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German Pages [1032] Year 1997
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VERÖFFENTLICHUNGEN DER KOMMISSION FÜR NEUERE GESCHICHTE ÖSTERREICHS Band 87 KOMMISSION FÜR NEUERE GESCHICHTE ÖSTERREICHS Vorsitzender: em. o. Univ.-Prof. Dr. Fritz Fellner Stellvertretender Vorsitzender: o. Univ.-Prof. Dr. Helmut Rumpier Mitglieder: Gen.-Dir. i. R. Hofrat Dr. Richard Blaas ao. Univ.-Prof. Dr. Ernst Bruckmüller o. Univ.-Prof. Dr. Moritz Csäky ao. Univ.-Prof. Dr. Peter Csendes o. Univ.-Prof. Dr. Wolfgang Häusler ao. Univ.-Prof. Dr. Ernst Hanisch o. Univ.-Prof. Dr. Grete Klingenstein o. Univ.-Prof. Dr. Herbert Knittler o. Univ.-Prof. Dr. Alfred Kohler o. Univ.-Prof. Dr. Brigitte Mazohl-Wallnig Gen.-Dir. Hon. Prof. Dr. Lorenz Mikoletzky o. Univ.-Prof. Dr. Michael Mitterauer Gen.-Dir. i. R. Hofrat Dr. Rudolf Neck Dir. Hofrat Univ.-Doz. Dr. Alfred Ogris em. o. Univ.-Prof. Dr. Richard Plaschka o. Univ.-Prof. Dr. Josef Riedmann o. Univ.-Prof. Dr. Roman Sandgruber o. Univ.-Prof. Dr. Gerald Stourzh em. o. Univ.-Prof. Dr. Adam Wandruszka em. o. Univ.-Prof. Dr. Ernst Wangermann em. o. Univ.-Prof. Dr. Erika Weinzierl o. Univ.-Prof. Dr. Herwig Wolfram Sekretär: Dr. Franz Adlgasser
Die in den Veröffentlichungen der Kommission für Neuere Geschichte Österreichs gemachten Aussagen sind die der jeweiligen Verfasser, nicht die der Kommission.
Heinrich Friedjung
Geschichte in Gesprächen Aufzeichnungen 1898-1919 herausgegeben und eingeleitet von Franz Adlgasser und Margret Friedrich Band I 1898-1903
BÖHLAU VERLAG WIEN KÖLN · WEIMAR
Gedruckt mit Unterstützung durch den Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung
Umschlaggestaltung: Tino Erben, Cornelia Steinborn
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Heinrich Friedjung : Geschichte in Gesprächen , Aufzeichnungen 1898 - 1919 / Franz Adlgasser / Margret Friedrich (Hrsg.). - Wien ; Köln ; Weimar : Böhlau. (Veröffentlichungen der Kommission für Neuere Geschichte Österreichs ; . . .) NE: Friedjung, Heinrich; Adlgasser, Franz [Hrsg.] Band 1 (1997) (Veröffentlichungen der Kommission für Neuere Geschichte Österreichs ; 87) ISBN 3-205-98589-3 NE: Kommission für Neuere Geschichte Österreichs: Veröffentlichungen der Kommission . . .
ISBN 3-205-98589-3
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INHALT
Band I Einleitung a) Heinrich Friedjung. Historiker und Journalist. Leben und Werk b) Quellenwert c) Uberlieferung der Quelle d) Editionsrichtlinien e) Heinrich Friedjungs selbständige Veröffentlichungen f) Abgekürzt zitierte Literatur Verzeichnis der Gesprächspartner Gesprächsaufzeichnungen 1898-1903
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Band II Gesprächsaufzeichnungen 1904-1919
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nicht datierbare Aufzeichnungen
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Personenregister
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EINLEITUNG
a) Heinrich Friedjung. Historiker und Journalist. Leben und Werk Heinrich Friedjungs Wirken ist gekennzeichnet vom Wechselspiel zwischen politischem Journalismus und wissenschaftlicher Geschichtsforschung, von der Gegenwartsbezogenheit seiner Kommentare zum Zeitgeschehen und der Analyse historischer Abläufe in seinen großen Werken zur Geschichte des 19. und frühen 20. Jahrhunderts1. Seit dem unfreiwilligen Ausscheiden aus dem Schuldienst im Frühjahr 1879 aufgrund von Vorwürfen, er agitiere im Unterricht gegen die Politik der Regierung2, widmete er sich als Journalist der Kommentierung der österreichischen politischen Verhältnisse, während der Historiker sich immer mehr den Ursachen jener Verhältnisse, der Geschichte Österreichs seit 1848, zuwendete. Friedjung kam, wie aufgrund der Traditionen der historischen Zunft in Wien und seiner Ausbildung kaum anders zu erwarten3, von der Mediävistik her4, und auch später, nachdem sein Name bereits mit der Neuesten Geschichte verknüpft war, spekulierte er mit einer „Rückkehr" zu früheren Epochen. „Eigentlich lasse ich mich nicht gerne dazu bestimmen, bei dem 19. Jahrhundert zu bleiben", meinte er in einem Brief an den damaligen Gesandten in Bukarest, Freiherrn Alois Lexa von Aehrenthal5, mit dem er aus Anlaß einer geplanten Biographie des ver1
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Vgl. zur Biographie Friedjungs neben der im weiteren genannten Literatur den Nachruf Heinrich Srbiks in Deutsches Biographisches Jahrbuch, hrsg. vorn Verbände der deutschen Akademien. Überleitungsband II: 1917-1920 (Berlin - Leipzig 1928) 535-545 und Anton Bettelheim, Heinrich Friedjung. Zum sechzigsten Geburtstag; in: ders., Biographenwege. Reden und Aufsätze (Berlin 1913) 27^48. Vgl. dazu den Entwurf einer Rechtfertigung an das Unterrichtsministerium, in der er um die formelle Einleitung eines Disziplinarverfahrens ersucht, sowie eine als Leserbrief erschienene Darstellung in Deutsche Zeitung v. 18. 12. 1879, Abendausgabe 2-3, beides in Haus-, Hof- und Staatsarchiv Wien (HHStA), Nachlaß (NL) Friedjung, Karton (K) 3. Er wurde am 4. 6. 1873 an der Universität Wien zum Dr. phil. promoviert, allerdings noch nach der bis 1872 gültigen Rigorosenordnung, wonach die Abfassung einer Dissertation nicht vorgeschrieben war (Mitteilung des Archivs der Universität Wien an den Verf. vom 19. 9. 1994). Vgl. zum Studiengang an den Universitäten Prag und Wien Friedjungs Studienbuch in HHStA, NL Friedjung, К 5. Im Wintersemester 1871/72 war er außerordentliches Mitglied des Instituts für Osterreichische Geschichtsforschung. Vgl. Erich Zailer, Heinrich Friedjung unter besonderer Berücksichtigung seiner politischen Entwicklung, phil. Diss. (Wien 1949) 15 und den Nachruf Heinrich Kretschmayrs in Mitteilungen des Instituts für österreichische Geschichtsforschung 39 (1923) 311-314. Seine erste große Arbeit war Kaiser Karl IV. und sein Anteil am geistigen Leben seiner Zeit (Wien 1876); in HHStA, NL Friedjung, К 3 findet sich ein Manuskript „Donauhandel im Mittelalter" mit dem Vermerk „Unvollendete Arbeit aus den Jahren 1878 bis 1880"; im selben Karton finden sich auch drei kurze, unveröffentlichte Arbeiten aus den Jahren 1869 bis 1873. Friedjung an Aehrenthal, Wien 19. 10. 1898; in: Aus dem Nachlaß Aehrenthal. Briefe und Dokumente zur österreichisch-ungarischen Innen- und Außenpolitik 1885-1912. In 2
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Einleitung
storbenen Außenministers Graf Gustav Kälnoky, des Mentors Aehrenthals, in regem Verkehr stand, eine Beziehung, die sich über die Jahre intensivieren und vertiefen sollte und ihren Höhepunkt und zugleich Abschluß während der bosnischen Krise durch den berüchtigten „Friedjung-Prozeß" finden sollte6. „Es war [. . .] eigentlich mein Vorsatz, die Geschichte der Reformation und Gegenreformation in Osterreich zu schreiben. [. . .] Aber die Zeit, die man selbst durchlebte, besitzt einen sirenenhaften Reiz, freilich auch in dem Sinne, daß man, wenn man ihrer Lockung folgt, leicht an irgendeiner Klippe zerschellen kann."7 Friedjung gibt - bei allen Zweifeln, die er etwa gegenüber Ernst von Plener ausdrückte - aber im selben Brief bereits die Begründung für sein Verbleiben bei der Zeitgeschichte, jenes politische Motiv, das sein Schaffen bis in die Jahre des Ersten Weltkriegs bestimmen sollte: „Zudem führt mich das brennende Interesse, das ich an dem mißlichen Schicksale der Deutschen Österreichs nehme, dazu, mich der Schilderung ihrer jüngsten Geschichte zu widmen." Das politische Interesse an der Stellung der österreichischen Deutschen als Kernmotiv seiner wissenschaftlichen und publizistischen Arbeit ist der bleibende Fixpunkt im Schaffen Heinrich Friedjungs8. Noch in seinem letzten Lebensjahr, nachdem die Welt, in deren Umbau und Regeneration er seine Hoffnungen gesetzt hatte, bereits verloren war, bekennt er sich zu dieser Einstellung. „Wir alten Österreicher sind besiegt, aber nicht erschüttert in unserer Uberzeugung, daß dieses Reich seinen unendlich schwierigen Beruf zwar unvollkommen, aber [. . .] in Ehren erfüllt hat", schreibt er im Vorwort der 1919 erschienenen „Historischen Aufsätze", die „von dem Gedanken der Daseinsnotwendigkeit des Donaureiches getragen sind."9 In der Vorrede zu diesem Sammelwerk formuliert er auch noch ein letztes Mal sein Credo in Form eines Nachrufs: „Durch den Zerfall der Donaumonarchie ist in der Mitte Europas eine ungeheure Lücke entstanden, die nicht von einzelnen, noch dazu sich befehdenden Nationalstaaten, sondern nur von einem sie umschlingenden Bunde hätte ausgefüllt werden können."10 Heinrich Friedjung war am 18. Jänner 1851 in Roschtin (Rostin) im mährischen Bezirk Kremsier (Kromeriz) geboren11. In seinen eigenen
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Teilen, hrsg. von Solomon Wank (Quellen zur Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts 6, Graz 1994) Teil 1, 120-121. Vgl. auch das Gespräch mit Ernst von Plener am 2. 11. 1898, S. 198. Vgl. unten S. 22-25. Wie Anm. 5. Vgl. dazu den Nachruf Franz Zweybrücks in Osterreichische Rundschau 64 (Juli-September 1920)137-140. Historische Aufsätze (Stuttgart - Berlin 1919) VII. Ebda. XII. Der Name der Geburtsstadt erscheint mehrfach als Rostschin, so auch in seinem eigenhändigen Lebenslauf in Wiener Stadt- und Landesbibliothek (WStLB), Inventarnummer (INr) 156.770.
Heinrich Friedjung. Historiker und Journalist.
Leben und Werk
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Worten stellt sich sein Bildungs- und früher Berufsweg folgendermaßen dar12: Bildungsgang: Akademisches und Benediktinergymnasium zu Wien; 1868 Universität Prag, dann Universität Wien und Berlin, betrieb unter Sickel, Lorenz, Mommsen und Hintzsche zumeist historische Studien, 1873 in Wien promoviert. Öffentliche Laufbahn und wichtige Erlebnisse: 1873 supplierender Lehrer an der Handelsakademie zu Wien; 1874 Professor daselbst; wurde wegen oppositioneller Haltung (Anlaß gab eine Rede im deutschen Verein zu Wien) kurz nach Eintritt Taaffes ins Ministerium seines Lehramtes entsetzt; trat darauf in die Deutsche Zeitung ein, verließ dieselbe in Folge der RamucskiAffare und des bekannten Prozesses der Deutschen Zeitung; gründete 1883 die Deutsche Wochenschrift; wurde 1886 von dem deutschen Club des Abgeordnetenhauses zum Chefredakteur der Deutschen Zeitung bestellt; legte nach dem Zerfall dieses Clubs seine Stelle nieder; wurde 1891 in den Gemeinderat der Stadt Wien gewählt.
Heinrich Friedjung hatte noch während seines Berliner Aufenthaltes das Angebot, bei Leopold von Ranke zu arbeiten, abgelehnt und zunächst in Wien die Stelle eines Deutsch- und Geschichtelehrers an der Handelsakademie angenommen 13 , mußte aber über Druck des Unterrichtsministeriums, das drohte, der Schule das Öffentlichkeitsrecht zu entziehen, 1879 das Lehramt aufgeben. Anlaß dazu bot nicht nur jene oben erwähnte Rede und die Meldung eines Kollegen, er agitiere im Unterricht gegen die Regierung, sondern auch die 1877 erschienene Broschüre „Der Ausgleich mit Ungarn", in der er sich sehr kritisch gegen die Vereinbarungen von 1867 wendete und gleichzeitig eine enge wirtschaftliche und politische Bindung an das Deutsche Reich propagierte 14 . Obwohl er durch Form und Begründung seiner Entlassung zu einem Helden, ja beinahe Märtyrer der deutschnationalen Bewegung geworden war15, bedeutete dies den ersten entscheidenden Bruch in Friedjungs beruflicher Laufbahn. Aber auch seine hauptberufliche journalistische Tätigkeit zunächst in der Deutschen Zeitung, darauf bei der von ihm gegründeten und nach einem Eigentümerwechsel 1887 eingestellten Deutschen Wochenschrift 16 und ab Mai 1886 wiederum für neun Monate als Chefredakteur der in den Besitz des Deutschen Clubs des Abgeordnetenhauses übergegangenen Deutschen Zeitung endete mit einer tiefen persönlichen Enttäuschung 17 . Friedjung mußte erkennen, daß ihn seine jüdische 12
Ebda. Vgl. Heinrich von Srbik, Heinrich Friedjung; in: Deutsches Biographisches Jahrbuch. Uberleitungsband II 536. 14 Der Ausgleich mit Ungarn. Politische Studie über das Verhältnis Österreichs zu Ungarn und Deutschland (Leipzig 1877). 15 Vgl. Harry Ritter, Progressive Historians and the Historical Imagination in Austria: Heinrich Friedjung and Richard Charmatz; in: Austrian History Yearbook 19-20, Teil 1 (1983-1984) 48. 16 Vgl. zwei Flugschriften Friedjungs zur Einstellung in HHStA, NL Friedjung, К 1. 17 Vgl. Zailer, Heinrich Friedjung 57-76. 13
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Einleitung
Herkunft für einen großen Teil der deutschfreiheitlichen Parlamentarier in Osterreich als Leiter des Parteiblattes disqualifizierte18. Bis zu seinem Tod arbeitete der Journalist Friedjung darauf als Korrespondent und freier Mitarbeiter für diverse in- und ausländische Zeitungen, so vor allem das Neue Wiener Tagblatt und die Grazer Tagespost sowie die Münchner Allgemeine Zeitung, die ihm auch den Chefredakteursposten anbot19, und die Vossische Zeitung, wobei ihm die persönliche Bekanntschaft mit deren Redakteuren Hermann Bachmann, einem Deutschböhmen und ab 1900 Chefredakteur des Berliner Blattes, und Rudolf Rotheit zugute kam. Nachdem Friedjungs politisches Engagement bereits 1879 zu seiner Entlassung aus dem Schuldienst geführt hatte, blieb auch im weiteren seine politische Karriere konfliktbeladen und wenig erfolgreich. So scheiterte 1890 der Versuch, eine „Deutsche Volkspartei" zu gründen, deren Programmentwurf Friedjung verfaßt hatte20, und aus der deutschnationalen Bewegung wurde er noch vor der Veröffentlichung des „Linzer Programms" von 1882, an dessen Abfassung er maßgeblich beteiligt war, wegen seiner jüdischen Herkunft hinausgedrängt21, ein Vorgang, der sich wenige Jahre später im Rahmen der Deutschen Zeitung wiederholen sollte. Für eine Wahlperiode (1891-1895) gehörte er jedoch dem Wiener Gemeinderat als liberaler Abgeordneter, für einige Zeit auch dem Wiener Bezirksschulrat an. Während seiner Tätigkeit als Parlamentarier trat ein Persönlichkeitsmerkmal Friedjungs besonders deutlich hervor. Er war ein „Streithansel", der Konflikte ohne Kompromißbereitschaft austrug und auf diese Weise sogar alte Freundschaften zerstörte. Seine härtesten Sträuße auf politischer Ebene focht er mit den Christlichsozialen aus, deren Führer Karl Lueger er zum Duell forderte, was dieser jedoch ablehnte. Der Spitzname „Streitjung" war ihm bereits in der Frühphase der deutschnationalen Bewegung von Karl von Schönerer verliehen worden22. Ironischerweise aber wohnte der lebenslange Junggeselle Friedjung, der bis zu deren Tod am 9. 6. 1908 mit seiner Mutter zusammenlebte, durch Jahrzehnte in der Wiener Harmoniegasse. Vgl. Friedjungs Darstellung in Ein Stück Zeitungsgeschichte (Wien 1887). Lothar Höbelt, Kornblume und Kaiseradler. Die deutschfreiheitlichen Parteien Altösterreichs 1882-1918 (Wien - München 1993) 39 reduziert den Konflikt - entgegen Friedjungs persönlicher Anschauung - auf eine sachliche, die Beurteilung des Deutschen Reiches betreffende Ebene und läßt den Antisemitismus nur als Nebenaspekt gelten. 19 Vgl. Friedjung an Aehrenthal, 23. 1. 1902; in: Aus dem Nachlaß Aehrenthal Teil 1, 260-263. Vgl. zu seiner Beziehung zum Blatt auch Die „Allgemeine Zeitung"; in: Historische Aufsätze 487-492. 20 Vgl. Zailer, Heinrich Friedjung 3 9 ^ 2 und 131-134. 21 Vgl. Alfred Dechel, Das „Linzer Programm" und seine Autoren. Seine Vorgeschichte unter besonderer Berücksichtigung der Rolle des Historikers Heinrich Friedjung, phil. Diss. (Salzburg 1976). 22 Vgl. Ritter, Progressive Historians 50, und Max Ermers, Victor Adler. Aufstieg und Größe einer sozialistischen Partei (Wien - Leipzig 1932) 103. 18
Heinrich Friedjung. Historiker und Journalist.
Leben und Werk
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Friedjungs spätere Versuche, politisch aktiv zu werden, brachten gleichfalls keinen äußeren Erfolg. Als er sich 1909 während der bosnischen Krise dem Außenminister zur Verfügung stellte, über dessen Anregung seinen Artikel zur Verteidigung der Annexion der besetzten Provinzen in der Neuen Freien Presse veröffentlichte23 und darauf von südslawischen Politikern wegen Ehrenbeleidigung geklagt wurde, blieb er seiner Uberzeugung treu und schlitterte damit in die nächste politische Niederlage, die zusätzlich seine Reputation als Historiker in Frage stellte. Auch seine sonstigen politischen Aktivitäten während der Annexionskrise verliefen im Sand. So hatte er vergeblich versucht, die jüdische Gemeinde Salonikis für eine Aktion zur Beendigung des Boykotts österreichischer und ungarischer Waren im türkischen Reich zu gewinnen, und ebenso erfolglos die Gründung eines österreichischen Orientkomitees als Basis der Bekämpfung des britischen Informationsmonopols angeregt24. Gleichfalls führten seine Bestrebungen im Ersten Weltkrieg, eine engere Verbindung mit dem Deutschen Reich zu schaffen, die in der von ihm mitverfaßten „Denkschrift aus Deutschösterreich" und deren Propagierung gipfelten, zu keinem greifbaren Ergebnis25. Im Gegenteil, es zerbrach mit dem Ende des Weltkriegs und der Niederlage der Mittelmächte seine Welt. Als Fachhistoriker trat Heinrich Friedjung erstmals 1876 mit einer selbständigen Schrift an die Öffentlichkeit26. Seinen Ruf, einer der bedeutendsten, wenn nicht der führende Zeithistoriker Österreichs zu sein, begründete jedoch der kurz vor der Jahrhundertwende, inmitten des innenpolitischen Konflikts um die böhmischen Sprachenverordnungen erschienene zweibändige „Kampf um die Vorherrschaft in Deutschland"27. Wenn die Veröffentlichung gerade zur Zeit des entschiedenen Widerstandes der Deutschen Österreichs gegen die Regierungen Badeni und Thun zufallig sein mag, so 23
Neue Freie Presse v. 25. 3. 1909, Morgenblatt 2-4, Österreich-Ungarn und Serbien. Vgl. die Eintragungen im Tagebuch vom 27. 11. 1908 bis 22. 4. 1909, WStLB INr. Ia 164.779. 25 Denkschrift aus Deutschösterreich (Leipzig 1915). Friedjung hatte diese anonym als Privatdruck erschienene Broschüre gemeinsam mit Michael Hainisch, Eugen Philippovich und Hans Uebersberger verfaßt und an zahlreiche Persönlichkeiten der Donaumonarchie und des Deutschen Reiches versandt. Zur Analyse der Denkschrift vgl. Günther Ramhardter, Geschichtswissenschaft und Patriotismus. Osterreichische Historiker im Weltkrieg 1914-1918 (Wien 1973) 31-52 und 73-95 sowie Fritz Fellner, Denkschriften aus Deutschösterreich. Die österreichische Mitteleuropa-Diskussion in Wissenschaft und Politik 1915/16; in: ders., Vom Dreibund zum Völkerbund. Studien zur Geschichte der internationalen Beziehungen 1882-1919, hrsg. von Heidrun Maschl und Brigitte Mazohl-Wallnig (Wien - München 1994) 221-239. In WStLB, NL Friedjung, К 1, Umschlag (U) 5 und U 6, К 2, U А , К 3, U Unterlagen und Studiennotizen zur europäischen Geschichte, sowie in der Briefsammlung Friedjung der WStLB findet sich umfangreiches Material und Korrespondenz zur Denkschrift. 26 Kaiser Karl IV. und sein Anteil am geistigen Leben seiner Zeit (Wien 1876). 27 Der Kampf um die Vorherrschaft in Deutschland 1859 bis 1866. 2 Bde. (Stuttgart 1897-1898). 24
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Einleitung
drückt sich darin doch wiederum die Verbindung von Tagespolitik und historischer Arbeit im Werke Friedjungs aus. Politisch bildete der Kampf um die Vorherrschaft in Böhmen einen entscheidenden Wendepunkt im Verhältnis der Deutschen zum Staat, und Friedjung ließ in der journalistischen Arbeit keinen Zweifel an seiner Gesinnung28. Die historische Dimension des verlorenen Konflikts um die Herrschaft in Deutschland, der für ihn zusammen mit der Gründung des Hohenzollernreiches 1871 die tiefere Ursache der Abkehr des Kaisers von den Deutschen Österreichs als Stütze der Macht bildete29, beleuchtete Friedjung in seinen Büchern. Sein sich schnell neben und statt Sybels „Begründung des Deutschen Reiches"30 zum Standardwerk entwickelnder „Kampf um die Vorherrschaft"31 erlebte in rascher Folge zehn Auflagen und wurde von Friedjung immer wieder, anhand der neu erschienenen Literatur, aber auch und vor allem aufgrund neuer Erkenntnisse aus Gesprächen und Korrespondenz mit Protagonisten, deren Nachfahren und Fachkollegen aus Journalistik und Historiographie überarbeitet. Als direkte Folge der Beschäftigung mit dem Konflikt von 1866 folgte im Jahre 1901 die Biographie des aus Friedjungs Sicht tragischen Helden dieses Krieges, General Ludwig von Benedek32, sowie eine kleinere, in den „Historischen Aufsätzen" wiederabgedruckte Arbeit über General Julius von Horst, Landesverteidigungsminister von 1871 bis 188033. Gedacht als Vorstudie zum nächsten großen Werk, dem unvollendet gebliebenen „Osterreich von 1848 bis I860" 34 , veröffentlichte Friedjung darauf 1907 eine kürzere Abhandlung zur österreichischen Haltung im Krimkrieg35. Anschließend wandte er sich von der österreichischen Geschichte ab und der Weltgeschichte seit 1884 zu, die er als eine Geschichte des Imperialismus zu erfassen suchte. Hauptgrund dieses Wechsels im Arbeitsgebiet war sicherlich das Angebot des Berliner Verlages Neufeld & Henius, die Weltgeschichte Friedrich Christoph Schlossers weiterzuführen, wie es Friedjung in Vgl. unter anderem seinen Artikel in der Allgemeinen Zeitung München v. 10. 10. 1898, 1-2, Steigende Zerrüttung in Osterreich. 29 Vgl. Franz Josef I.; in: Historische Aufsätze 512-513. 30 Heinrich von Sybel, Die Begründung des Deutschen Reiches durch Wilhelm I. Vornehmlich nach preußischen Staatsacten. 7 Bde. (München - Leipzig 1889-1894). 31 Im HHStA, NL Friedjung К 3 findet sich eine große Anzahl von Rezensionen der beiden Bände; vgl. zu Friedjungs Analyse des Konflikts Preußen - Habsburg, Karl Glaubauf, Bismarck und der Aufstieg des Deutschen Reiches in der Darstellung Heinrich Friedjungs. Historiographische Fallstudie, phil. Diss. (Wien 1979). 32 Benedeks Nachgelassene Papiere. Herausgegeben und zu einer Biographie verarbeitet von Heinrich Friedjung (Leipzig 1901). 33 Julius Freiherr von Horst. Österreichischer Minister für Landesverteidigung 1871-1880 (Wien 1906). Neuabdruck in Historische Aufsätze 399-433. Die Arbeit erschien zunächst als Aufsatz in der Österreichischen Rundschau 6 (Februar-April 1906) 277-286 und 315-324. 34 Österreich von 1848 bis 1860. Bd.l und 2/1 (Stuttgart - Berlin 1908-1912). 35 Der Krimkrieg und die österreichische Politik (Stuttgart - Berlin 1907). 28
Heinrich Friedjung. Historiker und Journalist.
Leben und Werk
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der Einleitung zum ersten Band vermerkte36. Jedoch dürfte auch die Enttäuschung über den Verlauf und Ausgang des bereits erwähnten Ehrenbeleidigungsprozesses sowie das Scheitern des Planes einer großen Geschichte Österreichs, in deren Rahmen er das 19. Jahrhundert bearbeiten hätte sollen37, bei dieser Abkehr von den österreichischen Verhältnissen mitgespielt haben. Auch der in der Neuauflage von Helmolts Weltgeschichte erschienene Aufsatz zur deutschen und italienischen Einigung bildet ein Beispiel dieser partiellen Abkehr von der österreichischen Geschichte, wenngleich er in engem Zusammenhang mit seinem „Osterreich von 1848 bis 1860" steht38. Der Erste Weltkrieg findet Friedjung wieder in seinem Element als Förderer der engeren Verbindung Österreichs mit Deutschland, während sein letztes selbständiges historisches Werk, der Sammelband „Historische Aufsätze", 1919 erscheint, als Abschluß seines eigenen Wirkens, aber auch als Elegie auf die untergegangene Welt des Heinrich Friedjung. Am 14. Juli 1920 stirbt er in Wien, nachdem neben Arteriosklerose und Diabetes eine schwere Nierenerkrankung auftrat. Die beiden letzten Bände der „Geschichte des Imperialismus" wurden von seinem Kollegen und Freund Alfred Francis Pribram, versehen mit einem Nachwort von Otto Hoetzsch, fertiggestellt und postum 1922 herausgegeben39. Welch prägende Funktion Heinrich Friedjung auch noch nach dem Zusammenbruch der Monarchie für die historisch interessierte Wiener Welt ausübte, zeigen die an hervorragender Stelle erschienenen Nachrufe, in denen er - unabhängig von der politischen Einschätzung seines Wirkens als Österreichs „repräsentativer Geschichtsschreiber"40 und „bedeutendster Darsteller [. . .] des alten Österreich"41 gewürdigt wurde. Andererseits fand Friedjung in der historischen Zunft Wiens nicht die von ihm selbst erwünschte Anerkennung. Zwar wurde er 1909 zum korrespondierenden und 1918 zum wirklichen Mitglied der Akademie der Wissenschaften in Wien gewählt42, und 36 37
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Das Zeitalter des Imperialismus 1884-1914. Bd.l (Berlin 1919) V. Vgl. für diesen Plan den Hinweis bei Heinrich von Srbik an Emil Ottenthai, 17. 6. 1913; in: Heinrich Ritter von Srbik. Die wissenschaftliche Korrespondenz des Historikers 1912-1945, hrsg. von Jürgen Kämmerer (Deutsche Geschichtsquellen des 19. und 20. Jahrhunderts 55, Boppard 1988) 11-13. Die Einigung Italiens und Deutschlands (1859-66); in: Weltgeschichte. Neudruck. Bd.8: Westeuropa seit 1859 (Leipzig 1922) 1 ^ 7 . 1913 führten Hans Helmolt und Friedjung eine Pressefehde um die Interpretation des Dreibundes und die österreichische Balkanpolitik, ausgelöst durch einen Aufsatz Friedjungs mit dem Titel Der Inhalt des Dreibunds in der ersten Nummer der Zeitschrift Der Greif. Vgl. das gesammelte Material dazu in WStLB, NL Friedjung, К 3, U Unterlagen und Studiennotizen zur europäischen Geschichte. Das Zeitalter des Imperialismus 1884-1914. Bd.2-3 (Berlin 1922). Neue Freie Presse v. 14. 7. 1920, Abendblatt 1-2 und Neues Wiener Abendblatt. Abendausgabe des Neuen Wiener Tagblattes v. 14. 7. 1920,1-2. Der Nachruf im Neuen Wiener Abendblatt stammt von Alfred Francis Pribram. Arbeiterzeitung. Zentralorgan der Sozialdemokratie Österreichs v. 15. 7. 1920, 2. Vgl. den Nachruf Oswald Redlichs in Almanach der Akademie der Wissenschaften in Wien 71 (1921) 225-232.
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Einleitung
die Prager deutsche Universität hatte ihm einen Lehrstuhl angeboten, den er jedoch ablehnte43, er erhielt jedoch nicht die Lehrbefugnis der Wiener Universität, und seine großen selbständigen Veröffentlichungen erschienen bei deutschen Verlagen, und zwar meist bei Cotta in Stuttgart44. Sein „Kampf um die Vorherrschaft" war das erfolgreichste Werk eines österreichischen Historikers vor dem Ersten Weltkrieg, verlegt wurde es im Deutschen Reich. Der Name Heinrich Friedjungs lebte aber noch in einer speziellen Form in den zwanziger und dreißiger Jahren fort. Die von ihm gegründete „Gesellschaft für Geschichtsfreunde", eine informelle Runde, die sich zunächst in Gasthäusern getroffen hatte, wurde von Alfred Francis Pribram und Ludo Moritz Hartmann als „Friedjung-Gesellschaft" zur Erforschung der Zeitgeschichte weitergeführt, wobei das vorrangige Ziel darin bestand, Politiker und Militärs zur Geschichte des Weltkriegs sprechen zu lassen. Bundespräsident Michael Hainisch, ein alter Freund Friedjungs und Mitglied der Gesellschaft, stellte für die Veranstaltungen schließlich einen Raum im Palais am Ballhausplatz zur Verfügung, womit Friedjung in jenes Gebäude zurückkehrte, in dem er nach Beendigung der „Friedjung-Affäre" von 1909/10 persona non grata war. 1937 übernahm Friedrich Engel-Janosi die Leitung dieses Kreises, der seine Tätigkeit nach dem Ende der Selbständigkeit Österreichs einstellte45.
b) Quellenwert Heinrich Friedjungs umfangreiches Wirken als Historiker und Journalist ist jedoch nicht nur in seinen Arbeiten dokumentiert, seien es die großen Werke zur Geschichte Österreichs von 1848 bis 1866, sein „Zeitalter des Imperialismus" oder die zu einer Biographie verarbeiteten nachgelassenen Papiere General Ludwig von Benedeks, seien es seine historischen Aufsätze sowie die unzähligen Artikel in Zeitungen und Zeitschriften zu politischen Tagesfragen. Erhalten blieb auch ein Teil seiner Werkstatt in Form seines Nach43
Neues Wiener Abendblatt. Abendausgabe des Neuen Wiener Tagblattes v. 14. 7. 1920,
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Im Cotta-Archiv des Deutschen Literaturarchivs, Marbach am Neckar, finden sich fünf Faszikel zur Zusammenarbeit Friedjungs mit seinem Stuttgarter Verleger. Vgl. zur „Friedjung-Gesellschaft" Friedrich Engel-Janosi,... aber ein stolzer Bettler. Erinnerungen aus einer verlorenen Generation (Graz - Wien - Köln 1974) 113-115, und Michael Hainisch, 75 Jahre aus bewegter Zeit. Lebenserinnerungen eines österreichischen Staatsmannes, bearb. von Friedrich Weissensteiner (Veröffentlichungen der Kommission für Neuere Geschichte Österreichs 64, Wien - Köln - Graz 1978) 37, 131 und 284. Günter Fellner, Ludo Moritz Hartmann und die österreichische Geschichtswissenschaft. Grundzüge eines paradigmatischen Konfliktes (Veröffentlichungen des LudwigBoltzmann-Institutes für Geschichte der Gesellschaftswissenschaften 15, Wien - Salzburg 1985) erwähnt Hartmanns Rolle in der „Friedjung-Gesellschaft" wie überhaupt die Beziehung Friedjung - Hartmann nur am Rande.
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Quellenwert
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lasses, der in der Handschriftensammlung der Wiener Stadt- und Landesbibliothek sowie im Haus-, Hof- und Staatsarchiv deponiert ist. Darin findet sich auch eine Vielzahl von Aufzeichnungen über Gespräche, die er im Rahmen seiner Arbeit als Journalist und Historiker geführt hat, und die den Inhalt dieser Edition bilden. Heinrich Friedjung besaß eine für den Historiker und Journalisten unumgängliche Charaktereigenschaft zur Genüge, die Neugierde, und auch eine weitere für seine Arbeit hilfreiche Wesensart war ihm zu eigen, er wollte seine Erkenntnisse weitergeben. „Wir bösen Historiker plaudern alles aus, was wir wissen", ließ er Außenminister Aehrenthal in einem Anflug von Selbstironie wissen. „Wir bilden uns sogar ein, das sei unsere Pflicht."46 Das führte naturgemäß dazu, daß er nicht nur Erkundigungen einholte und mit Vorliebe Interviews führte, sondern die daraus gewonnenen Erkenntnisse auch schriftlich für eine eventuelle spätere Verwertung festhielt. Ein weiterer Grund, der ihn auf diese Form der Beschaffung von Informationen verwies, ist auch heute noch jedem Zeithistoriker vertraut. Archive waren gesperrt, und der Zugang war entweder nicht oder nur selektiv möglich. Zwar dürfte die Meinung des Thronfolgers Franz Ferdinand wohl am extremen Ende des Spektrums angesiedelt gewesen sein, der die Ansicht vertrat, das Haus- und Hofarchiv sei ein Heiligtum der kaiserlichen Dynastie, „das nicht durch fremde Einsichtnahme gefährdet werden darf'47, doch hatte Friedjung sehr wohl mit den Tücken des Archivzugangs zu kämpfen. So erhielt er zwar 1888 die Bewilligung zur Benützung der Akten des Reichskriegsarchivs zum Krieg von 186648, wogegen ein ähnliches Ansuchen wenige Jahre darauf abgelehnt wurde49. Die Benützung der Akten des Außenministeriums zur Tätigkeit Fürst Felix Schwarzenbergs wurde ihm zwar genehmigt, aber nur aufgrund der Fürsprache Aehrenthals, da Friedjung beim Kaiser „recht schlecht notiert" war, wie der Kabinettschef des Monarchen dem Minister mitteilte50. Außerdem mußte Friedjung die Auflage akzeptieren, die angefertigten Exzerpte dem Außenministerium zur Prüfung vorzulegen51. Daß Friedjung bereits für sein erstes großes zeitgeschichtliches Werk, den 1897 erschienenen ersten Band des „Kampfes um die Vorherrschaft in Deutschland", die Form des Interviews als Quelle intensiv nützte, betonte er selbst in der Einleitung zu jener Arbeit: „Gleichzeitig [. . .] bot sich reiche Belehrung durch die lebendigen Mitteilungen von Mitkämpfern des Krieges sowohl in Deutschland wie in Osterreich. Als ich vor acht Jahren meine Um46
Friedjung an Aehrenthal, 30. 8. 1907; in: Aus dem Nachlaß Aehrenthal Teil 2, 536. Franz Ferdinand an Aehrenthal, August 1909; in: Aus dem Nachlaß Aehrenthal Teil 2, 701-702. 48 Vgl. das Bewilligungsschreiben vom 14. 2. 1888 in WStLB, NL Friedjung, К 1, U 1. 49 Vgl. die Korrespondenz zum Ansuchen im Jahr 1896 in ebd., Kl, U 2. 50 Schießl an Aehrenthal, 20. 7. 1907; in: Aus dem Nachlaß Aehrenthal Teil 2, 523-524. 51 Vgl. Friedjung an Aehrenthal, 8. 8. 1907; in: ebda 533-534. 47
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fragen bei ihnen begann, lebte noch eine größere Anzahl von ihnen, und fast bei allen fand sich volle Geneigtheit, die erbetenen Aufklärungen zu geben." 52 Im Gegensatz zu späteren Werken führte Friedjung hier auch oft die Quellen seiner Informationen an und nennt in der Einleitung die wichtigsten, wozu neben Militärs und Diplomaten auch führende Politiker der Epoche zählten53. Im Anhang zum zweiten Band veröffentlichte er schließlich sogar einige Gespräche, so mit Fürst Bismarck, Graf Rechberg, dem italienischen Diplomaten Graf Nigra und mehreren Offizieren54. Die Spuren der Gesprächsaufzeichnungen finden sich in allen Arbeiten Friedjungs, und immer wieder hat er auf diesen Notizen mit blauem Farbstift groß „benützt" vermerkt, manchmal auch mit einem Hinweis, in welches seiner Werke die Mitteilungen Eingang gefunden haben. Gleichfalls ließ er Informationen einfließen, die ihm über Dritte oder durch Briefe zugetragen wurden. So finden sich in den Nachlässen und in der Briefsammlung der Handschriftensammlung der Wiener Stadt- und Landesbibliothek eine Vielzahl von Briefen, in denen Fehler oder Ungenauigkeiten vor allem im „Kampf um die Vorherrschaft" berichtigt werden, und die ebenfalls jenes charakteristische „benützt" tragen, mit denen Friedjung viele seiner schriftlichen Quellen versah. Während sich in den beiden anderen großen Arbeiten Friedjungs, der unvollendeten „Geschichte Österreichs von 1848 bis 1860" und dem von Alfred Francis Pribram postum fertiggestellten „Zeitalter des Imperialismus", die direkte Übernahme von Informationen aus den Aufzeichnungen sowohl in anekdotischen Zitaten wie in fast wörtlicher Wiedergabe von Geschehen und Analyse nachweisen läßt, zeigt sich der Einfluß im „Kampf um die Vorherrschaft" in den Veränderungen, die das Werk von Auflage zu Auflage erfährt, wobei ebenfalls die Parallelität von handschriftlichen Gesprächsaufzeichnungen und gedrucktem Wort verblüfft. Auch anhand der in den „Historischen Aufsätzen" veröffentlichten Arbeiten läßt sich die Verwendung der aus den Interviews gewonnenen Erkenntnisse ohne Schwierigkeiten ablesen, wobei sich hier ebenfalls Veränderungen gegenüber der Erstdrucklegung ergeben, die als Ursache neue Eindrücke und Informationen haben, die Friedjung in seinen Gesprächen erhalten hatte. Daß sich eine ähnliche Parallelität auch im journalistischen Bereich ergibt, scheint klar zu sein, wenn sich auch die Belege auf jene wenigen Artikel beschränken müssen, die in den Aufzeichnungen direkt angesprochen wurden. Friedjungs weitverstreutes journalistisches (Euvre zu rekonstruieren erscheint aussichtslos, allein die in seinen Nachlässen gesammelten Arbeiten aus diesem Bereich sind kaum mehr zu über52 53 54
Der Kampf um die Vorherrschaft. Bd.l III-IV. Ebda. IX. Vgl. Der Kampf um die Vorherrschaft Bd. 2, 519-534, 551-564 und 569-572.
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blicken55. Allerdings legen die erhaltenen Aufzeichnungen den Schluß nahe, daß Friedjung hauptsächlich jene Gesprächsnotizen, nach sachlichen Gesichtspunkten geordnet, aufbewahrte, die ihm für seine im engeren Sinn historischen und daher längerfristig geplanten und umfangreicheren Arbeiten dienten. Notizen, deren Verwendbarkeit in Artikeln zum Zeitgeschehen naheliegt, sind kaum vorhanden bzw. erhalten. Eine Ausnahme bilden die Gesprächsprotokolle zur südslawischen Frage, vor allem über Politiker Südungarns, Kroatiens und Bosniens, die ihm zur Vorbereitung des Artikels in der Neuen Freien Presse und der Verteidigung im anschließenden Prozeß dienten. Sie bilden auch aus diesem Grund, gemeinsam mit den Notizen der Gespräche mit Außenminister Aehrenthal seit dem Herbst 1908 und dem sogenannten „Tagebuch" vom 27. 11. 1908 bis 22. 4. 1909, das ebenfalls zum überwiegenden Teil Gesprächsnotizen enthält, eine eigenständige Gruppe, die sich von den übrigen Aufzeichnungen qualitativ unterscheidet. Innerhalb der sich über einen Zeitraum von 20 Jahren erstreckenden erhaltenen Aufzeichnungen und Notizen lassen sich thematische Schwerpunkte, die meist auch chronologisch mit Friedjungs Arbeiten korrespondieren, herausfiltern. Zunächst finden sich Aufzeichnungen über Gespräche mit Militärs im Anschluß an das Erscheinen des „Kampfes um die Vorherrschaft" sowie in Vorbereitung der Herausgabe der nachgelassenen Papiere General Ludwig von Benedeks. Hierzu gehört auch das Gespräch mit Feldzeugmeister Graf Friedrich von Beck vom Februar 1911, dessen Hintergrund eine Artikelserie des Schriftstellers Wilhelm Alter zum Krieg von 1866, basierend auf angeblich neuen, jedoch äußerst fragwürdigen Quellen, bildete, auf die Friedjung mit einer Replik im Anhang zur neunten Auflage seines „Kampfes um die Vorherrschaft" reagierte. Die Tragik dieser an sich unspektakulären Episode liegt darin, daß sich Wilhelm Alter kurz nach Erscheinen der Friedjungschen Entgegnungsschrift das Leben nahm 56 . Einen zweiten Schwerpunkt bilden die Gespräche zur österreichischen Innenpolitik des Neoabsolutismus, vor allem mit Verwandten und Bekannten des Freiherrn Alexander von Bach. Das Ergebnis dieser Recherchen findet sich sowohl in der „Geschichte Österreichs von 1848 bis 1860", für die Friedjung auch den Nachlaß Bachs einsehen konnte, als auch in zwei 35
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So finden sich im HHStA, NL Friedjung, К 1 alleine 30 Artikel aus dem Zeitraum Dezember 1917 bis Juli 1919, die in drei Zeitungen (Tagespost Graz, Neues Wiener Tagblatt, Vossische Zeitung Berlin) erschienen sind. Die Arbeit Friedjungs als Wilhelm Alter und seine Enthüllungen über den Krieg von 1866; in: Historische Aufsätze 239-293. Vgl. auch das umfangreiche Material dazu in WStLB, NL Friedjung, К 1, U 3, und К 2, U 6.
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kleinen Arbeiten in den „Historischen Aufsätzen"57. Damit in enger Verbindung stehen die Gespräche über Bachs Ministerkollegen Freiherr Karl Ludwig Bruck, die bei Friedjung neben der österreichischen Geschichte im Neoabsolutismus im Aufsatz „Mitteleuropäische Zollunionspläne 1849-1853" 58 und in seiner Arbeit über den Krimkrieg59 ihren Niederschlag fanden, aber auch Richard Charmatz verwendete für seine Biographie Brucks Material, das er von Friedjung erhalten hatte60. Auch hier zeigt sich wieder die Verbindung des politischen Journalisten mit dem Historiker. Als homo politicus verfaßte und propagierte Friedjung die „Denkschrift aus Deutschösterreich", als Historiker schrieb er selbst und förderte er Arbeiten zur historischen Dimension einer wirtschaftlichen Einigung Mitteleuropas. In der Fortsetzung dieser Gespräche und im Hinblick auf eine Erweiterung der österreichischen Zeitgeschichte über das Jahr 1866 hinaus bis in seine unmittelbare Gegenwart stehen die Aufzeichnungen über die österreichische Innen- und Außenpolitik seit dem Ausgleich von 186761. Neben kleineren, in den „Historischen Aufsätzen" gesammelten Arbeiten verwertete er diese Informationen in seinen letzten größeren Aufsätzen, der Charakteristik Kaiser Franz Josephs und dem postum erschienenen Nachruf auf den ehemaligen Ministerpräsidenten Ernest von Koerber62. Die Gespräche über die Außenpolitik der Donaumonarchie konzentrieren sich zunächst auf die Person und Politik des langjährigen Außenministers Graf Gustav Kälnoky. Friedjung war nach dem Tod Kälnokys über Vermittlung des stellvertretenden Leiters des Literarischen Bureaus (der Presseleitung) im Außenministerium Emil Jettel von Ettenach an Kälnokys engsten Mitarbeiter Freiherrn Alois Lexa von Aehrenthal herangetreten, um von ihm Informationen über dessen ehemaligen Chef zu erhalten. Daneben führte Friedjung auch umfangreiche Gespräche mit weiteren in- und ausländischen Diplomaten sowie vor allem mit ungarischen Politikern, um die Ursachen für Kälnokys Rücktritt im Jahre 1895 zu beleuchten. Das Ergebnis erschien zunächst in dem von Friedjungs Freund Anton Bettelheim geleiteten 57 58 59 60
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Die österreichische Kaiserkrone (Entwürfe zu einer Kaiserkrönung); in: Historische Aufsätze 9-23, und Alexander Bachs Jugend und Bildungsjahre; in: ebda. 24-39. Historische Aufsätze 64-89. Der Krimkrieg und die österreichische Politik. Richard Charmatz, Minister Freiherr von Bruck. Der Vorkämpfer Mitteleuropas. Sein Lebensgang und seine Denkschriften (Leipzig 1916). Im Vorwort, IV, dankt Charmatz dem „gefeierten Meister" für die Überlassung von Material. In WStLB, NL Friedjung, К 5 findet sich ein Vorlesungskonzept „Geschichte Österreichs seit 1848", das die Entwicklung bis 1890 behandelt. Kaiser Franz Josef. Eine Charakteristik; in: Deutsche Rundschau 179 (April-Juni 1919) 4-23; überarbeitet und erweitert als Kaiser Franz Josef I. Ein Charakterbild; in: Historische Aufsätze 493-541, sowie Ernest von Koerber; in: Neue Osterreichische Biographie. Bd. 1 (Wien 1923) 23-43.
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„Biographischen Jahrbuch"63 sowie später in einer überarbeiteten Form in den „Historischen Aufsätzen"64. Diese im Jahr 1898 angeknüpften Beziehungen zu Freiherrn von Aehrenthal intensivierten sich über das nächste Jahrzehnt und erlebten ihren Höhepunkt in den ersten Jahren der Ministerschaft Aehrenthals vom Herbst 1906 bis zum Sommer 190965. Der Inhalt der Gespräche hatte sich immer stärker vom anfanglichen historischen Interesse an der Person Kalnokys zur Behandlung der aktuellen Probleme der Außenpolitik und der inner- sowie zwischenstaatlichen Beziehungen der Doppelmonarchie hin verschoben. Die Ansichten der beiden, des politischen Historikers und des aktiven Politikers, waren in vielen Bereichen ähnlich, und das gemeinsame Feindbild war über Jahre hinweg in dem nach ihrem Verständnis viel zu passiven, inaktiven und statischen Außenminister Graf Agenor Goluchowski, dem „aufgeblasenen Luftpolster auf dem Ballplatz"66, personifiziert, dem unter anderem auch Ernest von Koerber vorwarf, seine „absolute Neutralität [...], seine Scheu vor Verantwortung schädige das Reich aufs Tiefste"67. Beide, Politiker und Historiker-Journalist, sahen den Ansatz zur Lösung des für sie offensichtlichen Verfalls der Machtstellung der Monarchie in der Schaffung einer starken Reichsautorität im Inneren, verbunden mit einem Zurückdrängen der Aspirationen der ungarischen Reichshälfte auf eine weitergehende Selbständigkeit und Lösung des staatsrechtlichen Bandes, sowie in einer aktiven Außenpolitik der Monarchie vor allem am Balkan. Gefragt war eine Umkehrung der Politik Goluchowskis, der es liebte, „sich fern vom Schuß zu halten und den Ministerpräsidenten von Osterreich und Ungarn die Sorgen der gemeinsamen Regierung zu überlassen."68 Für Friedjung war Aehrenthal der Mann, der Osterreich seine ihm zustehende Position im Konzert der europäischen Mächte zurückerobern könne, wenn er auch bezüglich eines entscheidenden Faktors skeptisch blieb. Das Bündnis mit Deutschland bildete in Friedjungs Augen die Konstante, an der sich die Politik des Ballhausplatzes zu orientieren hatte. Der Zweibund war für ihn, den überzeugten Deutsch-Österreicher, auch der Hebel, um die internen Probleme Österreichs zu lösen, wobei ihm dafür die Wiederherstellung der Machtposition der Deutschen als einzigem reichserhaltenden ethnischen Faktor Cisleithaniens unumgänglich schien. In Aehrenthal sah er zwar ei63
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m 67 68
Biographisches Jahrbuch und Deutscher Nekrolog, hrsg. von Anton Bettelheim. Bd. 3 (Berlin 1900) 359-380. Graf Gustav von Kalnoky; in: Historische Aufsätze 327-361. Vgl. zur Beziehung zu Aehrenthal auch ihren Briefwechsel in Aus dem Nachlaß Aehrenthal. Franz Thun an Aehrenthal, 2. 2. 1903; in: Aus dem Nachlaß Aehrenthal Teil 1, 291-292. Vgl. Bd. 2, S. 28. Allgemeine Zeitung München v. 24. 9. 1903, Abendblatt 1-3, Klärung der Lage in Ungarn.
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nen Verfechter des Bündnisses mit Berlin, wobei dieser, ganz nach Friedjungs Geschmack, die aktive, eigenständige Rolle der Donaumonarchie hervorhob. Während jedoch für Friedjung der Sinn des Bündnisses außer Zweifel stand und einen Wert an sich darstellte, schien es ihm für Aehrenthal nur Mittel zum Zweck zu sein, „er würde, ohne zu zögern, sich mit Rußland gegen Deutschland verbinden, wenn er glaubte, die Staatsraison erfordere dies."69 Überhaupt schien Friedjung beim nachmaligen Außenminister der nationale Gedanke an sich nicht sonderlich ausgeprägt, er war doch „in erster Linie schwarzgelb österreichisch. Als er an den Scheideweg kam, ob deutsch oder tschechisch, fragte er sich, was für Österreich förderlicher sei. Nur deshalb entschied er sich für den deutschen Weg."70 Zwar verteidigte er Aehrenthal gegen den häufig - vor allem von reichsdeutscher Seite - vorgebrachten Vorwurf, er arbeite an einem Paradigmenwechsel der Wiener Außenpolitik, indem er auf die verfassungstreue Haltung seiner Familie und seine Frontstellung gegen das Ministerium Thun hinwies71, jedoch plagten ihn Zweifel bezüglich Aehrenthals deutscher Gesinnung. „Eine nationale Ader besitzt Aehrenthal nicht und schätzt wohl auch die Kraft der nationalen Idee zu niedrig", bemerkte Friedjung bereits nach einem ihrer ersten Gespräche am 30. 6. 1898. Auch die reichsdeutsche Kritik, gegen die Aehrenthal sehr empfindlich reagierte72, konnte Friedjung als überzeugter Deutsch-Österreicher in ihren Motiven nachvollziehen: „Nicht etwa, daß ich vermeinte, er werde die Allianz mit Deutschland lösen wollen. Aber er würde uns, wenn er Minister des Äußern würde, in ein so freundliches Verhältnis zu Rußland bringen wollen, daß man sich naturgemäß in Berlin unangenehm berührt fühlen würde."73 Diese Vorbehalte traten jedoch mit dem Amtsantritt Aehrenthals im Oktober 1906 immer stärker zurück, während die für Friedjung positiven Aspekte der Aehrenthalschen Anschauungen noch mehr in den Vordergrund rückten: Endlich war das Außenministerium aus jener Lethargie erwacht, in die es spätestens seit der Regierungsübernahme durch Goluchowski versunken war. Der neue Minister verteidigte nun tatsächlich sein Revier energisch gegen die ungarischen Angriffe auf die Reichseinheit und versuchte sogar, verlorenes Terrain zurückzugewinnen, wie er es Friedjung gegenüber angekündigt und dabei die Friedjungsche Maxime, daß eine energische Innenpolitik als Voraussetzung außenpolitische Stärke habe, 69 70 71 72
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Fürst Max Egon Fürstenberg über Aehrenthal, 30. 1. 1902. Vgl. S. 442. Ebda. Vgl. das Gespräch mit dem deutschen Botschafter Fürst Philipp zu Eulenburg vom 28. 1. 1902 (S. 438-441). S. 279: „Er verwahrte sich gegen jeden Versuch Deutschlands, auf die innere Entwicklung Österreichs Einfluß üben zu wollen. Noch in der Erzählung klang der aufrichtige Unmut Aehrenthals durch." S. 421.
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bestätigt hatte 74 . Gleichzeitig beendete ausgerechnet Aehrenthal, dem immer wieder der Vorwurf des Russenfreundes gemacht worden war, die auf der Erhaltung des status quo am Balkan beruhende Entente mit dem östlichen Nachbarn 75 , womit auch das entscheidende Hindernis für eine aktive, sprich expansionistische Außenpolitik der Wiener Regierung beseitigt wurde. Daß der westliche Balkan das natürliche Feld der österreichischen Expansion sei, war auch bereits in den ersten Gesprächen zwischen Friedjung und Aehrenthal betont worden, wobei sich Aehrenthal scharf gegen die Meinung wandte, der Monarchie fehle die Lebenskraft zu großen außenpolitischen Unternehmungen. Dabei wurde er „erregt, fast unhöflich gegen solchen Kleinmut. Ich habe ihn nie so schroff sprechen gehört. Sein ganzer österreichischer Patriotismus bäumt sich auf."76 Wiederum wurde Friedjung diese Anschauung auch von dritter Seite bestätigt, so von dem intensiv mit der südslawischen Frage beschäftigten Josef Maria Baernreither 77 , der den Kern der Aehrenthalschen Außenpolitik in einer Teilung des Balkan in eine östliche, russische und eine westliche, österreichische Einflußsphäre sah78. Daß der Auflösungsprozeß der türkischen Herrschaft in Europa eine unabänderliche Tatsache sei, stand für Aehrenthal fest. Die Aufgabe der Diplomatie sah er darin, diesen Vorgang in geregelten Bahnen und ohne Katastrophen ablaufen zu lassen79, jedoch sollte - im Gegensatz zur Politik seines Vorgängers Graf Goluchowski - die Donaumonarchie dabei nicht bremsend wirken. „Österreich-Ungarn darf [. . .] nicht mehr wie bisher immer mit der Feuerspritze hinterher sein, sondern soll den Abbröckelungsprozeß der Türkei nur vor sich gehen lassen." 80 Friedjung war ebenso wie Aehrenthal mit dem Organisator der österreichisch-ungarischen Verwaltung in Bosnien Benjamin von Kailay einer Meinung, daß eine rein wirtschaftliche Penetration des westlichen Balkan ohne staatliche Präsenz nicht ausreiche. Sie hielten die Bevölkerung dieser Gebiete zur Selbstregierung nicht fähig. „Autonomie bedeute im Munde des Orientalen so viel wie unumschränkte Selbstherrschaft der in der Mehrheit befindlichen Nationalität oder Konfession über alle anderen", definierte Källay seine Position. „Sobald die türkische Autorität verschwinde, werde ein Morden auf der Balkanhalbinsel eintreten." 81 Daher konnte das Ziel nur die endgültige 74
Vgl. S. 494 f. Vgl. Francis R. Bridge, Izvolsky, Aehrenthal, and the End of the Austro-Russian Entente 1906-08; in: Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 29 (1976) 315-362. 76 S. 278. 77 Vgl. Joseph M. Baernreither, Fragmente eines politischen Tagebuches. Die südslawische Frage und Österreich-Ungarn vor dem Weltkrieg, hrsg. von Joseph Redlich (Berlin 1928). 78 S. 485. 79 S. 494. 80 Bd. 2, S. 32. 81 S. 487 f. 75
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Angliederung der besetzten Provinzen in den Verband der Monarchie sein, wobei Aehrenthal seine Pläne so formulierte: „Wir müssen über die Periode bis zur kriegerischen Lösung hinwegkommen; dann wird auch die Zeit gekommen sein, um Bosnien definitiv in Österreich einzuverleiben."82 Nachdem Aehrenthal durch sein eigenständiges Vorgehen in der Frage des Anschlusses des bosnischen an das türkische Bahnnetz, des sogenannten Sandschakbahnprojekts83, das Prinzip des status quo erstmals in Frage gestellt hatte, brach er mit dieser Politik endgültig durch die Annexion des seit 1878 besetzten Bosnien-Herzegowina am 6. Oktober 1908. Er blieb dabei exakt in dem von ihm selbst kurz vor seinem Amtsantritt erstellten Zeitplan, nach dem die Balkanfrage „etwa in zwei Jahren [. . .] wieder ins Rollen kommt."84 Friedjung war zu Beginn der Ministerschaft skeptisch bezüglich Aehrenthals Perspektiven, er vermißte darin den großen Zug, bemerkte aber, daß sie dem „bedächtigen, in der Kälnokyschen Schule zur Reife gediehenen Charakter" entsprachen, „dem Waghalsigkeit nicht wohl anstünde."85 Doch bereits zum Zeitpunkt der Annexion hatte sich das Bild gewandelt, nun bewunderte Friedjung einen Mann von seltener Tatkraft, in dessen Händen die Zügel der Regie gut aufgehoben seien86. Die internationale Krise, die im Anschluß an die Annexion den Kontinent erfaßte und im Frühjahr 1909 die Wahrscheinlichkeit des Krieges beinahe zur Gewißheit machte, führte auch die Beziehungen zwischen dem Journalisten und dem Außenminister zu einer neuen Qualität. Bis zum Ausbruch der Krise sah Friedjung seine Rolle als die eines Gesprächspartners, mit dem der Staatsmann seine bereits beschlossenen Maßnahmen kritisch reflektierend erörterte. Er gestand sich zwar zu, Aehrenthal in seinen Ansichten bestärken zu können, „aber ich kann mir keinen besonderen Anteil an der Konzeption des Ganzen beimessen."87 Im Laufe des Jahres 1908 erhielt Friedjung jedoch das Gefühl, daß er immer näher an das Zentrum der Macht heranrückte. Am Tag der Annexion dankte er dem Außenminister, da er ihm „zum ersten Male einen Blick in das Werden von Ereignissen gewährt habe"88, und kurz darauf sah er sich als Berater akzeptiert, der bereits in den Entscheidungsprozeß eingebunden wurde. „Diese Unterredung ist vielleicht die erste nach allen, die ich seit der Ministerschaft Aehrenthals mit ihm führte, in der [er] meinen Rat über einen von ihm beabsichtigten Schritt einholte. Er hörte mich auch früher aufmerksam an - aber es handelte sich meistens um mein Urteil über Bd. 2, S. 70; Friedjung vermerkte dazu, „erste Äußerung über Bosnien." Vgl. Solomon Wank, Aehrenthal and the Sanjak Novibazar Railroad. A Reappraisal; in: Slavonic and East European Review 42 (1964) 353-369. 84 Bd. 2, S. 32. 85 Bd. 2, S. 46 f. 86 Bd. 2, S. 151. 87 Bd. 2, S. 73. 88 Bd. 2, S. 103. 82
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geschehene Dinge - diesmal erwog er mit mir eine bedeutungsvolle Maßnahme der nächsten Zukunft. Es wird sich zeigen, wie weit er meinem Rate folgen wird", vermerkte er zu einem Gespräch vom 23. November 1908. Auch von anderer Seite wurde ihm sein Status als Ministerberater bestätigt. So ließ der Wiener Korrespondent der Londoner Times, Henry Wickham Steed, seine Leserschaft wissen, Friedjung würde als Berater des Außenministers gehandelt89, und auch der stellvertretende Leiter des Literarischen Bureaus, der Presseabteilung des Ballhausplatzes, Kaiman Känia, bestärkte Friedjung in seinem Gefühl, nahe am Zentrum der Macht zu sein, als er bemerkte, „es gebe jetzt einen einzigen Weg, um an Aehrenthal eine abweichende Meinung gelangen zu lassen, und das sei Dr. Friedjung." 90 Den Höhepunkt und zugleich das Ende der Beziehungen leitete der förmliche Antrag des Außenministers am 12. 2. 1909 ein, in einem Artikel die Balkanpolitik des Ballhausplatzes historisch zu rechtfertigen, „ein Essay über die völkerrechtswidrige Aktion Serbiens durch Bandenbildung, Verschweigen etc." zu verfassen. Als besonderen Vertrauensbeweis betrachtete es Friedjung, daß ihm geheimes Aktenmaterial zur Verfügung gestellt wurde, das er in jenem Aufsatz verarbeitete, der den Anlaß für die „Friedjungaffäre" bilden sollte91. Gedacht als Rechtfertigungsschrift im als beinahe sicher geltenden kriegerischen Konflikt mit Serbien, blieb der Artikel nach der nichtmilitärischen Beilegung als Menetekel stehen, und Friedjung mußte sich in einem Verleumdungsprozeß dem Vorwurf stellen, er habe rechtschaffene kroatische Politiker des Hochverrats beschuldigt92. Auch jetzt noch mißachtete Friedjung die Zeichen an der Wand und blieb der Idee treu, in diesem Verfahren nicht nur seine eigene wissenschaftliche Integrität verteidigen zu müssen, sondern die gesamte Außenpolitik der Monarchie zu rechtfertigen. Er wollte oder konnte nicht erkennen, daß er als Werkzeug für den Außenminister wertlos geworden war und von dieser Seite daher auch keine entscheidende Unterstützung zu erwarten hatte. Bei den Nachforschungen in Belgrad stellte sich heraus, daß die Gesandtschaft so tief in die Beschaffung der fragwürdigen Dokumente verstrickt war, daß jedes weitere Engagement vor allem die ohnehin umstrittene Position des Gesandten Grafen Johann Forgäch zusätzlich erschwert hätte 93 . 89 90 91 92
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Times v. 8. 1. 1909, 4, Austria and Great Britain. Press Accusations. From Our Own Correspondent; vgl. dazu auch das Gespräch mit Aehrenthal am 22. 1. 1908, Bd. 2, S. 182. Bd. 2, S. 189. Neue Freie Presse v. 25. 3. 1909, Morgenblatt, 2-4, Österreich-Ungarn und Serbien. Vgl. zur Entstehung des Artikels und die unmittelbaren Reaktionen von südslawischer Seite Friedjungs Tagebucheintrag vom 3. 4. 1909 (Bd. 2, S. 225-229). Angeklagt waren Friedjung, die Neue Freie Presse sowie die Reichspost, die ebenfalls Artikel auf der Basis der von Friedjung verwendeten Dokumente veröffentlicht hatte. Vgl. die umfangreiche Korrespondenz zwischen Wien und Belgrad in HHStA, Politisches Archiv XIX Serbien, К 81 und 82.
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Daran änderten auch Friedjungs zahlreiche Interventionen am Ballhausplatz nichts, in denen er auf die Übermittlung der ihm zugesagten Originaldokumente und Photographien drängte, da er bis zuletzt von der Echtheit der Quellen und damit der Richtigkeit seines Urteils überzeugt blieb. Zunächst wurde er hingehalten, ehe man ihn wissen ließ, daß eine derartige Maßnahme politisch nicht vertretbar sei94. Der Prozeß, der nach Absprache zwischen Außen- und österreichischem Justizministerium vom 9. bis 21. Dezember 1909 stattfand95, endete, nachdem sich einige der von Friedjung dem Gericht vorgelegten Dokumente eindeutig als Fälschungen erwiesen hatten96, in einer von den beiden langjährigen Reichsratsabgeordneten Josef Maria Baernreither und Tomas Garigue Masaryk arrangierten Ehrenerklärung, in der Friedjung alle Vorwürfe an die Kläger zurücknahm97. Noch härter als dieser Umstand traf Friedjung jedoch die offene Abkehr des Ballhausplatzes. Er akzeptierte noch, daß das Ministerium aus politischen Rücksichten sich nicht öffentlich exponieren konnte, und weigerte sich daher auch, im Prozeß die Herkunft seiner Dokumente preiszugeben, obwohl die Verbindung zu Aehrenthal ein offenes Geheimnis bildete. Aber in seinen letzten Gesprächen mit dem Außenminister im November 1909 erhielt er den Eindruck, daß dieser auch persönlich von ihm abrückte98. Friedjung sah sich brüskiert und sowohl in seiner Ehre als Historiker und Ehrenmann als auch in seiner Loyalität verletzt99. Aber obwohl mit dem Ende des Prozesses seine Beziehungen zum Ballhausplatz beendet waren und Friedjung bei aller Ungeschicklichkeit seines Vorgehens, vor allem als er bereits in der ersten Entgegnung auf die Klagedrohung seine gesamte wissenschaftliche Reputation in die Waagschale geworVgl. dazu seine Interventionen bei Aehrenthal, Sektionschef Freiherr Karl von Macchio und Freiherr Siegfried von Pitner, ebd. К 81. 95 Vgl. ein informelles Schreiben des Justizministeriums v. 10. 10. 1909, ebd. 96 Friedjung legte seine Dokumente dem Gericht in Form einer gedruckten Broschüre mit dem Titel „Aktenstücke zur großserbischen Bewegung in Österreich-Ungarn" vor. In WStLB, N L Friedjung, К 6 findet sich umfangreiches Material zum Prozeß, das jedoch fälschlich dem Agramer Hochverratsprozeß zugeordnet ist. 91 Vgl. zum Prozeß die allerdings fast ausschließlich aufgrund veröffentlichten Materials gearbeitete Dissertation Franz Graf, Heinrich Friedjung und die südslawische Frage, phil. Diss. (Wien 1950), Heinz Alfred Gemeinhardt, Deutsche und österreichische Pressepolitik während der Bosnischen Krise 1908/09 (Historische Studien 437, Husum 1980) 385-398, R.W. Seton-Watson, Die südslawische Frage im Habsburger Reiche (Berlin 1913) 242-317 sowie den Aufsatz des ehemaligen Ballplatz-Diplomaten Alfred Rappaport von Arbengau, Rund um den Friedjungprozeß; in: Berliner Monatshefte für internationale Aufklärung 9 (1931) 339-357, der für diese Arbeit inzwischen verschollenes Material aus dem Nachlaß Friedjung verwendete. Baernreithers Darstellung in Fragmente eines politischen Tagebuches 133-145. 98 Rappaport, Rund um den Friedjungprozeß 355. Die Aufzeichnungen zu diesen Gesprächen sind leider verschollen. 99 Vgl. ein Schreiben Friedjungs an Aehrenthal v. 20. 11. 1909; HHStA, Politisches Archiv XIX Serbien, К 81. 94
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fen hatte100, sich vom Minister betrogen fühlen durfte, verteidigte er dessen Politik, die er als die einzig richtige für das deutsche Osterreich und damit die Machtstellung des Gesamtreiches ansah, auch weiterhin101. Mit dem Ende der Beziehungen zum Außenminister ändert sich auch die inhaltliche Ausrichtung der Gesprächsaufzeichnungen. Die österreichische Politik tritt zurück zugunsten der Weltpolitik. Am Vorabend des Großen Krieges befaßte sich Heinrich Friedjung mit dem Problem der internationalen Beziehungen seit 1884 und verfaßte als Fortsetzung von Schlossers Weltgeschichte sein „Zeitalter des Imperialismus 1884-1914". Auf einer Rundreise von Paris über London nach Berlin im Herbst 1912 führte er dafür intensive Gespräche mit Diplomaten, Politikern und Journalisten vor allem über den deutsch-französischen Marokkokonflikt. Die Balkankriege jedoch bringen seine Gespräche zurück zur Problematik der Machtstellung der Monarchie, während der beginnende Weltkrieg sich - mit der Ausnahme von Mitteilungen General Moritz von Auffenbergs - in den Aufzeichnungen wenig niederschlägt. Auffenberg allerdings gewährte ihm interessante Einblicke in die Mentalität, die nicht nur unter den Ballhausplatzdiplomaten herrschte102, sondern in die ähnlich gelagerten Ansichten der politischen Generäle im Kriegsministerium. Kurz nach seinem Rücktritt als gemeinsamer Kriegsminister betonte er gegenüber Friedjung, daß er den Sommer 1914 als Zeitpunkt des Angriffes auf Serbien vorgeschlagen habe, „woher man den Vorwand zum Kriege nimmt, ist gleichgültig"103, und bekräftigte in einem weiteren Gespräch ein Jahr später, daß er diesen Termin auch dem Außenminister genannt habe104. Ende 1914 erklärte er Friedjung freimütig, Auffenberg war bereits von seinem Posten als Armeekommandant nach den Niederlagen in Galizien enthoben, „daß der Krieg mit Serbien kurz nach der Ermordung des Erzherzogs beschlossene Sache war." Friedjungs Engagement in der Mitteleuropafrage während des Weltkriegs findet in den Notizen kaum Widerhall. Lediglich zwei Gespräche mit dem 100
Neue Freie Presse v. 28. 3. 1909, Morgenblatt 6. Er sagt darin, er habe den Artikel aufgrund „unanfechtbaren Aktenmaterials" geschrieben und wäre dabei „ebenso sorgfaltig und kritisch" vorgegangen wie bei seinen historischen Arbeiten. Da es wohl außer Streit stehe, „daß ich echte Schriftstücke und lautere Geschichtsquellen von unechten zu unterscheiden vermag", nehme er für den Aufsatz „vollste historische Glaubwürdigkeit in Anspruch". Vgl. zu den schweren Bedenken des Rechtsanwaltes der Neuen Freien Presse zur Art der Rechtfertigung Friedjungs Tagebuch, Eintrag v. 3. 4. 1909 (Bd. 2, S. 228). 101 Vgl. dazu Die Zusammenkunft Aehrenthals und Iswolskijs 1908; in: Historische Aufsätze 189-197. 102 Siehe dazu Fritz Fellner, Die „Mission Hoyos"; in: ders., Vom Dreibund zum Völkerbund 112-141, und Manfred Tobisch, Das Deutschlandbild der Diplomatie ÖsterreichUngarns von 1908 bis 1914 (Erlanger Historische Studien 17, Frankfurt/Main u. a. 1994). 103 Bd. 2, S. 375; das Gespräch fand im Dezember 1912 statt. 104 Bd. 2, S. 396.
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deutschen Reichskanzler Theobald von Bethmann-Hollweg und Staatssekretär Gottlieb von Jagow im November 1915 behandeln die Thematik des wirtschaftlichen, politischen und militärischen Bündnisses der mitteleuropäischen Mächte. Dies ist ein weiterer Beleg dafür, daß Friedjung Aufzeichnungen in der vorliegenden Form hauptsächlich für den Zweck der Verarbeitung in seinen historischen Arbeiten anfertigte bzw. archivierte, weniger für seine journalistische und politische Tätigkeit. Während Aufzeichnungen aus der Spätphase des Weltkriegs und der Auflösung der Habsburgermonarchie vollständig fehlen, bilden den chronologischen Abschluß Gespräche nach dem Untergang seiner Welt mit Staatsmännern des alten Osterreich über Person und Regierung Kaiser Franz Josephs. Sie dienten der Überarbeitung des im April 1919 erstmals erschienenen Aufsatzes „Kaiser Franz Josef I. Ein Charakterbild" für die „Historischen Aufsätze"105. In ihrem resignativen Charakter führen sie aber zugleich zurück zu den zeitlich am Beginn stehenden Aufzeichnungen. Bildete damals noch die Frage nach dem „wohin" der Monarchie den Ausgangspunkt der historischen Forschung, so war es jetzt nur mehr - in Friedjungs Augen - die Suche nach dem „warum" des Unterganges. Der Quellenwert der vorliegenden Edition läßt sich zweifach sehen. Einmal erhellen sie Friedjungs Arbeitsweise als Historiker. Der Einfluß der Ergebnisse der Interviews auf seine Arbeiten ist nicht zu übersehen, wobei er auch immer versucht, die Aussagen seiner Gesprächspartner durch zusätzliche Informationen anderer Zeitgenossen zu verifizieren. Dies rechtfertigt die Veröffentlichung auch solcher Aufzeichnungen, die lediglich die Ergebnisse früherer Gespräche bestätigen. Als Beispiel sei hier die Serie von Interviews erwähnt, die Friedjung vom 15. bis 21. April 1898 in Budapest mit dortigen Politikern im Rahmen der Recherchen für seinen Kalnoky-Aufsatz führte, einer Arbeit, die noch fünfzig Jahre nach ihrem Erscheinen als eine der drei maßgeblichen nichtarchivalischen Quellen zu Leben und Werk des Außenministers bezeichnet wurde106. Die Ergebnisse der Gespräche bestimmen die Darstellung der ungarischen Haltung im Konflikt zwischen transleithanischer Regierung und Außenministerium. Wenn Friedjung schreibt, daß die Einführung der obligatorischen Zivilehe zunächst lediglich das ProVgl. Anm. 62. 106 Friedrich Engel-Janosi, Graf Kälnokys Rücktritt als Außenminister im Mai 1895; in: ders., Geschichte auf dem Ballhausplatz. Essays zur österreichischen Außenpolitik 1830-1945 (Graz - Wien - Köln 1963) 233-234. Dieser Aufsatz erschien erstmals 1951. Engel-Janosi stützt sich selbst auf für Friedjung typische Quellen, wenn er schreibt, Friedjungs Hinweis, Kälnoky sei kein praktizierender Katholik gewesen, werde von noch lebenden Familienangehörigen des Grafen bestritten (ebda 257 Anm. 45). Vgl. allgemein zu Graf Kälnoky Ernst R. Rutkowski, Gustav Graf Kalnoky von Köröspatak. Österreich-Ungarns Außenpolitik von 1881-1885. 2 Bde., phil. Diss. (Wien 1952) und Walter Rauscher, Zwischen Berlin und St. Petersburg. Die österreichisch-ungarische Außenpolitik unter Gustav Graf Kälnoky 1881-1895 (Wien - Köln - Weimar 1993). 105
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gramm einer Minderheit der liberalen Partei war, die damit der „in ihrem Gefüge erschütterten liberalen Partei" neue Festigkeit geben sollte, „um ihren verbleichenden Glanz wieder aufzurichten" 107 , dann entspricht dies exakt der Analyse, die ihm die Protagonisten jener Zeit lieferten. So erläuterte ihm der damalige Justizminister und treibende Kraft in dieser Auseinandersetzung, Dezso Szilägyi, „ohne Frage war nur die Minorität der liberalen Partei für die Zivilehe eingenommen; aber als wir entschlossen vorgingen, rissen wir die Partei mit uns fort. Es liegt im Wesen des Guten, daß es sich im Fortgange der Dinge Freunde gewinnt, und insbesondere die öffentliche Meinung läßt sich gewinnen, aber freilich nur dann, wenn man furchtlos vorgeht, und wenn man sich ein ganzes, großes Ziel vorsetzt; nicht eine halbe, nicht ganz verständliche Maßregel. So gewannen wir Bundesgenossen und blieben Sieger." Graf Kaiman Tisza, den Friedjung so wie Szilägyi explizit als starken Befürworter der Ehereform aufführt 108 , wies daraufhin, „daß im Falle der Nichtbewilligung der Zivilehe die Auflösung der liberalen Partei zu befürchten" gewesen sei. Gleichfalls gibt Friedjung den von österreichischer Seite erhobenen Vorwurf wieder, Ministerpräsident Sändor Wekerle habe den Kaiser durch den Hinweis auf drohende Unruhen zur Vorsanktion der Zivilehe bestimmt, fügte jedoch aufgrund der Ergebnisse seiner Budapester Recherchen hinzu, dies würde „in den Hofkreisen behauptet" 109 . In der Erstveröffentlichung des Aufsatzes wies Friedjung auch noch indirekt auf seine zusätzlichen Informationen hin, indem er schrieb, „es ist noch nicht an der Zeit, den Schleier, der über diesen Vorgängen liegt, vollständig zu lüften" 110 . Er hatte seine Gesprächspartner, darunter auch Wekerle selbst, direkt mit dem Vorwurf konfrontiert und dabei den Eindruck erhalten, daß dieser dem Kaiser die Lage sehr düster geschildert habe, eine direkte Falschinformation jedoch nicht vorlag. Zwar bestätigte ihm Miksa Falk, Chefredakteur des Pester Lloyd und langjähriger außenpolitischer Referent der ungarischen Delegation, die österreichische Version, allerdings als Vermutung, indem er ein Gespräch mit dem Kaiser wiedergab: „Das Kabinett stellte mir die Sache so dar, daß, wenn ich nicht meine Einwilligung zur Zivilehe gebe, das Land am Rande des Abgrundes stehe. Ich sehe jetzt, daß das glücklicher Weise nicht der Fall war, und ich bereue, meine Zustimmung gegeben zu haben." Von den übrigen Gewährsmännern wurde ihm jedoch glaubhaft versichert, daß Wekerle die Situation zwar richtigerweise als sehr ernst geschildert, aber nicht zum Mittel einer bewußten Falschaussage gegriffen habe. Die Vorwürfe hätten allerdings mit einem Charakterzug Wekerles zu tun, der in seinen Aussagen oft unverbindlich bleibe und dadurch 107 108 109 110
Graf Gustav von Kalnoky; in: Historische Aufsätze 350. Ebda. Ebda. 351. Biographisches Jahrbuch und Deutscher Nekrolog. Bd. 3, 373.
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den Eindruck der Unaufrichtigkeit erwecke und Interpretationen in beide Richtungen zulasse. Auch hier übernimmt Friedjung die Darstellung direkt aus seinen Gesprächsnotizen, wobei sich selbst das gewählte Bild deckt. „Es ist nun nicht gerecht, daß man Wekerle eine unrichtige Information, oder sagen wir es offen heraus, eine beabsichtigte Täuschung vorwirft. Wohl möglich aber, daß er nicht die Festigkeit besaß, jedesmal in Wien sogleich entschieden zuzusagen oder abzulehnen. Wir fanden ihn, wenn er dann nach Budapest kam, etwas weich geworden und mußten dann auf ihn wieder einwirken. Es ist möglich, daß er dadurch in Wien in den Ruf der Unzuverlässigkeit kam", erläuterte Dezso Szilägyi, und Friedjung vermerkte dazu, „ich gewann den Eindruck: Wekerle kam weich zurück, mußte auf den Amboß gelegt und fest geschmiedet werden", und diese Metapher fand Eingang in seinen Aufsatz111. In der Charakteristik des Außenministers als Konservativen, nicht als Klerikalen, verweist Friedjung sogar direkt auf Szilägyi, ohne jedoch zu erwähnen, daß ein eigenes Interview die Quelle war112. Dezsö Szilägyi bezeichnete Kälnoky als „mehr konservativ als klerikal. Letzteres wohl nur insoferne, als es der gesellschaftlichen Schichte entsprach, in der er lebte, weil ferner die Kirche zugleich eine Stütze der Autorität ist, ohne welche Stütze alles andere zusammenbrechen müsse, kurz, er war klerikal vorwiegend aus konservativen Gesichtspunkten." Diese Analyse übernahm Friedjung beinahe wörtlich in seinen Aufsatz. Aber nicht nur die Urteile, Analysen und Zitate ungarischer Politiker finden sich im Kälnoky-Aufsatz, sondern auch jene von österreichischen Informanten und ehemaligen Mitarbeitern des Außenministers, vor allem seines engsten Beraters Freiherrn Alois Lexa von Aehrenthal. So bilden die Passagen über Kalnokys Einflußnahme bei der Vorbereitung des Taaffeschen Ausgleichs von 1890, über seine Ablehnung der gescheiterten Wahlrechtsreform von 1893 und die Befürwortung des anschließend gebildeten Koalitionskabinetts113 das Destillat vieler Gespräche in den Jahren 1898 und 1899 mit Heinrich von Halban, Ernst von Plener, Marquis Olivier Bacquehem und Aehrenthal. Die Informationen zur Familie Kalnokys, zu seiner militärischen Ausbildung und den ersten Stationen in der Diplomatie entstammen ebenfalls den Interviews. Eine von Friedjung Eds Zitat des Kaisers in direkte Rede gesetzte Passage über Kalnokys Reitkünste114 wurde ihm von dessen Brüdern Alexander und Hugo mitgeteilt. Allerdings verwendet Friedjung, wohl aus von ihm so verstandenen Gründen der Hochachtung, den von Hugo gebrauchten Begriff des „salto mortale" für das vorgeführte Kunststück, während Alexander schlicht von einem „Purzelbaum" sprach und die1,1 112 113 114
Graf Gustav von Kalnoky; in: Historische Aufsätze 353. Ebda. 351. Ebda. 347-349. Ebda. 328.
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sen Ausdruck auch dem Kaiser in den Mund gelegt hatte. Wenn Friedjung weiter schreibt, Kaiser Franz Joseph habe sich 1881 deshalb für Kälnoky und gegen Graf Gyula Andrässy als Außenminister entschieden, weil Kälnoky der richtige Mann zur behutsamen Lösung eines Problems sei, während Andrässy in einer Phase benötigt würde, in der es gelte, einen politischen Knoten zu zerhauen115, so erhielt er diese Mitteilung von Miksa Falk. Gleichfalls lassen sich in Friedjungs Darstellung der Politik Kälnokys während der bulgarischen Krise 1886/87 die von den Interviews hinterlassenen Spuren nachweisen. Wenn er schreibt, der Zar fühlte sich durch Aussagen des ungarischen Ministerpräsidenten Graf Kaiman Tisza persönlich beleidigt116, dann stützte er sich auf ein Gespräch mit dem damaligen Botschafter in St. Petersburg, Graf Anton Wolkenstein, vom 7. Oktober 1898, in dem dieser ihm mitteilte, der Zar habe nach einer Rede Tiszas gesagt, „er fühle sich durch sie persönlich beleidigt. Ich hatte acht Tage zu tun, bis ich diesen Sturm beschworen hatte." Wenn er weiter ausführt, es sei „zuverlässig verbürgt", daß zu jener Zeit der preußische Generalstab, aber auch Erzherzog Albrecht und Kronprinz Rudolf den Krieg mit Rußland für unabwendbar hielten und ihn besser damals als später führen wollten117, dann konnte er auf Gespräche mit Aehrenthal, Ernst von Plener, dem damaligen deutschen Militärattache in Wien General Adolf von Deines sowie den beiden Berliner Journalisten Fritz Hönig und Hugo Jacobi zurückgreifen. Aber nicht nur die sachliche Darstellung beruht auf vielfältigen Mitteilungen seiner Gesprächspartner, auch Friedjungs allgemeine Charakterisierung Kalnokys, dessen aristokratische Überheblichkeit, Gefühlskälte und zunehmende Isolierung auch innerhalb des Hauses am Ballplatz stützt sich auf die mannigfachen Eindrücke, die er durch seine Interviews erhielt. Ob sich Friedjung selbst bereits bei der Abfassung dieses Aufsatzes jener Gefahr bewußt war, die ihm Jahre später zum Verhängnis werden sollte, nämlich der Manipulierung durch seine Informanten, ist nicht ersichtlich. Es ist jedoch unverkennbar, daß vor allem Aehrenthal versuchte, ihn in eine bestimmte Richtung zu bewegen, und dabei auf die Unterstützung anderer rechnen konnte. Als Friedjung Ende Mai 1898 den Botschafter in Berlin Läszlo Szögyeny besuchte, um ihn über seine Tätigkeit als Sektionschef unter Kälnoky zu befragen, bemerkte er verwundert, daß dieser sich „merkwürdigerweise an sehr wichtige Dinge während seiner Amtsführung 1882-1890 nicht erinnern" konnte. Er charakterisierte ihn als in der Gegenwart lebend, historischer Reflexion nicht zugänglich. Wenn jedoch derselbe Botschafter an seinen Kollegen Aehrenthal schreibt, Friedjungs Arbeit werde wohl „interessant und unseren Wünschen entsprechend 115 116 117
Ebda. 335. Ebda. 337. Ebda. 340.
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ausfallen"118, indem er beigetragen habe, dessen Bild des verstorbenen Außenministers „zu vervollständigen (und zwar in jenem Sinne, wie Du und ich es beabsichtigen)"119, so sind jene Fallstricke offensichtlich, die bei der Verwendung des vorliegenden und ähnlichen Materials als Primärquelle zu umgehen sind. Doch nicht nur in den frühen Arbeiten stützte sich Friedjung auf die Erkenntnisse aus seinen Gesprächen. So bemerkte er nach Interviews mit dem deutschen Staatssekretär im Auswärtigen Amt Alfred von Kiderlen Waechter und dem französischen Botschafter in Berlin Jules Cambon im November 1912, daß er deren Motive möglichst wörtlich wiedergeben werde. „Ich werde ihn und Cambon sprechend anführen, ohne zu sagen, daß sie selbst meine Quellen gewesen sind. Ich werde am besten tun, nicht zu sagen, ob ich Kiderlen vollen Glauben schenke. Er mag für sich selbst Zeugnis abgeben."120 In einer Fußnote zur Charakteristik Franz Josephs schließlich vermerkte Friedjung dezidiert, der Aufsatz beruhe auf Mitteilungen von Personen, die sich über Jahre in der Umgebung des Kaisers befanden121, während ihm die Aussage des ehemaligen Sektionschefs in der Kabinettskanzlei Geza von Daruväry, der Kaiser habe in seinen letzten Lebensjahren das Bild eines „heiteren Greises" geboten, wichtig genug erschien, um sie als Nachtrag seinem Aufsatz anzuschließen122. Neben ihrer Bedeutung für sein historisches, politisches und journalistisches Wirken bieten Friedjungs Aufzeichnungen vielfältige Einsichten in Mentalitäten und Handlungsweisen von Entscheidungsträgern vor allem der Geschichte der Donaumonarchie, aber darüber hinaus auch der (mittel)europäischen Geschichte. Friedjung geht zwar mit einem bestimmten Erkenntnisinteresse an seine Gesprächspartner heran, ist aber so flexibel in seiner Gesprächsführung und so breit in seinem Interessenhorizont, daß sich über den aktuellen Anlaß des Interviews hinaus vielfältige Analysen, Darstellungen und Kritiken historischen und aktuellen Geschehens ergeben. Darüberhinaus kommt ihm sein Beruf als Journalist zugute, in dem er „das Fragen gelernt" hat123. Die Schwerpunkte ergeben sich dabei fast selbstverständlich aus Friedjungs beruflicher und politischer Ausrichtung. Zunächst ist er als Deutsch-Österreicher an einer Analyse der historischen 118
119 120 121 122 123
Szögyeny an Aehrenthal, Berlin 1. 6. 1898; in: Briefe und Dokumente zur Geschichte der österreichisch-ungarischen Monarchie unter besonderer Berücksichtigung des böhmisch-mährischen Raumes, hrsg. von Ernst Rutkowski. Teil I (München - Wien 1983) 487. Ebda. Bd. 2, S. 361. Vgl. dazu das Ergebnis in Zeitalter des Imperialismus. Bd. 3, 23-25. Kaiser Franz Joseph I.; in: Historische Aufsätze 493. Ebda. 541; vgl. das Gespräch mit Daruväry am 8. 5. 1919 (Bd. 2, S. 447). So Oswald Redlich in seinem Nachruf im Almanach der Akademie der Wissenschaften in Wien 71 (1921) 228.
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Entwicklung des Habsburgerreiches seit der Revolution von 1848 unter dem bestimmten Gesichtspunkt der Stellung der Deutschen zum Reich interessiert. So meinte er in einem Artikel im Herbst 1898, nur durch die Aussöhnung mit den Deutschen, die in Friedjungs Vorstellung der Wiederherstellung ihrer politischen Vorherrschaft gleichkam, könnte das Reich nach innen die nötige Stabilität erlangen, um äußeren Krisen widerstehen zu können124, und sprach in einem Gespräch mit Außenminister Aehrenthal im April 1909 den Deutschen das Recht des Erstgeborenen unter den Völkern Österreichs zu125. Da auch aktuelle Probleme von Friedjungs Seite immer unter diesem Aspekt besprochen wurden, entsprach wie selbstverständlich die Auswahl seiner Gesprächspartner dieser Ausrichtung. Sie rekrutierten sich meist aus der alten liberalen Elite oder bildeten, wie der aus der Hochbürokratie kommende Ernest von Koerber, Hoffnungsträger einer Aussöhnung der Deutschen mit dem Staat und damit einer Restauration ihrer Machtstellung126. Entschiedene Vertreter der föderalistischen Staatsauffassung, etwa des konservativen Adels oder der jungtschechischen Bewegung, aber auch der neu entstandenen Massenbewegungen der Christlichsozialen und Sozialdemokraten finden sich nur sehr selten unter Friedjungs Bezugspersonen. Dies überrascht auf den ersten Blick besonders bezüglich der Sozialdemokratie, da Friedjung einigen ihrer führenden Persönlichkeiten, so Viktor Adler, Engelbert Pernerstorfer oder Ludo Moritz Hartmann, durch lange persönliche Freundschaft verbunden war. Friedjung hatte sich aber nicht nur weltanschaulich in eine andere Richtung entwickelt als sein Jugendfreund Adler, er brach auch den persönlichen Kontakt ab und kündigte ihm förmlich die Freundschaft auf127. Desgleichen beendete er die langjährige Beziehung zu Ludo Hartmann, nachdem die Arbeiterzeitung Friedjung als offiziösen Journalisten des Ballhausplatzes bezeichnet hatte, und Hartmann Friedjungs Forderung nach einer förmlichen Entschuldigung als überzogen bezeichnete128. Es scheint überhaupt ein Persönlichkeitszug Friedjungs zu sein, daß er einerseits auf formale Festlegungen großen Wert legte, andererseits Beziehungen, sowohl beruflicher als auch privater Natur, nach Konflikten nicht einfach ruhen ließ, um sie später wieder aufzunehmen, oder nach einem Kompromiß suchte, sondern in einer Haltung des „entweder-oder" offiziell abbrach. Als sich etwa bei der Vorbereitung des Kalnoky-Aufsatzes Probleme mit der Familie des verstorbenen Außenmini124
Allgemeine Zeitung München v. 10. 10. 1898, 1-2, Steigende Zersetzung in Österreich. Vgl. Bd. 2, S. 239. 126 Koerber war fur Friedjung „der beste Ministerpräsident, den sich der Kaiser in den letzten Jahren erkor." Kaiser Franz Joseph I.; in: Historische Aufsätze 516. 127 Vgl. dazu die Korrespondenz in HHStA, NL Friedjung, К 4. 128 Vgl. ebd. und Fritz Fellner, Heinrich Friedjung - ein österreichischer Ahnherr der „Oral History"; in: Deutschland und Europa in der Neuzeit. Festschrift für Karl Otmar Freiherr von Aretin zum 65. Geburtstag, hrsg. von Ralph Melville u. a. (Stuttgart 1988) 633-660. 125
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sters wegen der Freigabe diverser Materialien ergaben, teilte er Freiherrn von Aehrenthal, seiner Bezugsperson, ausdrücklich mit, daß die Familie lediglich über jenes Material befinden könne, das er direkt von ihr erhalten habe. „Jene scharfe Sonderung", läßt er Aehrenthal wissen, „rührt von einer Art Rechtspedanterie her, von der ich besessen bin; es werden durch Feststellungen solcher Art übrigens oft spätere Meinungsverschiedenheiten vermieden."129 Desgleichen beendete er schon nach wenigen Monaten im Jänner 1903 die Zusammenarbeit mit der als Tageszeitung neu erscheinenden Wiener „Zeit" und verwarf den Vermittlungsvorschlag des Herausgebers Isidor Singer130. Friedjung fühlte sich sowohl als Historiker wie auch als Journalist, „der sich auch publizistisch wenig mit aktiver innerer Politik beschäftigt"131, dem Primat der Außenpolitik, die im Falle der Habsburgermonarchie Reichspolitik sein mußte, verbunden. Als Prärogative einer Erhaltung und Wiederherstellung der Position Österreich-Ungarns im Konzert der Mächte betrachtete er einen starken Außen- als Reichsminister. Nur ein starkes Reich nach außen und innen konnte in seinen Augen das Uberleben und Wiedererstarken Österreichs unter deutscher Führung sichern. In dieser Anschauung traf er sich, wie bereits erörtert, mit seinem primären Gesprächspartner aus der Diplomatie, Alois Lexa von Aehrenthal, der weithin ähnlich dachte132. Für Aehrenthal bildete die Verteidigung des deutschen Charakters der Monarchie den einzig realistischen Ansatz zur Erhaltung des Gesamtstaates 133 , während für Friedjung nur ein deutsches Österreich in enger Verbindung zum Deutschen Reich sinnhaft und zukunftsträchtig schien. Neben den, sowohl in ihrer Kontinuität wie in ihrer Dichte in den Jahren 1906 bis 1909 innerhalb dieser Edition, aber auch darüberhinaus für eine Analyse der Wiener Außenpolitik nicht nur unter dem Blickwinkel des kommenden Weltkriegs134 einzigartigen Gesprächen mit diesem herausragenden Vertreter der aristokratischen habsburgischen Herrscherelite135 bieten auch Friedjungs Gespräche mit weiteren Spitzendiplomaten der Monarchie, so den Botschaftern Graf Anton Wolkenstein, Läszlo Szögyeny und Graf Heinrich Lützow, wichtige Hinweise auf Ausrichtung und Arbeitsweise der Ballhausplatzdiplomatie. Nach seiner Hinwendung zur europäischen Geschichte bildeten 129
Friedjung an Aehrenthal, 27. 7. 1898; in: Aus dem Nachlaß Aehrenthal Teil 1, 147-148. Vgl. Singer an Friedjung, 14. 1. 1903, WStLB INr. 220.777 sowie das Konzept eines Schreibens an Singer, WStLB, NL Friedjung, К 2, U 4. 131 Friedjung zu Ministerpräsident Max Vladimir von Beck im Frühjahr 1908 (Bd. 2, S. 85). 132 Vgl. Solomon Wanks Analyse in der Einleitung zu Aus dem Nachlaß Aehrenthal Teil 1, XV-XXI. 133 Vgl. Aehrenthals Aussagen am 29. 4. 1907 (Bd. 2, S. 66 f). 134 Vgl. dazu Samuel R. Williamson, Jr., Austria-Hungary and the Origins of the First World War (The Making of the 20th Century, London 1991). 135 So die Bezeichnung Solomon Wanks; vgl. die Einleitung zu Aus dem Nachlaß Aehrenthal Teil 1, IX-XXI sowie Solomon Wank, Aristocrats and Politics in Austria 1887-1914. A Case of Historiographical Neglect; in: East European Quarterly 26 (1992) 133-148. 130
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vor allem deutsche Spitzendiplomaten eine bedeutende Informationsquelle zum deutsch-französischen Gegensatz in der Nordafrikafrage. In ihrer Art einmalig und dem Quellenwert nach nicht zu unterschätzen sind jene Gespräche, die Friedjung mit Personen führte, die als Berater, Spitzenbeamte oder offiziöse Journalisten direkten Zugang zu und Einfluß auf Entscheidungsträger hatten. Meist stammten sie aus Friedjungs eigener Heimstatt, dem Journalismus. Viele seiner Eindrücke über die Stimmung im Haus am Ballplatz bezog Friedjung von den drei konsekutiven Leitern des Literarischen Bureaus, Ludwig Doczi, Emil Jettel und Kaiman Känia. Als Informanten für die innenpolitische Entwicklung ähnlich bedeutend waren die ebenfalls vom Journalismus kommenden Heinrich von Halban, langjähriger Kanzleidirektor des Abgeordnetenhauses und Vertrauter des Ministerpräsidenten Graf Kasimir Badeni, sowie die „graue Eminenz" im Ministerratspräsidium Rudolf Sieghart. Während der bosnischen Krise erwies sich der offiziöse Journalist Julius Szeps, dessen Schwester eine Schwägerin George Clemenceaus war, als äußerst ertragreiche Quelle. Darüberhinaus bieten Friedjungs Gespräche mit deutschsprachigen Journalisten aus dem südslawischen Raum einen reichen Fundus zur zeitgenössischen Interpretation der verschiedenen politischen Bewegungen im Süden der Monarchie. Auch die Gespräche mit Offizieren gehen in ihrem Quellenwert weit über den Aspekt der Erhellung rein militärischer Aspekte hinaus. Besonders bedeutend sind dabei die Aufzeichnungen über Aussagen politischer Generäle, vor allem von Moritz von Auffenberg. Wenn dieser Friedjung im Dezember 1912 freimütig erklärt, ein Feldzug gegen Serbien sei notwendig, und er habe als Kriegsminister „deswegen von vornherein den Vorschlag gemacht, man solle sich den Sommer des Jahres 1914 als den Zeitpunkt des Angriffes vornehmen. [.. .] Woher man den Vorwand zum Kriege nimmt, ist gleichgültig. Man muß ihn einmal führen, wenn wir nicht Bosnien und die Herzegowina verlieren wollen", so sollte sich diese Aussage auf den Zeitpunkt genau erfüllen. Die Werkstatt des Historikers als Quelle für weiterführende Forschungen, darin liegt der entscheidende Wert der vorliegenden Edition. Heinrich Friedjung ist bei aller politischen Voreingenommenheit ein genauer Chronist von Mentalitäten und Entwicklungen, viele Entscheidungen erscheinen in seinen Aufzeichnungen in neuem oder anderem Licht. Dies gilt sowohl für jene Männer, die ihre eigenen Rechtfertigungsschriften in Form von Erinnerungen publizierten136, wie natürlich noch mehr für den großen Personenkreis, dessen Leben und Wirken es noch darzustellen gilt, sei es in Einzeldarstellungen oder in prosopographischer Form. 136
Ein schönes Beispiel bildet ein Vergleich der Gespräche Ernst von Pleners mit seinen veröffentlichten Memoiren. Ernst von Plener, Erinnerungen. 3 Bde. (Stuttgart - Leipzig 1911-1921).
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с) Überlieferung der Quelle Die Nachlässe Heinrich Friedjungs im Haus-, Hof- und Staatsarchiv (HHStA) Wien und in der Handschriftensammlung der Wiener Stadt- und Landesbibliothek (WStLB) wurden den Archiven von Friedjungs Tochter Pauline Reinkraut, die 1939 mit ihrer Familie Osterreich als Flüchtling verlassen mußte, nach dem Zweiten Weltkrieg übergeben. Sie hatte die Papiere ihres Vaters in Wien bei Freunden zurückgelassen und übergab den Großteil des Nachlasses im Jahre 1954 über Anregung des Historikers und Journalisten Richard Charmatz, eines Schülers und Bekannten Friedjungs, der Wiener Stadt- und Landesbibliothek. Etwa die Hälfte der Papiere war durch Wasserschäden unbrauchbar geworden und wurde vernichtet. Der restliche Bestand wurde zum Teil einzeln inventarisiert und bildet heute die umfangreiche Briefsammlung Friedjung, das ebenfalls außerhalb des eigentlichen Nachlasses aufbewahrte Tagebuch aus dem Zeitraum 27. 11. 1908 bis 22. 4. 1909 (INr Ial64.779) und einen handgeschriebenen, undatierten Lebenslauf (INr 156.770). Der überwiegende Rest wurde zunächst als sogenannter „vorgeordneter Nachlaß" kumulativ aufbewahrt und bildet nunmehr den sechs Kartons umfassenden Nachlaß Friedjung der WStLB (Nr.678/54) 137 . Neben Manuskripten, Exzerpten und Aktenabschriften, Konzepten und Korrespondenz finden sich darin auch die den Inhalt dieser Edition bildenden Gesprächsaufzeichnungen. Leider sind diese Notizen - mit einer einzigen Ausnahme, einem Gespräch mit dem Journalisten und seit 1887 Kanzleidirektor des Abgeordnetenhauses Heinrich (Blumenstok) von Halban138 - erst ab dem Jahr 1898, und auch hier nur unvollständig erhalten. Ob Heinrich Friedjung selbst solche Aufzeichnungen nur selektiv aufbewahrte oder größere Teile im Laufe der wechselvollen Geschichte des Nachlasses bis zu seiner Deponierung im Archiv durch Frau Reinkraut verloren gingen, läßt sich nicht mehr vollständig rekonstruieren. Wahrscheinlich erscheint eine Kombination aus beiden Faktoren. Die erhaltenen und in die Edition aufgenommenen Gesprächsnotizen stammen aus dem Nachlaß Friedjung in der WStLB sowie dem erwähnten Tagebuch, das bis auf wenige persönlich geartete Eintragungen (Schmerz über die kurz zuvor verstorbene Mutter, Bemerkungen über private Bekannte) ebenfalls aus Gesprächsaufzeichnungen besteht. Aus welchem Grund der fünf Kartons umfassende andere Teil des Nachlasses erst 1960 als Geschenk in den Besitz des Haus-, Hof- und Staatsarchivs gelangte139, ist nicht mehr feststellbar. Inhaltlich sind kaum Abgrenzungen zu erkennen, allerdings fehlen im Nachlaß Friedjung (HHStA) mit Ausnahme 137 138 139
Hinweise des Leiters der Handschriftenabteilung, Senatsrat Dr. Walter Obermaier, an den Herausgeber. WStLB, NL Friedjung, К 2, U 4, f. 467, datiert Blumenstok 3. Dezember 1890. Mitteilung an den Herausgeber.
Editionsrichtlinien
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der als „Tagebücher der Gräfin Festetics" (Karton 1) bezeichneten Aufzeichnungen Gesprächsnotizen. Durch die Häufung von persönlichem Material und Schriftstücken, die Frau Reinkraut selbst betreffen, liegt jedoch die Vermutung nahe, daß Friedjungs Tochter diesen Teil des Nachlasses zunächst bewußt zurückgehalten hat. So finden sich neben Friedjungs Studienbuch Briefe seiner Tochter Pauline an Verwandte in Frankreich sowie eine Verständigung des Wiener Dorotheums, daß der Besitz ihres Gatten im Jahr 1941 zwangsversteigert worden war.
d) Editionsrichtlinien In die Edition wurden sämtliche ab dem Jahr 1898 erhaltenen Notizen aufgenommen, mit der Ausnahme des Großteils der Gespräche mit der ehemaligen Hofdame Kaiserin Elisabeths, Gräfin Marie Festetics. Sie hätten den Rahmen der Edition sowohl vom Umfang her als vor allem durch ihre thematische Ausrichtung auf das Innenleben der kaiserlichen Familie gesprengt und wurden außerdem bereits von Brigitte Hamann für ihre Kaiserin Elisabeth- und Erzherzog Rudolf-Biographien verwertet140. Die Aufzeichnungen wurden chronologisch geordnet, wobei die von Friedjung vermerkte Datierung maßgebend war und einschließlich aller Zusätze (ζ. B. Orts- und Zeitangaben), aber auch Einschränkungen (ζ. B. der Vermerk circa) Aufnahme fand. Dabei wurde angenommen, daß es sich um das Datum des Gespräches, nicht einer nachträglichen Aufzeichnung handelt. Fehlt eine Datierung oder ist sie unvollständig, so wurde versucht, diese aufgrund inhaltlicher Hinweise in eckigen Klammern zu ergänzen. Die Aufzeichnungen im Tagebuch wurden in die chronologische Reihenfolge eingeordnet. Jene Notizen, bei denen lediglich das Jahr des Gespräches verzeichnet ist und die sich einer genaueren Datierung entzogen, folgen als Abschluß der Aufzeichnungen des entsprechenden Jahres in alphabetischer Anordnung. Die wenigen ursprünglich und auch aufgrund des Inhalts nicht zu datierenden Aufzeichnungen stehen am Ende der Edition in alphabetischer Reihenfolge. Die von Friedjung selbst durchgeführte thematische Gliederung, die sich zum Teil noch im Nachlaß erhalten hat, wurde nicht beibehalten, da diese aus arbeitsökonomischen Gründen getroffene Anordnung aufgrund der breiten Streuung der Gesprächsinhalte und der unterschiedlichen Interessen der Benützer für eine Edition nicht zielführend erschien. Der Gesprächspartner wurde in folgender Form verzeichnet: Jene Bezeichnung, die Friedjung selbst an den Kopf der Aufzeichnungen setzte, erscheint fett, dazu wurden in kursiv fehlende Namensteile sowie die öffent140
Brigitte Hamann, Rudolf. Kronprinz und Rebell (Wien - München 1978), und Elisabeth. Kaiserin wider Willen (Wien - München 1982).
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Einleitung
liehe Funktion zur Zeit des Gespräches ergänzt. In wenigen Eintragungen des Tagebuches, die Gespräche mit mehreren Personen verzeichnen, wurde auf die Angabe der Gesprächspartner verzichtet. Der Fundort wird jeweils nach Nennung des Gesprächspartners und des Datums in folgender Weise vermerkt: Karton, Umschlag sowie, falls vorhanden, folii, bzw. im Falle des Tagebuchs der Vermerk Tagebuch. Der Großteil der Aufzeichnungen wurde von Friedjung selbst niedergeschrieben. Daneben finden sich sieben Handschriften, die nach ihrem zeitlichen Auftreten als Sekretär 1-7 durchnumeriert sind. Analog wurde bei den wenigen in maschinschriftlicher Form erhaltenen Notizen vorgegangen. Durch ihren Charakter als oftmals flüchtig niedergeschriebene Aufzeichnungen im direkten Anschluß an die Gespräche zeigen die Notizen viele Ungenauigkeiten in Rechtschreibung, Grammatik und Syntax sowie die zahlreiche Verwendung von Abkürzungen. Offensichtliche Fehler wurden stillschweigend korrigiert, gleichfalls sind Schreibung und Interpunktion dem heutigen Standard angepaßt, ansonsten wurden unvollständige Sätze in eckigen Klammern ergänzt bzw. durch ein [sie!] auf die Unebenheiten verwiesen. Eigennamen wurden standardisiert und in der heute gebräuchlichen Weise verwendet. Eine Ausnahme bilden Formen, die charakteristisch für die Zeit der Aufzeichnungen sind (ζ. B. Bureau), oder eine Eigenheit Friedjungs darstellen (ζ. B. die konsequente Schreibung Custoza anstelle des gebräuchlichen, aber laut Friedjung falschen Custozza141). In diesen Fällen blieb die altertümliche bzw. eigenwillige Schreibung erhalten. Gleichfalls wurden Zusätze Friedjungs, wie mehrere Punkte als Abschluß eines nicht zu Ende geführten Gedankens, doppelte Frage- oder Rufzeichen zur Verstärkung des Eindrucks oder ähnliches, in die Edition übernommen. Abkürzungen wurden mit Ausnahme militärischer Titel aufgelöst, bei fraglichen Fällen erfolgte die Auflösung in eckigen Klammern. Ergänzungen, Streichungen und Randbemerkungen wurden durch Editionsanmerkungen kenntlich gemacht. Die Flüchtigkeit der Notizen zeigt sich vor allem in der Wiedergabe der direkten Rede. Friedjung verwendete Anführungszeichen nur spärlich und inkonsequent, wodurch eine Unterscheidung von direkt wiedergegebener Rede und Friedjungscher Umformung nur schwer und durch interpretatives Vorgehen möglich wäre. Es wurde daher bewußt darauf verzichtet, die direkte Rede nachträglich zu kennzeichnen, während Friedjungs teilweise ungenau gesetzte Zeichen übernommen wurden. Da hier jegliche Änderung eine inhaltliche Vorfestlegung seitens der Herausgeber bedeutet hätte, unterblieb eine Ergänzung der Anführungszeichen und damit die „Richtigstellung" des Textes, um Urteile in inhaltlich-interpretativer Hinsicht zu ver141
Vgl. Der Kampf um die Vorherrschaft. Bd. 1, 347.
Heinrich Friedjungs
selbständige
Veröffentlichungen
37
meiden. Dem Benützer bleibt es überlassen, die Friedjungschen Gedanken von jenen seiner Gesprächspartner in den strittigen Fällen zu trennen. Der Anmerkungsapparat beschränkt sich auf Erklärungen inhaltlicher Natur, auf Literaturhinweise wurde großteils verzichtet. Verwiesen wurde auf die Verwertung gewonnener Erkenntnisse bzw. die Darstellung geschilderter Vorgänge in Friedjungs Arbeiten, wobei, falls nicht anders vermerkt, die Erstausgabe seiner Werke herangezogen wurde, auf Memoirenwerke und Quelleneditionen sowie unveröffentlichte Dissertationen und verstreute, schwer greifbare Aufsätze. Querverweise innerhalb der Edition erfolgen nur, wenn in den Aufzeichnungen explizit auf ein anderes Gespräch Bezug genommen wird. Ein alphabetisches Verzeichnis der Gesprächspartner sowie ein kommentiertes Personenregister erschließen die Edition dem Benützer zusätzlich.
e) Heinrich Friedjungs selbständige Veröffentlichungen Kaiser Karl IV und sein Anteil am geistigen Leben seiner Zeit (Wien 1876). Der Ausgleich mit Ungarn. Politische Studie über das Verhältnis Österreichs zu Ungarn und Deutschland (Leipzig 1877). Ein Stück Zeitungsgeschichte (Wien 1887). Der Kampf um die Vorherrschaft in Deutschland 1859 bis 1866. 2 Bde. (Stuttgart 1897-1898). Erschien bis 1918 in 10 Auflagen. Benedeks Nachgelassene Papiere. Herausgegeben und zu einer Biographie verarbeitet von Heinrich Friedjung (Leipzig 1901). Julius Freiherr von Horst. Österreichischer Minister für Landesverteidigung 1871-1880 (Wien 1906). Neuabdruck in Historische Aufsätze 399-433. Die Arbeit erschien zunächst als Aufsatz in Österreichische Rundschau 6 (Februar-April 1906) 277-286 und 315-324. Der Krimkrieg und die österreichische Politik (Stuttgart - Berlin 1907). Österreich von 1848 bis 1860. Bd. 1 und 2/1 (Stuttgart - Berlin 1908-1912). Denkschrift aus Deutschösterreich (Leipzig 1915). Friedjung hatte diese anonym als Privatdruck erschienene Broschüre gemeinsam mit Michael Hainisch, Eugen Philippovich und Hans Uebersberger verfaßt. Custoza und Lissa (Österreichische Bibliothek 3, Leipzig 1915). Separatdruck zweier Abschnitte aus dem „Kampf um die Vorherrschaft in Deutschland". Historische Aufsätze (Stuttgart - Berlin 1919).
38
Einleitung
Das Zeitalter des Imperialismus 1884-1914. 3 Bde. (Berlin 1919- 1922). Nur der erste Band erschien zu Lebzeiten Friedjungs, Bd. 2 und 3 wurden von Alfred Francis Pribram überarbeitet, der 3. Band mit einem abschließenden Kapitel von Otto Hoetzsch versehen.
f) Abgekürzt zitierte Literatur Aus dem Nachlaß Aehrenthal. Briefe und Dokumente zur österreichisch-ungarischen Innen- und Außenpolitik 1885-1912. In 2 Teilen, hrsg. von Solomon Wank (Quellen zur Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts 6, Graz 1994). Zitiert als Aus dem Nachlaß Aehrenthal. Österreich-Ungarns Außenpolitik von der Bosnischen Krise 1908 bis zum Kriegsausbruch 1914. Diplomatische Aktenstücke des österreichisch-ungarischen Ministerium des Äußern. 9 Bde. (Veröffentlichungen der Kommission für Neuere Geschichte Österreichs 19-27, Wien - Leipzig 1930). Zitiert als ÖUA.
Photographie Heinrich Friedjungs, o. D. Quelle: HHStA, NL Friedjung, K.5.
VERZEICHNIS DER GESPRÄCHSPARTNER AEHRENTHAL, A L O I S L E X A
ANDRÄSSY, G Y U L A ANDRIAN, L E O P O L D ANGELI, MORITZ
AUFFENBERG, MORITZ
AUSPITZ, LEOPOLD
AUST, ALBRECHT BACH, H E I N R I C H BACHER, RUDOLF BACQUEHEM, O L I V I E R
B A E R N R E I T H E R , J O S E F MARIA
1898: 22. und 23. Februar, 18. und 19. Mai, 30. Juni, 20. Dezember; 1899: 5. Februar, 4. März, Juli, Oktober und November, 1899; 1900: 11. Juni; 1901: 25. und Ende November; 1902: Ende Jänner; 1903: 6. Oktober; 1906: Mitte April, April-Mai, 23. Oktober bis 31. Dezember; 1907: Februar, 29. April, 29. November; 1908: Jänner und Februar, Juni, 29. September, 6. Oktober, Anfang, 8. u. 23. November, 6. und 20. Dezember; 1909: 22. u. 31. Jänner, 12. u. 28. Februar, 14. März, Anfang, 12. u. 25. April, Sommer, 9. Oktober, Ende Oktober 1898: 17. April 1907: Jänner 1898: 26. März; 1900: März 1912: Dezember; 1913: 29. März, 1913; 1914: Jänner u. Ende d. J. 1898: Ende Jänner, vor 1. Juni, 29. September; 1899: Februar od. März, 4., 9. u. 15. Mai; 1900: März, November; 1901: 21. Oktober 1898: März bis April 1899: Dezember, 1899 1910: Dezember 1898: 12. Februar; 1899: 5. u. 23. Jänner, 18. Mai, November; 1902: 20. Februar, 4. April, 30. November, Anfang Dezember; 1903: 24. Jänner; 1905: 14. Februar; 1908: 22. Oktober; 1910: November 1899: März und 20. April, Juli; 1900: 9. Mai; 1901: 18. November, November; 1902: 12. Dezember; 1903: 2. u. 7. Jänner; 1908: 13. Oktober; 1909: 21. Jänner; 1912: 29. April; 1913: 30. März
Verzeichnis der
41
Gesprächspartner
BÄNFFY, Ü E Z S Ö B E C K , FRIEDRICH
B E C K , M A X VLADIMIR
BEER, ADOLF BERNATZIK, E D M U N D B E T H M A N N - H O L L W E G , THEOBALD B I E N E R T H , RICHARD
BRUCK, FRIEDRICH BUCHER, BRUNO BÜLOW, BERNHARD BOLOW, KARL ULRICH
BUNZL, ARTHUR CAMBON, J U L E S CHLUMECKY, J O H A N N COMERT, P I E R R E CROZIER, PHILIPPE CUDIC, LEONIDAS DANZER, A L F O N S DARUVARY, GEZA DEINES, GUSTAV ADOLF DELBRÜCK, H A N S D E L L E GRAZIE, MARIE E U G E N I E D I T F U R T H , MORITZ DOBLHOFF, J O S E F DOCZI, LUDWIG
DOROTKA, WILHELM
18. April 27. Mai;
1898: 1901: 1903 1911: 1908: 1919: 1901: 1900: 1915: 1899: 1908:
Februar Frühjahr; Februar, 28. März März 9. Mai 1. November Dezember; 1. Dezember
1908: 1898: 1900: 1902: 1904:
13. u. 14. November 10. März April 26. Jänner; April
1899: Jänner 1912: 19. November 1901: 16. Oktober, 19. November, 9. Dezember 1912: 18. November 1909: 1909: 1899: 1919:
Oktober 26. April 3. Mai 8. Mai
1898: 20. Mai 1898: 23. Mai 1901: 20. Oktober 1899: 12. Juli 1899 1898: 17. März, zwischen Ende Jänner und Ende März, 30. April, 21. Dezember; 1899: Ende März, 27. Mai, November, 5. Dezember; 1900: 23. Jänner, April; 1901: März, Mai; 1906: November 1909
DUMAINE-CHILHAUD, ALFRED
1908: Oktober 1912: 16. September
D U M B A , CONSTANTIN
1898: Anfang März
D U N C K E R , CARL
1900: November 1900: September
DUBSKY, VIKTOR
EGLOFFSTEIN, H E R M A N N EISNER, ANGELO EULENBURG, PHILIPP
1909: 31. Jänner 1898: 30. November, 1898; 1902: 28. Jänner
42 EXNER, E M I L I E
EXNER, SIEGMUND FALK, MIKSA FEIGL, DANIEL FEJERVÄRY, GEZA FELLNER, THOMAS FESTETICS, MARIE
FORSTNER, FRANZ FRYDMANN, MARCELL FÜRSTENBERG, MAX E G O N
FÜRSTENBERG, T H E R E S E GEORGEVIC, VLADAN GERMAN, LUDOMIL GERSON, FELIX GLOSSY, KARL GNIEWOSZ-OLEXOW, EDUARD GOMPERZ, MAX
G Ö P F E R T H , ADALBERT GÖRNER, KARL GRIMAUD D'ORSAY, BETTY
GUILLEMIN, J E A N HAAN, WILHELM HAILIG, GUSTAV
HAINISCH, MICHAEL HALBAN, HEINRICH
HÄRTEL, WILHELM
H E L F E R T , J O S E F ALEXANDER HIERONYMI, KÄROLYI HIRSCHFELD, LUDWIG H Ö N I G , FRITZ H U E M E R , JOHANN HUSSAREK, MAX JACOBI, H U G O JAGOW, GOTTLIEB JAURTE, J E A N JELLINEK, GEORG
Verzeichnis der G e s p r ä c h s p a r t n e r 1899: 1. u. 12. November, November, 6. Dezember 1899: Juli, 1. u. 12. November 1898: zwischen 15. und 21. April 1899: 24. Jänner 1906: Mai 1899: Mai 1910: 29. Dezember; 1911: Jänner 1912: 29. März 1898: 9. Mai 1899: Ende März; 1902: 30. Jänner 1908: Februar 1909: 25. Jänner 1914: 27. Jänner 1899: 2. Februar 1899 1904: Februar 1899: November; 1908: Oktober 1898: 23. März 1898: 23. März 1901: 15. Oktober, 2. November; 1902: 2. Dezember 1909: Oktober 1899 1900: November; 1901: März 1899: 13. Februar 1898: Ende Jänner, 4. u. 7. Juli, 11. Oktober; 1899: Juni; 1901: 8. u. 15. November, 2. Dezember; 1902: 31. Jänner 1898: 4. November; 1899 1899 1898: 16. u. 17. April 1902: März 1898: 22. Mai 1899: 8. Dezember 1919: 10. März 1898: 24. u. 26. Mai 1915: 4. November 1912: 29. Oktober, Oktober 1898: 22. März
Verzeichnis der
Gesprächspartner
JETTEL, EMIL
KAGENECK, KARL
KÄLLAY, BENJAMIN
KÄLNOKY, ALEXANDER KALNOKY, H U G O KÄNIA, KÄLMÄN
KATHREIN, THEODOR KIDERLEN-WÄCHTER, A L F R E D KNORR, J O S E F I N E
KOERBER, E R N E S T
KOLISKO, L U I S E KONYI, M A N O
KRAUS, O T T O KRAUS, VICTOR KRISTOFFY, JÖZSEF
KUCZYNSKI, E U G E N K Ü H L M A N N , RICHARD LANCKORONSKI-BRZEZIE, KARL LASSER, OSKAR
43 1898: 22. u. 23. Februar, 3. März, 1. u. 22. April, 20. Dezember; 1899: 16. Mai, November, 5.Dezember; 1900: April, September; 1901: Ende November; 1902: Jänner, Ende Jänner; 1903: 28. September; 1906: Ende d. J. bis 1907: Anfang d. J., März; 1908: 8. November, Mitte November 1908: 30. November; 1909: 26. Jänner, 2. Februar 1901: 10. Dezember 1903: Anfang Jänner 1898: 13. März 1898: 20. Dezember 1907: Jänner; 1908: 11., 27. u. 29. November, 3. u. 25. Dezember; 1909: 28. Jänner, 4. Februar, 22. April 1901: März 1912: 17. u. 19. November 1900: Ende Oktober; 1901: 5. November 1900: 23. September; 1902: Juli, 16. Dezember; 1903: Sommer, 30. Oktober, 6. November; 1904: 17. Jänner; 1905: 31. Jänner, 14. Februar, 28. Juni; 1906: Ende Oktober; 1907: 14. Jänner; 1908: 9. Dezember; 1909: 24. Jänner, 17. April, Ende Oktober; 1912: 26. September; 1913: 24. Juli; 1915: 31. Mai; 1916: November bis Dezember; 1917: 5. Februar 1899: 20. Dezember 1898: 20. u. 21. Juni; 1902 1909: 12. Oktober 1898: 5. März 1907: März; 1909: Oktober 1913: 13. April 1912: 13. November 1919: August 1901: 29. November; 1902: 10. März
Verzeichnis der Gesprächspartner
44 LECHER, ZACHARIAS KONRAD LEDERER, BELA LEDERER, MORITZ LEMAYER, KARL LEWINSKY, JOSEF LICHNOWSKY, KARL M A X LINDENAU, HUGO LUCAM, WILHELM LUSTKANDL, WENZEL LÜTZOW, HEINRICH LUZIO, ALESSANDRO MACCHIO, KARL MANDL, LEOPOLD MANOS, GREGOR MASARYK, TOMAS GARRIGUE MENGER, MAX
MENZEL, ADOLF MEREY, KAJETAN MOLDEN, BERTHOLD MOLTKE, KUNO MONTS, ANTON
MÜHLBERG, OTTO MÜHLING, CARL J. MÜLLNER, LAURENZ
MÜNZ, BERNHARD, BIBLIOTHEKAR MÜNZ, BERNHARD, JOURNALIST DE NARFON, JULIEN NIGRA, COSTANTINO DU NORD, WILHELM OPPENHEIMER, LUDWIG PAYER, RUDOLF PEEZ, ALEXANDER PERGELT, ANTON PERNERSTORFER, ENGELBERT PISLING, THEOPHIL
1899: 7. Dezember; 1900: Oktober 1901: Ende d. J. 1899: November 1901: 18. Oktober, 16. November 1898: 26. März; 1900: 6. Oktober 1898: 26. Mai, 2. November; 1916: Dezember 1900: April 1899: November undatiert 1908: September; 1909: Oktober 1898: 8. Mai 1909: 6. Februar 1909 1898: 2. April 1909: 30. April 1898: 24. Dezember; 1899: 2. Mai; 1901: 18. Oktober 1898: 26. Dezember 1913: Mai 1900: September 1898: 4. November 1899: 27. Februar; 1909: November; 1912: 23. November, 9. Dezember 1913: Mai, 1913 1898: 20. bis 30. Oktober 1898: 9. März; 1899: 13. Juli; 1901: 20. Oktober 1901: November 1898: 2. Juli, 1898 1912: Oktober 1898: Anfang Februar, 11. Oktober undatiert 1899: 20. Mai 1910: Februar 1910: 1899: 1899: 1898: 1899: 1901:
November 23. Februar, 1. Mai 19. Mai 1. Juni; 16. Mai, November; 19. November
Verzeichnis der
45
Gesprächspartner
P L E N E R , ERNST
1898: 3., 4. u. 18. März, 12. u. 23. April, 22. Juni, 18. September, 2. November; 1899: Mai, 1899; 1902: 7. März
PODEWILS, KLEMENS
1899: 7. u. 12. Februar, Februar, Ende März, 3. Mai, 11. Juli
P O L L A K , HEINRICH
1901: November
RATIBOR, M A X
1898: 18. September
RECHBERG, BERNHARD
1898: 10. Dezember
REDLICH, JOSEF
1909: Ende Oktober
REINISCH, L E O
1899: 3. u. 13. November
RIPPLER, HEINRICH
1912: 19. November
RODAKOWSKI, JOSEF
1899: 25. und 26. Juni
ROSE, CLEMENCE
1909: 11. Februar
RÜDT, A N N A
1910: Februar
RUSS, V I K T O R
1898: 4. Mai; 1901: März
SCHENK, JOSEF
1900: 5. Oktober, November; 1901: November
SCHIESSL, FRANZ
1919: 15. Mai
SCHIMMELPFENG, A D O L F
1899: Juli
SCHLENTHER, P A U L
1901: März
SCHNEEBERGER, H E L E N E
1904: 18. Oktober; 1905: Jänner; 1908: 18. Oktober
SCHNEEBERGER, W I L H E L M
1898: 26. September, 25. Dezember
SCHOEN, W I L H E L M
1912: 26. Oktober
SCHÖNAICH, GUSTAV
1898: 9. April
SCHÖNFELD, ELISABETH
1901: Oktober
SCHULZ, P A U L
1909: 9. April; 1913: Jänner
SCHÜTZ, FRIEDRICH
1899: Dezember
SCUDIER, A N T O N
1898: 9. März
SEIDLER, GUSTAV
1898: Februar, 3. September; 1899: 8. Februar, Mai
SIEGHART, RUDOLF
1899: 1900: 1902: 1908: 1909: 1912:
SINGER, EMANUEL
1899: 15. Februar, 17. Mai
SINGER, ISIDOR
1898: Februar; 1899: 24. Jänner
SONNENSCHEIN, SIGMUND
1899: Mai
SPITZER, ALBERT
1898: 27. September
SPITZMÜLLER, ALEXANDER
November; 10. September; 28. Jänner, 24. März, 22. Juni; 8. Dezember; 24. Mai, 5. November; Februar
1902: Mitte April undatiert
STADLER, FRIEDRICH
1919: 25. April
46 STEED, H E N R Y WICKHAM STEIN, AUGUST STEINBACH, GUSTAV STEINHARDT, ISIDOR STEINITZ, EDUARD F M L STEINITZ, EDUARD MAJOR STREMAYR, K A R L STÜRGKH, K A R L STURM, EDUARD SUESS, EDUARD
SZEBERENYI, LÄJOS SZELL, K Ä L M Ä N SZEPS, JULIUS SZILÄGYI, DEZSO SZÖGYENY, LÄSZLO TARDIEU, ANDRE THALLÖCZY, LAJOS THIMIG, H U G O THOMAS, ALBERT THORSCH, ALEXANDER
TLSZA, K Ä L M Ä N T I T T O N I , TOMMASO TSCHIRSCHKY, HEINRICH
TUCHER, HEINRICH UNGER, JOSEPH
VELICS, LUDWIG WEDEL, BOTHO WEKERLE, SÄNDOR WELSERSHEIMB, RUDOLF WERSEBE, GUSTAV WINTERNITZ, JAKOB WITTELSHÖFER, O T T O WOLFF, KARL WOLKENSTEIN, A N T O N ZIMMERMANN, ARTHUR
Verzeichnis der Gesprächspartner 1908: 28. Dezember; 1909: l l . u . 16. Februar, 10. März 1912: Juli, 16. November 1901: 8. Dezember 1909: Juni, 1909 1900: 15. November 1906: November 1900: 2. u. 6. November, Ende d. J. 1899: 20. Jänner, Mai undatiert 1899: Juni; 1910: Februar; 1911: März; 1913: 7. April 1909: 1. Februar 1902: 18. April 1909: 7., 18., 19. u. 20. Februar, 7. März, 1. November 1898: zwischen 15. u. 21. April 1989: 21. bis 24. Mai 1912: 8. u. 20. Oktober 1902: 22. Februar undatiert 1912: Oktober 1898: 6. April; 1901: Mai 1898: 18. April 1912: Oktober 1908: Februar, Ende Mai, 17. Oktober; 1909: 5. u. 30. Jänner; 1912: 5. Dezember 1909: 5. Februar, 15. März; 1910: 8. Februar 1899: November, Dezember; 1910: 11. März; 1911: März 1898: 21. bis 24. Mai 1919: 5. Jänner 1898: zwischen 15. und 21. April 1898: 2. März 1899: 28. und 29. Jänner 1898: 10. Mai 1898: 27. Dezember; 1899: 2. Mai 1899 1898: 7. Oktober; 1899 1916: Dezember
Ernst Juch, Bitte um Autographen, o. D. Der für seine Karikaturen bekannte Ernst Juch (1838-1909) war so wie Friedjung Mitglied des Künstlerstammtisches „Anzengrube". Quelle: HHStA, NL Friedjung, K.5.
49
Ende Jänner 1898
Leopold Auspitz, Generalmajor i. P.
Ende Jänner 1898 К 2, U 6, 676 г
Er habe mit Generalstabschef Beck über mein Buch gesprochen, als der erste Band erschienen war1. Beck habe sich nicht ungünstig geäußert. Es sei nicht so antiösterreichisch als man behauptet habe. Es sei vielfach beachtenswert, und er ließ durchblicken, daß er auch dem Kaiser in diesem Sinne Bericht erstattet habe. Wie ich von Münz (Neues Wiener Tagblatt) bereits einige Monate früher gehört hatte, erstattete Auspitz eines Tages Doczi Bericht darüber, was ein „hoher Herr" über mein Buch geurteilt habe. Es scheint eben Beck gewesen zu sein; sein Bericht besagte dasselbe, was Auspitz mir erzählte.
Heinrich von Halban, des Abgeordnetenhauses
Kanzleidirektor i. P.
Ende Jänner 1898 К 2, U 5, 647 r-v
Über Badeni-Freiberg. Erzählt, daß er, Halban, eines Tages in der Reichswehr heftig angegriffen wurde. Darauf beklagte er sich bei Badeni, das gehe doch nicht an. Badeni erwiderte, er werde Ordnung machen. Als nun David das nächste Mal zu Freiberg kam, ließ Badeni beide zu sich rufen und sagte in der entschiedensten Weise zu David, das müsse aufboren. Darauf Freiberg: Ich habe Herrn David immer gesagt, daß diese Angriffe unstatthaft seien. David war ganz erstaunt über diese Unverschämtheit: Denn eben Freiberg hatte ihn zu den Angriffen auf Halban angeregt; er wagte es jetzt, im Vertrauen auf die Diskretion Davids, dies zu leugnen. David machte nach diesem Gespräch bei Halban eine Entschuldigungsvisite, bei der er ihm dies alles mitteilte. Halban meinte mir gegenüber, Freiberg sei auf ihn eifersüchtig gewesen, weil er bei Badeni oft zum Tee geladen wurde, Freiberg aber nicht. Halban wurde eines Tages wütend in der Neuen Freien Presse angegriffen. Er begegnete Bacher und fragte ihn weshalb. Bacher sagte offenherzig: Vor einigen Tagen sei der Reichstag geschlossen worden, und die Nachricht sei überall gestanden, nur nicht in der Neuen Freien Presse; man habe Halban als Quelle angesehen und ihn fühlen lassen wollen, daß er die Neue Freie Presse nicht übergehen dürfe 2 . Halban aber war ganz unschuldig. 1
2
Der Kampf um die Vorherrschaft in Deutschland 1859-1866. Bd. 1 (Stuttgart - Berlin 1897). Die Session des Reichstages, die am 28. 11. 1897 vertagt worden war, wurde am 30. Dezember geschlossen. Die Neue Freie Presse v. 30. 12. 1897, Abendblatt 1, kündigt im Leitartikel die Abberufung Heinrich von Haibans als Kanzleidirektor des Abgeordnetenhau-
50
Conte Costantino Nigra
Übrigens, fuhr Bacher fort, die Neue Freie Presse ist in der letzten Zeit heftig angegriffen worden, so auch in der Reichswehr. Man habe sich in der Redaktion vorgenommen, den ersten besten zu „massakrieren", damit die Macht des Blattes wieder fühlbar werde.
Conte Costantino Nigra, italienischer Botschafter in Wien
Anfang Februar 1898 К 2, U 5, 646 г
Ich brachte ihm den zweiten Band3. Er hob einen Band aus seinen Büchern heraus, der, wie es scheint, seine Depeschen und Briefe in Abschrift enthält, und las mir einen Bericht vor, den er im [Jahre] 1865 von Biarritz nach Florenz sandte. Er erzählt darin eine Unterredung mit Bismarck. Dieser sagte ihm, daß er den Krieg gegen Osterreich demnächst ins Werk setzen werde. Zu diesem Zwecke werde er am Bundestag Maßregeln gegen die Mittelstaaten, wenn ich nicht irre gegen Sachsen, beantragen. Stimme Osterreich zu, so sei es von den Mittelstaaten getrennt; wenn nicht, so sei dies ein Anlaß zum Bruche. So werde der Krieg notwendig werden. Daraufsagte ihm Nigra, wenn er dies ins Werk setze, so werde dies eine der größten Taten des Jahrhunderts sein. „Ich hoffe", erwiderte Bismarck, „daß wir dieses" Werk gemeinsam unternehmen werden." Sodann zeigte mir Nigra einen Brief von Giers. Nigra hatte eine Arbeit über die Ereignisse von 1870 entworfen, wünschte aber die Gutheißung Giers, ob er die darin geschilderte Tätigkeit der russischen Diplomatie auch darstellen könne. Giers gab hierzu seine Zustimmung. Der Aufsatz wurde veröffentlicht;4 er bewies, daß Rußland im Jahre 1870 Österreich von der Teilnahme am Kriege gegen Deutschland zurückgehalten habe. Dies erregte in der französischen Presse einen Sturm, offenbar weil gezeigt war, daß der jetzige russische Alliierte damals Osterreich in den Arm gefallen war. Nigra wollte mir zeigen, daß er sich gedeckt hatte.
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ses an, da er „nicht blos an allen Machenschaften des früheren Präsidiums betheiligt war, sondern den die öffentliche Stimme auch als intellektuellen Urheber jener Maßregeln bezeichnete, welche die Erbitterung auf Seite der Deutschen aufs höchste steigerten." Der Kampf um die Vorherrschaft in Deutschland 1859-1866. Bd. 2 (Stuttgart - Berlin 1898). Costantino Nigra, Ricordi diplomatic! (1870); in: Nuova Antologia 56 Heft 5 (1895) 5-25. Von Friedjung auf sein korrigiert, allerdings ohne die direkte Rede aufzulösen.
12. Februar 1898
Marquis Olivier Bacquehem, Statthalter in Steiermark
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12. Februar 1898 К 5, U 6, 291 г - 292 г
Ich frage nach dem Koalitionsministerium 5 . Er meint: Es sei wenig zu sagen, macht Redensarten von Cilli6, als ob das die Hauptsache wäre. Warf alle Schuld auf die Linke. Da faßte ich ihn stärker und erwähnte, daß ich wüßte, wie der Plan aufgetaucht sei, den Ausnahmezustand in Böhmen aufzuheben7, und daß offenbar Hofeinflüsse diese versöhnliche Absicht durchkreuzt hätten. Bacquehem verlor ein wenig die Fassung, sackte etwas in sich zusammen und sagte mit einem fast kläglichen Ausdrucke in der Stimme: Wissen Sie selbst das? Und nun begann er, seine eigene Haltung in dieser Frage zu verteidigen, woraus ich erst entnahm, daß er nicht bloß ein Hauptschuldiger sei, sondern sich seiner Schuld selbst bewußt sei: Ja, sagte er, die Sache schlug in erster Linie in mein Ressort als Minister des Innern. Nun mußte aber doch der Statthalter Böhmens, Graf Thun, gehört werden, und es ist menschlich begreiflich, daß sich dieser diese versöhnliche Maßregel für den Zeitpunkt aufsparen wollte, da er selbst am Ruder war. Denn damals war es schließlich doch nicht ausgemacht, ob Badeni der nächste Ministerpräsident sein werde. Als ich nun sagte, es sei klar, daß man von maßgebender Stelle die heilsame Kombination des Koalitionsministeriums zerstört habe, daß dieses absolut keine Unterstützung fand, sagt Bacquehem entschuldigend: „Sie dürfen aber nicht vergessen, daß das Koalitionsministerium nicht von der Krone gewählt war, wie die Ministerien Taaffe, Badeni, Thun. Der Kaiser mußte diesen Regierungen ganz verschieden gegenüberstehen, und ohne Unterstützung des Kaisers ,könne sich kein Ministerium halten'. Das Koalitionsministerium war ganz nach dem Übereinkommen zwischen Hohenwart, Plener, Jaworski zusammengesetzt. Ich erinnere mich noch, wie der gute Kathrein im Parlament herumging. ,Zwei - zwei - zwei' war seine Formel, jede der Parteien sollte zwei Minister erhalten; er schmeichelte sich, er werde einer von ihnen sein. Die fertige Liste wurde dem Kaiser gebracht, der sie akzeptierte. Es war also Sache der Parteien, die Regierung zu halten, nicht Sache des Kaisers. Ich aber erinnere mich, wie die Herren von der Linken stets 5
Die Koalitionsregierung aus Vereinigter Deutscher Linker, Hohenwartklub und Polenklub unter Ministerpräsident Fürst Alfred Windischgraetz (1893-1895). Als im Budgetausschuß am 18. 6. 1895 die Kosten der Errichtung von slowenischen Parallelklassen am Gymnasium von Cilli (Celje) genehmigt wurden, trat die Vereinigte Deutsche Linke aus der Koalition aus, wodurch das Ministerium Windischgraetz die Mehrheit im Abgeordnetenhaus verlor und darauf zurücktrat. ' Mit 12. 9. 1893 war noch vom Ministerium Taaffe über Prag und Umgebung als Reaktion auf tschechische Demonstrationen der Ausnahmszustand verhängt worden. Er wurde erst unter dem Kabinett Badeni am 11. 10. 1895 aufgehoben.
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Marquis Olivier Bacquehem
lachten, wenn Graf Wurmbrand sprach. Exner, Baernreither, Hallwich waren immer ganz heiter. Mich behandelten sie ganz gut, als ich als Handelsminister tätig war, ganz anders ihren Gesinnungsgenossen8. Und mich kannten sie eigentlich gar nicht, als ich von Troppau her ins Ministerium berufen wurde." Ich meinte, da sei doch auch der sachliche Gesichtspunkt maßgebend gewesen, er, Bacquehem, sei ein guter, Wurmbrand aber kein guter Handelsminister gewesen. Bacquehem: „Wurmbrand hatte allerdings viel mehr Unternehmungsgeist, als ich zu entfalten gewagt hätte. Ich habe nur kleinweise Verstaatlichung von Eisenbahnen vor den Reichsrat gebracht9. Als er die Verhandlung bezüglich der Nordwestbahn unternahm10, wagte er viel, wenn er auch Wittek an seiner Seite hatte; aber ein Geschäftsmann wie Taussig ist ein sehr ernster Widerpart. Nun war der Vorteil, ein so gewaltiges Netz in den Händen des Staates zu vereinigen, sehr groß, schon im Hinblick auf Verwicklungen mit Ungarn." Bacquehem spricht stets spöttisch von Plener. Er erwähnt, dieser habe ihm jüngst gesagt, es sei ja doch nur wieder ein Koalitionsministerium möglich. Bacquehem aber sagte zu Plener, das sei unmöglich, denn wie viel Deutschliberale würden jetzt in die Koalition gebracht werden, während Plener doch 108 hineingeführt habe? Jetzt würden doch nur die Großgrundbesitzer und die Mauthnergruppe11 festzuhalten sein. Nach Bacquehems Ansicht ist nur ein Beamtenministerium möglich12. Uber die Wahlreform sagte Bacquehem nur Bekanntes. Hohenwart wollte ursprünglich die Schäfflesche durchsetzen13. Aber er sah gleich, es sei nicht möglich. Gegen die Kurie des Allgemeinen Stimmrechts sprach er sich aus. Als ich nun fragte, ob er Wink von Hofe hatte, meinte Bacquehem: Das wohl nicht, aber er wollte selbst etwas sein, etwas als Schöpfer der Koalition durchsetzen. Das ist doch psychologisch ganz begreiflich. Bacquehem wirft 8
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Marquis Olivier Bacquehem gehörte als Innen- und Graf Gundacker Wurmbrand als Handelsminister dem Kabinett Windischgraetz an. Bacquehem war bereits von 1886 bis 1893 Handelsminister im Ministerium Taaffe gewesen. Unter Marquis Olivier Bacquehem als Handelsminister wurden 1891 Gesetze zur Verstaatlichung der galizischen Albrechts- und Karl-Ludwigs-Bahn verabschiedet. Graf Gundacker Wurmbrands großes Verstaatlichungsprojekt, das im Mai 1894 angekündigt wurde, scheiterte im Abgeordnetenhaus im April 1895, nachdem eine massive Spekulation mit Eisenbahnaktien eingesetzt hatte. Die 15 Mitglieder starke Freie Deutsche Vereinigung unter Führung Max Mauthners, gebildet aus Industriellen und Vertretern deutscher Handelskammern. Dem kurzlebigen Ministerium Gautsch folgte ab 7. 3. 1898 ein Kabinett unter Graf Franz Thun, dem mit Joseph Maria Baernreither, Josef Kaizl und Adam von Jedrzejowicz nur drei Parlamentarier angehörten. Der Nationalökonom und ehemalige Handelsminister (1871) Albert Schäffle befürwortete eine Mischform aus allgemeiner Volkswahl und berufsgenossenschaftlicher Vertretung, wobei zwei Drittel der Abgeordneten durch Volkswahl bestimmt worden wären; vgl. Kurt Ruso, Albert Schäffle und Österreich. Ein Beitrag zur inneren Geschichte der Donaumonarchie in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, phil. Diss. (Wien 1960) 142-143.
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alle Schuld auf Cilli und die Linke. Man hätte ja doch mit der Zeit die Wahlreform zustande gebracht. Das Subkomitee des Wahlreformausschusses hatte ja einen Entwurf ausgearbeitet, der die neue Kurie in zwei Gruppen teilte. Man konnte das doch im Hause oder Vollkomitee jedenfalls emendieren können [sie!]. Aber da kam Hofrat Beer im Namen der Linken zu Windischgraetz und sagte ihm: Wir lieben Sie zwar, aber treten aus der Koalition aus. Am Schlüsse der Unterredung zeigte sich, daß Bacquehem den Sturz Thuns wünscht. Er sprach sich gegen Unterhandlungen der Linken mit Thun aus, man dürfe ihn diesen Erfolg nicht erringen lassen. Er bat mich, sich zu erkundigen, ob Chlumecky und Baernreither es wirklich übernommen hätten, Verhandlungen einzuleiten.
Emil Jettel von Ettenach, Sektionsrat im Außenministerium, und Freiherr Alois Lexa von Aehrenthal, Gesandter in Bukarest 22. und 23. Februar [1898] К 5, U 2, 24 r - 38 r a Graf Kälnoky stammt aus einer Szekler adligen Familie. Erst am Anfange des Jahrhunderts kam die Familie durch Heirat in den Besitz ihrer beiden mährischen Güter Lettowitz und Prödlitz. Sein Vater war noch in Siebenbürgen geboren. Das letztere ist mir im Gedächtnis nicht sicher. Die Güter gehörten den Familien Blümegen und Schrattenbach. Die Glieder seiner Familie zeichneten sich sämtlich durch eine gewisse Exzentrizität aus. Auch Kalnoky war nicht ganz davon frei. Er legte zum Beispiel den größten Wert auf Selbstbeherrschung, und tatsächlich hatte er sich ganz in der Gewalt. Aber er übertrieb das doch ein wenig, und dadurch machte er auf manche Menschen den Eindruck des Kalten, Abweisenden, selbst des Hochfahrenden. Innerlich aber war er ein Gemütsmensch, was er aber nicht zeigen wollte. Er legte deshalb großen Wert darauf, nur mit einer fertigen, abgeschlossenen Ansicht hervorzutreten und äußerte sie nur nach sorgfältiger Überlegung. Er hatte, wenn er seine Anschauung äußerte, alle Gründe und Einwendungen mit sich erwogen, so daß es schwer war, mit ihm zu diskutieren. Man hatte Mühe, ihn von seinem festgeschlossenen Gedankengange abzubringen. Er war gewandt in der Diskussion und vertrat dann seine Meinung mit großer Klarheit. Uberhaupt war er eine festgeschlossene, abgerundete Natur. bWar er also unbelehrbar, eigensinnig?b Auch in jener Eigenschaft war er das Gegenstück zu dem Grafen Andrässy. Dieser bedurfte, um zu einem endgültigen Schlüsse im Denken zu gelangen, eines „Reia
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Die folgenden Aufzeichnungen der Gespräche mit Aehrenthal jung von Seite 1-30 durchnumeriert. Ergänzung.
und Jettel sind von Fried-
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Emil Jettel von Ettenach und Freiherr Alois Lexa von Aehrenthal
bers", einer Diskussion, in der er seine Ideen in die endgültige Form goß, oder er ließ sich eine Denkschrift ausarbeiten, fühlte sich durch sie unbefriedigt, ließ sie umarbeiten, bis die ihn leitende Idee ganz dem Falle angepaßt war. Kälnoky war ein überaus fleißiger Arbeiter. Fast alle Noten, Telegramme, Instruktionen, die zumal in den letzten Jahren aus dem Ministerium ausgingen, waren von ihm selbst ausgearbeitet. Wenn man ihm riet, sich nicht so viel aufzuladen, erwiderte er: Es sei eine doppelte Arbeit für ihn, wenn er eine andere Kraft zu Hilfe nehme, denn diese könne auf seine Absichten doch nicht ganz eingehen, und dann müsse er doch wieder fast von vorne anfangen. Dabei arbeitete er sehr leicht; wenn von St. Petersburg am Nachmittag, wie das zu geschehen pflegte, ein Kurier abgehen sollte, so setzte er sich am Abend vorher nieder und arbeitete in mehreren Stunden die Expedition aus; seine Beamten hatten dann alle Eile, in den nächsten Vormittagsstunden alles zu mundieren. In seinen Noten und Berichten3 fand man keine überraschenden oder geistreichen Wendungen; aber sie überraschten durch ihre Klarheit und ihren geschlossenen Gedankengang. Nicht wie Beust und Gorcakov, die oft nur deshalb eine Note schrieben, um eine geistreiche Wendung, ein Apergu anbringen zu können. Im Jahre 1870 kam er als Vertreter Österreichs nach Rom. Aber seine Anschauungen stimmten mit denen Andrässys nicht überein. Andrässy war Italien freundlich gesinnt; Kälnoky urteilte über das Verhältnis zur Kurie und die damit zusammenhängenden Fragen anders als er: Der Meinungszwiespalt war so lebhaft, daß Kälnoky sich bestimmt fühlte, seine Stellung aufzugeben und in Disponibilität zu treten. Einige Zeit später wurde er zum Gesandten in Kopenhagen ernannt. Er hatte da nicht viel zu tun, indessen waren seine Berichte, welche die Verbindungen zwischen dem dänischen, russischen und englischen Hofe beleuchteten, so treffend, daß der Kaiser auf einen derselben die Bemerkung schrieb: Es sei schade, daß eine solche Kraft ungenützt brach liege. Dennoch verwendete ihn Andrässy nicht in einer wichtigeren Mission, als zufällig Kälnoky während eines Urlaubes in Wien anwesend war, zu einer Zeit, da Langenau, Botschafter in Petersburg, krank wurde. Andrässy, auf die Anwesenheit Kälnokys aufmerksam gemacht, entschloß sich, ihn provisorisch nach Petersburg zu senden als Geschäftsträger mit dem Range eines Gesandten. Aber als sich Kälnoky von ihm verabschiedete, sagte ihm Andrässy: Er solle sich nur nicht einbilden, daß er ihm Petersburg lassen werde. Darauf Kälnoky: Daran denke er nicht, aber die Mission interessiere ihn, da [er] Petersburg noch nicht kenne. Das geschah im Jänner (?) 188014. 14
a
Mit 26. 1. 1880, bereits unter Graf Gyula Andrässys Nachfolger Freiherr Heinrich von Haymerle, wurde Graf Gustav Kälnoky zum Botschafter in St. Petersburg ernannt, nachdem er die Botschaft seit 6. 7. 1879 provisorisch geleitet hatte. Korrigiert von Denkschriften.
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Unterdessen war 1879 der deutsch-österreichische Bund geschlossen worden15. Alexander II. hatte die bekannten „groben" Briefe an Wilhelm I. geschrieben, die Bismarck bestimmten, den Bund mit Österreich-Ungarn zu suchen16. Auch wußte Bismarck damals bereits, daß Andrässy im Begriffe sei, seinen Posten zu verlassen; ebenso bekannt war die nahe Berufung Taaffes zur Staatsleitung, sichtbar das Emporkommen der Slawen in Osterreich: All das durchriß Bismarck und erschien mit seinem Vorschlage in Wien. Als der Bund jedoch geschlossen war, suchte Bismarck wieder Anknüpfungen mit Rußland. Denn er wollte die altpreußische Tradition nicht abreißen lassen und zwischen Osterreich und Rußland in der Mitte stehen, vermittelnd und entscheidend. Allerdings mußte er, der Interessen Deutschlands wegen und auch in Folge des Bündnisses, in den Lebensfragen Österreich-Ungarns auf dessen Seite treten. Nun lenkte auch Alexander II. wieder ein, und als Kälnoky bei seiner Durchreise nach Petersburg Bismarck in Berlin aufsuchte (Jänner 1880), überzeugte er sich von diesen Dispositionen des deutschen Kanzlers. Allerdings entsprach solche Gesinnung Deutschlands nicht ganz der Absicht Andrässys, wenigstens nicht der Politik, der Andrässy nach seinem Rücktritte in einem gewissen Gegensatze zu Kälnoky Ausdruck gab. Denn Andrässy wünschte während der Bulgarischen Krise ein schärferes Hervortreten Österreichs 17 ; er wollte, Österreich sollte seine Interessen auf der Balkanhalbinsel nachdrücklicher geltend machen, und hielt das Kälnoky in den Delegationen vor18. Das ist immerhin auffallend, da er selbst während seines Ministeriums eher ein „Leisetreter" gewesen war; als ich über dieses Wort befremdet war, meinte Aehrenthal: Gewiß, er trat behutsam vor und hütete sich sehr wohl, was zu seinem Ruhme gesagt werden muß, zu viel aufs Spiel zu setzen. Auch er stellte sich ja nicht in schroffen Gegensatz zu Rußland; auch er trat Rußland im Jahre 1878 nicht mit bewaffneter Hand entgegen. Damals, als das russische Heer in Bulgarien und vor Konstantinopel stand 19 , 15 16
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Der Zweibund vom 7. 10. 1879. In einem persönlichen Brief vom 15. 8. 1879 hatte Zar Alexander II. Kaiser Wilhelm aufgefordert, seine Politik bei Ausführung der Beschlüsse des Berliner Kongresses jener Rußlands anzugleichen, und sich über Bismarcks Verhalten beschwert. Am 20. 9. 1885 erklärte Fürst Alexander von Bulgarien einseitig die Union der türkischen Provinz Ostrumelien mit Bulgarien. Daraufhin erklärte Serbien, das mit Österreich-Ungarn seit 1880 durch einen Freundschaftsvertrag verbunden war, den Bulgaren am 13. 11. 1885 den Krieg. Außenminister Graf Gustav Kälnoky versuchte erfolgreich, die bulgarische Krise nicht zu einem Krieg mit Rußland heranwachsen zu lassen, er wurde dafür von seinem Vorgänger Graf Gyula Andrässy, der auf eine aktivere Politik der Monarchie drängte, angegriffen. Siehe dazu Istvän Diöszegi, Kälnoky, Andrässy und die bulgarische Krise 1885-1887; in: Bulgarian Historical Review 3 (1985) 54-59. Graf Gyula Andrässy kritisierte die Außenpolitik seines Nachfolgers im auswärtigen Ausschuß der ungarischen Delegation am 15. und 16. 11. 1886, da sie seiner Meinung nach durch zu große Nachgiebigkeit gegen Rußland die Interessen der Monarchie schädige. Im russisch-türkischen Krieg 1877/78.
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hatte die österreichische Armee die Russen von der Heimat abzuschneiden. Der König von Rumänien sagte einmal zu Aehrenthal: „Ihr hättet die Russen von der Heimat abschneiden und ruhig gegen Kiew marschieren können." Das hat Andrässy nicht getan; aber er fand später doch, daß Kälnoky den russischen Ansprüchen zu zaghaft entgegentrete. Nicht daß er den Krieg gegen Rußland herbeiführen wollte, aber er hielt dafür, daß es vor dem Ernste Österreichs zurückweichen werde. Das war der Gegensatz zwischen Andrässy und Kalnoky. Bemerkenswert ist übrigens der Brief, den Kalnoky dem Grafen Andrässy schrieb, als er sich von ihm gelegentlich dessen Rücktrittes verabschiedete, wie dies stets beim Abgange eines Ministers üblich ist. Als Andrässy den Grafen Kälnoky später traf, sagte er ihm: Alle Chefs der Missionen haben mir geschrieben, aber sie waren der einzige, der mir etwas Gescheites zu sagen wußte. Indessen enthielt der Brief neben der Versicherung der Bewunderung von den Leistungen Andrässys auf dem Gebiete der äußeren Politik auch einen Tadel: Kälnoky fand es überraschend, daß ein Mann von seinen Gaben nicht auch bemüht gewesen sei, das Amt eines Ministers der äußeren Angelegenheiten in dem Sinne auszubauen, daß es ein Reichskanzleramt werde mit festen Stützpunkten sowohl in Osterreich wie in Ungarn, "und es organisch mit den Institutionen der beiden Reichshälften zu verknüpfen. Niemand wäre fähiger hierzu gewesen als er, der aus ungarischem Boden hervorgewachsen, die Autorität besessen hätte, dieses Amt des Ministers auszubauen.3 Wie Kälnoky dies meinte, darüber sprach er sich zu Aehrenthal aus. Er fand, daß der Minister des Äußern allzu abhängig sei von den beiden Ministerpräsidenten. Wenn einer derselben, besonders aber der ungarische, der über eine kompakte Majorität verfügt, sich gegen ihn wendet, so verliert er jede Stütze und kann sich nicht mehr halten. Aehrenthal verglich die drei Minister mit drei Clowns, die ein Kunststück machen, bei dem der eine, der Minister des Äußern, von den anderen getragen werde; läßt einer der letzteren auch nur den Arm sinken, so müßte der oben Stehende herunterfallen. Kälnoky wendete hierbei mehr das Gleichnis mit den Stühlen an.b Es war so, als ob Kalnoky vorausgesehen hätte, welches Geschick ihm dereinst beschieden sein werde. Unter Haymerle wurde Kälnoky Botschafter in London20. Schon im Frühjahr 1881 hatte er Gelegenheit, an einer nicht unwichtigen Verabredung zwischen Österreich und Rußland teilzunehmen. Alexander III. blieb vorerst der Linie der Politik treu, die Alexander II. eingeschlagen. In diesem Sinne wurde im Frühjahr 1881 abgemacht: Vorerst allgemeine Friedensversicherungen, dann festgesetzt, daß Österreich, wenn es [dies] für angezeigt Graf Gustav Kälnoky wurde mit 26. 1. 1880 zum Botschafter in St. Petersburg, nicht London ernannt. a_a Ergänzung. b Randbemerkung: Hier könnte Aehrenthal bestimmter referieren. 20
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findet, Bosnien sich einverleiben darf, daß die Vereinigung von Bulgarien und Ostrumelien stattfinden dürfe, si eile se faisait par la force des choses, und endlich wurde in bezug auf [die] Meerengen eine Rußland günstige Auslegung des bestehenden Vertrags, es war gerade ein Streitpunkt entstanden, abgemacht. Nach dem Tode Haymerles wurde Kalnoky das Amt angetragen. Er erhob selbst Einwendung. Zwar, so erklärte er, fühle er sich dem diplomatischen Teil seiner Aufgabe durch seine lange Erfahrung gewachsen, da er damals 25 bis 28 Dienstjahre hinter sich hatte;21 die Höfe, Kabinette und Verhältnisse kenne er ziemlich genau;" aber er fühle sich unsicher im Verhältnisse zu den Regierungen und Parlamenten der beiden Staaten Osterreich und Ungarn und insbesondere gegenüber dem Letzteren. Er besitze hier keine Stütze, und da der Minister des Äußern keine organische Stellung gegenüber den beiden Parlamenten besitze, so wäre er Konflikten nicht gewachsen. Der Kaiser ließ diese Bedenken nicht gelten, und er nahm an. Sacher, Abend 23. Februar 1898 Die Abmachungen, die im Frühjahr 1881 zwischen Österreich-Ungarn und Rußland gepflogen wurden, waren für sechs Jahre abgeschlossen. Sie galten also bis Frühjahr 188722. Dies aber fiel schon in die Zeit der Bulgarischen Mission. Alexander Battenberg war im Sommer 1886 vertrieben [worden]23, und die Gegensätze spitzten sich zu. Österreich-Ungarn nun schlug Rußland die Verlängerung jenes Verhältnisses vor. Rußland lehnte nicht förmlich ab, aber man erwiderte den österreichischen Diplomaten, der Zar werde sich die Sache überlegen; er sei gerade nicht in der Stimmung, daß man ihm die Angelegenheit vorschlagen könne, und so unterblieb die Abmachung. Es war wie fin de non recevoir.b Dazu aber kam eine bedrohliche Erscheinung. Fürst Bismarck drang damals in Österreich-Ungarn, Rußland freie Hand in Bulgarien zu lassen. Er hatte nämlich, wie er hervorhob, die Erinnerung, daß auf dem Berliner Kongreß, bei den vertraulichen Verhandlungen, die den Berliner Kongreß be21 22
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a b
Graf Gustav Kälnoky war 1854 in den diplomatischen Dienst eingetreten. Das Dreikaiserbündnis vom 18. 6. 1881 mit dem Zusatzprotokoll wurde zunächst auf drei Jahre abgeschlossen, am 27. 3. 1884 für weitere drei Jahre verlängert. Im Zusatzprotokoll war unter anderem festgelegt, daß die drei Vertragspartner sich einer etwaigen Vereinigung Bulgariens mit Ostrumelien nicht widersetzen würden. Fürst Alexander von Bulgarien war am 21. 8. 1886 durch eine von Rußland unterstützte Offiziersverschwörung gestürzt und nach Rußland gebracht worden. Nach einer erfolgreichen Gegenrevolte kehrte er zwar nach Bulgarien zurück, verzichtete jedoch aufgrund der scharfen Gegnerschaft Rußlands und der innenpolitischen Probleme am 4. 9. 1886 auf den Thron und verließ das Land. Randbemerkung: Hier wurden wir unterbrochen. Randbemerkung: Dieses Ausbeugen Rußlands schilderte Aehrenthal sehr fein.
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Emil Jettel von Ettenach u n d Freiherr Alois Lexa von Aehrenthal
gleiteten, seitens Österreich-Ungarns zugestanden worden war, Rußland dürfe seine Machtsphäre über Bulgarien und selbst Konstantinopel ausdehnen, während Osterreich nicht bloß in Bosnien, sondern eventuell auch in Serbien freie Hand haben solle. Er kam so bestimmt auf diese Annahmen zurück, daß Kälnoky sich veranlaßt sah, den Grafen Andrässy heranzuziehen und ihn zu fragen, wie es sich damit verhalte. Andrässy nun stellte in bestimmtester Weise in Abrede, daß er eine Verpflichtung dieser Art in irgendeiner Form eingegangen sei, Fürst Bismarck möge doch versuchen, durch irgendein Aktenstück zu belegen (beweisen), daß seine Erinnerung ihn nicht trüge. Im Verlaufe dieser Erörterungen nun drang Fürst Bismarck mit großer Wärme 3 auf den Grafen Kälnoky, in die Teilung der Interessensphären auf der Balkanhalbinsel zu willigen. Es war ein förmlicher Angriff, den Kälnoky abschlagen mußte, er ließ sich nicht umstimmen, wich in keiner Weise, und hier zeigte sich die Festigkeit, die ein hervorstechendes Merkmal seines Charakters war. Wenn ein Gedanke in ihm gereift war, dann vermochte nichts ihn zu erschüttern. Bismarck aber benützte die Sachlage dazu, um mit Rußland den bekannten Rückversicherungsvertrag zu schließen24. Kälnoky selbst erfuhr nichts davon. bVon der Rückversicherung wußten nur Bismarck, Herbert [von Bismarck], Schweinitz, Giers, Lamsdorff, später Lobanov.b Er war etwas später bei Bismarck zu Besuch, und da ereignete sich eine Szene, welche Aehrenthal später lebhaft in Erinnerung kam. Aehrenthal begleitete Kälnoky auch auf dieser Fahrt, und eines Tages, als letzterer von einer Unterredung mit Bismarck kam, sagte er zu Aehrenthal: Merkwürdig, Bismarck hat mich bei unserer Besprechung einmal so groß und lange angesehen; mir war, als ob er mir etwas hätte sagen wollen. Indessen kam es zu keiner Aussprache. Als dann Aehrenthal Geschäftsträger in Petersburg wurde25, traf [sie!] er mit Herbert Bismarck ein Gespräch, und dieser, damals Minister (Staatssekretär), äußerte sich lebhaft über das gute Verständnis, zu dem man [mit] Rußland gelangt sei. Aehrenthal berichtete dies nach Wien; es scheint, daß Herbert Bismarck sich etwas tiefer in die Karten habe sehen lassen, als er eigentlich wollte. Es bleibt nun auffallend, daß sich trotz dieses Rückversicherungsvertrags im Winter 1886 auf 1887е der Gegensatz zwischen den Zentralmächten und Rußland immer schärfer zuspitzte, so sehr, daß sich selbst Kriegsgefahr erhob. Es waren die militärischen Kreise in Deutschland und Osterreich, die 24 25
a b_b c
Im Rückversicherungsvertrag vom 18. 6. 1887 anerkannte Deutschland den russischen Einfluß auf Bulgarien und Ostrumelien. Freiherr Alois Lexa von Aehrenthal war von 1888 bis 1894 als erster Botschaftsrat in St. Petersburg und vertrat dabei während dessen langer Erkrankung den Botschafter Graf Anton Wolkenstein. Korrigiert von Entschiedenheit. Ergänzung. Randbemerkung: Nicht 87 auf 88.
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die lebhaftesten Besorgnisse äußerten und zu Rüstungen drängten; die Diplomaten, auch Kälnoky nicht, ließen sich [nicht] nervös machen, und dieser ließ es nicht gelten, daß Rußland einen Angriffskrieg beabsichtige. Aber der preußische Generalstab übermittelte jene bedrohlichen Nachrichten, die Aufhäufung russischer Truppenmassen im Westen betreffend, und die Unruhe verbreitete sich noch. Beck stellte dem Kaiser von Osterreich vor, daß man sich nicht überraschen lassen dürfe, und schlug gewisse Gegenrüstungen vor, so die Verlegung einer Infanteriedivision nach Galizien; sodann wurde das Barackenlager bei . . ,a angelegt. Moltke entwarf sogar den Plan eines Winterfeldzuges gegen Rußland. b Es war ein Glück, daß wir ihn nicht führten, denn das Thermometer stieg frühzeitig, das Eis ging auf, und unsere Heere hätten sich sehr früh mitten in einem Sumpf befunden. b Auffallend war nur, daß Bismarck unterdessen nicht von Varzin (Friedrichsruh?) nach Berlin zurückkehrte; er sagte nichts zur Beruhigung Österreichs, und vielleicht wollte er die Gelegenheit benutzen, um diese Macht zu einer Vervollkommnung seiner Rüstungen zu bestimmen, er dachte, es sei nicht unbillig, daß Osterreich darin dem Deutschen Reiche nahekomme. Als sich die Dinge zuspitzten, griff endlich Schweinitz, Botschafter in Petersburg, ein. Er kannte die Stimmung in Petersburg und fand es unsinnig, daß sich die Gemüter erhitzten; er reiste selbst zu Bismarck nach Varzin und stellte ihm vor, daß die Dinge nicht so weitergehen könnten. Moltke sei offenbar „altersschwach", wenn er den Krieg gegen Rußland wie eine nahe Gefahr c ins Auge fasse. In dieser Zeit fand zwischen Kalnoky und Lobanov eine Aussprache statt, die im Jänner 188[8] begann und in den nächsten Wochen fortgesetzt wurde, und diese Erklärungen beseitigten die Kriegsgefahr 26 . Ohne Frage ist das Verhalten des Grafen Kalnoky in dieser Krise seine bedeutendste staatsmännische Leistung. Denn er wich nicht um Haaresbreite von seinen Uberzeugungen, ließ sich nicht durch drohende Haltung Rußlands einschüchtern und brachte sein Programm zur Ausführung. Dies bestand einerseits in dem Schutze der Unabhängigkeit der Balkanstaaten, und andererseits in dem festen Vorsatze, einem Kriege mit Rußland, so lange es gehe, auszuweichen; und nie ließ er sein Ziel aus [dem] Auge, zu dem Verhältnisse zurückzukehren, welches die Abmachungen von 1881 umgrenzten. Er war ein überzeugter Vertreter der konservativen Politik, welche Vereinbarungen mit Rußland über die Orientfrage anstrebte. Das Dreikaiserbündnis war nach seiner Ansicht im Ganzen das richtige Verhältnis gewesen, indessen wünschte er selbstverständlich, sich nicht Deutschlands als Vermitt26
Vgl. Friedjungs Darstellung der Aussprache zwischen Lobanov und Kälnoky im Jänner 1888 in Wien in seinem Aufsatz Graf Gustav von Kalnoky; in: Historische Aufsätze 342. Freilassung im Original. b_b Ergänzung. 0 Korrigiert von Angelegenheit. a
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Emil Jettel von Ettenach und Freiherr Alois Lexa v o n Aehrenthal
lers bedienen zu müssen; es sollte eine unmittelbare Vereinbarung mit Rußland ermöglicht werden. Das war allerdings dadurch erschwert, daß Alexander III. entetiert war; er war persönlich durch den Grafen Kälnoky gereizt, weil dieser zuerst durch Tisza im ungarischen Reichstage und dann selbst in den Delegationen mit aller Bestimmtheit das Programm der Unabhängigkeit der Balkanstaaten aufgestellt hatte 27 . In der Form waren diese Erklärungen nicht verletzend, in der Sache aber scharf; und daher machte Alexander III. einem österreichischen Diplomaten die Bemerkung: Le comte Kälnoky a offense la Russie, par ses discours dans les delegations, il a offense aussi moi ???a Auch als sich das Verhältnis dann besserte, war man in Rußland ungehalten darüber, daß Kälnoky in den Delegationen immer wieder wohl wollend von der Festigung der Verhältnisse in Bulgarien sprach. Man sagte Aehrenthal immer: mais pourquoi parle le comte Kälnoky toujours de la Bulgarie est-ce necessaire? Es verstimmte immer wieder. Die schönen Erfolge Kälnokys festigten seine Stellung, die schon neben der Bismarcks eine ansehnliche war; als der Fürst dann zurücktrat, hatte man nicht bloß bei den Außenstehenden den Eindruck, daß gewissermaßen er in dem Dreibunde die Führung habe. b Besonders, da Giers in Rußland ein 3/4 Leichnam28.b Man fühlte, daß in ihm eine Summe von Erfahrung und Fähigkeiten vereinigt seien, die ihm überlegene Autorität verschafften. Man hat deshalb in Berlin loyalerweise wohl seinen Rücktritt bedauert, aber es mußte sich doch das Gefühl einstellen, daß es für Deutschland nicht vorteilhaft sei, wenn diese eminente Kraft die eigene Diplomatie überrage. Kälnoky fühlte, als sein Ministerium zu Ende ging, eigentlich selbst das Bedürfnis, etwas gewissermaßen Abschließendes zu tun; es hätte ihm große Befriedigung verschafft, wenn er in der Lage gewesen wäre, mit Rußland ein bestimmtes Abkommen zu treffen. Aber so lange Alexander III. lebte, war dies nicht erreichbar. Wohl möglich, aber nicht sicher ist es, daß Alexander den Fürst Lobanov zum Minister gemacht hätte. Mit Lobanov verstand sich Kälnoky sehr gut. Sie waren beide feinsinnige, kunstliebende Männer (Lobanov hatte bekanntlich viel Material zur Geschichte Kaiser Pauls gesammelt), doch auch in ihrem Wesen sehr verschieden. Lobanov war Grandseigneur, der sich mit Politik nur beschäftigte, wenn die Verhältnisse interes27
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Am 30. 9. 1886 hatte der ungarische Ministerpräsident Graf Kaiman Tisza in einer Interpellationsbeantwortung im ungarischen Reichstag erklärt, nur die Türkei habe das Recht, bewaffnet in Bulgarien einzuschreiten, Rußland dagegen habe keinerlei Protektoratsrechte über Bulgarien. In seinem Expose vor dem auswärtigen Ausschuß der ungarischen Delegation am 13. November warnte Graf Gustav Kälnoky Rußland vor einer direkten Intervention in Bulgarien, etwa durch die Besetzung der Häfen oder die Entsendung eines Kommissärs, der aktiv in die Regierungsgeschäfte eingreifen würde. Graf Nikolaj Giers, seit 1882 russischer Außenminister, starb am 26. 1. 1895 nach längerer, schwerer Krankheit. Randbemerkung: Er hat auch mich beleidigt. Ergänzung.
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sant waren, dann freilich mit Geist und Scharfsinn; in gewöhnlichen Zeiten kümmerte er sich wenig um die Geschäfte und hing seinen Liebhabereien nach, oder er beschäftigte sich mit schönen Frauen. Als dann nach dem Rücktritte Kälnokys das Abkommen zu St. Petersburg geschlossen wurde29, konnte er dies gewissermaßen als Abschluß seiner Tätigkeit betrachten. So hatte er sich den Gang der Dinge gedacht und so sie vorbereitet. Denn es lag etwas Zielbewußtes, Wohlerwogenes in seinem Tun. Er hatte sich von Anfang an eine bestimmte Linie vorgezeichnet, und mit der ihm eigenen Zähigkeit kehrte er zu ihr zurück. Seine Taktik mußte sich der veränderten Sachlage anpassen, aber das bezog sich nur auf die Wahl der Mittel. In der Hauptsache ließ er sich nicht abdrängen und behielt eine Verständigung mit Rußland stets im Auge. Gewiß hätte auch er im Notfalle bereit sein müssen, zu den äußersten Mitteln zu greifen; aber er hielt es für klüger, mit den geschlossenen Nationalstaaten, die Österreich umgeben, in Frieden und Freundschaft zu leben. Hier wendete Aehrenthal den Satz an, aus einem Buche, er hielt fest an der altösterreichischen Politik, die zuerst die Heiraten, dann die Allianzen als Mittel zur Erhöhung und Erhaltung des Reiches benützte. Mit Bismarck stand er vortrefflich. Aehrenthal begleitete ihn Jahr für [Jahr] von 1884 (?) bis 1887(88) nach Friedrichsruh oder Varzin. Die beiden Minister standen im offensten und herzlichsten Verhältnisse. Es machte eigentlich den Eindruck, daß der Fürst von diesen regelmäßigen Besuchen befremdet war; weshalb sich aufsuchen, wenn nichts Bestimmtes zu besprechen war? "Kälnoky hielt es aber für besser, regelmäßig mit ihm zusammenzukommen, als nur aus bestimmtem Anlasse, oder gar die Fühlung mit ihm zu verlieren, ihn etwa 2-3 Jahre nicht zu sehen.3 Natürlich machte er nicht die geringste Andeutung hiervon, Aehrenthal hatte diesen Eindruck. Kälnoky, der im Verkehr heiter war, ging auf lebhafte Art [auf] Bismarck ein und [es] ging hierbei mitunter nicht ohne Schnaken ab. Dabei stand Kälnoky, so groß auch der Eindruck der weltgeschichtlichen Größe Bismarcks war, mit vollem Selbstbewußtsein gegenüber und behauptete seine Persönlichkeit auch neben diesem Riesen. Denn er war eine eigenartige Persönlichkeit, die nicht in Gefahr, sich zu verlieren; und so bestimmt gruppierten sich die Ideen in seinem Kopf, daß es nicht leicht war, ihre aus reiflichem Nachdenken hervorgegangene Gliederung zu verschieben. Und gerade weil er dem Fürsten Bismarck so bestimmt in der großen Frage der Teilung der Ein29
Im Anschluß an den Besuch Kaiser Franz Josephs in St. Petersburg vom 27. bis 29. 4. 1897 veröffentlichten die beiden Außenminister identische Noten, in denen sie erklärten, am Balkan den allgemeinen Frieden, das Prinzip der Ordnung und den Status quo aufrechterhalten zu wollen. Dies bedeutete den Beginn der österreichisch-ungarischrussischen Balkanentente. a " Ergänzung.
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flußsphären in der Türkei standgehalten hatte, stieg die Achtung Bismarcks vor ihm. Denn Bismarck schritt wohl geringschätzig über die kleinen Geister hinweg, die es wagten, sich ihm ohne Berechtigung entgegenzustellen; aber vor [sie!] einer kräftigen Natur trug er in vollem Maße Rechnung. Graf Andrässy: Man kann sie schwer vergleichen. Wohl möglich, daß Kälnoky nicht die Kühnheit gehabt hätte, sich über alle Traditionen hinwegzusetzen und resolut auf die Allianz mit dem früheren Gegner loszusteuern. In gewissem Sinne unternahm Andrässy etwas Revolutionäres, und es lag dies in seiner Natur und Entwicklung. Nicht etwa, daß Kälnoky die Urteile und Vorurteile der früheren österreichischen Staatsmänner über die nationalen Bewegungen in Deutschland und Italien geteilt hätte, den Gedanken, die Ereignisse von 1866 durch einen Revanchekrieg wettzumachen, wies er auch 1870 von sich ab. Als Andrässy seine Politik einmal in der ungarischen Delegation als zu zaghaft bekämpft hatte, fuhr Aehrenthal mit Kälnoky von Budapest nach Wien zurück, und auf dieser Fahrt erzählte ihm Kälnoky, offenbar bewegt und erregt über den Zusammenstoß, alle seine früheren Beziehungen zu Andrässy. Aehrenthal bedauert, diese Mitteilungen nicht zu Papier gebracht zu haben. Damals behauptete Kälnoky, er habe schon, als Andrässy sich noch nicht mit voller Bestimmtheit für die Neutralität in dem heraufziehenden Kriege von 1870 entschieden hatte, diese Neutralität für die einzig verständige Politik Österreichs erklärt. Andrässy war 1879 schon entschlossen zu gehen, als sich ihm durch den Antrag Bismarcks die großartige Chance bot, sich einen eindrucksvollen Abgang zu verschaffen 30 . Er stand im Gegensatz zur deutsch-liberalen Partei, deren Feindseligkeit ihn empfindlich berührte. Er hatte sich dann mit der Militärpartei über die Verwaltung Bosniens veruneinigt, und diese konnte ihm insbesondere nicht verzeihen, daß er in der nachträglichen Konvention mit dem Sultan dessen Souveränität anerkannt hatte 31 . Und vielleicht hätte Andrässy besser daran getan, mit der Pforte später überhaupt nicht zu verhandeln, sondern Bosnien lediglich kraft des europäischen Mandats festzuhalten. Österreich bedurfte ja der Genehmigung des Sultans überhaupt nicht. Wahrscheinlich wurde Kaiser Franz Joseph durch die scharfe Kritik der Militärkreise und auch der Presse auf die wahre Bedeutung dieser Konvention aufmerksam gemacht und fühlte eine Verstimmung gegen den Grafen Andrässy. Überhaupt standen" die militärischen Kreise in Österreich gar oft in einem gewissen Gegensatze zur Diplomatie und übten hierbei, wie 30
31 a
Der am 7. 10. 1879 geschlossene Zweibundvertrag sah im Falle eines Angriffes seitens Rußlands den militärischen Beistand, bei einem Angriff einer anderen Macht die wohlwollende Neutralität vor. Der am 21. 4. 1879 geschlossene Vertrag mit der Türkei bestätigte die Souveränität des Sultans im besetzten Bosnien-Herzegowina. Korrigiert von wirken.
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zum Beispiel in der Vorgeschichte des Krieges von 1866, keine gute Wirkung. Endlich aber waren die Vermögensverhältnisse Andrässys durch die achtjährige Abwesenheit von seinen Gütern etwas in Unordnung geraten, und er mußte sich ihnen widmen. Mehr hat Aehrenthal über die Ursache seines Rücktrittes nicht in Erfahrung gebracht, gewiß aber ist, daß Andrässy bestimmt hoffte zurückzukehren. Bemerkenswert ist, daß Rußland während des Krieges von 1878 die Vereinbarungen mit Osterreich zu wiederholten Malen brach. Es griff über die vor dem Kriege vereinbarte Linie mehrere Male hinaus. Zu England trat Kälnoky nur in der Zeit nach der Vertreibung des Battenbergers in ein näheres Verhältnis. Damals wirkte er mit Salisbury zusammen. Kälnoky selbst hatte seine politischen Lehrjahre 1860-70 in England gemacht und schätzte Land und Volk sehr hoch. Mit Salisbury stand er in gutem Verhältnisse, dann auch mit Roseberry. Dieser sagte zu Aehrenthal, als dieser ihm einmal bei einem Diner beim Prince of Wales vorgestellt wurde: „Sie sind einer der Mitarbeiter des Grafen Kälnoky." Kälnoky beherrschte die englische Sprache vollständig. So hoch er das Land hielt, so konnte sich doch nur zeitweise ein näheres Verhältnis anknüpfen, als Italien zum Zweibund herangezogen wurde, und England wieder mit Italien Abmachungen zur Sicherung von dessen Küsten traf®2. Sonst hielt Kälnoky England doch für ein unsicheres Element in dem politischen System Europas. Es ist doch schwer zu berechnen, ob sich England zu einem festen Bundesgenossen in einem Kriege gewinnen ließe. Man muß hier mit einem Moment der Unsicherheit rechnen. Italien zog er heran. Robilant arbeitete an dem Zustandekommen des Bundes. Aber besonders gut stand er mit Nigra. Dieser sagte zu Aehrenthal: „Wir haben niemals ein Mißverständnis (Nigra und Kälnoky) gehabt. Wir verkehrten auf dem Fuße vollkommenen Vertrauens zueinander. Kälnoky war auch sofort bereit, klar und ohne Umschweife seine Absichten und Ansichten zu entwickeln, wo [er] auf Offenheit stieß. Wenn jemand aber flnassieren (herumschleichen?) wollte, so durchschaute er ihn sofort, gab seinen Unmut zu erkennen und verhielt sich ablehnend." Mit Nigra und Lobanov verbanden ihn auch manche künstlerische Interessen. Kälnoky war in der Tat gegen Leute, denen er mißtraute oder die ihm die Zeit ungelegen wegnahmen, kalt, abweisend, ablehnend. Darin legte er sich keinen Zwang an. Einmal war Milan (erst nach seiner Thronentsagung 33 ) bei ihm. Er begegnete Aehrenthal an demselben Tage und sagte ihm „Votre 32
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Mit dem Abschluß des Dreibundes am 20. 5. 1882 wurde das Bündnis zwischen Österreich-Ungarn und Deutschland um Italien erweitert. Am 12. 2. 1887 schlossen England und Italien ein Mittelmeerabkommen, dem Österreich-Ungarn am 24. März beitrat. König Milan von Serbien hatte am 6. 3. 1889 zugunsten seines noch nicht 13jährigen Sohnes Alexander auf den Thron verzichtet.
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chef est un homme dur. Schon als ich bei ihm eintrat, betrachtete er [mich] mit einem eigentümlichen Blicke, mit einem Blicke, als ob er sagen wollte ,Voilä un schnapahn 8 '." Dieselbe kalte Offenheit zeigte er Bänffy, als dieser nach der Beantwortung der Interpellation Terenyi nach Wien kam34. Der Kaiser „wusch ihm den Kopf", und er begab sich dann zu Kälnoky. Bänffy erzählte selbst im liberalen Club in Budapest, daß er ihm gesagt habe: „Ich weiß nicht, weshalb Sie zu mir kommen. Ich habe mit drei ungarischen Ministerpräsidenten gearbeitet und bin mit ihnen allen ausgekommen. Mit Ihnen aber kann ich nach meiner bisherigen Erfahrung keine Geschäfte erledigen. Jede Auseinandersetzung wäre unnütz." Der Vater Kälnokys war nicht bloß exzentrisch, sondern wurde zuletzt wahnsinnig und blieb es in den letzten 30 Jahren seines Lebens. Er litt an Größenwahn. So erwartete er den Besuch der Kaiserin und ließ Abend für Abend alle Gemächer seines Schlosses hell erleuchten. An der Decke eines Saals ließ er ein Gemälde anbringen, auf dem er und seine zahlreiche Familie als Chinesen abgebildet waren. Der ältere Bruder Kälnokys ließ das Gemälde übertünchen. Er liebte die Kunst und hatte ein feines Urteil. Es bestehen von ihm auch hübsche Zeichnungen. Dr. Jettel erzählte: Seine Physiognomie war ganz eigen. Die Backenknochen ragten etwas hervor, und über (oder unter) ihnen ragten zwei rote Bäckchen hervor. Seine dunklen (schwarzen) eindrucksvollen Augen gaben dem Gesicht ein bestimmtes Gepräge. Er sprach nicht leicht, aber klar. Wenn man ihm etwas sagte, was ihm unbedeutend schien, so genügte ihm eine kurze Handbewegung, um seine Ablehnung zu markieren. b Er putzte sich mit einem kleinen weißen Federmesser die Nägel.b Er war offenbar von starkem Selbstbewußtsein erfüllt. Wenn er in ein Gemach eintrat, so zeigte sich dies, wenn er auch klein von Gestalt war. Kälnoky griff 1890 sehr entschieden in die inneren Verhältnisse ein. Uber äußere Verhältnisse sprach er mit Taaffe fast gar nicht. Dieser fühlte nicht einmal den Wunsch, in die Geschäfte eingeweiht zu werden; wenn Kälnoky 34
a b_b
Der päpstliche Nuntius Antonio Agliardi hatte während einer Visitationsreise durch Ungarn die kirchenpolitischen Maßnahmen der ungarischen Regierung kritisiert, was das Kabinett in Budapest als Einmischung in die inneren Angelegenheiten zurückwies und die Abberufung des Nuntius forderte. In einer Interpellationsbeantwortung am 1. 5. 1895 sagte Ministerpräsident Dezsö Bänffy, daß der Außenminister den Standpunkt der ungarischen Regierung angenommen und in Rom gegen das Auftreten Agliardis protestiert habe. Diese Erklärung wurde von Kälnoky dementiert. Vgl. Friedjungs Darstellung des Konflikts in Graf Gustav von Kälnoky; in: Historische Aufsätze 355-360. chenapan = Schnapphahn. Ergänzung.
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sie berührte, so lenkte er selbst mit einem Witz ab. Nach dieser Richtung hin hatte Österreich keinen Ministerpräsidenten. Taaffe war gewiß ein sehr geschickter parlamentarischer Taktiker, wußte die Menschen, die er benützte, und die ihm gegenüberstanden, sehr gut zu beurteilen; er verstand es, die Bude vortrefflich in Ordnung zu halten; er war ein tüchtiger Verwaltungsbeamter. Aber für die großen Dinge der europäischen Politik scheint er wenig Sinn gehabt zu haben. "Kalnoky war ein Gegner von Kraus, seine Entlassung war, wenn ich mich recht entsinne, nach Aehrenthal durch Kalnoky mit herbeigeführt35.3 Das alles sagte Aehrenthal mit einem gewissen Humor. Gegen 1890 aber drang Kalnoky mit großer Entschiedenheit auf eine Versöhnungsaktion in Böhmen. Aehrenthal bat mich, nicht hervorzuheben, daß der Anstoß von Kalnoky ausgegangen sei. Er wünschte vor allem eine Versöhnung des feudalen und des verfassungstreuen Großgrundbesitzes, und auf meine Frage bestätigte Aehrenthal: Ja, dieser beiden Fraktionen des Großgrundbesitzes, denn Kalnoky gab sich keiner Täuschung darüber hin, daß ein wirklicher Ausgleich mit den Tschechen unmöglich sei, da sie von ihrem Staatsrecht gewiß nicht lassen würden. Und so kam es zu den Verhandlungen. Dann beging Graf Taaffe den großen Fehler, daß er den Ausgleich nicht sofort im böhmischen Landtag annehmen ließ36. Oft, so sagte Aehrenthal, hat Graf Taaffe sich mir gegenüber bei den „Drei Laufern" Vorwürfe gemacht, daß er das nicht rascher in Angriff genommen habe. Es waren Intrigen Dunajewskis, der dem Ausgleiche widerstrebte, durch welche das verhindert wurde. Aehrenthal behauptete, Dunajewski habe die Einberufung des Reichsrates für dringend notwendig erklärt, um ein bestimmtes Gesetz in Sicherheit zu bringen, dadurch habe er die Einberufung des Landtags hinauszuschieben gewußt. Mit großer Schärfe betonte Aehrenthal, daß die föderalistische Gestaltung des Reiches für keinen Staatsmann annehmbar sei. Es wäre unmöglich, dann das Reich nach außen kräftig zu repräsentieren. Dies sei die Grundanschauung Kälnokys gewesen . . . Es ist nun nicht ganz klar, ob Aehrenthal hierbei nicht seine eigene Ansicht schärfer pointierte als die Kälnokys. Mit großer Aufmerksamkeit wandte sich Kalnoky den Angelegenheiten Galiziens zu. Hier war sein Hauptgesichtspunkt, daß er die Unterdrückung der Ruthenen zu verhindern trachtete. Er betrachtete es als ein Unglück, wenn sie gedrängt würden, auf Rußland ihre Hoffnungen zu setzen. Der Hochver35
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General Alfred von Kraus war am 2. 9. 1889 als Statthalter von Böhmen entlassen worden. Er hatte sich vor allem das Mißtrauen der Deutschen zugezogen, die in ihm lediglich den Erfüllungsgehilfen des Ministeriums Taaffe sahen. Das in den Ausgleichsverhandlungen vom 5. bis 19. 1. 1890 erzielte Übereinkommen wurde erst nach Abschluß der Frühjahrssession des Reichsrats dem Landtag vorgelegt. Dort erreichten die Jungtschechen in der Ausgleichskommission am 1. 4. 1892 eine Vertagung der Beratungen, wodurch der Ausgleich gestorben war. Ergänzung.
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ratsprozeß Naumovyc, der zu Beginn der 80er Jahre stattfand, machte viel böses Blut in Rußland. Jettel warf ein: Er führte selbst zu Rekriminationen oder Weiterungen, ich erinnere mich nicht37. Das sollte geebnet werden. Als Badeni Statthalter Galiziens werden sollte, ging ihm, dem früheren Bezirkshauptmann (?)38, der Ruf großer Schärfe voraus. Kälnoky nun hatte mit ihm eine Unterredung und legte ihm die Bedürfnisse des Staates nach der Richtung der äußeren Politik dar. Badeni ging darauf auch gewandt ein, und tatsächlich hat sich in Galizien ein leidlicher Zustand eingestellt. Ungarn: Kälnoky mißgönnte den Ungarn nicht ihre Erfolge, und er war weit entfernt, ihnen in der Geltendmachung ihres Einflusses ein Hindernis in den Weg zu legen. Aber er bestand darauf, daß die Bande zwischen Osterreich und Ungarn nicht weiter gelockert würden, so wie der Ausgleich von 1867 festgesetzt sei, sollte er ehrlich gehalten und der Schwerpunkt nicht noch mehr nach Osten verschoben werden, als es bereits der Fall sei. Er hielt es geradezu für die Pflicht des Ministers des Äußern, sich jeder Veränderung nach dieser Richtung entgegenzustemmen. Daher geschah es auch wider seinen Rat und seine Wohlmeinung, daß der Titel in österreichisch und ungarisch umgeändert wurde39, daß in bezug auf militärische Dinge weiter Konzessionen gemacht wurden etc.a Indessen stand er mit Tisza und mit dessen schwachem Nachfolger Szäpäry ganz gut. Aber schon unter dessen Regiment begann der Streit mit den Wegtäufern. Da nun fand Kälnoky, daß die liberale Partei mit zu großem Ungestüm alsbald zu einer grundsätzlichen Lösung der Frage schritt40; es [war] nach seiner Ansicht ein Fehler, daß die kirchenpolitischen Gesetze, insbesondere die Zivilehe sofort zu einem Drapeau gemacht wurden, und auf dieser Grundlage eine Neubildung der liberalen Partei stattfand. Das alles hätte vermieden und durch Kompromisse die Ordnung der Angelegenheit 37
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a
Am 4. 2. 1882 waren in Galizien führende Ruthenen, darunter der ehemalige Reichsratsabgeordnete Pater Ivan Naumovyc, wegen des Verdachtes des Hochverrates verhaftet worden. Im Prozeß vom 12. 6. bis 29. 7.1882 wurden alle elf Angeklagten vom Hauptvorwurf freigesprochen, gegen einige wurden geringe Haftstrafen wegen Störung der öffentlichen Ordnung verhängt. Graf Kasimir Badeni war von 1871 bis 1879 Bezirkshauptmann in den galizischen Bezirken Zolkiew und Rzeszow. Der Titel des Außenministers wurde mit allerhöchster Entschließung vom 4. 10. 1895 von Minister des kaiserlich-königlichen Hauses auf Minister des kaiserlichen und königlichen Hauses geändert. Bereits durch ein am 20. 10. 1889 veröffentlichtes Handschreiben war der Titel von Armee und Kriegsmarine von „kaiserlich-königlich" auf „kaiserlich und königlich" geändert worden. Mit der Veröffentlichung der Wegtaufen Verordnung vom 26. 2. 1890, mit der die Glaubenszugehörigkeit von Kindern aus konfessionell verschiedenen Ehen geregelt wurde, begann in Ungarn der Kampf um die Ehegesetzgebung. Die obligate Zivilehe trat erst nach kaiserlicher Sanktion des Gesetzes am 9. 12. 1894 in Kraft. Randbemerkung mit Bleistift: Widerspricht dem, was Szilägyi mir darüber sagte. [Vgl. S. 130.]
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erzielt werden sollen. Insbesondere befürchtete Kälnoky, daß die Monarchie auf diesem Wege in einen Konflikt mit der Kurie hineingezogen werde. Er nun war überhaupt kein Freund von Konflikten, auch widerstrebte es ihm, gerade mit der Kirche in einen Streit zu geraten. Nicht, daß er ein Ultramontaner gewesen wäre, nicht im mindesten; ging er doch nicht einmal in die Kirche. Aber er war ein Konservativer, und ihm schwebte das Beispiel Englands vor Augen, wo man große Reformen langsam vorbereitet und nur schrittweise der Lösung zuführt. So hätte er es auch mit den kirchenpolitischen Gesetzen in Ungarn gewünscht, mußte denn die Lösung überstürzt und durch eine Reihe von Pressionen auf die Magnatentafel erzwungen werden?41 Wenn man das Tempo verlangsamt und die Reformen auf eine Reihe von Jahren verteilt hätte, so hätte er keinen Widerspruch erhoben. Jettel: Er wünschte, daß man die Ehegesetzgebung so umsichtig umwandle und sie etwa so behandle wie die politisch nicht strittigen Bestimmungen des Privatrechts, dessen Reform stets erst nach langen Beratungen stattfinde. Auch so aber enthielt er sich einer unmittelbaren Einmischung. Es ist (ich stellte diese Frage) unrichtig, daß auf seinen Antrieb Hofwürdenträger zu der Abstimmung der Magnatentafel nach Budapest reisten, um dagegen zu votieren. Wenn er aber vom Kaiser zu Rate gezogen wurde, so mußte er seiner Überzeugung Ausdruck geben. Wenn sich jene Einflüsse geltend machten, so ist schwer zu entscheiden, wie sich der Kaiser zu diesen Vorgängen stellte. Es ließen sich darüber doch nur Hypothesen aufstellen, da, wie Aehrenthal behauptete, ihm darüber nichts Näheres bekannt sei. Und immer ist zu beachten, daß es schließlich doch der Monarch war, der die entscheidenden Entschlüsse faßte. Indessen sah Kälnoky ein, daß doch nur die liberale Partei in Ungarn regierungsfähig sei, und daß es vergebens sei, sich der von ihr angestrebten Lösung der Ehegesetzfrage zu widersetzen. Deshalb wünschte er schließlich selbst die Annahme. Er wünschte der Mission Khuens einen Erfolg42, aber nicht er hatte ihn eigentlich empfohlen, sondern Källay und der Ackerbauminister Bethlen. Während aber Kälnoky nach außen hin verantwortlich blieb für das Geschehene, zog sich Källay vorsichtig zurück. Aehrenthal bat mich, Kailays nicht zu erwähnen. 41
42
Die Annahme des ungarischen Ehegesetzes im Oberhaus erfolgte am 21. 6. 1894 nach vorheriger Ablehnung mit einer knappen Mehrheit von vier Stimmen. Den Magnaten war im Falle einer erneuten negativen Abstimmung mit einem massiven Pairschub gedroht worden. Dem liberalen Banus von Kroatien Graf Karoly Khuen-Hederväry gelang es weder im Mai noch Ende 1894, ein mehrheitsfahiges Kabinett zu bilden. Mitte des Jahres wurde darauf der bisherige Ministerpräsident Sändor Wekerle neuerlich mit der Regierungsbildung beauftragt, nach dem neuerlichen Rücktritt Ende des Jahres (nach Abschluß der Ehereform) bildete Baron Dezsö Bänffy ein Kabinett und gab am 14. 1. 1895 seine Ministerliste bekannt.
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Als der Kaiser (wohl im Mai 1894) nach Budapest reiste, um die Entwicklung der Mission Khuens abzuwarten, sagte Aehrenthal zu Kälnoky, es wäre doch gut, daß jemand, also Kälnoky, mit dem Kaiser „zur politischen Orientierung" hinunterreise. Kälnoky erwiderte, das könne er nicht, da kein bestimmter Anlaß dazu bestehe. Man würde ihn sofort mit Vorwürfen überhäufen, daß er intrigiere. Aehrenthal gab mir zu, daß Kälnoky vielleicht mit mehr Klarheit und Festigkeit eine bestimmte Partei hätte nehmen sollen. Auf meine Frage, ob nicht die Haltung der ungarischen Minister in der Frage der Beerdigung Kossuths den Kaiser verstimmt hatte43, antwortete Aehrenthal eher verneinend. Denn das „Zeremoniell" für die Beerdigung war bereits zu Zeiten Tiszas fast ins Detail ausgearbeitet. Die Geschichte mit der Antwort Szilägyis, betreffend die Ehen des kaiserlichen Hauses in Ungarn44, kannte Aehrenthal nicht. Er glaubte nicht, daß Kälnoky dagegen ein förmliches Memoire eingereicht habe. Jettel aber sagte: Er habe im Auftrage Kälnokys ein solches Memoire ausgearbeitet. Die Beziehungen Wekerles zu Kälnoky gestalteten sich dadurch schlecht, weil Wekerle nicht die Wahrheit sprach. Er log bei jeder Gelegenheit. Näheres konnte mir keiner der beiden Herren sagen. Jettel sagte: Oft sei verbreitet worden, er solle eine bestimmte Erklärung im ungarischen Abgeordnetenhaus abgeben, aber er gab eine andere ab. Bänffys Stellung, so sagte Aehrenthal, ist deshalb eine gute, weil er sich solcher Dinge enthielt. Man hätte annehmen sollen, daß mit der Annahme des Ehegesetzes und mit dem Rücktritte Wekerles der krisenhafte Zustand abgeschlossen sein würde. Aber schon in der letzten Zeit hatte sich gezeigt, daß Kälnoky in seinem Nervensystem erschüttert war. Er, der sonst kalt, ruhig war, der vollste Herrschaft über sich besaß, war durch die Fülle von Aufregungen und auch die Arbeit „verbraucht" (mein Wort, nicht das Aehrenthals). Es war, so erzählte Jettel, auffallend, daß, wenn man ihm eine Zeitungsstimme brachte eines kleinen ungarischen Blattes, das nur einige Hundert Abonnenten zählte, er durch den Artikel irritiert werden konnte. Er aber war nicht der Mann, sich einen Teil der Arbeit abnehmen zu lassen. Er war aufs tiefste verstimmt über den Gang der Dinge in Ungarn; er hatte das Gefühl, mit den Ungarn nicht mehr zusammenarbeiten zu können. Er war unzufrieden mit dem Gange der Dinge, bei dem der Schwerpunkt der Monarchie immer mehr 43
44
Lajos Kossuth war am 20. 3. 1894 in Turin gestorben. Sein Leichnam wurde nach Budapest überführt und unter großer Anteilnahme der Bevölkerung feierlich beigesetzt. Franz Joseph hatte jedoch die Teilnahme von Regierungsvertretern sowie jegliche öffentliche Trauerbezeugung wie die Beflaggung von Staatsgebäuden untersagt. Im Zuge der Einführung der obligatorischen Zivilehe in Ungarn hatte Justizminister Dezsö Szilägyi die Einbringung eines Gesetzesentwurfes angekündigt, der auch die in Ungarn geschlossenen Ehen des kaiserlichen Hauses den ungarischen Gesetzen unterstellt haben würde. Aufgrund des Widerstandes des Kaisers und der österreichischen Regierung verzichtete Szilägyi jedoch darauf.
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nach Osten verlegt wurde. Er anerkannte das Recht der östlichen Reichshälfte auf Einfluß, aber er wollte ihn [nicht] noch vermehrt haben. Nicht die Empfindung des Konservativen, die durch die Vorstöße des Liberalismus in Ungarn verletzt war, sondern die des österreichischen Staatsmannes war durch die Vorgänge der letzten Jahre verletzt. Er hielt es für seine Pflicht, das Gleichgewicht zwischen den beiden Reichshälften zu erhalten, und dieses war vollständig verschoben. Ein Zustand der Reizbarkeit bemächtigte sich seiner, der vergrößert wurde durch die Art, wie Baron Bänffy zu wiederholten Malen durch Noten an das Ministerium des Äußern seine Willensmeinung kundtat. Damals wurde Bänffy „noch mehr als jetzt als Wurstl angesehen", und Kälnoky hätte, wie Aehrenthal meint, ihn ruhig seitwärts liegen lassen sollen. Aber er empfand dies alles als Feindseligkeit, als ungerechtfertigte Einmischung in sein Ressort. Da kam nun die Affäre des Nuntius Agliardi. Er selbst hatte diesem die Reise nach Ungarn widerraten; die Stimmung im Lande sei zu erregt; jedenfalls empfahl ihm Kalnoky Vorsicht. Und gerade Bänffy hatte ihm zu der Reise angeraten. „Aber was will Herr von Bänffy", sagte Agliardi später, „er hat mich doch selbst eingeladen?" Als nun Bänffy bei Beantwortung der Interpellation Terenyi die Versicherung gab, es sei bereits nach Rom eine Note gesendet worden, in der man sich über Agliardi beklage, fühlte sich Kälnoky aufs äußerste gereizt und verletzt. Er erblickte ein System in den gegen ihn betriebenen Vorgängen. Freilich hätte er in aller Ruhe Bänffy zu sich bitten können; es gab Auswege, durch welche seine dem römischen Hofe gegenüber kompromittierte Stellung gewahrt werden konnte. Aber er glaubte, daß ein Zusammenwirken zwischen ihm und dem ungarischen Minister einfach nicht möglich sei. Kälnoky, so vermute ich, muß sich gesagt haben, daß Bänffy absichtlich ihn hintangesetzt habe, er hatte keinen Halt in Ungarn mehr, diese Vorgänge hatten sich also seiner Ansicht nach wiederholt. Deshalb entwarf er selbst die Note, die dann in der Politischen Korrespondenz veröffentlicht wurde45. Er zeigte sie Aehrenthal. Der sagte: „Das ist der Bruch!" - „Den will ich", war die Antwort. Aehrenthal erklärt nun, wie es kam, daß er Kälnoky nicht die Veröffentlichung widerriet. „Das war", so sagte er, „bei der Stellung, die man dem Graf Kälnoky gegenüber einnahm, fast unmöglich. Denn seine Umgebung war gewohnt, daß er jeden seiner Schritte so vollständig durchdenke und sich alle Konsequenzen derselben so vollständig klar mache, daß es überflüssig sei, ihn darauf aufmerksam zu machen!" Dies beweist, daß Aehrenthal ihm gegenüber sich doch nur als Untergebener fühlte, der mit Erteilung von Ratschlägen sehr vorsichtig sein muß. 45
Am 3. 5. 1895 erschien ein nicht gezeichnetes Kommunique in der Politischen Korrespondenz, das scharf gegen Ministerpräsident Dezsö Bänffys Interpellationsbeantwortung gerichtet war.
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„Sie sehen," so fuhr Aehrenthal fort, „daß Graf Kalnoky immer nur die Sache und nie den Schein im Auge hatte. Andernfalls hätte er seinen Abgang vorbereiten, sich den günstigen Augenblick hierzu wählen können. So handelte Graf Andrässy; er ergriff die Gelegenheit, unmittelbar nach dem Abschlüsse des Bündnisses mit Deutschland seine Demission zu geben, als sein Prestige eben auf dem Gipfel war. Damit will ich keinen Vorwurf erheben; es gehörte zu den hervorragenden Gaben Andrässys, daß er nicht bloß den richtigen Augenblick zu wählen verstand, in dem er etwas unternahm, sondern daß er hierfür auch eine eindrucksvolle Form fand. Aber Graf Kalnoky war eben eine ganz andere Persönlichkeit. Äußerliche Erwägungen solcher Art waren ihm ganz fremd. Er wollte aufs schärfste zum Ausdrucke bringen, daß er die Verschiebung des Einflusses zu Gunsten Ungarns mißbillige, die Form hierfür war ihm gleichgültig. Vielleicht hätte er seiner Sache einen besseren Dienst geleistet, wenn er anders vorgegangen wäre; jedenfalls nahm er hierbei nicht Rücksicht auf sich. Er war nicht bloß durch die Wendung der Dinge in Ungarn verstimmt, sondern auch durch den Zusammenbruch des Kabinetts Windischgraetz46; denn er hielt diese Kombination für das verständigste. Alles und ebenso seine Ermüdung und dadurch hervorgerufene Überreizung wirkten zusammen, um ihm den Rücktritt als erwünscht erscheinen zu lassen. Freilich soll man in Osterreich sich niemals lediglich durch die pessimistischen Eindrücke eines unglücklichen Augenblickes niederdrücken lassen; denn die Erfahrung und die Geschichte lehrt, daß die innere Kraft des Staates so groß ist, daß auch gefährliche Krisen überwunden werden können. Graf Kalnoky aber fühlte, daß er nicht mehr die Nerven besitze, um unter diesen Umständen wirken zu können, und so schied er lieber aus dem Amte. So wenig Kalnoky Wert legte auf den äußeren Schein, ebensowenig war er bemüht, für seinen Ruf bei der Nachwelt zu sorgen. Graf Andrässy nahm das Konzept oder die Abschrift aller seiner Noten und Denkschriften mit sich aus dem Ministerium, und seine Familie ist somit in der Lage, die Politik Andrässys vollständig darzulegen. Kalnoky nahm gar nichts mit sich. In seinem Testament verfügte er, daß Aehrenthal die Briefe etc. sichten und, wenn sich etwas Politisches unter ihnen finden sollte, diese Schriftstücke dem Ministerium des Äußern zurückerstattet werden sollten. Das ist geschehen, so daß nur die Privatbriefe im Besitze der Familie sind." Eine wichtige Mitteilung machte Aehrenthal über seine letzten Absichten bezüglich Serbiens. Danach war Kalnoky der Ansicht, daß alle Gebiete serbischen Stammes in der einen oder der andern Weise dereinst Österreich angegliedert werden sollten. Leider führte er dies nicht aus, die Tatsache wurde aber bestimmt dargelegt. Über Windischgraetz sagte er mir: Offenbar müssen die Führer der Koali46
Das Ministerium Windischgraetz hatte am 19. 6. 1895 demissioniert.
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tion sich geeinigt haben, ihn zum Ministerpräsidenten zu empfehlen. Denn er [der Kaiser] sagte damals zu Kalnoky: „Die Herren haben mir den Fürst Windischgraetz zum Ministerpräsidenten empfohlen, und ich will ihrem Rate folgen, aber ich fürchte, es wird nicht gehen." Graf Franz Thun erzählte Aehrenthal später, daß der Kaiser ihn damals, als er mit Badeni und Windischgraetz nach Budapest beschieden wurde, lediglich über die Situation befragt habe, eine Besprechung über die Übernahme des Amtes eines Ministerpräsidenten fand mit ihm nicht statt. Dies sagte Thun, als ich ihm erzählte, ein Mitglied der Koalition habe geäußert: „Der Kaiser habe die drei Herren Thun, Badeni, Windischgraetz zur Assentierung nach Budapest" beschieden.
Prof. Isidor Singer, Herausgeber
der „Zeit"
Februar 1898 К 2, U 5, 645 г
Unter dem Koalitionsministerium schrieb Kanner nach ernster Überlegung einen Artikel für die Taaffesche Wahlreform47. Kurze Zeit darauf erschien Taaffe selbst bei ihm und blieb lange Zeit (2-3 Stunden?) bei ihm. Er verbreitete sich über seine Politik. Er behauptete: Er sei bestrebt gewesen, eine Versöhnung der Nation[en] anzubahnen, aber diese ehrlichen Bemühungen seien gescheitert, und so habe er nach einem Mittel gegriffen, um die nationalen Streitigkeiten in den Hintergrund treten zu lassen durch Probleme wirtschaftlicher und sozialer Natur. Er sei dankbar dafür, daß die Zeit dies anerkannt habe. Man hatte mir gesagt, Taaffe habe Singer gesagt: „Ich habe mich stets vom Kaiser trösten lassen und mich in keiner Weise als Herrn der parlamentarischen Situation ausgegeben;" so habe er den Kaiser nie durch sein Selbstbewußtsein verletzt. Singer sagt mir, das sei unrichtig. Taaffe habe nur gesagt: Er habe dem Kaiser auch die allerungünstigsten Berichte über seine Person und sein System zu lesen gegeben; nach diesem Prinzipe seien die Ausschnitte gemacht worden. Was hatten die Zeitungen gegen ihn vorgebracht? Doch wesentlich, daß er leichtsinnig sei. Der Kaiser aber habe am besten gewußt, daß er höchst vorsichtig sei; denn vor jeder Aktion habe er ihm die Schwierigkeiten der Lage vorgestellt und ihm das Gelingen als höchst zweifelhaft hin47
Der Wahlrechtsentwurf der Regierung Taaffe wurde am 10. 10. 1893 im Abgeordnetenhaus eingebracht. Obwohl er bei Beibehaltung des Kurienwahlrechts lediglich für die Städte- und Landgemeindenkurien das allgemeine Männerwahlrecht vorsah und daher nur eine einfache Mehrheit zur Annahme benötigt hätte, scheiterte der Vorschlag im Haus. Die Regierung demissionierte darauf am 11.11.1893. Heinrich Kanner behandelte diesen Reformvorschlag in zwei politischen Leitartikeln der „Zeit" positiv, vgl. Die Zeit, 1. Bd. Nr. 10 v. 8.12.1894,145, Regierung und Initiative, sowie 3. Bd. Nr. 31 v. 4. 5.1895, 65, Interregnum.
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Gustav Seidler
gestellt. Das letztere sei sein festes Prinzip gewesen, und dadurch seien jene Anklagen auch als unbegründet erschienen.
Gustav Seidler, Professor der Staatsrechnungswissenschaft an der Universität Wien Februar 1898 К 2, U 5, 645 ν Prof. Seidler erzählte mir, Singer habe ihm mitgeteilt: Hofrat Rochelt, der Meraner Arzt, sei in Meran auch der Arzt des Erzherzog Karl Ludwig gewesen. Einmal sei Herbst nach Meran gekommen, und Rochelt erzählte dies dem Erzherzog unter manchen anderen Neuigkeiten. Darauf der Erzherzog: Dieser Dieb, erster Gauner, dieser Herbst! Als Rochelt einwendete, dieser Vorwurf treffe Herbst, wenn er sonst auch manches verfehlt habe, doch nicht, habe Erzherzog Karl Ludwig gesagt: Verlassen Sie sich darauf, mein Bruder mußte ihn fortjagen, da er sich bei den Eisenbahnen bereichert hatte. Darüber ist Singer zu fragen. Seidler erzählt, die Baronesse Redwitz, die Tochter des Dichters48, habe aus ihren Verbindungen bei Hofe erzählt: Einmal hatten die jungen aristokratischen Damen mit der damals noch unverheirateten Erzherzogin Marie Valerie gesprochen und von ihren Wünschen gesprochen, und manche habe geklagt, daß die Eltern doch nicht in der Lage seien, alles zu erfüllen. Als nun die Erzherzogin sich gleichfalls äußerte, wie man doch nicht alles haben könne, meinten die jungen Damen: Ihr sei doch das meiste erfüllbar; ihr kaiserlicher Vater werde ihr doch kaum etwas abschlagen. Aber sie sagte: „Gewiß ist mein Vater sehr gütig, aber er ist so mit Geschäften überhäuft, daß ich kaum dazu komme, ihm all diese Dinge bei gelegener Zeit vorzulegen." Seidler meint, die Erzherzoginnen seien so erzogen, daß sie sich nur mit aller Scheu an den Kaiser heranwagen.
Constantin Dumba, Legationsrat im Außenministerium
etwa Anfang März 1898 К 2, U 6, 678 г
Leider leide Österreich an der Uneinigkeit der Deutschen und an der „Unschlüssigkeit des Kaisers". Der Kaiser habe ihm einmal gesagt: Gut, nennen Sie mir also einen Mann, für den alle Deutschen sind, aber alle! Ich konnte ihm, so sagte Dumba, keinen nennen. Ich wandte ein, Plener sei es gewesen, und dieser sei beiseite geschoben worden. 48
Freiherr Oskar von Redwitz lebte seit 1872 in Obermais bei Meran.
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2. März 1898
Graf Rudolf Welsersheimb, Erster im Außenministerium
Sektionschef 2. März 1898 К 5, U 10, 325 г - 327 ν
Jettel schildert ihn als ängstlich zugeknöpft, etwas moros, unzufrieden mit seiner Stelle, mit der er es auch früher war, er wünscht offenbar, Botschafter oder Gesandter zu sein; er würde froh sein, wenig sprechen zu müssen, so daß es am besten sein wird, ihm gleich zu sagen, man wolle ihn später fragen. Das fand ich nun gar nicht. Er empfing mich sehr freundlich und begann gleich zu sprechen, sprach so ununterbrochen, daß es mir fast unmöglich war, auch nur Fragen dazwischenzuwerfen. Das letztere mußte ich versuchen, weil er sich über die interessantesten Gegenstände, aber oft so allgemein, verbreitete, daß ich gerne etwas Präziseres erfahren hätte, was ich selten konnte, da er mich fast gar nicht zu Worte kommen ließ und trotz einer gestellten Frage einfach fortfuhr. „Kalnoky", so erzählte er, „war ein Mann, der alles selbst prüfte und erledigte. Bevor er einen Akt studiert und sich eine Meinung gebildet hatte, unterließ er es sogar, seine Ansicht darüber zu sagen. Das hatte für seine Beamten sogar eine gewisse Unbequemlichkeit. Wenn man ihm eine Angelegenheit vorlegte und ihm, den Akt unterbreitend, etwa seine eigene Ansicht geltend machte, so antwortete er gar nichts und verhielt sich auch so, wenn man etwa einige Zeit später um Auskunft bat. Erst wenn er selbst alles durchgearbeitet hatte, gab er eine runde und präzise Erledigung; er hatte sich alles zurechtgelegt und war mit seiner Ansicht fertig; dann freilich stand er nicht an zu erwähnen, daß die ihm geäußerte Ansicht zutreffend sei und er ihr beitrete. Die Depeschen schrieb er selbst; und auch erst, wenn er mit ihrem Gedankengang vollständig im reinen war; dann schrieb er ohne viel Nachdenken im Einzelnen das Stück nieder. Er mußte nicht erst vieles korrigieren, etwa wie der, der sich erst im Schreiben klar wird und oft aufsetzen muß, bis er sich selbst genügt." „Es wäre", so begann Welsersheimb eigentlich seine Ausführungen, „ganz ungerecht, wenn man die Besserung unseres Verhältnisses zu Rußland einzig dem Verdienste des gegenwärtigen Regiments zumessen würde. Es ist nicht meine Art und Absicht, etwa zu tadeln, was jetzt geschieht, und ich sage das nicht, um das Verdienst des Grafen Goluchowski an der Wendung, die sich jetzt vollzogen hat, herabzusetzen 49 ; aber Gerechtigkeit gebietet, zu konstatieren, daß Graf Kalnoky durch seine umsichtige Geschäftsführung die glücklich vollzogene Annäherung an Rußland vorbereitete. Ich begrüße es deshalb nicht bloß aus Pietät für den Grafen Kalnoky, sondern auch im Interesse der historischen Wahrheit freudig, daß Sie die 49
Vgl. zur russisch-österreichisch-ungarischen Balkanentente von 1897, S. 61 Anm. 29.
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Graf Rudolf Welsersheimb
Absicht [haben], seinem Wirken die verdiente Gerechtigkeit widerfahren zu lassen." „Ich selbst stand dem Grafen Kalnoky in zwei Perioden meiner amtlichen Wirksamkeit näher, zuerst durch vier Jahre, dann durch zwei Jahre.50 Aber Baron Aehrenthal war viel mehr um ihn, war ganz in seine Absichten eingeweiht und kann über die meisten Dinge Aufschluß geben." „Gewiß, seine Haltung in den Jahren 1887 und 1888 beweist seine große Festigkeit und ist der ehrenvollste Teil seiner Laufbahn. Es [ist] wohl zum größten Teile ihm zuzumessen, daß der Friede erhalten wurde, und er ließ sich nicht von seinem Entschlüsse abdrängen." Welsersheimb bejahte, daß er hierüber mit Lobanov viel verhandelte, aber er konnte mir über die Art des Verkehres der beiden Männer nichts Näheres sagen. Seine Ausführungen bewegten sich - wortreich und in ziemlich langen Perioden - in ziemlichen Allgemeinheiten, aus denen sich nichts Bestimmteres kristallisieren ließ, um so weniger, als er sich ziemlich breit ausließ und mir keine Möglichkeit gewährte, eine Frage zu stellen, ob dies mit Absicht geschah, weiß ich nicht. Wahrscheinlich aber, da er zustimmende Äußerungen, die ich machte, sofort auffing und auf sie einging. Einzig und allein über die ungarische Krise machte er einige bestimmtere Äußerungen, die ich aus der breiten Brühe herausfische. Welsersheimb behauptete, er glaube, kein Reaktionär zu sein, und sei gewiß kein Ultramontaner, aber er könne dem „gewissen Liberalismus" nicht zustimmen, der sich insbesondere in der Aktion für die Zivilehe äußerte51. Dieses Gesetz entsprach keinem wirklichen Bedürfnisse, sondern wurde nur entworfen, weil die liberale Partei an Prestige eingebüßt habe, insbesondere durch die Führung und Verwaltung Szäpärys; und deshalb mußte ein neues drapeau aufgestellt werden, um welches man die brüchig gewordenen Teile der Partei wieder sammelte. Kalnoky nun hatte nicht die Absicht, sich entgegenzustemmen, aber er konnte und durfte nicht zugeben, daß das ungarische Ministerium wohl Einfluß auf den Gang der äußeren Politik übe, während der Minister des Äußern alles gewähren und geschehen lassen müsse, was sich im Inneren Ungarns abspiele. Insbesondere Angelegenheiten, durch welche die Beziehungen des Reiches zu dem Papste beeinflußt werden, dürften nicht ganz seiner Ingerenz entzogen werden; denn niemand kann dem Papst das Recht streitig machen, in die kirchlichen Angelegenheiten eines Landes einzugreifen, und naturgemäß muß der Minister des Äußern wieder die Be50
51
Hier scheint Friedjung die Angaben Welsersheimbs falsch wiederzugeben. Während Graf Gustav Kälnokys Amtszeit als Außenminister war Welsersheimb von 30. 6. 1886 bis 31. 12. 1888 in besonderer Verwendung und von 30. 12. 1890 bis 15. 10. 1894 als zweiter Sektionschef am Ballplatz, also zunächst zwei, dann vier Jahre. Der seit 1890 andauernde ungarische Kulturkampf wurde mit der Sanktion des Gesetzes über Einführung der obligatorischen Zivilehe am 9. 12. 1894 abgeschlossen.
2. März 1898
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Ziehungen zum Papste unterhalten. Kälnoky nun widerstrebte nicht gerade der Zivilehe, aber er hatte gewünscht, daß sich die Reform langsamer vollziehe. Vor allem aber fühlte er sich peinlich berührt durch das Vorgehen der ungarischen Minister gegen den Kaiser, und er mußte es tadelnswert finden, nicht bloß, daß sie den Kaiser nicht genau über die Stimmung des Landes informierten, sondern ihn geradezu - und dieser Vorwurf trifft besonders Wekerle - „belogen und betrogen" haben. Ich warf hier die Frage ein, worin denn diese Unwahrheiten bestünden; konkrete Fälle, wenn bekannt geworden, könnten die Tätigkeit Wekerles nur in das richtige Licht setzen. Darauf wußte Welsersheimb keine präzise Antwort. Er sei nicht so genau eingeweiht gewesen etc. Doch kam er in diesem Zusammenhange auf die Ehen der Mitglieder des kaiserlichen Hauses zu sprechen, in welcher Angelegenheit Szilägyi vorschnell einen Entscheid gefallt habe52. Diese Angelegenheit fiel in das Ressort Welsersheimbs, und er mußte im Hinblick auf die Hausgesetze und auf die katholischen Uberzeugungen des Kaisers und der kaiserlichen Familie dem Grafen Kälnoky nachdrücklich vorstellen, daß er sich dem Vorhaben der ungarischen Minister entschieden entgegensetze. „Ich habe damals sehr entschieden in den Grafen Kälnoky gedrungen und fand sogar, daß er nicht einmal energisch genug einem Ansinnen entgegengetreten sei, das im Widerspruch stand mit den Hausgesetzen und der katholischen Überzeugung des Kaisers. Wenn das Hausgesetz auch nicht immatrikuliert sei, so muß doch das Ministerium des kaiserlichen Hauses die Rücksichtnahme auf sie verlangen. Ich sage das alles lediglich deshalb, um zu zeigen, daß Graf Kälnoky keineswegs so unversöhnlich den ungarischen Wünschen entgegentrat, als man ihm vorgeworfen hatte." „Über den Zusammenstoß mit Bänffy kann ich nicht ganz genau Auskunft geben53. "Nur so viel glaube ich sagen zu können, daß er die Note der Politischen Korrespondenz dem Kaiser vorgelegt hatte und daß er offenbar glaubte, in ihm einen Rückhalt zu haben. Es zeigte sich aber, daß er nicht im Amte gehalten werden konnte. 3 Mir ist sein Verhalten übrigens nicht ganz klar. Denn er war eine viel zu besonnene Persönlichkeit, um sich etwa vom Augenblick hinreißen zu lassen und nicht den Ernst des Konfliktes zu ermessen, und auf der anderen Seite hatte er sich doch nicht ganz vergewissert, ob er auch den Rückhalt besitzen werde, den Kampf durchzuführen. Er hatte allerdings die Note der „Politischen Korrespondenz" 54 , so viel ich glaube, vor 52
Vgl. zur Haltung des ungarischen Justizministers in der Frage der Ehen des kaiserlichen Hauses S. 68 Anm. 44. 53 Vgl. dazu Friedjungs Darstellung in Graf Gustav von Kälnoky; in: Historische Aufsätze 355-360. 54 Die gegen den ungarischen Ministerpräsidenten Dezsö Bänffy gerichtete scharfe Note war am 3. 5. 1895 erschienen. a ~" gestrichen.
Ernst von Plener
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der Veröffentlichung dem Kaiser vorgelegt; aber das reichte doch nicht aus, um ihm den Sieg in der Angelegenheit zu sichern. Als er die Note entwarf, war es ihm nicht vollkommen klar, daß der früh[er] an den Baron Bänffy gerichtete Brief diesem doch bis zu einem gewissen Grade die Berechtigung gegeben hatte, die Interpellation in einem dem Nuntius ungünstigen Sinne zu beantworten. Er scheint der Ansicht gewesen zu sein, daß Bänffy absichtlich selbst über den Sinn seines Briefes hinwegging, um ihn in eine schwierige Stellung zum Papste zu bringen. Das verstimmte ihn aufs äußerste. Die ungarischen Minister haben wahrscheinlich absichtlich die Sache zugespitzt, um ihm Verlegenheit zu bereiten." Welsersheimb sagte mir zweimal im Laufe des Gespräches zu - das zweite Mal am Schlüsse - er werde sich, wenn ich bestimmte Fragen stelle, selbst nötigenfalls aus den Akten informieren, um mir Aufschluß geben zu können.
Ernst von Plener, Präsident des Gemeinsamen Obersten Rechnungshofes
3. und 4. März 1898 К 5, U 7, 296 г - 303 ν
Die Cottasche Buchhandlung hatte an Plener geschrieben, anknüpfend an seinen Artikel im Fremdenblatt55, ob Kälnoky nicht Memoiren oder ähnliches zurückgelassen hätte, sie würden sie gerne veröffentlichen. Plener wendete sich an den Grafen Sändor Kälnoky, der ihm erwiderte, Kälnoky habe in seinem Testament Aehrenthal bestimmt, der alle Briefschaften sichten und, was politisch sei, dem Ministerium zurückgeben solle. Bei diesem Anlasse schrieb Sändor Kälnoky, unter den Nekrologen auf Kälnoky sei der in der Allgemeinen Zeitung56 bemerkenswert, oder treffend, kurz ein anerkennenswertes Wort. In diesem Sinne schrieb Plener an Cotta. aMein Artikel vom 15. Februar.3 Ich habe in London viel mit Kälnoky verkehrt57. Täglich klopfte er des Abends bei mir an und holte mich zum Speisen ab, zuerst in der Botschaft, später speisten wir im Club. Er war während dieser Zeit sehr fleißig. Denn er hatte nicht die geregelte Bildung wie unsereiner genossen, aber er holte das Versäumnis fleißig nach. Er las unaufhörlich, und er hatte dann eine tüchtige historische und politische Belesenheit. Von Kunst, besonders von 55 56 57
aa
Fremdenblatt v. 16. 2. 1898, 1, Gustav Graf Kälnoky. Allgemeine Zeitung München v. 15. 2. 1898, Abendblatt, 3, Graf Kälnoky. Ernst von Plener und Graf Gustav Kälnoky waren von 1867 bis 1870 gemeinsam an der Botschaft in London tätig. Ergänzung.
3. und 4. März 1898
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Bildern, verstand er wirklich etwas; man konnte sich auf sein Urteil verlassen. Sein Album über das Schicksal eines österreichischen Untertanen58, welches Plener in seinem Aufsatze erwähnte, hat Pleners Exemplar jetzt die Fürstin Metternich. Er war aber schon als junger Mann hochmütig, wie es schließlich auch andere junge Leute sind, aber er wurde es eigentlich noch mehr. Ich selbst hegte Sympathie für ihn und möchte nicht gerne, daß diese Dinge schroff in der Öffentlichkeit erzählt werden. Aber ich muß doch sagen, daß dies auf einen Mangel an innerer Vornehmheit zurückzuführen ist. Dadurch stieß er viele Leute von sich, und zumal die Presse, gegen die er sich ablehnend verhielt, urteilte wohl auch deshalb nach seinem Tode ungünstig über ihn. Einmal wollte eine Deputation von großen Fabrikanten bei ihm vorsprechen, und ich fragte ihn - ich war Finanzminister -, ob er sie empfangen wolle. Er sagte eigentlich gar nichts auf meine Frage, aber er empfing sie nicht. Sie waren empört und schimpften auch weidlich; ich stellte ihm das nächste Mal vor, es seien erster Klass' Leute gewesen, er aber sagte: „Ich empfange nur Botschafter."3 Er war eigentlich der kleine Graf; es ist wohl nichts Geringes an sozialer Stellung, ein Kalnoky zu sein, aber sie gehören doch nicht zu den großen Familien; es gibt in Siebenbürgen noch viele kleine Kälnokys. Er nun glaubte, dies durch einen gewissen Stolz der Haltung ersetzen zu sollen. Er schrieb klar und leicht, deutsch wie französisch. Man schrieb allerdings in unserer Zeit nicht mehr so elegant französisch wie früher, und Graf Apponyi sagte zu mir: Ihr könnt alle nicht französisch schreiben, und jetzt ist diese Kunst bei den jungen Diplomaten noch mehr zurückgegangen. Auch das Englische beherrschte [er]; seine Lehrjahre machte er ja in England durch. Lettowitz gehört, wenn ich nicht irre, allen Kälnokys, Prödlitz gehörte ihm von seiner Mutter her. Sändor, Gustav und Hugo sind die drei Brüder. Die beiden ersten blieben Junggesellen; der dritte hat von zwei Frauen mehrere Söhne, auf welche das Vermögen übergehen wird. Meine Frau fand ihn eigentlich wegen seiner Kälte unsympathisch; nur einmal, als wir bei ihm „im Stockei" geladen waren,59 und er längere Zeit mit ihr sprach, sagte sie: „Jetzt begreife ich eigentlich erst, daß er Dir sympathisch ist." Plener anerkennt sein Verdienst in den Jahren 1887 und 1888, meint aber doch, er sei nicht etwa eine feste Natur gewesen, so unerschütterlich, daß dies charakteristisch für ihn gewesen. Gewiß aber war er eine ernste Per58
59
a
Es handelt sich um humoristische Zeichnungen Graf Gustav Kälnokys, die das betrübliche Leben eines Österreichers in London darstellen. Vgl. Graf Gustav von Kalnoky; in: Historische Aufsätze 329. Das Kaiserstöckel beim Hietzinger Tor des Schönbrunner Schloßparks war die Amtsresidenz der Außenminister. Randbemerkung: darf nicht erzählt werden.
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Ernst von Plener
sönlichkeit; aber ein gewisses Schwanken war doch auch in jenen Tagen bei ihm bemerklich. Das soll kein Tadel sein, denn es war eine schwierige Situation, und mannigfache Einflüsse stürmten auf ihn ein. Der Kaiser, Erzherzog Rudolf, Erzherzog Albrecht waren eigentlich zum Kriege schon bereit, da man einen Waffengang schließlich doch für unausweichlich hielt. War doch der sächsische General von Planitz, der Chef des sächsischen Generalstabes, mit mehreren anderen Offizieren damals inkognito in Galizien und besichtigte die Festungen auf ihre Widerstandsfähigkeit hin. "Erzherzog Rudolf schon die Feldküche.3 Es war zum guten Teile auch ein Verdienst des Graf Wolkenstein, damals in Petersburg, jetzt in Paris, daß der Krieg vermieden wurde. Er stellte stets nachdrücklich vor, daß Rußland keinen Krieg führen wolle; ja er wurde deshalb nicht sehr freundlich in Wien behandelt, weil man seinen Bericht nicht für richtig hielt (wohl für schönfärberisch). Aber er hielt dem stand und wirkte für den Frieden. Nach seiner, Wolkensteins Auffassung, war Alexander II. eine dumpfe, im Entschlüsse schwerfallige Natur, wie dies bei körperlich massigen Persönlichkeiten nicht selten der Fall ist, zugleich dem Kriege abgeneigt. Wahr ist, daß Kälnoky an der Begründung des selbständigen Bulgarien den Hauptanteil hatte. Dies ist um so höher anzuschlagen, als auch Pleners Auffassung [nach] Bulgarien gemäß dem Berliner Vertrag, nicht nach dessen Wortlaut, wohl aber nach dessen Sinn in die Einflußsphäre Rußlands fiel. Thesen Punkt besprachen wir sehr deutlich.15 Diesen Eindruck muß man nach allem haben. Kalnoky aber gelang es wirklich, auch im Widerspruche zu Bismarck, Rußland von Bulgarien abzudrängen. Das Urteil Pleners über diesen Teil der Tätigkeit Kalnokys war sehr ehrenvoll für Kalnoky. An der Weiterung mit Ferdinand von Bulgarien dürfte Kalnoky keinen Anteil mehr haben. Das sind höfische Geschichten. Ferdinand mag sich verpflichtet haben, gegen seinen Schwiegervater60, machte sogar die Komödie mit dem Papste, dem er es auch versprach. Er aber konnte es nicht halten; wenn er eine Dynastie begründen wollte, mußte er Boris orthodox erziehen lassen61. Darin ist er nicht für schuldig anzusehen. Nach Pleners Erinnerung war Kalnoky eigentlich nicht für die Annahme der Fürstenkrone durch Ferdinand. Er äußerte sich Plener gegenüber 1887 eher ungünstig darüber; er hat ihn schwerlich ermutigt, aber es geschehen lassen. Ferdinand nahm übrigens vom Kaiser und Kalnoky Abschied. Kalnoky war wohl niemals für Taaffesche Politik eingenommen. Er hielt 60 61
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Herzog Robert von Parma, der Vater seiner 1899 verstorbenen ersten Gattin Marie Louise. Der bulgarische Thronfolger Boris wurde am 14. 2. 1896 nach orthodoxem Ritus getauft, Zar Nikolaus II. übernahm die Patenschaft. Ergänzung. Ergänzung.
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es doch für bedenklich, die Slawen so weit zu fördern. Es war seine Ansicht, daß man die Deutschen nicht „exasperieren" dürfe, wenn man sich nicht die größten Verlegenheiten bereiten wolle. In diesem Sinne wirkte er entschieden für den Ausgleich von 189062. Den Mittelsmann zwischen Kalnoky und Plener machte Fürst Schönburg. Er war nicht begabt, aber höchst wohlmeinend, und seine bedeutende soziale Stellung ermöglichte ihm Einwirkungen nach mehrfacher Seite. Unermüdlich ging er zwischen Kalnoky und Plener hin und her und bestimmte Kalnoky nicht als Letzter zu einem entschiedenen Eingreifen. In der zweiten Hälfte Dezember 1889 fand ein Diner bei Kalnoky statt, dem sie beide beiwohnten, ob Taaffe auch, kann sich Plener nicht erinnern63. Es ist nicht auffallend, wenn man sich nicht erinnert; denn Taaffe sprach bei solchen Gelegenheiten gar nichts, hielt ganz zurück, so daß man an seine Anwesenheit vergessen kann. Das Diner fand jedenfalls schon nach der Rede statt, die Plener im Dezember 1889 gegen Taaffe gehalten hatte64. Die politische Situation war deshalb nicht ungünstig, weil die Rechte damals (offenbar auch Kalnoky) den Austritt der Deutschen aus dem Reichsrate befürchtete, und weil man dies der üblen Wirkung [wegen] vermeiden wollte. Auf Kälnokys Rat allein hätte Taaffe nicht den Ausgleich in Angriff genommen; offenbar hatte Kalnoky durch den Kaiser auf ihn gewirkt. Und so fanden die Unterhandlungen statt. Taaffe präsidierte ihnen wohl, aber immer nur kurze Zeit. Dann gab er das Präsidium an einen anderen Minister ab und zog sich dann auf ein Sofa zurück und rauchte. Er dürfte damals schon leidend gewesen sein. Unter den Ministern hat Gautsch viel zum Gelingen beigetragen. Er zeigte sich sachkundig und legte auch einen Entwurf über Schulwesen (wenn ich nicht irre Minoritätsschulen) vor, der zur Grundlage der Debatte genommen wurde. Er erwarb sich wirkliche Verdienste um das Werk. Graf Falkenhayn legte einen Entwurf über den Teil des Landeskulturrats vor, der sich aber als unbrauchbar erwies und gleich beseitigt wurde. An einem Sonntag fand die formelle Schlußsitzung 62
63
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Der aufgrund der Ergebnisse der Verständigungskonferenz vom Jänner 1890 erarbeitete Ausgleich, der jedoch im böhmischen Landtag scheiterte. Das Diner fand am 21. 12. 1890, nicht 1889, statt; vgl. Ernst von Plener, Erinnerungen. Bd. 2 (Stuttgart - Leipzig 1921) 438. Plener korrigierte diese Angaben in einem späteren Gespräch (vgl. S. 144 f.). Der böhmische Landtag hatte in seiner Herbstsession 1889 einen Gesetzesentwurf zur Gleichberechtigung der beiden Landessprachen bei den autonomen Behörden Böhmens gutgeheißen. Daraufhin brachte Ernst von Plener im Abgeordnetenhaus am 3. 12. 1889 eine Interpellation ein, in der er den Ministerpräsidenten zu seiner Haltung zum böhmischen Staatsrecht befragte und festhielt, ob dieser sich nicht verpflichtet fühle, jenen Bestrebungen mit aller Schärfe entgegenzutreten, die für die Grundlagen des Staates gefahrlich seien. In einer Rede in der Budgetdebatte am 12.12. 1889 kam Plener auf diese Interpellation zurück. Vgl. Ernst von Plener, Reden 1873-1911 (Stuttgart - Leipzig 1911)481-498.
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Ernst von Plener
statt, bei der wir unterzeichneten. Ich hatte noch die Feder zum Unterzeichnen in der Hand, als ich dem Grafen Taaffe [sagte], jetzt müsse der böhmische Landtag sofort berufen werden, und in einer wenn auch langen Session der Ausgleich sogleich perfektioniert werden. Taaffe aber erwiderte, es sei die Einberufung des Reichsrates notwendig, um das Budget zu erledigen. Als ich nun fragte, ob Taaffe nicht von der Absicht geleitet gewesen sei, die Annahme hinauszuschieben, um unterdessen beide Parteien in Schach zu halten, gab Plener ein merkwürdig günstiges Urteil über Taaffe. „Ich kann mir nicht denken, daß er nicht selbst die Bedeutung des Ausgleiches eingesehen hätte; es wäre doch für seine Regierung höchst ehrenvoll gewesen, wenn die Aktion unter ihrer Ägide geglückt wäre. Denn es knüpft sich doch an das Andenken eines Ministeriums ein Verdienst und ebenso ein Mißerfolg, an denen es vielleicht gar nicht hervorragend beteiligt ist. Ist doch die öffentliche Meinung selbst geneigt, eine Regierung für eine unglücklicherweise hereingebrochene Hungersnot verantwortlich zu machen. Taaffe muß es also selbst daran gelegen gewesen sein, den Ausgleich zustande zu bringen." Als ich mein Erstaunen über dieses günstige Urteil aussprach und hinwies, wie sehr Regierung und Adel bemüht [gewesen sein] dürften, die Entstehung einer geschlossenen Mehrheit aus deutschen und tschechischen Volksabgeordneten zu verhindern, da sonst zumal im Landtag der Großgrundbesitz nullifiziert sein würde, gab Plener dies zu und sagte zur Bestätigung: „Gewiß, der Großgrundbesitz hat das größte Interesse daran, daß die populären Elemente sich nicht einigen; nicht bloß in der Frage des Jagdgesetzes65, das ich halb scherzweise erwähnt hatte, sondern noch mehr in der des Schulgeldes. Dieses ist in Böhmen noch immer nicht aufgehoben, wenn ich nicht irre, dem einzigen Kronland, weil dann der Großgrundbesitz mehrere Kreuzer mehr vom Steuergulden Umlage zahlen müßte. Auch hat Graf Taaffe sicherlich die Ausgleichsaktion, die nicht von ihm ausging, nicht mit dem Eifer betrieben, wie wenn sie ihm nicht von außen gewissermaßen auferlegt worden wäre. Auch war er wirklich eine kleine Natur, auf welche die Größe des Erfolges, die sich an einen Ausgleich mit Böhmen geknüpft hatte, nicht stark genug wirkte." Aber bei alldem ließ Plener es nicht gerade gelten, daß Taaffe mit einem gewissen Bedacht die Aktion hinzog. Sie kam wohl durch seine Schuld zum Scheitern, aber nicht auf seine Veranlassung. Auch wirkte Dunajewski ungünstig auf ihn, und selbst die Feudalen hegten von Anfang an Zweifel, ob sich die Sache im böhmischen Landtage werde durchsetzen lassen. 65
Ein neues, die Privilegien des Großgrundbesitzes beschneidendes Jagdgesetz wurde dem niederösterreichischen Landtag vom Landesausschuß am 4. 5. 1899 vorgelegt und trotz der Erklärung des Statthalters, die Regierung werde der Vorlage die Sanktion verweigern, mit der Mehrheit der Christlichsozialen verabschiedet.
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Nochmals äußerte ich mich überrascht über diese milde und vielleicht mehr als gerechte Beurteilung eines Mannes, der ihn, Plener, mit solch Abneigung verfolgt hatte, und ich erzählte die Äußerung Thuns zu Bacquehem: Muß denn Osterreich zugrunde gehen, weil Graf Taaffe Plener nicht leiden mag? Pleners Stirne bedeckte sich mit Rot, man merkte die innere Bewegung des Mannes, aber seine Haltung blieb gemessen, und er sagte mit großer Milde: „Allerdings war der Gegensatz zwischen Taaffe und mir entscheidend für das Werden der Dinge. Ich selbst kenne keine Rancune gegen die Männer, mit denen ich im Leben je zusammengestoßen bin, Taaffe aber betrachtete mich bis zum Schlüsse als Gegner, der zu bekämpfen oder doch abzuweisen sei; er sah in mir die bete noire, und seine persönliche Abneigung, ich kann sagen Gehässigkeit waren mir stets fühlbar. Aber deshalb muß ich doch gerecht bleiben gegenüber allem, was er tat und erstrebte. Es wäre eigentlich im natürlichen Gange der Dinge gelegen gewesen, daß Taaffe und ich vom Ende der 80er Jahre an zusammengewirkt hätten. Das ist durch ihn unmöglich gemacht worden. Durch diese persönlichen Verhältnisse ist der Lauf der Ereignisse im Inneren Österreichs bestimmt worden; sie sind dadurch eigentlich entschieden worden." So einfach und schmucklos, im Ton wie in Gebärden, diese Worte auch gesprochen wurden, so fühlte man doch, daß Plener damit sein Innerstes hervorkehrte und alle seine gescheiterten Hoffnungen sich in diese Worte zusammendrängten. Graf Kalnoky, so fuhr Plener fort, war es sehr zufrieden, als dann nach dem Antrage Taaffes auf allgemeines Wahlrecht die Koalition zustande kam66. Ich muß mich nun selbst eines Fehlers anklagen, daß ich damals den Fürsten Windischgraetz zum Ministerpräsidenten empfahl.3 Ich war es auch, der ihn dem Grafen Kalnoky nannte, und dieser erklärte sich mit seiner Person einverstanden. Ich hatte mich aber in ihm getäuscht; er erwies sich doch als weniger fähig und weniger lenksam, als ich vermuten konnte. Und wie es dann bei schwachen Menschen oft der Fall ist, wurde er dann stutzig, mißtrauisch. Ich hatte mit ihm in der Ausgleichskommission in Prag sehr gut zusammengearbeitet, an deren Spitze er stand. Ich saß in den Sitzungen neben ihm, und während die Tschechen widersprachen und durch langes Reden und Anträge eine Art Obstruktion trieben, folgte er meinem Rate in der Leitung des Ausschusses; da ich gewandter war als er, nahm ich ihn dann gegen Angriffe in Schutz. So kamen wir uns sehr nahe, und ich glaubte, er würde sich im Kabinett von mir lenken (oder beeinflussen oder beraten) lassen. Aber das war nicht der Fall. Indessen wäre es vielleicht doch 66
a
Vgl. zum gescheiterten Wahlrechtsentwurf der Regierung Taaffe vom Jahr 1893 S. 71 Anm. 47. Das Ministerium demissionierte im Anschluß an die Ablehnung am 11.11.1893 und wurde durch ein Kabinett unter Fürst Alfred Windischgraetz ersetzt, dem Ernst von Plener als Finanzminister angehörte. Randbemerkung: Mehrmals wiederholt.
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geglückt, die Koalition aufrechtzuerhalten, da auch mehrere Feudale, so Graf Deym, besonders aber Prinz Karl Schwarzenberg, durchaus die Notwendigkeit begriffen, die gemäßigte Partei zu einigen. Dipauli, der Schwierigkeiten machte, war nahe daran, aus dem Club der Klerikalen auszutreten. Allerdings unterstützte uns der Kaiser nicht, der es nicht verwinden konnte, daß ihm die Ministerliste fertig aus dem Parlament vorgelegt wurde. Aber er hätte vielleicht, wenn die Parteien klug gewesen wären, sich mit [der] Kombination zuletzt abgefunden und befreundet, besonders, wenn die Verhältnisse sich hätten einleben können. Aber die Persönlichkeit des Ministerpräsidenten und die Ungeduld der deutschliberalen Partei verdarben alles. "Der Partei gab Plener die Hauptschuld.3 An ihr fand ich keine Unterstützung. Hier allein wurde Plener etwas bitter. Als der Osterartikel der Neuen Freien Presse erschien67, verlangte ich von der Clubleitung, daß sie die Neue Freie Presse desavouiere; ich konnte es aber nicht durchsetzen. Sie waren eigentlich alle gegen mich, so Menger und Baernreither. Man nahm im Club ein Vertrauensvotum für mich an, das eigentlich ganz sinnlos war, denn es hatte nicht die geringste Spitze gegen die Neue Freie Presse. Es ist eigentlich merkwürdig, wie abhängig gerade die höheren (sie) unter den Abgeordneten von der Neuen Freien Presse sind; die kleinen Leute sind es viel weniger. So war die Koalition nicht zu halten. Es scheint, daß der Versuch, sie mit Badeni herzustellen, mißlang. Denn als ich das Gespräch auf ihn lenkte, sagte Plener: „Ich habe damals mit Badeni verkehrt, aber ich will mich nicht über dieses Zusammentreffen äußern; seitdem haben wir nie verkehrt. Vom Standpunkte des Staates und der Dynastie, so sagte Plener, wäre es klug gewesen, die 1893 eintretende Kombination zu stützen. Es war eine günstige Situation, die diesen Faktoren geboten wurde, ja in gewissem Sinne war es die letzte Chance, die für lange Zeit für eine geordnete Regierung sich bieten konnte, und diese Chance wird sich in dieser Generation kaum mehr wiederholen." An der Röte, die das Gesicht Pleners bedeckte, merkte man, wie tief das ganze Gespräch und diese Erinnerungen ihn erregten. Er bat mich zum Schlüsse, ihn nicht durch eine Veröffentlichung in Verlegenheit zu setzen; ich könne alles Mitgeteilte, mit Ausnahme dessen, was er mir über die Unhöflichkeit Kälnokys erzählt hatte, benutzen, aber ihn nicht als Quelle nennen. Ich erwiderte, daß ich sein Vertrauen dankbar empfände, und daß er mir einen solchen Vertrauensbruch gewiß nicht zuschreiben werde. Er bestätigte dies, und wir schieden mit einem warmen Händedrucke. Vorher 67
Neue Freie Presse v. 14. 4. 1895, Morgenblatt, 1-2. Darin wird Plener scharf angegriffen, da er seine Rolle als Führer der Deutschen nicht wahrnehme. So heißt es in Anspielung auf den Ostergedanken: „Wann wird der Führer des deutschen Volkes in Osterreich auferstehen?" Ergänzung.
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machte er mich noch auf Regierungsrat Klyucharich aufmerksam, der offenbar für Kalnoky manche Geschäfte besorgt hatte, aber doch auch davon sprach, daß er in seinen letzten Briefen mit Besorgnis über die inneren Verhältnisse Österreichs geschrieben hatte. Plener äußerte sich auch über die Gegenwart. Gegen die Obstruktion, besonders die Zukunft betreffend, und gegen die tschechische innere Amtssprache. Dies durch das Beispiel Galiziens exemplifizierend. Kalnokys Politik gegenüber Ungarn war nicht glücklich. Es war ein großer Irrtum, ihn für klerikal zu halten. Er hatte, wie Plener sich äußerte, seines Wissens nicht einmal ein stärkeres religiöses Bedürfnis; er war eher freigeistig angelegt. Aber er war ein Konservativer und deshalb der Kirche und dem Papste eher zugeneigt. Auf ihn paßte das Wort, das Lord Eldon von sich sagte, als man ihm, dem Verfechter der Rechte der anglikanischen Hochkirche, seine Gleichgültigkeit in religiösen Dingen vorhielt: I am a pillar of the church, but on the outher side68 (genauer!). Das bestimmte seine Haltung in der Ehegesetzfrage. Gewiß war er nicht für die Ausdehnung der Rechte des Parlaments, denn er war doch auch eigentlich in absolutistischen Anschauungen aufgewachsen. Eine parteimäßige Auffassung politischer Fragen war denn nicht seine Sache, auch nicht in österreichischen Angelegenheiten, wenn [er] auch eher der zentralistischen Richtung zuneigte. Ihn verletzte dann die Art, wie die liberale Partei in Ungarn aus Gründen der Parteilichkeit mit einem Male die große Frage der Zivilehe aufrollte. Als ich einwandte, ob denn das auch der Fall war, sagte Plener sehr bestimmt: Gewiß aus Parteigründen, denn ich erinnere mich eines Gespräches mit Szilägyi, etwa 1891 oder 1892, in dem er mir ziemlich offen einbekannte, daß dem so sei. Es hatte sich für das ins Wanken gekommene Prestige der Partei die Notwendigkeit hierzu ergeben. Ich bitte Sie, jede Partei greift mitunter zu einem solchen Mittel; auch wir, die deutschliberale Partei, mußten mitunter, wenn es uns schlecht ging, auf irgend ein coup sinnen. Csäky hatte eigentlich durch seine Ungeschicklichkeit die Frage der Wegtäufer verschärft, durch einen Erlaß, der den Widerspruch der Bischöfe fand69. Man hätte das ohne Reibungen erledigen können. Trefort hätte die Frage durch einen vernünftigen Erlaß sehr leicht aus dem Wege geräumt. Er, ein Onkel meiner Frau, war ein „furchtbarer Freigeist", aber er sagte stets, er würde sich nie mit den Bischöfen verfeinden. Es sei ganz leicht, mit ihnen auszukommen; es seien vorwiegend verständige Männer unter ihnen. Übrigens entspann sich der Konflikt zwischen Kalnoky und der ungarischen Regierung nicht wegen des Sachlichen der Angelegenheiten; auch die 68 69
Vgl. dazu Graf Gustav von Kalnoky; in: Historische Aufsätze 351. Mit der Veröffentlichung der Wegtaufenverordnung vom 26. 2. 1890, die die Glaubenszugehörigkeit von Kindern aus konfessionell verschiedenen Ehen regelte, begann in Ungarn der Kampf um die Ehegesetzgebung.
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Ernst von Plener
Frage der Ehen des kaiserlichen Hauses70 und der Kossuthsche Nachlaß71 war nicht entscheidend; es verletzte Kälnoky, daß der Kaiser durch die Ungarn in jeder Weise hintangesetzt wurde. Die Frage der Ehen des kaiserlichen Hauses gab allerdings zu Beratungen Anlaß. Ich erinnere mich, daß sogar ein Gesetzentwurf ausgearbeitet wurde, der auch dem österreichischen Ministerium vorgelegt war. Das Detail ist mir nicht mehr im Gedächtnis; die Sache blieb dann liegen. Die Kossuthsche Angelegenheit machte sodann auch böses Blut, und insbesondere mein Schwager Laurent Eötvös, der vom Mai 1894 bis Jänner 1895 Kultusminister war, kam durch sie in eine schiefe Lage. Er beging den Fehler, in dieses Ministerium einzutreten. Er brachte treffliche Eigenschaften in dieses Amt; als ehemaliger Professor kennt er das Schulwesen, und er hat selbständige, reife Ansichten über Unterrichtsangelegenheiten. Aber die laufenden Geschäfte verfolgte er nicht genau, und ohne daß er sich, wie freilich seine Sache gewesen wäre, gründlich informiert hätte, unterschrieb er den ihm von August Pulszky, seinem Unterstaatssekretär, vorgelegten Akt über den Ankauf des Nachlasses Kossuths, der übrigens ziemlich wertlos war. Es ist richtig, daß der Nachlaß in Raten unter 20.000 fl (Summe ?) angekauft wurde; aber noch schwerwiegender war es, daß die ganze Summe den Erben Kossuths gleich ausbezahlt wurde; man behalf sich einfach durch eine innere Manipulation mit den Geldern des Ministeriums. Es ist schade, daß Laurent Eötvös in die Sache verwickelt wurde; ich selbst sprach darüber mit Päpay, um ihn über den inneren Zusammenhang der Sache aufzuklären. Wie gesagt, die Ungarn hätten besser getan, die Frage der Zivilehe nicht aufzurollen. Es hätte „irgend einer Kunst" [bedurft], die man in Ungarn vortrefflich zu erfinden versteht, um die Sache zu ordnen. Als ich einwendete, daß die Führung der Reform mächtig zur Befestigung der liberalen Partei beigetragen habe, meinte Plener: Das ist doch nicht der Fall. Man hat zwar den hohen Klerus zu versöhnen verstanden; aber der niedere Klerus ist doch dadurch abgestoßen worden, und man hat doch die katholische Volkspartei gespalten; zudem ist mitten durch die Aristokratie ein Riß geführt worden, der für die ungarische Sache unheilvoll ist. Kalnoky aber, wie gesagt, [wurde] am meisten durch die ungeziemende Behandlung des Kaisers durch die Magyaren verletzt. Was es mit dem Belügen des Kaisers durch Wekerle sei? Darin nun habe ich Wekerle stets verteidigt. Eine mala fides war bei ihm nicht vorhanden; er war eher schwach, trotz seiner massigen Figur, sagte manches zu und konnte es 70
71
Vgl. zur Haltung des ungarischen Justiz ministers Dezso Szilägyi in der Frage der Ehen des kaiserlichen Hauses S. 68 Anm. 44. Vgl. auch Ernst von Plener, Erinnerungen. Bd. 3 (Stuttgart - Leipzig 1921) 139. Die ungarische Regierung hatte den Nachlaß Lajos Kossuths kurz nach dessen Tod am 20. 3. 1894 angekauft, jedoch ohne die Einwilligung des Kaisers einzuholen. Vgl. Kaiser Franz Josef I.; in: Historische Aufsätze 529.
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dann nicht halten. Er machte so dem Kaiser Zusagen, die er dann nicht halten konnte, wenn er nach Budapest und unter den Einfluß der Partei kam; gerne heimste er dann den Beifall des Parlamentes für seine kräftigen Reden ein. Am schärfsten scheint das der Fall gewesen zu sein, als er dem Kaiser zusagte, Szilägyi fallenzulassen, er war nicht stark genug, das Versprechen einzulösen. Ich selbst machte mit ihm die besten Erfahrungen. Als wir das zweite Valutagesetz besprachen72, bestimmte ich ihn, in einer Frage meiner Auffassung beizutreten, und wir vereinbarten dann die Sache, wobei eigentlich nichts Schriftliches abgemacht wurde und nur auf einem kleinen Stück Papier mehr als aide-memoire das Wesen der Sache verzeichnet wurde. Es wurde aber alles beiderseits pünktlich eingehalten; und als sich in bezug auf eine Nebenfrage eine Differenz ergab, schickte ich Hofrat Geyringer hinunter, ließ erklären, daß ich mich genau an den Tatbestand erinnerte; und daraufließ er sofort jeden Widerspruch fallen. Aber das war offenbar dem Kaiser gegenüber nicht der Fall. Szilägyi wurde dem Kaiser mißliebig, jetzt ist er wieder, wie ich höre, in Gnaden, da er speziell in der Ausgleichsfrage ganz auf den guten Deakschen Traditionen steht, er steht in Gnade, so werden ja die Dinge bei uns gemacht. Durch das Festhalten an Szilägyi trat in Wien die tiefste Verstimmung ein. Und doch hätten sich die Dinge geordnet, wenn nicht bei Kälnoky die tiefste Verstimmung zurückgeblieben wäre73. Ich selbst wurde überrascht, als ich nach Beginn des Konfliktes mit Bänffy und als zuerst die Sache beigelegt schien, ihn auf dem Hofball traf und er mir sagte: „Es wird trotz alledem zum Bruche kommen." Insbesondere scheint er [sich] der Tragweite des Briefes an Bänffy nicht bewußt gewesen zu sein. Ich war überrascht, als ich ihn nach seinem Sturze einmal sprach, und als er mir auf meine Einwendung, er habe doch in dem Briefe selbst das Verhalten Agliardis als taktlos bezeichnet und Bänffy damit eine Waffe gegeben, von ihm hören mußte [sie!]: Aber ich habe doch auch in dem Briefe erklärt, daß der Nuntius eine Stellung sui generis habe. Als ich nach Hause kam, sagte ich meiner Frau: Heute hat Kälnoky einen Unsinn geredet. Plener scheint sich aber doch nicht über den Kern der Sache klar zu sein. Der Schluß des Gespräches ist auf Seite 11 erzählt, denn über seine persönliche Angelegenheit sprach Plener zuletzt. Als ich schon aufstand, brachte er das Gespräch selbst darauf, ließ seinen Sohn noch aus dem Zimmer hinaustreten, und stehend und gehend kam eigentlich das auf Seite 9,10,11 zur Aussprache.8 72
73
a
In drei Gesetzen vom 9. 7. 1894 wurden die Details der 1892 beschlossenen Umstellung auf die Goldwährung geregelt. Vereinbarungsgemäß wurde darüber am 24. 7. 1894 ein Vertrag mit der ungarischen Regierung unterzeichnet. Vgl. zum Konflikt Kälnoky - Bänffy, der zum Rücktritt des Außenministers führte, Graf Gustav von Kälnoky; in: Historische Aufsätze 355-360. Vgl. S. 81-83. Die Aufzeichnungen der Gespräche mit Plener sind mit Bleistift von 1-16 durchnumeriert.
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Emil Jettel v o n Ettenach
Emil Jettel von Ettenach, Sektionsrat im Außenministerium
3. März 1898 К 5, U 10, 329 г
Mit Bezug auf Pleners Charakteristik, Kälnoky sei sehr abweisend gewesen: ein kleiner Graf74, meinte Jettel: Das sei ganz richtig, aber es sei zu bemerken, daß er ebenso selbstbewußt gegen oben gewesen sei. Wenn er zum Kaiser gerufen wurde und dieser auf ihn wartete, ging er doch seinen stolzen, gemessenen Schritt durch die Gänge des Ministeriums und der Hofburg; er beschleunigte ihn nicht einmal. Und einer der Hofschranzen sagte zu Jettel nach Kalnokys Tode näselnden Tones: „Dieser Graf Kälnoky, es war ganz unwürdig, wie er mit den Erzherzogen verkehrte." Mit seinen Beamten dagegen war er höflich, rücksichtsvoll. Ich bitte Sie, was war ich, ein kleiner Sektionsrat, und jedesmal, wenn ich zu Kälnoky kam, und wenn er auch schrieb, so legte er die Feder nieder und fragte: Was gibt es Neues? Nie, daß er mich warten ließ und etwa seine Arbeit vollendete. Mit Bezug auf Welsersheimbs Bemerkung, daß er bei Abfassung seiner Note in der Politischen Korrespondenz sich nicht klar war, daß sein Brief an Bänffy diesem doch auch Waffen gegen ihn gab75, meinte Jettel: Möglich, daß er sich diesen seinen Brief nicht einmal vorlegen ließ, und daß sein Gedächtnis ihn in diesem Punkte im Stiche ließ.
Victor von Kraus, Historiker und Reichsratsabgeordneter
a. D.
5. März 1898 К 2, U 5, 644 r-v
Erzählte von seinem Vater, Generalstabsarzt Kraus. Kraus war verfeindet mit Dr. Wittelshöfer, dem Redakteur des medizinischen Blattes76, Vater Otto Wittelshöfers. Dieser gab einen Kalender für den militär-ärztlichen Dienst heraus, der ihm 1.000-1.200 fl einbrachte. Nun war Kraus für die Witwen- und Waisenkasse der Militärärzte bemüht und forderte die Herausgabe eines ähnlichen Kalenders, dessen ganzer Ertrag jener Kasse zufallen sollte. Wittelshöfer kam zu Kraus, um ihn [zu] bitten, die Herausgabe jenes Kalenders zu hindern. Kraus lehnte ab und bekannte sich zur Förderung. Darauf verließ Wittelshöfer das Zimmer mit den Worten: „Nun 74 75 76
Vgl. S. 77. Vgl. S. 76. Dr. Leopold Wittelshöfer war Gründer und Redakteur der Wiener medizinischen Wochenschrift. Die Wiener medizinischen Blätter wurden erst 1878 gegründet. Als Beilage zur Wochenschrift erschien Der Militärarzt, außerdem veröffentlichte Wittelshöfer ein jährliches Taschenbuch für Civilärzte.
5. März 1898
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werden Sie sehen, was es heißt, einen unabhängigen Schriftsteller . . . " Seitdem verfolgte er Kraus. Mitten im Kriege 1866 brachte er eine Notiz, nach der Kraus im eleganten Sommeranzug mit einer Samtjacke spazieren gehe. Kraus besaß keinen Samtrock und war unermüdlich tätig. Bei seinem Rücktritte77 schrieb er in seinem Blatte: Kraus sei im Begriffe, einen größeren Güterkomplex in Mähren anzukaufen. Erlogen, komisch war, daß Agenten in das Haus Kraus' kamen, um ihm Anbote zu machen. Victor von Kraus wollte zu Wittelshöfer eilen, um ihn durchzuprügeln: wurde von seinen Eltern zurückgehalten. Wittelshöfer nun verbreitete stets in seinem Blatte, Kraus sei es gewesen, der den Beitritt Österreichs stets verhinderte78, und griff ihn deshalb heftig an. Das Umgekehrte war richtig. Kraus hatte stets auf den Beitritt gedrungen, aber der Kaiser hatte jeden derartigen Vorschlag abgelehnt. Nun war Kraus ein alter Kamerad und Freund des Kriegsministers Franck. Er bestimmte diesen, vor dem Kriege dem Kaiser noch einmal vorzustellen, wie wichtig der Beitritt sei. Der Kaiser war aber sehr ungehalten und sagte, daß er nicht begreife, wie ein Soldat einen solchen Vorschlag machen könne. Aber Kraus, nicht abgeschreckt, wandte sich an Erzherzog Albrecht. Mit diesem stand Kraus in einem sehr engen Verhältnisse, das zurückging auf Familien Verhältnisse Albrechts und seiner Gattin Hildegard; Kraus hatte sich ihr volles Vertrauen erworben, und Albrecht ging in seiner Zuneigung zu Kraus sorgfaltig auf alles ein, was dieser ihm vorschlug. Albrecht sprach also noch einmal mit dem Kaiser, der aber, offenbar verstimmt, sich nicht einmal auf eine Diskussion der Sache einließ. Königgrätz war geschlagen, und Kronprinz Albert von Sachsen in Wien angelangt. Zufällig stand Kraus auch bei ihm in Gunst. Etwa 1851 oder 1852 war Albert bei Manövern in Böhmen gefallen, hatte sich den Schenkel gebrochen; Kraus war glücklicherweise in der Nähe, legte den ersten Verband an, begleitete ihn dann nach Dresden und blieb hier bis zur Heilung. Als Kraus nun einmal bei Erzherzog Albrecht war, trat ein Herr hinter einem Vorhange hervor, trat auf Kraus zu und sagte: Kennen Sie mich noch? und wußte sich zu erkennen geben. Albrecht riet nun Kraus, er solle sich in der Frage an Albert wenden. Dieser nahm es auf sich, sich an den Kaiser zu wenden, worauf dieser noch immer entgegnete: Nun, ich werde sehen, aber endlich gab er jetzt seine Zustimmung. Als Erzherzog Wilhelm nach Königgrätz leicht verwundet nach Wien kam, wurde er vom Kaiser und dessen Gefolge auf der Bahn empfangen: Kraus war selbstverständlich anwesend, trat sofort auf den verwundeten Erzher77
78
Generalstabsarzt Felix von Kraus war mit 1. 3. 1867 aus dem aktiven Dienst ausgeschieden. Österreich trat der Genfer Konvention über Behandlung und Pflege im Feld verwundeter Krieger erst am 21. 7. 1866, also nach der Schlacht von Königgrätz, bei.
Prof. Laurenz Müllner
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zog zu und sagte, den Verband abnehmend: „Nicht der Rede wert", allgemeines Entsetzen der Höflinge, und Crenneville ging auf ihn zu und sagte: „Wie konnten Sie sich nur so aussprechen, das ist ja unerhört." Albrecht nahm auch für Kraus warm Partei, als in einem Preßprozesse zwischen Dr. Wittelshöfer und einem ehemaligen Militärarzte Kraus von einem derselben angegriffen wurde. Albrecht schrieb Kraus damals einen Brief, in dem er seine hohen Verdienste anerkannte, und autorisierte ihn zur Veröffentlichung. Als Kraus hinging, sich zu bedanken, sagte Albrecht: „Ich weiß nicht, wen ich an einen höheren Galgen hängen möchte, Wittelshöfer oder seinen Gegner." Kraus ist der Urheber oder Förderer des Krankenzerstreuungssystems 79 . Vergleiche seine Biographie in der Allgemeinen Deutschen Biographie80.
Prof. Laurenz Müllner, Professor für an der Universität Wien
Philosophie 9. März 1898 К 2, U 6, 670 г
Er sagte mir, Erzbischof Gangibauer habe sich geäußert: „Die Verbindung mit Staatsrat Braun ist mir wichtiger als mit einem Minister!"
Freiherr Anton von Scudier, Feldzeugmeister und Verwaltungsrat der österr.-ung. Staats-Eisenbahn-Gesellschaft
i. P. 9. März 1898 К 2, U 5, 643 r-v
Im Jahre 1848 gab es in ganz Galizien nur vier Geschütze, wir mußten nach Wien um Geschütze schreiben, und diese kamen glücklicherweise rechtzeitig vor Ausbruch der Revolution in Krakau an. Um 10 Uhr früh standen wir in der Schlacht bei Custoza sehr gut. Monte Cricol und Oliosi war genommen, ich hielt mit meiner Brigade den Belvedere besetzt, und dadurch war ein Keil in die italienische Schlachtlinie getrieben. Aber es gab keine Oberleitung der Schlacht. Der Erzherzog stand damals noch in San Giorgio weit zurück. [Ein] Offizier erzählte Scudier nur, daß man dort nichts sah, wenigstens nichts Deutliches, man wußte nur, daß sich Kämpfe an mehreren Stellen entsponnen hätten. Der Erzherzog strebte nach vorne, aber John hielt ihn zurück, da er fürchtete, der 79
80
Vgl. Felix von Kraus, Das Kranken-Zerstreuungssystem (Wien 1861). Gemeint ist die planmäßige Evakuierung der Verwundeten und Kranken vom Feld in die Etappen- und Reservelazarette. Allgemeine Deutsche Biographie. Bd. 17 (Berlin 1883) 68.
9. März 1898
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Erzherzog werde sich infolge seiner Kurzsichtigkeit zu weit vorwagen, vielleicht bis in die feindlichen Linien. Es bestand so wenig an Oberleitung, daß ich eigentlich den ganzen Tag über vor dieser Zeit (oder überhaupt nicht, das habe ich vergessen) keinen Befehl erhielt. In diesem Moment war die Division Brignone schon im Abzug, aber es ist das „Verdienst La Marmoras", daß er schon Govone und Cucchiari nach vorne dirigierte81. Scudier sagt es von beiden, aber der eine wurde bekanntlich vom König hinaufbeordert. Die ganze Befehlsgebung war mangelhaft, ich finde das auch früher, in dem Buche Arnims, Die Taktik der Situation, getadelt82. Uberhaupt galt damals in der österreichischen Armee der Grundsatz, daß in dem Befehle der Zweck desselben nicht den Untergebenen mitzuteilen sei. Dieser habe einfach das Befohlene auszuführen. Ich habe darüber auch später noch mit Edelsheim Kontroversen gehabt. Ich erwähnte, Moltke habe stets den operativen Zweck im Befehle angegeben. Scudier stimmte zu. Sonderbar war auch, daß vorgeschrieben war, vor dem Sturme sei das Signal hierzu durch den Tambour zu geben. Das ist unsinnig, da der Feind den Moment des Sturms kennt und das Feuer verstärken wird. Ich habe deshalb vor 1866 Widerspruch dagegen erhoben, und ich bekam von Wien aus Erlaubnis, das zu unterlassen. Ich lag mit meiner Brigade in Mantua (?) in Garnison; außerdem lag auch ein von Schönfeld befehligtes Regiment dort. Ich fragte ihn, ob er sich in dem neuen Brauch anschließen wolle. Er aber lehnte es ab. Zu Danzer sprach sich Scudier, bevor ich kam, sehr absprechend über Militärgerichte ab [sie!], bezugnehmend auf den Fall Dreyfus83. Er sagte: „Natürlich richten sich die Richter nach der Meinung der Oberen, sie sind ja ihre Vorgesetzten." Ich erzählte das einige Tage später in Anwesenheit Professor Exners. Dieser sagte: Scudier hat Unrecht, so zu sprechen. Mein Onkel war Auditor und hatte auch im Falle Scudier zu tun84. Er war sehr niedergeschlagen und sagte damals, er müsse seine Pensionierung befürchten, denn er halte Scudier für unschuldig, und gegen den Erzherzog Albrecht komme er nicht auf. 81 82 83
84
Vgl. zur Schlacht bei Custoza Friedjungs Darstellung in Kampf um die Vorherrschaft. Bd. 1, 347-402. Ritter von Arnim, Die Taktik der „Situation". 9 Hefte in 6 Bänden (Berlin 1879-1886). Der französische Hauptmann Alfred Dreyfus wurde im Dezember 1894 von einem Militärgericht in einem äußerst fragwürdigen Prozeß wegen Landesverrats zugunsten Deutschlands zu lebenslanger Haft verurteilt. Im Revisionsverfahren 1899 wurde er neuerlich verurteilt, diesmal zu zehn Jahren Gefängnis, jedoch anschließend vom Präsidenten der Republik begnadigt. 1906 wurde Dreyfus schließlich vollständig rehabilitiert und zum Major befördert. Die politische Auseinandersetzung wurde auf der rechten Seite stark von antisemitischen Tönen beherrscht, da Dreyfus jüdischer Herkunft war. Anton von Scudier wurde wegen seines Verhaltens während der Schlacht von Custoza in kriegsgerichtliche Untersuchung gezogen. Seine Truppen hatten eine andere als die zugewiesene Reservestellung bezogen.
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Bruno Bucher
Bruno Bucher, Direktor des Museums für Kunst und Industrie in Wien i. P.
10. März 1898 К 2, U 6, 670 r-v
Crenneville war wie alle „Lothringer" sehr servil. Er hielt alles Unangenehme vom Kaiser ab. Als dieser einmal in Ungarn inspizierte, und ein General dem Kaiser aufrichtig Bericht erstattete über bestehende Mängel, sagte ihm Crenneville später, er solle dem Kaiser nicht so unangenehme Dinge sagen; er begreife ihn nicht, daß er den Kaiser damit beunruhige. Ebenso nahm er es dem Eitelberger (Direktor des Museums85) sehr übel, daß er in Anregung gebracht hatte, in den Sammlungen des kaiserlichen Hauses staatliches und Hofeigentum zu trennen. Es sei nicht richtig, sagt Bucher, daß Crenneville sich dem widersetzte, weil der ungarische Staat sonst Anspruch auf einen Teil des Staatseigentums erhoben hätte. Das erzählte Bucher im Anschlüsse an Crennevilles Unwillen über Chefarzt Kraus, weil dieser die Wunde des Erzherzog Wilhelm als „nicht der Rede Wert" bezeichnete86, was ich erzählte. Graf Westphalen verließ Preußen nach 1866, weil er die Politik Wilhelms I. mißbilligte. Einer seiner Söhne administrierte die Güter Liechtensteins sehr glänzend, wurde aber von untergeordneten Leuten Liechtensteins gestürzt. Exner bestritt, daß Johann Liechtenstein eine schwere Krankheit habe, er sei nur hochgradig menschenscheu und schüchtern, eine eigene Art von Nervosität.
Graf Alexander Kälnoky, Generalmajor i. P.
13. März 1898, Graz, Burgring 21 К 5, U 10, 335 г - 3 3 7 ν
Er lud mich zu sich durch Vermittlung Pleners. Kälnoky dankte mir, daß ich gekommen. „Wir müssen Ihnen dankbar sein." Er hatte mein Werk87 gelesen, hatte es Graf Kälnoky gegeben, der es gelesen hatte und mit vielem Lob davon gesprochen hatte. Gustav Kälnoky ist zwei Jahre jünger als Alexander. Beider Großvater heiratete eine Gräfin Blümegen und erbte Lettowitz. Von seiner Mutter, einer Schrattenbach, erbte er Prödlitz. Kälnoky lernte eigentlich nicht viel. Bis zum 16. Jahre wurde er in Lettowitz erzogen, Hofmeister unterrichteten ihn, unter denen sich keine irgendwie nennenswerte Persönlichkeit befand. 85 86 87
Rudolf von Eitelberger-Edelberg war Gründer und erster Direktor des Museums für Kunst und Industrie. Vgl. S. 87 f. Der Kampf um die Vorherrschaft.
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Man bekommt ja aufs Land doch keine tüchtigen Leute. Er machte „einige Lateinklassen". Der Vater hielt auf eine gewisse Bildung bei seinen Kindern. Mit 16 Jahren wurde Kalnoky Husarenleutnant. Er war von früh auf heiter, zu jedem Scherze aufgelegt. Er war ein vorzüglicher Reiter und besuchte durch zwei Jahre die Equitation. Er war von seltener Gelenkigkeit und so geschickt zu Pferde, daß er Purzelbäume darauf schlug etc. Als der Kaiser einmal die Equitation besuchte, zeigte der junge Oberleutnant seine Künste, und der Kaiser sagte später scherzhaft: So wie ich hat kein Herrscher je seinen Minister des Äußern zuerst kennengelernt; ich sah den Graf Kalnoky bei diesem Anlasse einen Purzelbaum machen. Er war ein so geschickter Reiter, daß man ihn mit 21 Jahren zum Rittmeister machen wollte, wenn er Lehrer an der Equitation werden wollte. Es war bezeichnend, daß er das ablehnte, weil er schon damals die Absicht hatte, zur Diplomatie zu gehen. Er bat um einen einjährigen Urlaub, um sich auf die Prüfung vorzubereiten, aber man schlug es ihm ab; und so mußte er vormittags Pferde zureiten, und nachmittags studierte er. In dem Aufsatze Pleners88 findet sich der Irrtum, daß man damals gerne elegante Offiziere in die Diplomatie nahm. Buol machte im Gegenteil Schwierigkeiten, Kalnoky anzustellen. Endlich willigte er ein. Ob Kalnoky zuerst eine Staatsprüfung machte, weiß Alexander Kalnoky nicht; jedenfalls machte er die Diplomatenprüfung und wurde zuerst nach München geschickt. Das war 1854, nachdem er sich im Winter 1853 auf 54 vorbereitet hatte." Von München kam er nach . . .b, dann nach London, wo er Botschaftsrat wurde. Hier wurde der Kaiser auf ihn aufmerksam. Denn Graf Apponyi war alt geworden und Kalnoky führte oft für ihn die Geschäfte. Als Alexander Kalnoky Oberstleutnant wurde und sich beim Kaiser vorstellte, sagte er ihm, er habe die Berichte Kälnokys stets erkannt (ob erkannt?), da sie besonders gut gewesen seien; Apponyi sei eben schon alt geworden. Andrässy war ihm nicht wohl, da er ihn von London, wo er die Botschaft leitete, nach Rom an einen kleineren Posten sendete, oder sagte Alexander Kalnoky: nach Kopenhagen89. Es kam von Rom aus zu Mißhelligkeiten mit Andrässy, den Anlaß weiß Alexander Kalnoky nicht. Auch Kälnokys Ernennung nach Petersburg geschah eigentlich nicht nach dem Wunsche Andräs88
Fremdenblatt v. 16. 2. 1898, 1, Gustav Graf Kalnoky. Graf Gustav Kalnoky leitete von April 1871, also noch unter Außenminister Graf Beust, bis Mai 1872 interimistisch die Botschaft beim päpstlichen Stuhl, nachdem er seit Dezember 1859 in London tätig gewesen war. Nach zweijähriger Disponibilität war er von Februar 1874 bis Juli 1879 Gesandter in Kopenhagen, ehe er die Botschaft in St. Petersburg übertragen bekam, zunächst als Leiter, seit 26. 1. 1880 als Botschafter. Am 20. 11. 1881 wurde er schließlich zum Minister des Äußern ernannt. " Randbemerkung: Ich irre wohl nicht in Ziffern. b Mehrere Punkte im Original. Graf Gustav Kälnokys nächste Station nach München war Berlin.
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Graf Alexander Kälnoky
sys. Dieser empfahl Haymerle zu seinem Nachfolger, in der sicheren Erwartung, er selbst werde wiederkehren. Als Haymerle plötzlich starb, ließ der Kaiser Kälnoky das Amt des Ministers durch Källay anbieten, der schon damals gehofft hatte, Minister des Äußern zu werden. "Als Haymerle starb, hatte Kälnoky gerade den Urlaub nach Wien in der Tasche, aber er ging absichtlich nicht nach Wien, um den Schein zu vermeiden, daß er sich um das Amt bewerbe.3 Damals nun schrieb Kälnoky an Källay einen Brief, in dem er auf die Schwierigkeiten hinwies, die der Minister des Äußern zu überwinden habe. Er habe keine Verbindung mit den Ministern von Österreich und Ungarn und sei in einer bedenklichen Position. „Eigentlich war die österreichische Verfassung auf das Amt eines Reichskanzlers zugeschnitten," aber dieses Amt war nicht ausgebildet. Oft äußerte sich Kälnoky in diesem Sinne. Er sagte noch zu Lebzeiten Andrässys, daß es sehr [zu] bedauern sei, daß dieser nicht noch einmal Minister des Äußern geworden sei. Denn er allein hätte vermöge seines Prestiges diese Umwandlung des Ministeriums des Äußern durchgesetzt. Nur ein Ungar könnte dies zu Wege bringen. Zu Andrässys Lebzeiten sagte das Kälnoky, bekräftigte Alexander Kälnoky auf meine Frage. Dies ist um so bemerkenswerter, als Andrässy ihm vielfach Schwierigkeiten machte. Kälnoky hat es schwer empfunden, daß er ihm in den Delegationen Opposition machte; und in den Couloirs äußerte sich Andrässy noch viel schärfer gegen ihn. Und doch hätte ja er, wenn er Rußland bekämpfen wollte, dies 1878 unter viel günstigeren Umständen tun können. Dies sagte Alexander Kälnoky so, daß ich sah, er gebe hier die Auffassung seines Bruders wieder. Die Vereinigung Ostrumeliens mit Bulgarien90 kam ihm sehr unerwartet und war ihm besonders deshalb peinlich, weil Fürst Alexander unmittelbar vorher bei den Manövern in Osterreich gewesen war, und die Vermutung nahe lag, er habe Kälnoky in seine Pläne eingeweiht. Kälnoky sagte damals selbst: Alle Indizien dafür, daß wir von dem Ausbruch der Revolution in Philippopel früher unterrichtet waren, sind gegen uns, und sie sind so, daß jedes Geschworenengericht uns daraufhin verurteilt hätte. Ich vermute, daß er sich deshalb so scharf gegen die Revolution in den Delegationen 1885 aussprach91, er mußte den Verdacht von sich ablenken. Kälnoky war sehr ernst und fleißig. Während seiner Amtstätigkeit nahm er nur 14 Tage Urlaub. Ist das richtig? Alexander Kälnoky behauptet es. Er Am 20. 9. 1885 erklärte Fürst Alexander von Bulgarien einseitig die Union der türkischen autonomen Provinz Ostrumelien mit Bulgarien. 91 Im Budgetausschuß der österreichischen Delegation erklärte Graf Gustav Kälnoky am 7. 11. 1885, Ziel der Politik der Monarchie sei es, die legalen Zustände in Rumelien wiederherzustellen. Er bezeichnete das Vorgehen Bulgariens als Vertragsbruch, den seine Regierung nicht anerkennen werde. a" Ergänzung. 90
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mutete sich viel zuviel zu. Alexander Kälnoky war daher nicht in der Lage, oft mit ihm zu sprechen. Er sah ihn eigentlich nur zum Diner, wenn er nach Wien kam. Dann aber fand er seinen Bruder so überarbeitet, daß die gewöhnliche Rücksicht gebot, das Gespräch nicht auf Politik zu bringen, Alexander sprach dann absichtlich nur von Lappalien. Seine Nerven waren zuletzt ganz aufgerieben, und Alexander glaubt, er hätte sein Amt nicht drei Wochen länger bekleiden können, er wäre zusammengebrochen. Er war der edelste Mensch, von einer Selbstlosigkeit, die kaum seinesgleichen kennt. Er hatte ein warmes Gemüt. Dabei litt er es nie, daß man ihn lobte; in solchem Falle wurde er grob. Er lebte nur seiner Arbeit. Aber er hatte zwei Fehler. Er trat zuwenig in den Vordergrund und zog auch die Menschen viel zu wenig an sich, er war gegen sie geradezu abstoßend. Sodann kümmerte er sich viel zuwenig um die Zeitungen. Er verachtete sie sogar. Und doch hätte er sie benützen sollen, man muß nur das Beispiel Bismarcks bedenken. Er war doch ein Gegner der Zivilehe, weil die Ungarn die Sache nur aus Parteirücksichten betrieben 92 . Offenbar ganz nach Gustav Kälnoky. Und immer mehr sah er, daß seine Stellung den Ungarn gegenüber unhaltbar sei. Sie griffen ihn unaufhörlich an. Er sagte immer, es müsse „ein Anstandsverhältnis" zu Ungarn bestehen. Sei dies nicht der Fall, so könne sich der Minister des Äußern nicht halten. Deshalb empörte ihn die Indiskretion Banffys. Man hat gesagt, daß er sich zu der Note der Politischen Korrespondenz habe hinreißen lassen. Das ist unrichtig. Wie hätte ein so besonnener Politiker, voll Selbstbeherrschung und Takt, sich so vergessen können? Zu jener Zeit sprach Alexander mit ihm, und er gewann den Eindruck, daß Kälnoky sich den Rückweg absichtlich versperrte: Der Kaiser hielt ihn bis zum letzten Augenblicke, an ihm hatte er eine feste Stütze. Der Kaiser wollte, er solle bleiben. Aber er sagte dem Kaiser, er könne ihm keine Dienste mehr leisten. Denn jedes Vertrauen zu den ungarischen Ministern sei bei ihm geschwunden, und ein Zusammenwirken mit ihnen sei unmöglich. Als er aus dem Amte geschieden war, hörte ich nie die geringste Klage oder Beschwerde von ihm gegen irgend jemanden. Er hatte keinen aigreur, sondern benahm sich mit vollkommener Selbstlosigkeit und Würde. Er hatte den Grafen Goluchowski empfohlen und sagte, er müsse wünschen, daß dieser vollkommen den Erwartungen entspreche. Sonst würde er sich den größten Tadel zuziehen, der ihn empfohlen hätte. Er hielt sich auch ferne von allem, um auch nur den Schein zu vermeiden, daß er sich einmischen wolle; das wäre ja für die Geschäfte verderblich. Wenn man ihn fragte, ob er nicht wieder ins Amt kommen werde, so sagte er: „Die Geister kehren nicht wieder." Ebenso lehn92
Vgl. zum Konflikt mit der ungarischen Regierung, der zum Rücktritt des Außenministers führte, Graf Gustav von Kälnoky; in: Historische Aufsätze 350-360.
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Graf Alexander Kalnoky
te er den Gedanken, einen Botschafterposten anzunehmen, ab, es scheint ihm aber kein solcher angeboten worden [zu] sein, wie aus den Worten Alexander Kälnokys hervorgeht. Denn auf einem politischen Posten wie dem zu Berlin oder Petersburg hätte er den Minister des Äußern gedrückt. Es blieb eigentlich nur London oder Paris, besonders der letztere. Zuerst widmete er sich der Erholung, dann aber war er vollkommen gesund, las viel und widmete sich der Gartenkultur. "Er hatte eine schöne Bibliothek in Prödlitz.3 Uber die inneren Verhältnisse äußerte er sich in zwei Briefen an Alexander Kalnoky so pessimistisch, daß dieser mir die Briefe nicht einmal zeigen will. Alexander Kalnoky ist erstaunt, daß ein so ruhiger und besonnener Mann in diesem Grade pessimistisch urteilen könne. „Das Räderwerk sei gebrochen." „Es sei alles zerstört, was wir in den letzten 30 Jahren gebaut haben." Er wohnte in Prödlitz (Station Nezamislitz). Brief Salisbury an Graf Deym für die Familie. Von Hugo Kalnoky sei nicht viel zu erfahren. Dieser sei um vieles jünger, auch habe er nicht das Interesse für öffentliche Angelegenheiten. Die Gräfin Silva Tarouca93 hätte auch wenig mitzuteilen. Kalnoky war immer der Ansicht, daß man mit Geduld und Zähigkeit endlich doch zu einer Verständigung mit Rußland kommen könne. Man müsse alles tun, um den in ihren Konsequenzen unübersehbaren Zusammenstoß hintanzuhalten. Freilich, die Früchte dieser Politik hat er nicht geerntet. Die große Wendung, daß Rußland seine Aufmerksamkeit Hinterasien zuwenden müsse, trat in ihren Wirkungen etwas später ein. Mit Bismarck sprach sich Kalnoky vortrefflich. Er war voll freudiger Anerkennung über dessen nie versiegende Kraft und Heiterkeit der Rede. Als er Caprivi besuchte, sagte er: Wie gerne würde er Bismarck besuchen, wenn es nur ginge! Caprivi erklärte er für eine abgeklärte, ernste, reine Natur. Bismarcks Anwesenheit in Wien war für [ihn] eine peinliche Zeit94. Bismarck war damals wie rasend. Der Kaiser, so sagte Alexander Kalnoky, ist seinem Metier nach Bureaukrat und gestattet deshalb nicht, daß ihm jemand über etwas spreche, was nicht in sein Ressort gehört. Er fragt jeden nur über sein Fach, Kalnoky gehörte zu den wenigen, die ihm über alles sprechen durften. Alexander Kalnoky war zwei Tage vorher beim Kaiser, ihm den Orden des goldenen Vließes [zu] überbringen. Da sagte der Kaiser zu ihm: „Ich habe in dem Grafen Kalnoky nicht bloß einen Staatsmann besessen, dem ich volles Vertrauen in allen wichtigen Geschäften zollen konnte; ich habe in ihm einen Freund verloren. " b 93 94
b
Gräfin Helene Silva-Tarouca, die Schwester der Grafen Kalnoky. Fürst Otto Bismarck war vom 16. bis 24. 6. 1892 aus Anlaß der Hochzeit seines Sohnes Herbert mit Gräfin Marguerite Hoyos in Wien. Ergänzung. Randbemerkung. Dies genauer.
17. März 1898
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Ludwig Doczi, Leiter des Literarischen Bureaus im Außenministerium 17. März 1898" К 2, U 6, 671 г - 672 г; К 5, U 10, 329 ν Er nahm Anstoß an einer Korrespondenz, die ich in der Allgemeinen Zeitung über die Audienz des Fürsten Ferdinand (Bulgarien) bei Kaiser Franz Joseph gehabt hatte (Versöhnungsaudienz)95. Ich hätte der österreichischen Politik Unrecht getan. Insbesondere sei es unrichtig, daß Ferdinand dem Grafen Goluchowski gewissermaßen überzeugend dargetan habe, daß ihm keine andere Wahl blieb, als seinen Sohn orthodox werden zu lassen. Das sei nicht der Kernpunkt der Frage. Entscheidend war die Verlogenheit des Fürsten, der bis zum letzten Augenblik beteuerte, sein Sohn bleibe katholisch. Noch kurz bevor die Konversion stattfand, sprach er mit Buriän, der gerade nach Wien reiste, und trug ihm auf, dem Kaiser zu sagen, daß er die Konversion niemals zugeben werde. Und dieses Lügenspiel setzte er ununterbrochen fort. Wir waren gar nicht so sehr gegen die Konversion, wenn sie wirklich notwendig war; es war nur das Bedürfnis des Fürsten zu lügen, das ihn in diese Verlegenheit brachte. Seinem Zahnarzte (Schwager Moldens) in Wien sagte er in demselben Sinn, bals dieser von der Schwierigkeit seiner Situation sprach b : Wenn ein Fürst sein Wort gibt, so hält er es, und ich habe versprochen, meinen Sohn nicht orthodox werden zu lassen. Er ist streng katholisch und machte wirklich die größten Seelenkämpfe mit; Nacovic sagte Doczi, er habe ihn weinen gesehen in dem Seelenkonflikt um diese Frage. Die ganze Darstellung machte mir einen forcierten Eindruck. Ich begriff nämlich nicht, weshalb er Osterreich belogen habe, wenn dieses nämlich nicht den stärksten Druck auf ihn geübt hatte, seinen Sohn katholisch erziehen zu lassen; und ich konstatierte, daß Osterreich darin zu weit gegangen sei, Religion und Politik verwechselt habe. Das nun stellte Doczi hitzig in Abrede und sagte: Ferdinand verhielt sich wie ein Jude, der Schweinefleisch gegessen hat und sich vor dem Urteile auch eines toleranten Rabbiners fürchtet. Insbesondere der Kaiser hätte ihm keine Schwierigkeiten in den Weg gelegt. Der Kaiser ist ja weniger katholisch als Graf Goluchowski. Das als Antwort darauf, daß ich sagte, ich hätte gehört, Goluchowski sei für die Amnestierung des Kaisers [sie!] gewesen, Kaiser hatte lange nicht wollen. Dann aber widersprach sich Doczi und sagte, der Kaiser hätte sich geäußert: „Mich ekelt vor dem Fürsten Ferdinand eigentlich deshalb, weil er wohl nicht den Mut gehabt hat, selbst orthodox zu werden, ohne aber Anstand zu nehmen, seinen Sohn zum Opfer zu bringen." 95
a
Allgemeine Zeitung München v. 10. 3. 1898, Abendblatt 2-3, Österreich-Ungarn und Bulgarien. Darin rechtfertigt Friedjung die Entscheidung des Fürsten Ferdinand, seinen Sohn Boris orthodox taufen zu lassen. Am Kopf des Blattes vermerkt: Uber Ferdinand von Bulgarien. Ergänzung.
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Ludwig Doczi
Überhaupt sei Ferdinand nicht bloß außerhalb Österreichs, sondern auch bei seinen Ministern geringgeschätzt. Nacovic habe zu Doczi gesagt, il est enfant, il est gamin. Das letztere ist doch sehr, sehr unwahrscheinlich. Was hat Ferdinand über Kaiser Franz Joseph geschimpft! Doczi habe das von einem Freunde gehört, dem irgend jemand (wenn ich mich recht erinnere Nacovic) es gesagt habe, ohne zu wissen, daß dieser Jemand Doczis Freund sei. Welches Geklatsch, welches Gewäsch! Es war unbedingt notwendig, daß wir Bulgarien zeigten, daß wir ebenso grob wie Rußland sein konnten. Mußte denn Ferdinand die Versöhnung zu Rußland so machen, daß Nacovic sein Amt niederlegen mußte 96 ? Mußte er es hinter unserem Rücken machen? Doczi schrieb damals im Pester Lloyd einen Artikel, in dem nach des Kaisers und Goluchowskis Wunsch hätte stehen sollen, daß Ferdinand verlogen und (wenn ich mich recht erinnere) infam gehandelt habe; Doczi habe das nicht in so schroffem Ausdruck, aber in der Sache geschrieben. Gleich darauf aber sagte mir Doczi, Ferdinand habe ihn beschuldigt, er habe Artikel gegen Ferdinand inspiriert. Wir haben gar keine Artikel gegen ihn inspiriert, sagte Doczi mit der größten Treuherzigkeit. Als ob ich nicht auch so inspiriert worden wäre. Wenn es nach Doczis Meinung gegangen wäre, so wäre Ferdinand nur empfangen worden, nachdem er in einem offiziösen Artikel hatte erklären lassen, daß er Osterreich die Verteidigung der Unabhängigkeit Bulgariens verdanke, und nachdem er gewissermaßen sein Unrecht einbekannt hatte. Der Kaiser aber ist gütig: Er empfing ihn unter milderen Bedingungen. Höchst absprechend äußerte sich Doczi zu meinem großen Erstaunen über Simic. Dieser habe ihm selbst einmal erklärt, daß Serbien Bosnien zu haben wünsche. Und als ich meinte, ich kenne Simic genau, das sei doch merkwürdig, da sagte Doczi: Nicht so wörtlich. Simic sagte nur, als ich ihm einmal sagte, an Bosnien muß Serbien vergessen: „Nein, daran können wir nicht vergessen." Wenn der Kaiser Milan empfangen habe, so war dies, wenn er auch ein Gauner sei, nicht abzulehnen gewesen; er sei der Vater Alexanders. Er hätte auch die Intrigantin, die Natalie, empfangen. Wir hatten keinen politischen Grund, gegen Milan und Serbien ungehalten zu sein, wohl aber gegen Ferdinand. Nur politische Gründe haben uns bestimmt. Doczi sagte mir in bezug auf meine Korrespondenz in der Allgemeinen Zeitung: „Sie sind schrecklich unabhängig." Wichtig war, daß Doczi mir sagte, Ferdinand habe sich darauf berufen, daß Kälnoky ihm ja geraten habe, sich mit Rußland zu verständigen, in ein gutes Einvernehmen zu setzen. Doczi sagte mir im Verlaufe eines langen Gespräches, Kälnoky habe dem 96
Kurz nach der orthodoxen Taufe des bulgarischen Thronfolgers Boris am 14. 2.1896, die die Aussöhnung mit Rußland besiegelte, trat Außenminister Grigor Nacovic zurück.
18. März 1898
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Fürsten Ferdinand von Bulgarien immer geraten, sich mit Rußland gutzustellen und Verständigung mit Rußland zu suchen. Als nun Ferdinand die Schwenkung zu Rußland machte, da berief er sich, als man ihm in Wien Vorwürfe machte, darauf, daß er in diesem Sinne gehandelt habe.
Ernst von Plener, Präsident des Gemeinsamen Obersten Rechnungshofes
18. März 1898" К 5, U 7, 304 r-v
Plener lag krank im Bett, seine Frau hieß mich eintreten. Graf Apponyi war doch schon alt, wenn auch ein verständiger Beobachter, der recht übersichtliche Berichte schrieb, und Kälnoky, sein Botschaftsrat, arbeitete viel für ihn. Einmal wurde er krank, und da er fürchtete, seinen Posten zu verlieren, so wurde die Krankheit verschwiegen, und Kälnoky besorgte durch ein bis zwei Monate alles für ihn, berichtete statt seiner, kurz es ging ohne ihn.b Kälnoky war Botschaftsrat, Plener, acht Jahre jünger, sein Attache, aber sie waren ganz befreundet. „Kälnoky behielt mich lieb." Nach Kälnokys Abgang - 1870 - blieben Wolkenstein und Plener. Da nun hatten sie [eine] eigentümliche Geschichte mit Vitzthum, den Beust nach Brüssel als Gesandten geschickt hatte. Dieser kam nach London und verhandelte und intrigierte mit Eugenie in den letzten Monaten 1870. Er war „ein gefährlicher Mensch" und intrigierte; es ist doch unmöglich, daß er dies alles auf eigene Faust unternahm; er muß doch von Beust einen Auftrag erhalten haben. Aber er konnte oder er wollte seinen Auftrag nicht vorweisen, und so setzten sich Wolkenstein und Plener energisch zur Wehr, verbaten sich dieses gefährliche Spiel, und „schließlich warfen wir ihn hinaus". Er war natürlich sehr böse auf Wolkenstein und Plener, denn Graf Apponyi scheint doch etwas nachgiebiger gewesen zu sein.0 Die Gemahlin Apponyis war eine Russin, geborene Gräfin Benckendorf, und (wenn ich nicht vergessen habe) Enkelin der Fürstin Lieven. Diese früher sehr einflußreiche Dame gab ihr den Rat, sich gegen die englischen Damen nur recht hochmütig zu betragen. Das befolgte sie auch, und tatsächlich wurde sie sehr respektiert. Später kam Alois Liechtenstein zur Botschaft. Er lernte Miß Fox kennen, die Adoptivtochter der Lady Holland97. Niemand wußte, woher sie stamm91
Prinz Alois Liechtenstein war von 1870 bis 1871 in London, er lernte dort Mary Fox, die 1850 in Paris geborene Adoptivtochter von Lord und Lady Holland, kennen und heiratete sie im Juni 1872 in Kensington. " Das Datum mit Bleistift ergänzt. b Randbemerkung: Ob dies noch unter Kälnoky war, weiß ich nicht mehr. c Randbemerkung: Das über Vitzthum ist vertraulich erzählt, nicht zu benützen. d Korrigiert von Pflege.
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Ludwig Doczi
te. Sie war eine begabte Schriftstellerin. Schon mit 16 Jahren schrieb sie einen Roman, später ein interessantes zweibändiges Werk über Holland House, in dem sich besonders im Anfang des 18. Jahrhunderts vieles Interessante zur literarischen und politischen Geschichte abgespielt hatte98. Liechtenstein verliebte sich in sie und ließ sich nicht irre machen durch die unwahre und unschöne Haltung der Lady Holland. Sie gab ihm Erklärungen, die sie später zurücknehmen mußte. Zuerst nannte sie einen Franzosen als Vater, der es aber in Abrede stellte; sie benahm sich illoyal, er aber höchst korrekt, zumal da auch seine Familie der Ehe widerstrebte. Von London und Paris aus schrieb Plener an seinen Vater interessante Briefe. Aber er kann sie nicht veröffentlichen, jedenfalls nicht, so lange sein Vater lebt. Dieser betrachtet sie als sein Eigentum und hält sie unter seinen Papieren, sie ungern herausgebend. Plener hat an seinen Memoiren zu arbeiten begonnen".
Ludwig Doczi, Leiter des Literarischen Bureaus im Außenministerium [zwischen Ende Jänner und Ende März 1898] К 2, U 6, 676 r, ν Hatte mir nach Erscheinen des ersten Bandes gesagt, daß er es tief beklage, daß der Kaiser in meinem Buche überhaupt analysiert worden sei100. Das sei unstatthaft, weil in Osterreich der Staat mehr als sonstwo auf der Dynastie und dem Monarchen beruhe, und man diesen außer Diskussion lassen muß. Dies habe ihn geschmerzt, weil er [den] Kaiser wirklich liebe. Wenn es nach ihm ginge, müßte das Buch verboten werden. Er habe auch Goluchowski von dem Buche gesprochen und ihn gefragt, ob man nicht dem Kaiser Bericht erstatten müsse. Dieser aber habe es nicht für notwendig gehalten. Weshalb den Kaiser so betrüben? Natürlich blieb ich Doczi die Antwort nicht schuldig. Es sei nicht möglich, so sagte Doczi, von außen her in das Geheimnis der Entschlüsse des Herrschers hineinzublicken. Das vollziehe sich anders, als wir annehmen. Der Kaiser habe ein sehr gesundes Urteil, aber er mißtraue sich leider selbst mehr, als gut sei. Nach Erscheinen des zweiten Bandes gratulierte mir Doczi. Er meine das gewiß aufrichtig, wie er mir ja nach dem Erscheinen des ersten Bandes unverhohlen die Wahrheit gesagt habe. Aber auch der erste Band habe ihm imponiert. Allerdings sagte ich: Sie haben mir über den ersten Band schreckli98 99 100
In den einschlägigen Bibliographien lassen sich von Mary Fox folgende beide Werke finden: Holland House. 2 Bde. (London 1873) und Nora. A Novel (London 1877). Vgl. Ernst von Plener, Erinnerungen. 3 Bde. (Stuttgart - Leipzig 1911-1921). Vgl. Der Kampf um die Vorherrschaft. Bd. 1, 57-60.
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23. März 1898
che Dinge gesagt. "Bei diesem Gespräche sagte er mir, der Kaiser habe zu viel Gewissen und zu wenig S.a Zwei Tage später, auf dem Concordia-Ball, brachte er in schmeichelhafter Weise vor Freiberg und Julius Bauer das Gespräch auf mein Werk und scherzte darüber, daß ich gesagt hätte, er habe schreckliche Dinge über mein Werk geäußert. Was es denn gewesen sei. Ich lehnte es ab, vor anderen über mich mich zu ergehen; ich würde ihm dies das nächste Mal unter vier Augen mitteilen.
Prof. Georg Jellinek, Professor für Staatsrecht, litik an der Universität Heidelberg
Völkerrecht und Po22. März 1898 К 2, U 6, 673 г
Jellinek erzählte, Erzherzog Ludwig Victor habe persönlich nach Freiburg (oder Heidelberg, nein Freiburg) geschrieben, um die Berufung Pastors durchzusetzen. Er habe es aber nicht durchgesetzt101.
Oberleutenant Adalbert Göpferth von Bibliothekar im Kriegsarchiv
Altburg, 23. März 1898 К 2, U 6, 675 г
FZM König, nach dem Kronprinzen der Infanterietruppeninspektor, sagte ihm, er habe mit FZM Beck über mein Buch gesprochen und es gelobt; da habe dieser gesagt, es sei unpatriotisch. Darauf König: „Das haben Dir Deine Kreaturen gesagt, Du hast es aber nicht gelesen. Lies es selbst."
Karl von Görner, Chefredakteur der Linzer Tagespost
23. März 1898 К 2, U 6, 673 г
G. erzählte ihm, Graf Kuenburg habe ihm gesagt, dem Kaiser widerstrebe nichts so sehr wie Neuwahlen; er habe die merkwürdige Vorstellung, daß die Bevölkerung durch sie ganz außerordentlich aufgeregt werde.
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Ludwig von Pastor hatte sich 1896 um eine Professur an der Universität Freiburg im Breisgau beworben. Nachdem die Besetzung der Stelle über ein Jahr in Schwebe gelassen wurde, berief man im Oktober 1898 Heinrich Finke und nicht Pastor nach Freiburg. Vgl. dazu Ludwig Freiherr von Pastor, Tagebücher - Briefe - Erinnerungen, hrsg. von Wilhelm Wühr (Heidelberg 1950) 319-320. Ergänzung.
100
Oberst Moritz von Angeli, Oberst i. Р., Militärhistoriker
Oberst Moritz von Angeli
26. März 1898 К 2, U 6, 674 г - 6 7 5 ν
Er erzählte mir, einer seiner Freunde habe ihm über das Verhältnis zwischen Erzherzog Albrecht und Benedek eine interessante Mitteilung gemacht. Danach habe Erzherzog Albrecht keineswegs den Oberbefehl im Süden, sondern den im Norden angestrebt. Er habe den Ehrgeiz gehabt, dem König von Preußen entgegenzutreten und diese Forderung auch beim Kaiser erhoben. Nun habe aber [von der] Pfordten vor Ausbruch des Krieges nach Wien eine Erklärung abgesendet des Inhalts, man müsse erwarten, daß niemand anderer als Benedek den Oberbefehl in Böhmen erhalte; dies sei so viel wert als eine Verstärkung der österreichischen Armee um 40.000 Mann. Aus dieser Erklärung ging hervor, daß Bayern seine Bundesgenossenschaft gewissermaßen von der Ernennung Benedeks abhängig mache. Als nun Erzherzog Albrecht sein Verlangen beim Kaiser erhob, wurde ihm diese Mitteilung Pfordtens vorgewiesen, und es war bei seiner Hingabe an den Staat selbstverständlich, daß er bei solcher Sachlage von seinem Verlangen zurücktrat. Jetzt erst drang Erzherzog Albrecht aufs Inständigste in Benedek, dem Vaterlande das Opfer zu bringen und das Kommando im Norden zu übernehmen. Dieser Freund Angelis erfuhr die Sache von einer Persönlichkeit, die an den Ereignissen jener Tage selbst Anteil hatte und ihrer Stellung nach Einblick in die Sachlage haben mußte. Angeli war nicht berechtigt, mir den Namen seines Freundes und dessen Gewährsmannes zu sagen, aber als ich ihn fragte, ob er die subjektive Uberzeugung habe, daß der Gewährsmann die Sache auch wirklich wissen müsse, und ob er selbst somit von der Richtigkeit dieser Mitteilungen durchdrungen sei, bejahte er dies auf das bestimmteste. Angeli sagte mir, er habe mir schon früher diesen Sachverhalt schriftlich mitteilen wollen, aber er sei meiner Adresse nicht sicher gewesen und habe es deshalb unterlassen. Ich wandte ein, daß die Verabredungen Erzherzog Albrechts und Benedeks über den Oberbefehl im März oder April stattgefunden haben müssen, und daß Pfordten zu jener Zeit noch nicht zur Bundesgenossenschaft mit Osterreich, vielmehr zur Neutralität bereit war. Es sei nicht wahrscheinlich, daß er schon damals mit solcher Bestimmtheit gewissermaßen Bedingungen gestellt habe, unter denen Bayern gemeinsam mit Osterreich zu Felde ziehe. Angeli versprach mir, diesen Einwand seinem Freunde mitzuteilen. Ihm persönlich sei es nicht wahrscheinlich, daß Erzherzog Albrecht sich von dem kleinen Motiv habe leiten lassen, sich auf den leichten Platz zu stellen und Benedek auf den verlorenen Posten. Das passe nicht zu seiner Erfahrung von dem Wesen und dem Charakter des Erzherzogs, der größer gedacht
26. März 1898
101
habe. "Angeli sprach seine Verwunderung aus über den Brief Benedeks an seine Frau102. Sie seien lange jedes seiner Wege gegangen. Vielleicht näherten sie sich zuletzt wieder, denn sie hätten einander beide viel vorzuwerfen." Ebenso günstig urteilte Angeli über Erzherzog Albrecht, indem er von dessen Einfluß auf sein Werk sprach103. Dieses Letztere sei in der Gesamtanlage verfehlt; denn die Dreiteilung, insbesondere die Scheidung zwischen Biographie und Geschichte seiner Feldzüge, sei verkehrt; denn die Lebensgeschichte eines Feldherrn bestehe eben aus seinen Taten in seinen Feldzügen. Es sei ganz unrichtig, was Baron Binder, über den er verächtlich urteilte, „dieser Schwafler", geschrieben habe, daß er beengt gewesen sei in seiner Darstellung.104 Er habe vielmehr vollkommene Freiheit gehabt. Dies habe er Binder auch nach dessen Kritik geschrieben. Wenn dieser behaupte, seine Darstellung sei nicht Geschichte, so sage er, „Geschichten" habe er allerdings nicht schreiben wollen. Binder habe gemeint, er hätte über Bart . . . (Armeeminister)105 und über die Kabinettsintrigen schreiben sollen: Aber das sei nicht seine Sache, sondern die Zeißbergs gewesen106. Ihm selbst haben die Erzherzöge Albrecht und Wilhelm nur einmal eine Einwendung gemacht: Als nämlich die Darstellung des Feldzuges 1799 in fünf Bänden [sie!] fertig gewesen sei107, sandten sie ihm einen gemeinsam unterzeichneten Brief, in dem sie verlangten, er solle den Stoff in zwei Bänden zusammendrängen. Dies habe ihn sehr verstimmt: Er könne den ganzen Stoff auch in drei Bogen darstellen; aber eine fertige Arbeit lasse sich nicht einfach zusammenstreichen. Mit dieser Einwendung wendete er sich auch an Malcher, der ihm riet, seine Argumente schriftlich darzulegen. Dies habe er getan, und dabei hatte es sein Bewenden. Er vermutet, Piret sei es gewesen108, der dies veranlaßt habe; er war ein Sparmeister, und nach seiner Ansicht war das ganze Werk hinausgeworfenes Geld. 102
103
104
105 106
107 108 a_a
In Der Kampf um die Vorherrschaft. Bd. 2, 534-539 sind sechs Briefe Ludwig von Benedeks an seine Gattin Julie gedruckt. Moritz von Angeli, Erzherzog Karl als Feldherr und Heeresorganisator. 5 Bde. (Wien 1896-1897). Auf welche Rezension des Militärschriftstellers Freiherr Karl Binder v. Kriegelstein hier Bezug genommen wird, konnte nicht festgestellt werden. Freiherr Anton Maximilian Baldacci. Während Moritz von Angeli die Geschichte der Feldzüge Erzherzog Karls bearbeitete, erhielt der Historiker Heinrich von Zeißberg die Aufgabe, die Biographie des Erzherzogs zu schreiben. Zeißberg konnte bis zu seinem Tod 1899 allerdings nur den ersten Band veröffentlichen: Heinrich von Zeißberg, Erzherzog Carl von Österreich. Ein Lebensbild im Auftrage seiner Söhne, der Herren Erzherzöge Albrecht und Wilhelm. Bd. 1 in 2 Teilen (Wien - Leipzig 1895). Die Überarbeitung und Fortsetzung vgl. Oskar Criste, Erzherzog Carl von Osterreich. Ein Lebensbild im Auftrage seiner Enkel, der Herren Erzherzöge Friedrich und Eugen. 3 Bde. (Wien - Leipzig 1912). Hier irrt Friedjung, die fünf Bände Angelis behandeln die Feldzüge von 1796 bis 1809. General Eugen Piret de Bihain war seit 1868 Obersthofmeister Erzherzog Albrechts. Ergänzung.
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Josef Lewinsky
Auf die Auffassung seines Werkes habe der Erzherzog nur einmal einen Einfluß nehmen wollen; er wünschte, Kaiser Franz sei schonend zu behandeln, und insbesonders habe es ihn nicht angenehm berührt, als er in der Darstellung von 1805 die gegen [den] Willen Erzherzog Karls durch den Kaiser verfügte Versetzung mehrerer Oberste schilderte und kritisierte. Erzherzog Albrecht sprach den Wunsch aus, dies zu mildern. Als nun Angeli bei ihm zum Diner geladen war, sagte er dem Erzherzog, er sei gerne bereit, nach Möglichkeit auf dessen Intentionen einzugehen, aber es gehe doch nicht an, diese wichtigen Tatsachen zu übergehen. Darauf Erzherzog Albrecht: Er habe nur eine Anregung geben wollen, der Angeli ganz nach seiner Uberzeugung willfahren könne oder nicht; es handelte sich bloß darum, die Wahrheit festzustellen, und nichts als diese; „denn gelogen ist schon genug". Erst nach dem Tode des Erzherzogs stellten sich Unannehmlichkeiten für Angeli ein, die ihn tief verstimmten und ihm seine Stellung verleideten. Als ich rühmend seine Leistung als Geschichtsschreiber hervorhob, lehnte er es bescheiden ab: Er sei ein Lanzknecht, der das getan habe, was ihm vorgeschrieben worden sei; und er hätte ebenso wie die Darstellung der Feldzüge des Erzherzogs ein „Kochbuch" geschrieben, wenn es ihm befohlen worden wäre. aDer Erzherzog Albrecht diktierte einem seiner Adjutanten Aphorismen über das Jahr 1809, voll Offenheit. Bemerkenswert sind darin die scharfen Urteile über die Reichsdeutschen und ihren Einfluß auf die österreichische Politik von 1809, besonders gegen die Schwaben. Er gab ihnen Schuld an vielem Mißgeschick (offenbar in dem Kriege von 1809). Angeli schreibt an seinen Memoiren, aber für seine Erben; die mögen dann damit tun, was sie wollen109. Er ist gegenwärtig bei seinen Erlebnissen während der Okkupation der Donaufürstentümer.3
Josef Lewinsky, Burgschauspieler
26. März 1898 К 2 , U 6, 676v - 677 ν
Prof. Hofmann aus Graz erzählte ihm: Der Kaiser habe in Graz auch Gefangnisse inspiziert und dabei auch mit dem Geistlichen über dessen Beruf gesprochen. Dieser nun habe von der Schwierigkeit seines Amtes gesprochen und dabei eine Klage über die schlechte Bezahlung verlauten lassen, darauf der Kaiser: Um so größer sein Verdienst und Lohn im Jenseits. Hofmann erzählte dies als Zeichen seiner mitunter witzigen und treffenden Ausdrucksweise. Ich halte den Ausspruch eher für streng abweisend. 109
Von Moritz von Angelis Erinnerungen erschienen Altes Eisen (Stuttgart 1900) sowie postum, von Friedjung herausgegeben und eingeleitet, Wien nach 1848 (Wien - Leipzig 1905). Ergänzung.
März bis April 1898
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Lewinsky behauptete, der Kaiser habe ihm gegenüber so feine und treffende Aussprüche über Theaterwesen gemacht, daß er ihn für fähig halte, Burgtheaterdirektor zu sein. Dies sagte Lewinsky mit großem Ernst." Alt dagegen sagte, die Bemerkungen des Kaisers über Bilder seien stets nur Allgemeinheit; gegen ihn sei er immer höflich und artig gewesen. Dies ging so weit, daß er ihm erst vor einiger Zeit sagte: Er freue sich immer, von ihm Bilder zu sehen, und mit Interesse habe er die Gemälde betrachtet, die er auf der letzten Aquarell-Ausstellung ausgestellt, indessen hatte Alt nichts ausgestellt, nur auf den früheren. Lewinsky und Bayer meinten beide, die Allgemeinheit in seinen Aussprüchen rühre daher, weil er die Öffentlichkeit scheue und durchaus nicht wünsche, daß man stark persönlich gefärbte Äußerungen von ihm wiedergebe. Bendel erzählte einen Fall aus Prag, den Direktor Chevalier erzählte: Ein Schüler hatte ganz vortrefflich geturnt, so daß der Kaiser ihn fragte, was er werden wolle. Dieser antwortete Soldat. Der Kaiser forderte hierauf Chevalier auf, ihn zur Aufnahme in eine militärische Bildungsanstalt zu notieren.
Hauptmann Albrecht Aust, Generalstabsoffizier
[März bis April 1898] К 2, U 6, 678 r-v
FZM Schönfeld war von allen Generälen derjenige, der ihm am meisten den Eindruck eines Feldherrn gemacht habe. Bei den Manövern sei er bis zur Stunde der Entscheidung sehr unbekümmert gewesen, sei ganz bequem gekleidet herumgegangen, bis der Augenblick kam. Dann fuhr er in der Regel auf den Kampfplatz und bestieg selbst hier nicht oft das Pferd, selten selbst ein wenig rekognoszierend. Wenn ihm etwas unklar war, schickte er einen seiner Offiziere, um sich Gewißheit zu verschaffen. Dann verglich er noch einmal die Karte, und hierauf diktierte er mit staunenswerter Sicherheit einen klaren Befehl. Keinerlei Erregung war an ihm sichtbar. Aust sagt, er habe später die Befehle sorgfaltig studiert, man hätte es bei genauer Überlegung nicht besser machen können. Von Beck hatte er eine gute Meinung. Nur diejenigen beurteilen ihn abschätzig, die ihn nur von der Entfernung kennen. Er ist sehr kenntnisreich und tätig. Ein guter Generalstabschef muß zwei Eigenschaften haben, die sich eigentlich widersprechen. Erstens muß er sich selbst eine feste Überzeugung verschaffen können und sie mit Ernst begründen, und dann muß er die Fähigkeit besitzen, sich ganz in die Ideen eines anderen zu versetzen, a
Randbemerkung: Zwei Jahre nachher behauptete Lewinsky, [der] Kaiser sei nie über Allgemeinheiten hinausgekommen.
Emil Jettel von Ettenach
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und sie auch aufs beste ausführen. Vielleicht selbst das Entgegengesetzte von dem, was er für richtig hält. Und Beck vereinige diese beiden Eigenschaften. Von Kuhn sagt Aust, er habe sich vielleicht zum Armeekommandanten geeignet, aber nicht zum Generalstabschef, dazu war er zu ungefüge. Aust machte mich aufmerksam, daß Beck auch nach der Schlacht von Königgrätz zum Heer geschickt worden sei, um über [dessen] Zustand Bericht zu erstatten. Ein Sohn Krismanic ist jetzt Oberst.
- e - [Emil Jettel von Ettenach, Hof- und Ministerialrat im Außenministerium]
April К 2,1. U 6, 6771898 r-v
e - sprach sich sehr offen über Goluchowski aus. Ich fürchte allerdings nicht, daß Goluchowski uns in einen Krieg mit Rußland hineinzieht, wohl aber, daß unser Einfluß sinken werde, wenn er Dinge unternimmt, die er nicht zu Ende führen kann, und wenn er sich Rußland dann entgegenstemmt, wenn er ein Ding nicht verhindern kann. 3 Ich fragte, ob es wahr ist, daß Doczi auf ihn solchen Einfluß übe? Das nicht, es ist nicht richtig, daß er sich über alle Dinge mit ihm berät. Wohl aber ist ihm dessen Wesen sympathisch; er benützt manches, was Doczi in seiner geistreichen Weise hinwirft, und läßt sich in seiner Methode bestärken, da er auf kräftige Effekte Wert legt. Goluchowski bespricht überhaupt mit niemandem ständig die Geschäfte, somit auch nicht mit Doczi. Aber so wie Andrässy gerne eine Wendung, die Doczi gebraucht hatte, für eine Note, selbst für eine Rede verwendete, so auch Goluchowski. Im auswärtigen Amte vertreten Goluchowski und Doczi eine Richtung, die von allen übrigen Beamten nicht als die richtige angesehen wird. Auf diesem Wege wird man noch manche Mißerfolge erzielen! Früher schon einmal sagte mir e -, daß Goluchowski leicht seinem ersten Impulse folge, ohne ihn zu prüfen.
Gregor Manos, griechischer Geschäftsträger
in Wien
2. April 1898 К 5, U 10, 323 г - 324 ν
Graf Kälnoky empfing die Gesandten Dienstag von 1-3 mittags, die Botschafter können bekanntlich immer vorsprechen. Ich verkehrte sehr gerne mit ihm, a
Der letzte Satz mit geschwungener Sollte die Schlußtat sein!
Klammer
am linken Rand verbunden
und
ergänzt:
2. April 1898
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da er sehr klar, sehr präzis sprach und offenbar stets alles bedacht und abgewogen hatte, was er sagte. So war es mir sehr leicht, danach den Bericht nach Athen zu schreiben; es liegt in solchem Verkehr ein großer Vorteil für den Vertreter eines fremden Staates. Dabei war er, wiewohl gemessen in seinen Formen, höflich und entgegenkommend, was mir besonders Wohltat, da ich schon 1885 bis 1887 bloß als Geschäftsträger und ebenso dann (seit 1890 ??) wieder nur als solcher Griechenland vertrat. In der Zwischenzeit war ein Gesandter in Wien. Allerdings hörte ich, daß er sich mitunter gegen Gesandte kurz und ablehnend verhielt; das geschah nämlich, wenn sie bei ihm vorsprachen, ohne eine bestimmte Angelegenheit mit ihm erledigen zu müssen. Wenn sie bloß kamen, um sich mit ihm über das Wetter zu unterhalten oder Auskunft über die europäische Lage zu erhalten, so wurde er nervös. Denn er war ein vielbeschäftigter, fleißiger Mann und war mit seiner Zeit sehr sparsam. Das aber wußte ich, und deshalb kam ich zu ihm nur, wenn ich etwas Sachliches mit ihm zu verhandeln hatte. Das wußte er, ebenso daß ich [ihn] nicht lange aufhielt; denn ich überlegte mir genau, was ich mit ihm zu erledigen hatte, und diese präzise Geschäftsbehandlung machte ihm offenbar einen guten Eindruck. Man konnte sich auf das, was er sagte, genau verlassen. Er trat allerdings Griechenland zwischen den Jahren 1885 bis 1887, als [es] Ansprüche an die Pforte erhob, entgegen, ebenso wie die anderen Mächte, aber er war nie übelwollend gegen Griechenland, und seine Ratschläge waren sehr beachtenswert. Er war stets sehr präzise auch in seinen Auskünften. Damals stürzte gerade das konservative Ministerium in England, und die Griechen schöpften Hoffnungen, die Liberalen würden ihnen günstiger sein110. Damals sagte mir Kalnoky ganz bestimmt: „Ihre Hoffnungen sind ganz unbegründet; Sie werden sehen, daß das liberale Ministerium die Politik seines Gegners fortsetzt." Und er hatte ganz recht, ich telegraphierte die Mitteilung nach Athen, und es zeigte sich, daß Gladstone eigentlich noch energischer gegen uns vorging als Salisbury. In der Verwicklung mit Rußland zeigte er sich stets besonnen und äußerte sich stets, er hoffe, die Schwierigkeiten würden sich friedlich schlichten. Er gab stets beruhigende Auskünfte. Es war sein Ziel, sich mit Rußland zu verständigen, und er hat es auch erreicht. Ich fand ihn nie durch diese Dinge nervös. Die kretensische Frage tauchte noch auf, als er noch im Amte war111. Er wollte es 110
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Nach den Parlamentswahlen Ende 1885 übernahm William Gladstone neuerlich die Regierung, nachdem er wenige Monate zuvor von einem konservativen Kabinett unter Lord Salisbury abgelöst worden war. Gladstone mußte jedoch bereits im Juli 1886 wieder zurücktreten, nachdem seine Pläne zur Autonomie Irlands gescheitert waren und er in vorgezogenen Neuwahlen die Mehrheit verloren hatte. Bereits 1895 war es zu Unruhen auf Kreta gekommen, die im Mai 1896 zu schweren Kämpfen zwischen türkischen Truppen und der christlichen Bevölkerung, die von Griechenland unterstützt wurde, ihren Höhepunkt fanden. Im September 1896 stimmte die kretensische Nationalversammlung dem Autonomieprogramm der Großmächte zu. Der Konflikt flammte allerdings im Februar 1897 neuerlich auf und führte schließlich zum griechisch-türkischen Krieg.
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Gregor Manos
nicht gelten lassen, daß es eine kretensische Frage gebe und sagte, es gehe nicht an, daß sie von Griechenland aufgerollt werde. Ich antwortete ihm: Sie muß nicht aufgerollt werden; sie besteht bereits. Ich verkehre eigentlich mit dem Grafen Goluchowski lieber, er ist liebenswürdiger, und da er auch eine sehr intelligente Persönlichkeit ist, so spricht es sich besser mit ihm. Kalnoky hatte nicht viel Initiative, aber er zeigte sich ausdauernd in der Erreichung eines Zieles, das er sich einmal gesteckt hatte. Dieser Mangel an Initiative schädigt Osterreich auch jetzt in der orientalischen Frage. Er hätte sich von vorneherein in der Triple-Allianz die Führung der orientalischen Angelegenheiten wahren sollen. Neben Bismarck war dies vielleicht nicht möglich; aber später wäre es zu erreichen gewesen. Was aber geschieht jetzt? Plötzlich nimmt Deutschland eine bestimmte Partei und bringt Osterreich dadurch in eine Zwangslage. Naturgemäß aber sollte Osterreich, höchstens noch mit Italien gemeinsam, die Richtung der Orientpolitik des Dreibundes angeben. Ich wandte ein, daß Deutschland nie darauf verzichten werde, selbständige Wege zu gehen, da es sich nie gegen Rußland ins Schlepptau nehmen lassen werde. Plötzlich gab Kaiser Wilhelm selbst durch seine Besuche bei den Botschaftern die Anregung zur Blockade oder sonst zu feindseligen Maßregeln gegen Griechenland 112 . Nun mußte Osterreich mit. Plötzlich berief Deutschland sein kleines Schiff, die Oldenburg, von Kreta ab. In allen diesen Dingen sollte Österreich die Führung haben als die im Orient zunächst beteiligte Macht. Ich weiß bestimmt, daß Goluchowski früher nichts von dem Entschlüsse der Rückberufung der Oldenburg wußte, ja, daß er davon betroffen war. Manos bat mich, das ganz als vertraulich zu behandeln. Dadurch wird Osterreich in Verlegenheiten versetzt. Manos sprach sich sehr klug über die Verlegenheiten aus, in die sich Goluchowski durch seine anfängliche schroffe Ablehnung des Kandidatur des Prinzen Georg begeben hatte 113 . Er sagte, er müsse Goluchowski gegen Vorwurf der Übereilung in Schutz nehmen. Er handelte vielmehr nur in Konsequenz der früheren Haltung der Mächte; er wollte nicht plötzlich abspringen. Meine Einwendungen, so sagte er, beziehen sich vielmehr auf die frühere Handlungsweise Österreich-Ungarns. Es hätte sich von Rußland nicht ins Schlepptau nehmen lassen sollen, als es feindselig gegen Griechenland auf112
113
Im Februar 1897 waren griechische Truppen auf Kreta gelandet, worauf die Großmächte im März eine Blockade über die Insel verhängten. Aufgrund des Verlaufes des Krieges mit der Türkei zog Griechenland schließlich im Mai seine Truppen aus Kreta zurück und stimmte der Autonomie der Insel unter Garantie der Großmächte zu. Der von Rußland, England, Frankreich und Italien als Gouverneur Kretas vorgeschlagene Prinz Georg von Griechenland wurde zunächst von Österreich-Ungarn mit der Begründung abgelehnt, seine Ernennung verändere den Status quo im Orient. Er trat am 21. 12.1898 sein Amt an, nachdem sich die Donaumonarchie und auch Deutschland aus der internationalen Aktion zurückgezogen hatten.
9. April 1898
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trat. Damals hätte er sich [die] Sympathie Griechenlands erwerben können. So aber ging er mit Rußland mit, und jetzt macht Rußland die Schwenkung, macht sich in Griechenland populär, und Österreich-Ungarn steht isoliert da. Was jetzt geschehen wird, ist nicht sicher. Rußland wünscht, daß die Mächte den drei Reichen Rußland, England, Frankreich ein Mandat geben „zur Paziflkation Kretas". Gewaltsame Maßregeln wird es gegen die Türkei nicht zur Anwendung bringen, da es mächtig genug ist, durch Geduld und diplomatische Pressionen alles zu erreichen. Italien macht Schwierigkeiten, da es als Mittelmeermacht nicht zurückstehen will hinter den anderen. Aber Österreich-Ungarn, wird es die Vollmacht erteilen? Ja, sagte Manos, ich glaube, es wird vielleicht eine Kompensation verlangt werden, und diese wird in einer Bürgschaft Rußlands bestehen, daß die Einsetzung des Prinzen Georg keinen Anlaß geben dürfe für die übrigen Balkanstaaten, Ansprüche zu erheben. Rußland müßte das erklären; und dann würde Österreich-Ungarn wohl zustimmen.
Alexander Thorsch, Journalist
6. April 1898 К 2, U 6, 677 ν
Er erzählte mir, daß Badeni im vorigen Jahre vor Eröffnung des Reichsrates sowohl Bacher wie Penizek zum Kaiser geführt habe, um ihm [die] Stimmung der verschiedenen Lager zu schildern. Penizek frug der Kaiser, welche Stellung Gregr in der Partei ab [sie!] und stellte sonst noch Fragen an. Die Neue Freie Presse machte nach dieser Audienz für einige Tage [eine] Schwenkung. Sie erklärte, die Deutschen werden [den] Ausgleich aus jeder Hand, auch aus der Badenis nehmen.
Gustav Schönaich, Musikschriftsteller und Journalist
9. April 1898 К 2, U 6, 678 ν - 6 7 9 ν
Ich setzte ihm die Gründe auseinander, die mich verhindert hatten, seinen Bruder114 wieder zu besuchen und mich dem Erzherzog Albrecht vorstellen zu lassen. Als ich sein Verhältnis zu Benedek erfuhr, konnte ich mich ihm nicht nähern, weil ich dann nicht mehr die volle Freiheit gefühlt hätte, die Wahrheit zu sagen. Schönaich sah das ein und versprach mir, das seinem Bruder mitzuteilen. Sein Bruder ist jetzt F M L und Divisionär in Innsbruck. 114
Feldmarschalleutnant Franz von Schönaich, Kommandant der 8. Infanterie-Truppendivision in Innsbruck.
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Gustav Schönaich
Sein Generalstabschef ist Oberst Krismanic, der in der Dreyfussache115 ganz für den Generalstab gegen Dreyfus Partei nimmt. Als Erzherzog Albrecht starb, kamen Leute zu Schönaich, der durch neun Jahre in dessen Umgebung gewesen war, und beglückwünschten ihn, daß [er] ihm 300.000 fl vermacht habe. Schönaich erklärte dies für ganz haltlos, aber Schönaich scheint doch nach den Worten von dessen Bruder überrascht gewesen [zu] sein, als er nichts als das Modell der Radetzky-Statue und außerdem einen von Albrecht getragenen Orden (so glaube ich mich zu erinnern) erhielt. Nicht einmal die 2.000 fl, die jeder Offizier in einer solchen Stellung für Übersiedlungskosten erhält, wenn er den Dienst verläßt, wurden ihm angewiesen, und Schönaich meldete sich nicht dazu. Erzherzog Albrecht war rücksichtsvoll gegen seinen Bruder, so sagte Schönaich, soweit es Personen in dieser Stellung überhaupt sind. Albrecht hinterließ etwa 80-100 Millionen fl, aber er ging von der Ansicht aus, daß das Vermögen von Rechts wegen seinen Erben gehöre. Erzherzog Albrecht hatte nach Schönaich (des Generals) Ansicht militärisches Talent, aber er war ein Kriegf[ührer], das heißt, er interessierte sich für nichts als für Militärisches. Nicht schöne Literatur noch Kunst interessierten ihn, letztere konnte ihn schon wegen seiner Kurzsichtigkeit nicht fesseln. FML Schönaich hatte von meinem Buche sehr anerkennend gesprochen; nur drei bis vier Sätze in demselben beanstandete er, da sie Albrecht nicht richtig seien [sie!]. So stellte er FML Schönaich gegenüber einmal in Abrede, daß er den Befehl gegeben habe, am 13. März 1848 zu schießen. Das war auch in irgend einem Buche einmal behauptet worden und hinzugefügt gewesen, Erzherzog Albrecht sei überhaupt nicht fähig gewesen, auf das Volk feuern zu lassen. Dies eine ließ Erzherzog Albrecht Schönaich gegenüber nicht gelten: Wenn er den Befehl erhalten hätte, so hätte er nicht zögern dürfen, ihn ins Werk zu setzen. Nach den Unruhen in Prag November 1897116 war FML Schönaich angeboten worden, als Statthalter nach Prag zu gehen; er habe dies abgelehnt, weil, wie sein Bruder sagte, er deutsch gesinnt sei. In der nächsten Woche, so behauptete Schönaich (mein Bekannter), werde eine Deputation aus Prag zu Erzherzog Franz Ferdinand kommen und ihn bitten, seine Residenz auf dem Hradschin aufzuschlagen, und dieser werde es tun.3 Schönaich erzählte, er sei Anfang der 90er Jahre einmal irgendwo geladen gewesen, er nannte nur den Namen; und anwesend waren zwei bis drei Gä115 116
a
Vgl. zur Affaire Dreyfus S. 89 Anm. 83. Nach der Entlassung des Ministerpräsidenten Graf Kasimir Badeni kam es zu schweren Ausschreitungen in Prag, worauf am 2. 12. 1897 das Standrecht über die Stadt und ihre Umgebung verhängt wurde. Randbemerkung: Das hat sich ganz bewahrheitet: Bürgermeister Podlipny bat, „ein Mitglied" der Dynastie solle nach Prag übersiedeln.
12. April 1898
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ste, unter anderem Propst Marschall117. Dieser nun habe in Gegenwart Schönaichs, den er zum ersten Mal in seinem Leben sah, in Ausdrücken der verletzendsten Art (mit Beschimpfungen) über die beiden a gesprochen. Schönaich versprach mir, mit seinem Bruder, der nur noch zwei Tage in Wien bleiben werde, zu sprechen, damit dieser die Stellen in meinem Buche, die er beanstande, bezeichne.
Ernst von Plener, Präsident des Gemeinsamen Obersten Rechnungshofes
12. April 1898 К 2, U 6 680 r-v
Erzherzogin Elisabeth ist eine gescheite, gebildete Frau. Sie interessiert sich vor allem für Spanien, liest spanische Zeitungen; sie ist ganz vom Interesse für ihre Tochter, die Königin von Spanien, erfüllt. Sie spricht vortrefflich über diese Dinge, sehr interessiert. Es ist eine Freude, ihr zuzuhören, da sie voll Leben spricht. Sie war die Jugendliebe des Kaisers, der sie gerne geheiratet hätte. Aber Erzherzogin Sophie wünschte seine Verbindung mit einer bayrischen Prinzessin. Stimmt das? Erzherzogin Elisabeth ist 17. Jänner 1831 als Tochter des Palatins Joseph geboren und heiratet 1847 den Erzherzog Ferdinand von Este, dessen Witwe sie 1849 wurde. 1854 vermählte sie sich mit Karl Ferdinand, dem Bruder Erzherzog Albrechts. Müßte also schon als Witwe das Interesse des Kaisers erregt haben. Familie Eötvös besitzt Briefe Montalemberts an ihn, die jetzt ausgetauscht wurden gegen die Briefe Eötvös' an Montalembert. Allerdings sind es nur etwa sechs von Eötvös und größere Zahl Montalemberts. Gegen die Veröffentlichung des Briefwechsels sträubt sich der Schwiegersohn Montalemberts, ein Marquis de . . ., der sich davor scheut, daß Montalemberts Äußerungen gegen die Unfehlbarkeit des Papstes veröffentlicht werden. Der Vatikan, so schrieb er, könne daran Anstoß nehmen. Die beiden Männer scheinen durch einen Zufall in eine fernere Beziehung zueinander getreten zu sein. Dann gaben sie sich in Deutschland ein Rendezvous und traten sich näher, bis Montalembert Eötvös in Budapest besuchte. Sie waren beide liberale Katholiken. Sie schickten sich ihre Bücher, und Eötvös sandte ihm dann auch die Gesetzentwürfe, die unter ihm ausgearbeitet wurden, besonders den über Katholikenautonomie118. Über diese Dinge liegen interessante 117
Wahrscheinlich Godfried Marschall, Dom-Scholaster und Propst-Pfarrer an der Wiener Votivkirche. 118 In den unter Jözsef Eötvös als ungarischem Unterrichtsminister (1867-1871) ausgearbeiteten Schulgesetzen waren den Konfessionen und Nationalitäten Autonomierechte eingeräumt worden. " Freilassung im Original.
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Baron Karolyi Hieronymi
Briefe Montalemberts vor, während von Eötvös bisher nur die früheren Schreiben vorliegen, in denen er sich oft sehr bitter über die österreichische Regierung äußerte. Der Briefwechsel selbst kann infolge des Einspruchs des Schwiegersohnes nicht ediert werden. Dagegen wären die Briefe Eötvös' wohl zu veröffentlichen, aber wie Plener meint, unter Kastrierung der scharfen Stellen gegen Osterreich. Ich wendete natürlich ein, daß dies sehr schade wäre. Eötvös dachte niedrig von seinen Karthäusern, die er als ganz junger Mensch geschrieben hatte119. Als eine Schwester der Frau von Plener sie lesen wollte, sagte er: Es ist eine Dummheit, aber wenn Du sie unter dieser Voraussetzung lesen willst, so habe ich nichts dagegen.
Baron Kärolyi Hieronymi, Mitglied des ungarischen Abgeordnetenhauses
16. und 17. April 1898 К 5, U 4, 209 г - 2 1 3 ν
Er war noch Direktor der ungarischen Staatseisenbahn, als er öfters zu Szögyeny in Wien kam. Nach 9 Uhr (?) empfing er regelmäßig Ungarn, und er sagte zu ihm, er müsse Kälnoky kennenlernen. So machte er ihn bekannt, und Kalnoky lud ihn öfters ins Stockei120 zu Tische. Kälnoky gab glänzende Diners, man aß ausgezeichnet bei ihm, er war überaus höflich und zuvorkommend, so blieb er stets und bis zum Schlüsse ihrer Berührungen, ein angenehmer, heiterer Gesellschafter, doch habe er nie einen Brief von ihm [erhalten], Er befragte Hieronymi um ungarische Verhältnisse, und dieser fand ihn voller Vorurteile, ohne Kenntnis der ungarischen Verhältnisse, und zugleich unbelehrbar. Nun war es sonderbar, wie Hieronymi dies begründete. Er hatte nämlich eine falsche Vorstellung von der äußersten Linken, auch der Kaiser „zitterte wie Espenlaub" vor der Partei Kossuths; Hieronymi war vergebens bemüht, ihm zu beweisen, daß die Wähler und Anhänger der äußersten Linken ganz loyal und dynastisch sind, ja daß sie die Erhaltung der gemeinsamen Armee wünschen, daß sie ihre Söhne lieber in der gemeinsamen als in der Honvedarmee dienen lassen, weil sie einverstanden sind, daß diese etwas deutsch lernen etc. Das wollte ihm Kalnoky nicht glauben. (!!!) Ich glaub's auch nicht. "Ich bitte Sie, dieser Unsinn, daß die äußerste Linke der Krone gefährlich werden könne! Der Kaiser ist jetzt schon eine solche positive Macht, daß er schon dadurch eine Gefahr für den Parlamentarismus in Ungarn ist." 119
120
a_a
Jozsef Eötvös, A karthausi (Budapest 1842); erstmals veröffentlicht in Budapesti Ärvizkönyv 1839-1840. Das Kaiserstöckel beim Hietzinger Tor des Schönbrunner Schloßparks, die Residenz des Außenministers. Ergänzung
16. und 17. April 1898
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Als Wekerle den Auftrag erhielt, sein erstes Kabinett zu bilden121, da schon sprach der Kaiser den Wunsch aus, er solle Szilägyi nicht ins Ministerium nehmen. Weshalb fragte ich. Darauf Hieronymi: Ich weiß es selbst nicht, obwohl ich mir Mühe gab, es zu erfahren. Indessen sagte mir Päpay: Die Manieren Szilägyis gefallen dem Kaiser nicht. Szilägyi nämlich sprach in einem belehrenden Tone mit dem Kaiser, hielt ihm lange Vorträge, prädikatorisch, so daß der Kaiser dann zu Päpay abfallige Bemerkungen, „Witze" machte: „Heute hat mir Szilägyi wieder zu gescheit gesprochen", oder „seine Gedanken waren mir wieder zu hoch." Beides sagte Hieronymi. Darauf warf Konyi ein: „Einmal sprach Szilägyi wieder sehr nachdrücklich im Ministerrat, um den Kaiser zu widerlegen, darauf der Kaiser: ,Ich kann Sie nicht widerlegen, aber mein Gefühl sagt mir, daß Sie Unrecht haben.'" Hieronymi bestätigte dies als Tatsache. Wekerle nun gab sich damals den Anschein, oder er gab sich vielleicht Mühe, diesen Wunsch des Kaisers zu erfüllen. Wie weit Wekerle dem Kaiser eine Zusage geleistet habe, weiß Hieronymi nicht. Aber er glaubt eher, daß der Kaiser dies als Zusage nahm, ohne daß Wekerle das ausdrücklich verheißen habe. Denn das ist die Eigentümlichkeit Wekerles. Er kann nicht nein sagen, aber er antwortet doch nur so, daß der von einem Vorurteil für seinen eigenen Wunsche Befangene glauben mag, er habe ein Versprechen erhalten. Würde er aber schärfer prüfen, so müßte er zur Erkenntnis kommen, daß er eigentlich keine Zusage erhalten habe, eher umgekehrt. So wird es sich mit Szilägyis Eintritt ins Kabinett verhalten haben. Genug. Wekerle konnte es nicht durchsetzen, daß Szilägyi draußen bleibe. Als ich sagte, daß man erzähle, Wekerle habe dem Kaiser zugesagt, Szilägyi zum Iudex Curiae122 zu befördern, nickte Hieronymi zustimmend, aber er fügte hinzu: Wekerle konnte Szilägyi nicht aus seinem Kabinett entfernen, er konnte es wirklich nicht. Lange Auseinandersetzung, ob Szilägyi der Geist zur kirchenpolitischen Gesetzgebung gewesen, was Hieronymi in Abrede stellte: Einigkeit des Kabinetts. a Es war eine Verschwörung: Alle für einen.® Als [der] Kaiser dann bei der Einsetzung des zweiten Kabinetts Wekerle123 121
Sändor Wekerle wurde am 17.11.1892 erstmals zum Ministerpräsidenten ernannt. Seiner Regierung gehörte auch wiederum Dezso Szilägyi als Justizminister an. Baron Kärolyi Hieronymi war Innenminister im Kabinett Wekerle. 122 Reichs-Oberrichter, einer der zwölf ungarischen Bannerherren. 123 Am 31. 5. 1894 demissionierte das Kabinett Wekerle, da der Kaiser die verlangte Unterstützung in der kirchenpolitischen Reform verweigerte. Nachdem Graf Kärolyi Khuen-Hederväry kein Kabinett zustande brachte, reiste der Kaiser selbst nach Budapest und beauftragte am 9. 6. 1894 neuerlich Sändor Wekerle mit der Regierungsbildung. Bereits am 26. 11. 1894, nach Abschluß der kirchenpolitischen Reformen, reichte Wekerle neuerlich die Demission ein, die Übergabe der Geschäfte an seinen Nachfolger Dezso Bänffy erfolgte jedoch erst am 11. 1. 1895, da der Kaiser die Sanktion der Kirchengesetze an die Auflage knüpfte, daß einige Budgetgesetze noch unter der alten Regierung verabschiedet werden. a " Ergänzung.
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Baron Kärolyi Hieronymi
die Entfernung Szilägyis geradezu forderte, da hat Wekerle gewiß nicht Absicht gehabt, diesem Wunsche zu entsprechen. Denn Hieronymi weiß, daß Wekerle Dinge veranstaltet, die direkt auf das Gegenteil hinweisen. Aber Hieronymi zweifelt, daß Wekerle diesmal auch nur den Schein eines Versprechens geleistet habe. Das geschah nur bei der ersten Bildung des Kabinetts. Nun werde ich Ihnen einen Tratsch erzählen: Als der Kaiser sich nach Budapest begab (Reise Mitte 1894), sagte er zur Schratt: Jetzt reise ich nach Budapest, um Wekerle und Szilägyi aus dem Kronrat hinauszuwerfen. Als ihm dies nun mißlang, da sandte er Kalnoky hierüber ein Telegramm. Darauf antwortete ihm Kalnoky durch ein Telegramm mit lebhaften Vorstellungen, nicht von seinem Verlangen (offenbar auf Szilägyi allein bezüglich) zurückzuweichen. Dieses Telegramm, so sagte Hieronymi, fiel in unsere Hand, und von diesem Augenblicke an war es bei uns eine feststehende Tatsache, daß Kälnoky gehen müsse. Nur ging uns früher der Atem aus.a Hieronymi leugnet, daß je eine Verbindung, je eine Abmachung mit der äußersten Linken gepflogen wurde. Wir machten eine solche Politik, daß die äußerste Linke, wenn sie sich nicht selbst umbringen wollte, uns keine Opposition machen konnte. Wenn das Ministerium Wekerle noch drei Jahre länger am Ruder gewesen wäre, so wäre die äußerste Linke einfach aufgelöst gewesen. Der Kaiser hatte unter anderem auch vor dem jüngeren Kossuth und seiner Rundreise eine wahre Angst. Ich aber legte ihm dar, daß, wenn man ihn gewähren lasse, so werde er vollständig einflußlos werden. Der Kaiser hätte am liebsten gehabt, wenn man ihn gleich nach seiner Rückkehr festgenommen hätte124. Ich bitte Sie! Wie konnte ein Mann, der sich sofort zum Verwaltungsrat der... und zum Direktor der... ernennen ließ, mächtig oder gar gefährlich werden! Ich wählte die entgegengesetzte Methode; ich ließ ihn auf seiner Rundreise je von dem Obergespan begleiten, dadurch machte ich ihn um so eher tot: „Sie spielen ein hohes Spiel", sagte mir der Kaiser zu Ipolysäg. Ich aber antwortete: Ich spiele gar kein Spiel, denn jede Gefahr ist ausgeschlossen. Wenn nicht Franz Kossuth, sondern Ludwig Kossuth nach Ungarn unter diesen Verhältnissen gekommen wäre, so wäre auch er gefahrlos geblieben. All diese Dinge konnte ich dem Grafen Kälnoky nie begreiflich machen. Aber nicht bloß darin, sondern in jeder Beziehung fand ich Kälnoky ununterrichtet, urteilslos, ungebildet. Ich besuchte Kälnoky jedesmal, wenn ich nach Wien kam, ich hielt das für gut, anders als meine Kollegen, die nicht so handelten, was nicht gut war. Einmal legte ich ihm die Einführung der Zivilmatrikel dar. Ich benutzte die Einrichtungen Englands, um ihm die Sache 124
a
Ferenc Kossuth war nach dem Tod seines Vaters 1894 nach Ungarn zurückgekehrt und am 16. 11. 1894 wieder eingebürgert worden. Zu seiner Rundreise vgl. Friedjungs Charakterisierung in Graf Gustav von Kalnoky; in: Historische Aufsätze 352. Randbemerkung: Das wurde aber von Hieronymi als Tatsache erzählt. Das ist der Kern.
16. und 17. April 1898
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plausibel zu machen. In England haben die anglikanischen Geistlichen unter Aufsicht eines staatlichen Inspektors die Matrikelführung; für alle anderen Konfessionen wird die Matrikel von staatlichen Beamten geführt. Die Zentrale ist in London, wo man alle Eheschließungen etc. gesammelt beieinander hat. So nach dem Gesetze von 1830. Kälnoky wollte mir absolut nicht glauben, daß die Matrikelführung in England weltlich sei. Als ich ihm das versicherte, lehnte er [es] als Irrtum ab, mit Mühe konnte ich ihn von der Richtigkeit der Tatsache überzeugen. Noch ein Beispiel von seiner Unkenntnis, und das noch dazu auf seinem eigensten Gebiete. Kälnoky hatte keine Ahnung von der Verbindung der walachischen" Irredentisten mit den rumänischen Ministern, mit dem König und mit der Liga in Rumänien125. Vergebens schrieb ich ihm Privatbriefe, amtliche Briefe, und sprach mit ihm, um ihn zu bestimmen, in Rumänien energische Schritte zu unternehmen. Endlich verklagte ich ihn beim Kaiser und legte diesem solche unumstößliche Beweise und Tatsachen dar, daß ich ihn überzeugte. Der Kaiser ließ Kälnoky rufen, und offenbar muß dieser eine entschiedene Weisung erhalten haben. Darauf suchte mich Kälnoky selbst auf, was nicht eben seine Sache war; denn er war sehr stolz und ließ sich zu einem solchen Besuche nicht gerne herbei. Da erst ging er auf die Sache ein, und ich nannte ihm erst die Namen derjenigen, die in Rumänien mit unseren Walachen eine Verbindung haben, nannte ihm diejenigen, die er mit deren Überwachung zu betrauen hatte. Diese Dinge hätte Kälnoky wissen sollen, um so mehr, als ihm viel größere Mittel zur Verfügung standen als mir, sich über die Sache zu unterrichten. Ich bin nun überzeugt, daß Kälnoky ebensowenig wie von den rumänischen Verhältnissen ebensowenig von den deutschen oder russischen oder sonstigen Zuständen kannte. Denn ich halte ihn für klein, für so klein. Von seinem Hochmute habe ich nichts verspürt, auf mich macht eben der Hochmut eines Mannes gar keinen Eindruck. Lachend und selbstbewußt sagte dies Hieronymi. Der Kaiser ist der höflichste Mann, den ich überhaupt kenne. Wohlwollend, liebenswürdig. Uber Kälnokys Bestrebungen einer stärkeren zentralistischen Organisation sprach Hieronymi höchst verächtlich. Österreich und Ungarn wurden durch die Not zusammengeführt, und die Not hält sie zusammen. Wenn dies nicht mehr der Fall wäre, so würden alle die kleinen Mittel einer starken Organisation nichts helfen. Es wären nur Spielereien. Als ich nun einwandte, man müßte sich doch in einen Gedankengang eines Mannes versetzen, der sich gewissermaßen durch sein Amt als Hüter der gesamtstaatlichen Einrichtungen, insbesondere des Heeres ansah, sprach Hieronymi gleichfalls 125
a
Die 1891 in Bukarest gegründete nationalistische „Kulturliga zur Einheit aller Rumänen." Korrigiert von rumänischen.
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Baron Karolyi Hieronymi
ganz abweisend von diesen Dingen. Auch die gegenwärtige Bildung und Erziehung eines Offizierskorps sei ganz unpraktisch. Die jungen Leute kämen so jung in die Kadettenschule, daß man ja noch gar nicht wissen kann, ob sie zu Offizieren Begabung haben. Ihre einzige Bildungsquelle sollten Gymnasium und Realschule sein, dann sollte sich zeigen, wer Neigung und Befähigung zum Soldaten habe. Das sehen auch viele Offiziere ein, aber [der] Kaiser hält an der Wiener Neustädter Akademie [fest]. Denn diese hat Maria Theresia gegründet, und der Kaiser will an nichts rühren, was von ihr herrührt. Sehr bezeichnend ist, was Hieronymi von den Beziehungen zu Osterreich sprach. Man müßte in Osterreich aufhören, Ungarn als Kolonie anzusehen und zu behandeln. Als ich fragte, worin sich das äußere, sagte er: In der Abneigung Österreichs, die Goldwährung einzuführen, und besonders darin, daß man für hohe Schutzzölle ist. Und diese müssen fallen. Als ich fragte, ob auch die Agrarzölle, sagte er nein! Als ich verwundert war, kam eine eigentümliche Theorie zum Vorschein. Ungarn führe weniger in Österreich ein als umgekehrt. Folglich habe Österreich mehr Vorteile von dem Schutzzollsystem. Folglich müßte ein Verhältnis gesucht werden, um die Vorteile beider Staaten gegeneinander gerecht abzuwägen. Er meinte, Ungarn zahle mit Pfandbriefen, was Österreich in Ungarn einführe. Immer mehr steige die Verschuldung. Hieronymi ist kräftig, fast korpulent gebaut, wenn auch nicht über Mittelgröße, er schreitet fest einher, steht fest in den eigenen Schuhen. Starker Ansatz zu einem Bäuchlein, denn er ißt gerne. Stärker im Wollen als im Schließen. Offenbar ein geeigneter Minister des Innern. Er versteht das Motiv einer Natur wie der Schmitts nicht, der sich nicht höher als zum Tagschreiber aufschwang, obwohl er dabei philosophische Studien betrieb und den Preis für eine philosophische Schrift erlangte126. Sie sehen, das ist ein Beweis für seine praktische Unbeholfenheit. Wer sich durchsetzt, genießt seine Achtung. Die Maßregelung der ungarischen Sozialisten ist ihm eher noch zu wenig scharf. Aber dabei mit Bonhommie. Er behauptet, über die rumänischen Irredentisten das meiste von den Führern selbst gehört zu haben. Er sei der einzige Minister, der mit ihnen selbst sprach. Sie nun denunzierten einer den anderen; und so erhielt er, indem er die von dem ersten gewonnenen Kenntnisse bei dem zweiten anwendete, einen vollen Einblick in die Dinge. Uber Bänffy geringschätzig. Ich glaube, er schwärzt uns (die Mitglieder des Kabinetts Wekerle) alle beim Kaiser an. Übrigens, so Schloß er die Mitteilung über Kälnoky, glauben Sie nicht, daß ich sein Gegner bin oder ihn geringschätze. Eigentlich halte ich gar nichts 126
Jeno Henrik (Eugen Heinrich) Schmitt hatte als ungarischer Kanzleischreiber 1887 den Preis der Berliner Philosophischen Gesellschaft erhalten.
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von seinem Geiste und seiner Tatkraft, aber ich erkenne seinen guten Glauben, seine Offenheit vollständig an. Er war ganz offenherzig in seiner Gegnerschaft. Er war sehr fleißig, fast zu fleißig; ehrenhaft und gewissenhaft. Hieronymi spricht ihm jedes Verdienst in der Bulgarischen Frage ab127. 17. April 1898 Hieronymi macht unter seinen Büchern einen behaglichen, herzlichen Eindruck. Seine Einfachheit, Natürlichkeit, Präzision, sein Geschick, alles klar und plastisch herauszubringen, was er zu sagen hat, ist höchst behaglich. Diesmal hatte er nicht das Feste, Entschiedene, Könyi sagte mir, er sei eigentlich nicht energisch. Uber Szilägyi sprach Hieronymi nicht sehr freundlich. Szilägyi ist eine unbändige Natur. Aber er will sich auch, wie Hieronymi meint, nicht bezähmen; denn er sagte ihm: Er sehe die Notwendigkeit nicht ein, sich anders zu geben, als er sei; die Leute müßten ihn so nehmen. Er ist ein Hagestolz und, wie Hieronymi glaubt, doch ein Egoist, ganz aufgehend in politischen Dingen. Er ist groß in der Analyse, eine analytische Natur, in der Zerfaserung und Entwicklung seiner Anschauungen. Selbst wenn man mit ihm übereinstimmt, widerlegt er die Einwürfe gegen seine Anschauung mit aller Gründlichkeit. Ob er sich zum Parteiführer eigne: Es komme alles darauf an, wer der Stärkere sei; dem falle die Führung anheim. Bänffy sei ja keine hervorragende Persönlichkeit, aber er habe sich durch die gewagtesten Mittel ein gefügiges Parlament geschaffen, und durch seine Schlauheit, selbst Hinterlist, besonders aber Schlauheit, beherrsche er es. Schließlich könne sich Szilägyi auch ein Parlament schaffen, das ihm gehorche. Die Überlegenheit Szilägyis drückt, und sie drückte auch den Kaiser. Übrigens halte Szilägyi nicht viel von der liberalen Partei: Er hält sie nicht höher als einen Schuhfetzen und glaubt, sie werde jedem gehorchen, den der Kaiser einsetzt. Das aber ist nach Hieronymi nicht richtig. Die Partei hält eben jeden Minister so lange als sie glaubt, daß es möglich ist. Als sie glaubt, mit Recht oder Unrecht; aber darin ist sie eben opportunistisch und hat dafür ein richtiges politisches Gefühl. Szilägyi vermag übrigens Menschen zu versöhnen, wenn er liebenswürdig sein will. Daher erzählte Hieronymi mir die Geschichte von Selez a Stadthauptmann. Wekerle ist ein Charmeur. Er konnte übrigens Szilägyi im Sommer 1894 nicht fallenlassen, er konnte nicht, da er sonst als Verräter an seinen Prinzipien betrachtet worden wäre. Er hatte jahrelang notwendig gehabt, um die Meinung zu zerstören, daß er ein Verräter sei. Szilägyi und Wekerle waren 127
Vgl. Friedjungs Darstellung der bulgarischen Politik Kälnokys in Graf Gustav von Kalnoky; in: Historische Aufsätze 334-343. " Freilassung im. Original.
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Graf Gyula Andrässy
gar nicht intime Freunde. Ihr Verhältnis war nicht einmal sehr gut, denn die Schroffheit Szilägyis ließ ein freundschaftliches Verhältnis nicht aufkommen. Khuen war ursprünglich ein Verehrer Szilägyis. Er verließ mit ihm seinerzeit die liberale Partei. Und Szilägyi hat ihn auch (hier ist mein Gedächtnis nicht sicher) zum Banus empfohlen. Hieronymi deutet übrigens an, es sei nicht ganz sicher, ob Szilägyi nichts von der Bestimmung Khuens zum Ministerpräsidenten gewußt habe. Gewiß war er nicht in einer Verbindung mit ihm; hier deutete Hieronymi mehr an - er weiß darüber nichts - Szilägyi sei gewiß loyal gewesen, aber es könne doch sein etc. etc. Welche Pläne Kalnoky mit Khuen hatte, weiß Hieronymi nicht. Er weiß auch nichts darüber, ob Khuen sich auf [die] Nationalitäten stützen wollte. Er glaubt eher, daß Kälnoky keine weitaussehenden Pläne hatte, er wollte eben [das] Kabinett Wekerle stürzen. Mehr kaum. Jedenfalls legt Hieronymi Khuen keine weitgehenden oder feindseligen Absichten zu. Aber er schätzt ihn niedrig. Kroatien ist anders und ist leichter zu regieren als Ungarn. In Kroatien sperrt man einfach einen unbequemen Kandidaten ein, versetzt ihn in Untersuchungshaft und gibt ihn nach [der] Wahl wieder frei. Auch Veiglsberg hat [eine] hohe Meinung von Hieronymi. Er sei klug, logisch, stellt ihn weit über Andrässy, der geniale Einfalle habe, aber im Zickzack denke.
Graf Julius Andrässy d. J., ungarischer
Minister a. D. Budapest, 17. April 1898 К 5, U 9,316 г - 318 ν
Zurückhaltend, aber nicht aus Berechnung, sondern aus angeborener Scheu oder Unfähigkeit, aus sich herauszutreten, und aus Diskretion. Fein, klug in seinem Urteil. Spricht stockend; Pointe mit einem matten Erhellen seines unbeweglichen, feinen Vogelkopfes. Sitzt auf einem Fuße, den er wie schwach gebaute Menschen unter seinen Körper im Sitzen legt. Nicht sehr zuvorkommend in der Art, seine Hand zu geben und sich zu verabschieden. Graf Julius Andrässy (Vater) hielt es für richtig, die aufstrebenden Nationen im Orient zu fordern. Das war seine Politik schon als ungarischer Ministerpräsident. In diesem Sinne schlug er den Mächten 1876-77 die Autonomie der Balkanstämme vor. Als ich fragte, ob er dadurch den Krieg zwischen Rußland und Türkei verhindern zu können glaubte, sagte er: Im Ganzen glaubte er eher, dieser Krieg werde nicht ausbrechen128, da er der Friedensliebe des Zaren Alexander vertraute. Und tatsächlich wurde ja der Krieg gegen dessen Willen eingeleitet. Aber Andrässy baute seine Politik nicht auf 128
Der russisch-türkische Krieg 1877/78.
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eine Prognose auf; sie mußte sich für jeden Fall bewähren. Man muß nur wissen, wie vorsichtig er sich nach allen Richtungen durch Allianzen sicherte. Das wird erst später bekannt werden. Von Kälnoky hatte Andrässy Vater eine gute Meinung. Er hielt ihn für klug, für einen guten Botschafter. Andrässy jun. glaubt nämlich, sein Vater habe Kälnoky zum Botschafter gemacht, was irrig ist. Aber die Ideen des Briefes Kälnokys hätte Andrässy nie ausgeführt 129 , denn er stand auf dem Boden der Gesetze von 1867, die er mitgeschaffen hatte. Andrässy jun. hat Kälnoky oft gesprochen und hält ihn für einen klugen, logischen Kopf, der aber nicht hervorragend war. Er sprach gut und klar, aber ohne Pointen, ohne eine Spur dessen, was man geistreich nennt. Dabei war er offenherzig, hielt nie mit etwas zurück, ein offener Gegner. Er war doch klerikal, was ein relativer Begriff sei, in Österreich anders als in Ungarn. Er nahm es der liberalen Partei sehr übel, daß sie die Unterstützung der äußersten Linken in der Ehegesetzfrage hatte 130 . Er fürchtete die Kossuthparthei mehr, als [es] den Tatsachen entsprach. Er verlangte, daß man Franz Kossuth nicht nach Ungarn zurückkehren lasse131. Das Ministerium verfolgte die entgegengesetzte Politik, und die Ereignisse haben gelehrt, wie recht es hatte. Zwischen Kälnoky und Szilägyi war das Verhältnis schließlich so schlecht, daß sie sich nicht grüßten. Szilägyi selbst erklärt, er wisse nicht, weshalb. Es ist nicht wahrscheinlich, daß Szilägyi grob gegen Kälnoky gewesen sei, aber wohl möglich, daß Kälnoky die Furcht hegte, Szilägyi könne gegen ihn grob werden. Hieronymi sagte mit Recht, als ich ihm das erzählte: Das bedeutet bei Szilägyi nicht gar viel; jedenfalls nicht so viel, als wenn Andrässy sich mit jemandem nicht grüßen würde. Kälnoky trat für die Unabhängkeit Bulgariens ein, aber nur, weil er gedrängt wurde. Mein Vater verfolgte eine mutige, Kälnoky eine „feige Politik". Dies kam daher, weil Andrässy an die Zukunft der Monarchie glaubte, Kälnoky aber hatte kein Vertrauen zu Osterreich, er befürchtete dessen Zerfall132. Und so wagte er auch nichts, er fürchtete den Zusammenstoß mit Rußland, dem, wie er glaubte, Osterreich nicht gewachsen war. Andrässy dagegen war, 129
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Gemeint ist Graf Gustav Kälnokys Abschiedsbrief an den scheidenden Außenminister Graf Gyula Andrässy vom 20. 10. 1879, in dem er sich für den Ausbau des Amtes des Außenministers zu einem Reichskanzler aussprach. Vgl. Graf Gustav von Kälnoky; in: Historische Aufsätze 330-332. Mit der Veröffentlichung der Wegtaufenverordnung vom 26. 2. 1890, die die Glaubenszugehörigkeit von Kindern aus konfessionell verschiedenen Ehen regelte, begann in Ungarn der Kampf um die Ehegesetzgebung. Die Sanktionierung des Gesetzes über die obligate Zivilehe am 9. 12. 1894 beendete den Konflikt. Ferenc Kossuth war nach dem Tod seines Vaters 1894 nach Ungarn zurückgekehrt. Diese Charakteristik der Kälnokyschen Politik durch Graf Andrässy findet sich wieder in einem Aufsatz Friedjungs, in dem es heißt, Kälnoky hatte „offenbar nicht das Vertrauen in die Kraft und Leistungsfähigkeit der Monarchie." Vgl. Österreich-Ungarn und Rußland; in: Österreichische Rundschau 21 (Oktober-Dezember 1909) 5.
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Graf Gyula Andrassy
wenn er auch den Krieg selbstverständlich nicht wünschte oder herbeiführen wollte, überzeugt, daß Österreich ihn mit Erfolg bestehen werde. Wie hätte auch Kalnoky Vertrauen haben sollen? Er hegte kein Vertrauen zu der Treue Ungarns, und worauf sollte sich Osterreich jetzt stützen können, wenn es sich nicht auf Ungarn verlassen könne? Feines mattes Lächeln Andrässys. Andrassy erklärt, daß er die Interpellationsbeantwortung Bänffys (Terenyi) für vollkommen unstatthaft halte 133 . Er war in Paris, als er sie las. Er sagte sich gleich, daß dies nicht angehe. So spricht man in Europa nicht, es wäre denn vor einem Kriege. Tatsächlich hatte Bänffy, wie Andrassy später erfahren habe, seine Antwort gegeben, ohne zuvor den Ministerrat darüber gehört zu haben. Er tat es auf eigene Faust. Als ich fragte, ob Bänffy das in der Absicht getan habe, Kalnoky in eine schiefe Position zu bringen, war die Antwort: Offenbar. Uber Ursachen der Ungnade Wekerles zu sprechen, lehnte Andrassy ab: Das seien zu rezente Dinge. Andrassy (Vater) kam durch die bosnische Okkupation in Konflikt mit dem Generalstab. Es ist nicht wahr, daß er je das Wort von der „Musikbande" gesprochen habe 134 . Im Gegenteil, er war dafür, daß die österreichischen Truppen gleich nach dem Berliner Kongreß in Bosnien einmarschiert wären, gleich, denn dann wäre die Eroberung sehr leicht gewesen. Er war unzufrieden damit, daß der Generalstab nicht fertig war. Dann allerdings Widerstand stärker. Aber auch da war er unzufrieden, daß die Militärs so viel aus dem Feldzuge machten 135 ; man hätte die Sache nicht so „aufbauschen" sollen. Er war auch gegen die Massenmobilisierung; man sende ja nach Bosnien mehr Soldaten hinein, als das Land Bewohner zähle. Philippovic hätte rascher auf Sarajewo losmarschieren sollen; dieser aber wartete absichtlich, bis zu des Kaisers Geburtstag, 18.August. Aus all dem entstanden dann scharfe Gegensätze. Einer Frage über den Inhalt des Vertrages mit [dem] Sultan 136 wich Andrassy aus. Alles bisher ist nicht vertraulich mitgeteilt. Dagegen sagte Andrassy jun., sein Vater hätte als Bedingung seines Eintritts ins Kabinett Einfluß auf militärische Dinge verlangt, und dies sage er mir vertraulich. Uber Bänffy sprach er abfällig. Es sei unrichtig, daß Kalnoky Bänffy das Ministerpräsidium im November angeboten habe 137 , unrichtig auch, daß er das 133 134
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Vgl. Friedjungs Darstellung des Konfliktes Kalnoky - Bänffy in Graf Gustav von Kalnoky; in: Historische Aufsätze 355-360. Außenminister Graf Gyula Andrassy soll Mitte Juli 1878 den Ausspruch getan haben, er traue sich, die Okkupation mit einer Kompanie Husaren und einer Musikbande durchzuführen. Die Besetzung Bosniens und der Herzegowina begann am 29. 7. 1878, Sarajewo wurde am 19. August eingenommen, die letzten Kämpfe fanden im Oktober statt. Die Konvention vom 21. 4. 1879, in der die Okkupation der beiden Provinzen gemäß den Bestimmungen des Berliner Vertrages geregelt wurde. Vgl. S. 122 f.
