder objektiv abdecken zu können" 610 . Von bisherigen Analysen der Folgewirkungen von Gesetzen unterscheidet sich der vorgeschlagene Gesetzestest durch den Zeitpunkt der Untersuchung. Erstere finden stets nach Inkrafttreten, letztere sollen gerade vor Inkrafttreten beweisen, ob die gesetzgeberischen Zielsetzungen durch das betreffende Gesetz möglichst deckungsgleich in die gesellschaftliche Wirklichkeit implementiert werden können. Der Gesetzestest soll nach dem Willen seiner Befürworter aber nicht nur die Wirkung, die die beabsichtigte gesetzliche Regelung zeitigen wird, feststellen, sondern daneben auch gleichzeitig dazu dienen, eine Bewertung dieser Wirkungen vorzunehmen. Mit anderen Worten, es soll nicht nur festgestellt werden, ob die tatsächlichen Wirkungen mit den vorgestellten in Einklang stehen, sondern die gesetzliche Regelung soll auch gleichzeitig durch den Test auf ihre Qualität geprüft werden. 611 Bewertungsmaßstäbe dafür sollen etwa sein: Prüfung des Regelungsbedarfs, geeignete Regelungsform, Rationalität der Zielsetzung eines Gesetzes, Zweckeignung der Regelung, Vollzugs- und Anwendungspraktikabilität, besonders die Verwaltungs- und Adressatenpraktikabilität (Bürgerfreundlichkeit) und die Effektivität und Effizienz des Gesetzes.612 Um, sowohl die Wirkung des Gesetzes im Vergleich mit den gesetzgeberischen Vorstellungen als auch die Qualität des Gesetzes nach den genannten Maßstäben messen zu können, gehen die Testbefürworter von einer Vorschaltphase des 4Als-ob-Inkraftsetzens' innerhalb der Gesetzgebung aus. Dabei erfreuen sich in der Vielzahl der Testvarianten zwei besonderer Aufmerksamkeit, das Planspiel 613 und der Praxistest. Der wesentliche Unterschied besteht zwischen beiden Methoden darin, daß im Planspiel alle Beteiligtenebenen, die mit dem Gesetz, sei es als Gesetzesschöpfer, Gesetzesanwender oder vom Gesetz Betroffener in Berührung kommen, einbezogen werden müssen, während der Praxistest sich im wesentlichen entweder auf die Gesetzeswirkung für diejenigen, die das Gesetz anwenden sollen, oder für die, denen gegenüber es angewendet werden soll, beschränkt.
610 Hopt, K., JZ, S. 68. Gerade an diesem Zitat wird auch deutlich, warum es schwierig ist, wissenschaftliche Erkenntnisse in die Praxis umzusetzen. 611 Friche , P. / Hugger , W., DÖV, sprechen zwar lediglich davon, daß der Gesetzestest „auch die Bewertung von Gesetzeswirkungen" (S. 551) ermöglichen soll, stellen aber dann Bewertungsmaßstäbe auf, die ohne Zweifel einer intensiven Qualitätsprüfung gleichkommen. 612 613
Alle Bewertungsmaßstäbe werden von Friche , P. / Hugger , W., DÖV, S. 552 vorgeschlagen.
Vgl. dazu etwa Bundesminister des Inneren (Hg.), Verwaltungsplanspiel als Testverfahren im Entscheidungsprozeß, Bonn 1976.
2. Verfahrensmäßige Strukturveränderungen
321
Nach Fricke und Hugger liegt die Leistungsfähigkeit des Planspiels „primär in der Antizipierbarkeit von Widersprüchlichkeiten, Friktionen und Konflikten, die sich bei der späteren Gesetzesanwendung ergeben könnten", 614 während sich der Praxistest in erster Linie im Bereich der Prüfung auf Vollziehbarkeit und Anwendbarkeit der Regelung beziehe, und hier „Erfahrungen über die friktionslose Annahme, die zweckmäßige und zielgerechte Anwendbarkeit der Gesetzesbestimmungen durch die vollziehenden Fachverwaltungen, sowie - entsprechend testmethodischer Konzeptionen - auch über das Verhalten der Betroffenen (Bürger) zu liefern (vermag)" 615 . Die Frage, die sich bei solchen Gesetzgebungstests bzw. Planspielen stellt, beinhaltet zwei problematische Aspekte; ist der Aufwand solcher Testphasen nicht unverhältnismäßig zu den unter Umständen zu erreichenden qualitativen Verbesserungen der Gesetzgebung, und wird durch solche Verfahren nicht die technokratische Tendenz aller Gesetzgebung gefördert? Bei der Prüfung des ersten Aspekts muß man zunächst einmal davon ausgehen, daß auch die Befürworter solcher Tests zugeben, daß die „für ein erfolgsversprechendes Testvorhaben zu erbringenden Vorleistungen nicht gering zu veranschlagen" sind. 616 Dies hat unmittelbar zur Folge, daß solche Verfahren mit Sicherheit nicht für alle Gesetze, ja nicht einmal für alle wichtigen Gesetze durchgeführt werden könnten. Diese Unmöglichkeit ergibt sich nicht einmal so sehr aus den entstehenden Kosten und dem erforderlichen Personalaufwand, sondern insbesondere aus der Tatsache, daß eine gewichtige Zahl gerade der bedeutenderen Gesetze unter Zeitdruck Zustandekommen, so daß es in der Regel ausgeschlossen ist, ein zeitaufwendiges Testverfahren vorzuschalten. Hinzu kommt, daß gerade solche Gesetze in einem mühsamen Verfahren des Kompromisses zwischen allen an der Gesetzgebung beteiligten Instanzen zustandekommt, in dem die Ergebnisse eines Testverfahrens einen zusätzlichen Friktionsanlaß bieten. Im ungünstigsten Falle richten sich die Beteiligten gar nicht nach den Testergebnissen, weil dadurch der Kompromiß ins Wanken gerät oder sie eigenen Intentionen, sei es innerhalb der Ministerialbürokratie, die sich nur ungern korrigieren läßt, sei es auf politischer Ebene, wo der Blick auf die Wirkung in der Öffentlichkeit oft wichtiger ist, als die Berücksichtigung von Testergebnissen, zuwiderlaufen. Gründe für mangelnde Berücksichtigung der Testergebnisse lassen sich um so leichter finden, als selbst Testbefürworter zugeben müssen, daß „das im Test vorgenommene Als-ob-Inkraft-treten einer
6,4
Fricke, P. / Hugger , W., DÖV, S. 553.
615
Ebd.
616
Ebd.
322
IV. Möglichkeiten einer Implementierung demokratischer Grundvoraussetzungen
Norm es derzeit noch schwierig (macht), auf die Reaktionen der Betroffenen bei echter Geltung des Gesetzes zu schließen", 617 oder daß „auch wenn die Tests erfolgreich verlaufen sind, immer noch damit gerechnet werden (muß), daß die Wirklichkeit noch andere und noch mehr Variablen bereithält, als auch für das komplexeste Computerprogramm des Simulationsmodells vorgegeben werden können." 618 Wenn dem so ist, dann kann jede Schlußfolgerung, die aus dem Test gezogen wird, gerade in dem so komplexen Argumentationsradius eines Gesetzgebungsprozesses mit dem Hinweis in Frage gestellt werden, daß Realität und Künstlichkeit der Testbedingungen sich stets unterscheiden. Insofern ist davon auszugehen, daß die Beteiligten bei umstrittenen Testergebnissen allenfalls einen Konsens über die Indizaussage eines solchen Tests erreichen können. In der Regel sind wichtige Gesetzgebungsvorhaben, also solche, bei denen die Tests überhaupt hinsichtlich ihres Aufwands zu rechtfertigen wären, besonders umstritten und demzufolge auch die Gefahr, daß keine einmütige Akzeptanz des Testergebnisses herbeigeführt werden kann, besonders groß. Der andere Aspekt, der Bedenken gegen die Tests als Mittel zur Verbesserung der Gesetzgebung hervorruft, daß nämlich die Tendenz zur Technokratisierung der Gesetzgebung durch solche Verfahren zunimmt, ist weniger greifbar, jedoch durchaus bedenkenswert. Es liegt auf der Hand, daß gestalterisch-mutige Gesetzgebung, die Neuland betritt, sehr viel größere Widerstände sowohl bei denen, die sie durchsetzen sollen, als auch zumindest bei denen, deren status quo zu ihrem Nachteil verändert werden soll, hervorruft, als Gesetzgebung, die im Grunde nichts verändert oder gestaltet, sondern technokratische, die Gesellschaft verwaltende Abläufe noch effektiver macht als bisher. In solchen Tests soll u. a. auch die Durchsetzbarkeit und die Akzeptanz von Gesetzgebung untersucht werden. 619 Die gestalterisch mutigen Lösungen und Alternativen werden in der Regel weitaus weniger gut unter diesen Gesichtspunkten abschneiden, als mehr oder minder belanglose technokratische Regelungen. Wenn ζ. B. gefordert wird, daß sowohl im Planspiel als auch im Praxistest „die Adressaten eines Gesetzes (vollziehende Instanzen, Bürger, Klientel) und/oder die Betroffenen abgebildet werden", 620 dann ist zu fragen, wie etwa sich die Konflikte innerhalb der vom
617
Ebd., S. 552.
618
Bender, R., Zur Notwendigkeit einer Gesetzgebungslehre dargestellt an aktuellen Problemen der Justizreform, Stuttgart 1974, S. 28. 619
Stettner, R., DVB1.
620
Fricke, P. / Hugger, W., DÖV, S. 552.
2. Verfahrensmäßige Strukturveränderungen
323
Gesetz betroffenen Gruppen im Ergebnis niederschlagen. In der Regel werden bei gestaltender, den status quo verändernder Gesetzgebung die Betroffenen, zu deren Nachteil verändert wird, sehr viel intensiver Aktivitäten entfalten, als die Betroffenengruppe zu deren Gunsten sich die Regelung auswirken soll. Aus all dem ergibt sich, daß durch solche Tests, die den im Gesetzgebungsprozeß Verantwortlichen die Folgen der geplanten Regelungen vor Augen führen sollen, die Scheu vor gestaltender Gesetzgebung und damit spannungsreicheren und unwägbareren Folgen wachsen wird, und Gesetzgebung möglichst stromlinienförmig den Weg des geringsten Widerstandes beschreitet. Zu diesen genannten grundsätzlichen Bedenken gegen Gesetzgebungstests kommt noch die Erwägung, daß ein großer Teil der Fragen, die durch solche Tests beantwortet werden sollen, auch im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens bedacht und erforscht werden können, ohne daß damit gleich eine Institutionalisierung von Gesetzgebungstests verbunden sein müßte. Im Rahmen der in dieser Arbeit entwickelten Verfahrensstruktur eines demokratischen Gesetzgebungsprocedere ist genügend Raum für die Implementation aller Anliegen, die den Befürwortern von Gesetztgebungstests zu Recht für eine Verbesserung der Gesetzesqualität wichtig erscheinen. Die Implementierung im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens, unter Verzicht auf die Institution des Tests, vermeidet nicht nur den unbestrittenen, erheblichen Aufwand und die Risiken einer diesem Aufwand entsprechenden Rentabilität, sondern vermeidet gleichzeitig die Gefahren einer zunehmenden Technokratisierung und mangelnder Gestaltungsfreiheit demokratischer Gesetzgebung, wie sie mit dem Institut des Gesetzestests verbunden sind. c) Wirkungsanalyse erfolgter Gesetzgebung Von der hier skeptisch beurteilten Methodik des Gesetzgebungstests zu trennen ist die Wirkungsanalyse und Erfolgskontrolle in Kraft getretener Gesetze.621 Aus zwei Gründen ist dieser erhöhte Aufmerksamkeit zu schenken. Einmal trägt sie dazu bei, die Qualität zukünftiger Gesetzgebung zu verbessern und zum
621 Vgl. dazu Wielinger, G., Bedingungen der Vollziehbarkeit von Gesetzen, in: Oehlinger, Th. (Hg.), Methodik der Gesetzgebung, Wien / New York 1982, S. 154ff; Rürup, B. / Seidler, H., Von der fiskalischen Haushaltskontrolle zur politischen Erfolgskontrolle, Die Verwaltung 1981, S. 50Iff.; Mayntz, R. / Hucke, J., Gesetzesvollzug im Umweltschutz - Wirksamkeit und Probleme, Zeitschrift für Umweltpolitik 1978, S. 217ff; Hucke, J. / Wollmann, H., Kriterien zur Bestimmung der Wirkung von Gesetzen, Berlin 1982; Bohne, E. / König, H., Probleme der politischen Erfolgskontrolle, Die Verwaltung 1976, S. 19ff; Rhinow, R. Α., Zum Verhältnis von Rechtssetzung und Rechtsanwendung, in: Eichenberger, K. / Buser, W. / Métraux, A. u. a. (Hg ), Grundfragen der Rechtssetzung, Basel 1978, S. 91ff.
22 Mengel
324
IV. Möglichkeiten einer Implementierung demokratischer Grundvoraussetzungen
anderen kann der Gesetzgeber nicht nach der Verabschiedung eines Gesetzes aus seiner gesetzgeberischen Verantwortung entlassen werden. 6 2 2 Die Qualität zukünftiger Gesetzgebung kann in dem Maße durch nachfolgende Wirkungsanalyse und Erfolgskontrolle erhöht werden, wie es gelingt, bei aller Verschiedenheit der Gesetzgebungsprojekte Gemeinsamkeiten, insbesondere der Wirkungsvoraussetzungen, aufzuspüren und Fehlerquellen gescheiterter oder verminderter W i r k u n g i m Vergleich mit ursprünglicher gesetzgeberischer Zielsetzung zu verorten. 6 2 3 Eine erfolgreiche Qualitätsverbesserung zukünftiger Gesetzgebung ist auf diesem Wege jedoch nur dann möglich, wenn der Gesetzgeber auch bereit ist, aus anerkannten Fehlern Konsequenzen zu ziehen. 6 2 4 W i c h t i g ist die Erfolgskontrolle und Wirkungsanalyse auch für den Gesetzgeber, w e i l er nicht untätig verharren darf, wenn die gesetzgeberische Zielsetzung i n der Wirklichkeit nicht durchsetzbar i s t , 6 2 5 wenn sich herausstellt, daß von Voraussetzungen ausgegangen wurde, die so nicht vorliegen, 6 2 6 wenn falsche Prognosen des Gesetzgebers der spezifischen Gesetzgebung zugrundela-
622
So auch Pestalozzi Ch. v., NJW, S. 2083: „... daß er (der Gesetzgeber) die Anwendung seiner Norm zu bedenken hat. Das Gesetz, das des Vollzuges bedarf, muß vollzugsfreundlich, jedes Gesetz gerichtsfreundlich sein. Der Gesetzgeber muß den Rechtsanwender im Blick haben; er muß ihm taugliche Arbeitsmittel liefern, die ihm seine Dienstleistungsfunktion - Vollzug und Befriedung - ermöglichen und erleichtern. Er trägt Mitverantwortung gegenüber den anderen Staatsgewalten, daß sie ihre Aufgaben funktionsgerecht erfüllen können ..." 623
Dazu gehören auch die gesellschaftlichen Kosten der Wirkungen, vgl. Hentschel, B., Die Kosten von Gesetzgebung und Gesetzesvollzug - Hilfs- und Spanndienste der Betriebe für den Staat, Personalwirtschaft 7/1982, S. 21ff. 624 Beispiele dafür, daß dies nicht immer der Fall ist, gibt Bender, R., S. 29: „Bis heute ist es häufig noch so, daß der Gesetzgeber noch nicht einmal aus seinen zufällig bekanntgewordenen Fehlem lernt. Beim Wohnungsgeldzuschuß und beim Heizölzuschuß wußte man an Hand von Erfahrungen in kleinen Gemeinden - wo so etwas eher bekannt wird - , daß gerade diejenigen Bevölkerungskreise, die es am meisten angeht, von sich aus keinen Antrag stellen. Gleichwohl hat der Gesetzgeber jetzt beim Kindergeld das Antragsverfahren gewählt und ist nun baß erstaunt, daß die Unterschicht noch immer nicht mit dem Formularunwesen der Bürokratie zurechtkommt." 625 Vgl. Freund, D., Rechtssetzung und Rechtswirksamkeit, in: Eichenberger, K. / Buser, W. / Métraux, A. u. a. (Hg.), Grundfragen der Rechtssetzung, Basel 1978, S. 173ff.; Noll, P., Gründe für die soziale Unwirksamkeit von Gesetzen, in: Rehbinder, M. / Schelsky, H. (Hg ), Zur Effektivität des Rechts, Jahrbuch für Rechtssoziologie und Rechtstheorie Bd. 3, Gütersloh 1972, S. 259ff.; ders., Zusammenhänge zwischen Rechtssetzung und Rechtsanwendung in allgemeiner Sicht, ZSR II. Hb./1974, S. 249ff. 626 Vgl. Bender, R., Die Zielverwirklichungstechnik in der Gesetzgebungslehre - Vorüberlegungen zu einem allgemeinen Teil, in: Rödig, J. (Hg.), Studien zu einer Theorie der Gesetzgebung, Berlin / Heidelberg / New York 1976, S. 475ff.
2. Verfahrensmäßige Strukturveränderungen
325
gen 627 oder der Gesetzgeber sich schlicht geirrt bzw. Regelungsbedarf übersehen hat. 628 In all diesen Fällen ist der Gesetzgeber in der Regel zu erneutem Tätigwerden aufgefordert. 629 Inwieweit er dazu verpflichtet ist, 630 wird an anderer Stelle zu untersuchen sein. Fest steht jedoch, daß all die aufgezählten Fälle nur dann klar und verbindlich registriert werden können, wenn eine Erfolgs- und Wirkungsanalyse vorgenommen wird. Diese muß fester Bestandteil des gesetzgeberischen Verfahrens werden, welches insofern eine Ausdehnung über die formale Verabschiedung durch den parlamentarischen Gesetzgeber erfährt. Es darf nicht der Zufälligkeit und Beliebigkeit überlassen bleiben, ob die Novellierungsbedürfligkeit eines Gesetzes dem parlamentarischen Gesetzgeber zur Kenntnis gebracht wird oder nicht. Dieser Ansatz beinhaltet allerdings auch, daß die negative Bewertung von allzu schnell erfolgenden Novellierungen überdacht werden muß. Wenn man mit gutem Grund eine Experimentalphase und Praxistests in institutionalisierter Form ablehnt, muß man bereit sein, erkannte gesetzgeberische Defizite nachträglich zu korrigieren. Ein solches Plädoyer für eine unbefangenere Betrachtung von Novellierungen beinhaltet keineswegs einen Freibrief für den Gesetzgeber, nunmehr nachlässig und kurzatmig zu arbeiten, da man ja ohnehin 'nachbessern' könne, sondern meint, daß bei aller Sorgfalt und dem Ausbau des verfahrensmäßig verbindlich strukturierten Procedere durch nachprüfbare und transparente Mechanismen die Wirkung von gesetzgeberischen Entscheidungen nicht immer klar abzuschätzen sind, und deshalb Gesetzgebung im demokratischen Staat in ihrem periodisch-fragmentarischem Charakter auch berechtigter Novellierung zugänglich sein muß. Dieses Verfahren ist dem Gesetzestest deshalb vorzuziehen, da die gemachten Erfahrungen mit dem Gesetz tatsächlich in der gesellschaftlichen Wirklichkeit gesammelt wurden, und nicht Simultancharakter mit all seinen Unwägbarkeiten besitzt.
627
Vgl. dazu Breuer, R., Legislative und administrative Prognoseentscheidungen, Der Staat 16/1977, S. 2Iff.; Gehmacher, E., Methoden der Prognostik, Freiburg 1971; Seetzen, U., Der Prognosespielraum des Gesetzgebers, NJW 1975, S. 429ff; Stettner, R, DVB1. 628
Dazu allgemein Canaris , Κ. W., Die Feststellung von Lücken im Gesetz, Berlin 1964.
629
Vgl. dazu grundsätzlich Badura, P., in: Müller, G. / Rhinow, R. A. (Hg.), S. 48Iff.
630
Zur Nachbesserungspflicht vgl. auch BVerfGE 25, 1 (12f.); 49, 89 (130, 132); 50, 290 (332f.); 55, 274 (308, 317); 56, 54 (78ff); BVerfG, NJW 1981, S. 2107ff. (S. 2109).
V. Justiziabilität der Grundvoraussetzungen demokratischer Gesetzgebung 1. Notwendigkeit der verfassungsrechtlichen Überprüfung des inneren Gesetzgebungsverfahrens a) Das Ungenügen inhaltlicher Kontrolle Bislang liegt der Schwerpunkt verfassungsgerichtlicher Überprüfung auf der inhaltlichen Kontrolle des Gesetzes. Mängel in der Willensbildung bei den gesetzgebenden Organen werden in der Regel als nicht beachtlich angesehen, solange nur die Formalien des gesetzgeberischen Verfahrens eingehalten werden. Die Jurisdiktion hat dieser Auffassung gemäß lediglich zu prüfen, ob der I n h a l t des Gesetzes in unzulässiger Weise in die geschützten Rechte der Bürger eingreift. Diese Auffassung, die Klaus Schiaich noch einmal in seinem Staatsrechtslehrerreferat in dem Satz zusammengefaßt hat: „Das Gesetz löst sich - ganz anders als der bekanntgegebene Verwaltungsakt, solange er noch gerichtlicher Kontrolle unterliegt - mit der Verkündung durch den Bundespräsidenten von dem Prozeß seiner Entstehung." 631 Dieser Haltung ist zweierlei entgegenzuhalten. Aus ihr spricht ein absolutistisches Verständnis des Gesetzes und des Gesetzgebers, welches demokratischer Gesetzgebung nicht gerecht wird. Hier wird das Gesetz nicht als komplexes, in seiner Bedeutung stets in der Wirklichkeit zu relativierendes Regelungsinstrument angesehen, sondern als ein vom höchsten Souverän der Gesellschaft geschaffenes Instrument, bei dem es unzulässig ist zu prüfen, wie es zustandegekommen ist. Mit anderen Worten, solange der absolute Herrscher, der Gesetzgeber die Rechte seiner Bürger nicht in relevanter Weise verletzt, hat er „Narrenfreiheit", hat er es in der Hand, derart zu procedieren, daß es „wie eine aufwendige, aber unseriöse Farce" 632 wirkt. Im Extremfall kann er Gesetze hinter verschlossenen Türen beraten, kann den Interessenten Einfluß und Macht gewähren, denen er sich verbunden fühlt und andere ausschließen. A l l dieses unter Ausschluß jeder Öffentlichkeit. Die an der Gesetzgebung Beteiligten
631
Schiaich, K., VVDStRL, S. 108.
632
Schneider, H., in: Ritterspach, Th. / Geiger, W. (Hg.), S. 421.
1. Notwendigkeit der verfassungsrechtlichen Überprüfung
327
mögen das Gewicht ihrer Beteiligung verschieben, 6 3 3 ohne daß überprüft werden könnte, ob bei dieser Einflußverlagerung noch allen Beteiligten genügend Entscheidungsfreiheit für die ihnen grundgesetzlich zugewiesenen Entscheidungskompetenzen geblieben ist oder ob alle Beteiligten in der Form ihrer M i t wirkung auch für die auf sie verlagerte Kompetenz, die möglicherweise auch nur i n einer stärkeren Kompetenzdichte besteht, ausreichend verfassungsrechtl i c h legitimiert s i n d . 6 3 4 A l l dies ist irrelevant, wenn man von der Prämisse ausgeht, daß der Gesetzgeber „gar nichts anderes als das Gesetz" 6 3 5 schulde. Dies würde bedeuten, daß der wichtigste Bereich innerhalb der verfassungsrechtlich strukturierten Rechtsordnung, der gesetzgeberische Verfahrensbereich,
633 Die Problematik wird besonders am Beispiel der Tätigkeit des Vermittlungsausschusses deutlich. Vgl. dazu etwa Jahn, G., Fehlentwicklungen im Verhältnis von Bundesrat und Bundestag?, ZParl 1976, S. 291ff; Stromeier, R. W., Der Vermittlungsausschuß als Überausschuß? Anmerkungen zur Kompetenz des Vermittlungsausschusses anläßlich seiner Beschlußfassung zu Art. 26 a 2. Haushaltsstrukturgesetz 1982, ZParl 1982, S. 473ff; Bismarck, H., Grenzen des Vermittlungsausschusses, DÖV 1983, S. 269ff.; Zeh, W., Zur verfassungsrechtlichen Problematik einer Beschlußempfehlung des Vermittlungsausschusses, unveröffentlichtes Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages, Bonn 1982; Trossmann, H., Bundestag und Vermittlungsausschuß, JZ 1983, S. 6ff; Jekewitz, J., Der Vermittlungsausschuß. Verfassungsauftrag und Verfassungswirklichkeit, RuP 1982, S. 70ff ; Kirn, M., Die Umgehung des Bundesrates bei ganz besonders eilbedürftigen Regierungsvorlagen, ZRP 1974, S. Iff.; Schenke, W. R.; Franßen, E., Der Vermittlungsausschuß - politischer Schlichter zwischen Bundestag und Bundesrat? Bemerkungen zur Stellung des Vermittlungsausschusses im Gesetzgebungsverfahren, in: Vogel, H. J. / Simon, H. / Podlech, A. (Hg.), Die Freiheit des Anderen. Festschrift für M. Hirsch, Baden-Baden 1981, S. 273ff; Hasselsweiler, E., Der Vermittlungsausschuß. Verfassungsgrundlage und Staatspraxis, Berlin 1981; Heide, W. v. d., Der Vermittlungsausschuß. Praxis und Bewährung, DÖV 1953, S. 129ff; Henseler, P., Möglichkeiten und Grenzen des Vermittlungsausschusses. Eine Untersuchung am Beispiel des 2. Haushaltstrukturgesetzes, NJW 1982, S. 849ff ; Dästner, Ch., Die Geschäftsordnung des Vermittlungsausschusses, Berlin 1995; Posser, D., Der Vermittlungsausschuß, in: Vierzig Jahre Bundesrat. Tagungsband zum wissenschaftlichen Symposion in der Ev. Akademie Tutzing vom 11. bis 14. April 1989. Hrsg. vom Bundesrat, Baden-Baden 1989, S. 203ff. 634
Vgl. dazu auch das Beispiel bei Konrad, H.-J., Parlamentarische Autonomie und Verfassungsbindung im Gesetzgebungsverfahren, DÖV 1971, S. 80f. 635 Schiaich, K., VVDStRL, S. 109. Wenn Schiaich jedoch als Kronzeugen für diese Auffassung Geiger, W., Gegenwartsprobleme der Verfassungsgerichtsbarkeit aus deutscher Sicht, in: Berberich, Th. / Holl, W. / Maaß, K.-J. u. a., Neue Entwicklungen im öffentlichen Recht, Stuttgart/ Berlin / Köln u. a. 1979, S. 131ff. (S. 141), zitiert, dann fällt es schwer, in dem Zitat eine Unterstützung für die Meinung Schiaichs zu sehen, da dieses sehr viel differenzierter zu interpretieren ist: „Der Gesetzgeber schuldet den Verfassungsorganen und Organen im Staat, auch den Verfassungsgerichten, nichts als das Gesetz. Er schuldet ihnen weder eine Begründung noch gar die Darlegung aller seiner Motive, Erwägungen und Abwägungen." Diese Auffassung schließt nur aus, daß der Gesetzgeber unter einen Rechtfertigungszwang gegenüber den anderen Gewalten gerät, sagt jedoch nichts darüber aus, was sich die am Gesetzgebungsprozeß Beteiligten untereinander schulden und was der Gesetzgeber hinsichtlich seiner Verfahrensweisen der Verfassung und dem Bürger schuldet.