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Ansinnen an ihn gestellt habe, sich der Nation [alitäten] zu bedienen. „Das steht nicht", sagte Andrässy. Denn zu jener Zeit war Andrässy in Wien. Damals sagte Bänffy zu Andrässy, er glaube, daß er angesichts des nahen Rücktritts Wekerles der geeignete Ministerpräsident sei. Da lachte ihn Andrässy aus, denn Bänffy hatte damals keine Stellung in der Partei, war auch nicht populär. Man hatte ihn zum Präsidenten des Parlaments gewählt, aber als solcher habe er sich nicht geschickt benommen. Am Tage nach dem Gespräche BänfTys mit Kälnoky speiste Andrässy mit Kälnoky; und dieser sagte ganz verwundert zu Andrässy, daß Bänffy sich ihm als Ministerpräsident angeboten habe. Andrässy aber mußte ihm sagen, daß er nicht dazu geeignet sei. Bänffy wurde dann Ministerpräsident, weil sich niemand fand, der das Amt übernehmen wollte. Khuen wurde es bloß deshalb nicht, weil er zu sicher gehen wollte. Das erste Mal freilich war die Sache nicht geschickt eingeleitet, wohl aber das zweite Mal138. Da kam der Kaiser selbst nach Budapest herunter. Es stellten sich keine allzugroßen Schwierigkeiten ein; Khuen aber machte zur Bedingung der Übernahme des Amtes, es müsse die Fusion mit der Apponyi-Partei vorangehen. Wenn er auf dieser Bedingung nicht bestanden hätte, so hätte er Ministerpräsident werden können. Er hätte, da die Fusion jetzt unmöglich war, sie ja später durchführen können. Das erste Mal war seine Ernennung unmöglich, weil man verbreitete (irre ich nicht, so sagte Andrässy: Wekerle habe es verbreitet, Konyi sagte es jedenfalls), Khuen sei ein zweiter Jelacic139. Es scheint, daß Andrässy eine Stelle im Ministerium Khuen angenommen hätte. Nun fand sich niemand zur Übernahme schon im Hinblick auf den nahen Ausgleich mit Osterreich140. Bänffy aber, voll Selbstvertrauen, übernahm es; jedermann glaubte, er würde sich nur kurze Zeit halten; aber er erwies sich geschickter, als man angenommen hatte.
Baron Dezsö Bänffy, ungarischer Ministerpräsident
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Lediglich episch, ohne Raisonnement. Die Argumente liegen in einer merkwürdig sicheren Gruppierung der Tatsachen, vielleicht selbst in unwahren Angaben. Freundlich, süßes Lächeln, diese „magy-polonische" Süßigkeit. 138
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Graf Karolyi Khuen-Hederväry war sowohl im Juni 1894 (nach dem Rücktritt des ersten Kabinetts Wekerle) als auch im Dezember desselben Jahres (nach der Demission des Kabinetts Wekerle II) mit der Regierungsbildung betraut worden, scheiterte jedoch beide Male. Graf Josef Jelacic galt in Ungarn aufgrund seiner Haltung als Banus von Kroatien während der Revolution von 1848/49 als Symbol einer konterrevolutionären Interventionspolitik. Die Verhandlungen über die Erneuerung des am 31. 12. 1897 auslaufenden Zoll- und
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Baron Dezsö B ä n f f y
Merkwürdig eigentlich die Geistesgegenwart, denn er wußte erst vormittags, daß ich ihn sprechen wolle. Und er hatte alles parat, oder er erfand und gruppierte sehr schnell. Als der Nuntius mir seine Absicht ankündigte, nach Ungarn zu kommen, bestärkte ich ihn in dieser Absicht141. Er sagte, er wolle den Primas142 und Kardinal Schlauch in Großwardein sprechen, was ich begreiflich fand. Aber ich wußte nicht, daß er Ansprachen halten und Empfänge veranstalten werde. Als ich nun die Nachricht von seinen ersten Empfängen in . . . erhielt, sprach ich mit Kälnoky darüber und beschwerte mich. Er aber sagte: Sie werden Agliardi doch nicht ernst nehmen, er ist ein Schwätzer. Aber als die Ansprachen fortgesetzt wurden, wurde ich bedenklich, und ich mußte den Eindruck in der liberalen Partei fürchten. Denn noch waren nicht alle konfessionellen Gesetze angenommen, und ich fühlte mich in meiner Aktion gehindert. Als ich nach Budapest kam, sagte mir Julius Horvath, damals in der Opposition, er werde über Agliardi interpellieren. Ich bat ihn, dies lieber durch ein Mitglied der Regierungspartei besorgen zu lassen, und verabredete mit Terenyi die Interpellation. Dann schrieb ich an Kälnoky, ich müsse auf die Interpellation antworten und fragte an, was ich zu antworten habe. Kälnoky schickte nun den Brief, den ich später verlas. Ich war über seinen Inhalt und über die Schärfe, mit der er über Agliardi schrieb, erstaunt und äußerte zum Staatssekretär Tarkovich: Offenbar will Kälnoky den Nuntius Agliardi von Wien weghaben, deshalb sein geringschätziges Urteil über ihn. In dem Sinn des Briefes Kalnokys beantwortete ich die Interpellation. Da kam die Note in der Politischen Korrespondenz. Wenn ich nun auch jetzt erfuhr, daß ich in der Form über den diplomatischen Brauch hinweggegangen war, so hatte ich doch bona fide gehandelt, und die Beleidigung, die mir Kälnoky angetan hatte, war sehr schwer. Ich fuhr also nach Wien, doch schickte ich zuerst Josika zu Kälnoky, dem ich sagte: Er ist aufgeregt, ich bin es auch, es ist besser, ein Dritter spricht zuerst zu ihm. Zu Josika nun sagte Kälnoky: „Es ist klar, daß mein Brief an Bänffy lediglich vertraulich war, kein raisonabler Mensch durfte dessen Inhalt publik machen." Als ich dann zu Kälnoky ging, sagte er: Verhandlungen seien unnütz; wir können nicht beide Minister sein; Sie oder ich müssen gehen. Darauf erwiderte [ich]: Nun wohl, der Kaiser wird Richter über uns sein. Als ich nun zum
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Handelsbündnisses begannen auf Regierungsebene 1896. Durch die politischen Verhältnisse in Osterreich und Ungarn kam es allerdings erst 1907 zur parlamentarischen Verabschiedung eines neuen Ausgleichs in beiden Reichshälften. Von 1898 bis 1907 wurden die wirtschaftlichen Beziehungen der beiden Staaten mittels Provisorien geregelt. Zur Visitationsreise des päpstlichen Nuntius Antonio Agliardi und dem daraus entstehenden Konflikt Kälnoky - Bänffy vgl. Graf Gustav von Kälnoky; in: Historische Aufsätze 355-360. Claudius Ferenc Vaszary, Fürsterzbischof von Esztergom (Gran).
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Kaiser kam, sagte dieser: Ich möchte nicht, daß Sie zurücktreten, und ich brauche die Dienste des Grafen Kälnoky; gleichen Sie sich in irgendeiner Weise mit ihm aus. Als ich fragte, ob der Kaiser die Note der Politischen Korrespondenz vor der Veröffentlichung gesehen habe, bejahte dies Bänffy ausdrücklich. Nun machte ich einen Ausgleichsvorschlag. Ich war bereit, zuerst im Reichstag zu erklären, daß ich von Kälnoky eine Mitteilung erhalten hatte, die ich nicht für vertraulich angesehen hatte und deshalb vor den Reichstag gebracht hatte, und dann sollte Kälnoky wieder mir eine Genugtuung geben. Aber Kälnoky erwiderte schroff: Er gebe überhaupt keine Erklärungen ab. Nun legte ich dem Kaiser vor, daß wir beide nicht zugleich im Amt sein könnten, da sagte der Kaiser: Recht und Wahrheit sollen entscheiden (so ungefähr sprach Bänffy), es solle volles Licht in die Sache kommen, und es ist am besten, wenn die Note Kälnokys im Reichstage veröffentlicht wird143. Ich fragte, ob Kälnoky diesen Vorschlag gemacht habe. Darauf Bänffy: Das weiß ich nicht, ob es die Idee des Kaisers oder Kälnokys war, aber jedenfalls wußte dieser bereits von der Sache. Ich erklärte mich einverstanden, fügte aber gleich hinzu, daß die Wirkung der Veröffentlichung keineswegs günstig für Kälnoky sein werde. Dennoch wurde so beschlossen. Kälnoky hatte sich wirklich ganz über die Wirkung der Veröffentlichung geirrt. Ich brachte die Note vor den ungarischen Ministerrat und dann vors Parlament. Ich telegraphierte auch gleich an Josika, daß sich die Position Kälnokys keineswegs verbessert hatte. Eine der Depeschen, die auf diese Weise an Josika gesendet, dem Kaiser vorgelegt wurden, wurde von diesem mit der einfachen Erklärung versehen: Ich habe es gelesen. Ich, Friedjung, verstand das so, daß der Kaiser sich nicht überzeugen lassen wollte. In diesem Sinne telegraphierte ich mehrmals an Josika. Der Kaiser erließ vorerst das bekannte Handschreiben, durch das er Kälnoky seines Vertrauens versicherte 144 . Nun war Kälnoky oben und ich unten; aber ich stellte dem Kaiser vor, daß ich nun so sehr in meiner Stellung erschüttert wäre, daß ich eine endgültige Erledigung erbitten müsse. "Dazwischen die Reise des Kaisers nach Pola. Hier erzählte Bänffy eine Menge Details, flüchtig, wie er stets Josika schrieb, wie die Stimmung in Ungarn sei etc., was Josika dem Kaiser sagen solle etc. Nicht sehr klar und nicht sehr wesentlich. 3 Der Kaiser ließ mir mitteilen, er werde die Ent143
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Ministerpräsident Dezsö Bänffy veröffentlichte am 4. 5. 1895 als Antwort auf eine Interpellation Graf Albert Apponyis die Note des Außenministers vom 25. April an ihn, in der Kälnoky die Ansprachen des Nuntius mißbilligte und mitteilte, eine Protestnote beim Vatikan überreichen zu lassen. Gleichzeitig ersuchte er jedoch Bänffy, ihm den genauen Wortlaut der Reden Agliardis und der Interpellation Terenyis zu übermitteln. Graf Gustav Kälnoky reichte nach der Verlesung seiner Note im ungarischen Parlament die Demission ein. Der Kaiser lehnte diese jedoch in einem sehr herzlich gehaltenen Handschreiben vom 6. 5. 1895 ab. Ergänzung.
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Baron Dezsö B a n f f y
Scheidung am 13. oder 15. fällen. Dann ließ er mich rufen und sagte mir bloß: „Ich habe mich dafür entschieden, den Grafen Kalnoky zu entlassen und habe bereits den Grafen Goluchowski als seinen Nachfolger nach Wien berufen. Machen Sie mit ihm das Erforderliche ab. Über den Grafen Kalnoky mich jetzt zu äußern, fühle ich mich nicht veranlaßt." Später habe ich den Grafen Kalnoky nur einmal bei einem Diner gesprochen. Er kam selbst auf die Sache zu sprechen und sagte zu mir: Ich habe mich geirrt; ich hatte angenommen, daß durch die Veröffentlichung meiner Note auf die öffentliche Meinung der Eindruck hervorgerufen werde, daß Sie in der Form durchaus im Unrecht sind, so zwar, daß der Inhalt meines Schreibens an Sie dadurch in den Hintergrund gerückt werde. Doch es ist anders gekommen! Es ist, so antwortete Banffy auf meine diesbezügliche Frage, vollkommen klar, daß Kalnoky meinem Kabinett ganz dasselbe Schicksal bereiten wollte wie dem Kabinett Wekerle. Er war überzeugt, daß die Presse und die öffentliche Meinung auf seine Seite treten und daß ich genötigt sein werde, meine Demission zu geben. Von dieser Überzeugung ausgehend, scheint er sich dadurch gedeckt gefühlt zu haben, daß er dem Kaiser die Note in der Politischen Korrespondenz vor ihrer Veröffentlichung vorlegte. Ich muß aber, um alles begreiflich zu machen, auf eine frühere Zeit zurückgreifen. Als das Kabinett Wekerle zum ersten Mal demissionierte145, wurde ich als Präsident des Abgeordnetenhauses nach Wien berufen, und schon damals sprach man mit mir davon, daß ich Ministerpräsident werden sollte. Aber ich lehnte es ab, aus dem Grunde, weil das Kabinett Wekerle und Szilägyi damals eine solche Popularität genoß, daß ich, als Ersatz für sie eintretend, eine geradezu unhaltbare Stellung dem Lande gegenüber gehabt hätte. Damals wurde ich in fünf Tagen siebenmal zum Kaiser berufen, und damals gewann der Kaiser offenbar Vertrauen in mich. Dies blieb auch, während das zweite Kabinett Wekerle bestand. Da Wekerle bei dem Kaiser in Ungnade war, so schickte er mich ein und das andere Mal nach Wien, um etwas durchzusetzen, natürlich nicht in Angelegenheiten, die das Kabinett selbst betrafen. Dieser Zustand war unhaltbar, denn ein Ministerpräsident, der in disgrace ist, kann nicht existieren. Als ich nun im November einmal nach Wien zu Kalnoky kam, sagte dieser zu mir, Wekerle werde bald entlassen werden, und ich sei zum Ministerpräsidenten bestimmt, mit dem Zwecke, dem Kaiser zu ersparen, die beiden kirchenpolitischen Gesetzentwürfe sanktionieren zu müssen. Darauf antwortete ich: „Ganz abgesehen von meinen Überzeugungen, welche unbedingt das Inkrafttreten der Gesetzentwürfe heischen, muß ich doch einwenden, daß ich auf dieses Programm hin gewiß nicht die Mehrheit des Parlaments an meiner Seite hät145
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te; sonach ist der ganze Plan nicht realisierbar." Darauf Kälnoky: „Das macht nichts. Sie werden einfach das Abgeordnetenhaus auflösen. Es werden 70-80 Abgeordnete der Nationalitäten gewählt werden, und Sie werden sonst auch eine Ihnen anhängliche Mehrheit gewinnen können." Darauf ich: „Sie irren. Ich bin gewiß Monarchist und werde alles aufwenden, um die Harmonie zwischen der Krone und dem Lande herzustellen; ich bin dynastisch und dualistisch gesinnt, aber außerdem bin ich Chauvinist. Wenn Sie derartige Pläne zur Ausführung bringen wollen, so werde ich mich auf den Platz setzen, den jetzt auf der äußersten Linken Graf Gabriel (?) Kärolyi einnimmt, und werde Opposition machen, und alle Mitglieder des Hauses werden sich noch weiter links gruppieren; zu meiner Rechten aber wird kein einziger Abgeordneter sitzen." Da unterbrach ich Bänffy und sagte: Ich hätte es nicht für möglich gehalten, daß Graf Kälnoky so unklug gewesen sei, sich gerade an Euer Exzellenz mit diesem Ansinnen zu wenden, auch wenn er so dachte. Eine solche Torheit hätte ich für unglaublich gehalten. a Im Verlaufe des Gespräches sagte Bänffy, es seien dem Kaiser drei Namen vorgelegt worden, Szlävy, der Kronhüter, Szell und Bänffy. Ersterer war 80 Jahre, der zweite wollte nicht. 3 Ich begreife Ihr Erstaunen, sagte Bänffy, aber ich versichere Sie, daß sich die Sache so verhält, ich habe nach meiner Rückkehr dies alles Tisza und Wekerle erzählt. „Hätte sich das Abgeordnetenhaus den Grafen Khuen als Ministerpräsidenten gefallen lassen?" fragte ich. Nein, erwiderte Bänffy. Nennen sie es eine Ungerechtigkeit oder ein Vorurteil; aber die Erinnerung an Jelacic ist so stark, daß es unmöglich ist, aus einem Banus von Kroatien einen Ministerpräsidenten zu machen! Ich versprach Bänffy, nichts von diesen Mitteilungen in Zeitungen zu veröffentlichen. Er sagte, es sei vielleicht unklug, daß er so offen sei, aber Konyi, der ein ehrenhafter alter Herr sei, cautiere [sie!] für mich, und deshalb habe er rückhaltlos gesprochen. Sehr merkwürdig war, daß Bänffy am nächsten Tage zu Konyi sagte: Dieser Dr. Friedjung ist ein merkwürdiger Herr, er hatte in Wien die Information erhalten, daß Kälnoky deshalb das Zustandekommen der kirchenpolitischen Vorlage wünschte, um die Liberale Partei vor dem Zerfalle zu schützen. Nun hatte ich diese Äußerung zu Bänffy absolut nicht gemacht, ja niemals diese Information erhalten. Dieser Gedankengang war mir fremd. Erst am nächsten Tage setzte mir Tisza auseinander, daß dies Wekerles Gedanke war.
Ergänzung.
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Miksa Falk
Miksa Falk, Mitglied des ungarischen Abgeordnetenhauses, Chefredakteur des Pester Lloyd [Budapest zwischen 15. und 21. April 1898] К 5, U 4, 193 г - 195 ν Als Szäpäry am Ruder war, entstand die Wegtaufenfrage146. Ich selbst war damals der Ansicht, daß es genüge, nicht allzu weit zu gehen. Ich wäre zufrieden gewesen, wenn 1) Notzivilehe eingeführt worden wäre, 2) Religionsfreiheit und 3) Rezeption der Juden. Dies war nämlich auch das Programm des Grafen Szäpäry. Als er nun mit diesen drei Forderungen an den Kaiser herantrat, sagte dieser, er sei bereit, die Zustimmung zu geben. Aber er wolle keinen Kampf mit der Kirche, und Szäpäry müsse ihm das Versprechen geben, daß er nicht weiter gehen wolle. Szäpäry stellte sein Programm in einem Memorandum auf und gab dann dem Kaiser das Wort, daß er auf der Bahn der Reform nicht weiter gehen wolle. Damit aber waren die anderen Minister nicht einverstanden. Sie erklärten sich durch dieses Versprechen nicht gebunden. Szilägyi auch deshalb nicht, weil er Ministerpräsident zu werden hoffte; Tisza war durch konfessionelle Gründe bestimmt. So nahm Szäpäry seine Entlassung147. Wie nun Wekerle dem Kaiser das Versprechen der Zivilehe abgewann, darüber habe ich nur Vermutungen. Ich glaube, daß er den Kaiser einschüchterte durch den Hinweis auf eine zu befürchtende Revolution. Wenigstens sagte der Kaiser dem Dr. Falk etwa ein Jahr später: „Das Kabinett stellte mir die Sache so dar, daß, wenn ich nicht meine Einwilligung zur Zivilehe gebe, das Land am Rande des Abgrundes stehe. Ich sehe jetzt, daß das glücklicherweise nicht der Fall war, und ich bereue, meine Zustimmung gegeben zu haben." Diese Worte wiederholte mir Falk auch im späteren Verlaufe der Unterredung und dies mit demselben Nachdrucke. Falk betont, daß er mit viel weniger in den kirchenpolitischen Gesetzen zufrieden gewesen wäre. Aber es war selbstverständlich, daß er mehr als Liberaler gerne aus den Händen der Regierung hinnahm. Dies habe er zu wiederholten Malen auch im Pester Lloyd erklärt. Uber Kälnoky sprach sich Falk überaus günstig aus. Er war einer der klügsten Männer, die er je kennenlernte, sachlich, besonnen, klar. Er fand nie einen Hochmut bei ihm. Er speiste öfters ä trois bei ihm. Allerdings war er nicht gegen jedermann zutraulich. Veiglsberg, der Falk sehr lobt, ihn 146 147
Das Problem der Religionszugehörigkeit der Kinder aus konfessionell gemischten Ehen. Graf Gyula Szäpäry hatte seine Demission eingereicht, nachdem im Ministerrat am 2. 11. 1892 der Großteil seines Kabinetts für entschiedene kirchenpolitische Reformen und gegen seinen Weg der Kompromisse eingetreten war. Am 17. 11. 1892 wurde darauf Sändor Wekerle zu seinem Nachfolger ernannt.
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scharf und klug nennt, meint aber doch, Falk sei eingenommen, durch Umgang mit Kälnoky gewonnen oder bestochen. Dies sei zwischen ihnen oft ein Gegenstand der Diskussion gewesen. Kälnoky war gewiß kein Gegner Ungarns. Man hatte gegen ihn, wie Falk sagt, Vorurteile. Als Kälnoky die Note in der Politischen Korrespondenz veröffentlichte 148 , war es Sonntag (?), jedenfalls erschien keine Zeitung (?), und Falk erfuhr ihren Inhalt durch seine Wiener Korrespondenten telegraphisch. Er ging damit sofort in den liberalen Club, wo Bänffy Tarock spielte. Dieser ist klug, schlau und hat jetzt viel gelernt, damals aber war er weltunerfahren. Hatte er doch durch Jahre als Obergespan in einem weltverlorenen Komitat gelebt. Nun hatte er seine Rede (Terenyi) gewiß nicht in feindlicher Absicht gegen Kälnoky gehalten, aber wohl auch, weil er das Gewicht der Sache nicht kannte. Als ich ihm die Note zeigte, las er sie und sagte ruhig: „Gewiß, ich bin nicht erfahren in diplomatischen Geschäften." - „Und ist das der ganze Eindruck, den die Sache auf Dich macht?" fragte Falk. Und als Bänffy sich nicht gerade erregt zeigte, ließ Falk auch Tisza rufen, der sofort sagte: „Wie Du als Baron Bänffy von der Sache berührt bist, ist Deine Sache. Aber als ungarischer Ministerpräsident kannst Du Dir die Sache nicht gefallen lassen." Sie kamen zu dem Schlüsse, daß Baron Bänffy sofort nach Wien fahren müsse. Bänffy besprach sich noch mit den Ministern, die er rasch in den liberalen Club berufen ließ, dann fuhr er noch in derselben Nacht nach Wien. Von der Entwicklung der Sache erzählte Falk nichts, wohl aber über einen Brief, den Kälnoky nach seinem Sturze an einen ungarischen Aristokraten geschrieben hatte, den Falk dann las. Er sagte darin, daß er dem Kaiser dringend geraten hatte, seine und nicht die Demission Bänffys anzunehmen. Denn schon um Neujahr hatte es Mühe gekostet, ein ungarisches Ministerium zu bilden149. Nun würden sich die Schwierigkeiten häufen. Dagegen sei die äußere Lage eine beruhigte, und er könne seinem Nachfolger ruhig die Leitung der äußeren Politik übergeben. So schied er. Nun fragte ich Falk, ob Bänffy die Wahrheit gesagt habe, als er von dem Ansinnen sprach, das Kälnoky an ihn gerichtet hatte, mit den Nationalitäten zu regieren150. Darauf Falk: Ich höre das heute zum ersten Male, aber wenn Bänffy es erzählt, so ist es wohl wahr. Auch Veiglsberg sagte das mit großem Nachdrucke. Freilich, so sagte Falk mit Bezug auf etwas, was er mir schon früher erzählt hatte, widerspricht dieser Darlegung ein Gespräch, das ich zur Zeit der Ernennung Bänffys mit dem Kaiser gehabt hatte. Damals wurde von der Kabinettsbildung gesprochen, und der Kaiser sagte mir: „Ich 148
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Zum Konflikt Kalnoky-Bänffy vgl. Graf Gustav von Kälnoky; in: Historische Aufsätze 355-360. Das Kabinett Wekerle II hatte am 26. 11. 1894 seine Demission eingereicht, die neue Regierung unter Dezsö Bänffy übernahm die Geschäfte am 11. 1. 1895. Vgl. S. 122 f.
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sehe, daß Baron Bänffy Lust hätte, das Amt zu übernehmen. Aber es ist doch zu bedenken, ob es praktisch ist, vor den Wahlen, die sich zumeist um die Zivilehe drehen werden, gerade einen Calviner zu ernennen, denn das könnte die Gegensätze verschärfen. Auch würde Bänffys Ernennung auch auf die Nationalitäten eine ungünstige Wirkung üben, weil er stets mit großer Schärfe wider sie auftrat." Sonach kannte der Kaiser die Stellung und Vergangenheit Bänffys, und es wäre doch merkwürdig, daß Kälnoky kurz vorher (einen Monat früher) Bänffy den Vorschlag gemacht hätte, mit Hilfe der Nationalitäten zu regieren. Andrässy hegte gewiß den Wunsch, wieder Minister zu werden. Als Haymerle starb, wurde er zum Kaiser berufen, und aus Höflichkeit ließ der Kaiser eine Bemerkung fallen, ob Andrässy nicht wieder das Amt übernehmen wolle. Falk erfuhr das und richtete an den Pester Lloyd ein Telegramm folgenden Inhalts: „Der Kaiser bot Andrässy das Portefeuille an, aber in einer solchen Form, daß es Andrässy leicht war, den Antrag abzulehnen."151 Andrässy und Falk wohnten beide im Hotel Imperial. Als nun das betreffende Telegramm des Morgens Andrässy bekannt wurde, stürmte er im Nachtgewand, im Garibaldihemd zu Falk herein: Wer ihm das gesagt habe? Wie er diese Wendung gebrauchen könne. Da sagte Falk: „Wäre es Ihnen lieber gewesen, wenn ich telegraphiert hätte: Der Kaiser bot das Portefeuille dem Grafen Andrässy in solcher Form an, daß es diesem eigentlich unmöglich gewesen wäre, es abzulehnen; dennoch wies er es zurück?" Machen Sie keine Scherze, sagte darauf Andrässy immer erzürnter. Diesen Zwischenfall erzählte Falk einmal später dem Kaiser, und dieser sagte: „Wenn die Verhältnisse so geartet wären, daß es notwendig gewesen wäre, einen Knoten zu zerhauen, so wäre Andrässy der Mann für die Situation; aber da es sich jetzt darum handelt, ihn behutsam zu lösen, so war es besser, Kälnoky zu wählen." Der Kaiser ist außerordentlich höflich und rücksichtsvoll. Wenn Andrässy in Terebes weilte und von seinem Urlaube zum Kaiser gerufen werden mußte, so bat er ihn regelmäßig lange um Entschuldigung, daß er ihn habe stören müssen. Andrässy war eine stolze Natur ; auch dem Kaiser gegenüber. Einmal waren russische Großfürsten zu Besuch in Wien, und als sie abreisten, wurde das Zeremoniell vorgeschrieben, daß sich die Minister von ihnen in einem Saale in der Hofburg verabschieden sollten, die Erzherzöge dagegen auf dem Bahnhofe. Andrässy, die Zuschrift wahrscheinlich nur flüchtig beachtend, erschien zum Abschiede auf dem Bahnhofe. Da fragte ihn der Kaiser: „Sind Sie denn ein Erzherzog?" Darauf er mit dem Stolze des Dynasten: „Wer sagte 151
Pester Lloyd v. 2.11.1881, Abendblatt 1. Darin heißt es, die Gerüchte, Graf Gyula Andrässy würde wieder Außenminister, verstummen nicht, der Graf zeige aber wenig Neigung, und außerdem wäre das Angebot des Kaisers in einer Form erfolgt, die eine Annahme nicht gerechtfertigt hätte.
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denn Euer Majestät, daß ich ein Erzherzog sein möchte." Der Kaiser war offenbar unwillig, denn er brach das Gespräch unvermittelt ab. Bei der nächsten Audienz Andrässys war dieser gespannt darauf, ob der Kaiser auf den Zwischenfall zurückkommen werde; aber der Kaiser kam nicht mit einem Worte, nicht mit einer Miene drauf zurück. Er war so freundlich wie je. Zwischen dem Pester Lloyd und Andrässy müssen Mißhelligkeiten gewesen sein. Denn einmal, so erzählte mir Konyi, habe sich Andrässy gegenüber Carol von Rumänien in Sinaia unfreundlich über den Pester Lloyd ausgesprochen, so ungefähr erinnere ich mich. Falk war nicht in Budapest anwesend, und Veiglsberg, „dem der Kopf manchmal durchgeht", schrieb einen fulminanten Artikel gegen Andrässy. Darauf schrieb Falk tadelnd an Veiglsberg: „Sie zünden mir das Haus über dem Kopf an!" Andrässy, so erzählt Falk, war mit der Politik Kalnokys nicht einverstanden, die er für mutlos hielt. Er hielt nun in einer Delegationssession eine lebhafte Rede gegen ihn. Am nächsten Tage aber sprach er schon milder152. Da sagte Falk zu ihm: „Mir scheint, Sie haben in Gödöllö gespeist." Tatsächlich hatte ihn der Kaiser eingeladen, und er speiste ä trois mit dem Kaiser und der Kaiserin. Das besänftigte ihn; denn bei allen seinen großen Eigenschaften war er etwas eitel. Eine nicht passende Bemerkung Falks; denn schließlich mußte das Zureden etc. des Kaisers den Gegensatz zwischen seinem früheren und jetzigen Minister mildern. Falk findet die Vorwürfe gegen Kalnoky nicht begründet, er hält dessen äußere Politik für gut. „Aber um Andrässy damals zufriedenzustellen, nahm ich in meinem Berichte den Mund sehr voll153, und Andrässy verschärfte ihn an einigen Stellen." Falk erzählte mir von der Gegnerschaft Andrässys zu Beust, betreffend die Mainlinie154. Der Artikel im Pester Lloyd, den Konyi anführt 155 , wurde von Falk nach Beratung mit Andrässy und Eötvös geschrieben. Er erregte in Wien den höchsten Unwillen, wie der damalige Minister a latere nach Budapest telegraphierte. Andrässy reiste sofort nach Wien, um seine Ansicht beim Kaiser zu vertreten. 152
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Graf Gyula Andrässy kritisierte im auswärtigen Ausschuß der ungarischen Delegation am 15. und 16. 11. 1886 die Bulgarienpolitik des Außenministers, die nach seiner Meinung zu nachgiebig gegen Rußland wäre und die Interessen der Monarchie schädige. Miksa Falk war auch in der Delegation von 1886 Berichterstatter des auswärtigen Ausschusses. Die Südgrenze des Norddeutschen Bundes und damit der direkten preußischen Vorherrschaft seit 1866. Emanuel Konyi, Beust und Andrässy, 1870-1871; in: Deutsche Revue über das gesamte nationale Leben der Gegenwart 15/2 (April-Juni 1890) 1-28 und 147-165. Konyi zitiert darin (4—6) ausfuhrlich einen Artikel Miksa Falks im Pester Lloyd vom 29. 12. 1868, in der eine ungarische Beteiligung an einem Krieg gegen Preußen zur Verteidigung der Mainlinie ausgeschlossen wird und als Ziele der Außenpolitik der Monarchie deren Integrität sowie die Erhaltung des Friedens angegeben werden, dem gegenüber die Ausdehnung der preußischen Hegemonie über Süddeutschland sekundär sei.
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Dezsö Szilagyi
Veiglsberg erzählte: Während des russisch-türkischen Krieges kam Falk einmal ins Bureau und sagte: Ich habe mit Andrässy gesprochen: Wir sind gegen Okkupation Bosniens und gegen Rußland. Schreiben Sie in diesem Sinne. Veiglsberg war ganz erstaunt, da Andrässy ihm andere Informationen gegeben hatte. Er ging nun zu Andrässy, und es gelang ihm, Falk zu überzeugen, daß er Andrässy falsch verstanden habe. Diese Erzählung ist ein Beweis, daß Andrässy sehr zweideutig sprechen konnte; man „mußte ihn verstehen", sagt Veiglsberg.
Dezsö Szilagyi, Mitglied des ungarischen Abgeordnetenhauses [Budapest zwischen 15. und 21. April 1898] К 5, U 4; 197 г - 202 г Mittelgroß, stark, fast beleibt, kräftige, breite, untersetzte Gestalt. Ein kurzer, nicht sehr gepflegter, plebejischer Vollbart umrahmt das etwas gelbliche Gesicht. Empfängt mich in seinem Bureau sehr zuvorkommend, läßt zuerst mich reden, um zu hören, was ich will; ich spreche davon, daß ich nur einen „kleinen bescheidenen Helden" gewählt habe. Dann legt er gleich, wie ein Professor, systematisch los. Ein geordneter Geist, kein Wort ist eine Phrase oder unbedeutend, alles schließt sich kräftig zusammen. Er spricht oft in langen, sicheren Perioden. Oft legt er systematisch einen Gedankengang dar, um dann gleich die Kehrseite, die Gegengründe ins Auge zu fassen. Durch alles ein fester Wille, eine Klarheit des Denkens und Wollens. Durch die Konzentration jedes Satzes - Uberflüssiges kommt nicht vor - erhält das ganze Gespräch ein bedeutendes Gepräge. Eine fesselnde dreistündige Unterhaltung. Alles kommt aus dem Kerne seines Wesens, nichts ist, wie bei Wekerle, dekorativ. Und wie sicher und groß ist die Gesamtanschauung! Verglichen etwa mit der schwächlichen, etwas zerfließenden Art Pleners. Dieser hält sich immer in einer mittleren Sphäre, selbst wenn er von großen Dingen spricht. Er beginnt gleich systematisch: Sie müssen sich vor Augen halten, daß die königliche Macht bei uns, zumal durch Schuld Tiszas, in den letzten zwanzig Jahren, etwa seit 1875, kräftig angewachsen [ist] und die Autorität des Parlaments weit überragt. Eine eigentliche konstitutionelle Regierung hatten wir nur unter Andrässy und solange Deäk wirkte. Tisza aber suchte sich durch Nachgiebigkeit gegenüber dem Kaiser zu befestigen. Und so konnte der Kaiser bei kräftigem Wollen fast in allem bestimmend wirken. Mich setzte diese Ausführung in Erstaunen. Bald wurde klar, daß Szilagyi vom Allgemeinen ausgehend nur die Geschichte und den Fall des Ministeriums Wekerle zu exemplifizieren beabsichtigte. Aus jener Voraussetzung entwickelte er den Einfluß, den Kälnoky übte.
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Er gab ganz systematisch mehrere Gründe hierfür an. Es liegt in der Natur der Sache, daß derjenige, der immer um den Kaiser ist, ihn leichter bestimmen kann etc. Diese Systematik, gescheit vorgetragen, enthielt nichts Neues, ich habe sie nicht mehr im Kopfe. So kam es, daß Graf Andrässy einen eigentlich nicht gesetzlichen Einfluß selbst auf die inneren österreichischen Angelegenheiten übte. a Andrässy war einerseits eine geniale Natur, dann aber gewann er auch das Vertrauen des Kaisers, weil er ihm von Jahr zu Jahr mehr die Gewißheit einflößte, daß sich die ungarischen Verhältnisse konsolidierten. Der Kaiser stand der neuen Ordnung zuerst unsicher [gegenüber], und Andrässy führte ihn in ihre Kenntnis ein. Er griff energisch, oft gegen den Willen Beusts, in die äußeren Verhältnisse ein und übte auf die inneren Verhältnisse Österreichs einen Einfluß, der fast über den Rahmen des Gesetzes hinausgeht. 3 Kälnoky empfahl sich dem Kaiser aber auch dadurch, daß er ihm vielfach ähnlich war; auch er war eine ernste, nüchterne, fleißige Persönlichkeit. Der Kaiser hat noch Einsicht in die auftauchenden Fragen, aber er ist eine trockene Natur, ist allem Schwünge abhold, und wünscht, daß seine Minister ihm immer etwas Fertiges vorlegen. Denn das Entschließen wird ihm schwer. Er hat zwar eine bestimmte Meinung, aber wenn ein anderer Ratgeber andere Gründe vorbringt, dann „hesitiert er". Auch lehnt er alles ab, was von dem Hergebrachten abweicht. Da ist er mißtrauisch. Aber, fügte Szilägyi hinzu, das ist eigentlich selbstverständlich. Denn bei der Mannigfaltigkeit und dem Gegensatze der Parteien, bei dem Umstände, daß das, was in dem einen Volke hochgehalten wird, bei dem anderen gehaßt wird (hier eine prächtige Parade), kann er nur mit der größten Behutsamkeit große Konflikte vermeiden. Szilägyi findet, daß ich den Charakter des Kaisers treffend geschildert habe156. Kälnoky war bedächtig, gewiß voll Kenntnis über diplomatische Verhältnisse. Aber nicht zur Initiative geneigt. Mehr konservativ als klerikal. Letzteres wohl nur insofern, als es der gesellschaftlichen Schichte entsprach, in der er lebte, weil ferner die Kirche zugleich eine Stütze der Autorität ist, ohne welche Stütze alles andere zusammenbrechen müsse, kurz, er war klerikal vorwiegend aus konservativen Gesichtspunkten. Er trat deshalb auch der Zivilehe entgegen und wollte diese Reform hinausschieben bis zur Schöpfung eines bürgerlichen Gesetzbuches. Dann aber, als er sah, daß die Bewegung das Land erfaßt hatte, da wünschte er selbst endlich die Annahme der Gesetze; und ich glaube, daß diese seine Versicherung aufrichtig war; denn er wollte den Gärungsstoff endlich entfernen. Ich selbst stand zu ihm anfangs in einem guten Verhältnisse. Ich betrieb 156 a
"
Vgl. Kampf um die Vorherrschaft. Bd. 1, 57-60. Ergänzung.
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nämlich die Einschiebung des Wortes und zwischen k. und k.157 Die Sache war ein alter Wunsch Ungarns, und der Kaiser nicht abgeneigt, aber es wurde immer hinausgeschoben aus administrativen Gründen; mußte man doch gegen 20.000 Siegel etc. ändern. Kalnoky selbst stimmte zu, offenbar weil auch der Kaiser der Sache geneigt war. Ja, er übergab mir sogar einmal einen Stoß Akten, aus denen hervorging, daß der Titel schon unter Maria Theresia „k und k" gelautet hatte. Wenn wir dann auch mitunter zusammenstießen, so blieb unser Verhältnis gesellschaftlich äußerlich ungestört. Wir grüßten uns, dieses Minimum an Höflichkeit wurde zwischen uns eingehalten. Doch als ich im Vorjahr" ihn in München zufällig sah, so stellte er sich, als ob er mich nicht sehe, und ich unterließ es natürlich, ihn zu grüßen. Der Beginn des kirchenpolitischen Konfliktes - Wegtaufen - darauf erließ Csäky den bekannten Erlaß158: Der Geistliche jeder Konfession solle taufen dürfen, aber er sei gehalten, das Kind in die Matrikel unter jener Konfession einzutragen, zu der es nach dem Gesetze gehöre.b Dagegen sträubte sich die Kirche, weil dies consensus in haeresi sei. cSo lautet, wenn ich nicht irre, der Ausdruckt Darauf wurde verfügt, daß der Pfarrer dies nur der weltlichen Behörde mitzuteilen habe, und diese habe dann die Eintragung vorzunehmen. Aber auch dieser Ausweg wurde von der Kirche nicht akzeptiert. Darauf setzte ich mich mit Kardinal Vaszary in Verbindung, und dieser gab mir persönlich folgende Auskunft: Er sei gegen jede Einschränkung der Jurisdiktion der Kirche, aber wenn eine Änderung des jetzigen Zustandes unabweislich sei, so betrachte er die obligatorische Zivilehe noch für das kleinste unter den Übeln, weil dabei die Konflikte zwischen Staat und Kirche am ehesten vermieden werden können. Anderer Meinung war Kardinal Schlauch, der die Notzivilehe als kleineres Übel bezeichnete.0 Da nun drang ich darauf, die Reform in großem Stil in Angriff zu nehmen. Ohne Frage war nur die Minorität der liberalen Partei für die Zivilehe eingenommen; aber als wir entschlossen vorgingen, rissen wir die Partei mit uns fort. Es liegt im Wesen des Guten, daß es sich im Fortgange der Dinge Freunde gewinnt, und insbesondere die öffentliche Meinung läßt sich gewinnen, aber freilich nur dann, wenn man furchtlos vorgeht, und wenn man sich ein ganzes, großes 157
158
a b c_c d
Der Titel des Außenministers wurde mit allerhöchster Entschließung vom 4. 10. 1895 von Minister des kaiserlich-königlichen Hauses auf Minister des kaiserlichen und königlichen Hauses geändert. Bereits durch ein am 20. 10. 1889 veröffentlichtes Handschreiben war der Titel von Armee und Kriegsmarine von „kaiserlich-königlich" auf „kaiserlich und königlich" geändert worden. Mit der Veröffentlichung der Wegtaufenverordnung vom 26. 2. 1890, die die Glaubenszugehörigkeit von Kindern aus konfessionell verschiedenen Ehen regelte, begann in Ungarn der Kampf um die Ehegesetzgebung. Mit Bleistift ergänzt 1897. Randbemerkung: Alles mit großer Klarheit konzentriert gesagt. Ergänzung. Randbemerkung: Höchst klar ausgedrückt.
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Ziel vorsetzt; nicht eine halbe, nicht ganz verständliche Maßregel. So gewannen wir Bundesgenossen und blieben Sieger. a Das war einer der Höhepunkte des Gesprächs. Keine Spur von Pathos, aber voll Kraft und Stolz. Es war eine Freude, den Mann mit ruhigem Bewußtsein der Kraft und des Sieges von dem großen Inhalte seines Lebens sprechen zu hören. Nichts von Pose.3 Wekerle selbst war keineswegs vom Anfange an für die Reform eingenommen; er neigte mehr zu der fakultativen Zivilehe hin. Aber auch er wurde überzeugt. Es ist nun nicht gerecht, daß man Wekerle eine unrichtige Information, oder sagen wir es offen heraus, eine beabsichtigte Täuschung vorwirft. Wohl möglich aber, daß er nicht die Festigkeit besaß, jedesmal in Wien sogleich entschieden zuzusagen oder abzulehnen. Wir fanden ihn, wenn er dann nach Budapest kam, etwas weich geworden und mußten dann auf ihn wieder einzuwirken [sie!]. Es ist möglich, daß er dadurch in Wien in den Ruf der Unzuverlässigkeit kam. bIch (Friedjung) gewann den Eindruck: Wekerle kam weich zurück, mußte auf den Amboß gelegt und fest geschmiedet werden. b Ich fragte Szilägyi hierauf, ob es wahr sei, daß Wekerle dem Kaiser zugesagt habe, ihn aus dem Kabinett zu entfernen. Wohl möglich, war die Antwort; ich habe selbst davon gehört, wenn es mir auch nicht direkt gesagt wurde. Und daß Wekerle versprochen habe, Sie zum Iudex curiae zu ernennen? 159 Auch das wurde mir mitgeteilt. In diesem Augenblicke wurde in das dunkel gewordene Zimmer Licht gemacht; ich fand, daß Szilägyi gelb im Gesichte war. Sollte dies in Folge der Erregung gewesen sein? Ich hatte dafür nicht den richtigen Maßstab. Es fiel mir, so fuhr er fort, nicht ein (kurzes Auflachen), von meinem Platze freiwillig zu weichen, bevor die kirchenpolitischen Vorlagen angenommen und sanktioniert waren. So nachgiebig bin ich nicht. Ja, wenn die Vorlagen einmal Gesetz waren, dann war die Sache anders. Denn ich hing nicht an meinem Portefeuille und wollte unter allen Umständen die Reform in Sicherheit gebracht haben. Wekerle konnte gar nicht daran denken, mich aus dem Kabinett zu entfernen, so sicher war meine Position im Land. Ich warf ein, daß Wekerle selbst ihn den Geist der kirchenpolitischen Reform genannt habe. Mit sichtbarer Befriedigung, aber in voller Selbstbeherrschung nahm er das hin. Ich fragte ihn, ob es wahr sei, daß Wekerle die Zustimmung des Kaisers zur Zivilehe dadurch erlangt habe, daß er ihm die Lage der Dinge in düsterstem Sinne malte, daß er sagte, Ungarn befände sich sonst am Rande des Abgrunds. Wekerle, so sagte Szilägyi, hatte volles Recht, dem Kaiser die Lage so zu schildern, und ich hätte sie ganz so wie er geschildert; freilich das poetische 159 w>
Vgl. S. 111. Ergänzung. Ergänzung.
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Bild vom Rande des Abgrundes 3 hätte ich nicht angewendet. Schließlich hatte der Kaiser ja auch andere, die ihn informierten, und er hatte die Wahl, sich zwischen den verschiedenen Berichterstattern zu entscheiden.11 Indessen, so warf ich ein, sollte der Kaiser doch gerade nach Ihrer Anschauung bei seinen verantwortlichen Ministern in erster Linie Belehrung suchen und finden. Das Gespräch wandte sich dann dem Konflikt Kälnoky - Bänffy zu160. Auch Szilägyi nahm als sicher an, daß der Kaiser die Note der Politischen Korrespondenz gekannt habe. Bänffy war anfangs niedergedrückt und befürchtete, daß er in dem Kampfe den kürzeren werde ziehen müssen. Szilägyi variierte diese Charakteristik mehrfach: Er sei ängstlich, furchtsam gewesen etc. Die Interpellation Terenyi war von Szilägyi selbst vor Beginn der Sitzung in seinem Bureau aufgesetzt worden, da Terenyi dazu nicht fähig war. Und nun analysierte Szilägyi sehr treffend aus dem Gedächtnis den Brief Kälnokys, deutlich hervorhebend, daß er eigentlich in seinem ersten und seinem zweiten Teil sich widerspreche. Zuerst entgegenkommend, dann absprechend. Es war von Bänffy gewiß nicht richtig, daß er dieses vertrauliche Schreiben für die Öffentlichkeit benützte. 0 Er fühlte dann die Schwäche der Position. d Denn er wurde, als er zuerst nach Wien kam, vom Kaiser nicht empfangen, „sondern an Kälnoky gewiesen".d Und ohne Frage wäre er siegreich gewesen, wenn nicht Kälnoky durch seinen Hochmut selbst seinen Fall hervorgerufen hätte. Wenn seine Freunde behaupten, daß er selbst freiwillig schied, daß er die Unmöglichkeit erkannte, mit den Ungarn weiter zusammenzuwirken, so ist das nicht meine Ansicht von den Dingen. Sondern er wollte voll Sieger bleiben und begnügte sich nicht einmal mit dem Handschreiben des Kaisers, das ja ihm eigentlich Recht gab. Damit hätte er sich zufriedengeben können, und keine Macht der Welt, außer dem Kaiser, hätte seinen Rücktritt herbeiführen können. Die Autorität der Krone wäre so stark gewesen, daß er von Ungarn aus nicht zu stürzen gewesen wäre. Aber sein Hochmut trieb ihn dazu, sich damit nicht zufriedenzugeben. Und damit erging es ihm wie auch sonst Ministern, die lange an der Macht sind: Sie werden übermütig und damit lästig. So weit wollte der Kaiser sich nicht für [ihn] einsetzen, und so fiel er einzig und allein durch eigene Schuld. Das ist die wahre Ursache seines Falles. Am allerwenigsten aber hat Bänffy seinen Sturz herbeigeführt, und es ist unrichtig, wenn er jüngst einmal eine Andeutung machte, was er alles schon erreicht habe und damit Kälnokys Fall meinte. Diesen stürzte lediglich sein Hochmut. 160
Vgl. Graf Gustav von Kälnoky; in: Historische Aufsätze 355-360. " Randbemerkung: Das Wort war von mir gebraucht worden. b Randbemerkung: Etwas schlau gesagt, daher meinen Widerspruch herausfordernd. c Der letzte Satz am linken Rand mit einer geschwungenen Klammer verbunden und ergänzt: Das nicht so entschieden gesagt. dd Ergänzung.
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Nach dem Gespräche gingen wir noch eine Stunde spazieren. Szilägyi deutete an, daß Bänffy, um sich bei Hofe genehm zu machen, geneigt sei, mit der absolutistischen Regierung Österreichs, die aufgrund § 14161 Verfügungen über den Ausgleich treffe, weitgehende Abmachungen zu treffen. Aber Szilägyis Ansicht ist das nicht, und es werde wohl noch darüber eine Entscheidung zu treffen sein, bei der nicht Bänffy die ausschlaggebende Persönlichkeit sein werde. Wenn Lang gleichfalls dafür plädiere, daß die Gestaltung Österreichs den Ungarn gleichgültig sein könne, "so in seiner jüngst erschienenen Broschüre162," so habe dies nichts zu sagen, nicht mehr, als wenn der junge Mann spreche, der gerade an dem Schaufenster einer Auslage stehe. Über Schmerling, Herbst, Plener, die drei Führer, sagte er: Es seien sehr tüchtige Männer gewesen. Die Nationalitätenfrage werde in Ungarn erst noch eine Rolle spielen. Der Dualismus befriedigt Ungarn. Ja, es wäre bedenklich, sich ganz loszulösen, da in Kroatien zum Beispiel die Empfindung unausrottbar sei, daß man wohl mit Österreich-Ungarn, nicht aber mit Ungarn allein verbunden sein wolle. Man fürchtet sonst, Ungarn werde nach Kroatien übergreifen wollen. Als Kossuth starb, wurde ausgemacht, daß kein öffentliches Gebäude beflaggt werden solle163. Darin aber zeigten sich Schwankungen, so daß man gegen uns vorbrachte, daß wir uns vor „der Straße" fürchteten. So wurde die Flagge auf dem Nationaltheater, das nicht unter staatlicher Verwaltung steht, aufgezogen, dann heruntergelassen etc. Ich aber verbot es für die Gerichtsgebäude und blieb dabei fest. Über das Verhältnis des Ministeriums Wekerle zur Kossuthpartei sprach sich Szilägyi mit der größten Offenheit und Klarheit aus. Er legte ihm zwar nicht die geringste Bedeutung bei und erklärte sich durch den Dualismus durchaus befriedigt, aber er gab zu, daß er und das Ministerium allerdings der Meinung waren, man dürfe diese für den äußersten Fall sehr wichtige Volksstimme nicht unterdrücken. Sie sei zur Verteidigung der Selbständigkeit Ungarns im gegebenen Augenblicke sehr wichtig.b Die Hauptgefahr sah er in jener slawischen Partei, welche in Österreich den Föderalismus einführen, aber 161
Der Notverordnungsparagraph der österreichischen Verfassung. Die österreichische Regierung erreichte keine parlamentarische Zustimmung zum neuen wirtschaftlichen Ausgleich nach dessen Ablauf am 31. 12. 1897 und mußte zum Mittel der - von Ungarn nicht anerkannten - kaiserlichen Verordnungen greifen. Erst 1907 konnte in beiden Parlamenten ein neuer Ausgleich verabschiedet werden. 162 Lajos Lang, Javaslat a quota megällapitäsära (Ein Vorschlag zur Bestimmung der Quote) (Budapest 1897). 163 Lajos Kossuth war am 20. 3. 1894 in Turin gestorben. Sein Leichnam wurde nach Budapest überführt und unter großer Anteilnahme der Bevölkerung feierlich beigesetzt. Franz Joseph hatte jedoch die Teilnahme von Regierungsvertretern sowie jegliche öffentliche Trauerbezeugung wie die Beflaggung von Staatsgebäuden untersagt. "" Ergänzung. b Die letzten beiden Sätze am rechten Rand mit einer geschwungenen Klammer verbunden und ergänzt: Dies alles sagte er besser, klüger, schärfer.
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den Gesamtstaat schärfer zentralisieren wolle, die Entwicklung der Dinge führe zu größerer Selbständigkeit Ungarns. Äußerste Fälle, den Zerfall der Monarchie habe man nicht im Auge, denn dann entscheiden mächtigere Faktoren mit als das ungarische Staatswesen.
Sändor Wekerle, Präsident des ungarischen Verwaltungsgerichtshofes [Budapest, zwischen 15. und 21. April 1898] К 5, U 4, 216 г - 220 ν Hohe, massige Gestalt, aber elegant und leicht im Auftreten. Kräftige, große, aber nicht unfeine Züge. Ausdrucksvolles, lebhaftes Spiel mit den Händen. Muskulöse Stirne mit starkem Spiel der Muskeln. Mit Selbstbewußtsein, ein wenig posierend im Sprechen. Diplomatisiert. Wählt die Worte. Ein Plädoyer für seine Auffassung und Ausführung. Wenig Tatsächliches, und dies rhetorisch aufmontiert. Spricht mit unendlicher Überlegenheit über Kälnoky, seinen Hauptfeind. Dieser reicht nicht an ihn heran. Er läßt seinen guten Eigenschaften Gerechtigkeit widerfahren, weil es kaum der Mühe wert ist, ihn herabzusetzen gegenüber dem großen Wekerle. Auch läßt er kaum gelten, daß er einen Einfluß übte; wie hätte er auch gegen Wekerle aufkommen können? Aber dadurch breitet sich ein Nebel über die Ereignisse, denn es wird unverständlich, was Wekerle eigentlich stürzte. Es kommt auf einen großen reinen Prinzipienkampf heraus, den er mit Wucht und Macht fast bis ans Ende führte; aber schließlich konnte der machtvolle Kämpfer, fast am Siege, sich doch nicht gegen das entgegengesetzte Prinzip behaupten, dessen Verbreitung durch verbotene Mittel, durch unwahre Berichte an den Kaiser ihn in seiner Position erschütterte. Kälnoky wagte nie, ihm offen entgegenzutreten; er hätte ihm nicht gestattet, sich in seine Angelegenheit zu mischen. Dieser hätte es nur wagen sollen! Aber wahrscheinlich, Wekerle vermutet es auch, hat auch er auf den Kaiser gewirkt. Und so unterlag Wekerle geheim wirkenden Feinden, die ihm nicht entgegenzutreten wagten. Ich lernte den Grafen Kälnoky kennen, als ich noch Staatssekretär war. Er war eifrig bemüht, den Ausgleich von 1887 zwischen Osterreich und Ungarn zu fördern. Es kam da zu Schwierigkeiten in der Frage der Spiritussteuer; es gelang uns erst, sie zu lösen, als wir uns mit den Polen in Verbindung setzten. Kälnoky war mir in der Erledigung der Angelegenheit behilflich. Ganz ebenso dann in der Frage der Regulierung der Valuta164. Er verstand zwar 164
Sändor Wekerle erreichte 1892 als Finanzminister die Umstellung auf die Goldwährung gegen den Widerstand der sogenannten Bimetalliker, die sich für eine Mischform aus Gold- und Silberwährung ausgesprochen hatten.
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nichts von wirtschaftlichen Fragen, aber es gelang mir, ihn ganz zu gewinnen, und er agitierte förmlich für Einführung der Goldwährung, soweit seine Persönlichkeit überhaupt zum Agitieren angelegt war, denn er war ja eine zurückhaltende Natur. Aber er wirkte in diesem Sinne auch auf den Kaiser. Jenseits der Leitha war nur die Vereinigte Linke damit einverstanden. Dunajewski schob die Lösung hinaus; er sagte mir einmal: Jetzt ist es Sommer, da ist es zu heiß zum Nachdenken; wenn der Herbst kommt, im Herbst ist es kühler, werde ich der Sache nähertreten. Dr. Steinbach war dann mehr für die Sache eingenommen165; aber er war mehr für die hinkende Währung. Vielleicht weniger aus eigenem Antriebe, als weil er fürchtete, er könne die Sache bei der Rechten des österreichischen Parlaments nur so durchsetzen. Er ist ein Denker, wissenschaftlich hoch gebildet, aber er steht ziemlich nach rechts mit seinen Ansichten; auch in religiösen Fragen. Ich stand mit Kälnoky bis zum Schlüsse immer in gutem Verkehr und hatte mich nicht zu beklagen, daß er uns etwa Schwierigkeiten machte. Er hatte ja auch keinen großen Einfluß auf den Kaiser, der bekanntlich von dem Grundsatze ausgeht, mit einem Minister nie über das Ressort des anderen zu sprechen. Da warf ich denn doch ein, da ich verwundert war: Aber wie, versuchte denn Kälnoky nicht, Ihnen in den kirchenpolitischen Fragen entgegenzuwirken? Da antwortete Wekerle mit einem kurzen Auflachen und nachdrücklich seine Stimme erhebend: Er durfte nicht daran denken, uns entgegenzutreten. Denn ich hätte niemals, niemals zugegeben, daß er sich in innenpolitische Angelegenheiten einmische. Er hätte es sich nur herausnehmen sollen! Ich hätte ihn ohneweiters zurückgewiesen. Ich allerdings (mit nachdrücklicher Handbewegung) hatte das Recht, meine Ansicht in den äußeren Angelegenheiten geltend zu machen; er aber nicht, sich in die ungarischen Angelegenheiten zu mischen. Niemals hätte ich das gestattet.3 Indessen, so wandte ich ein, wird mir gesagt, Kälnoky wäre auf dem Standpunkte gestanden, daß die kirchenpolitische Gesetzgebung wegen der Beziehung zur Kurie auch in den Bereich des Ministers des Äußern gehöre. Wekerle nun ging, offenbar absichtlich, nicht auf den Gedankengang Kalnokys ein, sondern nur auf das Objektive des Verhältnisses, auf die diplomatischen Beziehungen zur Kurie. In diesem Sinne ausweichend sagte er: Er hatte keine Veranlassung, über diese Fragen mit der Kurie in eine Verhandlung zu treten. Denn die Kurie verhielt sich ja gegen uns ganz ablehnend und glaubte, durch starren Widerstand unsere Aktion ganz zu Fall zu bringen. Deshalb hielt ich es nicht für praktisch, mit Rom die Sache zu verhan165
a
Emil Steinbach hatte am 2. 2. 1891 Julian von Dunajewski als österreichischen Finanzminister abgelöst. Randbemerkung: Eindruck auf mich: Mit einer, ich möchte fast sagen, großartigen Haltung. Wekerle hätte Kälnoky zerschmettert, wenn er es gewagt hätte - er, der mächtige Mensch. Eindruck, natürlich nicht Worte Wekerles.
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dein. Und sonst ergaben sich nicht viel Beziehungen mit der Kurie. Es handelte sich nur um die Besetzung einiger weniger Bistümer. Und [in] diesen Fragen stand Kälnoky offenbar mehr auf Seiten Roms. Wenigstens suchte er auf uns einzuwirken, nicht auf unserem Standpunkte zu beharren. Wir wichen aber einfach nicht. Und da schrieb Kälnoky denn korrekte Noten in unserem Sinn, offenbar ohne mit dem Herzen dabeizusein. Und mehrmals kam Wekerle darauf zurück, daß Kälnoky keinen Einfluß übte und keinen besaß. Er ließ sich zwar von den Gegnern des Kabinetts informieren, und als Wekerle dagegen bei ihm remonstrierte (nicht [sich] beklagte), sagte Kälnoky: Nun, ich muß die Leute doch höflich anhören. Diese unsere Gegner liefen eben zu Kälnoky, zum Kaiser und wirkten gegen uns. Kälnoky selbst war nicht gerade innerlich kirchlich gesinnt; er besuchte nicht die Kirche, aber er stand inmitten kirchlich gesinnter Kreise; und da er sehr konservativ gesinnt war, so betrachtete er die kirchliche Gesinnung als die Klammer, die das ganze Gebäude im Grunde zusammenhalte, und in diesem Sinne stand er im Herzen gewiß auf der anderen Seite. Auch dem Kaiser war die ganze Reform nicht nach dem Herzen, und so konnten unsere Gegner gegen uns wirken. Da sich nun Wekerle so um den großen Gegensatz zu Kälnoky herumdrückte und alles in allgemeine diplomatische Wendungen auflöste, mußte ich schärfer heran und fragte: Bitte mir meine Kühnheit nicht übelzunehmen, wenn ich eine sehr delikate Sache berühre. Von den Freunden des Grafen Kälnoky wird gesagt, er habe sich immer beklagt, er und eigentlich auch der Kaiser seien von dem ungarischen Minister nicht richtig über die Lage in Ungarn informiert worden. Unvergeßlich wird mir die Bewegung sein, die Wekerle auf diese Frage hin machte. Er saß gerade bequem an eine der Seitenwände des Fauteuils gelehnt, in freier Haltung. Jetzt aber reckte er sich mächtig in die Höhe, was bei seinem massigen Körper gar stattlich anzusehen war; diese Bewegung spiegelte den starken Eindruck, den die Frage auf ihn hervorrief. Aber es war das Aufbäumen des Stolzes, nicht das Aufzucken unter einem Streiche. Und unter diesem Aufbäumen sagte er: Es ist mir ganz recht, daß Sie diese Frage an mich stellen; gerne gehe [ich] darauf ein. Sehen Sie, sagte er mit kräftiger Stimme, einer gewissen Pose, ich hatte gar keine Veranlassung, keine Verpflichtung, den Grafen Kälnoky zu informieren, weil ich vollkommen unabhängig von ihm die Politik Ungarns zu leiten hatte. Jeder Anspruch von [seiner] Seite wäre unberechtigt gewesen. Dann, so sagte ich, ist auch die Behauptung der Freunde Kälnokys grundlos, daß der Monarch über diesen Gegenstand seine Unzufriedenheit geäußert hatte? Wekerle, immer mit stolzer Haltung, aber schon etwas ablenkend: Nicht ich habe den Kaiser unrichtig informiert, sondern meine Gegner, und erst die Tatsachen haben mir einen Trumpf nach dem anderen verschafft. Denn worin bestanden meine und die Voraussagungen der Geg-
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ner? Sie behaupteten anfänglich, daß ich im Abgeordnetenhaus nicht die Mehrheit gewinnen werde, und ich gewann sie, wie ich dem Kaiser vorhergesagt hatte. Dann behaupteten jene, ich werde vor der Mehrheit des Magnatenhauses zurückweichen; aber sie übten auf mich keinen Eindruck, und ich ließ, was meine Gegner für unmöglich erklärten, die Gesetze mit einer noch größeren Mehrheit annehmen 166 . In jeder Beziehung erwiesen sich meine Voraussagen für richtig; und immer waren es Täuschungen, denen sich diejenigen hingaben, die immer hinliefen und gegen mein Kabinett arbeiteten. Diese Dinge variierte Wekerle mehrmals, natürlich nie den eigentlichen Gegenstand berührend, nie die Mittel besprechend, durch die er sich die erste Zustimmung des Kaisers zu der Zivilehe verschafft hatte. Und zuletzt verlangte ich vom Kaiser nicht etwa den Pairschub selbst, sondern nur die Gestattung, einen solchen für den Notfall ankündigen zu dürfen 167 . Denn so konnte ich die Annahmen widerlegen, daß der Kaiser den Fall des Gesetzes wünsche, eine Annahme, die darin ihren Ursprung hatte, daß der Kaiser es gestattet hatte, daß eine Anzahl von dem Hofe nahestehenden Magnaten gegen die Zivilehe gestimmt hatte. Wekerle brachte selbst das Gespräch auf die Kossuth-Angelegenheit. „Ich weiß heute noch nicht, ob man in Wien wirklich eine solche Furcht vor dem toten Kossuth hatte oder ob man sich bloß den Anschein gab, als ob man ihn fürchte, um sich unter solchem Vorwande meiner zu entledigen168. Es wäre viel klüger gewesen, wenn, wie ich vorschlug, sein Begräbnis durch das Abgeordnetenhaus stattgefunden hätte; 3 damit wäre die Sache binnen acht Tagen erledigt gewesen. Dann verlangte Kälnoky, der sich in dieser Angelegenheit allerdings lebhaft einsetzte, ich solle Franz Kossuth, „der jetzt in Budapest frei herumläuft", verhindern, seine Rundreise im Land zu machen169. Das aber wäre nicht einmal in einem Polizeistaate möglich gewesen. Der Erfolg zeigt, daß ich Recht hatte; die ganze Kossuthpartei hat jetzt nicht den geringsten Einfluß. Nun fragte ich, ob es für Wekerle nicht möglich gewesen wäre, den Wunsch 166
Den Anlaß für die erste Demission des Kabinetts Wekerle im Mai 1894 bildete die Niederlage in der Ehegesetzfrage im Magnatenhaus und die vom Kaiser verweigerte offene Unterstützung des Kabinetts. Im zweiten Anlauf wurden die Gesetze auch im Oberhaus, allerdings mit knapper Mehrheit, angenommen. 167 Im Falle einer neuerlichen Ablehnung der Gesetze war dem Magnatenhaus mit einem massiven Pairschub und damit einer Änderung der Mehrheitsverhältnisse durch die Krone gedroht worden. 168 Lajos Kossuth wurde am 2. 4. 1894 unter großer Teilnahme der Bevölkerung in Budapest bestattet. Der Kaiser hatte sowohl die Durchführung eines Staatsbegräbnisses als auch die Teilnahme der Regierung an den Trauerfeierlichkeiten untersagt. 169 Ferenc Kossuth war nach dem Tod seines Vaters 1894 nach Ungarn zurückgekehrt und am 16. 11. 1894 wieder eingebürgert worden. Zu seiner Rundreise vgl. Friedjungs Charakterisierung in Graf Gustav von Kalnoky; in: Historische Aufsätze 352. * Randbemerkung: nicht ganz erinnerlich ??
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des Kaisers zu erfüllen und Szilägyi durch eine andere Person zu ersetzen170. Darauf wieder jenes kräftige Zusammenfassen seiner Persönlichkeit, die ein Zeichen der inneren Kraft ist, aber etwas gekünstelt ist: „Darauf konnte ich unter keinen Umständen eingehen, und daran habe ich nicht einen Augenblick gedacht, ich hätte mich dadurch selbst tief erniedrigt. Wieder ein ganzes Auflachen: Wenn ich es getan hätte, dann wäre ich ein Kind gewesen, und dann hätte ich verdient, daß man mich nach 14 Tagen davongeschickt hätte, und ich hätte es durch meine Selbsterniedrigung verdient." Aber war nicht schon in einem früheren Zeitpunkte, zur Zeit der Bildung des ersten Kabinetts Ihrer Exzellenz davon die Rede gewesen, und hatten Exzellenz diese Möglichkeit nicht selbst zugegeben? Nein, auch das war nicht möglich. Denn der Geist der ganzen kirchenpolitischen Aktion war doch Szilägyi, und ich hatte nicht das Recht, ihn mitten in der Aktion beiseite zu schieben. Es wäre ebenso undenkbar gewesen, wie daß mich Szilägyi fallenlasse mitten in der Tätigkeit um Herstellung der Valuta und diese Aktion ohne mich unternehme. Was zu geschehen habe, nachdem die kirchenpolitischen Gesetze angenommen gewesen wären, ob Szilägyi auch dann noch zu halten war, ist eine andere Sache. Bevor dies der Fall war, durfte ich nicht daran denken, ihn durch eine andere Persönlichkeit zu ersetzen. Mit Kälnoky, so sagte Wekerle an einem Punkte des Gespräches, hatte ich, soweit es sich um das Ministerium des Äußern handelte, nur eine Meinungsverschiedenheit, und das war in der Frage des rumänischen Irredentismus. Es zeigte sich, daß er gar keine Kenntnisse von den Umtrieben derselben hatte. Ich mußte mir erst die Kenntnis der Tatsachen durch meine Leute und durch ungarische Kaufleute verschaffen, die in Rumänien Geschäfte besorgten. Darin erfuhr ich von Kälnoky keine Unterstützung. Kälnoky war nämlich der Meinung, man solle trachten, die Rumänen „in die ungarische Politik einzuführen", so drückte sich Wekerle ungelenk aus, allerdings im Rahmen der bestehenden staatlichen Verhältnisse, und dadurch, so meinte er, würde dem Irredentismus begegnet werden. Ebenso sprach er sich gegen den bekannten Hochverratsprozeß aus171. Zudem glaubte er, es sei angezeigt, dem rumänischen Ministerium Kogalniceanu nicht zu große Schwierigkeiten zu machen, da sein Sturz eine Partei ans Ruder bringen werde, die uns größere Schwierigkeiten machen werde. Aber es zeigte sich, daß das Ministerium Sturdza keineswegs intransigenter war, eher umge170 171
Vgl. S. 131. Die Rumänische Nationale Partei in Ungarn wurde 1894 verboten und 14 ihrer Anführer zu mehrjährigen Gefängnisstrafen verurteilt. Der Anlaß war ein 1892 von der Partei an den Kaiser in Wien gerichtetes Memorandum, in dem die nationalen Anliegen der Rumänen dargelegt waren. Franz Joseph hatte die Annahme verweigert und die Denkschrift nach Budapest übermittelt. Das Memorandum in Eugen Brote, Die rumänische Frage in Siebenbürgen und Ungarn. Eine politische Denkschrift (Berlin 1895) 326-353.
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kehrt172. Wir nun wünschten ein schärferes Auftreten in dieser Frage, in der uns Kälnoky wenig unterstützte. Im Verlaufe der früheren Darlegung der Kossuthangelegenheit kam Wekerle selbst auf den Nachlaß Kossuths zu sprechen. Er rühmte es als Verdienst seines Kabinetts, daß dieser Nachlaß angekauft worden sei. Denn darin befanden sich Briefe von fremden fürstlichen Persönlichkeiten mit unfreundlichen Urteilen über den Kaiser, und außerdem Briefe von Personen, die nach 1867 Minister in Ungarn etc. wurden, aber früher mit Kossuth in Verbindung standen. Es wäre doch peinlich gewesen, wenn diese veröffentlicht worden wären. In jedem anderen Staate hätte der Chef der Polizei die Möglichkeit gehabt, solche Papiere ohne viel Aufsehen aus seinem geheimen Fonds anzukaufen. Wir nun hatten einen Fonds, der bestimmt war, in Raten zu 25.000 fl ein Museum anzukaufen, welches angeblich Papiere aus dem Revolutionsjahre von 1848 enthielt und das längere Zeit in Budapest geöffnet war.3 Diesen Fonds nun verwendeten wir für den Ankauf der KossuthPapiere. Und daraus machte man uns dann einen Vorwurf, während man uns hätte dankbar sein sollen, daß wir auf diese Weise die Kossuth-Papiere in sichere Obhut bekamen.173 Ich fragte, was denn daran Wahres sei, daß Kälnoky beabsichtigte, die Nationalitäten gegen die liberale Partei zu benützen; Baron Bänffy, so sagte ich ausdrücklich, habe mir gesagt, daß Kälnoky ihn bestimmen wollte, sich dieser Hilfe zur Neubildung eines neuen Kabinetts an Stelle des Ministeriums Wekerle zu benützen174. Wohl möglich, sagte Wekerle, daß diese Absicht bestand. Aber mir gegenüber wurde sie nie geäußert. Ich weiß auch nicht, inwiefern Kälnoky sich anderen gegenüber aussprach; aber es kann wohl sein, daß er sich Bänffys gegen mich benützen wollte [sie!] und gegen ihn solche Andeutungen machte. Indessen irren sich die Herren wohl, wenn sie annehmen, Graf Khuen hätte solche Mittel angewendet, um sich eine Mehrheit zu verschaffen. Ich traue ihm dies nicht zu. Diese Äußerungen schließen es so gut wie ganz bestimmt aus, daß Bänffy dem Wekerle über das Angebot Kalnokys berichtet habe, von welchem er mir ausführlich erzählte. Wekerle weiß offenbar von der Geschichte nichts, und das Zeugnis Wekerles, auf das sich Bänffy bezog, spricht gegen Bänffy. Ich erwähnte natürlich nicht, daß Bänffy sich auf Wekerle berufen hatte. Ich fragte Wekerle, was er von Kälnoky als auswärtigem Minister halte. Er 172
Dimitrie Sturdza löste am 16.10. 1895 Lascar Catargiu als Ministerpräsident ab. Mihail Kogalniceanu stand von 1863 bis 1865 an der Spitze der Regierung und war letztmalig 1879 bis 1880 Minister (für Inneres). 173 Die ungarische Regierung hatte den Nachlaß Lajos Kossuths kurz nach dessen Tod am 20. 3. 1894 angekauft, jedoch ohne die Einwilligung des Kaisers einzuholen. Vgl. Kaiser Franz Josef I.; in: Historische Aufsätze 529. 174 Vgl. S. 122 f. " Randbemerkung: Mir nicht ganz klar gewesen.
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Graf Kaiman Tisza
sagte: Er war ein geschulter Diplomat; er hatte große Kenntnisse von den Verhältnissen der auswärtigen Politik der europäischen Staaten, aber er war kein Politiker. Andrässy hatte ein großes Ziel: Die Selbständigkeit der Balkanvölker und Verhinderung eines Bundes unter ihnen, und dieses Ziel verfolgte er mit verschiedenen Mitteln. Eines derselben war der Dreibund; er hätte ebenso ein anderes, sei es besser oder schlechter, anwenden mögen. Einen Politiker nenne ich denjenigen, der sich eine große Aufgabe setzt und diese mit den möglichst guten Mitteln durchzusetzen trachtet. Kalnoky aber hatte gar kein Ziel, er verstand sich nur als Mittel.8 Er war geschickt darin, Schwierigkeiten auszuweichen und, ohne sich zu kompromittieren, Zusammenstöße zu vermeiden. Aber man vermißte den großen Gedanken, dem jene Mittel dienten. Das war der Schluß. Im Laufe des Gesprächs: Khuen trat zwar bei seiner Mission mit dem Programm der Durchführung der kirchenpolitischen Gesetze auf175, aber wer weiß, ob dies dann auch sein Ernst geblieben wäre. Schwierigkeiten hätten sich erhoben, die Anlaß gewesen wären, doch auch von der Zivilehe abzugehen.
Graf Kaiman Tisza, Mitglied des ungarischen Abgeordnetenhauses
18. April 1898 К 5, U 4, 206 г - 208 ν
Ich werde hineingeführt, ohne angemeldet zu werden, wie einer, der erwartet wird. Tisza empfängt mich freundlich, bietet mir Zigarren an und sagt: Er sei kein Freund von Interviews, und bittet mich, nur Informationen anzunehmen, nicht seinen Namen zu nennen. Was wünschen Sie von mir? Ich frage zuerst nach [der] Orientpolitik Kälnokys. Tisza erklärt sie für klug, sachgemäß. Da ich von den Einwendungen seiner Gegner sprach, so sagte er: bVon wem hätte Kalnoky gedrängt sein sollen, fragt Tisza. Als ich sagte, von ungarischer Seite, sagte er:b Ich weiß, daß die Söhne des Grafen Andrässy stets behaupten, er sei zaghaft gewesen, habe keine großen Ziele verfolgt. Aber Kalnoky setzte doch nur die Orientpolitik Andrässys fort und verdient diesen Tadel nicht. Wohl hätte Andrässy manches schärfer angefaßt, er wäre „schärfer ins Zeug gegangen", um mich unwirsch auszudrücken; Andrässy war ein lebhafter, unruhiger Geist, aber in der Sache hät175
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Der Banus von Kroatien Graf Kärolyi Khuen-Hederväry war nach der erstmaligen Demission des Kabinetts Wekerle Ende Mai 1894 mit der Regierungsbildung beauftragt worden, scheiterte jedoch, worauf neuerlich Sändor Wekerle ein Kabinett bildete. Der letzte Satz am Rand mit einer geschwungenen Klammer verbunden und ergänzt: Das war die Schlußpointe. Ergänzung.
18. April
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te er nichts anderes zuwege bringen können. Tatsächlich hat auch Kälnoky die Selbständigkeit Bulgariens geschützt und gesichert. Tisza ging sodann aus eigenem Antriebe, wie wenn er das für den Zweck meines Besuches ansehen würde, auf das Verhältnis zu Kalnoky über. Hier sprach er mit einem feinen Gerechtigkeitsgefühl, wog Schuld und Verantwortlichkeit aufs mildeste, aber auch auf das logischeste und einleuchtendste ab. Es war das Muster einer sicheren Stellungnahme und Berichterstattung; es war kristallisierte historische Objektivität. So müßte ein Richter über einen Schuld- und Streitfall vor dem Kollegium referieren, um dann seinen Antrag [zu] formulieren. "Dabei trat hervor, wie er alles wohl abgewogen hatte, wie er kein Wort sprach, das er nicht fallenlassen wollte, abgeklärt, höchst klug." Baron Bänffy, so sagte Tisza fast ohne Einleitung, hätte, als er die Interpellation beantwortete, dies nur auf eine schriftliche und offizielle Auskunft des Ministeriums des Äußern tun sollen. Indessen lag nur ein vertrauliches, wenn auch schriftliches Gutachten Kälnokys vor, das nicht vor die Öffentlichkeit gehörte176. Somit mußte Kalnoky sich gegen diese Geschäftsbehandlung verwahren. Er war sonst eine ruhige besonnene Natur, aber seine Nerven waren offenbar schon abgenützt, und so tat er nicht das Selbstverständliche. Das Natürliche wäre gewesen, wenn er dem Kaiser die Sache vorgelegt und Genugtuung verlangt hätte. Das tat er aber nicht, sondern beleidigte den Baron Bänffy öffentlich durch einen Zeitungsartikel. Das war um so schlimmer, als Baron Bänffy in der Sache doch nur gesagt hatte, was Kalnoky als seine Meinung ausgesprochen hatte. Nun gehört es zu den großen Regenteneigenschaften des Kaisers, daß er stets in allen Verhältnissen auf die Wahrheit den größten Wert legt, und als ihm sonach der Brief Kälnokys vorgelegt wurde, mußte er erkennen, daß Baron Bänffy in gutem Glauben gehandelt hatte. Und damit befand sich Bänffy in einer günstigen Lage. Tisza macht [eine] Pause, wie einer, der mit seiner Aufklärung fertig ist. Ich bemerkte, es sei mir aus guter Quelle mitgeteilt, daß der Kaiser die Note der Politischen Korrespondenz vor dem Drucke gesehen hatte. Ich weiß nicht, sagte Tisza, welches Ihre Quelle ist, aber ich halte es nicht für wahrscheinlich, daß dem so war. Wieder Pause. Die Freunde Kälnokys, so sagte ich, behaupten, dieser habe seinen Gegensatz zu den ungarischen Staatsmännern für so stark gehalten, daß er annahm, Baron Bänffy habe durch seine Interpellationsbeantwortung gegen ihn einen Akt der Feindseligkeit üben können. Man darf, so sagte Tisza ebenso leise, wie seine ganze Mitteilung, aber doch mit fester Betonung, an der bona fides des Baron Bänffy nicht zweifeln. Man kann gegen Baron Bänffy alles einwen-
176
aa
Vgl. zum Konflikt Kalnoky - Bänffy Graf Gustav von Kalnoky; in: Historische Aufsätze 355-360. Ergänzung.
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Graf Kaiman Tisza
den, aber sein guter Glaube steht außer Frage. Und war der Gegensatz der ungarischen Politiker zu Kalnoky nicht bereits sehr zugespitzt? Es gab Gegensätze, aber ich bin überzeugt, daß kein Zusammenstoß erfolgt wäre, wenn nicht, wie ich sagte, die Nerven des Grafen Kalnoky ihn im Stiche gelassen hätten. Ich selbst habe nie daran geglaubt und es stets bekämpft, wenn man behauptet, Graf Kalnoky sei ein Gegner Ungarns. Ich habe ihn immer einsichtig und unparteiisch gefunden, wenn es sich um ungarische Angelegenheiten handelte. Er kannte zwar anfangs viele Verhältnisse nicht, da er zur Zeit, als die dualistischen Einrichtungen geschaffen wurden, im Auslande gelebt hatte. Aber er war aufrichtig bemüht, die damals geschaffenen Verhältnisse zu konsolidieren. Ich fand ihn immer aufrichtig, streng ehrenhaft. Wir standen in einem vortrefflichen Verhältnisse zueinander. Ich muß, wenn das auch unbescheiden klingen mag, eine Äußerung des Grafen Kalnoky wiedergeben. Als Baron Bänffy sich nach Wien begab, um mit ihm über den Konflikt zu verhandeln, sagte Kalnoky - es war, bevor der Bruch erfolgt war - zu Bänffy: „Entweder muß der Minister des Äußern dem ungarischen Ministerpräsidenten imponieren, oder das Umgekehrte muß der Fall sein. Tisza hat mir imponiert, aber Sie imponieren mir nicht, und ich nicht Ihnen." Ich würde dies nicht erzählen, wenn Bänffy dies nur mir vertraulich und nicht auch nach seiner Rückkehr anderen erzählt hätte. Das Gepräch wandte [sich] in Folge einer Frage von meiner Seite Wekerle zu, und ich erwähnte, daß die Freunde Kälnokys Wekerle vorwerfen, die von ihm in Wien gegebenen Informationen seien nicht richtig gewesen. Ich weiß, was Sie meinen, sagte Tisza. Sie wollen sagen, daß man in Wien Wekerle vorwirft, er habe nicht die Wahrheit gesprochen. Darin aber tut man Wekerle entschieden Unrecht. Mein Freund Wekerle, und ich habe ein Recht dazu, ihn so zu nennen, ist eine optimistische Natur, und so mag er in manchen Voraussetzungen einer irrigen Meinung Ausdruck gegeben haben. Aber es ist ganz unrichtig, daß er je absichtlich eine Täuschung hervorgerufen habe. Dieser Optimismus ist es, der einen falschen Schein auf ihn warf. Aber, so fragte [ich], es ist eigentlich eine von ihm ausgehende sehr pessimistische Voraussetzung, die man ihm vorwirft. Man behauptet, er habe die Zustimmung des Kaisers zur Zivilehe durch die Angabe erwirkt, Ungarn stünde sonst am Rande des Abgrunds177. Die Antwort Tiszas machte durch ihre Präzision und Schlagfertigkeit, nun, er wird schon oft über diesen Punkt gesprochen haben, und Festigkeit einen großen Eindruck auf mich. Er sprach immer gleich leise, aber erzielte durch eine Nuance des Tones einen großen Nachdruck. „Wenn Wekerle dem Kaiser gesagt hätte, es seien sonst Tumulte und Unruhen zu besorgen, so wäre das gewiß nicht der Wahrheit entsprechend gewesen; aber er sprach nur die Befürchtung aus, daß im Falle der Nichtbewilligung der Zivil177
Vgl. S. 124 und S. 131 f.
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ehe die Auflösung der liberalen Partei zu befürchten sei. Und darin hatte er unbedingt recht. Dann wäre die Partei in eine Anzahl von Fraktionen zerfallen, und es wäre derselbe Zustand der Verwirrung eingetreten, wie er jetzt in Österreich herrscht178. Er hatte vollen Grund, dies als eine große Gefahr hinzustellen." Ich sagte, dies leuchte mir ein; und ich mußte hinzufügen, daß Wekerle auch in Osterreich von vielen günstig beurteilt werde, so von Plener, der ihn dagegen verteidigt, daß er eine Täuschung beabsichtigte. Jetzt erst ergriff ich die Gelegenheit, ihm den Brief Pleners zu übergeben, an den ich vergessen hatte. Tisza las ihn sehr langsam und mit großer Aufmerksamkeit, sagte dann, es freue ihn, daß gerade Plener so gerecht urteile. Noch einmal sprach sich Tisza mit vieler Wärme und rückhaltlos zustimmend über Kalnokys äußere Politik aus. Nur über die rumänische Frage habe sich ein Gegensatz entsponnen, da man Kalnoky vorwarf, er habe in Bukarest nicht entschieden genug Einspruch gegen die Begünstigung der rumänischen Irredentisten gesprochen. Er, Tisza, habe ihn auch gegen diesen Vorwurf verteidigt. Kalnoky habe offensichtlich geglaubt, daß er mit Rücksicht auf die äußere Politik Rumänien nicht so scharf anfassen dürfe. Mit Anerkennung für Kalnoky und mit der Bitte, das nicht als Interview zu behandeln, schloß die Unterredung. 1) Bänffy über Kalnoky und Nationalitäten. 2) Tisza über die Mission Khuens. 3) Von wem hätte Kalnoky gedrängt sein sollen? Ich fragte: Man erzählt in Ungarn, daß Graf Kalnoky die Absicht hegte, sich der Nationalitäten gegen die liberale Partei zu bedienen, und auch Baron Bänffy hat ihm diese Absicht zugeschrieben179. Da sagte Tisza: Ich werde Ihnen darüber mit einem ungarischen Sprichwort oder eigentlich mit einem Flügel wort antworten: „Gott gab dem Menschen zwei Ohren, damit unnützes Gerede bei dem einen hinein- und bei dem anderen hinausgehen könne." Man hat dem Baron Bänffy viel über Kalnoky zugetragen und umgekehrt. Ich aber glaube nicht daran, daß Graf Kalnoky solche Pläne hegte oder gar sie aussprach. Über die Mission Khuen sagte Tisza, daß sie gelungen wäre, wenn sie mit mehr Geschick und Takt vorbereitet gewesen wäre. Offenbar meinte er den ersten Versuch der Kabinettsbildung180. Ihm lag die Absicht, die Nationalitäten zu benützen, gewiß auch ferne. Als ich bemerkte, daß der Kaiser die Note in der Politischen Korrespondenz gekannt habe, sagte er: Ich weiß nichts davon, aber ich glaube nicht. 178
179 180
DELS österreichische Abgeordnetenhaus war seit dem Herbst 1897 aufgrund der deutschen Obstruktion gegen die Badenischen Sprachenverordnungen praktisch arbeitsunfähig. Vgl. S. 122 f. Der Banus von Kroatien Graf Karolyi Khuen-Hederväry war sowohl Ende Mai als auch Ende November 1894 mit der Regierungsbildung in Ungarn betraut worden, scheiterte jedoch beide Male.
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Emil Jettel von Ettenach, Sektionsrat im Außenministerium
Emil Jettel v o n Ettenach
22. April 1898 К 5, U 10, 329 ν
Er erzählte, daß Kalnoky ihm einmal, vielleicht weil er ein outsider war, einen bemerkenswerten Auftrag gab. Er sagte ihm, er solle Material sammeln über die Frage der Einführung eines Staatsrates; er solle die Einrichtungen in den fremden Staaten zusammentragen, so eine „statistische" Arbeit. Jettel wollte damit offenbar sagen: den tatsächlichen Zustand.
Ernst von Plener, Präsident des Gemeinsamen Obersten Rechnungshofes
23. April [1898] К 5, U 7, 305 г - 3 0 6 г
Nach meiner Rückkehr aus Budapest181. Plener teilt meine hohe Meinung von Szilägyi, hält ihn für den nächsten Ministerpräsidenten. Kommt immer darauf zurück, daß ich die Fürstin Khevenhüller kennenlernen müsse. Khuen ist eine kleine feine Persönlichkeit, ähnlich im allgemeinen dem Grafen Pininski. Heiratete die Nichte Tiszas, kam dadurch in die Politik. War bis dahin ein Elegant. Er berichtigt seine früheren Mitteilungen über den Anteil Kälnokys an dem Ausgleiche von 1890, 1891182. Er habe zu anderen Zwecken seine Papiere gesichtet und sich überzeugt, daß das Souper, von dem er erzählt habe, nicht um Weihnachten 1890, sondern Weihnachten 1891 stattfand. Es war also vor Auflösung des Reichsrats183. Plener hat sich Notizen über diese Zusammenkunft gemacht, an der Kalnoky, Taaffe, Schönborn, Plener und noch ein oder der andere Minister teilnahm. Schönburg nicht anwesend. Nach dem Speisen sagte Kalnoky, er halte eine politische Aussprache für zweckentsprechend; er sei der Meinung, daß [das] Verhältnis zwischen Ministerium Taaffe und Deutscher Linker sich klären solle. Dies sei deshalb wünschenswert, weil jetzt Wahlen kämen und es bedenklich wäre, wenn Deutsche in diese gingen als Oppositionspartei, dadurch würde ihre Stellung präjudiziert sein. Plener erwiderte, dies sei allerdings wünschenswert. Es gebe zwei Wege, das Verhältnis zwischen Deutschen und Ministerium zu re181 182
183
Friedjung war vom 15. bis 21. 4. 1898 in Budapest, um Informationen für seine Kälnoky-Biographie zu sammeln. Vgl. S. 79. Zum Souper bei Kalnoky am 21. 12. 1890, nicht 1891, vgl. Ernst von Plener, Erinnerungen. Bd. 2 (Stuttgart - Leipzig 1921) 438. Nach dieser Darstellung nahm Fürst Alexander Schönburg doch an dem Treffen teil. Das Abgeordnetenhaus war am 20. 12. 1890 vertagt und zum Jahreswechsel aufgelöst worden. Die Neuwahlen fanden vom 27. 2. bis 21. 3. 1891 statt.
23. April 1898
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geln. In erster Linie wäre es angezeigt, daß das Ministerium Taaffe zurücktrete, es war eigentlich keck, so zu sprechen, sagte Plener zu mir; wenn dies aber nicht betrieben werde oder anginge, so müsse eine Rekonstruktion des Ministeriums erfolgen. Taaffe muß offenbar etwas Unwesentliches und nur allgemeine Ausdrücke erwidert haben, denn Plener notierte sich gar nichts über seine Meinungsäußerung. a Schönburg war ihm wirklich ein Freund. Einmal im böhmischen Landtag sah Mannsfeld den Fürst Schönburg weinen, als Plener sprach. Weshalb er weine? Schönburg antwortete, er habe Plener so gerne, und er sei immer ergriffen, wenn dieser spreche. Allerdings beim Ausgleich 1890 selbst war Schönburg Vermittler mit Kälnoky. Das bleibt sicher, sagt Plener.3 Es ist doch eigentlich schwachköpfig, daß Plener sich an diese Dinge nicht erinnern kann. Es muß doch Kalnoky und seine Stellung für ihn sehr wichtig gewesen sein. Sehr sonderbar. Überhaupt verliert Plener sehr gegenüber ungarischen Politikern. Bei diesen kommt eilles aus einem Mittelpunkte heraus, bei ihm zerfließt alles. Das ist allerdings charakteristisch für alle nicht radikalen Politiker in Osterreich; sie müssen nach allen Richtungen Rechnung tragen. Er ist gut, brav, zuverlässig, aber ohne Kern. Es hat mich schon früher seltsam und unangenehm angemutet, wie trocken seine Natur ist. Nirgends Nerv. Wohl fand ich es in seinen Reden 1879-1888. Ich vermißte das dann vollständig. Er wurde dann unsicher, bedenklich. Er faßte seine Rolle nur diplomatisch auf. Diesen Charakter hatten seine Reden 1889-18 . . .184 Vielleicht ist [der] Ausgleich 1890 der Wendepunkt. Offenbar wollte er nicht nach oben und unten anstoßen. Allerdings ist er sehr klug, sehr klar im Auseinanderlegen einer Situation, zum Beispiel der des Ministeriums Thun. Und das ganz anspruchslos, wie wenn es etwas Selbstverständliches wäre, daß er es so auseinanderlegt. Dieser nüchterne, gesunde Menschenverstand scheint auch seine Leute in der Linken gewonnen zu haben. Auch ich hatte diesen Eindruck, als er mir (c. 1892) einmal sagte, es ginge nicht an, in die Opposition zu treten. Damals sagte [er]: Wenn ich selbst wüßte, daß mir die ganze Linke folgt, was nicht ganz sicher ist, wenn ich auch sicher wäre, daß die Bevölkerung fest bleibt, so wäre noch immer die Gefahr zu befürchten, daß die Jungtschechen sich eben deshalb plötzlich der Regierung zur Verfügung stellen. Das ist so ein Beispiel seines klaren, nüchternen Exponierens. Kein Funke von Genialität. Das ist auch der Charakter seiner trockenen Reden.
184 a
"
Vgl. Ernst von Plener, Reden 1873-1911 (Stuttgart - Leipzig 1911). Ergänzung.
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Ludwig Doczi, Leiter des Literarischen im Außenministerium
Ludwig Doczi
Bureaus 30. April 1898 К 5, U 10, 329 ν - 330 г
Ich teile ihm meine Absicht mit185. Er ist unangenehm berührt. Er lehnt es eigentlich ab, über Kälnoky zu sprechen mit mir eigentümlichen Motiven. Er sei nicht mit Kälnokys Methode einverstanden gewesen, insbesondere nicht in dessen letzten fünf „unglücklichen Jahren". Er fürchte deshalb, ungerecht gegen ihn zu sein. Und das möchte er nicht, da sein persönliches Verhältnis zu Kalnoky immer ein gutes war. Zudem müsse er vorsichtig sein; denn Baron Aehrenthal wache wie ein Haus- und Hofhund über dem Andenken Kälnokys, und wenn er, Doczi, etwas Ungünstiges über ihn mitteile, so sei Aehrenthal imstande, sich bei Goluchowski zu beschweren. Überhaupt sei es ihm, Doczi, unlieb, daß er überhaupt wisse, es werde über Kalnoky geschrieben. Anders sei es über Andrässy, da könne er freier sprechen, freilich müsse er sich auch hüten, Dinge zu sagen, die noch verschwiegen sein müssen. Übrigens wisse Konyi diese Dinge über Andrässy gleichfalls. Dies alles machte den Eindruck der Wahrheit, denn er sprach, ohne früher zu wissen, daß ich über Kälnoky schreiben wolle, sofort schlagfertig, aus seiner Empfindung heraus. Allerdings mißtraut er mir. Er sprach mich, mir eine Zigarre anbietend, als Feind an; er habe, wenn er etwas in der Allgemeinen Zeitung lese, immer das Gefühl, es sei eine Spitze darin.
Viktor Ruß, Mitglied des Abgeordnetenhauses
4. Mai 1898 К 5, U 10, 329 ν
Kälnoky war sehr zugeknöpft, hatte eine angeschnallte Würde, aber er imponierte. Er legte in die Hand in die des andern [sie!], aber schüttelte nicht, sondern berührte nur sanft. Er hatte immer eine „Freundin". Im Delegationsausschuß sprach er elegant, hatte offenbar alles auswendig gelernt; denn die Veröffentlichungen stimmten genau [überein] mit dem, was er gesagt hatte. Er sprach in den Delegationen im Flüstertone, sonst hätte er seiner Würde etwas vergeben.
185
Die Abfassung einer Arbeit über Graf Gustav Kälnoky.
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8. Mai 1898
Alessandro Luzio, italienischer Historiker
und Journalist
8. Mai 1898 К 5, U 10, 331 ν - 3 3 2 г
Cairöli war ein „bezaubernder Dummkopf', ein trefflicher Redner, ein liebenswürdiger Greis, aber er leitete die äußere Politik nicht gut, er verstand kaum französisch. Depretis dagegen klug. Robilant (1871-1885 ? in Wien) brachte den Anschluß Italiens an [den] Zweibund zustande. Er war gegen die Reise König Humberts nach Wien186. Er kannte den Wiener Hof und wußte, daß Franz Joseph nie nach Rom kommen werde. Aber Mancini und sein Kabinett hatten keine andere Wahl, nach dem Verlust von Tunis187 nichts anderes möglich. a Er stand stets mit Irredentisten in Verbindung. Er stand ihnen innerlich nahe. Daher Schritt Haymerles188.3 Robilant ist der natürliche Sohn Karl Alberts wie Chiala natürlicher Sohn La Marmoras. Robilant war es, der Chiala zur zweiten Auflage seines Werkes di storia contemporanea189 wichtige Aktenstücke lieferte. Einer dieser Briefe machte unliebsames Aufsehen. Er war gegen die Erneuerung des Dreibunds, aber nur ein ostensibler Brief, mit dem auf Osterreich und Deutschland gewirkt werden sollte. Humbert heißt stringi mano, wie der erste König von Sardinien, der bianco mano hieß, weil er nur die Hand drückt und sonst nichts zu sagen weiß. Nigra kommt immer zum Geburtsfest Humberts, geht aber stets bald fort, indem er jedesmal sagt: Ich muß jetzt gehen, eine Depesche zu schreiben. Luzio erklärt, daß er sehr schlecht französisch schreibt. Daß er mit italienischem Ausspruch französisch spricht, weiß ich. Das sei erstaunlich bei einem Piemontesen, die stets, in den höfischen Kreisen, mehr französisch als italienisch sprachen und schrieben. Parocchi ist ein Papabile, er war in Mantua Priester, ein kluger aber unbedeutender Mann. Damals schielte er [zu] den Liberalen. Nigra schreibt jetzt Abhandlungen zur romanischen Philologie, die in Fachzeitschriften veröffentlicht werden. Mussafia sagt, daß sie dilettantisch seien. Die Familie Robilant wohnt oft durch Monate in Wien. Luzio hatte eine Empfehlung an sie, die er nicht abgab. 186
König Umberto besuchte vom 27. bis 31. 10. 1881 Wien, der Gegenbesuch Franz Josephs kam aufgrund des Boykottes Roms durch die katholischen Monarchen aus Rücksicht auf den Papst und dessen Stellung im Vatikan nicht zustande. 187 Nach der Errichtung des französischen Protektorates über Tunis (12. 5. 1881) Schloß sich Italien dem Zweibund an (Dreibundvertrag vom 20. 5. 1882). 188 Außenminister Freiherr Heinrich von Haymerle verhinderte im Oktober 1881 ein Treffen zwischen König Umberto und Erzherzog Karl Ludwig, dem Bruder des Kaisers, in Monza, um den Anschein zu vermeiden, Wien ergreife in den Verhandlungen mit Italien die Initiative. Statt dessen wurde der Besuch des italienischen Königs in Wien angeregt. 189 Luigi Chiala, Pagine di storia contemporanea dal 1858 al 1892. 3 Bde. (Turin 1892 bis 1893). a " Ergänzung.
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Marcell Frydmann, Chefredakteur des Fremdenblattes
Marceil Frydmann
9. Mai 1898 К 5, U 10, 332 г - 332 ν
Frydmann machte die richtige Bemerkung, daß Taaffe 1890, indem er den Ausgleich verzögerte190, doch nicht annahm, er sei dadurch vereitelt. Dunajewski war der Haupturheber der Verzögerung. Denn er fürchtete, daß durch den Bund mit den Deutschen ganz andere Schichten in Galizien als seine Partei, die des Adels, zur Herrschaft gelangen würden. Darüber gab es schon damals scharfe Zusammenstöße im Club, die Dunajewski durch seine große Autorität niederhielt. Zaleski sagte Frydmann gleich nach dem Ausgleich, jetzt werde Plener doch Minister werden. Das nun fürchteten Taaffe und Freiberg191. Sie waren der Meinung, daß Plener ein Ubermensch sei, der Taaffe beiseite schieben, zermalmen werde. Freiberg bestärkte Taaffe darin. Als Frydmann ihm einmal sagte: Wenn er, Frydmann, Plener und Freiberg nur einmal zusammenführen würde, so würden sie sich verständigen. Aber Freiberg hatte damals die Befürchtung, Taaffe würde es für eine Verräterei ansehen, wenn er sich Plener nähere. Frydmann schätzt den Einfluß Freibergs auf Taaffe sehr hoch, höher als ich vermeine. Frydmann war von meiner Darlegung der Schuld Taaffes betroffen, schien überzeugt; er sagte nur, Taaffe habe nicht als Prophet in die Zukunft sehen und das annehmen können, der Ausgleich sei durch sein Zögern verhindert.
Jakob von Winternitz, Regierungsrat im Literarischen Bureau des Außenministeriums
10. Mai 1898 К 5, U 10, 332 ν
Winternitz machte die richtige Bemerkung, daß Kalnoky gerade für Osterreich der richtige Minister war, der nichts wagte etc. Andrässy glaubte an die Monarchie, er gehörte eben einem aufstrebenden Volke an.
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191
Erst nach Abschluß der Frühjahrssession des Reichsrates wurde das in den Ausgleichsverhandlungen vom 5. bis 19. 1. 1890 erzielte Ubereinkommen dem ab 19. 5. 1890 tagenden böhmischen Landtag vorgelegt. Es scheiterte dort am Widerstand der Jungtschechen. Rudolf von Freiberg leitete von 1880 bis 1894 das Preßdepartement im Ministerratspräsidium.
18. und 19. Mai 1898
Freiherr Alois Lexa von Aehrenthal, Gesandter in Bukarest
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Prag, 18. u 19. Mai [1898] К 5, U 2, 39 r - 40 ν
Aehrenthal hat (ich glaube 1894) eine vollständige Zusammenstellung unserer Beziehungen zu Rußland seit 1878 angelegt und hat offenbar die Daten deshalb sehr gegenwärtig. Als ich ihm sagte, Andrässy schreibe in seiner Denkschrift192, Bismarck habe Österreich des öfteren seine Allianz vor 1879 angeboten, sagte er so bestimmt, wie ich ihn nie gehört habe: Das sei unwahr, Andrässy habe darin gelogen. Er bestätigte nur, daß der Kaiser sehr enttäuscht gewesen sei, als Andrässy auf dem Berliner Kongreß die Souveränität des Sultans über Bosnien anerkennen mußte. Ja, Bismarck habe in ihn gedrungen, darauf einzugehen; es sei doch nur eine Formsache. Ja, und der Kaiser habe erst nach Unterzeichnung davon erfahren. Dadurch sei dessen Vertrauen zuerst erschüttert worden; es habe sich gezeigt, daß Andrässy nicht das Verheißene durchsetzen könne. Haymerle habe, erst durch „grobe" Argumente Bismarcks bestimmt, das Verhältnis von 1881 mit Rußland abgeschlossen. Dieses Verhältnis war ein Dreikaiserbündnis, es band schriftlich alle drei Teile193. Zuerst von 1881 bis 1884 abgeschlossen, dann 1884 bis 1887. Als ich frug, ob denn der Rückversicherungsvertrag, wie [die] Neue Freie Presse 1896 aus Friedrichsruh meldete, schon 1884 abgeschlossen wurde194, sagte er: möglich. Aber 1887 scheint das doch erst feste Formen gewonnen zu haben. Denn 1887 zog Rußland [eine] Erneuerung des Bündnisses hin; da ging General Schweinitz endlich zum Kaiser Alexander III. Und dieser nun sagte: Nein, mit Österreich nicht, aber mit Euch (Deutschland) erneuere ich es. a Sehr wichtig·. Uber die Zukunft Serbiens sprach Aehrenthal wieder so, als ob dieses Land eines schönen Tages von Österreich besetzt werden würde. Dies sei auch Kälnokys Gedanke gewesen. „Jetzt steht die Familie Obreno192
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Die Denkschrift Gyula Andrässys aus dem Jahr 1885 zur Außenpolitik der Monarchie wurde Friedjung zur Anfertigung einer Abschrift von dessen Sohn zur Verfügung gestellt. Er mußte sich lediglich verpflichten, sie nicht aus der Hand zu geben und Einleitung und Schluß sowie jede andere direkte Anrede, aus der hervorging, daß sie persönlich an den Kaiser gerichtet war, zu unterdrücken. Die Abschrift einschließlich des Begleitschreibens in К 5, U 3. Sie ist gedruckt in Aus dem Nachlaß Aehrenthal. Briefe und Dokumente zur österreichisch-ungarischen Innen- und Außenpolitik 1885-1912, hrsg. von Solomon Wank (Graz 1994) Teil 2, 765-776. Im geheimen Dreikaiserbündnis vom 18. 6. 1881 sicherten sich die drei Staaten wohlwollende Neutralität im Kriegsfall zu und stimmten die jeweiligen Interessen am Balkan ab. Die Laufzeit betrug drei Jahre, es wurde am 27. 3. 1884 nochmals um drei Jahre verlängert. Der geheime Rückversicherungsvertrag zwischen Deutschland und Rußland war am 18. 6. 1887 unterzeichnet worden. Die Neue Freie Presse hatte am 27. 10. 1896, Morgenblatt 2, Der deutsch-russische Neutralitäts-Vertrag, fälschlich gemeldet, der Vertrag wäre bereits 1884 für sechs Jahre geschlossen worden.
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Freiherr Alois Lexa von Aehrenthal
vic auf vier Augen, und Alexander ist kränklich, ist schwerlich danach angetan, eine Dynastie zu gründen." Die Dynastie Karageorgevic könnte Österreich wegen ihrer Verbindung mit Montenegro nicht zulassen." Aehrenthal gab sich alle Mühe, mir die Politik 1885 während des bulgarisch-serbischen Krieges plausibel zu machen 195 . E r fand, daß ich durch Andrässys Denkschrift „geblendet" sei. Es berührte ihn unangenehm, als ich sagte, ich müsse die Politik Andrässys schildern nach ihrem hohen Werte. Es sei eigentlich seine Absicht gewesen, ein Werk der „Pietät" zu veranlassen. Unangenehme Dinge für mich. So begann er die zweite Unterredung im Hotel Schwarzes Roß. Manche seiner Argumente für die Kälnoky-Politik 1885 sind freilich beherzigenswert. Ich dürfe nicht vergessen, daß er ganz im Zuge seiner russenfreundlichen Politik seit 1881 gehandelt habe. E r konnte da nicht abreißen. E r durfte sich nicht gegen Rußland stellen, wenn er nicht treulos handeln wollte. E r durfte sich nicht, wie Andrässy wollte, 1885 plötzlich gegen Rußland wenden und Bulgariens Selbständigkeit proklamieren. Das wäre ein Abreißen aller Fäden gewesen. Sehr wichtig ist, daß Aehrenthal von dem Vorsatz ausgehe, den Briefwechsel zwischen Kälnoky und Wolkenstein veröffentlichen zu lassen, allerdings nach Jahren, unabhängig von meiner Arbeit. Allerdings muß Wolkenstein erst dazu seine Zustimmung geben. Wolkenstein vertrat die „Nuance", daß nach seiner Ansicht Kälnoky zu sehr die Unabhängigkeit Bulgariens betont, Rußland zu sehr gereizt habe. Viel wichtiger als Bulgarien sei für Osterreich das gute Verhältnis zu Rußland. Wolkenstein sei lebhaft in seinem Wesen und gab dem in dieser Weise Ausdruck. Aehrenthal befürchtet sehr, ich sei von Andrässys Politik viel zu sehr eingenommen. E r läßt absolut nicht gelten, daß dieser einen richtigen Gedankengang eingeschlagen habe. E r habe sehr unschön gehandelt, man habe bis in die französische Presse die Angriffe Andrässys verfolgen können. Damals schrieb Aehrenthal einen Artikel gegen Andrässy, der nicht publiziert wurde, und den er mir geben will. Zur Verteidigung der Politik Kälnokys 1885 sagte er mir: Eben jetzt tadeln wir Muraviev, weil dieser in kretensischer Frage 196 sprunghaft gewesen sei, hätte es Kälnoky sein sollen? E r hätte denselben und größeren Vorwurf verdient. Kälnoky machte, wie Aehrenthal zugab, wirklich den Fehler, daß er sich 195
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Im Krieg von 1885 verhinderte die österr.-ung. Regierung durch die Drohung, sie würde gegebenenfalls in Serbien und Rußland darauf in Bulgarien einmarschieren, einen weiteren Vormarsch der siegreichen Bulgaren. Diese einseitige Aktion Wiens führte jedoch zu Spannungen mit Rußland. Im Februar 1897 waren griechische Truppen auf Kreta gelandet, worauf die Großmächte im März eine Blockade über die Insel verhängten. Aufgrund des Verlaufes des Krieges mit der Türkei zog Griechenland schließlich im Mai seine Truppen aus Kreta zurück und stimmte der Autonomie der Insel unter Garantie der Großmächte zu. Ergänzung.
18. und 19. Mai 1898
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nicht bestimmt erklärte, ob er gegen die Zivilehe sei197. So oder so! Er hätte sich entscheiden sollen. Dagegen erklärte er, die Mitteilung Hieronymis, die ungarischen Minister hätten die Depesche Kalnokys an den Kaiser, in der er sein Bedauern aussprach über Scheitern der Mission Khuen, aufgefangen, für unrichtig198. Eine solche Depesche Kalnokys existiere nicht. Es sei unwahrscheinlich, daß sie existiert. Denn der Kaiser sandte aus Budapest, wohin er gereist war, nachdem Khuen vorausgeschickt worden war, eine Depesche an Kalnoky, die mit den Worten beginnt: „Ich habe die Dinge hier viel schlechter gefunden, als ich angenommen hatte . . .", und daraufhin konnte Kalnoky gar nicht sein Bedauern aussprechen. Das wäre gar nicht angegangen, so könne man nicht mit dem Kaiser sprechen. Andrässy teilte dem Kaiser den Abschluß des Vertrages mit Deutschland mit den Worten mit (schriftlich oder mündlich weiß ich nicht): „Jetzt steht Euer Majestät der Weg nach dem Orient offen", aber Aehrenthal findet mit Recht, daß er die Bedeutung des Bündnisses199 überschätzte. Bismarck verstand es nicht so. In sehr ernster und mich durchaus überzeugender Weise sprach sich Aehrenthal über den Sturz Kalnokys aus. Es sei ganz unrichtig, daß er den Sturz Bänffys erzwingen wollte. Er gab schon nach der Rede Bänffys seine Position für verloren. Er hielt sie schon seit Weihnachten 1894 für erschüttert. Aehrenthal stellt auch ganz in Abrede, daß Kalnoky sich getäuscht habe in der Zuverlässigkeit des Kaisers, wie etwa Welsersheimb andeutete200. "Aehrenthal findet, daß in Szilägyi etwas Satanisches stecke. Er ist aber leidend, wenn er Ministerpräsident würde, so wäre das vielleicht gut, da diese Aufregungen wohl ein Ende mit ihm machen könnten. (!!) Der Kaiser kann ihn ernennen, da er Satisfaktion hat.3 Seine Nerven waren zerrüttet, er war deprimiert durch [das] Mißlingen des Ministeriums Windischgraetz201. Er hatte somit auch in Osterrreich keine Stütze. So bestimmt trat Aehrenthal den Auffassungen Szilägyi etc. entgegen. Mit Berufung darauf, daß er Kalnoky nahegestanden sei, daß er es wissen müsse. b Aehrenthal war vor nicht langer Zeit bei Bänffy und machte ihm Vorwürfe über das Ortsnamengesetz202. Dieses sei höchst schädlich und erbittere die 197
Vgl. zum Konflikt mit der ungarischen Regierung über die Ehereform Graf Gustav von Kalnoky; in: Historische Aufsätze 350-355. 198 Vgl. S. 112. 199 Der am 7. 10. 1879 geschlossene Zweibund. 200 Vgl. S. 75 f. 201 Das Ministerium Alfred Windischgraetz war nach dem Ausscheiden der Vereinigten Deutschen Linken aus der Koalition am 18. 6. 1895 und dem damit verbundenen Verlust der Mehrheit im Parlament zurückgetreten. 202 Das am 10. 12. 1892 im ungarischen Abgeordnetenhaus angenommene Ortsnamengesetz magyarisierte die rumänischen und deutschen Ortsnamen in Siebenbürgen. "~a Ergänzung.
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Freiherr Alois Lexa von Aehrenthal
Rumänen und die Sachsen. Bänffy gestand ihm das so halb und halb zu, es sei einmal geschehen. Darauf Aehrenthal: Wenn das so weitergehe, so werde er Goluchowski bitten müssen, einen Ungarn statt seiner nach Bukarest zu senden, der diese Politik vertreten könne. Darauf Bänffy: Nein, nein, nach Berlin, London, Paris kann man einen Ungarn senden, nach Serbien, Rumänien gehören Österreicher. Aehrenthal sagte nur: Die Ungarn machten 1890-93 (genauer Zeitpunkt ?) den Vorwurf, er sei nicht wachsam und energisch genug. Uberhaupt, das war zweimal der Schluß Aehrenthals: Unsere Sache steht in Rumänien nicht gut.h Schon im Sommer 1897 hätte man an Badenis Sturz arbeiten müssen. Goluchowski und Bänffy wären verpflichtet gewesen auf die Gefahr hin, dem Kaiser zu mißfallen, auf seine Entlassung zu drängen. Sie mußten ihre Portefeuilles in diesem Falle einsetzen. Dazu waren sie verpflichtet. Aber sie wagten es nicht. Aehrenthal stellte deshalb Bänffy zur Rede. Dieser entschuldigte sich: Es sei nicht zu wagen gewesen (dies ist der Sinn der Worte Aehrenthals), denn als Josika, der einzige, es wagte, zog er sich das Mißfallen des Kaisers zu und nahm aus diesen und einigen anderen Gründen seine Demission203. Sturz des Badeni erfolgte, weil die Täuschung, in der er den Kaiser hielt, offenkundig wurde. Er hatte dem Kaiser immer gesagt, das Provisorium werde angenommen werden. In seinem Leichtsinn sagte er das. Da kam es zum Krache. Goluchowski und Bänffy sind schuld, daß man zuletzt der Straße weichen mußte204. Källay war es, der Khuen poussierte205; mit dem Hintergedanken: Entweder glücke es und dann gut, oder es mißlingt, und dann stürzt Kälnoky, und er, Källay, wird Nachfolger. Bismarck riet Andrässy 1878, Rußland anzugreifen, jetzt sei der richtige Moment. Dies sagte Aehrenthal mit großer Bestimmtheit, die mich frappierte. "Aehrenthal will es nicht gelten lassen, daß Kälnoky 1890-94 mehr für Bulgarien hätte tun können. Er sagte: Was hätte es für Wert gehabt, wenn Kälnoky sich Popularität in Bulgarien erworben hätte? Das wäre vergänglich gewesen, dagegen wäre [das] Verhältnis gegen Rußland dauernd verschlimmert [worden]. Vortreffliches Räsonnement. Übrigens verschaffte Kälnoky den Bulgaren die Berater.3
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Freiherr Samu Josika war am 2 0 . 1 . 1898 als ungarischer Minister am Hoflager zurückgetreten, also erst nach der Demission des Kabinetts Badeni. Ministerpräsident Graf Kasimir Badeni wurde am 27. 11. 1897 entlassen, nachdem der Wiener Bürgermeister Karl Lueger erklärt hatte, für die Ruhe der Stadt nicht mehr garantieren zu können. Der Banus von Kroatien Graf Karolyi Khuen-Hederväry hatte sowohl im Sommer als auch im Dezember 1894 vergeblich versucht, in Ungarn eine Regierung zu bilden. Ergänzung. Ergänzung.
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20. Mai 1898
Gustav Adolf von Deines, ehem. Militärattache in Wien
deutscher Berlin, 20. Mai 1898 К 5, U 3, 49 r-v; К 2, U 6, 682 r
Deines kam im Frühjahr 1887 nach Wien. Unmittelbar darauf Kriegsgefahr206. Er hatte darüber Unterredungen mit Erzherzog Albrecht. „Ich habe niemals (oder selten) einen Mann gekannt, der soviel Kriegsgeschichte gelesen oder wenigstens so viel in sich verarbeitet hatte wie Erzherzog Albrecht." Deines überquoll vor Lob über den Charakter und Geist Albrechts. Albrecht nun drang darauf, daß, wenn der Krieg unausweichlich sei, dann auch ein gemeinsamer Kriegsplan ausgearbeitet werde. „Denn", so sagte er, „ein Koalitionskrieg ist nur dann mit Erfolg zu führen, wenn beide Teile sich über ihre Absichten vollständig klar geworden sind." Offenbar: Wenn sich beide Teile über die Art ihres gemeinsamen Handelns vollständig klar sind. Nicht, daß er zum Kriege drängte oder ihn wünschte, aber er meinte, so und nicht anders sei ihm entgegenzugehen. Indessen kam es nicht zur Aufstellung eines gemeinsamen Kriegsplans. Natürlich bestand ein solcher in Berlin; er wurde schon 1879, zur Zeit der Zusammenkunft in Alexandrovo207, entworfen. Solche Entwürfe müssen gemacht werden, sobald sich die Beziehungen zweier Staaten verschlechtern, und sie haben ihre Geltung, bis sich die Verhältnisse und Eisenbahnverbindungen verändern. Als man 1871 im Generalstabswerk 208 den Kriegsplan veröffentlichte, war das bereits der Fall, da die Grenze anders lief. Mit der Grund, warum man nicht über diese Besprechungen hinauskam, lag darin, daß man in Berlin den Krieg offenbar nicht wünschte, und daß man sich vorerst nicht so tief einlassen wollte. Denn die Existenz eines solchen Planes kann doch einmal bekannt werden; die Wände haben Ohren und die Akten haben Flügel. Und dies hätte, wenn Rußland zur Kenntnis gekommen wäre, den schlimmsten Eindruck hervorgerufen. Fürst Bismarck besonders war es, der den Krieg nicht wünschte und ihn für abwendbar hielt. Dabei hatte er die Meinung, er könne am ehesten abgewendet werden, wenn man Rußland so entschieden wie möglich entgegentrat. Er nun war der Meinung, daß die Dislokation der russischen Truppen allein kein Grund dafür sei, anzugreifen. Deines selbst war damals 206
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Die Krise zwischen Österreich-Ungarn und Rußland, ausgelöst durch die Wahl Ferdinand von Koburgs zum Fürsten von Bulgarien. Kaiser Wilhelm I. traf am 3. 9. 1879 in der deutsch-russischen Grenzstation Alexandrovo über dessen Einladung mit Zar Alexander II. zusammen, um die Spannungen, die aufgrund des Briefes Alexanders an Wilhelm vom 15. 8. 1879 (in dem er Wilhelm aufgefordert hatte, seine Politik bei Ausführung der Beschlüsse des Berliner Kongresses jener Rußlands anzugleichen und sich über Bismarcks Verhalten beschwert hatte) entstanden waren, zu beseitigen. Der deutsch-französische Krieg 1870-1871. Redigirt von der kriegsgeschichtlichen Abteilung des Großen Generalstabes. 6 Bde. und 5 Schuber (Berlin 1874-1886).
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Ludwig von Velics
der Meinung, wenn er offen eingesteht, daß es sich aus vielen Gründen empfohlen hätte, zu einer Zeit loszuschlagen, wo Rußland noch nicht ganz fertig sei; wenn Deutschland nicht einen Altkaiser und einen todkranken Kronprinz gehabt hätte, so wäre nach seiner damaligen Meinung der Krieg damals zu führen gewesen. Zollt meiner Charakteristik Albrechts im ersten Band alle Anerkennung209. Aber er glaubt, daß ich ihm sonst Unrecht getan habe. Vor allem meint er, daß Albrecht nicht deshalb das Kommando in Italien übernommen habe, weil er etwa die leichtere Tätigkeit wünschte. Etwas Derartiges lag seiner ernsten, gewissenhaften Natur ferne. Vergleiche darüber, was Deines mir einmal schrieb3. Er dachte so pflichttreu und hochherzig, dachte nicht an sich, so daß eine solche Annahme ganz ausgeschlossen ist. Ebensowenig kann man annehmen, daß Erzherzog Albrecht den Artikel vom 9. Dezember 1866 veranlaßt habe210. Das sieht ihm nicht im geringsten ähnlich. Er findet meine Beweise hierfür schwach. Wer weiß, welche Intrigen, die ihm ferne lagen, mitgespielt haben! Die enthusiastische Schilderung Deines' übertrifft auch das, was FML Fischer von Albrecht erzählteb. Auf die völlige Selbstlosigkeit Albrechts, der nur große Ziele im Auge gehabt habe, legt Deines den größten Wert.
Ludwig von Velics, Legationsrat an der Botschaft in Berlin
21., 23., 24. Mai 1898 К 5, U 6, 282 г - 285 г
Er ist der Neffe Haynaids. Velics studierte in Budapest und sah seinen Ehrgeiz angestachelt durch seinen Kameraden bei der Artillerie, den Sohn eines jüdischen Arztes, der durchaus die beste Offiziersprüfung machen wollte. Velics studierte mit dem größten Fleiße, um mit diesem sehr begabten jungen Manne wetteifern zu können. Tatsächlich machten sie beide und noch ein dritter in Osterreich die beste Prüfung, so daß der Kaiser seine Freude darüber aussprach, daß gerade Ungarn so tüchtig seien. Edelsheim wollte
209 210
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ь
Vgl. Kampf um die Vorherrschaft. Bd.l, 394-400. In einem Artikel in der Wiener Zeitung v. 8., nicht 9. 12. 1866, 1-2, der anläßlich der Einstellung des Verfahrens gegen General Ludwig von Benedek über kaiserliche Anordnung erschien, heißt es: „So schwer es uns fällt, wir müssen das harte Wort wiederholen, daß Feldzeugmeister v. Benedek leider einer so großen Aufgabe nicht gewachsen war." Vgl. dazu Der Kampf um die Vorherrschaft. Bd. 2, 508-509. In den Beständen der WStLB und des HHStA finden sich keine Briefe Deines an Friedjung. Gesprächsaufzeichnungen mit Feldmarschalleutnant Freiherr Friedrich von Fischer sind nicht erhalten. Allerdings verweist Friedjung im Vorwort zu Kampf um die Vorherrschaft. Bd. 1, VII auf zahlreiche Gespräche mit ihm.
21., 23. und 24. Mai 1898
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ihn bestimmen, sich der militärischen Laufbahn zu widmen, aber er wies auf seine schwache körperliche Konstitution hin und erklärte, bei seinem Plane bleiben und sich der Diplomatie zuwenden zu wollen. Als er nun zum Attache in Petersburg ernannt wurde, beglückwünschte ihn Kailay dazu; denn er komme damit unter die Leitung eines der hervorragendsten unter den Diplomaten Europas, wenn ich mich recht erinnere, sagte Velics. Und Källay täuschte sich nicht. Denn Kälnoky war ein Mann von großer Einsicht, Klarheit, Ruhe. Er schrieb vortreffliche Berichte, die Velics oft abzuschreiben hatte. Der Stil etwas archaisch, aber er sah und schilderte gut, so daß man wünschte, etwas so aufgefaßt und dargestellt zu haben, aber doch so individuell, daß es ganz seine Art war. Es war eine treffliche Schule. Trauttenberg war Botschaftsrat, korrekt, aber nicht hervorragend; Aehrenthal war Sekretär, Velics Attache. Da nun entspann sich das Vertrauensverhältnis zwischen Aehrenthal und Kälnoky. Aehrenthal hatte in früheren Jahren stark gelebt, auch Schulden gemacht, jetzt aber war er ernst und eifrig. Zumal seit einer Krankheit Aehrenthals in Petersburg kamen sich Kälnoky und Aehrenthal immer näher. Aehrenthals feines, „liebes" Thunsches Gesicht, seine Klarheit, seine etwas salbungsvolle Art sind sehr gewinnend. Kälnoky nun war ein heiterer, liebenswürdiger Chef, der anziehend sprach, nie Nichtiges, so daß er wirklich anregend wirkte. Er erzählte, wie er zur Diplomatie gekommen sei. Er war unzufrieden im Militärdienst, endlich bei einer Parade, bei der ihm wohl etwas Unangenehmes, vielleicht ein Zusammenstoß mit einem Vorgesetzten passiert war, kam der Entschluß bei ihm zur Reife, und er ritt, als er mit seiner Abteilung zurückgekehrt war, nicht in seine Wohnung, sondern direkt ins Ministerium des Äußern, ließ das Pferd unten und trug dem betreffenden Chef sein Anliegen vor. "Velics meint, die erste Anregung der Meldung zum diplomatischen Dienst müsse schon unter Schwarzenberg stattgefunden haben.3 Er war ein gewandter Reiter, turnte vortrefflich. So voltigierte er einmal, um einen Kameraden bei einem Stelldichein in seinem Zimmer zu belauschen, an dem Gesims des obersten Stockwerkes an das Fenster des Zimmers; da ging unglücklicherweise sein Oberst oder sonstiger Vorgesetzter unten vorüber und rief: Kommen Sie doch herunter, Herr Leutnant! und schickte ihn in Arrest. Als Attache nun war er außerordentlich fleißig. Er hatte sich vorgenommen, die Einrichtungen der verschiedenen Völker Europas der Reihe nach zu studieren und lernte dabei immer ihre Sprache mit. So auch das Russische, das er ein wenig verstand. Anfangs übersetzte ihm Aehrenthal, die russischen Zeitungen vorlesend, später Velics, und da half ihm Kälnoky mitunter mit der Übersetzung eines russischen Wortes nach. Kälnoky war damals Oberst. Aber als solcher verschwand er in der glänzenden militärischen Umgebung Ergänzung.
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Ludwig von Velics
des Zaren, und so schilderte er dem Generalstabschef in Wien einmal so drollig dieses Mißverhältnis zwischen seiner amtlichen Stellung in Petersburg und zwischen seiner Charge, daß dieser den Kaiser durch diese Schilderung ergötzte. Als nun Kälnoky das nächste Mal zum Kaiser kam, sagte dieser lachend: Ich ernenne Sie zum Generalmajor.211 Kälnoky war eben schlau genug, um sich seine Beförderung bei Militär allmählich durchzusetzen. Haymerle schenkte ihm das größte Vertrauen. Er besprach mit ihm in Privatbriefen stets die ganze politische Lage, und Kälnoky sandte ihm Gutachten, die Velics zum Teil abschrieb, und die ganz vortrefflich waren. Als nun Haymerle starb, richtete Kailay im Namen des Kaisers die Aufforderung an ihn, gewissermaßen sein Programm zu entwickeln. Offenbar müssen diese Darlegungen in Wien sehr gefallen haben; er wurde auch zum Minister des Äußern ernannt. Gerade damals befand sich Velics in Wien, leidend, gerade er brachte Kälnoky (ich weiß nicht) die Aufforderung zur Abfassung des Programms oder das Angebot, das Amt zu übernehmen. Kälnoky erwies sich gegen Velics gütig, schickte ihn bald darauf nach Paris, wo Velics die schönsten Jahre seines Lebens verbrachte. Er führte, um die großartigen Eindrücke zu fixieren, in Paris ein Tagebuch. Von da kam er nach Kopenhagen. Hier war er eine Zeitlang Geschäftsträger in einer interessanten Zeit, als 1884 oder 1885 wegen Kuldscha in Afghanistan ein Krieg zwischen England und Rußland drohte212. Der Fall wurde dem Schiedsspruch des Königs von Dänemark unterbreitet. Ein ähnlich vertrauensvoller Briefwechsel wie zwischen Kälnoky und Haymerle bestand dann zwischen Kälnoky und Szögyeny. Über den Fall Kälnokys sagte Velics: Er befand sich während der Krisis in Wien. Da nun hatte er den Eindruck, daß Kälnoky auch im Ministerium ganz isoliert war, Aehrenthal „hatte ihn isoliert". Er beriet sich mit niemandem als mit diesem. Velics fand Aehrenthal ganz Feuer gegen die Ungarn, in einem höheren Maße, als dies berechtigt war. Und Velics ist der Meinung, daß es die Ρ flicht Aehrenthals gewesen wäre, Kälnoky nachdrücklich vor den Übereilungen zu warnen, die er sich zuschulden kommen ließ. Hier ist er nicht dadurch entschuldigt, daß zwischen ihm und Kälnoky (wie ich einwendete) das Verhältnis des Schülers zum Meister bestand. Er hätte ihm entschieden entgegentreten und darauf bestehen sollen, daß ein Dritter zu Rate gezogen werde, „um zwischen ihnen zu entscheiden". Man nannte in
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Graf Gustav Kalnoky war - entgegen der Schilderung Velics' - am 6. 7. 1879, gleichzeitig mit der Betrauung der Leitung der Botschaft in St. Petersburg, zum Generalmajor ernannt worden. Der Konflikt zwischen Rußland und England über die Abgrenzung der beiderseitigen Interessensphären in Afghanistan führte im März und April 1885 zu akuter Kriegsgefahr. Im Mai einigten sich die beiden Kontrahenten, einen Schiedsspruch des dänischen Königs zu akzeptieren, der formelle Abschluß erfolgte am 15. 9. 1885.
21., 23. und 24. Mai 1898
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Petersburg Aehrenthal scherzweise den Toilettenspiegel Kälnokys, weil dieser sich vor Aehrenthal ganz intim gab, aber eben ein Toilettenspiegel, so sagte Velics, hat doch auch den Wert zu zeigen, ob das Gesicht blaß und leidend sei. Aehrenthal hätte ihn aufmerksam machen sollen, daß seine Nerven überreizt seien, und daß er in diesem Zustande keine vorschnellen Entschlüsse fallen solle. Als ich Velics fragte, ob wohl Andrässy jenes glänzende Deutsch geschrieben habe, das ich in einer seinen Denkschriften (ich sprach sonst nichts von ihr) bewundern müsse213, sagte Velics: Andrässy konnte alles, was er wollte, er vermochte auch treffliche Denkschriften in deutscher Sprache zu entwerfen. Freilich ließ er sie wohl feilen, und möglich, daß Doczi sie gefeilt habe. Als ich einwandte, daß Doczi doch nicht an dem Ansturm an seinen Chef teilgenommen haben könne, meinte Velics: Das wohl nicht, aber sonst konnte Doczi in seiner freien Zeit tun, was er wollte; er konnte auch Andrässy auf seinem Gut besuchen. Als ich Velics über die Kirchenpolitik Kälnokys fragte, wich er aus. Er wollte sich offenbar nicht äußern, und wohl möglich, daß er, wie Levysohn behauptete, sich „auf den Klerikalen hinausspiele". Als ich noch einmal fragte, ob Kälnoky sich denn auch sonst, etwa in Petersburg, über kirchliche und politische Fragen geäußert habe, sagte Velics: Da gab es damals keinen amtlichen Anlaß, und „beim schwarzen Cafe spricht man nicht über Kirchenpolitik". Als junger Mann scheint Velics zu Kossuth gehalten zu haben, denn er sagte, auch er habe in der Jugend zu verschiedenen Göttern gebetet. Als die Ermordung Alexanders II. stattfand 214 , befand sich Velics ganz in der Nähe; er ging gerade in den Club, um dort, wie Brauch war, seine Wochenrechnung zu bezahlen. Man bezahlte nicht täglich. Am Orte der Ermordung sah er noch Blut und Fleischteile. Kälnoky benahm sich in dieser ernsten Lage sehr würdig. Aber er merkte bald, daß, als Loris-Melikov beiseite gedrängt wurde, und als Ignatiev Minister des Innern wurde215, daß man ihn belüge; alles Vertrauen hatte aufgehört. Wenn Kälnoky sich bei Ignatiev 213
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Die Denkschrift Gyula Andrässys aus dem Jahr 1885 zur Außenpolitik der Monarchie wurde Friedjung zur Abfertigung einer Abschrift von dessen Sohn zur Verfügung gestellt. Er mußte sich lediglich verpflichten, sie nicht aus der Hand zu geben und Einleitung und Schluß sowie jede andere direkte Anrede, aus der hervorging, daß sie persönlich an den Kaiser gerichtet war, zu unterdrücken. Die Abschrift einschließlich des Begleitschreibens in К 5, U 3. Sie ist gedruckt in Aus dem Nachlaß Aehrenthal Teil 2, 765-776. Zar Alexander II. wurde am 13. 3. 1881 durch ein Bombenattentat einer anarchistischen Gruppe in St. Petersburg getötet. Von Mai 1881 bis Juni 1882 war Graf Nikolai Ignatiev als Nachfolger des Liberalen Michail Loris-Melikov russischer Innenminister. Unter ihm wurden die Pläne zur Einrichtung einer beratenden Körperschaft aus Mitgliedern der Selbstverwaltungskörper eingestellt und ein reaktionärer Kurs eingeschlagen.
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Fritz Hönig
über österreichische Feinde, Intrigen auf dem Balkan oder sonst beklagte, hatte Ignatiev eine eigentümliche Art auszuweichen; er sagte: „Sie haben ganz Recht, lieber Graf; sprechen wir nicht davon." Caprivi, so sagte Velics, fiel, weil in der „Kölnischen Zeitung" ein von ihm inspirierter Artikel gegen Graf Eulenburg (?) (Hofmarschall) stand216; Wilhelm II. wollte keinen Kampf seiner Minister vor der Außenwelt. Ebenso schien ihm, daß Marschalls Flucht in die Öffentlichkeit stattfand, bevor er alle Mittel erschöpft hatte, um die Differenzen der Minister vertraulich auszutragen.217 So erklärte sich Velics diese Ministerveränderung; er sagte dies als Beleg, wie auch Kälnoky Unrecht getan hatte, offen gegen Bänffy aufzutreten. Regierungsrat a erzählte mir nach meiner Rückkehr nach Wien: Einer der Vorgänger Velics', Botschaftsrat Herr von Eisenstein sei in Berlin in flagranti beim Puserieren [sie!] ertappt worden; er wurde folglich pensioniert218.
Fritz Hönig, Militärschriftsteller
Berlin, 22. Mai 1898 К 5 U 3, 50 r-v
Es gab 1887 eine starke Kriegspartei in Berlin. Am 27. November fand ein Kriegsrat statt. Bei diesem waren anwesend Kaiser Wilhelm, Prinz Wilhelm, Moltke, Graf Waldersee, Kriegsminister Bronsart, Herbert Bismarck. Letzterer referierte über die diplomatische Sachlage, ohne jedoch eine bestimmte Meinung auszusprechen. Alle Anwesenden, besonders der Prinz Wilhelm und Waldersee, der damals sein nächster Berater war, waren Feuer und Flamme für den Krieg. Auch Moltke wie alle Anwesenden außer Herbert Bismarck waren für den Krieg. Aber Kaiser Wilhelm hörte alle, dann sprach er seinen Entschluß aus, daß [die] Verschiebung der russischen Truppen nicht Grund genug sei, um zu den Waffen zu greifen.b Damals und von da bis zum Rücktritt Bismarcks schrieb Hönig immer gegen die Kriegspartei, hierbei mit Bismarck ganz übereinstimmend. Doch scheint Hönig keine Verbindung mit Bismarck 216
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General Leo Caprivis Entlassung als Reichskanzler am 26. 10. 1894 hing mit seinem Gegensatz zum preußischen Ministerpräsidenten Graf Botho Eulenburg, nicht Oberhofmarschall Graf August Eulenburg, zusammen. Adolf Marschall von Bieberstein war 1890 nach dem Abgang der beiden Bismarck Staatssekretär des Auswärtigen Amtes geworden. Gegen versteckte Presseangriffe von konservativer Seite setzte er sich in mehreren Prozessen zur Wehr, die jedoch nicht die von ihm gewünschte Klärung brachten. Er trat im Juli 1897 zurück und ging als Botschafter nach Konstantinopel. Freiherr Arthur Eissner von Eisenstein, seit 1887 der Berliner Botschaft zugeteilt, wurde Ende Jänner 1891 zunächst auf unbestimmte Zeit beurlaubt, ein Jahr später in Disponibilität versetzt und schließlich 1894 pensioniert. Freilassung im Original. Randbemerkung: Alle drängten zum Krieg.
22. Mai 1898
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gehabt zu haben. Es sind dies eine Reihe von Artikeln. Der Kräftigste von allen war am 14. Februar 1888 nach der am 13. Februar gehaltenen Rede des Fürsten Bismarck. Hönig hatte sie gehört, war begeistert und schrieb den Artikel „Die Kriegspartei vor der Rede des Fürsten Bismarck und nach derselben" aim Deutschen Tageblatt (Berliner Neueste Nachrichten).3 Er machte das größte Aufsehen219. Waldersee selbst kam angefahren, kaufte das Blatt, las es noch im Hofe des Deutschen Tageblattes, Hönig wurde gerufen, damit er sich das Schauspiel selbst ansehe. Prinz Wilhelm und Walder see waren höchst erbittert. Der Prinz, der damals eine Brigade kommandierte, verbot hierauf das Tageblatt im ganzen Gebiete seines Brigade-Kommandos. Es ist dies das erste derartige Verbot von Zeitungen, dem dann mehrere folgten. Ebenso erbittert war Wilhelm von dem Artikel Honigs in der Kölnischen Zeitung „Flügeladjutanten-Politik". bWilhelm II. ließ Hönig wegen dieses und anderer Artikel vor das Ehrengericht stellen, dieses sprach Hönig frei; hierauf auf Befehl des Kaisers vor ein anderes Ehrengericht. „Hönig steht groß da", erzählte Levysohn.b Erst nach dem Rücktritte Bismarcks kam Hönig dann in persönliche Beziehungen zu Bismarck.220 Waldersee war das Haupt der Kriegspartei. Er hatte drei Offiziere im Generalstab, die in diesem Sinne Artikel schrieben: Liebert, Zahn und Scheibert. Uber den letzteren sprach Hönig mit der größten Verachtung. Er sei charakterlos, behaupte fromm zu sein, habe aber keine Grundsätze, außer, daß er täglich zehn Juden fressen möchte. Liebert schrieb damals im Auftrage Moltkes die Schrift von „Sarmaticus", in der er die Kriegsgefahr darstellte221. Tadelnswert ist, daß darin der eventuelle Kriegsplan Deutschlands dargelegt war. Es ist ganz allgemein bekannt, daß diese Broschüre von Liebert war, Cauch Jähns und Leszczynski wußten davon ;c denn aus Rußland 219
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b_b c_c
Gemeint ist Bismarcks Rede im Reichstag am 6., nicht 13. 2. 1888 in der Debatte um die Annahme der Militärvorlage. General Alfred von Waldersee sah den Reichskanzler als Urheber des ungezeichneten Artikels an, ohne Hönig zu erwähnen. Vgl. Denkwürdigkeiten des General-Feldmarschalls Alfred Grafen von Waldersee, hrsg. von Heinrich Otto Meisner, Bd. 1: 1832-1888 (Stuttgart - Berlin 1922) 359-364. Vgl. dazu Eberhard Kolb, Strategie und Politik in den deutschen Einigungskriegen. Ein unbekanntes Bismarck-Gespräch aus dem Jahr 1895; in: Militärgeschichtliche Mitteilungen 21 (1990) 123-142. Eduard von Liebert veröffentlichte zunächst, noch vor seiner Versetzung in den Generalstab, die Studie Der polnische Kriegsschauplatz. Militärgeographische Studie. 2 Hefte (Hannover 1880), die er, wiederum unter dem Pseudonym Sarmaticus, überarbeitete und unter dem Titel Von der Weichsel zum Dnjepr. Geographische, kriegsgeschichtliche und operative Studie (Hannover 1886) neu herausgab. Diese Studie wird von Peter Broucek unrichtigerweise dem ebenfalls unter diesem Pseudonym arbeitenden österreichischen Militärschriftsteller Freiherr Rudolf Potier des Echelles zugeordnet (Österreichisches Biographisches Lexikon 1815-1950, Bd. 8, 227). Vgl. auch Eduard Liebert, Aus einem bewegten Leben. Erinnerungen (München 1925) 83-84 und 93-94. Ergänzung. Ergänzung. Ergänzung.
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Läszlo Szögyeny
kam eine Bestellung von mehreren hundert Exemplaren, die für den russischen Generalstab bestimmt war. Ich darf aber nicht sagen, daß ich die Tatsache von Hönig habe, über den Kriegsplan vom 27. November 1887 darf ich ihn als Quelle nennen. Liebert ist jetzt G[eneral]M[ajor] und Gouverneur von Deutsch Ostafrika. Er nimmt außerordentlich schnell auf und verarbeitet es geistig. Doch ist er etwas phantastisch. Er war damals der „Russe" im Generalstab. Dabei hatte er in allerlei Verkleidungen Spionagedienste in Rußland gemacht. "Jähns sagte berichtigend, damals gerade war Liebert nicht im Generalstab. Liebert habe schönen Enthusiasmus, der fortreiße, auch die Vorgesetzten. Er sei dreist: Auch über einen anderen Gegenstand habe er kühnen Vortrag gehalten; es erfolgte Verbot, ihn zu veröffentlichen. Als Jähns sein Buch über Rußland Moltke gab222, war dieser erstaunt, wie viel dieser wisse.8 Hönig erzählte, daß bis zu dieser Krise die Militärattaches direkt an den Generalstabschef berichteten. Dadurch bekam Waldersee eigene Berichte auch über die äußere Politik. Darüber beschwerte sich Bismarck beim Kaiser, und dies wurde abgestellt. Seitdem kamen die Berichte direkt an den Reichskanzler und erst von da an den Generalstab.
Läszlo Szögyeny, Botschafter in Berlin 3 Unterredungen am 21., 23., 24. Mai 1898223 К 5, U 3; 45 r - 48 r Lebhaft, sehr nervös, besonders gegen den Diener, aufgeweckt, rasche Auffassung, aber er sieht nur die allgemeinen Umrisse. Diese sieht er nicht scharf, aber gut, das heißt, es fehlt wohl die Präzision, dagegen fehlt Farbe und Ausführung. Er kann sich merkwürdigerweise an sehr wichtige Dinge während seiner Amtsführung 1882-1890 nicht erinnern224. Nicht etwa an Dinge, die er nicht berühren oder erwähnen will, sondern solche, die allgemein bekannt sind. Von einer Vorstellung kann da nicht die Rede sein. Gesundes Urteil eines mittleren Mannes, nirgends die Mittellinie übersteigend, nie scharfblickend - das ist kein Minister des Äußern. Aehrenthal ist unendlich gründlicher, methodischer, gefesteter in der allgemeinen politischen Anschauung, überall hat er seine umrissene Meinung, ob sie richtig sei oder 222 223
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Max Jähns, Das russische Reich in Europa (Berlin 1884). Vgl. zu diesen Gesprächen Aus dem Nachlaß Aehrenthal Teil 1,141-142 und Briefe und Dokumente zur Geschichte der österreichisch-ungarischen Monarchie unter besonderer Berücksichtigung des böhmisch-mährischen Raumes, hrsg. von Ernst Rutkowski. Teil 1 (München - Wien 1983) 487. Botschafter Läszlo Szögyeny war von 1882 bis 1890 zunächst Zweiter, ab Mai 1883 Erster Sektionschef am Ballhausplatz. Ergänzung.
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nicht. Szögyeny ist offenbar ein Mann der Gegenwart, das Vergangene läuft eigentlich nur so allgemein in seiner Erinnerung auf; es war keine Phrase von ihm, als er beim Abschied mir sagte: Er sei mir dankbar, daß ich ihm Gelegenheit gegeben habe, die Vergangenheit wieder zu rekapitulieren. „Ich war in der Zeit 1882-1890 eigentlich sein Ratgeber, ich will nicht unbescheiden sein, er besprach alles mit mir. Er setzte volles Vertrauen in mich. Und es war gut, daß er einen Ungarn neben sich hatte, da er ungarische Verhältnisse nicht kannte." In dem Interregnum zwischen Haymerle und Kälnoky war Szögyeny in der Delegation. Damals war es, daß Kailay sehr merkwürdige und sehr überflüssige Erklärungen mit einer Spitze gegen Italien abgab225. Er sprach da von der Unsicherheit der monarchischen Verfassung Italiens. Szlävy leitete als Finanzminister (?) formell das auswärtige Amt, Kailay erledigte die laufenden Geschäfte. Als ich fragte, ob etwa Mancini, wie man sich erzählt, damals unziemliche Vorschläge über die Abtretung des Trentino gemacht habe, aLuzio hatte es behauptet,3 sagte Szögyeny: Das ist absolut unrichtig, wir hätten die Italiener sonst spazieren geschickt. Genug, Kailay machte die Sache nicht gut, und es ist in erster Linie das Verdienst des Grafen Kälnoky, daß er alles mit Italien in Ordnung brachte. Sein Verdienst, nicht das des Grafen Robilant, wie Szögyeny auf meine Frage erklärte. Denn Kälnoky und Robilant waren eigentlich zu verschiedene Naturen, mit Nigra verstand sich Robilant [sie!] besser. Merkwürdig ist nun, daß Szögyeny absolut keine Erinnerung hatte, wann das Bündnis mit Italien abgeschlossen worden sei. Er glaubte, schon 1881 oder 1882, aber als ich schärfer auf das Jahr 1887 als das des förmlichen Bündnisses hinwies, meinte er, damals kann das Bündnis wohl fester geknüpft [worden] sein, aber es bestand schon früher. Die Frage, ob es auf sechs Jahre geschlossen sei, 1887, 1893 etc., bejahte er: Das sei richtig. Er wiederholte mehrmals: Ich möchte Ihnen das Datum des Abschlusses gerne angeben, aber ich erinnere mich wirklich nicht: Ich (Friedjung) hatte den Eindruck, daß dies aufrichtig war. Über die Revolution von 1885 sagte er: Ja, wir unterstützten Serbien. Es ist nicht richtig, daß Khevenhüller seine Instruktionen überschritten habe226. Allerdings, wenn Khevenhüller sich über Kälnoky äußern wird, so wird das 225
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In seinem Expose vor der österreichischen Delegation am 5. 11. 1881 erklärte der mit der Leitung des Außenministeriums betraute Erste Sektionschef Benjamin von Källay, die Monarchie habe von Italien nichts zu verlangen und nichts zu fürchten. Er relativierte seine Aussagen vor der ungarischen Delegation und meinte, falsch interpretiert worden zu sein. Ergänzung. Eine von den Großmächten im serbisch-bulgarischen Krieg an die beiden Parteien gerichtete Note wurde von Serbien, nicht aber von Bulgarien akzeptiert. Darauf wurde der österr.-ung. Gesandte in Belgrad Graf Rudolf Khevenhüller ins bulgarische Hauptquartier nach Nis entsandt, um Fürst Alexander zum Waffenstillstand zu bewegen.
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wohl nicht günstig für Kälnoky sein. Wahr ist, daß wir wirklich ernstlich die Wiederherstellung des status quo in Ostrumelien durch den serbischen Angriff wünschten. Eigentlich waren wir beide aufgesessen: Rußland und Österreich, beide schoben wir dem anderen die Urheberschaft an der Revolution von Philippopel zu227. Und auch als dies aufgeklärt war, glaubte Kälnoky noch immer, Bulgarien sei einmal dem russischen Einfluß verfallen; somit müsse Österreich sich Serbiens gegen Bulgarien bedienen. Wir wünschten den Sieg Serbiens, ja ich erinnere mich, daß wir, als Serbien nach der Kriegserklärung mit dem Vormarsche zögerte, sehr unzufrieden waren. Bogicevic, der serbische Gesandte in Wien, kam einmal ganz verstört zu mir. Soeben habe ihm Kälnoky Vorwürfe über den langsamen Vormarsch gemacht, da sagte ich ihm: Ganz natürlich, wenn Sie einmal Krieg führen wollen, dann sollte es energisch geschehen. Wir gingen von der Ansicht aus, daß, wenn der Krieg unvermeidlich war, den wir übrigens nicht angeregt oder geschürt hatten, daß er rasch durchgeführt werden müsse. Wir hatten Serbien nicht ermutigt, aber Milan erhielt von uns die Zusage, daß Serbien aufjeden Fall ohne Verluste aus dem Kriege hervorgehen werde. Es werde aufjeden Fall geschützt werden. Indem wir so handelten, wollten wir die Befestigung des 1878 geschlossenen Zustandes. Und als Andrässy Einspruch erhob und verlangte, wir sollen Bulgarien fördern, da kam es zu einer lebhaften Auseinandersetzung zwischen Andrässy und Kälnoky, bei der Szögyeny anwesend war. Damals sagte Kälnoky zu Andrässy: „Nicht ich habe im Berliner Vertrage die Trennung von Bulgarien und Ostrumelien durchgesetzt, sondern Sie haben im Verein mit Bismarck diese Ordnung der Dinge geschaffen. Wäre dies damals nicht geschehen, so wäre das internationale Recht heute ein anderes." Die Opposition Andrässys gegen Kälnoky hatte den ausgesprochenen Zweck, ihn zu stürzen und an seine Stelle zu treten. Denn Andrässy hatte gehofft, nach Haymerle Minister zu werden. Das, was Falk mir (Friedjung) über das Urteil des Kaisers über Andrässy und Kälnoky erzählte228, ist nach Szögyenys Ansicht wohl richtig. Es klingt so, wie Szögyeny es später auch gehört hatte. Dasselbe sagten mir Aehrenthal und Velics, es habe die innere Wahrscheinlichkeit für sich. Es sei wahr, so sagte Velics, daß Falk ein Anekdo-
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Khevenhüller drohte Alexander im Falle eines weiteren Vormarsches in Serbien mit einer Besetzung Serbiens durch Österreich-Ungarn, worauf Rußland mit einer Besetzung Bulgariens antworten würde. Khevenhüller erreichte damit zwar ein Einlenken Alexanders, die russische Reaktion war allerdings äußerst heftig. Graf Gustav Kälnoky versicherte darauf dem russischen Kabinett, daß man in Wien keineswegs an eine Besetzung Serbiens denke und keinerlei Schritte unternehmen werde, die Rußland verunsichern könnten. Am 20. 9. 1885 hatte Fürst Alexander von Bulgarien einseitig die Union der türkischen Provinz Ostrumelien mit Bulgarien erklärt. Daraufhin erklärte Serbien, das mit Österreich-Ungarn seit 1880 durch einen Freundschaftsvertrag verbunden war, den Bulgaren am 13. 11. 1885 den Krieg. Vgl. S. 126.
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tenerzähler sei, aber er verdiene wohl Glauben. Es ist nicht zu leugnen, so sagte Szögyeny mehrmals mit vieler Bestimmtheit, daß das Andrängen Andrässys und der Ungarn auf Kälnoky bestimmend, ja fortreißend gewirkt hat. Er ließ sich sogar damals (wahrscheinlich in der Delegation von 1886) zu Äußerungen fortreißen, die er, Kälnoky, selbst später als zu scharf fand229. Ja, er machte sich sogar Vorwürfe, daß er dadurch Rußland mehr als billig verletzt habe." Diese Äußerungen waren der Hauptgrund, daß Rußland sich weigerte, den 1887 ablaufenden Vertrag mit Osterreich230 zu erneuern. Der Zar beklagte sich über die Feindseligkeit Ungarns und Kälnokys. Wenn Osterreich sich so feindselig verhalte, so könne er sich nicht auf einen Vertrag einlassen. Als ich nun einwandte, daß Kälnoky seine Exposition doch sehr sorgfältig ausgearbeitet hatte und nicht übereilte, sagte Szögyeny: Es ist doch so, es können Äußerungen gewesen sein, welche Kälnoky in der Beantwortung der Interpellationen in der ungarischen Delegation fallengelassen hatte. Alle diese Darlegungen Szögyenys sind nicht sehr günstig für Kälnoky. Sie zeigen ein Schwanken, das doch sehr absteht von dem Bilde der Klarheit und Festigkeit, mit der Kälnoky in diesen Jahren vorging. Szögyeny scheint es sogar zu mißbilligen, daß Kälnoky so scharf gegen Rußland vorging! Der Krieg wurde indessen durch die Klugheit Kälnokys doch vermieden. Aber dabei wirkte nicht gerade Lobanov viel mit. Im Gegenteil. Das nächste sagte Szögyeny, oft von mir mit Ausrufen der Verwunderung unterbrochen, immer fest beharrend: Lobanov kam mit dem größten Mißtrauen gegen Österreichs Politik nach Wien. Er kam mit all den Vorstellungen von der Undankbarkeit Österreichs [für] 1849 nach Wien. Diese feindselige Stimmung änderte sich eigentlich nie. Deshalb sprachen sich Kälnoky und Lobanov nicht gut miteinander. Und im Grunde blieb Lobanov auch so, als er Minister wurde. Nur gab er der Politik Rußlands die Richtung auf Ostasien, was die Herstellung eines Friedenszustandes auf der Balkanhalbinsel zur Folge hat. Kälnoky war die Persönlichkeit Milans tief unsympathisch. Natürlich benützte er ihn, aber er mißtraute ihm. Als Milan bei ihm war, um ihm seinen Entschluß zur Abdankung anzukündigen231, fand er bei Kälnoky starken Widerstand. Er stellte ihm vor, daß er undankbar gegen Österreich sei. Er habe von Kaiser Franz Joseph ein Regiment,232 hohe Orden etc. erhalten 229
In seinen Reden vor der ungarischen und österreichischen Delegation am 16. bzw. 19. 12. 1896 betonte Außenminister Graf Gustav Kälnoky die Bereitschaft der Monarchie, einer russischen Intervention in Bulgarien entschieden entgegenzutreten. 230 Das 1881 geschlossene und 1884 für weitere drei Jahre verlängerte Dreikaiserbündnis zwischen Rußland, Deutschland und Österreich-Ungarn. 231 König Milan von Serbien hatte am 6. 3. 1889 zugunsten seines zwölfjährigen Sohnes Alexander völlig überraschend auf den Thron verzichtet. 232 König Milan war von 1883 bis 1892 Inhaber des 97. küstenländisch-krainerischen Infanterieregiments. ' Randbemerkung: Dies weicht doch von [der] Auffassung Aehrenthals etwas ab.
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und Österreich habe ihn als Stütze seiner Politik betrachtet. So wie Szögyeny mir es erzählte, drängte sich mir der Gedanke auf, daß dies auf Milan nicht viel Eindruck gemacht habe. Die Vorstellungen waren so energisch wie möglich, aber sie konnten Milan nicht mehr erschüttern. Über den Rückversicherungsvertrag zwischen Deutschland und Rußland sagte Szögyeny: „Er ist im Jahre 1887 abgeschlossen worden. Ob er an Osterreich mitgeteilt wurde? Bismarck hat ihn allerdings dem Grafen Kälnoky nicht vorgelegt, aber er äußerte sich zu diesem über das Verhältnis zu Rußland in einer Weise, daß diesem kein Zweifel über die Art des Verhältnisses zwischen Deutschland und Rußland kommen konnte. Nur die Form des Verhältnisses war uns unbekannt, und nur diese mußte uns, als wir sie kennenlernten, verstimmen233. In der Sache selbst liegt absolut nichts, was unserem Vertrag mit Deutschland widerspricht. So kommt es, daß wir durch die Enthüllungen Bismarcks nicht überrascht wurden." Szögyeny war ein Gegner der Einführung der Zivilehe234, nicht des Prinzips, wohl aber der Überstürzung der Aktion und des Umstandes, daß sie lediglich zur Stärkung der liberalen Partei unternommen wurde. Szögyeny opponierte ihr. Allerdings hat er sich später noch mehr als ursprünglich überzeugt, daß Ungarn kräftig genug sei, diese Erschütterung zu ertragen. Bei dem Beginn der Aktion machte Kälnoky einen verhängnisvollen Fehler. Als Wekerle 1892 die Vorsanktion oder die Genehmigung zur Darlegung seines Programms verlangte, riet Kälnoky dem Kaiser, seine Zustimmung zu geben. Dies erzählte Szögyeny zweimal. Kälnoky war der Meinung, damit sei die Entscheidung nicht erfolgt, und es wäre noch möglich, sie rückgängig zu machen. Darin aber irrte er sich, wie der ganze Ratschlag überhaupt verfehlt war. Es war überhaupt schädlich, daß er nach Szögyenys Abgang von Wien und schon aus dem auswärtigen Amte keinen Ungarn als Ratgeber neben sich hatte.235 Graf Szecsen, der ihn vielfach beriet, war doch in Wien zu Hause und hatte die Fühlung mit Ungarn nicht mehr, Kailay eigentlich auch nicht, der allerdings in Bosnien Vorzügliches leistete, aber auch nicht mehr die eigentümlichen Verhältnisse Ungarns genau kennt. Und bei den wichtigen Ereignissen mußte Kälnoky an jedem Tage, eigentlich in jedem Augenblick den Rat eines Ungarn benötigen. So kam er in einen Gegensatz zu Ungarn, den er für schärfer hielt als es tatsächlich der Fall war. Und dabei war es nicht eigentlich sein verletztes mon233
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Der am 18. 6. 1887 unterzeichnete geheime Rückversicherungsvertrag wurde von deutscher Seite 1890 nicht mehr verlängert. E r wurde öffentlich bekannt durch eine Reihe von Artikeln in den Hamburger Nachrichten im Oktober 1896, die von Fürst Otto von Bismarck herrührten. Die Sanktionierung des Gesetzes über die obligate Zivilehe am 9. 12. 1894 beendete den seit Februar 1890 andauernden ungarischen Kulturkampf. Läszlo Szögyeny wurde am 24. 12. 1890 zum ungarischen Minister am Hoflager ernannt. Nach seinem Ausscheiden aus der Regierung am 18. 10. 1892 übernahm er den Botschafterposten in Berlin.
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archisches Gefühl, das ihn in den Gegensatz trieb, denn er mußte sich doch sagen, daß die Männer der äußersten Linken in Ungarn eigentlich alle zur Dynastie stehen. Er war so tief verstimmt, daß er Szögyeny ein Jahr vor seinem Rücktritte einmal schrieb: Seine Stellung sei nicht mehr haltbar, er werde aber gewiß nicht über eine äußere Frage, sondern in einer ungarischen Angelegenheit zu Falle kommen. Darauf antwortete Szögyeny: Sein Rücktritt wäre nachteilig für die Monarchie, am allerwenigsten aber dürfe er an einer inneren und gar an einer ungarischen Frage scheitern. Das wäre für die Position, die der Minister des Äußern in Österreich-Ungarn einnimmt, höchst bedenklich. Es war denn auch übereilt, daß er sich so weit gegen Bänffy fortreißen ließ. Und hierbei hätte Aehrenthal, mit dem allein er sich beriet, ihn zurückhalten sollen. Indessen erklärt Szögyeny, daß er in der Entfernung von Wien nicht alle Beziehungen etc. genau übersehen könne. Doczi und Teschenberg hingen an dem Grafen Andrässy und standen zu Kälnoky in keinem richtigen Verhältnis. Kälnoky sah in Doczi nur einen „Feuilletonisten" und meinte: „Wie kann der Verfasser des Kusses236 in ernsten Geschäften etwas leisten?" Andererseits äußerte sich Doczi ebenfalls abfallig über Kälnoky, und dieser erfuhr es ja doch. Szögyeny nahm oft Partei für Doczi und sagte Kälnoky, daß er ihn nicht gerecht beurteile. Kälnoky legte großen Wert darauf, daß England in ein näheres Verhältnis zu Österreich trete. Als ich fragte, ob denn Deutschland nicht Einwendung erhob wegen Rußland, sagte Szögyeny: Deutschland wollte auch nicht selbst in Unterhandlungen treten, aber es ließ Österreich gewähren und hatte nichts dagegen, daß dieses sich England nähere. Aehrenthal war kein Freund dieser Politik; er glaubte, England könne sich nicht binden.
Hans Delbrück, Professor für an der Universität Berlin
Geschichte 23. Mai 1898 Berlin К 2, U 6, 683 г
Die Antwort auf Mays Schrift ist von Bronsart von Schellendorf237. Die 1876 in Potsdam erschienene Schrift ist von Oberstleutnant oder Oberst von Trotha.238 236
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Ludwig Doczis Lustspiel in Versen „Der Kuß" wurde 1874 erstmals deutsch am Burgtheater aufgeführt. Hauptmann May, Taktische Rückblicke auf 1866 (Berlin 1869), und Paul Bronsart von Schellendorf, Ein Rückblick auf die „Taktischen Rückblicke" und Entgegnung auf die Schrift „Über die preußische Infanterie 1869" (Berlin 1870). Wahrscheinlich die anonym erschienene Studie Die österreichische Nordarmee im Feldzuge von 1866 vom Beginne der Feindseligkeiten bis zum Vorabend der Schlacht von Königgrätz. Eine Reihe kriegsgeschichtlicher Studien auf Grundlage des österreichischen Generalstabswerkes. 1. Studie. Das Armee-Commando (Potsdam 1876).
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Hugo Jacobi
Delbrück sprach über [das] Verhältnis der Schnelligkeit des Zündnadelgewehres zum Lorenz239, bezweifelt, daß großer Unterschied der Schußschnelligkeit bestanden habe. Bezog sich auf Bronsarts Schrift gegen May. Nicht das Technische, sondern der Geist sei im Kriege entscheidend. Das Technische kommt als Erfindung hinterher, wenn diese bereits notwendig sei. Delbrück verwies auf seinen Aufsatz über Erfindungen in [den] Historisch Politischen Aufsätzen 240 . General Löwenfeld zeichnete sich bei Nachod nicht sehr aus241, Delbrück erzählte mir, daß er an Steinmetz die Meldung erstattete, er werde sich noch halten können, wenn, und kündigt ihm die Räumung des Wengeisberges an. Darauf Steinmetz' Antwort: Dann solle er das Kommando an den Nächstältesten abgeben.
Hugo Jacobi, Redakteur der Berliner Neuesten Nachrichten
24. und 26. Mai 1898 К 5, U 6, 278 г - 2 8 1 ν
Im Jahre 1885 drohte der Krieg zwischen Rußland und England242. Damals nun hatte Wilhelm I. einen Schlaganfall. Um diese Zeit frug die russische Regierung in Berlin an, wie sich Deutschland bei einem Kriege England Rußland verhalten werde. Wilhelm I. und Bismarck kamen überein: Wohlwollende Neutralität gegen Rußland, wie Rußland sie 1870 geübt habe. Wilhelm I. nun meinte: Ihm könne bei seinem hohen Alter etwas zustoßen, und Bismarck solle daher die Abmachung dem Kronprinzen mitteilen. a Bismarck wandte ein, ob dann aber auch wohl Verschwiegenheit gegen England gewährleistet sei. Da meinte Wilhelm I.: Er wird doch ein Staatsgeheimnis nicht verraten! 3 Als dies geschehen war, lautete dessen erste Frage: Wurde das auch England mitgeteilt? Bismarck war doch erstaunt über diese naive Frage und setzte ihm auseinander, daß hier ein absolutes Geheimnis vorliege, und daß das Vertrauen Rußlands verscherzt sei, wenn man es verrate. Dies alles habe Bismarck Jacobi erzählt; es ist streng vertraulich, und ich 239
Der von Josef von Lorenz entwickelte Vorderlader, das Standardgewehr der österreichischen Infanterie in den Kriegen von 1864 und 1866. 240 Über die Bedeutung der Erfindungen in der Geschichte. Ein populärer Vortrag; in: Hans Delbrück, Historische und Politische Aufsätze. 2. Aufl. (Berlin 1907) 335-352. 241 Zur Schlacht von Nachod-Wysokow (27. 6. 1866) vgl. Kampf um die Vorherrschaft. Bd. 2, 51-60. 242 Der Konflikt zwischen Rußland und England über die Abgrenzung der beiderseitigen Interessensphären in Afghanistan führte im März und April 1885 zu akuter Kriegsgefahr. Im Mai einigten sich die beiden Kontrahenten, einen Schiedsspruch des dänischen Königs zu akzeptieren, der formelle Abschluß erfolgte am 15. 9. 1885. a " Ergänzung.
24. und 26. Mai 1898
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darf es nicht benützen. Daß es nicht zum Kriege zwischen Rußland und England kam, ist zum Teil auf unkluges Verhalten des Prinzen Wilhelm (jetzigen Kaisers) zurückzuführen. Denn als er während dieser Zeit zu den russischen Manövern ging, war eines seiner ersten Worte zu dem russischen Kaiser (oder Machthabern): Lus aux Anglais! Da waren diese verdutzt, daß Deutschland sie so hetze. "Prinz Wilhelm führte damals mit dem russischen Militärattache einen unvorsichtigen Briefwechsel, in dem er ganz im Sinne Rußlands schrieb; als der Attache Berlin verließ, stellte er dem Prinzen artig die Briefe zurück, aber die Abschriften waren natürlich nach Petersburg geschickt.3 Wohl mag Bismarck zu Wilhelm Ahnliches geäußert haben, aber es war unklug, daß dieser aus der Schule schwatze. Darüber entspann sich ein Briefwechsel zwischen der Kaiserin von Rußland und ihrer Schwester, der Prinzessin von Wales, und diese schrieb nach Rußland, es wäre doch unklug, daß man Deutschland zuliebe den Krieg entbrennen lasse; ein einfacher Brief russischerseits an Königin Victoria werde genügen, um alles ins Reine zu bringen. Der Kronprinz Friedrich Wilhelm I. fühlte selbst oft ein Unbehagen ob seiner Abhängigkeit von der Kronprinzessin. Einmal fragte die letztere ihre Tochter Prinzessin Charlotte vor dem Speisen, was sie in der Geschichtsstunde gelernt habe, und als das Kind sagte: Ach Mutter, laß mich doch zuerst essen, ich bin so hungrig, war die Kronprinzessin wütend, ließ sie auf ihr Zimmer gehen, und der Kronprinz berief den Erzieher Charlottens, machte ihm Vorwürfe, wie schlecht sich seine Tochter benehme. Da meinte dieser: Man müsse das Mädchen doch nicht strenge beurteilen; es habe seiner natürlichen Regung entsprochen. Da sagte der Kronprinz: Das habe ich meiner Frau auch vorgestellt, aber sie will ja keine Vernunft annehmen. Das erzählte Hinzpeter an Jacobi: Als 1885 Kaiser Wilhelm den Schlaganfall (?) erfuhr, sagte [der] Kronprinz zu Bismarck: Er müsse ihn nun fragen, ob er nicht bereit sei, auch unter seiner Regierung sein Amt weiterzuführen, und dieser erklärte sich unter zwei Bedingungen bereit: 1) Keine auswärtigen Einflüsse auf die äußere Politik. 2) Kein Parlamentsheer. Der Kronprinz erklärte sich mit beiden Bedingungen einverstanden. 1887 waren Moltke, Waldersee und Prinz Wilhelm für den Krieg, Wilhelm I. und Bismarck dagegen. Moltke hatte den Ehrgeiz, auch den russischen Krieg zu führen wie den dänischen, österreichischen, französischen, Waldersee dachte eine große Rolle zu spielen und meinte, unter Moltke werde alles gutgehen. Bismarck war gegen den Krieg, man darf nicht vergessen, daß damals die Eifersucht Bismarcks auf Waldersee hineinspielte. Unter Wilhelm II. wurden 1890 ? die beiden kaukasischen Korps nach Westen geschoben, und die deutschen Konsuln, besonders der von Kiew, meldea_a
Ergänzung.
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ten fleißig darüber 243 . Diese Meldungen kamen durch den Generalstab an den Kaiser, und dieser schrieb auf einen Zettel mit Bleistift sofort an Bismarck, er finde es auffallend, daß das auswärtige Amt ihn nicht besser unterrichte, und er befahl sofort den Aufmarsch gegen Rußland. Bismarck war höchst erstaunt und glaubte, der Kaiser sei verrückt geworden. Er berief sofort das preußische Staatsministerium, legte ihm die Sache dar und erhob mit dessen Zustimmung Einspruch. Das war der Beginn der Entfremdung des Kaisers und Wilhelms [sie!]. Vielleicht hatte Wilhelm nur einen Streit vom Zaune brechen wollen. Die Besetzung Kiao-tschous ist das eigenste Verdienst des Kaisers244. Als die Sache reif war, telegraphierte Wilhelm II. an den Zaren, ob russische Interessen der Besetzung Kiao-tschous entgegenstünden. Darauf die Antwort, russische Interessen stünden nicht entgegen, aber der Zar warne vor anderen Mächten. Darauf ergingen sofort die Befehle zur Besetzung. Es kam auch hierauf eine Mitteilung auch des russischen Ministeriums in einem im Allgemeinen zustimmenden Sinne. Bald darauf aber langte eine zweite Note ein, welche Einspruch erhob. Man sandte sofort aus dem Auswärtigen Amte an das Marineamt die Aufforderung, die Besetzung noch hinauszuschieben. Dieses weigerte sich, wenn nicht Befehl des Kaisers vorliege. Als man sich nun an ihn, der nicht in Berlin weilte, wandte, beharrte er fest auf dem Entschlüsse und gab seinem Erstaunen Ausdruck, daß der seit 28 Stunden ausgegebene Befehl noch nicht ausgeführt sei. Aber auch Seltsamkeiten. In Kamerun gab es Aufstand 245 ; die deutschen Beamten flüchteten auf Schiffe. Wilhelm II. war höchst unwillig, und da sich gerade Hauptmann von Natzmer bei ihm befand, Sohn des Freundes Wilhelms I., so ernannte er ihn in der Aufregung sofort zum Gouverneur von Kamerun, ohne Caprivi zu verständigen. Natzmer begab sich zu Marschall, der zu seinem Erstaunen von der Sache hörte und Natzmer aufforderte, sich bei Caprivi zu melden. Marschall teilte die Sache sofort telegraphisch Caprivi mit. Dieser empfing Natzmer reserviert und riet ihm, vorerst noch keine weiteren Schritte zu machen, bis er, Caprivi, mit dem Kaiser gesprochen habe. Er nahm Audienz und stimmte den Kaiser um. Natzmer aber meldete 243
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Im März 1890 wurden Kaiser Wilhelm II. Berichte über größere Truppenverschiebungen und geplante russische Manöver nahe der galizischen Grenze vorgelegt. Der Konflikt über die daraus zu ziehenden Konsequenzen führte zu Fürst Otto von Bismarcks Rücktritt am 20. 3. 1890. Deutschland war seit 1895 am Erwerb eines Kohlen- und Flottenstützpunktes in Ostasien interessiert. Die Gelegenheit dazu bot sich nach der Ermordung deutscher Missionare in China im November 1897. Um der Forderung nach Sühne Nachdruck zu verleihen, besetzte die deutsche Flotte Kiao-Tschou. Am 4.1. 1898 stimmte China der Verpachtung des Stützpunktes an Deutschland für 99 Jahre zu. Im Dezember 1893 wurde ein kleinerer Aufstand der einheimischen Polizeitruppen in der deutschen Kolonie Kamerun rasch unterdrückt.
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26. Mai 1898
sich nach der Unterredung mit Caprivi bei seinem Vorgesetzten sofort ab und sagte jedem, er sei zum Gouverneur von Kamerun ernannt. Als er nun wieder bei Caprivi erschien, sagte ihm dieser, die Sache werde sich noch einige Monate hinausschieben. Natzmer war höchst erstaunt und sagte, er habe sich bereits abgemeldet. Darauf Caprivi: Ich hatte Ihnen ja geraten, vorerst nichts von der Sache verlauten zu lassen. Darauf brach Natzmer aus: Wie stehe ich nun vor den Leuten da? Darauf Caprivi: „Was glauben Sie, wie ich dagestanden wäre, wenn Sie wirklich Gouverneur von Kamerun geworden wären?"
Prinz Karl Max Lichnowsky, Erster an der deutschen Botschaft in Wien
Sekretär 26. Mai 1898a К 5, U 10, 330 г - 3 3 1 ν
Lichnowsky gab ein überraschend scharfes und klares Bild der Persönlichkeit Kälnokys. Dies wie seine letzten Urteile über die innere österreichische Politik zeigen mir, daß er kein unbedeutender Mensch ist, er beobachtet sehr gut.b Persönlichkeiten sieht er schärfer und klarer als Aehrenthal; dieser ist ihm freilich durch seinen logischen Gedankengang, seine geschlossene Art, die Dinge zusammen[zu]fassen, überlegen. Von Aehrenthal urteilt er auch nicht sehr anerkennend. Er sei begabt, aber doch mehr ein Mann der kleinen Mittel, nicht der großen Gesichtspunkte. Er habe Kälnoky in der letzten Krise nicht gut beraten, wenigstens nicht von den unklugen Schritten abgehalten. Das hätte er sollen. Kälnoky, so sagte Lichnowsky, war nicht gerade ein Snob, das wäre ein zu hartes Urteil über ihn; aber er war ein Mann, der mit großem Selbstbewußtsein sich alle die, welche nicht der vornehmsten Gesellschaftsklasse angehörten, ferne hielt. Er verkehrte ausschließlich in diesen Kreisen, insbesondere bei der Fürstin Khevenhüller und bei einer zweiten, Fürstin Dzieduszycki, wenn ich nicht irre. Er war durch seinen Bruder, Alexander Kälnoky, der eine Herberstein (wenn ich nicht irre) zur Frau hatte246, mit der Fürstin Khevenhüller verwandt, Lichnowsky, der auch mit der letzteren verwandt ist, traf ihn dort häufig, und in diesem engen Kreise zeigte er seine weichen, gemütlichen Seiten, während er sonst herb und ablehnend war. Da war er auch ein guter, heiterer Gesellschafter. Als ich fragte, er sei wohl 246
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Graf Gustav Kälnokys Bruder Hugo war mit Maria, geb. Gräfin Herberstein verheiratet, während Graf Alexander Kälnoky unverheiratet blieb. Friedjung datierte das Gespräch mit 26. Mai 1897, aufgrund der Einordnung und des Inhaltes handelt es sich dabei aber um einen Irrtum. Randbemerkung: Die Urteile sind doch vielfach schief, 7. Oktober 1898. Aehrenthals Urteile werden mit der Zeit immer wahrer.
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Prinz Karl Max Lichnowsky
von den Damen verwöhnt worden, bejahte er dies. Er verkehrte überhaupt vorwiegend mit den Damen. Aber dies hatte doch seine Nachteile. In den aristokratischen und so ausschließlichen Kreisen erhielt er wenig geistige Anregung, und so kam es, daß er eigentlich keine geistige Entwicklung mehr nahm. Sein Gesichtskreis verengerte [sie!] sich dadurch. Uberhaupt war er nach Lichnowskys Urteil seinen Anschauungen nach ein altösterreichischer Konservativer. Als solcher schätzte er die Festigkeit Italiens sehr gering, er war geneigt anzunehmen, daß es in seine Teile zerfallen werde. Auf meine Frage sagte Lichnowky: Nun, an eine Wiedereinführung der alten Dynastien glaubte er nicht, aber er meinte eben, die Dynastie stehe nicht fest, und republikanische Erhebungen seien zu befürchten. Und eigentlich fühlte er wohl auch eine Abneigung gegen das Deutsche Reich, wie überhaupt gegen jede staatliche Schöpfung, die ihren Ursprung doch den liberalen Ideen verdankt, also auch gegen Ungarn. Auf meine Einwendung sagte Lichnowsky: Allerdings war er erfahren und klug und schätzte den Dreibund in seinem Werte. Bismarck hielt ihn zudem fest bei dem Bündnisse mit Italien. Uberhaupt, so erzählte Lichnowsky, hatte man in Berlin keinen günstigen Eindruck von seiner Fähigkeit, Österreichs Einfluß, den Einfluß Österreichs auf der Balkanhalbinsel festzuhalten; man machte ihm dort - natürlich im österreichischen Sinne - den Vorwurf, daß er sich Milan, dann Bulgarien entgleiten ließ. Er hätte Stambulov wohl stützen können247. Alles in allem, so meint Lichnowsky, ist Goluchowski ein besserer Minister für Österreich, als es Kalnoky war.a Ich wendete nun ein, daß Kalnoky doch gegen d[eutsch]en Wunsch und Willen die Unabhängigkeit Bulgariens gegen Rußland verteidigt habe. Bismarck wollte ja Bulgarien an Rußland überlassen248. Lichnowsky ließ dies nicht gelten. Bismarck habe bloß das Mißtrauen Rußlands gegen Deutschland begütigen wollen. Auch hier zeigte sich die Unterschätzung der Tätigkeit Kalnokys, die ganz allgemein ist. Im Ganzen, so behauptete Lichnowsky, war das Verhältnis zwischen Bismarck und Kalnoky besser als das zu Caprivi. Denn es zeigte sich, daß Kalnoky förmlich den Anspruch erhob, an Bismarcks Stelle der Mittelpunkt des Dreibundes zu sein. Er ließ es Caprivi 247
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a
Stefan Stambulov, der maßgeblich an der Wahl Ferdinand von Koburgs zum Fürsten von Bulgarien beteiligt gewesen und seit 1887 Ministerpräsident war, trat am 29. 5. 1894 aufgrund des Gegensatzes zum Fürsten zurück. Am 18. 7. 1895 erlag er den schweren Verletzungen, die er bei einem Attentat auf offener Straße am heilichten Tage drei Tage zuvor erlitten hatte. Ihm war die Emigration verweigert worden, die Verantwortung für die Ermordung wurde der Regierung und Fürst Ferdinand zugewiesen, die den Hetzereien in Presse und Öffentlichkeit gegen Stambulov Vorschub geleistet hatten. Im Rückversicherungsvertrag von 1887 anerkannte Deutschland den „vorwiegenden und entscheidenden Einfluß" Rußlands in Bulgarien und Ostrumelien. Oer letzte Satz am linken Rand mit zwei Rufzeichen kommentiert.
1. Juni 1898
171
fühlen, daß er die diplomatische Erfahrung besitze, die diesem fehlte. Lichnowsky konnte sich lange nicht auf die einzelnen Fälle erinnern, welche dies bezeugten, dann sagte er: So hielt er, als wir den Kampf um die Militärvorlage machten 249 , eine Friedensrede25°, er hat dies dann auch rektifiziert (offenbar auf Wunsch Deutschlands). aAuch betonte er deutsches Bündnis nicht sehr, wie anders Goluchowski.3 Auch schwieg er auf meine Einwendung, daß doch Caprivi den Rückversicherungsvertrag mit Rußland abgelehnt hatte, also sich zu Österreich-Ungarn günstiger stellte als Bismarck. Auch, so fügte ich hinzu, war man in Wien mit Caprivi sehr zufrieden. Ja, ließ Lichnowsky durchblicken, aber nicht ganz so war es umgekehrt. Und zu wiederholten Malen betonte Lichnowsky, wie Kalnoky alle Erfolge im Orient zerrinnen ließ. Man hatte in Berlin den Eindruck, das hätte vermieden werden können. Ich dagegen gewann den Eindruck, daß man es nicht sehr gerne sah, daß Kalnoky sich Rußland so näherte. Aber freilich bot mir nichts, was Lichnowsky sagte, eine Handhabe, um das anzunehmen.
Leopold Auspitz, Generalmajor i. P.
[vor 1. Juni 1898] К 2, U 6, 681 г
Schönfeld war ein „Augenauswischer", der einen vortrefflichen äußeren Eindruck hervorzurufen verstand. Auch war er bequem und kam von Baden, wo er wohnte, ungern ins Amt. Ob das zur Zeit der bosnischen Okkupation auch der Fall war, weiß Auspitz nicht.
Theophil Pisling, Regierungsrat im Literarischen Bureau des Außenministeriums
1. Juni 1898 К 2, U 6, 681 г
Freiberg begann seine Laufbahn als Schreiber bei Pisling und wurde von ihm auch zur Abfassung kleiner Korrespondenzen benützt. Dann empfahl er Frei249
250
Der deutsche Reichstag hatte am 6. 5. 1893 den gegenüber den ursprünglichen Plänen der Regierung bereits reduzierten Vorschlag zur Heeresverstärkung abgelehnt, worauf das Parlament aufgelöst wurde. Der neugewählte Reichstag stimmte schließlich am 15. 7. 1893 den Plänen der Regierung zu. Außenminister Graf Gustav Kalnoky hatte in seinem Expose vor den Delegationen im Juni 1893 die Friedensliebe der Monarchie und den Wunsch nach Anbahnung möglichst freundschaftlicher Beziehungen zu Rußland betont. Aufgrund der Reaktionen von reichsdeutscher Seite erklärte er darauf im Budgetausschuß der österreichischen Delegation, daß die besonderen Beziehungen zu Deutschland durch die Annäherung an Rußland nicht berührt würden. Ergänzung.
172
Mano Konyi
berg dem damaligen Preßleiter Fidler, der eine Art Korrespondenz, wie jetzt die Politische Korrespondenz herausgab und Freiberg dadurch beschäftigte (unter Schmerling). Dadurch kam er ins Preßbureau hinein. Er hatte aber nicht einmal Realschulbildung, nur Volksschule. Er schwenkte dann sofort zu Belcredi hinüber, wußte sich aber bei Hasner so beliebt zu machen, daß ihn dieser zum Ministerialsekretär (jedenfalls Beamten) machte. Er ließ sich vor 1873 zu Diensten für Banken verwenden; er machte sich bei jeder Gelegenheit Geld und ist ein wohlhabender Mann.
Μαηό Konyi, Vorstand des Stenographenbüros des ungarischen Abgeordnetenhauses i. P. 20. und 21. Juni 1898 in Wien К 2, U 6, 684 г - 685 ν Erzählte mir, daß Graf Julius Andrässy in Tisza-Dobb mit der Sichtung der Papiere seines Vaters beschäftigt sei, um zu erwägen, ob sie mir zur Bearbeitung zu überlassen seien. Doczi sagte zu Konyi am Abend vorher: Er habe interessante Erinnerungen an Andrässy ihm (Konyi) und mir (Friedjung) mitgeteilt, nur mit dem Auftrage, davon nichts zu benützen, solange er, Doczi, lebe. Er sei aber froh, daß sie bei zwei anständigen Leuten verwahrt seien. Konyi kannte die Geschichte von Andrässy - Somssich nicht251. Somssich, so erzählte Konyi, war ein Konservativer; er sagte später zu Konyi, er hätte das Ministerium des Innern angenommen, aber man bot ihm das des Handels an. Dabei wäre er mit seinen konservativen Genossen in Konflikt gekommen. Diese gaben übrigens dem liberalen Regime kaum eine sechsmonatige Dauer. Konyi erzählte mir, Doczi habe einmal zu Lebzeiten Andrässys seine Erinnerungen an ihn niederzuschreiben [begonnen]; diese Aufzeichnung sei das einzige, was Doczi schriftlich niedergelegt habe, und das habe er Konyi gegeben. Er besitzt sie und will sie mir zeigen. Einmal las Konyi sie dem alten Grafen Andrässy vor; aber nach den ersten zehn Seiten wurden sie unterbrochen und kamen nie auf den Gegenstand zurück. Konyi besitzt den Wortlaut des Protokolls über jene Ministerratssitzung, in der 1871 über Hohenwart verhandelt wurde, und an deren Schlüsse An251
Päl Somssich hatte als Präsident des Abgeordnetenhauses am 15. 4. 1872 in seiner Ansprache anläßlich der Schließung des Reichstages Deutschland wegen des Krieges von 1870 angegriffen. Dies war für Außenminister Graf Gyula Andrässy deshalb besonders peinlich, da nicht nur das gesamte diplomatische Korps anwesend war, sondern er auch den deutschen Botschafter persönlich eingeladen hatte. Als Konsequenz wurde die bereits vollzogene Ernennung Somssichs zum Geheimen Rat rückgängig gemacht.
20. und 21. Juni 1898
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drässy sich für einen verlorenen Mann hielt252. Es wurde von Teschenberg verfaßt und ein Exemplar an Lonyay geschickt, um es zu verifizieren. Dieser behielt es sich (oder eine Abschrift), Konyi will es mir zeigen. Der Kaiser sprach oft in dieser Sitzung und benahm sich sehr würdig. Doczi sei ein guter Junge, hilfreich etc., allerdings, sobald es sich um seine Karriere handelt?! Uber die Ursachen des Sturzes Andrässy s weiß Konyi merkwürdig wenig, ebenso wie Doczi. Er kann daher die Mitteilung Szilägyis nicht verifizieren (Vorgänge am Berliner Kongreß, besonders Souveränität des Sultans253). Tisza-Dobb sei herrlich eingerichtet, die Architektur großartig, und eigentlich rühre sie von dem Grafen Andrässy (sen.) selbst her, er konnte eigentlich alles. Konyi war einmal mit Aehrenthal und Hieronymi des Abends zum Tee bei Szögyeny. Es war dies etwa nach der bulgarischen Krise 1886. Damals nun ließ sich Aehrenthal sehr absprechend über Andrässy aus. Szögyeny schwieg. Konyi hörte eine Zeitlang zu, dann sprach er mit solcher Schärfe gegen Aehrenthal, daß Hieronymi ihm später sagte: Er sei sehr scharf ins Zeug gegangen. Konyi hatte keinen guten Eindruck von Aehrenthal. Konyi erklärt Szögyeny für einen oberflächlichen Geist. Dazu nicht sehr verläßlich. Einmal sprach er sich in Gegenwart des alten Andrässy sehr absprechend über Kälnoky aus. Als Szögyeny sich entfernte, fragte Andrässy Doczi, ob Szögyeny auch ebenso offen gegenüber Kälnoky selbst sei. Darauf Doczi: „Ja, er spricht sich ihm gegenüber ebenso ungünstig über Sie aus, wie eben jetzt Ihnen gegenüber über Kälnoky." Doczi wurde während der Krise Kälnoky - Bänffy von Kälnoky zu Rate gezogen254. Er beriet ihn, aber in so entschieden liberalem Sinne, daß dies auf Kälnoky keinen Einfluß üben konnte. Aus der Zeit von Kälnoky besitzt Konyi eine Fülle von Briefen Doczis, die sich mit größter Offenheit über alles aussprechen. Szögyeny nahm es Kälnoky sehr übel, daß er Goluchowski und nicht ihn zu seinem Nachfolger vorgeschlagen habe. Andrässy jun. sei nicht kränklich. Aber er müsse, um hervorzutreten, gestoßen werden. Stehe er aber einmal inmitten der Geschäfte, so sei er sehr 252
253 254
Wohl der Ministerrat vom 20. 10. 1871, an dem die gemeinsamen Minister, das gesamte Ministerium Hohenwart sowie von ungarischer Seite Ministerpräsident Andrässy und der Minister am königlichen Hoflager Graf Bela Wenckheim teilnahmen. Zur Beratung standen die vom Ministerium Hohenwart ausgearbeiteten böhmischen Fundamentalartikel. Außenminister Beust und Andrässy sprachen sich dagegen aus, der Kaiser traf keine unmittelbare Entscheidung. Am nächsten Tag, nach einer neuerlichen Unterredung mit Hohenwart und Andrässy, verwarf Franz Joseph den Hohenwartschen Entwurf. Vgl. dazu die Darstellung in Eduard Wertheimer, Graf Julius Andrässy. Sein Leben und Seine Zeit. Bd. 1 (Stuttgart 1910) 592-602. In den Aufzeichnungen des Gesprächs mit Dezso Szilägyi (S. 128-134) findet sich kein Hinweis darauf. Vgl. aber S. 62 und S. 149. Vgl. zum Konflikt Kälnoky - Bänffy Graf Gustav von Kälnoky; in: Historische Aufsätze 355-360.
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Ernst von Plener
energisch. Szilägyi berate sich stets mit ihm über das, was zu tun sei. Am Begräbnistage Kossuths255 habe in Budapest alles den Kopf verloren, selbst auf der Oper, die vom Kaiser erhalten werde, flatterte eine Zeitlang die schwarze Fahne. Damals entfaltete Andrässy alle Energie. Er, der nicht vor 10 oder 11 Uhr aufstehe, stand um 8 Uhr auf, er war Staatssekretär, fuhr zu Wekerle und verlangte von ihm die alleinige Verfügung über die Polizei (nicht zu Hieronymi?) und drohte mit seiner Demission, wenn die Ruhe nicht energisch aufrechterhalten werde. Er setzte es durch, daß Militär ausrückte, und daß Ordnung aufrechterhalten wurde.
Ernst von Plener, Präsident des Gemeinsamen Obersten Rechnungshofes 22. Juni 1898 К 5, U 7, 306 r-v; К 2, U 6, 681 r-v Nach meiner Berliner Reise256. Uber Kalnokys Ansichten in Londoner Zeit befragt, sagt Plener: Kalnoky war der richtige Altösterreicher, der konservative Österreicher. Er war, wie der alte österreichische Offizier und Diplomat, für eine starke Regierungsgewalt. Er war etwa für das Regierungssystem von 1848-60. Aber nicht klerikal. Er war kein moqueur, auch kein homme qui pratique, das heißt, der zur Beichte und Kirche geht, kein Gegner des Dualismus, hatte sich mit ihm ausgesöhnt. Er war ein Gegner des Grafen Beust auch in dessen Höhezeit, wir in London waren es alle, während in Paris die Botschaft, besonders Metternich, für ihn schwärmte. Offenbar war ihm das Unruhige an Beust zuwider. Wolkenstein war eigentlich 1886-88 nicht mit der Bulgarienpolitik einverstanden; denn er fand, daß man Rußland zu sehr reize. Wenn er in Wien mit [dem] Kaiser und Kalnoky sprach, hörte er Vorwürfe, daß er Rußland gegenüber zu nachgiebig denke. Er kam zu Plener mitunter nach Gesprächen mit Kalnoky und beklagte sich darüber. Seine Frau war in erster Linie [sie!] mit Schleinitz, dem Minister des kaiserlichen Hauses257 vermählt. Wolkenstein kannte sie schon zu dieser Zeit. Sie ist eine Hauptpatronesse von Bayreuth und ist regelmäßig bei allen Festspielen in Bayreuth anwesend, Wolkenstein geht inzwischen ins Bad, voriges Jahr nach Contrexeville, und 255
256
257
Lajos Kossuth wurde am 2. 4. 1894 unter großer Teilnahme der Bevölkerung in Budapest bestattet. Der Kaiser hatte sowohl die Durchführung eines Staatsbegräbnisses als auch die Teilnahme der Regierung an den Trauerfeierlichkeiten untersagt. Friedjung war in der zweiten Maihälfte 1898 in Berlin. Am Weg nach Berlin traf er am 18. und 19. Mai mit Aehrenthal in Prag zusammen. Vgl. auch Aus dem Nachlaß Aehrenthal Teil 1, 140-143. Graf Alexander von Schleinitz, preußischer Minister des königlichen Hauses von 1861 bis zu seinem Tod am 19. 2. 1885.
22. Juni 1898
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bleibt dann auch einige Tage in Bayreuth. Dann kommt er in der Regel im Oktober nach Wien. Plener sagte mir zu, mir eine Karte an ihn zu geben. Rudolf Khevenhüller ist sehr expansiv, hat ein „böses Maul", wird mir wohl viel über und gegen Kälnoky erzählen. Er ist nicht gut auf Kalnoky zu sprechen, der ihn lange auf irgendeinem Posten sitzen ließ, so daß er in der Karriere zurückblieb. Während er sonst auf manchem Gebiet „viel Success" hatte, blieb er darin zurück. Er ist ein interessanter Mensch, eine starke Persönlichkeit. Szögyeny trat dadurch mit dem Kronprinzen näher, daß er - offenbar im Auftrage - öfter zu ihm kam, zwei bis dreimal in der Woche, um ihm Depeschen lesen zu lassen über äußere Politik. Der Kronprinz wurde sonst vom Kaiser ferne von den Geschäften gehalten, was er unliebsam empfand, und er war Szögyeny sehr dankbar, daß er in seinen Mitteilungen sehr weit ging. Mit Szögyeny war Plener auf der Universität zusammen, er kennt ihn genau, hält ihn für mittelmäßigen Kopf (ganz wie Konyi258). Aber er hat eine merkwürdige Gabe, sich beliebt zu machen. Plener sagte den Leuten in Ungarn, er war kurz zuvor in Budapest, Szögyeny werde unser nächster Minister des Äußern sein, da lachten sie, zum Beispiel Szilägyi, weil sie ihn für so unbedeutend halten. Es war ihm, nachdem er sich über Kalnoky, Wolkenstein etc. ausgesprochen hatte, offenbar sehr angenehm, auf die ihn bewegenden inneren Verhältnisse zu sprechen [zu kommen]. Er bezeichnete es als das politische Problem des Augenblicks: Rechtzeitig einzulenken, um noch eine starke Gruppe staatstreuer Deutscher zu sammeln und sie von den Schönerianern zu trennen. Je später das geschehe, desto kleiner werde die Gruppe werden, vielleicht ganz zusammengeschmolzen sein. Er formulierte das besser und mit der ihm eigenen Klarheit, die so anspruchslos auftritt, daß man mit Unrecht die Tiefe vermißt. Plener war vor einiger Zeit in Budapest und scheint sich damit wieder in Erinnerung habe bringen wollen. Er hat den unangenehmen Eindruck empfangen, daß man dort wirklich an eine Zwischenzollinie denke. Allerdings wolle man sie anfangs ganz harmlos machen, als eine Zollgrenze mit sehr mäßigen Industriezöllen, so daß auch Österreich nur mäßige Gebrauchszölle einführe. Wie hoch man sich die Sätze denkt, weiß er nicht. Selbst Szilägyi sprach davon, daß nichts übrigbleiben werde, wenn er auch dagegen sei. Dagegen sprach sich Szell ganz offen in diesem Sinne aus. Er hat durch die von ihm geleitete Bank Verbindungen mit dem deutschen Geldmarkt259, die dann weiter gepflegt werden sollen. Plener befürchtet, 258 259
Vgl. S. 173. Kaiman Szell leitete die von ihm mit Hilfe französischen Kapitals gegründete Hypothekar-Kredit-Bank.
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Freiherr Alois Lexa von Aehrenthal
daß, wenn man nicht zur materiellen Verhandlung des Ausgleichs käme260, die Sachen in Ungarn jene Entwicklung nehmen werden. Lecher und die Linke handeln deshalb sehr unklug. Plener verwirft deren Taktik überhaupt ganz, meinte sogar, in der Nationalpartei seien einzelne klügere Elemente, zum Beispiel Hochenburger, den er in Budapest kennengelernt hatte. Wenn man den Ausgleich materiell verhandle, werde Ungarn in manchen Dingen nachgeben. Bänffy und Lukäcs konferierten darüber mit ihm und befragten ihn, welche Punkte für Osterreich von Wichtigkeit seien. In ein[ig]en Punkten erklärten sie Verhandlungen und neues Uberlegen für möglich, in anderen nicht.
Freiherr Alois Lexa von Aehrenthal, Gesandter in Bukarest
Wien 30. Juni 1898 К 5, U 2, 35 r-v
Nach seiner Rückkehr aus Doxan261. Khevenhüller war in Belgrad sehr unzufrieden mit der Kälnokyschen Politik. Er fand, daß sie zu wenig energisch sei und schrieb, in Ubereinstimmung mit Milan, Berichte in diesem Sinne nach Wien, um Kälnoky zu stürzen. Er mußte dann in Disposition treten. Nach einiger Zeit wurde er nach Brüssel geschickt262. Er ist ein Mann von Fähigkeit, schön und interessant, hat Glück bei den Frauen. Er fuhr oft nach Paris, da sagte ihm einmal Kälnoky, er solle doch auch Berichte über französische Dinge schreiben, sich die Dinge ansehen. Damals war Graf Hoyos in Paris, der nicht ausreichte, Kälnoky hatte ihn für Paris erziehen wollen, trotz des früheren Gegensatzes. Aber Khevenhüller schrieb nicht über Frankreich. Wittelshöfer sagte mir, Khevenhüller hätte ein Verhältnis mit Frau Porges, der Schwester der Frau von Gutmann gehabt oder habe es noch.
260
261 262
Der von den Ministerien Badeni und Bänffy verhandelte Ausgleich erhielt in Österreich - durch die deutsche Obstruktion aufgrund der Badenischen Sprachenverordnungen nicht die parlamentarische Zustimmung, worauf der 1897 auslaufende Ausgleich zweimal durch kaiserliche Verordnung für je ein Jahr verlängert wurde. Da die ungarische Legislative diese Form der nichtparlamentarischen Gesetzgebung nicht anerkannte, einigten sich die beiden Regierungen im August 1898 auf die „Ischler Formel", wonach der Ausgleich bei Scheitern der Verhandlungen automatisch verlängert würde. Diese Formel erhielt jedoch im ungarischen Parlament keine Zustimmung, worauf die Regierung Bänffy zurücktrat. Die neue Regierung Szell verkündete darauf das prinzipielle Bestehen des selbständigen ungarischen Zollgebietes sowie die Koppelung der Termine von Ausgleich und internationalen Handelsverträgen („Szellsche Formel"), um sich die Unterstützung der ungarischen Opposition zu sichern. Gut der Familie Aehrenthal in Böhmen. Graf Rudolf Khevenhüller-Metsch war vom 24. 10. 1881 bis 28. 11. 1886 Gesandter in Belgrad, vom 28. 11. 1888 bis 6. 3. 1902 in gleicher Funktion in Brüssel.
30. Juni 1898
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Unmittelbar vor dem Ausgleiche von 1890 hatte Taaffe eine Erklärung über innere Politik abzugeben im Parlament263. Sie war ganz im föderalistischen Sinne gehalten. Kälnoky erhielt sie zur Begutachtung und sprach sich dagegen aus. Da ließ Taaffe eine andere ausarbeiten, deutschfreundliche, die gerade das Gegenteil zu der früheren war. Diese wurde abgegeben, da sagte Kälnoky zu Aehrenthal: Sie sehen, wie leichtsinnig Graf Taaffe die Sache nimmt. Man darf bei Taaffe die Dinge nicht prinzipiell auffassen, sagte Aehrenthal, als ich ihm meine Ansicht über das Taaffesche System darlegte. Es war vieles persönlich, besonders der Gegensatz zu Plener und zu der Opposition. Taaffe sagte selbst zu Aehrenthal: Bitt' Sie, jeder Mensch macht Dummheit, ich hab' halt auch zwei Dummheiten gemacht, die eine, daß ich den Ausgleich nicht sofort im böhmischen Landtag annehmen ließ264. An die andere Dummheit erinnert sich Aehrenthal nicht. Die Denkweise Aehrenthals ist dieselbe wie die Kälnokys. Er ist verfassungstreu, er wünscht eine Abwechslung in der Heranziehung der beiden Parteien, „um auch die Aspirationen der anderen Seite zeitweise zu befriedigen." Deshalb hätten 1892 die Deutschliberalen herangezogen werden sollen. Eine nationale Ader besitzt Aehrenthal nicht und schätzt wohl auch die Kraft der nationalen Idee zu niedrig. Kälnoky hatte auch Aehrenthal, ganz wie Szögyeny265, schon ein Jahr vor seinem Sturze geschrieben, daß er notwendigerweise durch den Konflikt mit Ungarn zu Falle kommen werde. Aehrenthal erhielt diesen Brief im August [18]94 zu Doxan.266 Er suchte ihn, konnte ihn aber nicht finden. Aehrenthal denkt sich die künftige Politik in Österreich so: Aufhebung der Sprachenverordnung. Wenn die Tschechen und Südslawen dann Obstruktion machen, Nichteinberufung des Reichsrats, aber auch keine Landtage. Vollständige Selbstregierung, dann aber, nach längerer Zeit, neuer Versuch, den Reichsrat aktionsfähig zu machen. Er legt das Hauptgewicht darauf: Auch keine Landtage.
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Wahrscheinlich die Antwort vom 17. 12.1889 auf eine Interpellation Ernst von Pleners. Die Interpellation vom 3. 12. 1889 in Ernst von Plener, Reden 1873-1911 (Stuttgart Leipzig 1911) 4Э6--498. Die Antwort Taaffes ebd. 508-509. Taaffe betont darin, daß eine Änderung der Verfassung nur auf gesetzlichem Wege erfolgen könne, die Regierung zur Zeit jedoch keine prinzipielle Änderung der Verfassung anstrebe und damit auch die Frage der böhmischen Königskrönung nicht aktuell sei. Weiters erklärte er, daß den berechtigten Ansprüchen beider Volksgruppen in Böhmen von der Regierung Rechnung getragen würde. Das in den Ausgleichsverhandlungen vom 5.-19. 1. 1890 erzielte Übereinkommen wurde dem erst nach Abschluß der Frühjahrssession des Reichsrates auf 19. 5. 1890 einberufenen böhmischen Landtag vorgelegt und scheiterte dort am Widerstand der Jungtschechen. Vgl. S. 165. Vgl. Aus dem Nachlaß Aehrenthal Teil 1, 56-57. Der Brief ist mit 10. 8. 1894 datiert.
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Bernhard Münz, politischer des Neuen Wiener Tagblatts
Bernhard Münz
Redakteur 2. Juli 1898 К 2, U 6, 685 ν
Behauptet, daß Goluchowski schon im November „ausziehen" werde. Er sei in Ungnade gefallen, weil er nicht auf das Verlangen des Kaisers eingegangen [sei] und keine Intervention der europäischen Mächte in der kubanischen Frage angeregt habe267. Er habe zum Kaiser gesagt: Besser eine Republik in Spanien als ein Krieg (Österreichs?) mit Amerika. Seitdem vollständige Ungnade. Er wird kaum mehr empfangen. Doczi aber habe schon für sich gesorgt und werde einen sehr schönen Posten erhalten. Goluchowski dagegen wolle nichts mehr vom Kaiser wissen. Münz deutete an, Doczi werde einen Gesandtschaftsposten erhalten. Nun aber, was mich in Erstaunen setzte. Münz behauptet, Doczi habe gelogen, als er behauptete, Goluchowski habe nicht am Sturze Badenis gearbeitet. Das Umgekehrte sei wahr. Doczi habe selbst einen fulminanten Artikel gegen Badeni geschrieben und dessen Aufnahme im Neuen Wiener Tagblatt gewünscht. Er, Münz, habe sich widersetzt; er bewahre aber den Artikel a u f - als Waffe, falls man nach dem Sturze Goluchowskis ihm vorwerfen sollte, daß er sich zu weit in dessen Sinne engagiert habe. 3 Damals war Wilhelm Singer bei Goluchowski. Als Singer zurückkam, sagte er: Badeni ist fertig.
Heinrich von Halban, Kanzleidirektor des Abgeordnetenhauses
i. P.
4. Juli 1898 К 5, U 8, 308 г - 311 г
Der Kaiser hatte schon in den Jahren 1888 und 1889 ein und das andere Mal zu Taaffe gesagt: Für die Deutschen muß etwas geschehen. Nun war Ende 1889 eine Interpellation Pleners zu beantworten 268 . Taaffe ließ durch Erb 267
268
a
Im Jänner 1898 kam es zu Unruhen in Havana, und vor allem spanische Offiziere wandten sich gegen die Redaktionen der autonomiefreundlichen Zeitungen, die ihrer Meinung nach das Heer beleidigten. Die USA, die für die Autonomie der Insel eintraten, entsandten darauf das Panzerschiff Maine nach Havana. Am 15. 2.1898 explodierte die Maine im Hafen, worauf die USA Spanien als Urheber des Anschlags bezeichneten und ihm am 25. 4. 1898 den Krieg erklärten. Der Krieg endete mit einem vollständigen Sieg der USA, im Frieden von Paris (10. 12. 1898) mußte Spanien seine Rechte über Kuba aufgeben und Puerto Rico, Guam sowie die Philippinen (letztere gegen Entschädigung) an die USA abtreten. Die Interpellation vom 3. 12. 1889 in Ernst von Plener, Reden 1873-1911 (Stuttgart Leipzig 1911) 496-498. Die Antwort Taaffes vom 17. 12. 1889 ebd. 508-509. Vgl. S. 177 Anm. 263. Randbemerkung: Klingt alles nicht wahrscheinlich. Aber er wollte mir den Artikel und Brief Doczis zeigen.
4. Juli 1898
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eine Antwort ausarbeiten, die vollständig gegen die Deutschen gerichtet war. Diese Antwort wurde durch Bacquehem Halban gezeigt, der das Ärgste voraussah und in Bacquehem drang, seinen ganzen Einfluß dagegen anzuwenden. Tatsächlich ging Welsersheimb zum Kaiser und stellte ihm vor, diese Wendung sei vom militärischen Standpunkte aus bedenklich. Es kam zur Ministerratssitzung. Der Kaiser (wie ich Halban sagte, von Kalnoky bearbeitet) griff in die Debatte ein und erklärte sich gegen den Entwurf. Er sagte den Ministern, daß dies der Weg zum böhmischen Staatsrecht sei. Sie mögen ihm sagen, ob sie diesen Weg auch zu Ende gehen wollten . . . er werde sich die Sache dann überlegen, aber er wolle Klarheit haben. Halban sah die Minister aus der Ministerratssitzung fortgehen, sie sahen aus wie begossene Pudel, Bacquehem aber fand Zeit, Halban die Worte zuzuflüstern, die Sache gehe gut (so ungefähr). Darauf wurde eine andere Interpellationsbeantwortung ausgearbeitet. Sie wurde von Taaffe verlesen und war für die Deutschen entgegenkommend. Die Stimmung war jetzt milder, und Halban sprach zu verschiedenen Ministern, besonders Taaffe, die Ansicht aus, jetzt sei es Zeit, Konferenzen zum Ausgleich einzuberufen. Darauf bevollmächtigte Taaffe, die Herren von Plener und Chlumecky unverbindlich als eine von ihm ausgehende Anfrage anzufragen, ob sie diese Konferenzen beschicken würden. Beide antworteten ohne Zögern zustimmend. Zur selben Zeit wandte sich Halban an den Grafen Richard Belcredi mit der gleichen Anfrage. Dieser war ganz einverstanden. Er schrieb an Halban einen langen Brief, in dem er seine Zustimmung gab, jedoch meinte, die Sache könne nur gelingen, wenn etwas für die Alttschechen getan werde. Sonst sei ihre Position gegenüber den Jungtschechen gefährdet. Man müßte statt Prazak Mattus zum Minister machen, da Prazak in Folge seiner Nichtigkeit keinen Kredit besaß, er war dumm, sagte Halban. Jetzt lud Taaffe den Fürsten Georg Lobkowitz zur Besprechung der Angelegenheit zu sich. Zu einer dieser Unterredungen wurde Halban berufen, und Taaffe forderte ihn auf, über den gesamten Verlauf der bisherigen Verhandlungen zu berichten. Denn er, Halban, könne dies vollständiger tun als Taaffe [es] vermöchte. Halban berichtete und Lobkowitz hörte zu, „er saß da wie eine Mumie" und äußerte nicht ein Wort der Zustimmung oder der Verwerfung. Der Eindruck Haibans war, daß die Sache Lobkowitz aufs äußerste unangenehm war. aHalban sprach auch von dem Briefe Richard Belcredis, den er nicht bei der Hand hatte. Taaffe forderte ihn auf, ihn zu bringen und las ihn Lobkowitz vor.3 Etwa VA Jahre später sagte Lobkowitz zu Halban, das Prestige seiner Partei in Böhmen habe tief dadurch gelitten, daß sie gegen die volkstümliche jungtschechische Partei hätten in Aktion treten müssen. Nun erhielt Halban auch den Auftrag, Du"~a Ergänzung.
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Heinrich von Halban
najewski, der bisher nichts von der Sache wußte, mit ihrem Verlaufe bekannt zu machen. Dunajewski hörte aufmerksam zu, dann verließ er das Zimmer mit den Worten: „Das geht alles gegen mich." Er hatte insofern Recht, als Plener tatsächlich im Gange der Besprechungen stets gesagt hatte, Dunajewski müsse abtreten. Denn er führte den Kampf gegen die Deutschen. Aber auch er hatte Augenblicke, in denen er den Gedanken erwog, mit den Deutschen zusammenzuwirken. Denn eines Tages, es war, als er von der Opposition heftig angegriffen wurde, sagte er zu Halban: „Wie unklug handeln die Deutschen! In mir hätten sie den besten Vermittler mit den Polen." Bald darauf wurde Halban durch Szögyeny eingeladen, zu Kälnoky zu kommen. Dieser bat ihn, ihm über den bisherigen Verlauf einen zusammenhängenden Bericht zu geben. Dies tat Halban mit Wärme und Eifer. Kälnoky hörte sehr kühl und ruhig zu, blieb auch so zugeknöpft und zurückhaltend. Nur an eine „merkwürdige Äußerung" Kalnokys erinnert sich Halban: Kälnoky sagte: „Ich fürchte, daß nun die Deutschen wieder unklug sein werden. Sie werden vermutlich gegen den Hohenwart-Club Front machen. Das wäre aber deshalb ein Fehler, weil dieser Club Elemente enthält; welche durch ihn gebunden werden, sobald sie aber frei werden, werden sie zentrifugal, statt, wie jetzt, am Zen[trum] a festgehalten zu werden." Kälnoky verabschiedete sich von Halban, indem er ihm zwei Finger reichte. Als Dunajewski fiel269, wurde Steinbach der Berater Taaffes, und er bestärkte ihn in der Gegnerschaft wider Plener. Als Halban ihn einmal fragte, weshalb er Plener so gram sei, sagte er selbst, er könne nicht hinweg über die Kränkung, die ihm Plener angetan hatte, als er ihn als Regierungsvertreter heftig angegriffen hatte 270 . Halban aber wirkte unverdrossen daran, daß Taaffe Plener ins Kabinett nehme. Er arbeitete sogar ein Memorandum aus, in welchem er alle Gründe darlegte, welche dafür auch vom Standpunkte des Grafen Taaffe dafür [sie!] sprachen. Taaffe erklärte, er werde diese Denkschrift dem Kaiser überreichen und ihm sagen, sie sei von einem Freunde Pleners verfaßt, und er wollte dem Kaiser gerade aus dessen Feder die Argumente vortragen lassen. Wenn aber der Kaiser diese Gesichtspunkte billige, so werde er augenblicklich seine Entlassung nehmen. Halban er269 270
a
Julian von Dunajewski, seit 1880 Finanzminister, trat am 2. 2. 1891 zurück. Sein Nachfolger wurde Emil Steinbach. Ernst von Plener hatte einen Zusammenstoß mit dem damaligen Sektionschef im Justizministerium Emil Steinbach während der parlamentarischen Behandlung der Gesetze zur Arbeiterversicherung. Steinbach hatte als Regierungsvertreter einen Änderungsantrag des Abgeordneten Max Mauthner zurückgewiesen und wurde darauf von Plener angegriffen. Vgl. Pleners Darstellung sowie seine abfallige Charakterisierung Steinbachs in Ernst Plener, Erinnerungen. Bd. 2 (Stuttgart - Leipzig 1921) 448-450. Nach Zen Freilassung im Original und am linken Rand mit einem Fragezeichen kommentiert.
4. Juli 1898
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bat sich auch bei Kälnoky eine Audienz, um in diesem Sinne zu wirken. Kälnoky hörte ihn wieder kühl an; dann sagte er: Er könne als Minister des Äußern nur dann ein Votum abgeben, wenn die äußere Politik in Frage käme oder wenn es sich um Fragen des entscheidenden Staatswohles3 handle. Dazu gehöre die Berufung einer einzelnen Persönlichkeit ins Ministerium nicht, es sei nicht entscheidend, welches Mitglied der Deutschliberalen Partei berufen werde. Als Taaffe den Wahlreformentwurf vorlegte271, schickte ihm Kälnoky einen Brief mit den schärfsten Vorwürfen. Die Regierung des Staates sei in dieser Weise nicht möglich. Dieser Brief blieb bei den Akten, Bacquehem übernahm ihn ins Ministerium des Innern und gab ihn auch Halban zu lesen. Es war gerade zu jener Zeit der König von Griechenland in Wien, der Kälnoky über die Wahlreform befragte, und dieser mußte ihm gestehen, daß er nichts davon wisse. Zu dieser Zeit ließ Kälnoky Halban rufen und sagte ihm, er werde jetzt verreisen - offenbar auf Urlaub - und er bitte ihn, ihn durch briefliche Berichte über die Verhältnisse auf dem laufenden zu erhalten. Halban entgegnete, daß er dies nur tun könne mit Zustimmung Taaffes. Das ist selbstverständlich, war die Antwort Kälnokys. Darauf sprach Halban mit Taaffe, der erwiderte: „Es ist mir lieber, diese Berichte werden von Ihnen als von einem anderen geschrieben." Nachdem Taaffe den Brief Kälnokys erhalten hatte, schickte er Steinbach zu ihm, um ihm die Ideen der Wahlreform zu entwickeln. Kälnoky empfing ihn kühl und habe nach wenigen Augenblicken, als Steinbach ihm in geistreicher Weise die Sache darlegte, gesagt: Das sei sehr interessant, aber das hätte er ihm vor 14 Tagen sagen sollen. Sie seien beide sehr beschäftigte Männer, und es sei schade, die Zeit mit diesen überflüssigen Erörterungen zu verbringen. Halban über Badeni. Im Verlaufe des Gespräches sagte Halban selbst mit aller Naivität, als ich ihm sagte, diese oder jene Äußerung Badenis zu ihm sei unglaubwürdig: Es ist wahr, Badeni ist ein solcher Lügner, daß man nicht weiß, ob er mit seinen Lügen einen Zweck verfolgt oder ob sie nur seiner Gewohnheit entspringen. Badeni machte sich dem Kaiser sehr angenehm durch Promptheit, mit der alle militärischen Forderungen in Galizien erfüllt wurden272. Alle Korpskommandanten waren über Badeni entzückt. Ebenso hatte er geschickt den Ausgleich mit den Ruthenen gemacht273. Im August 1897 271
272 273 a
Der Wahlrechtsentwurf der Regierung Taaffe wurde am 10. 10. 1893 im Abgeordnetenhaus eingebracht. Obwohl er bei Beibehaltung des Kurienwahlrechts lediglich für die Städte- und Landgemeindenkurien das allgemeine Männerwahlrecht vorsah und daher nur eine einfache Mehrheit zur Annahme benötigt hätte, scheiterte der Vorschlag im Haus. Die Regierung demissionierte darauf am 11. 11. 1893. Graf Kasimir Badeni war von 1888 bis 1895 Statthalter in Galizien. Die Ausgleichsverhandlungen zwischen Polen und Ruthenen von 1890 bis 1894 führten trotz anfänglicher positiver Ansätze zu keinem Ergebnis. Korrigiert von Staatsinteresses.
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Heinrich von Halban
fuhren Badeni und Halban aus dem Prater des Nachts. Da sagte Badeni plötzlich: Wenn ich jetzt zurücktrete, wer, so glauben Sie, soll an meine Stelle treten? Als Halban ihm Gautsch oder Welsersheimb nannte, sagte er, er habe Gautsch dem Kaiser schon genannt, dieser aber ihn ausgelacht. Alle Äußerungen Badenis zu Halban zeigen das Gepräge des Unwahrscheinlichen. Auch widersprechen sich vorjährige und heurige Erzählungen Haibans in manchen Punkten. So sagte mir Halban vor einem Jahre: Badeni habe seinen Rücktritt verlangt, der Kaiser habe ihn um Nachfolger gefragt, und da habe Badeni gesagt: Er wisse niemanden. Der Haß des Kaisers gegen die deutsche Opposition war während der Obstruktion beängstigend274. Halban gab sich alle Mühe, Badeni darin zu bestärken, daß einem Staatsstreiche ausgewichen werde. Der Kaiser bestärkte Badeni zu den Maßregeln Lex Falkenhayn275 etc. Ja, er telegraphierte ihm noch von Wallsee aus in demselben Sinne. Als er aber nach Wien zurückkehrte und nur durch Nebengassen in die Burg zurückkehren konnte, da wandte sich sein Sinn. Damals, sagte Halban, stürzte in mir der Altar mit dem Bild des Kaisers um. Der Kaiser teilte Badeni nicht selbst seinen Sturz mit, sondern ließ ihm durch einen anderen dies sagen.
Heinrich von Halban, Kanzleidirektor des Abgeordnetenhauses
i. P.
7. Juli 1898 К 5, U 8, 311 г - 313 ν
Er ließ mich den Entwurf der Interpellationsantwort Taaffes lesen276. Auf die erste Frage Pleners lautete [die] Antwort: Regierung steht auf dem Boden [der] Verfassung. Da der Beschluß des böhmischen Landtages erklärt, es sei die gegenwärtige Verfassung mit den aus früheren Einrichtungen bestehenden Rechtsüberzeugungen in Einklang zu bringen277, und da [die] Regierung noch nicht bestimmte Vorschläge über die Formulierung erhielt, so sei 274
215
276 277
Die deutsche Opposition legte das Abgeordnetenhaus als Widerstand gegen die Badenischen Sprachenverordnungen lahm, wodurch weder ein Budget noch der Ausgleich mit Ungarn parlamentarisch verabschiedet werden konnten. Um die deutsche Obstruktion gegen die Sprachenverordnungen im Abgeordnetenhaus zu besiegen, brachte der tschechisch-klerikale Abgeordnete Graf Julius Falkenhayn am 25. 11. 1897 einen Antrag auf Änderung der Geschäftsordnung ein. Der in der allgemeinen Aufregung von den Abgeordneten nicht wahrgenommene Antrag wurde vom Präsidenten des Hauses David von Abrahamowicz sofort für angenommen erklärt. Er erhielt dadurch das Recht, Abgeordnete auf Zeit von den Sitzungen auszuschließen sowie diese Abgeordneten von der Polizei aus dem Parlament entfernen zu lassen. Die daraufhin in Wien einsetzenden Massendemonstrationen bildeten den Anlaß, um Ministerpräsident Badeni zu entlassen und den Reichsrat zu vertagen. Vgl. S. 178 f. Die Interpellation Ernst von Pleners bezog sich auf einen Beschluß des böhmischen Landtages vom 9. 11. 1889.
7. Juli
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es vorerst nicht ihre Sache, sich zu entscheiden, sollte der böhmische Landtag mit bestimmten Vorschlägen herantreten, so werde [die] Regierung sie prüfen. Der Landtag habe [die] Ansicht ausgesprochen, [die] Königskrönung solle stattfinden; insofern dies ein religiöser Akt [sei], so stehe es der Regierung nicht zu, auf die Entscheidung des Kaisers einzuwirken, ob und wann er sich zu diesem Schritt entschließe. Insoferne es sich aber um Feststellung des Krönungseides handle, sei es Sache der Regierung zu prüfen, ob der Inhalt desselben übereinstimme mit der zur Zeit der Ablegung des Krönungseides bestehenden Verfassung. Auf die zweite Frage Pleners antwortete [die] Regierung, daß sie nicht die Absicht habe, die nationalen Rechte der Deutschböhmen zu verletzen. Halban stellte noch einmal die Tatsachen fest. Dieser Entwurf wurde im Ministerrat unter Vorsitz Taaffes besprochen. Gautsch und Bacquehem opponierten, aber ohne [eine] Kabinettsfrage daraus zu machen. Aber Bacquehem war so bestürzt, daß er zu Halban kam und ihm sagte, daß er schlaflose Nächte verbringe. Er zeigte ihm [den] Entwurf. Halban war ebenso bestürzt, es war klar, daß die Deutschen sofort mit Austritt aus [dem] Reichstag antworten müßten. Nun wurde Welsersheimb bestimmt, sich zum Kaiser zu begeben und ihm [die] Gefahren der Lage vor[zu]stellen. Dies geschah. Die Entscheidung wurde nun auf den Ministerrat unter Vorsitz des Kaisers verschoben. Lobkowitz stand auf der äußersten Rechten. In einem früheren Zeitpunkte hatte Taaffe ihm [die] Statthalterschaft Böhmens angeboten. Lobkowitz erklärte, daß er dieses Amt nur unter bestimmten Bedingungen annehmen könne. Er entwarf also eine Denkschrift, in der er diese Ansichten darlegte. Uber diese Denkschrift sagte Taaffe zu Halban: Das wäre eine Revolution, oder das bedeutete den Ausbruch einer Revolution. Ich erinnere mich nicht näher. Nach Erinnerung Haibans war dies zur Zeit [der] Ernennung Thuns. Eine andere Persönlichkeit, Fürst Windischgraetz, Korpskommandant in Galizien, reichte häufig Denkschriften über die Lage im reaktionären Sinne ein. Einmal, unter Badeni, sagte der Kaiser scherzhaft, ob man ihm das Schreiben nicht abgewöhnen könne. Badeni Halban suchte sich zu rechtfertigen gegen [den] Vorwurf, daß er mitverantwortlich sei an dessen unglücklicher Politik. Diese Verantwortung war teils in sich widersprechend, teils unaufrichtig. Vor allem wollte Halban konstatieren, daß er die Verordnungen Badenis überhaupt erst drei Tage vor ihrem Erlasse vor Augen gehabt habe278. Damals war er bei Badeni und sagte, er 278
Die Badenischen Sprachenverordnungen für Böhmen und Mähren vom 5. 4. 1897. Sie legten die Gleichstellung der beiden Sprachen bei Verwaltung und Gericht fest. Alle ab 1. 7. 1901 neu eintretenden Beamten hätten die Kenntnis beider Landessprachen nachzuweisen gehabt.
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Heinrich von Halban
wolle doch die vielbesprochenen Verordnungen sehen. Er las und sagte Badem: Er kenne die Verhältnisse zu wenig, um zu wissen, welche Wirkung sie üben würden; nur soviel sehe er, daß sich ein Widerspruch zwischen beiden befinde. Denn die eine sage, daß die Verordnungen sofort in Kraft treten, die andere, daß jeder Beamte bis 1900 Kenntnis beider Landessprachen besitzen müsse. Da sagte Halban, man solle den 1897 an die Universität Kommenden [die] Möglichkeit lassen, sich zu entscheiden, ob sie Beamte werden wollen. Wollen sie es, so ende ihre Studienzeit 1901, also solle es statt 1900 1901 lauten. Darauf nahm Badeni einen Bleistift und machte aus 1900 1901. Da fragte Halban, ob denn der Ministerrat nicht alles schon beschlossen habe; darauf Badeni: Ja, aber das macht nichts! Er, Halban, habe stets im Sinne der Versöhnung gewirkt. Als im Frühjahr 1897 die Obstruktion losbrach279 und nicht zu stillen war, riet Halban zur Vertagung des Reichsrats. Endlich willigte Badeni ein. Er zeigte Halban den Erlaß280. Dieser las ihn und sagte zu Badeni: Es sei gut und selbstverständlich, daß die Regierung sich scharf gegen die Obstruktion kehre. Aber es wäre klug hinzuzufügen, daß sie sich nicht dem Eindruck verschließe, daß die Verfügungen der Regierung in weiten Kreisen Bedenken erregt haben, und sie beabsichtige deshalb, im Sommer Verhandlungen darüber mit den Parteien zu eröffnen. Als Halban dies Badeni darlegte, trat Gautsch ins Zimmer. Badeni erbat sich Erlaubnis, den Inhalt des Gespräches Gautsch mitzuteilen. Dieser aber rief: Da bin ich unbedingt dagegen, das wäre eine Erschütterung der Regierungsautorität, und verließ das Zimmer. Da sagte Halban zu Badeni: „Übersetzen wir das ins Polnische. Nehmen wir an, wir seien Deutsche und Gautsch ein Pole. Wenn solche Verordnungen gegen Polen [erlassen würden,] so würde also ein polnischer Minister sich gegen Einlenken aussprechen." Übrigens war schon Badeni - es war zwei bis drei Wochen vor seinem Sturze im Begriffe, selbst seine Verordnungen abzuschwächen. Unterhandlungen darauf fanden schon mit den Tschechen statt. Da dauerten [die] Stürme im Abgeordnetenhaus mit solcher Vehemenz fort, daß alles zu Boden fiel. Bei der Bildung des Koalitionsministeriums281 gab es große Schwierigkeiten und Reibungen. Auch der Kaiser machte Schwierigkeiten. Er sprach sich unter anderem gegen die Berufung Jaworskis ins Kabinett aus282. Er meinte, er sei zu alt. Damals wurde Badeni nach Wien oder Budapest berufen. Als er zum 279
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Die Lahmlegung des Abgeordnetenhauses durch die Deutschen als Reaktion auf die Sprachenverordnungen. Die 12. Reichstagssession wurde am 2. 6. 1897 geschlossen. Ministerpräsident Graf Kasimir Badeni begründete dies damit, daß das Haus durch die Obstruktion daran gehindert werde, seinen verfassungsmäßigen Aufgaben nachzukommen. Die 13. Session wurde am 9. September für den 23. 9. 1897 einberufen. Das Ministerium Fürst Alfred Windischgraetz (11. 11. 1893-19. 6. 1895). Apolinary von Jaworski war galizischer Landsmannminister im Kabinett Windischgraetz.
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ersten Male zum Kaiser gerufen wurde, da sagte er vorher zu Halban: „Es ist ja möglich, daß ich als Ministerpräsident zurückkehre, aber Ihren Plener nehme ich dann nicht." Badeni war nun bemüht, alles zu ordnen, und beruhigte die Bedenken des Kaisers auch bezüglich Jaworski. Er wurde sogar endlich derb dem Kaiser gegenüber: Er möchte doch endlich nach Lemberg zurückreisen. Gautsch, so sagte Halban, werde mir (Friedjung) keine Mitteilung machen. Denn er sei ein strenger Bureaukrat, und er halte das alles für Amtsgeheimnis. Dies sei eine gute Eigenschaft von ihm, und ebenso, daß er in seinem Amte keine Protektion zulasse. Bei der Besetzung des Lehrstuhls für Gynäkologie verwendeten sich der Kaiser und mehrere Erzherzöge für Braun, er aber ernannte nach Verdienst Breisky283. Badeni hatte vor Erlaß der Sprachenverordnung eine zweistündige Unterredung mit Steinwender. Dieser erklärte, gegen [die] Verordnung keine Einwendung zu haben. Badeni gewann ihn dadurch, daß er ihm erklärte, er gedenke, ein Mitglied der deutschnationalen Partei ins Kabinett zu nehmen. Steinwender, um zu zeigen, daß er persönlich nicht Ehrgeiz besitze, schlug Derschatta vor.
Professor Gustav Seidler, Professor der wissenschaft an der Universität Wien
Staatsrechnungs3. September 1898 К 2, U 6, 686 г
Er sprach mir von der Witwe Minister Glasers, die er über den Nachlaß ihres Mannes zu fragen versprach. Er machte in Toblach die Bekanntschaft des Dr. Pserhofer, des Sohnes des Apothekers, der ein Freund des jungen Taaffe ist. Dieser zeigte ihm Aufzeichnungen seines Vaters mit der Absicht, sie zu veröffentlichen. Es waren sehr wichtige Staatspapiere darunter, die sich sein Vater zurückbehalten hatte. Steinbach „kam darüber" und erklärte, die können nicht veröffentlicht werden.
Prinz Max von Ratibor und Corvey, preußischer Gesandter in Weimar
18. September 1898 К 5, U 10, 338 r-v
Kalnoky hatte eine hohe Meinung nicht bloß von seinem Amte, sondern auch von sich. Man hatte Ratibor gesagt, Kälnoky werde nur zwei Finger in 283
August Breisky wurde 1886 zum Leiter der 2. Geburtshilflich-Gynäkologischen Klinik am Wiener Allgemeinen Krankenhaus ernannt. Gustav Braun leitete von 1873 bis 1901 die Hebammenklinik, sein älterer Bruder Carl, seit 1856 Primär an der Gebärklinik, war seit der Teilung 1873 bis 1891 Vorstand der 1. Gynäkologischen Abteilung.
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Prinz Max von Ratibor und Corvey
seine Hand legen, und da reichte ihm Ratibor auch nur zwei Finger, so daß sich bei diesem sonderbaren Gruße nur deren innere Flächen berührten. So gewöhnte er Kälnoky diese sonderbare Grußform ab. Ratibor war von 1890-94 (?) in Wien, dann noch etwa ein Jahr in Budapest284. Dort erlebte er den Sturz Kälnokys. Nach dem Rücktritte Bismarcks trat Kalnokys Bemühen noch stärker hervor, Deutschland in der bulgarischen Frage für den österreichisch-ungarischen Standpunkt zu verpflichten. Einmal machte Ratibor den Reichskanzler Caprivi darauf aufmerksam. Darauf erwiderte dieser mit einer gewissen Naivität (das Wort Naivität ist von Ratibor): Er könne sich das von Kälnoky nicht denken, bei ihrer Zusammenkunft sei nicht davon die Rede gewesen. Darauf erwiderte Ratibor: Kälnoky werde natürlich nicht diese seine Absicht bekennen, aber er sei doch nicht deutscher Reichskanzler, sondern österreichisch-ungarischer Minister, und als solcher könne er nicht anders handeln. Kälnoky war tüchtig und aufrichtig, letzteres natürlich nur so weit, als es ein Minister des Äußern sein könne. Er war über alles vortrefflich informiert; selbst wenn Ratibor mit ihm über Detailfragen, so über [den] Handelsvertrag zu verhandeln hatte, so berief sich Kälnoky nie darauf, daß er sich erst informieren müsse, sondern war immer unterrichtet. In Budapest fiel Ratibor besonders auf, daß auch die katholische Partei über den Rücktritt Kälnokys Freude empfand. Er sprach damals mit der Gräfin Livia Zichy, der Gattin Ferdinand Zichys, welche eigentlich die Fäden der Opposition gegen die Zivilehe in der Hand hielt285, und diese sprach das aus: Diese magyarischen Katholiken hatten vielleicht doch die Empfindung, der Nuntius habe nicht in ungarische Angelegenheiten dreinzureden286, und sie fühlten sich jedenfalls mit dem Ungarn Bänffy gegen den Österreicher Kälnoky solidarisch. Man sprach davon, daß Kälnoky nur zwei Personen zu Rate gezogen habe, Pasetti und Aehrenthal. Ersterer habe Kälnoky nicht leiden können und ihm, so wurde erzählt, durch seine Zustimmung zu der Note der Politischen Korrespondenz eine Falle legen wollen. Ratibor bezeichnet dieses Gerücht selbst als unzuverlässig.
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Prinz Max Ratibor war von 1890 bis 1894 Erster Botschaftssekretär in Wien, darauf von 1894 bis 1897, also drei Jahre, Generalkonsul in Budapest. Das Gesetz über die obligate Zivilehe trat am 9. 12. 1894 in Kraft, dies bildete den Abschluß des seit 1890 andauernden Kampfes um die Ehegesetzgebung in Ungarn. Den Anlaß des Rücktrittes Graf Gustav Kälnokys bildete ein Konflikt mit dem ungarischen Ministerium, ausgelöst durch Aussagen des päpstlichen Nuntius Antonio Agliardi während einer Visitationsreise in Ungarn. Vgl. Graf Gustav von Kälnoky; in: Historische Aufsätze 355-360.
26. September
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Ernst von Plener, Präsident des Gemeinsamen Obersten Rechnungshofes
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18. September 1898 К 2, U 6, 687 ν - 688 г
Er erzählte mir, daß er nach dem Sturze Badenis mit dem Kaiser gesprochen und ihm den Nachteil dargelegt habe, wenn man, um den Deutschen nicht nachgeben zu müssen, dem ungarischen Parlament das Recht zugestehe, aus eigener Initiative das Verhältnis der beiden Reichshälften zu ordnen287. Dieser Nachteil für das Reich, so setzte er auseinander, sei so groß, daß es klüger sei, lieber den Deutschen nachzugeben, als diesen Schritt zur Trennung machen zu lassen. Der Kaiser war anderer Meinung und entgegenete, es gehe so auch (Worte Pleners). Als ich Plener fragte, ob [der] Kaiser nicht sehr erbittert über [die] Deutsche[n] sei, erwiderte er: Gewiß, aber der Kaiser ist vor allem Opportunist, wenn es schließlich nicht anders gehe, werde er doch einlenken. Thun jedoch sei ganz im Fahrwasser der Feudalen. Plener war der erste, der mir auseinandersetzte, es würde sich in dem neuen Sessionsabschnitt empfehlen, den Ausgleich zur ersten Lesung zuzulassen. Er brachte dafür die später wiederholten Argumente vor. Er sei bei Pergelt gewesen, der ihm aufmerksam zugehört habe, aber freilich habe er, Plener, den Eindruck gehabt, daß er nicht viel ausgerichtet habe.
Wilhelm Schneeberger, Rechtsanwalt in Wien
26. September [1898] К 2, U 6, 686 r-v
Erzählte mir, daß die Prinzessin Louise von Coburg von ihm geklagt wurde, weil sie einem Diamantenhändler Juwelen herausgelockt würde [sie!]. Er machte, da die Tat in Frankreich geschah, in Frankreich die Strafanzeige, um vielleicht so einen billigen Ausgleich herbeizuführen. Wenn die Prinzessin in Frankreich in contumace verurteilt wird, kann sie allerdings nicht ausgeliefert werden, da ihr Gatte wohl deutscher Reichsbürger, ungarischer Magnat und österreichischer Offizier [ist], also hier staatsbürgerliche Rechte und Pflichten besitzt, aber nicht französischer Untertan 288 . Pergelt hatte einen anderen Fall. Die Prinzessin hatte, wie sein Klient richterlich wollte, 287
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Durch die NichtVerabschiedung des zwischen den beiden Regierungen ausverhandelten Ausgleiches im Abgeordnetenhaus war die österreichische Seite gezwungen, der ungarischen Regierung Zugeständnisse für die Zustimmung zur Verlängerung des Ausgleiches mittels kaiserlicher Verordnungen zu machen. Prinzessin Louise, geborene Prinzessin von Belgien und Schwester der Gattin Erzherzog Rudolfs, hatte am 4. 2. 1875 Prinz Philipp von Sachsen-Coburg-Gotha geheiratet. Vgl. Prinzessin Louise von Coburg, Throne die ich stürzen sah (Zürich - Leipzig - Wien 1926).
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Albert Spitzer
die Unterschrift ihrer Schwester, der Kronprinzessin Stephanie, auf Wechseln gefälscht. Der Fall war so kraß, daß der Prinz von Coburg sich ausglich, 120.000 fl wurden gleich gezahlt, anderes zugesagt. Allerdings erklärte der Wiener Staatsanwalt, der die Klage wegen Wechselfalschung anhängig machen sollte, nach vollzogenem Ausgleiche, daß es nachgewiesen sei, die Prinzessin habe nichts mit der Fälschung zu tun gehabt289. Bettelheim schrieb mir, daß der Kaiser einen Aristokraten, der ihm gelegentlich [des] Todes der Kaiserin kondolierte290, durch Paar schreiben ließ „Er sei Kaiser und auf alles gefaßt." Bettelheim erzählte mir über die von Lindheim verfaßte Biographie Karl Ludwigs291, sie sei eigentlich von a. Dieser nun erzählte Bettelheim: Der Kaiser werde die Biographie lesen, habe aber früher schon gesagt: Macht nur keine Dummheiten. Bendel zeigte mir einen Brief des Sohnes Herbsts: Die Aufzeichnungen Herbsts seien gleich nach seinem Tode von Beer erbeten worden, der sich darauf berief, daß Herbst ihm schon bei Lebzeiten zugesagt hätte, daß er sie einsehen solle. Sohn Herbsts verspricht in dem Briefe Bendel, er werde sie Beer, der sie seit Jahren besitzt, abverlangen. Necker kennt Christomanos. Dieser sprach sich im engen Kreise nicht so verehrungsvoll über Kaiserin Elisabeth aus wie in seiner Veröffentlichung in der Wage292. Die Kaiserin nützt Leute aus, dann werde sie ihrer überdrüssig und schiebe sie zur Seite. Schwester Fanny kennt eine Dame, der Christomanos einmal sagte, die Kaiserin hätte seinen Buckel gestreichelt und gesagt: Ich habe die Buckligen gern, ein Buckliger hat mir Glück gebracht.
Dr. Albert Spitzer, Sekretär der öst.-ung. Handelskammer in Konstantinopel
27. September [1898] К 2, U 6, 687 ν
Behauptet, er habe in Konstantinopel wie in Wien davon sprechen gehört, daß, wenn Calice über kurz oder lang zurücktrete, Graf Welsersheimb sein Nachfolger würde. Calice sei noch der Fähigste auf der Botschaft in Konstantinopel. Er ist etwas systematisch, schiebt neue Vorkommnisse in ältere Kategorien ein, aber er hat viel Erfahrung und trotz mancher Einseitigkeit ein selbständiges Urteil, eigentlich ist er der einzige auf der Botschaft, der 289 290 291 292 a
Vgl. Louise von Coburg, Throne, die ich stürzen sah 236-243; vgl. auch S. 211. Kaiserin Elisabeth war am 10. 9. 1898 in Genf ermordet worden. Alfred von Lindheim, Erzherzog Carl Ludwig 1833-96. Ein Lebensbild (Wien 1897). Constantin Christomanos, Aufzeichnungen über die Kaiserin; in: Die Wage v. 17. 9. 1898. Freilassung im Original.
29. September 1898
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sich selbst eine Meinung bildet. Die anderen sind nicht bloß abhängig in ihrer Meinung, sondern auch unselbständig, wagen es nicht, eine Verantwortung auf sich zu nehmen. So Baron Macchio, der Botschaftsrat. Die Geschäfte besorgen eigentlich die Dragomans293, deren Erster, Pogatscher, sehr geschäftserfahren ist. Sie kennen die Sprache und begleiten die eigentlichen Diplomaten zu den Verhandlungen mit den türkischen Behörden. Sie sprechen türkisch, aber es ist auf jeder Botschaft ein Türke, der die Ubersetzungen ins Türkische besorgt; was nicht so leicht ist, ein Europäer bedarf zehn Jahre, bevor er Stil und Denkweise so genau kennt, daß er ein gutes Türkisch schreibt. Denn die Türken legen auf Feinheiten der Sprache großen Wert.
Leopold Auspitz, Generalmajor i. P.
29. September [1898] К 2, U 6, 687 г
FZM Beck macht schon seit Jahren den Eindruck eines alten Mannes, der nicht mehr ganz sicher ist, körperlich ist er wohl rüstig, auch zu Fuße. Wäre nicht der Tod der Kaiserin Elisabeth dazwischengekommen294, so wäre er wohl in diesem Jahre Graf geworden. Wohl möglich, daß er dann selbst gehen wird, der Kaiser wird ihn so lange lassen, als er selbst will. Feldmarschall kann er wohl nicht werden, da der Kaiser die im Range älteren Generäle Appel und Fürst Windischgraetz nicht wird übergehen wollen. Vermutlich wird Fiedler, kommandierender General in Lemberg, sein Nachfolger werden295. Er ist der einzige mit großen Fähigkeiten in der Generalität. Er war Chef des operativen Bureaus, fiel aber in Ungnade wegen eines Memoires, welches den Aufmarsch gegen Rußland behandelte, aber gewisse Schattenseiten zu stark hervorhob. Er wurde als Oberst zu einem Reserve-Regiment versetzt, bald aber in den Generalstab zurückberufen. Er wird nicht gerne seine Stelle als kommandierender General mit der eines Generalstabschefs vertauschen wollen. Aber der Kaiser wird ihn wohl veranlassen, die Stelle anzunehmen. Man wollte ihn schon zum Stellvertreter des Generalstabs ernennen, aber dies scheiterte an den Bedingungen, die er stellte. Übrigens sind die Stellvertreter des Generalstabschefs oft mittelmäßige Köpfe, so Guttenberg und jetzt Pitreich. Wichtiger ist die Stelle eines Chefs der operativen Kanzlei. Oberst Potiorek, der frühere, galt für einen sehr befähigten, wenn auch selbstbewußten Mann. Er war der beste Schüler 293 294 295
Die diplomatischen Dolmetscher an der Hohen Pforte. Sie war am 10. 9. 1898 in Genf ermordet worden. General Friedrich von Beck blieb bis 1906 Generalstabschef und wurde mit seinem Ausscheiden in den Grafenstand erhoben. Sein Nachfolger wurde General Franz Conrad von Hötzendorf.
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Graf Anton Wolkenstein-Trostburg
Fiedlers, als dieser in der Kriegsschule Professor war. Der jetzige Chef, Kolossväry, der früher an der Spitze des Evidenzbureaus stand, gilt für weniger befähigt. Milde war Präsident des obersten Militärgerichtshofes und ist seit zwei Jahren in Pension. Er war in Bosnien Generalstabschef des Grafen Szäpäry und zwar des glücklicheren, er leitete damals beinahe selbst das Korps, und zwar sehr gut296. Er ist ein aufrichtiger und treuer Mann.
Graf Anton Wolkenstein-Trostburg, Botschafter in Paris
7. Oktober 1898 К 5, U 3; 52 r - 54 r
Ich war vom Juli 1880 bis März 1882 im Ministerium des Äußern beschäftigt, zuletzt als Zweiter Sektionschef neben Källay als Erstem, freilich zumeist in Missionen beschäftigt. Gerade war ich wegen eines Halsleidens in Enns, als ich ein Telegramm von Källay erhielt, Haymerle sei tot297, ich solle sofort zurückkehren. Darauf fanden die Unterhandlungen mit Kälnoky statt; ich schrieb teilweise die Briefe an ihn oder sie gingen durch meine Hand, die an ihn gerichtet wurden. Kälnoky nahm Anstand, das Amt zu übernehmen. Denn er hielt die Stellung eines Ministers des Äußern fast für unhaltbar; er [sei] abhängig von den Vorgängen in beiden Staaten und ohne Vollmacht, auf sie Einfluß zu üben. Denn nach einem Paragraphen der ungarischen Verfassung besitzt der ungarische Ministerpräsident das Recht, sich in jedem Augenblick über die Lage zu unterrichten und Einfluß auf den Gang der äußeren Politik zu nehmen. Er hat keinen locus standi in den beiden Reichshälften. Indessen wurden seine Bedenken überwunden. Ich wurde im März 1882 Botschafter in Petersburg und erhielt von dem Kaiser bei der Abschiedsaudienz die Instruktion, „den Frieden zu wahren, solange dies mit der Ehre der österreichisch-ungarischen Monarchie überhaupt verträglich." Es kam Skierniewice, Kremsier298, und schon zu dieser Zeit ergaben sich manche, aber weniger entscheidende Mißhelligkeiten. Indessen ging es leidlich gut. „Wohl auch, da der Vertrag von 1881299 bestand", 296
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Hugo von Milde war von August bis November 1878 Generalstabschef des von Feldmarschalleutnant Graf Läszlo Szäpäry kommandierten 3. Armeekorps in Bosnien. Außenminister Freiherr Heinrich von Haymerle war am 10. 10. 1881, nur zwei Jahre nach seinem Amtsantritt, überraschend gestorben. Sein Nachfolger wurde Graf Gustav Kälnoky, Botschafter in St. Petersburg. Am 15. 9. 1884 trafen sich im polnischen Schloß Skierniewice bei Warschau die drei Kaiser Alexander III., Wilhelm I. und Franz Joseph, im August 1885 besuchte der russische Zar Franz Joseph in Kremsier. Das Dreikaiserbündnis vom 18. 6. 1881, in dem sich die drei Mächte wohlwollende Neutralität im Kriegsfall zusicherten sowie ihre Balkanprogramme koordinierten. Es war auf drei Jahre abgeschlossen und wurde einmal bis 1887 verlängert.
7. Oktober 1898
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warf ich ein. Nun, meinte Wolkenstein, Verträge sind eine schwache Schutzwehr. Es ist meine Überzeugung, daß man sie weit überschätzt in ihrer Bedeutung. Da es sich um das Schicksal von Millionen handelt, können nur die Interessen des Staates maßgebend sein und nicht geschriebene Abmachungen. Schwieriger gestalteten sich die Dinge schon zur Zeit des serbisch-bulgarischen Krieges. Man nahm in Rußland wie in Österreich-Ungarn an, daß Serbien militärisch weit überlegen sei. Sobald aber Slivnica diesen Irrtum aufdeckte 300 , machte sich „in dem Club" sofort die Meinung geltend, Bulgarien sei das Kind Rußlands, die Bulgaren hätten den Krieg eben von Rußland gelernt, und aus Stolz nahm man Partei für sie, so daß sich Schwierigkeiten mit Österreich-Ungarn ergaben. Indessen gelang es, dies beizulegen. Den Höhepunkt aber erreichten die Mißhelligkeiten zur Zeit der Sendung Kaulbars301, und der Gegensatz verschärfte sich, als Tisza damals die bekannten Erklärungen gegen Rußland abgab302. Ich hielt sie für einen schweren Fehler, und ich machte von dieser Auffassung kein Hehl. Denn ich hielt einen Krieg gegen Rußland für einen Unsinn. Allerdings ist Rußland als Angriffsmacht nicht so fürchterlich als die großen Ziffern seiner Armeestärke glauben lassen. Aber in der Verteidigung ist es schier unüberwindlich. Ich habe insbesondere dem Kronprinzen Rudolf gegenüber meine Auffassung zu vertreten gehabt. Es war nun ganz unrichtig, wenn man damals glaubte und sagte, Rußland wolle Krieg führen. Das war bei der Natur des Zaren Alexander III. ganz ausgeschlossen. Denn er war ein Mann von unmäßiger Dicke, zweimal so dick als ich, schwerfällig, unbeweglich, träge - nicht im Arbeiten, aber im Fassen eines Entschlusses, er mußte täglich sechs Stunden Spazierengehen, um seine Gesundheit zu erhalten; zumal da er ein sehr starker Esser und Trinker war; es war ihm unmöglich8 zu Pferde zu steigen; er hatte zudem wie ein echter Russe eine Abscheu vor Blut; der Muschik scheut sich, selbst einen Floh zu töten, der ihn quält; seine Erinnerungen an den Krieg 300
Im serbisch-bulgarischen Krieg wurden die serbischen Truppen am 19. 11. 1885 bei Slivnica schwer geschlagen. 301 Am 25. 9. 1886 wurde der russische Militärattache in Wien General Nikolai Kaulbars als außerordentlicher Bevollmächtigter des Zaren nach Sofia entsandt, um den russischen Interessen Nachdruck zu verleihen. Doch der russische Vorschlag, nach der Abdankung Alexander von Battenbergs den dänischen Prinzen Waldemar zum Fürsten auszurufen, scheiterte, da dieser den Thron ablehnte. Als die am 17. 11. 1886 einberufene Nationalversammlung mit einer für Rußland ungünstigen liberalen Mehrheit zusammentrat, um einen neuen Fürsten zu wählen, war Kaulbars Mission gescheitert, und er verließ am 20. 11. 1886 das Land. 302 Ministerpräsident Graf Kälmän Tisza erklärte am 30. 9. 1886 im ungarischen Reichstag, nur die Türkei habe das Recht, bewaffnet in Bulgarien einzuschreiten, Rußland dagegen habe keinerlei Protektoratsrechte über Bulgarien. Vgl. Friedjungs Darstellung und Verwertung des Gespräches in Graf Gustav von Kalnoky; in: Historische Aufsätze 337. • Randbemerkung: ?? (oder höchst beschwerlich).
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Graf Anton Wolkenstein-Trostburg
mit der Türkei waren ihm unbehaglich; kurz, dieser Monarch hätte sich nicht zum Kriege entschlossen. Zudem war Herr von Giers ein kluger Staatsmann, dessen Fähigkeiten größer waren, als man gewöhnlich glaubt, und er hätte sich nicht zum Kriege fortreißen lassen. Ebensowenig aber dachte Rußland damals an eine Besetzung von Bulgarien. Ich habe diese gegenteilige Meinung oft in Wien aussprechen hören, sie ist aber falsch. Man kannte in Rußland die militärische Unmöglichkeit, Bulgarien besetzt zu halten angesichts der Flankenstellung Österreich-Ungarns. Auch mußte man damit rechnen, daß Bulgarien damals über 120.000 Mann guter Truppen verfügte. In meinen Gesprächen mit Giers war denn nie davon die Rede; Giers stellte die Besetzung nie in Aussicht. Ich will ja nicht leugnen, daß der Fall eintreten konnte, in dem sich der Zar genötigt gesehen hätte, in Bulgarien einmarschieren zu lassen. Wenn etwa Kaulbars, der Abgesandte des heiligen Rußland, getötet worden wäre, so hätte sich der Zar hierzu wohl genötigt gesehen. Aber die Vorsehung hat uns vor diesem Äußersten bewahrt, und diese extremen Fälle abgerechnet, hatten wir uns keines Handstreiches auf Bulgarien zu versehen. Die österreichisch-ungarische Politik nun, statt mit diesen Verhältnissen zu rechnen, reizte den Zaren, und man spielte somit mit dieser Gefahr. Sehr unheilvoll machte sich hier der ungarische Einfluß geltend. Als Tisza seine Erklärungen im Frühjahr 1887 abgab303, ließ mir der Zar durch Herrn von Giers sagen, er fühle sich durch sie persönlich beleidigt. Ich hatte acht Tage zu tun, bis ich diesen Sturm beschworen hatte. Es war ein großer Fehler, sie abzugeben. Uberhaupt legte man in Osterreich einen viel zu großen Wert auf die ganze bulgarische Frage. Man hat ihre Bedeutung eigentlich oft aufgeblasen. Dieses ganze Gerede von der politischen Machtstellung auf der Balkanhalbinsel imponiert mir nicht. Österreich-Ungarn hat lediglich das Interesse, diese Staaten ökonomisch zu beherrschen; politisch sollen sie sich völlig allein überlassen bleiben. Uberhaupt haben Gefühle in der Politik nichts zu tun. Nur das Erreichbare ist in Rechnung zu setzen. Was nützt es, wenn einer mir sagt, es sei eine Lebensfrage für mich, auf einen Tisch zu springen, wenn jeder Versuch nur dazu führen kann, daß ich mir den Fuß breche oder mich vor aller Welt lächerlich mache? So verhält es sich mit den übertriebenen, besonders von Andrässy gepflegten Aspirationen, den Orient betreffend. Man mußte sich vielmehr sagen, daß Rußland ein gewisses Recht auf Bulgarien hatte, da Bulgarien seine Schöpfung der Paternität war. Rußland konnte Dankbarkeit von den Bulgaren verlangen und sah sich darin getäuscht. Ich hatte, wenn ich mich in den russischen Standpunkt hinein-
303
Gemeint ist vermutlich Graf Kaiman Tiszas Interpellationsbeantwortung am 30. 9. 1886 im ungarischen Reichstag, in der er jeden russischen Anspruch auf speziellen Einfluß in Bulgarien zurückwies.
7. Oktober 1898
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versetzte, oft das Gefühl der Verwunderung, daß sich der Zar so viel gefallen ließ. Und er mußte doch schließlich auch mit der Stimmung seines Volkes rechnen! Es war also nicht richtig von uns, ihm zuviel zuzumuten. Aber auch bei uns gab es außer der Politik des Ministers des Äußern noch eine Politik des Generalstabs, Einflüsse von Seite von Erzherzögen und von Ungarn machten sich geltend. Giers behielt dabei stets seine Ruhe, und er ging in seiner kühlen Behandlung der Dinge so weit, daß er mir zuletzt sagte: „Es zeigt sich wirklich, daß nicht bloß Bulgarien, sondern daß auch Europa nicht mit der Sendung des Generals Kaulbars einverstanden ist, wir wollen ihn daher zurückberufen." Man begeht in der Politik einen großen Fehler, wenn man sich nur von Gefühlen, Machtbewußtsein etc. leiten läßt. Ich pflege dem das Wort von der Politik der Epidermis entgegenzusetzen, ich meine, man solle sich besonders um das unmittelbar Notwendige, um das, was die Haut berührt, bekümmern. Ich stimmte in meiner Auffassung meistens mit der des Herrn von Schweinitz überein. Er hatte ja die bessere Position, denn er war der ältere Diplomat und hatte gute Verbindungen mit dem Hofe aus Familiengründen und aus anderen. Er war mir vielfach nützlich, sowohl, weil er mir gute Informationen geben konnte, über die Stimmung in den herrschenden Kreisen und selbst durch Einwirkungen, die er übte. Ich hatte schwierige Zeiten durchzumachen; denn ich war verantwortlich, und die Politik, die in Wien gemacht wurde, stimmte oft nicht mit meinen Uberzeugungen überein. Kälnoky handelte eben oft unter ungarischem Einfluß. Als er ins Amt kam, fühlte er sich höchst unsicher und suchte einen locus standi, auf den er zuerst einen und vielleicht dann den zweiten Fuß setzen konnte. Er setzte sich, wie ich erzählen hörte, zuerst mit dem böhmischen Adel in Verbindung. Personen wie etwa jetzt Fürst Georg Lobkowitz können eine wichtige Stütze sein, aber wie man mir sagte, war Graf Taaffe ihm hierbei ein Hindernis. Taaffe soll immer eine Antipathie gegen ihn gehegt haben. Daraufhin suchte er eine Stütze in Ungarn, und er fand sie in Tisza. Dieser ging darauf ein, und sie wirkten eine Zeitlang zusammen. Es scheinen ganz bestimmte Verabredungen zwischen ihnen bestanden zu haben. Kalnoky ließ sich ohne Frage vielfach von Tisza in der äußeren Politik bestimmen. Als ich sagte, Tisza habe mir gegenüber in Abrede gestellt, daß Kalnoky sich von ihm habe in der bulgarischen Frage bestimmen lassen304, sagte Wolkenstein: Ich bin nicht so unhöflich, Herrn von Tisza Lügen strafen zu wollen, aber ich [bin] berechtigt, mir selbst ein Bild von der Sache zu machen. Dann lockerte sich das Verhältnis, und es ist kein Zweifel, daß Kalnoky es war, der den Grafen Szäpäry an die Spitze der ungarischen Regierung stellte. Aber die Wahl war 304
In den Aufzeichnungen des Gesprächs mit Graf Kaiman Tisza vom 18. 4. 1898 (S. 140-143) findet sich dazu kein Hinweis.
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Heinrich von Halban
nicht glücklich, denn sei es, weil Szäpäry nicht ein genügend starker Mann war, sei es, weil er klerikal gesinnt ist und deshalb nicht die Partei beherrschen konnte, genug, Szäpäry scheiterte zu dem großen Mißvergnügen Kälnokys. Tisza aber war und ist nicht der Mann, der es verzeiht, wenn ihm ein Stoß versetzt wird. Er hat eben die Gelegenheit abgewartet, wann er ein Gleiches tun könne. Und darauf wohl ist der Sturz Kälnokys zurückzuführen305. Der Brief Kälnokys an Bänffy über die Tätigkeit des Nuntius Agliardi war unglücklich abgefaßt. Der Eingang widersprach der Mitte und diese dem Schlüsse. Sonst aber schrieb Kälnoky einen klaren Stil. Aber in dieser Zeit war er überarbeitet. In der letzten Zeit seiner Amtsführung war es beinahe schon eine pathologische Erscheinung, daß er alles selbst schreiben wollte, mit allem unzufrieden war, was er andere arbeiten [lassen] wollte. Jener Brief muß in einem Zustande der Überreizung geschrieben gewesen sein. Als Wolkenstein sich verabschiedete und Plener seine Verdienste hervorhob, sagte Wolkenstein; „Ich wünsche, man solle auf meinen Grabstein setzen: Conservavit pacem." Plener bemerkte nach seinem Weggehen, er wäre unter den Botschaftern jedenfalls am geeignetsten zum Minister des Äußern gewesen, er ist eine charaktervolle Persönlichkeit und der Mann, um auch dem Kaiser und den Erzherzögen gegenüber seine Meinung zu vertreten.
Heinrich von Halban, Kanzleidirektor des Abgeordnetenhauses i. P.
11. Oktober 1898 К 2, U 6, 690 г
Badeni kam mit dem Plane, die Jungtschechen zu versöhnen, von Busk306 nach Wien gleich zu Beginn seines Ministeriums. Er wollte den Wiener Antisemitismus bändigen und ihn zu diesem Zwecke durch die Gewinnung der Jungtschechen isolieren. Ist das nicht Halbansche Konstruktion? Daß sich der böhmische Hochadel gegen ihn stellte, war nur ein weiterer Grund, daß er sich mit [den] Jungtschechen verständigte. Schon Dunajewski wetterte gegen die Leitung des Abgeordnetenhauses durch Smolka307.
305
306 307
Zu Friedjungs Darstellung des Sturzes Kälnokys vgl. Graf Gustav von Kalnoky; in: Historische Aufsätze 355-360. Der Großgrundbesitz der Badenis befand sich nahe der galizischen Stadt Busk. Dr. Franz Smolka war von 1881 bis 1893 Präsident des Abgeordnetenhauses.
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2. November 1898
Carl J. Mühling, Chefredakteur Allgemeinen Zeitung München
der 20.-30. Oktober 1898 Wien К 2, U 6, 691 г
Als er bei Thun war, drohte ihm dieser, der Allgemeinen Zeitung die Grenzen zu sperren, wenn diese gleich feindselig fortfahre. Es habe ihn, Thun, ganz besonders verdrossen, daß Friedjung, also ein Österreicher, so von Osterreich schreiben könnte. "Allgemeine Zeitung 10. Oktober 1898308.a Thun verwahrte sich lebhaft gegen die Einmischung Deutschlands in die inneren Verhältnisse Österreichs. Darauf Mühling: Von einer solchen Einmischung sei keine Rede. Aber die deutsche Presse habe ebensosehr das Recht, sich über österreichische Verhältnisse zu äußern wie die französische oder englische. Die deutsche Regierung aber denke nicht daran, sich einzumengen, und man würde ihr dies auch in hohem Grade verargen. Beweis dessen sei das Verbot gegen Schönerer und Wolf, in Deutschland zu sprechen.309 Ja, dieses Verbot, so erwiderte Thun, ist aber cum grano salis zu verstehen. Ich hielt es, sagte Mühling zu mir, für meine Pflicht, diese letztere Äußerung Thuns dem Grafen Eulenburg zu erwähnen. Darauf sagte Eulenburg zu Mühling: Ich habe dem Grafen Thun stets dasselbe gesagt, freilich auch hinzugefügt, daß wir bei einem gewissen Punkte nicht mehr imstande waren, den Ausdruck der Sympathie des deutschen Volkes für die Deutschen Österreichs in geziemenden Grenzen zu halten.
Ernst von Plener, Präsident des Gemeinsamen Obersten Rechnungshofes
2. November 1898 К 2, U 6, 688 г - 689 ν, 694 r-v
Der Sturz Taaffes wurde in erster Linie von Hohenwart herbeigeführt 310 ; dieser fühlte sich tief verletzt, wie er selbst erzählte. Er sprach vor der Eröffnung der Session mit Taaffe, fragte ihn, ob die Regierung etwas Neues brin300
309
310
Allgemeine Zeitung München v. 10. 10. 1898, Leitartikel 1-2, Steigende Zersetzung in Osterreich. Friedjung bezeichnet darin die Zurücksetzung der Deutschen als Ursache der inneren Probleme Österreichs, und erst durch die Aussöhnung mit den Deutschen „würde dem Staat wieder die innere Einigkeit zurückgegeben werden, die ihn befähigt, auch von außen hereingebrochene Krisen überstehen zu können." Seit dem Oktober 1897 bestand ein de-facto-Redeverbot für diese Abgeordneten in Deutschland, da alldeutsche Veranstaltungen nur mehr unter der Auflage genehmigt wurden, daß keine österreichischen Parlamentarier auftreten. Anlaß für die Demission des Kabinetts Taaffe am 11. 11. 1893 bildete die Ablehnung der Wahlrechtsreform durch das Abgeordnetenhaus. Ergänzung.
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E r n s t von P l e n e r
ge. Nichts von Belang, war die Antwort. Das Budget, die Rekrutenbewilligung und sonst laufende Geschäfte. Damit trennten sie sich. Man hat Hohenwart, so meint Plener, überschätzt. Im Jahre 1871 war er ganz in den Händen des Grafen Clam, ließ sich von diesem weiter drängen als er wollte und verteidigte dessen Programm, welches er zu mildern trachtete, in Wien gegen seine Uberzeugung. Eigentlich hat die liberale Presse, indem sie ihn mit ihrem Hasse verfolgte, ihn größer gemacht als er war. Merkwürdig war und ist, daß er, obwohl durch viele Jahre Obmann des Budgetausschusses und Präsident des Obersten Rechnungshofes, nie zu einer einigermaßen eindringenden Kenntnis des Budgets gekommen ist. Das ist doch sehr bedenklich. Ein tüchtiger Obmann des Budgetausschusses ist sehr wertvoll; wenn er aber über die formale Leitung der Verhandlungen hinausgriff und etwas Sachliches vorschlug, so erwies sich meistens, daß er danebengriff, man ihn auf sein geringes Verständnis der Sache aufmerksam machen mußte. Ganz anders Clam-Martinic. Er kam 1879 ohne Kenntnis dieser Dinge nach Wien. Aber er arbeitete sich so tüchtig hinein, daß er den Stoff übersah und beherrschte. Allerdings hatte Hohenwart die Fähigkeit, seine Leute klug zusammenzuhalten; aber oft war er doch geärgert, überließ die Dinge längere Zeit sich selbst. Überhaupt war sein kühles, glattes Äußeres nur etwas Äußeres. Er war im Grunde eine leidenschaftliche, reizbare Natur, die sich nur zu beherrschen wußte. So brach sein Unwillen über den Grafen Taaffe jäh hervor. Als ich nun fragte, wieso es kam, daß er dann das Koalitionsministerium zerstören half, sagt Plener: „Ja, er [war] einer der Totengräber des Koalitionsministeriums. In der Cillier Frage311 schien er anfangs nachzugeben, dann aber berief er sich darauf, daß es ihm unmöglich sei, die Slowenen seines Clubs vor den Kopf zu stoßen. Viel schädlicher war sein langes Hinhalten und Verzögern der Wahlreform. Hier ließ er sich zuerst von der Schäffleschen Idee bestimmen: Wahl durch Landtage teilweise und teilweise allgemeines Wahlrecht312. Als er doch sah, daß er auch bei seinen Leuten keinen Anklang fand, kam er mit neuen, ebenso wenig durchzusetzenden Vorschlägen von den Arbeiterkammern. Das war in diesem Stadium nicht mehr mög311
312
Als im Budgetausschuß am 18. 6. 1895 die Kosten der Errichtung von slowenischen Parallelklassen am Gymnasium von Cilli (Celje) genehmigt wurden, trat die Vereinigte Deutsche Linke aus der Koalition aus, wodurch das Ministerium Windischgraetz die Mehrheit im Abgeordnetenhaus verlor und darauf zurücktrat. Der Nationalökonom und ehemalige Handelsminister (1871) Albert Schäffle befürwortete eine Mischform aus allgemeiner Volkswahl und berufsgenossenschaftlicher Vertretung, wobei zwei Drittel der Abgeordneten durch Volkswahl bestimmt worden wären; vgl. Kurt Ruso, Albert Schäffle und Osterreich. Ein Beitrag zur inneren Geschichte der Donaumonarchie in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, phil. Diss. (Wien 1960) 142-143.
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lieh. Endlich kam er mit der Idee, eine Kurie für die kleinsten Steuerträger und eine für die Arbeiter zu schaffen. Das hätte nach Pleners Ansicht die Linke akzeptieren sollen; es war Eigensinn, daß sie es nicht tat. 3 Die Klerikalen hatten gewiß ein Parteiinteresse an dieser Lösung, sie führten auch an: Der Bauer wolle nicht mit seinem Knecht zusammen wählen. Übrigens hätten die Arbeiter bei dieser Wahl mehr Mandate gewonnen als jetzt. Als ich einwendete, daß bei dieser Lösung eine noch schärfere Spaltung der Berufskreise und Interessen eingetreten wäre, gab Plener dies zu, sagte aber: Aber der jetzige Modus ist doch gar unpraktisch, diese großen Wahlbezirke, diese Zufallswahlen! Ich, sagte Plener, habe damals daraufhingewiesen, daß man die Volksbewegung für das allgemeine Wahlrecht überschätze. Und ich habe recht behalten, sonst wäre es nicht möglich, daß sich die Massen mit der jetzigen unbefriedigenden Lösung begnügen. Ich machte die Bemerkung, daß Hohenwart wohl dem Kaiser zuliebe gegen das Koalitionsministerium gearbeitet habe, weil er es gutmachen wollte, daß er ihm dieses ihm unliebsame Kabinett aufgezwungen habe. Das ist möglich, sagte Plener mit Nachdruck, aber ich kann nicht wissen, was hinter meinem Rücken vorging. Mein eigentlicher Gegner war Falkenhayn. Es war sein alter Haß gegen die Liberalen, der mitspielte; er war bockig und stets mein Widersacher. Und gerade er gewann Einfluß auf Windischgraetz. Aber Falkenhayn, so fragte ich, ist doch nicht der Mann gewesen, um mit Selbständigkeit Partei zu ergreifen und zu bilden. Stand nicht Hohenwart hinter ihm? Möglich, war wieder die Antwort Pleners. Sollte er sich nicht aussprechen wollen? Es machte auf mich doch mehr den Eindruck einer geringeren Schärfe des Urteils. Aber das wäre doch so auffallend, daß ich in meinem Urteil vorsichtig sein muß. Denn die Dinge sind doch nicht so verwickelt, daß er sie nicht gefühlt haben müßte. Falkenhayn nun machte Windischgraetz mißtrauisch. Ich trat für ihn ein. Erzählt wieder die Vorgänge im Ausgleichsausschuß313. Windischgraetz Präsident, Schmeykal Vizepräsident, aber Plener hatte zufallig seinen Platz neben Windischgraetz. Dieser richtete sich nach Pleners Rat, so daß die Tschechen sagten: Windischgraetz stehe unter dem Diktat Pleners. Als es sich um [die] Besetzung der Ministerpräsidentenstelle handelte, empfahl ich Windischgraetz. Hohenwart [war] zuerst einverstanden. Am nächsten Tage kam er zu mir und meinte, Thun wäre vorzuziehen. Thun sei gewandter, schneidiger, begabter. Ich nahm Windischgraetz' Partei. Unter den deutschböhmischen Abgeordneten bestand doch gegen Thun von früher her eine gewisse Abneigung gegen Thun [sie!]. Und ich hatte, wie sich jetzt herausstellt, recht, daß ich mich gegen Thun aussprach. Ich glaubte, Windischgraetz werde sich von 313 a
Vgl. S. 82. Mit zwei Rufzeichen am Rand
kommentiert.
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Ernst von Plener
mir leiten lassen; es war leicht, mit ihm zu verkehren, da er angenehme Formen hat. Die ersten vier Monate schenkte mir Windischgraetz volles Vertrauen. Dann aber wurde er von Falkenhayn gegen mich eingenommen. Ob wohl Hohenwart dahinterstand? fragte ich. Möglich, ich kann nicht wissen, was hinter mir vorging, war jetzt die Antwort Pleners. Genug, es wollte gar nicht zusammengehen. Sehr viel schadete auch der kleine Bacquehem, ein gewandter Mann, der aber bald merkte, daß der Kaiser nicht das Ministerium mochte, und ihm zuliebe beim Kaiser sich dahin aussprach: Es werde nicht gehen, und den Kaiser so darin bestärkte. Er hegte aber nur den Wunsch, bald nach Graz zu kommen314. Später bereute er sein Verhalten, wie er auch jüngst bei mir war und offen bekannte. Er hat sich jetzt zwei Jahre sehr unglücklich in Graz gefühlt. Ich sagte ihm: Wenn Sie es nur einsehen, daß Sie Unrecht taten, das Koalitionsministerium nicht zu stützen! Sehr bitter sprach sich Plener gegen die Partei aus. Gerade die einflußreichen Männer machten ihm die größten Schwierigkeiten, während die „kleinen Leute" sich bis zuletzt sehr gut benahmen. Es wäre mir, sagte Plener, eine Befriedigung, wenn ich mich einmal offen darüber aussprechen und die Ursache meines Rücktritts aus der Partei darlegen könnte315. Denn noch jetzt fällt man über mich die ungerechtesten Urteile, und ich bin es beinahe mir selbst schuldig, diese Dinge aufzuklären. Auf diesen Punkt kommt Plener sehr oft zu sprechen, immer mit großer Bitterkeit. Ich sagte begütigend, daß diese Reibungen schließlich doch nicht die Entscheidung gebracht hätten; die Ursache des Falles des Ministeriums war ja doch die Abneigung des Kaisers. Dagegen trete alles zurück. Dies gab mir Plener zu. In einem anderen Zusammenhange: Neben Windischgraetz und Thun kam noch Badeni als Ministerpräsident in Betracht. Aber ich (Plener) kannte ihn damals viel zu wenig, um mich für ihn zu erklären, und der Kaiser wünschte ihn nicht abzunützen, da er ihn sich für eine spätere Kombination aufsparte. Wir kamen auf Aufgaben für den Geschichtsschreiber zu sprechen, und ich meinte, ich würde mich am liebsten dem 16. und 17. Jahrhundert zuwenden. Plener sprach sich ganz entschieden dagegen aus. Ich sei doch in erster Linie Publizist, es sei eine lohnende Aufgabe, die Geschichte der letzten 20 Jahre zu schreiben. Ich entgegnete, wie unmöglich das sei, man kenne die geheimen Vorgänge nicht, besonders nicht die Beziehung des Kaisers zu seinen Ministern. Wozu also ein unvollständiges, schlechtes Buch schreiben? Das Gespräch wurde wärmer, und er ließ sich über seinen Plan aus, seine Memoiren 314 315
Marquis Oliver Bacquehem war vom 10. 10. 1895 bis 1. 12. 1898 Statthalter in Graz. Ernst von Plener zog sich nach dem Rücktritt des Kabinetts Windischgraetz, dem er als Finanzminister angehört hatte, aus der Politik zurück und wurde Präsident des Gemeinsamen Obersten Rechnungshofes.
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zu schreiben316. Dabei zeigte es sich, daß es ihm immer auf der Seele brennt, sich zu rechtfertigen, daß er von tiefem Groll gegen die liberale Partei erfüllt ist und die, wie er glaubt, gerechten Ursachen seiner Bitterkeit darlegen möchte. Indessen, so wendete er selbst [ein], wenn er diese Memoiren schreiben wollte, müßte er zu viel verschweigen, denn es leben doch alle die Menschen, über die er schreiben müßte. Besonders sei es unmöglich, über den Kaiser mit aller Offenheit zu schreiben. So gab [sie!] er zuletzt darauf, daß die Memoiren, wenn sie die volle Wahrheit enthalten sollten, erst nach seinem Tode erscheinen könnten. Mit aller Wärme bestärkte ich ihn in dem Gedanken, daß sie nur so geschrieben werden dürften, daß sie die volle Wahrheit enthielten. Nur so seien sie der Rolle würdig, die er gespielt habe. So werde er sein Andenken würdig in der Erinnerung erhalten und auch zu Nutz und Frommen künftiger Politiker erzählen. Er ging warm auf diese Idee ein. Ich hatte den Eindruck, daß ich eine Wirkung auf ihn geübt habe, und daß er von der Idee, etwas für eine baldige Veröffentlichung zu schreiben, zu der anderen neige, etwas tiefer Greifendes in Angriff zu nehmen. „Das müßte", sagte er, „ein umfassendes Werk werden, welches die Charakteristik aller Personen meiner Zeit enthielt, und eine tiefere Begründung dessen, was ich erstrebt habe. Indessen, ich bin zu faul zum Schreiben; das Schreiben macht mir physisch eine Schwierigkeit, und ich müßte mir einen Stenographen nehmen, einen zuverlässigen Menschen . . . " Kurz, nun wie er sich in diesem Gedanken befestigte. Ich irre wohl nicht, wenn ich annehme, daß mein warmes Zureden ihn von der schiefen Idee, etwas zu seiner Rechtfertigung, etwas gegen die Linke Gerichtetes zu schreiben, abbrachte, und daß ich ihn auf ein höheres Ziel hinwies. Es war merkwürdig, wie er sich darin bestimmbar zeigte, ich weiß freilich nicht, ob der keimende Vorsatz auch Früchte zeitigen wird. In diesem Zusammenhange erzählte er mir, daß er Singer (Sieghart)317 eine biographische Skizze diktiert hatte, die sich die Stadt Bilin für ihr Ehrenbürgerbuch erbeten hatte.
Prinz Karl Max Lichnowsky, Erster Sekretär an der deutschen Botschaft in Wien
2. November [1898] К 2, U 6, 691 ν
Lichnowsky erkundigte sich bei mir eingehend über alle Fälle der Widersetzlichkeit der tschechischen Reservisten, die sich geweigert [sie!] hatten, 316 317
Vgl. Ernst von Plener, Erinnerungen. 3 Bde. (Stuttgart - Leipzig 1911-1921). Rudolf Sieghart, bis 1896 Singer, der spätere Vorstand der Präsidialkanzlei im Ministerratspräsidium (1902-1910), arbeitete von 1884 bis 1894 im Büro der Deutschen Vereinigten Linken. Vgl. Rudolf Sieghart, Die letzten Jahrzehnte einer Großmacht. Menschen, Völker, Probleme des Habsburger-Reichs (Berlin 1932) 17-25.
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Graf Kuno Moltke
sich mit Zde zu melden318. Da Eulenburg nicht in Wien ist, so berichtet er darüber gewiß nach Berlin. Ich habe Lichnowsky selbstverständlich nur das gesagt, was in den Wiener Zeitungen zu lesen war, die während der jüngsten Abwesenheit Lichnowskys nicht von ihm gelesen worden waren. Er fragte mich, ob ich glaube, daß die Nationalitätenverhältnisse schon auf das Heer Einfluß geübt und etwa gar eine gewisse Unzuverlässigkeit in dem Kampfe zum Beispiel gegen Rußland hervorgerufen hätten. Ich sagte wahrheitsgemäß, daß ich dieser Ansicht nicht wäre. Es habe sich 1866 gezeigt, daß die Truppen sich gut schlugen, auch wenn politischer Zwist bestehe. Damals waren nur die Italiener eine Ausnahme. Damals hatte sich gezeigt, daß, wie ich in meinem Werke auseinandersetzte, die Ungarn erst nach der Niederlage weniger zäh gewesen waren, aber auch nur die Infanterie aus den bekannten Gründen319. Ja, sagte Lichnowsky, es ist eben nur der locus minoris resistentiae! Graf Thun, so sagte Lichnowsky, sei amtsmüde. Er sei geärgert [sie!], enttäuscht, daß er die Schwierigkeiten nicht überwinden könne. Er ist überhaupt nicht der Mann zu durchgreifenden, vor nichts zurückschreckenden Maßregeln. Er fühlt selbst, daß es gefährlich ist, gegen die Deutschen vorzugehen, und möchte nicht die Verantwortung auf sich laden, daß sie noch mehr zu Schönerer abschwenken; aber auf der anderen Seite steht er unter dem Einflüsse seiner feudalen Freunde und will sich nicht von den Tschechen trennen. Lichnowsky hält ihn also für einen wenig entschlossenen Charakter.
Graf Kuno Moltke, deutscher Militärattache Flügeladjutant des deutschen Kaisers
in Wien und 4. November 1898 К 2, U 6, 691 г
Er erzählte, daß er mitunter für Lektüre Kaiser Wilhelms sorge, er habe ihn auf mein Werk aufmerksam gemacht, und der Kaiser habe sich, wenn er sich dasselbe selbst bis vier Stunden vorlesen ließ, mit dem größten Lobe darüber geäußert. „Welch prachtvolle Schlachtschilderung", rief er aus, und ein anderes Mal: „Wo hat er das nur her?"
318
319
Die tschechischen Nationalisten verlangten die Zulassung des tschechischen „Zde" neben dem deutschen „Hier" in der österr.-ung. Armee, was von der Heeresleitung als gegen die einheitliche Armeesprache verstoßend abgelehnt wurde. Vgl. Kampf um die Vorherrschaft. Bd. 2, 347. Friedjung spricht von nationalistischer Agitation sowie vor allem von der Wirkung des dem österreichischen Vorderlader weit überlegenen preußischen Zündnadelgewehrs.
4. November 1898
Wilhelm, von Härtel, Sektionschef im Unterrichtsministerium
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4. November [1898] К 2, U 6, 690 r-v
Die Stellung Gautsch' als Ministerpräsident war sehr schwierig. Er ist ein Mann ohne großen Titel, ohne Vermögen, eigentlich ohne Stellung, denn daß er als Unterrichtsminister seine Sache leidlich gut gemacht hatte, war noch keine genügende Grundlage für ein leitendes Amt. Er hatte für sich nur sein Savoir faire. Er fiel, weil der böhmische Adel gegen ihn arbeitete320, der keine Verständigung will und der offenbar die Hauptursache unserer Wirren ist; der Anlaß seines Rücktrittes aber war der, daß ihm die Ungarn nicht die geringsten Konzessionen machen wollten. Sie gingen sogar so weit, daß sie erklärten, das Junktim sei nur eine Badeni gemachte Konzession gewesen, an die sie ihm gegenüber nicht mehr gebunden seien321. So fand er nirgends eine Stütze und trat lieber zurück. Damals zeigte es sich, daß der Kaiser einer ernsten, festen Vorstellung zu Gunsten der Deutschen zugänglich sei. Es handelte sich darum, die Studentenunruhen in Wien und Graz ohne viel Reibungen zum Abschlüsse zu bringen, aus Anlaß des gegen die deutschen Studenten Prags erlassenen Verbots des Farbentragens 322 . Es ist in erster Linie das Verdienst des damaligen Unterrichtsministers Grafen Latour, daß dies geschah. Er fand für die vernünftige Auffassung beim Kaiser Gehör. Dabei machte ihm Krieghammer, der Kriegsminister, Schwierigkeiten. Denn die Bewegung sprang auch auf das Theresianische Institut in Wien über, welches zum Teil der Militärverwaltung untersteht, und Krieghammer war für die schärfsten Maßregeln. Er benahm sich wie ein Bramarbar, weil er wußte, daß jede scharfe Maßregel gegen die Deutschen dem Kaiser willkommen sei. Aber da er keine selbständige Natur ist und vor allem dem Kaiser angenehm ist, ist er schwächlich und 320
321
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Freiherr Paul Gautsch von Falkenthurn war vom 28. 11. 1897 bis 5. 3. 1898 österreichischer Ministerpräsident. Er demissionierte, weil auch er keine Lösung der böhmischen Sprachenfrage erzielen konnte. Ministerpräsident Graf Kasimir Badeni hatte auf dem Junktim zwischen allen Ausgleichsfragen und der Regelung der Quote, dem Aufteilungsschlüssel der gemeinsamen Ausgaben zwischen den beiden Reichshälften, bestanden und dies auch von der ungarischen Regierung zugestanden bekommen. Als sein Nachfolger Paul von Gautsch versuchte, die von Badeni vereinbarten Ausgleichsbestimmungen abzuändern, wurde ihm vom ungarischen Ministerpräsidenten Dezsö Bänffy in einer Note vom 6. 1. 1898 mit der Aufkündigung des Junktims gedroht. Am 20. 1. 1898 erließ der Prager Polizeidirektor ein Verbot des Tragens „demonstrativer Abzeichen." Aufgrund der daraufhin einsetzenden Studentenproteste wurde das Semester an allen deutschen Universitäten (mit Ausnahme von Czernowitz) am 7. Februar, zwei Wochen vor dem üblichen Termin, geschlossen und der Beginn des Sommersemesters um eine Woche verschoben. Die Aufhebung des Verbotes des Farbentragens in Prag erfolgte am 2. März, worauf die Vorlesungen wie geplant am 7. März beginnen konnten.
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Graf Philipp Eulenburg
nachgiebig gegen Magyaren und tschechische Ansprüche. Da war der alte Bauer, der frühere Kriegsminister, ein anderer Mann. Gautsch nun konnte sich nicht mit den Studentensachen beschäftigen, da sie Sache des Unterrichtsministeriums sind, und da er nicht über diese Kleinigkeiten stürzen konnte. Der Kaiser, so sagte Härtel, schließt sich immer mehr ab, und mit wem sollte er sich auch beraten und verkehren - etwa mit seinen Ministern? (verächtlich). Fürst Liechtenstein, Botschafter in Petersburg, sei ein geistreicher, den zünftigen Diplomaten überlegener Mann. Seine Geschäftsstücke mögen nicht genau erledigt sein; aber was das Wesentliche betrifft, so leistet er gewiß gute Dienste. Er hat freilich viele Jahre hindurch nichts gemacht, als die Nacht hindurch im Club zu liegen und dort zu spielen, die Tage durchzuschlafen. Aber er fand dabei doch Zeit, viel zu lesen. Als er nach Petersburg kommen sollte, studierte er durch acht Wochen (ich machte im Stillen die Bemerkung, daß dies nicht eben viel sei) russische Geschichte und Zustände und ließ sich von einem Beamten der Hofbibliothek Bücher zusammenstellen, die er dann kaufte und nach Rußland mitnahm. Uber den Generalstabschef Beck sagte er einmal: „Der eine studiert auf den Schuster, der andere auf den Juristen, Beck hat den Kaiser studiert und weiß ihn zu behandeln." Uber Beck sagte mir G M Auspitz: Er habe doch große Verdienste. Er sei eigentlich der Schöpfer des Generalstabskorps als einheitliche Körperschaft. Kuhn habe ihn absichtlich in den Hintergrund gedrängt, John zu kurz gelebt, Schönfeld war kein Organisator. Beck habe viel für seine Organisation und Bildung getan. Auch Oberst Wolanka323 meinte, sein Fleiß sei merkwürdig groß. Er reitet immer früher die Felder für die Generalstabsübungen ab; bei Manövern sei [er] unausgesetzt tätig, er schwitzt dabei immer vor Eifer und Arbeit, wenn er daherreitet.
Graf Philipp Eulenburg, deutscher Botschafter in Wien
30. November 1898 К 2, U 6, 692 r - v
Eulenburg sagte mir, er freue sich, mich endlich zu sehen, da er mir eine Mitteilung zu machen habe. Auf der letzten Nordlandreise haben Kaiser Wilhelm, Eulenburg, Graf Moltke, der Kommandeur, und Graf Moltke, der Militärattache, sich mein Werk gegenseitig vorgelesen, und der Kaiser habe ihn beauftragt, mir seine Anerkennung und sein hohes Interesse an dem Werk mitzuteilen und zugleich, daß der Kaiser mein Verehrer sei, da ich ihm das 323
Wahrscheinlich Oberst Ludwig Wanka, Offizier in der Militärkanzlei des Kaisers.
30. November 1898
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große Vergnügen bereitet habe. Eulenburg fügte hinzu, er hätte gewünscht, daß ich unsichtbarer Zeuge dieser Vorlesung und der sich an sie knüpfenden Gespräche gewesen sei. Der Kaiser sei erstaunt gewesen über die Schlachtschilderungen und über die Klarheit und Schönheit der Darstellung der politischen Ereignisse. Oft sei dann das Buch weggelegt worden, und man habe sich über die von mir charakterisierten Personen unterhalten. Denn es reihe sich ja ein fesselndes Bild an das andere. Er, Eulenburg, sei als Freund des Kaisers erfreut, daß dieser die Ereignisse von 1866 jetzt in vollem Zusammenhange kennengelernt habe, da er doch damals zu jung gewesen sei, um eine volle Kenntnis der Begebenheiten besitzen zu können. Eulenburg meint: Wie viele Türen müssen Ihnen offen gestanden sein! Ich bat Eulenburg darauf, dem Kaiser meinen ehrerbietigsten und untertänigsten Dank zu sagen und bat ihn, mir zu sagen, da ich der Formen nicht kundig sei, in der ich etwa sonst dies zum Ausdrucke bringen solle, ob ich dies etwa selbst zu schreiben habe. Eulenburg sagte, er habe ohnedies am nächsten Tage dem Kaiser zu schreiben, da er noch heute das Geschenk Wilhelms an Kaiser Franz Joseph zu dessen Jubiläum324 zu überreichen habe. Bei diesem Anlasse werde er den Dank melden. Ich bemerkte hierauf, daß demnächst eine dritte Auflage meines Werkes erscheinen werde und fragte, ob ich sie dem Kaiser überreichen solle. Eulenburg meinte, ich solle das gewiß tun. Der Kaiser werde sich damit sehr freuen. Ich solle ein Schreiben entwerfen und der Sendung beilegen. Er selbst wolle dann die Ubersendung besorgen. Das Gespräch wandte sich dann der Politik zu, zumal die Antwort des Grafen Thun auf die Interpellation der Tschechen und Polen, die Ausweisungen an [sie!] Preußen betreffend325. Eulenburg sagte, ich will mich ganz offen Ihnen gegenüber aussprechen. Man hätte hoffen können, daß die verhängnisvolle Entwicklung, welche Sie in Ihrem Werke schildern, einhalten werde; aber das ist leider nicht der Fall. Besonders ist bedauerlich, daß das slawische Element in Österreich an Einfluß unaufhörlich wächst. Graf Thun weiß nun, daß er in Deutschland nicht viel Liebe genießt, und er erwiderte das in seiner Interpellation offenbar mit gleicher Münze. Übrigens 324 325
Das 50jährige Regierungsjubiläum Franz Josephs am 2. 12. 1898. In der Beantwortung einer am 16. 11. 1898 eingebrachten Interpellation tschechischer und polnischer Abgeordneter bezüglich der Ausweisung österreichischer Staatsbürger, meist Tschechen und Polen, aus Preußen erklärte Ministerpräsident Graf Franz Thun am 29. 11.1898, die Regierung werde die Situation prüfen und in Übereinstimmung mit dem Außenministerium energisch gegen die preußischen Maßnahmen vorgehen, falls es sich herausstellen sollte, daß es sich um mehr als Polizeimaßnahmen in individuellen Fällen handle. Er erwähnte dabei auch die Möglichkeit reziproken Vorgehens seitens der österreichischen Behörden. Die preußische Regierung provozierte darauf eine Bündniskrise, indem sie Thun zur öffentlichen Zurücknahme seiner Aussagen aufforderte, was dieser mit Rückendeckung des Kaisers ablehnte.
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Graf Bernhard Rechberg-Rothenlöwen
wolle er (Eulenburg) gerecht sein und seine Motive würdigen; es sei keine Frage, daß er unter einem gewissen Zwange gehandelt habe, da er sich auf die Slawen stütze und deshalb so spreche, um sie an sich zu fesseln. Eulenburg behauptet, er glaube, Goluchowski stehe der Form dieser Ausführungen wohl ferne. Es sei nicht wahrscheinlich, daß er den Schlußpassus mit der Drohung von Repressalien selbst entworfen oder auch nur gekannt habe. Denn Goluchowski zeigte sich, wenn er mit Eulenburg sprach, dem Standpunkte der preußischen Regierung zugänglich; er habe eingesehen, daß die preußische Regierung ernste Gründe habe, das polnische Element in den Grenzprovinzen, zumal in Schlesien, nicht anwachsen zu lassen. Es wäre nun ganz unerwartet und unerklärlich, daß Goluchowski öffentlich um so viel schärfer Einspruch erhebe als im diplomatischen Verkehre.
Graf Bernhard Rechberg-Rothenlöwen, Mitglied des Herrenhauses, Außenminister
a. D. 10. Dezember 1898 К 5, U 3 , 56 г - 5 7 г
Merkwürdiger Eingang durch Park. Tiefe Stille, während rings Getümmel von Wagen zur Brauerei. Schlößchen Zeichen des Verfalls326. Wütendes Gebell des Hundes. Sein Diener sagt mir, er sei beim Speisen. Er bittet mich zu warten. Er sagt, ich müsse etwas geschrieben haben, was Rechberg sehr angenehm sei. Rechberg ist verhaltener als das letzte Mal3, ganz in sich eingesunken, begrüßt mich schweigend, mir Hand reichend, läßt mich setzen. Womit kann ich dienen? Ich antwortete, mich führe nur Dank her, den ich ihm für seinen Brief aussprechen wolle327. Schön, das freut mich. Ohne Überlegung fragt er gleich: Ich wäre begierig zu wissen, welches Ihre Meinung über [die] jetzige politische Situation ist, wie herauszukommen wäre. Ich: Durch ehrliches Einlenken zu Gunsten der Deutschen nämlich. Er: Ja, es geht nur auf streng parlamentarischem Wege. Die Minorität muß sich Majorität fügen. Sonst geht alles zugrunde, auch Parlamentarismus. Ich: Aber den Deutschen steht ihre Nationalität höher als Parlamentarismus. Er: So scheint es. Nun, ich bin ein Deutscher, war ein Zentralist und werde es bleiben. Ich bin gewiß der Meinung, Osterreich könne nur deutsch sein oder es 326
327
a
Graf Bernhard Rechberg lebte auf Schloß Kettenhof bei Schwechat, nahe der Dreherschen Großbrauerei. Vgl. Graf Bernhard v. Rechberg; in: Historische Aufsätze 320. Als einziger erhaltener Brief findet sich ein Schreiben Rechbergs an Friedjung vom 17. 1. 1898. WStLB INr. 163.094. Weitere Gesprächsaufzeichnungen mit Graf Bernhard Rechberg sind nicht erhalten.
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könne nicht bestehen328. Darin hat man viel gesündigt. Schon unter Goluchowski und Taaffe. Es gab einen Plan, Osterreich in Departements zu teilen. Sie werden nicht erraten, wer das 1849 [sie!] vorschlug. Ich machte ein fragendes Gesicht. Er: Heinrich Clam. Freilich ist zu fragen, ob sich die Sache durchführen ließ, am wenigsten in Ungarn. Ich komme wieder darauf, ob er nicht Memoiren geschrieben habe. Nein, war die Antwort. Nicht etwa aus Bequemlichkeit, sondern weil ich es vermeiden wollte, über so manchen hervorragenden Mann, mit dem ich zusammen wirkte, ein scharfes Urteil fallen zu müssen. Ich fragte nach der Stelle, wo Bismarck in [seinen] Memoiren von seinem Zusammenstoß mit Rechberg erzählt329. Die Sache verhält sich nicht so, wie Bismarck sie erzählt. Damals handelte es sich um die Pensionierung der Offiziere, welche 1849 in Schleswig Holstein gegen Dänemark kämpften. Ich hatte nach Wien berichtet, daß es sich empfehle, wenn Österreich dafür stimme. Aber als der Tag der Abstimmung kam, war meine Instruktion noch nicht eingelangt. Ich sprach also vor der Sitzung mit Bismarck und bat ihn, er solle mich dahin unterstützen, daß der Gegenstand von der Tagesordnung abgesetzt werde, was nur geschehen könnte, wenn der Antrag einstimmig angenommen werde. Darauf „gingen wir hinunter" in den Sitzungssaal. Als aber der Gegenstand zur Beratung kam, war der erste, der widersprach, Bismarck. Ich nahm nun nicht Anstand, öffentlich zu sagen, wie sich die Sache verhalte, und bat, meine Abstimmung im Protokoll offen zu halten, denn die Instruktion könne jede Stunde eintreffen. Indem ich nun Bismarck vor der Versammlung bloßstellte, war der Bruch zwischen uns entschieden, und neue Annäherung konnte nur unter Vermittlung eines Dritten stattfinden, Oertzen, der mecklenburgische Gesandte, glich die Sache aus. Ich fragte nun, ob die Herausforderung zum Duell dann etwa im Laufe eines Wortwechsels stattgefunden habe. Rechberg wich aber aus, in seiner uralten Weise, vielleicht weil er sich schämte, und sagte ablehnend: Es kam zu keiner Herausforderung. Rechberg kam dann auf die gegenwärtige (auswärtige) Weltpolitik zu sprechen, auf den Gegensatz zwischen Rußland und England in Ostasien, und verbreitete sich ziemlich ausführlich. Der Kern war der Satz, daß es zwi328
329
Friedjung zitierte diesen Ausspruch in seinem Nachruf auf Rechberg in Allgemeine Zeitung München v. 1. 3. 1899. Friedrich Engel-Janosi, Graf Rechberg. Vier Kapitel zu seiner und Österreichs Geschichte (München - Berlin 1927) 140 nennt auf einer Seite den auf einer Mitteilung Rechbergs beruhenden Satz des Nachrufes des Wiener Korrespondenten der Allgemeinen Zeitung und Friedjungs Kampf um die Vorherrschaft, in dem dieser mündliche Informationen des Grafen verwertete, stellt jedoch die Verbindung nicht her. Fürst Otto Bismarck schreibt, Rechberg habe ihn im Zuge einer Auseinandersetzung zum Duell gefordert. Vgl. Otto von Bismarck, Gedanken und Erinnerungen. Neue Ausgabe. Bd. 1 (Stuttgart - Berlin 1922) 379-380.
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Freiherr Alois Lexa von Aehrenthal, Emil Jettel und Graf Hugo Kalnoky
sehen Rußland und England einmal zu einem großen Zusammenstoße in Asien kommen müsse, er sprach etwa so, wie man es in den 60er Jahren allgemein annahm. Es klang altmodisch, aber es kann jeden Tag wieder wahr und selbst neu werden. Deutschland, meinte er, bedürfe keiner großen Flotte, nur einer solchen, um seinen Handel gegen kleinere Raubstaaten etc. zu schützen. Merkwürdig war, was er im Anschluß über das Gespräch über die innere Politik über das künftige Verhältnis zwischen Deutschland und Österreich sagte. Das Gespräch kam auf die österreichischen Irredentisten, er fragte: Glauben Sie, daß Kaiser Wilhelm sich mit Annexionsplänen trägt? Als ich dies, wenigstens für die nächsten Jahre, verneinte, stimmte er mir zu: Jetzt nicht, aber wer weiß, was in zehn Jahren oder später geschieht. Denn Kaiser Wilhelm denkt oft sprunghaft, unvermittelt, er ist voll Begabung, aber ich glaube, er hat etwas nicht ganz Normales von seinem englischen Blute. Auch Königin Victoria hatte „einen Streif, das machte sich in früheren Jahren doch bemerklich, und es ist möglich, daß das auch [bei] Kaiser Wilhelm einmal ausbricht. Als ich ihn fragte, ob ich ihn wieder einmal besuchen kann, sagte er, er werde sich freuen. Sein Diener Tomacek (?) sagte mir, er sei nie krank. Nur einmal überkam ihn ein heftiges Unwohlsein, und Tomacek, unruhig werdend, ließ den Arzt holen. Aber Rechberg hatte sich wieder erholt und sagte zum Arzt nur, es freue ihn, ihn gesehen zu haben, verabschiedete ihn aber sofort. Bei trockenem Wetter geht Rechberg im Park spazieren. Haus und Park sind schon seit vielen Jahren an Dreher verkauft, jedoch behielt sich Rechberg vor, so lange darin zu wohnen, als es ihm beliebe. Dreher läßt alles herrichten, was er wünscht. Nun, damit sieht es nicht gut aus; die Zimmer, durch die man kommt, haben zersprungene Tapeten. Dreher hat ihn recht gerne. Rechbergs Appetit ist vortrefflich, es schmeckt ihm besser als einem Gesunden, meint Tomacek.
Freiherr Alois Lexa von Aehrenthal, Gesandter in Bukarest, Emil Jettel von Ettenach, Sektionsrat im Außenministerium und Graf Hugo Kalnoky, Generalmajor i. P. Souper bei Sacher, 20. Dezember 1898 К 5, U 10, 319 г - 320 ν; К 2, U 6, 696 r-v Jettel und ich kamen pünktlich 9 Uhr. Als die quart d'heure de grace zu Ende war, ließ Aehrenthal servieren. Wieder in dem reizenden letzten Zimmer. Etwas später kam Kalnoky mit der Entschuldigung, er wohne in Hietzing und konnte nicht Zeit genau abmessen. Ehemaliger Offizier (General)
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mit einer Binde über einem Auge. Etwas kurz und absprechend. Höflich, wenn auch Selbstgefühl durchscheint. Mich und Jettel behandelt er doch etwas par distance. Seltsam, daß Aehrenthal mich irrtümlicher Weise als Dr. Franz Zweybrück vorstellt, worauf ich ihn später aufmerksam mache, er kennt Zweybrück schon seit langem, entschuldigt sich. Aehrenthal und Kalnoky sind auf dem Du-Fuße, sie haben nach der Krönung Alexanders III., also 1883, wenn ich nicht irre, eine Reise durch Südrußland, Kaukasien, Armenien und nach Batum gemacht. Sie tauschen ihre Erinnerungen aus, erzählen Interessantes, Kalnoky mit dem Blicke des Naturfreundes, botanische Kenntnisse verratend, Aehrenthal mehr die Menschenrassen schildernd. Aehrenthal hat offenbar ein treffliches Gedächtnis, denn er erinnert sich an alle Ortsnamen russischen und asiatischen Klangs. Das Gespräch wendet sich auch künstlerischen Fragen [zu]. Kalnoky verwirft mit Schärfe und höhnisch die moderne, naturalistische Malerei; ich frage ihn, ob er die letzte (zweite) Ausstellung der Sezessionisten angesehen habe, er antwortet fast schroff: Das ist mir nicht eingefallen. Das ist eine Probe seiner Vorurteile. Alle Mitglieder seiner Familie zeichnen oder malen ein wenig. Er selbst hat einen Winter in München zugebracht und dort gemalt, um zu sehen, ob mehr in ihm stecke. In demselben Atelier malte auch Canon, ehemaliger österreichischer Offizier. Einmal kam König Ludwig I. zu Besuch, Canon war in höchster Aufregung, was der König über eines seiner Bilder sagen werde. Der König betrachtete es, dann fragte er Canon: „Österreichischer Offizier?" Als Canon bejahte, sagte er kurz: „Weiter dienen!" Als nun Hugo Kalnoky nach Wien zurückkehrte und seinem Bruder Gustav Kalnoky seine Bilder zeigte, sagte dieser statt jeder Kritik: „Weiter reiten!" Denn Hugo Kalnoky war Kavallerieoffizier. Gustav Kalnoky war eben in allem für seine Geschwister Autorität. Auch wenn es sich um eine strittige Frage bezüglich Reitens handelte, wurde seine Entscheidung angerufen und widerspruchslos hingenommen. Nach dem Souper leitete Aehrenthal die Besprechung über die Biographie förmlich ein330. Kalnoky nahm sofort das Wort und führte aus, daß es noch zu früh sei, über ihn zu veröffentlichen. Es hätte auch seinem Bruder nicht entsprochen, daß man von intimeren Dingen, die ihn betrafen, vor die Öffentlichkeit trete. Aehrenthal betont darauf, daß diese Kritik sich nur gegen ihn richten könne, da er die Anregung zu einer Arbeit über Kalnoky gegeben habe. Ich erkläre, daß ich keine persönlichen Wünsche in dieser Angelegenheit habe und mich ganz nach den sachlichen Gesichtspunkten richten werde, welche die Angehörigen Kalnokys und Aehrenthal als entscheidende an330
Friedjung hatte im Zusammenhang mit einer geplanten Biographie Graf Gustav Kalnokys Kontakt zum früheren Kabinettschef Kalnokys, dem späteren Außenminister Alois Lexa von Aehrenthal aufgenommen. Siehe die früheren Gesprächsaufzeichnungen sowie den Briefwechsel der beiden in Aus dem Nachlaß Aehrenthal.
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Freiherr Alois Lexa von Aehrenthal, Emil Jettel und Graf Hugo Kalnoky
sehen. Jettel kommt mir zu Hilfe, indem er den Wert einer solchen Arbeit für die Geschichte etc. darlegt. Hugo Kalnoky kam dann doch ein wenig auf Leben und Charakter seines Bruders zurück. Sie waren sieben Brüder und sieben Schwestern,331 aber Hugo Kalnoky ist der einzige Sohn, von dem Kinder da sind. Sie hatten eine Menge Hauslehrer, von denen Beda Dudik der hervorstehendste war. Aber Dudik war nur wenige Monate bei ihnen und hinterließ keine sonderlichen Spuren. Aehrenthal meinte, Kalnoky habe später von ihm nicht gerade mit großer Anerkennung gesprochen. Gustav Kalnoky war ein glänzender Reiter, er konnte alle Kunststücke der Clowns nachmachen. Der Kaiser sah ihn gerade, als er ein Salto mortale machte. In dem Reitlehr-Institut ist ein Bild, in dem er, der jüngste Offizier, merkwürdigerweise doch im Mittelpunkt steht. Auch später blieb er [ein] trefflicher Reiter und Bereiter, als er nur weniger zu Pferde stieg. Als er nach Wien als Minister kam, bat er seinen Bruder um ein Pferd zum Ausritte. Dieser sagte, er habe nur ein Pferd, das aber nicht leicht lenksam sei. Kalnoky bestieg es, und es fügte sich ihm so, daß er es eigentlich zurechtritt. Als er entschlossen war, in die Diplomatie überzutreten, ritt er von der Revue auf dem Glacis - in Paradeuniform war er - sogleich auf den Ballplatz, ließ das Pferd beim Portier, man wunderte sich, welch' „ein wildes Tier" in dem Hofe sei, und stellte sich vor. Man denke sich dazu den stillen Hof (Friedjung). Es ist nun merkwürdig, wie dieser junge Mann sich so rasch mit wissenschaftlichen Dingen befreundete, daß er 1870 eine schöne Bibliothek seltener Drucke, es waren Elzevir und andere darunter, in Paris versteigern ließ. Sein Geschmackssinn war erlesen. Er schmückte Prödlitz mit Bildern und Kunstsachen, die alle eine persönliche Beziehung zu ihm hatten, alle seinen Geschmack verrieten, so daß das Haus ganz charakteristisch für ihn war. Seine eigenen Zeichnungen sind sehr fein. Er empfand so vornehm, daß ihm jede unedle Denkungsweise ganz antipathisch war. Deshalb wollte er auch nichts von Lueger wissen, überhaupt mit nichts, was mit dem Wiener Gemeinderat irgendwie in Verbindung steht. a
Hugo Kalnoky fortfahrend. Es sei doch merkwürdig, daß ein Kavallerieoffizier, der mit solcher Passion ritt, doch auch so große geistige Interessen in sich nährte, daß er schon 1870 eine interessante Bibliothek seltener Drucke besaß, die er damals verkaufte, allerdings standen der Auktion die politischen Ereignisse im Wege. Sein feines Kunstverständnis äußerte sich in der Sammlung seiner Bilder; jedes war seiner Individualität angemessen, jeder Ankauf entsprach seiner Neigung, so daß die ganze Sammlung seine 331 a
Laut Gothaischem Handbuch der gräflichen Häuser waren es fünf Brüder und sechs Schwestern. Die Aufzeichnung in К 2, U 6, 696 r - υ ist datiert mit Sacher, 19. Dezember 1898 Fortsetzung. Aufgrund des Inhaltes handelt es sich um die Fortsetzung des Gespräches vom 20. 12. 1898.
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Persönlichkeit merkwürdig ausprägt. So ist es besonders mit der Einrichtung von Prödlitz. Mit Lord Dufferin stand Kälnoky sehr gut. Aehrenthal vermutet, der Briefwechsel mit ihm sei sehr interessant. Hugo Kälnoky kommt auf Kälnokys Nachlaß zu sprechen. Es findet sich nicht viel darin. Auf Frage Aehrenthals: Ob sich keine Memoiren-Aufzeichnungen finden? Nein, sagt Hugo Kälnoky, wohl aber eine Aufzeichnung über Lebensmaximen. So glaube ich mich zu erinnern, was das letzte Wort betrifft. Als ich auf Kälnokys Anteil am Ausgleich von 1890 [komme] und die Drehung 2 Taaffes bezüglich [der] Interpellationsbeantwortung 1889 erwähne332, sagt Aehrenthal bestätigend: Wissen Sie, was Kälnoky damals über Taaffe sagte: „Das ist doch eine Charakterlosigkeit." Hugo: Kälnoky machte sich über die Masse Prüfungen lustig, welche die Menschen jetzt ablegen müssen, ich, sagte er, habe nie eine Prüfung gemacht. „Außer der Diplomatenprüfung", wirft Jettel ein, der verspricht, mir den Akt über die Prüfung Kälnokys heraussuchen zu lassen. Uber Carmen Sylva333 sagt Aehrenthal, sie sei eine interessante Erscheinung, freilich nur angenehm, wenn sie nicht ihren aufgeregten Tag habe. Mit Milan sei Goluchowski, so erzählt Aehrenthal, jetzt zufrieden, er halte leidlich Ordnung, und Erschütterungen seien jetzt geringer. Freilich spricht sich Milan böse über seinen Sohn aus: Er sei impotent, und er müsse an einen Nachfolger für ihn denken. Und so denkt er an die Adoption eines unehelichen Sohnes - von der Christie, sagt Jettel -, der sein Nachfolger werden soll. Aehrenthal fand einen sehr guten Artikel darüber in der „Münchner Allgemeinen Zeitung", den ich übersehen hatte, er hat sich ihn aufgehoben334. Nach der Entfernung Hugo Kälnokys spricht Aehrenthal über die innere Lage. Er habe Thun in den letzten Tagen gesprochen und ihm eindringlich vorgestellt, daß er sich so ganz auf Seite der Slawen stelle. Er hätte, das ist der Hauptgedanke Aehrenthals, lieber die Mehrheit auflösen sollen, um sie 332
Am 17. 12. 1889 beantwortete Graf Eduard Taaffe eine Interpellation Ernst von Pleners. Die Interpellation vom 3. 12. 1889 in Ernst von Plener, Reden 1873-1911 (Stuttgart - Leipzig 1911) 496-498. Die Antwort des Ministerpräsidenten ebd. 508-509. Plener bezog sich in seiner Anfrage auf einen Beschluß des böhmischen Landtages, in dem die Forderung nach Revision der Verfassung unter Bedachtnahme des böhmischen Staatsrechtes erhoben wurde. Taaffe betonte in der Antwort, daß eine Änderung der Verfassung nur auf gesetzlichem Wege erfolgen könne, die Regierung zur Zeit jedoch keine prinzipielle Änderung der Verfassung anstrebe und damit auch die Frage der böhmischen Königskrönung nicht aktuell sei. Weiters erklärte er, daß den berechtigten Ansprüchen beider Volksgruppen in Böhmen von der Regierung Rechnung getragen würde. Vgl. die Schilderung der Ausarbeitung der Antwort S. 178 f. 333 Königin Elisabeth von Rumänien, Pseudonym als Schriftstellerin Carmen Sylva. 334 In der zweiten Jahreshälfte 1898 findet sich in der Allgemeinen Zeitung kein Artikel, der sich mit der serbischen Thronfolgefrage auseinandersetzt. " Korrigiert von Wendung.
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Ludwig Doczi
nicht zu stark werden zu lassen. Bei diesem Anlasse sei eine Äußerung Stürgkhs - durch Menger - erwähnt, der ganz erstaunt war, wie gering die historisch-politische Empfindung Thuns über das Wirken Maria Theresias und Josefs, selbst Franz II. gewesen sei: Offenbar steht Thun ganz auf der feudalen Anschauung. Als ich Aehrenthal sagte, leider stehe es so, wie Mommsen sagte, die Deutschen werden nur durch Intimidierung etwas ausrichten, sagt Aehrenthal mit großer Bestimmtheit, mit einem gewissen Applorat, den ich nie bei ihm gefunden hatte, „damit werden die Deutschen bei diesem Monarchen nichts ausrichten." Thun erzählte Aehrenthal, er spreche mitunter mit Pergelt, besuche ihn auch, spreche sich gut mit ihm, aber er finde, daß man mit den Deutschen nicht auskommen könne. Aehrenthal erzählte, daß Kalnoky an Taaffe über das Gesetz über das Allgemeine Wahlrecht335 einen scharfen Brief geschrieben habe, den Taaffe nicht bei den Akten ließ, sondern mit sich nahm. Darauf erbat sich Bacquehem (wenn ich nicht irre) von Aehrenthal eine Abschrift für seine Kollegen vom Koalitionsministerium. Irre ich nicht, so versprach Aehrenthal, ihn mir zu zeigen.
Ludwig Doczi, Leiter des Literarischen Bureaus im Außenministerium 21. Dezember 1898 К 2, U 6, 698 г Er sagt mir, er habe im Sommer Bänffy zugeredet, er solle doch für eine Umkehr im Inneren Österreichs wirken. Dieser sei nicht darauf eingegangen. Er sagt wieder, Kalnoky habe einen großen Fehler gemacht, als er [den] Kaiser darin bestärkte, die Vorsanktion für das Zivilehegesetz zu geben. Kalnoky sei eben auch der Täuschung gewesen, daß die Magnatentafel stark genug sein werde, das Gesetz durchzubringen [sie!]336. Doczi ist der Meinung, Bänffy müsse gehalten werden, nicht für lange, so lange, bis die Minorität die Indemnität und provisorischen Ausgleich bewilligt habe, dann könne er gehen.
335
336
Der Wahlrechtsentwurf der Regierung Taaffe wurde am 10. 10. 1893 im Abgeordnetenhaus eingebracht. Obwohl er bei Beibehaltung des Kurienwahlrechts lediglich für die Städte- und Landgemeindenkurien das allgemeine Männerwahlrecht vorsah und daher nur eine einfache Mehrheit zur Annahme benötigt hätte, scheiterte der Vorschlag im Haus. Die Regierung demissionierte darauf am 11. 11. 1893. Die Annahme des Ehegesetzes im ungarischen Oberhaus erfolgte am 21. 6. 1894 nach vorheriger Ablehnung mit einer knappen Mehrheit von vier Stimmen. Den Magnaten war im Falle einer erneuten negativen Abstimmung mit einem massiven Pairschub gedroht worden.
25. Dezember
1898
Max Menger, Mitglied des Abgeordnetenhauses
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24. Dezember 1898 К 2, U 6, 698 г
Behauptet, der Kaiser habe in der letzten Zeit einem Bezirkshauptmann, der in den südlichen Provinzen wirke, beim Empfange gesagt: Es wird doch in ihrem Bezirke slowenisiert? Menger kennt den Namen des Bezirkshauptmannes nicht.
Wilhelm Schneeberger, Rechtsanwalt in Wien
25. Dezember 1898 К 2, U 6, 698 r-v
Die Herzogin Louise von Coburg habe in der Döblinger Irrenanstalt entbunden337. Obersteiner soll das Votum abgegeben haben, sie sei dahin zu bringen, und, wie es scheint, erhält er dafür den Titel eines ordentlichen Professors338. Baron Popper339 hat eine kranke Frau, der Rabbiner Schreiber in der Schiffgasse vermählt nach jüdischem Ritus ihm eine zweite Frau aus Oberungarn, welche sich für seine rechtmäßige Frau hielt. Popper gab ihr für seinen Todesfall eine Schenkung von 300.000 fl; Fialla machte diese Urkunde. Aber diese Urkunde war so gemacht, daß sie nicht rechtskräftig war, und darauf erklärten die Söhne Poppers, daß sie nicht zahlen. Die Frau wandte sich an Schneeberger. Dieser sagte Fialla auf den Kopf zu, daß er zu einem Betrug die Hand gegeben habe. Aber er selbst führte die Sache nicht durch, und ein anderer Advokat zwang Fialla, seinen Einfluß daran zu setzen, daß die Frau 120.000 fl erhielt. Lueger legte seine Advokatur aus folgendem Anlasse nieder: Als Strobach den Einspänner ein besoffenes Schwein nannte und geklagt wurde, vertrat Dr. Ullmann den Einspänner. Lueger ließ den Einspänner zu sich rufen, dieser unterschrieb ein Protokoll, daß er von [einer] Klage abstehe und auf den Kostenersatz verzichte. Die Advokatenkammer forderte von Lueger hierauf eine Äußerung ab. Unmittelbar darauf legte Lueger [seine] 337
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Vgl. S. 187 f. Louise von Coburg war die Schwester von Kronprinzessin Stephanie; sie war, nachdem sie sich von ihrem Gatten getrennt und mit einem ungarischen Offizier lebte, nach diversen finanziellen Verfahren, darunter dem Vorwurf der Wechselfölschung, im Frühjahr 1898 zunächst in der Döblinger Irrenanstalt interniert worden; vgl. Louise von Coburg, Throne die ich stürzen sah (Zürich - Leipzig - Wien 1926). Heinrich Obersteiner, Neurologe und Leiter der Goergenschen Privatirrenanstalt in Oberdöbling, erhielt 1898 den Titel eines ordentlichen Professors für Anatomie und Pathologie des Nervensystems. Leopold Popper von Podhrägy, ungarischer Holzgroßindustrieller, starb 1886.
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Adolf Menzel
Advokatur nieder. Ob post hoc oder propter hoc, weiß Schneeberger nicht340.
Adolf Menzel, Professor des österreichischen rechtes und Staatsrechtes an der Universität
VerwaltungsWien 26. Dezember 1898 К 2, U 6, 698 ν
Ratkowsky, ehemaliger Präfekt am Theresianum. Interessante Persönlichkeit. Er ist der Meinung, daß [die] soziale Frage von verschiedenen Angriffspunkten aus gelöst werden müsse. Deshalb machte er eine Stiftung von 50.000 fl, diese soll auf Zins und Zinseszins anliegen, bis sie 10 Millionen fl beträgt. Dann sollen ein Prozent Darlehen von ihr gegeben werden. Denn niedriger Zinsfuß ist nach ihm eines der Mittel der Lösung der sozialen Frage. Man wollte die Stiftung in Niederösterreich und Mähren nicht annehmen, endlich in Steiermark. Er war der erste, der eine Produktgesellschaft gründete, und zwar die der Maurer. Er schrieb unter anderem eine Broschüre, die Tschechen müßten Deutsch lernen341. Gautsch wurde interpelliert. Darauf mußte Ratkowsky das Versprechen ablegen, nichts mehr unter seinem Namen drucken zu lassen.
Otto Wittelshöf er, Vizedirektor der Niederösterreichischen Escomptegesellschaft i. P., Sozialtheoretiker 27. Dezember 1898 К 2, U 6, 698 ν Steinbach sei der Sohn eines Goldschmiedes in Arad. Sein Bruder war bei Ephrussi 342 bedienstet; später trat er aus und betrieb sein Musikaliengeschäft. Als aber ein Prokurist von Ephrussi starb - es war zur Zeit, als Steinbach Minister war -, wurde Steinbach dessen Nachfolger - mehr eine Vertrauensstellung. 340
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Der Wiener Bürgermeister Josef Strobach, der für den vom Kaiser nicht bestätigten Karl Lueger als Strohmann wirkte, hatte 1896 nach einem Zusammenstoß seines mit einem anderen Wagen den Kutscher beschimpft und wurde darauf geklagt. Vizebürgermeister Lueger, im Zivilberuf Rechtsanwalt, bewog den Kutscher zur Zurückziehung der Klage und ersetzte dessen Kosten. Als er darauf vom Rechtsanwalt des Kutschers bei der Standesvertretung angezeigt und aufgefordert wurde, sich zu rechtfertigen, legte er seine Advokatur nieder. Matthias Georg Ratkowsky, Das Recht und die Pflicht, die Czechen und Slovenen zu germanisieren (Iglau 1892). Ignaz von Ephrussi, Wiener Bankier. Auch Otto Wittelshöfer hatte bei dieser Bank gearbeitet.
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1898
Graf Philipp
Eulenburg, deutscher Botschafter
in Wien [1898] К 5, U 10, 333 r-v
Graf Kälnoky war nicht angenehm im Verkehr. Er hatte etwas Bestimmtes, Selbstbewußtes, dedaigneuses. Er hörte nur sich, und wenn er auch den anderen höflich sprechen ließ, so ging er doch nicht auf dessen Gründe ein, sondern setzte im Ganzen doch seinen Gedankengang fort. Er dozierte gern. Ich selbst habe eigentlich nur kurze Zeit mit ihm verkehrt, denn ich kam im April (?) 1894 nach Wien, und er schied Mai 1895 aus dem Amte. Anfangs war mir der Verkehr nicht leicht, aber ich habe doch die Art, mich in fremde Naturen zu schicken, so daß ich mich doch später auf den Fuß vollkommenen Vertrauens zu ihm stellte. Wir verkehrten dann ganz gut miteinander. Aber ich habe ihn nicht offen gefunden. Er sprach sich nicht so aus, daß er bestimmt sagte, was er wolle; dann hätte ich ebenso klar mitteilen können, was wir unsererseits wünschen; dann hätte man sich leicht einigen können. Das tat er nicht; er liebte es vielmehr, sich nicht ganz deutlich auszusprechen, wie jemand, der vorschlagen oder der abwarten will, ob er aus dem Angebot des anderen noch einen Vorteil für seine Sache ziehen will. Dazu kam, daß Graf Kalnoky ganz in den Geschäften aufging und von seinem sehr überlegenen Standpunkte aus die Mehrzahl der Menschen geringer Berücksichtigung wert hielt. Es scheint ihm das Wohlwollen für sie gefehlt zu haben, so daß er sich nur mit jemandem einließ, der eine hohe Stellung einnahm oder der ihm etwas zu bieten vermochte, sonst ließ er ihn beiseite. Deshalb war er bei den Diplomaten der kleineren Staaten unbeliebt, selbst verhaßt. Selbst Beamte seines eigenen Ministeriums äußerten sich über ihn mit unverhohlener Abneigung, so daß man ganz erstaunt sein mußte. Ich finde, um auf seine Politik einzugehen, daß er wenig Energie zeigte und sich viel zu sehr Rußland akkommodierte. Ich war erstaunt, in wie hohem Maße er auf die Freundschaft Rußlands Wert legte. In meiner Stellung mußte ich eine vermittelnde Haltung zwischen den beiden Reichen einnehmen, aber oft hätte ich im Interesse Österreichs gewünscht, daß Kalnoky etwas mehr Festigkeit gegen Rußland zeige. a Eulenburg glaubt, Kalnoky habe alles mit Lobanov abgemacht; die Kriegsgerüchte von 1884 hätten deshalb auch keine Bedeutung gehabt: Sie seien doch im entscheidenden Augenblick über die Schwierigkeiten hinausgekommen. Es spricht eine gewisse Verstimmung aus Eulenburg, daß Kälnoky so gut zu Rußland und Lobanov stand. 8 Ich kann nicht finden, daß er in Serbien richtig operierte; er hätte Milan doch festzuhalten verstehen sollen. Auch in Bulgarien mißglückte es ihm; er scheint von hier aus nicht richtig beraten worden zu sein. Auffallend war mir die tiefe Abneigung gegen Prinz Ferdinand. Ich schwärme nicht für aa
Ergänzung.
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Bernhard Münz
diesen Herren, aber man durfte ihn nicht so schlecht behandeln. Ich wendete ein, das rührte nicht von Kalnoky her. Dann, als Rußland in Bulgarien Einfluß gewann, überraschte es mich, mit welcher Gleichgültigkeit er davon sprach. Oft sagte er mir: „Glauben Sie mir, es ist mir ganz gleichgültig, was diese Serben und diese Bulgaren in ihrem Lande beginnen." Diese vollständige Passivität entspricht doch nicht der Stellung Österreichs zum Orient. Als ich einwendete, daß Kalnoky doch 1887 die Selbständigkeit Bulgariens errungen habe343, war Eulenburg so schlecht orientiert, daß ich ihm nur Neues erzählte, er glaubte es aber nicht recht. Pasetti nannte er trocken, korrekt, sachkundig, Aehrenthal mehr schlau als klug.
Bernhard Münz, politischer Redakteur des Neuen Wiener Tagblatts
[ 1898] К 2, U 1, 199 r-v
Über Goluchowski und Doczi. Sie seien beide Männer von außerordentlich rascher Auffassung. Offenbar erbauen und zerstören sie in einer Stunde ganz Europa. Aber die Schnelligkeit der Auffassung verleitet sie oft zu Fehlgriffen. Doczi sei von höchstem Einflüsse bei ihm; er ist sein einziger Berater in allem und jedem. Aber in der kretischen Frage344 habe Doczi den Minister nicht gut beraten, und es sei möglich, daß dieser darob stürze. Selbstverständlich werde Goluchowski ohne Bedenken seinen Faktor opfern. Als sich herausstellte, daß die Österreicher eine Niederlage erlitten hatten, und als deshalb die Escadre von Kreta weggerufen werden sollte, wollte Doczi, daß das Neue Wiener Tagblatt gegen besseres Wissen Münz' die Nachricht von der Abberufung der Flotte dementiere. Offenbar beabsichtigte Doczi, den Rückzug zu maskieren und noch im Abgang etwas zu erreichen. Münz weigerte sich dessen und wies Doczi an seinen Chef Singer, der sich ebensowenig bestimmen ließ. Auch Münz ist die üble Stimmung gegen Doczi, die unter den hohen Beamten herrsche, bekannt. Jettel sagte es mir, die Niederlage sei offenkundig und es bestehe die Absicht, den Einspruch gegen die Kandidatur des Prinzen Georg allgemach einschlafen zu lassen345. Das sei seiner Ansicht nach nicht richtig. Viel besser wäre es, wenn man sich eine 343
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Die internationale Krise um die Wahl Ferdinand von Koburgs zum Fürsten von Bulgarien gegen den Willen Rußlands. Obwohl die Türkei im Krieg gegen Griechenland 1897 siegreich blieb, mußte sie einer Autonomie Kretas auf Druck der Großmächte zustimmen. Österreich-Ungarn und Deutschland beteiligten sich jedoch nach Konflikten mit den übrigen Großmächten, vor allem über die Bestellung des griechischen Prinzen Georg zum Gouverneur der Insel, nicht mehr an der internationalen Aktion, da sie Beispielsfolgen für den Balkan befürchteten. Er trat am 21. 12. 1898 sein Amt an.
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Kompensation herausschlüge, zum Beispiel Österreich solle sich die feste Zusage geben lassen, daß es auf der Balkanhalbinsel nicht losgehen solle. Denn wir hatten ja unseren Widerstand gegen den Prinzen Georg damit begründet, daß wir stets befürchten, andere Volksstämme würden, ermutigt durch solchen Erfolg, auch etwas verlangen. Plener hatte mir erzählt, Kälnoky habe ihm selbst gesagt, Doczi fühlte sich unter seinem Ministerium gekränkt und zurückgesetzt. Münz: Goluchowski sei liebenswürdig, aufgeknöpft, dabei von merkwürdig raschen, etwas sprunghaften Gedankengängen. Aber er denke doch geradliniger als Doczi. Dieser sei auch viel weniger ernst, und um einer glücklichen, witzigen Wendung willen sei er imstande, eine diplomatische Aktion ins Werk zu setzen.
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Marquis Olivier Bacquehem, Mitglied des Herrenhauses
Marquis Olivier Bacquehem
5. und 23. Jänner 1899 К 5, U 6, 286 г - 290 ν
Er verlangte von mir das Wort, daß ich ihn nicht als Quelle nennen werde. Behauptet, mein Werk1 dreimal gelesen zu haben. Ist von dem österreichischen Tone, obwohl ich ein „Deutschnationaler" sei, befriedigt. Er denke nicht daran, seine Memoiren zu schreiben. Denn es sei in Österreich „gegen die Sitte." Er verehre den Grafen Kälnoky. Dieser sei, wenn man von Bismarck absehe, doch der erste Diplomat seiner Zeit. Man habe an ihn als Ministerpräsidenten in Osterreich gedacht. Graf Wurmbrand kam auf diesen Gedanken. Man sagt, Badeni habe ihn in dieser Idee bestärkt, es sei ein ausgezeichneter Gedanke. Wie es scheint, war das von Badeni jovial-unaufrichtig. Es geschah dies zur Zeit der letzten Zuckungen des Kabinetts Windischgraetz. Wurmbrand dachte an dessen Fortdauer, doch ohne Windischgraetz2. Kälnoky war sehr ablehnend. Er lehnte es zur Zeit der Verhandlungen über Handelsverträge unbedingt ab, Deputationen von Industriellen zu empfangen. Mit Taaffe stand er kühl; sie sagten sich nicht Du, wie es sonst unter contemporains und im Range Gleichgestellten unter den Aristokraten Sitte sei. Bacquehem stellt sich (oder sollte er vergessen haben - schwerlich), als ob der erste Entwurf der Interpellationsbeantwortung Taaffes 1889 auch nur aus Redensarten bestanden habe, die man so oder so deuten könne3. Dann wurde eine andere Fassung beliebt. Da diese den Deutschen günstig war, so entstand sofort der Gedanke an Ausgleichskonferenzen. Der erste, der wenigstens Bacquehem diesen Gedanken sagte, war Chlumecky. Bacquehem irrt sich, wenn er meint, Chlumecky sei damals Präsident gewesen4. Chlumecky rief Bacquehem zu sich zum Präsidentenstuhl und sagte ihm, jetzt sei [die] Gelegenheit zu Konferenzen. Als diese veranstaltet werden sollten, sagte Bacquehem zu Taaffe, er möchte zugezogen werden. Da meinte Taaffe: Das gehe nicht, da das Portefeuille der Finanzen wie des Handels bei der Sprachenfrage nicht beteiligt seien. Als nun die Konferenz begann, sahen die Deutschen auf der Ministerbank Gautsch, Falkenhayn, Schönborn, und sie fanden das Gleichgewicht so nicht hergestellt. Man flüsterte, Bacquehems Anwesenheit sei wünschenswert. Taaffe, immer gefallig, immer lie1 2
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Der Kampf um die Vorherrschaft in Deutschland. Graf Gundacker Wurmbrand-Stuppach war Handelsminister der Regierung Windischgraetz (11. 11. 1893-19. 6. 1895). Vgl. zur Interpellation Ernst von Pleners zur böhmischen Frage vom 3. 12. 1889 und der Antwort Graf Eduard Taaffes vom 17. Dezember S. 178 f. und 209. Freiherr Johann von Chlumecky war vom 20. 3. 1893 bis 4. 4. 1897 Präsident des Abgeordnetenhauses, zur Zeit der Interpellationsbeantwortung war Freiherr Viktor von Fuchs Präsident.
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benswürdig - mit seinem „knappen Rockel" - sagte sofort, das könne geschehen, telephonierte sogleich. Bacquehem erschien, und die Gesichter der Deutschen erhellten sich. Kalnoky war, als der Ausgleich abgeschlossen war5, mit dem Gewonnenen zufrieden. Es ist nicht zu schildern, mit welchem feinen Spott Bacquehem eigentlich alles Partei- und nationale Treiben in Osterreich beurteilt. Es ist ihm eigentlich ganz gleichgültig, nur ein Spiel des Ehrgeizes und der Kunst. Daß es sich hierbei um ernste Dinge, um ein Lebensinteresse seines Vaterlandes handelt, mochte [man] aus unseren eindringenden Unterredungen nicht erkennen. Männer streiten und intrigieren nicht etwa um Macht, sondern um Stellungen. Alle sind sie eigentlich sehr ehrenwert, auf keinen Fall ein Tadel, sie alle haben eigentlich recht, außer wo sie von ihren Vorurteilen geblendet ihr Ziel nicht erreichen können. Der feinste Epikureismus spricht aus seinen Schilderungen. Keine feste Ansicht trägt ihn, er ist eigentlich ein Politiker des richtigen Maßes, etwa wie Aristoteles es definiert, und wie ein französischer Marquis sich dabei einrichten möchte. Dabei möchte Bacquehem immer zuerst alle einschneidenden Dinge verwischen, erst wenn ich zeige, daß ich die persönlichen Feindschaften kenne und in die Tatsachen Einblick habe, lüftet er allgemach den Schein. Aber wo ich noch keinen Einblick habe, da täuscht er mich sicherlich leichthin über alle Unebenheiten weg. Wenn ich aber tiefer die Sonde führe, so, wenn ich die Zerschlagung der Verfassungspartei auf persönliche Motive Taaffes zurückführe und den Schaden, den er hervorrief, gibt er mir recht. Ob aus Höflichkeit, ob aus Uberzeugung? Wer weiß es? Vielleicht, und dies ist mir bisher die wahrscheinlichste Erklärung, aus Gleichgültigkeit. Mir eröffnen diese Gespräche einen tiefen, mir ganz überraschenden Einblick in die Seele eines solchen Aristokraten. Es ist die Seelenstimmung eines französischen Adelsmannes vor der Revolution. Daher gewährt er Blicke in eine abgrundtiefe Eitelkeit, die aber nichts Verletzendes hat, nicht aggressiv gegen andere ist, sondern ruhig und ohne jemanden zu stören auf einer liebenswürdigen Persönlichkeit schwimmt. Er hat offenbar noch einen großen Ehrgeiz, wie natürlich bei einem Mann in den besten Jahren, a 51-[5]2 Jahre 3 und mit den glänzendsten Verbindungen. Anfanglich schilderte er den Ausgleich von 1890 so, daß Taaffe ihn als den „größten Erfolg seines Lebens" bezeichnet hätte, daß es ihm von Herzen daran gelegen gewesen sei, ihn durchzuführen. Er wollte keine andere Auffassung gelten lassen. Ich widersprach nicht, aber erinnerte daran, wie lange sich Taaffe von dem Kaiser und Kälnoky hatte drängen lassen, bis er auf Unterhandlungen einging. Ja, das sei wahr, aber wie rasch habe er sich doch ent5
Das in den Ausgleichsverhandlungen vom 5.-19. 1. 1890 erzielte Übereinkommen. Es wurde von den Jungtschechen, die von den Verhandlungen ausgeschlossen waren, bekämpft und im böhmischen Landtag zu Fall gebracht. Ergänzung.
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schlossen. Kaum war der Gedanke aufgetaucht, so waren auch binnen Stunden die Einladungen zum Ausgleich versandt worden. Wie erfreut war Taaffe doch über die schmeichelhafte Anerkennung durch den Kaiser. Aber, wandte ich ein, Plener drang doch sofort auf Einberufung des Landtags, und Taaffe schob sie hinaus6. Das wollte Bacquehem durch die „Pedanterie" Taaffes erklären. Er war merkwürdig genau. Immer mußte der Reichsrat auf einen Dienstag berufen werden. Das Budget mußte fertig werden. Wie richtig war das! Ist doch das Koalitionsministerium daran gescheitert, daß das Budget nicht fertig war7. Wäre es fertig gewesen, hätte man sagen können: Was haben die Opposition und Jungtschechen zu hemmen vermocht? Ja, meinte ich, Taaffe wollte den Ausgleich, aber erst nach zweijähriger Hinziehung, um die Zügel so lange in Händen zu halten. Darin nun gab mir Bacquehem Recht, das sei in seinem Charakter gelegen gewesen. Aber er war aufrichtig böse auf die Alttschechen, als sie locker ließen, er konnte es Rieger nicht verzeihen. Und wie rasch habe sich die Wendung vollzogen! Schon im August 1890, als Bacquehem nach Böhmen kam, war die Stimmung verflogen. Das ist so die Art, wie ich Bacquehem anfänglich alles entreißen mußte. Aber später wurde er doch aufgeknöpft. In jenem ersten Teile des Gespräches aber gab er nicht zu, daß Lobkowitz gegen den Ausgleich gewesen sei. Nein, gewiß nicht. Er war nicht so warm dafür eingenommen wie etwa Graf Kinsky, aber er sprach während der Verhandlung sehr oft, sehr eingehend, wie er ja viel und gut spricht. Dann kam leise eine Art Parteinahme gegen die Deutschen zum Vorschein: Sie hatten zwar geleugnet, daß sie die meisten Vorteile vom Ausgleich gehabt hätten, aber es sei so gewesen: Landesschulrat, Landeskulturrat, Abgrenzung der Gerichtsbezirke, Kurien etc. Die Tschechen hätten ein Zugeständnis erhalten, daß sie immer die Mehrheit im Landtag haben würden, was ohnedies immer gewesen wäre. Ich gab ihm dies zu. Dunajewski, so sagte er, war allerdings gegen diese Einlenkung. Ich war nicht dabei; aber ich bin meiner Sache sicher, daß er Taaffe stets sagte: Wenn Sie sich nicht auf die Rechte stützen, sind Sie verloren. Er blieb bis zur Auflösung des Reichsrats, weil Taaffe da erklärte, die alte Mehrheit sei nicht zu halten. Dunajewski war aber ein so charaktervoller Mann, daß er daraufhin sofort zurücktrat8. Taaffe war eigentlich nie sehr dadurch 6
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Der böhmische Landtag wurde erst nach Abschluß der Frühjahrssession des Reichsrates für den 19. 5. 1890 einberufen. Das Koalitionskabinett Windischgraetz stürzte über die Frage der Genehmigung von Mitteln zur Errichtung slowenischer Parallelklassen am Gymnasium von Cilli (Celje). Am 11. 6. 1895 hatte der Budgetausschuß für die Genehmigung gestimmt. Die darauf einsetzende Obstruktion der Opposition verhinderte eine Verabschiedung des Budgets. Am 19. 6. 1895 wurde die Regierung entlassen. Der Reichstag war am 20. 12. 1890 vertagt und am 23. 1. 1891 aufgelöst worden. Finanzminister Julian von Dunajewski trat am 2. 2. 1891 zurück und wurde durch Emil Steinbach ersetzt.
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berührt, daß Jungtschechen gewählt wurden, er antwortete stereotyp: „Sie werden schon alt werden." Mit vergnügtem Lächeln schildert Bacquehem dann, wie es Hohenwart nach den Wahlen gelang, seinen großen Club zu bilden 9 zum Arger der Vereinigten Linken, die [auf] eine vollständige Auflösung der Mehrheit gehofft hatte; ihm ist das Spiel gegen die Linke doch eine willkommene Erinnerung. Ich störe ihn darin nicht, lasse auch wohl durchblicken, daß ich ihn und Taaffe für sehr pfiffig halte. Er erinnert sich, wie bei den Beratungen der Parteiführer nach Zusammentritt des Reichsrats Czedik einmal sagte: „Die Mehrheit des Hauses", und Plener mehrmals dazwischenrief: „Es gibt keine Mehrheit", aber Taaffe war keineswegs bereit, sich mit der Linken zu verbinden. Endlich wird Bacquehem offener. Er schildert den ganzen Haß Taaffes gegen Plener. Es sei eine unbeschreibliche Bitterkeit gewesen, Taaffe wurde schon nervös, wenn Plener sich zum Sprechen erhob. Plener war allerdings als Oppositionsführer mitunter „boshaft". So einmal, als vor Bacquehems Eintritt ins Ministerium einmal Plener dem Grafen Taaffe erwiderte, er habe kein Recht, Ausdruck und Gesten zu tadeln, da er bei dem Mangel an der Fähigkeit zu sprechen oft unpassende Gesten mache. Taaffe traute Plener das Schlimmste zu, jede Intrige, jede Falschheit, jede Hinterlist. Er wäre nicht zufrieden gewesen, wenn er vom Abgeordnetenhaus ins Herrenhaus berufen worden wäre: Er wollte einfach sein Gesicht nicht mehr sehen. Wie viel Dunajewski zu dieser Abneigung beitrug, kann Bacquehem nicht entscheiden. Ja, es handelte sich darum, Plener einen Posten zu geben, durch dessen Annahme er aus dem öffentlichen Leben scheiden mußte. Als ich nun hervorhob, dieser Gegensatz sei das Schicksal Österreichs gewesen, und es die ganze Tiefe dieses psychologischen Gegensatzes verdiene, eine Darstellung [zu schreiben], fiel Bacquehem lebhaft ein: Ja, das müßten Sie schildern. Tun Sie es in der Darstellung des Lebens Kälnokys. Es sind wirklich interessante Verhältnisse. Übrigens schildert Bacquehem das alles mit ausgesprochener Sympathie für Taaffe, den er „seit seiner Geburt gekannt hatte". Bacquehem ist offenbar Taaffe dankbar verpflichtet. Ich erinnere ihn daran, daß er doch Prazak einmal, der Plener vorwarf, er wolle Minister werden, antwortete: Ja, wollten Sie denn nicht Minister werden? Es macht mir den Eindruck, daß Bacquehem den Anspruch Pleners, Minister zu werden, anerkennt, aber den Anspruch Taaffes, sich diesen fatalen Menschen vom 9
Der nach den Wahlen 1879 gegründete regierungstreue Klub des Grafen Karl Hohenwart vereinigte konservative deutsche und tschechische Feudale, Slowenen, Kroaten und Rumänen auf der Basis eines verstärkten Föderalismus. Nach den Wahlen von 1891 erhöhte sich seine Mitgliederzahl durch den Zusammenschluß mit dem rechten Zentrum (Liechtenstein-Klub) und dem böhmischen konservativen Großgrundbesitz von 34 auf 67 Abgeordnete.
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Leibe zu schaffen, für einen besseren hält. Ich gewinne sein Vertrauen dadurch, daß ich Taaffe für die stärkere Natur erkläre, den klügeren politischen Kopf. So kam es, daß, als Taaffe der Linken ein Ministerfauteuil einräumen wollte, er Plener unbedingt ausschloß. Und er hatte Unrecht, sagt Bacquehem, denn glauben Sie nicht, daß Taaffe [sie!] ein ganz guter Mitarbeiter für ihn geworden wäre? Mir selbst sagte Taaffe, als ich ihn später in seiner Wohnung in der Schwindgasse besuchte: „Ich habe nicht gedacht, daß Plener so nachgiebig sein werde." Und wie nachgiebig war Plener im Koalitionsministerium! sagte Bacquehem zu mir bestätigend. Damals nun meinte Bacquehem, man solle Baernreither ins Ministerium nehmen. Der sei kenntnisreich, klug. Aber da sagten die Herren von der Linken: Das gehe nicht, das sei für sie absolut keine Konzession. Taaffe sagte: Er überlasse ihnen ein weißes Blatt, sie dürften jeden Namen darauf schreiben, nur nicht den Pleners. Und so wurde Kuenburg Minister10. Kuenburg nun faßte seine Rolle merkwürdig auf. Er ist einer der loyalsten Männer, aber er glaubte, es sei seine Aufgabe, Taaffe alles Ungünstige zu erzählen, was Plener von ihm gesagt hatte. Und wahrscheinlich tat er auch das Umgekehrte. Einmal kam Bacquehem zu Taaffe und fand ihn sehr verdrießlich. Taaffe sagte: Ich habe so viel zu tun, und da ist eben Gandolph Kuenburg bei mir gesessen und hat mir eine Stunde lang erzählt, was Plener über mich und die Lage gesagt. Als er endlich ging, da kehrte er zu meinem Schrecken aus dem Vorzimmer zurück und sagte: „Ich habe noch vergessen, Ihnen zu sagen, was a über Sie gesagt hat." Offenbar hielt es Kuenburg für seine Pflicht, die Ansichten seiner Parteigenossen über die Lage und deren Wünsche zur Kenntnis Taaffes zu bringen. Bacquehem stellt die Dinge so dar, als ob er Taaffe alles zurückgesagt hätte, was man „über ihn" gesagt hatte. Bacquehem gab mir Recht, daß die auf diese Weise herbeigeführte Zersetzung der Verfassungspartei ein Unheil gewesen sei, aber der Ton, in dem das geschah, war nicht der des Bedauerns, schon gar nicht der der Sorge für das künftige Schicksal Österreichs, sondern ein mir stets in den Ohren bleibender Spott: Ja, sagte er, was war die alte Verfassungspartei für eine bequeme Opposition! Worin bestand sie eigentlich? Ursprünglich übernahmen ihre Mitglieder sogar die wichtigsten Referate. Später hörte das auf, aber eigentlich geschah nichts weiter, als daß Plener jedes Jahr bei der Budgetdebatte eine brillante Rede hielt, mit einigen Bosheiten gegen die Regierung. Wie froh waren die Herren, als sie nach 1890 wieder das Recht erhielten, bei der Abstimmung wieder aufstehen zu dürfen und sich an den parlamentari-
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a
Graf Gandolph Kuenburg gehörte vom 23. 12. 1891 bis 8. 12. 1892 dem Kabinett Taaffe als deutscher Landsmannminister an. Freilassung im Original.
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sehen Geschäften zu beteiligen11. Plener hatte alle Mühe, seine Anhänger in der Opposition festzuhalten. Er selbst zwar verkehrte mit den Ministern grundsätzlich nicht, aber sonst war der Verkehr mit den Mitgliedern der Partei ganz angenehm. Plener hielt sich von dem Verkehre mit den Ministern absichtlich ferne, als nun Chlumecky mit Bacquehem nach der Interpellationsbeantwortung Dezember 1889 verhandelte, sah er neugierig hin, wie sich das Gespräch abspiele. Allerdings, so ungefähr fuhr Bacquehem fort, wie hat sich alles binnen weniger Jahre verändert, so zum Beispiel in Graz. Als Bacquehem nach Graz kam12, bestand ein Verein der „Deutsch-Nationalen", an dessen Spitze ein pensionierter Professor Aurelius Polzer stand. Nicht mehr als 12-15 Leute kamen da zusammen. Jetzt sind sie viel zahlreicher, die ruhigeren Leute haben sich zurückgezogen, und sie beherrschen die öffentliche Meinung. Ich zweifle, so sagte Bacquehem auf eine Bemerkung von mir, daß sich dies bei einer zu Gunsten der Deutschen eintretenden Änderung so bald und auch nur binnen weniger Jahre ändern werde. Nun fragte ich, ob es nicht Pflicht sei, an maßgebender Stelle einzuwirken, damit die gemäßigte Partei herangezogen werde, sonst würde eine mächtige alldeutsche Partei entstehen. Bacquehem wich aus. „Wer soll das sagen?" war ungefähr, aber nicht deutlich seine Antwort. Bacquehem ist Steinbach nicht sehr grün, wie ich bemerkte. Er lobt seine Fähigkeiten, er habe alles gelesen. Als Bacquehem als Handelsminister die Unfalls- und Krankenversicherung zu lösen hatte, wußte er „anfangs von der Sache nicht das erste Wort". Steinbach aber trat auch da ein. Taaffe hatte ihn zum Finanzminister gemacht, weil er wußte, daß er der Linken nicht sehr genehm sei, denn Taaffe wollte sich der Linken nicht zu stark nähern. Allmählich gewann Steinbach auf ihn den größten Einfluß. Er war stets um Taaffe, er erschien bei ihm bereits, als er Toilette machte, er war sein Arzt, er reichte ihm die Arznei. Er erschien mit ihm im Wagen im Abgeordnetenhaus. Er und noch ein anderer Minister, den Bacquehem nicht nennen will, suchten stets seine Nähe, dieser letztere erschien stets bei ihm bei den Drei Laufern etc., so daß Bacquehem von ihm den Witz machte: Er möchte gerne, wenn er könnte, zu beiden Seiten Taaffes sitzen. Kälnoky bemerkte mit Mißfallen den steigenden Einfluß Steinbachs auf Taaffe. Als das Gespräch auf den Sturz Taaffes kam, verlangte Bacquehem noch einmal die Zusage der Diskretion. Dann sagte er: Ich war nicht bei den entscheidenden Gesprächen zwischen Taaffe und Steinbach, aber dabei ging es gewiß folgendermaßen zu. Soll Plener, fragten sie sich, ins Kabinett genommen [werden] - nein! Denn die Dinge hatten 11
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Gemeint ist wahrscheinlich die Verteidigung des böhmischen Ausgleiches durch die Deutschliberalen im Frühjahr 1890. Erst ab 1893 (Kabinett Windischgraetz) waren sie auch an der Regierung beteiligt. Marquis Olivier Bacquehem war vom 10. 10. 1895 bis 1. 12. 1898 Statthalter in Steiermark.
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sich damals so zugespitzt. Soll also das Kabinett zurücktreten? Nein, dazu haben wir keine Lust. Somit bleibt nichts übrig als eine gründliche Wahlreform. Diese soll Sozialdemokraten ins Haus bringen, das ist ganz gut. Dann aber muß besonders die Linke geschwächt werden. Überhaupt müsse sie notwendigerweise zur Abbröckelung aller großen Parteien führen. Und so wurde sie beschlossen13. Ich selbst, sagte Bacquehem, hätte es nicht für möglich gehalten, daß die Linke es wagen werde, sich einer so volkstümlichen Forderung zu widersetzen. Ich war ganz erstaunt, als sie so kräftig auftrat. Darin haben wir uns alle getäuscht. Ich habe dann nun den Fehler gemacht, ins Koalitionskabinett zu treten. Das soll man nicht tun, wenn man in dem vorhergehenden Ministerium mehrere Jahre gewirkt hat. Es war auch nicht möglich, so viele widerstrebende Elemente zusammenzuhalten. Vielleicht hätte ein Taaffe [dies] vermocht, so aber konnte es nicht gehen. Dann standen wir auf. Im Hinausgehen, als ich nun sagte, die Sache ging eben nicht, weil Seine Majestät das Koalitionskabinett nicht wünschte, lächelte Bacquehem achselzuckend, und ich sagte: Ich hätte die Bemerkung im Sitzen nicht gemacht, weil ich ja auch keine Antwort auf eine so verfängliche Frage provozieren wolle. Hübsch schilderte Bacquehem einmal, wie er mit Kälnoky und Baross unterhandelte14. Letzterer hatte die sogenannten Lokaltarife eingeführt, und Bacquehem mußte entschieden dagegen als eine Benachteiligung der österreichischen Industrie auftreten15. Um eine Einigung zu erzielen, lud Kälnoky die beiden Herren zum Diner. Es war ein exquisites Diner, aber Kälnoky berührte lange nicht den Gegenstand. Bacquehem war geladen, er beherrschte sich mit Mühe, übrigens gewiß noch leichter als der heißblütige Baross. Endlich nach dem Diner, als man noch über gleichgültige Dinge plauderte, sagte Kälnoky mit der gleichgültigsten Miene von der Welt: Nun haben wir ja noch eine Angelegenheit zu besprechen. Und nun folgte eine stundenlange Diskussion. Baross war oft so aufgeregt, daß er von seinem Stuhle aufsprang und wie ein gereizter Löwe im Zimmer umherschritt. Auch Bacquehem war eifrig bei der Sache. Beruhigend aber war die scheinbar ganz gleichgültige Art, mit der Kälnoky doch die Punkte der Übereinstimmung hervorhob. Er sprach dann, obwohl er geistig ganz angeregt war und die Sache ihn ganz erfüllte, so, als ob sie ihn nichts anginge. Aber dann sagte er doch verbindlich: Da hätten wir ja 13
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Der Wahlrechtsentwurf der Regierung Taaffe wurde am 10. 10. 1893 im Abgeordnetenhaus eingebracht. Obwohl er bei Beibehaltung des Kurienwahlrechts lediglich für die Städte- und Landgemeindenkurien das allgemeine Männerwahlrecht vorsah und daher nur eine einfache Mehrheit zur Annahme benötigt hätte, scheiterte der Vorschlag im Haus. Die Regierung demissionierte darauf am 11. 11. 1893. Vgl. dazu auch S. 460 f. Im Juli 1890 eskalierte der Konflikt mit Ungarn über die Tarifgestaltung der ungarischen Eisenbahnen, die der heimischen Industrie große Vorteile gegenüber der österreichischen Konkurrenz sicherte.
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doch einen Einigungspunkt gefunden. Jetzt wären die Herren ja wieder näher gekommen. Und am Schlüsse war Baross weich, die Differenz wurde beigelegt. Kälnoky war so abgeschlossen, daß er nie Deputationen von Industriellen empfing. Es wäre so natürlich gewesen, da er doch die Handelsverträge zu verhandeln hatte, aber er lehnte es immer ab, mit den Fabrikanten zu verkehren. Bacquehem kam auf die Rücksichten zu sprechen, die er als ehemaliger Minister hätte. Als Wurmbrand einmal erklärte, es sei nicht richtig, daß er im Ministerrat für [ein] slawisches Gymnasium Cilli gestimmt hätte, war man in hohen Beamtenkreisen ganz konsterniert und behauptete das als ganz ungehörig. Das ist ja ganz unerhört! Das ist nicht „regu", drückte sich Bacquehem aus. Es war Baron Oppenheimer, der Taaffe die Kunde brachte, Plener nehme [die] Stelle [des] Präsidenten [des] Obersten Rechnungshofes nicht16. Bacquehem sprach Kälnoky bei einem Hofdiner, nachdem sein Rücktritt bereits entschieden war17. Bänffy erschien strahlend, als Triumphator, Kälnoky gemessen, mit unbeweglichen Zügen, aber man hatte doch den Eindruck, er sei besiegt, gedemütigt. Bacquehem sprach mit ihm. Kälnoky war wie immer zurückhaltend, aber mindestens aus seinem Achselzucken, seinen kurzen Bewegungen empfing Bacquehem den Eindruck: Das Ministerium Bänffy zu stürzen hätte er noch die Kraft, aber dann würde er mit den Ungarn denselben Kampf haben. Kälnoky besuchte Bacquehem in Graz nach seinem Rücktritte, er kam aus Italien, wo er eine große Anzahl besonders kleiner italienischer Städte mit großem Kunstverständnisse besichtigt hatte. Er sagte zu Bacquehem: Ich versichere, ich sage mir oft, wenn ich des Morgens erwache, ich wüßte nicht, zu welchem Zwecke ich mich jetzt eigentlich ankleiden soll. aSo zwecklos erschien ihm sein Leben.3
Graf Karl Stürgkh, Mitglied des Abgeordnetenhauses
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Karl Schwarzenberg begann als Tschechenfreund. Aber er wurde immer bedächtiger und wurde endlich ein echter Konservativer. Auch trägt der Einfluß seiner Frau, einer geborenen Gräfin Hoyos, dazu bei, die aus einer deutschen Familie ist, ihn von den tschechischen Extremen fernzuhalten. 16
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Ernst von Plener lehnte die ihm 1892 angebotene Präsidentschaft ab. Er begründete dies in einer Erklärung vom 3.2. 1892 mit seiner Pflicht, in der schwierigen innenpolitischen Situation im Abgeordnetenhaus und im böhmischen Landtag bleiben zu müssen. Zum Konflikt mit der ungarischen Regierung, die zum Rücktritt des Außenministers im Mai 1895 führte, vgl. Graf Gustav von Kälnoky; in: Historische Aufsätze 355-360. Ergänzung.
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Professor Isidor Singer
Den böhmischen Ausgleich habe Taaffe gewollt18, sagte Stürgkh nachdrücklich und wiederholt, Thun habe ihm jede mögliche Schwierigkeit entgegengestellt. Dabei habe er die Unterstützung eines bürgerlichen Großgrundbesitzers gefunden, der das Operat verschleppte und der dafür dann zum Lohne ein hohes Staatsamt erhielt. Meint Stürgkh damit Baernreither19?
Professor Isidor Singer, Herausgeber der „Zeit"
24. Jänner 1899 К 2, U 3, 362 г
Zwei Tage vor der Veröffentlichung der Sprachenverordnung [im] April 189720 kam Kramär zu Singer. Er bat ihn zuerst, da in den nächsten Tagen [die] Ernennung Haibans zum Sektionschef in der Wiener Zeitung stehen werde21, ihn doch zu schonen. Als Singer dann entgegnete, er müsse das Kanner überlassen, sagte Kramär: Eigentlich etwas Wichtigeres. Und nun erhob er beide Fäuste gegen das Bild Fischhofs, das Singer umkränzt hält, und sagte: Im Geiste dieses Mannes habe er Singer einen Vorschlag zu machen. In nächster Zeit werde die Sprachenverordnung erlassen werden. Man habe mit den Deutschen gesprochen, die gesagt hätten: Tolerari posse. Steinwender habe sogar Heraus damit! gesagt. Er bitte nun Singer, in demselben Sinne einzuwirken. Nach Erlaß der Sprachenverordnung werde der ungarisch-österreichische Ausgleich gemacht werden, und dann solle der Ausgleich in Böhmen in Angriff genommen werden. Singer erwiderte sofort, das gehe nicht. Zuerst der Ausgleich, die Sprachenverordnungen könnten nur die Krönung sein. Bald darauf kam Philipp zufällig, der ganz konsterniert über die Mitteilung Kramärs war und Singer zustimmte. Nach einer 1'/2 stündigen Unterredung, als man sich nicht einigte, schloß Kramär: Nun, dann wird die Sache ohne die Deutschen oder selbst gegen sie gemacht werden!
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Das in den Ausgleichsverhandlungen vom 5.-19. 1. 1890 erzielte Übereinkommen. Es wurde von den Jungtschechen, die von den Verhandlungen ausgeschlossen waren, bekämpft und im böhmischen Landtag zu Fall gebracht. Josef Maria Baernreither war vom 7. 3. bis 3. 10. 1898 Handelsminister im Kabinett Thun. Die badenischen Sprachenverordnungen waren am 5. 4. 1897 erlassen worden. Heinrich von Halban war bereits 1895 zum Sektionschef ernannt worden.
28. und 29. Jänner
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Daniel Feigl, Journalist
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24. Jänner 1899 К 2, U 3, 362 ν
Erzählte von der tschechisch-nationalen Strömung unter den Sozialdemokraten. Im Dezember 1896 vor den letzten Reichsratswahlen faßten die tschechischen Arbeiter den Beschluß, in Prag eine eigene Gewerkschaftskommission zu errichten. Die Parteiführung in Wien widersetzte sich. Infolgedessen erklärte Nemec, der seine Reichsratskandidatur für den III. Wahlkreis angemeldet hatte, seinen Rücktritt. Dieser Beschluß wurde in dem Wahlkomite für diesen Wahlkreis, dessen Obmann Daniel Feigl war, mit „Befriedigung" zur Kenntnis genommen, da das Komite dieses sich Abseitsstellen aus nationaler Rücksicht verurteilte. Darauf war Adler außer sich, drang in Feigl, die Sache gutzumachen. Es meldete sich auch ein anderer Kandidat, ein Deutscher. Adler setzte es durch, daß Nemec seine Kandidatur wieder anmeldete," daß der deutsche Arbeiter zurücktrat, und tatsächlich war Nemec der offizielle Kandidat 22 .
Freiherr Gustav von Wersebe, General der Kavallerie i. P.
Salzburg, 28., 29. Jänner 1899 К 2, U 3 , 359r - 361r
Wersebe kam mit 16 Jahren nach Osterreich. Er war bis dahin am Gymnasium zu Celle und hatte unter anderem guten philologischen Unterricht. Da sagte sein Vater zu ihm, er solle sich die Dinge in Österreich ansehen. Dort dienten in der Armee Verwandte von ihm. Damals, 1856, hoffte man, der junge, tatkräftige Kaiser Franz Joseph werde in irgendeiner Form Deutschland einigen. 1859 diente er bei Stadion, auch bei Montebello23. Gyulai wollte ihm gut. Er war unterrichtet, aber sehr hochmütig. Er und Kuhn paßten gar nicht zueinander. Kuhn war doch viel schuld und wird überschätzt. Wenn er darauf bestanden hätte, daß Gyulai die Piemontesen bei Alessandria angreife, oder wenn er auf dem Angriff vom 2. und 3. Juni bestanden hätte 24 , wenn es sein Ernst gewesen wäre, so hätte er Gyulai auch dahin ge22
Nach der Ablehnung der tschechischen Forderung nach Wahl eines tschechischen neben dem deutschen Sekretär der Gewerkschaftskommission auf dem zu Weihnachten 1896 abgehaltenen zweiten sozialdemokratischen Gewerkschaftskongreß beschlossen die Tschechen die Errichtung einer eigenen Gewerkschaftskommission in Prag. Gleichzeitig hatten sie auch die Forderung nach der Kandidatur von Antonin Nemec in einem Wiener Wahlkreis erhoben und durchgesetzt. 23 In der Schlacht bei Montebello am 20. 5. 1859 unterlagen die österreichischen Truppen. 24 Vgl. zu diesen Ereignissen im Vorfeld der Schlachten von Magenta und Solferino im Krieg von 1859 Kampf um die Vorherrschaft. Bd. 1, 15-16. " korrigiert von aufstellte.
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Freiherr Gustav von Wersebe
bracht. Es war ein Unglück, daß sie gar nicht zueinander paßten. Als Wersebe einmal ins Hauptquartier kam, sprach Gyulai mit ihm. Plötzlich kam Kuhn von rückwärts, faßte Gyulai unterm Arm und sagte, „ich habe etwas mit Ihnen zu sprechen, Exzellenz." Wersebe sah, wie Gyulai zusammenzuckte und ob solcher Vertraulichkeit höchst indigniert war. Wenn Ringelsheim sein Generalstabschef geblieben wäre, wäre es besser gewesen, da ihn dieser submiß zu behandeln wußte. Kuhn hat allerdings später die Dinge so dargestellt, als ob er alles Richtige geraten hätte, das ist wohl nicht ganz so. Kuhn war vom Reiten mit Abszessen bedeckt, das darf eben nicht sein, er hätte sich durch Galoppieren abhärten sollen. Als er kam, war man glücklich, man glaubte, er sei soviel Wert wie ein Armeekorps. Bei Solferino sah Wersebe den Gyulai in einem sehr schwachen Augenblick. Es war zu Robecco nach verlorener Schlacht. Alle Fuhrwerke waren verfahren, gräuliche Unordnung. Da kam Stadion mit dem Korps und konnte nicht durch. Er wandte sich an Gyulai mit der Bitte, energisch Ordnung zu schaffen. Das solle geschehen, sagte Gyulai. In diesem Augenblick fiel nicht weit von ihm eine Granate. Da ritt er, ohne sich weiter zu kümmern, davon. Hübsche Geschichte von der Ordenssucht französischer Offiziere. Zwei derselben erhielten Orden, weil sie das in Mailand zurückgebliebene Gepäck österreichischer Offiziere zurückschickten. Darauf schrieb der General, der französischer Gouverneur in Mailand war, einen Brief, er habe doch das meiste dazu beigetragen, und erhielt nun auch einen Orden. Die Österreicher hatten sich nämlich über Pavia zurückgezogen, weil sie meinten, die Franzosen seien schon in Mailand. Zu diesem Glauben kamen sie, weil sie Kuriere nach Mailand geschickt hatten, die nicht zurückkehrten. Es waren eben Italiener, die einfach desertiert waren. Als Benedek das Kommando der italienischen Armee übernahm, war Henikstein, dem er wohlwollte, sein Generaladjutant. Aber Henikstein machte über Frau von Benedek, die oft grotesk in ihrem Auftreten war, so erschien sie einmal mit einem großen Paradiesvogel auf dem Hute, schlechte Witze. Benedek lebte sehr gut mit seiner Frau, und Henikstein mußte infolgedessen ein Korpskommando übernehmen. Aber auch von da wollte ihn Benedek wegbringen. Nun war er ja auch Generalstabschef und trug auch immer die grüne Uniform. Er empfahl nun Henikstein dem Kaiser als Generalstabschef: Der verstehe alles. Der Kaiser glaubte, Benedek hege zu Henikstein das größte Vertrauen und sagte ihm, weil er glaubte, ihm etwas Angenehmes zu erweisen: Henikstein solle sein Alter Ego sein. „Da hatte er ihn wieder", sagte Wersebe lachend. So hatte Stadion Wersebe erzählt. Als Benedek das Kommando in Italien 1860 übernahm, war er sehr dankbar dafür, daß Erzherzog Albrecht und Wilhelm Unterkommandos übernahmen. Er dankte Albrecht dafür vor den versammelten Offizieren und küßte ihm trotz seines Sträubens die Hand. Degenfeld hätte gerne das Kommando
28. und 29. Jänner 1899
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1860 in Italien erhalten und war ein Gegner Benedeks. Er nannte ihn Wersebe gegenüber nach 1866 eine schlechte Kopie Radetzkys. Vor der Schlacht bei Solferino machte Major Appel mit seinem Bruder etc. eine große Rekognoszierung, durch die er die gesamte Stellung der Franzosen erkundete. Aber Heß glaubte ihm nicht, er glaubte überhaupt nichts ihm Unangenehmes gerne. Von Ramming hatte Wersebe keine gute Meinung. Gelehrt, aber er sah ihn bei Magenta als Kommandanten einer Brigade und hatte keinen guten Eindruck von ihm. Leider sind ihm die Aufzeichnungen von 1859 verlorengegangen. Er hatte eine Karte von Oberitalien, wo bloß Flüsse und Städte waren, in die zeichnete er an den betreifenden Orten seine Erlebnisse auf. Aber er verlor die Karte gegen den Schluß des Feldzugs. Wersebe besitzt nicht bloß über 1866 Aufzeichnungen, sondern machte sie von verschiedenen interessanten Zeitläufen, so von der Reise, die er mit dem Kaiser nach Rußland machte. Diese Aufzeichnungen befinden sich alle im Besitz seines Bruders. Er will aufgrund dieser Aufzeichnungen seine Memoiren schreiben. Von Krismanic sagt Wersebe, er besaß gewiß ein großes Wissen. Er verstand es besonders, Erzherzog Albrecht gut zu behandeln. Dieser hatte große Eigenschaften, aber auch er hörte nur gerne, was ihm angenehm war. John hat er nicht gut behandelt. Krismanic wußte ihn gefangenzunehmen. Gewiß, er wollte alles selbst besorgen und leiten, daneben aber war er dem Wohlleben, der Bequemlichkeit zugewandt. Schon vom 27. Juni an wankte das Vertrauen Benedeks in ihn25. An diesem 27. Juni war Benedek krank, er litt furchtbar an Hämorrhoiden. Er lag den ganzen Tag zu Bett, und am nächsten Tage erhob er sich nur mit der größten Anstrengung. Nachts nun kam Hauptmann Gaupp mit der Meldung Gablenz'. Siehe Brief Wersebes an mich26. Wersebe wurde geschickt, um Krismanic zu wecken und sagte ihm, daß eine wichtige Meldung von Gablenz gekommen sei. Da drehte sich Krismanic auf seinem Bett unwillig um und sagte: Die Dinge haben Zeit bis morgen, man muß sich auch ausschlafen. Er schenkte eben der Meldung Gablenz', daß er auf seinem rechten Flügel gefährdet sei, gar keinen Glauben. Wersebe kehrte zu Benedek zurück, da war Benedek höchst empört über Krismanic und rief in höchstem Zorn: „Der Generalstab soll augenblicklich zu mir kommen!" Dies sagte Wersebe ebenso kräftig zu Krismanic, so daß dieser sich mit einem No, No! endlich von seinem Lager erhob. Neuber war verstimmt, hintangesetzt. Wersebe erinnert sich, wie er aufgeregt aus dem Kriegsrate in Dubenetz herausstürzte und Erzherzog Wil25
26
Vgl. zu den weiteren Informationen zum Krieg von 1866 Kampf um die Vorherrschaft. Bd. 2. Wersebe an Friedjung, Salzburg 15. 1. 1899, К 2, U 1. Darin schreibt General Wersebe, daß Krismanic „die Hauptschuld an dem so überaus ungünstigen Ausgange des Krieges trifft."
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Freiherr Gustav von Wersebe
heim ihm nachging, um ihn zu beruhigen. Die Stellung von Königgrätz wurde gewählt, weil man beim Rückzüge von Dubenetz ganz überrascht war von der Position. Alles blieb stehen, gegenüber wie eine Festung. Weshalb, fragte man sich, solle man hinter die Elbe zurückgehen? Als Gablenz mit Benedek, Henikstein, Krismanic am Tage oder Vortage von Königgrätz zusammentraf, entstand ein Wortwechsel, er machte dem Hauptquartier Vorwürfe, daß man ihn absichtlich in Ruhe gelassen habe, Benedek gebot endlich Schweigen. Gablenz war ein ausgezeichneter Soldat, aber ohne jede Bildung. Seine Schrift glich der einer Dienstmagd, er war ein Spieler, aber ein glänzender Soldat. In der Schlacht bei Königgrätz schickte Ramming dreimal zu Benedek um Erlaubnis, einen Vorstoß gegen Friedrich Karl machen zu dürfen. Benedek war für seinen linken Flügel weit mehr besorgt als für seinen rechten. Benedek eilte nach der Niederlage des Fußvolks zu dem Prinzen Holstein-Glücksburg, dem älteren Bruder des Königs von Dänemark, der aber auf seine Ansprüche entsagt hatte. Dieser war stets höflich und glatt, er sprach jedermann mit „Lieber Freund" [an] und schickte ihn auch mit solcher liebenswerter Anrede in Arrest. Als Benedek auf ihn zusprengte und ihn aufforderte zu attackieren, sagte er mit seiner gewöhnlichen Höflichkeit und sich zierlich im Sattel hebend: „Gestatten Exzellenz, hier steht der Feind und dort steht der Feind. Wo befehlen Exzellenz, daß ich attackiere?" Benedek zeigte ihm die Richtung und vorwärts gings. Darauf wurde Wersebe mit demselben Befehle zu Coudenhove geschickt. Dieser hatte seine Division mit der Front gegen den Kronprinzen aufgestellt. Er war stets nervös, auch bei Manövern. Als Benedek ihn einmal bei Olmütz inspizierte, war er so in Aufregung und steter Eile, daß sein Pferd mit Schaum und Schweiß bedeckt war und Wersebe sich nicht enthalten konnte zu sagen, daß dies bei einem Manöver doch überflüssig sei. Er nun sagte zu Wersebe, offenbar in die entgegengesetzte Richtung blickend: Ich sehe keine Kavallerie. Als ihm Wersebe dann Reihen zu seiner Linken zeigte, attackierte er. Bald darauf kam Benedek auch hierher. Jetzt aber strömte diese Kavallerie bereits nach rückwärts. Wersebe hatte den Eindruck, [daß] Benedek mit der Division Coudenhove attackieren wollte, mit dem Gedanken, hier seinen Tod zu finden. Als er aber auch diese Kavallerie in Verwirrung sah, rief er schmerzbewegt aus: Meine Kavallerie läßt mich im Stich! Und nun sprengten die Reiter durch das flüchtende Fußvolk, dies in die fürchterlichste Verwirrung setzend. Während dieser furchtbaren Szenen fiel Oberstleutnant Müller. Er hielt Benedek gerade die Karte vor, auf welcher dieser sich orientierte, in diesem Augenblick platzte eine Granate, welche Müller mit drei Stücken traf, so daß er sofort haushoch aus dem Sattel fiel. Er wurde sofort auf eine Lafette gelegt und gerettet, sonst wäre er rettungslos zertreten worden. Nun sollte Krismanic die Rückzugsbefehle diktieren. Wersebe behauptet, daß Falkenhayn nicht die Wahrheit gesagt habe, als er behauptete, Rückzugsbe-
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fehle seien ordentlich diktiert worden. Wahrscheinlich irrt Wersebe: Falkenhayn erhielt noch den Befehl für den linken Flügel, wenn ich nicht irre, dann Flucht. Denn Wersebe versuchte, Befehle im Notizbuch zu diktieren, stets Kugelhagel, und Krismanic sagte: Hier kann ich nicht diktieren. Wersebe zeigte mir die zwei Mal begonnenen Befehle auf zwei Blättern seines Notizbuches. Wersebes Pferd war auch unter ihm erschossen worden. Er erhielt sofort ein anderes. Benedek benahm sich während dieser Szenen stets wie gewöhnlich, ganz kaltblütig. Über Erzherzog Leopold urteilt Wersebe sehr ungünstig. Er war höhnisch, kritisierte fortwährend. Er war ein schlechter Untergebener. Man sagte Wersebe später, der Befehl zum Angriff bei Skalitz sei von Erzherzog Leopold ausgegangen, mit den Worten: Nun los auf die Hunde! Erzherzog Wilhelm war ein vortrefflicher Mann. Wersebe teilt meine Verurteilung Thun und Thum und Taxis. Besonders letzteren verurteilt er aufs schärfste. So untätig bei Trotina stehenzubleiben. Viel Schuld hatte sein Stabschef Rodakowski, der, als ihn der Souschef Demel (?) inständigst bat, doch nach vorne zu rekognoszieren, erwiderte: Das geht uns nichts an.
Arthur Bunzl, Chefredakteur der Ostereichischen Volkszeitung
Jänner 1899 К 2, U 6, 697 г
Erzählte mir, Plener habe ihm erzählt: Steinbach habe gegenüber der Gräfin Schönborn, der Gattin des Justizministers, gesagt, daß er sich zu seinen Reden oder Taten durch das Anhören der heiligen Messe stärke. Der Bruder Steinbachs hat eine Kaunitz zur Frau.
Felix von Gerson
2. Februar [ 1899] К 2, U 3, 362 ν - 363 г
Erzählt mir von seinem Gespräch mit dem Grafen Johann Esterhäzy, der mit einer Tochter des Krakauer Akademiepräsidenten Tarnowski vermählt ist. Dieser kennt den Hauptmann oder Oberst Bronn27 sehr gut, der sich stets in der Umgebung des Erzherzogs Franz Ferdinand befindet. Bronn ist ein unehelicher Sohn des Fürsten Konstantin Hohenlohe, Protestant, und tritt in diesen Tagen in den Katholizismus über, um sich mit einer Dame der Aristokratie zu vermählen. Bronn nun sagt, Franz Ferdinand sei erst auf seinen Reisen gereift. Anfangs reiste er wie ein Koffer, er wurde wie ein solcher 21
Freiherr Karl von Bronn, seit 1911 Fürst von Weikersheim.
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Freiherr Alois Lexa von Aehrenthal
aufgegeben und verschickt. Aber nach etwa drei Monaten begann er das Gefühl seiner Abhängigkeit zu haben. Er wurde selbständiger und entzog sich der Leitung, indem er mit Vorliebe die Anordnungen durchkreuzte, die ihm aufoktroyiert wurden. Er begann selbständig zu sehen. Und so blieb er. Wo er die Absicht einer Beeinflussung merkt, da wird er unwillig, er will sich selbst ein Urteil bilden. Alles Höfische und Zeremonienwesen ist ihm verhaßt. Wie gering er früher geschätzt wurde, beweist ein Ausspruch des Kronprinzen Rudolf über ihn. Einmal befanden sich die beiden auf einem Jagdschlosse in Siebenbürgen bei einem Gelage, dem Graf Bethlen, ein Onkel Esterhäzys, beiwohnte. Als sie schon alle mehr als angeheitert waren, sagte Rudolf zu Bethlen, so daß der stark bekohlte Franz Ferdinand es wohl hören konnte: „Sehen Sie, die Habsburger waren immer Kavaliere, aber da ist auch lothringisches Blut dazugekommen; und damit ist etwas Heimtückisches oder Hinterlistiges in ihr Wesen gedrungen, wie bei es [sie!] bei dem dort merkt."
Freiherr Alois Lexa von Aehrenthal, Botschafter in St. Petersburg
5. Februar 1899" К 2, U 6, 369 г - 370 ν
Besonders die zweite Unterredung höchst merkwürdig. Ich gewinne erst einen Einblick in seine Anschauungen. Er tritt jetzt freier und selbst größer hervor, als ich ihn nach seinem anscheinend gebundenen, engen Auftreten geschätzt hatte. Vor allem fällt mir die Klarheit seines Planes auf, wie jetzt in Österreich Ordnung zu schaffen ist. Aehrenthal kritisiert und klagt nicht bloß, er entwirft immer ein Bild: So müßte es gemacht werden. Das Gespräch begann mit einer Schilderung seiner Eindrücke in Paris.28 Er hat Wolkenstein gesprochen, ebenso einige Botschafter. Mit Vogue und Brunetiere speiste er einmal zusammen. Er hat einen düsteren Eindruck. Bloß Victor Napoleon könnte, wenn er Rückgrat hätte, Frankreich aufrichten. Aber er ist, wie man ihm sagte, ein todschlächtiger Mensch, sein Bruder Louis verlottert. Vogue und Brunetiere urteilten pessimistisch. Ersterer ist fleißig, aber im Grunde borniert, Brunetiere dagegen ein feiner kluger Mann, der in geistreichen Apergus spricht. Sie sind natürlich Anti-
28
a
Aehrenthal hatte im Jänner 1899 eine Reise nach Paris und an die Riviera unternommen. Seine offizielle Ernennung zum Botschafter in St. Petersburg erfolgte am 26. 1. 1899, er trat seinen Posten am 16. März an. Die ursprüngliche Datierung lautete 30. Jänner und 6. Februar 1898 und wurde von Friedjung auf 5. Februar 1899 korrigiert. Aufgrund des Briefwechsels Friedjung - Aehrenthal in Aus dem Nachlaß Aehrenthal und des Inhalts der Aufzeichnungen geht klar hervor, daß die Gespräche tatsächlich 1899 stattgefunden haben.
5. Februar 1899
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Dreyfusors29, aber eine bestimmte Anschauung von der Zukunft haben sie nicht. Ich hatte Aehrenthal geschrieben, daß Münz ihn sprechen wolle. Er lehnt es ab, mit der Motivierung, daß ich nicht ahnen könne, mit welchem Mißtrauen man beobachtet werde, wie sehr feindselige Kräfte zur Gegenwirkung bereit seien. Jetzt habe er nichts zu sagen, wenn er etwas in Petersburg zum Wohle Österreichs ausgerichtet habe, könne ihn Münz in Petersburg besuchen und solle sein Gast sein. Er gestehe selbst, daß er in bezug auf die Verbindungen mit Zeitungen unmoderne Anschauungen habe. Es sei ja begreiflich, daß sie sich mit den Diplomaten in Verbindung setzen, aber er müsse insbesondere mit der Neuen Freien Presse vorsichtig sein, die so schlecht in den obersten Kreisen angeschrieben sei. Auch wenn ich etwas in die Allgemeine Zeitung schreibe, solle es möglichst farblos sein. Nun berichte ich ihm, was ich mit Stürgkh über Goluchowski3 gesprochen. Dieser hatte gesagt, es wäre vergeblich, wenn man gegen Goluchowski auftrete. Nur wenn von Berlin ein Druck geübt werden sollte, werden die Dinge in Österreich sich ändern. Er mißtraue Goluchowski, denn dieser habe selbst in einem Kreise von Delegierten seine Ansicht dahin ausgesprochen, daß es notwendig sei, das Wahlrecht zum Reichsrate den Landtagen zu übertragen. Aehrenthal: Ja, er ist immer unvorsichtig und tappt in alles hinein. Dann berichte ich über das, was Eulenburg und Romberg über Aehrenthal gesagt hatten. Ich erzähle: Als ich Eulenburg gesagt hatte, daß es doch nicht so trostlos in Österreich stehe, indem Männer wie Aehrenthal mir Anschauungen entwickelt hätten, ganz wie Eulenburg selbst, sagte dieser: Es freue ihn, das zu hören, aber freilich sei es in Österreich eine allerdings lobenswerte Eigenschaft der Beamten, daß sie nur dann dem Kaiser mit ihrer Meinung entgegentreten, wenn sie gefragt werden; Aehrenthal könne nicht anders handeln. Aehrenthal: Ja, das ist ja selbstverständlich. Romberg hatte mich, als ich Aehrenthal rühmend erwähnte, gefragt: Gehört Aehrenthal nicht zur Wolkensteinschen Schule? Nein, hatte ich geantwortet. Wolkenstein hatte mir selbst erzählt, daß er Kalnoky Unrecht gab, als er 1887 zu scharf gegen Rußland vorging30. Aehrenthal aber sei ganz der Anschauung Kalnokys gewesen. 29
30 a
Der französische Hauptmann Alfred Dreyfus wurde im Dezember 1894 von einem Militärgericht in einem äußerst fragwürdigen Prozeß wegen Landesverrats zugunsten Deutschlands zu lebenslanger Haft verurteilt. Im Revisionsverfahren 1899 wurde er neuerlich verurteilt, diesmal zu zehn Jahren Gefängnis, jedoch anschließend vom Präsidenten der Republik begnadigt. 1906 wurde Dreyfus schließlich vollständig rehabilitiert und zum Major befördert. Die politische Auseinandersetzung wurde auf der rechten Seite stark von antisemitischen Tönen beherrscht, da Dreyfus jüdischer Herkunft war. Vgl. S. 192 f. Der ursprünglich ausgeschriebene Name durch dicke Tintenstreichung unleserlich gemacht, darüber ein G gesetzt.
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Freiherr Alois Lexa von Aehrenthal
Aehrenthal sagte: Sie sehen, wie man in Berlin strenge klassifiziert. Ich habe Ihnen bereits einmal erzählt, wie einmal bei der „Ordenskonferenz", die wir in Petersburg mit dem Grafen Herbert Bismarck [abhielten], dieser erklärte, Obrucev und andere dürften keinen Orden bekommen, weil sie Feinde des Dreibundes seien. Natürlich wurden diese Männer dadurch noch mehr verstimmt und um so schärfer gegen Deutschland gestimmt. Man sieht aus jener Äußerung Rombergs, daß selbst Wolkenstein noch nicht für ganz korrekt gilt. Und gerade Wolkenstein ist der Ansicht, Österreich-Ungarn solle mit Rußland überhaupt nur über Berlin sprechen. So weit gehe ich nicht, ich wollte, wir sollten direkt mit Petersburg sprechen, und ich möchte das gerne erreichen, aber so weit sind wir lange noch nicht. Aehrenthal irrt vielleicht, indem er der Äußerung Rombergs diese Tragweite beimißt. Über Eulenburg sagte Aehrenthal: Er ist vielleicht nicht der richtige Vertreter Deutschlands. Denn seine gewiß feine Art eignet sich nicht ganz zum Verkehr mit dem Kaiser. Er ist ja eine reiche Natur, er komponiert, dichtet, aber gerade beim Kaiser würde jemand Vertrauen finden, der bloß Diplomat ist, wie es etwa sein Vorgänger . . war. Aehrenthal hatte es in dem vorigen Gespräch als Fehler Thuns bezeichnet, daß er nicht im Sommer 1897 [sie!] die Auflösung der Mehrheit geschehen ließ oder sie selbst betrieb31. Auch jetzt sei dies dringend notwendig. Am besten wäre es, eine Mehrheit aus der katholischen Volkspartei, den Polen, dem deutschen Großgrundbesitz, der freien deutschen Vereinigung zu bilden, dagegen müßten alle die draußen bleiben, die an dem jetzigen Streite gewissermaßen Schuld tragen, selbst die deutsche Fortschrittspartei, die Jungtschechen, die Deutschnationalen. Da die deutsche Fortschrittspartei doch der Kombination günstig wäre, so hätte man ja eine Mehrheit. Allerdings würden die Feudalen beiseite gelassen werden müssen, denn bei ihrer jetzigen Disposition sind sie ein störendes Element. Lobkowitz sieht nur den tschechischen Staat. Den Deutschen müßte das Zugeständnis des geschlossenen Sprachgebiets gemacht werden. Das ist der einzige Weg. Allerdings müßte man ein Mittel finden, um zu bewirken, daß diese Kombination aus der Initiative der Krone hervorgehe. Denn das Koalitionsministerium32 scheiterte daran, daß es dem Kaiser aufoktroyiert war und so dessen AbneiGraf Franz Thun war erst seit 7. 3. 1898 Ministerpräsident. Im Sommer 1898 führte er Verhandlungen mit den Parteiführern, um die Arbeitsfähigkeit des Parlamentes wiederherzustellen und dadurch die Verabschiedung des ungarischen Ausgleichs zu ermöglichen. Obwohl diese Gespräche kein Ergebnis brachten, wurde der Reichsrat für 20. 9. 1898 einberufen, jedoch am 20. Dezember wieder vertagt, da an eine gesetzgeberische Arbeit nicht zu denken war. 32 Das Kabinett Windischgraetz (1893-1895). * Freilassung im Original. Deutscher Botschafter in Wien von 1878 bis 1894 war Heinrich VII. Prinz Reuß.
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7. Februar 1899
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gung hervorrief. Freilich ist es sehr schwer, den Weg zu finden, wie die Krone dazu zu bringen wäre. Aber es ist klar, welchen Vorteil es böte, wenn ein parlamentarisches Ministerium auch in Osterreich zu dem Zwecke bestünde, um der Krone die Verantwortlichkeit für das Geschehende abzunehmen. Anders geschah es bis jetzt. Da wurde stets ein Ministerpräsident bestellt, mit dem sich der Kaiser identifizierte. Dadurch geriet die Krone, wenn er scheiterte, in eine üble Lage. So könnte wohl ein Ausweg gefunden werden. Und er muß gefunden werden. Denn ein Staatsmann darf nie von dem Gedanken gehemmt sein: Es ist zu spät - es darf einfach nie zu spät sein, seine Pflicht zu tun.
Freiherr Klemens von Podewils-Dürnitz, bayerischer Gesandter in Wien
7. Februar 1899 К 2, U 3, 363 ν
Lichnowsky ist der Schüler Bülows. Er diente unter ihm in Bukarest. Lichnowsky war ursprünglich nur ein flotter Offizier, der zum Schrecken seines Vaters große Schulden machte. Dann ging er zur Diplomatie, und zwar nach London. Von dort kehrte er mit dem Geschmack lediglich für ernste Dinge zurück. Bülow aber übte erst den größten Einfluß auf ihn aus. Er unterrichtete ihn förmlich, gab ihm schriftliche Ausarbeitungen über ernste Themen, die er dann mit ihm besprach. Lichnowsky dürfte übrigens nach seiner Rückkehr nicht mehr lange in Wien bleiben33. Lichnowsky und, durch ihn beeinflußt, auch Eulenburg, hatten ursprünglich eine gute Meinung von Badem. In diesem Sinne berichteten sie auch nach Berlin. Lichnowsky war Hausfreund bei Badeni und wollte Podewils nie glauben, daß alles der Zerrüttung entgegengehe. Eulenburg und Podewils berichteten dann nach Berlin und München in einem ganz verschiedenen Sinne. Lichnowsky stand auf dem Standpunkte: Es schäume in Österreich auf, und dann schlichten sich die Dinge von selbst. Solche Aufregungen seien schon oft dagewesen. Erst später gab Lichnowsky Podewils zu, daß dieser recht gehabt habe. Badeni ist immer fidel im Club. Solch eine angenehme Erledigung der Geschäfte berührte den Kaiser behaglich, dem alle mit sorgenschweren Gesichtern nahen.
33
Prinz Karl Max Lichnowsky wurde nach der Rückkehr von einer Ostasien- und Nordamerikareise Ende 1899 an das Auswärtige Amt als Vortragender Rat und Personaldezernent berufen.
Gustav Seidler
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Gustav Seidler, Professor der Staatsrechnungswissenschaften an der Universität Wien
8. Februar 1898a К 2, U 3, 363 r-v
Er sprach mit Krall, dem soeben in Ruhestand getretenen Präsidenten des Wiener Oberlandesgerichtes. Er sagte ihm, er hätte noch dienen mögen, wenn ihm nicht die Wirtschaft in den richterlichen Kreisen mißfallen hätte. Aber der Einfluß der Regierung auch auf den Obersten Gerichtshof sei zu groß. Die Entscheidung des Obersten Gerichtshofes in der Sprachenfrage sei „bestellt"34. Mit Orden sei bei diesen Leuten alles zu erreichen. Er traf Klein im Vorsaal zur Audienz zum Kaiser. Klein gab seinem Mißmut so laut und offen Ausdruck, daß Seidler ihm sagte: Nicht bloß die Mauern, auch die Gärten haben Ohren. Er schimpft überall, auch im Professorenzimmer. Von Ruber spricht er als „von dem Schwein!" Aber dagegen ist merkwürdig, daß er selbst Ruber zum Justizminister empfohlen hatte. Gautsch hatte ihm als Erstem Sektionschef die Stelle angeboten, er lehnte sie aus „Gesundheitsrücksichten" ab. Ruber beriet sich zuerst in wichtigen Dingen mit ihm, jetzt aber erfährt Klein die Dinge erst aus den Zeitungen. Krall erzählte: Steinbach sei von dem Kaiser gefragt worden, was er von der Entscheidung des Obersten Gerichtshofes halte, und Steinbach erwiderte darauf: Sie sei vollständig begründet.
Freiherr Klemens von Podewils-Dürnitz, bayerischer Gesandter in Wien
12. Februar 1899 К 2, U 6, 697 r-v
Er habe gehört, daß der Artikel der Revue de Paris von Kramär35 im Einverständnisse mit dem französischen Botschafter veröffentlicht worden sei. Der ihm das sagte, dem sei es „herausgerutscht". Er, Podewils, werde es Eulenburg sagen. Der Kaiser sei so tief gegen die Deutschen verstimmt, daß er in jedem einen Anhänger Schönerers sehe. Er, Podewils, habe schon sechs Wochen vor dem Sturze Gautsch' gewußt, daß Thun Ministerpräsident werde36, und er habe es auch nach München ge34
35
36
'
Am 3. 11. 1897 entschied der Oberste Gerichtshof, daß die Ablehnung der Protokollierung einer tschechischen Einrede gegen eine deutsche Klage durch das Bezirksgericht Eger zu Recht erfolgt sei und lehnte es gleichzeitig ab, die Frage der Rechtsgültigkeit der Badenischen Sprachenverordnungen grundsätzlich zu prüfen. Karel Kramarsch, L'avenir de l'Autriche; in: Revue de Paris 6/1 (Jänner-Februar 1899) 577-600. Am 7. 3. 1898 trat Graf Franz Thun-Hohenstein das Amt des Ministerpräsidenten an. Datierung heißen.
aufgrund
des Inhalts
und des Fundortes
falsch; es sollte 8. Februar
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15. Februar 1899
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meldet. Er hatte einen guten Koch, den man ihm oft abstiften wollte. Da meldete ihm dieser, Thun wolle ihn engagieren mit dem Bedeuten, er werde demnächst eine Hofanstellung erhalten. Da sagte ihm Podewils: Da kann ich Ihnen nur raten, zuzugreifen, denn dann gibt Thun viel mehr Diners als ich. Aber Podewils wollte erfahren, wann Thun Ministerpräsident werden würde, und er sagte zu seinem Koch, es wäre ihm erwünscht, wenn er noch einige Zeit bliebe, ob Thun denn nicht sein Engagement hinausschieben könne. Und darauf kam der Koch mit einem Briefe (wenn ich nicht irre) von Thun selbst: Es habe noch sechs Wochen Zeit. Da wußte Podewils alles. Seit einiger Zeit ist der Koch wieder in seine Dienste getreten. Da sagten die Leute zu Podewils: Ist das nicht ein Zeichen, daß Thun jetzt gehe? Das nun, sagt Podewils, hängt aber nicht mit seinem Rücktritt zusammen. Gautsch täuschte sich ganz über seine Situation. Er übersiedelte gerade damals aus dem Unterrichtsministerium in das . . . Ministerium 37 . Er hatte keine Ahnung, daß seines Bleibens nur ganz kurze Zeit sein werde.
Dr. Michael Gutsbesitzer
Hainisch, und Sozialpolitiker
13. Februar 1899 К 2, U 6, 697 г
Erzählte: Er war in Berlin zu der Zeit, da die Unterredung Bismarcks mit Bucher über Osterreich veröffentlicht wurde38. Hainisch sagte zu Schmoller, es sei doch zweifelhaft, ob Bismarck wirklich so gesprochen habe. Darauf Schmoller: Weshalb sollte es zweifelhaft sein? Wenn wir bei Tische bei ihm saßen, hat er oft ganz dasselbe gesagt.
Emanue/ Singer, Redakteur des Neuen Wiener Tagblattes
15. Februar 1899 К 2, U 6, 697 r-v
Der Kaiser hat zu einem Minister des Kabinetts Gautsch, der ihm eine pessimistische Darstellung der Lage, besonders des Verhältnisses zu Ungarn, 37
38
Paul von Gautsch war während seiner Zeit als Ministerpräsident (28. 11. 1897-5. 3. 1898) auch Innenminister. In Bismarcks Gesammelten Werken ist kein einziges veröffentlichtes Gespräch mit Adolph Lothar Bucher, dem langjährigen Mitarbeiter Bismarcks, verzeichnet. Es handelt sich eher um eines der vielen Gespräche, die Bismarck mit dem Schriftsteller und Journalisten Moritz Busch geführt hat. In К 5, U 15, fol. 4 r-v findet sich die Abschrift eines Gespräches vom 5.1.1886, in der sich Bismarck über die „unbegreiflich schlechte Politik" Österreichs in Bulgarien beklagte: „Sie betrieben in Wien eine Politik der Beichtväter und Bankiers." Vgl. Moritz Busch, Tagebuchblätter. Bd. 3 (Leipzig 1899) 199-200.
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Anton Pergelt
gab, gesagt: „Junger Herr, Sie sehen zu schwarz." Der Kaiser führte Kaiserfeld gegenüber 1871 Klage über die Siegesfeiern in Steiermark anläßlich der deutschen Siege. Kaiserfeld beruhigte ihn und sagte: „Außer der Kraft des Beharrens und der Anhänglichkeit an die Dynastie hat Österreich noch einen Schatz." Und der ist, fragte der Kaiser. „Die Staatsgesinnung der Deutschen." Plener hatte die Absicht, den Ausnahmezustand in Prag 39 während [des] Koalitionsministeriums aufzuheben. Der Kaiser weigerte sich, er hatte die Aufrechterhaltung zur Bedingung bei der Bildung des Koalitionsministeriums gemacht. So wurde [eine] Annäherung von Deutschen und Tschechen unmöglich gemacht. Der Kaiser wußte, daß Plener spät aufstehe, und bestellte ihn absichtlich sehr früh morgens (5 Uhr ?) zum Vortrag vor einer Jagd. Er unterschrieb seine Vorschläge nicht, so zum Beispiel Orden. Mit Mühe setzte er durch, daß Kammerpräsident Mauthner [einen] Orden bekomme40.
Anton Per gelt, Mitglied des Abgeordnetenhauses
23. Februar 1899 К 2, U 3, 367 г
Machte gute Bemerkungen über Kaiser Franz Joseph. Alles, was er etwa beim Delegationsempfange sage, sei verständig, bürgerlich, ernst. Aber merkwürdig sei, wie wenig er durchsetze, wenn er etwas sage und wünsche. Es scheint die Kraft und der Nachdruck zu fehlen. Das ist Pergelt mit Recht aufgefallen.
Graf Anton Monts de Mazin, Gesandter in München
preußischer 27. Februar 1899, München К 2, U 3, 367 r-v
Erzählt mir auch, daß [der] Kaiser die Ernennung Pleners absichtlich früher vollzog, „um ihn ganz tot zu machen" 41 . Monts spricht von Plener mit Ach39
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41
Mit 12. 9. 1893 war noch vorn Ministerium Taaffe über Prag und Umgebung als Reaktion auf tschechische Demonstrationen der Ausnahmszustand verhängt worden. Er wurde erst unter dem Kabinett Badeni am 11. 10. 1895 aufgehoben. Max Mauthner, 1892-1904 Präsident der niederösterreichischen Handels- und Gewerbekammer, erhielt unter dem Koalitionsministerium den Orden der Eisernen Krone (2. Klasse) verliehen. Ernst von Plener wurde nach der Demission des Kabinetts Windischgraetz, dem er als Finanzminister angehörte, 1895 zum Präsidenten des Gemeinsamen Obersten Rechnungshofes ernannt.
15. Februar 1899
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tung. Er habe ihm einmal gesagt, es müsse [die] nationale Seite hervorgekehrt, der Kaiser eingeschüchtert werden. Plener gab keine ganze Antwort auf dieses Ansinnen. Kälnoky war sehr tüchtig. Er erledigte alles rasch. Wenn Monts zu ihm kam42, hatte er gewöhnlich die notwendigen Schriftstücke bei sich. Auch Kälnoky hatte alles Erforderliche vor sich liegen. Sie erledigten alles, Schlag auf Schlag, tauschten die Schriftstücke rasch aus, und die Geschäfte wickelten sich sehr glatt ab. Auch Monts gibt Aehrenthal die Schuld, daß er Kälnoky nicht vor der Veröffentlichung der Note in der Politischen Korrespondenz warnte43. Ich verteidige Aehrenthal und schildere die Vorgänge. Über die Armee spricht Monts sehr absprechend. Die Führung sei unzureichend, besonders Beck. Und diese Generäle. Er habe Lobkowitz kennengelernt, der sehr tief stehe. Man müsse sich zuviel in der Armee ducken, so daß nur Lakaien und Aristokraten hinaufkämen. Kaiser sollte mehr für arme Offiziere tun. Kaiser Wilhelm habe die sogenannte Königszulage den Leutnants und Leutnants der Kavallerie gewährt (26 oder 30 Mark, ich erinnere mich nicht.) Das sollte auch [der] Kaiser tun. Erzherzog Albrecht habe es getan. In ein bis zwei Generationen werde Deutschland in Österreich Ordnung machen müssen. Allerdings müsse Preußen zuerst Herr der Armee werden, und Bayern und die anderen Staaten in ihrer Selbständigkeit reduziert werden. Dann erst sei Deutschland fertig. Wenn die Deutschen Österreichs nicht so lange Widerstand leisten könnten, sei alles verloren. Denn an der Festhaltung der Position im Donautale hänge die Zukunft der deutschen Nation. Allerdings sei es (ich warf diese Frage auf) vorschnell, wenn jetzt schon in Österreich eine Annexionspartei entstehe. Damit müsse man nicht zu früh hervortreten. Anders in 3[0]-40 Jahren. Dann werde Deutschland 80 Millionen Einwohner zählen, Rußland 130, Frankreich 40 Millionen, dann habe Deutschland die Kraft der Expansion. Übrigens gibt es in Bayern eine Stimmung zur Ausbreitung über die Deutschen Österreichs. Prinz Ludwig hege abenteuerliche Pläne zur Gründung eines zweiten deutschen Reiches im Süden, mit Bayern als Kern. Er äußere zwar solche Absichten nicht, aber Monts glaubt, daß er sie hege. Außerdem sei er klerikal, all dies sei für Deutschland eine Gefahr. In der Entfaltung dieser Gesichtspunkte überraschte mich Monts durch die verhältnismäßige Durcharbeitung dieses Gedankengangs. Beim entscheidenden Zusammenstoße müßten allerdings die deutschen Regimenter die „Gewehre umkehren". Das müsse man von ihnen erwarten, selbst ver42
43
Graf Anton Monts war von 1886 bis 1888 deutscher Botschaftssekretär in Wien und 1890 bis 1894 Generalkonsul in Budapest. Zum Konflikt Kälnoky - Bänffy vgl. Graf Gustav von Kälnoky; in: Historische Aufsätze 355-360.
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Freiherr Klemens von Podewils-Dürnitz
langen. „Verraten Sie mich nicht", sagte Monts zu mir, „ich habe zu Ihnen als Freund gesprochen." Das Übermaß an Vertrauen ist erschreckend. Als ich Aehrenthal fragte, ob Monts Karriere machen könne, bezweifelte er dies. Er stoße die Leute vor den Kopf. In Wien habe er „uns" Ratschläge gegeben, wie wir die Sache machen könnten. In München spreche er, wie Graf Henckel Aehrenthal lächelnd erzählte, von den dummen Bayern mit Verachtung - ganz öffentlich.
Freiherr Klemens von Podewils-Dürni/z, bayerischer Gesandter in Wien
Februar 1899 К 2, U3, 367 г
Teilt mir [mit], daß Eulenburg am Dienstag Herrenabende eingerichtet habe. Er begann mit wenigen Personen, circa acht etwa, es sei seine Absicht, ihre Zahl wachsen zu lassen. Aber einer der Eingeladenen sagte zu Podewils: „Da wird ja ohnedies jeder, der eingeladen ist, aufgeschrieben" (von Seite der Regierung). Und es waren doch jüngst Dipauli und Kast anwesend.
Freiherr Alois Lexa von Aehrenthal, Botschafter in St. Petersburg
4. März 1899 К 2, U 6, 370 ν - 3 7 2 ν
Vier Tage vor seiner Abreise nach Petersburg44. Er erzählt mir, daß man sich Mühe gebe, den Kaiser zu bestimmen, zu Gunsten der Deutschen einzulenken, und gab mir die Antwort des Kaisers wieder. Offenbar hatte [der] Kaiser mit ihm selbst das Gespräch. Der Kaiser erhob schwere Anklagen gegen die Deutschen. Sie hätten ihm das Regieren stets schwergemacht, nie den Staatsbedürfnissen Rechnung getragen. Er bezog sich dabei wieder auf die bosnische Okkupation und auf das Wehrgesetz45. Ihm läge es gewiß, so sagte er, nahe, sich gerade auf die Deutschen zu stützen, aber diese machten es ihm unmöglich. Außerdem ist der Kaiser für die Ansicht gewonnen, daß überall in Böhmen die tschechische Sprache mit der deutschen dieselben Rechte haben müsse. Indessen, so behauptet Aehrenthal, sei es 44 46
Freiherr Alois von Aehrenthal war am 26. 1. 1899 zum Botschafter in St. Petersburg ernannt worden, er trat seinen Posten am 16. März an. 1878 hatte sich die Führung der Verfassungspartei gegen die Okkupation Bosniens und der Herzegowina ausgesprochen. Gleichfalls wurde das am 15. 10. 1879 von der Regierung Taaffe vorgelegte Wehrgesetz abgelehnt. Erst nachdem sich große Teile der deutschen Liberalen der Regierung angeschlossen hatten, erhielt das Gesetz im dritten Anlauf am 20. 12. 1879 die nötige Zweidrittelmehrheit. Die Verfassungspartei löste sich aufgrund dieser beiden Konflikte auf.
4. März 1899
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nicht unmöglich, daß Thun falle und noch in diesem Jahr eine Änderung sich vollziehe. Denn der Kaiser wird, wie Aehrenthal sich überzeugte, nicht für eine Änderung der Verfassung zu gewinnen sein. Das werde man bei ihm nicht durchsetzen. Nun müßten die Deutschen etwas dazu tun, daß von ihren Freunden eine solche Änderung vollzogen werde. Darunter versteht Aehrenthal das Unterlassen aller Agitationen, die den Kaiser verstimmen könnten. Thun werde bald, vielleicht schon im Mai, bekennen müssen, daß er nicht in der Lage sei, die Deutschen zu Verhandlungen zu bestimmen. Die Deutschen täten klug, nicht auf Verhandlungen einzugehen, denn Thun mache jetzt noch den Kaiser glauben, daß er solche herbeiführen werde. Er werde also in kurzer Zeit bekennen müssen, daß er nicht von der Stelle kommen könne. Aehrenthal werde nun von Petersburg weiter in dem Sinne wirken, daß eine neue Majoritätsbildung ins Auge gefaßt werde. Als Ubergang hierzu ist ein Beamtenministerium notwendig, das den Deutschen in der Sprachenfrage ein Stück entgegenkomme, um es den gemäßigten unter ihnen zu ermöglichen, in die neue Mehrheit einzutreten. Aehrenthal habe dem Kaiser dargelegt, daß es sich nicht empfehle, einen Vertrauensmann hinzustellen, für dessen Taten die Krone förmlich verantwortlich sei; weit besser, daß man es den Parteien überlasse, eine Mehrheit zu bilden, für diese ein Programm zu entwerfen, der Mann für dieses Programm müsse dann gefunden werden. Der umgekehrte Weg sei bisher stets versucht worden und stets mißlungen. Aehrenthal stellt nun die Frage an mich, ob ein solches System auch Unterstützung von links her finden werde. Ich antwortete, daß ich nicht daran glaube, daß eine solche Umkehr unter dem jetzigen Monarchen im Ernste vorgenommen werde, aber ich halte es für [meine] Pflicht, diese Aktion zu unterstützen. Es sei fraglich, ob Polen und Klerikale dafür zu gewinnen seien, wenn sie nicht den bestimmten Wunsch des Kaisers gewahren. Von diesem hänge ab, ob eine solche Majoritätsbildung zustande komme und Dauer habe. Aehrenthal wies es fast heftig ab, daß man alles vom Kaiser erwarte. Die Parteien müßten das Beste tun, und es sei zu hoffen, daß [die] Polen unter Bilinski und Madeyski dafür zu haben seien. Madeyski vielleicht, Bilinski??? Die Klerikalen wären gewiß damit einverstanden, denn sie hätten die Schwenkung schon im Frühjahr 1898 vorgenommen, wenn man ihnen nicht [den] ausdrücklichen Wunsch des Kaisers vorgehalten hätte, daß sie in der Mehrheit bleiben sollen. Ich versprach nun, mit Abgeordneten zu sprechen und das Ergebnis Aehrenthal mitzuteilen. Auch Gautsch auf der einen, Bacquehem und Koerber auf der anderen Seite arbeiten, sagte Aehrenthal, auf eine Wendung hin, aber jeder für sich. Merkwürdig war noch eine Äußerung, die der Kaiser gemacht hatte. Man wirft den österreichischen Regierungen von Berlin aus den luogo di traffico vor. Aber, so sagte [der] Kaiser, was geschieht denn in Berlin anderes? Müssen nicht auch hier die Fraktionen, besonders das Zentrum, vor jeder Abstimmung über Wehrfragen besonders gewonnen werden?
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Freiherr Alois Lexa von Aehrenthal
Aehrenthal las mir einen Brief Oswald Thuns vor. Er spricht höchst abschätzig von Franz Thun, der leider große Beine aber keinen großen Kopf habe. Oswald nennt ihn geradezu einen Verleumder, indem er die Deutschen Österreichs beim Kaiser alle als Schönerianer und unzuverlässig hinstelle46. Als ich Aehrenthal fragte, ob es in Wien Männer gebe, die in seiner Abwesenheit in seinem Sinne wirkten, sagte er: Er werde von Petersburg in gleichem Sinne arbeiten. Er nannte in einem anderen Zusammenhange Karl Schwarzenberg als einen unbefangen denkenden Politiker, der sich jetzt abseits halte, einerseits mit Rücksicht auf seinen alten, 76jährigen Vater, und dann, weil er unzufrieden mit dem Gange der Dinge sei. Als ich ihm über Eulenburg sprach, ließ ich durchblicken, daß auch er die Ereignisse in Osterreich düster ansehe, und Aehrenthal fragte: Ließ er auch durchblicken, daß von Berlin aus ein Einfluß im Sinne des Einlenkens im Inneren Österreichs geübt würde? Und als ich meinte, er habe es nicht gesagt, aber ich hatte es aus seinen Worten geschlossen, sagte Aehrenthal: „Nun, wenn das geschieht, so würde es zur Abdankung des Kaisers kommen." Ich war betroffen über diesen Ausblick und fragte: Ist denn eine solche Möglichkeit in Aussicht zu nehmen, bei einem Kaiser, der so sehr in der Regierungsarbeit aufgeht und darin sein Leben findet? Antwort: Wenn die Dinge noch ein, zwei Jahre in derselben Weise fortgehen, so [wird] die Lage wohl keine andere Lösung zulassen. Freilich schreckt man (so sagte Aehrenthal) davor zurück, da man nicht weiß, was nachkommt. Und nun erzählte ich Aehrenthal, was Eulenburg über sein Verhältnis zu Kälnoky gesagt hatte47. Er hätte Kalnoky vor dem schroffen Auftreten gegen Bänffy und die Ungarn abhalten sollen. Ich sagte selbst, daß ich mit dieser Mitteilung die Linie der gebotenen Diskretion überschritte, aber es sei für Aehrenthal so wichtig, diese Ansicht Eulenburgs zu kennen, und ich sei ihm so ergeben, daß ich ihn davon unterrichte. Aehrenthal: Sie wissen durch meine Mitteilungen, daß Kälnoky sich durch meine Ratschläge nicht hätte abhalten lassen, indessen, ich gestehe, daß ich mir selbst deshalb später Vorwürfe machte, es war ein Gewissenswurm für mich. Ja, ich sprach mich dahin Kalnoky gegenüber aus. Dieser aber ließ es nicht gelten, auch war er doch zu konservativ, zu feinfühlend, um nicht die Gemeinheit Bänffys aufs tiefste zu empfinden und um nicht unwillig zu werden. Auf diese Weise lag es ihm auch ganz ferne, die Äußerungen Agliardis zu einem kühnen Vor-
46
47
Unter Oswald Thuns erhaltenen Briefen im Nachlaß Aehrenthal findet sich kein Schreiben mit einer entsprechenden Stelle, vgl. jedoch die in Briefe und Dokumente zur Geschichte der österreichisch-ungarischen Monarchie unter besonderer Berücksichtigung des böhmisch-mährischen Raumes. Teil I. Der Verfassungstreue Großgrundbesitz 1880-1899, hrsg. von Ernst Rutkowski (München - Wien 1983) gedruckten Briefe, v. a. 573-576. Vgl. S. 213 f.
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Ende März 1899
stoße gegen Rom zu benützen, auf diese Weise hätte er sich mit Ungarn versöhnen können. Ich war erstaunt über diesen Ton Aehrenthals, der mir ganz neu war, und sprach meine Freude darüber aus, daß er auf so entschlossenem Wege zu gehen bereit war. Ja, das muß man beizeiten. Denn nichts ist unrichtiger, als wenn man gewöhnlich glaubt, in der Mitte liege das Heil. Etwas Ganzes zu erstreben führt am besten zum Ziele. Besonders wir in Osterreich haben es notwendig, daß eine Öffnung zu einem frischen Luftzuge durchgebrochen werde. Sind wir doch in vielen Dingen so weit zurück! Ebenso instruktiv war, was er im Anschlüsse an die Urteile Eulenburgs über die Anschauungen der Feudalen sagte. Ich hatte Eulenburg gesagt, daß die obersten Schichten in Osterreich von einem Machtbewußtsein erfüllt seien, das sie die Gefahren der nationalen Konflikte geringer erscheinen läßt, als sie sind, und er sagte: Sagen Sie nicht Machtbewußtsein, sondern Hochmut. Es ist ganz vergeblich, ihnen klar zu machen, welche Gefahren Osterreich bedrohen, wenn die Deutschen in das Lager Schönerers getrieben werden. Sie ziehen aus diesen Erscheinungen nur den Schluß, daß man sich auf die Tschechen stützen müsse. Fürst Lobkowitz sieht nur den tschechischen Staat und findet in solcher Entwicklung eine Sicherung der Stellung der Aristokratie. Denn, wenn auch in einem gewissen Schleier, sieht diese Partei doch in den Zuständen wie etwa im 16. oder im 17. Jahrhundert die ideale Zeit, in der die Vorrechte des Adels am festesten gegründet waren. Ich selbst kann, so sagte er mit einer gewissen Trauer, mit meinen Jugendfreunden überhaupt nicht mehr von Politik sprechen, so weit gehen unsere Anschauungen auseinander. Jüngst sprach ich mit dem Grafen Thun. Aehrenthal scheint zu ihm noch ein gutes Verhältnis zu haben, denn er bat mich, gegen ihn nicht zu scharf zu schreiben; es sei doch schade, wenn er sich abnütze. Wir haben, so sagt er, nicht zu viele Männer, und später könnte Thun vielleicht noch einmal gut wirken. Aehrenthal steht eben in verwandtschaftlichen Beziehungen zu ihm48. In demselben Zusammenhange war es gewesen, daß er mich eigentlich gegen .. ,a anwarb. Ich sollte dahin wirken, daß die Opposition sich gegen ihn wende. In Goluchowski sitze die Wurzel des Übels.
Freiherr Klemens von Podewils-Dürnitz, bayerischer Gesandter in Wien
bEnde
März 1899b
К 2, U 3, 364 r-v Er erzählt, er habe die Gerüchte über die Vermählung des Kaisers lange für unglaubwürdig gehalten. Aber es fiel doch auf, daß Goluchowski niemals bei 48 a ь b
Aehrenthals Mutter war eine geborene Gräfin Thun-Hohenstein. Freilassung im Original. Korrigiert von April 1899.
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Freiherr Klemens von Podewils-Dürnitz
einem Empfang eine Äußerung fallenließ, daß sie sinnlos seien, oder daß Fürst Liechtenstein, Obersthofmeister des Kaisers, niemals gesprächsweise etwas Ähnliches sagte. Dann hätten die Diplomaten gewußt, wie die Sache stehe. Man sprach bekanntlich von der dritten der Töchter des verstorbenen Herzog von Orleans oder von der Erzherzogin Maria Theresia. Da kam nun einmal zu ihm ein Mitglied der österreichischen Aristokratie, der ohne jeden Anlaß plötzlich von der Erzherzogin Maria Theresia mit Begeisterung sprach, es sei [eine] sehr bedeutende Frau. Diesen Mann kennt Podewils als eingeweiht und zugleich begabt mit Witterung, bereit, mit jedem Winde, der bei Hof weht, zu segeln. Das fiel Podewils auf, besonders auch, als der kluge Herr erzählte, alle Welt melde sich bei der Erzherzogin zur Audienz. Hollah, dachte Podewils, da muß ich mich doch auch wieder melden. Die Gesandten pflegen sich bei Antritt ihres Amtes den Erzherzögen vorzustellen und dann nicht wieder. Sehr merkwürdig war, daß, als Podewils im März in München war, der Prinzregent ihn fragte, ob er denn nicht wisse, wie es mit der Heirat des Kaisers stehe. Podewils erwiderte, er sei überrascht, daß der Prinzregent von ihm Auskunft haben wolle, während er doch eher von dem Regenten informiert werden sollte. Es ist sehr merkwürdig, daß der Regent nicht durch den Prinzen Leopold49 unterrichtet war, sei es in positivem, sei es in negativem Sinne. All das bestärkte Podewils in der Uberzeugung, daß die Gerüchte nicht grundlos sein könnten. Als ich nun die Gefahr betonte, die entstehen müsse, wenn der Kaiser etwa einen minderjährigen Erben zurücklasse, und meinte, die Familie des Kaisers müsse doch in Hinblick auf die dynastischen Interessen dieser Ehe widerstreben, urteilte er sehr skeptisch über den Einfluß dieser großen Interessen; die persönlichen Wünsche und Interessen spielen eine viel größere Rolle, so auch bei der Erzherzogin Maria Theresia. Diese stehe nicht gut mit dem Thronfolger und würde nach dem Tode des Kaisers in den Hintergrund treten müssen. Wie anders, wenn sie die . . ,a des jungen Thronerben sei! Daß Erzherzogin Maria Theresia die große Aussicht, Kaiserin zu werden, mit Vergnügen ergreifen werde, sei selbstverständlich. Es wäre das die größte Chance der klerikalen Partei, und die Folgen wären unabsehbar. In diesem Gespräch meinte Podewils auch, Erzherzog Ludwig Victor gehöre zu dem Kreise, der die alte Abneigung gegen Preußen nicht verwunden habe. Podewils urteilt ziemlich pessimistisch über die Festigkeit des deutschösterreichischen Bündnisses und glaubt, es schlängen sich Fäden von Petersburg nach Wien. Er überschätzt meiner Ansicht nach die Ergebnisse der sogenannten Vereinbarungen zwischen Osterreich und Rußland50. 49
50 a
Prinz Leopold von Bayern, der zweite Sohn des Prinzregenten Luitpold, war mit Erzherzogin Gisela, der Tochter des Kaisers, verheiratet. Die Balkanentente von 1897, die die Erhaltung des Status quo am Balkan betonte. Freilassung im Original.
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Ende März 1899
Ludwig Doczi, Leiter des Literarischen im Außenministerium
Bureaus Ende März [ 1899] К 2, U 3, 364 ν
Doczi wollte mich glauben machen, daß die Ansichten über die dreibundfeindliche Stellung der Tschechen unrichtig seien, diese müßten freundlich sein und seien es auch. Ich sagte ihm später im Verlaufe des Gesprächs, kein Mensch glaube daran. Er war sehr ungehalten und beklagte sich, daß er sich die Lunge umsonst herausgeredet habe. Drastisch: Er sch...ße auf das freundschaftliche Verhältnis zu Rußland. Goluchowski sage zwar, man müsse das Errungene pflegen, aber er sei überzeugt, daß Goluchowski eigentlich, wenn er sich ganz offen aussprechen würde, gleichfalls darauf sch...ße.
Leopold Auspitz, Generalmajor
i. P.
[Februar oder März 1899] К 2, U 3, 368 г
Behauptet, Erzherzog Albrecht sei sein Gegner gewesen. Nach Johns Tode habe Catty, der Johns Stellvertreter als Generalstabschef war, Auspitz Auftrag gegeben, den Tagesbefehl zu erlassen 51 . Darin war eine Stelle, in der gesagt war, John habe (ungefähr dies der Sinn) an der Seite des Erzherzog Albrecht den Sieg von Custoza erfochten. Darüber war Albrecht so ungehalten, daß Catty sofort seines Amtes als Stabschef enthoben und zur Truppe versetzt wurde.
Fürst Max Egon Fürstenberg, Mitglied des Herrenhauses
Ende März [1899] К 2, U 3, 368 r-v, 365 r
Er erweist sich scharfsinniger und von größerem Überblick, als ich ursprünglich angenommen hatte. Natürlich, einfach, ein Naturbursche mit großem Eifer. Er betont immer wieder, daß er durch seine ganze vermögensrechtliche Stellung (in Deutschland) über dem Verdachte stehe, in Osterreich ein Porte51
Der Corpsbefehl zum Tode des Generalstabschefs General Franz von John. Eine Abschrift dieses Befehls (Corpsbefehl Nr. 20, Wien 27. 5. 1876) findet sich in К 2, U 3, 410 r-v. Es heißt darin: „Die Geschichte - in ihren hellsten Farben wird sie verzeichnen, was der Feldzeugmeister fur Thron, Vaterland und Heer geleistet, wie er in schweren Tagen an der Seite unseres glorreichen Prinzen die altösterreichische Fahne hoch emporgehalten und in unvergleichlichen Ehren siegreich entfaltet hat."
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Fürst Max Egon Fürstenberg
feuille anzustreben52. Dadurch könne er manches Gute wirken, auch für die Deutschen Österreichs. Als der Plan eines Sprachengesetzes durch Thun auftauchte, versammelten sich bei Fürstenberg die Führer der Partei (Chlumecky, Baernreither etc.) und beschlossen, den Grafen Thun wissen zu lassen, daß sie ihm abraten müßten. Fürstenberg übernahm diese Aufgabe. In diesem Zusammenhange sagte Thun zu Fürstenberg: „Man behauptet, es empfehle sich, daß ein Beamtenministerium sich opfern müsse, um durch Aufhebung der Sprachenverordnung Ordnung zu machen und das Parlament aktionsfähig zu machen. Nun denn, ich sehe nicht ein, weshalb ich nicht dieses Opfer meiner Stellung bringen soll." Sooft Fürstenberg zu Thun kam (im Feber), fand er seinen Schreibtisch voll mit Studien über die Sprachenfrage, voll mit Entwürfen über ein Sprachengesetz. Es beschäftigte ihn Tag und Nacht. So war es vor mehreren Wochen, und Fürstenberg glaubt, es sei jetzt noch der Fall. Fürst Lobkowitz ist ein durchgebildeter, erfahrener Politiker. Er steht ganz auf dem Boden des Staatsrechts. Daher ist er nicht sehr zugänglich, eher gegen alle nicht ihm nahe Stehenden verschlossen. Fürstenberg war vor einigen Jahren mit zwei anderen Mitgliedern des Verfassungstreuen Großgrundbesitzes bei ihm, um darauf zu dringen, daß bei Wahlen in den Landtag den Verfassungstreuen Mandate im Großgrundbesitz übertragen würden. Lobkowitz verhielt sich ablehnend. Er betonte, daß der staatsrechtliche Unterschied zu groß sei. Denn seine Partei strebe eine Ausdehnung der Autonomie des böhmischen Landtags an, und das sei, wie er gleich hinzufüge, auch nur der erste Schritt. Fürstenberg beteiligte sich wenig an der Führung des Gespräches, denn „ich war ein Grasteufel, 32 Jahre, ich hätte leicht widerlegt werden können." Fürstenberg erklärt, daß die Scheidung der beiden Gruppen des Großgrundbesitzes sich wesentlich anläßlich der kirchenpolitischen Differenzen vollzog. Der strenge Katholizismus der einen nahm an der freigeistigen Richtung der anderen Anstoß. So fand man den Fürsten Salm „religionsfeindlich". Vielleicht gingen diese im Spotte der katholischen Gesinnung zu weit, und [es] entfremdeten sich die Geister. Jetzt sei der Gegensatz der beiden Gruppen so groß, daß, wenn Fürstenberg ein Diner in Prag gibt, er immer nur Mitglieder der einen Partei einlädt. Sonst beginnt nach dem wenn auch ganz mäßigen Weingenuß heftiger politischer Streit, und die Gäste bekommen dicke Köpfe; dem Wirt ist das sehr peinlich. aAls starkes Beispiel führt Fürstenberg den Grafen Ledebur an, der gegen 25 Jahre an der Spitze des Katholischen Konfessionsvereins in Prag steht.3 Max Egon Fürstenberg war seit dem Tode Fürst Karl Egons 1896 Chef des Gesamthauses und somit auch der Besitzungen in Süd Westdeutschland. Er war dadurch sowohl Mitglied des österreichischen Herrenhauses als auch der oberen Kammern Preußens, Württembergs und Badens. a" Ergänzung. 52
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März und 20. April 1899
Der Jugendgespiele Fürstenbergs ist Heinrich Clam, der Sohn Richards. Heinrich Clam sen. war nämlich der Fideikommiß-Kurator (oder wie der Titel sonst heißt), und Fürstenberg schätzt ihn hoch, er rühmt besonders den Charme in dessen Verkehr. So nahe aber Fürstenberg auch mit Heinrich Clam steht, so dürfen sie doch nicht von Politik diskutieren, wenn sie sich nicht veruneinigen sollen. Sie kamen einige Male so scharf in Disput, daß Fürstenberg endlich sagte: Mein guter Heinrich, weshalb soll unsere Freundschaft leiden? Wir haben so viele gemeinsame Interessen, lassen wir also die Politik! Uberhaupt ist Heinrich Clam ganz nahe mit Friedrich Schwarzenberg befreundet. Sie müssen, sagte Fürstenberg halb im Ernst, eine Art Bundesbrüderschaft geschlossen haben, wie Fürstenberg aus mehreren Anzeichen bemerkt. Friedrich Schwarzenberg ist eigentlich jetzt der Führer des feudalen Adels und damit auch der Jungtschechen. Auch er hat etwas außerordentlich Gewinnendes in seinem Wesen, ist ein vortrefflicher Redner und Dialektiker, so daß man im Gespräch mit ihm sich sehr Mühe geben muß, um sich nicht gefangenzugeben. Das Fideikommiß der Fürstenberg in Böhmen (Lana im Mittelpunkt) umfaßt acht Quadratmeilen, meistens Wald. Der nächste Gutsnachbar ist Clam in Smecna, sie sehen sich im Sommer meistens zweimal des Tags. Die Tschechen sind sehr höflich, fast demütig, Fürstenberg gilt ihnen doch als „unser kniaz"". Natürlich muß er mit ihnen tschechisch sprechen. Aber sie fühlen sich dadurch geschmeichelt und sind damit gesellschaftlich gewonnen. Er kommt gut mit ihnen aus, während ein deutscher Gutsbesitzer in seiner Nachbarschaft es einfach nicht aushielt und Fürstenberg sein Gut verkaufte. Er sagte selbst zu Fürstenberg: Ich schlage mein Gut um jeden Preis los. Der Slawe ist sehr leicht zu gewinnen, leichter als der Deutsche.
Josef Maria Baernreither, Mitglied des Abgeordnetenhauses
März und 20. April 1899 К 2, U 5, 635 r-v
Er kam zu mir, um mir anzukündigen, daß er in seinem Testamente mich zum Verwalter seines literarischen Nachlasses bestellt habe, ob ich das annehme? Natürlich willigte ich ein. Man werde mir den Schlüssel des betreffenden Kastens übergeben. Seine Brüder hätten kein Interesse daran. Er schilderte den Kaiserb. Dieser sei ganz vereinsamt und spreche fast mit niemandem ganz vertraulich über Staatsgeschäfte. Und sein Familienverkehr? fragte ich. Der existiere fast nicht, sein einziger Verkehr sei mit Frau a ь
wohl tschechisch knize = Fürst. Das Wort mit Tinte gestrichen, lediglich ein К noch leserlich.
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Anton Pergelt
Schratt. Er sei der fleißigste genaueste Beamte. Baernreither habe beim Empfange nach seinen Ressortgeschäften den Kaiser über die politische Lage gesprochen53, und er habe aufmerksam zugehört, selbst auch Bemerkungen gemacht. Es scheint nicht, daß Baernreither einen tiefen Eindruck gemacht hat. Wenn die Zeit nahte, da der Kaiser eine andere Persönlichkeit empfangen wollte, sah er auf die Uhr, und Baernreither erhob sich. Baernreither hat den Eindruck, daß der Kaiser, solange er lebe, nicht mehr von seiner Neigung zu [den] Slawen zurückkommen werde und mit ganzem Ernst und Aufrichtigkeit sich der anderen Richtung zuwenden werde. Er könne sich nicht mehr von diesen seinen eingewurzelten Neigungen losreißen. Vielleicht würde er selbst wünschen, daß irgendeine starke Persönlichkeit ihm die Richtung gebe zur vollen Aussöhnung mit den Deutschen, so glaubte Baernreither empfunden zu haben. Aber der Anstoß müsse eben von außen kommen, und wo sei eine solche Persönlichkeit zu finden. Baernreither nennt die Deutschen Österreichs „ein verrittenes Pferd"; sie hätten vieles so schwer aufgefaßt, aber man habe sie auch schlecht behandelt. In dem Podersamer Bezirke, wo Baernreither sein Gut hat54, sind nur sieben Personen zum Protestantismus übergetreten55. Unter ihnen auch ein Häusler namens Neumann, der auf dem Gute Baernreithers in die Arbeit geht. Der Bezirkshauptmann teilte das Baernreither mit, und dieser ließ Neumann rufen. Er fragte ihn, ob es wahr sei, daß er Protestant geworden sei. Ja, sagte dieser. Und weshalb? „Die Leute sagen", war die Antwort, „daß wir alle preußisch werden, und da müssen wir auch protestantisch werden." Baernreither sagte ihm, dies sei ein Unsinn, mehr aber war aus Neumann nicht herauszubringen. In Eger gibt es sehr wenig Ubertritte; es ist eine in jeder Beziehung rückständige Bevölkerung, es ist nicht möglich, dort einen Pflug einzuführen, der besser ist als jener, der 300 Jahre in Gebrauch.
Anton Pergelt, Mitglied des Abgeordnetenhauses
1. Mai [1899] К 2, U3, 373 ν
Dipauli ist nach Pergelt einer der schlagfertigsten, scharfsinnigsten Männer; er kennt keinen Advokaten, der so alle Schliche und Praktiken kennt, er ist ein „geriebener Packler". Im März oder April 1898 fanden die Unter53
54 55
Josef Maria Baernreither gehörte vom 7. 3. bis 3. 10. 1898 dem Kabinett Thun als Handelsminister an. Josef Maria Baernreither besaß das Gut Lünz bei Lubenz in Westböhmen. Mit dem seit 1897 als Kampfparole vom Alldeutschen Verband ausgegebenen „Los von Rom" wurde der Übertritt zum Protestantismus als Bekenntnis zum Deutschtum gefordert. Von 1898 bis 1918 traten darauf ca. 95.000 Österreicher zum Protestantismus über.
2. Mai 1899
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handlungen zwischen Dipauli und den Deutschfortschrittlichen statt über ein Sprachengesetz. Baernreither und andere waren mitanwesend, Dipauli vertrat allein das klerikale Element. Es zeigte sich nun, daß er alle Fragen der Nationalisten durchdacht und jede Lösung bereits erwogen hatte. Er war nicht aus der Fassung zu bringen, selbst nicht, wenn man ihm mit unverhohlenem Mißtrauen begegnete, er entgegnete dann sanft, er begreife es, wenn man noch nicht Vertrauen in ihn fassen könne. Er ist ein kluger Intrigant, der sich noch für große Dinge aufgehoben glaubt, zu einer leitenden Stellung in einem künftigen Ministerium. Pergelt sagt vom Kaiser8, daß er nicht [so] aufrichtig sei, als man gemeinhin glaube. Er schildert mir, wie er das Koalitionsministerium56 glauben machte, es habe noch eine Lebensdauer; plötzlich war es entlassen. Ähnlich erging es Gautsch. Er schildert mir Gautsch in den ersten Tagen seines Ministeriums fortwährend am Telephon, drei Tage kaum schlafend, mit den Prager Angelegenheiten beschäftigt57. Auch er wußte nicht, daß er nicht berufen sei, den ungarischen Ausgleich zu machen. Pergelt zeigt einen mir unerwartet richtigen Blick.
Max Menger, Mitglied des Abgeordnetenhauses
2. Mai [ 1899] К 2, U 3, 365 ν
Kardinal Kopp ist bedürfnislos, er ißt abends einen Apfel und wohnt in einer Zelle. Aber für Weidenau spendete er 200.000 fl. Er hatte Audienz beim Kaiser, der ganz für das Weidenauer Seminar gewonnen ist58. Dessen Gründung ist somit gesichert. Sowohl Kopp als Graf Larisch, der Landeshauptmann, haben in Wien den Eindruck gewonnen, daß das System Thun im Zusammenbruch begriffen ist. Menger sagte manches Günstige über den Kaiserb. Man dürfe nicht vergessen, daß er an der Grenze zweier Welten erzogen sei und an ihr stehe. Er ist außerordentlich gewissenhaft und im Ganzen doch sehr wohlwollend. 56
Das Kabinett Windischgraetz (1893-1895). Nach der Entlassung des Ministeriums Badeni war es in Prag zu schweren Ausschreitungen der tschechischen Bevölkerung gekommen, worauf am 2. 12. 1897 über die Stadt und deren Umgebung das Standrecht verhängt wurde. Es wurde Anfang Jänner 1898 wieder aufgehoben. Am 20. 1. 1898 erließ der Prager Polizeidirektor ein Verbot des Tragens studentischer Abzeichen, worauf es zu Demonstrationen an allen deutschen Universitäten Österreichs und zur frühzeitigen Schließung des Semesters kam. Am 2 6 . 1 . 1 8 9 8 zogen die deutschen Abgeordneten aus Protest gegen eine von den Tschechen eingebrachte Resolution an den Kaiser aus dem böhmischen Landtag aus. 58 1899 wurde über Veranlassung des Breslauer Erzbischofs Kardinal Georg Kopp in Weidenau im österreichischen Anteil der Diözese ein Priesterseminar errichtet. ' Anstelle Kaiser ein L gesetzt. b Anstelle Kaiser jeweils ein L gesetzt.
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Otto Wittelshöfer
Seine Kenntnis zum Beispiel der schlesischen Verhältnisse sei fast „unheimlich". Nach dem Tode des Abgeordneten Demel59 sprach der Kaiser Menger bei einem Delegationsempfang an und sagte: „Ihr Kollege Demel ist gestorben." Ja, sagte Menger, es ist schade um ihn, er war eine geistreiche, kenntnisreiche Persönlichkeit. Gewiß, sagte der Kaiser, aber Fleiß war gerade nicht seine Sache. Diese treffende Bemerkung veranlaßte Menger zu sagen: Er hat sich aber speziell als Bürgermeister von Teschen große Mühe gegeben. Nun, sagte der Kaiser, hoffentlich wird er darin und in seiner Kanzlei gut ersetzt werden. Es ist ja sein Sohn da, der ein tüchtiger Mann sein soll, auch sein Kompagnon in der Kanzlei, den der Kaiser merkwürdigerweise beim Namen wußte. Das Seminar von Weidenau soll nach Absicht Kopps auch eine Pflanzstätte deutscher theologischer Bildung werden, die bei den österreichischen Geistlichen nicht zu Hause sei.
Otto Wittelshöfer, Vizedirektor der Niederösterreichischen Escomptegesellschaft i. P., Sozialtheoretiker 2. Mai [1899] К 2, U 3, 373 r-v Über Kaizl und Kramär. Kaizls Onkel ist Direktor der Südbahn; er spottete früher über die tschechische Haltung Kaizls und betonte stets, daß sein Vater ein Deutscher gewesen sei, seine Mutter eine Tschechin. Allerdings sagte mir einmal Bendel, er sei im Eisenbahnwaggon einmal zufällig mit einer Dame, der Mutter Kaizls, zusammengetroffen, die so gut Deutsch sprach, daß er seine Verwunderung darüber aussprach, worauf diese: Weshalb sollte ich nicht gut deutsch sprechen? Ich stamme ja aus dem Böhmerwald! Kaizl ist seinem Temperament nach ein Deutscher: Er hat gutbürgerliche Neigungen, sei ein warm liberal gesinnter Mann, ihm ist jede Art des Fanatismus fremd. Von vornherein waren er und Kramär Rivalen. Bekanntlich war die jungtschechische Partei so klug, die drei Realisten in sich aufzunehmen und ihnen in gewissen Fragen die Führung zu überlassen. Masaryk trat dann zurück, und nun rangen Kaizl und Kramär um den maßgebenden Einfluß im Klub. Die einfache, schlichte, bürgerliche Art Kaizls gewann ihm Freunde. Kramär dagegen hat einen gewissen Bildungshochmut, eigentlich eine tiefe Geringschätzung des Volks, zu dem er in dem Verhältnis eines wohlwollenden Aristokraten steht. Er ist, wie Wittelshöfer ihn schon vor Jahren nannte, ein „Feudal-Demokrat". Kaizl überflügelte ihn an Einfluß, was Kramär gewiß mit Groll erfüllte. Als aber Kramär nach Niederlegung 59
Der schlesische Reichsratsabgeordnete und Bürgermeister von Teschen Johann von Demel war am 25. 9. 1892 gestorben.
3. Mai 1899
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der Vizepräsidentenstelle des Abgeordnetenhauses eine schwere Einbuße an seinem Renommee erlitten hatte60, war es Kaizl, der die alte Freundschaft wieder in feiner Weise anknüpfte. Aber Kramär hat es gewiß nicht verwunden, daß Kaizl Finanzminister wurde61. Könnte man in seiner Seele lesen, so würde dort ein tiefer Unwillen zu erkennen sein, daß ein Mann von überlegenem Geiste wie er hinter einer so gewöhnlichen (bureaukratischen möchte ich sagen) Natur zurückstehen müsse. Denn an Intuition ist Kramär gewiß seinem Nebenbuhler überlegen. Ich erzählte Wittelshöfer bei diesem Anlaß, mehr andeutend und sehr vorsichtig, folgendes, was mir Eulenburg einmal gesagt hatte: Danach sei Kaizl, offenbar weil die deutsche Regierung sich beschwerte, förmlich (von Thun oder Goluchowski) interpelliert worden, ob er von dem Aufsatze Kramärs in der Revue de Paris62 vor der Veröffentlichung etwas gewußt habe, dieser nun stellte es betimmt in Abrede. Wittelshöfer nun meinte, es sei ganz undenkbar, daß Kramär den Aufsatz früher Kaizl gezeigt habe. Dazu sei er viel zu stolz, er würde das für ein Bekenntnis der Unterordnung angesehen haben. Kaizl hege wahrscheinlich ganz andere Ansichten als Kramär. Er sei kein Russophile, und das, was ich über Kaizls verwandte Gesinnungen geschrieben hatte, nannte Wittelshöfer in seiner rücksichtslosen Art eine „perfide Information". Kramär habe ein Verhältnis mit einer russischen Gräfin, die schon erwachsene Kinder habe63. Er lebe auch in der Krim mit ihr zusammen, und „dieses Weib" übe offenbar auf ihn einen ungünstigen Einfluß aus.
Alfons Danzer, Herausgeber der Neuen Armee-Zeitung
3. Mai [ 1899] К 2, U3, 374 г
Es ist unrichtig, was Angeli sagte, daß Wetzer erst katholisch wurde, als er die Nichte Sackens heiratete. Danzer kennt Wetzer seit 1870, da dieser Oberleutnant war. Schon damals war er ein strenger Katholik, mit dem Danzer scharfe Diskussionen führte. Beide verkehrten sie im Hause Ofenheims, und hier lernte Wetzer eine Verwandte des Hauses kennen, ein reizendes blondes Mädchen, in das sich Wetzer verliebte. Er erhielt jedoch einen Korb. Soviel 60
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Karel Kramär wurde von dem am 21. 3. 1898 zur 14. Session zusammengetretenen Abgeordnetenhaus nicht mehr zum Vizepräsidenten gewählt. Josef Kaizl war Finanzminister im Kabinett Thun (7. 3. 1898-2. 10. 1899). Karel Kramarsch, L'avenir de l'Autriche; in: Revue de Paris 6/1 (Jänner-Februar 1899) 577-600. Karel Kramär heiratete 1900 eine Russin, nachdem der Heilige Synod der russischen Kirche ihrer Scheidung zugestimmt hatte. Vgl. Briefe und Dokumente zur Geschichte der österreichisch-ungarischen Monarchie, hrsg. von Ernst Rutkowski. Teil 1 (München - Wien 1983) 680-681 und Aus dem Nachlaß Aehrenthal Teil 1, 200-201 und 203-204.
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Freiherr Klemens von Podewils-Dürnitz
Danzer weiß, war Wetzer der Sohn eines Schriftstellers mit eifriger katholischer Gesinnung64. Angeli soll überhaupt unzuverlässig und oft etwas boshaft sein. In Verpflegungssachen waren die Chefs Sektionschef Röckenzaun und unter ihm Generalintendant Kauczik (?)65. Dieser letztere, viel begabter, war der leitende Kopf, von dem alle Gedanken und Ausarbeitungen ausgingen. Aber Röckenzaun, gewandt, pfiffig, wußte das Lob für sich zu ernten. K. fühlte sich zurückgesetzt und teilte Krieghammer mit, er wolle nach 46jähriger Dienstzeit in Pension gehen. Er hoffte, Krieghammer werde ihn halten mit der Motivierung, daß er doch Sektionschef werde. Aber Krieghammer sagte ihm nur höflich, daß er sich das doch überlegen solle; sein Pensionsgesuch wurde aber angenommen. Krieghammer soll jetzt der einflußreichste Mann beim Kaiser sein und selbst Beck weit in [den] Schatten stellen.
Freiherr Klemens von P o d e w i l s - D ü r a i f z , bayerischer Gesandter in Wien
3. Mai [1899] К 2, U 3, 366 r-v
Er liest mir einen Bericht vor, in dem er sein Gespräch mit der Frau eines französischen Gesandtschaftssekretärs schildert, das er beim Diner hatte. Diese brachte das Gespräch auf das Verhältnis Frankreichs zu Deutschland und sagte, es sei in Frankreich unter den einsichtigen Leuten bereits ein Umschwung in dem Sinne, daß man eine Annäherung an Deutschland wünsche. Das sei auch die Ansicht ihres Mannes. Allerdings werden die Franzosen immer den Verlust Elsaß-Lothringens schmerzlich empfinden, aber das könne nicht verhindern, daß man das Wohl Frankreichs auch auf einem neuen Wege suche. Denn es sei in Frankreich jedermann klar, daß das russische Bündnis vollständig wertlos sei, die Faschoda-Angelegenheit habe das klar bewiesen66. Der eigentliche und größte Feind Frankreichs aber sei England. In Frankreich hatte das gentile Benehmen Kaiser Wilhelms den besten Eindruck gemacht; besonders sein Verhalten anläßlich des Todes Faures67. Podewils findet diese Äußerungen insbesondere bezüglich Rußlands so merkwürdig, daß er das Gespräch nach München gemeldet hat. 64
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Leander von Wetzers Vater war der Freiburger Theologe Heinrich Joseph Wetzer, der Herausgeber des Wetzer-Welte'schen Kirchenlexikons. Generalintendant Franz Caucig. Frankreich und Rußland waren durch eine Militärkonvention vom 17. 8. 1892, die durch einen Briefwechsel der Außenminister zu Beginn des Jahres 1894 zum Zweiverband erweitert wurde, miteinander verbunden. Im Konflikt mit England um den Besitz des Gebietes am Oberen Nil mußte Frankreich nachgeben und veröffentlichte am 4. 11. 1898 eine Note, in der die Räumung des Stützpunktes Faschoda bekanntgegeben wurde. Der Präsident der französischen Republik Felix Faure war am 16. 2. 1899 gestorben.
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Bevor Podewils nach Rom als Gesandter ging68, war er in Berlin Legationssekretär unter dem Grafen Lerchenfeld. Wenn dieser auf Urlaub war, war er Geschäftsträger, und als solcher ging er täglich zu Holstein, dem Rate im Ministerium des Äußern, der ihm den gesamten (?) Einlauf zum Lesen gab; es waren die Stellen blau angestrichen, die nur zu seiner persönlichen Information dienten und die er auch nicht einmal nach München melden durfte. Holstein ist ein Mann, der alles nur unter dem Gesichtspunkt der äußeren Politik sieht, der höchst scharfsinnig alle Möglichkeiten erwägt und berechnet, sehr gewandt in der Kombination. Freilich auch großen Irrtümern unterworfen, wie er denn ausführlich den Rückgang der englischen Macht begründete, was keineswegs eintraf. Damals schrieb Podewils unter dem Einflüsse Holsteins ein Memoire über diesen Gegenstand. Zur Zeit der Karolinenfrage hatte Podewils deshalb einen besonderen Einblick in die Dinge, weil er ebenso intim wie mit Holstein auch mit dem spanischen Gesandten Benomar verkehrte. Es war das 1885. Damals nun war Holstein von Bismarck nicht ganz eingeweiht; Bismarck verhandelte über die Köpfe des Ministeriums direkt mit Benomar. Das Ministerium vertrat in seinen Noten den Standpunkt, Deutschland müsse in irgendeiner Weise eine Erwerbung aus dem Handel davontragen, und Holstein versicherte Podewils, daß man wenigstens eine Insel gewinnen werde. Podewils wußte aber von Benomar, daß Bismarck erklärt hatte, Deutschland lege auf die Sache eigentlich gar keinen Wert. Aber Bismarck ließ Holstein deshalb seine energischen Noten weiter schreiben, weil er diese Depeschen zum Aufputze seines „Graubuches" brauchte 69 . Holstein erfuhr erst durch Podewils, wie die Sachen eigentlich stünden. Zur selben Zeit speiste Podewils mitunter mit Holstein und Caprivi im Kaiserhof zu vieren. Es war eingeführt, daß Holstein und Caprivi jeder stets einen Genossen mitbrachten; mehr als vier waren es nie. Caprivi verhielt sich zumeist passiv, zuhörend. Es ist klar, daß Holstein bereits damals mit der Möglichkeit rechnete, Caprivi könne Reichskanzler werden; natürlich dachte er daran, daß Kaiser Friedrich es sein werde, der mit Bismarck in Konflikt geraten werde. Caprivi selbst hat in Deutschland nicht viel Bewertung gefunden. Tatsache ist, daß, als Bismarck ihm die Akten übergeben und ihn förmlich in die Geschäfte einweisen wollte, Caprivi dies 68 69
Freiherr Klemens von Podewils war von 1887 bis 1896 bayerischer Gesandter in Rom. Deutschland hatte 1885 die Karolineninseln besetzt, räumte sie jedoch nach spanischem Protest wieder und schlug einen Schiedsspruch durch Papst Leo XIII. vor, der die Inseln Spanien zusprach. 1899 kaufte Deutschland schließlich die Inselgruppen der Karolinen und Marianen von Spanien, für die sie nach dem Verlust der Philippinen strategisch wertlos geworden waren. Vgl. dazu Friedjungs Darstellung in Das Zeitalter des Imperialismus. Bd. 1, 63 und 241. Das Weißbuch wurde zwar erstellt (Aktenstücke betreffend die Pelew- und Karolinen-Inseln), jedoch nach Beilegung der Streitfrage nicht veröffentlicht. Vgl. Johann Sass, Die Deutschen Weißbücher zur Auswärtigen Politik 1870-1914. Geschichte und Bibliographie (Berlin - Leipzig 1928) 182-183.
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Leopold Auspitz
ablehnte. Er beging den großen Fehler, sich gleich schlecht zu Bismarck zu stellen. Er konnte nicht selbst ein Urteil über alle Dinge haben und war somit sehr abhängig von anderen. Thun begehe den großen Fehler, daß er den Willen des Kaisers stets vorschiebt, statt ihn zu decken. Er hat das des öfteren im Gespräche getan, wenn er etwas rechtfertigen wollte. Podewils sagt das mit Beziehung auf einen Artikel in der „Politik" von circa 2. Mai, in dem auf den Willen der Krone hingewiesen ist, ein Sprachengesetz zu oktroyieren70.
Leopold Auspitz, Generalmajor i. P.
4. Mai [1899] К 2, U3, 374 г
Rodakowski ist ein polnischer Jude. Heniksteins Schwester war vermählt mit August Klein, dem Gründer der Galanteriewarenfabrik, eine vortreffliche Dame. Sein Sohn, FML in Pension71, ein Mann mit mittlerer Begabung, hatte einen Sprachfehler.
Leopold Auspitz, Generalmajor i. P.
9. Mai [1899] К 2, U 3, 374 r-v
Schönfeld, so behauptet Auspitz, sei es gewesen, der auf Betreiben Erzherzog Albrechts zuerst seine Entfernung aus dem Generalstab veranlaßte (Auspitz war damals Hauptmann), dann seine Pensionierung. Weshalb der Erzherzog ihm so gram war, erzählt er nicht. Du Nord72 sagte mir, die Pension oder Entfernung Auspitz' aus dem aktiven Dienst erfolgte, weil er schlecht ritt. Schönfeld habe bei einem Manöver gesagt: Der Auspitz reitet wie ein Schwein. Auspitz könne nicht zeichnen und nicht reiten und habe sich merkwürdigerweise durch Gewandtheit und Pfiffigkeit, auch Geschicklichkeit, lange gehalten. Schönfeld habe von einem Bankier eine Geliebte übernommen, eine Französin, mit der er lange in wilder Ehe lebte. Es gab da manche Konflikte, da manche Offiziere mit ihren Frauen mit der Dame nicht verkehrten. Endlich heiratete er sie. Wenn Erzherzog Albrecht nicht sein Gönner gewesen wäre, so hätte sie kein „Würdigkeitszeugnis" erhalten, was die 70
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Politik (Prag) v. 2. 5. 1899, 1-2 Im Zeichen des Artikel 19. Laut einer Anmerkung der Redaktion stammt der Artikel „von einem Reichsraths- und Landtagsabgeordneten des böhmischen konservativen Großgrundbesitzes". Freiherr Gustav von Henikstein, tit. Feldmarschalleutnant. Friedjung stand mit dem Militärschriftsteller Wilhelm du Nord in engem Kontakt; vgl. die zahlreichen Briefe du Nords an Friedjung in К 1, U 7 - U 9 und HHStA, NL Friedjung, К 4.
15. Mai 1899
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Braut eines Offiziers bedarf. Schönfeld war ein scharfer, ätzender Verstand, klug, energisch, aber sehr bequem. Zur Zeit der Okkupation 1878 war er Chef des Generalstabes und kam oft zu spät oder gar nicht (!) ins Bureau - er wohnte in Baden. Auspitz glaubt, nicht er, sondern Beck kam mit Andrässy in Konflikt 73 . Schönfeld war also die Veranlassung seiner Entfernung aus dem Generalstabe. Plötzlich kam nämlich ein Tagesbefehl, in dem er aus dem Stand der zum Generalstab „zugeteilten" Offiziere in den der „kommandierten" versetzt wurde. Er ließ sich diese Zurücksetzung nicht gefallen und bestand auf seiner Versetzung zur Truppe. Dann kam er als Major in Triest in die Division Schönfelds, der ihm nicht gram war, im Gegenteil: Er stellte ihn dem Statthalter de Pretis als seinen „besten Stabsoffizier" vor. Der Bruder Schönfeld ging als Oberst in Pension und betreibt jetzt eine geschäftliche Unternehmung. Kuhn sagte zu Auspitz von Schönfeld: molto fumo, poco arrosto (viel Rauch, wenig Braten). Ist das wahr?
Leopold Auspitz, Generalmajor i. P.
15. Mai [1899] К 2, U 3 , 375 ν - 3 7 6 г
John war eine eigentümlich feste, unerschütterliche Natur. Voll Interesse für den Beobachter. Überhaupt war die Zeit von 1866 an eine Zeit des interessanten Schaffens auch im Kriegswesen, voll Glaubens an die Zukunft. John war streng konservativ, seine ganze Natur eignete sich nicht für das parlamentarische Wesen. Er schuf den Generalstab aufs neue. Denn Kuhn hatte ihn vollständig aufgelöst, seine Funktionen wurden geübt - aber ohne eigentliche Zusammenfassung - in den verschiedenen Bureaus des Kriegsministeriums74. Als er nun an die Spitze trat, beauftragte er Auspitz, einen Tagesbefehl (?) für den Generalstab zu verfassen, der eine Art Programm entfalten sollte. Auspitz tat dies und nahm eine Stelle auf, in der er den Generalstabsoffizieren empfahl, gegenüber den Truppenoffizieren nicht allzu selbstbewußt, mit Herauskehrung ihrer Überlegenheit zu verkehren. Auspitz zeigte den Entwurf zuerst einigen Kameraden, die fanden, die Stelle sei nicht zweckmäßig, und ihm rieten, sie zu mildern oder wegzulassen. Als nun Auspitz den Entwurf John vorlegte, sagte er: Diese Stelle wünsche ich noch
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Der Konflikt zwischen Militärs und Außenminister über den Umfang der Mobilisierung anläßlich der Okkupation Bosniens und der Herzegowina. Während Graf Gyula Andrässy für möglichst geringe militärische Aufwendungen eintrat, wollten die Militärs mit einer großen Streitmacht einmarschieren. Mit den „Organischen Bestimmungen für den Generalstab" vom 24. 12. 1875 wurde der seit 1871 als selbständiger Korps aufgelöste Generalstab reorganisiert und die Stellung des Generalstabschefs aufgewertet.
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Emil Jettel von Ettenach
bestimmter, schärfer gefaßt. John war ungelenk im Ausdruck, so daß, als er einmal von Auspitz einen Entwurf verlangte, der stilistisch gewandt und gefeilt zu sein hatte, er ihm sagte: Sie sind ja ein Deutschmeister, das ist eine Aufgabe für Sie. Auspitz behauptet: Zur Zeit der Organisation des Generalstabes schrieb er fünf Aufsätze in einer militärischen Zeitschrift, in der er seine Ansichten niederlegte. John traf ihn damals im Gange des Kriegsministeriums und fragte ihn: Sagen Sie aufrichtig, sind diese Artikel von Ihnen? Auspitz bejahte dies. Darauf John: Nach diesen Grundsätzen wird die Organisation stattfinden. Klingt etwas aufgeputzt. Als das Dienstreglement neu beraten wurde, war Catty Vorsitzender. Über einen wichtigen Punkt entstand eine scharfe Meinungsverschiedenheit. Catty, der etwas laut und lärmend war, redete sich in eine Hitze hinein, so daß John aus seinem Zimmer heraustrat, was es gebe. Als er Catty aufgeregt perorieren sah, sagte er zu ihm nichts als: Hast du heute schon eine Zigarre geraucht? Und beruhigte durch diese wenigen Worte den Aufgeregten. Indessen stand John zu kurz an der Spitze des Generalstabs, um die Organisation abschließen zu können; es ist eigentlich Becks Verdienst, daß der jetzige Generalstab geschaffen wurde. Beck ist zwar ein mittelmäßiger Kopf, aber fleißig, umsichtig, ganz in die Sache aufgehend.
J [Emil Jettel von Ettenach, Sektionsrat im Außenministerium]
16. Mai 1899 К 2, U3, 376 ν
Erzählt, was Goluchowski zu ihm über die Männer der Linken gesagt habe. Stürgkh sei ein Mann, der die Phrase liebe; auch Baernreither sei nicht gut angeschrieben, Grabmayr dagegen stünde gut angeschrieben. Diese Äußerungen sind sehr charakteristisch für die beim Kaiser und Goluchowski herrschende Stimmung. Denn Stürgkh steht gut mit den Deutschnationalen, Grabmayr dagegen schlecht. Das also ist der Maßstab! Aber daß auch Baernreither nicht gut angeschrieben wird, zeigt eben, daß kein begabter Mann etwas gilt.
Theophil Pisling, Regierungsrat im Literarischen Bureau des Außenministeriums
16. Mai [ 1899] К 2, U3, 376 ν
Goluchowski ist sehr liebenswürdig, aber ohne Ruhe, Klarheit, Kenntnisse. Er ist ganz Temperament, nichts als Temperament. Dagegen seine Schwäche, fortwährend in den Zeitungen genannt zu sein. Natürlich hat we-
18. Mai 1899
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der er noch Doczi eine Ahnung von dem Bankstatut75 und den sachlichen Fragen. Pasetti ist ganz Schule Kälnoky76, freilich viel zaghafter, mit derselben Abneigung, vor die Öffentlichkeit zu treten. Kalnoky war eiseskalt.
Emanuel Singer, Redakteur des Neuen Wiener Tagblattes
17. Mai [1899] К 2, U 3 , 377 ν
Baernreither war anfangs eine Art Privatsekretär beim Fürsten Auersperg. Singer erzählt: Als Taaffe 1892 (oder 91) die Rede im Abgeordnetenhaus hielt, durch die der Rücktritt Kuenburgs herbeigeführt wurde77, da meldete sich Plener zu einer Audienz beim Kaiser. Aber der Kaiser lehnte es ab, ihn zu empfangen, und Päpay kam, ihm das mitzuteilen. Singer war gerade anwesend, als Päpay kam. Plener bewarb sich um [den] Posten eines Präsidenten des österreichischen Rechnungshofes78 und ließ ihn durch Sieghart ersuchen, dies in der Presse zu lancieren. Singer war nun komisch beleidigt, weil Plener ihm das nicht selbst gesagt hatte. Er sagte Sieghart, er könne nicht mit ihm verhandeln, da er im Preßbureau der Regierung arbeite!!! Singer tadelt lebhaft die Lebensweise Pleners. Dieser werde von seiner Frau von einem Diner zum anderen geschleppt, statt etwa, wie Steinbach, Vorträge zu halten und zu wirken. Er lasse seinen Sohn nur mit Grafensöhnen verkehren, als ob er ein Majoratsherr wäre. Schmerling hat Singer gesagt, daß unter seinem Ministerium der Ministerrat sehr ernst und gründlich war und daß sie dem Kaiser mit aller Offenheit Vorstellung machten. Unter Taaffe seien die Protokolle (erzählt Singer) farblos geworden. Gautsch aber, der den Kaiser genau kannte, habe doch den Fehler begangen, darin wieder sehr gründlich vorzugehen, was dem Kaiser unangenehm gewesen. Schandera erzählt, Graf Silva-Tarouca habe eine Nostitz geheiratet, die 75
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Die Erneuerung des Privilegs der österr.-ung. Bank bildete einen Schwerpunkt der Verhandlungen zur Verlängerung des wirtschaftlichen Ausgleiches. Das im September 1899 erlassene neue Statut bestimmte die vollständige Gleichberechtigung der beiden Staaten der Monarchie in Verwaltung und Aufsicht der Bank. Freiherr Marius von Pasetti-Friedenburg, seit 7. 10. 1895 Botschafter in Rom, war unter Außenminister Graf Gustav Kalnoky Zweiter (1883-1891) und Erster Sektionschef (1891-1895). Der deutsche Landsmannminister Graf Gandolph Kuenburg reichte nach einer Rede des Ministerpräsidenten, in der dieser die baldige Wiedereinsetzung eines tschechischen Landsmannministers bekanntgab, den Rücktritt ein, da er davon nicht informiert worden war. Seine Demission wurde am 8. 12. 1892 angenommen. Ernst von Plener hatte 1892 die Berufung zum Präsidenten des österreichischen Rechnungshofes abgelehnt. Nach dem Rücktritt des Kabinetts Windischgraetz nahm er 1895 die Berufung zum Präsidenten des Gemeinsamen Obersten Rechnungshofes an.
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Marquis Olivier Bacquehem
schwanger gewesen sei, aber 7-8 Millionen mitgebracht hätte. Er stehe deshalb in der Aristokratie im Mißkredit.
Marquis Olivier Bacquehem, Mitglied des Herrenhauses
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Als ich bemerke, daß Graf Thun und Kaizl die Bankfrage79 als Anlaß nehmen werden, um seine [sie!] Demission zu geben, lachte Bacquehem laut auf und sagte: „Sie könnten ein Reichsdeutscher sein, wenn Sie das glauben! In Osterreich fallt es keinem Minister ein, früher zu gehen, als er gegangen wird. Jeder Minister hofft immer noch, daß sich die Verhältnisse günstiger gestalten." Und da ich meinte, es könne Thun - Kaizl willkommen sein, mit einem gewissen Glanz und Eklat abzutreten als Verteidiger österreichischer Interessen, meint er: „In Osterreich geht auch kein Minister mit Eklat, sondern ganz sacht ab!" Er glaubt gegenwärtig, vor Herbst,a nicht an den nahen Rücktritt des Kabinetts. Alle möglichen Ministerpräsidenten seien ja verbraucht. Gautsch sei eben jetzt zum Präsidenten des österreichischen Rechnungshofes ernannt worden80. „Er hatte sich darum eifrig beworben; denn in Österreich erhält man ja keine Stelle, ohne sich um sie zu bewerben. Auch Plener und Madeyski hatten sich darum gemeldet. Plener, weil er sich einbildete, dann im Herrenhause eine politische Rolle spielen zu können. Gautsch bewirbt sich um jede Stelle, die frei wird, besonders um eine solche, die was einträgt. Und der Präsident des österreichischen Rechnungshofes bekommt um 4.000 fl mehr als der des gemeinsamen. Bekannt ist auch, daß diese höchsten Beamten auch zu Hofe geladen [werden]. Sollte, was unwahrscheinlich ist, Schönborn Ministerpräsident werden, so wird sich Gautsch auch um dessen Posten81 bewerben." Und so ging es spöttisch weiter, Bacquehem scheint schlecht gelaunt zu sein, offenbar stehen seine Aussichten schlecht. Er hat auch Halban besucht, der sich gegen den Vorwurf verteidigt, die Gewaltmaßregeln im Parlament empfohlen zu haben82. Das
Das neu zu verhandelnde Statut der Österreichisch-Ungarischen Bank bildete einen Schwerpunkt der Verhandlungen um einen wirtschaftlichen Ausgleich. 80 Freiherr Paul von Gautsch trat am 17. 5. 1899 die Nachfolge des verstorbenen Grafen Karl Hohenwart an. 81 Der ehemalige Justizminister (1888-1895) Graf Friedrich Schönborn war von 1895 bis 1907 Präsident des Verwaltungsgerichtshofes. a~a Ergänzung. 82 Um die deutsche Obstruktion gegen die Sprachenverordnungen im Abgeordnetenhaus zu besiegen, brachte der tschechisch-klerikale Abgeordnete Graf Julius Falkenhayn am 25. 11. 1897 einen Antrag auf Änderung der Geschäftsordnung ein. Der in der allgemeinen Aufregung von den Abgeordneten nicht wahrgenommene Antrag wurde vom 79
19. Mai 1899
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ist auch glaublich, denn Gewaltmaßregeln sind nicht Halbanisch. Er hat nur zuviel gepantscht, das war sein Fehler. Auch Bacquehem meint, Schönborn sei zu schwach, zu unentschlossen. Er habe sich bei den Ausgleichsverhandlungen83 von Bacquehem und Gautsch stets drängen lassen, er wartete eigentlich immer darauf, daß er gedrängt werde. Gewiß sei er ein ehrenhafter und gebildeter Mann. Bacquehem dringt immer darauf, daß die Deutschen nicht mit Thun verhandeln; das sei vielleicht das einzige Mittel, um ihn zu entfernen. Von der Uneinigkeit der Deutschen spricht Bacquehem sehr spöttisch, so wie ein Mann, der meint, man könne mit ihnen nicht regieren. Das ist offenbar ganz der Ton, in dem bei Hofe von den Deutschen gesprochen wird. Ich bemerke das, und er stellt es nicht in Abrede. Da kommt Schönborn, und das Gespräch wendet sich so, daß Schimmelpfeng auf das Tapet kommt84; da nun zeigt es sich, daß der gute Schimmelpfeng die Höflichkeit Schönborns als Zustimmung nahm. Schönborn war eher mißtrauisch und hielt ihn anfangs für einen preußischen Emissär. Er wollte nur hören und weiß nicht, worauf Schimmelpfeng eigentlich hinauswill. Schimmelpfeng sprach ihm merkwürdigerweise nicht von seiner Zugehörigkeit zur deutschen Rechtspartei, so daß ich Schönborn erst orientieren mußte. Er kannte ihn wohl von Prag her als Vertrauten des Kurfürsten von Hessen85.
Engelbert Pernerstorfer, sozialdemokratischer Politiker
19. Mai 1899 К 2, U 3 , 378 г
Pernerstorfer erzählt: Als die Taaffesche Wahlreform eingebracht war, und zwar eine halbe Stunde nach dem Ereignisse86, hörte Pernerstorfer vorübergehend, wie Bacquehem zu Ruß sagte: Ihr werdet Euch das doch nicht gefallen lassen!
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Präsidenten des Hauses David von Abrahamowicz sofort für angenommen erklärt. Er erhielt dadurch das Recht, Abgeordnete auf Zeit von den Sitzungen auszuschließen sowie diese Abgeordneten von der Polizei aus dem Parlament entfernen zu lassen. Der letztlich gescheiterte Taaffe'sche Ausgleich vom Jänner 1890. Vgl. zu Adolf Schimmelpfeng, einem ehemaligen kurhessischen Geheimrat, und seinem Plan der Errichtung einer antipreußischen Koalition den Brief Friedjungs an Aehrenthal vom 21. 4. 1899 in Aus dem Nachlaß Aehrenthal Teil 1, 158-160. Der hessische Kurfürst Friedrich Wilhelm I. hatte sich nach dem Krieg von 1866 und der Entlassung aus preußischer Gefangenschaft ohne förmlichen Thronverzicht auf seinen böhmischen Besitz zurückgezogen und war am 6. 1. 1875 in Prag gestorben. Vgl. zum gescheiterten Wahlrechtsentwurf der Regierung Taaffe vom Oktober 1893 S. 222 Anm. 13.
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Freiherr Ludwig von Oppenheimer, Mitglied des Herrenhauses
Freiherr Ludwig von Oppenheimer
20. Mai 1899 К 2, U3, 378 г - 3 7 9 ν
Er war im Hause Beusts wie ein Kind im Hause. Er selbst hatte ursprünglich die Absicht, in die österreichische Armee zu treten. Einer seiner Brüder fiel in Frankreich. Merkwürdig ist, daß er schon 1868, 25jährig, in den Ritterstand erhoben wurde. Beust wurde berufen, allerdings weil man Revanchegelüste hatte. Er wurde sowohl von Napoleon III. als von dem König von Sachsen empfohlen. Denn er hatte alte Beziehungen zu Napoleon. Als er nämlich in London sächsischer Attache oder Diplomat war, trafen sich Beusts Frau und Napoleon öfters in der Messe, er brachte sie nach Hause, sie waren gut bekannt. Auch wurde Beust nach der Schlacht bei Königgrätz nach Paris entsendet. Er nun verhandelte allerdings mit Napoleon vor 1870, aber er war dabei stets von einer Sorge erfüllt: Er nahm an, daß Napoleon einen Krieg nur führen wolle, um eine Schlacht zu gewinnen und dann sofort Frieden zu schließen; Napoleon brauchte wegen seines Prestiges nur einen solchen Sieg. Dann wäre Osterreich sitzengelassen worden, und Frankreich und Preußen hätten sich vielleicht auf seine Kosten auseinandergesetzt. Dazu hatte Beust kein Vertrauen zu Gramont, dieser war auch als Botschafter in Wien unzuverlässig, hatte hier ein Verhältnis, war dann einfach nicht aufzufinden. Oppenheimer meint, die französischen Diplomaten hätten später, um sich zu rechtfertigen, die Verhandlungen mit Österreich so geschildert, als ob sie weiter gediehen wären, als es tatsächlich der Fall war. Als nun der Krieg ausbrach, da berichtete Oppenheimer einmal Beust über die Volksstimmung in Wien, die bürgerlichen Kreise wären ganz für Deutschland. Da nun fuhr Oppenheimer mit Beust vom Stockei, wo er wohnte,87 beim „Zobel" vorbei nach Wien. Eben wurde die Marseillaise gespielt, und das Publikum brach in Hochrufe aus; da sagte Beust: Das ist die wahre Volksstimmung. Am meisten hetzte Vitzthum zum Krieg. Aber Graf Hohenthal war gerade damals in Wien und warnte Beust davor, sich wieder, wie 1866, von Vitzthum in den Krieg hineinhetzen zu lassen. Großes Verdienst erwarb sich Graf Uexkuell, der Bruder des späteren Korpskommandanten, der zu jener Zeit Militärattache (Oppenheimer weiß nicht mehr, ob in Berlin oder Paris88) war und nachdrücklich betonte, Deutschland sei Frankreich überlegen. Beust aber war von der Überlegenheit des französischen Heeres überzeugt. Einmal war nach einem Dejeuner bei Beust Oppenheimer anwesend, als Beust, Kuhn, Vitzthum, Potocki anwesend waren. Es war zu Be-
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Das Kaiserstöckel beim Hietzinger Tor des Schönbrunner Schloßparks, die Amtsresidenz der Außenminister. Graf Alfred Uexkuell-Gyllenband war Militärattache in Berlin.
20. Mai 1899
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ginn des Krieges. Da sprach Vitzthum heftig gegen Preußen, er verspeiste wieder ein preußisches Armeekorps. Potocki erzählte, in Galizien sei die Stimmung ganz für Frankreich. Da sagte Beust zu Kuhn, es wäre interessant zu hören, was er als Militär sage, was wohl in dem Falle geschehe, wenn Österreich sich am Kriege beteilige, und Rußland sich auf Seite Deutschlands stelle. Da schlug Kuhn mit der Hand auf den Tisch und sagte: „Das erste wäre, daß wir Galizien räumen müßten." Das sagte er mit Beziehung auf Potocki. Da sagte Beust: Nun, der Krieg würde schön anfangen. Auch damals waren, wie dies in meinem Werke von 1866 erzählt sei, die Generäle viel vorsichtiger als die Diplomaten. Tatsächlich ist Osterreich durch Wörth und Weißenburg gerettet worden89, es hätte sich sonst am Kriege beteiligt. Als ich Oppenheimer fragte, ob die Gegnerschaft Beusts wider das Bürgerministerium 90 nicht daher rührte, weil sich herausstellte, dieses sei nicht zum Kriege gegen Deutschland zu gewinnen, sagte er, davon habe er nie etwas gehört, das könne er nicht sagen. Wie er wisse, hatte der Kaiser eine Antipathie gegen diese Minister, besonders gegen Herbst und Giskra, gegen den letzteren eigentlich noch mehr. Als man Taaffe fragte, weshalb er in das Bürgerministerium eingetreten sei, sagte er: „Ich mußte den Kaiser gegen seine Minister schützen." Taaffe aber, der stets klug und scharfblickend war, war nicht für den Krieg gegen Preußen; denn einmal sagte er vor dem Kriege von 1870 zu Oppenheimer: Schließlich haben ja Frankreich und Preußen uns stets Übles angetan, wir können uns weder auf das eine noch auf das andere verlassen. Auch Oppenheimer sagte, die Abhängigkeit Herbsts von der Wiener Presse war beschämend. Pollak vom Neuen Wiener Tagblatt 91 hatte einen großen Einfluß auf ihn. Es war traurig, wie sich die liberale Partei während der Berliner KongreßGeschichte benahm 92 . Adolf Auersperg erzählte Oppenheimer einmal, daß der Kaiser damals so schwer verletzt war, daß er die Hände zum Himmel streckte und ausrief: „Die Rache an dieser Partei wird süß sein." 3 Graf Thun hat Oppenheimer enttäuscht. Er hatte von ihm wirklich die Vorstellung, daß er ein energischer Mann sei, vor allem, daß er kraft seiner aristokratischen Stelle dem Kaiser auch bestimmt entgegentreten werde, wenn es die Notwendigkeit erheische.93 Denn Thun hatte doch viel gesehen, 89
Die Gefechte bei Weißenburg (4. 8. 1870) sowie Wörth und Spichern (6. 8. 1870) waren die ersten größeren deutschen Siege im Krieg mit Frankreich. 90 Die Ministerien Carl Auersperg, Taaffe I und Hasner (30. 12. 1867-11. 4. 1870). 91 Vgl. Heinrich Pollak, Dreißig Jahre aus dem Leben eines Journalisten. Erinnerungen und Aufzeichnungen. 3 Bde. (Wien 1894-1898). 92 Die Führung der liberalen Verfassungspartei lehnte die Okkupation Bosniens und der Herzegowina ab, worüber die Partei zerbrach. 93 Vgl. zu Oppenheimers positiver Sicht Graf Franz Thuns seinen Brief an Freiherr Alois Lexa von Aehrenthal vom 5. 2. 1896 in Aus dem Nachlaß Aehrenthal, Teil 1, 100-101. " Der letzte Absatz am Rand mit einer geschwungenen Klammer verbunden und bemerkt: verständlich.
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Ludwig Doczi
er war in Frankfurt und Petersburg erzogen, wo sein Vater Gesandter war, hatte in Sachsen die Landwirtschaft gelernt, kannte also die Welt und die bürgerliche Auffassung. Aber schon als er Obersthofmeister des Erzherzogs Franz Ferdinand war, zeigte er sich merkwürdig schwach. Er wußte zudem schon drei Monate, bevor er Minister wurde, daß er es werde, und Oppenheimer meinte, er werde sich klar über seine Lage geworden sein, sich einen Plan gemacht haben. Nichts von alledem fand statt. Oppenheimer machte die richtige Bemerkung, daß der Tod des Kaisers deshalb so tief wirken werde, weil er im Ausland solches Prestige habe. Je weiter von Osterreich, desto größer sei das Prestige. Man werde bei seinem Tode im Ausland die Vorstellung einer tiefen Erschütterung Österreichs haben. Dazu hege Kaiser Wilhelm die größte Ehrfurcht gegen ihn; Kaiser Wilhelm habe die Vorstellung, daß er das 1866 Osterreich zugefügte Leid gewissermaßen an Franz Joseph gutzumachen habe. Dieses Gefühl aber hege er gegen den Nachfolger nicht, da ihm Erzherzog Franz Ferdinand und Otto fremd seien. Der letztere sei viel weniger gut veranlagt als ersterer; man irrt sich, wenn man ihn höher schätzt. Zudem habe er auch in letzter Zeit das Decorum vielfach außer Augen gelassen.
Ludwig Doczi, Leiter des Literarischen Bureaus im Außenministerium
27. Mai 1899 К 2, U 3, 379 ν - 380 ν
Während des Aufeinanderstoßens Szells und Thuns in der Bankfrage94. Doczi mit äußerster Schärfe für den ungarischen Standpunkt. Er erzählt mir, er war eigens bei Benedikt, um ihn zu bestimmen, nicht gegen [die] Bankparität Ungarns einzutreten; er setzte ihm auseinander, es sei der Augenblick für die Deutschen günstig; sie sollten den Ungarn nachgeben und würden ans Ruder kommen. Aber Benedikt sei ein „Schmock", der nicht von Lucams95 Ansichten abzubringen sei. Es sei also dieselbe Situation wie zur Zeit der bosnischen Okkupation. Auch damals hetzte die Presse die Partei in eine verfehlte Politik hinein, und die Abgeordneten der Partei ihrer94
95
Das neue Statut der österr.-ung. Bank, das die völlige Gleichberechtigung der beiden Staaten in Direktion und Generalrat feststellte, war Teil der zwischen Thuns Vorgänger Graf Kasimir Badeni und dem früheren ungarischen Ministerpräsidenten Dezsö Bänffy ausgehandelten Ausgleichsbedingungen. Als der neue ungarische Ministerpräsident Kaiman Szell die Vereinbarungen bezüglich der Verlängerung der Zolleinheit auch bei Auslaufen des Ausgleichs kündigte, erklärte Thun, sich auch nicht mehr an die Vereinbarungen bezüglich der gemeinsamen Bank gebunden zu fühlen. Der frühere Vizegouverneur Wilhelm von Lucam, der auch nach seinem Ausscheiden aus der Österreichisch-Ungarischen Bank (1891) vehement für die politische Unabhängigkeit der Zentralbank eintrat.
27. Mai 1899
261
seits sprächen sich gegen die Presse aus, ohne zu wagen, ihr entgegenzutreten96. „Ich habe durch meinen zweistündigen Besuch bei der Neuen Freien Presse meine politische Stellung riskiert." Somit hetzt Doczi Goluchowski in die Vertretung der ungarischen Interessen hinein. Doczi hat Goluchowski den Gedanken auseinandergesetzt, den ich ihm, Doczi, vor 14 Tagen entwickelt hatte: Es sollte ein ßeamienministerium eingesetzt werden, welches den Ausgleich mit § 14 macht; dieses Ubergangsministerium werde, wenn es den Deutschen Konzessionen mache, die gemäßigten Parteien bereit finden, es im Allgemeinen zu unterstützen. Darauf erwiderte Goluchowski: „Das werde er dem Kaiser unter keiner Bedingung raten, denn dann übernehme der Kaiser die Verantwortung für den ungarischen Ausgleich, man solle nicht sagen, er habe dem Beamtenministerium diktiert, sich den Wünschen Ungarns zu fügen, eher werde er, Goluchowski, dem Kaiser raten, ein Parteiministerium zu berufen, damit dieses sich mit den Ungarn auseinandersetze." Doczi war vor einigen Tagen bei Szell, und da traf er den Grafen Eulenburg dort. Er finde, es sei nicht klug, daß Eulenburg sich während der Krise bei einem der streitenden Teile informiere. Denn der Kaiser sei sehr mißtrauisch gegen die Möglichkeit, daß sich Deutschland in die inneren Verhältnisse Österreichs mische; man könne das gegen Deutschland ausnützen. Da fragte ich Doczi, ob er wünsche, daß ich das Eulenburg sage. Er überlegte und sagte, ich dürfe auf keinen Fall erwähnen, daß Doczi das gesagt habe, da Eulenburg sonst annehmen würde, Goluchowski habe diese Mitteilung veranlaßt. Ich dürfe nur erwähnen, daß man von übelwollender Seite die Besuche Eulenburgs bei Szell in diesem Sinne ausnütze. Doczi hat kurz vorher Bülow in Berlin gesehen. Er glaubt, daß Bülow unaufrichtig sei. Szögyeny hatte gesagt: „Bülow sei ein kalter Braten in warmer Sauce"; und das sei ganz richtig." Doczi habe Bülow gleichfalls gesagt, daß der Kaiser sehr empfindlich sei, wenn von außen für die Deutschen gewirkt werde. Wenn er schon geneigt sei, sich den Deutschen Österreichs zuzuwenden, so würde er umkehren, sobald er sich vom Ausland am Rock gezupft fühle. Bülows Unaufrichtigkeit zeige sich darin, daß er zu Doczi nicht ein Wort über das Verhältnis zu Rußland gesagt habe. Man sei in Berlin nämlich sehr mißtrauisch und fürchte immer, Österreich wolle mit Rußland anknüpfen; das rühre aber nur daher, weil Deutschland kein gutes Gewissen habe und selbst mit Rußland nähere Verbindung suche. Eulenburg sei viel gerader als Bülow. Allerdings gab mir Doczi zu, daß 96
Die Neue Freie Presse vertrat einen die Okkupation ablehnenden Standpunkt, dem besonders ihr damaliger Chefredakteur Michael Etienne in seinen Artikeln Ausdruck gab. " Randbemerkung: Später sagt mir Doczi, das sei ein Ausspruch von ihm selbst.
262
Thomas Fellner
Bülow als deutscher Staatsmann verpflichtet sei, auf der Wacht zu stehen, falls Osterreich durch innere Wirren so geschwächt sei, daß es kein vollwertiger Bundesgenosse mehr sei. Da warf ich nun die Bemerkung ein, es scheine, daß man in Berlin die Wirksamkeit Aehrenthals argwöhnisch betrachte. Doczi scheint das mißverstanden zu haben und sagte hastig: „Da hat schon ein Kleiner vorgebeugt, ich war es, der den Grafen Goluchowski vor Aehrenthal und zwar vor dessen Russophobie" warnte. Denn Aehrenthals Abneigung gegen Rußland ist stärker, als es der Sachlage angenehm ist!"
Thomas Fellner, Archivdirektor im Innenministerium
[Mai 1899] К 2, U 3, 380 ν
Erzählt, Taaffe sei der angenehmste Chef gewesen. Er sei nicht im geringsten nervös gewesen und habe jeden Untergebenen ruhig angehört, was eine große Annehmlichkeit war. Man konnte Einwendungen vorbringen, und alles wurde trefflich erledigt. Als ich fragte, ob dies denn auch gegen das Ende des Ministeriums der Fall war, meint er, er habe wohl damals nicht mit Taaffe verkehrt. Hofrat Czapka aber habe ihm erzählt: Er sei, als der Ausnahmezustand über Prag verhängt werden sollte (1893)97, ganz in der Früh zu Taaffe berufen worden. Er wusch sich eben und hatte ein „Garibaldihemd" (ein rotes Hemd) an. Schönborn war bei ihm und legte die juristische Seite der Sache dar. Taaffe rieb sich mit der Zahnbürste die Zähne und sagte immer ganz ruhig und gleichmütig: Ja, so ist's zu machen - ganz gut ganz einverstanden. Nach diesen Weisungen hatte Czapka die betreffenden Akten zu arbeiten. Die Ruhe und Gleichmut Taaffes seien merkwürdig gewesen. Das Archiv des Ministeriums des Innern gehe nur bis 1898, das spätere sei noch in der Registratur oder in den Präsidialakten. Das Staatsarchiv hat alles bis zum 2. Dezember 1898. Aber es dürfen nur die Akten bis 1830 mitgeteilt werden.
Mit 12. 9. 1893 war vom Ministerium Taaffe über Prag und Umgebung als Reaktion auf tschechische Demonstrationen der Ausnahmezustand verhängt worden. Er wurde erst unter dem Kabinett Badeni am 11. 10. 1895 aufgehoben. " Am Rand mit zwei Rufzeichen kommentiert.
97
263
Mai 1899
Graf Karl Stürgkh, Mitglied
des Abgeordnetenhauses
Mai 1899 К 2, U 3, 382 г
Dem Koalitionsministerium 98 gegenüber zeigte der Kaiser" pessima fides. Er setzte sich für das Cillier Gymnasium ein und zeigte eine steigende Ungeduld in der Forderung, die Wahlreform endlich zum Abschluß zu bringen. Die Affare Cilli war nicht, wie ich angenommen hatte, von dem Hofe hineingeworfen worden, sondern gleich bei der Bildung der Koalition habe Hohenwart Cilli den Slowenen versprochen". Plener und Wurmbrand legten damals nicht den gebührenden Wert darauf. Dann aber brach die Wunde auf. Stürgkh traf beim Diner Bronn und sprach über Erzherzog Franz Ferdinand. Dieser meinte, der Erzherzog beschäftige sich sehr viel mit kriegsgeschichtlichen Studien, aber er sei einseitig und habe geringen Einblick in die Politik. Da fragte ihn Stürgkh unter anderem: Glaubst Du, daß Erzherzog Franz Ferdinand zum Beispiel eine Vorstellung über das Wesen der Quotendeputation habe. Bronn meinte: Genau nicht! Stürgkh erzählt, der Erzherzog habe in Niederösterreich in einem Sommersitze in Gesellschaft von Adeligen und Beamten der Bezirkshauptmannschaft verkehrt; einer der Beamten wurde später zur Statthalterei nach Wien versetzt und traf mit dem Erzherzog wieder zusammen. „Ach, Sie sind nach Wien versetzt? Wohl zum Magistrat!" Nein, zur Statthalterei, der zweiten Instanz, sagte der Gefragte. Ach, sagte der Erzherzog, ich glaubte, seit der Vereinigung der Vororte100 stünden sie unter dem Magistrat.
Ernst von Plener, Präsident des Gemeinsamen Obersten Rechnungshofes
[Mai 1899] К 2, U 3, 382 r-v
Als ich Plener erzählte, was Stürgkh - Bronn mir gesagt101, meinte Plener, das sei gewiß irrig. Er habe vor einigen Monaten bei dem Erzherzog vorgesprochen und hatte eine halbstündige politische Unterredung mit ihm. Da war er angenehm berührt über dessen gesundes Urteil und dessen verständigen Einblick in die Verhältnisse. Dabei habe der Erzherzog sich [in] einem uns verwandten Sinne geäußert. Dagegen sei Erzherzog Otto ganz unbegabt und nicht fähig, eine Konversation zu führen. Das mache ihm die größten 98 99 100 101 a
Das Kabinett Windischgraetz (1893-1895). Vgl. zur Frage des slowenischen Gymnasiums in Cilli S. 218 Anm. 7. Die Wiener Vororte waren 1890 eingemeindet worden. Vgl. oben. Anstelle von Kaiser ein L gesetzt.
264
Sigmund Sonnenschein
Schwierigkeiten. Der Erzherzog habe einen allzu großen Sammeleifer und gebe über seine Verhältnisse Geld dafür aus. Auch habe er jetzt ein Verhältnis mit einer Dame der Gesellschaft oder Aristokratie (ich erinnere mich nicht mehr genau).
Sigmund Sonnenschein, Ministerialsekretär im Eisenbahnministerium
[Mai 1899] К 2, U 3, 382 ν
Erzählt, Czedik habe anfänglich den Kaiser auf seinen Reisen auf den Staatsbahnen begleitet. Da habe Czedik mit dem Kaiser auch über Politik in einem Taaffe nicht genehmen Sinne gesprochen. Darauf setzte Taaffe es durch, daß nicht Czedik, sondern ein minder hoher Beamter den Kaiser begleite. „Man kann nicht Politik auf der Straße machen", sagte Taaffe. Koerber war im Handelsministerium, bis Badeni ihn als Sektionschef ins Ministerium des Innern berief. Koerber habe nachdrücklich für Aufhebung der Sprachenverordnung gewirkt, ebenso als Minister unter Gautsch.
Gustav Seidler, Professor der Staatsrechnungswissenschaften an der Universität Wien
[Mai 1899] К 2, U 3, 382 ν
Erzählt, Gautsch sandte, als er zum Ministerpräsidenten ernannt wurde, an Klein Depesche mit [der] Einladung, ins Ministerium zu treten. Sie war unterschrieben „Der Ministerpräsident". Klein konnte nicht genau wissen, ob es noch Badeni oder schon Gautsch sei, er empfahl Ruber (den er jetzt „ein Schwein" nennt102).
Josef von Rodakowski, General der Kavallerie i. P.
25., 26. Juni [ 1899] К 2, U 3, 399 г - 402 ν
Henikstein teilte ihm mit, er sei zum Generalstabschef bei Gablenz ernannt103, aber er habe ihn nicht gefragt, ob er die Stelle annehme, denn Rodakowskis Verhältnis zu Benedek war derart, daß Rodakowski hätte ablehnen müssen, nach Holstein zu gehen. Rodakowski war bei Benedek eine Art 102 103
Vgl. S. 234. Vgl. Friedjungs Darstellung der Vorgänge in Schleswig-Holstein in Kampf um die Vorherrschaft. Bd. 1, 67-93.
25. und 26. Juni 1899
265
militärischer Sekretär. Rodakowski war Chef des Kundschaftsbureaus. Rodakowski las mir eine Stelle aus seinem Tagebuch vor. Es ist vollständig und sehr nett geführt. Leopold Hofmann war Zivilkommissär, er hatte die militärischen Angelegenheiten. Wenn eine Sendung aus Wien kam, so verteilten sie untereinander die ihnen zukommenden Akten, jedoch gaben sie sich gegenseitig Einblick. Sie referierten nur gemeinsam bei Gablenz, und dieser ließ sie diskutieren. Dann entschied er selbst mit großer Schärfe und sehr einsichtig. Denn er war wohl eine „böse Natur", egoistisch, aber von großer Klugheit. Als Rodakowski sich bei Mensdorff verabschiedete (September 1865), sagte er ihm, er solle Gablenz sagen, er brauche sich nicht an seine Instruktionen zu binden. Kärolyi in Berlin hatte den Auftrag, alle Expeditionen aus Wien und umgekehrt seinen Bericht nach Kiel zu Gablenz zu schicken, so daß Rodakowski vollständigen Einblick in die Verhältnisse hatte. Meysenbug machte Rodakowski [den Vorschlag], als sich dieser verabschiedete, Holstein könne ganz gut von Wien aus regiert werden, wie seinerzeit Belgien. Hermannstadt sei nicht weiter von Wien als Kiel. Rodakowski schrieb sich nun den Auszug aus den wichtigsten Berichten Kärolyis in sein Tagebuch. Aus diesen Berichten geht hervor, daß Kärolyi ganz vortrefflich in den Gegensatz der Meinungen eingeweiht war. Er schilderte genau, wie Bismarck den König behandle. Es geht aus den Aufzeichnungen Rodakowskis hervor, daß man in Wien über die Verhältnisse am Wiener [sie!] Hofe sehr genau unterrichtet war. "Esterhäzy hatte als Kompensationsobjekt die Hohenzollern-Länder104 ins Auge gefaßt für Holstein." Hofmann unterrichtete Gablenz von den Plänen Metternichs, die er mit Napoleon ausheckte. Gablenz hielt sehr viel von Metternich und stand mit ihm stets in Verbindung. Nach den Mitteilungen Hofmanns war Metternich der Meinung, Osterreich solle Venetien abtreten und dafür die Donaufürstentümer nehmen. Ebenso solle es Galizien für ein selbständiges Polen hergeben und sich Entschädigung in Deutschland nehmen. Preußen solle geschwächt werden und Frankreich am Rhein Kompensation erhalten. Dies setzte Hofmann als den Plan Napoleons und Metternichs auseinander. Als Kärolyi im März 1866 Bismarck zu fragen hatte, ob Preußen Österreich anzugreifen denke, erwiderte Bismarck mit dem bekannten Nein!, fügte aber hinzu, daß er eine solche Antwort auch am Tage vor der Kriegserklärung geben würde. Esterhäzy hatte im März die Absicht, Schleswig Holstein an Preußen abzutreten. Dafür sollte Preußen Hohenzollern (Süddeutschland) hergeben, solle eine Entschädigung zahlen und die Garantie für Venedig übernehmen.
104 Die Besitzungen der Hohenzollern in Süddeutschland. """ Mit blauem Stift gestrichen.
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Josef von Rodakowski
Im Juni erhielt Gablenz den Auftrag, sich nicht vor Manteuffel einfach zurückzuziehen, sondern ihm standzuhalten und ein Avisiergefecht zu liefern. Denn man wünschte in Wien einen klaren Kriegsfall. Gablenz war außer sich über diesen Befehl. Denn er vermutete mit Recht, daß, wenn er Manteuffel jenseits der Elbe erwarte, seine Brigade umstellt und gefangengenommen worden wäre. Ihm persönlich wäre dies eine große Demütigung gewesen, und er wollte seinen Namen als General [nicht] mit einer solchen Waffenstreckung verknüpft haben. Er war furchtbar aufgeregt, und als auf seine Einwendungen Mensdorff weiter antwortete, er habe sich nur angesichts eines gewaltsamen Angriffs zurückzuziehen, sandte er Rodakowski nach Wien, um die Regierung und den Kaiser umzustimmen. Falls Rodakowski nicht durchzudringen vermöchte, so solle er die Entlassung Gablenz' dem Grafen Esterhäzy überreichen. In dem Briefe an Esterhäzy war vollständige Quittierung ausgesprochen, er wollte lieber die Armee verlassen, als sich mit dieser Aktion betrauen lassen. Rodakowski urteilt nun sehr strenge [über] diesen Schritt. Er behauptet, Gablenz habe sich von seinem Egoismus beraten lassen und hätte sein Schicksal nie von dem der Brigade trennen sollen. Rodakowski reiste am 6. Juni von Kiel ab und kam am 9. Juni nach einer sehr verzögerten Eisenbahnfahrt in Wien an. Er ging gleich zu Crenneville, und dieser wie Mensdorff, letzterer in seiner „schläfrigen Weise", sagte ihm, er müsse es dem Kaiser vortragen. Der Sekretär in der Kabinettskanzlei des Kaisers, Werner, sagte ihm, als er ihn fragte, ob er dem Kaiser rückhaltlos sprechen dürfe, gewiß, aber er möge Rücksicht auf seine persönlichen Empfindungen nehmen. Als nun Rodakowski dem Kaiser die Sache vorstellte, sagte er: Osterreich bedürfe eines casus belli, und deshalb dürfe sich Gablenz nicht ohne Widerstand zurückziehen. Dann fragte er Rodakowski, woran die Verständigung mit Hannover gescheitert sei, und als Rodakowski die Verhältnisse darlegte, sagte der Kaiser, dann werde wohl Hannover, falls der Krieg für Osterreich günstig ausfalle, als Kompensationsobjekt dienen. Hierauf wurde Rodakowski einem Ministerrat zugezogen zur Berichterstattung, dem unter dem Vorsitze des Kaisers Belcredi, Esterhäzy und Mensdorff und Franck beiwohnten. Rodakowski wurde hereingerufen, um die Gründe für den Abmarsch der Brigade zu entwickeln. Er zeigte, daß, im Falle Gablenz zögerte, die Elbe zu überschreiten, er gefangengenommen werden müsse. Denn es war auch zu bedenken, daß auf der Elbe zwei preußische Kanonenboote stationiert waren, die jeden verspäteten Ubergang unmöglich gemacht hätten. Darauf forderte der Kaiser Mensdorff auf, er solle eine Schilderung der lokalen Verhältnisse geben, da er ja 1851 in Schleswig-Holstein gewirkt hatte. Dies tat Mensdorff, und seine durch eine rasche Bleistiftskizze unterstützte sachliche Darstellung zeigte, daß Gablenz recht hatte. Es wurde aber jetzt der Einwand erhoben, daß man die Feststellung des casus belli benötige, und einer der Minister warf die Frage
25. und 26. Juni 1899
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auf, ob denn nicht in den nach Berlin geschickten Depeschen darauf hingewiesen sei, daß der preußische Einmarsch in Schleswig-Holstein den Krieg bedeute. Mensdorff wurde beauftragt, diese Depesche vorzulesen. Er hatte sie offenbar nicht selbst entworfen und las sie jetzt stockend vor. Es zeigte sich, daß die Situation damit nicht geklärt war. Da erbat sich Rodakowski vom Kaiser die Erlaubnis, einen Vorschlag zu machen. Die Minister sahen ihn erstaunt an, der Kaiser aber erteilte ihm das Wort. Da schlug er vor, Gablenz solle bei dem Einmarsch der Preußen an Manteuffel eine bestimmte Anfrage richten, ob, wenn er nicht weiche, Gewalt gegen ihn geübt würde. Er solle zugleich erklären, daß im Falle der Bejahung Holstein zwar von ihm geräumt werden müsse, da seine Streitkräfte zu schwach seien. Doch solle Genugtuung dafür auf einem Kampfplatze geholt werden. Die Minister und der Kaiser willigten ein. Darauf wurde die Beratung aufgehoben, und Mensdorff forderte Rodakowski auf, ihm und Esterhäzy zu folgen, um diese Depesche an Gablenz zu formulieren. Auf dem Wege von der Hofburg ins Ministerium des Äußern gingen sie über den damals bestehenden Verbindungsgang über die Bellaria, und in Gegenwart der beiden Minister hatte sich Rodakowski an den Schreibtisch zu setzen, obwohl er betonte, daß er nicht die diplomatische Schulung zu dieser Arbeit besitze. Er schrieb also die Depesche an Gablenz, aber der Brief, den Gablenz an Manteuffel schicken sollte, machte ihm wegen der bestimmten Formulierung der Frage Schwierigkeiten. Da erst wurde Biegeleben hereingerufen, der die Schriftstücke für gut abgefaßt erklärte und meinte, die Schlußstelle sei leicht zu formulieren, er werde das selbst besorgen. Noch nach dem Ministerrate aber fragte Rodakowski, ob er in Wien bleiben und gleich zur 2. Kavalleriedivision einrücken könne; der Kaiser gab seine Zustimmung zu letzterem. Franck warf ein, wen solle man zu Gablenz schicken, der Kaiser erwiderte: Einen anderen Offizier. Ja, meinte Franck, wenn er aber keine Zivilkleider besitzt? Dann werde ich ihm meine leihen, sagte Rodakowski. Das war der Schluß. a Als Mensdorff und Esterhäzy aus dem Ratszimmer ins Ministerium hinübergingen, stand Blome da. Man zeigte sich steif, und Mensdorff sagte zu Esterhäzy: Voilä le grand homme!3 Esterhäzy sei noch mehr schuld an dem Kriege gewesen, als meine Darstellung besagt105. Ein Zeichen seiner Seltsamkeit: Als Esterhäzy heiraten sollte, war er Botschafter in Rom. Er hatte noch einen Urlaub in Wien genommen und sollte in Rom heiraten, aber er hatte den Tag der Hochzeit einfach vergessen und kam nicht. Nun zeigt der Gothaer Almanach, daß er sich 1854 in Prag mit Polyxenia Prinzessin von Lobkowitz vermählte. 105
Vgl. Kampf um die Vorherrschaft. Bd. 1, 209. Friedjung schreibt, Graf Moritz Esterhäzy hätte den Einfluß gehabt, dem Kaiser vom Krieg abzuraten. Er habe jedoch zum Schluß den Staat „dem Zufall des Würfelspiels" überlassen. """ Ergänzung.
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Josef von Rodakowski
26. VI [18]99. Benedek war militärisch nicht so wenig gebildet, als er sich gab. Denn er war doch aus dem alten Generalstab hervorgegangen. Als Retsey 1845 (?) das Kommando in Galizien übernahm106, wünschte er selbst Benedek als „Adjutant des Generalkommandos" - Generalstabschef. Er muß also aufmerksam auf seine Fähigkeiten geworden sein. Gegen Rodakowski war er voll Güte. Allerdings war er oft ohne Takt in seinen Äußerungen, besonders bei Diners vor seiner Frau. Er hatte etwas Großherziges an sich. Bei Inspizierung ging er zu sehr aufs Formelle. Rodakowski saß bei John im Wagen, als Benedek mit seinem Adjutanten voranfuhr. Sie waren höchst sorgfältig gekleidet, worauf Benedek viel hielt. John aber sagte: „Wenn wir mit Degenfeld (dem Vorgänger Benedeks im Kommando der Armee) eine Inspizierung vornahmen, hatten wir schmierige Röcke, aber wir haben dabei etwas gelernt!" Denn Degenfeld war ein sehr tüchtiger Militär. Benedek setzte es durch, daß John als sein Stabschef außer der Tour zum General avancierte. Als ihm Rodakowski dazu gratulierte, sagte er unwirsch: „Ich wäre auch ohne Benedek, wenn auch später, General geworden. Nun muß ich ihm dafür dankbar sein." Rodakowski besuchte, als er nach Wien und Kiel zur Übernahme seiner Stelle reiste, Benedek in Graz, um sich zu verabschieden. Benedek gab ihm die herzlichsten Ratschläge und drängte ihm, obwohl Rodakowski es anfangs ablehnte, 600 fl auf, er möge es ihm zurückzahlen, wenn er es haben werde, da er es bedürfen werde. Er gratulierte ihm zu der Stelle als Anfang einer großen Karriere, als Generalstabschef bei dem künftigen Feldherrn Gablenz in einem großen Kriege. John ist in seiner Bedeutung nicht genügend gewürdigt. Es lag wohl etwas Trockenes in seinem Wesen, aber ein bewunderungswerter Ernst, Tüchtigkeit, Charakterfestigkeit. Als 1863 (64?) der Aufstand in Friaul ausbrach107, erhielt Rodakowski den Auftrag, in einer Nacht alle Berichte und Befehle zur Niederwerfung des Aufstandes auszuarbeiten; als er sie in der Früh um 8 Uhr brachte, hatte John sie alle gleichfalls konzipiert und gab sie, während er die Arbeit Rodakowskis las, letzterem zu lesen. Als John die Lektüre beendigt hatte, sagte er einfach: „Ihre Arbeit ist die bessere, wir werden die Befehle in dieser Form absenden." Am 2. Juli108 kam Benedek zur 2. Kavalleriedivision, und hier sagte er zu Rodakowski: „Ich bin ein verlorener Mann, ich habe eine Watschen über das ganze Gesicht gekriegt." Als Rodakowski ihn bat, das Selbstvertrauen der 106
107
108
General Adam von Retsey war 1839 zum kommandierenden General von Galizien ernannt worden, Benedek wurde mit 22. 5. 1840 Generalkommando-Adjutant in Lemberg. Im Oktober 1864 kam es in Friaul zu kleineren Aufständen italienischer Nationalisten, doch bereits Ende November konnten die zur Unterdrückung mobilisierten Tiroler Landesschützen wieder entlassen werden. Der Vorabend der Schlacht von Königgrätz.
25. und 26. Juni
1899
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Armee zu stärken, sagte er: „Greifen Sie in das eigene Herz und holen Sie sich das Selbstvertrauen heraus!" Merkwürdig war, was Rodakowski über das Verhalten der 2. Kavalleriedivision in der Schlacht von Königgrätz sagte: Als ich ihn fragte, welche Meinung er von dem Prinzen T h u m und Taxis habe, sagte er: Ich werde kein Urteil über sein Verhalten abgeben, denn ich bin für das verantwortlich, was er getan hat, so wie er für „mich". Wir sind übereingekommen, uns gegen keine der gegen die 2. Kavalleriedivision erhobenen Anklagen zu rechtfertigen. Auch Sie haben ungerecht über uns geurteilt. Wir wußten allerdings, daß der Kronprinz heranmarschiere, nicht bloß die Aussendung Vargas beweist das, auch die Major Lederers, der darüber Nachricht gab. Lederer lebt noch, ist FML. Aber wir hatten nicht die Aufgabe, aus eigener Machtvollkommenheit gegen den Kronprinzen zu marschieren109. Die Division war ja dem Grafen Thun untergeordnet, der allein über sie verfügen durfte. Da wir keine Befehle erhielten, den Platz zu verlassen, blieben wir stehen. Wir standen ja hinter den Linien des Fußvolks, hinter Sendraschitz. Dazu kam, daß ich unter einer bestimmten persönlichen Impression stand. Ich hatte, als ich in Verona unter Benedek diente, den Auftrag, ihm über das, was ich gerade las, Bericht zu erstatten. Nun las ich damals eine Darstellung der Schlacht von Waterloo. Es war in ihr erzählt, daß, beim Heranrücken Blüchers, Müffling zu dem englischen General ritt, welcher die englische Kavallerie befehligte; er forderte sie auf, den Feind anzugreifen, damit sich Blüchers Truppen zum Angriff entwickeln könnten. Sie aber weigerten sich, weil ihr Feldherr sie dort aufgestellt hatte, um sie zu seiner persönlichen Verfügung zu haben. Als ich das Benedek erzählte, billigte er jenes Verhalten vollständig; „ich hätte sie erschießen lassen, wenn sie anders gehandelt hätten", sagte er. Wir sahen uns somit nicht veranlaßt, den Befehl zum Vorrücken zu geben. Diese Darstellung Rodakowskis beweist, daß er neben Taxis damals eine passive Rolle spielte, und daß die beiden an Thun nicht einmal den Vorschlag gemacht hatten, die Kavallerie in Aktion treten zu lassen. Sie haben uns übrigens, fuhr Rodakowski fort, sehr unrecht getan. Sie haben die Sache so dargestellt, als ob wir, vom Feinde unbelästigt, den Rückzug angetreten hätten. Das ist unrichtig. Taxis mit seinem Gefolge ritt natürlich am Schlüsse der Division, und als wir an einem Hause vorüberkamen, fielen Schüsse; Taxis ließ darauf sein Pferd aus dem Trab in Schritt fallen, und unmittelbar hierauf traf einen seiner Offiziere, Nauendorff (?), eine Kugel, die durch einen Arm, durch den Leib und durch den zweiten Arm ging, glücklicherweise aber keinen edleren Teil verletzte; wir konnten ihn wegtragen lassen, so daß er nicht in Gefangenschaft fiel. Ich sagte Rodakowski darauf, daß ich ohnedies eine Stelle über die Division Taxis, und zwar das Treffen von 109
Vgl. Kampf um die Vorherrschaft. Bd. 2, 235, 576-577, 578-582.
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Eduard Sueß
Tobitschau betreffend, geändert hätte. Ich sei durch Lettow auf einen Aufsatz des Prinzen Ernst Windischgraetz aufmerksam gemacht worden110, der feststellte, die Division habe die Rückenhut und dürfe also nicht früher aufbrechen als die anderen Truppen. Lebhaft fiel Rodakowski ein: „So war es, ich sagte noch dem Prinzen Windischgraetz, je später wir aufbrechen, desto besser erfüllen wir unsere Pflicht, den Rückzug zu decken." Indessen, so wiederholte er nachdrücklich, wir, Prinz Taxis und ich, sind übereingekommen, uns gegen keinen der ungerechten Angriffe zu verteidigen.
Eduard Sueß, Professor der Geologie an der Universität Wien
Juni 1899 К 2, U 1, 53 r
Alexander Bach machte ihm nach der Gedenkrede auf Schmerling111 zwei Bemerkungen. Wissen Sie, fragte er, weshalb Schmerling aus dem Ministerium Schwarzenberg austrat? Damals war Marquis von Ponsonby englischer Gesandter. Dieser sagte zu Bach auf das Ministerium Schwarzenberg - Bach - Schmerling: Quel magnifique ministere! II n'y a que de premiers112! Sodann die zweite: Er sei nicht so schuldig, die Monarchie hätte damals in die Fugen gerenkt werden müssen, und sie seien junge Leute gewesen! Sueß war Techniker, er hatte sechs Gymnasialklassen und dann Technik studiert. Als er Privatdozent werden wollte, wies ihn die Universität ab, weil er nicht Doktor sei. Da schrieb er an Thun einen Brief: Wenn es ihn in dessen Augen hebe, wolle er sich für 150 Taler ein Doktordiplom kaufen. Dann werde er doch die formale Eignung zum Dozenten haben. Thun ließ ihn rufen und sagte: Sie haben mir diesen Brief geschrieben! Nun, ich kann Sie nicht zum Dozenten machen, aber ich werde Sie zum außerordentlichen Professor ernennen113. Sueß macht mich aufmerksam, daß das Konkordat nichts dem Papste, alles den Bischöfen überantworte. Dieser episkopale Charakter des Konkordats machte Rauscher in Rom unbeliebt. Als die Jesuiten die Umänderung des Gymnasialwesens forderten, setzte es Bonitz durch, daß das Projekt (die Kirchenvoten anzuführen) den Gymnasien zur Begutachtung überantwortet werde114. Das betrachtete Bonitz schon als großen Erfolg. 110
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Prinz Joseph, nicht Ernst, Windisch-Graetz, Zum Gefechte bei Tobitschau; in: Osterreichische Militärische Zeitschrift 10/3 (1869) 58-60. Eduard Sueß hielt bei der Jahressitzung der Akademie der Wissenschaften am 30. 5. 1893 den Nekrolog auf den kurz zuvor verstorbenen Anton von Schmerling. Vgl. Eduard Sueß, Erinnerungen (Leipzig 1916) 413. Dort lautet das französische Zitat „Quel magnifique gouvernement vous avez; il-y-a lä tant de premiers." Vgl. Eduard Sueß, Erinnerungen 114-115. Die Gymnasialreform war 1850 zunächst für vier Jahre provisorisch in Wirksamkeit ge-
271
11. Juli 1899
Heinrich von Halban, des Abgeordnetenehauses
Kanzleidirektor i. P.
Juni 1899 (Gainfahrn) К 2, U 3 , 383 ν
Aus seiner Erzählung geht hervor, daß er auch bei der Bestätigung Luegers „gepantscht" hat115. Er riet Badeni, Lueger solle wohl bestätigt werden, aber der Kaiser solle ihm bei diesem Anlasse den Text lesen und die Bedingungen festsetzen, die er zu erfüllen habe. Dann aber gingen die Dinge weiter als er selbst gewünscht hatte. Badeni gab in allem nach. Bacquehem sei von Graz weggegangen, weil Thun ihn schlecht behand116 le . Er riet davon ab, Gleispach zum Oberlandesgerichtspräsidenten in Graz zu machen117, während Graf Attems meinte, es liege kein Hindernis vor. Dann riet Bacquehem, man solle ihn wenigstens nicht in der Burg (?Statthaltereigebäude?) amtieren lassen. Da erhielt er ein Telegramm: Der Kaiser befehle, ihm ein Bureau ebendaselbst einzuräumen. Bacquehem war zuletzt so verletzt, daß er Thun nicht einmal eine Abschiedsvisite machte. "Jemand erzählte mir (Plener?), Bacquehem sei in Ungnade gefallen, weil man dem Kaiserb sagte, er habe sich bei den Unruhen in Graz118 feig verhalten: Er hielt sich mit seinen Hofräten in einem Bataillonskarree. 3
Freiherr Klemens von Podewils-Dürreiiz, bayerischer Gesandter in Wien
11. Juli 1899 К 2, U 3, 384 г
Erzherzog Franz Ferdinand liebt es zu flirten, den Mädchen der Aristokratie die Köpfe zu verdrehen. Mit Gräfin Chotek, einer unverheirateten Dame, kokettiert er. Podewils hat ihn einmal mit Gräfin Chotek um 11 Uhr nachts bei einer Vorstellung im „Venedig" gesehen; sie war natürlich mit einer setzt worden. Dieses Provisorium wurde 1854 neuerlich um vier Jahre verlängert. Die von den Gegnern der Reform abgegebenen Einwände wurden 1857 von der Regierung zu einem Gegenentwurf zusammengefaßt und den Gymnasialinspektoren zur Prüfung vorgelegt. Nach einer Veröffentlichung dieses Gegenentwurfes waren die Urteile der Inspektoren dazu durchgehend negativ, worauf die provisorische Regelung 1858 die definitive kaiserliche Sanktion erhielt. Vgl. Eduard Sueß, Erinnerungen 120-121. 115 Dr. Karl Lueger erhielt am 16. 4. 1897 die kaiserliche Bestätigung als Bürgermeister von Wien. 116 Marquis Olivier Bacquehem war von 10. 10. 1895 bis 1. 12. 1898 Statthalter in Steiermark. 117 Der ehemalige Justizminister Graf Johann Gleispach war am 18. 5. 1898 zum Oberlandesgerichtspräsidenten in Graz ernannt worden, obwohl es zu heftigen Protesten wegen seiner Rolle im Kabinett Badeni gekommen war. 118 Die Ausschreitungen gegen die Badenischen Sprachenverordnungen. "" Eintrag mit Bleistift. ь Anstelle Kaiser ein L gesetzt.
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Baron Moritz v o n Ditfurth
Dame anwesend. Erzherzog Franz Ferdinand ist nicht liebenswürdig im Verkehr. Podewils war einmal zur Jagd geladen mit anderen Gesandten etc. (ich glaube bei dem Erzherzog Franz Ferdinand). Aber dieser hat ihn nur begrüßt und sonst kein Wort mit ihm gewechselt. Er verkehrte überhaupt nur mit den Herren seiner näheren Umgebung und kümmerte sich nicht um die übrigen Gäste. Ob Erzherzog Franz Ferdinand wirklich lungenleidend ist, man sprach doch viel von . . ,,a die er sich von seiner Weltreise mitgebracht habe119. Plener meinte, er gebe viel Geld aus für Sammlungen etc.120
Baron Moritz von Ditfurth, Militärhistoriker
12. Juli 1899 К 2, U 3, 384 г
Erzherzog Franz Ferdinand ist unterrichteter, nicht gerade begabter als Erzherzog Otto. Er hat viel gelesen und gesehen. Erzherzog Otto interessiert sich sehr für Kavallerie und ihre Taktik. Selbst ein hervorragender Kavalleriegeneral zu werden ist sein Ehrgeiz.
Laurenz Müllner, Professor für Philosophie an der Universität Wien
13. Juli 1899 К 2, U 3, 384 г - 385 г
Als Müllner zum Professor ernannt wurde121, nahm er Audienz beim Kaiser. Dieser frug ihn, welchen Eindruck seine Ernennung in den kirchlichen Kreisen gemacht habe. Müllner sagte, er könne sich kein Urteil darüber erlauben, wohl aber wisse er, daß der Kardinal122 mit Dank erfüllt sei für das Wohlwollen, das der Kaiser durch seine Ernennung den philosophischen Studien erwiesen habe. Gautsch fragte Müllner später, was der Kaiser zu ihm gesagt habe, und war sehr erfreut über die Worte des Kaisers. Gautsch hatte nämlich, um die Ernennung Jodls durchsetzen zu können123, auch die seinige betrieben. Müllner höchst merkwürdig: Er habe es seltsam gefun119
120 121
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a
Zu Erzherzog Franz Ferdinands Weltreise vgl. Tagebuch meiner Reise um die Erde 1892-1893. 2 Bde. (Wien 1895-1896). 1895 zeigten sich bei Franz Ferdinand Symptome einer Lungenerkrankung, wahrscheinlich Tuberkulose. Vgl. S. 263 f. Laurenz Müllner, seit 1887 Professor für christliche Philosophie an der theologischen Fakultät der Universität Wien, war 1896 zum Professor für Philosophie an der philosophischen Fakultät ernannt worden. Kardinal Anton Josef Gruscha, Fürsterzbischof von Wien. Friedrich Jodl, seit 1885 Professor für Philosophie an der Universität Prag, war ebenfalls 1896 nach Wien berufen worden. Freilassung im Original.
13. Juli 1899
273
den, daß er ein Urteil über eine seiner Regierungshandlungen erwartet habe. Müllner erzählt mir, er habe einem jüdischen Kaufmann, der ihn fragte, ob er seine Kinder taufen lassen solle, abgeraten. Er machte Wahle keinen Gegenbesuch, weil sich dieser habe taufen lassen. Er verwirft den Übertritt und behauptet, das Judentum habe durch seinen reinen Monotheismus noch eine geistige Mission. Einer der Schüler Müllners erzählte diesem, der Kaiser habe bei Pater Abel die Exerzitien Loyolas mitgemacht. Am Schlüsse fragte ihn Pater Abel (es war also circa 1895), ob er hoffen könne, daß dem Zivilehegesetz die Sanktion verweigert werde124, und der Kaiser entgegnete, er müsse die Sanktion erteilen, es stehe ihm force majeure gegenüber. Pater Abel soll der Beichtvater werden. Der Kaiser kennt die Formen des katholischen Gottesdienstes so genau wie die des militärischen Dienstes. Zu den Gottesdiensten in der Hofburgkapelle werden als Hilfspriester die jungen Geistlichen aus dem Priesterseminar geschickt. Einmal bemerkte der Kaiser, einer derselben habe sich bei dem Gottesdienste einen Verstoß zuschulden kommen lassen, und er ließ darauf der Leitung des Seminars sagen, sie sollten ihm in die Hofburgkapelle Geistliche schicken, welche ihre religiösen Zeremonien genau kennten. Er wünscht wie ein Soldat eine kurze Messe. Burgpfarrer Schwetz, der sich bei der Wandlung in der Messe zu lange zu verweilen pflegte, war ihm nicht sehr angenehm. Der jetzige Zeremoniär ist Pater . . .,a ein gelehrter Herr, der sich mit den Studien orientalischer Sprachen beschäftigt und einfach durch Vorrückung zu seinem Amte gekommen war. Er nun war der Bräuche bei der Fronleichnamsprozession nicht ganz mächtig, und als der Zug in der Stephanskirche sich in Bewegung setzen sollte, war ihm unglücklicherweise entfallen, ob der Kaiser oder ob die Geistlichkeit voranschreiten solle. Eine plötzliche Verlegenheit befiel ihn, und so stockte der Zug. Der Kaiser merkte die Unsicherheit und rief im Kommandoton, so daß man es durch die ganze Kirche hörte: „Die Geistlichkeit voran!" Der Beichtvater des Kaisers ist Pater Laurenz Mayer, der wohl sehr nachsichtig ist. Pater Abel ist der Beichtvater mancher Erzherzogin.
124
Das ungarische Gesetz über die obligatorische Zivilehe erhielt am 9. 12. 1894 die königliche Sanktion. ° Freilassung im Original. Hof-Ceremonarius war Pater Carl Schnabl.
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Josef Maria Baernreither, Mitglied des Abgeordnetenhauses
Josef Maria Baernreither
Juli 1899 К 2, U 1,53 ν - 5 4 г
Karl Auersperg war einer der wenigen, der, wie Andrässy, dem Kaiser stolz und unabhängig entgegentrat. Aber er wollte ihm als Fürst imponieren, als Fürst dem Kaiser, und wie kann der Zehner das As stechen? Er war kräftig in Liebe und Haß. Adolf Auersperg wurde unterschätzt. Er besaß nur gar keine politische Bildung; hätte er sie besessen, so wäre er doch ein tüchtiger Staatsmann geworden. Auch Baernreither hat von mehreren Seiten den Ausspruch des Kaisers gehört: Der Tag der Rache an dieser Partei wird süß sein!125 Aber er hörte es von keinem Augenzeugen - Adolf Auersperg, [de] Pretis und noch ein dritter sollen dabeigewesen sein. Jedesmal machte der Erzählende die drohende Bewegung mit der Faust oder den Fäusten, die der Kaiser geballt haben soll. Baernreither findet, die Worte sähen dem Kaiser nicht ähnlich. Chlumecky hofft noch, eine große politische Rolle zu spielen. Deshalb wird er keine Mitteilungen machen wollen. Bei dem Ausgleiche zwischen Thun und Szell126 wirkte [er], so erzählte Chlumecky dem Dr. Baernreither, nur deshalb mit, weil der Kaiser ihn selbst berief. Er hatte eben die Reise nach Karlsbad vor, sagte zu Baernreither früher, er müsse sich beeilen abzureisen, um nicht in die Verhandlungen hineingezogen zu werden. Gegen seinen Wunsch also traf ihn, wie er behauptet, die Berufung zum Kaiser. Er sagte nun aus diesem Anlasse dem Kaiser, die Deutschen beklagten sich, daß sich der Kaiser von ihnen abwende. Der Kaiser nun deprezierte. Ich sagte zu Baernreither, daß ich nicht recht glauben könne, Chlumecky hätte so energisch geprochen. Baernreither gab zu, daß Zweifel gestattet seien; er, Baernreither, habe ähnliches übrigens auch dem Kaiser gesagt.
Hofrat Siegmund Exner, Professor für Physiologie an der Universität Wien
Juli 1899 К 2, U 1, 53 ν
Exners Frau ist die Tochter einer Schwester Alexander Bachs127. Alexander Bach war der älteste von etwa 14 Geschwistern. Sein jüngster Bruder war Heinrich, etwa 20 Jahre jünger als er, den er erzog wie einen Sohn und den 125
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127
Im Zusammenhang mit der Ablehnung der Okkupation Bosniens und des Wehrgesetzes 1878/79 durch die liberalen Deutschen. Auch der zwischen den Kabinetten Thun und Szell 1899 ausverhandelte Ausgleich erhielt nicht die parlamentarische Zustimmung in Osterreich. Vgl. zu Emilie Exner, die als Schriftstellerin unter dem Pseudonym Felicie Ewart veröf-
Juli
1899
275
er auch zum Universalerben einsetzte. Heinrich hat zwei Söhne, einen im Ministerium des Äußern (Ministerialsekretär); den anderen bei der Statthalterei in Niederösterreich. Von Exner sen.128 sind viele Briefe vorhanden, besonders an seine Frau. Aber natürlich wenige aus seiner Wiener Zeit, wo sie zusammen lebten. Viele aus der Zeit (40er Jahre), da sie in Prag blieb, während er durch Monate in Wien war.
Freiherr Alois Lexa von Aehrenthal, Botschafter in St. Petersburg
Juli 1899 К 2, U 1, 54 r, ν
Auf der Reise von Petersburg nach Gastein bleibt Aehrenthal zwei Tage in Wien und ladet mich zu sich ein. Er äußert sich zu meinem Befremden absprechend über Zar Nikolaus und Rußland. Er habe Rußland noch barbarischer gefunden als früher. Wittes Politik, den Massenexport von Getreide zu fordern, sei nicht glücklich, da unterdessen Millionen hungern und selbst Hungers sterben. Dieselbe Wirkung äußere auch die Goldwährung, die nicht aufrechterhalten werden könne. Aehrenthal findet, daß ein Land wie Rußland gemäß seiner despotischen Verfassung auch einen Herrscher wie Nikolaus I. und Alexander III. brauche, der den Despotismus seinem Wesen nach repräsentiere. Der „kleine Kaiser", wie er Nikolaus stets nennt, sei gar nicht ein Mann dieser Art. Er sei sehr wohlwollend, schwanke aber unbestimmt, ein Zeichen seiner Unsicherheit sei die Behandlung der Studenten. Jetzt seien alle höheren Schulen gesperrt, und die jungen Leute verlieren Monate des Studiums. In dem Erlasse, der den Konflikt zerhieb, tadelte Nikolaus die Polizei, die Professoren und die Studenten - kurz alle. Man sah kein Prinzip in den Dingen. Ebenso erstaunlich absprechend sprach Aehrenthal über die militärische Kraft Rußlands. Bacquehem stehe sehr gut mit Erzherzog Franz Ferdinand, er gelte deshalb als Mann der Zukunft. Man habe Bacquehem vorgeworfen, daß er sich in Graz feige benommen habe, er stand mit seinen Statthaltereiräten innerhalb eines dreifachen Spaliers von Soldaten129.
12B
129
fentlichte, den Nachruf Marie von Ebner-Eschenbachs in Biographisches Jahrbuch und Deutscher Nekrolog, hrsg. von Anton Bettelheim 14 (1909) 10-18 und Anton Bettelheim, Emilie Exner; in: ders., Biographenwege. Reden und Aufsätze (Berlin 1913) 49-62. Der Schul- und Universitätsreformer Franz Serafin Exner, Siegmund Exners Vater. Er war von 1831 bis 1848 Professor für Philosophie in Prag, arbeitete aber bereits ab 1845 in der Studienreformkommission und hielt sich dadurch viel in Wien auf. 1848 nahm er die Stelle eines wissenschaftlichen Beirates im Unterrichtsministerium an. Aehrenthals Kritik richtet sich gegen Bacquehems Verhalten während der Demonstrationen gegen die Badenischen Sprachenverordnungen.
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Adolf Schimmelpfeng, ehemaliger kurhessischer Geheimrat
Adolf Schimmelpfeng
Juli 1899 К 2, U 1, 54 ν ; U 3, 383 г
Beust, so versicherte er mir, machte den Kurhessen und wahrscheinlich auch den Hannoveranern keine Andeutungen über seine beabsichtigte Revanchepolitik. Das sei ja ganz richtig gewesen, denn was hätten die Kurhessen oder selbst die Hannoveraner ihm bieten und Österreich nützen können? Schimmelpfeng sagte auch, als er mit Beust sprach, dies zu diesem, es sei besser, es würden ihnen von der Aktion keine Mitteilungen gemacht. Übrigens, so behauptet er, war er ganz dagegen eingenommen, daß man sich mit Frankreich verbinde, um die Annexionen rückgängig zu machen. Eher schwebte ihm vor, daß, wenn Preußen durch Frankreich gefährdet sei, Österreich als Preis der Hilfe seinen Wiedereintritt in Deutschland [sich] ausbedingen solle, dann könnten auch die Fürsten wieder eingesetzt werden. König Georg ließ die äußeren Geschäfte mehr durch Meding als durch Platen führen130. Der letztere war unentschlossen, hatte keinen Kredit im Ausland. Meding wirkte auf den König, weil er die Gabe besaß, Menschen und Verhältnisse photographierend zu schildern, was Georg sehr angenehm war, da er blind war. Meding war aber abenteuerlich, selbstsüchtig, er weigerte sich, die Hannoveranische Legion in Frankreich aufzulösen, Münchhausen mußte nach Paris gesendet werden, um mit dem Aufwande größter Energie endlich die Auflösung durchzusetzen. Denn die Kosten wurden nachgerade unerschwinglich. Als Langrand-Dumonceau die „Wiener Bank" gründete131, kam er auch nach Prag, um den Kurfürst zu werben132. Dieser aber verhielt sich ableh130
131
132
Georg V., der letzte König von Hannover, ging 1866 zunächst ins Exil nach Wien-Hietzing. Oskar Meding, seit 1859 Pressereferent in Hannover, war von 1867 bis 1869 inoffizieller Gesandter des exilierten Königs in Frankreich. Er versuchte während dieser Zeit, eine Legion mit hannoveranischen Offizieren aufzubauen, die im erwarteten Krieg mit Preußen auf Seite Frankreichs kämpfen sollte; vgl. zu seiner Tätigkeit Oskar Meding, Memoiren zur Zeitgeschichte. 3 Bde. (Leipzig 1880-1884). Graf Adolf Ludwig Karl von Platen war von 1855 bis 1866 hannoveranischer Außenminister und begleitete ebenfalls den König ins Exil. Die von Graf Andre Langrand-Dumonceau, belgischem Bankier mit vom Papst verliehenem römischem Grafentitel, 1868 gegründete „Wiener Bank"sollte katholischen Interessen dienen und zugleich die Bestrebungen zur Wiedereinsetzung der 1866 abgesetzten deutschen Fürsten unterstützen. Sie brach bereits in der kleinen Krise 1869/70 zusammen und ging in der neugegründeten „Unionbank" auf. Auch der König von Hannover hatte in die Bank investiert. Vgl. Meding, Memoiren zur Zeitgeschichte. Bd. 3: Im Exil 382-415. Der hessische Kurfürst Friedrich Wilhelm I. hatte sich nach dem verlorenen Krieg von 1866 und der Entlassung aus preußischer Gefangenschaft auf seinen böhmischen Besitz zurückgezogen.
Oktober und November 1899
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nend. Es war Langrand nur um seinen Namen zu tun. Ein Stück Aberglaube war dabei, da auch die Rothschild durch die Verbindung mit Kurhessen reich geworden seien. Langrand verlangte, daß sich [der] Kurfürst nur mit 1.000 fl beteilige, und die könnten sicher in einem Tresor ruhen. [Der] Kurfürst lehnte ab. Auch Georg V war nicht dafür, und er erklärte, er willige nur ein, wenn Kaiser Franz Joseph seine Zustimmung ausspreche. Einmal nun nach einem Diner (Diner, wenn mich, Friedjung, das Gedächtnis nicht trügt) machte der Kaiser eine Äußerung, die nicht sehr bestimmt war, aber die so lautete, daß der König sagte: Dies genüge ihm, und er wolle es daraufhin wagen. Elster war der Finanzratgeber des Königs, der dann auch die Verantwortung trug, daß das Gold größtenteils verlorenging133. Darauf sagte der König, Elster sei für ihn tot, und er könne nur seiner Frau eine Pension zahlen. Elster lebt jetzt in Jena (jedenfalls in Thüringen) und hat sich durch seine Tüchtigkeit eine neue Existenz gegründet.
Freiherr Alois Lexa von Aehrenthal, Botschafter in St. Petersburg
Oktober und November 1899 К 2, U 3, 389 r-v; 386 r
Im Oktober kam Aehrenthal nach Wien und lud mich mit Pasetti und Jettel zum Sacher ein. Pasetti mehr fein als klar; ein kluger, weltmännisch auftretender Mann. Interessant war das Gespräch über den Orient. Ich warf, um die Meinung der Herren zu hören, die Bemerkung hin, in Serbien würde, falls die Familie Obrenovic aussterbe, das Eingreifen Österreichs notwendig sein. Als man beistimmte, meinte ich, es wäre wohl ein Abkommen mit Rußland, etwa mit Überlassung Konstantinopels an Rußland möglich; wir würden dann gegen das Agäische Meer vordringen. Darauf Pasetti lächelnd: Ich bin sehr für eine solche Ausdehnung Österreich-Ungarns nach Südosten eingenommen, jedoch ohne daß wir Konstantinopel den Russen überlassen. Aehrenthal dagegen setzte auseinander, daß ohne dieses Opfer eine aktive Politik ÖsterreichUngarns auf der Balkanhalbinsel nicht möglich sei. Seitdem Bulgarien ein eigener Staat sei, sei es für Österreich-Ungarn nicht gefahrlich, den Bosporus Rußland zu überlassen. Man dürfe nicht zu viel anstreben, wir hätten mit der Angliederung des Westens der Balkanhalbinsel ohnedies einen großen Erfolg und eine große Aufgabe. Als nun Jettel sich höchst pessimi133
Dr. Elster übernahm erst nach 1866 im Wiener Exil die Finanzgeschäfte des hannoveranischen Hofes, vor 1866 war er an der Gesandtschaft in Berlin tätig. Bei den erwähnten Verlusten handelt es sich entweder um die in die Wiener Bank investierten Gelder oder die für König Georg V. nicht günstigen Regelungen mit Preußen bezüglich der im Krieg 1866 nach London transferierten hannoveranischen Werte.
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Freiherr Alois Lexa von Aehrenthal
stisch äußert und zweifelt, ob Österreich-Ungarn noch die Lebenskraft zu so großen Unternehmungen habe, wendet sich Aehrenthal erregt, fast unhöflich gegen solchen Kleinmut. Ich habe ihn nie so schroff sprechen gehört. Sein ganzer österreichischer Patriotismus bäumt sich auf. Aehrenthal hatte den Tag vorher [mit] Pasetti meinen Aufsatz über Kälnoky gelesen134, und beide sprechen sich sehr anerkennend über die Arbeit aus. Pasetti hatte an einigen Stellen gemeint: „Hier wäre noch folgendes auszuführen", und alsbald zeigte es sich, daß ich im weiteren Verlaufe der Darstellung auch das besprochen hatte. Beide kehren sich gegen eine Stelle, in der ich Kalnoky Genialität abspreche und ihn darin mit Bismarck und Cavour zu seinen Ungunsten vergleiche135. Sie meinen beide, solcher Vergleich sei ungerecht. Die Aufgaben eines österreichischen Ministers seien ganz andere wie die [von Ministern] national geeinigter Staaten. Pasetti meint nicht ohne Feinheit: „Um in Osterreich erfolgreich zu wirken, bedürfe es eigentlich nicht so sehr der Genialität als nur des Taktes und der Weisheit, das nur nimmt sich dabei sehr bescheiden aus." Einige Tage darauf ging Aehrenthal nach Böhmen, einige Wochen Urlaub genießend. Er hatte im Frühjahr einen dreimonatlichen Urlaub erlauben [sie!], den er geteilt hatte, er war im Sommer in Gastein, im Herbst in Böhmen. Bei der Rückkehr erzählte er mir136, daß er einen Tag bei Fürst Karl Schwarzenberg gewesen sei, der sich jetzt ganz zurückgezogen habe. Ich vermute, daß diese Besprechung für die Zukunft von Wichtigkeit ist. Er beurteilt die Position Clarys ungünstig, er hält es für einen großen Fehler, daß er freiwillig auf den § 14 verzichtet habe. Haben ihm die deutschen Führer diesen Rat gegeben? Dann haben sie schlecht geraten. Übrigens habe der Kaiser die feste Absicht, nach Clary doch nur ein Beamtenministerium zu berufen. Den Namen des kommenden Ministerpräsidenten erklärt er nicht zu kennen. Von höchstem Interesse ist der Inhalt des Gesprächs, das er mit Eulenburg geführt hat. Eulenburg suchte ihn auf. Er ließ eine Äußerung fallen, welche so klang, als ob das Deutsche Reich sich in österreichische Verhältnisse einmi134
135
136
Es muß sich um das Manuskript oder einen Korrekturabzug gehandelt haben, da der Aufsatz erst 1900 erschien; vgl. Biographisches Jahrbuch und Deutscher Nekrolog, hrsg. von Anton Bettelheim 3 (1900) 359-380. Friedjung meinte (ebd. 368-369), „was eine genialere Natur an seiner Statt durchgesetzt hätte, bleibe dahin gestellt; ihm widerstrebte es aber, in der Politik auf das Spielerglück zu rechnen, das von Männern wie Bismarck oder Cavour nicht selten herausgefordert wurde", wobei jedoch in Österreich-Ungarn eine durchgreifende Politik weit schwieriger durchzusetzen sei als in geschlossenen Nationalstaaten. „In ÖsterreichUngarn dagegen muß besonnene Staatskunst mühsam dasjenige ersetzen, was dort durch die Schnellkraft nationaler Impulse geleistet wird. In all dem ist der Umfang wie die Grenze der Begabung Kälnokys aufs Deutlichste zu erkennen." Diese Passage wurde ohne Veränderung in den Neuabdruck in Historische Aufsätze 343 übernommen. Aehrenthal hatte Friedjung für den 26. 11. 1899 zu einem Gespräch gebeten; vgl. Aehrenthal an Friedjung, 22. 11. [1899], in HHStA, N L Friedjung, К 5.
1. und 12. November 1899
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sehen wolle. Aehrenthal fühlte sich in seiner patriotischen Empfindung verletzt und trat Eulenburg scharf entgegen. Er verwahrte sich gegen jeden Versuch Deutschlands, auf die innere Entwicklung Österreichs Einfluß üben zu wollen. Noch in der Erzählung klang der aufrichtige Unmut Aehrenthals durch. Ich hielt ihm entgegen, welche große Interessen für Deutschland bei der Slawisierung Österreichs im Spiele seien. Offenbar verfolge Bülow diese Entwicklung scharf und aufmerksam. Ich legte ihm dar, daß Münz mir gesagt habe, Bülow habe ihm nie über österreichische Verhältnisse gesprochen. Es gelang mir nicht, Aehrenthal zu einer milderen Auffassung zu bestimmen. In der Reichenberger Zeitung war im Juli eine Notiz erschienen, woraus Aehrenthals Einfluß auf [die] innere Politik erschienen war137. Durch Thorsch nun hatte ich erfahren, daß auch Ludwig Schlesinger sich zu ihm über Aehrenthal ausgesprochen habe. Darauf Aehrenthal: Ja, ich verlangte von Schlesinger eine Denkschrift ab, die ich bei meinen dem Kaiser gemachten Vorstellungen benützte 138 . Zu Aehrenthal ist noch nachzutragen: Als er und Pasetti über die Ursachen des Falles Kälnokys sprachen, ließ er zum ersten Mal die Bemerkung fallen, es sei ja möglich, daß Kalnoky den Kampf mit den Ungarn noch einmal aufgenommen hätte, wenn er des Kaisers sicher gewesen wäre. Aber freilich, meinte Aehrenthal, es sei eben nicht möglich, sich auf diese Stütze zu verlassen.
Hofrat Siegmund Exner, Professor für Physiologie an der Universität Wien und seine Gattin Emilie Exner 1. und 12. November 1899 К 2, U l , 196 r - 1 9 7 ν Sie machte mit Bach als junges Mädchen 1869 eine Reise nach Italien139. Staunenswert waren die Fülle von Kenntnissen über Geschichte, Heraldik, Volkskunde. Er sprach Italienisch wie ein Eingeborener. Jeder hielt ihn für einen Italiener. Eine Sprache zu erlernen war für ihn eine Kleinigkeit. Es sei 137
138
139
Reichenberger Zeitung. Organ fur die deutsch-nationale Partei in Böhmen v. 25. 7. 1899, 1, Politische Rundschau. Darin wird unter Bezug auf die letzten Audienzen Aehrenthals bei Kaiser Franz Joseph bemerkt, die Ansicht, er sei als kommender Mann der wahrscheinliche Nachfolger Graf Franz Thuns als Ministerpräsident, sei „vielleicht vorläufig noch nicht ganz zutreffen[d]", daß es aber eindeutige Anzeichen gebe, der Kaiser bespreche mit Aehrenthal nicht nur außen-, sondern auch innenpolitische Probleme, so vor allem die böhmische Frage. Vgl. den Brief Ludwig Schlesingers an Aehrenthal vom 1. 7. 1899; in: Briefe und Dokumente zur Geschichte der österreichisch-ungarischen Monarchie unter besonderer Berücksichtigung des böhmisch-mährischen Raumes. Teil 1: Der Verfassungstreue Großgrundbesitz 1880-1899, hrsg. von Ernst Rutkowski (München - Wien 1983) 702-706. Vgl. zu Emilie Exner, einer Nichte Alexander von Bachs, die als Schriftstellerin unter
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Siegmund und Emilie E x n e r
möglich, daß er Ungarisch und Böhmisch als Minister gelernt habe. Seine Aufnahmsfähigkeit [war] außerordentlich. Eine seiner Nichten zog nach Amerika und schickte ihm Zeitungen. Er begann sich für amerikanische Verhältnisse zu interessieren, und bald wurde er durch eifrige Studien so sehr der Verhältnisse kundig, daß es staunenswert war. So durchforschte er auch während einiger Jahre die ganze soziale Frage. Exner meint, daß er es schwer verwunden habe, daß er nicht ins Herrenhaus berufen wurde. Deshalb kandidierte er 1885140. Bis dahin war er äußerst zugeknöpft in allen politischen Fragen. Er äußerte sich nicht, und er wich jeder Erörterung aus. Offenbar rechnete er damit, daß er noch einmal hervortreten werde, deshalb seine Zurückhaltung. Dann erst, etwa in den letzten zehn Jahren seines Lebens, war er offener und sprach über religiöse und politische Verhältnisse. Exner und seine Frau halten ihn nicht für gläubig im dogmatischen Sinne. Sie leugnen, daß er in Wien in die Kirche gegangen sei. Auch der Kirchenbesuch in Unterwaltersdorf sei ihm oft unangenehm gewesen. Aber er tat es als Gutsbesitzer, um mit gutem Beispiele voranzugehen. Vor Heiligenbildern zog er den Hut ab. Aber die katholische Kirche imponierte ihm als Kirchengebäude von gewaltigem Gefüge, als Instrument, das zur Beherrschung der Geister geeignet sei. Er hielt den Katholizismus als bestes Mittel, um [die] Regierung auf sie zu stützen. Dabei hatte er eine Neigung zur Bibel, stets trug er ein kleines lateinisches Exemplar bei allen seinen Spaziergängen in der Tasche. Dieses Exemplar hat sich Hofrat Exner nach seinem Tode erbeten und besitzt es. Er sah in der Bibel das größte Gedicht. Aber von einer religiösen Erziehung im Hause kann nicht die Rede sein. Seine Mutter und seine Schwester waren katholisch im österreichischen Sinne. Sie gingen also sonntags in die Kirche, aber strenge waren sie nicht. Exner ist entschieden der Meinung, daß er doch nur Katholik im politischen Sinne war, allerdings ein Katholik mit liberalen Anschauungen. Denn als Exner einmal (doch schon in den letzten Jahren) davon sprach, wie schädlich das Zölibat für die Geistlichkeit sei, gab er das zu und sprach seine Anschauung aus, daß es wohl nicht lange werde aufrechterhalten werden. Bach war eine kalte, verschlossene Natur. Auch seinen Geschwistern eröffnete er sich nicht. Er hatte gerne ein volles Haus, Gäste aus seiner Familie erfreuten ihn, darin war er ein grand seigneur. Aber er stand mit ihnen nicht in einem näheren Verhältnisse, er hat sich kaum je mit einem seiner Verwandten ausgesprochen. Am ehesten noch mit seinem Bruder Eduard,
140
dem Pseudonym Felicie Ewart veröffentlichte, den Nachruf Marie von Ebner-Eschenbachs in Biographisches Jahrbuch und Deutscher Nekrolog, hrsg. von Anton Bettelheim 14 (1909) 10-18 und Anton Bettelheim, Emilie Exner; in: ders., Biographenwege. Reden und Aufsätze (Berlin 1913) 49-62. Freiherr Alexander von Bach bewarb sich 1885 um ein Reichsratsmandat in Salzburg (Städtekurie), scheiterte jedoch.
1. und 12. November 1899
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der ihm im Alter und nach seinen Erlebnissen am nächsten stand. Wahrscheinlich verhinderte ihn sein Stolz, seine Ansprüche auf Beachtung in der Öffentlichkeit zu erheben. Er verschloß alle seine bitteren Empfindungen in sich. Es war nach außen, als wenn er mit allem abgeschlossen hätte. Es verletzte ihn ohne Frage, daß der Kaiser ihn nie berief. Aber man hatte offenbar nicht den Mut, ihn ins Herrenhaus zu berufen. Denn sowie sein Name genannt wurde, erhob sich eine Flut des Hasses und des Schimpfes gegen ihn. Exner machte mich auf seine Schrift von 1886 aufmerksam 141 . Er übergab sie Exner mit den Worten: Sie enthalte seine Ansichten, nicht gerade in jeder Wendung, aber doch in allen wesentlichen Dingen. Skrejsovsky und Ciani waren damals oft bei ihm. Exner sagte einmal, 1877, als die russischen Soldaten hungerten wegen der Diebstähle der Intendanten 142 , das sei höchst verderblich für den Staat, darauf Bach: Solche Dinge kamen schon zu alten Zeiten vor, man denke nur an Athen - Rom. Doch an Korruption allein ist nie ein Staat verlorengegangen. Nach Exners Meinung war er ein Opportunist, gewiß nicht ein Mann von Grundsätzen. Er ergriff die Mittel zur Herrschaft, wie sie sich ihm boten. So hätte er wohl immer gehandelt. Ist Bismarck anders vorgegangen? Seine Kenntnis Österreichs war stupend. Er kannte alle Provinzen aus eigener Anschauung, durch seine vielen Reisen. In Italien war er zahllose Male. Er reiste nach alter Art, mit eigenem Wagen und stets so, nie mit der Eisenbahn. Allerdings sah er in dieser Weise außerordentlich viel. Er ließ nie seine Empfindungen merken, selbst nicht beim Tode seiner Mutter. Als Frau Exner zu ihm kam, fand sie ihn so ruhig wie je. a Er drang nur in seine Nichte zu bleiben, es war ihm peinlich, allein zu sein." Er war gewiß tief ergriffen, denn niemand stand ihm so nahe wie sie. Aber er sprach kein Wort von ihr und von dem Verlust. Er ging mit seiner Nichte spazieren und sprach nur von nichts Persönlichem. Seine Mutter war eine tüchtige Frau, ebenso wie deren Mutter, Frau Kroad. Diese Frau entlarvte ein Gespenst, einen italienischen Knecht, der in der Scheune die Komödie aufführte. Niemand wagte, in die Nähe zu kommen. Frau Kroad, eine alleinstehende Frau, ging mit [dem] Hausschlüssel auf das Gepenst los und prügelte es mit dem Schlüssel, bis der Knecht zu Füßen fiel und um Verzeihung bat. Die Mutter Bachs hatte vier Kinder, als sie mit ihrem Manne nach Wien zog. Aber obwohl sie im ganzen 14 Kinder hatte, lernte sie noch als verheiratete >4>
Programm zur Durchführung der nationalen Autonomie in Österreich. Separatdruck aus der Wochenschrift Der Parlamentär (Wien 1886). Friedjung schreibt, diese anonyme Schrift sei von Bach veranlaßt worden. Vgl. Österreich von 1848 bis 1860. Bd. 1, 479 Anm. 1. 142 Während des russisch-türkischen Krieges. a " Ergänzung.
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Leo Reinisch
Frau Klavier spielen, singen etc. Als Bach vor dem 13. März143 einen Augenblick zögerte, feuerte sie ihn an: Jetzt habe er die Suppe eingebrockt, nun müsse er sie ausessen. Sie war die einzige Person, die auf ihn Einfluß hatte, sie ließ sich auch von ihm nicht imponieren, so sehr er auch stieg. Sein Scharfsinn war sehr groß, auch in wissenschaftlichen Dingen, die ihm ferne lagen. Als der Bazillus der Tuberkulose entdeckt wurde, sprach Exner mit ihm davon. Was ist damit gewonnen? sagte Bach. Da so viele Menschen den Bazillus in sich aufnehmen, muß es doch die Disposition des Organismus sein, die wesentlich ist. Exner findet das sehr merkwürdig, denn ihm selbst fiel das nicht ein. In seinen politischen und historischen Gesprächen hatte er alles Wissen parat, er zog interessante Parallelen und umfaßte dabei Jahrhunderte. Frau Exner sagt, seine Briefe werden kaum sehr interessant sein. Denn er schrieb keine eigentlichen Reisebriefe, nur kurz. Indessen erinnerten seine Briefe zuletzt an die des alten Goethe. Derselbe gewundene Geheimratstil, dennoch kommt dann doch eine Stelle, die auffällt als Niederschlag von Lebensweisheit und Erfahrung. 12. November Exner und Frau wiederholen, daß Bach nach seiner Kandidatur gerne bereit gewesen wäre, mir Auskünfte zu geben, früher nicht. Dr. Winiwarter, 1848 im Frankfurter Parlament, könnte keine Auskunft geben, er ist alt und verloren, erinnert sich wohl an ältere Dinge, oft aber nicht, was gestern geschehen. Er ist Liberaler geblieben und war Bach daher immer fremder geworden. Bach fühlte sich gewiß auch von aristokratischen Formen angezogen, aber er wurde vom Adel doch als Parvenu betrachtet. Am ehesten verkehrte er noch mit dem italienischen Adel, der nicht so exklusiv und vorurteilsvoll ist. Frau Exner macht eine gute Bemerkung über die Selbstzucht und Selbstbeherrschung, welche die Aristokratie auszeichnet; sie äußert sich vor allem in den Formen, aber doch auch oft in besonderer Korrektheit der Empfindung. Exner macht mich auf Busch - Bismarck in Versailles aufmerksam144, wo Bach auch als Parvenu geschildert wird.
Leo Reinisch, Professor für ägyptische tumskunde an der Universität Wien
Sprache und Alter3. November 1899 К 2, U 6, 724 r-v
Reinisch lernte Bach 1867 kennen. Er kam zu Reinisch und bat ihn um Unterricht in ägyptischer Sprache. Er hielt das zuerst für Sport und nahm die 143 144
Der 13. März 1848. Unter den vielen Arbeiten des Journalisten Moritz Busch über Fürst Otto Bismarck ließ sich keine mit einem entsprechenden Titel feststellen.
3. November
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Sache sehr ernst, um Bach vielleicht bald abzuschütteln. Aber schon nach 14 Tagen sah er, daß Bach ebenso ernst arbeitete. Er hatte beim Anknüpfen der Bekanntschaft gesagt, es wäre ihm nicht angenehm, wenn er ins Kolleg gehen müßte. Er war sehr ausdauernd, stundenlang saß er arbeitend mit Reinisch zusammen. Als ich fragte, ob er doch nur Dilettant geblieben sei, wie Neumann sagte, antwortete er: Neumann sei selbst nur ein Dilettant, Bach war mehr. Er wurde so tüchtig, daß er ebensogut wie andere Ägyptologen Abhandlungen und Texte hätte veröffentlichen können. Sie lasen fast alle in den letzten Jahrzehnten veröffentlichten Texte zusammen. Wenn ihn Reinisch fragte, warum er manche seiner scharfsinnigen Beobachtungen etc. nicht publiziere, sagte er: „Ich möchte nicht den Anschein erwecken, als ob ich mir erst eine Position machen wollte." Syrisch konnte er besonders gut, soweit Reinisch es beurteilen kann, dessen Fach es nicht ist. Reinisch vermutet, daß sich doch unter seinen Papieren manche Studien finden müßten. In seiner Wohnung in der Praterstraße waren drei Zimmer mit Büchern, darunter viele kostbare Werke über orientalische Dinge. Reinisch weiß nicht, was [die] Familie damit gemacht hat. Bach war mit ihm offenherzig, stand ihm Rede, auch über seine Ansichten. Reinisch fand nicht, daß er damit früher zurückhaltender war. Er war gläubig, insbesondere hielt er an der Bibel fest. Seine Bibelstudien waren es, die ihn zu orientalischen Sprachstudien brachten. Er wollte in den Geist der Bibel vollständig eindringen. Und darin ging er immer weiter. Wenn ihn Reinisch fragte, ob es denn nicht besser gewesen wäre, schon früher, in den 50er Jahren, den Konstitutionalismus einzuführen, da sich damals wohl auch die Ungarn hätten einfügen lassen, so gestand er das ohne weiteres zu. Er begründete seine Haltung damit, daß der Hof und der Kaiser damals absolut nicht dafür zu gewinnen gewesen seien. Dies bekräftigte mir Reinisch stets. Offenbar besorgte Bach damals, daß doch nur die böhmischen Feudalen seine Erben geworden wären. Und doch wäre der Zentralismus nicht festgehalten worden. Er deutete an, daß der Kaiser eigensinnig war, und daß nur starke Erfahrungen ihn zu brechen vermöchten. So faßt übrigens Reinisch den Charakter des Kaisers auf. Dessen Eigenheit war, sich- nicht abraten zu lassen, wenn aber das Unheil hereinbrach, ließ er es dann dem Minister entgelten, daß es diesem nicht gelungen war, ihn zu überzeugen. Von dem 1886er Bach145 weiß Reinisch nichts. Als es in den 80er Jahren hieß, der Kaiser wolle ein katholisches Slawenreich aufrichten, meinte Bach, es sehe ihm ähnlich, daß er sich, durch irgendeinen Einfluß gewonnen, in [eine] solche Vorstellung hineinlebe und festhalte, bis ihn böse Erfahrungen abbringen. Die Torheit der Un145
Programm zur Durchführung der nationalen Autonomie in Österreich. Separatdruck aus der Wochenschrift Der Parlamentär (Wien 1886). Vgl. S. 281 Anm. 141.
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Leo Reinisch
garn sah er darin, daß sie geholfen hatten, Österreich zu schwächen. Wenn die beiden großen, einigen Staaten Deutschland und Rußland sich verbänden, so könnten sie Österreich teilen, Ungarn würde russisch werden. Nur ein einheitliches Österreich könne dieser Gefahr begegnen, zumal, wenn es als deutscher Staat mit Deutschland ein natürliches Bündnis schließe. Als Taaffe seine Mehrheit dirigierte, sagte er: Da sei freilich leicht zu dirigieren, er hätte geglaubt, daß ihm Männer mit zähen Ansichten gegenüberstehen würden. Er sprach vortrefflich, überzeugend, man hatte Mühe, seine eigenen Gründe nicht zu vergessen, die gegen seine trefflich vorgebrachte Meinung standhalten könnten.
Leo Reinisch, Professor für ägyptische tumskunde an der Universität Wien
Sprache und Alter13. November 1899 К 2, U 6, 725 r-v
Uber den böhmischen Adel urteilte Bach sehr ungünstig: „Es sind politische Analphabeten. Sie kennen weder die Geschichte, noch haben sie einen Ausblick in die Zukunft. Sie lassen sich lediglich von ihren Standesinteressen leiten. Es ist natürlich, daß sie sich auf Seite der Tschechen schlagen. Diese sind das kulturell tieferstehende Volk und lassen sich leichter von dem Adel beherrschen." Bach war nicht ein Gegner von Volksvertretungen. Er bewunderte die englischen Einrichtungen, aber er erklärte, sie seien auf Österreich mit seinen auf verschiedenen Kulturstufen stehenden Nationalitäten nicht anwendbar. In ungeschickten Händen seien parlamentarische Einrichtungen wie „ein Messer in der Hand eines Kindes", durch das es sich verwunde. Deshalb sei auch Schmerling nach Bachs Ansicht zu weit gegangen. Reinisch sagt: Er war ein deutscher Mann, ein guter Österreicher und religiös gesinnt. Ein deutscher Mann, betont Reinisch öfters. Es nimmt ihn gar nicht wunder, daß er 1870 auf Seiten Deutschlands gestanden sei, wie Heinrich Bach erzählt. In allen Nationalitätenfragen [habe er] stets gleiche Gesinnung ausgesprochen. Er hegte für die Zukunft die trübsten Befürchtungen: Österreich könne nur als Einheitsstaat bestehen. Zuerst hätten sich die Ungarn losgerissen, ganz gegen ihren Vorteil, da sie dadurch die Monarchie schwer geschädigt hätten. Und nun streben die anderen Nationalitäten ähnliches an. Dies könne nur zu schlimmem Ende fehlen [sie!]. Er ließ durchblicken, daß der Kaiser wohl für den Absolutismus, aber nicht gerade für den Zentralismus eingenommen war. Er lebte in der Anschauung, daß das Erreichte und Glückliche sein Verdienst sei, dagegen alles Mißgeschick Schuld der Minister. Er besitzt gar kein System. Wenn sich irgendeine Schwierigkeit einstellt, dann folgt er dem Rat desjenigen, der ihm
13. November
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über die Verlegenheit des Augenblicks hinweghilft. Dabei wird nicht beachtet, wie viel Großes und Wichtiges geschädigt wurde. Ein System besteht nicht, wohl aber werden so nebenbei Wünsche gegenüber dem Minister geäußert, und wenn er sie nicht erfüllen kann, tritt Verstimmung ein. Bei uns, so sagte Bach, könnte sich ein Bismarck kein Vierteljahr halten. Einflüsse, die sich stets kreuzen, würden ihn stürzen. Bach deutete an, daß die Zusammenkunft des Kaisers Franz Joseph mit Zar Nikolaus dem Absolutismus zum Siege verholfen habe146. Da war dann, wie er sagte, nichts zu machen. Bach war religiös, aber nicht dogmengläubig. Er sprach sich darüber mit Reinisch aus. Einmal sagte er, daß es eigentlich unziemlich wäre, von der unbefleckten [Empfängnis] Mariens zu sprechen. Einem Ungebildeten könne man allerdings alles glaublich machen, ein Einsichtiger würde aber durch solche Dogmen in seiner Empfindung verletzt. Auch gegen das Unfehlbarkeitsdogma sprach er sich aus. Er fand, daß die Kirche sich selbst dadurch schädige. Reinisch wußte nicht, daß Bach schon unter Belcredi entlassen wurde, und findet es deshalb doppelt auffallend, daß er zur Zeit des Bürgerministeriums annahm, vielleicht werde sich doch auf diesem Wege eine dauernde Ordnung herstellen lassen. Die Mitteilungen Reinisch' sind zum Teil sehr befremdend. Sie zeigen Bach als höchst vorurteilslos und korrekt. Ist Reinisch zu sehr für ihn eingenommen? Oder bewahrte sich Bach, während er zu den schlimmsten Regierungsmitteln griff, für sich die Freiheit der Anschauung? Welch ein Doppelleben! Allerdings ist das die schlimmste Verurteilung für ihn. Denn er handelte dann ganz gegen seine Grundsätze. Er beschäftigte sich viel mit der Geschichte des Urchristentums. Hier scheint er sich ein Bild des wahren Christentums geholt [zu] haben. Auch mit Konziliengeschichte eingehend. Auch sonst beschäftigte er sich mit theologischer Literatur. Bach sagte: Äußere Verhältnisse hätten ihn gestürzt. Die Politik während des Krimkrieges sei unklug gewesen. Man hätte sich entweder an Rußland oder an die Westmächte anschließen sollen. Das Schwanken war unklug. Das Anständigste wäre gewesen, sich direkt mit Rußland zu verständigen und zu verbinden. Es wäre durch eine kluge Politik möglich gewesen, Rumänien für Osterreich zu gewinnen. Wäre Rußland mit Österreich verbündet gewesen, hätte auch Napoleon 1859 nicht loszuschlagen gewagt.
146
Wahrscheinlich das Treffen in Olmütz im Mai 1851; vgl. Österreich von 1848 bis 1860. Bd. 1, 471.
Theophil Pisling
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Theophil Pisling, Regierungsrat Bureau des Außenministeriums
im
Literarischen November 1899 К 2, U 1, 204 ν
Ich befragte ihn nach Warrens, nach seinen Papieren etc. Pisling ist überzeugt, daß Warrens nichts hinterließ, er war schlampert, lebte nur für den Augenblick, dachte nie an das Gestern. Er hinterließ ein bedeutendes Vermögen, 800.000 fl seiner Frau und seinen Kindern, die er durch seine Heirat legitimierte. Für diese Kinder bestellte Warrens, wenn sich Pisling recht erinnert, seinen Freund Dr. Kubenik zum Vormund; Warrens hinterließ ihm testamentarisch die Wochenschrift147. Dieser Kubenik verkaufte sie an Goldschmidt und an Pisling. Als Goldschmidt starb, kaufte Pisling die Hälfte dessen Witwe ab. Warrens war circa 1865 ganz zugrunde gegangen und schrieb Artikel für die Presse. Dann wurde er wieder reich und war da ein bloßer Spieler. Von den Verhältnissen Warrens wird Speidel etwas wissen, der am Lloyd mitarbeite, und vielleicht auch Lecher. Lecher hat die Tochter Schwarzers zur Frau148.
F r a u Emilie Exner, Schriftstellerin
[November 1899] К 2, U 1, 203 ν - 204 г
Sagte mir, Bach sei nach Salzburg von seinem Freunde Wagner begleitet gewesen, einem Jugendfreund, dem Sohne eines Professors des Kirchenrechts, der nach Osterreich berufen worden war149. Ihre Tante Luise Kolisko ist jetzt (November [18]99) in Oberhollabrunn, wenn sie nach Wien zurückkehren werde, will Frau Exner sie besuchen und ihre Papiere durchstöbern. Wir lasen zusammen den Brief Bachs an Doblhoff mit der Wendung: Der Herr sei mit Dir, aber sie meinte, diese Wendung lag im Stile der Zeit150. Auch ihr Vater, der an nichts geglaubt hatte, schrieb an seine Braut in ähnlichen Wendungen. Auch Dr. Lederer stimmte dem bei, auch ihm komme es [so] vor. Irre ich nicht, so findet sich ähnliches bei Schmerling (vgl Arneth151). Nach dem Tode Bachs wurde von seinen beiden Schwestern, darunter Emilie, sehr viel von seinen Papieren verbrannt. Das geschah mit der größten Pietät und gewiß auf eine Bestimmung hin, die er selbst gegeben hatte. Das Vertrau147 148 149 150 151
Warrens' Wochenschrift für Politik und Volkswirtschaft, gegründet 1868. Der Journalist Zacharias Konrad Lecher war mit der Schriftstellerin Luise von Schwarzer verheiratet. Zu Alexander von Bachs Verhalten am 6. Oktober 1848 vgl. S. 305-308. Wohl der in Österreich von 1848 bis 1860. Bd. 1,490-491 gedruckte Brief vom 7.10.1848, in dem er Freiherrn Anton Doblhoff-Dier seine Demission als Justizminister mitteilt. Alfred Ritter von Arneth, Anton Ritter von Schmerling. Episoden aus seinem Leben. 1835. 1848-1849 (Prag - Wien - Leipzig 1895).
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November 1899
lichste wurde also verbrannt. Offenbar sondierte Bach genau unter seinen Papieren, was erhalten werden und was vernichtet werden sollte. Dr. Winiwarter wußte sich absolut nicht an den Brief Bachs an Doblhoff und an ihn zu erinnern 152 . Er hatte alle seine Papiere vernichtet. Was Frau Exner fand, war offenbar von ihrer Mutter beiseite gelegt worden. Sie betont wieder, daß Bach erst in den letzten zehn Jahren aufgeknöpfter war153.
Max von Gomperz, Verwaltungsratspräsident
der Creditanstalt
November 1899 К 2, U 1, 204 ν
Gomperz erzählt, er sei mit Bauernfeld einmal in Schönbrunn gewesen, da trafen sie Bach, der Bauernfeld mit Sie ansprach. Bauernfeld war mit Recht irritiert, indessen zu klug, um es nicht zu verwinden. Gomperz meint dann einlenkend, er wisse doch nicht recht, ob sich die Sache so verhielt, es scheint das eine Art Delikatesse bei dem alten Mann zu sein, der von Bach sehr anerkennend spricht und meint, man solle ähnliche Dinge doch nicht weitererzählen.
Moritz Lederer, Rechtsanwalt in Wien, geboren 1832
November 1899 К 2, U 6, 712 r-v
Auch Lederer hat davon gehört, daß Bach eigentlich im Grunde eine religiöse Ader gehabt habe, von Jugend auf. Wer ihm das gesagt habe, erinnert er sich nicht. Vielleicht war es Eitelberger. Dieser stand mit Bach in guten Beziehungen. Bach wollte ihn ins Ministerium ziehen, und Eitelberger schwankte. Es war, wie Lederer vermutungsweise sagt, wohl der Einfluß seiner ersten Frau, der Schwester Lederers, der ihn davon abhielt. Aber Eitelberger war Anfangs der 50er Jahre einige Zeit Mitarbeiter der Ostdeutschen Post, und als solcher hielt er mit Wissen Kurandas die Verbindung mit Bach aufrecht. Dieser hatte es wohl, wie Lederer meint, nicht ungern, daß eine Opposition existiere; denn er brauchte sie schon als Stütze gegen die Mi152
153
Der angebliche Brief an Winiwarter in Osterreich von 1848 bis 1860. Bd. 1, 491. Alexander Bachs jüngerer Bruder Heinrich stellte in einem Brief an Friedjung vom 5. 1. 1908 (WStLB, INr. 163.537) einige faktische Fehler richtig, darunter auch den Adressaten dieses Briefes. Bach schreibt, der Brief sei nicht an Winiwarter gerichtet gewesen, der sich nicht in Wien, sondern in Frankfurt befand, sondern an August Bach, der die Rechtsanwaltskanzlei leitete. Friedjung korrigierte darauf in späteren Auflagen (ζ. B. 4. Aufl. 1918, 493) auf „A. Bach an den Leiter seiner Advokaturskanzlei". Vgl. S. 280-282.
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Moritz Lederer
litärpartei, die er eindämmen wollte. Später, Mitte der 50er Jahre, schrieb Eitelberger einige politische Artikel in dem Warrensschen Lloyd, die viel Aufsehen machten. Bach sah dann in der Geistlichkeit seine Stütze, und da lebte er sich dann in den Katholizismus ein; und wer weiß, wie sich die Dinge dann machten. Er wollte vielleicht den Anschein erwecken, daß er sich treu geblieben sei. Lederer war 1848 16 Jahre alt; damals war er konservativ; er wünschte, Student zu sein, um den Ausschreitungen entgegenzutreten; er trug den halben Sommer aus Opposition einen Zylinderhut. Er ist denn auch durch Helferts 1848 stark influenziert154. Er betrachtet die Oktoberrevolution als eine Lächerlichkeit. Merkwürdig, wie die Springer-Helfertsche Auffassung siegreich geblieben ist. Vor 1848 hatte Bach Verbindungen mit den Bankierkreisen, die er dann nicht pflegte. So mit einem Bankier Mayer (nicht Stametz-Mayer). Ob er mit Joseph[ine] Wertheimstein viel verkehrte, weiß Lederer nicht. Max Gomperz darüber zu fragen155. Lederer hat wohl gehört, daß sich Cajetan Mayer und Lasser bereicherten, von Bach dagegen hat man es nie gehört. Er galt, als er 1848 Minister wurde, nach bürgerlichem Begriff für wohlhabend. Er hat nie ein großes Haus gemacht und als Botschafter gewiß erspart156. Lederer hat gehört, daß er 1,200.000 bis IV2 Millionen hinterließ. Hofrat Beyer wohnte eine Zeitlang mit Bauernfeld zusammen. Und zwar bevor dieser in die Weihburggasse zog. Dort hat Lederer sie besucht. Beyer war sprühend von Geist und Witz. Allerdings eine frivole Natur. Später trank er sehr viel, blieb bis 2 Uhr im Wirtshaus. Ein überlegener, durchgebildeter Geist und ein großer Arbeiter. Er war häßlich, hatte ein Kalmückengesicht, struppige schwarze Haare, eine hervorstehende Nase. Oft saß Lederer mit ihm zusammen157. Unter den Beamten sei auch Wehli zu nennen. Eine feine, vornehme Persönlichkeit, von bedeutender Bildung. Fidler sei nicht zu vergessen, der, bis er Sektionschef im Unterrichtsministerium war, in der inneren Verwaltung, so in Triest, tätig war158. Ihn hatte Stadion aus Triest mitgebracht.159 Später war er auch mit Moering in Triest. 164
Josef Alexander von Helfert, Geschichte Österreichs vom Ausgange des Wiener Oktober-Aufstandes 1848. 4 Bde. (Prag 1869-1886). Josephine Wertheimstein war eine Schwester Max v. Gomperz'. iss Freiherr Alexander von Bach war nach seiner Entlassung als Minister von 1859 bis 1865 Botschafter in Rom. 157 Vgl. Friedjungs Charakteristik von Hofrat Karl Beyer in Osterreich von 1848 bis 1860. Bd. 1, 349. 158 Karl Fidler war von 1849 bis 1865 im Innenministerium tätig, zuletzt als Chef der Presseleitung. Er kam aus Galizien, nicht Triest nach Wien, ging 1865 nach Triest und leitete die dortige Statthalterei 1870-1871. Unter Ministerpräsident Graf Karl Hohenwart kam er als Sektionschef ins Unterrichtsministerium. 159 Auch Graf Franz Stadion kam aus Galizien, wo er als Gouverneur seit 1847 tätig war, nach Wien. 155
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Frau Eitelberger, die zweite Frau, geborene Lott, lebt noch. Bei ihr zu fragen. Henriette Todesco war die Frau des dritten Bruders Todesco. Die beiden Moriz und a hatten das Bankhaus. Der dritte war Fabrikant und verlor dabei sein Geld. Die Brüder machten eine Familienstiftung, von deren Zinsen er lebte. Er war ein Tropf, und seine Frau, geistreich, lebenslustig, ging mit ihrem Galan durch. Dieser „plantierte" sie, sie heiratete dann den Fürsten Batthyäny 160 .
Wilhelm von Lucam, Vizegouverneur der Östereichisch-Ungarischen Bank i. P.
November 1899 К 2, U 6, 714 г - 7 1 5 ν
Humoristisch, natürlich, fast zu höflich, nicht Würde, sondern Natur. Er trat 1841 in die Bank. Er ist aus einer alten Wiener Familie, sein Vetter war Hofrat im Finanzministerium unter Bruck. Er lernte Bach im Leseverein kennen 161 , wo er eine Hauptperson war. Am 13. März war Lucam unter denen, welche auf den Balkon des Lesevereins traten, als Studenten vorüberzogen162. Sie sangen die Volkshymne. Die Herren oben sangen sie mit, aber sie kannten nur den alten Text, Gott erhalte den Kaiser Franz. Lucam lachte noch und sagte: Wenn das die Marseillaise der Studenten ist, steht's gut. Bach war 1848 wohlhabend, auch Lucam hat nicht gehört, daß er sich bereicherte. Aber er legte offenbar sein Geld gut an. Er stand ja im Mittelpunkte. Anders Cajetan Mayer, er hat sich beim Verkauf der Staatsbahnen bereichert163. Man sagte, daß, als er aus dem Ministerium trat, das ihn belastende Faszikel fehlte. Auch Lasser ist verdächtig. Schon bei der Emission der Rudolfslose164. Und auch später. Lasser präsidierte der Sitzung, als man nach 1873 die Boden-Creditanstalt sanierte 165 . Als die Direktoren der Ban160
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a
Henriette (Henny) Gumpel, die Gattin des jüngsten Bruders Max Todesco, heiratete 1857 in zweiter Ehe Fürst Edmund Batthyäny-Strattmann. Der 1841 gegründete Juridisch-politische Leseverein". Vgl. zu den Vorgängen am 13. 3. 1848 Friedjungs Darstellung in Österreich von 1848 bis 1860. Bd. 1, 19-25. Im April 1854 erfolgte der Beschluß, zur Sanierung des Budgets die Staatseisenbahnen zu verkaufen. Wahrscheinlich die Lotterieanleihe von 1860, die in drei Emissionen 1860, 1862 und 1863 ausgegeben wurde. Im Herbst 1873 gerieten die Boden-Credit-Anstalt und deren Tochtergesellschaft Wiener Bank-Verein in ernste Schwierigkeiten. Das Finanzministerium trat darauf am 2. 11. 1873 an die Creditanstalt und die Bankhäuser Rothschild und Wodianer heran, die zur Sanierung der beiden Banken 20 Millionen Gulden bereitstellten. Vgl. Erich Achterberg, Dramatische Geschichte einer Bank (I); in: Zeitschrift für das gesamte Kreditwesen 12 (1959) 222-223. Freilassung im Original. Gemeint ist Eduard Todesco.
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Wilhelm von Lucam
ken sagten, es möge der Verwaltungsrat der Boden-Creditanstalt einspringen, die Schuld seien, hob Lasser die Hände empor und sagte beschwichtigend: Die haben ja selbst alles verloren. Ich bitte Sie, sagte Lucam zu mir, die Habers!!166 hätten alles verloren. Philipp Krauss war ein ruhiger, einfacher Mann, es war nicht viel an ihm. Und Baumgartner, sein Nachfolger! Der hatte keine Ahnung von dem Geldwesen. Er war Professor der Physik gewesen, dann Direktor der (wenn ich nicht irre) Tabakfabrik. Als Lucam einmal bei ihm war, korrigierte der Finanzminister gerade eine Auflage seines Lehrbuches der Physik. Dann Bruck. Er war ein erster Stern als Handelsminister, aber als Finanzminister war er leichtsinnig. Bruck war eine imponierende Erscheinung. Groß, blond. Er sprach ruhig, einnehmend, war faszinierend. Aber sein Unglück waren seine Freunde, die ihn mißbrauchten. So Eskeles, der ein gebildeter Mann war, aber ein Spieler. Sein Vater sagte: Daniel ist ein guter Kaufmann, aber ein Spieler! Als Lucam einmal zu ihm kam, als er im Bett lag, las er den Horaz. Eskeles nun spekulierte auf das Sinken der Valuta und verlor alles. Bruck bewirkte, daß seinetwegen das Gesetz über den Ausgleich gegeben wurde167. Ja, noch mehr, er verlangte, daß die Bank ihm beispringe. Pipitz war bereit, aber Lucam widersprach, und, wenn ich mich recht erinnere, er drohte mit seinem Rücktritte. Bruck war nun eine Persönlichkeit, die sich durch Gründe bestimmen ließ. Wenn es nicht gehe, gehe es nicht. Bruck war ein Kaufmann, von einem Platze, wo Geldgewinn eins und alles war. Lucam weiß nicht, ob er sich bereicherte, ob er überhaupt Vermögen zurückließ. Aber ohne Frage war er viel zu nachsichtig gegen seine Freunde. So auch gegen Revoltella. Weshalb er sich tötete, weiß Lucam nicht. Ob aus Besorgnis vor der Möglichkeit, daß das Strafgericht, zu dem er als Zeuge vorgeladen war, gegen ihn vorgehe168? Ob ihn diese Möglichkeit erschreckt habe? Jedenfalls sah ihn Lucam am Abend der Nacht, in der er sich tötete, selbst im Theater. Es sei möglich, daß sich die Sache mit der Audienz beim Kaiser so zutrug, wie ich sie ihm erzählte169. Denn der Kaiser spricht oft freundlich
Der Großindustrielle Louis Haber von Linsberg war u. a. an der Gründung der Creditanstalt und der Boden-Credit-Anstalt beteiligt. 167 Reichsgesetzblatt für das Kaiserthum Österreich 1859, XXV. Stück v. 19. 5. 1859. Das Wiener Bankhaus Arnstein und Eskeles, zu dem Freiherr Karl Ludwig von Bruck enge Verbindungen hatte, war kurz zuvor zahlungsunfähig geworden. к» Freiherr Karl Ludwig von Bruck beging am 23. 4. 1860 Selbstmord, nachdem er wenige Tage zuvor vom Untersuchungsrichter zu den Vorgängen um die Überschreitung der Nationalanleihe von 1854 sowie die Korruption bei den Kriegslieferungen befragt worden war und am 22. April seine Entlassung als Finanz minister erhalten hatte. 169 Am 21. April, am Tag nach seiner Einvernahme, hatte Bruck eine Audienz beim Kaiser, um ihm über die gerichtliche Befragung zu berichten. Vgl. Richard Charmatz, Minister Freiherr von Bruck. Der Vorkämpfer Mitteleuropas. Sein Lebensgang und seine Denkschriften (Leipzig 1916) 141. Charmatz erhielt für sein Buch zahlreiche Informationen von Friedjung.
166
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mit Ministern, die schon zum Falle bestimmt sind. Ob aus Bequemlichkeit, um ihnen nicht selbst etwas Unangenehmes sagen zu müssen? Bruck ließ sich durch Gründe überzeugen. Einmal verlangte er, daß die Bank Devisen der Frankfurter Rothschild belehne. Lucam fand, daß die Bedingungen ungünstig seien. Bruck ließ ihn rufen, und Lucam setzte ihm die Sache auseinander. Er fand es dann ganz in Ordnung. Pipitz war ursprünglich bei Kolowrat gewesen. Er war bis 1848 dessen rechte Hand; „ich war bei ihm, was Sie sind, Generalsekretär." Kurz vor 1848 wurde er Staatsrat. Später Bankgouverneur. Er war ein Absolutist, vertrug keinen Widerspruch. Seine Begabung und Bildung überragten nicht das Mittelmaß. Mit Lucams Vorgänger Salzmann stand er nicht gut, weil dieser ihm manche Dinge zur Unterschrift vorlegte, die er nicht mit ihm besprochen hatte. Lucam war klüger und gewann sein Vertrauen. Pipitz machte der Generalversammlung Berichte, die stilistisch oft ungeheuerlich waren. Er ließ sie von Lucam korrigieren, später von ihm entwerfen. Moser, dessen Nachfolger, war eine Polizeinatur, boshaft, demütig nach oben, eine abstoßende Persönlichkeit. Bruck schloß mit der Nationalbank 1858 den bekannten Vertrag betreffend Barzahlungen170. Lucam war damals schwer krank, Vertrag [wurde] ohne ihn abgeschlossen. Diese hätten auch dann nicht aufgenommen werden können, wenn der Krieg von 1859 nicht ausgebrochen wäre. Denn der Staat gab der Bank nicht Silber, sondern Papiere, so der Südbahn, welche später immer prolongiert werden mußten etc. Lucam sagte damals, der Staat behandle die Bank, wie wenn man einem Hungernden statt Brotes, nach dem er verlangt, ein Fernrohr schenkt, mit dem er in der Entfernung von 30 Meilen die schönsten Speisen sieht. Die Bank brauchte Silber, und das war nicht zu umgehen. Der Staat hätte ein Silberanlehen aufnehmen sollen. Als nun die Barzahlungen eröffnet werden sollten, stürzte alles zur Bank. Da meinte Bruck zu Lucam, ob man denn mit [den] Auszahlungen nicht zögern könne: Der Kassier könne sich ja krank melden, könne zu Mittag essen gehen. Da zeigte ihm Lucam, wie kleinlich und unwirksam dieses Mittel sei. Kurz, Bruck war leichtsinnig, als Finanzminister nicht an seinem Platze. Er hatte auch keinen tüchtigen Gehilfen. Brentano, der früher Kaufmann gewesen war, war ein Pedant. Es ist merkwürdig, daß Kaufleute, die Beamte werden, dann noch bureaukratischer werden als Beamte. Auch später hatte das Finanzministerium keine besonders fähigen Leute. Lucam kann nur zwei nennen: Schwabe von Waisenfreund und Niebauer. Ich glaube noch einen dritten. Geyringer sei eine Null, Gruber fleißig, zuverlässig, 170
Mit kaiserlicher Verordnung vom 30. 8. 1858 wurde die österreichische Nationalbank veranlaßt, spätestens am 1. 11. 1858 die Barzahlungen aufzunehmen. Die bereits im September aufgenommenen Barzahlungen mußten jedoch trotz einer staatlichen Stützung vom 26. 12. 1858 im April 1859 wieder eingestellt werden.
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Wilhelm von Lucam
seine Arbeiten eine Pracht, aber sowie er Vorschläge mache, sei er nicht auf der Höhe der Situation. Lucam lobte Dunajewski, Bilinski aber [sei] ein „Hochverräter", der die wichtigsten Interessen preisgegeben habe. Als Belcredi Minister wurde, wurde Lucam in die Villa Metternichs (?) berufen, wo er Belcredi, Mensdorff und Esterhäzy traf. Man bot ihm das Finanzministerium an. Aber er hatte keine Lust dazu, den Erzherzögen Besuche zu machen und stets auf Herbeischaffung von Geld zu denken, die Hauptaufgabe eines Finanzministers. Er erklärte, daß er sich nicht genügende Kenntnisse zutraue. Damals sagte ihm Mensdorff, es werde notwendig sein, Geld zur Bestellung neuer Gewehre herbeizuschaffen, denn die preußischen Gewehre überträfen die österreichischen. Als er ablehnte, fragte man ihn, was er von Becke halte171. Lucam, dem es gleichgültig war, wer Finanzminister werde, erwiderte, er sei begabt und kenntnisreich. Larisch wurde Finanzminister. Als Lucam das erste Mal bei ihm vorsprach, machte ihm dieser Vorwürfe, weshalb er nicht angenommen habe. Er, Larisch, verstehe ja nichts von den Geschäften. Indessen, so meinte Lucam, verstand er es sehr wohl, für sich ein Branntweinsteuergesetz zu schaffen172. Von den 50[er] bis zu den 70er Jahren bestand im Hotel Mansch173 eine Gesellschaft, an deren Spitze Hofrat Englisch stand, später . . ,a Dieser sagte ihm, Taaffe hätte daran gedacht, ihm das Finanzministerium anzubieten. Bach war ein Absolutist, durchgreifend. Von ihm ging die Idee des Nationalanlehens aus174. Eines Tages las die Bankleitung in der Zeitung, daß eigene Belehnungsanstalten in Kassen etc. eröffnet werden würden, um das Nationalanlehen zu beleihen. Sie hatten keine Ahnung davon und mußten schleunig diese Anstalt errichten. Das ist charakteristisch für Bach. Die Errichtung der Hypothekenabteilung der Bank war verkehrt. Sie ging, wenn ich nicht irre, auch von Bruck aus. Man wollte nämlich der Bank Silber verschaffen. Statt aber zum Beispiel ihr Aktienkapital vermehren zu lassen, griff man zu diesem Mittel. Natürlich wurde dabei ihr Geld festgerannt. Für Lucam war Bruck „der Gegner", denn er stellte stets verderbliche Anforderungen an die Bank. Bruck hinterließ mehrere Söhne, Baron Constantin Bruck lebt noch175. 171
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Sektionschef Freiherr Franz von Becke wurde erst nach der Entlassung Graf Richard Belcredis Finanzminister (7. 3.-24. 12. 1867). Graf Johann Larisch-Moennich, Finanzminister im Kabinett Belcredi (1865-1867) besaß große Besitzungen in Schlesien. Das am 1. 2. 1866 in Kraft getretene Branntweinsteuergesetz begünstigte durch die pauschalierte Besteuerung die Erzeuger und war auf Druck des Großgrundbesitzes erlassen worden. Wahrscheinlich die Tischgesellschaft im Hotel Matschakerhof in der Spiegelgasse. Die im Juni 1854 ausgeschriebene Nationalanleihe, die als Zwangsanleihe konzipiert war. Die daraus getätigten Ausgaben überschritten den Erlös um 100 Mill. Gulden. Von Freiherr Karl Ludwig von Brucks vier Söhnen lebten 1899 noch drei, der 1866 geborene Constantin war dagegen ein Enkel Brucks. Freilassung im Original.
November 1899
Ludwig Doczi, Leiter des Literarischen im Außenministerium
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Bureaus November 1899 К 2, U 2, 327 r-v
Als ich fragte, was er gemeint habe, als er sagte, [der] Kaiser und Andrässy seien durch eine tiefe Kluft getrennt gewesen, sagt Doczi: Nun, Andrässy war ein Genie, während der Kaiser ein Bureaukrat ist, der Mann der Kompetenzen. Der Kaiser hat sehr gute Gaben, aber er ist „ein geprügelter Knabe". Er hat so viel Unglück erlebt, daß er sich nichts zutraut. Und doch hat er ein merkwürdig klares Urteil, er geht bei jedem Vortrag, der ihm gehalten wird, auf den Kern der Sache ein. Als es 1878 zur Vorlage des 60 Mill. Kredits kam, da erschrak der Kaiser über die schwere parlamentarische Verwicklung, die sich ergab176. Er fürchtete, daß der Kredit nicht bewilligt werde, und daß Österreich-Ungarn gegenüber Rußland in seinen Ansprüchen wehrlos sein würde. Dazu kam, daß Hofmann, diese Bedenkennatur, sich plötzlich gegen Andrässy wandte und meinte, die Opposition habe mit ihren konstitutionellen Bedenken recht. Und er war der erste Sektionschef. Doczi irrt, er war damals gemeinsamer Finanzminister 177 . Andrässy war betroffen über diesen Zweifel und Widerstand und schrieb seine Entlassung. Doczi selbst war beauftragt, sie zu schreiben. Andrässy wurde zum Kaiser berufen, und als er zurückkehrte, sah Doczi, daß er verweint war und dicke Backen hatte. Andrässy ließ Doczi rufen und sagte ihm: „Mit dem Kaiser kann man nicht fertig werden. Er hielt mir das Entlassungsgesuch entgegen und sagte: Hab' ich das um Sie verdient?" Andrässy war durch die Herzlichkeit des Tones tief ergriffen, und beide brachen in Tränen aus. Dagegen weiß Doczi nichts aus eigener Kenntnis über Andrässys Rücktritt. Er war damals nicht in Wien. Teschenberg aber erzählte ihm, daß die Militärs, besonders Beck, im Ministerrat Vorwürfe erhoben, daß die Okkupation Bosniens nicht genügend vorbereitet, die Schwierigkeit unterschätzt worden sei. Philippovic brachte Andrässy das Wort mit der Musikbande auf178. Eigentlich haben ihn die Zeitungen, besonders Neues Wiener Tagblatt gestürzt, weil sie nach dem Unfall vor Maglaj die furchtbarsten Berichte brachten 179 . Von militärischer Seite wurde eine großartige Mobilisierung beantragt, der Andräs176
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Außenminister Graf Gyula Andrässy hatte einen außerordentlichen Kredit von 60 Mill. Gulden beantragt, der in der österreichischen Delegation im März 1878 erst nach heftigen Debatten mit 39 zu 20 Stimmen angenommen wurde, wobei die Herrenhausmitglieder den Ausschlag zugunsten der Annahme gaben. Freiherr Leopold von Hofmann war von 1876 bis 1880 gemeinsamer Finanzminister, zuvor war er seit 1867 Sektionschef im Außenministerium. Außenminister Graf Gyula Andrässy soll Mitte Juli 1878 auf die Forderungen der Militärs nach umfassenden Mobilisierungen geantwortet haben, er traue sich, die Okkupation mit einer Kompanie Husaren und einer Musikbande durchzufuhren. Am 2. 8. 1878 wurde in der bosnischen Bezirksstadt Maglaj ein Husareneskadron von Freischärlern überfallen.
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Marquis Olivier Bacquehem
sy widersprach. Er behauptete, daß diese Massen von Truppen gar nicht nach Bosnien hineingingen, und tatsächlich wurden sie auch nicht hingeführt. Aber er wurde überstimmt und fühlte sich tief verletzt.
Marquis Olivier Bacquehem, Mitglied des Herrenhauses
November 1899 К 2, U 3, 390 г
Als Taaffe starb, bestellte er Steinbach zum Vormund seines Sohnes. Der junge Taaffe fragte Bacquehem, was er mit den Papieren seines Vaters machen sollte180, und dieser sagte ihm, er solle sich mit Steinbach darüber ins Einvernehmen setzen. Auf dessen Rat wurden die Schreiben des Kaisers an Taaffe an die Kabinettskanzlei des Kaisers gegeben und dort, wie Bacquehem glaubt, vernichtet (?). Indessen hielt sich Bacquehem später in Ellischau181 auf und sah dort noch Briefe des Kaisers unter anderem aus der Zeit des Bürgerministeriums und Vorträge Taaffes, aus denen hervorgeht, daß Taaffe über die Beschlüsse des Ministerrates damals spezielle Vorberichte machte, um den Kaiser privatim zu informieren etc. „Es sind Dinge da", sagte Bacquehem, „die man nicht einmal in den Mund nehmen darf."8 Ich fragte Bacquehem, ob er mit Koerber, Minister des Innern, sprechen wolle, um mir das Archiv bezüglich des Bachschen Systems zu eröffnen182. Er sagte es zu und meinte, es könne ja ein Beamter bestellt werden, um zu sehen, was mir überlassen werden dürfe. Als Bacquehem Minister des Innern war, wünschte Helfert die Akten bezüglich der Tätigkeit Leo Thuns als Statthalter Böhmens 1848. Die Akten wurden herausgesucht und zuerst an Franz Thun, damals Statthalter Böhmens, gesendet, ob er eine Einwendung zu erheben habe. Da dies nicht geschah, konnte Helfert seine Studien machen.
Joseph Unger, Präsident des Reichsgerichtes
November 1899 К 2, U 1, 23 r - 24 r
Er lud mich zu sich ein; fein, milde, etwas müde, geistreich, mit aufblitzenden feinen Bemerkungen. Er besuchte Bach zweimal in Rom183. Er thronte Vgl. Der politische Nachlaß des Grafen Eduard Taaffe, hrsg. von Arthur Skedl (Wien u. a. 1922). 181 Besitz der Grafen Taaffe in Böhmen. 182 Friedjung konnte für sein Österreich von 1848 bis 1860 unter anderem den im Archiv des Innenministeriums, heute Allgemeines Verwaltungsarchiv, verwahrten Nachlaß Alexander Bachs einsehen. 183 Freiherr Alexander von Bach war von 1859 bis 1865 Botschafter in Rom. " Randbemerkung: Taaffes literarischer Nachlaß. 180
November 1899
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im Palazzo di Venezia, etwas hochmütig. Keinen guten Eindruck, etwas verzogenes Kinn. Joseph Unger läßt seine Beteiligung 1848 gerne in den Schatten treten. Schon als Gymnasiast las er 1847 die Allgemeine Zeitung, daher etwas politische Schulung. Er ließ sich ungern in die politische Bewegung hereinziehen. Auch er sprach gegen das Preßgesetz Pillersdorfs und gehörte zu den Juristen, die gewählt wurden, um ein neues auszuarbeiten184. Uber seine Beteiligung an den Maitagen verweist er auf Reschauer (Smets), die ihn offenbar interviewt haben185. Am 18. Mai verließ er Wien und ging nach Frankfurt, wo er den Verhandlungen oft beiwohnte. Von Schmerling, zumal von seinem Charakter, spricht er mit hoher Achtung. Er gewinne durch das Buch Arneths186. Aber, so sagte er, Amerling hätte ihn für das Herrenhaus nicht mit einem Buche malen sollen; das widersprach doch den Lebensgewohnheiten Schmerlings. Im Herrenhaus könne nur ein Adeliger Führer einer Partei sein. Schmerling war, wenn auch kein Grundbesitzer, so doch Landstand vor 1848. Als Fürst Schönburg davon sprach, Unger solle den Vorsitz der Partei im Herrenhause annehmen187, erklärte er, er trete sofort aus, wenn die Wahl ihn treffe; nur ein Mitglied des hohen Adels könne die Stellung einnehmen. Unger weiß nichts davon, daß das Bürgerministerium aus Rücksicht auf die äußere Politik von Beust geschaffen und bekämpft wurde. Ach, sagte Unger, ich versichere Sie, ein gewöhnlicher Minister erfährt nichts von der äußeren Politik. Auch uns ist es so ergangen. Herbst bezeichnet er für das Unglück der Partei. Als der Berliner Vertrag geschlossen war, hatte er bereits seine Demission gegeben (ich glaube im Mai 1878). Er hatte mit dem Kaiser verabredet, daß er im Herbst austreten solle. Er hob hervor, daß er als Minister ohne Portefeuille keinen rechten Wirkungskreis habe. Im Ministerrat nun machte er darauf aufmerksam, daß der Vertrag vor die Parlamente gehöre. Da meinte [de] Pretis, der stets etwas selbstbewußt war: So viel Einfluß habe er auf die Verfassungspartei, um zu verhindern, daß sie dies fordere. Aber er irrte sich. Nun handelte es sich um die Vertretung des Vertrags. Glaser erklärte, er beschäftige sich nur mit seinem Ressort. Und so mußte Unger die Vertretung überneh184
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Das am 31. 3. 1848 erlassene provisorische Pressegesetz wurde bereits einen Tag später nach scharfen Protesten vor allem der Studenten der Wiener Universität wieder zurückgezogen. Zur Ausarbeitung eines neuen Entwurfes setzten die Studenten eine Juristenkommission ein. Vgl. Das Jahr 1848. Geschichte der Revolution. 1. Bd. von Heinrich Reschauer, 2. Bd. von Moritz Smets (Wien 1872). Zu Joseph Unger und die Ereignisse um den 15. Mai 1848 vgl. Bd. 2, 181-202. Alfred Ritter von Arneth, Anton Ritter von Schmerling. Episoden aus seinem Leben. 1835. 1848-49 (Prag - Wien - Leipzig 1895). Joseph Unger gehörte seit 1868 dem Herrenhaus an.
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Emil Jettel von Ettenach
men188. Da hörte er nun den Vorwurf Sturms, daß er sich ans Portefeuille klammere. Und das war, wie gesagt, ganz ungerecht. Als ich ihm sagte, ich hätte die Idee, die Geschichte nach 1866 zu schreiben, fragte er mich, halb verwundert, was mich an dieser Geschichte denn interessiere. Ich würde ja nach dem Geleisteten, meinte er scherzhaft, schwer mit mir konkurrieren können. Ich antwortete: Mich interessieren die Charaktere und dann die Entstehung der Institutionen. Von diesen Institutionen war dann die Rede. Die Grundrechte, so weit Waser Referent war, wurden eigentlich von Unger und Glaser auf den Spaziergängen festgestellt, die sie mit Waser in Ischl (wenn ich nicht irre) machten. So auch besonders der Passus über das Reichsgericht. Wir sprachen auch von den Landesstatuten. Und da hob er hervor, daß Cajetan Mayer Hauptunterbreiter daran war, mit Perthaler. Als ich nun meinte, ich würde allerdings keine Quellen für meine Darstellung finden, sagte er gleichfalls zweifelnd: Ich weiß in der Tat nicht, woher Sie die Quellen nehmen würden. Ein Scherz: Er stellt Napoleon über alles, er sei Bismarck, Moltke und Bacquehem in einer Person gewesen. Unger erzählt, daß schon im Sommer 1878 [der] Kaiser mit Taaffe einig über die Zukunft gewesen sei. Davon wußten die Minister aber nichts. Taaffe kam mit Clam-Martinic damals im Palais Salm zusammen.
Emil Jettel von Ettenach, Sektionsrat im Außenministerium
November 1899 К 2, U 3, 357 г
War früher im bosnischen Departement, als Hofmann die Grundzüge der Verwaltung Bosniens zu entwerfen hatte189. Departementschef war Krauss, Sohn des Ministers. Er ist sehr krank und lebt in Pension entweder in Brixen bei Guggenberg190 oder in Wien. Da er im Gedankenkreis der 50er Jahre aufgewachsen war, nahm er die 1853-Organisation Bachs zur Grundlage der Organisation Bosniens. Jettel sagt, es war höchst anerkennenswert, wie klar und durchsichtig diese Bachschen Gesetze waren.
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Dem Berliner Vertrag wurde am 27. 1. 1879 nach heftiger Debatte im Abgeordnetenhaus die verfassungsmäßige Zustimmung gegeben. Das Kabinett hatte den Vertrag entgegen ihrer ursprünglichen Absicht - am 4. 11. 1878 als Regierungsvorlage im Haus eingebracht, war jedoch der Meinung, das Parlament hätte den Vertrag lediglich zur Kenntnis zu nehmen. Emil Jettel von Ettenach war von 1879 bis 1882 dem Bureau für die ständigen Angelegenheiten der okkupierten Provinzen zugeteilt. Der Arzt Otto von Guggenberg leitete eine von ihm selbst 1890 gegründete Kneippheilanstalt in Brixen (Südtirol).
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5. Dezember 1899
Rudolf Sieghart, Ministerialsekretär im Ministerratspräsidium
November 1899 К 2, U 3, 388 r, ν
Im November sagte ihm Koerber, daß er persönlich niemals den Artikel 14 auf den ungarischen Ausgleich anwenden würde. Er habe nicht die Absicht, sich für später unmöglich zu machen. Sieghart wurde von Clary mit der Aufgabe betraut, den Entwurf eines Sprachengesetzes vorzubereiten. Nach der Ansicht Pleners hätte dieser Entwurf gleichzeitig mit der Aufhebung der Sprachenverordnungen vorgelegt werden sollen. Sieghart hat wochenlang daran gearbeitet und zeigte mir die Einleitung, die bereits in der Staatsdruckerei in Druck ist. Auch er hält Clary nicht für haltbar, die Aufhebung der Sprachenverordnungen kostet aber ein Ministerium 191 . Gautsch und Koerber stünden in Frage. Der letztere sei kenntnisreicher, aber ihm fehle wohl der Mut. Er freilich traue sich, wie Koerber ihm sagte, zu, daß er in einem definitiven Ministerium den Ausgleich in Böhmen zustande bringen könne. Wie Sieghart meint, hege Chlumecky im Inneren den Wunsch, an die Spitze zu treten. Er habe sich bei Sieghart darüber beklagt, daß ihm die Deutschen mit Mißtrauen begegnen.
Ludwig Doczi, Leiter des Literarischen im Außenministerium
Bureaus 5. Dezember 1899 К 2, U 3, 387 r-v
Am Tage nach der Debatte im Delegationsausschuß, in der Kramär und Stränsky Goluchowski heftig angegriffen hatten. Doczi ist ziemlich aufgeregt. Die Tschechen, auch Abgeordneter Schneider, wenn ich nicht irre, hätten ihn in der Debatte heftig angegriffen, und förmlich seine Amovierung verlangt 192 . Es sei anzunehmen, daß sie diese Anklagen im Plenum wiederholen würden. Er hätte es mit Recht für klüger gehalten, nicht zur Sitzung zu erscheinen, um sich nicht persönlichen Beschimpfungen auszusetzen, für die er sich keine Satisfaktion holen könnte. Er spricht über die hier und da bestehende Vermutung, daß er dem Grafen Goluchowski die Exposes arbeite. Er lehnt das ab, mit der Motivierung, er bilde sich ein, doch besser zu 191
192
Das am 2. 10. 1899 gebildete provisorische Ministerium Graf Manfred Clary-Aldringen hob die Badenischen Sprachenverordnungen auf. Die geplanten Verhandlungen über ein Sprachengesetz scheiterten jedoch an der parlamentarischen Obstruktion, worauf das Kabinett am 21. Dezember zurücktrat. In der Sitzung des Budgetausschusses der österreichischen Delegation am 4. 12. 1899 kam der Voranschlag des Außenministeriums zur Beratung. Außer den beiden tschechischen Abgeordneten Karel Kramär und Adolf Stränsky übte kein Redner Kritik an der Außenpolitik Graf Agenor Goluchowskis.
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Ludwig Döczi
schreiben als Goluchowski. Dieser glaube als Grand Seigneur, daß, wenn er eine bereits oft gebrauchte Redensart anwende, sie in seinem Munde neu klinge. Die Wahrheit sei, daß Goluchowski die Exposes fast immer selbst und zwar auf seinem Gute in Skielo ausarbeite und fertig mitbringe. Auf Milan kommend, meint er, dessen Anwesenheit in Serbien sei notwendig, um die Herrschaft seines Sohnes aufrechtzuerhalten 193 . Das sei einer der Hauptgründe seiner Rückkehr gewesen. Für uns wäre die Verjagung der Obrenovic sehr unwillkommen, wir müßten sonst einmarschieren. Diese Worte sprach er bereits im Weggehen, da sein Wagen auf ihn wartete. Als ich lebhaft einstimmte, aber meinte, es wäre schließlich nicht so unwillkommen, wenn wir Serbien besetzten, war er über meine Zustimmung erfreut und sagte mit seiner gewöhnlichen Lebhaftigkeit: „Das muß ich Ihnen näher auseinandersetzen; habe ich Ihnen denn nie mein Orientprogramm entwickelt? Kommen Sie rasch mit mir!" Und er begann bereits im Vorzimmer, während ihm der Diener in den Rock half, seine phantastischen Pläne darzulegen. Er war damit zu Ende, als wir die Treppen hinabgestiegen waren und er den Fuß auf den Wagentritt setzte. „Sehen Sie, ich bin dafür, daß wir die Selbständigkeit der Balkanstaaten fördern, so weit, daß sie die Grenzen sehen, bis zu denen ihr Ehrgeiz reichen kann. Dann sollte in einem geeigneten Zeitpunkte eine allgemeine Erhebung gegen den Sultan stattfinden und der ganze Balkan mit Konstantinopel zu einer Konföderation organisiert werden. Die Hauptstadt des Bundes hätte in [Konstantinopel] zu sein, das ein Freistaat sein sollte, mit einer Besatzung, gemischt aus den Kontingenten aller Balkanstaaten. Da Bosnien nicht annektiert ist, so wäre Österreich ein Glied des Bundes und nähme Teil an der Besatzung. Da nun hinter diesem österreichischen Kontingent eine Armee von einer Million stünde, so wäre Österreich-Ungarn eigentlich Herr des Bosporus. Schließlich, ich vergesse beinahe in der Eile das Wichtigste", jetzt machte er schon den Wagenschlag auf, „müßte dafür gesorgt werden, daß auch die asiatische Seite der Dardanellen in sicheren Händen wäre, um sie wirklich sperren zu können. Deshalb müßte Kleinasien in die Hände der Engländer kommen." Ich war verblüfft, hatte aber nicht Zeit, die bescheidene Zwischenfrage zu stellen, was denn Rußland zu dieser Verteilung der Welt sagen würde. Denn schon schloß Doczi, einsteigend, mit dem Abfeuern einer letzten Rakete: „Sehen Sie, zur Zeit des armenischen Aufstandes 194 wäre es Zeit gewesen, diese Entwürfe auszuführen, aber freilich, Kalnoky wollte nichts davon hören." Das glaube [ich], dachte ich im stillen, mich bei dem Gedanken belustigend, was dieser nüchterne Minister zu solchen Phantasmen gesagt hätte. Ich war, als 193
194
Exkönig Milan war zunächst 1894/95 und wiederum von 1897 bis 1900 aus dem Exil nach Serbien zurückgekehrt. Von Jänner 1898 bis zu seinem endgültigen Exil im Juli 1900 war er Oberbefehlshaber der serbischen Armee. Die Unruhen in Armenien 1894 wurden von der Pforte brutal unterdrückt.
5. Dezember 1899
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wir uns eiligst trennten, höchst belustigt über diese bunten Bilder; doch sagte ich mir, wie seltsam es sei, daß ein Kopf mit so lustigen Plänen den österreichisch-ungarischen Minister des Äußern berate.
Emil Jettel von Ettenach, Sektionsrat im Außenministerium
5. Dezember 1899 К 2, U 3, 387 ν - 388 г
Zufällig hatte ich noch mit Jettel zu sprechen. Als ich ihm mein Gespräch mit Doczi erzählte195, meinte er ganz richtig: In einem Lustspiel sind diese Dinge ja ganz [gut] möglich, wer möchte aber solche Politik treiben oder verteidigen! Ich kam zu Jettel, um ihn zu bitten, mich mit Wolfarth zusammenzubringen. Mit Wolfarth! rief er aus, der mir den Platz zum Hofrat versitzt. Er ist 76 Jahre und will nicht gehen. Und so bin ich 55 Jahre und noch nicht Hofrat.3 Wolfarth, so erfuhr ich, arbeite nicht mehr viel, habe auch kein gutes Konzept, aber er fühlt sich ganz frisch und wohl. Er sei aufgeweckt, lebhaft. Als er Kreishauptmann in Galizien war, wurde er von dem Vater Goluchowskis amoviert, und so läßt ihn sein Sohn, um es gutzumachen, jetzt im Amte, so lange es ihn freut. Jettel erzählt von den Anfängen seiner bureaukratischen Laufbahn. Er war von 1879 an im bosnischen Bureau unter Hofmann. Hofmann war frivol und faul, aber sehr geschickt in den Expedients und von großer Erfahrung. Zu einer ernsten Arbeit war er unfähig. Sein Departementschef war Krauss, ebenso frivol und faul und gegen Hofmann eigentlich sehr undankbar. Denn obwohl er ihm viel verdankte, war es Krauss, der den Kaiser über die Unmöglichkeit aufklärte, durch Hofmann Bosnien organisieren zu lassen. Und so war er einer der Miturheber des Falles Hofmanns.196 Szlävy nun ließ Krauss zuerst gewähren, erkannte jedoch sehr bald seine Hohlheit und beauftragte Jettel mit wichtigen Arbeiten mit der Motivierung: Krauss werde ja ohnedies nicht dazukommen. So geriet Jettel oft zwischen Szlävy und Krauss in eine schwierige Lage. Krauss war es, der bei der Organisation Bosniens auf die Bachsche Organisation von 1853 als Muster hinwies. Kailay nun wollte, daß Jettel im bosnischen Bureau weiterarbeite, aber er zog es vor, ins auswärtige Amt zu treten. Welch eine Torheit, meinte er. Denn Isankiewicz197, den ei195
Vgl. S. 297-299. Freiherr Leopold von Hofmann wurde am 8. 4. 1880 durch Jözsef von Szlävy als gemeinsamer Finanzminister abgelöst. 197 Wahrscheinlich der Sektionschef im gemeinsamen Finanzministerium a. D. Maximilian Jansekowitsch. " Randbemerkung: Er ist aber erst 53 Jahre alt, 1846 geboren. 196
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Emilie Exner
gentlich er ausgebildet hatte und der unter ihm diente, ist bereits Sektionschef, der Vorgänger bekanntlich des Sektionschefs Horowitz.
Emilie Exner, Schriftstellerin
6. Dezember 1899 К 2, U 1, 194 г - 195 г
Sie erklärt" es für unmöglich, daß sie ihre Erinnerungen an Bach niederschreibe198; es müßten so viele Schatten in ihre Schilderung hineinkommen, daß sie es nicht über sich brächte, bei ihrer Anhänglichkeit an Bach. Sie reiste 1869 mit Bach nach der Schweiz, dann über den Mont Cenis, durch den noch nicht die Bahn ging, nach Genua, dann durchquerten sie Korsika von Ajaccio über Corti nach Bastia. In Ajaccio wurde man aufmerksam auf ihn, der Gouverneur machte ihm einen Besuch, führte ihn durch Spitäler, Gefängnisse etc. Bach war nicht darauf gefaßt, es war ihm auch unlieb, daß er überall als offizielle Persönlichkeit empfing [sie!]. Denn er reiste nur mit einem Handkoffer, stets im grauen Rock; auch sie hatte nur einen Handkoffer. Von Korsika nach Florenz, hier, sie waren schon mehr als zwei Monate vom Hause weg, machte er ihr den Vorschlag, zur Eröffnung des Suez-Kanals zu reisen. Sie aber hatte den Mut nicht, so lange vom Hause ferne zu bleiben und mit dem seltsamen Mann noch zwei Monate zu reisen. Es wäre wohl auch nicht angegangen, daß er zu den Festen ohne Toilette gereist wäre. Er hätte den Kaiser und sehr viele Bekannte getroffen. Trotz des langen Zusammenseins zu zweien blieben sie sich doch fremd. Denn Bach hatte keine Ahnung von dem, was ein junges Mädchen an Schonung in Strapazen, an Rücksicht, selbst an Schutz bedürfe. Sie konnte also auch allein durch eine Stadt streifen; einmal verirrte sie sich und kehrte mit einem Wagen heim. Er war und blieb kalt und verschlossen über die Vorgänge seines Inneren. Er selbst hatte keine Bedürfnisse, konnte einen Tag ohne rechtes Essen verbringen; er dachte nicht daran, ob es ihr auch möglich sei. So fuhren sie nach einem kurzen Frühstückskaffee einmal über den Gardasee, auf dem Schiffe war wieder nur Kaffee zu bekommen, und so schleppte er sie den ganzen Tag über bis nach Mailand, wo sie des Abends zum Diner ankamen. Sie war mehr tot als lebendig, aber er hielt es für selbstverständlich, daß sie sich noch zum Diner ankleide. Er hatte keine Empfindung für ihre Lage. Sie mußte sich daran gewöhnen, sorgte also bei 198
a
Vgl. zu Emilie Exner, einer Nichte Alexander von Bachs, die als Schriftstellerin unter dem Pseudonym Felicie Ewart veröffentlichte, den Nachruf Marie von Ebner-Eschenbachs in Biographisches Jahrbuch und Deutscher Nekrolog, hrsg. von Anton Bettelheim 14 (1909) 10-18 und Anton Bettelheim, Emilie Exner; in: ders., Biographenwege. Reden und Aufsätze (Berlin 1913) 49-62. Korrigiert von hält.
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6. Dezember 1899
solchen Touren für Mundvorrat für sich, und wenn Heimweh über sie kam, machte sie sich das mit sich aus. Daher ihre Furcht, mit ihm nach Suez zu gehen. Er hatte niemals die Empfindung für das, was in anderen vorging, aber er erkannte und durchschaute jeden nach seinem inneren Gehalte und vor allem, ob und wozu er sie brauchen könne. So wohl auch bei der Auswahl seiner Beamten. Dabei aber gewann sie ungemein viel durch ihn; denn seine starke Intelligenz, sein imponierendes Wissen ersetzten vielfach die Mängel seines Gemüts und lassen die Zeit der Reise für sie eine unvergeßliche Erinnerung sein. Sein Andenken ist für sie doch von hohem Wert, daß sie einem Manne von seinem Scharfblick überhaupt so nahegekommen sei. Sie war seine Lieblingsnichte. Es rührte sie, wenn sie sah, wenn der alte Mann stets bemüht war zu lernen. In Waltersdorf199 lernte er von jedem Menschen, bis zu den armen alten Frauen herunter. Er nahm von ihnen alles in sich auf zu seiner Belehrung, so Kenntnis der Landwirtschaft, Behandlung der Kühe etc. Auf Reisen war er in allem Praktischen ein unvergleichlicher Marschall, was Ausnützung der Zeit, was Benützung aller Kommunikation, Wahl der Gasthöfe betraf. Aber er war ganz bedürfnislos. In Ravenna wohnten sie zwei Tage in einem elenden Gasthause, denn die Stadt war damals noch wenig besucht. Er merkte es kaum, so groß war sein Interesse an der Stadt. Er besaß eine weise Sparsamkeit, organisierte in diesem Sinne alles auf seiner Besitzung. Natürlich war man, als er ein Greis sei [sie!], milder gegen ihn und seine Eigenheiten - man sah über vieles hinweg - und erfreute sich an seiner erstaunlichen geistigen Rüstigkeit. In seiner Familie kümmerte er sich nicht um Kleinigkeiten, aber in wichtigen Dingen setzte er mit seinem festen Willen alles durch. Sein Charakter wie der seiner Brüder scheint ganz nach der Mutter geartet zu sein, die auch eine feste, aber kühle Natur war. Ihre Söhne erbten auch ihre Begabung. August Bach war hochbegabt; er hatte eine starke Anlage zum Zeichnen und Malen. Er hätte sich gerne in der Jugend der Kunst gewidmet; seine Mutter aber drängte ihn zu dem Berufe eines Juristen. Auch Heinrich Bach hat eine Intelligenz über dem Durchschnitt, aber zur psychologischen Beobachtung, auch seines Bruders, wenig Talent und Neigung. Er interessiert sich eigentlich nur für Musik. Die Töchter aber gerieten, wie es scheint, nach dem Vater. Mit Ausnahme Emmas waren sie geistig nicht hervorragend, aber gütig. Bach, der Vater, soll eine heitere, liebenswürdige Natur gewesen sein. Die Familie Bach, der Großvater Bachs, stammt aus Schwaben. Dessen Bruder gründete die Sparkasse von OberHollabrunn, die ein Kulturzentrum ist, ein Spital etc. errichtete. 3 Die Fami199
Gut der Familie Bach in Niederösterreich. " Der letzte Satz am Rand mit einem Fragezeichen
kommentiert.
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Zacharias Konrad Lecher
lie Kroad stammt aus Ödenburg; der Großvater Bachs war ein wohlhabender Landwirt bäuerlichen Charakters. Bach trug 1848 einen Schnurrbart, den er sich dann rasieren ließ. Frau Exner erinnert sich an ihn als bartlos. Dann brachte er einen Winter in Neapel zu und ließ sich da einen Vollbart wachsen. Es machte ihm Spaß, daß ihn die Leute nicht erkannten.
Zacharias Conrad Lecher, Journalist
7. Dezember 1899 К 2, U l , 195 v; U 6, 718 r-v
Er ist [der] Schwiegersohn Schwarzers200. Schwarzer ist der Sohn eines Offiziers und wurde zu Fulnik in Mähren auf dem Marsche geboren. Er war einige Zeit Sekretär des böhmischen Gewerbevereins, dann Redakteur des Lloyd in Triest (mit Löwenthal). Hier machte er die Bekanntschaft Brucks. Sie kamen sich näher, auch durch ihre Liebesgeschichten. Sie waren große Frauenfreunde, stets in Verhältnisse verstrickt. Bruck hatte ein Verhältnis mit einer Schwägerin, das, wie Lecher andeutet, nicht ohne Folgen blieb; Schwarzer erwies ihm irgendeinen großen Dienst, der ihn aus schwerer Verlegenheit rettete. Schwarzer wurde dann in Sachen der Uberlandspost verwendet, reiste in der Sache und wurde hierbei mit Metternich bekannt, mit dem er oft in der Sache konferierte201. Er war in Wien, als die Revolution ausbrach. Er gründete die Donau, an der auch Jellinek mitarbeitete202. Er prophezeite diesem, er werde einmal gehängt werden, so heftig schrieb er. Als er zurücktrat, und Bruck Minister wurde203, erneuerten sich die Beziehungen. Schwarzer war unaufhörlich in Geldverlegenheiten, alle vier bis fünf Jahre ruiniert. In einer dieser Lagen benützte ihn Bruck zu einer Mission, er hatte Kroatien und einen Teil des Balkan zu bereisen und über den ottomanischen Staat einen Bericht zu erstatten. Schwarzer wußte nicht zu welchem Zwecke. Schließlich stellte sich heraus, daß Bruck den Ausbau von Eisenbahnen auf der Balkan200
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Der Journalist Zacharias Konrad Lecher war mit der Schriftstellerin Luise von Schwarzer verheiratet. Ernst von Schwarzer arbeitete Mitte der 1840er Jahre am Projekt einer deutsch-ostindischen Überseepost und machte dafür unter anderem drei Weltreisen. Die von Ernst von Schwarzer als Gegenpol zur Augsburger Allgemeinen Zeitung gegründete Donau erschien nur vom 2. 1. bis 30. 9. 1855. Der Journalist Hermann Jellinek war bereits am 23. 11. 1848 wegen seiner radikalen Artikel in Wien hingerichtet worden. Er schrieb allerdings in der von Schwarzer vom 2. April bis 16. Oktober 1848 herausgegebenen Österreichischen Zeitung, seit 13. April Allgemeine Österreichische Zeitung, die aus dem Österreichischen Beobachter (von Schwarzer aufgekauft) hervorgegangen war. Ernst von Schwarzer war vom 18. 7. bis 23. 9. 1848 Minister für öffentliche Arbeiten, Freiherr Karl von Bruck vom 21. 11. 1848 bis 23. 5. 1851 Handels- und vom 10. 3. 1855 bis 23. 4. 1860 Finanzminister.
7. Dezember
1899
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halbinsel ins Auge gefaßt hatte. Das Projekt wurde durch Jahre erwogen, betrieben, aber schon etwa ein Jahr vor Ausbruch des Krieges von 1859 verhinderte Napoleon III. die Finanzierung in Paris. Schwarzer starb 1860. Vor dem Kriege von 1859 beriefen Bruck und Kempen mehrere Journalisten, um zu bewirken, daß auf die öffentliche Meinung in patriotischem Sinne gewirkt werde. Darauf erzählt Lecher das Gespräch etwa so wie im Rogge204, ich ergänzte es vor ihm: Ganz richtig, sagte er. So erzählte Schwarzer es mir, als er sich von Bruck entfernte. Über [die] Ursache [von] Brucks Selbstmord205 hatte Lecher nur unklare Vorstellungen; es sei wegen der Überschreitung des Nationalanlehens geschehen. Lechers Charakteristik der persönlichen Erscheinung Bachs ist ganz interessant. Er besaß einen Kopf, der zu groß war für seine eher kleine als mittlere Gestalt, eine Stirne, welche durch ihre Größe den Eindruck eines Wasserkopfes hervorrief. Sein Gesicht hatte etwas Verschobenes, es glich einer Statue, die eine Ohrfeige erhalten hat. Dazu sein etwas schielender Blick. Der Eindruck war entschieden unangenehm. Mit Kempen stand Bach nicht gut. Wahrscheinlich wegen des Kampfes um Kompetenz, aber auch weil Kempen ein abgesagter Feind der Geistlichkeit war und diese ärgerte, wo er konnte. In Wien lebte damals Dr. Joelson, der Sohn eines reichen Advokaten, des ersten Juden, der Advokat geworden war, ob vor oder nach der Taufe weiß Lecher nicht206. Dieser hinterließ ein für seine Zeit großes Vermögen, vielleicht 3-4 Millionen. Joelson war ein Verschwender, der es ganz durchbrachte. Er bezog bloß eine kleine Rente, die ihm ein Fürst Esterhäzy wegen alter Verpflichtungen aussetzte. Joelson ist der Vater des späteren Generals. Dieser Dr. Joelson war 1848 nahe daran, Vertreter Österreichs in Madrid zu werden (?), man sagte aber, er wolle Botschafter in Paris werden (?). 1848 hatte er noch Geld. Bald darauf war es verschwendet. Er schrieb nun in verschiedenen Zeitungen; wie Lecher versichert, benützte ihn Kempen dazu, um in auswärtigen Zeitungen alle Skandalgeschichten, von denen die Polizei Kenntnis erhielt, zu veröffentlichen. Lecher war 1870 in der Redaktion der Presse. Damals war das Blatt (unter Dreger) Organ des auswärtigen Amtes und schlug die Chancen Frankreichs, besonders seiner Flotte, sehr hoch an. Tuvora war sein Mitarbeiter. 204
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In Walter Rogge, Österreich von Vilägos bis zur Gegenwart. 3 Bde. (Leipzig - Wien 1872-1873) findet sich kein Hinweis auf ein derartiges Treffen, auch in den veröffentlichten Tagebüchern des Freiherrn Johann von Kempen-Fichtenstamm ist davon nichts zu finden; vgl. Das Tagebuch des Polizeiministers Kempen von 1848 bis 1859, eingel. u. hrsg. von Josef Karl Mayr (Wien - Leipzig 1931). Vgl. zum Selbstmord Freiherr Karl Ludwig von Brucks am 23. 4. 1860 S. 290 Anm. 168. Der 1817 nobilitierte Karl Raphael von Joelson war der erste jüdische Dr. iur. in Österreich, ließ sich jedoch 1798, bereits nach seiner Promotion, taufen. Vgl. Hanns JägerSunstenau, Die geadelten Judenfamilien im vormärzlichen Wien, phil. Diss. (Wien 1950)139-140.
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Zacharias Konrad Lecher
Lecher gab sich alle Mühe, Dreger und Tuvora zu überzeugen, daß diese Hoffnungen auf die französische Flotte unbegründet seien. Als Lecher die Nachricht von der Niederlage der Franzosen bei Weißenburg mit fetten Lettern gab, war Dreger außer sich; er fürchtete, seine Stelle zu verlieren. So französisch war man im auswärtigen Dienste. Plötzlich, nach Wörth 207 , kam der Umschlag. Etwa fünf Tage danach kam Falke ins Bureau - Lecher war allein anwesend - und brachte einen von ihm geschriebenen Artikel, in dem die Niederlage Frankreichs und der baldige Sturz der Dynastie prophezeit war. Lecher war sehr erstaunt und sagte: Nun, da die Handschrift von Ihnen ist, kann ich den Artikel ja ohne weiteres bringen208. Alle Welt war erstaunt, das auswärtige Amt ließ den Artikel in seinem Blatte veröffentlichen, um später sagen zu können, Osterreich sei ja nicht auf Seiten Frankreichs gewesen, indessen war das, wie gesagt, nach Wörth. Tuvora blieb in seinem Inneren stets Demokrat und Nihilist, wie auch Schwarzer eigentlich „Anarchist" war, der seine Überzeugungen zum Teil aus Max Stirner 209 geschöpft hatte. Schwarzer war mit Bruno Bauer210 und seiner Schule persönlich befreundet und suchte sie auf, wenn er nach Deutschland kam. Warrens war ein Spieler, dem es oft mehr ums Spiel als ums Gewinnen zu tun war. In den letzten Jahren war ihm alles gleichgültig, er ging ganz im Essen und Genuß der Weiber auf. Häfner war in den 60er Jahren Korrespondent der Presse, besonders in wirtschaftlich-finanziellen Dingen. Ein kluger Mann, der nach der Amnestie auch die Redaktion besuchte. Nach Lechers Ansicht ist es nicht richtig, wenn Smets schreibt, er sei ein Polizeiagent Napoleons gewesen211; auch Etienne, der ein Spionenriecher war, stellte es in Abrede. Von den Pariser Emigranten scheint nur Engländer ein Polizeiagent gewesen zu sein. Er hatte in Paris eine Liebschaft mit der Frau Reuter, die von dem Mann geduldet wurde. Dann gründete Reuter seine Unternehmung und nahm Engländer in sein Bureau. Engländer ging für das Bureau später nach Konstantinopel. August Bach scheint viel im Krach verloren [zu] haben; er stand 1872 nahe am Konkurs, als er sich das Leben nahm. Man versuchte, diese Tatsache zu vertuschen. 207
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209 210
211
Die Schlachten bei Weißenburg (4. 8. 1870) und Wörth (6. 8. 1870) waren die ersten größeren Siege der deutschen Truppen. Die Presse v. 12. 8. 1870 Leitartikel. Darin heißt es, „die Rolle der Napoleoniden ist mit dem Sturze des zweiten Kaiserreiches ausgespielt für immer." Der Philosoph Kaspar Schmidt, Pseudonym Max Stirner. Der evangelische Theologe Bruno Bauer, seit 1839 Professor an der Universität Bonn, bestritt die Geschichtlichkeit der Person Jesus und wurde deshalb von seiner Professur entfernt. Vgl. Moritz Smets, Das Jahr 1848. Geschichte der Wiener Revolution. Bd. 2 (Wien 1872) 216: „Häfner aber wurde der Judas unter den politischen Flüchtlingen in Paris und betreibt noch bis zum heutigen Tage das Schandgewerbe eines geheimen napoleonischen Agenten."
20. Dezember
305
1899
Dr. Johann Huemer, Beamter im Unterrichtsministerium
8. Dezember 1899 К 2, U 6, 717 г
Er hat eine Nichte des Hofrat Weißmann212 zur Frau. Dieser sprach stets mit höchster Anerkennung von Bach, seinem Charakter. Dagegen mit Geringschätzung von Giskra und dessen Charakter. Allerdings wurde er unter diesem pensioniert. Lasser wollte ihn bestimmen, wieder ins Ministerium unter ihm zu treten. Aber Weißmann schlug es auf Anraten der Familie aus, er war schon ein hoher Sechziger. Im Urlaub schrieb er ein großes Werk über das Wiener Stadtrecht des 13. Jahrhunderts. Das Manuskript wurde dem Archiv (Bibliothek) der Stadt Wien geschenkt213. Glossy zu fragen. Es muß mit großem juristischen Scharfsinn abgefaßt sein. Weißmann soll das Wiener Gemeindestatut entworfen haben. Schmerlings Schwester, Frau von Rohonczy214 lebt und dürfte viele Papiere von ihrem Vater haben.
Frau Dr. Luise Kolisko, Schwester Freiherr Alexander
von Bachs
20. Dezember 1899 К 2, U 6, 726 г - 727 ν
Im Jahre 1848 wohnte die ganze Familie, Bach eingeschlossen, in Penzing, in einem Hause, das dem Bürgermeister gehörte, mit einem großen Garten. Auch Dr. Winiwarter mit seiner Familie wohnte dort. In der Früh ging Bach wie gewöhnlich in die Stadt215. Als er spätabends nicht heimkehrte, war die Familie in größter Angst. Bach befand sich, als die Menge ins Kriegsministerium eindrang, bei Latour und drang in ihn zu flüchten. Latour wollte noch rasch Zivilkleider anlegen, Bach aber setzte die Mütze eines Dieners auf und entfernte sich durch das Tor gegen die Bognergasse unerkannt. Von da begab er sich in das Ministerium des Äußern. Da er auch hier nicht sicher war, eilte er über die Bastei hinab zu den Truppen. Von da zog er in den Schwarzenberg-Garten und lernte hierbei den Fürsten Schwarzenberg kennen. Er übernachtete im Schwarzenberg-Palais, und in der Früh fuhr er nach Maria Enzersdorf. Am 7. Oktober, etwa gegen 10 Uhr, kam ein Mann, der sehr geheimnisvoll 212
213
214 215
Hofrat, später Sektionschef Johann Weißmann, den Alexander von Bach aus dem Justiz- ins Innenministerium übernommen hatte. Vgl. Osterreich von 1848 bis 1860. Bd. 1, 328. Johann Weißmann, Das Wiener Stadtrecht im XIII. Jahrhundert. Eigenhändiges Manuskript. WStLB INr. Ja 59.821. Schmerlings Tochter, nicht Schwester Sylvia war mit einem von Rohonczy verheiratet. Es handelt sich im folgenden um die Schilderung der Ereignisse am 6. 10. 1848. Vgl. Österreich von 1848 bis 1860. Bd. 1, 84-87.
306
Luise Kolisko
tat, und wollte Frau Winiwarter einen Brief übergeben. Nun aber war am Abend vorher die Familie in großer Angst gewesen, da sie einen Überfall fürchtete. Gegenüber wohnte Pulszki, dessen Rolle in der Bewegung sie kannten, und sie gewahrten während der Nacht, durch die herabgelassenen Vorhänge spähend, fortwährend Bewegung in seinem Hause. Sie gerieten in Angst. Die Mutter Bachs und die übrigen Schwestern flohen deshalb in der Frühe sofort nach Neustadt; sie aber (Frau Kolisko) blieb mit der alten Wirtschafterin und mehreren Dienstboten in dem Haus. Sie hätte das Haus nicht verlassen, da von ihren beiden Brüdern, Alexander und August, keine Nachricht vorhanden war. Sie wollte doch wissen, was aus ihnen geworden [war]. Als nun der Bote aus Maria Enzersdorf kam, erbrach sie den Brief, in dem Bach den Wunsch aussprach, eine seiner Schwestern solle ihn auf der Reise begleiten, die er vorhabe. Sie fand ihn, als sie mit einem Wagen um Mittag anlangte, sehr ruhig. Er war nicht aufgeregt. Seine Briefschaften hatte sie in ein Paket gepackt und bei sicheren Freunden in Penzing zurückgelassen. Sonst brachte sie noch einige Gegenstände zur Reise für sich und ihn mit. Und nun fuhren sie nach Altenmarkt, wo sie übernachteten, dann über Hieflau, Admont nach Salzburg. Bach nahm in Maria Enzersdorf einen Paß auf den Namen August Wagner mit, den Bruder der Frau von Pratobevera. In Salzburg blieb er achtzehn Tage, unerkannt bis zwei Tage vor seiner Abreise, an welchem Tage er in einem offenen Wagen ausfuhr. Er verließ das Hotel Schiff nicht, sie aber ging aus, rekognoszierte und brachte Nachrichten mit. Nun war Graf Huyn vom Hofe nach Salzburg geschickt worden, um Bach zu suchen; aber da er keine Spur von ihm fand, ging er nach Krems, um etwa etwas von seinem Onkel zu erfahren216. Bach schrieb nun von Salzburg an Wessenberg, wann die Einladung an ihn kam, sich nach Olmütz zu begeben, ob in Salzburg oder in Prag, weiß sie nicht. Sie reisten nun nach Prag. Hier verließ sie ihn und fuhr mit ihrem Bruder Eduard (?), der nach Prag gekommen [war], nach Wien, weil sie besorgte, ihm lästig zu fallen. Sie wurden vor Wien angehalten, als aber Eduard Bach sich zu erkennen gab, eingelassen. Nach der Familientradition stammt die Familie aus Schwaben, etwas Näheres weiß sie nicht. Der Großvater Bach hatte mehrere Söhne, sechs, wie sie glaubt, die ältesten drei ließ er studieren217; wie es dort Sitte ist, sollte der jüngste den Hof erben. Die ältesten kamen in das Konvikt (auf dem Universitätsplatz, glaubt sie), waren Sängerknaben, sangen auch einige Male vor dem Kaiser Franz (Franz [sie!] kann es aber vielleicht auch gewesen sein); aber die beiden ältesten, Johann Baptist und Michael, wollten nicht geistlich 216
217
Joseph Bach, Alexander von Bachs Onkel, war Propst in Krems. Vgl. Alexander Bachs Jugend und Bildungsjahre; in: Historische Aufsätze 25. Vgl. zum Folgenden Alexander Bachs Jugend und Bildungsjahre; in: Historische Aufsätze 24-39.
20. Dezember 1899
307
werden und gingen zum Jus über. Der dritte wurde Geistlicher und wurde Dechant in Krems. Er war ein milder, liebenswürdiger Priester. Zuerst war er Pfarrer in Gars, und hier hielt sich Alexander öfters in den Ferien auf. Die Mutter, eine geborene Kroad, war die Tochter wohlhabender Gutspächter, die die Herrschaft Eggenburg mit dem Schlosse in Pacht hatten; in dem Schlosse wohnten sie auch. Hier waren auch Franzosen einquartiert, ein General, die Brüder der Mutter konnten französisch und vermittelten. Das Gut in Grafenberg ist im Besitze der Familie. Alexander und Heinrich, glaubt sie, kauften das Gut und ließen die Vettern daselbst. Michael Bach war Oberamtmann in Loosdorf, das dem Fürsten Khevenhüller gehörte. Er hatte sechs Kinder, als er nach Wien übersiedelte. Er wohnte in der Heugasse im Hause seines Bruders, trat in dessen Kanzlei ein, studierte, wurde Doktor und bald zum Advokaten ernannt. Er hatte ein glänzendes Geschäft; als er starb, hatte er sechs Konzipienten und 15 Leute im Geschäft. Er hatte auch das Notariat. Das Haus Singerstraße (jetzt 13) gehörte zum Teil ihm. Wohnung und Kanzlei der Eltern waren im Heiligenkreuzerhof. Alexander war sehr fleißig; die Mutter mußte ihn von den Büchern wegtreiben; wenn er im Zimmer nicht lernen und lesen durfte, ging er in die Küche. Er war ein bißchen Muttersöhnchen und sehr ernst. Hing sehr an der Familie, war immer zu Hause. Als er 26 Jahre alt war, machte er eine elfmonatliche Reise nach London und Paris. Tagelang war er in Paris in der Kammer. Er kam ganz verändert nach Hause, ganz weltmännisch. Unmittelbar darauf malte ihn Kriehuber in Aquarell, das Bild, das sie besitzt. Als Bach Advokat wurde, richtete ihm sein Vater die Kanzlei sehr nett ein, und zwar in der "Seilergasse ?a, er blieb im Heiligenkreuzerhof wohnen. Später bezog er Kanzlei und Wohnung in der Singerstraße 13. Seine Kanzlei war glänzend. Als junges Mädchen, sie ist jetzt 75 Jahre alt (also 1824 geboren), machte sie mit Alexander eine Reise in die Alpen nach Steiermark etc. Es war ein Vergnügen, mit ihm zu reisen, weil er mit allen Leuten zu sprechen wußte, überall Anknüpfungen fand etc. 1846, 1847 machte er mit August eine Reise in den Orient, zu Pferde durchstreiften sie Griechenland und einen Teil der Türkei. Auf der Reise nach Salzburg sprach Bach mit vieler Milde von den Vorgängen des 6. Oktober. Er beklagte Latour, den er schätzte, tief218, aber er mäßigte die Ausbrüche des Unwillens seiner Schwester und meinte: Man dürfe solche Taten nicht so beurteilen wie gewöhnliche Verbrechen; sie seien Ausbrüche des Fanatismus; alles was Parteisache sei, unterliege einer besonderen Beurteilung. Diese Milde bewahrte er immer; stets beurteilte er 218
Kriegsminister Graf Theodor Baillet-Latour war am 6. 10. 1848 im Ministerium ermordet worden, während Alexander Bach durch Flucht den Revolutionären entkam. Ergänzung mit Bleistift.
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Luise Kolisko
seine Gegner unbefangen; sie seien eben seine Parteigegner. Als er Minister wurde, führte ihm Emilie den Haushalt3. Früher war sie in derselben Stellung bei ihrem Bruder Eduard in Kolomea gewesen219. Aber sie kam selten zu den Diners, die er gab. Am Donnerstag war nur Herrenabend. Er nahm auch seinen jüngsten Bruder Heinrich zu sich. Der Mutter war das nicht recht, da sie fand, er werde im Ministerpalais verwöhnt. Er hatte ja auch seinen eigenen Jäger. Bach wünschte, daß er sich der Diplomatie zuwende; aber er verliebte sich (seine Frau ist eine geborene Kolisko), heiratete 1860 und wurde Advokat. Der Mutter und seiner Familie war es gar nicht recht, daß er [im] November 1849 [sie!] Minister wurde220. Sie fanden, daß er früher ein ruhigeres Leben gehabt hatte. Es tat ihnen leid, daß er dann den Baronstitel annehmen mußte, so wollte es seine Stellung bei Hof. Aber er kam des Abends oft zu seiner Mutter auf kurzen Besuch, und da sprach sie sich offen zu ihm aus, auch über seine Stellung. Luise heiratete 1855 den Arzt Dr. Kolisko, (später) Primararzt221. Alexander Bach war in seiner Jugend nicht fromm, nicht katholisch, er war, wie sie mir beschönigend sagen zu müssen glaubte, „aufgeklärt". In der Familie herrschte eine ideale Religiosität. Die Mutter war eine gläubige Katholikin. In seinem Onkel und seinem Freunde sah Alexander treffliche Priester. Aber Alexander ging es in den höheren Klassen des Gymnasiums wie ihren eigenen Söhnen, die dann den Glauben abstreiften. Auch Alexander war so wie alle jungen Leute. Sie spricht von ihm eigentlich stets mit Wehmut. Sie hält ihn offenbar für einen nicht glücklichen Mann, wenn er auch nie Klage führte, stets heiter schien. Es ist für sie schmerzlich, daß seine Kraft ruhen mußte, daß er nichts für Staat und Vaterland tun konnte. Ihr Bruder Eduard ging eigentlich an dieser Untätigkeit zugrunde. Er war eben ein Bach und mußte weg. August Bach zeichnete vortrefflich, unter anderem Karikaturen. Die Mutter wollte nicht, daß er Maler werde. Er hinterließ zwei Töchter, von denen die eine der Prof. Seraphin Exner zur Frau hatte, der Physiker222. Die andere? Ihre Schwester mit Dr. Kindinger vermählt, der nach einem Jahre starb. Dann mit Kriegs-Au, der nach Siebenbürgen, später nach Pest kam223. Sie hatte stets großes Heimweh. Sie erkrankte stets, wenn sie von [zu] Hause weg war, und erholte sich in Wien. Eduard Bach war von 1835 bis 1849 Verwaltungsbeamter in Galizien gewesen. Freiherr Alexander Bach war am 21.11.1848, nicht 1849, neuerlich zum Justizminister ernannt worden. 221 Eugen Kolisko wurde 1857 Primarius der Abteilung für Brustkranke am Wiener Allgemeinen Krankenhaus und übernahm 1873 die Choleraabteilung. 222 Der Physiker Franz Seraphin Exner, Sohn des Schulreformers, war in erster Ehe mit Auguste Bach verheiratet. 223 Der frühere Finanzminister (16. 2.-26. 6. 1880) Freiherr Alexander von Kriegs-Au war in den 1850er Jahren als höherer Verwaltungsbeamter in Siebenbürgen, Budapest und Preßburg tätig. " Korrigiert von Wirtschaft. 219 220
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Dezember 1899
Freiherr
Heinrich von Bach, Rechtsanwalt
i. P.
Dezember 1899 К 2, U 6, 720 r- ν
Heinrich Bach versichert mir, Bach habe zu wiederholten Malen in Abrede gestellt, daß er das Kriegsministerium am 6. Oktober 1848 in einer Verkleidung verlassen hatte. Bach sagte damals zu Latour: „Aufhängen lasse ich mich nicht" und forderte ihn auf, das Haus zu verlassen. Er selbst verließ es noch rechtzeitig und kam unbehelligt ins Ministerium des Äußern. Bach fragt: Glaubt man denn, er habe immer einen falschen Bart bei sich getragen? Ebensowenig habe er die Livree eines Dieners angezogen. Das ist gewiß so, denn Bach begab sich doch gleich ins Ministerium des Äußern. Es sei also auch nicht wahr, daß Bach durch die Kirche entkommen war. Seines Wissens ging Bach von Maria Enzersdorf nach Aussee und dann nach Salzburg. Das stimmt dann, wenn er von Maria Enzersdorf mit der Südbahn abfuhr und nach Steiermark ging. All dies muß Louise Kolisko wissen224. Vier Schwestern: Emilie Bach, Luise Kolisko, Helene Winiwarter und Baronin Kriegs-Au, die aber Kriegs-Au als Witwe heiratete. Frau von Schwartz war die Cousine Bachs, ihre Tochter mit Pasetti vermählt 225 . Es existiert eine Photographie Alexander Bachs mit Barte. Er ist darauf mit dem Erzherzog Karl Ludwig, photographiert von der Erzherzogin Maria Theresia (?). Den Namen weiß ich nicht, jedenfalls der Tochter Karl Ludwigs226. Es ist im Besitze Emilie Bachs, die Praterstraße 55 wohnt, in dem Hause, in dem Bach bis zuletzt ein Absteigequartier hatte. Bach wohnte bis zum Anfang der 80er Jahre im Winter in jenem Hause, dann Sommer und Winter in Unterwaltersdorf. Nach der Familientradition stammt die Familie aus Schwaben, aber sie besitzt darüber keine Daten. Der Großvater war Großbauer in Grafenberg bei Eggenburg. Der Hof befindet sich noch im Besitze eines Zweiges der Familie, der es später schlecht ging, und die Bach dann finanziell stützte. Der Großvater ließ drei Söhne studieren. Zwei wurden Advokaten, einer Geistlicher, später in Krems. Johann Baptist war der Ältere, Michael der Jüngere. Michael arbeitete zuerst in der Kanzlei seines Bruders. Alexander Bach übernahm nach dem Tode des Onkels auch dessen Kanzlei. Die Kanzlei Michaels ging sehr gut. Die Familie wohnte zuerst in mehreren Wohnungen Herrengasse etc. Zuletzt im Heiligkreuzerhof, wo Bachs Mutter 50 Jahre, bis 224 225
226
Vgl. S. 305-308. Der Diplomat Freiherr Marius Pasetti von Friedenburg war seit 1886 mit Marie Schwartz von Mohrenstern verheiratet. Maria Theresia war die dritte Gattin Erzherzog Karl Ludwigs, des Bruders Kaiser Franz Josephs. Deren gemeinsame Tochter Margaretha Sophia wurde am 13. 5. 1870 geboren.
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Freiherr Richard von Bienerth-Schmerling
an ihren Tode, wohnte. Mir scheint, hier hatte Michael auch seine Kanzlei. Alexander Bach hatte seine Kanzlei in der Singerstraße 15 (oder 13), welches Haus auch der Familie gehörte. Schon Michael besaß einen Teil, den anderen kaufte Heinrich Bach später für seinen Bruder. Auch das Haus Praterstraße 55 gehörte Bach. Loosdorf, wo Michael Bach Justiziar war, gehörte den Grafen Piatti. Heinrich Bach glaubt sich zu erinnern, daß es unrichtig sei, daß Bach am Abend des 6. Oktober zu Pferde auf dem Glacis war227. Der Freund Bachs hieß Franz Wagner und war der Sohn des Professors der Nationalökonomie. Franz verließ Wien während des Jahres 1848 gar nicht. Er war nicht mit Bach in Salzburg (wie Emilie Exner glaubte). Die Familie Bachs (Mutter und Schwestern) wohnten 1848 im Sommer in Döbling. Von dort her kam auch Luise nach Maria Enzersdorf.
Freiherr Richard von Bienerth-Schmerling, Vizepräsident des niederösterreichischen Landesschulrates Dezember 1899 К 2, U 3, 357 r-v Höflich, elegant, verbindlich. Nette, glatte Ausdrucksweise. Weder er noch seine Tante, Frau von Rohonczy228, besitzen Briefe an Schmerling. Er hob sich überhaupt wenig auf. Die meisten Briefe vernichtete er nach ihrer Beantwortung. Auch sprach er sich immer gegen Indiskretionen aus, welche nach dem Tode einer Persönlichkeit mit dessen Briefen, Papieren getrieben werde. In dieser Diskretion wurde er von Arneth, mit dem er sehr befreundet war, bestärkt. Sonach ist es sehr wahrscheinlich, so glaubt Bienerth, daß er alle Briefe vernichtet habe. Er benützte sie wahrscheinlich zur Abfassung seiner Selbstbiographie. Allerdings, fügt Bienerth hinzu, er glaube, daß es seit Maria Theresia eine staatliche Anordnung gebe, daß Briefschaften verstorbener Persönlichkeiten von Rang dem Staate zu überantworten seien. Als ich nun einwarf, ob dies mit Schmerlings Papieren geschehen sei, versicherte er, das sei nicht der Fall gewesen, es sei eben nichts von Belang dagewesen. Etwa seine Dekrete und ähnliches, das, wenn ich mich recht erinnere, sich bei Frau von Rohonczy befindet. Über die Selbstbiographie besteht eine testamentarische Bestimmung, sie wird in nicht allzunaher Zeit veröffentlicht werden. Als ich fragte, ob etwa nach dem Tode des Kaisers, schwieg er. Bettelheim bestätigte mir dann, daß sie von Cotta gekauft sei und nach dem Tode des Kaisers veröffentlicht wer221
228
Zur Flucht Alexander von Bachs am 6. 10. 1848 vgl. Österreich von 1848 bis 1860. Bd. 1, 85-87. Anton von Schmerlings Tochter Sylvia.
Dezember 1899
311
den solle229. Als L. A. Frankl mit Bewilligung Schmerlings dessen Briefe an Anastasius Grün veröffentlicht hatte, gab ihm Schmerling auch die in seinem Besitze befindlichen Briefe Grüns zu demselben Zwecke230. Das ist, wie Bienerth weiß, alles, was aus den Papieren Schmerlings gedruckt wurde.
Friedrich Schütz, Redakteur der Neuen Freien Presse
Dezember 1899 К 2, U 6, 717 r-v
In seinem Feuilleton über Clam-Martinic hatte er auch Bach erwähnt231. Da erhielt er von Bach ein Schreiben, in dem dieser eine Stelle als unrichtig bezeichnete und sich bereit erklärte, ihm Genaueres mitzuteilen, wenn er ihn besuche. Schütz antwortete, er sei bereit zu kommen, erhielt aber durch Monate keine Antwort. Dann kam ein Schreiben Bachs, der ihn einlud, ihn in Unterwaltersdorf zu besuchen. Als Schütz eintrat, zeigte ihm Bach seinen Brief, der Monate gebraucht hatte, um zu Bach zu gelangen, ein Postbeamter hatte den Vermerk gemacht „Baron Alexander Bach - unerkannt". Sic transit gloria mundi, fügte Bach dieser Erklärung seines Schweigens hinzu. Schütz, der Herbst, Giskra, Hasner etc. gekannt hatte, erklärte, Bach habe ihm den bedeutendsten Eindruck von allen gemacht. Dann nahm er freilich Giskra aus, von dem er den höchsten Begriff hat. Man habe Giskra schwer unrecht getan. Giskra sei ein Mann großer Klarheit *und Voraussicht gewesen3, der eine Situation trefflich überblicke. Er imponierte tatsächlich 1866 Bismarck ebenso wie dem preußischen Kronprinzen232. Er, Schütz, besitze Briefe, aus denen hervorgehe, Giskra sei auch in Finanzsachen ungerecht verdächtigt worden. Er habe Bücher über seinen Haushalt gesehen, oder er besitze sie noch - ich weiß nicht mehr recht. 229
2,0
231
232
Schmerlings Erinnerungen wurden, obwohl von ihm selbst für den Druck vorbereitet, nicht vollständig veröffentlicht. Sie befinden sich im Nachlaß Schmerling-Bienerth im HHStA; vgl. aber Margarete Martikan, Kritische Untersuchungen der Memoiren Ritter Anton von Schmerling. 2 Bde., phil. Diss. (Wien 1954), Der Vater der Verfassung. Aus den Denkwürdigkeiten Anton Ritters von Schmerling (Wien 1993) und Österreichs Weg zur konstitutionellen Monarchie. Aus der Sicht des Staatsministers Anton von Schmerling, hrsg. von Lothar Höbelt (Frankfurt/Main u. a. 1994). Briefwechsel zwischen Schmerling und Anastasius Grün. Mitgetheilt von Ludwig August Frankl; in: Neue Freie Presse v. 18. 6. 1893, Morgenblatt 1-5. Friedrich Schütz, Heinrich Graf Clam-Martinitz; in: Neue Freie Presse v. 16. 6. 1887, Morgenblatt 1-4. Karl Giskra war 1866 Bürgermeister von Brünn, als die Stadt von den preußischen Truppen besetzt und vorübergehend das Hauptquartier hierher verlegt wurde. gestrichen.
312
Friedrich Schütz
Bach also sah etwas verwildert aus, wie ein Jäger oder wohlhabender Landmann, mit seinem Lederrock und dem auf die Brust herabhängenden weißen Barte. Emilie Exner hatte mir erzählt, daß Bach während eines Winteraufenthaltes in Neapel sich den Bart habe wachsen lassen, es machte ihm Vergnügen, daß er dann vielen ganz unkenntlich war 233 . Er sprach glänzend, voll Ideen; sowohl als Bach mit ihm alleine war, dann in Gesellschaft seiner zahlreichen Familie, die aufhorchend an seinem Munde hing. Er sprach als Katholik, aber nicht etwa wie ein befangener; denn er erzählte, wie abstoßend Rom sich präsentiert habe 234 , von Antonelli sprach er spöttisch. Er war ein Mann von Ideen. Er habe die Geister durch Ideen leiten wollen, als solche bot sich ihm der Katholizismus. Er schrieb es sich zu, wenn der Kaiser sich parlamentarische Formen bald anbequemte, er habe in diesem Sinne auf den Kaiser gewirkt, er habe dessen politische Erziehung besorgt. Schütz hat das Gespräch gleich nach seiner Rückkehr nach Wien sorgfältig niedergeschrieben. Alle Äußerungen Bachs sind so wiedergegeben, wie dieser etwa hätte wünschen können, daß sie niedergeschrieben würden 235 . Nur zwei bis drei Äußerungen behalte er sich zu späterer Veröffentlichung zu[rück] und deshalb erzählte er mir sie nicht. Herbst war in seiner Art, in Dingen zweiter Gattung eine hervorragende Persönlichkeit. Er war als Politiker ein Kind. So glaubte er immer, der Kaiser hege für ihn besondere Zuneigung. Wenn er ihm in bezug auf [de] Pretis 1878 [sie!] nicht gleich voll berichtete, so geschah dies aus Schonung (!!), aus Rücksicht gegen [den] Herrscher 236 . Das Feuilleton über Benedek 237 kam folgendermaßen zustande: Schütz sah Benedek auf dem Totenbett und ging dann zu Kuhn, bat ihn um Mitteilung für sein Feuilleton. Dieser fragte, was er denn brauche, und da mußte ihm Schütz einen Bogen einreichen mit Fragen: Charakter, letzte Jahre etc. Darauf beauftragte Kuhn seine Adjutanten, alle Leute einzuladen, die Benedek gekannt hatten; dieser lud ihn zu einem Kaffee ein und diese erzählten. Unter ihnen war auch Müller!! 238
233 234 235 236
237 238
Vgl. S. 302. Freiherr Alexander von Bach war von 1859 bis 1865 Botschafter in Rom. Vgl. Friedrich Schütz, Alexander Bach. Nach dessen eigenen Mitteilungen; in: Neue Freie Presse v. 18. 11. 1893, Morgenblatt 1-4. Die Verfassungpartei unter ihrem Führer Eduard Herbst hatte im Sommer 1879 dem Kaiser den bisherigen Finanzminister Freiherr Sisinio de Pretis zum Ministerpräsidenten vorgeschlagen, der darauf mit der Kabinettsbildung betraut wurde. Er scheiterte jedoch, da ihm von Herbst und großen Teilen der Verfassungspartei die Unterstützung wegen seiner Verteidigung des Berliner Vertrages entzogen wurde. Friedrich Schütz, Vom alten Benedek; in: Neue Freie Presse v. 5. 5. 1881, Morgenblatt 1-4. Feldmarschalleutnant Eugen Müller war 1866 Adjutant Ludwig von Benedeks; vgl. Kampf um die Vorherrschaft. Bd. 2, 507.
313
1899
Joseph Unger, Präsident
des Reichsgerichtes
[Dezember 1899] К 2, U 3 , 357 ν
Als Andrässy zum Minister des Äußern ernannt wurde und vom Kaiser kam, sagte er zu Unger: Man wird erstaunt sein, daß gerade ich ein gutes Verhältnis mit Rußland anbahnen werde. Als Stremayr vorschlug, das Konkordat zu kündigen, verweigerte Potocki seine Unterschrift: Das widerspreche den Traditionen seiner Familie. Der „arme Kaiser" mußte es unterschreiben239. Herbst war „das Unglück", hatte Unger mir bei dem ersten Besuche gesagt240. Taaffe besuchte Unger und bereute, daß er Plener nicht in sein Kabinett genommen. Er habe ihn für unbeugsam gehalten und sehe, daß er sich geirrt habe. Es war ein Unglück, daß er Plener nicht ins Ministerium genommen habe. Plener, so meinte Unger, werde jetzt unterschätzt, wie er früher vielleicht überschätzt wurde. Unger kann sich an viele Dinge nicht mehr erinnern. So zum Beispiel will er mir von einer Ministerkonferenz erzählen, in der über äußere Politik verhandelt wurde, was sonst fast nie geschah, aber er kann trotz eifrigen Nachdenkens sich nicht mehr an den Gegenstand erinnern. Was wird der „arme Kaiser" jetzt, Dezember 1899, tun? Unger ist ganz ratlos. Was wird nun werden?! fragt er mehrmals 241 .
Freiherr Alois Lexa von Aehrenthal, Botschafter in St. Petersburg
[ 1899] К 2, U 6, 713 ν
Bach kam öfters zu Kalnoky, und letzterer interessierte sich, Bachs Ansichten zu hören. Besonders in einer Frage, Aehrenthal weiß nicht mehr, in welcher, konferierten sie mehrfach.
239
240 241
Am 31. 7. 1870 veröffentlichte die Wiener Zeitung eine offizielle Erklärung, wonach das Konkordat von 1855 aufgrund der geänderten Rechtsstellung des Papstes durch das am 1. Vatikanischen Konzil verkündete Unfehlbarkeitsdogma außer Wirksamkeit gesetzt sei. Gleichzeitig erließ der Kaiser ein Handschreiben, in dem Kultusminister Karl von Stremayr aufgefordert wurde, Gesetzesentwürfe zur verfassungsmäßigen Aufhebung des Konkordats auszuarbeiten. Vgl. S. 295. Das Ministerium Clary, das am 14. 10. 1899 die Badenischen Sprachenverordnungen aufgehoben hatte, trat Mitte Dezember zurück, da es vom Parlament aufgrund der tschechischen Obstruktion kein Budgetprovisorium bewilligt bekam. Am 21. 12. 1899 wurde es durch das Kabinett Wittek ersetzt, dessen einzige Aufgabe in der Erlassung der notwendigen Budgetgesetze durch Notverordnungen bestand.
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Freiherr Heinrich von Bach
Freiherr Heinrich von Bach, Rechtsanwalt ι. P. [1899] К 2, U 6, 713 ν , 722 г - 723 ν, 728 г In Unterwaltersdorf zwei Bilder. 1) Die Abdankung Kaiser Ferdinands. Große Lithographie. Bach gut getroffen. 2) Eine Photographie aus der Mitte der 60er Jahre. Hier hat Bachs Gesicht einen hochmütigen Ausdruck, wie ein Mann, der auf seine Stellung in der diplomatischen Welt Wert [legt], ein hochmütiger Diplomat mit glattrasiertem Gesicht, geradezu abstoßend. In Wien hatte Bach 1) Lithographie Kriehubers, 1849. Noch als 1848er, mit einem feschen Schnurrbart, mit genial hinaufgestrichenen Haaren, etwas Kühnes, Selbstbewußtes im Gesicht, die Welt liegt vor ihm. Hier ist er, wie sein Bruder sagt, am besten getroffen. 2) Ölgemälde von Rahl 1865. Glattrasiert. Diplomatisch. Etwas schiefer Blick, Bach schielte ein wenig. Mit vortrefflichem Spiel um die Lippen, satyrisch. Kinn stark hervortretend. Zu den Donnerstagabenden Bachs kamen meistens Beamte, doch auch Schriftsteller, Künstler - Tee wurde herumgereicht. „Auch" Adelige, besonders in der zweiten Hälfte seiner Regierung. Ob die Schrift von 1850 von Warrens ist242, weiß Heinrich Bach nicht. In Unterwaltersdorf. Bachs Vater war Advokat, auch sein Onkel (?)243. Sein Vater starb früh, er war der älteste zahlreicher Geschwister. Er war auch als junger Mann immer ernst. Er machte, bevor er Advokat wurde, große Reisen und hatte eine große Kanzlei als junger Mann. Seine Mutter war eine echte Niederösterreicherin mit Berechtigungen [?] etc. Er hatte ein schönes Vermögen, als er Minister wurde. Aber als solcher mußte er, wie sein Bruder behauptete, von seinem Vermögen zusetzen. Erst später machte er stets Ersparungen, doch hat er nie spekuliert. Das müßte sein Bruder wissen, der seit dem Anfang der 70er Jahre sein Vermögen verwaltete. Das Gut in Unterwaltersdorf gehörte nicht Bachs Vater, sondern, wenn ich mich recht erinnere, seinem Oheim. Er hat es später gekauft. Aber es hatte damals nur den alten Trakt. Unten die paar Fremdenzimmer, oben die Räume, in denen Bach wohnte. Nach Stadtrat . . ,a hinterließ Bach gegen eine Million. Sein Haus war der Mittelpunkt der ganzen Familie. Seine Schwester führte schon, als er Minister war, seinen Haushalt244. Große Diners gab er als Minister nicht, aber Freunde und die Beamten seines Ministeriums waren öfters bei ihm. Wenn er sich als Minister ermüdet fühlte, legte er sich, ohne Alexander Bach. Ein politisches Charakterbild (Leipzig 1850). Die Schrift erschien anonym. 243 Vgl. zur Familiengeschichte Alexander Bachs Jugend und Bildungsjahre; in: Historische Aufsätze 24-26. 244 Vgl. S. 308. " Freilassung im Original. Vgl. die Aussagen Moritz Lederers, S. 288. 242
1899
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krank zu sein, mehrere Tage lang ins Bett. Denn er arbeitete angestrengt, stundenlang mußte das Diner oft verschoben werden, bis er Zeit hatte, sich loszumachen. Als junger Mann gehörte er der Shakespeare-Gesellschaft an, in der Shakespeare englisch gelesen wurde. Er war heiter, erzählte gerne, war stets Mittelpunkt des Gesprächs. Er war ein trefflicher Causeur, erzählte oft von Erlebnissen etc. Er hatte gar keine Rancune, äußerte und fühlte wohl nie Bitterkeit über das Scheitern seiner Pläne. Nachdem er [das] Amt eines Botschafters niedergelegt hatte 245 , machte er mit seinem Bruder Heinrich eine Reise in die Schweiz und war da ebenso heiter wie immer. Nach seinem Rücktritt hatte er keine Verbindung mit der klerikalen Partei, er verweigerte einem klerikalen Blatt, "dem Vaterland, 3 [einen] Beitrag zur Subvention, als er darum ersucht wurde. Aber er besuchte sonntags regelmäßig in Waltersdorf die Kirche. Freilich war er da gewissermaßen Gutsbesitzer. Ob er auch in der Stadt regelmäßig die Kirche besuchte, weiß Heinrich Bach nicht. Er war gut katholisch gesinnt, aber nicht klerikal, wie Heinrich Bach versichert. Freilich leistete er dem Abschlüsse des Konkordats nicht einmal passiven Widerstand246. Er äußerte sich seinem Bruder gegenüber bezüglich seines zentralistischen Systems: „Ohne die Geistlichkeit ließ sich das nicht durchführen." Wahrscheinlich war ihm dies ein Mittel. Im Mittelpunkte seines Wesens stand sein altösterreichischer Idealismus von einem zentralistischen, deutschen, einigen Reiche. Dem ordnete er alles unter. In späterer Zeit machte er wohl über das Schmerlingsche System die Bemerkung: Man sehe, daß sich der Zentralismus nicht mit Hilfe eines Parlaments aufrechterhalten lasse. Uber die Ungarn aber äußerte er sich günstig; es gefiel ihm vieles an ihnen; er meinte, daß sie doch nur den Zentralismus in ihrem eigenen Staate aufrichteten. Viele Ungarn erkannten an, was er für die Administration, für Straßen, Schulen etc. getan hatte. Uber den Kaiser sagte er: Solange er bei dem Kaiser war, war er seiner Zustimmung sicher, aber freilich, wenn andere kamen, machte sich deren Einfluß geltend. Schwarzenberg war es, der ihn festhielt, als Schmerling und Bruck ihre Entlassung nahmen 247 . Bach war immer stolz auf die Grundentlastung, sein Werk. Auch die Stadterweiterung in Wien ist auf seine Vorschläge zurückzuführen. Zuerst Oettl, dann Lasser, Beyer u Mayer (Mayrau) waren seine vorzüglichsten Mitarbeiter, Lewinsky ist zu erwähnen. Jetzt sind alle seine Zeitgenossen tot, es ist bei ihnen nichts zu erfahren. Bachs Bruder war Statthalter von 245
Freiherr Alexander von Bach war von 1859 bis 1865 Botschafter in Rom. Das am 18. 8. 1855 geschlossene Konkordat wurde von österreichischer Seite Ende Juli 1870 aufgelöst. 247 Anton von Schmerling und Freiherr Karl von Bruck schieden bereits 1851 aus dem Ministerium Schwarzenberg aus, während Bach bis August 1859 Innenminister blieb. a " gestrichen. 246
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Freiherr Heinrich von Bach
Oberösterreich248. Aber dieser war weniger liberal, viel engherziger wie sein Bruder. Das zeigte sich auch zur Zeit des Deutsch-Französischen Krieges, wo Alexander auf seiten Deutschlands war und dessen Sieg vorhersagte, während sein Bruder für Frankreich eintrat. Alexander Bach hatte auch mehr Sympathie für die Deutschen. Heinrich Bach glaubt, daß bei Alexander Bach von Jugend her katholische Sympathie und Jugendeindrücke tätig waren; die mögen dann weiter gewirkt haben. Aber eine strenge katholische Anschauung hegte er wohl, soviel Heinrich glaubt, nicht. Er war religiös, ohne klerikal zu sein. Aufzeichnungen hat er keine hinterlassen. Vermutlich, wie Heinrich Bach glaubt, aus Diskretion (!?). Er wollte niemandem nahetreten. In seinem Nachlasse zu Unterwaltersdorf fand Heinrich Bach nur Konzepte zu Gesandtschaftsberichten aus Rom, aber auch hier nichts Interessantes. Der Sohn Heinrichs aber sah die Papiere in seinem Stadthause an, und diese enthalten einiges, aber auch nicht viel. Darüber kann nur sein Sohn Auskunft geben. Heinrich Bach bedauert sehr, daß ich Alexander nicht kennengelernt habe. Er hätte mich gerne empfangen, hätte sich gerne ausgesprochen. Er hätte sich gewiß über seine Pläne etc. offenherzig ausgesprochen. Aber er selbst hatte kein Bedürfnis, sich zu rechtfertigen, sein Andenken gewissermaßen zu reinigen. Er wurde ja, besonders nach seinem Rücktritte, in der Presse oft beschimpft, aber er reagierte nicht. Nur einmal setzte er ein Dementi in die Zeitung. 1885 kandidierte er in Salzburg249. Da schickte er der Neuen Freien Presse ein Dementi, in dem er richtigstellte, daß er niemals im „Büßergewande" in einer Prozession in Rom mitgegangen sei. Er machte damals [die] Erfahrung, daß Taaffe sich nicht seiner Kandidatur gegenüber sympathisch verhielt, eher umgekehrt. Er hielt keine Wählerversammlungen ab, aber er [be]sprach in kleineren Kreisen sein Programm. Er hätte mit Lienbacher eine deutsch-konservative Partei gründen helfen. Mit Schmerling und anderen Kollegen stand er stets auf gutem Fuße. Alle seine Ministerkollegen wurden ins Herrenhaus berufen, nur er nicht. In den ersten Jahren nach seinem Austritt aus dem Dienst meldete er sich mitunter als Geheimrat zur Audienz und wurde auch hin und wieder zur Hoftafel gezogen. Später unterließ er jenes und lehnte auch regelmäßig die Einladungen zu Empfängen und Hoftafeln ab. Von den Erzherzögen besuchten ihn indessen Erzherzog Albrecht und Erzherzog Karl Ludwig nicht selten auf seiner Besitzung. Sie standen wohl seiner Anschauung über den Staat besonders nahe. Heinrich Bach behauptet, er habe als Minister ungarisch und böhmisch 248 249
Eduard Bach war Statthalter in Linz mit kurzer Unterbrechung von 1851 bis 1862. Freiherr Alexander von Bach bewarb sich 1885 um ein Reichsratsmandat in Salzburg (Städtekurie), scheiterte jedoch.
1899
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gelernt. Ich habe in Unterwaltersdorf seine Bibliothek angesehen. Es sind zumeist ältere Werke über Recht, Verwaltung etc. und ebenso ältere schöne Literatur. Neues in dieser Richtung wenig. Dagegen Bücher über ägyptische, phönizische, arabische, syrische Sprache. Heinrich Bach erzählt, er habe dies eifrig betrieben und zwar bei Reinisch und Wilhelm Neumann und auch mit Vorliebe über diese seine Studien gesprochen. Er war überhaupt ein linguistisches Talent. Er sprach und schrieb die wichtigsten modernen Sprachen. Bach stand mit Rechberg gut, Heinrich machte mit ihnen nach Dornbach 1859 Spazierfahrten. Nach dem Rücktritte Rechbergs war dessen Stellung in Rom untergraben. Es kamen wieder die ungarischen Konservativen ans Ruder, seine Gegner. Da wurde er einfach amoviert. Mit Kempen und der Militärpartei hatte er manchen Strauß. Bach billigte eben die zu weit getriebene Polizeiwillkür nicht. Es gab Konflikte zwischen dem Ministerium des Innern und der Polizei, die ja vielfach in ihrem Wirkungskreis sich deckten. Man hat oft von einer Allmacht Bachs gesprochen, die nicht existierte. Bach vermachte seinem Neffen Robert alles Mobiliar seiner Wohnung Praterstraße 55, in dem Hause, das ihm gehörte. Daher ließ Robert alle Kisten mit Schriften, die auf dem Boden des Hauses waren, nach Loosdorf bringen. In Unterwaltersdorf gab es wenig Papiere. Heinrich Bach hat sie durchgesehen, Unbedeutendes. Familienbriefe etc. Es ist nicht zu wundern, daß nach 1865 keine Briefe vorhanden sind mit Persönlichkeiten von Bedeutung, er hatte ja dann wenig Verbindung. Jene Kisten hatte er mit nach Rom genommen, wo er noch 1 bis IV2 Jahre nach seinem Rücktritte lebte; von da brachte er sie zurück. Etwa 1866 kehrte er nach Wien zurück. "Alexander Bach war der Kurator Lenaus." Seit 1884 lebte er Sommer und Winter in Unterwaltersdorf, er behauptete, sein Leben werde durch diesen ruhigen Aufenthalt verlängert. Er kam nur zu den Akademiesitzungen nach Wien, blieb vor- und nachher einige Tage in Wien, wo er seine Wohnung behielt. Später fuhr er nur zu den Akademiesitzungen nach Wien und gleich zurück. Er starb [am] 12. November 1893. Ciani unterstützte er. Er interessierte sich für ihn, stundenlang ging er mit ihm spazieren und arbeitete mit ihm. Die Schrift von 1886250 kennt Heinrich Bach nicht!!! Beim nächsten Besuche'erinnerte er sich! Auch ihm hatte Bach gesagt, die Schrift entspreche seinen Anschauungen.
250
Programm zur Durchführung der nationalen Autonomie in Österreich. Separatdruck aus der Wochenschrift Der Parlamentär (Wien 1886). Vgl. S. 281 Anm. 141. Ergänzung.
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Freiherr Josef von Doblhoff-Dier
Freiherr Josef von Doblhoff-Dier
[ 1899] К 2, U 1, 203 г - 204 г
Er steht mit seinem älteren Bruder251 sehr schlecht. Er wollte etwas über seinen Onkel252 schreiben, aber sein Bruder sagte ihm, es sei kein Nachlaß da. Offenbar fürchteten sie die demokratische Gesinnung Josef Doblhoffs. Indessen hat Doblhoff zwei Feuilletons in der Neuen Freien Presse geschrieben. „Aus dem Nachlasse Pratobeveras" (Herbst oder Winter 1897)253 und „Vor 50 Jahren" März, April 1898254. In dem ersteren Feuilleton auch ein Brief Bachs an Pratobevera nach dem 13. März. Auch Friedrich Schütz schrieb ein Feuilleton über Bach255. Mutter Doblhoff ist [die] Tochter Pratobeveras. Sie gab ihm die Papiere über Pratobevera, aber sie hat außerdem nichts mehr, wie sie ihrem Sohne schrieb, als er sich in meinem Interesse an sie wandte. Josef Doblhoff war im diplomatischen Dienst und zwar in der Schweiz am Ende der 60er Jahre 256 . Ottenfels war Gesandter, Marckwort Sekretär. Ottenfels war streng klerikal und hoffte, Botschafter beim Papst zu werden. Marckwort war Erzieher des Fürsten Johann Liechtenstein. Dann stellte ihm Schwarzenberg frei, in welche Karriere er sich wenden solle, und er wählte die diplomatische. Er war Konvertit vom Protestantismus. Beide höchst engherzig, sie überwachten Doblhoff, der den Sitzungen des Nationalrats nicht beiwohnen durfte, wenn sie ihn oft interessierten. Einmal verlangte Ottenfels, er solle das schwarze Buch, das die österreichische Gesandtschaft zum Besten Rußlands führte und in das alle in der Schweiz lebenden Russen, die verdächtig schienen, eingetragen wurden, weiterführen, da der betreffende Kanzleibeamte Urlaub hatte. Doblhoff weigerte sich, diesen Polizeidienst für Rußland zu machen; er wolle seinem Vaterland jeden Dienst tun, aber für Fremde nicht. Ottenfels war höchst erzürnt, schleuderte das Buch im Zorne weit weg und sagte: Nun, dann werde er es selbst führen. Dies war der letzte Anstoß für Doblhoff, den auswärtigen Dienst zu verlassen. Er hatte später die Absicht, sich in der Schweiz anzukaufen und niederzulassen. Seine Frau schien einverstanden; im letzten Augenblick aber schreckten sie der Kinder wegen zurück, und er gab den Plan auf, das 251
Freiherr Heinrich von Doblhoff-Dier, Mitglied des Abgeordnetenhauses. Freiherr Anton von Doblhoff-Dier, Alexander von Bachs Ministerkollege im Jahr 1848. 253 Josef von Doblhoff, Aus dem Nachlasse Pratobeveras; in: Neue Freie Presse v. 6. und 13. 2. 1898, jeweils Morgenblatt. 254 Josef von Doblhoff, Mittheilungen aus dem Jahre 1848; in: Neue Freie Presse v. 20. 3., 3. 4., 17. 4., 23. 4. und 1. 5. 1898, jeweils Morgenblatt. 255 F r i e( jrich Schütz, Alexander Bach. Nach dessen eigenen Mitteilungen; in: Neue Freie Presse v. 18. 11. 1893, Morgenblatt 1-4. 256 Vgl. zu Josef von Doblhoffs Karriere Maria Ortmayr, Josef Freiherr von Doblhoff, Versuch einer Monographie, phil. Diss. (Wien 1950). 252
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österreichische Staatsbürgerrecht aufzugeben. Er ist Mitglied der Flamme257, rief Carnuntum ins Leben258. Er schrieb politische Gedichte und auch einen Roman, der den Zweck verfolgte, die Schweizer auf ihr römisches Trümmerfeld von . . .a aufmerksam zu machen. Er erreichte seinen Zweck, und man hat das in der Schweiz auch anerkannt. Er schwärmt für Welti, den er einen großen Staatsmann nennt. In einem großen Staate hätte er weitreichenden Ruhm erworben. Er macht mich auf Sealsflelds „Austria as it is", das 1828 erschien, aufmerksam 259 . Es kommt darin der Ausdruck „burleske Vertraulichkeit" vor, in dem der österreichische Adel zu den Kutschern steht. Bach floh am 7. Oktober zu Pratobevera nach Purkersdorf. Von dort schickte er einen Diener zu Doblhoff nach Baumgarten, er sagte dem Diener: Wir sind in Ihrer Hand; wenn Sie untreu sind, sind wir verloren. Doblhoff bezeichnet sich selbst als „Auskehrmotor", wie ihn jemand nannte; er wolle es rings um sich reinlich haben. In Salzburg besuchte er den Statthalter Grafen Thun nicht260, obwohl ihm ein Aristokrat sagte: Besuchen Sie [ihn] doch, man muß zur Kaste halten. Thun bereicherte sich durch den Ankauf von Grundstücken, die er der Gemeinde Salzburg später zur Anlage eines Stadtparks verkaufte. Doblhoff erzählt von Isfordink. Er war sehr schwerhörig, schrie deshalb sehr, ging in Ruhestand und starb 1879. bDie Daten bei Arneth Wessenberg261.11 Seine Schwester war mit dem Gesandten Freiherrn von Schreiner [verheiratet] und lebt wohl noch. Sie hat wohl die Papiere Isfordinks262. Baron Doblhoff, der frühere Minister, starb April 1872. Doblhoff macht mich auf Rittmeister Schiff aufmerksam, der im Drachenloch bei Salzburg lebt und hübsche Details aus der Schlacht bei Custoza zu erzählen weiß.
257
Gemeint ist wohl der seit 1885 bestehende Verein „Die Urne", der sich der Förderung der Feuerbestattung widmete. 258 Der Altertumsverein „Carnuntum" war 1892 gegründet worden. 259 Charles Sealsfield (d. i. Karl Postl), Austria as it is or Sketches of Continental Courts (о. O. 1828). Neudruck u. a. Wien-Köln-Weimar 1994. 260 Freiherr Josef von Doblhoff lebte von 1884 bis 1899 in Salzburg; Landespräsident, nicht Statthalter, war von 1872 bis 1897 Graf Siegmund Thun-Hohenstein. 261 Alfred Ritter von Arneth, Johann Freiherr von Wessenberg. Ein österreichischer Staatsmann des neunzehnten Jahrhunderts. 2 Bde. (Wien - Leipzig 1898). 262 Vgl. Briefe von Johann Philipp Freiherrn von Wessenberg aus den Jahren 1848-1858 an Isfordink-Kostnitz, österreichischen Legationsrath a.D. 2 Teile (Leipzig 1877). " Freilassung im Original. Es handelt sich um die Römersiedlung Aventicum bei Lausanne.Vgl. Josef von Doblhoff, Julia Festilla, ein Liebesroman aus Römisch-Helvetien (Wien 1884). Ergänzung.
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Karl Glossy, Direktor der Wiener und des städtischen Museums
Karl Glossy
Stadtbibliothek [1899] К 2, U 6, 716 г
Es existieren im Archiv der Stadt Wien Berichte eines Polizeikommissars, in denen sich unter anderem ein Bericht über die Flucht Bachs Oktober 1848 finden. Das politische Tagebuch Bauernfelds befindet sich in den Händen der Resi263. Einfluß auf sie hat Frau Clara Schreiber, die ebenso wie die Resi in Meran wohnt. Resi hatte den Auftrag erhalten, das Haupttagebuch zu verbrennen, nachdem Bauernfeld selbst einen Auszug gemacht hatte. Das solle in seiner Gegenwart geschehen. Sie öffnete den Ofen mit der Absicht, ihn zu täuschen. Brennt's schon? fragte er. Ja, sagte sie, brachte aber das Buch in Sicherheit. Resi gab nun das Tagebuch in die Theaterausstellung, und während derselben ließ sich Glossy das abschreiben. Allerdings fehlerhaft und unvollständig. Diese Bogen besitzt die Bibliothek. Als nun Glossy das Tagebuch herausgab264, legte er den Auszug Bauernfelds zugrunde, fügte aber einiges aus den Abschriften des Grundtexts hinzu.
Freiherr Wilhelm von Haan, Sektionschef im Justizministerium
[ 1899] К 2, U 6, 713 г
Reise Bachs nach England (1839) mit Eduard, mit Benoni und Franz Sommaruga. Reise machte auf Bach großen Eindruck. Bis dahin das Verhältnis zu Haan sehr innig. Dann trat eine Entfremdung ein. Haan fand ihn sehr verändert. Er hatte eine „materialistische" Richtung angenommen. Haan hatte die Reise nach Italien mit Schwarz unternommen, der in Florenz schwer erkrankte 265 . Kleyle führte ein offenes Haus266. Seine Töchter vermählten sich mit Franz Sommaruga, mit diesem Schwarz, mit Löwenthal (das ist die Braut Lenaus267). Dort verkehrte auch Bach. Bach trat auch im Liebhabertheater auf - in Kotzebues „Wirrwarr". Die 30er Jahre waren sehr harmlos. Man lebte gesellig, Theater, Musik, aber wohl keine tieferen, be263 264 265
266
267
Therese Zopf, Eduard von Bauernfelds Pflegerin. Aus Bauernfelds Tagebüchern, hrsg. von Carl Glossy. 2 Bde. (Wien 1895-1896). Zur Überlieferung der Tagebücher vgl. Glossys Einleitung in Bd. 1, V-IX. Zur Beziehung Alexander von Bachs zu Ludwig von Haan, Wilhelms Vater, und die Englandreise 1839 vgl. Alexander Bachs Jugend und Bildungsjahre; in: Historische Aufsätze 27-32. Zum Salon Hofrat Franz von Kleyles vgl. ebd. 37 und Österreich von 1848 bis 1860. Bd. 2, 293. Sophie von Kleyle war seit 1829 mit Freiherrn Max von Löwenthal (Pseudonym Leo Walthan) verheiratet. Nikolaus von Lenau war ihr seit 1833 in unglücklicher Liebe zugetan.
1899
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sonders politischen Interessen. Dies zeigen auch Bachs Jugendbriefe. Eine gewisse Empfindungsseligkeit. Allerdings gab es einen anderen Kreis, mit Mitis etc., die politisch angeregt waren, „revolutionär" nach dem Begriffe der Zeit. Sie hatten in Ranftls Gasthaus bei der Taborlinie ihre Zusammenkünfte - Bach, Haan etc. gewiß nicht. Eine Schwester Bachs war mit Schwartz - Μ . . ,a vermählt, deren Tochter mit Pasetti verheiratet ist268. Haan und andere verkehrten auch bis ins Alter mit Bach, verdanken letzterem sogar viel. Er führte auch seine Angelegenheit als Advokat bei dem Bau des Hauses Haan in der Rotenturmstraße. Haan äußerte sich auch schonend über Bach, mit dessen Richtung er nicht übereinstimmte. Als Bach von Rom zurückkehrte 269 , war er sehr vereinsamt. Er machte öfters Ausflüge nach Dommayers Casino,270 wo er mit Fellner öfters sprach, jetziger Vizepräsident des Wiener Landesgerichtes. Er sprach da öfters über seine Bibelstudien und seine „mystischen Auslegungen".
Wilhelm von Härtel, Sektionschef im Unterrichtsministerium
[1899] К 2, U 3, 381 r-v
Als Gautsch Ministerpräsident wurde271, warnte ihn Härtel, und Gautsch beging den großen Fehler, daß er keine Bedingungen für die Übernahme des Portefeuilles stellte. Es war dann gewissermaßen die Nemesis, daß er fiel, er hatte eben den Posten zu lebhaft angestrebt. Härtel glaubt, daß die Ernennung Thuns von vornherein feststand, zwischen dem Kaiser und den Feudalen verabredet war, aber seine Ernennung kam früher, als Thun selbst es erwartete. Am Tage nach der Demission Gautsch' war Härtel bei ihm, und er sagte ihm, er habe Thun bestellt, um ihm [die] Ministerpräsidentschaft anzutragen. Darauf fragte Härtel einen Tag später, wie Thun die Sache hingenommen. Er war, wie Gautsch ihm antwortete, vorbereitet, aber fügte hinzu, die Sache komme rascher, als er selbst angenommen. Ich erzählte nun Härtel die Geschichte des Koches Podewils272. Härtel kannte die Sache nicht, rektifizierte aber, daß Gautsch einige Wochen nach seiner Ernennung ins Ministerium des Innern gezogen sei, es wären nur acht 268
Der Diplomat Marius Pasetti von Friedenburg war seit 1886 mit Marie Schwartz von Mohrenstern verheiratet. Vgl. dazu auch S. 309. 269 Alexander von Bach blieb nach seinem Rücktritt als Botschafter in Rom 1865 noch etwa l'/2 Jahre in Italien. 2,0 Bekanntes Ausflugs- und Vergnügungslokal in der Hietzinger Hauptstraße 12, 1907 abgerissen. 271 Das Ministerium Gautsch amtierte vom 28. 11. 1897 bis 5. 3. 1898. 272 Vgl. S. 234 f. " Freilassung im Original.
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Wilhelm v o n H ä r t e l
Tage nach Ernennung gewesen. Härtel war kurz vorher bei Gautsch und warnte ihn; es habe ja Zeit; Latour dränge nicht, da er eine Garconnierewohnung innehabe273. Gautsch war betroffen, als ihm Bänffy das Junktim verweigerte274; das habe er bloß Badeni zugestanden. Da wandte sich Gautsch an den Kaiser mit der Bitte, er solle auf Bänffy einwirken. Dies sagte ihm der Kaiser, als er nach Pest reiste, zu. Aber als Gautsch nach Pest kam, mußte er von Bänffy vernehmen, daß der Kaiser die Sache mit ihm gar nicht besprochen hatte. Darauf entschloß er sich, sofort seine Demission zu geben. Der Kaiser verkehre fast mit niemandem als mit den „Intimen", zu denen Beck gehöre. Dieser knüpfe auch jetzt noch unter dem Scheine der Bonhommie oder selbst der Borniertheit wichtige Fäden und sei noch sehr einflußreich. Vor einigen Jahren wurde von sehr einflußreicher, sehr wohlwollender Seite daran gearbeitet, den Kaiser mit neuen Personen zu umgeben. Irre ich nicht, so meinte Härtel damit Braun als Treiber. Schönaich hätte Generalstabschef werden sollen, und an Stelle Brauns ein ihm gesinnungsverwandter Mann [treten sollen]. Aber Beck kam dahinter und verhinderte es. Es ist noch ein Glück, daß Schönaich dabei nicht Schaden in seiner Stellung litt. Braun aber bleibt trotz seiner schweren Erkrankung, bloß um zu verhindern, daß nicht ein ihm unangenehmer Nachfolger die Stelle erhalte275. Der Kaiser vereinsamt immer mehr, es kostet ihn selbst Überwindung, einmal den Erzherzog Franz Ferdinand zu empfangen. Nur seine Audienzen gibt er regelmäßig, und es macht ihm Vergnügen, von den Schwächen der Leute zu sprechen, die sich auch tatsächlich meist von schwacher, komischer Seite geben. Das sei auch Eigenheit Erzherzog Rudolfs gewesen, der sich dadurch viele Feinde machte. Es sei „habsburgische" Eigentümlichkeit. Frau Schratt plausche ja auch mitunter und erzähle von diesen Dingen. Bylandt ist ein ziemlich begabter Mann, guter Jurist, der sich für einen besseren Politiker hält, als er ist. Er hat nicht die Gabe, sich eine feste Meinung zu bilden und auf andere Menschen zu wirken. 273
2,4
275
Ministerpräsident Freiherr Paul Gautsch-Falkenthurn leitete auch das Innenministerium. Graf Vinzenz Baillet-Latour übernahm das Unterrichtsressort, das Gautsch im Kabinett Badeni innegehabt hatte. Ministerpräsident Graf Kasimir Badeni hatte auf dem Junktim zwischen allen Ausgleichsfragen und der Regelung der Quote, dem Aufteilungsschlüssel der gemeinsamen Ausgaben zwischen den beiden Reichshälften, bestanden und dies auch von der ungarischen Regierung zugestanden bekommen. Als sein Nachfolger Paul von Gautsch versuchte, die von Badeni vereinbarten Ausgleichsbestimmungen abzuändern, wurde ihm vom ungarischen Ministerpräsidenten Dezsö Bänffy in einer Note vom 6. 1. 1898 mit der Aufkündigung des Junktims gedroht. Freiherr Adolf von Braun, Kabinettsdirektor des Kaisers seit 1866, trat Ende 1899 zurück. Zu seinem Nachfolger wurde Freiherr Franz Schießl von Perstorff ernannt.
1899
Freiherr Josef Alexander von Helfert, Mitglied des Herrenhauses
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[1899] К 2, U 1, 198 r-v
Er war Unterstaatssekretär von 1849 bis 1863. Bach machte als Redner vor allem den Eindruck der Entschiedenheit. Sein Organ war nicht gerade sehr kräftig, aber vernehmlich. In Olmütz ging Helfert mit Bach spazieren, da begegnete Erzherzogin Sophie ihnen, sprach Bach auszeichnend an, er fühlte sich gedrückt, da er Barrikadenmann gewesen war. Helfert hat Bach später mitunter besucht. Aber er hat ihn nicht für seine Geschichte zu Rate gezogen276. Weshalb auch? sagte er. Ich habe ja alles mit ihm durchlebt, was er wußte, wußte ich auch. Helfert bedauert die Aufhebung der Verfassung von 1849. Er ist zwar gegen den „unvernünftigen" Zentralismus, aber dies war der „erste Wortbruch". Helfert nimmt an, Bach habe sich nur aus politischen Gründen dem Katholizismus zugewandt. Es ist ihm neu, daß er auch gläubig gewesen sein soll. Ihm war der Zentralismus die Hauptsache, während, wie Helfert meint, für Schmerling der Liberalismus über dem Zentralismus stand. Schmerling mußte 1851 zurücktreten, weil er sich auf das abfälligste über die Aktionen des Ministeriums aussprach. Er tat das ganz ungescheut. Die übrigen Minister fanden, daß das nicht angehe, und Schmerling mußte zurücktreten. Bach war sehr abweisend. Als Helfert einmal aus Böhmen zurückkehrte und über Wunsch eines einsichtigen Bezirkshauptmanns ihm mitteilte, daß mit den Scheinen des Nationalanlehens 277 seitens der Juden ein Geschäft gemacht, die Scheine den Bauern billig abgenommen würden, war Bach unwillig und sagte: „O, dieser (Namen habe ich vergessen) mischt sich stets in Dinge, die ihn nichts angehen." Das war auch eigentlich eine schroffe Abweisung Helferts, der doch gut mit ihm stand und Unterstaatssekretär war. Ob Clam Martinic die Broschüre Sustine et abstine schrieb, weiß Helfert nicht. Sie ist nicht unter seinen Broschüren 278 . Aber er schrieb zwei Denkschriften, die gar keinen Titel tragen und die Helfert besitzt. Helfert kannte die Broschüre Bachs aus dem Jahre 1886279. Ich borgte sie ihm. Khevenhüller sagte 1852 nach Aufhebung der Verfassung. Bach: „Jetzt [sind] wir auf dem richtigen Wege." Khevenhüller: „Ich war nie auf einem anderen." 280 276
277 27a
279
280
Josef Alexander von Helfert, Geschichte Österreichs vom Ausgange des Wiener Oktober-Aufstandes 1848. 4 Bde. (Prag 1869-1886). Die im Juni 1854 als Zwangsanleihe ausgeschriebene Nationalanleihe. Diese anonym erschienene Broschüre stammt tatsächlich von Graf Heinrich Clam-Martinic. Programm zur Durchführung der nationalen Autonomie in Österreich. Separatdruck aus der Wochenschrift Der Parlamentär (Wien 1886). Friedjung schreibt, diese anonyme Schrift sei von Bach veranlaßt worden. Vgl. Österreich von 1848 bis 1860. Bd. l,479Anm. 1. Vgl. die Wiedergabe dieses Wortwechsels in Österreich von 1848 bis 1860. Bd. 1, 483.
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Ernst von Plener, Präsident des Gemeinsamen Obersten Rechnungshofes
E r n s t von Plener
[1899] К 2, U 3, 375 r-v
Herbst hatte eine große Gabe, in sachlichen Debatten die Hauptsache herauszufinden, nicht etwa bloß dialektische Eigenschaften. Er war aber sehr unsicher im Entschluß und hatte eine man kann sagen kindische Furcht vor der Neuen Freien Presse. Er war von der Stimmung der Mehrheit in seiner Partei sehr abhängig. Und nun erzählte er mir ganz ebenso wie seinerzeit Weeber und Skene die Szene bei Andrässy, als es sich um den 60-MillionenKredit handelte281. Nachdem mehrere Leute zweiten Ranges Nebensächliches gesagt hatten, erhob sich Herbst mit dem ihm eigenen gekrümmten Rücken, machte eine Verbeugung und ging hinaus. Andrässy eilte ihm ins Vorzimmer nach, was Herbst draußen sagte, weiß Plener nicht. Andrässy kam mit den Händen in der Luft herein und sagte: Da ist nichts zu machen. Das Expose Andrässys war etwas breit und schwer. Bosnien war verschleiert, Hauptsache war, daß man England nicht allein Besitzergreifung des Orient überlassen darf. Auf meine Frage erklärt Plener, es sei unrichtig, daß Andrässy je in einer besonderen Unterredung ihn, Plener, von der Notwendigkeit der Okkupation Bosniens überzeugt hätte. Er stand gut mit Andrässy, aber eine spezielle Unterredung mit ihm hatte er nicht. Unzuverlässig benahm sich Herbst bei der Empfehlung [de] Pretis' zum Finanzminister282. Er hatte dem Kaiser seine Zustimmung gegeben und berichtete dies auch den Parteigenossen; Schmeykal, Plener und andere waren, als er ihnen dies im deutschen Casino in Prag erzählte, einverstanden. Sie gingen da noch in dem großen Saale herum. Dann kamen die bösartigen Artikel Etiennes (über das au-delä de Mitrovica)283. Man konnte nun sehen, wie Herbst jedesmal nach Lektüre der Neuen Freien Presse unsicherer wurde. „Es wird nicht gehen!" sagte er dann immer bestimmter. Und er brachte in der entscheidenden Konferenz die Sache zum Scheitern. Bei der entschei281
282 283
Über diese Besprechung bei Außenminister Graf Gyula Andrässy am 20. 2. 1878, an der etwa 15 Mitglieder der österreichischen Delegation aus der Verfassungspartei und dem Herrenhaus teilnahmen, siehe Ernst von Plener, Erinnerungen. Bd. 2 (Stuttgart - Leipzig 1921) 114. Dort findet sich aber keine Erwähnung, daß Andrässy Eduard Herbst nachgegangen wäre und mit ihm gesprochen hätte, nur, daß Herbst das Zimmer verließ, ohne etwas gesagt zu haben, Andrässy ihn vergeblich zurückhalten wollte und sich darauf die Versammlung auflöste. Vgl. eine wieder andere Schilderung des Treffens bei Eduard Wertheimer, Graf Julius Andrässy. Sein Leben und Seine Zeit. Bd. 3 (Stuttgart 1913) 106. Zum Vorschlag von Sisinio de Pretis zum Ministerpräsidenten, nicht Finanzminister, im Oktober 1878 vgl. Plener, Erinnerungen. Bd. 2, 128-129. Michael Etienne, Chefredakteur der Neuen Freien Presse, lehnte die Okkupation Bosniens und der Herzegowina ab und vertrat diesen Standpunkt konsequent in den Leitartikeln seiner Zeitung.
325
1899
denden Beratung im Club über die Wehrgesetzabstimmung fehlte, nach Pleners Erinnerung, Herbst284. Auch in der Nordbahnfrage kam Herbst absolut zu keiner Entscheidung 285 . Man wußte bis zuletzt nicht, welche Lösung ihm die liebste sei. Thun hatte früher ein Selbstvertrauen, in dem eigentlich seine Stärke bestand. Es ist jetzt offenbar gemindert. Als ich von [der] Abhängigkeit Thuns von Fürst Lobkowitz sprach, zweifelte Plener ein wenig und sagte: „Zu unserer Zeit (Koalitionsministerium286) war ihr Verhältnis kein günstiges." Graf Schönborn war, wie ich bemerkt hatte, als künftiger Ministerpräsident genannt worden, und zwar eines klerikalen Ministeriums. Da meinte Plener: Das sei unwahrscheinlich. Denn Schönborn besitze viel zu wenig Festigkeit. Er ist ganz unsicher in seinen Entschlüssen. Er ist viel zu abhängig von dem letzten, der mit ihm spricht. Zaghaftigkeit ist ein Merkmal seines Charakters. Allerdings ist er wohlmeinend, unterrichtet, viel mehr als die meisten seiner Standesgenossen.
Karl Wolff, Redakteur
des Neuen Wiener Tagblattes
[ 1899] К 2, U 6, 713 ν
Wolff sah Bach öfters in den letzten Jahrzehnten im Kaffeehaus. Da saß er ironischen Blicks, die Vorübergehenden vom Fenster aus musternd, stets allein. Kein sympathisches Gesicht. Verzogenes Kinn. Hye hinterließ Memoiren. Er las Wolff Stücke daraus vor. So die Schilderung des Ministerrats 1867, in dem eine Antwort an die Bischöfe beraten wurde287. John schlug an seinen Säbel und sagte: So müsse man den Herren antworten. 284
285
286 287
Vgl. zu den Vorgängen um die Abstimmungen zum Wehrgesetz 1879, das erst nach der Zustimmung durch einen Teil der liberalen Abgeordneten angenommen wurde, Plener, Erinnerungen. Bd. 2, 177-178. Die im Frühjahr 1884 einsetzende parlamentarische Debatte über die Verlängerung des 1886 ablaufenden Privilegiums der Kaiser-Ferdinands-Nordbahn endete im März 1885 mit der Annahme der Regierungsvorlage zur Verlängerung des Privilegiums mit einem Einlösungsrecht am 1.1. 1904. Nach Zustimmung des Herrenhauses erhielt dieser Beschluß am 6. 9. 1885 die kaiserliche Sanktion. Ernst von Plener war Finanzminister im Ministerium Windischgraetz (1893-1895). Nachdem im österreichischen Reichsrat in einer Interpellationsbeantwortung die Geneigtheit der Regierung zu Verhandlungen mit dem Vatikan bezüglich einer Änderung des Konkordates erklärt wurde, richteten am 28. 9. 1867 25 österreichische Bischöfe eine Adresse an den Kaiser, in der sie sich gegen die Angriffe auf das Konkordat in- und außerhalb des Parlamentes wandten. Als Antwort forderte der Kaiser in einem Handschreiben, das am 16. 10. 1867 in der Wiener Zeitung veröffentlicht wurde, die Bischöfe auf, sich dem Geiste der Versöhnung und des Entgegenkommens nach zu verhalten und nicht durch öffentliche Aktionen die Gemüter zu erhitzen. Der Entwurf dieses Handschreibens stammte von Justizminister Anton Josef von Hye, er wurde jedoch von Staatskanzler Graf Beust gekürzt.
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Graf Anton Wolkenstein-Trostburg
Bach war mit Cobden befreundet, sie duzten sich (?)288, später soll Cobden dem Alexander Bach die Freundschaft gekündigt und das Du zurückgegeben haben. "Cobden machte 1846 eine Reise auf den Kontinent."
Graf Anton Wolkenstein-Trostburg, Botschafter in Paris [1899] К 2, U 6. 719 r-v Bach war gläubig, katholisch. So erschien er mir, wenn ich auch nicht Herz und Nieren zu prüfen vermag289. Aber ich halte ihn eher für einen liberalen Katholiken, klerikale Ansichten gab er mir gegenüber nicht zu erkennen. Man sah aus seiner Art der Argumentation, daß er von der Advokatur herkomme. Denn oft, wenn er in geistreicher Weise einen Satz begründet und ein ganzes Gebäude des Beweises aufgebaut hatte, gefiel es ihm, dann den gegenteiligen Standpunkt ebenso systematisch und bestechend zu beweisen. Ich nannte das den „grauen Standpunkt", der zwischen schwarz und weiß das Gleichgewicht zu halten bestimmt war. Unsere Gespräche drehten sich vorwiegend um philosophische Themata, und so besprachen wir unter anderem durch drei Jahre die Frage, ob es einen moralischen Fortschritt in der Geschichte gebe. Er verneinte dies. Selten sprach er über seine Amtswirksamkeit, seinen Sturz. Niemals gewahrte ich eine Rancune, eine Bitterkeit an ihm. Allerdings hat er mir, einem jüngeren Mann gegenüber wohl nicht alle seine Gedanken enthüllt. Ich erinnere mich nur, daß er einmal sagte, nicht etwa das System seiner inneren Regierung, nicht die Nationalitätenfrage hätten seinen Sturz herbeigeführt, sondern die Tatsachen der äußeren Politik. Während ich in Rom war, hatten wir kein größeres Geschäft zu erledigen. Von der Aufhebung des Konkordats war damals keine Rede. Er arbeitete damals an einer umfassenden Darlegung der Zustände im Kardinalskollegium und sandte diesen Bericht nach Wien. Er enthielt eine Charakteristik aller Kardinäle etc., die Aussichten eines jeden für den Fall der Papstwahl. Bach verkehrte sehr viel mit Pater Beckx und erhielt offenbar auch von ihm viele Informationen, über die Beckx gewiß verfügte. Seine Stellung im diplomatischen Korps war eine sehr angesehene. Auch bei dem Papst war er sehr gut gelitten. Dabei betrieb er mit außerordentlichem Eifer historische und philologische Studien. Ich habe niemanden gekannt, der über die Geschichte der Stadt Rom so bewandert war wie er. Seine philologischen Studien bezogen 288 289
Vgl. Alexander Bachs Jugend und Bildungsjahre; in: Historische Aufsätze 33. Graf Anton Wolkenstein war während Freiherr Alexander Bachs Botschafteijahren in Rom vom Jänner 1861 bis Jänner 1863 der Vertretung beim Päpstlichen Stuhl als Legationssekretär zugeteilt. Ergänzung.
1899
327
sich besonders auf das Arabische. Er hatte als Lehrer Pater Pius Zingerle, damals Professor des Arabischen an der Sapienza. Allerdings war, wie man mir sagte, Zingerle mehr als Kenner des Altsyrischen bedeutend, für das er die erste Kapazität war. Nur eine politische Angelegenheit beschäftigte uns damals. Bischof Haynald war mit der österreichischen Regierung in Konflikt geraten, und der Kanzler Nädasdy verlangte seine Absetzung290. Die Kurie erklärte, es gebe nur einen Grund für [eine] Absetzung, das sei die kanonische Unwürdigkeit. Eine solche liege aber bei Haynald nicht vor. Somit stehe es außer der Macht des Papstes, dem Wunsche der österreichischen Regierung zu entsprechen. Der Papst aber tat der Regierung den Gefallen, daß er Haynald kraft seiner paternellen Gewalt bestimmte, selbst zu renuntiieren. Haynald nun war ein regelmäßiger Gast bei Bach, er speiste eine Zeitlang dreimal in der Woche auf der Botschaft. Er war einer der eloquentesten Männer, die mir je untergekommen sind. Einmal sprach er, am Ofen stehend, stundenlang über politische Verhältnisse, und wir hörten mit Spannung zu. Dabei sprach er deutsch nicht einmal fließend. Ungarisch und Lateinisch waren die Sprachen, in denen er sich perfekt ausdrückte.
290
Lajos Haynald wirkte als Bischof von Großwardein (Nagyvärad, Oradea) gegen die seit 1848 bestehende Trennung Siebenbürgens von Ungarn und kam dadurch in starken Konflikt mit der Wiener Regierung, vor allem dem Siebenbürgischen Hofkanzler Graf Ferenc Nädasdy. Haynald verzichtete darauf 1863 auf sein Bistum und übersiedelte nach Rom. Nach dem Ausgleich 1867 wurde er zum Erzbischof von Kalocsa ernannt.
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Ludwig Doczi, Leiter des Literarischen im Außenministerium
Ludwig Doczi
Bureaus 23. Jänner 1900 К 2, U 3, 395 г - 397 г
Andrässy sagte zu ihm, wenn Doczi die Hofräte des auswärtigen Amtes ihm gegenüber in Schutz nahm: Sie sagen mir, daß diese Leute gut schreiben können, und das will ich Ihnen, da Sie dies besser verstehen als ich, auch glauben. Freilich finde ich das nicht, da meine Aufträge selten gut erfüllt werden. Was ich aber bestimmt weiß, das ist, daß sie nicht lesen können, sie verstehen ein Telegramm nicht, das uns über äußere Angelegenheiten zukommt. Als er abtrat, überschlug Haymerle das Inventar, und er fand, wie dies oft bei Erben der Fall ist, daß es überschätzt sei. Was bietet uns das Bündnis mit Deutschland 1 ? so sagte er Doczi. Es schützt uns nicht bei Verwicklungen im Orient. Selbst wenn Rußland Rumänien erobern und wir es verhindern wollten, müßte uns Deutschland dabei nicht unterstützen, durch den Vertrag wäre es hierzu nicht verpflichtet. "Haymerle fand, daß Andrässy eigentlich uns mit beiden Teilen verfeindet habe, mit den Russen wie mit den Türken. 3 Doczi nun wendete ein, man müsse den Zweck des Bündnisses ins Auge fassen, und Deutschland habe es ja geschlossen, um Österreich als Macht zu erhalten. Es werde nicht erst den Verlauf des Krieges abwarten, um Osterreich in einem solchen Falle beizustehen. Übrigens könne man einen Konflikt um Rumänien so drehen, daß man der Angegriffene sei und sich auf den Bündnisvertrag berufen könne. Dieselben Bedenken wie Haymerle hegte auch Källay, und dieser insbesondere war der Meinung, daß Andrässy einen Fehler begangen habe, als er das Angebot Bismarcks ablehnte, ein Schutz- und Trutzbündnis für alle Fälle zu schließen. Källay wollte Haymerle bestimmen, das Angebot eines solchen nach Berlin gelangen zu lassen. Doczi widersprach lebhaft, erklärte das Bündnis für ausreichend, und Haymerle ließ die Sache fallen. Als Kälnoky ins Amt trat, kam er mit der größten Vorstellung von der Macht Rußlands nach Wien, und gedrückt durch diese Auffassung ordnete er sich Rußland ganz unter. Er beging somit drei große Fehler: 1) Er faßte den Staatsstreich in Philippopel als eine Tat Rußlands auf 2 , 2) er beruft darauf Milan, der in Gleichenberg weilte, nach Wien und forderte ihn auf zu rüsten. Als Milan ihn fragte, 1
2
a_a
Der am 7. 10. 1879 geschlossene Zweibund sah bei einem Angriff seitens Rußlands oder einer von Rußland unterstützten Macht die Waffenhilfe vor, im Falle eines Angriffes einer anderen Macht die wohlwollende Neutralität. Am 20. 9. 1885 erklärte Fürst Alexander von Bulgarien einseitig die Union der türkischen Provinz Ostrumelien mit Bulgarien. Daraufhin erklärte Serbien, das mit Österreich-Ungarn seit 1880 durch einen Freundschaftsvertrag verbunden war, den Bulgaren am 13. 11. 1885 den Krieg. Ergänzung.
23. Jänner 1900
329
was er denn tun solle, ermahnte ihn Kälnoky allerdings nicht zum Kriege, aber er sagte ihm, als König werde er wissen, was er zu tun habe. Der dritte Fehler war, daß Kälnoky Alexander von Bulgarien nicht gestattete, den Sieg zu einem Marsche auf Belgrad auszunützen. Serbien, das uns stets unbequem ist, hätte die Lektion gut bekommen, und erst wenn Milan ganz verzweifelt gewesen wäre, hätte man Alexander vor den Toren Belgrads zur Umkehr nötigen sollen. Es war ein Glück, daß Alexander so feige war - denn er war es im moralischen wie im physischen Sinne - [und] sich von Khevenhüller bestimmen ließ, Frieden zu schließen3. Denn Khevenhüller hatte gar keine reelle Macht hinter sich, und es war eigentlich ein Glück, daß er damals seine Instruktion überschritt. Er hatte nur den Auftrag, dem Fürst Alexander den Wunsch Kaiser Franz Josephs zu sagen. Als ihn aber dann Alexander fragte: Und was geschieht, wenn ich trotzdem auf Belgrad losmarschiere? Da antwortete Khevenhüller: Dann werden Sie die österreichisch-ungarische Armee auf ihrem Wege finden. Und das gab den Ausschlag. Ich erschrak, so erzählte Doczi, als ich hörte, wie weit sich Khevenhüller vorgewagt habe. Eigentlich standen wir damit vor einem Kriege. Indessen, zum Glücke, wich Alexander dieser Drohung. Man sieht übrigens, wie sich Doczi widerspricht. Denn er meint, diese Sprache wäre erst später am Platze gewesen. Weshalb dann gefahrloser? Als ich Doczi gegenüber einwendete, daß das Wagnis nicht so groß gewesen sei, weil ja auch Rußland gegen Alexander gereizt war, meinte Doczi, daß nach Slivnica4 die Stimmung in Rußland umschlug und die bulgarischen Sympathien wieder erwachten. Als ich fragte, ob die Idee, die Bulgaren bis vor Belgrad vordringen zu lassen, von Andrässy herrühre, sagte Doczi, er habe damals nicht mit Andrässy näher verkehrt, dann aber meinte er in seiner sprunghaften Weise: Der Gedanke wird doch von Andrässy sein, denn was ich von der Politik weiß, habe ich nur als Lehrbursche bei Andrässy gelernt. Und in demselben Zusammenhang sagte er: Ja, als Lehrbursche bei Andrässy, denn ich habe nichts gelernt, weiß keine Geschichte, kein Völkerrecht, weiß nicht einmal, wann der Westfälische Frieden geschlossen wurde. Zu Haymerle gehört noch folgendes: Haymerle und Källay hielten die Erb3
4
Eine von den Großmächten im serbisch-bulgarischen Krieg an die beiden kriegführenden Parteien gerichtete Note wurde von Serbien, nicht aber von Bulgarien akzeptiert. Darauf wurde der österr.-ung. Gesandte in Belgrad Graf Rudolf Khevenhüller ins bulgarische Hauptquartier nach Nis entsandt, um Fürst Alexander zum Waffenstillstand zu bewegen. Khevenhüller drohte Alexander im Falle eines weiteren Vormarsches in Serbien mit einer Besetzung Serbiens durch Österreich-Ungarn, worauf Rußland mit einer Invasion Bulgariens antworten würde. Khevenhüller erreichte damit zwar ein Einlenken Alexanders, die russische Reaktion war allerdings äußerst heftig. Kälnoky versicherte darauf dem russischen Kabinett, daß man in Wien keineswegs an eine Besetzung Serbiens denke und keinerlei Schritte unternehmen werde, die Rußland verunsichern könnten. Die entscheidende Schlacht im bulgarisch-serbischen Krieg 1885.
330
Ludwig Doczi
schaft Andrassys auch deshalb für gefährlich, weil Österreich-Ungarn doch mit Rußland nie auf der Balkanhalbinsel konkurrieren könne. Doczi aber erwiderte ihnen, daß Österreich-Ungarn nicht wetteifern könnte in bezug auf Stammesverwandtschaft, nicht bezüglich der Gleichheit der Konfession, nicht in bezug auf die Dankbarkeit, die Bulgarien den Russen schuldet, wohl aber mit Hinblick auf seine Uneigennützigkeit, in der es Rußland der österreichisch-ungarischen Monarchie doch nicht gleichtun könne. Das scheint mir ein Gedanke Andrassys zu sein!! Mit Haymerle und Kailay stimmte auch Teschenberg überein, weil er, obwohl hoch gebildet, doch ein „Zweifelscheißer" war. Das Verdienst, den Russen in Bulgarien entgegengetreten zu sein, schreibt Doczi nicht Kälnoky, sondern Tisza zu. Als die Interpellation in bezug auf Kaulbars im ungarischen Reichstag gestellt wurde, wurde die Antwort nicht in Wien verfaßt, sondern Tisza schickte sie nach Wien, und Kälnoky hatte Furcht, sie abzuschwächen5. Welche sonderbare Geschichtsklitterung!! Bezüglich des kirchenpolitischen Konfliktes6 stellte Doczi dem Grafen Kälnoky vor: Da der Kaiser einmal seine Zustimmung zur Einbringung der Vorlagen gegeben hatte, müsse er selbst alles dazu tun, damit das Oberhaus zustimme. Denn es handle sich um Größeres als die Zivilehe. Es handle sich um den Kern des Deäk-Ausgleichs. Dieser habe eigentlich den Inhalt, daß Ungarn, trotz dessen, was in früheren Jahrhunderten vorgefallen sei, Vertrauen zu der Krone gefaßt habe. Dieses Vertrauen aber werde erschüttert, wenn man in Ungarn glaube, der Hof verhindere die Annahme der kirchenpolitischen Gesetze. Da Doczi um diese Zeit seine Avancen abgeschlossen sah, denn Kälnoky wollte ihm nicht das Preßbureau übertragen, und der Übergang zur Diplomatie war für ihn unmöglich, so wünschte er die Erhebung in den ungarischen Freiherrnstand. Kälnoky wendete ihm ein, daß er Wekerle nicht um diese Gefälligkeit ersuchen könne. Als Wekerle fiel und Bänffy kam7, da sagte ihm Kälnoky, er sei alt, werde ohnedies bald gehen, und dann stünde Doczi vor neuen Verhältnissen. Auch gab er ihm zu bedenken, daß auch Päpay nicht den Freiherrnstand habe erlangen können. Man wandte Doczi ein, daß damit die Berufung in die Magnatentafel verbunden sei, was aber Doczi für eine Unkenntnis der Gesetze erklärte. Uberhaupt 5
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Der ungarische Ministerpräsident Graf Kaiman Tisza hatte am 30. 9. 1886 in einer mit dem Außenministerium abgestimmten Beantwortung einer parlamentarischen Anfrage zur Entsendung des russischen Militärattaches in Wien General Nikolai Kaulbars nach Bulgarien erklärt, lediglich die Türkei habe das Recht, in Bulgarien zu intervenieren, Rußland dagegen besitze keinerlei Protektoratsrechte. Der ungarische Kulturkampf von 1890 bis Ende 1894, der mit der Sanktion des Gesetzes über die obligatorische Zivilehe am 9. 12. 1894 endete. Die Annahme des Zivilehegesetzes im Oberhaus erfolgte erst im zweiten Anlauf mit knapper Mehrheit. Nach Inkrafttreten des Zivilehegesetzes wurde das Ministerium Wekerle, das durch sein Vorgehen im kirchenpolitischen Konflikt das Vertrauen des Königs verloren hatte, am 14. 1. 1895 durch ein Kabinett unter Baron Dezsö Bänffy abgelöst.
März 1900
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war Kälnoky gegen ihn stets gütig, hatte eigentlich mehr Vertrauen zu ihm als zu den übrigen Räten (!!!), weil er seinem politischen Urteile vertraute (!!), jedenfalls mehr als den übrigen. Er lud ihn einmal zu Tische, wo nur Kälnoky und er anwesend waren. Damals, wenn ich nicht irre, verwies er ihn tröstend auf seinen nahen Rücktritt. In der Tat, Kälnoky war stolz. Einmal war Doczi bei ihm, da wurde ein Botschafter gemeldet. Doczi erhob sich, aber Kälnoky forderte ihn auf, Platz zu behalten und begann mit ihm ein Gespräch über Harmloses. Kälnoky tat dies nur, um den Botschafter warten zu lassen. Unrichtig sei es, daß Kälnoky, wie ich geschrieben hatte 8 , den Konflikt mit Bänffy auf die Spitze trieb, „weil er sterben wollte". Nein, Kälnoky wollte den Rücktritt Bänffys durchsetzen. Das Kommunique in der „Politischen Korrespondenz" war in der Leidenschaft geschrieben, wie Kälnoky überhaupt nur den äußeren Schein der Ruhe bewahrte, innerlich lebhafter war, als er es zeigte. Daß Kälnoky gehen mußte, Schloß Doczi aus der Tatsache, daß, als sein Rücktritt entschieden war, und als Doczi zu ihm mit der Frage ins Zimmer trat: „Ist es denn wahr?" Kälnoky ihm die Hand bot, während die Tränen über die Wangen herabflossen. Ich wandte ein, das sei kein überzeugendes Argument. Übrigens zeigte Doczi damals, obwohl man ihn für einen Gegner Kälnokys hielt, diesem den Weg, wie er sich im Amte behaupten könne. Er schrieb damals ein Memoire, das er Kälnoky unterbreitete, und das auch Aehrenthal las. Darin riet er ihm, die beiden noch unerledigten kirchenpolitischen Gesetze (die über die Konfessionslosigkeit und das andere 9 ) mit aller Energie durch das Oberhaus zu bringen. Kälnoky solle selbst jene Magnaten zu sich rufen, um sie hierzu zu bestimmen. Wenn dies geschehe, so werde jeder Widerspruch gegen Kälnoky verstummen, und Bänffy werde, wenn er seine Mission erfüllt habe, gehen müssen. So könne sich Kälnoky behaupten. Und Doczi glaubt heute noch, daß ein Schritt, der so ganz den Anschauungen Kälnokys widerstrebte, hätte von ihm ausgehen sollen oder können!!
Oberst Moritz von Angeli, Militärhistoriker
März 1900 К 2, U 4, 442 г
Angeli war zur Zeit, da Beck in der Pionierschule zu Tulln war (Beck trat 1846 ein), zuerst Pionier und dann selbst Pionierschüler. Beck hatte damals schon bei seinen Lehrern und seinen Mitschülern eine Ausnahmsstellung. 8 9
Vgl. Graf Gustav von Kälnoky; in: Historische Aufsätze 359-360. Als letzte kirchenpolitische Maßnahmen wurden bereits unter dem Kabinett Bänffy die Gesetze über die allgemeine Religionsfreiheit und die Rezeption der israelitischen Religion verabschiedet. Auch diese beiden Gesetze wurden zunächst im Magnatenhaus blockiert und konnten erst im Spätherbst 1895 in Kraft treten.
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Leopold Auspitz
Vor allem war er von seltener Schönheit, in Mädchenkleidern hätte er Aufsehen gemacht. Sodann hatte seine Art, sein gesetztes und wohlerzogenes Benehmen etwas, was ihn heraushob. Er wurde noch in der Schule, was eine Auszeichnung war, Korporal.
Leopold Auspitz, Generalmajor i. P.
März 1900 К 2, U 3, 442 г - 444 г
Während Kuhn Kriegsminister war, war Gallina Generalstabschef10. Er war ideenreich, hervorragend, aber höchst unpraktisch, unmilitärisch in seinem Auftreten. Er konnte, als er nach einem Vortrag im Militärcasino mit Erzherzog Albrecht sprach, den Erzherzog beim Knopf nehmen und halten, was diesem sichtlich das größte Unbehagen erregte. Er war so ungeschickt im öffentlichen Auftreten, daß er einmal bei einem Kaiserfest [zum] 18. August11 einen Toast auf Kaiser Franz Joseph mit den Worten begann: Meine Herren! Die österreichischen Realschulen, und dann erst auf einem langen Umweg seinem Ziele zusteuerte. Dann aber blieb er stecken, eine lange, peinliche Pause entstand, bis Oberst Stubenrauch einsprang, den Generalstabschef entschuldigte, weil er unwohl geworden sei, und mit einem Hoch! auf den Kaiser endete. Man war froh, daß die Sache so abgelaufen war, als sich Gallina wieder mit den Worten erhob: Meine Herren, ich bin gewohnt, zu Ende zu führen, was ich begonnen habe, und seinen Toast zu Ende sprach. Am nächsten Tag hatte er das Gefühl, er müsse sich wegen des Eindrucks der Szene bei den vertrauten Offizieren erkundigen. Auspitz tröstete ihn mit dem Ausspruche Swifts, der gemeint hatte, wer gedankenreich sei, sei oft ein schlechterer Redner als ein gedankenarmer, aus einer leeren Kirche kommen die Leute schneller heraus als aus einer von Menschen gefüllten. Auf den Rat Auspitz' oder eines anderen berichtete Gallina selbst dem Kaiser von seinem Mißgeschick, dieser lachte herzlich darüber. Er ließ sich dann von einer schrecklichen Frau, einer Witwe, einfangen. Als er mit ihr seinen Antrittsbesuch zu Kuhn und seiner Frau machte, legte die Gattin Gallinas sehr bald los und sagte ohne gene über eine Menge Leute Schlimmes. Kuhn hörte ihr ruhig zu, als sie fortgegangen war, sagte er trocken zu Auspitz: „Jetzt ist der Gallina der vollständige Sokrates." Kuhn stürzte eigentlich über dem Beförderungsgesetz12. Das Charakteri10
11 12
Feldmarschalleutnant Freiherr Josef Wilhelm von Gallina leitete den Generalstab von 1869 bis 1874. Der Geburtstag Kaiser Franz Josephs. Freiherr Franz Kuhn von Kuhnenfeld war von 1868 bis 1874 Reichskriegsminister. Die neue Beförderungsvorschrift war nach langen Verhandlungen am 14. 3. 1871 verlautbart worden. Im Dezember 1873 setzte Kuhn eine Kommission ein, die die massiven Einwände gegen diese Vorschrift prüfen sollte, und beauftragte noch kurz vor seinem Rücktritt im Juni 1874 eine Überarbeitung der Beförderungsrichtlinien.
März 1900
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stische desselben war, daß es die außertourliche Beförderung in zwei Gruppen teilte und sie beide von Prüfungen abhängig machte. Uberhaupt trieb man damals einen übertriebenen Kultus mit der Intelligenz und mit den gehäuften Prüfungen. Auspitz, obwohl er Kuhn hochschätzte, schrieb dagegen; Janski verteidigte die Vorschriften. Leider hatte Kuhn Leute wie Janski und ähnliche um sich, die auch seine Fehler verteidigten und dadurch seinen Sturz herbeiführen halfen. Auspitz las mir aus einem Manuskript eine Polemik mit Janski vor (offenbar nicht gedruckt), in der er ihn eine Schmarotzerpflanze nannte, die einen Stamm umschlinge und dadurch verderbe. Bald darauf fiel Kuhn. Sein Nachfolger war Koller. Er war einfaltig und in den Händen des Generals Stransky, eines weichlichen und unfähigen Mannes, den Kuhn aus dem Kriegsministerium, wo er die Leitung der Militärischen Bildungsanstalten besorgte, entfernt hatte. Er eröffnete einen Feldzug gegen Kuhn und wollte Auspitz bestimmen, gegen ihn zu schreiben. Dieser weigerte sich, und zwar, wie er behauptet, mit der ausdrücklichen Bemerkung, er habe zwar einige Maßregeln Kuhns bekämpft, achte und schätze ihn aber als hervorragende Persönlichkeit. Während dieser Zeit hatte Hauptmann Auspitz mit Hauptmann Leddihn die Aufgabe, den ersten und den dritten Teil des Dienstreglements umzuarbeiten13. Diese Vorschläge wurden dann in der großen Armeekommission beraten und vielfach in der Fassung Auspitz' angenommen. Eines Tages ließ ihn Oberst Beck, damals Vorstand der Militärkanzlei des Kaisers, zu sich rufen, und gab ihm die seinen Anträgen abweichenden Vorschläge des Erzherzogs Albrecht und fragte ihn, was er dazu sage. Auspitz meinte, dazu hätte er doch keine Vollmacht, er arbeite im Auftrage des Kriegsministeriums und erbitte sich die Vorschläge des Erzherzogs zur Berichterstattung im Ministerium. Darauf Beck: Dieser Weg wäre zu umständlich und zeitraubend. Er soll einfach und ohne Formalitäten die Vorschläge Albrechts entgegennehmen, sie entweder akzeptieren oder einfach begutachten, weshalb er sie nicht annehmen könne. Und so geschah es. Auf diesem kurzen Wege, auf nicht unterschriebenen Bogen machte Auspitz entweder Kompromißvorschläge oder Ablehnungsbegründungen, und seine Ansicht schlug zumeist durch. Als dann die Arbeit (oder doch ein Teil derselben) fertig war, erschien Beck mit dem allerhöchst genehmigten Exemplar beim Präsidialchef des Kriegsministers, bei Stransky, ließ Auspitz holen und gab ihm, nicht Stransky, das Exemplar mit dem Auftrage, es zum Druck zu befördern. Er fügte hinzu, der Kaiser habe gefragt, ob die Arbeit noch von Hauptmann Auspitz besorgt werde, und als Beck bejahte, habe der Kaiser gesagt: „Dann ruht sie in guten Händen!" Auspitz ist Beck sehr dankbar für diese vor seinem (Auspitz') Gegner erwiesene Aus-
13
Das neue Dienstreglement für das к. k. Heer war bereits 1873 veröffentlicht worden. Vgl. dazu auch S. 361.
334
Ludwig Doczi
Zeichnung. Stransky hatte nämlich vorher gegen Auspitz eine Feindseligkeit begangen. Er meldete dem jetzigen Generalstabschef John, Auspitz sei der Verfasser eines in der Presse gegen den Kriegsminister Koller erschienenen Artikels. John ließ Auspitz holen, fragte ihn, ob dies wahr sei, Auspitz stellte es der Wahrheit gemäß in Abrede, und John meldete dies auch auf Wunsch Auspitz' dem Kriegsminister. Beck stand weder zu John noch zu Kuhn in einem guten Verhältnisse. John hatte sich als Kriegsminister den Einfluß des Chefs der Militärkanzlei verbeten. Kuhn sprach von Beck nach seiner Art stets mit Mißachtung. Er nannte ihn nur „der Sperlingskopf', mit dem die Physiognomie Becks einige Ähnlichkeit hat. Daher die Mißstimmung Becks gegen Kuhn. Auspitz hat von Beck eine sehr gute Meinung. Er sei keine große Natur wie John oder Kuhn, aber [ein] klarer, besonnener, gewissenhafter Kopf, und vor allem höchst wohlwollend. Er habe seinen Einfluß stets in wohltätiger Weise geltend gemacht. Angeli sagte mir (Friedjung), daß Beck ein glänzendes Gedächtnis und eine umfassende Personenkenntnis besitze. Er könne dem Kaiser auf jede von dessen Fragen präzise Auskunft geben, was sehr wichtig sei. Denn der Kaiser habe selbst ein sehr gutes Gedächtnis, und derjenige, der ihm nicht auf eine Frage Auskunft geben könne, habe es bei ihm verloren. Er wolle gut bedient sein. Schönfeld14 war gewiß ein vorzüglicher Soldat, aber er hatte zwei Fehler. Er war zu bequem, und sein Charakter ließ viel zu wünschen übrig. Auch letzteres hätte sich im Kriegsfall unangenehm bemerklich gemacht. Erzherzog Albrecht sagte zu Auspitz einmal: Die Herren schreiben zu viel über die Zustände der Armee, es war ihm unangenehm. Er ließ die Vorhänge ungern in seinem Zimmer heruntergelassen: „Ich will die liebe Sonne sehen!" Becks Anständigkeit zeige sich darin, daß er mich empfangen habea, er habe ja gewußt, was ich gegen ihn geschrieben hatte15. Er sei bescheiden.
Ludwig Doczi, Leiter des Literarischen im Außenministerium
Bureaus April 1900 К 2, U la, 24a r-v
Er ist immer unzufrieden mit der deutschen Reichsregierung, er klagt, sie mische sich doch in österreichische Verhältnisse. Sie habe aus manchen Din14
15 a
Nach dem Tod von Freiherr Franz von John (25. 5.1876) übernahm Freiherr Anton von Schönfeld das Amt des Generalstabschefs. Er wurde 1881 von Freiherr Friedrich von Beck abgelöst. In Kampf um die Vorherrschaft finden sich keine Angriffe oder negativen Urteile über den damaligen (1866) Generaladjutanten des Kaisers. Gesprächsaufzeichnungen mit Freiherrn Friedrich von Beck sind aus diesem Zeitraum nicht erhalten.
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gen - Aufsatz Kramär16 etc. - zu viel Wesens gemacht. Bülow sei mehr geistreich als hervorragend. Er wirke doch auch zuviel auf die Presse. Er aber kenne dieses Geschäft und könne sagen, daß Bülow darin zu weit gehe. Vergleiche er Bülow mit Goluchowski, so habe dieser doch „mehr spezifisches Gewicht" als Staatsmann. Er, Doczi, sei gewiß für das deutsche Bündnis eingenommen. Schießl habe als erste Aufgabe die Ansprachen, Toaste bei der Kaiserreise zu arbeiten bekommen17. Diese aber hatten nicht gefallen, und Doczi habe den Auftrag neuer Entwürfe erhalten. Er habe die Ansprache des Kaisers Franz Joseph an den preußischen Kronprinzen entworfen und lasse den Kaiser bei diesem Anlasse sagen, daß er hoffe, das Bündnis [solle] auch „für kommende Geschlechter" gelten. Goluchowski sei ganz einverstanden gewesen, und die Sachen lägen beim Kaiser. Ich bin neugierig, ob der Ausdruck auch gebraucht wird.8 Doczi macht mir immer „liebevolle" Vorwürfe, daß ich doch nicht ganz für ihn eingenommen sei, daß ich etwas gegen ihn habe. Ich erwiderte, ich hegte die große Achtung vor ihm. Darauf seine Antwort: Darauf lege ich keinen Wert, das können Sie mir nicht verweigern, das ist etwas Erzwungenes, es genügt mir nicht. Ich war wirklich in Verlegenheit, da mir doch seine Art nicht sympathisch ist. Als er sich über die deutsche Regierung beklagte, erzählte er mir, er habe Bülow gesagt, daß es Deutschland ganz recht sein könne, wenn ein tschechischer Minister im österreichischen Kabinett säße18; denn dieser werde sich doch der Gewalt der Umstände fügen müssen, und damit werde der Beweis hergestellt sein, daß das Bündnis mit Deutschland unerschütterlich sei. Ich erwiderte ihm, er werde durch solche Argumente Bülow nicht überzeugen. Denn in Berlin bestehe nun einmal die feste Uberzeugung, daß eine fortschreitende Slawisierung Österreichs fur Deutschland gefahrlich sei. Sei denn unter einem künftigen österreichischen Kaiser nicht eine Tripelallianz Österreichs mit Frankreich und Rußland möglich? Habe denn nicht Badeni gegen das Bündnis mit Deutschland schreiben lassen? Darauf verbreitete sich Doczi über Badeni. Badeni habe stets gesagt, wir seien zu abhängig von Deutschland, wir seien fast sein Vasallenstaat. Und so habe eigentlich Badeni, der die Annäherung an Rußland betrieb, und er sei 16
Karel Kramarsch: L'avenir de l'Autriche; in: Revue de Paris 6/1 (Jänner-Februar 1899) 577-600. 17 Kaiser Franz Joseph und Außenminister Graf Agenor Goluchowski waren vom 4. bis 7. 5. 1900 aus Anlaß der Großjährigkeitserklärung des deutschen Kronprinzen in Berlin. Franz Schießl von Perstorff hatte im Jänner 1900 das Amt des Kabinettsdirektors des Kaisers angetreten. 18 Dem Kabinett Koerber gehörte als tschechischer Landsmannminister zunächst Antonin Rezek (1900-1903) an. " Randbemerkung: Ja! Die Redensart wurde aufgenommen.
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Wolf Hugo von Lindenau
[sic!] der Urheber des Übereinkommens mit Rußland 189719. An diesem Ubereinkommen sei aber gar nichts, es habe gar keine Wirkung gehabt. Ich fragte, ob Badeni die Artikel der Reichswehr gegen Deutschland inspiriert habe. Doczi stellte das in Abrede. Freiberg sei schreckensbleich zu ihm gekommen und habe Doczi gesagt, er sei absolut nicht imstande, Davis von seinen Angriffen gegen Deutschland abzuhalten. Doczi sprach in demselben Sinne mit Eulenburg, und da erst habe er, Doczi, erfahren, daß die Reichswehr von Badeni subventioniert sei. Die ganze Geschichte klingt seltsam, fast unglaublich. Irre ich nicht, so beklagte sich Doczi einmal zu mir über Badeni. Er könne ihm nicht verzeihen, daß er Osterreich auch in äußere Verwicklung gestürzt, mit Deutschland etwas veruneinigt habe, das müßte sich ja in den Aufzeichnungen finden." Eine Bemerkung Doczis verletzte mich: Er habe den Eindruck, daß ich Osterreich „aufgegeben" habe. Ich erwiderte: In Deutschland betrachte man mich als patriotischen österreichischen Historiker. Ja, sagte er, aber nach den Katastrophen Badeni - Thun habe sich diese Entwicklung bei mir eingestellt. Ich werde darauf noch scharf zurückkommen müssen. Eines Tages kam Halban zu Doczi (noch unter Badeni), um ihn zu bitten, Guttmann in irgend, wenn auch entfernte Verbindung mit dem Ministerium des Äußern zu setzen. Doczi weigerte sich. Er erzählte das Goluchowski und sprach sein Erstaunen über diesen Schritt aus. Da sagte ihm Goluchowski: Halban habe alles getan, um Chef des Literarischen Bureaus im Ministerium des Äußern zu werden20, nun wolle er Doczi, der es geworden sei, eine so unzuverlässige Person wie Guttmann anhängen.
Wolf Hugo von Lindenau, deutscher Legationsrat г. P.
Berlin, April 1900 К 2, U 3, 393 г - 394 г
Beust war ihm gram, weil er dessen preußenfeindliche Politik zu durchkreuzen suchte, das sei die Ursache seines Austrittes aus dem sächsischen Staatsdienst 1864 oder 65 gewesen. Doch trat er nach dem Kriege wieder in sächsischen diplomatischen Dienst, dann aber circa 1869 in das norddeut19
20
a
Im Anschluß an den Besuch Kaiser Franz Josephs in St. Petersburg vom 27. bis 29. 4. 1897 veröffentlichten die beiden Außenminister identische Noten, in denen sie erklärten, am Balkan den allgemeinen Frieden, das Prinzip der Ordnung und den Status quo aufrechterhalten zu wollen. Dies bedeutete den Beginn der österreichisch-ungarischrussischen Balkanentente. Heinrich von Halban war während des Kabinetts Taaffe im Preßdepartement des Ministerratspräsidiums tätig und leitete von 1887 bis 1898 die Kanzlei des Abgeordnetenhauses. In den erhaltenen Gesprächsaufzeichnungen findet sich dazu kein Hinweis.
April 1900
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sehe Bundeskanzleramt, jedoch in die innere Verwaltung, nicht in den auswärtigen Dienst. 1871-74 war er dann Mitglied des deutschen Reichstags. Seit den 70er Jahren ist er im Ruhestande. 1876 wollte ihn der König von Sachsen als sächsischen Gesandten nach Wien schicken, er nahm es nicht an. Wie mir Bachmann21 erzählt, ist Lindenau ehrenhaft, vermögend, aber ein geschworener Feind des sächsischen Partikularismus; wo er eine reichsfeindliche Richtung in Sachsen gewahrt, fährt er unbarmherzig los. Und da mag er mitunter zu scharf sein. Er gehört der Richtung an, deren edelster Vertreter Treitschke war. Lindenau erzählt mir, er sei mit dem König Albert zusammen erzogen worden, dieser sagte zu ihm auch später noch „Du". Aber er verfeindete sich mit [dem] sächsischen Hof durch seine Aufdeckung der unzuverlässigen Politik Sachsens 1870. Der Anlaß dieser Verfeindung war eine Polemik Lindenaus gegen Friesen. Dieser sei der Träger dieser zweideutigen Politik 1870 gewesen, und das deckte Lindenau auf, als es (1877 ?) hieß, Friesen solle Minister des königlichen Hauses in Sachsen werden. Er fürchtete die ungünstige Rückwirkung einer solchen Ernennung auf die Beziehung Preußens zu Sachsen und auf die Reichspolitik, und deshalb trat er in einem anonymen Artikel in den Grenzboten auf, trat jedoch bald aus seiner Anonymität hervor22. In diesem Artikel hob er die ihm aus dem Jahre 1870 bekannten Tatsachen hervor. Damals muß, so schließt Lindenau aus der Schrift Gramonts23, eine Art Verbindung zwischen dem sächsischen Hofe und Frankreich bestanden haben. Denn Gramont berichtet, wenn auch unter dem Schleier Supposors, daß der sächsische Hof dem französischen Vertreter eine Erklärung gemacht habe, die ihm zur „Rückendeckung" gedient hätte, falls Frankreich gesiegt hätte. Entsprechend dieser Gesinnung muß auch Friesen, der damals Vertreter Sachsens am norddeutschen Bundesrate gewesen war, die Instruktion erhalten haben, sich bei der Abstimmung über Krieg und Frieden zurückhaltend zu äußern. Diese Abstimmung kam allerdings nicht in das offizielle Protokoll. In dieses Protokoll wurde vielmehr eine entschlossene Erklärung Sachsens gegen Frankreich und seine Bereitwilligkeit zum Kriege aufgenommen. Als dieses Protokoll Friesen zur Unterschrift vorgelegt wurde, sagte er, er habe sich zwar nicht so geäußert, aber er sei bereit, das zu unterschreiben. Diese letztere Äußerung Friesens erfuhr Lindenau von dem damaligen Staatssekretär Thile, wenn ich nicht irre. Um nun Friesens Ernennung zu durchkreuzen, veröffentlichte Lindenau einen Artikel über diese Verhältnisse in den Grenzboten und verhinderte so die 21
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u
Der Deutschböhme Hermann Bachmann war seit 1895 Redakteur, ab 1900 Chefredakteur der Vossischen Zeitung in Berlin. In den Grenzboten. Zeitschrift für Politik, Literatur und Kunst findet sich in den Jahren 1876 bis 1878 kein entsprechender Artikel. Antoine Gramont, La France et la Prussie avant la guerre (Paris 1872).
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Wolf Hugo von Lindenau
Ernennung Friesens. Kronprinz Albert war über ihn sehr ungehalten, insbesondere über den Ausdruck „Rückendeckung", und erklärte, Lindenau, der seinen Vater beleidigt habe, nicht mehr empfangen zu wollen. Selbst als Lindenau eine Stiftung für ein sächsisches Regiment machte, in dem sein Vater (oder sein Großvater) viele Jahre gedient hatte, erhielt er keinen Dank vom König. An Stelle Benedettis sollte der Botschaftsrat Le Sourd 1870 die Kriegserklärung in Berlin übergeben24. Wie Lindenau von Thile erfuhr, entledigte er sich in merkwürdiger Weise seiner Aufgabe. Er sagte: Er käme mit einem wichtigen Auftrage und bitte, es ihm nicht zu verargen, wenn er in der Form etwas verfehle. Er habe ein wichtiges Schriftstück zu überreichen. Und nun griff er in die Tasche, hatte jedoch zu seinem Schrecken die Kriegserklärung in seinem Bureau vergessen. Lindenau ging eben durch die Wilhelmstraße, als er Le Sourd in größter Eile daherkommen sah. Sie begrüßten sich, und Le Sourd sagte pressiert, ich habe Eile, ich habe etwas in meinem Bureau vergessen. Als Lindenau nun Thile diese Begegnung vom Tage der Kriegserklärung erzählte, erzählte ihm Thile (so hieß ja der damalige Staatssekretär) den Hergang. Lindenau hat Verwandte in Wien, so den Fabrikanten Brevilliers etc. Auch gut bekannt oder verwandt mit a, von dem die Briefe eines Unbekannten sind25. Holstein, Planitz sind seine guten Bekannten. Er steht also mit sächsischen offiziellen Persönlichkeiten doch in gutem Verkehr. Als zu Nikolsburg der Abschluß erfolgte26 und Kaiser Franz Joseph dem König von Sachsen sagte, es hänge von ihm ab, ob Osterreich den Krieg fortsetzen solle, sagte Kaiser Franz Joseph als Nachsatz: Allerdings müsse Österreich, falls die Fortsetzung des Kriegs ungünstig ausfalle, dann den Frieden ausschließlich mit Rücksicht auf seine eigenen Interessen schließen. Dieser Nachsatz, bisher unbekannt, ist sehr wichtig27.
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Die französische Kriegserklärung wurde am 19. 7.1870 vom Geschäftsträger Georges Le Sourd übergeben. Botschafter Graf Vincent Benedetti war nach letzten Verhandlungen mit Kaiser Wilhelm in Bad Ems nicht mehr nach Berlin zurückgekehrt. Die 1881 in Wien erstmals veröffentlichten „Briefe eines Unbekannten" des 1880 verstorbenen Alexander von Villers. Zu den Verhandlungen in Nikolsburg vgl. Kampf um die Vorherrschaft. Bd. 2, 470-485. Friedjung nahm diese Mitteilung Lindenaus in spätere Auflagen des Kampfes um die Vorherrschaft auf, und zwar mit dem Vermerk, „daß diese Zwischenbemerkung von dem Kaiser gemacht wurde, wird mir von beachtenswerter Seite versichert" (7. Aufl. 1907 525-526). Freilassung im Original.
April 1900
Graf Bernhard von Bülow, deutscher Staatssekretär des Auswärtigen Amtes
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April 1900 К 2, U la, 25a г
Das Gespräch schilderte ich Aehrenthal genau28. Er erzählte, ein Diplomat habe ihm gesagt: On ne reussit jamais ä tuer son successeur. Worauf ich Narväez erwähnte, der auf seinem Totenbette . . ,29 Ein sächsischer Minister erzählte Bülow: Einmal sprach Bismarck mit dem Sachsen und sagte zu ihm, gegen Wilhelm und König Albert von Sachsen gerichtet: Sie haben es gut; Sie haben einen höflichen Herrn, einen einsichtigen Herrn; ich habe es mit einem Rindvieh zu tun. Bülow tadelte an der Legislation Bismarcks, daß sie zu oft den Bedürfnissen eines einzigen Augenblicks, einer vergänglichen politischen Situation angepaßt gewesen sei. Bei aller Bewunderung vor Bismarck hatte Bülow doch vieles an ihm auszusetzen. Er kritisierte ihn aufs Geistreichste.
Emil Jettel von Ettenach, Hof- und Ministerialrat im Außenministerium
April 1900 К 2, U la, 23a r-v
Es sei klar, daß Doczi gegen Aehrenthal intrigiere. Doczi wisse, daß Jettel mit Aehrenthal in Verbindung stehe, denn er sei eine Polizeinatur. Deshalb habe Jettel an Aehrenthal einmal lieber über Berlin (mit dem deutschen Kurier) geschrieben, als durch den österreichischen Kurier. Und Aehrenthal habe ihm auch lieber in seine Wohnung geschrieben. Um diesen Schwierigkeiten zu entgehen, bat mich Jettel, seinen Brief an Aehrenthal in mein Kuvert zu geben30. Jettel findet es nun höchst auffallend, daß, obwohl Doczi weiß, daß er Aehrenthal nahestehe, Doczi ihm gegenüber abfallige Äußerungen über Aehrenthal gemacht, ja gesagt habe, die russenfreundlichen Berichte Aehrenthals - die die Notwendigkeit einer Annäherung an Rußland hervorheben würden in Wien nicht gerne gesehen. Weshalb ihm Doczi diese Eröffnungen gemacht habe? Damit er es Aehrenthal weitersage? Oder aus Eitelkeit, um zu zeigen, daß er ganz im Vertrauen des Ministers stehe? Im Verlaufe des Gesprächs treffen wir uns in der Vermutung, daß die wenig günstige Meinung, die man von Aehrenthal in Berlin hegt, vom Ballplatze aus hervorgerufen sei. 28
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Vgl. Aus dem Nachlaß Aehrenthal Teil 1, 214-220. Das Gespräch mit Bülow fand am 10. 4. 1900 statt, vgl. ebd. 211. Der spanische Politiker Ramon Maria de Narväez soll auf die Frage des Geistlichen, ob er seinen Feinden vergebe, geantwortet haben, er habe keine Feinde, er habe sie alle erschossen (no tengo enemigos. Los he fusilado a todos). Vgl. die Briefe Friedjungs und Jetteis an Aehrenthal vom 21. und 26. 4. 1900 in Aus dem Nachlaß Aehrenthal Teil 1, 214-221.