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V. Justiziabilität der Grundvoraussetzungen demokratischer Gesetzgebung
ein weitgehend rechtsfreier, nicht einsehbarer und nicht kontrollierbarer Arkanbereich ist 6 3 6 und lediglich das Ergebnis, das Gesetz der rechtlichen Überprüfung zugänglich wäre. Gewiß könnte man einwenden, daß die Verfassungspraxis allein schon durch die öffentliche Meinung gehalten ist, so willkürlich nicht zu verfahren. Nur warum soll der Bürger, der von einem Gesetz betroffen wird, darauf angewiesen sein, wenn der Verdacht besteht, daß im Verfahren all das, oder zumindest einiges was vorstehend aufgezählt wurde und nicht den Verfahrensweisen des demokratischen Rechtstaates entspricht, praktiziert wurde, daß die Medien hier regulierend und überprüfend eingreifen oder die jeweilige Opposition Alarm schlägt. Er muß darauf vertrauen können, daß die Jurisdiktion die Einhaltung des demokratisch-rechtsstaatlichen Verfahrens genauso überprüfen wird, wenn dazu Anlaß besteht, wie den Inhalt des Gesetzes. Noch gibt es zu wenige empirisch belegte Beispiele solcher Verfahrensweisen, deren Existenz jedoch unbestritten sein dürfte. Der Protest von vereinzelten im gesetzgeberischen Entscheidungsprozeß Mitwirkenden 637 oder die Kritik in der Öffentlichkeit 638 haben bislang nicht dazu geführt, daß für die Zukunft solcherart Procedere ausgeschlossen wären. Auch Selbstkritik der maßgeblich Verantwortlichen für solche das Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip verletzenden Verfahrensweisen, wie sie etwa bei der Verabschiedung des 2. Haushaltsstrukturgesetzes deutlich wurden, 639 gibt keinerlei Garantie für das Funktionieren der Selbstkontrollmechanismen, die nur gedeihen können, wenn die Beteiligten ein tiefes Verständnis von den Grundprinzipien demokratisch-rechtsstaatlicher Entschei-
636 Zu einem solchen Ergebnis kommt man letztlich auch, wenn Verfahrensfehler des Gesetzgebungsprozesses durch den formalen Gesetzesbeschluß des Bundestages als geheilt angesehen werden sollen. So etwa Hemeler, P., NJW; Die tie in, M. J., Der Dispositionsrahmen des Vermittlungsausschusses, NJW 1983, S. 80ff. (S. 87ff); weitere Nachweise bei Schenke, W.-R., S. 72, Anm. 171, der mit Recht anderer Auffassung ist (S. 72ff). 637 Vgl. zum spektakulären Fall der Behandlung des 2. HaushaltsstrukturG die Kritik von Abgeordneten wie Däubler-Gmelin, H., Vermittlungsausschuß - ein beschämendes Ärgernis in Bonn. So wird der Bundestag um seine Rechte gebracht, in: Die Zeit vom 23.4.1982, S. 13; MdB Schneider, O. (CSU, damals Vorsitzender des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau), BT-StenBer. 9/97, S. 5904ff.; MdB Wernitz, A. (SPD, damals Vorsitzender des Bundestagsinnenausschusses), zitiert in: SZ vom 16.12.1981, Vermittlungsausschuß darf kein Ersatzparlament sein. 638
Vgl. z. B. Herles, Vom Vermittlungsausschuß zum Überausschuß, in: FAZ vom 21.12.1981, S. 12; Dreher, Verschwörung gegen das Parlament, in: SZ vom 4.5.1982, S. 4. 639 Vgl. die Äußerungen des damaligen Finanzministers Matthöfer zu den Vorgängen um die Beratung des 2. HaushaltsstrukturG vor der Vertretung der Länder, BR-StenBer. 507/81, S. 458: „Darüber, ob alle Beschlüsse des Vermittlungsausschusses auch formal richtig zustandegekommen sind, wird man nachdenken müssen ... Ich finde es im Grunde unerhört, was dort vorgegangen ist. Wir sollten das nie wieder tun: Auf diese Weise Dinge hineinzuschreiben, die nachher ohne Diskussion vom Deutschen Bundestag beschlossen werden sollen. Einmal und nie wieder!"
1. Notwendigkeit der verfassungsrechtlichen Überprüfung
329
dungsfindung besitzen und dieses nicht auf dem Altar kurzfristiger politischer Zielerreichung opfern. 640 Um so verdienstvoller ist es, wenn sich nunmehr auch die Rechtswissenschaft der empirisch nachprüfenden Kontrolle annimmt und damit auch der Jurisdiktion Richtungen weist. b) Die verfassungsrechtlichen Grundlagen richterlicher Überprüfung des gesetzgeberischen Procedere Die Grundlage zur Überprüfung ergibt sich nicht allein aus den Prinzipien des Rechtsstaates und der Demokratie, deren Stellenwert im Zusammenhang mit dem Gesetzgebungsverfahren an anderer Stelle behandelt wurde, sondern auch noch aus weiteren Überlegungen. An anderer Stelle wurde dargelegt, daß es den freien, autonomen Gesetzgeber nicht gibt, sondern daß die im Gesetzgebungsverfahren mitwirkenden, Kompetenz zugewiesen bekommenden Organe und Personen in einem Netz von rechtlichen, faktischen und politischen Beziehungen ihrer Aufgabe nachkommen müssen, kurzum Rechtssetzung selbst organisiertes Handeln darstellt und kein rechtsfreier Raum staatlicher Funktionsausübung ist. Wenn dem so ist, muß dieser Bereich auch grundsätzlich der Rechtskontrolle unterliegen, soweit es um rechtliche Fragen und nicht um politische Inhalte geht. Erne weitere Überlegung führt ebenfalls flankierend zu verstärkter richterlicher Überprüfung gesetzgeberischen Procederes. Wenn die hier entwikkelten Grundvoraussetzungen demokratischer Gesetzgebung im Verfahren nicht eingehalten wurden, besteht auch hinreichende Wahrscheinlichkeit, daß der Inhalt von diesen Verfahrensfehlern nicht unberührt geblieben ist. Wenn z. B. in einem Gesetzgebungsverfahren, um ein extremes Beispiel zu nehmen, einer Interessentenseite schon im Entwurfsstadium und dann später auch bei den parlamentarischen Anhörungen Raum zur Darlegung ihrer Ansichten gegeben
640 So wurde z. B. der Verfahrensablauf bei der Behandlung des 2. HaushaltsstrukturG vom niedersächsischen Ministerpräsidenten Albrecht verteidigt, BR-StenBer. 507/81, S. 460f.: „Nun will ich gerne noch einige Worte zu der Kritik sagen, die am Vermittlungsausschuß lautgeworden ist. ... Das eine ist, daß der Vermittlungsausschuß, wie man sagt, unter Ausschluß der Öffentlichkeit eigentlich ein bißchen undemokratisch tage und diese Republik regiere. Nun, meine Damen und Herren, die eigentlichen Entscheidungen fallen nach wie vor im Bundestag und Bundesrat nach Debatte und in aller Öffentlichkeit... Aber es ist doch nun weiß Gott nichts Außergewöhnliches, daß wichtige Vorentscheidungen in anderen Gremien fallen. Wichtige Vorentscheidungen fallen in den Ausschüssen des Deutschen Bundestages und etwa auch unserer Landtage. Sie tagen nicht öffentlich. Wichtige Vorentscheidungen fallen in den Fraktionen, insbesondere in den Regierungsfraktionen. Sie tagen auch nicht öffentlich. Dort, wo es Koalitionen gibt, fallen wichtige Vorentscheidungen, wie jeder weiß, in Koalitionsbesprechungen und Koalitionsausschüssen. Sie müssen in der Regel von den Fraktionen getragen werden. Diese Koalitionsausschüsse tagen ebenfalls nicht öffentlich. Ich meine also, daß beim Vermittlungsausschuß nichts Besonderes vorliegt..."
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V. Justiziabilität der Grundvoraussetzungen demokratischer Gesetzgebung
wurde, ist mit einiger Wahrscheinlichkeit zu erwarten, daß diese Interessen auch den Inhalt nicht unbeeinflußt gelassen haben. 641 Aus dieser Erkenntnis heraus, daß der verfassungskonforme Inhalt oftmals erst durch Rückgriff auf die Überlegungen und Handlungen des Gesetzgebers während des Verfahrens festgestellt werden kann, gründet das Bundesverfassungsgericht auch Elemente der Verfahrensüberprüfung, die in seiner Rechtsprechung nachweisbar sind, ohne daß dafür jedoch ein genereller Maßstab etwa gleich den hier genannten vier einzuhaltenden Grundvoraussetzungen angelegt wird. Durch das Fehlen eines solchen Maßstabes, der ja nicht nur die Verfahrenskompetenz des Gesetzgebers beschränken muß, sondern auch dem Gericht Bindungen auferlegt, besteht die Gefahr, daß das Bundesverfassungsgericht über die Einfallschneise der Verhältnismäßigkeit einer gesetzlichen Regelung von Fall zu Fall mehr oder minder willkürlich, Verfahrensfragen moniert und in Wirklichkeit den politischen Inhalt gesetzgeberischer Regelungen meint, nachdem es ohnehin den Rubikon verfahrensmäßiger Überprüfungsschranken mit dem Volkszählungsurteil überschritten hat. 642 Wenn aber die hier geforderte Überprüfung auch des gesetzgeberischen Procedere sich auf die entwickelten Grundvoraussetzungen zu beschränken hat, verbietet es sich, daß das Gericht im bisherigen Umfange über Inhalt und Güte der geschaffenen Regelung unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit entscheidet, sondern, wie auszufuhren sein wird, gewinnt der Gesetzgeber durch den Nachweis eines demokratischrechtsstaatlichen Verfahrens in der Gesetzgebung gegenüber dem Gericht einen größeren Spielraum hinsichtlich des Inhalts der Gesetzgebung zurück. Es findet sozusagen eine Beweislastumkehr statt. Muß der Gesetzgeber augenblicklich, und zwar Exekutive und Legislative, wie schon erwähnt, vor dem Gericht als 'Angeklagter' darlegen, daß die von ihm gefundene Regel verhältnismäßig, sachgerecht etc. ist, und findet dabei genügend Überzeugungskraft oder nicht, wird in dem neu zu strukturierenden Kontrollverfahren der Gesetzgeber lediglich darzulegen haben, daß das Verfahren zur Entscheidungsfindung demokratisch-rechtsstaatlichen Anforderungen genügt und das Gericht hat dann darzulegen, warum trotz dieses fehlerfreien Verfahrens die entstandene Norm evident gegen das Grundgesetz verstößt.
641 Dies wird in der gesetzgeberischen Praxis nur selten und schwer zu beweisen sein. Aus diesem Tatbestand sind an anderer Stelle Folgerungen zu ziehen. Dort, wo es darum geht, welche konkreten Folgen eine relevante Verfahrensverletzung, etwa einseitiger ausschließlicher Interessenteneinfluß zeitigt. Vgl. dazu unten den Abschnitt 'Die Folgen festgestellter Verfahrensmängel im Gesetzgebungsprozeß'. 642
BVerfGE 65, 1.
1. Notwendigkeit der verfassungsrechtlichen Überprüfung
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Die Frage unter welchen Voraussetzungen potentielle Verfahrensmängel im Gesetzgebungsverfahren gerichtlich überhaupt überprüft werden können, ist differenziert zu betrachten. Weitgehend unproblematisch ist der Fall, in dem ein unmittelbar an der Gesetzgebung beteiligtes oder zu beteiligendes Organ in seinen Rechten verletzt worden ist. Hier soll jedoch im Mittelpunkt der Betrachtung stehen, ob der durch das Gesetz betroffene Bürger sich auf die Nichtbeachtung von verfahrensmäßigen Grundvoraussetzungen, seien diese nun positivrechtlich formulierte Verfahrensanweisungen oder aus allgemeinen Verfassungsprinzipien ableitbare Verfahrensgrundsätze, berufen kann. Kann ζ. B. ein Bürger sich darauf berufen, daß ein Gesetz, das unter Ausschluß der Öffentlichkeit zustande kam, nicht rechtmäßig ist? Kann er geltend machen, daß ein Gesetz unter zeitlich nicht zumutbaren Bedingungen für die einzelnen Entscheidungsträger zustande kam, oder daß in den Anhörungen die Anzuhörenden willkürlich ausgewählt wurden und damit nicht ausschließbar seine Rechte verletzt worden sind, weil bei Einhaltung gewisser Grundvoraussetzungen im Verfahren, die gesetzgeberische Entscheidung ihn unter Umständen weniger in seinen Grundrechten belastet hätte? Um das zugespitzte Beispiel von Hans Schneider zur drastischen Verdeutlichung der Kernproblematik zu nehmen: Kann der durch das Gesetz betroffene Bürger sich beispielsweise wegen Verletzung seiner Grundrechte gegen ein Gesetz wenden, welches in seinem Inhalt in grundrechtstangierender Hinsicht gerade noch vertretbar erscheint, aber durch Würfelspiel der Mitglieder des Bundesrates Wirkung entfalten konnte? Mit anderen Worten, sind die weiter oben formulierten Grundvoraussetzungen demokratischer, rechtsstaatlicher Gesetzgebung lediglich moralisch unverbindliche Appelle an die in der Gesetzgebung Beteiligten oder aber rechtlich verbindliche Regeln, deren Verletzung unter gewissen Voraussetzungen auch der einzelne Bürger beanstanden kann? Es ist unbestritten, daß der einzelne Bürger aufgrund der weiten Interpretation der verfassungsmäßigen Ordnung i. S. des Art. 2 Abs. I GG gegen ein ihn belastendes Gesetz mit der Begründung vorgehen kann, daß es gegen materielles oder formelles Verfassungsrecht verstoße. Es kann deshalb kein Zweifel daran bestehen, daß der Verfahrensfehler neben der materiellen Verfassungsverletzung und unabhängig von einer konkreten Schutznormverletzung eigenständiger Art Verfassungsbeschwerdegrund und Prüfungsmaßstab ist. Dies ergibt sich auch aus den Art. 93 Abs. I Nr. 2 GG und den §§ 13 Nr. 6 und 76 Nr. 1 BVerfGG, in denen die abstrakte Normenkontrolle gleichwertig auf die förmliche und sachliche Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz gestützt werden kann. Auch hinsichtlich der Einbeziehung der elementaren Grundprinzipien, dem
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V. Justiziabilität der Grundvoraussetzungen demokratischer Gesetzgebung
Prinzip der Demokratie, dem bundesstaatlichen und rechtsstaatlichen Prinzip als Prüfungsmaßstab des gesetzgeberischen Verfahrens dürfte nichts entgegengehalten werden können. 643 Wie könnte es auch anders ein? Bezieht man diese Grundprinzipien nicht als Maßstab der Verfahrensmessung in den gesetzgeberischen Entscheidungsprozeß ein, dann wäre der Willkür Tür und Tor geöffnet, da wie beschrieben die gesetzgeberischen Organisationsbestimmungen der Verfassungen des Bundes und der Länder mehr als zurückhaltend formuliert sind und keinesfalls schon per se, Verhaltensweisen und Verfahren im gesetzgeberischen Prozeß ausschließen, die nicht im Einklang mit demokratischen, bundesstaatlichen und rechtsstaatlichen Prinzipien stehen. Es bleibt die methodische Problematik, ob, wie Schwerdtfeger meint, diese Prüfung, daß das Verfahren „in Ordnung war", dergestalt im Rahmen der Prüfung einer Grundrechtsverletzung erfolgen muß, weil „das innere Gesetzgebungsverfahren von der Analyse der Ausgangslage über die Zielfindung und Mittelzuordnung bis zur abschließenden Entscheidung insgesamt und in jeder Hinsicht methodisch einwandfrei ablaufen (muß) um Grundrechtseingriffe legitimieren zu können", 644 oder ob nicht auch die Prüfung des Verfahrens deshalb erfolgen muß, weil der einzelne Bürger, der von einem Gesetz betroffen ist, dieser Regelungsanordnung nur dann unterworfen ist, wenn dieses Gesetz gültig, d. h. verfassungsgemäß ist. Die Verfassungswidrigkeit kann ihre Ursache sowohl in der Verletzung von Verfassungsprinzipien im Verfahren, als auch im Inhalt der Regelung haben. Beides ist gleichrangig und deshalb ist m. E. nicht die methodische Konstruktion erforderlich, daß eine über Art. 2 I GG hinausgehende Grundrechtsverletzung vorliegen soll. 6 4 5 Jedes Gesetz, welches verfahrensfehlerhaft zustandegekommen ist, begrenzt in rechtswidriger Weise die grundrechtlich geschützte allgemeine Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. I GG. Der von dieser rechtswidrigen Regelung betroffene Bürger kann sich gegen die Verletzung des Art. 2 Abs. I GG vor dem BVerfG zur Wehr setzen, ohne noch im einzelnen darlegen zu müssen, daß diese verfahrensrechtlich fehlerhaft zustandegekommene Regelung auch inhaltlich gegen eines seiner Grundrechte verstößt. 646
643
So auch Papier, H.-J., Der verfahrensfehlerhafte Staatsakt, Recht und Staat 1973, S. 5ff.
644
Schwerdtfeger,
G., in: Stödter, R. / Thieme, W. (Hg.), S. 176.
645
Ebd., S. 178: „Der Grundrechtseingriff ist erst zulässig, wenn das innere Gesetzgebungsverfahren so rational wie möglich abgelaufen ist. So vermitteln erst die Verfahrensbindungen dem Grundrechtsträger durchgehenden Schutz gegen gesetzgeberische Willkür." 646
S. 29f.
Vgl. zu Art. 21 GG die grundlegende BVerfGE 6, 32 (36ff.); Papier, H.-J., Recht und Staat,
1. Notwendigkeit der verfassungsrechtlichen Überprüfung
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Im Gegenteil, der Inhalt tritt nach dem hier vertretenen Ansatz im Rahmen der verfassungsrechtlichen Überprüfung hinter die verfahrensrechtliche Seite zurück. Wenn feststeht, daß das Gesetz verfahrensfehlerhaft zustandegekommen ist, sind andere inhaltliche Grundrechtsverletzungen daneben nur noch relevant, soweit sie evident sind. Dies gilt auch für den Fall, daß das Gesetz verfahrensrechtlich einwandfrei zustandegekommen ist. Auch dann ist nur eine Evidenzprüfung hinsichtlich möglicher Grundrechtsverletzungen durch den Inhalt einer gesetzlichen Regelung vorzunehmen. Dabei spielt es keine Rolle, ob der Beschwerdeführer sich von Anfang an lediglich auf die Verletzung seiner Grundrechte durch den Inhalt der betreffenden Norm beruft, oder auf Verfahrensfehler beziehungsweise Verfahrensfehler und Inhalt. Dies impliziert die Ablehnung von Auffassungen, die sozusagen um der Verbesserung des Grundrechtsschutzes willen die Pflöcke des Grundrechtsschutzes gegen Verletzungen durch den Inhalt einer Norm in das Verfahren des Zustandekommens dieser Norm vorversetzen, d. h. grundsätzlich den Inhalt erst dann verfassungskonform ansehen, wenn das Verfahren etwa „so rational wie möglich abgelaufen ist." 6 4 7 Da Schwerdtfeger erkennt, daß eine solche Ausdehnung der verfassungsrechtlichen Überprüfung durch Vorverlagerung der grundrechtsrelevanten Erwägungen in das Verfahren des Zustandekommens einer Norm eine weitere Verschiebung des Gewichts der Gewalten mit sich bringen könnte, macht er die Einschränkung, daß nur dann Rechtsfolgen an eine Verletzung der eigentlich gebotenen Verfahrenserfordernisse geknüpft werden sollen, wenn nicht auszuschließen sei, daß der Verfahrensfehler den Inhalt der Regelung negativ, d. h. zu Ungunsten der Grundrechtsverwirklichung des Betroffenen, beeinflußt hat. 648 Eine solche 'Grenze' wird jedoch außerordentlich große Beweis- und Abwägungsschwierigkeiten mit sich bringen. Wenn ζ. B. Ministerialbeamte und / oder Abgeordnete massiv von Interessenten in einer Weise beeinflußt worden sind, die nichts mehr mit einem Prozeß, der 'so rational wie möglich ablaufen' soll, gemein hat, werden dennoch alle Beteiligten darauf verweisen, daß durch ihre Aktivitäten der Inhalt des Gesetzes nicht beeinflußt worden sei, zumindest werden die unmittelbar am Gesetzgebungsprozeß Beteiligten versichern, daß sie sich ihre Auffassung unabhängig von der Einflußnahme der Interessenten gebildet hätten.
647
Schwerdtfeger,
648
Ebd.
G., in: Stödter, R. / Thieme, W. (Hg.), S. 178.
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Aber nicht nur aus diesen praktischen Erwägungen heraus ist der Ansatz Schwerdtfegers in diesem Punkt vorsichtig zu beurteilen, sondern es sprechen auch gewichtige theoretische Argumente dagegen. Verfassungstheoretisch bedeutet die Vorverlagerung des Grundrechtsschutzes eine weitere Störung des Gleichgewichts zwischen Verfassungsjurisdiktion und Gesetzgeber, da die vorgeschlagene Grenzziehung keine Garantie für Zurückhaltung des Gerichts in sich birgt. Hält sich jedoch das Gericht zurück, dann ist auch die Frage der Wirksamkeit dieses Ansatzes gestellt. Der andere, theoretisch bedeutendere Grund für Kritik ist die Frage, ob es überhaupt zulässig sei, festzustellen, daß eine Norm verfahrensfehlerhaft zustandegekommen ist, sie aber nur dann als unwirksam betrachten zu wollen, wenn gewisse zusätzliche Vorausetzungen erfüllt werden und sich bei der Herausarbeitung solcher Voraussetzungen über die Grenze zwischen Verwaltungsrecht und Staatsrecht hinwegzusetzen. Diese Problematik soll an anderer Stelle der Arbeit weiterverfolgt werden, da sie die Rechtsfolge des gesetzgeberischen Verfahrensfehlers betrifft. 649 c) Die Schranken der verfassungsrechtlichen Verfahrensüberprüfung aa) Mindestanforderungen
und nicht optimale Methodik
Die schon zur klassischen Formulierung gewordene Forderung Schwerdtfegers zur Pflicht des Gesetzgebers zur optimalen Methodik der Gesetzgebung650 hat die Diskussion um das Gesetzgebungsverfahren durch die Weitgriffigkeit ihrer Konsequenz richtig in Gang gebracht, und von der politologischen bzw. gesetzgebungstechnischen Ebene, deren Bedeutung nicht verkannt werden soll, auf die Ebene der staatsrechtlichen Verhandlung geführt, wo sie ihres Gegenstandes und ihrer Bedeutung nach auch hingehört. Schwerdtfeger geht nicht darauf ein, ob diese einer verfassungsrechtlichen Überprüfung zugängliche Pflicht des Gesetzgebers zur optimalen Gesetzgebungsmethodik in ihrer Folge so unglaubhaft dies auf den ersten Blick auch erscheinen mag - eine einschränkende Wirkung auf die Prüfungspraxis und Prüfungskompetenz des Bundesverfassungsgerichts hat. So bleibt unklar, ob dies nicht eine Stärkung gesetzgeberischer Gestaltungsfreiheit mit sich bringen kann, und so waren die Reaktionen derer, die das Bundesverfassungsgericht ohnehin in seiner starken Stellung gegenüber dem Gesetzgeber mißtrauisch beobachten, entsprechend deutlich.
649 Vgl. unten den Abschnitt 'Die Folgen festgestellter Verfahrensmängel des Gesetzgebungsverfahrens \ 650
Schwerdtfeger,
G., in: Stödter, R. / Thieme, W. (Hg.).
1. Notwendigkeit der verfassungsrechtlichen Überprüfung
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I n Schrift und W o r t „sehr hart u n d klar f o r m u l i e r t " 6 5 1 k a m m a n dem verm e i n t l i c h durch die Verfassungsgerichtsbarkeit noch mehr als bisher bedrohten Gesetzgeber zur H i l f e : „ D e r Gesetzgeber schuldet nicht eine 'optimale M e t h o d i k der Gesetzgebung' u n d nicht eine nachprüfbare Rationalität des Prozesses der Entscheidungsfindung." 6 5 2 D e m ist insoweit zuzustimmen, daß der Gesetzgeber i n der Tat nicht eine „ o p t i m a l e M e t h o d i k der Gesetzgebung" s c h u l d e t . 6 5 3 Allerdings ist er verpflichtet, gewisse Mindestanforderungen an das gesetzgeberische Procedere, die sich w i e dargelegt aus den Prinzipien unserer Verfassung ergeben, einzuhalten. 6 5 4 Über den Umfang, die rechtliche Grundlage solcher Mindestanforderungen und ihre V e r b i n d l i c h k e i t herrscht n o c h weitestgehend keine Klarheit u n d so sind auch die i n dieser A r b e i t vertieften Grundvoraussetzungen eines solchen gesetzgeberischen Procedere als Vorschläge
zu
betrachten. 6 5 5 Dies ändert nichts daran, daß vor der Benennung u n d Ableitungs-
651 So charakterisierte Kisker, G., die Äußerungen von Schiaich, K., VVDStRL, vgl. Leitsatz 4, in dessen Referat während der Diskussion, VVDStRL 1981, S. 172. 652 Schiaich, K., VVDStRL, Leitsatz 4 und S. 106ff ; kritisch bzw. zweifelnd an der Realisierbarkeit dieser These Meyer, H., Diskussion, VVDStRL 1981, S. 179f.: „In den Thesen 4 und 5 haben Sie gesagt, was mir sehr sympathisch ist, daß das Gesetz Gegenstand der Verfassungskontrolle ist und nicht etwa der Gesetzgeber oder das gesetzgeberische Verfahren. Das klingt sehr schön, ichfrage mich aber, ob es sich tatsächlich durchhalten läßt und ob es nicht auch gewisse Schattenseiten hat, die zu bedenken sind." 653 Ebenso neben Schiaich., K., VVDStRL, Kloepfer, M., VVDStRL, S. 89: „Die Abgeordneten sind - und so falsch ist das nicht - regelmäßig keine Sachverständigen für gesetzliche Sachregelungsmaterien, sondern Experten des politisch Machbaren. Sie trifft keine Verfassungspflicht zur optimalen Methodik der Gesetzgebung, sondern lediglich eine behutsam zu umreißende Pflicht zu einer von wesentlichen Fehlernfreien Gesetzesmethodik." Vgl. auch Gusy, Ch., Das Grundgesetz als normative Gesetzgungslehre?, ZRP 1985, S. 29Iff. 654 Es ist unübersehbar, daß die Befürworter solcher Mindestanforderungen an Zahl zunehmen. Das mag nicht zuletzt vor dem Hintergrund geschehen, daß die Rechtsprechung zu den Neugliederungsfragen der gemeindlichen Selbstverwaltung, deren Sinn bekanntlich außerordentlich angezweifelt wurde, wie Meyer, H., VVDStRL, S. 80, formulierte, die Gesetze zur Neugliederung zwar „alle ungreifbar" waren, den Richtern jedoch „das Verfahren, die Materialien etc." angreifbar erschienen. Zu denen, die die Einhaltung, zumindest erst einmal die Ausgrenzung von Mindestanforderungen für das Procedere fordern, gehört Kloepfer, M., VVDStRL, S. 90: „Insbesonders werden - trotz aller Schwierigkeiten der rechtlichen Faßbarkeit des Politischen - verfassungsrechtliche Mindeststandards für eine rationale gesetzgeberische Entscheidung um so wichtiger " Kloepfer geht sogar noch weiter, indem er die Pflichten des Gesetzgebers auch noch über die Verabschiedung des Gesetzes hinaus durch die Forderung nach einer „Erfolgskontrollpflicht" des Gesetzgebers prolongieren will (ebd.). Schulze-Fielitz, H., Gesetzgebung als materiales Verfassungsverfahren, NVwZ 1/1983, S. 70ff, spricht von unverzichtbaren Charakteristika (S. 71), was insofern ungenau ist, wie es ja gerade nicht Charakteristikum des demokratischen Gesetzgebungsverfahren ist, bestimmte Verfahrensweisen per se einzuhalten, sondern diese erst aufgestellt und durch Kontrolle auch durchgesetzt werden müssen. 655 Alle, die sich für die Einhaltung solcher Mindestanforderungen aussprechen, bleiben in Bezug auf den Umfang und die Grenzen solcher Anforderungen relativ allgemein oder greifen prüfend lediglich einen bestimmten Punkt, den sie im Verfahren der Gesetzgebung unbedingt beachtet sehen wollen, heraus. Vgl. etwa Kisker, G., VVDStRL, S. 172: „Ich meine, es ist berechtigt, in jenen Fällen, wo beträchtliche Gestaltungsspielräume auszufüllen sind, darauf zu bestehen, daß die
3 3 6 V .