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Josef Maria Baernreither
Ich vermute, daß Doczi selbst einmal den deutschen Diplomaten gesagt habe, wie bundestreu Goluchowski sei, ganz anders sei Aehrenthal, er sei russisch gesinnt. Jettel erzählt weiter. Man zeige Aehrenthal die Unzufriedenheit dadurch, daß man ihm keinen Kurier schicke, so daß er auch nicht berichten könne; man sage damit, daß seine Berichte nicht angenehm seien. Vor einiger Zeit habe man ihm wegen gewisser Handelsbeziehungen Rußlands [mit] der Türkei eine telegraphische Anfrage gesendet, und er erwiderte telegraphisch, welches die Ansicht des russischen Kabinetts sei. Damals habe er einen Kurier verlangt, und da erst sei ihm dieser - nach vierwöchentlicher Pause geschickt worden. Am 27. oder 28. April. Es ist das der Kurier, mit dem ich Aehrenthal den Bericht über meine Berliner Reise geschickt hatte31. Goluchowski, so urteilt Jettel, sei sehr unsicher, leicht zu beeinflussen, sei seiner Aufgabe nicht gewachsen. Offenbar imponiere ihm Doczi. Er sei gar nicht der Mann, wie ihn gerade der Kaiser brauche, der eine feste Natur neben sich notwendig habe. Jettel hatte jüngst mit Goluchowski über Albanien gesprochen und hervorgehoben, daß Osterreich doch sich einen Stützpunkt daselbst schaffen müsse. Denn es genüge nicht, daß wir sagen, Italien dürfe Albanien nicht bekommen. Jettel machte nun zwei Vorschläge: 1) Der Österreichische Lloyd könne in Valona ein Entrepot pachten und daselbst etwas zur Förderung des österreichischen Handels tun. Darauf Goluchowski: Das würde Italien nie dulden. 2) Man solle die Eisenbahn von Sarajevo nach Mitrovica weiterführen, denn jetzt gebe es dort nur eine schlechte Straße. Darauf Goluchowski: Ja, diese Eisenbahn wird einmal gebaut werden. So wenig bestimmt ist die ganze Denkrichtung Goluchowskis. Er läßt nun Doczi auch in Dingen gewähren, wo er es nicht sollte. Jetzt ist Doczis einziges Ziel, daß er neue Angriffe auf sich in den Delegationen verhindere. Es sei merkwürdig und interessant, welche Minen er dabei sprengen lasse. Er wende Mittel an, die ganz unstatthaft sind, und Goluchowski gebe seine Zustimmung. Jettel meint, Goluchowski sollte das nie erlauben. Aber Doczi kennt eben Goluchowski. Er weiß, daß, wenn sich die Angriffe wiederholen, Goluchowski nicht der Mann sei, ihn zu halten.
Josef Maria Baernreither, Mitglied des Abgeordnetenhauses 9. Mai 1900, Große Halle des Parlaments К 2, U la, 8a г - 9a г Das Gespräch begann mit der Thronfolgerfrage. Baernreither tadelt Goluchowski strenge, weil er der Ehe Franz Ferdinands mit der Gräfin Chotek 31
Vgl. Aus dem Nachlaß Aehrenthal Teil 1, 214-220.
9. Mai 1900
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sich nicht wiedersetzt habe32, erteilt dagegen Koerher das höchste Lob; dieser habe sich so entschlossen und fest benommen, wie dies auch einem Ministerpräsidenten von hohem Adel nicht anders und besser möglich geworden sei. Er habe dem Kaiser gesagt, die Ehe sei ein Verhängnis. Wenn Koerber zurücktrete, so sei er aus diesem Grunde der Hochachtung jedes Rechtschaffenen sicher, diese seine Haltung sei aber ein großes Geheimnis. Die österreichischen Juristen, die man befragt habe, seien der Meinung, daß die Thronfolgeordnung ein Recht der Majestät sei, und zur Festsetzung derselben sei nicht ein Gesetz notwendig. Baernreither verteidigt diesen Satz, den er annimmt, aus dem Grundsatz der Legitimität, des göttlichen Rechtes der Dynastie. Dies sei der Standpunkt, den die Dynastie in Osterreich einnehmen müsse. Sie habe zwar freiwillig eine Reihe von Rechten mit der Volksvertretung geteilt, dieses Recht aber nicht; denn diese Bestimmung betreffe sie selbst, die Ordnung ihres eigenen Hauses. In dieses Sanctuarium dürfe sie sich nicht eingreifen lassen. Danach wäre ein eigenes Gesetz in Ungarn und folgerichtig auch in Osterreich nicht notwendig. Szell dagegen erklärt, die Ausschließung von Kindern Franz Ferdinands sei nur durch ein Gesetz möglich. In unserer Diskussion wird die Frage über die Zukunft Österreichs aufgeworfen. Baernreither nimmt an, ich gebe Österreich auf. Ich erkläre ihm, daß ich an den Zerfall Österreichs nicht glaube, daß ich aber die Herstellung geordneter Verhältnisse im Inneren von innen heraus nicht mehr für wahrscheinlich halte. Es werde ein Eingreifen von Deutschland her notwendig sein, also eine „Intervention", wie Baernreither sich ergänzend ausdrückt. Er neigt derselben Meinung zu. Ich entwickle ihm dann meine Ansicht, daß der staatsrechtliche Verbund mit Deutschland bemüht werden müsse zur Expansion auf der Balkanhalbinsel. Baernreither stimmt ganz zu. „Wer aber solle dies machen?" fragt er. „Ich wüßte nur einen", fahrt er fort. „Ich glaube ihn zu erraten", werfe ich ein. „Nun, wen?" Fürst Fürstenberg, sage ich. Er ist überrascht und stimmt lebhaft ein. Fürstenberg sei viel begabter, als man gewöhnlich annehme. Er sei zwar äußerlich burschikos, aber er wisse selbst, daß er doch über die Jahre hinaus sei, in denen dies natürlich sei. Aber er behalte diese Formen als eine Maske. Denn tatsächlich sei er klug, politisch überlegt, weit mehr, als man dies annehme. Er hält alle seine Angelegenheiten in vorzüglicher Ordnung, seine Güter in Böhmen wie im Schwarzwald, seine Musikkapelle in Donaueschingen wie alles andere. Er sei noch zu großen Dingen berufen. Er, Baernreither, gebe sich Mühe, ihn zu seiner Aufgabe zu erziehen, indem er ihm alle seine Erfahrungen, all sein Wissen zur Verfügung stehe [sie!]. 32
Erzherzog Franz Ferdinand heiratete am 1. 7. 1900 Gräfin Sophie Chotek in morganatischer Ehe, nachdem er am 28. Juni feierlich auf alle Thronfolgerechte für ihre Kinder verzichtet hatte.
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Josef Maria Baernreither
Merkwürdig sei, wie er sich klug mit den Tschechen zu stellen wisse. Er war pünktlich bei den Sitzungen des Ausgleichsausschusses33 anwesend und hörte, was viel sagen will, eine %stündige Rede Pergelts aufmerksam an; nach der Sitzung setzte er sich zu den Tschechen und sprach mit ihnen böhmisch, es komme ihm zugute, daß er ebenso deutsch wie tschechisch spreche. Das Gespräch wendet sich Aehrenthal zu. Dieser, so sagte Baernreither, habe nicht dieselbe lebhafte Empfindung wie Fürstenberg für die Bedeutung des Nationalen. Baernreither habe drei Tage lang in Gastein mit ihm gesprochen, ihn oft vergebens in diesen Angelegenheiten beanstandet. Er empfinde darin roher als Fürstenberg. Allerdings habe Aehrenthal eine große Auffassung der Orientpolitik Österreich-Ungarns. Mit großer Lebhaftigkeit setzte er auseinander, wie Österreich-Ungarn sich den Westen der Balkanhalbinsel sichern müsse mit Saloniki als Endpunkt. Es sei vergebens, auf der anderen Seite Rußland Konstantinopel vorenthalten zu wollen. Als ich nun meinte, Aehrenthal habe doch keine Vorstellung, daß diese Dinge nur durch einen engeren Bund mit Deutschland durchzusetzen seien, dessen wirtschaftliche, geistige, militärische Kräfte wir als Rückhalt benötigen, sagte Baernreither bedauernd: Nein, so weit ist er nicht. Aehrenthal stehe mit seiner Auffassung im Gegensatze zu Goluchowski, mit dem er überhaupt viele Differenzen habe. Goluchowski sei der dilettantischen Ansicht, Österreich-Ungarn müsse einfach auf der Balkanhalbinsel alles gemeinschaftlich mit Rußland schlichten. Weiter blicke er nicht. Goluchowski sei überhaupt eine unbedeutende Persönlichkeit, die alles tiefere Eingehen auf die Dinge vermeide. Er habe einen Vorrat allgemeiner Redensarten, über die er nie hinausgehe; wenn man schärfer auf die Sache eingehe, so weiche er aus: Das seien Details, auf die er sich nicht einlassen könne. Eine der Phrasen sei: Die Deutschen seien der Kitt des Reiches, aber wenn man ihn bei einer Konsequenz dieses Grundsatzes festhalten wolle, so sei dies unmöglich. Gleich darauf ziehe er gegen die Deutschen los: Sie seien uneinig, untraitabel. Baernreither erwiderte ihm einmal darauf: Wenn er glaube, die Deutschen seien der Kitt des Reiches, so müsse er eigentlich etwas dazu tun, damit sie einig würden, ihre staatliche Aufgabe erfüllen könnten. Goluchowski sei nicht bloß ungründlich, er wage es nicht, sich ernstlich einzusetzen. Es wäre seine Pflicht gewesen, ernstlich der Heirat des Erzherzogs Franz Ferdinand mit der Gräfin Chotek entgegenzutreten. Er aber habe sich so benommen, wie wenn er die Wichtigkeit des Gegenstandes nicht begriffe. Ganz anders Koerber, siehe oben. 33
Der Ausgleichsausschuß des böhmischen Landtages, in dem der letztlich gescheiterte Taaffesche Ausgleich von 1890 verhandelt wurde.
9. Mai 1900
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Edmund Bernatzik, Professor für Staatsrecht, Verwaltungslehre und österreichisches Verwaltungsrecht an der Universität Wien 9. Mai 1900 К 2, U la, 9a r-v Obwohl Bernatzik die Antwort auf die Frage ablehnt, ist es klar, daß er in der Frage des Thronrechts der Kinder des Erzherzogs Franz Ferdinand 34 ein Gutachten abgab. Er erzählt, daß man ihm die Stelle aus dem Hausgesetz, die auf die Frage Bezug habe, gezeigt habe, und hierin sei nicht von ebenbürtigen, sondern nur von ehelichen Nachkommen die Rede. Bernatzik meint also, daß das Hausgesetz dem Erbrecht der Kinder der Gräfin Chotek nicht entgegenstehe. Ebenso sei es sehr zweifelhaft, ob eine Ehe mit ihr nur morganatisch sei. Denn es gibt Staatsrechtslehrer, welche die Ehe eines Mitgliedes eines regierenden Hauses mit einer Gemahlin von hohem Adel - abgesehen davon, ob sie standesherrlich sei oder nicht - als ebenbürtig ansehen. Daraus geht hervor, daß Bernatzik sein Gutachten dahin abgab, die Kinder der Gräfin Chotek wären thronberechtigt. Als ich sagte, Goluchowski habe sich der Ehe energischer entgegensetzen sollen, erklärte er das für einen Irrtum. Goluchowski und der Kaiser seien einer sehr schwierigen Situation gegenübergestanden. Man müsse bedenken, daß ein ähnlicher Fall zu der Katastrophe des Erzherzogs Rudolf geführt habe. Man spiele nach einer solchen Erfahrung nicht mit dem Feuer. Dazu komme, daß, wenn der Kaiser seine Einwilligung versage, der Erzherzog den Kaiser in eine höchst fatale Lage hätte bringen können. Wenn er nämlich geheiratet hätte, was hätte der Kaiser tun können? Eine kanonisch gültige Ehe hätte er doch nicht als ungesetzlich erklären können. Irre ich nicht, so erzählte Bernatzik, daß Erzherzog Franz Ferdinand den Versuch gemacht habe, sich trauen zu lassen, aber er sei auf die Weigerung des betreffenden Geistlichen gestoßen. Er oder Baernreither erzählte mir dies, ich glaube Bernatzik. Und zu einer kanonisch gültigen Ehe genüge die passive Assistenz eines katholischen Geistlichen. So machte es Erzherzog Heinrich 35 . Er lud den Pfarrer von Gries bei Bozen zu sich, erklärte ihm, diese Dame sei seine Frau, seine Braut erklärte, sie wolle ihn zum Manne nehmen, und der betroffene und bestürzte Pfarrer hatte keine Möglichkeit, Einspruch zu erheben.
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Erzherzog Franz Ferdinand heiratete am 1. 7. 1900 Gräfin Sophie Chotek in morganatischer Ehe, nachdem er am 28. Juni feierlich auf alle Thronfolgerechte für ihre Kinder verzichtet hatte. Erzherzog Heinrich heiratete 1868 ohne Einwilligung des Kaisers die Sängerin Leopoldine Hofmann und mußte darauf aus dem Kaiserhaus ausscheiden. Er wurde jedoch 1872 wieder in seine erzherzöglichen Rechte eingesetzt.
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Freiherr Alois Lexa von Aehrenthal, Botschafter in St. Petersburg
Freiherr Alois Lexa von Aehrenthal
11. Juni 1900 К 2, U la, 26 a r-v
Flüchtiges Gespräch über Rußland. Aehrenthal schätzt [den] Zaren sehr niedrig, hält ihn für sehr unbedeutend. Das sei für Osterreich ein günstiger Umstand. Muraviev sei ein gewandter Höfling. Daß der Zar nach der Haager Konferenz nichts tat, um die Unterwerfung der Transvaalstaaten zu verhindern, sei doch eine Inkonsequenz36. Allerdings wurde im Herbst des vorigen Jahres seitens Rußland eine Art Anfrage nach Berlin gerichtet, ob Deutschland nicht im Vereine mit Rußland und Frankreich etwas gegen Deutschland [sie!] unternehmen wolle. Aber Deutschland verhielt sich ablehnend. Wohl mit Recht, denn wahrscheinlich wäre es dann, wenn mit England verfeindet, sitzengelassen worden. Und Deutschland muß in den Kolonien mit England gut stehen, wenn es nicht in seinem Handel geschädigt sein will. Ich hatte Aehrenthal den Artikel geschickt, in dem ich Goluchowski vorwarf, er trete nicht entschieden genug für die Deutschen Österreichs ein37. Aehrenthal scheint nicht einverstanden zu sein. Weshalb ich den Artikel geschrieben habe? Ich entgegnete: Rein aus sachlichen Gründen, und zum Abschlüsse von Gesprächen mit Doczi, dem ich solches stets vorgehalten hatte. Aehrenthal meint nun, es ließe sich jetzt wenig machen. Es genüge, wenn Goluchowski Koerber stütze; Goluchowski sage ihm, daß er dem Kaiser den Eindruck erwecken müsse, daß er nach jedem Schritt schon sich über den nächsten klar sei. Aehrenthal entwickelt mir dann seine Ansichten. Es sei richtig, daß die Schwierigkeit in der Unstetigkeit des Kaisers liege und in dem Umstand, daß unter den Deutschen keine Staatspartei existiere. Aber man muß die Deutschen wieder zur Teilnahme am Staate erziehen. Wenn sie durch einige Jahre einen sicheren Gang der Geschäfte in ihrem Sinne gewahren würden, so würde ihr altes Interesse an dem Staate wieder erwachen. Dabei müsse man vorwiegend die deutsche Nationalpartei heranziehen, denn die Fortschrittspartei sei im Absterben. Dies sei auch der Eindruck, den sein Bruder38 habe. Aehrenthal glaubt ferner, es wäre noch nicht an der Zeit, ein Sprachengesetz zu oktroyieren. Vor allem müsse der Reichsrat aufgelöst 36
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Die erste Haager Friedenskonferenz tagte vom 18. 5. bis 29. 7. 1899. Am 11. 10. 1899 brach der Burenkrieg aus, der erst mit dem Friedensschluß vom 31. 5. 1902 beendet wurde, in dem die Buren die englische Oberhoheit anerkannten. Vgl. Friedjungs Darstellung der Konferenz und des Burenkrieges in Das Zeitalter des Imperialismus. Bd. 1, 272-299 und zur Haltung Rußlands 314-315. Allgemeine Zeitung München v. 11.5. 1900, Abendblatt 2, Österreich-Ungarn; vgl. dazu Aus dem Nachlaß Aehrenthal Teil 1, 222-223. Aehrenthals älterer Bruder Felix war von 1891 bis 1909 Vizepräsident des Landeskulturrates von Böhmen und seit 1898 Mitglied des Abgeordnetenhauses.
10. September 1900
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werden. Die Regierung müsse zur Plattform wählen: Herstellung der parlamentarischen Ordnung und Investitionen - nichts weiter. Sie müsse erklären, das sei der letzte Versuch, in Ordnung zu kommen. Wenn das neue Haus noch nicht klüger sei, dann eine zweite Auflösung. Dann aber wäre die Krone vollständig im Recht, wenn sie zum Absolutismus zurückgriffe. Allerdings nicht zu einem ganz nackten, ein Feigenblatt sei notwendig. Schon deshalb, weil die Verwaltung wirklich einer Kontrolle bedarf. Es gebe dann verschiedene Wege: Eine neue Volksvertretung aus den Landtagen, eine aus dem allgemeinen Wahlrecht, endlich einfach eine Ergänzung des Herrenhauses unter Ergänzung durch Vertrauensmänner aus den Provinzen, diese letzteren hätten nur ad hoc zu funktionieren. Von dieser Volksvertretung wäre keine Schwierigkeit zu befürchten, auch könnte sie die Delegationen wählen. Dieser Weg wäre der sicherste, und er würde ihn wählen. Wir sprachen auch von einer künftigen Gestaltung und über mein Programm: Engere Verbindung mit Deutschland, Expansion im Orient. Er verhielt sich ablehnend. Er sei zufrieden, wenn er sich Klarheit über die Geschehnisse der nächsten fünf Jahre verschaffe. Darüber hinaus könne er sich nicht einlassen. Bei solcher Gestaltung der Dinge käme Osterreich-Ungarn unter das Protektorat Deutschlands. Das müsse vermieden werden. Man müsse einen Weg suchen, um Österreich-Ungarn für sich als Großmacht zu erhalten. Als wir davon sprachen, wie sorgsam Bülow und Lichnowsky die österreichischen Dinge verfolgen, meinte er ironisch: Sie sehen aus der Beurteilung meiner Stellung, wie wenig gründlich die Informationen sind, die man über mich eingeholt hatte39. Lichnowsky sei mehr schlau als klug, seine Familie sei eine wasserpolakische, mit deren Schlauheit. Ein seltsames Urteil; auch beschränkt in seiner Art.
Rudolf Sieghart, Sektionschef im Ministerratspräsidium
[10.] September 1900 К 2, U 5, 634 r-v
Koerber löste den Reichstag im Juni deshalb nicht auf*0, weil Kaizl und Friedrich Schwarzenberg ihm damals die Zusage machten, daß die tschechische Obstruktion im Herbste aufgegeben werde. Deshalb wartete Koerber. 39
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Freiherr Alois Lexa von Aehrenthal wurde in Berlin als Vertreter einer rußlandfreundlichen, einem engen Bündnis mit Deutschland abgeneigten Politik angesehen. Vgl. die Dokumente in Aus dem Nachlaß Aehrenthal Teil 1, 260-266, vor allem rund um einen in der „Allgemeinen Zeitung München" erschienenen Artikel vom 11.1. 1902, Morgenblatt 1-2, Antideutsche Einflüsse in der russischen Hauptstadt. Die Session des Abgeordnetenhauses war am 8. 6. 1900 nach tumultartigen Szenen geschlossen worden. Nachdem sich über den Sommer keine Beruhigung abzeichnete, wurde das Abgeordnetenhaus am 7. September aufgelöst und Neuwahlen ausgeschrieben.
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Ernest von Koerber
Tatsächlich war bis etwa 28. Juli die Tonart der tschechischen Blätter milde, bis darin eine Verschärfung eintrat. Friedrich Schwarzenberg ist sehr betrübt über diese Wende. Er beklagt sich, daß sein Einfluß von dem der Klerikalen ganz zurückgedrängt werde. Als Koerber dann in den letzten Wochen die Erklärung der tschechischen Parteileitung erhielt, [die] Obstruktion werde fortdauern, entschloß er sich zur Auflösung. Diese Maßregel wurde von Goluchowski anfangs entschieden bekämpft, und zwar offenbar im Interesse des Polenklubs. Goluchowski riet vielmehr, man solle mit § 14 ohne Auflösung regieren. Koerber mußte sich mit aller Kraft einsetzen, ja selbst seine Demission in Aussicht nehmen, um durchzudringen. Als Goluchowski sah, daß Koerber recht behielt, nahm er eine Schwenkung vor und sagt jetzt jedem, [die] Auflösung sei notwendig. Tatsächlich sagte mir Rosenberg41, Goluchowski habe sich in diesem Sinne zu ihm geäußert, [die] Auflösung entspreche der Logik der Tatsachen. Dies war auch, was Jettel mir sagte, die Antwort Goluchowskis auf Jetteis Einwendung, der meinte: Die Auflösung sei schädlich, weil sie nur die radikalen Elemente stärke. Offenbar ist Koerber über Goluchowski sehr erbittert, denn in diesem Sinne spricht auch Sieghart. Sieghart hatte ein längeres Gespräch mit Goluchowski über die inneren Fragen und beklagt sich gleichfalls wie Baernreither42 etc. über seine Oberflächlichkeit. Man höre nur allgemeine Redensarten ohne Inhalt. Dabei sei er zu oberflächlich, um sich gründlich zu unterrichten. Als ich am 10. September bei Sieghart in Dornbach war, kam die telegraphische Mitteilung seitens Koerbers, Sieghart sei zum Sektionschef ernannt, ebenso wie Forstner. Sieghart ist natürlich sehr für Koerber eingenommen. Koerber habe sich eine bestimmte Linie vorgezeichnet und werde von ihr nicht abweichen, eher zurücktreten. Keine Änderung der Verfassung, keine Konzessionen an die Tschechen.
Ernest von Koerber, Ministerpräsident
23. September 1900 К 2, U 2, 232 r-v
Ich treffe ihn auf dem Graben, er spricht mich an und läßt sich nach Hause begleiten, obwohl ich öfters mich verabschieden will. „Ich habe", so sagte er, „heuer gar keinen Urlaub genommen und war nur zweimal in Ischl beim Kaiser, und das waren gewiß nicht Tage der Erholung. Ich hatte gedacht, daß nach Auflösung des Reichsrates43 einige Ruhezeit für mich kommen werde, aber das war eine Täuschung." Auf meine Frage, ob der neue Reichstag [sie!]
41 42 43
Fürst Heinrich von Orsini und Rosenberg. Vgl. S. 342. Vgl. zur Auflösung des Abgeordnetenhauses am 7. 9. 1900 S. 345 Anm. 40.
23. September
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wieder aufgelöst werde, sagte er mezza voce: „Es wird wohl nichts anderes übrigbleiben." Er faßt die Lage sehr pessimistisch auf. Selbst wenn wir uns in Österreich einigten, so bliebe die Schwierigkeit mit Ungarn. Denn Ungarn wird immer neue Ansprüche erheben, und keine Regierung in Osterreich wird diese Dinge vor dem Parlament vertreten können. „Die Termine des Ausgleichs sind höchst schädlich44. Deshalb habe ich auch als Sektionschef unter Badeni bei der Vorberatung zum ungarischen Ausgleich den Vorschlag gemacht, einen permanenten Schlüssel der Quote festzusetzen. Aber Badeni war nicht einsichtig und sachkundig und ging darüber hinweg, obselbst Bänffy sich bei Besprechungen nicht unabgeneigt [sie!] zeigte. Badeni fühlte sich glücklich, als er bei Abschlüsse der Verhandlung [die] Zusage erhielt, Quote solle erhöht werden, das genügte ihm. Der andere schwache Punkt des Ausgleichs ist der Handelsvertrag, oder vielmehr die steten neuen Ansprüche Ungarns. Das Übel entstand gleich nach 1867. Der Kaiser hätte damals erklären sollen, er halte an dem Ausgleich fest, aber er könne eine weitere Lockerung des einheitlichen Verbandes nicht gestatten. Sein Standpunkt mußte der sein, daß er nicht Kaiser von Osterreich allein, nicht bloß König von Ungarn, sondern Vertreter des Gesamtstaates sei. Aber er hatte keine Männer um sich, die ihm dazu rieten; Staatsrat Braun wirkte nicht in diesem Sinn." Er leistete wohl nur passive Assistenz bei den Staatsgeschäften, warf ich ein, was Koerber bestätigte. So lockerte sich der Einheitsstaat immer mehr. Wir sind somit soweit gekommen, daß, wenn nicht das Verhältnis zu Ungarn einer Revision unterzogen wird, eine Besserung der Dinge auch in Osterreich undenkbar ist. Sollte der Absolutismus in Osterreich eingeführt werden, so dürfte dies nicht anders werden, da Ungarn sodann mit der ganzen Wucht des Parlamentarismus wirken und keine Gegenwirkung vorhanden sein wird. Diese Äußerungen sind in hohem Grade freimütig und deuten wohl darauf hin, daß Koerber seine Stellung für erschüttert hält. Ich vermute, daß er nach den Neuwahlen zurücktreten wird. Daß er sich vor allem in Gedanken mit dem Handelsvertrag mit Ungarn beschäftigt, rührt daher, weil er doch im Handelsministerium in die Höhe kam. Dort machte er seine Schule. a
Sektionschef Beck45 ist ein gewissenhafter, kenntnisreicher, unendlich fleißiger Beamter. Er unterrichtete den Erzherzog Franz Ferdinand im 44
45
a
Der Ausgleich mit Ungarn mußte alle zehn Jahre neu verhandelt werden. Der Ende 1897 ausgelaufene Ausgleich konnte jedoch aufgrund der Verhältnisse in beiden Reichshälften erst 1907 durch einen neuen, parlamentarisch verabschiedeten ersetzt werden. In der Zwischenzeit wurde über Provisorien die Beziehung der beiden Staaten zueinander geregelt. Der nachmalige Ministerpräsident Max Vladimir von Beck war von 1880 bis 1906 im Ackerbauministerium tätig, seit 1900 als Sektionschef. Ob die folgenden Informationen ebenfalls von Koerber stammen, ist nicht klar. In den Eintragungen ist vor diesem Abschnitt eine größere Freilassung, jedoch fehlt eine neue Überschrift.
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Berthold Molden
Staatsrecht, und von da knüpfte sich ihr Verhältnis fester. Es gestaltete sich zu einem Freundschaftsverhältnis. Beck arbeitete alle Akten, die der Vermählung des Erzherzogs vorangingen46. Als sie vollzogen wurde, erhielt er ein Telegramm: „Dem Begründer unseres Glückes" senden den wärmsten Dank Ferdinand und Sophie. Er selbst schloß eine Liebesehe mit der geschiedenen Frau Doczis, die sich taufen ließ. Beck ist streng katholisch, übermäßig fromm, wohl klerikal. Er kniet in der Kirche und wirft sich vor dem Hochaltar hin. Auch ist [er] „kein sehr guter Deutscher", spricht immer von der Notwendigkeit der Gleichberechtigung etc. Wittelshöfer erzählt mir, er sei der Sohn des Direktors der Staatsdruckerei Beck, der streng klerikal war, wie seine Familie. Dieser war deshalb sehr betrübt, daß Beck die frühere Frau Doczi (Mayer-Gunthof) heiraten wollte47. Jetzt geht die Dame mit Beck regelmäßig in die Kirche.
Berthold Molden, politischer Redakteur des Fremdenblattes
September 1900 К 2, U 3, 403 г
Am 18. August 1898 schrieb Molden einen Artikel im Fremdenblatt, in dem er den Kaiser als Schützer der Verfassung pries und es für unmöglich erklärte, daß er einem Staatsstreich, Bruch der Verfassung zustimmen werde48. Molden hatte Jettel einige Tage vorher gefragt, was es mit den Staatsstreichgelüsten sei, und dieser hatte ihm gesagt, [der] Kaiser werde nicht zustimmen. Uber den an sich harmlosen Artikel Moldens war Graf Thun sehr ungehalten. Er ging alsbald zu Goluchowski und beklagte sich darüber. Goluchowski gab Jettel eine Nase, und dieser übertrug sie an Molden. Molden erinnerte Jettel, daß er ihm selbst die Tatsache gesagt habe. Ich konnte Molden aufklären, wie es kam. Kurze Zeit vorher war Thun bei Pergelt gewesen, um ihm zu drohen, [die] Regierung werde Obstruktion der Deutschen mit [einem] Staatsstreich beantworten. Thun war ungehalten, als er sein Kampfesmittel so durchkreuzt sah.
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Erzherzog Franz Ferdinand heiratete am 1. 7. 1900 Gräfin Sophie Chotek in morganatischer Ehe, nachdem er am 28. Juni feierlich auf alle Thronfolgerechte für ihre Kinder verzichtet hatte. Freiherr Max Vladimir von Beck war seit 1896 mit Helene, geb. Mayer von Gunthof verheiratet, die in erster Ehe 1879 Ludwig Doczi geheiratet hatte. Becks Vater Anton, ehem. Direktor der Hof- und Staatsdruckerei, war 1895 gestorben. Fremdenblatt v. 18. 8. 1898, Morgenblatt 1-2, Die Ischler Konferenzen. Darin heißt es, daß „auch eine Erschütterung der österreichischen Gesetzmäßigkeit nicht zu befürchten ist" und daß von einem Verfassungsbruch „ernsthaft nicht die Rede sein kann."
September
1900
Emil Jettel von Ettenach, Hof- und Ministerialrat im Außenministerium
349
September 1900 К 2, U 3, 403 r-v
Der Gegensatz zwischen Goluchowski und Aehrenthal war im April sehr scharf. Aehrenthal trug sich selbst mit Rücktrittsgedanken und sagte zu Jettel: Ich bin ja unabhängig und kann gehen. Doczi sei mißgünstig, es mache ihm oft Freude, jemand zu schaden, ohne sichtlichen Grund. Baron Heidler, der Gesandte in Belgrad, ist ein naher Freund Jetteis und erzählte ihm die Geschichte der Heirat Alexanders49. Alexander leidet an Phimose, das heißt an einer Verengung der Vorhaut, die Ursache ist, daß sie nicht über die Eichel zurückgezogen werden kann; auf diese Weise wird die Erektion und der Beischlaf erschwert. Man muß den Eltern Alexanders schuld geben, daß sie das Übel nicht bereits in der Jugend des Königs beheben ließen. Nun zeigte es sich, daß Alexander erst bei Draga den Beischlaf in Ordnung vollziehen konnte, was ihm Befriedigung gewährte. Er fürchtete selbst die Ehe mit einer anderen, und als in den letzten Monaten die Heirat mit einer deutschen Prinzessin (Schaumburg-Lippe, meint Jettel) näherrückte, fühlte Alexander das Netz zusammengeschnürt, er wollte es zerreißen. Die Sache wurde von ihm klug in Angriff genommen. Er wendete sich zuerst an Mansurov, den russischen Vertreter, mit der Frage, wie Serbien sich mit Rußland versöhnen könne. Dieser frug in Petersburg an und erhielt zur Antwort: durch Begnadigung der im Hochverratsprozeß Verurteilten50. Dann erst eröffnete Alexander seine Heiratsabsicht dem russischen Vertreter. Milan und alle Welt waren überrascht. Milan kehrte deshalb nicht [nach] Belgrad zurück, weil er feige ist. Er fürchtete Verhaftung, vielleicht Ärgeres. Nebenbei: Jettel stellte dezidiert in Abrede, daß Milan ein Jahresgehalt von Österreich bezieht. Man habe ihm allerdings Schulden bezahlt. Heidler nun beging nach Jetteis Ansicht den Fehler, daß er seine Unzufriedenheit zeigte. Er hätte das Unabwendbare hinnehmen sollen. Statt dessen schmollte er, selbst Goluchowski war schon unangenehm berührt, als er unaufhörlich anfragte, ob er diese oder jene Höflichkeit anläßlich der Vermählung begehen dürfe. Draga sei 37 Jahre alt, lebhaft, geistreich. Das Verhalten zu Serbien war Gegenstand eingehender Diskussionen Jetteis zu [sie!] 49
50
Am 5. 8. 1900 hatte der serbische König Alexander die bürgerliche ehemalige Hofdame seiner Mutter, Draga Masin, geheiratet. Der serbische Exkönig Milan wurde bei einem Attentat am 6. 7. 1899 in Belgrad verletzt. Der Täter behauptete in einem später widerrufenen Geständnis, er sei von serbischen Radikalen angeheuert worden und nannte die Namen von prominenten Mitverschwörern, darunter den ehemaligen Ministerpräsidenten Nikola Pasic. Im darauffolgenden Hochverratsprozeß wurden der Attentäter und ein weiterer Angeklagter am 25. 9. 1899 zum Tode verurteilt, während 18 Mitangeklagte hohe Haftstrafen erhielten. König Alexander begnadigte die Verurteilten nach seiner Hochzeit im September 1900.
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Freiherr Hermann von und zu Egloffstein
Heidler. Jettel stellte ihm vor, Österreich könne nicht schmollen, seine Freundschaft habe für die Balkanstaaten nicht den Wert wie die Rußlands. Heidler ist einer schärferen Ansicht.
Freiherr Hermann von und zu Egloffstein, großherzoglich sächsischer Kabinettssekretär
September 1900 К 2, U 3, 404 r-v
Im Jahre 1857 fand die erste Zusammenkunft des Zars und Kaiser Franz Josephs nach dem Krimkriege statt. Sie trafen sich auf neutralem Boden, in Weimar. Der Großherzog ist ein Sohn der Maria Pavlovna, also ein Neffe des Zar Nikolaus, ein Vetter Alexanders II. Der Kaiser machte dem Zar den ersten Besuch, und der Großherzog erzählte Egloffstein, er habe vor Erregung am ganzen Leibe gezittert, als er die Treppe hinaufging. „Er hatte ein schlechtes Gewissen", sagte der Großherzog. Zar Nikolaus war entzückt, als er von der ersten Entrevue mit Kaiser Franz Joseph heimkehrte. Er hatte stets dessen Statuette auf seinem Schreibtisch. Aber als Osterreich sich von Rußland abwendete51, war er außer sich. Er ließ die Statuette in das Zimmer des Kammerdieners stellen. 1866 hielt sich Sachsen-Weimar auf den Rat seines Ministers Freiherr von Watzdorf neutral. Erst kurz vor Königgrätz schickte er einen Abgesandten in das Lager Wilhelms, um den Anschluß an Preußen auszusprechen. „Sie kommen gerade noch im letzten Augenblick", sagte ihm König Wilhelm heiter, als er ihn empfing. Der Vater Egloffsteins52 wurde nach Königgrätz von dem Herzog von Sachsen-Meiningen zu König Wilhelm geschickt, SachsenMeiningen war gegen Preußen. „Da kommt der Feind", sagte ihm Wilhelm I. „Wo haben Sie den Dolch im Gewände?" Der Großherzog von Sachsen-Weimar machte sich große Vorwürfe, daß er nicht wie der Herzog von Coburg gehandelt habe53. Er hätte doch etwas kriegen können wie dieser, sagte Egloffstein lachend. Egloffstein erzählte manches Amüsante über die Eifersucht der sächsischen Häuser aufeinander. Der sächsische Thronerbe ist ein unangenehmer, wenig gebildeter Mann. Sein jüngerer Bruder etwas eitel, der sich auf [die] Ähnlichkeit mit seinem Großvater viel einbildet. Der netteste ist Max, der Geistliche54. Klerikal sind sie alle. Der Hof hat demnach 51
52 53
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Im Krimkrieg; vgl. Der Krimkrieg und die österreichische Politik (Stuttgart - Berlin 1907). Freiherr Leonhard von und zu Egloffstein, sachsen-meiningischer Oberstallmeister. Herzog Ernst II. von Sachsen-Coburg-Gotha stellte im Krieg von 1866 ein Kontingent Preußen zur Verfügung und erhielt dafür als Dank einen größeren Forstbesitz. Gemeint sind die drei Söhne des Kronprinzen, ab 1902 Königs Georg von Sachsen, der spätere König (seit 1904) Friedrich August, der Priester und Ostkirchenforscher Max und der Offizier Johann Georg.
5. Oktober 1900
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gar keine Wurzel im Lande. Die Hälfte der Hofleute sind katholisch, also viele Landesfremde unter ihnen. Als unter Badeni Verwirrung in Österreich eintrat, ließ [der] Großherzog55 seinem Schwiegersohn, Prinz von Reuß sagen, er möge ihm seine Meinung über Österreich schreiben. Dieser nun schrieb (Egloffstein hat den Brief gelesen), man solle nicht glauben, die Existenz Österreichs sei dadurch bedroht, das Reich halte durch das Gesetz der Trägheit zusammen.
Baron Josef von Schenk, Hofrat im Verwaltungsgerichtshof
5. Oktober 1900 К 2, U 2, 214 r-v
Steinbach ist zynisch und dachte schon als Minister so verdreht und verkünstelt, daß er nicht mehr imstande war, ein gerades, wahres Wort zu sagen. Es war also eine Erlösung, als Plener ihn ersetzte56. Dieser aber war von den Sorgen um Cilli so präokkupiert57, daß er sehr bald keinen Sinn mehr für Fachfragen kann[te]. Er stand nicht darüber, seine Nerven waren zu angespannt. Taaffe allerdings hatte keine Nerven. Er hatte überhaupt hervorragende Eigenschaften. Nur waren sie keinem großen Ziele zugewendet, keiner festen Staatsauffassung dienstbar. Er lebte für den Tag. Ihm war eigentlich Hauptsache, den aristokratischen Einfluß wiederherzustellen. Als ich einwandte, „den Einfluß der Krone", gab Schenk das nicht zu. Nicht einmal das! Aber es ärgerte [ihn], daß, als er ins Amt trat, es auch bürgerliche Statthalter gab, unter anderem . . ,a Eigentlich war die von ihm 1893 geplante Wahlreform ein genialer Gedanke58, aber seine Durchführung, die Verlogenheit war von Steinbach eingegeben. Koerber, bemerkte er ganz richtig, hat keine Nerven. Das bewies er, als er bei Beginn der Obstruktion zum Kaiser nach Schönbrunn eilte, ihn wecken ließ. 55
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a
Großherzog Karl Alexander von Sachsen-Weimar-Eisenach. Seine Tochter Marie war mit Prinz Heinrich VII. Reuß, 1878-1894 deutscher Botschafter in Wien, verheiratet. Ernst von Plener war als Nachfolger Emil Steinbachs (1891-1893) Finanzminister im Kabinett Windischgraetz (11. 11. 1893-19. 6. 1895). Freiherr Josef von Schenk war von 1885 bis zu seiner Berufung in den Verwaltungsgerichtshof 1895 im Finanzministerium tätig, zuletzt als Sektionsrat. Als im Budgetausschuß am 18. 6. 1895 die Kosten der Errichtung von slowenischen Parallelklassen am Gymnasium von Cilli (Celje) genehmigt wurden, trat die Vereinigte Deutsche Linke aus der Koalition aus, wodurch das Ministerium Windischgraetz die Mehrheit im Abgeordnetenhaus verlor und darauf zurücktrat. Der Wahlrechtsentwurf der Regierung Taaffe wurde am 10. 10. 1893 im Abgeordnetenhaus eingebracht. Obwohl er bei Beibehaltung des Kurienwahlrechts lediglich für die Städte- und Landgemeindenkurien das allgemeine Männerwahlrecht vorsah und daher nur eine einfache Mehrheit zur Annahme benötigt hätte, scheiterte der Vorschlag im Haus. Die Regierung demissionierte darauf am 11. 11. 1893. Freilassung im Original.
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Josef Lewinsky
Allerdings muß ich bemerken, daß Koerber mir einmal gesagt hatte, man habe ihn nicht vom Antrag Zallinger unterrichtet59, der zur tschechischen Obstruktion führte, man habe auch ihn überrascht. Sodann: Koerber besitzt nicht die Gabe der Überredung. Er sei ein tüchtiger Beamter, aber man überschätze ihn doch darin. Gautsch sei hohl und unredlich, aber er imponiert den Leuten. Koerber wankte 48 Stunden vor Annahme seines Vorschlags auf Reichsratsauflösung. Gautsch bot sich damals an, es billiger zu tun, das heißt ohne Auflösung. Schenk gehörte zu den entschiedensten Fürsprechern einer wenn auch nur zeitweiligen Suspension der Verfassung. Er hatte sie schon unter Thun für wünschenswert gehalten. Dieser hätte die Obstruktion dazu benützen sollen, aber freilich durfte er sich nicht mit Männern wie Kaizl und Kast umgeben, sondern mit unparteiischen Beamten. Jetzt ist die Lage weniger günstig, aber sie kann noch benützt werden. Conditio sine qua non ist aber, daß man nicht bloß den Reichsrat, sondern auch die Landtage nicht einberuft. Wenn man jede Volksvertretung nach allgemeinem Wahlrecht (5. Kurie) suspendiert, so darf man nicht die feudalen, zentrifugalen Landtage beisammenlassen. Wollte man aber bloß den böhmischen Landtag nicht einberufen, so hätte das eine Spitze gegen die Tschechen, was zu vermeiden wäre. Schenk verbreitete sich dann, wie man auch die galizische Verwaltung dabei purgieren müßte, aber ja nicht germanisieren. Der Fürst Sanguszko wäre da als Statthalter in Betracht zu ziehen, da er reich und ehrenhaft sei. Die Landesausschüsse gleichfalls aufheben, ihre Beamten hätten unter Verantwortlichkeit des Statthalters in gesonderter Vermögensverwaltung die bisherige Tätigkeit fortzusetzen.
Josef Lewinsky, Hofschauspieler und Regisseur
6. Oktober 1900 К 2, U 1, 56 г
Über die Schratt, in bezug auf deren Brief, der am 30. September im Neuen Wiener Tagblatt stand60. Dieser Brief, mit allen seinen Ungeschicklichkeiten, sei von Wilhelm Singer geschrieben, und die Schratt habe, gereizt und die Sache nicht überschauend, einfach zugestimmt. Lewinsky ist ein naher Freund der Schratt, er erklärt sie auf [sie!] geraden, aufrichtigen, ehrenhaften Charakter, die auch den Höflingen imponierte. Aber sie hatte nicht die 59
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Am 8. 6. 1900 beantragte Abgeordneter Franz von Zallinger die Vornahme der ersten Lesung des Budgetprovisoriums, worauf die Tschechen die Abstimmung über diesen Antrag verhinderten. Es kam zu Tumulten im Sitzungssaal bis hin zu Raufereien. Ministerpräsident Ernest von Koerber erwirkte darauf vom Kaiser spätnachts die Schließung der Reichsratssession. Das Budgetprovisorium wurde nach Auflösung des Abgeordnetenhauses am 7.9.1900 als Notstandsverordnung am 29. September publiziert. Neues Wiener Tagblatt v. 30. 9. 1900, 7, Ein Brief von Katharina Schratt. Sie begründet darin ihre Abreise aus Wien mit dem schlechten Gesundheitszustand und den Rücktritt vom Burgtheater mit der Unzufriedenheit mit der Leitung des Theaters.
Ende Oktober 1900
353
Kraft, alle die Bittsteller und Schmarotzer abzuweisen, die sich an sie herandrängten. Das Verhältnis zwischen ihr und dem Kaiser sei keineswegs beendet. Jetzt seien aber ihre Nerven zerrüttet, sie bedarf der Ruhe. Vom Kaiser hat Lewinsky selbst oder durch andere manche gute, treffende Bemerkung über das Theater gehört, aber beim Kaiser, wie bei all den hohen Herren, überrasche die Zaghaftigkeit des Urteils. Wenn sich dies in der Politik ebenso verhalte, sei es traurig. Diese guten Bemerkungen hätten nie „Folgen" gehabt, das heißt, es wurde kein wirklicher Einfluß geübt.
Baronin Josefine Knorr, Schriftstellerin
Ende Oktober 1900 К 2, U 3, 392 r-v
Der erste Gemahl der Benedek hieß nicht Woyna, das seien Grafen, sondern Wayna. Frau von Benedek war eine schöne und kluge Frau. Ihre Briefe sind lesenswert. Sie liebte ihren Mann, aber es widerfuhr ihr, daß sie während ihrer Ehe von einer heftigen Leidenschaft zu einem anderen erfaßt wurde. Julie61 sagte der Baronin Knorr: Ihr Mann habe sich in dieser Lage überaus edel benommen. In einem etwas lebhaften Disput mit ihrem Cousin Metzburg sagte sie einmal, unwirsch werdend: Ihr sei eine ganze Armee zu Füßen gelegen. Die Baronin Knorr ist die Tochter einer Metzburg, und die Metzburgs sind meist jung gestorben, hinterließen aber interessante Papiere. Einer war ein Freund des Grafen Stolberg, und Briefe darüber sind noch vorhanden. Der Vater der Baronin war Staatsrat. Dieser Knorr und ihr Großvater Metzburg waren Freunde, im Alter nahestehend. Knorr heiratete die Tochter Metzburgs. Der Ahnherr Knorr war Sekretär der Mutter Maria Theresias und war mit ihr aus Braunschweig eingewandert und gleich ihr Katholik geworden62. Er heiratete eine Verwandte des Ministers Bartenstein und stand in einem vertrauten Verhältnisse zu ihm. Irre ich nicht, so hatte ein Metzburg (der Großvater der Baronin Knorr) eine Schwester der Baronin Krieg zur Frau, der Gattin des Gubernialpräsidenten. Benedek sagte von der Baronin Knorr, sie habe die Poesie der Frauen. Er war sehr galant, stets sorgfältig gekleidet und frisiert. Wenn er ins Zimmer eintrat, schwieg alles, wartete auf seine Worte, selbst wenn ältere Generäle anwesend waren. Nach Benedeks Tod besuchte die Herzogin von Cumberland seine Witwe und tröstete sie, „als Frau eines Soldaten" werde sie ihr Unglück zu tragen wissen. „Als Frau eines Helden", war die Antwort. Sie glaubt nicht, daß Benedek literarische Bildung hatte oder viel las. Sie hatte nie den Eindruck hievon. Doch hat sie ein Geschenk von ihm, den Teut von Hamerling. 61 62
Die Gattin General Ludwig von Benedeks. Vgl. zu Georg Christian von Knorr (1691-1762) Biographisches Lexikon des Kaiserthums Österreich, hrsg. von Constant von Wurzbach. Bd. 12 (Wien 1864) 172.
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Zacharias Konrad Lecher
Zacharias Konrad Lecher, Journalist Oktober 1900 К 2, U 3, 405 г - 406 ν; Sekretär 1 Als die Komitatsverwaltungen in Ungarn wiederhergestellt werden sollten63, sandte Benedek Falke64 nach Wien, um davor zu warnen. Als am 20. Oktober 1860 das Oktoberdiplom erlassen wurde65, kam nach Budapest eine so mangelhafte Übersetzung, daß Benedek zögerte, sie veröffentlichen zu lassen. Man telegraphierte nach Wien, um das Original oder wenigstens eine korrekte Ubersetzung zu erhalten. Benedek fand den Schritt unglücklich, und Falke kam wieder in seinem Auftrage nach Wien, um dies der Regierung vorzustellen. Als er seinen Auftrag erfüllt hatte, begab er sich zu Lecher in die Redaktion der Presse und bat ihn, ihm eine Stelle bei irgendeinem Wiener Blatte zu verschaffen, so klein sie auch sein möge. Er war von dem Zusammenbruche der deutschen Beamtenherrschaft in Ungarn überzeugt und hielt die Karriere darin für aussichtslos. Indessen erhielt er, wie es scheint auf Benedeks Empfehlung, eine Stelle in dem Präsidialbureau Schmerlings, in dem er eine Zeitlang arbeitete. Dann wurde Beust auf ihn aufmerksam. Beust bedurfte eines Beamten, der die ungarischen Verhältnisse kannte; Falke aber war ein Zipser66, hatte an der Bergakademie zu Chemnitz Bergrecht studiert und war im alten ungarischen Verwaltungs- und Verfassungsrechte wohlbewandert. Von da an ging seine Karriere rasch vonstatten. Im Jahre 1848 hat er bei den Honveds gedient, war Hauptmann gewesen und später in österreichische Dienste getreten. Er war auch einem Ausgleiche mit Ungarn sehr zugeneigt, wiewohl er den Ausgleich von 1867 für übereilt hielt, besonders wegen der zehnjährigen Kündigung der Verträge. Wie Falke junior mitteilt, veröffentlichte er in den ersten 60er Jahren Aufsätze im Wanderer über die ungarische Frage, die er in einer Broschüre herausgab; ebenso verfaßte er eine Broschüre über Finanzverhältnisse67 .
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Im Kaiserlichen Handschreiben vom 19. 4. 1860, mit dem General Ludwig Benedek zum Generalgouverneur und kommandierenden General in Ungarn ernannt wurde, ist bereits die Erklärung enthalten, die Komitatsverwaltung wieder einzuführen sowie Selbstverwaltungskörper einzurichten. Johann Falke von Lilienstein leitete von 1868 bis zu seinem Tod 1895 das Preßdepartement, seit 1877 offiziell Literarisches Bureau des Außenministeriums. Zur Entsendung Falkes, damals Statthaltereisekretär in Budapest, nach Wien, um Benedeks Protest vorzubringen, vgl. Benedeks Nachgelassene Papiere, hrsg. und zu einer Biographie verarbeitet von Heinrich Friedjung (Leipzig 1900) 276. Am Tag der Veröffentlichung des Oktoberdiploms erhielt General Ludwig von Benedek seine Entlassung als Generalgouverneur. Laut den Gothaischen Genealogischen Taschenbüchern war Johann Falke von Lilienstein in Budapest geboren. Die beiden genannten Broschüren lassen sich in den einschlägigen Bibliographien und Bibliothekskatalogen nicht nachweisen.
2. November 1900
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Zur Zeit des Schützenfestes68 wurde die bekannte großdeutsche Versammlung veranstaltet, und zu den Einberufern gehörten unter anderem Friedländer, Etienne, Kuranda. Lecher gehörte der kleindeutschen Richtung an und teilte die Sache einem gewissen Angerstein mit. Angerstein war, wie Lecher hinterher merkte, ein Agent Bismarcks in Wien69. Ursprünglich Turnlehrer in den Rheinlanden, war er Vertreter des rheinischen Turngaues in dem Verband der Turner wie Lecher Vertreter des österreichischen Kreises. So lernten sie sich kennen. Plötzlich tauchte Angerstein in Wien auf und antwortete auf die Frage, was er hier mache, ausweichend; er habe einige Korrespondenzen etc. Merkwürdigerweise hatte Angerstein Fühlung mit den Sozialisten und auf eine Lecher unerklärliche Weise Einfluß auf sie. Angerstein sagte Lecher auf seine Mitteilung hin, er werde versuchen, einen Gegenzug zu führen. Zwei Tage später traf Angerstein Lecher wieder im Kaffeehause, ging an ihm, ohne sich zu ihm niederzusetzen, vorbei und sagte dabei, es sei alles besorgt, Lecher möge Etienne und Friedländer einen Wink geben, daß sie bei der Versammlung nicht anwesend sein sollten. Tatsächlich waren die Arbeiter mobilisiert und erschienen mit den Studenten in der großdeutschen Versammlung, die von ihnen gesprengt wurde. Etienne, Friedländer und Kuranda hatten tatsächlich auf den Rat Lechers an dem Tage einen Ausflug gemacht, aber als die Versammlung gesprengt wurde, kam es zu einer Szene zwischen Lecher und den Herausgebern der Neuen [Freien] Presse, infolge deren er die Redaktion der [Neuen Freien] Presse verließ und zur alten Presse übertrat70. Angerstein blieb noch bis über 1870 in Wien, kaufte sich sogar ein kleines Wohnhaus in Lainz oder Speising; später verlor Lecher ihn aus dem Gesichte.
Karl von Stremayr, Mitglied des Herrenhauses 2. November 1900 (in der zweiten Unterredung)" К 2, U 3, 391 r-v Stremayr kannte Tegetthoff gut und besuchte ihn noch wenige Wochen vor seinem Tode. Er fand ihn verbittert, und er hatte nach Stremayrs Ansicht vielen Grund dazu. Er war, was ihm nicht hätte verweigert werden sollen, noch 68
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a
Vom 26. 7. bis 6. 8. 1868 fand in Wien das 3. Bundesschießen des deutschen Schützenbundes statt. Vgl. dazu Hans-Thorald Michaelis, Das III. Bundesschießen 1868 als politisch-historisches Phänomen; in: MIÖG 104 (1996) 58-95. Michaelis, Das III. Bundesschießen 85, erwähnt einen Angerstein als radikales Mitglied der Süddeutschen Volkspartei, die großdeutsch war. Ζ. K. Lecher gehörte 1864 zu den Gründern der Neuen Freien Presse, er kehrte jedoch 1868 zur Presse zurück und leitete das Blatt als Chefredakteur bis zur Einstellung im Jahre 1896. Ob das Datum korrekt ist, scheint unsicher; vgl. den nachfolgenden Eintrag.
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Karl von Stremayr
nicht Admiral71. Als Stremayr ihm sagte, es müsse doch eine Genugtuung für ihn sein, daß er die Leiche Kaiser Max' nach Europa zu geleiten hatte72, meinte er sarkastisch: Er habe doch nur den Totengräber zu spielen gehabt. Stremayr hat schon damals gehört, doch nicht mit Tegetthoff darüber gesprochen, daß es in der Tat die Affäre mit dem Festmahl auf der Kaiser gewesen sei73, durch die er in Ungnade fiel. Er machte, wenn man auch nur eine Viertelstunde mit ihm sprach, den Eindruck eines bedeutenden Menschen. Anders Benedek. Stremayr verkehrte mit ihm und mit seiner Frau Mitte der 70er Jahre viel in einem slaw[on]ischen Badeort - Krapina (wenn ich nicht irre). Er ging viel mit Benedek spazieren. Er machte auf Stremayr den Eindruck eines ehrenhaften, dem Kaiser bis in den Tod ergebenen Mannes: Er hätte das Haupt auf den Block für ihn legen mögen. Aber Stremayr hörte von ihm nie einen bedeutenden, selbst keinen charakteristischen Ausspruch. Ebensowenig ging er jemals auf ein historisches oder literarisches Thema mit ihm [ein], Stremayr hatte selbst den Wunsch zu sehen, wie weit sein Gesichtskreis sei, aber er kam bald an die Grenze desselben. Er brachte einmal das Gespräch auf Gneisenau und Scharnhorst, aber Benedek hörte ihm zu, ohne selbst etwas zu sagen, was seinen inneren Anteil verraten hätte. Indessen, so fügte Stremayr hinzu, beweist dies alles nicht, daß nicht etwa früher ein kräftiges Temperament in ihm gelebt hätte. Er war offenbar durch sein Unglück ganz gebrochen, und da seine militärische Tätigkeit ihn ganz ausgefüllt hatte, da er außer ihr nicht geistige Interessen besaß, die ihn hätten in eine andere Gedankenwelt hinüberheben können, so machte er den Eindruck eines müden, resignierten Mannes. Eine treffliche Bemerkung.
Karl von Stremayr, Mitglied des Herrenhauses
6. November 1900" К 2, U3, 413 г - 4 1 4 ν
Ein zweistündiges Gespräch. Es wurde von ihm mit großer Vorsicht, mit berechnender Zurückhaltung geführt, was um so sicherer ist, als ich nicht 11
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a
Der höchste Rang, den Wilhelm von Tegetthoff erhielt, war der eines Vizeadmirals nach der Schlacht von Lissa am 20. 7. 1866. Admiral Wilhelm von Tegetthoff erhielt die Aufgabe, die Leiche des am 19. 6. 1867 im mexikanischen Queretaro hingerichteten Kaisers Maximilian (Erzherzog Ferdinand Max), des Bruders Kaiser Franz Josephs und früheren Marinekommandanten, nach Wien zu überführen. Vgl. dazu Kampf um die Vorherrschaft. Bd. 2, 552-553. Danach wäre Admiral Wilhelm von Tegetthoff deswegen seines Kommandos enthoben worden, weil er - nach italienischen Meldungen über die Versenkung der „Kaiser" in der Schlacht von Lissa - auf diesem Schiff sein Siegesmahl gegeben hätte. Da ihm aber diese Ausgaben nicht genehmigt worden waren, wurde ihm darauf das Gehalt gekürzt, worauf sich Tegetthoff scharf auch seinen Vorgesetzten gegenüber beschwert habe. Die Enthebung sei eine Folge dieses Verhaltens Tegetthoffs gewesen. Ob das Datum korrekt ist, scheint unsicher; vgl. den vorigen Eintrag.
6. November
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zweifeln kann, daß er an der Erörterung selbst lebhaftes Interesse empfand. Er selbst ging niemals frei mit der Sprache heraus. Aber wenn ich selbst darlegte, und er erkannte, daß ich Einblicke in die Verhältnisse habe, bestätigte und ergänzte er vieles in erwünschter Weise. Ein Fuchs, der sich nicht leicht aus seinem Baue locken ließ. Aber bei dem entscheidenden Eingehen auf die Kernfrage wurde er selbst warm, und dann erhellte sich sein eigentlich stets durch ein verbindliches Lächeln verschleiertes Gesicht. Dann blitzten seine blauen Augen zustimmend auf. Ich hatte ihm die Konyischen Aufsätze geschickt74. Mit Andrässys Wirksamkeit begann das Gespräch. Offenbar, so sagte Stremayr, ist Konyi nur das Sprachrohr Andrässys gewesen, ich hörte Andrässy selbst sprechen, als ich die Aufsätze las. Andrässy war wohl in alles eingeweiht, und er zögerte nicht, dem Kaiser seinen letzten Gedanken unverhüllt zu sagen. Schwerlich aber gewann er damit die Gunst des Kaisers. Überhaupt war der Kaiser nicht in innerer Ubereinstimmung mit seinem damaligen Ratgeber. Auch mich (Stremayr) liebte er nicht75, denn es bestand doch zuviel Verschiedenheit in unseren Anschauungen. Er ließ sich wohl überzeugen oder bestimmen, daß manche Maßregel notwendig sei, aber er folgte doch nur widerstrebend. Ich: Offenbar bestand doch der Gegensatz in dem Willen des Herrschers, selbst die Macht zu üben, und in dem Machtbesitz der Verfassungspartei, die dem Kaiser unbequem war. So war es ein Ringen der Krone, des Adels und des deutschen Bürgertums. Stremayr: Das ist gewiß die richtige Auffassung, und bei der Erziehung und den Traditionen des Kaisers konnte es nicht anders sein. Stremayr gab zu, daß Taaffe während der Zeit des Ministeriums Auersperg wahrscheinlich stets in Verbindung mit dem Kaiser stand 76 , mit ihm wichtigere politische Fragen erwog, ebenso daß der Kaiser gerne die Gelegenheit ergriff, die ihm unbequeme Herrschaft der Verfassungspartei abzuschütteln 77 . Nur darin hat Stremayr eine andere Auffassung, daß er der bosnischen Angelegenheit eine viel größere Bedeutung zuschreibt als ich. Sie 74
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Wohl Emanuel Konyi, Beust und Andrässy, 1870-1871; in: Deutsche Revue über das gesamte nationale Leben der Gegenwart 15/2 (April-Juni 1890) 1-28 und 147-165. Im ersten Teil behandelt Konyi Graf Gyula Andrässys Haltung zum deutsch-französischen Konflikt, im zweiten zum Sturz des Kabinetts Hohenwart. Karl von Stremayr war von 1870 bis 1880 mit kurzen Unterbrechungen Unterrichtsund Kultusminister sowie 1879 Vorsitzender des Ministerrates. Während des Ministeriums Adolf Auersperg (1871-1879) war Graf Eduard Taaffe Statthalter in Tirol. Der Widerstand der Deutschliberalen gegen die bosnische Okkupation und die Beschlüsse des Berliner Kongresses waren maßgeblich für die Demission des Kabinetts Auersperg, die am 22. 10. 1879 vom Kaiser angenommen worden war, und damit für das Ende der liberalen Epoche in Osterreich. Bis zur Ernennung des neuen Ministeriums Taaffe blieb die bisherige Regierung jedoch im Amt, ab 15. 2. bis 12. 8. 1879 unter dem Vorsitz Karl von Stremayrs, wobei Graf Taaffe das Innenressort übernahm.
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Karl von Stremayr
war mehr als der Nagel am Sarge, sondern doch die Veranlassung ihres Sturzes. Er deutete an, daß der Kaiser den Rücktritt des Fürsten Adolf Auersperg und Ungers selbst herbeiführte, als Unger vergebens die Kronrechte im Parlament verteidigte 78 . Daß ihm die Verfassungspartei diese Rechte bestritt, erregte seine schwere Unzufriedenheit - hier wäre genauer zu fragen. Stremayr hält es für möglich, daß der Kaiser damals die Worte fallen ließ: Wann wird der Tag der Rache an dieser Partei kommen. Hierauf die Episode Pretis 79 . Damals Stremayr Leiter des Ministeriums. Taaffe Minister des Innern. Hier verschiebt sich Stremayr das Bild oder er ist sehr unaufrichtig. Denn er läßt ganz außer Auge, daß Taaffe zuerst den Deutschen die Mehrheit nahm, bevor sie in Opposition gingen. Er wirft den Deutschen vor, sie hätten ihm unnötigerweise Schwierigkeiten gemacht. Als ich aber entschieden betonte, der Anschlag gegen die Verfassungspartei sei von Taaffe prämeditativ gewesen, und man unterschätze ihn, wenn man leugne, er habe die Wiederherstellung der Macht der Krone und des Adels im Auge gehabt, da lenkte er ein, und er bestätigte die Richtigkeit dieser Auffassung. Gerade bei der dialektischen Zergliederung dieser Machtgegensätze Krone Adel - Bürgertum leuchtet sein Auge, wie wenn ihm diese scharfe Erfassung der Hauptsache Freude bereitete. Er bestärkte mich mit einer Art Wärme in meiner Überzeugung. Nur eine wichtige Einschränkung machte er. Er gab zu, daß der tschechische und feudale Adel für Taaffe ein wichtiges Instrument gewesen sei, um an Stelle der liberalen Herrschaft die der Krone und des Adels zu setzen, aber er meinte: Er hätte sich damit begnügt, die Verfassungspartei in die Minorität im Parlament zu versetzen, und er hätte weiter keine Feindseligkeit gegen sie unternommen, wenn sie sich in diese Lage gefügt hätte. In dem Ministerium Taaffe, Stremayr, Prazak, Ziemalkowski, Korb, Horst waren die verfassungstreuen Minister weitaus in der Mehrheit, und er hatte diesen Zustand auch aufrechterhalten wollen. Er versicherte das selbst Stremayr oft. Erst durch die Feindseligkeit der Opposition wurde er weiter gedrängt. Dann kam mit unfähigen Ministern die Zeit des Fortwursteins. Und die Deutschen hätten klug getan, ihn bei dieser Gesinnung festzuhalten. Sie irrten sich, wenn sie glaubten, den Kaiser durch staatsrechtliche Erörterungen für ihre Meinung zu gewinnen. Dazu war er doch zu sehr entschlossen, die Zügel in der Hand zu behalten. Offenbar kannten sie den Kaiser schlecht, sie 78
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Joseph Unger hatte im Reichsrat die Ansicht der Regierung vertreten, das Parlament habe den Berliner Vertrag lediglich zur Kenntnis zu nehmen, während die Mehrheit des Hauses eine Abstimmung über die verfassungsmäßige Zustimmung zum Vertrag durchsetzte. Die Verfassungpartei unter ihrem Führer Eduard Herbst hatte im Sommer 1879 dem Kaiser den bisherigen Finanzminister Freiherr Sisinio de Pretis zum Ministerpräsidenten vorgeschlagen, der darauf mit der Kabinettsbildung betraut wurde. Er scheiterte jedoch, da ihm von Herbst und großen Teilen der Verfassungspartei die Unterstützung wegen seiner Verteidigung des Berliner Vertrages entzogen wurde.
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müssen es ganz verkannt haben, wie schwer er sich selbst in das Ministerium Auersperg - Pretis fand. Die zwei bis drei letzten Sätze waren nicht zusammenhängend gesprochen, sondern eher Bestätigungen auf meine Fragen. Das zumal in der Erinnerung Unbefriedigende des Gespräches war, daß er bei feiner Hinterhältigkeit eigentlich mich mehr sprechen ließ, als er selbst erzählte. Es war, als ob er mich [ihn] nicht aus seinem Fuchsbau locken lassen wollte. Aber ich zerpflückte doch die kindische Auffassung seiner Erinnerungen, die doch darin gipfeln, daß der Kaiser und Taaffe höchst loyal, die Verfassungspartei störrisch, intrigant etc. gewesen sei. Er kam auf diese feindselige Darlegung nicht eigentlich zurück, sondern ließ die historische gelten. Ob es für ihn angenehm war, sich - ohne daß ich es urgierte und es merken ließ - zu demontieren, bleibe dahingestellt. Vergnügen machte ihm wohl nur der Teil des Gesprächs, der sich mit der Kirchenpolitik beschäftigte. Hier sprach ich meine ungeteilte Zustimmung aus. Er erwähnte, er habe mitunter mit dem deutschen Botschafter Schweinitz gesprochen, und dieser habe dasselbe Urteil gefällt wie ich, ja gesagt, Bismarck irre sich, wenn er durch den Kulturkampf etwas erreichen werde, er werde wieder manchen Schritt zurück machen müssen. Schweinitz war 1871-76 Botschafter in Wien. Kutschker war dabei sein Gehilfe80. Kutschker verwahrte sich formell gegen die Richtung der Gesetzgebung81, aber er stimmte ihr offenbar innerlich zu. Denn er [war] eigentlich ein Josephiner. Wie sehr er Stremayr unterstützte, beweist der Umstand, daß er die Vorträge des Ministers an den Kaiser zur Begründung der kirchenpolitischen Gesetzgebung las und Stremayr mehrfach warnte, ein oder das andere „scharfe" Wort nicht zu gebrauchen. So glättete Kutschker selbst ihm den Weg. Kutschker war 1876-81 Erzbischof. Kutschker war ein Vertreter der Anschauung, auch nichtadelige Domherren seien für Olmütz zu ernennen82, und er kannte die Verhältnisse, da er (bis 1852) selbst in Olmütz wirkte, auch Sekretär des Erzbischofs war. 80
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Der nachmalige Wiener Erzbischof Johann Rudolf Kutschker war von 1857 bis 1876 Ministerialrat im Ministerium für Unterricht und Kultus. Von 1835 bis 1852 war er in verschiedenen kirchlichen Funktionen in Olmütz tätig. Am 21. 1. 1874 hatte die Regierung dem Abgeordnetenhaus vier Gesetzesentwürfe zur Neuregelung der staatlich-kirchlichen Beziehungen, die durch die Aufhebung des Konkordates 1870 notwendig geworden war, vorgelegt. Die drei Gesetze zur Regelung der äußeren Rechtsverhältnisse der katholischen Kirche, über die Beitragsleistung zum Religionsfonds und über die gesetzliche Anerkennung von Religionsgemeinschaften wurden im März beschlossen und erhielten im Mai 1874 die kaiserliche Sanktion. Das Klostergesetz wurde erst 1876 verabschiedet, erhielt jedoch nicht die kaiserliche Sanktion. Die Besetzung der Domherrenstellen in Olmütz teilten sich seit einer Neuregelung 1875 der Kaiser (in geraden Monaten vakant werdende plus drei kaiserliche Stellen) und das Domkapitel. Der Kaiser ernannte erstmals 1881 bürgerliche Domherren, während das Kapitel weiterhin an der Bedingung der adeligen Herkunft festhielt. Grundsätzlich war mit dem Konkordat von 1855 das Vorrecht des Adels bei der Besetzung der Domkapitel aufgehoben worden, jedoch mit der Einschränkung Jener Bedingungen, welche als in der Stiftung beigesetzt erwiesen sind."
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FML Eduard von Steinitz, Kommandant der 13. Landwehrtruppendivision Wien
FML Eduard von Steinitz
15. November 1900 К 2, U 3, 391 ν - 392 г
Er war als Oberleutnant an der Kriegsschule, mußte sie aber vor der Prüfung verlassen. Man war unzufrieden mit ihm, da er als Kriegsschüler fleißig in den Prater ritt, öfters in der ersten Reihe des Karltheaters saß, und da ihn der Kommandant der Kriegsschule zweimal mit Dame am Arme des Abends sah. Er antwortete auf die Frage des betreffenden Kommandanten zwei verschiedene Male: Es sei seine Schwester. Da er nur eine hatte, erklärte ihm sein Kommandant: Das sei eine Unwahrheit, und forderte ihn auf, um Versetzung zur Truppe einzukommen. Er mußte das tun, wurde aber sofort wieder in den Generalstab aufgenommen. Er spricht mit Geringschätzung von der Kriegsschule jener Zeit, Gott sei Dank, ich habe mir in Folge meines Ausschlusses nicht die Augen verdorben, meine Glieder blieben gerade und mein Verstand hat sich ausgebildet. Die militärische Theorie, fuhr er fort, hat uns zu jener Zeit nicht gefesselt, einfach weil man versuchte, sie uns in den Kopf hineinzuschlagen. Krismanic war damals sein Lehrer. Er machte auf Steinitz einen bedeutenden Eindruck. Ein irgendwie reifes Urteil über ihn besaß er nicht, aber Krismanic imponierte ihm. Navarini werde mir mehr über Krismanic erzählen können. In Verona verehrte man Benedek sehr. Er hatte etwas Drastisches im Ausdruck, und die älteren Offiziere stießen sich mit Recht daran, daß er stets Zoten riß und fast an jeden Leutnant die typische Frage richtete: ob er schon . . . (einen Tripper gehabt habe). In der Schlacht bei Königgrätz weigerte sich der Herzog von Württemberg lange, der Aufforderung zu folgen und in den Swiepwald einzudringen83. Er fürchtete mit Recht für seine rechte Flanke. Mollinary sagte deshalb zu Steinitz, der ihm dieses Bedenken vorbrachte: Es ist traurig, daß man einen Herzog Württemberg dreimal auffordern muß, zum Angriff zu schreiten. Denn der Herzog hatte unterdessen von der Division Thum und Taxis eine Mitteilung erhalten, die ihn besonders bedenklich machte. Darüber muß ich Steinitz genauer fragen. Es fand sich im Gespräche keine Gelegenheit hierzu. Benedek war nach 1866 innerlich niedergeworfen und sprach mit niemandem über den Krieg. Eine steinerne Ruhe verbreitete sich über seinen Zügen, wenn der Gegenstand zufällig zur Sprache kam. General Pulz84 besuchte ihn etwa 1867, und er nahm mit warmem Interesse die Schilderung der Schlacht bei Custoza hin. Wie aber Pulz die Ereignisse berührt, „versteinerte sich sein Gesicht". Bei der Feier der Wiener Neustädter Akademie trat Steinitz auf ihn zu, stellte sich ihm vor, 83 84
Zum Kampf um den Swiepwald vgl. Kampf um die Vorherrschaft. Bd. 2, 231-240. Freiherr Ludwig von Pulz war 1866 Kommandant des 13. Uhlanen-Regiments.
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November 1900
als ein unter ihm dienender Offizier (Steinitz lag zu Modena in Garnison), da erwiderte Benedek seinen Gruß mit den Worten: Servus, kleines Luder.
Leopold Auspitz, Generalmajor
i. P.
November 1900 К 2, U3, 411 г - 4 1 2 г
Er ließ mich vertrauliche Briefe aus den 80[er] und 90er Jahren lesen, heftig, leidenschaftlich, zum Beispiel gegen Erzherzog Albrecht, den er eine „unangenehme Erscheinung" nennt. In einem Briefe aus dem Jahre 1889, zur Zeit der Bulgarischen Krise85, schreibt er, er gehe jede Wette ein, daß bei einem Zusammenstoße zwischen Frankreich und Deutschland Frankreich siegen müsse. Er war von einer großartigen Offenheit über den Kaiser etc. Als das Dienstreglement revidiert wurde, hatte Auspitz das Referat über den ersten Teil86. Doch als die Arbeit schon fertig war, wurde sie noch dem Erzherzog Albrecht übergeben, der den General a damit betraute, sie umzuformen. Dieses von Erzherzog Albrecht wohl mitgearbeitete Reglement gelangte vom Kaiser an den Kriegsminister herab, mit der Weisung, es zu publizieren; die Weisung war so bestimmt, daß sie nicht einmal eine weitere Vorstellung zuließ. Kuhn zeigte Auspitz den Erlaß und fragte ihn, was er dazu sage. Auspitz meinte, es ließe sich nach dieser Entscheidung des Kaisers nichts machen. Kuhn jedoch beauftragte ihn, einen Bericht über das Elaborat zu erstatten und in keinem Punkte mit seiner Meinung zurückzuhalten. Dies geschah. Auspitz sprach seine Meinung scharf, oft ironisch aus, wie ich aus den mir vorgelesenen Stücken seines Berichtes entnahm; er geißelte die Fehler gegen Stil und Logik, die er fand. Dieser Bericht wurde dem Kaiser von Kuhn vorgelegt, und die Folge war, daß eine neuerliche Erwägung stattfand, aus der die Vorschläge Kuhns mit dem Elaborat Auspitz' im wesentlichen hervorgingen. So wurde die Arbeit publiziert. Am Schlüsse der Beratungen kam es zu Ordensverteilungen. Kuhn beantragte für Auspitz die Eiserne Krone, aber diese wurde dem Generalb verliehen, er erhielt eine geringere Dekoration87. Sie wurde ihm mit einem Schreiben Kuhns übermittelt, das zu den schärfsten gehört, was denkbar ist. Auspitz wußte den Brief auswendig, er schließt mit den Worten: Dank vom Hause Habsburg! 85
Die Spannungen zwischen Österreich-Ungarn und Rußland, ausgelöst durch den Thronverzicht Alexander von Battenbergs und die Wahl Ferdinand von Koburgs zum Fürsten von Bulgarien im Jahre 1887. 86 Das neue Dienstreglement für das к. k. Heer war 1873 veröffentlicht worden. Vgl. dazu auch S. 333 f. " Freilassung im Original. b Freilassung im Original. 87 Leopold Auspitz erhielt 1874 das Militärverdienstkreuz.
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Leopold Auspitz
Kuhns heftige Abneigung gegen Preußen-Deutschland linderte sich nicht mit den Jahren. Er blieb franzosenfreundlich bis ans Ende, und daher auch seine scharfen Urteile über Moltke, den er nicht genügend anerkannte. Er hatte auch Auspitz gegenüber den Verdacht ausgesprochen, die Adjutanten, insbesondere Stankovits, haben jene Fälschung begangen, deren er sich in seiner in Danzers Hand befindlichen Arbeit beschuldigt88. Ebenso weiß Auspitz von der Beratung 1859, mit der Kuhn seinen Aufsatz beginnt. Auspitz ließ jenen Verdacht natürlich nicht gelten, sondern wandte ein „Aber Exzellenz" ein. Catty wäre vielleicht nach Jahren Generalstabschef geworden, wenn er nicht den von Auspitz verfaßten Korpsbefehl vom 27. Mai 1876 erlassen hätte, durch den sich Erzherzog Albrecht gekränkt fühlte 89 . Er wurde statt dessen zum „Militärkommandanten" in Preßburg ernannt. Er scheint gegen Auspitz verstimmt gewesen zu sein, da er ihn für den Urheber seiner Zurücksetzung hielt, wenn auch für den unschuldigen Urheber. Schönfeld wurde Generalstabschef. Auspitz teilt mir über 1870 mit: Im strengsten Vertrauen habe Beck ihm einmal erzählt, daß sein, Becks, Votum, mitentscheidend gewesen sei für den Entschluß des Kaisers, sich im Kriege neutral zu verhalten. Auspitz macht die richtige Bemerkung, daß nichts so sehr für die Absicht des Kaisers spricht, den Krieg gegen Preußen vorzubereiten, als die Mahnung an Napoleon, Rom den Italienern zurückzugeben 90 . Kuhn war gewiß mit Beust einverstanden. Denn er und 99% der Armee empfanden die Niederlage 91 als demütigend, und Kuhn war viel zu temperamentvoll, um nicht den Krieg zu wünschen und vorzubereiten. Albrecht war derselben Ansicht; während der Erzherzog Albrecht sich später in die Verhältnisse fand, blieb Kuhn fest bei seiner Abneigung gegen Preußen-Deutschland. Erzherzog Albrecht war ungarnfeindlich und wünschte eine Repressionspolitik, sooft die Empfindungen der Armee verletzt wurden. Ein solcher Fall 88
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Vom 13. 12. 1900 bis 7. 3. 1901 erschien in Danzer's Armeezeitung in 13 Teilen „FZM Frh. v. Kuhn: Meine Tätigkeit im Kriege 1859." In der Vorbemerkung heißt es, diese Arbeit sei von Kuhn 1894 als Antwort auf ein anonym in Bamberg erschienenes Werk (Der Krieg 1859, nach offiziellen Quellen - inoffiziell bearbeitet) zur ebenfalls anonymen Publikation geschrieben worden, würde aber hier erstmals veröffentlicht. Der Corpsbefehl zum Tode des Generalstabschefs General Franz von John (25. 5. 1876). Eine Abschrift dieses Befehls (Corpsbefehl Nr. 20, Wien 27. 5. 1876) findet sich in К 2, U 3, 410 г - ν. Es heißt darin: „Die Geschichte - in ihren hellsten Farben wird sie verzeichnen, was der Feldzeugmeister für Thron, Vaterland und Heer geleistet, wie er in schweren Tagen an der Seite unseres glorreichen Prinzen die altösterreichische Fahne hoch emporgehalten und in unvergleichlichen Ehren siegreich entfaltet hat." Anfang Juli 1870 hatte die Wiener Regierung in Paris angeregt, daß die französischen Truppen Rom räumen sollten, um eine Allianz zwischen Österreich-Ungarn, Frankreich und Italien gegen Preußen zustande zu bringen. Dieser Vorschlag wurde von Napoleon III. zurückgewiesen. Im Krieg von 1866 gegen Preußen.
November 1900
363
ereignete sich zur Zeit der Manöver bei Schwarzenau92. Der Erzherzog fragte damals Auspitz um seine Meinung. Dieser sagte, jene Demonstrationen seien zu verurteilen und dagegen Maßnahmen zu treffen; aber man dürfe das Kind nicht mit dem Bad ausschütten. Denn die Mehrheit des Landes sei monarchisch gesinnt, und man dürfe sie nicht dadurch verletzen, daß man schroff auftrete. Darauf drehte ihm Albrecht offenbar unwillig den Rücken und wandte sich zu der übrigen Seite. Die Kurzsichtigkeit Albrechts war so groß, daß er bei einem Manöver nicht merkte, daß ringsherum weite Getreidefelder waren, die Ähren reichten den Pferden bis zu den Nüstern. Er fragte Auspitz, weshalb er seine Truppe, die doch Reserve war, so nahe an der vorderen Linie halte, und dieser rechtfertigte sich, weil er die Kulturen nicht zerstören dürfe. Ja, sind denn überall Kulturen? Aber er hatte doch den besten Uberblick über den Verlauf des Manövers, und seine Urteile waren streng sachgemäß. Er war schon als junger Mensch, wie sein Lehrer bezeugt, fleißig, von festem Willen beseelt. Aber dieser Fleiß war seine Haupttugend. Er war kenntnisreich, sachverständig, aber einen bedeutenden Eindruck machte er nicht.
Carl von Duncker, Oberst ι. P.
November 1900 К 2, U 3, 408 r-v; Sekretär 1
Ursprünglich bestand die kriegsgeschichtliche Abteilung für sich. Ein Teil des Generalstabes, die Karten- und Schriftenabteilung, hatte ihren gesonderten Vorstand, Oberst Rechcron war der Vorstand der Schriften und Karten- und Bibliotheksabteilung, Wetzer der der kriegsgeschichtlichen Abteilung. Sie waren koordiniert, doch hoffte Rechcron, daß ihm als alter Offizier Wetzer untergeordnet werde. Wetzer wußte dies zu verhindern, Rechcron nahm den Abschied, und dann erst wurden alle Abteilungen vereinigt. Solange Malcher der Direktor des Archivs des Erzherzogs Albrecht war, war es der Benützung zugänglich. Duncker erhielt also für sein Buch über Erzherzog Albrecht von Malcher die nötigen Behelfe93; doch sagte Malcher selbst, wichtige Papiere des Erzherzogs seien unter Verschluß seines Neffen, des Erzherzogs Friedrich, und ihm nicht zugänglich. Duncker unterließ es, da damals mein Werk noch nicht erschienen war94, über das Verhältnis Albrechts und Benedeks vor dem Kriege von 1866 zu forschen. Er stellte nur fest, daß 92
93 94
Im September 1891 fanden die Kaisermanöver im Waldviertel bei Schwarzenau statt. Als Gäste nahmen daran der deutsche Kaiser und der König von Sachsen teil. Um welche ungarisch-nationalen Kundgebungen es sich handelte, konnte nicht festgestellt werden. Carl von Duncker, Feldmarschall Erzherzog Albrecht (Wien - Prag 1897). Der Kampf um die Vorherrschaft.
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Hofrat Gustav Hailig von Hailingen
der Erzherzog in einem Briefe an seine Schwester, die Königin Theresia von Sizilien, etwa im April 1866 mitteilte, er übernehme auf ausdrücklichen Wunsch des Kaisers das Kommando im Süden, während Benedek den Befehl im Norden erhalten werde. Daraus schließt Duncker, diese Verteilung sei der Wunsch des Kaisers und nicht des Erzherzogs gewesen. Auch lag es nicht im Charakter des Erzherzogs, sich der schwierigen Aufgabe im Norden zu entziehen. Nach dem Tode Malchers bot Duncker dem Erzherzog Friedrich an, die Leitung des Archives zu übernehmen. Der Erzherzog ging erfreut auf das Angebot ein und sagte auch einem Offizier seiner Seite, Duncker werde Archivar werden. Es scheint aber, daß die erzherzögliche Direktion Bedenken erhoben hat, wie man einen Obersten in den Status der Beamten einreihen könne. Malcher erhielt keinen Nachfolger, und Dr. Müller, der ihn vertrat, ist unfähig, die Direktion zu übernehmen, weil er das Gehör vollständig verloren hat und nur schriftlich verkehren kann.
Hofrat Gustav Hailig von Hailingen, Hofrat i. P. November 1900 К 4, U Nationalitäten in Osterreich und Übersicht über die Entwicklung der slawischen Völker Er ist der Sohn eines Beamten aus Galizien, der deutsche zentralistische Beamte, spricht aber mit stark fremdem polnischem Akzent. Er weist auf Ostrow Ritter von Drdatzki als Quelle für die galizischen Agrarverhältnisse vor 1848 hin95. Baron Krieg96 war eine imposante Erscheinung, der mit Mut viel Ähnlichkeit hatte. Eine hohe Gestalt, ein durchdringender beherrschender Blick, prächtige Zähne. Er war eine superiore Persönlichkeit. Er arbeitete sich von Pick [sie! ] auf empor - von der Salzamtkasse. Er war bereits die rechte Hand des Gouverneurs . . .,a der bis 1828 tätig war97. Dann kam ein Fürst Lobkowitz, über den sich Krieg geringschätzig äußerte: Er sei nicht da, adelige Stutzer zu Gouverneuren abzurichten. Lobkowitz liebäugelte mit den Polen, und man behauptete, er habe den Aufstand von 1831 so sehr unterstützt, daß sich Rußland über ihn beschwerte, so daß seine Abberufung aus Galizien notwendig wurde. Krieg war (schon?) zum Vi95
96
97
a
Moritz Drdacki Ritter von Ostrow, Die Frohnpatente Galiziens. Ein Beitrag zur Kunde des Unterthanswesens (Wien 1838; Reprint Freiburg i. Br. 1990). Freiherr Franz Krieg von Hochfelden war bereits 1823 aus Galizien zur allgemeinen Hofkammer versetzt worden, deren Vizepräsident er 1829 wurde. Von 1831 bis zu seinem Ruhestand 1847 war er wieder in Galizien tätig. Von 1823 bis 1826, nicht 1828, leitete Graf Ludwig Taaffe als Gouverneur die Verwaltung Galiziens und Lodomeriens. Freilassung im Original.
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Ende 1900
zepräsidenten der Hofkammer (?) ernannt worden und kehrte mit dem Erzherzog Ferdinand nach Galizien zurück. Krieg war der eigentliche Statthalter. Der Erzherzog kokettierte mit dem Adel, und es scheint, daß Krieg davor warnte. Nach der Revolution 1846 wurde der Erzherzog zurückberufen, Krieg nicht. Nach der Revolution wurden viele Beamte von den Kreisämtern wegversetzt, weil man ihnen, wenn auch ohne Ursache, Schuld gab, daß sie die Bauern aufgereizt hätten. Hailig dagegen, der in Lemberg gewesen war, wurde als Kreiskommissar hinausversetzt. Er schildert das österreichische Regime als adelsfreundlich. Beamte, die sich mit den Grundherren schlechtstellten, wurden versetzt. Das geschah aus Gründen konservativer Politik. Aber die gröbsten Exzesse der Gutsherren wurden doch verhindert, und vor allem, der Bauer hatte das Recht zu beklagen. Er erreichte selten etwas, aber er wurde angehört, ein Protokoll mit ihm aufgenommen. 3
Freiherr Josef von Schenk, Hofrat des Verwaltungsgerichtshofes
[November 1900] К 2, U 3 , 414 ν
Erzählt, Hofrat Budwinski erzählte ihm: Belcredi war als Präsident des Verwaltungsgerichtshofes ein überaus bedenklicher, gewissenhafter Richter, der sich oft schwer entschied98. Da fragte ihn einmal einer seiner Räte: Wie war es nur möglich, daß ein Mann seiner Art einen Staatsstreich machen konnte? Da erwiderte er: „Es wurde mir schwer genug, und ich habe vorher eine Nacht durchgebetet, bis mir die heilige Jungfrau Maria durch ihre Eingebung (oder durch ihr Zeichen) die Gewißheit verschaffte, ich würde recht handeln."
Karl von Stremayr, Mitglied
des Herrenhauses [Ende 1900] К 2, U 3, 464 г - 465 ν; Sekretär 1
Giskra zog als Minister den Unwillen des Kaisers auf sich. Bei einer Ministerratssitzung beging er die unglaubliche Unhöflichkeit, dem Kaiser ins Wort zu fallen und lebhaft seine Meinung in einer Angelegenheit - Stremayr weiß nicht mehr, um was es sich handelte - zu entwickeln. Dabei kam er sonderbarerweise auf entlegene Dinge und auf einen seiner Konzipienten zu sprechen. Der Kaiser wurde unwillig und blaß, drehte ungeduldig an seinem Schnurrbarte, und als Giskra nicht zu perorieren aufhörte, ergriff er die 98
b
Graf Richard Belcredi stand von 1881 bis 1895 an der Spitze des Verwaltungsgerichtshofes. Randbemerkung: sehr wichtig.
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Karl v o n Stremayr
Kielfeder, die in seiner Hand war, warf sie entrüstet auf den Tisch, so daß die Tinte umherspritzte, und verließ erbittert die Sitzung. Stremayr kann dieses Verhalten Giskras nur dadurch erklären, daß Giskra öfters Anzeichen einer, man kann sagen Geistesstörung zu erkennen gab. Einige Zeit darauf trug sich die Szene im Ministerrate zu, in der der Kaiser von Giskra Rechenschaft verlangte, weshalb er sein Rundschreiben an die Länderchefs in bezug auf die direkten Wahlen erlassen habe". Giskra gab seine Demission. Stremayr teilt mir die interessante Tatsache mit, daß zu jener Zeit das ganze Ministerium die Demission gab. Der Kaiser nahm jedoch nur die Giskras an, und Stremayr stimmt mir zu, daß dies deswegen geschah, um das Ministerium gespalten erscheinen zu lassen. Wenige Wochen später trat das Bürgerministerium vom Schauplatze ab. Stremayr trat dann in das Kabinett Potocki nur ein, nachdem Potocki ihm die Zusage gegeben hatte, die Verfassung werde unverletzt bleiben und das Ministerium werde - die Form war noch nicht entschieden - die Hände zur Ungültigkeitserklärung des Konkordates bieten100. Potocki konnte die erstere Zusage um so eher machen, als er von seinem Aufenthalte in London her ein großer Verehrer des englischen Konstitutionalismus war101. Wenn man ihn von etwas überzeugen wollte, mußte man bloß auf jenes Vorbild hinweisen. Er war wohl wollend, überaus liebenswürdig im Verkehre, aber er überblickte nicht die Konsequenzen einer Maßregel, war also von schwachem Schlüsse und Willenskraft. Stremayr stellt in Abrede, daß der Vorschlag zur Aufhebung des Konkordates von Beust angeregt worden sei. Der Plan sei ganz seiner Initiative entsprungen. Es ist richtig, daß diese Wendung Beust willkommen sein konnte, da er gerade damals (wie Stremayr erst später, wahrscheinlich erst durch mich) erfuhr, die Abschließung eines Bündnisses mit Italien und Frankreich betrieb. Stremayr schreibt das Verdienst an diesem Akte ausschließlich sich zu. Der Sektionschef Beusts, Hofmann, war eigentlich dagegen, denn er neigte ein wenig, wie sich später zeigte, zum Klerikalismus. Er meinte eher, man könne durch die Anwendung 99
100
101
Im September 1869 forderte Innenminister Karl Giskra über die Landeschefs die Landtage auf, Gutachten über den Vorschlag von direkten Reichsratswahlen abzugeben. Die Gutachten wurden am 3. 3. 1870 dem Abgeordnetenhaus vorgelegt. Nachdem sich im Parlament abzeichnete, daß die für die Reform notwendige Zweidrittelmehrheit nicht möglich sei, beschloß der Ministerrat die Vertagung des Projektes. Giskra gab darauf am 21. 3. 1870 seine Demission. Am 12. 4. 1870 trat das Kabinett Potocki die Nachfolge des Bürgerministeriums an. Am 31. 7. 1870 veröffentlichte die Wiener Zeitung eine offizielle Erklärung, wonach das Konkordat aufgrund der geänderten Rechtsstellung des Papstes durch das am 1. Vatikanischen Konzil verkündete Unfehlbarkeitsdogma außer Wirksamkeit gesetzt sei. Gleichzeitig erließ der Kaiser ein Handschreiben, in dem Kultusminister Karl von Stremayr aufgefordert wurde, Gesetzesentwürfe zur verfassungsmäßigen Aufhebung des Konkordats auszuarbeiten. Graf Alfred Potocki war in den vierziger Jahren im diplomatischen Dienst und der Botschaft in London zugeteilt.
Ende 1900
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des placetum regium der Geltung des Konkordates ein Ende machen. Stremayr drückt sich darüber unklar aus, hat offenbar nicht mehr die Erinnerung dessen, was Hofmann wollte. Beust war im Privatgespräche ganz einverstanden und sprach sich eher antikatholisch aus. Andrässy, der der entscheidenden Ministerratssitzung gleichfalls zugezogen war, trat warm für den Vorschlag ein; er erklärte: Das Konkordat habe für Ungarn ohnedies keine Geltung; wäre es aber dort in Kraft, so würde er vollständig den Argumenten Stremayrs zustimmen, daß infolge der Unfehlbarkeitserklärung der eine kontrahierende Teil, der Papst, eine vollkommen verschiedene Persönlichkeit geworden sei, so daß der Vertrag damit hinfallig sei. Ich fragte Stremayr eingehend, welche Wirkung die deutsch-französischen Siege auf den Hof hervorgebracht hätten. Sei es, daß er nicht den Scharfsinn hatte, in das Wesen der Sache einzudringen - genug, es war nicht viel aus ihm herauszubringen. Er erinnerte sich nur, daß er bei einem Besuche bei Andrässy diesen während des Krieges über Karten und Pläne gebeugt sah. Er verfolgte die Operationen, wie wenn er Militär gewesen wäre. Andrässy war unbedingt gegen ein Bündnis mit Frankreich; Beust verstand es, klug zu lavieren, ohne daß er in eine Falle geriet. Während der entscheidenden Kämpfe war der Kaiser in Ischl, und Stremayr hatte keine Berührung mit dem Hofe. Erzherzog Albrecht war, wie er bestimmt sagen kann, für die Beteiligung Österreichs am Kriege gegen Preußen. Von Kuhn hat er keine klare Erinnerung; schwerlich war er, da die Organisation der Armee noch nicht fertig war, für [ein] aktives Auftreten Österreichs. Viel deutlicher und offenherziger als bei den früheren Unterredungen102 schildert mir Stremayr das tiefe Mißtrauen und die Abneigung, welche der Kaiser in den Jahren 1871 bis 1873 gegen sein liberales Ministerium und gegen die Verfassungspartei hegte. Nur Lassers Klugheit gelang es, die Klippen zu umschiffen. Erst die Weltausstellung scheint einen Umschwung beim Kaiser hervorgebracht zu haben. Wenigstens fanden die Minister von 1873 an [ihn] vertrauensvoller, zugänglicher. Lasser fiel es unter anderem zu, dem Kaiser die widrigen Umstände bei den Wahlen, speziell in bezug auf den Chabrus103 mundgerecht zu machen. Lasser war nicht bloß schlau, sondern auch verschmitzt. Er war die Seele des Kabinetts. Stremayr glaubt, er habe sich Aufzeichnungen gemacht, wenigstens sprach er einmal davon bei einem Ministerrate. Sein Sohn dürfte Näheres wissen104. Stremayr kam als Kultusminister am häufigsten in die Lage, dem Kaiser Maßregeln vorzuschlagen, die diesem unangenehm waren. Von 1873 an hatte dies weniger Schwierigkeiten, 102 103
104
Vgl. S. 355-359. Der gemeinschaftliche Ankauf von Gütern in Böhmen, um das damit verbundene Wahlrecht in der Großgrundbesitzerkurie zu erwerben. In den erhaltenen Aufzeichnungen mit Freiherrn Oskar von Lasser (S. 410-413 u. 452-454) findet sich kein Hinweis darauf. Vgl. jedoch den Nachlaß Lasser im HHStA.
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Karl v o n Stremayr
aber er hatte viel zu tun, um den Kaiser zu bestimmen und zu überzeugen. Besonders, wenn dem Kaiser aus den pädagogischen Zeitschriften oder aus den Reden von Lehrern radikale Äußerungen zugetragen wurden, war er höchst erbittert. Dann war er natürlich sehr zufrieden, wenn Stremayr dagegen Energie zeigte. Immer wieder betont er, daß die österreichischen Minister keinen Einblick in die große Politik hatten. In erster Linie war die Persönlichkeit des Fürsten Auersperg schuld daran, die viel zu unbedeutend war, um sich Einfluß zu erringen. Anders natürlich Andrässy, Tisza und ihre Nachfolger. Auch hatten die liberalen Minister so viele Friktionen zu überwinden, daß sie sich wenigstens die Dinge fernhielten, die sie nicht unmittelbar berührten. Es war klar, daß, wenn die Abneigung des Kaisers gegen die liberale Partei auch zurücktrat, sie doch nur schlummerte, und sie brach wieder hervor, als der Widerstand gegen die bosnische Okkupation sich zeigte. Der Kaiser bezeichnete den Versuch des Parlamentes, die Bestimmungen des Berliner Vertrages einer Kritik zu unterzeichnen [sie!]105, geradezu als Hochverrat, als einen Eingriff in seine Rechte. Stremayr glaubt aber nicht, daß der Kaiser wenigstens in den ersten Jahren des Ministeriums Auersperg - Lasser den Rat anderer Personen als seiner Minister gehört habe. Er sprach über Politik nur mit seinen Ministern. Auf meine Anfrage, ob er mit dem Grafen Taaffe nicht eine Ausnahme gemacht habe, bezweifelte dies Stremayr. Taaffe war Statthalter in Tirol, und Stremayr gab ihm oft Weisungen, gegen den Widerstand der Klerikalen das Gesetz in Anwendung zu bringen. Oft machte Taaffe Einwendungen, aber er fügte sich dann der ihm gewordenen Weisung. Hätte er, so meint Stremayr, mit dem Kaiser direkte Verbindung gehabt, so wäre er in der Lage gewesen, an dessen Entscheidung zu appellieren. Das tat Taaffe aber nicht, sondern verhandelte die Sache nur mit den Ministern.
105
Die Regierung hatte im Reichsrat die Ansicht vertreten, das Parlament habe den Berliner Vertrag lediglich zur Kenntnis zu nehmen, während die Mehrheit des Hauses eine Abstimmung über die verfassungsmäßige Zustimmung zum Vertrag durchsetzte.
März 1901
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Hofrat Gustav Hailig von Hailingen, Hofrat i. P. März 1901 К 4, U Nationalitäten in Österreich und Übersicht über die Entwicklung der slawischen Völker Als Goluchowski im August (?) 1866 Statthalter wurde 1 , fuhr er durch Krakau, wo Possinger leitender Beamter war. Possinger stand ihm sehr nah, und Goluchowski wollte ihn für die Statthaltern in Lemberg gewinnen. Aber Possinger sah, daß sich ihre Wege trennen würden, und lehnte die Annahme des Postens eines Vizepräsidenten, wenn ich nicht irre, ab. Possinger war einer der besten, unermüdlichsten Beamten. Tatsächlich ging Goluchowski sofort an die Polonisierung. Er arbeitete systematisch daran, alle dem Lande „fremden" Beamten zu entfernen. Er selbst war tüchtig, unermüdlich tätig, der selbst auf Spaziergängen von nichts als von Geschäften sprach. Aber er war höchst nachsichtig gegen einen polnischen Beamten, der sich Unregelmäßigkeiten zuschulden kommen [ließ]; er schonte ihn seiner Familie wegen, während er rücksichtslos strenge war, wenn ein deutscher Beamter sich verging. Aber in das Gremium der Statthalterei nahm er ebenso wie Hailig auch andere Deutsche, und als Hailig ihn bei ihrer Vorstellung fragte, was die Gazeta Narodowa 2 sagen werde, so meinte er, er brauche tüchtige Arbeiter. Goluchowski erwarb sich um die Polen große Verdienste; er war der Träger der Politik, wonach sie sich um den Kaiser scharen sollten. Den Ministerien konnten sie Opposition machen, nicht aber der Politik des Kaisers. Goluchowski mußte abtreten, weil der galizische Landtag die Resolution annahm 3 , Possinger sein Nachfolger. Possinger aber hielt seine Stellung stets nur für vorübergehend. Potocki, sein Nachfolger4, ist die Ursache des Verfalls der galizischen Verwaltung. Potocki hatte staatsmännische Eigenschaften, so einen weiten Blick, eine eingehende Kenntnis der Verhältnisse Englands, Deutschlands, Frankreichs, aber er hatte keine Energie und war ganz in den Händen seiner Mitarbeiter, die ihn lenkten. Loebl und Zaleski waren zunächst die mächtigsten. Zaleski verhalf Loebl zur Statthalterschaft von Mähren. Loebl wollte selbst nicht, aber Zaleski sagte ihm, er solle einige Jahre bleiben, dann mit höherem Gehalt in Pension gehen5. 1
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Die offizielle Ernennung Graf Agenor Goluchowskis zum Statthalter von Galizien erfolgte mit 20. 9. 1866. Das führende national-polnische Blatt Galiziens. Die am 24. 9. 1868 vom Landtag beschlossene Resolution verlangte eine weitgehende Autonomie Galiziens. Ludwig Possinger leitete vom 1. 10. 1868 bis 18. 7. 1871 die Statthalterei, ihm folgte sein Vorgänger im Amt Graf Agenor Goluchowski. Graf Alfred Potocki löste diesen 1875 ab und blieb bis 1883 Statthalter. Hermann von Loebl war von 1888 bis 1893 Statthalter in Mähren, Philipp von Zaleski gleichzeitig polnischer Landsmannminister.
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Theodor Kathrein, Mitglied des Ageordnetenhauses
Theodor Kathrein
März 1901 К 2, U 3, 445 r-v
Taaffe fragte ihn seinerzeit, ob er Plener ins Ministerium nehmen solle. Kathrein sprach sich dagegen aus. Taaffe war damit einverstanden und sagte: „Ich erkenne an, daß Plener mir in mehr als in einer Beziehung überlegen ist. Aber ich müßte doch darauf bestehen, daß er meine Politik im Kabinett akzeptiert, und dazu wird er sich nicht bereit finden. Denn die Zügel muß ich in der Hand haben." Hohenwart hat einen großen Fehler begangen, als er den Sturz Taaffes herbeiführte 6 . Taaffe hätte, wenn er nicht krank geworden und gestorben wäre, bis heute regieren können. Er hatte doch die Kunst zu regieren; er verstand die deutschliberale Opposition klug zu behandeln und niederzuhalten. Windischgraetz war zu schwach als Ministerpräsident. "Besonders in der Wahlreformfrage. 3 Da jede Fraktion eigene Wünsche hatte, so hätte er sich entscheiden sollen. Dazu forderte ihn auch Kathrein auf: Er habe ja jetzt alle gehört. Aber Windischgraetz konnte sich nicht dazu entschließen. Kathrein war auch überrascht, daß Plener nicht energischer auftrete. Er hätte mit Bestimmtheit sein Verlangen stellen sollen, vielleicht selbst mit seinem Rücktritte drohen sollen. Das tat er nicht. Kathrein sprach einmal mit ihm, und er sagte: Er scheitere mit seinen Bemühungen an dem Einflüsse Falkenhayns. In der Tat gehörte Falkenhayn zu den unversöhnlichen Gegnern der Liberalen, die in jedem Liberalen den Gottseibeiuns sehen. „Ich selbst, sagte Kathrein, bin frei von dieser Engherzigkeit, wenn ich auch strenge konservativ und katholisch gesinnt bin. Ich habe jeden achten gelernt, der für seine Überzeugung einsteht, wenn er nur dabei ein ehrlicher Mann ist." Badeni verlangte von Kathrein, er solle sich über die Geschäftsordnung hinwegsetzen. Dessen weigerte sich Kathrein 7 . Seitdem hörte jeder eigentliche politische Verkehr auf, und Badeni beklagte sich zu einem Herrenhausmitglied, es sei unmöglich, die Obstruktion zu überwinden, da der Präsident sie unterstütze. Das war ungerecht. Bald darauf ließ Kathrein ihm durch Halban einen Ausgleichsvorschlag machen. Es solle die Ausführung der Sprachenverordnung sistiert werden, war die Grundlage. Kathrein hat niemals eine Antwort erhalten. Noch 24 Stunden vor seinem Sturze sagte Ba6
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Der Sturz der Regierung Taaffe im November 1893 wurde durch das Scheitern ihrer Wahlrechtsreform ausgelöst. Entscheidend für die Niederlage war der Widerstand des ansonsten regierungsfreundlichen Hohenwartklubs. Vom 6. 4. bis 26. 10. 1897 war Theodor Kathrein Präsident des Abgeordnetenhauses. In dieser Zeit legten die Deutschen als Widerstand gegen die Badenischen Sprachenverordnungen das Abgeordnetenhaus durch ihre Obstruktion lahm. Ergänzung.
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deni: Morgen Mittag werde ich alle Vollmachten zur Uberwindung der Obstruktion haben. So rasch erfolgte die Meinungsänderung des Kaisers8. Kathrein sagte, er habe die schuldige Ehrfurcht vor dem Kaiser, aber leider sei er nicht beständig, und sein Schwanken wirke oft ungünstig. Der Ausspruch Steinbachs sei richtig: Der Kaiser halte seine Minister nur bis zur Entscheidung. "Kathrein macht sich Aufzeichnungen, die für seinen Sohn bestimmt sind9. So über seine Unterredungen mit dem Kaiser vor dem Sturze Thuns. Wer Koerber zum Minister empfohlen habe, weiß er nicht.3
Adolf Beer, Mitglied des Herrenhauses
März 1901 К 2, U 3, 463 r-v
Merkwürdig, mit welcher Bestimmtheit Beer in Abrede stellt, daß der Sturz des Bürgerministeriums 10 etc. durch die Revancheabsicht Beusts etc. herbeigeführt wurde. Er müsse doch auch etwas davon wissen. Er habe doch viel mit Hasner verkehrt, der ihm sein Vertrauen schenkte etc. Er könne mit ziemlicher Bestimmtheit sagen, daß Beust mit Hasner nie darüber sprach. Ob ich etwas Schriftliches hätte? Ich räumte ein, das sei nicht der Fall, aber ich wies auf Plener und Stremayr hin, die mir recht gäben. Da lenkte Beer doch ein, es müsse freilich erwogen werden, ob man zum Beispiel Stremayrs Auffassung unter den Tisch werfen dürfe. Der .. ,b sei, so habe ihm ein Minister gesagt, ein Macchiavellist. Auch sehr wankelmütig. Wenn man Montag, Mittwoch und Freitag zu ihm komme, so sagte ein anderer, so habe er am Mittwoch eine andere Meinung als Montag. Sehr merkwürdig für einen so gemäßigten Mann wie Beer, der ausdrücklich sagt, einer der vielen Minister habe es ihm gesagt. Es war ein Fehler gewesen, daß Hasner das Ministerpräsidium übernahm. Er, Beer, könne nicht sagen, was statt dessen hätte geschehen sollen, aber Hasner war zu diesem Amte nicht geeignet. Denn er war zwar eine ernste, wahrhaftige, echt liberale Natur, aber es war ihm schwer, sich zu entschließen. Die Minister waren uneinig in der Frage der direkten Reichsratswahlen, Herbst zögerte noch, war lange dagegen, Giskra dafür. Die Ursache, 8
Ministerpräsident Graf Kasimir Badeni wurde am 28. 11. 1897 entlassen. Den unmittelbaren Anlaß bildete die Erklärung des Wiener Bürgermeisters Karl Lueger, die Ruhe in der Hauptstadt nicht mehr garantieren zu können. 9 Vgl. Theodor Freiherr von Kathrein (1842-1916), Landeshauptmann von Tirol, Briefe und Dokumente zur katholisch-konservativen Politik um die Jahrhundertwende, hrsg. von Richard Schober (Innsbruck 1992). 10 Die Ministerien Carl Auersperg, Taaffe I und Hasner (1867-1870). a a " Quer über den linken Rand geschrieben. 6 Freilassung im Original.
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Victor Ruß
weshalb Giskra früher als die übrigen Minister demissionierte, lag darin, daß Giskra sich in dieser Frage durch sein Rundschreiben an die Länderchefs gebunden hatte 11 . Uber Herbst urteilt Beer ungünstig. Seine Beredsamkeit, sein Scharfsinn seien unzweifelhaft. Aber er hatte einen unglücklichen Hang zu widersprechen, bevor eine Sache reif war. Ich, Friedjung, möchte glauben, daß dieses Negieren eine Art lauter Gedankenprozeß war, um sich die Schwierigkeiten klar zu machen. Doch erzählt Beer, daß Hasner sich durch ihn stark beeinflussen ließ, als er sich zuletzt nach einigem Schwanken für die Goldwährung entschied12. Die Ursache, weshalb Plener sich zur Führung aufschwang, lag darin, daß er sich in den böhmischen Landtag wählen ließ und sich in die deutschböhmische Frage vertiefte, sich ihrer bemächtigte. Die „deutsch-böhmische Clique" sei immer entscheidend gewesen. Nun hatte er in diesem Punkte keinen ebenbürtigen Nebenbuhler nach Herbsts Abwahl13. Nur Sturm wäre es gewesen, der aber die Dinge zu sehr nach advokatorischem Gesichtspunkte sah und auch bald ermüdet zur Seite trat. Plener war aber neidisch, oft machte er bei Reden Herbsts und Mengers die abfälligsten Bemerkungen.
Victor Ruß, Präsident der Osterreichischen Nordwest-Dampfschiffahrtsgesellschaft
März 1901 К 2, U 3, 463 ν
Noch ungünstiger über Herbst. Ruß war 1875 (?) Berichterstatter über das erste Gesetz zur Eisenbahnverstaatlichung 14 . Herbst änderte höchst auffallenderweise seine Ansicht; zuerst widersprach er Ruß in entscheidenden Punkten bei der Beratung im Club, weil Ruß es gewagt hatte, [eine] selbständige Meinung auszusprechen; im Eisenbahnausschuß trat er ihm bei etc. Als Herbst gefragt wurde, ob er die 60 Millionen Kredit bewilligen werde 11 12
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Vgl. zum Rundschreiben vom September 1869 bezüglich der Einfuhrung direkter Reichsratswahlen S. 366 Anm. 99. Als erster Schritt zum bereits im Ausgleich von 1867 vorgesehenen Übergang zur Goldwährung wurden 1870 Goldmünzen geprägt. Die große Währungsreform fand jedoch erst 1892 statt. Ernst von Plener gehörte dem böhmischen Landtag seit 1879 an, im Reichsrat vertrat er die Egerer Handelskammer. Eduard Herbst unterlag bei den Reichstagswahlen 1885 in zwei böhmischen Wahlbezirken und nahm darauf ein Mandat der Inneren Stadt Wien an. Victor Ruß vertrat als Berichterstatter des Eisenbahnausschusses den Entwurf zum Gesetz betreffend die garantierten Eisenbahnen, der am 10.12.1876 von der Regierung eingebracht worden war und am 15.6.1877, nicht 1875, nach zehntägiger Debatte vom Abgeordnetenhaus angenommen wurde. Vgl. Stenographische Protokolle über die Sitzungen des Hauses der Abgeordneten des österreichischen Reichsrathes, 8. Session, Bd. 8 (Wien 1877) 8807-8912. Das Gesetz erhielt, nach einer neuerlichen Behandlung wegen geringfügiger Änderungen durch das Herrenhaus, am 24.12.1877 die kaiserliche Sanktion.
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März 1901
(1878), sagte er: „Wenn Szell deshalb demissioniert hat, wie kann ich dafür sein? Wie stehe ich sonst da?"15 Den Widerstand gegen den Berliner Vertrag16, den Ruß mitmachte, nennt er eine Dummheit.
Ludwig Doczi, Leiter des Literarischen im Außenministerium
Bureaus März 1901 К 2, U 3, 446 r-v
Khevenhüller sei, so behauptet er, niemals der Kurie als Botschafter genannt worden17. Aber Khevenhüller posiere gerne und prahle etwas. Zu Doczi sagte er, daß er gar nicht auf den Posten in Rom reflektiere. Dann aber redete er herum, er habe ihn bereits, und nur auf diese Gerüchte hin kam [die] Meldung aus dem Vatikan, er sei dort nicht persona grata. Doczi wußte nichts von der Ablehnung, bis ich es ihm im Februar 1901 gesagt hatte. Dann erst erkundigte er sich bei Goluchowski, der ihm das obige mitgeteilt haben soll (??). Doczi glaubt nicht, daß ein outsider Botschafter werden wird. Goluchowski sei für Avancement in der Karriere. Darin sei er so peinlich, daß er seinerzeit Doczi den Titel eines außerordentlichen Gesandten und bevollmächtigten Ministers versagte, weil er nicht in der diplomatischen Karriere drin sei. Wohl auch aus anderen Gründen. Doczi bekennt selbst, daß Goluchowski ihm aus vielen Dingen ein Geheimnis mache. Er übe sich gegen ihn in Reticenzen. Khevenhüller würde gerne nach Paris kommen. Aber Goluchowski wolle Wolkenstein nicht abschießen18. Als Khevenhüller 1885 geschickt wurde, um den Battenberger aufzufordern, auf dem Marsch nach Belgrad haltzumachen19, stellte ihm Alexander die Frage: Und was ge15
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Außenminister Graf GyulaAndrässy hatte von den seit5.12.1877 tagenden Delegationen einen außerordentlichen Kredit von 60 Mill. Gulden beantragt, der in der österreichischen Delegation im März 1878 erst nach heftigen Debatten mit 39 zu 20 Stimmen angenommen wurde. Hier ist jedoch der den Delegationen am 21. 11. 1878 vorgelegte Nachtragskredit des Außenministeriums zur Deckung der Okkupationskosten über 41 Mill. Gulden gemeint, dessen Genehmigung Eduard Herbst als Berichterstatter der österreichischen Delegation am 24.11.1878 ablehnte, da zuvor der Reichsrat den Berliner Vertrag zu genehmigen habe. Die gemeinsame Regierung zog den Antrag darauf zurück. Kaiman Szell war aus Protest gegen die Okkupation Bosniens am 11.10.1878 als ungarischer Finanzminister zurückgetreten, da er die finanziellen Belastungen als zu hoch ansah. Die Mehrheit der liberalen Verfassungspartei lehnte die Okkupation Bosniens ab, worüber die Partei schließlich zerbrach. Die im Juni 1901 erfolgte Abberufung des Botschafters beim Vatikan Graf Friedrich Revertera zeichnete sich bereits seit dem Winter 1900/01 ab, da er wegen angeblich mangelnder Vertretung der ungarischen Interessen massiv angegriffen wurde. Zu seinem Nachfolger wurde im November 1901 mit Graf Nikolaus Szecsen ein Ungar ernannt. Graf Rudolf Khevenhüller ersetzte im Dezember 1903 Graf Anton Wolkenstein als Botschafter in Paris. Vgl. zur Mission Graf Rudolf Khevenhüllers im serbisch-bulgarischen Krieg 1885 S. 329 Anm. 3.
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Paul Schienther
schieht, wenn ich nicht haltmache? Für diesen Fall hatte Khevenhüller keine Instruktionen. Hätte er da erst in Wien anfragen sollen? Er antwortete also aus eigener Initiative: Dann werden Sie die österreichische Armee auf Ihrem Wege finden! Und darauf kehrte Alexander um. Goluchowski ist streng katholisch, aber nicht klerikal. In einem Gespräche mit Doczi bald nach seinem Eintritt ins Ministerium sagte er ihm das, und er fügte hinzu: Ich würde die Treue gegen den Kaiser verletzen, wenn ich die Interessen der Kirche über die seinigen setzte. Auch Szecsen sei streng katholisch, energisch, klug, hochmütig, nicht wählerisch in seinen Mitteln. Khevenhüller habe schon durch acht Tage die Akten der römischen Botschaft studiert. Der Vatikan behandelt uns sehr unfreundlich. So wollte er Skrbensky nicht zum Kardinal machen, angeblich, weil er zu jung sei20. Auch scheine man ihn im Vatikan nicht für genug tschechisch zu halten. Als Doczi einmal mit Haymerle über den Balkan sprach, fragte ihn dieser aus irgendeinem Anlasse: Glauben Sie wirklich, daß wir mit Rußland konkurrieren können? Darauf Doczi: Gewiß, und zwar deshalb, weil wir uneigennützig sind und Rußland nicht. Milan hat in seinem Briefe an den Kaiser gebeten, ihn, selbst wenn er außerhalb Österreichs sterbe, nicht in Serbien begraben zu lassen, man solle die Leiche auf dem Wege festhalten "und sie in Osterreich bestatten lassen21. Erst wenn Alexander nicht mehr in Serbien sei, dürfe seine Leiche nach Serbien gebracht werden. Jettel hatte damals das Gutachten abgegeben, daß, wenn Milan ein Mitglied der königlichen Familie sei, so habe der König die Verfügung über seine Leiche, wenn er aber ein einfacher Serbe sei, so habe Österreich nach der Konvention nur die Pflicht, seinen Tod den serbischen Behörden anzuzeigen. Auch hätte er dann nicht als König bestattet werden dürfen. Aber der Kaiser, so erzählte jemand mir, habe gesagt: Milan war immer ein guter Herrscher, man mag sonst gegen ihn sagen, was man will.®
Paul Schienther, Burgtheaterdirektor
März 1901 К 2, U 1, 57 r - 60 r
Als er nach Wien kam22, betrachtete man es im Burgtheater als Ereignis, daß die Hohenfels und die Schratt in einem Stücke zusammen spielten. Allerdings hatte die Schratt hierbei die größere Rolle. Die Schratt war schon der Der im September 1899 zum Erzbischof von Prag ernannte Freiherr Leo Skrbensky von Hriste erhielt am 15. 4. 1901 den Kardinalspurpur. 21 Der serbische Exkönig Milan starb am 11. 2. 1901 in Wien und wurde auf eigenen Wunsch im Kloster Krusedal im ungarischen Komitat Syrmien beigesetzt. 22 Paul Schienther leitete seit 1898 das Burgtheater. a " Quer über den linken Rand geschrieben. 20
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Schrecken der Direktion Burckhardt gewesen, da sie das Ensemble durch ihre Launen unaufhörlich störte; als Burckhardt wankte, verglich er sich mit ihr, und in einer Art Mitleid versuchte sie es, ihn zuletzt zu stützen. Schienther glaubt nicht, daß zwischen dem Kaiser und ihr ein intimes Verhältnis bestehe, wenigstens nicht mehr. Und für die frühere Zeit ist es nicht wahrscheinlich, da sonst die Kaiserin und die Töchter des Kaisers nicht mit ihr verkehrt hätten. Sie lockerte alle Disziplin im Theater. Sie erschien auf den Proben wann sie wollte oder auch gar nicht. Es bildeten sich zwei Parteien, die einen, die ihr schmeichelten und ihrem Vorbilde folgten, die anderen, die erbittert waren. Für Schienther war dies ein Greuel, obwohl er selbstverständlich anfangs alles tat, um sich mit ihr auf einen guten Fuß zu stellen. Er gab mehrere Stücke wesentlich ihretwegen, so den Verschwender etc. Die Feindschaft der Schratt datiert daher, daß sie wünschte, das Stück „Plus que le reine" solle aufgeführt werden. Sie hatte es in Paris gesehen, war entzückt, wollte die Heldin spielen und hatte es sofort um teures Geld gekauft, damit kein Theater zuvorkomme. Das war eine überflüssige Sorge gewesen, da Bukovics, der einzige ernste Konkurrent, es bereits abgelehnt hatte. Sie brachte das Stück Schienther und erklärte gleich, es müsse von diesem [?] mit 20.000 fl Ausstattung gegeben werden. Schienther las das Stück und hielt es für unmöglich. Es ist ein vergröbertes Madame Sans Gene, aber außerdem enthält es, da Josephine die Hauptperson (?) ist, starke Ausfalle auf die Habsburger, Marie Louise erscheint in ungünstigem Licht. Als Schienther das der Frau Schratt vorstellte, sagte sie, lassen Sie mich das nur machen oder überlassen Sie es mir. Derselben Meinung wie Schienther war Jettel. Dieser sagte: Wenn das Stück aufgeführt werden kann, so wäre in Zukunft jede Zensur überflüssig. Darauf Schienther lachend: Das wäre ja das einzig Gute davon. Und als beide die Sache dem Obersthofmeister Fürst Rudolf Liechtenstein vorlegten, erklärte auch er: Unmöglich. Seitdem war die Schratt Schienthers Feindin. Die Dinge spitzten sich gegen seinen Wunsch und trotz seiner besten Absichten immer mehr zu, bis eines Tages Palmer23 bei ihm erschien. Er beschwerte sich im Namen der Schratt, und Schienther war froh, daß er Palmer sagen konnte, er möchte ja gerne einen Wunsch von ihr erfüllen. Darauf kündigte ihm Palmer an, sie wolle die Cyprienne24 spielen. Daraufging Schienther ein, machte das Stück beim Raimundtheater frei und setzte es an. Die Probe wurde angesetzt, alles war anwesend, Frau Schratt erschien nicht. Man telephoniert, man fragt an, es heißt, sie sei krank. Dr. Staniek, ihr Arzt, meinte aber 23
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Der Industrielle und Bankier Eduard Palmer war Mäzen und Vertrauter Katharina Schratt-Kiss'. Lustspiel von Victorien Sardou und Emile de Najac.
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Paul Schienther
zu Schienther, sie sei seit acht Tagen stets in Gesellschaft gewesen und habe aber nicht studiert. Auch nach acht Tagen bei der Probe liest sie schlecht. Endlich kommt das Stück heraus, die Zeitungen sind, obwohl sie mäßig spielt, voll Lob; aber bei der zweiten Vorstellung werden bloß 5[00] bis 600 fl eingenommen; man kann das Stück nicht weiter geben. Am unliebsamsten wird die Sache beim „Tartuffe". Schienther gibt ihr die Elmire, sie will die Dorine spielen, obwohl Elmire doch den Mittelpunkt abgibt und Schienther glaubte, ihr damit etwas Gutes zu machen. Man gibt ihr also schließlich die Dorine, zur Kränkung der Schmittlein, die doch in dieser Rolle vorgeführt werden soll25. Da hinein fällt auch die Krise der Schratt, ihr Streit mit der Erzherzogin [Marie] Valerie. Die Schratt heitert den Kaiser auf, ihr Umgang ist die beste Erholung für ihn, sie ist ihm unentbehrlich. Deshalb hatte auch Fürst Liechtenstein, als Freund des Kaisers, der wünscht, ihm solle seine Erholung nicht gestört werden, Schienther gesagt, er möge sie bei guter Laune erhalten. Die Schratt ist nicht etwa witzig, aber sie ist eine so prächtige Kernnatur, daß schon die Art, wie sie spricht, jedermann erheitert. Auch Schienther vergnügte sich über sie, selbst in Zeiten, wo sie ihm das Leben schwermachte. Man erzählte ihr Anekdoten, damit sie sie dem Kaiser vortrage, und sie tat es in drolligster Weise. Die Kaiserin nun hatte das Verhältnis gerne gesehen, da es dem Kaiser wohltue. Ob früher ein intimer Verkehr stattgefunden, weiß Schienther, wie gesagt, nicht; aber er fand gewiß nur statt, wenn die Schratt am Kaiser Gefallen fand; denn sie ist ein Charakter, der frei über sich verfügt. Die Gräfin Trani, die Schwester der Kaiserin, ging in deren Intentionen ein und führte die Schratt selbst in Rom ein, um die Klerikalen für sie zu gewinnen. Diese aber sind gegen das Verhältnis, weil die Schratt doch von „Verdächtigen", von „Juden" umgeben ist, welche den Kaiser doch auch durch die Schratt beeinflussen lassen. (Palmer,"). Und die Schratt gebraucht mitunter ihren Einfluß. So einmal zugunsten der Frau Devrient26. Das Theater hätte [sie!] sie gerne losgeworden. Da eines Tages sagte sie schnippisch zu Schienther: „Oh, ich habe bereits einen lebenslangen Vertrag." Schienther hielt das für einen Ausfluß ihres Größenwahns. Aber er fragt bei Plappart und Liechtenstein an. Liechtenstein läßt Schienther zu sich in die spanische Reitschule bitten und sagte ihm: Was ich Ihnen zu sagen habe, kann ich Ihnen nur im Freien sagen, so sehr bin ich irritiert. Die Schratt bat für die Devrient beim Kaiser, sie brachte die Devrient vor ihn, die Devrient tat einen Fußfall, und der Kaiser ließ sich zu einem Versprechen bestimmen. „Was dagegen zu sagen ist", fügte Liechtenstein hinzu, „habe ich dem Kaiser alles vorgestellt, und er sieht es jetzt auch ein. Aber es [ist] nicht zu än25 26
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Ferdinande Schmittlein-Prechtler debütierte 1898 am Burgtheater. Die Burgschauspielerin Babette Reinhold, verheiratete Devrient.
Freilassung im Original.
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dem." Zum Bruch mit der Erzherzogin [Marie] Valerie kam es am Geburtstag des Kaisers. Erzherzogin Valerie erklärte, sie werde nicht kommen, wenn die Schratt da sei. Die Schratt erhielt keine Einladung; aber sie glaubte, es sei nur ein Vorstoß, und sie sagte zum Kaiser, sie werde selbstverständlich kommen; da meinte der Kaiser: Sie legen ja, gnädige Frau, keinen Wert auf solche offiziellen Dinge, wir sehen uns ja ohnedies (ungefähr so). Aber sie war gekränkt. Und da gab sie ihre Entlassung vom Burgtheater27. Fürst Liechtenstein nun stand ganz aufseiten Schienthers. Denn wiewohl er gewünscht hätte, die Schratt bei guter Laune zu erhalten, so erkannte er bald, daß mit ihr eine gute Theaterführung nicht zu erzielen sei. In der Saison 1899-1900 hatte sie durch ihre Launen die Aufführung des Moliere, Tartuffe, Misanthrope stets verzögert, darüber wurde der Plan Schienthers gestört, und die gute Theaterzeit - es sind nur zwei bis drei Monate - ging ungenützt vorüber. Das hat dem Kaiser Zehntausende gekostet. Für 1900-1901 hat das Burgtheater die besten Einnahmen, seitdem es im neuen Hause ist. Liechtenstein nun ist ein trefflicher Kavalier, reich, unabhängig, bedürfnislos, und schläft in einem eisernen Feldbett; auf sein Wort kann man sich absolut verlassen. Er war eine Stütze auch gegen Frau Schratt. Auch sein Neffe, der zweite Obersthofmeister Fürst Montenuovo, ist, ohne gebildet zu sein, gescheit, er sagt nie eine Dummheit. Er wurde von Liechtenstein, der lieber bloß Oberststallmeister wäre, zu seinem Stellvertreter gewählt und leitet die ökonomischen Angelegenheiten. Schienther steht nun auf dem Standpunkte, daß er unbedingt gehen müßte, wenn die Schratt wieder in das Burgtheater träte. Gegen ein Ehrengastspiel hätte er nichts, wohl aber gegen eine dauernde Anstellung. Liechtenstein sei ein Freund des Kaisers, der ihm zuliebe seine Stelle innehabe, er würde gehen, wenn der Kaiser stürbe. Er sei dem Kaiser sympathischer, als es Hohenlohe gewesen sei28. Nach der Abreise der Schratt hat der Kaiser stets den Wunsch der Versöhnung mit ihr gehabt. Er schreibe ihr lange Briefe29, sie aber antworte bloß telegraphisch einen ehrfurchtsvollen Dank für das gnädige Schreiben. Als die Schratt nach Wien zurückkehrte, glaubte der Kaiser, sie werde ihn besuchen. Keineswegs, sie ging nicht zu ihm, sondern wartete, bis er sie besuchte. Herr von Kiss30 läßt sich alle fingerlang durch Palmer rangieren, der seine Wechsel einlöst. Dann von Zeit zu Zeit wird Palmer zum Kaiser gerufen, der die Schulden bezahlt. Das geschieht alles ohne direkte Intervention der 27 28
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Katharina Schratt war am 1. 10. 1900 aus dem Burgtheater ausgeschieden. Prinz Rudolf Liechtenstein folgte als Obersthofmeister Prinz Konstantin HohenloheSchillingsfürst, der dieses Amt von 1866 bis zu seinem Tod 1896 innehatte. Vgl. Meine liebe, gute Freundin! Die Briefe Kaiser Franz Josephs an Katharina Schratt aus dem Besitz der Osterreichischen Nationalbibliothek, hrsg. von Brigitte Hamann (Wien 1992). Der Gatte Katharina Schratts.
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FZM Freiherr Friedrich v o n Beck
Schratt. Jettel erzählte mir, Schienther habe vor einigen Monaten der Schratt telegraphiert, ob sie ein Gastspiel am Burgtheater absolvieren möchte, aber sie habe nicht geantwortet. Schienther hat ein einziges Mal beim Kaiser Audienz gehabt. Es berührt ihn offenbar, daß der Kaiser jüngst Burckhardt kondolierte anläßlich des Todes seiner Mutter, eben hat der Kaiser sich, als Mahler krank war, nach dessen Befinden erkundigen lassen. Schienther scheint er seine Ungnade empfinden zu lassen. Doczi benahm sich nicht taktvoll gegen Schienther, drängte sich ihm auf, und als Schienther nicht gleich seine Stücke gab, drohte er31. Nach dem Brauch kann niemand Zensor des Burgtheaters werden, dessen Stücke dort aufgeführt werden.
FZM Freiherr Friedrich Chef des Generalstabes
von Beck, Pfingstmontag, [27. Mai] 1901 К 2, U 4, 492 г - 493 ν
Er macht einen alten Eindruck. Behauptet, die Nagy-Papiere genau gelesen zu haben 32 ; dabei expliziert er nur die Ereignisse, ohne Rücksicht auf ernste \ m d genaue 3 Erweiterungen unserer Kenntnisse in dem Buche33 zu nehmen. Stellenweise gebraucht er wieder, als ob er selbst auf seine Erinnerungen zurückgriffe, Wendungen aus meinen Büchern. Er teilt mir mit, er habe nach Empfang meiner Anfrage, ob er mir Mitteilungen geben wolle, den Kaiser gefragt, ob ihm dies freistehe. Der Kaiser habe seine Zustimmung gegeben, da mit der Wahrheit nicht zurückgehalten werden solle. Merkwürdig selbstgefällig. Er will stets seinen Vorgesetzten kluge, voraussichtige Ratschläge gegeben haben. So war er in [der] Umgebung Heß', als Grünne und noch mehr Schiitter 34 in seinen Wirkungskreis als Generalstabschef eingriffen. Beck machte ihm Vorstellungen, wie er das hinnehmen könne. Er solle entschieden dagegen auftreten. Heß erklärte das für unmöglich. Über Kuhn wieder ungünstig. Er sei von dem Publikum überschätzt worden. Er sei sehr begabt und kenntnisreich gewesen, aber wenn Ereignisse auf ihn hereinstürmten, wechselten seine Entschlüsse. Er wurde unruhig. 31 32 33 34
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Als erstes Stück Ludwig Doczis unter der Direktion Schienther wurde am 21. 9. 1899 „Letzte Liebe" aufgeführt. Feldzeugmeister Läszlo Nagy führte den Vorsitz in der mit der Untersuchung der Armeeführung in Böhmen 1866 betrauten Kommission. Bendedeks Nachgelassene Papiere. Graf Karl Grünne, Generaladjutant des Kaisers und Vorstand der Militärkanzlei, und Freiherr Karl Schiitter von Niedernberg, seit 1853 der Militärzentralkanzlei zugeteilt und 1859 Generaladjutant des Kaisers, verloren beide nach dem Krieg von 1859 an Einfluß. gestrichen.
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Trient wollte er 1866 schon räumen, als Erzherzog Albrecht in einem von Beck abgefaßten Telegramm ihm die Verteidigung befahl. Die Division Reischach habe Vorteile errungen, solange Reischach und Beck an der Spitze standen. Als sie beide am Boden lagen, trat Verwirrung ein35. Noch bestimmter und Mensdorff tadelnd erzählte Beck sein Gespräch mit ihm Frühjahr 1866. Als Beck auf die Gefahr des Krieges hinwies, meinte Mensdorff: „Von der Strategie verstehen Sie etwas, ohne Frage, aber von der Diplomatie nichts. Ich aber kenne König Wilhelm. Ich bin überzeugt, daß er lieber Bismarck und seine Minister davonjagen werde, bevor er Osterreich den Krieg erklärt."36 Im Jahre 1870 erwarb er sich das Verdienst, dem Kriege gegen Deutschland widersprochen zu haben. Kuhn sei für den Krieg gewesen. Ebenso Beust. Dieser habe den Krieg von langer Hand vorbereitet. Im Sommer, selbst nach der Kriegserklärung durch Frankreich, sei er dafür gewesen. Ebenso Erzherzog Albrecht sehr entschieden. Als Beck 1866 nach Pardubitz kam, traf er den Grafen Chotek (Vater der Fürstin Hohenberg37), der als Diplomat dem Hauptquartier beigegeben war. Er forderte ihn auf, sobald der König Johann und Beust nach Pardubitz kämen, Beust sofort nach Wien zu schicken, damit er von da ab sofort an Napoleon abgesendet werden könne. Der Generalstab war früher, besonders unter [sie!] Beck, ein „Bureau", es fehlte die eigentliche militärische Ausbildung. Generalstabsreisen etc. wurden erst durch Beck eingeführt. Außerdem wurde der Generalstab früher für topographische Aufnahmen verwendet, das war alles. Krismanic hatte diese Schulung und keine andere. Größere Kenntnisse fehlten auch ihm. Es kommt alles so heraus, als ob er eigentlich alles neu schaffen, neuen Geist in den Generalstab hätte bringen müssen. Krismanic hatte auch keine Kriegserfahrung. Als ich antwortete, er habe unter Packenyi im Generalstab Wimpffens 1859 gedient, lächelte er: „Der gute Packenyi!" Krismanic hatte den Erzherzog Albrecht auf einer Reise in den Schwarzwald begleitet, man hatte dort militärische Beobachtungen angestellt, denn ein Krieg gegen Frankreich wurde stets im Auge behalten, und so meinte man 1866, er habe Kenntnis des Kriegsschauplatzes in Deutschland. Das alles ist also sehr geringschätzig gegen Erzherzog Albrecht, den er übrigens so schildert wie ich38. Albrecht sei 35
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Freiherr Friedrich von Beck war 1859 Generalstabschef der Division des Feldmarschallleutnants Freiherr Siegmund von Reischach. Sie wurden beide in der Schlacht von Magenta (4. 6. 1859) verwundet. Vgl. zu diesem Gespräch im März 1866 und den folgenden Ausführungen Becks Edmund Glaise-Horstenau, Franz Josephs Weggefahrte. Das Leben des Generalstabschefs Grafen Beck. Nach seinen Aufzeichnungen und hinterlassenen Dokumenten (Zürich - Leipzig - Wien 1930), hier 93. Gräfin Sophie Chotek wurde bei ihrer Heirat mit Thronfolger Erzherzog Franz Ferdinand in den erblichen Fürstenstand mit dem Titel von Hohenberg erhoben. Vgl. Kampf um die Vorherrschaft. Bd. 1, 394-400.
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höchst kurzsichtig gewesen, habe aber vor Manövern [die] Karte sorgfältig studiert, habe viele Studien gemacht und besaß Fähigkeit für Truppenführung. Ursprünglich hätte Erzherzog Albrecht das Kommando im Norden übernehmen sollen und wählte sich Krismanic als seinen Berater. Als dann Benedek für die Nordarmee bestimmt wurde, übernahm er Krismanic. Am liebsten wäre Henikstein nun zur Südarmee gegangen. Aber Albrecht hatte kein Vertrauen zu ihm und behielt lieber John. Auf diese Weise hatte Henikstein keine Stellung und war in einer peinlichen Situation. „Ich kann als Generalstabschef doch nicht in Wien bleiben", sagte er zu Beck. Erst auf sein Andrängen wurde er Benedek beigegeben. Aber er mußte das förmliche Versprechen geben, daß er sich in die Leitung der Armee nicht mischen wolle. Als Beck dann zur Armee kam (1. Juli), erinnerte er ihn daran: Wie er ein[zu]greifen nicht das Recht habe, da er unter dieser Bedingung zur Nordarmee gekommen sei. Als ich Beck einwandte, daß Benedek doch eine hohe Meinung von Henikstein gehabt habe und es mich wunder nehme, daß er der Zuteilung Heniksteins zur Nordarmee ungünstig gewesen sei, meinte Beck: Nein, Benedek hatte keine gute Meinung von Henikstein. Somit hat Beck die betreffenden Briefe Benedeks in meinem Buche nicht in Erinnerung39. Ich wies daraufhin, aber Beck blieb bei seiner Meinung, das heißt, er hat die Eigentümlichkeit, auf eine Einwendung, die er nicht widerlegen kann, mit einsilbigem Beharren zu erwidern. Auffallend ist immerhin, daß Beck gerade jenen Abschnitt meines Buches, der sich über [sie!] das innere Getriebe im Generalstab beschäftigt, nicht beachtet hat. Denn er kann doch die Dinge nicht schon vergessen haben. Dies ist wohl der beste Beweis, daß er im Buch nur oberflächlich geblättert hat. Er hat wohl nur die ihn persönlich betreffenden Stellen sorgfältiger gelesen. Kurz und gut, er macht den Eindruck eines Schwachmaticus. Er schildert mir ein Gespräch mit Moltke40. Es sei dies 1882 [gewesen], als er zu den Übungen nach Breslau geschickt worden sei. Damals sei zuerst eine militärische Konvention zwischen Deutschland und Osterreich geschlossen worden. Früher (so fügt er seltsamerweise hinzu) als politische Abmachungen getroffen worden seien. Ich erinnerte ihn daran, daß das Bündnis zwischen Bismarck und Andrässy schon 1879 geschlossen worden sei41. Es ist richtig, meinte Beck, ohne jedoch der Sache entscheidende Bedeutungbeizulegen. Damals, 1882, meinte Moltke zu Beck, daß Deutschland eigentlich mit Rußland keine grundsätzlichen Differenzen habe, während die Ansicht der Russen bekannt sei, daß der Weg nach Konstantinopel über
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Vgl. Benedeks Nachgelassene Papiere 311-316. Vgl. zu diesem Gespräch Glaise-Horstenau, Franz Josephs Weggefährte 288-290. Der Zweibund vom 7. 10. 1879.
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Mai 1901
Wien gehe. Darauf erwiderte Beck: „Das ist richtig, aber ebenso sicher ist, daß, wenn Österreich-Ungarn am Boden liegt, die Reihe dann an Deutschland kommen wird." Da reichte Moltke Beck die Hand und sagte: „Diese offene Sprache sagt mir zu, ich sehe, daß wir uns verstehen." Hierauf begann der militärische Teil ihrer Verhandlungen. Im Winter 1886 auf 1887 wünschte Deutschland den Krieg mit Rußland42. Moltke drängte zum Angriff, mindestens dazu, daß die österreichische Aufstellung in Galizien ihren Anfang nehme. Beck erklärte einen Krieg im Winter nicht für möglich. Er wies darauf hin, daß die Karpaten mit tiefem Schnee bedeckt wären; damals führte erst eine Eisenbahnlinie von Ungarn nach Galizien. Ist das richtig? Der Andreesche Atlas von 1887 zeigt den Jablunka-Paß, den Dukla-Paß und die Linie Munkäcs-Stryi überschient. Das alles wurde in Proßnitz zwischen Beck und Waldersee, dem Vertreter des Chefs des Generalstabes erörtert. Beck riet, man solle [bis] zum Frühjahr warten, dann sei Österreich-Ungarn bereit. Seit jener Zeit wurden im Ganzen sechs oder sieben Linien über die Karpaten fertiggestellt (ich habe die Zahl vergessen). Und jede Linie erhält den Krieg [sie!] um einige Jahre länger. Denn auch die Russen berechnen, wie viel schneller dadurch unsere Aufstellung sein kann; das ist eine Warnung für sie. Beck erzählte mir, er habe Aufzeichnungen über sein ganzes Leben gemacht. Er setze sie fort. Er schreibe gerade nicht regelmäßig an ihnen; aber nach Wochen komme er doch immer dazu, sie zu ergänzen. Als ich ihn fragte, ob ich das der Cottaschen Buchhandlung mitteilen könne, verneinte er es. Er werde nichts über diese Aufzeichnungen verfügen, das bleibe ganz seinem Sohne überlassen43.
Ludwig Doczi, Leiter des Literarischen im Außenministerium
Bureaus Mai 1901 К 2, U 3, 447 г
Andrässy habe das Goldene Vlies verlangt, da er es für notwendig erachtete, seine Position zu kräftigen. Die nächsten Minister, Kalnoky und Goluchowski, haben es nach nicht langer Zeit auch erhalten44. Als Goluchowski im Jahre 1900 (oder 1899 ?) in einer Delegationsrede einem tschechischen Red-
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Gemeint ist die Krise 1887/88, nicht 1886/87. Graf Alfred Waldersee, der stellvertretende preußische Generalstabschef, und Beck trafen im Sommer 1887 anläßlich der Manöver bei Proßnitz (Prostejov, Mähren) zusammen. Die Aufzeichnungen wurden geschlossen nicht publiziert; vgl. aber Glaise-Horstenau, Franz Josephs Weggefahrte. Graf Gyula Andrässy erhielt den Orden vom Goldenen Vlies 1877, seine Amtsnachfolger Graf Gustav Kälnoky 1887 und Graf Agenor Goluchowski 1896.
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Alexander Thorsch
ner vorhielt, was er sage, sei unanständig, sagte ihm Doczi, der Ausdruck sei doch zu kräftig, und meinte, man solle ihn mildern45. Da antwortete Goluchowski: Ich bin kein Dichter, sondern ein Staatsmann.
Alexander Thorsch, Journalist
Mai 1901 К 2, U 3, 447 г
Es sei nicht richtig, daß die Wasserstraßen von Koerber von Anfang an gewünscht worden seien46. Baltazzi wollte ihn dafür interessieren, da erwiderte ihm Koerber, ob nicht ein drittes Geleise der Nordbahn denselben Dienst tue. Felix Aehrenthal bestätigte mir später die ablehnende Haltung Koerbers gegen Kanäle. Als Koerber im Juni 1900 den Reichsrat vertagte, tat er das, weil Schwarzenberg und Kaizl ihm zusagten, im Herbste werde die Obstruktion nicht wieder einsetzen, er solle jetzt vertagen47. Im Herbste mußten sie ihm gestehen, daß ihre Bemühungen fruchtlos gewesen seien. Aber sie legten dar, daß Neuwahlen die Sache ändern würden. Nach den Wahlen würden die Tschechen [die] Obstruktion aufgeben. Deshalb habe Koerber den Reichsrat aufgelöst. Schon damals habe sich Koerber sehr optimistisch ausgesprochen, was die Arbeitsfähigkeit des Reichsrates betreffe. Das stimmt aber gar nicht mit dem [überein], was Koerber mir im Winter 1900-1901 sagte: Er rechne nicht auf eine Arbeitswilligkeit des Reichsrats48.
Gräfin Betty Grimaud
d'Orsay
15. Oktober 1901 К 2, U 4, 494 г - 495 г
Sie wohnt in ihrem Hause, Piaristengasse 60, wo sie ein Absteigequartier hat. Über ihrem Schreibtisch ein Bild einer Frau Avigdor, gemalt von Lenbach. Anmutige Geschichte, wie Lenbach nicht sie, sondern diese ihre 45
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In einem offiziösen Kommunique antwortete das Außenministerium am 3. 1. 1900 auf eine Delegationsrede des tschechischen Abgeordneten Edvard Gregr vom 28. 12. 1899, in der er der deutschen Regierung Einmischung in die innere Politik Österreichs vorgeworfen habe, und die darauf folgenden deutschen Pressekommentare. In diesem Kommunique hieß es, das Ministerium stimme den Ansichten, daß Gregrs Äußerungen „ebenso ungehörig wie grundlos" seien, aus voller Uberzeugung zu. Am 1. 6.1901 wurde im Abgeordnetenhaus neben der Eisenbahninvestitionsvorlage und dem Budgetprovisorium (erstmals seit vier Jahren) auch das Wasserstraßengesetz angenommen, das den Bau von Verbindungskanälen zwischen Donau, Moldau, Oder, Elbe und Weichsel sowie Flußregulierungen vorsah. Die Session des Abgeordnetenhauses war am 8. 6. 1900 nach tumultartigen Szenen geschlossen worden. Nachdem sich über den Sommer keine Beruhigung abzeichnete, wurde das Abgeordnetenhaus am 7. September aufgelöst und Neuwahlen ausgeschrieben. Aus dem Winter 1900-1901 sind keine Gesprächsaufzeichnungen mit Ernest von Koerber erhalten; vgl. aber S. 346 f.
15. Oktober 1901
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Freundin malte. Gegenüber das Haus, wo Baron Podewils wohnt. Es soll 1684, vor Hildebrandt, gebaut sein, und zwar von einem Italiener namens d'Amiani (?). Später kam es in den Besitz des Freiherrn von Wetzlar. Eine Wetzlar war mit FML Koudelka verheiratet, dessen Tochter Pauline die Frau Schmerlings wurde. In jenem Hause verlebte Schmerling seinen Liebesfrühling. Früher gehörten die Gärten bis zum Pasqualati-Garten (Schönborn-Garten) zu dem Wetzlarschen Besitz. Erst später wurde die Florianigasse durchgezogen. Durch Erbgang kam dann das Haus (wo Podewils wohnt) in den Besitz ihres Sohnes erster Ehe49. Das Haus Piaristengasse 60 hat Gräfin d'Orsay bauen lassen, da die Gemeinde darauf drang, das alte Haus war baufällig, wie das Bauamt behauptete. Die Gräfin schwärmt von Schmerling. Wie sie bekannt wurden, erzählen ihre Aufzeichnungen. Als er zurücktrat, Sommer 1865, trafen sie sich in Ischl. Sie machten zusammen täglich stundenlange Spaziergänge. Sie ist 1839 geboren, war also 27 Jahre. Schmerling war 60 Jahre. Er hatte das Bedürfnis sich auszusprechen, zu erzählen. Er erzählte ihr sein ganzes Leben. Er sagte selbst, sie solle ihm gestatten, daß er erzähle, hoffentlich langweile es sie nicht. Sie war gehoben und glücklich. Sie macht sich die größten Vorwürfe, daß sie sich damals keine Aufzeichnungen machte. Als sie einer Freundin manches wiederholte, forderte diese sie dringend dazu auf. Aber sie war jung, vertraute auf ihr Gedächtnis und unterließ es. Schmerling hatte eine ungemein anziehende, lebendige Art der Konversation. Als er jung war, galt ihm sein höchstes Ziel, Hofrat zu werden, und das wurde er nie, sondern stieg höher. Aber zu seiner Zeit dachte man eben nicht an große Karriere. Man diente zum Hofrat auf. In seiner Familie waren meistens Juristen, Beamte. Er war der älteste. Sein Bruder, der Leibarzt (eines Erzherzogs, Albrechts?)50 stak stets in Schulden. Wenn Wucherzinsen zu groß wurden, drohte Skandal, und Schmerling mußte eintreten. Der Feldmarschalleutnant stand ihm am nächsten51, wenn er ihm auch geistig sehr überlegen war. Dann ein Major und ein Hofrat52. Von einem dieser zwei hatte er Neffen, und diese Familie existiert noch. Die Witwe dieses Bruders bat Schmerling, er solle sich vom Kaiser kraft seines Stefansordens den Grafentitel erbitten und auf ihren Sohn vererben. Er lehnte es ab. Er würde das nicht für seinen Sohn tun, würde den Kaiser niemals um eine solche Gnade bitten. 49
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Gräfin Betty Grimaud d'Orsay war in erster Ehe mit dem Bankier Ludwig Löwenthal von Linau verheiratet. Ihr Sohn Heinrich (geb. 1870) war Diplomat. Rainer von Schmerling war Leibarzt Erzherzog Albrechts. General Joseph von Schmerling, 1858 Feldmarschalleutnant und 1868 Feldzeugmeister. Er war als Stellvertreter des Kriegsministers (1860-1861) maßgeblich am Aufbau der Landwehr beteiligt. Heinrich von Schmerling starb als Major im Jahre 1868, Moriz von Schmerling war von 1876 bis zu seinem Tod 1882 Rat bzw. ab 1878 Senatspräsident am Verwaltungsgerichtshof.
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Freiherr Johann von Chlumecky
Auch wußte er, daß er kein Vermögen hinterlassen werde. Er schenkte viel, seinen Töchtern, seinem Bruder etc., aber da er eine Loge in der Oper hatte und einen Fiaker hielt, so konnte er von 20.000 fl nicht eigentlich ersparen. Er hatte für unvorhergesehene Fälle stets 4.000 fl in der Kasse, mehr brachte er nicht zusammen. Für sein Leichenbegängnis, für Krankheitsfall. Und das hinterließ er auch, nicht mehr. Im Jahre 1865 sprach er von seinem früheren Leben, aber nicht von der unmittelbaren Vergangenheit. Er äußerte sich nicht verbittert, obwohl er bei Hofe Intrigen und Niedertracht erfahren hatte. Er sagte immer „die Brüder", „die Töchter", nie meine Brüder. Schmerling ging jeden Sonntag in die Kirche, im Winter ins Oratorium der Hofburgkapelle. Er sagte einmal: „Wenn wir uns trauen lassen wollen, wenden wir uns an die Kirche, und wenn wir ein Kind bekommen, legen wir Wert darauf, es zu taufen. Wenn wir sterben, rufen wir wieder die Kirche. Es ist daher geziemend, daß man sich in der Zwischenzeit auch um die Kirche kümmert. Ich finde es einfach unschicklich, wenn man es nicht tut. Man geht ja auch auf einen Hofball, wenn es einem auch nicht bequem ist." Die Gräfin d'Orsay meinte: Das sei ritterlich gesprochen. Sie stimmte mir zu, als ich meinte, er habe das Verhältnis zur Kirche wie ein Vertragsverhältnis angesehen. Die Äußerlichkeit der Auffassung springt in die Augen.
Freiherr Johann von Chlumecky, Mitglied des Herrenhauses
16. Oktober 1901 К 2, U 1, 28 r - 30 r
Chlumecky wurde nach dem Sturze Belcredis53 erster Statthaltereirat in Brünn, als Statthalter-Vizepräsident. Er blieb es bis zum Sturze des Bürgerministeriums54, worauf er zurücktrat. Aus dem Verkehre mit den Ministern, besonders mit Giskra, weiß er nichts davon, daß der Sturz des Bürgerministeriums durch Motive der äußeren Politik hervorgerufen worden sei. Er stellt es auch in Abrede. Übrigens ist den österreichischen Ministern gerade nichts von der äußeren Politik mitgeteilt worden; eine Ausnahme machte vielleicht Taaffe wegen seiner besonderen Vertrauensstellung zum Kaiser. Die Berufung der Bürgerminister fand, wie er vermutet, deshalb statt, um sie abzunützen. Ihr Fall wurde zum Teile durch höfische Intrigen, zum größeren Teile aber durch ihre Schuld hervorgerufen. Denn sie waren uneinig, zum Teil „wie Hund und Katz". Herbst wollte nicht ins Ministerium eintreten, weil er wie stets die Verantwortung scheute. Er war bereits abgereist und mußte vom Bahnhofe abgeholt werden. 53 54
Das Ministerium Belcredi wurde am 7. 2. 1867 entlassen. Die Ministerien Carl Auersperg, Taaffe I und Hasner (1867-1870).
16. Oktober 1901
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Der erste Anstoß zur Erweckung der Unzufriedenheit des Kaisers waren die Maigesetze55. Diese gingen weit über seine ursprüngliche Absicht hinaus. Der Kaiser ist allerdings nicht klerikal, wenn auch gut katholisch. Vor allem ist er dynastisch, er sieht in der Kirche die beste Polizeianstalt des Staates. Auch machte ohne Zweifel die Opposition Clams56, der Feudalen und der Tschechen einen tiefen Eindruck auf [ihn], Fürst Karl Auersperg war dafür, sie auszuhungern, und das war gewiß die richtige Methode. So machte es das Ministerium Auersperg-Lasser, und tatsächlich kamen zum Schlüsse die Tschechen „gekrochen"57. Der Kaiser und Beust aber glaubten, nur die persönliche Anwesenheit des Kaisers in Prag könnte die Gegensätze mildern. Auersperg war gegen die Reise. Er demissionierte sogleich58. Hierauf, so erzählte man sich, habe der Kaiser die Minister gefragt, wen sie zum Präsidenten empfehlen. Die Minister hatten sich verabredet, den Kaiser um eine Frist zur Beratung zu ersuchen. Plener aber, sei es, weil er von der Verabredung nichts wußte, oder, weil er den Wunsch des Kaisers kannte, nannte Taaffe. Die Abneigung des Kaisers gegen die Minister rührte zum Teil daher, weil sie ihn durch ihre Verbindung mit der Neuen Freien Presse drängen wollten. Die Neue Freie Presse hat darin viel geschadet. Herbst und Giskra konnten sich nicht ausstehen, Plener stand abseits, er war schließlich 1861-65 viel von den Liberalen angegriffen worden59, Taaffe und Potocki [machten] eine besondere Politik. So kam es zu der Spaltung. Chlumecky gibt zu, daß vom Hofe aus viele Nachrichten verbreitet wurden, die den Bürgerministern ungünstig waren. Als sie zum ersten Male auf dem Hofball erschienen, wurden sie von den Hofleuten „wie wilde Tiere" angesehen und sich gegenseitig gezeigt. Sowie der Kaiser die innere Uneinigkeit seiner Minister gewahrte, benützte er, wie er das immer tut, diesen Umstand. Er arbeitet dann hinter den Kulissen, bis es ihm gelingt, sich ihrer zu entledigen (!!). Dies empfand besonders Gis55
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Die drei Gesetze vom 25. 5. 1868 über das Eherecht der Katholiken, das Verhältnis der Schule zur Kirche und die interkonfessionellen Ehen. Damit wurde die Ehegerichtsbarkeit der Katholiken den weltlichen Gerichten übertragen, die Möglichkeit der weltlichen Eheschließung bei Weigerung eines Seelsorgers, die Trauung vorzunehmen, gegeben, der Einfluß der Kirche an den staatlichen Schulen auf den Religionsunterricht beschränkt sowie die Religionszugehörigkeit von Kindern aus interkonfessionellen Ehen geregelt. Graf Heinrich Clam-Martinic d. Α., Führer der feudal-klerikalen und föderalistischen Partei, einer der Urheber der tschechischen Abstinenz vom Reichsrat bis 1879. Die Tschechen kehrten erst unter dem folgenden Ministerium Taaffe im Herbst 1879 in den Reichsrat zurück. Kaiser Franz Joseph und, gegen Fürst Karl Auerspergs Willen, auch Reichskanzler Graf Beust waren im Juni 1868 aus Anlaß der Einweihung der Elisabethbrücke nach Prag gefahren, wobei Beust auch mit führenden tschechischen Politikern verhandelte. Auersperg reichte darauf seine Demission ein, die am 26. 9. 1868 angenommen wurde. Ignaz von Plener war auch bereits im Ministerium Erzherzog Rainer (1861-1865) Finanzminister.
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Freiherr J o h a n n von Chlumecky
kra. Man erzählt sich allerdings, er habe den Kaiser durch sein Benehmen verletzt. Der Kaiser, als er nach dem Aufstande in Dalmatien nach Wien kam60, empfing die Minister im Theresianum. Er ging an Giskra vorüber, als ob er Luft wäre. Er gab ihm seine Ungnade zu erkennen. Uber die peinliche Szene im Ministerrat erzählt man sich, Herbst und Giskra wären in einer Frage uneins gewesen, da hätte Giskra mit der Faust auf den Tisch aufgeschlagen, der Kaiser habe sich sodann entfernt und gesagt: Die Herren mögen das untereinander ausmachen. Ich hielt Chlumecky entgegen, daß Stremayr diese Szene doch ganz anders erzähle61, Chlumecky meinte, er habe das allerdings nur aus zweiter oder dritter Hand. Die Differenz zwischen Giskra und Herbst betraf die direkten Wahlen62. Wenn Stremayr erzähle, daß Beust Hasner schlecht behandelte, so geschah dies zu einer Zeit, da Beust ihm sagen wollte, daß sie nach seiner Meinung ganz überflüssig seien. Das ist, meint Chlumecky, sehr merkwürdig, da Hasner eine gar nicht offensive, versöhnliche Persönlichkeit war. Das Urteil Chlumeckys ist also das, daß die Einsetzung des Bürgerministeriums eine Art Intrige war, daß sie treulos behandelt wurden, daß aber das Ministerium zum großen Teil seinen Zerfall und Fall selbst verschuldete, durch Uneinigkeit und Ungeschicklichkeit. Außere Verhältnisse kamen bei der Einsetzung, nicht aber bei dem Fall in Betracht. Sie hatten den Kaiser nicht richtig behandelt, und dieser habe alles getan, sich ihrer zu entledigen. Also eine alle Teile demütigende Auffassung. Das ganze wäre ein Spiel von ungeschickten Intriganten. Es erhebt sich nun die Frage, ob Chlumecky die Dinge nicht zu klein sieht. Er ist ein kluger Mann, der, was das kleine Spiel betrifft, hinter die Kulissen sieht. Er beurteilt den Kaiser sehr niedrig, ist also innerlich nicht höfisch abhängig. Aber er ist ein echter Österreicher, der die äußeren Verhältnisse nicht kennt, nicht in Betracht zieht, sehr enge in seinen Auffassungen. Nach dem Fall des Ministeriums traf Chlumecky den Giskra in einem Bade (Ischl?). Sie sprachen öfters, doch war Giskra diskret und sagte nichts über die Geheimgeschichte des Kabinetts. Als Chlumecky im Februar (?) 1867 zu Taaffe berufen wurde63, um Statthaltereirat zu werden, war Belcredi demissioniert, aber amtierte noch. Taaffe besprach die Sache mit Chlumecky, bat ihn aber, leise zu sprechen, 60
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Als 1869 auch in den Bezirken Cattaro (Kotor) und Ragusa (Dubrovnik) die Landwehrpflicht eingeführt wurde, kam es in diesen Bezirken zu Aufständen. Erst am 11. 1. 1870 unterwarfen sich die Aufständischen, nachdem ihnen Amnestie zugesichert wurde. Vgl. S. 365 f. Als sich im Parlament abzeichnete, daß die für die Einführung der direkten Reichsratswahlen notwendige Zweidrittelmehrheit nicht möglich sei, beschloß der Ministerrat die Vertagung des Projektes. Innenminister Karl Giskra gab darauf am 21. 3. 1870 seine Demission. Graf Eduard Taaffe leitete erst ab 7. 3. 1867 das Innenministerium.
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da Belcredi im Nebenzimmer sei. Als Chlumecky im Sommer 1868 zu Giskra kam und vor seiner Audienz beim Kaiser stand, bat ihn Giskra, er solle dem Kaiser von der Notwendigkeit sprechen, das System fortzuführen. Daraus ist zu ersehen, wie schwach sich das Ministerium schon damals fühlte. Als Chlumecky im Sommer 1870 ins Ministerium ging, um seine Demission als Statthaltereirat zu geben, wollten Beust und Taaffe nichts davon wissen. Man sagt, so äußerte sich Beust, daß ich gegen das Bürgerministerium intrigiert habe; das ist aber vollständig unrichtig. Taaffe wollte Chlumecky bestimmen zu bleiben, denn auch das neue Ministerium werde die Verfassung aufrechterhalten. Darauf fragte Chlumecky mit Bezug auf die bevorstehenden Landtagswahlen in Mähren, für welche Liste im Großgrundbesitz das Ministerium eintreten werde. Darauf Taaffe: Selbstverständlich für die Ihrige. Übrigens war die Mehrheit im mährischen Großgrundbesitz deutsch, und nur durch einen Hochdruck der Regierung hätte ein Umschwung herbeigeführt werden können. Taaffe hat, wie hinzuzufügen ist, in Mähren (speziell Großgrundbesitz) stets in deutschem Sinn wählen lassen, weil er die Tschechen nicht zu groß werden lassen wollte. In der ersten Ministerratssitzung des Kabinetts Auersperg-Lasser sagte der Kaiser sofort, der Einfluß der Regierung könne sich nicht auf Dalmatien erstrecken, da hier höhere Interessen in Frage kommen. Chlumecky nimmt an, daß die Erwerbung Bosniens schon nach 1866, vielleicht schon nach 1866 [sie!] ins Auge gefaßt worden sei. Als dann Rodich in Dalmatien Maßregeln ohne Wissen der Regierung traf und Interpellationen erfolgten, mußte die Regierung Antworten geben, die höchst gewunden waren64. Bei der Kaiserreise von 1875 in Dalmatien begleitete ihn Chlumecky65. Da war es diesem sichtbar, daß man es auf die Annexion Bosniens abgesehen habe. Bei der Rückkehr nach Wien ging Chlumecky zu Andrässy, teilte ihm seine Wahrnehmungen mit. Andrässy, der kein Komödiant war, war überrascht und dankte Chlumecky. Chlumecky nimmt noch heute an, daß Andrässy nicht eingeweiht war!! Eingeweiht in alle auch äußeren Verhältnisse war nur Erzherzog Albrecht, und er allein von allen Mitgliedern der kaiserlichen Familie. Alle anderen sind dem Kaiser „Luft". Höchstens daß noch Erzherzog Rainer in gewissen militärischen Angelegenheiten zu Rate gezogen wurde. Erzherzog Ludwig Victor verbrannte nach 1866 auf der Hohen Salve das Bild Kaiser Wilhelms. 64
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General Gabriel Rodich war von 1870 bis 1881 Statthalter von Dalmatien. Er befürwortete die Okkupationspläne und unterstützte daher im 1875 ausgebrochenen Aufstand in Bosnien beide Seiten. Bei seiner ersten Dalmatienreise im April und Mai 1875 empfing Kaiser Franz Joseph auch zahlreiche Deputationen der christlichen Bosnier. Freiherr Johann von Chlumecky war damals Ackerbauminister.
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Freiherr Karl von Lemayer, 2. Präsident Verwaltungsgerichtshofes, Mitglied des
Freiherr Karl v o n Lemayer
des Herrenhauses 18. Oktober 1901 К 1, U la, 53 a - 54 a ν
Es ist überraschend und abstoßend, mit welcher Geringschätzung Lemayer von Giskra spricht. Dieser Hochmut ist der des Verstandesmenschen über den Mann von Temperament. Er nennt Giskra eitel, aus Eitelkeit habe er, anders als Herbst, sofort eingewilligt, 1868 ins Amt zu treten. Seine persönlichen Verhältnisse, seine Advokatur, die ihm in acht Jahren ein Vermögen erwarb, hätten ihn abhalten sollen, seine Eitelkeit bestimmte ihn dazu. Als ich einwandte, er habe doch gewiß auch den Antrieb gehabt, etwas für den Staat zu leisten, lenkte Lemayer ein: Selbstverständlich! Er glaubt, an dem Sturze des Bürgerministeriums seien doch sie schuld gewesen, er stellt in Abrede, daß äußere Verhältnisse maßgebend gewesen seien. Allerdings war ihm nicht einmal bekannt, daß zu Salzburg 1867 zwischen Napoleon und Franz Joseph ausgemacht worden war66, es solle in Österreich liberal regiert werden. Das sei allerdings, so meinte er, ein starker Beweis für Ihre Annahme. Giskra war aufbrausend, nicht leidenschaftlich, denn er ließ, wenn er sich ausgebraust hatte, mit sich reden. Aber er war ohne Takt, diese Eigenschaft fehlte ihm ganz. Er war ein großer geborener Redner. Nach einer Tischrede wußte man nicht, was er gesagt hatte, aber man war doch hingerissen. Es ist ganz glaublich, daß er den Kaiser durch sein Auftreten verletzt habe. Wie? fragte ich. „Schon dadurch, daß er zu laut sprach", war die Antwort Lemayers. Man ist bei Hofe nicht an das freie Wort gewöhnt. Aber es kann wohl sein, daß Giskra auch dem Kaiser ins Wort gefallen ist. Lemayer fragte ihn einmal, ob es wahr sei, daß er einmal im Ministerrat auf den Tisch gehauen habe, und Giskra stellte es in Abrede, es könne höchstens sein, daß er im Eifer der Rede mit dem Siegelring, den er trug, an die Tischplatte geraten sei. Herbst und Giskra liebten sich nicht, waren wohl eifersüchtig, und einmal nannte Giskra Herbst im Gespräch mit Lemayer einen „Neidhammel". Aber sie standen doch in einem guten Verhältnisse, das wohl nur zeitweise unterbrochen war, und Lemayer war selbst einmal mit Herbst bei Giskra zu Tische. Dagegen urteilte Giskra über Taaffe ungünstig, als Urheber des Zerfalls, doch standen sie auf Du! Auch Taaffe und Herbst, wenn mich, so sagte Lemayer, meine Erinnerung nicht trügt. Als ich Lemayer erzählte, Herbst habe mir gesagt, Taaffe habe ihre Anliegen beim Kaiser vertreten und oft durchgesetzt, meinte Lemayer: „Aber mit welchem Kommentar!" 66
Das Treffen der beiden Kaiser fand im August 1867 statt.
18. Oktober 1901
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Lemayer verkehrte mit Giskra schon in Brünn67, aber offenbar kannte er ihn doch erst genauer, als Giskra schon geistig und gemütlich verfallen war. Er ist eigentlich an dem Ofenheim-Prozeß gestorben68, meinte Lemayer. Er war dann auch geistig nicht mehr der alte, selbst seine Beredsamkeit schwand, wie er denn damals seine fünfstündige Jesuitenrede mit all den alten Vorwürfen hielt69. Von Haus aus war er sehr begabt. In seiner Jugend mußte man, um Universitätsprofessor zu werden, eine Konkurs-Prüfung machen. Er nun machte und bestand die Prüfung über alle juristischen Fächer, um sich um jede freiwerdende Lehrkanzel bewerben zu können. Er wußte auch viel, aber er blieb stets im Gedankenkreise von Rotteck Welcker haften70. Mit den nach 1848 sich ergebenden staatsrechtlichen Problemen hat er sich nicht beschäftigt, ist nie in sie eingedrungen. Den Kaiser verstanden die Bürger minister nicht zu nehmen. Giskra wollte durchaus den Bürgermeister von Graz, Franck, zum Statthalter von Steiermark machen. Aber der Kaiser hatte sich schon für Kübeck entschieden. Es war ja etwas Unerhörtes, daß ein Bürgerlicher Statthalter werden sollte. (Nun, nun!) Weit klüger behandelten die Minister Auersperg - Lasser den Kaiser. Allerdings haben [sie!] sie ihm wohl nie offen entgegentreten. Sie erreichten auf klugen Umwegen ihr Ziel. Besonders Lasser verstand das vortrefflich. Übrigens vermochte auch dieses Ministerium in der zweiten Hälfte seines Bestandes beim Kaiser nichts mehr durchzusetzen. Lemayer unterschätzt Giskra und Herbst wohl auch darin, daß er meint, sie hätten von den Reibungen „oben" doch nicht die richtige Vorstellung gehabt. Ich glaube eher, daß sie nicht willens waren, so große Konzessionen zu machen. Dabei ist es merkwürdig, daß Lemayer ein ungünstiges Urteil über die Maigesetze71 als über eine Halbheit fällt und meint, die Minister hätten bei ihrem Eintritte die Aufhebung des Konkordates verlangen sollen72. Als ich fragte, ob dies nicht seinem sonstigen Urteil widerspreche, da der Kaiser doch 67
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Karl Giskra war seit 1860 Rechtsanwalt in Brünn und 1866-67 Bürgermeister der mährischen Hauptstadt. Karl von Lemayer heiratete 1872 Giskras Tochter Stephanie, die jedoch bereits 1874 starb. Der Prozeß gegen den Generaldirektor der Lemberg-Czernowitzer Bahn Victor von Ofenheim vom 4. 1. bis 27. 2. 1875 in Wien, in dem Ofenheim zwar freigesprochen, der ehemalige Handelsminister Karl Giskra aber arg kompromittiert wurde. Am 24. 3. 1874, also fast ein Jahr vor dem Ofenheim-Prozeß, im Abgeordnetenhaus zur Befürwortung des Antrages auf Schließung der Innsbrucker Jesuitenfakultät. Vgl. Stenographische Protokolle über die Sitzungen des Hauses der Abgeordneten des österreichischen Reichsrathes, 8. Session, Bd. 2 (Wien 1874) 1403-1422. Karl von Rotteck und Karl Theodor Welcker, die Herausgeber des von 1834 bis 1849 erschienenen Staatslexikons. Die drei Gesetze vom 25. 5. 1868 über das Eherecht der Katholiken, das Verhältnis der Schule zur Kirche und die interkonfessionellen Ehen. Das Konkordat von 1855 wurde erst unter dem Ministerium Potocki am 31. 7. 1870 aufgehoben. Als Begründung diente die durch das Unfehlbarkeitsdogma geänderte Rechtsstellung des Papstes.
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Max Menger
in konfessionellen Dingen am leichtesten verletzt werden konnte, erwiderte er: Der Fehler war, daß sich die Minister das nicht bei ihrem Eintritte ausbedangen. In diesem Zeitpunkte kann man am meisten erreichen. Später ist es zu spät. Man bedurfte des neuen Ministeriums, denn es war ein Zustand der Auflösung des Staates. Außerdem mußte der Staatsbankrott durchgeführt werden 73 . Dazu brauchte man die Minister in erster Linie. So sagte auch später ein Erzherzog: „Allerdings, zum Staatsbankrott hat man die bürgerlichen Minister gebraucht!" Auf diese innere Notwendigkeit, auf die Ordnung des namenlos zerrütteten Staates führt Lemayer die Berufung des Bürgerministeriums zurück. Ich hielt ihm demgegenüber vor, daß ein liberales Beamtenministerium dieselben Dienste geleistet hätte.
Max Menger, Mitglied des Abgeordnetenhauses
18.0ktober 1901 К 2, U la, 54a г
Im Gegensatz zu Lemayer urteilt Menger über die Begabung Giskras sehr günstig. Er hatte im Gespräch, auch in sachlichen Dingen, etwas Hinreißendes, und wenn er lebhaft an- und aufgeregt war, blitzte etwas Geniales durch. Menger gegenüber, der ihm oft weh tun mußte, bewahrte er stets eine vornehme Haltung. Aber er war ein Plebejer, geldgierig. Freilich hat man in Brünn, einer Fabrikstadt, andere Begriffe vom Geldwert und den erlaubten Grenzen als in Wien. Menger fand auch, daß Herbst und Giskra ganz gut zueinander standen. Menger meint, das ungünstige Urteil Lemayers über Giskra 74 rühre daher, weil Lemayer sich der Untreue gegen seine Frau schuldig machte und mit Giskra darob in Konflikt geriet. Lemayer ist überhaupt ein Frauenjäger wie wenige.
Laurenz Müllner, Professor für Philosophie an der Universität Wien, und Marie Eugenie Delle Grazie, Dichterin 20. Oktober 1901 К 2, U 4, 497 г Sie erzählen Unglaubliches über die Unwissenheit des Unterrichtsministers Conrad von Eybesfeld. Als Delle Grazie von ihm empfangen wurde, fragte er sie, wo sie geboren sei, und sie antwortete: Im Banat. Er fragte, wo das sei, 73
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Wohl die Unifizierung der Staatsschuld 1867/68, die durch die Gesetze von 1867 und die in den Jahren zuvor sehr stark angewachsene und unüberschaubar gewordene Staatsverschuldung notwendig geworden war. Vgl. S. 388 f.
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21. Oktober 1901
und sie antwortete: In der Militärgrenze. Zu Müllner sagte er einmal, unmittelbar nachdem Leo XIII. das Studium des Thomas von Aquin empfohlen hatte: Was wolle der Papst damit eigentlich sagen? Wolle er damit das Studium der Mystik empfehlen? Er war sich über den Begriff der Evangelien-Harmonie nicht klar. Aber er sagte selbst zu Müllner: Der Graf Taaffe wollte, daß ich das Unterrichtsministerium übernehme, und ich habe es wider Willen getan, ich war stets Verwaltungsbeamter und habe mich mit Unterrichtsfragen nicht beschäftigt.
General Leopold Auspitz, Generalmajor
i. P.
21. Oktober 1901 К 2, U 4, 497 г
Kuhn hatte die Fehler seiner Tugenden. Er glich darin einem Rassepferd. Er ging in seiner Rücksichtslosigkeit zu weit. So empfing er bei seinem ersten Empfang im Kriegsministerium den Erzherzog Albrecht mit offenem Generalsrock, mit der weißen Weste. Er sagte zu seinem Adjutanten: In seinem eigenen Hause dürfe er es sich bequem machen. Es war der einzige Empfang, zu dem Erzherzog Albrecht kam. FZM Schwitzer, Korpskommandant in Temesvar, war der General, der Kuhn feierte, Unannehmlichkeiten fühlen [mußte] und nie Korpskommandant geworden wäre, wenn Erzherzog Albrecht nicht gestorben wäre75. Er und die Offiziere dachten nicht daran, Wallensteins Lager zu spielen. Sie wollten nur ihre Verehrung für Kuhn zum Ausdruck bringen.
Gräfin Elisabeth Schönfeld, Obersthofmeisterin der Erzherzogin Maria Theresia
Oktober 1901 К 2, U 4, 497 ν
Sie nimmt für Erzherzogin Sophie gegen Kaiserin Elisabeth insofern Partei, als sie meint, die Erzherzogin habe die Kaiserin, die doch jung und ungebildet war, lenken und ihr den Weg weisen wollen, was den Unwillen der Kaiserin erregte. Erzherzog Ludwig Victor ist im Ganzen nicht sympathisch, aber gegen die Gräfin sehr liebenswürdig. Bei der Schlußvorstellung im al75
Nachdem der frühere Kriegsminister und Korpskommandant in Graz Freiherr Franz Kuhn mit 16. 7. 1888 seines Kommandos enthoben wurde, feierte ihn das Offizierskorps mit einem Festbankett und einem anschließenden Fackelzug, wobei sich die Offiziere selbst vor den Wagen spannten. Dies wurde vor allem von Erzherzog Albrecht, der Kuhn nicht gut gesinnt war, scharf verurteilt. Vgl. Albrechts Briefe an Feldmarschalleutnant Friedrich von Beck in Edmund Glaise-Horstenau, Franz Josephs Weggefahrte. Das Leben des Generalstabschefs Grafen Beck. Nach seinen Aufzeichnungen und hinterlassenen Dokumenten (Zürich - Leipzig - Wien 1930) 465-468.
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Gräfin Betty Grimaud d'Orsay
ten Burgtheater76 schnitt er von der Tapete der Hofloge ein Stück ab und gab seiner Mutter ein Stück und ebenso der Gräfin. Uberhaupt hatte er eine schöne Pietät für alle Personen, die mit seiner Mutter zusammenhängen. So verkehrte er mit einer ihrer alten Hofdamen, deren Gesicht ganz vom Wolf zerfressen war, und lud sie selbst zu Tische. Kaiserin Elisabeth war doch sehr seltsam. Zu diesen Seltsamkeiten gehörte es, daß sie die Schratt besuchte und den Kaiser förmlich auf sie verwies.
Gräfin Betty Grimaud
d'Orsay
2. November 1901 К 2, U 4, 495 r-v
Sie schwärmt von Schmerling. Sie habe immer erwartet, da sie ihn stets vornehm und in edler Gesinnung sah, es würden einmal seine schwachen menschlichen Seiten zum Vorschein kommen. Aber sie fand ihn bis zum Schlüsse gleich. Auch körperlich. Er hörte und sah gut - bis zuletzt. Sein Auftreten blieb stramm, es war eben die innere Kraft, die ihn aufrecht hielt, und nicht etwa Zwang, den er sich antat. Giskra, als Mann der Opposition 1864-65, benahm sich feindselig gegen ihn, obwohl er ihm viel verdankte. Schmerling ging darüber vornehm hinweg. Er äußerte sich nie bitter oder gereizt über den Kaiser, nie bitter über die Verhältnisse. Nur traurig, daß sich so viel zum Üblen wendet. Es ist gewiß falsch, wenn Frankl ihn sagen läßt, er wolle nicht mehr Minister werden, ein drittes Mal lasse er sich nicht betrügen77. So drückte er sich nie über den Kaiser aus, dazu war er zu gebildet und auch zu loyal. Denn dieser Beamtengeneration war die Loyalität von früh eingeimpft. Man konnte bedauern, daß der Kaiser so und nicht anders denke, aber es war eben eine unabänderliche Tatsache. Er drückte sich eher so aus: „Man" habe es verfehlt etc., mit „Man". In diesen Familien spreche man vom Kaiser immer als von „Seiner Majestät". Er lehnte allerdings immer ab, wenn man davon sprach, er werde wieder an die Spitze treten. „Man wird nicht mehr nach mir zurückgreifen." Er könne auch, da man die Grube habe so tief werden lassen, sie nicht wieder zudecken. Merkwürdig klar und gut ist das Urteil der Gräfin über Plener jun. Sie fand ganz richtig heraus, daß Plener sich irre, wenn er seiner Partei die Schuld an seinem Sturze beimesse78. Der Grund lag gewiß in der Abneigung des Kaisers 76 77
78
Am 12. 10. 1888. Vgl. Briefwechsel zwischen Schmerling und Anastasius Grün. Mitgetheilt von Ludwig August Frankl; in: Neue Freie Presse v. 18. 6. 1893, Morgenblatt 1-5. Die Regierung Windischgraetz, der Ernst von Plener als Finanzminister angehörte, demissionierte am 19. 6. 1895, nachdem die Deutsche Linke (Pleners Partei) aufgrund des Streitfalles der Errichtung von slowenischen Parallelklassen am Untergymnasium von
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gegen ihn. Der Kaiser grollte, weil ihm Plener „aufgedrungen" worden war, er ließ sich ihn gefallen, weil er mußte, aber er entledigte sich seiner, sobald er konnte. Wenn Plener ihr seine Ansicht sagte, so fühlte sie, wie er fehlgreife; aber sie steht ihm nicht so nahe, um ihn berichtigen zu können. Überhaupt ist das Urteil der Gräfin über den Hof etc. vortrefflich. Niemand dürfe dem Kaiser bestimmt entgegentreten. Schmerling war ihm deshalb gerade sehr unangenehm, weil er ihm ein oder das andere Mal offen sagte, eine gewisse Maßregel wäre ungerecht oder gegen die Konstitution. Das vertrug der Kaiser damals gar nicht. Man müsse vielmehr seine Aufträge, und waren sie auch nicht zweckmäßig, auszuführen suchen, höchstens hinzufügen, die Kerle im Parlament würden sehr schwer zu gewinnen sein. Wenn es dann nicht gehe, so sind die Unmöglichkeiten absprechend auszuführen, die Gefahr selbst einer Revolution auszumalen. Dann gibt der Kaiser nach. Wer nicht so verfährt, riskiert seine Ungnade. Uberhaupt ist das Gefühl der dynastischen Kreise von ihrer Stellung ein außerordentliches. Schon von dem hohen Adel sehen sie sich durch eine Kluft getrennt. Die Erzherzogin Charlotte (Kaiserin von Mexiko) hegte einmal eine lebhafte Zuneigung für eine der Damen ihres Hofstaates. Wie sie empfand, wie sie die Kluft zwischen sich und ihr auszufüllen 3
Baronin Josefine Knorr, Schriftstellerin
5. November 1901 К 2, U 4, 498 ν
Bankier Löwenthal war arm und erwarb ein großes Vermögen. Er war mit einer Arnstein verheiratet. Es gelang ihm, mit der Aristokratie zu verkehren, und [er] stiftete für seinen Sohn ein Fideikommiß. Sein Sohn heiratete in erster Ehe eine Gräfin Wurmbrand, die bald starb, in zweiter Ehe eine Polin. Diese letztere ist die bekannte Generalin Löwenthal79. Denn Löwenthal jun. wurde Offizier, durch Verbindungen Militär-Attache und später General80. Die Tochter des Löwenthal sen. heiratete einen Graf Barth-Barthenheim. Durch diese Barths wurden sie mit dem Herzog von Württemberg verwandt, dem Vater des Herzogs von Teck. Dessen Tochter heiratete bekanntlich einen Sohn der Königin Victoria81. Die General[in] Löwenthal verstand es,
79 80
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a
Cilli (Celje) aus der Regierungskoalition ausgeschieden war. Plener legte darauf auch sein Abgeordnetenmandat nieder und wurde Präsident des Gemeinsamen Obersten Rechnungshofes. Vgl. dazu Österreich von 1848 bis 1860. Bd. 2/1, 163. Freiherr Johann von Löwenthal war von 1858 bis 1868 Militärattache in Paris. Er wurde 1861 Generalmajor und 1876 Feldmarschalleutnant. Prinz George, seit 1901 Prince of Wales und seit 1910 als George V. König, war seit 1893 mit Gräfin Mary Teck verheiratet. Der Text bricht hier ab, eine Fortsetzung fehlt.
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Heinrich von Halban
sich und ihre Töchter zu poussieren. Sie verstand es, ihre hohen verwandtschaftlichen Verbindungen zu pflegen. Sie war mit dem Fürsten Felix Schwarzenberg liiert. Später ging sie nach Paris und stand bei Eugenie sehr in Gnade. Sie verstand es, ihre Töchter glänzend zu verheiraten, die eine mit dem Herzog von Decazes, die andere mit dem Marquis von Beauvoir. Diese Linie Löwenthal verwandt mit der anderen. Sophie von Kleyle, die Tochter des Hofrats, heiratete einen Löwenthal. Deren Sohn hatte eine Frau, die Anka Löwenthal, die künstlerisch (Malerin ?) angeregt ist.
Heinrich von Halban, Kanzleidirektor des Abgeordnetenhauses i. P.
8. November 1901 К 2, U 3, 457 г - 459 ν
Halban verteidigt Taaffe nach wie [vor], aber er fühlt, wie ich zu entnehmen glaube, daß er eine schwache Position halten will. Vor allem, so sagt er, ist es unrichtig, daß er je die Bedeutung der Deutschen unterschätzt habe oder daß er deshalb den Slawen zu viel Konzessionen gemacht habe. Er regierte eben nach dem Gesichtspunkt, den er auch im Bürgerministerium vertreten hatte, daß nämlich an den gerechten Ansprüchen nicht vorübergegangen werden dürfe. Einmal sagte er zu Halban: Man weiß nicht zu schätzen, welche Dienste ich den Deutschen erweise. Da lachte Halban, und Taaffe wurde unwillig und schlug auf den Tisch auf. Wie, auch Sie lachen? Sehen Sie denn nicht, wie ich mit den Tschechen kämpfe, um sie zurückzuhalten, und wie ich ihnen nur 10% dessen konzediere, was sie anstreben? Habe ich die Deutschen nicht nach wie vor im Besitze der Mehrheit im mährischen Landtag gelassen? Es war mir, fuhr Halban auf meine Zwischenfragen fort, nicht bekannt, daß Kälnoky schon Jahre vor meiner Anregung den Ausgleich zwischen Deutschen und Tschechen betrieben habe82. Ich kann aber sagen, daß er meine ersten Vorschläge mit Eifer, mit Begeisterung entgegennahm. Ich machte Halban aufmerksam, daß er ihm eben a tempo kam, da Taaffe von Kälnoky gedrängt war. Möglich, sagte Halban. Genug, er war Feuer und Flamme. Ich hatte mit Richard Belcredi und mit Plener über die Sache gesprochen, und beide waren einverstanden. Das teilte ich Taaffe mit. Richard Belcredi hatte uns im Gasthaus „Zur ungarischen Krone" gesagt, vorher aber sei es notwendig, den Alttschechen eine eklatante Genugtuung zu geben. Worin diese bestehen solle, fragte ich. Statt Prazak muß Mattus der
82
Die Verhandlungen, die zum letztlich im böhmischen Landtag gescheiterten Ausgleich von 1890 führten. Zur Rolle Haibans vgl. S. 178-181. Zu Graf Gustav Kälnokys Ansichten vgl. Graf Gustav von Kälnoky; in: Historische Aufsätze 346-348.
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Vertreter der Tschechen werden, weil er ein tüchtiger politischer Kopf ist. Außerdem ist dafür zu sorgen, daß Mattus der Ausgleichskonferenz zuzuziehen ist. Als Clam-Martinic schon nach Böhmen abgereist war, schrieb er mir einen Brief, in dem er diese beiden Bedingungen seiner Zustimmung zu den Ausgleichskonferenzen wiederholte und schrieb, es sei notwendig, daß er das auch schriftlich präzisiere, damit später keine Zweifel entstehen. Das alles teilte ich Taaffe mit, der mich ermächtigte, auch weiter mit Plener zu konferieren. Dieser bezeichnete hierauf den Fürsten Schönburg als den Mann, der die Sache offiziell in die Hand zu nehmen habe. Hierauf wurde Fürst Lobkowitz nach Wien berufen. Während seiner Unterredung mit Taaffe wurde ich hereingerufen, um über den bisherigen Verlauf zu referieren. Taaffe war lebhaft für den Ausgleich. Lobkowitz blieb kalt und hörte mich bloß aufmerksam an. Ich berichtete genau, auch über den Brief des Grafen Richard Clam-Martinic und über das übrige. Darauf zog ich mich zurück.3 In Bezug auf die Interpellationsbeantwortung, in der Taaffe 1889 die böhmische Krönung versprechen wollte83, erzählte Halban, diese Beantwortung war von Erb gemacht. Ich weiß nicht, ob er dies dem Grafen Taaffe zu83
Ernst von Plener hatte im Abgeordnetenhaus am 3. 12. 1889 eine Interpellation eingehracht, in der er den Ministerpräsidenten zu seiner Haltung zum böhmischen Staatsrecht befragte und festhielt, ob dieser sich nicht verpflichtet fühle, jenen Bestrebungen mit aller Schärfe entgegenzutreten, die für die Grundlagen des Staates gefahrlich seien. Ministerpräsident Graf Eduard Taaffe betonte in seiner Antwort am 17. 12. 1890, daß eine Änderung der Verfassung nur auf gesetzlichem Wege erfolgen könne, die Regierung zur Zeit jedoch keine prinzipielle Änderung der Verfassung anstrebe und damit auch die Frage der böhmischen Königskrönung nicht aktuell sei. Weiters erklärte er, daß den berechtigten Ansprüchen beider Volksgruppen in Böhmen von der Regierung Rechnung getragen würde. Zum ursprünglichen, erst nach Protesten auch des Außenministers geänderten Entwurf der Antwort vgl. S. 178 f. u. 182 f. " In der einzigen aus der Zeit vor 1898 stammenden erhaltenen Aufzeichnung schilderte Heinrich (bis 1894 Blumenstok) von Halban das Geschehen am 3. 12. 1890 folgendermaßen (K2, U 4, 467 r): Er verhandelte zuerst mit dem Grafen Richard Clam. Dieser gab seine Zustimmung und ermächtigte Blumenstok, mit Taaffe zu sprechen. Doch wandte sich Blumenstok zuerst an Bacquehem und Gautsch, welche beide ihm Zustimmung gaben und Blumenstok ermächtigten. Sie selbst könnten es nicht anregen, da sie als Parteimänner gelten. Es handelte sich aber darum, den Ausgleich dadurch möglich zu machen, daß [die] Interpellationsantwort an Plener nicht zu scharf ausfalle. Zu diesem Zwecke sprach Bacquehem mit Kalnoky, der einen leisen Druck übte. Graf Richard Clam gab Blumenstok einen Brief an Taaffe, in welchem er seine Ansichten genau präzisierte: Er hielt es aber für notwendig, zuerst die Tschechen durch eine starke Konzession milde zu stimmen. Das aber unterließ Taaffe aus Rücksicht für die Deutschen. Nur Dunajewski wurde im unklaren der Sache gehalten. Taaffe wurde selbst von Furcht geleitet, daß Dunajewski seinen alten Einfluß auf ihn gebrauchen werde, um ihn abzuhalten. Der ist darüber aufs Tiefste erbittert. Der Kaiser hatte im Verlauf des Jahres zu Taaffe des öfteren gesagt: Er halte den Ausgleich mit Iden] Deutschen für notwendig; er wolle ihn nicht drängen, er habe sein Vertrauen und er möge es einleiten, wie er es wolle. Dunajewski sagte noch im November 1890 zu Blumenstok: Bin ich Schuld, daß Verstimmung im Kabinett bestehe? Weshalb hat man die Sache vor mir geheimgehalten?
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liebe tat oder deshalb, weil er ihn dadurch zu stürzen gedachte. Ich wandte ein, daß Erb gewiß von Taaffe die Grundzüge erhalten hatte, wie das zu machen sei. Auch das gab Halban zu, er wisse es nicht. Diese Antwort wurde ver[viel]faltigt und den Ministern verteilt. Dunajewski war voll des höchsten Lobes, eine vortreffliche Arbeit, sagte er, das Werk eines guten Kopfes. Es heißt, daß Welsersheimb, der gegen die Sache war, zu Kälnoky ging und ihm das Schriftstück gezeigt habe. Mir ist unbekannt geblieben, daß Kälnoky dem Kaiser diese Beantwortung widerriet. Ich weiß nur, daß der Kaiser dem Grafen Taaffe sagte: Die Minister müssen mir, bevor ich meine Zustimmung gebe, sagen, ob sie die Königskrönung versprechen wollen oder nicht. Ich will sie nicht versprechen, denn ich glaube nicht, daß ich es halten könnte. Damit war die Sache abgetan, ohne daß viel darüber gesprochen wurde. Das ist sehr charakteristisch, daß die Sache dann sofort unter den Tisch fiel, warf ich, Friedjung, ein. Ich (Friedjung) setzte auseinander, daß dies doch klar beweise, wie Taaffe den Ausgleich nicht wünschte. Halban wollte das nicht zugeben, dazu müßte er doch genau aus seinen Aufzeichnungen feststellen, wann die Geschichte mit der Interpellationsbeantwortung spielte und so weiter. Indessen müsse er zugeben, daß bei Taaffe ebenso ein Stück Leichtsinn mitspielte wie bei Badeni. Koerber sei gewarnt und sei eben auf seiner Hut. Es ist, so fuhr Halban, Taaffe verteidigend, weiter fort, nicht richtig, daß Taaffe die sofortige Berufung des böhmischen Landtags absichtlich hinausschob, die Ursache hiervon sei Dunajewski gewesen84. Dieser außerordentliche Mann besaß einen großen Einfluß auf Taaffe, ja, dieser fürchtete sich vor ihm. Er sagte einmal, er habe bei Dunajewski zu tun, aber er wisse nicht, ob Dunajewski ihn empfangen werde. Dunajewski besaß eine so große Stellung, daß er ohne weiteres 2 Millionen fl am Landwehrbudget streichen konnte. Der Kaiser berief ihn zu sich und sagte dann, nach Dunajewskis Entfernung: „Er war sehr gnädig gegen mich, hat mir aber nicht zugesagt." Dunajewski haßt Halban, weil er damals Dunajewski entgegenwirkte und für den Ausgleich arbeitete. Dunajewski war auch bestimmt in seinem Auftreten. Einmal bei einer Besprechung der Minister stand er bloß am Fenster und kratzte an den vergoldeten Fensterverzierungen, den übrigen den Rücken kehrend. Endlich fragte ihn Taaffe, ob er denn das Gold für die ValutaRegulierung herunterkratzen wolle? Dunajewski war es, der Taaffe zum Hinausschieben der Ausführung des böhmischen Ausgleichs bestimmen wollte und es zum Teil durchsetzte. Dagegen gab Halban zu, daß Taaffes Antipathie gegen Plener ihn verhindert habe, sich rechtzeitig mit ihm zu versöhnen. Darin war er so voreingenommen, daß Schönborn einmal zu Hal84
Der im Jänner 1890 ausverhandelte Ausgleich scheiterte im Prager Landtag am Widerstand der Jungtschechen. Da die Reichsratssession mit der Budgetdebatte abgeschlossen wurde, erfolgte die Einberufung des Landtages erst für den 19. 5. 1890.
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ban sagte: „Es gehört die ganze Überzeugung Taaffes von Ihrer (Haibans) Loyalität dazu, damit er kein Mißtrauen gegen Sie fasse." Als Halban einmal dem Grafen Taaffe wieder davon sprach, wie nützlich es wäre, wenn Plener in sein Ministerium treten würde, da sagte Taaffe zu ihm: „Nun gut, verfassen Sie ein Memorandum, in welchem Sie alle Gründe darlegen, welche für den Eintritt Pleners in die Regierung sprechen, und ich werde die Schrift selbst dem Kaiser überreichen. Mehr kann ich doch nicht tun. Seine Majestät mag dann entscheiden. Allerdings, falls der Kaiser sich für die Berufung Pleners erklärt, werde ich sofort meine Demission geben." Merkwürdig war, daß Taaffe sich ebenso von Steinbach wie von Dunajewski beeinflussen ließ. Steinbach wich nicht von ihm, Steinbach war sein Arzt, er verschaffte ihm die Weine, die Taaffe trank. Er war der Urheber der Wahlreform85. Graf Kälnoky richtete sofort gegen diese Wahlreform ein Memorandum an den Kaiser. Er bezeichnete die Methode Taaffes für den Beginn der Anarchie, wie könne der Minister des Äußern sein Amt versehen, wenn er in Unkenntnis so wichtiger Tatsachen bliebe? Steinbach wurde zu ihm geschickt. Er hörte ihn an, dann sagte er: „Das alles hätten Sie mir vor drei Wochen sagen sollen; dann hätten Sie mich vielleicht überzeugt, vielleicht. Jetzt ist's zu spät." Goluchowski befand sich, als Braun ihn im Mai 1894 nach Wien beschied, auf einer Fahrt zu seinen Gutsnachbarn. Er wußte die Ursache nicht. Er glaubte, er sei zum Botschafter nach Rom bestimmt. Er begab sich zuerst nach Lemberg und sprach Badeni. Dieser kannte die bürokratischen Wege besser und sagte zu ihm, daß, wenn er zum Botschafter designiert wäre, Kälnoky ihn nach Wien beschieden hätte. Da Braun ihm geschrieben habe, so müsse es etwas mehr, das Ministerium des Äußern bedeuten. Merkwürdig war die Art, wie das Ministerium Thun entlassen wurde. Schon Anfang Juli (das Datum ist mir, Friedjung, nicht genau erinnerlich) teilte ihm der Kaiser mit, daß er sich bestimmt fühle, das Kabinett zu entlassen. Er nahm aber Thun das Versprechen ab, nichts davon den Ministern zu sagen. Denn diese sollten zuvor den Ausgleich mit Ungarn aufgrund des § 14 machen86. Als Thun von seinen Kollegen gefragt wurde, ob sie denn danach nicht weggeschickt würden, war er sehr zurückhaltend, aber er gab eher eine ermutigende Antwort, jedoch nur so weit, daß er mit der Wahrheit nicht in Konflikt geriet. Als der Kaiser dann nach Meran ging, wurde er von Thun begleitet, damit es nicht den Anschein habe, als ob Thun schon gestürzt sei. Hier in Meran aber behandelte der Kaiser Thun wie eine gefallene Größe. Er nahm keine Rück85 86
Vgl. zum Wahlrechtsentwurf der Regierung Taaffe vom Oktober 1893 S. 351 Anm. 58. Mit kaiserlicher Verordnung vom 21.9. 1899 wurde der Ausgleich provisorisch bis Ende 1907 verlängert und gleichzeitig als Datum für neue Verhandlungen spätestens 1901 festgelegt. Wenige Tage darauf, am 2. Oktober, erhielt das Kabinett Thun seine Entlassung.
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sieht auf ihn, so daß Thun Meran eiligst verließ, im Innersten verletzt. Wer einmal beim Kaiser in Ungnade gefallen ist, erfährt keine Berücksichtigung. Uber die Bildung der Mehrheit gegen den Willen Badenis erzählt Halban: Man geht zu weit zu glauben, daß hier Lobkowitz oder der Hochadel eingegriffen hatten. Bloß Dipauli spielte hierbei eine wichtige Rolle. Der Hauptgrund bestand in einer nebensächlichen Angelegenheit, in dem Fall Szajer87. Als dieser polnische Bauer nicht vom Hause ausgeliefert wurde, als die Polen sahen, daß sie ganz allein stünden, bemächtigte sich ihrer ein panischer Schrecken. Die Mehrheit von ihnen hatte nicht einmal gewagt, gegen dessen Auslieferung zu stimmen, und enthielt sich der Abstimmung. Sie fürchteten, alle Parteien würden sich gegen sie wenden. Kurze Zeit darauf wurde Halban vom Kaiser empfangen. Dieser ließ sich von ihm über die Majoritätsbildung Bericht erstatten. Halban sagte, dieses Ereignis habe sich ohne Willen Badenis vollzogen, aber es sei keineswegs in feindseliger Absicht gegen ihn und ganz loyal geschehen. Da sagte der Kaiser: Es ist möglich, daß die meisten Teilnehmer loyal handelten, glauben Sie aber, daß dies auch bei Baron Dipauli der Fall war? Im Sommer 1898 war Halban in Ischl, Thun wankte. Damals ließ [der] Kaiser Halban auffordern, ihm seine Ansicht über die Lage darzulegen. Das tat Halban in einem Memorandum, das selbstverständlich in slawischem Sinne gehalten war. Die Ereignisse vollzogen sich gegen ihn. Als dann Kaizl durchgesetzt hatte, gegen die anfängliche Weigerung Thuns, daß Halban das Komturkreuz des Franz Joseph Ordens erhielt, bedankte sich Halban beim Kaiser. Der Kaiser sprach kein Wort über Politik, erkundigte sich aber: Sie haben den Sommer in Ischl zugebracht? Obwohl er sich aber wohl gewiß erinnerte, daß Halban ihm eben aus Ischl jene Denkschrift schrieb. Vor etwa einem Jahre kam es dem Kaiser zu Ohren, daß Halban an der Geschichte des Kabinetts Badeni arbeite. Er war unruhig und beauftragte Koerber, darüber mit Halban zu sprechen. Halban erklärte Koerber, daß er selbstverständlich nichts zu schreiben gedenke, was im entferntesten den allerhöchsten Herrn verletzen könne. Halban behauptet, er habe aus Koerbers Munde die Überzeugung geschöpft, daß dieser selbst der Ansicht sei, die Deutschen seien das Hindernis einer geordneten Regierung. Koerber sei überzeugt, daß die innere Amtssprache den Tschechen bewilligt werden müsse. Jetzt sei der richtigste Augenblick, sie zu gewähren. Wahrscheinlich hat Koerber in seiner Klugheit Halban gegenüber sich über die Unzuverlässigkeit der Deutschen, besonders der deutschen Volkspartei, beschwert. 87
In der Eröffnungssitzung des Abgeordnetenhauses am 27. 3. 1897 lag ein Auslieferungsbegehren gegen den in Haft sich befindlichen neugewählten Abgeordneten der polnischen Bauernpartei Tomasz Szajer vor, dem Hochverrat und Majestätsbeleidigung in seinen Wahlreden vorgeworfen wurde. Dieser Anlaßfall führte zu einer stürmischen Debatte über die galizischen Wahlmißbräuche. Das Haus sprach sich schließlich mit großer Mehrheit (236 gegen 108) für die Aussetzung des Verfahrens gegen Szajer aus, er wurde darauf am 30. 3. 1897 entlassen.
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Heinrich von Halban, des Abgeordnetenhauses
Kanzleidirektor i. Ρ
15. November 1901 К 2, U 3 , 459 ν - 4 6 0 ν
Es sei wohl möglich, daß Taaffe den Ausspruch von der gleichmäßig temperierten Unzufriedenheit der österreichischen Völker gemacht habe. Taaffe färbte sich die Haare, lackierte sich das Gesicht, kurz, er wandte alle Toilettenkünste an. Als er vom Amt zurücktrat, ließ er sich den Vollbart stehen. Er hatte keine Gelegenheit gehabt, sich beim Kaiser zu verabschieden, als er nach Meran ging; als er zurückkehrte, ließ er sich melden. Der Kaiser behielt ihn eine ganze Stunde bei sich, war höchst liebenswürdig, streichelte seinen grauen Bart, fragte nach dem Befinden seiner Kinder, seiner Enkel, aber er sprach kein Wort über Politik mit ihm. Taaffe war ganz gebrochen, als er sich von ihm entfernte. Komisch ist, wie Halban ein trauriges Gesicht macht, wenn er davon spricht, wie gerne Badeni die Unwahrheit sprach. Mit dieser Reserve erzählte er folgendes, doch fügt er hinzu (wenn ich nicht irre), daß Bilinski es ihm bestätigte: Einmal befanden sich (wenn Halban nicht irrt, nach dem Diner) Badeni, Bilinski und andere Minister beim Kaiser und besprachen [im] Sommer 1897 die Lage. Der Kaiser sprach sich über die deutschliberale Partei höchst abschätzig aus, Badeni hielt es darauf für seine Pflicht zu bemerken, daß es doch notwendig sei, die Verbindung mit den Führern der Deutschen nicht abzubrechen, weil die deutschfortschrittliche Partei doch ein bedeutender Faktor sei etc. Darauf fuhr der Kaiser mit höchster Leidenschaft los: „Sie können bis morgen in der Früh sprechen, ich werde aber doch nie vergessen, was sich Giskra und Plener gegen mich herausgenommen haben!" Auch Taaffe hatte Halban gesagt, daß Giskra sich beim Kaiser durch sein Auftreten mißliebig gemacht habe. Uber die Entlassung Badenis88: Als der Kaiser am Samstag Abend nach Wien zurückkehrte, empfing er zuerst Goluchowski und dann Badeni. Badeni erklärte, daß es sich empfehle, ihn zu entlassen, da die deutsche Opposition ihre ganze Heftigkeit gegen ihn kehre und in ihm das Hindernis einsehe. Doch fügte er hinzu, dies sei nicht die Ansicht des Ministerrats. Dieser sei vielmehr der Meinung, daß die Autorität zu wahren sei und daß man den Straßendemonstrationen nicht nachgeben dürfe. Als der Kaiser ihn fragte, wen er zum Nachfolger vorschlage, bezeichnete er Welsersheimb oder Gautsch. Der Kaiser sprach mit ihm so, daß Badeni nicht annahm, seine Entlassung werde angenommen werden. Er wiegte sich vielmehr in der 88
Ministerpräsident Graf Kasimir Badeni war am 27.11. 1897 entlassen worden, nachdem der Wiener Bürgermeister Karl Lueger erklärt hatte, für die Ruhe der Stadt nicht mehr garantieren zu können.
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Freiherr Karl v o n Lemayer
Hoffnung, der Kaiser werde ihn im Amt behalten. Auch nahm der Kaiser von ihm den Vorschlag zur Vertagung des Reichsrates entgegen. Am nächsten Morgen erhielt Badeni die Verständigung, daß der Kaiser die Vertagung verfüge. Er schöpfte neue Hoffnung aus der Tatsache, daß er noch mit der Kundmachung der Maßregel betraut wurde. Um 10 Uhr wurde Halban in seinem Büro telephonisch aufgerufen, und Badeni verständigte ihn von dem Entschlüsse des Kaisers und beauftragte ihn, dies - zur Beruhigung der Gemüter - den im Hause anwesenden Abgeordneten mitzuteilen. Der Ton seiner Stimme klang so, daß Halban Schloß, er fühle sich durch die Verfügung des Kaisers beruhigt. Aber es kam anders. Der Kaiser empfing ihn überhaupt nicht mehr, sondern ließ ihm durch Gautsch eine Stunde später mitteilen, daß er durch Gautsch ersetzt worden sei. Gautsch entledigte sich seines Auftrages mit der formellsten Amtsmiene. Halban erzählt: Der Kaiser sagte einmal zu Badeni: Lesen Sie nur das Protokoll der Ministerratssitzung, in welcher die direkten Reichsratswahlen beschlossen wurden. Ich habe damals ausdrücklich erklärt, daß ich die Einführung direkter Wahlen für unheilvoll ansehe und daß ich nur deshalb meine Zustimmung gebe, weil der Ministerrat einstimmig diese Maßregel empfahl 89 . Indessen bemerkt Halban mit komischem Bedauern, er müsse allerdings sagen, daß Badeni es mit der Wahrheit nicht genau genommen habe.
Freiherr Karl von Lemayer, 2. Präsident Verwaltungsgerichtshofes, Mitglied des
des Herrenhauses 16. November [1901] К 2, U la, 55a г - 56a ν
Ich begann mit der Bemerkung, daß ich doch glaube, er habe Giskra unterschätzt 90 . Lemayer fragte: Halten Sie ihn für geschäftsgewandt? Was ich verneinte. Oder für staatsmännisch begabt? Auch die Anwendung dieses Ausdruckes auf Giskra lehnte ich ab; doch begründete ich meine Ansicht, daß er und seine nächsten Kollegen im Ministerium politisch den richtigen Weg gegangen seien, daß es nicht an ihnen lag, wie Lemayer dargestellt hatte, wenn sie scheiterten, sondern an den höfischen Intrigen, an der ganzen Schwierigkeit der Situation, an dem nicht zu überbrückenden Gegensatze zum Kaiser. Lemayer lenkte ein; er sei zwar der Familie Giskra in Brünn nahege89
90
Der Gesetzesentwurf über die direkten Reichsratswahlen wurde von der Regierung Adolf Auersperg am 15. 2. 1873 im Abgeordnetenhaus gemeinsam mit einem Antrag zur Erhöhung der Mandatszahl eingebracht. Beide Gesetze fanden die nötige Zweidrittelmehrheit und erhielten am 2. 4. 1873 die kaiserliche Sanktion. Vgl. S. 388 f.
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standen, und dann erst nach dem Sturze des Bürgerministeriums, 1872, heiratete er91. Er leugne gewiß nicht, daß die Gesetze, die gegeben worden seien, nicht [sie!] die richtigen seien, nur über ihre Methode habe er ein ungünstiges Urteil. So besonders über den plötzlichen Rücktritt des Fürsten Auersperg92. Adolf Auersperg, mit dem Lemayer einmal sprach, sagte selbst, dieser Rücktritt sei ein Fehler gewesen. Lemayer kam ins Unterrichtsministerium durch Glaser, der unter Hasner Sektionschef war. Er hatte ursprünglich eine Professur im Auge, deren Erreichung schon nahegerückt war. Als Stremayr Minister war (Juli 1870), kam Lemayer zum ersten Mal mit ihm in Berührung. Er hatte das Referat über eine höchst verwickelte Patronatssache, die man so und auch anders entscheiden konnte, und erbat sich bei Stremayr Gehör, um dessen Entscheidung zu hören. Er explizierte; er merkte aber, daß Stremayr weniger auf den verwickelten Rechtsfall achtgab als auf seine Person und seine Deduktion. Übrigens stimmte ihm Stremayr zu. Stremayr sah ihn hierbei zum ersten Mal. Am nächsten Tage ließ er ihn holen. Er machte ihm die erstaunliche Mitteilung (Lemayer war 28-29 Jahre alt, Ministerialsekretär), das Ministerium plane nach Kundmachung der Unfehlbarkeit einen Schlag als Entgegnung 93 , und es sei beabsichtigt, wieder das Placetum Regium einzuführen. Darauf, so erzählt Lemayer, sagte ich mit dem Eifer der Jugend, diese Maßregel werde ganz wirkungslos sein; man solle ein Größeres anstreben und das Konkordat lösen mit der Motivierung, daß das Papsttum nicht vertragsfahig sei, weil es sich das Recht zuspreche, einen Vertrag kraft der Unfehlbarkeit allein auszulegen. So lautete die Begründung der Lösung, sagt Lemayer, nicht, wie man gewöhnlich behauptet, deshalb, weil sich der eine Vertragsteil durch [die] Unfehlbarkeitserklärung geändert habe. Stremayr zeigte sich von dem Vorschlage Lemayers befriedigt, und er forderte ihn auf, darüber ein Memoire auszuarbeiten. Das geschah. Schon acht Tage später teilte ihm Stremayer mit, die Regierung habe sich für diesen Weg entschlossen. Und wieder vergingen nur wenige Tage; Lemayer prüfte bei der Staatsprüfung, als Stremayr ihn zu sich beschied. Er bat um die Erlaubnis, die Kandidaten zu Ende zu prüfen. Da nun beauftragte ihn Stremayr, sofort den Vortrag an den Kaiser auszuarbeiten. Lemayer war Präfekt im Theresianum, ging nach Hause und begann zu arbeiten. Es war Abend, und er arbeitete die Nacht durch bis 6 Uhr früh. Als der Diener eintrat, fand er ihn noch am Schreibtisch. Er ging sofort zu Stremayr, der ihn bereits erwartete und den Vortrag billigte. Lemayer sagte darauf, er könne sich den Vorgang, die 91
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Freiherr Karl von Lemayer hatte 1872 Karl Giskras Tochter Stephanie geheiratet, die jedoch bereits 1874 starb. Vgl. zum Rücktritt des Ministerpräsidenten Fürst Karl Auersperg im Juni 1868 S. 385 Anm. 58. Vgl. zur einseitigen Aufhebung des Konkordates am 31. 7. 1870 S. 366 Anm. 100.
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Freiherr Karl von Lern aye г
Eile nicht erklären. Darauf gab ich ihm die Aufklärung: Wie Beust und der Kaiser damals Rom an Italien preisgeben wollten94. Der leitende Kopf im Ministerium Auersperg - Lasser war Lasser. Damals war Brauch, die einzelnen Vorlagen durch je ein Ministerratskomitee ausarbeiten zu lassen. Lemayer war in Sitzungen des kirchenpolitischen Komitees und des Verwaltungsgerichtshofskomitees anwesend. Eigentlich, so meinte er nebenbei, war dieses Verfahren nicht ganz gesetzlich, da diese Komitees keine Protokolle führten, so daß der Kaiser nicht in der Lage war, die Argumente für und gegen zu prüfen. Allerdings konnte der Kaiser, wenn er wollte, sich diese Gründe darlegen lassen. Im Ministerrat selbst wurde wenig debattiert, und das Elaborat, über das sich die Minister geeinigt hatten, angenommen. In jenem Komitee bemerkte nun Lemayer, daß Lasser der einzige politische Kopf unter den Ministern war. Er unterwies sie eigentlich über das Erreichbare und über die Methode, es durchzusetzen. Er war keineswegs liberal, denn in den Komitees war es zumeist sein Widerstand, der Lemayer entgegentrat. Er war ein ungemein kluger Mann, der, wenn er den Kaiser zu gewinnen beabsichtigte, dies durch Umgehungsversuche unternahm, so daß er dem Standpunkte des Kaisers gewissermaßen in den Rücken fiel. Eigentlich hatte das Ministerium nach Lassers Tod keinen politischen Kopf mehr95. Unger war es noch am meisten. Denn ein so bedeutender Kopf konnte sich auch in diese Gedankenrichtung hineinversetzen. Aber sein Ministeramt war ihm eigentlich nicht kongenial; er fühlte sich darin nicht behaglich. Glaser glaubte, er stehe beim Kaiser in besonders hoher Gunst; doch darin wird er sich wohl getäuscht haben. Die kirchenpolitischen Gesetze waren eigentlich die Tat des Ministeriums, durch welche es seine Lebenskraft erschöpfte96. Dann noch das Gesetz über den Verwaltungsgerichtshof97. Merkwürdig, wie dann alles stockte. Es handelte sich noch um vier Ausführungsgesetze (abgesehen von dem Klostergesetz), und zwar 1) Theologische Fakultäten, 2) Patronat, 3) Bildung der Pfarrgemeinden, 4) Verwaltung des Pfarrvermögens. Letzteres so, wenn ich (Friedjung) nicht irre. Bloß das erste, höchstens noch das zweite boten Schwierigkeiten, die anderen zwei hätten leicht erledigt werden kön94
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Anfang Juli 1870 hatte die Wiener Regierung in Paris angeregt, daß die französischen Truppen Rom räumen sollten, um eine Allianz zwischen Österreich-Ungarn, Frankreich und Italien gegen Preußen zustande zu bringen. Dieser Vorschlag wurde von Napoleon III. zurückgewiesen. Freiherr Josef Lasser von Zollheim war am 18. 11.1879 gestorben, aus dem Ministerium Adolf Auersperg war er bereits am 5. 7. 1878 als einziges Mitglied aus Gesundheitsgründen ausgeschieden, nachdem das Gesamtministerium die Demission eingereicht hatte, jedoch mit der Weiterführung der Geschäfte betraut wurde. Vgl. zu den vier am 21. 1. 1874 eingebrachten Kirchengesetzentwürfen S. 359 Anm. 81. Das Gesetz über die Errichtung des Verwaltungsgerichtshofes erhielt am 22. 10. 1875 die kaiserliche Sanktion.
16. November 1901
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nen. Aber es war nicht möglich, sie beim Kaiser durchzusetzen. Der Kaiser hat verschiedene Abstufungen, um einem Ministerium das Mißfallen zu bezeigen. Er läßt einen Vortrag ganz liegen, oder er sagt dem Minister bei einer Audienz, er könne nicht zustimmen, oder endlich er schreibt darauf „Ich finde meine Genehmigung 3 zu vertagen" oder wie sonst die Formel lautet. Immer häufiger kamen dem Ministerium solche Erledigungen zu. Es war nicht mehr imstande, etwas durchzusetzen. b Nur wir Katholiken, so sagte Lemayer in bezug auf den preußischen Kulturkampf, haben eine Empfindung dafür, was man der Kirche zumuten kann. Sie unterscheidet zwischen dem, was sie sagt (sie sagt zu allen Zeiten dasselbe), und dem, was sie tut. Für das letztere hat sie eine Formel mit Rücksicht auf die Verhältnisse: ratione temporum habitu. Absetzung von Bischöfen und dergleichen sei etwas Unmögliches. Es nützt auch nichts. b Auf die Frage (Friedjungs), ob denn das Ministerium sich nicht gesagt habe, daß es sich so ganz der Partei entfremde, und ob es nicht den Versuch gemacht habe, Reformen ins Werk zu setzen, so zum Beispiel über die Presse, sagte Lemayer, er könne sich nicht genau erinnern. Er glaube aber nicht, daß die Regierung sich dazu überhaupt aufgeschwungen habe, sie habe in den letzten Jahren lediglich das Bestreben gehabt, sich zu erhalten. Bei der Beratung des Klostergesetzes im Herrenhause (im Komitee) fragte Graf Franz Falkenhayn mit Bezug auf einen Paragraphen, er könne doch nicht so gemeint sein, denn damit wäre ja jeden Augenblick der Austritt aus dem Kloster möglich, wies Lemayer auf die Motivierung hin, wo ausdrücklich stehe: Jeder könne das unveräußerliche Menschenrecht wieder an sich nehmen. Namenloser Schrecken der Herren, sie glaubten die Revolution verkündigt. Kutschker und Lasser waren Antipoden; Lemayer verglich sie mit dem rechten 0 und dem linken d Ritter. Kutschker war gelehrt, hatte ein fünfbändiges Eherecht geschrieben98, sehr wichtig in bezug auf die Materie, aber nicht systematisch, man hätte aus diesem Buche erst ein Buch machen müssen. Er war von großer Klugheit, zugleich Lemayer wirklich zugetan; sicherlich haben mich wenige Menschen so lieb gehabt als Kutschker, sagte Lemayer. Er konnte sich ein anderes als ein deutsches Osterreich nicht denken. Er wollte ernstlich den Frieden zwischen Kirche und Staat. Er war ein liberaler Katholik, das heißt, er war ein Gegner der Jesuiten, und sprach, wenn er über die Unkenntnis der Kurie in bezug auf die tatsächlichen Verhältnisse in den Ländern diesseits der Alpen sprechen wollte, im98
Johann Rudolf Kutschker, Das Eherecht der katholischen Kirche nach seiner Theorie und Praxis. 5 Bde. (Wien 1856-1859). " Korrigiert von Zustimmung. b_b Ergänzung. c Korrigiert von schwarzen. d Korrigiert von weißen.
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Josef Maria Baernreither
mer nur von „den Römern". „Die Römer" begriffen manches nicht, was er konzedieren wollte und konnte. Von Rauscher sprach er immer als von „dem großen Mann". Doch stand Rauscher weiter rechts als er. Kutschker war unter allen Kirchenfürsten unbedingt derjenige, der den Zeitströmungen am meisten Rechnung tragen wollte. Als Taaffe Plener und Coronini das Ministerium anbot, spielte er wohl nur mit ihnen". Damals war auch Lemayer (das einzige Mal, wo ich einem Portefeuille nähertrat) in Kombination, aber Taaffe meinte, er hänge zu enge mit Stremayr zusammen, dieser aber asei leider kein Sparmeister, gebe zu viel für Unterricht aus etc. - offenbar Ausflüchte.8
Josef Maria Baernreither, Mitglied des Abgeordnetenhauses
18. November 1901 К 2, U 4, 500 г
Koerber machte, so sagte Baernreither, den großen Fehler, daß er die gewichtigsten Geschenke (Kanäle etc.)100 hingab, ohne sich die geringste Gegengabe auszubedingen. Auch die Kaiserreise war ein Fehler101. Auch vor Eröffnung des Reichsrats sagte er zu Baernreither: Wenn das Haus beisammen ist, wird sich mit den Herren reden lassen (so auch zu mir, Friedjung b ). Baernreither glaubte, er habe einen Plan, aber er hatte keinen. Baernreither war vor kurzer Zeit beim Kaiser in Pest. Er fand ihn geistig sehr gealtert. Er klagte immer nur: Es sei schrecklich, wie sich die Dinge wenden, es sei ja alles vergeblich etc. Körperlich sei er rüstig. Er lasse aber alles gehen, habe nur die Schratt im Kopf. Baernreither bestätigt meinen Gedankengang, daß der Kaiser kenntnisreich, erfahren habe [sie!], daß aber seine Schlußkraft eine geringe sei. Es sei nicht wahr, daß man mit ihm nicht 99
Am 15. 2. 1879 erhielt das Ministerium Adolf Auersperg seine Entlassung. Die Leitung eines Ubergangskabinetts, in das Graf Eduard Taaffe als Innenminister eintrat, hatte Unterrichtsminister Karl von Stremayr. Bereits Anfang Februar hatte Graf Taaffe über die Bildung eines definitiven Kabinetts unter seiner Leitung verhandelt und Ernst von Plener das Handels- sowie Graf Franz Coronini-Cronberg das Ackerbauministerium angeboten. Plener selbst bezeichnete dies als „Episode, von der ich nicht weiß, ob sie ganz ernst gemeint war." Vgl. Ernst von Plener, Erinnerungen. Bd. 2 (Stuttgart - Leipzig 1921)144-146. 100 Am 1. 6. 1901 wurde im Abgeordnetenhaus neben der Eisenbahninvestitionsvorlage und dem Budgetprovisorium (erstmals seit vier Jahren) auch das Wasserstraßengesetz angenommen, das den Bau von Verbindungskanälen zwischen Donau, Moldau, Oder, Elbe und Weichsel sowie Flußregulierungen vorsah. 101 Am Tage nach der Vertagung des Reichsrates trat Kaiser Franz Joseph eine lange vorbereitete Reise nach Böhmen an (11.-18. 6. 1901). a " Quer über den rechten Rand geschrieben. b In den erhaltenen Aufzeichnungen findet sich dazu kein Hinweis.
19. November 1901
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reden könne, nicht aus eigener Initiative ihm Dinge vortragen könne. Wenigstens Baernreither hat andere Erfahrungen. Nach Erledigung des Anlasses der Audienz, die in einer halben Minute erledigt sei, stellt der Kaiser eine Frage. Aber er setzt nicht immer die Konversation fort, sondern macht nach der Antwort eine Pause, ohne den Betreffenden zu entlassen. Diese Gelegenheit ergriff Baernreither stets, um seine Anliegen vorzubringen. Er hat zu diesem Zwecke stets vier bis fünf Themen bereit, die er abrollen läßt. So auch dieses Mal. Die Audienz dauerte länger, und Baernreither war mit seinen Stoffen fertig. Der Kaiser machte eine Pause, dann aber sagte er: Der Kompromiß im böhmischen Großgrundbesitze (Überlassung von Mandaten an die deutschen Großgrundbesitzer) sei ihm sehr willkommen gewesen102. Dann fügte er die Frage hinzu: Ob denn die Bildung einer Mittelpartei nicht doch möglich sei. Baernreither war doch erstaunt über diese Verkennung der Sachlage und meinte: Das sei nicht zu erreichen, die konservativen Großgrundbesitzer seien mit den Tschechen doch zu enge verbündet, als daß sie sich loslösen ließen.
Freiherr Johann von Chlumecky, Mitglied des Herrenhauses
19. November 1901" К 2, U 1, 30 r - 31 ν
In einer Besprechung unter dem Vorsitz Hopfens, des Präsidenten des Abgeordnetenhauses, die in der Bodenkreditanstalt stattfand, wurde den hervorragendsten Mitgliedern der Verfassungspartei mitgeteilt, daß Fürst Auersperg mit der Bildung eines Ministeriums betraut worden sei103. Auersperg sagte ihnen, daß er nicht ohne weiteres auf die Sache eingehe, sondern die Zustimmung der Partei zu seinem Programm zur Bedingung der Übernahme des Amtes mache. Er legte der Versammlung eine Anzahl von Punkten vor. Darunter befand sich ein sehr vorsichtiger Passus über die direkten Reichsratswahlen104. Es war ungefähr gesagt, daß die Regierung den Zeitpunkt wahrnehmen werde, zu dem sie dem Reichsrat eine Vorlage für die di102
103 104
a
Vor den Landtagswahlen des Jahres 1901 einigten sich die beiden Gruppen des böhmischen Großgrundbesitzes auf einen Kompromiß, der den Verfassungstreuen erstmals seit 1883 eine Vertretung im Landtag (21 Mandate des nichtfideikommissarischen Wahlkörpers) sicherte. Das Ministerium Adolf Auersperg (1871-1879). Der Gesetzesentwurf über die direkten Reichsratswahlen wurde von der Regierung Adolf Auersperg am 15.2. 1873 im Abgeordnetenhaus gemeinsam mit einem Antrag zur Erhöhung der Mandatszahl eingebracht. Beide Gesetze wurden mit der nötigen Zweidrittelmehrheit angenommen und erhielten am 2. 4. 1873 die kaiserliche Sanktion. Das Datum wurde von 29. November 1901 auf 19. November 1901 korrigiert; 31 υ trägt die Datierung 18. November 1901 (Fortsetzung).
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Freiherr J o h a n n v o n Chlumecky
rekten Wahlen unterbreiten wolle. Außerdem wurde der Ausbau der Wehrverfassung mit deutlichem Hinweis auf die Notwendigkeit des dritten Jahres im Militärdienste in Aussicht gestellt. Nur Rechbauer machte einen Vorbehalt in bezug auf diesen Punkt. Im allgemeinen herrschte eine begeisterte Stimmung. Allgemeine Zustimmung erfolgte. Lasser sagte bald darauf Chlumecky, er sei zum Ackerbauminister ausersehen. Chlumecky wollte ablehnen, denn er sei auf diesem Gebiete nicht zu Hause. Lasser schnitt jede Einwendung ab: Er würde sonst auch nicht ins Ministerium eintreten. So kam das Ministerium zustande. Adolf Auersperg war ein Mann von seltener Unbildung in politischen Dingen. aAber er war bescheiden und anerkannte die Überlegenheit der Bildung. Baernreither erzählte, er habe immer Area statt Aera gesagt. Unger hörte lange zu, endlich konnte er sich nicht halten und bemerkte: Man kann auch Aera sagen!3 Aber er besaß einen glänzenden gesunden Menschenverstand und deshalb auch das richtige Gefühl für das politisch Erreichbare. Dazu war er der beste treueste Kamerad. Sein Verdienst war es, daß nie eine Differenz im Ministerium eintrat. Lasser war klug, von großer politischer Fähigkeit. Lemayer hatte mir gesagt, er sei darin stärker gewesen denn als Administrator, darin übertraf ihn Taaffe105. Taaffe wußte genau, wie fähig er sei; Taaffe war deshalb auch eifersüchtig auf ihn. Er setzte 1870 seine Entlassung mit [sie!], ebenso die Poches und . . .,b weil sie [in] einer Tagesordnungsfrage gegen den Wunsch des Ministers stimmten106. Lasser war ein Finaud, der den Kaiser außerordentlich klug behandelte. Unger war höchst staatsklug; sein politischer Sinn gab ihm den Standpunkt, für den er dann die juristischen Gründe fand. Glaser dagegen war ein Idealist, ohne Sinn fürs praktische Leben. Das Ministerium hatte entschieden mit der Abneigung des Kaisers gegen das liberal-zentralistische System zu kämpfen. Die Ansprache des Kaisers in der ersten Ministerratssitzung enthielt eine Wendung: Er erwarte, daß ihm seitens des Ministeriums keine Überraschungen bereitet werden. Damit wollte er offenbar sagen, daß er es sich nicht gefallen lassen wolle, wenn das Ministerium im Verein mit der Verfassungspartei ihn vor ein fait accompli stellen wolle. Sodann kam die Redewendung in bezug auf Dalmatien107. Wie schwach 105 106
107 a_a b
Vgl. S. 402. In einer namentlichen Abstimmung am 18. 10. 1870 wurde die Vertagung der Wahl des Präsidiums des Hauses bis zur neuerlichen Entscheidung des böhmischen Landtages über die Entsendung von Abgeordneten nach Wien mit 67 zu 66 Stimmen beschlossen. Die drei Abgeordneten und Statthalter Freiherr Josef Lasser von Zollheim, Freiherr Hermann Pillersdorff und Freiherr Adolf Poche-Bukowe, die für diesen Antrag gestimmt hatten, wurden darauf von ihren Posten abberufen. Vgl. Karl Müllner, Freiherr Josef Lasser von Zollheim, eine Biographie, phil. Diss. (Wien 1962) 56-58. Vgl. S. 387. Ergänzung. Freilassung im Original.
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die Position der Regierung war, bewies die Tatsache, daß bei der ersten Abstimmung über das Budget im Herrenhause Graf Larisch, der Obersthofmarschall des Kaisers, gegen das Budget stimmte. Die Minister berieten, ob sie nicht dagegen einen Schritt beim Kaiser machen sollten. Da erschien Andrässy unter ihnen und riet ihnen dringend ab. Sie mögen bedenken, wie ablehnend sich die Hofleute anfangs gegen den ungarischen Staat verhalten hätten. Es sei nicht wesentlich, wenn ein Hofmann ihnen seine Abneigung bezeigte. Die Position des Ministeriums wurde sehr durch die Haltung Herbsts und der Partei in der Delegationssitzung vom November 1872 erschwert. Sie stimmten gegen die Forderung der Militärverwaltung. Dies konnte der Kaiser nicht verzeihen, ebenso stimmte Herbst nach langem Schwanken auch gegen den rumänischen Handelsvertrag108. Nun war der Kaiser gegen die direkten Wahlen eingenommen. Chlumecky kann sich nicht erinnern, ob der Kaiser wirklich, als die Vorlage vors Haus kam, eine Erklärung im Ministerrat gab, daß er gegen die Maßregel sei. Sicher aber ist, daß das Ministerium selbst bis nach dem Beschlüsse des Abgeordnetenhauses nicht sicher war, ob der Kaiser das Gesetz sanktionieren werde. Lasser stellte in einer Ministerratsitzung in diese Richtung eine „Suggestiv"-Frage, der Kaiser machte hierauf die Bemerkung, daß, nachdem er seine Zustimmung zur Vorlage des Gesetzes gegeben habe, er selbstverständlich die Sanktion nicht verweigern werde. Übrigens hatte Lasser, wie er einmal zu Chlumecky sagte, den Kaiser zum Mitarbeiter an dem Gesetze gemacht. Bevor die Vorlage vors Haus kam, verhandelte Lasser mit den hervorragendsten Persönlichkeiten der einzelnen Kronländer über die Verteilung der Mandate. Chlumecky verhandelte mit den Mährern und hatte den Entwurf für Dalmatien zu besorgen. Ursprünglich hatte die Regierung eine geringere Anzahl von Mandaten im Auge; man fand indessen, daß eine Vermehrung notwendig sei. Vor jedem dieser Schritte unterrichtete Lasser den Kaiser, nahm dessen Einwendungen hin und suchte ihnen Rechnung zu tragen. So bestand der Kaiser darauf, daß den Tiroler Bischöfen und Äbten eine besondere Vertretung im Reichsrate gewährt werde. Im Ausschusse fand diese Bestimmung lebhaften Widerspruch. Aber Lasser sagte, diese Bestimmung sei „undiskutabel", man verstand ihn und ging darüber hinweg. Der Kaiser nahm den Widerspruch Herbsts etc. gegen Militärforderungen etc. sehr unwillig auf. Er hatte eine große Aversion gegen ihn. Er war ja besonders widerborstig auch im Auftreten; er besaß keinen Sinn für das politisch Notwendige. Um die Mitte der 70er Jahre machte der Kaiser den Ausspruch: Wenn man Herbst und Clam-Martinic einsperren würde, könnte 108
Der am 22. 6. 1875 geschlossene Handelsvertrag war vom Abgeordnetenhaus am 26. 2. 1876 mit 176 gegen 83 Stimmen angenommen worden.
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Freiherr Johann von Chlumecky
man in Österreich zu der schönsten Ordnung gelangen. Auch Clam-Martinic liebte er nicht, hatte er doch sofort die Statthalterei von Westgalizien niedergelegt, als er nicht ins Ministerium genommen wurde109. Goluchowski war es, der ihm kein Ministerium anvertraute. Merkwürdigerweise empfindet der Kaiser es höchst unangenehm, wenn der konservative Adel sich in Opposition befindet, er fürchtet diese Herren gewissermaßen. Es war ihm sehr peinlich, daß sie 1871-73 nie in Wien erschienen und so den Hof mieden. Diese Herren wissen das und fügen sich nicht. Sie seien ebensogut Dynasten wie die Habsburger. Ich bemerkte, daß es merkwürdig sei, wenn der Kaiser, der doch weit mächtiger sei als jeder Faktor, vor diesen Feudalen „Furcht" empfinde, ich hätte sein Majestätsgefühl höher eingeschätzt. Chlumecky bestätigt das, hält aber seine Behauptung aufrecht, daß der Kaiser sie fürchte. Aber, fragte ich, weshalb nicht dasselbe Gefühl, wenn die Auersperg, Rohan, Fürstenberg opponieren? Nun, sagte Chlumecky, deren Opposition sei nie eine sehr scharfe gewesen. Da seien die Feudalen doch viel energischer vorgegangen; sie hatten den Hof boykottiert, hatten das Herrenhaus nicht besucht etc. Der Gegensatz der Dynastien Auersperg und Schwarzenberg sei sehr wichtig gewesen. [Der] Hochmut Auerspergs hätte sehr geschadet. Als die Weltausstellung in Wien organisiert wurde, erklärte die Patriotische Ökonomische Gesellschaft, unter dem Vorsitz des Fürsten Karl Schwarzenberg, des Krawall-Majors, in einer tumultuosen Versammlung, daß Böhmen auf der Ausstellung getrennt ausstellen müsse. Erzherzog Karl Ludwig Heß Chlumecky zu sich bescheiden, um zu erklären, daß dies vollständig unstatthaft sei. Gedeckt durch diese Aufmunterung erließ Chlumecky ein Schreiben an die Gesellschaft, um sie von ihrer Absicht abzubringen. Darauf eine grobe Antwort. Chlumecky war nicht für die äußerste Maßregel der Auflösung, er wollte [einen] milderen Weg. Aber das Ministerium beschloß [die] Auflösung, und Chlumecky figurierte als Antragsteller, da er sich dem Wunsche seiner Kollegen fügte. Die Gesellschaft wurde aufgelöst, dafür beschickten die feudalen Cavaliere die Weltausstellung nicht. Indessen veranstaltete Chlumecky im Anschlüsse an [die] Weltausstellung einen landwirtschaftlichen Kongreß, und die Feudalen [wurden] natürlich eingeladen. Sie erschienen, beteiligten sich an der Debatte, und alles ging ganz gut. Darauf wurde der Kongreß auf Antrag Chlumeckys vom Kaiser empfangen, und hier erschienen die Feudalen zum ersten Mal. Man hätte nun denken sollen, daß der Kaiser sie kühl empfange. Das Gegenteil geschah, er war höchst gnädig gegen sie.
109
Graf Heinrich Clam-Martinic war von 1856 bis 1859 Landespräsident von Westgalizien.
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19. November 1901
Theophil Pisling, Regierungsrat Bureau des Außenministeriums
im
Literarischen 19. November 1901 К 2, U 4, 498 ν
Über Heinrich Pollak: Er habe eine Novelle oder Roman geschrieben, in der ca. 1810 der Nordbahnhof vorkam. Unter Schmerling war Lewinsky Preßleiter, der dick und bequem war. Man sagte deshalb von ihm, daß er ventre ä terre dahineile; dann Fidler, ein Gelehrter, auch eine Zeitlang Hell. Im Ministerium des Äußern, das keinen eigenen Preßfonds hatte, befand sich eine Expositur der Preßleitung. Aber der eigentliche „Macher" Schmerlings war Lackenbacher, der auch in Frankfurt beim Fürstentag war. Beust nahm dann die von Schmerling angebahnten Verbindungen mit der „Augustenburger-Partei"110 wieder auf. Der bedeutendste war Fröbel gewesen111. [Unter] Beust dann: Rockel, Naumburg (dessen Tochter den Herzog von Meiningen heiratete112), Freese, Trabert113, Giehne, der die Donau herausgab114, Kolatschek und Weißbrodt. Sie alle aßen aus dem Preßfond. aThaler muß noch einiges wissen.3
Freiherr Alois Lexa von Aehrenthal, Botschafter in St. Petersburg
25. November 1901 К 2, U 3, 449 ν
Es existiert kein Briefwechsel zwischen Karl Auersperg und seinem Vater115. Auersperg war nicht der Mann, sich mitzuteilen; er war eine herrische Natur, die dadurch auch viele Mitglieder seiner eigenen Partei abstieß. Es war 110
111
1,2
113
114
a_a 115
Die Anhänger der Erbfolge des Hauses Augustenburg in Schleswig-Holstein, wodurch die Fürstentümer die Unabhängigkeit von Dänemark erlangt hätten. Julius Fröbel gab von 1862 bis 1865 gemeinsam mit Adolf Kolatschek den offiziösen Botschafter heraus. Vgl. Julius Fröbel, Ein Lebenslauf. Aufzeichnungen, Erinnerungen und Bekenntnisse. 2 Bde. (Stuttgart 1890-1891). Der „Theater-Herzog" Georg II. von Sachsen-Meiningen hatte 1873 die Schauspielerin Helena (Ellen) Franz in morganatischer Ehe geheiratet. Sie stammte aus Naumburg a. d. Saale, ihr Vater Hermann war zunächst Lehrer an der dortigen Handelsschule und seit 1847 Direktor der Handelsschule in Berlin; über eine journalistische Tätigkeit seinerseits ist nichts bekannt. Eventuell liegt eine Verwechslung mit dem Publizisten Constantin Frantz vor, der sich vergeblich um eine Anstellung in Wien beworben hatte; vgl. Ludwig von Przibram, Erinnerungen eines alten Österreichers. Bd. 1 (Stuttgart - Leipzig 1910) 364-365. Julius Freese und Adam Trabert gaben gemeinsam von 1870 bis 1874 das offiziöse Osterreichische Journal heraus. Friedrich Giehne gab die von März 1860 bis Ende 1862 erscheinende offiziöse Donauzeitung heraus, nicht die ebenfalls offiziöse Donau, die von Jänner bis September 1855 erschien. Ergänzung. Im Zuge seiner Recherchen zur Geschichte des österreichischen Parlamentarismus hat-
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Freiherr Oskar Lasser von Zollheim
ein seltsamer Widerspruch, daß er so viel zur Einführung parlamentarischer Verhältnisse beitrug und eigentlich persönlich selbstherrlich war, einer Diskussion nicht zugänglich. Doch war er eine imponierende Erscheinung; geistvoll und bis zu einem gewissen Grade gebildet. Vor den Wahlen von 1885 war Franz Salm der Obmann des Verfassungstreuen Großgrundbesitzes, Aehrenthal der Stellvertreter. Damals war Auersperg tief ergrimmt. Anläßlich der Theaterfrage (?) wurde der böhmische Landtag rasch vertagt, Auersperg war mit Taaffe verfeindet, und dieser bestimmte den Kaiser, dem Kronprinzen die Absage der Jagd von Wlaschim aufzutragen116. Daß Auersperg damals Osterreich verlassen wollte117, ist Aehrenthal neu; sein Majorat hätte er doch nicht verkaufen wollen. Erbittert über den Gang der Dinge wollte Auersperg sich zurückziehen, dasselbe sollte der Verfassungstreue Großgrundbesitz tun. Er und Salm wollten die Organisation in die Luft sprengen, und Salm legte seine Stelle nieder. Aehrenthal weigerte sich, das gleiche zu tun, berief die Partei und sammelte sie wieder. Das war ein Verdienst, das er sich erwarb.
Freiherr Oskar Lasser von Regierungsrat i. P.
Zollheim, 29. November 1901 К 2, U 3, 450 г - 451 ν
Lasser hatte, als Stadion ihn ins Amt berief, eine dreifache Wahl: Hofrat im Ministerium des Innern, Landeschef eines Kronlandes oder Prokurator in Linz. Er nahm das letztere an und war es drei Tage. Dann wurde er doch ins Ministerium berufen. Er beklagte den Tod Stadions stets als das Unglück Österreichs. Bach war überaus fleißig. Da er bei Tag nicht Zeit hatte, mit seinen Referenten zu arbeiten, so wählte er die Nacht hierzu, und Lasser kam sehr oft erst um 2 Uhr zu seiner jungen Gattin nach Hause. Er rückte aber nicht vor und war selbst verletzt, als Salm und andere Sektionschef wurden. Als Bach zurücktrat, kam er zu Lasser zu Besuch nach dessen Villa in Dorn-
116
117
te Friedjung auch Aehrenthal um die Einsicht in eventuell vorhandenes Material ersucht. In einem Brief vom 30. 11. 1901 (HHStA, NL Friedjung К 5) teilte Aehrenthal Friedjung mit, daß sich im Familienarchiv der Auerspergs zwar Korrespondenz zwischen den Brüdern Fürst Karl und Adolf Auersperg befände, die Familie aber zur Zeit nicht an eine Veröffentlichung denke. Mitte Oktober 1882 kam die Frage eines Zuschusses zum Bau eines deutschen Sommertheaters im böhmischen Landtag wegen der Schließung der Session nicht mehr zur Abstimmung. Darüber war die deutsche Seite sehr erbost, und Oberstlandmarschall Fürst Karl Auersperg verließ nach wenigen Worten den Präsidentenstuhl, während die üblichen Anreden an den Statthalter und den Oberstlandmarschall unterblieben. Im Jänner 1883 wurde darauf kurzfristig der Besuch des Thronfolgers bei Auersperg auf Schloß Vlasim abgesagt. Vgl. S. 414.
29. November 1901
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bach. Er sagte damals erbittert: Die Herren werden sich überzeugen, daß durch ihr System die Ansprüche der Kronländer und Nationen großgezogen werden, die Verwirrung wird eintreten, nach einigen Jahren wird man mich wieder benötigen, dann aber wird man mich bitten müssen, damit ich wieder ins Amt trete. Die Umstände, unter denen Schmerling und seine Minister aus dem Amt traten, waren sehr beleidigend118. In den Jahren 1865 bis 1867 verkehrte Taaffe viel im Hause Lassers. Er kam mitunter überm Tag. Sie „konspirierten" miteinander, diese Worte im guten Sinne genommen. Denn Taaffe war nicht mit Belcredi einverstanden; es bestand kaum ein Unterschied zwischen Lassers und Taaffes Anschauungen. Als Taaffe ins Bürgerministerium eintrat, stand er ganz auf dem Boden der Verfassungspartei. Schwerlich bestanden schon damals Gegensätze zwischen ihm und Herbst - Giskra. Die haben sich erst allmählich herausgebildet: Sie waren doch zu verschieden, als daß sich die Entfremdung nicht herausgebildet hätte. Es zeigt sich, daß Lasser den Zusammenhang zwischen innerer und äußerer Politik nicht kennt, doch geht er sehr zustimmend auf den Gedankengang ein, daß es unmöglich bloß äußerliche Gründe - kleine Beleidigungen - gewesen sein können, die den Kaiser und Taaffe von den Ministern entfremdeten. Wie hätte sonst, so sagt Lasser, Kuhn so lange Minister bleiben können, er, der imstande war, bei einem Gespräche den Kaiser beim Rockknopf zu fassen? Seine derbe Ausdrucksweise erheiterte den Kaiser, er mußte selbst im Ministerrat hell auflachen, aber er nahm sich gewiß kein Blatt vor den Mund. Lasser übernahm die Statthalterschaft Tirols auf Bitten Giskras und Taaffes119. Als das Bürgerministerium fiel, wünschte Potocki ein Einlenken gegen die Tiroler Klerikalen. Er bat damals Taaffe mehrmals um seine Demission. Er fühlte, daß der Boden unter ihm wankte, und er konnte nicht die entgegengesetzte Politik befolgen. Taaffe antwortete ihm, daß das Ministerium sein Verbleiben wünsche; ja, er könne sich auf die Minister verlassen. Da kam die Sitzung des Abgeordnetenhauses, in der es sich darum handelte, ob man den Eintritt der deutschböhmischen Abgeordneten abwarten solle oder sonst die Tagesordnung ändern solle120. Am Morgen des Tages war Lasser bei Taaffe, und dieser sagte mit keinem Worte, daß der Regierung an der Abstimmung etwas liege. Lasser stimmte deshalb mit der Partei, Pillersdorff und Poche, die im Alphabet danach kamen, richteten sich nach Lasser. Sie wurden alle drei des Amtes enthoben. Lasser beklagte sich darüber, daß Taaffe ihm keine Andeutung gemacht habe; er hätte sich auch der Abstimmung enthalten können. Seitdem war der gesellschaftliche Verkehr, die 1,8 119 120
Vgl. zum Rücktritt des Ministeriums im Sommer 1865 Kampf um die Vorherrschaft. Bd. 1, 126-127. Freiherr Josef Lasser von Zollheim war von 1868 bis 1870 Statthalter in Tirol. Vgl. zur namentlichen Abstimmung am 18. 10. 1870 S. 406 Anm. 106.
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Freiherr Oskar Lasser von Zollheim
freundschaftlichen Beziehungen zu Ende. Taaffe empfand seine Statthalterschaft in Tirol wie eine Verbannung von Wien121. Er fühlte, daß man ihn vom Kaiser ferne halten wolle. Auch glaubte er sich zurückgesetzt, weil man ihm keinen größeren Posten gab. Lasser ist fest überzeugt, daß die Beziehungen des Kaisers zu ihm nicht abrissen und daß er sein Ratgeber war. Lasser wußte den Kaiser trefflich zu behandeln. Eine Anekdote, ein guter Spaß wußten ihm den Weg zu ebnen, um seine Absichten zu erreichen. Das liebt der Kaiser. Auch verträgt er es nicht, daß ein Minister neben ihm Geltung beansprucht. Schmerlings Selbstbewußtsein war ihm höchst unsympathisch. Der Minister muß den Glauben erwecken, daß im Grunde doch nur geschehe, was er wolle, der Minister muß ihm seine Ideen suggerieren. Auersperg schätzte Lasser hoch. Auersperg war unbedingt zuverlässig, ohne Neid, ein Kollege, wie er nicht besser gedacht werden kann. Als Lasser zurücktrat, schrieb er an Lasser, was sein Wunsch wäre. Er schrieb darüber an Auersperg, schickte aber seinen Sohn, um mit ihm darüber zu sprechen. Als Auersperg den Brief mit dem unwiderruflichen Entschlüsse Lassers las, weinte er wie ein Kind. Er sagte, Lassers Scheiden könne nicht vom Ministerium verwunden werden122; er selbst werde bald seinem Beispiele folgen, wenn er auch vorerst ausharren müsse. Lasser war nicht sehr mitteilsam in bezug auf Politik, erst später, besonders aber, als er in Pension trat, sprach er häufig und gerne von seinem öffentlichen Wirken. Früher kam es nur mitunter vor, daß, wenn er etwas durchgesetzt hatte, er fröhlich bei Tische sagte: Heute ist mir wieder ein Schurkenstreich gelungen. Zur Zeit des Krachs123 war seine ganze Kaltblütigkeit notwendig. Denn de Pretis und Unger waren, wie er sich beklagte, doch zu nervös. Herbst durchkreuzte oft seine Pläne, so daß er den Ausgleich mit den Walschtirolern unmöglich machte124. Lasser nannte es eine große Dummheit, daß man sich nicht wenigstens mit den Italienern versöhnt habe. Mit den Fedrigotti etc. wäre man eigentlich um einen billigen Preis handelseins geworden. Von Taaffe sagt Lasser jun., er sei ein Kavalier gewesen, sein Wort galt ihm etwas, er war auch patriotisch. Aber er dachte die Dinge nicht bis zu ihren Konsequenzen durch, nicht, weil er nicht scharfsinnig genug war, sondern aus Leichtsinn, aus Denkfaulheit. Er sprach den richtigen Gedanken 121 122 123 124
Graf Eduard Taaffe war von 1871 bis 1879 Statthalter in Tirol. Vgl. zur Demission Freiherrn Josef Lasser von Zollheims am 5. 7. 1878 S. 402 Anm. 95. Der Börsenkrach 1873. Am 16. 3. 1874 hatten die italienisch-tirolischen Abgeordneten im Reichsrat einen Antrag auf Gewährung eines Sonderlandtages für die italienischen Gebiete Tirols eingebracht. Der Antrag wurde einem Ausschuß zugewiesen, der erst am 14. 3. 1877 eine Resolution vorlegte, die eine weitgehende Autonomie, nicht jedoch die Teilung des Landes vorsah. Die Resolution wurde bei Stimmengleichheit verworfen. Eduard Herbst hatte sich entschieden für die Annahme eingesetzt.
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aus, daß man die Deutschliberalen bestrafen wollte, sie circa 1883 genug bestraft waren. Dann mußte man mit den Konzessionen Einhalt tun. Aber dann stand Taaffe unter dem Einflüsse Dunajewskis, der ihn beherrschte. Taaffe täuschte sich über die Tiefe der nationalen Bewegung. Er sagte einmal 1885 zu Lasser jun., als die Jungtschechen siegten125: Ach was, wenn die Jungtschechen ein Jahr im Parlament sind, so werden sie sich auch mäßigen. Lasser jun. glaubt nicht, daß zwischen seinem Vater und Taaffe Eifersucht bestand (wie Chlumecky annimmt126); aber sicher ist, daß Taaffe sich in Innsbruck zurückgesetzt glaubte und mit dem Kaiser Verbindungen unterhielt.
Josef Maria Baernreither, Mitglied des Abgeordnetenhauses
November 1901 К 2, U 1, 41 r - 43 r; Sekretär 1
Fürst Karl Auersperg war durch die Eindrücke des Jahres 1848 und durch die liberale Atmosphäre gegangen; man konnte von ihm hören, daß Volksvertretungen, Preßfreiheit, Gewissensfreiheit dem Volke nicht verweigert werden könnten. Positive Bildung besaß er nicht, wie er auch, wenigstens in seinen reiferen Jahren, kaum je ein Buch las. Schwerlich hat er auch je eine klare Vorstellung von dem materiellen Inhalt der Verfassung gehabt, die unter seiner Mitwirkung entstanden ist. Von dieser liberalen Stimmung stach in geradezu absurder Weise sein aristokratischer Stolz ab. Sein Hochmut wandte sich übrigens nicht bloß gegen die Bürgerlichen, sondern auch gegen alle die Barone und selbst kleinen Grafen, die er nicht für ebenbürtig erachtete. Als Oberstlandmarschall hatte er der Gepflogenheit nach den Deputierten Gelöbnis und Handschlag auf die Verfassung abzunehmen. Er war so hochmütig, sich während der Verlesung der Eidesformel regelmäßig einen Handschuh auf seine rechte Hand zu streifen, um nicht in die Lage zu kommen, jedem Deputierten die bloße Hand reichen zu müssen. Über die Mandate im Großgrundbesitze verfugte er mit geradezu absoluter Willkür. Er vergab sie, oder vielmehr er verlieh sie; sie waren wie ein Lehen aus seiner Hand. Bezeichnend ist die Veranlassung, weshalb er nach den Wahlen von 1885 seine Stelle als Obmann des Verfassungstreuen Großgrundbesitzes niederlegte. Er hatte eine gewisse Vorliebe für Dr. Baernreither, den er stetß zu sich lud und den er mit der Liebenswürdigkeit überschüttete, deren er fähig war. Als die Wahlen kamen, ließ Baern125
126
Die Reichsratswahlen 1885, bei denen die Jungtschechen gemeinsam mit den Alttschechen antraten, brachten in Böhmen eine leichte Verschiebung der Mandate von den Deutschen zu den Tschechen. So verloren die Deutschen ihr letztes Prager Mandat. Vgl. S. 406.
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Josef Maria Baernreither
reither bei ihm anfragen, ob er nicht auf ein Mandat im Großgrundbesitze rechnen könne. Schon diese Anfrage scheint er verübelt zu haben; denn schon daß sich jemand meldete und bewarb, schien ihm ein Eingriff in seine Rechte. Möglicherweise hätte er ohne diese Anfrage Baernreither selbst auf die Liste gesetzt. Für Baernreither war das ein Strich durch die Rechnung, weil er im Justizministerium seine Aussichten auf Beförderung hintangesetzt hatte, indem er dem Minister Prazak erklärte, seine Parteistellung verhindere ihn, als Kommissär der Regierung ihre Vorlagen in den Ausschüssen zu vertreten. Prazak eröffnete ihm selbst, daß er ihn bei den Beförderungen zum Sektionsrat - er war Ministerialsekretär - übergehen müsse. Baernreither ließ sich das nicht anfechten, nahm einen 1 '/2jährigen Urlaub; nach dessen Ablauf beschloß er, seine Stelle im Justizministerium aufzugeben und sich um das Mandat zu bewerben. Als Auersperg seine Bewerbung abschlug, schrieb er ihm. Fürst Auersperg nun hatte die Gewohnheit, keinen Brief anzunehmen, der nicht auf der Rückseite den Namen eines ihm bekannten Absenders enthielt. Er behauptete, er tue dies, weil er von tschechischer Seite so viele Schmähbriefe erhielt. Den Brief Baernreithers muß Auersperg erhalten haben, aber er hielt es nicht der Mühe wert, zu antworten. Darauf bewarb sich Baernreither selbst um das Mandat in der Egerer Gruppe. Die Wähler ließen Dr. Adolf Weiß fallen, und er wurde nominiert. Fürst Karl Auersperg schäumte vor Wut über diese Rebellion, legte seine Stelle als Obmann der Partei nieder, und seit dieser Zeit war Baernreither für ihn Luft. Er gehörte zu den Menschen, die nur hassen oder lieben können; ein Mittelding bestand nicht. Ebenso aber benahm er sich gegen den Kaiser. Die Niederlegung der Stelle eines Ministerpräsidenten 1868 hatte allerdings ihre guten Gründe127. Der Kaiser hatte Beust hinter seinem Rücken bevollmächtigt, Ausgleichsverhandlungen mit Palacky und Rieger zu pflegen, und Auersperg war über diese Hintansetzung mit Recht entrüstet. Daß ihm, dem Fürsten Auersperg, etwas Derartiges geschehen könne, erfüllte ihn mit höchstem Ingrimm. Ebenso beleidigt fühlte er sich wenige Jahre vor seinem Tode dadurch, daß Kronprinz Rudolf, der jährlich zu ihm zur Jagd geladen war, einmal auf Andringen Taaffes einen Wink vom Kaiser erhielt, die Jagd abzusagen128. Alles war bereits prächtig angeordnet, als der Kronprinz seine Verhinderung anzeigte. Auersperg war so empört über diese Hintansetzung, daß er alle seine Güter in Österreich verkaufen und als Privatmann nach Dresden gehen wollte; nur die Bitten seiner Frau und seiner Freunde hielten ihn davon ab. Er verkehrte nicht etwa mit dem ganzen Adel, sondern nur mit dessen Spitzen; seine nächsten Vertrauten waren Graf Franz Salm, der eine Stelle als 127 128
Vgl. zur Demission Fürst Karl Auerspergs im Juni 1868 S. 385 Anm. 58. Vgl. zur Absage der Jagd im Jänner 1883 S. 410 Anm. 116.
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Verwaltungsrat der Hirschschen Orienteisenbahn annahm129, Fürst Camillo Rohan, Baron Aehrenthal und wenige andere. Er hielt es schon für eine große Ehre, wenn er jemandem, der ihm vorgestellt wurde, die Hand reichte; die Tschechen behandelte er ganz besonders schlecht. Uberhaupt war er der merkwürdigste Präsident, den man sich denken konnte; wenn er fand, es sei in der Debatte genug gesprochen worden, erteilte er einfach nicht das Wort. Derjenige, der sich dann zum Worte meldete, war für ihn einfach Luft. So groß war aber seine Autorität, daß die Deutschen sich das wie etwas Selbstverständliches gefallen ließen; aber auch die Tschechen wagten es, da man damals die Autorität des Präsidenten noch respektierte, nicht, zu remonstrieren. Eines Tages, bei einer Debatte im böhmischen Landtage, war er guter Laune, und zum Erstaunen des ganzen Hauses erteilte er jedem, der sich meldete, das Wort. Die Tschechen waren sehr vergnügt, und am nächsten Tage glaubten sie, die Sache werde sich wiederholen. Die Dinge kamen aber anders. Als sich plötzlich eine größere Anzahl von Rednern meldete, sagte er ihnen einfach in gebrochenem Böhmisch: „Das geht nicht jeden Tag." Die Stellen in den Ausschüssen, über die der Großgrundbesitz verfügte, wurden so vergeben, daß er durch seinen Unterläufel, Baron Poche, Umfrage halten ließ, wer gewählt werden wolle, wer sich eigne, Obmann des Ausschusses zu sein, und daß er dann einfach in der Sitzung des Clubs die Liste derjenigen diktierte, welche er gewählt wissen wollte. Graf Franz Salm, sein nächster Vertrauter, war eine sarkastische Natur, ein Schimpfer, der durch seine Rücksichtslosigkeit seinen Parteigenossen imponierte. Er war ein Zyniker, dabei geistreich und amüsant. Er urteilte über den Kaiser so rücksichtslos wie über irgendeinen anderen und sprach von ihm und der Kaiserin nur mit dem Ausdrucke: „Der Förster und sie." Er wollte damit sagen, daß er dem Kaiser keine Eigenschaft als die eines guten Jagdgehilfen zuerkenne. Das Kompromiß von 1879 schloß Auersperg ab, weil ihm die Angriffe der Verfassungstreuen auf den Großgrundbesitz ärgerten130. Hierbei aber ließ er sich von Taaffe und Clam-Martinic vollständig täuschen. Es scheint, daß sie ihn geradezu hintergingen. Clam-Martinic schrieb nämlich an Auersperg einen Brief, in welchem er ihm ausdrücklich namens seiner Partei versprach: 1.) Das Mandat wirklich auszuüben und 2.) daß die verfassungstreuen und die feudalen Großgrundbesitzer einen Club, also eine Art Mittelpartei im Abgeordnetenhause bilden sollen. Tatsächlich aber vereinigten sich im Abgeordnetenhause die Feudalen mit den Tschechen. Clam-Martinic sprach 129
130
Die 1869 von Freiherr Moritz von Hirsch gegründete Gesellschaft mit Sitz in Wien führte Eisenbahnbauten in der europäischen Türkei durch. Fürst Karl Auersperg stimmte vor den Reichsratswahlen 1879 einem Kompromiß in der Großgrundbesitzerkurie zu, wodurch von den 23 böhmischen Mandaten dieser Kurie zehn den Feudalen zugesprochen wurden.
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Bernhard Münz
Auersperg in einem Briefe mit „werter Freund" an. 13 Mandate blieben den Verfassungstreuen, 10 wurden an die Feudalen abgetreten. Auersperg warf einfach alle früheren Abgeordneten hinaus, welche das sogenannte Programm der 108 unterschrieben hatten, welches Herbst und Sturm verfaßt hatten 131 . Nur einen pardonnierte er; das war Jaksch, und zwar bloß deshalb, weil er der Sohn seines Leibarztes war.
Bernhard Münz, Bibliothekar Israelitischen Kultusgemeinde
der in Wien
November 1901 К 2, U 3, 448 ν - 449 г
War von 1875 bis 1877 Hofmeister im Hause der Frau Löwenstein. Giskra habe ihn hinempfohlen. Adele war noch ein Mädchen, als sie die Kampagne für ihren Vater führte 132 . Mühlfeld und Giskra waren die Anwälte. Löwenstein war Konzipient bei Mühlfeld. Er war der Sohn eines reichen Mannes, der in Mittelungarn dieselben Geschäfte machte wie Popper in Nordungarn133. Die Ehe dauerte nur zwei Jahre, 1866 bis 1868. Die Kinder sind nur um ein Jahr auseinander. Münz behauptet, daß Löwenstein jedem Kind 600.000 fl (?) hinterließ. Giskra und Adele verkehrten ganz kameradschaftlich, damals bestand zwischen ihnen bestimmt kein Verhältnis. Adele war nicht schön, aber interessant, sehr nervös, leidenschaftlich. Einmal wollte sie bei Tische eine Terrine einem Diener an den Kopf werfen, besann sich noch und schleuderte sie zu Boden. Giskra war anwesend. Ich, so sagte Münz, machte die lausbübische Bemerkung: Heute werden wir also auf der Erde speisen. Adele wurde sofort ruhig. Von Giskra hat Münz den allerbesten Eindruck. Er war ein wirklich treuer Freund des Hauses; Adele hätte gut daran getan, ihren [sie!] Ratschlägen besser zu folgen. Er war gewissermaßen der Leiter des Hauswesens, wenn auch der Advokat Dr. Barth die Rechnungen führte und die Geldangelegenheiten in Ordnung hielt. Giskra hatte im Sprechen etwas Feuriges, Hinreißendes, er war voll Ideen. Münz hat sehr viel von ihm gelernt. Er war auch gegen Münz herzlich und wohlwollend. Dieser war Mitglied einer deutschnationalen Burschenschaft. Einmal sagte ihm Giskra: Er habe gewiß kein Recht, ihn zu bestimmen, auch habe er sich nicht verkauft, als er in das Haus Löwenstein kam. 131
132
133
Wohl der Programmentwurf, der am 9. 5. 1879 vorgelegt und allen jenen 112 (nicht 108) Abgeordneten zur Unterzeichnung zugeleitet wurde, die gegen die Annahme des Berliner Vertrages gestimmt hatten. Vgl. zum politischen Salon Adele Löwensteins auf der Mölkerbastei sowie die Kampagne, die sie zugunsten ihres des Betruges angeklagten Vaters führte, Heinrich Pollak, Dreißig Jahre aus dem Leben eines Journalisten. Erinnerungen und Aufzeichnungen. Bd. 1 (Wien 1894) 249-257 und 265-266. Leopold Popper war ein führender ungarischer Holzindustrieller.
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Aber als Freund rate er ihm zum Austritt. Vorerst könne er (Giskra) als guter Österreicher nicht wünschen, daß nationale Gesinnungen radikaler Art in Österreich Wurzeln fassen. Denn das müßte zu einer Zerstörung des Staatswesens führen. Zudem aber mache er ihn aufmerksam: Wenn die Richtung doch zum Siege gelange, so habe ein Jude in ihr keinen Platz. Darin zeigte er sich vorausblickend. In der Diskussion war er aufbrausend, aber er hatte eigentlich eine Freude am Widerspruch, der ihn anregte. Er vertrug unbedingte Zustimmung überhaupt nicht, weil er darin beinahe eine „Frozzelei" sah. Mit Beust, der bei Frau Löwenstein häufig zu Tische war, verkehrte er gesellschaftlich höflich, aber er hegte einen tiefen Groll gegen ihn. Als Münz einmal mit den Kindern nach Altenberg134 sollte, da widerriet dies Giskra dringend: Was man denn bei Beust wolle? Er sei ein Intrigant, er habe das Bürgerministerium schwer geschädigt und ihm sei überhaupt nicht zu trauen. Ungefähr so drückte sich Münz aus. 1879 übersiedelte Frau Löwenstein nach San Remo, wo sie zumeist blieb. Dort besuchte [sie] und wohnte Beust oft. Bis 1879 dauerten auch die Beziehungen Münz' mit der Familie.
Heinrich Pollak, Miteigentümer des Neuen Wiener Tagblatts
und
Lokalredakteur November 1901 К 2, U 3, 448 r-v
Sein Buch ist auf Tagebücher basiert135. Er besitzt, wie er behauptet, 400 Notizbücher. Mit Beust verkehrte er regelmäßig, schrieb sich alles auf. Sein Urteil über Beust ist sehr ungünstig, er mißbrauchte die Presse etc. Pollak war selbst anwesend, als Beust beim Sturze des Ministeriums Hasner durch die Abstinenz der Polen136 in den Ruf ausbrach: Endlich ist das Wild erlegt! Auch Baron Oppenheimer war anwesend. Der Vater Oppenheimer war Ban134 135
136
Schloß des Grafen Friedrich Ferdinand Beust bei Greifenstein (Niederösterreich). Heinrich Pollak, Dreißig Jahre aus dem Leben eines Journalisten. Erinnerungen und Aufzeichnungen. 3 Bde. (Wien 1894-1898). Die am 24. 9. 1868 vom galizischen Landtag verabschiedete Resolution, die eine umfassende Autonomie forderte, wurde am 18. 12. 1869 neuerlich als Antrag im Abgeordnetenhaus eingebracht. Sie wurde einem Ausschuß zugewiesen. Als sich dort eine Mehrheit gegen den Antrag abzeichnete, zogen die polnischen Abgeordneten aus und legten am 31.3. 1870 ihre Mandate nieder. Durch den gleichzeitigen Auszug der italienischen, rumänischen und slowenischen Föderalisten sowie dem vorausgegangenen der klerikalen Tiroler (die alle die Einführung der direkten Reichsratswahlen verhindern wollten) reduzierte sich die Zahl der Anwesenden auf 129 (von 203). Als dem Kabinett Hasner darauf vom Kaiser die Vollmacht verweigert wurde, jene Landtage aufzulösen, deren Abgeordnete ihre Mandate niedergelegt hatten, demissionierte die Regierung am 4. 4. 1870.
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Freiherr Josef von Schenk
kier, der es übernahm, bei der Entfernung Beusts aus Sachsen ihn zu rangieren, da er sehr verschuldet war. Zum Dank wurde die Familie geadelt. (Ritterstand vom 25. Juli 1868, Freiherrnstand 9. Oktober 1878). Oppenheimer wurde wie ein Kind im Hause gehalten. Er war damals ein junger, bescheidener Mensch. Pollak fragte einmal Giskra, was denn Wahres daran sei, daß er in einer Ministerratssitzung den Kaiser durch sein Auftreten beleidigt habe. Giskra sagte, niemals habe er absichtlich etwas Verletzendes gesagt oder getan, aber bei seiner Leidenschaftlichkeit mag es wohl der Fall gewesen sein, daß er lauter und heftiger gesprochen habe, als [es] der Kaiser vertrage. Tatsächlich, so sagte Pollak, war Giskra von einer außerordentlichen Leidenschaft des Tones und der Bewegungen. Er konnte sich mit beiden Händen in die Haare fahren, wie ein Verzweifelter etc. Ohne Zweifel sagte er mit jener Schilderung die Wahrheit. Auch Helfert hat Pollak einmal so interviewt wie ich ihn. Er bat um seinen Besuch und hatte eine ganze Liste von Fragen, die er beantwortet wünschte. Vor allem fragte auch er Pollak, ob er nach Tagebüchern gearbeitet habe. Pollak glaubt nicht, daß zwischen Adele Löwenstein und Giskra ein Liebesverhältnis bestand.
Freiherr Josef von Schenk, Hofrat beim Verwaltungsgerichtshof
November 1901 К 2, Ula, 54a v; U 4, 496 r-v
Er stellt die Behauptung Mengers in Abrede, daß Lemayer mit seiner Frau in Unfrieden gelebt habe137. Sie seien kaum ein Jahr verheiratet gewesen. Sie war hektisch, starb bald138. Lemayer sei der Gemeinheit nicht fähig, gleich im ersten Jahr seine Frau zu betrügen und zu kränken. Auch stehe er mit der Schwester der Frau jetzt noch sehr gut und sei der Vormund des jungen Giskra gewesen. Die Ursache seines abfälligen Urteils über die führenden Männer der Verfassungspartei sei wohl vielmehr die, daß Männer wie Lemayer den Fehlern der einzelnen und nicht der Schwäche ihres Standpunktes das Scheitern beimessen. Unter diesen Fehlern leide auch seine eigene Karriere. Auch er, Schenk, hat den Eindruck, daß Giskra etwas Geniales besaß. Er war auch ein „Gewaltsmensch" gewesen. So existiert von ihm eine Ministerverordnung, in welcher er die Rekursfrist gegen [eine] Entscheidung der
137 138
Vgl. S. 390. Karl von Lemayer hatte 1872 Stephanie Giskra geheiratet, die jedoch bereits 1874 starb.
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Verwaltungsbehörden eigenmächtig auf (wenn ich nicht irre) 30 Tage herabsetzte, obwohl eine vom Kaiser bestätigte Verordnung bestand mit einer höheren Frist. Erst als der Verwaltungsgerichtshof in Kraft trat 139 , hob er die Giskra-Verfügung auf. Ebenso erzählt man sich: Einer der Hofräte Giskras schlug ihm einmal eine offenbar unzweckmäßige oder ungerechte Entscheidung vor, und als Giskra auf das Unsinnige hinwies, da meinte der Hofrat, es sei leider nichts anderes möglich, da ein altes Hofdekret vom Soundsovielten vorliege, das diese Entscheidung notwendig mache. Darauf sagte Giskra mit eiserner Stimme: Aber Sie vergessen, Herr Hofrat, an [sie!] das Hofdekret vom Soundsovielten, in dem eine andere Anordnung getroffen ist. Dieses Zitat war ganz willkürlich und erfunden. Giskra, so meinte Schenk, müsse doch ein stärkerer Kopf gewesen sein als Herbst. Schon dessen Kommentar zum Strafgesetz beweise140, daß er kein Kopf gewesen sei. Die Gesetze von 1868 ff. seien stilistisch viel schlechter als die unter Bach, das bemerke man beim Judizieren. Das Gesetz über den Verwaltungsgerichtshof (Lemayer und Unger hatten es gearbeitet) sei gut. Dagegen die Staatsgrundgesetze eine große Verlegenheit für die Richter. Sie enthalten nichts als Phrasen. Ich sagte zu Schenk, Koerber denke daran, an Stelle Spens-Bodens und Giovanellis bessere Justizminister und Ackerbauminister zu setzen; man habe an Schenk gedacht, aber eingewendet, daß er mit dem Polenklub so schlecht stehe. Darauf erzählt mir Schenk: Als Koerber sein Kabinett bildete, da fragte er Lemayer nach geeigneten Persönlicheiten. Dieser empfahl Schenk zum Finanz- und Giovanelli zum Ackerbauminister. Denn Lemayer wollte Böhm für den Verwaltungsgerichtshof erhalten 141 . Dies sagte Lemayer selbst zu Schenk. Daraufsagte Schenk, er habe Lemayer gleich erklärt, er könne die Finanzen nicht übernehmen, da er von ihnen zu wenig verstehe. Auch nahm Koerber tatsächlich Böhm. Schenk habe, noch bevor er Lemayers Vorschlag kannte, Böhm abgeraten, Minister zu werden, Osterreich gehe ja doch wieder einem Defizit entgegen. Böhm aber habe, als sein Eintritt schon feststand, zu Schenk gesagt, ob er es denn nicht durch seine Verbindungen möglich machen könne, polnischer Landsmannminister zu werden. Darauf erwiderte ihm Schenk: Sein Name sei für die Polen ein rotes Tuch. Ich sehe, so fuhr Schenk fort, in Galizien meine Heimat, und es gehört zu meinen Lebensgewohnheiten, daß ich mit meiner Frau polnisch spreche, auch meine Kinder können es. Ich war auch stets mit den Mitgliedern des Polenklubs gut, aber der Gegen139
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141
Das Gesetz über die Errichtung des Verwaltungsgerichtshofes erhielt am 22. 10. 1875 die kaiserliche Sanktion. Eduard Herbst, Handbuch des allgemeinen österreichischen Strafrechtes. 2 Bde. (Wien 1855). Freiherr Karl von Lemayer war Vizepräsident, Eugen Böhm-Bawerk, Finanzminister im Kabinett Koerber, Senatspräsident des Verwaltungsgerichtshofes.
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Freiherr Alois Lexa von Aehrenthal und Emil Jettel von Ettenach
satz trat ein, seitdem ich Richter bin und oft gegen die polnische Verwaltung in Galizien referieren und urteilen muß. Nie aber werde ich ungerecht urteilen, um mir den Weg ins Ministerium zu bahnen. Vielleicht kommt doch einmal ein mutigerer Ministerpräsident, der die Courage besitzt, mich zum Justizminister zu machen. Ich kann es erwarten. Und wenn nicht, so werde ich eben als Senatspräsident meine Laufbahn abschließen. Giskra und Herbst. Lemayer hatte Schenk erzählt: Als 1873 die Gehälter reguliert wurden, waren Giskra und Herbst im Ausschusse142. Es wurde ein Antrag gestellt, daß die Quinquennalzulagen erst eintreten sollten, wenn der Beamte auch in seiner höheren Stellung eine gewisse Zeit gedient hatte. Giskra wollte, da sein Schwiegersohn Lemayer Beamter war, sich der Abstimmung enthalten. Da bemerkte er, daß wahrscheinlich der Präsident (Herbst) werde dirimieren müssen. Da nahm er seinen Sitz wieder ein, denn, so sagte er, Herbst ist ein Neidhammel.
Freiherr Alois Lexa von Aehrenthal, Botschafter in St. Petersburg, und Emil Jettel von Ettenach, Hof- und Ministerialrat im Außenministerium Ende November 1901 К 2, U 4, 499 r-v Das Gespräch mit Aehrenthal ist auch diesmal deshalb anziehend, weil in seinem Kopf alles so wohlgeordnet ist, weil er so logisch anordnet wie stets, mit Sicherheit deduziert. Aber ich finde ihn nicht so offenherzig wie früher. Sei es, weil die Beziehungen sich doch lockern, oder weil er innerlich tief verstimmt ist durch seine Beziehungen zu Goluchowski143. Seine Schilderung des Fürsten Karl Auersperg an anderer Stelle144. Viel anziehender sind die Äußerungen Jetteis über Aehrenthal. Aehrenthal war sehr unzufrieden damit, daß im Herbst eine kleine Preßkampagne seitens des auswärtigen Amtes gegen Rußland inszeniert wurde. Aber er ging noch weiter. Als Jettel ihn aufmerksam machte, daß Goluchowski seitens der Pforte Konzessionen errungen hatte (gleichzeitig mit der Besetzung Mytilenes durch die Franzosen145), die sich auf Schul- und Kirchenbauten in 142
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Die Gesetze zur Neuregelung der Bezüge der Staatsbeamten erhielten am 15. 4. 1873 die kaiserliche Sanktion. Sie erforderten einen jährlichen Mehrbedarf von 5 Mill. Gulden. Zum Konflikt Goluchowski - Aehrenthal über die Haltung der Monarchie zu Rußland und dem Balkan sowie die Stellung des Außenministers im Gefüge der Doppelmonarchie vgl. die resp. Dokumente in Aus dem Nachlaß Aehrenthal. Vgl. S. 409 f. Im November 1901 besetzte eine französische Marineexpedition die Insel Mytilene (Lesbos), um Druck auf die Pforte zur Regelung finanzieller und wirtschaftlicher Probleme auszuüben.
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Albanien bezogen, so sagte [er], alles dies seien fehlerhafte Züge. Denn wir konkurrieren dabei mit Rußland und müssen naturgemäß den kürzeren ziehen. Viel klüger wäre es, wenn wir uns mit Rußland verständigten, dabei würden wir mehr erreichen. Nun hatte Aehrenthal mir schon früher (ich glaube 1900) gesagt, daß er die Fortsetzung der bosnischen Bahn nach Mitrovica für eine geringfügige Sache halte.3 Denn wir würden uns im Falle eines Konfliktes mit Serbien und Montenegro nicht in die Mitte zwischen beiden Staaten aufstellen, sondern doch auf Belgrad losmarschieren müssen. Aehrenthal ist also ganz gegen jede „Kleinarbeit" auf der Balkanhalbinsel, sondern wirkt und arbeitet nur auf eine Verständigung mit Rußland hin. Ich muß sagen, daß mich diese einseitige Richtung seiner Gedanken doch beunruhigt. Ich fange an zu begreifen, ja eigentlich selbstverständlich zu finden, daß man in Berlin solches Mißtrauen gegen ihn hegt. Nicht etwa daß ich vermeinte, er werde die Allianz mit Deutschland lösen wollen. Aber er würde uns, wenn er Minister des Äußern würde, in ein so freundliches Verhältnis zu Rußland bringen wollen, daß man sich naturgemäß in Berlin unangenehm berührt fühlen würde. Ubereinstimmend damit hatte mir schon Graf Stürgkh gesagt, daß es bei der Besetzung des Ministeriums des Äußern künftig darauf ankommen werde, ob der Kaiser mehr das Zusammengehen mit Rußland wünschen würde. Dann, aber auch nur dann, würde Aehrenthal gewählt werden. Ich sehe aus alldem, daß Bülow und Lichnowsky immerhin Gründe hätten, um das Aufsteigen Aehrenthals mit Unbehagen zu bemerken. Übrigens teilt mir Jettel mit, daß der Rücktritt Doczis bevorsteht. Er wird nach seinem Urlaub nicht mehr zurückkehren146. Die Ursache liege ausschließlich in seinem Verhältnis zu seiner hysterischen Frau. Wenn es auch zu einer Scheidung zu [sie!] ihr kommen sollte, wie Doczi wünscht, so könnten Unannehmlichkeiten erwachsen, die Doczi dem auswärtigen Amt ersparen will147. Er kann es auf eine solche Belastungsprobe der Neigung Goluchowskis nicht ankommen lassen. Ist er doch schon von seiner ersten Frau geschieden148. Die Antisemiten würden ihn heftig angreifen, wer weiß, ob ihn dann Goluchowski halten würde. So scheidet er lieber. Er gedenkt literarisch tätig zu sein. Für Zeitungen - nicht für eine gerade. Auch denkt er daran, für den Reichstag zu kandidieren.
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Ludwig Doczi schied tatsächlich Ende 1901 aus dem Staatsdienst aus. Ludwig Doczi war seit 1893 in zweiter Ehe mit seiner Cousine Paula Dassl-Rosenberg verheiratet. Vgl. zu ihrer Geisteskrankheit und Unterbringung in einem Sanatorium den Briefwechsel Doczis mit Henriette (Pollak von) Klarwill in HHStA, Nachlaß DocziKlarwill. Ludwig Doczi war in erster Ehe mit Helene, geb. Mayer von Gunthof, verheiratet, die 1896 den nachmaligen Ministerpräsidenten Max Vladimir von Beck ehelichte. In den erhaltenen Aufzeichnungen findet sich dazu kein Hinweis.
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Heinrich von Halban, Kanzleidirektor des Abgeordnetenhauses i. P.
Heinrich von Halban
2. Dezember 1901 К 2, U 3, 460 ν - 461 ν
Er sprach mit Koerber und hatte den Eindruck, daß erste Beratungen über eine Art Staatsstreich schweben. Dieser hauptsächlich zu dem Zweck, damit die Wehrforderungen im Kriegsbudget durchgehen. Bei den Beratungen über [das] Kriegsbudget sagte [der] Kaiser zu Koerber, wie dieser erzählt: Lassen Sie sich nicht von den Ungarn ausspielen! Der Kaiser wollte ihn damit abhalten, den Ungarn die Mühe abzunehmen, die Forderungen abzuwehren. Koerber scheint zu einem außerordentlichen Schritt bereit; doch beteuerte er in den stärksten Ausdrücken, daß er den ungarischen Ausgleich nie (etwa wie Thun - Kaizl) mit § 14 machen werde149. Halban sprach mit Bacquehem über das Schicksal der Interpellationsbeantwortung 1889150. Bacquehem erzählte: Die Minister besprachen die von Taaffe - Erb verfaßte Antwort, und Welsersheimb, Bacquehem (auch Gautsch) erhoben Bedenken. Das Protokoll der Beratungen wurde von Welsersheimb dem Grafen Kalnoky mitgeteilt, weil auch Welsersheimb die Konsequenzen fürchtete. Offenbar erhob jetzt Welsersheimb den Einspruch, von dem mir Aehrenthal erzählte.3 Darauf sagte der Kaiser zu Welsersheimb, die Sache werde in einem Ministerrat unter seinem Vorsitze zur Sprache kommen; Welsersheimb möge Bacquehem sagen, er solle nur ohne Rückhalt alle Gründe entwickeln, welche gegen die Interpellationsbeantwortung sprechen. Das ganze zur Charakteristik der Stellung des Kaisers zu seinen Ministern sehr merkwürdig. Er bestellt sich förmlich eine Opposition gegen seinen Ministerpräsidenten, um dann gegen ihn entscheiden zu können. Halban erzählt von Bilinski eine eigentümliche Geschichte nach, die Bilinski öfters und mit Nachdruck erzählte: Zur Zeit der Obstruktion der Deutschen gegen Badeni wurde die Frage erwogen, ob nicht ein Staatsstreich zu machen sei. Bilinski war dagegen, entwickelte dem Kaiser die Gründe und fügte dann hinzu, ob er mit voller Offenheit das Hauptargument sagen dürfe. Der Kaiser willigte ein, und Bilinski sagte: Es wäre zu bedenken, daß der Kaiser wohl, wenn ein Staatsstreich beschlossen würde, nicht bis zu den äußersten Konsequenzen mitgehen würde. Darauf habe der 149
150
a
Der mit 31. 12. 1897 auslaufende wirtschaftliche Ausgleich wurde in Österreich erstmals mit einer Notverordnung vom 30. 12. 1897 für ein Jahr verlängert. Auch das Ministerium Thun griff zu diesem Mittel, nachdem eine parlamentarische Verabschiedung nicht gelang (vgl. Reichsgesetzblatt Nr. 87 und 88 vom 30. 12. 1898). Mit Verordnung vom 21. 9. 1899 wurde der Ausgleich provisorisch bis Ende 1907 verlängert und gleichzeitig als Datum für neue Verhandlungen spätestens 1901 festgelegt. Vgl. zur Interpellation Ernst von Pleners zum böhmischen Staatsrecht am 3. 12. 1889 und ihre Beantwortung durch Ministerpräsident Graf Eduard Taaffe S. 395 Anm. 83. In den erhaltenen Aufzeichnungen findet sich dazu kein Hinweis.
8. Dezember 1901
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Kaiser gesagt: Da mögen Sie recht haben. Diese Geschichte trägt den Stempel der Erfindung durch Bilinski an sich. Ich sagte das auch Halban. Dieser versichert mir, daß Bilinski ihm das unter dem unmittelbaren Eindruck der Ereignisse erzählt habe. Als ich (Friedjung) Baernreither die Geschichte später erzählte, sagte er mir, daß die Sache höchst unwahrscheinlich, ganz unglaublich sei, sowohl die Bemerkung Bilinskis wie die Antwort des Kaisers. Als die Taaffesche Wahlreform an der Opposition des Hauses scheiterte151, war der Kaiser bereit, die Genehmigung zu einem Oktroi zu geben. Es lag an Taaffe, die Sache durchzuführen. Dieser aber scheute davor zurück, aber eigentlich nur, weil er schon damals schwer krank war. Wäre er zehn Jahre jünger gewesen, so hätte er sich vielleicht dazu entschlossen. Er wand sich aber damals schon unter Schmerzen. Halban hatte den Kaiser schwer angeklagt, weil dieser Badeni fallengelassen habe152. Er fühlt sich aber, wie er mir sagte, in seinem Gewissen verpflichtet, auch all das anzuführen, was den Kaiser entlastet. Es sei zu bedenken, daß, als er Ende November 1897 von Wallsee auf die Kunde der Unruhen in Wien zurückkehrte, Badeni ihm als gebrochener Mann entgegentrat. Hätte er kraftvoll die Zügel geführt, so hätte der Kaiser ihn wohl gehalten. Allein er sagte selbst: „Ich bin das Hindernis." Er selbst wies auf die Frage nach seinen Nachfolgern auf Welsersheimb oder Gautsch hin. Da war es selbstverständlich, daß der Kaiser nicht mehr daran dachte, sich seiner als Stütze zu bedienen.
Gustav Steinbach, Redakteur der Neuen Freien Presse
8. Dezember 1901 К 2, U 4, 491 ν
Er macht einige gute Bemerkungen über das Verhältnis Doczis zu Andrässy. Andrässy war nicht der Mann, um etwas ruhig für sich durchzudenken. Er bedurfte hierzu der Konversation eines Mannes, der ihn rasch verstand und ihn wieder anregte. Solch eine Persönlichkeit war Doczi. Im Gespräche mit ihm konnte er „laut denken". Doczi faßt merkwürdig rasch auf. Andrässy aber drückte sich oft aphoristisch aus, er war kein Redner. Die Hofräte hörten diese Genieblitze mit offenem Munde an, sie verstanden ihn nicht. Dazu eines: Er konnte im Gespräche mit Doczi „ungarisch denken". Der letzte Ausdruck sehr bemerkenswert und treffend. 151 152
Vgl. zum Wahlrechtsentwurf der Regierung Taaffe vom Oktober 1893 S. 351 Anm. 58. Ministerpräsident Graf Kasimir Badeni war am 27. 11. 1897 entlassen worden, nachdem der Wiener Bürgermeister Karl Lueger erklärt hatte, für die Ruhe der Stadt nicht mehr garantieren zu können.
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Freiherr Johann von Chlumecky, Mitglied des Herrenhauses
Freiherr Johann von Chlumecky
9. Dezember 1901 К 2, U 1, 32 r - 35 r
Auf meine Frage nach dem Temperament und Charakter des Kaisers, und ob er zu leidenschaftlichen Ausbrüchen des Temperaments neige, meinte Chlumecky: Eher nein! Aber mitunter bricht wohl auch Heftigkeit hervor. Dies erlebte Chlumecky während der Kaiserreise nach Dalmatien. Der Kaiser war in Ragusa, die herzegowinischen Bischöfe waren damals anwesend und beim Diner, als die Nachricht kam, Don Alfonso und seine Gemahlin seien in Graz insultiert worden153. Der erste, der Kunde bekam, war Beck in der Militärkanzlei durch den Grazer kommandierenden General Kuhn. Spitzig sagte er zu Chlumecky, die Regierung scheine nichts zu tun und alles dem Militär zu überlassen. Überhaupt hängte Beck dem Ministerium und der liberalen Partei gerne ein „Klampfl" an. So informierte er offenbar auch den Kaiser. Denn beim Empfange machte der Kaiser dem Minister Chlumecky eine große Szene fast vor allen Anwesenden. „Er putzte mich wie einen Schulknaben herunter." Es sei eine Schande, daß eine Dame, der er Gastfreundschaft in Osterreich gewähre, auf der Straße beleidigt werden konnte, eine Schande für die Regierung! Diese habe sich schwächlich benommen. Wenn nicht das Militär eingeschritten wäre, so hätte die Demonstration den unangenehmsten Charakter angenommen. Chlumecky mußte das über sich ergehen lassen. Doch hatte er gleich nach dem Gespräche mit Beck nach Wien telegraphiert, wie die Sache am Hoflager aufgefaßt werde. Der Kaiser und sein Gefolge ritten hierauf zum Rektorenpalast in Ragusa hinauf. Chlumecky hielt sich wie natürlich abseits vom Kaiser. Unterdessen aber kam auch ein Telegramm von Wien, in dem dem Kaiser Bericht über die Maßregeln der Regierung erstattet wurde. Am Abend war der Kaiser schon beschwichtigt. Er sprach Chlumecky vor den Anwesenden gnädig an, sagte, daß die Regierung bereits das Notwendige verfügt habe, und bat mich, ohne dies ausdrücklich zu sagen, Chlumecky [sie!] fast um Entschuldigung. Ein ähnliches Erlebnis hatte auch einmal Unger, wie er Chlumecky erzählte. Bei irgendeiner Chlumecky nicht mehr erinnerlichen Veranlassung fuhr der Kaiser auf und sagte Unger ein beinahe beleidigendes Wort. Unger erwiderte nichts. Am Tage darauf wandte sich der Kaiser zu ihm und sagte, er habe sich am vorigen Tage hinreißen lassen, aber er sehe ein, daß er Unger keinen Vorwurf zu machen habe. Wir besprachen eingehend die Einsetzung des Kabinetts Hohenwart. 153
In Graz kam es während der Anwesenheit des spanischen Infanten Don Alfonso und seiner Gattin vom 27. bis 29. 4. 1875 zu Ausschreitungen. Freiherr Johann von Chlumecky hatte als Ackerbauminister den Kaiser auf dessen erster Dalmatienreise begleitet.
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Chlumecky war wenig orientiert; das einzige, was er wußte, war, daß die Verhandlungen und Ernennungen der Minister durch Staatsrat Braun gingen. Chlumecky gab meiner Darlegung, daß der Kaiser durch die Siege Preußens in Frankreich von der Befürchtung erfaßt war, nun würden die Deutschen Österreichs den Anschluß an Deutschland wünschen, vollkommen recht. Das sei offenbar der psychologische Grund gewesen. Aber, so fügte er hinzu, es kam etwas anderes hinzu. Man überschätzte nicht nur die Wirkung auf die Deutschen Österreichs, auch traute [man] nicht bloß ihnen eine unzuverlässige Gesinnung zu, sondern man überschätzte auch die Annexionswünsche König Wilhelms und Bismarcks. Der Kaiser hatte offenbar den Eindruck, das nächste Ziel der Wünsche der Hohenzollern sei Cisleithanien. Und hier, so besann sich Chlumecky, als ich ihn fragte, ob denn Braun slawisch-föderal gewesen sei, würde sich auch das Eingreifen Brauns erklären. Denn er war ein „alter Frankfurter". Er war also vollgesogen mit der Abneigung gegen Preußen, mit dem Mißtrauen gegen Bismarck. Und im Grunde hatte man ja bei der Einsetzung Hohenwarts nicht die Absicht, so weit zu gehen, wie [es] die Verfasser der Fundamentalartikel für gut hielten154. Man wurde ja weiter gedrängt als man wollte. Daß Taaffe nicht in dieses Ministerium trat, mag sich damit erklären, daß der Kaiser ihn in der Reserve behalten wollte, falls der Versuch mißglücke. Er solle sich nicht abnützen. Auf meine Frage: Ja, Taaffe war gewiß ein zentralistischer Beamter, und schwerlich war der Ubergang zum Föderalismus nach seinem Wunsch. Ich: Indessen hätte Taaffe sich nötigenfalls auch zum Föderalismus bekehrt, wenn dieses System Sieger geblieben wäre. Auf meine Frage: Ja, Erzherzogin Sophie stand offenkundig auf Seite Hohenwarts. Sie zeigte das deutlich. Dagegen war Kaiserin Elisabeth für das Ministerium Auersperg - Lasser eingenommen, und sie zeigte das deutlich. So erschien sie (das einzige Mal im Leben) bei der Thronrede von 1871, was allgemein bemerkt wurde. Allerdings wüßte ich nicht, daß die Kaiserin sich damals etwa für eine bestimmte Maßregel interessiert oder gar eingesetzt hätte. Aber sie übte dadurch Einfluß, daß sie die klerikalen Einflüsse bei Hofe eindämmte und sie vom Kaiser nach Möglichkeit fernehielt. Darin war sie doch eine wichtige Bundesgenossin. Sie war überhaupt eine viel bedeutendere Frau, als man gewöhnlich glaubt. Wirklichen politischen Einfluß übte sie wohl nur, als sie die Versöhnung mit Ungarn durchsetzen half. Hier setzte sie sich voll und ganz ein. Sie stand der Wiener aristokratischen Ge154
Die im September 1871 dem böhmischen Landtag vorgelegten Fundamentalartikel sahen eine weitgehende Autonomie Böhmens vor. Wegen des Widerstandes der gemeinsamen Minister, des ungarischen Ministerpräsidenten Graf Gyula Andrässy und des österreichischen Finanzministers Ludwig von Holzgethan mußten sie von der Regierung Hohenwart jedoch zurückgenommen werden. Sie demissionierte darauf am 27.10. 1871.
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sellschaft sehr kühl, selbst gegnerisch gegenüber. Als sie nach Wien kam, fanden diese Kreise, der Kaiser habe eigentlich eine Mesalliance geschlossen, sie rechneten ihr jeden kleinen Etiquettefehler übel an, sie verfolgten sie mit Nadelstichen. Erzherzogin Sophie hatte gewiß ihren Teil an diesen Mißhelligkeiten. Da zog sich denn die Kaiserin mimosenhaft in sich zurück. Sie fühlte sich von der Wiener Gesellschaft abgestoßen. Als sie dann von den Ungarn enthusiastisch aufgenommen wurde, fühlte sie sich bei ihnen ganz anders zu Hause. Bei der Besprechung der Ministerien Hasner - Giskra und Hohenwart stellte ich die Frage, ob der Kaiser sich mehr durch die allgemeinen Verhältnisse bestimmen lasse oder durch persönliche Antipathien, ob also mehr der Schrecken vor der deutschen Macht oder die Abneigung gegen die Liberalen (Herbst, Giskra) zum Ministerium Hohenwart geführt habe; darauf Chlumecky: Im allgemeinen wird man den großen Verhältnissen, wie sie sich dem Kaiser darstellen, den entscheidenden Einfluß beimessen müssen. Aber die persönlichen Eindrücke wirken doch stark auf ihn. Wenn er von einer Person einen ungünstigen Eindruck besitzt, daß sie nicht zuverlässig oder anhänglich sei, so ist es sehr schwer, ihn davon abzubringen. Übrigens spielen Personen für ihn in gewissem Sinne gar keine Rolle. Wenn er einen Minister entlassen will, dann kümmert er sich wenig um adas lang währende8 Verhältnis zu ihm. Es heißt dann Apage! Man kann nicht sagen, daß der Kaiser klerikal ist. Ich sehe davon ab, was mir erst durch Ihre (Friedjungs) Mitteilungen bekannt ist, daß er 1870 aus Staatsraison den Papst preisgeben wollte155. Auch bei den Verhandlungen über die kirchenpolitischen Gesetze von 1875156 sagten wir Minister uns oft: Nein, klerikal ist der Kaiser nicht. Er sieht in der Kirche ganz wie Kaiser Franz eigentlich eine gute Polizeianstalt, die die Gemüter in dynastischen Gesinnungen, im staatlichen Gehorsam erhält. Die kirchenpolitischen Gesetze von 1875 wurden ebenso wie die direkten Wahlen157 so gemacht, daß der Kaiser an ihnen mitarbeitete. Der erste Entwurf wurde von einem Ministerkomitee geprüft, in dem Lasser, Glaser, Unger und Stremayr saßen. Dann übernahm Stremayr die erste Lesung mit dem Kaiser allein. Hier 155
Anfang Juli 1870 hatte die Wiener Regierung in Paris angeregt, daß die französischen Truppen Rom räumen sollten, um eine Allianz zwischen Österreich-Ungarn, Frankreich und Italien gegen Preußen zustande zu bringen. Dieser Vorschlag wurde von Napoleon III. zurückgewiesen. 156 Vgl. zu den vier am 21. 1. 1874, nicht 1875, eingebrachten Kirchengesetzentwürfen S. 359 Anm. 81. 157 Der Gesetzesentwurf über die direkten Reichsratswahlen wurde von der Regierung Adolf Auersperg am 15. 2.1873 im Abgeordnetenhaus gemeinsam mit einem Antrag zur Erhöhung der Mandatszahl eingebracht. Beide Gesetze wurden mit der nötigen Zweidrittelmehrheit angenommen und erhielten am 2. 4. 1873 die kaiserliche Sanktion. a " korrigiert von sein persönliches.
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nahm Stremayr die Wünsche des Monarchen entgegen. Er wußte ihm mit großer Gewandtheit vieles plausibel zu machen. Der Kaiser stellte hierauf das Verlangen, daß den engsten Beratungen des Ministerkomitees, an denen er sich beteiligte, auch Kutschker158 zugezogen werde. Damit hatte man die Gewähr, daß ein Bischof seine Ansicht geltend machen konnte, der ebenso die Stellung der Kirche kannte, wie er anderseits die staatlichen Forderungen erwog. Eine Episode. Als die Dinge in den vollen Ministerrat kamen, erhob auch Chlumecky manche Einwendungen. Er sagte jedoch, daß er nicht darauf bestehe, seine Ansichten in das Protokoll des Ministerrats zu bringen; es genüge ihm, wenn die Kollegen seine Einwürfe erwägen. Aber Lasser sagte, es sei besser, wenn die Dinge protokolliert würden. Der Kaiser würde sonst den Eindruck erhalten, es bestehe eine förmliche Verschwörung und man wolle ihm die Differenzen unter den Ministern vorenthalten. Der Kaiser zeigte durch seine kurzen Bemerkungen zum Protokoll, daß er den Ansichten Chlumeckys größtenteils zustimme. Bei der Besetzung eines Bistums entstand eine Differenz zwischen ihm und Stremayr. Die Minister stimmten Stremayr zu. Da erklärte ihnen der Kaiser in der Beratung, daß er darauf beharren müsse, sein Souveränitätsrecht uneingeschränkt zu üben. Er erinnerte daran, daß die Besetzung der Bistümer seinen Vorfahren als ein Privileg erteilt worden sei, das sie persönlich zu üben das Recht hatten. Mit großer Schärfe legte er dar, wie dieses persönliche Recht des Souveräns nichts zu tun habe mit den konstitutionellen Rechten und Schranken, welche die Verfassung normiere. Das ließen die Minister gelten, aber sie antworteten, daß auf der anderen Seite doch bei der Ernennung die Kontrasignatur des Ministers notwendig sei. Diese aber könne nicht gegeben werden, wenn der Minister in seinem Gewissen verhalten sei, gegen die Ernennung Einspruch zu erheben. Die Sache blieb ruhen, man einigte sich später auf eine dritte Person. Erst jüngst war ein ähnlicher Fall mit der Besetzung des Bistums von Zara. Der Staat und der Papst hatten verschiedene Kandidaten. Anderthalb Jahre hielt die Regierung fest, und der Kaiser billigte dies. Es waren während der Zeit nicht etwa Minister, die imstande waren, sich in dieser untergeordneten Angelegenheit einzusetzen, falls der Kaiser geneigt gewesen wäre, sich der klerikalen Auffassung anzuschließen. Er selbst beharrte auf seinem Rechte. Erst als die Verhältnisse der Diözese unleidlich wurden, einigten sich Kirche - Staat auf einen dritten Kandidaten159. 158
159
Johann Rudolf Kutschker, von 1857 bis 1876 Ministerialrat im Unterrichtsministerium, war seit 1862 Wiener Generalvikar und Titularbischof von Carrhe. Anstelle des im Oktober 1899 verstorbenen Grigor Rajcevic brachte die österreichische Regierung den Bischof von Sebenico (Sibenik) Matija Zannoni in Vorschlag, der jedoch von der Kurie abgelehnt wurde. Im März 1901 einigte man sich auf den bisherigen Domherrn Matija Dvornik als neuen Erzbischof von Zara (Zadar).
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Benjamin v o n Kailay
Während des Ministeriums Auersperg - Pretis bestand ohne Zweifel eine Verbindung des Kaisers mit Taaffe160. Lasser, ja selbst Andrässy, sahen es höchst ungern, wenn Taaffe nach Wien kam oder wenn der Kaiser nach Innsbruck reiste. Es ist richtig, sagte Chlumecky auf meine Bemerkung, daß wohl Taaffe, Braun und Beck diejenigen Männer waren, mit denen sich der Kaiser am offenherzigsten aussprach. Übrigens kann man nicht sagen, daß der Kaiser eigentlich das Bedürfnis dazu hat, sich häufig auszusprechen. Es ist wohl möglich, daß Beck bei der Entlassung Andrässys die Rolle spielte (von der ich Chlumecky erzählte), daß er den militärischen Standpunkt gegenüber Andrässy mit Schärfe vertrat. Er war auch mir und der liberalen Partei nicht gerade hold und hat gewiß die Erbitterung des Kaisers gegen die „militärfeindliche" Verfassungspartei mitgenährt. Er ist nicht etwa slawisch gesinnt, im Gegenteil. Übrigens, so sagte Chlumecky, bin ich mir bis heute über die eigentliche Ursache des Rücktritts Andrässys vollständig unklar. Mit steigender Erbitterung verfolgte der Kaiser die Opposition Herbsts und seiner Partei gegen die Okkupation161. Herbst wählte Mittel, welche einen persönlichen Stachel hatten; er erzwang durch den Formalismus, in dem er Meister war, abwechselnd Sitzungen der Delegationen und des Parlaments. Als in Ofen [eine] Ministerkonferenz abgehalten wurde, in der erwogen wurde, ob man den formalistischen Bedenken Rechnung tragen und das Parlament berufen solle, da ergoß sich der leidenschaftliche Groll des Kaisers zu dem Ausruf: Es sei unerträglich, was sich die Verfassungspartei herausnehme. Aber, so sagte er, die Vergeltung werde kommen. „Und der Tag der Rache an dieser Partei wird süß sein!" Chlumecky war nicht bei dieser Ministerkonferenz anwesend, aber seine Kollegen erzählten es ihm.
Benjamin von Källay, gemeinsamer Finanzminister
10. Dezember 1901 U 4, 490 r - 491 ν
Es war im April 1866. Der Krieg war erst sehr ferne in Sicht. Die Erfüllung der ungarischen Forderungen schien ausgeschlossen. Damals sprachen Källay und Beöthy mit Deäk im Nationalcasino. Die beiden jungen Leute, denen Deäk sehr gütig gesinnt war, meinten damals, es wäre doch vielleicht notwendig, auf die 1848er Gesetze zu verzichten und im Ausgleich größere Konzessionen zu machen. Da wurde Deäk unwillig und schalt die jungen Leute, die keine Zähigkeit besäßen. Der Ausgleich war die direkte Folge des Krieges von 1866. Eine 160 161
Graf Eduard Taaffe war von 1871 bis 1879 Statthalter in Tirol. Der Widerstand eines Großteils der Verfassungspartei gegen die Okkupation Bosniens und der Herzegowina bildete den Hauptgrund des Zerfalls der Partei 1879.
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tiefe Erschütterung ging durch Österreich. Man war betroffen und wollte um jeden Preis wenigstens mit einem Faktor, mit Ungarn, Frieden machen. Källay gehörte zur konservativen Partei. Er folgte der Führung Sennyeys, der gar kein Freund Andrässys war. Aber Källay bedang sich aus, daß er nicht verpflichtet sei, Andrässy Opposition zu machen, den er schätzte und der ihn mit Vertrauen behandelte. Schon im Jahre 1867 machte Andrässy ihm einen doppelten Vorschlag. Er möge entweder zwei Jahre in [den] Orient reisen und ihm Bericht erstatten oder aber Generalkonsul in Belgrad werden. Källay erklärte, daß ihm das erstere lieber sei, weil ihn dies mehr interessiere, und weil er seine Unabhängigkeit bewahren könne. Andrässy sagte aber gleich, er würde es vorziehen, wenn er seine Ernennung durchsetzen könnte, was er freilich noch nicht wüßte. Källay informierte sich über die Verhältnisse, reiste auch nach Serbien und wurde 1868 zum Generalkonsul ernannt. Er blieb es bis 1875. Er erhielt sowohl von Beust wie von Andrässy Instruktionen. Diese widersprachen sich. Andrässy faßte gleich damals die Erwerbung Bosniens ins Auge und verlangte von Källay, er solle in diesem Sinne auch auf Beust wirken. Källay war von der Richtigkeit des Gedankens überzeugt und schrieb an Beust Berichte, in denen er die Erwerbung vertrat. Beust antwortete höflich, aber ablehnend. Es unterliegt keinem Zweifel, daß Andrässy es war, der diesen Gedanken zuerst konsequent vertrat und alles dazu vorbereitete. Gewiß war schon früher davon die Rede, von den Zügen des Prinzen Eugen und Laudons abgesehen. Aber das waren nur flüchtige Absichten. Urheber des Gedankens war Andrässy. Es ist nun richtig, daß Andrässy vielfach andere Wege ging als die offizielle Politik. Aber Källay glaubt nicht, daß er die Unzufriedenheit des Kaisers erregte. Und nun entwickelt mir Källay eine absonderliche Theorie von der Regierungsart des Kaisers, in der nun allerdings manches Korn Wahrheit steckt. Die Persönlichkeit des Kaisers ist derart, daß nur durch sie und durch keine andere es möglich war, daß das Reich in den letzten 50 Jahren erhalten wurde. Wilhelm II. zum Beispiel ist ein genialer Monarch, aber seine Persönlichkeit würde binnen weniger Jahre den Zerfall Österreichs zuwege bringen. Es liegt nämlich in der Natur Kaiser Franz Josephs ein hohes und starkes Souveränitätsgefühl, daneben aber die Gabe, die Gründe abzuwägen und sich von seinen verschiedenen Ratgebern die verschiedenen Gründe vortragen zu lassen, aufgrund deren er sich entscheide. Diese Gründe dürfen ihm nicht als Theorien vorgetragen werden, sondern aus der Sache heraus, raisonabel, wie das praktische Bedürfnis es erfordere. Solchen Beweisführungen ist der Kaiser immer zugänglich. Solche Regierungsweise sei unumgänglich notwendig in einem Staate, in dem es drei Ministerien gibt. Es sei wohltätig, wenn der Kaiser selbst nicht zuviel anrege und entscheide. So konnte es wohl vorkommen, daß Beust und Andrässy verschiedene Wege gingen, ohne daß der Kaiser Andrässy zürnte.
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Benjamin v o n Kailay
Über die Stellung Andrässys während [des] Juli, August 1870 spricht er sich sehr reserviert aus. Er sagt, daß Andrässy damals eine Schwenkung vollzogen habe, mehr könne und dürfe er nicht sagen. Er selbst wisse genau, wie es sich damals verhielt. Denn damals, wenn ich (Friedjung) nicht irre, [im] Juli 1870, erhielt Kailay selbst von Andrässy genaue Instruktionen. Hierauf berichtete ich, was Szilägyi mir über diesen Punkt gesagt hatte162, besonders den Punkt, daß Szilägyi den Grafen Andrässy für fähig hielt, die Schwenkung zum Bund mit Frankreich zu machen, falls sein Widerstand erfolglos sei. Källay schien dies zu bestätigen, fügte jedoch hinzu, im entscheidenden Augenblicke habe sich Andrässy doch eines Besseren besonnen. Die ganze Geschichte macht mir den Eindruck, daß Källay die Andrässylegende nicht zerstören will. Offenbar gab es einen Augenblick, in dem sich Andrässy für den Bund mit Frankreich einfangen ließ. Übrigens glaubt Källay nicht, daß schon der Ausgleich mit Ungarn durch den Gedanken eingegeben war, einen Revanchekrieg gegen Preußen vorzubereiten. Das kam erst später. Källay spricht davon wie ein Eingeweihter. Eine Episode. In Belgrad war Dr. Rosen preußischer Konsul. Einmal, gesprächsweise, sagte Källay zu ihm, es werde sich für Preußen-Deutschland einmal doch der Wunsch oder der Zwang ergeben, auf Cisleithanien seine Hand zu legen. Rosen stellte dies in Abrede. Acht Tage später brachte er ihm ein Telegramm Bismarcks: Sagen Sie Ihrem österreichischen Kollegen, daß Preußen absolut keine Absichten hat etc. Uber Andrässy. Andrässy war ein Mann von genialer Anlage. Er war glänzend in der Diskussion, ein Charmeur, der jeden gewann; kein Redner, denn er stotterte, aber er wußte im Gespräche die Argumente so glänzend zu disponieren, daß er hinriß und gewann. Aber er war nicht zähe und besaß nicht Bildung, um seine genialen Pläne tiefer auszugestalten. aKällay sprach von den lucurs seines Geistes, Genies, was weniger als Blitz ist, aber sehr bezeichnend.3 Wenn es nicht ging, so ließ er seinen Plan bald fallen. Vielleicht der stärkste Beweis hierfür war wohl sein Verhalten am Berliner Kongreß. Bismarck wie Disraeli waren für die Annexion Bosniens durch Osterreich, aber Mehmed Ali erklärte, er könne unter keiner Bedingung zustimmen. Nun hätte Andrässy, um die Türkei zu zwingen, nur einige Wochen nötig gehabt, um seine Absicht durchzusetzen. Ich glaube die Türkei genügend zu kennen, um das zu sagen. Er hätte es selbst auf die Sprengung des Berliner Kongresses ankommen lassen können. So wäre die halbschlächtige Erledigung der Frage verhindert worden. Aber diese Zähigkeit besaß Andrässy nicht. Auf meine Frage: Nein, es ist nicht richtig, daß dieser halbe Erfolg die erste Ursache der Erschütterung der Stellung Andrässys gewesen ist. 162 a_a
Vgl. S. 432 f. Ergänzung.
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Ähnlich hatte Andrässy schon früher geschwankt. Als er schon Minister des Äußern war, aber noch vor 1875, erhielt ich den Auftrag - auch Ristic erzählt davon in seinen Memoiren163 - in geeigneter und unverbindlicher Weise anzufragen, ob Serbien bereit sei, auf eine Teilung Bosniens etwa nach dem Laufe des Vrbas einzugehen. Ich tat dies ungerne, aber ich mußte dem Auftrage gehorchen. Zum Glück lehnte Serbien, das ganz Bosnien wünschte, ab. Ebenso verkannte Andrässy die Bedeutung der Abtretung Bessarabiens an Rußland164. Als ich ihn darauf aufmerksam machte, gab er mir eigentlich recht, aber er meinte, es sei zu spät.
Bela Lederer, Schriftsteller
[Ende 1901] U 3, 440 r - 441 ν; Sekretär 1
Er erzählte mir, daß die Fortsetzung seiner Biographie des Grafen Andrässy165 schon lange beendigt sei und eigentlich herausgegeben werden könnte. Er hat die Papiere des Grafen Andrässy dazu benützt. Da aber diese Papiere Abschriften amtlicher Dokumente sind, so fühlte sich Graf Andrässy junior bemüßigt, den Grafen Goluchowski von der Sache zu verständigen. Die Arbeit Lederers wurde dem auswärtigen Amte zur Prüfung übertragen, ob irgendwelche Veröffentlichung der äußeren Politik schaden könne. Das Referat erhielt Doczi. Er las die Arbeit und erklärte dem Grafen Andrässy, daß, wenn diese Enthüllungen veröffentlicht würden, ein Krieg mit Rußland die Folge sein könnte. Lederer sagt, Doczi übertreibe furchtbar; es seien höchstens kleine Auslassungen nötig, obwohl er selbst bei der Auswahl sehr vorsichtig war. Doczi stellte nun an den Grafen Andrässy die Frage, ob es ihm lieber sei, wenn er das Referat liegen lasse oder wenn er in jenem Sinne an den Grafen Goluchowski referiere. Darauf erwiderte Andrässy, das erstere, und die Arbeit wird nicht veröffentlicht. Lederer spricht aber gegen Doczi den Verdacht aus, daß dieser sich, besonders da er jetzt in Pension gehe166, selbst mit dem Gedanken trage, eine Biographie Andrässys zu schreiben, und deshalb das Visum verweigert habe. Könyi167, der dem Gespräch bei163
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Auf welches der zahlreichen, meist auf französisch erschienenen Memoirenwerke des serbischen Staatsmannes Jovan Ristic verwiesen wird, konnte nicht festgestellt werden. Rußland erhielt am Berliner Kongreß jene Teile Bessarabiens bis zum Donaudelta zugesprochen, die es 1856 im Frieden von Paris verloren hatte. Vgl. Bela Lederer, Grof Andrässy Gyula beszedei (Reden des Grafen Julius Andrässy). 2 Bde. (Budapest 1893). Sektionschef Ludwig Doczi ging mit Jahresende 1901 als Leiter des Literarischen Bureaus des Außenministeriums in Pension. Der ehemalige Leiter des Stenographischen Bureaus des ungarischen Reichstages Mano Könyi gab nicht nur die Reden Ferenc Deaks heraus, sondern veröffentlichte auch mehrere Aufsätze über Graf Gyula Andrässy. Auch Eduard Wertheimer, Graf
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Bela Lederer
wohnte, ist jedoch der Meinung, daß Döczi kaum dazu kommen werde, eine solche umfangreiche Arbeit zu machen. Er habe weder den Fleiß noch den historischen Sinn; höchstens werde er seine eigenen Erinnerungen niederschreiben, was schon längst wünschenswert wäre. Ich sprach mit Lederer und Konyi über das Verhalten Andrässys im Jahre 1870. Ich erwähne, daß mir mitgeteilt wurde, Andrässy habe damals einen Augenblick lang geschwankt, ob er nicht doch in den Krieg gegen Frankreich willigen solle168. Konyi verhält sich zurückhaltend; er bestreitet auch, daß er, wenn der Kaiser auch darauf bestanden hätte, bereit gewesen wäre, den Krieg als Ministerpräsident mitzumachen. Ebenso hält er es für zweifelhaft, ob sich überhaupt eine Mehrheit im Parlament dafür gefunden hätte. Aus dem Briefwechsel Andrässys etc. geht hervor, daß Andrässy, Deäk, Eötvös entschieden gegen den Krieg waren. Sie hielten sich aber noch verhältnismäßig neutral. Die Tiszapartei dagegen war lebhaft für Deutschland eingenommen. Das hängt mit dem starken protestantischen Anhang dieser Partei zusammen. Jokai schrieb so entschieden gegen Frankreich und für Deutschland, daß im Tagebuche Lonyays der Verdacht ausgesprochen ist, Jokai habe von Preußen Geld bekommen. Konyi meint, das sei so unmöglich nicht. Jedenfalls hätte der Krieg gegen Deutschland gegen das Votum Deäks, Andrässys und Tiszas geführt werden müssen. Wer hätte sich dazu hergegeben, eine Regierung zu bilden? Somssich? Er hatte keinen Anhang im Lande, wenn auch zuzugeben ist, daß er franzosenfreundlich war und nach dem Krieg eine Rede in diesem Sinne hielt169. Lederer dagegen hält es nicht für unmöglich, daß eine Regierung in diesem Sinne hätte gebildet werden können. Szilägyi war auf das bestimmteste dieser Meinung; er glaubte sogar, daß Andrässy selbst den Krieg mitgemacht hätte, wenn der Kaiser entschieden darauf bestanden hätte. Ich warf die Frage auf, wieso es komme, daß auch Andrässy 1870 seine Zustimmung zu Rüstungen der Armee gegeben habe; das sei doch auffallend und stimme nicht mit der Absicht der Neutralität [überein]. Lederer hat darüber seinerzeit mit Andrässy senior gesprochen. Andrässy sagte: Bei Beginn des Deutsch-Französischen Krieges war die Gefahr vorhanden, daß der Weltteil in Flammen gerate. Osterreich war ungerüstet und mußte auf alle Eventualitäten gefaßt sein. Daher gab er die Zustimmung zu Rüstungen. Le-
168 169
Julius Andrässy. Sein Leben und seine Zeit. 3 Bde. (Stuttgart 1910-1913) beruft sich mehrmals auf Mitteilungen Konyis. Vgl. S. 430. Wohl die Rede, die Pal Somssich als Präsident des Abgeordnetenhauses am 15. 4. 1872 zur Schließung des Reichstages hielt, und in der er Deutschland wegen des Krieges von 1870 angriff. Für Außenminister Graf Gyula Andrässy war dies besonders peinlich, da sich unter dem anwesenden diplomatischen Korps auch der von ihm persönlich eingeladene deutsche Botschafter befand. Als Konsequenz wurde die bereits vollzogene Ernennung Somssichs zum Geheimen Rat rückgängig gemacht.
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derer erzählt weiter: Einer seiner Freunde war 1870 oder 1871 zu Terebes auf dem Landgute Andrässys bei einer Mahlzeit. Auch ein Bruder Andrässys war anwesend. Dieser hielt bei Tisch eine lebhafte Rede darüber, welch ein großer Fehler es gewesen sei, daß Österreich-Ungarn gestattet habe, Frankreich zu Boden zu schlagen. Man hätte Frankreich zu Hilfe eilen sollen. Andrässy ließ ihn sprechen und hörte geduldig zu. Erst nach der Mahlzeit setzte er die Sachlage auseinander. Es sei für Österreich-Ungarn von größtem Werte, mit Preußen in gutem Einvernehmen zu stehen. Die letzte Gelegenheit der Annäherung sei während des französischen Krieges gewesen. Wäre auch dieser Anlaß versäumt worden, so wäre nie ein gleich guter gekommen. Für Österreich-Ungarn bilde Deutschland die beste Rückendeckung. Er setzte dies so klar auseinander, daß sein Bruder in theatralischer Weise ihn beglückwünschte und ihm versicherte, seine Darlegung habe ihn vollständig überzeugt.
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Мадог Karl Ulrich von Bülow
M^jor Karl Ulrich von Bülow, deutscher Militärattache in Wien
26. Jänner 1902 К 2, U 4, 468 ν
Er ist so nett, klug, offenherzig wie je. Es ist staunenswert, was er mir abends an der Tafel des Banketts zu Ehren Kaiser Wilhelms1 alles sagt. Besonders über Franz Ferdinand spricht er sich offen aus. Er sei nicht etwa bloß von einem politischen Katholizismus erfüllt, sondern geradezu fanatisch katholisch. Seine Ehe habe ihn in dieser Richtung bestärkt. Selbst wenn seine Gemahlin nicht genug katholisch wäre, so müßte sie es aus Politik werden, da sie dadurch am ehesten in Verbindung mit Damen des kaiserlichen Hauses - Maria Theresia, Maria Josepha - treten kann. In militärischen Dingen legt Erzherzog Franz Ferdinand nicht auf das Wert, was den meisten Prinzen wichtig erscheine, auf das Parademäßige. Er zeige dem seine Geringschätzung. Er zeige wenigstens in seinen Äußerungen Interesse für das Feldmäßige. Nach seiner amtlichen Stellung müßten ihm auch alle wichtigen militärischen Erlässe zur Einsicht unterbreitet werden. Aber das gebe ihm keinen Einfluß. Einfluß besitze nur derjenige, der auf die Untergebenen drücken kann. Bülow hatte mit Fürst Ludwig Windischgraetz ein Gespräch über mein Werk über 1866. Windischgraetz meinte, es sei preußisch-liberal seiner Gesinnung nach. Bülow meinte, er finde das nicht, es sei doch österreichischdeutsch.
S [Rudolf Sieghart, Sektionschef im Ministerratspräsidium]
28. Jänner 1902 К 2, U 2, 281 r-v; Sekretär 1
Die Hauptstärke Koerbers ist sein glänzendes Gedächtnis, zu welchem eine Fähigkeit rascher und sicherer Auffassung tritt. Diese Gaben sind ihm um so nützlicher, als er eine selbst für einen österreichischen Beamten geringe Bildung besitzt. Man glaubt, daß er seit seiner Studienzeit nur wenige Bücher gelesen habe. Aber was er sieht und hört, was ihm von seinen Referenten vorgetragen wird, eignet er sich mit erstaunlicher Schnelligkeit und Sicherheit an. Die Fähigkeit, sich in die Materien hineinzuarbeiten, war ihm als Präsidialisten im Ministerium sehr wichtig, und er leistete dadurch seinen Ministern, insbesondere Bacquehem, die größten Dienste. Bacquehem war deshalb immer so wohlvorbereitet, wenn ihm in der Debatte sachliche Einwendungen gemacht wurden, weil Koerber die vorliegenden Fragen nach allen 1
Aus Anlaß des Geburtstages des deutschen Kaisers am 27. Jänner.
vor dem 28. Jänner
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Richtungen hin erwogen und seinem Minister für jeden Fall förmliche Instruktionen ausgearbeitet hatte. Er ist eine gütige Natur, das Verhältnis zu seiner Mutter ist geradezu rührend. Daneben besitzt er ein geschärftes Mißtrauen gegen Menschen. Als geschulter österreichischer Beamter kennt er alle Hauptwege, aber auch alle Nebenwege zur Erreichung seines Zieles. In der Benutzung der letzteren ist er ein Meister. Aber gerade weil er die Hintertreppen kennt und weiß, wie seltsam oft die Dinge gemacht werden, hegt er das Mißtrauen, daß auch andere die Wege kennen und ihm in die Quere kommen. Seine Ministerkollegen hält er eigentlich in strenger Zucht. Er gewährt ihnen nur geringen Einblick in die eigentlichen politischen Geschäfte. So verbindlich er in der Form ist, so wacht er eifersüchtig über seine Autorität. "Seine schön stilisierten Reden bauen sich auf Konzepten auf, die ihm von Sieghart und anderen gemacht werden. Diese anderen scheint Sieghart nicht zu kennen. 8
Emil Jettel von Ettenach, Leiter des Bureaus im Außenministerium
Literarischen [vor dem 28. Jänner 1902] К 2, U 3. 424 г - 426 г
In der Münchner Allgemeinen Zeitung erschien [am] 11. Jänner 1902 ein Brief, aus Petersburg datiert, gegen Aehrenthal 2 . Jettel spricht die wahrscheinliche Vermutung aus, der Brief sei aus Berlin, hochoffiziös. Er teilt mir mit, daß ähnliche Insinuationen auch in der Independance Beige zu lesen waren, mehrfach wurde Aehrenthal als Gegner des Dreibunds hingestellt. In russischen Blättern, ^besonders in den Novosti (wenn ich nicht irre),b wurde Aehrenthal als Gegner Goluchowskis geschildert, möglich, daß auch dies aus Berlin stammt. Jettel zeigte mir einen Brief Aehrenthals, in dem er ihm folgende Mitteilung macht: Aehrenthal habe sich zum Fürsten Obolenski begeben, um sich zu beklagen, daß er in einen Gegensatz zu Goluchowski gebracht werde, und er bevollmächtigt Jettel, diese Tatsache auch dem ersten Sektionschef Lützow mitzuteilen. Dieser Besuch Aehrenthals bei Obolenski (dem auch die Leitung der Presse zusteht) hatte zur Folge, daß ein russisches offiziöses De2
Allgemeine Zeitung, München v. 11. 1. 1902, Morgenblatt 1-2, Antideutsche Einflüsse in der russischen Hauptstadt. Darin eingebunden ist ein angebliches Telegramm des St. Petersburger Korrespondenten der Zeitung, datiert mit 7. 1. 1902. Im Artikel wird Aehrenthal als der „kommende Mann" bezeichnet. Seine Ernennung zum Außenminister würde jedoch nicht nur den Dreibund gefährden, sondern sogar die freundschaftlichen Beziehungen zwischen Wien und Berlin. Siehe dazu Aus dem Nachlaß Aehrenthal Teil 1, 260-266. "" Von Friedjungs Hand. lv b " Ergänzung.
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Emil Jettel von Ettenach
menti jener Ausstreuungen veröffentlicht wurde. Dieses wurde auch im Herold3 abgedruckt. Aehrenthal hat den Angriff in der Münchner Allgemeinen Zeitung nicht ruhig hingehen lassen, sondern den Fehdehandschuh aufgenommen. Offenbar war die Antwort des Herold auf den Petersburger Brief der Allgemeinen Zeitung von Aehrenthal inspiriert. In dieser Antwort bezeichnet der Herold es als Lüge, daß er sich der Beziehungen zu Aehrenthal gebrüstet habe, denn er kenne persönlich Aehrenthal nicht. Der Kern des Artikels ist der gegen Berlin hin gerichtete Vorwurf: Ob man denn durch die Münchner Allgemeine Zeitung den Kaiser von Österreich wissen lassen wolle, daß Freiherr von Aehrenthal nicht Minister des Äußern werden dürfe. Die Schärfe dieser Antwort Aehrenthals ist außerordentlich. Es ist klar, daß er Mut besitzt und sich nicht einschüchtern läßt. Jettel erzählte mir, daß er sich offenbar bei dem deutschen Botschafter in Petersburg über die Angriffe beklagt haben müsse. Denn Bülow hat dem Herrn von Szögyeny erklärt, daß er die Angriffe deutscher Blätter auf Aehrenthal mißbillige. Dazwischen spielt eine kleine Nebensache. Rotheit fragte bei mir namens Bachmann4 an, was denn die Angriffe gegen Aehrenthal bedeuten. Ich gebe ihm telegraphisch und schriftlich sorgfältige Auskunft, was aber Bachmann nicht hindert, einen feindseligen Artikel gegen Aehrenthal zu veröffentlichen5. Offenbar fürchtete Bachmann, daß meine Telegramme in dem Berliner Preßbureau gelesen worden seien, und er will als Österreicher den Schein vermeiden, als ob er in Wien [sie!] österreichische Politik mache. Gerade deshalb beteiligt er sich an den Angriffen gegen Aehrenthal. Jettel sagt mir, es sei ohnedies schon früher gegen die Vossische Zeitung die Anklage erhoben worden, daß sie die Interessen des Auslandes in der Zolltarif-Angelegenheit vertrete. Der Artikel, den ich mit einem einbegleitenden Briefe an Mohr an die Allgemeine Zeitung gesendet hatte, wird nicht abgedruckt. Es geschieht mir das zum ersten Male seit vielleicht sechs bis acht Jahren. Vielleicht wurde mein Artikel zur Prüfung nach Berlin gesendet. Auch erhalte ich keine Auskunft aus München, weshalb? Ich hatte in dem Briefe an Mohr die Vermutung ausgesprochen, daß der Angriff auf Aehrenthal aus Berlin stamme. Das Schweigen Möhrs zeigt, daß die Vermutung begründet ist. Mit Jettel besprach ich, ob Bülow etwa durch Wiener Feinde Aehrenthals gegen ihn eingenommen sei. Er stellt bestimmt in Abrede, daß etwa Goluchowski dahinterstecke. Etwas davon müßte Jettel doch wissen. Allerdings, es sei wahr, daß Goluchowski in dieser Frage gegenüber Jettel befangen sei; er könne nicht ganz aus sich herausgehen, da er wisse, Jettel sei mit Aehrenthal 3 4
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Der St. Petersburger Herold war eine 1876 gegründete deutschsprachige Zeitung. Der Deutschböhme Hermann Bachmann war seit 1900 Chefredakteur der Vossischen Zeitung in Berlin. Vossische Zeitung v. 17. 1. 1902, Abend-Ausgabe 1-2. Ein Exemplar findet sich in К 4, U Notizen und Druckunterlagen zur Persönlichkeitsgeschichte Aehrenthals.
vor dem 28. Jänner 1902
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befreundet. Trotzdem könnte Jettel sagen, daß es nicht in Goluchowskis Charakter liege, Schleichwege zu gehen. Er sei darin zu nobel. Nicht lange nachdem Goluchowski ins Ministerium getreten sei, sei er zur Kenntnis einer gegen ihn gerichteten Intrige eines österreichischen Botschafters gekommen. Irre ich, Friedjung, nicht, so war dies Szögyeny. Auf meine diesbezügliche Frage zuckte Jettel mit den Achseln. Offenbar ist es so. Aber Goluchowski ließ es ihn nicht entgelten, sondern verkehrt mit ihm so wie früher. Jettel vermutet, daß Doczi es war, der bei seiner Anwesenheit in Berlin (vor einem Jahr) gegen Aehrenthal gewühlt habe. Einmal hatte ich Aehrenthal gefragt, ob etwa sein guter Freund Szögyeny daran beteiligt sei, und da hatte Aehrenthal mit den Achseln gezuckt wie jemand, der sagt, wer kann das wissen? Es zeigt sich auch sonst im weiteren Verlaufe der Dinge, daß Aehrenthal den Kampf gegen Berlin aufnimmt. Etwa [am] 20. Jänner brachte die Politische Correspondenz die Nachricht, daß zwischen Osterreich und Rußland Besprechungen gepflogen worden seien zur Abwehr der deutschen Handelspolitik. Aehrenthal und Witte hätten darüber eine „informative" Besprechung gehabt. Diese Meldung der Politischen Correspondenz ist, wie Jettel mir sagt, von Aehrenthal veranlaßt, ebenso wie eine zweite, Albanien betreffend. Sie bezog sich auf eine angeblich vom französischen Minister Delcasse zu einem Interviewer gemachte Äußerung, daß, wenn Italien sich dem Zweibunde nähere, Rußland sich den italienischen Wünschen in bezug auf Albanien nicht verschließen dürfte. Delcasse ließ erklären, er habe das nie gesagt. Es war dies zu der Zeit, wo sich Frankreich und Italien bezüglich Tripolis verständigten6. Die Politische Correspondenz meldet, es seien in Petersburg Erklärungen abgegeben worden, daß Rußland auch bezüglich Albanien das Ubereinkommen von 1897 respektieren werde7. Auch diese Notiz sei durch Aehrenthal hervorgerufen8. So will er Deutschland zeigen, daß er seine Politik, Osterreich in bessere Beziehungen zu Rußland zu bringen, auch weiter offen nach außen vertrete, und daß er sich durch die Feindseligkeiten der Berliner Regierung nicht einschüchtern lasse. Jettel macht mich darauf aufmerksam, daß in den Zeitungen sogar darüber zu lesen war, daß zwischen Osterreich und Rußland Verhandlungen über die serbische Thronfolge gepflogen werden. Das sei aber ganz unrichtig. Nichts davon sei geschehen. Wie unrichtig es ist, daß Aehrenthal gegen den Dreibund arbeite, geht aus 6
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In einem Notenaustausch vom 14. und 16. 12. 1900 anerkannten Frankreich und Italien die jeweiligen Ansprüche auf Marokko bzw. Tripolis. Im Anschluß an den Besuch Kaiser Franz Josephs in St. Petersburg vom 27. bis 29. 4. 1897 veröffentlichten die beiden Außenminister identische Noten, in denen sie erklärten, am Balkan den allgemeinen Frieden, das Prinzip der Ordnung und den Status quo aufrechterhalten zu wollen. Dies bedeutete den Beginn der österreichisch-ungarisch-russischen Balkanentente. In der gedruckten Form der Politischen Correspondenz finden sich im genannten Zeitraum keine entsprechenden Meldungen.
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Fürst Philipp zu Eulenburg und Hertefeld
der Denkschrift hervor, die Aehrenthal bei seiner letzten Anwesenheit in Wien (Herbst, Spätherbst) dem Kaiser und Goluchowski übergab. Darin wird die Aufrechterhaltung des Dreibunds empfohlen und zugleich geraten, daß Österreich-Ungarn stets mit Rußland über alle Balkanfragen in Fühlung bleiben solle. Zu den Plänen Aehrenthals gehört es auch, nach Jettel, ein dauerndes Bündnis zwischen Österreich und Ungarn herstellen zu lassen. Als Preis hierfür sollen den Ungarn alle Gebiete südlich von Fiume (Dalmatien, Bosnien, Herzegowina) überlassen werden. Als dann am 24. Jänner ein Kurier nach Petersburg ging, sandte ich Aehrenthal einen Brief über die ihn berührenden Vorgänge9. Für den 28. Jänner lud mich Eulenburg zu einem Besuch ein.
Fürst Philipp zu Eulenburg und deutscher Botschafter in Wien
Hertefeld, 28. Jänner 1902 К 2, U 3, 426 г - 428v
Er sprach zuerst von seinem Gesundheitszustande. „Dieser war im vorigen Jahr so schlecht, daß ich mich auf das Schlimmste gefaßt machte. Es war nicht bloß mein subjektives Befinden, das schlimm genug war. Zudem aber hatte sich infolge heftiger Gicht eine solche Herzschwäche eingestellt, daß ich durch acht Tage größere Quantitäten Sauerstoff einatmen mußte. Jetzt geht es mir besser, aber ich kann mich nur mit dem Aufgebote meiner ganzen Willenskraft aufrecht erhalten. Sie ist zum Glück geschult und genügend. Indessen raten mir die Arzte doch, ich solle von hier (ich verstehe darunter von seinem Wiener Posten weg) weggehen. Dazu kann ich [mich] nicht entschließen, ich fühle die Fähigkeit in mir, den Posten auszufüllen. Es würde, wenn an meine Stelle nicht eine mit den verwickelten österreichischen Verhältnissen eingeweihte Person treten sollte, eine Lücke entstehen. Denn nicht leicht wird jemand alle die Steine des Anstoßes erkennen, die hier zu vermeiden sind; ich bin doch bekannt als eine Persönlichkeit, die das freundschaftliche Verhältnis mit Österreich pflegen und befestigen will." Mit einem Worte, Eulenburg hält sich für unentbehrlich. „Die Schwierigkeiten, die sich in den letzten Wochen erhoben, waren groß, größer, als man glaubt. Die polnische Frage brachte unliebsame Verwicklungen. Und dazu kam noch der unleidliche Zwischenfall, die Angriffe deutscher Blätter auf Aehrenthal 10 ." a Ich entwickelte darauf dem Botschafter meine Ansichten, erzählte den Zwischenfall mit der Allgemeinen Zeitung, die meinen Artikel zurückgewiesen hatte. 3 „Diese letzte Angelegenheit ist 9 10 a_a
Vgl. Aus dem Nachlaß Aehrenthal Teil 1, 260-263. Vgl. zum Artikel der Allgemeinen Zeitung vom 11. 1. 1902 S. 435 Anm. 2. Ergänzung, mit Bleistift wieder gestrichen.
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es, wegen der ich mit Ihnen sprechen möchte. Ich halte ebenso wie Sie die Annahme, Aehrenthal arbeite gegen den Dreibund, für unhaltbar. Sie haben recht, daß er keine andere Politik machen kann, als die ihm der Kaiser und Goluchowski vorschreiben. Gewiß, es ist keine Rede davon, daß er in Petersburg gegen die offizielle Politik Österreichs arbeitet. Es ist auch richtig, daß die gegen ihn erhobenen Angriffe unklug waren und ihren Zweck verfehlten. Wissen Sie etwas, so fragte mich der Fürst, über die Herkunft des Artikels der Allgemeinen Zeitung? Ich habe nichts Authentisches darüber erfahren können." Auf diese naive Frage erwiderte ich mit aller Offenheit. Ich erzählte, wie ich vergebens versucht hatte, eine Antwort in die Allgemeine Zeitung zu bringen. „Das ist schlimm, sagte der Fürst. Es ist nach alledem, was Sie mir sagen, ein großer Fehler, daß man Aehrenthal so aufs Korn nahm. Denn wenn Aehrenthal auch gewiß nicht die Absichten verfolgt, die man ihm in die Schuhe schiebt, so können jene Angriffe ihn nicht gleichgültig lassen, sie müssen es ist dies ganz menschlich - ein Gefühl der Erbitterung hervorrufen. Es ist nur interessant, daß Sie mir sagen, "man habe Ihnen in Berlin8 schon früher mit Vorurteilen von Aehrenthal gesprochen11. Aber es ist leider so, daß die Leute in Berlin nie etwas vergessen, immer das nachtragen, was sie gegen jemanden auf dem Herzen haben. Das ist die norddeutsche Art, die in jeder Beziehung zäher ist als die in Osterreich. Sie hat also ihre guten wie ihre schlimmen Seiten. In einer Beziehung freilich finde ich es begreiflich, wenn man die Tätigkeit Aehrenthals in Berlin mit Vorsicht verfolgt. Man weiß dort, daß Aehrenthal zur slawisch-feudalen Partei im böhmischen Adel neigt, und die Männer dieser Richtung gelten nicht als Stützen des Bündnisses mit Deutschland." bIm Verlaufe des Gespräches sagte Eulenburg, er könne schon deshalb nicht glauben, daß Aehrenthal sich in politischen Dingen nicht korrekt verhalte, weil er durch zwei Freunde wisse, welch trefflicher Charakter er sei. Bei dem Tode des einen habe Aehrenthal mit großer Selbstaufopferung alles getan, was dem Andenken des einen von ihnen ehrend gewesen sei, er habe sich überaus edel verhalten. b Darauf legte ich dar, wie irrtümlich das alles sei. Doch, so fügte ich hinzu, könnte ich mich nicht unumwunden aussprechen, da ich hier Dinge, zumal aus der Zeit des Ministeriums Thun, erzählen müßte, die mir unter Diskretion mitgeteilt seien. Fürst Eulenburg habe es jedoch in der Hand, sich über die Haltung Aehrenthals gegenüber dem Kabinett Thun bei dem Fürsten Fürstenberg zu erkundigen, der in der Opposition gegen den Grafen Thun gewesen sei. Er sei in der Lage, im einzelnen auszuführen, welche Dienste Aehrenthal der Sache der Deutschen Österreichs geleistet habe. 11
Vgl. Aus dem Nachlaß Aehrenthal Teil 1, 214-220. "" Korrigiert von Graf Bülow habe Ihnen. ь b Ergänzung.
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Fürst Philipp zu Eulenburg und Hertefeld
„Ich werde, so sagte Eulenburg, gewiß Fürst Fürstenberg fragen. Ich werde das morgen tun, denn ich werde ihn vor seiner Abreise nach Berlin sehen. Ich vertraue Fürstenberg gewiß, aber es ist zu bedenken, daß man in Berlin seinen Auffassungen in diesen Dingen nicht folgt. Denn man hält ihn dort doch mehr für einen böhmischen als für einen badischen Großgrundbesitzer12, und zudem weiß man, daß er ein Freund Aehrenthals ist. Übrigens kann Aehrenthal, wenn er sich gegen Thun erklärte, dies nur getan haben, als dieser schon wankte. Denn einmal hatte ich mit ihm ein Gespräch, das ich mir eigentlich nicht erklären konnte, das ich aber doch nur so auffassen konnte, als ob Aehrenthal Partei für das Ministerium Thun genommen hätte." Darauf ich: „Ich weiß nicht, wie sich Aehrenthal damals gegen Euer Durchlaucht geäußert hat, und wage auch nicht, danach zu fragen. Aber ich kann mir, rein psychologisch, eine Erklärung seiner Haltung denken." Und die wäre? „Aehrenthal gehört zu einer bereits selten gewordenen Klasse von Österreichern. Er ist ein Österreicher von großem, fast reizbarem Patriotismus. Ich war einmal Zeuge, daß er einem hohen österreichischen Beamten, der sich skeptisch über die Zukunft des Reiches aussprach, mit einer großen Schärfe entgegentrat. Einem NichtÖsterreicher gegenüber wird Aehrenthal wohl noch bestimmter alles ablehnen, was seinen patriotischen Stolz irgendwie verletzen könnte. Wenn sich das Gespräch mit Euer Durchlaucht über die inneren Verhältnisse Österreichs erstreckte, dann kann ich mir leicht denken, daß sich eine Verstimmung ergab." Ich konnte leicht diese Psychologie treiben, weil Aehrenthal mir erzählt hatte, er habe Eulenburg einmal in seine Schranken zurückgewiesen, als dieser sich gegen das Ministerium Thun aussprach13. Ich weiß nicht, ob Eulenburg ein geschickter Diplomat ist, sicher ist, daß seine Physiognomie Ähnlichkeit mit dem Gesicht eines Schulknaben hatte, der sich bei einem seiner Schliche ertappt sieht. Ein eigentümlicher Zug von Verlegenheit machte sich bemerklich. Er sagte: „Diese psychologische Erklärung leuchtet mir vollkommen ein. Jetzt erst verstehe ich das Gespräch und die Wendung, die es genommen hat. Ich bin Ihnen für diese Aufklärung sehr dankbar." Er wiederholte mehrmals, wie ihn diese Erklärung durch ihre Richtigkeit frappiere. "Im Verlaufe des Gespräches sagte der Fürst, ob ich glaube, daß etwa Goluchowski, um die Nebenbuhlerschaft Aehrenthals unschädlich zu machen, die Nachrichten von der Russophilie Aehrenthals verbreiten lasse. Ich antworte, daß ich dies nicht glaube, daß ich jedoch zu wissen glaube, von welchen Wiener Feinden und Neidern Aehrenthals die Sache ausgehe. Eulenburg meinte, er mute Go12
13
Fürst Max Egon Fürstenberg war seit 1896 Chef des Gesamthauses und hatte daher auch große Besitzungen in Preußen, Württemberg und Baden mit dem Zentrum in Donaueschingen. Er war dadurch auch Mitglied der ersten Kammern dieser drei Staaten. Vgl. S. 278 f.
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luchowski auch nicht diese Intrige zu. Er sei zwar aufbrausend, aber indolent. Er seinerseits spinne nicht weitaussehende Intrigen. Zudem fühle er selbst, daß seine Position nicht sehr sicher sei. In einer solchen Lage verhalte man sich lieber ruhig. Zudem behalte sich Goluchowski den Pariser Botschafterposten, deshalb ersetze er den alten Grafen Wolkenstein nicht. Er denke sich, es sei schließlich auch kein Unglück, nach mehreren Jahren Ministerschaft nach Paris zu gehen. Er sei [ein] Lebemann und werde dann ein behagliches Dasein führen.3 Zum Schlüsse dankte Eulenburg mir für den Artikel in der Allgemeinen Zeitung, in dem ich ihn gegen Angriffe in Schutz genommen hatte14. Wir waren dabei verblieben, daß Eulenburg sich bei Fürstenberg über die innenpolitische Haltung Aehrenthals erkundigen werde. Deshalb schrieb ich unmittelbar darauf dem Fürsten und bat ihn, die notwendigen Aufklärungen zu geben. Der Fürst lud mich sofort für denselben Tag zu sich ein. Ich hatte mit ihm ein längeres, interessantes Gespräch.
Fürst Max Egon zu Fürstenberg, Mitglied des Herrenhauses
30. Jänner 1902 К 2, U 3, 428 ν - 431 г
Ihr Brief hat mich sehr interessiert, aber nicht überrascht15. Denn ich weiß leider seit langer Zeit, wie falsch man Aehrenthal in Berlin beurteilt. Doch erwarte ich den Besuch des deutschen Botschafters nicht, aus dem einfachen Grunde, weil er mich bereits vor vier Tagen in derselben Weise interviewt hat wie Sie. Er ist ein geriebener Diplomat, der sich seine Informationen aus den verschiedensten Quellen holt. Er hat in derselben Weise bei Goluchowski, bei Koerber, bei mir und jetzt bei Ihnen Auskunft über Aehrenthal geholt. Es ist nicht ausgeschlossen, daß er seine Erkundigungen fortsetzt und auch andere ausholt [sie!]. Ich sehe nichts Verletzendes darin, daß er sich nicht mit der bei mir erhaltenen Auskunft begnügt. Er wollte einfach wissen, wie Sie die Sache aus Ihrem Milieu heraus auffassen. Er ist im allgemeinen sehr gut informiert, man trifft ihn bald bei dieser Dame, bald wieder bei einem kleinen Dejeuner, überall seine Kenntnisse erweiternd. Ich glaube deshalb gar nicht, daß Eulenburg die irrige Meinung über Aehrenthal hegt, In der Allgemeinen Zeitung findet sich kurz vor dem 28. 1. 1902 kein Artikel Friedjungs, in dem er Eulenburg persönlich verteidigt hätte. Vgl. jedoch den Artikel ν. 1. 2. 1902, Mittagsblatt, 2, Deutschland und der Dreibund, in dem sich Friedjung gegen das Bestehen von Differenzen zwischen Bülow und Eulenburg ausspricht. 15 Friedjung hatte Fürst Fürstenberg im Anschluß an das Gespräch mit dem deutschen Botschafter Fürst Philipp Eulenburg vom 28. 1. 1902 geschrieben und um ein Gespräch ersucht. Vgl. auch Aus dem Nachlaß Aehrenthal Teil 1, 270-272. a" Ergänzung. 14
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Fürst Max Egon zu Fürstenberg
die er aussprach. Ich habe übrigens Eulenburg dargelegt, daß die Angriffe gegen Aehrenthal in der Absicht geführt wurden, auch ihn zu treffen. Denn Eulenburg besitzt in Berlin auffallend viele Gegner, vielleicht deshalb, weil der Kaiser ihn auszeichnet und in seine Nähe zieht. Sie weisen auf seinen geschwächten Gesundheitszustand hin, um seine Stellung zu erschüttern. Diese Leute wollen zeigen, wie schlecht Eulenburg seine Mission in Wien erfülle, wenn es einen österreichischen Botschafter in Petersburg gebe, der gegen Deutschland arbeite. Darauf habe ich ihn aufmerksam gemacht. Zu meinem Leidwesen habe ich bemerkt, daß auch Kaiser Wilhelm gegen Aehrenthal Mißtrauen hege. Vor mehr als einem Jahre (?) sagte er mir einmal, Aehrenthal sei ja slawisch gesinnt. Ich lachte dem Kaiser förmlich ins Gesicht und berichtigte ihn. Ich hatte den Eindruck, daß er meine Aufklärung für loyal und sachgemäß halte. Ich hatte bisher keine Gelegenheit, dies Aehrenthal mitzuteilen. Es ist merkwürdig, wie sich diese Ansicht verbreitet haben kann. Der Vater Aehrenthals war blind, konnte kaum gehen und ließ sich zu dem drei Stock hoch befindlichen Beratungszimmer des Verfassungstreuen Großgrundbesitzes hinauftragen. Das tut doch nur derjenige, dem es deutsch ums Herz ist. In diesen Traditionen ist Aehrenthal aufgewachsen. Allerdings ist Aehrenthal in erster Linie schwarzgelb österreichisch. Als er an den Scheideweg kam, ob deutsch oder tschechisch, fragte er sich, was für Osterreich förderlicher sei. Nur deshalb entschied er sich für den deutschen Weg. Und es ist klar, weshalb man ihm in Berlin mißtraut. Man weiß, daß er nur an Österreich denkt, er würde, ohne zu zögern, sich mit Rußland gegen Deutschland verbinden, wenn er glaubte, die Staatsraison erfordere dies. Gewiß aber ist, daß er von dem Nutzen des deutschen Bündnisses überzeugt ist und daß seine Lösung ein Fall ist, der jetzt und für lange Zeit nicht in Frage steht. Eulenburg steht bei Kaiser Wilhelm in hohen Gnaden, aber er erhält sich in der Gunst des Kaisers nicht etwa durch unwürdige Mittel. Wenn der Kaiser irgendeine rasche, unüberlegte Bemerkung macht, so vertritt Eulenburg ruhig seine entgegenstehende Ansicht. Dann fährt der Kaiser mitunter ungewollt auf, aber später überlegt er sich die Sache, und nicht selten erklärt er am nächsten Tage, Eulenburg habe eigentlich doch recht. Wie gut Eulenburg informiert ist, sah ich bei Gelegenheit der Vermählung des Erzherzogs Franz Ferdinand16. Nach den österlichen Auferstehungsfeierlichkeiten des Jahres 1900, als wir ermüdet und abgespannt fertig waren, sagte mir Koerber im Weggehen, er würde mich gerne noch vor meiner Abreise nach Donaueschingen, wo ich den Kaiser zu Gast erwartete, sprechen. In einer Stunde würde ich ihn in seinem Bureau treffen. Als ich zur rechten Zeit kam, war Koerber noch nicht anwesend. Als er dann kam, entschuldigte er sich, der Kaiser habe ihn soeben rufen lassen. Der Kaiser habe ihm eröffnet, er habe 16
Erzherzog Franz Ferdinand hatte am 1. 7. 1900 Gräfin Sophie Chotek in morganatischer Ehe geheiratet.
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den Wünschen des Erzherzogs willfahrt u n d seine Zustimmung zu seiner Vermählung gegeben. Zugleich e r f u h r Koerber die näheren Modalitäten, wie die Fragen des Zeremoniells, der Ebenbürtigkeit etc. gelöst werden sollten. Koerber war übrigens ebenso wie ich gegen diese Heirat „mit der Chotek". All dies verschloß ich in mir, da diese Mitteilungen streng vertraulich waren. Kaum acht Tage später erhielt der Kaiser den Bericht Eulenburgs über diese Vorgänge. Er h a t t e die Form eines Briefes Eulenburgs an Bülow und enthielt alles, was Koerber mir gesagt hatte. Der Brief war über Berlin nach Donaueschingen geschickt worden. Eulenburg h a t t e sich also in dieser kurzen Zeit in Kenntnis aller dieser Verfügungen gesetzt, ich war ganz e r s t a u n t über diese trefflichen Verbindungen, die er besitzen muß. Ich, Friedjung, finde diesen Schluß nicht zwingend, wahrscheinlicher ist, daß Eulenburg von Seite des Hofes unterrichtet worden war. Mir war ganz heiß zu Mute, f u h r Fürstenberg fort, denn damit wußte m a n alles in Berlin, was Koerber mir a n v e r t r a u t hatte, u n d ich war in Gefahr, in Wien als die Quelle dieser Informationen zu gelten; m a n konnte mich einer Information [sie!] schuldig halten. Der Kaiser ließ mich den Brief lesen, da mich diese Briefe doch interessieren könnten. E r sagte mir damals, es sei durchaus falsch, daß, wie einige Zeitungen gemeldet hatten, er ein Gegner der Heirat des Erzherzogs Franz Ferdinand gewesen sei. E r habe sich selbstverständlich nicht hineingemischt; allerdings bedauere er, daß Osterreich keine Kaiserin haben werde, auch seien später Verwicklungen mit U n g a r n zu befürchten. Indessen seien das innere Angelegenheiten des österreichischen Kaiserhauses, und jeder Monarch sei H e r r in seinem Hause. In Bezug auf Aehrenthal sagte Fürstenberg: Ich habe immer u n d überall f ü r Aehrenthal gesprochen, so daß ich eigentlich besser täte, mich nicht zu wiederholen, ich könnte nicht m e h r sagen, als ich schon gesagt habe. Nach einem französischen Sprichworte wird derjenige verdächtig, der zu oft beteuert. Aber gewiß werde ich auch in Z u k u n f t alles tun, was in meinen Kräften steht. Im Zusammenhange damit sagte Fürstenberg, Aehrenthal habe bei seiner E r n e n n u n g nach Petersburg beinahe das „Placet" in Berlin nicht bekommen. Ich war über diese Äußerung Fürstenbergs im hohen Grade erstaunt. „Das Placet?" f r u g ich. Nun, war die Antwort, so wörtlich habe ich dies nicht gemeint, aber Deutschland h ä t t e beinahe Schwierigkeiten gemacht. Uber Bülow sprach Fürstenberg mit einem komischen Respekt, was seinen Geist u n d sein Wissen betrifft. Aber an seinem Charakter findet er doch manches zu tadeln; er gilt Fürstenberg nicht f ü r vertrauenswürdig. Erstaunlich sei, daß ein so kluger Mann den großen Fehler begangen habe, über den Dreibund abfällig zu sprechen 17 . Es läge auch nichts daran, so 11
Reichskanzler Bernhard von Bülow hatte in einer Reichstagsrede im Jänner 1902 erklärt, der Dreibund sei für die Alliierten wichtiger als für Deutschland, und angedeutet, Deutschland könne sich allenfalls mit Rußland einigen.
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Alois Lexa von Aehrenthal
klang es heraus, wenn der Dreibund nicht existierte. Auch Podewils sprach bekanntlich diesen Tadel aus3. Aehrenthal besitzt das Ohr des Kaisers. Er spricht mit dem Kaiser nicht bloß über äußere, auch über innere Fragen. Das will viel sagen. Wenn Aehrenthal in der Früh ankomme, werde er Nachmittag schon vom Kaiser empfangen. Wie er das mache, weiß ich nicht, genug, es gelingt ihm. Lichnowskys18 Vater hatte Güter in Preußen und Österreich. Im Jahre 1866 optierte er für Osterreich [sie!]. Dadurch wurde er in Osterreich persona ingrata. Es war nicht klug, ihn gerade nach Osterreich zu schicken. Er ist mir blutsverwandt durch die Familie Khevenhüller. Aber Lichnowsky gelang es nicht, sich in Osterreich Freunde zu erwerben. Man fand ihn dozierend, absprechend, dazu sein ungünstiges Außeres. Zudem ist er keine wohlwollende Natur. Er ist auch Osterreich nicht freundlich. Fürstenberg mißtraut ihm ganz; man müsse sich vor ihm in acht nehmen. Man kann dem alten Fürsten Lichnowsky keine Vorwürfe machen, daß er sich für Preußen entschied. Er befand sich in einer äußerst schwierigen Lage, in der oft nach langem Schwanken Umstände entscheiden, über die man nicht Herr ist. Auch ich könnte einst, was Gott verhüte, in dieselbe Lage kommen, und ich selbst wüßte nicht, wie ich mich dann verhalten sollte19.
Alois Lexa von Aehrenthal, Botschafter in St. Petersburg, an Emil Jettel von Ettenach, Leiter des Literarischen Bureaus im Außenministerium [Ende Jänner 1902] К 2, U 3, 431 r-v Circa 15.-20. Jänner 1902 langte ein Brief Aehrenthals an Jettel an, dessen Hauptteile er ihm [sie!] vorlasb. Aehrenthal spricht sich darin unter anderem über die Verhinderung der Begleitung des Erzherzogs Franz Ferdinand durch den Grafen Zichy aus20. Er bezeichnet die Tatsache als Beweis, daß die Dynastie sich von der „herrschenden ungarischen Regierungsclique" zuviel 18
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a b
Fürst Karl Max von Lichnowsky, vortragender Rat im Auswärtigen Amt, war vor seiner 1899 erfolgten Einberufung nach Berlin Botschaftssekretär in Wien. Als Chef des Gesamthauses besaß Fürst Max Egon Fürstenberg neben den Besitzungen in Böhmen auch Güter in Südwestdeutschland mit dem Zentrum Donaueschingen. Der Thronfolger Erzherzog Franz Ferdinand reiste vom 8.-12. 2. 1902 nach St. Petersburg. Er wollte sich zunächst von Graf Jänos Zichy begleiten lassen, verzichtete jedoch unter Druck der ungarischen Regierung, deren Gegner Zichy war, auf ihn. Im Gegenzug weigerte sich Franz Ferdinand jedoch, einen anderen ungarischen Magnaten anstelle Zichys als Begleitung zu akzeptieren. Im Budapester Abgeordnetenhaus kam es darüber zu heftigen Debatten. In den erhaltenen Aufzeichnungen findet sich dazu kein Hinweis. Briefe Aehrenthals an Jettel sind nicht auffindbar, vgl. aber Jetteis Briefe an Aehrenthal in Aus dem Nachlaß Aehrenthal.
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gefallen lassen muß. In Berlin, so schreibt er weiter, habe man in den letzten Wochen doch eine „anständigere" Politik verfolgt. Er erwähnt die Gerüchte, die von Paris in die Welt gesetzt wurden, daß Italien in seinen albanischen Plänen die Unterstützung Rußlands gefunden habe21. Er hält es für wünschenswert, daß das dementiert werde, es entspreche auch nicht den Tatsachen. Er billigt die Ansicht Jetteis, daß man von Wien aus den Zeitungsartikeln entgegentreten solle, nach welchen sich Osterreich und Rußland bereits über die Thronfolge in Serbien, und zwar auf Karageorgevic, geeinigt hätten. Jettel hatte das Goluchowski sofort geraten, um Alexander I. nicht zu verstimmen. Der hatte gemeint, es sei überflüssig, die Welt wisse ja doch, daß dies nicht wahr sei. Erst eine Woche später erfolgte das Dementi. Jettel und auch Aehrenthal meinen, es hätte gleich geschehen sollen.
Heinrich von Halban, des Abgeordnetenhauses
Kanzleidirektor i. Ρ
31. Jänner 1902 К 2, U 4, 468 г
Er hat jüngst mit Goluchowski längere Zeit gesprochen und hat den Eindruck gewonnen, daß er eigentlich keinen rechten Einblick in die inneren Verhältnisse besitze.
Marquis Olivier Bacquehem, Mitglied des Herrenhauses
a
20. Februar 1902" К 2, U 4, 471 г - 474 ν; Sekretär 1
Vor etwa 14 Tagen besuchte ich den Grafen [sie!] Bacquehem. Das Gespräch wandte sich dem Ausgleich mit Ungarn zu. Ich entwickelte dabei den Gedanken, daß ein längerwährender Vertrag wünschenswert sei, eine Quote, die sich automatisch aufgrund feststehender Elemente reguliere, und ebenso ein Handelsvertrag, der, falls er nicht gekündigt werde, von selbst länger als zehn Jahre dauere. Die Sache interessierte Bacquehem, und ich meinte, es wäre eigentlich Aufgabe des Ministers des Äußern, als eine Art Reichskanzler auf die Verwirklichung dieses Gedankens hinzuarbeiten. Bacquehem meinte, die Sache sei interessant, und er werde mit dem Grafen Goluchowski sprechen, um zu hören, was er dazu sage. Lächelnd fügte er hinzu, daß Graf Goluchowski wohl nach seiner Art die Sache von vornherein ablehnen und sagen werde, solche Dinge gingen weit über seine Kompetenz. 21
Vgl. dazu S. 437. Korrigiert von 22. Februar 1902 auf c. 20. Februar 1902; c. mit Bleistift
gestrichen.
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Marquis Olivier Bacquehem
Er lud mich ein, ihn bald zu besuchen, weil er mir das Gespräch mit Goluchowski schildern wolle. Als ich jüngst zu ihm kam, begann Bacquehem sofort seine Erzählung. Er war bei Goluchowski und fragte ihn, wie er [sie!] mit den Handelsverträgen stehe. „Oh", sagte der Graf, „ich gebe mir alle Mühe, auf die beiden Ministerpräsidenten einzuwirken, damit der Vertrag zustande komme. Ich habe schon mit Herrn von Koerber gesprochen und ihm gesagt: ,Sie, das Zoll- und Handelsbündnis muß zustande kommen.' Ja, ja, ich habe es ihm sehr energisch gesagt. Auch mit Herrn von Daränyi habe ich gesprochen. Nun ja, die Ungarn bekommen die Getreidezölle, aber sie müssen auch nachgeben. ,Hören Sie', sagte ich zu Daränyi, ,Sie müssen auch nachgeben.'" Der Marquis erzählte das in der possierlichsten Weise. Er lachte, sprang im Zimmer herum, klatschte mit den Händen auf seine dünnen Waden und war nicht müde, die Art des Grafen Goluchowski nachzuahmen. „Ja", habe ich zu Daränyi gesagt, „der Zolltarif muß zustande kommen. Ich muß ihn haben, damit ich dann die Handelsverträge mit den fremden Staaten schließen kann22." Nochmals lachte Bacquehem und sagte: „Ist das nicht närrisch. Er will die Handelsverträge schließen. Was er nicht dazu beitragen wird!" Dann, so erzählte Bacquehem, fuhr Graf Goluchowski fort: „Ich habe auch mit den Italienern gesprochen und habe ihnen gesagt: Der Vertrag muß zustande kommen, aber auf die Weinzollklausel können sie nicht rechnen23, und ich glaube, daß sie auch nachgeben werden." Hierauf wandte sich das Gespräch Goluchowskis und Bacquehems der Delegationssession zu. Bacquehem, der wahrscheinlich wieder Referent über die auswärtigen Angelegenheiten sein wird, fragte Goluchowski, ob es denn wahr sei, daß der Dreibund wanke. Da erwiderte Goluchowski: „Das sind Gerüchte. Allerdings, Bülow hat einige Dummheiten gesagt24, aber deshalb bleibt der Vertrag aufrecht. Die Dinge gehen recht gut. Es wird bei den Delegationen nicht eine einzige ernste Frage zur Sprache kommen müssen, so daß alles glatt ablaufen wird." Kurz und gut, Goluchowski äußerte sich so optimistisch, so selbstzufrieden, daß man daraus nicht schließen kann, er 22
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In der sog. „Szellschen Formel", auf die sich die beiden Regierungen 1899 geeinigt hatten, war festgelegt, daß das gemeinsame Zoll- und Handelsgebiet bis 1907 aufrecht bleibe, jedoch neue internationale Handelsverträge gleichfalls nur bis 1907 abgeschlossen werden dürften, falls nicht bis 1903 ein neuer Ausgleich zustande komme. Der Großteil der Handelsverträge lief zwischen 1903 und 1905 aus. Die Handelsverträge mit Italien von 1887 und 1891 enthielten eine den Import italienischen Weines begünstigende Klausel, die den zentralen Kritikpunkt in Osterreich und Ungarn bildete. In die Ubergangsregelungen nach der Kündigung des alten Abkommens durch die Monarchie im Dezember 1902 sowie in den neuen, am 11. 2. 1906 geschlossenen Vertrag fand diese Bevorzugung keine Aufnahme mehr. Reichskanzler Bernhard von Bülow hatte in einer Reichstagsrede im Jänner 1902 erklärt, der Dreibund sei für die Alliierten wichtiger als für Deutschland, und angedeutet, Deutschland könne sich allenfalls mit Rußland einigen.
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fühle sich in seiner Stellung erschüttert. Die Oberflächlichkeit, mit der er alle Dinge anfaßt, zeigte sich auch hier wieder. Er ist in seiner Art ein kluger Mann, faßt rasch auf, weiß auf Menschen einzuwirken, und vielleicht erledigte er als Gesandter mit den fremden Staaten manche Angelegenheiten, besonders solche wirtschaftlicher Art, rascher, als wenn er ein Pedant wäre. Von einer Tiefe der Auffassung ist aber [bei] ihm keine Rede. Sie begreifen, fuhr Bacquehem fort, daß ich nach diesem Gespräche keine Lust hatte, ihn zu fragen, ob er die Stelle eines Reichskanzlers und Vermittlers in der Ausgleichsfrage übernehmen wolle. Er hätte (Bacquehem lachte närrisch) mir gesagt: „Ich habe es ja ohnedies dem Daränyi und dem Koerber gesagt, und Sie werden sehen, ich werde es schon durchsetzen." Ich fragte Bacquehem hierauf, wie es möglich sei, daß eine so ernste und schwerflüssige Natur wie Kalnoky den Grafen Goluchowski zu seinem Nachfolger vorschlagen konnte. Da erwiderte Bacquehem: An dem Tage, an welchem Kalnoky zurücktrat, war abends ein Hofdiner. Er erschien, gemessen und äußerlich ruhig wie immer, aber ich sah ihn, als ich fragte, ob die Nachricht von seiner Demission richtig sei, doch innerlich bewegt. Er erwiderte, er habe eine Stunde vorher dem Kaiser seine Demission gegeben und sie erhalten. Er habe das Gefühl gehabt, daß er noch stark genug sei, um Bänffy zu stürzen 25 ; aber es wäre vergebens gewesen, weil die Session der Delegation bevorstehe, und er den Ungarn gegenüber den schwierigsten Standpunkt gehabt hätte. Auf die Frage, wer sein Nachfolger sein werde, erwiderte er, er habe den Grafen Goluchowski vorgeschlagen. Nun hatte man früher immer gehört, daß Kalnoky gesagt hatte, die Gesandten Goluchowski und Khevenhüller werde er niemals zu Botschaftern vorschlagen, weil sie nicht dazu geeignet seien. Deshalb befremdete mich diese Mitteilung. Kalnoky meinte, er habe die Personen, die in Frage stünden, bei sich Revue passieren lassen und habe gefunden, daß gegen jede von ihnen irgendein Bedenken obwalte, während man gegen den Grafen Goluchowski nichts einwenden könne. Es war also, wenn er sich aufrichtig äußerte, ein negativer Grund, aus dem er seinen Nachfolger vorschlug. "Kallay aspiriert jetzt nicht mehr das Ministerium des Äußern. Das war anders zur Zeit Kälnokys. Kalnoky erzählte Bacquehem einmal folgendes: Er hielt es für angemessen, hin und wieder gewissermaßen Sitzungen des gemeinsamen Ministerrates zu veranstalten und dem Kriegsminister wie dem gemeinsamen Finanzminister Mitteilungen aus der äußeren Politik zu machen. Dabei machte er eine unangenehme Erfahrung. Er teilte seine An25
a
Vgl. zum Konflikt des Außenministers Graf Gustav Kalnoky mit dem ungarischen Ministerpräsidenten Dezsö Bänffy, der zu Kälnokys Rücktritt am 16. 5. 1895 führte, Graf Gustav von Kalnoky; in: Historische Aufsätze 355-360. Der folgende Eintrag mit Bleistift von Friedjung datiert zu Bacquehem 20. März 1902. Aufgrund der Einbindung in die vorhergehende Gesprächsaufzeichnung hier eingefügt.
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Legos Thallöczy
sichten mit, aber Kailay war sehr zugeknöpft und antwortete bloß mit allgemeinen Bemerkungen und Paradoxen. Kälnoky sah daraus, daß er sich nicht aufknöpfen wollte, und unterließ es daher, seinerseits Mitteilungen zu machen.
Lajos Thallöczy, Hofrat in der bosnischen des gemeinsamen Finanzministeriums
Sektion 22. Februar 1902 К 2, U 4, 468 ν - 469 г
Er gibt [sich] als von „österreichisch-ungarischem Patriotismus" erfüllt. So auch seine Geschichtsauffassung der letzten 50 Jahre. Als ich bemerkte, ich sei überrascht, daß in seiner Biographie des Grafen Szecsen so wenig über seine Tätigkeit als Minister 1860-61 vorkomme 26 , sagte er: Sein Sohn, der jetzige Botschafter 27 habe ihm, Thallöczy, wohl alle Papiere bis 1860 gegeben, jedoch über die Zeit seiner Ministerschaft nur weniges und dies kastriert. Denn er ist Beamter und will über die Regierungszeit des Kaisers nichts Intimes veröffentlichen lassen. Es ist keine Frage, daß sich Szecsen bei der Wiederherstellung der Komitate 1860 täuschte und täuschen ließ28. Er kannte Ungarn nicht mehr, lebte er doch meistens in Wien. Die LiberalNationalen hatten auch allen Grund, ihn über die Stimmung unvollständig zu unterrichten. Dazu kam, daß die Herstellung der Komitate einen Zustand betraf, der doch zwölf Jahre vorher noch gesetzlich war. Es war, wie es schien, kein Sprung. Gewiß, soweit es auf die Pläne Szecsens ankam, war es ein Fehler. Er aber meinte, es werde gehen, wie es vor 1848 ohne die Fehler der Regierung gegangen wäre. Nach dem Kriege von 1859 schrieb Szecsen ein kurzes Memoire über Ungarn, das er auch Rechberg lesen ließ. Dieser, lebhaft und angeregt, wurde dadurch in seiner Absicht bestärkt, die Versöhnung mit Ungarn anzubahnen. Unabhängig damit arbeitete Dessewffy ein Memoire aus, das viel präziser war, Szecsen erklärte, als er es gesehen hatte, er trete ganz bei, das sei sein Programm; es sei klarer, präziser als das seinige. Aufgrund dessen wirkte er. Uber Goluchowski meinte Thallöczy, offenbar vorsichtig zurückhaltend, er könne kaum anders wirken, als er tue. Er mache die Politik des Kaisers, er sei ein treuer Diener seines Herrn. Wie könne er auf den Ausgleich Einfluß nehmen? Er habe, wie aus seiner Biographie hervorgeht, vor seiner Ministerschaft seit seinem 20. Jahr nur drei Jahre in Wien gelebt. Er hatte also damals keinen Einblick in die Dinge. Jetzt scheint er festzustehen. Wenn ein 26 27 28
Lajos Thallöczy, Graf Anton Szecsen (Wien 1901). Graf Nikolaus Szecsen, Botschafter beim Vatikan. Im Kaiserlichen Handschreiben vom 19. 4. 1860 ist bereits die Erklärung enthalten, die Komitatsverwaltung wiedereinzuführen sowie Selbstverwaltungskörper einzurichten.
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Österreicher an seine Stelle kommen sollte, so kann es nur Aehrenthal sein. Dieser überrage alle seine österreichischen Mitbewerber. Doch zweifelte Thalloczy, ob er neben seiner gründlichen und logischen Art auch praktisches Geschick habe, ob seine Hand zum Beispiel gegenüber Ungarn durchdringen werde. Doch sei es möglich, daß ein Ungar komme. Wer? sei unbestimmt. Källay hatte einst diese Aspiration, jetzt nicht mehr; er ist ganz „Bosniak" geworden29. Szecsen schwerlich. Er ist heute gescheit, morgen nicht, zu wenig konsequent. Auch Szögyeny sei eigentlich nicht geeignet, aber [es sei] eher an ihn zu denken. Indessen, dies sei alles unbestimmt. Vielleicht ein Outsider. Über die Pläne betreffs Albanien sagte Thalloczy: Es wäre Osterreich nicht willkommen, wenn die Frage jetzt ins Rollen käme. Unser Hauptziel ist die Fernhaltung italienischen Einflusses. Allerdings fordern wir das Bewußtwerden der albanischen Nationalität, in der es bisher eigentlich nur Stämme gegeben hat. Wenn es zur Liquidierung der Türkei kommt, so werden wir für albanische Autonomie sein. So vorsichtig umschrieb Thalloczy die Gesichtspunkte, welche offenbar die Goluchowskis sind.
Ernst von Plener, Präsident des Gemeinsamen Obersten Rechnungshofes 7. März 1902 К 2, U 3, 452 г - 453 ν; Sekretär 1 Über die Beziehungen Schmerlings und Pleners senior weiß Ernst von Plener nicht viel. Zu Beginn des Ministeriums arbeiteten sie zusammen, wie denn in dem Komite zur Beratung der Februarverfassung Schmerling, Plener, Kalchberg und Perthaler saßen. Später entstanden Mißhelligkeiten, wie es scheint deshalb, weil Plener in dem Streite zwischen Schmerling und Rechberg auf Seiten des letzteren stand 30 . Aber Genaueres weiß Plener junior nicht. Er war damals Student, und sein Vater hatte ihm schließlich auch nicht alles damals gesagt. Zuletzt aber müssen sie doch wieder eins geworden sein, denn in den letzten dreißig Jahren des Lebens Schmerlings waren sie Freunde und verkehrten herzlich miteinander. Aus seiner diplomatischen Zeit spricht Plener von den zwei merkwürdigen Figuren des Staatsrats Klindworth und des Krainers Debrauz von Saldapenna 31 . Klindworth war tief eingeweiht, verfaßte Memoranden an Monarchen und Minister, die doch sehr inhaltsreich gewesen sein müssen, da sie 29
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Als gemeinsamem Finanzminister unterstand Benjamin von Källay die Verwaltung Bosniens und der Herzegowina. Zum Konflikt zwischen den beiden Ministern vgl. Friedjungs Darstellung in Graf Bernhard von Rechberg; in: Historische Aufsätze 210-218. Vgl. dazu Ernst von Plener, Erinnerungen. Bd. 1 (Stuttgart - Leipzig 1911) 34-35.
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Ernst von Plener
Beachtung fanden. Saldapenna dagegen war nicht ernst zu nehmen; er stand im Sold aller Botschaften und Regierungen und gab ein Wochenblatt, das „Memorial diplomatique" heraus, in welchem offiziöse Mitteilungen aller Regierungen enthalten waren. Seinen Adel erhielt er, wie man erzählte, durch Erzherzog Ferdinand Max, für den er gleichfalls geschrieben hatte. Der Erzherzog habe jedoch, obwohl er ihm den Adel verschaffte, eine nicht geringe Bosheit ausgeübt, indem er ihm das Prädikat Saldapenna beilegen ließ. Einem Minister gegenüber hätte ja Saldapenna Einspruch erheben können; die Protektion des Erzherzogs mußte er nehmen, wie sie lag. Es ist leicht möglich, daß die Mitteilung richtig ist, Napoleon III. habe Saldapenna im Jahre 1863 zu einer Sendung nach Wien benutzt, um Osterreich zum Austausch von Galizien gegen die Donaufürstentümer zu bewegen. Napoleon benutzte solche Agenten gerne; wenn sie ihm einen Plan entwickelten, so sagte er ihnen: „Gehen Sie nur nach Wien; sehen Sie, ob Sie etwas erreichen!" Uber die Ursache der Unzufriedenheit Kaiser Franz Josephs mit Giskra erzählte Plener eine merkwürdige Geschichte. Er sagte, er könne sich nicht erinnern, ob sie ihm gerade sein Vater gesagt habe, aber die Sache stehe ihm klar vor Augen und basiere auf guter Quelle. Im Ministerrate wurde einmal über das Ehegesetz beraten, wie Plener behauptet, anläßlich des Gesetzes über die Notzivilehe32. Giskra trat dafür ein, daß die Verheiratung von katholischen Geistlichen, die aus der Kirche ausgetreten seien, gestattet werden solle. Der Kaiser erklärte, seine Zustimmung versagen zu müssen. Darauf habe Giskra in hochfahrender Weise gesagt, daß nach den Bestimmungen des bürgerlichen Gesetzbuches der Landeschef berechtigt sei, von manchen Hindernissen zu dispensieren, und er als Minister habe demnach das Recht, die Landeschefs anzuweisen, solche Dispense regelmäßig zu erteilen. Ich war über diese Erzählung höchst erstaunt, weil ich Giskra eine solche Kühnheit nicht zugemutet hätte. Darauf charakterisierte Plener Giskra. „Giskra war eine hochbegabte Persönlichkeit. Er hatte eine glänzende, witzige Art zu sprechen, war geistsprühend und hatte einen Uberblick über die politischen Dinge, anders wie Herbst, der eigentlich ein politischer Handwerker war; leider aber war Giskra von einem so hohen Grade von Nervosität, daß er in den letzten Jahren seines Lebens oft den Eindruck machte, er sei nicht zurechnungsfähig. Dieser Eindruck wurde durch seine Unfähigkeit hervorgerufen, sich zu beherrschen. Er konnte so losfahren, daß man den Eindruck hatte, er besitze überhaupt nicht das normale seelische Gleichgewicht. Fragen Sie nur Lemayer, seinen Schwiegersohn. Er wird Ihnen erzählen, daß Giskra, wenn er in sei32
Die Ehegesetze von 1868 enthielten auch eine Bestimmung, die in bestimmten Fällen (Weigerung eines Seelsorgers, die Trauung vorzunehmen) die weltliche Ehe für Katholiken erlaubte.
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ner Familie in Wut geriet, alle Dinge vom Tische herunterwarf und sich wie ein Rasender gebärdete. Es liegt sehr in seinem Charakter, daß er auch ein oder das andere Mal in der Ministerratssitzung die Selbstbeherrschung verloren hat. Nur ein Mann, der sich nicht in der Gewalt hat und nicht berechnen kann, wie seine Worte wirken, konnte die törichte Rede halten von den zerrissenen Schuhen und von den Trinkgeldern33." „Übrigens hegte der Kaiser gleich bei der Bildung des Bürgerministeriums ein gewisses Mißtrauen gegen die Bürgerminister und gegen Giskra, und deshalb wurde das Polizeiministerium vom Ministerium des Innern losgelöst und mit dem Landesverteidigungsministerium vereinigt, welches Graf Taaffe verwaltete. Das zeigte, daß der Kaiser sich nicht ganz in die Hände seines neuen Ministeriums geben wollte. Ich begleitete, wie Sie wissen, mit meinem Vater, der Handelsminister war, den Kaiser auf seiner Reise nach Palästina 186934. Als wir in Triest landeten, erschien Graf Taaffe im Namen der Minister, um den Kaiser zu bewillkommnen. Er trat bei meinem Vater ein, als ich noch im Bette lag, und sie sprachen im Nebenzimmer, aber ich hörte, wie Graf Taaffe meinem Vater auseinandersetzte, die Dinge stünden schlecht mit dem Ministerium. Schon damals war die Entlassung des Bürgerministeriums ins Auge gefaßt. Auch gab der Kaiser Giskra bei seiner Ankunft in Wien ein Zeichen seines Mißfallens, indem er ihm nicht wie den übrigen Ministern die Hand reichte." „Sie fragen mich, ob der Fall des Bürgerministeriums mehr durch die persönliche Abneigung des Kaisers oder durch die Absicht des Kaisers und Beusts hervorgerufen war, den Revanchekrieg gegen Preußen vorzubereiten. Man kann nun bei historischen Dingen nicht so sondern und nicht entscheiden, welches Motiv stärker gewirkt habe; offenbar stützte ein Motiv das andere." Plener hält es für zweifellos, daß Beust im März 1870 den Austritt der Polen aus dem Reichstage mit herbeigeführt und dadurch den Rücktritt des Bürgerministeriums erzwungen habe35. Wie kamen dann auf Dr. Sturm zu sprechen, den Plener treffend charakterisierte. „Sturm war ein Mann von ungewöhnlichem Scharfsinn, von einer seltenen Gabe, rasch zu formulieren, wodurch er seiner Partei in Adressen, Resolutionen etc. große Dienste leistete. Er schrieb überhaupt sehr gut. Er 33
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Wahrscheinlich bezieht sich Ernst von Plener auf eine Wahlrede Karl Giskras im November 1872, in der er sich gegen die Vorwürfe bezüglich der Konzessionserteilung der Lemberg-Czernowitzer Bahn verteidigte und auf seine ärmliche Herkunft sowie die Notwendigkeit, für seine Familie zu sorgen, verwies. Vgl. Ernst von Plener, Erinnerungen. Bd. 2 (Stuttgart - Leipzig 1921) 8. Anläßlich der Eröffnung des Suezkanals unternahm Kaiser Franz Joseph vom Oktober bis Dezember 1869 eine Reise in den Nahen Osten und besuchte dabei auch die Heiligen Stätten in Palästina. Vgl. Plener, Erinnerungen. Bd. 1, 215-226. Vgl. zur Mandatsniederlegung der polnischen Abgeordneten am 31. 3. 1870 S. 417 Anm. 136.
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Freiherr Oskar Lasser von Zollheim
besaß auch den notwendigen Überblick über die verschiedenen politischen Beziehungen; nur war er leider krankhaft mißtrauisch und empfindlich. Es war dies geradezu eine Krankheit. Es ist klar, daß die furchtbaren Schicksalsschläge, die er erfahren hat - seine Tochter ist im Irrenhause, sein Sohn hat sich im Wahnsinn erschossen - auf die krankhafte Disposition in der Familie Sturms zurückzuführen sind. Wenn ich nicht irre, befindet sich auch eine Schwester Sturms im Irrenhause. Das kann nicht von der Familie der Gattin Sturms herrühren, denn diese ist eine Frau von seltener geistiger und körperlicher Gesundheit. Ich bin einer der wenigen, welche Sturm, der unverdienterweise ganz vergessen ist, immer wieder besuchen, sowohl aus Teilnahme für sein schweres Familienunglück wie auch, weil ich finde, daß man seine Verdienste nicht würdigt. Er hat ja auch gegen mich gearbeitet, weil er nicht leicht jemanden aufkommen lassen wollte, aber das tritt doch zurück hinter dem guten Verhältnis, in dem wir später standen. Es wäre kleinlich, auf diese Seltsamkeit Sturms weiter einzugehen. Sein krankhaftes Mißtrauen aber zeigte sich gegen den armen Dr. Promber. Promber war bekanntlich sehr mäßig begabt und hatte vor Sturm einen an Furcht grenzenden Respekt. Er studierte das Gesicht Sturms, bevor er überhaupt wagte, etwas vorzubringen. Gegen diesen armen Mann hegte Sturm immer das Mißtrauen, er arbeite gegen ihn.
Freiherr Oskar Lasser von Zollheim, Regierungsrat i. P.
10. März 1902 К 2, U 3, 455 г - 456 ν; Sekretär 1
Die Ursache der Feindschaft des Freiherrn von Kellersperg gegen Herbst lag in dem tadelnswerten Verfahren Herbsts gegen Kellersperg. Kellersperg hatte als Statthalter von Böhmen 1868 im Landtag Erklärungen abzugeben laut der ihm von der Regierung gewordenen Aufträge. Herbst kam aber zufällig zu der Sitzung aus Wien und desavouierte in der Sitzung in einer Rede den Statthalter. Kellersperg war so wütend, daß er sofort öffentlich erklärte, er wolle unter Herbst nicht mehr dienen. Darauf mußte er vom Ministerium seines Amtes enthoben werden. Es wird doch notwendig sein, diese Tatsachen zu verifizieren und festzustellen, ob das mit den Vorgängen in der Landtagssitzung stimmt.36 36
Der am 22. 8. 1868 eröffnete böhmische Landtag wurde von den tschechischen Abgeordneten boykottiert. Sie forderten die Anerkennung des böhmischen Staatsrechts durch die Krone. Statthalter Freiherr Ernst von Kellersperg wurde am 10. Oktober aufgrund von Differenzen mit der Regierung, vor allem mit Justizminister Eduard Herbst über die Maßnahmen zur Bekämpfung der tschechischen Abstinenzpolitik und die Aufrechterhaltung der Ordnung in Böhmen entlassen.
10. März 1902
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Kellersperg und Lasser waren Vettern. Kellersperg war der angeheiratete Cousin Lassers. Lasser wollte nach dem Falle des Bürgerministeriums seine Demission als Statthalter von Tirol geben; zweimal schrieb ihm Graf Taaffe, daß er den größten Wert auf sein Verbleiben lege. Dann wurde Lasser infolge seiner bekannten Abstimmung im Abgeordnetenhause Knall und Fall seines Amtes enthoben37. Er war tief verletzt und zog sich nach Graz zurück. Unter Hohenwart kam es, wie bekannt, zu einer wichtigen Abstimmung über das Budgetprovisorium38. Lasser, Chlumecky, Plener sen., kurz die konservative Richtung in der Verfassungspartei stimmte für die Bewilligung. Der Kaiser war darüber so erfreut, daß er Lasser durch Braun auffordern ließ, sich bei ihm zur Audienz zu melden. Darauf erwiderte Lasser, das könne er nach der ihm widerfahrenen Behandlung nicht tun; er könne beim Kaiser nur erscheinen, wenn dieser ihn zu sich befehle. Darauf schrieb der Kaiser persönlich an Lasser, ihn einladend. Der Kaiser dankte ihm in der Audienz, daß er durch seinen Einfluß die Verweigerung des Budgets verhindert habe, und erörterte mit ihm die politische Lage. Nach dem Sturze Hohenwarts handelte es sich um die Neubildung des Kabinetts. Zuerst wurde Kellersperg zum Kaiser berufen. Offenbar wurde er deswegen erkoren, weil er ein Gegner Herbsts war, und der Kaiser nur widerwillig ein Ministerium aus der Verfassungspartei bildete. Man stellte an Kellersperg Forderungen, die dieser nicht erfüllen konnte, und er teilte dies auch seinem Vetter Lasser mit. Darauf wurde Fürst Auersperg zum Kaiser berufen, und dieser lud Lasser zum Eintritt in sein Ministerium ein. Beim Tode Holzgethans 1876 bestand die Absicht, Hasner zum gemeinsamen Finanzminister zu ernennen. Der Kaiser lehnte aber den Vorschlag ab und meinte, Hasner sei ihm zu „larmoyant". Die Ernennung Hofmanns erfolgte, weil Andrässy ihn gerne aus dem Ministerium des Äußern weghaben wollte und ihn auf diese Weise befördern ließ. Schmerling war als oberster Richter doch eigentlich eine befangene, nicht immer korrekt vorgehende Persönlichkeit39. Auch mengte er sich in Privatangelegenheiten in nicht günstiger Weise. Graf Taaffe erzählte Lasser jun., als dieser ihm von seinem eigenen Erlebnis Kunde gab, Schmerling habe in derselben Weise Mißhelligkeiten in der Familie des Fürsten Starhemberg hervorgerufen. Schmerling habe den alten Fürsten zur Abfassung eines Testamentes bestimmt, welches seinem ältesten Sohne ungünstig war. Wie es scheint, ging Schmerling hierbei von der Ansicht aus, die sich übrigens auch 37 38
39
Vgl. zur Abstimmung am 18. 10. 1870 S. 406 Anm. 106. Am 7. 6. 1871 wurde der Antrag Eduard Herbsts, die Budgetberatungen vorläufig nicht aufzunehmen, mit den Stimmen von fünf Mitgliedern der Verfassungspartei (bei neun Enthaltungen) knapp abgelehnt und in weiterer Folge Ende Juni das Budget bewilligt. Anton von Schmerling war von 1865 bis zu seinem Tod 1893 Präsident des Obersten Gerichtshofes.
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Rudolf Sieghart
als richtig bewährte, daß Fürst Camillo Starhemberg das Vermögen seines Vaters verschwenden werde. Ganz ebenso bestimmte er die Witwe Lassers, ein Testament zu machen, durch welches sie ihrem einzigen Sohne bloß die Hälfte ihres Vermögens vermachte; die andere Hälfte solle er nur dann erhalten, wenn er ein gewisses Versprechen abgebe. Dieses Versprechen bestand offenbar darin, daß Lasser jun. sich verpflichte, sein Verhältnis mit einer verheirateten Frau, das allgemeinen Skandal erregte, zu lösen. In diesem Testamente wurde Schmerling zum Testamentsexekutor eingesetzt. Als sich der Sohn bei Schmerling beklagte, daß er seine Mutter zu diesem Schritte bestimmt habe, gab Schmerling sein Ehrenwort, daß er auf die Abfassung des Testaments keinen Einfluß geübt habe. Lasser schließt jedoch aus allen Umständen, daß Schmerling das Testament hervorgerufen habe, auch hier war er offenbar von einer guten Absicht beseelt. Der Sohn erklärte, daß er dieses Versprechen niemals geben werde, und daß er das Testament anfechte. Auf den Rat seines Advokaten gab er eine Erklärung ab, die eigentlich vollkommen rechtswidrig war. Er gab nämlich eine bedingte Erbserklärung ab aufgrund des Testaments seiner Mutter. Eine solche Erklärung ist unstatthaft, weil man eine bedingte Erbserklärung eigentlich nur abgeben kann, wenn kein Testament vorliegt." Der Advokat riet seinem Klienten, einfach zu Schmerling zu gehen und ihm zu sagen, er werde, wenn das ihm angetane Unrecht nicht durch die Gerichte gutgemacht werde, den ganzen Verlauf der Angelegenheit der Öffentlichkeit übergeben. Dadurch schüchterte er Schmerling ein. Das Gericht erster Instanz gab (offenbar Schmerlings Absicht entgegenkommend) dem Sohne Recht, und Schmerling wagte es nicht, wie es seine Sache als Testamentsexekutor gewesen wäre, von der ersten Instanz einen Appell an die höhere einzulegen. Er als oberster Richter hätte die Sache in der Hand gehabt.
S [Rudolf Sieghart, Sektionschef im Ministerratspräsidium]
24. März 1902 К 2, U 2, 282 г - 283 ν
Am 21. März war die Abstimmung über Cilli40. Sieghartb setzt mir die Stellung Koerbers auseinander: Koerber hat den Deutschen den Dienst gelei40
Am 21. 3. 1902 fand im Abgeordnetenhaus die Abstimmung über den Budgetposten betreffend die slowenischen Parallelklassen am Gymnasium in Cilli (Celje) statt. Die Post wurde gegen den Widerstand der Deutschen genehmigt, und auch der Antrag Graf Karl Stürgkhs, die Parallelklassen schrittweise aufzulösen und statt dessen die Parallelklassen in Marburg zu einem selbständigen slowenischen Untergymnasium auszubauen, fand keine Mehrheit. " Am Rand mit zwei doppelt unterstrichenen Fragezeichen kommentiert. b Der Name Sieghart durch Ausstreichung unkenntlich gemacht.
24. März 1902
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stet, daß Treuinfels seinen Zusatzantrag zurückzog41, ja daß Wassilko bestimmt wurde, ihn nicht, wie er beabsichtigte, wieder aufzunehmen. Weiter konnte Koerber nicht gehen. Er konnte keinen Einfluß auf die Abstimmung der Polen üben. Vorerst sind die Polen nicht so bestimmbar, und dann kann er seinem Programm gemäß nicht den slowenischen Besitzstand ohne gemeinsames Einvernehmen der Beteiligten ändern. Das ist der Grundsatz, von dem er nicht abgeht. Ich wende ein: Die Deutschen werden sich doch nicht auf den Standpunkt der Slowenen herabdrücken lassen, auf diese Weise würden die Alldeutschen immer wachsen. Nur eines ist ihm unangenehm: daß Pietak gegen die Resolution Stürgkh stimmte. Darauf war er nicht vorbereitet, daran wurde überhaupt nicht gedacht. Koerber macht sich und innerlich vielleicht auch Sieghart Vorwürfe, daß sie darauf nicht aufmerksam waren. Koerber wird alles tun, um die Deutsche Volkspartei zu beruhigen. Aber die Verlegung des Cillier Gymnasiums nach Marburg sei unmöglich; besonders jetzt nach Ablehnung der Resolution. Denn dann drohe die slowenische Obstruktion (!?). Man müsse an etwas anderes denken. Sieghart meint, am klügsten wäre die Berufung eines deutschen Landsmannministers. Man könne da an Stürgkh oder Derschatta denken. Aber das sei nur möglich, wenn auch den Tschechen ein parlamentarischer Landsmannminister gegeben würde. Dabei könne man nicht mehr an Engel denken, da dieser von Kramär und Engel [sie!] unterminiert sei. Man wolle Engel nicht, weil er feste Autorität im Club halte und gegen die Obstruktion sei. Kramär wäre der beste, um ihn zu beruhigen. Ihn aus seiner Desperado-Meinung herauszubringen, werfe ich ein. Aber es wäre die Frage, ob dies ginge. Meiner Ansicht nach nicht: Schon aus Rücksicht auf Deutschland nicht, auch nicht wegen des Hinauswurfs der deutschen Abgeordneten 42 , so wende ich ein. Ein außer dem Parlament stehender deutscher Landsmannminister würde nicht genügen. Es ist keine geeignete Persönlichkeit vorhanden, keine, die Autorität hätte. Sehr ungünstig stehe es auch mit dem ungarischen Ausgleich. Der Kern der Sache ist, daß vor vier Wochen die zweite Lesung des Zolltarifs beendigt war, und daß Szell jetzt vier Wochen nichts von sich hören läßt. Zuerst war er krank, dann kam die Fejerväry-Krise, und jetzt muß sich der neue Han41
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Um welchen Zusatzantrag des Abgeordneten Abt Leo Maria Treuinfels es sich handelte, konnte nicht festgestellt werden. Treuinfels sprach sich in der Debatte am 21. 3. 1902 gegen eine Auflösung oder Verlegung aus und erklärte, er könnte sich eine Zustimmung lediglich nach dem Einverständnis beider Volksgruppen zu einer Veränderung vorstellen. Karel Kramär war während der Tumulte im Abgeordnetenhaus 1897, ausgelöst durch den deutschen Widerstand gegen die Badenischen Sprachen Verordnungen, Vizepräsident des Hauses und mitverantwortlich für die Verschärfung der Geschäftsordnung, wodurch eine zeitweise Suspendierung von Mandataren und ihre Entfernung aus dem Parlament durch die Polizei ermöglicht wurde.
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Rudolf Sieghart
delsminister Horänszky erst in die Sache hineinarbeiten 43 . Dieses Hinausschieben mache doch den Eindruck, daß es beabsichtigt ist. Es scheint, daß Szell die Sache so lange - bis Ende 1902 - hinausschiebt, daß er in diesem Zeitpunkt sagen kann: Osterreich habe bis Ende 1902 das Zoll- und Handelsbündnis nicht angenommen, also habe es schuld, also könne Ungarn seine Autonomie noch mehr erweitern. Ende 1902 ist die Frist, bis wohin das Bündnis geschlossen sein muß, woferne Ungarn mit fremden Staaten nur Verträge bis 1907 schließen will44. Koerber nun ist entschlossen, einen guten Vertrag mit Ungarn zu schließen oder zu gehen. Darin, so sagt Sieghart, bestärkte er Koerber in dessen eigenem Interesse. Was dann: Dann wird Wittek einen § 14-Vertrag schließen, der den Ungarn alles bewilligt.45 Szell ebenso wie die Ungarn wollen alles gewinnen, ohne auf Koerber und Osterreich die geringste Rücksicht zu nehmen. Bei dieser Verhandlung (Zolltarif) spielt vorerst die Frage des Handelsbündnisses keine Rolle. Hier erst wird die Freiheit der ungarischen Rente von der Rentensteuer zur Beprechung kommen. Koerber wird jedenfalls eine Gegenleistung verlangen. Sieghart hat bei Sektionschef Baron Beck, mit dem er sehr gut steht und der ihm sehr zu Dank verpflichtet ist, jüngst gespeist. Gast war auch Graf Nostitz, der Obersthofmeister des Erzherzogs Franz Ferdinand. Nostitz ist eine imponierende Gestalt, kein überlegener Kopf, aber ruhig, verständig. Er sprach sich mit höchster Offenheit gegen Sieghart aus. „Der Erzherzog habe von Goluchowski die allergeringste Meinung. Noch geringer schätze er Szögyeny, und zwar deshalb, weil er zu demütig gegenüber Kaiser Wilhelm sei. Er treibe wahre Proskynesis (Ausdruck Siegharts gemäß Detailerzählungen Nostitz')." Uber Aehrenthal meinte Nostitz, er mache allerdings nicht den Eindruck eines bedeutenden Staatsmannes. Er stehe wohl nicht auf der Höhe, aber wie die Dinge stünden, würde der Erzherzog als Kaiser ihn zum Minister des Äußern machen. Des weiteren erzählt Sieghart, daß der Erzherzog bedauerlicherweise zu viel von seinen Absichten spreche, sobald er Kaiser würde. Vor allem, so erkläre er, würde er die ungarische Verfassung nicht beschwören (!!). Das sei eine allgemein bekannte Tatsache, und die ungarischen Regierungskreise beschäftigten sich mit ihr. Daraufhin habe Sieghart schon Koerber gesagt: Dann werden die Ungarn nicht in die 43
44 45
Am 4. 3. 1902 ersetzte Nändor Horänszky als Handelsminister Sandor Hegedüs. Kurz darauf wurde bekannt, daß Honvedminister Geza Fejerväry den Kaiser ersucht hatte, seine Demission einreichen zu dürfen, da er nicht mit einem Vertreter der Nationalpartei in einem Kabinett zusammenarbeiten könne. Der Kaiser lehnte das Gesuch ab, und am 16. März wurde die Krise in der Presse für beendet erklärt. Vgl. zur Vereinbarung von 1899 bezüglich der provisorischen Verlängerung des Ausgleichs und des Zoll- und Handelsbündnisses S. 446 Anm. 22. Eisenbahnminister Heinrich von Wittek leitete bereits zum Jahreswechsel 1899/1900 ein provisorisches Kabinett, das zahlreiche Notverordnungen erließ, darunter das Budgetprovisorium bis Juni 1900.
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März 1902
Krönung wollen - non est unctus, non est coronatus - non est rex noster. Der Erzherzog sei christlichsozial gesinnt, die Klerikalen seien ihm nicht aggressiv [genug] gesinnt. Er sei für die deutsche Staatssprache, also deutsch, aber mit entscheidendem klerikalen (christlichsozialen) Einschlag.
Regierungsrat Regierungsrat
Ludwig von Hirschfeld, i. P. März 1902 К 2, U 6, 729 г - 731 ν; Sekretär 1
Ich studierte in Olmütz und zu der Zeit, da die Abdankung Kaiser Ferdinands und der Besuch des Zaren Nikolaus bei Kaiser Franz Joseph 1851 erfolgte. Damals hieß es allgemein, Bach habe sich seinen Vollbart abnehmen lassen müssen, bevor er beim Zaren empfangen wurde. Ich trat bei Gericht ein, erhielt aber dann eine Stelle in der Staatspolizei. Mein oberster Chef, Kempen, war keine hervorragende Persönlichkeit, eigentlich ein höherer Gendarm. Er war als Antiklerikaler bekannt. Mein interessantester Fall war der vier Monate währende Verkehr mit Feiice Orsini. Zu meinen Obliegenheiten in Wien gehörte es, daß ich jede Woche einmal in der Oper die Polizei-Inspektion hatte. An diesem Tage bekam ich einen Sitz, während ich an den übrigen Tagen freies Entree hatte. Ich besuchte häufig das zweite Parterre, wo ich eine große Anzahl von ständigen Besuchern kannte. Eines Tages fiel mir ein überraschend schöner Mann auf, dunkelhaarig, mit lebhaften Augen. Ich sah, daß er zu einer Loge kokettierte und daß seine Blicke erwidert wurden. Die junge Dame, die dieses Spiel mit ihm trieb, war die Gräfin Grünne, die Tochter des Generaladjutanten des Kaisers. Die Sache interessierte mich, ich folgte dem Manne, als er das zweite Parterre verließ. Er begab sich an den Logenausgang, und ich sah, wie die Gräfin Grünne ein Brieflein fallen ließ, welches Orsini aufhob; doch schenkte ich der Sache keine weitere Bedeutung. Eines Tages, a1854,a erhielt die Polizei die Mitteilung, in Kronstadt (Siebenbürgen) seien zwei Personen verhaftet worden. Ein Mann, der einen Paß auf den Namen Georg Hernagh hatte, und der 21jährige Commis des Drascheschen Tuchgeschäftes, Alexander Schaf. Der erstere war verfolgt worden, weil er in Wien in einem Kaffeehause auf dem Stephansplatze, dem jetzigen „Cafe d'Europe", italienischen Studenten und jungen Dalmatinern Brandschriften verteilte. Schaf war nur, da er in Geschäften seines Chefs reiste, zufällig mit ihm gefahren und wurde wieder entlassen. Als der verhaftete Hernagh meinem Chef vorgeführt wurde, führte ich das Protokoll und erkannte sofort den Mann aus dem Operntheater. Es war klar, daß der Paß des Hernagh gefälscht sei, schon deshalb, weil der Verhaftete bloß a_a
Ergänzung
durch
Friedjung.
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Ludwig v o n Hirschfeld
italienisch und französisch sprach und offenbar ein italienischer revolutionärer Agent war. Mein Chef, Baron Dobaire46, überließ mir, da ich gut französisch sprach, das Verhör des Mannes, aus dem er nichts herausbrachte. Vier Monate lang befand sich Hernagh in Untersuchungshaft, und ich erleichterte ihm seine Lage, ließ ihm ein besseres Zimmer anweisen, gab ihm Zigarren und gewann durch mein menschliches Vorgehen sein Vertrauen. Endlich gestand er mir, daß er Feiice Orsini heiße. Ich sagte ihm, daß ich ihn im Opernhause beobachtet habe, und fragte ihn, wie weit er mit der Gräfin Grünne gekommen sei. Er behauptete, sie habe ihn mehrmals in seinem Hotel auf dem Fleischmarkt besucht. Der Paß auf den Namen Hernagh hatte ursprünglich auf Georg Herwegh gelautet und war ihm von der Frau Herweghs in der Schweiz geschenkt worden. Er fälschte zwei Buchstaben und reiste unter dem soeben angenommenen Namen. Orsini erklärte, er gehöre der revolutionären Partei an, sei aus Imola im Römischen geboren. Auf die Frage, was er eigentlich in Siebenbürgen gemacht habe, gestand er mir offen seinen Plan. Es war 1854, der Krimkrieg wurde geführt, und Orsini wollte in die französische Fremdenlegion treten. Man erwartete nämlich zu jener Zeit, daß Napoleon III. in der Krim erscheinen werde - was später auch geschah -, und Orsini erklärte mir, er habe die Absicht gehabt, als Soldat der Fremdenlegion Napoleon zu erschießen. Ich stand mit Orsini so gut, daß mir gestattet wurde, mit ihm ohne weitere polizeiliche Bedeckung in Wien spazieren zu gehen; ich ließ ihn unter einem freundschaftlichen Vorwand photographieren, worauf dann 60 Abzüge seiner Photographie gemacht wurden. Ich erklärte ihm auch, ich sei selbst liberal gesinnt, und Orsini hatte offenbar die Hoffnung, mich zu bestimmen, daß ich ihm zu einem Fluchtversuche behilflich sein werde; war er doch schon zu wiederholten Malen mit ähnlichen Mitteln aus italienischen und österreichischen Kerkern entsprungen. Diese Hoffnung bestärkte sich in ihm, als ich ihm mitteilte, er werde von Wien nach Mantua gebracht werden. In Mantua befand sich der Gerichtshof für die politischen Angeklagten aus Italien, und da man unterdessen Orsinis Vorleben festgestellt hatte, mußte er auf eine vieljährige Kerkerstrafe gefaßt sein. Er fragte mich, wer ihn nach Mantua bringen werde; ich sagte, ich würde es sein. Eines Tages fragte ich ihn, was er tun werde, wenn er verurteilt sei. Er sagte offen, daß er Gift bei sich trage, in einer Nadel, die in seiner Weste eingenäht sei. Als er sich zur Leibesuntersuchung entkleiden mußte, ließ ich insgeheim diesen Teil seiner Weste auftrennen, und man fand diese Nadel. Die Weste wurde wieder zugenäht, ohne daß er sofort den Verlust gewahrte. Hirschfeld läßt es dahingestellt, ob Orsini ihm alles dies in naivem Vertrauen mitgeteilt habe, denn er war ein ehrlicher Fanatiker, der auch andere zu gewinnen hoffte, oder ob er mit ihm 46
Es läßt sich kein Beamter der Obersten Polizeibehörde mit diesem Namen feststellen; wahrscheinlich ist jedoch der Chef der Staatspolizei Mathias Schroth v. Rohrberg gemeint.
4. April 1902
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ein Spiel trieb, um ihn für einen Fluchtversuch zu gewinnen. Vier Monate lang dauerte dieser Verkehr, bis Orsini nach Mantua gebracht wurde. Er war sehr überrascht, daß nicht ich sein Begleiter war. Ein Polizeikommissär brachte ihn nach Italien. Er wurde verhört, verurteilt und in die Zitadelle von Mantua eingesperrt. Wenige Wochen später gelang es ihm, mit Hilfe eines Kerkermeisters, den er gewonnen hatte, zu entfliehen. Längere Zeit darauf reiste ich nach Paris. Als ich einmal eine Eisenbahnkarte löste, um eine kleine Fahrt anzutreten, stand plötzlich Orsini neben mir. Merkwürdigerweise erkannte er mich nicht, während ich sofort wußte, wer er sei. Ein anderer, wenn auch weniger interessanter Fall war der Fall eines russischen Kabinettskuriers. Während des Krimkrieges wurde uns gemeldet, ein junger Mann werde aus Rußland in Wien ankommen, der die Aufgabe habe, panslawistische Proklamationen an die Serben im Banat zu verteilen. Sowie er ankam und im „Erzherzog Karl" abstieg, wurde ich zu ihm hingeschickt mit dem Auftrage, seinen Koffer zu durchsuchen. Er war entrüstet, zeigte mir seinen Paß als russischer Kabinettskurier. Ich erklärte ihm, daß mein Auftrag ein gemessener sei, und er mußte seinen großen Koffer - wenn auch mit Widerstreben - untersuchen lassen. Unterhalb seiner Kleider lag ein Pack mit Proklamationen. Ich empfahl mich höflich, er aber erklärte, er werde sich bei der russischen Gesandtschaft beklagen. Er verließ auch sofort das Hotel, fuhr in die Gesandtschaft, aber die Sache hatte weiter keine Folgen. Irre ich nicht, so beklagte sich der russische Gesandte Graf Meyendorff, ohne daß jedoch viel herauskam. Die beiden leitenden Beamten in der Staatspolizei waren Lewinsky, der spätere Sektionschef, und Clannern von Engelshofen. Der erstere war ein tüchtiger Jurist, geschäftserfahren, der letztere ein scharfsinniger Polizeibeamter, der sehr viele Personen kannte, da er unter anderem bei der Untersuchungskommission zu Mainz (Demagogenverfolgung) tätig war47.
Marquis Olivier Bacquehem, Mitglied des Herrenhauses
4. April 1902 К 2, U 4, 475 г - 476 ν; Sekretär I
Bacquehem hält die Situation gleichfalls für ernst. Auch ihm hat Koerber versichert, daß er nur einen guten Ausgleich im Reichsrate vertreten werde, und daß er den Ausgleich keinesfalls aufgrund des § 14 machen werde48. Nun meint Bacquehem, es werde eine große Prüfung für Koerber kommen; denn 47
48
Vgl. dazu Frank Thomas Hoefer, Pressepolitik und Polizeistaat Metternichs. Die Überwachung von Presse und politischer Öffentlichkeit in Deutschland und den Nachbarstaaten durch das Mainzer Informationsbüro (1833-1848) (München u. a. 1983). Vgl. S. 455 f.
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Marquis Olivier Bacquehem
im entscheidenden Augenblicke wird der Kaiser an seine Loyalität appellieren und ihn auffordern, ihn nicht im Stiche zu lassen. Das ist ein schwerer Augenblick für einen österreichischen Minister. Freilich, fügte er lächelnd hinzu, hat bis jetzt noch keiner widerstanden. Übrigens, wenn Koerber nicht bereit ist, hinter ihm steht Herr von Wittek, der zu allem zu haben ist und den Ausgleich auf Grund des § 14 verkündigen wird. Die Schwierigkeiten in bezug auf Cilli49 dürften ja behoben werden, und Derschatta ist nicht der Mann, der sie vermehren wird. Aber er muß vorsichtig sein, denn wenn er viel vermittelt, kann es ihm eines Tages passieren, daß er in Graz nicht mehr gewählt wird, und darin ist Derschatta empfindlich. Er hat gewiß keine Lust, sich für Koerber zu opfern. Man kann es übrigens für bestimmt annehmen, daß dem Kaiser der Rücktritt Koerbers sehr ungelegen käme und daß er ihn gerne halten würde. Es ist überhaupt schwer, mit den Ungarn zu verhandeln. Ich habe es als Handelsminister gefühlt, wenn ich mit Herrn Baross, dem- ungarischen Handelsminister, zu verkehren hatte. Jeden Augenblick erhielt ich einen Brief von ihm mit der kühlen Anzeige: „Angesichts der unterdessen eingetretenen Umstände sehe ich mich veranlaßt, von den getroffenen Vereinbarungen zurückzutreten." Welche Umstände das waren, hat er nie der Mühe wert gehalten, mir mitzuteilen. Ein ungarisches Witzblatt stellte mich einmal dar, wie ich mich, sooft Baross nach Wien kam, ins Bett lege, weil ich das Zusammentreffen mit ihm fürchte. Das war nicht richtig, aber ich war wirklich, wenn ich mit ihm zu verhandeln hatte, später krank und mußte mich ins Bett legen. Es war höchst aufregend. Er kam selten nach Wien und trat oft plötzlich ein. Er begann das Gespräch sofort auf den Gegenstand zu lenken, auf den er sich sorgfältig vorbereitet hatte und in dem er deswegen sachlich der Überlegenere war. Ich mußte sehr aufpassen, da er, sobald ich zu nur einem seiner Vorschläge schwieg, sofort zu notieren begann: „Also, damit sind Sie einverstanden." Auch war er in gewissen Dingen mir an Kenntnissen weit überlegen. Nicht in bezug auf die Handelspolitik, in die ich mich eingearbeitet hatte, wohl aber in bezug auf die Eisenbahntarife. Ich gestehe offen, daß ich mich eigentlich darin nie ganz zurechtgefunden habe. Er aber hantierte mit den Staffeltarifen, Zonentarifen etc. mit souveräner Sicherheit. Dabei wollte er nie, daß ich einen meiner Räte der Unterredung zuzog. Nein, er wollte das alleine mit mir abmachen. Wenn ich nun einmal nicht nachgab, stand er auf, reichte mir die Hand und sagte: „Also, Sie wollen nicht! Ich habe die Ehre." Ich mußte seine Hand festhalten, damit er mir nicht sofort weggehe. Natürlich war das nur eine Form der Unterredung, um einen Druck auszuüben. Er war ein Mann von rücksichtsloser Energie und 49
Vgl. zur Abstimmung vom 21.3. 1902 über den Budgetposten betreffend die slowenischen Parallelklassen am Cillier (Celje) Gymnasium S. 454 Anm. 40.
Mitte April
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wäre gewiß, wenn er länger gelebt hätte, Ministerpräsident geworden. Wenn er etwas durchsetzen wollte, schonte er die Arbeitskraft seiner Beamten nicht, und er vollendete ja das System der ungarischen Staatsbahnen mit großer Umsicht. Die interessanteste Unterhandlung, die ich mit ihm führte, galt dem sogenannten ungarischen Lokaltarif. Unter dem Vorwande von Lokaltarifen wurden der ungarischen Industrie die größten Begünstigungen gewährt, welche dem Handelsbündnisse schnurstracks zuwiderliefen. Wir konnten uns nicht einigen, und die Leidenschaften in Osterreich wie in Ungarn waren aufs höchste gestiegen. Da lud uns Graf Kälnoky zu einem Diner ein50. Nach dem Essen brachte er das Gespräch auf den streitigen Gegenstand. Ich wandte meine ganze Beredsamkeit auf, um Baross zu überzeugen, daß sein Tarif den Verträgen zuwiderlaufe. Graf Kälnoky unterstützte mich, aber Baross blieb hartnäckig und wiederholte, wenn er keine Argumente hatte, einfach: „Ich kann nicht, ich kann einfach nicht!" Die Unterredung währte drei Stunden, und wir waren zu keinem Ergebnisse gekommen. Ich war höchst aufgeregt, und am nächsten Tage sollte Baross zu mir kommen, um sich zu verabschieden. Zu meiner höchsten Überraschung trat er mit den Worten ein: „Ich bin bereit nachzugeben, aber ich versichere Sie, ich bin in Ungarn ein verlorener Mann." Welches seine Motive waren, ich weiß es eigentlich bis heute nicht. Wahrscheinlich aber sah er doch ein, daß die Position Ungarns moralisch nicht haltbar war, da Graf Kälnoky und, wie es scheint, auch Källay, der bei der Unterredung anwesend war, sich für den österreichischen Standpunkt aussprachen. Diesem Drucke mußte auch seine Energie weichen. Nun, Baross war deshalb nicht verloren, aber er hatte tatsächlich in Ungarn die größten Angriffe zu überstehen, und ein ungarisches Witzblatt zeigte ihn als einen Lokomotivführer auf einer dahinbrausenden Lokomotive mit der Reitpeitsche in der Hand, wie er (auf dem ersten Bilde) gerade im Begriffe war, mich zu überfahren. Mit einem Male senkte sich (auf dem zweiten Bild) seine Reitpeitsche, und die Lokomotive legte sich mir demütig zu Füßen.
Hofrat Alexander Spitzmüller, Leiter Kreditsektion im Finanzministerium
der Mitte April 1902 К 2, U 4, 485 г - 487 r; Sekretär 1
Plener und Kaizl waren als Finanzminister gleich an Sachkenntnis, aber Kaizl war Plener als Politiker weit überlegen. Kaizl hatte überhaupt die Anlagen zu einem großen Manne. Seine Entschlußfähigkeit, sein Überblick sind höchst anerkennenswert. Im ersten Jahre seiner Amtsführung gab er 50
Vgl. dazu S. 222 f.
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Alexander Spitzmüller
sich übrigens ganz als österreichischer Minister; erst vom Jänner 1899 begann die durch nichts zu entschuldigende Förderung tschechischer Interessen. Die Ernennung tschechischer Beamter im Finanzministerium überschritt alles Maß. Aus diesem Anlasse gab ich meine Demission als Chef des Personalbureaus51. Er wollte einem Deutschen aus Böhmen die Stelle eines Vizepräsidenten der niederösterreichischen Statthalterei geben, um auf diese Weise einen Deutschen aus Böhmen zu entfernen und die Stelle für einen Tschechen frei zu bekommen. Nachdem ich vieles andere widerwillig hatte geschehen lassen müssen, erklärte ich, daß ich meine Stelle unter solchen Umständen nicht bekleiden könne. Der Chef des Personalbureaus kann sich das erlauben, da er dann ein Referat übernehmen kann, während einem Referenten in einem solchen Falle nichts übrig bleibt, als in Pension zu gehen. Kaizl war sehr betroffen, als ich ihm diesen Entschluß verkündigte. Er war doch zu klug, um nicht einzusehen, welchen Eindruck das machen würde. Deshalb lenkte er ein. Er ließ mich rufen und sagte mir, er habe sich die Sache überlegt, aber er wünschte von mir, ich solle in einer anderen Angelegenheit nachgeben. Es betraf die Disziplinierung eines mir untergeordneten Beamten. Ich hielt diese Disziplinierung für ungerecht, auch war dies der einzige Beamte in meinem Bureau, der zu mir hielt, während die anderen gegen mich intrigierten. Ich erklärte also, daß ich nicht einverstanden sei, und daraufsagte mir Kaizl: „Sie opponieren doch gegen alles", und aus diesem Anlasse legte ich mein Amt als Chef des Personalbureaus nieder. So war dem Konflikt ein anderer Anlaß gegeben als die schwierige nationale Frage, anläßlich derer Kaizl mich nicht scheiden lassen wollte. Meine Entfernung war Kaizl sehr unangenehm, und einer der hohen Beamten sagte mir, Kaizl sei dies so unangenehm gewesen, daß er darüber geweint hätte (?). Als dann die Verhandlungen über den ungarischen Ausgleich kamen, sagte ich Kaizl, daß er Ungarn die großen Konzessionen nicht machen dürfe, sondern zurücktreten solle, wenn er seinen Ruf als Finanzminister nicht zu gefährden Lust habe. Kaizl schien auch dazu bereit. Er muß es sich aber aus politischen Gründen, und um das damals herrschende System zu stützen, überlegt haben. Meine Beziehungen zu ihm blieben äußerlich gut, wenn auch die frühere Herzlichkeit aufgehört hatte. Am 6. August 1899a traf Kaizl, von einem Jagdausflug heimkehrend, mich in der Station der Westbahn und sagte mir: „Unser System steht vollständig fest. Wir haben den Graf Thun gebeten, sich darüber Gewißheit zu verschaffen, und er war in Ischl beim Kaiser und kam mit der Überzeugung zurück, wir würden nicht entfernt werden." Alexander Spitzmüller wurde am 18. 5. 1899 als Leiter des Präsidialbureaus, nicht Personalbureaus, dem er seit Dezember 1898 vorgestanden war, enthoben und dem Budgetreferat des Finanzministeriums zugeteilt. Vgl. auch Alexander Spitzmüller, „ . . . und hat auch Ursach, es zu lieben" (Wien u. a. 1955) 35-43. * Ergänzung durch Friedjung.
51
Mitte April
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Dies aber erwies sich als Täuschung. Das Ministerium Thun - Kaizl wurde benutzt, um den ungarischen Ausgleich nach der Szellschen Formel anzunehmen52, und wurde dann entlassen. Wir waren innerlich nach meiner Demission im Mai 1899 doch entfremdet, und ich beklage tief seinen Tod53. Noch jetzt krampft sich mir das Herz zusammen, wenn ich bedenke, daß er gestorben ist, ohne daß wir uns innerlich ausgesöhnt hatten. Im Ministerium Gautsch war Koerber als Handelsminister der entschiedenste Gegner des Badeni-Bilinskischen Ausgleiches54. Er wütete förmlich dagegen und erklärte, er könne und werde ihn nicht vor dem Parlament vertreten. Diese Haltung legt Koerber auch bei den jetzt geführten Verhandlungen die Nötigung auf, fest zu bleiben. Er würde sich sonst in den Augen des Kaisers und des Barons Gautsch eine Blöße geben. Dieser letztere könnte sagen, daß er ihm als Ministerpräsidenten Schwierigkeiten in Dingen gemacht habe, in denen er jetzt, wo er selbst Ministerpräsident sei, den Ungarn nachgebe. Gautsch ging daher nach Budapest, um einen besseren Ausgleich zu erzielen. Da aber wurde er vom Kaiser in rücksichtslosester Weise im Stiche gelassen. Baron Bänffy fragte den Kaiser, ob, wenn er das Junktim55 auch Gautsch konzediere und sonst nachgebe, er auch sicher sei, daß Gautsch, durch das Vertrauen des Kaisers getragen, länger Minister bleibe. Da erwiderte der Kaiser, daß das Ministerium Gautsch nur ein provisorisches sei. Davon hatte Gautsch keine Ahnung. Ich war als Referent über den ungarischen Ausgleich mit ihm nach Budapest gereist und hatte eine ganze Bibliothek von Büchern und Akten mitgenommen. Bei der entscheidenden Verhandlung war ich nicht anwesend. Bei dieser Verhandlung ließ Bänffy zuerst Gautsch einen einstündigen Vortrag mit seinen Vorschlägen machen, dann sagte er, es sei ihm unmöglich, das Junktim etc. zu konzedieren, da Seine Majestät doch das Ministerium nur als ein provisorisches betrachte. 52
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Die Szellsche Formel, am 14. 3. 1899 dem Budapester Reichstag bekanntgegeben, besagte, daß die Zolleinheit bei NichtZustandekommen des wirtschaftlichen Ausgleichs über das Jahr 1903 hinaus bis 1907 bestehen bleibe, solange das ungarische Parlament keine andere Entscheidung treffe. Das war der Preis, den Ministerpräsident Graf Franz Thun für die ungarische Zustimmung zur Verlängerung des Ausgleiches mittels Notverordnung in Osterreich zahlen mußte. Josef Kaizl war am 19. 8. 1901 gestorben. Der zwischen den Ministerien Badeni und Bänffy verhandelte Ausgleich konnte 1897 aufgrund der Obstruktion der Deutschen das Wiener Parlament nicht passieren. Statt dessen wurde der auslaufende Vertrag mittels kaiserlicher Verordnung um ein Jahr verlängert. Ministerpräsident Graf Kasimir Badeni hatte auf dem Junktim zwischen allen Ausgleichsfragen und der Regelung der Quote, dem Aufteilungsschlüssel der gemeinsamen Ausgaben zwischen den beiden Reichshälften, bestanden und dies auch von der ungarischen Regierung zugestanden bekommen. Als sein Nachfolger Paul von Gautsch versuchte, die von Badeni vereinbarten Ausgleichsbestimmungen abzuändern, wurde ihm vom ungarischen Ministerpräsidenten Dezsö Bänffy in einer Note vom 6. 1. 1898 mit der Aufkündigung des Junktims gedroht.
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Kaiman von Szell
Gautsch war außer sich, daß nicht der Kaiser, sondern Bänffy ihm dies eröffnete. Er ist ein charaktervoller Mann und gab augenblicklich seine Demission56. Als er mich wieder zu sich berief, wußte ich nichts von dem Geschehenen und erhielt nur die Mitteilung, daß wir sofort nach Wien zurückkehren. Ich konnte nur ahnen, was geschehen sei. Gautsch telegraphierte damals einem Freunde nach Wien wörtlich: „Ich bin fertig." Der starke Widerstand Koerbers gegen den Badeni-Bilinskischen Ausgleich gibt auch seinen jetzigen Verhandlungen die Signatur. Koerber verlangt wirklich viel. Manches macht sogar den Eindruck, daß er sich aus diesem Anlaß einen guten Abgang sichern wolle. Er kann nicht darauf rechnen, das alles von Szell zu erreichen. Vielleicht will er auch nur vorschlagen, um dann das Wichtigste retten zu können. Ich bestärke ihn in seinem Entschlüsse, in der Hauptsache fest zu bleiben. Es wäre das für ihn und für den Staat das beste, weil nur auf diesem Wege seine Autorität erhalten bleiben und auch Ungarn in seine Schranken zurückgewiesen werden kann. Ich glaube nicht, soviel ich Koerber kenne, daß er sich in seinem Entschlüsse wankend machen lassen wird. Der Kaiser wird zwar im entscheidenden Augenblick in ihn drängen, ihn nicht zu verlassen, und gegen diesen Appell ist bisher noch kein Minister entschlossen geblieben. Ich vermute aber, daß Koerber diese Probe bestehen wird.
Koloman von Szell, ungarischer Ministerpräsident
18. April 1902 К 2, U 4, 478 г - 484 r; Sekretär 1
Dr. Falk sagte mir, am Tage vorher habe ihn Szell besucht, und er habe ihm gesagt, ich sei in Budapest. Szell forderte Falk auf, mich am nächsten Tage ins Parlament zu bringen, da er meine Bekanntschaft machen wolle. Das geschah, und Szell bestimmte mir den Tag darauf 11 Uhr als Stunde des Besuches. Das Gespräch war eigentlich höchst aufgeregt; denn zur selben Zeit, da wir im Ministerzimmer saßen, fand eine stürmische Abgeordnetenhaussitzung statt. Von Zeit zu Zeit stürmte der Sekretär des Ministers, einmal auch der Unterrichtsminister herein, um ihn zur Sitzung abzuholen; ich wollte mich stets verabschieden, Szell forderte mich aber auf zu warten, kam dann, und so setzte sich die Unterredung durch zwei Stunden fort. Szell verwahrte sich gegen den Vorwurf, den ich a in der Allgemeinen Zeitung 3 gegen ihn erhoben hatte, daß er den Ausgleich verzögere57; er sei viel56 57
a_a
Das Ministerium Gautsch erhielt am 7. 3. 1898 seine Demission. Allgemeine Zeitung München v. 4. 4. 1902, Morgenblatt, 3, Cis und Trans. Darin meint Friedjung, die ungarische Regierung zögere die Verhandlungen absichtlich hinaus, um das Verhandlungsergebnis in ihrem Sinne zu beeinflussen. Ergänzung durch Friedjung.
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mehr einer der letzten, die aus vollster Überzeugung die Zolleinheit aufrechterhalten wollten. Er betrachte sich darin als Schüler Deäks. Zum Beweise dessen setzte er mir seine ganze Tätigkeit in dieser Frage auseinander. Er sei der Erfinder der Formel, nach der Bänffy erklärte, daß, obwohl die Obstruktion in Osterreich das Zustandekommen des Handelsbündnisses unmöglich gemacht habe, die ungarische Regierung unter ihrer Verantwortlichkeit den Zustand, wie er besteht, aufrechtzuerhalten entschlossen sei. Bänffy habe dann den großen Fehler mit der Tiszaschen Formel gemacht58, wodurch der Sturm in Ungarn entstanden sei. Er hätte niemals zugestehen dürfen, daß der einmal vereinbarte Zolltarif weiterlaufe, wenn auch keine neue Vereinbarung zustande komme. Als Szell berufen wurde, verlangte er ausdrücklich, daß der entgegengesetzte Grundsatz vom Kaiser akzeptiert werde. Dies geschah, und deshalb könne er auch in diesem Punkte nicht nachgeben. Als er dann zu den Beratungen mit Thun und Kaizl reiste, zermarterte er sich im Waggon den Kopf, wie es möglich sei, den ungarischen Standpunkt zu wahren und dennoch Osterreich entgegenzukommen. Da hatte er den glücklichen Einfall, daß er dem Ministerium Thun die Verlängerung des Handelsbündnisses bis 1907 zugestehen könne, jedoch nur unter der Bedingung, daß ausgemacht werde, daß der Abschluß von Handelsverträgen mit fremden Staaten nur möglich sei, wenn das Handelsbündnis mit Osterreich vor dem 1. Jänner 1903 zustande komme59. Mit Mühe kam er darüber mit Thun zum Abschlüsse. Aber als er nach Budapest heimkehrte, mußte er 54 Stunden, wörtlich genommen, mit allen hervorragenden Mitgliedern des Hauses konferieren, um sie zu überzeugen, daß dies der ungarischen Verfassung nicht widerspreche. Der erste, den er telegraphisch zu sich beschied, war Szilägyi. Als er Szilägyi, der um 9 Uhr abends mit ihm zusammentraf, sagte, er habe das Zollbündnis bis 1907 verlängert, da sprang Szilägyi erregt auf und erklärte, das sei ungesetzlich, das sei nicht zu akzeptieren. Fünf Stunden lang mußte er mit Szilägyi sprechen, um dessen Bedenken zu erschüttern. Und so berief er Kossuth, Justh und alle die Männer, mit denen er den bekannten Pakt bei seinem Eintritt in die Regierung geschlossen hatte 60 , und nur so rettete er mit der größten Mühe die Erhaltung '8 Die im August 1898 vereinbarte Ischler oder Perennierungsklausel sah die automatische Verlängerung des alten Ausgleichs bei Scheitern der Verhandlungen vor. Das ungarische Parlament verweigerte die Annahme dieser Formel, worauf das Ministerium Bänffy am 17. 2. 1899 demissionierte. Der verwendete Begriff „Tisza'sche Formel" könnte, falls es sich nicht um einen Diktatfehler handelt, damit zusammenhängen, daß Graf Kaiman Tisza am 6. 12. 1898 einen Gesetzesentwurf eingebracht hatte, wodurch bei einer NichtVerabschiedung der Ausgleichsgesetze der Zustand der Reziprozität für ein weiteres Jahr fortzudauern hätte. Die parlamentarische Obstruktion und die darauf erfolgte Vertagung des Reichstages am 10. 12. 1898 verhinderte die Behandlung dieses Gesetzesantrages. 59 Vgl. zur Szellschen Formel S. 446 Anm. 22. h0 Kaiman Szell hatte am 23. 2. 1899 einen Pakt mit der Opposition geschlossen, der ihm
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Kaiman von Szell
des Zollbündnisses bis 1907. Dies alles müsse mich überzeugen, daß es ein schweres Unrecht sei, wenn man ihm zumute, er wolle das Zustandekommen des zehnjährigen Bündnisses verhindern oder verschieben. Als Szell mir seine Unterredung mit Szilägyi schilderte, unterbrach er sich und sagte: Ich werde Ihnen jetzt die Ursache auseinandersetzen, wieso es kam, daß ich auf Szilägyi, diesen Bär, diesen Löwen, den Einfluß üben konnte, um ihn zu überzeugen. Zum Glück war ich mit Szilägyi nie so intim wie diejenigen Männer, mit denen er eine Zeitlang herzlich verbunden war, mit denen er sich aber stets, zuletzt für immer, verfeindete. Aber ich war auch nie mit ihm persönlich verfeindet, während es keinen Menschen in Ungarn gibt, mit dem er nicht eine Zeitlang in Feindschaft lebte. Dieser mittlere Zustand war ein Glück für unser Verhältnis. Szilägyi war mir aber seit jeher zu Dank verpflichtet. Schon als Student im ersten J a h r erwies ich ihm, der im vierten J a h r war, den Dienst, daß er durch mich Präsident des Juristen-Unterstützungsvereines wurde, was er anstrebte. Ich bin jünger als er, kam aber früher ins Parlament und wurde 1875 bereits Finanzminister. Damals schlug ich Tisza vor, Szilägyi ins Kabinett zu nehmen, was Tisza aber ablehnte. E r wollte keinen Mann von der großen Begabung Szilägyis neben sich sehen. Mich mußte er nehmen, denn ich hatte mit ihm die Vereinigung seiner Partei mit der Deäk-Partei verhandelt und war ihm gewissermaßen gleichgestellt. Der dritte Dienst, den ich Szilägyi erwies, war 1894. Damals gab das Ministerium Wekerle seine Demission, und der Kaiser weigerte sich, Szilägyi wieder als Justizminister in das neu zu bildende Kabinett Wekerle aufzunehmen 61 . Wir wurden zum Kaiser in die Ofener Hofburg beschieden, Szlävy, Tisza, Fejerväry 62 und ich. Ich war der jüngste und der letzte. Als ich die Treppen hinaufstieg, begegnete ich Tisza und Fejerväry. Die beiden sagten mir: „Der König ist tief erzürnt, gib Dir keine Mühe, Szilägyi zu retten; es genügt, wenn Wekerle wieder Ministerpräsident wird." Ich ließ mich aber nicht abschrecken und trat für Szilägyi ein. Als ich zum König eintrat, hatte ich das Gefühl, daß ich eine Sturmleiter hinaufsteigen müsse; daß ich hinaufkommen würde, wußte ich, ob ich aber rechts oder links hinunterfliegen
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die Übernahme der Regierung nach dem Sturze des Kabinetts Bänffy ermöglichte. Er versprach unter anderem saubere Wahlen, eine geänderte Nationalitätenpolitik (Abschaffung der Nationalitätenabteilung im Ministerratspräsidium) sowie die Wahrung des Rechtsstatus des selbständigen ungarischen Zollgebietes. Das Kabinett Wekerle war am 31. 5. 1894 zurückgetreten, da es vom Monarchen nicht die erwünschte Unterstützung in der Frage des Eherechtes erhielt. Nachdem mehrere Kandidaten an der Bildung eines Kabinetts gescheitert waren, wurde Sändor Wekerle erneut mit der Regierungsbildung betraut. Dem neuen Ministerium gehörte zwar wiederum Dezso Szilägyi als Justizminister - gegen den Wunsch des Kaisers - an, dagegen schied der bisherige Kultus- und Unterrichtsminister Graf Albin Csäky aus der Regierung aus. Die oftmaligen Minister und ungarischen „eider statesmen" Jozsef Szlävy, Graf Kaiman Tisza und Geza Fejerväry.
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würde, konnte ich nicht wissen. Der König war sehr erzürnt. Aber ich setzte ihm eindringlich auseinander, daß es unmöglich sei, die kirchenpolitischen Gesetze zu sanktionieren und den Urheber der Gesetze einfach zu entlassen. Ich erreichte wenigstens soviel, daß der König zum Schlüsse sagte: Ich werde es mir noch einmal überlegen. Der Grund, warum der König auf meinen Rat Wert legte, liegt darin, weil er nicht bloß meine Ergebenheit kannte, sondern weil er schon damals wußte, daß ich die größte Abneigung hege, ein Amt anzunehmen. Ich hätte ja schon früher Ministerpräsident werden können. Tatsächlich brachte ich auch den König, als das Ministerium Wekerle seine Demission gab, durch mehrere Tage in die größte Verlegenheit durch meine Weigerung, vor Bänffy Ministerpräsident zu werden63, und auch jetzt hänge ich nicht an meinem Amte, sondern betrachte es für einen Akt der Entsagung, den ich übernommen habe. Diese Dienste, die ich Szilägyi erwiesen hatte, waren [die] Ursache, daß er dem Ausgleiche von 1899 zustimmte und überhaupt mein Ministerium unterstützte, denn im Grunde grollte Szilägyi aufs tiefste, weil ich mich weigerte, ihn als Minister des Innern in mein Kabinett zu nehmen. Im Frühjahr des vorigen Jahres bestand er darauf; ich sagte ihm offen, daß seine Zeit noch nicht gekommen sei, und wir vereinbarten, daß er Präsident des Abgeordnetenhauses werden solle. „Dann", so sagte ich ihm, „stehen Dir wieder alle Wege offen." Szilägyi willigte ein, aber er starb plötzlich64, und so konnte der Pakt nicht eingehalten werden. Dies alles, so fuhr Szell fort, erzähle ich Ihnen, weil ich weiß, daß Sie Szilägyi nahegestanden sind, ihn nach Verdienst schätzen und danach beurteilen können, welche Mühe es mir machte, das Verhältnis mit Osterreich aufrechtzuhalten und die gegenteilige Stimmung in Ungarn niederzuhalten. Allerdings kann und will ich nicht in den Konzessionen zu weit gehen. Ich werde absolut keinen Ausgleich unterschreiben, welcher ungünstiger ist als der letzte mit dem Grafen Thun vereinbarte. Von österreichischer Seite verlangt man eine exorbitante Erhöhung der Industriezölle. Darin kann Ungarn nicht einwilligen. Es ist wahr, daß wir unsere Agrarprodukte gegenwärtig zumeist in Osterreich absetzen, und daß wir ungefähr ebensoviel nach Österreich exportieren als die Österreicher zu uns (1.000 bis 1.200 Millionen Kronen). Aber es ist bekannt, daß in den Agrarprodukten viel weniger Arbeitslöhne stecken als in den Industrieprodukten, so daß Österreich einen unendlich größeren Gewinnst an seinem Export hat als Ungarn. Was bietet uns Österreich? Agrarzölle. Diese aber haben deswegen keinen großen Wert für uns, weil wir ja ohnedies fast nichts 63
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Nach Abschluß der kirchenpolitischen Reformen wurde das Kabinett Wekerle II entlassen und am 14. 1. 1895 durch ein Ministerium unter Dezsö Bänffy ersetzt. Dezsö Szilägyi war am 31. 7. 1901 gestorben.
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Kaiman von Szell
an Getreide, Vieh etc. exportieren. Diese Agrarzölle wirken überhaupt nicht, außer in Ausnahmsfällen, zur Zeit schlechter Ernten etc. Dagegen nützen hohe Industriezölle den Österreichern außerordentlich viel. Als ich Finanzminister neben Tisza war, leitete ich eigentlich auch längere Zeit das Handelsministerium, da Simonyi krank war. Damals willigte ich in den neuen Tarif mit den erhöhten Zöllen zu Gunsten Österreichs ein, obwohl von Agrarzöllen damals kaum die Rede war. Auch die jetzigen Agrarzölle, 1 '/2 Gulden in Gold für Weizen, sind ja kaum der Rede wert. Damals war es wirklich notwendig, da die englische Handelskonvention die österreichische Industrie tief schädigte, mit den Zöllen hinaufzugehen. Damals wurden auch die gröbsten Stoffe aus England importiert, Stoffe, wo auf Baumwolle bloß einige Fäden aufgedruckt wurden, um sie in eine für die Engländer günstigere Position für Tuch hineinzubringen. Ich weigerte mich damals nicht, weil ich die Forderungen Österreichs für billig hielt; jetzt aber überschreiten sie alles Maß. Ungarn kann sich nicht die Möglichkeit, eine selbständige Industrie zu pflegen, für immer versperren lassen. Sie fragen mich, warum Ungarn denn nicht in die höheren Industriezölle einwillige, da sie ja bloß Negotiationszölle seien. Darauf ist zu sagen, daß es sehr gefährlich wäre, wenn Ungarn darauf einginge; denn wenn kein Handelsvertrag zustande kommt, so bleiben diese hohen Zölle Normalzölle, und wir haben den Nachteil. Wenn Sie aber fragen, ob denn nicht eine Bestimmung aufgenommen werden könne, wonach sich Österreich und Ungarn einigen, gewisse Zölle nur als Negotiationszölle zu betrachten, so erwidere ich, daß eine solche Abmachung ins Gesetz kommen würde, und dann wäre sie für die Verhandlungen wertlos; denn jeder Staat würde ja wissen, daß wir nur ein Spiel treiben. Es ist aber vielleicht eine andere Abmachung möglich, und ich habe Herrn von Koerber auch eine solche vorgeschlagen. Darüber kann ich Ihnen, da die Verhandlungen noch schweben, jetzt noch nichts mitteilen. Ich fragte dann, ob es denn nicht möglich sei, in den Ausgleich eine Bestimmung aufzunehmen, daß das Zollbündnis nach zehn Jahren automatisch weiterlaufe, wenn es nicht früher gekündigt sei. Szell erwiderte: Es ist unmöglich, einen Ausgleich zu schließen, der länger dauert als zehn Jahre. Das aber, was Sie vorschlagen, wäre doch nur eine Spielerei, denn Sie können überzeugt sein, daß Ungarn und wahrscheinlich auch Österreich die Kündigung jedenfalls vornehmen würden. Überhaupt kann sich Ungarn, welches erst seine Industrie entwickeln will, nicht die Hände binden, weil wir wirklich nicht wissen können, wie die Lage der Dinge in zehn Jahren sein wird. Das Gespräch schloß folgendermaßen: Ich habe mir alle Mühe gegeben, Sie zu überzeugen, wie ernst ich es mit dem Ausgleiche meine. Ich bitte aber, das Gespräch für ganz vertraulich zu betrachten. Vieles davon würde mich ja, wenn es veröffentlicht würde, in ernste Verlegen-
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heit setzen. Ich weiß aber, daß Sie sich mit der Geschichte der letzten 40 Jahre beschäftigen. Ich bin bereit, Ihnen jede Auskunft zu geben, die Sie wünschen. Sie wissen, daß ich auch als junger Mann Deäk sehr nahe stand, und ich war Zeuge der Gedankenprozesse, welche Deäk in sich durchmachte, als er zwischen 1861 und 1866 die Ideen des Ausgleichs in sich formulierte. Ich kann Ihnen darüber Auskunft geben wie niemand sonst. Auch später wurde ich ja doch in alle Angelegenheiten des öffentlichen Lebens eingeweiht. Ich möchte aber Muße haben, über diese Dinge zu sprechen. Schreiben Sie mir einmal, wenn Sie Zeit haben, so zum Beispiel, wenn ich von Wien nach Budapest reise, dann können wir stundenlang im Eisenbahnwaggon über die Dinge sprechen, und Sie besuchen mich gleich in Rätot, während wir jetzt unaufhörlich gestört sind, und ich werde Sie dann über alles aufklären. Als Finanzminister65 hatte ich, wie Sie wissen, mit den größten Kalamitäten zu kämpfen, da Ungarn damals ein Defizit von 40 Millionen Gulden hatte, was damals soviel hieß, als wenn es jetzt 100 bis 150 Millionen Gulden Defizit hätte. Ich mußte Ungarn erst Steuer zahlen lehren, denn die Anzahl der Rückstände war außerordentlich groß. Die Bankiers wußten, daß ich eine Anleihe benötige. Eines Tages erschien einer der ersten Frankfurter Bankiers, von einem Abgeordneten eingeführt, bei mir und machte mir folgenden Antrag. Damals waren die Steuerrückstände so groß und ebenso die Domänenpachtrückstände, daß es ein gutes Geschäft schien, sie einzutreiben. Die Gruppe der Bankiers wollte also nur ein Anlehen bewilligen, wenn ich ihnen jene Rückstände als Unterpfand gebe. Darauf erwiderte ich: „Die Sache, die Sie mir vorschlagen, hat sich im Ungarn vor 600 Jahren zugetragen. Damals brachen die Tartaren ins Land und verwüsteten es. Nach ihrem Abzug war die königliche Kasse so leer, daß der König sich genötigt sah, die Steuern zu verpfänden. Sie sehen, daß Sie um 600 Jahre zu spät kommen. Aber zum Glück haben ja die Tartaren Ungarn nicht erst jetzt überschwemmt; das Land befindet sich nicht in einer so traurigen Lage, um eine so demütigende Bedingung eingehen zu müssen." Nachdem ich die Finanzen notdürftig geordnet hatte, faßte ich den Entschluß, eine ungarische Rente einzuführen. Der deutsche Bankier Hansemann besonders, dem ich dies mitteilte, sagte mir: „Damit, Exzellenz, können Sie Ihr Werk nicht beginnen, damit können Sie es erst krönen." Trotzdem ließ ich mich nicht zurückschrecken und schuf die ungarische Rente.
65
Kaiman Szell war vom 2. 3. 1875 bis 4. 10. 1878 ungarischer Finanzminister.
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Rudolf Sieghart, Sektionschef im Ministerratspräsidium
Rudolf Sieghart
22. Juni 1902 К 2, U 2, 227 г - 2 2 8 ν
Koerber. S[ieghar]t erzählt. Sieghart zeigt Koerber allerdings kleiner, als er jetzt allgemein erscheint. Seine Klugheit, Gewandtheit selbstverständlich anerkannt. Auch sei Koerber eine gütige, wohlwollende Natur, der gewiß jeden nach Kräften fördern wird. Merkwürdig aber sei seine große Eitelkeit und sein Mißtrauen. In letzter Beziehung: Er glaubt alles, was ihm zugetragen wird. Er dulde niemanden neben sich, er ziehe Böhm-Bawerk, der ihm als Geist und Dialektiker unendlich überlegen ist, nicht den Verhandlungen mit Szell bei, auch die übrigen Minister nicht, was doch nachteilig sei, da Koerber nicht alle Details kennen könne. Das Preßgesetz habe er selbst eingebracht66, die Krankheit des Justizministers sei ihm eher genehm gewesen. Ein ihm günstiger Artikel in einer Zeitung erfülle ihn mit Freude. Des Lobes höre er nicht genug, Sieghart muß sehr vorsichtig sein, um nicht Koerbers „Eifersucht" zu erregen, wenn ihm etwas gelinge. Die Güte Koerbers, seine Dankbarkeit für geleistete Dienste seien dagegen die Lichtseiten. Vielleicht ist auch seinem Durst nach Anerkennung durch die öffentliche Meinung zuzuschreiben, daß er die energischen Reden gegen Ungarn gehalten habe67. Diese hätten eigentlich geschadet. Denn tatsächlich ist jetzt jede Verbindung mit Szell abgerissen. Es werde wohl eine Aufforderung des Kaisers an die Minister erfolgen müssen, um wieder eine Unterhandlung herbeizuführen. In den Verhandlungen mit den Fraktionen sei Koerber sehr geschickt. Vor allem habe er die Abgeordneten dadurch gewonnen, daß er jedem ohne Ausnahme Gefälligkeiten erweise. Jeder Abgeordnete mit einziger Ausnahme Schönerers wende sich mit Wünschen für sich oder seine Wähler an ihn. Das stellt Sieghart in die erste Linie. Auch in politischen Dingen wisse er die Leute klug zu behandeln. Wohl liege in jedem Menschen ein Stück Bestie, aber doch seien sie wieder auch Bitten und Vorstellungen zugänglich. Koerber versteht es, durch eindringliche Vorstellungen immer doch etwas zu erreichen. Er ist 66
67
Ministerpräsident Ernest von Koerber legte am 11. 6. 1902, während einer Erkrankung des Justizministers Baron Alois Spens-Boden, einen Pressegesetzentwurf vor, durch den unter anderem die Ehrenbeleidigungsverfahren den Geschworenengerichten entzogen und den Bezirksgerichten zugewiesen worden wären. Der Entwurf blieb jedoch bis zur Schließung der Reichsratssession unerledigt, die erste Lesung erfolgte erst am 12. 3. 1903, worauf der Entwurf einem Ausschuß zugewiesen wurde und liegenblieb. Im Frühjahr 1902 waren die Verhandlungen mit Ungarn wiederum in eine Sackgasse geraten. Ministerpräsident Ernest von Koerber erklärte darauf unter anderem in einer Rede vor dem Herrenhaus am 30. 5. 1902, daß er zwar bereit sei, bis zum Äußersten zu gehen, um eine Gemeinschaft in Freundschaft aufrechtzuerhalten, „daß wir jedoch die Hand zu einer Gemeinschaft, welche uns zu keiner Ruhe kommen läßt, und welche wirklich fast keine Gemeinschaft ist, nicht bieten können." Er wurde wegen dieser und ähnlicher Aussagen in Ungarn scharf angegriffen.
22. Juni 1902
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kein Dialektiker, stockend, in langen Perioden kommt ihm die Rede, aber sie sei doch zweckmäßig. Er versteht es, die Beziehungen zwischen sich und dem Standpunkte der anderen herauszufinden und weiterzuspinnen. Jedem sagt er etwas Schönes: Einem kleinen Parlamentsberichterstatter sagt er, von den Verhältnissen sprechend: „Aber Sie verstehen das doch besser als ich." Allerdings zeigt sich in diesen Schilderungen eine gewisse Selbstgefälligkeit Siegharts. Denn er schreibt seinem Einwirken die regierungsfreundliche Haltung der gesamten Presse zu, die doch größtenteils auf den persönlichen Verkehr Koerbers mit der Presse zurückzuführen ist. So behauptet Sieghart bezüglich der Fahrkartensteuer 68 : Die Fäden wären bereits abgerissen gewesen, Koerber hätte die Sache schon aufgegeben. Siegharts Bemühungen sei der Erfolg zuzuschreiben. Das habe Pacäk in der parlamentarischen Kommission des Tschechenklubs zugegeben. Sieghart billigt die Methode Koerbers nicht durchwegs, er findet, daß er im entscheidenden Augenblicke nicht kräftig genug auftrete. Auch Plener ist dieser Meinung: Er habe Koerber vor etwa einem Jahre gesagt, er müsse die großen Ausgaben (Kanäle, Eisenbahnen) dazu benützen, um wenigstens die parlamentarische Erledigung der Quote durchzusetzen. Koerber entgegnete ihm, er könne dies nicht als Gegengabe fordern, da er bereits erklärt habe, die Eisenbahn, Kanäle etc. würden gebaut werden; es wäre nicht loyal von ihm, jetzt eine Bedingung hierfür zu stellen. Überhaupt war es eine allgemeine Meinung, die ich (Friedjung) geteilt habe, daß er die Situation zur Zeit der Erledigung der Eisenbahn- und Kanalvorlage nicht ausgenützt und ausgeschöpft habe69. Sieghart nun ist der Meinung, daß etwas Ahnliches hätte geschehen sollen, als Koerber das Preßgesetz vorgelegt habe. Er hätte auch weitergehen und auch die Reform des Vereinsgesetzes vorschlagen können, aber er müsse als Gegengabe vom Parlament auch die Reform der Geschäftsordnung verlangen. Selbst wenn er dies nicht erreicht hätte, so wäre damit ein Programm aufgestellt gewesen. Desgleichen wäre die Obstruktion gegen Fahrkartensteuer und Donau-Dampf-Schiffahrtsgesellschaft 70 am besten für 68
69
70
Durch das Gesetz vom 19. 7.1902 betreffend die Einführung einer Fahrkartensteuer auf Eisenbahnen trat per 1. 1. 1903 eine Abgabe von 12% des Fahrpreises auf Haupt-, 6% auf Lokal- und 3% auf Kleinbahnen in Kraft. Der Entwurf war bereits am 20. 5. 1901 eingebracht worden, die Bewilligung durch das Abgeordnetenhaus erfolgte am 17. 6. 1902. Im Frühjahr 1901 stellten die Jungtschechen ihre Obstruktion vorübergehend ein, worauf am 1. 6. 1901 das Wasserstraßengesetz (Bau von Verbindungskanälen zwischen Donau, Moldau, Oder, Elbe, Weichsel sowie Flußregulierungen), die Eisenbahninvestitionsvorlage (Bau einer zweiten Bahn nach Triest und Ausbau der bestehenden Bahnen) und erstmals nach vier Jahren das Budgetprovisorium im Abgeordnetenhaus angenommen wurden. Während die Fahrkartensteuer trotz der tschechischen Obstruktion am 17. 6. 1902 bewilligt wurde, scheiterte das Gesetz über die Subvention für die Donaudampfschifffahrtsgesellschaft, dessen rasche Erledigung die Regierung ebenfalls wünschte.
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Ernest von Koerber
die Auflösung des Abgeordnetenhauses zu benützen gewesen. Man hätte dabei die Alldeutschen zerschmettern können. Das wäre eine starke Politik gewesen. Es ist klar, daß Sieghart hierbei gar nicht aus der Art Koerbers heraus kalkuliert. Das ist eben nicht Koerbersche Politik. Er wollte und durfte sich die Temperatur für den ungarischen Ausgleich nicht verderben. Die Stärke Koerbers, so meint Sieghart, ist sein Gedächtnis und seine rasche Auffassung, seine Schwäche seine vollständig fehlende literarische Bildung, Abwesenheit des Sinnes für Theater und Kunst. Er konzipiert sehr schwer, redigiert aber geschmackvoll, er hat Geschmack.
Ernest von Koerber, Ministerpräsident
Juli 1902 К 2, U 2, 284 r-v
Bei Schneeberger71. Das Glück und der Stolz strahlt aus den Augen Helenens. Sie sah nicht bloß glücklich, sondern gesund aus. Sie war in ihrer geschmackvollen Toilette und beim Lampenlicht, was ich früher nie gefunden hatte, wirklich schön. Dabei hatte sie etwas Zurückhaltendes, Feineres in ihrem Wesen; sie sprach etwas gedämpfter als sonst, wie ein leises Schmachten lag es über ihr. Aber sie benahmen sich beide klug und zurückhaltend; er ganz natürlich wie sonst, bescheiden ruhig; nur daß er sie manchmal neckte, was sie als kriegerische Herausforderung energisch aufnahm. Sie legte ihm vor, wie eine Frau, die mit dem Geschmack und den Lebensgewohnheiten ihres Freundes genau bekannt war. Der Zufall wollte, daß Schneeberger des Nachts zu einem Begräbnisse reisen mußte. Er ließ uns allein, und wir plauderten mit seiner Frau ruhig und harmlos weiter, bis Koerber eine Stunde später, gegen IVA, zum Aufbruche mahnte. Der Eindruck, den Koerber machte, war doch etwas fester und selbstbewußter als in seinem Empfangszimmer im Ministerium. Indessen sprach er in keinem Augenblick von seinen wirklichen Erfolgen, eher zeigte er sich in kleinen Dingen, die ihm gelungen waren, selbstgefällig. Absichtlich sprach ich nicht von Politik, bei Tische bestritt zumeist Schneeberger die Kosten der Unterhaltung, indem er Fälle aus seiner Verteidigerpraxis erzählte. Erst als Koerber von der Neugründung der „Zeit" sprach und mich darüber befragte72, ging das Gespräch auf Politik über und belebte sich. Offenbar gibt es ein einziges Gebiet, das Koerber interessiert: Seine eigene Politik. Das 71 12
Der Rechtsanwalt Wilhelm Schneeberger und seine Gattin Helene. Die 1884 als Wochenzeitschrift gegründete „Zeit" erschien erstmals am 27. 9. 1902 als Tageszeitung. Friedjung arbeitete zunächst an der Zeitung mit, kündigte jedoch seine Zusammenarbeit nach einem Konflikt bereits im Jänner 1903. Vgl. Isidor Singer an Friedjung, 14. 1. 1903, WStLB INr. 220.777 sowie das Konzept eines Briefes an Singer vom 15. 1. 1903, К 2, U 4.
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lebhafte Gespräch wandte sich unter kurzen Seitenbemerkungen von Helene oder mir stets auf seine Tätigkeit zurück. Er belobte sich, wie er es verstanden habe, sich die Presse geneigt zu machen. Absichtlich, so warf er gleich zu Beginn hin, habe er die Gründung der Kommanditgesellschaft der „Zeit" sofort erledigt; Singer und Kanner müßten erstaunt gewesen sein, daß er sie kaum einige Tage auf die Bewilligung habe warten lassen. Weshalb die Sache auch hinausschieben? Man hätte es nicht abschlagen können, und es sei klug, sich nicht durch die Angriffe verletzt zu zeigen, überhaupt solle eine Regierung nicht zu empfindlich gegen die Angriffe der Presse sein. Uber den Ausgleich mit Ungarn sprach er obenhin, nicht wie über einen Gegenstand, der ihm große Sorge mache. Und doch war er gerade mitten in der Fehde mit Szell; wenige Tage vorher war ihm der Schachzug gelungen, Szell zuvorzukommen; er hatte angekündigt, daß er sich die Kündigung des Handelsvertrages mit Deutschland vorbehalte 73 . Die heitere Ruhe, mit der er über sein Verhältnis zu Szell sprach, bestärkte mich in der Uberzeugung, daß der Ausgleich gelingen werde. Von Szell sprach er nicht eben mit großer Anerkennung. Als ich meinte, es müsse schwer sein, bei Unterhandlungen mit ihm auch nur zu Worte zu kommen, lachte er und machte eine heiter zustimmende Gebärde. Als Bülow in Wien war und bei Goluchowski geladen war, saßen Koerber und Szell zu seiner Rechten. Szell sprach unaufhörlich, es war ein Wasserfall; ich aber, sagte Koerber, saß bescheiden daneben und kam nicht zu Wort, wenn Bülow nicht gerade eine Bemerkung an mich richtete. Szell aber schnitt auch das ab, indem er von dem „alten Herrn" und anderen ungarischen Angelegenheiten erzählte. Als das Diner zu Ende war, setzte sich Bülow zu Koerber, um doch ein wenig auch mit ihm zu plaudern. Dann erzählte Koerber heiter, wie Szell es treibe, wenn er nach einer Hoftafel einem fremden Prinzen vorgestellt werde. Er spricht so eindringend in ihn hinein, daß dieser ihn erstaunt betrachte. Der Obersthofmeister Fürst Liechtenstein wird dann schon unruhig, stützt sich bald auf einen, bald auf den anderen Fuß, bis Szell zu Ende ist. Indessen, so meint Koerber, habe er sich nicht über Szells Amtswirksamkeit zu beklagen. Wenn an ihn eine Beschwerde über ungerechte Behandlung österreichischer Produkte in Ungarn komme, so stelle er stets die Mißbräuche ab. Der Kaiser, so äußerte er sich, mache im Ganzen einen resignierten Eindruck: Er lasse alles über sich ergehen. Oft, wenn er ihn ansehe, habe er den schmerzlichen Eindruck, was dieser Monarch alles erlebt habe. Aber seine Resignation habe keinen religiösen Beigeschmack. Niemals habe der Kaiser zu ihm eine Äußerung getan, die auf eine religiöse Empfindung bei ihm '3 Die Handelsverträge mit Deutschland, Rußland, Italien und der Schweiz beinhalteten eine Kündigungsfrist zum 31. 12. 1902. Bis spätestens sechs Monate vor diesem Termin mußten die beiden Regierungen bekanntgeben, ob sie tatsächlich eine Kündigung beabsichtigten, was das österreichische Kabinett Mitte Juni 1902 auch tat.
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Marquis Olivier Bacquehem
schließen ließe. Auf die nicht ganz geschickte Frage Helenens nach den politischen Ansichten des Thronfolgers sagte er ablehnend, achselzuckend: Er wisse es nicht.
Marquis Olivier Bacquehem, Mitglied des Herrenhauses
30. November 1902 К 2, U la, За г - 4 а v; Sekretär 2
Uber die Beziehungen Taaffes zu Plener teilt Bacquehem folgendes mit: Als Taaffe mit Plener und Chlumecky übereinkam, ein Mitglied der Vereinigten Linken in sein Kabinett aufzunehmen, waren Bacquehem und, wie es scheint, auch Taaffe der Meinung, am besten wäre die Delegierung Baernreithers. Bacquehem ließ sogar Baernreither durch einen Bekannten schon zu seiner nahen Ernennung gratulieren. Bacquehem führte die Unterhandlungen mit Chlumecky. Als er aber den Namen Baernreithers nannte, fuhr Chlumecky förmlich auf und meinte: Dies sei unmöglich, Baernreither sei in der Partei nicht beliebt, und dessen Ernennung könne nicht empfohlen werden. Da Taaffe der Linken ein weißes Blatt gezeigt hatte, auf welches jeder Name mit Ausnahme Pleners geschrieben werden durfte, so akzeptierten sie den Grafen Kuenburg74. Diese Wahl war ein Mißgriff. Aber die Linke wollte eben einen Grafen haben! Kuenburg war zu seiner Stelle möglichst ungeeignet. Er war eine langsame, schwerfällige Persönlichkeit, die den Grafen Taaffe gründlich langweilte. Taaffe erzählte Bacquehem den Verlauf der von ihnen geführten Unterredungen. Kuenburg glaubte, höchst loyal zu sein, indem er dem Grafen Taaffe gründlich mitteilte, welche Äußerungen der Unzufriedenheit und des Mißmutes Plener und alle Mitglieder der Linken gemacht hätten. Als er dies einmal gründlich getan hatte und sich entfernte, ließ er sich noch einmal melden und sagte in seiner Loyalität: „Exzellenz, ich muß Ihnen noch mitteilen, daß auch Dr. Heilsberg unzufrieden ist, was ich Ihnen nicht verschweige." Sie können sich denken, fuhr Bacquehem fort, welchen Eindruck das auf Taaffe hervorgerufen hat. Es ist richtig, daß es ein großer Mißgriff war, die Vereinigte Linke zu zerschlagen75. Taaffe hat dahin gewirkt, indem er die Christlichsozialen in Wien in jeder Weise förderte und sich selbst über das Emporkommen der Sozialdemokraten freute. Darin aber war Taaffe nicht zu überzeugen. Er war eben 74 75
Graf Gandolf Kuenburg war vom 23. 12. 1891 bis 8. 12. 1892 deutscher Landsmannminister. Die „Vereinigte Deutsche Linke" zerfiel nach dem Bruch der Koalitionsregierung Windischgraetz (1893-1895) in mehrere Teile; die Reichsratswahlen im März 1897 brachten den Liberalen schließlich eine schwere Niederlage und bedeuteten das Ende der „Vereinigten Linken" als Parlamentsklub.
30. November 1902
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gründlich erbittert gegen die Linke und vergaß, daß es eine loyale, staatstreue und in jeder Beziehung bequeme Partei war. Denken Sie sich nur, wie angenehm das war, daß sie sich nur mit einer großartigen Tagesordnung hervorwagte, worauf sie sich, nachdem einige Reden gehalten wurden, wieder beruhigte. Zur Zeit des Koalitionsministeriums brach auch die Wiener Krisis aus76. Grübl, der damals wahrscheinlich schon krank war, machte einen ganz niederschlagenden [sie!] Eindruck und wollte nur über die Sache hinauskommen. Man einigte sich über seinen Ersatz durch Dr. Lederer mit Lueger als Vizepräsidenten. Selbst Noske stimmte zu. Sueß dagegen war anderer Ansicht. Er meinte, die Wahl Luegers zum Bürgermeister sei das beste, denn er werde sich nicht lange auf seinem Posten behaupten. Auch werde die Regierung ihn nicht bestätigen können. Darauf antwortete Bacquehem: Er kenne die Stimmung des Ministerrates nicht, aber er persönlich werde die Bestätigung Luegers dem Kaiser vorschlagen. Für die gegenwärtige Situation ist als wichtig festzuhalten, daß Koerber unmöglich eine Auflösung des Reichsrates oder stärkere Maßregeln wie zum Beispiel eine zeitweise Suspension der Verfassung vorschlagen kann. Der Kaiser würde nicht darauf eingehen. Diese Dinge spielten bereits einmal, und zwar im Jahre 1899, 1900. Graf Thun sprach dem Kaiser lebhaft davon. Der Kaiser nun pflegt, wenn ihm eine Angelegenheit vorgetragen wird, mit dem Kopfe anscheinend zustimmend zu nicken. Das will aber nur bedeuten, daß er dem Vortragenden aufmerksam zuhöre, und ist noch keineswegs ein Zeichen der Zustimmung. Man behauptet nun, Graf Thun habe nach einer solchen Unterredung erzählt, er sei der Zustimmung des Kaisers zum Staatsstreiche sicher. Das war keineswegs der Fall. Auch zur Zeit der tschechischen Obstruktion 1900 wurden diese Dinge erwogen77. Jetzt ist das unmöglich. Koerber würde zuviel aufs Spiel setzen, wenn er noch einmal auflösen wollte. Der Kaiser liebt diese Auflösung nicht. Er verlangt von seinem Minister, daß er sich aus den Schwierigkeiten durch die Anwendung norma76
77
In der konstituierenden Sitzung des Wiener Gemeinderates am 10. 5. 1895 waren der Liberale Dr. Raimund Grübl zum Bürgermeister und der Christlichsoziale Dr. Karl Lueger zum 1. Vizebürgermeister gewählt worden. Darauf legten Grübl und der 2. Stellvertreter ihre Amter nieder. Nach einem neuerlichen, ergebnislosen Wahlgang wurde der Gemeinderat am 30. 5. 1895 aufgelöst und ein Regierungskommissär eingesetzt. Die Neuwahlen brachten den Christlichsozialen eine Zweidrittelmehrheit, worauf Lueger am 29. 10. 1895 zum Bürgermeister gewählt wurde, die kaiserliche Sanktion jedoch nicht erhielt. Nach einer neuerlichen Auflösung des Gemeinderates, Neuwahlen und abermaliger Wahl und Nichtbestätigung Luegers einigte man sich darauf, einen Strohmann, Josef Strobach, zum Bürgermeister und Lueger zum Vizebürgermeister zu wählen. Erst am 16. 4. 1897, nach seiner fünften Wahl, erhielt Lueger schließlich die kaiserliche Genehmigung. Als Antwort auf die Aufhebung der Sprachenverordnungen und damit die Wiederherstellung des Zustandes vor dem April 1897 durch das Ministerium Clary am 14. 10. 1899 blockierten die Tschechen die Arbeit des Abgeordnetenhauses.
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Gräfin Betty Grimaud d'Orsay
ler Mittel aushelfe. Das ist die Ursache, weshalb man alles versucht, um einen Ausgleich zwischen den Deutschen und Tschechen zuwege zu bringen. Die Deutschen haben ihre Forderungen festgesetzt, und die Tschechen werden es nicht wagen können, sie a limine abzuweisen. Es wird also zu Unterhandlungen kommen, diese Unterhandlungen werden aber lange dauern, und dann bedarf es noch einer Sitzung des böhmischen Landtags, damit dieser zur Abgrenzungsfrage, Kurialvoten etc. Stellung nehme. Die Frage ist nun: Wird die tschechische Obstruktion während dieses Zwischenstadiums fortdauern? Es gibt ja gar keine tschechische Obstruktion, denn es werden ja manche Vorlagen durchgelassen. Es besteht also doch Hoffnung, daß mindestens das Budgetprovisorium angenommen werden wird. Als es unter dem Ministerium Thun zu den Wahlen der Delegationen kam, bestand die Gefahr, daß die deutsche Obstruktion sie verhindern werde. Es ist wohl unrichtig, daß damals der Plan bestand, die gemeinsamen Minister vor den ungarischen Reichstag treten zu lassen; vielmehr hatte man die Absicht, die Wahlen der Delegierten, wenn sie offen im Hause verhindert würden, schriftlich oder in der Kanzlei des Präsidenten vornehmen zu lassen. Am besten meinte man: schriftlich. Während des Lärms würde der Präsident verkündigen, eine mündliche Wahl sei unmöglich, und darauf würden die Voten eingeschickt werden. Aber Graf Goluchowski bestand auf einer ordnungsmäßigen Wahl der Delegationen, und Thun mußte abtreten.
Gräfin Betty Grimaud d'Orsay 2. Dezember 1902 К 4, U Studiennotizen, Abschriften von Dokumenten, Originaldokumente und Entwürfe, Karl Ludwig von Bruck betreffend; Sekretär 2 "Mitteilungen seines Sohnes78 an Gräfin d'Orsay.3 Unter den Geschäftsunternehmungen, welche Bruck vor seiner Ministerschaft mitbegründete, war auch eine Zementfabrik in Steinbruck. Er beteiligte sich daran mit 20.000 Gulden, die als Hypothek auf der Fabrik blieben. Zur Zeit der Gründung der Creditanstalt wurde Bruck bei der Ausgabe der Aktien mit einer gewissen Zahl derselben beteiligt, und er partizipierte an dem Gründungsgewinne. Die Direktion der Creditanstalt teilte ihm in der gebräuchlichen Form mit, daß für ihn eine bestimmte Anzahl von Aktien reserviert sei, und dieser Brief blieb auch in den Kopierbüchern der Bank. Er wurde gleichzeitig aufgefordert, die gebräuchliche Anzahlung zum Bezüge der Aktien zu leisten. Bruck teilte der Creditanstalt mit, daß er hierzu seine 78
a_a
Freiherr Karl von Bruck, 1886 bis 1895 Botschafter am italienischen Königshof; vgl. Bd. 2, S. 132-134. Ergänzung durch Friedjung.
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auf der Steinbrucker Fabrik haftende Hypothek bestimme. Mündlich erklärte Richter, der Direktor der Creditanstalt, Bruck, daß die Creditanstalt nach ihren Statuten diese Hypothek nicht als Zahlung annehmen könne, adoch stehe deshalb der Beteiligung nichts im Wege.3 Damit war Bruck an der Gründung der Creditanstalt beteiligt, und aus den Büchern derselben war dies auch zu ersehen. Ob außer diesem Brief auch noch andere schriftliche Abmachungen stattfanden, weiß Grafin d'Orsay nicht zu sagen. Es kam nun die Zeit des Prozesses Richter - Eynatten 79 . Goluchowski und Rechberg standen zu Bruck nicht in gutem Verhältnisse. Seine Denkungsart war ihnen fremd, er war ein bürgerlicher Emporkömmling und Protestant, und das Verhältnis war kein günstiges. Da Bruck erfuhr, daß Beratungen und Verhandlungen unter den Ministern in der Richterschen Angelegenheit stattfanden, denen er nicht zugezogen wurde, so begab er sich zum Kaiser, um ihm zu sagen, daß er darin eine Zurücksetzung sehe; er sei bereit, wenn er das Vertrauen des Herrschers nicht besitze, sein Amt niederzulegen. Bei einer dieser Beratungen sei sogar der Kaiser anwesend gewesen, erzählte Bruck jun. Der Kaiser nun erwiderte Bruck, daß er sein Vertrauen besitze und daß es wohl nur ein Zufall gewesen sei, wenn man ihn nicht zugezogen hatte. Beruhigt begab sich Bruck nach Hause. Unterdessen waren die Nachforschungen über das Verhältnis Brucks zur Creditanstalt fortgesetzt worden, und man fand das Dokument, aus welchem sein Verhältnis zur Bank erhellte. Dieses Dokument wurde dem Kaiser vorgelegt und daraus der Schluß gezogen, daß er an den Unterschleifen teilgenommen habe. Der Kaiser erfuhr davon unmittelbar nach der oben geschilderten Audienz Brucks. Empört über diese Tatsache verfügte er sofort die Entlassung Brucks. Dieser fand aus dem Theater heimgekehrt das Handschreiben des Kaisers, da verlor er die Besinnung und nahm sich selbst das Leben80. Aus dieser Tatsache, so fuhr die Gräfin d'Orsay fort, geht hervor, daß der Kaiser einen triftigen Grund hatte, Bruck zu entlassen. Ein Minister durfte sich nicht an der Gründung einer Bank beteiligen. Dies war eine inkorrekte Handlungsweise. Wohl war Bruck an dem Vergehen unschuldig, welches man ihm zur Last legte, die Unterschleife hatten gewiß ohne sein Verschulden stattgefunden. Der Kaiser beklagte denn auch tief den Tod Brucks und wollte das an ihm begangene Unrecht gutmachen. Das ist die Ursache, warum er seinen Sohn in der Karriere besonders begünstigt. 79
80
Im Zuge des Prozesses gegen den Direktor der Creditanstalt Franz Richter, in dem es um Unterschlagungen bei den Armeelieferungen 1859 ging, nahm sich Feldmarschallleutnant August Friedrich von Eynatten am 7. 3. 1860 das Leben, nachdem er in einem Schreiben seine Mittäterschaft eingestanden hatte. Freiherr Karl Ludwig von Bruck war am 22. 4. 1860 als Finanzminister entlassen worden, tags darauf beging er Selbstmord. Ergänzung durch Friedjung.
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Marquis Olivier Bacquehem
Alle Papiere Brucks wurden nach seinem Tode mit Beschlag belegt und in dem hierzu bestimmten Archive untergebracht. Zu diesen Papieren gehörten auch die Verträge, welche der Ingenieur Negrelli zusammen mit Bruck mit Lesseps abgeschlossen hatte. Bekanntlich hatte Negrelli den Plan zum Suezkanal vor Lesseps ausgearbeitet, und seine Erben behaupten auch jetzt noch, daß er aus diesem Titel Ansprüche an die Suezkanal-Gesellschaft erheben konnte81. Die Belege aber befanden sich unter den Belegen [sie!] Brucks, und es ist bisher nicht gelungen, sie herauszubekommen. Die Familie Brucks hat nie die Papiere reklamiert, und als sich die Erben Negrellis vor einiger Zeit an Baron Bruck jun. wandten, ob er sie nicht mit diesen Papieren unterstützen könne, erklärte er, er wisse nichts von ihnen. Indessen, so gestand er der Gräfin d'Orsay, wußte er sehr wohl, daß sie mit Beschlag belegt wurden seien, er wollte aber begreiflicherweise an diese Dinge nicht rühren.
Marquis Olivier Bacquehem, Mitglied des Herrenhauses
Anfang Dezember 1902 К 2, U 3, 422 r- ν; Sekretär 2
Die Schwierigkeiten der Lage sind so groß, daß Bacquehem glaubt, Herr von Koerber werde sich nicht mehr aus ihnen herauswinden können. Es gibt freilich Optimisten, wie zum Beispiel Graf Stürgkh, der annimmt, daß durch die jetzt beginnenden Verhandlungen zwischen Deutschen und Tschechen eine angenehmere Temperatur geschaffen werden würde82, worauf dann die Wiederaufnahme der Arbeiten durch den Reichsrat gesichert werden könnte. Dazu ist aber keine Aussicht. Somit ist der Plan aufgetaucht, das Abgeordnetenhaus dadurch flottzumachen, daß in das Ministerium Koerber die Führer der Parteien eintreten. Baernreither sollte das Handelsministerium übernehmen, Kramär die Finanzen, und ebenso könnten ein Pole und ein Klerikaler versorgt werden. Weshalb sollte Kramär nicht Finanzminister werden? Die Tschechen hätten dann das Vergnügen, daß sie im Finanzministerium vom Portier aufwärts bis zum Minister wieder böhmisch sprechen könnten. Das war für sie unter Kaizl eine schöne Zeit. Man wendet ein, daß es eine Charakterlosigkeit wäre, wenn Kramär in die Regierung eintreten 81
82
Der von einer Tochter Alois von Negrellis angestrengte Prozeß in Paris, der sich von 1888 bis 1905 hinzog, anerkannte die volle geistige Urheberschaft Negrellis am Suezkanal. Am 14. 10. 1902, dem Tag der Reichsratseröffnung, teilte Ministerpräsident Ernest von Koerber den Führern der böhmischen Parteien seine Grundsätze zur Erlassung eines allgemeinen Sprachengesetzes mit. Die deutschen Parteien antworteten darauf mit am 21. 10. 1902 veröffentlichten Verständigungsvorschlägen, die tschechische Antwort wurde am 13. Dezember bekanntgegeben.
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würde, obwohl eine Einigung in der Sprachenfrage noch nicht vorausgegangen ist. Indessen ist der Ehrgeiz dieses Herren so groß, daß er sich daran nicht kehren würde, und wäre Baernreither nicht ein vortrefflicher Hande/sminister? Man könnte sich keinen besseren zur Zeit der Handelsverträge denken. Er wäre dazu wie geschaffen. Somit bin ich, "sagt Bacquehem," der Meinung, daß im Februar oder März diese und keine andere Wendung eintreten wird. Allerdings wird Koerber dann nicht mit seinen Ministern so herumspringen können wie jetzt, aber es wird ein Vorteil sein, wenn statt der Minister Call und Giovanelli tüchtige Leute ins Amt treten. Sie werden sehen, daß ich recht behalte. Sie mögen noch so ungläubig den Kopf schütteln, es gibt keinen anderen Ausweg aus den vorhandenen Schwierigkeiten, dieser wird ergriffen werden müssen. b Bacquehem sprach damals mit großer Anerkennung von Koerber. Er habe ihn als seinen Präsidialchef schätzen gelernt83. Wie klug zeigte er sich bei Verhandlungen mit Ungarn! Da geschah es oft, daß Wittek als Sektionschef mit den Ungarn verhandelte und sie dadurch vor den Kopf stieß, daß er einen langen Vortrag über Eisenbahnrecht etc. hielt, in dem er sie seine ganze Überlegenheit fühlen ließ. Nicht wahr, das war der richtige Weg, um zum Ziele zu gelangen? Wenn die Sache dann verworren war, dann ergriff Koerber bei den Beratungen im Ministerium das Wort, ganz leise, begann mit allerlei Höflichkeiten für den Herrn Sektionschef, dann aber zog er noch einen Vermittlungsvorschlag, noch eine Formel heraus, und gewöhnlich gelang es ihm, einen Ausweg zu finden.
Josef Maria Baernreither, Mitglied des Abgeordnetenhauses
c. 12. Dezember 1902 К 2, U 3, 419 r- ν; Sekretär 2
Baernreither suchte mich auf, traf mich nicht, worauf ich mich am nächsten Tage zu ihm verfügte. Er befand sich in tiefer Verstimmung über die politische Lage und hatte das Bedürfnis, sich mit mir offen auszusprechen. Vor allem beklagt er sich, daß Koerber ihm mit Mißtrauen begegne. Dieser letztere war es, der, als die Geschäfte des Abgeordnetenhauses stockten, Baernreither aufforderte, die Ausgleichsaktionen in die Hand zu nehmen, was dieser auch tat. Von diesem Augenblicke aber verhielt sich Koerber gegen die Aktion auffallend kühl. Baernreither sandte ihm von ihrem Verlaufe einen 83 a_a b
Ernest von Koerber leitete von 1887 bis 1895 die Präsidialabteilung des Handelsministeriums. Ergänzung durch Friedjung. Der weitere Eintrag von Friedjungs Hand.
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Josef Maria Baernreither
umständlichen Bericht, obwohl er leidend war, und am Tage vor dem Abschlüsse noch eine vollständige Darlegung dessen, was das deutsche Memorandum enthalten werde84. Darauf erhielt er nicht einmal eine Antwort. Dies aber hinderte ihn nicht, in Koerbers Interesse weiter tätig zu sein, da ihn, wie er sagt, Kanapee-Fragen nicht in seinem Verhalten beeinflussen können. Es ist nun für ihn sehr auffallend, daß Koerber auch jetzt nicht ausdrücklich erklärt, was er in der Ausgleichsfrage zu tun gedenke. In einem Gespräche zwischen Vertretern des Großgrundbesitzes und Koerber war dieser nicht einmal zu einer bestimmten Erklärung darüber zu veranlassen, ob er, sobald die Tschechen ihr Memorandum überreicht hätten, eine Verständigungskonferenz berufen werde. Er gab eine ausweichende Antwort und sagte, er könne schlechterdings nicht wissen, was das Memorandum enthalte, und könne erst dann seine Entschlüsse fassen. Uberhaupt ist der Draht zwischen ihm und den Tschechen vollständig abgerissen. Er erklärt, durch die Äußerungen Pacäks (Infamie85) verletzt und nicht in der Lage zu sein, den Verkehr mit den Tschechen aufzusuchen. Auch Rezek ist verstimmt und spricht nur davon, daß er seiner Stellung müde sei86. Die Dinge seien so verworren, daß Baernreither nach Schluß des Abgeordnetenhauses gar nicht zum böhmischen Landtag geht und wieder einige Tage am Gardasee zubringen will. Am peinlichsten war ihm, daß Koerber sich zu a dem Grafen Oswald Thun" geäußert hatte, der ganze Gang der Dinge im Abgeordnetenhause gehe seinen Wünschen entgegen, und Thun war dadurch so beeinflußt, daß er Baernreither sagte: Du hast dich zu tief in die Ausgleichsaktion eingelassen; es wäre viel klüger gewesen, die Tschechen ihre Obstruktion fortsetzen zu lassen; sie wären dadurch ins Unrecht gesetzt worden, und man hätte mit größerer Entschiedenheit gegen sie vorgehen können. Bei jener Besprechung des Großgrundbesitzes mit Koerber vertrat ihm Baernreither den Standpunkt, daß nichts anderes übrigbleiben werde, als eine Geschäftsordnung, den Ausgleich mit Ungarn, den Zolltarif und (wenn ich nicht irre) die Zuckersteuer mit § 14 zu oktroyieren. Koerber hielt das aber für unmöglich und erklärte, der Kaiser werde seine Zustimmung dazu nicht geben, b ja er fügte hinzu: Der Kaiser sei zu keinem Entschlüsse zu bringen. Darin liege die große Schwierigkeit. Der Kaiser sei zu nichts zu haben als zur Anwendung des § 14.b 84 85
86
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Vgl. S. 478 Anm. 82. In der Sitzung des Reichsrates am 16. 10. 1902 beantwortete der Obmann der Jungtschechen Bedrich Pacäk die Erklärungen des Ministerpräsidenten zur Sprachenfrage mit scharfen Angriffen und meinte, „die Antwort auf diese - ich will nicht sagen Infamie, obwohl sie es verdienen würde" werde das tschechische Volk dem Ministerpräsidenten schon geben. Antonin Rezek blieb bis zum 10. 7. 1903 tschechischer Landsmannminister. Ergänzung durch Friedjung. Eintrag durch Friedjung.
16. Dezember 1902
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Ebenso schlimm stehe es mit Ungarn. Die Ungarn seien tief verletzt, und Graf Julius Andrässy, den Baernreither als den Verwahrer der Ideen seines Vaters hochschätze, sagte unmittelbar nach der bekannten Herrenhausrede87, so dürfe man die Ungarn nicht behandeln, sie seien kein Bettelvolk. Bisher sei der Ausgleich zwischen Osterreich und Ungarn nicht zustande gekommen, und die Sache spieße sich. Jeder der beiden Ministerpräsidenten habe sein Ultimatum gestellt, von dem, wie es scheint, keiner abgehen will. Am Tage darauf begab ich mich zu Sieghart, um von ihm Aufschluß über die Lage zu erhalten. Sieghart bestätigte mir den schlimmen Stand der Dinge.
Ernest von Koerber, Ministerpräsident
16. Dezember 1902 К 2, U 2, 222 r-v; Sekretär 2
Ich war durch die mir gewordenen Mitteilungen beunruhigt und beschloß, mir darüber Gewißheit zu verschaffen, ob Koerber wirklich den Ausgleichskonferenzen mit Gleichgültigkeit zusehe und nichts zur Entwirrung der Sachlage beitrüge88. Das Gespräch mit Koerber war deshalb interessant, weil ich ihn noch niemals so klar und selbstbewußt hatte sprechen hören; seine Haltung war die eines leitenden Mannes, der sich entweder in seiner Politik sicher fühlt oder doch mit Seelenruhe einem ungünstigen Ausgange entgegensieht. Ich setzte ihm offen auseinander, daß beunruhigende Gerüchte umgingen, die, von seinen Gegnern ausgestreut, ihn so hinstellen wollen, als ob er den Ausgleich zwischen Deutschen und Tschechen nicht wünsche. Darauf sagte er: Es ist vollständig unrichtig, daß ich mich von den Ausgleichsverhandlungen desinteressiere. Indessen kann ich, bevor die Tschechen nicht ihre Antwort erteilen werden, was morgen [sie!] geschieht, noch nicht erklären, was ich zu tun gedenke. Erst dann werde ich den Entschluß fassen und, wofern die geringste Aussicht des Gelingens vorhanden ist, die beiden Parteien zu den Verhandlungen einladen. Ich habe aber Grund, mit den Vorgängen im Abgeordnetenhause unzufrieden zu sein. Ich halte es für einen Fehler, daß man den Tschechen gestattet, ihre Dringlichkeitsanträge zu häufen, von Zeit zu Zeit aber von ihnen als Gnade hinnimmt, daß einige nebensächliche Gesetze durch das Haus gehen dürfen. So wird der An*7 In einer Rede im Herrenhaus am 30. 5. 1902 nahm Ministerpräsident Ernest von Koerber auch zu den Ausgleichsverhandlungen mit Ungarn Stellung. Er wandte sich dabei gegen überzogene ungarische Forderungen. 88 Vgl. zur Rede Ernest von Koerbers am 14. 10. 1902, in der er seine Grundsätze zur Erlassung eines allgemeinen Sprachengesetzes mitteilte, S. 478 Anm. 82.
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Ernest von Koerber
schein erweckt, als ob irgend etwas gearbeitet werde, und das Odium einer vollständigen Lahmlegung des Parlamentes ist von ihnen genommen. Man hätte sie vor die Wahl stellen sollen, entweder durch Wochen nichts als Dringlichkeitsanträge beraten zu lassen oder aber von der Obstruktion abzustehen. Darauf fragte ich erstaunt, ob denn Koerber nicht die Führer der übrigen Parteien von diesem seinem Standpunkte unterrichtet habe. Das sei so einleuchtend, daß die letzteren verpflichtet gewesen wären, ihn zu unterstützen. Koerber erwiderte, daß es nicht an ihm gefehlt habe. Aber seine Mahnungen seien fruchtlos gewesen. Er bevollmächtigte mich auch, seinen Standpunkt in der Ausgleichsfrage öffentlich kundzumachen, damit der auf ihn geworfene Verdacht entkräftet würde. Er selbst habe die Ausgleichsaktion angeregt, und Dr. Baernreither habe auf seinen Wunsch die Deutschen zur Abgabe ihrer ersten Erklärung bestimmt. Er werde auch in Zukunft alles tun, was die Verständigung fördern könnte. Nichts wäre ihm erwünschter, als daß sie zustande käme, auch dann, wenn dadurch sein eigenes Kabinett überflüssig gemacht würde und ein parlamentarisches Ministerium zustande kommen könnte. Hierauf verbreitete er sich über den Ausgleich mit Ungarn. Das Bedauerliche sei, daß Herr von Szell die Revision einiger Punkte, über die man schon übereingekommen war, verlangt habe. Bei der letzten Besprechung vom 14. Dezember hätten beide Minister ihren Standpunkt gewahrt, ohne daß eine Annäherung über die noch strittigen Fragen erzielt worden sei. a
7. Jänner 1903. Indem ich obiges nochmals lese, sehe ich, daß Baernreither nervös, politisch unsicher war, und daß auch Sieghart nicht von Koerber eingeweiht worden war. Koerber ging ruhig und sicher seines Weges und berief, als das tschechische Memorandum vorlag, die Ausgleichskonferenz89, siehe da, der Draht zu den Tschechen war nicht abgerissen. Die Befürchtung Siegharts, das Mißtrauen und die Eitelkeit Koerbers werde ihn verhindern, den Faden weiter zu spinnen, ist nicht eingetreten. Ebenso ist der Ausgleich mit Ungarn am 31. Dezember 1902 gelungen. Allerdings weiß man heute nicht, unter welchen Bedingungen.
89
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Am 13. 12. 1902 wurde die tschechische Antwort auf die am 21. 10. 1902 bekanntgegebenen Verständigungsvorschläge der Deutschen für Böhmen veröffentlicht. In der tschechischen Antwort stand die Forderung nach der inneren tschechischen Amtssprache für die Länder der böhmischen Krone an der Spitze, gleichzeitig erklärten sich Jungtschechen und konservativer Großgrundbesitz bereit, an einer Verständigungskonferenz teilzunehmen. Diese von Koerber einberufene Konferenz trat am 3. 1. 1903 zusammen, wurde aber am 20. Jänner abgebrochen, da die Deutschen die tschechische Erwiderung auf ihre Ausgleichsvorschläge als indiskutabel zurückwiesen. Der weitere Eintrag von Friedjungs Hand.
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1902
Ματιό Konyi , Leiter des Stenographischen des ungarischen Abgeordnetenhauses i. P.
Bureaus 1902 К 2, U 3 355 r-v; Sekretär 2
Julius Andrässy jun. eignet sich bei seinen großen Gaben nicht zum Ministerpräsidenten. Er hat eine Gelehrtennatur, ist zurückhaltend und nicht umgänglich. Csäky90 starb in vollkommen zerrütteten Vermögensverhältnissen als Versicherungsagent. Er teilte Konyi mit, daß er seine politische Tätigkeit, zumal die von 1866, niedergeschrieben und mit allen aktenmäßigen Nachweisungen versehen habe. Thalloczy hat merkwürdige Stücke aufgeführt. Er soll als montenegrinischer Diener verkleidet in Konstantinopel gewesen sein und ebenso in Verkleidungen die Albanesen aufgehetzt haben. Falk erzählte mir, daß der Kaiser mit den ungarischen Ministern Deutsch spricht. Ebenso mit Falk. Bänffy sprach ungarisch, weil er sich darin besser ausdrückte, während der Kaiser ihm deutsch antwortete. Er spricht zwar ungarisch gut, aber es ist ihm natürlich geläufiger, sich in deutscher Sprache zu äußern. Szilägyi stand zu Szell unfreundlich. Er hatte überhaupt ein beleidigendes Wesen, wovon Andrässy jun. und Konyi zu erzählen wissen.
90
Graf Theodor Csäky, der 1866 auf eine Loslösung Ungarns von Österreich hinarbeitete. Vgl. Der Kampf um die Vorherrschaft. Bd. 2, 346.
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Josef Maria Baernreither, Mitglied des Abgeordnetenhauses
Josef Maria Baernreither
2. und 7. Jänner 1903 К 2, U la, la r-v; Sekretär 2
Am 2. Jänner 1903, unmittelbar nach der Abreise Lamsdorffs von Wien1, begegnete ich Baernreither, der mehrere Tage zur Erholung am Gardasee geweilt hatte. Er frug mich, was wohl zwischen Goluchowski und Lamsdorff vorgefallen sein möge. Ich setzte ihm auseinander, was ich wußte. Baernreither war sehr betroffen, weil er von einer Expansion Österreichs auf dem Balkan Schlimmes befürchtet. Ihn bedrücken die mißlichen inneren Verhältnisse, die Sorge für die Staatsfinanzen und für die Aufnahme der Barzahlungen2. Einige Tage später, am 7. Jänner, sprach ich ihn wieder. Er hatte unterdessen Fürstenberg 3 um die Lage der Dinge befragt, der ihm bestätigte, daß wichtige Dinge auf dem Balkan im Zuge seien. Aber Fürstenberg konnte nicht umhin, ihn in seinen Befürchtungen zu bestärken. Vor allem konstatierte dieser, daß das Verhältnis des Wiener und des Berliner Kabinetts leider kein sehr vertrauensvolles sei. Nach den unmittelbar vorhergehenden Mißverständnissen hatte Fürstenberg den Besuch Kaiser Franz Josephs in Berlin vermittelt 3 , aber dadurch wurden die Beziehungen nicht wärmer. Fürstenberg ist sehr besorgt darüber, daß das Wiener Kabinett hinter dem Rücken Deutschlands vorgehen werde. Fürstenberg und 1
2
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Die beiden Außenminister Graf Agenor Goluchowski und Graf Vladimir Lamsdorff einigten sich bei einem Treffen in Wien vom 29. 12. 1902 bis 1. 1. 1903, an ihrer in der Entente von 1897 vereinbarten konservativen Politik der Erhaltung des Status quo am Balkan festzuhalten und sich über Maßnahmen zur Lösung der mazedonischen Frage zu verständigen. Dies wurde als Beginn einer aktiven Politik am Balkan aufgefaßt, die schließlich zum Treffen der beiden Kaiser in Mürzsteg (30. 9. bis 3. 10. 1903) führte, bei dem ein mazedonisches Reformprogramm beschlossen und die beiderseitigen Interessen am Balkan abgestimmt wurden. Am 23. 8. 1901 hatte die österr.-ung. Bank mit der Ausgabe von Goldmünzen als Test für die Aufnahme der Barzahlung begonnen. Die Barzahlungen wurden im Laufe des Jahres effektiv aufgenommen, eine gesetzliche Verpflichtung dazu kam jedoch aufgrund der parlamentarischen Verhältnisse in Osterreich nicht zustande. Der letzte Besuch des Kaisers in Berlin fand Anfang Mai 1900 anläßlich der Großjährigkeitserklärung des deutschen Kronprinzen statt. Die dieser Reise vorangehende letzte größere Krise der Beziehungen wurde durch die am 29. 11. 1898 erfolgte Beantwortung einer Interpellation tschechischer und polnischer Abgeordneter bezüglich der Ausweisung österreichischer Staatsbürger, meist Tschechen und Polen, aus Preußen durch Ministerpräsident Graf Franz Thun ausgelöst. Dieser hatte erklärt, die Regierung werde die Situation prüfen und in Ubereinstimmung mit dem Außenministerium energisch gegen die preußischen Maßnahmen vorgehen, falls sich herausstellen sollte, daß es sich um mehr als Polizeimaßnahmen in individuellen Fällen handle. Er erwähnte dabei auch die Möglichkeit reziproken Vorgehens seitens der österreichischen Behörden. Die preußische Regierung provozierte darauf eine Bündniskrise, indem sie Thun zur öffentlichen Zurücknahme seiner Aussagen aufforderte, was dieser mit Rückendeckung des Kaisers ablehnte. Ergänzung durch Friedjung.
2. und 7. Jänner 1903
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Baernreither hegen die Besorgnis, daß Aehrenthal zuviel dazu tue, um Rußland und Österreich näherzubringen, wodurch letzteres Deutschland entfremdet würde. Auch Fürstenberg ist der Meinung, Aehrenthal handle nicht klug, indem er sich zu den Berliner Kreisen so kühl stelle. Baernreither hat Aehrenthal einmal gesagt, warum er denn von Wien nach Petersburg niemals über Berlin und stets über Warschau reise. Man erfahre in Berlin immer sehr viel, und im mündlichen Austausch der Ideen schleifen sich manche Gegensätze ab. Aehrenthal erwiderte darauf fast verletzt, daß man ihm üble Gesinnungen gegen das Berliner Kabinett und Gegnerschaft wider den Dreibund voraussetze; davon sei ganz und gar nicht die Rede. Baernreither und ich stimmen nun allerdings darin überein, daß Aehrenthal sich durch seine Haltung in eine schiefe Position begeben [habe] und sich den Weg erschwere. Aehrenthal, so fährt Baernreither fort, sprach sich ihm gegenüber oft darüber aus, daß die Goluchowskische Politik nicht richtig sei. Dieser lege immer wieder Wert darauf, daß nach dem Übereinkommen von 1897 nichts auf dem Balkan geschehen solle, worüber sich Osterreich und Rußland nicht geeinigt hätten. Aehrenthal hält eine solche Zusage Rußlands für ungenügend und wirkt für eine Teilung der Einflußsphären, so daß Rußland über den Osten, Osterreich über den Westen gebieten solle. Das ist der Kern seiner Politik. Baernreither setzt mir hierauf seine Befürchtungen auseinander. In überaus anziehender Weise weist er auf den ungenügenden Stand unserer Armee, zumal auf die Mängel unserer Artillerie hin. Die Geschützfrage ist noch nicht gelöst. Ebenso schlimm stehe es mit der Aufnahme der Barzahlungen, wenn Verwicklungen im Orient drohen. Haben wir dann bereits die Barzahlungen aufgenommen, so geraten wir in die größte Schwierigkeit, und der Ausfluß des Goldes sei zu befürchten. Und wie können wir mit dem jetzigen Parlament eine schlagkräftige Politik im Orient gewinnen? Man täte ihm unrecht, wenn man in ihm einen Gegner einer rührigen Politik sehen würde. War er doch schon als junger Mann für die Okkupation Bosniens, und damals mißbilligte er den Widerstand der Verfassungspartei gegen die Andrässysche Politik4. Jetzt aber stünden wir schlimmer, und vor allem fehle der Mann, der all die verwickelten Fragen (Orientpolitik, Barzahlungen, Ausgleich mit Ungarn, parlamentarische Verhältnisse, Armeefragen) soweit beherrsche, daß er sich durch all diese Momente in seinem Entschlüsse leiten lassen könne. Deshalb dringe ja Aehrenthal immer darauf, es müsse solch eine Persönlichkeit an der Seite des Kaisers wirken, es ist bekannt, daß er sich für den geeigneten Mann für eine solche Rolle hält. 4
Die Mehrheit der deutschliberalen Verfassungspartei unter Eduard Herbst lehnte die Okkupation ab und stimmte auch im Reichsrat gegen die Annahme des Berliner Vertrages.
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Benjamin von Källay, gemeinsamer Finanzminister
Benjamin von Källay
Anfang Jänner 1903 К 2, U 3, 417 г - 418 ν; Sekretär 2
Källay macht den Eindruck eines feinen Kopfes, dem aber volle Bestimmtheit der Absichten, volle Klarheit der Ideen fehlt. Wir sprechen zuerst über den Ausgleich zwischen Osterreich und Ungarn 5 . Er erklärte mir, daß ihm nichts über dessen Inhalt mitgeteilt worden sei; er würde es ehrlich sagen, wenn er Dinge wüßte, über die er sich nicht äußern dürfte; tatsächlich aber sei er ohne Kenntnis des Vorgefallenen. Man sei sehr vorsichtig in bezug auf die Einwirkung der gemeinsamen Minister; als Goluchowski jüngst einer der Sitzungen über den Ausgleich beigewohnt hatte, blieb er nur, solange die Handelsverträge mit dem Auslande beraten wurden; ausdrücklich wurde in den Zeitungen veröffentlicht, er habe darauf die Sitzung verlassen, und Koerber und Szell hätten das Zoll- und Handelsbündnis allein verhandelt. Källay ist nach seinen Äußerungen ein Gegner der Einführung der Goldwährung, noch immer ein Anhänger der Doppelwährung. Gegenwärtig sei es Mode, für die Goldwährung zu schwärmen. Ebenso verhalte es sich mit der Aufnahme der Barzahlungen, die man einer Doktrin zuliebe ins Auge fasse. Der gegenwärtige Zustand, die Parität zwischen Papier und Gold, sei durchaus befriedigend. Es sei ganz unnötig, für eine nähere, selbst für eine entferntere Zeit die Barzahlungen ins Auge zu fassen 6 . Wenn man sie in diesem Augenblicke für unpraktisch halte, so solle man gar keine Vereinbarung über die Barzahlungen treffen, da sie auch in zwei, drei oder vier Jahren unpraktisch sein könnten. Uberhaupt solle sich ein Staatsmann hüten, sogenannte prinzipielle Entscheidungen zu treffen. Jeder Fall ist für sich ins Auge zu fassen, und er wenigstens weigere sich stets, wenn seine Beamten noch so sehr drängen, eine allgemeine Verfügung zu erlassen, indem er sich vorbehalte, von Fall zu Fall Entscheidungen zu treffen. Den Gedanken, der Goldschatz könne bei Verwicklungen im Orient ein Kriegsschatz werden, verwirft er ganz. Schon der Gedanke daran müsse unseren Kredit, unsere Valuta schädigen. Er sprach damit ganz wie ein zugeknöpfter Minister, der sich hütet, eine Andeutung zu machen, die indiskreter Weise benützt werden kann. Dieselbe Haltung nahm er in der Besprechung der mazedonischen Frage ein7. Er erging sich in geistreichen Allgemeinheiten, aus denen nur ein Ge5
6 7
Der Ausgleich war in der Silvesternacht 1902 unterzeichnet worden, trat jedoch nicht in Kraft, da er in keinem der beiden Parlamente angenommen wurde. Vgl. zur Ausgabe von Goldmünzen ab 23. 8. 1901 als Test für die Aufnahme der Barzahlung S. 484 Anm. 2. Die beiden Außenminister Graf Agenor Goluchowski und Graf Vladimir Lamsdorff einigten sich bei einem Treffen in Wien vom 29. 12. 1902 bis 1. 1. 1903, an ihrer in der
Anfang Jänner 1903
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danke von Interesse ist: Der Grund, weshalb Rußland jetzt eine Vereinbarung mit Österreich-Ungarn sucht, sei vollkommen klar. Rußland habe seine Besitzungen im Osten weit ausgedehnt, und es strebe auch danach, die persischen Eisenbahnen in die Hände zu bekommen, um auf diese Weise Indien von allen Seiten zu umklammern. Für Jahre hinaus müsse es darauf gefaßt sein, an irgendeinem Punkte der langen von ihm beherrschten Linie gestört, angegriffen und in einen Krieg verwickelt zu werden. Da nun wolle es von Österreich-Ungarn nicht gestört werden, und es biete sich unserer Monarchie demnach die Möglichkeit, viel verlangen zu können. Wenn es auf ihn ankäme, so würde Österreich-Ungarn hohe Forderungen stellen. Uberhaupt sei er ein Freund aktiver Politik. Das Nichtstun sei das Schlimmste in der Politik. Es sei viel schwerer, die Kräfte eines Landes aus der Untätigkeit in Bewegung zu setzen, als, wenn sie in Bewegung seien, ihnen die Richtung zu geben, die man nach einem gemachten Fehler für richtig ansehe. Die Mechanik drückt das in dem Satze aus: Das Moment der Ruhe ist größer als das Moment der Bewegung. Wolle man einen Körper in Bewegung setzen, so sind dazu vorerst eine Menge Reibungen zu überwinden, die der bereits bewegte Körper schon besiegt habe. Damit, so warf ich ein, habe der Minister Kritik auch an die österreichische Orientpolitik gelegt. Källay lehnte das, was Goluchowski betrifft, ab und meinte, dieser sei gewiß von ähnlichen Auffassungen bestimmt. Er ließ es aber gelten, als ich meinte, dann hätte er wenigstens die Kälnokysche Politik kritisiert. Für eine mutige Politik im Orient sei er schon vor Dezennien eingetreten, zumal als ihm jemand sagte: Man könne nicht mit Rußland gemeinsam vorgehen, da Rußland stärker sei als wir und uns überlisten werde. Darauf antwortete er schon zu jener Zeit: Wer sich für schwächer und dümmer hält, der darf freilich keine gemeinsamen Unternehmungen ins Auge fassen; er hege aber das feste Vertrauen, daß unsere Diplomatie ebenso klug sein könnte als die russische. Über das Ziel Österreichs auf der Balkanhalbinsel erging er sich nur in Allgemeinheiten. Er behauptete, daß Österreich nicht einen Quadratzoll mehr militärisch besetzen solle, als es schon besitze. Er bezeichnete den Gedanken eines Besitzes Salonikis als eine Alogie; es habe sich gezeigt, daß auf den auf den Balkan führenden Eisenbahnen viel mehr deutsche und englische Waren hereingeführt würden, als Österreich importiere. Den Gedanken einer Autonomie Mazedoniens und Albaniens erklärte er für unpraktisch. Autonomie bedeute im Munde des Orientalen soviel wie unumschränkte Selbstherrschaft der in der Mehrheit Entente von 1897 vereinbarten konservativen Politik der Erhaltung des Status quo am Balkan festzuhalten und sich über Maßnahmen zur Lösung der mazedonischen Frage zu verständigen, wo aufgrund anhaltender Unruhen ein bürgerkriegsähnlicher Zustand herrschte, der durch die Ansprüche der Nachbarstaaten Serbien, Bulgarien und Griechenland auf mazedonisches Gebiet noch verschärft wurde.
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Marquis Olivier Bacquehem
befindlichen Nationalität oder Konfession über alle anderen. Sobald die türkische Autorität verschwinde, werde ein Morden auf der Balkanhalbinsel eintreten. Als ich nun meinte, Osterreich müsse die wirtschaftliche Präponderanz auf der Balkanhalbinsel anstreben, erwiderte er, das scheine ihm zuwenig. Aber als ich von einem Protektorat sprach, stellte er sich entsetzt; denn wir bedürften unausgesetzt hunderttausend Mann, um vor Europa die Verantwortung zu übernehmen, daß in jenen Gegenden Ruhe herrsche. Kurz und gut, jede der von mir als möglich bezeichneten Lösungen wurde von ihm abgelehnt. Ist er so diplomatisch klug? Hat er eine andere Idee, etwa die eines Balkanbundes? Schwerlich! Wahrscheinlich ist er nicht ganz aufrichtig und will seine Karten nicht ganz aufdecken. Er behauptete, es sei überflüssig, Pläne auf weithin zu fassen, man müsse das ergreifen, was der Augenblick bieten werde. Ich erklärte ihm offen, daß ich das nicht verstünde; sei es doch unmöglich, sich mit Rußland ohne einen bestimmten Plan zu verbinden. Darauf lenkte er ein und behauptete, sich nur gegen unpraktische Plänemacherei gewendet zu haben. Kurz, die Stunde, die ich bei ihm verbrachte, brachte viel Anregendes, jedoch nicht das geringste positive Ergebnis.
Marquis Olivier Bacquehem, Mitglied des Herrenhauses
24. Jänner 1903 К 2, U la, 2a r-v; Sekretär 2
Bacquehem äußert sich höchst ungünstig über den geschlossenen Ausgleich8. Er findet, daß Koerber in wichtigen Punkten nachgegeben habe. Der Zolltarif mache den Agrariern so viele Zugeständnisse, daß, wenn dies unter seinem Ministerium 1892 geschehen wäre, die gesamte Linke sich dagegen erhoben hätte. Am ungünstigsten stehe es mit der Loyalitätsklausel, die eigentlich eine Illoyalitätsklausel sei. Denn in dieser Abmachung sei den Ungarn das durch Dezennien bestrittene Recht zugestanden, Staats- und Gemeindelieferungen nur an ungarische Firmen vergeben zu müssen. Dagegen habe er lange gekämpft und habe Baross seinerzeit veranlaßt, eine Grenze für die Industrieförderung zu ziehen. Dies alles sei jetzt preisgegeben worden. Das Gespräch wendet sich dem Grafen Silva-Tarouca zu. Graf Silva ist aus uraltem Adel und mit einer Erbtochter aus dem Hause des Grafen Nostitz verheiratet. Sie war die reichste Erbtochter ihrer Zeit, dazu hübsch, elegant, die Silva heimführte. Sie besaß für ihren Mann lebhaften Ehrgeiz. Am Ende 8
Der Ausgleich war in der Silvesternacht 1902 unterzeichnet worden, trat jedoch nicht in Kraft, da er in keinem der beiden Parlamente angenommen wurde.
Sommer
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der achtziger Jahre - Silva war bereits im Abgeordnetenhause - wurden Empfangsabende in ihrem Palais veranstaltet, zu denen jedoch nur Mitglieder der Rechten geladen wurden. Es war ein politischer Salon, und die Gräfin wußte gewandt das Gespräch auf die Tagesfragen zu lenken. Ob der Budgetausschuß mit seinen Beratungen vorwärts komme? Wie der Ausgleich zwischen Deutschen und Tschechen stünde? und so weiter. Sie hatte eine vortreffliche Konversation, wußte einen Mittelpunkt zu bilden, und ihr Mann sollte dadurch gefördert werden. Indessen kam der Ausgleich zwischen Deutschen und Tschechen dazwischen9; die Mitglieder der Linken wurden jedoch nicht geladen, und die Hoffnungen von Silva auf ein Ministerportefeuille, zum Beispiel auf das Ackerbauministerium, schwanden. Dazu kam, daß Silva sehr bequem ist, nicht vor 11 Uhr aufsteht und doch nicht die Persönlichkeit von Begabung ist, um sich geltend zu machen. Er ist hübsch, elegant, angenehm, das ist alles. Jetzt ist er statt des Grafen Pälffy zum Obmann des Clubs der konservativen Großgrundbesitzer gewählt worden. Man sagt, Prinz Friedrich Schwarzenberg halte sich absichtlich zurück, habe auch den Einfluß verloren, und Graf Silva nehme eine vermittelnde Stellung zwischen den Tschechen und der Regierung ein.
Ernest von Koerber, Ministerpräsident
Sommer 1903" К 2, U 2, 230 г - 231 r; Sekretär 2
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Nach Mitteilungen der Frau Schneeberger und nach Äußerungen Koerbers gegen mich.b Nach seinem Demissionsgesuche war das Verhältnis Koerbers zum Kaiser ungünstig 10 . Tagelang hatte ihn der Kaiser auf die Erledigung warten lassen. Im Auftrage des Kaisers machte ihm Goluchowski damals Vorwürfe über seine Handlungsweise. Es wurde ihm angedeutet, daß er nicht loyal handle, die dem Kaiser aus der Lage in Ungarn erwachsenden Schwierigkeiten zu vergrößern. Ja noch mehr! Mit Hinblick auf den Gesundheitszustand des Kaisers wurde von ihm eine Art Unterwerfung verlangt; es wurde eine Komödie gespielt, als ob der Kaiser schwer leidend sei und der Schonung bedürfe. Einige Zeit lang mußte Koerber annehmen, er werde in Ungnaden entlassen werden. In einem Gespräche mit mir sagte mir Koerber: „Was hätte es gefrommt, wenn ich das Handschreiben des Kai9
10
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Der letztlich am Widerstand der Jungtschechen im böhmischen Landtag gescheiterte Taaffesche Ausgleich von 1890. Die Demission des Kabinetts Koerber aufgrund der Rückwirkungen der ungarischen Regierungskrise auf Osterreich wurde vom Kaiser am 7.7. 1903 abgelehnt. Die von Friedjung ergänzte Datierung ist aufgrund des Inhalts ungenau. Die Aufzeichnung erfolgte nicht vor Herbst 1903. Ergänzung durch Friedjung.
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E r n e s t von K o e r b e r
sers für ungenügend erklärt und auf meiner Entlassung bestanden hätte? Wäre damit ein Vorteil erzielt gewesen?" Die Sachlage änderte sich, als die Dinge in Ungarn sich verschärften, die Obstruktion siegreich blieb und Khuen sich zurückzog11. Man kann wohl annehmen, daß der Armeebefehl von Chlopy von Koerber eingegeben, vielleicht von ihm entworfen wurde12. Pitreich sagte damals zu Koerber: „Was Sie tun werden, werde ich tun", damit andeutend, daß er sich der Führung des Ministerpräsidenten unterordne. Koerber also war das treibende Element. Beck dagegen übte nahezu keinen Einfluß. Als ich Koerber fragte, ob er mit Beck Rücksprache in der Armeefrage genommen habe, sagte er: „Das hätte nichts genützt." Beck hatte niemals einen wirklichen Einfluß, da es ihm an Initiativen fehlt. Er ist alt geworden und sieht seine Aufgabe darin, sich dem Wunsche des Kaisers unterzuordnen. Koerber fand in der Armeefrage seine Stütze in dem österreichischen Hochadel; Fürst Windischgraetz überreichte im Namen seiner Standesgenossen dem Kaiser ein Memorandum, wo er auf die Notwendigkeit der Einheit der Armee hinwies. Vereint mit Koerber wirkte der Thronfolger. Als er zur entscheidenden Audienz in dieser Angelegenheit berufen wurde, besprach er sich zuerst mit Koerber. Der Kaiser war von Koerber bereits so bearbeitet, daß der Ministerpräsident dem Thronfolger sagen konnte, es sei nicht notwendig, auf den Kaiser in ermutigendem Sinne einzuwirken; es genüge, ihn in seiner Stimmung zu befestigen. Der Thronfolger war hoch erfreut über die Einwirkung Koerbers. Er sagte ihm: „Ihnen ist gelungen, was die ganze Familie beim Kaiser vergeblich zu erreichen versuchte." Damit meinte der Erzherzog die Bemühungen in der kaiserlichen Familie, den Kaiser von allzu großer Begünstigung der Magyaren abzuhalten. Es ist ein Irrtum, Koerber für temperamentlos zu halten. Er ist im Gegenteil Ausbrüchen der Leidenschaft unterworfen und kann so heftig werden, daß er sich kaum zu mäßigen vermag. Dies ist im Verkehr mit Frau Schneeberger zu wiederholten Malen zutage getreten. Sie mußte ihn bitten, seine Stimme zu mäßigen, um nicht im Hause Aufsehen zu erregen. Das geschah einmal, als er seine Mißbilligung über den Verkehr der Frau Schneeberger mit einer Persönlichkeit aussprach, die er nicht in ihrem Hause wissen wollte. Aber diese Leidenschaftlichkeit wird durch eine seltene Selbstbeherrschung in den Hintergrund gestellt. Seine Kälte, sein überlegenes 11
12
Graf Kärolyi Khuen-Hederväry war am 27. 6. 1903 zum ungarischen Ministerpräsidenten ernannt worden, konnte jedoch keine Majorität im Parlament bilden und reichte darauf am 6. August die Demission ein. Im Armeebefehl von Chlopy vom 16. 9. 1903 trat Kaiser Franz Joseph entschieden für die Aufrechterhaltung der gemeinsamen Armee und die einheitliche Kommandosprache ein, nachdem im ungarischen Abgeordnetenhaus die Annahme des neuen Rekrutenkontingentes verweigert sowie die Forderung nach der ungarischen Kommandosprache in den ungarischen Truppenteilen eingebracht worden war.
28. September
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mißtrauisches Wesen sind nichts wie eine Maske, da er fürchtet, Dinge zu sagen, die ihn später gereuen könnten, oder eine Empfindung zu verraten, von der er niemandem Kenntnis geben will. Daher die Art, wie er jedes Wort wägt, bevor er spricht. Daraus folgt auch, daß er selten eine ganz gerade Antwort gibt; immer sind es Vorbehalte oder vorsichtige Wendungen, in denen er sich äußert. Er will sich, wie er sagt, von niemand das Leitseil um den Hals legen lassen. Deshalb ist der Verkehr mit Personen, die ihn früher berieten, sehr gering geworden, so mit Bacquehem und anderen.
Emil Jettel von Ettenach, Leiter des Bureaus im Außenministerium
Literarischen 28. September 1903 К 2, U 3, 415 г - 416 ν; Sekretär 2
Augenblicklich ist, soviel ich weiß, von dem Rücktritte des Grafen Goluchowski nicht die Rede. Käme es aber doch zu diesem Ereignis, so ist es nicht ganz sicher, wer sein Nachfolger wird. Augenblicklich spricht viel für Herrn von Szögyeny; denn man wird vielleicht glauben, ein Ungar als Minister des Äußern könne leichter auf die Magyaren wirken und in der Militärfrage etwas erreichen. Dazu käme, daß Aehrenthal nur mit einem vollständigen Programm ins Amt treten würde, und es ist die Frage, ob man geneigt ist, überhaupt ein Programm zu akzeptieren. Man denke nur, wie bequem Graf Goluchowski ist. Man kann mit ihm die eine und die andere Politik befolgen. Goluchowski hat sich allerdings in der letzten Zeit eine starke Gegnerschaft gemacht. Es ist dies der feudale Adel. Diese Gruppe grollte Goluchowski immer, jetzt aber hat sie einen wichtigen Angriffspunkt gegen ihn. Sie wirft ihm vor, daß er durch das förmliche Veto gegen die Wahl Rampollas die Freiheit der Kirche beeinträchtigt habe13. Dazu kommt, daß man den großen Fehler begangen hat, das Veto auch eingestanden zu haben. Der Artikel im Fremdenblatt, in welchem das geschehen ist, war meines Erachtens ein großer Fehler14. Wenn man schon geglaubt hat, Österreichs Ansehen in Rom zur Geltung zu bringen, so genügte das Veto. Dann aber rühmte man sich dessen noch, was überflüssig war. Die Vorgänge im Konklave bleiben allerdings kein Geheimnis. Es ist so gut wie sicher, daß ein italienisches Blatt, Gazetta d'Italia, mit einem der Kardinäle ein Abkommen getroffen hatte des Inhalts, daß die Gazetta d'Italia für einen bestimmten Kardinal Stimmung macht, wogegen sich der Kardinal verpflichtete, das Blatt mit Nachrichten 13
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Österreich legte im Konklave am 2. 8. 1903 gegen die mögliche Wahl des Kardinalstaatssekretärs Mariano Rampolla sein Veto ein. Fremdenblatt v. 15. 8. 1903, Morgenblatt 1-2, Österreich-Ungarn und die Papstwahl. Darin wird das eingelegte Veto eingestanden, jedoch der Name Rampollas nicht erwähnt.
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Emil Jettel v o n Ettenach
aus dem Konklave zu versehen. Daher konnte es geschehen, daß die Nachricht von einem Veto Österreichs in dieser Zeitung am Abend nach Beendigung des Konklaves veröffentlicht war. Hinter der Gazetta d'Italia steht übrigens der italienische Deputierte Graf Guicciardini, der ein ernster Kandidat für das Ministerium des Äußern ist. Er ist sehr für Frankreich eingenommen. Es ist sicher, daß, wenn der alte Zanardelli die Augen schließt, ein Ministerium in Italien zustande kommt, das man ein Ministerium Barrere nennen könnte 15 . Guicciardini neigt zu den Ansichten, die dereinst ViscontiVenosta vertrat. Es ist richtig, daß sich die Autorität Aehrenthals darin zeigt, daß er der in dieser Woche stattfindenden Entrevue des Zaren mit Kaiser Franz Joseph beiwohnen wird16. Im vorigen Jahr war dies nicht der Fall. Damals war Baron Aehrenthal unmittelbar vorher in Wien, mußte aber kurz vor der Ankunft des Zaren nach Petersburg zurückkehren, offenbar weil man ihm bedeutet hatte, seine Anwesenheit sei nicht notwendig. Es liegt nahe anzunehmen, daß seine diesjährige Teilnahme nicht gerade auf die Initiative des Grafen Goluchowski zurückzuführen ist. Niemand rückt ja seinen Nebenbuhler gerne in den Vordergrund. Sachgemäß ist ausschließlich das diesjährige Verhalten; denn wenn Graf Kapnist von den Verhandlungen unterrichtet wird, so muß auch Aehrenthal am Platze sein. Man behauptet, daß Aehrenthal sich Deutschland gegenüber ablehnend verhält, ja sogar dem Bündnisse mit Deutschland abhold ist. Nun weiß ich bestimmt, daß er in der letzten Zeit in Petersburg dahin wirkt, Rußland solle sich dem Berliner Kabinett gegenüber nicht so ablehnend verhalten wie bisher. Noch mehr. Er ist der Ansicht, daß bei den in Konstantinopel zu machenden Schritten Deutschland als dritte Macht zugezogen werden sollte. Es wäre das eine Art Wiedererneuerung des Dreikaiserbündnisses. Von einer Absicht des Botschafters, das Verhältnis Österreich-Ungarns zu Deutschland zu lösen, ist keine Rede. Von der Zusammenkunft der beiden Kaiser hat man sich nicht viel zu versprechen. Wir warten schließlich nur auf Vorschläge Rußlands und treiben keine aktive Politik. Rußland aber, das wird immer sicherer, will Bulgarien nicht groß werden lassen. Was also soll geschehen? Man hat der Türkei durch die Reformnote eine Arznei verabreicht 17 , und man könnte scherzhaft sagen, es sei gar nicht bewiesen, daß die Arznei schlecht sei; denn der Patient hat sie noch gar nicht genommen. Man wird also bemüht sein, ihn zu bestimmen, die Dosis auch wirklich zu schlucken. Man wird den Patienten also auf den 15 16 17
Camille Barrere war seit 1897 französischer Botschafter in Rom. Das Treffen in Mürzsteg vom 30. 9. bis 3. 10. 1903, bei dem ein Reformprogramm für Mazedonien verabschiedet wurde. Am 23. 2. 1903 war dem Sultan durch den österr.-ung. und den russischen Botschafter ein Memorandum bezüglich notwendiger Reformen in Mazedonien vorgelegt worden.
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Rücken legen und wird ihm, ob er will oder nicht, die Arznei in den Rachen schütten und zu verhindern trachten, daß er sie wieder ausspuckt. Man wird nicht neue Reformen verlangen, wohl aber dafür sorgen, daß die Garantien verstärkt werden, die die Durchführung verbürgen. Mit dieser Redensart, mit der gleichfalls nicht viel geholfen werden wird, ist alles gesagt. Daraus ist zu schließen, daß die Politik der Geduld, für die auch Aehrenthal stimmt, beibehalten werden wird. Nun zur ungarischen Frage! Man tadelt den Grafen Goluchowski, daß er sich fern vom Schuß halte, und auch Sie haben diesen Vorwurf in Ihrem jüngsten Artikel erhoben 18 . Aber was soll er eigentlich tun? Ich würde an seiner Stelle dem Satze huldigen, daß niemand, weder die österreichische Regierung noch die ungarische, berechtigt ist, in die Reservatrechte des Kaisers einzugreifen. Es ist ebenso ein Fehler, wenn dies von Ungarn geschieht, wie wenn Herr von Koerber sich darauf einläßt. Sonst gibt er den Ungarn Anlaß, eine noch stärkere Einmischung zu versuchen. In einem früheren Gespräche hatte Herr von .. .a einmal gesagt: Weshalb sollte Graf Goluchowski sich einmischen? Wer wird ihm Dank dafür sagen? Wird er nicht im Stiche gelassen werden, wenn er die Einheit der Armee zu scharf betont? Er wäre ein Narr, wenn er sich in Dinge einließe, die über seinen nächsten Pflichtenkreis hinausreichen.
Freiherr Alois Lexa von Aehrenthal, Botschafter in St. Petersburg 6. Oktober 1903 К 2, U la, 28a г - 29a ν; Sekretär 2 Die Ergebnisse der Zusammenkunft der beiden Kaiser sind sehr erfreulich 19 . Es gab sich hierbei eine überraschende Ubereinstimmung zwischen den beiden Ministerien kund. Goluchowski und Lamsdorff besprachen die Balkanangelegenheiten im Eisenbahncoupe auf der Fahrt nach Mürzsteg, und Goluchowski entwickelte hierbei zuerst seine Ansichten. Als er geendet hatte, zog Lamsdorff einen Zettel aus der Tasche und sagte: „Damit Sie sich überzeugen können, wie enge sich unsere Auffassungen berühren, will ich Ihnen 18
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a
Allgemeine Zeitung München v. 24. 9. 1903, Abendblatt 1-2, Klärung der Lage in Österreich-Ungarn. Friedjung schreibt darin, daß frühere Außenminister aktiv eingegriffen hätten, während Goluchowski es liebt, „sich fern vom Schuß zu halten und den Ministerpräsidenten von Osterreich und Ungarn die Sorgen der gemeinsamen Regierung zu überlassen." Das Treffen Franz Josephs und Nikolaus II. in Mürzsteg vom 30. 9. bis 3. 10. 1903, bei dem das mazedonische Reformprojekt verabschiedet wurde. Vgl. Diplomatische Aktenstücke über die Reformaktion in Mazedonien, 1902-1906 (österr.-ung. Rotbuch, Wien 1906). Freilassung im Original.
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die Vorschläge vorlesen, die ich entworfen habe." Und es zeigte sich, daß vollständige Übereinstimmung stattfand. Ich warfein, daß dies offenbar nur dadurch möglich gewesen sei, daß Aehrenthal alles gründlich vorbereitet und Ubereinstimmung herbeigeführt habe. Er lachte zustimmend und sagte: „Das war doch meine Pflicht." Meinen Glückwunsch nahm er heiter entgegen. Als ich meinte, es sei mir doch nicht ganz deutlich, aus welchen Motiven Rußland Osterreich den großen Dienst erwiesen habe, es als einzigen Bundesgenossen in seinen diplomatischen Balkan-Feldzug mitzunehmen, erwiderte Aehrenthal: „Die Sache erklärt sich sehr einfach. Es hat für Rußland eine außerordentliche Annehmlichkeit, sich bloß mit einer einzigen Macht zu verständigen. Es wäre weit schwerer, wenn der Kreis größer wäre. Man müßte erst mit den anderen Mächten unterhandeln, bevor eine Einigung erzielt werden könnte. Freilich ist die Sache wesentlich durch die Haltung Deutschlands erleichtert. Das Berliner Kabinett hatte von vornherein erklärt, es sei mit allem einverstanden, was zwischen Wien und St. Petersburg ausgemacht würde. Damit ist ein festes Bollwerk geschaffen, gegen welches die anderen Mächte, auch wenn eine von ihnen es wünschte, nicht ankämpfen können. In Paris und in London ist man wohl etwas eifersüchtig und in Italien eigentlich sehr unzufrieden. Dies alles aber scheiterte an dem Zusammenhalten der drei Kaisermächte. Uberhaupt können wir auf diesem Wege am besten zu jenem Drei-Kaiser-Einvernehmen überleiten, welches eine Zeit lang bereits bestanden hat. Lamsdorff ist von guten Gesinnungen beseelt. Als ich vor 2V6 Jahren in Berlin bei Bülow war, fragte er mich, was ich von Lamsdorff halte, und ich versicherte ihm, daß er als Schüler Giers gute Beziehungen mit Deutschland pflegen wolle. Ich konnte Bülow vor einiger Zeit an meine Vorhersagung mahnen und die Frage daran knüpfen, ob ich nicht richtig vorausgesehen habe." Es ist wahr, lautete eine andere seiner Bemerkungen, daß mit dem Aufhören der Türkenherrschaft in Europa gerechnet werden muß. Die Aufgabe der Diplomatie besteht darin, dahin zu wirken, daß sich das Ereignis allmählich und ohne Katastrophen vollziehe. Dahin werden auch die Vorschläge zielen, die in den nächsten Tagen veröffentlicht werden sollen. Jetzt ist es besser, den status quo zu erhalten; es ist dies um so leichter, da sich Rußland und Osterreich desinteressiert zeigen. Hier ist eine Bemerkung hinzuzufügen, die Jettel vor einigen Tagen über Aehrenthal machte. Aehrenthal, so sagte er, huldigt der Meinung Bismarcks: Es liege im Interesse Österreichs, zuerst die Russen in die Orientpolitik hineinsteigen zu lassen. Sind sie einmal verwickelt, dann soll Osterreich mit seinen Forderungen hervortreten. Bis dahin empfiehlt auch er eine Politik der Geduld. Über die ungarischen Verhältnisse äußerte sich Aehrenthal pessimi-
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stisch20. Er glaubt, daß wir vor großen Entscheidungen stehen. Die Schwierigkeit liege allerdings darin, daß man sich nicht auf die Festigkeit des allerhöchsten Herrn verlassen könne. Sonst wäre eine energische Politik Ungarn gegenüber ratsam. Denn was könne man bei einem Kampfe mit Ungarn riskieren? An einen Zusammenbruch der Monarchie und an eine Loslösung Ungarns denkt doch niemand, dazu bedarf Ungarn Österreichs doch zu sehr. Gelingt es dem Kaiser, nach einem Zusammenstoße mit Ungarn seine monarchische Autorität zu wahren, so ist sie dauernd begründet. Das Äußerste, was zu riskieren ist, ist nicht schlimmer als das, was jetzt schon bei größerer Nachgiebigkeit droht. Ungarn will an Stelle des kaiserlichen Heeres ein Parlamentsheer setzen, und diesen Erfolg erzielt es auch, wenn auch weiter nachgegeben wird. Die Schwierigkeit liegt freilich darin, daß keine Persönlichkeit in Sicht ist, die der Träger einer starken Politik sein wollte. Graf Khuen hat sich als unfähig erwiesen. Er ist ein Mann ohne Kraft und Nerv. Seine Zeit zum Handeln war gekommen, als die ungarische Opposition den abgeschlossenen Vertrag brach 21 . In diesem Augenblicke mußte er erklären, daß auch er nicht mehr gebunden sei, und sagen: Nun sollt ihr mich kennenlernen! Jetzt aber steigt die Verwirrung in den Köpfen. Jüngst hat mir ein sonst verständiger Ungar gesagt, es dürfe nicht geduldet werden, daß Herr von Koerber sich in die ungarischen Verhältnisse mische. Nun steht die Sache aber so, daß, wenn die Ungarn in die Majestätsrechte des Kaisers eingreifen, Koerber verpflichtet ist zu sagen, daß er zur Abwehr bereit sei. Aus einigen Andeutungen und noch mehr aus dem Schweigen, welches Aehrenthal einer gewissen, von mir gemachten Bemerkung entgegensetzte, schließe ich, daß er stark mit dem Wunsche des künftigen Kaisers rechnet, den Ungarn die Faust zu zeigen. Dies war ein springender Punkt in den Ausführungen Aehrenthals: Es wäre die äußere Lage Österreich-Ungarns günstiger als je, um Ungarn Ernst zu zeigen. Der Kampf gegen Ungarn wurde 1859 und [18]66 durch die Ungunst der äußeren Verhältnisse verloren. Jetzt besteht diese Schwierigkeit nicht. „Ich habe den Kaiser, als der Gegenstand zur Sprache kam, darauf hingewiesen, daß er sich weder von Berlin noch von Petersburg aus einem Hindernis ausgesetzt sehen würde. Hier wie dort würde man es begrüßen, wenn sich die kaiserliche Gewalt in Ungarn befestige." 20
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Das Budapester Parlament war aufgrund der Obstruktion der Unabhängigkeitspartei als Widerstand gegen die Armeeforderungen blockiert. Auch Ministerpräsident Graf Kärolyi Khuen-Hederväry konnte keine Lösung erreichen und reichte am 6. 8. 1903 seine Demission ein. Der Regierungsbildung unter Graf Kärolyi Khuen-Hederväry war eine Vereinbarung mit der Opposition vorangegangen, die gegen einen Verzicht auf die Erhöhung des Rekrutenkontingents die Obstruktion einzustellen versprach. Der Rücktritt des Kabinetts erfolgte, nachdem die Opposition aufgrund eines Bestechungsversuchs die Verhandlungen mit der Regierung abgebrochen hatte.
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Ernest von Koerber, Ministerpräsident 30. Oktober 1903 К 2, U 2, 219 r-v; 229 r-v; Sekretär 2 Bei Schneeberger. Koerber war bemüht, den Nachweis zu führen, daß es ungerecht wäre, von einem Rückzug des Kaisers anläßlich des mit Tisza vereinbarten Programms zu sprechen22. Alle Zugeständnisse seien schon früher an Szell wie an Khuen verausgabt worden, und man habe jetzt nur die Einzelheiten zusammengefaßt. Es sei billig, daß in den Emblemen des Heeres der dualistische Charakter des Staates zum Ausdruck komme. Die Versetzung der ungarischen Offiziere nach Ungarn sei bereits 1868 zugestanden worden. Die Berücksichtigung der ungarischen Sprache bei dem Militärgerichte sei die Folge der Einführung des mündlichen Verfahrens. Auch die Zugeständnisse bezüglich der Berücksichtigung des Ungarischen in den Militärbildungsanstalten sei angelegentlich der Delegationsverhandlungen in Aussicht gestellt worden. Es lag Koerber offenbar daran, mich zu bestimmen, in der Allgemeinen Zeitung die Annahme einer Niederlage der österreichischen Regierung zu bekämpfen, und er ging in der Vertretung des ungarischen Standpunkts deshalb ziemlich weit. „Übrigens", so fuhr er fort, „würden auch wir in Osterreich uns beklagen, wenn von der Zivilliste des Kaisers von 8 Millionen Gulden nahezu alles in Ungarn verwendet würde. Bisher war zum Beispiel Brauch, daß alles für die kaiserliche Tafel Erforderliche, jedes Glas Kompott, beim Aufenthalte des Kaisers in Budapest von Wien nachgeschickt wurde. Die Hofbeamten haben in dieser Beziehung nicht viel Takt und haben Ungarn mehrfach verletzt." Ich gewahre aus dem Gespräche den Eindruck, daß Koerber einen vollen Bruch mit Ungarn und die Einführung des Absolutismus für unheilvoll ansieht. „War denn Osterreich", so fragte er, „im Jahre 1849 ohne Hilfe der Russen imstande, Ungarn zu bezwingen? Und werden sie uns jetzt wieder zu Hilfe eilen?" Nach seiner Ansicht wird die Obstruktion gegenüber dem Kabinett Tisza nicht abreißen, und es wird wohl zu einer Auflösung des Reichstages kommen. Die Wahlen dürften freilich ungünstig ausfallen wegen der magyarischen Strömung im Lande. Im Hintergrunde, dies deutete Koerber jedoch nur an, werde dann Szell als der Vermittler erscheinen. Offenbar wünscht Koerber die Rückkehr dieses ihm befreundeten Staatsmannes. Uber Tisza äußerte er sich zurückhaltend. Er wollte nicht einmal die Hoffnung aussprechen, daß er mit ihm gut zusam-
22
Mitte Oktober 1903 wurde Graf Istvän Tisza mit der Regierungsbildung in Ungarn betraut. Sein Kompromißprogramm in militärischen Fragen beinhaltete unter anderem nationale Abzeichen für ungarische Truppenkörper, ungarische Sprache bei Militärstrafprozessen in Ungarn, Förderung des Ungarischen bei den Truppen und in den militärischen Schulen sowie Regelung der Kommando- und Dienstsprache durch den König. Um Tisza die Kabinettsbildung zu ermöglichen, nahm die Krone diese Vorschläge an.
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menarbeiten werde. Doch hält er ihn für energisch, begabt und anerkennt den Mut, mit dem er sich dem Kaiser zur Verfügung stellte. In seiner vorsichtigen Art deutete er an, daß er in den letzten Kämpfen der einzige gewesen sei, der dem Kaiser zur Seite gestanden habe. Goluchowski scheute sich hervorzutreten; und Pitreich war so schwankend, daß eines Tages der Kaiser Koerber zum Kriegsminister schicken mußte, um ihn zu bitten, er solle in einer bestimmten Angelegenheit fest bleiben. Früher einmal hatte Koerber mir schon gesagt, daß Pitreich keine selbständige Stellung einnehme und sich zu Koerber geäußert habe: „Was Sie tun werden, werde ich auch tun." 23 Sarkastisch fragte Koerber in bezug auf die österreichischen Generäle: „Und diese Herren wollen zu Pferde steigen und den Säbel ziehen?" S[ieghart] sagte mir, daß Tisza vom Kaiser an Koerber gewiesen worden sei, um das Programm zu vereinbaren. Insgeheim in der Wohnung Koerbers, damit von der Unterredung nichts bekannt werde, fand eine lange Beratung statt, in der das Programm Tiszas endgültig festgestellt wurde. Der Thronfolger wird vom Kaiser nur selten gehört. „Er erfährt vom Onkel nichts", bemerkte S[chneeberger], und muß sich an Koerber wenden, um zu wissen, wie die Dinge stehen. Das Verhältnis Koerbers zum Thronfolger ist ein günstiges. „Vor einiger Zeit hatte ich Differenzen mit dem Thronfolger. Er hat nämlich im Auftrage des Kaisers die Gnadensachen zu besorgen. Nun wurden ihm alle die Begnadigungen vorgelegt, die infolge meines Erlasses über die jugendlichen Verbrecher auszufertigen sind. Der Erzherzog aber war mit meinem Erlasse nicht zufrieden, da er eine härtere Auffassung der Dinge hatte. Ich mußte also immer zu ihm gehen, um ihn zu bitten, er möchte die Dinge ausfertigen. Da die Erledigungen aber lange liegenblieben, berichtete ich dem Kaiser über die Sache und wies daraufhin, daß auf diese Weise die Absicht des Erlasses vereitelt werde. Daraufhin erfolgt die Erledigungjetzt in erwünschter Weise. Natürlich war der Erzherzog sehr unzufrieden mit mir, in der letzten Zeit hat sich aber das Verhältnis zwischen uns wieder günstiger gestaltet." „Ich bin", so sagte Koerber, „sehr begierig [zu wissen], wie sich die Dinge unter dem nächsten Kaiser gestalten werden. Ich kann mir kein klares Bild darüber machen, da der Erzherzog fahrig in seinem Wesen ist und Dinge fallen läßt, auf die er kurz vorher noch großen Wert gelegt hat. Nur soviel ist sicher, daß er den Ungarn nicht freundlich gesinnt ist. Es ist aber ein großer Fehler seitens der Erzherzöge, daß sie sich in den Anschauungen in bezug auf die Ungarn nicht mehr Zwang auferlegen, da daraus Schaden für die politischen Geschäfte erwächst. Von einer Parteinahme des Erzherzogs für die Tschechen habe ich nie etwas bemerkt, und ich habe auch nicht den Eindruck, daß seine Frau auf ihn einen politischen Einfluß übt." 23
Vgl. S. 490.
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„Mit Aehrenthal habe ich über die Lage mehrfach gesprochen und stehe sehr gut mit ihm." Als ich Koerber andeutungsweise mitteilte, in welcher Weise Aehrenthal auf den Kaiser im Sinne des Festbleibens gegen die Ungarn gewirkt habe, sagte Koerber elegisch: „Wenn diese Dinge nur nachhaltig wirken würden, leider aber hört der Kaiser zu und hört dann wieder andere." Beim Nachhausegehen machte er noch folgende Bemerkung: „Die gegenwärtige Organisation ist sehr mangelhaft. Es besteht kein Organ und es gibt keine Personen, welche dem Kaiser zur Seite stehen, wenn er mit den Ungarn über ihre Forderungen verhandeln soll. Es ist von einem Monarchen, noch dazu von einem mehr als siebzigjährigen Herrscher nicht zu verlangen, daß er mit den hervorragendsten ungarischen Parlamentariern über staatsrechtliche Angelegenheiten verhandle. Früher war noch Päpay, der Chef der ungarischen Abteilung der Kabinettskanzlei, da, der vor den Audienzen der ungarischen Minister ihnen auseinandersetzte, was der Kaiser nicht bewilligen könne, worin sie ihm nicht zusetzen sollten etc. Jetzt fehlt eine Persönlichkeit dieser Art. Brauns Wirksamkeit in dieser Beziehung war dagegen meines Wissens nicht sehr groß." Als ich nun bemerkte, daß diese Organisation durch einen vergrößerten Wirkungskreis der gemeinsamen Minister geschaffen werden könne, daß besonders alle Heeresangelegenheiten hier verhandelt werden sollten, erwiderte Koerber in beinahe schmerzlichem Ton: „Das wagt der Kaiser nicht. Und doch war dies früher der Fall. Noch Andrässy hatte die Autorität, daß die Verhandlungen über den Ausgleich unter seinem Vorsitz stattfanden. Unter Kälnoky gestalteten sich die Dinge schon ungünstiger, und j e t z t . . . " - „Gewiß", sagte er, „wäre auf diesem Wege eine Besserung zu versuchen." In der ganzen Unterredung machte Koerber einen viel freieren und kräftigeren Eindruck als jemals vorher, sei es, daß sein Vertrauen zu mir wächst, sei es, daß infolge seiner befestigten Stellung sein Selbstvertrauen gestiegen ist. Genug, diesmal war nicht zu bemerken, daß er in der zweiten Hälfte des Satzes zurücknahm, was er in der ersten gesagt hatte. Dieser freie, alles Pathos beiseitelassende Ton scheint mir wohl geeignet, in schwierigen Unterhandlungen auf den anderen Teil zu wirken.
Ernest von Koerber, Ministerpräsident 6. November 1903 К 2, U 2, 225 г - 226 r; Sekretär 2 Mit Hinblick auf das jüngste Gespräch24 begann Koerber. Es bricht sich doch allgemach die Erkenntnis Bahn, daß, so große Konzessionen auch Ungarn errungen hat, nichts prinzipiell Neues zugestanden wurde neben dem, was 24
Vgl. oben.
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bereits Szell und Khuen zugesprochen worden war. Leider erhalte ich verschiedene Nachrichten aus Ungarn. Der soeben zurückgetretene Minister Daränyi besuchte mich gestern und sagte mir, nach seinem Eindrucke würde die Opposition nicht abrüsten. Freilich ist Daränyi einer der zurücktretenden Minister und deswegen vielleicht verstimmt. Möglich übrigens, daß die Obstruktion aufhört. Trotzdem bezweifle ich, daß man in Ungarn mit gewöhnlichen Mitteln zu Ende kommen wird. Dort existiert zwar kein § 14, aber es wird auch dort dahin kommen, daß die Regierung auf ihre eigene Verantwortung hin Maßregeln trifft, die nicht ganz der Verfassung entsprechen. Ob der Ausgleich auf diesem Wege verlängert werden wird, will ich nicht schon jetzt behaupten. Bei uns aber stehen die Dinge sehr trübe, und ich sehe kaum einen anderen Ausweg wie den, den Ausgleich aufgrund des § 14 zu verlängern 25 . Insbesondere die Deutschen werden immer schwieriger. Derschatta zwar hat in einem in der Zeit mitgeteilten Interview noch keine bestimmte Ablehnung des Ausgleichs ausgesprochen, sondern sich noch die Wege offen gehalten 26 . Wenigstens ist er nicht so abweisend wie Hofmann von Wellenhof. Es ist schwer, mit den Deutschen zu regieren. Schwerlich werden sie einen Minister bekommen, der ihnen mehr entgegenkommt als ich. Man hat mir aber jüngst, vielleicht nicht mit Unrecht, gesagt: „Sie werden sehen, daß Sie eines Tages durch ein mit Hilfe der Deutschen zustande gekommenes Votum gestürzt werden." Inzwischen sehe ich in dem Umstände, daß die Obstruktion einen Beschluß verhindert, keinen Grund des Rücktritts. Einen solchen würde ich nur ins Auge fassen, wenn ich wirklich eine Niederlage erlitten hätte. Ein NichtZustandekommen des Votums des Reichsrats kann keinen Anlaß zu einer Ministerkrise bilden. Wie schwer ist es, mit den Deutschen zurechtzukommen. Da ist zum Beispiel d'Elvert in Brünn. Er ist Oberlandesgerichtsrat und schreibt mir bei jeder Besetzung eines mährischen Gerichtspostens seine Ansicht über die Fähigkeit jedes der Kandidaten. Nicht, daß er bloß sich der deutschen Bewerber annähme - nein! Er trifft die Wahl unter den verschiedenen deutschen Kandidaten. Ist das ein möglicher Zustand? Welchen Wert besitzt das Votum des Oberlandesgerichtspräsidenten und des Gremiums, wenn er daneben ein Minoritätsvotum einsendet? Ich habe ihm jüngst drohend gesagt: „Nun gut, dann werde ich Sie Seiner Majestät zum Justizminister vorschla25
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Aufgrund der tschechischen Obstruktion konnten im Wiener Parlament keine Gesetze verabschiedet werden. Die Reichsratssession wurde darauf am 10. 12. 1903 geschlossen, und auch der am 31. 12. 1902 vereinbarte Ausgleich blieb unerledigt. In Kraft blieb die Regelung aus dem Jahr 1899, durch die das gemeinsame Zoll- und Handelsgebiet bis 1907 provisorisch verlängert worden war, während der neue Ausgleich nicht in Geltung kam. Die Zeit v. 1. 11. 1903, 2, Dr. v. Derschatta. Darin erklärt dieser allerdings, die neuen Armeeforderungen von ungarischer Seite „haben die Bereitwilligkeit zur Annahme des Ausgleichs noch unwahrscheinlicher, noch unmöglicher gemacht als bisher."
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gen." Da wendete er sich erschrocken ab und deprecierte. Er hatte meine Drohung für Ernst genommen. Mit Dr. Fischel habe ich über die tschechische Universität in Mähren gesprochen. Er gibt mir den Rat, die tschechische Technik von Brünn weg zu verlegen und eine tschechische Universität daselbst zu errichten. Ich zweifle aber, ob die Deutschen auf eine solche Lösung eingehen werden.
Feldzeugmeister Freiherr Friedrich von Beck, Generalstabschef [1903] К 2, U 5, 628 r-v, 632 r - 633 v; Sekretär 2 Ich hatte Freiherrn von Beck geschrieben, daß ich ihn bäte, mir die Akten des Kriegsarchivs über den Krimkrieg zugänglich zu machen27. Zugleich hatte ich ihn um eine Unterredung ersucht. Er erklärte, als ich zu ihm kam, seine Bereitwilligkeit; er habe bereits mit dem Direktor des Kriegsarchivs über die Sache gesprochen, und es stehe mir alles zur Verfügung. Nur wünsche er, daß ich die Verpflichtung übernehme, die Korrekturbogen meines Werkes, soweit sie auf den Akten des Kriegsarchivs beruhen, zur Einsicht vorzulegen. Beck verwies mich in dieser Angelegenheit auf FML Woinovich. Diesem erklärte ich ebenso wie Beck, daß ich hierzu bereit sei, sprach mich aber mit Woinovich ausführlicher aus: Ich würde die Korrekturbögen ohne weiters vorlegen, jedoch nur zu dem Behufe, um zu hören, ob nicht manche in den Akten enthaltene Darlegungen vorerst noch von der Veröffentlichung auszuschließen seien. Dagegen könne ich mich nicht dazu verstehen, in bezug auf die Richtung meines Werkes und in bezug auf die Beurteilung der Persönlichkeiten eine Weisung entgegenzunehmen. Woinovich trat dieser Auffassung vollinhaltlich bei, so daß darüber eine vollständige Einigung zwischen uns erfolgte. Beck kam nun auf die Verhältnisse zur Zeit des Krimkrieges zu sprechen. Er sprach in seiner müden, unpräzisen Weise, so daß er zwar Einblick in die Verhältnisse verriet, jedoch ohne schärferes Urteil und mitunter so, daß er die Dinge stark verschoben darstellte. Heß wurde im Frühjahr 1850 nach Berlin geschickt, um eine Vereinbarung in bezug auf die orientalische Frage zu treffen, und man kam überein, gemeinsam zu mobilisieren, um auf alle Eventualitäten gefaßt zu sein28. Als aber Osterreich im Herbst Ernst machen wollte, wurde es von Preußen im Stiche gelassen. Es war derselbe Vorgang wie 1859, wo nach Magenta die preußische Mobilisierung stattfand, jedoch ohne daß ein tätiges Eingreifen erfolgte. Unsere Diplomatie gab sich 27 28
Vgl. Der Krimkrieg und die österreichische Politik (Stuttgart und Berlin 1907). Gemeint ist wohl das Abkommen vom 20. 4.1854, nicht 1850. Vgl. Der Krimkrieg 47-57.
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der Täuschung hin, daß sie Erfolge erzielt habe. Wir wurden in beiden Fällen von Preußen im Stiche gelassen. Der Träger der äußeren Politik mit der feindseligen Spitze gegen Rußland war Graf Buol, Bach stand hierbei mehr in zweiter Linie. Die Aufstellung der Armee fand zunächst in Galizien statt in der Absicht, gemeinsam mit der in Preußen aufzustellenden preußischen Armee zu operieren. Im Winter von 1854 auf 1855, als sich zeigte, daß wir allein standen, wurde die Armee gegen Ostgalizien, Bukowina und Siebenbürgen geschoben, und, da keine Eisenbahnen existierten und die Nachschübe an Lebensmitteln ungenügend waren, so litt die Armee, und es traten große Verluste ein. In der Armee war die gegen Rußland gerichtete Aktion unpopulär. Man empfand es als Undankbarkeit, daß wir fünf Jahre nach der Hilfeleistung der Russen in Ungarn die feindselige Aktion der Westmächte unterstützten. Heß gab dieser Auffassung dem Kaiser gegenüber Ausdruck. Er, Beck, befand sich zu Beginn des Krimkrieges als Generalstabsoffizier bei einer . . ,a, wurde aber während des Krimkrieges als Hauptmann des Generalstabs Heß zugewiesen, gewissermaßen sein Personaladjutant.29 Er hatte somit Einblick in die Verhältnisse. Heß nun war ein Mann von weiter Bildung und großer Einsicht, aber er besaß nicht die Energie, seiner Auffassung Geltung zu verschaffen; er ließ sich von anderen, so von Grünne, zurückdrängen. Stets bemüht, nicht anzustoßen, ließ er sich Dinge gefallen, die er als Chef des Generalstabs hätte ablehnen sollen. Beck habe ihm damals wie später vorgestellt, daß er in seiner Stellung nachdrücklicher auftreten sollte, mit dem Einsätze selbst seiner Stellung als Chef des Generalstabs. Ich fragte nun Beck, ob gegenüber der Expansivpolitik Buols und Bachs eine Gruppe von Militärs oder Politikern bestanden hätte, die auf eine Teilung der Interessensphären zwischen Osterreich und Rußland hinarbeiteten. Beck lächelte und meinte, eine solche Gruppe habe nicht bestanden. Man habe damals nur die Feindseligkeit gegen Rußland mißbilligt und gewünscht, daß Österreich mit Rußland eine Vereinbarung treffe, um seine Ausdehnung auf die Balkanhalbinsel zu verhindern, dagegen aber aus der Sachlage Gewinn für Osterreich zu ziehen. Uber Grünne äußerte sich Beck höchst ungünstig. Sein Auftreten sei ein gebieterisches gewesen, aber seine Einsicht in die Dinge war beschränkt, und nicht er und der zweite Generaladjutant Kellner leiteten die Geschäfte,
29
a
Friedrich von Beck war seit Herbst 1854 Generalstabschef der Division Castiglione in Graz, hatte jedoch im Sommer 1855 einen längeren Urlaub genommen und war im Oktober 1855 zum Adjutanten Heinrich Freiherr von Heß' ernannt worden. Vgl. Edmund Glaise-Horstenau, Franz Josephs Weggefahrte. Das Leben des Generalstabschefs Grafen Beck. Nach seinen Aufzeichnungen und hinterlassenen Dokumenten (Zürich - Leipzig - Wien 1930) 33-36. Freilassung im Original.
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sondern General Schiitter, der einen ungünstigen Einfluß übte. Grünne übte eine ausgedehnte Protektion zugunsten des hohen Adels, die dazu führte, daß ausschließlich die Liechtensteins, Schwarzenberge, Schaffgotsche, Wratislaw, Wallmoden usw. maßgebend waren. Das Inhaberwesen begünstigte diese Mißstände. Von Bach hatte Beck den besten Eindruck. Er war energisch, klar, zielbewußt, und die Verhältnisse, zumal in Ungarn, wurden durch ihn geordnet, bis der unheilvolle Krieg von 1859 eine Systemänderung hervorrief. Und nun kam Beck ins Politisieren, wobei er absonderliche Lehrmeinungen zur Geltung brachte. Bachs Wirksamkeit war wohltätig, wogegen leider die Giskras und Herbst eine unglückliche Nationalitätenpolitik befolgten. Sie machten, um sich eine übrigens doch unsichere Mehrheit im Reichsrat zu sichern, Konzessionen in nationalen Dingen, die verderblich waren. So wurde durch sie die Abschaffung der deutschen Amtssprache in Galizien dekretiert30. Ich warf ein, daß Giskra und Herbst in dieser Frage im Ministerrate in der Minorität geblieben und überstimmt worden waren. Beck aber erwiderte: „Da Bach [sie!] und Herbst im Ministerium geblieben waren, so kann man sie nicht von der Verantwortung entlasten." Ebenso haben sie in Krain der slowenischen Sprache Raum gegeben. Sie legten die Entscheidung in die Landtage und waren Ursache, daß die zweite Landessprache in den Schulen nicht obligat gelehrt werden darf. In Krainburg in Krain beschloß der Gemeinderat die Gründung einer deutschen Schule, das Ministerium aber entschied im Sinne der Mehrheit des Landtages, und eine slowenische Schule wurde gegründet. Der Kaiser zeigte mir die Petition an ihn mit der bedauernden Bemerkung, daß er in dieser Frage doch der Wohlmeinung der Minister werde folgen müssen. Ebenso haben sie in Südtirol die italienische Amts- und Gerichtssprache eingeführt. Diese Auseinandersetzung erfüllte mich mit großem Staunen, ich ließ Beck jedoch ohne Einwendung sprechen, um mir über den Grad der Gegnerschaft der Hofkreise gegen die verhaßten liberalen Minister klar zu werden. Zum Schlüsse kam Beck darauf zu sprechen, daß die Mitteilungen, die er mir über Benedek gemacht habe, viel besprochen und günstig beurteilt wurden. Er anerkannte die Diskretion, mit der ich das wiedergab, was er mir gesagt hatte. Noch einmal kam er auf seine eigene Wirksamkeit zu sprechen. Es sei ein eigenes Unheil gewesen, daß Benedek sowohl von Olmütz nach Josefstadt wie von Olmütz nach Wien zwei Tage später aufgebrochen sei, als Beck ihm geraten hatte. Jetzt habe ein Generalstabsoffizier (Beck meinte, wie ich weiß, Hauptmann von Steinitz31) über die Ereignisse vom 11.-16. 30
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Mit Verordnung des Gesamtministeriums vom 5. 6. 1869 löste in Galizien das Polnische das Deutsche als Amtssprache ab. (Eduard Ritter von Steinitz,) Die kritischen Tage von Olmütz im Juli 1866. Vom Eintreffen des Hauptquartiers der Nordarmee in Olmütz am 9. bis zum Abende des 15. Juli.
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Juli geschrieben, ohne jedoch immer das Richtige getroffen zu haben. Als Beck zu Benedek nach Olmütz geschickt wurde, fragte er ihn, was er nach der Niederlage tun werde. Benedek, ganz fatalistisch, erwiderte auf die Schenkel schlagend: „Was soll ich tun? Ich bleibe in Olmütz und rühre mich nicht vom Fleck." Darauf sagte ich ihm: Dann würde eine Kapitulation der Österreicher die Folge sein, gegen die die Übergabe Macks in Ulm ein Kinderspiel gewesen sei32. Benedek ließ sich überzeugen und erteilte ihm den Auftrag, sich mit seinem Generalstab über den Rückzug ins Einvernehmen zu setzen. Beck konferierte mit Baumgarten und brachte es dahin, daß der Marschplan zum sofortigen Abmarsch festgesetzt wurde. Leider brach Benedek zwei Tage später auf, was die Ursache seiner Niederlage bei Tobitschau wurde. Eines Tages erhielt man in Wien die Nachricht, die Preußen seien bereits in Göding erschienen. Beck war überrascht und beunruhigt, denn in seinem Marschplan war der rechte Flügel der abmarschierenden österreichischen Armee durch die Kavalleriedivision [Thum und] Taxis und andere Truppen gedeckt, so daß es unbegreiflich war, wie die Preußen sich Gödings hatten bemächtigen können. Er schickte infolgedessen drei Gardereiter nach dem Kriegsschauplatz, die sich von den Bewegungen des österreichischen und preußischen Heeres unterrichten sollten. Sie trafen, wie gesagt, die Preußen bei Göding, der Gardereiter aber, den er nach Olmütz geschickt hatte, berichtete ihm, Benedek sei erst jetzt von Olmütz aufgebrochen. Da sagte Beck zum Kaiser: „Nun ist es vergeblich. Benedek kann nicht mehr auf dem geraden Wege nach Wien marschieren und wird sich nach Ungarn zurückziehen müssen." Zum Schlüsse teilte er mir mit, er habe dem Kaiser darüber berichtet, was er mir über seine Tätigkeit im Jahre 1866 mitteilen könne. Insbesondere berichtete er dem Kaiser, daß er den Tatbestand in bezug auf das Telegramm aufklären wolle, nach dessen Empfang Benedek die Schlacht bei Königgrätz wagte33. Er erinnerte den Kaiser daran, daß der letzte Satz des Telegramms unglücklicherweise von Crenneville hinzugefügt worden sei, während der Wortlaut des Telegramms des Kaisers vollständig sachgemäß war.
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Mit Benützung der Feldakten des k.und k. Kriegsarchivs bearbeitet von einem Generalstabsoffizier (Wien 1903) und (ders.,) Die letzte Operation der Nordarmee 1866. Vom 15. Juli bis zum Eintritt der Waffenruhe. Fortsetzung von „Die kritischen Tage von Olmütz im Juli 1866." Mit Benützung etc. (Wien 1905). Am 20. 10. 1805 hatte die österreichische Armee unter General Karl Mack in Ulm vor den Franzosen kapituliert. Vgl. dazu Kampf um die Vorherrschaft. Bd. 2. In der ersten Auflage (198) ist das Telegramm ohne den Hinweis gedruckt, der letzte Satz „Hat eine Schlacht stattgefunden?" stamme vom Generaladjutanten des Kaisers, Graf Franz Crenneville; spätere Auflagen (so 6. Auflage 1905, 213) verweisen darauf.
b6hlauWien
VERÖFFENTLICHUNGEN DER KOMMISSION FÜR NEUERE GESCHICHTE ÖSTERREICHS Band 87 KOMMISSION FÜR NEUERE GESCHICHTE ÖSTERREICHS Vorsitzender: em. o. Univ.-Prof. Dr. Fritz Fellner Stellvertretender Vorsitzender: o. Univ.-Prof. Dr. Helmut Rumpier Mitglieder: Gen.-Dir. i. R. Hofrat Dr. Richard Blaas ao. Univ.-Prof. Dr. Ernst Bruckmüller o. Univ.-Prof. Dr. Moritz Csäky ao. Univ.-Prof. Dr. Peter Csendes o. Univ.-Prof. Dr. Wolfgang Häusler ao. Univ.-Prof. Dr. Ernst Hanisch o. Univ.-Prof. Dr. Grete Klingenstein o. Univ.-Prof. Dr. Herbert Knittler o. Univ.-Prof. Dr. Alfred Kohler o. Univ.-Prof. Dr. Brigitte Mazohl-Wallnig Gen.-Dir. Hon. Prof. Dr. Lorenz Mikoletzky o. Univ.-Prof. Dr. Michael Mitterauer Gen.-Dir. i. R. Hofrat Dr. Rudolf Neck Dir. Hofrat Univ.-Doz. Dr. Alfred Ogris em. o. Univ.-Prof. Dr. Richard Plaschka o. Univ.-Prof. Dr. Josef Riedmann o. Univ.-Prof. Dr. Roman Sandgruber o. Univ.-Prof. Dr. Gerald Stourzh em. o. Univ.-Prof. Dr. Adam Wandruszka em. o. Univ.-Prof. Dr. Ernst Wangermann em. o. Univ.-Prof. Dr. Erika Weinzierl o. Univ.-Prof. Dr. Herwig Wolfram Sekretär: Dr. Franz Adlgasser
Die in den Veröffentlichungen der Kommission für Neuere Geschichte Österreichs gemachten Aussagen sind die der jeweiligen Verfasser, nicht die der Kommission.
Heinrich Friedjung
Geschichte in Gesprächen Aufzeichnungen 1898-1919 herausgegeben und eingeleitet von Franz Adlgasser und Margret Friedrich
Band II 1904-1919
BÖHLAU VERLAG WIEN · KÖLN · WEIMAR
Gedruckt mit Unterstützung durch den Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung
Umschlaggestaltung: Tino Erben, Cornelia Steinborn
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Heinrich Friedjung : Geschichte in Gesprächen , Aufzeichnungen 1898 - 1919 / Franz Adlgasser / Margret Friedrich (Hrsg.). - Wien ; Köln ; Weimar : Böhlau. (Veröffentlichungen der Kommission für Neuere Geschichte Österreichs ; . . .) NE: Friedjung, Heinrich; Adlgasser, Franz [Hrsg.] Band II (1997) (Veröffentlichungen der Kommission für Neuere Geschichte Österreichs ; 88) ISBN 3-205-98593-1 NE: Kommission für Neuere Geschichte Österreichs: Veröffentlichungen der Kommission . . .
ISBN 3-205-98593-1
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INHALT
Band I Einleitung
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a) Heinrich Friedjung. Historiker und Journalist. Leben und Werk b) Quellenwert c) Überlieferung der Quelle d) Editionsrichtlinien e) Heinrich Friedjungs selbständige Veröffentlichungen 0 Abgekürzt zitierte Literatur Verzeichnis der Gesprächspartner Gesprächsaufzeichnungen 1898-1903
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Band II Gesprächsaufzeichnungen 1904-1919 nicht datierbare Aufzeichnungen Personenregister
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17. Jänner 1904
Ernest von Koerber, Ministerpräsident
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17. Jänner 1904" К 2, U la, I I a г - 12a ν; Sekretär 2
Bei Schneeberger. Die Aufhebung der Sprachenverordnungen erfolgte 1899 ohne viel vorhergehende Beratung 1 . Die Deutschen hätten sich eigentlich mit Geringerem zufrieden gegeben und wohl nichts dagegen gehabt, wenn in den tschechischen Gebieten die tschechische Amtssprache beibehalten worden wäre. Als aber der Kaiser den Prinzen Alfred Liechtenstein mit der Bildung eines Kabinetts betraute (1899)2, legte er dem Kaiser eine Denkschrift vor, in der er die bedingungslose Aufhebung der Sprachenverordnungen empfahl. Unmittelbar darauf empfing der Kaiser die deutsch-böhmischen Abgeordneten Pergelt etc.3 und sagte ihnen mit genauer Herübernahme jener Worte, daß er sich für die bedingungslose Aufhebung entschieden habe. Damit war die Sache fertig, da man den Kaiser nicht desavouieren mochte. Eigentlich war Prade der Urheber der tschechischen Amtssprache, da er oft erklärte, es sei ihm gleichgültig, wie in den tschechischen Teilen amtiert werde. Er trägt eigentlich die Verantwortung für das Ganze. Es wäre gewiß vorteilhaft, wenn der gemeinsame Ministerrat größere Befugnisse besäße, und wenn er insbesondere mit der Formulierung der Konzessionen in Bezug auf die Armee 4 betraut würde. Es gibt aber eigentlich keinen gemeinsamen Ministerrat. Wenn er zusammentritt, so geschieht das nur höchst selten, zur Feststellung des gemeinsamen Budgets, der Rekrutenzahl, Handelsverträge etc. In jenen genannten Fällen wird auch ein Protokoll aufgenommen. Dagegen ist die Formulierung der Konzessionen nicht im gemeinsamen Ministerrat erfolgt. Wahrscheinlich würden die Ungarn mit Beziehung auf das ungarische Staatsrecht dagegen Einspruch erheben. Auch zur Zeit Kalnokys war die Sache nicht anders. Ob zur Zeit Andrässys der gemeinsame Ministerrat eine größere Bedeutung hatte, ist Koerber unbekannt. Nun ist es unmöglich, daß bei Beratungen im engeren Kreise, etwa wenn der Kaiser bloß den österreichischen oder den ungarischen Minister1
Mit zwei Verordnungen des Kabinetts Clary, dem Ernest von Koerber als Innenminister angehörte, vom 14. 10. 1899 wurde in Böhmen der Zustand vor den Badenischen Verordnungen wiederhergestellt. 2 Prinz Alfred Liechtenstein wurde nach der Demission des Kabinetts Thun im September 1899 mit der Regierungsbildung beauftragt, lehnte jedoch aufgrund des Widerstandes der Linksparteien ab. 3 Kaiser Franz Joseph empfing im September 1899 die parlamentarischen Führer der Deutschböhmen und Tschechen in einem Versuch, das Parlament wieder arbeitsfähig zu machen. Anton Pergelt war am 29. September beim Kaiser und äußerte sich befriedigt über die Audienz. Vgl. Neue Freie Presse v. 30. 9.1899, Morgenblatt 2, Die Ministerkrise. 4 Die ungarischen Forderungen nach einer Aufwertung des magyarischen Elements in der gemeinsamen Armee. • Datierung aufgrund des Inhaltes wahrscheinlich falsch.
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Ernest von Koerber
Präsidenten hört, ein Protokoll aufgenommen wird. Sind doch diese Verhandlungen zwanglos. Soll etwa ein Protokoll aufgenommen werden, wenn der Kaiser den österreichischen Ministerpräsidenten zum Beispiel darüber befragt, ob an Stelle Szells ein anderer Ministerpräsident zu wählen wäre? Das wäre unmöglich, da hier sofort die Kompetenzfrage Schwierigkeiten machen würde. Bei den Armeefragen hat Graf Goluchowski sich zumeist zurückgehalten. Wenn man sagt, daß er dies aus Schlauheit getan habe, so stimmt das nicht ganz. Der Grund liegt viel eher in dem Wunsche, nicht in Schwierigkeiten hineingezogen zu werden, in Bequemlichkeit, in der Ablehnung der ganzen Materie. Dagegen ist Krieghammer sehr bestimmt aufgetreten und hat sich auch dadurch bei den Ungarn Respekt erworben. Er wäre wohl nie in den Konzessionen so weit gegangen wie Freiherr von Pitreich6. „Sie sehen übrigens", so sagte mir Koerber zu wiederholten Malen, „daß ich recht hatte, als ich Ihnen im Sommer sagte, daß die Konzessionen an Ungarn nicht übermäßig groß sein würden6. Die Rede des Kriegsministers Pitreich hat bewiesen7, daß nichts zugestanden wurde, was die Einheit der Armee verletzt." Koerber verbreitet sich auch, da ich ihm über den Nachlaß Bachs und Kübecks auf seinen Wunsch Mitteilungen machte8, über die Art, wie er es mit den wichtigen Раргегед seines Amtes halte. Er wunderte sich, daß sich im Nachlasse Bachs Briefe von Statthaltern etc. befinden. Koerber selbst behält für sich nur das Allerwichtigste zurück, so das Konzept von wichtigen Vorträgen, die er dem Kaiser erstattet hat. Es sind das gewissermaßen persönliche Sachen, die nicht eine Nummer tragen, sondern mehr privaten Charakter besitzen. „Ich fühle wohl", sagte er, „daß es nützlich wäre, wenn ich mir über wichtige Vorkommnisse bei der Amtsführung Aufzeichnungen machen würde. Leider aber komme ich nicht dazu. Ich bin so mit Geschäften überhäuft und dann so ermüdet, daß ich es nicht über mich bringen kann, noch gewissermaßen Beiträge zu meinen Denkwürdigkeiten aufzuschreiben." Als ich meinte, er könnte sich doch einen verläßlichen jungen Beamten wählen, dem er diese Dinge diktiere, sagte er, er werde das in Erwägung ziehen. Koerber ist übrigens der Meinung, daß man aus den Archiven über die Geschichte unserer ,Zeit viel weniger Material ziehen werde als über die Geschichte früherer Epochen. Es wird doch soviel mündlich verhandelt, und es geht ja alles durch die Zeitungen, durch das Parlament, sodaß die Anzahl der
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Reichskriegsminister Freiherr Edmund von Krieghammer war am 18. 12. 1902 durch Heinrich von Pitreich ersetzt worden. Vgl. Bd. 1, S. 496. Wahrscheinlich das Expose des Kriegsministers vor der österreichischen Delegation. Darin äußerte er sich jedoch sehr kritisch zu den ungarischen Forderungen. Der Nachlaß Freiherr Alexander von Bach im Allgemeinen Verwaltungsarchiv, der Nachlaß Freiherr Karl Kübeck von Kübau im HHStA.
17. Jänner 1904
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geheimen Dinge geringer wird. Er selbst hat keinen einzigen Geheimerlaß an die Behörden gerichtet, schon deswegen, weil, wie er lachend bemerkte, die Dinge doch wieder an die Öffentlichkeit gelangen. Er glaubt, daß selbst im diplomatischen Verkehr viel weniger Noten geschrieben werden als in früheren Zeiten. Koerber ist offenbar nicht für Zwangsmaßregeln gegen Ungarn eingenommen. So pessimistisch er auch die Zukunft beurteilt und so wenig Hoffnungen er auch auf die Erhaltung des Dualismus setzt, so antwortete er doch auf die Frage, ob nicht doch eine Durchführung der Rekrutierung ohne den Beschluß des Parlaments möglich sei9, folgendermaßen: „Ich wüßte nicht, wer dies übernehmen sollte. Es fehlt in Ungarn durchaus an einem Manne, der sich dazu bereit erklären würde." Als ich Fejerväry10 nannte, sagte er: „Fejerväry ist allerdings zuverlässig, aber alt und so leidend, daß zu befürchten stünde, er werde mitten in der Arbeit zusammenbrechen. Man nehme nur die jüngeren hohen Offiziere wie Kolossväry. Als er drei Monate Honvedminister war, bat er mit aufgehobenen Händen, ihm das Amt wieder abzunehmen, er halte es nicht aus, es sei für ihn unerträglich." Immer wieder machte es den Eindruck, daß er die Wiederkehr Szells wünsche. Mit ihm, so sagte er, habe er sich gut besprochen. Mit Tisza verhandle er nur schriftlich in den besten Formen, aber es ist doch nicht das rechte Verhältnis zwischen den beiden Ministerpräsidenten. Über den Thronfolger äußerte er sich diesmal günstiger als früher. Wohl nannte er ihn einmal bockbeinig, aber dann sagte er doch, er besitzt eine gewisse Festigkeit, die sich wohltätig äußern wird. Niemand aber könne sagen, welche Richtung er einschlagen werde; darin könne man die größten Uberraschungen erleben. „Wer weiß", sagte er lachend, „ob er nicht ein ausgesprochener Liberaler sein wird." Es ist auch unrichtig, daß er mit der katholischen Volkspartei Verbindungen unterhält. Daß er den Grafen Johann Zichy zu seinem Begleiter nach London bestimmte, war rein zufallig11. Irgendeine Erzherzogin hat vielleicht gesagt, Graf Johann Zichy wäre der richtige Mann dazu, und er schrieb ihn auf die Liste. Er hat vielleicht nicht 9
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Die Obstruktion der ungarischen Opposition verhinderte auch die Bewilligung des neuen, erhöhten Rekrutenkontingentes, während das Wiener Parlament zwar im Februar 1903 das neue Gesetz verabschiedet hatte, jedoch mit einem Zusatz, daß es erst bei einem gleichlautenden ungarischen Beschluß in Geltung trete. Der langjährige ungarische Verteidigungsminister General Geza Fejerväry besaß das Vertrauen des Kaisers. Er wurde schließlich im Juni 1905 mit der Bildung eines nichtparlamentarischen Kabinetts beauftragt, konnte jedoch die Opposition im Parlament nicht besiegen und trat im April 1906 zurück. Wahrscheinlich ist Franz Ferdinands Reise nach St. Petersburg im Februar 1902 gemeint, auf der er sich ursprünglich von Graf Jänos Zichy begleiten lassen wollte, darauf aber nach Einspruch der ungarischen Regierung verzichtete. Als Gegenzug weigerte sich Franz Ferdinand, einen anderen ungarischen Magnaten als Begleiter zu akzeptieren, was zu scharfen Angriffen im Budapester Parlament führte.
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Eduard von Gniewosz-Olexow
einmal gewußt, daß er Präsident der katholischen Volkspartei ist. Es ist auch unrichtig, daß Johann Zichy ihn jetzt in Wien häufig besucht. Das ist gewiß nicht der Fall. Auf jeden Fall war es unklug vom Erzherzog, sich in ein so schlechtes Verhältnis zu Ungarn zu setzen. Koerber sprach sich sehr spöttisch über den Antrag Derschattas aus, der in den Delegationen angenommen wurde und dem Kaiser das ausschließliche Verfügungsrecht über die Armee zuspricht12. Man habe ihn nicht gefragt, bevor der Antrag eingebracht wurde. Jetzt können die Ungarn mit vollem Rechte gegen ihn Klage erheben, wenn er ihrem Umsichgreifen entgegenträte. Überhaupt sei die Politik der Deutschen eine unkluge. Prade sei schuld an der tschechischen inneren Amtssprache, und in der mährischen Universitätsfrage seien die Deutschen auch zu hartnäckig13. Sie sollten die prinzipielle Zustimmung zur Errichtung einer tschechischen Universität geben. Was schade es ihnen, wenn eine solche in Kremsier errichtet würde? Ebenso sind sie verantwortlich für den Verlust zahlreicher tschechischer Orte. Das haben sie durch den Antisemitismus zuwege gebracht, da die Juden, wie natürlich, dadurch zu den Tschechen hinübergedrängt werden. Man habe ihm gesagt, daß sämtliche Branntweiner in Karolinenthal bei Prag, die sich früher als Deutsche erklärten, sich jetzt zur tschechischen Umgangssprache bekannt haben.
Eduard von Gniewosz-Olexow, Sektionschef i. P. Februar 1904 К 4, U Nationalitäten in Österreich und Übersicht über die Entwicklungen der slawischen Völker; Sekretär 2 Die Gesinnung des Grafen Goluchowski war im Grunde eine ständische, aristokratische. Mit mehreren Mitgliedern des Adels hatte er schon vor dem Jahre 1848 auf eine allmähliche, nicht überstürzte Reform hingearbeitet. Sein Vater war, ohne direkt irrsinnig zu sein oder entmündigt zu werden, geistig nicht normal, litt an Größenwahnsinn, hatte in seinem Hause einen Thronsessel, von dem er manchmal kommandierte, und hinterließ sein Vermögen zerrüttet. Es waren mehrere Kinder da, und Goluchowski hatte nicht mehr als eine Rente von etwa 900 Gulden jährlich. Er warb um die Hand einer Gräfin Bawarowska, die er aber nicht erhalten konnte, weil die Mutter ihn liebte. Er hatte überhaupt Glück bei den Frauen, viele Liebschaften, da er lebhaft und anziehend war. Seine Gattin hatte mehrere hunderttausend 12
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Der Antrag des deutschnationalen Grazer Abgeordneten Julius von Derschatta wurde am 18. 1. 1904 im Budgetausschuß der österreichischen Delegation eingebracht und angenommen. Die von den Deutschen abgelehnte Errichtung einer tschechischen Universität in Brünn bildete einen permanenten Konfliktstoff zwischen den beiden Nationalitäten.
Februar
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1904
Gulden im Vermögen und war eine glänzende Wirtin. Die Ehe war vortrefflich, und seine Vermögensverhältnisse besserten sich. Einmal machte ihn sogar ein reicher Gutsbesitzer namens Brunstein, der ihm sehr zugetan war, zu seinem Universalerben. Von einem Bruder Brunsteins stammen die Barone Brunicki ab. Goluchowski war auch sonst ein tüchtiger Geschäftsmann und brachte die Domäne a an sich, sehr billig, da die Waldgüter früher keinen Wert besaßen und erst durch den Bau von Straßen und den Holzverkauf im Preise gestiegen sind. Als er starb, hinterließ er ein bedeutendes Vermögen. Doch hat er es nicht durch unredliche Mittel vermehrt. Als Statthalter war Goluchowski umsichtig, kenntnisreich, und hat sich große Verdienste erworben. Seine Beamten waren durchwegs deutsch. Als das Land an Osterreich kam, traten viele Polen in österreichische Dienste, und man findet unter den Kreishauptleuten usw. viele polnische Namen. Später galt es beim Adel nicht für patriotisch, in [den] Staatsdienst zu treten, und so gab es nur deutsche Beamte. Die Leiter der Verwaltung waren tüchtige, verdiente Leute, doch fand man auch viele, die strafweise nach Galizien versetzt waren und auch Protektionskinder, die in Galizien rasche Karriere zu machen imstande waren. Die rechte Hand Goluchowskis war der Hofrat Mosch, später baronisiert und Landespräsident. Hochbegabt war der Finanzrat Biegelmayer, ein leichtsinniger Schuldenmacher, aber ein Mann von genialen Anlagen. Goluchowskis Vorgehen gegen einige Mitglieder der Aristokratie zeigt, wie unbefangen und streng er verwaltete. Der eine war der Fürst Karl Jablonowski, der Stiefsohn (oder Neffe?) des Grafen Skarbek. Graf Skarbek hinterließ eine große Summe für öffentliche Zwecke, insbesondere zur Förderung des Gewerbes. Sein Stiefsohn (oder Neffe) Fürst Jablonowski war damit sehr unzufrieden, verwaltete die Stiftung schlecht, beutete sie aus und wollte sie so herunterbringen, daß er die betreffenden Güter leicht käuflich an sich ziehen könnte. Graf Goluchowski verhinderte das. Er ließ ihn eines Tages einladen und forderte ihn auf, entweder auf die Verwaltung der Stiftung zu verzichten und sie dem Statthalter zu übertragen oder aber einer Strafanzeige gewärtig zu sein, die bereits fertiggestellt war. Fürst Jablonowski war sein Freund von Jugend auf, aber er kannte darin keine Schonung. Ähnlich ging er mit dem Fürsten Georg Lubomirski vor, der in derselben Weise die Ossolinskische Stiftung verwaltete und ausbeutete14, obwohl auch Lubomirski zu seinen Jugendfreunden zählte. Zu bemerken ist, daß der Bruder des Fürsten Karl Jablonowski, Fürst Felix, der österreichischer General war, zu jener Zeit vielfach als Geliebter der Erzherzogin Sophie genannt wurde. Er war ein schöner, anziehender 14
Graf Jozef Ossolinski hatte 1817 eine wissenschaftliche Bibliothek in Lemberg, das spätere Nationalinstitut Ossolineum, gegründet.
" Freilassung
im
Original.
Major Karl Ulrich von Bülow
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Mann, indessen scheint dieses Gerücht bloßer Klatsch zu sein. Jene Stiftungsangelegenheiten kannte Gniewosz genau, da er Referent für Stiftungsund Studienangelegenheiten war. Goluchowski gab sich mit dem Schul- und Straßenwesen große Mühe. Er pflegte mit Beziehung auf diese zwei Verwaltungszweige zu sagen, er müsse nicht bloß für den Kopf, sondern auch für die Füße sorgen und deshalb Straßen bauen. Von einem seiner Beamten, Bezirkshauptmann Anderka15, sagte man, er habe nicht weniger als 2.000 Schulen gebaut, indem man entweder auf die Gutsbesitzer einen Druck übte oder die Bauern im Guten oder mit Zwang dazu brachte, zum Bau von Schulhäusern in ihrem Orte beizutragen. Während der Statthalterschaft Goluchowskis wurde eine Zusammenstellung aller Adeligen angelegt und gedruckt. Hierbei ging man mit großer Strenge vor. So erschienen selbst die Potockis nicht als Grafen, sondern als Ritter von. Erst später ist ihr Grafentitel von der Regierung anerkannt worden. Graf Alfred Potocki, der Statthalter Galiziens, war derjenige, der es durchsetzte. Gniewosz war als junger Mensch beim Kreisamte in Krems tätig und wurde zu dieser Zeit mit Eduard Bach bekannt. Eine Tante Alexander Bachs war mit dem Advokaten Dinstl in Krems verheiratet, dessen Sohn der spätere Abgeordnete war. So wurde er bei den Bachs wie bei den Kleyles eingeführt und hat im Hause der Mutter des Bach öfter an Tanzunterhaltungen teilgenommen.
М ф г Karl Ulrich von Bülow, deutscher Militärattache in Wien
April 1904 К 2, U 5, 631 r-v; Sekretär 2
Sprach eingehend über die Tätigkeit Becks. Als ich die Bemerkung machte, daß Beck nur geringe Initiative besitze, und man ihm keinen großen Einfluß auf die Entscheidungen in den großen Organisationsfragen zumute, meinte Bülow: „Das wird wohl ein Irrtum sein. Ich befand mich im Übungslager zu Bruck16, als der ungarische Ministerpräsident Khuen vom Kaiser die Zurückziehung der Militärvorlage verlangte17. Beck war damals in der Um15
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Ein Beamter mit diesem Namen läßt sich nicht feststellen, eventuell handelt es sich um den Vorsteher des Bezirks Zloczow, Jan Onderek. Zum Übungslager Bruck vgl. Franz Dosoudil und Othmar Tuider, Geschichte des Truppenübungsplatzes Bruckneudorf; in: Truppendienst 17 (1978) 301-306. Der am 25. 6. 1903 ernannte ungarische Ministerpräsident Graf Kärolyi Khuen-Hederväry verlangte, daß das in Österreich bereits beschlossene und sanktionierte Wehrgesetz zurückgezogen werde, um den Weg zu Neuverhandlungen freizumachen. Dies wurde sowohl von der österreichischen Regierung als auch vom Kaiser abgelehnt.
18. Oktober 1904
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gebung des Kaisers. Wir hatten alle den Eindruck, daß Beck den Kaiser in diesem Sinne beriet. Er ist doch der Mann, der dem Kaiser in geeigneter Weise und mit seiner reichen Erfahrung die Sachen so zurechtlegt, daß sie auf ihn wirken. Dieser Einfluß ist seit dem Tode des Erzherzogs Albrecht gestiegen. Bis dahin war der Erzherzog für die Besetzung der hohen Kommandostellen von entscheidendem Einfluß. Er war es, der die Urteile über die Generäle und ihre Befähigung abgab. Nach dem Tode des Erzherzogs ist diese Funktion auf Beck übergegangen. Zwei Stunden in der Woche hat Beck Vortrag beim Kaiser. Was sollte er einem so positiven Herrn wie dem Kaiser vortragen als die großen Angelegenheiten der Armee? Die laufenden Organisationsgeschäfte werden ja von dem Kriegsminister besorgt."
Helene Schneeberger
18. Oktober 1904 К 2, U 3, 354 r-v
"Diese Mitteilungen, wenn nach meinem Tode gefunden, sind zu vernichten. Friedjung.8 Sie erzählte mir, daß von den Beamten auch Sieghart bestimmt war, die galizische Reise mitzumachen18, und Sieghart war schon darauf vorbereitet, bis er ihm die Mitteilung machte, daß Graf Potocki, der Statthalter, glaubte, es werde keinen guten Eindruck machen. Das war sehr bitter für Sieghart, und es blieb dabei, obwohl sie sich - ohne Wissen Siegharts - verwendete, weil sie ein Vorurteil, ein antisemitisches Vorurteil bekämpfen wollte. Erstaunliches erzählte sie über die Ernennung . . .'s zum Statthalter. Er war sein böser Geist und arbeitete mit allen Mitteln gegen sie, selbst mit denen der Verleumdung. Nicht bloß, daß er sie eine d . . . J . . . nannte, er behauptete selbst, sie ziehe aus den Adelserhebungen etc. Vorteile. Da nun geschah etwas Erstaunliches. Direktor Loewenfeld von einer Assekuranzgesellschaft wünscht einen Orden (oder den Adel), sein Advokat ist b Eines Tages erhielt Loewenfeld einen anonymen Brief, in dem ihm gesagt wurde, daß er sich vergeblich um den Orden bemühen werde, wenn er sich an c als Advokaten halte. dLoewenfeld übergab den Brief an S[chneeberger].d Dieser Brief war merkwürdigerweise, wie sie sich überzeugte, auf Papier geschrie18
Ministerpräsident Ernest von Koerber war Anfang Oktober 1904 nach Galizien gereist, wo er begeistert empfangen wurde. Im Vorfeld dieser Reise wurden an den schlesischen Lehrerbildungsanstalten in Troppau und Teschen polnische Parallelabteilungen eingerichtet. Vgl. dazu Friedjungs postum erschienene Biographie Koerbers in Neue Österreichische Biographie 1815-1918. Bd.l (Wien 1923) 2 3 ^ 3 . "" Ergänzung. b Freilassung im Original. Freilassung im Original. d_d Ergänzung mit Bleistift.
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Helene Schneeberger
ben, wie es nur auf seinem Schreibtische zu finden ist. Dasselbe Papier, aber auch dieselbe Maschine, wie nur in seinem Papier [sie!]. Für sie stand fest, daß der diffamierende Brief von niemandem geschrieben sein könne, als von a. Sie legte ihm den Brief vor, wies ihn auf alle Anzeichen hin; er war überrascht, stellte nichts in Abrede und fragte nur erstaunt: Sollte das möglich sein? Zugleich beklagte sie sich bitter über . . .'s häßliche Reden, besonders über die Beschuldigung, daß sie sich bereichere. Tatsache ist, daß b kurze Zeit darauf nach C. versetzt wurde, allerdings in ansehnlichem Avancement. Sie behauptet, es sei geschehen, um ihn zu entfernen 19 .
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Von den Details der Karriere könnte es sich um Prinz Konrad Hohenlohe-Schillingsfurst handeln. Er war 1902 aus dem Innenministerium als Hofrat an die Statthalterei in Graz versetzt worden, seit April 1903 Landespräsident der Bukowina und kurz vor diesem Gespräch am 1. 10. 1904 zum Statthalter in Triest ernannt worden. " Freilassung im Original. ь Freilassung im Original.
Jänner 1905
Frau Helene Schneeberger
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[Jänner 1905] К 2, U 2, 273 г - 2 7 6 г
Über den Rücktritt Koerbers. Am Tage, an dem Koerber den Kaiser um seine Entlassung bat 1 , war ich bei Schneeberger. Sie wußten nicht, wie die Audienz ausgefallen sei. Ich fragte S[chneeberger] um seine Meinung. Er meinte: Der Kaiser werde Koerber vorschlagen, einen Urlaub zu nehmen, und ihn bitten zu bleiben. Frau Schneeberger stellte das bestimmt in Abrede und sagte: Der Kaiser wird die Entlassung bestimmt annehmen, denn er wird verstimmt sein, daß Koerber sie bereits zweimal anbot, einmal im Frühjahr 1903 wegen Ungarn 2 , und einmal vor seiner galizischen Reise 19043. Es ist merkwürdig, wie klar sie in die Verhältnisse hineinsieht, ohne daß Koerber sie eigentlich diesmal ins Vertrauen gezogen hatte. Als Sfchneeberger] sich entfernt hatte, schüttete sie mir ihr Herz aus. Sie war tief verstimmt, daß Koerber weder ihr noch Sieghart von seiner ernsten Absicht zuvor eine Mitteilung gemacht, sondern sich, wie sie sagte, bloß mit Herzog beraten hatte. Dieser übe auf Koerber den schädlichsten Einfluß aus und spreche dann hinter dessen Rücken mit der Miene eines Protektors von ihm. Alle Freunde Koerbers beklagen es tief, daß Koerber die Ankündigung seines Demissionsgesuches zuerst durch die Montagsrevue in die Welt hatte setzen lassen4. Herzog aber sei fast täglich bei ihm, und sie hatte Koerber vergebens vor ihm gewarnt. Es habe deshalb stürmische Auftritte zwischen ihnen gegeben. Am Sonntag stand die Andeutung in der Montagsrevue, und am Dienstag erzählte sie ihm, wie alle Welt, alle seine Freunde ihr Vorstellungen darüber gemacht hätten. Sie fuhr damit fort: Ich kann nichts bei Koerber durchsetzen, sondern müsse sich [sie!] hinter seine Umgebung stecken, um sich irgendeinen Wunsch erfüllen zu lassen. Nicht einmal das gewährte er mir, daß er meinen Bruder zum Kaiserlichen Rat ernannte. Mein armer Bruder, der so viel wegen meines Verhältnisses zu Koerber gelitten hat! Noch gestern aber sagte ich Koerber, er möge mir doch vor seinem möglichen Rücktritte wenigstens diese meine Bitte erfüllen, ich bin neugierig, ob er es tun wird. (Koerber hat es doch nicht getan. Anm.) Während dieses Gespräches telephonierte sie (zwischen 2-4 Nachmittag) mehrmals ins Ministerium des Innern (an Sieghart, selbst an einen Diener), um zu hören, was sie über Koer1
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Ministerpräsident Ernest von Koerber hatte am 30. 12. 1904 seine Demission eingereicht, ohne das Kabinett davon zu informieren. Am Tag darauf nahm der Kaiser den Rücktritt an. Die Demission des Kabinetts Koerber aufgrund der Rückwirkungen der ungarischen Regierungskrise auf Osterreich war vom Kaiser am 7. 7. 1903 abgelehnt worden. Ernest von Koerber war im Oktober 1904 nach Galizien gereist. Vgl. S. 13 Anm. 18. Montags-Revue. Wochenschrift für Politik, Finanzen, Kunst und Literatur v. 2. 1. 1905 1-2. Die Demissionsankündigung wurde in allen Tageszeitungen am 31. 12. 1904 gemeldet und am Tag darauf ausführlich kommentiert.
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Helene Schneeberger
bers Audienz an den [sie] Kaiser erfahren hätten. Sie aber meldeten nur Äußerliches, sie wußten es nicht. Aber aus dieser Äußerlichkeit schloß sie, daß es schlecht stehe. An Koerber, so sagte sie, wolle sie nicht telephonieren, wolle ihn nicht über Dinge fragen, die er ihr nicht [an]vertraue. Tatsache ist, wie Sieghart mir später sagte, daß er auch ihn nicht ins Vertrauen gezogen hatte. Sieghart sagte ihm denn auch: Sie hatten nun durch fünf Jahre gesagt, daß Sie zurücktröten wollen, wie hätte ich mit Sicherheit annehmen können, daß Sie jetzt mit der Demission ernst machen. Koerber hat nun, so erzählt Frau Schneeberger, in der Audienz vom Mittwoch den Kaiser mit Hinweis darauf, daß er schon früher auf seine schlechte Gesundheit aufmerksam gemacht hatte, den Kaiser um seine Entlassung gebeten. Der Kaiser hat diese Ankündigung offenbar erwartet. Denn er war nicht überrascht, hielt die Hand nachdenklich über Stirn und Augen und sagte bloß bedauernd: Dies also wolle Koerber ihm antun, sonst aber ließ er kein Wort fallen, das einer Annahme oder Ablehnung gleichsah. Hätte Koerber nicht sonst gewußt, wie es um seine Stellung stehe, so hätte er die Audienz mit dem Gefühle voller Unsicherheit verlassen müssen. Denn die Audienz, die dann noch längere Zeit fortdauerte, galt nur der Erledigung laufender Geschäfte. Nun trat ein Zwischenfall ein. Der Kaiser ließ Koerber fragen, ob ein gewisses Anliegen der Frau Schratt erfüllbar sei. Koerber konnte das nicht erfüllen und teilte dies kurz und geschäftsmäßig dem Kaiser mit. Selbst als Koerber am Tage darauf, Freitag 30., beim Kaiser Audienz hatte, sagte ihm dieser nicht ein bestimmtes Ja oder Nein, sondern äußerte sich zu ihm in einem gütigen Ton: Einen solchen Ministerpräsidenten habe ich noch nicht gehabt und werde ihn auch nicht mehr haben. Aber der Kaiser fragte ihn nicht etwa um einen Vorschlag bezüglich eines Nachfolgers. Koerber erfuhr die Wahl Gautsch' nicht viel früher als die gesamte Öffentlichkeit. Am Samstag früh erhielt Koerber die Mitteilung, Gautsch sei sein Nachfolger. Dank vom Hause Österreich! war der erbitterte Ausruf der Frau Schneeberger, als sie diesen Bericht geschlossen hatte. Am Samstagabend (Silvesterabend) war Koerber im Hause Schneeberger, die Kinder waren anwesend. Koerber war heiterer als je. Er war witzig, aufgeräumt, sodaß Frau Schneeberger zu ihm sagte: Als Sie Ministerpräsident waren, waren Sie oft grauslich, jetzt sind Sie wie ausgewechselt. Aber als er sich empfahl, waren die Nerven Helenens so angegriffen, daß sie sich nicht beherrschen konnte und vor ihrem Mann und ihren Kindern in einen Tränenstrom ausbrach, sodaß ihr Töchterchen naiv sagte: Merkwürdig, Herr von Koerber ist nach seinem Rücktritt ganz heiter, und Du, Mama, nimmst ihn Dir so zu Herzen. Übereinstimmend damit erzählte mir Sieghart: Koerber hatte im Inneren, wenn er es auch nicht gestehen will, gehofft, daß der Kaiser ihm anbieten werde, einen Urlaub zu nehmen; er erwartete eine Vertrauenskundgebung, die seine Stellung befestigt hätte. Das Amt wurde Schönborn nicht angebo-
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ten, wie Schönborn auch zu Baron Schenk versicherte. Es sei ihm nicht angeboten worden, und er hätte es auch gar nicht annehmen können, wenn er sich nicht zu Grunde richten wollte. Gautsch, das ist auch die Meinung Siegharts, wurde von Goluchowski in den Vordergrund geschoben. Als Gautsch das Amt übernahm, so berief er Sieghart, wie dieser mir erzählt, zu sich und sagte ihm: Er spreche zu ihm wie ein Beamter zum Beamten und bitte ihn, ihm nicht seine Unterstützung zu versagen. Er erinnerte Sieghart daran, daß er es gewesen sei, der ihn gefördert und seinen Schwiegervater Grünhut fürs Herrenhaus vorgeschlagen habe. Nach dieser %stündigen Unterredung konnte Sieghart nicht ablehnen, wenn er sich Gautsch nicht ganz zum Feind machen wollte. Aber auch Koerber hatte ihm gesagt, er solle sich nicht von seiner Leidenschaft fortreißen lassen, er solle bedenken, daß auch er, Koerber, unter Badeni und bis ans Ende Sektionschef geblieben sei. Endlich hatten Plener und Chlumecky Sieghart dringend zugesprochen, zu bleiben; Chlumecky meinte: Sein Bleiben sei zugleich für seine Partei eine Bürgschaft, daß nichts gegen sie unternommen würde. Der erste kräftige Ausfall gegen Koerber wurde Anfang Jänner von der Zeit gegen ihn unternommen5. Sieghart berichtete, Max von Gutmann und Victor von Mautner hätten jeder 500.000 Kronen gezahlt, um ins Herrenhaus zu kommen, nun sei ihr Geld verloren. Beide dementierten aufs Entschiedenste; Mautner kündigte eine Ehrenbeleidigungsklage an. Diese Angelegenheit führte zu einer Verstimmung zwischen Koerber und Sieghart. Koerber war, wie ich aus Frau Schneebergers Worten entnehme, ungehalten, daß Sieghart sich gar nicht um ihn kümmere, ihn nicht anzurufen wage, sich nicht einmal nach seinem Befinden erkundige. Er hätte speziell in diesem Falle sich mit ihm in Verbindung setzen sollen. Koerber habe dies für eine Rücksichtslosigkeit bezeichnet, über den Undank der Menschen geklagt und zum Entsetzen Frau Helenens hierbei sogar eine geringschätzige Äußerung über die Juden gemacht. Nun ist ja von den Äußerungen Koerbers gegenüber Frau Helene viel abzuziehen. Denn er spricht sich bei ihr den Ärger vom Halse, läßt sich dann ganz gehen und fühlt sich nach kräftiger Aussprache erleichtert. Indessen scheint mir doch, daß Koerber die schwierige Stellung Siegharts würdigen und einsehen sollte, daß Sieghart nicht bloß sich selbst, sondern auch Koerber schädigen würde, wenn er den Schein erweckte, er spiele mit Koerber unter einer Decke. Sieghart kann auch Gautsch gegenüber nichts sein als ein korrekter Beamter. Genug. Frau Helene verlangt nach Frauenart, Sieghart müsse seine Anhänglichkeit an Koerber offen bekunden. Dabei erzählt sie aber doch, daß Gautsch ihre telephonischen Gespräche mit Koerber aushorchen lasse, was sie bestimmt wisse. 5
Wohl Die Zeit v. 1. 1. 1905, 1, Der gerade Weg. Darin heißt es, Koerber habe „einen Charakterzug, der peinlich berührt: einen Hang zur Unaufrichtigkeit, eine Neigung zu Umwegen und Winkelzügen."
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Ernest von Koerber, Mitglied des Herrenhauses 31. Jänner 1905 К 2, U 3, 350 г - 353 ν; 420 г - 421 ν; Sekretär 2 "Koerber über die Lage. Besuch Koerbers bei mir am 31. Jänner 1905, vier Wochen nach seinem Rücktritt.3 Die Herren im auswärtigen Amt haben nach meinem Rücktritt wohl erleichtert aufgeatmet. Habe ich sie doch oft daran erinnert, daß sie die Verpflichtung hätten, sich, was Ungarn betrifft, zwischen die Krone und die öffentliche Meinung zu stellen. Man staunt, wie unklar sich die Menschen über den Verlauf der Dinge und über die Schwierigkeiten sind, die sich notwendiger Weise herausstellen müssen. Gewisse Konsequenzen treten mit Notwendigkeit ein. Man muß also rechtzeitig einen Entschluß fassen; die Schwierigkeiten lassen sich herausschieben, eine kurze Zeit, ein Jahr hindurch, endlich aber treten sie gebieterisch heran. Das ist es, was ich von Anfang an im Ministerrat dargestellt habe. Ich war aber gewöhnlich allein allen anderen gegenüber. Selbst die Herren mit dem Säbel erklärten, man könne alle geplanten Konzessionen gefahrlos machen, und sie wollten nicht zugeben, daß in ihnen der Keim schwerer Verwicklung liege. Besonders bekämpfte ich den an höchster Stelle bestehenden Wunsch, es möchte endlich Ruhe eintreten, falls diese um den Preis schädlichen Nachgebens erzielt werden könnte. „Euere Majestät", sagte ich damals, „möge bedenken, daß keinem der übrigen Monarchen Europas solche Schwierigkeiten erspart sind, und daß ein solcher Ruhezustand auch in vergangener Zeit nicht herrschte, es wäre denn, daß man die Zeit Kaiser Franz' und Metternichs ausnimmt." „Eines aber", so sagte ich des öfteren, „müßte dem Kaiser erspart werden. Er dürfe nicht vor die Wahl gestellt werden, zwischen dem Ministerpräsidenten Österreichs und Ungarns als Instanz zu entscheiden, sondern diese Entscheidung hätten die Reichsminister zu übernehmen, die erklären müßten, daß sie gewisse Konzessionen unter keinen Umständen zugeben dürften." Diese meine Forderung wurde aber nicht erfüllt, und die Herren zogen sich dadurch aus der Schwierigkeit, daß sie es der „Weisheit Seiner Majestät" überließen, die Entscheidung zu fällen. Jetzt stehen die Dinge in Ungarn außerordentlich trübe. Nach dem Ausfall der Wahlen6 ist es unwahrscheinlich, daß die 1867er Basis aufrechterhalten werden kann. Es ist ein Irrtum anzunehmen, daß die Kossuthpartei einschwenken und den Dualismus praktisch in Geltung lassen wird. Kossuth ist zwar, soviel ich weiß, ein anständiger Mann, freilich hätte ich ein Gutachten wie das seinige über den Budapester Brückenbau nicht erstattet, indessen, Die ungarischen Reichstagswahlen im Jänner 1905 endeten mit einer Niederlage der regierenden Liberalen und dem Sieg der oppositionellen Unabhängigkeitspartei. "~a Ergänzung durch Friedjung. 6
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das wollen wir beiseite lassen, mag er aber noch so gemäßigt denken, nicht er wird entscheiden, sondern die weiter drängenden Mitglieder der äußersten Linken. Diese werden die größten und weitgehendsten Forderungen stellen. Unter diesen Umständen ist es notwendig, sich über ein Programm vollkommen klar zu werden, insbesondere festzustellen, wie weit in dem Ausmaße der Konzessionen in Ungarn gegangen werden könne oder nicht. Hierbei müßte man aber mit aller Zähigkeit und Festigkeit stehenbleiben. Sind aber in der Umgebung des Kaisers die Persönlichkeiten, um sich dies klar zu machen? Wird man nicht vielmehr ohne Ziel und ohne bestimmtes Programm den Ereignissen beschlußlos gegenüberstehen? Der Kaiser ist fatalistisch, läßt die Dinge geschehen, wünscht nur ruhige Lösungen. Für den Grafen Tisza hegte ich viele Sympathien; er war ehrlich von seiner Meinung durchdrungen, und es muß bei ihm zugestanden [werden], daß er bei den Handelsvertragsverhandlungen 7 nicht bloß das Interesse Ungarns, sondern das der ganzen Monarchie und damit auch des anderen Teiles im Auge hatte. Darin war leichter mit ihm zu verhandeln als mit irgendeiner anderen ungarischen Regierung, selbst mit Szell. Er ist auch in achtungswertem Grade wahrheitsliebend. In einer großen Sitzung, wo viele Personen anwesend waren, wurden die Anträge Deutschlands in Bezug auf die Veterinärkonvention geprüft; er ergriff das Wort und kritisierte sie. Darauf mußte ich ihn aufmerksam machen, daß die deutschen Vorschläge eigentlich etwas anderes enthalten, als er angenommen hatte. Nun gab er sofort zu, daß er sich geirrt habe; er schäme sich niemals, einen Irrtum einzugestehen und sich eines Besseren belehren zu lassen. Tisza ist darin ganz anders als so viele Ungarn, zum Beispiel Daränyi, der einfach „mit einem Zettel" zu einer Verhandlung kommt, und der, mag man ihm die triftigsten Gründe vorstellen, immer wieder einfach den Zettel wiederholt. Tisza hat sich aber, was den Ausfall der Wahlen betrifft, einer großen Täuschung hingegeben. Er und seine Freunde sagten mir häufig, sie seien des Sieges sicher. Meine Informationen, insbesondere durch die Fabrikanten, die in Ungarn Industrien betreiben, lauteten ganz anders. Durch sie erfuhr ich, daß das Land in Brand stehe. Ich habe den Kaiser von dieser Sachlage in Kenntnis gesetzt, und er wird sich jetzt erinnern, wie oft ich ihn auf die jetzt eingetretene Entwicklung aufmerksam gemacht habe. Zunächst entwickeln sich die Dinge für Herrn von Gautsch sehr günstig. Freilich, wenn ich Freiherrn von Handel von Dalmatien berufen hätte, so hätte man mir vorgeworfen, daß ich vor den Kroaten zurückweiche und die Autorität preisgebe8. Es wäre dies nicht notwendig gewesen, da, wie ich höre, in Dalmatien bereits Ausgleichsverhandlungen zwischen Handel und 7
β
Die am 30. 5. 1904 eingeleiteten Verhandlungen mit Deutschland endeten mit der Unterzeichnung eines neuen Handelsvertrages am 25. 1. 1905. Freiherr Erasmus von Handel, seit März 1902 Statthalter von Dalmatien, wurde im Jänner 1905 abberufen und gleichzeitig zum Statthalter von Oberösterreich ernannt.
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den Kroaten stattgefunden haben. Was die Tschechen betrifft, so haben sie von ihrem Standpunkt ganz Recht; es scheint, daß Herr von Gautsch ihnen Versprechungen gemacht hat, und daß sie mit Hinblick darauf einlenken. In einem bestimmten Augenblick aber werden sie ihre Forderungen aufstellen, und dann wird der Konflikt hereinbrechen. Es fragt sich, ob man nicht besser getan hätte, die Tschechen noch etwas länger warten zu lassen, ihre Obstruktion wäre dann vermutlich von selbst zusammengebrochen. Gegen Herrn von Gautsch will ich nichts sagen; er ist gewiß nicht unfähig; freilich mag es geschehen, daß er manchmal nicht ganz in die Sache eindringt und sich mit der Form, mit einem Wort begnügt. Er ist aber in einer schwierigen Lage, die man nicht noch erschweren sollte. Was übrigens die Statthalterfrage betrifft, so liegt die Schwierigkeit in dem Mangel an Talenten, in der nicht genügenden Auswahl an Persönlichkeiten. Ich hatte vor einiger Zeit die Absicht, einen Sektionschef im Ministerium des Innern aus irgendeiner der Statthaltereien einzuberufen. Es handelte sich darum, ob irgendein Vizepräsident, Statthaltereirat oder Hofrat für diesen Posten geeignet sei. Ein solches Verfahren hätte sich empfohlen, damit ein Mann ins Ministerium kommt, der die Verhältnisse der Kronländer aus eigener Anschauung kennt. Ich hielt Umfrage bei den Statthaltern und Landespräsidenten, aber sie konnten mir niemanden nennen, der hierzu geeignet sei. Noch schlimmer steht es mit der Wahl der Statthalter. Hier kommt wohl in Betracht, daß neben dem Statthalter auch seine Frau in Betracht kommt, die repräsentieren und Personen empfangen soll, was eben nicht jeder braven und sittsamen Beamtensfrau möglich ist. Im Parlament finden sich nicht die notwendigen Elemente. Hier ist eine einzige Persönlichkeit zu nennen, Dr. Baernreither. War es aber möglich, mit ihm in ein gutes Verhältnis zu kommen? Seine Stimmungen wechseln oft, und erst jüngst sagte mir sein Clubgenosse Baron Ludwigstorff, daß Baernreither ihn seit einiger Zeit nicht einmal grüße. In seinem Verhältnis mit dem Grafen Stürgkh ist dasselbe der Fall. Dr. Baernreither hat sich geirrt, wenn er glaubte, daß ich in den Zeitungen gegen ihn schreiben lasse. Jeder Kundige weiß, daß weder ich noch ein anderer so frei über die Presse verfügen kann, als man sich einbildet. Dr. Baernreither war überzeugt, daß die Feindseligkeit der Neuen Freien Presse, insbesondere des Herrn Thorsch, durch mich hervorgerufen sei. Sie kennen Herrn Thorsch und wissen, daß dies nicht der Fall ist. Wie wenig die Presse sich leiten läßt, geht aus meinem angeblichen Verhältnis zur Montagsrevue hervor. Man behauptet, ich hätte die letzten Artikel des Herrn Herzog inspiriert, daran aber ist nicht das Geringste wahr. Zweimal habe ich bereits ersucht, nicht gegen Herrn von Gautsch zu schreiben - aber vergebens. Man irrt sich überhaupt in seiner Beurteilung. Es ist bekannt, daß er seinerzeit mit der größten Heftigkeit gegen Czedik, den Präsidenten des Staatseisenbahnwesens, geschrieben hat. Ich weiß, daß ihm
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Taaffe und Bacquehem bedeutende Summen angewiesen haben, wenn er es unterlasse, er aber hat dies mit Entrüstung zurückgewiesen. Als er nach dem Rücktritte Taaffes gegen die Koalition schrieb, bat ihn Taaffe, davon abzustehen, konnte es aber nicht durchsetzen. Einmal hatte Badeni die Absicht, auf ihn zu wirken und ihn zu einer anderen Haltung zu bestimmen. Badeni wußte, daß Herzog mich besuche, und sagte mir, er werde einmal bei einem solchen Anlasse in mein Zimmer treten und selbst mit Herzog sprechen. Dieser aber nahm sich kein Blatt vor den Mund und sagte Badeni die beleidigenden Worte: Sie sind ein Seiltänzer und werden wie ein Seiltänzer enden. So ist es auch mir jetzt nicht möglich, ihn abzuhalten, gegen Herrn von Gautsch zu schreiben. "Im Verlaufe: Es ist ganz wertlos, sich gegen die Presse durch Unterdrückung zu wenden. Haben etwa die grimmigen Artikel der Arbeiterzeitung dem Staat geschadet? Meine Politik den Arbeitern gegenüber fand anfangs bei den konservativen Elementen vielfache Anfechtung. Man hat es mir im Herrenhause sehr verargt, daß ich bei dem Kohlenstreik in Böhmen unparteiisch blieb9. Das, was die preußische Regierung jetzt gegenüber dem Kohlenstreik im Ruhrgebiet tut10, ist vollständig richtig. Sie beeilt sich, einen Teil der Forderungen der Arbeiter auf dem Wege der Gesetzgebung zu bewilligen.
Ernest von Koerber, Mitglied des Herrenhauses
14. Februar 1905 К 2, U 2, 277 г - 280 г
Die Entwicklung der ungarischen Dinge flößt die größten Besorgnisse ein. Die Errichtung einer Zollgrenze zwischen Osterreich und Ungarn ist der größte Unsinn, die Teilung der Armee aber der Selbstmord. Unerhört aber ist die Haltung der Wiener Presse, die Kossuth gelegentlich seines Empfangs in großartigem Licht erscheinen ließ11. Wie hätten sich die Budapester Blätter verhalten, wenn der Kaiser dort Herrn von Schönerer empfangen hätte? Die im Jänner 1900 ausgebrochenen Streiks im Kohlenbergbau endeten am 14. 3. 1900 in Böhmen, kurz darauf in den mährisch-schlesischen Revieren. Die Hauptforderung war die Verkürzung der Schichten auf acht Stunden. Ministerpräsident Ernest von Koerber wurde wegen seiner Haltung bei der Beilegung der Streiks am 6. 3. 1900 im Herrenhaus angegriffen. 10 Die von der preußischen Regierung angebotenen Maßnahmen, vor allem die gesetzliche Regelung der Arbeitszeit einschließlich Ein- und Ausfahrt und Überstunden, wurden von der Gewerkschaftsleitung am 9. 2. 1905 akzeptiert und die Anfang Jänner ausgebrochenen Massenstreiks ausgesetzt. Trotz heftiger Proteste der Basis kehrten am 13. Februar alle Arbeiter in die Gruben zurück. 11 Nach der Niederlage der Liberalen bei den Wahlen im Jänner 1905 trat der ungarische Ministerpräsident Graf Istvän Tisza am 1. 2. 1905 zurück. Im Rahmen der Verhandlungen um die Bildung einer neuen Regierung empfing Kaiser Franz Joseph am 11.2. 1905 den Führer der Unabhängigkeitspartei Ferenc Kossuth. " Der folgende Eintrag von Friedjungs Hand. 9
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Ernest von Koerber
Beklagenswert ist die volle Vereinsamung des Kaisers, der sich eigentlich mit niemandem ausspricht. Ich glaube, auch gegenüber Taaffe und Kälnoky verhielt er sich nicht anders. Jetzt aber ist gewiß niemand vorhanden. Ob die Angriffe ihn seelisch sehr niederdrücken? Im ersten Augenblick war dies wohl der Fall, sonst aber nimmt er alles wie ein Fatum hin. Er ist ganz resigniert. Er ist schon zufrieden, wenn man die Entschlüsse zur Abwehr eines Mißgeschicks um 24 Stunden hinausschieben lassen kann. Es ist ihm angenehm, daß sich die Entwirrung der Dinge in Ungarn hinausschiebt. Daß er nach dem Empfang Kossuths eine Zeitlang die Dinge gehen lassen kann, ist ihm schon eine gewisse Beruhigung. Seine militärischen Ratgeber sind ihm keine Stütze. Pitreich hat nach den Konzessionen des Vorjahrs12 stets gemeint: Es werde so auch gehen, die Armee bleibe ja doch in seiner Hand. Er erklärt sich jetzt damit einverstanden, daß die ungarischen Regimenter andere Fahnen führen als die österreichischen. Das Kriegsministerium wie die Militärkanzlei sind immer wieder zu Konzessionen bereit. Ob auch bezüglich der Kommandosprache? Auch darin, glaube ich, sind die Herren nicht sehr fest. Ob es in der Generalität Männer besseren Schlages gibt? Krieghammer war entschieden kräftiger, er war eine knorrige Natur. Ich kann nicht beurteilen, was an den Anklagen ist, die man gegen ihn erhoben hat, man ist soweit gegangen, ihn der Verbindung mit Lieferanten zu bezichtigen, sicher ist, daß er in der ungarischen Frage fester geblieben wäre. Galgotzy ist unmöglich, ob Fiedler geeigneter ist, weiß ich nicht. Leider fehlt unseren Generälen die historische und politische Bildung, die man bei deutschen Generälen doch häufig findet. Was aber den Einfluß des Erzherzogs Franz Ferdinand betrifft, so darf man auf ihn keine großen Hoffnungen setzen. Er besitzt keinen Plan, keine politischen Kenntnisse, keine Männer um sich, die ihn beraten; er ist einfach für die Anwendung der Gewalt gegen Ungarn. Seine und der Erzherzöge heftige Redensarten haben viel Unheil verschuldet, insbesondere ist auf ihre unkluge Haltung die Wendung im ungarischen Adel zur Kossuth-Partei zurückzuführen. Auch jetzt ist seine Haltung sehr merkwürdig. Er beklagt den Ausfall der Wahlen in Ungarn nicht sehr, sondern findet in ihnen wenigstens das Gute, daß die liberale Partei zerschmettert ist, dieselbe Partei, die die bekannten Ehegesetze gegeben hat13. Ich war jüngst bei ihm. Ich hatte mir vorgenommen, mit meiner Ansicht über die ungarischen Verhältnisse zurückzuhalten. Denn ich weiß, daß eine geordnete Entwicklung meiner Ideen bei ihm doch wirkungslos wäre. Dazu kommt, daß er in heftigster Weise über den Kaiser und die Erzherzöge loszieht. Ist es verständig, daß er solche heftigen Äußerungen überhaupt im Mund führt? 12 13
Vgl. zu den Konzessionen an das neuernannte Kabinett Tisza Mitte Oktober 1903 Bd. 1, S. 496 Anm. 22. Der ungarische Kulturkampf endete mit der Sanktionierung des Gesetzes über die obligatorische Zivilehe am 9. 12. 1894.
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Wie unklar alles ist, sieht man aus der Haltung Tisza gegenüber. Früher hieß es: Wie auch die Wahlen ausfallen mögen, er muß unbedingt gehalten werden. Davon ist aber nach den Wahlen keinen Augenblick die Rede gewesen. Es ist eben ein großer Irrtum, daß man in Österreich-Ungarn mit radikalen Maßregeln zum Ziele kommt. Ich habe mich vor ihnen gescheut, weil es mir schien: Man müsse froh sein, wenn die Dinge nur nicht schlechter würden. Vielleicht kommt dann aus den äußeren Verhältnissen heraus doch eine Wendung, die auf die inneren Zustände einen günstigen Einfluß hervorruft. Was ich auch immer Positives getan hätte, hätte die Lage vielleicht noch verschlechtert. Davor habe ich mich gehütet. Es wird sich zeigen, ob Freiherr von Gautsch mit einer anderen Methode glücklicher fährt.8 Im Gespräch mit Koerber fragte ich ihn, ob er denn nicht daran denke, die Geschichte seines Ministeriums zu schreiben. Er antwortete: Es wäre allerdings interessant, meine Erlebnisse aufzuzeichnen. Schon die Ereignisse zur Zeit der Heirat des Erzherzogs Ferdinand verdienten es14. Erzherzog Franz und Szell hatten für den ungarischen Reichstag einen Gesetzesentwurf vereinbart, der einen rein deklaratorischen Charakter hatte. Es war einfach erklärt, daß, nachdem seine Ehe nicht ebenbürtig sei, seine Kinder nicht ungarische Könige werden könnten. Ich entgegnete, daß dies nicht [sie!] der Pragmatischen Sanktion widerspreche. Friedjung: Wenn ich nicht irre, meinte Koerber, daß die Abhängigkeit der ungarischen Erbfolge von der österreichischen nicht genügend betont war. Es wurde eine Sitzung bei dem Erzherzog Rainer einberufen, der auch der Präsident des Reichsgerichtes, des Verwaltungsgerichtshofes und andere Personen beiwohnten. Ich erstattete das Referat und bin stolz auf die Anerkennung, die ich damit bei Unger fand. Der Gesetzentwurf Szells müsse geändert werden15. Ich wandte nämlich ein, daß der Entwurf Szells es nötig gemacht hätte, auch dem österreichischen Reichsrat eine Vorlage zu unterbreiten.
Marquis Olivier Ba.cqueh.em, Mitglied des Herrenhausesь
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Am selben Tage, 14. 2. 1905, sprach ich mit Bacquehem, der in Bezug auf Gautsch, von dem er früher sehr geringschätzig sprach, optimistische ErErzherzog Franz Ferdinand hatte am 1. 7. 1900 Gräfin Sophie Chotek in morganatischer Ehe geheiratet, nachdem er am 28. Juni feierlich auf alle Thronfolgerechte für ihre Kinder verzichtet hatte. 15 Vgl. dazu auch S. 24 f. a Hier ist das Gespräch mit Bacquehem vom 14. 2. 1905 eingefügt. b Die Aufzeichnung in Koerber, 14. 2. 1905 eingefügt. 14
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Wartung hegt. Wäre ihm nicht plötzlich Kossuth auf den „Kopf gefallen"16, so hätte er ein Koalitionsministerium zu Stande gebracht und die Handelsverträge wie den Ausgleich im Hause durchgesetzt. Koerber habe es verfehlt, indem er sich gegen parlamentarische Minister ablehnend verhielt. Es wäre nicht mit ihnen gegangen, hatte er Bacquehem jüngst gesagt. „Ist es Dir denn ohne parlamentarische Minister besser geglückt?" war seine Gegenbemerkung Koerber gegenüber. Man wende nicht ein, daß das Koalitionsministerium sich auch nicht gehalten hat. Das ist richtig, aber es hat den Zivilprozeß und die Steuerreform geschaffen17, von der wir jetzt leben. Ist das nicht genug? Die Kontrolle des Parlaments sei unbedingt notwendig. Koerber aber habe das Parlament stets herabgesetzt, es als nicht lebensfähig hingestellt, die Presse bezahlt und so regiert.
Ernest von Koerber, Mitglied des Herrenhauses 28. Juni 1905 К 2, U 2„ 233 r - 235 v; Sekretär 2 Als Erzherzog Franz Ferdinand seine Vermählung mit der Gräfin Chotek beim Kaiser durchgesetzt hatte18, handelte es sich um die in dieser Angelegenheit abzugebende Deklaration. Der Erzherzog und Minister Szell kamen über diese Deklaration überein. Als man sie Koerber vorlegte, fand er sie sehr bedenklich. Sie hatte keinen deklaratorischen, sondern konstitutiven Charakter, und wenn das ungarische Parlament ihr beitreten werde [sie!], so wäre dies gewissermaßen eine neue Feststellung in der Thronfolge gewesen. Koerber erklärte dies für höchst bedenklich, und er stellte dem Kaiser vor, daß man den Parlamenten damit das Recht gegeben hätte, aufs Neue über die Thronfolge zu bestimmen. Nun sei diese aber vollständig in der Pragmatischen Sanktion festgesetzt. Es könne sich nur darum handeln, die Grundsätze der Pragmatischen Sanktion auf den vorliegenden Fall anzuwenden. Eine große Konferenz wurde einberufen. An ihr nahmen die Präsidenten der österreichischen Gerichtshöfe teil, Habietinek, Steinbach, Unger, Schönborn, Lemayer, dann Koerber, Justizminister Spens-Boden. Den Vor-
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Der klare Sieger der ungarischen Parlamentswahlen war die Unabhängigkeitspartei. Im Rahmen der Verhandlungen um die Bildung einer neuen Regierung empfing Kaiser Franz Joseph am 11. 2. 1905 deren Führer Ferenc Kossuth. Beide Reformen wurden vom Koalitionskabinett Windischgraetz (1893-1895) im Abgeordnetenhaus eingebracht, jedoch erst nach seinem Rücktritt verabschiedet. Die Zivilprozeßreform passierte am 18. 7.1895 das Haus und trat am 1. 8. 1895 in Kraft, die Verabschiedung der Steuerreform verzögerte sich bis in den Herbst 1896, am 25. 10. 1896 erhielten die entsprechenden Gesetze die kaiserliche Sanktion. Erzherzog Franz Ferdinand hatte am 1. 7. 1900 Gräfin Sophie Chotek in morganatischer Ehe geheiratet, nachdem er am 28. Juni feierlich auf alle Thronfolgerechte für ihre Kinder verzichtet hatte.
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sitz führte Erzherzog Rainer, Koerber fungierte als Referent. Er legte eine Deklaration vor, die sich streng an die Pragmatische Sanktion anschmiegte; sie war auf Grund eindringender Studien gearbeitet, und Unger machte ihm wegen ihres Scharfsinnes und ihrer Klarheit die größten Komplimente. Hierauf trat Koerber mit Szell in Unterhandlungen, und es gelang ihm, Szell vollständig für seine Auffassung zu gewinnen. So entstand die Deklaration, welche den beiden Parlamenten vorgelegt wurde.19 Bekanntlich wurde dem Erzherzog Franz Ferdinand die Entscheidung in Begnadigungen übertragen. Er geriet hierbei mit Koerber als Justizminister mehrfach in Konflikt.20 Er wollte mitunter die von Koerber vorgeschlagenen Begnadigungen nicht akzeptieren. Infolgedessen mußte sich Koerber um Entscheidung an den Kaiser wenden. Der Kaiser trat in der Regel seiner Meinung bei. Er konnte sich aber nicht enthalten, ihm anzudeuten, daß er eine weniger entschiedene Einmischung des Justizministers für richtig halte. Dem Monarchen seien, sagte der Kaiser, gar keine anderen Rechte übriggeblieben als Begnadigungen und Ordenssachen, es sei daher billig, daß in diesen Dingen sein Ermessen entscheidend sei. Diese Bemerkungen des Kaisers sind wahrscheinlich darauf zurückzuführen, das Erzherzog Franz Ferdinand über die Einmischung Koerbers Klage führte. Merkwürdig ist, daß der Kaiser der Beschwerde des Erzherzogs grundsätzlich Recht gab, in der Sache aber den Vorschlägen Koerbers beipflichtete. Gewiß ist, daß der Erzherzog über das Verhalten Koerbers verstimmt wurde, doch änderte dies nichts an dem Verhalten des Erzherzogs gegen Koerber. Er zeigte ihm bis zum Schluß großes Vertrauen. Nach seiner Demission21 beschäftigt sich Herr von Koerber mit der Frage, ob er seine Denkwürdigkeiten schreiben soll. Er will damit nach seiner Rückkehr vom Urlaub beginnen. Aber er hat die Bedenken, daß er so viel Ungünstiges werde niederschreiben müssen. An Aufrichtigkeit wird es nicht fehlen. Er werde sich eher Mühe geben müssen, nicht zu scharf zu sein, um nicht anzustoßen. Unmittelbar nach den Wahlen vom 26. Jänner 190522 legte Herr von Koerber dem Kaiser eine Denkschrift in der ungarischen Frage vor. Er warnte davor, das Ergebnis in seiner Bedeutung zu unterschätzen, und empfahl fol19
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Die feierliche Erklärung vom 28. Juni wurde vom Budapester Reichstag am 13.11. 1900 in die ungarischen Gesetze inartikuliert. Dem neugewählten österreichischen Abgeordnetenhaus wurde die Erklärung am 12. 1. 1901 vorgelegt, am 7. Mai erfolgte die Annahme des Ausschußantrages, diese Erklärung feierlich zur Kenntnis zu nehmen. Ernest von Koerber leitete neben seiner Ministerpräsidentschaft das Innen- sowie seit 17. 10. 1902 auch das Justizressort. Am 31. 12. 1904 war Ernest von Koerbers Rücktritt vom Kaiser angenommen worden. Die ungarischen Reichstagswahlen endeten mit einer Niederlage der Liberalen und dem Sieg der Unabhängigkeitspartei. Ministerpräsident Graf Istvän Tisza trat darauf zurück.
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gendes Vorgehen. Die Krone solle eine Erklärung abgeben, daß sie einsehe, die Gesetzgebung von 1867 sei in ihrer Gänze nicht mehr haltbar. Es sei daher notwendig, eine Revision vorzunehmen, und mit dieser Revision ein aus der Koalition23 zu berufendes ungarisches Ministerium im Einvernehmen mit der österreichischen Regierung zu betrauen. Durch freundnachbarliche Auseinandersetzungen solle man eine neue Grundlage der Verfassung der Monarchie gewinnen. In der Denkschrift war nicht gesagt, worin die Revision zu bestehen habe. Während die neue Verfassung festzustellen sei, solle an dem Stand der Dinge in der Armee nicht geändert werden, und alle Zugeständnisse sollten in den Gesetzen festgelegt und zugleich die Grenzen der Zugeständnisse klar ausgesprochen werden. Während dieser Beratung müsse das Koalitionsministerium den aktuellen Zustand respektieren. So hätte man Zeit gewonnen und die Koalition befriedigt, ohne übereilte Beschlüsse zu fassen. Dieser Vorschlag wurde aber nicht akzeptiert und eine vollständige Ablehnung der ungarischen Forderungen für gut befunden. Herr von Koerber hält dieses Verfahren für unpraktisch. Indem der Kaiser die militärischen Konzessionen ablehnt und sich überhaupt weigert, über militärische Dinge zu sprechen, reizt er die Magyaren und wird seine Absicht doch nicht durchführen können. Koerber verspricht sich von der vollen Ablehnung keinen Erfolg. Es sind die Männer nicht da, eine solche Politik durchzuführen. "Nach Koerbers Ansicht könne man in Bezug auf die Befehlssprache folgendes Zugeständnis machen: Soweit das Exerzier-Reglement reicht, kann ungarisch befehligt werden. Die Befehlssprache in den höheren Kommanden bleibt deutsch.8 Die Denkschrift sagt nichts von dem Inhalt der neuen Verfassung. Diese kann den Ungarn immerhin entgegenkommen, muß aber zugleich dafür sorgen, daß die zehnjährige Vertragskündigung aufhört24. Zu diesem Ende muß ein ständiger Quotenschlüssel gefunden werden. Dazu war selbst Bänffy noch bei den Verhandlungen mit dem Ministerium Gautsch 1898 bereit. Szell erklärte freilich schon, er könne damit nicht vor das Parlament treten. Auch der Handelsvertrag muß auf eine dauernde Basis gestellt werden. Es empfehle sich festzustellen, daß der Vertrag solange dauere, bis er gekündigt wird. Um aber den ungarischen Wünschen entgegenzukommen, könne man aussprechen, daß etwa alle zehn Jahre eine Revision ins Auge zu fassen sei, während der Revision aber dauere der frühere Vertrag fort, bis der neue gefunden sei. Solche und ähnliche Änderungen würden zur Befriedigung Ungarns führen können und die ewigen Kündigungen überflüssig machen. 23
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Die Koalition der Wahlsieger vom Jänner 1905. Tatsächlich wurde am 8. 4. 1906 ein Koalitionskabinett unter Sändor Wekerle ernannt. Der Ausgleich und das Zoll- und Handelsbündnis zwischen den beiden Staaten der Monarchie hatte eine Laufzeit von zehn Jahren. Eintrag von Friedjungs Hand,
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Herr von Koerber deutet an, daß Herr von Szell eigentlich die geeignetste Person zur Vermittlung sei. Aber Szell hat absolut nicht den Wunsch, aus dem Privatleben hervorzutreten. Er lehnt jeden Hinweis dazu ab. Der Hauptfehler bestand darin, daß man ihn seinerzeit entlassen hat25. Hinter seinem Rücken reichte Tisza die bekannten Vorschläge ein, mit Gewalt die ungarische Geschäftsordnung zu ändern26. Als Koerber den blauen Bogen mit diesen Vorschlägen sah, erschrak er. Es zeigt sich in der Tat, daß Tisza sich über die Möglichkeit, sie durchzuführen, vollständig getäuscht hat. Merkwürdig ist überhaupt, daß sich Szell sowohl wie Fejerväry und Tisza dem Optimismus hingegeben haben. Als es sich um die Erhöhung des Rekrutenkontingents 1903 handelte, erklärte Szell, er werde die Sache mit Leichtigkeit im ungarischen Abgeordnetenhause durchführen. Als Koerber zögernd erklärte, er befürchte in Osterreich Schwierigkeiten, schlug besonders Fejerväry einen hochmütigen Ton an, die Armee leide unter diesen Verhältnissen, man müsse energisch vorgehen etc. etc. Wenige Wochen später war er schon kleinlaut. Koerber hatte die Erhöhung durchgesetzt, und in Ungarn scheiterte alles27. Ebenso haben Khuen und Tisza später Dinge für möglich erklärt, die Koerber für undurchführbar ansah. Es sei merkwürdig, daß Männer, die die Verhältnisse kennen müßten, sich solchen Täuschungen hingaben. Als man Herrn von Koerber fragte, mit welchen Mitteln in Ungarn Ordnung geschaffen werden könne, sagte er sarkastisch, das kann nur der Herr von Mandelbaum. Dieser müsse an der Börse in Bezug auf die ungarische Rente erklären: „Ich gab." Wenn es gelänge, einen Kurssturz der ungarischen Papiere herbeizuführen, so wäre dies ein [Weg], durch den Ungarn zur Räson gebracht werden könne. Die Verantwortung des Ministers, der solches wage, wäre allerdings sehr groß. Er müßte einen Mann haben, wie Bismarck ihn in Bleichröder gefunden hatte. Die Sache sei aber schwer durch die österreichischen Banken zu erreichen. Diese stehen mit den ungarischen Banken in Geschäftsverbindung und sind an dem Stande der ungarischen Papiere interessiert. Sodann dürfte man sich nicht scheuen, über die Lage mit der deutschen Reichsregierung in Verbindung zu treten. Es würde dem Kaiser Franz Joseph begreiflicher Weise schwer sein, sich über diese inneren Angelegenheiten mit Berlin ins Einvernehmen zu setzen. Es sei dies aber 25 26
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Kaiman Szell war vom 26. 2. 1899 bis 27. 6. 1903 ungarischer Ministerpräsident. Zu den Zielen des Kabinetts Tisza gehörte es, durch eine Geschäftsordnungsreform die Obstruktion im ungarischen Reichsrat zu besiegen. Als dieses Vorhaben scheiterte, löste Graf Istvän Tisza Ende November 1904 das Abgeordnetenhaus auf und schrieb Neuwahlen aus, bei denen seine Partei jedoch eine vernichtende Niederlage erlitt. Die Obstruktion der ungarischen Opposition verhinderte die Bewilligung des neuen, erhöhten Rekrutenkontingentes, während das Wiener Parlament zwar im Februar 1903 das neue Gesetz verabschiedet hatte, jedoch mit einem Zusatz, daß es erst bei einem gleichlautenden ungarischen Beschluß in Geltung trete.
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notwendig, damit man sich einer entgegenkommenden Haltung der deutschen Regierung versichere, die sowohl der Krone wie auch Ungarn in dem Kampfe bedeutende Dienste leisten könne. Es sei nicht ganz leicht, sich der deutschen Regierung zu versichern, weil sie in Ungarn eine Stütze des Dreibundes sieht und sich nicht entschließen wird, gegen sie vorzugehen. Übrigens würde man Kaiser Franz Joseph dazu gewinnen können. Er sei bestimmbar, und man könne ihn zu allen Dingen haben, die ein von ihm geschätzter Ministerpräsident empfehle. In erster Linie wäre es Sache des Ministers des Äußern einzugreifen, die absolute Neutralität Goluchowskis, seine Scheu vor Verantwortung schädige das Reich aufs Tiefste.
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Freiherr Alois Lexa von Aehrenthal, Botschafter in St. Petersburg
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Mitte April 1906 К 2, U l a , 2 2 a r - v
Nach dem Ohnmachtsanfall Bülows, nach Einsetzung des Koalitionsministeriums, vor dem Sturze Gautsch'1! Ich habe, erzählt Aehrenthal, soeben in Abazzia viel mit Fejerväry erklärt [sie]. Er versteht offenbar nicht viel vom ungarischen Staatsrecht, aber er hat durch seinen Charakter, seinen Mut diese Kenntnis fast ganz ersetzt. Er handelte nach dem Grundsatz: Direktion Kirchturm! Mir sagte er, es sei ganz gut, daß die Versöhnung mit der Koalition zu Stande kam; „nur", so fügte er hinzu, „habe ich eine Furcht, daß ich in sechs Monaten von Seiner Majestät wieder ein allerhöchstes Handschreiben erhalte: Lieber Baron Fejerväry . . . " Nur eine Abmachung sei ungünstig, daß nämlich für die von ihm eingesetzten Beamten nicht genügend gesorgt worden sei. Allerdings hat Fejerväry, bevor er abtrat, noch den ganzen Dispositionsfonds unter sie verteilt. Uber die Vorgeschichte der Versöhnung erzählte Fejerväry, daß der Vorschlag durch Barabäs an Kristoffy kam, daß aber Fejerväry es war, der die Bedeutung sofort erkannte, damit nach Wien reiste und eine ernste Prüfung, zuletzt die Annahme empfahl. Sein Votum gab den Ausschlag2. Auch Aehrenthal ist der Meinung, daß man nicht anders handeln [konnte] und auf die Versöhnung eingehen mußte. Die Rede des Prinzen Liechtenstein, die die Abmachung eine Kapitulation nannte, sei töricht gewesen3. Bülow, so erzählte er mir, werde nicht lange mehr im Amte bleiben. Sein Verhältnis zum Kaiser sei getrübt und auch seine Gesundheit erschüttert. Er sei es gewesen, der die Marokkofrage in solcher Schärfe aufwarf, er bestimmte den Kaiser Wilhelm zu der Reise nach Tanger4, der Kaiser habe sich nicht gerne an die Sache gemacht. Daher war der Kaiser, als auf der Konferenz zu Algeciras eine Niederlage drohte5, unzufrieden mit Bülow und gab
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Am 5. 4. 1906 erlitt Reichskanzler Bernhard von Bülow im Reichstag einen Schwächeanfall. A m 8. 4. 1906 löste Sändor Wekerle an der Spitze eines Koalitionskabinetts aus U n abhängigkeits- und 68er Partei das nichtparlamentarische Ministerium Fejerväry ab, der österreichische Ministerpräsident Paul von Gautsch trat Ende April zurück, am 2. 5. 1906 folgte ihm Prinz Konrad Hohenlohe-Schillingsfürst. Voraussetzung für die Übernahme der Regierung durch die Koalition war das Zugeständnis vom 6. 4. 1906, die Militärforderungen zurückzustellen sowie das Rekrutenkontingent, die Handelsverträge und die Zolltarife zu verabschieden. Jözsef Kristöfly war Innenminister im Kabinett Fejerväry, Bela Barabäs Reichsratsabgeordneter. In einer Wählerversammlung in Favoriten hielt der christlichsoziale Reichsratsabgeordnete Prinz Alois Liechtenstein am 19. 4.1906 eine Rede, in der er die Vereinbarungen mit Ungarn als „vollständige, vernichtende Niederlage" der Krone bezeichnete. Zur Reise Kaiser Wilhelms nach Tanger Ende März 1905 vgl. Zeitalter des Imperialismus. Bd. 2, 45-48. Die Konferenz von Algeciras zur Beilegung der Marokkokrise begann am 15. 1.1906 und
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ihm deutliche Zeichen der Ungnade. Als es zur Besetzung des Postens eines Staatssekretärs (nach dem Tode Richthofens) kam, wurde über den Kopf Bülows hinweg Tschirschky ernannt6. Und da Holstein die Politik Bülows gestützt, da er mit vorwärts getrieben hatte, konnte er sich nicht halten, und daher der Grund seiner plötzlichen Demission7. Schon in dieser Unterredung sprach Aehrenthal so, daß ich annehmen konnte, daß Goluchowskis Rücktritt nahe sei8.
Freiherr Alois Lexa von Aehrenthal, Botschafter in St. Petersburg April, Mai 1906 К 2, U la, 17a г - 19a ν; Sekretär 3; 20a r - 21a r von Friedjungs Hand Es ist erfreulich, daß Prinz Hohenlohe ans Ruder kommt, aber leider wird er in einem für ihn ungünstigen Zeitpunkt berufen9. Ich habe mit ihm jetzt in a mehrere Male verkehrt und ihm gesagt, daß ich im Interesse Österreichs und in seinem wünsche, er möge nicht allzubald ans Ruder kommen, um dann umso länger regieren zu können. Leider wünscht man jetzt an höchster Stelle mit Überstürzung einen Abschluß des schwierigen Werkes der Wahlreform10. Kann Prinz Hohenlohe von seiner Stellung in Triest her11 mit einem festen Plane nach Wien kommen? Mag er auch leitende Gedanken besitzen, so müssen sie erst Form gewinnen und in dem Ministerialbureau genau den Bevölkerungsverhältnissen angepaßt werden. Am heilsamsten wäre also für ihn, wenn er die Sektionschefs des Kabinetts Gautsch einfach über-
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endete mit der Unterzeichnung der Schlußakte am 7. April. Vgl. vor allem auch zur Haltung Deutschlands Zeitalter des Imperialismus. Bd. 2, 81-86. Dem am 17. 1. 1906 verstorbenen Freiherrn Oswald von Richthofen folgte Heinrich von Tschirschky als Staatssekretär des Auswärtigen Amtes. Der Vortragende Rat im deutschen Auswärtigen Amt Friedrich von Holstein reichte im April 1906 seinen Rücktritt ein, wohl in der Annahme, daß er abgelehnt werden würde. Fürst Bernhard von Bülow wies jedoch Staatssekretär Heinrich von Tschirschky an, das Gesuch dem Kaiser befürwortend vorzulegen. Am 19. 4. 1906 wurde Holstein darauf entlassen. Freiherr Alois Lexa von Aehrenthal trat am 24. 10. 1906 die Nachfolge von Graf Agenor Goluchowski als Außenminister an. Prinz Konrad Hohenlohe-Schillingsfürst folgte mit 2. 5. 1906 Paul von Gautsch als Ministerpräsident, schied aber bereits ein Monat später wieder aus dem Amt. Freilassung im Original. Aehrenthal war von Mitte März bis Mitte April mit seiner Familie in Abbazia (Opatija). Das Ministerium Gautsch hatte am 22. 2.1906 die Einführung des allgemeinen, gleichen Männerwahlrechts gemeinsam mit einer Geschäftsordnungsreform als Gesetzesentwurf im Abgeordnetenhaus eingebracht. Er wurde am 27. März einem Wahlreformausschuß zugewiesen. Prinz Konrad Hohenlohe war seit 1. 10. 1904 Statthalter in Triest und kehrte nach seiner Demission als Ministerpräsident wieder auf diesen Posten zurück, den er bis 1915 innehatte.
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nehmen würde12 und bloß Bylandt ziehen ließe, da er ja selbst das Ministerium des Innern übernehmen will und muß. In aller Ruhe sollte er die Unterhandlungen führen, und da das jetzige Parlament ohnedies seinen Widerwillen gezeigt hat, die Sache zu beendigen, so wäre es am besten, Neuwahlen zu veranstalten und dem nächsten Hause die Erledigung zu überlassen. Wahlreformen haben in England jahrzehntelang die öffentliche Meinung beschäftigt, bevor sie reiften, will man in Österreich in einem Jahre zur schwierigsten Reform gelangen? Die Polen, welche Herrn von Gautsch das Ende bereiteten13, waren wohl mit den Großgrundbesitzern im Ganzen einig; die ganze österreichische Aristokratie wäre aber einflußlos gewesen und hätte keine Wirkung hervorgerufen, wenn nicht die Polen mit ihrem Einflüsse den Sturz Herrn von Gautsch' bewirkt hätten. Es macht doch den Eindruck, daß bei ihrem Widerstande eine Zweidrittelmehrheit im Hause nicht zu finden ist. Prinz Hohenlohe ist eine lebhafte, anregende und auch energische Persönlichkeit. Er hat, gestützt auf einen Paragraphen des Triester Gemeindestatuts, der Kommune das Heft aus den Händen genommen, ohne daß der Widerstand zu groß war. Allerdings hatte er es mit einem anständigen Podestä zu tun; seine guten Formen werden ihm auch in seiner neuen Stellung zustatten kommen. Mit den Tschechen und mit den Deutschen dürfte er leicht verhandeln; die letzteren müssen ihn schon wegen seiner Familie und wegen seines Auftretens in Teplitz freundlich aufnehmen14. Ungünstig aber werden ihn die Polen behandeln. Hier muß er sich auf Widerstand gefaßt machen. Das Gespräch wendete sich dann der äußeren Politik zu, und er fuhr fort: Ich habe gestern mit dem Grafen Wedel gesprochen, der mir bestätigte, daß Bülows Rücktritt in nicht allzuferner Zeit zu erwarten ist. Es ist doch überraschend, daß ein Mann vom Geiste Bülows so wenig gewandt in der Führung der äußeren Geschäfte war. Es war richtig, daß er den Sturz Delcasses herbeiführte15, dann aber hätte er sofort, befriedigt von dem Erfolge, ein Separatabkommen mit Frankreich in Bezug auf Marokko treffen, den Franzosen ansehnliche Zugeständnisse machen und mit dem fertigen Ab12 13
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Das Ministerium Gautsch war mit Ausnahme des tschechischen und polnischen Landsmannministers ein reines Beamtenkabinett. Nachdem sich abzeichnete, daß durch den Widerstand des Polenklubs die nötige Zweidrittelmehrheit für die Wahlreform nicht Zustandekommen würde, demissionierte das Kabinett Gautsch. Die Polen verlangten zur Zustimmung neben einer Erhöhung der Reichsratssitze für Galizien - 118 statt der vorgesehenen 88 (von 455) - eine Erweiterung der galizischen Autonomie. Prinz Konrad Hohenlohe-Schillingsfürst leitete von 1894 bis 1900 die Bezirkshauptmannschaft Teplitz (Teplice). Der französische Außenminister Theophile Delcasse trat am 6. 6.1905 zurück, nachdem der Ministerrat gegen seinen Vorschlag der Teilnahme an einer internationalen Konferenz zur Beilegung des Marokkokonfliktes zugestimmt hatte. Vgl. Zeitalter des Imperialismus. Bd. 2, 51-53.
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kommen vor die europäische Konferenz treten sollen. Damit hätte er auch sein Ziel erreicht, Frankreich von Rußland zu trennen. Wie unklug war das Interview des Fürsten Bülow in Baden-Baden16. Dort hatte er von oben herab den Franzosen die Hand zur Versöhnung geboten. Es ist wahr, daß er bei der Plötzlichkeit des Kaisers und bei den mannigfaltigen Einflüssen in dessen Umgebung kein leichtes Spiel hat. Aber er ist auch vom Ausland her nicht gut berichtet. Die Botschafter stellen die Sache so dar, wie man sie in der Wilhelmstraße zu Berlin gerne sieht. Das ist an mehreren Stellen der Fall, und Graf Monts, der gewiß ein begabter Mann ist, ist doch zu wenig geschmeidig (souple) für seine Stellung. Barrere saß bereits fest, als Monts nach Rom kam17, und hat sich auch weiter in seinem Einflüsse behauptet. Es gehört zu den Aufgaben der österreichischen Politik und nun auch zu der meinigen, dem Einflüsse Englands in Petersburg entgegenzuwirken. Wir können als Bundesgenossen Deutschlands nicht wünschen, daß es ganz isoliert werde, und daß sich Rußland vollständig mit England verbinde. Das ist eine Gefahr auch für uns aus folgendem Grunde: Die Engländer wollen die Russen zu einem Separatabkommen in Bezug auf Persien bestimmen. Südpersien soll unter die englische Einflußsphäre fallen, Nordpersien unter die russische. Die Engländer wollen noch weiter gehen und sogar, wenn es nötig wäre, Konstantinopel den Russen überlassen. Kommt es zu einem solchen Abkommen, so sind die Russen der mittelasiatischen Sorgen ledig und können wieder in die Balkanangelegenheiten eingreifen. Sind sie in Asien beschäftigt, so sind wir im Südosten Europas frei. Man muß damit rechnen, daß etwa in zwei Jahren die Balkanfrage wieder ins Rollen kommt. Österreich-Ungarn darf dann nicht mehr wie bisher immer mit der Feuerspritze hinterher sein, sondern soll den Abbröckelungsprozeß der Türkei nur vor sich gehen lassen. Wir haben eine gute Stellung im Orient. Die Wege sind uns vorgezeichnet. Sind wir mit Deutschland im Bunde und treffen wir Vereinbarungen mit Rußland, so können wir allem übrigen ruhig entgegensehen. Darin sehe ich nicht die Schwierigkeit eines Ministers des Äußern. Der Nachfolger Goluchowskis findet darin feste Traditionen vor. Was ihn bedroht, sind die inneren Verhältnisse. Schon Graf Kalnoky hat die Stellung eines Ministers des Äußern mit der Lage eines Mannes verglichen, dem immer einer seiner beiden Füße gebunden ist, einmal von Österreich, einmal von Ungarn her, und von diesem Manne verlangt man, daß er rüstig ausschreite! Das ist ebenso wenig möglich, als daß man auf zwei Pferden reiten kann. Wer also Minister des Äußern wird, muß eine gewisse Sicherheit fordern, besonders auch darin, im Namen welcher Firma 16
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Am 2. und 3. 10. 1905 hatte Reichskanzler Bernhard von Bülow den französischen Journalisten M. Douvier und Andre Tardieu je ein Interview gegeben. Camille Barrere war seit 1897 französischer Botschafter in Rom, während Graf Anton Monts de Mazin 1902 als deutscher Vertreter nach Italien kam.
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er handeln soll. Jetzt ist die Firma Österreich-Ungarn, und wir haben auch bis vor wenigen Jahren alle auswärtigen Verträge im Namen der einheitlichen Monarchie geschlossen. Leider hat schon Graf Kälnoky mit den Postverträgen eine Ausnahme gemacht. Goluchowski ging noch weiter und machte den Ungarn die Konzession, besonders in Brüssel für Osterreich und für Ungarn separat abzuschließen18. "Ich machte eine Andeutung, wie erwünscht es wäre, wenn Aehrenthal jene Entwürfe bezüglich des Balkans selbst als Minister ausführte, darauf erwiderte er: Ich könnte das Amt eines Ministers nur [unter] festen Bedingungen übernehmen und wäre demnach nicht bequem. So müßte ich in Bezug auf die Einheit der Vertragsschließung namens Österreich-Ungarn den größten Wert legen. Darüber ist schon vor zwei Jahren ein Konflikt zwischen mir und dem Grafen Goluchowski ausgebrochen, und ich habe damals meine Demission gegeben19. Jetzt ist darüber nicht die Rede gewesen, und ich hatte nicht Gelegenheit, die mich leitenden Gesichtspunkte zu entwickeln. Doch müßte ich es tun, wenn, wenn ich gefragt würde. Der Übernahme meines Amtes müßte eine Auseinandersetzung mit dem österreichischen und dem ungarischen Ministerpräsidenten vorangehen. Auch mit dem ungarischen? warf ich fragend ein. Auch mit dem, lautete die Antwort. Sonst entstehen bei der nächsten Gelgenheit schwere Konflikte. Ich bin nicht etwa ein Gegner Ungarns. Denn Ungarn ist ohne Frage eine Kraft, und weshalb sollte man dies beklagen? Eine solche Kraft muß nur für die Monarchie nutzbar gemacht werden. Ein starkes Ungarn in der starken Monarchie, so sollte die Formel lauten. Jetzt sollte man versuchen, auch das Ministerium Wekerle für diese Ideen zu gewinnen. Deshalb sollte sich der Kaiser nicht etwa begnügen, bloß [den] einen oder anderen Hofball in Budapest zu geben - die Ungarn verdienen das eigentlich nicht -, sondern er solle den ganzen Monat Mai in der Ofener Burg verbringen. Kann aber, so warf ich ein, der Kaiser persönlich diesen Einfluß auf das ungarische Ministerium üben? Muß er nicht hierzu eine geeignete Persönlichkeit um sich haben? Ja, es ist wahr, seine ganze Umgebung ist zu alt. Übrigens, meine Aufgabe ist jetzt, in Petersburg zu wirken. Es gilt, den englischen Einfluß zu bekämpfen, der auf die Isolierung Deutschlands und auf ein Abkommen mit Rußland in Bezug auf Persien hinarbeitet. Kaiser 18
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Die Brüsseler Zuckerkonvention 1903 wurde von Österreich und von Ungarn als zwei separaten Staaten unterzeichnet, der Grund lag in dem noch nicht abgeschlossenen Ausgleich. Aehrenthal bekämpfte diese Tendenzen des Abschlusses internationaler Verträge im Namen der beiden Staaten und nicht der Gesamtmonarchie, da er darin eine Schwächung der Reichsidee sah. Vgl. seine Auseinandersetzung mit Außenminister Graf Goluchowski in Aus dem Nachlaß Aehrenthal Teil 1, 317-330. Aehrenthals Demissionsgesuch und die Ablehnung in Aus dem Nachlaß Aehrenthal Teil 1, 326-329 und 332-333. Der folgende Eintrag von Friedjungs Hand.
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Nikolaus persönlich ist Deutschland eher freundlich geneigt, aber in der Gesellschaft ist es anders: Hier überwiegt die deutschfeindliche Strömung. Man hat übrigens in Deutschland zuviel mit dem Säbel gerasselt, das hat in Europa verstimmt, da man Deutschland militärisch für sehr stark hält. Der Starke kann sich zurückhalten, man nimmt dann an, wenn er mit Berechnung schweigt, er werde gerade jetzt zuhauen. Kaiser Wilhelm erschwert zwar Bülow durch seine Plötzlichkeit oft das Wirken; doch hat er bisher, wenn er auch manches Unkluge gesprochen hat, doch nie unklug gehandelt. Übrigens wird Bülow wohl bald aus Gesundheitsrücksichten einem Nachfolger Platz machen. Wen hält man in Wien, so fragte Aehrenthal, für seinen Nachfolger? Den Fürsten Hohenlohe-Langenburg, antwortete ich. Aber man findet in deutschen Diplomatenkreisen, daß er doch keine diplomatische Erfahrung besitzt. Oh doch, sagte Aehrenthal, er besitzt sie. Er war Legationssekretär in Paris und Petersburg (wenn mein, Friedjungs, Gedächtnis nicht trügt). Ich selbst war neben ihm in . . . (Name entfallen). Sie fragen nach seiner Befähigung? Die Gräfin Wolkenstein-Schleinitz sagte von ihm, er sei ein vollkommenes Produkt der Erziehung. Er ist nämlich nicht sonderlich begabt, aber er hat viel gelernt, hat reges Interesse für alles und ist unausgesetzt tätig20. Ergänzung Zwei Tage später sprach ich mit Jettel über die Aussichten Aehrenthals auf das Amt des Ministers des Äußern. Er sagte: „Aehrenthal kann nicht Minister werden, so erfreulich es wäre - der Ungarn wegen. Er steht zu bestimmt gegen ihre Ansprüche. In der Titelfrage hatte schon Goluchowski die größten Schwierigkeiten. In Folge des hartnäckigen Widerstandes der Ungarn stocken eine Menge Geschäfte. Es liegen mehrere internationale Konventionen, besonders juristischen Inhalts, vor, man kann sie nicht ratifizieren, weil Ungarn verlangt, daß namens Ungarn separat abgeschlossen werde. Tisza hatte soviel zu tun, daß er nicht eingreifen konnte. Das Ministerium Fejerväry hätte man zu diesem Zwecke besser ausnutzen können. Wenn Aehrenthal hierin unnachgiebig ist, ergeben sich die größten Schwierigkeiten. Allerdings hatte er sich selbst eine Hintertüre offen gehalten. Denn er sagte zu mir (Jettel), daß er de lege lata nicht nachgeben könne; er stehe auf dem Boden des Handschreibens von 186821. Wenn man es abändern wolle, dann stünde die Sache anders!"
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Hier scheint Aehrenthal Vater und Sohn zu verwechseln. Fürst Hermann HohenloheLangenburg, 1894 bis 1904 Statthalter in Elsaß-Lothringen und als möglicher Reichskanzler genannt, war nie im diplomatischen Dienst, während sein Sohn Ernst Diplomat war und die Kolonialabteilung im Auswärtigen Amt leitete. Das Handschreiben vom 14. 11. 1868, durch das der Name des Reiches in „Österreichisch-Ungarische Monarchie" geändert wurde.
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Freiherr Geza von Fejerväry, Feldzeugmeister Mai 1906 К 2, U 1, 37 r - 39 ν; Sekretär 3 Als ich Fejerväry von dem großen Eindrucke seiner Kampagne als Ministerpräsident sprach22, lachte er fröhlich und sagte: „Es war das eine schwierige Geschichte, aber - und hierbei lehnte er sich in seinem Lehnstuhle zurück und lachte fröhlich und herzhaft - im ganzen war es wirklich amüsant. Ich bin jetzt en garde und verlasse zunächst Budapest nicht. Ich hätte es sehr notwendig und sollte nach Karlsbad gehen. Voriges Jahr habe ich meine Kur unterbrechen müssen, und seit der Zeit hatte ich in keiner Weise Urlaub. Ich warte aber ab, was meine politischen Gegner, von denen ich eine sehr geringe Meinung habe, gegen mich etwa unternehmen werden23. In ganz Ungarn gibt es keinen Mann, der so stolzen Hauptes einherschreiten kann wie ich. Ich kann es mir sagen, ich muß vor niemand die Augen niederschlagen. Wenn nun Angriffe gegen mich erfolgen sollten, so werde ich über die Leute herfallen. Was das Gesindel im Abgeordnetenhause über mich sagt, ist mir gleichgültig, wenn aber die Minister mit Vorwürfen gegen mich hervortreten sollten, so werde ich im Oberhause erscheinen und werde fürchterlich über sie herfallen; denn ich mache nur Jagd auf Hochwild. Eine hohe Meinung habe ich nicht von all diesen Größen, die übrigens bisher nichts gegen mich zu unternehmen gewagt haben." Als ich das Gespräch der historischen Bedeutsamkeit der jüngsten Ereignisse zuwandte, berührte Fejerväry mein Buch über 186624 und sagte: „Dem künftigen Geschichtsschreiber wird es sehr schwer sein, auch in diesem Falle den inneren Zusammenhang der Dinge festzustellen. Ich wenigstens schreibe keine Memoiren und werde auch nichts zurücklassen, woraus sich wichtige Vorgänge meiner öffentlichen Tätigkeit erklären lassen. Als ich im Jahre 1866 vom Kaiser an [sie!] Benedek geschickt worden war25, machte ich mir über diese interessanten Vorkommnisse Aufzeichnungen. Einige Jahre später aber habe ich alles verbrannt. Ich huldige nämlich der Ansicht, daß, wenn jemand wie ich in einer Vertrauensstellung war, ich die Pflicht der Diskretion auch über das Grab hinaus habe und nicht berechtigt bin, alle intimen Vorgänge zumal in der Umgebung meines Kaiserlichen Herrn der 22
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General Geza Fejerväry, seit Juni 1905 Ministerpräsident eines nichtparlamentarischen Kabinetts, wurde Anfang April 1906 durch ein Kabinett unter Sändor Wekerle abgelöst. Die ungarische Koalition, die unter Sändor Wekerle an die Macht kam, hatte ursprünglich beabsichtigt, gegen das Kabinett Fejerväry Ministeranklage zu erheben, ließ diesen Plan aber über Druck des Hofes fallen. Der Kampf um die Vorherrschaft in Deutschland. Eine ungarische Ubersetzung erschien 1903; vgl. Hare a nemet hegemöniäert (1859-1866). 2 Bde (Budapest 1903). Geza von Fejerväry war 1866 der Generaladjutantur zugeteilt und begleitete unmittelbar nach der Schlacht von Königgrätz Außenminister Graf Alexander MensdorffPouilly ins Hauptquartier Ludwig Benedeks.
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Nachwelt zu überliefern. So werde ich es auch in Zukunft halten." Als ich nun meinte, daß seine Söhne und Enkel vielleicht doch einmal das Interesse haben könnten, Angriffe, die gegen sein öffentliches Werk erhoben werden, aus seinen Papieren zu widerlegen, erwiderte er: „Was die Menschen über mich sprechen oder schreiben, ist mir gleichgültig. Ich habe das Bewußtsein - und hierbei schlug er sich kräftig an die Brust - meine Pflicht erfüllt zu haben, und das genügt mir vollständig. Was jetzt oder gar nach meinem Tode über mich geschrieben werden wird, ist mir ganz und gar Wurst. Ich glaube auch nicht, daß meine Kinder und meine Enkel darüber wesentlich anders denken werden." Die Aufklärung, so wandte ich ein, liege übrigens in dem geführten Briefwechsel. Er sei als Ministerpräsident oft nach Wien gefahren, habe aber doch vieles, sei es mit dem Kaiser, sei es mit der Umgebung des Kaisers, schriftlich verhandelt, und dies würde eine wichtige Quelle seiner Wirksamkeit sein. Dies gab er auch zu. Hierauf äußerte er sich über den Friedensschluß vom 8. April 190626. „Wir hatten keine andere Wahl, so sagte er, als abzuschließen und die Regierung der Koalition zu übertragen. Wir hatten unaufhörlich gesagt, daß, wenn die Koalition die militärischen Forderungen zurückstelle, aus ihr ein Ministerium gebildet werden solle. Was hätte man in Ungarn, was in der Welt über mich, wobei es gleichgültig ist, welche Meinung man über micht hegt, was hätte man aber über die Krone gesagt, wenn sie nach ihren wiederholten Versicherungen bei dem Nachgeben der Koalition deren Führer nicht zu Ministern berufen hätte? Und das muß man sagen, ich habe diese Kerle gründlich zu Boden geworfen. Sie waren genötigt, von allen Forderungen, die sie durch Jahre und noch wenige Wochen vorher erhoben hatten, vollständig abzustehen. Auf dieser Grundlage wurde der Friede geschlossen. Es ist gegen den Abschluß nichts zu sagen; nur waren wir gezwungen, die Beamten zum Opfer zu bringen. Dies ist das einzige, was mir vorgehalten werden kann. Es ist wahr, daß wir den ganzen Dispositionsfonds, den wir hatten, unter die mit der Absetzung bedrohten Beamten geteilt haben. Der Hauptnachteil aber liegt darin, daß durch ihre sofort erfolgte Entlassung in der Zukunft eine abermalige Niederwerfung der Oligarchie schwierig gemacht worden ist. Wir mußten ohnedies schon zu sehr zweifelhaften Elementen greifen, um überhaupt Beamte zu bekommen. Ich will über manche dieser zweideutigen Persönlichkeiten kein Wort verlieren. Ich habe überhaupt sehr unzureichende Gehilfen gefunden. Bei meinem Rücktritt nun hat eine Verfolgung der Beamten in unerhörter Weise stattgefunden. Zumal im Ministerium des Innern ist man brutal vorgegangen. Ich habe den Grafen Andrässy für einen größeren Gentleman und für anständiger gehalten; er hat die Rei26
Der Tag der Regierungsübernahme durch das Kabinett Wekerle, die entscheidenden Verhandlungen fanden zwei Tage zuvor statt.
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nigung des Ministeriums wie eine Wanzenjagd betrieben und auch den untergeordnetsten Mann nicht geschont. Was wird nun geschehen, wenn der Kaiser etwa genötigt sein sollte, den mit mir gemachten Versuch zu wiederholen? Die Aussichten sind nicht günstig, und ich fürchte sehr, daß man nicht mehr Männer finden und daß nichts anderes übrig bleiben wird als eine reine Militärverwaltung. Das ist aber nicht so einfach. Die Offiziere und Generäle unserer Tage werden viel weniger als früher in der Zivilverwaltung, in der Diplomatie und in ähnlichen Stellungen benützt, sodaß ihnen die Erfahrung hierfür vollständig abhanden gekommen ist. In diesen Dingen sehe ich trübe." Als ich ihn fragte, wie weit er gegangen wäre, wenn die Koalition nicht eingelenkt hätte und kein Friedensschluß erfolgt wäre, ob er die Rekrutierung vorgenommen hätte, erwiderte er: „Ich habe mir diese außerordentlich schwierige Frage, wie Sie sich denken können, vom ersten Tage meines Ministeriums vorgelegt. Nun sind die Ungarn, die früher ein Volk von Soldaten gewesen sind, jetzt ein Volk von Juristen und Winkelschreibern, und unaufhörlich beruft man sich auf Paragraphen des Gesetzes, und es ist unmöglich, über gewisse Vorstellungen in der öffentlichen Meinung hinwegzukommen. Die Steuern mit Gewalt einzutreiben, wäre ausgeschlossen gewesen. Auch in Bezug auf die Rekrutierung mußte man vorsichtig sein. Es ist richtig, daß ich mit der Armee die Gewalt in der Hand hatte. Welch eine Gewalt aber war das? Die ungarischen Regimenter waren dadurch, daß zwei Jahre nicht rekrutiert worden war, fast vollständig aufgelöst. Es waren bloß Offiziere und die Chargen da und die Ersatzreservisten, die wir einberufen haben. Wenn also bei einer gewaltsamen Steuereintreibung oder gewaltsamen Rekrutierung irgendwo Unruhen ausgebrochen wären, wäre die Schwierigkeit sehr groß gewesen. Wohl aber hätte ich eine freiwillige Rekrutierung im Lande durchgeführt. Die jungen Leute wußten ja, daß sie früher oder später doch zu den Fahnen gerufen werden würden. Sie sowohl wie ihre Familien, die Ordnung haben wollten, wären in großer Anzahl auf den Ruf zur Stellung gefolgt, besonders wenn man den Freiwilligen einige Benefizien in Aussicht gestellt hätte. Die Lücken wären nicht vollständig ergänzt worden, aber wir hätten doch wenigstens wieder die Kompanien halbwegs voll bekommen. Weiter wäre ich nicht gegangen, um die Sache nicht aufs Äußerste zu treiben." Ich wies mit Hinblick auf seine pessimistische Auffassung auf die Tatsache hin, daß durch die Auflösung der liberalen Partei eine Menge Leute ihre Amter verloren hätten, die sich einem außerparlamentarischen Ministerium doch wieder zur Verfügung stellen würden. Er aber meinte: „Es ist nicht zu sagen, wie groß der Terrorismus in unserem Lande ist. Die Verfolgung, die man über Personen verhängt hat, die sich dem oligarchischen Regimente entgegengestellt haben, ist unbeschreiblich. Sie werden verfolgt und gequält
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und sind bei dem Umschwünge der Verhältnisse im parlamentarischen Sinne der Armut preisgegeben. Es ist aber richtig, daß die Gewalt des Kaisers und Königs im Lande immer sehr groß ist, und daß er sich widerrechtlichen Forderungen nicht fügen muß." Ich fragte mit Rücksicht auf diese letzte Äußerung, was denn bei den Verhandlungen über die Aufhebung des gemeinsamen und die Schaffung eines ungarischen Zolltarifes besprochen worden sei. Darauf erwiderte er mit der größten Bestimmtheit: „Bei unseren Verhandlungen ist nicht ein Wort über einen selbständigen ungarischen Zolltarif gesprochen worden. Es war immer nur von der Annahme der Handelsverträge durch das Parlament und der gleichzeitigen Annahme des Zolltarifes die Rede. Es konnte hierbei nur der allgemeine Zolltarif gemeint sein." Mit Hinblick auf den Widerstand der Komitate27 fragte ich ihn, ob die ungarische Regierung nicht ein Gesetz geben werde, welches die Einsetzung von königlichen Kommissären in Zukunft unmöglich machen werde. Die Thronrede28 spreche von neuen Schutzwällen der Verfassung, die aufgerichtet werden sollen. Ob sich daran nicht ein neuer Konflikt entzünden werde? „Ich habe diese Stelle in der Thronrede gelesen und war von ihr wie vom Donner gerührt. Ich war außer mir, als ich las, was diese Leute den alten Kaiser haben vorlesen lassen. Ich glaube aber nicht, daß es dazu kommen werde. Ein solches Gesetz bedarf der Vorsanktion, und ich halte es für undenkbar, daß der Kaiser seine Zustimmung gebe zu einer Bestimmung, durch welche verhindert werden soll, daß man innerhalb der Verfassung noch die Macht im Namen des Monarchen ausüben könne. Denn wir haben uns immer an die Gesetze gehalten, und einen Bruch der Verfassung kann man uns nicht vorwerfen. Sollte also irgendetwas Derartiges im Schöße des Ministeriums beabsichtigt sein, so würde eine neue Krise ausbrechen, und auch für diesen Fall stehe ich en garde." Ein Diener trat ein und meldete jemand an. Ich wollte mich erheben, Fejerväry aber sagte, es sei Zeit, und sprach noch von seinen persönlichen Verhältnissen und von dem Zustande seiner Gesundheit. Das Parlament, so sagte er, habe ihm seine Gesundheit gekostet. „Nach den großen Kämpfen um das Wehrgesetz vom Jahre 188929 war ich vollständig contract und konnte die Glieder nicht rühren. Man brachte mich damals mit Mühe in ein Bad. Nun habe ich mich aber erholt. Ich bin gewiß kein gesunder Mann, aber ich
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Als Teil des Widerstandes der Opposition gegen das Ministerium Fejerväry hatte ein großer Teil der Komitate die Durchführung staatlicher Aufgaben verweigert. Die Thronrede Franz Josephs zur Eröffnung der Legislaturperiode am 21. 5. 1906. Bereits bei der Verabschiedung des Wehrgesetzes im Jahre 1889, wodurch das Rekrutenkontingent des Heeres von 95.500 auf 103.000 Mann erhöht sowie ein festes jährliches Kontingent für Landwehr bzw. Honved geschaffen wurde, kam es im Budapester Parlament zu Forderungen nach sog. nationalen Zugeständnissen in der Armee.
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bin selbst erstaunt, wie sehr meine Nerven die Aufregungen der letzten Monate ausgehalten haben. Ich habe mich Ihnen", so schloß er, „offenherzig ausgesprochen. Ich habe zwar Ihre Bücher nicht vollständig gelesen, aber ich habe doch das Werk über 1866 mir angesehen, und ich anerkenne den Fleiß, der sich darin ausspricht. Sie werden ja auch einmal über die Ereignisse der letzten Zeit schreiben. Das ist eine schwierige Aufgabe. Wenn Sie also später einmal das, was ich Ihnen gesagt habe, benutzen, so liegt das in Ihrer Hand. Augenblicklich aber verlasse ich mich auf Ihre Diskretion. Ich habe mich Ihnen gegenüber mit der größten Offenheit geäußert, Sie würden mich aber in Verlegenheit setzen, wenn Sie etwa in Form eines Interviews etwas von den Äußerungen verlauten ließen." Und nochmals kam er darauf zurück, er sei bereit, den Strauß mit seinen Gegnern auszufechten. „Sie sollen es nur wagen", so schloß er die Unterredung, „mit mir anzubinden, und ich werde wie ein Löwe über diese Kanaillen herfallen!"
Freiherr Alois Lexa von Aehrenthal, Außenminister [23. Oktober bis 31. Dezember 1906] К 2, U la, 30a г - 39a г Am " Okt. Montag Vormittag erfuhr ich von Sieghart, daß Aehrenthal in Wien eingetroffen sei und voraussichtlich nachmittags vom Kaiser empfangen werden würde. Der Kaiser werde ihm das Portefeuille anbieten, Ministerpräsident Beck habe ihm dazu geraten. Sieghart ersucht mich, ihn mit Aehrenthal in Verbindung zu setzen und bei Aehrenthal die Vorurteile zu zerstreuen, die er, wie es scheint, gegen ihn hege. Ich machte Wedel die Mitteilung von der interessanten Wendung und spreche abends mit ihm. Den Tag darauf, Dienstag, telephoniert mir Jettel, Aehrenthal wünsche mich zu sprechen. Ich trete bei ihm [um] 6 Uhr abends ein. Aehrenthal teilt mir mit, daß er nicht am gestrigen Tage, sondern heute vom Kaiser empfangen worden sei. Der Kaiser wünsche ihn zum Minister. Er habe den Kaiser gebeten, davon Abstand zu nehmen, und es sprächen gewichtige Gründe gegen die Annahme. Sie lägen nicht in den Geschäften des auswärtigen Amtes, sondern im Verhältnisse zu Ungarn. Nur wenn der Kaiser ihm vollständiges Vertrauen schenke, könne er einwilligen. Es sei allerdings eine Sache des Gewissens, sich der großen Aufgabe und Verantwortung nicht zu entziehen. Unrichtig sei jedoch die Angabe der Neuen Freien Presse, daß er vor Übernahme des Amtes „Garantien" verlangt habe30. Es waren in der Neuen Frei30
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Neue Freie Presse v. 23. 10. 1906, Abendblatt 1, Audienz des Freiherrn v. Aehrenthal. Darin heißt es, Aehrenthal habe die Annahme des Außenministeriums von einer Bedingung abhängig gemacht, die jedoch erfüllbar erscheint. Freilassung
im Original. Aehrenthal
war am 22. Oktober in Wien
eingetroffen.
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Freiherr Alois Lexa von Aehrenthal
en Presse mehrere Angaben über seine frühere Tätigkeit enthalten, die, wie Aehrenthal mit Recht vermutet, auf Mitteilungen von meiner Seite zurückzuführen sind. Ich bestätige ihm, daß Münz sich bei mir vor zwei bis drei Wochen über ihn informiert und dies jetzt verwertet habe. Das war Aehrenthal, da Münz Günstiges und Wahres geschrieben hatte, ganz angenehm, doch fügte er hinzu, daß von „Garantien" nicht die Rede sein könne. Könne der Kaiser etwas Derartiges bieten? Es sei Sache des Vertrauens, wenn er einen Minister berufe und halte; seine Aussprache mit dem Kaiser könne nur dem Zwecke dienen, daß er zusage, nichts Wichtiges zu beschließen, ohne seinen Rat gehört zu haben. Indessen habe er keinen endgültigen Entschluß über die Annahme gefaßt und behalte sich [die] Überlegung darüber noch für die Nacht bevor. Aehrenthal hatte mir im Juni gesagt, er würde vor dem Entschlüsse, falls ihm das Portefeuille angeboten würde, zuerst mit dem ungarischen Ministerpräsidenten sprechen und sich Klarheit verschaffen, ob sie sich über die Prinzipien einigen könnten31. Ohne ihn daran zu erinnern, warf ich die Frage hin, ob er zuerst nach Budapest gehen würde. Er wies diese Annahme bestimmt von sich, ich hatte das Gefühl, daß er sagen wollte, dies wäre eine zu große Konzession. Darin hatte er also seinen Vorsatz geändert. Er würde, so sagte er, nach Budapest erst reisen, wenn er angenommen hätte. "Nach seiner Bestellung zum Minister werden seine ersten Besuche Wedel und Avarna gelten. Er wisse schon jetzt, was Wedel ihm sagen werde, da sie auch sonst einverständlich miteinander wirkten.3 Die Schwierigkeiten, so setzte er auseinander, lägen unter anderem darin, daß sich selbst über die Art des Abschlusses von Verträgen der Monarchie keine Einigkeit mit Ungarn erzielen lasse. Ich benützte die Gelegenheit, um darauf aufmerksam zu machen, daß Sieghart über diesen Gegenstand wie über die anderen Differenzen staatsrechtlicher Natur eine Denkschrift ausgearbeitet habe. Aehrenthal könnte sie sich vom Ministerpräsidenten vorlegen lassen, auch sei Sieghart gewiß bereit, ihm darüber Bericht zu erstatten. Aehrenthal behielt sich das vor und macht die interessante Bemerkung, daß man im Ministerium des Äußern leider keinen Uberblick über diese Streitfragen besitze. Das Gespräch wendet sich dann den künftigen Beziehungen des Ministers des Äußern zu der Presse zu. Aehrenthal hält es, so antipathisch ihm vieles in der Neuen Freien Presse sei, [für notwendig,] die zwischen Goluchowski und diesem Blatte abgerissenen Beziehungen wieder anzuknüpfen. Zum Schlüsse fordert mich Aehrenthal auf, ihn am nächsten Nachmittag, Mittwoch, 6 Uhr, zu besuchen, er wolle mir dann mitteilen, wie er sich besonnen und welche Antwort er dem Monarchen gegeben habe. 31
a_a
Die Gespräche fanden im April und Mai 1906 statt. Vgl. S. 33. Aehrenthal war bereits seit 21. Mai wieder in St. Petersburg. Ergänzung.
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Ich fand Aehrenthal ebenso einfach, ohne Pose, ebenso ruhig, wie je. aSo besonders, als er mir das pro und contra bezüglich seines Eintritts in die Regierung entwickelte. Das geschah in seiner logischen, objektiven Weise." Es war mir nicht ganz klar, weshalb er mich gerade an diesem für ihn bedeutungsvollen Tage habe rufen lassen. Hatte er bloß das Bedürfnis, sich auszusprechen? Denn es war keine Rede davon, unser Verhältnis ließ es auch gar nicht erwarten, daß er mich etwa über seine endgültige Entscheidung um Rat gefragt hätte. Das Merkwürdige ist, daß Jettel um Mittag telephoniert hatte, Aehrenthal habe ihm gesagt, er werde wahrscheinlich ablehnen. Dies wäre, so fügte Jettel hinzu, auch die Meinung eines Aehrenthal befreundeten österreichischen Aristokraten. Als ich mich darauf mit Sieghart telephonisch besprach, bestätigte er mir dies, auch Beck habe diese Besorgnis geteilt. In Folge dessen habe sich, so fuhr Sieghart fort, die Notwendigkeit herausgestellt, an einen anderen Nachfolger Goluchowskis zu denken. Wer etwa in Frage komme? ließ sich Sieghart vernehmen. Er denke an den Grafen Potocki, den Statthalter Galiziens. Er trage sich mit dem Gedanken, ihn dem Ministerpräsidenten zu nennen. Ich schließe daraus, daß Potocki ein Freund oder Gönner Siegharts sei. Diese Wolke, die Aehrenthal um sich verbreitete, war, als ich Dienstag abends mit ihm sprach, nicht ganz zerstreut. Er behauptete immer noch, er sei noch nicht entschlossen. Aber aus der Art der Darlegung seiner Gründe schloß ich, daß das Jawort wahrscheinlich sei. Vielleicht will Aehrenthal nur den Schein wahren und loyaler Weise nicht früher offensichtlich seinen Entschluß kundtun, bevor er ihn dem Kaiser eröffnet hatte. Das ist auch vollständig in Ordnung. Von Aehrenthal begab ich mich zu Sieghart, um ihn vom Stande der Dinge zu unterrichten. Als ich ihm sagte, welches mein Eindruck sei, bestätigte er mir das. Auch Schießl habe nachmittags die Ansicht ausgesprochen, seine Annahme sei in Sicht. Hierauf zu Wedel. Ich berichtete ihm, wie die Sache stünde. Er war besonders damit zufrieden, daß ich ihm sagen konnte, Aehrenthal werde ihn kurz nach seiner Ernennung besuchen. Ich sagte Wedel, ich hätte den Eindruck, Aehrenthal werde annehmen. Er dankte mir für diese Eröffnung und behauptete, es sei wichtig, dies aus meinem Munde zu hören; dann glaube er selbst daran. Mittwoch [24. 10. 1906] Aehrenthal hatte Mittag die entscheidende Audienz beim Kaiser und nahm an. Abends um 6 Uhr war ich verabredetermaßen bei ihm. Es sei, so ließ er sich vernehmen, für ihn eine Gewissensfrage gewesen anzunehmen. Denn man müsse sich sagen, es könne der Augenblick kommen, da man sich Vorwürfe machen müsse, abgelehnt zu haben; der Augenblick nämlich, da man manches hätte verhindern können, was geschehen sei. Hierauf bat er "8
Ergänzung.
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mich, ihn auch fernerhin zu unterstützen, er lege Wert darauf. Ich hätte ihn oft über Dinge in der inneren Politik und der Presse unterrichtet, was ihm von Nutzen gewesen sei. Er fragte mich, ob es ratsam sei, sich gleich mit der Presse in Verbindung zu setzen. Ich riet unbedingt hierzu, insbesondere zu einem Interview mit Münz; und indem ich ihm versicherte, daß ich seinen Widerwillen gegen Benedikt und die Neue Freie Presse teile, sagte ich ihm, daß gerade dieses Blatt leicht durch Entgegenkommen zu gewinnen sei. Darauf also wurde zwischen uns festgestellt, daß er einen Vertreter der Neuen Freien Presse und des Wiener Tagblattes, Münz und den Chefredakteur Singer, empfangen werde, und zwar am Donnerstag. Ebenso einen Vertreter eines ungarischen Blattes, den ihm Jettel bezeichnen werde. Hierauf entwickelte mir Aehrenthal, was er Münz zu sagen gedenke. Es waren die Dinge, die am nächsten Freitag früh auch tatsächlich in der Neuen Freien Presse zu lesen waren32. Zwei Dinge fielen mir darin auf. Zunächst eine Stelle über Italien: Es sei seine Überzeugung, daß es keinen Gegensatz der Interessen zwischen den beiden Staaten gebe, und daß man bemüht sein müsse, die Verstimmungen in der öffentlichen Meinung zu überwinden. Dann die Stelle bezüglich Rußlands: Es sei, so sagte er, erwünscht, daß die inneren Wirren in Rußland sich schlössen, und daß die Verfassung wirklich in Kraft trete. Das war liberaler, als ich nach früheren Äußerungen erwartet hatte. In diesem Sinne, so werde er Münz sagen, sollte die österreichische Presse auch wirken. Aber es sei ratsam, schon im Interesse der Juden, daß die Wiener Presse alles unterlasse, was wie eine Unterstützung der Revolution in Rußland aussehen könnte. Ich sprach mich in Bezug auf den ganzen Gedankengang zustimmend aus, nur riet ich ihm, die Stelle über die Juden wegzulassen. Münz denke darüber unbefangen, aber Benedikt sei als Jude sehr empfindlich, und man könne nicht wissen, wie er als Vertreter der jüdischen Interessen - als jüdischer Botschafter in Wien, sagte ich scherzend - diese Einmischung in innere Angelegenheiten der Juden aufnehmen werde. Aehrenthal sah dies ein und brachte die Sache im Gespräch mit Münz nicht vor. An demselben Tage brachten die Zeitungen die Nachricht, Pitreich habe seine Demission gegeben33. Aehrenthal stellte fest, daß sein Rücktritt nicht durch Ungarn veranlaßt worden sei, sondern dadurch, daß sich diesseits der Leitha Klagen über seine Nachgiebigkeit erhoben hätten. Ich glaubte schließen zu sollen, daß hiermit Erzherzog Franz Ferdinand gemeint sei. Diesen Vorwürfen habe [sie!] Pitreich durch das Angebot seines Rücktrittes begegnet. Er habe seine Demission schon im Sommer verlangt, die Sache habe sich verzögert und sei jetzt zur Entscheidung gelangt. Ungarischer 32
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Neue Freie Presse v. 26. 10. 1906, Morgenblatt 1, Die Mission des Freiherrn v. Aehrenthal. Von authentischer, dem Minister nächststehender Seite. Reichskriegsminister Heinrich von Pitreich war am 24. 10. 1906 zurückgetreten und wurde durch Freiherr Franz von Schönaich abgelöst.
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Einfluß sei hierbei nicht von Belang gewesen. Es ist mir vollständig klar, daß der Rücktritt Goluchowski - Pitreich innerlich in Zusammenhange steht. Doch hat Aehrenthal, wie es scheint, auf die Ernennung Schönaichs keinen Einfluß genommen; denn er sagte zu mir, er kenne ihn nicht persönlich; er befragte mich dann, was ich von ihm wüßte, was ich entsprechend meiner Kenntnis der Sachlage beantwortete. Unmittelbar darauf legte Aehrenthal seinen Eid als Minister ab. Nach einigen Tagen der Arbeit ging er nach Budapest. Unterdessen war das Handschreiben an Pitreich und die Ernennung Schönaichs erfolgt. Das Handschreiben war ein Lob Pitreichs und enthielt den merkwürdigen Trost, daß, wenn auch Pitreich Angriffe erfahren habe, er doch in seinem Bewußtsein etc. die Beruhigung finden könne. Dieses Handschreiben trug die Gegenzeichnung Aehrenthals als eine seine ersten Amtshandlungen. Jettel teilte mir darüber mit: Das Handschreiben an Pitreich wurde in der Militärkanzlei entworfen und Aehrenthal im letzten Augenblick vorgelegt. Aus dieser Übereilung erkläre es sich, daß Aehrenthal keinen Einfluß darauf habe nehmen können. Merkwürdig sei die Ernennung Schönaichs gewesen, "bemerkte Jettel weiter.8 Dieser wurde zum Kaiser gerufen, der ihm bganz unversehensb sagte, er wolle ihn zum gemeinsamen Kriegsminister ernennen. Als Schönaich Einspruch erhob, sagte ihm der Kaiser, er erwarte von ihm dieses Opfer, er könne es ihm nicht abschlagen, die Geschäfte zu übernehmen. Übrigens, fügte der Kaiser hinzu, sei seine Ernennung schon vollzogen. Schönaich war ganz überrascht und überrumpelt. Aehrenthal ging einige Tage nach seiner Ernennung nach Budapest. Nach seiner Rückkehr lud er mich zu sich ein und sprach sich verständig über das Verhältnis zu Ungarn aus. Damals waren die Zeitungen voll von der Äußerung Schönaichs, der die Erhöhung des Rekrutenkontingentes für notwendig erklärt hatte34. Es wurde eine Stelle aus dem Pakt vom 8. April 1906 zwischen dem Kaiser und der Koalition veröffentlicht35, aus der hervorging, daß die Koalition die Notwendigkeit der Erhöhung des Truppenkontingents anerkenne. Aber es war sicher, daß das Parlament dazu ohne nationale Konzessionen keine Zustimmung geben werde. Über diese Sachlage äußerte sich Aehrenthal: „Es ist jetzt nicht an der Zeit, die Erhöhung des Truppenkon34
Am 25. 10. 1906 hatte der neuernannte Kriegsminister Franz von Schönaich erklärt, die Erhöhung des Rekrutenkontingents sei notwendig, um die regulären Mannschaftsstände zu erreichen und die Anforderungen anläßlich der Artilleriereform decken zu können. Dies führte vor allem in Ungarn zu heftigen Protesten. Vgl. zu Schönaich als Kriegsminister Walther Hetzer, Franz von Schönaich. Reichskriegsminister 1906-1911, phil. Diss. (Wien 1968). 35 Das geheime „Paktum" vom 4., nicht 8. 4. 1906, das die Grundlage der Regierungsübernahme durch das Koalitionskabinett unter Sändor Wekerle bildete. "" Ergänzung. Ergänzung.
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tingents aufs Tapet zu bringen. Es wäre unklug und hoffnungslos; die Zustimmung der ungarischen Regierung und des ungarischen Parlaments ist ausgeschlossen. Es ist klüger, damit erst im Zusammenhange mit dem ganzen Wehrgesetz hervorzutreten. Denn dann wird die Herabsetzung der Wehrpflicht auf zwei Jahre beschlossen werden müssen, gleichzeitig auch eine Erhöhung des Truppenkontingents, um die notwendigen Cadres für den Friedensstand zu schaffen. Bei diesem Anlasse kann die Verstärkung auch der Artillerie eintreten. Es ist für Abgeordnete schwer, die Wehrlasten zu erhöhen. Aber wenn sie vor der Wahl stehen werden, ob sie die zweijährige Wehrpflicht verhindern sollen oder nicht." Im Zusammenhange damit sagte mir Aehrenthal, er suche jede Gelegenheit, die drei gemeinsamen Minister zu gemeinsamen Beratungen zu bringen. So sollte der Zusammenhang im gemeinsamen Ministerium gefestigt werden. Er sei dessen eingedenk, was ich über die Notwendigkeit des gemeinsamen Ministerrats öfter in der Allgemeinen Zeitung geschrieben [habe]. Unmittelbar vor der Tagung der Delegationen, am Tage vor seiner Abreise nach Budapest, lud mich Aehrenthal zu sich ein. Die Unterredung war anziehend durch sein ruhiges Exponieren, durch die natürliche Offenheit seiner Sprache, aber wenig befriedigend bezüglich der Tatkraft, mit der Aehrenthal sich für meinen Lieblingsgedanken, eine österreichisch-deutsche Suprematie auf dem Balkan einsetzen wolle. Er entwickelte mir die Notwendigkeit einer friedlich besonnenen Orientpolitik Österreichs. Die Erklärungen, die er darüber mit Tittoni ausgetauscht, seien befriedigend. Dem Besuche, den er dem italienischen Botschafter Avarna gemacht habe, sei ein Depeschenwechsel mit Tittoni gefolgt, dessen Inhalt in einigen Tagen veröffentlicht werden solle. In diese Linie gehöre auch die Depesche, die er nach Belgrad zu senden gedenke. Er werde von der Forderung der Bestellung der serbischen Kanonen in Osterreich, die von Goluchowski gestellt worden sei, einfach abgehen und bloß verlangen, daß Serbien sein Zugeständnis, 26 Millionen Francs Staatslieferungen in Österreich zu bestellen, präzisiere und Garantien für sein Versprechen liefere36. Ich verhehlte ihm nicht, daß man dies allgemein für einen schweren Mißerfolg Österreich-Ungarns auffassen werde. Das gab er zu, aber er fragte geradezu, was er denn tun solle, da er die Forderung auf Kanonenbestellungen für übermäßig halte, die man einem unabhängigen Staate wie Serbien nicht auferlegen dürfe. Solle er gegen diese seine bessere Überzeugung handeln? Unmöglich. Viel besser sei es, durch eine loyale gemäßigte Politik das Mißtrauen der Balkanvölker zu beschwich36
Im Frühjahr 1906 erteilte Serbien einen Waffenlieferungsauftrag an die französische Firma Schneider-Creuzot anstatt wie bis dahin üblich an die böhmischen Skoda-Werke. Der neue Außenminister Aehrenthal versuchte, über informelle Kontakte nach Frankreich, die serbische Regierung zur Vergabe zumindest eines Teiles des Auftrages an Skoda zu bewegen, was jedoch nicht gelang.
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tigen und dadurch eine moralisch bessere Position zu erwerben. Deshalb werde er auch in Budapest bemüht sein, die ungarische Regierung endlich zu einem Übereinkommen zu bestimmen, damit die Handelsvertragsverhandlungen mit Bulgarien und Rumänien endlich aufgenommen werden37. Dadurch werde Serbien isoliert und hoffentlich zum Nachgeben bestimmt werden. Das alles leuchtete mir ein, doch konnte ich mich nicht enthalten, die Frage aufzuwerfen, wie er die albanische und mazedonische Frage anzufassen beabsichtige. Er äußerte sich zuerst hinhaltend, auch dann, als ich daran erinnerte, daß er und Pasetti bei einem Souper, das er bei Sacher gegeben hatte, eine tatkräftigere Politik vertraten38. Pasetti hatte nämlich damals den Gedanken vertreten, Konstantinopel den Russen zu lassen, Saloniki in den Machtkreis Österreichs zu ziehen. Aehrenthal wollte es nicht gelten lassen, daß er damals zugestimmt habe, auch seien die Dinge auf dem Westbalkan wieder seitdem schlimmer geworden, da Italien als Wettbewerber aufgetreten sei. Dann aber unterbrach er, ungeduldig werdend, die bis dahin vorsichtige Erörterung und sagte etwas erregt und mit erhobener Stimme: „Es ist doch höchst unbillig von Ihnen, daß Sie von mir wenige Wochen nach meinem Eintritt ins Amt die Aufrollung der Orientfrage verlangen. Noch sitze ich nicht lange im Sattel, noch muß ich dafür sorgen, daß ich meine Ellbogen frei bewegen kann, und schon soll ich nach Ihrer Meinung an die Lösung der allerschwierigsten Probleme gehen. Wahrhaftig, eine solche Zumutung hätte ich von Ihnen nicht erwartet!" Mir gefiel es ausnehmend, daß ich ihn einmal mit starkem Temperament diskutieren hörte; auch war mir seine Lebhaftigkeit ein Beweis dafür, daß er meinem Urteile über sein Vorgehen eine gewisse Bedeutung zumesse. Deshalb überwand ich meine Überraschung über den ausgesprochenen Tadel ohne Mühe und erwiderte ruhig: „Es mag wohl sein, daß meine Frage etwas zu ungestüm war, aber ich kann Ihren Vorwürfen doch ruhig standhalten. Denn ich wollte Klarheit nur deshalb, weil ich Euer Exzellenz mit dem wärmsten Vorurteile ins Amt treten sah, mit dem Vorurteile besonders, daß Sie sich ein klares Bild über die Karte des Balkans gemacht hatten, wie sie sich in zehn Jahren darstellen würde. Ich kann mich deshalb mit Allgemeinheiten zufrieden geben, es wäre denn, daß Sie es für richtiger halten, über Ihre Zukunftspläne mir gegenüber zu schweigen. Das wäre allerdings Ihr gutes Recht." Da lenkte er ein und 37
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Die im Herbst 1905 aufgenommenen Verhandlungen mit den drei Balkanstaaten Serbien, Bulgarien und Rumänien wurden nach Bekanntwerden der geplanten serbisch-bulgarischen Zollunion im Dezember 1905 ausgesetzt. Die Verhandlungen mit Rumänien wurden erst im Frühjahr 1908 wieder aufgenommen und führten am 23. 4. 1909 zum Abschluß eines neuen Vertrags. Mit Bulgarien wurde bis 1912 jeweils lediglich die Meistbegünstigungsklausel jährlich verlängert. Vgl. Bd. 1, S. 277 f.
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sagte: „Nein, ich spreche zu Ihnen ohne Falten. Aber es ist wirklich meine Ansicht, daß Österreich-Ungarn gut daran tut, sich nicht auf die Abenteuer eines Vormarsches nach Saloniki einzulassen. Das, was in Mürzsteg geschehen ist, geschah auf meine Anregung, nahezu in meiner Formulierung39. Auf diesem Wege müssen wir fortschreiten. Bezüglich Albaniens besteht mit Italien eine Abmachung, daß, falls der Status quo gegen unseren Willen nicht mehr aufrecht zu halten sei, die Autonomie des Landes zu schaffen sei. Bezüglich Mazedoniens haben wir Italien nur soviel Ingerenz zugestanden wie den anderen Mächten; dies wollen wir allein mit Rußland ordnen. Wir haben dafür gesorgt, daß die Teile Mazedoniens, wo die Albanesen überwiegen, aus unserem Reformplan ausgeschieden sind, weil sie zu dem künftigen autonomen Albanien geschlagen werden dürften. In Mazedonien werden wir ruhig und langsam weitergehen. Wir werden zunächst an die Justizreform schreiten. Schon hat das Unwesen der bulgarischen Banden nachgelassen, und nur die Griechen geben uns Mühe. Ich habe dem König von Griechenland (der gerade in diesen Tagen in Wien war) nicht verhehlt, wie sehr dies Griechenland schade. Mit größerem Nachdruck möchte ich aber augenblicklich nicht an die mazedonische Autonomie gehen. Iswolski hat es mir bei meinem Abschiedsbesuche in Petersburg vorgeschlagen, ich aber erwiderte mäßigend. Denn ich fürchte, sonst mit Deutschland in Weiterungen zu geraten, das den Sultan schützt, und ich möchte auch nicht englische Politik fördern, die bekanntlich auf ein rascheres Tempo drängt." Als ich dann fragte, wer also, da Österreich-Ungarn ganz uninteressiert bleiben solle, in Mazedonien maßgebend werden solle, da deutete er nur vorsichtig aber doch vernehmlich an, daß er die Bulgaren für das Zukunftsvolk in jenen Gebieten halte, und daß er es für seine nächste Aufgabe halte, Österreich-Ungarn mit Bulgarien in ein gutes Verhältnis zu setzen. Griechenland komme nicht in Frage, höchstens bezüglich gewisser rein hellenischer Distrikte; man kann den Bulgaren das Vordringen ans ägäische Meer auf die Dauer nicht verwehren. Griechenland besitze weder eine Armee noch eine Flotte, es werde kein entscheidender Faktor werden. Er habe mit dem bulgarischen Ministerpräsidenten Stancov sprechen lassen40, und seine jüngste Rede über die auswärtige Lage zeige, daß er willig auf diese Gesichtspunkte eingehe. Mit Hinblick darauf sagte mir der Legationssekretär Tucher, daß Aehrenthal und Stancov in Petersburg viel zusammen waren, sie seien fast Freunde. Damit hatte mir Aehrenthal mit erfreulicher Offenheit seine Pläne entwickelt. Sie entbehren der Größe, sind aber ganz angemessen dem bedächti39 40
Das mazedonische Reformprojekt, das im Herbst 1903 bei einem Treffen Franz Josephs mit Nikolaus II. in Mürzsteg verabschiedet wurde. Dimitar Stancov war seit 14. 11. 1906 bulgarischer Außenminister, nicht Ministerpräsident.
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gen, in der Kälnokyschen Schule zur Reife gediehenen Charakter eines Mannes, dem Waghalsigkeit nicht wohl anstünde. Ich war wohl orientiert und hatte die wohltuende Sicherheit, daß er mir nichts Wesentliches verheimliche. a In diesem Gespräch kam Aehrenthal wieder auf seine Absicht zurück, Österreich mit Deutschland und Rußland zu einer Art Bund zu vereinigen. Sie gehörten zusammen, schon als monarchische Staaten, es entspreche seiner ganzen Auffassung, eine „monarchische Politik" zusammen [zu betreiben]. Da warf ich ein: Man kann nur eine Interessenpolitik machen. Er stimmte zu, hinzufügend, daß er im Notfalle auch Deutschland entgegentreten müßte. Dieser Teil seiner Ausführungen konnte mich naturgemäß nicht befriedigen. 8 Am Tage darauf ging er nach Budapest, wo er sein Expose hielt und die Zustimmung der österreichischen und der ungarischen Delegation fand 41 . Er kehrte hart vor Neujahr zurück und beschied mich am Silvestertag 6 Uhr abends zu sich. Es war ihm offenbar darum zu tun, von mir eine unbefangene Schilderung der Aufnahme zu erhalten, die seine Erklärungen in meiner Umgebung gemacht hatten. Er sagte mir mit Wärme, daß er in den Gesprächen mit mir Anregung fände. Er sei überlastet mit Geschäften, und die Freiheit der Aussprache mit mir sei ihm eine Erholung. Ich dankte ihm für diese herzlichen Worte durch die Offenheit, mit der ich mich über sein Expose äußerte. Ich sagte ihm, daß seine Klarheit und die Schmucklosigkeit die gewollte Schmucklosigkeit (hier nickte er zustimmend) - wohltuend gewesen sei. Aus den anscheinend einfachen Sätzen sprach eine starke Gedankenarbeit. Allerdings hätten manche Beurteiler die allgemeinen Gesichtspunkte vermißt, und die öffentliche Meinung liebe es, daß der Minister eines Großstaates auch rhetorisch eindrucksvoll spreche. Ich selbst hätte dieses Verlangen nicht, aber diese Einwendung sei ausgesprochen worden. Aehrenthal ging auf die Sache ein. Sie wissen, so sagte er, daß ich der Schule Kalnokys angehöre. Es ginge allerdings nicht, stets seinem Beispiele zu folgen, aber aus unserer gleichen Geistesrichtung folge naturgemäß, daß ich in ähnlichen Lagen Verwandtes tue. Auch ihm ist alles Rhetorische ferngelegen. Es könnte übrigens sein, daß ich mein Expose ein anderes Mal anders einrichte, wenn es die Umstände empfehlen. Ich hätte mich schließlich auch diesesmal montieren können, aber ich tat es [nicht], denn ich halte daran fest, daß nur das wirkt, was echt ist. Und ich kann mir sagen, daß ich die gewünschte Wirkung hervorgebracht habe. Wekerle sagte mir zweimal, wenn ich auch solche zustimmenden Worte nicht überschätzen möchte: „Merkwürdig, ich spreche lange und sage wenig, Sie aber haben kurz gesprochen und viel gesagt." 41
Am 4. 12. 1906 hielt Außenminister Aehrenthal sein erstes Expose vor dem Budgetausschuß der österreichischen Delegation. Ergänzung.
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Dann fuhr Aehrenthal fort: Der Vergleich meiner Rede mit der Tittonis (die einige Tage später gehalten wurde) liegt nahe42. Diese Rede war eindrucksvoll, und sie war auch ihrer ganzen Tendenz nach sehr erfreulich. Tittoni hat kräftig die Feindseligkeit gegen Österreich bekämpft. Aber sachlich besteht eine lebhafte Einwendung gegen seine Rede. Und nun kam Aehrenthal darauf zu sprechen, daß Tittoni nicht bloß das bekannte Abkommen Italiens mit Österreich-Ungarn bezüglich Albaniens erwähnte, sondern auch behauptet hatte, die beiden Staaten hätten bezüglich Mazedoniens eine ähnliche Abmachung getroffen. Darüber hatte ich bereits mit Molden und Jettel gesprochen, letzterer bezeichnete diese Angabe Tittonis als unrichtig. Es ist, so bestätigte Aehrenthal, etwas phantastisch, daß wir jemals mit Italien bezüglich Mazedoniens etwas vereinbart hätten. Es besteht bezüglich Mazedoniens nur ein Abkommen mit Rußland, dem die anderen Mächte, Italien eingeschlossen, dann beitraten. Das habe ich Tittoni auch durch den Grafen Lützow sagen lassen. Es entspricht nicht unseren Interessen, diese Fragen zu dreien zu behandeln und zu lösen, das würde nur neue Verwicklungen schaffen. Das Gespräch wandte sich dann dem Verhältnis Italiens zu ÖsterreichUngarn zu, und ich entwickelte die Notwendigkeit, die Schwierigkeiten aus dem Wege zu räumen, die einer Zusammenkunft Kaiser Franz Josephs mit Victor Emanuel III. im Wege stünden. Die Ausschließung der Dynastie Savoyen von der Verbindung mit den katholischen Höfen habe zur Ehe mit der Montenegrinerin geführt43 zum schweren Nachteil für Österreich-Ungarn. Aehrenthal: „Gewiß, es ist unrichtig, daß wir uns in unserer auswärtigen Politik oft von katholisch-kirchlichen Interessen bestimmen ließen. Aber was die Zusammenkunft der beiden Herrscher betrifft, so liegt die Schuld nicht an uns. König Victor Emanuel besuchte, wie bekannt, zuerst den russischen Hof, das österreichische Gebiet umgehend44. Damals erklärte sich Kaiser Franz Joseph bereit, dem König an einem Punke des österreichischen Gebiets entgegenzufahren und mit ihm zusammenzutreffen. Die Sache führte aber zu keinem Ende. Daß aber Kaiser Franz Joseph Rom besuche, lasse sich bei den Gesinnungen dieses Herrschers ihm nicht zumuten. Übrigens
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In einer Rede vor der italienischen Abgeordnetenkammer am 18. 12. 1906 erklärte Außenminister Tommaso Tittoni, daß der Dreibund weiterhin ein Prinzip der italienischen Außenpolitik bleiben werde. Aehrenthal mißfiel jedoch Tittonis Erwähnung einer mazedonischen Autonomie, die seiner Meinung nach dem Mürzsteger Reformprogramm vom Herbst 1903 widersprach. Die katholischen Monarchen weigerten sich aus Rücksicht auf den Papst, der sich als Gefangener im Vatikan betrachtete, den italienischen König in Rom zu besuchen. Die italienische Königin war eine Tochter des montenegrinischen Fürsten (ab 1910 König) Nikola. König Victor Emanuel III. besuchte auf seiner ersten Auslandsreise im Juli 1902 zunächst St. Petersburg und auf der Rückreise Berlin, während er Wien ostentativ mied.
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hat ja auch der Zar den Gegenbesuch in Rom unterlassen, er hat ihn vielmehr abgesagt, nachdem die Vereinbarungen schon weit gediehen waren45. Wir sind also nicht im Rückstände. Übrigens wird Erzherzog Franz Ferdinand als Kaiser vielleicht noch weniger zu einer Romfahrt geneigt sein. Was die Heirat des italienischen Königs betrifft, so lag die Sache so. Er hielt zuerst um die Hand der Tochter des Königs von Griechenland an. Hier erhielt er jedoch einen ganz auffallenden Korb. Die Heirat mit Helene von Montenegro geschah gewissermaßen par depit. Er war bald darauf in Petersburg zu Besuch, sah hier die stattliche montenegrinische Prinzessin, fand Gefallen an ihr, und die Verlobung trat rasch ein. Nun läßt sich nicht leugnen, daß die Verbindung Italiens mit Montenegro für uns ihre Unannehmlichkeiten besitzt. Doch darf man die Wichtigkeit von Familienverbindungen der Höfe nicht überschätzen. Denken Sie an das Beispiel Marie Antoinettes und Marie Louisens! Die Mutter König Victor Emanuels II. war auch eine österreichische Erzherzogin46. Eine Verbindung des jetzigen Königs von Italien mit einer Erzherzogin war doch ausgeschlossen. Übrigens, so deutete Aehrenthal an, ließe sich ein Besuch des Kaisers von Osterreich in Rom, des jetzigen oder des nächsten - Reisen Kaiser Franz Josephs ins Ausland empfehlen sich bei seinem hohen Alter nicht mehr - nur so einleiten, daß die Kurie bestimmt werde, ihre Italien ablehnende Haltung zu mildern. Ich stimmte dem lebhaft zu, und hier wurde ich etwas wärmer, sprach ausführlich über den Nachteil, den die Kirche Österreich-Ungarn zufüge, indem sie ein wärmeres Verhältnis zwischen den Höfen von Wien und Rom verhindere. Die Mißhelligkeiten zwischen Österreich-Ungarn und Italien könnten leichter beglichen werden, wenn sich die Herrscher, dem Willen des Papstes folgend, nicht wenden müßten. Aehrenthal: Es interessiert mich, Ihre Ansicht zu hören, und Sie gaben mir manche Anregung. Vielleicht läßt sich einmal auf die Sache zurückkommen. Doch ließe sich die Sache nur so machen, daß wir auf die römische Kirche selbst in versöhnendem Sinne wirken. Übrigens, sagte er lächelnd hin, hat Graf Goluchowski bereits durch das Veto gegen die Wahl Rampollas Italien einen großen Gefallen erwiesen47. Es war deutlich zu ersehen, daß Aehrenthal gegen diese Aktion Goluchowskis Bedenken hatte. Das Gespräch wandte sich den Eindrücken zu, die Aehrenthal in Budapest von den ungarischen Zuständen gewonnen habe. Ich ersah daraus, daß er einen modus vivendi mit der Koalition für erwünscht halte, wenigstens bis auf 45
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Der Gegenbesuch des Zaren wurde am 12. 10. 1903 abgesagt, als Grund dienten geplante antirussische Kundgebungen in Rom. Erzherzogin Maria Theresia hatte 1816 den späteren König von Sardinien-Piemont Karl Albert geheiratet. Während des Konklaves 1903 erhob Osterreich Einspruch gegen eine mögliche Wahl des Kardinalstaatssekretärs Mariano Rampolla, der als Führer der frankreichfreundlichen Gruppe im Vatikan galt.
Ernest von Koerber
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weiteres. Er verglich Wekerle mit einem Schäferhund, der unaufhörlich seine Herde umkreise, damit sie beisammen bleibe. Die Unabhängigkeitspartei werde wohl nicht vereinigt bleiben können. Ein Teil sei intransigent, ein anderer, besonders die Gruppe Emil Nagy, lerne einsehen, daß die nationalen Forderungen bezüglich der Armee doch zurückgestellt werden müßten. Offenbar sind die Hoffnungen Aehrenthals auf diese Spaltung gerichtet. Die Schwierigkeit liege in der Person und an der Haltung des Grafen Andrässy. Dieser sei nicht geeignet, Mittelpunkt einer neuen Gruppierung zu werden. Er sei moros, ablehnend. Und doch wäre das Natürliche, daß er als führender Mann der Verfassungspartei sich darauf einrichte, einmal das Erbe Wekerles anzutreten. Es war 7 Uhr geworden, und ich weigerte mich bestimmt, länger zu bleiben. Am Silvesterabend gehört jedermann seiner Familie, der ich Aehrenthal nicht entziehen wolle. Wir trennten uns unter herzlichen Wünschen zum neuen Jahre.
Ernest von Koerber, Mitglied des Herrenhauses
Ende Oktober 1906 К 2, U 2, 223 г - 224 ν; Sekretär 3
Er bezog sich auf die Ernennung Aehrenthals und Schönaichs48 und sagte: Die Enthebung Pitreichs und die Ernennung Schönaichs zeigen wieder, wie wenig klug in Osterreich regiert wird. Wenn man eine Erhöhung des Rekrutenkontingentes in Ungarn durchsetzen will, so war es ungeschickt, Pitreich seines Postens zu entheben, da er derjenige ist, der den Ungarn am genehmsten ist. Auch war der Brief an Pitreich ungeschickt und unklar abgefaßt. Ich bin überrascht, daß Aehrenthal seine Unterschrift dazu gegeben hat; nach den früheren Äußerungen Aehrenthals sollte man glauben, daß er von vornherein seinen Rat mit Nachdruck geltend machen werde. Auch die Art, wie der Ministerwechsel stattfand, ist höchst bezeichnend. Schönaich saß in seinem Bureau als Landesverteidigungsminister, als er zum Kaiser berufen wurde. Der Kaiser sagte ihm ganz einfach: „Ich habe Sie zu meinem Reichskriegsminister ernannt und erwarte, daß Sie mir Ihre Dienste nicht versagen werden. Übrigens habe ich die Ernennung bereits vollzogen." Schönaich war im höchsten Grade erstaunt und hatte kaum Zeit, sich zu fassen. Als ich die Frage einwarf, ob dies nur ein „on dit" sei oder auf zuverlässigen Mitteilungen beruhe, erwiderte er: Das ist vollständig zuverlässig. Pitreich wäre übrigens gerne schon früher zurückgetreten, und er hat mir oft gesagt, daß er sich aus dem grauen Hause hinaussehne. Er halte die Aufregungen nicht 48
Die Ernennung des neuen Außen- und Kriegsministers erfolgte am 24. 10. 1906.
November
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aus, es wäre eine Erleichterung für ihn zurückzutreten. Es ist ja richtig, daß Pitreich allzu weich ist und manches verschuldet hat. Man darf aber nicht vergessen, daß er sich in einer überaus schwierigen Lage befand. Das Gespräch wendete sich dann den ungarischen Verhältnissen zu, und ich fragte ihn, ob nicht in einiger Zeit wieder ein Ministerium Fejerväry berufen werden würde49. Er sprach seine Zweifel darüber aus. Infolge des Paktes vom April 1906, durch den die Beamten Fejervärys preisgegeben wurden50, würde es sehr schwer sein, Organe einer derartigen Verwaltung zu finden. Ich setzte demgegenüber die Aussichten eines energischen Regiments auseinander und fügte hinzu: Ich weiß wohl, daß Euer Exzellenz von vornherein dem Ministerium Fejerväry mißtrauisch gegenüberstanden und das Experiment nicht für aussichtsreich hielten, und ich sehe, daß Sie Ihrer Ansicht treu geblieben sind. Darauf die bedächtige und wohlerwogene Antwort: Ich müßte allerdings erst genaueren Einblick in die ungarischen Verhältnisse haben, um zu wissen, ob die Elemente für eine energische Regierung vorhanden sind. Ich erinnere Sie wieder, daß ich zur Zeit des Ministeriums Tisza und der Ausschreibung der Wahlen mich betreffs seiner Aussichten skeptisch verhielt51. Ich habe damit auch dem Kaiser gegenüber nicht zurückgehalten. Man hat mich damals einen Pessimisten gescholten und geglaubt, Tisza werde und müsse es richten. Und damals setzten sich noch ganz andere Elemente für Tisza ein. Dennoch erlitt er eine Niederlage. Soll mich das nicht mißtrauisch stimmen?
Ludwig von Doczi, Sektionschef im Außenministerium
i. P. November 1906 К 2, U 1, 200 г - 202 ν; Sekretär 3
In seinen Mitteilungen war das Interessanteste, daß er mir beweisen wollte, Bismarck habe Österreich-Ungarn zu einem Angriff auf Rußland bestimmen wollen. Dadurch wäre er der Schiedsrichter zwischen den beiden Mächten geblieben, wie immer der Krieg ausgefallen wäre. Kronprinz Rudolf, so erzählte er, war etwa 20 Jahre alt, als er einen Besuch in Berlin machte. Er erstattete einen Bericht über die Reise und erwähnte unter anderem Äußerungen Bismarcks in diesem Sinne. Bismarck sagte nämlich dem Kronprinzen, daß, wenn ein Krieg zwischen Österreich-Ungarn und Rußland entbrennen sollte, Österreich-Ungarn im Falle einer Niederlage vollständig sicher sei, daß es keinen Gebietsverlust und keine Minderung seiner Macht49
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General Geza Fejerväry, seit Juni 1905 Ministerpräsident eines nichtparlamentarischen Kabinetts, wurde Anfang April 1906 durch ein Kabinett unter Sändor Wekerle abgelöst. Vgl. S. 36 f. Vgl. S. 18 f.
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Ludwig von Doczi
Stellung erleiden werde. Deutschland werde dies unter keiner Bedingung zugestehen. Daraus Schloß man in Wien, Bismarck würde einen Krieg zwischen den beiden Mächten gerne sehen. Noch bestimmter geht dies aus Äußerungen Bismarcks zu Szögyeny hervor. Dieser machte eine Reise mit, die Kaiser Franz Joseph und Kälnoky kurz vor dem Sturze Bismarcks in Berlin abgestattet hatten [sie!]52. Heimkehrend diktierte er Doczi" einen Bericht über die Vorgänge, und hier kam auch ein Gespräch Szögyenys mit Bismarck vor. Dieser hatte damals seine ersten Konflikte mit Kaiser Wilhelm II., aber er hatte noch nicht den Eindruck, sein Rücktritt werde notwendig sein; er traute Wilhelm II. nicht den Mut zu, ihn zu entlassen. Bei diesem Anlasse sprach Bismarck seine Verwunderung darüber aus, weshalb Andrässy nicht über die Russen hergefallen sei, als diese vor Konstantinopel standen53. Sie seien damals wehrlos gewesen und würden zu Boden geschlagen worden sein. Über denselben Gegenstand ergab sich eines Tages ein großer Konflikt zwischen Kälnoky und Doczi. Es war dies schon nach dem Tode Andrässys54. In einer Anwandlung von übler Laune fuhr Kälnoky einmal, gereizt über Rußlands Auftreten in Bulgarien, gegen Andrässy los und machte ihm in harten Worten den Vorwurf, er hätte zur Zeit des Berliner Kongresses die Russen angreifen und schlagen sollen; dann würde man alle Unannehmlichkeiten los geworden sein. Doczi war über diesen Ausfall auf Andrässy im höchsten Grade aufgebracht. In hellem Zorn wandte er sich gegen Kälnoky und verteidigte Andrässy etwa in dem Sinne: Natürlich würde es Kälnoky lieb gewesen sein, wenn sein Vorgänger die furchtbare Verantwortung eines Krieges auf sich genommen hätte. Andrässy, so sagte er, sei viel zu klug und gewissenhaft gewesen, um ein solches Abenteuer zu wagen. Er ereiferte sich so, daß Teschenberg, der anwesend war, ihn fest anfaßte und ihn dadurch zur Zurückhaltung und Selbstbeherrschung mahnte. Aus den Mitteilungen Doczis geht hervor, daß er mit Aehrenthal in einem unangenehmen Verhältnisse stand. Als Falke starb55, wurde Doczi dazu bestimmt, sein Nachfolger zu werden. Er stellte seine Bedingungen, auf die man nicht vollständig eingehen wollte. Damals war Aehrenthal noch im Ministerium, und es war die Rede davon, er solle Sektionschef im Ministerium werden, während er aber den Gesandtschaftsposten in Bukarest vorzog. Im Verlaufe der Unterhandlungen sagte Aehrenthal einmal im Gespräche zu Doczi: „Mit den Bedingungen, die man Ihnen angeboten hat, könnten Sie doch wohl zu52
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a
Im August 1889. Läszlo Szögyeny war zu dieser Zeit Erster Sektionschef im Außenministerium. Im russisch-türkischen Krieg 1877/78. Graf Gyula Andrässy war am 18. 2. 1890 gestorben. Freiherr Johann Falke von Lilienstein, Ludwig von Doczis Vorgänger als Leiter des Literarischen Bureaus im Außenministerium, starb 1895. Hier und im weiteren jeweils N für Doczi im Original gesetzt.
November
1906
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frieden sein." Da fuhr Doczi auf und sagte: „Ich bitte, haben denn Sie mir etwas anzubieten?" Als nun Aehrenthal zum Botschafter ernannt werden sollte, warnte Doczi den Grafen Goluchowski. Er wendete nichts Persönliches gegen Aehrenthal ein, wohl aber stellte er fest, daß dieser allzu russenfreundlich sei und Österreich-Ungarn in Abhängigkeit von dieser Macht bringen könne. Darauf erwiderte Goluchowski: „Aehrenthal wird die Politik machen, die ich ihm vorschreiben werde." Damals entwarf Aehrenthal für sich die Instruktion, die ihm nach Petersburg mitgegeben werden sollte56. Goluchowski war mit dem Entwurf nicht zufrieden und setzte einen anderen an dessen Stelle. In diesem Berichte kam bezüglich Konstantinopels eine eigentümliche Wendung vor. Es hieß dort nämlich ungefähr: Rußland werde wohl selbst keine Ansprüche auf Konstantinopel erheben, da es klar sei, daß Österreich-Ungarn für diese Konzession solche Kompensationen fordern müsse, die Rußland schlechterdings nicht zahlen könne. Als Doczi den Entwurf gelesen hatte, machte er nicht das geringste Zeichen der Zustimmung. Er hatte das Prinzip, Goluchowski, der ihn vielfach zu befragen pflegte, für seine Niederschrift im allgemeinen mit Lob zu überschütten, um dann im Detail umso stärkere Einwendungen erheben zu können. Diesmal aber verzog er keine Miene. Goluchowski war befremdet und fragte ihn, was er auszusetzen habe. Doczi erwiderte, jener Satz bedeute doch ein Angebot an die Russen, Konstantinopel zu nehmen. „Wieso?" erwiderte Goluchowski. „Es ist doch deutlich gesagt in diplomatischer Sprache, daß wir es nicht dulden könnten, weil wir doch dafür einen großen Teil der Balkanhalbinsel für uns fordern müßten." Darauf antwortete Doczi mit einer saftigen Anekdote, die er Goluchowski erzählte: Eine Frau geht über den Graben, ein Herr nähert sich ihr und fragt sie, ob er sie nach Hause begleiten dürfe. Entrüstet erwidert die Dame: „Mein Herr, wie können Sie es wagen, mich für eine solche zu halten? Und wenn Sie mich dafür halten, ist hier der Platz, mir ein solches Angebot zu machen? Und wenn Sie mir ein solches Angebot machen, wieviel wollen Sie zahlen?" Goluchowski war von diesem Einwände, wie es scheint, überzeugt, denn der verhängnisvolle Satz verschwand aus den Instruktionen Aehrenthals. Doczi überträgt überhaupt die Grundsätze des Grafen Andrässy auf die jetzige politische Lage. Er behauptet, daß in dem ersten Expose Aehrenthals vom 4. Dezember 1906 die Beziehungen zu Deutschland zu kühl, die zu Rußland zu warm hervorgehoben seien57. Es sei durchaus verfehlt, was Aehrenthals Plan 56
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Vgl. dazu die Denkschrift Aehrenthals vom 31. 12. 1898 in Briefe und Dokumente zur Geschichte der österreichisch-ungarischen Monarchie unter besonderer Berücksichtigung des böhmisch-mährischen Raumes, hrsg. von Ernst Rutkowski. Teil 1 (München Wien 1983) 581-590. Außenminister Aehrenthal bezeichnete in seinem Expose vor den Delegationen die Beziehung zu Deutschland als „enge Freundschaft, die auf der Gemeinsamkeit der Interessen beruht." Mit Rußland verbinde die Monarchie eine „aufrichtige Freundschaft", deren Pflege auch weiterhin sein Hauptaugenmerk gelte.
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Мвдог Eduard von Steinitz
zu sein scheint, ein Dreikaiserbündnis herzustellen. Bei einem Dreikaiserbündnisse müsse Österreich-Ungarn bei jedem auf dem Balkan unternommenen Schritte sich erst die Erlaubnis der beiden anderen Mächte holen. Anders, wenn Österreich-Ungarn mit Deutschland fester verbunden sei, dann könne es der Gefahr eines Krieges mit Rußland kühn ins Auge sehen. Man könne noch begreifen, daß man früher um Rußland geworben habe, aber schon die Mürzsteger Verabredungen58 seien ein großer Nachteil. Damals war aber Rußland noch eine imponierende Macht, jetzt gleiche es einem Riesen, der sich in epileptischen Krämpfen auf der Erde wälze. Es sei unsinnig, sich in Abhängigkeit von ihm zu setzen. Was Österreich-Ungarn auch immer wage, Rußland werde ihm keinen Widerspruch entgegensetzen können. Ich sagte Doczi, daß, wenn ich im Gespräche mit Aehrenthal darauf hinweise, Andrässy hätte die Verlegenheit Rußlands mutig benutzt, [Aehrenthal] zu antworten pflege: Zur Zeit Andrässys waren die Spaltungen in der österreichisch-ungarischen Monarchie noch nicht so tief, und man konnte mehr wagen. Andrässy war doch, wenn auch nicht dem Namen nach, so doch in der Sache, noch ein wirklicher Reichskanzler. Dies ließ Doczi nicht gelten. Andrässy sei nur eine bedeutendere Persönlichkeit gewesen, das sei der ganze Unterschied.
Msyor Eduard von Steinitz, Militärhistoriker im Kriegsarchiva
November 1906 К 2, U 5, 629 г - 630 г; Sekretär 3
Beck ist eine hausbackene Natur ohne Schwung und ohne Genialität; aber mit kräftigem, gesundem Menschenverstand faßt er die Sachen am richtigen Ende an und war deshalb in der Erledigung der Geschäfte überwiegend glücklich. Durch Nebendinge, durch Phrasen läßt er sich in seinem Urteil nicht beirren, sondern geht nüchtern auf die Sache los. Als ich mein erstes Buch über den Krieg von 1866 schrieb59, gab mir Beck über seinen Anteil an den Operationen eine Mitteilung, die mir in dieser Form nicht brauchbar erschien. Er hatte, wie ich auch erzählt habe, den Plan für den Abmarsch der österreichischen Armee aus Olmütz entworfen. Dieser Entwurf war aber unglücklich, weil er das Heer direkt in die Arme der zweiten preußischen Armee geführt hätte. Ich mußte besorgen, ihn bloßzustellen, wenn ich die Sache in der Form
Das mazedonische Reformprogramm, das nach einem Treffen Kaiser Franz Josephs mit Zar Nikolaus II. in Mürzsteg im Herbst 1903 veröffentlicht wurde. 59 (Eduard Ritter von Steinitz,) Die kritischen Tage von Olmütz im Juli 1866. Vom Eintreffen des Hauptquartiers der Nordarmee in Olmütz am 9. bis zum Abende des 15. Juli. Mit Benützung der Feldakten des k.und k. Kriegsarchivs bearbeitet von einem Generalstabsoffizier (Wien 1903). * Randbemerkung durch Friedjung: Beck Generalstabschef. 58
Ende 1906, Anfang 1907
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veröffentlichte. Da ich aber als ein ihm untergebener Offizier ihn nicht für seinen Plan verantwortlich machen konnte, schrieb ich an den Sohn Becks, meinen Kameraden im Generalstab, setzte ihm meine Bedenken auseinander und bat ihn, in einem Gespräch mit seinem Vater meine Bedenken vorzubringen. Beck schickte den Brief ganz gegen meine Absicht sofort an den Generalstabschef, der mich zu sich beschied. Als ich nun meine Einwendungen vorbrachte, sagte Beck in seiner gewöhnlich kühlen, fast übellaunigen Weise, ich solle die Dinge in meinem Buche nur so bringen,wie er sie entworfen hatte. War diese Auskunft das Ergebnis des Alterseigensinnes oder liegt darin ein großer Zug seitens des Generalstabschefs, der die geschichtliche Wahrheit nicht verhüllen wollte? Ich bin mir darüber nicht klar. Als mein Buch erschien, erhielt ich von General von Lettow ein Schreiben, in dem er, auf den unglücklichen Marschplan hinweisend, seine Verwunderung aussprach, daß Beck einen so unglücklichen Gedanken gehabt habe.
Emil Jettel von Ettenach, Leiter des Bureaus des Außenministeriumsa
Literarischen [Ende 1906, Anfang 1907] К 2, U la, 39a г - 40a г
Mehrmals sprach ich dann mit Jettel. Das erste Mal noch vor dem soeben erzählten Gespräch60, als Aehrenthal sich noch in Budapest befand. Jettel las mir, offenbar auf Weisung Aehrenthals, einige interessante Schriftstücke vor, Stellen sowohl aus der Petersburger Übereinkunft, die am 24. Februar 1903 zwischen Österreich-Ungarn und Rußland bezüglich der Reformen in Mazedonien abgeschlossen worden sei61, wie der Mürzsteger Abmachung vom 2. Oktober 1903 (das Datum vielleicht nicht genau)62. Auf Grund dieser Mitteilungen schrieb ich im Dezember einen Artikel für die Allgemeine Zeitung, in dem ich mit Hinblick auf alle diese Vorgänge die Behauptungen Tittonis richtigstellte, daß zwischen Österreich-Ungarn und Italien eine Abmachung bezüglich Mazedoniens bestehe63. Dieser Artikel ist historisch nicht unrichtig. Doch ist die Unrichtigkeit darin, daß die bzum Frieden mahnenden b Noten Österreich-Ungarns und Rußlands an die Balkanstaaten 1902 abgesendet worden seien, während sie tatsächlich schon 1897 abgingen. 60
Vgl. S. 47-50. Am 25. 2.1903 wurde in St. Petersburg ein Kommunique veröffentlicht, in dem die zwei Tage zuvor dem Sultan übermittelten Reformvorschläge bekanntgegeben wurden. 62 Das Treffen der beiden Monarchen in Mürzsteg, bei dem ein Reformprogramm für Mazedonien verabschiedet wurde, fand vom 30. 9.-3. 10. 1903 statt. 63 Allgemeine Zeitung München v. 31. 12. 1906, 2-3, Die Zukunft des Balkans. Von unserem Wiener Korrespondenten. " Die Aufzeichnung schließt unmittelbar an Aehrenthal, 23.10.-31.12.1906 (S. 39-50) an. Ergänzung. 61
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Emil Jettel von Ettenach
Fast noch wichtiger ist, was mir Jettel am 14. Jänner 1907 erzählte. Der Herzog Avarna hat sich über ihn beklagt. Er beschwerte sich, daß Jettel jedermann gegenüber darlege, Tittoni habe Unrichtiges bezüglich Mazedoniens behauptet. In diesem Sinne beeinflusse er die Presse. Nun aber, darauf berief sich Tittoni, habe ihm Goluchowski bei ihren Zusammenkünften bezüglich Mazedoniens alles das eröffnet, was er in seiner großen Rede bloß wiederholt habe64. Darauf wurden im auswärtigen Amte Nachforschungen angestellt, und es hat sich herausgestellt, daß Goluchowski im Gespräche tatsächlich Ähnliches über die Zukunft Mazedoniens geäußert hat. Aber die Sache hatte noch ein anderes Nachspiel. In Konstantinopel war man unruhig geworden, und der Großvezir wandte sich an den österreichischen und den italienischen Botschafter, ob wirklich Vereinbarungen ihrer Regierungen bezüglich einer künftigen Autonomie Mazedoniens bestünden. Das haben sie dann beide begütigend in Abrede gestellt. Es ist, so sagte Jettel, eine günstige Wirkung der Rede Tittonis, daß die Pforte von Mißtrauen gegen Italien erfüllt sei. Das Verhältnis Goluchowskis und Aehrenthals war nicht gut, erzählt Jettel. Zur Zeit der Mürzsteger Zusammenkunft kam es sogar zu einem Demissionsanerbieten Aehrenthals. Dieser verlangte, zugezogen zu werden, entweder - oder. Darauf ließ man ihn teilnehmen. Goluchowski empfand aber immer gegen ihn Mißtrauen, wie begreiflich, da er als sein Nachfolger genannt wurde. Zufallig sprach auch Koerber mit mir in diesen Tagen über das Verhältnis Aehrenthal zu Goluchowski und dem Kaiser. Es gab eine Zeit, da der Kaiser so unwillig über Aehrenthal war, daß er eine Audienz jähe abbrach und ihm zum Abschiede nicht einmal die Hand reichte. Aehrenthal habe Koerber dies selbst erzählt. Doch scheint es, daß es sich hier um einen und zwar späteren Zeitpunkt handelt.
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Vgl. zur Rede des italienischen Außenministers Tommaso Tittoni am 18. 12. 1906 S. 48 Anm. 42.
14. Jänner 1907
Ernest von Koerber, Mitglied des Herrenhauses
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14. Jänner 1907 К 2, U 2, 220 г - 2 2 1 ν
Ich fragte ihn, ob ader Kaiser® noch die Fähigkeit besitze, sich die Konsequenzen seines Handelns klar zu machen. Er verneinte es aufs Bestimmteste. Er habe überhaupt stets nur den Wunsch gehegt, über die Schwierigkeit des Augenblicks, etwa die nächsten drei Monate hinwegzukommen. Auf weiter hinaus denke er nicht. Jetzt in seinem Alter gewiß nicht. Ich bat ihn um Auskunft, wie die Wahlreform zustandegekommen sei1. Koerber sagte: Fejerväry hatte bekanntlich mit Kristoffy die Anregung gegeben. Gautsch und Goluchowski hatten widersprochen. Fejerväry sagt jetzt selbst, er müsse sich an den Kopf greifen, wenn er gewahre, was jetzt in Österreich geschehe. Dann kam der bekannte Mehrheitsbeschluß des Abgeordnetenhauses für die Wahlreform2. Da nun erwogen Gautsch und besonders Bylandt-Rheidt, daß es eine Kräftigung der Regierung sei, wenn sie den Grundsatz des allgemeinen Wahlrechts aufgreife. Bylandt war das treibende Element. Er stellte Gautsch dar, daß den Parteien auf diese Weise das Schlagwort genommen werde; es sei ohnedies nicht anzunehmen, daß die Schwierigkeiten selbst überwunden werden. Dann kamen die Arbeiterunruhen, besonders in Böhmen, die bekannten Berichte des böhmischen Statthalters3. Nicht der Kaiser gab den Anstoß zu der Reform, gewiß nicht, dafür könne Koerber die Hand ins Feuer legen. Zweimal wiederholte er diese emphatische Versicherung. Die Sache wurde dem Kaiser vielmehr von außen suggeriert. Als dann die Vorlage gemacht war4, als man sich engagiert hatte, 1
Am 26. 1. 1907 sanktionierte Kaiser Franz Joseph die Wahlreformgesetze, wodurch das allgemeine, gleiche Männerwahlrecht für das österreichische Abgeordnetenhaus eingeführt wurde. In Ungarn hatte Innenminister Jozsef Kristoffy im Juli 1905 den Plan der Einführung des allgemeinen Männerwahlrechts als Mittel zum Kampf gegen die parlamentarische Obstruktion vorgestellt, die Reformgedanken wurden jedoch nach der Einsetzung der Koalitionsregierung unter Sändor Wekerle im April 1906 nicht weiter verfolgt. 2 Am 5. 10. 1905 hatte das österreichische Abgeordnetenhaus über sieben Dringlichkeitsanträge an die Regierung zur Einführung des allgemeinen, gleichen Männerwahlrechts abgestimmt. Zwar wurde die für die Annahme erforderliche Zweidrittelmehrheit verfehlt, aber eine eindeutige Mehrheit der Abgeordneten (155 gegen 114) sprach sich für die Anträge aus. 3 Anfang November 1905 kam es in ganz Osterreich unter dem Eindruck der russischen Revolution zu großen Wahlrechtsdemonstrationen der Sozialdemokratie. In Prag wurden am 5. und 6. 11. 1905 Barrikaden errichtet, der Statthalter Graf Karl Coudenhove verlangte darauf die Verhängung des Ausnahmezustandes. Die Bewegung in Böhmen nahm zusätzlich einen tschechisch-nationalen Charakter an. 4 Am 28. 11. 1905 hatte Ministerpräsident Paul von Gautsch im Abgeordnetenhaus den Plan zur Einführung des allgemeinen, gleichen Männerwahlrechtes bekanntgegeben. Am 23. 2. 1906 wurden die entsprechenden Gesetzesentwürfe, die auch eine Geschäftsordnungsreform beinhalteten, von der Regierung eingebracht. "" Gestrichen und ersetzt durch K.
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E r n e s t von Koerber
da wurde ihm wieder vorgestellt, daß es die Ehre der Krone erheische festzuhalten. Bestimmt stellte Koerber in Abrede, daß größere Gesichtspunkte, etwa die Demütigung des ungarischen Adels, mitgespielt hätten. Er halte das absolut für ausgeschlossen. Das Ministerium Gautsch - Bylandt wollte sich [in] eine gute Situation bringen, das war die Haupttriebfeder. Es wäre nun wichtig zu wissen, ob Koerber bei dieser pessimistischen Darstellung der Sachlage von Rancune gegen den ihm feindseligen Gautsch geleitet ist, oder ob er den Kern trifft. Ich kann mir das letztere schwer denken, denn dann ist das Verhalten des Kaisers ganz merkwürdig. Beck, so erzählte er, sei innerlich kein Anhänger des allgemeinen Wahlrechts. Als er vor der Abstimmung5 einem aristokratischen Mitglied nahelegte, dafür zu stimmen und ihm Versprechungen machte, lehnte dieser bestimmt ab, seine Überzeugung, so sagte er, sei ihm nicht feil. Darauf habe Beck gesagt: Eigentlich teile er diese Uberzeugung. Ich muß nun sagen, daß diese Erzählung nicht viel Wahrscheinlichkeit für sich hat. Der Erzherzog Franz Ferdinand ist nach wie [vor ein] Gegner der Wahlreform. Darüber ist ein hübsches, unbedingt sicheres Histörchen lehrreich. Ein polnisches Herrenhausmitglied befand sich in Gesellschaft der Grafen Badeni und Wodzicki. Der eine sagte ihm, er habe ihm eine Botschaft des Kaisers mitzuteilen, der andere, er habe vom Erzherzog eine andere. Der erstere drückte ihm die ernste Willensmeinung des Kaisers aus, er solle für das Wahlrecht stimmen, der letztere das Gegenteil. Besonders hatte Wodzicki den Auftrag, ihm zu sagen, es sei ganz unrichtig, daß der Erzherzog, wie verbreitet worden sei, seine Ansicht geändert habe. Dieses Geschichtchen, so sagte Koerber, teile er mir als Beitrag für die Geschichte unserer Zeit mit. Darauf fragte ich ihn, wie es denn komme, daß Beck, der Vertrauensmann des Erzherzogs, sich so gegen die Absichten des letzteren stelle. Darauf die halbe, bloß andeutende Antwort Koerbers: Er wolle eben auch eine Zeitlang Ministerpräsident sein, der Erzherzog werde sich schließlich, so hoffe er, doch ihm wieder zuwenden. Von anderer Seite hörte ich, Beck erstatte, mit Erlaubnis des Kaisers, dessen Zustimmung er eingeholt hatte, vom Tage seines Eintritts ins Ministerium, dem Thronfolger regelmäßige politische Berichte. aKoerber habe dem Kaiser stets bestimmt seine Meinung geäußert. Der Kaiser habe ihm auch nie in einem Punkte zuwidergehandelt. Im Gegenteil, der Kaiser habe eine Art Scheu vor ihm gehabt.® Koerber bestätigte, daß die drei Parteien des Herrenhauses sich in der Bestimmtheit überboten hätten, gegen die Wahlreform zu stimmen. Auch ihn habe man dazu werben wollen. Er habe darüber so bestimmte Äußerungen gehört, daß er erstaunt Am 1. 12. 1906, bereits unter dem Ministerium Max Vladimir von Beck, hatte des Abgeordnetenhaus die Wahlrechtsreform verabschiedet; am 21. 12.1906 stimmte auch das Herrenhaus zu. """ Ergänzung. 5
Jänner 1907
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war. Aber er war immer skeptisch, daß der Widerstand ausdauern werde. Koerber legte nun dar, welches die Haltung des Herrenhauses hätte sein sollen. Es hätte schon in der bekannten Dezemberdebatte 1906 [sie!] nicht eine so unbedingte negative Haltung einnehmen sollen6. Damals hätten vielmehr die politischen Vorschläge und Bedingungen formuliert werden sollen. Diese Gesichtspunkte hätten dann der Regierung auch ihre Haltung bei der Ausarbeitung der Vorlage erleichtert. Von sonstigen Äußerungen war wieder die über Ungarn bemerkenswert. Hier trat seine stets wiederholte Auffassung zu Tage, daß ein modus vivendi mit Ungarn zu suchen sei. Unser Vorteil an der Zollunion sei noch immer so groß, daß man ihre Fortdauer noch immer durch Konzessionen erkaufen könne, ohne Osterreich zu wehe zu tun. Es werde doch nur eine ähnliche Abmachung möglich sein, wie er sie mit Szell geschlossen7. Der Kaiser wechsle seine Meinung sehr rasch. Ihm habe der Kaiser bezüglich Gautsch noch am Tage seines Rücktrittes gesagt, von ihm könne nicht die Rede als Ministerpräsidenten sein. Das ist wahrscheinlich eine Art Scheu und Furchtsamkeit, etwas Unangenehmes zu sagen. Ahnlich habe [der] Kaiser zu Badeni über Gautsch gesprochen.
Kaiman Κάηία de Känya, stellvertretender Leiter des Literarischen Bureaus des Außenministeriums Jänner 1907 К 2, U la, 40a r-v, 41a r [Im] Jänner 1907 teilte mir Konsul Kania mit: Der neue Botschafter in Petersburg Graf Berchtold übersandte äußerst günstige Meldungen über den Zaren. Dieser sagte ihm, Österreich-Ungarn peut compter sur moi. Und er fügte, was noch bedeutsamer ist, hinzu, daß Rußland und Österreich-Ungarn gemeinsam das mazedonische Reformwerk fortsetzen sollten, unter Ausschluß jeder anderen Macht. Goluchowski hat Kania erzählt: Man sagt, daß der Thronfolger ihm unfreundlich gesinnt sei. Er könne darüber selbstverständlich nichts sagen, soweit es sich um innere Vorgänge beim Thronfolger handle. Doch habe er keinen Grund, ihm zu zürnen, da er sich beim Kaiser dafür eingesetzt habe, ihm die Ehe mit der Gräfin Chotek zu gestatten 8 . Er begründete dies beim Kaiser damit, daß sonst ein zweites Mayerling zu fürchten sei. Allerdings, so 6
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Gemeint ist die Debatte im Anschluß an die Erklärung des Ministerpräsidenten Paul von Gautsch über die Wahlrechtsreform im Herrenhaus am 1. 12. 1905, nicht 1906. Die Pläne der Regierung stießen dabei auf einhellige Ablehnung. Der nicht in Kraft getretene, am 31. 12. 1902 geschlossene Ausgleich. Erzherzog Franz Ferdinand hatte am 1. 7. 1900 Gräfin Sophie Chotek in morganatischer Ehe geheiratet, nachdem er am 28. Juni feierlich auf alle Thronfolgerechte für ihre Kinder verzichtet hatte.