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aufgabe solcher Mindestanforderungen demokratischen Gesetzgebungsverfahrens nicht kapituliert werden darf. Gelingt es diese Mindestanforderungen des Procedere zu entwickeln und durchzusetzen, hat die Jurisdiktion nicht nachzuprüfen, wie sie dies heute teilweise unter ganz anderen Begründungszusammenhängen praktiziert, ob eine Regel sowohl inhaltlich als auch in ihrem Zustandekommen 'optimal' ist, sondern die Gerichte haben sich darauf zu beschränken zu überprüfen, ob die Mindestanforderungen des Procedere eingehalten worden sind, und wenn dies der Fall ist, ob das Ergebnis nicht evident Grundrechte verletzt. Eine im Wortsinn verstandene 'optimale Methodik der Gesetzgebung' würde diesem Verständnis der Überprüfungskompetenz zuwiderlaufen und den Keim einer noch umfassenderen Überprüfung als sie bisher schon die Regel ist, in sich bergen. Mit anderen Worten, die Aufgabe der Gesetzgebungslehre zur Entwicklung von Maßstäben ist zunächst nicht 'Maßstäbe für die optimale Methodik der Gesetzgebung' zu entwickeln, sondern Mindestanforderungen des Verfahrens zur Begrenzung des Schadens zu entwickeln, der sich aus der Überlastung und Überforderung des Gesetzgebers ergibt 656 und der nicht durch sich an die Stelle des Gesetzgebers setzende Gerichte beseitigt werden kann und darf. bb) Der Eigenbereich der Exekutive und Legislative Eine weitere Einschränkung der Verfahrensüberprüfung ergibt sich aus Überlegungen, die ihren Grund im Prinzip der Gewaltenteilung finden. Dabei ist nicht mehr das formale Gewaltenteilungsprinzip gemeint, sondern das funktionalbezogene, das die Grenzen zwischen den Staatsorganen dort zieht, wo die jeweilige originäre Aufgabenerfüllung durch Einmischung, Kontrolle oder gar teilweise Übernahme der Ausführung behindert wird. 6 5 7 Dies gilt nicht nur zwi-
Diskussion im Vorfeld der Gesetzgebung und im Gesetzgebungsverfahren möglichst umfassend geführt wird, daß alle Möglichkeiten rationaler Entscheidungsfindung ausgeschöpft werden." Hier also als Mindestanforderungen: umfassende Diskussion, Ausschöpfung der Möglichkeiten rationaler Entscheidungsfindung. Kloepfer, M., VVDStRL, S. 90, spricht von „Pflichten des Gesetzgebers zur hinlänglichen Tatsachenermittlung oder (nachrangig) zur rationalen Prognose." 656
Zu einer „stärkeren rechtlichen Durchdringung' der Gesetzgebungsvorbereitung durch Gesetzgebung und Wissenschaft ruft auch Kloepfer, M., VVDStRL, S. 90 auf. 657 Vgl. dazu generell Scheuner, U., Der Bereich der Regierung, in: Rechtsprobleme in Staat und Kirche. Festschrift für Rudolf Smend, Göttingen 1952, S. 252ff.; Böckenförde, E. W., Organisationsgewalt; Engisch, K., Der rechtsfreie Raum, ZgesStW 1952, S. 385ff.; Husen, P. v., Gibt es in der Verwaltungsgerichtsbarkeit justizfreie Regierungsakte?, DVB1 1953, S. 70ff; Krüger, H., Der Regierungsakt vor den Gerichten, DÖV 1951, S. 536ff.; Lenz, H., Der Umfang gerichtlicher Prüfungsbefugnis gegenüber Rechtshandlungen des Regierungsbereiches in der Verfassungsordnung des Grundgesetzes, Diss. Marburg 1957; Loening, H., Regierungsakt und Verwaltungsgerichtsbarkeit, DVB1 1951, S. 233ff.; Rumpf H., Regierungsakte im Rechtsstaat, Bonn 1955; Obermayer, K., Der gerichtsfreie Hoheitsakt und die verwaltungsgerichtliche Generalklausel,
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sehen Exekutive und Legislative, sondern selbstverständlich auch für die Jurisdiktion. Hinsichtlich der Überprüfung des gesetzgeberischen Procedere des Gesetzgebungsverfahrens bedeutet dies, daß das Verfahren nur in dem Maße vor den Organen der Jurisdiktion offengelegt und auf Einhaltung der verfahrensmäßigen Grundvoraussetzungen überprüft werden darf, soweit diese Offenlegung und Kontrolle nicht die Aufgabenerfüllung der an der Gesetzgebung beteiligten Organe beeinträchtigt. Da naturgemäß die betroffenen Organe die Tendenz haben, ihren unantastbaren Eigenbereich weit auszudehnen, ist diese Grenzziehung nicht als unbedingt verbindlich hinzunehmen, sondern muß für jede einzelne staatliche Gewalt gesondert vorgenommen werden. Einmal mehr fällt es der Wissenschaft zu, die Maßstäbe der verfassungsrechtlichen Interpretation der grundgesetzlichen Kompetenzzuweisungen zu entwickeln. Zu beachten ist dabei, daß die Tendenzen der Abschottung und des Zugriffs der jeweiligen Gewalt gegenüber den anderen, unterschiedliche Intensität aufweisen und entsprechend auch die Folgen im Geflecht der 'checks' und 'balances' differenzierter Natur sein müssen. Der Exekutive gelingt es mehr und mehr erfolgreich, ihren Spielraum, den sie als unantastbaren und unkontrollierbaren Eigenbereich verstanden wissen will, auszubauen. Besonders erfolgreich ist sie hier gegenüber dem Parlament. Weniger jedoch gegenüber der Verfassungsjurisdiktion, wobei letztere nicht selten Kontrollfunktionen letzter Instanz ausübt, die eigentlich dem Parlament gegenüber der Exekutive zukämen. Solcherart Verfahrenskontrolle im Gesetzgebungsprozeß muß hinsichtlich der Respektierung solcher Eigenbereiche, in denen unter Umständen nicht einmal die Mindestvorausetzungen demokratischer Gesetzgebung beachtet worden sind, dann als eine unzulässige Einmischung betrachtet werden, wenn die Aufgabenerfüllung des betreffenden Organs behindert wird. Sowohl die Regierung als auch das Parlament haben, wie erwähnt, ein Interesse daran, ihre Entscheidungsprozesse möglichst in einer Form abzuwickeln, die Außenstehenden den Einblick verwehrt. Dies geschieht nicht deshalb, weil dunkle Mächte das Licht der Öffentlichkeit scheuten, sondern aus den verschiedenartigsten Motiven, die hier darzustellen nicht Aufgabe ist. Solche Gründe sind teils völlig legitim, etwa wenn die Regierung darauf Anspruch erhebt, zunächst einmal sich intern über Problemlösungen klar zu werden, bevor sie mit ihren Vorschlägen in die Öffentlichkeit tritt, teils entspringen sie einem vorde-
BayVBl 1955, S. 129ff; Wick, G. v., Kompetenzwahrnehmung im Bereich der Bundesregierung, Düsseldorf 1957.
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mokratischen Verständnis von Regierung und Öffentlichkeit, das die öffentliche Beteiligung am Willensbildungsprozeß lediglich als lästig und nicht als demokratieimmanent ansieht. Gleich aus welchen Gründen ist die Versuchung der Entscheidenden im Gesetzgebungsverfahren groß, selbst die Grenzen für den Bereich zu bestimmen, der sowohl vor der Öffentlichkeit abgeschirmt werden, als auch einer Überprüfung durch richterliche Kontrolle, über die Klassifizierung als „politische Entscheidung" 658 entzogen sein soll. Wenn das so ist, dann gewinnt die Frage, wer letztendlich über die Grenzziehung entscheidet, die an der Gesetzgebung und Regierung Beteiligten in eigener Verantwortung oder aber höchstrichterliche Verfassungsrechtsprechung, ein erhebliches Gewicht, und es ist nicht überraschend, daß darüber keine Einigung besteht. Während ζ. B. Kassimatis die Umgrenzung der Justiziabilität, soweit der Verfassungsgeber sich nicht entschieden hat, „dem Organisationsermessen" des Gesetzgebers überlassen will, 6 5 9 steht Hans Schneider auf dem gegenteiligen Standpunkt: „Es wird Sache der deutschen Gerichte sein müssen, die Grenzen ihrer richterlichen Gewalt gegenüber der politischen Staatsführung im einzelnen zu bestimmen und sich angemessene Selbstbeschränkung aufzuerlegen." 660 In der Tat hat sich der Verfassungsgeber mit der Entscheidung für den Rechtsstaat dazu bekannt, daß eine gerichtliche Kontrollbefugnis für alle Rechtsbindungen der Staatsgewalt abzuleiten ist. Diese Rechtsbindungen sind naturgemäß unterschiedlichster Art und lassen den ihr Unterworfenen mehr oder minder großen Spielraum. Die Entscheidung darüber, die gleichzeitig eine Entscheidung über den Umfang der Justiziabilität auch im inneren Bereich von Regierung und Parlament darstellt, ist durch die Grundentscheidung für den Rechtsstaat und zur demokratischen Staatsordnung gefallen und dem einfachen Gesetzgeber entzogen. Nach Klärung der Zuständigkeiten, wer über die Justiziabilität des inneren Bereichs von Legislative und Exekutive auf Regierungsebene zu entscheiden hat, bleibt die Frage offen, wo die Grenze solcher Justiziabilität liegt. Diese Diskussion ist außerordentlich komplex und weder bei uns 661 noch in anderen
658
Vgl. die Antipoden Schmitt, C., Der Begriff des Politischen, Berlin 1963 (Text von 1932) und Smendy R., Die politische Gewalt im Verfassungsstaat und das Problem der Staatsform, Festgabe für Wilhelm Kahl, Tübingen 1923. 659
Kassimatis, G., S. 175.
660
Schneider, H., Gerichtsfreihe Hoheitsakte, Recht und Staat Heft 160/161, Tübingen 1951,
S. 80. 661 Vgl. Frotscher, W., Regierung als Rechtsbegriff, Berlin 1975, S. 223ff.; Ipsen, H. P., Politik und Justiz. Das Problem der justizlosen Hoheitsakte, Hamburg 1937; Kaufmann, E., Die Grenzen der Verfassungsgerichtsbarkeit, VVDStRL 1952, S. Iff.; Leisner, W., Regierung als Macht kom-
1. Notwendigkeit der verfassungsrechtlichen Überprüfung
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vergleichbaren Staaten, wie etwa den Vereinigten Staaten von Amerika, 662 abgeschlossen. Bedenken gegen eine großzügige Unterstellung der Regierung oder Legislativaktivität unter die Kontrolle der Juristiktion ergeben sich insbesondere daraus, daß damit der Bereich des Politischen der Richterkontrolle unterstellt werde 663 und diese sich mit ihrer Entscheidungsfindung an die Stelle der Politiker setze. Die Gefahr sei besonders deshalb so groß, weil gerade in diesem Bereich „Rechtsprechung eben nur zum Teil rein rationale Schlußfolgerung ist, und zu einem erheblichen Teile irrational bewertende auf die Subjektivität des Richters zurückweisende Tätigkeit." 664 Deshalb müsse sich die richterliche Kompetenz für den politischen Bereich Selbstbeschränkungen auferlegen, um zu verhindern, daß eine „Gerondokratie einer, wenn auch noch so respektablen Elite des Berufsrichtertums" 665 entstehe. Die Skepsis reicht weit in die Literatur hinein. Entsprechend bemüht man sich, auch Maßstäbe für die Grenzen solch richterlichen Eingriffs in den Bereich des Politischen zu ziehen. Ein wenig hilfreicher Versuch ist es, zwischen Rechts- und Ermessensfragen zu differenzieren. Gibt es schon Probleme zu klären, wann in diesem politischen Entscheidungsbereich Fragen rechtlich oder politischen Charakter haben, wird diese Differenzierung noch untauglicher, wenn man eine richterliche Nachprüfung unternehmen will, ob die Entscheidungsträger ihr Ermessen richtig, d. h. im Rahmen des Rechts, ausgeführt haben. Mit diesen Maßstäben bleibt alles in der Hand des jeweiligen Richters und nichts ist a priori für die, die Justiziabilität gewisser Regierungsbereiche beschränkenden Maßstäbe gewonnen. 666 Die Befürchtung einer Juridifizierung wird gestützt durch die an anderer Stelle beschriebene Praxis des BVerfGs. Dabei wird allerdings viel zu wenig in der Diskussion auf die Unterscheidung zwischen dem Inhalt exekutiver oder legis-
binierten Ermessens, JZ 1968, S. 727ff; Thaysen, U., Sicherung der parlamentarischen Kontrolle über Regierungsplanung, ZParl 1972, S. 176ff 662 Rechtsvergleichend Bastid,, P., Le Gouvernement d'Assemblée, Paris 1956; Eisenmann, C., Gerichtsfreie Hoheitsakte im heutigen französischen Recht, JÖR 1953, S. Iff.; Mengel, H.-J., JÖR 1981; ders., Auskunftsverweigerung der Exekutive und Informationsanspruch des Kongresses in den Vereinigten Staaten von Amerika. Ein Beitrag der 'Exekutive-Privilege Doctrine', JÖR 1984, S. 367ff. 663 Vgl. etwa Thoma, R., Die Staatsgerichtbarkeit des Deutschen Reiches, in: Schreiber, O. (Hg ), Die Reichsgerichtspraxis im deutschen Rechtsleben, Bd. I, Berlin / Leipzig 1929, S. 179ff. (S. 197f.): „Es erhebt sich also die Frage, ob es nicht eine Grenze des Umfanges der Staatsgerichtsbarkeit gibt, deren Überschreitung die Demokratie entmannt, indem einem Berufsrichterkollegium erlaubt wird, seine eigenen politischen Bewertungen dem höchsten, als Repräsentanten des Mehrheitswillens geltenden, Reichs- und Staatsorgan hemmend entgegenzusetzen." 664
Ebd., S. 198.
665
Ebd., S. 200.
666 Vgl. auch Kassimatis, G., S. 178: „Die Unterscheidung zwischen Rechts- und Ermessensfragen mag klar sein, es bleibt aber offen, wie ihre Vermengung durch die Schwäche des konkreten Richters zu vermeiden wäre."
23 Mengel
3 4 0 V . Justiziabilität der Grundvoraussetzungen demokratischer Gesetzgebung
lativer Entscheidungen und den Verfahren, die zu dieser Entscheidungsfindung führen, eingegangen. Ersterer liegt im Verlaufe der Entscheidungsfindung völlig in der Hand von Exekutive und Legislative. Hier hat die Jurisdiktion weder an einer bestimmten Weggabelung, die zu verschiedenen Entscheidungsinhalten führt, zu überprüfen, ob dieser oder jener Weg inhaltlich der richtige war, sondern lediglich am Ende das vorgefundene Gesetz daraufhin zu überprüfen, ob es die Verfassung durch seinen Inhalt verletzt. Hier die Prüfung unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit vorzuverlegen, führt in der Tat zu einer Juridifizierung der Politik. Hinsichtlich der Kontrolle des Verfahrens während der exekutiven und legislativen Entscheidungsfindung unter dem Gesichtspunkt der Einhaltung rechtsstaatlicher und demokratischer Grundsätze, aus denen sich als Kontrollmaßstäbe gewisse in dieser Arbeit beschriebene unabdingbare Grundvoraussetzungen der Entscheidungsfindung ergeben, muß die Jurisdiktion der Verfassungsgerichtsbarkeit allerdings die Möglichkeit eingeräumt bekommen, im Einzelfall auch in innere Bereiche der Exekutive und Legislative überprüfend vorzudringen. Hier generelle Maßstäbe aufzustellen, kann erst am Ende des gerade begonnenen Prozesses der wissenschaftlichen Durchdringung dieses Bereiches stehen. Im übrigen ist überhaupt fraglich, ob dies möglich ist, da jeder einzelne Fall anders gelagert ist. Festzuhalten ist jedoch, daß auch eine solche Kontrolle der verfahrensmäßigen Bindung zurückhaltend und nur bei begründetem Verdacht ihrer Verletzung erfolgen soll, da auch im Verfahrensbereich den politischen Entscheidungsträgern grundsätzlich ein weiter Spielraum zusteht. Diese bislang vernachlässigte bzw. nicht gesehene Differenzierungsmöglichkeit zwischen Verfahrenskontrolle, die allerdings noch weitgehender Herausarbeitung von Verfahrensbindungen, und nichts anderes ist mit Prozeßordnung des inneren Gesetzgebungsverfahrens gemeint, voraussetzt, und Entscheidungsinhalt, verringert die Gefahr, daß die Jurisdiktion die Politik verdrängt und schließt auf der anderen Seite aus, daß im Entscheidungsprozeß der Regierenden willkürlich rechtsstaatliche und demokratische Elemente mißachtet werden. Der Satz Fritz Fleiners, „In der Demokratie ist das letzte Bollwerk für Verfassung und Recht der Richter. Auf das Vertrauen zu ihm gründet sich das Gefühl der Rechtssicherheit.", 667 gilt auch für den inneren Bereich von Exekutive und Legislative. Nichts erschüttert das Vertrauen der Bürger in den Rechtsstaat mehr als das Gefühl, daß die Entscheidungsfindung, gleich auf welcher Ebene, nicht rechtsstaatlichen Grundsätzen gerecht wird. Der Bürger ist sehr viel eher bereit, in seinen Augen falsche Entscheidungen hinzunehmen, wenn diese auf die dem Rechtsstaat und der Demokratie angemessene Weise zustandegekommen sind,
667
Fleiner, F., Schweizerisches Bundesstaatsrecht, Tübingen 1923, S. 448.
2. Die Rechtsprechung zur Überprüfung des Gesetzgebungsverfahrens
341
nicht aber Entscheidungen, mögen sie sogar inhaltlich vertretbar und akzeptabel sein, die in einem willkürlichen, dem Rechtsstaat widersprechenden Verfahren entstanden sind. Deshalb ist die Lösung zurückhaltender Verfahrenskontrolle auch im Eigenbereich der an der Gesetzgebung beteiligten Organe derjenigen vorzuziehen, die undifferenziert davon ausgeht, daß der Bereich der Regierung in bezug auf rechtliche Bindung und gerichtliche Kontrolle denselben Grundsätzen unterliegen, die auch für die vollziehende Gewalt im übrigen gelten, und deshalb keine Sonderstellung einnehme.668 Sie stimmt mit der hier vertretenen Auffassung insoweit überein, daß sie die Lehre vom gerichtsfreien Hoheitsoder Regierungsakt ablehnt, sich aber dadurch unterscheidet, daß sie nicht differenziert zwischen gerichtlicher Kontrolle der unabdingbaren Grundprinzipien demokratisch-rechtsstaatlicher Entscheidungsfindung und inhaltlicher Überprüfung der regierungsinternen Entscheidungsfindung.
2. Die Rechtsprechung zur Überprüfung des Gesetzgebungsverfahrens a) Das Gericht zwischen Kompetenzvernachlässigung und Kompetenzüberschreitung Die Zurückhaltung oder die angenommene Nichtzuständigkeit des Bundesverfassungsgerichts, das gesetzgeberische Procedere nicht zu überprüfen auf der einen Seite, und die gerichtliche Überprüfbarkeit der Entscheidungsfindung bei rangniederen Normen wie einer Satzung auf der anderen Seite, kann nicht schlicht mit der unterschiedlichen Qualität der Normsetzung begründet werden. Tragender Gedanke dieser unterschiedlichen Behandlung von Rechtsetzungsakten durch die Jurisdiktion ist die an anderer Stelle schon kritisch bewertete Einstellung zum Gesetzgeber. Der Gesetzgeber ist in seiner Gestaltungsfreiheit autonom. 669 In der Praxis allerdings führt die inhaltliche Überprüfung durch die inhaltsbezogene Einbeziehung des Procedere, entgegen allen Beteuerungen, 670
668
Frotscher, W., S. 227. Allerdings sieht er auch (ebd.), daß es „im Zusammenhang mit den sogenannten Regierungsakten eine 'faktische Inj us tizi ab i 1 i tät9 ergibt", die dann aber entweder auf dem Fehlen einer richterlichen Zuständigkeit oder eines legitimierten Rechtssubjektes beruhe, „nicht dagegen auf der injustiziablen Natur dieser Akte." 669
Vgl. Schenke, W.-R., Der Umfang der bundesverfassungsgerichtlichen Überprüfung, NJW 1979, S. 132Iff.; Säcker, H., Die Rechtsmacht des Bundesverfassungsgerichts gegenüber dem Gesetzgeber, BayVBl 1979, S. 193ff 670
Vgl. schon BVerfGE 4, 219 (233f.): „Diese Auslegung ... entspricht allein der Stellung, die das Grundgesetz den Gerichten zugewiesen hat. Sie kommt vor allem in Art. 100 Abs. 1 GG zum Ausdruck, der ausschließt, daß die Gerichte sich über den Willen des Gesetzgebers hinwegsetzen ... Hier zeigt sich deutlich das Bestreben des Grundgesetzes, die richterliche Gewalt - gerade weil ihre Zuständigkeiten im allgemeinen stark ausgedehnt worden sind - gegenüber der gesetzgebenden Gewalt funktionell möglichst klar abzugrenzen. Aus Art. 77, 80 und 81 GG folgt eindeutig, daß die
342
V. Justiziabilität der Grundvoraussetzungen demokratischer Gesetzgebung
zu einer unerträglichen Einschränkung des Gesetzgebers, 671 aus der nur verstärkte Begrenzung auf die formalbezogene Überprüfung des Procedere einen gangbaren Ausweg bietet. 672 Diese Widersprüchlichkeit zwischen immer wieder hervorgehobener Autonomie des Gesetzgebers, besonders im Verfahrensbereich, und immer mehr expandierender inhaltlicher Kontrolle, mag damit erklärt werden, daß es dem Gericht leicht fällt, im 'Wie' der gesetzgeberischen Entscheidungsfindung großzügig Autonomie zu gewähren, da es sich an der inhaltlichen Überprüfung schadlos halten kann und deshalb von geringem Gewicht ist, auf welche Weise der Gesetzgeber zu seiner Entscheidung gekommen sein mag. Das BVerfG hat sich mehrfach mit den Gründen auseinandergesetzt, die es zur großen Zurückhaltung bei der Prüfung des gesetzgeberischen Procedere veranlassen, aber nie dargelegt, warum es ständig zur inhaltlichen Prüfung der gesetzlichen Regelungen auf Abläufe, Diskussionsbeiträge oder Interpretationen der am Gesetzgebungsprozeß Beteiligten Bezug nimmt. Insofern besteht keine klare Ausgrenzung der Überprüfung des Procedere durch das BVerfG. Aber es hat nie Zweifel daran gelassen, daß es auch grundsätzlich die Kompetenz verfahrensmäßiger Überprüfung in Anspruch nimmt, obwohl über den Umfang, die Voraussetzungen und die Folgen solcher Prüfung Widersprüchliches aus der Rechtsprechung zu entnehmen ist. So prüft es einmal ausführlich das Vorbringen eines Bürgers, daß das Gesetz durch die mangelnde Besetzung des Plenums des Bundestages bei seiner Verabschiedung verfahrensfehlerhaft zustandege-
gesetzgebende Gewalt nur von den gesetzgebenden Körperschaften und den zur Rechtssetzung zulässigerweise ermächtigten Organen ausgeübt werden darf. Es ist danach ausgeschlossen, daß Gerichte Befugnisse beanspruchen, die von der Verfassung eindeutig dem Gesetzgeber übertragen worden sind. Daher haben sich die Verfassungsgerichte stets gehütet, bei der Normenkontrolle über das unbedingt gebotene Maß hinaus in die Kompetenz des Gesetzgebers einzugreifen und seinen Willen zu ergänzen."; vgl. auch BVerfGE 1,97 (lOOf.). 671 Warum das Bundesverfassungsgericht, wie es meint, „kraft seiner allgemeinen Stellung als Verfassungsorgan und Gericht für verfassungsrechtliche Fragen dem Vorwurf unberechtigten Eingriffs in die Gesetzgebungssphäre weit weniger ausgesetzt (sei) als die anderen Gerichte", BVerfGE 7, 377 (413), ist nicht einleuchtend. Gerade durch seine kompetenzausgreifende Praxis ist es diesem Vorwurf besonders ausgesetzt. 672
Nur so kann auch der Grundsatz des 'judicial self-restraint' zu dem sich das BVerfG ausdrücklich bekennt, wirksam werden. Vgl. BVerfGE 36, 1 (14f.): „Der Grundsatz des judicial selfrestraint, den sich das Bundesverfassungsgericht auferlegt, bedeutet nicht eine Verkürzung oder Abschwächung seiner Kompetenz, sondern den Verzicht "Politik zu treiben', d. h. in den von der Verfassung geschaffenen und begrenzten Raum freier politischer Gestaltung einzugreifen. Er zielt also darauf ab, den von der Verfassung für die anderen Verfassungsorgane garantierten Raum freier politischer Gestaltung offenzuhalten."
2. Die Rechtsprechung zur Überprüfung des Gesetzgebungsverfahrens
343
k o m m e n sei u n d geht a u f die demokratischen Voraussetzungen des Verfahrens •
673
em. Generell prüft es i m Rahmen der inhaltlichen Prüfung nicht nur ausführlich die Wege der Entscheidungsfindung, 6 7 4 u m herauszufinden, ob die gesetzliche Regelung verhältnismäßig ist u n d geht damit w e i t über die bloße Verfahrensprüfung hinaus, sondern wägt auch die Schlüssigkeit der gesetzgeberischen Erwägung i n den verschiedenen Entscheidungsphasen a b . 6 7 5 Anstatt sich darauf z u beschränken z u prüfen, ob das Procedere i m Formalen gewissen Anforderungen entspricht, n i m m t das Gericht noch einmal selbst die Position des Gesetzgebers ein, prüft u n d v e r w i r f t Erwägungen, die auch der Gesetzgeber angestellt hat, zieht neue Erkenntnisse herbei u n d urteilt darüber, ob der Gesetzgeber alle verfügbaren Erkenntnisquellen genutzt hat, j a sogar ob seine Prognosen für künftige Entwicklungen akzeptabel sind u n d w i e sich ein Gesetz i n der Praxis a u s w i r k t . 6 7 6 Das verfassungsgerichtliche Verfahren ist zu einem Obergesetzgebungsverfahren g e w o r d e n , 6 7 7 i n dem der eigentliche Gesetzgeber a u f der Anklagebank eines potentiellen Rechtsverletzers i m Wettstreit m i t v o n diesem O d i u m freien Interessenverbänden, Sachverständigen etc. v o r dem Gericht M o t i v e u n d inhaltliche Entscheidungen rechtfertigen muß. B e i all
673
BVerfGE 44,308.
674
Dies kommt in der Regel schon in der ausführlichen Darstellung des Entscheidungsfindungsprozesses zum Ausdruck. Als Beispiel sei hier BVerfGE 44, 308 (310) zitiert: „Der Innenausschuß gab 14 interessierten Verbänden Gelegenheit zur Stellungnahme. Nachdem deren Äußerungen eingegangen waren, bildete der Ausschuß eine aus fünf Ausschußmitgliedern ... bestehende Arbeitsgruppe 'Waffengesetz'. Diese beriet über den Entwurf in zwei ganztägigen Sitzungen, an denen auch Vertreter der Bundesregierung, mehrerer Landesregierungen und des Bundeskriminalamtes teilnahmen ... Der Bundestag verabschiedete das Waffengesetz ... am 22. Juni 1972 ... Dabei wurde der Entwurf ausweislich der Sitzungsniederschrift bei einer Gegenstimme und ohne Stimmenthaltung angenommen. Die Niederschrift läßt nicht erkennen, wie viele Abgeordnete bei der Schlußabstimmung im Sitzungssaal zugegen gewesen sind. Sie enthält auch keine Angaben darüber, daß die Beschlußfähigkeit bezweifelt worden sei." 675 Vgl. dazu ausführlich unter dem Abschnitt 'Die Sachgerechtigkeitsprüfung gesetzlicher Regelung als Einfallstor für kompetenzüberschreitende verfassungsrechtliche Überprüfungspraxis'. 676 677
Vgl. etwa BVerfGE 50,290 (335).
Zur generellen Problematik vgl. Drath, M., Die Grenzen der Verfassungsgerichtsbarkeit, VVDStRL 1952, S. 17ff.; Friesenhahn, E., Wesen und Grenzen der Verfassungsgerichtsbarkeit, ZSR 1954, S. 129ff.; Zuck, R., Das Bundesverfassungsgericht als Dritte Kammer, ZRP 1978, S. 189ff.; ders., Die Stellung des Bundesverfassungsgerichts im VerfassungsgefÜge, DVB1 1979, S. 383ff.; Scheuner, U., Probleme und Verantwortungen der Verfassungsgerichtsbarkeit in der Bundesrepublik Deutschland, DVB1 1952, S. 293ff.; Winrich, J., Aufgaben, Wesen und Grenzen der Verfassungsgerichtsbarkeit, in: Maunz, Th. (Hg ), Vom Bonner Grundgesetz zur gesamtdeutschen Verfassung. Festschrift für H. Nawiasky, München 1956, S. 191 ff.; Lamprecht, R. / Malanowski, W., Richter machen Politik. Auftrag und Anspruch des Bundesverfassungsgerichts, Frankfurt am Main 1979; Kaltenbrunner, G.-K. (Hg.), Auf dem Wege zum Richterstaat, München 1979; Starck, Ch., Das Bundesverfassungsgericht im politischen Prozeß der Bundesrepublik, Tübingen 1976.
344
V. Justiziabilität der Grundvoraussetzungen demokratischer Gesetzgebung
dem wird vollkommen verkannt, daß es natürlich stets bessere Lösungen geben wird, als sie der Gesetzgeber in der Auseinandersetzung der verschiedenen Kräfte als Kompromiß erreicht. Jedoch ist solcherart Gesetzgebung demokratische Gesetzgebung. Entscheidungen von auch noch so weisen Richtern, mit noch so auf rationaler Basis pseudogesetzgeberisch nachgeholter Entscheidungsfindung kann und darf sie nicht ersetzen, selbst wenn die Entscheidungen sachgerechter sein sollten und gesamtgesellschaftlich größeren Nutzen brächten. b) Einzelentscheidungen zum gesetzgeberischen Procedere aa) Kompetenzvernachlässigung Wenn in der Diskussion um die Einhaltung des Procedere im Gesetzgebungsverfahren an verfassungsrechtliche Überprüfung gedacht wird, dann ist die mögliche Verletzung von im Grundgesetz vorgeschriebenen Beteiligungsoder Zustimmungserfordernissen gemeint. Die Mehrheit solcher Fälle hat die Problematik zum Gegenstand, ob der Bundesrat dem Gesetz zustimmen mußte oder nicht, 678 oder irgendein anderes durch kompetenzzuweisende Grundgesetznorm am Gesetzgebungsverfahren beteiligtes Organ in seinen Rechten verletzt wurde. Daneben und vollkommen unbeachtet gibt es auch Tendenzen des Bundesverfassungsgerichts, auch das formale Procedere mit Maßstäben zu überprüfen, die sich nach bisher herrschender Meinung nicht unmittelbar aus dem Wortlaut des Grundgesetzes ergeben, sondern aufgrund allgemeiner aus dem Grundgesetz ableitbaren Prinzipien entwickelt wurden, und dem formalen Verfahren der Gesetzgebung über den unmittelbar die Gesetzgebung berührenden, formalen Vorschriften des Grundgesetzes hinaus, Schranken setzen. Dieser durch das Volkszählungsurteil 679 weit über den Embryonalzustand hinausgehobene Tatbestand einer grundsätzlichen Anerkennung der Möglichkeit, auch für das gesetzgeberische Procedere aus dem Grundgesetz ableitbare Prinzipien und einzuhaltende Schranken zu entwickeln, rechtfertigt das in dieser Arbeit unternommene Unterfangen, solche unabdingbaren Grundvoraussetzungen rechtsstaatlicher demokratischer Gesetzgebung zu vertiefen, wobei zu den aufgeführten vier Grundvoraussetzungen rechtsstaatlicher demokratischer Gesetzgebung noch als weiteres, vom Bundesverfassungsgericht selbst entwickeltes Element des gesetzgeberischen Procedere im Bundesstaat, das bundesfreundliche Verhalten während des Gesetzgebungsverfahrens hinzukommt.
678
Vgl. etwa BVerfGE 1, 76; 3,12; 28, 66; 31,47; 37,363; 48, 127.
679
BVerfGE 65, 1.
2. Die Rechtsprechung zur Überprüfung des Gesetzgebungsverfahrens
345
(1) Zurückhaltung bei Verletzung von Verfahrensvorschriften Im folgenden sollen einige Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, die ausdrücklich auf Fragen des Gesetzgebungsverfahrens eingehen, analysiert werden. 680 Bei diesen Urteilen geht es in der Regel darum, daß am Gesetzgebungsverfahren Beteiligte sich durch Nichtbeachtung gewisser Verfahrensregeln in ihren Rechten verletzt sahen. Aber auch solche Ausführungen des Gerichts, die die Verletzung fixierter Verfahrensregeln, die die Mitwirkung der am Gesetzgebungsverfahren Beteiligten regeln, sind hier von Interesse, da es sich zum Teil grundsätzlich zu Verfahrensfragen des Gesetzgebungsprozesses äußert. Sind solche Fälle schon in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts selten, so finden sich nur in wenigen Einzelfällen Ausführungen des Gerichts darüber, inwieweit durch Verletzung des Verfahrens grundrechtlich geschützte Interessen des einzelnen Bürgers verletzt sein könnten. Erst durch das Volkszählungsurteil wurde diese außerordentliche Zurückhaltung in gewisser Weise modifiziert, obwohl nachzuweisen ist, daß das Gericht schon lange Abläufe und Erwägungen im gesetzlichen Verfahren für die inhaltliche Überprüfung eines Gesetzes heranzieht. In einer seiner ersten Entscheidungen681 hatte sich das Bundesverfassungsgericht mit einem Antrag der Sozialdemokratischen Fraktion im Deutschen Bundestag zu befassen, mit dem die Fraktion festgestellt wissen wollte, daß der damalige § 96 der Geschäftsordnung des Bundestages vom 1. Januar 1952 gegen das Grundgesetz und zwar insbesondere gegen Art. 76 Abs. 1, 40 Abs. 1 Satz 2 und 113 GG, verstoße. Das Gericht nahm den Fall zum Anlaß, sich grundsätzlich über die Gestaltungsfreiheit des Parlaments im Gesetzgebungsverfahren mittels einer Geschäftsordnung zu äußern. Danach überläßt die Verfassung die Ordnung des Gesetzgebungsverfahrens innerhalb des Bundestages dessen autonomer Satzungsgewalt. Diese Autonomie wird durch die Geschäftsordnung ausgefüllt, die das geordnete Funktionieren des Parlaments im Staats- und Verfassungsleben regelt. 682 Insofern sieht das Gericht auch keinen Anlaß, die beanstandete Bestimmung der Geschäftsordnung, die die 1. Lesung im Plenum bei Finanzvorlagen für entbehrlich hält, zu beanstanden. Dennoch gibt gerade dieses Urteil in seinen Ausführungen, trotz der apodiktischen Aussage, daß die Verfassung die
680
Mengel, H.-J., ZG, mit weiteren Nachweisen.
681
BVerfGE 1, 151.
682
BVerfGE 1,151(152).
346
V. Justiziabilität der Grundvoraussetzungen demokratischer Gesetzgebung
Ordnung des Gesetzgebungsverfahrens innerhalb des Bundestages dessen autonomer Satzungsgewalt überlasse, Anlaß, davon ausgehen zu können, daß das Gericht diese Satzungsgewalt doch erheblichen, überprüfbaren Einschränkungen unterwerfen will. Einmal steht sie „ungeachtet ihrer großen Bedeutung für das materielle Verfassungsrecht und das Verfassungsleben" der geschriebenen Verfassung und den Gesetzen im Range nach. 683 Das heißt, sie muß in ihren Regelungen gewährleisten, daß die Verfassung auch in ihren Grundsätzen nicht verletzt wird. Allerdings stellt sich das Gericht auf den Standpunkt, daß das Messen der Geschäftsordnungsbestimmungen an der Verfassung unter der Voraussetzung fairer und loyaler Anwendung erfolgen müsse. „Die bloße Möglichkeit einer mißbräuchlichen Handhabung, die der Verfassung widersprechen würde", sei noch kein hinreichender Grund, die Bestimmung als solche für verfassungswidrig zu erklären. 684 In der weiteren Prüfung geht das Gericht auf Grundsätze und Regelungen ein, die sich aus der Verfassung ergeben, und an denen sich die Geschäftsordnung messen lassen muß. So spricht es von „unabdingbaren Grundsätzen der demokratischen Ordnung", 685 an der die Geschäftsordnungsregeln, ζ. B. der Fortfall der 1. Lesung in bestimmten Fällen gemessen werden muß. 686 Den Ausführungen ist ζ. B. auch zu entnehmen, daß die Gewaltenteilung dazu gehört, da das Gericht ausdrücklich einen solch möglichen Verstoß gegen Grundprinzipien der verfassungsrechtlichen Ordnung durch die Geschäftsordnung prüft. 687 Aber auch die Transparenz der parlamentarischen Arbeit scheint das Gericht zu solchen Prüfsteinen zählen zu wollen, an der sich parlamentarische Geschäftsordnungsregeln, die das gesetzgeberische Verfahren betreffen, messen lassen müssen. In BVerfGE 2, 143 hatte sich das Gericht mit dem Gesetzgebungsverfahren unter dem Gesichtspunkt zu befassen, daß sich eine erhebliche Anzahl von Abgeordneten in ihrer Entscheidungsfreiheit beeinträchtigt sahen, weil die Opposition ihnen vorgeworfen hatte, daß sie mit ihrer Stimme ein verfassungswidriges Gesetz verabschieden würden. Sie würden dadurch unter 'moralischen
683
BVerfGE 1, 144 (148).
684
BVerfGE 1, 144 (149).
685
BVerfGE 1, 144(151).
686
Ebd.
687
BVerfGE 1,144(157).
2. Die Rechtsprechung zur Überprüfung des Gesetzgebungsverfahrens
347
Druck' gesetzt. Das Gericht nahm den Fall zum Anlaß, sich ausführlicher mit den Rechten und Pflichten von Abgeordneten im Verfahren der Gesetzgebung zu befassen, wie sie sich aus dem Grundgesetz und der Geschäftsordnung des Bundestages ergeben, und prüft, ob die Antragsteller gemäß § 64 Abs. 1 BVerfGG durch eine Maßnahme oder Unterlassung in ihren ihnen durch das Grundgesetz übertragenen Rechten und Pflichten verletzt wurden. Das BVerfG hebt hier im Ergebnis richtigerweise nur darauf ab, ob sozusagen Abgeordnete bei der Abstimmung selbst in irgendeiner Weise an der Stimmabgabe gehindert wurden: „Obwohl die Antragsgegner bereits seit Januar 1952 in immer schärfer werdender Form ihre Rechtsauffassung von der Unzulässigkeit der Vertragsgesetze verfochten haben, hat sich keiner der Antragsteller bei der Abstimmung dieser 2. Lesung am 5. Dezember 1952 durch dieses Verhalten der Antragsgegner davon abhalten lassen, seine Stimme für die Gesetze abzugeben."688 Allerdings macht das Gericht allein durch seine Überprüfung des Verhaltens der Opposition im Gesetzgebungsverfahren deutlich, daß es durchaus auf Verfahrens- und im konkreten Fall noch mehr auf Verhaltensweisen der Beteiligten ankommen kann. 689 Hinsichtlich letzterer setzt das Gericht für das parlamentarische Procedere auch selbst Maßstäbe: „Ihre einzige Pflicht (der Abgeordneten) insoweit besteht darin, den normalen Ablauf der parlamentarischen Arbeit nicht zu stören und daran mitzuwirken, daß der politische Wille des Bundestages unverfälscht zum Ausdruck kommt." 6 9 0 Ein anderer verfahrensrelevanter Aspekt dieser Entscheidung ist, daß das Gericht es ablehnt, schon vor endgültiger Verabschiedung des Gesetzes zu einer „verfassungsrechtlichen Zweifelsfrage, die sich im Bundestag bei dem inneren Prozeß der Willensbildung erhoben hat" im Wege des Organstreits Stellung zu nehmen. 691 Würde man parlamentarischen Gruppen die Befugnis geben, im
688
BVerfGE 1, 144(170).
689
Vgl. dazu die folgenden Ausführungen des Gerichts, BVerfGE 1, 144 (171): „Die Antragsteller legen besonderes Gewicht auf die Form, in der die Antragsgegner ihre Meinung verfechten. Für eine verfassungsrechtliche Betrachtungsweise kann es jedoch nur auf die Äußerung dieser Rechtsmeinung der Opposition an sich ankommen, nicht auf die Intensität, mit der die Meinung vorgetragen wird ... Ob der Vorwurf verfassungswidrigen Vorgehens mit mehr oder minder starken politischen Vorwürfen wie 'Staatsstreich' u. a. verbunden wird, kann verfassungsrechtllich keine Bedeutung haben." 690 691
BVerfGE 2,143 (170).
BVerfGE 2, 143 (175); vgl. auch BVerfGE 11, 339 (340), wo sich der Beschwerdeführer allein schon durch das Gesetzgebungsverfahren in seinen Grundrechten bedroht sah und durch einstweilige Anordnung des Gerichts erreichen wollte, „die Lesungen dieser Vorschrift des Gesetzentwurfs so lange zurückzustellen, bis das Bundesverfassungsgericht über die Rechtsgültigkeit der Notarordnung des Landes Rheinland-Pfalz in der Hauptsache entschieden hat ..." Das Gericht, BVerfGE 11, 339 (342), verwies auf § 90 Abs. 1 BVerfGG und darauf, daß der Beschwerdeführer
3 4 8 V . Justiziabilität der Grundvoraussetzungen demokratischer Gesetzgebung
Stadium des Gesetzgebungsverfahrens eine antizipierte Normkontrolle als Organstreit einzuleiten, so würde das vom Grundgesetz geordnete echte Normenkontrollverfahren gemäß Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG nach Auffassung des Gerichts seiner Bedeutung entkleidet werden. Damit bestätigte das Gericht seine schon in einer früheren Entscheidung692 dargelegte Auffassung, daß es keine vorbeugende Kontrolle noch während des Gesetzgebungsverfahrens gebe. In diesem Zusammenhang ist die Rechtsauffassung der Antragsteller von Interesse. Aufgabe der Normenkontrolle sei nicht nur die Kontrolle einer Norm, sondern auch die Kontrolle dessen, der eine Norm zu schaffen behaupte, also der gesetzgebenden Gewalt. Die Normkontrolle richte sich nicht gegen die Norm, sondern gegen den Normierenden. Gegensatz der Normenkontrolle sei eine auf Rechtssetzung gerichteter Vorgang tatsächlicher Art. Sie könne nicht davon abhängen, welches Stadium die Ausübung der gesetzgebenden Gewalt im Einzelfall erreicht habe. In zwei Entscheidungen befaßt sich das Gericht auch mit der Frage, ob Verfahrensfehler während des Gesetzgebungsverfahrens Rückwirkungen auf die Gültigkeit des Gesetzes haben. In beiden Verfahren handelt es sich nicht um unmittelbare Beteiligte am Gesetzgebungsprozeß, denen kraft Verfassung im Gesetzgebungsverfahren Rechte eingeräumt worden wären. In der Entscheidung vom 5. März 1974 geht es um die Klage von Beschwerdeführerinnen, die Schallplatten herstellen und sich durch das UmsatzsteuerG in ihren Grundrechten, insbesondere den Rechten aus Art. 5 und Art. 3 Abs. 1 GG verletzt fühlen. Die Lieferung von Schallplatten werde mit einer Mehrwertsteuer von 10 % und seit dem 1. Juli 1968 von 11 % belastet, während ansonsten alle Lieferungen und Leistungen, die durch Art. 5 GG geschützt seien, mit einem Steuersatz von nur 5 % oder 5,5 % belastet würden. Zur Begründung ihrer Klage führen sie nicht nur an, daß der Inhalt des Gesetzes sie in ihren Grundrechten verletze, sondern sie beanstanden auch das Verfahren, wie das Gesetz zustandegekommen ist. Ihnen sei im Anhörungsverfahren vor dem Finanzausschuß des Deutschen Bundestages kein rechtliches Gehör gewährt worden. Auf die Bitte des Bundesverbandes der phonographischen Wirtschaft e. V. um Anhörung habe der Vorsitzende des Finanzausschusses geantwortet, daß es nicht möglich sei, alle interessierten Verbände anzuhören. Er habe lediglich vorgeschlagen, sich mit einem Verband, der zur Anhörung geladen worden sei, abzustimmen oder sich schriftlich zu äußern. Selbst wenn man einen Anspruch auf
solange nicht durch einen Akt der öffentlichen Gewalt in einem seiner Grundrechte verletzt sein könne, „solange das Gesetz nicht verkündet ist." 692
BVerfGE 1,396 (406ff.).
2. Die Rechtsprechung zur Überprüfung des Gesetzgebungsverfahrens
349
rechtliches Gehör im Bereich der Legislative nicht allgemein bejahe, so hätten hier doch besondere Umstände vorgelegen, die eine Anhörung geboten hätten. Im Finanzausschuß habe sich nach Anhörung von 92 Wirtschafts- und Berufsverbänden eine endgültige Meinung gebildet, die im Plenum des Bundestages kaum noch habe geändert werden können. Es sei nicht ausgeschlossen gewesen, sondern sogar wahrscheinlich, daß es dem Bundesverband - wie zahlreichen anderen Verbänden - gelungen wäre, im Rahmen der Anhörung durch den Finanzausschuß, eine Steuerbegünstigung auch der Schallplatten zu erreichen. Die Bundesregierung bestreitet in ihrer Stellungnahme, daß die unterbliebene Anhörung während der Gesetzesberatungen Grundrechte verletzt habe, da Art. 193 Abs. 1 GG nur für das gerichtliche Verfahren gelte. Auch aus dem in Art. 20 GG verankerten Rechtsstaatsprinzip folge keine Anhörungspflicht. Dieser Auffassung schließt sich das Bundesverfassungsgericht im wesentlichen an. Eine Verletzung des Art. 103 Abs. 1 GG scheide „hier von vornherein aus", da diese Verfassungsbestimmung nach ihrem eindeutigen Wortlaut einen Anspruch auf rechtliches Gehör nur vor Gericht gewähre. Im übrigen sei die „Gestaltung des Gesetzgebungsverfahrens im Rahmen der durch die Verfassung vorgegebenen Regeln ... Sache der gesetzgebenden Organe." 693 Welche Verbände und Sachverständige bei einem nicht in der Verfassung vorgeschriebenem Anhörungsverfahren zu Wort kommen sollen, sei grundsätzlich dem Ermessen der Gesetzgebungsorgane und ihrer Ausschüsse überlassen. Mit dieser Auffassung verkennt das Gericht den wesentlichen Kern des Problems. Es versäumt, die Frage zu klären, inwieweit das Ermessen in der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebungsverfahrens gebunden ist oder der völligen Willkürlichkeit anheimfällt. Gerade im Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 GG hätte auch geklärt werden müssen, warum und ob zu Recht der betreffende Verband nicht zur Anhörung geladen woiden ist. Diese Ladung alleine unter dem Gesichtspunkt des Art. 103 GG abzuhandeln, erscheint nicht ausreichend, da, wie auch die Kläger geltend machen, durch die Nichtanhörung, die unter Umständen eine Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes bedeutet, der Inhalt des Gesetzes belastender ausgefallen ist. In einer späteren Entscheidung mißt das Gericht der Anhörung offenbar eine größere Bedeutung bei. 6 9 4 In einem Verfahren, bei dem es um die Verfassungsmäßigkeit des Verbotes der Versendung von lebenden Tieren gegen Nachnahme ging, zieht das Gericht auch Abläufe des gesetzgeberischen Verfahrens in seine Überlegungen ein und stellt fest: „Das Verbot war weder in der um einen
693
BVerfGE 36,321 (330).
694
BVerfGE 36,47.
3 5 0 V . Justiziabilität der Grundvoraussetzungen demokratischer Gesetzgebung
wirksamen Tierschutz bemühten Regierungsvorlage für erforderlich gehalten, noch in das schon vorher unterzeichnete Europäische Übereinkommen über den Schutz von Tieren beim internationalen Transport aufgenommen worden ... Es ist dann ohne Anhörung der dadurch betroffenen Berufsgruppen erst im letzten Monat vor der Verabschiedung in das Gesetz eingefügt worden ..." 6 9 5 (2) Unbeachtlichkeit von Täuschung und Irrtum der Entscheidungsträger Neben solchen Entscheidungen, die das Verfahren der Gesetzgebung insoweit betreffen, wie es sich um die Verletzung von Rechten kompetenzmäßig Beteiligter handelt oder um die Hinzuziehung Außenstehender, gibt es auch einen Beschluß des Gerichts, der sich insofern mit dem Verfahren befaßt, als nach Auffassung des vorlegenden Gerichts ein Gesetz nicht verfassungsmäßig sei, weil sich im Rahmen der Entscheidungsfindung bewußt oder unbewußt Mißverständnisse ergeben hätten. 696 Diese Mißverständnisse hätten dazu geführt, daß der wahre Wille der gesetzesinitiierenden Regierung sich im Gesetz nicht niedergeschlagen habe. 697 Das BVerfG lehnt diese Auffassung, daß Mängel beim Zustandekommen des Gesetzes wie Täuschung oder Irrtum des Gesetzgebers - also Mängel, die den Willensmängeln des Privatrechts ähnlich sind - die Verfassungwidrigkeit eines Gesetzes zur Folge haben könnten, strikt ab. Diese Auffassung sei „mit der förmlichen Ausgestaltung des Gesetzgebungsverfahrens durch das Grundgesetz schwer vereinbar." 698 Auch in einer anderen Entscheidung, in der es um die Vereinbarkeit mit Art. 3 Abs. 1 GG der Einbeziehung der Angestellten zur See, deren Arbeitseinkommen die Jahresarbeitsverdienstgrenze der Angestelltenversicherung übersteigt, in die Arbeitslosenversicherung ging, verneint das Gericht die Beachtlichkeit eines Irrtums: „Ob die Unterstellung der hier in Rede stehenden Angestelltenschicht unter die Arbeitslosenversicherungspflicht etwa auf einem Versehen des Gesetzgebers beruht, ist ohne Bedeutung. Denn nicht der unvollständig zum Ausdruck gekommene, sondern nur der objektivierte Wille des Gesetzgebers kann Gegenstand der Normenkontrolle sein." 699 Den Ausführungen des Gerichts in diesen Entscheidungen und Beschlüssen ist insofern zuzustimmen, als das Gericht es ablehnt, das Gesetzgebungsverfah-
695
BVerfGE 36,47 (60).
696
Zum 'technischen Versehen' des Gesetzgebers im Gesetzgebungsverfahren vgl. BVerfGE 11, 149. 697
BVerfGE 16, 82 (86).
698
BVerfGE 16, 82 (88).
699
BVerfGE 18, 38 (45).
2. Die Rechtsprechung zur Überprüfung des Gesetzgebungsverfahrens
351
ren daraufhin zu überprüfen, ob die daran Beteiligten sich irren oder gegenseitig täuschen. Es hat allein den rechtsstaatlich-demokratischen Ablauf, unter den aus der Verfassung heraus entwickelten Grundvoraussetzungen zu überprüfen. Wenn gewisse gesetzliche Regelungen nicht den wahren Willen des Gesetzgebers wiedergeben, aber in einem ordnungsgemäßgen Verfahren zustandegekommen sind, obliegt es dem Gesetzgeber, selbst zu entscheiden, ob er durch Gesetzesänderung oder -aufhebung das 4verunglückte' Gesetz aufheben oder modifizieren will. Dies ist nicht Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts. (3) Unbeachtlichkeit von Zeitdruck und unsachgemäßen Entscheidungsmotiven einzelner beteiligter Organe In dem Verfahren, welches der BVerfGE 29, 221 zugrundelag, ging es auch um das gesetzgeberische Procedere. In einem von den Beschwerdeführern vorgelegten Gutachten Hans Schneiders wird gerügt, daß das Gesetz (Art. 1 § 2 Nr. 1 FinÄndG 1967) verfassungswidrig sei und die „Freiheitsrechte von Bürgern schon deshalb nicht beschränken (könne), weil es nicht ordnungsgemäß zustandegekommen sei und deshalb nicht zur verfassungsmäßigen Ordnung gehöre." 7 0 0 Insbesondere sei der sich aus dem Grundgesetz ergebende Grundsatz der Organtreue verletzt worden. Die Bundesregierung habe den Gesetzentwurf erst mit Schreiben vom 20. Oktober 1967 dem Bundestag zugeleitet, obwohl das Gesetz schon am 1. Januar 1968 habe in Kraft treten sollen. Sowohl im Bundestag als auch im Bundesrat habe zur Beratung des schwer überschaubaren und zahlreiche Gesetze betreffenden Entwurfs sowenig Zeit zur Verfügung gestanden, daß eine sachgerechte Beratung in den Ausschüssen und im Plenum nicht möglich gewesen sei. Diese übertriebene Eile habe im Verfahren vor dem Bundestag dazu geführt, daß der Ausschuß für Sozialpolitik schon bei seinen Beratungen die technischen Änderungen, die das Gesetz zu seiner Anwendung erforderlich machte, in die Wege geleitet und dadurch die Entscheidungsfreiheit der Abgeordneten in der späteren Parlamentsdebatte eingeengt und somit der Entscheidung des Parlaments vorgegriffen habe. Der Bundesrat schließlich habe sich bei seiner Zustimmung zu den Gesetzen durch die regierungsamtliche Zusage einer weiteren Summe von 130 Millionen Deutsche Mark für finanzschwache Länder leiten und sich somit die Zustimmung abkaufen lassen. Eine solche Motivierung stelle die Gültigkeit des Zustimmungsbeschlusses in Frage. Insgesamt seien durch das Verfahren der Gesetzgebung ungeschriebene Verfassungsgrundsätze des demokratisch-parlamentarischen, rechtsstaatlichen und föderalistischen Staates verletzt worden.
700
BVerfGE 29, 221 (225).
352
V. Justiziabilität der Grundvoraussetzungen demokratischer Gesetzgebung
A l l diesen Ausführungen des Gutachtens der Klägerseite stimmte das Gericht nicht zu, prüfte aber immerhin auch im Vergleich zu anderen Entscheidungen das nicht positivrechtlich geregelte gesetzgeberische Procedere etwas ausführlicher, wenn auch in völlig ungenügender Weise, da es wie in nahezu allen derartigen Urteilen zwar davon ausgeht, daß auch das Procedere der Verfassung entsprechen muß, jedoch in erster Linie darauf abstellt, ob die förmlichen Verfassungsbestimmungen, die sich mit den Gesetzgebungsverfahren beschäftigen, eingehalten wurden, 701 und keine Ansätze zeigt, dem auch von ihm grundsätzlich anerkannten Prinzip, daß das Procedere insgesamt mit der Verfassungsordnung in Einklang stehen muß 7 0 2 dadurch Rechnung zu tragen, daß es aus den Grundprinzipien der Verfassung der parlamentarischen Gestaltungsautonomie im Gesetzgebungsverfahren Schranken aufzeigt. So sieht das Gericht keinen Verfassungsverstoß darin, daß „der umfangreiche und schwer überschaubare Gesetzentwurf erst kurz vor dem beabsichtigten Zeitpunkt des Inkrafitretens eingebracht, und im Plenum sowie in zahlreichen Ausschüssen der gesetzgebenden Körperschaften in großer Eile behandelt worden ist", 7 0 3 ohne hier wenigstens eine Grenze aufzuzeigen, bei deren Überschreiten rechtsstaatliche Verfassungsgrundsätze verletzt wären. Die Feststellung, daß es jedem Gesetzgebungsorgan freistand, die Gesetzesvorlage abzulehnen, „wenn es sich durch den Zeitdruck in der sachgemäßen Behandlung behindert fühlte", 704 läßt in erstaunlichem Maße den Sinn für Verfassungspraxis 705
vermissen. Auch durch die Maßnahmen des Ausschusses für Sozialpolitik, der dem Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung noch vor Abschluß der parlamentarischen Beratungen gebeten hatte, diejenigen technischen Voraussetzungen zu treffen, die zur Verwirklichung der finanziellen Auswirkungen des Finanzänderungsgesetzes im Bereich der Sozialversicherung am 1. Januar 1968 unerläßlich
701
So stellt das Gericht im Ergebnis fest, BVerfGE 29, 221 (235): „Eine Verletzung wesentlicher verfassungsrechtlich vorgeschriebener Förmlichkeiten ist somit nicht festzustellen." 702 Dies wird im gleichen Urteil noch einmal bekräftigt, wenn das Gericht den Fortfall einer Lesung im gesetzgeberischen Procedere unter folgenden drei Prüfungskriterien der Verfassungsgemäßheit prüft, BVerfGE 29, 221 (234): 1. Ausdrückliche Vorschrift, 2. Verfassungsgewohnheitsrecht, 3. Unabdingbare Grundsätze der demokratisch-rechtsstaatlichen Ordnung. 703
BVerfGE 29,221 (233).
704
Ebd.
705 Auch BVerfGE 30, 250 (261 f.) sieht keinen Anlaß nähere Grenzen für Verfahrensweisen im gesetzgeberischen Entscheidungsprozeß „mit ungewöhnlicher Beschleunigung" aufzuzeigen.
2. Die Rechtsprechung zur Überprüfung des Gesetzgebungsverfahrens
353
seien, seien keine vollendeten Tatsachen in dem Sinne, daß von einer freien und unabhängigen Entscheidung der Abgeordneten nicht mehr gesprochen werden könne. Es ergäben sich aus dem stenographischen Bericht keine Anhaltspunkte dafür, daß die Mehrheit dem Finanzänderungsgesetz 1967 nur oder auch deswegen zugestimmt hätte, weil die Vorbereitungen zur Durchführung des Gesetzes bereits angelaufen gewesen seien. 706 Bemerkenswert ist auch, daß das Gericht die Verletzung der Geschäftsordnung nicht als Kriterium für die Gültigkeit des Gesetzes anerkennt, solange durch die Verletzung nicht Verfassungsrecht verletzt ist. 7 0 7 Daß das Gericht in der Regel der Motivation, warum ein am Gesetzgebungsprozeß kompetenzmäßig Beteiligter dem Gesetz zustimmt oder es ablehnt, nicht nachgeht, ist grundsätzlich nicht zu beanstanden, obwohl es auch hier sicherlich Grenzen gibt, die aufzuzeigen, die Behauptung, daß der Bundesrat sich die Entscheidung habe abkaufen lassen, Anlaß genug gewesen wäre. Aber auch diese Zurückhaltung steht im Einklang mit der Grundauffassung, die alle entgegengesetzten Äußerungen überlagert, und die in dem Ergebnis der Verfahrensüberprüfung deutlich zum Ausdruck kommt: „Eine Verletzung wesentlicher verfassungsrechtlich vorgeschriebener Förmlichkeiten ist somit nicht festzustellen. Soweit die Beschwerdeführer, und vor allem der Gutachter das Gesetzgebungsverfahren darüberhinaus unter politischen Gesichtspunkten beanstanden, hat das Bundesverfassungsgericht nicht darüber zu entscheiden; Konsequenzen daraus hätten nur die beteiligten Gesetzgebungsorgane ziehen können." 708 Das Gericht sieht in diesen Feststellungen nicht, daß es neben der spärlich förmlichen Verfahrensregelung der Verfassung und der politischen Gestaltung des Verfahrens noch die tragenden Verfassungsprinzipien der Rechtsstaatlichkeit und des Demokratiegebots als Prüfungsmaßstäbe gibt, obwohl es an anderer Stelle selbst die unabdingbaren Grundsätze der demokratisch-rechtsstaatlichen Ordnung als Prüfungsmaßstab anerkennt 709 und obwohl das Gutachten der Kläger ausdrücklich auf die Verletzung ungeschriebener Verfassungsgrundsätze des demokratisch-parlamentarischen, rechtsstaatlichen und föderalistischen Staates verweist, steht das Gericht nicht an, diese Maßstäbe der Prüfung in seinem Ergebnis in den Bereich des Politischen zu verweisen.
706
BVerfGE 29,221 (234).
707
Ebd.
708
Ebd.
709
Ebd.