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Baron Leopold von Andrian
fügte Goluchowski hinzu, habe er in einer früheren Zeit, als die Gesundheit des Erzherzogs Franz schlecht war, zu denjenigen gehört, die seiner Entsagung auf den Thron das Wort sprachen. Känia erzählte noch, er habe im Sommer mit dem Grafen Szechenyi, dem Schwiegervater Aehrenthals, gesprochen. Auch über seine Aussichten zum Ministerium; und da habe Känia gemeint, es würden sich Schwierigkeiten ergeben wegen der Auffassungen Aehrenthals über Ungarn. Da habe ihm Szechenyi gesagt: Er wird schon Wasser in seinen Wein gießen.
Baron Leopold von Andrian, Legationsrat im Außenministerium
Jänner 1907 К 2, U la, 40a ν - 4 1 a г
Baron Leopold Andrian, der 1906 bei der Botschaft in Petersburg war, erzählt mir bei einem Besuche Jänner 1907: Auf der Botschaft in Petersburg seien sie alle sehr überrascht gewesen, als Aehrenthal Minister wurde. Sie erfuhren es erst am Tage vor der Ernennung. Im Laufe des Sommers haben Aehrenthal und seine Frau sogar mehrfach davon gesprochen, daß er in nicht ferner Zeit zurücktreten werde. Sie sprachen davon, daß er eine Villa in Gmunden bauen oder kaufen werde; sie beschäftigten sich sogar mit der Prüfung von Bauplänen. Andrian ließ sogar einfließen, sie könnten doch die Besitzung seines Vaters in Alt-Aussee kaufen. Vielleicht, so meint Andrian, war es damals noch nicht entschieden, wie die Krise in Wien endigen werde, und Aehrenthal zog eben mehrere Möglichkeiten in Betracht. Auf der Botschaft wußten sie nicht, wie es stünde. Zur Zeit des Rücktrittes Goluchowskis befand sich der Militärattache Hohenlohe gerade in Wien, und da er gute Verbindungen besitzt, bat ihn der Botschaftsrat (Fürstenberg, wenn ich nicht irre9) um telegraphische Mitteilung, ob es wahr sei, daß, wie die Neue Freie Presse meldete, Mensdorff Minister werden solle10. Darauf telegraphierte Hohenlohe nach Petersburg: Wahrscheinlich wird es der Unserige. Das war ihre erste Nachricht. Es scheint, daß Franz Ferdinand auf die Ernennung Aehrenthals hingewirkt habe. Als die Baronin Aehrenthal mit ihren Kindern nach Österreich reiste, und es hieß, Aehrenthal begleite sie bloß und bleibe nur kurze Zeit in Wien, da fuhr er nach Konopischt zu dem Erzherzog, den er also in dieser wichtigen Krise besucht hat. Das, so bat Andrian, sei ganz vertraulich zu behandeln. 9 10
Prinz Karl Emil zu Fürstenberg. Neue Freie Presse v. 21. 10. 1906, Morgenblatt 2-3. Darin werden zunächst die Botschafter Graf Albert Mensdorff, Aehrenthal und Graf Rudolf Khevenhüller als aussichtsreichste Kandidaten erwähnt sowie anschließend drei Artikel über Mensdorff gebracht.
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März 1907
Freiherr Alois Lexa von Aehrenthal, Außenminister
"Februar 1907" К 2, U la, 42a r,ν; Sekretär 3
Meiner Ansicht nach stehen im Augenblick nicht die militärischen, sondern die volkswirtschaftlichen Angelegenheiten im Mittelpunkte der Reichsinteressen. Die Zukunft kann sich nur dann günstiger gestalten, wenn es gelingt, mit der Koalition11 eine Verständigung in Bezug auf die Zollfrage auch über 1917 hinaus zu erzielen. Dann können wir auch mit dem Auslande wieder langfristige Handelsverträge schließen. Dagegen empfiehlt es sich nicht, jetzt schon die Erhöhung des Rekrutenkontingents in den Vordergrund zu stellen. Es wäre klüger, damit zu warten, bis das neue Wehrgesetz dem ungarischen Parlament vorgelegt wird. Darin wird die zweijährige Dienstpflicht festgelegt und ein ganz anderes Rekrutenkontingent vorgeschlagen werden. Bei diesem Anlasse könnte man auch an die Verstärkung des Kontingents für die Artillerie denken. Man kann es den Volksvertretern nicht verargen, wenn sie sich schwierig zeigen bei der Frage der Erhöhung des Kontingents. Anders, wenn sie im Zusammenhang mit der Einführung der zweijährigen Dienstpflicht gefordert wird, und dann gibt es auch für die Abgeordneten ein ernstes Motiv zuzustimmen.
Emil Jettel von Ettenach, Leiter des Literarischen Bureaus des Außenministeriums März 1907 К 2, U la, 43a r-v; Sekretär 3 Auf dem Empfange bei dem Minister Bienerth ging Ministerpräsident Beck auf mich zu und begann ein Gespräch über die Beziehungen des Ministeriums des Äußern zu Osterreich und Ungarn. Er beklagte sich, daß Baron Aehrenthal sich auf die ungarische Seite neige, und fügte die Drohung hinzu, daß er darob in den Delegationen auf Schwierigkeiten stoßen könne. Es sei wohl möglich, daß einmal auch von der österreichischen Delegation ein Angriff auf einen Minister des Äußern stattfinden könnte, wie er gegen Goluchowski mit Erfolg unternommen wurde. Es sei doch merkwürdig, daß vom Ministerium des Äußern so häufig gegen österreichische Kabinette feindselig vorgegangen werde. Der Reihe nach seien mehrere österreichische Ministerpräsidenten durch den Grafen Goluchowski gestürzt worden. Wolle Baron Aehrenthal in derselben Art fortfahren? Übrigens habe, wenn Feindseligkeiten eröffnet werden, die österreichische Regierung ein Mittel in der 11
Die ungarische Regierungskoalition aus Unabhängigkeits- und Verfassungspartei. Korrigiert durch Friedjung von März 1907.
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Jozsef Kristoffy
Hand, um sich gegen das gemeinsame Ministerium zu wehren. Das erste, was sie tun werde, und darüber sei sie sich vollkommen klar, das sei, den Ertrag der Zollkassen zurückzuhalten und ihn nicht an das gemeinsame Ministerium abzuführen. Die österreichische Regierung werde nicht zögern, von diesem Mittel Gebrauch zu machen. Darauf erwiderte Jettel", es sei ganz ungerecht, Aehrenthal diese Absicht zuzutrauen, man habe auch in Bezug auf Goluchowski die Dinge übertrieben. Man könne nur davon sprechen, daß Prinz Hohenlohe von Goluchowski gestürzt worden sei. Was aber die ausgesprochene Drohung betreffe, so sei sie belanglos, denn das Gesetz bestimme ausdrücklich, daß die Zolleinnahmen abgeliefert werden müssen, und es liege nicht im freien Belieben einer der beiden Regierungen, sie zurückzubehalten. Es versteht sich von selbst, so fügte Jettel hinzu, daß ich Aehrenthal über jene merkwürdigen Äußerungen Bericht erstattet habe.
Jozsef Kristoffy, ungarischer
Innenminister a. D. [März 1907] К 2, U 3, 346 г - 349 ν; Sekretär 3
Kristoffy erzählte mir auf meine Frage, wie er zu seinen demokratischen Ansichten gekommen sei: Schon als Komitatsbeamter wandte er der Lage der arbeitenden Klassen seine Aufmerksamkeit zu und beklagte den Druck, der in Ungarn seitens der Latifundienbesitzer und überhaupt des Grundbesitzes auf das Landvolk ausgeübt wird. Dann machte er Reisen nach Deutschland und Italien, lernte die Wirkung des allgemeinen Wahlrechts kennen, und als ihn Tisza zum Obergespan des Szatmarer Komitates ernannte, stand er innerlich bereits im Gegensatze zur aristokratischen Regierung Ungarns. Mit Tisza ist er seit vielen Jahren nahe befreundet, schätzt ihn als Charakter und als Mann von ernster Uberzeugung, der sich in ihr nicht irre machen läßt. Aber Tisza lehnte, als Kristoffy ihm als Ministerpräsidenten einmal von der Notwendigkeit der Reform des Wahlrechtes sprach, diesen Gedanken schroff ab. Tisza ist grob in seinen Äußerungen und sagte kurzweg: „Du hast immer so unreife Ideen!" Indessen blieb ihr Verhältnis intim, und Tisza war es, der Kristoffy zum Minister des Innern empfahl. Kristoffy befand sich in Marienbad zur Kur, als er ein Telegramm Fejervärys erhielt, welcher ihn einlud zurückzukehren, da er ihm Wichtiges mitzuteilen habe. Fejerväry eröffnete ihm, daß er ihn zum Minister des Innern ernennen wolle. Kristoffy war einverstanden, aber nur unter der Bedingung, daß er das allgemeine Wahlrecht propagieren dürfe12. 12
In Ungarn hatte Innenminister Jozsef Kristoffy im Juli 1905 den Plan der Einführung des allgemeinen Männerwahlrechts als Mittel zum Kampf gegen die parlamentarische Obstruktion vorgestellt, dieser Reformgedanke wurde jedoch nach der Einsetzung der Koalitionsregierung unter Sändor Wekerle im April 1906 nicht weiterverfolgt. " Statt Jettel jeweils X im Original gesetzt.
März 1907
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Dieses Prinzip, so setzte er Fejerväry auseinander, sei das einzige Mittel, um die Koalition überwältigen zu können. Fejerväry war einverstanden, jedoch sollte Kristoffy nur das Recht haben, das allgemeine Wahlrecht als seine Privatanschauung zu propagieren. Dies wurde auch dem König gemeldet, der er befand sich damals in Ischl - schriftlich mitteilen ließ, er gebe hierzu seine Zustimmung. Das allgemeine Wahlrecht war also damals nicht Programm der Regierung, sondern bloß des Ministers des Innern. Jetzt, März 1907, ist die Lage in Ungarn so, daß die Koalition tief erschüttert ist. Im Lande ist man allgemein unzufrieden und enttäuscht. Das Fejervärysche Regiment führte dazu, die Frage der Armeesprache von der Tagesordnung zu setzen, und in Bezug auf den Ausgleich wird man einfach den gegenwärtigen Zustand bis 1917 fortdauern lassen, ohne daß eine Änderung eintritt. Die Koalition aber wird allem Anschein nach in nicht langer Zeit zusammenbrechen. Würde sie länger dauern, so würde allerdings die Frage der Garantien der Verfassung13 einen Konflikt zwischen der Krone und den Ministern hervorrufen. Augenblicklich aber wird dieser Konflikt nicht ausbrechen; die Koalition wird sich gefallen lassen, daß der König nichts von diesen Garantien wissen will; es ist ja unmöglich, daß die Krone vollständig auf ihre Rechte abdiziert und sie den Komitaten überträgt. Früher noch als die Entscheidung in dieser Frage wird infolge der herrschenden Unzufriedenheit und Uneinigkeit eine neue Kombination eintreten. Kristoffy nimmt an, daß sich eine konservative Konzentration bilden werde. Diese neue Majoritätsgruppierung wird alle konservativen Elemente, also den größten Teil der Verfassungspartei und der Volkspartei und eine kleine Gruppe der Unabhängigkeitspartei enthalten, unter ihnen wahrscheinlich Apponyi. Schon sind die Fäden gesponnen, und ohne daß der König selbst eingreife, lasse er die Dinge gewähren und wisse von den Verhandlungen. Apponyi ist noch nicht gewonnen, und es ist nicht ganz sicher, ob er diese Majoritätsbildung unterstützt. Das ist für ihn großenteils eine Personenfrage. Würde er Ministerpräsident, so würde er wohl sofort beitreten; wird jedoch Andrässy erkoren, so ist sein Beitritt unsicher. Er wird übrigens nicht die Achtundvierziger-Grundsätze wieder fallen lassen. Er wird erklären, daß er nach wie vor Mann der Unabhängigkeitspartei bleibe; aber das wird ihn und seine Freunde nicht hindern, nötigenfalls die Majoritätsbildung mitzumachen. Diese neue Parteibildung wäre etwas, was Kristoffy im hohen Grade erfreuen würde. In diesem Falle würden sich nämlich sämtliche radikale und sozialistische Elemente zusammentun und an den liberalen Anhängern der Unabhängigkeitspartei und der anderen Gruppen Bundesgenossen finden. Uberhaupt ist ein großer Aufschwung des Radikalismus in Ungarn anzuneh13
Die sogenannten ungarischen Verfassungsgarantien sollten die gewaltsame Auflösung des Parlaments und die Einsetzung eines nichtparlamentarischen Kabinetts, wie es 1905 geschehen war, ausschließen.
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men. Die Lage der Feldarbeiter - 4Vfc Millionen Menschen - ist verzweifelt. Kristoffy selbst hat als Minister die Organisation der Feldarbeiter ins Werk gesetzt mit der bestimmten Absicht, darin einmal einen Rückhalt zu haben, wenn sein Ministerium zu Ende ginge. Mit dieser Organisation und mit der der sozialdemokratischen Partei steht er ununterbrochen in Verbindung. Die Sozialisten sind wenig bedeutend, weil Ungarn eine geringe Industrie besitzt; die Feldarbeiter aber sind ein wichtiger Faktor. Es ist anzunehmen, daß sich in der nächsten Zeit große Krisen in Ungarn ergeben werden. Das wird die Zeit sein, in der sich eine starke radikale Partei bilden kann. Uber kurz und lang wird das allgemeine Wahlrecht doch eingeführt werden müssen. Für diesen Fall ist Kristoffy von den besten Hoffnungen beseelt. „Wir werden", so sagte er, „begreiflicherweise nicht sofort die Mehrheit gewinnen, aber auf 100 bis 150 Mandate rechne ich bestimmt. Übrigens wird diese Gruppe auch deshalb so mächtig sein, weil wir zusammen mit den Nationalitäten gehen werden." Als ich ihn fragte, ob dies nicht gegen ihn ausgenützt werden würde, erwiderte Kristoffy: „Ich habe mit den jüngeren Führern der Nationalitäten bereits gewisse Vereinbarungen getroffen, wonach sie im Falle einer solchen Parteibildung das separatistische Programm der älteren Führer beiseiteschieben und ein demokratisches annehmen wollen. Als Entgelt dafür werde ich mich, wie die Nationalitäten wissen, ganz auf den Boden Deäks und Eötvös, ganz auf den Standpunkt des Nationalitätengesetzes stellen. Mit der Gewährung dieser billigen Zugeständnisse werden sich diese jüngeren demokratischen Führer zufriedengeben, und dadurch wird diese neue Parteibildung ermöglicht werden. Darin, daß sich jetzt eine konservative Regierung vorbereitet, liegt ein großer Vorteil für das Gelingen meiner Pläne. Denn der Mittelstand in Ungarn ist nicht konservativ, sondern liberal und wird sich abgestoßen fühlen, sowie er sich 1861 für die liberale Partei erklärte, als die Altkonservativen die Regierung übernommen hatten." Kristoffy erklärte mir ferner, daß er jetzt schon einen Stoß führen wolle, um die ins Stocken geratene Wahlreform vorwärts zu bringen, und daß er zu diesem Zwecke in einer in Wien zu veranstaltenden Versammlung angesehener Leute über die Lage in Ungarn und über die Wahlreform zu sprechen bereit sei.
Freiherr Alois Lexa von Aehrenthal, Außenminister
29. April [1907] К 2, U la, 44a г - 46a ν
Aehrenthal will Dienstag Nachmittag [den] 30. April nach Berlin reisen, wo er (über Breslau) am 31. April [sie!] früh eintrifft. Er wollte mit mir vor seiner Abreise sprechen, gerne folgte ich seiner Einladung.
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Es ist so gut, so begann er, daß nach dem vielen Gerede über Cartagena und Gaeta (Zusammenkunft Eduard VII. mit den Königen von Italien und Spanien14), das übrigens jetzt schon abgenommen hat und für dessen Erlöschen die englische Regierung selbst gesorgt hat, auch die andere Seite sich rührt. Meine Reise nach Berlin war schon früher geplant, aber sie kommt deshalb gerade zurecht. Es soll deutlich werden, daß gegenüber dem Ubergewicht der englischen Politik auch andere starke Kräfte wirken; es ist nicht gut, daß sich dieses Ubergewicht zu stark geltend macht, das Gleichgewicht soll wiederhergestellt werden. Bald, wahrscheinlich Ende Juli, werde ich nach Italien gehen, es soll nicht vergessen werden, daß das gute Alte, der Dreibund, noch besteht. Es ist gewiß, so erwiderte er auf eine Zwischenbemerkung von meiner Seite, daß angesichts der europäischen Lage Deutschland unser dringend bedarf, es ist richtig, daß das von unserer Seite jetzt mit einem gewissen Selbstbewußtsein hervorgehoben werden kann. Wir haben immer zu Deutschland gehalten, aber es sind auch da Schattierungen möglich. Eine Linie nach rechts oder links kann viel ausmachen. Und hier ist durch die Wendung hier (seinen Eintritt ins Ministerium) gewiß kein Wandel zum Schlimmeren eingetreten. Doch ist zu sagen, daß wir des Beistandes Deutschlands gleichfalls bedürfen, um für unsere Aktion im näheren Orient den Rückhalt zu besitzen. Von großem Werte wäre es, wenn es gelänge, eine Annäherung zwischen Deutschland und Frankreich zu Stande zu bringen. Von Berlin aus gibt man sich darin Mühe, und man knüpft damit eigentlich nur dort an, wo die Fäden abrissen, als Deutschland seine Marokko-Aktion begann15. Gelänge das, so wäre für die Beruhigung Europas viel gewonnen; alle Unruhe auf dem Balkan, und ebenso die möglichen Weiterungen mit Italien - die ich übrigens friedlich zu begleichen hoffe - werden dadurch ihre Wichtigkeit verlieren. Es würde sich dadurch ein Zustand des Gleichgewichts herstellen. Für uns aber würde sich ein weiterer Vorteil ergeben. Wir finden den Einfluß Frankreichs gegenwärtig oft gegen uns im Orient aufgeboten, und wir bedürfen des französischen Kapitals, um unsere Pläne bezüglich der Balkanbahnen durchzusetzen. Ich will mich jetzt nicht näher darüber äußern und erwähne nur, daß Pallavicini dieser Tage von Konstantinopel kommt, ich weiß nicht, ob ich noch vor meiner Abreise nach Berlin [ihn] sehen werde; ich werde von ihm erfahren, welche Aussichten unser Balkanprojekt und die Anschlußfrage in Konstantinopel besäßen16. Der Unterstüt14
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Am 8./9. 4. 1907 trafen sich Edward VII. und Alfonso XIII. in Cartagena, am 15. April Victor Emanuel III. und Edward in Gaeta. Die erste Marokko-Krise wurde durch die Beschlüsse der Konferenz von Algeciras (Jänner-April 1906) beigelegt. Aehrenthal verfolgte das Projekt des Anschlusses des bosnischen Bahnnetzes an das türkische und serbische seit seinem Amtsantritt intensiv. Vgl. Solomon Wank, Aehrenthal and the Sanjak Novibazar Railroad. A Reapprisal; in: Slavonic and East European Review 42 (1964) 353-369 sowie Aus dem Nachlaß Aehrenthal Teil 2, 479-484.
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zung Deutschlands sind wir sicher, und schon jetzt zeigt sich ein Zusammenarbeiten des französischen und deutschen Kapitals. Das müßte auch beim Balkanbahnbau stattfinden. Es handelt sich ja auch um den Anschluß an das griechische bei Larissa, und auch hier sind die französischen Kapitalisten entscheidend. Die Konsortialgewinne bei den serbischen, bulgarischen und anderen Anlehen werden auch mit den deutschen Banken geteilt, die Industrielieferungen freilich behalten die Franzosen für sich. Das sind die Gesichtspunkte, die auch in der Presse vertreten sein sollten, wobei, wie natürlich, von den Balkanbahnen noch nicht die Rede sein sollte. Das Gespräch wendet sich darauf den inneren Verhältnissen zu. Aehrenthal erwähnte, er habe auf den Rat des Grafen Esterhäzy das Buch Burckhardts über Geschichte gelesen17, und da sei ihm die Stelle aufgefallen, wo er von den echten und von den falschen Krisen in der Geschichte handelt, in einer solchen falschen befänden wir uns jetzt. „Und in diesem Sinn", so bemerkte er, „haben Sie sich in der letzten Zeit zu wiederholten Malen geäußert." Es sei, so fuhr er fort, nicht notwendig, die Schwierigkeiten zu vergrößern, indem man neben der Diskussion über den wirtschaftlichen Ausgleich auch die Lösung der militärischen Fragen heranziehe. Deshalb finde er, daß ein Artikel, den ich (Friedjung) in die Vossische Zeitung geschrieben hatte, nicht genützt habe. Darin war ausgeführt, daß der wirtschaftliche Ausgleich in seiner Bedeutung und Schwierigkeit überschätzt werde, bis 1917 werde sich nichts ändern. Dagegen werden die Mängel des österreichisch-ungarischen Heerwesens zu wichtigen Reformversuchen drängen; und da vom ungarischen Parlament nichts zu erreichen sei, werde daraus eine Reichskrise entstehen. Aehrenthal fand, daß ich zu grau gemalt habe, weshalb ich es getan hätte? Weil, so lautete meine Antwort, Pflicht des Schilderers unserer Verhältnisse sei, den Dingen auf den Grund zu gehen und sie so zu schildern, wie [sie] sind. Aehrenthal wollte das jedoch nicht gelten lassen. „Das wäre notwendig, wenn die gemeinsamen Minister zu wenig wachsam wären, und wenn man sie auf jene Schäden erst aufmerksam machen müßte. Das ist aber nicht der Fall. Der neue Chef des Generalstabes18 drängt unaufhörlich in diesem Sinne, und man muß ihn eher zurückhalten. Unsere Armee ist aber glücklicherweise noch in einer Verfassung, in der sie den uns in der nächsten Zeit erwachsenden Aufgaben gewiß gewachsen sein werde. Wenigstens steht es so bis zum Ende des nächsten Jahres." Ich unterließ es, ihn zu fragen, weshalb er diesen Termin nenne. „Ich hoffe, die Schwierigkeiten mit Italien zu ordnen, aber selbst wenn das nicht gelingen sollte, sind wir für einen Zusammenstoß mit Italien gewiß stark genug. Es
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Jacob Burckhardt, Weltgeschichtliche Betrachtungen. Über geschichtliches Studium (Gesammelte Werke 4, Basel 1956). General Franz Conrad von Hötzendorf.
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ist aber unvorsichtig, den Ungarn zu sagen, daß unser Heerwesen mit Hilfe ihres Parlaments ausgebaut werden müsse. Sie erhalten dann den Eindruck, daß sie ungemein stark sind. Das ist eine Patrone, die sie dann verschießen können. In diesem Punkte sind sie meine Gegner, und ich möchte ihnen keine neuen Waffen in die Hand geben. Deshalb, so glaube ich, sollten wir jetzt die Frage der zweijährigen Dienstpflicht nicht aufwerfen. Wir hätten dann so viel für den Ausbau der Armee zu tun, daß große neue Auslagen notwendig wären. Es ist besser, die Sache vorerst auf sich beruhen zu lassen." „Die Verhandlungen über den wirtschaftlichen Ausgleich werden voraussichtlich bloß dahin führen, daß man sich nur über die Verhältnisse bis 1907 [sie!] einigt19. Es ist nicht wahrscheinlich, daß man darüber hinauskommt. Sollte es aber doch geschehen, und sollte die Errichtung der Zollschranken beschlossen werden, so muß es mein Bestreben sein, dafür ein Entgelt zu bekommen." „Dieses Entgelt müßte doch auf militärischem Gebiete liegen", warf ich ein. „Nicht gerade das, lautete die Antwort. Ich müßte verlangen, daß festgestellt werde, diese Abmachung beziehe sich nur auf das Inland. Gegenüber dem Ausland müssen wir nach wie vor eine Einheit bilden, und Verträge dürfen nur durch [den] gemeinsamen Minister des Äußern geschlossen werden. Nach außen hin müssen wir eine Einheit bilden." „Das ist", so entgegnete ich, „doch keine wirkliche Gegenleistung. Das ist doch alles Verfassungsrecht seit jeher. Auch vor 1848 erkannte der ungarische Reichstag an, daß, wenn auch Zollschranken zwischen Ungarn und Osterreich bestehen, alle Handelsverträge mit dem Ausland durch die Krone fur das gesamte Reich geschlossen werden." „Das ist in der Theorie richtig, aber der § 58 des XII. Gesetzartikel 1867 gewährt doch Ungarn das Recht, diese Verhältnisse selbständig zu ordnen. Darauf ist Rücksicht zu nehmen. Ich konnte also, als die Frage auftauchte, nicht mehr verlangen, als ich tat. Wenigstens kann ich jetzt nicht mehr tun, nachdem in den letzten Jahren der Wirkungskreis des gemeinsamen Ministers Stück für Stück eingeschränkt worden ist; ich kann dieses Terrain [von] jetzt an allmählich zurückerobern. Deshalb habe ich mich nur soweit zu Worte gemeldet, als ich oben gesagt habe. Übrigens werden diese Fragen schwerlich aktuell werden, da, wie gesagt, ein Vertrag über 1917 [hinaus] nicht Zustandekommen dürfte." Diesen Darlegungen stellte ich meine abweichende Auffassung entgegen, daß mit größter Entschiedenheit die Möglichkeit der Errichtung von Zollschranken abgewehrt werden solle. Ich müßte dies betonen, weil ich nicht unaufrichtig sein wolle und wohl in die Lage kommen werde, über kurz oder lang8 19
Das österreichische Ministerium drängte in den Verhandlungen mit Ungarn auf eine längere Laufzeit des wirtschaftlichen Ausgleichs, während Ungarn auf der zehnjährigen Dauer, also bis 1917, beharrte.
" Der Text bricht hier ab.
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Freiherr Alois Lexa von Aehrenthal, Außenministera 29. November 1907 К 4, U Notizen und Druckunterlagen zur Persönlichkeitsgeschichte Aehrenthals Am Tage vorher hatte eine erregte Szene im Abgeordnetenhause stattgefunden. Veranlassung war die Polenvorlage im preußischen Abgeordnetenhause, durch die der Regierung das Recht zur Erledigung von polnischen Gütern gegeben werden soll20. Eine Reihe von Interpellationen war auf den Präsidenten des Abgeordnetenhauses niedergegangen, alle mit heftigen Anklagen gegen die deutsche Reichsregierung. Ministerpräsident Beck wußte wie alle Welt, was bevorstehe, er hatte aber mit den Ministern den Saal verlassen, um dem Sturm nicht standhalten zu müssen. Daran knüpfte Aehrenthal an und und gab seinem Mißfallen über Beck starken Ausdruck. Er hätte anwesend sein und sofort entgegnen sollen, daß eine derartige Einmischung in die Angelegenheiten eines fremden Staates unstatthaft sei; mehrere der Redner wandten sich auch gegen Rußland, und dadurch, sagte Aehrenthal, sei die Sache noch ärger gewesen. Was habe Beck durch seine Entfernung gewonnen? Er werde die Interpellation Breiters in der Angelegenheit doch beantworten müssen21. „Die ganze Methode Beck - Sieghart zeige sich als unzureichend, man könne mit kleinen Mitteln nicht große Fragen aus der Welt schaffen. Das Haus bedarf einer Führung, und die versage bei ernsten Anlässen. Als Kozlowski in der Sitzung der österreichischen Delegation die polnische Frage aufrollte, da ergriff ich sofort das Wort, und die Sache war erledigt22. Ich ziehe" - das war eine Entgegnung auf ein von mir hingeworfenes Wort - „absichtlich keinen Vergleich zwischen Beck und Koerber, aber ich vermisse die feste Hand bei der Behandlung des Abgeordnetenhauses. Man vermißt das umsomehr, als die Regierung glücklicherweise über einen Block von 170 deutschen Abgeordneten verfügen kann. Wozu sind die Landsmannminister da, wenn die Regierung nicht durch sie zu wirken ver20
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u
Ein am 26. 11. 1907 von der preußischen Regierung eingebrachter Gesetzesentwurf sah zur Erleichterung der Germanisierung der polnischen Gebiete die Möglichkeit der Enteignung polnischer Grundbesitzer vor. Die am 28. 11. 1907 vom polnischen Abgeordneten Ernest Breiter eingebrachte Interpellation verglich die preußische Vorlage mit „einem mittelalterlichen Raubzuge" und wollte von der österreichischen Regierung wissen, ob sie gewillt sei, dagegen in Berlin Vorstellung zu erheben. In der Debatte des Budgetausschusses der österreichischen Delegation über den Voranschlag des Außenministeriums am 4.12.1906 kritisierte der polnische Abgeordnete Wladimierz Kozlowski-Bolesta die preußische Polenpolitik und meinte, es sei verständlich, wenn die galizischen Polen „die Leiden ihrer Stammesgenossen in Preußen mitfühlen". Aehrenthal erklärte darauf, daß Österreich-Ungarn zu Recht wünsche und verlange, daß seine inneren Angelegenheiten nicht vor einem ausländischen Parlament diskutiert würden, weshalb auch „wir dieselbe Zurückhaltung beobachten" sollten. Randbemerkung mit Bleistift: Erste Äußerung über Bosnien.
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mag?" Aehrenthal hatte schon in früheren Unterredungen darauf hingewiesen, daß ihm die Gestalt der Dinge auf deutscher Seite nicht ungelegen sei. Ihm als Konservativen ist es überhaupt ganz gelegen, daß sich der Schwerpunkt der Deutschen nach rechts verschob, und daß eine so kräftige Mehrheit unter ihnen als Hebel der Regierung benützt werden kann. „Für mich", so fuhr er im Laufe des Gespräches fort, „ist die Gestaltung der Delegationen von großer Wichtigkeit. Mir muß daran liegen, daß in Böhmen und Mähren ein Kompromiß zustandekomme, und daß die Deutschen vertreten seien; ich stehe sonst in der Delegation einer slawisch-klerikalen Mehrheit gegenüber, was mir unangenehm wäre. Die Sozialdemokraten sind unter den böhmischen und mährischen Abgeordneten das Zünglein an der Waage, und die Regierung sollte die Sachlage benützen, um einen Kompromiß zustande zu bringen." „Der Verlauf der Delegationssession wäre nicht besorgniserregend, wenn nicht die Polenvorlage dazwischengekommen wäre. Leider ist Bülow hierin nicht meinen Wünschen entgegengekommen. Ich habe ihm in der letzten Zeit einen großen Gefallen erwiesen, und ich konnte eine Gegenleistung erwarten. England schlug nämlich einen gemeinsamen Schritt der Mächte in Angelegenheit der mazedonischen Justizreform vor, der sich direkt gegen die Haltung Deutschlands gekehrt hatte: Es wäre eine Demarche gegen Deutschland gewesen, wie sonst früher etwa gegen die Pforte oder Bulgarien. Ich weigerte mich teilzunehmen; und nun verlangte ich von Bülow, er seinerseits solle die Vorlage des Polengesetzes um drei Monate verschieben, bis die Delegationen zu Ende seien. Er nahm wohl den von mir geleisteten Dienst an, er aber erwies mir keinen Gefallen!" Ich benützte die Gelegenheit zu fragen, ob Aehrenthal sich von der mazedonischen Aktion überhaupt etwas verspreche. Die europäisch geführte Gendarmerie erweise sich doch machtlos, die Morde in Bulgarien [sie!] zu verhindern23. Aehrenthal lächelte seltsam - il dit jaune, würde der Franzose sagen - und erwiderte: „Nein, auf die mazedonische Reform lege ich keinen Wert und glaube auch nicht, daß auf diesem Wege eine Ordnung der Dinge herbeizuführen ist. Die Engländer glauben, daß, wenn ein christlicher Generalgouverneur eingesetzt würde24, ein halbwegs befriedigender Zustand herzustellen wäre. Das ist aber grundlos optimistisch, da sich die verschiedenen Nationalitäten gegenseitig die Hälse abschneiden werden. Jetzt stehen die Dinge so, daß die Gendarmerie wohl von den europäischen Offizieren umexerziert wird, die Regierung aber steht der Pforte zu, und sie läßt ruhig die Greuel geschehen, um zu bewei23
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Eine der Maßnahmen der in Mürzsteg 1903 vereinbarten Reform war die Unterstellung der türkischen Gendarmerie in Mazedonien unter europäische Offiziere. Schon 1903 hatte Großbritannien die Einsetzung eines christlichen Gouverneurs für Mazedonien vorgeschlagen, war jedoch am Widerstand Österreich-Ungarns und Rußlands gescheitert.
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sen, daß die Christen unfähig wären, sich selbst zu regieren. Daran wird sich nicht viel ändern, bis die Dinge auf dem Balkan reif werden und sich durch Krieg eine endgültige Ordnung herstellen wird." Nun, so fragte ich, würde Ostereich-Ungarn dann nicht eingreifen? Werden wir uns so fernehalten, wie Sie es in Ihrer ersten Rede vor der Delegation gesagt haben25? „Ja gewiß", war die Antwort, „ich kann meine Zustimmung nicht dazu geben, daß Osterreich in Mazedonien mit einem Heere erscheine. Ich denke darüber heute wie vor einem Jahre." Und nun? Werden wir das Land also Bulgarien überlassen? „Bulgarien wird den Hauptanteil erhalten, und es ist mein Ziel, darüber später eine Verständigung herzustellen. Aber freilich! Fürst Ferdinand ist allzu diplomatisch (so mit ironischem Lächeln), und man kommt schwer dazu, mit ihm das richtige Verhältnis herzustellen. Mein Ziel ist nicht, Eroberungen auf der Balkanhalbinsel zu machen, "man kann allerdings die Ereignisse nicht vorher überblicken,3 ich arbeite vielmehr auf einen Anschluß der Balkanstaaten an Österreich hin. Deshalb lege ich den größten Wert auf Handelsverträge mit Serbien und Bulgarien. bDie Verhandlungen11 mit Serbien mußten leider absichtlich' hinausgeschoben werden, da es unklug wäre, den Agrariern jetzt ein neues Angriffsobjekt zu geben: Gleichzeitig der Ausgleich mit Ungarn und der Vertrag mit Serbien26. Ist der Ausgleich im Reinen, so schließen wir mit Serbien ab. Nochmals: Es handelt sich nur um die Politik des Anschlusses an Osterreich. Als Preußen den Zollverein schloß, lag der Gedanke, auf diesem Wege zur Herrschaft in Deutschland zu gelangen, noch ferne. Wenn sich für uns auf diese Art politische Vorteile ergeben, dann umso besser. Wir können nur schrittweise vorgehen." „Es handelte sich, als die mazedonische Aktion in Angriff genommen wurde, darum, Zeit zu gewinnen. Wir müssen über die Periode bis zur kriegerischen Lösung hinwegkommen; dann wird auch die Zeit gekommen sein, um Bosnien definitiv in Osterreich einzuverleiben. Sie fragen, ob es nicht an der Zeit wäre, in Bosnien verfassungsmäßige Zustände herzustellen? Das hängt mit dem Verhältnisse der Monarchie zu Bosnien zusammen. Wir werden zunächst lokale Autonomie schaffen, besonders Bezirksvertretungen. Einen Landtag jedoch können wir nicht berufen, da sonst sofort die Frage der Sou25 26
ыb c
Freiherr Alois Lexa von Aehrenthal hielt seine erste Rede als Außenminister vor der Delegation am 4. 12. 1906. Am 16. 10. 1907 hatte die österreichische Regierung die Ausgleichsvorlagen im Abgeordnetenhaus eingebracht. Im Juli 1907 waren die Verhandlungen mit Serbien über einen neuen Handelsvertrag wiederaufgenommen worden; sie konnten im März 1909 abgeschlossen werden, der neue Vertrag wurde jedoch weder in der Monarchie noch in Serbien von den Parlamenten ratifiziert. gestrichen. Korrigiert von Der Vertrag. gestrichen.
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veränität aufgeworfen würde. Deshalb muß zuerst dies bereinigt werden. Wenn wir nun bei der Pforte durchsetzen wollen, daß sie ganz auf Bosnien verzichtet, so können wir uns nicht an die Spitze der Dränger zur mazedonischen Justizreform stellen. Haben wir doch auch sonst manches in Konstantinopel durchzusetzen, so die Eisenbahnanschlüsse27." Im Verlaufe des Gespräches bemerkte ich, meinen Neigungen würde ein tatkräftigeres Eingreifen auf der Balkanhalbinsel entsprechen. Allerdings befände ich [mich] nicht in einer verantwortungsvollen Stellung, könnte die Lage nicht überblicken. Darauf Aehrenthal: „Die Zeit zu einem tatkräftigen Eingreifen wird kommen. Aber jetzt muß ich zuerst meine Stellung mitten unter den europäischen Kabinetten befestigen und sichern; es wäre verfrüht, anders vorzugehen."
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Vgl. zu Außenminister Aehrenthals Eisenbahnplänen S. 65 Anm. 16.
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Freiherr Alois Lexa von Aehrenthal, Außenminister Jänner und Februar 1908 К 4, U Notizen und Druckunterlagen zur Persönlichkeitsgeschichte Aehrenthals Die Umstände, unter denen Aehrenthal seine große Rede vom Februar 1908 in dem Ausschusse der österreichischen Delegation hielt1, sind charakteristisch für ihn. Etwa fünf Wochen früher lud er mich ein, zu ihm zu kommen. Er hatte die Absicht, sich mit mir über seine Haltung vor den Delegationen zu unterhalten. Er entwickelte mir die Gedanken, denen er in seinem Vortrage Ausdruck geben wolle. Er gedenke sich insbesondere über die Abmachungen interpellieren zu lassen, die Ende 1907 zwischen Österreich und Ungarn bezüglich der Form der künftig mit dem Auslande abzuschließenden Verträge interpellieren zu lassen [sie!]2. Ob er Urban hierzu wählen solle, oder Bacquehem? Baernreither sei doch zuwenig zuverlässig. Ich meinte damals, Bacquehem als Referent über auswärtige Angelegenheiten eigne sich unter den Genannten am besten, später wählte Aehrenthal, wie sich herausstellte, Graf Merveldt. Es sei, so sagte mir Aehrenthal, seine Pflicht als Minister des Äußern, über die Neuerungen nicht schweigend hinwegzugehen. Er werde seine Bedenken nicht unterdrücken, und es sei wohl angezeigt, festzustellen, daß 1917 sich neue Verlegenheiten ergeben werden3. Wohl war das, was Aehrenthal sagte, verständig wie immer, aber ich war doch erstaunt über den pessimistischen Grundzug seiner Darlegung. Lebhafter als ich es sonst zu tun pflegte, empfahl ich ihm ein kräftiges Auftreten, da er nur dadurch eine Wirkung erzielen werde. Weshalb er so bescheiden von seinen Leistungen denke? Dies ehrt den Privatmann, aber in seiner Stellung zieme sich selbstbewußter Hinweis auf seine Leistungen. Was ihm im Sommer geglückt sei, sei doch erfreulich 4 , auch müßte ich ihm raten, in Bezug auf die sich 1917 ergebenden Möglichkeiten zuversichtlich zu sprechen. Ich vermutete beinahe, er habe mir mein Drängen verübelt. Als ich 1
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Gemeint ist Aehrenthals Rede vor dem Budgetausschuß der österreichischen Delegation am 31. 1. 1908, in der er seine Balkanbahnpläne ankündigte und ausführlich die Beziehungen der beiden Staaten der Monarchie zueinander behandelte. Im Expose vor der ungarischen Delegation vier Tage zuvor hatte er die staatsrechtliche Komponente nicht behandelt. Es handelte sich um die auf Druck Ungarns beschlossene Nennung beider Staaten der Monarchie als vertragsschließende Teile bei internationalen Verträgen. Vgl. dazu Aus dem Nachlaß Aehrenthal Teil 2, 545-548 und Die Protokolle des Gemeinsamen Ministerrates der österreichisch-ungarischen Monarchie 1867-1918. Bd. 5: 1896-1907 (Budapest 1991) 547-567. Der Ende 1907 abgeschlossene Ausgleich hatte wiederum eine zehnjährige Laufzeit und endete daher Ende 1917. Gemeint ist Aehrenthals diplomatische Kampagne, die zu einer Verbesserung der Beziehungen zu Italien und Großbritannien geführt hatte.
Jänner und Februar
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Jettel einiges aus dem Gespräche mitteilte, konnte ich meine Bedenken über sein geringes Selbstbewußtsein nicht zurückhalten. Nachzutragen hatte ich noch, daß ich Aehrenthal im Verlaufe des Gespräches daran erinnerte, daß er mir vor dreiviertel Jahren die schöne Stelle aus Burckhards weltgeschichtlichen Betrachtungen über die echten und die falschen Krisen als zutreffend für unsere Verhältnisse erklärt hatte5. Als er damals meinte, die Stelle könne publizistisch verwertet werden, riet ich ihm, den Vergleich für sein nächstes Expose zu verwenden. Das brachte ich jetzt vor und fragte ihn, ob er seinen schönen Fund nicht verwerten wolle. Drei Wochen später ein neues Gespräch. Wieder der Inhalt seines nächsten Exposes. Er las mir die Stelle vor, in der er Burckhards Antithese verwerten wollte. Auch diesesmal legte ich Nachdruck darauf, er müsse mit freiem Mute sprechen. Als nun Aehrenthal sein Expose und darauf die vielbesprochene Rede vor dem Ausschusse hielt, WEIT ich überrascht, wie kernig und kräftig alles gefaßt war. Wohl möglich, daß meine Ratschläge auf ihn gewirkt hatten. Aber ich möchte dem keine entscheidende Bedeutung beimessen. Denn sein Expose, besonders die verständigen Stellen, in denen er die Pforte schützte und die Bestellung eines christlichen Generalgouverneurs für Mazedonien ablehnte, sodann die Ankündigung der Eisenbahnaktion auf der Balkanhalbinsel6, kurz alles eigentlich Diplomatisch-Politische war ganz selbständig ganz aus seinem Wirkungskreise emporgewachsen, das alles war in unseren Gesprächen nur soweit berührt worden, als er selbst davon sprach. Dasselbe war mit seinen staatsrechtlichen Erörterungen der Fall. Hier war eine Klarheit, Festigkeit und Ruhe, die mir sehr imponierte. Darauf bezog sich der Artikel der Neuen Freien Presse vom nächsten Tage, Aehrenthal habe beinahe wie ein Reichskanzler gesprochen7. Nur in den Schlußgedanken erkannte ich meine Anregung. Der Hinweis auf Burckhard war aufgenommen. Und was wichtiger war: Er sprach die kühne Zuversicht aus, daß 1917 wieder ein Ausgleich auf Basis wirtschaftlicher Gemeinsamkeit Österreich-Ungarns ausgeschlossen [sie!] werden würde. Und er ging über meine Ratschläge noch hinaus, indem er verkündigte: Ohne wirtschaftliche Gemeinschaft sei eine auswärtige Politik unmöglich. Ich selbst hatte es nicht gewagt, ihm zu raten, diesen Medusengedanken den eifersüchtigen Ungarn vorzuhalten. So fand ich denn, daß ich beigetragen haben mochte, seine Zuversicht zu stärken, aber ich kann mir keinen besonderen Anteil an der Konzeption des Ganzen beimessen. Als Jettel mich bei einem telephonischen Gespräch halb scherzhaft beglückwünschte, daß meine Anregungen Wurzel geschlagen hätten, war meine Ablehnung ernsthaft gemeint. 5 6 7
Vgl. S. 66. Vgl. dazu Solomon Wank, Aehrenthal and the Sanjak Novibazar Railroad. A Reappraisal; in: Slavonic and East European Review 42 (1964) 353-369. Neue Freie Presse v. 1. 2. 1908, Morgenblatt 1, Leitartikel.
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Freiherr Alois Lexa von Aehrenthal
Die Rede Aehrenthals entfesselte in der ungarischen Presse einen förmlichen Sturm. Offenbar war alles von Kossuth - Apponyi darauf angelegt, Aehrenthal einzuschüchtern und zu einem Rückzug zu zwingen. Der Budapester Korrespondent der Neuen Freien Presse sekundierte diesem Angriff durch allerhand törichte Meldungen, so zum Beispiel, daß Wekerle in der Delegation eine Rede gegen Aehrenthal halten werde. aUgron hatte zudem die Unverschämtheit, Aehrenthal in einem Zwischenrufe einen „Esel" zu nennen.8 Tucher jun. telephonierte mir im Zusammenhange damit, Chlumecky habe sich geäußert, die Stellung Aehrenthals sei schwer erschüttert. Ebenso Jettel, der meinte, auch Wohlmeinende hätten die Rede Aehrenthals für überflüssig erklärt. bEs werde notwendig sein, Aehrenthals Rede zu kommentieren, vielleicht abzuschwächen. Er habe Aehrenthal gewarnt, auch ihm geraten, er solle die Schlußseite seiner Rede nicht der Presse übergeben. Aehrenthal aber habe ihm bestimmt gesagt: Nein, was er gesprochen, dafür stehe er auch vor der Öffentlichkeit ein.b So war ich denn, wenn ich auch über das Auftreten Aehrenthals sehr erfreut war, etwas unruhig darüber, daß meine Ratschläge einen ungünstigen Einfluß geübt hatten, was den äußeren Erfolg betrifft. Er könnte hundertmal Recht haben und doch Unrecht behalten. Da aber kam der erfreulichste Umschwung. Ugron nahm seine beleidigenden Worte mit Bedauern zurück, die Redner in der Delegation hielten gemäßigte Reden, und Wekerle erklärte in längerer Rede, in den Ausführungen Aehrenthals sei nichts enthalten gewesen, was dem ungarischen Staatsrecht widerstreite. Am 10. Februar votierte die ungarische Delegation das Budget des Ministeriums des Äußern. Am 8. Februar, als alles schon geklärt war, ließ mich Aehrenthal rufen. Ich fand ihn in gehobener, fast freudiger Stimmung, im Bewußtsein, einen Erfolg errungen zu haben. Er gab eine ausführliche Darstellung der Verhältnisse, mehrfach nach den von mir gestellten Fragen, alles war aber fest zusammenhängend, lichtvoll. „Als die Beleidigung Ugrons gefallen war, ließ ich Wekerle zu mir bitten und erklärte ihm, daß ich nicht früher in der ungarischen Delegation erscheinen werde, als Ugron mir Genugtuung gegeben habe. Dann begannen die Unterhandlungen zwischen Wekerle und Ugron, und ich wartete auf das Ergebnis. Erst um V2II Uhr, eine halbe Stunde vor Eröffnung der Sitzung, telephonierte mir Graf Esterhäzy, der Ausgleich sei erfolgt. So begannen die Dinge. Wekerle selbst nahm anfangs eine etwas schwankende, doch im Grunde korrekte Haltung ein. Am ersten Tage der Delegationsberatungen verschob er seine Rede auf den nächsten Tag, um zu sehen, wie die Erklärungen des Grafen Esterhäzy, die in meinem Namen abgegeben wurden, wirken werden. Eigentlich waren die Delegierten mit den a
• Ergänzung. Ergänzung.
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Kommentaren des Grafen Esterhäzy nicht ganz einverstanden, aber sie stellten sich zufrieden, weil sie selbst einsahen, daß der Konflikt etwas für sie Bedenkliches habe. Denn die Position der Magyaren ist keine sehr günstige, und sie fühlen, daß sie es nicht zum Äußersten treiben dürften. Was meine Rede vor dem Ausschuß der österreichischen Delegation betrifft, so war mein Hauptzweck der, daß ich die Auffassung des österreichisch-ungarischen Ministers des Äußern bezüglich der künftigen Vertragsunterzeichnungen festlegen wollte. Das war meine Pflicht und mein Recht. Ich werde schon lange nicht auf diesem Platze sein, und man wird dann meine Rede hervorsuchen müssen als Beleg dafür, was der Minister des Äußern nach dem Ausgleichsabschlusse als Norm für Vertragsverhandlungen mit dem Auslande ansah. Wenn ich dadurch Anstoß errege, so verkennt man die Natur meiner Stellung. Sie werfen ein, daß der Kriegsminister meinem Beispiel nicht gefolgt sei und zu große Nachsichtigkeit gezeigt habe. Das finde ich nicht. Der Minister sagte doch nur das, was Seine Majestät nach den seinerzeitigen Anträgen des ungarischen Neunerausschusses gleichfalls in Aussicht gestellt habe8, nämlich daß die Bestimmungen des 67er Ausgleiches ausgeführt werden sollen. Übrigens ist Schönaich eine kräftige Persönlichkeit, die auf seinem Platze sehr gut wirkt. Mein Auftreten hätte gewiß auch zu einem Mißerfolge führen können, aber man muß in ernsten Dingen etwas wagen, und das Ergebnis ist günstig. Mißlich ist allerdings, daß die österreichische Delegation mich hierbei sehr wenig unterstützte; charakteristisch hierfür ist die Haltung Baernreithers. Als Bacquehem seinen Bericht vorlegte, der darin gipfelt, daß ich sehr oder vollständig das Vertrauen der österreichischen Delegation verdiene, da erwirkte er die Streichung des sehr, und in dieser Form wurde der Beschluß gefaßt." Und die österreichische Regierung! Sie ist wohl korrekt in ihrer Haltung, und ich halte es fur ganz unrichtig, sie für die Haltung der mir feindlichen österreichischen Instanzen verantwortlich zu machen. Aber es besteht zwischen mir und ihr gar keine Verbindung; ich weiß bis zur Stunde nicht, wie man in ihren Kreisen über mein Auftreten urteilt. Es wäre mir lieb, wenn Sie mir darüber einiges gelegentlich sagen könnten. Sie können sich viel unbefangener erkundigen als ich es durch einen meiner Herren tun könnte." Ich sagte ihm zu, Informationen einzuholen und ihm dann Bericht zu erstatten. „Ich teile selbstverständlich Ihre Meinung, daß die russischen und Balkandinge wichtiger sind als unser innerer Streit. Iswolski ist ungehalten über un8
Im September 1903 hatte ein Neunerkomitee der ungarischen liberalen Partei gemäßigte Reformvorschläge in Richtung einer Verstärkung des magyarischen Elementes der gemeinsamen Armee eingebracht, die jedoch auf Ablehnung des Monarchen gestoßen waren. " Randbemerkung: Baernreither, den ich, Friedjung, darüber interpellierte, sagte mir, dieser Bericht Bacquehems sei ganz unrichtig. Wer hat also nicht die Wahrheit gesprochen?
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Freiherr Alois Lexa von Aehrenthal
sere Schritte in der Frage der Bahnanschlüsse und behauptet, daß unser selbständiges Vorgehen ein Bruch der Entente sei9. Er hetzt nicht bloß die russische, auch die französische und englische Presse in diesem Sinne auf. Das ist gewiß eine Unbequemlichkeit. Wäre Lamsdorff noch auf seinem Platze, so wäre ein Zusammengehen viel leichter. Aber Iswolski neigt leider zu sehr auf Seite Englands. Vor anderthalb Jahren schlug Iswolski, offenbar auf eine Anregung von England hin, mir vor, wir sollten nicht bloß die Justizreform zusammen in die Hand nehmen, sondern auch die Bestellung eines Generalgouverneurs in Mazedonien in die Hand nehmen. Auf das erste ging ich ein, das zweite lehnte ich mit der Begründung ab, daß damit die ganze türkische Frage aufgerollt würde. Daraus nun ergab sich kein wünschenswertes Verhältnis. Uberhaupt hat dieses Verhältnis mit Rußland ä deux eigentlich dadurch an Wichtigkeit verloren, weil die mazedonischen Angelegenheiten jetzt der Entscheidung aller sechs Großmächte anheimgestellt sind. Bezüglich der Eisenbahnbauten habe ich, als Marschall vor einigen Wochen in Wien war, von ihm das Versprechen erhalten, er werde mich bei der Pforte unterstützen, und Marschall hat auch sein Versprechen gehalten. Aber ganz aufrichtig geht Deutschland nicht vor. Es wünscht, Österreich-Ungarn solle sich voll und ganz für die Türkei und ihre Erhaltung einsetzen; soweit aber können wir nicht gehen. Wir haben gewisse Engagements mit Bulgarien, welches uns die Eindämmung der Bandenbewegung zugesagt hat10, wogegen wir es anderweitig unterstützen werden. Ein Interesse an der Erhaltung des Status quo auf der Balkanhalbinsel haben wir nicht in dem Grade wie Deutschland. Soweit kann ich mich nicht hinüberziehen lassen." Soweit Aehrenthal. Nach dem Zögern und Prüfen, das ihn im Jänner vor den Delegationen zurückgehalten hatte, war er so in den Tagen der Entscheidung fest und bestimmt aufgetreten. Er hatte damit zu kämpfen, daß seine Rede zwar in Osterreich gebilligt wurde; als sich aber in Ungarn Widerspruch regte, klappte der Mut in Osterreich sogleich zusammen, und eigentlich hörte ich bloß eine Stimme in Wien, es wäre nicht notwendig gewesen, sich soweit vorzuwagen, und er hätte sich die Angriffe ersparen können, er habe sein Verhältnis zu Ungarn dadurch verdorben. So Sektionschef Jettel, Tucher jun., Molden und andere. Diese schwächlichen Freunde faßten allerdings dann etwas Mut, als sich die ungarische Delegation drehte. Auf Unterstützung in Osterreich kann er also nicht rechnen. Dies rührt aller9
10
Der russische Außenminister vertrat den Standpunkt, daß durch Aehrenthals Vorgehen, das Bahnprojekt ohne vorherige Konsultation mit Rußland zu betreiben, die Entente von 1897, die eine Veränderung des Status quo auf dem Balkan nur nach Absprache vorsah, gebrochen wurde. Aehrenthal dagegen bezog diese Bestimmung lediglich auf politische Veränderungen und betrachtete den Bahnanschluß als rein wirtschaftliche Angelegenheit. Die Tätigkeit bulgarischer Banden in Mazedonien bildete einen permanenten Krisenherd am Balkan.
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dings zum großen Teile von seinem schlechten Verhältnisse mit Beck her. Manche Leute behaupten, es sei unhaltbar. Baernreither zum Beispiel sprach mir gegenüber am 10. Februar die Ansicht aus, Wekerle und Beck seien unter sich einig, Aehrenthal zu stürzen und Pallavicini an seine Stelle zu setzen. Die beiden Ministerpräsidenten seien geneigt, alle Fragen unter sich zu ordnen, so auch die militärischen Angelegenheiten, und Aehrenthal vor die vollendeten Tatsachen zu stellen. Das werde er sich nicht gefallen lassen, und daraus könnte sich eine Krisis ergeben. Ob dies richtig ist, kann ich nicht wissen; es sieht aber Beck nicht ähnlich, so rücksichtslos und hinterhältig vorzugehen; auch hat Baernreither die Neigung, die Leute zu veruneinigen. Er behauptet, ganz auf Seite Aehrenthals zu stehen, und versprach mir, ihn in seiner Rede im Plenum zu unterstützen. In seiner pessimistischen Auffassung sieht Baernreither die Lage nicht so günstig an. Wir stünden nicht gut zu Deutschland, überquer mit Rußland. Aehrenthal besitze wenig Freunde. Das liege zum guten Teile an seinem „tollpatschigen" Wesen. Er sei zuwenig entgegenkommend. Er beantworte in der Delegation kaum eine oder die andere Frage. Das habe Goluchowski ganz anders verstanden. „Es war geradezu überwältigend, wie Goluchowski die Delegation gefangennahm und zufriedenstellte. Da lag er hingegossen und hörte aufmerksam zu, bis der Redner dazu kam, eine Frage zu stellen. Dann ergriff Goluchowski den Bleistift, schrieb sofort mit, als ob es für ihn nichts Wichtigeres auf der Welt gebe. Dann erhob [er] sich, wiederholte die Frage, sie geschickter formulierend, und sprach etwas, oft ganz andere Dinge erwidernd, als die Delegation gemeint hatte. Indessen, diese war zufrieden. Zuletzt nach Beantwortung aller Fragen blickte er mit großartiger Miene und gespannten Antlitzes im Kreise herum und bat um Entschuldigung, wenn er etwa noch eine Frage nicht beantwortet haben sollte. ,Ob er etwa noch etwas vergessen habe?' Niemand meldete sich dann, und jedermann war aufs Höchste befriedigt." Wie anders Aehrenthal. Fürstenberg sagt von ihm, daß er in Prag erzogen worden sei; denn wer über den Graben gegangen sei, der habe etwas an sich kleben, das er nie los werde.
Landgräfin Therese Fürstenberg, ehem. Hofdame Kaiserin Elisabeths
Februar 1908 К 2, U 1, 75 г - 81 r; Sekretär 3
Erzherzogin Sophie wurzelte in der alten Zeit11. Sie war nicht alt, als Kaiser Franz Joseph zur Regierung kam, aber sie befestigte sich immer mehr in der 11
Vgl. Friedjungs Charakterisierung der Mutter Kaiser Franz Josephs in Österreich von 1848 bis 1860. Bd. 1, 13-16 und 103-109.
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Landgräfin Therese Fürstenberg
Überzeugung, daß man von ererbter Ordnung der Dinge nicht abgehen dürfe. Nicht, daß sie harte Worte gebrauchte, aber sie lehnte alles Neue ab, und sie behandelte die neuen Menschen, als ob sie nicht vorhanden wären. So kostete es ihr immer eine Überwindung, Schmerling zu empfangen, weil er doch „der Vater der Verfassung" war; wenn er vorgelassen wurde, war sie wohl höflich mit ihm, aber ihr Widerstreben war schwer zu besiegen. Dem Ministerium Hohenwart war sie deshalb freundlich gesinnt. Es war ihr alles fremd, was sich 1848 auftat. Sie hatte nicht etwa in Bayern solche Eindrücke empfangen, denn ihr Vater, König Maximilian, gab die Verfassung und führte Neuerungen ein, die weit über das Notwendige hinausgingen. Die Erzherzogin übte in Osterreich politischen Einfluß, besonders im Jahre 1848. Als aber Fürst Schwarzenberg Ministerpräsident wurde, trat sie mehr in den Hintergrund, denn beide waren sie ganze Naturen, und Schwarzenberg wollte allein die Herrschaft üben. Es ist, soviel ich weiß, nicht richtig, daß sie nach dem Tode des Fürsten wieder mehr auf die Geschäfte Einfluß genommen habe. In der Zeit, in der ich um sie war, von 1865 bis 1872, war es gewiß nicht mehr der Fall. Man hat in all diesen Dingen weit übertrieben. Daß sie jemals aus eigener Initiative dem Kaiser dieses oder jenes geraten habe, kommt mir unwahrscheinlich vor. Es ist auch nicht richtig, daß sie ihren Sohn, Erzherzog Ferdinand Max, darin bekräftigt habe, die mexikanische Kaiserkrone zu übernehmen. Ihn trieb der eigene Ehrgeiz und der Wunsch seiner Frau, der Kaiserin Charlotte. Wohl aber ist es Tatsache, daß Sophie den Erzherzog vermochte, vor seiner Abreise nach Mexiko auf seine Erbrechte in Osterreich zu verzichten. Dies nahm sie auf sich, weil Kaiser Franz Joseph es wünschte. Sie fühlte sich eben als die erste Untertanin ihres Sohnes und stellte sich ihm zur Verfügung. Überhaupt war sie eine feurige Patriotin, weit besser wie viele geborene Osterreicherinnen. Sie war von lauterer Wahrheitsliebe und von solcher Offenheit, daß sie ihren Widerspruch gegen eine Meinung, die nicht die ihrige war, nicht unterdrücken konnte. Wenn sie aber selbst eine Behauptung ausgesprochen hatte, die sich als unrichtig erwies, so beeilte sie sich, dies demjenigen zu sagen oder sagen zu lassen, dem gegenüber sie den Irrtum begangen hatte. Mitunter lag sogar etwas Schroffes in der Bestimmtheit, mit der sie eine ihr falsch erscheinende Ansicht ablehnte. Ihr Charakter war lauter und ihre Bildungsinteressen weit. Sie interessierte sich für viele Dinge, besonders auf dem Gebiete der Literatur. Das Verhalten gegen ihren Mann, den sie in jeder Beziehung überragte, war tadellos. Sie ging auf seine oft kleinlichen Liebhabereien ein und gab ihm ihre Überlegenheit nicht zu erkennen. Einmal, als der Kaiser eine für ihn bezeichnende Entscheidung traf, sagte ich zur Kaiserin: „Seine Majestät ist zart besaitet." Darauf erwiderte die Kaiserin: „Es ist richtig, er ist sehr zart besaitet." Er ist gewohnt, daß man ihn ehrerbietigst und sanft anfasse. Er verlangt es als Kaiser, und er ist auch
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dazu erzogen, so behandelt zu werden. Wenn ihn also irgendjemand in den besten Formen und ehrerbietig um eine Sache bittet, von welcher der Kaiser überzeugt ist, daß sie unerfüllbar sei, so kann er in liebenswürdiger Weise und unter Angabe der Gründe dieses Ersuchen ablehnen, so schwer es ihm auch ist, Bitten nicht zu erfüllen. Wenn dagegen jemand schroff und selbst verletzend an ihn herantritt, so kann er so überrascht sein, daß er gewissermaßen in sich zusammensinkt und die also gestellte Forderung erfüllt. Der Kaiser hatte die beste Meinung von dem Grafen Julius Andrässy und hatte ihn eigentlich gerne. Aber Graf Julius Andrässy konnte bei der besten Absicht es nicht ungeschehen machen, daß er dem Kaiser überlegen war. Das fühlte dieser, und er konnte es nicht ganz verwinden. Andrässy kam oft in die Lage, dem Kaiser auseinandersetzen zu müssen, daß das, was dieser für richtig halte, verfehlt sei. Daraus ergaben sich unüberwindliche Schwierigkeiten. Er brachte den Kaiser auch zu Entschlüssen, die überraschend sind im Hinblick auf die Auffassungen des Hofes. Man kann sich von der Feindseligkeit des Hofes und der kaiserlichen Familie gegen Deutschland keine rechte Vorstellung machen. Die Erbitterung, die Erzherzog Karl Ludwig, ein Mann von großer Güte, der allerdings nichts anderes als gut war, gegen Preußen hegte, kann schwer geschildert werden. Als der Kronprinz Friedrich Wilhelm zum ersten Mal nach der Gründung des deutschen Reiches einen Besuch am Wiener Hofe machte, fürchtete der Kaiser, er könnte durch Unhöflichkeiten verletzt werden. Da sagte er zu mir, ich möge doch dafür sorgen, daß ihm der Titel Kaiserliche Hoheit von niemandem versagt werde und alle Formen eingehalten würden. Darauf warf ich, Friedjung, verwundert die Frage ein, ob denn der Kaiser nicht die Autorität in seiner Familie und am Hofe besitze, um seinen Willen durchzusetzen. Ich erhielt von der Gräfin die Antwort: „Vielleicht wollte der Kaiser eben diese Autorität durch mich geltend machen und beauftragte mich, in diesem Sinne zu wirken. Übrigens gibt es kaum etwas Undisziplinierteres wie die kaiserliche Familie, was aus vielen Beispielen bekannt ist. Genug, Graf Andrässy vermochte diese Abneigung zu überwinden und den Kaiser zum Abschluß des Bündnisses mit Deutschland zu bestimmen12. Besonders Erzherzog Albrecht war ein entschiedener Preußenfeind. Die Schwierigkeiten, die dem Grafen Andrässy daraus erwuchsen, bestimmten ihn, seine Demission zu geben13. Er war wirklich müde von der Arbeit, alle die Schwierigkeiten zu bekämpfen, die ihm gemacht worden waren. Allerdings stand Kaiserin Elisabeth auf seiner Seite und stützte ihn." „Als er vom Amte zurückgetreten war, fragte er mich einmal, was der Kaiser meiner Meinung nach über ihn denke. Darauf erwiderte ich: ,Er hegt die 12 13
Der Zweibund vom 7. 10. 1879. Graf Gyula Andrässy war vom 14. 11. 1871 bis 8. 10. 1879 Minister des Äußern.
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Landgräfin Therese Fürstenberg
größte Hochachtung vor Ihnen, aber er hegt die Absicht, mit dem Grafen Taaffe zu kochen, und wollte sich dabei von Ihnen nicht stören lassen.' Graf Andrässy hätte dem Kaiser wohl vorgestellt, daß es unklug sei, sich mit den Tschechen so tief einzulassen und die Deutschen zu verletzen. Er dachte sich, nun wolle er mit dem Grafen Taaffe arbeiten, Graf Andrässy stehe ihm noch immer, wenn er ihn ernennen wolle, zur Verfügung. Es ist unbegreiflich, daß ein Herrscher von dem Feingefühl Franz Josephs sich so sehr an den Grafen Taaffe anschloß, der ein abscheulicher Mensch war, unfein und ein Trunkenbold." „Ich habe in meinem Leben drei sehr schlaue Menschen am Hofe kennengelernt. Der erste war Graf Grünne. Er war im höchsten Grade ungebildet wie soviele Offiziere seiner Zeit, aber ein Pfiffikus ohnegleichen, ein wahrer Fuchs. Schlau im Verkehr am Hofe, grob und rücksichtslos dagegen Leuten gegenüber, die er nicht zu schonen brauchte. Seine Freunde nannten ihn deshalb einen ungeschliffenen Diamanten. Der zweite, gleichfalls überaus schlaue Mann ist Baron Bänffy. Ich kannte ihn noch nicht, als man mir einmal sagte, er sei ein .ungeschliffener Diamant'. Als ich ihn nun kennenlernte, war ich überrascht von seiner geistigen Ähnlichkeit mit dem Grafen Grünne. Er gab sich für den loyalsten Anhänger der Dynastie, für eine feste Stütze des kaiserlichen Hauses in Ungarn. Als ich einmal dem Grafen Goluchowski gegenüber meine Bedenken über Bänffy äußerte, erwiderte dieser: ,Sie tun Bänffy Unrecht. Er ist der loyalste unter allen Ministerpräsidenten, die Ungarn gehabt hat.' Ich war entrüstet über diese Behauptung und fragte Goluchowski ungehalten, von wann er denn eigentlich rechne. Von der Unbildung Bänffys kann man sich schwer eine Vorstellung machen. Er spricht Deutsch sehr schlecht. Um aber bei Hof den Eindruck hervorzurufen, daß er die deutsche Sprache fördere, antwortete er immer deutsch, auch wenn man ihn ungarisch fragte. Ich konnte meine Abneigung gegen ihn nicht verbergen. Nun saßen wir einmal in Ischl, der ganze Hof, der Kaiser, die Kaiserin, etwas entfernter die Erzherzogin Marie Valerie, ich in der Nähe des Kaisers und neben mir Baron Bänffy. Es war mir lange nicht möglich, an ihn das Wort zu richten. Ich merkte, daß dem Kaiser dies auffiel, und um irgendetwas zu sagen, bemerkte ich in ungarischer Sprache: ,Die Musikaufführung aus Anlaß des Millenniums14 war sehr schön.' Bänffy antwortete: ,Ich muß wohl glauben, daß das Orchestrum gut ist, da ich auch von Ihnen Lob höre. Auch der ,Tann' hat das Orchestrum sehr gelobt.' Ich verstand sofort, was Bänffy sagen wollte, aber ich bin eine schlechte Person und gab mir den Anschein, als ob ich nicht verstünde und fragte: ,Wer ist denn der ,Tann'?',Gnädigste Gräfin kennen den ,Tann' nicht? Er ist das französi-
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Die Feiern anläßlich des 1000jährigen Bestandes des ungarischen Staates im Frühjahr und Sommer 1896.
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sehe Blatt.' ,Der ,Temps'!' sagte ich. Selbst der Kaiser mußte lächeln, und man sah, daß der ganze Hof nur mühsam das Lachen unterdrückte. Kurz darauf warf die Erzherzogin Marie Valerie die schüchterne Frage auf, ob man denn nicht wisse, wer denn der Mörder des Grafen Sztäray gewesen sei. ,0 ja', sagte Baron Bänffy sofort. ,Man weiß das ganz genau. Graf Sztäray hatte einen Bedienten, und der Bediente hatte eine Braut.' Alles war entsetzt über diese lapidare Erklärung, der er nichts weiter hinzufügte, aber die vollständig klar war. Tatsache aber ist, daß Baron Bänffy den Eindruck hervorrief, daß man sich unbedingt auf ihn verlassen könne, und daher genoß er auch bis kurz vor seinem Sturze das Vertrauen des Kaisers." „Der dritte dieser Füchse ist Baron Fejerväry. Ich kenne Fejerväry seit vierzig Jahren und schätze ihn als einen tapferen Offizier, als einen eleganten Kavalier, aber sein Charakter läßt viel zu wünschen übrig. Ich kann es nun nicht verwinden, daß er eine reiche Frau heiratete, ihr Vermögen durchbrachte und dann den Versuch machte, sie ins Irrenhaus zu sperren. Auch muß ich es tadeln, wie Baron Fejerväry die Gnade des Kaisers fur sich nutzbar macht. In diesen Dingen - Sie verstehen mich wohl - läßt der Charakter des Baron Fejerväry viel zu wünschen übrig. Er ist von glühendem Ehrgeiz beseelt, und sein höchstes Ziel war seit langer Zeit, Ministerpräsident zu werden. Er schmeichelte sich schon nach Wekerles Sturze, statt Bänffy ins Amt zu kommen. Aber mit Bänffy war er dann ein Herz und eine Seele und war seine unbedingte Stütze beim Kaiser, bis dieser sich an Bänffy gewöhnte. Es war Fejerväry unangenehm, daß sich der Kaiser und Szell von Anfang an verstanden, und daß seine Vermittlung infolgedessen nicht notwendig war. Daß er den Fall Szells durch seine Intrigen vorbereitete, ist bekannt. Nun führte er die Ministerpräsidenten der Reihe nach dem Kaiser auf, also auch den Grafen Stephan Tisza, der allerdings zunächst kein Kabinett zustandebrachte. Es ist nicht richtig, daß Tisza mit Fejerväry am Sturze Szells mitgearbeitet hat; es dauerte lange, bis er sich bestimmt fühlte, das Amt des Ministerpräsidenten anzunehmen. Er ist ein Mann von lauterem Charakter und war nach den Wahlen von 1905 innerlich gebrochen15, aber nicht, weil seine persönliche Eitelkeit verletzt war, sondern weil er den Glauben an die Größe der Nation verloren hatte; war er doch fest überzeugt, daß Ungarn ihm behilflich sein werde, das Chaos zu ordnen und die schlechte Geschäftsordnung abzuschaffen16. Er war ganz im Rechte, denn die Geschäftsordnung ist ein Gesetz wie jedes andere, und ein Beschluß des Abgeordnetenhauses 15
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Die Wahlen im Jänner 1905 endeten mit einer Niederlage der regierenden Liberalen, worauf Ministerpräsident Graf Istvän Tisza zurücktrat. Zu den Zielen des Kabinetts Tisza gehörte es, durch eine Geschäftsordnungsreform die Obstruktion im ungarischen Reichsrat zu besiegen. Als dieses Vorhaben scheiterte, löste Graf Istvan Tisza Ende November 1904 das Abgeordnetenhaus auf und schrieb Neuwahlen aus.
Heinrich von Tschirschky
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kann diese Geschäftsordnung ändern. Auf diesem Gedanken baute er seine Aktion auf. Als er nach den Wahlen mich zum erstenmal besuchte, sah ich sofort, es ist etwas in ihm gebrochen. Man merkte ihm sofort das Leid an, die Enttäuschung, daß sein Glaube an die Nation ihn betrogen habe. Eine führende Stellung wird ihm doch wieder einmal zufallen." „Endlich sah Fejerväry das Ziel seines Ehrgeizes in die Nähe gerückt. Er hatte erreicht, was er erreichen wollte17, aber er täuschte sich. Er hatte in seinem Selbstvertrauen geglaubt, alles aufs Schneidigste durchsetzen zu können, und darin irrte er sich. Er hat gar nichts erreicht. Er ernannte die abscheulichsten Menschen zu königlichen Kommissären und Obergespänen. In meinem Komitat wurde ein Mann königlicher Kommissär und wollte im Namen des Königs regieren, der im Verdachte stand, den Verehrer seiner Frau auf der Jagd erschossen zu haben. Da kamen die Bauern zu mir und sagten mir: ,Wie ist es möglich, daß der König solche Männer wählt?' Glauben Sie nicht, daß Fejerväry dann freiwillig von seinem Amte zurücktrat. Er wußte offenbar, daß der Kaiser die Ernennung des Koalitionsministeriums wünsche, und deshalb machte er ihm in aller Eile Platz18; denn er ist ein Höfling, der dem Kaiser die Wünsche von den Augen absieht."
Heinrich von Tschirschky, deutscher Botschafter in Wien
Februar 1908 К 4, U Notizen und Druckunterlagen zur Persönlichkeitsgeschichte Aehrenthals; Sekretär 3
aWenige
Tage nach der Rede Aehrenthals mit der Ankündigung der Sandschakbahn19.8 Angriffe wie die jetzt gegen Österreich-Ungarn erhobenen sind wir in Berlin gewohnt. Man beschimpft uns in der französischen und russischen Presse, ob wir nun etwas tun oder ob wir es unterlassen, ob wir reden oder schweigen. Nun ist dies auch Osterreich widerfahren. Ich freue mich, daß daraus mit vollster Bestimmtheit erhellt, daß Deutschland doch der einzi17
10 19
Nach dem Rücktritt des Kabinetts Tisza leitete General Geza Fejerväry vom 18. 6. 1905 bis 8. 4. 1906 ein nichtparlamentarisches Ministerium. Am 8. 4. 1906 löste eine Koalition aus Unabhängigkeits- und Verfassungspartei unter Sändor Wekerle die Regierung Fejerväry ab. Der Außenminister hatte seine Balkanbahnpläne erstmals am 28. 1. 1908 in der ungarischen Delegation bekanntgegeben, gemeint ist jedoch wahrscheinlich Aehrenthals Rede vom 31. 1. 1908 im Budgetausschuß der österreichischen Delegation. Von russischer Seite wurde das Vorgehen bezüglich der Bahnprojekte als Bruch der Vereinbarungen zur Erhaltung des Status quo am Balkan betrachtet. Ergänzung durch Friedjung.
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ge zuverlässige Freund Österreichs ist. Der Botschafter konnte kaum das Vergnügen verbergen, das ihm diese Angriffe verursachen. Es tut ihm offenbar wohl, daß es einmal auch über Osterreich hergehe, doch sprach er dieses Gefühl natürlich vorsichtig und in der verbindlichen Form aus, daß daraus die Notwendigkeit des Bundes zwischen Wien und Berlin hervorgehe. Was Aehrenthal über das deutsche Bündnis und die Politik sagte20, unterschreibe ich vollständig. Es ist nicht ganz richtig, wie Sie glauben, daß Aehrenthal die Tatsache festlegte, die Entente zwischen Rußland und Österreich-Ungarn in Mazedonien sei jetzt zu Ende21. Ich habe den Absatz gerade jetzt gelesen und fasse ihn so auf, daß die Entente aufgehört habe, wirksam zu sein bezüglich der Justizreform. Da die zunächst interessierten Mächte die Entscheidung über die Justizreform der Botschafterkonferenz in Konstantinopel übertragen haben, so ist ihr unmittelbares Eingreifen beendet. Es kann sich dagegen aus anderen Anlässen wieder erneuern. Die Angriffe, die sich gegen Aehrenthal und Iswolski kehren, mögen von panslawistischen und nationalrussischen Kreisen herrühren. Iswolski gilt den Nationalrussen nicht für voll. Von mütterlicher Seite ist er kein Russe, und er selbst gibt seiner Vorliebe für englisches Wesen stets Ausdruck. Er ist darin etwas Snob, kleidet sich immer ä l'anglaise nach der neuesten Mode. Er riecht den Nationalrussen zuwenig nach Juchten. Deshalb möchten ihn viele Leute in Petersburg weghaben und greifen ihn an, angeblich weil er sich von Aehrenthal habe überrumpeln lassen. Der ganze Sturm wird aber, wie ich glaube, ohne Folgen vorübergehen. Es ist, so sagte der Botschafter scherzhaft, ein großer Schritt zwischen solchen Konflikten und einem Krieg. Ich will kein Prophet sein, doch vermute ich, daß sich die Aufregung in kürzester Zeit legen wird. Ich sehe "eine meiner Aufgaben8 als Botschafter in Wien darin, die Leute in Österreich und Ungarn mit der Uberzeugung zu erfüllen, daß sie viel unbefangener die Mithilfe und auch die Mitarbeit des deutschen Kapitals betrachten müssen. Es ist richtig, daß die Deutschen in Österreich darin nicht mißtrauisch sind; es ist mir aber bestimmt zu Ohren gekommen, ich würde es nicht sagen, wenn ich es nicht wüßte, daß gerade aus den Kreisen der nordböhmischen Fabrikanten an die österreichische Regierung die Aufforderung gekommen sei, das deutsche Kapital von dem Bau der Sandschakbahn fernzuhalten. Natürlich ist dies bei den Slawen viel mehr der Fall. Bezeichnend für die Schwierigkeiten, die wir in Österreich finden, ist Folgen20
In seiner Delegationsrede am 31. 1. 1908 betonte Außenminister Aehrenthal, daß sich Österreich-Ungarn innerhalb des bestehenden Bündnisses die Freiheit der politischen und wirtschaftlichen Entscheidungen behalte. 21 Die Balkanentente von 1897, die Veränderungen des Status quo von vorheriger Konsultation abhängig machte. a " Korrigiert durch Friedjung von meine Hauptaufgabe.
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Heinrich von Tschirschky
des: Sie wissen, daß vor einigen Jahren in Triest die Austro-Americana entstanden ist. Da der Lloyd stark abnimmt, vereinigte man kleinere Unternehmen zur Austro-Americana. Man wollte hierbei die Erfahrungen der Hamburger Reeder und ihre Kapitalien mitbenützen, und Ballin richtete die Sache ein22. Nach einigen Kinderkrankheiten florierte das Unternehmen. Da wollte man nun auch eine Verbindung zwischen Triest und Argentinien herstellen; die österreichische Regierung erklärte aber plötzlich, sie könne diese Route nicht bewilligen, wenn das deutsche Kapital sich nicht aus der Austro-Americana zurückziehe. Ballin trat also aus der Gesellschaft aus, und die Herren sind wieder unter sich. Ich weiß genau, welche Einflüsse tätig waren, erwiderte Tschirschky, als ich fragte, ob die tschechischen Handelsminister Fort und Fiedler die Hände mit im Spiele hätten, indessen will ich mich darüber nicht äußern. Sehen Sie, niemand findet etwas Merkwürdiges daran, daß das französische Kapital jetzt in Belgrad herrschend ist. Niemand ist auf Frankreich eifersüchtig. Wenn wir aber in Osterreich-Ungarn geschäftlich tätig sind, so zeigt sich überall Eifersucht. In Belgrad entwickelten sich die Dinge so, daß Osterreich Wert darauf legte, als Mitbewerber bei den serbischen Lieferungen aufzutreten; die Deutschen nun, um nicht im Wege zu stehen, traten in den Hintergrund, und die Folge davon war, daß die Franzosen auf Kosten der Österreicher vorgezogen wurden. So verloren wir beide den Markt, und die Franzosen bleiben Sieger als der tertius gaudens. Unser großes Ziel muß also sein, ein Zusammenwirken österreichischen und deutschen Kapitals, österreichischen und deutschen Gewerbefleißes zur Erwerbung neuer Positionen zusammenzuspannen [sie!]. Ich bin unermüdlich darin, dies den Leuten hier zu sagen, und werde jede Unterstützung mit Dank annehmen. Was das Verhältnis zu Ungarn betrifft, so halte ich es für ganz unklug, den Magyaren irgendwelche Schwierigkeiten zu machen. Sie sind eine Stütze des Bündnisses mit Deutschland, und wenn sie auf Kosten der Slawen zurückgedrängt würden, so würden diese letzteren für uns sehr unangenehm sein. Ich finde es begreiflich, daß man sich von österreichisch-zentralistischer Seite gegen die Ubergriffe der Magyaren kehrt, aber in ihrem eigenen Lande sollte man sie unbedingt Herren sein lassen und sich weder der Deutschen, noch der Slawen, noch der Rumänen annehmen. Ich spreche hier nicht vom humanitären Standpunkt, der vielleicht ein anderes Verhalten erfordert; das politische Interesse Deutschlands aber stimmt mit dem der Magyaren vollständig überein.
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An der Gründung der Austro-Americana 1904 war neben der Hamburg-Amerika-Linie, deren Generaldirektor Albert Ballin war, auch der Bremer Norddeutsche Lloyd beteiligt.
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Baron Max Vladimir Ministerpräsident
von Beck, Frühjahr 1908 К 4, U Notizen und Druckunterlagen zur Persönlichkeitsgeschichte Aehrenthals; Sekretär 3
Baron Beck begann mit der Besprechung der Verhältnisse im Abgeordnetenhause und von der Mühe, die es ihm gekostet habe, in dem deutschböhmischen Streite, dem Justizminister Klein beinahe zum Opfer gefallen wäre23, einen Vergleich herbeizuführen. Ich beglückwünschte ihn zu der Gewandtheit und zu seinem Erfolge, was er gerne hinnahm. Das allgemeine Wahlrecht24, so sagte er, habe doch nicht alle Erwartungen erfüllt, die man daran knüpfte. Der Sprachenstreit sei doch schärfer als zu hoffen stand, doch sei nicht zu leugnen, daß die Sozialdemokraten inmitten der beiden bürgerlichen Parteien eine gute Wirkung üben, und er erhofft sich von deren „Verwendbarkeit" noch manchen Vorteil. Er werde alles tun, um die Brücke zwischen beiden Nationalitäten zu schlagen, „obwohl", wie er hinzufügte, „von meinem konservativen Standpunkte aus doch zu besorgen8 ist, daß nach vollzogener Versöhnung wieder eine liberale Zeit kommt. Ich schrecke davor zwar nicht zurück, weil ich von der Annahme ausgehe, daß die Liberalen etwas gelernt haben und nicht in ihren alten Fehler verfallen werden, zu weit nach links gehen zu wollen." Nachdem der Minister einige Zeit über diesen Gegenstand gesprochen hatte, bemerkte ich, daß mir, der sich auch publizistisch wenig mit aktiver innerer Politik beschäftigt, die kleinen Verhältnisse in Böhmen von geringerer Wichtigkeit erscheinen als die Reichsfragen, die Behandlung Ungarns und insbesondere die Frage des Ausbaues der Armee, die doch im Mittelpunkte aller anderen stehe. Darauf erwiderte der Ministerpräsident mit großer Lebhaftigkeit: „Ich bin der entgegengesetzten Ansicht wie Sie. Ich bin nicht der Meinung, daß die Militärfrage die große Wichtigkeit besitzt. Nach meiner Überzeugung liegt in den deutsch-tschechischen Angelegenheiten der Schlüssel der ganzen Aktion. Wenn es gelingen sollte, die beiden Nationalitäten zu versöhnen, so werden wir Ungarn gegenüber so stark sein, alle gerechten Änderungen durchsetzen zu können." Überrascht durch diese Erklärung wandte ich ein, daß ein Ausgleich in Böhmen in dem Sinne, daß die Rechnung ohne Bruch aufgehe, doch niemals zu erwarten sei, während der Ausbau der Armee nach den Worten des 23
In den Budgetberatungen im Dezember 1907 blockierten die Tschechen das Justizbudget, bis Ministerpräsident Beck die Einbringung einer Sprachengesetzvorlage zusagte. 24 Am 26. 1. 1907 hatte Kaiser Franz Joseph die Wahlreformgesetze, wodurch das allgemeine, gleiche Männerwahlrecht fur das österreichische Abgeordnetenhaus eingeführt wurde, sanktioniert. " Korrigiert durch Friedjung von befürchten.
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Baron Max Vladimir v o n Beck
Kriegsministers, sie sei im Verdorren begriffen 25 , von großer Wichtigkeit sei. Der Ministerpräsident ließ dies nicht gelten, ging jedoch auf meinen Gedanken ein, und ich lenkte a das Gespräch 8 zur Hauptsache, indem ich sagte, zur glücklichen Lösung der Reichsfragen scheine mir ein enges Zusammenwirken des gemeinsamen Ministeriums und des österreichischen Ministeriums von großer Wichtigkeit, und ich sprach die Besorgnis aus, daß diese Beziehungen nicht die besten seien. Darauf der Ministerpräsident: „Es ist nicht meine Schuld, wenn nicht alles so geht, wie es gehen sollte. Übrigens erfülle ich dem Freiherrn von Aehrenthal loyal meine Pflicht, werde im Mai die Delegationen wählen lassen und werde auch allen Bedingungen nachkommen, damit die Erhöhung der Offiziersgagen in Cisleithanien anstandslos stattfinde 26 . Ich tue das, obwohl die Angelegenheit ungeschickt angefaßt wurde. Die Erhöhung wurde von dem konservativen b Adel aufs Tapet gebracht in der bestimmten Absicht, meinem Kabinett Schwierigkeiten zu bereiten; man wollte die Sache übers Knie brechen. Ich sehe darüber hinweg, und, wie Sie sehen, sind von mir Maßregeln getroffen, um der gemeinsamen Regierung Verlegenheiten zu ersparen, cdie daraus erwachsen können, daß sie sonst seine [sie!] Demission angekündigt hat c ." Darauf ich: Gewiß Exzellenz, durch Ihre Maßregeln sind alle mechanischen Elemente des Zusammengehens mit dem gemeinsamen Ministerium erfüllt, nicht aber die geistigen. Ein volles Zusammenstehen der beiden Regierungen macht sich nicht bemerklich. „Das ist wie gesagt nicht meine Schuld", war die Antwort Becks. „Sie wissen, welche Schwierigkeiten Baron Aehrenthal mir unmittelbar nach Abschluß des Ausgleiches mit Ungarn bereitete 27 . Er trat mir in der Form aufs Schroffste entgegen, und auch in der Sache proponierte er Lösungen, die nicht so günstig waren wie das, was ich mit Wekerle vereinbart hatte. Er handelt so, als ob er als Minister des Äußern eine überlegene Stellung einnehmen würde, und es scheint, daß er in Rußland eine Neigung zu autokratischem Verhalten eingesogen hätte, zu 25
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In der Sitzung der österreichischen Delegation am 21. 2. 1908 erklärte Kriegsminister Franz von Schönaich, daß eine Lösung der militärischen Probleme unbedingt nötig sei, da „die Armee verdorrt." Ein im November 1907 im Abgeordnetenhaus angenommener Dringlichkeitsantrag auf Erhöhung der Offiziers- und Mannschaftsgagen war in der Wintersession 1907/08 von der österreichischen Delegation zum Beschluß erhoben worden. Er fand jedoch nicht die Zustimmung der ungarischen Delegation. Vgl. zur Position des Außenministers, der sich besonders gegen jede Einmischung in jene Bereiche wandte, die er als sein Aufgabengebiet ansah, Aus dem Nachlaß Aehrenthal Teil 2, 547-548. Korrigiert durch Friedjung von ihn. Korrigiert durch Friedjung von feudalen. gestrichen.
Frühjahr 1908
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dem doch keine Veranlassung ist. Es gibt nur eine Form, in der ein Zusammenwirken der gemeinsamen und der österreichischen Regierung möglich ist. Wenn nämlich Baron Aehrenthal mich rechtzeitig von allen wichtigen Maßregeln unterrichtet, die er vorhat. Glauben Sie, daß ich von ihm informiert worden bin, daß er den Bau der Sandschakbahn zu betreiben gedenke?28 Ich habe dies erst durch seine Rede in der Delegation erfahren. Und welches sind die Folgen seines Auftretens? Die Sandschakbahn ist noch nicht gebaut und ist, wie allgemein bekannt, nicht von großer Bedeutung. Im Gegensatz hierzu ist die Entente mit Rußland, die ein positiver Vorteil war, aufgelöst worden29, sodaß sich ein Minus in der ganzen Aktion herausstellt. Als ich einwandte, daß Österreich-Ungarn doch seit der Übernahme der Geschäfte durch Aehrenthal sich eines erhöhten Einflusses in Europa erfreue, erwiderte Beck lebhaft: „Das ist nicht das Verdienst Baron Aehrenthals, das ist ausschließlich mein Verdienst. Nur dadurch, daß der zehnjährige Ausgleich mit Ungarn abgeschlossen wurde30, und daß diese ganze Frage aus der Welt geschafft wurde, nur dadurch ist das Ansehen Österreichs in Europa aufs Neue befestigt, und nur auf Grund dieser Errungenschaft kann Aehrenthal eine aktivere Politik in der Orientfrage betreiben. Übrigens", so fügte er einlenkend hinzu, „wünsche ich nichts sehnlicher als ein loyales Zusammenwirken mit ihm, allerdings auf der Grundlage, daß ich von allen wichtigen Maßregeln, die er vorhat, als Ministerpräsident früher Kenntnis habe. Wenn Sie mit ihm zusammenkommen, dann, so bitte ich Sie, wirken Sie in diesem Sinne. Ich kenne Ihre Diskretion, ich weiß, daß Sie nichts im Verkehre mit ihm von dem verlauten lassen werden, was ich Ihnen über mein Verhältnis zu ihm gesagt habe. Wenn Sie ihn aber in dem von mir bezeichneten Sinne bestimmen können, so wird dies im Interesse der Erledigung der Staatsgeschäfte einen nicht geringen Wert besitzen."
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Vgl. zu Aehrenthals Plänen eines Anschlusses des bosnischen an das türkische Bahnnetz, die er in der Delegationssession Ende Jänner 1908 bekanntgab, Solomon Wank, Aehrenthal and the Sanjak Novibazar Railroad. A Reappraisal; in: Slavonic and East European Review 42 (1964) 353-369. Die Vereinbarung aus dem Jahr 1897 hatte als Grundlage die Erhaltung des Status quo am Balkan und die vorherige Konsultation bei Änderungen dieses Zustandes. Rußland betrachtete das Vorgehen Außenminister Aehrenthals in der Sandschakbahnfrage als Bruch dieses Übereinkommens. Ende 1907 konnte ein neuer wirtschaftlicher Ausgleich zwischen Österreich und Ungarn in beiden Staaten parlamentarisch verabschiedet werden, wodurch eine zehnjährige Periode von Provisorien zu Ende ging.
Heinrich von Tschirschky
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[Ende Mai 1908] К 4, U Notizen und Druckunterlagen zur Persönlichkeitsgeschichte Aehrenthals; Sekretär 3
Einen Tag vor dem Besuche bei Aehrenthal31 hatte ich ein Gespräch mit dem deutschen Botschafter. Der Vergleich dieser beiden Unterredungen zeigt, daß die Gedankengänge der beiden Staatsmänner vielfach übereinstimmen. Besonders fiel mir auf, daß beide die Furcht der Engländer vor einem Angriffe auf das indische Reich so hoch anschlagen. Ich war überrascht, dies von Tschirschky zu hören, und hielt es mehr fur eine Redefloskel, die ein deutscher Diplomat braucht, um die Übertriebenheit der englischen Befürchtungen vor Deutschland recht scharf hervorzuheben. Um so auffallender war es mir, daß Aehrenthal fast dieselbe Redewendung gebrauchte. Es scheint also, daß die beiden Männer in ihrem Gedankenaustausche der eine dem anderen jene Idee suggeriert habe. Als Tschirschky davon sprach, warf ich ein: Sollte nicht viel mehr die Rücksicht auf Arabien und der Wunsch der Engländer, das Protektorat über die heiligen Stätten Mekka und Medina zu erhalten, mitspielen? Schon haben die Engländer im Südosten Arabiens festen Fuß gefaßt, und bei dem Zerfall der Türkei wird dies die Hauptfrage für die mohammedanische Welt werden. Tschirschky stimmte lebhaft bei und fügte eine interessante Auseinandersetzung hinzu. Es ist bekannt, so sagte er, daß die Sultane von Konstantinopel die Schutzhoheit über Mekka und Medina gewonnen haben, als sie sich im 16. Jahrhundert Ägyptens bemächtigten. Damals wurde das Kalifat nach Konstantinopel übertragen. Wenn nun die Türkei den europäischen Besitz und Konstantinopel verlieren sollte, so könnte die Frage auftauchen, ob sie, da ihre Sultane nur mehr die Herren eines türkisch-tatarischen Volksstammes wären, noch immer das Recht besäßen, Mekka und Medina zu regieren. Damit müssen die Engländer rechnen, wenn ich auch zugebe, daß all dies Zukunftsmusik ist und für den gegenwärtigen Gang der Geschichte nicht bestimmend ist. Ich fragte Herrn von Tschirschky, ob der Bau der Sandschakbahn für Iswolski nur ein Anlaß gewesen sei, die Entente zu lösen32, oder ob er sich durch das österreichische Vorgehen wirklich verletzt gesehen habe. Gewiß ist das letztere gleichfalls anzunehmen. Mag sein, daß die Sandschakbahn nur der Tropfen war, der den Becher zum Uberlaufen brachte, aber es war 31 32
Vgl. S. 89-92. Vgl. dazu Solomon Wank, Aehrenthal and the Sanjak Novibazar Railroad. A Reappraisal; in: Slavonic and East European Review 42 (1964) 353-369. Der russische Außenminister betrachtete Aehrenthals eigenmächtiges Vorgehen als Bruch der Entente von 1897, die als Basis die Erhaltung des Status quo am Balkan und die vorherige Konsultation bei Änderungen dieses Zustandes hatte.
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ein starker Tropfen, es war eine starke Verletzung des russischen Selbstbewußtseins. Dann, so warf ich ein, hätte Aehrenthal vielleicht besser getan, sich mit den Russen ins Einvernehmen zu setzen, bevor er mit dem Sandschakbahnprojekt an die Pforte henrantrat. Das will ich nicht behaupten, sagte Tschirschky. Bedenken Sie, welche Folge es gehabt hätte, wenn die Russen Einspruch erhoben hätten. Was hätte Aehrenthal dann tun können? Sollte er auf seine Eisenbahnpläne verzichten? Das wäre schlimm genug gewesen. Fast noch schlimmer aber wäre es gewesen, wenn er, über die Russen hinwegschreitend, sich dann doch nach Konstantinopel gewagt hätte: Er hätte [sie!] dann dort ihrem Widerstand begegnet. Er mußte diese Dinge abwägen, und offenbar kam er innerlich zu dem Entschluß. daß es besser sei, etwas zu wagen, um das Ziel zu erreichen.
Freiherr Alois Lexa von Aehrenthal, Außenminister Juni (?) 1908" К 4, U Notizen und Druckunterlagen zur Persönlichkeitsgeschichte Aehrenthals; Sekretär 3 b
Kurze Zeit vor der Zusammenkunft in Reval zwischen Edward VII. und Nikolaus II. 190833.b Die nächste Sorge, die mich beschäftigt, ist die Lage in Kroatien und Bosnien. In Bosnien hat man die Zügel doch zu sehr gelockert. Freiherr von Buriän ist zwar eine wohlmeinende und ernste Persönlichkeit, aber es fehlt ihm die feste Hand, mit der Kailay im Lande waltete. Man wird etwas bestimmter zugreifen müssen. Nicht etwa, daß ich für die Unterdrückung der Serben bin. Einseitig kann auf keinen Fall regiert werden, Osterreich kann sich aber eine Auflehnung nicht gefallen lassen. In Kroatien wird man sich entscheiden müssen, mit welcher Partei man regieren will, denn das jetzige absolutistische Regiment mit Baron Rauch ist nicht haltbar. Ich habe dem ungarischen Ministerpräsidenten erklärt, daß schon der äußeren Politik wegen die Dinge so nicht weitergehen können. Nun ist die alte unionistische Politik nicht wiederherzustellen, sodaß die ungarische Regierung die Wahl hat, ob sie mit der serbisch-kroatischen Koalition34 oder mit der Frank-Partei35 Frie33
Die Begegnung der beiden Monarchen fand am 9. und 10. 6. 1908 statt. Die 1905 gegründete serbisch-kroatische Koalition, die einen antiösterreichischen Kurs verfolgte. Sie hatte zunächst eine Verbindung zur ungarischen Koalition, die 1906 an die Macht kam, gesucht. 35 Die von Josip Frank geführte Reine Rechtspartei war aus der von Ante Starcevic gegründeten Rechtspartei hervorgegangen. Sie war konservativ-klerikal, antiserbisch und österreichfreundlich. ' Aufgrund des Inhaltes dürfte das Gespräch Ende Mai 1908 stattgefunden haben. b_b Ergänzung durch Friedjung. 34
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Freiherr Alois Lexa von Aehrenthal
den machen will. Staatssekretär Szterenyi war jüngst bei mir, der ein überaus intelligenter Mann ist, intelligenter, wie ich glaube, als Sieghart, der hier dieselbe Rolle spielt. Er nun setzte mir auseinander, daß die Ungarn unmöglich zur Koalition zurückkehren können, da dies einen Rückzug bedeute; so wird wohl nichts übrig bleiben, als daß man die Starcevicianer heranzieht. Als ich nun ausrief, das sei eine politische Komödie, sah er mich etwas fragend an, und ich fügte erklärend hinzu, eine politische Komödie nicht für das gemeinsame Ministerium; "es sei aber höchst seltsam®, da sich die Magyaren mit den ihnen feindseligen Großkroaten auseinandersetzen müßten. Allerdings, war die Antwort, aber die Sache ist bereits im Zuge, und in naher Zeit schon dürfte in der Öffentlichkeit etwas verlauten. Uber die Erhöhung der Offiziersgehalte bin ich ziemlich ruhig36. Die Sache wird allem Anschein nach im Mai erledigt werden. Was nun den großen Schauplatz der äußeren Politik betrifft, so stimme ich Ihnen zu, wenn Sie sagen, daß es den Eindruck mache, daß die Engländer Europa in Brand stecken wollen. Natürlich ohne Ubertreibung sei dies ausgesprochen. Grey gibt unaufhörlich seiner schlechten Laune darüber Ausdruck, daß in Konstantinopel der deutsche Einfluß überwiegt. Der Sultan soll durch Drohungen und Quälereien dazu bestimmt werden, sich lieber einer englisch-russischen Vormundschaft anzuvertrauen. Hierbei spielt bei den Engländern immer die Furcht für ihre Herrschaft in Indien mit. Von den Russen droht keine Gefahr. Die Engländer haben es sich aber in den Kopf gesetzt, daß die Deutschen über Syrien und Mesopotamien hinweg sie in Indien bedrohen wollen. Dem wirken sie nun durch die kräftigsten Mittel entgegen. Es sind phantastische Annahmen, aber sie scheinen eine Wirkung zu üben. Gewiß, Ihre Vermutung ist richtig: Wenn Bulgaren und Griechen immer wieder durch das Vorgehen Enlgands aufgereizt werden, so wird es endlich zum Kriege kommen. Freilich hängt alles davon ab, ob sich Rußland bestimmen läßt, diese Politik mitzumachen. Bei Iswolski besteht gewiß Neigung dazu. Kurze Zeit, nachdem er Minister geworden war, sagte er mir: Es wäre eigentlich richtig, daß Rußland und Österreich-Ungarn die Ernennung eines Generalgouverneurs in Mazedonien in Vorschlag brächten, um den Engländern den Wind aus den Segeln zu nehmen. Ich wies selbstverständlich auf das Bedenkliche des Vorschlages hin und suchte ihn davon abzuhalten. Er aber arbeitet offenbar auf ein Einverständnis mit England hin. Die Vorarbeit hierzu war die Vereinbarung mit England bezüglich Persiens, wodurch die asiatischen Fragen bereinigt wurden37. 36 37 a_a
Vgl. zum österreichischen Antrag auf Erhöhung der Offiziers- und Mannschaftsgagen S. 86 Anm. 26. Im Vertrag vom 31.8.1907 einigten sich England und Rußland auf die Teilung Persiens in Interessensphären, während Afghanistan dem englischen Einfluß zugeordnet wurde. Korrigiert durch Friedjung von aber vom ungarischen Standpunkte.
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Dann trat man aus Petersburg und London im Dezember 1907 mit einem merkwürdigen Ansinnen an mich heran. Man wünschte, daß wir drei und Frankreich dazu in der Frage der Justizorganisation gemeinsam einen Schritt in Berlin unternehmen sollten, um Deutschland zu bestimmen, nachdrücklich mit uns in der Angelegenheit vorzugehen. Das war eine gegen Deutschland geplante Feindseligkeit: Es sollte ganz Europa gegen sich vereinigt3 sehen. Dies lehnte ich ab und erwies dadurch dem Fürsten Bülow einen großen Dienstb. Als er nun kurze Zeit darauf mit der Polenvorlage hervortreten wollte38, ersuchte ich ihn, damit zu warten, wenigstens solange, bis die Sitzungen der Delegationen vorüber seien, damit mir die Schwierigkeiten in der Delegation erspart würden. Er nun hatte sich den Dienst gefallenlassen, den ich ihm leistete; zu einem Gegendienst aber war er nicht zu haben. Ich habe ihm im Verlauf der Angelegenheit wie bei dem Besuche, den er mir vor vierzehn Tagen gemacht hat39, und auch in einem Briefe an ihn auseinandergesetzt, in welche schwierige Lage er die österreichische Regierung dadurch den Polen gegenüber bringe. Seine Politik ist nicht haltbar, und er mag nun sehen, wie er mit dem Enteignungsgesetz zu Ende kommt. Schwerlich werden dadurch Resultate erzielt werden; ich vermute aber, daß dies der letzte von den fehlerhaften Schritten ist, welche die deutsche Regierung in der Polenfrage unternimmt. Wir selbst werden durch die harte Behandlung unserer Saisonarbeiter zu steten Beschwerden veranlaßt. Gerade jetzt schwebt eine Angelegenheit, die ich als österreichisch-ungarischer Minister nicht ruhen lassen kann, und wo unseren Staatsbürgern wirklich Unrecht widerfuhr. Indessen, das sind nur Zwischenfalle, und in der Hauptsache sind Deutschland und Österreich-Ungarn infolge der Schwenkung der russischen Politik zu einem festeren Zusammenschluß gelangt, was mir natürlich ganz willkommen ist. Die Sandschakbahn-Angelegenheit war nicht der Anlaß für das Abschwenken Rußlands, aber man hat die Sache benützt, um einen Grund zu finden, die Entente vor aller Welt zu lösen40. Nun ist es wahr, daß der letzte russische Vorschlag (die Antwort auf den englischen Generalgouverneursplan) zuerst nach Wien gemacht 38
Ein am 26. 11. 1907 von der preußischen Regierung eingebrachter Gesetzesentwurf sah zur Erleichterung der Germanisierung der polnischen Gebiete die Möglichkeit der Enteignung polnischer Grundbesitzer vor. Vgl. zu den Reaktionen im österreichischen Abgeordnetenhaus und in der Delegation S. 68. 39 Im Rahmen der Feiern des 60jährigen Regierungsjubiläums Kaiser Franz Josephs am 7. 5. 1908 war zwar Staatssekretär Wilhelm von Schoen mit Außenminister Aehrenthal zusammengetroffen, nicht jedoch Reichskanzler Bernhard von Bülow. 40 Die Balkanentente von 1897 war auf Basis der Erhaltung des Status quo geschlossen worden. Rußland betrachtete Aehrenthals eigenmächtiges Vorgehen in der Bahnfrage als Bruch dieses Abkommens. " Korrigiert durch Friedjung von auftreten. b Korrigiert durch Friedjung von Gefallen.
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wurde41. Das war aber nur Schein, denn unmittelbar darauf wurden auch die anderen Mächte verständigt, sodaß dies mehr eine Visitkarte zum Abschied war, so eine Art p.p.c., bevor die Entente ganz gelöst wurde. Ihre Vermutung, daß die Ablehnung des Generalgouverneurs seitens Rußlands daher rührt, daß das Petersburger Kabinett doch nicht so rücksichtslos wie England die mazedonische Frage aufrollen will, ist zutreffend. Die Russen haben ein zerrüttetes Militärwesen, stehen dem Balkan näher wie die Engländer und können sich nicht wie diese, die fern vom Schusse sind, ohne weiteres in ein Abenteuer stürzen. Deshalb ist Iswolski vor dem englischen Vorschlag zurückgeschreckt. "Aber England besitzt für Rußland einen Köder, dem es schwer widerstehen kann. Es hat ganz den Anschein, daß man in London die Revision des Dardanellenvertrags ins Auge faßt, sodaß die russischen Kriegsschiffe das Recht der Ausfahrt erhalten sollen. England kann das ruhig gestatten, da die russische Flotte im Schwarzen Meer ihm nicht gefährlich ist; diese „paar Schinakeln" sind eigentlich niemand gefährlich als den russischen Admirälen. Daraus können sich neue Verwicklungen ergeben.8 Sie fragen, ob der Zar etwa Iswolski zurückhalten würde. Das glaube ich nicht, denn Nikolaus II. läßt seine Minister im Allgemeinen walten und ''ergreift in den Geschäften nicht die Initiativeb. Es wäre ihm natürlich persönlich lieber, mit den beiden Kaisern von Osterreich und Deutschland im Einvernehmen zu leben, mit ihnen zusammenzugehen, er wird aber Iswolski bisher nicht zurückgehalten haben. Es ist nun meine und Bülows Bemühung, den Russen immer wieder klar zu machen, daß man nur den Engländern einen Dienst erweist, wenn man mit ihnen zusammen gegen die Türkei schürt. Wenn nun die Russen im Bewußtsein ihrer militärischen Schwäche und in dem natürlichen Wunsche, sich der Regeneration zu widmen, sich von England nicht ins Schlepptau nehmen lassen, dann wird die orientalische Frage wieder versumpfen. Ich hoffe es, aber vollständig sicher bin ich nicht.
Die britischen Vorschläge zur mazedonischen Frage, die unter anderem die Bestellung eines christlichen Generalgouverneurs vorsahen, waren am 8. 3. 1908 gleichzeitig in den Hauptstädten der europäischen Großmächte übergeben worden. Die russische Antwort war am 16. März zunächst an die Wiener Regierung ergangen. """ Ergänzung durch Friedjung. b_b Korrigiert durch Friedjung von übt auf das Detail der Geschäfte keinen entscheidenden Einfluß. 41
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Freiherr Alois Lexa von Aehrenthal, Außenminister 29. September 1908 К 4, U Notizen und Druckunterlagen zur Persönlichkeitsgeschichte Aehrenthals; Sekretär 3 Mein Besuch bei Aehrenthal, der auf seine Aufforderung hin stattfand, erfolgte an demselben Tage, an welchem die englischen Blätter, insbesondere die Times, heftige Angriffe gegen Österreich-Ungarn richteten (Besuch des Fürsten Ferdinand und seiner Gemahlin bei Kaiser Franz Joseph in Budapest42), angeblich, weil es Bulgarien zu den Gewaltmaßregeln gegen die der Türkei gehörigen Eisenbahnlinien und zur Proklamation der Unabhängigkeit aufforderte 43 . Nach den ersten Worten der Begrüßung bat ich Aehrenthal um seine Meinung über diese Feindseligkeiten. Der Minister überraschte mich durch die ruhige Heiterkeit seiner Haltung und seiner Äußerungen. Er lächelte und sagte: Es ist ganz gut, daß man über Österreich-Ungarn herfallt, denn dies ist der Beweis, daß es eine selbständige Politik führt und seine Interessen wahrt. Es ist keine Frage, daß diese Angriffe von der englischen Regierung inspiriert sind. Sie verfolgt den Zweck, uns mit Rußland zu veruneinigen. Das ist die Methode, welche England in der letzten Zeit konsequent verfolgt. Die Sache hat jedoch jetzt deswegen keine Bedeutung, weil ich diesmal der Übereinstimmung mit Rußland sicher bin; und Sie werden sehen, daß die russischen Blätter, wenigstens die von der Regierung abhängigen, auch nicht mit einem Worte in die Anklagen der englischen Blätter einstimmen. Darauf meine Frage: „Somit führte die Zusammenkunft mit Iswolski zu Buchlau44 zum erwünschten Ergebnisse?" Ja, Herr Iswolski ist ein „nachtragerischer" Herr, und wir haben deshalb alle Differenzen des letzten Jahres in Buchlau durchbesprochen. Es ist gelungen, die Differenzen zu bereinigen. Wir haben sodann die auf dem Balkan zu erwartenden Verwicklungen durchgesprochen. Es ist zu erwarten, daß sich wegen des bulgarisch-türkischen Streitfalles keine Schwierigkeiten ergeben werden. Ich habe dem Fürsten Ferdinand in Budapest Vorstellungen wegen des Ubergriffes seiner Re42
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Fürst Ferdinand hatte den Kaiser Ende September in Budapest besucht und dabei am 23. und 24. 9. 1908 auch politische Gespräche mit Außenminister Aehrenthal geführt. Times v. 29. 9. 1908, 5, The Austro-Hungarian Protest. From Our Own Correspondent. Darin wird der öst.-ung. Protest gegen die Übernahme der - in türkischem Besitz sich befindlichen, aber von einer Betriebsgesellschaft, die ihren Sitz in Wien hatte, geführten - Orientalischen Bahnen durch die bulgarische Regierung als nicht sehr ernstzunehmend bezeichnet. Die Unabhängigkeitsbestrebungen Bulgariens werden darin nicht erwähnt. Der russische Außenminister war am 15. 9. 1908, von einer Kur in Karlsbad kommend, mit seinem östereichisch-ungarischen Amtskollegen in Buchlau, dem mährischen Schloß des Botschafters in St. Petersburg Graf Leopold Berchtold zusammengetroffen.
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gierung, die Eisenbahnen betreffend, gemacht, aber da sein Ministerium erklärt, daß es zurücktrete, wenn er die Herausgabe der Linien verlangen sollte, und da es sicher ist, daß er kein anderes Ministerium fände, so wird Bulgarien auf seiner Weigerung beharren und die Linien behalten. Für uns ist der Umstand unbequem, daß die Betriebsgesellschaft der orientalischen Bahnen eine österreichische Gesellschaft ist45. Übrigens wird sich der Lauf der Dinge auf der Balkanhalbinsel nicht aufhalten lassen. Wir müssen damit rechnen, daß Bulgarien seine Unabhängigkeit erklärt, und was mich betrifft, so werde ich mich dieser Eventualität gegenüber freundlich verhalten. Ich warf nun ein: „Exzellenz sind also wirklich der böse Mann, als den Sie die englische Presse hinstellt?" Darauf Aehrenthal: Ich sehe nicht ein, weshalb wir uns die Bulgaren zu Feinden machen und das kräftigste und zukunftsreichste Element auf der Balkaninsel uns entfremden sollen. Die bulgarische Armee hat in den letzten Jahren so große Fortschritte gemacht, daß sie nach dem Urteil aller Sachverständigen den Türken vollauf gewachsen ist. Fürst Ferdinand hätte deshalb schon vor drei Jahren gut getan, die Unabhängigkeit zu erklären, und wenn er kein „Patzer" ist, so wird er die Sache jetzt endlich ins Werk setzen. „Und sind daraus keine größeren Verwicklungen zu befürchten?" fragte ich. „Und wird das jetzt hochgestimmte Nationalbewußtsein der Türken46 nicht auf einen Krieg gegen Bulgarien dringen?" Das halte ich, erwiderte Aehrenthal, nicht für wahrscheinlich. Die Türken werden die Dinge, die sie nicht hindern können, unter Protest geschehen lassen. Die Folge der Loslösung Bulgariens wird für die Türkei auch eine gute Wirkung, und zwar bezüglich Mazedoniens, haben. Bis jetzt ist der Exarch in Konstantinopel das Haupt der bulgarischen Kirche sowohl im Fürstentum wie in Mazedonien. Wenn aber Bulgarien selbständig wird, ist diese Stellung des Exarchen unhaltbar, und es wird eine autokephale im Fürstentum oder Königreich gebildet werden müssen. Der Exarch in Konstantinopel bleibt somit nur das Haupt der Bulgaren des türkischen Reiches und ist dann viel mehr von der Türkei abhängig. Als ich nun fragte, ob der Sultan und die reaktionäre Partei nicht die willkommene Gelegenheit ergreifen würden, einen Krieg mit Bulgarien zu beginnen und damit dem Tatendrange der türkischen Offiziere ein neues Gebiet zu eröffnen, zögerte [sie!] Aehrenthal mit den Achseln, wie um anzudeuten, daß er darüber keinen Bericht besitze. 45
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Die Orientalischen Bahnen standen unter der Kontrolle des Wiener Bankvereines. Den Vorwand für die Übernahme der in Bulgarien liegenden Streckenteile durch die bulgarische Regierung Mitte September 1908 bildete ein Streik, worauf die Regierung in Sofia erklärte, die nationale Sicherheit im Kriegsfalle (Aufmarsch der Truppen) sei durch die bisherigen Betreiber nicht gewährleistet. Im Zuge der von Saloniki ausgehenden jungtürkischen Revolution wurde die Verfassung von 1876 wiedereingeführt und Wahlen, auch für Bosnien-Herzegowina, ausgeschrieben.
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Das Urteil Aehrenthals über die englische Politik war diesmal von ungewöhnlicher Schärfe. Er warf ihr vor, daß sie die Festlandsmächte unaufhörlich gegeneinander ausspiele. Diesmal tadelte er in einem erkennbaren Widerspruche zu den mir anfangs August gegenüber gemachten Bemerkungen® mit lebhaften Worten die Schritte König Edwards in der Frage der Flottenabrüstung. Er fand es unerhört, daß England dreimal hintereinander mit demselben Ansinnen an Deutschland herangetreten sei, obwohl es die Ansicht der deutschen Regierung genau kennt. Das erst Mal geschah dies auf der Haager Friedenskonferenz, das zweite Mal auf einem anderen Wege, über den er sich nicht näher ausließ, und das dritte Mal bei der Zusammenkunft König Edwards mit Kaiser Wilhelm zu Cronberg. Der König und Hardinge äußerten mir darüber zu Ischl ihre tiefe Verstimmung, aber ich erwiderte ihnen, daß nach der ganzen Haltung der deutschen Regierung die Antwort Kaiser Wilhelms zu erwarten war47. Das Gespräch wandte sich dann auf meine Bitte den ungarischen Angelegenheiten zu, hier aber fand ich den Minister nicht so bestimmt und klar wie in seiner einheitlichen und energischen Auffassung der äußeren Politik. Ich formulierte in einigen Sätzen das Dilemma, vor dem die Krone in Ungarn steht. Sie müsse sich entscheiden, ob sie durch die Wahlreform die magyarische Präponderanz befestigen wolle48, und dann täte sie klug, als Preis für ihre Nachgiebigkeit die Vergrößerung und den Ausbau der gemeinsamen Armee zu verlangen; erhoffe man sich aber vom allgemeinen Wahlrecht eine günstigere parlamentarische Mehrheit - was nicht sehr wahrscheinlich ist - , dann dürfe der Kaiser auch nicht das Pluralitätsvotum zugestehen, um die Hoffnungen der Nationalitäten und der demokratischen Parteien nicht zu enttäuschen. Die Äußerungen Aehrenthals lauteten etwa wie folgt: Eine endgültige Entscheidung in der Wahlreformfrage ist noch nicht gefallen. Unrichtig ist, daß die Vorsanktion des Andrässyschen Entwurfes erfolgt sei. Der Kaiser eröffnete dem Grafen Andrässy wohl, daß er gegen das Prinzip des Pluralvotums keine grundsätzliche Einwendung erhebe, behielt sich aber die Entscheidung über den Entwurf einer näheren Prüfung vor. Es ist in Aussicht genommen, daß der Kaiser, bevor er sein letztes Wort spricht, die Ansichten von hervorragenden Persönlichkeiten aus den verschiedenen Parteilagern hören wird. Es ist nicht vorsichtig seitens des Grafen Andrässy, 47
Der englische König hatte Mitte August 1908 zunächst Kaiser Wilhelm in Cronberg im Taunus und darauf den österreichischen Kaiser in Bad Ischl besucht. Dabei führte Außenminister Aehrenthal auch Gespräche mit dem britischen Unterstaatssekretär Sir Charles Hardinge. 48 Der Wahlreformentwurf des ungarischen Innenministers Graf Gyula Andrässy, den dieser am 11. 11. 1908 im Abgeordnetenhaus einbrachte, beruhte auf dem Pluralwahlrecht und hätte Besitz und Bildung sehr stark bevorzugt, um die Vorherrschaft der magyarischen Oligarchie zu sichern. • Aufzeichnungen vom August 1908 sind nicht erhalten.
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daß er verkündet, er werde den Entwurf Ende Oktober dem Abgeordnetenhause vorlegen oder aber zurücktreten. Bis Ende Oktober wird keine Entscheidung fallen können. Am 8. Oktober beginnen die Delegationen und werden etwa einen Monat in Anspruch nehmen. Schwerlich wird der Kaiser schon bis dahin die Entscheidung gefällt haben. „Wird nicht gleichzeitig", so fragte ich, „die Zustimmung der ungarischen Regierung zur Armeereform verlangt werden49?" Auch darauf erhielt ich keine ganz bestimmte Antwort. Es ist nicht notwendig, die Sache zu übereilen. Wohl ist der Stand der Mannschaft in der Armee hinter dem Bedürfnisse zurückgeblieben, aber es liegt in den Traditionen ein guter Kern, und man muß es sich überlegen, durch Neuerungen daran zu rühren. Wahrscheinlich wird in der österreichischen Delegation die Erörterung der Frage angeregt werden. Die Kriegsverwaltung wird sich zuerst ein Bild verschaffen müssen, wieweit die österreichische Delegation in ihren finanziellen und sonstigen Zugeständnissen gehen will. Auf dieser Grundlage wird man zu einem festen Plane gelangen, wird man die Einigung mit Ungarn versuchen können. Den Schluß des Gespräches bildete das Verhältnis Aehrenthals zu Baron Beck. In den letzten Wochen näherte sich Baron Beck dem Minister des Äußern, und dieser meinte, er selbst habe sich ja nie ablehnend verhalten. Es ist offenbar zu besseren Beziehungen gekommen, aber ich entnahm aus den Worten Aehrenthals deutlich, daß sein Urteil über die Schwäche des Ministeriums Beck in seinem Verhalten gegenüber den Parteien kein günstigeres geworden ist50. Ohne daß ich ihn fragte oder daß er mir eine Andeutung machte, erhielt ich den Eindruck, daß sich das Ministerium Beck über Neujahr hinaus nicht halten werde.
Graf Heinrich von Lützow, Botschafter in Rom September 1908 К 4, U Notizen und Druckunterlagen zur Persönlichkeitsgeschichte Aehrenthals; Sekretär 4 Als ich vor vier Jahren nach Rom kam, sprach ich mich besonders gut mit Luzzatti, der eine der hervorragendsten Finanzkapazitäten Europas ist. Wir sprachen über das Verhältnis Österreich-Ungarns zu Italien, und Luzzatti sagte mir: „Wir wollen die Angelegenheit jetzt nicht wie Amtspersonen besprechen, sondern ich frage Sie als Mann zu Mann: Ist es nicht richtig, daß bei Ihnen die Absicht eines Angriffes auf Italien besteht?" Ich war über diese Frage begreiflicherweise im höchsten Grade erstaunt und bemühte mich, 49
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Eine Zustimmung Ungarns zu einem neuen Wehrgesetz, verbunden mit einer Anhebung der Rekrutenkontingente, konnte erst 1912 erreicht werden. Vgl. S. 68 f.
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diese Auffassung zu berichtigen. Doch muß ich freilich sagen, daß es unter den alten Generälen der Armee noch einen oder den anderen gibt, der sich mit diesem Gedanken trägt. So sprach ich erst kürzlich mit einem dieser Herren, der an mich das sonderbare Ansinnen stellte, ich möchte doch in meiner Stellung zur Einleitung eines solchen Krieges etwas tun, was ich natürlich auf das Entschiedenste ablehnte. Als ich ihn fragte, was er damit bezwecken wolle, sagte er: „Nun, wir werden uns einfach das Festungsviereck wieder nehmen51!", eine kindliche Auffassung, wenn man bedenkt, daß in dem Festungsviereck auch Menschen wohnen, die sich nicht von Osterreich werden beherrschen lassen wollen. Wir würden dann eine neue Auflage des Risorgimento erleben. Was die oft besprochene Romreise des Kaisers Franz Joseph betrifft52, so ist die Sache ja jetzt ausgeschlossen, da der Kaiser keine Reisen ins Ausland mehr macht. Ich selbst war früher der Meinung, daß eine solche Reise die Beziehungen zwischen Wien und dem Königreich Italien erheblich verbessern würde. Von dieser Ansicht bin ich abgekommen. Wohl würde der erste Eindruck ein günstiger sein, und einige Monate lang würde er nachwirken. Indessen würde das nicht lange vorhalten. Ich habe dieser Ansicht auch in Wien Ausdruck gegeben. Es kommt immer darauf an, ob die österreichischen Italiener durch Wachsen des Wohlstandes und durch Berücksichtigung ihrer billigen Forderungen an den Irredentismus vergessen. In Italien selbst hat der Irredentismus als Faktor aufgehört. Die Italiener sind nicht mehr der Ansicht, daß sie das Trentino durch einen Krieg gewinnen könnten. An Triest denken die ernsten Leute überhaupt nicht, weil sie wissen, daß dies auch Deutschland nicht gestatten würde. Viele von ihnen sind auch so klug, sich zu sagen, daß, wenn Österreich zusammenbräche, sie Nachbarn des deutschen Reiches würden, und dies wäre für sie eine weit größere Unannehmlichkeit als das Nebeneinanderleben mit Österreich-Ungarn, das zufrieden damit ist, wenn man es in Ruhe läßt. In Bezug auf die Romreise sprach ich einmal mit Muraviev, dem jetzigen Botschafter in Rom, ehemaligen Justizminister, einem der hervorragendsten Köpfe Rußlands. Er gab mir vollständig Recht. In diesem Augenblicke verhandelt man viel über den Gegenbesuch, den der Zar dem König von Italien machen sollte53. Es besteht die Absicht, diesen Besuch nicht in Rom zu empfangen, und zwar aus Rücksicht für die Sicherheit des russischen 51
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Die 1866 verlorenen Festungen Verona, Mantua, Peschiera und Legnago. In einem späteren Gespräch (S. 258 f.) bezeichnete Graf Heinrich Lützow Generalstabschef Franz Conrad von Hötzendorf als Urheber dieser Ansicht. Der italienische König Umberto hatte vom 27. bis 31. 10. 1881 Wien besucht, der Gegenbesuch Franz Josephs kam aufgrund des Boykottes Roms durch die katholischen Monarchen aus Rücksicht auf den Papst nicht zustande. Dieser Besuch war bereits für den Oktober 1903 geplant gewesen, jedoch aufgrund der Meldungen über Attentatspläne italienischer Anarchisten abgesagt worden. Die beiden Monarchen trafen schließlich am 24.10.1909 im norditalienischen Racconigi zusammen.
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Graf Heinrich v o n Lützow
Kaisers. Die große Zahl russischer und italienischer Anarchisten, die in Italien leben, legt eben die größte Vorsicht auf. Dadurch würde das Prinzip durchbrochen werden, daß der König von Italien die Gegenbesuche nur in Rom empfangen will. Und damit wäre auch für den Fall eines Thronwechsels in Österreich-Ungarn ein günstiges Präzedens geschaffen. In diesem Falle würde auch der jetzige Thronfolger als Kaiser nicht gerade in Rom erscheinen müssen. Es ist nicht meine Ansicht, daß das Wiener Kabinett in [der] Lage wäre, vermittelnd zwischen Quirinal und Vatikan einzugreifen und jene Schwierigkeit aus dem Wege zu schaffen. Viel eher könnte dies ein kleinerer Hof, etwa der von Portugal tun, der mit dem Hause Savoyen nahe verwandt ist. Es gehen ohnedies schon viele unterirdische Verbindungen zwischen Vatikan und Quirinal, und man steht sich nicht mehr feindselig gegenüber. Eine Heilung kann nur von innen heraus stattfinden. Ein Eingreifen von unserer Seite hätte keinen Erfolg. Als Aehrenthal bei der Pforte den Ferman für die Sandschakbahn betrieb54, teilte er dies dem Botschafter in Rom mit, bat ihn aber, hierüber der italienischen Regierung die strengste Reserve zu bewahren. Darauf erwiderte der Botschafter, er werde gewiß der Weisung Folge leisten, mache aber aufmerksam, daß dieses Verfahren unpraktisch sei. Wenn Tittoni durch den Bau der Sandschakbahn überrascht würde, so wäre das für ihn eine Beleidigung, und er würde sich den größten Vorwürfen im Parlamente aussetzen, er sei unfähig, er sei getäuscht und so weiter. Darauf erhielt der Botschafter die Erlaubnis, Tittoni eine vertrauliche Mitteilung zu machen, und dies erwies sich als sehr zweckmäßig. Denn als Aehrenthal seine Rede hielt55, die den bösesten Widerhall in Petersburg, Paris und London fand, instruierte Tittoni die italienische Presse in dem Sinne, daß er unterrichtet gewesen sei und alles friedlich beglichen wäre. So kam es, daß von dieser Seite keine Angriffe auf das Wiener Kabinett erfolgten. So scheint mir auch, daß es in diplomatischen Dingen immer am besten sei, mit offenen Karten zu spielen, die Geheimniskrämerei zu vermeiden. Ich fragte einmal Baron Aehrenthal, was ihn bestimmt habe, Iswolski nicht ins Vertrauen zu ziehen. Er erwiderte mir, daß Rußland in diesem Falle seinen ganzen Einfluß aufgeboten hätte, den Bau der Sandschakbahn zu verhindern, denn die Absicht Iswolskis, die Entente mit Osterreich zu lockern, ist schon vordem ganz deutlich gewesen. Die Schwierigkeiten für Baron Aehrenthal sind mannigfacher Art. Er steht mit Baron Beck nicht gut, mit Wekerle besser, aber doch nicht sehr vertraut. Es scheint auch, daß seine Beziehungen zu dem Thronfolger sich et54
55
In einem geheimen Erlaß vom 23. 12. 1907 (vgl. Aus dem Nachlaß Aehrenthal Teil 2, 566-568) war der Botschafter in Konstantinopel Markgraf Johann Pallavicini aufgefordert worden, von der türkischen Regierung die Genehmigung zu Vorstudien für das Bahnprojekt zu erwirken. Die Delegationsrede vom 31. 1. 1908, in der er die Bahnpläne veröffentlichte.
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was gelockert haben. Aehrenthal ist eine durchaus selbständige Natur, die keinen Einfluß auf sich üben läßt, und das hat man im Belvedere unangenehm empfunden. Wenn der Thronfolger etwa zu der Ansicht kommen sollte, der Bau der Sandschakbahn sei die Trübung des Verhältnisses nicht wert, so wäre dies für Aehrenthal schlimm genug. Außerdem sind ihm durch die Behandlung des Nuntius Schwierigkeiten erwachsen56. Aehrenthal nimmt das Verhalten des Nuntius als persönliche Beleidigung. Daß Belmonte einem Zeitungsberichterstatter gegenüber eine Behauptung des auswärtigen Amtes £ils unrichtig darstellt, widerspricht allem diplomatischen Brauch und hat Aehrenthal aufs Tiefste aegriert. Jetzt verkehrt er nicht mehr mit ihm, was die Kurie auf das Tiefste verstimmt; sie ruft Belmonte nicht ab, und er mußte sogar auf seinen Urlaub verzichten und in Wien bleiben, damit es nicht heiße, Rom gebe nach. Es ist mir nur unverständlich, wie Aehrenthal die Auffassung haben kann, er verkehre mit Belmonte nicht, er ignoriere ihn vollständig. Dann müßten dem Nuntius auch die anderen Ehrenrechte entzogen werden, wie ihm schon die offizielle Einladung für den Festzug57 verweigert wurde. Man müßte ihm auch die Portofreiheit etc. entziehen, und das ist doch mit dem diplomatischen Brauch nicht übereinstimmend.
Freiherr Alois Lexa von Aehrenthal, Außenminister 6. Oktober 1908 К 4, U Notizen und Druckunterlagen zur Persönlichkeitsgeschichte Aehrenthals Am 6. Oktober 1908 erschien ich auf Einladung Aehrenthals bei ihm, am Vortage des 7. Oktober, an dem die Einverleibung Bosniens und der Herzegowina ausgesprochen wurde. Ich war damals noch von der Sorge erfüllt, daß Rußland Einspruch erheben werde; die Kühnheit der Lossagung von dem Berliner Vertrage beunruhigte mich, da ich wie alle Welt angenommen hatte, ÖsterreichUngarn werde sich wenigstens die Zustimmung der Pforte holen, wenn es sich auch über das Votum der anderen Signatarmächte des Berliner Friedens hinwegsetze. Mit diesen Empfindungen trat ich in das Zimmer des Ministers.8 56
Im Zuge der Affare um den Innsbrucker Kirchenrechtler Dr. Ludwig Wahrmund hatte der neuernannte Wiener Nuntius Monsignore Gennaro Belmonte der katholisch-konservativen Wiener Zeitung Vaterland ein Interview gegeben, das am 17. 3. 1908 erschienen war. Darin meinte er, er habe an den Außenminister das ausdrückliche Verlangen gestellt, Wahrmund von seiner Position zu entfernen. Aehrenthal widersprach dieser Aussage und brach darauf alle offiziellen Kontakte mit dem Nuntius ab. 51 Der Festzug anläßlich des 60jährigen Regierungsjubiläums Kaiser Franz Josephs am 12. 6. 1908 in Wien. " Randbemerkung: Nachzutragen ist, was Aehrenthal in derselben Unterredung über das Abkommen mit Italien sagte.
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Aehrenthal war ruhig wie immer, aber seine Gesichtsfarbe etwas blasser, aber im Laufe des Gesprächs röteten sich seine Wangen. Nun fragte er mich, Sie wissen wohl schon, was ich vorhabe? Was sagen Sie dazu? „Das Vorgehen Österreich-Ungarns", sagte ich richtig doch zurückhaltend, „beweist vor allem Mut." „Und das ist gut", bemerkte er rasch. „In diesem Augenblicke (es war kurz nach 2 Uhr) ist unsere Note an die Türkei wahrscheinlich schon von Pallavicini in Konstantinopel übergeben worden58. Darin erklären wir, daß wir durch 30 Jahre für die Ausführung des Berliner Vertrages gesorgt haben und der Pforte Gelegenheit gegeben haben, sich in dessen Rahmen zu konsolidieren. Der Zweck der Bestimmungen des Vertrages bezüglich Bosniens und des Sandschaks ist also erfüllt. Mit Hinblick darauf kündigen wir die Konvention mit der Türkei von 187Э59; der Kaiser erklärt sich in den okkupierten Provinzen für souverän, zugleich aber räumt er den Sandschak, da die Ordnung in diesen Gebieten gesichert ist." „Machen wir", so warf ich ein, „die Räumung des Sandschak nicht davon abhängig, daß die Pforte unsere Souveränität in Bosnien abhängt [sie!]? Das ist die Reaktion, die ich für richtig halte." „Nein, wir werden mit der Räumung sofort beginnen. Alle unsere Militärs, der Kriegsminister, der Generalstabschef und auch die übrigen stellen fest, daß unsere Besatzungsrechte dort wertlos sind. Wir stecken im Sandschak wie in einer Mausefalle. Wir geben durch diese Maßregel eine sichere Bürgschaft dafür, daß wir nichts von [sie!] den uns zugeschobenen abenteuerlichen Anschlägen auf Saloniki zu tun haben. Auch Italien, daß unsere Absichten auf Albanien beargwöhnte, ersieht daraus unsere Uneigennützigkeit. Sind wir doch auch in Gefahr, wegen des Sandschaks mit den Albanesen in Konflikt zu geraten, und wenn jemals dort unsere Truppen angegriffen würden, so wäre unsere Ehre verpfändet, und wir müßten ein Armeekorps zur Bekämpfung des Gebietes verwenden. Die Türkei erhält den Schlüssel zu dem aus dem Norden führenden Tore wieder zurück und kann sich in Mazedonien ganz nach ihren Bedürfnissen einrichten. Wir gönnen ihr doch alles Gute, sie kann ihre Verfassung ruhig erklären60, ella farä da se." „Wir aber", fuhr Aehrenthal fort, „haben jetzt freie Hand, auch unsererseits in Bosnien eine Verfassung einzuführen. Das wäre sonst nicht möglich gewesen. Wir haben nämlich Nachricht erhalten, daß die Pforte das Recht des Kaisers Franz Joseph, in Bosnien eine Verfassung zu geben, zu bestreiten beabsichtige. Darauf aber konnten wir es nicht ankommen lassen." „Diese Mitteilung ist sehr wichtig", warf ich ein, „es wäre ratsam, sie in die 58 59
60
Vgl. ÖUA Bd. 1, 112-114. Darin hatte Österreich-Ungarn die Souveränität des Sultans über die besetzten Provinzen anerkannt. Im Zuge der jungtürkischen Revolution waren die Verfassung von 1876 wieder eingeführt und Wahlen auch für Bosnien-Herzegowina ausgeschrieben worden.
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Welt zu setzen, weil wir dadurch auf die öffentliche Meinung in Europa in erwünschtem Sinne einwirken können. Wir entkräften so den Vorwurf, als ob wir Gegner der Verfassungsbewegung in der Türkei wären." „Gewiß", antwortete Aehrenthal, „Sie selbst können die Nachricht benützen, und ich werde sie auch Benedikt (Neue Freie Presse) mitteilen, der um 4 Uhr zu mir kommt. Die Verfassungsfrage war für uns ein wichtiger Anstoß, und in der Note an die Türkei ist dies ausdrücklich gesagt. "Ich werde deshalb auch in den Delegationen sagen, daß wir unter den Zwängen eines kategorischen Imperativs handelten.3 Nur so können wir den Agitationen in Bosnien ein Ende machen. Denn es bestehen Verbindungen zwischen Jungtürken und Serben, um uns Verlegenheiten zu bereiten. Dem mußte entgegengetreten werden. Die Annexion ist ein Schlag, den wir gänzlich gegen das uns feindselige Serbien führen. Da die Sache so stand, so befanden wir uns vor einer dreifachen Wahl: Entweder mußten wir unter den genannten Hindernissen in Bosnien eine Verfassung einführen und uns dabei auf die großen Schwierigkeiten gefaßt machen, oder wir waren genötigt, zur Festhaltung der Provinzen unsere Truppen daselbst zu verstärken und ein Armeekorps zu mobilisieren, oder endlich wir schritten zur Einverleibung; und so blieb uns unter diesen Verhältnissen bloß dieser letzte Schritt übrig; wie gesagt, es war ein kategorischer Imperativ." Darauf hielt ich es für geboten, auch meine Bedenken auszusprechen. Ich bat ihn, mir zu sagen, ob er sich der Zustimmung Rußlands versichert habe. Denn ich sei doch sehr beunruhigt, ob nicht von Petersburg ein Einspruch erfolgen werde. Darauf erfolgte eine Enthüllung von der größten Wichtigkeit, durch die auch erklärt ist, wieso es kam, daß Iswolski nach den Feindseligkeiten des Sommers61 nichts gegen den Schritt Österreich-Ungarns unternahm. „Iswolski", so erzählte Aehrenthal, „hat uns selbst den Vorschlag gemacht, nicht bloß Bosnien, sondern auch den Sandschak zu annektieren." „Auch den Sandschak?" fragte ich verwundert. „Ja, auch den Sandschak, und ich habe dieses Anerbieten, da die Verhandlungen gefuhrt wurden, auch schriftlich, sodaß ich im Stande wäre, falls er Schwierigkeiten macht, durch die Veröffentlichung ihn bloßzustellen. Und deshalb glaube ich auch nicht, daß er uns als Gegner entgegentritt. Wohl möglich, daß er, um der öffentlichen Meinung Rußlands entgegenzukommen, irgendeinen Seitensprung macht; aber bei dieser Sachlage sind wir gesichert und könnten [ihn] schwer kompromittieren. Ich bin aber aus den früher angeführten Gründen nicht auf die Einverleibung des Sandschak eingegangen, wir begnügen uns mit Bosnien und Herzegowina." 61
Ausgelöst durch Außenminister Aehrenthals Ankündigung, das bosnische mit dem türkischen Bahnnetz mittels einer Verbindungsbahn durch den Sandschak von Novibazar zu verknüpfen. Ergänzung.
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Ich war aufs Tiefste über diese Schwenkung Iswolskis erstaunt; wie war es nur möglich, daß er uns nach den Schwierigkeiten des Sommers so entgegenkam? Ich fragte Aehrenthal geradezu nach den Kompensationen, die er sich ausbedungen habe, mich entschuldigend, daß ich so kühn eindringe. Ich konnte mir die Sache nur so erklären, daß die Zeitungsmeldungen richtig seien, denen gemäß Rußland sich die Durchfahrt durch die Dardanellen für seine Kriegsschiffe erstreiten wolle. „Nun denn", erwiderte Aehrenthal, „ich rechne auf ihre unbedingte Diskretion und will auch darauf eingehen. Jawohl, jenes Anerbieten bezüglich Bosniens und des Sandschak war nur deshalb gestellt, weil Rußland sich die Ausfahrt seiner Kriegsschiffe nicht länger verbieten lassen will. Und da er befürchten mußte, daß England ihm Schwierigkeiten mache, so wandte er sich zunächst nach Berlin und an uns. Er begegnete keinen Schwierigkeiten, und ich bedang mir nur gewisse Sicherheiten für Konstantinopel aus, für die Hauptstadt, wo auch wir mit wirtschaftlichen Interessen engagiert sind. Danach wird stets nur ein Kriegsschiff auf einmal die Dardanellen passieren dürfen, und dieses Recht wird den Uferstaaten des Schwarzen Meeres, Rußland und Rumänien, konzediert werden." „Bulgarien also nicht?" fragte ich. Aehrenthal antwortete zwar nicht direkt, aber es machte auf mich den Eindruck, daß dem so sei. Diese Mitteilungen machten auf mich hohen Eindruck, und jetzt erst, so sagte ich offenherzig, könnte ich Aehrenthal zu seiner Kampagne gratulieren. Ich müsse das Wort „diplomatisches Meisterstück" mit Gewalt in mich zurückdrängen, aber eigentlich, so sagte ich, strahle ich innerlich darüber, daß Rußland diese große Errungenschaft nicht aus der Hand Englands, sondern aus der Österreichs und Deutschlands entgegennehme. Das sei eine glückliche Wendung, wie sie nicht zu erhoffen war. Aehrenthal lehnte alle Glückwünsche [ab], weil der Ausgang noch nicht sicher sei, erst der Erfolg werde das Urteil über ihn und seine Politik prägen. Das ließ ich nicht gelten. Wenn der Einblick in die Methode und die Vorbereitungen einer Tat den Beweis liefere, daß alles Menschenmögliche geleistet sei, so könnte der Zufall des Erfolgs nicht mehr Richter sein. Aehrenthal bestätigte darauf, daß es von größtem Wert sei, daß Rußland sich zuerst an Deutschland und Österreich habe wenden müssen. Er sei über das Entgegenkommen der beiden Mächte so befriedigt, daß er, von Buchlau nach Desio zu Tittoni gelangt62, sich bei Tittoni für Österreich-Ungarn eingesetzt und Aehrenthal so unterstützt habe. „Es sind auch von dem Grafen Lützow aus Racconigi nach seinem Gespräch mit König Victor Emanuel günstige Nachrichten angelangt. Italien proponiert uns jetzt ein Zusammengehen zu 62
Nach dem Treffen mit Aehrenthal in Buchlau am 15. 9. 1908 begann der russische Außenminister Alexandr Isvolski eine Rundreise, die ihn mit den Außenministern der übrigen europäischen Großmächte zusammenführte.
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Dreien (Österreich-Ungarn, Rußland und Italien) zur Behandlung der Balkanfragen." Eine leise Ironie klang aus diesen Worten, es scheint, daß sich Aehrenthal der Kompensationen für Italien zu erwehren genötigt ist. Ich entnahm aus dem Zusammenhange des Gesprächs, welches die Ursache der mir rätselhaften Erscheinung war, daß Iswolski von Kaisbad und Marienbad zuerst nach Buchlau, dann nach Desio und hierauf nach Paris gereist sei, statt auf seinen Posten nach Petersburg zurückzukehren. Offenbar betreibt er zu Paris das Geschäft bezüglich der Dardanellen. Damit hängt wohl das Gerücht zusammen, er gedenke dann auch nach London zu gehen. Eine Zwischenerzählung Aehrenthals muß ich nachtragen. „In einem Punkte haben wir aber doch Pech gehabt. Wir hatten die Absicht, mit der Annexion voranzugehen, und dann sollte Bulgarien mit der Unabhängigkeitserklärung folgen63. Ferdinand aber hat die Sache übereilt, was zur Folge hat, daß wir als Großmacht nicht, was wünschenswert gewesen wäre, den ersten Schritt getan haben." "Auf meine Frage meinte er, daß der Krieg hoffentlich vermieden werden würde (zwischen [der] Türkei und Bulgarien). Denn alle Mächte hätten ein Interesse an der Erhaltung des Friedens. Ich frug mich innerlich, ob auch England?3 Mein Abschied von Aehrenthal war diesmal wärmer als sonst. Er stellte mir in Aussicht, mir Mittwoch den 7. Oktober sowohl die Note an die Türkei wie das Rundschreiben an die Minister zu senden, und bat mich, darüber als Historiker im Neuen Wiener Tagblatt meine Meinung zu sagen64. Ich sei berechtigt zu sagen, daß ich den Einblick gehabt habe. Dann lehnte er wieder jeden Glückwunsch ab, der erst zum Schlüsse am Platze sei. Ich aber dankte ihm, weil er mir zum ersten Male einen Blick in das Werden von Ereignissen gewährt habe.
Dr. Josef Maria Baernreither, Mitglied des Herrenhauses 13. Oktober 1908 К 4, U Studiennotizen, Abschriften von Dokumenten, Originaldokumente und Entwürfe, Karl Ludwig von Bruck betreffend; Sekretär 3 Hye erzählte mir vor langen Jahren von der Rolle, die ihm bei den Angriffen auf Bruck 1859 beschieden war. Eines Tages - Hye war damals Hofrat im Justizministerium - wurde Justizminister Graf Nädasdy zum Kaiser berufen. Der Kaiser zeigte ihm eine Visitkarte Brucks, in welcher dem Bankier Revoltella in Triest der Empfang einer Summe von 25.000 Gulden bestätigt war. 63 64
Die bulgarische Unabhängigkeitserklärung war am 5. 10. 1908 erfolgt. Neues Wiener Tagblatt v. 10. 10. 1908, 1-2, Die Großmacht Österreich-Ungarn. Ergänzung.
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Der Kaiser war im höchsten Grade gereizt und verlangte von Nädasdy, es solle sofort eine Untersuchung gegen Bruck veranlaßt werden, da er offenbar den Empfang einer Bestechungssumme bestätige. Nädasdy erschrak, wies auf den unerhörten Skandal hin, den es in Europa erregen müsse, wenn ein im Amt befindlicher Finanzminister wegen Bestechung in Untersuchung gezogen werde, und erbat sich Überlegung und Bedenkzeit in der Sache. Graf Nädasdy teilte die Angelegenheit Hye mit. Dieser war gleichfalls in hohem Grade erschrocken. Durch Vermittlung seines Chefs erhielt er eine Audienz beim Kaiser. Auch er setzte dem Monarchen das Bedenkliche der Sache auseinander, wies darauf hin, daß diese Visitkarte keinen Beweis der Schuld Brucks liefere und nur Veranlassung geben könne, die Sache aufs Gründlichste zu untersuchen. Er erbat sich hierzu die Erlaubnis des Kaisers, der in seinerjugendlich raschen Weise ihm einen ganz kurzen Termin zur Aufhellung gewährte. Hye reiste sofort, ohne irgendjemandem etwas mitzuteilen, nach Triest, um hier ohne alles Aufsehen Erkundigungen einzuholen. Dies geschah in doppelter Weise: Er wandte sich - es handelte sich offenbar um eine eine Hypothek betreffende Angelegenheit - in Triest sofort an das Grundbuch und überzeugte sich hier, daß nichts anderes geschehen war, als daß eine dem Herrn Bruck seit Jahren gehörige auf einem Gute lastende Hypothek durch Vermittlung Revoltellas eingelöst worden war. Die Sache lag eben so, daß Bruck mit seinem Ministergehalt nicht auslangte und deshalb sein Privatvermögen zu Hilfe nehmen mußte. Gleichzeitig veranlaßte Hye einen Vertrauensmann, ohne jedes Aufsehen und ohne von dem Zwecke seiner Anfrage etwas anzudeuten, mit Revoltella Rücksprache zu nehmen, den der Vertrauensmann auch glücklicherweise in einem Kaffeehause fand. Er brachte das Gespräch auf Bruck und vorsichtig auch auf das oben bezeichnete zwischen Revoltella und Bruck abgeschlossene Geschäft. Revoltella machte nicht das geringste Hehl, daß Bruck von ihm die Summe bezogen habe. Nach den Erhebungen im Grundbuch wartete Hye beklommen auf die Ankunft des Gewährsmannes. Er erfuhr von ihm vor Abgang des Schnellzuges die Bestätigung von der vollständigen Harmlosigkeit des abgeschlossenen Geschäftes, warf sich noch eilends in den Waggon und langte innerhalb der vom Kaiser ihm gesetzten Frist in Wien ein. Er erhielt sofort Audienz und erzählte die Sache dem Monarchen, der beide Hände Hyes ergriff und ihm dankend sagte: „Ich werde Ihnen diesen Dienst nie vergessen." Die andere Mitteilung Baernreithers betraf ein Gespräch zwischen ihm und Lienbacher. Lienbacher war Staatsanwalt in dem Prozesse gegen Richter65 und wurde, als er die Akten studiert hatte, zum Kaiser zur Berichterstattung vorgerufen. Der Kaiser fragte ihn, wie die Sache stünde. Er erwi65
Der Prozeß gegen den Direktor der Creditanstalt Franz Richter wegen Unterschlagungen bei den Heereslieferungen 1859.
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derte, daß die Anklage auf Betrug nicht durchdringen dürfte; wohl möglich, wenn auch nicht ganz sicher sei es, daß man wegen der durch Richter unternommenen Bestechung Eynattens ein Schuldig erreichen werde66. Der Kaiser nahm diese Mitteilung unzufrieden und ungeduldig hin und sagte heftig zu Lienbacher: Sie müssen etwas finden!
Botschafter Heinrich deutscher Botschafter
von Tschirschky, in Wien 17. Oktober 1908 К 4, U Notizen und Druckunterlagen zur Persönlichkeitsgeschichte Aehrenthals; Sekretär 3
In dieser Unterredung war das Interessanteste der Rückblick, den Tschirschky auf meine Bitte auf die Beziehungen zwischen Aehrenthal und Iswolski warf. Ich bemerkte, es sei mir unverständlich, wie Iswolski nach den Abmachungen von Buchlau Seitensprünge mache, monatelang von Rußland abwesend sei und zuletzt, ohne für Rußland das Geringste erreicht zu haben, nach Petersburg zurückzukehren gedenke67. Herr von Tschirschky erwiderte: Man hat die deutsche Reichsregierung vollständig genau über die Vorgänge in Buchlau unterrichtet. Damals setzte Aehrenthal Iswolski auseinander, daß Osterreich die Absicht hege, Bosnien zu annektieren, aber er gab den Zeitpunkt nicht an, wann dies geschehen solle. Es war nur die Rede davon, daß, wenn die Verhältnisse es erheischen, die österreichisch-ungarische Regierung diesen Schritt werde machen müssen. Es machte den Eindruck, daß der Moment nicht ganz nahe sei. Daraufhin besprach man sich, was Rußland als Gegenleistung zu verlangen habe, und Iswolski trat seine Reise nach Italien zu Tittoni an. Hier nun wurde er von dem plötzlich gefaßten Entschlüsse überrascht und vor eine vollzogene Tatsache gestellt. Österreich-Ungarn heimste also das Ergebnis der Abmachung ein, während Rußland nichts, gar nichts erhalten hatte. Das war es, was ihn verstimmte. War dieses Verfahren, so fragte ich den Botschafter, seitens Aehrenthals nicht zu gewagt? So hoch ich auch den Minister des Äußern stelle und schätze, so behalte ich mir doch die Freiheit der Kritik vor. Es sei doch merkwürdig, daß er dasselbe Verfahren bei der Erlangung der Irade bezüglich der Sandschakbahn 68 und auch diesmal angewendet hat. Läßt sich hier keine 66
67
68
Im Zuge des Prozesses nahm sich Feldmarschalleutnant August Friedrich von Eynatten am 7. 3. 1860 das Leben, nachdem er ein schriftliches Geständnis abgelegt hatte. Nach der Unterredung mit seinem Wiener Amtskollegen am 15. 9. 1908 führte der russische Außenminister Alexandr Iswolski Gespräche in Italien, Frankreich, England und Deutschland, ehe er am 27. 10. 1908 nach St. Petersburg zurückkehrte. Außenminister Aehrenthal hatte die türkische Zustimmung zu Vorstudien im Sandschak von Novibazar ohne vorherige Konsultation mit Rußland eingeholt, was von russischer Seite als Bruch der Balkanentente von 1897 aufgefaßt wurde.
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Heinrich von Tschirschky
Einwendung machen? Der Botschafter nahm Aehrenthal in Schutz. „Die Sache verhält sich so", setzte er auseinander, „daß Aehrenthal zu Buchlau selbst noch nicht wußte, er werde die Annexion so rasch ins Werk setzen lassen. Er dachte sich den Zeitpunkt später und zwar nach den Delegationen. Das ist auch ganz begreiflich, da er sich die Schwierigkeiten der Auseinandersetzung vor den Delegationen erspart hätte. Indessen traten die Militärkreise auf und drängten so ungestüm, daß Aehrenthal halb gegen seinen Willen die Sache durchführen mußte. Daraus sind die Verwicklungen zu erklären, durch die Iswolski sich verstimmt fühlt." „Indessen", so fuhr der Botschafter fort, „ist Iswolski noch immer derjenige Mann, mit dem das Wiener Kabinett verhältnismäßig leicht zu einem Einvernehmen kommen kann. Ich für meine Person habe auch während der Zeit, da die Verstimmung zwischen Aehrenthal und Iswolski auf dem Gipfel war, keinen Zweifel gehegt, daß zuletzt doch eine Annäherung des Petersburger und Wiener Kabinetts erfolgen werde. Rußland ist durch den Krieg gegen Japan sowie durch die Revolution so geschwächt, daß es eine tätige Politik auf dem Balkan gegen den Willen Österreich-Ungarns nicht in Angriff nehmen kann. Das ist auch der Grund, weshalb er sich mit England immer gut zu stellen sucht. Die Russen, welche so und so viel hundert Meilen Reibungsflächen mit dem russischen [sie!] Reiche besitzen, nicht gerade direkte Grenzen, aber Linien, wo sich die Interessensphären treffen, müssen auf der Hut sein, in irgendeinen ernsten Konflikt mit England zu kommen. Dazu kommen noch Geldbedürfnisse des Staates, die nur auf dem Pariser und Londoner Markt voll befriedigt werden können. Iswolski ist Anglomane, aber die Notwendigkeit, sich mit Osterreich zu verständigen, sieht er dabei doch ein, nur muß er immer wieder auf die öffentliche Meinung in Rußland Rücksicht nehmen, der er nicht als Vollrusse gilt69. Er hielt sich Zeit seines Lebens wenig in Rußland, viel im Auslande auf, und nun ist sein Gehilfe Carikov derjenige, der ihn aus dem Sattel zu heben sucht. Durch das letzte Jahrzehnt hindurch waren Iswolski und Carikov Nebenbuhler, und in der russischen Gesellschaft wettete man gewissermaßen wie auf zwei Rennpferde, wer wohl Minister werden würde. Iswolski erreichte das Ziel, aber er wurde genötigt, Carikov zu seinem Gehilfen zu nehmen. Dieser aber besitzt viel bessere Wurzeln in Rußland, gilt nicht als westlich gesinnt und [hat] außerdem noch den Vorteil, daß er einen großen Teil seiner Laufbahn im Orient verlebte, den Iswolski nicht aus eigener Anschauung kennt.8 Ich selbst habe Carikov nur einmal in meinem Leben gesprochen, weiß also nicht aus persönlicher Anschauung zu sagen, glaube aber, daß er ein gewandter Kopf ist, von dem für Österreich-Ungarn eher Ungünstiges zu be-
Vgl. dazu S. 83. ° Am Rand mit Bleistift mit einem Fragezeichen
69
kommentiert.
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fürchten wäre als von Iswolski. Wenn man den schon veralteten Ausdruck gebrauchen kann, so würde man ihn mehr zu den Panslawisten rechnen als den jetzigen Minister des Äußern." Zum Schlüsse äußerte sich der Botschafter noch über das Verhältnis Deutschlands zu Österreich-Ungarn. Er war die letzten Tage in Budapest gewesen, wo er dem Kaiser Franz Joseph das Handschreiben Kaiser Wilhelms überreichte70. Wohl mit Hinblick auf dieses Schriftstück, ohne daß er es jedoch erwähnt hätte, sagte er: „Sie wissen, daß wir nicht unsere Einwilligung zur Annexion Bosniens gegeben haben, daß wir nicht verantwortlich dafür gemacht werden können, und daß uns die Gleichzeitigkeit oder das Zusammenwirken des Wiener Kabinetts mit Bulgarien nicht angenehm ist71. Indessen wird dies alles auf unsere Politik keinen Einfluß üben. Sie können, fuhr er mit erhobener Stimme fort, mit Bestimmtheit damit rechnen, daß Deutschland, was auch immer kommen möge, auf Seite Österreichs stehen wird. Wenn Sie bei den Kombinationen der nächsten Zeit diesen Posten in Rechnung stellen, so werden Sie unter allen Umständen sichergehen." Tschirschky sprach wie ein feiner, kluger Mann, der jedes Wort abwägt, dabei aber die Sprache so in seiner Gewalt hat, daß er seine Meinung wohlabgerundet wiedergibt. Diesmal aber, wie gesagt, erhob er fast emphatisch die Stimme, wie jemand, der eine Beteuerung ausspricht oder einen starken Eindruck hervorrufen will.
Frau Helene Schneeberger
Wien, 18. Oktober 1908 К 2, U la, 14a г - 15a ν
Ende September 1908 hatte ich mit Frau Schneeberger ein Gespräch, das einen tiefen und höchst unangenehmen Eindruck auf mich machte. Sie erzählte mir mit steigender Aufregung und zuletzt in Tränen ausbrechend von einer bitteren, ihr kürzlich gewordenen Enttäuschung. Ihr Mann72 legt großen Wert auf den Titel eines Regierungsrates und hoffte, ihn gelegentlich des Kaiserjubiläums (2. Dezember 190873) zu erhalten. Einer seiner Freunde begab sich, um die Sache zu betreiben, zu Sieghart, fand bei ihm jedoch keine Neigung zur Verwendung, im Gegenteile, Sieghart lehnte sie vollständig ab. Es sei ihm deshalb unmöglich zu intervenieren, weil man seine Beziehungen zu Frau Schneeberger kenne und sofort sagen würde, er habe ihr zu Liebe die Ernennung ihres Gatten zu Wege gebracht. Das wäre aber für bei70 71
72 73
Vgl. ÖUA Bd. 1,212. Die Unabhängigkeitserklärung Bulgariens erfolgte am 5. Oktober, die Annexion Bosniens und der Herzegowina am 6. 10. 1908. Der Wiener Rechtsanwalt Wilhelm Schneeberger. Das sechzigjährige Regierungsjubiläum Franz Josephs.
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Helene Schneeberger
de Teile mißlich. Frau Schneeberger beklagte sich nun in leidenschaftlicher Weise über die Undankbarkeit Siegharts und beteuerte hoch und heilig, sie werde sich an ihm rächen, ihn aufs Äußerste kompromittieren. Ihr Mann hätte den Titel des Regierungsrates wegen seiner Stellung unter den Advokaten längst verdient und ihn auch erhalten, und nun sei gerade die Verbindung mit Koerber und Sieghart die Ursache, weshalb man ihn zurücksetze. Das kränke ihn, wenn er es auch nicht äußere, und innerlich mache er seiner Frau den Vorwurf, sie sei darin für ihn ein Hemmnis. Und gerade Sieghart durfte ihn nicht abweisen. Zur Zeit der Ministerpräsidentschaft Koerbers sei er oft und oft in den frühen Morgenstunden bei ihr erschienen, habe ihre Bundesgenossenschaft gesucht, um bei Koerber dies und jenes zu erwirken; er habe sie förmlich abgerichtet, wie sie beim Ministerpräsidenten dies und jenes vorbringen solle. Und nun lohne er ihr so schlimm die geleisteten Dienste! Und wie unheilvoll war, so fuhr sie fort, diese Verbindung für mich bei der Angelegenheit des Triester Hafenbaus! Damals habe Sieghart nicht für sich, wohl aber für die geheimen Fonds der Regierung eine ansehnliche Summe herausgeschlagen; und es geschah auf seinen Antrieb, daß der Direktor der Unionbank bei ihr erschien und ihr ein Trinkgeld von 5000 fl übergab. Einzig und allein ihrem Bruder teilte sie die Sache mit, der aufs Äußerste erschrak und lebhaft in sie drang: „Das Geld mußt Du unbedingt zurückgeben!" Das geschah, und sie erhielt darauf auch eine Quittung des Direktors über die Rückgabe. „Welch ein Unheil, wenn irgendetwas in die Öffentlichkeit gedrungen wäre!" Und nun schwor sie mir hoch und teuer, ihr Bruder und ich seien die einzigen Personen, denen sie das große Geheimnis anvertraut habe. Als Folge jener Beziehung zur Unionbank ergab sich für sie eine höchst peinliche Situation. Als die Triester Hafenbaugeschichte als Waffe gegen Koerber benützt wurde74 und auch gegen sie Verleumdungen vorgebracht wurden, stellte Koerber sie in einer aufregenden Szene zur Rede. Mit drohenden Worten verlangte er von ihr ein Bekenntnis, ob sie von der Unionbank Geld erhalten habe. Die Szene sei furchtbar gewesen, aber sie konnte ihm beim Leben ihrer Kinder schwören, daß sie nicht den geringsten Vorteil aus dem Triester Hafenbau gezogen habe. Mit äußerster Mühe ließ sich Koerber überzeugen und beschwichtigen. Diese Mitteilungen, von schweren Drohungen gegen Sieghart begleitet, der sie in all dieses Unheil verstrickt habe, und von Tränenströmen unterbrochen, erfüllten mich mit 74
Da zwei vom Ministerium Clary eingebrachte Gesetzesvorlagen zur Finanzierung des Hafenausbaus in Triest gescheitert waren und keine Aussicht bestand, für einen neuerlichen Antrag eine Mehrheit zu finden, ging das Kabinett Koerber den Weg, den Ausbau ab 1901 direkt aus dem Budget zu finanzieren und längerfristige Verträge mit den Baufirmen abzuschließen. Wegen dieses Vorgehens wurde das Ministerium darauf 1905 nach seinem Rücktritt im Budgetausschuß des Abgeordnetenhauses scharf angegriffen.
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tiefer Beunruhigung, der ich auch Frau Schneeberger gegenüber Ausdruck gab. Denn der Kern der Sache ist unzweifelhaft richtig. Selbst wenn es unrichtig wäre, daß Sieghart bei der Unionbank den Vermittler gemacht hätte, und selbst wenn Frau Schneeberger die ihr überbrachte Summe zurückgestellt hat, so bleibt die häßliche Tatsache, daß sich ein Bankdirektor erlaubt hatte, ihr aus Anlaß eines großen Staatsauftrages ein Geldgeschenk anzubieten. Ihr, der Freundin des Ministerpräsidenten Koerber. Dieser selbst wußte nichts davon, aber es ist schlimm genug, daß seine Umgebung für zugänglich gehalten wurde. Die Pflicht der Diskretion kommt mir diesmal unendlich schwer. Es ist nicht denkbar, daß ich das mir anvertraute Geheimnis verrate. Wenn aber Koerber wieder ein Staatsamt erhält, dann muß ich mir die Frage vorlegen, ob es nicht das Wohl des Staates erheischt, ihn vor den Gefahren zu warnen, [in] die ihn seine Beziehungen verwickeln können. "Im Jänner 1909 trat zwischen Frau Schneeberger und Sieghart eine Versöhnung ein. Sie hielt ihm sein Verhalten bei der Ablehnung des Regierungsratstitels für ihren Mann vor, und er beteuerte, er habe niemals eine Äußerung getan dahingehend, daß er seine Intervention abgelehnt habe mit Hinweis auf die Beziehungen der Frau Schneeberger zu Koerber. Frau Schneeberger ist beschwichtigt, und ihre Racheschwüre sind vergessen. Wien Februar 1909.a
Marquis Olivier Bacquehem, Präsident des Verwaltungsgerichtshofes
22. Oktober 1908b К 2, U 5, 663 г - 664 ν; Sekretär 3
Die Schilderung, welche Marquis von Bacquehem von den Umständen des Rücktritts Beck gab75, bot mir nichts Neues, sie war aber für den Erzähler selbst in hohem Grade charakteristisch. Sein ganzer Haß gegen Beck äußerte sich in dieser Erzählung. Er kann es ihm nicht verzeihen, daß er ihn eine Reihe von Monaten warten ließ, bevor seine Ernennung zum Ersten Präsidenten des Verwaltungsgerichtshofes dem Kaiser vorgeschlagen wurde. Diese ist zwar im August geschehen, aber Bacquehem ist noch immer unversöhnlich. Mit noch größerer Heftigkeit sprach er sich über Sieghart aus, von dem er nicht Schlimmes genug zu erzählen wußte. Beck, so sagte er, war bis zum letzten Augenblick in einer merkwürdigen Selbsttäuschung über die Unerschütterlichkeit seiner Stellung befangen. 75
ь
Ministerpräsident Max Wladimir von Beck hatte am 7. 11. 1908 die Demission des Gesamtkabinetts eingereicht, die am 15. November vom Kaiser angenommen wurde. Ergänzung. Die Datierung ist aufgrund des Inhalts falsch.
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Marquis Olivier Bacquehem
Während allgemein bekannt war, daß die Tage seines Regiments gezählt seien, ließ er noch immer verbreiten, er genieße das unerschütterliche Vertrauen Seiner Majestät und besitze den Auftrag, ein parlamentarisches, eventuell ein Beamtenministerium zu bilden. Nun hatte er diesen Auftrag gar nicht, und es berührte an höchster Stelle sehr eigentümlich, daß er Ministerien anbot und vergab. Endlich fiel der Schlag, und ich hielt es für angemessen, ihm vor seinem Rücktritt noch einen Besuch zu machen, umso mehr, da ich meinen Dank über die Erledigung gewisser, den Verwaltungsgerichtshof betreffender Anträge aussprechen wollte, die ich früher erstattet hatte. Nach den ersten Worten, die ich darüber fallen ließ, begann Beck von den Ursachen seines Sturzes zu sprechen. Ich bemerkte höflich, daß ich nicht die Absicht gehabt habe, das Gespräch auf das politische Gebiet hinüberzuspielen. Beck blieb aber bei der Sache und erklärte, er habe nichts dagegen, sich auszusprechen. Und nun sprach er mit den Ausdrücken der tiefsten Entrüstung über die Intrigen, die gegen ihn geschmiedet worden seien. Die Mitglieder des konservativen Adels hätten sich mit den Christlichsozialen verbunden, und eine hohe Persönlichkeit, die er nicht nennen wolle, habe das Gewicht seines Einflusses gegen ihn in die Wagschale gelegt. In Ausdrücken, die ich als Gentleman nicht wiedergeben will und die ich nie verraten werde, sprach er sich aufs Heftigste gegen die Mitglieder des Herrenhauses aus. Diese Ausfälle erfolgten anknüpfend an die Frage, die ich zu Beginn des politischen Gespräches gestellt hatte, ob Freiherr von Beck nach dem Rücktritt vom Amte die Absicht hege, gemäß seinen wohlbekannten politischen Ansichten der Rechten des Herrenhauses beizutreten. Das Selbstbewußtsein, mit dem Beck von sich sprach, übertrifft alle Begriffe. Sie würden sich, so sagte er zu mir, an den Ohren ziehen, wenn ich Ihnen seine Worte wiederholen wollte. Und Bacquehem wiederholte die Worte Becks mit komisch-pathetischer Betonung: Ein Mann wie er, der die Wahlreform und den Ausgleich mit Ungarn durchgesetzt habe76, durfte so schmählich nicht behandelt werden. Dazu noch seine anderen großen Entwürfe, die er zum Wohle des Staates erdacht habe, und die noch wichtiger seien als das, was er früher durchgesetzt habe. Kurz, es war grotesk, die Äußerungen der Geringschätzung zu hören, die umso unberechtigter waren, als Bacquehem sich ausschließlich von persönlichen Motiven bei seiner Beurteilung Becks leiten läßt, während Beck gewiß das Wohl des Staates im Auge hatte. Nichts ist für einen Ministerpräsidenten verderblicher, so fuhr Bacquehem fort, als wenn er sich in der Presse zuviel preisen läßt. Ich habe es Herrn von Koerber oft gesagt, daß der Anstoß zu seinem Sturze seine Reise nach Galizien war77 und die Lobeshymnen, die darob über ihn gesungen wurden. Ein Erzherzog meinte damals spöttisch: Man erweist ja Herrn von Koerber geradezu 16 77
Die Gesetze zur Einführung des allgemeinen, gleichen Männerwahlrechtes traten mit 26. 1. 1907 in Kraft, das neue Ausgleichsgesetz wurde am 31. 12. 1907 veröffentlicht. Ministerpräsident Ernest von Koerber war im Oktober 1904 nach Galizien gereist.
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königliche Ehren. Und ich versichere Sie, daß solche spitzige Bemerkungen für einen Minister tödlich sind. Ganz so ging Baron Beck vor. Als er gleichzeitig mit Erzherzog Franz Ferdinand die Prager Ausstellung besuchte, überstrahlte sein Auftreten weit das des Erzherzogs, was gewiß nicht taktvoll war. Das Schlimmste für ihn aber war, daß die Baronin Beck mit denselben Künsten der Reklame gefeiert wurde. Es war ein schwerer Fehler, daß sie ihren Mann nach Budapest begleitete und daselbst Diners gab. Ich habe selbstverständlich, sagte er selbstgefällig, diese Einladung nicht angenommen. Sie können sich denken, fuhr er höhnisch fort, daß sie sich bei den Delegationsdiners zwei der höchsten Fürsten aussuchte, um sie an ihrer Seite Platz nehmen zu lassen. Natürlich erschienen die Herren auf die Einladung hin. Weshalb sollte ein Ministerpräsident nicht auch Diners geben? Aber, so fuhr er spöttisch fort, als sie die Damen der höchsten Gesellschaft einlud, da erhielt sie, sei es mit Verabredung oder ohne eine solche, ausschließlich Absagen oder keine einzige Karte. Bisher hatte ich ihn ruhig angehört, jetzt aber konnte ich mich nicht enthalten, eine Bemerkung zu machen, und sagte: Welch eine kleine Welt ist das! Ich las in seinen Mienen das Erstaunen darüber, daß ich dem Nichterscheinen der Fürstinnen und Gräfinnen solch' geringe Bedeutung beimaß. Bacquehem behauptete, die nächste Entwicklung ganz genau zu kennen. Bienerth werde ein parlamentarisches Ministerium bilden, und jetzt schon sei es gewiß, daß Bilinski Finanzminister werde, der auch später für das Ministerpräsidium in Aussicht genommen sei. Fürst Alois Liechtenstein werde sicherlich als Minister ohne Portefeuille ins Kabinett treten; wenn das Handelsministerium nicht einem Tschechen gegeben werde, so sei Weiskirchner für diesen Posten ausersehen. Die Tschechen würden wahrscheinlich drei Ministerien erhalten, und von den Deutschforschrittlichen seien Pergelt, Sylvester und8 in Aussicht genommen. Prasek würde bestimmt wieder Minister werden78.
Graf Viktor Dubsky, Mitglied des Herrenhauses
Oktober 1908 К 2, U 1, 15 r - 18 ν; Sekretär 3
Ich habe meine Ausbildung in der Genieakademie erhalten, die damals eine vortreffliche Anstalt war, an deren Lehrer ich mit großer Wärme zurückdenke. Es war eine förmliche technische Hochschule. Einer meiner Lehrer, 78
Freiherr Richard Bienerth-Schmerling wurde am 15. 11. 1908 zum Ministerpräsidenten eines provisorischen Kabinetts ernannt, am 10. 2.1909 erfolgte die Umbildung in ein definitives Ministerium. Dieser Regierung gehörten dann Leon von Bilinski als Finanzund Richard Weiskirchner als Handelsminister an, nicht jedoch die übrigen genannten Politiker. " Freilassung im Original.
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Graf Viktor Dubsky
Küchenbecker, hat als Offizier Schiffbruch gelitten [sie!], da er dem Bataillon Richter angehörte und zur Revolution übertrat79. Er mußte flüchten, und ich war erfreut, ihm, als ich bei der Gesandtschaft in Florenz war, Ende der Sechzigerjahre die Begnadigung des Kaisers übersenden zu können. Er durfte in die Heimat zurückkehren, aber er war damals schwer krank und starb bald darauf. Im Jahre 1850 trat ich in die Armee ein. Im Jahre 1859 befand ich mich in Italien in der Nähe Gyulais. Von Grünne erinnere ich mich an einen charakteristischen Ausspruch. Er sagte mir nämlich nach den Niederlagen von 1859: „Ich habe mich geirrt; ich habe den Krieg bloß für ein Handwerk gehalten, ich sehe aber, er ist eine Kunst." Kurze Zeit daraufkam ich einmal mit dem späteren Minister des Äußern, Grafen Kalnoky, zusammen, der damals bei der Gesandtschaft in a tätig war. Ich war sehr pessimistisch und befürchtete für die Zukunft Österreichs. Ich glaubte, seinen Untergang vorauszusehen, und sagte Kalnoky, der mich immer beruhigen wollte, daß es sich auch um unser persönliches Schicksal handle. Was sollten wir beginnen? Er aber erwiderte kaltblütig: „Nun, wenn Österreich in seine Bestandteile zerfällt, so werde ich dem Markgrafen von Mähren meine Dienste anbieten." Besonders interessant waren die Unterredungen, die ich mit Alexander Bach hatte. Ich war der Gesandtschaft in Florenz zugeteilt, hielt mich aber auch in Rom auf und war wochenlang fast täglich am Tische Bachs. Er verbreitete sich mit Vorliebe über die innere Berechtigung seines Systems, welches er lebhaft und wie ein geschickter Advokat verteidigte. Er entwickelte einem nach geometrischer Methode, was er gedacht und erstrebt habe, und stets war die Pointe die, daß er meinte, wenn Gyulai sich 1859 nicht hätte besiegen lassen, so wäre sein System nicht zusammengestürzt. Ich war ein junger Mensch und hatte die Kühnheit, ihm darauf zu erwidern: „Das ist es eben. Gerade dieses System brachte es mit sich, daß Gyulai an die Spitze der Armee gestellt wurde." Graf Wolkenstein, damals Attache bei Bach80, sagte mir, er sei ganz entsetzt gewesen über die Art, wie ich mit Bach gesprochen habe. Im Jahre 1865 wurde Bach durch Hübner ersetzt. Das Verhalten Hübners als Gesandter in Paris erklärte sich auch daher, weil er an seinem Posten mit ganzer Seele hing und sich nicht mit dem Hofe Napoleons verfeinden wollte81. Berichtet ein Botschafter oder Gesandter unfreundlich über den Hof, so kommt das in den Gesprächen zum Ausdruck, die sein Minister Die Richter-Grenadiere waren am 6. 10. 1848 in Wien zur Revolution übergegangen. Graf Anton Wolkenstein-Trostburg war vom 19. 1. 1861 bis 13. 2. 1863 der Botschaft beim päpstlichen Stuhl zugeteilt. 81 Freiherr Josef von Hübner war von 1849 bis zum Abbruch der Beziehungen Ende April 1859 zunächst Gesandter, ab 1856 Botschafter in Paris; vom 29. 9. 1865 bis 13. 12. 1867 leitete er die Botschaft beim päpstlichen Stuhl. " Freilassung im Original. Wahrscheinlich ist die Botschaft in London gemeint, der Graf Gustav Kalnoky seit Jänner 1860 zugeteilt war. 79 80
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des Äußern mit dem Vertreter der fremden Macht führt, und darauf wollte es Hübner nicht ankommen lassen. Als Botschafter in Rom hegte Hübner die größte Verachtung gegen seinen Chef Baron Beust. Diese ging so weit, daß, als er 1867 nach Österreich reiste und vom Kaiser in Ischl empfangen wurde, er es nicht einmal der Mühe wert hielt, sich Beust in Wien vorzustellen. Als er durch Florenz reiste und ich ihn fragte, ob er Beust gesehen habe, lehnte er dies mit verächtlicher Gebärde ab. Er fuhr darauf nach Rom, und siehe da: Hier erwartete ihn bereits die Entlassung, welche Beust durchgesetzt hatte, da er sich eine solche Behandlung nicht gefallen lassen konnte. Hübner hatte eben in Ischl in den klerikalen Hofkreisen verkehrt, glaubte sich des Beistandes der Unterröcke sicher und sah sich enttäuscht. Und auch sein Nachfolger Crivelli nahm an, Beust, der Protestant, werde sich nicht ein Jahr auf seinem Posten halten. Crivelli starb noch vor Ablauf dieses Jahres, sonst hätte er sich von dem Gegenteil überzeugen können. Zu jener Zeit, besonders im Jahre 1870, arbeitete Graf Vitzthum, österreichischer Gesandter in Brüssel, in zahlreichen Missionen im Auftrage Beusts für ein Bündnis zwischen Osterreich, Frankreich und Italien. Seine Sendungen waren geheim, aber er war so eitel, daß er sich in der Rolle des Geheimagenten gefiel, wie mir wenigstens Gesandter Baron Kübeck mitteilte. Er glich darin jenen Verschwörern auf dem Theater, die auf den Fußspitzen über die Bühne gehen, sich in die Kulissen drücken, um nicht gesehen zu werden, sodaß der Zuschauer sofort sieht, dies seien Verschwörer. Man kann sich denken, daß man mit dieser Methode keinen Erfolg erzielt. Auch hatte Vitzthum die schiefsten Urteile. So berichtete er, als er England verließ, nach Wien, er habe Großbritannien im Zustande der völligen politischen und sozialen Auflösung zurückgelassen. In Florenz lernte ich den bekannten Bernhardi kennen. In seinen Tagebüchern82 legt er mir eine Äußerung in den Mund, die ich in dieser Form gewiß nicht gemacht habe, wie er überhaupt schlecht auf mich zu sprechen war. Er war wieder eine Art Agent Bismarcks, ich weiß nicht mehr in welcher amtlichen Mission. Er hatte Verbindungen mit den Garibaldinern, und ich war ihm immer auf der Spur, Grund genug, daß er mich nicht liebte. Er war voll von Gelehrsamkeit, aber gleichfalls sehr eingebildet. Ich glaube nicht, daß er ein großer Diplomat war. Im Jahre 1869 war ich Geschäftsträger in Madrid, da mein Gesandter auf einen langen Urlaub ging. Zu meinem Erstaunen sah ich einmal Bernhardi in den Straßen von Madrid und sprach ihn an. Holla, dachte ich mir, welche Sendung mag er in Spanien haben. Er aber stellte sich unschuldig und behauptete, er schreibe ein Werk über Kriegsgeschichte und habe zu diesem Zwecke Andalusien bereist. Ich weiß 82
Aus dem Leben Theodor von Bernhardis, hrsg. von Friedrich von Bernhardi. 9 Bde. (Leipzig 1893-1906).
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nicht, welchen Krieg er mir nannte - ich glaube den spanischen Erbfolgekrieg - in dem von ihm genannten Kriege jedoch spielte Andalusien als Kriegstheater keine Rolle. Was mochte er in Andalusien getan haben? Ich vermutete, daß er beim Herzog von Montpensier83 gewesen sei und im Auftrage Bismarcks mit ihm über die Besteigung des spanischen Thrones gesprochen habe. Das wäre ein unglücklicher Plan gewesen, da Montpensier nicht die geringste Eignung zum König besaß. Die Sache verhielt sich aber anders. Nicht Montpensier, sondern, wie ich bald erfuhr, der Fürst von Hohenzollern war der Kandidat Bismarcks84. Eines Tages befand ich mich mit drei anderen Herren in einer renommierten Weinstube in Madrid, die ebenso schlecht eingerichtet war wie alle derartigen Restaurants der Stadt. Wir saßen an einem wackeligen Tische, Sauermann, der preußische Legationsrat, Bernhardi, ich und ein gewisser Guerrera, ein angenehmer Mensch, der, wie ich glaube, mit Börsenspekulationen beschäftigt war und stets von Diplomaten Nachrichten haben wollte. Da nun erzählte er, er sei bei General Prim gewesen und habe dort gehört, man denke an den Fürsten von Hohenzollern als künftigen König. Ich stellte mich, als ob ich nichts gehört hätte. Kaum war aber der Name des Prinzen gefallen, so wackelte der Tisch, denn Sauermann hatte Bernhardi mit dem Fuße angestoßen, gewissermaßen in der Überraschung über das Gehörte. Am 14. September 1869, ich habe mir das Datum gemerkt, schrieb ich nach Wien einen Bericht, wo ich die wichtige Tatsache meldete. Dieser Bericht wurde von Beust dem Kaiser Napoleon gesendet, der also informiert war. Die preußische Gesandtschaft in Madrid aber war nicht in Kenntnis der Pläne Bismarcks. Das geschah wohl deshalb, damit sich die Herren nicht verraten; es war aber nicht ganz klug, weil sich dadurch folgender Zwischenfall ergab: Im Sommer 1870 erbat sich der preußische Gesandte einen Urlaub, den er aus Rücksicht auf die Gesundheit seiner Familie notwendig hatte. Dieser selbstverständliche Urlaub wurde ihm verweigert, ohne daß er wußte weshalb. Die Erklärung kam bald, als die Bombe platzte und die hohenzollernsche Kandidatur auf der Tagesordnung erschien. Interessant war auch die Sendung, zu der mich Andrässy - ich glaube 1872 - benutzte. Der Botschafter in Petersburg, Langenau, ging auf Urlaub, und Andrässy schickte mich hin, ihn zu ersetzen. Langenau wurde nicht von meiner Sendung unterrichtet, sondern reiste ab. Ich bekam von Andrässy den Auftrag, mich bei Gorcakov über gewisse Dinge, den Orient betreffend, 83 84
Antoine von Orleans, Herzog von Montpensier, seit 1859 Infant von Spanien. Fürst Otto Bismarck hatte die Kandidatur des katholischen Prinzen Leopold von Hohenzollern-Sigmaringen für den spanischen Thron unterstützt. Frankreich lehnte dies kategorisch ab und verlangte vom preußischen König am 13. 7. 1870 eine verbindliche Garantie des Verzichts des Prinzen. Diese Affare führte schließlich zum deutsch-französischen Krieg von 1870.
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zu erkundigen. Wie nun sollte ich die Sache herausbringen? Ich wußte, daß Gorcakov unbändig eitel war und wählte folgende Methode: Ich kam zu ihm, der mich sehr von oben herab empfing und, leidend wie er war, mit ausgestreckten Füßen auf seinem Fauteuil lag. Ich sagte zu ihm: „Ich habe von meiner Regierung den Auftrag, von Ihnen über die bekannte Angelegenheit das Wesentliche herauszubringen. Wie aber soll ich einem berühmten Diplomaten gegenüber wie Euer Exzellenz ein Geheimnis zu erfahren trachten? Wer bin ich, daß ich Ihnen Würmer aus der Nase ziehen kann. Ich sage es Ihnen offen und vertraue mich vollständig Ihrer Offenherzigkeit an." Gorcakov fühlte sich geschmeichelt, daß ich mich ihm gegenüber als Null hinstelle, und sagte: „Nehmen Sie Platz, liebes Kind, und hören Sie, was ich Ihnen sage." Und darauf teilte er mir die Dinge mit, die ich zu erfahren wünschte, in einer Darstellung, die, wie sich später herausstellte, richtig war. Einige Zeit nachher wurde die Gesandtschaft in Persien neu geschaffen und ich zum Gesandten in Persien ernannt85. Andrässy sagte zu mir: „In Mittelasien gehen Dinge vor, die auf das Verhältnis zwischen England und Rußland von großer Bedeutung sind und auch für die Balkanpolitik wichtig sein werden. Wir sind darüber nicht informiert, und ich muß Berichte haben. Deswegen habe ich den Kaiser gebeten, die Gesandtschaft zu gründen." Damals fand, wie Sie wissen, die Eroberung Turkestans durch die Russen statt. Ein russischer General drang, wie es in Petersburg hieß, gegen die Instruktionen seiner Regierung vor und erobertea. Langenau hatte sich zu erkundigen, wie die Sache stünde. Man erzählte ihm allerhand Lügen und verschwieg die wichtigsten Ereignisse. In Persien aber wußte man Näheres über den Marsch der Russen, und ich berichtete darüber mit großer Sorgfalt. Darauf schrieb Andrässy an Langenau, daß er getäuscht worden sei, da aus Persien ganz andere Berichte eingelaufen seien. Natürlich war ich seitdem kein Liebling Langenaus. Nach einigen Jahren Gesandtschaft in Athen wurde ich nach Konstantinopel geschickt, im Jahre 1880, gerade zu der Zeit, da die Österreicher den Sandschak besetzten. Die Situation war dadurch verschärft, weil zwischen österreichischen und türkischen Soldaten irgendwo Kugeln gewechselt worden waren. Nach meiner Ankunft in Konstantinopel erhielt ich mit meiner Frau eine Einladung zum Sultan, mit dem ich mit Hilfe eines Dolmetsch ein Gespräch über die politische Lage führte. Er ließ mich zuerst fragen, ob ich ihm auch immer die Wahrheit sagen werde. Meine Antwort war, daß ich auf mein militärisches Kleid hinwies und sagte: „Zu meinen Pflichten gehört Mut, und so muß ich auch den Mut besitzen, immer bei der Wahrheit zu blei85
Graf Viktor Dubsky übernahm am 4. 9. 1872 die Gesandtschaft in Teheran und blieb dort bis 1877; am 25. 1. 1872 war er als Legationsrat nach St. Petersburg versetzt worden.
" Freilassung
im
Original.
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ben." Hierauf fragte er mich, wie meiner Ansicht nach das Verhältnis Österreich-Ungarns zur Türkei sei. Ich erwiderte darauf, es stehe schlecht, da der Sandschak der Barometer für die Beziehungen der beiden Staaten sei, und Osterreich nichts von seinen Rechten vergeben könne. Meine Auseinandersetzung schien, wie ich glaubte, keinen guten Eindruck gemacht zu haben, denn der Sultan entließ den Dolmetsch und berief die übrigen Gäste, meist langbärtige ehemalige türkische Generäle und Minister, welche sich in einem Halbkreise um ihn aufstellten. Ich mußte vor ihnen meine Auseinandersetzung in französischer Sprache wiederholen, worauf der Sultan aufs Bestimmteste seinen Willen äußerte, mit Österreich-Ungarn in gutem Verhältnisse zu stehen. Der Minister des Äußern wurde entlassen, und man kam allmählich wieder in normale Beziehungen. Ich blieb aber nicht lange in Konstantinopel, da man Calice für dieses Amt ausersehen hatte. Mir wurde der Gesandtenposten in Madrid anvertraut. Ich konnte umso leichter am Madrider Hofe Fuß fassen, als ich Adjutant des Vaters der Königin gewesen war und sie auf meinen Armen getragen hatte86. So stand ich ihr von vornherein nahe, und auch der König, der im Theresianum erzogen worden war, hörte auf meine Worte. Zu meinem Leidwesen sah ich, daß der König sich einem wüsten Lebenswandel hingebe. Nicht, daß er sich übermäßigen Genuß gestattete, aber das, was er tat, war mehr, als seine außerordentlich schwache Konstitution vertrug. Zu seinem Unglück wählte er sich den größten Roue Spaniens zu seinem Vertrauten, der selbst in den liederlichen Kreisen Madrids für einen Ausbund galt, und dieser bestärkte den König in seiner Lebensart. Einmal des Nachts ging ich durch eine Straße von Madrid, als mir jemand auf die Schulter klopfte. Es war der König mit einem Kalabreserhute auf dem Kopf, in einem großen Mantel, von einem Liebesabenteuer heimkehrend. Ich hielt es für meine Pflicht, ihn zu warnen. Da lachte er und sagte, ich sei am wenigsten berechtigt, Ratschläge zu erteilen, da es sehr wohl bekannt sei, daß ich auch nicht zu den Heiligen gehöre. Das leugnete ich nicht. Mir fiel aber eine Stelle aus einem Lustspiel des Komikers Grois ein, das ich vor Jahren in Wien gehört hatte. Hier nennt sich eine Person eine Taschenuhr im Vergleich zu einer anderen, die eine Turmuhr sei. Ganz so verhalte es sich zwischen mir und dem König, sagte ich. Um die Taschenuhr in der Weste kümmert sich niemand, aber auf die Turmuhr, den König, blicke die ganze Welt, und er müsse Vorsicht walten lassen. Ein Jahr vor seinem Tode hatte der König den ersten Anfall, von dem er noch geheilt wurde. Er reiste nach Wien, wo man auch fand, daß er sehr schlecht aussehe, und verbrachte den Winter leidlich gut. Im Sommer begab er sich auf eines seiner ländlichen Schlösser, und beim Abschied sagte ich
86
Maria Christina, Tochter des Erzherzogs Karl Ferdinand und Regentin von Spanien 1885 bis 1902.
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noch dem Leibarzt, daß ich ihn verantwortlich mache, daß der König sich schone, da er, wenn er dem Liebesgenuß zuviel huldige, er nicht zehn Jahre mehr leben könne. Der Arzt sagte aber mir vielbedeutend: „Wenn überhaupt zehn Jahre!" Wieder war Herzog von San Carlo sein maitre de plaisir, und er machte dem König die Freude, ihm einmal eine Reihe von Gitanas, Zigeunermädchen, welche Tänze vor ihm aufführten, zu bringen. Mit einer von ihnen zog sich der König in sein Zimmer zurück, hatte aber die Unvorsichtigkeit, erhitzt von Wein und Liebe in der Frühe halb bekleidet auf die Terrasse zu treten, um sich abzukühlen. Hier holte er sich die tödliche Erkältung87. Damals sagte ich zum Herzog von San Carlo, wie er es verantworten könne, was er getan habe. Er aber gab mit der größten Frivolität eine Antwort, die ihn kennzeichnete: „Was ist denn geschehen?" sagte er. „Le roi n'a fait que deux coups!" Die Königin-Witwe schenkte mir dasselbe Vertrauen, welches mit den Jahren immer mehr wuchs. Ich sprach mich einmal ausführlich über ihre Stellung aus, und ich sagte ihr offen, daß alles davon abhänge, ob sie sich als Frau tadellos benehme. Dann werde sie unangreifbar sein und dem Lande und ihrem Sohne die größten Dienste leisten. Seien Sie nicht erstaunt, sagte er mir, daß ich eine solche Sprache der Königin gegenüber führen konnte. Sie müssen aber wissen, daß man in den regierenden Familien in allen geschlechtlichen Dingen viel freier denkt und spricht als in unseren Kreisen. Die Frauen sind umgeben von den schönsten Bildern großer Meister, nackte Personen vorstellend, und man bespricht die Fragen der Fortpflanzung in diesen Kreisen mit großer Offenheit, schon weil sie für die Dynastie von großer Wichtigkeit sind. Ich konnte also der Königin in guter Form alles sagen, was ich in diesem Punkte auf dem Herzen hatte.
Max von Gomperz, Mitglied des Herrenhauses und Verwaltungsrat der Creditanstalt Oktober 1908 К 4, U Studiennotizen, Abschriften von Dokumenten, Originaldokumente und Entwürfe, Karl Ludwig von Bruck betreffend; Sekretär 3 Gomperz sprach mit einer an Bewunderung grenzenden Hochachtung von dem Wirken Brucks. Er war dreißig Jahre alt, als er 1851 in die Zollkonferenz berufen wurde, welche mit der Feststellung des neuen Zolltarifs beauftragt war. Bruck überblickte die Verhandlungen im großen Sinne, hielt sich nicht bei Details auf, war aber zu einem genauen Eingehen auf wichtige Dinge gerne bereit. Eine große Anzahl der Teilnehmer der Konferenz waren wirtschaftlich wenig gebildete Leute, sahen nicht über den engen Kreis ihrer Interessen hinaus, und Gomperz nahm, wie er bescheiden bemerkte, nur in87
König Alfonso XII. war am 25. 11. 1885 gestorben.
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folgedessen eine führende Stellung in der Konferenz ein. Bei der Beratung der Eisenzölle wurden zuerst unpraktische Beschlüsse gefaßt, da man auf die verarbeitete Ware einen geringeren Zoll legen wollte als auf nicht oder halbverarbeitetes Eisen. Am Abend nach dieser Beratung war großer Empfang bei Bruck, zu dem sämtliche Teilnehmer geladen waren. Als Gomperz eintrat, begrüßte ihn Bruck freundlich, bemerkte aber sofort den Schatten auf seiner Stirne. Womit er unzufrieden sei, fragte er. Gomperz machte den Minister auf den unglücklichen Beschluß aufmerksam. „Gut", erwiderte Bruck, „wir wollen über die Sache noch sprechen. Bitte bleiben Sie in der Nähe jenes Sofas, ich aber werde zuerst die Gäste empfangen und mich dann zu Ihnen setzen und auch Baumgartner, den Referenten, zuziehen." Auf diesem Kanapee berieten wir drei eine halbe Stunde die Sache, Baumgartner zuerst den Beschluß der Konferenz verteidigend, bald aber meinen stärkeren Gründen weichend. Bruck wurde vollständig überzeugt und die Zollpositionen im Sinne meiner Vorschläge geordnet. Gomperz gab hierauf einen Uberblick über die Früchte seiner dreijährigen Ministerschaft und erzählte dann, daß Bruck, zum Finanzminister ernannt88, an ihn das Ansinnen stellte, er möge in seinem Kreise für den Gedanken wirken, das Finanzministerium und das Handelsministerium zu vereinigen und die Leitung in eine Hand zu legen. Darauf ging Gomperz nicht ein, und dies war ein Grund der Verstimmung Brucks gegen ihn, die aber nicht lange andauerte. Später zog er ihn wieder vielfach heran und befragte ihn über wichtige Angelegenheiten. Dies geschah besonders in Eisenbahnangelegenheiten. Es gehört zu den großen Taten Brucks, daß er mit richtigem Blick die Hauptrichtungen für die neu zu bauenden Eisenbahnen feststellte, die Westbahn, den Zug der Nordbahn in ihrer Verlängerung nach Prag und die Hauptlinien in Ungarn. Er ließ Gomperz eines Tages zu sich rufen und legte ihm den Plan vor. Gomperz erklärte, daß er auf den ersten Blick nicht imstande wäre, eine Meinung abzugeben, machte aber gleich auf Folgendes aufmerksam: Die in Ungarn entworfenen Linien bildeten fast einen Kreis. Gomperz machte nun aufmerksam, daß, wenn man auch der Theiß entlang die Linien führe, der Staat dadurch die großen Flößeranstalten auf der Theiß, die zum Herabführen des Salzes bestimmt waren, brotlos machen würde. Er solle sich nicht selbst schädigen und den Bau dieser Linie verschieben. Darauf ging Bruck ein. Ich erzählte Gomperz hierauf auf seinen Wunsch ausführlich, was ich von dem Ende Brucks wußte, und legte besonderen Wert darauf, ihm alles auseinanderzusetzen, was mir über den angeblichen Gewinn Brucks aus der Gründung der Creditanstalt erzählt wurde89. Gomperz hörte mir mit höch88
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Freiherr Karl Ludwig von Bruck war von 1848 bis 1851 Handels- sowie von 1855 bis zu seinem Selbstmord am 23. 4. 1860 Finanzminister. Vgl. Bd. 1, S. 476 f. und Bd. 2, S. 132 f.
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stem Interesse zu und gab hierauf folgendes Urteil ab: Es ist richtig, daß damals die moralischen Anforderungen Ministern gegenüber niedriger waren als jetzt. Auch ist eine Zeichnung von Aktien, wenn der Ubernehmer genügend Kapital besitzt, um sie wirklich zu beziehen, auch dann statthaft, wenn es nur auf einen Gewinn der Differenz abgesehen ist. Dennoch wäre es zu mißbilligen, wenn Bruck so gehandelt hätte. Ich halte dies aber für ausgeschlossen. Der Direktor der Creditanstalt, Hornbostel, kannte die Gebarung der Bank seit ihrer Gründung vollständig genau und auch die Beziehungen Brucks zu ihr. Er aber, der ein vollendeter Ehrenmann war, und mit dem ich zu jener Zeit oft über Bruck sprach, versicherte mir nachdrücklich, daß er völlig schuldlos sei. Soviel ich Hornbostel kenne, würde er dieses Urteil nicht gefallt haben, wenn sich Bruck an der Gründung der Creditanstalt beteiligt hätte. Sein Urteil muß aber als maßgebend gelten. Ich werde übrigens in den Büchern der Creditanstalt Erhebungen pflegen lassen. Gomperz hatte damals mit der Führung des Salzgeschäftes zu tun, und Bruck berief ihn einmal und sagte: Ich werde heute noch den Vortrag meines Sektionschefs über den Salzhandel entgegennehmen. Die Dinge sind mir unbekannt. Ich möchte mir aber als Kaufmann nicht die Blöße geben, in völliger Unkenntnis der Sache mich von meinem Untergebenen belehren zu lassen. Setzen Sie mir die Sache auseinander, damit ich gerüstet bin. Gomperz entwickelte ihm in einer halben Stunde die Hauptgesichtspunkte und fand außerordentlich rasche Auffassung und schnelles Eingehen in den Sachverhalt. Während des Jahres 1859 ließ Bruck Gomperz holen und teilte ihm mit, Nachrichten seien eingegangen, daß die Armee an dem Notwendigen Mangel leide. Eine große Ochsenlieferung sei erforderlich. Er stellte an ihn das Ansinnen, ein Konsortium von Kaufleuten zustande zu bringen, um die Lücke auszufüllen. Nun aber war Gomperz von Bruck schon früher als Beirat für Lieferungsangelegenheiten herangezogen worden. Er machte die Einwendung, daß diese Stelle mit der Gründung eines Konsortiums nicht zu vereinbaren sei. Bruck ließ dies nicht gelten, worauf Gomperz seinen Wunsch erfüllte. Das also gebildete Konsortium machte einen Vorschlag wegen einer großen Lieferung. Es bildete sich jedoch auch ein zweites Konsortium, aus Triester Kaufleuten bestehend, mit Revoltella an der Spitze, und auch sie reichten eine Offerte ein. Diese beiden Offerten wurden in einer Kommission unter dem Vorsitze Eynattens geprüft. Das Angebot der Triester Kaufleute war günstiger, und zwar um eine bedeutende Summe. Nach dem vorgetragenen Bericht erklärte Eynatten, sich an mich wendend, er sei der Meinung, man solle den Antrag des Wiener Konsortiums annehmen, da er in Gomperz volles Vertrauen setze. Gomperz befand sich in der schwierigsten Lage, betrachtete es aber als einen der größten Glücksfalle seines Lebens, daß er die Geistesgegenwart behielt zu sagen: Er befinde sich in einer
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Freiherr Alois Lexa von Aehrenthal
Doppelstellung hier, fühle sich aber verpflichtet zu erklären, daß die Kaufleute des Triester Konsortiums durchaus vertrauenswürdig seien, sodaß nichts im Wege stehe, ihre Offerte anzunehmen. Dies geschah, was Gomperz große [Vorwürfe] seitens seiner Geschäftsfreunde zuzog. Er aber war dadurch der Gefahr entronnen, in jene Verwicklung hineingezogen worden zu sein, in deren Verlauf Eynatten sich das Leben nahm und Revoltella verhaftet wurde90. Gomperz wurde im April 1860 Verwaltungsrat der Creditanstalt, also drei Wochen vor dem Tode Brucks. Es ist seine feste Überzeugung, daß Bruck in seiner großen Gesinnung kleinlicher Handlungen oder verbrecherischer Taten nicht fähig war; ein Mann wie er hätte sich nie so tief erniedrigt, sich bei Staatslieferungen zu bereichern. Soviel er wisse, betraf einer der gegen Bruck erhobenen Vorwürfe den Mangel des Nachweises, was mit 10.000 Gulden aus [dem] Dispositionsfonds geschehen war. Das war aber vollständig ungerecht. Gomperz sowie Hornbostel wußten genau, daß diese 10.000 Gulden Kuranda für die Ostdeutsche Post gegeben worden waren.
Freiherr Alois Lexa von Aehrenthal, Außenminister 8. November 1908 К 4, U Notizen und Druckunterlagen zur Persönlichkeitsgeschichte Aehrenthals Aehrenthal kehrte nach dem ersten Abschnitt der großen Kampagne am 1. November nach Wien zurück und sagte Jettel, daß er mich Sonntag den 8. sehen wolle. Da mir Känia mitteilte, Jettel sei damit beauftragt, so hielt ich es für angezeigt, vor Eintreffen der Verständigung an Aehrenthal zu schreiben91, denn solche freundliche Rücksicht auf den fernestehenden Beobachter verpflichtet zu Dank. In meinem Briefe gab ich wahrheitsgemäß meinem Stolze als Österreicher Ausdruck, daß er die Dinge so mutig und zugleich so kaltblütig gelenkt habe. Ich machte ihn angesichts der Demission Becks92 auf den Wert der Heranziehung Koerbers aufmerksam, und zum Schlüsse gab ich der Besorgnis Ausdruck, ob denn für die Gewährung der Vorsanktion des ungarischen Wahlgesetzes93, die um diese Zeit erfolgte, auch solche 90
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Im Zuge des Verfahrens um Bestechungen bei den Heereslieferungen 1859 nahm sich Feldmarschalleutnant August Friedrich von Eynatten am 7. 3. 1860 das Leben, nachdem er ein schriftliches Geständnis abgelegt hatte. Außerdem wurden mehrere Triestiner Bankiers, darunter auch Pasquale Revoltella, kurzfristig verhaftet. Vgl. Aus dem Nachlaß Aehrenthal Teil 2, 634-635. Das Kabinett Beck hatte seine Demission am 7. 11. 1908 eingereicht, sie wurde am 15. November vom Kaiser angenommen. Vgl. zum Wahlreformentwurf des ungarischen Innenministers Graf Gyula Andrässy S. 95 Anm. 48.
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Bewilligungen für die Armee eingetauscht worden seien, die zu ihrem Ausbau nötig seien. Als ich bei Aehrenthal eintrat, dankte er mir zuerst für meinen Brief, der ihm wohlgetan habe. "Ob ich aber nicht zu günstig über ihn geurteilt habe? 3 Es sei richtig, wie ich geschrieben, daß jetzt mit dem Einlangen der Einladung zur Konferenz durch Iswolski's Note94 der erste Abschnitt der Kampagne zu Ende sei. Nachdem ich ihm nochmals versichert hatte, daß seine Politik mir den Eindruck staatsmännischer Überlegenheit mache, begann er in seiner prunklosen Weise, in seiner Ausdrucksform, durch die mit wenigen Worten, mit kurzen Andeutungen das Wichtigste und Bedeutungsvollste gesagt wird, seine Aufklärungen über die letzten Ereignisse und seine nächsten Absichten. „Ich werde mich mit der Antwort auf die russische Note nicht beeilen. Wohl, man hat uns lange auf sie warten lassen; die Antwort hat also auch Zeit. Ich werde sie nicht früher absenden, als bis ein Vergleich mit der Pforte erzielt ist. Erst dann kann ich wissen, ob die Annexion auch von der Türkei sowohl wie von den Mächten als unwiderrufliche Tatsache hingenommen wird. Denn ich habe nicht Lust, mich auf der Konferenz vor ein englisch-russisches Gericht zu setzen. Nicht ich habe die Konferenz gewünscht, sie kann also nur zur Tatsache werden, wenn ich sicher bin, daß es ohne Diskussion zur Konstatierung der Tatsache kommt, die von den Mächten und auch der Türkei auch anerkannt wird, in der Art, daß der betreffende Artikel des Berliner Vertrages eine Abänderung erfahrt. Bezüglich der avantages pour le Serbie et pour le Montenegre werde ich auf der Einschaltung des Wortes economiques bestehen. Damit wird volle Klarheit gegeben sein. Iswolski spielt in der ganzen Sache eine unglückliche Rolle95. Er sprach in Paris von der Aufnahme einer Anleihe, da die russischen Staatsbons bald fallig sind, und man für den laufenden Bedarf Geld benötigt. Man sagte ihm in Paris, man sei unzufrieden, daß er zuerst mit mir verhandelt habe, und man erklärte ihm, daß Geld erst nach der Konferenz zu haben sei, wenn die Ruhe in Europa zurückgekehrt sei. In London sprach er von den Dardanellen, und da wurde er höflich hinausgeworfen, indem man ihn an die Pforte wies. In Deutschland wollte er gegen uns werben, und da wurde er wieder hinausgeworfen. Da wir nun unterdessen den Schlag geführt haben, so hält er sich von mir hintergangen und haßt mich satanisch. Aber er ist durchaus im Unrecht. Denn nochmals: Erst durch die von ihm an uns ergangenen Eröffnungen, in denen er uns die Annexion Bosniens und des Sandschaks freistellte96, schien mir die Sache reif, und ich beschloß zuzugreifen. Wohl erwog man die Sache in Wien bereits früher, aber erst auf seine Anregung hin kam 94
Vgl. ÖUA Bd. 1, 299. Vgl. zur Rundreise des russischen Außenministers GrafAlexandr Iswolski S. 105 Anm.67. 96 Vgl. dazu S. 101-103. "" Ergänzung. 95
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es auf unserer Seite zum Handeln. Ich habe ihm nun nach Buchlau ein Memorandum geschickt, worauf er mir unter dem 23. September aus Tegernsee einen zustimmenden Brief sendete97." Aehrenthal setzte seine Lesebrille auf und zog aus dem seinen Schreibtisch überhöhenden Aufsatz ein Schriftenbündel hervor, auf dem mit blauem Bleistift „Buchlau" stand. Das oberste Schriftstück in die Hand nehmend, zeigte er mir einen, wie ich glaube, vier Seiten langen Brief in Oktav, und indem er sagte, „das ist die Schrift Iswolskis", las er mir die erste Seite daraus vor. Der Brief beginnt mit dem Hinweis auf die längs der dalmatinischen Küste über Montenegro zu führende Bahn, die Osterreich zu bauen wünsche, und spricht dann von dem Memorandum, das ihm Aehrenthal auf Grund seiner Besprechungen gesendet habe, das er durch ein Memorandum zu beantworten gedenke, für welches er die Zustimmung des Zaren einholen müsse. Hier brach Aehrenthal ab, und ich sagte mir im Stillen, daß daraus nicht zwingend hervorgehe, ob zu Buchlau alles besprochen worden sei. Doch bemerkte ich ihm, daß ich von hervorragender Seite gehört habe98: Zu Buchlau habe Aehrenthal nur im Allgemeinen von seiner Absicht gesprochen; damals sei der Zeitpunkt der Annexion in Osterreich noch nicht festgesetzt gewesen; darauf hätten die militärischen Kreise auf die Annexion gedrängt, und rascher als Aehrenthal wollte und Iswolski annahm, habe sich das Ereignis vollzogen. So kam es, daß Iswolski sich überrumpelt fühlte. Aehrenthal hörte mich ruhig an und erwiderte bestimmt: „Das ist vollständig unrichtig. Ich habe in Buchlau mit Bestimmtheit von der bevorstehenden Annexion gesprochen, habe den Oktober als den Zeitpunkt genannt und ausdrücklich gesagt, daß ich die Delegationen von der Tatsache verständigen wolle." Darauf ich: „Ich bin sehr überrascht, daß bezüglich jener Vorgänge unrichtige Meldungen in die Welt gesetzt werden. Ich kämpfe mit mir, ob ich die Indiskretion begehen und Euer Exzellenz meine Quelle nennen soll. Aber die Sache ist so wichtig, daß ich mich dazu entschließen muß. Meine Quelle ist Herr von Tschirschky, der mir in loyalster Absicht, und um meine Zweifel über die Politik Euer Exzellenz zu zerstreuen, jene Aufklärung gab. Doch muß ich noch hinzufügen, daß die Angaben des deutschen Botschafters mir von dem Augenblicke zweifelhaft wurden, da ich durch das österreichische Ministerpräsidium, wo ich Erkundigungen einzog, darüber unterrichtet wurde, daß Anfang September schon an der Durchführung der Maßregel gearbeitet wurde99." Darauf Aehrenthal: „Wie ich Ihnen sage, alle jene Berichte widersprechen der Wahrheit. Herr von Tschirschky ist wohl 97 98 99
Vgl. ÖUA Bd. 1, 96-97. Vgl. S. 105 f. Vgl. das Protokoll des gemeinsamen Ministerrates vom 10. 9. 1908 in ÖUA Bd. 1, 78-33.
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durch Urusov oder durch Iswolski selbst irregeführt." a„Die Militärs waren der Ansicht, die Annexion solle schon Ende September erfolgen, so rasch konnte es nicht geschehen, bekanntlich erst eine Woche später. Ich bin unschuldig daran, daß ich Iswolski um diese Zeit nicht erreichen konnte. Zuerst war er in Tegernsee, dann an der Riviera, dann in Paris, ich wußte wirklich nicht, wie mich an ihn wenden." Anmerkung: Dieser Punkt der Mitteilungen Aehrenthals ist der einzige, der nicht ganz einleuchtete.3 Ich erbot mich darauf, Tschirschky aufzuklären, und Aehrenthal sagte: „Das wird mir sehr angenehm sein. Bitte sagen Sie Tschirschky nicht, daß Sie mir mitgeteilt haben, jene Information rühre von ihm her. Sie hätten mich jedoch von ihr in Kenntnis gesetzt; und ich bevollmächtige Sie hiermit, ihn über den Sachverhalt aufzuklären." Aehrenthal weihte mich sodann über seine letzten Unterhandlungen mit Iswolski ein. „Iswolski ist mein Feind bund sein Vorgehen ist abscheulich, aber schließlich ist er russischer Minister des Äußern, und ich muß ihn nehmen wie er ist,b ich habe ihn aber schon durch den Grafen Berchtold warnen lassen: Ich würde nötigenfalls seine Briefe, die Annexion betreffend, publizieren müssen." Diese Worte waren so ernst gesprochen, daß ich mich nicht enthalten konnte einzuwerfen: „Nun, soweit werden Sie doch nicht gehen wollen!" „Nun", so lautete die kurze Antwort, „ich habe ihn durch diese Drohung wenigstens gewarnt. Übrigens wird in der nächsten Zeit eine andere Publikation vollzogen werden, durch die ich Iswolski zu Hilfe kommen werde. Denn sein Vorgehen ist zwar unentschuldbar, aber er ist russischer Minister des Äußern, und ich muß ihn nehmen, wie er ist. Er ist es, der bei mir angeregt hat, wir sollten die Verhandlungen von 1876 veröffentlichen, durch welche Rußland uns die Annexion Bosniens und der Herzegowina freistellte100." „Die förmliche Annexion?" fragte ich ihn rasch. „Ja, die Annexion. Iswolski und ich verhandeln jetzt darüber, und sobald seine förmliche Zustimmung gekommen ist, soll es geschehen, vielleicht schon in einigen Tagen. Ich werde Sie aber früher davon verständigen lassen, damit Sie die Schriftstücke früher sehen. Den Vertrag von 1881 und 1884 publizieren zu lassen ist überflüssig, da er seit 1887 außer Kraft getreten ist101." „Unsere Verhandlungen mit der Türkei stehen nicht ungünstig, aber sie gehen zähe vonstatten. Vergessen Sie nicht, die Türkei ist keine Monarchie, sondern eine Republik mit Kiamil Pascha an der Spitze. Der Sultan ist ein Gefangener der Jungtürken. Ich habe übrigens mit dem jungtürkischen Ko100
101
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Vgl. dazu Franz-Josef Kos, Die Politik Österreich-Ungarns während der Orientkrise 1874/75-1879 (Dissertationen zur neueren Geschichte 16, Köln - Wien 1984). Das Dreikaiserbündnis zwischen Deutschland, Österreich-Ungarn und Rußland sah Veränderungen auf dem Balkan nur nach vorheriger gemeinsamer Absprache vor. Ergänzung. gestrichen.
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mite in Saloniki selbst angeknüpft und hoffe, dadurch manches zu erreichen." Ich drückte meine Überraschung und Befriedigung über diesen Schritt Aehrenthals aus. Ich hätte ihm innerlich Unrecht getan und angenommen, er werde in Folge seiner konservativen Staatsauffassung sich nicht entschließen wollen, mit den Jungtürken selbst zu verhandeln. Aehrenthal lächelte und gab mir folgende Aufklärungen: „Das jungtürkische Komite wandte sich zuerst telegraphisch an mich, worauf ich Generalkonsul Rappaport mit den Verhandlungen betraute. Er besitzt alle Fähigkeiten dazu, auch war er mehreren Zivilagenten102 durch einige Zeit als Stellvertreter zugeteilt und kennt Hilmi Pascha sehr gut. aRappaport war derjenige, der mich in Kenntnis setzte, daß, wenn wir in Bosnien eine Verfassung geben wollten, seitens des jungtürkischen Komites und seitens der Pforte ein Protest erhoben werden würde aufgrund der Souveränität des Sultans. Es hätten also Jungtürken und natürlich auch Serben protestiert, vermutlich auch die Opposition in Bosnien, und weiß Gott wer sonst in der Welt. Das mußten wir uns ersparen.8" „Was endlich Serbien betrifft", fuhr er fort, „so muß [ich] hier mit allen Möglichkeiten rechnen. Ich halte ein Losschlagen in der nächsten Zeit wohl nicht für wahrscheinlich, aber man muß doch bedenken, daß sie durch die englisch-russischen Wühlereien aufgeregt sind. Es sind Südslawen, das heißt, sie werden nicht lange in derselben Richtung gehen können, entweder ernüchtert werden oder aber törichter Weise losschlagen. Denn das Kapital an Nervensubstanz, das sie besitzen, ist bald aufgezehrt. Sie rüsten jetzt mit aller Macht, haben auch schon viele Leute aufgestellt, können sie aber nicht verpflegen; sie besitzen hierzu nicht die Unterkunftsstätten, und schon sind Krankheiten unter ihren Soldaten eingerissen. Sie möchten uns gerne zum Angriff reizen, um eine Intervention der Mächte herbeizuführen. Ich habe jedoch von vorneherein den Grundsatz aufgestellt, daß wir mit voller Ruhe ihre Provokationen hinnehmen wollen. Greifen sie uns jedoch an, so soll ihnen die verdiente Züchtigung nicht erspart bleiben." Auf meine Frage erklärte er, der Generalstabschef Conrad flöße ihm Vertrauen ein. Er sei auch politisch nicht unbegabt, müsse aber zurückgehalten werden. Er würde lieber heute als morgen den Krieg beginnen wollen. Ich warf die Frage auf, ob nicht die größten Schwierigkeiten beginnen werden, wenn die Serben besiegt seien. Werde nicht Rußland, werde nicht Italien intervenieren? „Weshalb sollte Rußland intervenieren? Wir würden doch Serbien dann nicht annektieren, sondern bloß züchtigen und dafür sorgen, daß es dann unschädlich werde. Das werde durch eine zu zahlende
Durch die mazedonische Reform von 1903 wurde dem türkischen Generalinspektor je ein österreichisch-ungarischer und ein russischer Zivilagent zugeteilt. "" Ergänzung. 102
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Kriegsentschädigung geschehen. Die Absicht, ein Stück Serbiens loszureißen, liegt mir ferne. Die Bulgaren würden sich schon melden und die bulgarischen Teile des Landes begehren. Sie haben sie schon einmal besetzt103, ein zweitesmal werden sie sie nicht zurückgeben." Ich fügte hinzu, es sei nicht zu vergessen, daß im Osten Serbiens Rumänen wohnen, im Südwesten ein albanischer Zipfel vorhanden sei. Aehrenthal nickte zustimmend. „So also, fahrt er fort, ist doch ein Angriff Rußlands auf uns aus diesem Anlasse nicht zu erwarten, umso weniger, als sie bei diesem Angriff es zugleich mit Deutschland zu tun bekommen." Das Gespräch wandte sich darauf den Zuständen in Deutschland zu. Aehrenthal stimmte zu, als ich bemerkte, daß die Diskussion über das KaiserInterview für uns sehr unangenehm sei104, weil es das Prestige unseres Alliierten verringere. Es sei leider wahr, daß man in Deutschland vom Kapital lebe, vom Kapital aus der Zeit einer großen Autorität. Er wünsche sehr, daß die bevorstehende Interpellationsdebatte im deutschen Reichstag mit einem Erfolge Bülows endige. „Kaiser Wilhelm, der am 6. und 7. November in Wien gewesen war", so erzählte er, „war sehr gnädig gegen mich. Bei Tische trank er mir zu mit dem Zuruf: Weidmannsheil! Und ein andermal sagte er auch lächelnd: Ich habe in Berlin jemanden gesprochen, der ein großer Freund von Ihnen ist (Iswolski nämlich). Wir können uns ganz auf Deutschland verlassen." Soweit die Diskussion über die auswärtige Lage. Darauf wurde die österreichische Ministerkrise besprochen, denn gerade am Tage vorher, [am] 7. November, gab das Kabinett Beck seine Demission. „Ich weiß", sagte Aehrenthal, „und aus Ihrem Briefe geht wieder hervor, daß Sie Koerber für den besten Ministerpräsidenten unter den vorhandenen Küstern halten. Auch ich würde ihn Freiherrn von Bienerth vorziehen, aber es zeigt sich leider, daß Herr von Koerber gar keine politischen Verbindungen besitzt. Man hat bei den Tschechen angefragt, und Kramär erwiderte: Wenn Koerber kommt, gehen wir in die Obstruktion, und auch die Christlichsozialen sind ihm abhold." Ich warf die Bemerkung ein, daß eben dies die Art Koerbers sei; er wolle sich in keiner Weise aufdrängen, er warte, bis die Dinge an ihn herantreten. „Herr von Szögyeny, der Koerber zufällig gesprochen hatte", fuhr Aehrenthal fort, „entnahm aus dessen Worten, daß er nicht ungern wie103
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Im Krieg von 1885 blieb Bulgarien gegen Serbien siegreich, mußte sich aber auf Druck der Großmächte wieder zurückziehen. Am 28. 10. 1908 war im Londoner Daily Telegraph ein Artikel erschienen, der auf Interviews mit Kaiser Wilhelm II. beruhte. Die darin enthaltenen Äußerungen des Kaisers wurden in der deutschen Öffentlichkeit scharf verurteilt. Wilhelm hatte den Artikel vorab zur Prüfung an Reichskanzler Bernhard von Bülow geschickt, der ihn unkorrigiert zur Veröffentlichung freigab. Bülow gestand zwar sein Versehen der Freigabe ein, verurteilte aber in der Reichstagsdebatte vom 10. 11. 1908 den Kaiser und forderte ihn auf, seine eigenmächtige und unverantwortliche Politik einzustellen.
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der ins Amt treten möchte. Was Beck betrifft, so hat sich unser Verhältnis in der letzten Zeit so gut gestaltet, daß ich seinen Rücktritt fast bedauern möchte. Bei den Verhandlungen über die Annexion war Beck ursprünglich gegen das Zugreifen. In einer langen Rede in der Ministerkonferenz sprach er daher, daß man lieber warten solle, bis die inneren Verhältnisse in Osterreich geklärt seien105. Als er jedoch später zustimmte, förderte er das Werk sehr. Eigentlich war der schwierigste Augenblick in den Vorbereitungen die Notwendigkeit, Österreich und Ungarn unter einen Hut zu bringen. Da nun zeigte, Aehrenthal lächelte hierbei in seiner heiteren Weise, die seine Zufriedenheit ausdrückt, Wekerle seine ganze Geschicklichkeit. Doch auch Beck benahm sich vortrefflich. Jetzt wird also Freiherr von Bienerth sein Glück versuchen. Zunächst will er den Versuch machen, ein Koalitionsministerium zu bilden. Gelingt dies nicht, so ist die Konstituierung eines unparteiischen Kabinetts beabsichtigt. Nicht die eines Beamtenministeriums, wohl aber die Heranziehung von Politikern, die mit den Parteien in gewisser Fühlung stehen, um auf sie Einfluß üben zu können. Hier wäre besonders an Herrenhausmitglieder zu denken. Sie meinen, daß Bienerth nicht die Begabung besitze, die schwierige Situation zu meistern. Er beabsichtigt, mit Bilinski zusammenzuarbeiten, der doch sehr fähig ist." Als ich erwiderte, daß Bilinski den Deutschen unfreundlich gesinnt sei, sodaß die Kombination Bienerth Bilinski viel gegen sich habe, erwiderte Aehrenthal: „Ich höre aber, daß Bilinski im Gegenteil jetzt sehr gegen die Tschechen eingenommen ist. Man wird ja sehen, wie die Herren jetzt arbeiten werden." Sodann wurden die ungarischen Angelegenheiten erörtert, und mein Bedenken kam zur Erörterung, daß die Koalition als Entgelt der Vorsanktion der Wahlreform zuwenig für die Armee leisten werde. Aehrenthal sprach darüber zusammenfassend in der Absicht, wie er sagte, mir als Historiker das Material für das Verständnis der Angelegenheit zu bieten. Dabei bat er mich um strengste Diskretion, da große Dinge auf dem Spiele stünden. „Schon im Frühjahr", so begann er, „sprach sich Seine Majestät mit dem Grafen Andrässy über die Grundzüge der Wahlreform aus und gab im Allgemeinen seiner Geneigtheit Ausdruck, auf die Absichten der Koalition einzugehen. Später zeigte sich, daß im Falle der Nichtsanktion die Koalition unbedingt zusammengebrochen wäre. Dann wäre wohl nichts Übriggeblieben, als der Kossuth-Partei die Regierung anzuvertrauen. Allerdings trat die altliberale Partei mit anderen Vorschlägen heran. Sie erbot sich, mit der Kossuthpartei und den Sozialisten und Nationalisten zu gehen, und eine andere Wahlreform auf liberaler Basis im Kristoffy'schen Sinne durchzubringen106.
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Vgl. das Protokoll des gemeinsamen Ministerrates vom 19. 8.1908 in ÖUA Bd. 1,41-50. Der frühere ungarische Innenminister Jozsef Kristöffy trat für das allgemeine, gleiche Männerwahlrecht ein.
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Stefan Tisza war, wie bekannt, dagegen. Aus seinem Briefe an Gajäri ergibt sich die Gegnerschaft wider die Kristoffy'schen Ideen107. Diesen Aussichten gegenüber empfahl es sich, schon mit Rücksicht auf die äußere Politik, die jetzige Regierung im Amte zu erhalten. Es war für die Durchführung der Annexion ein großer Vorteil, daß sich alle namhaften Politiker ohne Ausnahme im Amte befanden. Denn wenn auch nur einer, nicht etwa bloß Kossuth, außerhalb der Regierung gestanden hätte, so würde er sicher opponiert haben. Auf diese Weise entschloß sich Seine Majestät zur Vorsanktion, nachdem gewisse Änderungen an dem Entwürfe vorgenommen worden wa(I
ren. Als ich nun fragte, ob man die Gewähr besitze, die Koalition werde das neue Wehrgesetz bewilligen108, zeigte sich Aehrenthal sehr zuversichtlich. „Schon durch die bisherigen Verhandlungen sind wir glücklich über die selbständige ungarische Bank hinübergekommen109. Ja, hinübergekommen", wiederholte Aehrenthal mit feinem Lächeln der Befriedigung. „Nun wird Seine Majestät die Koalition nicht mit der Wahlreform drängen, im Gegenteil. Es wird also mehrere Monate dauern, bis das Gesetz unter Dach gebracht ist. Eigentlich war die Koalition nur für zwei Jahre abgeschlossen, und die Herren hätten also schon im April aus dem Amte scheiden sollen. Nun werden sie bleiben und dafür der Armee zu geben haben, dessen sie bedarf. Denn in dem Zeiträume bis zum Abschlüsse der Wahlreform wird die serbische Kriegsrüstung zur Notwendigkeit fuhren, auch bei uns Verstärkungen durchzuführen. Das ist ja, was ich Ihnen im tiefsten Vertrauen mitteile, zum Teil jetzt schon geschehen ohne ausdrückliche Bewilligungen." „Also werden Nachtragskredite notwendig sein?" „Allerdings, Nachtragskredite. Die Erhöhung des Rekrutenkontingents wird bei diesen Verwicklungen gleichfalls seitens Ungarns zugestanden werden müssen." „Hat man sich darüber Gewißheit verschafft?" warf ich besorgt ein. Mit einer Geste der Beruhigung, wenn auch nicht geradezu bejahend, gab Aehrenthal die gewünschte Auskunft. Und er bestätigte mit einer gewissen stillen Heiterkeit, seinem eigentümlichen Auflachen, als ich meinte, die serbischen Drohungen hätten wenigstens das eine Gute, daß die Krone mit bestem Rechte die Erhöhung des Rekrutenkontingents verlange. Die Unterredung Schloß von Sei107
108 109
In einem Brief an den Chefredakteur der Budapester Zeitung Αζ Ujsäg Ödön Gajäri, der unter anderem im Pester Lloyd v. 26. 9. 1908, Abendblatt 1 abgedruckt wurde, bezeichnet Graf Istvän Tisza den Verzicht auf eine Wahlreform als eine Frage von „Sein oder Nichtsein des Nationalstaates". Zu einer parlamentarischen Verabschiedung eines neuen Wehrgesetzes kam es in Ungarn erst 1912. Die Verhandlungen über die Erneuerung des Ende 1910 auslaufenden Privilegs der österreichisch-ungarischen Bank wurden 1908 aufgenommen, wobei die ungarische Forderung nach Teilung der Bank und Schaffung eines Kartells sowohl von der Krone wie der österreichischen Regierung abgelehnt wurde.
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Emil Jettel von Ettenach
te Aehrenthals mit dem herzlichen Ausdrucke des Vertrauens, ich werde alles Gehörte strenge verwahren. „Ich habe mich Ihnen ganz geöffnet, Sie wissen, wie leicht zumal in den Beziehungen mit Ungarn eine Mißhelligkeit entstehen kann; man muß diskret sein, um die ungarische Regierung nicht in Gegensatz zur öffentlichen Meinung des Landes zu bringen."
Emil Jettel von Ettenach, Leiter des Literarischen Bureaus im Außenministerium [8. November 1908] К 4, U Notizen und Druckunterlagen zur Persönlichkeitsgeschichte Aehrenthals Bevor ich zu Aehrenthal eintrat, begegnete ich im Vorzimmer auf [sie!] den gleichfalls wartenden Jettel. Er ist voll Anerkennung für die Ruhe und Entschlossenheit Aehrenthals. Wohl wahr, daß er in Budapest manchmal abgespannt war, aber er behielt stets den Überblick, stets die Zuversicht. Doch sieht Jettel die Lage nicht so ruhig an wie Aehrenthal. Er hat in Budapest mit Tschirschky gesprochen und dieser ihm entwickelt: Wenn Serbien losschlage, dann werde sich nach dem glücklich geführten Krieg erst die eigentliche Schwierigkeit einstellen. Denn die russische Regierung werde der öffentlichen Meinung nicht widerstreben können und sich einmischen, vielleicht selbst einen Krieg mit Osterreich führen. Das ist die Gefahr der Situation. Jettel meinte weiter: Die Unterhandlungen mit der Türkei gehen zähe vor sich; sie bestehe entschieden auf der Übernahme eines Teiles der Staatsschuld. In Ungarn besonders wolle man aber davon nichts wissen. Als die Annexion ausgesprochen wurde, hatte Serbien nur etwas über 10.000 Mann auf den Beinen. Jetzt rüste es fieberhaft. Es wird dadurch kräftiger. Ursprünglich wäre ein Krieg nur ein militärischer Spaziergang gewesen. Allmählich gestalten sich die Dinge schlimmer, doch ist ein Sieg Österreichs doch so gut wie sicher. Schwieriger stehe es eigentlich mit Montenegro, das die Verbindung mit dem Meere habe und unwegsam sei. Über die innere Lage erzählte Jettel: Luegers Einfluß sei unbeschreiblich groß. Als Axmann seinen Antrag zur Erhöhung des Mannschaftslohnung stellte, erschrak man in Budapest, Störung des guten Einvernehmens mit Ungarn befürchtend. Darauf wurde Schießl an Lueger geschickt, mit dem Auftrage, Lueger den Wunsch des Kaisers auf Zurücknahme des Antrages Axmanns auszudrücken 110 . Das wirkte. 110
Am 29. 10. 1908 hatte der christlichsoziale Abgeordnete Julius Axmann in der österreichischen Delegation einen Antrag auf Verbesserung der Mannschaftskost und Erhöhung der Mannschaftslohnung in der gemeinsamen Armee gestellt. Diesen Antrag zog er tags darauf zurück, nachdem Kriegsminister Franz von Schönaich beruhigende Erklärungen bezüglich Kost- und Lohnaufbesserung gegeben hatte.
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Freiherr Alois Lexa von Aehrenthal, Außenminister [Anfang November 1908] К 4, U Notizen und Druckunterlagen zur Persönlichkeitsgeschichte Aehrenthals Aehrenthal kehrte [am] 1. November 1908 von Budapest nach der schwierigen Kampagne zurück. Jettel, so erzählte mir Känia, ist ganz entzückt von ihm. Er bewahrte in der schwierigsten Lage seine Ruhe und seine Zuversicht, daß die Dinge sich glatt abwickeln würden. Als der serbische Kronprinz nach seiner kriegerischen Rede Erlaubnis erhielt, nach Petersburg zu reisen111, war die Umgebung Aehrenthals aufgeregt, er aber beruhigte sie, und seine Sicherheit übte auf sie großen Eindruck aus. Als Iswolski immer feindseliger und unzuverlässiger wurde, sagte Aehrenthal einmal ohne große Aufregung, etwas ironisch: Er habe den Russen schon einmal zart andeuten lassen, er werde, wenn genötigt, die Abmachungen zu Buchlau112 veröffentlichen lassen; schließlich könne er sich dazu doch genötigt sehen. Szeps hat Kania mitgeteilt, daß Clemenceau auf Iswolski sehr scharf zu sprechen sei113; ihr Abschied sei fast ein Bruch gewesen. Clemenceau sei heftig aufgeregt gewesen über die indiskrete Veröffentlichung des Konferenzprogramms114.
Kälmän Känia de Känya, stellvertretender Leiter des Literarischen Bureaus des Außenministeriums 11. November 1908 К 4, U Notizen und Druckunterlagen zur Persönlichkeitsgeschichte Aehrenthals Uberaus wichtige Mitteilungen Kanias. Sie beziehen sich auf Serbien und die merkwürdige Rolle, die von England gespielt wird. Grey teilte Mensdorff ganz offenherzig mit, er habe dem serbischen Minister Milovanovic gesagt115: Serbien solle Österreich-Ungarn nur dann angreifen, wenn es von dieser Macht '" Der serbische Kronprinz Georg besuchte Ende Oktober 1908 St. Petersburg, um dem Zaren ein Handschreiben König Peters sowie einen hohen serbischen Orden zu übergeben. Welche der zahlreichen antiösterreichischen Äußerungen Georgs gemeint ist, konnte nicht festgestellt werden. 112 Die beiden Außenminister waren am 15. 9. 1908 im mährischen Schloß Buchlau zusammengetroffen. 1,3 Die Schwester des Chefredakteurs der Wiener Allgemeinen Zeitung Julius Szeps war seit 1886 mit Georges Clemenceaus Bruder Paul verheiratet. 114 Der Plan, die bosnische Frage auf einer internationalen Konferenz zu behandeln, wurde nicht realisiert. 115 Im Zuge der serbischen Bemühungen um Anerkennung der Forderungen in der Bosnienfrage besuchte der serbische Außenminister Milovan Milovanovic die Hauptstädte der westeuropäischen Mächte.
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Kaiman Känia de Kanya
provoziert werde. Diese merkwürdige Eröffnung beweist, daß England an Serbien keinen abmahnenden Rat gegeben habe. Damit steht vielleicht eine andere merkwürdige Tatsache in Verbindung. Novakovic, der in Konstantinopel mit Kiamil Pascha verhandelte116, erhielt seitens der serbischen Regierung eine Instruktion, deren Abschrift in verräterischer Weise zur Kenntnis der österreichischen Regierung gelangte. Darin steht, daß Novakovic in Konstantinopel vorbringen solle: „England habe den Serben geraten, der Türkei ein Bündnis derart vorzuschlagen, daß die Türkei den Serben einen Teil Bosniens, als dessen Souverän sich der Sultan betrachte, abtrete." Nun, so fahrt Känia fort, ist es möglich, daß Novakovic von seiner eigenen Regierung getäuscht werde. Vielleicht lügt sie selbst, um auf die Pforte einzuwirken. Wenn aber nicht, so ist das böse Spiel Englands durchsichtig. Es sei auch zur Kenntnis der österreichischen Regierung gelangt, daß England es ist, das der Türkei souffliert habe, von Österreich-Ungarn die Übernahme eines Teils der bosnischen8 Staatsschuld zu verlangen. Das war auch die wichtigste der Forderungen, die Kiamil Pascha gestellt habe. Die Sache ist aber ablehnend beschieden worden, und am 11. November beantwortete Wekerle im ungarischen Parlament eine Interpellation Rakovszkys und sagte unter anderem, daß Österreich-Ungarn eine solche Forderung ablehne. Während nun England diese Intrigen anzettle, verhalte sich Rußland wesentlich anders. Es sammle jetzt Material, um die Provokationen Serbiens gegen Österreich-Ungarn zu erweisen und darauf einen abmahnenden Schritt in Belgrad zu unternehmen. Auch liegt seitens Iswolskis der Vorschlag vor, es solle durch „eine Indiskretion" das Protokoll der Abmachungen von Reichstadt117 veröffentlicht werden (stimmt mit den Mitteilungen [überein], die mir Aehrenthal drei Tage vorher, am 8. November gemacht hatte118). Doczi ist zu dem Zwecke nach Wien berufen worden, um hierüber Auskünfte zu geben. Endlich ist es richtig, daß Milovanovic nach seiner im ganzen vergeblichen Rundreise nach Berlin, Paris, London in Wien angefragt habe, ob er Aehrenthal sprechen könne119. Er habe sich gleichzeitig verbürgt, daß er in diesem Falle in der Lage wäre, in Belgrad im Sinne des Friedens zu bürgen. Kania 116 111
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Vgl. zur Mission des serbischen Politikers Stojan Novakovic in Konstantinopel OUA Bd. 1, 358-359. In der Konvention von Reichstadt (1876) wurde zwischen Österreich-Ungarn und Rußland vereinbart, daß im Falle eines Zusammenbruches der Türkei Rußland den südlichen Teil Bessarabiens, die Donaumonarchie Bosnien und die Herzegowina erhalten sollten. Vgl. S. 123. Nach Abschluß seiner Rundreise kehrte der serbische Außenminister Ende November 1908 nach Belgrad zurück, ohne in Wien Station zu machen. Vom Ballhausplatz war ihm mitgeteilt worden, daß bei einem etwaigen Gespräch keinesfalls über territoriale Kompensationen verhandelt werden würde.
" Mit blauem Stift korrigiert
von englischen.
13. und 14. November 1908
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nun werde den Empfang des serbischen Ministers des Äußern nicht empfehlen, da Aehrenthal ihm nur dasselbe sagen könnte, was er ohnedies schon öfters verlautbart hätte. Man überlege aber noch, was zu geschehen wäre [sie!]. Alle obigen Nachrichten sind aber doch besorgniserregend, und man muß immerhin mit einem serbischen Angriff rechnen. Deshalb seien auch, was ein großes Geheimnis sei, Truppen nach Dalmatien geschickt und die Bataillone daselbst auf verstärkten Friedensfuß gesetzt [worden]. Denn Montenegro sei eigentlich der gefahrlichere Feind. Um das Land zu erobern, seien eben eine Reihe von Schlachten notwendig. Soweit Kania. Zu den obigen Mitteilungen Kanias [vom] 11. November gehört noch, daß die Verhandlungen Rappaports mit dem jungtürkischen Komite in Saloniki weiter vonstatten gehen120; das Komite hat eine Reihe von Forderungen aufgestellt, und Aehrenthal hat schon einige bezeichnet, auf die Österreich-Ungarn einzugehen bereit sei.
Emil Jettel von Ettenach, Leiter des Literarischen Bureaus im Außenministerium [Mitte November 1908] К 4, U Notizen und Druckunterlagen zur Persönlichkeitsgeschichte Aehrenthals Von Jettel habe ich (Friedjung) noch eine wichtige Nachricht. Im Oktober fand ein schlimmer Konflikt zwischen dem Prinzen Fürstenberg und Carikov statt; es kam nicht, wie erzählt wurde, zu einem Duell zwischen beiden, aber es war schlimm genug. Das rührte daher, daß man Fürstenberg ebensowenig wie die anderen Vertreter im Auslande von der Absicht der nahen Annexion Bosniens unterrichtet habe. In Folge dessen stellte Fürstenberg, darüber befragt, das bevorstehende Ereignis in aller Loyalität bestimmt in Abrede. Als nun die Annexion kam, sprach Carikov Zweifel an dem guten Glauben Fürstenbergs aus. Dieser fühlte sich beleidigt, und mit Mühe wurde die Sache ausgeglichen.
Freiherr Friedrich von Bruck Graz, 13. und 14. November 1908 К 4, U Studiennotizen, Abschriften von Dokumenten, Originaldokumente und Entwürfe, Karl Ludwig von Bruck betreffend; Sekretär 3 Hauptmann Bruck berichtete seinem Vater nach seiner Rückkehr, die etwa im September stattfand, über die Zustände in der Armee, und deutlich erinnert er sich, wie sein Vater mit Unwillen ausrief: „Am 1. Juni 1859 habe ich 120
Vgl. S. 123 f.
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Freiherr Friedrich v o n Bruck
die Verpflegungsliste für 900.000 Mann unterschrieben. Wo waren sie?" Er bemerkte an seinem Vater während des Winters keine Müdigkeit, wenn er auch in hohem Grade nervös war, sodaß er abends nach der Arbeit auf dem Sofa liegend oft von Nervenschauern förmlich geschüttelt wurde. Er war einverstanden damit, daß sein Sohn die militärische Karriere verlasse, und sagte ihm einmal, er hege die Absicht, das dem Staate gehörige Eisenwerk Eibiswald gegen Raten zu kaufen, damit sein Sohn die Leitung übernehme. Zu diesem Zwecke erhielt Fritz Bruck für den 1. Mai 1860 einen dreimonatlichen Urlaub zu einer Reise nach England und Deutschland zu Bildungszwecken und zur Besichtigung ähnlicher Werke. Direktor Hampe sollte Fritz Bruck bei der Leitung des Werkes zur Seite stehen. Auch Bruck selbst machte sich in den Wochen vor seinem Rücktritt mit dem Gedanken vertraut, abzutreten. Er schrieb einmal seinem Sohne einen Brief, er wolle noch den verstärkten Reichsrat abwarten und dann seine Demission geben121. Länger, so heißt es darin, halte er es nicht aus. Und als sie einmal auf der Straße Plener begegneten, sagte er seinem Sohne: „Dies wird mein Nachfolger sein." Über die Beziehungen Brucks zur Creditanstalt erzählt Fritz Bruck folgendes: Viele Jahre nach dem Tode seines Vaters sprach er einmal mit Baron Haber, dem bekannten Financier. Dieser teilte ihm mit: Zur Zeit der Gründung der Creditanstalt122 war im Finanzministerium eine Beratung, an der außer Bruck Ministerpräsident Fürst Schwarzenberg, Baron Haber und andere teilnahmen. Es wurde auch die Frage der Zeichnung der Aktien besprochen. Man fragte Bruck, ob er welche zeichnen werde. Er erwiderte, er für seine Person werde nichts zeichnen, doch wolle er drei Stück für seinen Freund, den FML Cordon, und je ein Stück für jedes seiner Kinder zeichnen, zusammen zehn. Dies geschah, und tatsächlich erhielt auch jedes der Kinder eine Aktie, die Bruck wie die anderen zu 200 bezogen hatte. Als nach einiger Zeit die Aktien auf 300 stiegen, verkaufte Fritz Bruck diese seine Aktie. Sein Vater aber lachte ihn aus und meinte, er habe ein schlechtes Geschäft gemacht. Tatsächlich aber fielen die Aktien später. Aus dieser Erzählung geht hervor, daß Bruck keinen Gründungsgewinn bezogen hatte. Ich erzählte Fritz Bruck darauf, daß ich von jemand, der mit seinem Bruder, dem Botschafter123, gesprochen hatte, die Mitteilung erhielt, der Botschafter habe die Ursache der plötzlichen Entlassung seines Vaters darin erblickt, daß man dem Kaiser von einem unerlaubten Gründungsgewinne Brucks gespro121
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Der verstärkte Reichsrat war am 31. 5. 1860 eröffnet und am 30. 9. 1860 geschlossen worden. Das kaiserliche Patent zur Gründung der „к. k. priv. Osterreichischen Credit-Anstalt für Handel und Gewerbe" stammt vom 7. 11. 1855. Der 1902 verstorbene Freiherr Karl von Bruck war von 1886 bis 1895 Botschafter am italienischen Königshof.
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chen habe. Auf diese Weise habe Botschafter Bruck, den Kaiser entschuldigend, die Sache dargestellt124. Fritz Bruck erklärte mir, er habe nie etwas davon gehört. Als er einmal seinen Bruder Karl auf dessen Gut besuchte, und sie von der Vergangenheit sprachen, fragte er seinen Bruder, was eigentlich die Ursache der Ungnade seines Vaters gewesen sei, und Karl Bruck erwiderte: Die von der Creditanstalt entlehnten 25.000 Gulden125. Damals und auch sonst habe sein Bruder ihm nie etwas Ahnliches erzählt. Die Ursache der Feindseligkeit Zangs gegen seinen Vater war die, daß Zang Verwaltungsrat der Creditanstalt hatte werden wollen, was aber Minister Bruck ablehnte. Bruck hatte lebhafte Abneigung gegen Zang, und dieser verfolgte seinen Vater bis über seinen Tod hinaus mit Angriffen. Doch ließ er in seinem Blatte126 die Rehabilitation durch den Kaiser ohne eine Bemerkung abdrucken. Beim Tode Brucks waren seine Söhne Otto und Fritz anwesend. Der Älteste, Karl, war in Petersburg bei der Botschaft, der Jüngste Hans an der Forstschule zu a in Bayern. Als die beiden Brüder ihren Vater im Blute fanden, war ihr erster Gedanke der, die Sache zu verheimlichen. Als Todesursache wurde ein Schlaganfall hingestellt, und selbst der Mutter sagten sie dasselbe und behaupteten, die Blutspuren rührten von einem Aderlasse her, den Dr. Breuning verordnet habe. Das Geheimnis wurde gut bewahrt, und als der Vater Montag abends starb, gab die Wiener Zeitung den Schlaganfall als Todesursache an. Mittwoch wurde die Sektion durch Rokitansky vorgenommen, und erst von da ab verbreitete sich die sichere Meldung der Todesursache in der Stadt. Einen oder zwei Tage darauf wurden die beiden Brüder vors Militärgericht gerufen. Infolge des gewaltsamen Todes Brucks mußte die Todesursache festgestellt werden, und das Zivilgericht dürfte das Militärgericht zur Einvernahme des Fregattenkapitäns Otto Bruck und des Hauptmannes Fritz Bruck aufgefordert haben. Hier deponierte der Bruder genau die Tatsachen, Fritz Bruck war aber durch die am Schlüsse gestellte Frage überrascht, ob seines Wissens sein Vater ein großes Vermögen in Wertpapieren hinterlassen habe. Darauf erwiderte Fritz Bruck, seines Wissens nicht, denn vor nicht langer Zeit habe ihm sein Vater gesagt, er wolle das Eisenwerk Eibiswald in Raten kaufen, was gegen eine solche Annahme spreche. Unterdessen nahm der Advokat der Familie Dr. von Gredler die Verlassenschaft des Vaters auf. Sofort nach dem Tode des Ministers verließ die Familie die Amtswohnung und übersiedelte ins Hotel. Als nun Gredler der Familie die Höhe der Verlassenschaft mitteilte, aus der hervorging, sein Vater habe außer anderen Wertobjekten 300.000 Gulden in Wertpapieren hinVgl. Bd. 1, S. 476 f. Vgl. S. 103 f. 126 August Zang war Gründer und Herausgeber der Presse. " Freilassung im Original, am rechten Rand mit einem Fragezeichen kommentiert. 124
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terlassen, fühlte sich Bruck geradezu erleichtert, daß sein Vater kein größeres Vermögen besessen habe, da dies mit seiner Aussage vor dem Militärgericht [übereinstimmte. Mit einer gewissen Angst erwartete er den Fortgang der Mitteilungen Gredlers. Das Gericht belegte das Vermögen nicht mit Beschlag, sondern die Mitteilungen Gredlers wurden dem Gericht übergeben und von ihm selbst oder vom Gericht in der „Gerichtshalle" veröffentlicht. Durch diese Veröffentlichung begann der für Bruck günstige Umschwung der öffentlichen Meinung. An dem Begräbnisse selbst nahm offenbar auf Weisung der Regierung keiner der Minister und kein höherer Beamter teil. Es waren nur wenige Freunde, unter ihnen Cordon, anwesend. Nicht lange Zeit darauf trat Finanzminister Plener zufallig in ein Eisenbahncoupe, in welchem Fritz Bruck auf der Südbahn fuhr. Sie sprachen über den Tod des Vaters, und Plener, der eine große Anhänglichkeit an ihn hatte, sagte: „Ich bedauere unendlich, nicht dem ersten Einfall gefolgt zu sein und unmittelbar nach Empfang meiner Ernennung zum Leiter des Finanzministeriums zu Ihrem Vater geeilt zu sein, um mich mit ihm auszusprechen127. Vielleicht, wenn ich dies getan hätte, wäre die Katastrophe vermieden worden." Als nun die Tatsachen immer mehr für die Unschuld meines Vaters sprachen, begaben wir drei Brüder uns Ende März 1861 zu Schmerling und baten ihn, die Regierung solle zur Wiederherstellung der Ehre unseres Vaters etwas unternehmen. Schmerling verhielt sich nicht ablehnend, aber eine seiner Äußerungen tat mir sehr weh. Er sagte nämlich: Welchen Wert soll diese Kundgebung der Regierung haben? Die Leute werden ja doch deswegen nicht zu reden aufhören! Ganz anders verhielt sich Plener, der aufs Wärmste für die Sache eingetreten war und auch wirklich beim Kaiser jene Kundgebung erwirkte, die für uns von hohem Werte war128. Montag Tod Brucks Dienstag Früh Mitteilung der Wiener Zeitung vom Tode durch Schlaganfall Mittwoch Sezierung der Leiche Donnerstag (?) Begräbnis Man kann nicht sagen, daß Bruck das besessen hat, was man Freunde nennt. Er war so ungeheuer beschäftigt, daß er nur geringen Verkehr pflog. Tagsüber in seinem Amte, abends meist im Theater und nach dem Nachtmahl wieder am Arbeitstische. Auch Cordon, der sehr häufig in der Familie 127
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Am 22. 4. 1860 war Freiherr Karl Ludwig von Bruck vom Kaiser entlassen und Ignaz von Plener zum Leiter des Finanzministeriums ernannt worden. Auf Antrag Ignaz von Pleners gewährte der Kaiser der Witwe Brucks eine Pension von 3.000 Gulden jährlich mit ausdrücklichem Hinweis auf den makellosen Namen des verstorbenen Ministers; vgl. das Schreiben Pleners vom 4. 5. 1861 in Richard Charmatz, Minister Freiherr von Bruck. Der Vorkämpfer Mitteleuropas. Sein Lebensgang und seine Denkschriften (Leipzig 1916) 147-148.
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war, die Abende dort zubrachte und durch seine Trockenheit die Söhne in Verzweiflung setzte, war nicht eigentlich ein Freund, sondern seinem Vater sehr ergeben und der Familie zugetan. Cordon war Kriegsminister gewesen. Man nannte ihn den „roten Kriegsminister", weil er zu Reformen geraten hatte. So sah Fritz Bruck von ihm eine Denkschrift, in der er dem Kaiser die Einschränkung der Rechte der Inhaber empfahl, zweimal im Jahr Avencements und so weiter. Bruck pflog nach seiner ganzen Lebensweise fast gar keine Geselligkeit, wenn auch außer Cordon noch Hofrat Gobbi und andere das Haus besuchten, letzterer ein Mann von Witz und Unterhaltungsgabe. Revoltella kam, sooft er in Wien war, zu seinem Vater. Er erschien des Abends, ließ seinen Wagen unten warten und blieb bei der Familie, die sich von ihm sehr gelangweilt fühlte, oft stundenlang, um zu warten, bis sein Vater aus dem Amte heimkehrte. Dann hielten sie kurze Besprechungen. Fritz Bruck kann nicht glauben, daß Revoltella gegen seinen Vater bösartig aussagte. Legationsrat Weiß war, als Bruck als Internuntius in Konstantinopel weilte129, unter ihm tätig und verließ später den Staatsdienst. Es fiel der Familie auf, daß Weiß nach dem Tode des Vaters sich öfter einstellte. Später kam sie auf die Vermutung, daß er wissen wollte, ob der Familie etwas über die Suezkanalangelegenheit bekannt sei130. Er überzeugte sich, daß sie nicht eingeweiht sei, und noch weniger, daß sie Papiere darüber besitze, und das wird er an Lesseps berichtet haben. Dies ist die Vermutung Fritz Brucks, und er meint, Lesseps habe dadurch ermutigt den Namen Brucks wieder aus der Liste streichen lassen. Weiß von Starkenfels schlängelte sich gewissermaßen um die Familie herum. Als nun nach Dezennien Frau Negrelli die Familie bestimmte, ihre Ansprüche gegen die Suezkanalgesellschaft geltend zu machen, wurde auf Empfehlung der Frau Negrelli Advokat Dr. Fatica mit der Führung des Prozesses betraut. Fritz Bruck hatte kein Vertrauen auf den Ausgang des Prozesses, was sich darin äußerte, daß er seine Ansprüche seinem Bruder Otto abtrat, und zwar um den Preis von zehn Stück Rindvieh, welche Fritz Bruck zur Aufbesserung seines Stalles brauchen konnte. Er unterschrieb jedoch die Vollmacht für Dr. Fatica, weil dies Otto Bruck für notwendig hielt. Das Verhalten seines Bruders Karl Bruck, des Botschafters, war merkwürdig. Obwohl sich Frau Negrelli zeitweise nur eine Bahnstation entfernt von seinem Gute Spielfeld aufhielt, machte er ihr nie einen Besuch, sprach nie mit ihr. Er unternahm auch keinen Schritt zur Aufhellung der Sa129 130
Freiherr Karl Ludwig von Bruck vertrat die Monarchie von 1853 bis 1855 in Konstantinopel. Erst 1867 wurde die Internuntiatur in den Rang einer Botschaft erhoben. Der von einer Tochter Alois von Negrellis angestrengte Prozeß in Paris, der sich von 1888 bis 1905 hinzog, anerkannte die volle geistige Urheberschaft Negrellis am Suezkanal. Freiherr Karl Ludwig von Bruck hatte Negrelli bei der Abfassung der Verträge mit der türkischen Regierung beraten.
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che, aber er unterzeichnete gleichfalls die Vollmacht. Der Prozeß wurde verloren, und zwar, wie das Gericht erkannte, wegen Verjährung. Das Gericht hätte eben den Vizekönig zur Zahlung verurteilen müssen. Darauf veröffentlichte Fatica eine Denkschrift über den Prozeß ohne Wissen der Familie131. In dem Memoire sind zahlreiche Irrtümer enthalten, die zum Teil auf Mitteilungen der Frau Negrelli beruhten. Der Botschafter Karl Bruck war immer dagegen, auf den Tod seines Vaters zurückzukommen, denn er glaubte, dies könne ihm in seiner Karriere schaden. Das zeigte sich besonders 1891. Damals machte der tschechische Abgeordnete Eim in seiner Rede einen Ausfall auf Finanzminister Bruck132, und Fritz Bruck verlangte von seinem Bruder, dieser solle bei dem Grafen Taaffe vorstellig werden und ihn bestimmen, sich in seiner Entgegnung des Andenkens des Vaters anzunehmen. Karl Bruck aber lehnte dies in einem Briefe schroff ab, wies darauf hin, daß die Rede Eims nur allgemeine Bemerkungen enthalte, die zu widerlegen nicht wert sei. Dies war der Anlaß einer Verstimmung, fast eines Bruches zwischen den beiden Brüdern. Karl Bruck war mit der Tochter des Petersburger Hofbankiers Fehleisen verheiratet. Seine Witwe wohnt im Sommer auf ihrem Gute Spielfeld, im Winter in Rom, wo sie aus der Zeit der Gesandtschaft ihres Mannes viele Verbindungen besitzt. Seine Schwägerin und Nichte Baronin Mary Bruck133 wohnte gewöhnlich in Ehrenhausen in der Nähe von Spielfeld, wo die Familie eine Villa besitzt. Jetzt hat sie Ehrenhausen verkauft, befindet sich gegenwärtig in Mürzsteg bei ihrem Bruder und wird im Dezember nach Wien gehen. Das Bild Brucks, das sich im Besitze Fritz Brucks befindet, ist eine Kopie. Das Original rührt von Aigner her. Nach diesem ließ sich Fritz Bruck von dem Maler Schilcher die Kopie machen. Die Kopie ist aber ähnlicher als das Original, da Schilcher seinen Vater gut kannte und manches in den Zügen änderte. Ebenso besitzt Fritz Bruck eine kleine Bronzefigur mit dem Kopfe seines Vaters. Sein Vater hatte braunes Haar. Die Stirne war breit und hoch. Mund und die unteren Partien sind, wie die Portraits zeigen, schwächer ausgebildet, dagegen tritt das Kinn wieder vor. Stirn und Nase zeigen fast eine Linie, die durch einen starken Einschnitt unterbrochen ist, und diese Linie wie das starke Kinn bewirkt, daß der Kopf Brucks dem der alten Cäsarenbildnisse ähnlich ist. Seine Gestalt war hoch, seine Brust breit, was auf dem Bilde von Aigner - Schilcher nicht genügend hervortritt, 131
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Eine Schrift des Kairoer Rechtsanwalts Angelo Fatica läßt sich in den einschlägigen Bibliographien und Bibliothekskatalogen nicht auffinden. In der Debatte über die Valutareform am 11. 7. 1892, nicht 1891, verwies Gustav Eim auch auf die Staatsverschuldung und die Bestechungsafiaren während der Zeit Brucks als Finanzminister und seinen Selbstmord als Abschluß dieser Ära. Freiherr Otto von Bruck hatte 1885 in zweiter Ehe seine Nichte Maria Anna von Preu geheiratet.
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wo auch die untere Partie, die Schenkel, zu schwach und weich dargestellt ist. "Friedrich Bruck wurde bei Beginn des Feldzuges von 1859 als Hauptmann des Generalstabes der Umgebung Gyulais zugeteilt und befand sich in dessen Hauptquartier. Die Umgebung Gyulais hatte den Eindruck, daß er seiner Aufgabe erliege, sich nichts zutraue und durch Mangel an Mut fehle. Deshalb wurde unter den jungen Offizieren schon während des Feldzuges der Satz „auf dem Dache sitzt ein Greis, der sich nicht zu helfen weiß" auf Gyulai so umgedichtet: Auf dem Dache sitzt ein Greis, der vor Angst in die Hosen etc. Er hätte unbedingt die Piemontesen bei Alessandria angreifen sollen. Es herrschte Verwirrung im Hauptquartier und Unruhe, denn auch Kuhn war nervös und ungeduldig. Als Gyulai mit dem Hauptquartier am 1. Januar den Ticino überschreiten sollte, sah man einen Wagen daherkommen, aus dem Heß herausblickte. Die Offiziere des Hauptquartiers wurden von großer Freude ergriffen. Heß war nach dem Urteil Brucks, der durch Jahre in seiner Umgebung war, damals vollständig rüstig und geeignet, die Armee zu fuhren. Er selbst las, ids er bei Heß arbeitete, eine Denkschrift des Generals, in der er für den Fall des Krieges mit einer oder der anderen Großmacht Feldzugspläne niederlegte, die Bruck einen großen Begriff seiner Fähigkeiten beibrachten. Er war ein warmer Freund seines Vaters und stand mit ihm stets in guten Beziehungen. Als Gyulai und Heß sich begrüßt hatten, zogen sie sich in ein an der Straße befindliches Gasthaus zurück und beratschlagten. Das Ergebnis war, daß Heß den Angriff auf die feindliche Armee von Süden her für richtig hielt, und Bruck erhielt den Befehl, sofort zum fünften Korps Stadion zu reiten und dort den Befehl zu überbringen, das Korps solle sich nicht über den Ticino zurückziehen, sondern zum Vormarsch bereithalten. Zum Hauptquartier dürfte Bruck etwa eine Stunde geritten sein. Als er zurückkehrte, war man aber zu dem Entschlüsse gekommen, daß es zu spät für den Angriff sei. Er sollte zurückkehren, um doch den Rückzugsbefehl zu überbringen. Da aber sein Pferd von dem außerordentlich scharfen Ritt arg mitgenommen war, wurde ein anderer Offizier entsendet. Hierauf wurden die Rückzugsbefehle von der Umgebung Gyulais entworfen, und Bruck erhielt den Auftrag, Khun die Unterschrift abzuverlangen. Dieser weigerte sich aber aufs Bestimmteste, und Bruck kehrte mit dieser Meldung zu Gyulai zurück. „Nun, dann holen Sie Poschacher", war die Antwort Gyulais, der seine Unterschrift daruntersetzte.
a
Die folgende Gesprächsnotiz
ist undatiert, jedoch in Bruck, 13. u. 14. 11. 1908
eingelegt.
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Freiherr Alois Lexa v o n Aehrenthal
Freiherr Alois Lexa von Aehrenthal, Außenminister 23. November 1908 К 4, U Notizen und Druckunterlagen zur Persönlichkeitsgeschichte Aehrenthals Aehrenthal ließ mich heute einladen, ihn um 6 Uhr zu besuchen. Ich fand ihn sehr ernst, nicht in der völligen Freiheit und Unbefangenheit, mit der er das letzte Mal das Gespräch führte 134 . Es lag ein gewisser Druck auf seinen Zügen; denn die Dinge haben sich in den letzten 14 Tagen verwickelt: Serbien und Montenegro drohen, und was viel ernster ist, ein bösartiger Boykott wirft unseren Handel aus Konstantinopel, Saloniki und Beirut hinaus135. Aehrenthal fügte noch einige Tatsachen hinzu, die aufs Neue beweisen, daß es die Pforte ist, die diese Bewegung nährt. Aber im Hintergrunde, so führte er aus, steht England. Von dort aus werden die Türken ermutigt, und daß in Kairo und selbst in Indien die Bewegung sich rührt, kann nur auf englische Anregung geschehen. Es sei dies die Strafe dafür, daß wir zur Einkreisung Deutschlands nicht die Hand bieten wollten. Hätten wir den Wünschen Englands im Laufe des Sommers Raum geboten, so würde jetzt nicht der Druck auf uns lasten. Damals war England verbindlich gegen uns; jetzt wendet es sich mit Macht gegen uns. Was die Engländer tun, tun sie ganz; ob sie sich nun gegen Deutschland, oder gegen Rußland oder gegen Osterreich gewendet haben. Nun warf ich die Frage auf, ob dieser Druck deshalb geübt wird, um den Baron Aehrenthal zu bewegen und ihn zu zwingen, als Bittsteller auf der Konferenz zu erscheinen136, oder ob es sich um mehr handle, und ob über diesen harten diplomatischen Krieg hinaus selbst die Entfesselung eines Krieges gegen uns beabsichtigt sei. Die Antwort Aehrenthals war sehr präzis. Zunächst sei es auf das erstere abgesehen, aber wenn es nicht gelänge, dann werde England auch nicht davor zurückschrecken, einen Krieg auf der Balkanhalbinsel zu entzünden. Und diese Annahme faßte Aehrenthal nochmals in präzisen Sätzen zusammen. Dies also wäre tiefernst, glücklicherweise konnte Aehrenthal feststellen, daß Rußland dagegen nicht wünschen könne, daß ein Krieg entstünde, durch den es in die Wirren des Balkan hineingezogen würde. Denn wenn es in seiner Geldnot doch zu den Waffen griffe, dann stünde es doch immer vor der Gefahr einer Revolution. Wie nun, fragte ich, werde die Note ausfallen, die Rußland als Antwort 134 135 136
Vgl. S. 120-128. Als Reaktion auf die Annexion wurden in der Türkei österreichische und ungarische Waren boykottiert, was den Levantehandel schwer traf. Der letztlich gescheiterte Plan, die bosnische Frage einer internationelen Konferenz vorzulegen.
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auf die österreichisch-ungarische abzusenden im Begriffe sei?137 In der Österreichischen war zwar die Bereitwilligkeit ausgedrückt, auf die Konferenz zu gehen, aber nur wenn die Annexion nicht diskutiert werde. Die Antwort, erwiderte Aehrenthal, wird nach den Berichten aus Petersburg nicht günstig lauten. Denn es wird nochmals die Frage an uns gestellt werden, ob nicht doch eine Diskussion stattfinden solle. Darauf habe ich meine Antwort im Kopfe bereits fertig. Ich werde darauf erwidern, daß uns diese Frage gerade deshalb überrasche, weil sie von Rußland komme. Denn in der Diskussion werden wir zur Begründung darauf hinweisen müssen, daß gerade Rußland zu wiederholten Malen in die Annexion gewilligt habe. Ich war über die Schroffheit überrascht, mit der sich Aehrenthal in der Note ausdrücken will. Ihre Freunde, so sagte ich, haben am allerwenigsten die Aufgabe, Sie zur Festigkeit aufzumuntern, denn Sie überraschen uns und erregen unsere Bewunderung durch Ihre Entschlossenheit. Als ich den Wortlaut Ihrer Note las (ich teilte ihm nicht mit, daß Kania mir sie vorgelegt hatte), stutzte ich über die unverhüllte Einfachheit Ihrer Forderung. Ich will Euer Exzellenz aber sagen, wie ich mir, vielleicht dilletantisch, Ihre nächste Aktion vorgestellt habe. Ich dachte mir, daß Sie von der Gänze Ihrer Forderungen doch etwas nachlassen werden. Irgendeine vermittelnde Macht, vielleicht Frankreich, könnte eine mittlere Formel vorschlagen, auf die man sich dann einigen könnte, um die Konferenz möglich zu machen. Das war nicht meine Absicht, war die Antwort. Ich wollte die Annexion absolut nicht dem Urteil der Mächte unterbreiten. Mein Gedanke war, mich mit der Pforte zu einigen und dann vor die Konferenz zu gehen, die dann wohl wie bereits in einem früheren Falle den allgemeinen Satz aussprechen könnte, daß eine Abänderung der Verträge nur möglich sei unter der Zustimmung der Mächte, und darauf sollte der Artikel 25 des Berliner Vertrags einfach beseitigt werden138. Solch eine allgemeine Erklärung war auch in der Konferenz niedergelegt worden, die Rußland nachträglich die Erlaubnis gab, Batum zum Kriegshafen auszugestalten 139 . Ebenso hatte Europa nachträglich die Vereinigung Ostrumeliens mit Bulgarien genehmigt140. Dieser Vorgang sollte auch jetzt eingehalten werden. Indessen, so fuhr Aehrenthal an ein von mir gegebenes Wort anknüpfend 137
138 139
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Die österreichisch-ungarische Note war am 16. 11. 1908 im russischen Außenministerium übergeben worden (vgl. ÖUA Bd. 1,404-405 und 423). Die Antwort vom 22. 11.1908 ebda 488-489. Im Artikel 25 war die Okkupation Bosniens und der Herzegowina geregelt. Im Juli 1886 hob Rußland einseitig die Bestimmung des Berliner Vertrages auf, der Batum zum entmilitarisierten Freihafen erklärt hatte. Die Vereinigung Ostrumeliens mit Bulgarien vom September 1885 wurde von den Großmächten am 6. 4. 1886 durch die Ernennung des Fürsten von Bulgarien zum Generalgouverneur von Ostrumelien de facto anerkannt.
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Freiherr Alois Lexa von Aehrenthal
fort, könnte ja von mir an Rußland die Frage gestellt werden, wie es sich denn die Diskussion eigentlich vorstelle. Ich beeilte mich, Aehrenthal an dieser Bemerkung festzuhalten. Ich formulierte die hingeworfenen Gedanken etwas bestimmter und begründete meine Ansicht näher. Meines Erachtens sollte jetzt zwischen den Kabinetten eine Diskussion über die Diskussion eröffnet werden. Besonders darauf wies ich hin, daß, wenn auch eine Diskussion stattfände, für uns die Genehmigung Europas doch von nicht geringem Werte sei. Meine lebhafte Einwirkung blieb nicht ohne Eindruck. Gewiß, so stellte Aehrenthal fest, bedarf ich niemandem, der mich noch festigt und härtet, und gerne lasse ich mir raten, ziehe auch den Rat in ernste Erwägung. Ich will es damit auch mit dem halten, was Sie mir vorschlagen. Und finden Sie denn, frug er mit Hinblick auf ein früheres Stadium des Gespräches, daß meine letzte Note zu schroff war? Nicht in der Sache, erwiderte ich, es erregt meine Bewunderung, wie wenig Sie sich einschüchtern lassen. Aber die Note drückt sich doch zu knapp und zu scharf aus. Etwas Sauce über ein Nein! so drückte ich mich trivial aus, stimmte den anderen milder. Phrasen, die wir im Gespräche gebrauchen, sind eine Konzession an den Nächsten, dem wir dadurch schmeicheln, daß wir uns bemühen, ihm zu gefallen. Diese Unterredung ist vielleicht die erste nach allen, die ich seit der Ministerschaft Aehrenthals mit ihm führte, in der [er] meinen Rat über einen von ihm beabsichtigten Schritt einholte. Er hörte mich auch früher aufmerksam an, aber es handelte sich meistens um mein Urteil über geschehene Dinge, diesmal erwog er mit mir eine bedeutungsvolle Maßnahme der nächsten Zukunft. Es wird sich zeigen, wieweit er meinem Rate folgen wird. In unserem Gespräch legte ich einen großen Wert auf eine Unterscheidung, ob wir einen Krieg zu befürchten hätten, und in diesem Falle müsse man doch jedes Wort wägen und selbst ein Einlenken nicht meiden; oder aber ob es sich bloß um eine beabsichtigte diplomatische Demütigung Österreich-Ungarns handelt. Aehrenthal ließ diesen Unterschied eigentlich nicht gelten. Er wollte fest bleiben auf jede Gefahr hin. Aus einem anderen Grunde hatte Aehrenthal den Generalkonsul in Saloniki, Rappaport, angewiesen, die Unterhandlungen mit dem Komite in Saloniki nicht fortzusetzen, obwohl das Komite dazu bereit war. Er forderte zunächst Aufhebung des Boykotts, dann erst Unterhandlung. „Denn sonst hätte ich meine Rosinen vorgewiesen, und das Komite hätte geantwortet: Das ist noch zuwenig."
29. November 1908
ΚάΙπιάη Kania de Kanya, stellvertretender Bureaus des Außenministeriums
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Leiter des Literarischen 27. November 1908 Tagebuch
Er spricht ernst und besorgt über die Lage: „Aehrenthal erdrückt einen durch seine Entschlossenheit, man muß befürchten, er wage zuviel. Jetzt ist er, wie es scheint, gegen Iswolski zum Äußersten entschlossen. Man müsse Iswolski stürzen, so äußerte sich Aehrenthal, Carikov sei ihm, wiewohl er Panslawist sei, lieber als der eitle, selbstische [sie!], unzuverlässige Iswolski. Aehrenthal läßt jetzt das ganze Material von Gesprächen und Briefen zusammenstellen, seine Verhandlungen mit Iswolski umfassend. Zu welchem Zweck weiß Kania nicht. Ob zur Mitteilung an die Großmächte? Vielleicht zur Mitteilung an Frankreich, um Pichon vollen Einblick zu gewähren." Aehrenthal neigt jetzt auch zur Ansicht, daß Iswolski die Konferenz141 nicht mehr wolle und den Konflikt offen lassen wolle. Das entnahm Kania aus der Sprache der inspirierten russischen Blätter und sprach dies schon vor einigen Tagen in einem Vortrage bei Aehrenthal aus. Jüngst dieser: Kania hat mit dieser Annahme Recht behalten. „Wie stehe ich nun da?" sagt Kania zu mir, halb im Scherz, halb im Ernst. Kania ist der Meinung, die Pforte werde Pallavicini, der bis zum 2. Dezember abzureisen droht, einfach ziehen lassen.
Kaiman Kania de Kanya, stellvertretender Bureaus des Außenministeriums
Leiter des Literarischen 29. November [1908] Tagebuch
Telephonisch. Heute ist Kania zuversichtlicher142. Pallavicini werde nicht abreisen müssen; die Türkei kommt uns entgegen, und binnen weniger Tage dürfte eine Wendung zum Besseren eintreten. Telephonisch lasse sich nicht darüber sprechen. Er verspricht mir Mitteilungen beim nächsten Zusammentreffen.
141 142
Der letztlich nicht ausgeführte Plan einer internationalen Konferenz über die bosnische Frage. Vgl. oben.
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Graf Karl von Kageneck, deutscher Militärattache in Wien
Graf Karl v o n Kageneck
30. November 1908 Tagebuch
30. November. Besuch des Grafen Kageneck. Er kommt von Generalstabschef Conrad von Hötzendorf mit kriegerischen Ideen. Conrad erzählte ihm, daß der Kaiser sich nur schwer zur Verstärkung der Truppen in Bosnien bestimmen ließ, davon eine Verschärfung der politischen Situation befürchtend143. Conrad faßt einen Krieg mit Italien als Möglichkeit ins Auge. Kageneck sieht gleichfalls Schlimmes kommen. Im Falle eines Angriffs Serbiens und Montenegros, und wenn Österreich-Ungarn ein Heer gegen Italien aufstellen muß, bleiben zur Abwehr Rußlands nur die drei Korps in Galizien. In solchem Falle fiele die ganze Last eines europäischen Krieges - gegen Frankreich, Rußland, England - auf die Schultern Deutschlands. Das seien gefährliche Aussichten. Kageneck besitzt eine ganz unzureichende Kenntnis der Absichten Aehrenthals und der österreichischen Politik. Vor drei Wochen, so sagt er, hielt er es für gewiß, daß Österreich-Ungarn an den Krieg und an die Eroberung Serbiens denke. Das müßte doch der Preis eines Krieges sein. Dann stünde Österreich-Ungarn auch der Weg nach Saloniki offen. Ich gab mir Mühe, ihm die Absichten Aehrenthals, soweit sie mir bekannt sind, auseinanderzusetzen, seine bestimmte Abwehr des Gedankens, nach Saloniki zu gehen, seine hohe Meinung von der Zukunft des bulgarischen Staates, von der Neigung, den Bulgaren freie Hand auf der Balkanhalbinsel zu lassen, von der Vorsicht bezüglich der Eroberung Serbiens selbst im Falle eines glücklichen Krieges. Kageneck und ich stimmen darin überein, daß die Lostrennung der bulgarischen Gebiete von Serbien ins Auge zu fassen sei. Er erzählt mir: Die neuen Kanonen seien schon lange fertig, die Lafetten wohl auch, da man sie aber, besonders in Ungarn, von kleinen Lieferanten bezogen hatte, so sei nicht alles in Ordnung. Conrad sagte ihm, es wäre für die Armee freilich besser gewesen, alles an Krupp zu vergeben. Indessen mußte die österreichisch-ungarische Regierung an ihre heimische Industrie denken. So sind also jetzt die in vorderster Linie (gegen Serbien etc.) stehenden Armeeteile mit den neuen Kanonen ausgerüstet, die anderen würden es (so erinnere ich mich) bis zum Frühjahr sein. Aber das sei doch spät, eine zweijährige Schulung mit den neuen Waffen wäre erwünscht. Bei den Russen im japanischen Krieg war es schlimmer, die zogen ganz ungeschult mit der neuen Artillerie in den Krieg. Übrigens würden gegen Serbien die 143
Friedjung informierte nach einem weiteren Gespräch mit Graf Kageneck am 28. 1. 1909 Außenminister Aehrenthal über diese Äußerungen; vgl. Aus dem Nachlaß Aehrenthal Teil 2, 651.
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1. Dezember 1908
Uchatius-Geschütze144 ausreichen. Jetzt sei Deutschland in Europa die einzige Macht, die fertig sei. Die Franzosen haben noch das alte Lebelgewehr145 und die älteren Geschütze. Aber sie haben schon die neuen Selbstladegewehre geprobt und 20.000 bestellt. Wenn sie so fortschreiten, so können sie den Deutschen zuvorkommen. Kageneck tadelt Bülow, weil er den Kaiser Wilhelm nicht genügend verteidigt habe146. Ich frage ihn, ob es richtig sei, daß Österreich-Ungarn an Bülow schon am 5. September die Mitteilung von der nahen Annexion machte, und daß Bülow den Kaiser davon erst am 6. Oktober verständigte. Kageneck erwidert halb zustimmend, wenn auch vorsichtig: Davon habe er auch gehört. Leider, so fügt er hinzu, seien solche und ähnliche Verstöße auch sonst vorgekommen. Die Mitteilung von der verspäteten Benachrichtigung wurde mir vor zwei Wochen von Baron Tucher jun. [gemacht]. Er fügte besorgt hinzu: Bülow war vielleicht genötigt, dem Kaiser die Sache zu verheimlichen, weil er eine Indiskretion befürchtete.
Freiherr Richard Ministerpräsident
von
Bienertb-Schmerling, 1. Dezember 1908 Tagebuch
Zu meiner unangenehmen Überraschung telephonisch zu Bienerth berufen. Ich weiß nicht, was der ewig lächelnde, mir unsympathische Ministerpräsident von mir will. Im Vorsaal werde ich mit dem tschechischen Landsmannminister Zäcek bekanntgemacht. Sieghart kommt aus seinem Zimmer heraus: Der Ministerpräsident, so teilt er mit, habe bloß den Wunsch, sich mit mir über die politische Lage zu unterhalten. Ich mache auf die Notwendigkeit ernster Maßregeln aufmerksam. Dies sei im Zuge, war die Antwort; in Prag sei die Rückwirkung der bosnischen Politik bemerklich. Diese Bemerkung berührte mich unangenehm, weil es den Eindruck macht, man wolle die Schuld und Verantwortung an den Miseren Aehrenthal zuschieben. In diesem Augenblick zum Ministerpräsidenten berufen. Er entschuldigt sich, daß er durch die peinlichen Vorfalle genötigt gewesen sei, für vier Uhr eine Besprechung zu berufen, daß er mich nur empfangen kann, um mich zu bitten, ein andermal seinem Rufe zu einer ausführlichen Unterredung zu folgen. Darauf sprach ich in knappen Worten von der Notwendigkeit, die Staatsautorität in Prag zur Geltung zu bringen147. Ich kann nicht beschrei144 145
146 147
Die von Freiherr Franz von Uchatius entwickelten Geschütze aus Stahlbronze. Das 1886 in der französischen Armee eingeführte, von Nicolas Lehel entwickelte kleinkalibrige Gewehr. Vgl. zur Daily Telegraph-Affare S. 125 Anm. 104. Am 2. 12. 1908 wurde über Prag das Standrecht verhängt. Den Anlaß bildeten die Kra-
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Kaiman Kania de Kanya
ben, welch' unangenehmen Eindruck mir die Antwort und die Haltung Bienerths machte: Die Regierung wird durch eine strenge Verwarnung noch einen Versuch machen, den Unruhen auf gütlichem Wege ein Ende zu machen. Wenn dies nicht gelinge, werde man über energische Maßregeln schlüssig werden müssen. Weshalb man mit ihnen zögere, war meine Frage. Darauf Bienerth halb lächelnd, halb verlegen: Ja, wenn nun gewünscht wird, daß man eine Koalition zu Stande bringe, und zugleich Ausnahmsmaßregeln zu ergreifen, so sei dies ein Widerspruch. Er freilich wüßte, wie er sich entscheiden solle. Aber „man" sei noch nicht von der Koalitionsabsicht abgekommen. Darauf ich: Welche Rücksicht könne stärker sein als die auf die Würde des Staates? Um vier Uhr fand die vom Ministerpräsidenten berufene Besprechung deutscher und tschechischer Vertrauensmänner statt. Hier wird leeres Stroh gedroschen.
3. Dezember 1908 Tagebuch Zwei Ideen sind heute in mir aufgetaucht: 1) Gründung eines indisch-ägyptischen Komitees nach dem Muster des englischen Balkankomitees, um den Engländern die Faust zu zeigen. Gespräche darüber mit Kania, Schwitzer, Redlich. Mit Känia komme ich überein, daß Aehrenthal nichts von den einleitenden Schritten wissen darf, um mit gutem Gewissen später alle Verantwortung ablehnen zu können. 2) Einwirkung Güdemanns und der jüdischen Wiener Kultusgemeinde auf die Juden in Saloniki zur Beendigung des Boykotts auf österreichische Waren148. Gustav Kohn erklärt sich einverstanden.
ΚάΙτηάη Kania de Känya, stellvertretender Bureaus des Außenministeriums
Leiter des Literarischen 3. Dezember 1908 Tagebuch
Er steht nach wie vor zur Politik Aehrenthals und billigt die großen Züge seines Handelns. Doch findet er (mit Recht), daß es ein Fehler war, sich an die französische Regierung um Vermittlung bei der Pforte zu wenden, behufs
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walle, die durch den Bummel farbentragender deutscher Studenten durch Prag ausgelöst worden waren. Der türkische Boykott gegen Waren aus der Monarchie schädigte den Levantehandel schwer.
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Beendigung des Boykotts149. Eine Ablehnung war, wie aus der Sprache der französischen Blätter hervorgeht, vorauszusehen, so weit wollte Pichon uns nicht entgegenkommen. Es gibt im Ministerium des Äußern zu Paris auch zwei Parteien, eine für, eine gegen Osterreich, und die letztere sorgte dafür, daß der Schritt Österreichs sofort der Presse verraten wurde. Frischauer und die Neue Freie Presse haben sich unkluger Weise dazu hergegeben." Überhaupt lege Aehrenthal der Presse nicht die Bedeutung bei, die ihr zukomme. Man weiß doch, wenn man die Zeitungen verfolgt, wie die Stimmung der betreffenden Kabinette ist, oft besser als aus den Gesandtschaftsberichten. Aehrenthal sei jetzt doch in seinen Nerven getroffen, wenn er sich auch mit großer Selbstbeherrschung nach außen zurückhält. Seinen Beamten gegenüber beherrscht er sich nicht mehr und verletzt manche durch seine heftige Sprache. Als ich erwiderte, dies sei nach einer dreimonatlichen gefahrlichen Kampagne kaum anders möglich, und er habe ein Recht auf die Geduld seiner Beamten, stimmt mir Känia zu. Wichtig ist, daß die letzte russische Note150 noch nicht beantwortet ist. Darin ist in einer für Osterreich sehr unfreundlichen Weise mehrmals die Forderung aufgestellt, daß auf der Konferenz eine Diskussion stattzufinden habe. Das sei die question prejudicielle, erst nach Erledigung dieser Angelegenheit könne das russische Kabinett auf die Sache selbst eingehen. Uber die Beantwortung dieser Note hatte Aehrenthal mit mir in der letzten Rede [sie!] diskutiert151. Nun habe Aehrenthal einen Entwurf der Antwort ausarbeiten lassen, war damit unzufrieden, man beriet, und dazwischen sagte [er]: Die Russen haben uns drei Wochen auf die Antwort warten lassen, mögen sie gleichfalls warten. Meiner Ansicht nach wäre eine baldige Antwort zweckmäßig gewesen. Iswolski, so fahrt Känia fort, ist in den Gesprächen mit Berchtold nach wie vor unfreundlich. Dagegen sprach der Zar in dem jüngsten Gespräche mit Berchtold mit ungewöhnlicher Wärme152. Es ist wahr, daß diese Unterredung auch den Glückwünschen galt, die der Zar dem Kaiser Franz Joseph zu senden hatte153. Er versicherte dem Kaiser seine aufrichtige Freundschaft, er werde alles tun, was in seinen Kräften stehe. Übrigens war es bisher nicht möglich, zwischen Wien und Petersburg eine Einigung darüber zu erzielen, ob die Protokolle der Zusammenkunft zu Reichstadt zu veröffentlichen seien154. Iswol149 150 151 152 153 154
a
Vgl. dazu und zur Meldung der Neuen Freien Presse ÖUA Bd. 1, 524-526 und 527-528. Vgl. ÖUA Bd. 1, 488-489. Vgl. S. 138-140. Vgl. ÖUA Bd. 1, 541-542. Anläßlich des 60jährigen Regierungsjubiläums am 2. 12. 1908. In der Konvention von Reichstadt (1876) wurde zwischen Österreich-Ungarn und Rußland vereinbart, daß im Falle eines Zusammenbruches der Türkei Rußland den südlichen Teil Bessarabiens, die Donaumonarchie Bosnien und die Herzegowina erhalten sollten. Randbemerkung: Einige Tage später erfahre ich von Molden, Frischauer sei unschuldig. Er war auf Urlaub, und sein Stellvertreter ließ sich ausnützen.
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ski weicht aus, mit der Begründung, die Sache sei in den Wendungen doch nicht ganz klar für Osterreich, und die Wirkung werde keineswegs ganz günstig für Österreich sein. Wir sprechen von dem Dispositionsfonds des Ministeriums und der Presse. Der Fonds sei reich dotiert, weil Ersparnisse aus den früheren Jahren vorhanden seien. Die Wiener Presse beziehe daraus sehr wenig, sie leiste freiwillig die trefflichsten Dienste. Für Wien werden nicht mehr als 8.000 Kronen ausgegeben. Nicht einmal Szeps erhalte einen Betrag, allerdings 64.000 Kronen von der österreichischen Regierung. Auch die Zeit nicht, vielleicht hoffe sie auf Zuschüsse. Dagegen werde für Budapest viel Geld ausgegeben, ohne rechten Erfolg, mit größerem für Paris. Ich fragte, ob beim Neuen Wiener Tagblatt einer Jahrgehalt beziehe. Nein! war die Antwort. Ob unter Goluchowski? Möglich, Känia weiß es nicht.
4. Dezember 1908 Tagebuch Jubiläumsfeier im Verein Niederwald155. Der sächsische Gesandte Graf Rex erzählt mir: Zur Zeit als der Generalstabschef Graf Beck von Erzherzog Franz Ferdinand bei Seite geschoben wurde, sprach Rex einmal mit dem Erzherzog. Dieser sagte, Beck sei alt geworden und könne dem Amt nicht mehr vorstehen. Er, der Erzherzog, dringe in Conrad von Hötzendorf, an dessen Stelle zu treten. Dieser verhalte sich noch ablehnend, aber am nächsten Morgen werde ich ihn empfangen und ihn bearbeiten, um sein Widerstreben zu überwinden156. Vorher war ich bei Dr. Gustav Kohn, um mit ihm die Boykottangelegenheit zu besprechen157. Er ist sehr für den Gedanken eingenommen, durch die Wiener Judengemeinde in Saloniki die Beendigung des Boykotts zu betreiben. Der Präsident der Wiener Kultusgemeinde Dr. Alfred Stern werde gewiß zu gewinnen sein, schwerer Güdemann, der sich scheue, über die Sphäre seines Amtes hinauszugreifen. Auch Baron Albert Rothschild sei heranzuziehen. Vor allem aber müsse man wissen, ob Aehrenthal mit der Aktion einverstanden wäre. Ich übernehme es, mit Aehrenthal zu sprechen158. 155
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Die Feiern zum 60jährigen Regierungsjubiläum des Kaisers. Auf dem Niederwald, dem südwestlichen Ende des Taunus, steht seit 1883 das Nationaldenkmal für den Krieg von 1870/71. General Franz Conrad von Hötzendorf war am 18. 11. 1906 als Nachfolger General Friedrich von Becks zum Chef des Generalstabes ernannt worden. Vgl. S. 144. Vgl. S. 147.
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5. Dezember 1908 Tagebuch Ich sprach gestern und heute über ein zu gründendes ägyptisches Komitee159 mit Schwitzer, Hertz, Plener, Dorn, Charmatz. Plener urteilt mit Recht kühl über den Erfolg und meint, er sehe nur die Möglichkeit, durch die Presse zu wirken. Das Ministerium des Äußern könne dafür sorgen, daß die Nachrichten über Indien und Ägypten den englischen Blättern entnommen und in den Wiener Zeitungen publiziert werden. Ich wende ein, daß das Ministerium gerade jetzt diesen Akt der offenen Feindschaft gegen England scheuen müsse. Das Ergebnis ist, daß die Verbreitung solcher Nachrichten das einzige ist, was jetzt gegen England zu tun wäre. Plener äußert wie in früheren Gesprächen seine Bedenken gegen die Aehrenthalsche Politik. Er habe die Sache nicht genügend vorbereitet. Plener empfiehlt eine billige Auseinandersetzung mit der Türkei, selbst unter Übernahme eines Teils der türkischen Staatsschuld - etwa 50 Millionen Kronen. So viel entfiel nämlich 1878 von der damaligen Schuld auf Bosnien, wenn man die Kopfzahl zur Grundlage nimmt.
Freiherr Alois Lexa von Aehrenthal, Außenminister 6. Dezember 1908 К 4, U Notizen und Druckunterlagen zur Persönlichkeitsgeschichte Aehrenthals Ich schrieb Aehrenthal, daß ich bezüglich einer Aktion gegen den türkischen Boykott seine Einwilligung einholen möchte160. Am nächsten Tage fand die Unterredung statt. Er erklärte sich mit der Einwirkung der Wiener Judengemeinde auf die Juden in Saloniki einverstanden, wünschte selbstverständlich dabei nicht genannt zu sein und empfiehlt: Nicht als Bittende aufzutreten und das Hauptgewicht darauf zu legen, daß wir unser altes gutes Verhältnis mit der Türkei wiederherstellen wollen. Ich finde Aehrenthal frisch, elastisch, in einer zuversichtlichen Stimmung. Nie "machte er auf mich einen so angenehmen 8 sprach er so lebhaft, angeregt, warm wie heute. Das ist nicht Pose, sondern Äußerung eines nicht zu erschütternden Willens. Seine Gesundheit, seine Nerven sind nach seiner Versicherung vortrefflich. Er beginnt mit der Schilderung der Zustände in der Türkei. Soeben ist Hilmi Pascha, der bisherige Generalinspektor in Sa159 160
Vgl. S. 144. Vgl. zu Friedjungs Plan S. 144 und 146. gestrichen.
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Freiherr Alois Lexa von Aehrenthal
loniki, Minister des Innern geworden. Vor Antritt seines Amtes ließ er Aehrenthal sagen: „Er werde binnen Kurzem das Amt eines Großvesirs übernehmen und hege die Absicht, sich mit Österreich-Ungarn zu verständigen und mit ihm zusammenzugehen. Aehrenthal solle die politische Konzession, die er der Türkei zu machen vorhabe, nicht schon an Kiamil Pascha vergeben, sondern für ihn vorbehalten." Daß Hilmi Pascha es ernst meint, geht aus einem Interview des neuen Ministers des Innern in der Turquie hervor161. Hier wiederholt er den Rat, den er Österreich-Ungarn schon früher gab, den Lloydschiffen Lastträger zum Löschen der Waren mitzugeben; er werde deren Arbeiten schützen, mit der Polizei, nötigenfalls mit Soldaten. Diese offene Sprache läßt hoffen, daß er, der auch sonst ein zuverlässiger Mann ist, sein Versprechen halten [wird]. Allerdings ist es nicht sicher, wann er Großvesir wird. Er will Kiamil noch die Führung der Unterhandlungen mit Bulgarien überlassen162, die ungeschickt geführt wurden. Aehrenthal wünscht, daß Hilmi Pascha mit dem Parlament in Ordnung kommt und sich zu diesem Zwecke mit einigen jungtürkischen Ministern umgibt. Gelingt ihm das nicht, so sieht Aehrenthal eine alttürkische Reaktion voraus. Die Jungtürken sind die Girondisten, und bei Revolutionen ist die Entwicklung nicht leicht vorauszusehen. Aehrenthal erklärt, er sei fest entschlossen, auch der Türkei gegenüber auszuharren. Er ist absolut" nicht Willens, einen Teil der türkischen Staatsschuld zu übernehmen. Und das aus vielen Gründen. Zunächst werden die inneren Schwierigkeiten in Österreich-Ungarn dadurch unendlich erhöht werden, denn es würde sich ein Streit darüber erheben, nach welchem Schlüssel die Schuld aufzuteilen sei. Sodann werden Serbien und Montenegro in ihren Ansprüchen bestärkt werden. Endlich wäre dies eine Maßregel, um Bulgarien ganz zu entfremden, denn dann werde die Türkei gewiß die Ablösung des bulgarischen Tributs verlangen163. Man vergesse nicht, welche Dienste Österreich-Ungarn der Türkei geleistet habe durch die Besatzung im Sandschak164. Sie habe die Ruhe in Albanien mit aufrecht gehalten, habe Polizei geübt, und das hatte jährlich drei Millionen Kronen gekostet. Dazu die durch den Boykott hervorgerufenen Schäden. Diese werden festgestellt werden, und Österreich-Ungarn werde seine Rechnung präsentieren und Entschädigung fordern. „Ich gestehe aufrichtig", so meint er, „daß ich nicht auf diese Seite wirtschaftlicher Schädigung Österreichs durch die Türkei gefaßt war. Ich habe angenommen, daß die 161
Zum Interview in der Konstantinopler Zeitung La Turquie vom 5. 12. 1908 vgl. OUA Bd. 1, 548. Die Verhandlungen über die Anerkennung der bulgarischen Unabhängigkeit. 163 Bulgarien, bis zur Unabhängigkeitserklärung am 5. 10. 1908 formell dem Sultan Untertan, war der Pforte tributpflichtig. 164 Der Sandschak von Novibazar, in dem Österreich-Ungarn seit 1878 eine Garnison stationiert hatte, wurde im Zuge der Annexion Bosniens geräumt. " Mit Bleistift gestrichen. 162
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Türkei ihren Botschafter abberufen werde, und daß die diplomatischen Beziehungen abgebrochen werden, nicht aber auf den Boykott [sie!]. So sehr uns dies aber schädigt, so kann ich mich doch durch die Verluste einiger Firmen nicht in Furcht setzen lassen. Ich werde fest bleiben und hoffe zuversichtlich, wenn nicht in Bälde, auf eine günstige Lösung der Frage." „Ob uns der Krieg mit Serbien erspart bleiben wird, kann ich freilich nicht sagen. Denn die Anmaßungen Serbiens übersteigen jedes Maß. Es kommt uns zwar jetzt zugute, daß Milovanovic Enthüllungen über Iswolski veröffentlicht, durch die das bestätigt wird, was Iswolski öffentlich leugnet165. Indessen ist die Form, in der Milovanovic durch das Preßbureau die Kampagne führen läßt, gegen Österreich-Ungarn unerhört frech. Der Schlußpassus der Note des Preßbureaus wendet sich in einer Weise gegen Osterreich, daß eine Entgegnung notwendig ist. Wenn die fremden Gesandten zu mir kommen, so werde ich ihnen vorstellen, was die Folgen der unerhörten englischen Pressekampagne geworden sind. Serbien, dieser vor fünf Jahren verfehmte Staat166, nimmt sich eine Sprache heraus, die wir kaum mehr dulden können." Auf meine Frage, ob es richtig sei, was die Zeitungen bringen, daß Rußland, England, Frankreich in Wien einen Schritt unternehmen wollen, um auch hier von Rüstungen abzumahnen, erwidert Aehrenthal: „Er wisse nicht, was daran wahr sei, sollte jedoch ein solcher Schritt erfolgen, so werde er mit Nachdruck und Schärfe antworten." Aehrenthal wendet sich auf meine Frage den Beziehungen zu Rußland zu. In zwei Tagen werde die österreichische Antwortnote nach Petersburg abgehen167. Aehrenthal sagt mir den vollständigen Inhalt dieser Note, die er entgegenkommend nennt, "die ich jedoch noch immer scharf finde". Er schlägt den Russen vor, man solle sich vorher über die auf der Konferenz abzugebenden Erklärungen einigen. Die Mächte können ähnlich wie in der Konferenz von 1871 (bezüglich des Schwarzen Meeres)168 eine Verwahrung vereinbaren bezüglich des Rechtes, Verträge nur in Ubereinstimmung aller zu lösen; aber dies müsse vor der Konferenz geschehen sein, das Ergebnis sei dann ohne Diskussion zu Protokoll zu geben. Wozu auch, so heißt es in der Note, eine Diskussion seitens Rußlands, da diese Macht der Monarchie bereits drei Mal die Annexion in aller Form angeboten habe? Außerdem würde es dann auch dazu kommen, daß über Batum gesprochen werde, bezüglich 165
Der serbische Außenminister ließ Meldungen verbreiten, nach denen sein russischer Amtskollege der Wiener Regierung die Annexion der Provinzen gegen Kompensationen in der Dardanellenfrage angeboten habe. 166 Nach der Ermordung König Alexanders und seiner Gattin am 11. 6. 1903. 167 Vgl. ÖUA Bd. 1, 564-566. 168 Die Siebenmächtekonferenz in London bestätigte im Jänner 1871 die im Oktober 1870 erfolgte einseitige Kündigung seitens Rußlands der Klauseln des Friedens von 1856 bezüglich der Neutralisierung des Schwarzen Meeres. *'" Mit Bleistift gestrichen.
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dessen Rußland ähnlich vorgegangen sei wie Österreich-Ungarn bezüglich Bosniens169. Aehrenthal betont nochmals, daß dies ein großes Entgegenkommen sei. Dies umso mehr, als von London etwas Ahnliches vorgeschlagen sei. Auf dieser Basis könne man sich wohl einigen. Als ich Aehrenthal auf seine Frage, ob ich Einwendungen gegen sein Verfahren zu machen habe, sagte, daß ich die dreiwöchentliche Hinausschiebung der Antwort auf die russische Note nicht für richtig halte, eine rasche Antwort wäre doch eine Höflichkeit gewesen, erwidert er mit leiser Ungeduld: Man hat uns ebensolange warten lassen, auch will die Sache überlegt sein und endlich - so kam es scharf heraus - „ich habe doch auch andere Dinge zu tun." „Ich kann nicht finden, daß sich die diplomatische Lage verschlimmert hat. Deutschland hält mit voller Treue zu uns. Von Berlin hat man mir sagen lassen, ich solle mich gar nicht mit der Konferenz beeilen. Ich kann mir das Verhältnis zu Deutschland nicht besser wünschen. Aber freilich, jetzt ist nach dreißig Jahren zum ersten Male die Probe gekommen, daß der Bund mit Deutschland auch für uns von Vorteil ist. Bezüglich Italiens bin ich nicht unzufrieden. Die Rede Tittonis170 ist immer noch so gut als wir annehmen konnten nach der Dummheit, die bei uns zu Hause bezüglich der italienischen Studenten und der italienischen Universität geschehen ist171. Tittoni hat sich eigentlich den Gedankengang zueigen gemacht, den ich ihm in Salzburg entwickelte172. Der Dreibundvertrag enthält einen Artikel, demgemäß Italien berechtigt ist, Kompensationen zu verlangen, falls Osterreich-Ungarn sich auf der Balkanhalbinsel ausdehnt. Da der Vertrag 1881 oder 1882 abgeschlossen ist, so ist Bosnien als Teil der Monarchie anzunehmen gewesen, und daher ist keine Kompensation zu entrichten. Nur bei weiteren Erwerbungen von unserer Seite könnte Italien Ansprüche erheben. Die mißliche Lage Österreich-Ungarns ist eigentlich das Ergebnis unserer inneren Wirren, es ist das Erbe der schwächlichen, oder besser gesagt erbärmlichen Regierungsweise Becks. Er hatte schon im Oktober vom Kaiser die Vollmacht zu energischem Eingreifen in Böhmen, aber er schob dies immer den 169
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Im Juli 1886 hob Rußland einseitig jene Bestimmung des Berliner Vertrages auf, die Batum zum entmilitarisierten Freihafen erklärt hatte. Am 4. 12. 1908 in der italienischen Deputiertenkammer. Die Frage der Errichtung einer italienischen Universität bzw. einer selbständigen Rechtsfakultät in Osterreich bildete einen permanenten Konflikt zwischen den beiden Staaten. Ende November 1908 war es in Wien zu schweren Auseinandersetzungen zwischen italienischen und deutschnationalen Studenten gekommen, die wiederum Anlaß zu antiösterreichischen Ausschreitungen vor der Botschaft in Rom gaben. Vgl. dazu Erika Weinzierl, Aehrenthal and the Italian University Question; in: Intellectual and Social Developments in the Habsburg Empire from Maria Theresa to World War I. Essays Dedicated to Robert A. Kann, hrsg. von Stanley В. Winters und Joseph Held (Boulder - New York - London 1975) 241-269. Die beiden Außenminister waren am 5. 9. 1908 in Salzburg zusammengetroffen. Vgl. ÖUA Bd. 1, 72-75.
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Parteien zu Liebe auf, mit der Motivierung, man solle das Jubiläumsjahr verstreichen lassen. Das war natürlich eine Prämie für alle Unruhestifter. Und man mußte gerade am Jubiläumstage das Standrecht verhängen173. Überhaupt ist die Torheit unserer Parteien unglaublich. Die Deutschen haben die Obstruktion im böhmischen Landtage begonnen, obwohl drei ihrer Minister im Kabinett waren174. Das ist doch unerhört. Sie wissen doch, daß die Tschechen ein rohes, gewalttätiges Volk sind. Dazu der Bummel, der diese Unruhe noch nährt. Die Regierung hätte ihn nicht gestatten sollen. So kam es, daß alle Feinde Österreich-Ungarns Hoffnungen aus unseren inneren Wirren schöpften. Deshalb aber werde ich mich nicht in meinem Vorgehen erschüttern lassen. Es ist unglaublich" beklagenswert, daß die Menschen gleich bei der ersten Schwierigkeit unsicher werden und alles für verloren geben. Eine Nervenmassage ist für sie unbedingt notwendig, und in diesem Betracht mögen die jetzigen Verwicklungen ihr Gutes haben." Diese letzten Bemerkungen Aehrenthals kann ich nicht mehr vollständig wiedergeben, weil er mit einer Lebhaftigkeit sprach, die mir an ihm ungewohnt war, und mich auch die Fülle der Wendungen und Ausdrücke angenehm überraschte. Diese anscheinend kalte Natur ist innerlich tief bewegt. Es lag etwas Männliches in seiner Rede, was mich noch mehr wie sonst für ihn einnahm. Ich hatte den Eindruck, einen Mann von seltener Tatkraft sprechen zu hören; ob ihm der Erfolg beschieden ist oder nicht, jedenfalls sind die Zügel der Regie in seinen Händen gut aufgehoben. Und da er so fest sprach, wollte ich mich der Sorge entlasten, die mich beschwerte; ich fragte ihn, ob der Kaiser vertrauensvoll mit ihm gehe, und er seiner sicher sei. Darauf erfolgte eine kurze, in drei bis vier Worten gefaßte Antwort, wie er sie zu geben versteht und die dabei alles besagt: Der Kaiser steht vollständig auf seiner Seite.
6. Dezember 1908 Tagebuch Beendigung des Abschnittes über die Katastrophe Brucks, womit ich durch etwa sechs Wochen beschäftigt war175. Besprechung mit Riedl über die Gründung eines indisch-ägyptischen Ko173
Am 2. 12. 1908, dem Tag des 60jährigen Regierungsjubiläums Kaiser Franz Josephs, wurde über Prag das Standrecht verhängt. Den Anlaß bildeten die Krawalle, die durch den Bummel farbentragender deutscher Studenten durch Prag ausgelöst worden waren. 174 Die deutsche Obstruktion, die am 25. 9. 1908 eingesetzt hatte, führte am 15. Oktober zur vorzeitigen Schließung des Landtages. 175 Wohl für den nicht erschienenen Abschlußband von Osterreich von 1848 bis 1860; vgl. das Materied in К 4, U Studiennotizen, Abschriften von Dokumenten, Originaldokumente und Entwürfe, Karl Ludwig von Bruck betreffend. " gestrichen.
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Tagebuch
mitees176. Er gibt den Rat, es orientalisches Komitee zu nennen, um nicht gleich Anstoß zu erregen. Wir verständigen uns vollständig und vereinbaren für 12. Dezember eine Zusammenkunft von zehn bis fünfzehn Personen. Mit Hugo Fürth über die Sache gesprochen, der mir einen guten Uberblick über den Umfang und die möglichen Wirkungen des Boykotts gibt. Gespräch mit Aehrenthal (auf beiliegenden Blättern177). Da er sich mit der Aktion der Wiener Judengemeinde gegen den Boykott einverstanden erklärt, so verständigte ich Dr. Gustav Kohn davon, der mir verspricht, die Sache in die Hand zu nehmen. Molden macht mir die mich schmerzlich berührende Mitteilung, er befürchte, die Arbeitslast in der Neuen Freien Presse nicht lange, jedenfalls nicht durch viele Jahre tragen [zu] können. Das war nun freilich vorauszusehen. Er lugt nach Gründung einer Revue oder einer Wochenschrift aus. Offenbar aussichtslos. Er ist sehr angestrengt, die Artikel schreibt jedoch meist Benedikt in seinem Heißhunger nach Tätigkeit. Benedikt beklagte von Anfang an die Annexionspolitik, Molden lehnte sie ab, selbstverständlich ohne dies öffentlich sagen zu wollen. Er sieht trüber in die Zukunft als ich. Brief an den Grafen Adolf Dubsky in Rom. Ich lehnte den Antrag des Vereins für staatswissenschaftliche Fortbildung in Berlin, im Mai 1909 dort einen Kurs über neueste österreichische Geschichte zu lesen, ab, da ich im April und Mai in Italien sein will.
7. Dezember 1908 Tagebuch Besuch des Grafen Prokesch, der mich über die Edition eines Teiles des Tagebuches seines Vaters und des Berichtes über seine Tätigkeit in Konstantinopel um Rat frägt178. Ich schreibe an Baron Aehrenthal, um vorzuschlagen, daß die Parlamente zu Wien und Budapest das zum 14. Dezember zusammenberufene Parlament zu Konstantinopel begrüßen. Wir haben die populäre Bewegung in der Türkei nicht hoch genug geschätzt. Bettelheim schickt mir seine Biographie Saars mit der Widmung an mich179. Ein neuer Beweis seiner Freundschaft.
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Vgl. S. 144 und 147. Vgl. S. 147-151. Vgl. Aus den Tagebüchern des Grafen Prokesch von Osten 1830-1834 (Wien 1909). Anton Bettelheim, Ferdinand von Saars Leben und Schaffen (Ferdinand von Saars Sämtliche Werke in zwölf Bänden 1, Leipzig 1908).
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8. Dezember 1908 Tagebuch Eine Indiskretion von Sigmund Münz setzt mich in Verlegenheit. Ich hatte ihm über die Absichten Aehrenthals eine freundschaftliche Mitteilung gemacht, bat ihn um Zurückhaltung, er aber läßt heute die Neue Freie Presse durch eine Art Enthüllung glänzen180.
Rudolf Sieghart, Vorstand der Präsidialkanzlei des Ministerratspräsidiums
8. Dezember 1908 Tagebuch
Spaziergang mit Sieghart, seiner Gattin und Prof. Hupka. Eingehendes Gespräch mit Sieghart zu zweien. Er ist klug, gewandt, eifrig, aber es fehlt ihm Mark, fester Wille und der Blick fürs Große. Seine kleinmütige Beurteilung der Aehrenthalschen Politik, die er übrigens pflichtgemäß amtlich unterstützt, bestimmen mich zu kräftiger Einwirkung. Ich sage ihm nach seinen Klagen über das drohende Defizit, über den Niedergang der Volkswirtschaft, über die Wirkungen des türkischen Boykotts: „Ich betrachte es als meine Pflicht, Sie in der Stunde unseres heutigen Gesprächs zu härten." Nachdem ich alles die äußere Politik Betreffende durchgesprochen, wenden wir uns den inneren Angelegenheiten zu. Ich mache ihn aufmerksam, daß Beck und jetzt auch er unter der Anklage stehen, die Regierungsautorität verfallen zu lassen. Dies geschehe deutlich in der Nachsicht gegen die steigende Zuchtlosigkeit der Studenten. Er verspricht mir, gleich heute die von den deutschnationalen Studenten erzwungene Sperrung der Mensa academica zu einer Eindämmung der Agitation zu benützen. Hinweisend auf den Rückzug der Tschechen nach Verhängung des Standrechts 181 zeige ich ihm, daß Tatkraft Schwierigkeiten aus dem Weg räumt. Alle Welt, die Deutschradikalen ausgenommen, werde eine kräftige Maßregel gegen die studentische Zuchtlosigkeit billigen, selbstverständlich, wenn man nicht ins Ubermaß verfalle. Sieghart machte mir manche interessante Mitteilungen. So über den Kaiser. Sieghart ist der Verfasser der Ansprachen, die der Kaiser anläßlich seines Jubiläums hielt, an die Vertreter der Konfessionen, an den Adel, an die Verteter der 17 Landtage182. Ich sprach ihm aus, wie tüchtig und taktvoll ich 180
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Neue Freie Presse v. 8. 12. 1908, Morgenblatt 5, Ein neuer Vorschlag zur Verständigung zwischen Österreich-Ungarn und Rußland. Am 2. 12. 1908 wurde über Prag das Standrecht verhängt. Anläßlich seines 60jährigen Regierungsjubiläums empfing Kaiser Franz Joseph am 26. 11. 1908 Vertreter der großen Konfessionen, tags darauf eine Deputation des österreichischen Adels, am 29. November eine Abordnung der Staatsbeamten und am 30. November die Vertreter der Landtage.
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Rudolf Sieghart
diese Arbeiten halte. Er erzählt mir, welche Änderungen an seinen Ansprachen durch die Kabinettskanzlei, offenbar über Wunsch des Kaisers, gemacht wurden. Er wünschte die Ansprachen etwas mehr im Geiste der Ermahnung, als Aufforderungen zur Versöhnung. Das aber wurde vermieden, „alles Predigtartige" wie er sich ausdrückt, wurde weggelassen. Das ist meines Erachtens ganz richtig, wie Sieghart zugibt. Merkwürdig ist, daß die überaus anerkennende Ansprache an die Vertreter des Judentums unverändert blieb, dagegen die an die Protestanten zu richtenden ehrenden Worte etwas abgeschwächt wurden. Dies letztere sei geschehen, weil bei Hofe die Los-von-Rom Bewegung die tiefste Verstimmung hervorgerufen habe183. Die Ansprache an die Staatsbeamten (die beste von allen) blieb nahezu unverändert, [während] die an den Adel ganz verballhornt ist, sodaß seine Arbeit kaum wiederzuerkennen ist. Bezüglich der Stimmung des Kaisers sagte Gautsch zu Sieghart seinerzeit: „Der Kaiser ist weder aristokratisch noch antisemitisch gesinnt, merken Sie sich das. Er ist kein Freund der Christlichsozialen, deren Rohheit ihn immer abstieß, auch Lueger ist ihm deshalb nicht sympathisch." Ebenso charakteristisch für den Kaiser ist, daß er die Verhängung des Standrechts gerade am Jubiläumstag nicht etwa mißbilligte, sondern Bienerth sogar den Dank aussprach; denn er empfand die Notwendigkeit einer entschiedenen Maßnahme. Das sind durchwegs überaus günstige Züge zu seinem Bilde, die zu verzeichnen mich freut. Sieghart nennt mir, um mir die Grenzen seines Einflusses deutlich zu machen, einige Fälle, in denen gegen seinen Rat gehandelt wurde. So habe er vergebens unter Gautsch für eine größere Anzahl von Mandaten zu Gunsten der Deutschen gekämpft. Jetzt wirke er für die Vorlage eines Gesetzes zur Regelung der Sprachenfrage und zur Kreiseinteilung in Böhmen, und er sehe voraus, er werde unterliegen. Auch als er Beck zu schärferen Maßregeln (1908) gegen die Tschechen mahnte, entgegnete dieser lächelnd: Aus Dir spricht wieder Dein alldeutsches Herz! Es habe sich unter zwei Ministerpräsidenten, Gautsch und jetzt Bienerth, gezeigt, daß die Persönlichkeit Kramär' einen faszinierenden Einfluß übe. Er ist hochbegabt und führt die Sache seines Volkes sehr gut, bald schmeichelnd, bald drohend. Es ist eine stete Klage Siegharts, Aehrenthal habe sich zuwenig Sicherheit verschafft, daß die Ungarn als Gegenleistung für die Bewilligung des Wahlgesetzes184 bezüglich der Armee und der Bank bestimmte Verpflichtungen auf 183
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Mit dem seit 1897 als Kampfparole vom Alldeutschen Verband ausgegebenen „Los von Rom" wurde der Übertritt zum Protestantismus als Bekenntnis zum Deutschtum gefordert. Von 1898 bis 1918 konvertierten darauf ca. 95.000 Österreicher zum Protestantismus. Der Wahlreformentwurf des ungarischen Innenministers Graf Gyula Andrässy, den dieser am 11. 11. 1908 im Abgeordnetenhaus eingebracht hatte, beruhte auf dem Pluralwahlrecht und hätte Besitz und Bildung sehr stark bevorzugt, um die Vorherrschaft der magyarischen Oligarchie zu sichern.
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sich nehmen. Beck habe, auch auf sein Betreiben, oft und oft, dem Kaiser selbst zum Überdruß, daraufgedrungen, daß die Vorsanktion des Wahlgesetzes an bestimmte Bedingungen zu knüpfen sei. Er habe es aber, wie Sieghart sieht, nicht durchgesetzt. Der Kaiser und Aehrenthal haben sich durch Andrässy in dem anderen Sinne bestimmen lassen. Es stehe ein Ansturm in der Bankfrage bevor. Als ich ihm sage, Aehrenthal habe mir zu verstehen gegeben, über die Bankfrage sei man im günstigen Sinne bereits hinweggekommen185, bleibt Sieghart skeptisch. Solche allgemeinen Zusagen Ungarns hätten keinen Wert. Aehrenthal verhalte sich Ungarn gegenüber höchst konnivent, stehe auch sehr gut mit ihnen; er aber verlange von der österreichischen Regierung alle Energie gegen sie. Von seinem Standpunkte habe er wirklich Recht (ich füge hinzu: mit Rücksicht auf seine äußere Politik), umso schwieriger aber stehe es dann um die Wahrung der österreichischen Interessen. Das Gespräch wendet sich der Korruption in Osterreich zu. Ich mache ihm ernste Vorstellungen über den Verkauf von Orden und Titeln. Seine Erwiderung ist in vieler Beziehung charakteristisch: „Sie tun mir schwerst Unrecht, wenn Sie annehmen, ich habe meine Hand in diesen Dingen. Es ist wahr, daß unter Koerber vieles nicht in Ordnung war. Die Ursache lag darin, daß er eine ganze Million Gulden zu Stande bringen mußte, als das Geschenk des Kaisers für die Bildergalerie in Prag beschlossen war186. Der Kaiser sagte ihm, er könne die Million aus seinem Vermögen nicht zur Verfügung stellen. Das mag ja richtig sein. Darauf Koerber: Dann werde diese Million sonst beschafft werden. Der Kaiser ging darauf ein. Es war nur eine Sache der Eitelkeit Koerbers gewesen, daß er die große Summe durch Verschleiß von Adelstiteln und Orden hereinbrachte. Unter Beck jedoch sei nichts Anstößiges geschehen, und ich versichere Sie auf meine Ehre, daß ich persönlich, schon mit Hinblick auf meine Stellung als Geheimrat, seit Jahren nichts mit diesen Dingen zu tun habe. Da Sie mir schon jüngst in der Sache Vorstellungen machten, habe ich den Polizeipräsidenten zu mir gebeten und ihm die bestimmte Weisung gegeben, darauf zu achten, daß nicht Schwindler auf dem Rücken der Regierung spielen; denn außer Ihnen hat noch eine Persönlichkeit mich auf die häßlichen Gerüchte aufmerksam gemacht. Was die Praxis in diesen Dingen betrifft, so ist mit dem Dispositionsfonds von 100.000 Kronen kein Auslangen zu finden. Der Kaiser weiß das und stellt es deshalb den jeweiligen Ministerpräsidenten, aber auch nur diesen, frei, ihre Vorschläge zu machen." Das widerspricht nun stark den früheren Versicherungen Siegharts von der Reinheit Becks. „Dies geschieht nicht bloß zur Füllung des Dispositionsfonds, sondern auch für wohltätige 185 186
Vgl. S. 127. Am 6. 6. 1902 hatte Kaiser Franz Joseph zwei, nicht eine, Million Kronen zugunsten der neugegründeten Modernen Galerie des Königreiches Böhmen in Prag gestiftet.
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Ernest von Koerber
Zwecke, und selbst Ludo Hartmann weiß davon, daß für Spenden zum Baufonds des Volksheims Auszeichnungen verliehen wurden187. Dazu kommt noch ein Anderes. Auch jeder Statthalter hat einen größeren oder kleinen Dispositionsfonds, der böhmische einen immerhin ansehnlichen. Die Herren nun wollen sich Angriffen radikaler Blätter erwehren, und es mag vorkommen, daß sie mitunter zu diesem Behufe Ordensauszeichnungen empfehlen. Unter den vielen tausenden Auszeichnungen zum Jubiläum kann solches geschehen sein. Aber ich versichere Sie, daß gerade bei diesem Anlasse sorgfältig geprüft und gesichtet wurde; und wenn Sie die Listen geprüft haben, so werden Sie kaum etwas Verdächtiges bemerkt haben." Dies letztere konnte ich, bei meiner allerdings oberflächlichen Kenntnis der Sachlage, bestätigen. Doch behielt ich mir vor, darüber Erkundigungen einzuholen. Unter anderem meint Sieghart: Zu den möglichen Ministerpräsidenten gehören Stürgkh und Bilinski. Sieghart ist mit Stürgkh sehr befreundet, daher wohl das Gerücht, bald daß Stürgkh zum Lloydpräsidenten, bald daß er zum Unterrichtsminister designiert sei.
Ernest von Koerber, Mitglied des Herrenhauses
9. Dezember 1908 Tagebuch
Bei Koerber. Vor einigen Tagen hatte Kramär wie schon früher im Abgeordnetenhaus einen Anwurf gegen Koerber erhoben: Er habe den Tschechen seinerzeit zugestanden, daß es den Beamten in Böhmen freistehen solle, im inneren Verkehr deutsch oder tschechisch zu amtieren; dieses Versprechen habe er jedoch gebrochen188. Ich fragte nun Koerber, ob er sich nicht dagegen verwahren wolle. Er bejahte dies, er studiere jetzt die Reden und Tatsachen des Jahres 1903, um vollständig gerüstet zu sein. Ich teile ihm mit, daß Sieghart am Tage vorher bestimmt in Abrede gestellt habe, Koerber habe ein gegebenes Versprechen nicht eingehalten. Darauf setzt mir Koerber alle einschlägigen Verhältnisse auseinander. Ich erwog hierauf mit ihm, ob er nicht in der bevorstehenden Budgetdebatte im Herrenhause zum ersten Mal wieder hervortreten und jene Anwürfe beleuchten solle. Er hat bisher seit seinem Rücktritte nie im Herrenhaus gesprochen, ist fast in gar keiner Sitzung erschienen, irre ich nicht, nur in der Huldigungssitzung vom 2. Dezember 187
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Das 1905 erbaute Ottakringer Volksheim entstand über Initiative des Historikers Ludo Moritz Hartmann. Am 5. 12. 1908 hatte Karel Kramär im Abgeordnetenhaus erklärt, schon Ernest von Koerber habe als Ministerpräsident versprochen, „gegen unsere Beamten nicht einzuschreiten, wenn sie im inneren Verkehr die böhmische Sprache anwenden. Aber wie es seine Art war, hat er dieses Versprechen nicht gehalten, und das war auch der Grund, warum er fiel."
11. Dezember 1908
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1908189. Noch eindrucksvoller wäre es, wenn er in der Annexionsdebatte das Wort ergriffe. Davon aber, so meinte er, halte ihn das Bedenken zurück, daß er trotz sorgfältigen Nachdenkens sich bisher noch nicht über die Art der definitiven Eingliederung Bosniens in die Monarchie klar geworden sei. Man hätte, bevor man an die Annexion schritt, sich hierüber im Prinzip einigen sollen. Dies wäre Sache der Regierenden gewesen. Doch gesteht er zu, daß er selbst keine befriedigende Lösung wisse. Bosnien und Herzegowina mit Kroatien und Dalmatien zu vereinigen und daraus einen dritten Staat der Monarchie zu bilden, hält er nicht für durchführbar: Ungarn würde unüberwindliche Schwierigkeit erheben. Im weiteren Verlauf des Gespräches erörtern wir die äußere Lage. Während Koerber über die inneren Verhältnisse, besonders über Ereignisse seiner Regierung, von großer Klarheit spricht, sind ihm die äußeren Angelegenheiten fremd, und es überrascht8 mich, daß er - er ist über seine Quellen sehr diskret - eine Anzahl von Gerüchten wiedergibt, die mir unbegründet scheinen. Wichtig ist aber, daß er von einer Persönlichkeit, die ihrer Stellung nach seinem Berichte zufolge Glauben verdient, gehört hat: Die Antwort des Zaren auf das Handschreiben Kaiser Franz Josephs, das die Annexion angekündigt hatte, war sehr verletzend, der Zar habe nicht mehr und nicht weniger als die Rücknahme der getroffenen Maßregel verlangt190. Das scheint mir doch höchst unwahrscheinlich. Die anderen Gerüchte erzählte er selbst als von dritter Hand herrührend. Aehrenthal habe in der Konferenz über die Annexion optimistische Aussichten eröffnet, die sich jetzt absolut verschlechtert haben191, der Thronfolger habe seinerzeit sehr vorsichtig, zögernd zugestimmt; der Kaiser sei jetzt sehr ungeduldig etc. Bei der Adelshuldigung habe der Kaiser - wie Koerber von einem Teilnehmer gehört hat - den Fürsten Trauttmannsdorff angesprochen, von den Jagden König Edwards auf seinen Gütern gesprochen und zweimal über den König gesagt, „ein netter Herr." Das will ich doch verifizieren192.
11. Dezember 1908 Tagebuch Schlinkel, den ich zufällig treffe, erzählt mir von dem von Baronin Josefine Knorr (gestorben 1908)193 hinterlassenen Testament. Sie habe ihre Nichte 189
Aus Anlaß des 60jährigen Regierungsjubiläums des Kaisers. Vgl. ÖUA Bd. 1, 107-108 und 384. 191 Vgl. das Protokoll des gemeinsamen Ministerrates vom 19. 8. 1908 in ÖUA Bd. 1, 41-50. 192 Vgl. S. 159. 193 Die Dichterin Josephine von Knorr war am 30. 5. 1908 auf ihrem Gut Stiebar bei Garsten (Niederösterreich) gestorben. " Korrigiert von befremdet. 190
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Tagebuch
von Klezl und deren Kinder nicht zu Erben haben wollen; deshalb suchte sie schon seit Jahren einen Erben für die Hälfte des Schlosses und Gutes Stiebar, das ihr gehört; die andere Hälfte gehört der Frau von Klezl. Diese letztere sei verschwenderisch, eine Kokain-Esserin. Baronin Knorr bot einmal dem Grafen Schaffgotsche, ein anderes Mal Herrn von Raab die Erbschaft an, beide hatten abgelehnt. Da sei sie auf den Gedanken gekommen, den Grafen Seefried, den Gemahl der Enkelin Kaiser Franz Josephs194, zu bedenken; das Motiv war, daß die Seefrieds in irgendeiner Weise mit den alten Grafen Stiebar entfernt [verwandt] gewesen sein sollen. Graf Seefried nahm die Erbschaft an. Und so bestimmte die Baronin, er solle die Hälfte ihres Gutes erhalten, der Familie Klezl solle eine gewisse Summe seitens des Grafen ausbezahlt werden, falls sie ihm ihre Hälfte abtreten. Gehe die Familie Klezl nicht darauf ein, so wird sie bloß mit Legaten abgefunden. Frau von Klezl ging nicht auf den Handel ein; ja sie gedenkt das Testament auch anzufechten, teils wegen des angeblichen Schwachsinns der Erblasserin, teils weil Stiebar nicht volles Eigentum, sondern zum Teil Lehen sei; und bezüglich der Lehen gibt es kein Intestaterbrecht, vielmehr Anwartschaft aller Erben. So ist Stiebar jetzt streitig, besonders da auch Graf Seefried von dem Gute nichts hat, da man Geld dafür aufwenden müßte; und der Kaiser lehne Geldhilfe ab. Vortrag Liliencrons, der eigene Dichtungen vorliest. Frische und Natürlichkeit anziehend. Bacquehem ruft mich telephonisch an zu einem Gespräch über die politische Lage. Seit Koerber jede Art der Bewerbung um die Stelle eines Ersten Präsidenten des Verwaltungsgerichtshofes vermied und ihm Platz machte, ist er sein dicker Freund195. Er ließ ihn an geeigneter Stelle zum Ministerpräsidenten empfehlen, die Auskunft war, dies sei jetzt unmöglich. Aber Bacquehem stellt fest, seine Zeit werde komen. Dagegen Haß Bacquehems gegen Sieghart. Bacquehem spricht über die Jubiläumsansprache des Kaisers an den Adel; die Aristokratie war sehr unzufrieden damit, solche Mahnungen seien zu jeder Zeit am Platze gewesen, nur nicht zum Jubiläum196. Dies aber sei leider die Stimmung des Kaisers gegenüber der Aristokratie. Bacquehem, der dieser Tage Aehrenthal sprechen soll, lädt mich für die nächsten Tage zum Besuche ein197. 194
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Gräfin Elisabeth Seefried, die Tochter von Erzherzogin Gisela und Prinz Leopold von Bayern. Marquis Olivier Bacquehem war seit 14. 9. 1908 Präsident des Verwaltungsgerichtshofes. Beim Empfang des österreichischen Adels am 27. 11. 1908 anläßlich des 60jährigen Regierungsjubiläums des Kaisers erklärte Franz Joseph, der stolze Name der Adeligen sei „ebenso Pflicht als Recht". Staat und Volk erwarteten auch weiterhin die Mitarbeit des Adels an Staatsaufgaben und Volksinteresse. Vgl. S. 163 f.
12. Dezember 1908
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Besuch bei Tucher jun. Seine Frau mußte eilends nach Zürich reisen an das Krankenbett ihrer Großmutter. Er sieht seiner ganzen Anlage nach düster bezüglich der Situation. Kageneck komme vom Generalstabschef stets mit kriegerischen Eindrücken, besonders bezüglich Italiens. Er selbst habe nie Gelegenheit, mit Aehrenthal zu sprechen. Er erzählt: „Bei dem Empfange des Adels durch den Kaiser habe dieser den Fürsten Trauttmannsdorff gefragt: Nicht wahr, der König von England habe bei ihm gejagt? Trauttmannsdorff bejahte dies, fügte aber gleich bei: Ich werde ihn aber nicht wieder einladen." Das klingt doch anders als die Erzählung Koerbers198. Besuch Glossys. Er erzählt Wichtiges über den Nachlaß Hormayr. Glossy fragte einmal im Münchener Stadtarchiv an, und während der Direktor behauptete, das Archiv besitze den Nachlaß nicht, ließ sich ein anderer Beamter das Bekenntnis entschlüpfen, Papiere von ihm würden aufbewahrt. Hormayr hatte keine Söhne, nur Töchter. In Berlin, irre ich nicht im Staatsarchiv, fand Glossy interessante Briefe Hormayrs an Varnhagen von Ense, auch einen wichtigen Brief der Witwe (oder Tochter?) Hormayrs nach dessen Tode. Schreyvogel hinterließ eine uneheliche Tochter, der er den Namen Weist gab199. Sie heiratete einen Beamten, der am selben Tage wie Schreyvogel an der Cholera starb. Aus dieser Ehe eine Tochter, die nachmalige Hofrätin Salzmann. Am 10. Dezember ist die österreichische Note nach Petersburg abgegangen200. Sie enthält im wesentlichen den Vorschlag, die Annexion Bosniens und das Programm vor der Konferenz unter den Mächten zu diskutieren und auf der Konferenz selbst nur das Ergebnis zu protokollieren. Die Aufnahme der Note in Petersburg anscheinend günstig. Entspannung sichtbar. Am 11. Dezember Versammlung des Industriellenklubs, bei welcher Direktor Blum (Creditanstalt) und andere kluge Erklärungen abgaben; der Boykott201 sei nicht sehr gefährlich. Dies sind die ersten Aussichten der Aufheiterung.
12. Dezember 1908 Tagebuch Heute fand auf meine Anregung eine Besprechung statt, um in der Weise des englischen Balkankomitees eine Organisation auch in Österreich zu schaf198 199 200 201
Vgl. S. 157. Der Schriftsteller und Dramaturg Josef Schreyvogel (1786-1832) veröffentlichte auch unter dem Pseudonym Weist. Vgl. ÖUA Bd. 1, 565-566. Der Boykott östereichischer und ungarischer Waren in der Türkei als Reaktion auf die Annexion Bosniens und der Herzegowina.
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fen202. Anwesend Dorn (Vorsitzender), Redlich, Schenker, Danzer, Fürth, Hammerschlag, Mayer-Gunthof, Mataja, Riedl, Lecher, Chiari und ich. Ich rege an, zunächst als Aufgabe die Abwehr der feindlichen englischen Politik in die Hand zu nehmen, erkläre aber, daß ich auch Riedls weiteren Plan, einen Mittelpunkt für die Vertretung der wirtschaftlich-politischen Interessen Österreichs im Orient zu schaffen, für zeitgemäß fände. Lecher spricht ganz pessimistisch. Riedls Idee findet allgemeine Zustimmung. Ein Komitee wird eingesetzt, in das ich gewählt werde. Ich nehme ungern und nur auf Andringen Chiaris an, in der Besorgnis, von meinen historischen Arbeiten abgelenkt zu werden. Ich hätte es vorgezogen, die Sache bloß ins Rollen gebracht zu haben. Auf dem Heimweg Gespräch zwischen Lecher, Dorn und mir. Lecher, höchst pessimistisch, erinnert mich, ich hätte noch vor zwei bis drei Jahren die Auflösung der Monarchie für unabwendbar erklärt. Ich zeige ihm, daß seine Erinnerung ungenau ist, jenes Wort müsse aus dem Zusammenhang gerissen sein; denn in jenem Gespräche hatte ich, wie Lecher zugibt, mit Sicherheit die Verlängerung der Zollgemeinschaft mit Ungarn vorausgesagt und Lechers Ansicht bestimmt abgewiesen, diese Erneuerung müsse durch nationale Konzessionen an Ungarn erkauft werden. Auch jetzt, so Schloß ich, sei mit Sicherheit die Erhaltung der Bankgemeinschaft vorauszusehen, auch hegte ich das Vertrauen, Österreich-Ungarn werde mit Ehren aus der bosnischen Verwicklung hervorgehen.
14. Dezember 1908 Tagebuch Wiederaufnahme der unterbrochenen Verhandlungen Östereich-Ungarns mit der Türkei. Das Wiener Kabinett brach sie ab, mit der Erklärung, sie nicht fortsetzen zu wollen, bevor der Boykott beendet sei203. Wir begnügen uns jedoch mit der Zusage der Pforte, alle amtliche Beteiligung am Boykott, besonders von Seite der Zollbehörden, zu verhindern und alles im Bereiche ihres Könnens Mögliche gegen den Boykott vorzukehren. Es ist ein Schritt des Zurückweichens, der jedoch notwendig war. Münz telephoniert mir. Er rechtfertigt sich und weist darauf hin, daß die Veröffentlichung meiner Mitteilungen fördersam gewesen ist, die Stimmung in Petersburg und London besänftigt habe. Letzteres ist allerdings richtig. Ich bestehe jedoch darauf, daß er meine Mitteilungen mit größerer Diskretion behandelt204. Dann erzählt er mir von seinem Zusammensein mit Ahmed Riza 202 203 204
Vgl. S. 144, 147 und 151 f. Vgl. dazu S. 140. Sigmund Münz hatte Informationen Friedjungs für einen Artikel in der Neuen Freien Presse verwendet. Vgl. S. 153.
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Bey, mit dem er eine Unterredung hatte (Neue Freie Presse vom 13. Dezember205). Ahmed Riza beschwerte sich scharf über Aehrenthal mit folgender Mitteilung: Bei seiner letzten Anwesenheit in Wien, eine Woche vor der Annexionserklärung, war er bei Aehrenthal und führte ein ihn sehr befriedigendes Gespräch. Er erklärte dem österreichischen Minister, der Berliner Vertrag sei zwar für die Türkei sehr ungünstig, aber sie werde ihn auch unter den veränderten Verhältnissen getreu einhalten. Sie setze das auch von den anderen Mächten [voraus]. Das sagte Ahmed Riza, ohne Bulgarien ausdrücklich zu nennen, auf dieses Land, von dessen Absicht auf Unabhängigkeitserklärung damals bereits die Rede war. Darauf habe ihm Aehrenthal beruhigend bedeutet, daß Österreich-Ungarn ebenso den Bestimmungen des Berliner Vertrages treu bleiben werde. Ahmed Riza war infolgedessen bezüglich der Absichten Österreich-Ungarns auf Bosnien beruhigt. In Konstantinopel eingetroffen, machte ihm der Korrespondent der Times von der bevorstehenden Maßregel des Wiener Kabinetts Mitteilung; Ahmed wollte es ihm aber mit Hinweis auf die Erklärungen Aehrenthals nicht glauben. Über das Gespräch mit Aehrenthal berichtete Ahmed dem Dr. Münz zuerst unmittelbar darauf, dann in gleichem Sinne bei seiner späteren Durchfahrt nach Paris, und dann bei seiner Rückfahrt (vorgestern) nach Konstantinopel. Ich stellte dieser Darstellung Ahmed Rizas meinen bestimmten Zweifel entgegen und sagte Münz, ich könne mir die Sache nur so erklären, daß Ahmed Riza eine allgemeine Redewendung Aehrenthals so verstanden habe, wie er wünschte, daß sie gefallen sein möge. Denn Aehrenthals gerade und nicht selten selbst schroffe Art schließt absichtliche Täuschung aus. Schließlich hatte er keine Veranlassung, einem Parteiführer gegenüber den Schleier zu lüften und ihm ein diplomatisches Geheimnis preiszugeben. Bei Bettelheim. Ich spreche ihm meinen Dank für die Widmung seiner Saarbiographie aus206. Die Widmung steht nur auf dem Separatabdrucke, nicht auch in der der Gesamtausgabe vorgedruckten Biographie. Das ist ganz in der Ordnung: Es schiene sonst, als ob die Gesamtausgabe mir zugeeignet sei. Bei aller Anerkennung des Wertes und des Ernstes der Arbeit hielt ich nicht meine Einwendungen zurück. Sie beziehen sich hauptsächlich auf die Idealisierung der Gattin Saars und der Fürstin Salm. Die Nachtseiten in diesen Frauencharakteren sind nicht einmal angedeutet. Auch Saar erscheint doch wie Auerbach in einem allzu verklärten Sinne207. Bettelheims herzliche Teilnahme an beiden Dichtern erklärt seine Darstellung. 205
206
207
Neue Freie Presse v. 12., nicht 13., 12. 1908, Morgenblatt 1-2, Unterredung mit Achmed Riza, jungtürkischem Kandidaten fur die Präsidentschaft des Parlaments. Anton Bettelheim, Ferdinand von Saars Leben und Schaffen (Ferdinand von Saars Sämtliche Werke in zwölf Bänden 1, Leipzig 1908). Anton Bettelheim, Berthold Auerbach. Der Mann. Sein Werk - sein Nachlaß (Stuttgart - Berlin 1907).
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15. Dezember 1908 Tagebuch Bei dem Gesandten Tucher. Er sieht die Lage sehr trübe und ist der Ansicht, Osterreich solle „tief in die Tasche greifen", um die Pforte zu befriedigen. So wäre wenigstens eine Schwierigkeit aus der Welt geschafft. Mir scheint, daß dies die Ansicht der deutschen Reichsregierung ist, der die Befriedigung der Türkei am Herzen liegt. Vortrag Fourniers über die Vorgeschichte der Okkupation von 1878. Gute Zusammenstellung des Stoffes mit wenig Neuem. Abends bei Sieghart. "Lerne Sektionschef Fesch, dann Davy und Baron Fuchs (Urenkel von Görres) kennen. Fesch sprach ich früher einmal.8 Derschatta, dem ich ans Herz lege, seine Eindrücke aus dem Ministerium Beck niederzuschreiben - was er schon als Minister vorhatte -, geht anscheinend zustimmend auf meine Anregung ein.
16. Dezember [1908] Tagebuch Da Gustav Kohn noch immer krank ist, besuche ich Dr. Stern, den Präsidenten der Wiener Kultusgemeinde, um dem ans Herz zu legen, sich betreffs der Beilegung des Boykotts mit der Judengemeinde in Saloniki in Verbindung zu setzen208.
17. Dezember [1908] Tagebuch Besuch des Sektionsrats Egon Zweig, der mich im Auftrage des Sektionschefs Cwiklinski auffordert, in den Kursen für staatswissenschaftliche Fortbildung, die nach dem Vorbilde Berlins auch in Wien eingerichtet werden sollen, einen Einzelvortrag zu halten. Ich sage bedingt zu, falls mir nicht größere Arbeit in die Quere kommt. Der geeignetste Vortrag wäre: Schicksale der Geschichtsschreibung in Osterreich. Besuch des Ludwig Friedländer, eines Exporteurs, ehemaligen Schiebers, der mir Interessantes über den Handel mit der Türkei und über den Boykott mitteilt. 208 Ygj z u Friedjungs Idee, die jüdische Gemeinde Salonikis solle sich für die Beendigung des Boykottes österreichischer und ungarischer Waren in der Türkei einsetzen, S. 144, 146 f., 152 und 163. "" Mit blauem Stift gestrichen.
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18. Dezember 1908 Tagebuch Verhandlung mit Dr. Stern209. Er hat nach Rücksprache mit Dr. Güdemann, der abriet, und mit Rothschild, der, wie ich den Reden Sterns entnehme, zustimmt, den Entschluß gefaßt, einen Abgesandten nach Saloniki zu senden. Anfangs wollte Stern diesen Schritt an die Zusage Aehrenthals knüpfen, er wolle für die Besserung der Lage der rumänischen Juden wirken. Ich zeige Stern, wie verfehlt es sei, eine patriotische Aktion von einer Bedingung abhängig zu machen. Er sieht das vollständig ein; er designiert Kraus, Sekretär des Jüdischen Bundes, zu der Reise nach Saloniki. Da dieser spaniolisch spricht, auch ein wenig bulgarisch, so ist die Wahl zweckentsprechend. Er soll, mit Empfehlungen an die ersten Häuser Salonikis ausgerüstet, in den nächsten Tagen abreisen. Gespräch mit Jettel. Er spricht die Zuversicht aus, daß die Verhandlungen in Konstantinopel in zwei bis drei Tagen zum Ziele führen. Kiamil Pascha sagte zu Pallavicini, die Pforte habe ursprünglich keine Geldentschädigung seitens Österreichs in Anspruch genommen, aber England und Rußland hatten darauf bestanden. Auch behält er sich vor, das Ergebnis der Verhandlungen England vorzulegen. Das klingt nicht sehr hoffnungsvoll. Besuch bei Bacquehem, auf dessen Einladung 210 . Er war bei Aehrenthal und trat bei ihm mit den Worten ein: „Ich möchte mich durch Sie reouvertieren lassen." Aehrenthal setzte ihm ruhig und fest die Lage auseinander. Bacquehem sagte ihm, was Aehrenthal selbstverständlich schon weiß, daß „die Gesellschaft", das heißt die Aristokratie ganz gegen ihn eingenommen ist. Alles sieht schwarz, alles tadelt ihn. Ich mache Bacquehem aufmerksam, wie beklagenswert es sei, daß der hohe Adel so wenig Mark besitzt. Bacquehem gibt das zu: Goluchowski gelte jetzt in diesen Kreisen als großer Mann, habe er doch zwölf Jahre den Frieden bewahrt. Doch stellt Bacquehem fest, daß der Kaiser und der Thronfolger auf Seiten Aehrenthals stehen. Auch seine Schilderung der inneren Lage trägt das Gepräge gleicher Haltlosigkeit. Das Koalitionskabinett sei hinter den Kulissen fertig: Bilinski Finanzminister, wahrscheinlich, wenn Bienerth zu schwach ist, Ministerpräsident. Bilinski sei der Mann der Situation. Auf meinen Einwurf, er habe 1897 die Bank den Ungarn zuliebe dualisiert 211 , ohne Gegenleistung, er habe auch 1904 sich offen für [die] ungarische Kommandosprache erklärt, gibt dies 209 2,0 211
Vgl. S. 144, 146 f., 152, 162 und 173. Vgl. S. 158. Das im September 1899, nicht 1897 erlassene Statut der österr.-ung. Bank bestimmte die vollständige Gleichberechtigung der beiden Staaten der Monarchie in Verwaltung und Aufsicht der Bank. Leon von Bilinski war Finanzminister im Kabinett Windischgraetz (1895-1897) sowie wiederum ab 10. 2. 1909 in der Regierung Bienerth.
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Bacquehem zu, fügt jedoch lächelnd hinzu, er sehe die Sache nicht vom patriotischen Standpunkt an, sondern er sagte es offen: Als Präsident des Verwaltungsgerichtshofes, und bei Bilinski werde er [sich] alles für den Gerichtshofverschaffen (das heißt für sich, denke ich innerlich). Bilinski habe ihm die Stelle eines Präsidenten des Staatseisenbahnwesens zu verdanken gehabt, er habe den Widerstand des Kaisers überwunden. Die Freundschaft Bacquehems zu Koerber ist jetzt sehr dick; seitdem Koerber ihm bei seiner Bewerbung um die Stelle des Ersten Präsidenten nicht in den Weg getreten war212. Bacquehem habe Koerber Aehrenthal warm empfohlen und ihn bestimmt, ihn dem Kaiser zu nennen. Dieser aber habe mit einer Handbewegung abgelehnt. Ich spreche darüber mein Erstaunen: Denn der einzige falsche Schritt Koerbers sei gewesen, die Million herbeizuschaffen, um die Spende des Kaisers für die Prager Kunstgalerie zu decken213. Dies war wirklich ein Akt der Korruption, dem Kaiser zu Liebe, und nun der Dank! Darauf Bacquehem kühl und klug: Eben deshalb, vielleicht will der Kaiser sich nicht an die Sache erinnern lassen! Gespräch mit Sieghart, der mir etwas für ihn sehr Unangenehmes anvertraut. Die österreichische Regierung kam zur Kenntnis von Konzessionen an Ungarn in der Armeefrage, die nahe bevorstehen. Sieghart mahnte Bienerth, deshalb mit Aehrenthal und dem Kaiser zu sprechen, damit nicht etwas über die Köpfe Österreichs hinweg bewilligt werde. Bienerth aber ist Hals über Kopf im Abgeordnetenhaus beschäftigt, um das Gesetz bezüglich des serbischen Handelsvertrags durchzubringen214. Er sandte deshalb Sieghart zu Aehrenthal, um sich zu erkundigen, damit ein Zusammenwirken der österreichischen Regierung mit der gemeinsamen möglich sei. Darauf erwiderte Aehrenthal kühl: „Darüber möchte ich mit dem Ministerpräsidenten selbst verhandeln." Sodann ging das Gespräch auf andere politische Fragen höflichst über, aber Sieghart findet mit Recht, dies sei ein höchst unfreundlicher, verletzender Akt gewesen.
19. Dezember 1908 Tagebuch Seit einer Woche bin ich an der Arbeit an meinem Buche verhindert. Ich mußte den Nachlaß von Alfons von Klinkowström durchsehen; ich setze den Artikel „Reformen des Grafen Franz Stadion" für die Österreichische Rund212 213 214
Vgl. S. 158. Vgl. zur Spende zugunsten der Galerie für moderne Kunst in Prag S. 155. Der am 14. 3. 1908 geschlossene Handelsvertrag mit Serbien war bis 31. 12. 1908 provisorisch in Kraft gesetzt worden; zu einer parlamentarischen Verabschiedung kam es aufgrund der sich zuspitzenden Beziehungen zu Serbien nicht.
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schau fest215; dann führe ich die österreichische Bibliographie fast dem Ende zu216. Den Artikel sende ich heute ab. Abends zweite Sitzung des Orientkomitees217. Riedl, Hugo Fürth, Mataja, Danzer und ich. Grundzüge entworfen. Nach der Sitzung erzählt mir Danzer erschreckende Dinge über eine Meuterei in Brod an der Save. Danach begann schon bei dem Auszuge der Reservisten aus Jungbunzlau Unruhe, die Arbeiter wollten die Mannschaft nicht abziehen lassen. Indessen zogen die Leute doch ab. Der Oberst jedoch, der dort kommandierte, benahm sich so schwach, daß er drei Tage später pensioniert wurde. Diese Mannschaft nun sollte in Brod einwaggoniert werden. Es waren nur Viehwaggons da. Darob Meuterei und Tätlichkeiten gegen Offiziere. Darauf Kriegsgericht, acht Mann seien verurteilt und erschossen worden. Das letztere klingt allerdings höchst unwahrscheinlich.8
Freiherr Alois Lexa von Aehrenthal, Außenminister 20. Dezember 1908 К 4, U Notizen und Druckunterlagen zur Persönlichkeitsgeschichte Aehrenthals Das Gespräch beginnt mit meinem Bericht über die Beschwerde Ahmed Riza Beys, Aehrenthal habe ihn bei ihrer Unterredung auf eine unrichtige Fährte gesetzt218. Aehrenthal erwidert: „Ich habe ein ziemlich gutes Gedächtnis, ich erinnere mich aber nicht, daß das Gespräch die Wendung genommen habe, über die Ahmed Riza berichtet. Ich halte dies aber für unmöglich, denn Sie kennen mich genug, um zu wissen, daß ich ein Festhalten am Berliner Vertrag nicht versprochen haben kann. Denn ich bin zwar berechtigt, auf eine an mich gestellte Frage, die ich nicht beantworten darf, so zu entgegnen, daß der andere nicht insistieren kann; aber ich lüge sehr ungern. Die Sache stand so, daß ich eine Frage Ahmeds über Bosnien erwartet und mir eine Antwort zurechtgelegt hatte, um die Sache nicht vorzeitig zu verraten; die Frage kam aber überhaupt nicht. Am Schlüsse sagte ich noch 215
Reformen unter dem Grafen Franz Stadion; in: Osterreichische Rundschau 18 (Jänner bis März 1909) 23-30. Darin eingebunden (25-28) sind die Erinnerungen Alfons von Klinkowströms an Graf Stadion. 216 Friedjung erstellte diese Bibliographie für den Wiener Volksbildungsverein, der sie jedoch als zu umfangreich nicht publizierte. Vgl. jedoch Friedjungs Einleitung zu Richard Charmatz, Wegweiser durch die Literatur der österreichischen Geschichte (Stuttgart Leipzig 1912), der Friedjungs Arbeit als Grundlage nahm. 217 Vgl. S. 159 f. 218 Der Führer des jungtürkischen Komites Ahmed Riza Bey war von Außenminister Aehrenthal am 22. 9. 1908 empfangen worden. Vgl. die Mitteilungen des Redakteurs der Neuen Freien Presse Siegmund Münz vom 14. 12. 1908, S. 160 f. " Randbemerkung: Es stellte sich später heraus, daß dies arge Übertreibungen seien [sie!].
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Freiherr Alois Lexa von Aehrenthal
zu Ahmed Riza ungefähr: Nous desirons des relations amicables avec la Turquie comme elles existoient jusqu'ä present, pouron de la Turquie ne a donne pas aux illusions et utopies. Ich weiß nicht, ob Ahmed Riza der Mann ist, um zu verstehen, daß ich damit warnen wollte, bezüglich Bulgariens und Bosniens Ansprüche zu erheben, aber ich [war] nach meiner Empfindung deutlich genug. Übrigens habe ich mich mit Ahmed Riza sehr gut gesprochen und einen trefflichen Einduck von ihm empfangen." Als ich Aehrenthal fragte, ob es nicht zweckmäßig wäre, durch Münz Ahmed Riza aufklären zu lassen, erwiderte Aehrenthal: „Es widerstrebt mir, mich vor Ahmed Riza gewissermaßen rechtfertigen zu lassen. Diesen Weg will ich nicht gehen, ich könnte aber Pallavicini schreiben lassen, er solle bei einem Zusammentreffen mit Ahmed Riza diesem die notwendigen Aufklärungen geben." Ich drang in Aehrenthal, das jedenfalls zu tun, er aber blieb, obwohl ich ihm die Wichtigkeit der Sache angesichts der Stellung Ahmed Rizas ans Herz legte, kühl: „Ich kann nicht gegen meine Natur handeln. Es ist mir nicht gegeben, mich gewissermaßen zu entschuldigen, wo ich sicher bin, daß mich kein Vorwurf trifft. Zudem wird Ahmed Riza bei seiner Gegnerschaft gegen Österreich dadurch nicht umgestimmt werden. Er war es, der eine Verschärfung der Thronrede des Sultans in einem für uns ungünstigen Sinne durchsetzte219." Ich weiß nicht, ob Aehrenthal nun doch an Pallavicini schreiben wird, indessen konnte ich die Schroffheit, die mir an ihm als an dem Manne achtenswert erscheint, nicht für nützlich in Bezug auf die Erledigung der Geschäfte ansehen." Noch mehr aber wurde ich durch die Unbeugsamkeit impressioniert, mit der er ein Bild der Verhältnisse in der Türkei schilderte und seine eigenen Absichten zeichnete. „In der Türkei", so sagte er, „herrscht Anarchie. In Mazedonien bestehen Unruhen, die verschleiert werden, man berichtet absichtlich nicht über bulgarische Banden in diesem Lande, aber sie sind bereits aufgetaucht. In Valona hat man österreichische Postbeamte nicht bloß im Amt gehindert, man hat sie am Leben bedroht, und jeden Augenblick kann die Nachricht kommen, sie seien massakriert worden. Das kann Österreich-Ungarn nicht dulden, und ich werde mit nachdrücklichen Maßregeln vorgehen. Es wäre schmählich, wenn wir dies duldeten, und der Tadel würde in erster Linie mich und mit Recht treffen." Als ich meinte, Gegenmaßregeln seien schwierig, wir könnten kaum eine schwache Seite an der Türkei treffen, erwiderte er mit gehobener Stimme: „Es wäre traurig, wenn wir keine Maßregel wüßten, um uns in Konstantinopel in Achtung zu set219
a
In der Thronrede hieß es, daß durch die Unabhängigkeitserklärung Bulgariens und die Annexion „Rechte verletzt und Beziehungen geschädigt wurden." Vgl. OUA Bd. 1, 637-638. Randbemerkung: Diese „Schroffheit" war, wie sich bald herausstellen sollte, eine überaus fördersame Festigkeit. Friedjung, 26. IV. 1909.
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zen. Wir besitzen solche Mittel, und wenn ich mich auch jetzt nicht über sie aussprechen will, so werden Sie vielleicht schon in den nächsten Tagen davon hören." So fest und drohend klang diese Ankündigung, daß ich eine Verschärfung der Lage voraussah, und, da ich befürchtete, Aehrenthal könne die volkstümliche Gegenströmung in der Türkei unterschätzen, bemerkte ich: „Ich bezweifle doch, ob die Zustände in der Türkei wirklich anarchisch sind. Die Revolution daselbst zeigt ein anderes Bild als die aller anderen Revolutionen: Man versteht sich zu beherrschen, sobald man will, und nur gegen uns werden Feindseligkeiten geübt." Er ließ das nicht gelten und sagte natürlich: „Unmöglich, daß wir uns vor der türkischen Revolution beugen. Können wir es ruhig mitansehen, wenn unsere eigenen Beamten am Leben bedroht, stets in Todesgefahr schweben? Und unter diesen Umständen soll ich mit der Türkei weiterverhandeln? Ich habe getan, was menschenmöglich ist. Trotz des Fortdauerns des Boykotts gab ich meine Zustimmung zur Wiederaufnahme der Verhandlungen; Pallavicini erhielt meine Instruktion, und heute oder morgen soll die erste Zusammentretung stattfinden220. Alles hängt aber davon ab, ob man sich nicht etwa gegen uns Gewalttätigkeiten gestattet. Sie sind ein genauer Kenner der Geschichte und wissen, daß solche Verhandlungen doch nur das Ergebnis der Machtverhältnisse sind; durch bloßes Reden und Zureden kommt man nicht zum Ziele. Wie aber stehen die Dinge jetzt? England reizt die Türkei zu Feindseligkeiten an, und König Edward selbst sagte zu Ahmed Riza: ,Der Boykott war ein guter Einfall, gehen Sie darin weiter221!" Es wäre irrig anzunehmen, daß die Partie zwischen Wien und Konstantinopel gespielt wird, es ist vielmehr ein Duell zwischen König Edward und mir. Es ist die ausgesprochene Absicht, mich zu stürzen, und schon ist mein Nachfolger in Aussicht genommen, Graf Mensdorff-Pouilly, der Verwandte und Seide König Edwards. Jahre hindurch hat man den österreichischen Hof umschmeichelt, um ihn vom Bündnis mit Deutschland abzuziehen, jetzt aber wendet man zu diesem Zwecke Drohungen und Einschüchterungen an. Es ist aber ganz ungewöhnlich und geradezu unanständig, einer Großmacht vorschreiben zu wollen, welchen Minister des Äußern sie absetzen und wen sie stattdessen einsetzen soll. Bülow ist darin ganz meiner Meinung, auch er glaubt, daß es schwächlich wäre, vor diesen Manövern zurückzuweichen." „Ich nehme an", so unterbrach ich bwährend dieser Darlegung11 den Minister einmal, „daß der Kaiser und der Thronfolger fest genug sind, um sich 220
Die Verhandlungen wurden am 21. 12. 1908 wieder aufgenommen. Zu Aehrenthals Instruktionen an den Botschafter in Konstantinopel vgl. OUA Bd. 1, 618-622. 221 Dieser angebliche Ausspruch des englischen Königs wurde Aehrenthal von der Pariser Botschaft übermittelt. Vgl. ÖUA Bd. 1, 591. • Randbemerkung: Aehrenthal sagte diese Worte englisch und deutsch. b_b Ergänzung.
Freiherr Alois Lexa von Aehrenthal
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nicht irremachen zu lassen." Ohne auf diese Bemerkung einzugehen, spann Aehrenthal seinen Gedankengang weiter, ohne dabei die Stimme zu erheben, aber mit einem metallischen Klange in ihr, durch den sie doppelt und dreifach verstärkt erscheint. a Es ist ein Anschwellen im Klang, nicht in der Stärke." Denn es ist eine Eigentümlichkeit seiner Sprechweise, daß sie gewöhnlich, auch wenn er Wichtiges sagt, ziemlich tonlos ist, ohne Hervorhebung des Entscheidenden. Diesmal aber wie so oft in den letzten drangvollen Monaten merkte ich, daß sein Organ klangvoll werden kann, wenn die Gedanken kräftig in ihm arbeiteten. Das ist das einzige Anzeichen, durch das seine Erregung sichtbar wird. Denn seine Gesten bleiben stets klein und zurückhaltend; sein Gesicht ist wohl belebt, aber nicht bewegt, und er wiederholt auch im Laufe des Gespräches nie einen Gedanken in anderer Variation. Wenigstens mir gegenüber, bei dem er Verständnis und rasche Auffassung fortsetzen [sie!] kann, nehmen seine Darlegungen einen geraden, ununterbrochenen Gang nach vorwärts, ohne Kommentare und Explikationen. Männlich, nie selbstgefällig entläßt er die Worte dem Gehege der Zähne; jede Pose und Steigerung ist ihm fremd; in seiner Persönlichkeit liegt dann ein großer Reiz. Ich befand mich den Eröffnungen Aehrenthals gegenüber in einer eigentümlichen Lage. Der ästhetische Eindruck, den er auf mich hervorbrachte, war sob wohltuend cwie möglich0, und es war höchst überflüssig, ein Wort der Zustimmung oder gar der Ermutigung zu sagen; Aehrenthal ist seines Weges sicher genug. Es schien mir eher, daß er sich durch das englisch-türkische Einverständnis zu übergroßer Schroffheit der Pforte gegenüber bestimmen lassen könne. Darauf zielten meine Bemerkungen, ich sprach die Ansicht aus, er solle trotz alledem die Verhandlungen nicht wieder unterbrechen; die Ansprüche der Pforte sollen doch, wie man mir sagte, nicht übermäßig sein; ob Österreich-Ungarn wohl eine Zahlung zu leisten beabsichtige? Die Antwort lautete nicht sehr tröstlich. „Es ist sehr fraglich, ob England und Rußland, die hierbei zusammenwirken, einen Abschluß zwischen uns und der Türkei zulassen werden. Überall, auch in Serbien und Montenegro, wirkt England gegen uns. Wenn der Fürst von Montenegro, wie das in den Gesprächen mit dem Korrespondenten des Daily Mail geschehen ist, uns förmlich den notwendigen Krieg erklärt, so müssen wir darauf nicht antworten. Denn das ist ein Operettenherzog mit verhungerten Soldaten. Sie fragen, ob die Engländer wirklich einen Krieg gegen uns entzünden wollen? Mindestens spielen sie mit dem Feuer. Und ob es zu einem Angriffe auf Österreich-Ungarn von jener Seite kommen wird? Ich möchte es nicht
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Ergänzung. Mit Bleistift Mit Bleistift
gestrichen. gestrichen.
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durchaus verneinen." Und hierbei machte Aehrenthal eine höchst eindrucksvolle Gebärde des Zweifels unter Hebung der Achseln und Ausstrecken der Unterarme, die bei der sonstigen Sparsamkeit seiner Bewegungen seine pessimistische Grundauffassung erkennen ließ. Es lag aber darin auch eine Geringschätzung für Montenegro, als ob er sagen wolle, solch' ein Krieg wäre das größte Unglück nicht. Aehrenthal fortfahrend: „Unmittelbar sind wir jetzt durch die Türkei in Anspruch genommen. Die Forderung, einen Teil der türkischen Staatsschuld zu übernehmen, ist nicht zu erfüllen. Erstens hätten wir die Gegenrechnung von mehr als 300 Millionen Gulden, die wir bei Eroberung des Landes und im Kampfe zum Teil gegen türkische Truppen ausgeben mußten, und dann dürfen wir nichts zugeben, wodurch wir auch Bulgarien belasten würden. Auch in anderer Form ist eine Zahlung an die Türkei schwer denkbar. Was wir bieten, liegt auf einem anderen Gebiete: Es kann eine Anleihe unter europäischer Garantie zustande kommen. Es ist aber nicht abzusehen, daß angesichts der feindseligen Haltung des türkischen Mobs gegen unsere Post und unsere Schiffe eine Einigung zustande kommt. Hilmi Pascha als Minister des Innern erläßt zwar korrekte 3 Weisungen bin unserem Sinneb, aber sie werden nicht befolgt, zum Teile unter dem englischen Einflüsse. Es ist also ein Kampf, in dem wir fest bleiben müssen, und damit will ich meine Mitteilungen heute schließen: Wenn England hofft, Österreich-Ungarn beugen zu können, so soll es an mir einen energischen Gegner finden, der ihm den Sieg nicht leicht machen wird." Aehrenthal, ein Mann von Rückgrat und Mark in den Knochen. Ich folge ihm in der Richtung, nur drängt sich die Frage auf, ob er mit der Pforte genug geduldig unterhandeln wird, und ob der gereifte Unwillen gegen England nicht zu stark auf die Beziehungen zur Türkei abfärbt. Hier die Unbefangenheit zu bewahren, ist allerdings sehr schwer.
Kaiman Kania de Känya, stellvertretender Bureaus des Außenministeriums
Leiter des Literarischen 25. Dezember 1908 Tagebuch
[Den] Abend mit Kania zugebracht. Er erzählt unter anderem von seiner diplomatischen Tätigkeit in Cetinje. Macchio, unter dem er zuerst diente, war ein kluger, schneidiger Diplomat, vor dem der Fürst Furcht hegte. Dann kam Baron Kuhn, der alle Konflikte meiden wollte, dem jede scharfe Aussprache unangenehm ist, so daß Kania mit ihm in ernste Meinungsverschiedenheiten geriet. Wenn Kuhn auf Urlaub ging, fand er die pessimia b_b
Ergänzung mit Bleistift. Mit Bleistift gestrichen.
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Kaiman Känia de Kanya
stisch gefärbten Briefe Kanias vor und beeilte sich, nach Wien zu melden, sie entsprächen nicht den Tatsachen, und Kania zahlte ihm dann mit gleicher Münze heim. Sie gerieten scharf aufeinander, und Baronin Kuhn versuchte Kania in merkwürdiger Weise zu beschwichtigen. „Ich begreife Sie nicht", sagte sie einmal nach einem Wortwechsel der beiden Männer zu Kania, „daß Sie sich so aufregen. Sie sollten doch wissen, daß es nur einen gescheiten Otto gab (Otto, der Vorname Kuhns)." Kuhn lachte dazu, die Worte seiner Frau als Scherz nehmend. Einmal war ein energischer Schritt bei der Regierung zu machen, unmittelbar vor einer Urlaubsreise Kuhns, und da sagte dieser zu Kania: „Gehen Sie nach meiner Abreise ins Palais, Sie haben ja schneidiges Auftreten." Der Fürst war damals in arger Geldklemme und bat Kania, seine Wünsche nach Wien zu empfehlen. Da entwarf Kania eine Liste von einem Dutzend Beschwerden, die abgestellt werden mußten, dann werde er sich in Wien für den Fürsten einsetzen. Da der Fürst nur in drei Punkten nachgab, so blieb es beim Alten, und die Subvention blieb aus. Der Fürst ist politisch genommen ein Kind, mit dem sich nicht ernst verhandeln läßt. Dabei jedoch gab er nie die Ansprüche auf die Herzegowina auf und erklärte Kania: „Er fühle sich nicht durch den Berliner Vertrag gebunden. Er sei zwar nur ein kleiner Fürst, aber zu dessen Anerkennung werde er sich unter keinen Umständen bereitfinden." Es war Kania auch vollständig klar, daß, wenn Österreich-Ungarn einmal an die völlige Einverleibung Bosniens schritte, in Montenegro der Widerstand losbrechen werde. Von persönlichem Interesse war seine Erzählung, weshalb Sieghart eigentlich bei Aehrenthal ungünstig angeschrieben sei. Eines Tages telegraphierte Zolger, Sektionsrat im Ministerratspräsidium, an Kania, Ministerpräsident Beck wünsche den Endtermin des Dreibunds zu kennen. Kania erklärte, dies nicht auf eigene Verantwortung beantworten zu können, und begab [sich] deshalb zu Call. Dieser erklärte, der Ministerpräsident sei verfassungsmäßig berechtigt, es zu erfahren, und bevollmächtigte Kania, dem Sektionsrat Zolger die Sache mitzuteilen, wobei ihm strenge Diskretion empfohlen wurde. Wer beschreibt das Erstaunen Calls und Känias, als die Nachricht unmittelbar darauf in der Neuen Freien Presse erschien! Es war die Preisgebung eines Staatsgeheimnisses, das zuerst herausgelockt worden war. Es ist zu vermuten, daß Benedikt den Wunsch ausgesprochen hatte, das Datum des Ablaufs des Dreibundvertrags zu erfahren, und Sieghart habe ihm den Wunsch erfüllt. Call erzählte darauf Kania, Aehrenthal sei außer sich über die Indiskretion gewesen; er habe nie jemanden so wütend gesehen wie damals den Minister. Darauf erschien Sieghart bei Call und brachte Entschuldigungen vor: Zolger hätte aus Unerfahrenheit die Indiskretion begangen und eine strenge Rüge begangen [sie!]. Niemand im Ministerium glaubte an die Wahrheit dieser Entschuldigung, alles war über-
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zeugt, Sieghart sei der Schuldige. Kania führte die Indizien näher aus, die viel für sich haben. Sieghart hat mir gegenüber fest behauptet, Zolger sei allein schuldig. Aehrenthal wird, wie Graf Paul Esterhäzy Kania aus eigener Kenntnis mitteilte, von dem Thronfolger unterstützt. Aehrenthal hat, als er mir am 20. Dezember die Lage düster schilderte222, nicht schwarz gefärbt. Es rückt tatsächlich nichts von der Stelle. Die Antwort auf die russische Zirkularnote ist fertiggestellt und soll in den nächsten Tagen abgehen223. "Vielleicht wartet man nur die heutige Rede (25. Dezember Rede Iswolskis224) ab". Bezüglich der Ausschreitungen zu Valona225 machte Pallavicini die ernstesten Vorstellungen, und Kiamil Pascha richtete noch in Anwesenheit Pallavicinis energische Depeschen an die Behörden daselbst. Es scheint aber, daß sie nichts fruchteten. Unter den Botschaftern ist Graf Berchtold entschieden der fähigste. Er sieht die Lage gut, hat immer ihre Gefahren erfaßt. Dagegen ist Pallavicini seinem Amt nicht gewachsen. Er ändert oft seine Meinung und kommt seiner schwierigen Mission nicht nach. Ahnliches gilt von Mensdorff. Mensdorff ist offenbar von König Edward eingenommen, schreibt stets, man dürfe die Stimme der Presse nicht mit der Ansicht des Ministeriums verwechseln. Auch von Cartwright wußte er zu melden, er sei sehr begabt und loyal, er empfahl ihn förmlich der österreichischen Regierung. In Wahrheit steht die Sache so. Cartwright war zuletzt Gesandter in München, wo er nicht viel zu tun hatte. Er wandte sich deshalb dem „Studium" der österreichischen Verhältnisse [zu] und richtete an den König ein Memoire, in dem er die Frage erwog, wie [man] Österreich-Ungarn, sei es durchs Gute oder durch Drohungen, von der Allianz mit Deutschland abziehen könne; dieser „Intrigant" Aehrenthal müsse beseitigt werden. Dieses Memoire gefiel dem König so gut, daß er ihn für den Wiener Posten aussuchte. Als nun Cartwright jüngst, ohne noch als Botschafter akkreditiert zu sein, bei Aehrenthal vorsprach, schlug er ihm vor, über Politik zu sprechen. Aehrenthal lehnte das aus jenem formellen Grund ab. Und als Cartwright trotzdem verlangte, mit dem Kaiser zu sprechen und ihm seine Ansichten über die Lage auseinanderzusetzen, erwiderte ihm Aehrenthal schroff, der Kaiser werde ja sich doch nur so weit in Politik einlassen, als er, sein Minister, es ihm raten werde. Sind diese Dinge sehr wahrscheinlich? 222 223 224
225
Vgl. S. 166-169. Vgl. ÖUA Bd. 1, 643-645 und 659. Zur Rede des russischen Außenministers vor der Duma am 25. 12.1908 vgl. ÖUA Bd. 1, 660.
Im albanischen Hafen Valona (Vlore) wurden österr.-ung. Postbeamte bedroht; vgl. S. 166 f. " gestrichen.
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Henry Wickham Steed, Wiener Korrespondent der Times
Henry Wickharn Steed
28. Dezember [1908] Tagebuch
Die Zeitungen bringen die Meldung, der Kaiser habe es absichtlich unterlassen, mit Cartwright über Politik zu sprechen226, in einer abweichenden Form. Die österreichische Regierung läßt den Tatbestand veröffentlichen, ebenso Cartwright durch Steed in der Times. Gespräch mit Steed. Dieser stellt fest, daß Cartwright absichtlich, um das Verhältnis zu Osterreich nicht zu verbittern, erklärt, jener Zwischenfall habe nicht viel Bedeutung. Aber Steed ist der Meinung, es liege darin eine große Unfreundlichkeit seitens Aehrenthals. Heftiger Ausfall Steeds auf Aehrenthal als einem Feind Englands.
226
Vgl. S. 171 und 175 f.
4. bis 6. Jänner
1909
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4.-6. Jänner 1909 Tagebuch Am 4. Jänner teilte mir Dr. Stern einen Brief mit, den er von Kraus aus Saloniki erhalten hatte 1 . Darin berichtete Kraus von seinen Bemühungen. Die Kaufleute und der Hakham Bashi (Großrabbiner) der Judengemeinde versicherten ihm, sie wären froh, wenn der Boykott lieber heute als morgen aufhören würde. Der Hakham Bashi sagte ihm sogar, er würde dafür wirken, wenn man nur des Schutzes der Lokalbehörden sicher sei. Diese Erklärung sei er auch vor dem österreichischen Generalkonsul abzugeben bereit. Aber aus eigenem Interesse könnten die jüdischen Kaufleute den Boykott nicht brechen, dazu seien sie nicht stark genug. Darauf bat ich Aehrenthal um eine Unterredung, um ihn über das Ergebnis der Bemühungen in Saloniki zu unterrichten. Ich wurde auf den 5. Jänner 6 Uhr abends bestellt. Denselben Abend erhielt Dr. Stern eine Botschaft aus dem Ministerium des Äußern. Hier war unter Vermittlung des österreichisch-ungarischen Generalkonsulats ein Telegramm Kraus' an Stern eingegangen. Darin berichtet Kraus, daß zwei Mitglieder der Alliance Israelite 2 , Herr Porges aus Leipzig und Rabbiner Dr. a aus Paris im Laufe der Woche in Saloniki eintreffen werden, und er bittet, auf diese Herren einzuwirken, damit sie ihn unterstützen müssen. Stern erfüllte diesen Wunsch Kraus' sofort. Als ich nun am 5. Jänner abends zu Aehrenthal kam, war er von Besuchen überlastet. Er war bereits in voller Kenntnis des von Kraus an Stern gerichteten Telegramms; er wollte es mir zeigen und erfuhr, daß ich durch Stern bereits unterrichtet sei. Ich konnte ihn, da ich ihn nicht aufhalten wollte, nur kurz in Kenntnis des Berichtes Krausens setzen. Es war keine Zeit, näher auf die Lage einzugehen. Als ich beim Weggehen fragte, ob Österreich-Ungarn sich doch zu einer Zahlung an die Türkei bereit finde, sagte Aehrenthal zwischen Tür und Angel: „Das werde ich Ihnen Ende dieser Woche mitzuteilen in der Lage sein." Damit war ich unterrichtet, es war klar, daß er auf die Sache einzugehen bereit war.
1
Vgl. zum Versuch, die jüdische Gemeinde Salonikis zu einer Aktion zur Beendigung des türkischen Boykottes österreichischer und ungarischer Waren zu gewinnen, S. 163 und 181.
2
Die 1860 gegründete Alliance Israelite Universelle, die auch in der europäischen Türkei Schulen betrieb. ' Freilassung im Original.
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Heinrich von Tschirschky, deutscher Botschafter in Wien
Heinrich von Tschirschky
5. Jänner 1909 Tagebuch
Zwei Tage vorher hatte der serbische Minister des Äußern Milovanovic in der Skupcina eine höchst aufreizende Rede gegen Österreich-Ungarn gehalten, worauf das Wiener Kabinett durch seinen Gesandten Grafen Forgäch um Erklärungen [ersuchte], eventuell eine Entschuldigung verlangte. Das Gespräch mit Tschirschky begann mit der Erörterung der voraussichtlichen Folgen dieses Schrittes. Tschirschky vermutet, daß keine Entschuldigung erfolgen werde. In diesem Falle sei die Abberufung des österreichisch-ungarischen Gesandten zu erwarten, vielleicht auch ein Rundschreiben an die Mächte mit der "Ankündigung ernster Maßregeln", da man jetzt in Europa überhaupt nichts mehr tue, ohne gleich alle Mächte hineinzuziehen, vielleicht auch beide Schritte zugleich. Tschirschky glaubt nicht, daß unmittelbar darauf eine kriegerische Verwicklung erfolgen werde. Vielleicht läge etwas Derartiges in dem Wunsche des Generalstabschefs Conrad von Hötzendorf, vielleicht auch anderer Militärs; aber die maßgebenden Personen seien des nicht Willens. Ich kam hierauf auf das Gespräch zurück, das ich mit Tschirschky über das Verhältnis zwischen Aehrenthal und Iswolski geführt hatte (im November 1908). Damals hatte Tschirschky mir gesagt, die Erbitterung Iswolskis sei deshalb so groß, weil Aehrenthal ihm nicht den Zeitpunkt der Annexion angegeben hatte, von dem dann Iswolski überrascht worden sei3. Vergleiche darüber meine Gespräche mit Aehrenthal 4 . Tschirschky hörte das ruhig und sagte darauf, hier liege ein Mißverständnis von meiner Seite vor. Schwerlich! Er, Tschirschky, wisse auch, daß Aehrenthal Iswolski zu Buchlau ausdrücklich gesagt habe, die Erklärung der Souveränität werde entweder vor oder während der Delegationen stattfinden. Aehrenthal habe damals auch daran gedacht, sich die Annexion durch die Delegationen vorschlagen [zu] lassen; davon sei er abgekommen, da dies doch nur bestellte Arbeit gewesen wäre; es war wirklich besser, die Arbeit selbst zu machen. Damit dementierte sich Tschirschky selbst, Aehrenthal hat also mit Iswolski vollständig offen und aufrichtig gehandelt. Nun sei Iswolski von Buchlau nach Italien gereist, statt sofort nach Petersburg zurückzukehren. In Italien habe er Wert darauf gelegt, mit dem König zu sprechen; er sei länger geblieben als notwendig, bloß um alles ins Werk zu setzen, und so wurde er durch die Erklärung der Souveränität, wie er behauptete, überrascht. Darauf machte man ihm in Paris Vorwürfe über seine geheimen Ab3 4 a_a
Das Gespräch fand am 17. 10. 1908, nicht im November, statt; vgl. S. 105 f. Vgl. S. 121-123. Korrigiert von Begründung dieses Schrittes.
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machungen mit Aehrenthal und wies ihn an London. Hier nun erhielt er bezüglich der Dardanellen ein Refus5, das heißt, man wies ihn an die Türkei. Er also hatte einen Mißerfolg erlitten, Aehrenthal dagegen die Ernte eingeheimst, und das war ein Grund mehr für ihn, über Aehrenthal von Erbitterung erfüllt zu sein. Und er ist es jetzt auch noch, er spricht immer mit Zorn von ihm, er ist und bleibt rankunös [sie!]. Nun war es wirklich interessant, mit welcher Ruhe Aehrenthal trotz dieser Mißhelligkeiten während der letzten Monate von Iswolski und von den Beziehungen zu Rußland sprach. Aehrenthal habe darin, so ungefähr sagte Tschirschky, die Überlegenheit seines Charakters erwiesen. Tschirschky erwähnt im Verlaufe des Gesprächs, wie Iswolski schon im Juni Aehrenthal die Annexion vorschlug, wogegen Rußland die Dardanellen erhalten solle. Sie wissen dies ja ohnedies, sagte er zu mir lächelnd. Mir ist dieses Vertrauen und zugleich die Voraussetzung meiner Kenntnis der Sachlage deshalb wertvoll, weil ich dadurch Aussicht auf fernere Mitteilungen habe. Dagegen sagte Tschirschky, als ich davon sprach, in Buchlau sei ein Protokoll aufgenommen worden: Er wisse nichts über diese Tatsache. War das Zurückhaltung oder ist er wirklich nicht unterrichtet? Wohl möglich, daß Aehrenthal darüber nur direkt nach Berlin Mitteilung gemacht habe. Später: Tschirschky wird es schon wissen! Von der Rede Iswolskis (25. Dezember)6 sagte Tschirschky, sie habe gezeigt, daß Rußland sich weder das Recht noch die Macht zuerkenne, einen Protest einzulegen. Es sei dies so gut wie die Anerkennung der Tatsache. Es schien freilich durch einige Wochen, daß Rußland die Konferenz nicht mehr wolle; Iswolski dachte sich, daß, wenn die Dardanellenfrage nicht auf die Tagesordnung gesetzt würde, so hätte die Konferenz fur ihn keinen Wert. Wie sich Rußland jetzt dazu stelle, könne nicht genau gesagt werden. „Die Hauptschwierigkeit liegt jedoch nach wie vor in London. Hier nährt man den Unfrieden auf dem Kontinent, von hier werden die Angriffe gegen Aehrenthal erhoben. Es ist nun von hohem Wert, daß man in Wien unerschütterlich fest bleibe. Sobald man in London bemerkt, daß der mitteleuropäische Bund einen Riß erhält, das heißt, wenn sich in Wien oder in Berlin Schwäche gegenüber der englischen Einschüchterung zeigt, so wäre das in London schon halb gewonnenes Spiel. Es ist deshalb auch nicht richtig, daß Aehrenthal zu scharf mit dem englischen Botschafter Cartwright vorgegangen sei7. Als dieser mit ihm vor seiner Beglaubigung über Politik sprechen 5 6 7
Die russische Regierung wollte eine Änderung des Dardanellenvertrages von 1841 erreichen, der die Durchfahrt von Kriegsschiffen durch die Meerengen untersagte. Vgl. ÖUA Bd. 1, 660. Der neuernannte englische Botschafter Sir Fairfax Leighton Cartwright hatte bei seinem ersten Besuch bei Außenminister Aehrenthal auch über Politik sprechen wollen, was von diesem unter Hinweis auf die noch fehlende Akkreditierung Cartwrights abgelehnt wurde; vgl. Känia, S. 171.
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Heinrich von Tschirschky
wollte, sagte er: Es sei ihm zwar interessant, die Ansichten Cartwrights zu hören, aber er könne ihn vor seiner Antrittsaudienz beim Kaiser nicht als Vertreter Großbritanniens ansehen. Das war ganz korrekt. Daß Cartwright dann nach der Antrittsaudienz beim Kaiser - trotz der Warnung Aehrenthals - mit ihm über die politische Lage sprechen wollte, worauf der Kaiser jedoch nicht einging, ist eine Ungeschicklichkeit Cartwrights. Dieser war mit der Vorstellung und mit der Absicht nach Wien gekommen, gleich mit Nachdruck aufzutreten. Er hat sich darüber sehr unvorsichtig an den süddeutschen Höfen ausgesprochen; beim Abschied ließ er Äußerungen von solcher Uberhebung fallen, daß es notwendig war, dies nach Berlin zu berichten, was dann selbstverständlich nach Wien mitgeteilt wurde. Cartwright mußte sich aber gleich überzeugen, daß er sich über die Stimmung und über die Festigkeit in Wien getäuscht habe. Er wurde auch gleich aus seinem Irrtum gerissen. Und es war gewiß richtig, daß Kaiser Franz Joseph sich ablehnend gegen ihn verhielt, als er von den freundschaftlichen Gesinnungen des Londoner Kabinetts gegen Österreich-Ungarn sprechen wollte. Ich stimme mit Ihnen darin überein, daß der Kaiser darauf weder gläubig eingehen noch es ablehnen konnte, das erstere deshalb nicht, weil das seinen eigenen Uberzeugungen widerstrebt hätte. Es ist glücklicherweise nicht zu befürchten, daß der Kaiser und seine Regierung schwach werden. Und von mir geschieht alles, um die österreichisch-ungarische Regierung in diesem festen Entschlüsse zu bestärken, sich nicht einschüchtern zu lassen. Ich bin in Wien auch im außeramtlichen Verkehr unausgesetzt bemüht, jede Mißhelligkeit zu bekämpfen, nicht bloß in den aristokratischen Kreisen, sondern auch anderwärts, denn ich bemerke mit Bedauern, wie leicht die öffentliche Meinung hierzulande zaghaft und nervös wird. Österreich-Ungarn kann auf unsere Unterstützung voll und ganz rechnen können [sie!]." Das interessante Gespräch Schloß damit, daß ich Tschirschky bat, mich nur als Historiker zu betrachten, dem es von großer Wichtigkeit sei, den Lauf der vergangenen Dinge kennen zu lernen, vielleicht um einmal darüber im Zusammenhang zu berichten. Da ich nicht Politiker sei, so seien alle jene Mitteilungen bei mir so aufbewahrt, daß ein Mißbrauch nicht zu besorgen sei.
6. Jänner 1909 Tagebuch Am Tage darauf Dejeuner bei dem Gesandten Dumba. Gäste: Call, Sektionschef Müller, Prinzessin Alexandrine Windischgraetz, Baronin Franckenstein, der Bruder Dumbas und ich. Hier nun erfuhr ich von dem Gesandten Dumba, das Hindernis liege bei Wekerle, der sich nicht zu einer Zahlung be-
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reiterkläre. Hatte er doch ohne Wissen Aehrenthals im ungarischen Abgeordnetenhause die Erklärung abgegeben, es solle nichts gezahlt werden 8 . Daher das Hindernis. Doch hoffe man, Wekerle zu gewinnen. Vielleicht sei es schon am Tage vorher beim Diner bei Aehrenthal geschehen. Besuch bei Plener. Ich finde ihn nach wie vor gegen Aehrenthal eingenommen. Es ist immer dieselbe Beschwerde: Man hätte den König von England in Ischl ins Vertrauen ziehen sollen9, und man sollte gleich oder so bald als möglich in die Zahlung einer Summe willigen. Wichtig folgende Fakten: Avarna hält sich sehr korrekt und gut. Er erzählt, daß auch Tittoni fest bei den Abmachungen bleibt. Es ist Tittoni gelungen, bei dem König zu erwirken, daß auch Giolitti in der bekannten Debatte das Wort ergreife10; denn, so sagte Tittoni, dies sei als ein Zeichen der Notwendigkeit der Solidarität des Kabinettes notwendig. Der König aber ist (ich glaube, dies ist der Bericht Avarnas und nicht bloß die Meinung Pleners) dem Ubergang ins französische Lager nicht geneigt, da er dann republikanische und sozialistische Einwirkungen auf die innere Entwicklung Italiens befürchte. Begegnung mit Paul Schulz, der töricht und ununterrichtet gegen die Politik Aehrenthals spricht. Er berichtet, daß Graf Monts seine Meinung teilt. Ich erfahre übrigens von Schulz, daß Aehrenthal als Botschafter alle wirtschaftlichen Anregungen des Handelsministeriums nach Kräften förderte. Schulz spricht sich für eine italienische Hochschule in Triest aus11. Das einzige Hindernis sei der Kaiser. Aber die Wahrheit ist, daß bisher kein Ministerpräsident außer Hohenlohe sich dafür eingesetzt habe. Er, Schulz, habe Gautsch gesagt, daß, wenn einmal dem Kaiser wirklich ernstlich alle Gründe auseinandergesetzt werden, er gewiß überzeugt werden würde; aber niemand wollte sich soweit vorwagen, niemand habe den Mut dazu. Gautsch hat ihm darin Recht gegeben. Die Sache ist so, fahrt Schulz fort. Der Kaiser ist wohl zu gewinnen, aber er ist verstimmt und läßt zur Strafe den Minister später aus anderen Gründen fallen. Das Gespräch mit Plener gewährte mir merkwürdigen und nicht erfreulichen Einblick in seine Denkrichtung. Er geht folgendermaßen vor: Er entwirft sich eine Vorstellung über die in einer Angelegenheit zu machenden Schritte, und dies ist dann sein Maßstab zur Beurteilung der Handlungsweise des betreffenden Staatsmannes. So bezüglich Aehrenthals: Da er nicht auf die Zahlung an die Türkei eingehen wollte, erklärt er ihn für eigensinnig. Ich habe mir im Laufe der letzten Wochen öfters Mühe gegeben, Plener über den Gedan8
Der ungarische Ministerpräsident hatte am 11. 11. 1908 im Budapester Parlament eine Interpellation dahingehend beantwortet, daß Österreich-Ungarn keine Zahlung an die Pforte als Abgeltung von Ansprüchen in Bosnien und der Herzegowina beabsichtige. 9 Der englische König hatte Mitte August 1908 Kaiser Franz Joseph in Bad Ischl besucht. 10 In der Annexionsdebatte in der italienischen Kammer am 27. 11. 1908. 11 Vgl. zur Frage der Errichtung einer italienischen Universität in Österreich S. 150 Anm. 171.
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Tagebuch
kengang Aehrenthals zu unterrichten. Die von mir vorgebrachten Tatsachen übten jedoch wenig Wirkung. Nun kann man ja der Ansicht sein, seine Aktion sei in vielen Dingen fehlerhaft gewesen; aber die Billigkeit gebietet, ihn aus seinen Zielen heraus und aus den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln zu erklären. Diese Starrheit Pleners zeigt sich auch bei seinen politischen Aktionen. Er zeichnet sich eine bestimmte Linie vor, und wenn es auch charaktervoll ist, sich nicht von dieser seiner vorgesteckten Absicht abbringen zu lassen, so kommt doch etwas Unbewegliches in die von ihm befolgte Politik. Das war zum Beispiel bei seiner Opposition gegen das allgemeine Wahlrecht sichtbar, wo er sich bis zum Schluß treu blieb, aber damit immer mehr isoliert wurde.
7. Jänner [1909] Tagebuch Jettel teilt mir mit: Aehrenthal wäre zur Zahlung eines Geldbetrags an die Pforte bereit, aber Wekerle verweigert seine Zustimmung. Er schützt staatsfinanzielle Bedenken vor. Die Interpellationsbeantwortung Wekerles im ungarischen Parlament, in der er die Weigerung einer Zahlung aussprach, fand ohne vorherige Zustimmung Aehrenthals statt12. Dieser war damit nicht einverstanden und erteilte Wekerle eine Reprimande. Offenbar kannte Wekerle die Abneigung Aehrenthals, eine Zahlung zu leisten, und handelte aus eigener Initiative. Es war aber Aehrenthal unangenehm, daß man sich in dieser Richtung festlegte. Friedjung. Aus dem Gespräch mit Paul Schulz ist noch nachzutragen13: Der Oberste Rechnungshof mahnte Korytowski zu verschiedenen Malen, endlich die bereits bewilligten Renten zu begeben. Er unterließ es aus Eitelkeit. Daher jetzt Geldnot. 10. Jänner 1910" Tagebuch Heute komme ich endlich wieder zu den historischen Arbeiten. Abends bei Wittek. Ich lerne Bilinski kennen. FZM Beck spricht sich über die Balkanfragen aus. Seine Redeweise ist wie immer stockend, Altersschwäche verratend, aber sein Gedankengang klar, bestimmt, daß ich fast erstaunt war. Er tadelt die Räumung des Sandschak14. Andrässy sei Der ungarische Ministerpräsident hatte am 11.11. 1908 im Budapester Parlament eine Interpellation dahingehend beantwortet, daß Österreich-Ungarn keine Zahlung an die Pforte beabsichtige. 13 Vgl. S. 177. 14 Im Zuge der Annexion Bosniens hatte Österreich-Ungarn den Sandschak von Novibazar geräumt. ' Das Datum muß richtig 10. Jänner 1909 lauten. 12
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doch ein kluger Mann gewesen, habe uns südlich von Bosnien Rechte gesichert, und die seien jetzt ohne Not preisgegeben worden. Er selbst (Beck) habe in Denkschriften auf die Wichtigkeit des Sandschak als Durchgangswehr hingewiesen. Jetzt gehe man nach anderen Grundsätzen vor, denn er sei eben ein abgesetzter Generalstabschef. Wittek stimmt ihm lebhaft bei und weist darauf hin, daß die von ihm mit Mühe durchgesetzte Bahn von Uvac wertlos geworden sei15. Und sie sei auch der Anlaß der ersten gegen ihn gerichteten Angriffe gewesen. Beck fahrt fort und erzählt, vor dem japanischen Kriege sei Kuropatkin bei ihm gewesen und hätte ihn um seine Ansichten über das Balkanproblem gefragt. Er antwortete: Wenn man von Vidin ein Perpendikel gegen das ägäische Meer hinabfallen läßt, dann ist östlich die russische, westlich die österreichische Interessensphäre. Oder habt ihr im Westen handelspolitische Interessen? Nein, erwiderte Kuropatkin. Oder wollt ihr euch der kleinen Staaten annehmen? Nein, war die Antwort, es ist schade um jeden Kreuzer, den wir für sie ausgeben16. Nun, fuhr Beck fort, wir hegen nicht etwa die Absicht auf Gebietserweiterung, aber wollen unsere handelspolitische Überlegenheit in jenen Ländern festhalten.
13. Jänner 1909 Tagebuch Besuch bei Georgevic. Gespräch über ein trialistisches Österreich und das Verhältnis Serbiens zu einem solchen Gebilde.
16. Jänner [1909] Tagebuch Gesellschaft bei mir. Georgevic, Plener, Woinovich, Th. Gomperz, Schenk, Ρ Hammerschlag, Hainisch. Die beiden Serben Woinovich und Georgevic sprechen sich sehr gut. Ein interessanter, lebendiger Abend. 15
16
Der Bau der 1906 eröffneten bosnischen Ostbahn von Sarajewo nach Vardiste an der serbischen Grenze bzw. nach Uvac an der Grenze zum Sandschak war 1900 unter Eisenbahnminister Heinrich von Wittek beschlossen worden. Uvac hätte der Ausgangspunkt fur den Anschluß des bosnischen an das türkische Bahnnetz bilden sollen, den Außenminister Aehrenthal 1907/08 betrieb. Vgl. Solomon Wank, Aehrenthal and the Sanjak Novibazar Railroad. A Reappraisal; in: Slavonic and East European Review 42 (1964) 353-369. Dieses Gespräch zwischen den beiden Generalstabschefs ist wörtlich wiedergegeben in Friedjungs Aufsatz Österreich-Ungarn und Rußland; in: Österreichische Rundschau 21 (Oktober-Dezember 1909) 3.
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Josef Maria Baernreither, Mitglied des Herrenhauses
Josef Maria Baernreither
21. Jänner [1909] Mittag Tagebuch
Baernreither bei mir. Mitteilungen Baernreithers über eine Aktion des böhmischen Großgrundbesitzes zur Lösung der böhmischen Wirren. Baernreither verfolgt den Gedanken: Entlastung des Ministeriums des Innern durch Zuschiebung mancher Agenden an die Statthalterei in Prag, Entlastung der Statthalterei durch Bildung national abgegrenzter Kreise. Er sprach mit Franz Thun darüber, dessen Einwendungen und Gesichtspunkte er auf dessen Wunsch formuliert. Clam-Martinic hörte Baernreither an, ohne aus seiner Reserve herauszutreten; doch meinte er, er werde nicht soweit gehen wie Baernreither. Dieser faßt diese Äußerung so, daß Clam wenig geneigt ist, die Zentralisation zu lockern. Ist das aber auch so? warf ich ein. Baernreither sieht sich in dieser Auffassung bestärkt, da Clam ihm trocken einmal sagte: „Mein Vater und mein Onkel standen auf einer unrichtigen Plattform." Da ich nun über den Grafen Heinrich Clam sen. Auskunft nötig habe für den zweiten Band, komme ich mit Baernreither überein, daß ich an ihn einen Brief schreiben will, in dem ich ihn frage, ob ich mich an Clam wenden soll. Dieser Brief geht am 25. Jänner an Baernreither ab17. Mitteilungen Baernreithers über sein Gespräch mit Aehrenthal und Schönaich. Als Baernreither jüngst bei Aehrenthal war, wurde Schönaich gemeldet, der auch eintrat. Aus dem Gespräch entnahm Baernreither, daß Aehrenthal und Schönaich über die an Ungarn zu machenden Konzessionen einverstanden seien. Dagegen der Thronfolger, der wie Schönaich lachend sagte, auch ihn zu den „vertrottelten Generälen" rechnet. Schönaich beruft sich auf Uexkuell, der mit ihm einverstanden sei. Auch Uexkuell habe, so sagt Schönaich, zu den „Reichspostgenerälen" gezählt (das heißt zu den Generälen nach dem Sinne der Reichspost18), aber in Ungarn sei er zur Erkenntnis der Notwendigkeit gewisser nationaler Zugeständnisse gekommen .
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Vgl. dazu die Antwort Graf Heinrich Clam-Martinic' vom 14. 2. 1909 (WStLB INr. 163.347) auf ein Schreiben Friedjungs vom 3. 2. 1909, in dem er um Auskünfte über die Politik von 1859 und 1860 ersuchte. Die christlichsoziale Reichspost vertrat in Armeefragen den ungarfeindlichen Standpunkt des Thronfolgers. General der Kavallerie Graf Alexander Uexkuell-Gyllenband, seit 1. 11. 1908 pensioniert, war unter anderem kommandierender General in Kaschau (Kassa, Kosice) und Budapest.
22. Jänner 1909
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Freiherr Alois Lexa von Aehrenthal, Außenminister 22. Jänner 1908" К 4, U Notizen und Druckunterlagen zur Persönlichkeitsgeschichte Aehrenthals Er lädt mich ein, um mit mir über die Sendung des Kraus nach Saloniki zu sprechen20. Aehrenthal liest mir den für Kraus ehrenvollen Bericht Rappaports vor, in dem dessen Bemühungen Anerkennung gezollt wird. Rappaport frägt auf Anregung Kraus', ob nicht durch die Wiener Israeliten auf die Juden Salonikis gewirkt werden könne, diese unterstützen die Schulen und Wohltätigkeitsanstalten in der Stadt und könnten ihren Einfluß zur Bekämpfung des Boykotts anwenden. Ich setze Aehrenthal auseinander, daß dies nicht möglich wäre. Denn die jüdischen Oberhäupter in Wien müßten auf die Lage der Juden in Saloniki Rücksicht nehmen und dürften nichts unternehmen, wodurch der Fanatismus der Jungtürken wachgerufen würde. Ein Pogrom, der entstehen könnte, wenn die Juden sich aus eigener Initiative von dem Boykott lossagten, wäre leicht entfesselt, und dieser schlimmen Möglichkeit wollen die Juden Wiens natürlich nicht den Weg ebnen. Daher ist die Drohung der Entziehung der Beiträge zu den Schulen und Wohltätigkeitsanstalten in Saloniki nicht statthaft. Außerdem kommen diese Gelder in erster Linie aus Deutschland und Frankreich, wohl kaum viel aus Osterreich. Aehrenthal sieht das vollständig ein und verspricht mir dann, an Dr. Alfred Stern ein Schreiben zu richten, in dem er ihm für seine Bemühungen dankt und ihn bittet, sie fortzusetzen. Aehrenthal war sehr beschäftigt. Er empfing mich nach der Konferenz, die er mit Pogatscher, Müller, Macchio und anderen gepflogen hatte, um die Antwort auf die Note der Pforte festzustellen, in der diese den Vertragsentwurf mit Österreich-Ungarn einsendete 21 . Er bespricht die türkische Note mit mir. Er liest mir die Hauptstelle vor, in der nämlich die Türkei die Souveränität des Kaisers anerkennt. Dies geschieht nicht direkt, aber doch ausreichend, und zwar in der Form, daß die Türkei ihre Zustimmung zu der Lösung des Vertrages von 1879 gibt, den Österreich-Ungarn gekündigt hat, und zugleich zu den Schritten, die Österreich-Ungarn im Zusammenhang damit unternahm. Von einem Verzicht auf das albanische Protektorat ist in den Vorschlägen nicht die Rede. Bei den vorhergehenden Verhandlungen berührte die Pforte diesen Gegenstand, und Aehrenthal erklärte sich bereit, 20
Vgl. zum Versuch, die jüdische Gemeinde Salonikis für eine Aktion gegen den türkischen Boykott österreichischer und ungarischer Waren zu gewinnen, S. 162 und 173. 21 Vgl. zu den Verhandlungen, die zur Einigung mit dem Protokoll vom 26. 2. 1909 führten, Diplomatische Aktenstücke betreffend Bosnien und die Herzegowina 1908 bis 1909, hrsg. vom к. u. k. Ministerium des Äußern (Wien 1909). " Das Datum muß richtig 22. Jänner 1909 lauten.
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Ernest von Koerber
näher auf die Angelegenheit einzugehen. Da aber scheint man sich in Konstantinopel erinnert zu haben, daß die Pforte dieses Protektorat nie anerkannt hat, und deshalb, wahrscheinlich um kein Präjudiz zu schaffen, kam man nicht mehr auf den Gegenstand zurück. Bezüglich der Zahlung der 56 Millionen Kronen22 erklärt Aehrenthal: Es wäre ein Wahnsinn, diese Schuld Bosnien aufzubürden. Dazu werden die Zentralaktiva verwendet werden, und das übrige wird nach dem Quotenschlüssel auf Osterreich und Ungarn aufgeteilt werden. Bezüglich der Bank: Ja es ist wahr, daß der Kaiser sich den Ungarn gegenüber für die Bankgemeinschaft einsetzte23. Als ich aber fragte, wie es komme, daß der Kaiser bezüglich der Konzessionen in Armeeangelegenheiten nachgiebig sei24, hier aber fest, sagte Aehrenthal: „Das ist sehr einfach, weil der Kaiser eben der Ansicht ist, daß die beabsichtigten Konzessionen die Einheit der Armee nicht in Frage stellen." Ich erwähnte die Korrespondenz Steeds in der Times, in der [er] mich den Berater Aehrenthals nannte26, und bat ihn, überzeugt zu sein, daß diese falsche Darstellung nicht auf mich zurückzuführen sei. Die Antwort Aehrenthals war herzlich und zufriedenstellend. „Das ist mir nicht eingefallen. Es ist begreiflich, daß man weiß, daß Sie öfters zu mir kommen. Ebenso liegt es in der Natur der Sache, daß Sie sich in Gesprächen über die äußere Politk hin und wieder auf meine Äußerungen beziehen. Aber ich bin Ihrer Diskretion ganz sicher. Ich werde immer gerne mit Ihnen die Dinge besprechen. Telephonieren Sie mir, wenn Sie mir etwas zu sagen haben, und ich werde Sie dann gewiß für denselben oder den nächsten Tag einladen."
Ernest von Koerber, Mitglied des Herrenhauses
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Wichtige Mitteilungen über Kaiser Franz Joseph. Der Kaiser ist gegen die Deutschen Österreichs lebhaft eingenommen. Er findet, daß sie es waren, 22 23
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Bereits am 9. 1. 1909 einigte man sich auf die Zahlung von 56 Millionen Kronen an die Türkei als Entschädigung für den staatlichen Besitz in Bosnien und der Herzegowina. Der ungarische Vorschlag eines Bankkartells, in dem zwei formell getrennte Notenbanken engstens zusammenarbeiten sollten, wurde am 31. 1. 1909 von Ministerpräsident Sändor Wekerle vorgelegt. Er wurde jedoch sowohl von den österreichischen Stellen, die an der gemeinsamen Bank festhielten, als auch von der ungarischen Unabhängigkeitspartei, der der Plan nicht weit genug ging, abgelehnt. Im Zuge der Annexionskrise wurden von ungarischer Seite die Forderungen nach ungarischer Kommandosprache und nationalen Abzeichen in der gemeinsamen Armee erneuert, eine Einigung kam jedoch nicht zustande. Times, 8. 1. 1909, 4, Austria and Great Britain. Press Accusations. From Our Own Correspondent. Darin heißt es, Friedjung ist ein „brilliant and lucid historical writer" und „reputed to be the confidential advisor of Baron von Aehrenthal."
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die ihm immer die größten Schwierigkeiten machten. Die „Wacht am Rhein" 26 , die Los-von-Rom-Bewegung27 sind ihm ein Greuel. Jede nationale Unruhe bei den Deutschen erweckt ihm tiefes Mißbehagen. Wenn dagegen in Prag und Laibach Tumulte und Ausschreitungen stattfinden, geht er achselzuckend darüber hinweg. Es ist ihm vollständig gleichgültig, wenn in Prag ein Kampf gegen deutsche Firmentafeln geführt wird. Dagegen ist ihm der Bummel der deutschen Studenten in Prag in tiefer Seele verhaßt. „Müssen diese Buben eine ganze Provinz in Unruhe versetzen?" ist ein Ausruf, den ich selbst von ihm gehört habe. Diese Stimmung macht sich bei den Empfangen deutlich, so beim Empfang der Delegationen. Er schleicht nur so zu den Deutschen hin und spricht mit ihnen, weil er muß; es ist ein ganz anderer Ton, wenn er mit Tschechen und Polen spricht. Und was hat ihm denn ein Mann etwa wie Dobernig getan? Diese Stimmung bezieht sich sogar auf die deutschen Regimenter. Es ist ihm weniger angenehm, ein deutsches Regiment zu inspizieren als ein polnisches und tschechisches, einer slawischen Brigade wendet er sich mit größerem Behagen zu. Das war es auch, was er gegen mich einzuwenden hatte. Gegen Ende meines Ministeriums äußerte er sich einmal gegenüber einer anderen Persönlichkeit: „Koerber ist zu schroff gegen die Tschechen." Als ich nun bemerkte, ob diese Haltung aus Mißtrauen gegen die Deutschen entspringe, erwiderte Koerber nach einigem Überlegen: „Nicht eigentlich Mißtrauen hegt der Kaiser, aber die Deutschen sind ihm unbequem-, sie haben ihm ebenso aus nationalen Ursachen wie um des Liberalismus willen Schwierigkeiten gemacht, man muß nur an ihre konfessionelle Politik denken." Unbequem? fragte ich. Nun ist es doch viermal notwendig geworden, über Prag den Ausnahmezustand zu verhängen, nie aber über einen deutschen Bezirk. Man muß nur an die schmachvollen Szenen vom 2. Dezember 1909 [sie!]28 denken. „Ja gewiß", war die Antwort Koerbers, „darüber geht der Kaiser doch früher oder später hinweg, während er die Opposition der Deutschen niemals verwinden kann. Ich habe ihm eindringlich über die Stellung der Deutschen gesprochen und die Unterscheidung zwischen dem Deutschtum in concreto und in abstracto gemacht. Alles Widrige zugegeben legte ich ihm dar, daß einzig und allein die Unzufriedenheit der Deutschen dem Staate wirklich gefahrlich sein könnte. Wohl würden sich der Kaiser 26
Ein Kampfmittel der Deutschen, vor allem im böhmischen Landtag, w a r das Absingen der „Wacht am Rhein", was fast immer zu Tumulten und Schließung der Sitzungen führte.
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Mit dem seit 1897 als Kampfparole vom Alldeutschen Verband ausgegebenen „Los von Rom" wurde der Übertritt zum Protestantismus als Bekenntnis zum Deutschtum gefordert. Von 1898 bis 1918 konvertierten darauf ca. 95.000 Österreicher zum Protestantismus.
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A m 2. 12. 1908, dem T a g des 60-jährigen Regierungsjubiläums des Kaisers, wurde über P r a g das Standrecht verhängt.
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von Deutschland und seine Regierung ablehnend verhalten, aber das Volk, die Professoren, die Studenten im deutschen Reich würden schließlich doch die Regierung zum Schutz der Deutschen Österreichs bestimmen. Von diesem Standpunkte sei es verhältnismäßig gleichgültig, ob Tschechen und Slowenen sich zu einer Auflehnung fortreißen lassen, das könne keine Folgen haben. Oft setzte ich dies auseinander, der Kaiser hörte mich ruhig an, aber ich glaube nicht, daß ich damit eine Wirkung erzielt habe." Als ich nun fragte, ob dem Ganzen nur eine Stimmung zugrunde liege, sondern [sie!] eine Art von System, sagte Koerber: „Nur eine Stimmung, denn eine Vorstellung von einer Umgestaltung des Reiches im slawischen Sinne hege der Kaiser nicht." „Es liegt aber doch eine Methode darin, bemerkte ich. Es muß das Jahr 1866 und dann der Ubergang des deutschen Kaiserthrons auf die Hohenzollern auf ihn eine Wirkung geübt haben." Koerber meinte: „Das wird wohl der Fall sein. Aber gesetzt den Fall, daß die Deutschen Österreichs nach 1870 eine gemäßigte, praktische Politik betrieben, in den Heeresfragen keine Opposition gemacht hätten, so würde diese Empfindung keine Wirkung geübt haben. Würde in Deutschböhmen etwa die Gesinnung der Tiroler Bauern geherrscht haben, so hätte er sich nie von den Deutschen abgewendet." Darauf ich: „Das ist gewiß richtig. Daß aber 1871 der Eindruck der Kaiserkrönung von Versailles es war, wodurch die Einsetzung des Kabinetts Hohenwart und das königliche Reskript vom September 1871 bedingt wurden29, ist eine verbürgte Tatsache. Überhaupt wäre die ganze Epoche von 1879 bis 1897 nicht zu erklären, wenn man nicht den Willen der Krone in Anschlag bringt, mit den Slawen und mit den Magyaren zu regieren." Koerber ging auf diesen allgemeinen Gesichtspunkt nicht ein, wie es überhaupt nicht seine Sache ist, die Entwicklung generell zu fassen. Er geht stets vom Einzelnen, von der Erfahrung aus und zieht daraus Schlüsse auf die Gegenwart. Und auch hier wieder nur zu dem praktischen Zwecke; es liegt ihm nicht, zu Lehrmeinungen aufzusteigen, die Allgemeingültigkeit beanspruchen. Das Einzelne ist seine Stärke, er läßt sich auf mehr nicht ein. So wenigstens im Gespräche, während er in seinen Reden prunkende Sentenzen liebt, mit denen aber eigentlich wieder nur eine Verbrämung beabsichtigt ist. So auch in diesem Gespräch. Es geht daraus hervor, daß der Kaiser doch im Ganzen nur von Stimmungen, nicht von festen Auffassungen getragen ist. Aber diese antideutsche Stimmung des Kaisers wurzelt tief, und Koerber bestätigt, was ich bezüglich Böhmens sagte: Dem Kaiser wäre es gewiß lieber, wenn daselbst nur Tschechen wohnten. Welch' eine große Lehre
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Das kaiserliche Reskript an den böhmischen Landtag vom 12. 9. 1871 kündigte die Neuregelung der Beziehungen Böhmens zum Gesamtstaat an und galt allgemein als indirekte Anerkennung der Idee des böhmischen Staatsrechts.
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für die Deutschen! Sie werden sich auch in Zukunft nur durch eigene Kraft behaupten können und nie auf eine Unterstützung der Krone rechnen können. Es drängt sich aber der Gedanke auf, daß in dieser Grundstimmung des Kaisers auch die Ursache liegt, daß die Hofminister katexochem wie Taaffe, Gautsch, Beck doch immer mehr Rücksicht auf die Slawen nahmen. Sie alle - man denke nur an die Verteilung der Stimmen im Abgeordnetenhause auf Grund des Gautsch'schen Wahlreformentwurfes30 - wirkten mit größerer oder geringerer Bestimmtheit im Sinne der Nachsicht und des Entgegenkommens an die tschechischen Forderungen. Koerber kam dann auf die Empfindungen des Hofes gegenüber dem deutschen Reiche zu sprechen. Der Kaiser hegte nicht bloß zur Zeit Bismarcks, sondern auch die nächsten Jahre, da die Autorität des deutschen Reiches noch unerschüttert war, eine gewiße Eifersucht auf diese überragende Macht. Als dann der Einfluß Deutschlands zurückging, hätte er oft über Kaiser Wilhelm spotten [hören], offenbar spielt eine gewisse "stille Freude8 mit, nicht mehr überschattet zu werden. Merkwürdig war ein persönliches Erlebnis: „Einmal nach einem Hofdiner sprach der Kaiser mit zwei Geheimräten, dann ging er mit seinem langen Schritt auf mich zu und sagte mit einer gewissen Ironie: Sie werden einen interessanten Brief unseres Militärattaches in Berlin über ein Gespräch mit Kaiser Wilhelm erhalten." Dieser Bericht nun, von dem ich eine Abschrift genommen habe, bevor ich ihn zurückgab, erzählte von den schmeichelhaften Äußerungen Kaiser Wilhelms [über] mich. Nun habe der Kaiser von Österreich einen Ministerpräsidenten, auf den er sich verlassen könne, einen Mann, der den Mut besitze, den Tschechen entgegenzutreten. Diese Äußerungen Kaiser Wilhelms nun machten auf Kaiser Franz Joseph sichtlich einen unangenehmen Eindruck. Dies zeigte sich darin, daß er mich immer wieder, vielleicht durch ein halbes Jahr, mit der Zufriedenheit Kaiser Wilhelms ironisierte [sie!], etwa so: Nun, jetzt wird er sich in seiner guten Meinung über Sie wieder bestärkt sehen! und so weiter. Dann ging Koerber auf das Verhältnis des Kaisers zu seinen Ministern über. Ich kann mir nicht denken, daß der Kaiser in seinen jüngeren Jahren weniger dem Rate und der Überredung duch seine Minister zugänglich war wie zu meiner Zeit. Er war wohl auch von ihnen „in den Sack zu stecken". Ich wenigstens drang mit meinen Vorschlägen immer durch. Allerdings befolgte ich die Methode, ihm immer mit fertigen Anträgen zu kommen; nie habe ich wie etwa Fürst Windischgraetz die Anfrage gestellt, was die Meinung und der Befehl Seiner Majestät sei. Der Kaiser ging immer auf meine natürlich ehrerbietigst vorgebrachten Vorschläge ein, halb scherzhaft sagte 30
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Am 23. 2. 1906 waren die Vorlagen zur Einfuhrung des allgemeinen gleichen Männerwahlrechts im Abgeordnetenhaus eingebracht worden. Sie sahen eine leichte Verschiebung der Sitzverteilung zuungunsten der Deutschen vor. Korrigiert von Schadenfreude.
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er einmal: „Nur die Orden und andere Auszeichnungen müssen Sie mir wohl überlassen." Ich machte nun die Einwendung, daß der Kaiser wohl dem Rate und Drucke seiner Minister folgend gewöhnlich nachgab; indessen bleibe der Stachel zurück, und im entscheidenden Augenblick verliert dann der allzu kühne Minister die Unterstützung des Herrschers. Darauf Koerber: Eine eigentliche Unterstützung wird keinem Minister zu Teil. Ich selbst bin gewiß nicht vom Kaiser in Ungnaden entlassen worden. Denn noch als ich schied, übergab er mir eine wichtige Angelegenheit zur Bearbeitung und forderte von mir einen Bericht darüber ab. Und auch später empfing er mich gnädig, als ich mich meldete. Jeder Minister, das war der Sinn der Entgegnung Koerbers, müsse sich doch selbst helfen. Indessen, so stellte ich fest, ist doch Taaffe immer, besonders in den ersten schweren Zeiten, vom Kaiser gehalten worden, er wäre sonst seinen zahlreichen Gegnern erlegen. Dieses Gespräch gewährte mir tieferen Einblick in die politische Empfindungswelt des Kaisers als je eines, das ich sonst mit einem seiner Minister geführt habe. Noch eine kleine Bemerkung Koerbers wäre nachzutragen, die zeigt, daß auch wichtige persönliche Eindrücke von ihm abgleiten. Als der König Albert von Sachsen, sein Freund, starb31, wagte weder Graf Paar noch jemand aus der Umgebung des Kaisers, ihn zu kondolieren, sie fürchteten, eine Wunde zu berühren. Als ich eintrat und einige Worte darüber sprach, sagte der Kaiser nichts wie die Worte: „Ja, ich habe die Todesnachricht erhalten", und ging gleich zu den Geschäften über.
25. Jänner 1909 Tagebuch Gespräch mit Jettel "und Georgevic®. Die Antwort auf die türkische Note muß nach der Beratung im Ministerium des Äußern an die Ministerien von Österreich und Ungarn gehen, weil der Vertrag zuletzt den Parlamenten vorgelegt werden muß32. Die Ministerien müssen wissen, wofür sie die Verantwortung übernehmen. Daher geht die österreichische Proposition erst Ende der Woche an die Türkei ab. Bezüglich Serbiens machte Aehrenthal Jettel gegenüber eine wichtige Mitteilung. Sobald Österreich-Ungarn mit der Türkei im Reinen ist, gedenkt Aehrenthal die serbische Angelegenheit ernsthaft in die Hand zu nehmen. Man wird dann an Serbien mit der Aufforderung herantreten, sich zu erklären, ob es seine Kriegsrüstungen fortKönig Albert von Sachsen war am 19. 6. 1902 gestorben. Vgl. zu den Verhandlungen, die zur Einigung mit dem Protokoll vom 26. 2. 1909 führten, Diplomatische Aktenstücke betreffend Bosnien und die Herzegowina 1908 bis 1909, hrsg. vom к. u. k. Ministerium des Äußern (Wien 1909). a"° Mit Bleistift ergänzt und wieder gestrichen. 31 32
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setzen will. Denn ewig können wir in Bosnien nicht auf dem qui vive? stehen. Das ist eine ernste Absicht. Georgevic bei mir. Er ist sich trotz seiner Klugheit noch nicht klar darüber, daß Österreich-Ungarn keinen Teil der von Serbien verlangten Landstreifen abtreten wird. Ich setze ihm auseinander, daß selbst Kramär als Minister nicht dafür eintreten werde. Georgevic will nach Berlin gehen und hier zwei Vorträge über Serbien halten. Ich verspreche ihm, darüber an Bachmann und Rotheit empfehlend zu schreiben, was auch am selben Tag geschehen ist. Doch das ist Nebensache. Wichtiger ist, daß er sich an mich wendet, damit ich zwischen ihm und dem Ministerium des Äußern eine Verbindung herstelle. Es stehe in seiner Macht, die konservativen Elemente in Serbien um sich zu scharen; er sei dazu schon oft aufgefordert worden. Als ich ihm sage, das sei wünschenswert, weil Österreich-Ungarn im Falle eines Krieges das Haus Karageorgevic nicht länger8 auf dem Throne lassen werde, horcht er doch auf und fragt, wer denn als Thronkandidat in Aussicht genommen sei. Wahrheitsgemäß sage ich ihm, ich wüßte das nicht, ich persönlich sei für die Einsetzung eines deutschen Fürstenhauses wie in Rumänien und Bulgarien. Er wird disinquieriert, er müsse Einblick haben, sonst könne er jene konservative und österreichisch-freundliche Partei nicht ralliieren. Ob ein Hohenzoller in Aussicht genommen sei? Auf all' dies konnte ich Georgevic keine Antwort geben, nur meinte ich, ein Hohenzoller sei so gut ausgeschlossen wie ein Habsburger, schon mit Rücksicht auf Frankreich, England, Rußland. Nun rückt Georgevic mit seinem Anliegen heraus. Er will ein großes konservatives Blatt in Belgrad gründen und fragt mich, ob die österreichische Regierung 100.000 francs dafür widmen wolle. Seine Freunde seien zuerst Vukasin Petrovic, sein Ministerkollege, dann Männer, die jetzt unterdessen in der Fortschrittspartei einen Unterschlopf gefunden haben. Ich sagte ihm zu, zu sondieren, ob hierzu in Wien Geneigtheit bestünde. Doch ließ ich kein Wort darüber fallen, daß ich mich direkt an Aehrenthal wenden wolle33. Er will für 8-14 Tage nach Berlin gehen. Dann werde ich ihm mündlich mitteilen, welche Absichten man im Ministerium des Äußern bezüglich des Projektes hege.
Graf Karl von Kageneck, deutscher Militärattache in Wien
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Feier des 50. Geburtstages Kaiser Wilhelms. Gespräch mit Graf Kageneck. Ich finde ihn ebenso lebhaft angeregt und nach verschiedenen Richtungen 33
Vgl. S. 191 f. und Aus dem Nachlaß Aehrenthal, Teil 2 647-648. " Ergänzung mit Bleistift.
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Kaiman Kania de Känya
auslugend wie früher, auch ebenso unsicher. Er ist naturgemäß durch die Mitteilungen im österreichischen Generalstab impressioniert, wo er verkehrt. Danach mutet er Österreich-Ungarn mehr kriegerische Absichten zu, als sie bestehen. Auf der anderen Seite befürchtet er immer noch, der Kaiser könnte Aehrenthal fallen lassen. Es bestehe eine Strömung in hohen Kreisen dahingehend; Iswolski und Aehrenthal sollen beide fallen, damit Freundschaft mit Rußland geschlossen und das Drei-Kaiser-Bündnis wiederhergestellt werden könne. Wer weiß, ob Kaiser Franz Joseph nicht diesen Ratschlägen folgen werde? Woher sie kämen, sagte mir Kageneck nicht. Er wiederholt nur bestimmter, was ich schon das frühere Mal von ihm erfuhr: Der Kaiser hat dem Vorschlag des Generalstabschefs, die Ersatzreserve für das 15. Korps einzuberufen, nur zögernd nachgegeben34; er war, als im November und Dezember die Schwierigkeiten wuchsen, schon unsicher geworden und habe die Frage aufgeworfen, ob es denn der Mühe wert wäre, solche Gefahren heraufzubeschwören? Indem ich Kageneck über manche Verhältnisse unterrichte, suche ich ihm die Befürchtung zu nehmen, daß Kaiser Franz Joseph sich so tief demütigen werde, um Aehrenthal zu entlassen und England zu Liebe einzulenken.
ΚάΙτηάη Kania de Кйпуа, stellvertretender Bureaus des Außenministeriums
Leiter des Literarischen 28. Jänner 1909 Tagebuch
Gespräch mit Kania. Wichtige Mitteilungen. Im Dezember 1907 traf ein Schreiben Iswolskis in Wien ein, in dem er erklärte: Infolge der Ereignisse in Ostasien fühle sich Rußland bestimmt, sich wieder aktiver mit dem Balkan zu beschäftigen; Rußland habe die Absicht, die Dardanellenfrage aufzurollen35. Darauf erwiderte Aehrenthal in glücklicher Inspiration: Dagegen hätte Österreich-Ungarn nichts einzuwenden, aber es wolle zu gleicher Zeit seine Souveränität über Bosnien aussprechen. Dieser Briefwechsel fand vor der Sandschakbahn-Angelegenheit statt 36 . Nun verstehe ich doppelt, weshalb Iswolski so wütend über Aehrenthals Vorgehen war, das Abkommen Österreich-Ungarns mit der Türkei fand unmittelbar nach diesen vertraulichen 34 35 36
Vgl. S. 142. Friedjung informierte Außenminister Aehrenthal über diese Äußerungen Graf Kagenecks; vgl. Aus dem Nachlaß Aehrenthal Teil 2, 651. Aufgrund des Dardanellenvertrages von 1841 waren die Meerengen für Kriegsschiffe gesperrt. In der Delegationssession Ende Jänner 1908 hatte Außenminister Aehrenthal das Projekt des Anschlusses des bosnischen an das türkische Bahnnetz angekündigt. Von russischer Seite war dies als Bruch der Vereinbarungen von 1897 bezeichnet worden, in dem eine auf die Erhaltung des Status quo gerichtete Politik vereinbart worden war.
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Erörterungen statt. Als sich dann die Wogen legten, traf im Juni (wenn ich nicht irre, am 19. Juni) eine neue schriftliche Mitteilung aus Petersburg ein37. Sie nahm die Erörterung wieder auf, und es war darin gewissermaßen eine Kompensation festgelegt, und zwar Sandschakbahn mit der Adriabahn38; Bosnien mit den Dardanellen. Also nicht Rußland hatte ÖsterreichUngarn ursprünglich Bosnien angetragen, sondern das Wiener Kabinett erhob den Anspruch, aber Rußland nahm diesen Punkt dann in seinen Vorschlag auf. Iswolski war also gebunden und wurde es noch mehr durch das Protokoll oder aide memoire in Buchlau39. Der Grund, weshalb er sich in London gegen Österreich-Ungarn einnehmen ließ, war der: Er betrachtet des Bündnis mit England als sein Werk, und als er vor die Wahl gestellt wurde, mit England oder mit Österreich-Ungarn zu gehen, entschied er sich ohne Andenken gegen [sie!] England und wollte sich von den Buchlauer Abmachungen lossagen. Dies äußerte sich besonders in dem Brief des Zaren an den Kaiser in Beantwortung dessen Schreibens40. Er war überaus feindselig gehalten und hielt dem Kaiser Franz Joseph den Bruch des Berliner Vertrages vor. Darauf entwarf Graf Esterhäzy die Antwort, die zwar höflich, aber überaus bestimmt wie sie ist, (nach Kania) ein Meisterstück gewesen [ist]. Darin ist gesagt, daß der Kaiser von Österreich sehr überrascht sei über diese Sprache, da er nach allem, was vorgegangen, eine andere Haltung Rußlands erwarten durfte41. Tatsächlich ist das russische Kabinett seitdem nicht mehr auf die Sache zurückgekommen. Jetzt aber ist jeder offiziöse Verkehr zwischen Österreich und Rußland abgebrochen. Es werden Noten gewechselt, aber außer diesem offiziellen Verkehr findet keine Verbindung statt. Uber die Beziehungen Aehrenthals zu seinen Beamten teilt Kania wenig Erquickliches mit. Er ist heftig und unhöflich, derart, daß es sich jeder überlegt, ihm eine Einwendung zu machen; und so hört Aehrenthal oft nicht die Wahrheit. Känia hat gestern zu Jettel gesagt: Es gebe jetzt einen einzigen Weg, um an Aehrenthal eine abweichende Meinung gelangen zu lassen, und das sei Dr. Friedjung. Zumal gegen Jettel sei Aehrenthal oft recht unangenehm und kanzle ihn herab wie jemand, dem er nicht die Gabe zutraue, ihn zu verstehen. Dabei aber sei die Festigkeit und Kaltblütigkeit Aehrenthals in der äußeren Politik ein Gegenstand seiner (Kanias) Bewunderung. Es liege ein großes Konzept in dem Gedanken, sich den größten Slawenstaat des Balkan, Bulgarien, zu verbinden und zu verpflichten, während man auf die Feindseligkeit Serbiens zu rechnen habe. 37 30
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Vgl. ÖUA Bd. 1, 9-11. Das Projekt einer Verbindungsbahn von Serbien an die Adria unter Umgehung der Monarchie. Am 15. 9. 1908 waren die beiden Außenminister im mährischen Schloß Buchlau zusammengetroffen. Das Protokoll in ÖUA. Bd. 1, 86-92. Vgl. ÖUA Bd. 1, 107-108 und 384. Vgl. ÖUA Bd. 1, 554-556.
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Heinrich von Tschirschky
Bezüglich Montenegros: Kuhn hatte den Auftrag, dem Fürsten Nikolaus zu verstehen zu geben, daß ihm persönlich Vorteile zugewendet werden sollen, falls Montenegro einlenke. Kuhn hatte die Vollmacht, bis 500.000 francs zu gehen. Aber der Fürst lehnte schon die Andeutung so bestimmt ab, daß Kuhn nicht herausrückte. "Fortsetzung des Gesprächs mit Kania. Vor einiger Zeit besprach Call mit Aehrenthal die Aufnahme junger Leute ins Ministerium des Äußern und in die Diplomatie. Als Call nach Direktiven und Wünschen des Ministers fragte, erwiderte dieser: „Nur die Befähigung soll entscheiden, die Diplomatie des Ministeriums des Äußern ist kein Adelskasino."
Heinrich von Tschirschky, deutscher Botschafter in Wien
30. Jänner [1909] Tagebuch
Gespräch mit Tschirschky. Tschirschky sieht es kommen, daß ÖsterreichUngarn mit Serbien ein ernstes Wort sprechen wird. Es ist nicht gerade wahrscheinlich, daß Serbien nachgeben werde, wahrscheinlicher sei ein Krieg. Als ich ihm entwickle, daß Österreich-Ungarn gut täte, zuerst mit Rußland eine Aussprache zu suchen, erklärt Tschirschky das nicht für zweckmäßig. Weshalb sich immer wieder an Rußland zu wenden? Das sei, solange Iswolsky die Geschäfte leite, wertlos. Seiner Ansicht nach wäre es praktischer, wenn sich Österreich-Ungarn an alle Mächte gleichzeitig wendete, ihnen sagte, daß es nach dem Kriege keinen Gebietsvorteil suchen, sondern bloß künftige Provokationen unmöglich machen werde. Dann mit raschen Schlägen vorwärts. Es sei so ziemlich ausgeschlossen, daß sich Rußland oder Italien einmischen werden. Und das Ergebnis? fragte ich, wobei ich die Einverleibung Serbiens ins österreichisch-ungarische Zollgebiet als wünschenswert bezeichnete. Lebhaft stimmte Tschirschky zu, mit mir die Art gesetzlicher Durchführung besprechend. Diesmal sprach Tschirschky zuversichtlich, kräftig mit erfreulicher Elastizität des Tons und der Diskussion. Dann wendet sich das Gespräch dem Verhältnis zu Italien zu. Tschirschky spricht sich warm für eine italienische Rechtsfakultät in Triest aus42. Der letzte tiefere Grund, weshalb man sich dagegen sträube und die Universität in Wien gründen wolle, liege in der Absicht, den Slawen keinen Grund zur Unzufriedenheit zu geben. Man wolle lieber die Deutschen und die Italiener veruneinigen als die Italiener mit den Slawen. Tschirschky gab nicht einmal 42
a
Vgl. zur Frage der Errichtung einer italienischen Universität in Osterreich S. 150 Anm. 171. Der folgende Absatz ist mit 29. Jänner datiert.
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zu, daß die deutschen Studenten Unrecht hätten mit ihrer Opposition gegen eine italienische Fakultät in Wien oder in Innsbruck. Weshalb verüble man gerade ihnen die nationale Gereiztheit? Keiner der früheren deutschen Botschafter in Wien kehrte so bestimmt die Gegnerschaft wider die philotschechische Stimmung in der Wiener Regierung und Hofkreisen her [vor]. Das ist umso bemerkenswerter, als sich Tucher und Rex zu mir mit gleicher tiefer Besorgnis über die Begünstigung des Tschechentums äußern. Fortsetzung des Gesprächs mit Tschirschky. Tschirschky erzählt unter anderem: Mit Iswolski ist überhaupt nicht mehr zu verkehren. Man fand jedoch einen Weg zum Zaren, um ihm darzulegen, daß Iswolski ihm nicht wahrheitsgemäß über Osterreich und Deutschland berichtet. Darüber war Iswolski so böse, daß er nach Wien erklären ließ, er werde fortan nur offiziell, durch Noten etc., aber nicht mehr offiziös verkehren. Das war ein Ausfluß seiner schlechten Laune. Hinzuzufügen ist, daß Aehrenthal am Tage darauf mir lächelnd erzählte, der russische Geschäftsträger sei bei ihm gewesen, um seine Unterstützung für den russischen Vorschlag bezüglich der türkisch-bulgarischen Differenz zu erwirken. Also ist der offiziöse Verkehr auch von Iswolski wieder aufgenommen. Das wichtigste politische Ergebnis dieses Gesprächs ist, daß Tschirschky mit Sicherheit annimmt, daß Osterreich in Serbien werde zuschlagen können, ohne daß sich Rußland einmischt.
Freiherr Alois Lexa von Aehrenthal, Außenminister 31. Jänner 1909 К 4, U Notizen und Druckunterlagen zur Persönlichkeitsgeschichte Aehrenthals Ich hatte Aehrenthal am 26. einen Brief geschrieben, in dem ich ihm das Anliegen Georgevic' vorstellte43. Er lädt mich für den 31. Jänner ein. Bezüglich Georgevic: Er habe in früheren Jahren von Österreich ein Jahrgehalt bekommen; da er aber nichts leistete, wohl auch nichts leisten konnte, hat Aehrenthal den Gehalt gestrichen. Der Minister ist aber bereit, mit ihm wieder anzuknüpfen, da im Falle von Krieg und Revolution ein Mann wie er wohl verwendbar sei. Indessen sei für die Gründung eines Blattes in Belgrad nicht der richtige Augenblick. Dafür sei er nicht, wohl aber dafür, daß Georgevic in französischen, englischen, deutschen Zeitungen in österreichfreundlichem Sinne schreibe. 43
Der mit 25., nicht 26. 1. 1909 datierte Brief in Aus dem Nachlaß Aehrenthal Teil 2, 647-648. Allerdings schrieb Friedjung den Brieflaut einer Tagebucheintragung tatsächlich am 26. 1. 1909. Vgl. zum Plan des früheren serbischen Ministerpräsidenten Viadan Georgevic, eine österreichfreundliche Zeitung in Belgrad zu gründen, S. 186 f.
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Freiherr Alois Lexa von Aehrenthal
Aehrenthal spricht sich sodann auf meine Fragen und Bemerkungen offen über seine Absichten bezüglich Serbiens aus. Ja, er wolle, sobald die austrotürkische und die bulgarisch-türkische Verständigung erzielt sei, an Serbien mit einer kräftigen Aufforderung herantreten. Ja, es sei seine Absicht, den Sturz des Hauses Karageorgevic herbeizuführen. Endlich, auch in seinem Plane liege die Einsetzung eines Königs aus einem deutschen Fürstenhaus. Ob sich nicht ein Cumberland empfehle, fragte ich, da es ein englisch-deutscher Prinz sei. Aehrenthal stimmt nicht bei, aber er sagt geradezu, er habe bereits einen bestimmten Kandidaten ins Auge gefaßt. Ein Katholik dürfe es nicht sein, in Rumänien und in Bulgarien herrschen bereits katholische Fürsten, und „das ist genug Belastung für die ohnedies betrübte Orthodoxie". Auffallend sei, daß der Name des Herzogs von Connaught immer auftauche. Das sei eine Folge der Agitation Englands, das seit der Wiederkehr des englischen Gesandten nach dem Königsmord44 Belgrad als Ausgangspunkt für seine Intrigen gemacht habe. Ich frage ihn dann über die Gründe, weshalb man nicht die Gründung einer italienischen Rechtsfakultät in Triest ins Auge fasse, und sie nach Wien setzen wolle45. Er gibt mir eine ausführliche Begründung seines Standpunkts. Er sei auch für diesen Gedanken eingenommen gewesen, aber alle Faktoren, der Statthalter von Triest, Ministerpräsident Bienerth, der Thronfolger, die Militärs sind durchaus gegen Triest. Der Statthalter Prinz Hohenlohe war früher dafür, aber in einem kürzlichen Gespräch mit Aehrenthal fand er dies untunlich, seitdem die italienischen Studenten in Wien mit Revolvern ihren Anspruch verfochten hatten. Wenn die Fakultät jetzt in Triest errichtet werde, so werde sie unter den Zeichen eröffnet werden: „Seht, man muß Österreich mit Revolvern und mit Messern kommen, um etwas zu erreichen." Und damit würden auch die italienischen Elemente in Triest zu den Irredentisten hinübergedrängt werden, auf die er noch rechnen könne. Ministerpräsident Bienerth habe ihm ausdrücklich gesagt, er könne die Fakultät in Triest nicht im Parlament durchbringen, schon im Hinblick auf die bestimmte Opposition der Christlichsozialen. Es sei nicht daran zu denken, daß dieser Widerstand überwunden werden könne, denn der Thronfolger denke ebenso, und die Christlichsozialen folgten jedem von ihm gegebenen Anstoß. Bienerth aber sei eben aus diesem Kreise hervorgegangen, und da ihm die parlamentarische Inszenierung zufalle, so sei seine Ansicht wichtig. Wenn nun Aehrenthal auch mit Rücksicht auf die äußere Politik für Triest eingenommen ist, so habe [er] es für untun44
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Die Ermordung des serbischen Königspaares am 11. 6. 1903 im Zuge eines Militärputsches und die darauffolgende Einsetzung von Peter Karageorgevic als König. Vgl. zur Frage der Errichtung einer italienischen Universität in Osterreich S. 150 Anm. 171.
31. Jänner 1909
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lieh gehalten, sich allen diesen vereinigten Widerständen zum Trotz dafür einzusetzen. Außerdem müsse alles vermieden werden, was den Schein erwecken könne, als ob man einer Pression von außen folge. Das könnte sonst üble Konsequenzen haben. Nicht wegen Deutschland, von dem keine Einmischung zu besorgen sei. Aber Rumänien werde sich dann bald zu Wort melden. Tittoni benehme sich jetzt in der Angelegenheit nicht loyal. Er gebe sich den Anschein, als ob Aehrenthal ihm bezüglich des Standortes der Fakultät eine Zusage gemacht habe, und als ob er sich getäuscht glaube. Das sei aber absolut nicht der Fall. Tittoni habe das Gespräch öfters auf den Ort der Fakultät bringen wollen, Aehrenthal habe [sie!] dem immer ausgewichen. Anders zu handeln wäre Österreichs unwürdig gewesen. Nun aber wolle Tittoni ihn „handicapieren". Das ist für Aehrenthal ein Grund mehr, sich reserviert zu halten. Seiner Ansicht nach wäre Görz ein besserer Standort als Triest. Die Nähe der Grenze schrecke ihn nicht, und jedenfalls sei ein Hafenplatz an sich nicht zu empfehlen. Also eine juridisch-philosophische Fakultät in Görz oder auch in Trient, daneben werde eine kroatische Fakultät etwa in Zara, schon mit Hinblick auf die Notwendigkeit, für die kroatischen Beamten in Kroatien [sie!] eine Pflanzschule zu schaffen, [notwendig]. Doch ist dieser letztere Plan nur obenhin ein Gedanke, der erst reifen müsse. Bei diesem Anlasse ein Ausfall gegen Baron Beck. Er habe trotz des Drängens Aehrenthals den ganzen Sommer 1908 über nichts in der Sache getan, bis die Revolverszenen in der Wiener Universität erfolgten. „Ihr Freund Beck!" ließ Aehrenthal fallen. Ich lehne lächelnd ab und hebe hervor, daß ich für Koerber sei. Er allein habe in Böhmen Ordnung gehalten, obwohl er Pressefreiheit und Versammlungsrecht respektiert habe wie kein Ministerpräsident sonst. Aehrenthal gibt das zu, fugt aber hinzu: „Leider verstand er es nicht, sich Freunde zu schaffen!" Darauf ich: Wenn er an der Macht sein wird, wird er wieder Freunde haben! Aehrenthal aber replizierte: Um an die Macht zu kommen, muß man Freunde besitzen. Rasch werfe ich noch ein, daß der tschechische Abgeordnete Stränsky sich für Koerber ausgesprochen habe; Kramär zähle nicht mehr viel, so habe Stränsky erklärt.
Angelo Eisner von Eisenhof, Publizist und päpstlicher Geheimkämmerer
31. Jänner [1909] Tagebuch
Eisner von Eisenhof bei mir. Mitteilungen über den Thronfolger, den Eisner persönlich zu kennen behauptet. Er sei Hochtory, eigentlich aristokratisch gesinnt. Die Ursache seiner Feindschaft gegen Baron Beck liegt dar-
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Läjos Szeberenyi
in, daß er das allgemeine Stimmrecht einführte46. Die Verbreiterung des Wahlrechtes hätte er ihm verziehen, nicht aber die Abschaffung der Stimmen der Großgrundbesitzer. Denn der Thronfolger will sich des letzteren bedienen. Am nächsten steht jetzt Franz Thun dem Thronfolger, politischen Einfluß besitzt jedoch nur seine Gemahlin. Sie steht unter der Leitung ihres Beichtvaters, des Jesuitenprovinzials Fischer. Länyi, jetzt Bischof von Großwardein, ebnet dem Thronfolger jetzt die Wege in Ungarn. Der Thronfolger sei gegen die Errichtung einer italienischen Fakultät wo immer47. Denn man dürfe sich nicht durch Revolver, Messer etwas abtrotzen lassen. Es ist mir unIdar, wieweit Eisner aus genauer Kenntnis berichtet. Sein politisches Urteil ist kindlich; was er über Personen sagt, oft gut beobachtet. So zum Beispiel auf meine Frage: Ob nicht der Thronfolger den Christlichsozialen nahestehe. Nein, nur den Klerikalen und dem Adel. Denn ihm sei das Demagogische an den Christlichsozialen unsympathisch.
Läjos Szeberenyi,
Pastor in Foth
1. Februar 1909 Tagebuch
Besuch des protestantischen Pastors in Bekes-Csaba, Szeberenyi48. Er stammt von Slowaken ab, fühlt sich aber als „Ungar". In seiner Gemeinde sind 25.000 Slowaken und 2.000 Deutsche. Von diesen im ungarischen Sprachgebiet versprengten Slowaken hat sich bisher keine nennenswerte Anzahl magyarisiert. Man predigt am Sonntag abwechselnd slowakisch und magyarisch. Szebereny ist ein Gegner des ungarischen Chauvinismus. Diesen betrachtet er als Wurzel allen Übels. Dazu eine namenlose Korruption. Nur eine starke Königsgewalt könne Änderung und Besserung herbeiführen, etwa unter einem Mann wie Fejerväry. In einem seiner agrarsozialen Bücher hat Szeberenyi den in Ungarn oft gehörten Ausspruch zitiert: „Wenn der Deutsche geherrscht hat, war mehr Ordnung im Land, und für den armen Mann war es besser."
46
47 48
Die Wahlreformgesetze, wodurch das allgemeine, gleiche Männerwahlrecht für das Abgeordnetenhaus eingeführt wurde, traten nach der kaiserlichen Sanktion am 26. 1.1907 in Kraft. Vgl. zur Frage der Errichtung einer italienischen Universität in Osterreich S. 150 Anm. 171. Läjos Szeberenyi war Pfarrer in Foth, nicht in Bekes-Csaba.
4. Februar 1909
Graf Karl von Kageneck, deutscher Militärattache in Wien
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2. Februar 1909 Tagebuch
Abends bei Baron Oppenheimer sen. Gespräch mit Graf Kageneck, wobei er wieder seine Besorgnisse äußert, ob Österreich-Ungarn fest bleiben werde. Ich lese ihm in fröhlicher Weinlaune etwas den Text, was er nett und höflich hinnimmt. Dies veranlaßte mich, ihm am nächsten Tage zu schreiben, er möge mir meine Lebhaftigkeit nicht verübeln. In seiner Antwort ist gesagt, daß nichts vorgefallen sei, was mein Schreiben notwendig gemacht hätte.
ΚάΙτηάη Κάηία de Капу α, stellvertretender Bureaus des Außenministeriums
Leiter des Literarischen 4. Februar [1909] Tagebuch
Abends bei Kania. Aehrenthal sagte zu Call, als dieser um eine Weisung bezüglich der Aufnahme von jungen Leuten für den diplomatischen Dienst bittet, und ob der Adel zu begünstigen sei: „Nur die Befähigung soll entscheiden, die Diplomatie ist kein Adelskasino." Grey beklagte sich bei Mensdorff über die Haltung der österreichischen Presse. Als Mensdorff dies nach Wien meldete, wurde ihm eine Sammlung von englischen Zeitungen mit Feindseligkeiten gegen Österreich-Ungarn gesendet, auf daß er sie Grey vorlege. Darauf kam Grey nicht mehr auf die Sache zurück, wohl aber griff er in seiner Rede die österreichische Presse an49. Mensdorff schrieb um diese Zeit an Jettel mit der Bitte, auf die österreichische Presse in friedlichem Sinne einzuwirken. Darauf entwarf Jettel eine Antwort: Er gebe sich ohnehin Mühe in diesem Sinne. Gegen diese Schwächlichkeit protestierte Kania, sodaß Jettel die Antwort änderte. Das war umso notwendiger, als Aehrenthal gerade damals an Mensdorff einen scharfen und rügenden Brief schrieb. Er hält dem Botschafter vor, er solle sich die Politik des Ministers zur Richtschnur machen, denn Mensdorff hatte in seinen Berichten stets von den freundlichen Gesinnungen der englischen Regierung gesprochen und sich ganz im Bannkreise König Edwards verloren. Kaiser Franz Joseph. Wie wenig er Menschen beurteilen kann, zeigte eine Randbemerkung zu einem Berichte Pallavicinis, in der er verfügt, es solle 49
In einer Rede in Coldstream am 22. 1. 1909, in der er die Entspannung zwischen Österreich-Ungarn und der Türkei begrüßte, beschuldigte der britische Außenminister Sir Edward Grey die österreichische Presse, eine entschieden englandfeindliche Linie zu verfolgen, die durch keinerlei Tatsachen gerechtfertigt sei.
Heinrich Tucher von Simmelsdorf
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Pallavicini seine besondere Zufriedenheit mit seiner Dienstleistung ausgesprochen werden. Nun aber sind die Berichte Pallavicinis, wie Känia versichert, so widerspruchsvoll, daß man sich kein klares Bild von den Verhältnissen machen kann. Grey hat zu Mensdorff gesagt: Es gebe im Foreign Office kein Preßbureau, doch empfangen er und Hardinge die Journalisten.
Heinrich Tucher von bayerischer Gesandter
Simmelsdorf, in Wien
5. Februar 1909 Tagebuch
Besuch bei Tucher. Er erzählt den Ausspruch Aehrenthals: Wenn Serbien mit seinen Provokationen fortfahre, so werde Österreich-Ungarn ihm eine „feste Watschen" herunterhauen.
Freiherr Karl von Macchio, Sektionschef im Außenministerium
6. Februar 1909 Tagebuch
Besuch bei Baron Macchio (auf Wunsch Aehrenthals). Ich setze ihm die Wünsche Georgevic' auseinander 50 . Instruiert von Aehrenthal erklärt er sich bereit, mit Georgevic zu verhandeln. Falls Georgevic den Wunsch ausspricht, will Macchio ihn empfangen. Das serbische Geschwür, so sagt Macchio, muß ausgequetscht werden, sei es nach innen, sei es nach außen, entweder durch Krieg oder Revolution.
Julius Szeps, Chefredakteur
der Wiener Allgemeinen
Zeitung
7. Februar 1909 Tagebuch
Szeps bei mir. Er hat in Karlsbad (oder Marienbad) mit Clemenceau verkehrt, den er seit seiner Jugendzeit kennt 51 . Clemenceau sah die Lage damals pessimistisch an. Als er sich von Szeps verabschiedete ("August ?a), sagte er zu ihm: „Der Krieg ist unausweichlich." Das war der Eindruck, den er 50 51
Vgl. S. 186 und 191. Julius Szeps' Schwester Sophie war seit 1886 mit Georges Clemenceaus Bruder Paul verheiratet.
"a Korrigiert mentiert.
von September sowie am Rand mit Bleistift
mit einem Fragezeichen
kom-
7. Februar 1909
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aus den Gesprächen mit König Edward und Iswolski erhielt 52 . Damals traten die Männer der Kossuthpartei mit dem französischen Generalkonsul Vicomte de Fontenay in Verbindung, verlangten für eine ungarische Bank und für andere Gründungen französisches Kapital und versprachen dafür die Loslösung vom Dreibund. Clemenceau fragte nun Szeps um seine Ansicht, ob die Kossuthpartei und die Magyaren stark genug seien, um diese Wendung herbeizuführen. Darauf Szeps: Nein, die äußere Politik wird ausschließlich vom Kaiser bestimmt. Da sagte der kluge Franzose: „Sie glauben also, daß wir das viele Geld dem Dreibund leihen würden?" Und damit war das Geschäft mit Ungarn erledigt. Als Clemenceau ans Ruder kam - ungefähr gleichzeitig mit Aehrenthal 53 reichte Szeps im Ministerium des Äußern ein Memorandum ein, in dem [er] auseinandersetzt, daß Clemenceau sehr geneigt sei, mit Osterreich in ein gutes Verhältnis zu treten. Er ist unbedingt gegen den Krieg und würde es gerne sehen, wenn Osterreich auf Deutschland in der Marokkofrage und sonst einen mäßigenden Einfluß üben wolle; ganz so wie Frankreich auf England und Rußland im Geiste des Friedens wirkt. Diese Annahme Szeps' hat sich bewahrheitet. Dies zeigte sich in der Krise dieses Winters. Im Dezember trat der Höhepunkt ein. Damals wandte sich England an Frankreich mit dem Ansinnen, man solle Vorbereitungen für den Krieg treffen. Darauf erwiderte Clemenceau: Davon könne nur die Rede sein, wenn England dem französischen Volke mit einer Landarmee von 5-600.000 Mann zu Hilfe eile. Denn Frankreich würde sonst die ganze Last des Landkrieges zu tragen haben. Szeps zitierte mir hier die französischen Sätze, die ihm Crozier als Antwort Clemenceaus" gesagt haben soll. Ich habe in der Tat den Eindruck, daß die ganze Färbung echt ist und auf Crozier zurückgeht. Ich fragte Szeps nun, wie es komme, daß Crozier ihm so wichtige Mitteilungen mache. Die Antwort Szeps' war sehr plausibel. Crozier war Zeuge, wie Clemenceau mir in Osterreich die wichtigsten Mitteilungen über seine Politik machte, und sah, daß Clemenceau auf meine Diskretion vertraute. Sodann habe ich Crozier größere Dienste geleistet als er mir. Nicht bloß bei Clemenceau selbst, was auch nicht gering anzuschlagen ist. Mehr aber in Wien. Denn Reverseaux hatte Crozier einen schlechten Ruf gemacht: Man habe einen Zeremonienmeister nach Wien geschickt, weil man glaubt, daß es hier genügt, die Zeremonien zu kennen. Von Crozier sprach er nur geringschätzig. Crozier kam nun fremd und ganz ohne Kenntnis der österreichischen Verhältnisse. Da hielt ihm Szeps stundenlange Vorträge darüber, klär52
Im Sommer 1908 waren Georges Clemenceau und Graf Alexandr Iswolski zur Kur in Karlsbad, während König Edward VII. seine jährliche Kur in Marienbad abhielt. 53 Georges Clemenceau war seit 23. 10. 1906 französischer Ministerpräsident, Alois Lexa von Aehrenthal seit 24. Oktober Außenminister. * Mit Bleistift korrigiert von Croziers.
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Julius Szeps
te ihn über alles auf, machte ihn mit Beck und Sieghart näher bekannt. Nun unterscheidet Crozier genau zwischen den Mitteilungen, bei denen er Geheimhaltung erwartet, und solchen, die er gerne weiterwandern läßt. Denn da er mit Clemenceau Friedenspolitik betreibt, so ist es ihm Recht, daß die vermittelnde Rolle Frankreichs auch bekannt werde. Manches sagte er Szeps direkt, damit es auf dem Ballplatz bekannt werde; Dinge, deren Uberbringer er selbst nicht sein will. Aus seinem Munde nun erfuhr Szeps über das Verhältnis des früheren englischen Botschafters Goschen zu Aehrenthal folgendes. Die beiden Diplomaten sprachen sich sehr schlecht, es kam geradezu zu einem Krach. Goschen hegte so tiefes Mißtrauen gegen Aehrenthal, daß er einmal zu Crozier sagte: Ich bin heute in der größten Verlegenheit. Ich habe Aehrenthal gefragt, ob er von der Unabhängigkeitserklärung Bulgariens unterrichtet war54. Darauf gab er mir, indem er mir ins Auge blickte, sein Wort, daß Osterreich von der Unabhängigkeitserklärung nicht früher erfuhr als die anderen Mächte. Und nun, soll ich denn dieser Versicherung glauben? Dieser Zweifel an Aehrenthals Ehrenwort ist das stärkste an schlechten persönlichen Beziehungen zweier Männer. Hier unterbrach ich Szeps und sprach meine Verwunderung über die Versicherung Aehrenthals aus. Gewiß, es ist wohl wirklich wahr, daß Aehrenthal von dem frühen Zeitpunkte des Aktes der Unabhängigkeitserklärung überrascht war, und darin liegt auch keine Täuschung Goschens. Aber was ich bestimmt weiß, daß Aehrenthal in Budapest mit Ferdinand von Bulgarien die Sache selbst, wenn auch nicht den Zeitpunkt verabredete55. „So gebrauchte Aehrenthal eine reservatio mentalis", ergänzte Szeps. Diesem war es unbekannt gewesen, daß in Budapest jene Verabredungen gepflogen worden waren. Goschen, so fahrt Szeps fort, fühlte sich erst beruhigt, als er bei seiner Abberufung den Kaiser Franz Joseph sprach, und als dieser gleichfalls eine Wendung gebrauchte des Inhalts (ungefähr, Szeps kann sich nicht mehr genau erinnern), daß er, der Kaiser, mit Ferdinand von Bulgarien nichts über die Sache gesprochen habe. Diese Versicherung glaubte Goschen. Darauf erwog ich mit Szeps, ob Aehrenthal gut daran tue, im diplomatischen Verkehr so verfängliche Mittel zu gebrauchen. Crozier hat sich nun einmal darüber mit Aehrenthal ausgesprochen. Dieser fragte ihn einmal, ob es denn richtig sei, was man von ihm behaupte, daß er sich im diplomatischen Verkehr oft undeutlich ausdrücke. Darauf Crozier: Er selbst habe die Beobachtung gemacht, daß man sich jedes Wort gut überlegen müsse, das Aehrenthal gebraucht habe. Wenn ich eine Unterredung mit Euer Exzellenz gehabt habe, dann schließe ich [mich] in meinem Zimmer ein und 54 65
Bulgarien hatte am 5. 10. 1908 einseitig seine Unabhängigkeit von der Türkei erklärt. Außenminister Aehrenthal hatte am 23. und 24. 9. 1908 in Budapest anläßlich eines Besuches Ferdinands bei Kaiser Franz Joseph politische Gespräche mit dem bulgarischen Herrscher geführt. Vgl. die Aufzeichnungen in OUA Bd. 1, 97.
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prüfe eine ganze Stunde lang, was Sie mit Ihren Äußerungen gemeint haben möchten. „Nun", sagte Aehrenthal, „ist das ein Fehler?" Nein, war die Antwort, „aber besonders dann nicht, wenn man diese Ihre Art kennt." Crozier nun teilt Szeps mit auffallender Offenheit die von Cartwright mit Aehrenthal geführten Gespräche etc. mit. Zuerst erzählt Szeps all das über Cartwright, was ich schon durch Kania wußte56; offenbar ist Szeps seine Quelle gewesen. Cartwright hatte in München nicht viel zu tun und sandte an König Edward einen Bericht über österreichische Verhältnisse, über die Methode, wie man Österreich von Deutschland trennen könne. „Dieser Intrigant" Aehrenthal war darin nicht geschont. Diese Berichte und die deutschfeindliche Auffassung Cartwrights gefielen dem König, und Cartwright wurde an Goschens Stelle Botschafter in Wien. Es gab nun zuerst einen Zusammenstoß mit Aehrenthal. Dann aber besserten sich die Beziehungen der beiden Männer, und Cartwright urteilt jetzt über Aehrenthal auffallend günstig. Er hat sich, wie Crozier berichtet, brüsk gewendet, einfach seinen Irrtum eingestanden. Er ist eben ein Engländer auch darin, daß er ohne Umschweife die völlige Änderung seiner Ansicht eingesteht. Mutig wie Buxton57, der aus einem Feinde der Jungtürken plötzlich ihr Verehrer wurde. Crozier sagt, nun müsse manchmal er Cartwright zurückhalten, wenn er in seiner neuen Richtung zuweit gehe. Und die Ursache? Sie liegt besonders darin, weil Cartwright ganz nach englischen Begriffen annahm, Aehrenthal handle nach Weisungen und Einflüsterungen aus Berlin, und von dort habe man, um dem jungtürkischen Regiment zu schaden, die Annexion Bosniens angeordnet. Nun habe er sich überzeugt, daß dies falsch sei, daß Aehrenthal vielmehr völlig selbständig und unabhängig in seinem Urteil ist. Das war für Cartwright entscheidend. In diesem Sinne berichtet er auch nach Berlin [sie!], und seinen Ratschlägen sei es wohl mit zuzuschreiben, daß England in Serbien so nachdrücklich zum Frieden mahnt. Über Franz Ferdinand. Er ist heftig und unhöflich im Verkehr mit Schönaich. Dieser setzte ihm auseinander, daß die notwendige Erhöhung des Rekrutenkontingents doch nur mit Zustimmung des ungarischen Parlaments zu erlangen sei, und ohne nationale Konzessionen aber werde man nicht dazu gelangen. Damit müsse man rechnen. Darauf der Thronfolger: Er wisse ein anderes Mittel. Schönaich beeilte sich zu erklären, daß niemand darüber glücklicher wäre als er; und gerne werde er es anwenden, wenn der Erzherzog es ihm anvertraue. Darauf die Antwort: „Sie wären der letzte, dem gegenüber ich mich darüber aussprechen möchte." 56 57
Vgl. S. 171. Der britische Politiker Noel Edward Buxton war Präsident des Londoner Balkankomitees.
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Henry Wickham Steed und Clemence Rose
Mr. Henry Wickham Steed, Wiener Korrespondent und Mme. Clemence Rose, Wiener Korrespondentin
der Times, der Morning Post 11. Februar 1909 Tagebuch
Bei Steed zu Mittag mit Mme. Rose. Ein höchst merkwürdiges Paar, er 37 Jahre, sie, wie sie sagt, 60 Jahre, was bei ihrem Feuer, ihrer Unermüdlichkeit, dem sämtlichen Eindruck ihrer Natur kaum glaublich erscheint. Ein Spötter glaubt, sie mache sich älter, um ihr Verhältnis zu Steed zu decken, und das wäre wohl das größte Opfer, das eine Frau zu bringen vermöchte. Oder macht er sich jünger, da sein ergrautes Haar ihm mehr Jahre zu geben scheint? Doch gleichviel, sie beherrscht ihn offenbar durch die Macht ihrer stärkeren Persönlichkeit, sie führt für ihn das Wort, sie denkt an seine Zukunft, sie sieht jede Gefahr, die ihm drohen mag, lange voraus, vielleicht in phantastischer Vergrößerung. Sie sprach unaufhörlich, er ergänzte nur; ich hörte staunend zu, wie mir das innig zusammengehörende Paar die für Steed gefährlichsten Konfidenzen machte. Ich vermag nicht zu unterscheiden, was Wahrheit, was Ubertreibung ist. Nur daß sie leider die Verhältnisse in der Times wirklich so sehen, wie sie sie schildern, darüber besteht kein Zweifel. Die Times hatte nie mehr als 60-70.000 Abonnenten, ihre Zahl sank bis auf 40.000, jetzt ungefähr 60.000. Als Pearson (?) das Blatt an sich brachte58, kam mit ihm eine neue Truppe, und mit ihm zog Chirol ein, der jetzige Redakteur für das Ausland59, der für diese Rubrik ausschlaggebende Mann, während der Editor Bell60 offenbar nur formell an der Spitze steht. Chirol entstammt einer französischen katholischen Familie und trat früh in die Diplomatie ein. In dieser Stellung muß er sich, so erzählen beide übereinstimmend, irgendeine große Inkorrektheit zuschulden kommen lassen haben; denn er verließ die Laufbahn und, was noch bezeichnender ist, der „Club" verschloß sich ihm. Er ging in den Orient als gelegentlicher Berichterstatter, später nach Paris, wo er den neuen Herrscher der Times (wenn ich mich recht erinnere), eben Pearson, kennenlernte. Dieser nun übertrug ihm den wichtigen Posten, den er jetzt bekleidet. Aber diese Tätigkeit, wie die Stürme und Klippen, an denen die Times zu scheitern drohte, erhöhten seine Nervosität bis zur Nervenkrankheit, und er mußte eine Zeit lang eine Heilanstalt aufsuchen. Und Steed bestätigt, was mir 58
59 60
Die Verhandlungen zur Übernahme der Times durch Sir Cyril Arthur Pearson seit Ende 1907 waren nicht erfolgreich, stattdessen ging die Zeitung im März 1908 in den Mehrheitsbesitz von Alfred Harmsworth, dem späteren Viscount of Northcliff, über. Bis dahin war die Zeitung im Besitz der Gründerfamilie Walter. Sir Valentine Chirol war seit 1892 für die Times tätig und leitete seit 1899 die Auslandsredaktion. Vgl. Valentine Chirol, Fifty Years in a Changing World (London 1927). Charles Frederic Bell, von 1890 bis zu seinem Tod 1911 Manager der Times.
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Barclay61 seinerzeit bestätigte, daß es für ihn fast eine fixe Idee [ist], wie [er] in allem für England Unangenehmen und Unbequemen die Hand Deutschlands sieht. Da die leitenden Männer der Times immer - bei dem unsicheren Bestand des Blattes - für ihre glänzend dotierten Stellen fechten müssen, so erklärt sich schon daraus die Rücksichtslosigkeit ihres Wesens. Chirol wurde in Frankreich von Jesuiten erzogen, und er war ein Kollege Paty de Clams62. Er ist katholisch gesinnt, aber in verschiedenen Phasen seines Lebens nahm er zur Kirche und den Jesuiten eine verschiedene Stellung ein. Vor einigen Jahren schrieb er unter dem Namen Verax die vielbemerkten Artikel für Dreyfus, besonders den gegen Paty de Clam. Hier schilderte er als dessen Mitschüler, doch stets anonym bleibend, wie sie in der Jesuitenschule zu gegenseitigem Ausspionieren erzogen worden waren, welch' schändliche Künste die Jesuiten anwandten, um sich ihrer Schüler zu versichern. Aber mit den Jahren kehrte Chirol zu seinen früheren streng katholischen Neigungen zurück, und jetzt unterstützt er, soviel als möglich, die Politik des Vatikans und der Jesuiten. Als Dank dafür tritt die katholische Geistlichkeit für das Abonnement der Times ein, und durch ihn wird bei den Besitzern des Blattes der Glaube genährt, diesem Umstände verdanke das Blatt 4.000 Abonnenten, die sofort abfallen würden - auf Geheiß der Geistlichkeit -, wenn das Blatt seine Richtung änderte; und das wäre ein schwerer Schlag. Ich hielt nun diese Darstellung für phantastisch, für eine Ausgeburt der Jesuitengalganterei, von der Frau Rose besessen zu sein scheint, als Steed die Ausführungen der Mme. Rose durch die Mitteilungen wichtiger Art ergänzte. Als nämlich Steed bei der letzten Anwesenheit Chirols in Wien (im Herbst 1908) Vorstellungen wegen der romfreundlichen Artikel machte, die ihm doch sehr schaden könnten, erklärte sich Chirol ziemlich offen: Diese Artikel seien von einem Mitarbeiter Faragan geschrieben, der ein gläubiger Katholik sei; diesem Kollegen aber habe Chirol freie Hand gelassen wegen eines ihm geleisteten Dienstes; er habe nämlich seiner sterbenskranken Mutter den apostolischen Segen verschafft, was Chirol wegen der tiefen Gläubigkeit seiner Mutter mit Dank erfüllt. Überrascht durch dieses Geständnis und die ganze unheimliche Verbindung faßte Steed den Entschluß, allmählich sein Verhältnis zur Times zu lösen. Er schrieb dem Editor Bell, klärte ihn über die Zusammenhänge auf und eröffnete ihm, daß er in ein bis zwei Jahren dem Blatte seine Stelle zur Verfügung anheimgeben werde. Darauf schrieb ihm Bell einen außerordentlich ehrenvollen Brief, in dem er nichts von seinem Entschlüsse hören wollte; zugleich erklärte er ihm, daß, falls er dann nach London zurückkehren wolle, er das Seinige aufbieten wer61
62
Der englische Publizist Sir Thomas Barclay traf mit Friedjung unter anderem am 6. und 9. 1. 1909 zusammen. Der französische Offizer Marquis du Paty de Clam, der in die Dreyfus-Aflare verwickelt war.
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Henry Wickham Steed und Clemence Rose
de, um ihn in der Verbindung mit der Times zu erhalten. Erst durch das Geständnis Chirols wurde Steed vieles klar, was er sich bisher nur zum Teil erklären konnte. Schon das ist festzuhalten, daß auch der Privatsekretär Greys, Tyrrell, ein gläubiger Katholik ist und unter dem Einflüsse der Jesuiten steht. Tyrrell aber empfängt regelmäßig die Auslandsredakteure der englischen Zeitungen und teilt ihnen das mot d'ordre mit. Es ist richtig, was auch Barclay mir seinerzeit sagte, daß die Times sich grundsätzlich in der Linie der äußeren Politik Englands hält und immer in Fühlung mit dem foreign office ist. Nur daß die Times und jetzt besonders Chirol das auswärtige Amt oft vorwärts treibt, und das geschieht auf die Verbindung der beiden gleich romfreundlichen Genossen Tyrrell und Chirol. Tyrrell war, wenn ich, Friedjung, mich recht erinnere, früher der Privatsekretär des Herzogs von Norfolk63. Dieses ganze Verhältnis, so wurde mir im Verlauf der Erzählung wieder mitgeteilt, war zuerst von Mme. Rose geahnt und durchschaut worden, bevor es sich voll enthüllte. Steed verließ mit 20 Jahren England, ging zuerst nach Jena, um gründlich deutsch zu lernen, hierauf nach Berlin, dann nach Paris, wo er, wenn ich ihn recht verstand, zuerst mit der Times in Verbindung trat. Er wurde darauf als Korrespondent nach Rom geschickt, wo er 18 Monate blieb, dann versetzte man ihn 1902 nach Wien. Es zeigte sich, daß Chirol eine wirkliche Zuneigung für Steed hegte, die offenbar auch jetzt noch nicht erloschen ist. Aber sie kämpfte, wie Mme. Rose ahnte und erkannte, mit einem Steed feindseligen Einflüsse. Und es zeigte sich, daß es Chirols Hinneigung und Verbindung mit den Jesuiten war, die die Entfremdung herbeiführte. Das zeigte sich bald nach Steeds Ubersiedlung nach Wien. Er war ganz erstaunt, als er, kaum daß er eingerichtet war, plötzlich von der Times den Antrag erhielt, die Vertretung in Washington zu übernehmen. Dies setzte ihn in großes Erstaunen, da er bei seiner vollkommenen Kenntnis des Deutschen, Französischen und Italienischen (und noch einer vierten Sprache) der Times doch überall große Dienste leisten konnte; in Washington konnte doch auch ein anderer arbeiten. Er lehnte den Antrag ab mit dem Hinweis, daß er schon einen glänzenden Posten als Chefredakteur in Amerika ausgeschlagen habe; das Leben in Amerika sei ihm nicht sympathisch. Chirol aber wollte nicht begreifen, wie er die schöne Anstellung in Washington von der Hand weisen könne. Die Erklärung des Rätsels liegt nach der Annahme Steeds und seiner Freundin in der Wühlarbeit der römischen Kreise. Von dort aus wurde auf Chirol eingewirkt, weil man in Wien einen romfreundlichen Vertreter der Times wünschte. Steed kam in Kenntnis dieser Tatsache durch folgenden Zwischenfall. In Rom traf ein Verwandter 63
Sir William Tyrrell war 1896 bis 1903 Sekretär des Unterstaatssekretärs Sir Thomas Sanderson.
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des Herzogs von Norfolk ein, namens, wenn ich mich nicht irre, Hope, der an die britische Gesandtschaft in Rom empfohlen war. Da er ultramontan gesinnt war, so wollte die Gesandtschaft ihn nicht selbst in die kirchlichen Kreise, bei den Kardinälen etc. einfuhren, und bat Steed, das zu besorgen. Steed gab sich alle Mühe und machte ihn sowohl mit Kardinälen etc. wie mit seinen Freunden unter den italienischen Staatsmännern bekannt. Er machte bei den Fragen Hopes an die Letzteren den Dolmetsch und lernte so die Ansichten vieler dieser Männer über die römische Frage erst recht kennen, was ihm später für seine Arbeiten sehr gut zustatten kam. Da nun fragte ihn Hope, ob er nicht Merry del Val kennenlernen wolle. Weshalb nicht? Genug, es wurde verabredet, daß Steed an einem bestimmten Tage Merry del Val besuchen solle. Aber Merry del Val war weder an diesem noch am nächsten Tage zu sprechen; und so hinterließ Steed dessen Diener die Botschaft an Merry del Val, dieser habe ihn eingeladen, und wenn er ihn sprechen wolle, möge er ihm schreiben und einen Tag bestimmen. Aber Steed erhielt keine Nachricht. Er ließ die Sache auf sich beruhen, als Carikov, der russische Gesandte, einmal eine Gesellschaft gab, an der auch Merry del Val teilnahm. Im Verlaufe des Abends fragte Carikov Steed, offenbar im Auftrage Merry del Vals, ob er diesem nicht vorgestellt werden wolle. Dieser aber lehnte zum Erstaunen Carikovs ab, Merry wußte gewiß, weshalb. Nach der Versetzung Steeds nach Wien wurde Hubbard sein Nachfolger, der gleichfalls dem jesuitischen Kreis angehört. Eines Tages erhielt Steed einen Brief Chirols, der ihm Vorstellungen machte, weshalb er so katholikenfeindlich wäre. Steed berichtigte dies, er habe kein Vorurteil gegen den Katholizismus. Wieso man denn darauf komme? Da nun schickte ihm Chirol unvorsichtiger Weise einen Brief, der (wenn ich, Friedjung, mich recht erinnere) von Hope herrührte und eine Kritik der Haltung Steeds in der Kirchenfrage erhielt. Dieser Brief aber enthielt (überquer über den Text geschrieben) eine Art Postskriptum etwa folgenden Inhaltes: Es scheine, daß Steed ein Gegner Roms sei in Folge eines gesellschaftlichen Echecs, den er erlitten, weil Merry del Val ihn nicht empfangen wollte. So also spannen sich die Fakten. Chirol aber hatte ganz an das Postskript vergessen, als er Steed jenen römischen Brief schickte; er bat deshalb um Entschuldigung, Steed aber wußte, wie gegen ihn gearbeitet wurde. Offenbar hatte man in Rom schon deshalb Mißtrauen gegen ihn gefaßt, weil er zur Zeit des Burenkrieges wahrheitsgetreu an die Times meldete, daß der Osservatore Romano und Voce di veritä heftig gegen England auftreten. Damals war der Herzog von Norfolk Mitglied des Kabinetts, und er bat die Times, sie solle ihm die betreffenden Nummern der vatikanischen Blätter schicken. Steed erfüllte diesen Auftrag. Der Herzog legte darauf seine Stelle im Kabinett nieder, um nach Südafrika als Freiwilliger zu gehen. Es war dies
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Henry Wickham Steed und Clemence Rose
eine Art Sühne für die Feindseligkeit Roms gegen England64. Tyrrell nun, der Privatsekretär Greys, ist ein Vetter jenes Pater Tyrrell S. J., der zuerst ein Vorkämpfer Roms gewesen ist, jetzt aber in der Reformistenbewegung eine hervorragende Stellung einnimmt65. Aber während Pater Tyrrell sich von den Jesuiten abwandte, ist sein Vetter im Bunde mit ihnen geblieben. Mit Pater Tyrrell ist Steed später bekannt geworden, wie er auch ein Freund Sabatiers ist66 und Fogazzaro genau kennt. Sein Nachfolger in Rom aber, Hubbard, war später in eine häßliche Intrige verwickelt, die Steed und Mme. Rose bei einem späteren gemeinsamen Besuche Roms mitansahen. Er versuchte die Frau eines amerikanischen Gelehrten und verleumdete ihn dann, er führe ein zügelloses Leben. Hubbard aber wurde von Chirol lebhaft in Schutz genommen. All dies wurde vorwiegend von Mme. Rose in ihrer prächtig temperamentvollen Art erzählt, oder eigentlich wie ein großes Intrigenstück vorgespielt. Ist es nun wahr, daß alle die einzelnen Erlebnisse wirklich so zusammenklingen und die Kapellmeisterkunst Roms erweisen? Das ist die Frage, die ich mir im Laufe der 2V& Stunden währenden Erzählung mehr als einmal vorlegte. Offen ist es die romfeindliche Italienerin, die das System entwickelte oder aber selbst aufbaute. Steed glaubt aber fest an ein wohlbewußtes Gewächs, das sich von Rom aus über Chirol spinnt, und in das Steed hineingezogen werden soll, weniger um ihn zu gewinnen, offenbar vielmehr um ihn zu verdrängen. Deshalb wollte man ihn nach Washington schicken, deshalb sind in Wien von kirchlicher Seite (auch durch Gärtner67) Warnungen an ihn gelangt. Auf jeden Fall ist es ein Zeitroman, entweder ein erlebter oder aber ein von Mme. Rose gedichteter. Uberraschend aber ist das mir erwiesene Vertrauen; denn ich könnte, wenn ich einer Indiskretion fähig wäre, die Times und Chirol oder aber in dessen Augen Steed bloßstellen, letzteren bei Chirol unmöglich machen. Wir haben verabredet, daß Steed und seine Freundin Dienstag bei mir speisen; so werde ich Gelegenheit haben, weitere Einblicke in dieses Stück englischen Zeitungslebens zu gewinnen. Wohl deutete mir bereits Barclay die Verbindung Chirols mit Rom an; nie aber hätte ich geglaubt, daß Merry del Val und seine Leute ihre Fäden so weit hinausspinnen.
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Henry Fitzalan Howard Duke of Norfolk legte tatsächlich im November 1900 seine Stelle als Postmaster General zurück, um als Freiwilliger nach Südafrika zu gehen. George Tyrrell war 1906 aus der Societas Jesu ausgeschlossen worden. Zu Neujahr 1912 schenkte Henry Wickham Steed dem Schriftsteller Hermann Bahr Paul Sabatiers L'orientation religieuse de la France actuelle (Paris 1911). Vgl. das Exemplar in der Hermann-Bahr-Bibliothek der Universitätsbibliothek Salzburg. Dr. Friedrich Gärtner, Sektionsrat im Ministerium fur öffentliche Arbeiten, war ein guter Bekannter Steeds.
12. Februar 1909
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Freiherr Alois Lexa von Aehrenthal, Außenminister 12. Februar 1909 К 4, U Notizen und Druckunterlagen zur Persönlichkeitsgeschichte Aehrenthals Jettel sagte mir einige Tage vorher, worüber Aehrenthal mit mir sprechen wolle. In einer Konferenz bei Aehrenthal (Jettel, Kania etc.) wurde beschlossen, Anfang März einen publizistischen Feldzug gegen Serbien zu eröffnen, als Vorläufer oder Begleiter der diplomatischen und militärischen Schritte. Es soll ein allgemeiner politischer Artikel im Ministerium geschrieben werden, Behandlung des Verhältnisses zu Serbien. Dann ein Essay über die völkerrechtswidrige Aktion Serbiens durch Bandenbildung, Verschweigen etc.; endlich ein Artikel über die militärischen Maßnahmen Serbiens. Den letzteren soll General Woinovich schreiben, den mittleren, so läßt mich Aehrenthal ersuchen, soll ich übernehmen. Als ich nun zu Aehrenthal kam, präzisierte er jenen Wunsch, und ich sagte zu. Anfang März, so eröffnete er mir, werde er den Schritt tun, der die Entscheidung bringen solle. Ob Serbien wohl nachgeben werde? fragte ich. Das sei unsicher, war die Antwort. Nun also, lautete meine nächste Frage, zielen Sie auf den Krieg oder auf den Frieden? Darauf er: „Wenn wir im Frieden unsere Forderungen durchsetzen können, so ist der Krieg nicht notwendig." Das Gespräch wandte sich den Zielen des Krieges zu. Aehrenthal bestätigte, daß eine Zollunion das wünschenswerte Ziel sei. Als ich ihn bat, bei diesem Stoffe zu verbleiben, wünschte er, meine Meinung zu hören. Ich sagte dann zusammenhängend, daß eine solche Union nur möglich sei, wenn wir zur Abwehr der Viehseuchen auch die Veterinärpolizei in Händen haben würden, wenn wir auch die Unionsgrenzen gegen Süden mitüberwachen. Außerdem das Recht, Handelsverträge im Namen Serbiens abzuschließen. Das aber sei die kommerzielle Oberhoheit. Ob dies erreichbar sei? Er hörte höchst aufmerksam zu, dann ergänzte er meine Ausführungen. Die Zollunion sei solange nicht möglich, bis die jetzt bestehenden Handelsverträge Serbiens mit den fremden Staaten, England, Deutschland etc., erloschen seien. Denn durch einen Krieg erlöschen wohl unsere Verträge mit Serbien, nicht aber die Serbiens mit dem Ausland. Und die fremden Staaten werden uns friedlich nicht Platz machen. Man könne also mit Serbien nur ein pactum de compaciscendo schließen. Ich bat Aehrenthal, sich jetzt schon von seinem handelspolitischen Departement alle betreffenden Ausarbeitungen machen zu lassen, um für Frieden und Krieg ausgerüstet zu sein. Er sprach sein Vertrauen aus, daß Rössler der geeignete Mann auf seinem Posten sei. Aus einem späteren Gespräch mit Baernreither erfuhr ich, daß Baernreither - auf meine Anregung hin - mit Rössler gesprochen
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Freiherr Alois Lexa von Aehrenthal
habe68. Rössler erklärte die Zollunion für eine Utopie, wegen der Verträge Serbiens mit fremden Staaten, die erst 1917 auslaufen. Außerdem sei die Aufteilung der Zolleinnahmen sehr schwer. Denn Serbien werde durch den Ausfall der Zölle gegen Osterreich einen zu großen Entgang an seinen Einnahmen haben. Aehrenthal zeigte sich mit dem Problem so wohl vertraut, als es seine Sache überhaupt ist. Unter anderem fragte er mich, ob ich glaube, daß die Schwierigkeiten, die von den Agrariern herrühren, zu überwinden sein würden. Darauf ich: In Osterreich im Falle eines gewonnenen Krieges mit aller Wahrscheinlichkeit. Anders in Ungarn, da man hier fürchten werde, daß die österreichisch-ungarisch-serbische Zollunion nie mehr aufzulösen sein werde. Einen tiefen Einblick in die Werkstätte der Ideen Aehrenthals gibt ein Ausdruck, den er auf die Verhältnisse im Süden prägte: Man habe es dort „mit einem Staatenbildungsprozeß" zu tun. Anknüpfend daran sprach Redlich mit der ihm [eigenen] Lebhaftigkeit aufs Bestimmteste für einen Krieg mit Serbien69. Aehrenthal ging aber darauf nur von ferne ein, wie er auch mir gegenüber im Ganzen und Großen doch den Frieden nach dem Zurückweisen Serbiens für wünschenswerter erklärte. Dann brachte ich noch die „Begnadigung" des Grafen Sternberg aufs Tapet70. Er gab folgende Auskunft: Die Sache kam ins Rollen, als Sternberg einen politischen Gegner forderte und dieser entgegnete, er sei nicht satisfaktionsfahig. Darauf verlangte Sternberg seitens der Kriegsverwaltung eine seine Ehre wiederherstellende Erklärung. Bei der Untersuchung der Akten fand sich nun, daß vom Ehrenrat ein Formfehler begangen worden sei. Das ließ sich nicht in Abrede stellen. Der Empfang beim Kaiser aber habe seinen Grund in der Gerechtigkeitsliebe des Monarchen, der niemandem Gehör verweigere. Es sei aber keine Rede davon, daß Sternberg wieder Offizier werden solle; das sei nach den zahlreichen von ihm begangenen Majestätsbeleidigungen unmöglich. Aehrenthal hatte die Zusammenstellung der Arbeiterzeitung gelesen, in der alle seine Majestätsbeleidigungen aufgezählt waren71. Er fand es begreiflich, daß ich durch seine Auskunft nicht ganz beruhigt worden sei. 68
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Vgl. Joseph M. Baernreither, Fragmente eines politischen Tagebuches. Die südslawische Frage und Österreich-Ungarn vor dem Weltkrieg, hrsg. von Joseph Redlich (Berlin 1928) 106-107. Vgl. Schicksalsjahre Österreichs 1908-1919. Das politische Tagebuch Josef Redlichs, hrsg. von Fritz Fellner, Bd. 1 (Graz - Köln 1953) 6-7. Josef Redlich war am 18. 2. 1909 bei Aehrenthal und traf am selben Abend auch mit Friedjung zusammen. Daher dürfte zumindest ein Teil der Aufzeichnungen auf späteren Gesprächen beruhen. Graf Adalbert Sternberg, Mitglied des Abgeordnetenhauses 1904 bis 1911 und enfant terrible der Wiener Politik und Gesellschaft, war 1903 sein militärischer Rang aberkannt worden. Er hatte unter anderem mehrmals Kaiser Franz Joseph öffentlich zur Abdankung aufgefordert. In der Arbeiterzeitung findet sich in den Ausgaben seit dem 1. Jänner 1909 keine derartige Aufstellung.
16. Februar 1909
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13. Februar [1909] Tagebuch Abend bei Schenk. Bilinski und Spitzmüller zu Gaste. Spitzmüller sagt mir zu meiner Überraschung, er habe in den letzten Jahren eine günstige Meinung über Koerbers Regiment gewonnen. Seine Zeit werde bald wieder kommen. Bei Frau Sieghart. Graf Adolf Dubsky spricht von „Wir Slawen". Er, der Bruder Marie Ebners!
Henry Wickham Steed, Wiener Korrespondent der Times
16. Februar 1909 Tagebuch; Sekretär 3
Am 28. September 1908 erschien in der Times ein Artikel, gezeichnet mit Near East, in welchem zum ersten Male eine Kunde kam von der auf der Balkanhalbinsel bevorstehenden Änderung72. Der Verfasser war der Redakteur des Blattes Chirol. Darin war mitgeteilt, daß sowohl die Unabhängigkeitserklärung Bulgariens bevorstehe wie die Ankündigung der Souveränität Österreich-Ungarns über Bosnien. Es war ferner ausgesprochen, daß diese beiden Maßregeln nichts anderes seien als ein Angriff gegen die jungtürkische Partei und gegen das parlamentarische System im osmanischen Reiche. Der böse Wille Österreich-Ungarns war darin in scharfes Licht gerückt. Infolge dieser Ankündigung begab sich der englische Botschafter Goschen am 3. Oktober, Samstag Nachmittag, zu Aehrenthal und bat ihn um Mitteilungen darüber, ob Österreich-Ungarn etwas von den Absichten des Fürsten Ferdinand wisse, und wie es sich zur Unabhängigkeitserklärung Bulgariens stellen würde. Darauf erwiderte Aehrenthal, er habe aus Sofia keine Mitteilung über eine derartige Absicht. Er betonte hierbei mehrmals, daß ihm aus Sofia nichts Derartiges gemeldet worden sei. Als aber Goschen Aehrenthal verließ, war bereits in Wien die Depesche eingelangt, daß die Unabhängigkeitserklärung tatsächlich erfolgen werde. Erbittert darüber begab sich Goschen später nochmals zu Aehrenthal und machte ihm Vorwürfe darüber, daß er, wiewohl sie in einem langewährenden stets angenehmen amtlichen Verkehr gestanden seien, ihn über die im Anzug befindlichen Ereignisse nicht unterrichtet habe. Aehrenthal wiederholte aufs Bestimmteste, er sei von dem Ereignisse in Sofia überrascht worden, und als Goschen 72
Unter der Überschrift The Crisis in the Near East erschien in der Times v. 28. 9. 1908, 8, ein die österreichische Politik scharf kritisierender Leserbrief, gezeichnet mit „Near East".
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Henry Wickham Steed
lebhaft und heftig bei seinen Vorwürfen verharrte, trat er ihm im selben Tone entgegen, und es entspann sich ein lebhafter Wortwechsel. Aehrenthal blieb dabei, daß er Goschen eine der Wahrheit entsprechende Antwort gegeben habe. Von diesem Zeitpunkte datiert die Unzufriedenheit des englischen Kabinetts mit Aehrenthal, und man behauptet, von ihm getäuscht worden zu sein. Dies schien umso augenfälliger, als das Londoner Kabinett erfuhr, Khevenhüller habe an eben demselben 3. Oktober bei Fallieres vorgesprochen und auf seine Frage, ob er nichts von den Vorgängen in Bulgarien wisse, ruhig geantwortet, daß die Unabhängigkeitserklärung des Landes unmittelbar bevorstehe. Als Goschen sich in Budapest von Kaiser Franz Joseph verabschiedete, um nach Berlin abzugehen73, sagte ihm der Monarch, der sich offenbar die Redewendung genau überlegt hatte, daß Fürst Ferdinand bei seiner Anwesenheit in Budapest mit ihm nicht über die bevorstehende Unabhängigkeitserklärung gesprochen habe. Diese Worte fordern zu der Deutung heraus, daß der Fürst dies nicht mit dem Kaiser, sondern mit Aehrenthal besprochen habe. Goschen ist nach der Schilderung Steeds ein Mann von gutem Vertrauen, aber dabei etwas bequem. Indessen, wenn er durch die Ereignisse aufgerüttelt wird, rafft er sich aus dieser Art von Trägheit auf und kann dann energisch handeln. Nach Steeds Ansicht und auch nach der von Madame Rose war er jedoch für seinen Posten vielleicht geeigneter als Cartwright. Dieser ist ein Mann von etwa 50 Jahren, der Sohn eines bedeutenden Gelehrten und selbst ein Mann von hoher Bildung. Aber er ist Doktrinär. Die Veranlassung zu seiner Ernennung lag in den Briefen, die er aus München über die Lage in Österreich geschrieben hat. Zumal eine zusammenfassende Denkschrift machte in London einen vortrefflichen Eindruck. Sie wurde von London aus den Botschaftern in Berlin und Wien zugeschickt, und Steed hat sie auf der Botschaft selbst gelesen. Die Botschafter in Wien und Berlin waren darüber nicht erbaut, weil sie fanden, daß ihr der praktische Sinn fehle. Cartwright ging darin, was Deutschland betrifft, natürlich mehr vom föderativen Standpunkt aus (Steed verschleiert damit den antipreußischen Standpunkt Cartwrights), und bezüglich Österreichs entwickelte die Denkschrift den einseitigen Gedanken, daß die Stütze Österreich-Ungarns im Katholizismus liege, und daß von diesem Gesichtspunkte aus seine Politik zu begreifen wäre. Steed verschwieg mir übrigens, daß in dieser Denkschrift die Mittel angegeben sind, wie Österreich-Ungarn vom Bündnisse mit Deutschland loszueisen sei, und wie der Einfluß Aehrenthals eingedämmt werden könne. Madame Rose nun als heftige Gegnerin des Katholizismus fand diese Auffassung dumm, was Steed nicht zugab, wobei er besonders hervorhob, 73
Sir William Edward Goschen wurde im November 1908 von Wien abberufen und zum Botschafter in Berlin ernannt.
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daß Cartwright sich viel mit religiösen Problemen beschäftigt habe, also auch hier religiös-konfessionellen Gesichtspunkten große Bedeutung beimesse. Steed ist mit Cartwright nicht einverstanden, vielleicht weil Cartwright nach seinem ersten heftigen Zusammenstoße mit Aehrenthal74 in eine Art vertrauliches Verhältnis zu diesem gelangt ist. Am 13. August 1908 wurde Steed von König Edward in Marienbad empfangen. Hier kam das Gespräch auf die Frage der Annexion Bosniens, und Steed bezeichnete das Ereignis als bevorstehend. Der König erwiderte ihm hierauf, man habe ihm in Ischl darüber nichts gesagt75. Goluchowski versuchte es zweimal, bei Rußland die Zustimmung zur Annexion Serbiens [sie!] zu erlangen. Das erste Mal in einer vom 18. August 1897 datierten Denkschrift, in welcher die Beziehungen Österreich-Ungarns zu Rußland erörtert waren. Er erhielt aber die dezidierte Antwort, daß Rußland seine Zustimmung nicht geben könne. Dasselbe geschah im Juni 1906, wo die Verhandlungen zwischen Goluchowski und Urusov stattfanden. Goluchowski wies darauf hin, daß Österreich-Ungarn sich während des russisch-japanischen Krieges korrekt und freundschaftlich verhalten habe und einen Anspruch auf Dankbarkeit der russischen Regierung besitze. Aber Urusov blieb dabei, daß Rußland in dieser Frage nicht nachgeben könne. Sehr merkwürdig ist, daß Steed eine Kunde besitzt von dem Schritte Rußlands vom 19. Juni 190876. Er nannte dieses damals von Iswolski nach Wien gesendete Schriftstück ein aide-memoire. Er behauptet, es auf der englischen Botschaft gesehen zu haben, und es ist ihm bekannt, daß Iswolski damals Aehrenthal die Annexion entgegenbrachte. Ich verbarg meine Überraschung nicht, und während ich bis dahin Diskretion bewahrt hatte, ging ich jetzt näher auf die Sache ein und legte ihm dar, daß, da Rußland auf diese Weise Österreich-Ungarn selbst die Annexion entgegentrug, Aehrenthal unfähig und feige gewesen wäre, wenn er nicht sofort zugegriffen hätte. Steed gab mir ohne jede Einwendung Recht, und ich sah daraus, daß in den englischen Kreisen die Stimmung völlig umgeschlagen habe, und daß man einsehe, Aehrenthal habe nicht anders handeln können. Demgegenüber ist es unbegreiflich, daß Iswolski bei dem Besuche, den er von Steed in Karlsbad erhielt77, den Gedanken, Österreich-Ungarn werde in Bosnien zugreifen, im August 1908 weit von sich wies. Übrigens war Iswolski nicht verpflichtet, Steed in diese Geheimdinge einzuweihen. Da Iswolski ungefähr zur selben Zeit den serbischen Minister Milovanovic auf das bosni74
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Bei seinem ersten Besuch wollte der neuernannte britische Botschafter mit Außenminister Aehrenthal politische Probleme besprechen, was dieser wegen der noch fehlenden Akkreditierung ablehnte. Der englische König hatte vor Antritt seiner Kur Kaiser Franz Joseph in Ischl besucht. Vgl. ÖUABd. 1, 9-11. Der russische Außenminister befand sich im August 1908 zur Kur in Karlsbad.
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Julius Szeps
sehe Ereignis aufmerksam machte, so ist die Sache nicht weiter auffallend. Vielleicht überschätzt auch Steed in der Erinnerung die Schärfe, mit der Iswolski von der Unmöglichkeit der Annexion sprach. Der russische Minister wird die Sache einfach abgelehnt und Steed voreilige Schlüsse gezogen haben.
Julius Szeps, Chefredakteur der Wiener Allgemeinen Zeitung
18. Februar 1909 Tagebuch; Sekretär 3
Dr. Szeps war vor einigen Tagen bei dem französischen Botschafter Crozier geladen, und anwesend waren auch der englische Botschafter und der ehemalige Ministerpräsident Baron Beck. Cartwright entwickelte überraschend günstige Ansichten für Österreich-Ungarn und eine erstaunliche Feindseligkeit gegen Serbien. Szeps gesteht offen, daß Cartwright und wohl auch Crozier ihm all dies sagten, weil sie annahmen, er werde bei seiner Verbindung mit dem Minister des Äußern dort über diese Auffassung Bericht erstatten. Auch bat ihn Cartwright einmal ausdrücklich, etwas, was er bekanntgeben wolle, an der geeigneten Stelle zu berichten. Es ist aber, wie Szeps sich aus anderen Eindrücken überzeugt hat, jedenfalls sicher, daß Cartwright seine Meinung vollständig gewechselt hat, und daß er wirklich von dem Wunsche beseelt ist, gute Beziehungen zwischen England und Österreich-Ungarn herzustellen. Dies wird mir von Baron Tucher bestätigt, einem alten Bekannten Cartwrights und seiner Frau, der mir sagte, die Ursache dieser Meinungsänderung liege in der Sorgfalt, mit der Cartwright die österreichischen Verhältnisse beobachte. Er kam mit Vorurteilen nach Wien, welche er bei genauer Kenntnis der Dinge ablegte. Cartwright nun erging sich in den heftigsten Ausdrücken über Serbien. Es verhöhne geradezu die friedlichen Ratschläge, die ihm von den Engländern und Russen gegeben werden; wenn es sich über die Möglichkeit, sein Vieh über Bosnien ans Meer zu bringen, beklage, und wenn man ihm eröffne, die Mächte seien bereit, in dieser Hinsicht sich für Serbien zu verwenden, so benützen das die Herren in Belgrad dazu, um sofort den Schluß zu ziehen: Ihr seht, daß es Serbien unmöglich ist, Bosnien im Besitze Österreich-Ungarns zu lassen. Es sei deshalb wünschenswert, meinte Cartwright, daß Östereich die Serben tüchtig durchhaue". Natürlich sei es den Serben angenehm, große Rüstungen zu machen und Anleihen aufzunehmen, da die Leute dadurch die Möglichkeit zu großen Diebstählen besäßen. Crozier drückte das derart aus, daß er Szeps einmal sagte: Die Serben wünschen einen Krieg " Randbemerkung
durch Friedjung:
fouter la pile.
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aus zwei Gründen: Zuerst weil sie dabei die Dynastie loshaben wollen, und zweitens, weil sie dann Anlaß [haben], einen Staatsbankrott zu machen. Die Empörung der fremden Diplomaten über die anmaßende Sprache der serbischen Regierung bei den Ratschlägen zur Mäßigung ruft eine erbitternde Wirkung hervor. Hierbei sprach Cartwright mit solchem Nachdruck für Österreich-Ungarn, daß Crozier ihn scherzend unterbrach und sagte: Sie sind jetzt schon österreichischer gesinnt als ich, und Sie werden bald noch österreichischer sein als Baron Aehrenthal. Während Cartwright in dieser Art mit Szeps sprach, trat auch Baron Beck in das Gespräch ein. Er nun, von tiefer Abneigung gegen Aehrenthal erfüllt und in Unkenntnis der Dinge, um die es sich handelte, richtete an Cartwright eine merkwürdige Frage. Er sagte ihm: „Ist es wahr, daß man in England der Ansicht ist, der Beschluß der Annexion Bosniens sei erst kurze Zeit vor der öffentlichen Kundmachung erfolgt?" Er fügte dann hinzu: „Das ist vollständig unrichtig. Ich als Ministerpräsident kann sagen, daß wir die Dinge bereits im August erwogen haben." Dann bemerkte er, daß, wenn er gewußt hätte, daß die Annexion auf solche Schwierigkeiten stoßen würde, er seine Zustimmung nicht gegeben hätte. Szeps war aufs Peinlichste berührt und zugleich sehr überrascht, daß Cartwright die Bemerkung, die Annexion sei schon im August durchberaten worden, scheinbar geistesabwesend mitanhörte, irgendwo ins Leere hinsah und nichts darauf erwiderte. Mit Crozier zu zweit machte er ihn aufmerksam, wie unglücklich die Einmischung des Barons Beck gewesen sei, aber Crozier sagte: „Nun ja, Baron Beck ist nicht gerade ein Diplomat. Seien Sie aber nicht davon überrascht, daß Cartwright nichts gehört haben wollte. Er und ich sind darüber übereingekommen, daß wir uns den Anschein geben, als ob wir annehmen würden, die Annexion sei erst um den 10. und 12. September herum beschlossen worden." Und Szeps fügte hinzu, Cartwright habe eine merkwürdige Art, nicht zu hören, wenn er nicht hören wolle, sodaß ihm Baron Beck die längste Rede hätte halten können, ohne daß er es für notwendig erachtet hätte, irgendwo auf die Sache einzugehen. Es mag sein, daß Szeps in dem menschlichen Wunsche, seine Beziehungen zu den beiden Botschaftern in das schönste Licht zu setzen, manches zuspitzte und schärfer sagte; indessen ist dem Kern der Dinge Glauben beizumessen. Umso mehr gilt dies von dem Bericht über Baron Beck, weil Szeps auch unter Beck große Subventionen für sein Blatt genoß und jedenfalls Grund hat, ihm Dank zu wissen. Zur Zeit des Rücktritts des französischen Ministerpräsidenten Sarrien, und bevor Clemenceau die Ministerpräsidentschaft übernahm78, befand sich Iswolski, bereits Minister geworden, in Paris. Bei einer Konferenz zwischen 78
Georges Clemenceau war seit 23. 10. 1906 französischer Ministerpräsident.
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Julius Szeps
Clemenceau, Iswolski und Crozier, der damals noch Gesandter in Kopenhagen war, wurde die Lage besprochen. Crozier und Iswolski waren gleichzeitig in Kopenhagen Gesandte gewesen, und ihr deutscher Kollege war damals Herr von Schoen. Bei der Zusammenkunft nun in Paris entwickelte Iswolski Ansichten über die europäische Lage, welche für Deutschland ziemlich günstig klangen. Crozier war darüber einigermaßen erstaunt, und er gab dieser Überraschung, als er mit Iswolski allein war, auch Ausdruck mit dem Hinweise darauf, daß er in Kopenhagen anders gesprochen habe. Darauf erfolgte seitens Iswolskis eine charakteristische Antwort. Er sagte: Rußland ist nicht in der Lage, während seiner inneren Wirren sich Deutschland zum Gegner zu machen. Wenn Deutschland seine der russischen Regierung günstige Haltung änderte und auch nur den Waffenschmuggel nach Polen erlaubte, oder gar wenn es den terroristischen Anschlägen freien Lauf ließe, so wäre Polen überhaupt nicht von Rußland zu behaupten. Die Zusammenkunft König Edwards, Iswolskis und Clemenceaus zu Marienbad am 26. August 1908 war ein überaus wichtiges Ereignis. Sie nahmen das Frühstück auf der Terrasse des Hotels, und im Anschluß daran entwickelte sich ein Gespräch, bei dem der König kein Hehl aus seiner düsteren Auffassung der europäischen Lage machte. Er wies auf die Erfahrungen hin, die er in der Zusammenkunft in Cronberg und Ischl gemacht hatte79, und ließ durchblicken, daß ein Krieg zwischen Deutschland und England im Bereiche der Möglichkeit liege. Clemenceau war sehr überrascht, als er Iswolskis leichtherzige Zustimmung zu den Ansichten und Plänen des Königs gewahrte. Clemenceau gab gleich damals seiner Abneigung Ausdruck, Frankreich in diesen Krieg verwickeln zu lassen. Damals und in anderen Unterredungen fand er den König voll gesunden Menschenverstandes, als trefflicher Causeur, zwar ohne eigentliche politische Bildung, aber von einer nicht gewöhnlichen Fähigkeit, politische Situationen aufzufassen und sein Verhalten nach ihnen einzurichten. Bei diesen Zusammenkünften zeigte er sich in einem ungewöhnlichen Maß deutschfeindlich. Er äußerte seine Unzufriedenheit über seine liberalen Minister, die ihm auf seinem Wege nicht folgen wollten, und Clemenceau erhielt den Eindruck, daß, wenn er Bundesgenossen fände, er zu einem Kriege mit Deutschland bereit sei. Nun hatte Frankreich keine Möglichkeit, in einem Kriege zwischen Deutschland und England neutral zu bleiben. Schon im Jahre 1904 hatte Graf Henckel-Donnersmarck80 der französischen Regierung eröffnet, daß Deutschland die Neutralität Frankreichs in einem solchen Kriege nicht akzeptieren könne. Frankreich müsse sich entweder mit Deutschland verbünden, was der Natur
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Mit dem deutschen und dem österreichischen Kaiser im August 1908. Wahrscheinlich der Montanindustrielle und Geheime Rat Fürst (seit 1903) Guido Henckel von Donnersmarck.
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der Sache nach ausgeschlossen war und ist, oder aber es müsse einer Kriegserklärung seitens Deutschlands gewärtig sein. In den Unterhandlungen nun zu Marienbad und in späteren Besprechungen eröffnete Clemenceau den englischen Staatsmännern, daß für Frankreich eine bestimmte strategische Gefahr bestünde. Seine Ostgrenze ist allerdings durch Forts aufs festeste verschanzt, und ein Durchbruch der deutschen Armeen nur unter großen Schwierigkeiten möglich. Frankreich besitzt aber eine schwache Seite, und das ist seine nördliche gegen Belgien offene Grenze. Es wäre nicht unmöglich, daß, wenn Deutschland sich von mehreren Mächten angegriffen sehe, es das äußerste aufs Spiel setzen, die belgische Neutralität verletzen und von dort aus den Krieg nach Frankreich hineinspielen werde. Clemenceau verlangte also für diesen Fall eine Sicherung Belgiens durch ein britisches Landheer. Der König ist für den Gedanken eingenommen, daß England die allgemeine Wehrpflicht einführe, um mit mehreren hunderttausend Mann auf dem Festlande erscheinen zu können. Seine liberalen Minister jedoch, die Stimmung der mittleren und der arbeitenden Klasse erkennend, sind für dieses Projekt nicht zu gewinnen; zumal der Finanzminister Lloyd George ist ein Mann des Friedens und solchen Abenteuern abhold. Lloyd George ist aber dabei ein Mann von geringer Kenntnis dessen, was auf dem Kontinent vorgeht. So sprach er einmal einem französischen Minister gegenüber die Annahme aus, der französische Senat sei eine erbliche Kammer, und war sehr überrascht zu hören, daß auch er aus der Wahl des Volkes hervorgehe. Als nun Clemenceau einmal zum König eine Bemerkung machte, daß manche seiner Minister nicht auf der Höhe stünden und keine größere politische Bildung besäßen, sagte der König verächtlich, er liebe diese Leute umso weniger, als viele nicht bloß ungebildet, sondern auch Schwätzer seien. Alle diese Eindrücke wirkten nachhaltig auf Clemenceau, so daß er, von Marienbad sich verabschiedend, den Ausspruch tat: „Der Krieg ist unvermeidlich." Daher kam es, daß er die von England betriebene Politik, die sich gegen Österreich-Ungarn kehrte, von vornherein nicht mitmachte. Clemenceau besitzt eine eigentümliche Ansicht über die Notwendigkeit des Bundes zwischen Deutschland und Österreich-Ungarn. Er ist dieser Allianz nicht einmal abgeneigt. Er behauptet nämlich, daß dadurch auf Deutschland ein mäßigender Einfluß geübt werde. Dies drückte er in einem geistreichen Bilde aus. Er sagte nämlich: Ein Elefant ist nur dann zu zähmen, wenn er sich in Gesellschaft befindet; ist er allein, so bricht er aus und zerstört alles weit und breit. Nach dieser Auffassung wäre Östereich-Ungarn gewissermaßen der Kornak, der den deutschen Elefanten zu fuhren hat. Crozier, der dieser Politik mit innerster Überzeugung dient, äußerte sich schon im November, daß die künftige Konferenz nichts anderes sein solle als ein „enregistrement", um die fertigen Tatsachen in das europäische Vertragsrecht aufzunehmen.
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Die Aufnahme Iswolskis in Paris Anfang Oktober 1908 war möglichst ungünstig. Clemenceau warf ihm geradezu vor, daß er einen Verrat geübt habe. Wie, so sagte er zu ihm, Sie haben mit Österreich-Ungarn vor Wochen über die Abänderung eines Vertrages unterhandelt, unter dem die Unterschrift Frankreichs steht, und haben uns darüber nichts mitgeteilt? Dies bezog sich sowohl auf die Annexion Bosniens wie auf die Durchfahrt der Russen durch die Dardanellen. Und Clemenceau fügte hinzu, daß Frankreich gegen die Erfüllung der Wünsche Rußlands in der Sache nichts einzuwenden hätte, daß er es aber ablehnen müsse, Iswolskis Forderungen jetzt in London zu unterstützen, weil sein Verfahren es ihm unmöglich mache, Frankreich zu engagieren.
Julius Szeps, Chefredakteur der Wiener Allgemeinen Zeitung
19. und 20. Februar [1909] Tagebuch; Sekretär 3
Dr. Szeps erzählte mir: Der Aufenthalt König Ferdinands von Bulgarien in Wien - er wohnt im Palais Coburg - ist diesmal von großer Bedeutung. Eine der nächsten Vertrauenspersonen des Königs steht mit Szeps in Verbindung und teilte ihm schon früher mit, große Dinge stünden bevor. Heute ganz in der Früh wurde Dr. Szeps von ihm antelephoniert und erhielt folgende Mitteilung: In dieser Nacht war der türkische Botschafter bis zwei Uhr bei dem König, und sie haben zusammen die Grundzüge des Vergleiches zwischen der Türkei und Bulgarien festgesetzt. Dies alles in tiefstem Geheimnis, weil sie übereingekommen sind, den Iswolskischen Vorschlag völlig beiseite zu lassen81. Rußland wird also nicht dazwischentreten, sondern Bulgarien und die Pforte werden direkt abschließen. Der König verkehrte unausgesetzt mit bulgarischen Vertrauensmännern, Kuriere von und nach Sofia waren in Bewegung, und so könnte das Werk rasch beschlossen werden. In der Sache selbst aber ist alles entschieden. Uber diese Angelegenheit sprach Szeps am nächsten Tage, dem 20. Februar, mit Cartwright. Er erklärte sich mit dem direkten Abkommen zwischen Sofia und Konstantinopel völlig einverstanden. Von Iswolski sprach er mit großer Geringschätzung. Wenn man einen Vorschlag mache, so müsse man in den Ziffern genau und klar sein. Davon aber sei in dem Iswolskischen Plane keine Rede. Er sei „mit slawischer Phantasie" entworfen, welche dort, wo es sich um Zahlen und Ziffern handle, noch mehr schade als sonst. Bei diesem Anlasse setzte Cartwright den Grund auseinander, warum er seine Meinung geändert habe und die Politik
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In der Frage der finanziellen Ablösung der türkischen Ansprüche an Bulgarien hatte Rußland vorgeschlagen, diese Zahlungen gegen noch bestehende Forderungen an die Türkei zu übernehmen.
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Aehrenthals unterstütze. Durch die tatkräftige Politik, die Aehrenthal inaugurierte, nahm Österreich-Ungarn wieder den ihm gebührenden Platz in Europa ein. Früher bestand hier eine Lücke, und es war nicht von Nutzen, daß Österreich-Ungarn nicht viel mehr wog als Belgien. Ein starkes Österreich-Ungarn aber diene der Erhaltung des Gleichgewichts in Europa.
Freiherr Alois Lexa von Aehrenthal, Außenminister 28. Februar 1909 К 4, U Notizen und Druckunterlagen zur Persönlichkeitsgeschichte Aehrenthals Er läßt mich einladen, um mit mir über die übernommene Arbeit zu sprechen82. Ich legte ihm dar, wie ich die Arbeit angefaßt und wie weit ich sie geführt habe. Darauf er: Ich wollte Ihnen die Sachlage erläutern und Ihnen sagen, daß die Publikation hinausgeschoben werden muß. Es ist ganz gut, daß Sie einen energischen Ton angeschlagen haben, aber es wäre noch voreilig, damit hervorzutreten. Denn augenblicklich sind die Mächte damit beschäftigt festzustellen, was sie Serbien sagen sollen, und sind noch nicht zu Ende gelangt. Diese Aktion kann sich noch hinziehen. Ob der Schritt der Mächte von Erfolg begleitet sein wird? Graf Forgäch, der mir genau Bericht erstattete, ist der Meinung, dies hänge ganz von der Form "und der Bestimmtheit" ab, in der er erfolgt. Träten die Mächte kräftig auf, so ist es nicht unmöglich, daß Serbien ausdrücklich den Anspruch auf Bosnien und Herzegowina aufgibt. Sollte dies nicht geschehen, so werde Östereich-Ungarn selbst eine Demarche machen. Denn ich werde durchaus nicht zulassen, daß der Kihs [?]83 verklebt und verschmiert wird. Indessen muß ich noch damit warten, da die Zeit der großen Wasserstände kommt, während der die militärischen Operationen sehr schwierig wären. Als ich nachdrücklich fragte, ob Aehrenthal es vorziehe, den Erfolg auf friedlichem Wege zu erreichen, sprach er sich ruhig und bestimmt in diesem Sinne aus. Er stimmte mir zu, daß es für Österreich und für ihn etwas Größeres wäre, wenn Serbien zu dem Verzicht ohne Krieg genötigt würde. bDie Serben müssen aber zur Erkenntnis kommen, daß die Macht, welche über ihre Geschicke entscheidet, in Wien ihren Sitz hat, und daß Rußland nicht stark genug ist, ihnen die von ihnen erhoffte Unterstützung zu leihen.b Jedoch, so 82
Friedjung hatte das Angebot des Außenministers angenommen, in einem Aufsatz die österreichisch-ungarische Politik gegen Serbien historisch zu rechtfertigen; vgl. S. 205. 83 Vielleicht Kis, türkisch für Beutel und Recheneinheit für größere Gold- und Silbersummen. """ Ergänzung. b_b Ergänzung.
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Julius Szeps
fügte er hinzu, müsse dies innerhalb der nächsten zwei Monate geschehen. Denn alle Berichte aus dem Balkan stimmen darin überein, daß dann in Mazedonien wieder Unruhen beginnen werden. Es wäre nun bedenklich, wenn diese Konflikte mit dem österreichisch-serbischen Zwist zusammenflößen. Ich benutzte die Gelegenheit, um ihn zu fragen, ob es denn wahr sei, daß der Erzherzog Franz Ferdinand sich gegen die Souveränitätserklärung ausgesprochen habe. Er fragte mich, woher ich das wisse; ich aber bat ihn, mir die Antwort zu erlassen, denn ich wollte nicht Baernreither als meine Quelle nennen. Darauf gab mir Aehrenthal folgende Auskunft: Der Thronfolger habe in der Tat zuerst Bedenken geäußert, habe hervorgehoben, man könne nicht wissen, welche Folgen entstehen könnten. Aber nach eingehender Diskussion gab er seine Zustimmung, und seine Ratschläge waren dann stets besonnen und maßvoll. Zuletzt legte er sogar Wert darauf, als kräftiger® Anreger der Sache zu gelten, und ließ dies auch verbreiten. Nun, das sei menschlich natürlich; wichtig aber und sehr erfreulich sei, daß er auch, was die militärischen Maßregeln betraf, immer für ein ruhiges, nicht übereiltes Vorgehen eintrat. Dies erweckte bei Aehrenthal auch für die Zukunft gute Hoffnungen.
Julius Szeps, Chefredakteur des Fremdenblattes
7. März 1909 Tagebuch
Szeps ist seit dem 1. März Chefredakteur des Fremdenblatts. In dieser Eigenschaft meldete er sich bei Aehrenthal, mit dem er eine einstündige Unterredung hatte. Er sprach ihn zum ersten Mal: Er fand ihn entgegenkommend, angenehm, von rascher Auffassung, mitteilsam. Szeps berichtete ihm viel über seine Beziehungen zu Clemenceau84 etc., und Aehrenthal ging darauf ein, erzählte selbst auch. So über die Zusammenkunft zu Buchlau85. Iswolski wollte damals für Serbien eine territoriale Kompensation erreichen; zuletzt sagte [er]: Geben Sie ihnen wenigstens eine Insel in der Donau! Worauf Aehrenthal: Es gibt keine, die in Frage stünde, und wenn es eine gäbe, so hätte ich kein Recht, sie zu verschenken. Er erzählte Aehrenthal den Anlaß zu dem tiefen Mißtrauen Clemenceaus gegen Iswolski; Szeps ist darüber genau unterrichtet, weil er ein Freund des Herrn von Steinacker ist, der für Clemenceau der Gewährsmann ist. Julius Szeps' Schwester Sophie war seit 1886 mit Georges Clemenceaus Bruder Paul verheiratet. 85 Am 15. 9.1908 war der öst.-ung. Außenminister mit seinem russischen Amtskollegen im mährischen Schloß Buchlau zusammengetroffen. " gestrichen. 84
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Steinacker war französischer Konsul in Yokohama zur Zeit, als Iswolski dort Gesandter war. Nun sendete Steinacker scharfe Berichte über japanische Verhältnisse in [sie!] Paris. Dies wußte Iswolski, und eines Tages erschien er bei Steinacker und gab sein Interesse für diese Berichte kund und bat um den nächsten derselben. Steinacker teilte das dem französischen Botschafter mit, der dies auffallend fand und Steinacker nach einigem Überlegen sagte: Machen Sie zwei Berichte, einen für Paris, einen für Herrn Iswolski. Das war sehr vorsichtig gehandelt, denn Iswolski, um den Japanern einen Gefallen zu erweisen, übergab ihrer Regierung die präparierte Arbeit Steinackers. Dies erfuhr Clemenceau durch Steinacker und hegte infolgedessen Mißtrauen und Abneigung gegen Iswolski. Dies geht soweit, daß er von ihm zu Szeps mit Verachtung über ihn [sie!] sprach. Als sie [im] August 1908 in Karlsbad waren, wollten sie König Edward in Marienbad besuchen86 und benötigten zu diesem Zweck zwei Automobile. Clemenceau mietete eines für sich, und da Iswolski anfangs keines auftreiben konnte, lud er Iswolski zur Fahrt ein. Dieser nahm an, doch gelang es ihm sodann, doch selbst ein Auto zu mieten, und sagte bei Clemenceau ab mit der Begründung, daß doch jeder von ihnen seinen Sekretär mitnehmen wolle. Clemenceau war das sehr zufrieden, und er sagte zu Szeps: Ich bin sehr froh darüber, denn Iswolski wäre imstande, das Automobil in Karlsbad zu verkaufen. Diese Erzählungen unterhielten Aehrenthal vortrefflich und versetzten ihn bei seinem bekannten Verhältnisse zu Iswolski in fröhliche Laune.
Henry Wickham Steed, Wiener Korrespondent der Times
10. März 1909 Tagebuch; Sekretär 3
Im April 1907 bemühte sich Aehrenthal für [sie!] eine Entente von vier Mächten: Österreich-Ungarn, Deutschland, Frankreich und Rußland. Deutschland sollte Kapital für die Bagdadbahn bekommen, Österreich Bosnien, Rußland die Dardanellen und Frankreich Erleichterungen in Marokko. Es sollte gewissermaßen eine Quadrupelallianz gegen England aufgerichtet werden. Als die erste Nachricht hiervon nach England kam, hielt man die Sache für unsicher, und noch im August sagte Hardinge, als er in Ischl von Steed interpelliert wurde87, ob an der Sache etwas sei, daß man in Petersburg der Meldung ein Dementi entgegengesetzt habe; sie sei also 86
87
Der französische Ministerpräsident und der russische Außenminister weilten zur Kur in Karlsbad, König Edward VII. in Marienbad. Vgl. S. 212 f. Vor Antritt seiner jährlichen Kur in Marienbad besuchte der englische König wie üblich Kaiser Franz Joseph in Ischl. Er wurde dabei von Unterstaatssekretär Sir Charles Hardinge begleitet.
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Henry Wickham Steed
schwerlich begründet. Als aber Goschen im Oktober 1907 nach London reiste, sagte ihm Hardinge, daß seither ein so gut wie unwiderleglicher Beweis für die Richtigkeit der Nachricht beigebracht worden sei. Das war eine der Ursachen, weshalb die englische Regierung von tiefstem Mißtrauen gegen Aehrenthal erfüllt wurde. England war wie begreiflich bemüht, den Reformen in Mazedonien einen internationalen Charakter aufzudrücken, sodaß es nicht bei Osterreich und Rußland stand, sich allein über sie zu verständigen. In diesem Sinne wurden auch die Finanzangelegenheiten geordnet, und die Finanzkommission zu Saloniki hatte einen internationalen Charakter. Schon Ende 1906 erklärte Iswolski, daß auch bezüglich der Justizorganisation in der Art vorgegangen werden solle, was Aehrenthal unangenehm berührte. Der Grundsatz wurde jedoch von Iswolski festgehalten, und als nach neunmonatlichen zähen Verhandlungen zwischen Aehrenthal und Iswolski endlich das Statut ausgearbeitet war, blieb es dabei, und es wurde an die übrigen Großmächte zur Prüfung übersendet. Nun behauptete Aehrenthal, daß er dieses Verhalten Iswolskis für einen Rücktritt von der Entente betrachte88, und daß er sich dadurch von der Verpflichtung enthoben fühle, gemeinsam mit Rußland vorzugehen; daher vereinbarte er den Bau der Sandschakbahn89, ohne Iswolski früher eine Mitteilung zu machen. Dies stimmt nicht genau, da wie gesagt Aehrenthal schon im März 1906 darauf vorbereitet war, Rußland werde die bisherige Methode verlassen, und trotzdem noch das ganze Jahr mit Iswolski zusammenwirkte. Bei ihrem Zusammentreffen gegen Ende 1907 haben sie auch zu wiederholten Malen eingehend die Angelegenheiten Mazedoniens besprochen und schieden in gutem Einvernehmen. Iswolski war also der Meinung, es bestehe noch zwischen ihm und Aehrenthal das beste Vertrauen. Da traf nun ein Geheimbericht aus Konstantinopel in Petersburg ein, in dem darauf aufmerksam gemacht war, Österreich-Ungarn verhandle mit der Pforte über den Bau der Sandschakbahn. Der Zar, so erzählte Iswolski persönlich Steed zu Karlsbad am 24. August 1908, war sehr überrascht und fragte Iswolski, was er von der Sache halte. Dieser bezeichnete die Mitteilung für unglaubwürdig, da ihm Aehrenthal bestimmt etwas hätte sagen müssen. Man legte also den Bericht ad acta. „Wie erstaunt war ich", so fuhr Iswolski fort, „als Graf Berchtold mir eines Tages amtlich hiervon Mitteilung machte, und ich der vollzogenen Tatsache gegenüberstand." Daher der Unwille des russischen Kabinetts gegen Aehrenthal. Nun ist es richtig, daß Iswolski trotzdem mit Aehrenthal während des 88 89
Die Vereinbarung von 1897, die auf die Erhaltung des Status quo am Balkan ausgerichtet war und Konsultationen der beiden Mächte vor Änderungen desselben vorsah. Die Verbindung des bosnischen mit dem türkischen Bahnnetz durch den Sandschak von Novibazar. Vgl. Solomon Wank, Aehrenthal and the Sanjak Novibazar Railroad. A Reappraisal; in: Slavonic and East European Review 42 (1964) 353-369.
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Jahres 1908 den Faden weiterspann, und ich gebe zu, daß er hierbei hinter dem Rücken Englands Dinge besprach und verabredete, die dem Londoner Kabinett unangenehm sein mußten. Es konnte England nicht passen, daß Iswolski sich mit Aehrenthal über die Öffnung der Dardanellen auseinandersetzte90. Ob Iswolski über diese England vor allem berührende Angelegenheit früher mit Grey verhandelte, vermag ich nicht zu sagen. Aus dem ganzen Zusammenhange der Dinge sollte man schließen, daß dies nicht der Fall gewesen sei. Es ist wirklich auffallend, daß schon zehn Tage nach Reval91 am 19. Juni 1908jenes aide-memoire von Petersburg nach Wien abging, in welchem die Kompensation Bosniens und der Dardanellen vorgeschlagen wurde92. Ich kann es Ihnen ganz offen sagen, fuhr Steed auf meine Frage fort, woher ich Kenntnis von dem Vorschlage vom 19. Juni 1908 habe. Die Erwähnung hiervon findet sich in den amtlichen Mitteilungen des Wiener Kabinetts an die europäischen Kanzleien, als es in seinem Streite mit Iswolski einen Rückblick auf das warf, was zwischen Wien und Petersburg in der Sache vereinbart worden war93. Ich las das Aktenstück auf einer Botschaft, wußte aber selbstverständlich nicht genau, was in dem aide-memoire oder in dem Briefe vom 19. Juni stand, den Aehrenthal hier erwähnte. Es ist mir erst später, zum Teil auch durch Ihre Mitteilungen klar geworden, wieweit Iswolski sich bereits im Juni auf die bosnische Angelegenheit einließ.
Freiherr Alois Lexa von Aehrenthal, Außenminister 14. März 1909 К 4, U Notizen und Druckunterlagen zur Persönlichkeitsgeschichte Aehrenthals Ein inhaltsreiches Gespräch. Gegenüber den mir im Februar gemachten Mitteilungen, welche einen Konflikt mit Serbien in der Nähe zeigten, finde ich Aehrenthal weniger schroff. Er schiebt die Abrechnung mit Serbien mehr hinaus. Aber wie er die Dinge zeigt, das ist ein kleines Meisterstück politischer Perspektivenmalerei. Die innere Geschlossenheit seiner Auffassung ist gewinnend, wenn nicht überwältigend. Er ist wie in einem Harnisch von Syllogismen gekleidet. Schier lückenlos der Gedankengang. Dazu stimmt sehr gut die Tonlosigkeit seines Vortrages. Er unterstreicht nichts und wirkt doch durch die Einheit der Vorstellung, die er von der Zukunft hegt, und in der [er] seinem eigenen Handeln die Stelle anweist. In dieser allgemeinen 90
91 92 9:i
Rußland versuchte vergeblich, eine Änderung des Dardanellenvertrags von 1841 zu erreichen, der die Meerengen für Kriegsschiffe sperrte. Am 9. und 10. 6. 1908 trafen sich König Edward VII. und Zar Nikolaus II. in Reval. Das russische Aide-memoire vom 19. 6. 1908 in ÖUA Bd. 1, 9-11. Wohl das Aide-memoire vom 23. 12. 1908 in ÖUA Bd. 1, 656-657.
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Tonlosigkeit gehen selbst hübsche Pointen beinahe unter, an die man sich später gerne erinnert. Daß straffe Logik auch einen Schönheitswert besitzt, weiß jedermann. Darin liegt der Reiz des Gesprächs mit Aehrenthal. Übrigens nicht darin allein. Anziehend ist aber auch das diplomatische Gesamtbild der Lage. Aber es ist schwer, es wiederzugeben. Denn in den Zwischensätzen, in den Nuancen liegt soviel Wichtiges, und es ist, da er rasch spricht und, wie gesagt, nichts unterstreicht, sehr schwer, seine Auseinandersetzung wiederzugeben. Es ist wirklich ein „Expose", gehalten zu Nutz und Frommen des Hörers. Indessen, es ist eine Tatsache, daß er in diesen letzten drei Gesprächen doch Schritt für Schritt in seinen Forderungen an Serbien anspruchsloser geworden ist. Drängte sich mir nicht diese Empfindung auf, so wäre der Eindruck des Gesprächs noch stärker.3 „Wir müssen jetzt abwarten", so ungefähr seine Darlegung, „was Serbien uns auf die durch den Grafen Forgäch übergebene Note antwortet94. Das würde wohl im Laufe der Woche geschehen. Bei der in Belgrad herrschenden Verworrenheit läßt sich das nicht genau voraussagen, vermutlich wird Serbien auf die den Mächten bereits übergebene Antwort hinweisen. Es wird wohl nichts Bestimmtes, Greifbares sein; dann werden noch Kommentare kommen, die abschwächen werden und selbst Beleidigendes für ÖsterreichUngarn enthalten dürften. Nun werden wir Serbien wieder den Ernst zeigen, und etwa in der Mitte oder Ende der nächsten Woche werden wieder Verstärkungen nach Bosnien und der Herzegowina hinabgehen. Nicht eine Mobilisierung erfolgt, sondern, wie gesagt, die Erhöhung der Besetzung in den beiden Ländern. Das ist nach dem Urteil des Generalstabschefs unbedingt notwendig, um jeden Einfall, jede Erhebung unmöglich zu machen. Bisher ist dies nicht der Fall, denn die Maßregeln Serbiens an der langgestreckten Drinagrenze sind so geschickt, daß sehr leicht ein Einfall an einer unbewachten Stelle erfolgen könnte; auch das Auffliegen eines Putsches ist nicht unmöglich, wenn auch keine größere Gefahr daraus erfolgen könnte. Dann aber werden Bosnien und die Herzegowina gegen alles gesichert sein. In Südungarn jedoch soll nichts neues Militärisches verfügt werden; wenn die Mobilisierung gegen Serbien erfolgen sollte, dann erst marschieren hier die entsprechenden Truppenmengen auf." Als ich nun bemerkte, daß ich angenommen hätte, daß unmittelbar nach dem Akkord mit der Türkei (26. Februar)95 der entsprechende Schritt geDie österreichisch-ungarische Note wurde am 6. 3. 1909 übergeben, die serbische Antwort erfolgte am 15. März. Vgl. ÖUA Bd. 2, 30-31 und 104-105. 95 Vgl. zu den Verhandlungen, die zur Einigung mit dem Protokoll vom 26. 2. 1909 führten, Diplomatische Aktenstücke betreffend Bosnien und die Herzegowina 1908 bis 1909, hrsg. vom к. u. k. Ministerium des Äußern (Wien 1909). " Randbemerkung: Diese Annahme erwies sich später als irrig. Aehrenthal hat alles durchgesetzt, was von ihm ins Auge gefaßt war (19. IV. 1909). 94
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gen Serbien gemacht würde, erwiderte Aehrenthal: „Das konnte schon deshalb nicht geschehen, weil nach dem Urteil der Militärs jetzt wegen des Eisganges und der Überschwemmungen das Kriegführen überaus schwer wäre. Wenn wir aber zugreifen, so muß der Krieg in raschen Schlägen erfolgen und womöglich bald beendigt sein. Auch ist es notwendig, daß die öffentliche Meinung in Europa sich davon überzeugt, daß wir alle friedlichen Mittel erschöpft haben." Nun ja, warf ich ein, aber zum Uberzeugtwerden gehört guter Wille. Gewiß, lautete die Antwort, und die obersten Führer der Geschäfte in Rußland, Frankreich und England werden nicht überzeugt sein wollen, wohl aber die breiten Schichten. Auch der deutsche Generalstabschef Moltke ist der Meinung, man solle daraufhin vorbereitend wirken. Ich meinte nun, daß Serbien sich nicht früher fügen werde, bis nicht die Mobilmachung seitens Österreichs erfolge. Dann, erwiderte Aehrenthal, wäre es schon zu spät, dann müssen wir wirklich losschlagen; denn wer bezahlt uns sonst die Kosten der Mobilisierung? Serbien kann allerdings nach einem Kriege zahlen, denn es ist kein armes Land. Ein Land, das 100 Millionen Francs für Rüstungen ausgeben kann und noch einen Goldschatz besitzt, ist nicht arm. Nach einem Kriege, darin haben Sie Recht, können wir uns noch durch die 40-50 Millionen Kanonen, Gewehre etc., die sie zuletzt angeschafft haben, bezahlt machen [sie!]. Dagegen aber ist es ausgeschlossen, daß wir Serbien auch nach einem siegreichen Kriege ganz der Monarchie einverleiben. Das würde die Schwierigkeiten im Inneren erhöhen und uns in die größten Verwicklungen mit Rußland und Italien stürzen. Wir können aber vielleicht ohne Krieg zu einer wenn auch nicht ganz entsprechenden Lösung kommen. Wir können erreichen, daß Serbien die Erklärung, es ziehe seine Ansprüche auf Bosnien und die Herzegowina zurück, in Wien wiederholt. Da dies aber doch nur verklausuliert geschehen dürfte, so gedenke ich am 31. März den zu Ende gehenden Handelsvertrag nicht zu verlängern96. Ich werde Serbien nur einen Meistbegünstigungsvertrag anbieten, der es überflüssig macht, daß wir in einen Zollkrieg geraten. Allerdings müssen wir Serbien dann die Einfuhr auch von geschlachtetem Vieh verweigern; die Summe, die wir Serbien bisher eingeräumt haben, soll auf Rumänien übertragen werden. Dagegen werden wir Serbien gestatten, so viel geschlachtetes Vieh, als es nur mag, durch Österreich-Ungarn durchzuführen. Ein Peage-Vertrag durch Bosnien sowie die Einrichtung eines Freihafens zeigt sich indessen nicht als durchführbar. Mehr kann Serbien nicht gewährt werden, deshalb, weil ich es nicht für zweckdienlich halte, jetzt einen Kampf gegen die Agrarier und deren 96
Der am 14. 3. 1908 geschlossene Handelsvertrag mit Serbien war zunächst bis 31. 12. 1908 provisorisch in Kraft gesetzt worden; nach einer Verlängerung bis 31. 3. 1909 wurde er außer Kraft gesetzt, zu einer parlamentarischen Verabschiedung kam es aufgrund der sich zuspitzenden Beziehungen zu Serbien nicht.
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Übermut durchzufechten. Aus all diesen Anordnungen wird Serbien ersehen, daß es nur sein Nachteil ist, wenn es sich an Rußland hängt; nur von Wien aus kann es wirklich Förderung erhalten. Übrigens wird sich Bosnien und unser ganzes serbisches Gebiet bald als Anziehungskraft auch Serbien gegenüber erweisen. Der Kaiser wird den Titel eines Königs von Bosnien annehmen und wird jedenfalls ein größerer Herr sein als der König von Serbien. Mit der Zeit wird sich auch aus den serbo-kroatischen Ländern ein Ganzes herausgestalten. Sie werden es mir nicht verübeln, wenn ich mich jetzt darüber noch nicht äußere. Jüngst besuchte mich Viadan Georgevic, der sich durch Baron Schwegel empfehlen ließ. Er ist eine interessante Persönlichkeit und spricht auch sehr gut. Er wollte von mir eine Andeutung erhalten, was ich unten beabsichtige. Darauf konnte ich mich nicht einlassen, wenn er auch seinen Gegensatz zu den Karageorgevic nicht verhehlte. Ich mußte mich damit begnügen, ihm bestimmt zu sagen, was ich jetzt Serbien gegenüber beabsichtige. Aber es ist unsere Aufgabe in den nächsten Jahren, eine definitive Gestaltung der Dinge in Bosnien vorzubereiten. „Ihre Annahme, daß sich der große europäische Gegensatz in den letzten Wochen abgeschwächt habe, ist nicht zutreffend. Es ist vielmehr noch ein heftiges Ringen zu verzeichnen. Wie Sie wissen, war ein Schritt der Großmächte in Belgrad beabsichtigt, den Bülow mit Cambon verabredete; es waren Ratschläge an Serbien beabsichtigt, wie eigentlich ich sie formuliert hatte. Aber Rußland kam den Mächten zuvor und setzte sich allein mit Serbien in Verbindung, und darauf folgten Frankreich, England der Initiative Iswolskis. Es liegt diesen beiden Kabinetten vor allem daran, Iswolski einen Erfolg über mich zu verschaffen. Es ist nun dasselbe Spiel seitens Englands. aEs ist ihnen ja gelungen, in der Marokkofrage einen Vorteil für Frankreich gegen Deutschland herauszuschlagen, und diese leidige Angelegenheit ist wirklich durch einen taktischen Rückzug Deutschlands abgeschlossen worden.8 bWährend desselbenb war man bemüht, Deutschland einzukreisen und Osterreich von Deutschland abzuziehen. Das habe ich in Ischl durchkreuzt, indem ich dem König Edward und Hardinge gegenüber kein Hehl daraus machte, daß es eine Frechheit sei, von Deutschland eine Abrüstung zu verlangen97; ich habe damals erklärt, daß Österreich-Ungarn zwar eine ganz unabhängige Politik verfolge, jedoch unter keinen Umständen von dem Bündnisse mit Deutschland zurücktreten werde. Seitdem versucht man, dieses Ziel auf anderen Wegen zu verfolgen. Dafür drückt man auf OsterreichKönig Edward VII. besuchte wie üblich auch im August 1908 vor Antritt seiner Kur in Marienbad Kaiser Franz Joseph in Ischl. Er wurde dabei von Unterstaatssekretär Sir Charles Hardinge begleitet. Vgl. dazu auch S. 95. Ergänzung. b_b Korrigiert von In den früheren Jahren. 97
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Ungarn, um es zu demütigen, um Rußland einen Erfolg zu verschaffen. "Es ist mir dann eine Zeitlang mit Iswolski wieder ein Abkommen gelungen, aber was zu Buchlau abgemacht wurde, blieb wirkungslos, weil England und Frankreich ihn bestimmt haben, seine Pläne bezüglich der Dardanellen fallen zu lassen.8 Wenn wir uns nun schwach zeigen und auch nur um einen Schritt zurückweichen, so wird der Ring um Deutschland und ÖsterreichUngarn noch fester geschlossen werden. Gelingt es den Ententemächten, auch Serbien in ihre Kreise zu ziehen und uns dort bleibende Verlegenheiten zu bereiten, so wächst die Gefahr für die nächsten Jahre, und es bereitet sich ein europäischer Gegensatz vor, der sich in einigen Jahren zu einem Kriege herauswachsen kann. Anders, wenn wir dem Rußland Iswolskis bei seinen Versuchen, ein Protektorat in Serbien auszuüben, von vorneherein entgegentreten und es in seine Schranken zurückweisen. Dann kann Rußland wieder zum Bewußtsein kommen, wie vergeblich seine Anstrengungen sind, gegen Österreich-Ungarn und mit England Einfluß auf der Balkanhalbinsel zu üben. bIn dieser ganzen Auffassung, im Großen wie im Detail bin ich mit Bülow ganz einig, und wir sind entschlossen, uns gegen Ost-West kräftig zu behaupten und die Geltung der österreichisch-deutschen Allianz deutlich fühlbar zu machen. Zum Glück hat sich Kaiser Wilhelm mit dem Fürsten Bülow vorgestern nachts, wo der Kaiser beim Kanzler zu Geiste war, völlig ausgesöhnt, und Bülows Stellung ist ganz befestigt. Das ist gut, da man nicht wissen kann, wer Bülow nachgefolgt wäre. Somit ist dafür gesorgt, daß wir in dieser Krise nicht allein stehen, und Rußland die Unmöglichkeit einsehen lernt, seine Absichten auf der Balkanhalbinsel zur Geltung zu bringen.b Es werden dann wieder die Kräfte zur Geltung kommen, die in St. Petersburg früher fur ein Zusammengehen mit Österreich-Ungarn wirksam waren. Unser Ziel muß darauf gerichtet sein, Rußland wieder auf diese Weise von seiner Verbindung mit England loszulösen und zu friedlichem Vereine mit Österreich-Ungarn zurückzuführen. Das wäre eine Sicherung des Friedens in Europa auf viele Jahre hinaus." °Die innere Einheit der Ausfuhrungen Aehrenthals ist in meiner etwas zerstückelten Wiedergabe nicht ganz wiedergegeben. Wenn ich das Gespräch je veröffentlichen sollte, müßten die Nähte verschwinden. Denn sie waren in seinem mit spielender Leichtigkeit gegebenem Expose nirgends sichtbar.0 Während Aehrenthal mir dieses diplomatische Weltbild entrollt hatte, in das noch so mancher von meinem Gedächtnisse nicht festgehaltene Zug, manche oft interessante Einzelheiten verwebt waren, war ich lebhaft gefesselt durch die Leichtigkeit seines Vortrags, durch die äußerlich unmerkliche, ,_a ь b cc
Ergänzung. Ergänzung. Ergänzung.
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aber meiner Empfindung [nach] doch deutliche Betonung des Wichtigen und des Nebensächlichen. Die Pointe des Exposes, Rußland zur Vernunft zu bringen, Iswolski zu entwaffnen und dort eine andere Strömung zur Geltung zu bringen, wuchs naturgemäß aus den Grundlagen empor. Ich benützte die Gelegenheit, um ihn bezüglich der seltsamen Enthüllungen zu befragen, die mir Steed gemacht hatte, durch die er mir die von Aehrenthal gegen England gesponnenen Intrigen deutlich machen wollte (Plan einer Quadripelallianz Österreich-Ungarn, Deutschland, Frankreich, Rußland gegen England, siehe meine Aufzeichnungen zu März 190998). „Das ist", so die Aufklärungen Aehrenthals, „eine Eingebung der Phantasie des Herrn Steed. Es ist unrichtig, daß bei diesen Verhandlungen - Mai 1907 - von unserer Seite die Annexion Bosniens als Ziel ins Auge gefaßt war. Es handelte sich lediglich um Mazedonien. Es war klar, daß die liberale Partei in England, zur Regierung gelangt, sich mit dem revolutionären Plane trug, Mazedonien von der Türkei loszulösen. Demgegenüber nun wollte ich alle zu einer konservativen Politik geneigten Mächte einigen, damit die Reform in Bulgarien [sie!] nicht zum Anlaß eines Feldzuges gegen die Türkei gemacht würde. Am Tage jedoch nach der Mitteilung, die ich darüber an Iswolski gelangen ließ, war mein Vorschlag bereits dem König von England mitgeteilt. Darauf haben mich der König, Grey und Hardinge gestellt, und ich setzte ihnen offen meine Absicht auseinander. Aus der Haltung Iswolskis aber ersah ich, daß er entschlossen sei, ganz zu England hinüberzuschwenken, daß also eine Aufrechterhaltung der Entente mit Rußland nicht möglich sei." Aus dieser Mitteilung ersah ich wieder, daß der Grundzug der Aehrenthalschen Politik englandfeindlich sei; somit haben eigentlich seine Gegner in England manchen guten Grund. Ich möchte nun wissen, ob es einem nationalen, deutschen Untergrund in Aehrenthals Wesen mitentspricht, daß er so denkt und handelt. Ob dies aber der Fall ist oder nicht: Jedenfalls ist diese seine Auffassung für das Berliner Kabinett überaus wertvoll, ich möchte sagen: unbezahlbar. Er hält den Gegensatz zu England unendlich tiefer als den zu Rußland. Aehrenthal hat in der letzten [Zeit] den Korrespondenten des Daily Telegraph in Petersburg, Dillon, zweimal gesprochen. Er findet ihn interessant und spricht sich sehr anerkennend über die Artikel aus, die er in der Contemporary Review (November, Dezember, Jänner, Februar) veröffentlichte". Dillon hat in Petersburg mehrfach mit „meinem Freunde Schwanebach, der 98 99
Vgl. S. 217-219. Emile Joseph Dillon veröffentlichte in der Contemporary Review eine monatlich erscheinende Zusammenfassung der internationalen Situation unter dem Titel Foreign Affairs, die sich in den Monaten Dezember 1908 bis Februar 1909 intensiv mit der Balkansituation befaßte; vgl. The Contemporary Review 94 (Juli-Dezember 1908) 748-764, und 95 (Jänner-Juni 1909) 106-128 und 239-256. Im November 1908 widmete er seinen ganzen Artikel unter dem Titel The Near Eastern Crisis den Verwicklungen am Balkan; vgl. ebda 94 (Juli-Dezember 1908) 513-532.
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kürzlich verstorben ist100" und mit Graf Berchtold verkehrt. Aehrenthal hat Dillon gesagt, er habe ihm eigentlich nicht viel mitzuteilen, da er in seinen Artikeln ein ganz richtiges, sehr vollkommenes Bild von seiner Politik entwickelte.
Heinrich Tucher von bayerischer Gesandter
Simmelsdorf, in Wien [15. März 1909] К 4, U Notizen und Druckunterlagen zur Persönlichkeitsgeschichte Aehrenthals
Diese Äußerungen Aehrenthals 101 erhielten für mich eine willkommene Ergänzung durch ein Gespräch mit dem Gesandten Baron Tucher am nächsten Tag (15. März). Tucher richtete sich offenbar ganz nach seiner politischen Quelle, dem deutschen Botschafter. Er meinte: Man werde in Wien gegenüber Serbien so weit in der Nachsicht gehen als nur möglich. Dagegen stehe man mit größter Festigkeit auf dem Grundsatze, daß man Rußland und seinen Verbündeten nicht weichen dürfe. Unter keiner Bedingung werde Wien mit Belgrad über Petersburg sprechen. Die Serben müssen direkt mit Österreich-Ungarn sprechen und unterhandeln. Iswolski habe ja in der letzten Zeit einige Erfolge erzielt. Uber die türkisch-bulgarische Angelegenheit102 wird in Petersburg verhandelt. Dann werden die serbischen Noten nach Petersburg zur Redigierung geschickt und so, wie man dort wolle, hergerichtet. Aber die Politik Österreich-Ungarns und Deutschlands ist eben darauf gerichtet, Rußland keine Protektorstellung bezüglich Serbiens beziehen zu lassen. Man ist also in Wien und Berlin im Ganzen fester, abweisender gegen Rußland als gegen Serbien selbst.
[3. April 1909]" Tagebuch Ende Februar 1909 war mein Artikel „Österreich-Ungarn und Serbien" abgeschlossen, aber ich hielt ihn noch, da Aehrenthal die Zeit noch nicht für 100
Vgl. zum Verhältnis zwischen Außenminister Aehrenthal und dem russischen konservativen Politiker Petr von Schwanebach die resp. Korrespondenz in Aus dem Nachlaß Aehrenthal. 101 Vgl. S. 219-225. 102 Die Türkei verlangte eine finanzielle Entschädigung für verlorenen Staatsbesitz und entgangene Tributzahlungen zur Anerkennung der am 5. 10. 1908 einseitig verkündeten bulgarischen Unabhängigkeit. " Diese Zusammenfassung der Ereignisse ist in das Tagebuch eingelegt und mit der wieder gestrichenen Datierung versehen Aehrenthal 3. April 1909.
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gekommen hielt103, im Pulte. Etwa am 18. März telephonierte mir Jettel, ich möge ihm den Artikel senden, wie er stehe und liege. Darauf las auch Aehrenthal den Aufsatz und bestimmte, wie mir Jettel wieder telephonierte, er solle in der Neuen Freien Presse veröffentlicht werden. Darauf übergab Jettel den Aufsatz der Neuen Freien Presse, ihr den Wunsch des Ministeriums ausdrückend. Ohne daß ich also mit der Neuen Freien Presse zu dem Zwecke in Verbindung getreten war, wurde, wie mir Molden am 23. März telephonierte, die Veröffentlichung von der Redaktion angeordnet. Der Artikel erschien Donnerstag den 25. März, Maria Verkündigung104. Am 26. abends erhielt ich von Molden die telephonische Mitteilung, an die Redaktion sei ein Telegramm von Tuskan und Medakovic eingetroffen, in dem zur Nennung der Namen der Abgeordneten aufgefordert werde, die Bestechungen von Serbien angenommen hätten105. Ich wurde eingeladen, die Redaktion zu besuchen, um die Sache zu beraten. Da ich aber an diesem Abend Besuch bei mir hatte (Eisenmann, Redlich, Schwitzer, Pernerstorfer, Schenk), so erwiderte ich, daß ich mich am nächsten Tag um 12 Uhr mit der Neuen Freien Presse telephonisch in Verbindung setzen werde. Erst aus dem Telegramm Tuskan - Medakovic erfuhr ich, daß die Reichspost schon früher den Bericht des Spalajkovic vom 11. Juni106 abenützt hatte". Am 27. früh begab ich mich zuerst in die Redaktion des Fremdenblattes, um Leopold Mandl zu sprechen. Von ihm erfuhr ich Näheres über den Feldzug der Reichspost gegen die Kossuth-Partei und die serbisch-kroatische Koalition sowie über die Persönlichkeit Funders. In einem telephonischen Gespräch mit Funder wurde das gemeinsame Interesse gegen die klagenden Serben besprochen: Er sagte mir zu, sämtliche Artikel der Reichspost, die Angelegenheit betreffend, zu senden. Nun, da ich den Tatbestand kannte, begab ich mich [um] 11 Uhr Vormittag ins Ministerium des Äußern. Der Zufall wollte, daß ich - zum ersten Mal in meinem Leben - Aehrenthal in der Schauflergasse traf, auf dem Wege ins 103 104 105
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Vgl. S. 215. Neüe Freie Presse v. 25. 3. 1909, Morgenblatt 2-4, Österreich-Ungarn und Serbien. Friedjung veröffentlichte seinen Artikel, in dem er die militärischen Meißnahmen gegen Serbien im Anschluß an die Annexion Bosniens und der Herzegowina rechtfertigte und kroatische Politiker, ohne Namen zu nennen, des Hochverrates bzw. die serbische Regierung der Subversion beschuldigte, aufgrund von Dokumenten, die er vom Außenministerium erhalten hatte. Friedjung wurde aufgrund dieses Aufsatzes von den Mitgliedern der serbo-kroatischen Koalition im Agramer Landtag geklagt, der Prozeß endete mit einer Ehrenerklärung Friedjungs. Der Prozeß beendete auch Friedjungs Beziehung zu Aehrenthal, da dieser nicht bereit war, eine Entlastungsaussage für Friedjung zu geben. Eines der von Friedjung verwendeten Dokumente war ein angeblicher Bericht des Sektionschefs im Belgrader Außenministerium Miroslav Spalajkovic, in dem von der Ubergabe von Geld zur Finanzierung antihabsburgischer Aktivitäten die Rede ist. Korrigiert von veröffentlicht hatte und die Namen der beschuldigten Abgeordneten genannt hatte.
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Ministerium. Ich sah ihn zum ersten Mal nach seinem bereits klaren diplomatischen Erfolge. Ich fragte ihn, ob er jetzt endlich meinen Glückwunsch annehmen wolle, was er mit leisem Lächeln beantwortete, ich sprach ihm meine Freude aus, durch ihn den Einblick in das Werden eines Stückes Geschichte, und dazu noch eines den Österreicher erhebendes, gewonnen zu haben. Das nahm er anspruchslos auf und dankte mir für die ihm geliehene Unterstützung; er habe in den letzten Tagen mehrfach gehört, welch' günstigen Eindruck mein Artikel gemacht habe. Ich erwähnte nun die mir drohende Klage und fugte hinzu, ich sehe ihr mit Ruhe entgegen, da ich durch die von mir eingesehenen Schriftstücke gedeckt sei. Darauf Aehrenthal einfach: „Ja, Sie sind gedeckt. Sie können dessen sicher sein." Diese Versicherung genügte mir, wollte ich doch bloß wissen, ob ich mich auf die Dokumente im Ministerium des Äußern berufen könne. Darauf wandte er sich kurz der Besprechung der Lage zu. Es war nun merkwürdig, in welchem Widerspruche seine bescheidenen Bemerkungen zu der Größe seines diplomatischen Erfolges standen. Er sprach mit sanfter Stimme, und ohne den geringsten Zweifel aufkommen zu lassen von dem bevorstehenden Einlenken Englands. „Ich erwarte, so sagte er, morgen (Sonntag den 28. März) die Zustimmung Englands zu den von mir festgestellten Forderungen." Damit schieden wir, die letzten Sätze wurden schon vor dem Tore des Ministeriums gewechselt. Nun hatten die Morgenblätter die immerhin verstimmende Meldung gebracht, daß, während Rußland schon am 25. März die Zustimmung zur Annexion aussprach, England noch Schwierigkeiten machte. Es verlangte, "soweit die Informationen reichten," ein Junktim zwischen seiner Zustimmung und gewissen von dem Londoner Kabinett geforderten wirtschaftlichen Konzessionen an Serbien. Den ganzen Tag über sprach man noch von diesem Junktim, und Jettel wie Kania führten den Journalisten gegenüber eine scharfe, drohende Sprache: Nachgeben Englands und Serbiens oder Krieg. Ich konnte mir den Zusammenhang nicht erklären, erst in der Nacht vom 28. auf den 29. März (Sonntag vor Mitternacht) traf die Nachricht von dem völligen Nachgeben Englands ein. Wie kam es, daß Aehrenthal schon am 27. März 11 Uhr all dies als bestimmt und sicher ansah? Szeps nun, der Vielgeschäftige, gab mir einige Tage später die Aufklärung, soferne man seine Darlegung als authentisch ansehen kann. Crozier erzählte ihm, daß Aehrenthal am 27. März Nachmittag mit Cartwright eine Unterredung hatte, in der er die stärksten Kriegsdrohungen aussprach und England dafür verantwortlich machte, wenn die Waffen entscheiden müßten; Großbritanniens Zögerung ermutige Serbien zum Widerstand. Cartwright war ganz mit Aehrenthal einverstanden, daß die vom Wiener Kabi"" Ergänzung.
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Tagebuch
nett vorgeschlagene Formel in London zu akzeptieren sei. In diesem Sinne und in kräftigen Wendungen telegraphierte Cartwright an Grey und fügte die Worte hinzu: „Überlegen Sie zweimal, bevor Sie die Entscheidung fällen." Erst daraufhin gab die englische Regierung nach. Wenn dies wahr ist und ich habe keinen Grund, an dem Bericht Crozier - Szeps zu zweifeln - so ist Aehrenthals Voraussicht und ruhige Sicherheit geradezu überraschend. Er schätzte den Grad der englischen Widerstandsenergie richtig ein. Er nahm es als sicher an, daß er am nächsten Tag völlig Sieger sein werde. Indessen würde es sich empfehlen, daß ich Aehrenthal bei Gelegenheit befrage, ob er am 27. Nachmittag wirklich noch eine aufregende Unterredung mit Cartwright geführt hatte. Nachdem ich am 27. März Vormittag durch die Versicherung Aehrenthals wie durch die Gespräche mit Mandl und Funder aufgeklärt war, telephonierte ich um 12 Uhr an Molden: Ich hätte nichts dagegen einzuwenden, wenn die Erklärung von Tuskan - Medakovic in dem Abendblatt vom 27. erschiene107. Meine Entgegnung werde der Neuen Freien Presse am Abend zugehen. Molden erklärte sich einverstanden, fügte jedoch den Wunsch der Redaktion hinzu, ich solle diese Erklärung auch mit dem Advokaten der Neuen Freien Presse, Strauß, durchberaten. Am 27. im Abendblatte erschien also die an mich gerichtete Aufforderung Tuskans und Medakovic'. Nachmittag arbeitete ich in der Kanzlei Benedikts meine Entgegnung aus. Als ich sie Dr. Strauß zeigte, erhob er die stärksten Einwendungen, denen ich aber nur bezüglich gewisser Ausdrücke Raum gab. Strauß aber wiederholte seine Einwendungen in der Redaktion. Darauf bat mich Molden im Auftrage Benedikts, in die Redaktion zu kommen. Um Mitternacht hatte ich eine Unterredung mit Benedikt, in der der Text meiner Antwort festgestellt wurde. Er fordert mich auf, auch weiterhin an der Neuen Freien Presse mitzuarbeiten, was ich aber mit Hinblick auf meine anderweitigen Verpflichtungen und auf meinen Wunsch, mich ungestörter den historischen Arbeiten zu widmen, höflich ablehne. Am 28. März erschien im Morgenblatt meine Erwiderung108. Die Angelegenheit wurde im Ministerium des Äußern aufmerksam verfolgt, und Aehrenthal verlangte von dem Informationsbureau die Vorlage
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Neue Freie Presse v. 27. 3. 1909, Abendblatt 2. Die beiden kroatischen Politiker kündigen in diesem Telegramm rechtliche Schritte an und verlangen von Friedjung die Nennung von Namen. Das Telegramm erschien mit einem Zusatz der Redaktion, daß es Friedjung nicht unterlassen werde, darauf zu antworten. Die Entgegnung erschien in der Form eines Leserbriefes Friedjungs in der Neuen Freien Presse v. 28. 3. 1909, Morgenblatt 6. Er sagt darin, er habe den Artikel aufgrund „unanfechtbaren Aktenmaterials" geschrieben und wäre dabei „ebenso sorgfaltig und kritisch" vorgegangen wie bei seinen historischen Arbeiten. Da es wohl außer Streit stehe, „daß ich echte Schriftstücke und lautere Geschichtsquellen von unechten zu unterscheiden vermag", nehme er für den Aufsatz „vollste historische Glaubwürdigkeit in Anspruch".
Anfang April 1909
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des Berichtes des Spalajkovic. Da er nicht sofort gefunden wurde, so bat mich Generalkonsul Oppenheimer, zu ihm zu kommen und das Schriftstück herauszusuchen. Dies geschah. Es war, wie man aus dem Akt ersah, von Wekerle dem Freiherrn von Aehrenthal übergeben worden, und im Ministerium des Äußern traf man die Anordnung, eine Abschrift des Dokuments sei an den Kriegsminister, ins bosnische Bureau, dem Kaiser etc. zu übermitteln. Auf diese Weise scheint eine Abschrift auch an den Erzherzog Franz Ferdinand gelangt zu sein. Mandl sagte mir, die Artikel in der Reichspost seien von Danzer geschrieben. Ich besuchte darauf Danzer, der mir bestätigte, daß die Artikel von ihm seien, wenn die Redaktion der Reichspost auch manches hinzufügte und vergröberte. Der Stoff sei ihm von Major von Brosch, dem Adjutanten des Erzherzogs Franz Ferdinand geliefert worden. Er erhielt jedoch nicht den Bericht des Spalajkovic selbst, sondern nur Auszüge und Notizen, die er dann zu Artikeln in seiner Armeezeitung wie in der Reichspost und im Vaterland verarbeitete. Aus dem Gespräch mit Danzer erfuhr ich auch einiges über die Gesinnungen des Erzherzogs. In der Armeezeitung erschienen im Laufe des Winters heftige Artikel gegen die Zahlung einer Indemnität an die Pforte, geleistet durch Österreich-Ungarn. Brosch nun erzählte Danzer, er habe sich veranlaßt gefunden, dem Erzherzog zu versichern, daß die Artikel nicht von ihm herrühren noch von ihm inspiriert seien. Denn nicht lange vorher vertrat Brosch dem Erzherzog gegenüber ähnliche Anschauungen. Er betonte: Die Schwäche der österreichisch-ungarischen Regierung sei beklagenswert. Er, Brosch, wünschte, lieber ein bulgarischer als ein österreichisch-ungarischer Offizier zu sein. Denn Bulgarien habe den Türken bestimmt erklärt, es zahle nur 82 Millionen francs und nicht mehr, und habe darauf mobilisiert. Das sei ehrlicher gewesen als die Haltung Österreich-Ungarns. Dem nun, so erzählte Brosch dem Danzer, trat der Erzherzog entgegen und verteidigte die ruhige, den Frieden anstrebende Politik des Wiener Kabinetts. Auch darin also zeigte sich das Zusammenwirken des Erzherzogs mit Aehrenthal. Siehe das Gespräch Aehrenthals mit mir Anfang April.
Freiherr Alois Lexa von Aehrenthal, Außenminister Anfang April [1909] К 4, U Notizen und Druckunterlagen zur Persönlichkeitsgeschichte Aehrenthals "Ich ersuchte Aehrenthal um eine Unterredung, weil ich wissen wollte, wie weit seine Unterstützung in meinem Prozeß reichen werde.8 Ergänzung.
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Freiherr Alois Lexa von Aehrenthal
Zuerst Gespräch über die politische Lage. Richtige Heiterkeit lag über seinen Zügen, aber nicht mit einem Wort, nicht in einer Gebärde zeigte sich Selbstzufriedenheit oder Selbstbespiegelung. Als ich ihn fragte, ob er nach der schweren Krise nicht einer Erholung bedürfe, sagte er: „Ich bin mit meiner Gesundheit völlig zufrieden. Meine Nerven sind ruhig, und ich freue mich, daß sie die Probe so gut bestanden haben. Das kommt allerdings daher, weil es glücklicherweise während der ganzen Krise keine Reibungen gegeben habe. Ich habe es erst kürzlich dem Kaiser gesagt, wie wichtig dies für mich gewesen ist. Der Kaiser stand während der ganzen Zeit an meiner Seite, war niemals von gegenteiligen Strömungen beeinflußt, und alle Geschäfte spielten sich glatt ab. Ebenso ging es mir mit den beiden Ministerpräsidenten. Besonders günstig stand es mit dem Kriegsminister und mit dem Generalstabschef. Wenn ich ihnen sagte, ein Krieg mit Serbien stehe bevor, so stimmten sie zu, ihn zu führen; und als Rußland Schwierigkeiten machte, waren sie auch zu diesem Kriege bereit. Man kann nicht mehr verlangen." Aehrenthal sprach seine Zufriedenheit darüber aus, daß Deutschland an dem diplomatischen Erfolge der beiden Mächte ebenso Teil habe wie Österreich-Ungarn. Es war ein Fehler Frankreichs, daß es sich die Gelegenheit nehmen ließ, Deutschland zuvorzukommen und in Petersburg im Sinne der Anerkennung der Annexion zu wirken109. Es hätte dasselbe bewirkt und sein Prestige befestigt. Aber in Paris sind zwei Strömungen tätig, und Clemenceau war in den kritischen Tagen gerade krank, sodaß die französische offiziöse Presse gerade in dem Augenblick Osterreich entgegentrat, als es im Begriffe war, mit seinen Forderungen durchzudringen. Die Wiederherstellung erhöhter Geltung des Bundes der beiden Mächte ist das Ziel, das mir vorschwebte. Sie werden sich, so sagte Aehrenthal zu mir, noch erinnern, was ich Ihnen einmal aus Petersburg schrieb, daß die beiden Kaiserreiche zusammenstehen und sich gegen Ost-West behaupten und unterstützen müßten110. Ich habe diesen Gedanken nie aus den Augen verloren. Hierbei ist zu erwähnen, daß Aehrenthal mir damals schrieb: „Die beiden deutschen Kaiserreiche." Diesmal in seiner mündlichen Erwähnung ist das Wort „deutsch" entfallen. Dann wandte sich das Gespräch meinem Prozesse zu111. Aehrenthal versicherte mir: Er habe angeordnet, daß mir alle Dokumente zur Verfügung gestellt werden, die mir dienlich sein könnten, nicht bloß die ich bereits benützt hatte, sondern die außerdem von Wert für mich sein könnten. Doch 109
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Am 15. 3.1909 hatte Deutschland in St. Petersburg vorgeschlagen, Berlin werde im Falle des russischen Einverständnisses dahin wirken, daß alle Mächte ihre Zustimmung zur Annexion durch Noten an die Wiener Regierung erklären. In den erhaltenen Briefen Aehrenthals an Friedjung findet sich dazu kein Hinweis. Friedjung war im Anschluß an seinen Artikel in der Neuen Freien Presse v. 25. 3. 1909, 2-4, Österreich-Ungarn und Serbien, in dem er kroatische Politiker des Hochverrates beschuldigt hatte, von mehreren Mitgliedern der serbisch-kroatischen Koalition im Agramer Landtag wegen Ehrenbeleidigung geklagt worden.
12. April 1909
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setzte er es als selbstverständlich voraus, daß ich meine Quelle unter keinen Umständen nennen werde. Ich dankte ihm, erklärte, daß ich mit aller gebotenen Diskretion vorgehen werde und annehme, daß ich zu meiner Verteidigung die Angabe der Quelle nicht nothaben werde. Ich gab Aehrenthal hierauf einen genauen Bericht über den Stand meiner Angelegenheit.
Paul Schulz, Hofrat im Handelsministerium
9. April 1909 Tagebuch
[Am] Abend bei Schulz. Über Becks Rücktritt112. Er erzählt nach Becks Bericht die näheren äußeren Umstände bei dessen Rücktritt. Beck war stolz auf seine Stellung im Parlament. Als Schulz einmal abfallig über die Parlamentarier sprach, nahm Beck sich ihrer an: Er sei ungerecht gegen sie, und er, Beck, sei stolz, der Führer dieser Männer zu sein. Ihn freute diese Tätigkeit der Vermittlung. Als nun die Christlichsozialen ihm durch Geßmann eine Niederlage bereiteten113, hielt er seine Position noch immer für gut, und er glaubte, nahe daran zu sein, eine Verständigung zwischen Deutschen und Tschechen herbeiführen zu können. Er begab sich zum Kaiser, ob er bererchtigt sei, ihnen bei der weiteren Führung der Verhandlungen zu sagen, daß er das Vertrauen des Monarchen besitze. Der Kaiser gab darauf die zögernde und etwas stockende Antwort: „Nun ja, wenn Sie glauben, daß dadurch die Sache gefördert wird." Darauf wiederholte Beck dringender seine Darlegung und setzte auseinander, daß er der Entwirrung schon wesentlich näher gekommen sei, es wäre ihm von hohem Werte, die erbetene Erklärung abgeben zu können. Und darauf wieder, noch zögernder die Erledigung: „Wenn Sie glauben, daß damit gedient ist." Da erkannte Beck, daß seine Uhr abgelaufen sei, und gab seine Demission.
Freiherr Alois Lexa von Aehrenthal, Außenminister Ostermontag, 12. April 1909 К 4, U Notizen und Druckunterlagen zur Persönlichkeitsgeschichte Aehrenthals Er ließ mich rufen, vermutlich um den Stand der Prozeßangelegenheiten kennenzulernen 114 . Diesmal holte ich etwas weiter aus und setzte ihn von 112 113
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Das Kabinett Beck hatte seine Demission am 7. 11. 1908 eingereicht, sie wurde am 15. November vom Kaiser angenommen. Die Demission des Kabinetts Beck wurde durch die Aufkündigung der Unterstützung durch die Christlichsoziale Partei am 6.11.1908 ausgelöst. Der Christlichsoziale Albert Geßmann war Minister für öffentliche Arbeiten im Kabinett Beck. Vgl. dazu S. 230 Anm. 111.
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Freiherr Alois Lexa von Aehrenthal
meiner Absicht in Kenntnis, den Prozeß zu einer Rechtfertigung der Annexionspolitik auszugestalten. Vor aller Welt sollte es klar werden, daß Österreich-Ungarn genötigt gewesen sei, durch eine kräftige Maßregel die Verbindung zwischen Belgrad und Südungarn, Kroatien und Bosnien zu zerschneiden. Ich sprach warm und lebhaft, betonte sein Interesse an dem Gange der Dinge und hatte die lebhafte Genugtuung, seine volle Zustimmung zu erlangen. Dies zeigte sich in seiner Zusage, weitere Erhebungen besonders über den Bericht von Spalajkovic vom 4. Juni 1907115 wie überhaupt über alle einschlägigen Verhältnisse pflegen zu lassen. Ich zählte ihm die durch das Informationsbureau zu lösenden Fragen auf. Unmittelbar darauf zeigte sich seine Zuverlässigkeit und sein treffendes Gedächtnis. Denn ich schrieb ihm am 14. April, um ihm eine Liste der zu beantwortenden Fragen vorzulegen116. Er muß aber schon am 13. April mit Generalkonsul Oppenheimer über die Sache gesprochen und die Sendung Baron Pitners nach Budapest veranlaßt haben, wie aus meinem Tagebuch (April 1909) hervorgeht". Dann über die politische Situation. Im selben Sinne wie früher: Man müsse Rußland von England loszulösen versuchen. Dabei ist jedoch der Schein zu vermeiden, als ob wir Rußland nachlaufen. Das muß sich von selbst ergeben und so, daß Rußland sich selbst nähert. Man muß doch in Petersburg erkennen, daß die von England in der Annexionssache innegehabte Führung die Niederlage der Trippleentente herbeigeführt habe. Immer ist England ein unruhiges Element. Auch jetzt arbeitet es lebhaft, erklärt sich gegen die Jungtürken, und für den Mai sind wieder englische Vorschläge zu erwarten, welche auf die Einsetzung eines unabhängigen Gouvernements in Mazedonien hinzielen. Als ich in diesem Zusammenhang die Rede auf Cartwright bringe, von dem mir Szeps erzählt hatte, er hetze gegen die Jungtürken und betreibe die Wiederaufnahme der mazedonischen Reform, und als ich erwähne, daß seine stürmische Initiative und seine rückhaltlosen Aufzeigungen etwas undiplomatisch seien, lächelte Aehrenthal und sagte bloß: Ich habe allen Grund, mit ihm zufrieden zu sein. Aehrenthal entwickelte sodann die für die nächste Zeit notwendigen Maßnahmen im Inneren. Als ich ihm empfehle, die Delegationen möglichst bald zu berufen, solange der Eindruck des äußeren Erfolges noch frisch sei, erwiderte er: Die nächste Sorge ist die Neubildung des ungarischen Ministeriums, und bevor es geschaffen ist, können die Delegationen nicht zusammenEines der von Friedjung für seinen Artikel in der Neuen Freien Presse v. 25. 3. 1909 verwendeten Dokumente war ein angeblicher Bericht des Sektionschefs im serbischen Außenministerium Miroslav Spalajkovic, in dem von der Ubergabe von Geld zur Finanzierung antihabsburgischer Aktivitäten die Rede ist. 116 Der Brief Friedjungs an Aehrenthal v. 14. 4. 1909 in HHStA, Politisches Archiv XIX Serbien К 81. " Im erhaltenen Tagebuch findet sich dazu kein Hinweis. 115
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kommen. Im Juni wäre es möglich, und manches spricht dafür, aber die Stimmung wird, so denke ich, auch bis Oktober günstig bleiben. In diesem Zeitpunkte sollen die Nachtragskredite vorgelegt werden. Sie sind nicht hoch, nicht höher als 160 Millionen Kronen, und etwa 100 Millionen Kronen davon werden der Armee dauernd bleiben. Außerdem werden wir uns bemühen, endlich die Erhöhung des Rekrutenkontingentes durchzusetzen, ebenso wie den Bau von drei bis vier Dreadnaughts. Ob dies alles gelingen werde? Man muß es jedenfalls versuchen. Daß die Summe der Kriegsauslagen bloß 160 Millionen Kronen beträgt, muß geheimgehalten werden; es soll eine angenehme Überraschung werden. Der Verlauf der ungarischen Krise läßt sich bis zu einem gewissen Punkte absehen. Die ungarische Regierung wird der österreichischen zunächst das Projekt einer Kartellbank vorlegen, das aber abgelehnt werden wird. Dann wird Kossuth eine Audienz nehmen und die selbständige Bank vorschlagen. Der Kaiser wird seine Zustimmung verweigern. Darauf Demission des ungarischen Kabinetts. Die Neubildung wird wieder mit Kossuth - natürlich auch Wekerle - versucht werden. Ob aber Andrässy mitzieht, ist eine andere Frage117.
Ernest von Koerber, Mitglied des Herrenhauses
17. April 1909 Tagebuch
Mitteilungen über die Krise von 1903118. Die Rolle Khuens war nicht ehrenvoll. Er versprach, als er vor seiner Ernennung zum Ministerpräsidenten den Beratungen in der Hofburg beiwohnte, das Größte, er vermaß sich, die Mehrheit des ungarischen Parlaments zu allem Möglichen zu bestimmen. Er sah sich aber in Budapest völlig enttäuscht und eilte, aufs Tiefste niedergeschlagen, ins Lager zu Bruck119. Er riet zur Rücknahme der Rekrutenvorla117
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Das Kabinett Wekerle reichte am 22. 4.1909 seine Demission ein, nachdem die Vorschläge des Ministerpräsidenten zur Trennung der österreichisch-ungarischen Bank in zwei selbständige, aber eng kooperierende Banken nicht nur von der österreichischen Regierung, sondern auch von Mitgliedern des eigenen Kabinetts, denen der Plan nicht weit genug ging, abgelehnt wurde. Am 27. April nahm Franz Joseph den Rücktritt an, beauftragte aber Wekerle bis auf weiteres mit der Führung der Geschäfte. Nachdem im Laufe des Frühjahres alle Kombinationen einer neuen Regierungsbildung scheiterten, wurde anfangs Juli das demissionierte Kabinett Wekerle erneut, als provisorisches Ministerium, berufen. Diese permanente Regierungskrise konnte erst mit der Angelobung von Graf Kärolyi Khuen-Hederväiy als neuem Ministerpräsidenten am 17.1.1910beendet werden. Das Budapester Parlament war aufgrund der Obstruktion der Unabhängigkeitspartei als Widerstand gegen die Armeeforderungen blockiert. Auch der am 27. 6. 1903 ernannte Ministerpräsident Graf Kärolyi Khuen-Hederväry konnte keine Lösung erreichen und reichte am 6. 8. 1903 die Demission ein. Er erhielt am 3. 11. 1903 seine Entlassung. Zum Ubungslager Bruck vgl. Franz Dosoudil und Othmar Tuider, Geschichte des Truppenübungsplatzes Bruckneudorf; in: Truppendienst 17 (1978) 301-306.
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Ernest von Koerber
ge und anderen Konzessionen. Pitreich, des Nachts kurz vor Mitternacht herbeigerufen, wurde bestimmt zuzustimmen. Er weigerte sich anfangs und beteuerte dem Kaiser unter Tränenvergießen, ihm sei als General und Kriegsminister die Zustimmung unmöglich. Aber Khuen redete die ganze Nacht dem Kaiser zu, und um 3 Uhr wurde Pitreich nochmals gerufen, bestürmt und wich endlich dem Drängen. Die Entschlüsse des Kaisers widersprachen geradewegs den Abmachungen im gemeinsamen Ministerrat, dem Khuen zugezogen worden war (Militärvorlage zurückgezogen, Revision des Wehrgesetzes im Herbst mit nationalen Zugeständnissen)120. Damals gab Fejerväry seine Entlassung121. Koerber weicht der Frage, ob Fejerväry sich nicht zu diesen Schwenkungen hergeben wollte, vorsichtig aus. Ob aus dem Grund, weil Fejerväry dasjenige tat, was er hätte selbst tun sollen? Koerber meint, der Grund wäre mehr gewesen, weil man allgemein fand, er passe in die Situation nicht hinein. Denn er hatte den Sturz Szells hervorgerufen und dadurch die schlechte Lage verursacht. Außerdem war er sehr leidend. Er sprach im Ministerrat nur stockend, oft griff er ans Herz, wie wenn er hier eine Störung empfinde. Genug, am 26. Juni Neubildung des ungarischen Ministeriums mit Khuen und Kolossväry als Honvedminister. Koerber reicht gleichfalls seine Demission ein, weil er doch [die] Rekrutenvorlage im Reichsrat schon zur Annahme gebracht habe. Durch das Handschreiben des Kaisers an Koerber [vom] 7. Juli Ministerkrise beendet. Dazwischen liegen die Ministerberatungen, bei denen der Kaiser einen bedauernswürdigen Angriff [sie!] darbot. Die Minister redeten in ihn hinein, er aber war in Folge der Hetze und der Aufregungen oft unfähig, ihre Ansicht aufzufassen. Die Arzte erklärten, er müsse geschont werden, ein Schlaganfall WEIT ZU befürchten. Man redete in Koerber hinein und machte ihn verantwortlich, wenn er durch Festhalten an seiner Demission den Kaiser aufrege und möglicherweise seinen Tod herbeiführe. Die Verantwortung für ihn war sehr groß. Er konnte sich dem Drucke nicht entziehen und blieb; es möchte wohl, so sagte er mir, für mich besser gewesen sein, wenn ich damals zurückgetreten wäre. Dieser Umstand der schweren Verantwortung für das Leben des Kaisers war mir von Koerber schon mehrmals dargelegt worden. Damals spitzte sich auch das Verhältnis Koerbers zu Goluchowski ungünstig zu, denn Goluchowski trat Koerber mit großer Heftigkeit entgegen und behandelte ihn, wenn er auf seiner Demission bestand, schroff, selbst beleidigend. [Vom] 20. bis 25. August in Budapest Verhandlung der Parteiführer mit dem Kaiser, alle raten zu Konzessionen. 120
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Auf welche Ministerberatung sich Ernest von Koerber bezieht, ist unklar. Der gemeinsame Ministerrat war während der ungarischen Krise von April 1902 bis November 1903 nicht zusammengetreten. General Geza Fejerväry schied am 27. 6. 1903 als Honvedminister aus der ungarischen Regierung aus.
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31. August bis 3. September Besuch des Königs von England in Wien. Damals sagte Graf Paar zu einem meiner Bekannten, als dieser fragte, weshalb der König gekommen sei: Er wollte sich Österreich-Ungarn wahrscheinlich vor seinem Zerfalle noch einmal ansehen. Friedjung. Koerber fuhr mit Hinblick auf diese Ereignisse fort und erzählte: Der Kaiser besaß in Goluchowski und Pitreich keine Stütze. Sie liebten es, als die Konzessionen an Ungarn in Frage standen, mit ihrer Meinung zurückzuhalten und zu sagen: Darüber möge die Weisheit Euer Majestät entscheiden. So wurde der Kaiser von ihnen im Stiche gelassen. So geschah es auch in einer längeren Beratung, bei der eine Antwort des Kaisers auf die ungarischen Forderungen festgestellt werden sollte. Man redete hin und her, und zuletzt war nichts abgemacht. Koerber empfand dies peinlich und erbot sich, dem Kaiser selbst einen Entwurf zu machen. Dieser nahm dies dankbar an. Dieser Koerbersche Entwurf (offenbar meinte Koerber damit den Entwurf zur Antwort auf die Forderungen des Siebener-Komitees122) wurde natürlich auch von den Militärs durchberaten, der Kaiser fand ihn etwas zu scharf. Ich weiß nicht, sagte er zu Koerber, "als dieser für die deutsche Armeesprache eintrat8, weshalb sie so sensibel sind. Uber die Umstände bei seinem Rücktritt erzählte Koerber: Im Sommer 1904 gelang es Gautsch, durch Palmer123 und Katharina Schratt dem Kaiser eine Denkschrift Kramär' zukommen zu lassen, welche Konzessionen an die Tschechen forderte. Koerber erfuhr davon und machte auch dem Kaiser gegenüber kein Hehl, der Kaiser machte ein erstauntes Gesicht, als er Koerber von der Sache sprechen hörte. Zu dieser Zeit schon sagte Koerber zum Kaiser: Es sei wohl möglich, daß er als Hindernis der Entwirrung gelten könne, und wenn Seine Majestät finde, daß es eine Erleichterung sei, wenn er zurücktrete, so bitte er um seine Demission. Der Kaiser wies dies aber aufs Bestimmteste ab. Im Herbst blieb der Kaiser länger als gewöhnlich in Gödöllö und kehrte erst Mitte Dezember 1904 zurück. Damals nun waren mehrere Schwierigkeiten entstanden: Die Innsbrucker Universität, die Lehrerbildungsanstalt in Troppau und noch ein drittes124. Koerber selbst 122
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Wahrscheinlich ist das Neunerkomitee der ungarischen liberalen Partei gemeint, das am 28. 10. 1903 als Antwort auf den Armeebefehl von Chlopy (16. 9. 1903), in dem die Einheit der Armee bekräftigt wurde, Militärreformvorschläge einbrachte. Der Industrielle und Bankier Eduard Palmer, ein Vertrauter von Katharina KissSchratt. Ergänzung. Anläßlich der Eröffnung der provisorischen italienischen rechts- und staatswissenschaftlichen Fakultät in Wilten bei Innsbruck war es am 3. und 4. 11. 1904 zu schweren Ausschreitungen gekommen. Die Fakultät wurde darauf am 17. 11.1904, ohne den Studienbetrieb aufgenommen zu haben, aufgehoben. Mit Beginn des Wintersemesters 1904 hatte das Unterrichtsministerium die Errichtung von tschechischen und polnischen Parallelklassen an den Lehrerbildungsanstalten in Troppau und Teschen verfugt. Der schlesische Landesschulrat bestätigte diese Entscheidung, obwohl sie von den
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Kaiman Kania de Kanya
war sehr leidend, und Neusser erklärte, eine Erholung sei dringend notwendig. Der Kaiser ging nicht auf die Sache ein, soll sich bei Neusser über den Gesundheitszustand des Kaisers [sie!] erkundigt haben. Zwei Wochen vergingen, ohne daß der Kaiser auf die Sache zurückkam. Darauf jedoch wiederholte Koerber seine Bitte um Entlassung, der Kaiser aber sagte darauf (ungefähr): Ich habe die Sache noch nicht in Erwägung genommen. Indessen fragte ihn der Kaiser, wen er zu seinem Nachfolger vorschlage. Koerber nannte einen Namen, es war jedoch nicht Gautsch. Am nächsten Tag erhielt Koerber vormittags die Mitteilung, daß Gautsch sein Nachfolger sein werde, und am Nachmittag stellte sich Gautsch bei ihm im Justizministerium ein, um sich mit ihm über die Ubergabe der Geschäfte ins Einvernehmen zu setzen. Bezüglich des Erzherzogs Franz Ferdinand: Der Erzherzog sprach in heftigen Ausdrücken über den Kaiser, und einmal sagte er zu Koerber, er habe eine Audienz beim Kaiser, bei diesem Anlasse werde er ihm seine Auffassung scharf sagen. Koerber stellte ihm vor, daß er durch diese Art des Auftretens gar nichts beim Kaiser durchsetzen werde. Er machte sich anheischig, dem Erzherzog eine schriftliche Arbeit zu machen, wie er seine Ansicht zum Ausdruck bringen solle. Daraufging der Erzherzog ein. Als nun Koerber an dem zur Audienz festgestellten Tage im Vorzimmer des Kaisers wartete, trat der Erzherzog aus dessen Zimmer heraus mit strahlendem Gesicht; er ging auf Koerber zu, dankte ihm für seinen Rat und fügte hinzu: Es ist vortrefflich gegangen.
ΚάΙτηάη Kania de Känya, stellvertretender Bureaus des Außenministeriums
Leiter des
Literarischen 22. April 1909 Tagebuch; Sekretär 3
Der Hergang bei dem Umschwünge der russischen Politik war authentisch folgender: Als das Wiener Kabinett zum entscheidenden Handeln gegen Serbien entschlossen war, sprach Graf Berchtold im Auftrage Aehrenthals bei Iswolski vor und setzte ihm auseinander, welche Verantwortung die russische Regierung auf sich nehme, wenn sie durch die Verweigerung der Anerkennung der Annexion einen Anlaß zum Kriege zwischen ÖsterreichDeutschen als Bruch des Status quo in der Sprachenfrage bekämpft wurde. Die dritte Schwierigkeit entstand aus einem Erlaß des Unterrichtsministers, wonach die an der kroatischen Universität in Agram abgelegten Staatsprüfungen auch für Osterreich Gültigkeit erlangten und lediglich eine Ergänzungsprüfung über österreichisches Recht in kroatischer Sprache notwendig war. Dies wurde von den Italienern, die um ihre Vorherrschaft in Dalmatien und im Küstenland fürchteten, aber auch von den Deutschen bekämpft.
22, April 1909
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Ungarn und Serbien gebe. Er legte ihm in dringenden Ausführungen die Notwendigkeit eines Einlenkens der russischen Politik nahe. Iswolski erwiderte, daß davon keine Rede sein könne, da Rußland auf seinem Standpunkte beharren müsse, daß bloß eine europäische Konferenz die Änderung des Artikels 25 des Berliner Friedens125 vornehmen könne. Dies meldete Berchtold nach Wien, und darauf erhielt er den Auftrag, Iswolski folgendes mitzuteilen: Er, Graf Berchtold, könne zwar nicht genau sagen, welchen Weg das Wiener Kabinett jetzt einschlagen werde, er mache ihn jedoch, soweit er die Dispositionen Aehrenthals kenne, darauf aufmerksam, daß Österreich-Ungarn zur Rechtfertigung des nun unvermeidlichen Krieges mit Serbien kein anderes Mittel hat als die Publikation jener Korrespondenz, welche zwischen Wien und Petersburg vor der Annexion und bei deren Vorbereitung geführt worden ist. Diese Drohung hatte einen Wutanfall Iswolskis zu Folge. Seine Erbitterung war namenlos, indessen wich er den Drohungen Berchtolds nicht sofort, sondern beauftragte seinerseits den russischen Gesandten in Berlin, Osten-Sacken, sich an die deutsche Reichsregierung vertraulich zu wenden und ihr nahe zu legen, sie möge auf das Wiener Kabinett wirken und die gefahrliche Verwicklung zwischen Wien und Petersburg verhindern. Die Antwort des Berliner Kabinetts bestand darin, daß Fürst Bülow nochmals, wenn auch in den höflichsten Ausdrücken, Iswolski raten ließ, die Sache nicht auf die Spitze zu treiben und die schon im September in Aussicht gestellte Anerkennung der Annexion auch wirklich auszusprechen. Da Iswolski keinen Ausweg sah, so mußte er zurückweichen, und am 25. März erfolgte, wie bekannt, das Nachgeben Rußlands. Es ist, wie die Norddeutsche Allgemeine Zeitung namens der Berliner Regierung wiederholt hervorhob, vollständig unrichtig, daß von Berlin aus Drohungen ausgesprochen wurden, oder daß gar Kaiser Wilhelm durch Einschüchterung den gewünschten Zweck erreicht habe. Das Merkwürdige an der Sache war, daß Iswolski ohne seine Bundesgenossen Frankreich und England vorging, indem er zuerst die Anerkennung aussprach, sodaß das englische Kabinett sich in der unangenehmen Lage befand, einen Ausweg aus der Situation zu suchen. Groß war daher die Verstimmung über Iswolski in Paris und London. Beide Mächte wollten nicht sofort und unvermittelt einschwenken, und der Temps setzte seine Angriffe auf die österreichische Politik zur Unterstützung Iswolskis fort, nachdem dieser bereits umgefallen war. Die Lösung erfolgte, wie man weiß, erst einige Tage später. Crozier und Cartwright gaben ihren Regierungen den dringenden Rat, die Sache nicht auf die Spitze zu treiben, und wenn Croziers Rat befolgt worden wäre, so hätte die französische Regierung in Petersburg die125
Die Bestimmungen über die Okkupation Bosniens und der Herzegowina.
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Kaiman Kania de Känya
selbe Rolle gespielt, wie sie Deutschland übernahm126, die Franzosen wären es gewesen, welche den Umschwung herbeigeführt und dadurch einen Erfolg erzielt hätten. Die Ratschläge Croziers und Cartwrights wurden aber nicht sofort befolgt; in Paris nicht, weil Clemenceau gerade zu dieser Zeit erkrankt war und die Österreich-Ungarn feindselige Richtung eine Zeit lang bestimmend, in England nicht, weil der König und Grey nicht sofort nachgeben wollten. Cartwright telegraphierte noch am 27. oder 28. in scharfen Ausdrücken nach London, und in seiner Depesche an Grey hieß es: „Überlegen Sie meine Gründe zweimal, bevor Sie einen Entschluß fassen." Dann erst erfolgte am 28. die zustimmende Antwort des Londoner Kabinetts. Zum Verständnis der ungarischen Krise127 muß festgehalten werden, daß seit einiger Zeit eine tiefe Verstimmung zwischen Wekerle und Andrässy besteht. Andrässy ist der Führer der Verfassungspartei, eine durchaus korrekte Persönlichkeit, und er sieht es ungern, daß Wekerle, mit zweideutigen und korrumpierenden Mitteln arbeitend, die Kossuthpartei an sich zu fesseln und zu poussieren sucht. Wekerle, der die Führerschaft Andrässys und der Verfassungspartei nur schwer erträgt, aber nicht in der Lage ist, sich an dessen Stelle zu setzen, sucht seine Stütze in der Kossuthpartei und will den Kompromiß mit ihr abschließen, sei es auch unter Kaltstellung Andrässys. Das Verfahren Wekerles ist durch seine Zweideutigkeit fast unverständlich. Er unterstützt die Störer der Koalition, besonders Ludwig Hollo, mit bedeutenden Geldmitteln, und es hat fast den Anschein, daß er die Kossuthpartei in ihrer Hetze für die selbständige Bank spornte. Man kann sich dieses Verfahren in zweifacher Weise erklären: Zunächst dadurch, daß er durch die Gewinnung Hollos ihn, falls er auch in die Opposition gehen sollte, zu verpflichten und dadurch ein neues Ministerium Wekerle möglich zu machen [versuchte]. Vielleicht spielt bei ihm auch der Gedanke mit, die Bestrebungen für die Errichtung der selbständigen Bank ad absurdum zu führen. Je stürmischer die Kossuthisten die ungarische Bank fordern und je weniger sie durchsetzen, desto mehr stellen sie sich vor dem Lande bloß; sie werden dadurch ungefährlich, was einem künftigen Ministerium Wekerle gleichfalls zugute kommt. Die Tatsache, daß Hollo und andere Partisanen für die selbständige Bank von Wekerle Geld bekommen, ist durch den Sektionschef Mezössy verbürgt, der Mitglied der Unabhängigkeitspartei ist, die Vorgänge genau kennt, eine ungarische Bank für unmöglich hält und die Methode Wekerles als verwirrend und korrumpierend bekämpft. Das Schlimmste der Situation ist, daß der Thronfolger sich seit geraumer Zeit weigert, auch nur ei126
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Am 15. 3.1909 hatte Deutschland in St. Petersburg vorgeschlagen, Berlin werde im Falle des russischen Einverständnisses dahin wirken, daß alle Mächte ihre Zustimmung zur Annexion durch Noten an die Wiener Regierung erklären. Vgl. zur ungarischen Regierungskrise, ausgelöst durch den Rücktritt des Kabinetts Wekerle am 22. 4. 1909, S. 233 Anm. 117.
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nen der ungarischen Minister zu empfangen. Während er Kristoffy bei sich sah, gelang es auch dem Rate Aehrenthals nicht, ihn zu bestimmen, einem der Minister eine Audienz zu gewähren. "Kania fügte hinzu, daß er solchen Widerwillen vor dem ungarischen parlamentarischen Treiben empfinde, daß er seine Gedanken, sich um ein Mandat zu bewerben, ganz fallen gelassen habe. Es errege ihn eine Empfindung des Ekels, mitten unter korrupten Elementen zu wirken.0
Freiherr Alois Lexa von Aehrenthal, Außenminister 25. April 1909 К 4, U Notizen und Druckunterlagen zur Persönlichkeitsgeschichte Aehrenthals Er läßt mich rufen, um mit mir über Rauch und Vajda zu sprechen, von denen ich ihm geschrieben hatte128. „Sie haben mir von dem Besuch Baron Rauchs Mitteilung gemacht und Ihrer Überraschung über sein Erscheinen Ausdruck gegeben. Die Sache erklärt sich sehr einfach. Er war bei mir und fragte mich, wie er mit Ihnen in Verbindung treten könne; da riet ich ihm, zu Ihnen zu gehen und die Dinge mit Ihnen zu [besprechen. Ich bin ganz mit Ihnen einverstanden, daß Sie nicht als Zeuge beim Hochverratsprozeß in Agram erscheinen können129. Dieser Prozeß nimmt einen recht tristen Verlauf. Das beste wäre, wenn man ihn bald schließen könnte. Aber Baron Rauch sagt mir, daß, da die Zeugen noch nicht verhört wurden, die Sache sich noch vier bis sechs Wochen hinziehen müsse. Auch darin haben Sie Recht, daß Rauch nicht auf der Höhe seiner Aufgabe stehe. Sein Maßstab ist ein kleiner, und die Achtung der serbischen Nationalität in Kroatien ist nicht aufrechtzuerhalten." „Ja", warf ich ein, „alle Nationalitäten der Monarchie müssen sich als Brüder betrachten, wenn auch der Deutsche der Erstgeborene ist. Wie aber, so fragte ich, steht die ungarische Regierung zu dem Prozeß?" „Er ist allerdings mit ihrer Zustimmung ins Werk gesetzt worden, und der Banus ist, staatsrechtlich betrachtet, ihr Organ. Er ist aber der ungarischen Regierung ausgekommen und geht seine eigenen Wege. Sie hat keine rechte Macht über ihn." Auf das Verlangen Vajdas, von ihm empfangen zu werden, übergehend, sagte Aehrenthal: „Es empfiehlt sich nicht, seinen Besuch in Wien zu empfangen. Ich muß doch Vorsicht üben. Anders aber steht es in Budapest. Es gehört zu meinen Obliegenheiten, einen ungarischen Deputierten oder De128 129 a_a
Vgl. Aus dem Nachlaß Aehrenthal Teil 2, 673-675. Im Agramer Hochverratsprozeß vom 15. 1.-5. 10. 1909 sollte eine verschwörerische Verbindung kroatischer Politiker mit Belgrad nachgewiesen werden. Eintrag durch Friedjung.
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Freiherr Alois Lexa von Aehrenthal
legierten, der mit mir sprechen will, zu hören. Es ist dies Pflicht meines Amtes. Sagen Sie ihm dies gelegentlich, und er mag mich, sei es zur Zeit der Delegationen oder wenn ich Budapest sonst besuche, in der königlichen Burg, wo ich mein Absteigequartier habe, aufsuchen." „Bezüglich der ungarischen Krise130 ist nicht abzusehen, wie sie ihren Abschluß findet, sie wird sich noch längere Zeit hinziehen. Graf Andrässy ist auszuschalten, denn er verlangt nicht bloß die Durchführung seines Wahlreformentwurfes 131 , sondern auch bedeutende nationale Konzessionen bezüglich der Armee. Das ist aber doch zuviel: Schon das erstere war ein weites Zugeständnis. In Bezug auf die Armeefrage wird Zurückhaltung eintreten. Man kann das Verlangen Andrässys nicht erfüllen, der einfach verlangt, daß die Kaserne die Fortsetzung der magyarischen Schule, also ein Instrument der Magyarisierung sei. Für einige der ungarischen Forderungen haben sich unter den Generälen zustimmende Voten gefunden. Aber andere Stimmen sind entschieden dagegen, und auch die österreichische Regierung nimmt einen ganz ablehnenden Standpunkt ein. Es wird also auf diesem Gebiete keine Nachgiebigkeit eintreten, und auch bezüglich der Bank wird die Gemeinsamkeit jedenfalls bestehen bleiben. Somit zeigt sich nirgends eine Annäherung. Allerdings stünde es der Unabhängigkeitspartei frei, ihre Macht durch Vermehrung der ihr zur Verfügung stehenden Portefeuilles zu erweitern, wobei auch aus anderen Gruppen Minister zu bestellen wären. Diese Lösung hat jedoch noch nicht viel Aussicht. Sie werfen die Frage auf, ob die Andrässysche Wahlreform von dem neuen Ministerium hervorgenommen werden wird. Das läßt sich nicht einfach beantworten. Die Krone wird jedenfalls auf die Lösung der Wahlreform dringen, und sie wird darauf bestehen, daß mindestens so viel gewährt wird als Andrässy vorschlug. Nun behauptet die Unabhängigkeitspartei, sie wolle eine liberalere Wahlreform schaffen. Umso besser! Zu solchem Entgegenkommen ist die Krone schon in ihrem eigenen Interesse bereit. Das kann ja eine Plattform der Unabhängigkeitspartei werden, an der es ihr jetzt fehlt. Wenn Kossuth unter diesen Bedingungen ans Ruder kommen will, so ist kein Hindernis im Weg. Die Krone steht auf dem Standpunkt, daß das Paktum einzuhalten sei132. Danach muß die Wahlreform durchgeführt sein, bevor es zu neuen nationalen Konzessionen kommt.
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Vgl. zur ungarischen Regierungskrise, ausgelöst durch den Rücktritt des Kabinetts Wekerle am 22. 4. 1909, S. 233 Anm. 117. Der Wahlreformentwurf des ungarischen Innenministers Graf Gyula Andrässy, den dieser am 11. 11. 1908 im Abgeordnetenhaus eingebracht hatte, beruhte auf dem Pluralwahlrecht und hätte Besitz und Bildung sehr stark bevorzugt, um die Vorherrschaft der magyarischen Oligarchie zu sichern. Im geheimen „Paktum" vom 4. 4. 1906, das die Grundlage der Regierungsübernahme durch das Koalitionskabinett unter Sändor Wekerle bildete, war festgehalten, daß die ungarische Regierung erst nach Durchführung einer Wahlreform militärpolitische Forderungen erheben dürfe.
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Dies könne erst dem nächsten Parlament, dem des allgemeinen Wahlrechts, gewährt worden. Wenn die neue Regierung in ihr Programm die Andrässysche Wahlreform stellt, so kann die Krone nichts anderes tun als darauf einzugehen. Soweit fühlt sie sich gebunden. An diesem Minimum hält sie fest. Unter dieser Bedingung kann die Unabhängigkeitspartei ans Ruder kommen, doch sind auch andere Kombinationen möglich, etwa Lukäcs, selbst Tisza." Aus allen diesen Mitteilungen Aehrenthals ist zu entnehmen, daß die Gesichtspunkte des Thronfolgers durchgedrungen sind. Schönaich ist aus dem Felde geschlagen. Es herrscht - vorläufig - die Absicht, diesem ungarischen Parlament keine militärischen Konzessionen zu gewähren. Das erfahre ich auch durch Sieghart, dem Bienerth Kenntnis gab, daß Aehrenthal sich gleichfalls ablehnend verhält, also seinen Standpunkt geändert hat. Uberhaupt vermißt man an der ungarischen Politik Aehrenthals den großen Zug seiner Diplomatie gegenüber dem Ausland. Ich habe ihm auch heute offen gesagt, daß das einzige Moment an seiner Methode, mit dem ich nicht einverstanden bin, die vollzogene Vorsanktion der Andrässyschen Wahlreform ist, ohne daß dafür die Erhöhung des Truppenkontingents ausgetauscht wurde.
Dr. Leonidas Cudic, Vizekonsul im Referat V (Politische Informationen) des Außenministeriums 26. April 1909 К 3, U Aufzeichnungen über Persönlichkeiten der Balkanpolitik; Sekretär 3 Svetozar Pribicevic ist der Redakteur des Srbobran 133 . Er war Student, machte jedoch seine Prüfungen nicht, wurde Journalist, und sein Blatt, der Srbobran, gehört der selbständigen serbischen Partei und wird von einem Ausschusse überwacht, jedoch so, daß Pribicevic mit voller Selbständigkeit vorgeht. "Budisavljevic und Bugovin schreiben auch hierin. 3 Seine Partei ist oft nicht zufrieden mit der Schärfe und der Heftigkeit seines Blattes. Ich war einmal mit Pribicevic und Medakovic sowie anderen bei Tisch. Bei diesem Anlasse machte Medakovic dem Pribicevic lebhafte Vorwürfe darüber, daß er in seiner Zeitung Dinge schreibe, für welche dann seine Partei zur Verantwortung gezogen werde. Er steht auch nach meiner Meinung mit Belgrad in Verbindung. Die Beziehungen der serbischen Regierung mit den serbo-kroatischen Blättern datieren schon seit langer Zeit. Schon bevor Serbien daran 133
Svetozar Pribicevic leitete seit 1902 die Redaktion des in Agram erscheinenden Novi Srbobran (Neue Serbenwehr), des Organs der Serbischen Unabhängigen Partei. a ~" Ergänzung durch Friedjung.
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Tomas Garrigue Masaryk
dachte, einen Feldzug in Bosnien und der Herzegowina zu führen, erhielten die Zeitungen Geld, um die Schauermärchen aus Bosnien und der Herzegowina abzudrucken, aus denen hervorgehen sollte, wie die Serben in Österreich-Ungarn und Bosnien mißhandelt werden.
Tomas Garrigue Masaryk, Mitglied des Abgeordnetenhauses
30. April 1909 К 1, U 6, 839 г
Heute hatte ich mit Professor Masaryk eine Unterredung im Abgeordnetenhause. Er bestritt lebhaft die Möglichkeit, daß Svetozar Pribicevic Geld von der serbischen Regierung bekommen habe. Pribicevic sei in Prag sein Schüler gewesen, und er halte ihn einer solchen Handlungsweise nicht für fähig. Bei der Besprechung des Berichtes von Spalajkovic vom 4. Juni 1907134 sagte er: Der Bericht ist echt, aber er rührt nicht von Spalajkovic, sondern von einem Agenten her135. Ich erwiderte sofort: Man hat Ihnen also a in Belgrad 3 die Echtheit zugeben müssen, doch die Unterschrift des Sektionschefs abgeleugnet. Sie steht aber doch unter dem Dokument. Darauf er: Die Unterschrift kann gefälscht sein. Haben Sie sie mit einer echten verglichen?
Rudolf Sieghart, Vorstand der Präsidialkanzlei im Ministerratspräsidium 24. Mai 1909 К 2, U 2, 328 г - 329 ν; Sekretär 3 Das von dem Ministerium Wekerle ausgearbeitete Entwirrungsprogramm stellt große Forderungen136. Da ist das Verlangen nach Feststellung von Zwischenzöllen im Jahre 1917, sodann die Forderung der Barzahlungen, der Anspruch auf die ungarische Dienst- oder Verkehrssprache in den ungarischen Regimentern der gemeinsamen Armee. Merkwürdig aber ist, daß Wekerle selbst Herrn von Bienerth deutlich zu verstehen gab, er persönlich rechne 134
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Eines der von Friedjung für seinen Aufsatz vom 25. 3. 1909 verwendeten Dokumente war ein angeblicher Bericht des Sektionschefs im serbischen Außenministerium Miroslav Spalajkovic, in dem von der Übergabe von Geld zur Finanzierung antihabsburgischer Aktivitäten die Rede ist. In einem Brief an Friedjung vom 29. 5. 1909 (HHStA, NL Friedjung, К 4) stellte Masaryk fest, Friedjung habe in seinem Aufsatz „falsche Ansichten und unwahre Dokumente übernommen." „Wenn also, wie Sie und Aehrenthal sagen, die Dokumente echt sind, so sind sie inhaltlich unwahr. [. . .] Diesen Beweis werden wir erbringen." Vgl. zur ungarischen Krise, ausgelöst durch den Rücktritt des Kabinetts Wekerle am 22. 4. 1909, S. 233 Anm.117. Ergänzung, wieder gestrichen.
24. Mai 1909
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auf eine Ablehnung der Forderung von Zwischenzöllen durch Österreich. Das ist nicht zu verwundern, da Wekerle diese Zwischenzölle für Ungarn für verderblich ansieht. Es ist ein Irrtum zu glauben - jüngst erst wiederholte das Vaterland die alte falsche Nachricht - daß Freiherr von Beck bei den Verhandlungen von 1907 bereit war, auf Zwischenzölle einzugehen für den Fall, daß der Ausgleich für zwanzig Jahre verlängert würde137. Damals war nicht von Zwischenzöllen die Rede, sondern von Surtaxen auf eine bestimmte Anzahl von Artikeln. Die Gründe, warum der Plan Herrn von Beck sympathisch war, lagen darin, daß er 1. einen langfristigen Ausgleich zu erzielen hoffte, und 2. als Agrarier sehr froh gewesen wäre, wenn er dadurch eine Mehlsurtaxe gegen Ungarn hätte festsetzen können. Der Plan, mit dem sich sowohl Wekerle als auch Beck befreundeten, scheiterte jedoch daran, daß die Kossuthpartei absolut nichts von einem Ausgleiche auf zwanzig Jahre hören wollte. Jetzt werden aber Zwischenzölle begehrt, nicht bloß Surtaxen, und das ist eine so ernste und bedeutungsvolle Sache, daß ich meinen ganzen Einfluß daran setzen werde, um dies zu verhindern. Sollte es mir nicht gelingen, dann wäre dies für mich ein Grund, aus dem Amte zu scheiden. Denn sind einmal Zwischenzölle eingeführt, so ist ein Zollkrieg aus irgendeinem Grunde stets im Bereiche der Möglichkeit. Ich kann mir zwar denken, daß ein gemeinsames Zollgebiet bei einem großen Konflikt mit dem Auslande durch zwei getrennte Armeen verteidigt wird; schwerer denkbar aber ist, daß zwei verschiedene, untereinander uneinige Zollgebiete durch eine gemeinsame Armee zusammengehalten werden. Es ist nun höchst merkwürdig, daß Aehrenthal auch diesmal den Vermittler spielt und sich nicht unbedingt gegen die Zwischenzölle erklärt. Offenbar will er damit den Ungarn seine Unbefangenheit erweisen. Ich kann dieses Schwanken aber nicht billigen, würde eine bestimmte Stellungnahme von seiner Seite vorziehen. Ich glaube jedoch, daß dies damit zusammenhängt, daß er in den inneren Fragen Österreichs wie Ungarns nicht genügend orientiert ist und daher häufig unschlüssig ist. Oft macht er Vorschläge undurchführbarer Art; er läßt sich jedoch belehren und tritt dann von seinem Standpunkte zurück. Dieses Schwanken stimmt aber nicht mit der großen Klarheit und Festigkeit [überein], die er in der äußeren Politik entwickelt. Der Thronfolger nimmt in den Militärfragen einen intransigenten Standpunkt ein. Er geht soweit zu erklären, daß den Ungarn zuliebe nicht einmal die Uniformknöpfe geändert werden dürfen. Damit soll gesagt sein, daß er nicht einmal bezüglich der Embleme und Fahnen zu Zugeständnissen bereit ist. Er macht Beck den großen Vorwurf, daß er, um die Erhöhung der Quote 137
Im Vaterland. Zeitung für die österreichische Monarchie findet sich lediglich am 27. 4. 1909, Abendblatt 1, Eine sensationelle Enthüllung, ein Artikel, der Becks Rolle bei den Ausgleichsverhandlungen kritisiert; behandelt wird dabei allerdings die Bankfrage, nicht die Zwischenzollproblematik.
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Isidor Steinhardt
um 2% zu erreichen, jene staatsrechtlichen Zugeständnisse gewährte, welche Ungarns staatliche Selbständigkeit dem Auslande gegenüber schärfer betonten138. Er macht sowohl Beck wie mich dafür verantwortlich. Indessen ist er von seiner früheren Feindseligkeit soweit abgekommen, daß er mich jetzt wenigstens toleriert. Das ist wesentlich auf Bienerth zurückzuführen, welcher meine Loyalität bei jeder Gelegenheit betont. Meiner Ansicht nach sollte der Kaiser in der ungarischen Frage völlig unnachgiebig sein. Es gibt keine Macht, die ihn zwingen könnte, neue Konzessionen zu machen. Sollte ein parlamentarisches Ministerium unter diesen Umständen nicht zustande kommen, so wäre Kristoffy zu berufen, der den Auftrag erhalten müßte, das allgemeine, gleiche und direkte Wahlrecht durchzuführen. Nicht daß Kristoffy mein Mann wäre. Ich hege zu ihm deswegen kein Vertrauen, weil er verschuldet war, als er ins Amt trat, sich als Minister zum Teil rangierte und auch jetzt in Geldsachen nicht ganz zuverlässig ist. Ich habe nun einmal Mißtrauen gegen verschuldete Leute. Sie werden durch die Verhältnisse genötigt, manches zu tun oder zu unterlassen, was den Geboten der Ehre widerspricht. Er ist aber immerhin ein brauchbares Werkzeug. Auch Fejerväry ist noch, trotz seiner fünfundsiebzig Jahre, schneidig und zuverlässig. Noch auf dem letzten Hofballe sagte er zu mir und einem Kreise anderer Österreicher mit lauter Stimme, sodaß es weit und breit zu hören war: „Was? Konzessionen soll man diesen Leuten gewähren? Einen Fußtritt soll man ihnen geben!"
Isidor Steinhardt, Journalist Juni 1909 К 3, U Aufzeichnungen über Persönlichkeiten der Balkanpolitik; Sekretär 5 Johann Karamat, der Direktor der Sparkasse in Semlin, stand mit mir in einem angenehmen Verhältnis. Wir waren zusammen in einer Tarockpartie. Als ich aber von Montenegro zurückkehrte, wo ich dem bekannten Hochverratsprozeß des Jahres 1907 beizuwohnen hatte139, entstand zwischen Karamat und mir eine lebhafte Diskussion. Er wollte nicht glauben, daß die Verschwörung von Belgrad genährt worden sei, sondern behauptete, sie sei vom Fürsten aus politischen Gründen inszeniert worden. Er deutete, wenn auch nicht offen, an, daß er der Ansicht sei, die ganze Sache sei von Wien aus in 138
139
Im Ausgleich von 1907 wurde der ungarische Anteil an den gemeinsamen Ausgaben um 2% auf 36,4% erhöht. Die beiden Staaten der Monarchie waren dagegen nur mehr durch einen Zoll- und Handelsvertrag, nicht mehr einem -bündnis, verbunden. Außerdem mußten internationale Verträge nunmehr nicht nur vom Außenminister, sondern auch im Namen der beiden Staaten der Monarchie unterzeichnet werden. Vgl. hierzu und zu den folgenden Ausführungen S. 275-278.
Sommer
1909
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Szene gesetzt. Wir setzten jedoch unseren Verkehr fort, bis Nastic das „Finale" veröffentlichte. Seit dieser Zeit grüßt er mich nicht und ist offenbar gegen mich wegen meiner Beziehungen zu Nastic verstimmt. Der Polizeichef in Semlin ist Bezirksvorsteher Maravic. Dieser Maravic ist Beamter, will Karriere machen, und seine Ausagen sind also darauf zu taxieren. So behauptete er mir gegenüber, daß zwei seiner Gendarmen einmal den Sektionschef Spalajkovic in Semlin gesehen hätten. Wahrscheinlich ließ er sich zu dieser Äußerung herbei, weil er glaubte, daß er damit den Wiener Regierungskreisen, besonders Pitner, gefallig sei. Ich vermute, daß diese Gendarmen Spalajkovic nicht kennen und nicht wissen, welche Stellung er einnimmt. Hinzuzufügen ist, daß Maravic mir ruhig mitteilte, der Schwindler Milan Radivojevic werde von Pitner selbst gedeckt. Das war zwar recht indiskret, aber bei unseren guten Beziehungen konnte Maravic mir dies sagen (diese Mitteilung muß diskret behandelt werden). Wichtig ist, daß die serbischen Gegner des Ministers Pasic sehr häufig Angriffe gegen die serbisch-radikale Partei in Südungarn richteten. Das Blatt dieser Gegner ist die Srbska Zastava, die im Verlaufe dieser Polemik die Radikalen nicht selten „unsere bezahlten Lumpen" genannt hat. Es gilt in Serbien als ausgemacht, daß die Serbisch-Radikalen, insbesondere Jasa Tomic140, vom Ministerium Geld bezogen.
Freiherr Alois Lexa von Aehrenthal, Außenminister [Sommer 1909] К 4, U Notizen und Druckunterlagen zur Persönlichkeitsgeschichte Aehrenthals; Sekretär 5 Das Ministerium Lukäcs konnte infolge des Widerstandes des Grafen Stephan Tisza nicht gebildet werden141. Die Unterhandlungen mit Justh und seiner Gruppe hatten aber das Gute, daß sie den tiefen Spalt innerhalb der Kossuth-Partei aufdeckten. Darauf wollte Lukäcs an die Bildung eines Kampfministeriums schreiten, vornehmlich aus Mitgliedern der liberalen Partei. Nicht bloß, daß die Liste fertig war, es fand auch eine Zusammenkunft der betreffenden Herren statt, zu der Graf Tisza geladen war. Nun hatte Lukäcs angenommen, Tisza als Führer der Partei werde sich mit einem Protest gegen das allgemeine, gleiche und geheime Wahlrecht begnügen. Denn mit diesem Programm wollte Lukäcs vor das Land treten. Es 140 141
Jasa Tomic leitete seit 1884 das ungarisch-serbische Blatt Zastava (Die Fahne). Nachdem der Gouverneur der österreichisch-ungarischen Bank und frühere Finanzminister Läszlo Lukäcs mit der Kabinettsbildung gescheitert war, wurde Anfang Juli 1909 der am 22. 4. 1909 demissionierte und seither lediglich die Geschäfte führende Sändor Wekerle mit der Bildung einer provisorischen Regierung beauftragt.
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Freiherr Alois Lexa von Aehrenthal
kam aber ganz anders. Tisza erklärte den Herren, daß er sie in jeder Beziehung und auf das Lebhafteste bekämpfen werde, da er das gleiche und geheime Wahlrecht für ein nationales Unglück halte. Ohne sich weiter auf eine Diskussion einzulassen, ließ er die Herren stehen und entfernte sich, so daß alles verdutzt war. So ist Lukäcs trotz seiner armenischen Schlauheit nicht zu dem erwünschten Ziele gelangt. Der ganze Versuch versprach von vornherein nicht viel Erfolg, und es ist gut, daß dem Koalitionsministerium wieder die Leitung der Geschäfte übertragen wurde. Es ist eben zu bedenken, daß die Koalition der Krone gegenüber bestimmte Verpflichtungen übernommen hat, die sie endlich doch wird erfüllen müssen. Daran kann man sie festhalten. Der Versuch mit dem allgemeinen und geheimen Wahlrecht ist meines Erachtens nicht so aussichtsreich, als sich viele Politiker, insbesondere Lueger und die Christlichsozialen, versprechen. Es ist nicht sicher, daß sich unter den Magyaren eine friedliche Strömung brechen wird, sondern die Folge des gleichen Wahlrechtes dürfte sein, daß sich wieder eine chauvinistische Partei, wenn auch auf demokratischer Basis, bildet. Dazu kommt, daß, wenn infolge dieser Reform eine große Anzahl nationalistischer Abgeordneter ins Parlament gelangt, die Magyaren umso erbitterter gegen die Krone sein werden, welche dieses Resultat zuwege brachte. Ich sehe überhaupt nicht, daß sich wirklich eine starke Strömung für das allgemeine Wahlrecht unter den Magyaren geltend macht. Dies hätte sich doch zeigen müssen, als Lukäcs über die Bildung eines Ministeriums verhandelte. Das Land verhielt sich aber ruhig, ohne daß Lukäcs eine Unterstützung fand. Es ist richtig, daß nach der Einbringung der Andrässyschen Wahlreform142 eine große Menge von Petitionen eingebracht wurden; aber alle diese Eingaben trugen Kristoffysche Fraktur, und unmittelbar darauf hörte der Petititonssturm auf. Von einer inneren Stärke und Lebhaftigkeit der Bewegung war nichts zu spüren. Sie fragen mich, ob der Herbst nicht neue Stürme bringen wird, und wie es gelingen könne, die Ansprüche der Koalition mit den Anschauungen des Thronfolgers unter einen Hut zu bringen. Hierauf ist zu erwidern, daß es sich nur um eine Verständigung zwischen Kaiser Franz Joseph und seinen Ministern handeln kann. Es geht doch nicht an, daß auch die Meinung des Thronfolgers neben der des Kaisers maßgebend sein kann. Und was die militärischen Konzessionen betrifft, so hat der Kaiser ein für allemal erklärt, daß davon auch der Koalition gegenüber nicht die Rede sein könne.
142
Vgl. zum Wahlrechtsentwurf des ungarischen Innenministers Graf Gyula Andrässy S. 240 Anm. 131.
vor dem 9. Oktober 1909
Jozsef Kristoffy, ungarischer Innenminister
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a. D. [vor 9.] Oktober 1909 К 2, U 3, 434 г - 435 ν, 437 г - ν; Sekretär 5
Kristoffy war noch optimistischer und zuversichtlicher als je. Sein Selbstvertrauen läßt ihn über alle Gefahren hinwegblicken. Er spielt nicht Komödie, wenn er auf den nahenden Sieg seiner Sache hinweist; freilich laufen auch prahlerische Äußerungen in der Unterredung mit. „Die Situation", so sagte er, „hat sich seit unserem letzten Gespräche (Juni 1909") für die Krone verschlechtert, weil die Zeit der Bewilligung des Budgetprovisoriums immer näher kommt. Dagegen wird sie für die Sache des allgemeinen Wahlrechtes immer günstiger. Die äußerste Linke erfreut sich in Ungarn steigenden Mißkredits. Ich bin nach Wien gekommen, um aufs Neue Lukäcs zur Übernahme der Geschäfte zu empfehlen143. Er selbst bereut, daß er sich seinerzeit von Tisza terrorisieren ließ und von der Bildung eines Kabinetts Abstand genommen hat. Es empfiehlt sich, Lukäcs zu ernennen; ich aber werde in sein Kabinett nicht eintreten. Wohl aber will ich ihm meinen ganzen Einfluß zu Gebote stellen, und jedermann weiß, daß ich bereits in allen ungarischen Komitaten Freunde und Verbindungen habe, um nachdrücklich auftreten zu können. Lukäcs muß mit meiner Mithilfe Neuwahlen veranstalten, und wir wollen in jedem einzelnen Komitate Kandidaten aufstellen, die wir bereithaben. Es darf nicht dasselbe eintreten wie bei der Wahl im Juni 1906, wo Tisza den Fehler beging, in einer großen Anzahl von Komitaten keine Kandidaten aufzustellen, sodaß in 150 Wahlbezirken seine Gegner gleich am ersten Tage einstimmig gewählt wurden144. Sollte Lukäcs nicht annehmen wollen, so bin ich bereit, an die Spitze der Geschäfte zu treten. Ich werde den Grundsatz aufstellen, daß mir jedermann willkommen ist, der sich aufs allgemeine und gleiche Wahlrecht verpflichtet. Es werden sich zahlreiche Gruppen bilden, die alle dieses Programm zu dem ihren machen. Viele Mitglieder der äußersten Linken werden von ihren Wählern gezwungen werden, dasselbe zu tun, und ich werde mich nicht an ihrem Programm stoßen, wenn sie mir in der Hauptsache zustimmen. Ebenso wird es Gruppen von Nationalisten geben, von Sozialisten, von Männern der 67erGruppe, besonders Altliberale, und alle diese Fraktionen zusammen werden jene mir erwünschte Mehrheit bilden. Sobald das neue Parlament dann das 143
14,1
a
Der frühere ungarische Finanzminister und Gouverneur der österreichisch-ungarischen Bank Läszlo Lukäcs war ein möglicher Kandidat zur Lösung der Regierungskrise 1909/10. Die Wahlen vom 29. 4. bis 8. 5. 1906, nicht im Juni, brachten einen klaren Sieg der regierenden Koalition. Die Unabhängigkeitspartei erreichte die absolute Mehrheit, und die Verfassungspartei Gyula Andrässys und Sändor Wekerles kam auf 85 Mandate. Vom Juni 1909 sind keine Aufzeichnungen mit Jozsef Kristoffy erhalten. Vgl. aber die Schilderung des Gespräches in Aus dem Nachlaß Aehrenthal Teil 2, 686-689.
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Jozsef Kristoffy
allgemeine und gleiche Wahlrecht angenommen hat, wird es aufgelöst und Neuwahlen nach den neuen Gesetzen ausgeschrieben. Ist diese Aktion beendet, so trete ich wieder ins Privatleben zurück, weil ich sicher bin, daß die ungarische Politik dann den Weg nimmt, den ich für den günstigen halte. Sie fragen mich, ob ich auch in den herrschenden Schichten Anhänger besitze. Das ist der Fall. Ich könnte Ihnen die Namen von Mitgliedern hervorragender Geschlechter nennen, welche völlig auf meiner Seite stehen. Ich kann es heute noch nicht tun, weil ich diese meine politischen Freunde dem noch immer gefährlichen Boykott der jetzt herrschenden Partei aussetzen würde. Aber man wird staunen, daß nicht etwa kleine Grafen, sondern solche aus den größten Familien den Sieg meiner Sache für unausweichlich ansehen und ihn fördern wollen. Der Thronfolger handelt durchaus nach den von mir für richtig gefundenen Gesichtspunkten. Übrigens muß ich ihm die Ideen nicht suggerieren, da er vollständig auf dem von mir vertretenen Standpunkte steht, und wir uns von selbst in den Hauptpunkten finden. Dagegen finde ich bei dem Grafen Aehrenthal nicht das gewünschte Entgegenkommen. Ich habe ihn vor einiger Zeit fragen lassen, ob er mich empfangen wolle; er lehnte jedoch ab und befindet sich unter dem Einflüsse Wekerles und Andrässys, welche ihn vollständig falsch informieren. Noch immer glaubt Graf Aehrenthal an die Möglichkeit der alten Koalition, was aber absolut ausgeschlossen ist. Wenn Sie Gelegenheit haben, mit dem Grafen Aehrenthal zu sprechen, so sagen Sie ihm alles, was ich Ihnen mitgeteilt habe145. Sie können auch ruhig sagen, daß Sie von mir über seine Weigerung informiert sind, mich zu empfangen; setzen Sie ihm aber im Interesse der Monarchie auseinander, wie unrecht er daran tut, mich fernzuhalten. Sie raten mir, ihm die Namen der aristokratischen Anhänger des allgemeinen Wahlrechtes zu nennen, weil dies auf ihn Eindruck machen würde. Das werde ich nun allerdings nicht tun können; habe ich mich doch leider überzeugt, daß er manches von dem ihm Mitgeteilten Wekerle und Andrässy wissen läßt, und ich kann diese letzteren nicht in meine Karten blicken lassen. Beim Thronfolger war ich im Frühjahr das letzte Mal, und es ist sicher, daß er beim Kaiser in dem von uns vereinbarten Sinne wirkt. Das Verhältnis zwischen dem Kaiser und dem Thronfolger ist sehr merkwürdig. Der eine fürchtet sich vor dem anderen. Ich bitte Sie nochmals, dies alles, wenn Sie Gelegenheit haben, dem Grafen Aehrenthal zu sagen und ihn zu warnen, sich von den Männern der Oligarchie informieren und beeinflussen zu lassen. Er entwickelt einen außerordentlichen Mut in der auswärtigen Politik, ich finde aber, daß er in der Führung der ungarischen Angelegenheiten zaghaft ist. Der Kaiser handelt ganz unter seinen Ratschlägen, und es scheint, daß man ein außerparlamentarisches Verhandlungskabinett einsetzen will. Das ist 145
Vgl. S. 249 f.
9. Oktober 1909
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vollständig falsch und wird zu nichts führen. Man muß ein Kabinett einsetzen, welches an die Auflösung schreiten und den Dingen eine neue Wendung geben will." Auf meine Frage, wie er zu Fejerväry stehe, erwiderte er, daß er ihn zwar mitunter spreche, Fejerväry sei aber nicht der Mann, um dem Kaiser noch Dienste leisten zu können. Er habe die unter ihm dienenden Beamten vollständig im Stiche gelassen und würde infolgedessen keine Beamten finden146. Er, Kristoffy, würde deshalb auch nicht in ein von Fejerväry gebildetes Kabinett eintreten. Wichtig war, daß er auf meine Frage, ob er Rudnay in sein Ministerium aufnehmen würde, erwiderte: „Nein, mit Rudnay habe ich etwas anderes vor. Ich habe vor, Rudnay zum Präsidenten des Abgeordnetenhauses zu machen. Das ist ein Mann von außerordentlicher Energie, der eine Obstruktion im Keime unterdrücken würde."
Graf Alois Lexa von Aehrenthal, Außenminister 9. Oktober 1909 К 4, U Notizen und Druckunterlagen zur Persönlichkeitsgeschichte Aehrenthals; Sekretär 5 Da die Unterhandlungen mit der Kossuth-Partei gescheitert sind, wünscht die Krone einen Versuch mit den 67er-Fraktionen zu machen, und man bemüht sich, eine Einigung unter ihnen zu erzielen, um ein Kabinett aus ihrer Mitte zu bilden147. Da der Kaiser erklärte, nationale Konzessionen nicht machen zu können, so wird auf dieser Grundlage die Einigung erzielt werden müssen. Allerdings erklärt insbesondere Graf Andrässy, ohne Konzessionen sei der Versuch aussichtslos, eine Auffassung, welche viel fur sich hat, und der auch ich mich nicht ganz verschließen kann. Die Einigung wird allerdings schwer sein, da Andrässy für das Pluralvotum eintritt, Tisza bis jetzt jeden Vorschlag zur Einführung des allgemeinen Wahlrechts kritisierte, und Lukäcs das allgemeine und gleiche Wahlrecht zum Programm erhoben hat. Ich benutzte die Gelegenheit, um von meinem Gespräch mit Kristoffy zu sprechen148 und zu erwähnen, daß er mir eine Denkschrift senden ließ, die ich vorzulegen gebeten wurde. Darauf folgende Antwort: „Herr von Kristoffy ließ mich, nachdem ich ihn schon früher hin und wieder gesprochen hatte, um eine Unterredung bitten, was ich jedoch, da der Zeitpunkt hierfür un146
147
14β
General Geza Fejerväry leitete vom 18. 6. 1905 bis 6. 3. 1906 ein nichtparlamentarisches Ministerium.Vgl. S. 35-39. Am 28. 9. 1909 hatte die Regierung Wekerle, die sich selbst lediglich als Interimskabinett sah, demissioniert. Eine Lösung der permanenten ungarischen Regierungskrise trat erst mit der Vereidigung des neuen Kabinetts Khuen-Hederväiy am 17.1.1910ein. Vgl. S. 247-249.
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Graf Alois Lexa von Aehrenthal
geeignet ist, ablehnte. Er möchte mich gerne für sich engagieren, ich aber möchte mich nicht engagieren lassen. Ich bitte deshalb, ihm folgendes zu erwidern: Kristoffy ist mir eine interessante Persönlichkeit, deren Mut ich hoch schätze. Der Artikel in der Neuen Freien Presse zum Beispiel, in welchem er seinen Standpunkt vertritt, war wirkungsvoll geschrieben149. Er rührt zwar nicht von ihm selbst her, da er die deutsche Sprache nicht so beherrscht; er ließ aber seine Gedanken von einem anderen in eine ansprechende Form bringen. Kraft meiner amtlichen Stellung, so bitte ich ihm zu sagen, ist es vor allem meine Pflicht, Ungarn Konvulsionen zu ersparen. Dies aber würde geschehen, wenn Herr von Kristoffy jetzt mit der Leitung der Geschäfte betraut würde. Es müssen alle Mittel angewendet werden, um eine friedliche Entwicklung herbeizuführen. Indessen ist der Versuch, die 1867er-Fraktion zu bilden, nicht sehr aussichtsvoll. Auch die Zeit Kristoffys wird kommen, wenn auch der Augenblick nicht so nahe ist, wie er wünscht. Sobald die Dinge sich in diesem Sinne entwickelt haben, wird mir ein Zusammentreffen mit ihm willkommen sein. Das bitte ich, ihm zu sagen." „Mehrfach sind Denkschriften von ihm sowohl an die Kabinettskanzlei wie an mich gelangt, und auch das Memorandum wird nicht viel anderes enthalten. Er arbeitet unaufhörlich mit Erzherzog Franz Ferdinand und ist von einer Rührigkeit, welche jedermann nötigt, sich mit ihm zu beschäftigen. Einzuwenden ist nur, daß er Herrn von Lukäcs bei dem von ihm gemachten Versuche nicht besser unterstützte150." Gegen diesen wider Kristoffy erhobenen Vorwurf verteidigte ich ihn und legte dar, daß er alle Fragen mit Lukäcs durchgesprochen und für ihn gewirkt habe; Kistoffy war aber nicht imstande, Lukäcs seine Entschlossenheit zu leihen. aAehrenthal
äußerte sich wieder sehr günstig über Dr. Frank151. Er tadelte lebhaft Baron Rauch, weil dieser auch in den Wahlbezirken der Frankpartei für seine Verfassungspartei agitieren lasse. Rauch solle vielmehr alles tun, um die Frankpartei zu stärken, damit sie vielleicht schon bei den nächsten Wahlen die Mehrheit erhalte. Aehrenthal nannte in diesem Zusammenhang Rauch geradezu dumm. Aehrenthal entwarf sein kroatisches Programm: Aufhebung der Dienstpragmatik152 und ein besseres finanzielles Ar-
Neue Freie Presse v. 29. 9. 1909, Morgenblatt 1-2, Das allgemeine Wahlrecht und die ungarische Krise. 150 Der ehemalige Finanzminister und Gouverneur der österr.-ung. Bank Läszlo Lukäcs war im Juni 1909 an der Bildung eines Kabinetts gescheitert. 151 Der kroatische Politiker Josip Frank vertrat eine konservative, katholisch-klerikale und antiserbische Politik. Vgl. zur Beziehung Aehrenthals zu Frank, der vom Außenministerium auch finanziell unterstützt wurde, die resp. Dokumente in Aus dem Nachlaß Aehrenthal. 152 Die am 16.10.1907 vom Budapester Parlament angenommene Dienstpragmatik der ungarischen Staatsbahnen führte auch in Kroatien das Ungarische als Dienstsprache ein. " Der folgende Eintrag durch Friedjung.
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rangement zwischen Ungarn und Kroatien. Mehrheit für die Frankpartei: So könne man Ordnung hineinbringen. Aehrenthal dankte mir für den Artikel, den ich am 1. Oktober 1909 in der Rundschau veröffentlicht hatte153. Es interessierte ihn zu hören, daß ich Steed veranlaßt hatte, seine im Juli 1909 in der Times veröffentlichten Enthüllungen an sein Blatt abzusenden154. Da diese Mitteilungen für Aehrenthal sehr günstig waren und für Iswolski ungünstig, so nannte Aehrenthal mich scherzhaft einen Macchiavellisten.
Otto Kraus, Journalist aus Agram
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К 3, U Aufzeichnungen über Persönlichkeiten der Balkanpolitik Supilo lebt in einfachen, oft bedrängten Verhältnissen. Der Novi List155 wird in der Fiumaner Aktiendruckerei gedruckt, dessen Aktien zwar im Besitze von Millionären sind, die jedoch Supilo gegenüber nicht großmütig oder nachsichtig sind. Als er zum ungarischen Reichstagsabgeordneten gewählt wurde und die erste Vierteljahresrate seiner Diäten bezog, sagte er zu Kraus: Er müsse jetzt den größten Teil des Betrages zur Begleichung seiner Druckrechnung nach Fiume schicken, da die Druckerei ihn sehr drücke und ihm Rechnungen strenge eintreibe. Kraus meint, daß die Verwaltungsräte der Druckerei das bezeugen würden. Pribicevic befindet sich insoferne in einer besseren Situation, als der Srbobran156 sich im Besitze einer Aktiengesellschaft befindet, welche die Verteilung besorgt und die Kosten deckt. Auch sind die Serben opferwilliger als die Kroaten. Der Srbobran hat nicht genügend Abonnenten, immerhin hat er ein bis eineinhalb Seiten Inserate. Er zahlt seine Mitarbeiter sehr schlecht. Budisavljevic erhielt 60 Gulden monatlich und lebte davon. Er wird davon auch wieder leben, wenn er nicht mehr ungarischer Reichstagsabgeordneter ist. Kraus bestätigt, daß mit Ausnahme von höchstens drei Agramer Blättern alle übrigen von [der] Regierung und den Parteien erhalten werden. Kraus war eine Zeit lang Korrespondent des ungarischen Telegraphenkorrespon153
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Österreich-Ungarn und RuBland; in: Österreichische Rundschau 21 (Oktober-Dezember 1909) 1-9. Im Juli 1909 findet sich in der Times kein längerer gezeichneter Artikel des Wiener Korrespondenten Henry Wickham Steed. Friedjung verweist jedoch in seinem Aufsatz Österreich-Ungarn und Rußland 5, auf einen Times-Artikel vom Juli 1909, in dem das russische aide-memoire vom 19. 6. 1908 (vgl. Ö U A Bd. 1, 9-11) erwähnt wurde. Seit 1900 leitete Franjo Supilo die Fiumaner zweisprachige (kroatisch-italienische) Zeitung Novi List (Neues Blatt). Svetozar Pribicevic leitete seit 1902 die Redaktion des in Agram erscheinenden Novi Srbobran (Neue Serbenwehr), des Organs der Serbischen Unabhängigen Partei.
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Otto Kraus
denzbureaus in Belgrad. Er erhielt damals den Auftrag, sich mit der serbischen Regierung in Verbindung zu setzen und ihr den Antrag zu machen, daß das ungarische Telegraphenkorrespondenzbureau gegen eine Subvention von 10.000 francs bereit sei, die ihm von Belgrad übermittelten Nachrichten weiterzugeben. Als Kraus Pasic diesen Antrag machte, sagte er, das ließe sich wohl machen. Kraus wurde kurz darauf von Belgrad abberufen und mußte schnell nach Agram, von dem Chefredakteur des Tagblattes, Frank, zurückberufen. Er vermutet aber, daß eine solche Verbindung zu Stande kam. Ebenso stand der Korrespondent der Neuen Freien Presse und der Frankfurter Zeitung Kostic im Solde der serbischen Regierung. Das wird vielleicht im Prozesse157 vorgebracht werden. Graf Bombelles wäre als Banus denkbar. Er ist einfach, verständig. Allerdings spricht er nicht gut kroatisch. Seinen Sohn läßt er in Varazdin kroatisch erziehen. Tiefe Verehrung des kroatischen, selbst des serbischen Bauern für Kaiser und die Dynastie. Der Kaiser steht ihm selbst über Gott. Nur eine dünne Schichte ist antidynastisch. Allerdings ist durch den Prozeß158 Erbitterung entstanden, wegen der zerstörten Existenzen. Diese Gefahr ist überwiegend, wenn auch" Kostic war auch vom serbischen Preßbureau gezahlt. Kraus macht die Bemerkung, es sei für ihn sonderbar gewesen, daß Viadan Georgevic seinen Aufsatz im Neuen Wiener Tagblatt veröffentlichen konnte, ob da nicht geheime Fäden existieren mit dem Belgrader Preßbureau? Horvath war sein Mitarbeiter, aber unfähig, unzuverlässig159. Voll Phantasie etc. Die Fortschrittspartei mit Lorkovic und Veldic geht ganz mit den Serben. Von der Rechtspartei stehen Lukinic, Mazuranovic160 und Vukovic den Serben ganz nahe. Sie werden sich kaum von ihnen trennen, wenn die Koalition zerfallen sollte. Dusan Popovic sagte zu Kraus: Friedjung könne vielleicht Material haben, das aber die Serben nicht belasten kann. Leicht möglich, daß der Radikale, der sein eigenes Wochenblatt gemacht hatte, Geld aus Belgrad erhielt. Kraus erzählte mir eine unglaubliche Geschichte über den Verkauf des Priorates Tuvora seitens der kroatischen Regierung. Dabei erhielt Rauch [ein] großes Paket Geldes für seinen Dispositionsfonds. Aber Frank habe Der Ehrenbeleidigungsprozeß, den kroatische Politiker gegen Friedjung aufgrund seiner im Artikel der Neuen Freien Presse v. 25. 3. 1909 gemachten Hochverratsvorwürfe angestrengt hatten. 158 Im Agramer Hochverratsprozeß vom 15. 1.-5. 10. 1909 sollte eine verschwörerische Verbindung kroatischer Politiker mit Belgrad nachgewiesen werden. 159 Zu Edmund Horvath, über den ein großer Teil der von Friedjung für seinen Aufsatz in der Neuen Freien Presse vom 25. 3. 1909 verwendeten gefälschten Dokumente beschafft wurde, vgl. ÖUA, Bd. 2, 498-504, 517-518, 551-552, 560-561 und 576-577. 160 Wahrscheinlich Dr. Boguslav Mazuranic. " Der Satz bricht hier ab. 157
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ihm ein anderes Angebot gemacht, weil er gehofft habe, damit selbst eine große Provision (100.000 Gulden) zu erhalten. [Der] Banus sei nicht darauf eingegangen. Daher entstand Feindschaft zwischen Banus und Frank etc. Als Bobigdoric Chef des serbischen Preßbureaus war, war er zugleich Korrespondent der Neuen Freien Presse. Nun mußte damals Ferdinand von Bulgarien durch Belgrad durch. Kraus und Beaufort [Namfort?] waren davon unterrichtet, und Steinhardt meldete es an die Zeit. Bobigdoric war höchst unwillig, daß ihm die Nachricht verschwiegen worden war. Er machte darob Kostic die größten Vorwürfe. Mandl schildert mir Kraus als unzuverlässig, käuflich. Einmal sollte Kraus eine Bluse nach Wien bringen, die Jaksic in Wien gekauft und dahin zurücksenden wollte, damit Mandl sie in das betreffende Magazin zurücktrage. Aber er schickte die Bluse einfach nicht, sondern behielt sie für seine Frau.
Graf Alois Lexa von Aehrenthal, Außenminister, zu Josef Redlich, Mitglied des Abgeordnetenhauses161 Ende Oktober 1909 К 4, U Notizen und Druckunterlagen zur Persönlichkeitsgeschichte Aehrenthals In diesem Gespräch setzte Aehrenthal die Gründe auseinander, weshalb er den Ausgleich mit den 1867ern in Ungarn betreibe. Man müsse den Beweis liefern, daß diese Richtung in Ungarn stark und lebensfähig sei, nicht so überwuchert vom Kossuthismus als man oft glaube. Der letztere sei jetzt im Sinken begriffen. Aehrenthal weist darauf hin, daß die Militärs der Ansicht seien, die von Andrässy gewünschten militärischen Konzessionen würden der Einigkeit und der Schlagfertigkeit der Armee nicht schaden. Indessen sei es jetzt ausgeschlossen, daß sie gemacht werden, da der Kaiser sich dagegen entschieden habe. Auch sei der Widerstand des Belvedere162 überwindlich. Man unterhandelt jetzt mit dem Grafen Andrässy, ohne daß jedoch das gewünschte Ziel bereits erreicht sei. Die Basis sei die: Andrässy solle in seiner Programmrede erklären, daß er auch als Ministerpräsident sein Programm nicht aus den Augen verlieren und die ungarische Regimentssprache zu erringen bemüht sein werde; aber er dürfte kein Hehl daraus machen, daß er noch nicht die Zustimmung der Krone besitze. Dagegen sei es ausgeschlossen, daß wirtschaftliche Konzessionen gemacht werden (die Barzahlungen selbstverständlich ausgeschlossen). Aehrenthal steht auf dem 161
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Vgl. dazu Schicksalsjahre Österreichs 1908-1919. Das politische Tagebuch Josef Redlichs, hrsg. von Fritz Fellner. Bd.l (Graz - Köln 1953) 26-27. Das Gespräch fand am 28. Oktober 1909 statt. Des Thronfolgers Erzherzog Franz Ferdinand.
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Ernest von Koerber
Grundsatz, daß die Herrschaft der Magyaren in Ungarn auch vom Standpunkte der Monarchie gefordert werde. Man müsse unter allen Umständen mit ihnen regieren. Spreche man ihm davon, daß etwa mit den Rumänen zu regieren sei, so lache er darüber. Dann noch eines. Seit 1867 gab es für die Monarchie drei Krisen, die von 1878, von 1887 und 1908. Nun ist nicht zu vergessen, daß die jenseitige Reichshälfte stets an der Lösung mitgearbeitet habe „wie ein Pferd". Alles in allem: Aehrenthal wünscht eine Fortsetzung der Koalition Andrässys mit Kossuth. Und dies womöglich noch in dem jetzigen Reichstag. Denn nach der Auflösung hören die Bestimmungen der Geschäftsordnung bezüglich der Einschränkung der Obstruktion von selbst auf. Und da sie sich auf das Budget und die Delegationswahlen beziehen, so müsse man dies benützen.
Ernest von Koerber, Mitglied des Herrenhauses Ende Oktober 1909 К 2, U 2, 249 г - 250 ν; Sekretär 5 Es war ein großer Fehler, daß Freiherr von Beck es den Parteien überließ, ihre Vertrauensmänner für das Kabinett zu nominieren, und hierbei unzureichende, ja teilweise die Verwaltung schädigende Elemente akzeptierte163. Insbesondere durften die Landsmannminister, wie dies bei Präsek und Schreiner der Fall war, nicht aus reinen Agitatoren gewählt werden, sondern es hätten die geistig höchststehenden Männer des betreffenden Volksstammes gewählt werden sollen. Sonst nimmt sich der Ministerpräsident immer die „nationalen Kriegsminister" in sein Kabinett. Ein reines Beamtenministerium läßt sich auf die Dauer nicht mehr erhalten. Das ist wohl möglich, aber nur bis zu dem Zeitpunkt, wo es sich um eine Anleihe handelt. Da eine solche nicht mittels des Paragraphen 14 aufgenommen werden kann, endigt hier die Wirksamkeit eines reinen Beamtenministeriums. Das einzig Mögliche wäre, tüchtige Ressortfachmänner zu Ministern zu machen. Das könnten ja auch Abgeordnete sein, wenn sie sich wirklich bloß als Fachleute und nicht als Parteimänner fühlen. Neben diesen Fachmännern stünden die Landsmannminister, welche die Wünsche ihrer Nationalitäten vertreten. Die Ressortminister müßten aber, wie dies unter Koerber der Fall war, in unbedingter Abhängigkeit vom Ministerpräsidenten stehen, der nicht zugeben dürfte, daß in ihren Ministerien wie bei Fiedler und Fort Akte von großer Bedeutung durch163
Die am 1. 6. 1906 fertiggestellte Ministerliste des Kabinetts Beck enthielt neben drei Beamten und einem Militär sieben Parlamentarier (drei Deutsche, zwei Tschechen und zwei Polen). Deutscher Landsmannminister war Heinrich Prade, tschechischer Landsmannminister Bedrich Pacäk. Der tschechische Agrarier Karel Präsek ersetzte den Jungtschechen Pacäk im November 1907. Gustav Schreiner war deutscher Landsmannminister im Kabinett Bienerth.
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gesetzt werden. Wenn sich nicht alles im Ministerpräsidium konzentriert, so ist die Zerstörung und der Verfall der Verwaltung unaufhaltsam. Ein Landsmannminister wie Dr. Schreiner schädigt das Kabinett, schädigt die Interessen des Deutschtums und trägt ein Element der Unruhe in die Partei, statt vermittelnd zu wirken, was die Aufgabe politisch und geistig hochstehender Landsmannminister sein müßte. Ebensowenig wie mit Schreiner bin ich mit der jetzigen Taktik der deutschen Abgeordneten einverstanden. Ich habe ihnen immer gesagt und unter anderem auch dem Abgeordneten Pergelt, der mir einen langen Besuch machte, ans Herz gelegt: Die Herren mögen nichts anderes anstreben als die Abgrenzung der Bezirke Böhmens. Das ist so wichtig für die deutschen Interessen, daß das andere in den Hintergrund tritt. Wenn man aber, wie es die Deutschen tun, auf der ganzen Linie eine Lösung der Frage anstrebt, die Wahlreform in Böhmen durchführen, die Ausschußmandate vermehren und auch sonst andere Bedingungen des Friedens stellen will, so bringt man auch die gemäßigteren tschechischen Parteien in Verlegenheit. Wenn die Deutschen auf ihrem Sprachboden volle Sicherheit haben wollen, so müssen sie auch den Tschechen auf deren Gebiet volle Selbständigkeit gewähren. Man täusche sich nicht: Auch jetzt werden schon alle Verwaltungsakte im tschechischen Böhmen in der Landessprache abgefaßt. Zu jeder Kommission werden Personen herangezogen, die nur tschechisch können. Das ganze Protokoll wird tschechisch geführt und dann nur die Worte in deutscher Sprache vorgesetzt: Wird der Statthalterei oder wird dem Ministerium vorgelegt. Ob diese einleitenden Worte deutsch oder tschechisch sind, ist gleichgültig. Von einer Aufrechterhaltung der inneren deutschen Amtssprache in den tschechischen Bezirken ist seit Dezennien nicht mehr die Rede. Sie kann auch nicht aufrechterhellten werden, sooft es sich um die Heranziehung der Parteien handelt. Zum Schluß deutete Koerber darauf hin, daß er es für praktisch hielte, wenn Kramär als der geistig höchststehende unter seinen Landsleuten Landsmannminister würde. Jetzt ist er mit nichts anderem beschäftigt als mit Ministerstürzen, ungefähr so, wie Herbst seinerzeit zur Zeit des deutschen Regimes.
Philippe Crozier, französischer Botschafter, Jean Guillemin, französischer Botschaftsrat
und in Wien
Oktober 1909 К 2, U la, 48a г - 50a ν; Sekretär 5 Vor einiger Zeit machte ich auf der französischen Botschaft einen Besuch bei einem neu ernannten, jungen Diplomaten, als sich etwas Überraschendes zutrug. Die Tür wurde aufgerissen, und herein stürzte der Botschafter Cro-
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Philippe Crozier und Jean Guillemin
zier, der sich in größter Aufregung befand. Er hatte erfahren, daß ich bei meinem Bekannten eingetreten sei, und überhäufte mich, als er mich sah, mit den stärksten Vorwürfen. Er könne nicht begreifen, daß ich mit seinem Botschaftsrat Guillemin unter einer Decke spiele [sie!] und gemeinsam mit diesem gegen den Botschafter der Republik intrigiere. Er werde das unter keiner Bedingung dulden und mein ungehöriges Verhalten zu strafen wissen. Ich war niedergedonnert, konnte kaum zu Worte kommen und versicherte ihm, daß ich Herrn Guillemin nie gesehen und mit ihm nie gesprochen habe. Als mir Crozier seinen Unglauben entgegensetzte, stellte ich mich energisch zur Wehr, wies seine Vorwürfe zurück, setzte mein Ehrenwort dafür zum Pfände ein, daß ich Guillemin nicht kenne, bis sich Crozier beruhigte. Wir nahmen hierauf, leidlich versöhnt, voneinander Abschied. Mein Bekannter, der junge Diplomat, war über die Szene sehr betrübt, weil er fühlte, daß die Botschaft, sowohl der Chef wie der Botschaftsrat, durch diese Vorgänge in meinen Augen herabgesetzt seien. Am nächsten Tag begab ich mich zum Botschaftsrat Guillemin. Ich war durch das Verhalten des Botschafters so verletzt, daß ich, um meine volle Unabhängigkeit zu zeigen, absichtlich Guillemin aufsuchte. Dieser muß von meinem Bekannten bereits von der Szene mit Crozier in Kenntnis gesetzt worden sein, was auch ganz begreiflich ist. Guillemin empfing mich mit außerordentlicher Liebenswürdigkeit, und nach kurzer Rede und Gegenrede hielt er mir einen langen, vortrefflich angelegten Vortrag. Es war eine förmliche Rede über die französische Politik und ihre Beziehungen zu Österreich-Ungarn, die mir bewies, daß Guillemin ein begabter Kopf sein müsse. Das Überraschende an dieser Rede war, daß sie vollständig den mir und aller Welt wohlbekannten Ideen Guillemins über Politik widersprach. Bekanntlich wirkt Crozier für ein freundschaftliches Verhältnis zwischen Frankreich und Österreich-Ungarn, während Guillemin sein Gegner ist und seinen Chef anklagt, daß er die Allianz zwischen Frankreich und Rußland durch sein Verhalten gegenüber Aehrenthal kompromittiere. Ganz im Gegensatz zu dieser wohlbekannten Stellung der beiden Diplomaten zueinander hielt mir Guillemin einen runden und interessanten Vortrag, in welchem er die Notwendigkeit der guten Beziehungen der Republik zu ÖsterreichUngarn in den Vordergrund stellte und die Russen Barbaren schalt, mit denen sich Frankreich nicht zu tief einlassen dürfe. Diese merkwürdigen Szenen erhielten einen Kommentar und eine Erklärung durch eine Unterredung, welche ich bald darauf mit Herbette hatte. Herbette ist der Sohn des früheren französischen Botschafters in Berlin und steht jetzt an der Spitze des Preßbureaus im französischen Ministerium des Äußern. Er befand sich auf der Durchreise nach dem Balkan, wo er selbst Beobachtungen machen wollte, und sprach sich, da ich ihn schon in Paris kennengelernt hatte, mit der größten Offenheit mir gegenüber aus. Aus sei-
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nen Auseinandersetzungen wurde mir klar, was übrigens nicht unbekannt ist, daß sich im Ministerium des Äußern zu Paris zwei Richtungen bekämpfen. Selbstverständlich wollen beide Parteien das Bündnis mit Rußland erhalten, doch so, daß Pichon vereint mit Clemenceau dabei die guten Beziehungen mit Österreich-Ungarn pflegte und verhindern will, daß Frankreich von Rußland mißbraucht und vielleicht gar in einen Krieg verwickelt werde. Die anderen dagegen stellen das russische Bündnis so hoch, daß sie daraus den Schluß ziehen, Frankreich müsse in einer Linie mit Rußland und England gegen Österreich-Ungarn wie gegen Deutschland aufmarschieren. Für letztere Richtung war besonders Louis tätig, der Direktor im Ministerium des Äußern und jetzt Botschafter in Petersburg. Offenbar ist auch Herbette ebenso wie Guillemin einer ähnlichen Meinung. Als ich nun Herbette die merkwürdige Szene mit Crozier und das Gespräch mit Guillemin erzählte, sprach er sich mit großer Offenheit über diese Zustände aus. Er tadelte Guillemin, weil er die Disziplin außer Auge gelassen habe, gegen den Chef der Mission arbeite, über ihn ungünstige Gerüchte verbreite; in der Sache selbst stimme er aber mit Guillemin überein. Es sei klar, daß Guillemin in der Unterredung mit mir mich aufs Glatteis führen (il a voulu me faire rouler) und sich den Anschein geben wollte, als ob er Österreich-Ungarn gegenüber korrekt und freundlich gesinnt sei. Tatsächlich aber klagt er immer seinen Chef an, daß er in seiner Politik die Rücksicht auf Rußland beiseite lasse. Herbette verhält sich, wie gesagt, gegen die österreichische Politik ablehnend, was sich auch darin zeigt, daß er einen Vorschlag Croziers, ihn bei Aehrenthal einzuführen, nicht annahm. Er behauptete, daß das Wiener Kabinett ihm in Paris habe Geld anbieten lassen, um ihn in seiner Haltung zu beeinflussen; das sei ohne Wirkung geblieben, und er habe sich den Versuch vom Leibe gehalten. "Als Bleriot nach Wien kam164, war der Botschafter nicht in Wien anwesend. Da berief Guillemin die Korrespondenten der französischen Zeitungen und andere Personen zu sich, um einen Empfang fur Bleriot zu organisieren. Er eröffnete ihnen: Man wisse nicht, wo sich der Botschafter befinde, und er müsse statt seiner handeln. Noch am Tage des Aufflugs Bleriots (23. Oktober) machte Guillemin auf dem Flugplatz zu Münz und Bresse abfallige Bemerkungen über Crozier, der übrigens eingetroffen war und den Kaiser und Bleriot empfing. Einige Tage später platzte die Bombe. Guillemin erhielt ein Telegramm aus dem französischen Ministerium des Äußern, in dem ihm seine Abberufung in, wie es hieß, strengen und rügenden Worten angekündigt wurde. Szeps behauptet, den Wortlaut zu kennen, offenbar durch Crozier. 164 a
Der französische Flugpionier Louis Bleriot flog am 23. 10. 1909 über der Simmeringer Heide. Dieser Demonstration wohnte auch der Kaiser bei. Der weitere Eintrag durch Friedjung.
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Graf Heinrich v o n Lützow
Guillemin bekommt keinen Posten, kehrt nach Paris zurück und soll hier warten, bis ein Posten frei wird. Zu Münz und zu Molden beklagte er sich: Ein Botschaftsrat müsse doch eine gewisse Unabhängigkeit besitzen, er habe den Titel eines Ministers und sei doch kein Kind. Übrigens werde auch Crozier nicht lange in Wien bleiben und bald abberufen werden.
Graf Heinrich von Lützow, Botschafter
in Rom
Oktober 1909 К 2, U la, 51a г - 52a г
Lützow bestätigt mir, daß er seinen Posten in Rom verlasse und in den Ruhestand trete. Er wird ins Herrenhaus berufen werden165. Sein Nachfolger werde Merey werden. Als Ursache seines Austrittes gab er Meinungsverschiedenheiten mit Aehrenthal an. Dieser wünschte den italienischen Ansprüchen gegenüber [eine] bestimmtere Sprache und Haltung. Lützows Ansicht gehe dahin, daß man die irredentistischen Treibereien nicht in ihrer Bedeutung überschätzen dürfe. Leider sei vieles geschehen, was in Rom verstimmt habe. So besonders die bereits amtlich erfolgte Mitteilung, daß Österreich-Ungarn sich nicht an [der] Ausstellung von 1910 beteiligen werde, die der Erinnerung an die Aufrichtung des Königreichs Italien gelte166. Erst als man in Wien den unangenehmen Eindruck bemerkte, als sich auch die öffentliche Meinung in Osterreich, noch mehr aber in Ungarn auflehnte, als es klar war, daß die Beschickung von Ungarn her doch stattfinden werde: Erst da lenkte man in Wien ein. Wenn nun Merey mit seiner Art, die Dinge scharf zu nehmen und zu distinguieren, in Rom wirken werde, so könnten dadurch Mißhelligkeiten entstehen. Es ist auch nicht zu leugnen, daß in Wien auch unter den Generälen eine Stimmung für den Krieg mit Italien herrsche. Leider gehört selbst Conrad von Hötzendorf zu ihnen, und in Rom ist man nicht ohne Kenntnis des Sachverhalts. Einmal sprach Lützow mit Conrad über die Lage, und Conrad sprach sich für den Krieg aus. Dazu Lützow: Welchen Wert solle ein solcher Krieg haben? Man könne doch nur eine Kriegsentschädigung verlangen, und Italien sei nicht reich genug, um Osterreich-Ungarn die Kriegskosten zu zahlen. Darauf Conrad: Lützow vergesse, daß auch eine Grenzregulierung möglich sei; man werde einfach das 165
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Am 4. 3. 1910 erfolgte Graf Heinrich von Lützows offizielle Abberufung von seinem Posten in Rom; am 27. 12. 1909 war er zum Herrenhausmitglied ernannt worden. Vgl. Heinrich Graf von Lützow, Im diplomatischen Dienst der к. u. k. Monarchie, hrsg. von Peter Hohenbalken (Wien 1971). Die Feiern aus Anlaß des fünfzigjährigen Bestehens des Königreichs Italien fanden im Frühjahr 1911, nicht 1910 statt. An der am 27. 3. 1911 in Rom eröffneten Kunst- und Archäologieausstellung beteiligten sich Osterreich und Ungarn mit je einem Pavillon, an der am 29. April in Turin beginnenden Industrie- und GeWerbeausstellung nahm lediglich Ungarn teil.
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Festungsviereck wieder in Besitz nehmen167. Lützow war darüber befremdet und erschreckt. Denn, so sagte er mir, in dem Festungsviereck wohnen Menschen, und von ihnen werde eine Irredenta in verstärktem Maße ausgehen. Sollen wir Anlaß geben zu einem neuen Risorgimento, das sich wieder gegen uns wenden werde? Kurz, Lützow ist wegen der Zukunft sehr besorgt. Freilich ist zu bedenken, daß er sich hintangesetzt fühlt und zeigen will, welche Gefahren seine Abberufung in sich berge. Interessantes erzählt er von seiner Gesandtschaft in Dresden168. Er kommt darauf zu sprechen, weil ich ihn fragte, ob es wahr sei, daß es König Albert von Sachsen gewesen sei, der den Kaiser Franz Joseph aufmerksam gemacht habe auf die Gefahren eines antideutschen Regiments in Österreich. Offiziell oder auch schriftlich sei eine solche Mahnung seitens des Königs nicht geschehen. Ob mündlich und auf Jagdausflügen, wer kann das wissen. Er selbst habe als Gesandter immer strenge Weisungen gehabt, gegen die alldeutschen Versammlungen Einspruch zu erheben, die Wolf und andere auf sächsischem Boden abgehalten hatten. Darauf erwiderte ihm einmal der sächsische Minister, es sei auf die Dauer doch sehr schwer, den Büttel gegen die unzufriedenen Deutschen Österreichs zu machen. Lützow aber wurde in Wien sehr belobt, wenn er energisch auftrat. Denn in Wien ist man bei Hofe gegen nichts so empfindlich wie gegen eine Einmischung von Deutschland in unsere inneren Verhältnisse. Die letzte Rede des Prinzen Ludwig von Bayern habe gewiß einen schlechten Eindruck gemacht, wiewohl Ludwig die Deutschen Österreichs zu loyaler Haltung unter der Dynastie mahne169. Es ist übrigens sicher, daß bei dem Konflikt 1898-99, als Graf Thun eines Ausfalls auf Deutschland wegen in der deutschen Presse heftig angegriffen wurde, Thun unschuldig war170. Der 167
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Das 1866 verlorene Festungsviereck Verona-Mantua-Legnago-Peschiera.; vgl. dazu S. 96 f. Graf Heinrich von Lützow war von Dezember 1895 bis November 1899 Gesandter in Dresden. Anläßlich der Enthüllung eines Denkmals in Helmstadt (Unterfranken) am 3. 10. 1909 zur Erinnerung an seine Verwundung 1866 forderte Prinz Ludwig die Deutschen in Osterreich auf, einig für ihre Rechte zu kämpfen, damit sie wieder die ihnen gebührende Stellung in Osterreich erlangen. Gleichzeitig wandte er sich aber gegen jede Einmischung von Seite Deutschlands. In der Beantwortung einer am 16. 11. 1898 eingebrachten Interpellation tschechischer und polnischer Abgeordneter bezüglich der Ausweisung österreichischer Staatsbürger, meist Tschechen und Polen, aus Preußen erklärte Ministerpräsident Graf Franz Thun am 29.11.1898, die Regierung werde die Situation prüfen und in Übereinstimmung mit dem Außenministerium energisch gegen die preußischen Maßnahmen vorgehen, falls sich herausstellen sollte, daß es sich um mehr als Polizeimaßnahmen in individuellen Fällen handle. Er erwähnte dabei auch die Möglichkeit reziproken Vorgehens seitens der österreichischen Behörden. Die preußische Regierung provozierte darauf eine Bündniskrise, indem sie Thun zur öffentlichen Zurücknahme seiner Aussagen aufforderte, was dieser mit Rückendeckung des Kaisers ablehnte.
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Julius Szeps
betreffende Passus seiner Interpellationsbeantwortung kam aus dem Ministerium des Äußern. Das versicherte Thun dem Grafen Lützow persönlich. Thun benahm sich aber vortrefflich, indem er die ganze Verantwortung auf sich lasten ließ. Känia erzählte mir später, [am] 2. November, wieso sich Aehrenthal und Lützow veruneinigten. Lützow übernahm gegenüber Tittoni Engagements bezüglich der Lösung gewisser innerer Fragen Österreich-Ungarns (also offenbar italienische Universität171 etc.). Aehrenthal war außer sich, daß Lützow soweit gegangen sei, und schickte Lützow einen Erlaß von fast beleidigender Schärfe. Aehrenthal gehe in diesen Dingen oft weiter als er sollte. Lützow erwiderte darauf mit einem Telegramm, in dem er seinen Standpunkt wahrte. So entstand der Konflikt.
Dr. Julius Szeps, Chefredakteur des Fremdenblattes
1. November 1909 К 2, U 1, 68 r - 71 ν
Szeps hatte mir schon im Sommer eine merkwürdige Begebenheit erzählt, die er selbst als die größte Merkwürdigkeit seines Journalistenlebens bezeichnet. Es war gelegentlich der Reise des Erzherzogs Franz Ferdinand nach Rumänien172. Damals wurde von der ungarischen Presse ein lebhaftes Feuer eröffnet, angeblich, weil er eine Deputation von ungarisch-rumänischen Emigranten in Rumänien empfangen haben solle, dann, weil angeblich die ungarische Fahne von rumänischen Studenten herabgerissen worden sei etc. Daraufließ Aehrenthal eine Note ins Fremdenblatt einrücken, in welcher die Behauptung bezüglich der ungarisch-rumänischen Emigranten richtiggestellt und der Erzherzog gegen jene Anwürfe in Schutz genommen wurde. Am selben Tage wurde Szeps zum Telephon gerufen, und es meldete sich im Auftrage des Erzherzogs Franz Ferdinand jemand aus seiner Umgebung. Im Namen des Erzherzogs verlangte dieser, das Fremdenblatt solle nichts mehr in dieser Angelegenheit bringen, und zwar, weil der Erzherzog keiner Verteidigung gegen die ungarischen Angriffe bedürfe und sich eine solche Verteidigung verbitte. Aber noch mehr: Szeps erfuhr aus guter Quelle, daß der Erzherzog einen Brief in verletzender Form an Aehrenthal gerichtet habe, in welchem er denselben Standpunkt einnahm. Aehrenthal 171
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Die Frage der Errichtung einer italienischen Universität bzw. einer juridischen Fakultät in Österreich bildete einen permanenten Konfliktpunkt der bilateralen Beziehungen. Eine Lösung konnte bis zum Abbruch der Beziehungen 1915 nicht gefunden werden. Erzherzog Franz Ferdinand besuchte Anfang Juli 1909 Rumänien. Es war dies der erste Auslandsbesuch, zu dem auch seine Gattin offiziell eingeladen war.
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habe ihm darauf in fester bestimmter Form, in Wahrung seines Standpunktes, geantwortet 173 . Seitdem nun verschärfte sich das Verhältnis zwischen dem Erzherzog und dem Minister in unangenehmer Weise. Bekannt ist, daß anläßlich der ungarisch-koalitionsfreundlichen Haltung Aehrenthals zufolge eines Tages in der Reichspost ein Interview mit Lueger erschien, in welchem Lueger Aehrenthal mit dem Sturze durch die österreichische Delegation bedrohte, falls er weiter im Sinne Wekerles und seiner Koalition wirke. Dann war es wieder eine Note im Fremdenblatt, die den Erzherzog aufs äußerste reizte. Sie sei, so behauptete Szeps, von Aehrenthals eigener Hand geschrieben gewesen und bezog sich auf die Erhebung der Fürstin Hohenberg zur Herzogin174. Sie besagte im Wesentlichen, daß diese Erhebung keine staatsrechtliche Bedeutung besitze, sondern sich aus „technischen" Gründen empfohlen habe; hätte doch die Fürstin sonst allen ehemals reichsunmittelbaren Fürsten nachgehen müssen. Das Wort „technisch" reizte den Erzherzog aufs äußerste, und er befahl, fortan das Fremdenblatt zurückzuschicken und es nicht mehr zu abonnieren. Darauf begab sich Szeps zum Obersthofmeister des Erzherzogs, Graf Rumerskirch, um den Erzherzog zu begütigen. Rumerskirch nun äußerte sich in merkwürdig freimütiger Weise über den Erzherzog. Dieser handle oft unter einem augenblicklichen Impulse, den er dann aber bald bereue, sodaß auch in diesem Falle der Unwille des Erzherzogs einer ruhigeren Stimmung Platz machen werde. Das Gute sei, daß, wenn man dem Erzherzog offen und mutig widerspreche, er dies nicht verüble. In diesem Falle sei er aufgefahren und habe gesagt: „Mit der Technik habe man es wohl bei einem Automobil zu tun, aber nicht bei einem Erzherzog." Dieser Zwischenfall ist aber nicht so wichtig und nicht so bedenklich, als das, was Szögyeny vor einigen Tagen Szeps erzählte. Das ist allerdings ein starkes Stück des eigenwilligen Thronfolgers. Im Monate November sollen der Erzherzog und seine Frau einen Besuch in Berlin abstatten. Als Szögyeny dies in der Zeitung las, war es ihm unbequem, weil er voraussah, daß er seinen Urlaub werde unterbrechen und in Berlin anwesend sein müsse. Er schrieb also an Aehrenthal und bat ihn um Mitteilung der näheren Umstände, ob er anwesend sein müsse, oder ob es genüge, wenn er seinen Wunsch danach markiere. Aehrenthal erwiderte ihm hierauf, daß er seinerseits nicht von der Sache unterrichtet sei und nichts darüber raten könne. Als nun Szögyeny von seinem ungarischen Gut nach Wien kam, begab er 173
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Zum Konflikt zwischen Aehrenthal und dem Thronfolger bezüglich der ungarischen Pressemeldungen vgl. Aus dem Nachlaß Aehrenthal Teil 2, 697-705. Die Erhebung erfolgte am 4. 10. 1909. Im Fremdenblatt v. 6. 10. 1909, Morgenblatt 1, Herzogin Sophie von Hohenberg, hieß es, die Rangerhöhung erfolgte, damit ihre tatsächliche Stellung in der kaiserlichen Familie auch nach außen zum Ausdruck komme. Das sei bisher aus „technischen Schwierigkeiten" nicht möglich gewesen.
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Julius Szeps
sich zuerst zu Aehrenthal und erhielt hier dieselbe Auskunft: Er sei nicht von der Reise unterrichtet. Darauf fragte Szögyeny im Belvedere an, und hier ward ihm die überraschendste Antwort: Seine Anwesenheit in Berlin sei erwünscht, aber mit dem auswärtigen Amte sei die Sache nicht besprochen worden, da er mit dem Ministerium des Äußern jede Beziehung abgebrochen habe. Szeps versichert, dies aus dem Munde Szögyenys zu haben. Ich stimme mit ihm überein, daß dieser Zug Schlimmes über die künftige Handlungsweise des Erzherzogs als Herrscher voraussehen lasse. Es ist aber die Ansicht sehr genauer Kenner des Charakters des Erzherzogs, daß er zuerst blind darauflosgehen und sich den Kopf anrennen werde: Dann aber werde er in jeder Beziehung klein beigeben.3 Während nun der Erzherzog dem Grafen Aehrenthal grollt, ist er dem Kriegsminister unversehens nähergerückt. Bei den letzten Manövern behandelte er Schönaich auffallend freundlich, während dieser sich vorgenommen hatte, seine Demission zu geben, falls er wieder Verletzendes erfahren sollte. Schönaich war selbst höchst überrascht und erklärt sich diese Wendung, wie er Szeps sagte, damit, daß der Erzherzog einsehe, er könne doch nicht mit allen Ministern gleichzeitig brechen. Eine der Ursachen, weshalb der Erzherzog dem Schönaich gegrollt habe, war eine Antwort, die ihm dieser gab. Der Erzherzog sprach einmal über die Lage in Ungarn und sagte: Er könne seine Ansicht kurz dahin zusammenfassen, daß er einen Haynau notwendig haben werde. Darauf erwiderte ihm Schönaich: Wenn der Erzherzog es für notwendig halten werde, Ungarn zu erobern, so werde sich die Armee gehorsam zeigen wie immer; wenn er aber dann Galgen aufrichten wollte, so werde er sich Zivilisten dazu aussuchen müssen, da sich ein Offizier nicht dazu hergeben werde. So erzählte Schönaich seinerzeit Szeps. Doch hege ich Zweifel, ob Schönaich wirklich den Mut gehabt habe, eine so offene Antwort zu geben. Einige Monate früher hatte mir Szeps etwas anderes über ein Gespräch zwischen Schönaich und dem Erzherzog erzählt. Schönaich hatte ihm auseinandergesetzt, militärische Konzessionen an Ungarn seien notwendig, wenn man die Armee ausbauen wolle. Darauf der Erzherzog: Ich weiß ein anderes Mittel. Und als Schönaich ihn bat, es ihm zu sagen, sagte der Erzherzog schroff und beleidigend: Schönaich sei der letzte, dem er seine Gedanken darüber anvertrauen wollte175. Es ist immer derselbe Anlaß, durch den der Erzherzog sich von den Ministern getrennt fühlt: Die militärischen Konzessionen an Ungarn. Gemäß der halbamtlichen Veröffentlichung im Dezember 1908 waren Aehrenthal und Schönaich - offenbar ebenso wie der Kaiser - bereit, die Zugeständnisse zu gewähren: Da erklärte der
175 a
Vgl. S. 199. Randbemerkung: Ich weiß nicht, ob das eine von Bischof Marschall oder von Szögyeny ausgesprochene Ansicht ausfdrückt]. Szeps ist zu befragen.
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Erzherzog, er werde, wenn dies geschehe, alle seine militärischen Ehrenstellen niederlegen. Damit war die Sache zu Ende. Als Ergänzungen dieser Charakterzüge berichtete Szeps mir über Äußerungen des Bischofs Marschall176: Der Erzherzog habe, als die unglückliche Geschichte mit Professor Feilbogen in Rom passierte (dessen Schwester hatte die Hostie ausgespuckt177), die Absicht gehabt, eine Sühnekirche in Wien zu erbauen. Marschall verhinderte dies und sagte: Solange er Bischof sei, werde dies nicht geschehen. Marschall war es, der sagte: Der Erzherzog werde als Herrscher mit dem Kopfe anrennen und dann in allen Dingen klein beigeben. "Marschall sprach über einen Ehrenbeleidigungsprozeß zwischen zwei Redakteuren der Neuen Zeitung. Es sei gut, sagte Marschall, daß der Prozeß beigelegt wurde, denn jeder Teil hatte Briefe des Erzherzogs in Händen.® Immer ist [sie!] es Graf Silva Tarouca und Graf Galen, der bekannte Benediktiner, die Einfluß auf den Erzherzog besitzen. Länyi178 sei Weihbischof in Großwardein und könne nicht Bischof werden, weil die ungarische Regierung das Veto einlege. Denn Länyi habe eine unkluge Rede oder Predigt gegen die ungarische Regierung gehalten. Cartwright ist jetzt auf Urlaub und von Wien abwesend. Seine Antipathie gegen Iswolski ist so groß, daß, obwohl sie in Venedig acht Tage beisammenwaren, er nur mit Mühe dahin gebracht werden konnte, eine Viertelstunde mit ihm zusammenzusein. In Bezug auf Racconigi, Tittoni und Iswolski179 sagte Cartwright: Une entrevue d'un avengle avec un cul-de-jatte. Crozier erzählte Szeps, daß Iswolski ihm von der Absicht seines nahen Rücktrittes gesprochen [habe]. Sobald ein Botschafterposten frei sei, werde er ihn übernehmen. In Wien freilich, so sagte er, wäre es schwer, wohl auch in Berlin. Die Schwierigkeit liege dahin, daß man die alten Botschafter nicht auslosen [sie!] wolle. Nelidov in Paris und Osten-Sacken in Berlin seien fast 176
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Der Wiener Weihbischof und Generalvikar Godfried Marschall war Religionslehrer des Erzherzogs gewesen. Dr. Siegmund Feilbogen, Professor an der Wiener Exportakademie, hatte gemeinsam mit seiner Frau und deren Schwester Ella Zwack 1908 die Ostermesse in der Sixtinischen Kapelle besucht. Seine Schwägerin, wie er selbst jüdischen Glaubens, hatte die konsekrierte Hostie wieder aus dem Mund genommen. Dieser Zwischenfall wurde wegen der Tatsache, daß sie über routinemäßig ausgestellte Empfehlungsschreiben der öst.-ung. Botschaft am Vatikan verfugten, von der Kurie diplomatisch hochgespielt, um die Abberufung des Botschafters als Gegenzug zur Ignorierung des Wiener Nuntius durch Außenminister Graf Aehrenthal zu erreichen. Ergänzung. Der ungarische Sprachlehrer des Erzherzogs Jözsef Länyi war 1906 zum Weihbischof von Großwardein (Nagyvärad, Oradea) ernannt worden. Am 24. 10. 1909 trafen sich in Racconigi Zar Alexander II. und König Viktor Emanuel sowie die beiden Außenminister. Die beiden Regierungen stimmten dabei ihre Orientpläne ab und sagten sich Unterstützung der jeweiligen Ansprüche auf die Meerengen bzw. auf Tripolis und die Cyrenaika zu. Der Zar war aufgrund der gespannten Beziehungen zur Donaumonarchie ostentativ von Odessa mit dem Schiff angereist.
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Julius Szeps
80 Jahre alt, Urusov (Wien) alt und verbraucht. Endlich aber werde das Revirement doch eintreten. Als Nachfolger Iswolskis gelte Sazonov, sein jetziger Gehilfe. "Die Annahme, Iswolski werde bald gehen, wird von Kania geteilt. Racconigi kann vielleicht als guter Abgang dienen. Iswolski wird allerdings noch vor der Duma seine Rede über die äußere Politik halten. Wenn er nur nicht wieder auf die Annexion Bosniens zu sprechen kommt! Es sei endlich genug mit der Sache, seufzt Känia, der immer wieder darüber zu sprechen hat.® Iswolski habe in Racconigi nicht viel ausgerichtet, denn nie seien Aehrenthal und Iswolski [sie!] in besserem Einvernehmen gestanden als eben jetzt. Dies letztere habe ihm Crozier ebenso wie Szögyeny mitgeteilt. bKania, den ich darüber befragte, sagte mir, er wisse nicht, woher Szeps diese Annahme schöpfe: Schönaich war es, der ihm dies sagte, ohne daß Kania beurteilen könne, woher die Wissenschaft.11 cSzeps
sprach sich sehr besorgt über die Lage in Griechenland aus. Es sei möglich, daß die Dynastie vertrieben werde, wobei es zu Demonstrationen oder auch zu einem Putsch gegen die Türkei kommen könnte. Die Jungtürken warteten nur auf eine Gelegenheit, um über Griechenland herzufallen. Dann aber würde auch Bulgarien losschlagen, und die größte Verwicklung stünde bevor. Interessanter aber als diese Meinungsäußerung, die wohl zu pessimistisch ist, war eine historische Reminiszenz. Szeps erzählte mir, daß Clemenceau180 als alter Philhellene zur Zeit der Annexion und der Souveränitätserklärung Bulgariens181 dem König Eduard dringend geraten habe, die Gelegenheit zu benutzen und die kretische Frage endgültig zu liquidieren. Wenn man Kreta damals den Griechen gegeben hätte, so wäre bei den gegen die Türkei einbrechenden Schlägen auch ein Krieg zwischen Türken und Griechen verhindert worden. Dann wäre alles endgültig in Ordnung gewesen. König Eduard hielt ihm jedoch entgegen, daß man doch den Türken Kreta nicht in demselben Augenblick nehmen könne, in dem man sich gegen die bosnische Annexion zur Wehr setze. Erwiderung Clemenceaus; „Ja, weshalb wehren wir uns gegen die Annexion? Das ist ja überflüssig." Es ist richtig, daß, wenn Clemenceaus Ansicht durchgedrungen wäre, die Schwierigkeiten des Augenblicks nicht bestünden. Denn Kreta wird auf die Dauer doch nicht türkisch bleiben können.
Julius Szeps' Schwester Sophie war seit 1886 mit Georges Clemenceaus Bruder Paul verheiratet. 181 Bulgarien hatte am 5. 10. 1908 einseitig seine Unabhängigkeit von der Türkei erklärt, am Tag darauf erklärte Österreich-Ungarn die Annexion von Bosnien und der Herzegowina. "~a Ergänzung. b b Ergänzung. ' Der folgende Eintrag durch Sekretär 5. 180
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Rudolf Sieghart, Vorstand der Präsidialkanzlei im Ministerratspräsidium 5. November 1909 К 2, U 6, 699 г - 701 r; Sekretär 5 Bei der letzten Besprechung Aehrenthals mit Baron Bienerth stellte sich der Minister des Äußern bezüglich Ungarns auf den übrigens bekannten Standpunkt: Er sei noch immer der Ansicht, daß die von den Militärs als unbedenklich bezeichneten militärischen Konzessionen den Ungarn bewilligt werden könnten. Da aber sowohl das österreichische Ministerium wie Erzherzog Franz Ferdinand und die Mehrheit des Herrenhauses militärische Konzessionen für unstatthaft halten, so sei es seine, des Ministers des Äußern, Pflicht, auf die ungarischen Parteien in mäßigendem Sinne zu wirken. Er mache alle Anstrengungen, daß ein parlamentarisches Ministerium gebildet werde, das ohne militärische Konzessionen die Bewilligung des Budgets und der anderen Staatsnotwendigkeiten im ungarischen Reichstag durchsetze. Sieghart findet die Haltung Aehrenthals Bienerth gegenüber loyal, hält die Bemühungen des Ministers des Äußern für angemessen, glaubt aber nicht, daß sie zum Ziel führen werden. Es werde doch auf ein unparlamentarisches Ministerium hinauskommen182. Wer aber sollte an die Spitze treten? Der Kaiser selbst erklärt, er habe niemanden in Ungarn, dem er die Mission anvertrauen könne, bleibt aber fest bei seiner Weigerung, militärische Konzessionen zu bewilligen. Er will gleichfalls nicht mit dem Thronfolger, der Rechten des Herrenhauses und den Christlichsozialen in Streit geraten. Jüngst äußerte er einmal: „Ich habe keine Lust, mich beschimpfen zu lassen." Es ist richtig, daß der Thronfolger mehr als einmal erklärte, er werde alle seine militärischen Ehrenstellen niederlegen, wenn Konzessionen gemacht würden. Fraglich bleibt aber, ob er seine Drohung ausführen würde. Viele glauben, er habe nur „Zimmercourage". Beängstigend ist, wie rasch er seine Sympathien ändert. Mit Schönaich hat er sich wohl nicht versöhnt, er erklärte ihm aber, daß er von ihm keine Feindseligkeiten erfahren solle, wenn er sich in der ungarischen Frage nicht weiter vorwage und die Sache auf sich beruhen lasse. Schönaich selbst hat allerdings ein Interesse zu verbreiten, daß der Thronfolger sich mit ihm vollständig ausgesöhnt habe. Deshalb schwirren ähnliche Gerüchte in der Luft. Was Aehrenthal betrifft, so grollt er ihm wegen seiner Nachgiebigkeit den Ungarn gegenüber, bewundert aber seine auswärtige Politik. Im Inneren herrscht eine Lage einzig in ihrer Art. Bienerth wird sowohl vom Kaiser wie vom Thronfolger und vom Minister des Äußern gestützt. 182
Am 28. 9. 1909 hatte die Regierung Wekerle, die sich selbst lediglich als Interimskabinett sah, demissioniert. Eine Lösung der permanenten ungarischen Regierungskrise trat erst mit der Vereidigung des neuen Kabinetts Khuen-Hederväry am 17.1.1910 ein.
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Graf Anton Monts de Mazin
Dieser Fall war in den letzten zehn Jahren noch nicht da. Koerber hatte mit der Feindseligkeit Goluchowskis zu kämpfen, Beck mit der des Thronfolgers. Gautsch wurde gleichfalls von Goluchowski, und zwar wegen des allgemeinen Wahlrechts, bekämpft. Zum ersten Mal findet der österreichische Ministerpräsident die Unterstützung der genannten drei Faktoren. Es ist ungerecht von Ihnen, sagte mir Sieghart, wenn Sie glauben, dies sei bloß der Fall, weil Bienerth eine Mittelmäßigkeit ist. Ich weiß, daß Bienerth nicht etwa eine hervorragende Persönlichkeit ist. Aber seine absolute Weigerung, Konzessionen zu machen, seine Erklärung, lieber zu demissionieren, sind doch ein gutes Stück Kapital. Seine Festigkeit den Parteien gegenüber wird ihn vielleicht zum Sturz bringen, aber seinem Nachfolger die Wege ebnen. Er ist gewiß nicht so begabt wie Koerber und Beck, aber mit Gautsch kann er sich wohl vergleichen. Gautsch hat vielleicht ein besseres Gedächtnis, ist redegewandter, Bienerth verfügt aber über eine tüchtige bürokratische Tradition und nicht geringe Festigkeit. Sie sind der Meinung, daß er sich doch eigentlich ganz nach dem Thronfolger richte. Das ist im allgemeinen richtig, nicht aber im einzelnen. Wahr ist, daß der Thronfolger von ihm die beste Meinung hat und ebenso die Umgebung des Thronfolgers. So Graf Galen, der geistliche Berater der Herzogin183. Die Herzogin übt keinen guten Einfluß auf den Thronfolger. Sie hat sich ganz der Kirche in die Arme geworfen, ist engherzig und knauserig. Der Thronfolger selbst macht, wie soviele Thronerben, den Eindruck eines Bürokraten, dessen Karriere für lange Zeit verstopft ist, und der das unwillig empfindet. Das alles macht für die Zukunft einen traurigen Eindruck. Ich sage deshalb: Gott erhalte Kaiser Franz Joseph! Ich will nicht soweit gehen wie Schönaich, der behauptet: Der Thronfolger wird in 24 Stunden mehr Konzessionen machen als der jetzige Kaiser in 24 Jahren. Immerhin ist aber seine Sprunghaftigkeit zu befürchten.
Graf Anton Monts de Mazin, deutscher Botschafter in Rom a. D." November 1909 К 2, U 2a, 137a r - 138a v; Sekretär 5 Graf Monts war mit Bülow arg verfeindet und hegte von seinen politischen Gaben eine überaus geringe Meinung. Humoristisch schilderte er, daß er langatmige Instruktionen von ihm erhielt, in denen die zweite Seite der ersten und die dritte der zweiten widersprach, und deren Schluß dann lautete: Es werde ihm nicht schwer werden, die italienische Regierung zu überzeugen, Herzogin Sophie Hohenberg, die Gattin des Thronfolgers. " Randbemerkung durch Friedjung: Für die „Weltgeschichte seit 1900" ganz benutzt. Vgl. Zeitalter des Imperialismus. Bd. 2, 59-64 und 86-88.
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daß es in ihrem eigenen Interesse läge, sich nach den entwickelten Gesichtspunkten zu richten. Überhaupt sei bei Bülow der Redner stärker als der Politiker und der Diplomat. Seine schön gedrechselten Sätze hätten im Ausland Unzufriedenheit erregt. Ein Minister des Äußern spräche besser immer nur kurz und sachlich. So habe die schöne Phrase Bülows, wer Deutschlands Interesse verletze, werde auf Granit beißen, in England tief verletzt, weil man das Wort auf Britannien bezog184. Diese Redensart war seinerzeit von Friedrich dem Großen gebraucht worden, der damit die Kraft des preußischen Heeres schildern wollte, gegen welches man nichts ausrichten könnte. Geheimrat Hammann, ein literarisch gebildeter Mann, habe die Phrase einmal gelesen und sie Bülow sofort zur Verfügung gestellt. Bülow habe die Eigenheit gehabt, in seinen Ferien zu Norderney monatelang vorher seine Reden auszuarbeiten; er mußte dann seine Politik danach einrichten, daß er ein halbes Jahr später die schon gedrechselte Phrase vom Stapel lassen könne. Bülows großer Fehler sei die Behandlung der Marokkofrage gewesen. Herr von Holstein [war] das treibende Element. Holstein war wirklich der Meinung, daß es sich empfehle, wenn Deutschland aus diesem Anlaß gegen Frankreich mit dem Krieg vorgehe. Graf Monts warnte ihn schon damals mit dem Hinweis darauf, daß man mit Kaiser Wilhelm und Bülow eine so waghalsige Politik nicht treiben könne. Als Bülow später in Pension ging185, bekannte er Monts gegenüber seinen Irrtum. Es ist sicher, daß ein Ausgleich in der Marokkofrage schon mit Delcasse möglich gewesen wäre. Damals wandte man sich von französischer Seite an Monts, um einen Ausgleich herbeizuführen. Delcasse war zu großen Konzessionen in der Marokkofrage bereit. Dann wurde er gestürzt186, und auch in dieser Zeit hätte man sich mit den Franzosen ohne eine Konferenz einigen können. Monts legte den größten Wert darauf, daß schon Delcasse zu einem Ausgleich bereit war. Die Mitteilungen, die Bülow über die bevorstehende Konferenz zu Algeciras187 an Monts gelangen ließ, waren unklar und widerspruchsvoll. Das sind die Ursachen, welche das Zustandekommen der Tripleentente begünstigten. 184
In einer Reichtagsrede am 8. 1. 1902 kam Reichskanzler Bernhard von Bülow auf eine Passage in einer Rede des britischen Kolonialministers Joseph Chamberlain vom 25. 10. 1901 zurück, in der dieser die Angriffe gegen die britische Kriegsfuhrung in Südafrika mit dem Hinweis auf größere Greuel anderer Armeen, unter anderem auch der Deutschen im Krieg von 1870, zurückwies. Bülow verurteilte Chamberlains Aussagen scharf und verwendete dabei auch einen Ausspruch Friedrich II., wonach man ihn nur reden lassen solle, er würde doch auf Granit beißen, iss pj} rs t Bernhard von Bülow erhielt am 14. 7. 1909 seine Entlassung als Reichskanzler. Gemeint ist jedoch wohl die Pensionierung des Vortragenden Rates im Außenamt Friedrich von Holstein am 19. 4. 1906. 186 Der französische Außenminister Theophile Delcasse trat am 6. 6. 1905 zurück, nachdem der Ministerrat gegen seinen Vorschlag der Teilnahme an einer internationalen Konferenz zur Beilegung des Marokkokonfliktes zugestimmt hatte. Vgl. Zeitalter des Imperialismus. Bd. 2, 51-53. 187 Die Konferenz zur Beilegung der ersten Marokkokrise vom 15. 1. bis 7. 4. 1906.
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Graf Anton Monts de Mazin
Über den Dreibund und die Aussichten seiner Erneuerung äußerte sich Monts folgendermaßen: Dem Dreibund zufolge ist Italien, wie bekannt, in gewissen Fällen zur Waffenhilfe verpflichtet. In Bezug auf den Balkan ist ausdrücklich gesagt, daß der Status quo aufrechtzuerhalten sei; sollte jedoch eine der Mächte eine Veränderung vornehmen wollen, so ist sie zu einer vorhergehenden Mitteilung an die beiden Verbündeten verpflichtet. Für den Fall endlich von größeren Komplikationen auf der Balkanhalbinsel ist, soviel ich Monts verstanden habe, vereinbart, daß man sich gegenseitig Kompensationen gewähren müsse188. Nach der Ansicht des Grafen Monts empfiehlt es sich, bei der Erneuerung des Dreibundes eine andere Grundlage zu wählen. Die Waffenhilfe sei überhaupt auszuschalten. Dieses Versprechen besitzt nur theoretische Bedeutung, da Italien aus Furcht vor der englischen Mittelmeerflotte nie eine Unterstützung leisten würde, wenn Deutschland und England sich als Feinde gegenüberstehen. Es empfiehlt sich also, daß sich die verbündeten Staaten nur Neutralität zusagen. Es ist wohl anzunehmen, daß die Italiener schon im Hinblick auf das ihnen militärisch überlegene Österreich-Ungarn auf einen solchen Vorschlag eingehen würden. Charakteristisch ist die Art, wie Holstein aus dem Amte schied189. Als Tschirschky Staatssekretär wurde, gebärdete sich Holstein, obwohl er sein Untergebener war, wie sein Inspirator. Er hatte immer den Vorteil für sich, ein großer Arbeiter zu sein, sodaß er alle Geschäfte vortrefflich kannte. Er war der erste im Bureau, las den Einlauf und wußte Bescheid. Er trat nun jeden Augenblick bei Tschirschky ein, und sooft ein Gesandter Tschirschky verließ, erschien er, um ihn zu beraten, ihm seine Meinung zu sagen, ebenso wie er ihm Ratschläge gab, wenn ein Botschafter oder Gesandter sich gemeldet hatte. Das war Tschirschky doch zuviel. Er konnte sich vor Holstein und seinen Ratschlägen nicht mehr retten und vermochte sich nur dadurch zu helfen, daß er einfach die Tür zwischen seinem und dem Arbeitszimmer Holsteins zusperrte. Holstein war äußerst betroffen und tief beleidigt. Tschirschky wurde von ihm mit den fürchterlichsten Beinamen verfolgt. Er nannte ihn unter anderem den syphilitischen Schulmeister, wegen seiner etwas salbungsvollen Art und der schiefen Haltung seines Kopfes. So kam es zwischen dem Staatssekretär und dem Geheimrat zu einem Bruch, und Holstein ging in den Ruhestand. So spielte sich die Sache äußerlich ab. Indessen war eigentlich nicht Tschirschky die Ursache des Rücktrittes Holsteins, sondern Bülow, der ihn gern weghaben wollte, doch nicht den Mut hatte, sich von ihm zu trennen, und eigentlich Tschirschky nur vorschob, um ihn loszuwerden. 188
189
Das Zusatzabkommen zwischen Österreich-Ungarn und Italien von 1887, das 1891 Teil des Dreibundvertrages wurde, garantierte Kompensationen im Falle einer Expansion am Balkan und Adria. Vgl. dazu Die geheimen Papiere Friedrich von Holsteins, hrsg. von Norman Rieh und Μ. H. Fisher. 4 Bde. (Göttingen - Berlin - Frankfurt 1956-1963).
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Wilhelm Dorotka, Agramer Journalist [1909] К 3, U Aufzeichnungen über Persönlichkeiten der Balkanpolitik Gregor Tuskan wurde seinerzeit wegen Meineids verurteilt. Er hatte nämlich vor Gericht bezeugt, daß Dr. Starcevic dem Banus Khuen einen Fußtritt versetzt habe. Khuen stellte sich [sie! ] neben Zeugen in Abrede, und das Gericht erkannte Tuskan schuldig. Auch Abgeordneter Tomicic ist FML in Pension, und er machte dies, als er in den Landtag kandidierte, geltend. Er bewarb sich in Uniform. Svetozar Pribicevic ist ein Schwärmer, der Serbien für das Eldorado hielt. Anfangs trat er ganz modern auf, hielt einen Vortrag voll Spott über den heiligen Sava und über die religiösen Vorstellungen des serbisch-kroatischen Volkes. Darin ist er ebenso wie Lorkovic nüchterner geworden. Budisavljevic ist unbedeutend, aufgeblasen. Als Zahlkandidat aufgestellt, drang er durch. Seitdem weiß er nicht, wie sich vor Selbstbewußtsein zu halten. Harambasic war Advokat, aber ohne Klienten. Er nahm also eine Stelle als Regierungssekretär an und ist in der Kultussektion. So wurde er fur Rauch gewonnen. Kroatien hat acht Komitate. Bei den nächsten Wahlen rechnet Rauch und mit ihm Dorotka für die Verfassungspartei auf die relative Mehrheit im kroatischen Landtag. Die Koalition190 wird sehr viele Sitze verlieren. Rauch wird in den ihr angestammten Sitzen der Frankpartei191 keine Kandidaten aufstellen, wohl aber in allen anderen Wahlbezirken. Die selbständige Serbenpartei verliert viel Anhang. In Syrmien, welches Dorotka vor einigen Wochen bereiste, ist das Ansehen Rauchs im Steigen. Die Deutschen werden für seine Kandidaten stimmen, ebenso die Magyaren. Nikolic, der frühere Sektionschef, hält sich ganz zurück. Wahrscheinlich hat er von oben einen Wink bekommen, sich nicht tiefer mit der Koalition einzulassen.
Leopold Mandl, Wiener Journalist und Balkanspezialist192 [ 1909] К 3, U Aufzeichnungen über Persönlichkeiten der Balkanpolitik; Sekretär 3 Am meisten bloßgestellt unter den Abgeordneten der radikalen Serbenpartei ist Gyuro Krasojevic aus Karlowitz. Der Pester Lloyd hat seinerzeit eine merkwürdige Szene aus einer Delegationssitzung gebracht. Krasojevic hatte sich zu Worte gemeldet, um über die Verhältnisse in Bosnien zu sprechen. 190
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Die serbo-kroatische Koalition, deren führende Mitglieder Friedjung aufgrund seines Aufsatzes vom 25. 3. 1909 geklagt hatten. Der kroatische Politiker Josip Frank vertrat eine konservative, katholisch-klerikale und antiserbische Politik. Vgl. seine beiden Broschüren Österreich-Ungarn und Serbien (Wien 1909) und Österreich-Ungarn und Serbien nach dem Balkankriege (Wien 1912).
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Leopold Mandl
Vor der Sitzung wandte sich Wekerle an ihn und sagte ihm: „Du hast soeben aus Belgrad ein Memorandum erhalten, welches die angebliche Mißwirtschaft Österreich-Ungarns in Bosnien behandelt, und willst dieses Memorandum vorlesen. Das wirst Du nicht tun. Solltest Du es wagen, so werde ich den Brief, den Du an die serbische Regierung geschickt hast und der Dich aufs Äußerste bloßstellt, benützen, um gegen Dich aufzutreten." Krasojevic, der sich schuldig wußte, verlor den Mut, hielt seine Rede, erwähnte zwar das Memorandum, wagte aber nicht, es vorzulesen. Als ich im Jahre 1904 in Belgrad war, wurde ich von dem Kronprinzen Georg auch empfangen, und wir machten einen Spaziergang, bei dem sich Pasic und Balugdzic an der Seite des Kronprinzen befanden. Der Kronprinz sagte mir die erstaunlichsten Dinge. Er habe bestimmte Nachrichten, daß, wenn Serbien mit Österreich-Ungarn in Krieg gerate, die slawischen Regimenter der Monarchie, besonders aber die Serben, sich weigern würden, mitzuziehen. Ich war darüber höchst erstaunt und widersprach dem Kronprinzen. Als ich mich vom Kronprinzen entfernt hatte, machte ich Balugdzic Vorwürfe darüber, daß man dem Thronfolger diese unrichtigen Vorstellungen beibringe, welche zum Verderben der Dynastie Karageorgevic führen müßten. Balugdzic aber erwiderte: Wir wissen diese Nachrichten durch ein Komitee, in welchem sich auch serbische Abgeordnete aus Südungarn befinden, unter ihnen Krasojevic. Dieser letztere ging soweit zu sagen, daß die Serben aus Südungarn in großen Scharen dem Königreiche zu Hilfe kommen würden. Nur besäßen sie natürlich keine Kanonen, und deswegen müsse Serbien eine größere Anzahl von Geschützen anschaffen, als es selbst benötige, um sie auch den Serben Südungarns zur Verfügung zu stellen. Ich machte Balugdzic gegenüber kein Hehl aus meiner namenlosen Überraschung, daß er diese verfänglichen und gefahrlichen Dinge mir, einem Österreicher, mitteile. Ich sei zwar kein Spion, könne aber als Journalist die Dinge doch verwenden, was für die Betreffenden höchst unangenehm wäre. Balugdzic aber erwiderte gleichmütig, er könne mir diese Dinge ohne Scheu anvertrauen in dem sicheren Bewußtsein, daß die österreichischungarische Regierung ohnedies von all diesen Dingen unterrichtet sei. Wichtige Mitteilungen werden mir regelmäßig durch den Sekretär der serbischen Gesandtschaft Arrer gemacht, der mir Geld schuldet. Außerdem bin ich der Vormund seiner unehelichen Kinder. Es ist überraschend, wieviel Arrer mir verrät. Der Verrat von Staatsgeheimnissen ist in Serbien ganz allgemein. Erst kürzlich wurde in Belgrad ein gewisser Müller unter dem Verdachte verhaftet, der österreichisch-ungarischen Regierung Schriftstücke ausgeliefert zu haben193. Er ist Proviantlieferant für die serbische Armee. 193
Der Handelsagent Müller, österreichischer Staatsangehöriger, wurde am 23. 6. 1909 wegen Spionage für die Donaumonarchie in Belgrad zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt; die Strafe wurde am 6. 10. 1909 im Berufungsprozeß auf 16 Jahre erhöht. Vgl. ÖUA, Bd. 2, 498-504.
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Was den ungarischen Handelsagenten Horvath betrifft194, so spielt er in Belgrad eine merkwürdige Rolle. Er machte die Vermittlung zwischen der ungarischen Unabhängigkeitspartei und zwischen den Serben und intrigierte lebhaft gegen die österreichischen Kaufleute und Fabrikanten, den Serben abratend, den österreichischen Schund zu kaufen. Ich selbst sah Supilo in Belgrad die Treppe von ihm herabgehen. Später legte Horvath jedoch wieder Wert auf eine Annäherung an das Ministerium des Äußern, und ich habe selbst mit Jettel über ihn gesprochen. Hadzi Risto Damjanovic ist Schneider und Kürschner, wenn ich nicht irre in Sarajewo. Er ist ein exaltierter Serbe und war - doch bin ich dessen nicht ganz sicher - bei der Königskrönung Peters in Belgrad anwesend. Von Jeftanovic bin ich dessen sicher, von ihm nicht. Gavrila ist ein ungarischer Serbe, Advokat in Budapest und war bereits mit Peter Karageorgevic in Verbindung, als dieser noch Prätendent war. Er war und ist Mittelsmann zwischen Belgrad und den serbischen Abgeordneten, besonders wenn sie sich während der Reichsratssession in Budapest aufhalten. Zivojin Balugdzic195 Balugdzic war ursprünglich sozialistisch und anarchistisch gesinnt, gab ein Blatt heraus, das ebenso wie das Marats „ami du peuple" hieß, wurde angeklagt, in Belgrad verurteilt und unter die Soldaten gesteckt. Er ergriff die Flucht und wurde mit Peter Karageorgevic bekannt, der damals noch Prätendent war und ihn als Pamphletisten gegen die Obrenovic und gegen die Njegus verwendete. Diese Pamphlete enthalten manch bemerkenswertes Dokument. Das dauerte solange, bis Alexander die Draga heiratete196, bei welcher Gelegenheit sich bekanntlich Rußland mit ihm versöhnte. Dies hatte zur Folge, daß die Hoffnungen der Karageorgevic auf den Nullpunkt sanken und Peter Karageorgevic Balugdzic fallen ließ, der infolgedessen in große Not geriet und sich in München in schlechten Verhältnissen befand. Indessen nahm Peter ihn im Jahre 1901 wieder in seine Dienste auf, und er gab zusammen mit Gavrila in Budapest ein Blatt heraus namens Topola, welches seinen Namen nach dem Heimatorte der Karageorgevic führte. Über die Gründe, weshalb dieses Blatt eingestellt werden mußte, wird man im Ministerium des Äußern Aufschluß geben können. Als nun Peter 1903 König wurde197, wurde Balug194
195 196 197
Zu Edmund Horvath, über den ein großer Teil der von Friedjung für seinen Aufsatz in der Neuen Freien Presse vom 25. 3. 1909 verwendeten gefälschten Dokumente beschafft wurde, vgl ÖUA, Bd. 2, 498-504, 517-518, 551-552, 560-561 und 576-577. Vgl. zur Karriere Zivojin Balugdzic' Dragan Gasic, Die Presse Serbiens 1903-1914 und Österreich-Ungarn, phil. Diss. (Wien 1971) 114-122. Am 5. 8. 1900 hatte der serbische König Alexander die bürgerliche ehemalige Hofdame seiner Mutter Draga Masin geheiratet. In der Nacht vom 10. zum 11. Juni 1903 wurden König Alexander Obrenovic und seine Gattin Draga sowie weitere hohe Funktionäre des Staates von Offizieren in Belgrad
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Leopold Mandl
dzic sein Privatsekretär. Der König schenkte ihm großes Vertrauen, aber sein Gehalt war sehr gering, und er war Mandl sehr dankbar, als ihm dieser die Korrespondenz der Neuen Freien Presse und des Neuen Wiener Tagblattes verschaffte, welche Stellung ihm bedeutend mehr eintrug. Er bereicherte sich übrigens auch bei den Kanonenlieferungen198 und erhielt von Creuzot einen Scheck auf 50.000 francs, der ein Jahr lang lief, aber von Creuzot nicht mehr erneuert wurde, weil Balugdzic sowohl wie der andere Vertraute König Peters, Nenadovic, sich auch mit der Firma Skoda einließen. Diese Hofgruppe geriet mit Pasic in Konflikt, und Balugdzic schrieb in der Stampa199 fürchterliche Angriffe gegen Pasic, indem er Pasic jeder möglichen Schwindelei beschuldigte. Pasic klagte aber; bevor es noch zum Prozeß kam, fand zwischen beiden ein Ausgleich statt. Denn Balugdzic, der nach Semlin geflüchtet war und von hier aus auch mit König Peter in Verbindung stand, drohte mit den gefahrlichsten Enthüllungen, weshalb Pasic es für klüger hielt, sich mit ihm auszugleichen. Man kam überein, daß Balugdzic, der unterdessen vom Gericht zu sechs Monaten verurteilt worden war, nach Serbien zurückkehren und sich stellen solle. Nach kurzer Zeit - so wurde vereinbart - wurde er dann bei irgendeiner festlichen Gelegenheit - wenn ich nicht irre bei dem Geburtstage des Königs - begnadigt und wieder in Amt und Würden aufgenommen. Zuerst wurde er Sekretär bei der Gesandtschaft, und jetzt ist er Generalkonsul in Üsküb. Er ist begabt, schreibt vortrefflich und ist eine interessante Persönlichkeit. Als Generalkonsul zu Üsküb ist er ein gefahrlicher Feind Österreichs, organisiert die Serben in jenen Gegenden gegen die Monarchie und unterhielt auch die bekannten Verbindungen mit den Jungtürken, bevor die Konvention vom 26. Februar 1909 abgeschlossen wurde200. Sandor Petrovic201 Petrovic war Korrespondent der Kölnischen Zeitung und als solcher dem Ministerium Bänffy, dem Banus Khuen und auch Viadan Georgevic, der Ministerpräsident war, vielfach unangenehm. Man behalf sich damit, daß man ihn kaufte, und er nahm Geld sowohl von Ungarn wie von Serbien. Georgevic schickte seinen Minister des Innern Gencic nach Budapest, um mit ihm Frieden zu schließen. Petrovic wies nun aus den Rechnungen der Kölnischen
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ermordet und der Kronprätendent aus dem Hause Karageorgevic als Peter I. zum König ausgerufen. Im Frühjahr 1906 erteilte Serbien einen Waffenlieferungsauftrag an die französische Firma Schneider-Creuzot anstatt wie bis dahin üblich an die böhmischen Skoda-Werke. Die Belgrader Tageszeitung Stampa. In diesem Abkommen anerkannte die Türkei die Annexion Bosniens und der Herzegowina, während Österreich-Ungarn auf alle Rechte im Sandschak von Novibazar verzichtete und eine Entschädigung für ehemals türkischen Staatsbesitz leistete. Vgl. zur Rolle des ehemaligen serbischen Presseleiters Sandor (Branko) Petrovic als Mittelsmann zum Wiener Preßbureau Gasic, Die Presse Serbiens 165-166.
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Zeitung nach, daß er sich 12.000 francs bei ihr verdiene, was übrigens nur die Höchstsumme war, die er je von ihr bezog. Er bewirkte aber, daß die serbische Regierung ihn mit dem Gehalte von 12.000 francs zum Pressechef in Belgrad ernannte, wobei er einen zehnjährigen Kontrakt erhielt. Er blieb also Pressechef unter König Alexander und machte auch die Schwenkung mit, als König Peter auf den Thron kam. Er besaß aber einen gefahrlichen Nebenbuhler in Balugdzic, der ihn stürzen wollte, um selbst Pressechef zu werden. Da aber Petrovic einen zehnjährigen Kontrakt besaß, war seine Entfernung nicht leicht, obwohl es die Königsmörder nicht an Drohungen gegen ihn fehlen ließen. Durch eigene Schuld brach er sich jedoch den Hals. Er gelangte zur Kenntnis eines Handschreibens, das König Peter an den Zaren schickte und ein Staatsgeheimnis war. Er ließ es jedoch in der Zeitschrift Tribune veröffentlichen, und da niemand anderer als er sich das Schreiben verschafft haben konnte, so fürchtete er sich vor Strafe und floh bei Nacht und Nebel aus Serbien. Er schrieb hierauf ein Pamphlet gegen die Karageorgevic und lebt nun in Budapest als sehr gewandter Journalist. Da er vielseitig gebildet ist, so war es ihm nicht schwer, die Advokaturprüfung in Budapest zu machen - er ist ungarischer Serbe -, und er verdient jetzt als Advokat ebenso wie als Journalist ziemlich viel Geld. Dabei ist es ihm gleichgültig, ob er von Serbien oder von Ungarn Summen bezieht. Als Journalist steht er über Balugdzic, den er geistig überragt. Gavrila Gavrila ist ein ungarischer Serbe und war stets ein Anhänger der Karageorgevic, noch bevor sie am Ruder waren. Mit Balugdzic gab er den Topola heraus. Er ist Advokat und leitet die Kanzlei der bosnischen Mohammedaner, denen er alle Schriftstücke verfaßt. Ebenso zum Teil auch für die bosnischen Orthodoxen. In der Kanzlei für die Mohammedaner unterstützt ihn als Gehilfe Atanackovic, eine unbedeutende Persönlichkeit. Die Memoranden der Mohammedaner sind meistens aus seiner Feder. Daß die Mohammedaner sich von den zwei Christen ihre Schriftstücke machen lassen, rührt daher, weil Gavrila vermutlich von Serbien bezahlt wird, sodaß die Mohammedaner nicht viel für ihn ausgeben müssen. Übrigens trägt ihm seine Advokatur nicht viel. Er hat aber reich geheiratet und befindet sich in guten Verhältnissen. Supilo sagte zu Masaryk, er sei nur einmal in Belgrad gewesen. Mandl hat ihn jedoch zweimal dort getroffen, und zwar 1904 und 1905. Dr. Edmund Horvath Horvath kennt Supilo von Fiume her, wo Horvath als Sekretär des Guberniums unter dem Grafen Szäpäry tätig war. Später wurde er als ungarischer Handelsattache nach Belgrad versetzt. Das war zur Zeit des Konflikts der
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Leopold Mandl
Unabhängigkeitspartei mit dem König202. Er hielt sich zur Unabhängigkeitspartei, schimpfte öffentlich über die österreichische Armee und schadete auch der österreichischen Industrie sehr, da er ungeniert den serbischen Kaufleuten in Belgrad riet: „Kaufen Sie keinen österreichischen Pofel." Viadan Georgevic spricht jetzt mit Entrüstung über die Königin Draga, er erwähnt aber nicht, daß er selbst Draga in die Gesellschaft und bei Hofe einführte, und daß er einverstanden war, als König Alexander sie zu seiner Geliebten machte. Richtig aber ist, daß er mit voller Heftigkeit gegen ihre Verehelichung auftrat. Vielleicht würde er sich sogar damit versöhnt haben, wenn er nicht der Ansicht gewesen wäre, König Milan sei der Stärkere und werde seinen Sohn schließlich doch vertreiben. Milan starb aber, und die Folge davon war, daß Georgevic sich vollständig verspekuliert hatte. Einer der reichsten Männer Serbiens ist Luka Celovic. Er steht an der Spitze der Assekuranzgesellschaft „Beogradska Zadruga". Die serbische Regierung hat sämtliche Staatsgebäude bei dieser Gesellschaft versichert. Der Reservefonds der Gesellschaft ist infolgedessen eine Ergänzung des Dispositionsfonds, und Celovic selbst oder die Gesellschaft gibt vielfach Geld für großserbische Zwecke. So sind die Druckkosten der Broschüre von Nastic „Jesuiten in Bosnien" von Celovic gezahlt worden203. Franjo Potocnjak ist eine verbohrte, aber aufrichtige Persönlichkeit. Er ist ein echter Südslawe in seiner Unklarheit und Phantasterei. Er ist für jede Partei ein Sprengpulver, da er sie durch seine Eigenbrödelei zermürbt und zerbricht. Zuerst hielt er es mit Frank, dann mit der Rechtspartei, dann mit der Koalition204. Er wurde Abgeordneter, veruneinte sich aber mit Supilo, griff die Koalition an, verlor sein Landtagsmandat und ist bei all diesen Dingen konfus, aber ehrlich. Supilo sagte Potocnjak offen, er sei ein Hochverräter; wohl war Potocnjak ursprünglich für die Fiumaner Resolution205, dann aber sprang er aus. 202
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Die ungarische Krise, ausgelöst durch die Forderung nach ungarisch-nationalen Zugeständnissen in der gemeinsamen Armee und deren Ablehnung durch den Kaiser, dauerte von 1903 bis zur Ernennung der Koalitionsregierung Wekerle am 4. April 1906. George Nastic, Jezuite u Bosni (Belgrad 1906), in französischer Ubersetzung als Les Jesuites en Bosnie (Belgrad 1913). Nastic, der neben dieser noch weitere Broschüren herausgab, war als Agent provocateur einer der Hauptzeugen im Agramer Hochverratsprozeß vom 15. 1.-5. 10. 1909, in dem eine verschwörerische Verbindung kroatischer Politiker mit Belgrad nachgewiesen werden sollte. Der kroatische Politiker Josip Frank vertrat eine konservative, katholisch-klerikale und antiserbische Politik, die Rechtspartei, von der sich Franks Bewegung abgespalten hatte, war stärker einer Vereinigung der südslawischen Gebiete der Monarchie verbunden und lehnte den Ausgleich mit Ungarn von 1868 ab. Die serbo-kroatische Koalition wiederum versuchte, über eine Unterstützung der ungarischen Unabhängigkeitspartei ihr Ziel einer Vereingung Kroatiens, Dalmatiens und Istriens zu erreichen. Die am 4. 10. 1905 von kroatischen Abgeordneten aus Kroatien, Dalmatien und Istrien in Fiume angenommene Resolution bedeutete eine Hinwendung an Ungarn, von dem man sich im Gegenzug zur Unterstützung der magyarisch-nationalen Forderungen
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Jaksic hat in der Stampa behauptet206, Celovic habe Potocnjak Geld zur Gründung einer serbischen Zeitung gegeben, das er aber nicht annahm. Das war noch vor der Fiumaner Resolution.
Isidor Steinhardt, Journalist [1909] К 3, U Aufzeichnungen über Persönlichkeiten der Balkanpolitik; Sekretär 3 Nastic befand sich, nachdem er sich mit den Trägern der großserbischen Agitation verfeindet hatte, in Semlin in dürftigen Verhältnissen, und hier nahm sich Steinhardt seiner an, lieh ihm etwas Geld, bewirkte seine Aufnahme in das Krankenhaus, besucht ihn daselbst und gewann so sein Vertrauen. Das war die Ursache, warum Nastic ihm anhänglich war und ihn in alle seine Beziehungen einweihte. Er teilte ihm jedoch nichts über seine später enthüllte Verbindung mit der Bombenaßare mit207. Als nun der Bombenprozeß in Cetinje stattfand, reiste Steinhardt hin, und hier erst erfuhr er, welche Dinge im Zuge seien. Nastic hatte dem Fürsten Mitteilungen gemacht, aber der Fürst zögerte lange, bevor er seine Zustimmung gab, daß Nastic seine Aussage ablege, durch welche die serbische Regierung und besonders Kronprinz Georg kompromittiert wurden. Während des Prozesses hielt sich der Fürst absichtlich in Antivari auf, um nicht den Schein zu erwecken, als ob er Einfluß übe, und weil er sich sein Verfahren überlegte. Steinhardt aber und die wenigen Personen, welche Nastic in seine Angelegenheit einweihte, drangen in ihn, endlich hervorzutreten und nicht mit der Aussage zu zögern. Janku Vukotic fuhr mit der Ausage des Nastic zum Fürsten, und dieser sprach nach langem Zögern das entscheidende Wort endlich: Es sei. Er las die Aussage des Nastic, hieß sie gut, und darauf wurde sie vor Gericht abgegeben. Alles war natürlich im höchsten Grade überrascht, und dies umso mehr, als die österreichischen Genieoffiziere in Cattaro, welche die Bomben untersucht hatten, nicht genau angeben konnten, aus welchem Stoff sie hergestellt waren. Dies alles wurde von Nastic klar dargelegt. Alle Journalisten, die in Cetinje anwesend waren, berichteten in einem Serbien ungünstigen Sinne mit einziger Ausnahme von zweien: Svetozar Ristic, der für das Belgrader Preßbureau arbeitete, und -
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gegenüber Österreich eine Erweiterung der kroatischen Autonomie sowie Hilfe bei den Bestrebungen nach Vereinigung der kroatischen Gebiete der Monarchie erhoffte. Die Belgrader Zeitung Stampa wurde von Svetislav Jaksic herausgegeben. Vgl. Steinhardt an Friedjung, Semlin 5. 5. 1909, WStLB INr. 162.960, und Gasic, Die Presse Serbiens 96-97 und 165-168. George Nastic trat im Cetinjer Hochverratsprozeß im Frühjahr 1908 als Zeuge auf und berichtete dabei über die Verwicklungen des serbischen Thronfolgers Georg in die Umsturzpläne in Montenegro. Er veröffentlichte seine Version der serbischen Verschwörung in der Broschüre Finale (Budapest - Sarajevo 1908).
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Isidor Steinhardt
was höchst bedenklich war - Kostic, dem Korrespondenten der Neuen Freien Presse und der Frankfurter Zeitung. Wahrscheinlich hatte Kostic klingende Gründe, um sich der serbischen Regierung dankbar zu erweisen, und es ist unbegreiflich, daß die Neue Freie Presse sich von ihm bedienen ließ. Man muß übrigens feststellen, daß, obwohl die Aussage des Nastic auf Wahrheit beruht, es möglich ist, daß der Kronprinz Georg die für Nastic hergestellten Bomben für Mazedonien bestimmt glaubte; ihre beabsichtigte Verwendung gegen den Fürsten von Montenegro war ihm möglicherweise nicht bekannt. Es ist ein großer Irrtum zu glauben, daß Nastic ein verworfenes Individuum ist. Er war zuerst ein Fanatiker für die großserbische Sache und war mit dem ganzen Herzen für die Arbeit, in die er hineingezogen wurde. Später aber verfeindete er sich mit den Leuten in Belgrad, wurde ihnen lästig, und sie begannen gegen ihn zu polemisieren. Erbittert über die Angriffe, die er erfuhr, beschloß er, sich zu rächen. Aber auch damit zögerte er lange, bis er, wahrscheinlich durch seinen Geldmangel bestimmt, sein Geheimnis dem Fürsten von Montenegro anvertraute. Von diesem Augenblik an war ihm die Brücke zum Rückweg abgeschnitten, und er galt in der großserbischen Partei als Verräter. Er zeigte nun die Schriftstücke, welche er gegen Pribicevic in der Hand hatte, Steinhardt und anderen Personen, und die Montenegriner sowohl als Steinhardt wie die anderen bestimmten ihn, diese Schriftstücke zu veröffentlichen. Nun hatte aber Nastic kein Geld dazu, und da wandte sich Steinhardt an Dr. Dumba, der damals Chef des Informationsbureaus im Ministerium des Äußern war, um von ihm das Geld zu erhalten. Man wollte aber nichts mit ihm zu tun haben. Nun war und ist Steinhardt Korrespondent des Pester Lloyd, und er glaubte, dieses Blatt würde gut daran tun, mit der Veröffentlichung vorzugehen. Aber der Chefredakteur Singer wollte nichts davon wissen, da er von Nastic die schlechteste Meinung besaß. Endlich fand sich ein gewisser Ignaz Mandl, ein Faiseur, der seine Hände in politischen Dingen hat, und beschaffte das Geld. Es war jedoch nicht die kroatische Regierung, die es hergab, und Nastic weiß selbst nicht, von wo Mandl das Geld herbeischaffte. Es besteht die Vermutung, daß dies durch den ungarischen Kulturverein geschehen ist, vielleicht durch Eugen von Rakosi, den Herausgeber des Budapesti Hirlap. Die Broschüre wurde in Druck gelegt, und Steinhardt las die Korrektur. Er hatte die Dokumente bis dahin nicht gekannt und war enttäuscht und der Ansicht, die Sache werde nicht sehr viel Staub aufwirbeln. Nun erschien die Broschüre im August 1908 zur Zeit, da sich Steinhardt in Wien befand. Da erhielt er ein Telegramm, in welchem Nastic aus Budapest mitteilte, er komme „in sicherer Begleitung" nach Wien. Steinhardt verstand diese Worte nicht und war sehr überrascht, als Nastic in Begleitung zweier Detektive nach Wien kam. Er war nämlich in Budapest auf Anordnung der kroatischen Regierung verhaftet worden, was der beste Beweis ist, daß er von Kroatien damals wenigstens
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nicht bezahlt war. Er erklärte nach seiner Verhaftung, er müsse, um sich zu rechtfertigen, mit Steinhardt in Wien zusammentreffen, und man bewilligte ihm die Fahrt, jedoch bewacht von zwei Detektiven. In Wien teilte Nastic Steinhardt und Leopold Mandl sein unangenehmes Schicksal mit, worauf ihm Mandl dringend riet zu flüchten, da sich die größten Verwicklungen für ihn ergeben könnten. Ob Nastic dies für gefahrlich hielt oder ob es unmöglich war - genug, er kehrte mit den beiden Detektiven wieder nach Budapest zurück, und er wird im Agramer Hochverratsprozeß aussagen208. Das Interessanteste, was er mitteilen wird, sind seine Verbindungen mit Montenegro, die er zu enthüllen gedenkt. Er wird darlegen, daß er nicht von der kroatischen, sondern von der montenegrinischen Regierung Geld erhalten hat. Georg Krasojevic, der Chef der radikalen Partei in Südungarn, erhielt a die Eiserne Kronea, obwohl er durchaus kompromittiert ist. Es ist mit Dr. Hofmokl Rücksprache zu pflegen. Interessant ist der Zusammenstoß, den Steinhardt mit dem Vertreter der Creuzotwerke209 Trocart hatte, den er in der Zeit heftig angriff, und dessen Bestechungen in Belgrad er enthüllte. Trocart drohte, ihn zu klagen, Steinhardt wiederholte seine Erklärungen, und Trocart ließ nichts von sich hören. b Steinhardt glaubt sich zu erinnern, daß Spalajkovic einmal im Pester Lloyd erklärt habe, er sei nie in Sarajewo gewesen. Die Erklärung müßte etwa in der Zeit vom August bis November 1908 im Pester Lloyd enthalten sein. Steinhardt erhielt viele Mitteilungen durch seinen Verkehr mit jenem unglücklichen Novakovic, der, wie bekannt, im Polizeigefangnisse zu Belgrad ermordet wurde. Dieser Novakovic ist es, der den Schwur des Peter Karageorgevic, in dem er sich den Verschwörern für immer verpflichtet, mitteilte210. Potocnjak geriet in Konflikt mit Supilo und ging, wenn Steinhardt sich nicht irrt, zur Frankpartei über211. Branko Petrovic ist der Verfasser des Buches „Das Ende einer Dynastie" und ist Mitarbeiter des Pester Lloyd212. Vielleicht kann man sich mit ihm durch Siegmund Singer in Verbindung set208
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George Nastic war als Agent provocateur einer der Hauptzeugen im Agramer Hochverratsprozeß vom 15. 1.-5. 10. 1909, in dem eine verschwörerische Verbindung kroatischer Politiker mit Belgrad nachgewiesen werden sollte. Die französische Waffenschmiede Schneider-Creuzot, die bei einem serbischen Kanonenauftrag 1906 den böhmischen Skoda-Werken vorgezogen wurde. Vgl. dazu Steinhardts unter dem Pseudonym Iv. Tvrtkovic veröffentlichten Artikel König Peter und die revolutionäre großserbische Bewegung; in: Österreichische Rundschau 17 (Okt.-Dez.1908) 1-13. Vgl. dazu S. 274. Der ehemalige serbische Presseleiter Branko (Sandor) Petrovic arbeitete als Mittelsmann für das Wiener Preßbureau. Vgl. Dragan Gasic, Die Presse Serbiens 1903-1914 und Österreich-Ungarn, phil. Diss. (Wien 1971) 165-166. In den einschlägigen Bibliographien und Bibliothekskatalogen läßt sich kein Werk unter dem Titel „Das Ende einer Dynastie" nachweisen. Vermutlich handelt es sich aber um Alexander Petrovic, Die serbische Jahrhundertfeier und die Blutnacht vom 11. VI. 1903 (Berlin 1904).
" Mit Bleistift
korrigiert
von den Leopoldsorden.
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Isidor Steinhardt
zen. Die Artikel des Pester Lloyd im Winter 1907 auf 1908 über die großserbische Bewegung sind wahrscheinlich von Petrovic.b
Isidor Steinhardt, Journalist [1909] К 3, U Aufzeichnungen über Persönlichkeiten der Balkanpolitik; Sekretär 5 Jüngst sprach ich im Abgeordnetenhaus mit Professor Masaryk. Er wiederholte seine Äußerung, die er schon in seiner Rede über Spalajkovic gemacht hatte213. Es sei möglich, so sagte er, daß der von Friedjung angeführte Bericht des Spalajkovic echt ist214. Wenn aber die serbische Regierung infolge dieser Berichte dem Pribicevic Geld anwies, so sei es sicher, daß Spalajkovic das Geld für sich behielt; denn Pribicevic habe es niemals erhalten. Dagegen ist das Supilo angeblich belastende Horvath'sche Schriftstück unbedingt falsch. Spalajkovic macht auf Masaryk einen sehr ungünstigen persönlichen Eindruck. Übrigens dürfte Masaryk in dem Prozeß als Zeuge auftreten, wie ich aus einer Äußerung von ihm schließe. Er tritt unbedingt für seine ehemaligen Schüler unter den Serben und Kroaten ein. Ich habe ihn aufmerksam gemacht, daß diese Herren das Geld vielleicht nicht für sich genommen haben. Vielleicht verwendeten sie es zu Agitationszwecken; nach meiner Wahrnehmung sind manche seiner Schüler in Kroatien, die ich kenne, wohl einer Verbindung mit Belgrad fähig. Ich habe den Eindruck, daß Masaryk die Verpflichtung übernommen hat, für seine Schüler einzutreten; nach den Mitteilungen, die er in Wien erhielt, ist er in seinem Glauben an manche von ihnen erschüttert. Die radikale Partei in Serbien ist im Landtag jetzt nur durch zwei Abgeordnete vertreten. Der eine ist der Abgeordnete Lisavac, der von der ungarischen Regierung gefördert wurde. Der andere aber, Dr. Radivojevic-Vacic, wurde gegen einen Regierungskandidaten gewählt, und zwar gegen den in Budapest wohnenden Hofrat Popovic. Dieser Dr. Radivojevic ist Fiskus beim Patriarchat, ist aber in seinem Amt teils mit der Rechtssprechung in Ehe213
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Tomas Masaryk hatte am 17. 5. 1909 im österreichischen Abgeordnetenhaus eine Rede zum Agramer Hochverratsprozeß, dessen prominenteste Angeklagte durchwegs seine Schüler gewesen waren, gehalten. Die Rede wurde leicht verändert publiziert; Tomas Garrigue Masaryk, Der Agramer Hochverratsprozeß und die Annexion von Bosnien und Herzegowina (Wien 1909). Das Kerndokument in Friedjungs Beweisführung bildete ein angeblicher Bericht des Sektionschefs im serbischen Außenministerium Miroslav Spalajkovic an Ministerpräsident Nikola Pasic, in dem er über die Verbindungen der Belgrader Regierung zur serbisch-kroatischen Koalition in Agram berichtet. Friedjung legte seine Dokumente dem Gericht in Form einer gedruckten Broschüre mit dem Titel Aktenstücke zur großserbischen Bewegung in Österreich-Ungarn vor. Mit blauem Farbstift gestrichen.
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Sachen, teils mit der Verwaltung betraut. Er behauptet, daß er einen Hauptanteil an der Wahl Bogdanovic' zum Patriarchen habe und ist ungehalten darüber, daß die ungarische Regierung nicht ihn, sondern den Krasojevic durch einen Orden ausgezeichnet habe. Krasojevic habe weit weniger geleistet. Als sich der serbische Preßchef Ivanic in Karlowitz einfand, wirkte er natürlich für den anderen Kandidaten Zmejanovic, der bekanntlich gewählt, aber nicht bestätigt wurde215. Übrigens ist Ivan Ivanic eine unbedeutende, fast dumme Persönlichkeit. An seine Stelle ist jetzt Dusan Savic getreten.
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Am 22. 9. 1908 war der Bischof von Budapest Lucian Bogdanovic zum Patriarchen der serbischen Kirchenprovinz von Karlowitz (Karlovci, Karlovec) gewählt, seine Wahl am 2. Oktober von Kaiser Franz Joseph bestätigt worden. In der ersten Wahl am 1. 8. 1908 war der Bischof von Versecz (Vrsac, Werschetz) Gabriel Zmejanovic, der Kandidat der radikalen Serbenpartei, trotz eindeutiger Opposition der ungarischen Regierung gewählt worden, erhielt aber wie erwartet nicht die königliche Sanktion.
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Baron Heinrich Tucher von Simmelsdorf
Baron Heinrich Tucher von Simmelsdorf, bayerischer Gesandter in Wien 8. Februar 1910 К 2, U 4, 530 г - 532 ν; Sekretär 5 Das Gespräch mit Tucher8 bestärkte mich in der Ansicht, daß in Berlin wegen der Annäherung Österreich-Ungarns und Rußlands eine gewisse Eifersucht bestehe. Ich sprach diese Besorgnis Tucher gegenüber aus. Er leugnete es nicht, behauptete aber, daß die Annäherung selbst gebilligt werde, während man es Aehrenthal übelnehme, daß er die Aktion durch das Gespräch mit Wesselitzki-Bosidarovic eingeleitet habe1. Mit einer gewissen Erbitterung setzte mir Tucher auseinander, daß Wesselitzki der Präsident der auswärtigen Presse in London sei, daß er Deutschland und vor einem Jahr auch Aehrenthal mit Kot beworfen und durch seine gemeine Kampfesweise das Recht verwirkt habe, in einem Salon wie dem Aehrenthals zu sitzen, auf demselben Sessel, auf dem er den deutschen Botschafter empfange. Darin liege etwas Unreinliches; bisher wenigstens haben die Regierungen des Zentralbundes solche Umwege, solche unreinlichen Mittel und Kanäle nicht benützt. Dazu kommt, daß Aehrenthal selbst argwöhnischer Natur sei und von der anderen Seite das peinlich korrekteste Verhalten verlange. Tucher leugnete nochmals, daß Deutschland die Annäherung nicht wünsche, und erzählte mir, daß Tschirschky ihm noch bei seinem letzten Besuch versichert habe, daß man in Berlin damit einverstanden sei. Tschirschkys Stellung sei überhaupt eine sehr schwere. Es sei ihm im Leben nicht leicht geworden. Er mußte den Posten des Staatssekretärs verlassen, offenbar weil Bülow ihn den steten Angriffen Holsteins opferte. Tschirschky war es, der die Pensionierung Holsteins durchsetzte, weil er nicht unter dessen ewiger Vormundschaft stehen wollte2. Bülow war mit der Entfernung Holsteins einverstanden, aber dessen Einfluß war noch immer groß genug, daß auch Tschirschky seine Tat büßen mußte. Tschirschky hatte keine so gute Stellung in Wien wie Wedel, nicht bloß, weil Wedel General war, sondern weil die hochadeligen Kreise Wiens immer den Stammbaum prüfen3. Wenn Gott-Vater selbst herniederstiege, so würden sie ihn zwar mit Respekt empfangen, immer aber die Nase rümpfen, daß er nicht auf feudale Ahnen zurückblicken könne. Diesen Kreisen gilt Tschirschky nicht für voll. Es war für ihn eine Unannehmlichkeit, als der Außenminister Graf Alois Aehrenthal hatte den Korrespondenten der Nowoje Wremja in London Gabriel Bosidarovic Wesselitzki (Pseudonym Argos oder Argus) am 3. 12. 1909 zu einem Interview empfangen. Vgl. Aus dem Nachlaß Aehrenthal Teil 2, 732-733. 2 Der Vortragende Rat im Auswärtigen Amt Friedrich von Holstein war am 19. 4. 1906 in den Ruhestand getreten. 3 Heinrich von Tschirschky war 1906/07 Staatssekretär des Auswärtigen Amtes und anschließend bis 1916 Botschafter in Wien. Sein Vorgänger in Wien war seit 1902 Graf Karl Wedel. " Anstelle Tucher jeweils N im Original. 1
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Temps den durch nichts begründeten Klatsch brachte, Tschirschky intrigiere nicht bloß gegen Aehrenthal, sondern auch gegen Bethmann und Schoen. Damals meinte ein Tschirschky nahestehender Diplomat, er solle nach Berlin reisen, um diese Gerüchte zu zerstreuen. Das wäre ein falscher Schritt gewesen, weil Tschirschky es nicht notwendig hatte, sich zu entschuldigen. Jetzt reise er nach Dresden, um auf seinem in der Nähe befindlichen Gut Ordnung zu machen, benütze aber die Gelegenheit, um das drei Stunden entfernte Berlin zu besuchen. Wie begreiflich wird er bei dieser Gelegenheit über die äußere Lage sprechen, speziell auch über die bevorstehende Reise Aehrenthals nach Berlin4. Diese Reise Aehrenthals war bereits im Herbst festgestellt, und schon damals war gesagt, er werde sie nicht vor Weihnachten antreten, sondern erst später und zwar im Februar. Das geschieht jetzt und wäre auf alle Fälle geschehen. Tschirschky wird mit dem Kaiser und mit Bethmann die politische Lage besprechen, gewiß auch die Annäherung an Rußland. Man ist darin noch nicht weit gediehen, und es ist eine Übertreibung der Zeitungen, immer wieder neue Dinge darüber zu bringen. Aus diesen Mitteilungen Tuchers entnehme ich mit voller Bestimmtheit, daß die Annahme ausgeschlossen ist, diese Annahme [sie!] sei von Berlin aus angeregt und herbeigeführt worden. Es muß eine direkte Verbindung eingetreten sein, was in Berlin nicht ganz angenehm berührte. Man wäre gern der Mittelsmann gewesen. Ich war überrascht und unangenehm berührt, daß zwischen Wien und Berlin nach den wichtigen Ereignissen des letzten Jahres doch ein solcher Geist des Mißtrauens bestehe. Tucher sagte noch im Verlauf des Gespräches, daß man die Annäherung in London und Paris gern sehe, weil man bewirken wolle, daß Österreich-Ungarn nicht ganz von Berlin abhängig sei. Man habe es früher durch Drohungen versucht, jetzt durch geleistete Liebesdienste. Von der französischen oder englischen Botschaft gehen auch die Treibereien gegen Tschirschky und die Notiz im Temps aus.
Eduard Sueß, Präsident der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften Februar 1910 К 2, U 1, 44 г - 45 ν; 48 г - 52 ν; U 4, 527 r; Sekretär 5 Als Sueß seine große Rede über die konfessionellen Gesetze hielt (1874)5, die auf das Parlament großen Eindruck machte, kam Kuranda auf ihn zu, reichte ihm die Hand und sagte: Jetzt haben Sie bereits Neider. In der Partei ge4 5
Der Besuch fand vom 22. bis 24. 2. 1910 statt. Eduard Sueß sprach sich in der Debatte im Abgeordnetenhaus am 6. 3. 1874 gegen jede exemte Stellung der katholischen Kirche im Staat aus. Vgl. Stenographische Protokolle über die Sitzungen des Hauses der Abgeordneten des österreichischen Reichsrathes. 8. Session. Bd. 1 (Wien 1874) 882-888.
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Eduard Suefi
noß er zwar großes Ansehen, war aber niemals Mitglied des Exekutivausschusses der Partei und niemals Obmann eines der größeren Ausschüsse. Zu den Neidern mag wohl Giskra gehört haben, der in der Frage der Jesuitenfakultät zu Innsbruck die große dreistündige Rede hielt, die im Abgeordnetenhaus nur geringen Eindruck hervorrief6. Man hätte die Jesuitenfakultät vom Standpunkt der österreichischen Verfassung und Verwaltung bekämpfen, nicht aber die prinzipiellen Fragen aufrollen sollen. Zu Herbst stand Sueß in einem guten Verhältnis. Anfangs reichte Herbst auch ihm, wie er es zu tun pflegte, zur Begrüßung nur zwei Finger, später aber doch die ganze Hand. Sueß begleitete Herbst oft zu seiner Wohnung. Ein wärmeres Verhältnis entspann sich nicht, da Herbst überhaupt eine kühle und abweisende Natur war. Groß waren seine Verdienste beim Zustandekommen der Staatsgrundgesetze und als Führer der Deutschen Böhmens im Kampf gegen das böhmische Staatsrecht, überragend seine Kenntnis des Eisenbahnund Finanzwesens. Er sah aber jedes Ding nur für sich und nicht im Zusammenhang. Am wenigsten hatte er in den Zug der europäischen Politik Einblick. Bezeichnend für ihn ist, daß er erst in hohem Lebensalter gelegentlich eines Stapellaufs das Meer sah. Ebensowenig beherrschte er, soweit Sueß sich erinnern kann, irgendeine fremde europäische Sprache. Aus diesen Gegensätzen zwischen seinen großen Kenntnissen und seiner dialektischen Begabung und der Enge seines Gesichtskreises erklärt sich seine Stellung in der österreichischen Politik. Dagegen erhielt Sueß einen starken Eindruck von der Persönlichkeit des Grafen Andrässy, der ihm in dieser Zeit der bosnischen Okkupation und auch sonst sein volles Vertrauen schenkte. Der Umgang mit Andrässy war für ihn eine Art Kursus der großen Politik. Andrässy sprach Sueß immer [mit] Herr Doktor an, und als Sueß ihn darauf aufmerksam machte, er sei es nicht, antwortete Andrässy mit folgender, origineller Bemerkung: „Ich mache mir von den Menschen immer Haufen. Ein Haufen sind Frauenzimmer, ein Haufen sind Diplomaten und ein anderer Haufen sind alle, die lesen und schreiben, die nenne ich Doktoren." Andrässy, so fügte Sueß hinzu, machte sich eben allgemeine Vorstellungen von den verschiedenen Arten von Menschen und teilte sie in Hauptgruppen ein. So ist dieser Ausspruch zu verstehen. Als nun Taaffe im Herbst 1879 ans Ruder kam, setzte sich Andrässy dafür ein, daß ich ins Ministerium eintrete. Offenbar wollte Andrässy, daß Taaffe durch das Zusammenwirken mit mir bei der deutschen Verfassungspartei festgehalten werde, da er bekanntlich die slawischen Experimente in Österreich mißbilligte. Taaffe lud mich eines Tages ein und schlug mir den 6
Am 24. 3. 1874 hielt Karl von Giskra im Abgeordnetenhaus eine Rede zur Befürwortung des Antrages auf Schließung der Innsbrucker Jesuitenfakultät. Vgl. Stenographische Protokolle über die Sitzungen des Hauses der Abgeordneten des österreichischen Reichsrathes. 8. Session. Bd. 2 (Wien 1874) 1403-1422.
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Eintritt in sein Kabinett vor, was ich aber aus naheliegenden Gründen ablehnte. Ich konnte den Kurs seiner Politik von vornherein nicht billigen. Der Zufall wollte es, daß ich beim Nachhauseweg von dieser Unterredung vor einem Schaufenster stehenblieb. Da klopfte mir Graf Andrässy auf die Schulter. Er wußte, wo ich gewesen war, und sah mich fragend an. Ich machte eine Bewegung mit der Hand, die besagte, daß es zu keiner Einigung gekommen sei. Darauf wendete mir Andrässy unwirsch den Rücken und ging mit einem magyarischen Kernfluch von dannen7. Herbst war schwer zu behandeln und behandelte seine Klubgenossen mitunter schlecht. Eines Tages war er in der Klubsitzung wieder grob, und alles war betreten. Da sagte Dr. Ruß: „Es ist ein Glück, daß Exzellenz Herbst ein Grobian ist. Wäre er es nicht, so hätte er uns noch mehr in der Tasche als es der Fall ist." Es war ein Fehler von Herbst, daß er, als der Club nach den Wahlen von 1873 zusammentrat, es durchsetzte, daß das Anerbieten der Regierung, regelmäßig im Club zu erscheinen, abgelehnt wurde. Dadurch wurde die Verbindung der Regierung und ihrer Partei unterbrochen. Eduard Sueß war 1851 nicht Assistent, sondern Student und Praktikant am naturhistorischen Hofmuseum8. Bezard war Assistent bei Professor Burg. Sueß stand als Hörer Burgs unter Bezard, der ihn mannigfach förderte. Als Sueß im ersten Jahr seiner Studien - im zweiten Jahr wurde er verhaftet - erkrankte, besuchte ihn Bezard in seiner Wohnung und war ihm auch sonst stets zugetan. Das Haus, in dem Bezard wohnte, hatte zwei Stockwerke und darauf eine Mansarde, in der May wohnte. May hatte einen graumelierten Bart und verwitterte Gesichtszüge. Der Vater des Eduard Sueß war Fabrikant in Sechshaus. Als er im Dezember 1851 einmal durch die Stadt ging, rannte unversehens ein in einen Pelz gehüllter Mann an ihn an, sodaß Sueß anfangs ganz erstaunt war. Im Anrennen rief ihm der Fremde zu: „Morgen ist bei Ihnen Hausdurchsuchung." Wer der Warner war, wußte Sueß sen. nicht. Offenbar ein Mann, der von den Vorgängen bei der Polizei Kenntnis hatte und ihn auf diese Weise warnen wollte, ohne sich selbst [zu] erkennen zu geben. Wirklich fand in einigen Tagen die Hausdurchsuchung statt, wobei Schriften und Briefe des jungen Sueß mitgenommen wurden. Am Schluß der Untersuchung wurde Sueß zweimal vor das Kriegsgericht gerufen. Es war ein förmliches Verhör, offenbar die Schlußverhandlung. Der Auditor fragte den Angeklagten über einen von diesem geschriebenen Brief aus. Der Brief war an den Vetter Sueß', Pfeiffer, nach Prag gerichtet. In diesem Brief kam eine Stelle vor, welche lautete: „Was sagst Du zu der Schrift von Murchison über die Erhebungen in Mittelitalien?" Diese 7 8
Vgl. Eduard Sueß, Erinnerungen (Leipzig 1916) 295^300. Vgl. zum folgenden Sueß, Erinnerungen 77-89, und Österreich von 1848 bis 1860. Bd.2/1, 201-204.