354
V. Justiziabilität der Grundvoraussetzungen demokratischer Gesetzgebung
(4) Unbeachtlichkeit der Nichtteilnahme der überwältigenden Mehrheit der Abgeordneten bei der Schlußabstimmung In dem Verfahren, das der Entscheidung BVerfGE 44, 308 zugrundelag, ging es um die Frage, ob das Waffengesetz, wegen dessen Verletzung der Beschwerdeführer bestraft worden war, überhaupt in einem ordnungsgemäßen Verfahren zustandegekommen sei. Kern der Problematik war, ob das ordnungsgemäße Zustandekommen eines Gesetzes davon abhängt, daß bei der Schlußabstimmung über die Annahme oder Ablehnung des Gesetzentwurfs eine Mindestzahl von Mitgliedern des Bundestages im Sitzungssaal anwesend ist. Der Beschwerdeführer begründete seine Beschwerde damit, daß das Prinzip der repräsentativen Demokratie verlange, daß unbeschadet der Regelung des § 49 der Geschäftsordnung des Bundestages bei solchen Schlußabstimmungen eine gewisse Mindestzahl von Abgeordneten im Parlament anwesend sein müsse. Diese Mindestzahl sei bei 36 oder 37 Abgeordneten, die an der Schlußabstimmung des Waffengesetzes teilgenommen hätten, nicht gewahrt gewesen. Während Bundestag, Bundesrat und Landesregierung die ihnen vom Gericht gebotene Gelegenheit zur Stellungnahme nicht wahrnahmen, führte der Bundesminister des Inneren für die Bundesregierung aus, daß eine mangelnde Präsenz von Abgeordneten im Plenum die Legitimität des Parlamentsbeschlusses nicht schwächen könne. Zwar stelle sich die Volksvertretung, der Bundestag, als Verfassungsorgan im Plenum dar, und nur das was das Plenum beschließe, werde ihm als Organhandeln zugerechnet. Jedoch finde ein wesentlicher Teil der Arbeit in den Ausschüssen statt. Darüber könnten sich die Abgeordneten informieren. Aufgrund dieser Informationslage stehe es den Abgeordneten frei zu entscheiden, ob sie ihre Teilnahme an der dritten Lesung eines Gesetzes einschließlich der Beschlußfassung, bei der im Hinblick auf ihre Information und den Entscheidungsvorschlag des zuständigen Ausschusses mit Zufallsentscheidungen nicht mehr zu rechnen sei, für notwendig hielten. Sehe ein Abgeordneter von der Teilnahme an der Plenarsitzung ab, so müsse er sich den Mehrheitsbeschluß zurechnen lassen. Das Bundesverfassungsgericht wies die Beschwerde zurück und sah in der Geschäftsordnungsregel, die davon ausgeht, daß der Bundestag ohne Rücksicht auf die Zahl der anwesenden Abgeordneten als beschlußfähig gilt, solange nicht seine Beschlußunfähigkeit in dem gemäß § 49 GO vorgesehenen Verfahren festgestellt wurde, keinen Verstoß gegen das Grundgesetz. Zwar gehöre das Prinzip der repräsentativen Demokratie zu den Verfassungsgrundsätzen, die die Geschäftsordnung zu beachten habe, jedoch sei dieses Prinzip nicht verletzt. Es sei richtig, daß die Präsenz aller Abgeordneten im Plenum am ehesten dem Geiste der Repräsentation und des Parlamentarismus gerecht würde, jedoch
2. Die Rechtsprechung zur Überprüfung des Gesetzgebungsverfahrens
355
dürfe man nicht übersehen, daß ein wesentlicher Teil der Parlamentsarbeit traditionell außerhalb des Plenums geleistet werde. Dabei müsse vorausgesetzt werden, daß die endgültige Beschlußfassung über ein parlamentarisches Vorhaben dem Plenum vorbehalten bleibe, die Mitwirkung der Abgeordneten bei der Vorbereitung der Parlamentsbeschlüsse außerhalb des Plenums ihrer Art und ihrem Gewicht nach der Mitwirkung im Plenum im wesentlichen gleich zu erachten sei und der parlamentarische Entscheidungsprozeß institutionell in den Bereich des Parlaments eingefügt bleibe. 710 Die augenblicklichen Geschäftsordnungsregelungen würden die Annahme rechtfertigen, daß „im Regelfall jeder Abgeordnete mit jedem parlamentarischen Vorhaben befaßt wird, und gewährleistet ist, daß auch die Auffassungen der einer Schlußabstimmung im Plenum ferngebliebenen Mitglieder in die parlamentarische Willensbildung einfließen können." 711 Die vorhandene Regelung biete Gewähr dafür, daß das Volk als Träger der Staatsgewalt beim Zustandekommen parlamentarischer Entscheidungen in der Regel auch dann angemessen repräsentiert sei, wenn bei der Schlußabstimmung nur wenige Abgeordnete zugegen seien. Für eine ausreichende Repräsentation „spricht in solchen Fällen eine Vermutung". 712 Die Ausführungen des Gerichts werden im wesentlichen der Problematik des Legitimationsdefizites, welches ein Problem der Grundvoraussetzung 'Legitimation der Entscheidenden' im Gesetzgebungsverfahren darstellt, nicht gerecht. Es ist sicherlich richtig, daß in einem kollektiven Entscheidungsorgan nicht schon dann von einem Legitimationsdefizit auszugehen ist, wenn die Mitglieder des Organs nicht vollzählig an der Entscheidungsfindung teilnehmen. So ist völlig gesichert, daß an der Entwicklung des Entscheidungsprozesses ohnehin stets nur ein kleiner Kreis von Abgeordneten beteiligt ist. So wurde auch im konkreten Fall der Verabschiedung des Waffengesetzes im Rahmen des Innenausschusses eine aus nur fünf Abgeordneten bestehende Arbeitsgruppe 'Waffengesetz' gebildet. Sie legte im wesentlichen den Gesetzestext fest. Wie das Gericht im Angesicht des konkreten Tatbestandes zu dem Ergebnis kommen kann, „daß im Regelfall jeder Abgeordnete mit jedem parlamentarischen Vorhaben befaßt wird", 7 1 3 ist unerfindlich und ist auch über den Einzelfall hinaus in dieser Form nicht richtig. Allerdings ist eine solche Beschränkung der Entscheidungsvorbereitung auf den Kreis von wenigen Abgeordneten grundsätzlich mit den Verfassungsprin-
710
BVerfGE 44,308 (314,317).
711
BVerfGE 44,308(320).
712
Ebd.
713
Ebd.
24 Mengel
3 5 6 V . Justiziabilität der Grundvoraussetzungen demokratischer Gesetzgebung
zipien der Demokratie und des Rechtsstaates vereinbar, wenn insgesamt gesehen bei dem gesetzgeberischen Entscheidungsprozeß die Grundvoraussetzungen demokratisch-rechtsstaatlicher Entscheidungsfindung gewahrt werden. Dazu gehören nicht nur bestimmte Verfahrensweisen der Auswahl solch privilegierter Abgeordneter und deren Kontrolle, sondern insbesondere auch, daß diejenigen, die die Endentscheidung im Gesetzgebungsverfahren treffen, dazu ausreichend legitimiert sind. Hier führt die Nichtteilnahme einer beträchtlichen Zahl von Abgeordneten an der Abstimmung zu einem Legitimationsdefizit, welches in einen beachtenswerten Verfahrensmangel umschlagen kann. Das Prinzip der repräsentativen Demokratie erfordert grundsätzlich die Mitwirkung aller Abgeordneten an der endgültigen Entscheidung. Diese Mitwirkung kann auch darin bestehen, daß Abgeordnete die Haltung zu dem betreffenden Gesetzgebungsvorhaben durch explizite Nichtteilnahme an der Abstimmung kundtun. Solange mindestens die Mehrheit der Abgeordneten an der Sitzung teilnimmt, ist dies unschädlich. Nicht vereinbar mit den genannten Grundvoraussetzungen erscheint jedoch, wenn letztlich eine Minderheit der tatsächlichen Zahl aller Abgeordneten wegen der Nichtteilnahme der Mehrheit zum gesetzgebenden Repräsentanten des Volkes wird. Diese fehlende Legitimation kann auch nicht durch eine fiktive Beteiligung der Abgeordneten ersetzt werden, da gerade nicht wie das BVerfG meint „für eine ausreichende Repräsentation" eine Vermutung spreche. 714 Die Akzeptanz einer solchen Fiktion beinhaltete in letzter Konsequenz, daß eine verdeckte Gesetzgebungsdelegation an einen Teil der Abgeordneten bejaht wird, die so weder im Grundgesetz vorgesehen ist, noch irgendeine andere Legitimation aufweisen kann. 715 Daß solche 'Rumpfparlamente' nicht personenmäßig und zahlenmäßig statisch fixiert sind, sondern allen Abgeordneten freisteht, an der Sitzung teilzunehmen, ändert nichts daran, daß - zumindest ab einer gewissen Grenze, wie etwa der zahlenmäßigen Mehrheit der Abgeordneten - die Nichtteilnahme an den Plenarabstimmungen innerhalb des gesetzgeberischen Procedere eine Ver-
7,4 715
Ebd.
Sicherlich ist die Delegation von Gesetzgebungskompetenz zur Entlastung des Plenums auch an Teile des Parlaments diskussionswürdig, jedoch ist in dieser Hinsicht bislang keine grundgesetzändernde Regelung erfolgt; nach wie vor steht allein dem Plenum in seiner Gesamtheit und nicht im Extremfall einer Minderheit von wenigen Abgeordneten die Repräsentation des Volkes zu.
2. Die Rechtsprechung zur Überprüfung des GesetzgebungsVerfahrens
357
letzung des Demokratieprinzips darstellt, da dem entscheidenden Rumpfjparlament die Legitimation zur Entscheidung fehlt. 716 (5) Ansätze zur Überwindung der Zurückhaltung bei der Verfahrenskontrolle Gewisse Ansätze, das Endprodukt 'Gesetz' nur dann als verfassungskonform zu betrachten, wenn auch gewisse Grundbedingungen bei der gesetzgeberischen Entscheidungsfindung im Procedere eingehalten worden sind, lassen sich schon in BVerfGE 19, 330 erkennen. Hier geht das Gericht davon aus, daß der Gesetzgeber eine gewisse Pflicht habe, im Laufe des Verfahrens seine Entscheidungsgründe darzulegen und die Regelung auch zu begründen. 717 Auch in der Entscheidung, die sich mit der Vermahlungsregelung des Mühlenstrukturgesetzes unter dem Gesichtspunkt der Freiheit der Berufsausübung befaßt 718 wird schon deutlich, daß das Gericht dem Gesetzgeber die Pflicht abverlangt, während des Gesetzgebungsprozesses „sich die Kenntnis von der zur Zeit des Erlasses des Gesetzes bestehenden tatsächlichen Ausgangslage in korrekter und ausreichender Weise" zu verschaffen. 719 Dabei sei grundsätzlich von der Beurteilung der Verhältnisse auszugehen, die dem Gesetzgeber bei der Vorbereitung des Gesetzes möglich war. Wenn er in dieser Weise, die ihm zur Verfügung stehenden Erkenntnismittel benutzt habe, müßten dann auch Irrtümer über den Verlauf der wirtschaftlichen Entwicklung in Kauf genommen werden. 720 Auch 7,6 Die BVerfGE 44, 308 geht demgegenüber davon aus, daß im konkreten Fall weniger als 10 % der Mitglieder des Parlaments ausreichen, eine demokratisch legitimierte Entscheidung zu treffen. Das Gericht geht nicht darauf ein, wo die Untergrenze der Sitzungsteilnahme liegt, so daß spekuliert werden kann, ob auch drei Abgeordnete genügen - etwa die jeweiligen Fraktionsgeschäftsführer - um der vom Gericht anerkannten Fiktion der Bechlußfähigkeit in der Geschäftsordnung noch gerecht zu werden. Zuck, R., Der parlamentarische Gesetzgeber - ein Garant der Freiheit?, NJW 1979, S. 168Iff., zieht aus der geringen Teilnahme auch an Gesetzesabstimmungen die folgende Konsequenz (S. 1685): „Diese Praxis sollte vervollkommnet werden: Plenarsitzungen sollten für repräsentative Veranstaltungen oder jene politischen Ereignisse vorbehalten werden, bei denen die Abgeordneten sich und ihre Politik vor den Augen der Fernsehkameras darstellen." Vgl. auch Kremer, K., in: Roll, H.-J. (Hg ), S. 27: „Jedenfalls muß unter der fortschreitenden Spezialisierung der Aufgaben fast aller Bundestagsmitglieder - deren Folge zeitweise die nur mäßig besetzten Bundestagssitzungen und die Expertenaussprachen sind - die Sorgfalt bei der Gesetzgebung und bei der Kontrolle der Regierung nicht leiden." 717 BVerfGE 19, 330 (340): „Es geht deshalb weit über das Maß des Erforderlichen hinaus, wenn der Gesetzgeber von allen Einzelhändlern den Nachweis beträchtlicher kaufmännischer Kenntnisse ... verlangt. Wenn nach Ansicht des Gesetzgebers die Verhältnisse in bestimmten Einzelhandelszweigen wirklich die Einführung einer solchen Zulassungsvoraussetzung als notwendig erscheinen lassen sollten, müßten die der Allgemeinheit sonst drohenden Gefahren im einzelnen dargelegt und wahrscheinlich gemacht werden." 718
BVerfGE 39,210.
719
BVerfGE 39,210(226).
720
Ebd.
358
V. Justiziabilität der Grundvoraussetzungen demokratischer Gesetzgebung
in einem anderen Punkt hat das Gericht ganz offenbar das Procedere überprüft, wenn es feststellt: 721 „Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, daß, wie einige Klägerinnen meinen, nicht diese versorgungs- und strukturpolitischen, agrar- und sozialpolitischen Erwägungen, sondern unsachliche, auf Druck von Interessenten zurückzuführende Einflüsse den Gesetzgeber bestimmt hätten. Die genannten Erwägungen sind vielmehr in den Beratungen der am Gesetzgebungsverfahren beteiligten Ausschüsse wiederholt zum Ausdruck gekommen."
Mit dem ' Volkszählungsurteil ' öffnet das Bundesverfassungsgericht nicht unbedingt völlig neue Dimensionen verfassungsrechtlicher Überprüfung, 722 da es auch schon bis zu diesem Urteil, wie an anderer Stelle beschrieben, über den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit argumentierend, Erwägungen des Gesetzgebers im gesetzgeberischen Verfahren für seine Entscheidung herangezogen hat. 723 Das Neue an dem Urteil ist die Offenheit und Klarheit, mit der das Gericht dem Gesetzgeber Verfahrensbedingungen für die gesetzgeberische Entscheidungsfindung auferlegt. 724 So ist der Gesetzgeber für seine Entscheidungsfindung gehalten, den „ungewissen Auswirkungen eines Gesetzes dadurch Rechnung (zu) tragen, daß er die ihm zugänglichen Erkenntnisquellen ausschöpft, um die Auswirkungen so zuverlässig wie möglich abschätzen zu können." 725 Ferner muß er „anhand des erreichbaren Materials prüfen", 726 ob die Regelung, die er trifft, noch verhältnismäßig ist. Indem das Gericht auf diese Weise das Verhältnismäßigkeitsprinzip als rechtliches Vehikel benutzt, um auch den Gesetzgebungsprozeß und nicht nur den Gesetzestext nach verfassungsrechtlichen Kriterien zu überprüfen, erweitert es seine Überprüfungspraxis in einer Weise, die grundsätzlich mit dem Ergebnis und den Forderungen in der hier vorgelegten Studie übereinstimmt, ohne jedoch gleichzeitig auf der anderen Seite erkennen zu geben, daß es in Zukunft bereit ist, die Einschränkungen der Autonomie des Gesetzgebers in
721
BVerfGE 39,210 (227f.).
722
Vgl. auch auf Länderebene VerfGHNW, DVB1 1976, S. 391.
723
So auch Scholz, P., ZfP.
724
BVerfGE 65, 1; ähnlich schon Schwerdtfeger, G., in: Stödter, R. / Thieme, W. (Hg.), S. 179f.: ,Aus der Heranziehungspflicht ergibt sich, daß ... alle relevanten Daten hinreichend ermittelt und aufgeklärt werden müssen "; Pestalozzi Ch. v., NJW, S. 2083: „Die Notwendigkeit des Gesetzes setzt die gründliche Diagnose des zu regelnden Sachverhalts voraus." 725
BVerfGE 65, 1 (55).
726
BVerfGE 65, 1 (56).
2. Die Rechtsprechung zur Überprüfung des Gesetzgebungserfahrens
359
Verfahrensfragen, die eine stärkere Kontrolle des Verfahrens bedeuten, durch größere Zurückhaltung bei der Inhaltskontrolle zu kompensieren. Solange dies jedoch nicht sichtbar wird, besteht die Gefahr, daß das Bundesverfassungsgericht neben einer weitreichenden inhaltlichen Kontrolle auch die Überprüfung des Procedere ausweitet, und darüber hinaus noch die Kontrolle der späteren Implementation des Gesetzes verfolgt. 727 bb) Kompetenzüberschreitung (1) Sachgerechtigkeit, Erforderlichkeits- und Verhältnismäßigkeitsprüfung als Einfallstor kompetenzüberschreitender Überprüfungspraxis In zahlreichen Entscheidungen wird ohnehin deutlich, daß das Gericht keineswegs stets lediglich den Wortlaut des Gesetzestextes an der Verfassung mißt, sondern daß es tief in das gesetzgeberische Verfahren eindringt, um zu prüfen, ob die gesetzliche Regelung verfassungskonform ist, und nicht etwa, um im Einklang mit anerkannten Auslegungsregeln den Willen des Gesetzgebers bei unklaren Normtexten zu erforschen. Als Einfallstor für eine solche Prüfung dient die Prämisse, daß der Gesetzgeber „den Eingriff in das Grundrecht mit sachgerechten und vernünftigen Erwägungen des Gemeinwohls begründen können (muß) und seine Rechtssetzungsmacht nicht zu sachfremden Zwecken mißbrauchen (darf)" 728 oder aber auch, daß „die vom Gesetzgeber gewählte Lösung zweckgerechter ist." 7 2 9 So schrieb J. C. Bluntschli in seiner Staatslehre: 730 „Das Statsrecht prüft die Rechtmäßigkeit der Zustände, die Politik prüft die Zweckmässigkeit der Handlung."
Ein Grundsatz, der heute von der Verfassungsgerichtsbarkeit ignoriert wird. So zieht sich von den im einzelnen darzustellenden Entscheidungen dieser Art
727 Dies klingt in BVerfGE 65, 1, (55) unter Hinweis auf BVerfGE 50, 290 (334) und BVerfGE 56, 54 (78f.) an. 728
BVerfGE 30,292 (316); vgl. auch BVerfGE 19, 330 (337); 25, 1 (17f.).
729
BVerfGE 30, 292 (322). Zur terminologischen Schwierigkeit vgl. Schneider, H., in: Starck, Ch. (Hg.), S. 392: „Das Bundesverfassungsgericht verwendet anfangs in seinen einschlägigen Entscheidungen Ausdrücke wie übermäßig, unangemessen, vernünftig, sachgerecht und vertretbar, erforderlich, unerläßlich, unbedingt notwendig in einer Weise, die einen prägnanten Bedeutungsunterschied schwer erkennen läßt " 730
Bluntschli, J. C., S. 3.
360
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bis hin zum Volkszählungsurteil eine stringente Rechtsprechung, die im Ergebnis jedoch eine Kompetenzüberschreitung des Gerichts in sich birgt. Diese tief in das inhaltlich gestaltende gesetzgeberische Verfahren eindringende verfassungsgerichtliche Kontrollpraxis wird noch dadurch akzentuiert, daß das Verfassungsgericht auch hinsichtlich der Tatsachen und ihrer Vollständigkeit, die einem Gesetz zugrundeliegen uneingeschränkte Prüfungsbefugnis in Anspruch nimmt. 731 Nachfolgend sollen im Anschluß an die empirischen Untersuchungen Philippis und Thierfelders, die in den Jahren 1971 bzw. 1970 vorgelegt wurden, 732 Urteile des Bundesverfassungsgerichts analysiert werden, die im Rahmen der Erforderlichkeits- oder/und Verhältnismäßigkeitsprüfung weitgehende Tatsachenüberprüfungen vornehmen. 733 Danach soll die grundsätzliche Berechtigung solcher Praxis untersucht werden. (2) Einzelbeispiele kompetenzüberschreitender Überprüfungspraxis Die Entscheidung BVerfGE 18, 38 ist exemplarisch dafür, wie ernst das Gericht den gesetzgeberischen Verfahrensablauf von inhaltsbezogener Kontrollwarte aus nimmt. Unter der Fragestellung, ob sich die Einbeziehung der Angestellten zur See, deren Arbeitseinkommen die Jahresarbeitsverdienstgrenze der Angestelltenversicherung übersteigt, in die Arbeitslosenversicherung mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbaren läßt, sich also für diese Differenzierung sachliche einleuchtende Gründe finden lassen, prüft das Gericht ausführlich den inhaltlichen Gang der parlamentarischen Beratung. Dies sei im folgenden wörtlich dokumentiert: 734 „Den parlamentarischen Verhandlungen sind solche Gründe nicht zu entnehmen. Das mag bei der Besonderheit der Behandlung des Gesetzentwurfes im parlamentarischen Verfahren verständlich sein; die vorhandenen Unterlagen lassen aber eindeutig darauf schließen, daß solche Gründe nicht bestanden haben. So fuhrt die Begründung des Regierungsentwurfs zum
731 Vgl. Ossenbühl, F., in: Starck, Ch. (Hg.), S. 484, mit Nachweisen aus der Rechtsprechung; vgl. auch Roellecke, G., Politik und Verfassungsgerichtsbarkeit, Heidelberg 1961, S. 150. 732
Philippi, K. J., Tatsachenfeststellungen des Bundesverfassungsgerichts. Ein Beitrag zur rational-empirischen Fundierung verfassungsrechtlicher Entscheidungen, Köln / Berlin / Bonn u. a. 1971; Thierfelder, H., Zur Tatsachenfeststellung durch das Bundesverfassungsgericht, JuA 1970, S. 879ff. 733
Vgl. insbesondere BVerfGE 30,250 (262); 30, 292; 30, 336; 36,47; 38, 61 (82).
734
BVerfGE 18, 38 (47).
2. Die Rechtsprechung zur Überprüfung des GesetzgebungsVerfahrens
361
Änderungsgesetz 1956 (Bundestagsdrucksache 11/1274 Seite 115) aus, eine gleiche Behandlung aller Angestellten hinsichtlich der Arbeitslosenversicherung sei geboten; der Entwurf wollte zu diesem Zweck den § 57 A V A V G beibehalten, ging also selbstverständlich davon aus, daß für eine besondere Behandlung der Angestellten auf Seeschiffen kein Anlaß besteht. Dieselbe Auffassung vertrat der im Plenum in zweiter Lesung eingebrachte Antrag des Abgeordneten Dr. Bürkel den § 75 A V A V G wiederherzustellen, nachdem die vom Ausschuß vorgeschlagene unbeschränkte Versicherungspflicht aller Angestellten die Zustimmung des Plenums nicht gefunden hatte. Die Ablehnung dieses Antrags durch das Plenum läßt irgendwelche Gründe hierzu nicht erkennen. Diese Beurteilung bestätigt der oben genannte Bericht des 27. Ausschusses für Arbeit und die Annahme des Entwurfs des Änderungsgesetzes 1957 durch den Bundestag ... Auch der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung und die Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung haben überzeugende Gründe für die Differenzierung nicht dartun können. Die Vermutung, daß die besondere Schutzbedürftigkeit der Angestellten auf Seeschiffen maßgebend gewesen sein könnte, läßt sich, wie ausgeführt, aus dem Gesetzgebungsverfahren nicht belegen."
Es wird deutlich, daß nicht geprüft wird, ob ein Verfahren, das demokratisch-rechtsstaatlichen Anforderungen genügt, zur Entscheidungsfindung durchgeführt wurde, sondern es werden inhaltlich die einzelnen Etappen der Entscheidungsfindung, und zwar mit den Beiträgen der Exekutive und Legislative und Sachverständigen bzw. Interessengruppen nachvollzogen („Die Vermutung ... läßt sich ... aus dem Gesetzgebungs verfahren nicht belegen", S. 47), gewertet („Auch der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung und die Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung haben überzeugende Gründe ... nicht dartun können.", S. 47), gutgeheißen („Mehr Gewicht hat der Gesichtspunkt...", S. 47) oder verworfen („Ein solcher innerer Zusammenhang ... besteht aber nicht", S. 48). In einem anderen Verfahren vor dem BVerfG wandten sich die Beschwerdeführer gegen die Verletzung ihrer Grundrechte durch die Auferlegung einer Pflicht zu gewissen Maßnahmen der Vorratshaltung. 735 Bei der Prüfung der Einschränkungsmöglichkeiten in die Freiheit der Berufsausübung konstatiert das Gericht einmal mehr, 736 daß das gesetzgeberische Mittel geeignet und erfor-
735
BVerfGE 30, 292.
736
Vgl. auch BVerfGE 19, 330 (337); 25, 1 (17f.).
362
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derlich sein muß, um den erstrebten Zweck zu erreichen. 737 Das Mittel sei geeignet, wenn mit seiner Hilfe der gewünschte Erfolg gefördert werden könne; es sei erforderlich, wenn der Gesetzgeber nicht ein anderes, gleich wirksames, aber das Grundrecht nicht oder doch weniger fühlbar einschränkendes Mittel hätte wählen können. Bei einer Gesamtabwägung zwischen der Schwere des Eingriffs und dem Gewicht und der Dringlichkeit der ihn rechtfertigenden Gründe müsse die Grenze der Zumutbarkeit noch gewahrt werden. Unter diesen Prämissen prüft das Gericht dann, ob durch das Gesetz der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt wird. Hinsichtlich des gesetzgeberischen Spielraums bei der Prognose und Einschätzung gewisser der Allgemeinheit drohender Gefahren, zu deren Verhütung der Gesetzgeber tätig wird, billige die Verfassung ihm einen Beurteilungsspielraum zu, „den er nur dann überschreitet, wenn seine Erwägungen so offensichtlich fehlsam sind, daß sie vernünftigerweise keine Grundlage für gesetzgeberische Maßnahmen abgeben können." 738 An diese Aussage hält sich das Gericht jedoch nicht, wenn es konstatiert, daß jeder „die Freiheit der Betroffenen weniger beschränkenden Alternativlösung" letztendlich der Vorzug gegeben werden müsse, auch „die sachliche Gleichwertigkeit zur Zweckerreichung" bei dem als Alternative vorgeschlagenen geringeren Eingriff „in jeder Hinsicht eindeutig feststehen" müsse. 739 Um dies in aller Genauigkeit festzustellen, muß sich das Gericht an die Stelle des Gesetzgebers versetzen, Alternativen erwägen und verwerfen, Tatsachenforschung betreiben, kurzum Gesetzgebung nachvollziehen, wenn nicht ersetzen, ohne dafür weder den gesetzgeberischen Apparat, noch die gesetzgeberische Legitimation zu besitzen. Da das Gericht den eigenen aufgestellten Ansprüchen nicht gerecht werden kann, sehen die Erörterungen zu der Verhältnismäßigkeit bzw. Sachgerechtigkeit in den meisten Fällen dilettantisch aus. So stützt man sich weitgehend auf Motivation, 740 die der eine oder andere am Gesetzgebungsprozeß Beteiligte zu Protokoll gegeben hat, zieht Lebenserfahrung, allgemein bekannte Vorgänge, 741
737
BVerfGE 30,292 (316).
738
BVerfGE 30,292 (317); vgl. auch BVerfGE 25,1 (12,17).
739
BVerfGE 30,292(319).
740
BVerfGE 30, 292 (317): „Der Gesetzgeber hat sich zur Einführung der Bevorratungspflicht veranlaßt gesehen, weil..." 741 BVerfGE 30, 292 (318): „Die allgemein bekannten Vorgänge und Entwicklungen auf den internationalen Mineralölmärkten ... haben die Richtigkeit der Vorstellungen von einer hier bestehenden potentiellen Gefahrenlage erkennen lassen."
2. Die Rechtsprechung zur Überprüfung des Gesetzgebungserfahrens
363
Statistiken, 7 4 2 rechtsvergleichende Aspekte, 7 4 3 wissenschaftliche Erhebungen, 7 4 4 den A b l a u f parlamentarischer Verhandlungen 7 4 5 etc. heran. Kurzum, da sich das Gericht nicht darauf beschränkt zu prüfen, ob die Entscheidungsfindung des Gesetzgebers prozedural nicht nur den förmlichen Anforderungen, sondern auch den anderen unabdingbaren Grundvoraussetzungen der Gesetzgebung, wozu zur Entscheidungsfreiheit der Entscheidenden, wie dargelegt, auch die Heranziehung aller bekannten Tatsachen und die Abwägung der Alternativen gehört, muß es sich auf Wege begeben, deren Grund nicht tragfähig ist. So erörtert das Gericht in dem hier in Frage stehenden Urteil bis in Einzelheiten hinein die Vorratshaltung von Heizöl, als ob es solche Fragen besser beurteilen könne als der Gesetzgeber. 7 4 6 So weiß das Gericht über Ölvorratshaltung i m Sommer ein Urteil abzugeben, wie über die Tatsache, daß „gerade die Anbieter von leichtem Heizöl bei den privaten Verbrauchern i m substituierenden Wettbewerb mit der Steinkohle (stehen)." 7 4 7 Konsequenterweise bleibt es dann nicht aus, daß das Gericht, wenn es sich in solchem Maße an die Stelle des Gesetzgebers setzt, diesem auch nachweist, daß er sich „ v o n fehlerhaften Annahmen und unvollständigen Erwägungen hat leiten lassen." 7 4 8 Damit gab das Gericht den Beschwerdeführern recht, die sich gegen die Bestimmungen des Tierschutzgesetzes, das untersagt, lebende Tiere per Nachnahme zu versenden, gewandt hatten.
742 BVerfGE 30, 292 (321): „Das von der Bundesregierung vorgelegte statistische Material zeigt jedoch, daß für die vom Gesetzgeber gewählte Lösung beachtliche, jedenfalls nicht eindeutig widerlegbare Gründe sprechen." 743
BVerfGE 30, 292 (319): „Eine vollständige Übernahme der Vorratshaltung durch den Staat, die übrigens in keinem westeuropäischen Land vorgesehen ist, wäre für die Erreichung der gesetzgeberischen Ziele nicht gleichwertig." 744 Vgl. BVerfGE 43, 291 (346f.): „Gewisse Anhaltspunkte für die Tendenz, daß die durchschnittliche Leistung mit steigendem Abituranteil sinkt, enthält die 1976 herausgegebene Repräsentativerhebung des Instituts für Test- und Begabtenforschung der Studienstiftung des deutschen Volkes ..." Daß solche Instrumente oft willkürlich als Entscheidungsstütze herangezogen werden oder überhaupt für die Entscheidung gar nicht relevant sind, aber ihre Erwähnung die breite Sachkenntnis des Gerichts verdeutlichen vermag, geht gerade aus der Fortführung des Zitats hervor, „... aus der (dieser Erhebung) allerdings nach der in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Mitteilung des Herausgebers gegenwärtig keine verwertbaren Schlüsse auf die Studieneignung gezogen werden können." 745 Vgl. etwa BVerfGE 18, 38 (47): „Den parlamentarischen Verhandlungen sind solche Gründe nicht zu entnehmen. Das mag bei der Besonderheit der Behandlung des Gesetzentwurfs im parlamentarischen Verfahren verständlich sein; die vorhandenen Unterlagen lassen aber eindeutig darauf schließen, daß solche Gründe nicht bestanden haben." 746 Zur Illustration sei dieses Beispiel auszugsweise zitiert, BVerfGE 30, 292 (319): „Die vorgeschriebene ständige Vorabhaltung trägt aber der Tatsache Rechnung, daß auch im Sommer bei plötzlichen Krisensituationen ungewöhnliche Nachfragesteigerungen durch sprunghaft einsetzende Lagerkäufe der Verbraucher eintreten können." 747
BVerfGE 30, 292 (320).
748
BVerfGE 36,47.
364
V. Justiziabilität der Grundvoraussetzungen demokratischer Gesetzgebung
Die Beschwerdeführer argumentierten in erster Linie gegen die „Unterstellungen im Gesetzgebungsverfahren", 749 daß die bisherige Praxis zu Unzuträglichkeiten im Tierversand geführt habe. Das Gericht prüft in diesem Verfahren nicht nur, ob das Verbot an sich Rechte der Beschwerdeführer verletzt, sondern befaßt sich eingehend mit dem Entscheidungsprozeß des Gesetzgebers, und zwar unter dem Gesichtspunkt, ob die Erschwerung der Berufsausübung durch „vernünftige Erwägungen des Gemeinwohls" 750 gerechtfertigt sei. Dabei erscheine es „vor allem wesentlich, daß die Regelung nach dem schriftlichen Bericht des zuständigen Ausschusses und den Ausführungen der beiden Berichterstatter im Bundestag mit Annahmen begründet wurde, die sich bei nachträglicher Prüfung nicht bestätigt haben." 751 Diese falsche Annahme liege darin, daß seit einiger Zeit Jetzt" viele Eintagsküken per Nachnahme versandt würden. 752 Demgegenüber ist das Gericht zu der Erkenntnis gelangt, daß der Nachnahmeversand von Geflügel „bereits seit Jahrzehnten üblich war." 7 5 3 Einen weiteren Fehler der gesetzgeberischen Erwägung im Verlaufe des Verfahrens weist das Gericht nach. Das Verbot sei erlassen worden, „weil es bei dieser Versendungsart häufig zur Annahmeverweigerung durch den Besteller und durch die damit eintretende Verlängerung der Transportdauer zu erheblichen Schmerzen, Leiden oder Schäden bei einem solchen Tier kommt." 7 5 4 Das Gericht fragte beim Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten an, der in seiner Antwort darlegte, daß über tierschutzrelevante Vorkommnisse beim Bahntransport von Tieren bislang überhaupt keine aussagefähigen statistischen Unterlagen vorhanden seien. Eine kurzfristige Erhebung für einen Monat habe ergeben, daß bei 13 204 Nachnahmesendungen von Tieren im Expreßgutverkehr 31 Ablieferungshindernisse aufgetreten, aber lediglich 9 Fische und ein Huhn verendet seien. 755 Bei der Bundespost seien im Jahre 1972 ungefähr 61 000 Paketsendungen und 11 000 Briefsendungen mit lebenden Tieren versandt worden, davon annähernd die Hälfte per Nachnahme. 242 Sendungen mit Nachnahme und 191 ohne seien als unzustellbar zurückgegangen. Verluste durch Tod seien auf dem Wege 749
BVerfGE 36, 47 (51).
750
BVerfGE 36, 47 (60).
751
BVerfGE 36,47 (60f.).
752
BVerfGE 36,47 (61).
753
Ebd.
754
BVerfGE 36, 47 (61).
755
BVerfGE 36, 47 (61 f.).
2. Die Rechtsprechung zur Überprüfung des Gesetzgebungsverfahrens
365
zum Empfänger - soweit feststellbar - bei 88 Sendungen mit, und bei 68 Sendungen ohne Nachnahme eingetreten. 756 Diese etwas ausführlichere Darstellung zeigt exemplarisch die Untragbarkeit des vom BVerfG beschrittenen Weges über das Einfallstor der Sachgerechtigkeit oder Verhältnismäßigkeit, sich an die Stelle des Gesetzgebers zu setzen und diesem nachzuweisen, daß er von falschen Erwägungen ausgegangen ist. Dieser Weg muß auch dort scheitern, wo er sich nicht auf das nochmalige Abwägen gesetzgeberischer Erwägungen von 'höherer' Warte aus beschränkt, sondern dem Gesetzgeber falsche, unzweckmäßige Erwägungen mit Hilfe empirischer Tatsachenforschung nachzuweisen versucht. Das Gericht hätte prüfen müssen, ob der Gesetzgeber in seiner Entscheidungsfindung die gesetzgeberischen Grundvoraussetzungen des Verfahrens eingehalten hat, und dann die Entscheidung des Gesetzgebers respektieren müssen, ohne dessen Motive im einzelnen nachzuprüfen oder an der Wirklichkeit empirisch zu messen. Im konkreten Fall hätte dazu umso mehr Anlaß bestanden, da eine Regelung durchaus auch mit der Auffassung, die der Deutsche Tierschutzbund geäußert hat, daß der Tierschutz den Vorrang vor dem Interesse der Beschwerdeführer an einer risikolosen, mit den geringsten Unkosten verbundenen Geschäftsabwicklung stehe, begründet werden konnte. Wohin die Methodik des Gerichts führen kann, wenn es selbst wertend den Gesetzgebungsprozeß nachvollziehen will, zeigt seine Entscheidungsfindung im konkreten Fall. In einem gesetzgeberischen Entscheidungsprozeß ist stets damit zu rechnen, daß die unterschiedlichsten Interessen aufeinanderstoßen. Jede Seite hat Argumente für und wider, und in der Regel auch statistische Zahlen, die ihre Argumentation stützen. Es ist allein Aufgabe der gesetzgeberischen Instanzen, die Wertentscheidung zwischen den solchermaßen streitenden Interessen zu treffen. Wenn das Gericht diese Entscheidung trifft, sich dafür auf Angaben einer der im Interessenkampf stehenden Seite stützt, und diese Angaben noch auf zweifelhaften statistischen Erhebungen beruhen, dann wird die Unmöglichkeit solch richterlichen Unterfangens deutlich. Das Bundesverfassungsgericht hat offenbar mitunter selbst Zweifel an solcher Überprüfungspraxis. Dies kommt in der Entscheidung 43, 291 zum Ausdruck, in der es sich mit Fragen der Hochschulzulasssung beschäftigen mußte. Obwohl es auch hier an dem Standpunkt festhält, daß ihm aufgegeben sei, die Prämissen der gesetzgeberischen Entscheidung in tatsächlicher Hinsicht auf ihre
756
Ebd.
3 6 6 V . Justiziabilität der Grundvoraussetzungen demokratischer Gesetzgebung
Richtigkeit zu überprüfen und gegebenenfalls ihre Unrichtigkeit nachzuweisen, sieht es Schwierigkeiten, wenn sich für verschiedene Standpunkte „manches geltend machen läßt ... keiner von ihnen durch verläßliche Untersuchungen belegbar ist." 7 5 7 In solchen Fällen sei Zurückhaltung des Gerichts geboten. Daß diese auf den ersten Blick wie eine weise Beschränkung der Entscheidungskompetenz erscheinende Aussage an der grundsätzlichen Problematik des gerichtlichen Prüfungsmaßstabes nichts ändert, mag der Hinweis verdeutlichen, daß das Gericht im Rahmen seiner Methodik letztendlich entscheidet, ob „sich für beide Standpunkte manches geltend machen läßt." 758 Es gibt keinerlei Garantie dafür, daß es nicht von vornherein nur eine Alternative über gesetzgeberische Prämissen als die allein relevante ansieht 759 und in diese Bewertung naturgemäß nicht nur rechtliche Erwägungen einfließen, sondern da es sich in erster Linie um Beurteilung von Sachverhalten handelt, die zu regeln sind, und nicht so sehr um Rechtsfragen, besteht die Gefahr, daß politische Entscheidungen anstelle von rechtlichen getroffen werden. Im Mitbestimmungsurteil nähert sich das Gericht der Auffassung, die in dieser Arbeit entwickelt wird: 7 6 0 „Bei dieser Sachlage kann jedenfalls nicht gefordert werden, daß die Auswirkungen des Gesetzes mit hinreichender Wahrscheinlichkeit oder gar Sicherheit übersehbar sein müßten ... Ob das Bundesverfassungsgericht sich auf eine bloße Evidenzkontrolle zu beschränken hätte, bedarf keiner Entscheidung. Denn die Prognose des Gesetzgebers ist vertretbar. Dieser Maßstab verlangt, daß der Gesetzgeber sich an einer sachgerechten und vertretbaren Beurteilung des erreichbaren Materials orientiert hat. Er muß die ihm zugänglichen Erkenntnisquellen ausgeschöpft haben, um die voraussichtlichen Auswirkungen seiner Regelung so zuverlässig wie möglich abschätzen zu können und einen Verstoß gegen Verfassungsrecht zu vermeiden. Es handelt sich also eher um Anforderungen des Verfahrens. Wird diesem Genüge getan, so erfüllen sie jedoch die Voraussetzungen inhaltlicher Vertretbarkeit; sie konstituieren insoweit die Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers, die das Bundesverfassungsgericht bei seiner Prüfung zu beachten hat."
757
BVerfGE 43, 291 (347).
758
Ebd.
759 Warnend auch Schneider, H., in: Starck, Ch. (Hg.), S. 397: „... aber zum Ausgangspunkt muß die gesetzgeberische Entscheidung, nicht die mögliche Alternative genommen werden." 760
BVerfGE 50, 290 (333f.).
2. Die Rechtsprechung zur Überprüfung des Gesetzgebungserfahrens
367
Wenn es allerdings diese Ausführungen lediglich im Zusammenhang mit gesetzgeberischen Prognosen, d. h. welche Auswirkungen einer gesetzlichen Regelung erwartet wird, macht, so ist dies unbefriedigend, solange eine solche Methodik nicht für die gesamte Prüfungspraxis gilt. Auch sind die Ausführungen dort widersprüchlich, wo einmal gefordert wird, daß der Gesetzgeber sich an einer sachgerechten und vertretbaren Beurteilung des erreichbaren Materials zu orientieren hat, auf der anderen Seite aber die Anforderungen des Verfahrens in den Vordergrund gestellt werden. Der Widerspruch ist in der Methodik des Urteils auflösbar, weil eben die sachgerechte und vertretbare Beurteilung des erreichbaren Materials durch den Gesetzgeber offenbar vom Gericht mit zu den Anforderungen des Verfahrens gezählt wird. Dies ist jedoch in dieser Form nicht akzeptabel, da die Kontrolle der Sachgerechtigkeit auch - allerdings weniger - eine inhaltliche und nicht nur eine prozedurale sein kann. Nur wenn das Gericht postulierte, daß der Gesetzgeber - und dies würde unter die Grundvoraussetzung der Entscheidungsfreiheit der Entscheidenden im Gesetzgebungsverfahren gehören - das erreichbare Material zur Entscheidungsfindung heranziehen muß, und dies auch nachprüfbar dargelegt werden muß, kann verhindert werden, daß das Gericht nicht mit materiellen Wertungsentscheidungen an die Stelle des Gesetzgebers tritt. (3) Die Kontrolle von Tatsachenfeststellungen und Aufklärungskompetenz Wenn hier gefordert wird, daß die Prüfungskompetenz des Bundesverfassungsgerichts eine erhebliche Verlagerung des Prüfungsschwerpunktes auf die Kontrolle eines einwandfreien Procedere der Gesetzgebung beinhalten sollte, bleibt die Frage zu präzisieren, inwieweit das Gericht bei der solchermaßen neu strukturierten Prüfung die Tatsachen, die der Gesetzgeber seiner Entscheidungsfindung zugrundelegt, noch einmal nachprüfen darf, d. h. unter Umständen selbst völlig neue Tatsachenermittlungen anstellen kann. In § 26 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG heißt es zur Tatsachenerhebung lediglich: „Das Bundesverfassungsgericht erhebt den zur Erforschung der Wahrheit erforderlichen Beweis." Ferner enthält das Gesetz Hinweise auf die möglichen Beweismittel und den Grundsatz der freien Beweiswürdigung. Wenn aufgrund dieser positivrechtlichen Zuweisungen Fritz Ossenbühl feststellt, „dieses Bild scheint in der Tat die Charakterisierung zu rechtfertigen, der Gesetzgeber habe dem Bundesverfassungsgericht gewissermaßen einen 'Blan-
368
V. Justiziabilität der Grundvoraussetzungen demokratischer Gesetzgebung
koscheck' für Tatsachenermittlungen ausgestellt.",761 dann verwirklicht das Gericht diese Folgerung in extensiver Weise. 762 Über die verfassungsrechtliche und verfassungstheoretische Einordnung und Zulässigkeit solcher vorstehend dokumentierten Praxis ist weder durch die von Ossenbühl angesprochene Vermutung, noch durch die Praxis des Bundesverfassungsgerichts abschließend entschieden worden. 763 Dies manifestiert sich auch in der noch nicht abgeschlossenen wissenschaftlichen und rechtspolitischen Diskussion. Sie begann mit dem Hinweis von Hans Peters auf der Staatsrechtslehrertagung von 1950, daß die „Tatbestandsaufklärung" eine Phase darstelle, in der die Richter „nicht selten politische Arbeit" leisteten und „politische Erwägungen" vorzunehmen hätten. 764 In der verfassungspolitischen Diskussion sorgte Hans Dichgans, der stets bemüht war, verfassungsrechtliche Problemlösungen, die die Theorie anbot, auch in die Praxis einzubringen, für Aufsehen, als er vorschlug, gesetzlich festzulegen, „daß das Bundesverfassungsgericht bei Tatsachen und Prognosen an die Feststellung des Parlaments gebunden ist, es sei denn, es stellt fest, daß offensichtlich falsche Feststellungen mißbräuchlich getroffen worden sind." 765 Dieser Vorschlag, der im Rechtsausschuß des Bundestages ausführlich diskutiert wurde und zu dem nicht nur Sachverständige, sondern auch Bundesverfassungsrichter in einer Anhörung Stellung nahmen, wurde, wie Fritz Ossenbühl feststellt, „als ein Generalangriff auf die Institution der Verfassungsgerichtsbar-
76 1
Ossenbühl, F., in: Starck, Ch. (Hg.), S. 461.
762
Vgl. die empirischen Untersuchungen von Philippi, K. J., und Thierfelder, H., JuA. Allerdings beschränken diese Untersuchungen sich darauf darzustellen, in welchem Ausmaße das Gericht 'legislative facts' selbst ermittelt. Es wird nicht differenziert, inwieweit das Gericht sich an Tatsachenfeststellungen der vorentscheidenden Instanz hält. Dies wird für den Bereich der Normenkontrolle ersatzweise geleistet von Schick, W., Die Sachaufklärungspflicht des nach Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG vorlegenden Gerichts, NJW 1965, S. 730ff, der die Tatsachenermittlung zwischen vorlegendem Gericht und BVerfG abgrenzt. Etwas umfangreicher ist die Literatur zur Bindung des Gerichts an vorinstanzliche Tatsachenermittlung, wenn es sich um Verfahren von Verfassungsbeschwerden handelt. Vgl. etwa Burmeister, J., Das Bundesverfassungsgericht als Revisionsinstanz, DVB1 1969, S. 605ff; Seujfert, W., Die Abgrenzung der Tätigkeit des Bundesverfassungsgerichts gegenüber der Gesetzgebung und der Rechtsprechung, NJW 1969, S. 1369ff; Arndt, Α., Umwelt und Recht - Das Bundesverfassungsgericht und die Wahrheitsfrage, NJW 1962, S. 783ff; Zweigert, K., Die Verfassungsbeschwerde, JZ 1952, S. 321ff. (S. 326); Rupp, H., Die Verfassungsbeschwerde im Rechtsmittelsystem, ZRP 1969, S. Iff. (S. 12ff). 763 Dies mag auch daran liegen, daß, so Ossenbühl, F., in: Starck, Ch. (Hg ), S. 461, „ähnlich wie dem Gesetzgeber der Wissenschaft und wohl auch dem Bundesverfassungsgericht selbst die Frage der Tatsachenermittlung im Verfassungsprozeß nicht als grundsätzliches Problem bewußt gewesen" ist. 76 4 Peters, H., Diskussionsbeitrag zum ersten Beratungsgegenstand: Die Grenzen der Verfassungsgerichtsbarkeit, VVDStRL 9/1952, S. 117. 765
6. WP, Protokoll der 38. Sitzung vom 13.3.1970, S. 1907.
2. Die Rechtsprechung zur Überprüfung des Gesetzgebungserfahrens
369
keit schlechthin empfunden und dementsprechend einhellig und energisch zurückgewiesen ,..". 7 6 6 Friesenhahn bezeichnet den Vorschlag sogar als „absolut verfassungswidrig". 767 Dichgans zog seinen Antrag zurück. Diese Ablehnung ist nur aufgrund der grundsätzlichen Vernachlässigung der Überprüfung des tatsachenfindenden Procedere innerhalb der verfassungsrechtlichen Überprüfung zu verstehen. So geht man bislang davon aus, daß das Gericht auch bei der Tatsachenkontrolle legislativer Entscheidungen ein Ergebnis, nicht aber eine Verfahrenskontrolle unternehmen könne, weil es für letzte „an jeglichem Entscheidungsmaßstab" fehle. 768 Vor diesem Hintergrund ist es verständlich, daß man eine Einschränkung auch der vorhandenen Tatsachenergebniskontrolle in der Tat als Angriff auf die Verfassungskontrolle insgesamt empfand. Wenn weder das Verfahren der Entscheidungsfindung im Tatsachenbereich noch das Ergebnis einer Kontrolle unterliegen sollten, dann wäre nicht mehr sehr viel übrig für den Gegenstand verfassungsrechtlicher Kontrolle. Wenn man jedoch den Dichgansschen Ansatz, daß das Bundesverfassungsgericht bei Tatsachen und Prognosen an die Feststellung des Parlaments gebunden ist, es sei denn, es stelle fest, daß offensichtlich falsche Feststellungen mißbräuchlich getroffen worden sind, mit der in dieser Arbeit vorgeschlagenen erweiterten Verfahrenskontrolle in Verbindung setzt, dann ergibt sich ein gangbarer Weg, die politische Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers und die Kontrollaufgaben der Verfassungsgerichtsbarkeit in ein ausgewogenes Verhältnis zu bringen. Wie schon an anderer Stelle mehrfach ausgeführt, hieße es, das Gericht völlig zu überfordern, wenn man ihm nicht nur unbeschränkt die Tatsachenkontrolle im Hinblick auf die Richtigkeit der vom Gesetzgeber zugrundegelegten Fakten zuwiese, sondern auch die Kontrolle im Hinblick auf die Vollständigkeit der vom Gesetzgeber ermittelten Fakten. Der Weg, die Verfahrenskontrolle zu stärken und entsprechend die Inhaltskontrolle insbesondere hinsichtlich der gesetzgeberischen Entscheidungsfindung zugrundeliegenden Tatsachen und Prognosen auf evident falsche Feststellungen, die zu mißbräuchlichen Zwecken
76 6
Ossenbühl, F., in: Starck, Ch. (Hg.), S. 462.
767
Sten. Protokoll Nr. 18 des 5. Ausschusses, S. 15. Zu den anderen Stellungnahmen, unter ihnen die des damaligen Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts Gerhard Müller, des Vizepräsidenten Seuffert und der Richter Leibholz, Geiger und Haager, vgl. Wortprotokoll Nr. 13 des 5. Ausschusses, S. 192ff. 76 8 Ossenbühl, F., in: Starck, Ch. (Hg.), S. 483; vgl. auch BVerfGE 36, 321 (330): „Die Gestaltung des Gesetzgebungsverfahrens im Rahmen der durch die Verfassung vorgegebenen Regeln ist Sache der gesetzgebenden Organe."
370
V. Justiziabilität der Grundvoraussetzungen demokratischer Gesetzgebung
getroffen worden sind, zu beschränken, 769 steht stärker im Einklang auch mit den tatsächlichen Ermittlungskapazitäten des Gerichts. Eine weitere Überlegung macht die Kompetenzüberschreitung des Verfassungsgerichts durch eine uniimitierte Tatsachen- und Prognoseüberprüfung deutlich. Wenn man solche weitgehende Kontrolle bejaht, kann man konsequenterweise nicht die subjektive Überzeugung des Gesetzgebers von der Richtigkeit und Tragfähigkeit des ermittelten Sachverhaltes als verbindlich anerkennen, sondern das post factum entscheidende Gericht hat die Tatsachen objektiv zu ermitteln, 770 und ist besonders bei Prognoseentscheidungen des Gesetzgebers später immer klüger. Dies hat zur Folge, daß bei der Beurteilung des Sachverhaltes keine Chancengleichheit zwischen dem Gesetzgeber und dem zeitlich später entscheidenden Richter besteht, und letzterer sich souverän als Obergesetzgeber ' fühlen kann. Daran ändert auch die Lösung nichts, daß Normen, die unter Zeitdruck entstanden sind und deshalb von unvollständigen oder fehlerhaften Tatsachen ausgehen, lediglich ex nunc beseitigt werden sollen, 771 oder das Gericht für seine Beurteilung zu berücksichtigen hat, ob vom damaligen Blickwinkel die Prognose richtig gewesen ist.
769 A. Mg. Lerche, P., Übermaß und Verfassungsrecht, Köln / Berlin / München u. a. 1961, S. 347: „Insbesondere kann aus der Tatsache, daß es sich hier stets um Fragen richtiger Sachverhaltsbeurteilung durch den Gesetzgeber handelt, also um sog. Tatfragen nicht etwa eine grundsätzliche Kontrollfreiheit oder ein sonstiger struktureller Unterschied zur Prüfung auf Erforderlichkeit entnommen werden. Denn durch die Aufnahme dieser Tatfrage als Vorfragen der Erforderlichkeit werden sie zugleich zu Rechtsfragen, wie denn auch umgekehrt die Frage nach dem mildesten Mittel (Rechtsfrage der Erforderlichkeit) gleichzeitig Tatfrage ist." 770 77 1
So Ossenbühl, F., in: Starck, Ch. (Hg.), S. 484.
Grabitz, E., Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, AÖR 1973, S. 568ff. (S. 572).
VI. Neustrukturierung des verfassungsrechtlichen Überprüfungsprozesses durch Zwei-Stufen-Prüfung 1. Beschränkung der Prüfungskompetenz und Rückverlagerung originärer Aufgaben an den Gesetzgeber Zu Recht schlägt den Vorschlägen einer überprüfbaren Verfahrensordnung des Gesetzgebungsprozesses nicht zuletzt deshalb Mißtrauen entgegen, weil man eine weitere Machtausweitung des Bundesverfassungsgerichts befürchtet, das sich noch mehr als bisher an die Stelle des Gesetzgebers setzen könnte. Dies wäre gewiß so, wenn man eine solche Verfahrensordnung mit mehr als unabdingbaren Grundvoraussetzungen belasten würde und ζ. B. EffektivitätsVoraussetzungen hinzufügen wollte. Wenn man sich jedoch auf die Grundvoraussetzungen beschränkt, die gewährleisten, daß die gesetzgeberische Entscheidungsfindung auf allen Ebenen in rechtsstaatlicher und demokratischer Weise erfolgt, besteht eine solche Gefahr der Machtausweitung nicht. Im Gegenteil, das Gericht wird in weitaus stärkerem Maße sich darauf besinnen müssen, daß es auch Lösungen, die es für unsachgemäß hält, zu akzeptieren hat, wenn die Entscheidungsfindung nicht zu beanstanden ist. Dies wird mit einiger Sicherheit dadurch erleichtert, daß Gesetze, die auf solche einwandfreie, einem geregelten Verfahren unterworfene Weise zustandegekommen sind, weit weniger das Risiko in sich bergen, inhaltlich der Verfassung nicht zu entsprechen, da das Procedere die potentiellen Konflikte mit der Verfassung schon auf anderer Ebene ausräumen kann. 772 Wenn man als verfahrensmäßige Grundvoraussetzung die vier Grundvoraussetzungen Legitimität der Entscheidungen, Transparenz, Entscheidungsfreiheit der Entscheidenden und Chancengleichheit der Einflußnahme als Grundlage des Procedere akzeptiert, dann wird es überflüssig, daß die Jurisdiktion sich Gedanken über die Notwendigkeit eines Gesetzes, über die Motive, die 772
Vgl. auch den Gedanken Peter Häberles, daß die durch pluralistische Verfahren zustandegekommenen Gesetze, wenn sie nicht grundsätzlich umstritten seien, einer nicht so strengen Kontrolle durch das Bundesverfassungsgericht unterliegen sollten. Der Unterschied zu der hier vertretenen Auffassung besteht darin, daß hier nach einem rechtlichen einwandfreien Procedere, welches durch das Gericht konrolliert wurde, Zurückhaltung in der Überprüfung des Inhalts, insbesondere der Verhältnismäßigkeit einer Norm geübt werden soll, während bei Häberle offenbar nur das nicht definierte politisch-pluralistische Procedere diese Zurückhaltung zur Folge haben soll. 25 Mengel
372
VI. Neustrukturierung des verfassungsrechtlichen Überprüfungsprozesses
Qualität, die Stringenz und ähnliches unter dem Vorwand, die Verhältnismäßigkeit der Regelung zu prüfen, macht. Dieser Grundsatz sei an folgendem praktischen Beispiel verdeutlicht. In BVerfGE 47, 285, in der es um die Verfassungsgemäßheit gesetzlicher Gebührenordnungsvorschriften für Notare ging, prüft das Gericht ausführlich den Entscheidungsfindungsgang auf parlamentarischer Ebene und stellt fest: 773 „Diese Entwurfsbegründung enthält mehrere Gesichtspunkte, die für die nähere Regelung von Gebührenermäßigungen auch verfassungsrechtlich wesentlich sein können. Dabei ist hier nicht näher zu erörtern, ob der Gesetzgeber im Falle des sozialen Wohnungsbaus zu einem Verzicht auf Gebührenermäßigungen verfassungsrechtlich genötigt war. Anders als in jenem Fall hat der Gesetzgeber bei der Änderung des § 144 Abs. 3 KostO überhaupt keine nähere Prüfung vorgenommen, obwohl diese Änderung eine Vielzahl der verschiedensten Gebührenbefugnistatbestände umfaßte ..."
Nach dem hier vertretenen verfassungsgerichtlichen Prüfungsverfahren hätte die Feststellung, „hat der Gesetzgeber ... überhaupt keine nähere Überprüfung vorgenommen", 774 genügt, festzustellen, daß das Verfahren nicht rechtsstaatlich-demokratischen Anforderungen entspricht (fehlende Sachverhaltsaufklärung als Element der Entscheidungsfreiheit), und weitere Erörterungen zum Inhalt der solchermaßen fehlerhaften Norm wären überflüssig. Allerdings hat die Kontrolle der Erfüllung der einzelnen Grundvoraussetzungen zur Folge, daß die Motive, Alternativen etc., die im Gesetzgebungsverfahren eine Rolle spielten, offengelegt werden. Nur so kann beurteilt werden, ob ζ. B. die Entscheidungsfreiheit der Beteiligten gewahrt war, nur so kann das Erfordernis der Transparenz erfüllt und geprüft werden, ob die jeweils Legitimierten die Entscheidung getroffen haben und ob die Chancengleichheit der Einflußnahme gegeben war. Diese Offenlegungspflicht der Vorgänge und schriftlichen Niederlegungen des der richterlichen Kontrolle zugänglichen Bereichs ergibt sich ganz allgemein aus dem Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip und konkret aus § 26 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG. Wenn man das gesetzgeberische Verfahren in die Kontrollkompetenz des Gerichts mit einbezieht, ergeben sich hier keine grundsätzlichen dogmatischen Probleme, allenfalls muß geklärt werden, welche Bereiche des Verfahrens sowohl auf Exekutiv- als auch auf Parlamentsebene nicht einer Offenlegungspflicht unterliegen. Im übrigen hat das Bundesverfassungs-
773
BVerfGE 47,285 (323).
774
Ebd.
1. Beschränkung der Prüfungskompetenz und Rückverlagerung
373
gericht ζ. B. in der Entscheidung zum Mühlenstrukturgesetz, wo es diese Erwägungen unter anderem auf eine lange Liste von stenographischen Berichten, Ausschußprotokollen etc., die während des gesetzgeberischen Verfahrens angefertigt wurden, stützt, deutlich gemacht, daß es in der Praxis der Heranziehung solcher Unterlagen grundsätzlich keine Schwierigkeit gibt. 775 Allerdings wird sich diese Heranziehung von Unterlagen des gesetzgeberischen Entscheidungsfindungsprozesses in seiner Gewichtung ändern müssen, wenn man den in dieser Arbeit entwickelten Kontrollmaßstäben im Ansatz zustimmt. Es kommt dann nicht mehr in erster Linie darauf an, wie die inhaltlichen Erwägungen in den Unterlagen aussehen, sondern wie das Entscheidungsfindungsverfahren i. E. abgelaufen ist. Zur Verdeutlichung sei noch einmal das Urteil zum Mühlenstrukturgesetz herangezogen. Hier zieht das Gericht zur Klärung der inhaltlichen Zweckmäßigkeit der Regelung Unterlagen aus dem parlamentarischen Entscheidungsfindungsprozeß bei. Dagegen geht nicht aus dem Urteil hervor, auf welche Weise es zu der Feststellung kommt, daß „keine Anhaltspunkte dafür (bestehen), daß, wie einige Klägerinnen meinen, nicht diese versorgungsund strukturpolitisch, agrar- und sozialpolitischen Erwägungen, sondern unsachliche, auf Druck von Interessenten zurückzuführenden Einflüsse den Gesetzgeber beeinflußt haben." 776 Diese Feststellung beruht offenbar im wesentlichen auf der Grundlage, daß „die genannten Erwägungen ... vielmehr in der Beurteilung der am Gesetzgebungsverfahren beteiligten Ausschüsse wiederholt zum Ausdruck gekommen (sind)." 777 Unter einer Neustrukturierung der gerichtlichen Kontrolle hätte das Gericht darauf verzichten müssen, die Unterlagen des Procedere zur inhaltlichen Abwägung herbeizuziehen, sondern hätte die Unterlagen herbeiziehen müssen, um den Vorwurf der Klägerinnen, daß auf unzulässige Weise Interessenten Einfluß genommen hätten, entweder zu entkräften oder zu bestätigen. Dies wäre in keiner Weise mit größeren Schwierigkeiten verbunden gewesen, als die Heranziehung der anderen Unterlagen. Die Prüfung der Unterlagen unter diesem Gesichtspunkt ist im Gegenteil dann sehr viel eher die Domäne des Juristen als wie im Urteil geschehen, die unter Hinweis auf den Abschnitt 'Getreidemühlen' des Handwörterbuchs der Sozialwissenschaft erfolgte Auseinandersetzung mit der Frage der Rentabilität eines Betriebes in Abhängigkeit von der Schätzung des Vermahlungsvolumens.
775
Vgl. auch BVerfGE 25, 1.
776
BVerfGE 39,210(227).
777
Ebd.
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VI. Neustrukturierung des verfassungsrechtlichen Überprüfungsprozesses
Eine weitere, tiefer in das Strukturelle der Herbeiziehung der Unterlagen aus dem gesetzgeberischen Entscheidungsfindungsprozeß hineinreichende Änderung ergibt sich aus den Überlegungen zu einer Neustrukturierung des verfassungsgerichtlichen Kontrollprozesses dahingehend, daß der Bereich der Exekutive sehr viel stärker in das Blickfeld der Kontrollinstanzen geraten muß, und entsprechend auch die Unterlagen aus diesem Bereich offengelegt und herangezogen werden müssen.778 Dies ergibt sich aus der wohl nicht mehr bestrittenen Überlegung, daß der gesetzgeberische Entscheidungsprozeß in zwei Hauptstufen abläuft und die Ebene der Exekutive dabei in der Mehrzahl der Fälle durch ihre vorentscheidende Wirkung von erheblichem Gewicht ist. Wenn also, um das Beispiel des Mühlenstrukturgesetzurteils aufzunehmen und fortzuführen, einige berechtigte Anhaltspunkte für eine unzulässige Interessenteneinflußnahme auf den Gesetzgebungsprozeß geltend gemacht werden, und einiges dafür spricht, daß dieser Einfluß auch auf der Ebene der Exekutive nicht wirkungslos blieb, dann ist das Gericht gehalten nachzuprüfen, ob das Entscheidungsfindungsverfahren auch in diesem Bereich den rechtsstaatlichen und demokratischen Anforderungen, deren Maßstäbe letztendlich dann noch durch Lehre und Rechtsprechung weiter zu entwickeln wären, Rechnung getragen hat. Besonders auf der Ebene der Exekutive wird diese neue Kontrollrichtung zur Folge haben, daß erwartet werden muß, daß die Entscheidungsfindung innerhalb des Exekuktivbereichs sorgfältig zu dokumentieren ist und nachvollziehbar gemacht wird. Diese Pflicht findet lediglich dort ihre Grenzen, wo man die Trennlinie zum unkontrollierbaren Eigenbereich der Exekuktive sieht, was gleichermaßen für einen der Kontrolle nicht zugänglichen Eigenbereich der Legislative gelten müßte, wenn man solche Arkanbereiche grundsätzlich für notwendig und zulässig hält. Wenn durch das Gericht aufgrund der Unterlagen aus dem gesetzgeberischen Procedere und allen anderen Ebenen festgestellt werden kann, daß durch Einhalten der rechtsstaatlich-demokratischen Maßstäbe, die gesetzgeberischen Entscheidungsträger, insbesondere die Abgeordneten, tatsächlich Entschei-
778 Die Vernachlässigung des Exekutivbereichs wird durch folgende Feststellung in BVerfGE 29,221 (234) exemplarisch dokumentiert: „Das Verfahren im Bundestag und im Bundesrat enthält keine verfassungsrechtlichen Fehler." Aber auch dort, wo das Gericht den Verfahrensablauf, 'nachkontrollierend' unter dem Gesichtspunkt inhaltlicher Kontrolle zum Gegenstand seiner Untersuchung macht, zieht es weitaus häufiger Unterlagen, Äußerung etc. aus dem parlamentarischen Teil des Entscheidungsfindungsprozesses als aus dem Exekutivbereich heran. Dies mag mit dem Respekt vor dem endgültig entscheidenden Parlament oder mit der noch unterentwickelten Dokumentation des exekutiven Teils des Gesetzgebungsprozesses zusammenhängen, verkennt jedoch in jedem Fall die Bedeutung des Exekuktivbereichs.
1. Beschränkung der Prüfungskompetenz und Rückverlagerung
375
dungsfreiheit in dem an anderer Stelle erörterten Sinne hatten, dann kann, ja muß es sich hinsichtlich des Entscheidungsinhalts weitaus stärker als in der bisherigen Praxis mit Wertungen und Abwägungen zurückhalten. Insofern muß es zwei Stufen der gerichtlichen Überprüfung geben. Die erste Stufe, die der Überprüfung des Procedere und die zweite Stufe der inhaltlichen Überprüfung, wobei nach der hier vertretenen Auffassung der Prüfung des Verfahrens das Schwergewicht verfassungsgerichtlicher Kontrolle zukommen wird. 7 7 9 Beide Stufen besitzen eine sehr verschiedene Kontrollintensität und Kontrollrichtung. Bei der ersten Stufe muß das gesamte Gesetzgebungsverfahren in seinem Verlauf zumindest potentiell dem Gericht transparent gemacht werden können. 780 Dies bedeutet, es muß nachvollziehbar sein, daß die genannten Grundvoraussetzungen demokratischen-rechtsstaatlichen Gesetzgebungsverfahrens in allen Stadien auch im Stadium der Entscheidungsvorbereitung innerhalb der Ministerialbürokratie eingehalten worden sind. Dagegen hat sich das Gericht jeder Wertung über die inhaltliche Vernünftigkeit der Regelungsentscheidung in diesem Stadium der Prüfung zu enthalten, solange feststeht, daß der Gesetzgeber das Verfahren eingehalten hat. In der zweiten Stufe der Überprüfung hat das Gericht nur beschränkt nach den bereits für die einzelnen möglichen Grundrechtsverletzungen durch gesetzliche Regelungen entwickelten Grundsätzen wie bisher zu verfahren. Der vom Gericht immer wieder in seiner Bedeutung unterstrichene Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers gewinnt hier eine weitaus größere Breite als bisher. 781 So ist es unter dieser zweistufigen Prüfung nicht
779 Vgl. auch Pestalozzi Ch. v., 'Noch verfassungsmäßige' und 'bloß verfassungswidrige' Rechtslagen, in: Starck, Ch. (Hg ), Bundesverfassungsgericht und Grundgesetz, Bd. I, Tübingen 1976, S. 519ff. (S. 521): „Es ist im Gegenteil zu fragen, ob Verstöße gegen Verfahrensnormen nicht eher schwerer wiegen als solche gegen materielle Verfassungsinhalte."; ders., 'Formenmißbrauch' des Staates, München 1973, S. 159f. 780 So Schwerdtfeger, G., in: Stödter, R. / Thieme, W. (Hg.), S. 184f.: „... ist für die Feststellbarkeit von Verfahrensdefiziten ... entscheidend, daß die in das Gesetzgebungsverfahren einbezogenen Daten und Lösungsmöglichkeiten sowie die Abwägungen in Protokollform oder als (Ausschuß)-Berichte hinreichend detailliert festgehalten und offengelegt werden. Dazu sind die Beteiligten nach dem Grundgesetz verpflichtet. Das Demokratieprinzip dringt auf Transparenz. Aus der Sicht des Rechtsstaatsprinzips ermöglichen nur hinreichend detaillierte Offenlegungen die grundrechtlich garantierte (Art. 19 IV GG) Gerichtskontrolle, ob ein Grundrecht zulässigerweise in einem ordnungsgemäßen Eingriffsverfahren beschränkt wurde." Vgl. auch Pestalozza, Ch. v., NJW, S. 2086: „Der Begründungszwang, der für die rechtsstaatliche Verwaltung selbstverständlich ist, trifft auch den Gesetzgeber, übrigens auch die Rechtssetzung der Verwaltung. Daß die Verwaltung zwar Einzelakte, nicht aber Rechtsnormen begründen muß, ist rechtsstaatswidrig: das Nebeneinander von Begründungszwang und -freiheit von Akten ein und derselben Staatsgewalt zeigt die traditionelle Rechtsstaatsferne des Rechtssetzungsverfahrens, wohl auch bedingt durch die späte Einführung der Normenkontrolle." 781 In der Tat ist das Mißverständnis auszuräumen, daß Gesetzgeber und Verwaltung hinsichtlich der verfassungsgerichtlichen Kontrolle auf einer Stufe stehen. Diese Auffassung kommt etwa bei Schneider, H., in: Starck, Ch. (Hg.), zum Ausdruck, wenn er ausführt (S. 397): „An die Stelle
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VI. Neustrukturierung des verfassungsrechtlichen Überprüfungsprozesses
mehr vertretbar, daß das Gericht ζ. B. bei solchen möglichen Grundrechts Verletzungen wie die der Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes die Aufgabe übernimmt festzustellen, ob die gefundene gesetzgeberische Lösung geeignet, erforderlich und verhältnismäßig ist und die Gebote der Sach- und Systemgerechtigkeit beachtet. A l l dies zu prüfen ist originäre Sache des Gesetzgebers, der keineswegs lediglich auf die Festlegung der Zielvorstellungen, Sachabwägungen, Wertungen und Prognosen zurückzuverweisen ist. Das Gericht hat sich hinsichtlich des Gebots der Geeignetheit, Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit darauf zu beschränken festzustellen, daß diese durch den Gesetzgeber in einem der Grundvoraussetzungen demokratisch-rechtsstaatlicher Gesetzgebung einhaltenden Verfahren geprüft und entschieden worden sind. Das Gericht hat nicht zu prüfen, ob die Einschätzungen und Entscheidungen des Gesetzgebers offensichtlich fehlerhaft oder eindeutig widerlegbar sind. Verfassungsgerichte haben sich nicht Gedanken zu machen, „welche Wirkung die gesetzliche Maßnahme auf die Glaubwürdigkeit eines Gesetzgebers haben würde, der die Gründe des öffentlichen Wohls binnen weniger Jahre so unterschiedlich bestimmte." 782 Diese Auffassung hat zur Folge, daß die gesetzliche Regelung, wenn sie im fehlerfreien Verfahren zustandekam nur in Extremfällen einer inhaltlichen Prüfung nach bisherigen Maßstäben zugänglich ist. Diese letztendliche Kontrolle in Ausnahmefällen muß erhalten bleiben, da nicht ausgeschlossen werden kann, daß auch bei Einhaltung des Procedere durch den Gesetzgeber auch innerhalb seines daraus folgenden weiten Gestaltungsspielraum, verfassungswidrige Gesetze geschaffen werden. In solchen Fällen, in denen zwar das Verfahren verfassungsgemäß ist, aber erhebliche Anhaltspunkte dafür bestehen, daß der Inhalt mit einiger Wahrscheinlichkeit dennoch gegen das Grundgesetz verstößt, dann sind nach wie vor ein erheblicher Teil der von der Rechtsprechung und der Lehre entwickelten Prüfungsmaßstäbe an den Inhalt der gesetzlichen Regelung zu legen, wobei allerdings dem Gericht versagt bleiben muß, wie bisher tief in den inhaltlichen Entscheidungsprozeß nachkontrollierend zurückzukehren, sondern es muß den Gesetzeswortlaut so nehmen wie er vorliegt, ihn nach den anerkannten Auslegungsregeln interpretieren und auf evidente Verstöße gegen das Grundgesetz insbesondere Grundrechte prüfen, wobei es auf die dazu entwickelten Maßstäbe auch zur Evidenzprüfung zurückgreifen kann. 783
des pflichtgemäßen Ermessens einer Verwaltungsbehörde tritt die gesetzgeberische Gestaltungsfreiheit ... Die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers darf nicht enger begrenzt werden als der Ermessungsspielraum einer Verwaltungsbehörde." 782
VerfGH NW, Urteil vom 13.1.1975, DVBI 1976, S. 31ff (S. 33).
783
Vgl. BVerfGE 12, 326 (333); 19, 101 (115); 27, 375 (390).
1. Beschränkung der Prüfungskompetenz und Rückverlagerung
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Solche Prüfungsmaßstäbe sind allerdings durchaus nicht nur in solchen Extremfällen weiterhin anzuwenden, sondern sie entfalten nunmehr im zweistufigen Prüfungsverfahren ihre Wirksamkeit zumindest in ihrem Kern in der ersten Prüfungsebene, in der Prüfung der Einhaltung des demokratisch-rechtsstaatlichen Procedere. Allerdings ist die Realisierung dieser Maßstäbe nunmehr von der Jurisdiktion in erster Linie auf den Gesetzgeber übergegangen. D. h. der Gesetzgeber muß z. B. die Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit im Rahmen der Grundvoraussetzungen des gesetzgeberischen Procedere prüfen. Die Jurisdiktion prüft lediglich ob ersterer geprüft und abgewogen hat, nicht ob er richtig oder falsch die Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit beurteilt hat. Die Prüfung der Richtigkeit oder Fehlerhaftigkeit bleibt wie ausgeführt der Prüfung in Extremfällen auf der zweiten Prüfungsebene vorbehalten. Durch ein solch neues Prüfungsverfahren werden die verschobenen Gewichte zwischen verfassungsrechtlicher Jurisdiktion und Gesetzgeber wieder in ein der Demokratie mit ihren unabdingbaren Legitimationserfordernissen angemessenes Verhältnis gebracht, ohne daß dabei der grundrechtliche Schutz des Bürgers unangemessen Schaden nehmen müßte. Dieser Schutz ist nicht hoch genug zu bewerten und die Sätze Karl Loewensteins, daß der Schutz der Freiheitsrechte gegen die Einwirkungen des modernen Leviathans nirgends besser aufgehoben sei, als bei einem unabhängigen Gerichtshof und ,je mehr in unserer Zeit der einzelne von der Konformität des Kollektiven und der Staatsmacht bedroht ist, desto mehr bedarf er zur Wahrung seines heiligsten Gutes, der menschlichen Persönlichkeit, eines Hüters", 784 haben auch heute nichts von ihrer Gültigkeit verloren, nur muß die Hüterpflicht sich in das vom Verfassungsgeber gewählte politische System einordnen. Sicherlich wird es dazu kommen, daß bei weniger Gesetzen grundrechtsverletzende Regelungen vom Bundesverfassungsgericht festgestellt werden. Dieses liegt jedoch nicht daran, daß der Grundrechtsschutz vermindert wurde, sondern daß durch dies vom Gesetzgeber einzuhaltende Procedere antizipierter Grundrechtsschutz erfolgt, der umso effektiver wirkt, desto mehr der Gesetzgeber die Kontrolle der Materialisierung solchen antizipierten Grundrechtsschutzes durch das BVerfG gegenwärtigen muß. Allerdings wird der hier entwickelte Vorschlag auch dazu führen, daß der Bürger unter Umständen in der Tat die Gestaltungskraft bzw. -schwäche des Gesetzgebers mehr als bisher erfährt und die Gestaltungskraft des BVerfG hinter seine vorgegebenen Schranken zurücktritt und damit ihre Pufferwirkung zwischen inkompetenter Gesetzgebung und betroffenen Bürgern verliert. Nur für diejenigen ist dies beklagenswert, die dem 78 4
Loewenstein, K., Verfassungsrecht und Verfassungspraxis der Vereinigten Staaten, Berlin / Göttingen / Heidelberg 1959, S. 437.
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VI. Neustrukturierung des verfassungsrechtlichen
berprüfungsprozesses
Gericht mehr Sachverstand, Augenmaß und Rationalität zutrauen als dem Gesetzgeber. Wenn aber Demokratie ernstgenommen werden soll, dann muß das Vertrauen der Bürger in die kompetente Gestaltungskraft gesetzgeberischer Entscheidung sich auf den Gesetzgeber richten und nicht auf zwar hochqualifizierte, integere, aber für diese Aufgabe der politischen Gestaltung in einer Demokratie nicht legitimierten Richter. Nicht zuletzt dafür ist eine weitere Kontrolle gesetzgeberischer Aktivitäten in das System der Demokratie eingebunden. Der Bürger hat es in der Hand, die Richtung der Gesetzgebung alle vier Jahre zu bestimmen oder dazwischen in einigen Bundesländern über Volksbegehren direkt in die Gesetzgebung einzugreifen. 785 Nicht zu vernachlässigen sind auch die Möglichkeiten des Bürgers durch aktive Teilnahme am politischen Willensbildungsprozeß in Parteien, Verbänden, Medien und Bürgerinitiativen mitzuwirken, und somit indirekt auch auf das Gesetzgebungsverfahren einwirken zu können.
2. Stärkung der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers Mannigfaltig wird Kritik an der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts geübt, weil es in unnötigem Maße die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers einschränke und sich nicht selten in wichtigen Fragen schlicht an die Stelle der gesetzgeberischen Instanzen setze und Entscheidungen über den Inhalt von gesetzlichen Regelungen treffe, die allein in die Entscheidungskompetenz des Gesetzgebers fielen. Diese Kritik ist allzuoft berechtigt. Jedoch nützt es wenig, darüber zu klagen und apodiktisch zu fordern, daß das Gericht sich zurückhalten möge. Es gilt die Ursachen für erne solch mangelnde Zurückhaltung zu erkennen und über die Ursachenbeseitigung das Verhalten des Bundesverfassungsgerichts zu beeinflussen. Analysiert man die Rechtsprechung des Gerichts, dann fällt auf, daß es offenbar von tiefem Mißtrauen geprägt ist, ob die am Gesetzgebungsprozeß Be-
785 Vgl. auch die Ausführungen des Supreme Court der Vereinigten Staaten im Falle Barenblatt, 360 U. S. 132f. (1959), daß es nicht Aufgabe der Richter sei, über die Zweckmäßigkeit und Vernünftigkeit gesetzgeberischer Maßnahmen zu befinden, sondern gegen unvernünftig gesetzliche Maßnahmen habe der Kongress selbst in seinen eigenen Reihen oder das Volk mit dem Wahlzettel vorzugehen. Die Korrektur unzulässiger Motive des Gesetzgebers obliege dem Volke bei der Ausübung des Wahlrechts. Vgl. auch Justice Jackson in seiner abweichenden Meinung in Eisler v. United States, 338 U. S. 189, 196 (1949); a. Mg. Meyer, F., Die Untersuchungskompetenzen des Amerikanischen Kongresses, Bern 1968, der dieses Vertrauen in das Volk als „unrealistisch" bezeichnet (S. 211), als Beispiel nennt er die Gleichgültigkeit der Bevölkerung der Vereinigten Staaten gegenüber den Untersuchungspraktiken des Kongresses über antiamerikanische Umtriebe.
3. Qualitätssteigerung der Gesetze
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teiligten wirklich eine Lösung gefunden haben, die sachgerecht ist. An anderer Stelle wurden dazu nähere Ausführungen gemacht. Dieses Mißtrauen gründet sich offenbar auch unausgesprochen auf Bedenken, die das Procedere des Gesetzgebungsverfahrens betreffen. Es spricht einiges dafür, daß das Gericht mehr Vertrauen in die Qualität der Gesetzgebung bekäme, wenn es sich entschließen könnte nachzuprüfen, ob innerhalb des Gesetzgebungsverfahrens die verschiedenen Alternativen, auch diejenigen die einen minderschweren Eingriff in Grundrechte des Bürgers darstellen, in den Entscheidungsprozeß eingeflossen sind und Für und Wider vom Gesetzgeber ausreichend aber letztlich verbindlich abgewogen wurden. Dies würde zwar unter Umständen eine verstärkte Belastung des Bürgers in Einzelfällen im Grundrechtsbereich mit sich bringen, auf der anderen Seite jedoch die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers außerordentlich stärken. Bei der Abwägung des Spannungsverhältnisses zwischen grundrechtsschützender Verfassungsrechtsprechung und gestalterischer Autonomie des Gesetzgebers haben sich im Verlaufe der letzten Jahrzehnte die Gewichte eindeutig zugunsten des Ersteren verschoben. Nunmehr gilt es, der Gestaltungsfreiheit durch die Neustrukturierung des ^ β φ Γ ΰ ί ί π ^ ν β Η & ΐ Γ β ^ der Bundesverfassungsrechtsprechung den notwendigen Ausgleich zu schaffen, ohne dabei jedoch notwendigerweise den Grundrechtsschutz unbillig zu verkürzen.
3. Qualitätssteigerung der Gesetze Die mangelnde Qualität vieler Gesetz ist ähnlich wie die große Zahl immer wieder Gegenstand von teilweise schon resignierender Kritik. Nicht zuletzt solche mangelnde Qualität führte dazu, daß insgeheim die Tendenz des Bundesverfassungsgerichts weitausholend sich in Beurteilung von Regelungsmaterien an die Stelle des Gesetzgebers zu setzen, nicht allzu heftig kritisiert wurde, da man sich von den Richtern mehr Sachverstand und damit qualitativ bessere Regelungen erhoffte, als von dem eigentlich zuständigen Gesetzgebungspersonal. Dieser Gesichtspunkt, eine qualitative Steigerung der Gesetze durch die Tätigkeit des Bundesverfassungsgerichts zu erreichen, steht im Widerspruch wohlverstandener Gewaltenteilung. Das Gericht kann jedoch auf andere Weise auf die Qualität der Gesetzgebung Einfluß nehmen, ohne seine ihm zugewiesenen Kompetenzen zu überschreiten. Wenn es richtig ist, daß Komplexitätsreduzierung und Problemlösungen in der Demokratie erleichtert werden, wenn die Entscheidungsfindung transparent unter Einbeziehung pluralistischer Meinungsdiskussion stattfindet, dann ist die
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VI. Neustrukturierung des verfassungsrechtlichen
berprüfungsprozesses
Wahrung solcher Grundvoraussetzungen demokratischer Gesetzgebung wie sie hier entwickelt wurden, nicht nur dazu geeignet, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit im Gesetzgebungsprozeß auch verfahrensmäßig zu verwirklichen, sondern trägt auch dazu bei, die Qualität der Entscheidungsfindung zu stärken. Indem das Gericht über die Einhaltung solcher Verfahrensvoraussetzungen des gesetzgeberischen Procedere wacht und somit die denkbar günstigsten Voraussetzungen einer sachgemäßen gesetzgeberischen Lösung garantiert, trägt es indirekt dazu bei, die Qualität der Gesetzgebung im Entstehungsprozeß zu steigern, ohne in unzulässiger Weise in die Kernkompetenzen des Gesetzgebers einzugreifen. Allerdings bedeutet dies nicht, daß die verstärkte Überwachung gesetzgeberischen Procederes in allen Fällen die sachgerechteste Lösung sichert. Es gehört schließlich zur Wesensform demokratischer Gesetzgebung, daß letztendlich die zuständigen Gesetzgebungsorgane dafür dann auch die Verantwortung tragen und diese weder auf die Jurisdiktion übertragen, noch diese von letzterer usurpiert werden kann.
V I I . Die Folgen festgestellter Verfahrensmängel des Gesetzgebungsverfahrens Die vorgesehene Folge eines gegen die Verfassung verstoßenden Gesetzes ist grundsätzlich dessen Nichtigkeit. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Verfassungswidrigkeit sich auf die inhaltlichen Mängel oder aus der Verletzung verfassungsmäßiger gebotener Verfahrensvorschriften ergibt. Diese Feststellung ist schon längere Zeit nicht mehr in dieser Form einhellige Meinung. Das Bundesverfassungsgericht hat in einer Reihe von Entscheidungen die ipso iureNichtigkeit verfassungswidriger Gesetze nicht gelten lassen.786 Sicherlich kann man in dieser Frage geteilter Auffassung sein und es ist zugleich darauf zurückzukommen. Zunächst sei jedoch eine von der Rechtssprechung gemachte Differenzierung hinsichtlich der Rechtsfolge, die der materielle Verfassungsverstoß und der prozedurale Verfassungsverstoß zeitigen, beleuchtet. So führt das Gericht aus: 787 „Die hier interessierende Frage liegt anders als der Fall, daß der Streit über die inhaltliche Vereinbarkeit eines Gesetzes mit einer Norm höheren Ranges entsteht. In diesem Fall ist die Folge der Unvereinbarkeit, daß das Gesetz nichtig ist... Ein Mangel im Gesetzgebungsverfahren, wie er hier vorliegt, führt dagegen nur zur Nichtigkeit des Gesetzes, wenn er evident ist. Das gebietet die Rücksicht auf die Rechtsicherheit."
Dieser Unterscheidung ist nicht zuzustimmen.788 Ein Gesetz, welches nicht verfassungsgemäß in seinem Inhalt ist, ist genauso zu behandeln wie ein Gesetz, 786
Nachweise bei Scholz, R., Anmerkung zum Urteil des BAG vom 10.3.1972, NJW 1972, S. 1911, und Pestalozzi Ch. v., in: Starck, Ch. (Hg.), S. 538f. 787 788
BVerfGE DÖV 1972, S. 676ff. (S. 678).
Kritisch auch Pestalozza, Ch. v., in: Starck, Ch. (Hg.), S. 537: „Evident scheint ein derartiger Mangel jedenfalls dann nicht vor einer entsprechenden Entscheidung des BVerfG zu sein, wenn die Staatspraxis und die sonst vorherrschende Auffassung davon ausgehen, daß das Verfahren in Ordnung sei. Offen bleibt, was für sonstige, nicht evidente Mängel im Gesetzgebungsverfahren gelten soll, offen auch, wie sie überhaupt von jenem Mangel abzugrenzen wären." Ders., S. 158ff, wo er noch deutlicher macht, daß jede Verletzung des Verfahrens die Verfassungswidrigkeit des betreffenden Gesetzes zur Folge haben muß.
382
VII. Die Folgen festgestellter Verfahrensmängel
welches auf verfassungswidrige Weise zustandegekommen ist. 7 8 9 Wie an anderer Stelle ausgeführt, gibt es für eine solche Differenzierung keine Grundlage in den Bestimmungen der Verfassung und des Bundesverfassungsgerichts. Auch eine mögliche Ableitung einer solchen Differenzierung über die Lehre der Rangordnung des Rechts, der Stufenlehre, die zugegebenermaßen den theoretischen Unterbau für die Auffassung des Bundesverfassungsgerichts bilden könnte, ohne daß dies allerdings darauf Bezug nimmt, ist kein Raum, da sich unser Grundgesetz nicht an den Grundvoraussetzungen dieser Lehre orientiert. 790 Das Argument der Rechtssicherheit, welches laut Bundesverfassungsgericht notwendig macht, die Rechtsfolgen je nach den Ursachen der Verfassungswidrigkeit eines Gesetzes zu bestimmen, erscheint nicht tragfähig. 791 Warum sollte die Rechtssicherheit bei der Nichtigkeit eines Gesetzes im größeren Maße gefährdet sein, nur weil dieses nicht inhaltlich der Verfassung widerspricht, sondern nicht auf verfassungsgemäße Weise zustandegekommen ist? Wenn die Problematik der Rechtssicherheit bei der Bestimmung der Rechtsfolgen, die ein verfassungswidriges Gesetz zeitigt, überhaupt eine Rolle spielt, dann muß sie für die verfassungswidrigen Gesetze insgesamt erörtert werden. Auch der differenzierenden Rechtsfolgenbeurteilung eines Verfahrensfehlers im gesetzgeberischen Bereich, wie sie in der Literatur vorgenommen wird, ist so nicht zuzustimmen. Wenn Schwerdtfeger feststellt, daß der Verfahrensfehler nur relevant sei, „wenn nicht auszuschließen ist, daß in einem rechtsmäßigen Verfahren, ein inhaltlich anderes oder kein Gesetz ergangen wäre", 792 dann verknüpft er hier das Verfahren unnötigerweise mit dem Inhalt, obwohl das rechtsstaatlich-demokratische Verfahren in sich schon ein schützenswertes Gut ist, dessen Verletzung Sanktionen nach sich ziehen muß. Der Auffassung Schwerdtfegers schließt sich allerdings BVerfGE 44, 308 an, wo der Verstoß gegen zwingendes Verfahrensrecht nur dann die Ungültigkeit der so fehlerhaft zustandegekommenen Norm nach sich ziehen soll, wenn der Gesetzesbeschluß auf diesem Verstoß beruhte. 793
789
Vgl. auch BVerfGE 44, 308 (313): „Weist das vom Bundestag bei der Verabschiedung eines Gesetzes eingeschlagene Verfahren einen Vorstoß gegen zwingendes Verfassungsrecht auf und beruht der Gesetzesbeschluß auf diesem Vorstoß, so entbehrt das Gesetz der Gültigkeit." 790
Vgl. dazu ausführlich Papier, H.-J., S. 25f.
791
So auch Pestalozza, Ch. v., in: Starck, Ch. (Hg.), S. 537.
792
Schwerdtfeger,
793
BVerfGE 44, 308 (313).
G., in: Stödter, R. / Thieme, W. (Hg.), S. 178.
VII. Die Folgen festgestellter Verfahrensmangel
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Sicherlich ist dem Bestreben Schwerdtfegers, daß nicht jede, auch noch so minimale Verfahrensverletzung, Folgen für den Bestand der Norm zeitigen soll, im Kern zuzustimmen. Die Grenze der Relevanz muß jedoch an anderer Stelle gezogen werden. Die Frage, ob der Verfahrensfehler relevant ist, stellt sich schon bei der Prüfung, ob der Fehler eine unabdingbare Grundvoraussetzung des demokratischrechtsstaatlichen Procedere verletzt, oder lediglich einen zwar rechtspolitisch zu mißbilligenden und optimalen Gesetzgebungsverfahrensbedingungen zuwiderlaufenden Tatbestand darstellt. Die Grenzziehung der Relevanz ist deshalb in den tatbestandsmäßigen Voraussetzungen der Verfahrensfehlerfeststellung zu unternehmen und nicht in den Rechtsfolgeerwägungen. Durch eine solche Einbringung verwaltungsrechtlicher Gedanken und Prinzipien in das Gesetzgebungsverfahren wird auch nicht die Grenze zwischen Gesetzgebungsverfahren und Verwaltungsverfahren in unzulässiger Weise aufgehoben. Folgt man bis hierher, dann beschränkt sich die Frage der Rechtsfolgen, die sich aus Verfahrensverstößen bei der Gesetzgebung ergeben, auf die Problematik, ob regelmäßig Nichtigkeit des Gesetzes anzunehmen ist, oder aber es auch Fälle geben kann, die trotz solch prozeduralen Verfassungsverstoßes die Gültigkeit des Gesetzes nicht berühren, 794 wobei die Frage sich genauso bei inhaltlichen Verfassungsverstößen stellt. Diese Problematik soll in ihrer Komplexität hier nicht weiter verfolgt werden, da sie im Verhältnis zum zentralen Untersuchungsbereich der Abhandlung von keiner besonderen Bedeutung ist.
794
Vgl. dazu die Nachweise bei Papier, H.-J., S. 27.
V i l i . Zusammenfassende Thesen zu Teil I I 1. Das Gesetzgebungsverfahren ist endgültig als integraler Bestandteil der Staatsrechtswissenschaft zu begreifen. Diese ist aufgerufen, in Zusammenarbeit mit anderen Disziplinen, insbesondere mit der Politikwissenschaft, eine Theorie des demokratisch-rechtsstaatlichen Gesetzgebungsverfahrens zu entwickeln. An den Rechtsfakultäten ist stärker als bisher auch in der Lehre dem Rechtsschöpfungsprozeß Aufmerksamkeit zu schenken. 2. Aufgabe der Gesetzgebungstheorie ist, zunächst Maßstäbe für ein rechtsstaatliches und demokratisches gesetzgeberisches Entscheidungssverfahren zu entwickeln, zu klären, in welchem Umfange diese Maßstäbe implementiert und kontrolliert werden können und müssen, und welche Folgen ihre Verletzung im einzelnen mit sich bringen. Ferner sollte es Aufgabe einer Gesetzgebungslehre sein, Verfahrensweisen zu entwickeln, die die Koordinierung des Gesetzgebungsverfahrens zwischen den verschiedenen Beteiligten erleichtern und gleichzeitig sicherstellen, daß die unabdingbaren Grundvoraussetzungen demokratisch-rechtsstaatlichen Procederes nicht der Effektivität dieser Organbeziehungen geopfert werden, sondern, wo nötig, zunächst erst einmal in diesen Beziehungsgeflechten, die sich weitgehend unter Ausschluß der Öffentlichkeit gebildet haben, zu implementieren. Wenn diese Aufgabe erfüllt ist, mag es auch später zulässig und angebracht sein, zusammen mit anderen Disziplinen Wege aufzuzeigen, wie Gesetzgebungsinhalte sachgerechter gestaltet werden können und insgesamt Gesetzgebung effektiviert werden kann. 3. Die Funktion parlamentarischer Gesetzgebung im demokratischen Rechtsstaat liegt in der Ermöglichung individueller Entfaltung bei gleichzeitiger Maximierung des Gemeinwohls durch Steuerung des Verhaltens der Gemeinschaftsmitglieder. Sie hat sich in diesem permanenten Spannungsverhältnis zwischen individuellem Glücksanspruch und Gemeinwohlmaximierung zu bewähren. 4. Extensive rechtskonstitutive Funktionswahrnehmung des Richters als 'Ersatz· bzw. Obergesetzgeber', um 'schlechte' Gesetzgebung abzugleichen, darf im demokratischen Staat nicht als selbstverständlicher Dauerzustand hingenommen werden.
VIII. Zusammenfassende Thesen
385
5. Die Gesetzgebungstheorie des demokratisch-pluralistischen Rechtsstaates kann nur im Gegensatz zu allen kollektivistisch-totalitären Verfassungsordnungen von einem Menschenbild ausgehen, das die Freiheit des Individuums zur unabdingbaren Voraussetzung aller Überlegungen macht. Da die Verwirklichung solcher Freiheit nur in Gemeinschaft stattfinden kann, muß sie sich dort Beschränkungen gefallen lassen, wo sie zum Funktionieren der Gemeinschaft unerläßlich sind. Funktionszuweisungen, die die Gesetzgebung als Instrument von Zielsetzungen gebrauchen, die lediglich die Freiheit des Individuums beschränken sollen, ohne daß gleichzeitig eine Notwendigkeit zur Verwirklichung der Zielbestimmungen der Communitas zugrunde läge, sind kaum mit der Zweckbestimmung demokratisch-rechtsstaatlicher Gesetzgebung zu vereinbaren. 6. In der Staatsordnung freiheitlicher Demokratie kann Gesetzgebung im überwiegenden Maße nur fragmentarisch-periodischen Charakter haben, da sie nicht nur aufgrund der Komplexität der Materie, sondern auch wegen der Infragestellung des Gesetzgebers durch Wahlen langfristige Regelungen nicht garantieren kann. 7. Gesetzgebung in der demokratischen Ordnung moderner Prägung hat weder viel gemein mit der Gesetzgebung historischer Rechtsschule als Ausdruck historisch gewachsener Überzeugungsentwicklungen noch mit dem Verständnis als Herrschaftsinstrument i. S. verschiedener Ausformungen marxistischer Rechtstheorie. Gesetzgebung ist heute in erster Linie Instrument der Politikgestaltung geworden und somit Instrument der Staatsleitung. 8. Grundsätzlich ist es möglich, daß gesetzgeberische Maßnahmen ohne jeglichen ideellen Überbau auskommen. Für die freiheitliche Demokratie der Bundesrepublik verbietet sich jedoch eine solche Annahme schon allein durch die Tatsache, daß die demokratisch-rechtsstaatliche Regierungsform solch einen ideellen Überbau darstellt, der Rahmen und Maßstab für alle gesetzgeberischen Maßnahmen ist. 9. Im demokratisch-pluralistischen Verfassungsstaat hat Gesetzgebung eine kaum zu unterschätzende Befriedungs- und Ausgleichsfunktion zwischen den verschiedenen Interessen der Gesellschaft zu erfüllen. Das Gesetz selbst wird in den seltensten Fällen alle Interessen integrieren können. Integrierend ist deshalb in erster Linie der Verfahrensprozeß. Für die unterlegenen Interessen ist die Berücksichtigung im Prozeß der Gesetzgebung ein Surrogat für die Durchsetzung ihrer Vorschläge in der in Kraft zu setzenden Regelung . 10. Maßstäbe demokratisch-rechtsstaatlicher Gesetzgebungsverfahren gelten nicht nur auf den verschiedenen Ebenen des Bundes und der Länder, sondern
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VIII. Zusammenfassende Thesen
besitzen auch Gültigkeit für die beide Ebenen verzahnenden Mechanismen und Verfahrensweisen des gesamtstaatlichen gesetzgeberischen Entscheidungsprozesses. 11. Gesetzgebung kann heute in weiten Teilen nicht mehr isoliert nationalstaatlich erfolgen. Grundsätzlich dürfen und können die internationalen Interdependenzen und die daraus folgenden rechtlich verbindlichen Regelungen weder den Inhalt der Verfassung noch die sich aus ihren Grundprinzipien ableitbaren Verfahrensregeln verletzen. Bei Kompetenzübertragungen muß darauf geachtet werden, daß auf der unteren Ebene gewährleistet ist, daß sowohl inhaltlich als auch verfahrensmäßig die Regelungen der rechtlichen Entscheidungsfindung der nationalen Verfassung vergleichbar sind. 12. Auf nationaler Ebene ist die grundgesetzliche Ausgestaltung des Gesetzgebungsverfahrens knapp gehalten, beschränkt sich im wesentlichen auf formale Kompetenzzuweisungen und wird weitgehend durch eine informale Verfassungspraxis überlagert. Solche außerordentliche Zurückhaltung des Gesetzgebers führt dazu, daß möglicherweise fundamentale Prinzipien demokratischrechtsstaatlicher Verfahrensweisen nicht im gebotenen Maße beachtet werden. 13. Die Rechtsprechung beschränkt sich im Hinblick auf das gesetzgeberische Procedere weitestgehend auf die Überprüfung der Einhaltung der wenigen formal institutionellen Gesetzgebungsverfahrensanweisungen des Grundgesetzes. Da hier in den seltensten Fällen Fehlerquellen liegen, ist eine solche Überprüfung kaum relevant. 14. Aus der Zusammenschau der der Gesetzgebung unter demokratischrechtsstaatlicher Verfassungsordnung immanenten Elemente ergeben sich zwingend auch Schlußfolgerungen für das gesetzgeberische Verfahren, die unmittelbar aus dem Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip abzuleiten sind und die die Freilegung verfahrensmäßiger Strukturprinzipien des Gesetzgebungsverfahrens betreffen. Der Demokratiebegriff und der Rechtsstaatsbegriff sind nicht nur Garanten für formal einzuhaltende Verfahren, sondern sie sind auch Garanten dafür, daß ihr Bedeutungsgehalt auch für die innere strukturelle Ausgestaltung dieser Verfahren Wirkung entfaltet. Beide tragenden Pfeiler unserer Verfassungsordnung, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie, sind unmittelbare Grundlage für die demokratisch-rechtsstaatliche Ausgestaltung des Verfahrens. 15. Das Gesetzgebungsverfahren im demokratischen Rechtsstaat ist ein Procedere, dessen Einhaltung überschau- und kontrollierbar sein muß. Der Volkswille ist kein unfaßbares Mystikum, sondern wird in einem unendlich komplexen Prozeß festgestellt. Naturgemäß gibt es auch in diesem Prozeß Irrationalität und Arkanbereiche. Eine Prozeßordnung des inneren Gesetzgebungs-
VIII. Zusammenfassende Thesen
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Verfahrens hat diese zu begrenzen und Grundvoraussetzungen des Verfahrens zu formulieren. Solche sind etwa: die Legitimation des jeweils entscheidenden Gremiums oder der entscheidenden Person; die Entscheidungsfreiheit des Entscheidenden; die Transparenz der Entscheidungsfindung und des Entscheidungsinhaltes; die Chancengleichheit der Mitwirkung der von der Entscheidung Betroffenen. 16. Die Entscheidungen im demokratischen Gesetzgebungsverfahren genügen nur dann dem Demokratiegebot, wenn gewährleistet ist, daß die in den einzelnen Stadien des Verfahrens zur Entscheidung Berufenen auch wirklich die Freiheit der Entscheidung besitzen. Diese Entscheidungsfreiheit bedeutet mehr als die Freiheit von physischem Zwang, sich auf die eine oder andere Weise zu entscheiden. Über die Kenntnis der möglichen Alternativen hinaus gehört zur vollen Entscheidungsfreiheit die Kenntnis über die Motive gesetzgeberischer Entscheidungsfindung, die Auslöser des Entscheidungsprojektes, die Zielrichtung, die Folgen, die Kosten für die Gesamtgesellschaft, die Stellungnahme der Betroffenen, die Einflußnahme von Interessengruppen, die Regelungen, die in anderen Ländern zu gleichen Problemen schon existieren, sowie ausreichende Zeit zur Entscheidungsfindung. 17. Die Wirklichkeit des pluralistisch-demokratischen Entscheidungsprozesses besteht aus einem dichtgeknüpften Netz von Einflußmöglickeiten der Betroffenen und der gesellschaftlichen Verbände. Entscheidungen fallen innerhalb dieses Kommunikationsstromes, auch wenn sie formal an anderer Stelle gefällt werden. Aus diesem Grunde ist es von großer Bedeutung, das Verfahren dieses Kommunikationsstromes demokratischen Erfordernissen anzupassen. Dabei geht es nicht alleine um die notwendige Transparenz, sondern insbesondere auch darum, daß innerhalb dieses Prozesses Chancengleichheit zur Einflußnahme besteht. 18. Die Grundvoraussetzung 'Legitimation der jeweils Entscheidenden' ist nicht allein ein Problem des Vorhandenseins einer positivrechtlichen Entscheidungskompetenzzuweisung. Legitimationsdefizite entstehen auch dann, wenn der Entscheidungsträger sich wesentlicher Teile seiner inhaltlichen Entscheidungskompetenz entblößt. 19. Die demokratische Staatsform beruht zu einem wesentlichen Teil auf der Transparenz ihrer Entscheidungsvorgänge. Der Bürger muß in die Lage versetzt werden, das Zustandekommen von Gesetzen sowohl im 'Warum' als auch im 'Wie' nach vollziehen zu können. Arkanbereiche sind im Rahmen des gesetzgeberischen Entscheidungsprozesses auf das absolut notwendige Maß zu beschränken. Transparenz und Effektivität schließen sich nicht aus.
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VIII. Zusammenfassende Thesen
20. Neben justitiabel zu machenden Grundvoraussetzungen des Gesetzgebungsverfahrens sind Effektivitätsvoraussetzungen als rechtspolitischer Aufruf dem Gesetzgeber zur Beachtung anheimgestellt. Eine justitiable Pflicht zur effektiven Gesetzgebung gibt es nicht. 21. Zur Instrumentalisierung der Justitiabilität der Grundvoraussetzungen demokratisch-rechtsstaatlichen Gesetzgebungsverfahrens können die Geschäftsordnungen des Exekutiv- und des Legislativbereichs dienen. Exemplarische Beispiele belegen, daß auf dieser Ebene, soweit die Entscheidungsfindung im gesetzgeberischen Verfahren berührt ist, zum Teil erhebliche Defizite bestehen. 22. Die Implementierung der Grundvoraussetzungen demokratischrechtsstaatlichen Gesetzgebungsverfahrens sollte nur innerhalb des bestehenden institutionellen Rahmens erfolgen. Ansätze bieten dazu die Geschäftsordnungen und die Institution der Exekutiv- und Parlamentsanhörungen. 23. Bislang liegt der Schwerpunkt verfassungsgerichtlicher Überprüfung auf der inhaltlichen Kontrolle der Gesetzgebung, Mängel in der Willensbildung werden in der Regel nicht als beachtliche angesehen, solange nur die Formalien des gesetzgeberischen Verfahrens eingehalten werden. Im Rechtsstaat muß der Bürger jedoch auch darauf vertrauen können, daß die Jurisdiktion die Einhaltung des demokratisch-rechtsstaatlichen Verfahrens genauso überprüfen wird, wenn dazu Anlaß besteht, wie den Inhalt des Gesetzes. Dieses Vertrauen verdichtet sich bei unmittelbarer Betroffenheit in einem Klageanspruch, dessen Herleitung im Kern auf Verfahrensmängeln der Gesetzgebung beruht. 24. Der Gesetzgeber schuldet nicht eine optimale Methodik der Gesetzgebung und keine nachprüfbare Rationalität des Prozesses der Entscheidungsfindung, sondern lediglich die Einhaltung der Grundvoraussetzungen demokratisch-rechtsstaatlichen Verfahrens. Bei Einhaltung dieser Grundvoraussetzungen hat die Jurisdiktion nicht zu prüfen, ob eine Regelung inhaltlich oder verfahrensmäßig optimal zustandegekommen ist, sondern nur noch, ob die Regelung evident Grundrechte verletzt. 25. Die Überprüfung des gesetzgeberischen Procedere findet ihre Schranke dort, wo die Offenlegung und Kontrolle die Aufgabenerfullung der an der Gesetzgebung beteiligten Organe beeinträchtigt. Die anzulegenden Maßstäbe für solcherart Abgrenzung zu entwickeln, bleibt noch eine weitgehend zu erfüllende Aufgabe von Lehre und Rechtsprechung. 26. Die Verlagerung des verfassungsgerichtlichen Überprüfungsschwerpunktes vom Inhalt auf das Verfahren kann dazu beitragen, die nachweisbaren Kompetenzüberschreitungen des Bundesverfassungsgerichts bei der Inhaltskontrolle
VIII. Zusammenfassende Thesen
389
auf der einen und der Kompetenzvernachlässigung bei der Verfahrenskontrolle auf der anderen Seite in ein der Gewaltenteilung entsprechendes Verhältnis zu bringen. 27. Eine in diesem Sinne neu zu strukturierende zweistufige Verfassungsgerichtliche Überprüfung führt zur Stärkung der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers hinsichtlich der Inhalte gesetzlicher Regelungen und zur Qualitätssteigerung, ohne dabei den Grundrechtsschutz des Bürgers in unbilliger Weise zu verkürzen. 28. Die Folgen festgestellter Verletzungen der Grundvoraussetzungen demokratisch-rechtsstaatlicher Verfahrensweisen im Gesetzgebungsprozeß sind nicht anders zu beurteilen als Verfassungsverstöße durch den Inhalt einer Regelung.
Anhang Chronik des zeitlichen Ablaufs 1975
Verabschiedung des Hochschulrahmengesetzes von Bundestag und Bundesrat. Hessen verweigert seien Zustimmung im Bundesrat und erwägt die Einleitung eines Normenkontrollverfahrens.
26.1.1976
Veröffentlichung des HRG im BGBl.
1.12.1976
'Streik' an den hessischen Fachhochschulen wegen der geplanten Landeshochschulgesetze.
14.12.1976
Sprecher des kulturpolitischen Arbeitskreises der hessischen SPD-Landtagsfraktion versichern, daß keine generelle Neuordnung der Organisationsstruktur der hessischen Hochschulen angestrebt werde. Das Universitätsgesetz sollte auf das unbedingt Notwendige beschränkt werden.
10.1.1977
Bis zum Januar 1979 soll die Anpassung aller Landeshochschulgesetze an das HRG vollzogen werden.
25.4.1977
Der kulturpolitische Ausschuß der hessischen CDU verabschiedet ein Grundsatzpapier zur Hochschulpolitik: Die Funktionsfähigkeit der Hochschulen soll wiederhergestellt werden, die Gesamthochschule Kassel habe sich in keiner Weise bewährt.
6.5.1977
Ein Papier aus dem Präsidialamt der Universität Frankfurt löst Unruhe unter den Studenten aus. Die Universitätspräsidenten wollen angeblich die Anpassung der hessischen Hochschulgesetze an das HRG dazu benutzen, die Rechte der Studenten zu beschneiden.
12.3.1977
Vorlesungsboykott an Universitäten und Fachhochschulen. Diese richten sich weitgehend gegen die Landesgesetze zur Anpassung an das HRG. Die Streikenden erheben Forderungen in Bezug auf Studiendauer, Ordnungsrecht und Studentenverwaltung.
Anhang: Chronik des zeitlichen Ablaufs
391
14.5.1977
Hochschulkongreß der CDU in Marburg. Sie fordert eine 'Rückkehr zu einem freien und leistungsfähigen Hochschulwesen'. Der Kongreß spricht sich für die Auflösung der Gesamthochschule Kassel aus.
20.5.1977
Die Universitätspräsidenten treffen im Rahmen der K H U zu einer Sondersitzung über den Referentenentwurf zur Neufassung der hessischen Hochschulgesetze zusammen.
18.6.1977
Streik an der Frankfurter Universität. Präsident Krupp erwägt die Schließung der Universität.
20.7.1977
LHV fordert die Landesregierung dazu auf, die Landeshochschulgesetze nicht an das HRG anzupassen. LHV teilt mit, daß in den Sommermonaten 'heimlich' an der Anpassung gearbeitet werden soll.
23.9.1977
Landesvorstand der GEW spricht sich gegen die Trennung der neuen Hochschulgesetze in ein Universitätsgesetz und ein Fachhochschulgesetz aus.
24.9.1977
LHV begrüßt die Erklärung des Kultusministers, kein völlig neues Hochschulgesetz vorzulegen. Die bestehenden Gesetze sollen, nur soweit wie zwingend geboten, angepaßt werden. Die CDU erstrebt eine Totalrevision und kündigt einen eigenen Entwurf an.
7.10.1977
Die hessische CDU legt einen Hochschulgesetzentwurf vor, der zur Entpolitisierung und Entideologisierung beitragen soll. Im Januar 1978 will die CDU ihren eigenen Gesetzentwurf im Landtag einbringen
12.10.1977
Juso-Hochschulgruppen fordern alle Studenten zum Widerstand gegen die Pläne der hessischen Landesregierung zur Anpassung der hessischen Gesetzgebung an das HRG auf. Der Referentenentwurf, der erst nach dem Landesparteitag der SPD in Fulda veröffentlicht werden soll, ist Jusos nur in Auszügen bekannt. Diese Auszüge geben sie der Presse bekannt. Die Jusos bezeichnen den Entwurf als ein 'Kompromißgesetz' mit reaktionärem Charakter und üben heftige Kritik an der Regelung der verfaßten Studentenschaft, der Regelstudienzeit und am Ordnungsrecht. In der nächsten Woche soll der Entwurf dem Kabinett zur Kenntnisnahme übermittelt werden, danach soll das Anhörungsverfahren beginnen.
Anhang: Chronik des zeitlichen Ablaufs
13.10.1977
Krollmann weist die Kritik der Jusos zurück. Dem CDU-Entwurf bescheinigt er Illiberalität.
14.10.1977
Die vorzeitige Veröffentlichung von Teilen des Referentenentwurfs bezeichnet Krollmann als eine gezielte Indiskretion.
19.10.1977
Die hessische Landesregierung billigt die Gesetzentwürfe. Es beginne jetzt die Phase der öffentlichen Diskussion.
1.11.1977
FDP distanziert sich teilweise vom Referentenentwurf des hessischen Kultusministeriums.
9.11.1977
Krollmann beginnt mit Diskussionsveranstaltungen an den Hochschulen, bei denen die anstehende Novellierung diskutiert werden soll.
10.11.1977
Krollmann nimmt am 'Tribunal' über die Anpassung der hessischen Landeshochschulgesetzgebung an das HRG teil.
Ende 11.1977
Bundesweiter 'Generalstreik' gegen das HRG.
30.11.1977
Eine Diskussionsveranstaltung zwischen Krollmann und Studenten der Frankfurter Universität wird abgebrochen, als der Minister mit Tomaten und Eiern angegriffen wird.
6.12.1977
Urabstimmung über 'Streik' der Studenten gegen die Anpassung des hessischen Hochschulrechts an der HRG, Mehrheit für 'Streik'.
7.12.1977
Die hessische FDP will in den parlamentarischen Beratungen der Gesetzentwürfe einschneidende Veränderungen durchsetzen.
22.12.1977
Krollmann erklärt, daß am 27.12. die Frist für die Abgabe von Stellungnahmen zu den Gesetzentwürfen auslaufe. Mitte Februar 1978 sei die Kabinettsvorlage, im März 1978 die erste Lesung im hessischen Landtag vorgesehen.
1.1.1978
Die hessische Professorenkonferenz, der Dachverband der hessischen Professorenvertretungen, hat am 20.12.1977 in Wiesbaden ihre Stellungnahme zu den Referentenentwürfen des Kultusministers, zum Universitätsgesetz und zum Gegenentwurf der CDU erarbeitet.
3.1.1978
Kritik der Universität Marburg; die Entwürfe sollten überdacht werden, und zwar grundsätzlich. Die Gesetzentwürfe seien überperfektioniert und unpraktikabel.
Anhang: Chronik des zeitlichen Ablaufs
393
10.1.1978
Sitzung des Ministers mit der Projektgruppe.
13.1.1978
Sitzung des Ministers mit der Projektgruppe.
16.1.1978
Sitzung des Ministers mit der Projektgruppe.
16.1.1978
Sitzung des Ministers mit dem SPD-Fraktionsarbeitskreis Kulturpolitik.
17.1.1978
Treffen des Ministers mit hessischen Fachhochschulrektoren.
19.1.1978
Die Kultusminister, die der SPD angehören, beraten in München die Frage der HRG-Anpassungsgesetzgebung in den Ländern.
23.1.1978
Sitzung des Ministers mit der Projektgruppe.
27.1.1978
Sitzung des Ministers mit der Projektgruppe.
27.1.1978
Vertreter der Studentenvertretungen und Mitglieder des kulturpolitischen Arbeitskreises der SPD treffen zu einem 'kritischen Dialog' in Wiesbaden zusammen.
30.1.1978
Minister empfängt Juso-Hochschulgruppenvertreter zu Gespräch.
31.1.1978
Gespräche des Ministers über die Frage, ob der Status des Frankfurter Städel im KHG geregelt werden soll.
1.2.1978
Sitzung des Ministers mit dem SPD-Fraktionsarbeitskreis Kulturpolitik.
1.2.1978
Sitzung des Ministers mit dem kulturpolitischen Ausschuß der SPD Hessen-Süd in Friedberg.
2.2.1978
Der kulturpolitische Ausschuß des hessischen Landtages befaßt sich mit der Gesetzgebung unter Teilnahme des Ministers.
6.2.1978
Sitzung des Ministers mit der Projektgruppe.
9.2.1978
Sitzung des kulturpolitischen Ausschusses des hessischen Landtages unter Teilnahme des Ministers.
9.2.1978
Weiteres Gespräch mit Vertretern der Juso-Hochschulgruppen.
10.2.1978
Gespräch mit dem Präsidenten der Universität Gießen und Minister.
Anhang: Chronik des zeitlichen Ablaufs
10.2.1978
DGB übt massive Kritik an den Hochschulgesetzentwürfen und verlangt wesentliche Änderungen.
13.2.1978
Gespräch zwischen Minister, Staatssekretärin und den Universitätspräsidenten von Frankfurt und dem Präsidenten der TH-Darmstadt.
16.2.1978
Gespräch des Ministers mit dem hochschulpolitischen Sprecher der FDP-Fraktion.
23.2.1978
Gespräch des Ministers mit dem stellvertretenden Landesvorsitzenden des DGB, gleichzeitig Mitglied der SPD-Fraktion des Landtages.
25.2.1978
Diskussion des Ministers mit den kulturpolitischen Ausschüssen der SPD-Bezirke Hessen-Süd und Hessen-Nord in Gießen.
1.3.1978
Der endgültige Regierungsgesetzentwurf wird gedruckt und dem Landtag vorgelegt. Die erste Beratung ist für Mitte März vorgesehen. Noch vor Parlamentsferien und dem Ende der Legislaturperiode soll das Gesetz verabschiedet werden.
2.3.1978
Sitzung des kulturpolitischen Ausschusses des Landtages unter Teilnahme des Ministers.
8.3.1978
Gespräch des Ministers mit Vertretern der Medizin-Professoren.
8.3.1978
Erneutes Gespräch des Ministers mit den kulturpolitischen Ausschüssen der SPD-Bezirke Hessen-Süd und Hessen-Nord.
16.3.1978
Erste Lesung der Gesetze im Landtag.
22.3.1978
Die Studentenvertretungen der hessischen Hochschulen bezeichnen die in erster Lesung behandelten Hochschulgesetze als unannehmbar und kündigen Widerstand an.
29.3.1978
Der Landtag hat das von der Landesregierung im März eingebrachte Paket von Gesetzentwürfen an den kulturpolitischen Ausschuß überwiesen. Über die Einzelgesetze der Koalition und der CDU soll Ende Mai im Landtag abschließend beraten und abgestimmt werden. Die CDU wünscht eine Verschiebung der zweiten Lesung.
6.4.1978
Gespräch des Ministers mit dem Präsidenten der WRK und dem Präsidenten der KHU.
Anhang: Chronik des zeitlichen Ablaufs
395
7.4.1978
Gespräch des Ministers mit Medizinern in Gießen.
11.4.1978
Gespräch des Ministers mit dem stellvertretenden DGB-Vorsitzenden in Hessen und dem hochschulpolitischen Sprecher des DGB-Hessen.
12.4.1978
Sitzung des kulturpolitischen Arbeitskreises der SPD-Fraktion unter Teilnahme des Ministers.
13.4.1978
Hearing des kulturpolitischen Ausschusses des hessischen Landtages.
18.4.1978
Sitzung des kulturpolitischen Ausschusses des Landtages. Die CDU-Fraktion verläßt aus Protest gegen den Zeitdruck die Sitzung.
19.4.1978
Sitzung des Kulturpolitischen Arbeitskreises der SPD-Fraktion unter Teilnahme des Ministers.
24.4.1978
Gespräch des Ministers mit Fachhochschulprofessoren.
24.4.1978
Gespräch des Ministers mit dem Vorstand des LHV.
2.5.1978
Sitzung des kulturpolitischen Ausschusses des hessischen Landtages.
14.5.1978
Ganztägige Sitzung des kulturpolitischen Arbeitskreises der SPD-Fraktion unter Teilnahme des Ministers.
16.5.1978
Minister empfängt einige Fachhochschullehrer zum Gespräch.
18.5.1978
Ganztägige Sitzung des kulturpolitischen Ausschusses des hessischen Landtages.
1.6.1978
3. Lesung und Verabschiedung der Gesetze durch die SPD/FDP-Mehrheit des Landtages.
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