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Eduard Sueß
Briefstelle schien gegen Sueß zu sprechen. Er konnte sie jedoch als ganz harmlos aufklären, indem er darlegte, Murchison sei ein Geologe, der über die vulkanischen Erhebungen in Mittelitalien geschrieben hatte. Man möge nur in seiner Bibliothek nachsehen, man werde die Schrift finden. Er wurde hierauf abgeführt. Bald darauf sagte der Schließer des Gefängnisses zu Sueß: „Morgen werden Sie Ihr Essen aus dem Hause Ihres Vaters beziehen dürfen." Man brachte am nächsten Tage das Essen, darunter auch eine Mehlspeise. Der Schließer flüsterte dem Gefangenen hierbei zu: „In der Mehlspeise ist ein Zettel." In dem Zettel teilte ihm der Vater mit, daß für morgen seine Freilassung bevorstehe. In der Tat wurde er am nächsten Tage in die Kanzlei des Gefängnisses geführt und ihm dort mitgeteilt, daß er frei sei. Eine andere Erledigung bekam er nicht. Außer Sueß waren am 17. Dezember 1851 die Assistenten Bezard, Gabrieli und Oberndorfer und ferner die Studenten Gablenz, Matscheko (und Sueß) verhaftet [worden]. Sueß wurde in der zweiten Hälfte des Januar entlassen, bald darauf Gabrieli und Oberndorfer. Erst im Herbst 1852 wurde das Urteil über Matscheko geprochen. Er wurde ab instantia wegen Mangel an Beweisen freigesprochen. Am 2. September 1852 wurde dagegen Gablenz zu 12jähriger Schanzarbeit in schwerem Eisen verurteilt. Später, nach ein bis zwei Jahren wurde er begnadigt. Gablenz erhielt darauf eine Anstellung auf dem Gute Nadworna in Galizien und später die Oberleitung auf diesem Gut, das sehr verwahrlost war. Gablenz brachte es jedoch als tüchtiger und energischer Mann in die Höhe und zu einem großen Reinerträgnis. An Gabrieli und Oberndorfer kann sich Sueß nicht erinnern. Am 31. März 1853 wurde Bezard hingerichtet. Das ausführliche Urteil findet sich in der Wiener Zeitung dieses Tages9 (wegen Versuchs, in Ungarn eine neue Revolution hervorzurufen, wegen der Verbindung mit May und endlich wegen versuchter Herstellung einer Höllenmaschine mit mehreren Läufen auf einer Lafette, vielleicht zum Straßenkampf). Die Zeichnungen zu dieser sogenannten Höllenmaschine, erzählte mir Sueß, hat mir Bezard gezeigt. Sie war einer der vielen Versuche, die man damals machte, Mitrailleusen zu konstruieren. Das Gericht hielt dies offenbar für ein Mittel zu einer Erhebung. Eduard Sueß erzählte scherzhaft von seinen Erlebnissen im Jahre 1848. „Ich hielt damals", so sagte er in seiner liebenswürdigen Weise, „in der Aula als 17jähriger junger Mensch Reden, und zwar, wie ich hinzufügen muß, sehr schöne Reden. An den Gedankengang einer derselben erinnere ich mich noch heute. Gelegentlich der Ausschreibung der Wahlen in den Reichstag wurde die Frage erwogen, bei welchem Alter die Wählbarkeit beginnen soll9
Das Straferkenntnis gegen Cäsar von Bezard und die Mitangeklagten in Wiener Zeitung v. 1. 4., nicht 31. 3., 1853, 815-817. Bezard und zwei Mitangeklagte wurden wegen Hochverrats zum Tode verurteilt, Bezard wurde am 31. 3. 1853 hingerichtet, die beiden anderen zu langen Haftstrafen begnadigt.
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te. Ich sagte damals: Man sagt gewöhnlich, daß ein reiferes Alter für die passive Wahlfahigkeit notwendig sei. Das ist vollständig unrichtig. Je jünger ein Bürger ist, desto größeres Interesse besitzt er an der Zukunft seines Vaterlandes, und je älter er ist, desto weniger hat er von der Zukunft zu erhoffen. Man kann also die passive Wahlfahigkeit nicht früh genug anfangen lassen." Ich war Student bei Haidinger und mit Cäsar von Bezard befreundet. Dieser war Assistent des Professor Burg und huldigte einer seiner Töchter, war jedoch noch nicht mit ihr verlobt. Er machte nun den Vorschlag, ich möchte meinen Kollegen und ihm Unterricht in englischer Sprache geben, wenigstens soweit, daß sie imstande wären, die Fachzeitschriften zu lesen. Dafür wolle er uns wieder die neuesten Fortschritte der Maschinentechnik in den Hauptzügen klar machen. Wir kamen also in dem Zimmer Bezards zusammen, das sich in einem Hause der Wiedner Hauptstraße gegenüber dem Hotel Zur Stadt Triest befand. Das Haus ist jetzt schon abgerissen. Ein Stockwerk höher in der Mansarde wohnte May, der der österreichischen Armee angehört hatte, dann zur ungarischen Armee überging und bei der Kapitulation Komorns das Recht erhielt, Österreich zu verlassen. Ob er geblieben ist oder später zurückkehrte, ist mir nicht bekannt. Ich habe May selbst gesehen. Einmal sagte Bezard zu uns, er wolle uns mit ihm bekanntmachen. Wir gingen in Mays Wohnung. Er saß bei einer Zeichnung, wurde durch uns in der Arbeit gestört und empfing uns etwas übellaunig, sodaß wir uns bald entfernten. Als nun die Verhaftung Bezards erfolgte, hielt man auch mich für verdächtig, und ich wurde eingezogen, wahrscheinlich im Hinblick auf meine häufigen Besuche bei ihm. Sofort begab sich Professor Haidinger zu Kempen und erklärte: Ich bürge für Sueß. Ebenso erklärte Burg: Ich bürge für Bezard. Als die Polizei nun die Uberzeugung von der Schuld Bezards erhielt, wurde Burg abgesetzt, weil man erklärte, daß er als Professor nicht zuverlässig genug in der Überwachung seiner Schule sei. "Doch wurde er Sektionsrat im Ministerium (des Handels, wenn ich mich recht erinnere)." Nach sechswöchentlicher Haft wurde ich freigelassen; war ich doch in keiner Weise an der Verschwörung beteiligt. Während meiner Haft erlebte ich aber ein schreckliches Erlebnis. Einmal wurde ich durch ein entsetzliches Geschrei aufgestört, wie von einem Menschen, der im schwersten Todeskampf liegt. Alle Wärter stürzten in die Zelle, in welcher May lag, der sich in der bekannten Weise das Leben genommen hat10. bDoch halte ich es nicht für möglich, daß er sich an der Laterne [sic!].b Seit dieser Zeit kann ich kein Trauerspiel sehen. Ich bin zu tief erschüttert, und immer wieder überkommt mich der Eindruck, den ich als Gefangener hatte. 10
b_b
Johann May hatte sich in seinem eigenen Strohsack verbrannt, indem er zuvor durch zusammengesteckte Strohhalme von einer vor seiner Zelle hängenden Laterne sich die Flamme besorgt hatte. Vgl. Österreich von 1848 bis 1860. Bd.2/1, 201-203. Ergänzung durch Friedjung. Ergänzung durch Friedjung.
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Rudolf Payer von Thurn
Der Sekretär der Technik, Richter, sammelt jetzt Materialien zur Geschichte der Technik anläßlich ihres hundertsten Jahresfestes. Von ihm erfuhr ich, daß Bezard einen Abschiedsbrief geschrieben hat, der an seinen Bruder, einen Leutnant bei einem Regiment in Mailand gerichtet war. Es scheint, daß er sonst niemanden hatte, daß er dem Bruder schon früher schrieb, ohne daß der Brief an diesen gelangte. Diesen Abschiedsbrief habe ich gelesen. Natürlich ließ sein Bruder, da er Offizier war, so wenig als möglich vom Schicksal des Hingerichteten verlauten. Es lebt aber ein Sohn dieses Bruders, der als Lehrer an der Wiener Neustädter Militärakademie tätig ist. Ungefähr gleichzeitig mit der Hinrichtung Bezards fand die Jubais statt11. Bezard stammte aus einer polnischen Familie, und ebenso war ein anderer der Hingerichteten, Gablenz, ein Pole12. Auch Matscheko war es, der, wie Sie wissen, als hochkonservativer Mann starb, von dem aber in seiner vom Gewerbeverein herausgegebenen Biographie zu lesen ist, daß er nach der Wiener Revolution in die ungarische Armee eintrat und Leutnant unter Görgei war13.
Dr. Rudolf Payer von Thurn, Archivar der Kabinettskanzlei
Februar 1910 К 2, U 5, 601 r-v; Sekretär 5
Es ist richtig, daß das Handschreiben des Kaisers vom 9. April 1852 die Ernennung Alexander Bachs zum Ministerpräsidenten verfügte. Mein Chef gab mir eines Tages den Auftrag, ich möchte erheben, wie es sich damit verhalte, ohne mir mitzuteilen, daß dies auf Wunsch des Dr. Friedjung geschehe. In unserem Archiv fand ich in der Tat die Originalausfertigung, sodaß das Handschreiben tatsächlich erflossen ist. Aus unserem Archiv konnte ich aber nicht ersehen, ob es in Vollzug gesetzt wurde. Ich begab mich also ins Ministerium des Innern und fand hier gleichfalls das Schriftstück, jedoch mit einem Vermerk von einer mir unbekannten Hand, daß das Handschreiben nicht zu publizieren sei14. Er schlug in meiner Gegenwart den Index auf und stellte fest, daß die Protokolle des zur Ausarbeitung der Februarverfassung eingesetzten Ausschusses sich nicht im Archiv befinden. Über Perthaler ist aus dieser Zeit nur ver11 12 13
14
Der Professor an der Budapester Josephs-Industrieschule Karl Jubal wurde am 3. 3. 1853 gemeinsam mit drei Mitverurteilten in Budapest gehängt. Rudolf Gablenz wurde nicht hingerichtet, sondern zu einer Haftstrafe begnadigt. Michael Ritter von Matscheko. Ein Gedenkblatt gewidmet vom niederösterreichischen Gewerbe-Verein (Wien 1897). Er diente in der ungarischen Revolutionsarmee unter General Josef Bern in Siebenbürgen. Vgl. Österreich von 1848 bis 1860. Bd.2/1, 171-172.
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merkt, daß er den Orden der Eisernen Krone erhielt. Nirgends ist von ihm als von einem Führer dieser Konferenz die Rede. Ebensowenig von der Teilnahme Kalchbergs an dieser Konferenz. Dagegen befinden sich im Archiv sämtliche Protokolle des Ministerrats und zwar von 1849 bis 1867. Das Kabinettsarchiv stand unter der Oberleitung des Reichsrates und später des Staatsrates. Als der Staatsrat 1867 aufgelöst wurde, fügte man das Kabinettsarchiv mit seinem Personalstatus der Kabinettskanzlei ein.
Baronin Anna Rüdt von Collenberg
Februar 1910 К 2, U 4, 524 г - 526 ν; Sekretär 5
Schwester des Obersten von Dorotka15. Mein Vater machte die napoleonischen Kriege mit und auch den Feldzug von 1812 in Rußland. Er erzog uns strenge. Ich erinnere mich noch aus unserer Mainzer Garnisonszeit, daß mein Bruder einmal in den Rhein fiel. Er wurde herausgezogen und zu meinem Vater gebracht, der immer einen Kantschu16 bei sich hatte, den er aus dem russischen Feldzug mitgebracht hatte. Das erste war, daß er meinen Bruder durchprügelte. Dann zog er ihn aus und legte ihn ins Bett. Ich liebte meinen Bruder zärtlich und haßte damals eine Zeit lang meinen Vater, weil er den Bruder geprügelt hatte. Ich kam dann ins Kloster und sah meinen Bruder erst, als ich als junges Mädchen von 16 Jahren aus dem Kloster zurückkehrte. Er gefiel mir außerordentlich, und ich verliebte mich in ihn. Es war mehr als eine schwesterliche Liebe. Sie dürfen darin nichts Schlimmes sehen, aber wenn Sie bedenken, daß ich ihn mehr als zehn Jahre nicht gesehen hatte, daß ich im Kloster keinen anderen Mann gekannt hatte als meinen Vater, so werden Sie den Eindruck begreifen, den mein ernster, geistig hochstehender Bruder auf mich machte. Aus dem Jahre 1866 habe ich vor allem eine starke Erinnerung. Benedek war mit dem Hauptquartier schon nach Olmütz abgereist, mein Bruder aber noch in Wien mit Aufträgen zurückgeblieben. Er sollte seine Arbeit abschließen und dann Benedek nachreisen. Am Tage seiner Abreise kam er später zu Tisch. Mein Vater und ich erschraken über sein bleiches und verstörtes Aussehen. Er hatte einen Pack mit Akten in der Hand. Beim Eintreten warf er ihn auf den Tisch und sagte in einem Ton, der mich jetzt noch erbeben macht: „Jetzt ist alles verloren." Mein Vater fragte als alter Offizier nicht nach den Geheimnissen seines Sohnes und WEIT gleich mir tief erschüttert.
15
16
Joseph von Dorotka war 1866 als Major dem Hauptquartier in Böhmen zugeteilt. Vgl. Kampf um die Vorherrschaft. Bd. 2, 78. Aus Lederriemen geflochtene, kurze russische Reitpeitsche.
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Baronin A n n a Rüdt von Gollenberg
Am selben Tage reiste mein Bruder ab. Er hatte immer eine zarte Gesundheit und litt an Darmkatarrhen. Diese Krankheit übte auf seine Unterleibsnerven und auf sein ganzes Nervensystem einen verderblichen Einfluß. Er war infolgedessen sehr reizbar, und die traurigen Ereignisse des Krieges von 1866 stimmten ihn vollends herab. Nach dem Kriege war eine Beratung unter dem Vorsitz des Generalstabschefs, bei der er seine Ansicht mit großer Erregung vertrat. Als er nicht durchdringen konnte, übermannten ihn der Zorn und die Nervosität so, daß er seinen Rock auszog, ihn hinwarf und sagte, unter diesen Umständen könne ein ehrlicher Mann nicht mehr den Rock des Kaisers tragen. Dieser krankhafte Ausbruch wurde ihm aber vom Generalstabschef nicht verargt, weil man seinen Patriotismus kannte und wußte, daß seine Nerven zerrüttet waren. Er erhielt einen elfmonatlichen Urlaub. Die Nervenzerrüttung zeigte sich darin, daß er häufig Lach- und Weinkrämpfe bekam. Sein Geist arbeitete aber ganz normal weiter. Er trat auch wieder in die Armee ein. Er kam aber nicht mehr zum Generalstab, sondern zur Infanterie, und wurde in eine ungarische Stadt kommandiert.a Da begab sich folgendes: Edelsheim kam zur Inspektion nach Ödenburg. Man war natürlich aufgeregt über die Ankunft des kommandierenden Generals. Zufällig verletzte sich ein Soldat an der Hand, gerade als Edelsheim angemeldet war. Der Regimentsarzt verband den Soldaten und benutzte dabei ein Handtuch, das in einem Zimmer an einem Nagel hing. Einige Blutstropfen bespritzten das Handtuch, der Regimentsarzt hängte es aber wieder, um den Empfang des Generals nicht zu versäumen, an den Nagel. Edelsheim betrat das Zimmer, sah das Handtuch und beschimpfte den Regimentsarzt und dann auch Dorotka in der gröblichsten Weise, indem er ihnen die ärgste Versäumnis und größte Unordnung vorwarf. Die Szene war so furchtbar, daß der Regimentsarzt sich das Leben nahm, Dorotka aber erklärte, nicht weiterdienen zu wollen, und auch wirklich in Pension trat. Er wohnte fortan in Ragusa und beschäftigte sich mit Naturwissenschaften. Da begegnete ihm etwas Merkwürdiges. Der Ruf seiner Tüchtigkeit war weit über Osterreich hinausgedrungen, und als Garibaldi 1871 den Franzosen zu Hilfe zog, bot er Dorotka die Stelle eines Generalstabschefs an. Dorotka lehnte natürlich ab und blieb bis 1878 in Ragusa als Privatmann. Dann kam die Okkupation Bosniens. Man erinnerte sich seiner, er wurde wieder aktiviert und zum Festungskommandanten in Ragusa ernannt. Er hätte General werden können, lehnte aber ab, da er behauptete, nicht soviel geleistet zu haben, um diese Würde zu verdienen. Er starb 1897.
a
Randbemerkung durch Friedjung: Ödenburg, wenn ich mich recht erinnere (Friedjung).
11. März 1910
Josef Unger, Präsident
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des Reichsgerichtes
11. März 1910 К 2, U 1, 21 r - 22 r
Kaiser Franz Joseph besitzt viel Mutterwitz, auch Humor. In den 80er Jahren war ein Philologentag in Wien. Die Teilnehmer wurden vom Kaiser empfangen; er war so liebenswürdig gegen sie, daß ein Schweizer sagte: Wenn ein Land einen Herrscher besitze wie Kaiser Franz Joseph, so könnte man sich zu monarchischer Gesinnung bekehren. Unger erzählte dies dem Kaiser, der darauf replizierte: Als ich jüngst in der Schweiz war, fand ich alles so wohlgeordnet, daß man sich bei diesem Anblicke fast zur Republik bekehren könnte. Hye erhielt auf Vorschlag Ungers das Großkreuz des Leopoldordens, weil Unger wünschte, der zwanzig Jahre ältere Mann solle sich nicht hinter ihm zurückgesetzt fühlen 17 . Der Kaiser erledigte den Vorschlag binnen acht Tagen zustimmend. Bald darauf fand ein Diner in der Hofburg statt. Beim Cercle sprach der Kaiser Unger an, und dieser dankte für das Eingehen auf seinen Vorschlag. Darauf der Kaiser verbindlich: „Da Sie es gewünscht haben, so habe ich's getan. Es wird Hye wohl gefreut haben?" „Gewiß", sagte Unger, „das Großkreuz hatte die Folge, seinen ohnedies großen Fleiß noch anzuspornen. Indes, seine Entscheidungsgründe für einen Spruch des Reichsgerichts sind noch um drei Kilometer länger." Der Kaiser lächelte und sagte: „Dann habe ich keinen guten Dienst erwiesen!" Der Kaiser war über die Rede Ungers für den Berliner Vertrag sehr erfreut 18 . Er hat ihm dafür Dankbarkeit bewahrt. Diese Rede, sagte Unger, habe ich wie ein Nachtwandler gehalten, ich wäre erst beim Anrufe meines Namens zu mir gekommen. Denn das ganze Haus war gegen mich. Ich gab meine Demission und stand somit bereits außerhalb des Ministeriums19. Der Kaiser forderte mich aber auf, den Baron Lasser, der schwerkrank seine Villa in Salzburg bewohnte, bei meiner Erholungsreise dahin zu fragen, wen er zu seinem Nachfolger empfehle. Lasser empfahl Chlumecky. Nun war dieser stets nachgiebig, machte nie Schwierigkeiten, widersprach äußerst ungern, auch im Ministerrat. Zu meinem größten Erstaunen lehnte der Kaiser ab mit der Motivierung: Nein, denn er ist einer der Schroffsten! Als Taaffe zu jener Zeit nach Wien kam, sagte ihm der Kaiser, er werde die Regierung übernehmen, und er, der Kaiser, wünsche, Unger solle Justizminister werden20. Darauf Un17
18
19
20
Freiherr Anton Hye von Glunek war seit 1869 Mitglied des Reichsgerichtes. Er erhielt das Großkreuz des Leopoldordens erst 1893; Josef Unger, seit 1881 Präsident des Reichsgerichtes, hatte dieselbe Auszeichnung bereits 1879 erhalten. Josef Unger verteidigte am 18. 1. 1879 im Abgeordnetenhaus für die Regierung den Berliner Vertrag und erklärte, daß der Vertrag nicht der Zustimmung des Parlaments bedürfe. JosefUnger gehörte vom 25. 11. 1871 bis 15. 2. 1879 dem Kabinett Adolf Auersperg als Minister ohne Portefeuille („Sprechminister") an. Graf Eduard Taaffe war zunächst am 15. 2. 1879 in das von Karl von Stremayr geleitete
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Marquis Olivier Bacquehem
ger: Das sei unmöglich, er sei im Abgeordnetenhause ganz unbeliebt und könne ihm keine Dienste leisten. Darauf der Kaiser: „Ich brauche gerade Männer, die meine Rechte verteidigen!" Unger blieb aber bei seiner Ablehnung.
Marquis Olivier Bacquehem, Präsident des Verwaltungsgerichtshofes
November 1910 К 2, U 4, 529 r-v; Sekretär 3
Ich war, als Graf Hohenwart 1871 zum Leiter des Ministeriums ernannt wurde21, fast täglich in seiner Gesellschaft. "Bacquehem war damals bei der Statthalterei in Linz." Ich war soeben in den Staatsdienst getreten und ihm bestens empfohlen. Deshalb wußte ich schon in den Wochen vor seiner Ernennung von der bevorstehenden Tatsache. Graf Hohenwart sprach sich in seinem engsten Kreise darüber aus, und ich war überrascht, daß nichts davon in die Öffentlichkeit drang, ja, daß die Zeitungen die Ernennung des Ministeriums Hohenwart so gar nicht erwarteten. Graf Hohenwart würde es gerne gesehen haben, wenn Graf Taaffe das Ministerpräsidium übernommen hätte. Er selbst wollte nur als Minister des Innern in das Kabinett treten. Das war auch der Grund, weshalb er nicht den Titel eines Ministerpräsidenten, sondern nur den eines Leiters des Ministeriums übertragen erhielt. Taaffe ging jedoch nicht auf die Sache ein. Als Minister des Innern im Kabinett Potocki hatte er dem Kaiser täglich den Polizeirapport vorzulegen. In diesem Rapport war der jedesmalige Besuch Hohenwarts in Wien angezeigt, was in der letzten Zeit vor seiner Ernennung zweimal in der Woche geschah. Taaffe strich aber diese Erwähnung aus dem Rapport, weil er nicht zeigen wollte, daß er von den Verhandlungen des Kaisers mit Hohenwart volle Kenntnis habe. Ich wußte auch, daß Habietinek Minister werde, da mir einmal in den entscheidenden Tagen dieser die wärmsten Grüße an Hohenwart nach Linz mitgab.
Dr. Alexander von Peez, Mitglied des Herrenhauses November 1910 К 2, U 4, 528 r-v; Sekretär 3 Ich machte die Bekanntschaft des Staatsrates Braun zur Zeit, da er bei der österreichischen Gesandtschaft in Frankfurt tätig war und zwar im Jahre 1859. Damals, während des italienischen Krieges, führte Orges in der AllÜbergangskabinett als Innenminister eingetreten und wurde mit 12. 8. 1879 zum Ministerpräsidenten ernannt. 21 Graf Karl Hohenwart war vom 24. 7. 1867 bis 6. 2. 1871 Statthalter in Oberösterreich, ehe er vom 6. 2. bis 30. 10. 1871 sein Ministerium leitete. "" Ergänzung durch Friedjung.
Dezember 1910
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gemeinen Zeitung an erster Stelle die Sache Österreichs22. Ich war als Korrespondent in Frankfurt an zweiter Stelle in gleichem Sinne tätig. Wir wollten bewirken, daß Deutschland sich auf Österreichs Seite stelle und seine Niederlage in Italien verhindere, weil, wie dies auch Napoleon I. getan hätte, dann ein Angriff am Rhein früher oder später doch erfolgen mußte. Eines Tages fand ich die französische Visitkarte Brauns bei mir. Ich machte ihm einen Gegenbesuch, und es bestand eine lose Verbindung zwischen uns. Die Gesandtschaft hatte es für angemessen erachtet, mir dadurch ein Zeichen zu geben, daß sie meine Tätigkeit für Österreich zu würdigen wisse. Meine Beziehungen zu Braun waren niemals enge. Ich suchte ihn erst wieder in den Siebzigerjahren in Wien auf, als er Chef der Kabinettskanzlei des Kaisers war. Damals stand ich in der schutzzöllnerischen Agitation drinnen und hielt es für klug, den einflußreichen Mann, wenn es notwendig war, für uns zu gewinnen. Er empfing mich freundlich, und ich sah, daß ich ihn nicht erst beeinflussen mußte. Er sagte mir gleich, er sehe ein, daß, wenn die Arbeit in Österreich die Produktionskosten nicht lohne, der Staat durch Schutzzölle helfen müsse. Er sprach ganz im Sinne Lists, den er wohl kannte. Er war ein Mann von kleinem Wüchse und einem Gesicht, welches auf böhmische Abstammung hinwies. Vielleicht war seine Mutter eine Böhmin. Er trug einen Bart in der Art des Kaisers, hatte kluge Augen, war aber in seinem Wesen sehr zurückhaltend. Er hörte mehr, als daß er seine Ansichten aussprach. Übrigens habe ich ihn auch im Gagernschen Hause getroffen. Er muß mit Gagern und Biegeleben nähere Verbindungen gehabt haben. Indessen lebte er nicht im großdeutschen Gesichtskreise, sondern ging, wie begreiflich, von den österreichischen Ideen und Vorstellungen aus. Es kann aber sein, daß er bei der Bildung des Ministeriums Hohenwart die Beziehungen mit Schäffle und den Reichsdeutschen unterhielt; maßgebend aber waren die Verbindungen mit den Großdeutschen bei ihm nicht.
Rudolf Bacher, Professor an der Wiener Akademie der bildenden Künste
Dezember 1910 К 2, U 1, 186 г - ν; Sekretär 3
Als Rudolf von Alt den Kaiser bei der Eröffnung der Sezession daselbst empfing, äußerte der Kaiser seine Verwunderung, ihn unter den Sezessionisten zu sehen. Darauf antwortete Alt: „Majestät, wir sind jung genug, um noch einmal von vorne anfangen zu können." Der Kaiser stand der neuen Rich22
Hermann von Orges war Korrespondent und von 1854 bis 1864 Redakteur der Augsburger Allgemeinen Zeitung.
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Gräfin Marie Festetics
tung in der Malerei vollständig ablehnend gegenüber und hat die Sezession auch durch viele Jahre nicht mehr besucht. Noch im Künstlerhause war es, daß der Maler Bacher ihn empfing und vor die Segantinibilder führte. Der Kaiser sagte zu Bacher ablehnend: „Bilder dieser Art werde ich noch oft ansehen müssen, bis ich sie verstehe." Als nun die Akademie der bildenden Künste Klimt zum Professor vorschlug, und Härtel ihm die betreffende Vorlage machte, lehnte der Kaiser die Ernennung ab. Bacher bestätigt, was Alt mir sagte, daß der Kaiser kein Verhältnis zur Kunst und kein eigentliches Verständnis für sie habe. Die Liste der zum Ankauf bestimmten Bilder des Künstlerhauses wird von dem Vorstand entworfen und dem Kaiser vorgelegt. Leider geschieht dies nicht nach wahrem Verdienst, sondern mehr als Almosen für bedürftige Künstler. Dadurch wird die Kunst nicht gefördert. Der Kaiser weiß dies und macht mitunter seine Bemerkungen dazu. Als man immer wieder vorschlug, Invalidenbilder von Friedländer zu kaufen, sagte er scherzhaft: „Ich werde bald ein zweites Invalidenhaus bauen lassen müssen, um alle diese Bilder unterzubringen." Ein andermal las er auf der Liste das ihm zum Kauf vorgeschlagene Bild, betrachtete es, und da es auf ihn keinen Eindruck machte, sagte er scherzend: „Muß er das kaufen?" Indessen nahm er auch diesen Vorschlag an.
Gräfin Marie Festetics, ehemalige Hofdame Kaiserin Elisabeths 29. Dezember 1910 К 2, U 1, 135 г - 137 ν; Sekretär 3 Kaiser Franz Joseph hatte nach den Niederlagen von 1859 und 1866 das Vertrauen in sich und in sein Glück verloren. Es war tieftraurig, seine Äußerungen zu hören, und Graf Andrässy gab sich alle Mühe, sein Selbstvertrauen zu kräftigen. Mehr als einmal sagte er der Kaiserin, daß auch sie ihre Bemühungen mit den seinigen vereinigen möge. Eine Szene ist mir in schmerzlicher Erinnerung. Es war am Tage der Eröffnung der Weltausstellung von 1873. Der ganze Hof, der Kaiser, die Kaiserin, das Gefolge, die Minister waren in den Appartements der Hofburg versammelt, um sich für die Auffahrt in Bewegung zu setzen. Da sagte der Kaiser laut, sodaß es die Umgebung hörte: „Wenn nur schon der heutige Tag vorüber wäre. Ich fürchte, es wird irgendeine unserer gewöhnlichen Dummheiten geschehen." Graf Andrässy erwiderte, es sei alles geordnet, eine Befürchtung läge nicht vor. Das Fest werde ganz nach Wunsch ablaufen. „Glauben Sie?" sagte der Kaiser. „Das wäre bei uns in Österreich ungewöhnlich. Es muß sich immer irgendeine Schweinerei ereignen." Darauf erwiderte Andrässy, daß ich es hören konnte: „Es ist schmerzlich, daß Euer Majestät kein Selbstvertrauen besitzen. Das ist ein Unglück für das ganze Reich."
29. Dezember 1910
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Andrässy hatte, als er das Ministerium übernahm, mit den größten Schwierigkeiten zu kämpfen. Die Intrigen kreuzten sich, mannigfache Einflüsse auf den Kaiser waren am Werke, und der Monarch [war] diesen Einflüsterungen oft zugänglich. Besonders Erzherzog Albrecht wußte auf den Kaiser Einfluß zu üben. Das geschah nicht etwa durch überlegene Geistesgaben, denn der Kaiser war viel begabter als er. Der Kaiser schwankte jedoch, während der Erzherzog einen festen Willen besaß und innerhalb des engen Kreises von Interessen, für die er eingenommen war, für eine Autorität galt. Er war nicht bloß Erzherzog und General, er hatte auch eine Schlacht gewonnen, und all dies gab ihm seine Ausnahmestellung. Aber nicht bloß er, auch unbedeutendere Menschen wußten die Aktionen des Grafen Andrässy beim Kaiser zu vereiteln, und ich war oft Zeugin, wie Andrässy durch diese Schwierigkeiten erschöpft und niedergedrückt war. Mehr wie einmal sagte er mir gegen Schluß seines Ministeriums: „Es ist nicht die äußere Politik, die mich krank macht, aber die Hindernisse, die mir unaufhörlich bereitet werden, haben meine Kraft erschöpft." Er war wirklich am Schlüsse krank und müde geworden und konnte die Arbeit nicht mehr bewältigen. An den Reibungen war er müde geworden. In dem zweiten Teile seines Ministeriums war es nicht mehr Erzherzog Albrecht, wohl aber Generaladjutant Beck, der diese Schwierigkeiten machte. Erst nachdem er mehrere Jahre Ministerpräsident gewesen war, wußte er den Kaiser durch seine Tüchtigkeit und Ehrenhaftigkeit für sich einzunehmen, und besonders deshalb, weil seine Voraussagungen fast immer eintrafen. Aber dadurch stellte sich ein zweiter Mißstand ein. Der Kaiser fühlte sich durch seine geistige Überlegenheit gedrückt. Es wäre zuviel gesagt, daß er eifersüchtig auf Andrässy war, aber er wollte nicht mehr ganz nach seinen Ratschlägen handeln, und beabsichtigte, mit dem Grafen Taaffe einen Zustand in Österreich herzustellen, von dem er wußte, daß Graf Andrässy ihm opponieren Wörde. Deshalb nahm er die vollständig freiwillige Demission Andrässys an. Wir waren oft erstaunt, daß der Kaiser irgendeinem dringenden, heftigen Wunsche in der Umgebung nachgab, obwohl ihm die Form unziemlich schien, in der jener Wunsch vorgebracht war. Als ich darüber der Kaiserin gegenüber mein Erstaunen aussprach, sagte sie: „Der Kaiser ist fein erzogen und hatte in seiner Jugend eine liebevolle Umgebung. Wenn jemand ihm in ehrfurchtsvoller Weise eine Bitte vorlegt, und er sie nicht gewähren kann, so wird er in seiner liebenswürdigen Weise das Nein zu sagen wissen. Er ist aber, wenn ihm jemand heftig und anspruchsvoll entgegentritt, durch diese ungewöhnliche A r t so überrascht, daß er sich gewissermaßen einschüchtern läßt und zustimmt." Ich habe das immer wieder bestätigt gefunden. So, wenn Erzherzogin Isabella in einer mir oft unziemlich erscheinenden Art ihre Ansprüche beim Kaiser durchsetzte, oder bei anderen Gelegenheiten. Wenn jemand lebhaft und selbst heftig eine Behauptung aufstellte, so hatte
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Gräfin Marie Festetics
der Kaiser die Empfindung, daß, wenn etwas Derartiges überhaupt gewagt werde, der Betreffende seine Gründe und auch Recht haben müsse. Deshalb ließ er sich dann leicht gewinnen. Dazu kam, daß in der Tat niemand in seiner Gegenwart ein lautes Wort zu sagen wagte. Ich habe Ihnen schon erzählt, wie erstaunt die Umgebung des Kaisers war, als ich bei einer Hoftafel dem Kaiser gegenüber meine Ansicht festzuhalten wagte; er war nicht im geringsten ungehalten, bewahrte mir seine Gnade, aber die Hofleute konnten nicht begreifen, daß ich zu einer solchen Verteidigung meiner Ansicht den Mut gefunden hatte.
Jänner 1911
Gräfin Marie Festetics, ehemalige Hofdame Kaiserin
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Elisabeths Jänner 1911 К 2, U 1, 138 г - 139 ν; Sekretär 3
Die Kaiserin sprach sich einmal mir gegenüber eingehend über ihr Verhältnis zu Frau Schratt aus. Sie sagte zu mir: Sie begreife sehr wohl, daß der Kaiser in Gesellschaft der Frau Schratt Aufheiterung suche. Sie selbst sei eine alte Frau und eine traurige Frau, und bei ihr finde der Kaiser nicht die Zerstreuung, auf die er nach anstrengender Arbeit Anspruch habe. Er sei der Kaiserin gegenüber vollständig offenherzig. „Er ist", fuhr sie fort, „wie ein Schulbub, der selbst nicht weiß, wie gefahrlich ihm diese Frau werden kann. Eben deshalb trete ich nicht entgegen. Täte ich es, so würden diejenigen, welche dem Kaiser die Frau Schratt in den Weg gestellt haben, dafür sorgen, daß die Verbindung trotzdem aufrecht bleibt. Der Kaiser würde dann in die Hände seiner Bedienten fallen, und er wäre verloren." Der Sohn des hingerichteten Grafen Ludwig Batthyäny, Graf Elemer Batthyäny, wurde einmal zu den Hofjagden eingeladen. Meiner Empfindung nach hätte er die Einladung nicht annehmen sollen. Er kam, aber benahm sich sonderbar. Er hielt sich vom Kaiser entfernt, sodaß keine Gelegenheit war, ihn vorzustellen. Er war überhaupt nicht ganz einwandfrei, ein schöner Mann, aber seine Lebensführung ließ zu wünschen übrig. Dem Kaiser fiel die Zurückhaltung des Grafen Batthyäny auf, und er fragte mich einmal bei der Mahlzeit, ob ich ihn kenne. Ich bejahte dies und fügte hinzu, daß es von seiner Seite schicklich gewesen wäre, sich in der Nähe des Kaisers zu halten, um ihm vorgestellt zu werden. Das wurde auch dem Grafen Batthyäny gesagt, und es kam zu einer Vorstellung, zuletzt auch zu einer Einladung des Grafen nach Gödöllö zum Frühstück. Dieses Zusammentreffen erschütterte den Kaiser sehr; er kam im Gepräch mit mir darauf zurück, zeigte, wie er von dem Zusammentreffen ergriffen war, verbarg sein Gesicht in beide Hände und sagte mit Bezug auf die Hinrichtung des Grafen Ludwig Batthyäny: „Wie ist es nur möglich, daß so etwas geschehen konnte." Die Briefe des Kaisers an die Kaiserin waren überaus zärtlich. Ich glaube aber nicht, daß von diesen der Kaiserin auf ihren Reisen zugekommenen Briefen viele erhalten sind1. Der Kaiser schrieb täglich, und es häufte sich, wenn wir wochenlang abwesend waren, eine solche Menge von Schreiben auf, daß wir bei der häufigen Änderung des Aufenthalts in Verlegenheit waren, wo wir diese Briefe verbergen und aufheben sollten. Deshalb geschah es oft, daß die Kaiserin mir befahl, diese Briefe zu verbrennen, damit sie nicht in fremde Hände fallen. Einer dieser Briefe war besonders rührend. Als wir 1
Vgl. Briefe Kaiser Franz Josephs an Kaiserin Elisabeth 1859-1898, hrsg. von Georg Nostitz-Rieneck. 2 Bde. (Wien - München 1966).
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FZM Graf Friedrich von Beck
in den Siebzigerjahren Südfrankreich bereisten, stürzte die Kaiserin vom Pferde und verletzte sich so schwer, daß sie lange krank war2. Wichtige Staatsgeschäfte hielten den Kaiser ab, nach Frankreich zu kommen, und einmal schrieb er, wie schmerzlich es ihn berühre, verhindert zu sein, an das Krankenbett der Kaiserin reisen zu können, wohin ihn sein Herz ziehe. Sei sie doch der Engel seines Lebens! Diese Worte waren ernst gemeint. Der Kaiser wußte, welch wohltätigen Einfluß seine Gemahlin auf ihn geübt hatte. In der strengen Etikette, die unter dem Einflüsse der Erzherzogin Sophie herrschte, trat er mit seiner Umgebung fast gar nicht in nähere Berührung, und ich sage nicht zuviel, wenn ich behaupte, die Kaiserin habe aus ihm erst einen Menschen gemacht, das heißt, sie brachte ihm alle natürlichen Empfindungen näher, und er lernte erst mit den Jahren, seinen natürlichen, wohlwollenden Empfindungen Ausdruck zu geben, während er von der Erzherzogin Sophie dahin erzogen worden war, eine Scheidewand um sich aufzurichten und den Herrscher herauszukehren.
Feldzeugmeister Graf Friedrich von Beck, Chef des Generalstabes i. P. Februar 1911 К 2, U 5, 637 г - 641 r; Sekretär 3 Graf Beck erklärte die Mitteilungen des Aufsatzes von Wilhelm Alter für unglaubwürdig und für einen Schwindel3. Auch General Woinovich sei bei ihm gewesen und habe ihn interpelliert, und er habe ihn im gleichen Sinne aufgeklärt. Woinovich war der Ansicht, Graf Beck solle eine Erklärung abgeben; dieser aber hält es nicht für angemessen, durch sein Hervortreten die Diskussion über Benedek wieder aufleben zu lassen. Um nicht ins Einzelne eingehen zu müssen, griff Graf Beck das Kapitel seiner Memoiren heraus, das über 1866 handelt, und las mir die Ereignisse vom 1. und 2. Juli daraus vor4. Darin schilderte er, daß der Kaiser nach den ersten traurigen Nachrichten vom Kriegsschauplatze die Absicht faßte, sich selbst zur Armee zu begeben und sich an deren Spitze zu stellen. Beck, vom Grafen Crenneville hiervon in Kenntnis gesetzt, widerriet aufs Entschiedenste, besonders, weil keine Klarheit über die Lage der Dinge bei der Nordarmee gewonnen sei. Der Kaiser ließ Beck zu sich rufen, der seine Argumente wiederholte und besonders auch aufmerksam 2 3
4
Im September 1875 in Sassetot in der Normandie. Zu Wilhelm Alters Arbeiten zum Krieg von 1866, die auf sehr fragwürdigen Quellen beruhten, vgl. Wilhelm Alter und seine Enthüllungen über den Krieg von 1866; in: Historische Aufsätze 239-293. Vgl. Edmund von Glaise-Horstenau, Franz Josephs Weggefährte. Das Leben des Generalstabschefs Grafen Beck. Nach seinen Aufzeichnungen und hinterlassenen Dokumenten (Zürich - Leipzig - Wien 1930) 110-120. Die Erinnerungen wurden als solche nicht veröffentlicht.
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machte, daß bei dem verworrenen Zustande der Dinge im Norden eine Niederlage zu befürchten wäre; wenn der Kaiser sich selbst zur Armee begebe, so würden Ubelwollende ihm die Verantwortung für eine Katastrophe zuschreiben. Vor allem müsse volle Klarheit gewonnen werden. Der Kaiser beauftragte Beck darauf, mit der größten Beschleunigung sich in das Hauptquartier zu begeben und ihm die volle Wahrheit zu berichten. Unmittelbar nach dieser Unterredung mit dem Kaiser (30. Juni) fuhr Beck mit der Nordbahn auf den Kriegsschauplatz. In Brünn hatte er eine kurze Unterredung mit dem General Jablonski, der die Truppen in Mähren kommandierte, und fuhr darauf nach Böhmisch-Trübau, wo eine Weiterfahrt nicht möglich war, weil der Train, von einer Panik ergriffen (man glaubte, ein Einfall der Preußen von Glatz sei zu befürchten), ganze Strecken der Eisenbahnlinie besetzt hatte. Infolgedessen mußte Beck von Böhmisch-Trübau eine lange Strecke zu Fuß zurücklegen, bis ihm von der nächsten Station eine Lokomotive entgegengeschickt wurde. Er bestieg sie, kam nach Pardubitz, und hier sah er bereits Truppen in Auflösung. Auch hier herrschte Panik, weil man glaubte, die Preußen seien bereits in Chlumec eingetroffen. Das war ein Irrtum, da man die in Chlumec lagernden Sachsen für Preußen angesehen hatte. In Königgrätz am Vormittag des 1. [Juli] angelangt, kam gerade der Feldzeugmeister mit seinem Gefolge herangeritten, der sich auf dem Rückzüge von Dubenec nach Königgrätz begeben hatte. In einem Zimmer des Hotels der Prager Vorstadt kam es zu der Beratung, an der Benedek, Henikstein, Krismanic, Oberstleutnant Müller und Beck teilnahmen. Der Feldzeugmeister schilderte die Lage verzweifelt und forderte Beck auf, ein Telegramm an den Kaiser zu senden des Inhalts, daß alles verloren sei, und daß Friede geschlossen werden müsse. Beck lehnte es ab, dieses Telegramm selbst abzuschicken. Wenn Benedek es aber unterschreibe, so sei er bereit, es mit dem Chiffreschlüssel, der ihm von Wien mitgegeben worden war, dem Kaiser zu übermitteln. Benedek beauftragte ihn also, dieses Telegramm in seinem eigenen Namen niederzuschreiben und zu chiffrieren, und es wurde abgesendet. Daraufzog sich Benedek mit Beck in ein Nebenzimmer zurück, und hier klagte ihm Benedek über die Unfähigkeit seiner militärischen Umgebung und sagte ihm, er verlange, vor ein Kriegsgericht gestellt zu werden, um seine Handlungsweise zu verantworten. Er nehme alle Schuld auf sich, da er der Oberkommandierende sei, der Kaiser möge ihn auf die Festung schicken. Er wolle übrigens gleich quittieren und bloß von seinem Gehalt als Theresienritter leben. Es wurde besprochen, wer nach der Abberufung Benedeks vom Kommando an seine Stelle treten solle, und nachdem Benedek die verschiedenen Generäle mehr oder weniger abfallig kritisiert hatte, empfahl er als den einzigen den Erzherzog Wilhelm. Bevor dies aber geschehen sei, müßten Henikstein und Krismanic abberufen werden. Generalmajor Baumgarten wurde als derjenige bezeichnet, der als Generalstabschef fungieren
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FZM Graf Friedrich von Beck
könne. In der allgemeinen Beratung zwischen Benedek, den Generälen und Beck war man auf die Frage gekommen, was zu geschehen habe. Benedek erklärte, der Rückzug der Armee sei unbedingt notwendig, da allgemeine Verwirrung herrsche, und da ein unvor[her]gesehener Angriff auch nur einer feindlichen Brigade leicht eine vollständige Panik mit sich führen könne. Nachdem die verschiedenen Meinungen geäußert waren, gab Beck den Rat, die Armee in die Stellung hinter dem Knie der Elbe zurückzuführen und von da den Rückzug gegen Wien anzutreten. Auf der Rückfahrt Becks durch Brünn teilte er dem General Jablonski, der ihn nachts um zwei Uhr wieder erwartete, mit, daß voraussichtlich der Rückzug der ganzen Armee bis hinter die Donau stattfinden werde, wo man sich sammeln wolle, um den Krieg aufs Neue zu beginnen. In der Früh langte Beck in Wien an und erstattete über das Geschehene Bericht. Vormittags kam dann das Telegramm Heniksteins an, welches eine bessere Stimmung verriet, und in dem die bekannten Worte standen, Beck sei gerade im unglücklichsten Augenblick angelangt. Crenneville brachte zugleich ein Telegramm des Kaisers, in welchem er Benedek mitteilte, daß Frieden zu schließen unmöglich sei. Diese Worte waren vom Kaiser selbst geschrieben. Crenneville aber fügte mit eigener Hand noch die Frage hinzu: Hat eine Schlacht stattgefunden? Beck machte ihn auf die Gefährlichkeit dieser Frage aufmerksam, Crenneville aber beharrte darauf, die Depesche in dieser Form abzusenden5. Die Darstellung Becks enthält nichts Neues, da er mir ganz dieselben Dinge mündlich bereits vor der Abfassung meines Buches über Benedek6 gesagt hat. Seine Niederschrift enthält nur einige Details zur Ergänzung, so die Beratung darüber, wer der Nachfolger Benedeks werden könnte. Es fiel mir aber diesmal auf, daß Benedek [sie!] behauptete, der Satz: Hat eine Schlacht stattgefunden, wäre von Crenneville auf dessen eigene Verantwortung und ohne daß der Kaiser es wußte, dem Telegramm hinzugefügt worden. Da ich diese Angabe Becks nie für wahrscheinlich gehalten habe, so stellte ich an ihn die Frage, wie es denn möglich sei, daß der Generaladjutant ein Telegramm mit der Unterschrift des Kaisers veränderte und einen Satz nach eigenem Ermessen hinzufüge. Darauf sagte Beck in seiner schläfrigen Weise, aber doch mit voller Bestimmtheit, es sei doch so, wie er gesagt [habe]. Sodann richtete ich an Beck eine zweite Frage: Ich sagte ihm, eine Persönlichkeit, die eingeweiht sein könne, habe mich versichert, ein Telegramm des Kaisers vom Nachmittag des 2. Juli gesehen zu haben des Inhalts, eine Schlacht müsse geschlagen werden. Was Seine Exzellenz zu dieser Angabe 5
6
Vgl. dazu auch Bd. 1, S. 503. In der ersten Auflage von Kampf um die Vorherrschaft. Bd. 2, 198 ist das Telegramm ohne den Hinweis gedruckt, der letzte Satz „Hat eine Schlacht stattgefunden?" stamme vom Generaladjutanten des Kaisers Graf Franz Crenneville; spätere Auflagen (so 6. Auflage 1905, 213) verweisen darauf. Vgl. Bendedeks Nachgelassene Papiere.
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meine. Darauf erwiderte mir Beck mit der größten Bestimmtheit, daß alle Telegramme aus der Kabinettskanzlei des Kaisers durch ihn gegangen seien, und daß die Absendung eines derartigen Telegramms unglaubhaft, ja geradezu unmöglich sei. Hierauf schlug ich den Aufsatz Alters auf und las dem Feldzeugmeister die ganze Stelle auf Seite 81 vor, in welcher der Kriegsrat zu Königgrätz vom 1. Juli ganz anders geschildert wird, und wo unter anderem erzählt wird, Benedek sei in seiner Erbitterung mit dem Säbel auf Henikstein und Krismanic eingedrungen. Beck ließ sich alles vorlesen und wiederholte mit der größten Bestimmtheit, das alles sei Erfindung. Ähnliche Vorgänge hätten sich in seiner Gegenwart nicht abgespielt. In diesen bestimmten Erklärungen liegt der Schwerpunkt der Unterredung, die ich mit Beck hatte. Die Erzählungen Alters sind an sich vollständig unglaubwürdig; da der einzige Zeuge dieser Vorgänge, der noch lebt, in seinen Memoiren nichts davon erzählt und in seinen mündlichen Angaben das Ganze als Erfindung hinstellt, so sind damit die Mitteilungen Alters gerichtet. Auch diesmal wie in meinen früheren Unterredungen mit Beck zeigte es sich, daß Beck sich erinnern will, immer das Verständigste geraten zu haben. Er habe schon bei seiner Sendung nach Olmütz Mitte Juni auf den schleunigen Abmarsch gedrungen und einen Marschplan verabredet, kraft dessen die österreichische Armee um zwei Tage früher in Josefstadt angelangt wäre, als dies tatsächlich geschehen ist. Diesen Marschplan habe er mit sich nach Wien genommen; leider habe man nach seiner Abreise den Marsch verzögert, und daher die nicht mehr rechtzeitige Ankunft der Armee in der Gegend von Josefstadt. Ebenso will er auf das Unterlassen einer Schlacht und auf den Rückzug über Pardubitz hinaus in der Richtung nach Wien gedrungen sein [sie!]. Endlich, so behauptet er, habe er auch bei seiner zweiten Sendung nach Olmütz nach der Schlacht bei Königgrätz in Benedek ernstlich gedrungen sein [sie!], Olmütz so rasch wie möglich zu verlassen, um nicht von Wien abgeschnitten zu werden. Auch diesmal habe man ihm zwar Recht gegeben, aber, als er nach Wien zurückkehrte, den Rückmarsch hinausgeschoben, was zur Folge hatte, daß Benedek von der Rückzugslinie nach Wien gegen Ungarn abgedrängt wurde. Es ist meine Überzeugung, daß sich bei Beck durch die wiederholten Erzählungen seines Verhaltens zu jener Zeit eine zweite Geschichte eingestellt hat, in welcher er immer das Richtige geraten hat, ohne daß seinem Rate gefolgt wurde. In dem letzten Gespräch machte er die Bemerkung, er habe die Berichte über seine verschiedenen Sendungen dem Kaiser und Crenneville mündlich erstattet, dann aber auch eine schriftliche Eingabe darüber gemacht. Hier hielt ich ihn fest und fragte ihn, ob er seine Memoiren etwa auf Grund dieser damals niedergelegten Berichte geschrieben habe. Etwas zögernd, aber doch ehrlicherweise, sagte er, diese Berichte seien ihm nicht vorgelegen. Sie müssen, so fügte er hinzu, in der Militärkanzlei des Kaisers ru-
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FZM Graf Friedrich von Beck
hen. Dann brummte er irgendetwas von Konzepten, die er sich zurückbehalten habe. Aber wenn ich höflich, aber doch mit einiger Bestimmtheit meine Frage wiederholte, ob ihm diese Konzepte bei der Abfassung seiner Memoiren Dienste geleistet hätten, so ließ er in derselben lässigen, aber, wie ich gestehen muß, ehrlichen Art die Annahme nicht aufkommen, als ob ihm diese Quellen vorgelegen wären. Diese Aufrichtigkeit des alten Generals machte auf mich einen guten Eindruck. Sie bewies mir, daß, wenn er in seinen Memoiren die Ereignisse von 1866 so darstellt, als ob er mit militärischem Scharfblick alles vorausgesagt und die richtigen Ratschläge gegeben habe, dies nicht auf absichtlicher Täuschung beruht, sondern auf dem natürlichen Prozeß, der sich nach 40 und 50 Jahren von selbst einstellt. Überhaupt machten seine Darlegungen auf mich auch damals den Eindruck: Ein gesunder Menschenverstand und eine durch das hohe Alter nicht gestörte Sachkenntnis liege seiner Darlegung zugrunde. Ein oder das andere Detail war irrig, das Gesamtbild aber läßt sich nicht anfechten. Noch eine Erwägung ist hinzuzufügen. Beck war bis zu seiner Ernennung zum Generalstabschef in hervorragender Wirksamkeit in der Militärkanzlei tätig und zuletzt als Generaladjutant der Vorstand dieses Amtes. Würden Berichte von seiner Hand existieren, aus denen hervorginge, wie voraussichtig seine Ratschläge 1866 waren, so hätte er diese Schriftstücke ohne Zweifel in den Jahrzehnten nach 1866 sich vorlegen lassen und diese Angaben bei der Abfassung seiner Memoiren in irgendeiner Weise benützt.a Es ist menschlich genommen geradezu ausgeschlossen, daß er auf diese gewaltige Rechtfertigung seiner Wirksamkeit in seinem Memoirenwerk verzichtet hätte. Dieser Schluß ist umso zwingender, als er sich für seine Memoiren den Wortlaut der am 1. und 2. Juli 1866 gewechselten Depeschen heraussuchen und abschreiben ließ. Den Wortlaut dieser Depeschen hat er mir bereits für das Werk über Benedek zur Verfügung gestellt7. Damals war FML Fischer, der Verfasser des Generalstabswerkes8, höchst ungehalten, daß Beck auf diese Weise das Generalstabswerk berichtigte oder, besser gesagt, daß er eine Fälschung des Wortlautes zugab. Wenn Beck sich jene Depesche heraussuchen ließ, so wären ihm seine eigenen Berichte ein ebenso starkes und für ihn persönlich wichtigeres Zeugnis gewesen. Der Schluß, der aus alldem zu ziehen ist, ist der, daß seine Memoiren über 1866 im wesentlichen auf seinem Gedächtnis beruhen und demnach, wenn sie erschienen sind, sorgfältig werden geprüft werden müssen. 7 8 a
Vgl. Benedeks Nachgelassene Papiere 372-375. Österreichs Kämpfe im Jahre 1866. Nach Feldacten bearbeitet durch das k.k. Generalstabs-Bureau für Kriegsgeschichte. 5 Bde. und 1 Schuber mit Plänen (Wien 1867-1869). Randbemerkung durch Friedjung: Indessen zitiert Woinovich „Benedek und sein Hauptquartier" S. 39 einen solchen. Emil Woinovich, Benedek und sein Hauptquartier im Feldzuge 1866. Als Manuskript gedruckt (Wien 1911).
März 1911
Josef Unger, Präsident
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des Reichsgerichtes März 1911 К 2, U 1, 25 r - 26 r; Sekretär 3
Ich kann es nicht glauben, daß der Kaiser anläßlich der Differenzen über die Balkanpolitik in einer Ministerratssitzung (1877 oder 78) über die Verfassungspartei den Ausspruch getan hat: „Wann wird endlich der Tag der Rache an dieser Partei kommen?" Ich halte es für ganz unwahrscheinlich, daß er jemals so aus sich herausgegangen sei. Ich wenigstens war bei dieser Ministerratssitzung nicht anwesend und habe nichts davon gehört. Ich habe ihn allerdings einigemal heftig gesehen. Sehr schwierig war unsere Lage anläßlich der Adreßdebatte nach dem Falle des Ministeriums Hohenwart. Schon die Feststellung der Thronrede kostete große Mühe9. Ich entwarf diese Rede sowie fast alle Thronreden des Ministeriums und gab mir die Mühe, eine Fassung zu finden, welche die Verfassungstreue des Kaisers betonte, ohne aber demütigend für ihn zu sein. Der Kaiser war aber nicht zufrieden und sagte im Ministerrat, das klinge wie mea culpa, und diese Rede könne er nicht halten. Darauf mußte ich die Thronrede umstilisieren, und sie fand die Zustimmung des Kaisers. Als Schluß wählte ich den später zahllosemal wiederholten Aufruf an die Völker Österreichs, den staatsrechtlichen Hader zu begraben und sich der Arbeit zu widmen. Das wurde mit großem Beifall aufgenommen. Hierauf entwarf Herbst die Antwortadresse 10 . Dieses Schriftstück war eine Anklage wegen der beabsichtigten Verletzung der Verfassung. Der Kaiser war außer sich, schlug während der Beratung im Minsterrat heftig mit der Hand auf den Tisch und sagte: „Das geht gegen mich, nicht gegen das Ministerium!" Wir stimmten in der Ansicht überein, daß diese Adresse für den Kaiser überaus verletzend war, und es handelte sich darum, an Stelle dieses Entwurfes einen anderen zu setzen. Ich begab mich noch am selben Abend in die Neue Freie Presse, um Friedländer für diese Auffassung zu gewinnen. Ich begann, ihm auseinanderzusetzen, daß das Ministerium sich, wenn die Adresse angenommen werden sollte, genötigt sehen müßte, seine Entlassung zu nehmen. Als ich ihn für meine Auffassung gewinnen wollte, unterbrach er mich und sagte: „Ich habe soeben einen Artikel über diesen Entwurf geschrieben. Hören Sie zuerst, was ich darin sage." Er las mir den Artikel vor, und er enthielt genau dieselben Argumente, durch welche ich ihn gewinnen wollte11. 9
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Die Thronrede Kaiser Franz Josephs am 28. 12. 1871 anläßlich der feierlichen Eröffnung des Parlaments. Der Kaiser kündigte darin die Einführung direkter Reichsratswahlen an und betonte, daß die Regierung den verfassungsmäßigen Rechtszustand befestigen werde. Vgl. zur Adreßdebatte Gustav Kolmer, Parlament und Verfassung in Österreich. Bd. 2 (Wien - Leipzig 1903) 213-219. Neue Freie Presse v. 14. 1. 1872, Morgenblatt 1, Leitartikel. Darin wird die Adresse als zu dogmatisch und fordernd kritisiert.
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Eduard Sueß
Das war uns eine große Hilfe, um die Partei zu bestimmen, die Schroffheiten des Entwurfs zu mildern. Über die Politik des Grafen Andrässy während des russisch-türkischen Krieges wurde einmal ein wichtiger Ministerrat gehalten. Das österreichische Ministerium war versammelt, und er setzte hier auseinander, daß man Maßregeln ergreifen müsse, um Rußland in seinem Siegeslaufe aufzuhalten, was zu einem Kriege zwischen Österreich-Ungarn und Rußland führen könnte. Es wurde zwar kein Beschluß gefaßt, aber die Stimmung des Ministerrates war gegen den Krieg mit Rußland, und man trennte sich nach längerer Beratung.
Eduard Sueß, Präsident der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften
März 1911 К 2, U 1, 46 r; Sekretär 3
Das Konkordat führte einen neuen Eid der Bischöfe ein. Früher leisteten sie dem Kaiser in bestimmten Ausdrücken den Eid, während nach dem Konkordat eine Klausel hinzugefügt war, ungefähr des Inhalts: soweit es einem Bischof zukomme. Als nun das Konkordat 1870 aufgehoben wurde12, kehrte man nicht zu der alten Eidesformel zurück, sondern blieb bei der seit 16 Jahren eingeführten. Das Konkordat war zwar aufgehoben, aber jene Verordnungen, welche auf Grund des Konkordats erlassen worden waren, blieben bestehen, soweit sie nicht durch die Gesetze eine Abänderung erfuhren. Bei der Beratung der interkonfessionellen Gesetze 1874 schlug Prof. Sueß vor, den Eid der Bischöfe in seiner alten Fassung wiederherzustellen13. Merkwürdigerweise trat Kopp dagegen auf mit der Begründung, politische Eide seien an sich bedeutungslos, und ihre Fassung nicht wesentlich. So unterlag Sueß, ganz abgesehen davon, daß die Regierung nicht bereitgewesen wäre, diese Verschärfung der interkonfessionellen Gesetze anzunehmen. Hatte sie doch dem Kaiser bei der Vorsanktion versprochen, daß sie über ihre Entwürfe nicht hinausgehen wolle.
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Das Konkordat von 1855 wurde durch ein kaiserliches Handschreiben vom 30. 7. 1870 für aufgelöst erklärt, als Grund wurde die neue Rechtsstellung des Papstes aufgrund des Infallibilitätsdogmas angegeben. In seiner Rede im Abgeordnetenhaus am 6. 3. 1874 kritisierte Eduard Sueß auch die Tatsache, daß die Gesetzesvorlagen nichts bezüglich der Eidesleistung durch die Bischöfe enthielten.
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29. März 1912
Rudolf Sieghart, Gouverneur der Bodenkreditanstalt
Februar 1912 К 2, U 4, 523 г
Ich fragte ihn, wieso es komme, daß nach dem Rücktritte Bienerths gerade Gautsch zum Ministerpräsidenten gewählt wurde1. Darauf sagte Sieghart: „Der Kaiser wollte schon damals Stürgkh ernennen, denn er war zu dieser Zeit fällig. Indessen, so sagte Stürgkh zu mir: ,Bienerth und ich haben Gautsch dem Kaiser aufgeschwatztDenn Stürgkh hat sich nur sehr ungern zur Übernahme des Ministerpräsidiums entschlossen. Er wäre lieber Unterrichtsminister geblieben." Über Franz Ferdinand sagte Bienerth zu Sieghart: Er könne sich nicht recht vorstellen, wie die Dinge unter ihm gehen würden.
Feldmarschalleutnant Freiherr Franz Forstner von
Billau 29. März 1912 К 2, U 5, 665 r; Sekretär 3
Forstner, früher durch lange Jahre Militärattache in Rom2, ist der Ansicht, daß das Unterlassen des Gegenbesuchs des Kaisers Franz Joseph in Rom das Haupthindernis eines guten Verhältnisses zwischen Österreich-Ungarn und Italien ist3. Zwischen Österreich und Italien stehe immer der Vatikan. Was man auch sagen möge, ein Besuch des Kaisers würde eine Menge Schwierigkeiten wegräumen. Die Italiener glauben solange nicht an unsere Aufrichtigkeit. Der Vorgänger Forstners als Militärattache, Generalmajor Ripp, wurde bei einer Audienz vom Kaiser gefragt, wie die Dinge in Italien stünden. Ripp antwortete, man wünsche in Italien den Gegenbesuch des Kaisers. Dies muß den Kaiser sehr unangenehm berührt haben, denn er brach, ohne etwas zu erwidern, die Audienz sofort ab.
1
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Am 28. 6. 1911 übernahm Freiherr Paul Gautsch von Falkenthurn die Regierungsgeschäfte von Freiherrn Richard Bienerth-Schmerling; er wurde wiederum am 3. 11. 1911 durch den bisherigen Unterrichtsminister Graf Karl Stürgkh ersetzt. General Franz Forstner von Billau war von 1883 bis 1892 Militärattache in Rom. Der italienische König Umberto besuchte vom 27. bis 31. 10. 1881 Wien, der Gegenbesuch Franz Josephs kam aufgrund des Boykottes Roms durch die katholischen Monarchen aus Rücksicht auf den Papst nicht zustande.
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Josef Maria Baernreither, Mitglied des Herrenhauses
Josef Maria Baernreither
29. April 1912 К 2, U 1, 72 г, 73 г; Sekretär 6
Ich hatte Gelegenheit, und zwar anläßlich des letzten Stapellaufs unseres Dreadnoughts 4 , mit dem Thronfolger eine halbe Stunde lang über Politik zu sprechen. Alles, was er mir sagte, war verständig und wohl bedacht; er warf mir seine Gedanken förmlich an den Kopf, als ob er das Bedürfnis hätte, sich gegen Vorwürfe zu reinigen, die, wie er weiß, gegen ihn erhoben werden. Er verwahrte sich auf das Bestimmteste dagegen, den Krieg gegen Italien zu wollen, wie man ihm imputiert hatte. Er wünsche nur eine Waffenrüstung Österreichs auch zur See, so wie alle Großmächte sie für notwendig halten. Angesichts der inneren Schwierigkeiten wäre es töricht, sich in auswärtige Abenteuer einzulassen. Er besitzt eine vollständige Kenntnis der Stellung Österreichs, besonders seines Seehandels im Orient, und er weiß das, was er auf seinen früheren Reisen gesehen hat, mit dem Ergebnisse seiner Lektüre zu kombinieren. Der Rückgang des österreichischen Handels in der Levante erfüllt ihn mit Kummer. Er beklagt es, daß wir uns von den Deutschen haben zurückdrängen lassen. Dies geschieht aber nicht etwa mit Bitterkeit, sondern mit einer Art Bewunderung vor Deutschland. Sein Freund, der deutsche Kaiser, so läßt er sich verlauten, habe ihm in Kiel seine Kriegsflotte aus 102 Einheiten gezeigt und ihm mit Stolz gesagt, das sei seine Schöpfung. Als er seinerzeit in Beirut war5, stand der österreichisch-ungarische Handel an zweiter Stelle, jetzt, so bemerkte er bekümmert, sind wir an die vierte Stelle zurückgedrängt. Er ist offenbar von der Sorge erfüllt, daß es ihm nicht gelingen werde, die großen Versäumnisse der letzten Generation wettzumachen. Man hat den Eindruck, daß er fürchtet, zu spät auf den Thron zu kommen und seine Pläne nicht ausführen zu können. Von seinem Vertrauten, dem Grafen Ottokar Czernin, erfahre ich, daß er gleich uns allen der Ansicht ist, es müßten die Hindernisse weggeräumt werden, welche Ungarn der Entwicklung der Armee und einer klugen Handelspolitik entgegensetze. Czernin meint jedoch, er sei sich mehr über die Tatsache als über die Mittel klar, dazu zu gelangen. Mein Eindruck ist, daß er die ungarische Verfassung beschwören und womöglich in ihrem Rahmen regieren werde. Indessen sprach der Thronfolger mit mir nicht von den ungarischen Verhältnissen, und ich bin nur auf die Berichte seiner Umgebung angewiesen.
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Am 21. 3. 1912 lief in Triest das Schlachtschiff „Tegetthoff" vom Stapel. Im Rahmen seiner Weltreise 1892/93 war Erzherzog Franz Ferdinand nicht in Beirut, wahrscheinlich aber im Zuge eines Kuraufenthaltes in Ägypten im Winter 1895/96.
Juli 1912
Dr. August Stein, Leiter des Berliner Büros der Frankfurter Zeitung
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Juli 1912 К 2, U 2a, 113a г - 1 1 5 a r
Holstein war von tiefem Mißtrauen gegen jedermann erfüllt, immer fürchtete er Anschläge, er glaubte, jeder Fremde, der ihn aufsuchte, wäre von seinen Gegnern ausgeschickt, um ihn zu belauschen und zu umgarnen. Dies würde er auch von Dr. Friedjung angenommen haben, wenn dieser ihn im Juli 1912 aufgesucht hätte. Was kann Friedjung im Juli nach Berlin und zu ihm führen? Gewiß eine böse Absicht. Er war menschenscheu vielleicht von Natur aus, vielleicht weil seine im Prozeß Arnim geführte Rolle, wo er der Verräter gewesen [war], ihn nötigte, sich von vielen Beziehungen loszulösen6. Stein glaubt übrigens, diese Menschenscheu sei mehr Naturanlage, Bülow dagegen führt sie vornehmlich auf jenen Prozeß zurück. Indessen empfing er selbst viele Besuche und stand mit vielen Menschen in Verbindung. Zu Hofe ging er nie, kannte aber die Wege zu Kaiser Wilhelm, so auch durch Philipp Eulenburg, mit dem er sehr befreundet war. Caprivi gestand selbst, daß er gegen Holstein kaum etwas beim Kaiser durchsetzen könne. Holsteins erste Tat nach Bismarcks Sturz war die Anregung zur Lösung des Rückversicherungsvertrags 7 . Er hielt den Vertrag nicht für propre. Herbert Bismarck, damals noch Staatssekretär, machte ihm Vorwürfe, daß er den Geheimvertrag dem neuen Reichskanzler unterbreitet hatte, doch er sagte mit Recht, wie er dies hätte vermeiden können. Der Einfluß Holsteins war ebenso groß auf Hohenlohe und Bülow.8 Als ich Stein sagte, Bülow habe in Abrede gestellt, Holstein wäre antifranzösisch gewesen, meinte Stein: Dieser Ausdruck wäre in der Tat nicht das Richtige. Holstein war unbefangen in seiner Schätzung des Verhältnisses zu den ausländischen Staaten gewesen. Allerdings war er von der Bismarck'schen Tradition erfüllt, daß Frankreich nur durch Einschüchterung und durch die Sorge vor der militärischen Überlegenheit Deutschlands vor dem Revanchekrieg abgehalten werden könne. Nun, so warf ich ein, ist dies nicht eine antifranzösische Stimmung? Ist das Verhältnis der beiden Natio6
Im Konflikt zwischen Reichskanzler Fürst Otto von Bismarck und dem deutschen Botschafter in Paris Graf Harry Arnim stand Friedrich von Holstein, der als Sekretär an der Pariser Botschaft war, ganz auf Seite Bismarcks. Arnim wurde nach seiner Abberufung 1874 in Berlin zunächst wegen Vergehens gegen die öffentliche Ordnung, in zweiter Instanz auch wegen Urkundenunterschlagung verurteilt. Holstein hatte sowohl den Reichskanzler als auch Staatssekretär Herbert von Bismarck über Arnims Politik unterrichtet und war im Prozeß als Hauptinformant genannt worden. 7 Der 1887 abgeschlossene geheime deutsch-russische Rückversicherungsvertrag wurde 1890 von Bismarcks Nachfolger General Leo Caprivi nicht verlängert. " Randbemerkung: Ich bin nicht ganz sicher, ob Stein mir dies sagte oder Harden. Sonst ist mein Gedächtnis bezüglich Steins recht sicher.
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August Stein
nen dadurch nicht vergiftet worden? Stein gab dies einlenkend zu und ging dann zur Marokkopolitik Holsteins über. In der zweiten Hälfte 1904 schrieb Holstein eine Denkschrift, die für die nächste Politik maßgebend wurde. Er setzte darin auseinander, daß Deutschland durch kraftvolles Auftreten die sich vorbereitende Einkreisung durch seine Nachbarn verhindern müsse. Dazu wäre es notwendig, die Selbständigkeit Marokkos gegen Frankreich zu verteidigen. Es ist jedoch keine Andeutung einer Absicht Deutschlands auf ein Stück Marokko in der Denkschrift enthalten. Das war von vorneherein nicht das Ziel der deutschen Politik. Diese Denkschrift, so sagte Stein, sei so wichtig, daß er bei Kiderlen durchsetzen möchte, daß mir das Memorandum gezeigt werde, er erbot sich, darüber mit Kiderlen zu sprechen. Diese Grundlinien wurden [von] der Reichsregierung als Norm festgehalten, und deshalb entsprach die Ansprache Kaiser Wilhelms in Tanger den Anschauungen Bülows und Holsteins8. Es ist nun richtig, daß Holstein weiter für eine kraftvollere, drohendere Sprache Frankreich gegenüber wirkte, als der Kaiser und Bülow guthielten. In der ersten Hälfte 1905 entwarf Holstein eine Note für die Norddeutsche Allgemeine Zeitung, die solche Drohungen enthielt, daß Hammann abriet, sie zu veröffentlichen; August Stein, der den Entwurf sah, gab Hammann recht; und die Veröffentlichung unterblieb.8 Seitdem war das Verhältnis zwischen Holstein und Hammann gespannt. Es erbitterte Holstein, wenn Bülow sich in der Diskussion auf die gleiche Ansicht Hammanns berief. Noch schärfer kam dies während der Algeciraskonferenz zu Tage9. Der deutsche Bevollmächtigte Radowitz wirkte für den Ausgleich, Holstein machte ihm den Vorwurf der Zaghaftigkeit. Bei diesem Gegensatze wirkten frühere persönliche Verstimmungen zwischen den beiden Männern mit. Auf dem Höhepunkte der Krisis trug sich eine von Stein anschaulich erzählte Begebenheit zu10. Es [war] bei einer Soiree im Hause des Reichskanzlers, die Fürstin spielte wundervoll und begleitete auch Bülow beim Singen auf dem Klavier. Da trat ein Diener mit einem Portefeuille ein und überbrachte es dem Reichskanzler. Bülow, der sich stets glänzend zu inszenieren wußte, las ein Schriftstück, dann winkte er dem Staatssekretär Tschirschky, Hammann und Stein,b sich mit ihm in einen anstoßenden Salon zurückzuziehen. Es handelte sich um eine ernste Angelegenheit. Radowitz hatte sich eine bestimmte Instruktion erbeten für seine Haltung gegenüber den Ansprüchen Frankreichs; die Entscheidung las8
Zur Reise Kaiser Wilhelms nach Tanger Ende März 1905 vgl. Zeitalter des Imperialismus. Bd. 2, 45-48. 9 Die Konferenz zur Beilegung der Marokkokrise vom 16. 1. bis 7. 4. 1906. 10 Vgl. dazu auch S. 340 f. " Am Rand mit einem Fragezeichen kommentiert. ь Randbemerkung: vielleicht noch einer Persönlichkeit. Friedjung.
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se sich kaum mehr hinausziehen. Das Schriftstück, welches Bülow in der Hand hielt, war der Entwurf der Antwort, herrührend von Holstein. Es schob die Entscheidung hinaus, es ließ Radowitz ohne bestimmte Weisung, sodaß die Krise nicht gelöst war. Tschirschky, Hammann und Stein waren der Ansicht, es müßte Schluß gemacht werden. In diesem Sinne entschied auch Bülow. In diesen letzten Jahren, da Holsteins Autorität bereits erschüttert war, hegte er den Wunsch, doch eine bureaukratisch höhere Stellung einzunehmen. Er wünschte, zum Ministerialdirektor ernannt zu werden. Bülow war dies unbequem, und er bat Stein, seinen Einfluß daranzusetzen, daß Holstein davon freiwillig abstehe. Stein begab sich zu ihm, und das Gespräch wandte sich dem Gegenstande zu. Stein nun, der Holsteins ängstliche Scheu vor der Öffentlichkeit kannte, machte ihn aufmerksam, daß es aus diesem Anlasse zu Auseinandersetzungen im Reichstage kommen werde; er müsse sich auf vielleicht erregte Szenen gefaßt machen. Da fuhr Holstein auf, klopfte auf die Schreibtischschublade, in der sich sein Pistolenkasten befand, und rief: Sie sollen es nur wagen, diese Bismarcke, mir nahezutreten. Darauf Stein: Es handle sich nicht um Anwürfe, die mit einer Forderung beantwortet werden müßten, für solche Angriffe fehle Veranlassung und Stoff. Aber man könne nicht wissen, wohin die Diskussion sich wenden werde; Geheilt für den Posten müsse vom Parlament bewilligt werden, und man könne nicht wissen, wohin die Diskussion führen werde. Besorgnisse dieser Art bestimmten Holstein, von seinem Verlangen abzustehen. Als Holstein fühlte, daß sein Bleiben im Amte zu Ende gehe, brach er zu Stein in Klagen aus: Solle also er zum Opfer fallen? Der Konflikt mit Tschirschky führte seinen Fall herbei11. Da nun fragte mich Stein, was denn Hardens Ansicht sei, ob Bülow hinter Tschirschky gestanden habe oder nicht. Ich erwiderte, daß im Gespräche mit Harden davon nicht die Rede gewesen war12, aber was mich beträfe, so hegte ich keine Zweifel, daß Tschirschky so gehandelt habe, weil er Bülows Zustimmung sicher war. In diesen Tagen der Agonie Holsteins war Stein bemüht, einen offenen Bruch Holsteins mit Bülow hintanzuhalten. Denn, so sagte er zu H[arden]: Zwei Männer dieser Art dürften nicht in Groll auseinandergehen, dies könnte schlimme Folgen nach sich ziehen, auch wenn beide Männer Gentlemen seien. Hardens „Verspätete Liebe zu Holstein", drückte sich Stein aus. 11
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Friedrich von Holstein reichte im April 1906 seinen Rücktritt ein, wohl in der Annahme, daß er abgelehnt werden würde. Reichskanzler Fürst Bernhard von Bülow wies jedoch Staatssekretär Heinrich von Tschirschky an, das Gesuch dem Kaiser befürwortend vorzulegen. Am 19. 4. 1906 wurde Holstein darauf entlassen. Friedjung traf auch Maximilian Harden während seines Berlin-Aufenthaltes, jedoch sind dazu keine Aufzeichnungen erhalten; vgl. Harden an Friedjung, Berlin 27. 7. 1912, HHStA NL Friedjung, К 5.
308
August Stein
Von Bülows Aufrichtigkeit denkt Stein ungünstig. Er sei ein großer Schauspieler, voll Herzlichkeit im Auftreten, aber er wäre im Stande, rücksichtslos über frühere Freunde hinwegzutreten. Er verstehe es, die Menschen zu gewinnen und seinen Zwecken dienstbar zu machen. Wenn er wisse, daß jemand über ihn schreiben werde, so spare er keine Freundlichkeit, um ihn zu beeinflussen. Auch kleine Leute werden so von ihm behandelt. Erst jüngst habe er einen von ihnen zu sich geladen, der stolz gewesen sei, in seiner Intimität verkehrt zu haben. Diesen mir geltenden Warnungen fügte Stein dann hinzu: Allerdings liege etwas Fürstliches in seiner Natur, besonders in seinem äußeren Auftreten! In der Norddeutschen Allgemeinen Zeitung war mitunter zu lesen, der Reichskanzler habe die Minister „empfangen". Nun sind sie ihm aber gleichberechtigt, weshalb also empfangen? Aber seine Persönlichkeit war eine Oase inmitten dieser steifen preußischen Bureaukraten. Er überstrahlte sie alle. Er brachte ein Stück Grazie in den märkischen Sand. Großartig war der Abschied, den er 1909 auf dem Bahnhof nahm. Ganz Berlin war erschienen. Er hielt förmlich Hof. Stein wurde damals gefragt, weshalb er über Bülow in der Frankfurter Zeitung so günstig geschrieben habe; Bülow wäre doch ein konservativer Staatsmann gewesen. Da antwortete Stein: Der Liberalismus bedürfe eines Märtyrers, deshalb habe man für eine würdige Aufbahrung Bülows sorgen müssen. Nach den Novemberdebatten 190813 sagte Bülow zu Stein: „Ich habe dem Kaiser wie ein Arzt und wie ein Freund gesprochen. Ich hoffe, daß er in der Stimme des Arztes auch die des Freundes gehört hat." Damals war Kaiser Wilhelm ganz niedergeschmettert, denn er glaubte sich höchst volkstümlich, da er stets mit Hurrahrufen empfangen worden war. In der Tat ist seine lebhafte Art sehr populär. Aber er ist ein Neurastheniker. Mitunter erfüllt ihn eine nervöse Hast, [die] auch seiner Umgebung Besorgnisse einflößt. So mußte er seine Reise nach Korfu unternehmen, um wieder das Gleichgewicht zu finden14. In Korfu war er noch von einer erschreckenden Nervosität. Uber seine Funde sandte er an verschiedene Museen lange Telegramme. Nach seiner Rückkehr empfing er unter anderem Marschall. Dieser sagte zu Stein: Ich habe den Kaiser glücklicher Weise wieder ruhiger gefunden. 13
14
Am 28. 10. 1908 war im Londoner Daily Telegraph ein Artikel erschienen, der auf Interviews mit Kaiser Wilhelm II. beruhte. Die darin enthaltenen Äußerungen des Kaisers wurden in der deutschen Öffentlichkeit scharf verurteilt. Wilhelm hatte den Artikel vorab zur Prüfung an Reichskanzler Bernhard von Bülow geschickt, der ihn unkorrigiert zur Veröffentlichung freigab. Bülow gestand zwar sein Versehen der Freigabe ein, verurteilte aber in der Reichstagsdebatte vom 10. 11. 1908 den Kaiser und forderte ihn auf, seine eigenmächtige und unverantwortliche Politik einzustellen. Kaiser Wilhelm verbrachte im Frühjahr 1909 vier Wochen auf Korfu. E r hatte dort 1907 das für die österreichische Kaiserin Elisabeth 1890 erbaute Schloß Achilleion erworben.
26. September 1912
Alfred Oumaine-Chilhaud, französischer Botschafter in Wien
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[16. September 1912] К 2, U 6, 711 г
Bei Dumaine am 16. September 1912. Er sagt mir eine Empfehlung für Hanotaux zu. Dieser jagt viel, sowohl in der Umgebung von Paris als bei Roquebrune im Süden. Ich werde ihn nicht leicht treffen können. Hanotaux und Dumaine haben zusammen die Ecole des chartes besucht. Delcasse hat Dumaine nach München geschickt, Pichon ihn nach Mexiko expediert. Uber Delcasse sagt er: Er habe über Wilhelm II. und Deutschland vorurteilsvolle Ansichten. Dumaine war längere Zeit in Berlin tätig und bemühte sich, ihm richtigere Vorstellungen beizubringen über die ehrenhaften Gesinnungen Wilhelms, aber umsonst. Wilhelm hat natürlich die Anschauungen von jenseits des Rheins, aber nicht die schlimmen Absichten, die Delcasse ihm zumutet.
Ernest von Koerber, Mitglied des Herrenhauses
26. September 1912 К 2, U 2, 251 г - 252 ν
Als der Erzherzog Franz Ferdinand die Ehe schließen wollte, vereinbarte Beck mit Szell einen Gesetzentwurf, der den beiden Parlamenten zur Bestätigung vorzulegen sei15. Dieser Entwurf sprach für die Bestätigung der Heirat durch die beiden Parlamente. Der Kaiser übergab den Entwurf Herrn von Koerber mit den Worten: Lesen Sie das Schriftstück, es ist nur kurz. Koerber fand die Vorlage für unbrauchbar. Denn wenn die Parlamente auf diese Weise die Erbfolge feststellen konnten, dann war auch der Fall denkbar, daß ein Parlament die Vorlage annahm, das andere verwarf. Dies konnte zu argen Verwirrungen führen. Koerber arbeitete einen anderen Entwurf aus, der bloß dessen Kenntnisnahme durch das ungarische Abgeordnetenhaus und die Inartikulierung des Eides in die Gesetzessammlung vorsah. Aber Koerber erklärte, er könne nicht die Verantwortung selbst auf sich nehmen; er beantragte die Zusammenberufung einer Konferenz der höchsten Richter. Der Kaiser willigte ein; Erzherzog Rainer übernahm den Vorsitz: Der Präsident und Vizepräsident des Obersten Gerichtshofes (also Steinbach16), die 15
16
Erzherzog Franz Ferdinand heiratete am 1. 7. 1900 Gräfin Sophie Chotek in morganatischer Ehe, nachdem er am 28. Juni feierlich auf alle Thronfolgerechte für ihre Kinder verzichtet hatte. Der spätere Ministerpräsident Freiherr Max Vladimir von Beck war ein enger Vertrauter des Thronfolgers. Vgl. dazu auch S. 23 und 24 f. Erster Präsident des Obersten Gerichtshofes war Karl Habietinek, Zweiter Präsident Emil Steinbach.
310
Ernest von Koerber
beiden Präsidenten des Verwaltungsgerichtshofes (Schönborn, Lemayer), Unger als Präsident des Reichsgerichtes waren anwesend. Auf meine Frage, ob nicht einer der Anwesenden vorgeschlagen hatte, die Ehe als ebenbürtig schließen zu lassen, wie mir einmal Bernatzik angedeutet hatte17, erwiderte Koerber: Nein, das war nicht der Fall. So also wurde der Entwurf festgestellt. Während der Vorbereitungszeit kam Erzherzog Franz Ferdinand zu wiederholten Malen mittags in die Wohnung Koerbers, und des Abends liefen mitunter Briefe ein, die die wichtige Angelegenheit behandelten. Aus Koerbers Erzählung entnahm ich, daß er gegen die Ehe keine Einwendung erhob. Wohl aber empfahl er dem Erzherzog das Eingehen der Ehe als eine ebenbürtige. Es werde sich vielleicht eine Form hierfür finden lassen. Koerber sagte zum Erzherzog: Ist die Ehe morganatisch, so werde sie auf jeden Fall dem Erzherzog nicht das zu wünschende Glück bringen. Entweder werde das Paar nicht zusammenstimmen, was an sich schmerzlich sein werde, oder aber die Ehe werde friedlich sein, dann werde es den Erzherzog schmerzen, daß seine Kinder und seine Frau vom Thron ausgeschlossen seien. Aber der Erzherzog erwiderte zur Überraschung Koerbers mit einer gewissen Heftigkeit: Er wolle nicht mit Gräfin Chotek eine ebenbürtige Ehe schließen, er habe nur den Wunsch, ein ruhiges Familienleben zu begründen. Es scheint, meint Koerber, daß damit Rücksicht auf Erzherzog Otto und die anderen Erzherzöge genommen wurde. Als sich Schwierigkeiten einstellten, weil der Erzherzog die Begnadigungsvorschläge Koerbers verwarf, und die Entscheidung des Kaisers angerufen wurde, bat der Kaiser Koerber, die Sache in Ordnung zu bringen. Im Gespräch darüber sagte er: „Es ist mir ohnedies nichts geblieben als Begnadigungen und Ordensverleihungen." Recht dramatisch entfaltete sich der Kampf um die 1903 von Ungarn gewünschten Konzessionen. Damals wurde von den drei Präsidien der drei Klubs des Herrenhauses ein Memorandum beraten und angenommen, in dem von einer Schwächung der Einheit der Armee abgeraten wurde18. Koerber hatte dieses Schriftstück dem Kaiser zu unterbreiten. Der Kaiser sah es durch und wurde dadurch mit heftigem Unwillen erregt. Er warf es zu Koerber, schlug auf den Tisch und rief aus: Die Herren mischten sich in Dinge ein, die sie nichts angingen. Dann verabschiedete er durch ein Kopfnicken den Ministerpräsidenten. Dieser begab sich in seine Wohnung und legte gerade den Frack ab, als sich Schießl bei ihm melden ließ. Schießl stellte ihm im Auftrage des Kaisers die Frage, ob er noch beim Kaiser zu erscheinen gedenke. Darauf Koerber: Solange er Ministerpräsident sei, sei es seine Pflicht, 17 18
Vgl. Bd. 1, S. 343. Am 12. 12. 1903 überreichte der Präsident des Herrenhauses eine von den drei Klubobmännern und 64 Mitgliedern unterzeichnete Interpellation an die Regierung, in der Aufklärung über die Verhandlungen mit der ungarischen Regierung über die nationalen Armeeforderungen verlangt wurde.
26. September
1912
311
jedem Rufe zu Seiner Majestät zu folgen. Er begab sich also sofort zum Kaiser, der ihn aufs Herzlichste empfing und ihm beide Hände entgegenstreckte und mit gerührter Stimme und lebhafter Betonung sagte: „Verzeihen Sie! Verzeihen Sie, verzeihen Sie!" Darauf Koerber: Er sei schmerzlich berührt, den Kaiser in Aufregung versetzt zu haben, aber es wäre seines Amtes gewesen, jenes Schriftstück zur Kenntnis des Kaisers zu bringen. Uberhaupt versteht es der Kaiser sehr gut zu bitten. Als Koerber drei Jahre Ministerpräsident war, stellte er dem Kaiser vor, es habe sich viel Feindseligkeit gegen ihn aufgestapelt, die Geschäfte würden sich leichter ohne ihn erledigen lassen. Der Kaiser wollte aber nichts von seiner Demission hören, sondern bat ihn dringend zu bleiben. Wieder stellte ich, wie des Öfteren, an Koerber die Frage, ob der Kaiser über eine große Geschichtskenntnis verfuge. Darauf Koerber wieder, wie schon öfters: Nein, das ist nur in einem beschränkten Maße der Fall. Er hat ein vortreffliches Gedächtnis, und häufig ist der erste Eindruck, den er empfangen, der richtige. Er spricht sich dann verständig aus. Aber er läßt sich zu leicht durch neue Vorstellungen umstimmen. Wie wenig klare Vorstellungen er besitzt, geht aus einer Äußerung hervor, die er kürzlich zu Stürgkh machte. Stürgkh mit dem ganzen Ministerium steht beim Kaiser hoch in Gnaden. Als nun der Ministerpräsident sagte, er fürchte, bei seinem Gesundheitszustand nicht in der Lage zu sein, die Geschäfte zu erledigen, wollte der Kaiser dies nicht gelten lassen und sagte zu ihm: „Nehmen Sie, wenn es notwendig ist, noch 20 Beamte zu Ihrer Unterstützung auf!" Der Kaiser scheint also zu glauben, daß sich die Geschäfte eines Ministerpräsidenten auf andere Beamte übertragen lassen. Der Kaiser sprach sich lobend aus, daß Koerber ihm viel Arbeit abgenommen habe. Aber er hegte eine gewisse Scheu vor Koerber, vor der sachlichen Bestimmtheit, mit der er seine Ansicht vertrat. Das dürfte auch jetzt noch vorhalten. Koerber wiederholt immer, daß er sich nicht vorstellen könne, wie sich die Dinge unter dem künftigen Kaiser entwickeln würden. Manchmal ist ja sein Eingreifen auch jetzt von Nutzen. So trat er entschieden dem Versuch entgegen, die Amtssprache der Post in den deutsch-tschechischen Ausgleich hineinziehen zu lassen. Und das ist ganz in der Ordnung. Das erste Urteil des Kaisers ist oft ein richtiges, aber er hatte so wenig Selbstbewußtsein, daß er sich leicht von seiner Absicht abbringen ließ. Jetzt allerdings soll das anders sein.
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Andre Tardieu, außenpolitischer Redakteur des Temps'
Andre Tardieu
Paris, 8. und 20. Oktober 1912 К 2, U 2a, 91a г - 92a r
Weltmännisch, die besten Manieren, angenehm entgegenkommend, ohne Phrasen, präzis, jede Frage mit voller Kenntnis des Gegenstandes beantwortend. Während ich bei ihm bin, ertönt das Telephon. Er spricht offenbar mit einer Dame und bestimmt ihr, wann sie sich treffen. An den Konflikt, der zu Faschoda führte19, waren Hanotaux und Delcasse gleich viel schuld. Hanotaux beabsichtigte, sich gegen England zu kehren. Er leugnet es jetzt, seitdem die Versöhnung mit England eingetreten [ist]; es ist aber doch wahr. Delcasses Politik weist manchen Fehler auf; er, Tardieu, habe mit ihm zum letzten Mal gesprochen, als er im Februar 1905 sein Verhalten kritisierte. Dadurch fühlte sich Delcasse erkaltet. Er hätte Frankreich die Niederlage ersparen sollen, die sich durch die Art seines Rücktritts manifestierte20. Aber es wäre irrig zu glauben, daß er deshalb in der öffentlichen Meinung verloren habe. Man hat ihn vielmehr als Opfer Deutschlands hingestellt, und man brachte ihm lebhaften Beifall, als er dies einige Jahre später aussprach. Deshalb war auch seine Karriere nicht abgeschlossen. Er hatte noch Chancen, zum Kammerpräsidenten gewählt zu werden; man wählte ihn nicht, weil er Minister war. Die Deputierten sagten: Er habe damit genug. Aber sein Schiffbruch 1905 war absolut nicht die Ursache seines Mißerfolgs. Ich fragte Tardieu, ob ich mit Delcasse sprechen solle, obwohl ich seine Politik ungünstig beurteilen müsse. Tardieu bejaht dies und erbietet sich, einen von mir an Delcasse gerichteten Brief an diesen gelangen zu lassen. Ich danke ihm, erkläre aber, ich müßte mir dies noch überlegen. Mit Pichon steht Tardieu gleichfalls nicht gut; aber er sagt mir, es wäre wertlos, mit ihm zu sprechen. Er sei nicht der Mann eines historischen Gedächtnisses. Auch habe er nicht viel gearbeitet. In der Früh erledigte er die ihm vorgelegten Papiere; dann fuhr er in den Bois de Boulogne, abends empfing er. Er sah jedes Ereignis stückweise an, ohne den Zusammenhängen seine Erinnerung zuzuwenden. Ein Krieg zwischen Deutschland und Frankreich war 1905 nicht nahe. Nach dem Fall Delcasses hätte Rouvier gerne alles bewilligt. Denn es lag ihm daran zu beweisen, daß nur Delcasse Schuld an der Irrung gewesen war, und 19
2U
a
Im Konflikt mit England um den Besitz des Gebietes am Oberen Nil mußte Frankreich nachgeben und veröffentlichte am 4. 11. 1898 eine Note, in der die Räumung des Stützpunktes Faschoda bekanntgegeben wurde. Der französische Außenminister Theophile Delcasse trat am 6. 6. 1905 zurück, nachdem der Ministerrat gegen seinen Vorschlag der Teilnahme an einer internationalen Konferenz zur Beilegung des Marokkokonfliktes zugestimmt hatte. Vgl. Zeitalter des Imperialismus. Bd. 2, 51-53. Geschrieben auf Papier des Hotel Louvois, Paris.
8. und 20. Oktober 1912
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daß sie jetzt bereinigt sei. Er hätte also auch bezüglich Marokkos gerne Konzessionen gemacht. So in den ersten acht Tagen nach dem Rücktritt Delcasses. Damals also drohte nicht der Krieg, ebensowenig wie während der Konferenz von Agadir21. Er war viel näher während der Affare von Casablanca22. Denn Clemenceau hatte die Unvorsichtigkeit, damals dem Kriegsminister (wenn ich recht erinnere, so sagte Tardieu so) die Vollmacht zur Einberufung der Reserven zu erteilen. Der Kriegsminister durfte die Vollmacht benutzen, wenn [er] es für notwendig hielte. Über den Krieg zwischen der Türkei und den Balkanstaaten23: Tardieu hegt den lebhaften Wunsch, daß Frankreich nicht hineingezogen werde. Allerdings drohe ein Krieg zwischen Rußland und Österreich-Ungarn, falls sich Österreich über den Sandschak ausdehne24. Wohl habe Sazonov sich friedliebend auch ihm gegenüber ausgesprochen, aber ausdrücklich gesagt: Wenn Österreich sich militärisch ausdehnt, dann marschieren wir. Tardieus Hoffnung ist, daß weder Deutschland für Österreich-Ungarn, noch Frankreich für Rußland Partei ergreift. Als ich einwende: Der Vertrag von 1879 verpflichte Deutschland zur Hilfeleistung im Falle eines russischen Angriffs, meint [Tardieu]: Es komme auf die Auslegung des „Angriffs" an. Delcasse hat sich bezüglich der Folgen der Reise Loubets einer Täuschung hingegeben25. Er glaubte nicht, daß der Papst einen Protest einlegen werde. Es kann wohl sein, daß er darin von Barrere nicht gut berichtet war. Als der 21
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Hier d ü r f t e Friedjung die Konferenz von Algeciras zur Beilegung der Marokkokrise 1906 mit der E n t s e n d u n g des deutschen Kanonenbootes „Panther" nach Agadir 1911, die zu neuerlichen Spannungen zwischen Frankreich und Deutschland führte, vermengen. Vgl. dazu Friedjungs Darstellung in Zeitalter des Imperialismus. Bd. 3, 22-28. Nachdem drei deutsche Soldaten der französischen Fremdenlegion desertiert waren und Schutz im deutschen Konsulat in Casablanca gesucht hatten, s t ü r m t e n französische Marinesoldaten am 25. 9. 1908 das Konsulat und verhafteten die Deserteure. Um die dadurch entstandene Krise beizulegen, einigten sich die beiden Staaten am 24. 11. 1908 darauf, das Haager Schiedsgericht anzurufen, das am 22. 5. 1909 entschied, beide Staaten hätten internationales Recht verletzt, Deutschland durch die Schutzgewährung, Frankreich durch die E r s t ü r m u n g des Konsulates. Vgl. Friedjungs Darstellung in Zeitalter des Imperialismus. Bd. 2, 317-318. Der erste Balkankrieg im Herbst 1912. Österreich-Ungarn hatte im Zuge der Annexion Bosniens und der Herzegowina den Sandschak Novibazar, der zwischen Serbien und Montenegro liegt, und in dem es seit 1878 aufgrund der Bestimmungen des Berliner Vertrages Truppen stationiert hatte, geräumt. Eine Wiederbesetzung während der Balkankrise erfolgte trotz starken Druckes von militärischer Seite nicht. Der französische Präsident Emile Loubet hatte im Frühsommer 1904 den Besuch König Viktor Emanuels in Paris 1903 erwidert und damit den Boykott Roms durch die Staatsoberhäupter der katholischen Staaten durchbrochen. Die Kurie protestierte dagegen scharf bei allen katholischen Mächten, worauf im Juli 1904 die diplomatischen Beziehungen zwischen Paris und dem Vatikan abgebrochen wurden. Dadurch erhielt in Frankreich die Bewegung zur Aufhebung des Konkordates von 1801 enormen Auftrieb. Mit Gesetz vom 9. 12. 1905 wurde schließlich das Konkordat gekündigt und die vollständige T r e n n u n g von Kirche und Staat vollzogen.
314
Baron Wilhelm von Schoen
Protest erfolgte, wallte die öffentliche Meinung auf. Nun aber konnte Delcasse nicht mit Autorität der Trennung des Staates von der Kirche entgegentreten. Denn man hielt ihm vor, er habe sich auch früher geirrt. Barrere war in der italienischen Politik das treibende Element. Es ist nicht ganz richtig, daß Waldeck-Rousseau überhaupt die Trennung des Staates von der Kirche ablehnte (wie Moysset und Narfon mir gesagt hatten26). Denn er hielt bald nach seinem Eintritt in die Regierung eine Rede, in der [er] von den so und soviel Millionen Eigentum der Kongregationen sprach. Er machte keinen Unterschied zwischen den zwei Klassen der bewilligten und nicht bewilligten27. Noch weniger ist das von Combes anzunehmen (wie mir Moysset gesagt hatte). Denn die Trennung des Staates von der Kirche lag in seinen Ideen. Er hat das Programm auch in der Neuen Freien Presse entwickelt (zu Frischauer). Jetzt werden sich nicht leicht die Beziehungen zwischen Paris und Rom wiederherstellen lassen. Denn wenn die Gemäßigten am Ruder sind, und Poincare ist ein gemäßigter Republikaner, so werden die Männer der Linken gegen ihn perorieren; und die Radikalen werden nicht leicht ihre Hand dazu bieten können. Es wird wohl noch eine Zeit vergehen. Umso mehr als Pius X. erklärt hat, daß er für nicht offizielle Unterhandlungen nicht zu haben sei.
Baron Wilhelm von Schoen, deutscher Botschafter in Paris
Paris, 26. Oktober 1912 К 6, U Entwürfe und Notizen
Er war Botschaftsrat 1894 bei Graf Münster, als der sogenannte ostasiatische Dreibund geschlossen wurde28. Damals, so sagte Schoen, wurde die deutsche Politik noch klug geleitet (hört!), und dem Fürsten Hohenlohe schwebte unter anderem vor, durch Zusammengehen mit Frankreich in Ostasien eine bessere Stimmung in Frankreich vorzubereiten. Hohenlohe selbst, obwohl er regelmäßig nach Paris kam, hat hier keine Verhandlungen mit der französischen Regierung gepflogen. Er war meines Erinnerns nie auf der deutschen Botschaft und wäre doch jedenfalls durch uns in Beziehungen mit den französischen Kreisen getreten. Das ist also wohl nie ge26 27
20
Vgl. S. 332 f. Das Trennungsgesetz von Staat und Kirche vom 9. 12. 1905 hob auch die Unterscheidung von anerkannten und nicht anerkannten Religionsgemeinschaften (cultes reconnus und cultes non reconnus) auf. Die Verständigung Rußlands, Deutschlands und Frankreichs 1895 über die Zurückdrängung der japanischen Vorherrschaft in Ostasien nach dem japanisch-chinesischen Krieg. Japan mußte darauf auf seine Ansprüche auf Port Arthur und die Mandschurei verzichten. Vgl. zum gesamten Gespräch Wilhelm E. Freiherr von Schoen, Erlebtes. Beiträge zur politischen Geschichte der neuesten Zeit (Stuttgart - Berlin 1921).
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schehen. Es waren geschäftliche Gründe, die ihn regelmäßig nach Paris führten. Er besaß hier ein Haus. Die Franzosen sind auf das Zusammengehen in Asien eingegangen, aber ich hatte den Eindruck, daß dies nur mit Hinblick auf die ostasiatische Politik geschah. Hatten die Franzosen doch große indochinesische Besitzungen. Graf Münster aber ging ungerne auf die Sache ein. Als er den Auftrag erhielt, sich bezüglich Japans und Chinas mit der französischen Regierung ins Einvernehmen zu setzen, sagte er: „Diesen Unsinn mache ich nicht mit." Es vergingen einige Tage, und von Berlin drängte man telegraphisch. Doch Münster sträubte sich noch immer. Schoen aber meinte, man müsse doch den von Berlin gekommenen Auftrag ausführen. Endlich ließ sich Münster dazu herbei, mit dem französischen Minister des Äußern zu sprechen. Er hatte eine sehr schlechte Meinung von den Berliner Regierungsgelehrten und sagte, seine Bilder waren meist vom Stalle hergenommen: Mit einem Ochsen müsse man anders sprechen als mit einem Pferd. Sein Sträuben hatte mehrere Gründe. Er war alt und oft krank und wich zu dieser Zeit jeder Aufregung aus. Aber sein Hauptmotiv war seine Anglomanie. Er mißbilligte alles, was uns in Gegensatz zu England bringen konnte. Das war sein fester Leitstern. Schoen erinnert sich nicht mehr an die 1898 zwischen Frankreich und Deutschland bezüglich der portugiesischen Kolonien in Afrika gepflogenen Verhandlungen. Das ist doch merkwürdig, da er doch damals Botschaftsrat war, die Denkschrift, die von Berlin an die französische Regierung gesendet wurde, muß doch durch seine Hand gegangen sein29. Er denkt nach und meint schließlich: Diese Verhandlungen werden aus den Gründen, die ich entwickelt habe, nicht durch Münster, sondern in Berlin gepflogen worden sein. Ich konnte dies bestätigen, sie ist durch den französischen Botschafter Marquis von Noailles geführt worden. Ebensowenig ist Schoen über die 1899/1900 bezüglich der Buren gepflogenen Unterhandlungen zwischen Paris, Berlin und Petersburg unterrichtet30. Er überlegt, ob er das, was er darüber weiß, aus den Zeitungen oder aus den Akten erfahren hat. Er glaubt sich nur zu erinnern, daß die Sache von Frankreich nicht aufrichtig gemeint war. Er ist befriedigt, von mir zu hören, daß Bülow noch heute dieser Meinung ist. aMünster imponierte den Franzosen sehr, hat ein gutes Andenken zurückgelassen. Aber er war doch zur Zeit, da Schoen ihm zur Seite stand, verbraucht. Einmal ging Münster ins französische auswärtige Amt, um die ihm von Berlin aufgetragenen Angelegenheiten zu besprechen. Schoen hatte ihm auf einem Zettel das Tatsächliche aufgeschrieben. Das war nachmit29
30
Zu den Verhandlungen und die deutsche Denkschrift, die am 19. 6. 1898 in Paris übergeben wurde, vgl. Zeitalter des Imperialismus. Bd. 1, 214 und 218. Uber den Vorschlag Rußlands und Frankreichs an Deutschland im Frühjahr 1900, gemeinsam in London für die Buren einzutreten, und die ablehnende deutsche Haltung dazu vgl. Zeitalter des Imperialismus. Bd. 1, 314-318.
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Baron Wilhelm v o n S c h o e n
tags. Am Abend ließ Hanotaux Schoen zu einer Unterredung bitten. Münster sei bei ihm gewesen, habe viel gesprochen, aber Hanotaux habe absolut nicht verstanden, was er gewollt habe; er habe immer vom Nil gesprochen, und Hanotaux wisse nicht, was er gemeint habe. Da nun stellte sich heraus, daß Münster den Niger mit dem Nil verwechselt habe. 3 Von 1900-1905 (wenn ich mich recht erinnere) war Schoen in Kopenhagen, und da war er doch sehr außerhalb der großen Politik. Kaiser Wilhelm war auf seinen Reisen gewöhnlich von Tschirschky begleitet [worden]. Einmal aber [war] Tschirschky verhindert, wenn Schoen sich recht erinnert durch die Niederkunft seiner Frau, und Schoen erhielt den Auftrag, ihn zu vertreten. Der Kaiser muß gefunden haben, daß Schoen ihm gut in die Hand arbeite; denn als er seine Reise ans Mittelmeer 1904 antrat 31 , beschied er Schoen ihn zu begleiten, was Tschirschky natürlich sehr schmerzlich empfand. Schoen erhielt jedoch für die Reise nach Tanger keine deutlichen Instruktionen. Er hörte nur aus den Gesprächen in den Couloirs des auswärtigen Amtes, daß es sich um etwas sehr Wichtiges handle. Holstein war zu dieser Zeit der maßgebende Mann. Bülow unterordnete sich, selbst wenn er anderer Meinung war, den Ratschlägen Holsteins. Aber auf den Kaiser zu wirken hatte er keine Gelegenheit. Der Kaiser kannte ihn kaum. So sehr liebte es Holstein, im Hintergrund zu bleiben. Im Winter vor der Reise nach Tanger äußerte der Kaiser einmal den Wunsch, Holstein zu sehen; er verlangte, Bülow sollte ihn einladen. Aber zu der festgesetzten Mahlzeit bei Bülow kam Holstein nicht; Bülow mußte ihn entschuldigen, mit dem Hinweis darauf, daß Holstein keinen Frack besitze32. Aber der Kaiser bestand darauf, ihn zu sehen; Holstein kam also erneut, vielleicht mit einem ausgeliehenen Frack, meinte Schoen lachend. Holstein war antifranzösisch gesinnt und hat durch die scharfe Betonung dieses Gegensatzes Schaden gestiftet. Er war in einer Zeit in Paris gewesen (mit Arnim), wo der Gegensatz noch sehr scharf war; er hat diese Stimmung nie verwunden. Schoen hört meiner Analyse der Denkschrift Holsteins 1904/0533 zu, es scheint zustimmend. Die Einigung zwischen Frankreich und England 1904 hat er wie eine persönliche Niederlage empfunden 34 . Er war es, der dazu riet, scharf gegen Frankeich in der Marokkofrage vorzugehen. Es kam also zu der unglücklichen Marokkopolitik, unglücklich wird sie von Schoen genannt. 31
Die Reise Kaiser Wilhelms, die ihn auch nach Marokko führte. Vgl. dazu einen Brief Holsteins an Fürst Hugo Radolin vom 25. 11. 1904 in Die Geheimen Papiere Friedrich von Holsteins, hrsg. von Norman Rieh und Μ. H. Fisher. Bd. 4 (Göttingen 1963) 282-283. Holstein traf am 12. 11. 1904 mit Kaiser Wilhelm II. zusammen. 33 Vgl. S. 306. 34 Die Entente cordiale vom 8. 4. 1904, in der Frankreich das britische Protektorat über Ägypten anerkannte und dafür Aktionsfreiheit in Marokko zugesichert erhielt. *" Ergänzung. 32
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Der Bruch zwischen Tschirschky und Holstein erfolgte nicht auf Anregung Bülows35, denn Bülow war damals krank. Tschirschky mag (was ich einwarf) vorsichtig sein, aber die Ablehnung Holsteins war ein Akt des Mutes. Er sah, daß es so nicht weitergehen könne. Es war bedenklich, daß Holstein den größten Einfluß übte, ohne die Verantwortung zu tragen. Das mußte bei aller seiner Sachkenntnis und seiner Arbeitskraft nachteilig wirken. Auch war er trotz seiner Kenntnisse doch nicht der Mann der weiten Gesichtspunkte. Der Kaiser selbst war nicht mit der ihm vorgeschlagenen Reise nach Tanger einverstanden. Er sträubte sich dagegen, und in Berlin fürchtete man immer, er werde am Ende nicht die Aufgabe durchführen wollen, die man von ihm erhoffte. Als nun der Kaiser in Lissabon landete, am selben Tage noch hatte er ein Diner im königlichen Schloß wie auch den Empfang des diplomatischen Korps, kam unmittelbar darauf eine mächtig lange chiffrierte Depesche aus Berlin an. Sie war, wenn sich Schoen recht erinnert, 42 Seiten lang; es bedurfte fast vier Tage, bis sie dechiffriert war. Dies war eine lange Instruktion für den Kaiser, wahrscheinlich von Holstein aufgesetzt. Darin war genau festgestellt, was der Kaiser zu den Abgesandten des Sultans von Marokko, was zu der deutschen Kolonie sagen solle. Ebenso, was geschehen sollte, falls gewisse Voraussetzungen nicht einträfen und die Sachen sich anders gestalten. Der Kaiser war über diese ausgedehnte Instruktion unwillig: Das sei doch Unsinn, er wisse selbst, was er zu sagen hätte. Denn in Berlin war genau ausgemacht worden, wie sich Deutschland und der Kaiser in der Marokkofrage verhalten sollen. Als sich nun die „Hohenzollern" dem Hafen von Tanger näherte, blies der Ostwind. Es dauerte Stunden bis er sich legte und bis der nächtens auf dem Schiff angelangte Lotse imstande war, das Schiff in die Reede zu steuern. Es regnete in Strömen, und der Kaiser war durch den ganzen trostlosen Anblick in unangenehme Stimmung versetzt, am liebsten hätte er die abenteuerliche Fahrt unterlassen. Dies umso mehr, als Schoen, der Tanger kannte, ihm sagte, daß er nach der Landung zu Pferde steigen, Tanger durchreiten müsse, um auf der anderen Seite zum deutschen Konsulat zu gelangen, wo der Empfang stattzufinden hatte. Noch lagen sie bei strömendem Regen in der Reede, als ein Segelschiff mit einem preußischen Ulanenoffizier sichtbar wurde; es war der Konsul Kühlmann. Dieser kletterte durchnäßt die Schiffsleiter hinauf, a denn es war nicht möglich, die Treppe hinabzulassen, der Sturm hatte sie zerbrochen, 8 kam so, da Schoen in ihn drang, sich nicht umzukleiden, in diesem Zustand zu dem Kaiser; dieser empfing [ihn] sehr warm, die Schneidigkeit belobend, mit der Kühlmann in Wind und Wetter sich bei ihm eingestellt hatte. Es war aber noch eine Sorge, wie der Kaiser durchreiten konnte. Er selbst war 15
Vgl. zum Rücktritt Friedrich von Holsteins im April 1906 S. 307 Anm. 11. Ergänzung.
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besorgt, ob man ihm auch ein ruhiges Pferd zur Verfügung stellen werde. Schoen beruhigte ihn und schlug vor, des Kaisers Adjutant Scholl (jetzt General) solle ans Land, solle die ganze Strecke durchreiten und dann Bericht erstatten. Die Landung erfolgte nicht ohne Schwierigkeit, denn es waren gegen 30 Herren im Gefolge des Kaisers, die alle ans Land gebracht werden [mußten]. Scholl hatte seinen Auftrag ausgeführt und berichtete das beste über die Zahmheit des Pferdes. Im Hafen wurde der Kaiser vom Onkel des Sultans arabisch begrüßt, der Kaiser erwiderte deutsch. Er bestieg sodann den Schimmel, der aber auf die Hinterbeine stieg. Scholl und ein anderer Offizier hingen sich dem Schimmel an den Zaum; der Kaiser meinte übellaunig, es ginge schon. Denn er hat wegen seines Beins etwas Schwierigkeit zu Pferde [zu] steigen. Zwei Offiziere gingen an seiner Seite her, von jetzt ab gestaltete sich alles gut. Von der Bevölkerung wurde der Kaiser warm begrüßt, und er kam ohne weitere Zwischenfälle durch die Stadt aufs deutsche Konsulat. Neue Ansprachen und Antworten, Schoen hat sie nicht gehört; nur das weiß er, daß der Kaiser dem französischen Konsul einige scharfe Worte sagte. Es kann aber wohl sein, daß der Konsul die Sache nicht nach Paris meldete, denn Schoen wenigstens hat nichts davon gehört, daß die französische Regierung darüber eine Bemerkung machte. Die Ansprachen wurden entweder von dem Korrespondenten der Kölnischen Zeitung oder von dem Reichskanzleramt in die Zeitungen eingerückt (wahrscheinlich von letzterem). Alles war in Tanger vorüber, als Schoen eine Depesche vom Reichskanzleramt erhielt, in der er den Auftrag erhielt, er möge den Kaiser bestimmen, in dem ihm vorgeschlagenen Sinne zu handeln; große Interessen Deutschlands, so sagte Schoen sarkastisch, stünden auf dem Spiele, die solches Auftreten erforderten. Ich hatte mich aber nicht zu bemühen, sagte Schoen lachend, denn die Sache war, wie gesagt, vorüber. Erst als der Kaiser in Italien landete und in Neapel die deutschen Zeitungen eintrafen, da erst wurde die Wirkung des Ereignisses klar. Schoen kam 1906 (?) als Botschafter nach Petersburg36. Er sagte: Ich kann von Aehrenthal nur mit Verehrung und Dankbarkeit sprechen, denn er leistete mir die größten Dienste, er führte mich überall ein, er gab mir die besten Aufklärungen. Nur eines setzte mich in Verwunderung, und das war die hochkonservative Gesinnung Aehrenthals und sein ausschließlicher Verkehr mit den Männern des alten Regiments, mit Schwanebach, Toll usw. Und doch war die russische Revolution bereits eingetreten, gerade als ich nach Rußland kam, waren in Moskau noch die letzten Straßenkämpfe. Iswolski äußerte mir gegenüber seinen Unmut über diese Haltung Aehrenthals, denn Iswolski selbst war liberal, man könnte sagen revolutionär gesinnt, rechnete mit der öffentlichen Meinung, und Schoen ist überzeugt, daß dieser Gegensatz die erste Veranlassung zu dem später eingetretenen Bruche gewesen 36
Wilhelm von Schoen war 1905 bis 1907 Botschafter am Zarenhof.
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ist. Schoen kannte von Kopenhagen her Iswolski, es bestanden zwischen ihnen gute persönliche Beziehungen, und Iswolski sprach sich vertraulich aus. Es ist wahr, daß Iswolski begabt ist, aber das wird zurückgedrängt durch seine Leidenschaftlichkeit, durch die persönliche Art, mit der [er] alle Dinge nimmt. Noch kürzlich sprach er wieder - er tut das immer - mit Heftigkeit über Aehrenthal. Alles, was jetzt auf dem Balkan geschehe, ist die Folge des von ihm begangenen Fehlers, daß er die Sache der Reform Mazedoniens preisgegeben habe, um die Sandschakbahn zu erhalten37. Schon hatte man sich über Justiz- und Verwaltungsreform verständigt, er allein hätte diese Lösung unmöglich gemacht. Und als ich fragte, ob es nicht nützlich wäre, mit Iswolski zu sprechen, meinte Schoen: Ich werde nichts Neues erfahren und stets nur die alten Anklagen gegen Aehrenthal. Als Aehrenthal Schoen in Berchtesgaden besuchte - es war Anfang September38 - sprach er von der Absicht der Annexion Bosniens nicht wie von einer unmittelbar bevorstehenden Angelegenheit. Schoen war damals noch nicht lange Staatssekretär und hatte noch [nicht] die Erfahrung, die er sich durch längere Tätigkeit im Ministerium des Äußern aneignen konnte. Es kann sein, daß er die Tragweite der Mitteilungen Aehrenthals nicht voll erfaßte. Es kann aber auch sein, daß damals die Absicht, so rasch vorzugehen, noch nicht feststand; es kamen neue Momente hinzu, die Reise des Bulgarenfürsten nach Budapest39, es wird also der Entschluß zum Handeln erst später gefaßt gewesen [sie!] sein. Als Iswolski dann um den 26. September zu Schoen kam, stand der russische Minister schon unter dem Eindrucke, daß das Ereignis nahe bevorstehe. Jedenfalls rechnete er damit. Als ich Schoen fragte: „Somit also war Iswolski in Buchlau genügend unterrichtet worden?" bestätigte dies Schoen. Nun reiste Iswolski nach Paris und London und wurde hier bearbeitet, trat bereits feindselig gegen Osterreich auf. Als er dann nach Berlin kam40, gab 37
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Außenminister Alois Lexa von Aehrenthal hatte am 27. 1. 1908 die türkische Zustimmung zu Vorarbeiten bezüglich einer Anbindung des bosnischen an das türkische Bahnnetz durch den Sandschak von Novibazar bekanntgegeben. Rußland betrachtete diese Initiative Wiens als einen Bruch des Abkommens von 1897, das bei Veränderungen des Status quo auf dem Balkan vorherige Verhandlungen zwischen den beiden Mächten vorsah. Aehrenthal jedoch vertrat den Standpunkt, daß dies nur für politische, nicht jedoch für wirtschaftliche Projekte gelte. Zur Vorbereitung der Annexion Bosniens war Außenminister Aehrenthal am 5. 9. 1908 in Salzburg mit seinem italienischen Amtskollegen Tommaso Tittoni und darauf in Berchtesgaden mit Staatssekretär Wilhelm von Schoen zusammengetroffen. Ferdinand von Bulgarien traf am 23. 9. 1908 in Budapest mit Kaiser Franz Joseph und Außenminister Aehrenthal zusammen. Vgl. dazu die Aufzeichnungen des Außenministers in ÖUA Bd. 1, 97. Der russische Außenminister war am 15. 9. 1908, von einer Kur in Karlsbad kommend, mit seinem Amtskollegen Aehrenthal in Buchlau, dem mährischen Schloß des Botschafters in St. Petersburg Graf Leopold Berchtold, zusammengetroffen. Anschließend traf er Staatssekretär Schoen in Berchtesgaden, reiste nach Italien, Frankreich und England und traf am 23. 10. 1908 in Berlin ein.
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Schoen dem Kaiser den Rat, bei Tische mit ihm so wenig wie möglich über Politik zu sprechen; Schoen fürchtete, der Kaiser werde sonst Äußerungen machen, welche die deutsche Politik in einem nicht wünschenswerten Sinne festlegten. Iswolski war nun über den ihm von Kaiser und Kaiserin bereiteten Empfang höchst ungehalten. So schlecht, so sagte er, sei noch nie ein Minister behandelt worden. Der Kaiser habe gar nicht über Politik mit ihm gesprochen, die Kaiserin ihn überhaupt nicht angeredet. Daraufsagte Schoen offenherzig, er sei Schuld an der Sache; er habe dem Kaiser geraten, nicht über Politik zu sprechen; denn Iswolski wisse selbst, daß der Kaiser leicht Äußerungen mache, welche die Politik des Reichskanzlers erschwerten. 2. Unterredung Die Ursache, weshalb sich Bülow in der Marokkofrage dem so wenig glücklichen Rate Holsteins anvertraute, lag in der Überlastung des Reichskanzlers mit Geschäften. Es ist eben nicht möglich, daß der eine Mann alle Geschäfte der inneren und der äußeren Politik überblickt. Auch war Bülow keine Arbeitskraft, er unterließ es, sich in die Details zu versenken, und verließ sich dabei auf den Rat Holsteins. Da nun wendete ich ein, daß es kein Detail war, wenn man sich entscheiden mußte, ob Marokko geteilt werden oder die Oberhoheit des Sultans verletzt werden sollte. Schoen stimmte zu, fügte aber hinzu: Man war damals von dem Gedanken eingenommen, durch die Verteidigung Marokkos die islamitische Welt für sich einzunehmen. "Hatte doch Kaiser Wilhelm in Damaskus „die schöne Rede" gehalten, in der er sich als Freund des Kalifats auftrat [sie!]41.3 Das war nun ein Irrtum, und dieses ganze System ist jetzt im Balkankrieg vollständig zusammengebrochen. Ich sagte Schoen, daß Bülow mir in Norderney dieselben Gesichtspunkte entwickelt hatte. Er nahm es achselzuckend zur Kenntnis, wie ein Mann, dem dies alles als Narrheit gilt. Uber die Marokkoangelegenheit bin ich, sagt Schoen, kein unparteiischer Berichterstatter. Denn ich habe mich über vieles geärgert, er gibt zu erkennen, daß er die deutsche Marokkopolitik für eine Kette von Irrtümern ansehe. Holstein war nach ihm der Träger der Politik, Bülow läßt er wie den Geschobenen erscheinen. Holstein aber äußerte immer die Besorgnis, daß der Kaiser ihm nicht bis zum Ende folgen werde, sodaß ein Bruch in der Aktion erfolgen werde. Und als ich einwarf: Der Kaiser hat Recht gehabt, stimmte Schoen zu, der übrigens nie den Kaiser hervorhebt, ihn nur als widerwillig folgend hinstellt, als wenig selbständig. Er läßt kein Wort fallen, daß als Loyalitätswendung aufgefaßt werden könnte. Irgendein Lob sprach er nicht aus. Er läßt ihn immer nur forsch sprechen, 41
Im Rahmen seiner Orientreise 1898 traf Kaiser Wilhelm am 8. Oktober in Damaskus ein und hielt dort eine Rede, in der er den Mohammedanern die ewige Freundschaft des deutschen Kaisers versicherte. Ergänzung.
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mit großer Burschikosität, die aber vielleicht nur die Folge von der saloppen Redeweise Schoens ist. Über sein Verhältnis zu Holstein sagt er noch: Dieser hat oft die jungen Diplomaten gefördert, aber bei einem gewissen Punkt, ohne sichtbare Ursache, gab es einen Knacks, er stellte sich kühl, selbst schädigend in den Weg.8 Er bestätigt, daß nach dem Falle Delcasses zum ersten Male die Möglichkeit einer Entschädigung am Kongo fiel42. Er selbst hat später aktenmäßig festgestellt, daß dieser Ausweg zuerst von einem deutschen und einem französischen Sekretär in Marokko ins Auge gefaßt wurde. b Sie sprachen davon, der Deutsche war nicht bevollmächtigt, ob der Französische, kann er nicht sagen. Immerhin hätte man schon damals auf dieser Basis verhandeln können. Seitdem ist diese Lösungsmöglichkeit nie eingeschlafen. Es ist richtig, daß Bülow in Algeciras abschloß43, gegen den Rat Holsteins. Dieser wollte kräftig und zähe aushalten. cSchoen macht mich aufmerksam, daß nach dem Tode Holsteins in der Zukunft ein Artikel über Holstein erschien, der viel Richtiges enthielt 44 . Nach dem Stil und nach der Auffassung spricht Schoen den Artikel Monts zu.c Schoen war 1907 bis 1909 Staatssekretär. Er nun hat Bülow immer den Rat gegeben, die leidige Marokkoschwierigkeit durch ein Abkommen zu erledigen. Der Politik der Nadelstiche, wie sie in Berlin gehandhabt wurde oder wie sie als solche in Paris aufgefaßt wurde, mußte ein Ende gemacht werden. Das Referat über Marokko hatte Geheimrat Klehmet, der eine schwere Hand hatte. Nun waren die Franzosen schon durch das Emporkommen Muley Hafids beunruhigt 45 . Dieser war von den Brüdern Mannesmann unterstützt, die andererseits von ihm die bekannte Minenkonzession erhielten. Die Mannesmann glaubten, das wäre der rechte Mann, den Franzosen den Herrn zu zeigen. Die Unterhandlungen nun, die zu seiner Anerkennung führten, und die nächsten Ereignisse erweckten in Paris den Verdacht, daß Deutschland es trotz alledem auf einen Erwerb in Marokko abgesehen hatte. Das war unrich42
43
44
45
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Vgl. zum Rücktritt des französischen Außenministers Theophile Delcasse am 6. 6. 1905 S. 312 Anm. 20. Im deutsch-französischen Marokkoabkommen vom 4. 11. 1911 wurde die deutsche Kolonie Kamerun um zwei schmale Gebietsstreifen erweitert, wodurch sie direkten Zugang zum Kongo und dessen Nebenfluß Ubangi erhielt. Auf der Konferenz von Algeciras (16. 1.-7. 4. 1906) wurde die erste Marokkokrise beigelegt. Die Zukunft v. 24. 7. 1909, 124-128, Fritz von Holstein. Der anonyme Aufsatz stammt nach einer Fußnote von jemandem, „der die Ereignisse und die mitwirkenden Menschen lange als ein sehr Naher sah." Muley Hafid, der Bruder des marokkanischen Sultans Abd al Aziz, rebellierte seit August 1907 gegen seinen Bruder und wurde im Februar 1909 von den Mächten als Sultan anerkannt. Randbemerkung mit Bleistift: Also hat sich Holstein von Schoen abgewendet. Randbemerkung mit Bleistift: Siehe Gespräch mit Kühlmann. Vgl. S. 335-337. Ergänzung.
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tig, aber dadurch ergaben sich immer neue Reibungen. "Seitens Frankreichs und Spaniens traf in Berlin eine Note ein, Marokko betreffend. Schoen entwarf gleich in französischer Sprache die Antwort. An die Franzosen wird deutsch geschrieben, aber an Spanien französisch. Auf diese Note (die auch ins französische Weißbuch aufgenommen ist46) hält sich Schoen etwas zugute, sowohl auf die Form wie auf die Sache.3 Schoen nun drang in Bülow, mit dem Zwist ein Ende zu machen, und in Beratungen zwischen Bülow, Schoen, Stemrich dem Unterstaatssekretär und Kiderlen wurden die Linien eines Abkommens getroffen [sie!]. Schoen führte die Verhandlungen mit Cambon, aber es gab immer gewisse Meinungsverschiedenheiten. Nach dieser Einleitung zwischen Cambon und Schoen sagte Bülow zu Schoen, es werde sich empfehlen, die Sache durch Kiderlen weiterführen zu lassen. bMan wäre Kiderlen doch eine Genugtuung schuldig, nachdem er bei der (November) Debatte als Mann mit der gelben Weste schlecht abgeschlossen hatte47. Diese Äußerung Bülows kann vielleicht später gefallen sein.b Bülow als Schlaumeier fügte hinzu: Glückt die Sache, so haben doch wir zwei das Verdienst; mißlingt sie, so trägt Kiderlen Verantwortung und Schuld. Schoen erwiderte, daß er nichts dagegen einzuwenden habe; freilich ergab sich dadurch eine beträchtliche Schwierigkeit, da Kiderlen als vierter (Bülow, Schoen, Stemrich, Kiderlen als Stellvertreter des Direktors) tätig war. Kiderlen führte die Sache bis an einen bestimmten Punkt, aber hier trat eine Stockung ein: Cambon konnte oder wollte nicht nachgeben. Da erbot sich Schoen, mit Cambon zu sprechen. Bülow sagte: Nun, wenn es Ihnen gelingt, bei Cambon unseren Standpunkt zur Geltung zu bringen, so gebe ich 50 Pfennig in die Armenkasse. Nach einer halben Stunde kehrte Schoen von Cambon zurück und meldete das Gelingen. Da nun war es auffallend, wie Bülow kalt, fast feindselig die Kunde hinnahm. Vergebens mahnte ihn Schoen um die 50 Pfennig für die Armenkasse. Es war für Schoen wie ein Blitzstrahl, der ihm die Lage erhellte. Sonach, so hebt Schoen mit Selbstgefühl hervor, war das Abkommen vom 9. Februar 1909 im wesentlichen der Erfolg seiner Arbeit48. Er hat es auch Gemeint ist das auch in Französisch erschienene deutsche Weißbuch Deutsche Bergwerksinteressen in Marokko (Berlin 1910); Affaires du Maroc. Livre blanc allemand (Janvier 1910). Memoire et documents sur les interets miniers allemands au Maroc (Paris 1910). 47 In der Debatte um das Interview Kaiser Wilhelms im Londoner Daily Telegraph im deutschen Reichstag im November 1908 hatte der als Vertretung für den erkrankten Staatssekretär Freiherr Wilhelm von Schoen nach Berlin einberufene Alfred von Kiderlen-Wächter die Politik des Auswärtigen Amtes zu verteidigen. Als Aufhänger der Kritik an ihm diente dabei seine auffallige gelbbestickte Weste. 48 Im deutsch-französischen Marokkovertrag vom 9. 2. 1909 wurde die wirtschaftliche Gleichstellung der beiden Staaten in Marokko festgelegt, gleichzeitig anerkannte Deutschland jedoch die besonderen politischen Interessen Frankreichs in Marokko. """ Ergänzung. b_b Ergänzung. 46
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mit Cambon unterschrieben. Wenn Bülow in einer seiner „schönen Reden" bald darauf sich das Verdienst zuschrieb, so gilt dies nur zum Teil. Kiderlens Anteil will Schoen nicht verkleinern, aber Anfang und Ende der Verhandlungen waren doch Schoens Sache. Das stärkste Argument, mit dem Schoen für das Abkommen mit Frankreich wirkte, waren die mit Rußland sich 1908/9 ergebenden Schwierigkeiten. Es war doch möglich, daß sich hier ein Konflikt ergab; und Deutschland mußte deshalb bezüglich Marokkos mit Frankreich einigermaßen ins Reine kommen. Schoen hatte Cambon von Anfang an gesagt, man müsse schnell zu einem Abkommen gelangen. Das lange Hinziehen wäre bedenklich. Er kam mit Cambon überein, daß dieser von Paris mit der ihm erteilten [Vollmacht] heimkehrend um 8 Uhr früh in Berlin eintreffen und sich sofort zu Schoen begeben sollte; sie wollten das Abkommen dann gleich unterschreiben. Für denselben Vormittag war die Ankunft König Edwards in [sie!] England festgestellt49. Da nun sollte alles fertig sein, und in den Abendblättern sollte die Kunde schon zu lesen sein. Aber es wurde 9 Uhr und Cambon kam nicht. Schoen wurde unruhig und ließ sich erkundigen; da nun hieß es: Der Zug, mit dem Cambon von Paris kam, war steckengeblieben. So mußte Schoen zum Empfange des Königs, und dann erst traf Cambon ein, worauf die Unterzeichnung erfolgte. Immer aber war es die Rücksicht auf den austro-russischen Konflikt, durch den man sich in Berlin bestimmt fühlte, das Abkommen vom 9. Februar 1909 zu schließen. Casablanca-Angelegenheit50: Die Veranlassung des Zwischenfalls stand in keinem Verhältnisse zu der Heftigkeit der sich ergebenden Spannung. Als die Ungeschicklichkeiten in Casablanca geschahen, da schlug Schoen Cambon sofort die Entscheidung durch ein Schiedsgericht vor. Zunächst dachte man daran, das Juristische dem Schiedsgericht zu unterbreiten. Aber das Tatsächliche? Darüber mußte man ins Reine kommen. Da nun zeigte Schoen dem französischen Botschafter den in Berlin eingetroffenen Bericht des Agenten (?) in Casablanca. Merkwürdigerweise zögerte die französische Regierung auf Wochen(?), ihrerseits den Bericht des Polizeikommissars in Casablanca vorzulegen. In der Zwischenzeit verstand es die französische Regierung, die öffentliche Meinung in Hitze zu bringen. Als dann Cambon endlich mit dem Bericht herausrückte, sah man in Berlin, durch den Vergleich mit dem deutschen Bericht, wie die Sache stünde. Dann erfolgte der Vergleich. Irre ich nicht, so sagte Schoen: Es erfolgte das Nachgeben Deutschlands. „Ultimatum" an Rußland51: Merkwürdig ist, wie mitunter die ernstesten 49 50 51
König Edward VII. besuchte im Februar 1909 Berlin. Vgl. zum Zwischenfall von Casablanca im September 1908 S. 313 Anm. 22. Mitte März 1909 ließ die deutsche Regierung Rußland wissen, daß sie es, bei weiterem feindseligen Verhalten Serbiens gegenüber Österreich-Ungarn bezüglich der Annexion Bosniens, dem Bündnispartner freistellen müsse, in der ihm geeignet erscheinenden Weise vorzugehen.
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Entschlüsse gefaßt werden. Das, was man das Ultimatum Deutschlands an Rußland nannte, verdient im eigentlichen Sinne nicht diesen Namen. Aber immerhin war in der betreffenden Note Deutschlands gesagt, daß das Berliner Kabinett nunmehr, wenn Rußland nun nicht nachgeben wolle, der Sache ihren Lauf lassen müsse. Es werde aber Österreich-Ungarn nicht im Stiche lassen können. Diese Depesche wurde Schoen in den Reichstag gebracht, da gerade das Budget des Ministerium des Äußern in Verhandlung stand. Schoen mußte der Rede folgen und hatte nicht die Möglichkeit, das Schriftstück genau zu prüfen. Diese Erzählung zeigt, daß Bülow damals mit Kiderlen alle Angelegenheiten ordnete, und daß Schoen über die wichtigste Frage nicht eigentlich zu Rate gezogen wurde. Das Daily-Telegraph Interview52: Der Kaiser hatte auf dem Schlosse Sir bei Tische Gespräche geführt, die England von seinen friedfertigen Absichten überzeugen wollten. So wollte er die Mißhelligkeiten aufklären. Sir glaubte, der Sache einen Dienst zu erweisen, indem er diese Äußerungen zu Papier brachte und es dem Kaiser anheimstellte, ob diese Darstellung veröffentlicht werden dürfte. Der Kaiser schickte ganz korrekter Weise das Manuskript an Bülow, der es in Norderney erhielt. Später wurde in der Norddeutschen Allgemeinen Zeitung veröffentlicht, das Manuskript wäre undeutlich geschrieben gewesen. Das war aber, wie Schoen sich überzeugte, nicht der Fall; der Text war vielmehr in Maschinschrift übertragen. Bülow, der nie ein großer Arbeiter war, las es nicht; ebensowenig Müller, der bei ihm in Norderney war. Es wurde vielmehr an Geheimrat Klehmet geschickt mit der Weisung, er solle prüfen, ob es nicht etwa Unrichtigkeiten enthalte. Dieser nun verstand die Weisung dahin, daß er aus den Akten feststellen solle, ob in den Äußerungen des Kaisers nicht historische Ungenauigkeiten enthalten waren. Er prüfte nun das Schriftstück, indem er durch mehrere Tage mit Zuhilfenahme der Akten die Sache daraufhin prüfte. Er berichtigte daraufhin gewisse Unrichtigkeiten und schickte es in diesem Sinne an Bülow. Darauf wurde es veröffentlicht. Schoen selbst war damals auf Urlaub. Er war nach Ablauf der Casablancaangelegenheit (September 1908) so ermüdet, daß er „zusammenbrach" und sich erholen mußte. Er hatte also nichts a
52
Am 28. 10. 1908 war im Londoner Daily Telegraph ein Artikel erschienen, der auf Interviews mit Kaiser Wilhelm II. beruhte. Die darin enthaltenen Äußerungen des Kaisers wurden in der deutschen Öffentlichkeit scharf verurteilt. Wilhelm hatte den Artikel vorab zur Prüfung an Reichskanzler Bernhard von Bülow geschickt, der ihn unkorrigiert zur Veröffentlichung freigab. Bülow gestand zwar sein Versehen der Freigabe ein, verurteilte aber in der Reichstagsdebatte vom 10. 11. 1908 den Kaiser und forderte ihn auf, seine eigenmächtige und unverantwortliche Politik einzustellen.
a
Freilassung im Original. Der Artikel im Daily Telegraph beruhte auf Gesprächen, die Kaiser Wilhelm mit dem britischen Oberst Sir Edward Stuart-Wortley im Herbst 1907 auf dessen Schloß Highcliff in Hampshire sowie während der Kaisermanöver im Sommer 1908 im Elsaß geführt hatte.
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mit der Sache zu tun. Er kam von seinem Urlaube zu der Zeit zurück, als der Daily Telegraph das Interview brachte; an ihn gelangte die Angelegenheit nach der Veröffentlichung durch eine Anfrage des Wolff-Bureau, ob die darüber in Berlin eingelangte Depesche durch Wolff weiterzugeben wäre. Diese Vorlage des Wolff sehen Bureaus war auf Pauspapier undeutlich geschrieben, nicht die, welche Bülow vorgelegen war. Schoen nun schrieb nach der Durchsicht als Antwort auf die Anfrage Wolff Nein\ und dieses Nein! befindet sich in den Akten des Bureaus. Schoen kann also sagen, daß er von den amtlichen Personen die einzige war, die die Bedenklichkeit des Interviews erkannte. Allerdings war die Kugel bereits aus dem Rohr. Als nun der Sturm in der deutschen und ausländischen Presse entstand, war Bülow von furchtbarer Aufregung ergriffen, wie Schoen ihn nie gesehen hatte. Aber mit einem Male beruhigte er sich, sein Gesicht erhellte sich, und er sagte zu Schoen: „Man kann nicht wissen, wozu die Sache gut ist." Klehmet brachte als Entschuldigung vor, daß er die Weisung Bülows so verstehen mußte, wie es von seiner Seite geschehen war. Er hatte, so sagte er, angenommen, daß der Kaiser mit Bülow über die Veröffentlichung übereingekommen war, und daß seine Rolle nur darin bestehen konnte, aktenmäßige Feststellungen zu machen. Er wurde das Opfer. Da aber in der Note der Norddeutschen Allgemeinen Zeitung gesagt war, daß ein Versehen des Auswärtigen Amtes vorliege, so bot Schoen dem Kaiser seine Demission an. Dieser aber nahm sie, da Schoen zur Zeit der Prüfung des Interviews abwesend gewesen war, nicht an. Schoen sei doch, so sagte der Kaiser, nicht an der Sache beteiligt. Der Kaiser sagte damals entschuldigend, er habe es gut gemeint, auch seien manche seiner Äußerungen nicht richtig wiedergegeben gewesen. Er habe der englischen Regierung nicht einen Kriegsplan übergeben, sondern der Königin mehr aphoristische Vorschläge gemacht, wie der Burenkrieg am besten zu beenden wäre. Übrigens gab sich der Kaiser damals noch der Hoffnung hin, daß der Sturm sich bald legen werde. Das ist aber nicht geschehen. Es kam zu den Ereignissen, welche die eigentliche Veranlassung zum Sturze Bülows sein sollten53. Austritt aus dem Amte 1909: Schoen schied 1909 aus dem Amte aus Gesundheitsrücksichten. Er war mit seinen Kräften zu Ende. Gegen den Rat seines Arztes, der ihm absolute Schonung auferlegte, korrigierte er noch das französische Weißbuch, in dem Gespräche mit ihm veröffentlicht waren, oder er gab wenigstens Weisungen, wie zu verfahren sei. Dann ging er auf Urlaub. Agadir54: Als die Franzosen nach Fez marschierten, behaupteten sie, Be53
54
Fürst Bernhard von Bülow war am 14. 7. 1909 als Reichskanzler entlassen worden. Den Anlaß bildete der Konflikt mit den preußischen Konservativen über die geplante Reichsfinanzreform. Zur Entsendung des deutschen Kanonenbootes „Panther" nach Agadir im Juli 1911 vgl. Zeitalter des Imperialismus. Bd. 3, 22-28.
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richte zu besitzen, daß das Leben der Europäer in Gefahr wäre. Von deutscher Seite wurde das bestritten. Zugleich sagten Kiderlen in Berlin, Schoen in Paris mit großem Ernste, daß dies nicht dem Geiste der Algeciras-Akte entspräche, und daß die Franzosen offenbar Fez nie mehr räumen würden. Als sie sich nun festsetzten, hatten sie das Gefühl einer Überschreitung der Verträge, und sie räumten ein, daß man über die Sache werde sprechen müssen. Aber sie kamen, wenn man näher auf die Sache einging, nicht über die Aussicht auf wirtschaftliche Konzessionen hinaus, sie sprachen von gemeinsamen Eisen [bahnjbauten und ähnlichem. Deshalb erwog man in Berlin die notwendigen Schritte. Es wurde überlegt, ob man nicht mehrere Schiffe an die marokkanische Küste schicken solle, ob nach Mogador, ob nach Agadir. Ferner, ob man vor dem Hafen bleiben, oder ob man auch Mannschaft landen solle. Es fehlte nicht an Stimmen, die auf einen Erwerb in Marokko hinzielten; aber der zum Schlüsse festgesetzte Plan sah von Marokko ab. Schoen selbst wurde nicht von der Sendung des Tiger 55 früher unterrichtet. Es war besser so. Denn erstens empfiehlt es sich nicht, so wichtige Dinge einer Depesche anzuvertrauen, die doch von vielen gelesen wird, deren einem ein unvorsichtiges Wort entschlüpfen kann. Außerdem war es für Schoen besser, daß er hinweisen konnte, er habe früher nichts gewußt. Übrigens war bereits im Mai das Gerücht in die Zeitungen gedrungen, daß mehrere Kriegsschiffe nach Marokko zu entsenden seien. Das wurde nun energisch dementiert; es war dies zur Zeit der Beratungen darüber. Endlich erfolgte die grobe Maßregel, grob wenigstens im Sinne der Franzosen. Seinem Auftrage gemäß begab sich Schoen sofort ins Ministerium des Äußern, erklärte aber seinen Instruktionen gemäß sofort, daß das Schiff nur zur Wahrung der deutschen Interessen an der Küste entsendet war. Selves ging auch ohne Empfindlichkeiten zu zeigen auf die Sache ein; und sofort zeigte sich die Bereitwilligkeit der Franzosen, über die Sache „zu sprechen". Es wäre besser gewesen, wenn die deutsche Regierung gleich ihre Forderungen angemeldet hätte. Das aber geschah nicht sofort. Selves sagte zu Schoen, er solle doch sagen, was seine Regierung wünsche. Schoen nun war der erste, der das Wort von Kompensationen am Kongo aussprach. Das ist auch im französischen Weißbuch zu lesen, so habe ich Schoen verstanden. Übrigens hat auch Kiderlen unmittelbar darauf gleichfalls zu Cambon vom Kongo gesprochen. Es wäre ohne Frage mehr zu erreichen gewesen, wäre die deutsche Regierung im Stande gewesen, rasch vorzugehen. Schoen will nicht anklagen, da in der Tat sehr komplizierte Fragen zu lösen waren; man konnte sie nicht übers Knie brechen. Aber wie gesagt, hätte man früher abgeschlossen, dann wären nicht bloß die zwei Zipfel gegen den Kongo zu gewinnen [gewesen,] sondern eine breite Front 56 . Dazu 55 56
Das entsendete Schiff trug den Namen Panther. Vgl. zum Marokkoabkommen vom 4. 11. 1911 S. 321 Anm. 42.
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kam, was unheilvoll wirkte, daß Kiderlen mitten dazwischen zusammenbrach; seine Kräfte waren zu Ende, er mußte einen Urlaub nehmen. Leider wählte er Chamonix; er scheint vergessen zu haben, daß Chamonix in Frankreich, nicht in der Schweiz liegt. Man erhitzte sich in Frankreich darüber, wie überhaupt die chauvinistische Strömung gerade während der Zeit von Kiderlens Urlaub Zeit gewann, sich zu verstärken. Es trat eine Strömung ein, die es der französischen Regierung, die vielleicht sonst nachgiebiger gewesen wäre, erschwerte, auf die Wünsche Deutschlands einzugehen. Alles in allem fallt Schoen über alle Phasen der Marokkopolitik mit Ausnahme der Zeit, in der er selbst Staatssekretär war, ein ungünstiges Urteil. Er läßt es dahingestellt, ob nicht durch eine weniger „grobe" Maßregel (Agadir) dasselbe Ergebnis erzielt worden wäre. Er schildert Bülow als abhängig von seiner Umgebung, zuerst von Holstein, dann von Schoen selbst. Er läßt durchblicken, daß er unaufrichtig war. Er wirft Kiderlen wenn auch nicht wörtlich vor, daß er die Verhandlungen nicht gewandt gefuhrt habe. Den coup d'Agadir scheint er für überflüssig zu halten. Er ist gegen die Politik der „Nadelstiche".
Jean Jaures, sozialistischer Angeordneter der französischen Kammer"
29. Oktober 1912 К 2, U 2a, 117a r - 118a ν
Ein Prachtmensch; offene, treuherzige Physiognomie, ein schönes tiefes dunkelblaues Auge, breitschultrig, untersetzt, aus Bauernstamm, durch Kultur verfeinert. Er ist, wie Moysset mir sagte, aus Albigeois (Moysset aus der Rouergue), er sei, so sagt Moysset, vom Holze der Religionsgründer oder der Apostel. Als ich am 25. Oktober in seiner Wohnung war, wohin er mich auf 9 Uhr bestellt hatte, und ihn bat, mir einen Blick auf die sozialen und religiösen Bewegungen Frankreichs zu eröffnen, sagte er: Ich muß mir die Sachen, besonders den Fortgang der Trennung des Staates von der Kirche, zurechtlegen, um nicht ins Weite zu geraten. Dann will ich das Resümee geben. Treffen wir uns Samstag um 3 Uhr in der Taverne Royale (Rue Royale). Er begann hier sofort. Die Trennung des Staates von der Kirche gehörte zum Programm der Radikalen und ihres Chefs Clemenceau. Aber der größere Teil der republikanischen Partei wollte nicht an die Sache. Auch nicht Waldeck-Rousseau. Er war als Legist für die Unterordnung der geistlichen Gewalt unter den Staat, aber nicht für die Trennung. Er fußte auf den alten Traditionen der französischen Juristen, er war sachkundig, aber nicht ein Mann der großen Gesichtspunkte. Durch das von ihm eingebrachte Vereins" Geschrieben auf Papier des Hotel Louvois, Paris.
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J e a n Jaures
gesetz wollte er nicht alle Orden aufheben, sondern nur einen Teil, denjenigen, der sich in der Affäre Dreyfus gegen die Republik feindselig gezeigt hatte57. Weiter wollte er nicht gehen. Anfangs auch Combes nicht. Er überraschte sogar einmal die Kammer mit einer Rede, in der er die Idee einer spiritualistischen Moral gegenüber der religiösen entwickelte und eine Art Verknüpfung der philosophischen Tradition mit den modernen Ideen versuchte. Ein Sturm in der Kammer war die Folge. Aber er sah sich bald weiter fortgerissen, als er wollte. Zunächst ging er über die Absichten des Vereinsgesetzes hinaus und hob auch solche Orden auf, die Waldeck-Rousseau hatte bestehen lassen wollen. Dadurch geriet er in Gegensatz gegen das Elysee. Loubet mißbilligte den Vorgang, noch mehr Mme. Loubet, die ihm einmal sagte: Vous m'avez fait beaucoup pleurer. In dem Kabinett Combes war Rouvier, von dem Loubet hoffte, er werde Combes beiseiteschieben. Rouvier konnte und wollte aber, obwohl er retardierend wirkte, nicht gegen Combes auftreten, da er ihm Dank schuldete: Hatte doch Combes ihn, den durch die Panamaangelegenheit Bloßgestellten58, durch Aufnahme in sein Kabinett rehabilitiert. Immerhin mußte Combes, da auch Delcasse den Bruch mit Rom verhindern wollte, Intrigen befürchten, welche seinen Sturz hervorrufen konnten. Deshalb hielt er sich an die Sozialisten, die nicht zur Regierung kommen konnten und wollten, die also keine persönlichen Interessen besaßen. Darauf gründete sich der Einfluß Jaures, dem Combes nicht die Absicht zutrauen konnte, ihm gefährlich zu werden. Er erkannte an, daß er desinteressiert (uneigennützig) war, und war seinen Ratschlägen zugänglich. Mehr als einmal konnte Jaures ihn auf die Intrigen seiner Gegner aufmerksam machen. Immer riet er ihm, jene Minen durch eine kräftige Offensive unschädlich zu machen. Da nun kam die Reise Loubets und das Rundschreiben des Papstes59. Del57
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Hauptmann Alfred Dreyfus wurde im Dezember 1894 von einem Militärgericht in einem äußerst fragwürdigen Prozeß wegen Landesverrats zugunsten Deutschlands zu lebenslanger Haft verurteilt. Im Revisionsverfahren 1899 wurde er neuerlich verurteilt, diesmal zu zehn Jahren Gefängnis, jedoch anschließend vom Präsidenten der Republik begnadigt. 1906 wurde Dreyfus schließlich vollständig rehabilitiert und zum Major befördert. Die politische Auseinandersetzung wurde auf der rechten Seite stark von antisemitischen Tönen beherrscht, da Dreyfus jüdischer Herkunft war. Im Panamaskandal von 1892/93 wurde eine große Zahl von französischen Politikern beschuldigt, Bestechungsgelder von der 1889 in Konkurs gegangenen französischen Panamakanalgesellschaft angenommen zu haben. Die darauf eingeleiteten Gerichtsverfahren führten allerdings zu keinen Verurteilungen. Der französische Präsident Emile Loubet hatte im Frühsommer 1904 den Besuch König Viktor Emanuels in Paris 1903 erwidert und damit den Boykott Roms durch die Staatsoberhäupter der katholischen Staaten durchbrochen. Die Kurie protestierte dagegen scharf bei allen katholischen Mächten, worauf im Juli 1904 die diplomatischen Beziehungen zwischen Paris und dem Vatikan abgebrochen wurden. Dadurch erhielt in Frankreich die Bewegung zur Aufhebung des Konkordates von 1801 enormen Auftrieb. Mit Gesetz vom 9. 12. 1905 wurde schließlich das Konkordat gekündigt und die vollständige Trennung von Kirche und Staat vollzogen.
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casse, von Rücksichten der äußeren Politik bestimmt, hatte diese Reise ins Werk gesetzt, ohne sich darüber klarzuwerden, daß daraus die Trennung des Staates von der Kirche folgen müßte, die absolut nicht in seiner Absicht lag. Das Rundschreiben des Papstes wurde in der Humanite veröffentlicht. Als ich einwarf, der Prinz von Monaco hatte es zur Verfügung gestellt, wich Jaures mit der von den Diplomaten gebrauchten Phrase aus: Ich weiß es nicht! Es erregte einen Sturm. Damals gab es Versammlungen aller Fraktionen der Linken, und in diesen wurde eine Tagesordnung beantragt, in der ausgesprochen war, eine Unterbrechung der Beziehungen zu Rom sei notwendig, von einem Bruche war nicht die Rede. Da warf sich Jaures mit aller Macht, mit Ungestüm in die Debatte und beantragte den Bruch. Es gelang ihm, die Versammlung zu überzeugen, und Combes stimmte der von ihm vertretenen Tagesordnung bei. Delcasse war sowenig dieser Ansicht, daß er unterdessen noch einen Versuch machte, den Bruch zu verhindern. Nisard war zwar abberufen, aber er schickte einen anderen Diplomaten, Navenne, nach Rom, um die Beziehungen fortzusetzen. Davon erfuhr Jaures, und er telephonierte Combes, um ihn zu fragen, weshalb dies geschehen war. Er und seine Partei mußten diesen Schritt als Untreue betrachten. Darauf erwiderte ihm Combes, er wisse gar nichts von der Sache. Sofort erging von dem Ministerpräsidenten der Auftrag, die Reise Navennes ungeschehen zu machen. Nun war er bereits auf dem Wege nach dem Süden; an alle Stationen wurde dies telegraphiert, um ihn zurückzurufen. Die Depesche traf ihn im Süden Frankreichs, in der Dauphine, wenn sich Jaures recht erinnert. Er kehrte also nach Paris zurück. Durch den Abbruch der Beziehungen mit Rom war zwar nicht gesetzlich aber tatsächlich die Trennung des Staates von der Kirche vollzogen. Denn nun konnte bezüglich der Einsetzung von Bischöfen und bezüglich aller im Konkordat vereinbarten Angelegenheiten ein Abkommen nicht mehr getroffen werden. Das Gesetz, durch welches das Budget des Kultus unterdrückt wurde60, war nur eine logische Konsequenz. Sie wurde vollzogen, und Jaures wie seine Freunde gaben sich alle Mühe, nun die Lösung, besonders die neue Ordnung aller die Kirchen und den Gottesdienst betreffenden Angelegenheiten in einem Sinne zu lösen, daß die katholische öffentliche Meinung sich nicht verletzt fühle. Gerade diejenigen, die die Trennung der Kirche vom Staate betrieben, mußten in diesem Punkte vorsichtig sein, um diese große Lösung nicht zu kompromittieren. Manche Radikale dagegen, welche diese 60
Im Gesetz vom 5. 12. 1905, das die Trennung von Staat und Kirche vollzog, wurden die seit dem Konkordat von 1801 für die katholische Kirche bereitgestellten staatlichen Gelder gestrichen und das Kirchengut zu Staatseigentum erklärt. Allerdings sollte der ehemalige Kirchenbesitz durch von den Gläubigen gewählte „Kultassoziationen" verwaltet werden. Der Papst lehnte diese neue Form der Verwaltung ab und verurteilte sie in der Enzyklika „Gravissimo officii".
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Jean Jaures
Lösung verhindern wollten, befürworteten härtere, verletzende Maßregeln, so gegen die Klöster, in der Hoffnung, daß die demokratische öffentliche Meinung durch sie befriedigt werde und die Unterdrückung des Kultusbudgets nicht verhindere. Als ich bemerkte, hier habe Jaures als Staatsmann gedacht, gehandelt, sagte er ohne Affektation, aber auch ohne Anmaßung: Wenn Sie wollen, so ist es. Dann fragte ich ihn: Besteht aber nicht die Gefahr, daß die vom Papste eingesetzten Bischöfe sich gegen den Staat auflehnen werden? Darauf Jaures: Das kaum. Denn die katholische Kirche ist zu sehr auf die große Masse der Gläubigen angewiesen. Nun aber tun die wohlhabenden Klassen nicht viel für die Kirche. Sie haben eine offene Hand bei persönlichen Ausgaben, aber für kollektivistische Zwecke opfern sie nicht viel. Das ist anders als in den angelsächsischen Völkern. Hier geschieht sehr viel durch Vereine, bei uns sind alle großen Dinge entweder durch den Staat oder durch die Kirche ins Werk gesetzt worden. Die Kirche kann nicht auf die Wohlhabenden rechnen zur Erhaltung des Kultus, sondern auf die große Menge der Gläubigen. Und diese wird sich auf einen Kampf gegen den Staat nicht einlassen wollen. Wir haben übrigens die Trennung des Staats von der Kirche in der Art vollzogen, daß wir durch die Einrichtung der religiösen Assoziation berechtigten Wünschen entsprochen haben. Nicht unsere Schuld ist es, daß sich Rom ablehnend verhielt. Die Schuld liegt nicht [bei] uns, wenn nicht eine Ordnung der den Gottesdienst betreffenden Angelegenheiten eintrat. Die gegenwärtige Situation (Zusammengehen der Sozialisten mit den konservativen Parteien und Poincare, der selbst ein Gemäßigter ist) wird sich nach Einführung des Proportionalwahlrechts wieder ändern. Dann wird der naturgemäße Zustand eintreten, daß sich der linke Flügel der Radikalen und die Sozialisten noch mehr nähern werden. Denn die linksstehenden Radikalen sind auf das Zusammengehen mit den Sozialisten angewiesen. Diese haben den Vorteil eines in sich geschlossenen Programms, einer zuverlässigen Wählerschaft. Dagegen wird der rechte Flügel der Radikalen zu den Gemäßigten abschwenken. Auf diese Weise wird, wenn auch nicht gerade bald, ein Block der Linken entstehen. Er wird zuerst gemeinsam in der Opposition vorgehen, sich vielleicht, wenn die Verhältnisse günstig sind, später zu einer Regierungsmehrheit zusammenfinden. Als ich auf analoge Verhältnisse in England hinwies (Mehrheit aus Liberalen und Vertretern der Arbeiterpartei) meinte Jaures: „Nun, diese Mehrheit beginnt aber zu zerbröckeln." Ja, sagte ich, aber sie hat jetzt schon mehr als fünf Jahre gedauert.
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Jean Jaures und Albert Thomas, sozialistische Abgeordnete der französischen Kammera
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[Oktober 1912] К 2, U 6, 732 г
Ich frage Jaures über die äußere und koloniale Politik. Er meinte: Ich bin selbstverständlich nicht ein Gegner der Übertragung der europäischen Zivilisation auf die Kolonialgebiete, aber ich mißbillige die von den europäischen Staaten angewendete Methode. Blut und Krieg sind nicht mehr notwendig, da wir stark sind durch alle Mittel unserer Kultur. So hätte Osterreich die selbstverständliche Angliederung Bosniens auch anders vollenden können, durch kluge Gesetze, vor allem durch Agrarreformen. Es war nicht notwendig, das europäische Völkerrecht anzutasten. So steht es auch mit Marokko. Es war nicht notwendig, den Krieg in dieses Land zu tragen. Die Richtschnur für die Beziehungen Deutschlands und Frankreichs ist: Zusammengehen der gebildeten Nationen. Aber die deutsche Diplomatie erschwert die Erreichung dieses Ziels. Sie hat eine schwere Sprache. Ebenso auch Kaiser Wilhelm. Wenn er davon spricht, Deutschland müsse sein Pulver trocken halten, so klingt das bis in die letzten Hütten in Frankreich nach; solche Worte werden eine stehende Redensart unter den Franzosen selbst. Albert Thomas, mit dem ich früher gesprochen hatte, sagte mir, Jaures ist, unter Wahrung seines Programms, nicht abgeneigt gewesen, auch nach Combes eine Regierungsmehrheit bilden zu helfen61. Er rechnete dabei auf Clemenceau, mit dem er gerne zusammengegangen wäre. Ihm schwebte eine Kombination vor wie in England, wo eine liberal-Arbeiter-Mehrheit regiert. Aber Clemenceau enttäuschte ihn. Als er seine scharfen Maßregeln gegen die Bergarbeiter ins Werk setzte62, schrieb Thomas, ohne sich mit Jaures ins Einvernehmen zu setzen, einen heftigen Artikel gegen Clemenceau. Jaures war damit nicht einverstanden. Mehr als einmal bemerkte er später zu Thomas, daß er mit dazu beigetragen habe, um eine Verständigung mit Clemenceau unmöglich zu machen. Später aber verschärften sich die Gegensätze immer mehr.
61
Das Ministerium Emile Combes wurde am 24. 1. 1905 durch ein Kabinett unter Maurice Rouvier ersetzt. Georges Clemenceau gehörte erstmals als Minister der Regierung Ferdinand Sarrien (13. 3.-18. 10. 1906) an und bildete anschließend ab 23. 10. 1906 sein erstes Kabinett. 62 Nach einer verheerenden Gasexplosion in den Gruben von Courrieres traten über 10.000 Bergarbeiter im März 1906 in den Streik, um eine Verbesserung der Sicherheitsvorkehrungen zu erreichen. Der neuernannte Innenminister Georges Clemenceau setzte gegen die Streikenden nach einem gescheiterten Vermittlungsversuch Militär ein. " Geschrieben auf Papier des Hotel Louvois, Paris.
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Julien de Narfon, französischer katholischer Journalista
Julien de N a r f o n
Oktober 1912 К 2, U 4, 603 r - ν
Bestätigt das, was Moysset über die Rolle Waldecks in Sachen der Trennung des Staates von der Kirche sagt63. Aber er sagt noch bestimmter, daß Combes eigentlich auch nicht für die Trennung war. Denn er kannte als ehemaliger Priester gleichfalls die Wichtigkeit des Einflusses auf die Ernennung der Bischöfe. Aber er hatte keine andere Wahl, da die Strömung zu mächtig und Pius X. unnachgiebig war. Schon als er die Entsetzung des Bischofs von Dijon aussprach, ging er über das Konkordat hinaus. Die Ernennung der Bischöfe war ein gemeinsamer Akt des Staates und der Kirche, folglich, so Schloß Combes von seinem Standpunkte mit Recht, kann auch die Absetzung nur gemeinsam erfolgen. Als er nun in Angelegenheit der beiden Bischöfe an den Papst ein Ultimatum stellte, und der Papst ablehnte, so mußte Combes, wenn er sich nicht einer Niederlage aussetzen wollte, auf dem eingeschlagenen Wege weiter schreiten64. De Narfon gehört zu der Klasse von Katholiken, welche die Schuld des Bruches zwar der Regierung zuweisen, aber auch Pius X. und Merry del Val von Schuld nicht freisprechen. Jetzt ist die Lage deshalb schwierig, weil Rom die Assoziation des Kultus nicht entstehen ließ65. Infolgedessen ist die Frage der Ausbesserung der bestehenden Kirchen und des Neubaus von Kirchen akut. Die Katholiken erklären, daß, da man ihnen die Kirchen nahm und sie dem Staat, den Departements, den Gemeinden überantwortete, sie nicht die Kosten aufbringen könnten. Und die neuen Kirchen! Wenn man sie zum Eigentum von katholischen Privatpersonen macht, so kann dieser ab intestato sterben und dann? Übrigens, wer bürgt, daß die Erben die Kirchen für den Kultus weiter lassen? Sie können Freidenker sein. Man hat die Rolle Le Peres übertrieben66. Er war der Leiter der Schule von St.Genieve, einer Jesuitenanstalt, in der viele spätere Offiziere ihre Ausbildung empfingen. Er blieb mit ihnen stets in freundschaftlicher Verbindung, besonders mit den Mitgliedern des Generalstabes. Er konnte nicht glauben, Gesprächsaufzeichnungen mit einem Moysset sind nicht erhalten; vgl. aber S. 314. Im Zuge der Auseinandersetzung zwischen dem Vatikan und Frankreich im Mai 1904 erging an die Bischöfe von Dijon und Laval, die als betont republikanisch bekannt waren, die Aufforderung, ihre Haltung zum Konflikt in Rom klarzulegen. Sie wandten sich darauf an den Ministerpräsidenten, der ihnen die Ausreise untersagte. Um eine weitere Eskalierung zu verhindern, traten die beiden Bischöfe zurück, da der Papst auf ihrem Erscheinen beharrte. Die französische Regierung brach jedoch darauf die diplomatischen Beziehungen zum Vatikan endgültig ab. 65 Vgl. zum Gesetz vom 5. 12. 1905, das die Trennung von Staat und Kirche vollzog, S. 329 Anm. 60. 66 In der Dreyfusaffare. " Geschrieben auf Papier des Hotel Louvois, Paris. 63 64
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Oktober 1912
daß sie getäuscht waren. Er nahm für sie Partei, oft ungeschickt. Er war nicht Provinzial, er war nicht der leitende Mann, aber man hielt ihn dafür. Er hat der Sache des Ordens sehr geschadet. Gewiß, Waldeck-Rousseau hätte gerne ein neues Konkordat geschlossen. Er wollte, daß ihm die Jesuiten und die Assumptionisten etc. geopfert werden; dafür hätte er bezüglich der Wohltätigkeits- und Lehrorden Konzessionen machen wollen. Der Papst wird nie mehr ein Konkordat schließen, in dem er dem Staate auf die Ernennung der Bischöfe und Priester Einfluß gewährt. Das ist vorbei. Er hat zuviel gewonnen. Das Patrimonium du Olybrie ist durch Schuld der Politik Merry del Val für die Kirche verloren. Es ist zerstreut, verschwendet. Es sind 500 Millionen Francs.
Tommaso Tittoni, italienischer Botschafter
in Paris"
[Oktober 1912] К 2, U 2a, 93a r - 94a ν
Klein von Gestalt, ein kluges Gesicht, weißer Knebelbart, lebhaft, gefallig, ein Charmeur. Wirklich bemüht, gefallig zu sein, doch innerhalb der Grenzen, die er bestimmt bezeichnet. Diese sympathische Persönlichkeit muß auch bei Unterhandlungen gut wirken. Über Goluchowski will er sich nicht äußern, da er mit ihm noch immer befreundet ist. Sooft Goluchowski nach Paris kommt, besucht er Tittoni, speist bei ihm; es ist Tittoni also unangenehm, einen Vergleich zwischen ihm und Aehrenthal zu ziehen. Mitteilsam aber ist Tittoni über die Annexion Bosniens. Aehrenthal hat ihn Anfang September 1908 in Salzburg gesprochen und hat ihm obenhin mitgeteilt, daß die Stellung Bosniens geregelt werden müsse, aber seine Andeutungen waren so obenhin, daß Tittoni annehmen konnte, daß es noch längere Zeit, vielleicht zwei bis drei Jahre, dauern könne, bis die Annexion vollzogen werde. Nun aber behauptete Aehrenthal später, daß er in Salzburg deutlich seine Absicht kundgegeben habe. Tittoni ist dem entgegengetreten. Aber er besitzt eine Probe von der Richtigkeit seiner Auffassung. Denn von Salzburg ging Aehrenthal nach Berchtesgaden zu Staatssekretär Schoen67. Als sich nun über den Inhalt der Eröffnungen Aehrenthals eine Differenz herausstellte, ließ Tittoni in Berlin bei Schoen anfragen, ob Aehrenthal sich ihm gegenüber bestimmter über die Absicht der Annexion ausgesprochen habe. Darauf erwiderte ihm Schoen, es wäre 67
Zur Vorbereitung der Annexion war Außenminister Alois Lexa von Aehrenthal am 5. 9. 1908 in Salzburg mit seinem damaligen italienischen Amtskollegen Tommaso Tittoni und anschließend in Berchtesgaden mit dem deutschen Staatssekretär Wilhelm von Schoen zusammengetroffen. " Aufzeichnung mit Bleistift.
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Tommaso Tittoni
nur in allgemeinen Ausdrücken geschehen. Es ist also klar, daß Aehrenthal sich irrte, wenn er glaubte, er hätte Tittoni genauer unterrichtet. Denn in diesem Falle hätte er auch Schoen ins Vertrauen gezogen, was aber nicht geschehen ist. Aehrenthal hat später nicht darauf bestanden, daß er seine Absicht wirklich bestimmt angekündigt hatte. Er hat aber durch Avarna nach Rom sagen lassen, ebenso wie nach Berlin, daß er im Interesse Europas und der beiden Alliierten gehandelt hatte, als er sich reserviert verhalten hatte. Dagegen ist er immer bestimmt dabei geblieben, daß er zu Buchlau mit Iswolski klar gesprochen hatte68. Iswolski hat dies in Abrede gestellt, und Tittoni schließt diesen Teil seiner Ausführungen (mit Recht) damit, daß es begreiflich sei, wenn er sich über die Beziehungen zwischen Aehrenthal und Iswolski nicht äußere. Ungefähr am 26. September 1908 erhielt Tittoni einen Brief von Aehrenthal, in dem dieser ihm die bevorstehende Annexion Bosniens ankündigte69. Den Tag darauf traf Iswolski bei Tittoni ein, und dieser hatte den Eindruck, daß Iswolski genauer über die Sache informiert war. Von diesem Augenblick begannen auch die Unterhandlungen bezüglich Montenegros und Antivaris. Der Sandschak war eine europäische Angelegenheit, welche zwischen Österreich-Ungarn, Türkei und den anderen Mächten geregelt wurde. Dagegen wurden die Angelegenheiten bezüglich Antivaris zwischen Wien und Rom geregelt70. Aehrenthal hat sich in dieser Angelegenheit vollständig korrekt verhalten. Als Tittoni ihn mit Hinweis auf die öffentliche Meinung Italiens und die Angriffe, denen er ausgesetzt war, darauf hinwies, die Sache müsse rechtzeitig in Ordnung gebracht werden, ging Aehrenthal darauf ein, und zur selben Zeit wie die Anerkennung der Annexion durch Rußland erfolgte zwischen Osterreich und Italien der Abschluß71. Ich habe nicht mehr genau im Gedächtnis, ob Tittoni sagte, der Abschluß sei vorher oder nachher erfolgt, er sagte jedoch: Man hat Iswolski in Rußland angegriffen, weil er die Annexion bedingungslos anerkannte, während Italien dafür seine Bedingungen stellte und sie durchsetzte. Bezüglich Montenegro (Antivari) wurden zwischen den Kabinetten von Wien und Rom Briefe gewechselt, die das Notwendige enthielten, und diese Briefe wurden den anderen Mächten mit68
69 70
71
Am 16. 9 . 1 9 0 8 waren die beiden Außenminister in Buchlau, dem mährischen Schloß des Botschafters in St. Petersburg Graf Leopold Berchtold, zusammengetroffen. Vgl. ÖUA Bd. 1, 98-99; das Privatschreiben ist mit 25. 9. 1908 datiert. Österreich-Ungarn verzichtete im Zuge der Anerkennung der Annexion Bosniens auf seine Besatzungsrechte im Sandschak von Novibazar sowie die Rechte in Montenegro aus dem Berliner Vertrag (Eisenbahnhoheit, Hafenpolizei), bestand jedoch darauf, daß das montenegrinische Antivari (Bar) weiterhin ausschließlich als Handels- und nicht als Kriegshafen genützt werden dürfe. Die italienische Anerkennung der Annexion wurde am 11. 4. 1909 am Ballhausplatz übergeben (vgl. ÖUA Bd.2, 275-276), die russische Note vom 19. April ebda. 299. Die Zustimmung der Mächte zur zwischen Wien und Rom vereinbarten Aufhebung der Souveränitätseinschränkung Montenegros (vgl. Anm. 70) erfolgte Mitte Mai 1909.
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geteilt. Aus dieser Form ging hervor, daß die Angelegenheit Antivari vornehmlich Österreich und Italien betraf. Tittoni ließ durchblicken, obwohl sehr fern und bedächtig, daß Aehrenthal in der Methode der alten diplomatischen Schule gehandelt habe. Doch enthält er sich ebenso des Tadels wie des Lobes. Das war einem Österreicher gegenüber deutlich genug. Er sagte über Aehrenthal kein verbindliches Wort. Er bat mich, ich möchte ihm den Wortlaut meiner Darstellung vor dem Drucke mitteilen. Es solle genau sein (übereinstimmend mit seinen Reden im Parlament), aber er wolle vermeiden, daß auf Aehrenthal ein Schatten falle, als ob er bezüglich Antivari mehr nachgegeben, als es dem Interesse Österreichs entsprach72. Richard von Kühlmann, deutscher Botschaftsrat in Londona
London 13. November 1912 К 2, U 2a, 83a r - 89a ν
Kühlmann war 2. Sekretär zu b, als er nach Tanger geschickt wurde. Er schrieb damals an die Kölnische Zeitung, sie solle einen Korrespondenten mithinsenden; das wäre sie sich schuldig. Er wollte mit öffentlicher Meinung in Deutschland in Fühlung bleiben. Der frühere Vertreter Mentzingen, ein Badener, wußte sich nicht mit dem Auswärtigen Amt in Berlin zu stellen und kehrte nicht mehr auf den Posten zurück. Kühlmann hatte also die Vertretung. Er stand mit dem französischen Vertreter und mit dem Vertreter des Comite du Maroc, späterem Vertreter der Agence Havas, freundschaftlich. Diesem sagte er gleich nach dem Abschluß der englisch-französischen Entente73, daß die französische Regierung sich irrte, wenn sie glaubte, Marokko umsonst einstecken zu können; sie werde Deutschland etwas zahlen müssen. Nach seiner Vorstellung konnte es sich überhaupt nur um eine Kompensationspolitik handeln. Die Abmachung vom 8. April 1904 wurde sowohl von Cromer in Ägypten wie von Nicolson in Tanger betrieben. Sie beide erkannten, daß die Einigung mit Frankreich für England vorteilhaft sei. Cromer wollte nicht durch französischen Einspruch [ein]geengt sein, und Nicolson erkannte, daß die Tage des englischen Einflusses in Marokko vorüber seien. Er wollte ebenso diesen Einfluß vor Schluß noch so teuer wie möglich verkaufen. Aber die diplomatische Form erhielten diese Verabredungen 72
Vgl. Friedjungs negative Darstellung von Tittonis Verhalten in Zeitalter des Imperialismus. Bd. 2, 255. 73 In der Entente cordiale vom 8. 4. 1904 anerkannte Frankreich das britische Protektorat über Ägypten und erhielt dafür Aktionsfreiheit in Marokko zugesichert. " Geschrieben auf Papier des Hotel Russell, London. ь Freilassung im Original. Richard von Kühlmann wurde 1904 von London nach Tanger versetzt.
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R i c h a r d von Kühlmann
durch Paul Cambon, der ein geschickter, kluger Diplomat ist. Dem König Edward lag die Einigung am Herzen, schon weil er Frankreich gut mochte. Doch kam ihm der Gedanke, Deutschland immer mehr zu isolieren, erst später. Er gefiel sich dann immer mehr in dieser Rolle, je mehr [er] in ihr gefeiert wurde. Eine Initiative zu ergreifen und einen Gedanken weiter auszuspannen, war nicht seine Sache. Er handelte mehr nach seinem Instinkt, nicht nach einem Plan. Aber er wirkte für eine Isolierung Deutschlands, und er sah diesen Plan zur Zeit der bosnischen Annexion noch zusammenbrechen. Holstein hatte nun den Gedanken, in den marokkanischen Angelegenheiten kräftig vorzugehen und Frankreich auf die Knie zu zwingen74. Er wollte den Franzosen zeigen, daß ihnen die Hilfe Rußlands nichts nütze. Wenn es dabei zu einem Kriege käme, so müßte Deutschland auch darauf gefaßt sein. Er verkannte aber, daß eine Nation wie die französische eine solche Demütigung doch nicht hinnehmen konnte und sich schließlich und endlich auf einen Krieg einlassen mußte, wollte sie sich als Großmacht behaupten. Von der Denkschrift Holsteins 75 weiß Kühlmann nichts. Im Winter 1904/5 (?) kam Tattenbach, früherer Gesandter in Lissabon, nach Tanger 76 . Er kannte Tanger von früher her. Seine Karriere war eigentlich zu Ende, und er ging nach Tanger, zuerst als Privatperson, später als Vertreter Deutschlands. Er trat gebieterisch auf und verletzte die französische Vertretung, mit der Kühlmann persönlich im besten Einvernehmen gestanden war. Kühlmann war ganz mit der Reise Kaiser Wilhelms nach Tanger einverstanden. Aber er hegte die Ansicht, dies sollte zu einem Druck dienen, um eine Entschädigung für Deutschland zu erhalten. Er war überzeugt, daß durch die Reise Kaiser Wilhelms nach Tanger Delcasse den tödlichen Schlag erhalten habe. Das sagte er auch zu Kaiser Wilhelm in Tanger, der es aber noch in Zweifel zog. Die Ansprachen des Kaisers an die deutsche Kolonie (Rottenburg, den Bruder des Kanzlers der Universität Bonn) und an den Onkel des Sultans hatte Kühlmann natürlich gehört und diktierte sie dem Vertreter der Kölnischen Zeitung, so kamen sie in die Presse. Kühlmann stellte die Sache so dar, als ob er diese Politik gemacht habe, aber offenbar handelte er nach Instruktionen aus Berlin, von denen mir Schoen (für den Kaiser) erzählt hatte77. Er wird auch solche Instruktionen erhalten haben. Er behauptet, immer nur Kompensationen im Auge gehabt zu haben. Auf die Phrase von der
74
75 76 77
Vgl. zur deutschen Marokkopolitik 1905/06 Zeitalter des Imperialismus. Bd. 2, 35-98 sowie speziell zu Kühlmann Richard von Kühlmann, Erinnerungen (Heidelberg 1948) 198-260. Vgl. S. 306. Vgl. zur Entsendung Graf Christian Tattenbachs Kühlmanns eigene Darstellung in Erinnerungen 235-237. Vgl. S. 317.
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Souveränität des Sultans, die Kaiser Wilhelm gebrauchte, legt er keinen Wert. Diese Phrase kam doch auch, mit Rücksicht auf den Kaiser, auch in der Algeciras-Akte vor. Sie hätte einen Ausgleich mit Frankreich nicht hindern müssen. Derselben Ansicht wie er war auch Radolin78, auch er wünschte eine Verständigung mit Frankreich. Delcasse mußte stürzen, da er sich einem berechtigten Anspruch Deutschlands widersetzte79. Für ihn handelte es sich nicht um Marokko allein, sondern auch um einen Schlag gegen Deutschland. Aber darin hatte er die öffentliche Meinung in Frankreich gegen sich. Auch das Comite du Maroc, an dessen Spitze Etienne stand. Diese Elemente wollten einen Ausgleich, um Marokko in Ruhe gewinnen zu können. Kühlmann selbst hat in der Zeit vor der Algeciras-Konferenz als Privatmann Unterhandlungen mit dem französischen Diplomaten (der Name ist mir leider entfallen) geführt, und es kam zu einem paraphierten Entwurf80. Hierbei bildete der Kongo das Ausgleichsobjekt, und zwar war ausgemacht, daß Frankreich sein Vorkaufsrecht auf den Kongo abtreten solle. Aus diesen Unterhandlungen erklärt es sich, weshalb Deutschland 1911 so hart um den Zugang zum Kongo kämpfte81. Und auch jetzt noch, so deutete mir Kühlmann an, wird der belgische Kongo das Objekt sein, über welches eine Einigung zwischen Deutschland und England möglich ist. Er hegt die Hoffnung, daß die Sache in ein bis zwei Jahren reif sein wird. Aber 1906 stand Holstein der Abmachung im Weg. Er wollte, daß die deutsche Regierung durchhalte und Frankreich zum Nachgeben nötige. Er ging also auf die Vorschläge Kühlmanns nicht ein. Dieser aber sagte in einem Memoire voraus, daß auf der Konferenz die Mächte gegen Deutschland sein werden. Italien hatte doch schon wegen Tripolis abgeschlossen82. Und Nordamerika, auf das man in Berlin Hoffnungen gesetzt hatte, ließ auch aus. Als ich nun fragte, wie sich Bülow verhalten habe, sagte Kühlmann: Ich habe Bülow in dieser Zeit nicht zu sehen bekommen. Wenn ich mich bei ihm meldete, ließ er mir sagen, er wäre beschäftigt, ich solle mit Holstein beschäftigt [sie!]. Kühlmann stimmt mit mir überein, daß Bülow sich nicht hätte der Sache entziehen, sich nicht ganz auf Holstein verlassen sollen. Es handelte sich, [wie] Kühl78
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S1 82
Fürst Hugo von Radolin, 1900 bis 1910 Botschafter in Paris, leitete die deutsche Delegation bei der Konferenz von Algeciras (16.1.-17. 4. 1906) zur Beilegung der ersten Marokkokrise. Vgl. zum Rücktritt des französischen Außenministers Theophile Delcasse am 6. 6. 1905 S. 312 Anm. 20. Die Gespräche führte Richard von Kühlmann in Paris mit dem französischen Geschäftsträger in Tanger Graf Cherisey. Vgl. Kühlmann, Erinnerungen 246-250. Vgl. zum Marokkoabkommen vom 4. 11. 1911 S. 321 Anm. 42. Das französisch-italienische Mittelmeerabkommen vom Dezember 1900, in dem die gegenseitigen Ansprüche auf Marokko bzw. Tripolis anerkannt wurden, erfuhr am 1. 11. 1902 eine Erweiterung zu einem allgemeinen Neutralitätsvertrag.
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Richard von Kühlmann
mann sagt, um ein Weltereignis. Erst zur Zeit der Konferenz trennte sich Bülow von Holstein. Dieser fiel als Opfer83. Er hat später immer dem Kaiser Schuld gegeben, weil dieser mit ihm nicht bis zu Ende gegangen war. Er rächte sich an dem Kaiser und auch an Eulenburg und gab diesem die Schuld, daß er den französischen Botschaftsrat, -sekretär Lecomte, der auch, wie Eulenburg, gesündigt hatte, als den Mann bezeichnete, der, von Eulenburg mit dem Kaiser zusammengeladen, auf den Kaiser gewirkt und ihn zum Nachgeben bestimmt hätte84. So hängt die Marokko-Angelegenheit mit der Eulenburg-Affäre zusammen. Kühlmann ist, wie er mir selbst sagte, ein Gegner Bülows, dessen Politik leider fehlerhaft war. Er hofft aber, daß Kiderlen den Ausgleichsfaden mit England wieder spinnen werde. Mit einem gewissen Selbstbewußtsein deutet er an, wieviel er selbst zur Fortsetzung der Verhandlungen beigetragen habe. Wolff-Metternich habe leider keine Autorität besessen, diese sei zuletzt erloschen. Marschall dagegen hätte bei längerem Leben wirken können85. Er hat in den Wochen seiner Tätigkeit in London vielleicht zuviel auf sich genommen, Abendgesellschaft etc. Wenn Kühlmann ihm sagte, er reibe sich auf, erwiderte ihm Marschall, nein, es mache ihm Vergnügen. Er wäre der Mann gewesen, der den Ausgleich gefordert hätte. Von Lichnowsky sagt er etwas spöttisch, er werde der Sache auch nicht im Wege stehen. Überhaupt ironischburschikos, wenn er von Lichnowsky spricht. Dieser war vor 25 Jahren kurze Zeit in London. Seitdem immer nur, wenn er seinen Schneider besuchte. Dies letztere hat Kühlmann auch Grey gesagt, der erstaunt war zu hören, daß es Männer gebe, die wegen ihres Schneiders nach London kämen wie Frauen wegen ihrer Toilette nach Paris. Er hatte das früher nicht gewußt. Von Grey entwerfen mir Kühlmann und seine Frau ein sehr günstiges Bild. Er sei der richtige englische Landedelmann, der alle freie Zeit auf seinem Gute verbringt, ein großer Fischer ist; er erzählte, er schleiche sich mit Vergnügen an ein Nest heran, um das Treiben der Tiere wohl eine Stunde lang zu beobachten. Dagegen hat Grey, wie er Kühlmann sagte, nie einem Rennen beigewohnt, atreibt keinen Sport.8 Er ist innerlich eher weich, aber durch Selbstzucht errang er eine imponierende Haltung. Mit Frau von Kühlmann plauderte er einmal lange, da es in England Sitte ist, daß ein Herr bei der 83 84
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Vgl. zum Rücktritt Friedrich von Holsteins im April 1906 S. 307 Anm. 11. Die Einladung des französischen Botschaftssekretärs Raymond Lecomte, eines langjährigen Freundes Graf Philipp von Eulenburgs, zu einer Kaiserjagd am Landgute Eulenburgs Liebenberg im November 1906 war der letzte Anstoß für den Publizisten Maximilian Harden, im Frühjahr 1907 in seiner Zeitschrift Zukunft Eulenburg und Graf Kuno Moltke wegen ihrer Homosexualität anzugreifen. Als diese Artikel dem Kaiser vorgelegt wurden, ließ er seine beiden Freunde fallen. Freiherr Adolf Marschall von Bieberstein wurde im Mai 1912 zum Botschafter in London ernannt, starb jedoch bereits am 24. 9. 1912. Ergänzung.
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Dame, zu der er sich gesetzt, auch den Abend über bleibt. Frau von Kühlmann sagte mir, sie sei ein wenig bestürzt gewesen, weil sie fürchtete, sie würden sich nichts zu sagen haben; denn von Politik zu sprechen war bei ihrer Stellung ausgeschlossen. Aber Grey sprach so angenehm, einfach, natürlich, daß das Gespräch gut vonstatten ging. Er erzählte von seinem Tun und Treiben auf dem Land, von seiner Liebe zu den Tieren. Als von den deutschen Liberalen die Rede war, stellte es sich heraus, daß Grey am liebsten Auerbach und Rosegger lese, natürlich in Übersetzungen. Denn er selbst spricht nicht einmal französisch, kann selbst einen Artikel nicht ohne Mühe lesen. Als er ins Amt trat, lernte er etwas französisch, brachte es aber nicht weit. Auf dem Kontinent sei er nur einmal für kurze Zeit gewesen. Er meidet den Kontinent, er kann doch in Frankreich oder sonstwo nicht leicht Besuche machen. Er ist aufrichtig, zuverlässig, auf sein Wort könne man bauen. Deshalb genießt er auch hohe Achtung. Auch Mensdorff sagte dasselbe, er fügte hinzu, daß Grey deshalb, und auch weil er mit Herz und Sinn radikal ist, bei der Partei das vollste Vertrauen genieße. Er ist für [das] Frauenstimmrecht. Dr. B. Guttmann86 erzählte: Im National Club haben Grey, Lloyd George etc. gesprochen. Lloyd George wurde von freundlichen Zurufen, Witzen unterbrochen; Grey wurde lautlos, mit hohem Respekt angehört. Wenn Grey, was nicht seine Absicht wäre, einen Krieg für notwendig hielte und dies erklärte, würde ihm die ganze Nation folgen. Wie anders Churchill. Kühlmann erzählt: Grey glaubte nach Agadir an die Absicht der Deutschen, Frankreich anzugreifen87; ebenso die meisten Minister. Man hätte auch von Berlin aus früher eine klare Erklärung abgeben sollen. Auch hat Kiderlen zu den Alldeutschen die vielbesprochenen Äußerungen gemacht88. Das hat man in Paris erfahren, vielleicht durch Jules Cambon, und hat es Grey wissen lassen. Aber auch in der Zeit der Aufregung hat Grey, über die Gegenwart hinwegsehend, bereits den Ausgleich mit Deutschland ins Auge gefaßt. Er, Kühlmann, war deshalb mit der Novemberrede Greys (1911) zufrieden89. Besonders mit der Stelle, wo Grey davon sprach, daß Deutschland 86
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Einen Dr. B.Guttmann kontaktierte Friedjung 1913 um Auskünfte. Vgl. Guttmann an Friedjung, London 28. 2. 1913, HHStA NL Friedjung К 5. Die Entsendung des deutschen Kanonenbootes „Panther" ins marokkanische Agadir im Juli 1911 führte zu schweren Spannungen zwischen Deutschland und Frankreich. In einem Gespräch mit dem Vorsitzenden des Alldeutschen Verbandes Heinrich Class hatte Staatssekretär Alfred von Kiderlen-Wächter am 19. 4. 1911 die deutschen Ansprüche auf Westmarokko bestätigt und Class auch am 1. Juli vorab von der Entsendung des „Panther" nach Agadir verständigt. In einer Rede vor dem Parlament rechtfertigte Premierminister Edward Grey am 27. 11. 1911 die englische Marokkopolitik. Er erklärte, Großbritannien könne ein Festsetzen Deutschlands in Marokko nicht zulassen und hätte eine diesbezügliche Zusicherung von Seite Deutschlands verlangt. Als diese nicht gegeben wurde, wäre Schatzkanzler David Lloyd George in einer Rede am 21. 7. 1911 deutlicher geworden, worauf Deutschland die gewünschte Erklärung abgegeben hätte.
August Stein
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ein Recht auf Expansion habe. Er hat damals zu Kühlmann gesagt: Sind Sie mit mir zufrieden? Kühlmann hat das bestätigt. Kühlmann ist der Ansicht, daß Afrika das Terrain für deutsche Expansion [sei]. Immer deutet er hierbei auf den belgischen Kongo hin.
August Stein, Leiter des Berliner Büros der Frankfurter Zeitunga
Berlin, 16. November 1912 К 2, U 2a, 105a r - 110a r
Bülow überließ die äußeren Geschäfte vollständig Holstein. Die Diplomaten waren schon zu Bismarcks Zeit gewohnt, zu Holstein aufzublicken. Er war Bülows Lehrer, er hat ihn gefördert, er hat ihn beherrscht. Er hatte eine besondere, eine reißende Art, sich in Geschäfte und Menschen hineinzuarbeiten, eine Unermüdlichkeit, auf sie zu wirken und zu drücken. Er war im Stande, Bülow dreimal des Nachts Briefe und Zettel zu schicken, um ihn zu bestimmen. Schon aus Bequemlichkeit, um nicht in Konflikte zu geraten, und weil er nicht Fleiß genug besaß, sich in sie hineinzuarbeiten, überließ er Holstein die Führung der Geschäfte. Denn Bülow selbst war mehr der Souverän, der sich Bericht erstatten und andere für sich arbeiten ließ. Er hatte von Anfang an etwas Fürstliches, Repräsentatives. Er war mit nichts beschäftigt als mit seiner Erhaltung im Amte. Er war egoistisch, sein Patriotismus ist zweifelhaft, soweit es sich um ernste, ehrenhafte Austragungen handelte. Einmal, als 1905-6 die Dinge mit Frankreich kritisch standen, sagte er zu Stein: Ich bin mehr Patriot als Sie glauben, und weniger egoistisch, als sie mich beurteilen; ich will keinen Krieg mit Frankreich, aus dem wir doch keinen rechten Gewinn ziehen können. Er wollte diesen Krieg nicht, und er hat zuletzt die Entscheidung gegen Holstein gegeben. Und nun erzählt mir Stein nochmals die Szene90: Holstein wollte Frankreich auf die Knie zwingen, selbst noch während der Konferenz von Algeciras. Er fühlte auch Haß gegen Radowitz, dem er den Erfolg - Abschluß der Algeciras-Akte - nicht gönnte. Ihn wollte er beseitigen, wie er auch Revoil, den französischen Bevollmächtigten, an die Wand drücken wollte. Das war ein Zug des Verfolgungswahnsinns, von dem er beseelt war. Radowitz bat nun endlich um eine klare Auskunft, ob er abschließen könne. Holstein arbeitete die Antwort aus, in der jedoch keine klare Antwort gegeben war. Er solle Frankreich noch hinhalten. Da nun gab es Abendgesellschaft bei Bülow. Die Fürstin spielte, Bülow sang mit seiner schönen Baritonstimme. Tschirschky mit seiner Gattin und andere Damen anwesend. Da winkte 90 a
Vgl. S. 306 f. Geschrieben auf Papier des Savoy-Hotel,
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Bülow dem Staatssekretär und Stein, sie sollten ihm folgen; Stein sollte Hammann rufen. Ein Diener mit einem Leuchter ging voran; die Herren folgten; alle Anwesenden wußten, es handle sich um eine wichtige Beratung. Es war eine glänzende Inszenierung. Bülow öffnete, als sie beisammen saßen, eine Mappe und las die Antwort vor, die Holstein entworfen hatte. Er fragte zuerst Tschirschky um seine Meinung. Dieser wies darauf hin, daß diese Antwort Radowitz wieder im Unklaren lasse, ob man in Berlin [sie!] abschließen solle. Die beiden andern stimmten zu. Darauf schrieb Bülow selbst entsprechend diesen Gutachten eine Depesche an Radowitz nieder. Es war gegen 11 Uhr. Er fragte Tschirschky, wann sie chiffriert sein könnte. In einer Stunde, war die Antwort. Gut, sagte Bülow, dann kann die Depesche gegen 4 Uhr in Algeciras sein, und Radowitz erhält sie noch zurecht. Holstein wurde also nicht verständigt. Der Reichskanzler mit dem Staatssekretär machte die Sache ab. So wurde Holstein bei Seite geschoben. Er fühlte, daß seine Zeit um war. Aber Bülow hatte die Absicht, aus Gründen, die Stein nicht kennt, ihn bis Herbst im Amt zu erhalten. Er wollte ihn nicht reizen, er wußte zuviel. Deshalb sagte er damals zu Hammann, er möge sich doch mit Holstein versöhnen. Dieser hatte schon IV2 Jahre keinen Verkehr mit Holstein gepflogen. Aber er wollte Bülow zuliebe keinen Schritt des Entgegenkommens machen. Er lehnte ab. Da kam ihm Holstein selbst entgegen. Er ließ ihm sagen, ob er nicht zu ihm zum Vortrag kommen wolle. Als er erschien, sagte Holstein zu ihm: Es hatten [sie!] zwischen [uns] Meinungsverschiedenheiten vorgekommen; sie wollten darüber hinauskommen. Hammann machte eine Verbeugung und sagte dann: Ob er erlaube, daß er zum Vortrag übergehe. Tschirschky, der merkte und wußte, daß es mit Holstein zu Ende gehe, führte den Bruch herbei. Doch war es ein Akt des Mutes, als er, um als Staatssekretär selbständig vorgehen zu können, die Türe vom Zimmer Holsteins zu seinem eigenen verschließen ließ91. Bülow wurde um diese Zeit schwerkrank92, damals wurde Holstein abgesägt. Er hatte wie so oft sein Entlassungsgesuch eingereicht, aber nun bereute er es, nur nicht beim Worte genommen zu werden [sie!]. Indessen aber lag dieses Gesuch bei Bülow. Hier wurde es hervorgeholt und von Tschirschky - während der Krankheit Bülows - dem Kaiser vorgelegt, der es ohne Anstand genehmigte93. Als aber Holstein fühlte, dieses Ende wäre nahe, klammerte er sich an sein Amt. Stein war bei ihm, da sagte [er] gebrochen und mit Tränen im Auge: Solle er jetzt etwa als Opfer fallen? Man werde doch ihm als altem Manne die Nie91 92
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Vgl. dazu S. 268. Am 5. 4. 1906 hatte Reichskanzler Bernhard von Bülow im Reichstag einen Schwächeanfall erlitten und sich darauf zur Erholung auf seinen Besitz Norderney zurückgezogen. Vgl. zum Rücktritt Friedrich von Holsteins im April 1906 S. 307 Anm. 11.
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derlage von Algeciras nicht zur Last legen. Er legte den Arm um die Schulter Steins und sagte zu ihm: In ihm erkenne er einen Freund, er sehe es ihm an den Augen an. Diese Äußerungen waren der beste Beweis, daß er sich verloren gab, sonst hätte er solche Vertraulichkeiten und diese Demütigungen nicht über sich gebracht. Er war übrigens nach Algeciras der Ansicht, daß Deutschland einen Schlag erlitten, von dem es sich in zehn Jahren nicht erholen werde. Tschirschky handelte aus eigener Initiative, er wußte jedoch, daß er im Sinne des kranken Bülow handle. In jener Unterredung mit Stein sagte Holstein noch: Ob Stein glaube, daß Bülow sich gegen ihn wenden werde. Da tröstete Stein den kranken, geängstigten Mann und sagte ihm: Bülow sei gewiß nicht der Mann, sich die Hände in seinem Blute zu waschen. Darauf fragte Holstein wieder: Ob Stein nicht einen anderen sehe, der ihm den Streich versetzen wolle. Darauf konnte und wollte Stein nichts erwidern. Holsteins Scharfsinn, [seine] unermüdliche Arbeitskraft war mit Mißtrauen und Verfolgungswahn gepaart. Jenes Gespräch mit Stein war in einem Depressionszustand geführt, der solchen erregten Gemütern eigen sein kann. Bülow aber verhielt sich immer und bis ans Ende gut mit [sie!] Holstein. Er fürchtete ihn und wollte ihn in guter Laune erhalten. Deshalb sagte er zu den Männern seiner Umgebung, sie sollten ihn besuchen. Er selbst empfing ihn bis zu seinem Tode, blieb mit ihm in guter Verbindung. Aber die Zustände, die unter diesen Umständen im auswärtigen Amt bestanden, waren höchst unerquicklich. Nicht bloß Stein, auch andere, die dort verkehrten, sprachen von diesem Amt als dem „Narrenhaus". Hammann (ich irre wohl nicht in dem Namen, vielleicht gebrauchte Stein einen anderen) nannte Holstein immer die „wahnsinnige Hyäne". Auch unter Bülow - Schoen waren die Verhältnisse unerquicklich. Stein nennt Schoen einen Hanswurst. Es zeigte sich sehr bald, daß er der Lage nicht gewachsen war. Deshalb wurde Kiderlen zu seiner Unterstützung herbeigerufen94. Tatsächlich war dieser Staatssekretär, Schoen gab bloß den Namen her. Es ist falsch, was Schoen mir in Paris gesagt hatte95, daß seine Gesundheit zusammengebrochen war. Er wurde eben zur Seite geschoben. Jedem, dem es um die Sache zu tun war, auch Stein, mußte es sich darum handeln [sie!], daß eine feste Hand berufen werde. Auch er arbeitete auf eine Berufung Kiderlens hin. Aber das war bei der Abneigung des Kaisers nicht leicht. Unter Caprivi begleitete Kiderlen als Vertreter des auswärtigen Amtes den Kaiser auf dessen Reisen, und dieser war sehr zufrieden mit ihm, ergötzte sich an seinen Sarkasmen. Dann aber trat ein Bruch ein. Man hat behauptet, daß die Kaiserin Herrn von Kiderlen abgeneigt war, weil er bei Tische gewagte Anekdoten zu erzählen beliebte. Die Sache verhielt sich 94
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Alfred von Kiderlen-Wächter vertrat von November 1908 bis März 1909 den erkrankten Staatssekretär Freiherr Wilhelm von Schoen. Vgl. S. 324 f.
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anders. Kiderlen erstattete über diese Reisen an Marschall als seinem Vorgesetzten amtliche Berichte und schrieb ihm nach dem gewöhnlichen Brauche auch Privatbriefe. Darin sprach er sich frei, wenn auch nicht unehrerbietig zu Marschall aus. Diese Briefe wurden dem Kaiser in die Hände gespielt und von ihm sehr verargt. Kiderlen wußte nicht, ob ihm Marschall oder Bülow diesen Streich gespielt habe. Stein ist überzeugt, Bülow sei es gewesen. Marschall sprach sich später ihm gegenüber frei aus. Als er aus dem Amte schied96, berief er einen Beamten des Ministeriums zu sich und übergab ihm die ganze Menge der an ihn gelangten Privatbriefe zur Durchsicht. Er solle auswählen, was sich auf das Amt beziehe, was auf seine Privatangelegenheiten Bezug habe. Diese Vorsicht gebrauchte Marschall mit Hinblick auf den Prozeß, der Arnim gemacht worden war97. Auf diese Weise kamen die Privatbriefe Kiderlens in die Hände Bülows, und offenbar hat dieser sie dem Kaiser vorgelegt, um Kiderlen, der seinem Einflüsse gefahrlich zu sein schien, bei Seite zu schieben. Kiderlen wenigstens ist der Ansicht, Bülow hätte gegen ihn auf diese Art intrigiert. Diese Erzählung steht aber doch in Widerspruch damit, daß Bülow Kiderlen zweimal hervorholte98. Indessen hat schon Bülow Kiderlen wieder herangezogen; zum Staatssekretär hat ihn aber Bethmann-Hollweg gemacht. Er setzte seine Ernennung beim Kaiser durch. Kiderlen ist eine knorrige Persönlichkeit, kein Causeur, sein Gespräch [ist] mit Sarkasmen gemischt. Mitunter ist nichts aus ihm herauszuholen: Ich müßte es geschickt anfangen, um ihn zum Sprechen zu bringen. Sein Selbständigkeitstrieb sei so groß, daß er Bethmann-Hollweg oft nicht vom Gange der Dinge unterrichte. Der Reichskanzler, mit vielen Angelegenheiten überlastet, überläßt ihm die Führung der auswärtigen Angelegenheiten. Mitunter aber fühlte Bethmann-Hollweg die Notwendigkeit, Einblick in gewisse Geschäfte zu erlangen. Kiderlen ist oft ungehalten darüber, braust auf. So wurde Hammann mitunter zu ihm geschickt. Der mußte Kiderlen zureden, ihm vorstellen, daß der Reichskanzler ihn doch mit seiner Verantwortung decken müsse, bis Kiderlen sich bereit findet, die Papiere vorzuweisen. Das weiß Bethmann-Hollweg, [er] besteht in wichtigen Angelegenheiten auf seinem Rechte. 1905 saß Kiderlen noch in Bukarest. Der serbische Geschäftsträger Bogicevic kommt täglich zu Stein. Er wirkt für eine friedliche Lösung. Einmal fragte er Stein, ob er ihm sagen könne, 96
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Freiherr Adolf Marschall von Bieberstein war von 1890 bis 1897 Staatssekretär des Auswärtigen Amtes. Der deutsche Botschafter in Paris Graf Harry Arnim wurde nach seiner Abberufung 1874 in Berlin zunächst wegen Vergehens gegen die öffentliche Ordnung, in zweiter Instanz auch wegen Urkundenunterschlagung verurteilt. Alfred von Kiderlen-Wächter, seit 1900 Gesandter in Bukarest, vertrat mehrmals für längere Zeit den Botschafter in Konstantinopel und leitete von November 1908 bis März 1909 für den erkrankten Staatssekretär Freiherr Wilhelm von Schoen das Auswärtige Amt. Zum Staatssekretär wurde er am 27. 6. 1910 ernannt.
Alfred von Kiderlen-Wächter
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wie Deutschland in der albanischen Frage denke. Stein ging zu Kiderlen, trug ihm die Anfrage des Serben vor. Darauf [sagte] Kiderlen, er wünsche mit Bogicevic zu sprechen. Dieser gefiel Kiderlen nicht gut. Er sagte Bogicevic dann mit der größten Bestimmtheit, daß Deutschland ganz auf Seite Österreichs und Italiens stehe. Überhaupt ist Kiderlen fest überzeugt gewesen, daß Rußland nicht losschlagen werde. Sie alle, so sagte er zu Kiderlen [sie!], fürchten sich vor Deutschland. Aber Kiderlen war unmittelbar vor Ausbruch des Krieges" schlecht über die Absichten des Balkanbundes unterrichtet. Er glaubte nicht daran, daß er losschlagen werde. Jetzt aber verhält er sich fest, bestimmt.
Alfred von Kiderlen-Wächter, deutscher Staatssekretär des Auswärtigen Amtesa
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Ruhiges, breites Wesen; streng logische Gedankenfolge, mit seltenen, ironischen Lichtern. Flößt Zuversicht ein. Wird sich nicht leicht imponieren lassen. Spricht sofort, obwohl ich in meinem Briefe gesagt hatte, daß ich um aktuelle Dinge mich nicht erkundigen wolle, (vielleicht absichtlich) über die Frage des Tages. Albanien, so sagt er, mache ihm Sorgen100. Ob ich glaube, daß sich aus dem Lande ein Staat werde formen lassen? Es werde sich das nötige Beamtenmaterial nicht finden. Er findet es begreiflich, daß Österreich-Ungarn mit allem Nachdruck für ein selbständiges Albanien eintritt. Vor einem österreichisch-italienischen Condominium müsse er warnen; ein solches Verhältnis endigt gewöhnlich mit Schrecken. Geld werden die Leute in Albanien brauchen, das ist das nächste. Hier werden Österreich und Italien nachhelfen müssen. Bei einem Condominium wird stets, wenn eine Postobersekretärsstelle besetzt wird, gleich auch für den anderen Staat eine solche verlangt, der sich mit einer einfachen Postsekretärsstelle nicht begnüge. Es hat sich von Anfang an zwischen Deutschland und Frankreich ein Zusammengehen herausgestellt. Die deutsche Regierung überließ es der französischen Regierung, die in Berlin formulierten Vorschläge als ihre eigenen an die Mächte zu senden. Dann aber schwenkte Frankreich ab. Es machte den törichten Vorschlag eines allgemeinen Desinteressement. Jules Cambon, der 99 100
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Der erste Balkankrieg im Herbst 1912. Vgl. zur Albanienfrage im Sommer und Herbst 1912 Zeitalter des Imperialsimus. Bd. 3, 216-218 und К. u. K. Ministerium des Äußern, Diplomatische Aktenstücke betreffend die Ereignisse am Balkan. 13. August 1912 bis 6. November 1913 (österr.-ung. Rotbuch, Wien 1914). Geschrieben auf Papier des Savoy-Hotel,
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mit allen Hunden gehetzt, mit allen Salben gerieben ist, war so klug, ihm nichts davon zu sagen, daß dieser Vorschlag der gemeinsame der Dreier-Entente ist101. Cambon wußte, dies würde auf ihn keinen guten Eindruck machen. Dumaine in Wien und Barrere in Rom dagegen rückten gleich mit dieser Eröffnung [herjaus; Dumaine wußte nicht wie Cambon, wie die Sache anzupacken war. Kaum erfuhr ich dies, so habe ich sofort mit Wien und Rom vereinbart, daß wir als Dreibund gleichfalls, und zwar offen, vorgehen. Als wir nun unsere Erklärungen abgaben102, bekamen sie alle Schrecken und lenkten ein. In London machte man dem französischen Kabinett Vorwürfe, daß es die Sache unrichtig angepackt habe. Überhaupt erklärte ich von vornherein, daß wir Osterreich in Albanien unterstützen würden. Ich habe selbst keine Vorschläge gemacht, sondern zur Mäßigung mahnend es ÖsterreichUngarn überlassen, selbst seine Forderungen zu formulieren. Dann aber erklärten wir einfach und fest, daß wir hinter Osterreich und Italien stehen. Diese letzten Worte, ohne Erhebung der Stimme gesprochen, machten den Eindruck von Kraft und Ruhe. „Mit den österreichischen Blättern bin ich nicht zufrieden. Sie schießen nicht selten übers Ziel. aSo hat das Neue Wiener Tagblatt gemeldet, daß die russische Regierung der serbischen erklärt, daß sie in der albanischen Frage nicht auf Unterstützung seitens Petersburg rechnen könne103. Das hätte nicht gesagt werden sollen, weil dadurch die russische Regierung gegenüber der öffentlichen Meinung Rußlands geschwächt ist." Auch die Kölnische Zeitung verfehlt es mitunter. Sie durfte nicht die Meldung bringen, daß der Balkanbund unter sich uneinig sei. Man darf nicht merken lassen, daß man so etwas merkt. Eher muß man sich für dumm halten lassen, wenn man nur weiß, was vorgeht." „Als zwischen Kalnoky und Caprivi über die Erneuerung des Dreibunds verhandelt wurde104, verlangte Kalnoky, der der klügere war (Caprivi war ein trefflicher Soldat, dem die äußere Politik doch fremd war), wir sollten auch über den Balkan Verabredungen treffen, und Caprivi hatte nicht üble Lust dazu. Ich widerriet es ihm. Kalnoky setzte mir damals die Gründe hierfür auseinander. Ich erwiderte ihm: Es sei unsere Absicht, daß, wenn Österreich-Ungarn wegen des Balkans mit Rußland in Krieg gerate, wir hinter ihm stünden. Aber wir müßten uns doch die Prüfung des Falles vorbehalten. Davon könnten wir nicht abgehen. Zunächst gab es außer dem deutschösterreichisch-ungarischen Vertrag von 1879 einen deutsch-italienischen 101
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Der Vorschlag der Entente wurde Außenminister Graf Leopold Berchtold am 31. 10. 1912 übergeben. Vgl. ÖUA Bd. 4, 736-737. Die am 4. 11. 1912 dem französischen Botschafter in Wien übermittelte Antwort auf den Vorschlag vom 31. Oktober in ÖUA Bd. 4, 753-754. Im Neuen Wiener Tagblatt finden sich derartige Meldungen in den Ausgaben vom 13., 14. und 15. 11. 1912. Der Dreibund war am 6. 5. 1891 erneuert worden. Ergänzung.
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und einen österreichisch-italienischen Vertrag. Als dann der Dreibund förmlich geschlossen wurde (ich verstand, das mußte 1887 gewesen sein), da wurde ein einheitliches Vertragsinstrument festgesetzt. Darin kam eine bestimmte Frist vor, während im deutsch-österreichischen Bunde (in der später angenommenen Form, wie ich Kiderlen verstand) keine solche ausgesprochen ist. Auch ist der Dreibund-Vertrag nicht so enge wie der österreichisch-deutsche von 1879. Denn in dem ersteren wird zwar die Verpflichtung der Verteidigung des Bundesgenossen auferlegt, wenn er ,ohne Provokation' von seiner Seite angegriffen werde. Das fehlt bekanntlich im österreichisch-deutschen Vertrag. Nach dem Abschluß des Dreibunds erhob sich die Frage, ob denn der von 1879 nicht durch ihn abrogiert sei. Die Juristen bejahten diese Frage. Die deutsche Regierung erklärte jedoch der österreichischen, daß sie sich durch den von 1879 gebunden fühle. Dieser Vertrag ist bekanntlich publiziert, aber mit einer kleinen Fälschung. Es ist nämlich in dem veröffentlichten Text nicht so deutlich wie in dem echten gesagt, daß der Vertrag gegen Rußland gerichtet ist. Diese Milderung ist mit Rücksicht auf Rußland geschehen. Kiderlen bevollmächtigte mich, von allem Gesagten Gebrauch zu machen, mit einer Einschränkung: Es soll nicht gesagt werden, daß sich ein Zweifel erhob, ob der Vertrag von 1879 noch gelte oder nicht, sondern einfach, daß seine weitere Geltung anerkannt worden ist. Der Dreibund wurde 1902 erneuert, obwohl er erst 1903 ablief, und zwar für zwölf Jahre, also für [sie!] 1914. In diesen Tagen werden wir ihn erneuern, aber ich denke so, daß er nicht von jetzt, sondern von seinem Ablauf 1914 für weitere zwölf Jahre gelten soll105. Doch soll diese Tatsache nur dann erwähnt werden, wenn die österreichische Regierung damit einverstanden ist, da wir übereingekommen sind, nichts unabhängig voneinander in die Öffentlichkeit dringen zu lassen." Über die gemeinsame Erklärung der Dreibundmächte 1912 hatte Kiderlen noch gesagt, daß sie in einer Note verbale erfolgt ist. Mündlich, aber in Begleitung eines Zettels, der das Notwendige enthielt. Wir werden, so hoffe ich, fuhr Kiderlen fort, zu einer Einigung in Europa gelangen. Aber Frankreich schlug vor, die Konferenz solle in Paris stattfinden106. Darauf sind wir nicht eingegangen. Geschähe dies, so würde die Konferenz in einer Stadt tagen, in der die schönen Redensarten der Balkandiplomaten lauten Widerhall fanden. Das können wir nicht wünschen. Es wäre Poincare angenehm, da er nach der Präsidentschaft der Republik strebt und durch einen solchen Erfolg gehoben würde. Poincare steht mit den Brüdern Cambon nicht gut. Weshalb, habe ich nicht herausgebracht. 105
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Die Verhandlungen über eine Erneuerung des Dreibundes wurden am 5. 12. 1912 erfolgreich abgeschlossen. Die Botschafterkonferenz zur Beendigung des Balkankrieges trat am 17. 12. 1912 in London zusammen.
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Vielleicht, weil er früher, als er noch Advokat und nicht Ministerpräsident war, mit ihnen eine Differenz hatte. Ich gebe Ihnen Recht, sagte Kiderlen auf eine von mir gemachte Bemerkung, daß die drei Botschafter Paul und Jules Cambon mit Barrere eigentlich die äußere Politik Frankreichs gemacht haben. Aber das scheint Poincare ändern zu wollen. Und vielleicht ist dies der Grund, daß die Brüder Cambon sich durch ihn abgestoßen fühlen. Paul und Jules lieben sich zwar zärtlich, aber in einem Punkte wirken sie nicht zusammen. Paul Cambon ist stolz auf die Entente mit England107, an der er als Hauptmitarbeiter mitwirkte; und Jules Cambon hätte gerne einen ähnlichen Erfolg erzielt, indem er die Einigung mit uns herbeiführen wollte. Damit ist sein Bruder nicht einverstanden. Und nochmals hob Kiderlen die Schlauheit und Tüchtigkeit Jules Cambons hervor. Als ich dann auf die Ereignisse von 1905/6 zu sprechen kam und eine Holstein bezüglich nicht günstige Bemerkung machte, sagte Kiderlen: Ich möchte meinem alten Freund nicht die Schuld an den Mißerfolgen zuschieben. Allerdings beging er den schweren Fehler (Kiderlen nannte dies in einem anderen Zusammenhang eine Dummheit), daß er nicht auf den Vorschlag Rouviers eingehen und auf eine Kompensation für Marokko eingehen wollte108. Dies hätte geschehen sollen und hätte uns manche späteren Schwierigkeiten erspart. Aber da man seinem Rate folgte und auf dem Verlangen nach einer Konferenz verharrte, mußte man auf dem betretenen Wege weitergehen. Entweder eine Kompensation, oder, wenn man sie ablehnte, festes Beharren. Das war es, worauf Holstein später immer zurückkam. Er hatte übrigens hierbei nicht den Krieg im Auge, sondern nur den Austritt Deutschlands aus der Konferenz109. Das wäre ihre Sprengung gewesen. Aber nicht der Krieg. Denn Holstein rechnete aus, daß die anderen Mächte hierzu keine Lust hatten. Rußland, so sagte er, stand vor einem Anlehen, Italien vor der Konversion seiner Rente. So hätten wir, da der Madrider Vertrag in Geltung geblieben wäre110, eine gute politische Stellung eingenommen. Es ist richtig, daß Bülow sich in diesem Augenblicke von Holstein trennte, aber man kann nicht sagen, daß dies der Anlaß von Holsteins Rücktritt wurde. Das war auf persönliche Gründe zurückzuführen. Tschirschky wollte sich die leitende Stellung Holsteins nicht gefallen lassen. Bülow war schwer krank, und das benützte Tschirschky, um das vorliegende frühere Entlassungsgesuch Holsteins hervorzuholen und dem Kaiser vorzulegen. Es ist, wie Sie sagen, allerdings richtig, daß Tschirsch107 108
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Die Entente cordiale vom 8. 4. 1904. Unmittelbar nach dem Rücktritt von Außenminister Theophile Delcasse am 6. 6. 1905 machte Ministerpräsident Maurice Rouvier ein Kompromißangebot an Deutschland, das jedoch in Berlin abgelehnt wurde. Die Konferenz von Algeciras 1906 zur Beilegung des Marokkokonflikts. Im Vertrag von Madrid (3. 7. 1880) wurde allen in Marokko handeltreibenden Staaten die Meistbegünstigung zuerkannt.
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ky das nicht gewagt hätte, wenn er nicht der Zustimmung Bülows sicher gewesen wäre111. Ich wurde dann zuerst provisorisch zur Hilfeleistung herangezogen und fand die durch die begangenen Fehler ungünstig gewordene Lage vor112. In der Annexionskrise war ich dann für eine kräftige Unterstützung Deutschlands [sie!]. Ich möchte aber nicht sagen, bemerkte Kiderlen auf eine von mir gestellte Frage, daß wir den Vertrag vom Februar 1909 mit Frankreich deshalb abschlossen113, weil wir wegen des drohenden Konfliktes mit Rußland uns den Rücken decken wollten. Es war vielmehr unser Bestreben, in der unerquicklichen marokkanischen Angelegenheit zu einem Schlüsse und zu einer Einigung zu gelangen. Auch Clemenceau wünschte dies, hatte er doch auf Rußland mäßigend gewirkt, da er Frankreich nicht in einen Krieg verwickelt sehen wollte. Die Dinge änderten sich aber, als Frankreich an die Eroberung Marokkos und die Besetzung von Fez schritt. Eines Tages kam der Sultan von Marokko zu unserem Vertreter v. a, einem klugen Diplomaten, und sagte ihm, die Franzosen hätten soeben den Ort - Kiderlen kann sich auf dessen genauen Namen nicht erinnern - besetzt und seien dadurch über den bestehenden Vertrag hinausgegangen. Denn nach diesem waren sie [auf] eine Ausbreitung in der Schauia berechnet [sie!]. Der Sultan handelte in seinem Interesse ganz richtig, indem er Deutschland und Frankreich aufeinander hetzen wollte. Damals war Wangenheim mit dem Referat über diese Angelegenheiten betraut, der jetzige Botschafter in Konstantinopel. Ihm traute man, da er einige Wochen in Marokko zugebracht hatte, Kenntnis in diesen Angelegenheiten zu. Dieser nun berichtete dem Reichskanzler Bülow und beantragte, gegen die Besetzung des Ortes Protest zu erheben. Diesem Antrag stimmten die anderen Räte des Ministers zu, doch wollte Bülow abwarten, was ich sagte, der zufällig für kurze Zeit von Berlin abwesend war. Als ich kam, stellte ich Bülow vor: Er müßte sich, wenn er einen Protest dieser Art erhob, von Seiner Majestät die Erlaubnis erbitten, im Reichstag eine kriegerische Erklärung abzugeben, falls Frankreich dem Protest nicht Gehör schenke. Denn, so sagte ich, Deutschland hat in den letzten Jahren genug diplomatische Niederlagen erlitten und ertrüge keine neue. Da nun zeigte sich Bülow in seiner ganzen Größe: Er versammelte die Räte des auswärtigen Amtes und erklärte ihnen in feierlicher Rede, er könne den Protest nicht erheben; er müßte sich dann von Seiner Majestät früher die Ermächti-
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Vgl. zum Rücktritt Friedrich von Holsteins im April 1906 S. 307 Anm. 11. Am 5. 4. 1906 hatte Reichskanzler Bernhard von Bülow im Reichstag einen Schwächeanfall erlitten und sich darauf zur Erholung auf seinen Besitz Norderney zurückgezogen. Alfred von Kiderlen-Wächter vertrat von November 1908 bis März 1909 den erkrankten Staatssekretär Freiherr Wilhelm von Schoen. Vgl. zum deutsch-französischen Marokkovertrag vom 9. 2. 1909 S. 322 Anm. 48. Freilassung im Original. Gemeint ist Dr. von Vassel, deutscher Konsul in Fez.
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gung erbitten, im Falle der Ablehnung des Protestes im Reichstage den Krieg gegen Frankreich erklären [zu können]. So unterblieb der vorgeschlagene Schritt. Diese hübsche Geschichte sprach Kiderlen ohne sarkastischen Einschlag der Stimme, aber es war klar, daß er sich über Bülows Pose lustig machte. Er ist offenbar das Gegenstück zu Bülows pompös-repräsentativer Art - nüchtern, sachlich. Hierauf aber breiteten sich die Franzosen einem Ölflecke gleich aus. Sie nahmen immer mehr Orte in Besitz, erklärten dies mit der Notwendigkeit, Stämme zu züchtigen, von denen auf ihre Truppen geschossen worden war, endlich behaupteten sie, ihre Staatsangehörigen seien in Fez bedroht, sie müßten sie retten. Unser Vertreter in Fez meldete jedoch, weder er noch die übrigen Deutschen fühlten sich bedroht. Wir erklärten also den Franzosen, daß wir zwar nichts dagegen hätten, wenn sie glaubten, ihre Staatsangehörigen retten zu müssen. Sie könnten also nach Fez marschieren, wenn sie es für notwendig hielten, müßten aber Fez wieder räumen. Auch verwahrten wir uns dagegen, daß sie in diesem Falle die deutschen Staatsbürger mitnähmen, die sich in Fez vollständig sicher fühlten. Wir waren nicht in der Lage, den Franzosen vorzuschreiben, an einem bestimmten Punkte Halt zu machen, schon aus dem Grunde nicht, weil es keine geographische Grenze gab, auf die wir uns berufen konnten. Denn wer kann sagen, wo die Schauia aufhört? Als nun die Franzosen in Fez einrückten, verlangten wir von ihnen die Räumung der Stadt. Sie aber blieben. Da erklärten wir, damit sei der Vertrag von Algeciras gebrochen, wir hätten damit die Freiheit der Aktion zurückerhalten. Trotzdem traten die Franzosen nicht an uns mit einer Konversation heran. Ich sagte kurz darauf zu Jules Cambon in Kissingen: Wir konnten die Franzosen nicht in Fez dulden, es wäre denn, daß sie uns eine Kompensation gewährten114. Aber wiewohl Cambon für seine Person Lust zu einer Eröffnung gehabt hätte, wurde von Paris aus kein Vorschlag gemacht, keine Konversation eröffnet. „Sie können also", so fuhr Kiderlen fort, „ruhig schreiben, daß die französische Regierung nichts getan hätte, um uns entgegenzukommen, wenn wir nicht einen kräftigen Schritt unternommen hätten. Dazu waren wir durch die Lage der Dinge genötigt." Aber wir schickten unser Schiff nicht nach Casablanca und nicht nach Mogador, weil hier und dort Franzosen standen und leicht eine Explosion erfolgen konnte. Sondern nach Agadir, wo dies ungefährlich war115. Und wir gebrauchten dieselben Formen wie die Franzosen bei der Besetzung von Fez: Wir sagten, wir müßten unsere Staatsangehörigen schützen. Da nun zeigte es sich, daß Franzosen und Engländer sich scheuten, einen feindseligen 114
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Vgl. zu den Verhandlungen in Bad Kissingen Ende Juni 1911 Zeitalter des Imperialismus. Bd. 3, 23-24. Die Entsendung des deutschen Kanonenbootes „Panther" ins marokkanische Agadir im Juli 1911 führte zu schweren Spannungen zwischen Deutschland und Frankreich.
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Schritt zu machen. Weder die einen noch die anderen schickten nach Agadir Schiffe. Darauf aber weinten die Franzosen in London vor, daß wir zuviel von ihnen verlangten. Lloyd George hielt dann die Rede, die er später selbst beklagte116. Es ist richtig, so bemerkte Kiderlen auf eine von mir gestellte Frage, daß Nicolson und Bertie die Franzosen unnachgiebig stimmten. Aber von Grey ist das nicht zu sagen. Die Regierung als solche hat nichts Gehässiges gegen uns unternommen. So gelangten wir zu einem Abschlüsse, mit dem wir zufrieden sein können. Unsere kommerzielle Stellung in Marokko wurde befestigt. Und wir bekamen ein Stück des Kongo, mit dem wir zufrieden sein können117. Am Schlüsse des Gesprächs bot mir Kiderlen aus eigener Initiative ein zweites Gespräch an. Am nächsten Tag (Montag) hatte er keine Zeit, aber am Dienstag. Ob ich so lange in Berlin bleiben werde? Ich sagte, ich sei nach Berlin nur gekommen, um von ihm empfangen zu werden. Ich werde noch bleiben, wenn ich hoffen könnte, noch einmal bei ihm vorsprechen zu dürfen. Es blieb dabei, daß er mir telephonieren wolle, wann ich am Dienstag zu ihm kommen könnte. Von Marschall sprach Kiderlen mit einer gewissen Geringschätzung. Er hätte sich ganz in den Gedanken eingesponnen, daß Deutschland die Türkei stützen müßte. Noch im Frühjahr 1912 wäre er dafür eingetreten, worauf Kiderlen nicht eingehen wollte. Marschall schrieb Kiderlen, Konstantinopel sei der einzige Punkt, wo Deutschland noch eine Rolle in der Weltpolitik spielte. Kiderlen ließ durchblicken, daß die Meinungsverschiedenheit darüber die Ursache seines Abgangs aus Konstantinopel gewesen ist118. Uberhaupt sprach Kiderlen mit Geringschätzung über das, was Deutschland in Vorderasien wirken könne. Die Bagdadbahn habe keine Bedeutung für Deutschland, es lenke Deutschland von den Punkten, wo seine Interessen lägen, dorthin ab, wo es Interessen nicht besitzt. Diese Äußerungen erfüllten mich mit Staunen und erregten mir Beunruhigung. Ich glaubte aus dem Zusammenhang zu entnehmen (zusammengehalten mit den Bemerkungen Kühlmanns119), daß Deutschland Konzessionen in der Bagdadbahn und Vorderasien machen wolle, während es solche in Belgisch-Kongo erhofft. Das wäre den Engländern gerade Recht; denn sie erhielten in Vorderasien neue Expansionsgebiete und zahlen dafür mit dem belgischen Kongo, der ihnen nicht gehört.
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Zur Rede David Lloyd-Georges gegen die deutsche Marokkopolitik am 21. 7. 1911 vgl. Zeitalter des Imperialismus. Bd. 3, 32-38. Vgl. zum Abkommen vom 4. 11. 1911 S. 321 Anm. 42. Freiherr Adolf Marschall von Bieberstein wurde im Mai 1912 von Konstantinopel abund als Botschafter nach London berufen, wo er am 24. 9. 1912 starb. Vgl. S. 337.
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Pierre Comert, Korrespondent des Temps in Berlina
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18. November 1912 К 2, U 6, 706 г - 708 ν
Als Jules Cambon nach Berlin versetzt wurde (1907), sagte er zu Comert, der gerade in diesem Jahre zur Journalistik überging und erst den Korrespondenten des Temps vertrat: „Ich habe im Ministerium zu Paris den Leuten gesagt, daß, wenn sie mich nach Berlin schicken, sie doch hoffentlich hier zu einem Ergebnis gelangen wollen. Die bisherigen französischen Botschafter in Berlin waren recht dumm, hoffentlich", so sagte er zu Comert, „hat man mich nicht deshalb gewählt, weil man mich ebenso hoch schätzte." Dann weiter: „Wir können und werden ein Elsaß-Lothringen nicht vergessen, aber es sind 38 Jahre her, daß wir es verloren haben, ohne einen Krieg zu unternehmen. Auch in Zukunft wird es gefährlich sein und ungewissen Ausgangs, wie der Krieg endigt. Den Deutschen aber ist es noch nicht gelungen, mit den Bewohnern des Elsaß zu einem Ende zu gelangen. Wir können also jetzt nicht vom Elsaß sprechen, wohl aber können wir in Bezug auf alle anderen Angelegenheiten Geschäfte mit Deutschland machen. Wenn man mich dazu brauchen will, so bin ich bereit dazu. Allerdings kann bei dem öffentlichen Geiste in Frankreich von einem Zusammengehen mit Deutschland nicht die Rede sein. Das wird vielleicht in 10, 20, 30 Jahren möglich sein." In diesem Geiste ist Cambon, so sagt Comert, auch vorgegangen. Comert findet nun, daß, seitdem Holstein tot ist120, in Berlin eine andere Methode Frankreich gegenüber beliebt wird. Aber solange Bülow am Ruder war, kam man sich nicht nahe. Es ist unter Kiderlen anders und besser geworden. Cambon lobt Kiderlen, nennt ihn zuverlässig, aber Comert findet, daß er Kiderlen zu gut beurteilt. Der beste Beweis liegt in dem Verhalten Kiderlens während der Agadirkrise121. Cambon behauptet, Kiderlen habe zu ihm noch im Frühjahr 1911 von Mogador gesprochen. Es sei auch nicht ausgemacht (so Comert), daß Kiderlen zu den Alldeutschen wirklich nur zum Scheine von Marokko geprochen habe122. Einen anderen Beweis der Unaufrichtigkeit Kiderlens sieht Comert in folgendem Umstand: Kiderlen sprach zu Cambon (in Kissingen, wenn ich nicht irre123) von den Kompensationen, die Deutsch120
Der 1906 pensionierte Vortragende Rat im Auswärtigen Amt Friedrich von Holstein war am 8. 5. 1909 gestorben. 121 Die Entsendung des deutschen Kanonenbootes „Panther" ins marokkanische Agadir im Juli 1911 führte zu schweren Spannungen zwischen Deutschland und Frankreich. 122 Vgl. zum Gespräch mit dem Vorsitzenden des Alldeutschen Verbandes Heinrich Class am 19. 4. 1911 S. 339 Anm. 88. Der Staatssekretär widersprach jedoch den Aussagen Class' vor dem deutschen Reichstag am 23. 11. 1911, kurz nach der Einigung mit Frankreich in der Marokkofrage (4. 11. 1911). 123 Vgl. zu den Verhandlungen in Bad Kissingen Ende Juni 1911 Zeitalter des Imperialismus. Bd. 3, 23-24. " Geschrieben auf Papier des Savoy-Hotel, Berlin.
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Heinrich Rippler
land haben müßte; mit dieser Meldung begab sich (im Mai) Cambon nach Paris. Hier bestand eine Ministerkrise, und Cambon versicherte den französischen Regierungskreisen, Deutschland sei zu friedlicher Aussprache bereit, es sei friedlich gesinnt. Da öffnete er am l.Juli ein Zeitungsblatt und las von der Sendung des Kriegsschiffes nach Agadir. Natürlich fühlte er sich dadurch verletzt. Durfte Kiderlen so handeln? frug Comert. Wahrscheinlich war er mit der Regierung und mit sich noch nicht einig.
Heinrich Rippler, Chefredakteur der Berliner Täglichen Rundschaua
Berlin 19. November [1912] К 2, U 6, 709 г - 710 ν
Er wiederholt nur, was er schon in der Rundschau erklärte. Schon im Mai oder Anfang Juni sagte ihm Kiderlen: Deutschland werde aus Marokko nicht herausgehen. Nicht ganz verständlich, da es nicht drin war. Er habe die alldeutschen Führer zu sich berufen und ihnen wie anderen gesagt, er hoffe, ein Stück von Marokko zu erwerben124. Dabei war nicht an eine Besitzergreifung, aber an Teilung der Einflußsphären gedacht. Er dachte, wie Rippler annimmt, noch nach Agadir an solche Erfolge und gab sich einer Täuschung über die voraussichtliche Haltung Englands hin. Erst durch die Rede Lloyd Georges wurde er eines Besseren belehrt125. Dagegen hat Hammann ihm schon ein bis zwei Tage nach der Absendung des Panthers gesagt126, nicht auf Marokko sei es abgesehen, sondern auf ein Stück des Kongo. Darauf hielt ihm Rippler vor, daß Kiderlen ihm das Entgegengesetzte gesagt hatte. Er verlangte Klarheit und Bestimmtheit und schied von Hammann unwillig. Erzberger und Reventlow haben seinerzeit ihrem Freund im Sinne Kiderlens berichtet. Aber als Rippler sie zur Zeugenschaft aufforderte, zogen sie sich zurück, wollten entweder nichts gesagt haben (so Reventlow und Rath) oder behaupteten (so Erzberger), daß sie sich bei ihren Mitteilungen doch ungenau ausgedrückt hätten, und daß die Aufzeichnung Erzbergers in seinem Tagebuch über sein Gespräch mit Kiderlen anders lautete, als er darüber früher irrigerweise berichtet hatte. Aber Class, der Vorstand des Alldeutschen Vereins, hat genau über sein Gespräch mit Kiderlen berichtet, wie die Protokolle der Ausschußsitzungen des Vereines bekräftigen. Diese Pro-
Vgl. zum Gespräch mit dem Vorsitzenden des Alldeutschen Verbandes Heinrich Class am 19. 4. 1911 S. 339 Anm. 88 und S. 351 Anm. 122. 125 Zur Rede David Lloyd-Georges gegen die deutsche Marokkopolitik am 21. 7. 1911 vgl. Zeitalter des Imperialismus. Bd. 3, 32-38. 126 Die Entsendung des deutschen Kanonenbootes „Panther" ins marokkanische Agadir im Juli 1911 führte zu schweren Spannungen zwischen Deutschland und Frankreich. " Geschrieben auf Papier des Savoy-Hotel, Berlin. 124
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tokolle wurden auf dem Alldeutschen Tage zu Lübeck127, dem Rippler beiwohnte, verlesen, aber Rippler riet ihnen ab, diese Protokolle zu veröffentlichen. Sie würden zwar den Sturz Kiderlens herbeiführen können, aber sie würden sich bündnisunfähig machen. Viel interessanter als dieses Gerede ist das, was Rippler über die Rolle des Freiherrn von Eckardstein 1906 erzählte. Dieser war deutscher Geschäftsträger in London gewesen, [hatte] sich jedoch ins Privatleben zurückgezogen. Er hatte aber gute Beziehungen zu den französischen Politikern, und Rouvier machte ihm vertrauliche Eröffnungen: Ausgleich mit Überlassung eines Stücks Marokkos. Mit diesem Vorschlag ging Eckardstein nach Berlin128. Holstein lehnte gleich ab, da die Kaiserrede von Tanger diese Lösung unmöglich mache. Bülow zeigte sich anfangs geneigt, auf die Sache einzugehen; aber zuletzt erfolgte doch die Ablehnung. Das ist in der Täglichen Rundschau vom Sonnabend, dem 11. November 1911, erzählt. Eckardstein, so sagte mir Rippler, werde bereit sein, mir Auskunft zu geben, mir jedoch nicht mehr sagen können. Er bewohnt gewöhnlich seine Besitzung auf der Isle of Wright, in Sharklin; wenn er sich in Wien aufhält, so wohne er im Hotel Bellevue. Class, Marokko deutsch129 wurde in zehntausenden von Exemplaren verbreitet.
Jules Cambon, französischer Botschafter in Berlin Berlin, 19. November 1912, von 5-6 Uhr abends U 2a, 74a r - 77a v, 79a r - 81a r Er empfing mich freundlich. Er setzt sich zu mir wie ein Professor, sieht mich durch seine Gläser, scheint eine Frage zu erwarten. Um nicht gleich mit dem Wichtigsten zu beginnen, sondern das Gespräch in Fluß zu bringen, bat ich ihn, mir zu erklären, wieso Silvela den französisch-spanischen Vertragsentwurf nicht ratifiziert habe130. Silvela, war die Antwort, war ein Kon127
128
129 1,0
Die Verbandstage des Alldeutschen Verbandes fanden am 10. 9.1911 in Düsseldorf und am 8. 9. 1912 in Erfurt statt. Vgl. zu diesem Vorschlag, der im Mai 1905, nicht 1906 gemacht wurde, und den Freiherr Hermann von Eckardstein an Reichskanzler Fürst Bernhard von Bülow in Karlsruhe überbrachte, Die Große Politik der Europäischen Kabinette 1871-1914. Sammlung der diplomatischen Akten des Auswärtigen Amtes. Bd. 20/2 (Berlin 1925) 368-369 und Bernhard Schwertfeger, Die diplomatischen Akten des Auswärtigen Amtes 1871-1914. Ein Wegweiser durch das große Aktenwerk der deutschen Regierung. Teil 4/1 (Berlin 1925) 262. Heinrich Class, West-Marokko deutsch! (München 1911). Der im Jahre 1902 geschlossene Vorvertrag zwischen Frankreich und Spanien, der eine Teilung der Interessensphären in Marokko vorsah, wurde vom Ende 1902 gebildeten konservativen Kabinett Silvela nicht unterzeichnet; vgl. Zeitalter des Imperialismus. Bd. 1, 402-403. Jules Cambon war vor seiner Entsendung nach Berlin von 1901 bis 1907 in Madrid als Botschafter tätig.
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Jules Cambon
servativer, patriotisch, aber nicht weitblickend, und hatte eine Scheu, Spanien zu tief in die marokkanischen Angelegenheiten zu verwickeln. Er sagte mir einmal: Je weniger Marokko für Spanien, desto besser für dieses Land. Doch darf nicht erzählt werden, daß ich die Quelle für diese seine Äußerung bin. Spanien stand damals noch unter dem Eindrucke des Verlustes Kubas und der Philippinen131. Dieser Verlust war für einzelne, die als Beamte oder Offiziere dort wirkten, unangenehm, Spanien selbst zog keinen Gewinn aus diesen Gebieten, hatte nur große Ausgaben für sie und befindet sich ohne sie besser. Dieser Gedankenrichtung entsprach die Haltung Silvelas. Ich rückte nun der Sache näher. Ob Delcasse, als er den Vertrag von 1902 mit Spanien schloß, nicht beabsichtigt habe, England auszuschließen? Ob dies nicht ein Beweis dafür wäre, daß er von Anfang an nicht daran dachte, mit England eine Entente abzuschließen? Cambon erwiderte auf diese Frage nicht direkt, sondern sagte über Delcasse: Es ist einer der Fehler der deutschen Politik, daß sie Delcasse eine Rolle zugemessen habe, die er nie spielen wollte. Er ist ein Schreckbild geworden, obwohl er nicht die Feindseligkeit üben wollte, die man ihm zuschreibt. Es ist für das Verhältnis zwischen Deutschland und Frankreich verhängnisvoll geworden, daß man in Frankreich allgemein glaubt, er sei von Deutschland gestürzt worden132, und Frankreich hätte dadurch eine schwere Demütigung erlitten. Jetzt wurde Cambon wärmer. „Überhaupt versteht man in Deutschland nicht, Frankreich zu behandeln. Man ist bald zu beflissen (trop empresse), bald zu rauh. Auch Kiderlen-Wächter verfallt in diesen Fehler. Ich schätze ihn, und wir stehen gut miteinander. Es ist aber verhängnisvoll, daß Kiderlen einen guten Teil seiner Karriere im Orient durchlief. Er überträgt die Methoden der Orientpolitik auf die Beziehungen nicht bloß zu Frankreich, sondern auch zu England. Nun muß man mit China anders verhandeln als mit England, mit Serbien muß man anders sprechen als mit Frankreich. Es gibt aber Dinge, die man sich bei uns nicht gefallen lassen kann. Es ist unbeschreiblich, wie sehr der Coup d'Agadir das Verhältnis zwischen Deutschland und Frankreich geschädigt hat133. Es hat im Herbst des vorigen Jahres eine namenlose Erbitterung in Frankreich geherrscht. Herr von Kiderlen hat mir im Winter auf 1911 und auch in Kissingen von Marokko gesprochen134, insbesondere von Mogador, und er hat dann öffentlich geleugnet, daß dies der Fall gewesen ist. Das war nicht in Ordnung. Ich habe ihm immer gleich erwidert: Sprechen Sie 131 132
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Als Folge des spanisch-amerikanischen Krieges 1898. Der französische Außenminister Theophile Delcasse trat am 6. 6. 1905 zurück, nachdem der Ministerrat gegen seinen Vorschlag der Teilnahme an einer internationalen Konferenz zur Beilegung des Marokkokonfliktes zugestimmt hatte. Die Entsendung des deutschen Kanonenbootes „Panther" ins marokkanische Agadir im Juli 1911 führte zu schweren Spannungen zwischen Deutschland und Frankreich. Vgl. zu den Verhandlungen in Bad Kissingen Ende Juni 1911 Zeitalter des Imperialismus. Bd. 3, 23-24.
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nur nicht von Marokko, davon kann nicht die Rede [sein]. Außerdem sprach er in Kissingen von Kompensationen, bat mich, sich [sie!] in Paris zu erkundigen, was man bieten wolle; er verabschiedete sich von mir mit den Worten: Bringen Sie mir gute Nachrichten aus Paris. Ich erfuhr nun in Paris aus den Zeitungen die Absendung des Panthers nach Agadir. Ich begab mich darauf zu Schoen und sagte ihm: Ihr habt einen großen Fehler gemacht. Herr von Kiderlen hat mir nichts von dem Streich gesprochen, es wäre aber besser gewesen, mir zu sagen, daß die deutsche Regierung mit dieser Absicht umgehe, sodaß ich meiner Regierung hätte sagen können, sie möge lieber früher mit dem Angebot ihrer Kompensationen hervortreten. Jetzt hat sich der öffentlichen Meinung in Frankreich Erregung bemächtigt. Ihr untergrabt auf diese Weise meinen Einfluß, obwohl ihr wißt, daß ich dafür arbeite, daß sich Frankreich und Deutschland in der Marokkofrage verständigen." Ich habe, so schob Cambon ein, als ich 1907 nach Berlin geschickt wurde, meiner Regierung gesagt, es wäre schade, mir diese Mission anzuvertrauen, wenn man die Absicht hegte, den alten Streit fortzuspinnen. Es war sehr schädlich, daß die Vertreter Frankreichs in Berlin stets die dümmsten unter den Botschaftern der Republik gewesen sind. „Oder", so bemerkte Cambon mit viel Freiheit, „hat man mich etwa auch aus diesen Gründen gewählt?" Ich muß nun sagen, daß nach dem Rücktritte Bülows, oder besser gesagt nach dem Zurücktreten des Einflusses Holsteins eine klügere Auffassung in Berlin Platz griff. Freiherr von Schoen galt sogar ids zu schwach in der Regelung der Beziehungen zu uns, und die Alldeutschen glaubten, mit Kiderlen sei ein kräftiger Mann, ein Mann nach ihrem Herzen, ins Amt getreten. Das war nun ein seltsames Mißverständnis, denn eben mit Kiderlen habe ich [den] Streit über Casablanca geschlichtet und auch den Vertrag von Februar 1909 verhandelt, an dem er größeren Anteil hatte als Herr von Schoen135. Ich spreche mich sehr gut mit Herrn von Kiderlen, schätze ihn und war umso mehr über sein Vorgehen nach der Besprechung von Kissingen verstimmt. Uberhaupt war in diesen Verhandlungen nicht selten zu bemerken, daß Kiderlen das vergaß, was er mir vorher gesagt hatte. Es scheint, daß er sich über die Unterredungen mit mir oder anderen fremden Gesandten keine Aufzeichnungen macht. Ich selbst mache mir genaue Notizen, und ich fand, daß sich aus der Vergeßlichkeit Kiderlens Schwierigkeiten ergaben. Das alles wurde höchst liebenswürdig, fein, ohne Anflug von Bosheit vorgebracht; als ob die Loyalität des anderen keinem Zweifel unterliege. Es war aber eine bestimmte Kritik Kiderlens als Unterhändler. Ich fragte nun Cambon, ob er glaube, daß Kiderlen ursprünglich (beim Streiche von Agadir) Absichten auf ein Stück Marokko gehabt habe. Er bejahte diese Frage und fügte hinzu, daß seiner Ansicht nach erst die Haltung 135
Vgl. zum Zwischenfall von Casablanca im September 1908 S. 313 Anm. 22, zum Marokkoabkommen vom 9. 2. 1909 S. 322 Anm. 48.
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Jules Cambon
Englands und die Rede Lloyd Georges das Aufgeben dieser Pläne herbeiführte136. Dafür, so sagte er, liegt der Beweis nicht bloß in den Bemerkungen Kiderlens, sondern auch in dem, was der Kronprinz in der Angelegenheit sagte137. Ich bemerkte, daß die Äußerungen Cambons wichtiger seien als die Worte eines jungen Mannes wie es der Kronprinz war. Darauf Cambon: Oh, ich lege auf die Äußerungen der Jugend großen Wert, denn die Jugend gibt offenherzig und deutlich den Gang der Ideen wieder, die in einem Lande herrschen, und der Kronprinz sagte - hier überhörte ich einen Satz, aber die Worte des Kronprinzen sind ohnedies bekannt. Alles, was Cambon sagte, war in gewinnendem, überzeugendem Tone gesagt, die Tatsachen wohl gruppiert, ohne ihnen Gewalt anzutun. Er ist ein charmeur, er will nicht imponieren, wie sein Bruder138, sondern durch Gründe gewinnen. In seiner Art liegt ein großer Reiz. Er vermag wohl, andere einzuspinnen. Die Unterhandlung zwischen dem groben, kraftvollen Schwaben und dem feinen Franzosen muß zu Überraschungen eigener Art geführt haben. Eine Kulturwelt spricht aus den Zügen, aus den Bildern, aus den Gründen Cambons. Kiderlen ist nach seiner hohen Gestalt, seiner Breitschultrigkeit, dem Fett seines Gesichtes gegenüber Cambon der gescheite, kraftvolle Barbar gegenüber dem verfeinerten Kulturmenschen. Nach Comerts Bericht139 war die Stellung Cambons dadurch erschwert, daß er nicht bloß in Paris immer nachfragen, sondern daß er sich überhaupt scheuen mußte, in Paris als allzu nachgiebig zu erscheinen. Er durfte also nie raten einzuschlagen, um nicht in ein schiefes Licht zu geraten. Einmal, so erzählte ihm Cambon, bot Kiderlen den Togo für einen Gegenwert. Cambon hätte, wenn es an ihm gelegen wäre, zugestimmt, aber er mußte die Sache nach Paris melden. Als die Antwort kam, stellte Kiderlen in Abrede, den Togo angeboten zu haben, der Augenblick unwiederbringlich verloren. aDas Gespräch wandte sich den Ereignissen des Jahres 1906 zu. Ich fragte ihn, ob er etwas Näheres über das Angebot wisse, welches der deutschen Regierung von Rouvier gemacht worden sei, ein Stück Marokko betreffend. Insbesondere, ob er etwas von dem Vorschlage wisse, welchen Rouvier dem Freiherrn von Eckardstein gemacht habe140. Cambon erwiderte, daß er Zur Rede David Lloyd-Georges gegen die deutsche Marokkopolitik am 21. 7. 1911 vgl. Zeitalter des Imperialismus. Bd. 3, 32-38. 137 Der deutsche Kronprinz Friedrich Wilhelm hatte in einem Gespräch mit Jules Cambon die deutschen Ansprüche auf Marokko betont. Vgl. Zeitalter des Imperialismus. Bd. 3,27. 138 Paul Cambon, französischer Botschafter in London. 139 Vgl. S. 351 f. 140 Vgl. zu diesem Vorschlag Die Große Politik der Europäischen Kabinette 1871-1914. Sammlung der diplomatischen Akten des Auswärtigen Amtes. Bd. 20/2 (Berlin 1925) 368-369 und Bernhard Schwertfeger, Die diplomatischen Akten des Auswärtigen Amtes 1871-1914. Ein Wegweiser durch das große Aktenwerk der deutschen Regierung. Teil 4/1 (Berlin 1925) 262. " Der folgende Eintrag maschinschriftlich. 136
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nichts davon wisse. Es sei aber immerhin möglich, daß Rouvier etwas ähnliches versucht habe. Rouvier war vor allem ein großer, sehr großer Geschäftsmann, der gewohnt war, Opfer zu bringen, wenn er irgendetwas auf der anderen Seite erreichen wollte. Es mag also sein, daß er ein Stück Marokko dahingegeben habe. Cambon fragte mich, ob ich wisse, weshalb die deutsche Regierung sich damals so spröde erwiesen hatte. Ich erzählte ihm nun, daß Fürst Bülow mir gesagt habe, dies sei mit Rücksicht auf die islamitische Welt geschehen, die man durch die Preisgebung des Sultans von Marokko nicht habe verletzen wollen. Cambon war im höchsten Grade erstaunt. Er sagte: Von der Einheit der islamitischen Welt könnte nur derjenige etwas halten, der von ihr in den Vorzimmern von Konstantinopel Kenntnis erhalten hatte. Eine islamitische Einheit bestand damals so wenig, wie sie jetzt besteht. Ich war, wie Sie wissen, durch Jahre Gouverneur von Algier und habe Türken und Araber kennengelernt. Die Geschichte des letzten Jahrzehnts beweist, daß eine Solidarität der Bekenner des Islams nicht besteht. Insbesonders waren sich die Marokkaner und die Türken stets feindselig gesinnt. Der Sultan von Marokko betrachtet den von Konstantinopel für einen Usurpator, für einen Ketzer. In Marokko existiert ein Scheich, der ein Abkömmling Alis, des Schwiegersohnes des Propheten Mohammed zu sein behauptet. Die Marokko-Stämme halten sich für etwas Besseres wie die Türken. Ebenso sind die Türken mit den Arabern arg verfeindet. Als die Franzosen Algier eroberten und mit Abd el Kader jahrelang Krieg führten141, waren zwei oder drei türkische Stämme die erbittertsten Feinde Abd el Kaders und leisteten uns Hilfe. Die Türken halten von den Arabern nichts, wie aus einer Geschichte erhellt, die türkischen Ursprungs ist. a Übrigens ist das ganze türkenfreundliche System der deutschen Regierung jetzt zusammengebrochen. Es ist ein Glück für Marschall, daß er jetzt gestorben ist142. Er ist rechtzeitig für seinen Ruhm gestorben. Goltz lebt noch und wird seinen Ruhm überleben143.
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Abd el Kader leitete von 1832 bis 1847 den Widerstand gegen die Franzosen in Algerien. Freiherr Alfred Marschall von Bieberstein war im Mai 1912 als Botschafter von Konstantinopel nach London versetzt worden, wo er am 24. 9. 1912 starb. Der preußische General Freiherr Colmar von der Goltz reorganisierte von 1883 bis 1895 das türkische Heer und stand auch von 1909 bis 1911 im Dienste der Pforte. Freilassung im Original.
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Alfred v o n Kiderlen-Wächter
Alfred von Kiderlen-Wächter, deutscher Staatssekretär des Auswärtigen Amtes Berlin, 19. November 1912, von 7 Uhr abends an К 2, U 2a, 129a r - 136a ν Er beginnt wieder mit der aktuellen Politik144. Er wiederholt, daß Deutschland unbedingt hinter Österreich stehe, und daß dieses auch bei kräftigem Vorgehen auf Deutschland rechnen könne. Es liege im Interesse jedes der beiden Reiche, daß das andere nicht „zerlappert" werde. Denn dann würde jenes Nase an Nase Rußland gegenüberstehen. Deutschland würde dann in Gefahr sein, von Rußland und Frankreich angegriffen zu werden. In seinem eigenen innersten Interesse müsse Deutschland so handeln. August Stein sagte mir am nächsten Tage, wieso es kam, daß Kiderlen von aktueller Politik mit mir sprach. Hammann habe gehört, er werde mich empfangen, und schrieb ihm, er solle mit mir von dem Verhältnisse zu Osterreich sprechen. Einer Feder und einem Manne, wie ich es sei, müsse er etwas über die Lage sagen etc. etc. Ich griff diese Redewendungen auf, um über den Dreibund zu sprechen. Kiderlen zeigte sich nicht über die Daten unterrichtet. Er wiederholte, daß es ursprünglich einen österreichisch-italienischen und einen deutsch-italienischen Vertrag gegeben habe, und daß sie dann in den Dreibundvertrag vereinigt worden seien, aber er wisse nicht, in welchem Jahre dies geschehen ist. Ich fragte: 1887? Er war unsicher, er glaube es. Und nochmals die Erwähnung, daß man festgestellt habe, der Vertrag von 1879 gelte auch nach und trotz des Dreibundvertrags. Der erstere gelte sine die und sei weiter und enger. Er geht gegen Rußland. Der Dreibundvertrag hat auch einen Angriff seitens Frankreichs im Auge. Über meine Bemerkung: er gelte nur, wenn keine „provocation directe" erfolgt ist, ging Kiderlen diesmal hinweg.3 Ich lenke das Gespräch auf das Verhältnis Deutschlands zu England. Es sei, so sagt er, durch das unglückliche Kaisertelegramm an Krüger verschlechtert worden145. Auf meine Frage, ob Deutschland während des Burenkrieges nicht gut daran getan hätte, sich entweder England oder Frankreich zu nähern, antwortet er mit einem tiefen Schweigen. Doch, wenn auch in einem anderen Zusammenhang, bezeichnet er Frankreich als den stets mißtrauisch zu beobachtenden Nachbarn. Nur die Stärke Deutschlands halte die Franzosen von einem Angriffe ab. Wenn irgendein Feind sich gegen 144
Vgl. S. 344-350. In einem Telegramm vom 3. 1. 1896 gratulierte der deutsche Kaiser dem Präsidenten Transvaals Paul Krüger, daß sein Land die englischen Freischärler, die nach Transvaal eingedrungen waren, ohne fremde Hilfe zurückschlagen konnte. " Randbemerkung: Meine Frage war nicht korrekt, wie aus dem ersten Gespräche mit Kiderlen hervorgeht.
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Deutschland erhöbe, es angriffe, werde keine französische Regierung imstande sein, die Teilnahme Frankreichs am Kriege zu verhindern. Sie würde von der öffentlichen Meinung sonst weggefegt werden. Doch sei es richtig, daß die jetzt leitenden Kreise einen Krieg nicht wünschen und daher es verhindern wollen, daß Rußland oder England losschlägt, weil sie nicht hineingezogen werden wollen. Es gehe noch lange nicht an, daß sich eine Entente einstelle. Das verhindere die öffentliche Meinung in Frankreich. Jules Cambon verfolge sichtbar dieses Ziel, um ein Werk zu schaffen ähnlich dem seines Bruders: französisch-englische Entente146. Davon aber sei man noch weit entfernt. Aus diesen Äußerungen geht hervor, daß Kiderlen nur um wenige Nuancen weniger mißtrauisch gegen Frankreich ist als Bülow. Auch er sieht in Frankreich den eigentlichen Gegner; er hält eine Auseinandersetzung mit England, wie er mehr andeutet als ausspricht, für leichter. Er hat gegen Frankreich eine schwere Hand, wie sich auch Jules Cambon beklagte. All dies bietet keine neuen Gesichtspunkte. Er arbeitet mit den alten Mitteln, doch urteilt er nicht so verbissen über Frankreich wie Tschirschky. Viel interessanter als diese Allgemeinheiten ist das, was er über die Agadirsache erzählt. Da ich eine Stunde vorher mit Cambon gesprochen hatte147, kann ich dessen Einwendungen gegenüber der deutschen Marokkopolitik frisch vorbringen. Es hat einen großen Reiz für mich, die beiden Staatsmänner miteinander zu konfrontieren, ohne daß Kiderlen davon weiß, daß ich durch Cambon unterrichtet [bin]. Ich hielt es für ziemlich, die vorangegangene Unterredung mit Cambon nicht zu erwähnen. Dem einen zu erzählen, was der andere über ihn gesagt hatte, wäre untunlich gewesen. Auch hatte ich Cambon zugesagt, daß ich Kiderlen nichts davon erzählen werde. Ich sagte also zu Kiderlen: Sehr ernste Leute in Paris hätten es unbegreiflich gefunden, daß er Cambon in der Unterredung zu Kissingen gesagt habe, Deutschland verlange eine Kompensation, und daß Cambon, nach Paris kommend, erst aus den Zeitungen von der Sendung des Kriegsschiffes nach Agadir erfahren hatte. Darauf Kiderlen: „Es ist wahr, daß ich Cambon in Kissingen nichts über den bereits erwogenen Plan gesagt hatte. Ich durfte es nicht sagen, denn sonst hätten die Franzosen selbst zuvor ein Schiff nach Agadir geschickt und gesagt: Nun seien die deutschen Staatsangehörigen geschützt. Hätten wir dann auch ein Kriegsschiff hinsenden sollen? Das war untunlich. Ebensowenig wollten [wir] in Mogador erscheinen, wo eine französische Polizeitruppe bestand, oder gar in Casablanca. Ich durfte also nicht sagen: Wenn ihr nicht mit uns über Kompensationen verhandelt, werden wir ein Schiff nach Agadir senden. Im Gegenteil: Es mußte das Geheimnis ge146
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Die Entente cordiale vom 8. 4. 1904, an deren Abschluß der Botschafter in London Paul Cambon maßgeblich beteiligt war. Vgl. S. 353-357.
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Alfred von Kiderlen-Wächter
wahrt [werden], und zu diesem Zwecke wurde der Panther ausgewählt, der sich den marokkanischen Gewässern zufällig nahe befand. Die Berlin, die eigentlich diesem Zwecke dienen sollte, wurde dann aufgeboten. Wäre sie aber als erstes Schiff von Deutschland gegen Marokko aufgeboten worden, so hätte aus ihrem Kurs erraten werden können, welche Bestimmung sie habe. Wir wollten zuerst in Agadir erscheinen, und tatsächlich haben Franzosen und Engländer sich doch gescheut, gleichfalls dorthin ein Schiff zu senden." Ist es denn wahr, frug ich weiter, daß Sie zu Kissingen und auch früher von Mogador und einem Anspruch auf einen Teil von Marokko gesprochen haben? Hegte Deutschland die Absicht, dort eine Erwerbung zu suchen? „Ja, sagte Kiderlen gerade und offen, ich habe zu Cambon von Mogador gesprochen, aber ich hatte nie die Absicht, auf dieses Ziel, auf die Erwerbung eines Stückes von Marokko hinzuarbeiten. Aber ich mußte so sprechen, um überhaupt Kompensationen zu erlangen. Hätte ich gleich einen vollständigen Verzicht auf Marokko ausgesprochen, so würde Deutschland nichts erhalten haben. Weshalb sollten die Franzosen uns dann etwas bieten? Sie würden jedes Zugeständnis verweigert haben." Die treffende Begründung seiner Politik wurde in knappen, klaren Sätzen, knapper wohl, als ich es niedergeschrieben [habe], vorgebracht. Dabei zwinkerte Kiderlen mit den Augen, wie einer, der sich eines schlauen Streiches freut. Derselbe ironisch-selbstzufriedene Ausdruck lag im Klange seiner Stimme. Ich bemerkte sofort, daß ich seine Motive möglichst genau mit seinen Worten darlegen werde148. Er erklärte sich damit einverstanden. In diesen Ausführungen liegt zugleich die Antwort auf die Vorwürfe der Alldeutschen gegen ihn und besonders Ripplers149. Kiderlens Versicherung, der Anspruch auf ein Stück Marokko sei nur ein taktischer Zug gewesen, hat mich überzeugt. Darin hat er klug operiert und den Franzosen einen großen Schrecken eingejagt. Nun erklärt sich aber auch, daß die Engländer zunächst überzeugt waren, Deutschland wolle sich in Marokko festsetzen. Es erklärt sich auch die Rede Lloyd Georges160. Kiderlens Handlungsweise ist klug zu nennen, selbst verschlagen, vorausgesetzt, daß er nicht nachträglich konstruiert und sich und anderen seine Handlungsweise nachträglich zurechtlegt. Indessen bin ich geneigt zu glauben, daß er im Ganzen und Großen korrekt berichtet. Hatte er aber innerlich wirklich ganz auf Marokko verzichtet? Er behauptet es und stellt besonders fest, daß er in Kissingen zu Cambon gesagt hat: Deutschland sei bereit, den Franzosen politiquement in Marokko freie Hand zu lassen, kommerziell mußte es sich die offene Türe sichern, wogegen Frankreich Kompensationen bieten müsse. Er forderte 148 149 150
Vgl. Zeitalter des Imperialismus. Bd. 3, 22-24. Vgl. S. 352 f. Zur Rede David Lloyd-Georges gegen die deutsche Marokkopolitik am 21. 7. 1911 vgl. Zeitalter des Imperialismus. Bd. 3, 32-38.
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Cambon eben in Kissingen auf, darüber nachzudenken und ihm gute Kunde aus Paris mitzubringen. Ich werde also in meinem Buch möglichst nach Kiderlens Worten dessen Motive darlegen. Ich werde ihn und Cambon sprechend anführen, ohne zu sagen, daß sie selbst meine Quellen gewesen sind. Ich werde am besten tun, nicht zu sagen, ob ich Kiderlen vollen Glauben schenke. Er mag für sich selbst Zeugnis abgeben151. Comert, dem ich unmittelbar darauf das „Playdoyer" [sie!] Kiderlens mitteile, weil die deutsche Politik dadurch eine interessante Begründung erhält und ganz durchsichtig erscheint, teilt meine Ansicht, daß damit freilich manches Rätsel gelöst sei. Auch er findet diese diskrete „Confrontation" Kiderlens und Cambons von hohem Interesse. Jene Bemerkungen Kiderlens über den Agadir-Streich sind der Höhepunkt des Gesprächs. Doch ist auch das von Interesse, was er über die Beziehungen Eduards VII. zu seinem Neffen sagte. Er findet nicht, daß die Ursache der Differenzen in der von Hohenlohe erwähnten schlechten Behandlung Kaiser Friedrichs durch Bismarck gewesen [sie!] ist152. Eher ist die Parteinahme Eduards für die Kaiserin Friedrich heranzuziehen. Viktoria war antipreußisch gesinnt. Auf meine verwunderte Frage wiederholt Kiderlen: Ja, antipreußisch. Alles Englische schien ihr größer, höher, die preußischen Verhältnisse fand sie gar zu eng. Eduard stand auf ihrer Seite, und schon, weil er mit Königin Victoria, ihrer Mutter, nicht gut stand, und diese mehr zu Deutschland hielt, bildete sich ein Gegensatz zu Deutschland heraus. Aber das sind nicht die Hauptmotive. Ausschlaggebend war, daß der Prinz von Wales in der Karriere von Kaiser Wilhelm überholt wurde. Hier wieder eine amüsant sarkastische Stimmfarbung, ein schlaues Aufblitzen des Auges Kiderlens. Der junge Neffe, den Eduard zu übersehen glaubte, war früh Herrscher geworden, und der Prinz von Wales glaubte, ihn auch weiter von oben herab behandeln zu können. Das mag der Kaiser anfanglich hingenommen haben, bis er sich endlich auflehnte und dem Onkel zu verstehen gab, daß er selbst Kaiser sei und dieser - nichts. Das ganze klang wie eine Persiflage beider Herrscher, auch der Kaiser erhielt, wenn auch nicht durch ein Wort, so doch durch die Betonung Kiderlens seinen Hieb. Nicht feine Ironie, sondern Sarkasmus scheint Kiderlens perönliche Note zu sein. Ich lachte und sagte zu Kiderlen: Was ich gehört habe, ist höchst amüsant, schade, daß ich es so nicht schreiben kann, und wenn ich es auch täte, daß ich durch den schriftlichen Ausdruck nicht den Tonfall seiner Stimme wiedergeben könne. Kiderlen schien durch diese Bemerkung geschmeichelt zu sein, er hat es auf die äußere Wirkung seiner Sarkasmen abgesehen. Er geht auch auf meine Frage nach der Bedeutung König Eduards ein. Es ist richtig, 151 152
Vgl. Zeitalter des Imperialismus. Bd. 3, 16-31. Vgl. Denkwürdigkeiten des Fürsten Chlodwig zu Hohenlohe-Schilingsfürst, hrsg. von Friedrich Curtius. Bd. 2 (4. Aufl. Stuttgart - Leipzig 1907) 440.
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Graf Anton Monte de Mazin
daß er für die inneren Verhältnisse Englands nicht das notwendige Verständnis mitbrachte. Anders stand es um die äußere Politik. Hier war er gut unterrichtet. Ein König hat doch der Mittel genug, sich Informationen zu verschaffen. Er war denn auch ein gewandter Agent der englischen Politik. Er wäre ein guter Botschafter geworden, aber zum Minister des Äußern hätte er nicht das Zeug gehabt. Nach den Angaben seiner Ratgeber zu handeln, dazu war er gut geeignet. Zum Schlüsse der Unterredung sagte Kiderlen zu mir: „Ich habe Ihnen eine Post auszurichten. Sie waren bei Ihrem Botschafter, haben ihn aber verfehlt. Graf Szögyeny möchte aber gerne mit Ihnen sprechen und bittet Sie, ihn telephonisch anzurufen, und, falls Sie noch in Berlin bleiben, ihm zu sagen, wann Sie kommen können." Als ich Kiderlen für die liebenswürdige Aufnahme, die ich gefunden [hatte], dankte, sagte er höflich: Er selbst sei zu Dank verpflichtet, da er Gelegenheit hatte, den berühmten Schriftsteller kennenzulernen etc. etc.
Graf Anton Monts de Mazin, deutscher Botschafter in Rom a. D.
Wien, 23. November 1912 К 2, U 2a, 99a r - 104a ν
Holstein war ein Mann von patriotischer Hingebung, hingebendem Fleiße. Monts war eine Zeitlang dem auswärtigen Amt zugeteilt. Wenn er ins Amt kam, hatte Holstein schon den Einlauf durchgearbeitet und gab Monts ein kristallklares Resümee aller Meldungen mit einer durchdringenden Kritik derselben und besprach die Monts zustehende Aufgabe. Aber er war mißtrauisch, von Verfolgungswahn irregeleitet. Er forderte Monts, bis er in einem bestimmten Augenblick ihm seine Gunst entzog; aber später kamen sie wieder ins Gleiche. Von Bülow sprach er ironisch, aber dieser wußte Holstein auch nach dessen Rücktritt so klug zu behandeln, daß er nie zugab, Bülow habe bei Tschirschkys Vorgehen zu Holstein Gevatter gestanden153. Er wollte es vielleicht nicht zugestehen, um die Bande mit Bülow nicht zu zerreißen. Dieser sandte ihm auch nach Holsteins Rücktritt die Akten zur Einsicht, bediente sich vielfach seines Rates. Monts gibt zu, daß Holstein für den Marokko-Mißgriff schuldig war. Aber bei Monts' Hasse gegen Bülow erklärt er diesen für den Hauptschuldigen und ist wie Kiderlen der Ansicht, man hätte konsequent sein und die Konferenz von Algeciras154 zum Scheitern bringen sollen. Als Monts später mit Holstein sprach, fragte er diesen, wie er denn habe glauben können, mit solchen Schwächlingen wie dem Kai153 154
Vgl. zum Rücktritt Friedrich von Holsteins im April 1906 S. 307 Anm. 11. Die Konferenz zur Beilegung der Marokkokrise 1906. Vgl. Zeitalter des Imperialismus. Bd. 2, 83-86.
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ser und Bülow eine kräftige, konsequente Politik bis zu Ende führen zu können. Den Kaiser Wilhelm macht Monts in erster Linie für das Nachgeben auf der Konferenz verantwortlich. Mit einem derben Bilde (der Kaiser habe zum Abführen eingenommen) erklärt er ihn für allzu friedensliebend. Bülow selbst sagte in einem bestimmten Augenblick der Krise zu Monts, es werde nichts übrigbleiben, als mit Frankreich und England den Krieg aufzunehmen. Diese Äußerung erschreckte Monts, er hielt Bülow vor, daß England die deutsche Kriegs- und Handelsflotte zerstören könne. Da erwiderte Bülow: Dann werde man sich an Frankreich schadlos halten. Aus dieser Erzählung geht hervor, daß Bülow 1905/6 selbst fürs Durchhalten war. Das stimmt auch zu der Äußerung Bülows zu mir, daß es die übereilten Friedensworte des Kaisers und dessen Friedensliebe gewesen waren, die das Nachgeben in Algeciras herbeiführten3. Monts selbst entlastet Holstein, klagt den Kaiser an und verdammt Bülow. Dieser letztere habe als Höfling völlig grundsatzlos gehandelt, sich den Wünschen des Kaisers auf Frieden um jeden Preis anbequemt und dann Holstein zum Sündenbock gewählt („ihn in die Wüste gejagt"). Auch Monts ist der Meinung, daß Tschirschky nicht den Mut gefunden haben würde, Holstein abzusägen, wenn er Bülow nicht hinter sich gewußt hätte. Monts Gedankengang ist folgender: Es war ein verhängnisvoller Fehler, ein Irrsinn, daß Deutschland 1905/6 nicht auf die Anträge Frankreichs einging. Aber da man nicht einwilligte, war die Sprengung der Konferenz das Verständigste, war die Konsequenz. Denn auf der Konferenz gab Deutschland den Madrider Vertrag preis155, und wenn man sich auf diesen zurückgezogen hätte, so war die Stellung Deutschlands noch immer eine gute. Ein Krieg wäre daraus nicht gefolgt. Den Hauptfehler sieht Monts darin, daß man nicht auf die Vorschläge einging, die im Mai 1905 durch ihn nach Berlin übermittelt wurden156. Damals war noch Delcasse Minister. Man hat diesen Mann mit Unrecht als konsequenten Gegner Deutschlands hingestellt. Bülow benützte ihn als Popanz, um auf den Kaiser zu wirken. In Wahrheit richtete sich Delcasse nach den Umständen. Im Mai 1905 war [es] Luzzatti, der Schatzminister, der Grafen Monts die ihm von der französischen Regierung anvertraute Botschaft [mitteilte]. Darin waren gegen die Überlassung Marokkos drei Zugeständnisse an Deutschland gemacht: 1) Zwei Häfen an der Küste von Marokko, darunter Casablanca; 2) eine Entschädigung am Kongo (wenn ich Monts richtig verstanden habe) und 3) eine Genugtuung für Kaiser Wilhelm, damit dieser wegen seiner Tangerrede nicht bloßgestellt sei. Luzzatti hatte den Vorschlag überbracht, daß Monts mit Barrere über 155
Im Vertrag von Madrid (3. 7. 1880) wurde allen in Marokko handeltreibenden Staaten die Meistbegünstigung zuerkannt. 156 Vgl. dazu Zeitalter des Imperialismus. Bd. 2, 60-63. " Aufzeichnungen über Gespräche mit Fürst Bernhard von Bülow sind nicht erhalten.
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die Sache verhandeln sollte. Monts empfahl nun in einem ausführlichen, eindringenden Bericht, die Verhandlung zu eröffnen157. Er schrieb so gut und lebhaft, als er nur konnte. Aber in Berlin blieb man spröde. Man antwortete: Nach der Rede des Kaisers in Tanger sei eine Opferung des Sultans unmöglich; das „monarchische Prinzip" würde darunter leiden. Diese Wendung wird von Monts mit Hohn wiedergegeben. Monts klagt sich an, daß er nicht lieber selbst nach Berlin gereist und sich nicht unmittelbar an den Kaiser gewendet habe, um ihn für die Sache zu gewinnen. Er wird nicht müde, die Unfähigkeit und Gewissenlosigkeit Bülows hervorzuheben. Er gibt zu, daß Holstein Träger dieser Politik gewesen [ist], spricht aber über ihn in sanften Tönen, während er Bülow schonungslos verurteilt. Dieser sei allerdings ein Mann ungewöhnlicher Begabung, ein glänzender Parlamentarier, ein gewinnender Redner, aber gesinnungslos, bloß auf Erhaltung seiner Stellung, auf Äußerlichkeiten und Blendwerk gerichtet gewesen. Deutschland brauchte weniger einen brillanten Redner als einen nüchternen, soliden Geschäftsmann. Er aber war nur auf Höflingskünste bedacht. Der Schaden, den er Deutschland zufügte, war unermeßlich. Graf Eulenburg stand mit Holstein und mit Bülow sehr gut. Eulenburg war ein feiner, kluger Kopf, daß ein Mann dieser Art sich zu dem Schwur habe entschließen können, niemals mit den bairischen Jägern in unerlaubtem Verkehr gestanden zu haben, sei fast unbegreiflich. Hätte er diesen schweren Mißgriff nicht begangen, so würde das Verhängnis nicht über ihn hereingebrochen sein. Es wurde Monts glaubhaft versichert, daß Eulenburg als Angeklagter einen solchen Eindruck auf die Geschworenen machte, daß sie ihn freigesprochen hätten158. Holstein stand mit Eulenburg in bester Verbindung und wirkte durch ihn auf den Kaiser. Aber Eulenburg war nach seiner weichen Gemütsart ein Gegner einer scharfen MarokkoPolitik. Ihm wäre es am liebsten gewesen, wenn Deutschland überhaupt die Finger von Marokko gelassen hätte. Monts läßt durchblicken, ohne daß es deutlich gesagt ist, daß darin die Ursache des Hasses Holsteins gegen Eulenburg gelegen war. Deshalb warf Holstein ihm vor, daß er seinen Freund Lecomte, den französischen Botschaftssekretär, mit dem Kaiser zusammengebracht hatte159. Aber auch Bülow wollte Eulenburg stürzen, weil Eulenburg dem Reichskanzler nach seiner Krankheit nahelegte160, sich aus 157
15e
159
160
Vgl. dazu Die Große Politik der Europäischen Kabinette 1871-1914. Sammlung der diplomatischen Akten des Auswärtigen Amtes. Bd. 20/2 (Berlin 1925) 362-364. Zu Eulenburgs Aussagen in den Prozessen aus Anlaß der Angriffe Maximilian Hardens auf ihn wegen seiner Homosexualität vgl. Philipp Eulenburgs Politische Korrespondenz, hrsg. von John C. G. Röhl. Bd. 3 (Boppard 1983) 2168-2184. Vgl. zur Einladung des französischen Botschaftssekretärs Raymond Lecomte zu einer Kaiserjagd am Landgute Eulenburgs Liebenberg im November 1906 S. 338 Anm. 84. Fürst Bernhard von Bülow hatte am 5. 4. 1906 im Reichsrat einen Ohnmachtsanfall erlitten und sich darauf zur Erholung nach Norderney zurückgezogen.
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Gesundheitsrücksichten vom Amte zurückzuziehen. Damals war Monts in Berlin, und die Fürstin Bülow sagte zu Monts: Gestern war Eulenburg lange (drei Stunden?) bei meinem Manne, um ihm den Rücktritt nahezulegen. Von da an, so behauptete Monts, habe Bülow an dem Verderben Eulenburgs gearbeitet, obwohl Bülow seit Jahren von dem Laster Eulenburgs gewußt hatte. In diesem Zeitpunkte (nach der Erkrankung Bülows) war es, wenn ich Monts richtig verstanden habe, daß ihm die Nachfolge Bülows angetragen wurde. Es geschah dies nach der Operation, der er sich hatte entziehen [sie!] müssen. Er war noch leidend, als Tschirschky bei ihm erschien und ihm im Auftrage des Kaisers den Posten antrug. Monts wies darauf hin, daß er in seinem Zustand nicht die große Aufgabe übernehmen könne, auch sei er kein Redner; er könnte dem Reichstage nicht gegenübertreten. Bülow erfuhr davon, und von diesem Augenblicke war Tschirschky, obwohl er nichts anderes getan hatte, als den Auftrag des Kaisers auszuführen, von Bülow gehaßt. Bülow benahm sich abscheulich gegen ihn. Bülow hielt im Reichstage eine Rede, in der er erklärte, daß der Staatssekretär nach ihm das Wort nehmen und Eröffnungen über die Reorganisation des auswärtigen Amtes machen werde. Nun aber hatte Bülow mit Tschirschky darüber gar nicht gesprochen, und Tschirschky war in Verlegenheit, was er sagen sollte. Er schwieg also, er würde Bülow in die tödlichste Verlegenheit versetzt haben, wenn er den Reichstag von dem Sachverhalt in Kenntnis gesetzt hätte. Durch solche Niedrigkeiten führte Bülow den Sturz Tschirschkys herbei. Übrigens, so behauptet Monts, wurde ihm noch ein zweites Mal der Reichskanzlerposten angeboten. Es geschah durch den Kaiser selbst in Venedig. Über den Zeitpunkt sollte ich mich nochmals bei Monts erkundigen. Bülow hat Kiderlen durch „gefälschte Briefe" beim Kaiser verdächtigt161. Kiderlen wenigstens hat zu Monts gesagt, er habe nie unehrerbietig über den Kaiser geschrieben. Aber Bülow hätte dem Kaiser auch zugeflüstert, daß Kiderlen in einem Restaurant zu Paris vor Franzosen über den Kaiser sarkastisch gesprochen hätte. Als sich Personen, die es Monts erzählten, beim Kaiser für Kiderlen verwendeten, sagte der Kaiser, er könne Kiderlen vergeben, wenn er über ihn geschimpft habe, nicht aber, daß dies vor Franzosen geschehen war. So ist Kiderlen in der schwierigsten Lage, da er es mit zwei Neurasthenikern, mit dem Kaiser und mit Bethmann-Hollweg, zu tun habe, welch letzterer zudem unfähig sei. Kiderlen aber sei tüchtig, führe die Geschäfte gut, natürlich nicht fehlerlos. Ein großer Fehler Bülows sei es auch gewesen, daß er nach dem Vertrage vom 8. April 1904 im Reichstage zuerst diesen Vertrag zur Kenntnis genommen und später erst Einspruch 161
Vgl. dazu S. 342 f.
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Graf Anton Monts de Mazin
gegen ihn erhoben hat162. Die Franzosen sagten mit Recht, dies sei erst nach den russischen Niederlagen in der Mandschurei geschehen163. Das Schärfste aber auch Unglaubwürdigste erzählt Monts über das Verhalten Bülows in der Daily-Telegraph-Affaire164. Es sei Tatsache, daß Bülow den ihm zugesandten Bericht gelesen, geprüft, korrigiert habe, bevor er veröffentlicht wurde. Er log, als er behauptete, ihn nicht gelesen zu haben. Es ist schon innerlich unwahrscheinlich, daß ein Höfling wie Bülow eine den Kaiser betreffende Sache von sich abgeschoben habe. Er war sonst bequem, aber in allem, was den Kaiser betraf, immer auf der Hut, immer wachsam. Aber auch die Beamten des auswärtigen Amtes haben stets behauptet, er habe den Bericht geprüft und korrigiert; einer derselben sagte zu Monts, Bülow habe den Bericht „auswendig gelernt". Als aber die Sache einen Sturm der Entrüstung erregte, da ließ Bülow den Text mit seinen Bemerkungen vernichten und verschwinden. Dasselbe ist auch mit dem Berichte des Grafen Monts über den [im] Mai 1905 gemachten Vorschlag Luzzattis geschehen. Glücklicherweise ruht ein Exemplar dieses Berichtes im Botschaftsarchiv zu Rom. Übrigens habe auch Schoen den Bericht über das Daily-Telegraph-Interview gelesen; er war zwar auf Urlaub, aber in Berlin anwesend. Man habe ihm den Bericht vorgelegt. Freilich, jetzt leugne er es. Klehmet, der damals zum Opfer erkoren wurde und sich jetzt in Athen befindet165, ist gegen Bülow geladen und könnte alles genauer erzählen. Monts war und ist überzeugt, daß der Dreibund, wie er jetzt besteht, für Deutschland wertlos ist. Das Bündnis mit Osterreich muß aufrechterhalten werden, das mit Italien werde besser gelöst. Schon deshalb, weil Italien im Falle eines Krieges Deutschlands mit England nicht mithalten könne. Bei der Erneuerung des Dreibundes unter Caprivi - Rudini166 schrieb dieser letztere einen Brief an Marschall, in dem er ihm offen sagte, daß Italien bei einem Krieg Deutschlands gegen England nicht mithalten könnte. Marschall erwiderte darauf, ein solcher Krieg sei ganz unwahrscheinlich, aber man wisse die Gründe Italiens zu würdigen. Im Dreibundvertrag sei auch der Punkt bedenklich, in dem es heißt: Wenn sich Österreich-Ungarn auf dem Balkan ausdehnt, müßte Italien eine Kompensation erhalten. Dadurch würde jede Aktion Österreichs gelähmt. Als nun der Dreibund (ich verstand Monts: im Jahre 1908) hätte gekündigt werden können167, empfahl Monts 162 163 164 165 lß6 167
Vgl. zu Reichskanzler Bernhard von Bülows Stellungnahme im Reichstag zum englischfranzösischen Vertrag Zeitalter des Imperialismus. Bd. 2, 35-36. Im russisch-japanischen Krieg 1904/05. Vgl. zur Daily Telegraph-Affäre vom Herbst 1908 S. 324 Anm. 52. Reinhold Wehmet, während der Daily-Telegraph-Affare Vortragender Rat im Auswärtigen Amt, war seit 1909 Generalkonsul in Athen. Am 6. 5. 1891. Der Dreibund wurde am 28. 6. 1902 für zwölf Jahre, also bis 1914, verlängert. Jeder Bündnispartner hatte jedoch das Recht, den Vertrag nach sechs Jahren zu kündigen.
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die Kündigung, wenn der Bund nicht auf bessere Bedingungen hin erneuert werden könnte. Darauf ist man jedoch in Berlin nicht eingegangen. Monts stimmte mit Marschall darin überein, daß Deutschland sich zu Beginn des tripolitanischen Unternehmens168 von Italien hätte lossagen und mit der Türkei ein Bündnis hätte schließen sollen. Als ich Monts aufmerksam machte, wie gefährlich dies werden mußte, da die Türkei militärisch doch ausgehöhlt war, erwiderte Monts: Durch dieses Bündnis wäre der Zusammenbruch der Türkei um 30 Jahre hinausgeschoben worden; hätten doch die Balkanstaaten nicht gewagt, unter solchen Umständen den Krieg zu erklären. Marschall, der diese Ansicht vertrat, kam dadurch zu der Berliner Regierung in Gegensatz und trat deshalb von seinem Posten am Bosporus zurück. Monts wünschte, daß ich über den Inhalt des ihm von Luzzatti 1905 (im Auftrage Frankreichs) gemachten Angebots nichts in meinem Buche sage, ohne mit Luzzatti gesprochen zu haben169. Ich müßte Luzzatti als die Quelle erscheinen lassen. Sonst dürfe ich nur im allgemeinen von Angeboten sprechen, die Deutschland günstigere Aussichten in Marokko eröffneten. Monts fühlt sich eben noch gebunden. Aber Luzzatti dürfe sprechen. Bülow sprach allerdings von diesem letzteren höchst geringschätzig als von dem „Saujuden". Tatsächlich sei Luzzatti ein ehrenhafter Mann, ein großer Kenner der Finanzen. Die Ursache, weshalb Bülow zuletzt doch auf Kiderlen greifen mußte, lag darin, daß er durch Todesfälle etc. seiner wichtigsten Mitarbeiter beraubt wurde. Es mußte für Holstein Ersatz geschaffen werden. Tschirschky, obwohl man ihn sonst unterschätze, konnte ihn nicht ersetzen, Schoen zeigte sich als unfähig. Renvers, der Bülow in inneren Angelegenheiten sehr gut beriet, war tot170. Richthofen war sehr harmlos gewesen, aber mit Holstein so arg verfeindet, daß er, wenn dieser sich im Amt befand", es nicht wagte, sich im Ministerium einzufinden (?!). bHammann sei ein schlechter Charakter, eines Meineids schuldig (in der bekannten Prozeßangelegenheit171).b Man mußte also Kiderlen heranziehen.
168
Im Oktober 1911 besetzten italienische Truppen Tripolis und die Cyrenaika. Der darauffolgende Krieg mit der Türkei endete erst mit Ausbruch des ersten Balkankrieges im Frieden von Lausanne am 18. 10. 1912, in dem die Türkei auf Tripolis verzichtete. 169 Vgl. Zeitalter des Imperialismus. Bd. 2, 60-61. 17ü Der Arzt und Vertraute Bernhard von Bülows Rudolf von Renvers war am 22. 3. 1909 gestorben. 171 Gemeint sind wohl die Prozesse um Philipp von Eulenburg und Graf Kuno Moltke. Vgl. Philipp Eulenburgs Politische Korrespondenz, hrsg. von John C. G. Röhl. Bd. 3 (Boppard 1983) 2168-2184. " Korrigiert von war. Ergänzung.
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Heinrich von Tschirschky, deutscher Botschafter in Wien
Heinrich von Tschirschky
Wien, 5. Dezember 1912 К 2, U 2a, 95a r - 97a r
Holstein war patriotisch, ein Gentleman vom Scheitel bis zur Sohle, eben eine Persönlichkeit, das Wort im Superlativ genommen, weil ganz unter persönlichen Motiven stehend, intrigant, ganz eingesponnen in seinen Vorstellungen von der europäischen Lage. Er spintisierte unaufhörlich, aber er war doch weltfremd, da er die Dinge doch nur von seiner Arbeitsstube kannte. Auf seinen stundenlangen Spaziergängen im Grunewald zerfaserte er die europäische Lage, erging sich in weitschichtigen Kombinationen und brachte dann seine Gedanken in langen Denkschriften immer aufs Neue zu Papier. Sie sprechen mir von einer Denkschrift Holsteins im Herbst 1905172. Nun gab es unaufhörlich solche Denkschriften, aber leider waren Anfang, Mitte und Ende nicht immer zusammenstimmend. Der Kaiser hatte eine gewisse Abneigung gegen ihn, aber er kannte ihn nicht. Er mag wohl gesagt haben: Wenn das auswärtige Amt ihn brauchen kann, so habe er nichts gegen ihn einzuwenden. Holstein hatte eine gewisse Scheu vor dem Erscheinen beim Kaiser, es störte ihn. Endlich wünschte ihn der Kaiser zu sehen. Er mußte also in Bülows Hause als Gast erscheinen, damit der Kaiser ihn kennenlerne 173 . Er war eine Erscheinung, wie er nicht in die germanische Welt paßt. Der Deutsche wird seine Erfolge durch gerade, klare, rechtliche Politik erringen, nicht durch Intrigen. Holstein war bei aller persönlichen Ehrenhaftigkeit und bei der optima fides seines Patriotismus in politischen Dingen keine gerade Natur. Aber er übte auf Bülow durch Jahre einen ungemessenen Einfluß. Bülow ließ ihm in auswärtigen Angelegenheiten völlig freie Hand. Richthofen fürchtete Holstein und wagte ihm nicht entgegenzutreten. Auch war Richthofen abgehetzt, da ihn Bülow zu allen Gängen und Kommissionen auch der parlamentarischen und inneren Geschäfte gebrauchte. Auch für Kolonialangelegenheiten wurde er in erster Linie verwendet. Mit Eulenburg stand Holstein sehr gut, durch ihn wirkte er auf den Kaiser. Es ist richtig, daß er bis 1906 entscheidenden Einfluß auf die Marokko-Angelegenheit übte. Er war schuld an dem großen, nicht gut zu machenden Fehler der Kaiserreise nach Tanger174. Er war der Meinung, daß, wenn die Reise einmal erfolgt sei, die deutsche Politik für immer ihre Richtung erfolgt [sie!] habe. Er stand ganz in der Bismarckschen Politik. Frankreich müsse fest im Auge behalten, gerecht behandelt, aber in seine Schranken zurückgewiesen werden, wenn es in Deutschlands 172 173
174
Vgl. S. 306. Vgl. dazu einen Brief Holsteins an Fürst Hugo Radolin vom 25.11.1904 in Die Geheimen Papiere Friedrich von Holsteins, hrsg. von Norman Rieh und Μ. H. Fisher. Bd. 4 (Göttingen 1963) 282-283. Holstein traf am 12. 11. 1904 mit Kaiser Wilhelm II. zusammen. Vgl. zur Marokkoreise im März 1905 Zeitalter des Imperialismus. Bd. 2, 45-48.
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Sphäre eingreife, wenn es Deutschland hier oder dort etwas „abzwacke" (ein Wort Tschirschkys). Tschirschky gibt in einer unklaren, absichtlich oder unabsichtlich verschwommenen Art zu erkennen, daß, da jener Fehler mit der Tanger-Reise geschehen war, Deutschland die Sache alleine mit Frankreich hätte ordnen sollen, daß Deutschland es selbst auf einen Krieg hätte ankommen lassen sollen. Aber in den Nachsätzen läßt Tschirschky es im Unklaren, ob er wirklich meinte, man hätte es auf einen Krieg ankommen lassen. Er lobt Kaiser Wilhelm, weil dieser es aussprach (in stundenlangen Gesprächen zu Tschirschky), daß man in einer Zeit der allgemeinen Wehrpflicht etc. es auf keinen Krieg ankommen lassen dürfe, der nicht die Lebensinteressen der Nation zum Gegenstande [habe]. Und Marokko gehörte nicht zu den Angelegenheiten. Ob Tschirschky absichtlich, oder ohne es zu wollen, unklar über die Notwendigkeit eines solchen Kriegs sprach, konnte ich aus seinen vagen, widerspruchsvollen, abgehackten Sätzen nicht entnehmen. Er bezeichnete es aber als zweiten Fehler, daß man auf die Konferenz von Algeciras ging. Man hätte, er wiederholte es, sich allein mit Frankreich auseinandersetzen sollen. Als ich ihn fragte: Ob etwa auf Grund der von Rouvier gemachten Anerbietungen175, weicht er aus und meint: Die „offizielle Version" sei doch, daß Rouvier keine Anerbietungen gemacht habe. Darauf ich: Diese offizielle Version läßt sich aber nicht aufrechthalten, zumal nach den Erklärungen Kiderlens im November 1911176. Darauf zieht sich Tschirschky zurück und macht wieder Redensarten, als ob er im Sommer 1905 einen Krieg für besser gehalten hätte als die auf eine Konferenz hinzielende Politik des Berliner Kabinetts. Dazwischen Andeutungen, daß sich über diese Dinge schwer sprechen lasse, nicht etwa wegen des noch zu wahrenden Geheimnisses, sondern weil sich die vielverschlungenen psychologischen Fäden nicht leicht auseinanderlegen lassen. Kurz, es war ein kläglicher Kommentar zur diplomatischen Geschichte. Freilich stellte Tschirschky zugleich fest, daß er einen ununterbrochenen Einblick in die Geschäfte nicht besaß, immer wohl für einige Monate nach Berlin berufen wurde, dann aber doch längere Zeit wieder in Hamburg verblieb177, ohne Einblick in die Geschäfte. Im Jänner 1906 wurde er während der Konferenz Staatssekretär. Da nun auch der zweite Fehler geschehen war und die Konferenz einmal tagte, war es nach Tschirschkys Ansicht, die aber auch zögernd herauskommt, nicht möglich, 175
176 177
Vgl. zu diesem Vorschlag Die Große Politik der Europäischen Kabinette 1871-1914. Sammlung der diplomatischen Akten des Auswärtigen Amtes. Bd. 20/2 (Berlin 1925) 368-369 und Bernhard Schwertfeger, Die diplomatischen Akten des Auswärtigen Amtes 1871-1914. Ein Wegweiser durch das große Aktenwerk der deutschen Regierung. Teil 4/1 (Berlin 1925) 262. Am 23. 11. 1911 im deutschen Reichstag als Antwort auf Angriffe der Alldeutschen. Heinrich von Tschirschky war vor seiner Ernennung zum Staatssekretär preußischer Gesandter in den Hansestädten.
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Heinrich von Tschirschky
sie zu sprengen, wie Holstein gewünscht hatte. Ob dies aber auch damals seine Ansicht gewesen war, konnte nicht genau ersehen werden. Also, es war doch am besten, in Algeciras abzuschließen. Als ich nun fragte, ob diese Niederlage der Holstein'schen Politik der tiefere Grund seines Sturzes gewesen [sei]178, zuckte Tschirschky die Achseln und meint: Holstein war doch über 70 Jahre, immer persönlicher, immer mißtrauischer geworden, und dabei wollte er auch unter Tschirschky alles selbst machen und beeinflussen. Tschirschky aber mußte im Gefühl seiner Verantwortlichkeit seine Selbständigkeit wahren, er konnte sich nicht lenken lassen, wie es Richthofen getan hatte. So kam es zum Bruche. Während Bülows Krankheit179, warf ich ein. Ja, sagte Tschirschky, aber freilich (schlaues Augenzwinkern) daraus ist kein falscher Schluß zu ziehen. Er sagt in weitwendigen Sätzen, Bülow wußte und billigte sein Vorgehen; er hätte ohne seinen Chef nicht verfahren, nicht nach seiner Willkür gehandelt. Es sei richtig, daß Bülow auch weiter mit Holstein in gutem Einvernehmen blieb. Er mag ja wohl Holstein, der soviele Dinge wußte, gescheut haben, dies Tschirschkys Bestätigung einer von mir gemachten Bemerkung, aber er, Tschirschky, war zeitlebens unabhängig und hatte nichts zu scheuen. Das hatte er Holstein schon früher zu erkennen gegeben und gesagt, er könne nur nach eigener Überzeugung und eigenem Gewissen handeln. Auf die Frage, ob Eulenburg zum Sturze Holsteins beitrug und zwar dadurch, daß er für das Einlenken in der Marokkofrage [eintrat], winkte Tschirschky ab. Eulenburg sei doch damals nicht mehr im Amte gewesen180. Er, Tschirschky, wisse nichts davon, daß Eulenburg auch damals auf die äußere Politik Einfluß geübt habe. Aber möglicherweise wisse er Dinge nicht, die sich irgendwie zugetragen haben können. Als ich nun Tschirschky daran erinnerte, daß Eulenburg damals Lecomte mit dem Kaiser zusammen geladen hatte181, sagte Tschirschky: Es war eine Taktlosigkeit Eulenburgs, Lecomte zu laden, aber es sei eher anzunehmen, daß Eulenburg in seiner leichten Art darin nichts besonderes gesehen [hatte], damit nichts bezwecken wollte. Die Unterredung mit Tschirschky war die leerste und ergebnisloseste, die ich mit irgendeinem der europäischen Diplomaten über die Politik 1900-1912 geführt hatte. Tschirschky machte mir hierbei den Eindruck, tief unter seiner Aufgabe zu stehen. Selbst Schoen in Paris erschien fähiger, da er ein klares, sicheres Urteil, ob man nun mit ihm übereinstimmte oder nicht, zu äußern wagte, Kiderlen-Wächter steht turmhoch über Tschirschky. 178 179
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Vgl. zum Rücktritt Friedrich von Holsteins im April 1906 S. 307 Anm. 11. Fürst Bernhard von Bülow hatte am 5. 4.1906 im Reichsrat einen Ohnmachtsanfall erlitten und sich darauf zur Erholung nach Norderney zurückgezogen. Graf Philipp Eulenburg war 1903 aus Gesundheitsgründen von seinem Posten als Botschafter in Wien zurückgetreten. Vgl. zur Einladung des französischen Botschaftssekretärs Raymond Lecomte zu einer Kaiserjagd am Landgute Eulenburgs Liebenberg im November 1906 S. 328 Anm. 84.
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Graf Anton Monts de Mazin, deutscher Botschafter in Rom a. D. 9. Dezember 1912 К 2, U 2a, 140a r - 141a v; maschinschriftlich Fürst Hohenlohe war ein sehr erfahrener Mann, der die Geschäfte des Reiches gut führte und vor allem Kaiser Wilhelm gegenüber die nötige Unabhängigkeit zeigte. Als der Kaiser einmal in seinen Wirkungskreis eingriff, ohne ihn zu hören, sagte er ihm: „Majestät vergessen, daß ich nicht Ihr Kanzleidiener bin, sondern Ihr Kanzler." An dieser Unabhängigkeit ließ es Bülow vollständig fehlen. Sein Fehler war seine Gegnerschaft gegen England und seine Affenliebe fur Italien. Ich wiederhole: Seine Affenliebe für Italien. Er sah den Italienern alles nach, während er zweimal das Angebot eines Bündnisses mit England abgelehnt hatte. Das erstemal zu Beginn des Burenkrieges, zum zweitenmal zu einem Zeitpunkte, den ich nicht näher kenne. Den Italienern kam zugute, daß in dem Dreibund ausgemacht war, daß, wenn Österreich sich auf der Balkanhalbinsel ausdehne, auch die Italiener irgendwie entschädigt werden sollen. aSo schon beim Abschlüsse des Dreibunds. 2 Der Mangel an Aufrichtigkeit seitens Italiens war oft empörend. So zur Zeit der Reise des Präsidenten Loubet nach Rom182. Der deutsche Botschafter erhielt den Auftrag, bei der italienischen Regierung zu erwirken, daß bei dem Bankett wenigstens nicht auch Toaste gesprochen werden sollen.15 Als er am Tage darauf die Zeitungen in die Hand nahm, sah er zu seinem Erstaunen, daß die Trinksprüche gesprochen waren. Darauf fand zwischen ihm, dem italienischen Ministerpräsidenten Giolitti und dem Minister des Äußern Tittoni eine Zusammentretung in der Consultä statt. Er sagte dem Ministerpräsidenten rund heraus, daß er von dem Minister des Äußern belogen worden sei. Glücklicherweise, so fugte er hinzu, hatte er nach Berlin gemeldet, daß auf die Worte dieses Ministers nichts zu geben ist. „Hätte ich dies nicht getan, so wäre ich jetzt vor der Regierung in Berlin bloßgestellt." Infolgedessen waren die Beziehungen des deutschen Botschafters zu der italienischen Regierung gespannt. Indessen machte der Minister des Äußern ihm nach einiger Zeit einen Besuch, um die Sache nach Möglichkeit beizulegen. Barrere, der französische Botschafter, ist angenehm in seinen Manieren, kein hervorragender Mann, aber gewandt, erfahren und weiß die Presse vorzüglich zu behandeln. Er war selbst Journalist gewesen und verfugte von Seiten der Regierung über große Geldmittel, die er geschickt verwertete. So wurde er von den italienischen Blättern stets gelobt, dieses Lob drang über 182
ь
Vgl. zum Besuch des französischen Präsidenten Emile Loubet in Rom im Frühsommer 1904 S. 328 Anm. 59. Ergänzung durch Friedjung. Randbemerkung durch Friedjung: Wer war es bei der Flottenentrevue?
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G r a f Anton Monte de Mazin
die Alpen und befestigte seine Stellung. Mit dem deutschen Botschafter stand er im besten Verhältnis. Sie luden sich gegenseitig zum Speisen ein und waren, obwohl sie sich in der Sache lebhaft bekämpften, nach außen hin Freunde. Barrere setzte nicht alles durch, was er wollte. Er wurde aber von der italienischen Regierung als Popanz gebraucht, und die deutsche Regierung hörte oft von der italienischen, dies und jenes hätte Barrere gewissermaßen erzwungen. Auch bezüglich jener Toaste sagte der Minister des Äußern: Loubet und Barrere haben mich dazu gezwungen. Anläßlich der Reise Loubets nach Rom gab es manchen italienischen Geistlichen, selbst Kardinäle, die der Meinung waren, der Vatikan soll gegen Loubets Reise nicht protestieren, der Papst solle ihn sogar selbst im Vatikan empfangen. Man argumentierte: Ein Kaiser oder König dürfe den König Viktor Emanuel nicht besuchen, aber der Präsident einer Republik wäre in einer anderen Lage. Barrere hat wahrscheinlich die Folgen dieses Besuches vorausgesehen. Er steht auf der äußersten Linken und scheute den Bruch mit dem Vatikan nicht. Barrere wußte von dem Angebot, welches Delcasse durch Luzzatti in der Marokkofrage an Deutschland gelangen ließ183. Er war dazu ausersehen, die Verhandlungen darüber mit dem Botschafter Grafen Monts zu führen. aDelcasse hat das Angebot im letzten Augenblick seines Ministeriums gemacht, um [sich] zu retten. Es war ein großer Fehler des Berliner Kabinetts, daß es nicht darauf einging. Das Kanzleramt wurde dem Grafen Monts nicht lange nach seiner Genesung von seiner schweren Krankheit angeboten; als es sich zeigte, „daß es mit Bülow nicht ging". Tschirschky war es, der Monts diese Botschaft überbrachte. Dagegen hat Monts bei der zweiten Unterredung mit mir nicht die Mitteilung wiederholt, daß Kaiser Wilhelm ihm 1909 das Amt nochmals anbot184. Er erzählte nur, daß der Kaiser ihm damals gesagt hatte, er werde sich von Bülow trennen. Bülow aber äußerte sich damals zu Monts, daß der Kaiser ihm gewogen sei, und daß die November-Ereignisse 1908185 keinen Bruch herbeigeführt hätten. Monts geriet infolge seines Rates, den Dreibund zu kündigen (1908, wenn ich nicht irre) in unlösbaren Gegensatz zu der Bülow'schen Politik. Die italienische Regierung wußte aber nichts von diesem von Monts gegebenen Rate. Das politisch Interessanteste aus den diesmaligen Mitteilungen Monts' war, daß er wiederholt berichtete: Der Dreibund enthält eine Klausel und zwar seit seiner Gründung, daß, wenn Österreich-Ungarn sich auf der Balkanhalbinsel ausdehne, Italien auf der Halbinsel eine Kompensation erhalten werde. Diese Klausel war das größte Hindernis für eine aktive Orientpo183 184 185 a
Vgl. dazu S. 363 f. und 367. Vgl. S. 365. Die Daily-Telegraph-Affäre. Der folgende Eintrag von Friedjungs
Hand.
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litik Österreich-Ungarns, und schon deshalb hätte es sich empfohlen, den Dreibund zu kündigen. Dafür ist er entschieden eingetreten. Italien hätte auch Deutschland stets getäuscht und im Stiche gelassen. In der Sache des Toasts, die oben erzählt ist, sagte Monts zu Giolitti, Tittoni hat mich angelogen, und dieser mußte es hinnehmen.
Moritz von Auffenberg, Armeeinspektor nach seinem Rücktritte im Dezember 1912186 К 2, U 4, 545 г - 550 r; maschinschriftlich Der Sandschak wurde 1908 aus den bekannten militärischen Gründen aufgegeben. In den von uns besetzten, der Grenze nahen drei Orten lag eine Brigade etwa 4.000 Mann stark. Diese Truppe wäre, da wir sowohl mit Serbien wie mit der Türkei und Montenegro schlecht standen, im Ernstfalle in der Gefahr gewesen, aufgerieben zu werden. Die Militärs, in erster Linie Freiherr von Conrad, sprachen sich für die Zurückziehung der Brigade aus. Natürlich machten sie nur Gründe für die Räumung des Sandschaks geltend. Weshalb Graf Aehrenthal sofort auch auf das im Berliner Vertrag zugesprochene Recht ausdrücklich verzichtete, ist mir nicht bekannt187. Es war ein Fehler, daß er sich dazu bestimmen ließ. Möglich, daß hier Abmachungen mit Italien mitspielten; die Bestimmung des Dreibundes, daß, wenn sich Österreich-Ungarn auf der Balkanhalbinsel ausdehne, Italien eine Kompensation erhalten solle, kann vielleicht mitgespielt haben. Jene militärischen Gründe, denen auch der spätere Kriegsminister Auffenberg zustimmte, haben auch darin nachgewirkt, daß Österreich-Ungarn zu Beginn des Balkankrieges 1912 die Besetzung des Sandschaks unterließ. Weder Conrad noch Auffenberg haben sich für das Einrücken in den Sandschak erklärt. Der schmale Hals zwischen Serbien und Montenegro wäre nur durch mindestens zwei Divisionen zu halten. Diese müßten auch in Friedenszeiten auf verstärktem Stand erhalten werden. Bei den mißlichen finanziellen Verhältnissen Österreichs und bei unseren wirren inneren Verhältnissen wäre es sehr zweifelhaft, ob die Parlamente das Geld dafür bewilligen würden. Wenn man also nichts anderes vorhatte, als den Sandschak zu gewinnen, so war Blut und Geld für diesen Zweck überflüssigerweise verwendet. Da sich also die Militärs nicht für die Wiederokkupierung des Sandschaks einsetzten, da sie im Gegenteile darin eine überflüssige Kraftanstrengung sahen, derent186 187
General Moritz von Auffenberg war am 12. 12. 1912 als gemeinsamer Kriegsminister durch Alexander von Krobatin ersetzt worden. Im Zuge der Annexion Bosniens und der Herzegowina 1908 räumte Österreich-Ungarn den Sandschak von Novibazar und verzichtete auf die im Berliner Vertrag von 1878 begründeten Rechte zur Stationierung von Truppen in diesem Gebiet.
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Moritz von Auffenberg
wegen man nicht einen Krieg riskieren sollte, so ist auch Graf Berchtold nicht weiter auf den Plan der Wiedergewinnung des Sandschaks eingegangen. Die Militärs hoben übrigens auch hervor, daß ein etwaiges Vordringen in das Innere der Balkanhalbinsel nur durch das Morawatal stattfinden könne. Der Sandschak sei und bleibe ein Nebenweg. Meines Wissens hat man in maßgebenden Kreisen in der ersten Phase des Krieges geschwankt, welche positive Forderungen aufzustellen wären. Ein vorher überlegter Plan bestand nicht. Dazu kamen die Fortschritte der serbischen Waffen zu jäh und zu überraschend. Man hat zunächst sogar geschwankt, ob den Serben der Weg zur Adria zu verlegen wäre, und auch die entgegenstehende Methode in Erwägung gezogen. Der Entschluß wurde erst im letzten Augenblick gefaßt, etwa in dem Sinne: „Versuchen wir es also damit." Doch ist es richtig, daß, sobald einmal der entscheidende Schritt in Belgrad getan war, Graf Berchtold nicht mehr schwankte. Man würde ihm auch Unrecht tun, wenn man sagte, daß er von vornherein einem Kriege aus dem Wege ging. Würde es notwendig geworden sein, hätten sich die Serben Ubergriffe erlaubt, so würde auch er sich zum Kriege entschlossen haben. Er zog es aber vor, seine Zwecke auf friedlichem Wege zu erreichen 188 . Graf Berchtold unterscheidet sich vom Grafen Aehrenthal dadurch, daß dieser eine Vokation zur Leitung der Angelegenheit in sich fühlte, entschlossen war, eine große Politik zu machen, während Graf Berchtold sich nur zögernd für das Ministerium des Äußern gewinnen ließ. Indessen ist sein Selbstbewußtsein in den letzten Wochen gestiegen, beonders, als er vom Glücke begünstigt war. E s war eine angenehme Überraschung, daß in der bekannten Audienz des Grafen T h u m beim Zaren sich die Aussicht eröffnete, Rußland werde Österreich-Ungarn in der albanesischen Frage freie Hand lassen 189 . Dazu und zur Veränderung der Stimmung der Großmächte konnte Graf Berchtold wenig beitragen. E s kam ihm eben das Glück zu Hilfe. Er tritt seitdem mit größerer Festigkeit auf. E s ist aber zweifelhaft, ob das Ziel, welches sich Österreich-Ungarn setzte, auch der Anstrengungen wert war. Wir haben über 400.000 Mann unter den Waffen, und alle Summen, die seit 1878 für die Behauptung Bosniens ausgegeben wurden, betragen zusammen VA Milliarden Kronen. Was aber haben wir erreicht? Serbien ist stärker geworden als je, und eines schönen Tages wird eine der beiden serbischen Dynastien verschwinden, sodaß es nur ein Großserbien bis ans Meer, Antivari eingeschlossen, geben wird. In Belgrad und in Cetinje ist man skrupellos, und meiner Meinung nach wird die Dynastie des Njegus zum Opfer fallen. Dann wird Serbien das Meer besitzen. Des188 189
Zu Friedjungs Darstellung der Haltung Österreich-Ungarns während des ersten Balkankrieges vgl. Zeitalter des Imperialismus. Bd. 3, 214-229. Zur Audienz des Botschafters Graf Duglas Thurn-Valsassina am 26. 11. 1912 vgl. ÖUA Bd. 4, 1024-1026.
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halb gingen schon 1909 die Ratschläge Conrads und Auffenbergs dahin, Serbien mit Krieg zu überziehen, es in die Monarchie einzuverleiben und so eine gründliche Lösung herbeizuführen. In diesem Augenblick ist die Lage nicht so günstig. Man glaubte früher, von den zehn serbischen Divisionen ständen viele nur auf dem Papier. Der Krieg hat das Gegenteil bewiesen. Sie haben sich gut geschlagen, und nicht etwa ein einzelner namhafter Heerführer, sondern die Tüchtigkeit der Offiziere und der Armee haben den Erfolg herbeigeführt. Für die Lebenskraft des Staates zeugt auch, daß unmittelbar nach der Eroberung von Alt-Serbien und Mazedonien aus den unterworfenen neuen Gebieten drei neue Divisionen aufgestellt wurden. Dieser Staat von 2,7 Millionen Einwohnern hat jetzt 300.000 Mann unter den Waffen. Es ist unbedingt notwendig, sich auf einen Krieg mit Serbien in einem späteren Zeitpunkte vorzubereiten. Man kann Serbien gegenüber eine doppelte Politik einschlagen. Entweder kann man dem Ratschlage der Abgeordneten Kramär und Masaryk folgen und die Serben zum Meere lassen, um sie dauernd für Österreich-Ungarn zu verpflichten, oder man muß den Krieg gegen sie jetzt schon vorbereiten. Ich habe deswegen von vornherein den Vorschlag gemacht, man solle sich den Sommer des Jahres 1914 als den Zeitpunkt des Angriffes vornehmen. Bis dahin ist das neue Wehrgesetz zum Teile durchgeführt190, und man kann die bewilligten Summen für die Ausrüstung der Armee verwenden. Auch wäre das Material der Artillerie durch ein besseres zu ersetzen. Woher man den Vorwand zum Kriege nimmt, ist gleichgültig. Man muß ihn einmal fuhren, wenn wir nicht Bosnien und die Herzegowina verlieren wollen. In Osterreich aber besteht nicht die Neigung, einen Gedanken bis zum Schlüsse durchzudenken. Man zieht Kompromisse vor, wie ja Graf Taaffe das Fortwursteln als Österreichs Staatsweisheit enthüllte. Der Kaiser und der Thronfolger können sich nicht fur eine so energische Politik entschließen, und so werden wir immer auf den Angriff von Serbien her gefaßt sein müssen. Es ist ein wahres Verhängnis, daß wir nicht die Maßregeln ergreifen, um unsere eigenen Südslawen zu befriedigen. Das Interesse der magyarischen Rasse steht dem entgegen. Wir könnten die einzige richtige Politik in Südungarn nur befolgen, wenn wir die Opposition des magyarischen Adels herausfordern wollen. Auch das ist eine gefahrliche Sache. Deswegen sehe ich trübe in die Zukunft.
190
Das Wehrgesetz vom 12. 7. 1912 reduzierte die Dienstzeit von drei auf zwei Jahre, verlängerte aber dafür die Reservezeit auf zehn Jahre. Gleichzeitig sollte das Rekrutenkontingent innerhalb von drei Jahren auf 159.500 Mann erhöht werden.
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Paul Schulz, Vizepräsident des Obersten Rechnungshofes
Paul Schulz
Jänner 1913 К 2, U la, 7a r-v
Ursprünglich hatte Monts eine gute Meinung von Bülow. Schulz besitzt Briefe von ihm über Bülow, den Staatssekretär (1897-1900), in denen er findet, man unterschätze Bülow, er habe doch weite Gesichtspunkte, sei nicht bloß belesen, sondern auch politisch von Gewicht. Auch von Donna Laura hielt er viel1, nicht von der Fürstin Bülow. Es scheint, daß die Entfremdung damit begann, daß Monts einmal dem Kaiser darlegte, das Amt des Reichskanzlers sei auf Bismarck zugeschnitten und für jeden anderen zu schwer; er riet dem Kaiser, es zu teilen unter einer Reihe von verantwortlichen Ministern. Dies muß Wilhelm dem Reichskanzler gesagt haben, und Bülow verargte dies Monts. Auch kam Monts zur Erkenntnis der politischen Nichtigkeit Bülows, und so gingen die Dinge weiter. Daß Tschirschky im Namen des Kaisers mit Monts über dessen Erhebung zum Reichskanzler geprochen habe2, ist von Tschirschky bestätigt worden, und zwar in der Form, als ob Tschirschky sagte, er habe Monts damals einen Dienst erwiesen. Es wurde Schulz erzählt, nicht bloß, daß Bülow die Briefe des KiderlenWächter dem Kaiser gezeigt, sondern daß er die bösesten Stellen zusammen„geklittert" habe, um den Kaiser gegen ihn einzunehmen 3 . Er machte aus ihnen ein Ganzes. Schulz hat bei seinem Aufenthalt bei Frau Friedländer-Fuld in Lanke4 die Dame des Hauses gefragt, was daran wahr sei. Diese fragte Kiderlen-Wächter, und dieser bestätigte ihr den Verrat Bülows. Schulz hat bei Tische von Kiderlen eine Äußerung gehört, die ihm die Uberzeugung verschaffte, Bülow habe sich sogar der Klitterung schuldig gemacht, nicht bloß des Vorweisens der Briefe!
Moritz von Auffenberg, Armeeinspektor
mit dem Gespräche vom 29. März 1913 К 2, U 4, 506 г - 5 1 2 ν
Auffenberg übergab mir im Winter 1913 ein großes Paket mit seinen Papieren, die ich im Februar und März sorgfältig durchlas, doch ohne mir Notizen daraus zu machen. Es ist bemerkenswert, welch tiefen Einblick er mir gewährte. Ich vermutete anfangs, er werde daran die Bitte knüpfen, ich solle etwas über ihn schreiben, was mir unmöglich gewesen wäre; ganz abgesehen 1 2 3 4
Donna Laura Minghetti, Fürst Bernhard von Bülows Schwiegermutter. Vgl. S. 365 und 372. Vgl. S. 342 f. und 365. Schloß Lanke bei Bernau (Regierungsbezirk Potsdam), Besitz der Familie Friedländer.
29. März 1913
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davon, daß die über die Ursache seines Rücktrittes umlaufenden Gerüchte Vorsicht auferlegten5. Bisher wenigstens ist er nicht mit einem perönlichen Ansinnen an mich herangetreten. Wenn das nicht geschieht, so kann ich wohl annehmen, sein Motiv sei das von ihm angegebene gewesen: Er wolle mir ein richtiges Bild seines Werkes gewähren. Seine Denkschriften zeigen ihn männlicher, fester, als ich annehme; die für den Kaiser geschriebenen Memoranden sind von rühmenswertem Freimut. Er ist ein „politischer General", durch Jahre mit Projekten über den Konflikt mit Ungarn beschäftigt. Durch ihn ging, was ich schon wußte, einer der Fäden, die den Hof mit den Kroaten, besser gesagt mit der Rechtspartei und Dr. Frank verbanden6. Naturgemäß hat er mir nicht alles vorgelegt. So nicht die 1904 oder 1905 ausgearbeitete Denkschrift, welche die „Wiedereroberung Ungarns" behandelte7. Darüber haben die ungarischen Blätter während seiner Ministerschaft Enthüllungen gebracht. Auffenberg hat mir mündlich gestanden, daß diese Denkschrift besteht, daß die Zeitungsmeldung offenbar auf jemanden zurückgeht, der das Memoire gelesen hatte; denn es [sei] manches Richtige über die Einteilung und den Umfang gesagt. Aber es waren auch Ungenauigkeiten gemeldet, das hat ihm die Möglichkeit gegeben, ein der Wahrheit nicht widersprechendes Dementi vom Stapel zu lassen, Er ist auch heute noch der Ansicht, daß 1904-05 der richtige Augenblick war, mit dem Säbel dreinzufahren und den Dualismus im Sinne einer kräftigen Zentralisation durchzuführen. Von Rußland damals keine Gefahr, Italien noch nicht so gerüstet wie heute, Serbien ohnmächtig. Seitdem haben sich die Dinge gewendet. Die düstere auswärtige Lage mahnt zur Vorsicht. Das für ihn am meisten charakteristische Schriftstück ist ein Memoire an den Kaiser über den Zustand der Armee aus dem Jahre 1907, wenn ich nicht irre. Deren Schwächen werden rückhaltslos enthüllt. Nicht bloß die Unzulänglichkeit der Stände, die Unvollkommenheit der Armee und anderes, was allgemein bekannt ist. Aber hier wie sonst weist er auf die schwächer werdende nationale Konsistenz des Offizierskorps mit einer überraschenden Offenheit hin. Wie sehr die Konzessionen an Ungarn 1904 die Armee schädigen, wird unverhohlen ausgedrückt. Der Kaiser hat die Denkschrift gelesen und Auffenberg durch seinen Generaladjutanten Dank sagen lassen. In 5
6
7
Moritz von Auffenbergs Rücktritt als Kriegsminister am 12. 12. 1912 war überschattet von Bestechungs- und Korruptionsvorwürfen, die jedoch zu keiner gerichtlichen Verfolgung führten. Vgl. dazu die resp. Dokumente in Aus dem Nachlaß Aehrenthal (Briefe Franks und Auffenbergs). Zu den Plänen einer militärischen Besetzung Ungarns während der Krise 1905 vgl. Kurt Peball und Gunther Rothenberg, Der Fall „U". Die geplante Besetzung Ungarns durch die к. u. k. Armee im Herbst 1905; in: Schriften des Heeresgeschichtlichen Museums 4 (1968) 85-126.
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Moritz von Auffenberg
allen Denkschriften [von] 1905 bis zu seiner Übernahme des Kriegsministeriums ist der politische Grundgedanke: Der Dualismus, die Herrschaft der Magyaren muß mit Hilfe des allgemeinen Wahlrechts und der Nationalitäten aus den Angeln gehoben werden. Das hat ihn offenbar auch dem Thronfolger nahegebracht: Darin war er dessen Inspirator oder dessen Sprachrohr. Aehrenthal benutzte ihn zur Herstellung der Verbindung mit der kroatischen Rechtspartei. Frank erhielt durch ihn 20.000 Gulden aus den geheimen Geldern des Ministeriums des Äußern zur Kräftigung seiner Partei. In der darüber ausgestellten Quittung erklärte Frank, er werde - unter Festhaltung seines staatsrechtlichen Programms - in dynastischem Sinne und für die Monarchie wirken. Frank hat dies ruhig unterschreiben können. Die Berichte Franks über kroatische Verhältnisse machen einen guten Teil der mir vorgelegten Papiere aus. Sie sind aber selbstverständlich nur für kroatische Verhältnisse von Wichtigkeit. Frank hat seit Jahren auf die Annexion Bosniens hingearbeitet, natürlich in trialistischem Sinne. Von ihm ist auch der Artikel im Vaterland, der am Vorabende der Annexion als einer der Sturmvögel erschien 8 . Der Artikel war mit Aehrenthal (durch Auffenberg) verabredet. Frank hat bekanntlich während der Krise 1908-09 sogar die Bildung eines kroatischen Freikorps zur Verteidigung Kroatiens gegen die Serben betrieben. Werbungen wurden unternommen, aber die bosnische Landesregierung verbot die Werbungen. Dieser Widerspruch zwischen der Politik Aehrenthals und Buriäns gibt Frank Anlaß zu Beschwerden. Aehrenthal hat jedoch offenbar die Magyaren für wichtiger gehalten als die Kroaten und nach der Annexion die Verbindung mit Frank gelockert, mit Mühe gelang es Auffenberg, den Bruch zu verhindern. Aehrenthal stieß sich an großkroatischen, antimagyarischen Kundgebungen. In den Aufzeichnungen Auffenbergs über den Gegenstand spricht er sehr bitter über die Unaufrichtigkeit Aehrenthals, über dessen Kabinettspolitik, die nicht mit denVölkern rechne. Damals schwamm Auffenberg noch ganz im trialistischen Fahrwasser. Im Jahre 1912 wird er Kriegsminister9. Da nun muß er seine Politik revidieren, er muß mit dem ungarischen Parlament rechnen. Darüber gibt eine für den Thronfolger geschriebene Denkschrift Aufschluß. Er versichert, er bleibe seiner Grundauffassung treu, aber er werde als Minister mit den gegebenen Tatsachen rechnen müssen. Er lenkt also beträchtlich ein. Er rät in der Frage der Embleme der Armee zu einem Kompromiß. Doch sagt er zu, 8
9
Wahrscheinlich ist ein vom Außenministerium bestellter Artikel Josip Franks gemeint, der jedoch nicht veröffentlicht wurde; vgl. Heinz Alfred Gemeinhardt, Deutsche und österreichische Pressepolitik während der Bosnischen Krise 1908/09 (Historische Studien 437, Husum 1980) 126. Im Vaterland. Zeitung für die österreichische Monarchie v. 30. 9. 1908, Morgenblatt 2, Ein kroatischer Politiker über die bosnische Frage, wird lediglich über eine Rede Josip Franks in Vinkovci am 27. September berichtet. General Moritz von Auffenberg wurde am 20. 9. 1911, nicht 1912, gemeinsamer Kriegsminister.
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überall dort, wo die Ansichten des Thronfolgers und des Kaisers auseinandergehen, für eine dilatorische Behandlung eintreten zu wollen, das heißt, alles soll in Schwebe bleiben, solange der Kaiser lebt. Die Antwort des Thronfolgers wird in einem ausführlichen Brief des Chefs seiner Militärkanzlei, Oberst Bardolff, gegeben. Der Thronfolger ist offenbar von der Mittellinie, die Auffenberg als Minister einhalten will, nicht erbaut. Er gibt zu, schreibt Bardolff, daß der Kriegsminister, um die notwendigen Bewilligungen zu erhalten, die Dinge nicht übers Knie brechen könne. Aber er verwirft jedes Nachgeben in der Frage der Embleme. Das vom Kaiser gegebene Versprechen kann mit Hilfe des österreichischen Parlaments illusorisch gemacht werden. Unverhohlen wird gesagt, daß die Tschechen und Polen zu benützen wären, um einen dualistischen Entwurf für die Ordnung der Embleme zu Falle zu bringen. So kann die Konzession verhindert werden. Bardolff schreibt Auffenberg, es sei ganz vergebens, den Thronfolger in diesem Punkte zu bestimmen und zu bekehren. Eher könnte man ihn bestimmen, zum Protestantismus überzutreten. Unter diesen ungünstigen Auspizien tritt Auffenberg sein Amt an, das er nur Ш Jahre lang bekleidet hat. Er muß zuletzt mit dem Erzherzog auseinandergekommen sein. Er deutet an, daß der Franz Ferdinand ihm so ungnädig gesinnt war, daß Auffenberg vermuten muß, die Indiskretion bezüglich seines Memoires zur Unterwerfung Ungarns wäre von ihm ausgegangen. Das ist ungeheuerlich, und ich kann Auffenberg darin nicht geradezu folgen. Denn weshalb solle der Thronfolger Auffenberg an die Ungarn habe ausliefern wollen? Aber Auffenberg sagt: Das Memoire war lange beim Thronfolger und war dann von ihm zurückgegeben worden; die Indiskretion konnte nur von jemandem ausgehen, der die Kapiteleinteilung etc. kannte. Trotz alledem: Der Argwohn Auffenbergs ist wohl unbegründet. Nun sind alle diese Ereignisse unwichtig gegenüber dem Balkankrieg. Aber darüber enthält das mir übergebene Paket mit Dokumenten fast nichts. Auffenberg wollte sich mir also darüber nicht voll eröffnen. Nur ein Schriftstück bringt einigen Aufschluß. Es ist eine Denkschrift, die er nach seinem Rücktritt für den Kaiser verfaßte, ein Bericht oder eine Rechtfertigung seines Wirkens als Minister. Es kommen darin Ausfalle auf die cisleithanischen und transleithanischen Minister vor, die gegen ihn gearbeitet [haben]. Das ist vielleicht der Grund, weshalb Graf Paar, dem er die Denkschrift zur Übermittlung an den Kaiser übersandte, ihm schrieb (der Brief lag bei): Auffenberg begreife wohl, daß er seinen Wunsch nicht erfüllen konnte; er warte „den psychologischen Augenblick" ab, um das Memoire dem Kaiser zu unterbreiten. Auch diese Denkschrift ist mannhaft abgefaßt, ohne Leisetreterei. So konnte Auffenberg nicht geschrieben haben, wenn er sich in Geldsachen schuldig fühlte, oder wenn er beim Kaiser unter einem schmutzigen Verdachte gestanden wäre. Er schildert alles, was er für die Armee getan hat, welche Intrigen
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Moritz von Auffenberg
gegen ihn gesponnen wurden, behauptet, er habe zuletzt in einem guten Verhältnisse zu den ungarischen Politikern gestanden, und daß bloß seine Gegner ausgesprengt hätten, er wäre wegen der Magyaren nicht länger als Minister möglich. Von historischer Bedeutung ist die Verteidigung gegen den Vorwurf, daß er zu früh zur Mobilisierung und Rüstung geschritten hätte [sie!]10. Diese sei hoch an der Zeit gewesen, und nur ihr verdanke man es, daß sich die diplomatische Lage im Dezember günstiger gestaltete. Indessen ist dem Zwecke des Memoires entsprechend nichts über die äußere Politik gesagt; der Kaiser würde natürlich alle Anspielungen Auffenbergs auf die internationale Lage ohnedies besser verstanden haben als ich. Zu dieser Denkschrift hat mir Auffenberg einen mündlichen Kommentar gegeben, der mir mehr als das Memoire selbst Einblick in den Verlauf der Ereignisse gewährte. Auffenberg stellt nochmals wie in seinen früheren Mitteilungen an mich von Mitte Dezember fest, daß Österreich-Ungarn von dem Balkankrieg vollständig überrascht wurde11. Der beste Beweis ist, daß die österreichisch-ungarischen Militärattaches in Belgrad und Konstantinopel am 1. Oktober auf Urlaub waren.8 Man hätte ihnen, wenn der Kriegsausbruch vermutet gewesen wäre, keinen Urlaub gegeben12. Man wußte wohl von den Rüstungen der Balkanstaaten, man war wohl auch von dem Abschluß des Balkanbundes unterrichtet13, aber nicht davon, daß diese unmittelbar vor dem Losschlagen stünden. Dies war dem österreichisch-ungarischen Generalstab unbekannt, und, wie Auffenberg überzeugt ist, auch dem Minister des Äußern. Die Frage, weshalb Österreich-Ungarn nicht die Hand auf den Sandschak legte, beantwortete er dahin, daß man Anfang Oktober gar nicht die notwendigen Truppen bereit hatte. Man hatte die hierzu notwendigen 30.000 Mann in Bosnien nicht zur Verfügung. Bei der mangelhaften Eisenbahnverbindung etc., bei den schwachen Ständen, wären vier bis sechs Wochen notwendig gewesen, um diese Kräftegruppe in den Sandschak zu dirigieren. Die Ereignisse gingen so rasch vor sich, daß bis dahin die Besetzung des Sandschak durch Serben und Montenegriner vonstatten ging. Auffenberg deutete an, aber so allgemein, daß es vielleicht eine spätere Konstruierung war, daß er selbst geraten hätte, von vorneherein zu erklären, 10
11 12 13
Vgl. zu den Teilmobilisierungen im November 1912 Wilhelm Deutschmann, Die militärischen Maßnahmen in Österreich-Ungarn während der Balkankriege 1912/13, phil. Diss. (Wien 1965). Vgl. S. 373-375. Am 30. September 1912 hatten die Balkanstaaten die Mobilisierung ihrer Armeen gegen die Türkei bekanntgegeben. Der geheime Bund zwischen Bulgarien und Serbien vom 13. 3. 1912, der am 29. 8. 1912 um eine Militärkonvention erweitert wurde.
" Randbemerkung: chen.
1. Oktober oder 1. November. 1. November mit Bleistift wieder
gestri-
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was Österreich-Ungarn wolle, und welche Grenzen es den Serben und Montenegrinern ziehen wolle. Berchtold aber, das versichert Auffenberg zu wiederholten Malen, besaß kein bestimmtes Programm und hat wenigstens ihm gegenüber ein solches nicht entwickelt. Nicht einmal über Albanien habe er sich bestimmt geäußert. Vergebens habe Auffenberg ihn gefragt, welche Ziele die Monarchie eigentlich im Auge habe. Darauf erfolgte keine bestimmte Antwort. Nun wandte ich ein, daß Berchtold doch schon in seiner Note vom 14. August auf die Bildung eines autonomen Albanien hingearbeitet hatte14. Das war Auffenberg aber, wie aus seiner Auskunft hervorging, nicht recht gegenwärtig. Erst am 13. November (dieser Tag war es nach der Erinnerung Auffenbergs) wurde er zu einem hohen Herrn (mit diesen Worten bezeichnet Auffenberg stets den Thronfolger, ohne ihn zu nennen) berufen, der ihm sagte: Durch seine Einwirkung sei man zu dem Entschlüsse gekommen, ein autonomes Albanien aufzurichten, zu diesem Behufe müßten die notwendigen militärischen Vorbereitungen getroffen werden. Auffenberg erhob Einwendungen. Ob es nicht besser wäre, den Serben den harten albanesischen Bissen zu überlassen? Sie würden 10-20 Jahre brauchen, um ihn zu verdauen. Österreich-Ungarn hätte es, falls es zu einem Konflikt mit Serbien käme, [in der Hand,] die Albanesen durch Waffenlieferungen gegen sie in Bewegung zu setzen. Aber der „hohe Herr" blieb dabei, daß das von ihm ins Auge gefaßte Programm durchzuführen sei. Darauf erklärte ihm Auffenberg: In diesem Falle seien größte militärische Vorkehrungen notwendig, die er auch sofort treffen werde. Nun hatten der Generalstabschef Schemua und General Potiorek, den Auffenberg sehr hoch stellt, schon früher eine große Aufstellung im Süden gefordert. Dem hatte Auffenberg widersprochen, jetzt schritt er ans Werk. Aber gleichzeitig kamen beunruhigende Nachrichten von den russischen Grenzen. Nicht bloß, daß Rußland 300.000 Mann mobilgemacht hatte. Es trafen am 27. oder 28. November Meldungen nach Wien, die dem Militär als Anzeichen eines drohenden Vorstoßes gelten mußten. Dazu gehörte besonders die, daß die zweiten Stabsoffiziere der verschiedenen Korps zu einer Besprechung nach Petersburg gerufen waren. Nun aber sind diese zweiten Stabsoffiziere überall, und auch bei uns, die Organe für Mobilisierung. Eine solche Beratung geht regelmäßig dem Vormarsche vorher. Als ich nun Auffenberg vorhielt, daß es doch unwahrscheinlich war, Rußland hätte Österreich-Ungarn angreifen und dadurch einen Krieg auch mit Deutschland provozieren wollen, erwiderte er ein Doppeltes. Zunächst, daß die Militärs sich an die bestimmten militärischen Anzeichen halten müssen, und diese waren am 27. und 28. November höchst bedrohlich. Dann, daß es damals nicht ganz sicher war, Deutschland werde uns gegen Rußland beistehen. Diese Andeutung erfüllte mich mit Verwunderung, aber ich konnte [sie] mir auch nur so 14
Vgl. ÖUA Bd. 4, 3 3 9 - 3 4 0 .
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Moritz v o n Auffenberg
erklären, daß Auffenberg meiner Mitteilung über die Äußerungen KiderlenWächters, Deutschlands militärische Hilfe sei der Monarchie gewiß, eine so große Bedeutung beigemessen hatte. Ich erinnerte ihn daran; er wiederholte, was ich schon durch ihn wußte, daß er meinen Brief dem Grafen Berchtold gezeigt hatte, was diesem sehr angenehm war. Ich gab meiner Verwunderung Ausdruck, daß Berchtold über dies alles nicht schon durch Szögyeny unterrichtet war; auch hatte mir, so fügte ich hinzu, Szögyeny in Berlin gebracht [sie!], er hätte dem Grafen Berchtold volle Zuversicht über die Haltung Deutschlands einflößen wollen, was ihm aber nicht gelungen wäre, eben deshalb hatte er mich aufgefordert, dem Grafen Berchtold die Worte Kiderlen-Wächters zu wiederholen. Kurz und gut, Auffenberg und offenbar auch Berchtold haben wenigstens zwischen dem 20.-28. November nicht volles Vertrauen in die militärische Hilfe Deutschlands gesetzt. Daraus erklärte sich auch das schwächliche Brieflein, das Auffenberg mir gegen Ende November schrieb8. Darauf brachte ich denn auch das Gespräch. Da nun wiederholte mir Auffenberg seinen mir schon bekannten Gedankengang, der auf bedenklichen Schwachmut des ehemaligen Kriegsministers hindeutet. Ja, so wiederholte er, damals (November 1912) stand die Existenz der Monarchie auf dem Spiel. Ein unglücklicher Krieg hätte den Zerfall der Monarchie herbeigeführt, die Folgen wären noch bedenklicher als 1859 und 1866, wo wir nur eine Provinz verloren haben. Seine, des Kriegsministers Verantwortlichkeit sei unermeßlich gewesen, und deshalb mußte zu umfassenden Rüstungen geschritten werden, um das Schlimmste zu verhüten. Große Rüstungen fanden statt, schon war selbst die Aufbringung einer großen Zahl von Kavallerie-Regimentern in nahe Aussicht genommen. Erst diese Rüstungen gaben ihm die Zuversicht, daß wir einem Stoße von Norden und von Süden widerstehen konnten. Uberhaupt stoße ich bei Auffenberg auf Pessimismus, was die Festigkeit der Monarchie betrifft. Ich entgegne ihm auch, daß der Zerfall des Reiches nicht in Rechnung zu ziehen ist. Er aber wiederholt nur nachdrücklicher, was in der oben erwähnten Denkschrift an den Kaiser, wenn auch weniger scharf, ausgeführt war. Die Armee sei durch die niederen Stände deterioriert worden, und das neue Wehrgesetz15, das diesen Fehler gutmacht, war noch nicht ausgeführt. Die Feldartillerie sei nicht auf der Höhe, es war Auffenberg nur gelungen, deren Verstärkung durchzusetzen, ohne Bewilligung der Parlamente, was die ungarische Regierung mit Unwillen erfüllte, jedoch, da unmittelbar nach dem ersten Widerspruch des ungarischen Ministerpräsidenten der Balkankrieg ausbrach, als fait accompli hingenommen worden ist. Jene Mängel können bei einiger Energie gut gemacht 15
a
Das Wehrgesetz vom 12. 7. 1912 reduzierte die Dienstzeit von drei auf zwei Jahre, verlängerte aber dafür die Reservezeit auf zehn Jahre. Gleichzeitig sollte das Rekrutenkontingent innerhalb von drei Jahren auf 159.500 Mann erhöht werden. Die erwähnten Briefe nicht auffindbar.
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werden, nicht aber die konstitutiven Schwächen der Armee, die mit dem Nationalitätenzwist zusammenhängen, selbst das Offizierskorps besitzt nicht mehr die alte Konsistenz. Wenn es sein muß, wird ein Krieg gewagt werden müssen, auf jede Gefahr hin; und hoffentlich wird sich die Armee bewähren. Aber er als Kriegsminister durfte nicht wie Leboeuf 1870 und teilweise wie Kuropatkin 1904 leichtsinnig zu einem Kriege raten. Kurz, die Lage am 27. und 28. November war sehr bedenklich. Eine Beruhigung fand erst nach der Audienz des Botschafters Graf Thum bei dem Zaren statt16. Diese Mitteilungen Auffenbergs liefern den Beweis, daß er "den Ereignissen nicht gewachsen war," keinen Uberblick über die äußere Lage besaß und keinen Plan bezüglich der Balkanhalbinsel hatte. Er ist ein „politischer General" bezüglich der inneren Vorgänge gewesen, in der auswärtigen Politik war er nicht orientiert. Er hatte keinen Plan für den Fall eine Niederlage der Türken, er war wie Schemua der Ansicht, sie würden siegen, ber wurde von den Ereignissen vollständig überrascht.b
Josef Maria Baernreither, Mitglied des Herrenhauses
30. März 1913 К 2, U la, 5a г - 6a ν; Sekretär 7
Er erzählt mir von seinen Reisen nach Rom und Berlin17. In Rom sprach er mit Giolitti, Luzzatti und San Giuliano. Der Minister des Äußern ist ein lebhafter, beredter Sizilianer, der sich auch gerne sprechen hört. Als Minister eines demokratischen Staates äußert er sich, wiewohl er nur dasjenige sagt, was er will, mit anscheinendem Freimut über die Beziehungen zu den fremden Staaten, besonders zu Österreich. Einen Anspruch Italiens auf Triest oder Dalmatien stellt er in Abrede. Dagegen schweigt er vollständig über den Trentino, weil, wie Merey zur Erklärung sagte, die Italiener auf eine europäische Konstellation hoffen, in der sie als Kompensation Südtirol zu erhalten gedenken. In Albanien will er angeblich ehrliche Teilung des Einflusses Italiens und Österreich-Ungarns. Luzzatti gab ihm an, daß die Kosten des tripolitanischen Krieges18 1000 Millionen Francs betrugen. Davon 300 16 17
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b_b
Zur Audienz des Botschafters Graf Duglas Thurn-Valsassina am 26. 11. 1912 vgl. ÖUA Bd. 4, 1024-1026. Vgl. Joseph Maria Baernreither, Fragmente eines politischen Tagebuches. Die südslawische Frage und Österreich-Ungarn vor dem Weltkrieg, hrsg. von Joseph Redlich (Berlin 1928) 205-223, zum Gespräch mit Friedjung ebda. 225. Im Oktober 1911 besetzten italienische Truppen Tripolis und die Cyrenaika. Der darauf folgende Krieg mit der Türkei endete erst mit Ausbruch des ersten Balkankrieges im Frieden von Lausanne am 18. 10. 1912, in dem die Türkei auf Tripolis verzichtete. Mit Bleistift Mit Bleistift
gestrichen. gestrichen.
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Josef Maria Baernreither
Millionen für dauernde Anschaffungen von Vorräten, Waffen etc. 600 Millionen werden durch Überschüsse aus den Budgets ader Jahre 1912,13 etc.a gedeckt werden; für 400 Millionen hat man Schatzscheine ausgegeben zu 4% al pari. Da die ЗУ2 %ige italienische Rente auf 98 steht, so gewinnen die Abnehmer V.2%. Der Kurs der Rente steht so hoch, weil Italien seinen Kredit sorgfältig pflegt. Es gibt in Italien ein einziges mündelsicheres Papier, und das ist die Rente; kein anderes Papier wird mit diesem Privilegium ausgestattet. Wichtiger ist das Gespräch, welches er in Berlin mit Jagow führte. Dieser machte einen guten, klaren Eindruck. Er sprach die Ansicht aus, daß Österreich-Ungarn zu Beginn des Krieges am besten getan hätte, seine Forderungen rund und klar namhaft zu machen und zur Geltung zu bringen. Wenn das Wiener Kabinett damals außer der Autonomie Albaniens auch den Sandschak für sich verlangt hätte, so würde Rußland, so meint er, sehr erstaunt gewesen sein, aber Krieg würde es deswegen nicht geführt haben. Anders stand es nach den Siegen der Balkanstaaten. Zu dieser Zeit würde Rußland einen Angriff Österreich-Ungarns auf Serbien nicht ruhig mitangesehen, sondern den Krieg erklärt haben. Deutschland nun wird unter allen Umständen für Österreich-Ungarn eintreten; es ist aber begreiflich, daß es bei der Führung der österreichischen Balkanpolitik gehört sein und angeben will, was es für ratsam hält. Es ist unmöglich, dem deutschen Volke begreiflich zu machen, daß es um Djakova einen Krieg gegen zwei Fronten, vielleicht auch gegen England führen müsse. Das Verhältnis zu England ist günstig und wird langsam und allmählich noch günstiger werden. Jetzt steht es so, daß bei einem Kriege Deutschlands gegen Frankreich und Rußland England zunächst neutral bleiben würde. bDagegen sagte mir Baron Tucher am 1. April, daß England zu Weihnachten durch Haidane der deutschen Regierung habe sagen lassen, es könnte einem Kriege nicht teilnahmslos zusehen. Man wählte Haidane, um die ernste Botschaft schonend übermitteln zu lassen. In Berlin war der Eindruck tief. Doch gibt Tucher zu, daß England in einem späteren Zeitpunkte beruhigender gesprochen haben könne.b Es ist aber nicht abzusehen, ob es nicht durch einen Zwischenfall gleichfalls in den Krieg hineingezogen würde. Um nun ein solches Aufflammen eines Weltkrieges zu verhindern, mußte Deutschland zwischen Wien und Petersburg vermitteln. Es ergab sich aber die große Schwierigkeit, sich über die Pläne des Wiener Kabinetts klarzuwerden. In diesem Zusammenhange stellte er an Baernreither die Frage: „Können Sie mir nicht sagen, wer eigentlich die auswärtige Politik in Österreich macht?" Diese Frage setzte Baernreither in große Verlegenheit, weil aa b_b
Ergänzung durch Friedjung. Ergänzung durch Friedjung.
30. März 1913
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aus ihr die Zerfahrenheit in der Leitung des Wiener Kabinetts hervorging. Deutschland hat nun zunächst dadurch vermittelnd gewirkt, daß es im Jänner die österreichisch-ungarische Regierung für die Abrüstung gewinnen wollte, die auch in Rußland gewünscht wurde. Damals ist Österreich darauf nicht eingegangen. Später vermittelte das Berliner Kabinett in der albanesischen Frage und proponierte die Lösung: Skutari albanesisch, Djakova serbisch. Das Wiener Kabinett weigerte sich anfangs, um später auf diesen Ausgleich einzugehen19. Jagow stellte an Baernreither unter anderem die Frage, was denn Österreich-Ungarn im Falle eines siegreichen Krieges erringen wolle. Darauf war die Antwort: Nach einem siegreichen Kriege müßte Serbien annektiert werden. Darauf erfolgte die Einwendung: Kann denn Österreich-Ungarn Serbien verdauen; und werden Sie dann nicht soviel Slawen haben, daß das Bündnis mit Deutschland nicht bedroht ist? Wird sich dieses Bündnis mit einem überwiegend slawischen Österreich-Ungarn aufrechterhalten lassen? Können Sie in Ihrem Reiche so viele Orthodoxe brauchen, die doch bekanntlich in Rußland immer ihren Leitstern sehen? Es zeigte sich überhaupt, auch in einem Gespräch mit Ministerialrat Koerner, daß Deutschland nicht gewillt ist, Österreich-Ungarn eine handelspolitische Vorzugsstellung auf der Balkanhalbinsel einzuräumen. Deutschland will sich ebensowenig wie Italien von dem serbischen oder einem anderen Balkanmarkte ausgeschlossen sehen. Koerner sagte: Nur im Falle einer Annexion Serbiens wäre dies möglich, sonst müsse Deutschland die offene Tür verlangen. Baernreither erzählt weiter von einem Gespräch mit Kriegsminister Krobatin, mit dem er anläßlich eines Diners bei Spitzmüller sprach20: Dieser General erklärte, im Frühjahr müsse der Krieg gegen Serbien geführt werden; selbst wenn Rußland sich widersetze, müsse Serbien erobert werden. Das sei notwendig, um die Südgrenze zu sichern und auch um den Dualismus über den Haufen zu werfen, der unmöglich geworden sei. Schon Fejerväry hatte die Proklamation fertig21, um durchzugreifen. Im letzten Augenblicke schreckte man damals jedoch vor dieser Maßregel zurück. Diesen Krieg gegen Nord und Süd will General Krobatin führen, obwohl er nicht vollständig von der treuen Bundesgenossenschaft Deutschlands überzeugt ist und auf dessen Hilfe nicht bestimmt rechnet. Baernreither war maßlos 19
20
21
Vgl. zur Albanienfrage Adalbert Gottfried Krause, Das Problem der albanischen Unabhängigkeit in den Jahren 1908-1914, phil. Diss. (Wien 1970). Vgl. zum Diner, das Alexander Spitzmüller, Direktor der Creditanstalt, am 31. 1. 1913 im Hotel Sacher gegeben hatte, Baernreither, Fragmente eines politischen Tagebuches 195-197. Laut Schicksalsjahre Österreichs 1908-1919. Das politische Tagebuch Josef Redlichs, hrsg. von Fritz Fellner. Bd. 1 (Graz - Köln 1953) 189 fand das Essen am 30. 1. 1913 statt. General Geza Fejerväry leitete vom 18. 6. 1905 bis 6. 3. 1906 ein nichtparlamentarisches Ministerium in Ungarn.
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Eduard Sueß
über diese Kriegsabsichten erstaunt und machte davon dem Grafen Berchtold Mitteilung. Dieser unterrichtete davon den Kaiser. Der Kaiser ließ den General rufen, machte ihm sanfte Vorwürfe und sagte, er habe nichts dagegen, wenn er Diners besuche, aber er habe nicht gut daran getan, jene kriegerischen Reden zu führen. Der Kaiser sagte: „Mit einem Zivilisten soll man nicht über diese Dinge sprechen."® „Übrigens", fügte der Kaiser hinzu, „können weder Sie noch selbst ich wissen, ob ein Krieg ausbricht."
Eduard Sueß, Präsident der Akademie der Wissenschaften
7. April 1913 К 2, U 1, 47 r
Er erzählt mir streng vertraulich, daß er seine Memoiren aufzuschreiben begonnen hat22. Die Aufzeichnungen zerfallen in zwei Teile, der eine bis zu seinem Eintritt in den Reichsrat 1873, der zweite bis zum Abgange Andrässys. Er ist jedoch nicht mit seiner Leistung zufrieden. Es sei nur eine Anhäufung von Detailnotizen. Auch innerlich nicht zusammenhängend, bald ein Abschnitt aus seinem Gelehrtenleben, bald ein Stück Politik, dann die Eröffnung des Suezkanals, und so immer Bruchstücke. Handelnd habe er doch nicht in die Ereignisse eingegriffen. Ich erwidere, alles, was sich über den Wert solcher Erinnerungen sagen läßt, sowohl vom Gesichtspunkte des Politikers wie von dem des Biographen eines so bedeutenden Lebens, wie wichtig es schon sei, die Charakteristik der Männer seiner Zeit aus seiner Feder zu lesen. Er läßt dies nicht gelten. So habe er von Kaiser Franz Joseph kein Bild gehabt, man sah nur sein Schwanken. Und doch muß man sagen, daß zum Beispiel seine Behandlung der ungarischen Angelegenheiten einen Plan und viel politische Einsicht verrate, so, als er die Koalition 1905 [sie!] zur Regierung rief, sie benutzte und sich ihrer entledigte23. Sueß hat seine Aufzeichnungen nicht einmal seinen Söhnen gezeigt. Er versichert mich, ich sei der einzige, mit dem er über die Angelegenheit gesprochen. Wie sehr mich dies ehrt und erfreut, habe ich in voller Aufrichtigkeit versichern können. Sein Gedächtnis, seine Auffassung, sein Urteil sind bewundernswert frisch. 22
Vgl. Eduard Sueß, Erinnerungen (Leipzig 1916). Am 8. 4. 1906 übernahm Sändor Wekerle an der Spitze eines Koalitionskabinetts aus Unabhängigkeits- und 68er Partei die Regierungsgeschäfte. Er blieb trotz mehrfacher Regierungskrisen bis 17. 1. 1910 im Amt. " Randbemerkung durch Friedjung: oder: Einem Zivilisten soll man solche Dinge nicht sagen.
23
Mai 1913
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Gesandter Eugen von Kuczynski, Gesandter in Peking i. Ρ
13. April 1913 К 2, U 4, 502 r; Sekretär 7
Aehrenthal hatte im Hinblick auf Rußland ein näheres Verhältnis zu Japan, vielleicht selbst eine Allianz, ins Auge gefaßt. Es war ihm aber nicht klar, daß dieses Bündnis durch eine fortgesetzte, konsequente ostasiatische Politik vorbereitet werden mußte. Eine solche Gelegenheit bot sich ihm, als der amerikanische Staatssekretär Knox den Vorschlag machte, die chinesischen Bahnen zu neutralisieren 24 . Rußland und Japan stellten sich dem entgegen; Deutschland schien bereit zu sein, mit Amerika zusammenzugehen, und ich riet Aehrenthal damals, sich Amerika anzuschließen. Ich ging von der Ansicht aus, daß Österreich-Ungarn damit sein aktives Eingreifen einleiten könnte. Aehrenthal lehnte aber ab, weil er nicht mit Japan in Gegensatz kommen wollte. Als er aber den Japanesen den Vorschlag eines Übereinkommens mit Hinblick auf Rußland machte, wurde er einfach ausgelacht, offenbar legten sie allen Wert auf das Zusammengehen mit Rußland und sahen in einer Allianz mit Österreich-Ungarn keinen Vorteil.
Kajetan von Merey, Botschafer
in Rom Mai 1913 К 2, U 4, 503 r; maschinschriftlich
Die Ursache, weshalb sich Graf Mensdorff über die politischen Absichten König Edwards einem Irrtum hingab oder ihm wenigstens größeres Wohlwollen für Österreich-Ungarn und größere Friedensliebe zumißt, als der König verdiente, liegt in dem verwandtschaftlichen Verhältnis des Botschafters zum englischen Hof. Graf Mensdorff fühlte sich glücklich, vom König, der ein Vetter seines Vaters war, in den näheren Verkehr gezogen zu werden, und der König hat ihn nicht in seine Pläne und Absichten eingeweiht. Graf Mensdorff fühlte sich als kleiner Verwandter immer bereit, den Wünschen des Königs zu willfahren. Ich habe deshalb dem Grafen Goluchowski widerraten, Mensdorff nach London zu schicken, weil ich schon damals voraussah, er werde nicht die Energie besitzen, nötigenfalls der englischen Regierung kräftig entgegenzutreten. Damals war ein Zusammenstoß mit England nicht vorauszusehen; während der Annexionskrise aber machte sich das subalterne Verhältnis Mensdorffs zum König bemerklich. 24
In einem Memorandum vom 9. 11. 1909 an das britische Außenamt schlug Philander Knox die „Neutralisation" der mandschurischen Eisenbahnen vor, indem die interessierten Staaten der chinesischen Regierung eine Anleihe zur Verstaatlichung der Bahnen gewähren und dafür an der Verwaltung der Linien teilhaben sollten. Das Projekt scheiterte am Widerstand Rußlands und Japans.
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Otto von Mühlberg
Graf Kälnoky war als Minister des Äußern ganz an seinem Platze, nicht bloß durch seine Ansichten, sondern ebenso durch seinen Charakter, der sich in dem, was er für richtig hielt, nicht erschüttern ließ. Er besaß aber zu großes Selbstbewußtsein, und dies war auch die Ursache, weshalb er 1890 [sie!] in dem Streit mit dem ungarischen Ministerpräsidenten Bänffy unvorsichtig auftrat und seinen Sturz selbst herbeiführte25. Graf Goluchowski war geistig weniger begabt, er erwarb sich aber durch sein ganzes Vorgehen allgemeines Vertrauen in Europa, was den Geschäften zugute kam.
Otto von Mühlberg, preußischer Gesandter beim päpstlichen Stuhl
Mai 1913 К 2, U 5, 604 г - 605 ν
Mühlberg teilt die Ansicht Holsteins und Bülows, daß Frankreich nicht zu versöhnen ist, und daß alle Versuche dazu an dem empfindlichen Nationalismus der Franzosen scheitern müssen. Der Kaiser denkt anders. Er glaubt, Deutschland als Sieger tue gut daran, immer wieder die Hand zur Versöhnung zu bieten. Deshalb ließ er seine Mutter bald nach dem Sturze Bismarcks nach Paris reisen26. Das war kein glücklicher Schritt. Es ist richtig, was Harden über Holstein 1904 erzählt27: Dieser und das auswärtige Amt waren über die Schärfe und die Wärme der Ansprachen Kaiser Wilhelms in Tanger betroffen. Soweit wollte das auswärtige Amt nicht gehen, schon das Erscheinen Wilhelms in Tanger sollte wirken. Aber der Kaiser hält sich in seinen Reden nicht an die Vorlagen des auswärtigen Amtes. Er ging in Tanger darüber hinaus28. Holstein war das anregende, bestimmende Element. Bülow folgte zumeist seinen Ratschlägen. Bülow ist stark als rezeptive Natur, er ist eine eklektische Natur, nicht schlagfertig. Holstein stand ursprünglich sehr gut mit Philipp Eulenburg. Dieser war mehr Dilettant. Bülow sagte: Mühlberg ist der Typus des unterrichteten, tüchtigen Geheimrats und daher Philipp Eulenburg immer abgeneigt. Holstein, der nie zu Hofe ging und auch nicht in Gesellschaft, besaß zuletzt keinen Frack. Als der Kaiser ihn kennenzulernen wünschte, konnte er die Einladung bei Bülow nicht annehmen. Als er das zweite Mal geladen wurde, mußte er sich ihn endlich anschaf25
26 27
28
Zum Konflikt Kälnoky - Bänffy im Jahr 1895, nicht 1890, vgl. Graf Gustav von Kälnoky; in: Historische Aufsätze 355-360. Viktoria, die Witwe Kaiser Friedrichs, besuchte vom 18. bis 27. 2. 1891 Paris. Friedjung traf während seines Berlinaufenthaltes den Publizisten Maximilian Harden am 26. und wahrscheinlich nochmals am 28. 7. 1912; vgl. einen Brief Hardens an Friedjung v. 27. 7. 1912; in: HHStA, NL Friedjung К 5; allerdings sind über diese Gespräche keine Aufzeichnungen erhalten. Vgl. zur Marokkoreise Ende März 1905 Zeitalter des Imperialismus. Bd. 2, 45-48.
Mai 1913
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fen29. Holstein, dereinst dieser elegante Lebemann! Ein solcher Einsiedler war er geworden. Der Kaiser hielt viel von ihm, aber in der Marokkosache sah der Kaiser in Holstein ein Hindernis seiner Friedenspolitik. Nicht, daß Holstein den Krieg wünschte, aber er war überzeugt, daß Frankreich bei kräftigem Beharren Deutschlands nachgeben werde. Da nun wirkten diejenigen gegen ihn, welche ein besseres Verhältnis mit Deutschland [sie!] wünschten. So Radolin als Botschafter, der Holstein viel Schuld zuschob, so wohl auch Eulenburg, der Lecomte mit einlud, wenn der Kaiser sein Gast war. So wurde Holstein zu Falle gebracht30. Ich entnehme auch diesen Andeutungen, daß Tschirschky nicht im Einverständnis mit Bülow handelte, sondern weil er die politische Abneigung des Kaisers gegen Holstein kannte. Mühlberg kam noch unter Bülow an den Vatikan. Als ich Bülow erzählte, Mühlberg habe bestimmter als er von den gegen Holstein gesponnenen Intrigen Eulenburgs und der anderen gesprochen, sagte Bülow: Mühlberg ist der Typus des liberalen, arbeitsamen Geheimrates, sehr unterrichtet und deshalb ein natürlicher Gegner des Dilettantismus Eulenburgs. Es mag sein, daß Mühlberg recht hat, es werde ja viel über diese Dinge gesprochen. Vielleicht haben sich die Dinge so verhalten; er aber wisse über diese Verhältnisse aus eigener Anschauung nichts, könne sich also kein abschließendes Urteil nicht [sie!] bilden. Mühlberg über Holstein: Stellt den Patriotismus Holsteins sehr hoch, seine Uneigennützigkeit. Aber ihm fehlte die Kenntnis volkswirtschaftlicher Verhältnisse vollständig. Dies [war] ein großer Mangel. Ja, er gab die Richtung der äußeren Politik an, Bülow hat sich im Wesentlichen von ihm lenken lassen. Bülow ist der glänzendste Causeur, den Mühlberg kennt, von umfassender Bildung, aber stark nur in der Rezeption. Er ist eine eklektische Natur. Die Reise Wilhelms nach Tanger war im Ministerium des Äußern wohl erwogen, aber der Kaiser ging in seinen Reden über die Absichten seiner Regierung hinaus. aEr hätte durch sein bloßes Erscheinen in Marokko wirken sollen, Reden waren nicht notwendig.8 Es ist richtig, daß Holstein überrascht und unangenehm berührt war, als er die Rede Wilhelms in Tanger las. b Dies ist auch der Bericht Bülows.b Aber man mußte immer darauf rechnen, daß Wilhelm über die Absichten seiner Ratgeber hinausging. Er hat sich nie an die Reden gehalten, die ihm von seinen Ratgebern ausgearbeitet [worden] waren. Übrigens wollte Wilhelm nicht in Tanger landen, erst Kühl29
Vgl. dazu einen Brief Holsteins an Fürst Hugo Radolin vom 25. 11. 1904 in Die Geheimen Papiere Friedrich von Holsteins, hrsg. von Norman Rieh und Μ. H. Fisher. Bd. 4 (Göttingen 1963) 282-283. Holstein aß am 12. 11. 1904 beim Kaiser. 30 Vgl. zum Rücktritt Friedrich von Holsteins im April 1906 S. 307 Anm. 11. a " Ergänzung. ь ь Ergänzung.
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Ernest von Koerber
mann hat ihn dazu bestimmt, der bereits alle Vorbereitungen getroffen hatte und dem Kaiser vorstellte, wie alles gespannt auf sein Kommen warte. Mühlberg teilt die Ansicht, daß Deutschland besser daran getan hätte, sich mit Frankreich schon nach 1904 über Marokko zu einigen. Er hat Bülow viel später gefragt, ob denn irgendwelche Vorschläge aus Paris angelangt seien, ob er etwa seinen Mitarbeitern etwas verschwiegen hätte. Darauf dessen Antwort, er habe ihnen nichts verheimlicht. Monts ist ein kritischer, skeptischer Kopf. Bülow hat ihn bis zuletzt gehalten, nachdem er sich in Rom unmöglich gemacht hatte. Monts hat ihm mit Undank gelohnt. Das Argument, mit dem die Gegner Bülows auf den Kaiser wirkten, war die Angabe, daß ein Mann das Kanzleramt nicht mehr ausfüllen könne, es war doch für Bismarck zugeschnitten. Darauf warf ich ein: Monts ist es gewesen, der solches dem Kaiser vorstellte31. Mühlberg bejahte es nicht und verneinte es auch nicht.
Ernest von Koerber, Mitglied des Herrenhauses Wien, 24. Juli 1913 К 2, U 2, 253 г - 254 r; Sekretär 7 Fürst Alfred Liechtenstein war mit der Badeni'sehen Sprachenverordnung nicht einverstanden und legte dies dem Kaiser auch dar. Der Kaiser war sehr ungehalten und machte ihm so lebhafte Vorwürfe, daß er später scherzhaft zu Koerber sagte: „So geht es in Osterreich; des Abends legt man sich als loyaler Österreicher zu Bette, und am nächsten Tage steht man als Hochverräter auf." Als aber die Badeni - Thun'sche Politik scheiterte und der Kaiser einsah, daß die Sprachenverordnungen aufgehoben werden müßten, dachte er zuerst an die Berufung Liechtensteins32. Dieser entwarf für den Kaiser eine Art Programm mit den von ihm zu ergreifenden Maßregeln. Noch war Thun am Ruder, als Koerber zum Kaiser berufen wurde. Dieser machte ihm die Mitteilung von seiner bevorstehenden Absicht und fragte ihn, wie man dies dem Grafen Thun am besten mitteilen könne. Koerber erwiderte, Thun sei ein treu ergebener Diener des Kaisers und werde, wenn dieser ihm von der Notwendigkeit einer Änderung des Systems sprechen werde, keine Schwierigkeiten machen. Zugleich erhielt Koerber Einblick in das Programm Liechtensteins. Schon damals aber fragte ihn der Kaiser, ob er denn nicht geneigt wäre, an die Spitze der Regierung zu treten. Koerber wies darauf hin, daß ihm die parlamentarische Erfahrung vollständig fehle, da er im Reichsrate nur hin und wieder als Re31 32
Vgl. S. 376. Prinz Alfred Liechtenstein wurde nach der Demission des Kabinetts Thun im September 1899 mit der Regierungsbildung beauftragt, lehnte jedoch aufgrund des Widerstandes der Linksparteien ab.
1913
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gierungsvertreter gesprochen hatte. Er stellte sich jedoch dem Kaiser für jedes Staatsamt zur Verfügung. Das Programm des Fürsten Liechtenstein war nicht sehr einleuchtend; er war aber eine gebildete und ernste Persönlichkeit und trat sofort in Unterhandlungen über die Bildung der neuen Regierung ein. Er wendete sich unter anderem an den Grafen Oswald Thun, den Führer des Verfassungstreuen Großgrundbesitzes in Böhmen, und dieser lehnte Liechtensteins Kandidatur mit einer solchen Bestimmtheit ab, daß Liechtenstein den Versuch aufgab. Darauf wurde Graf Clary zum Ministerpräsidenten ernannt. Der Kaiser war, wie gesagt, aus Opportunitätsgründen bereits zur Aufhebung der Sprachenverordnung entschlossen, als er sich mit Koerber zum ersten Male beraten hatte. Clary vollzog die Aufhebung, war aber seinem hohen Amte nicht gewachsen. Dies schon wegen seiner Unpünktlichkeit. Einmal ließ er seine Ministerkollegen anderthalb Stunden warten, bis er erschien, um den Ministerrat zu eröffnen. Koerber hielt ihm vor, daß bei der Fülle drängender Geschäfte die Minister in ihrer Zeit beschränkt seien und nicht solange untätig bleiben könnten. Selbst den Kaiser, als dieser einen gemeinsamen Ministerrat einberief, ließ Claiy einmal längere Zeit auf sein Erscheinen warten33. Verfehlt war es auch, daß er eine große Anzahl von Mitgliedern aller Parteien berief, um sie dem Kaiser vorzustellen. Diese Unterredungen brachten den Kaiser in eine peinliche Lage.
Moritz von Auffenberg, Armeeinspektor
[1913] К 2, U 4, 505 г
Beim Kriegsausbruch 1912 waren der österreichisch-ungarische MilitärAttache in Belgrad und in Konstantinopel auf Urlaub34. „In dieser Richtung hat der politisch-militärische Nachrichtendienst wieder einmal vollständig versagt, und ich weise auf diesen Umstand aus dem Grunde besonders hin, weil er die Erklärung dafür bringt, daß dann - Ende November - die tatsächlichen eigenen Kriegsvorbereitungen in einem großzügigeren Maßstabe stattfanden, als dies vielleicht auf Grund der diplomatischen Nachrichten unerläßlich gewesen wäre."
33 34
Der einzige gemeinsame Ministerrat unter Vorsitz des Kaisers während der kurzen Amtszeit Graf Manfred Clary-Aldringens als Ministerpräsident tagte am 15. 11. 1899. Vgl. S. 380. Gemeint ist ihr Urlaub am 31. 9. 1912, dem Tag der Mobilisierung der Balkanstaaten.
Otto von Mühlberg
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Otto von Mühlberg, preußischer Gesandter
beim päpstlichen
Stuhl
[1913] К 2, U 4, 501 r-v
Eher klein, ein Gelehrtengesicht. Etwas dozierend. Sondert und charakterisiert sehr gut. Er ist von großem Respekt vor der Klugheit der Kurie erfüllt. Er schätzt Pius X. hoch, vielleicht zu hoch. Pius X. [sei] gerade, ehrenhaft, wahrhaft gläubig. Gut unterrichtet. Die Grenze liegt natürlich in der kirchlichen Richtung, Gesinnung. Man kann mit ihm nicht wie mit einem anderen Souverän sprechen. Denn ihm huldigt seine Welt unbedingt. Mühlberg ist der einzige Protestant unter den Gesandten, alle Botschafter küssen ihm den Fischerring, machen die zeremonischen drei Kniebeugungen. Er spricht nur Italienisch, aber er versteht Französisch gut, kennt selbst Nuancen, mit denen er selbst aushilft. Er ist verständig, einsichtig, soweit er es als Papst sein darf oder sein kann. Er hat in die Kirche vorzügliche Ordnung gebracht. Es gibt außer Rampolla keinen hervorragenden Mann in der Kirche. Die Kardinäle müssen an der Spitze der Kongregationen arbeiten, es wird viel gearbeitet, aber sie haben keinen rechten Einfluß. Pius ordnet alles im Wesen und im Kerne selbst an. Er war schon als Kardinal ein guter Organisator. Die Finanzen sind undurchsichtig, aber in guter Ordnung. Das Vermögen wird auf 60 Millionen Lire geschätzt, dazu der Peterspfennig. Er beträgt 6-7 Millionen Francs, also soviel als die Bestreitung des päpstlichen Haushaltes erfordert. Kopp bringt allein jährlich mehrere hunderttausend Mark nach Rom. Die Kongregationen arbeiten fleißig, so die Kommission zur Kodifizierung des kanonischen Rechtes, sehr wichtig. Ihr Ergebnis wird von hoher Bedeutung sein. Rampolla allein ist geistig überragend. Er hat sich vorneher zurückgezogen. Er zeigt (wie mir Bülow sagte) keine Rancune, er läßt nicht durchblicken, daß er von Ehrgeiz geleitet sei. Er lebt seinen historischen Studien, er hat für die Ausschmückung seiner Kirche Sancta Cecilia (so Bülow) viel getan. Rampolla hat Mühlberg einmal gefragt, ob er nicht glaube, daß in allen romanischen Ländern die Einführung der Republik unabwendbar sei. Mühlberg hat dies für Italien nicht zugegeben, was Rampolla unangenehm zu berühren schien. Mühlberg glaubt nicht, daß Rampolla als Anhänger der Raumlosen gegen Italien gesinnt sei, er ist es nur wegen des „Raubes" des Kirchenstaates. Ob seine Wahl nach Pius X. eine Niederlage Österreichs sei? Mühlberg meint das nicht: Wenn Österreich-Ungarn früher offiziös erkläre, daß es gegen die Wahl Rampollas nichts einzuwenden habe. Es scheint also etwas Derartiges im Zuge zu sein. Aber es ist nicht sicher, daß Rampolla die 2 /3Mehrheit erhält. Es kommt doch auf die italienische Regierung viel an: Denn es gibt viele unterirdische Fäden zwischen der Regierung und den
1913
393
Kardinälen. 3 Auch ist die Frage, ob sich die Kardinäle einen so starken Papst einsetzen werden. Nach der Begabung würde dies Rampolla verdienen. b Es ist sehr die Frage, ob es richtig war, Rampolla die Exclusio zu geben. Aehrenthal hat dies zu Mühlberg in Abrede gestellt35.b Papabile sind: Ferrata Ferrari Mailand Maffi Pisa Rossum, Holländer, unwahrscheinlich Auch nach Bülows Eindruck ist der Papst gut unterrichtet, auch über ferne ostasiatische Verhältnisse. Bülow geht mitunter mit seiner Frau zu ihm. Man darf Pius' Verstand und Kenntnisse nicht unterschätzen. °Auch nach Bülows Ansicht hat Pius X. Ordnung und Disziplin in die Kirche gebrachte
35
Österreich hatte beim Konklave 1903 sein Veto gegen eine mögliche Wahl des damaligen Kardinalstaatssekretärs Mariano Rampolla eingelegt. " Randbemerkung: Claar sagte mir: Gegen Rampolla sind seine früheren Gegner und auch die von Pius X. ernannten Kardinäle. b_b Ergänzung. Ergänzung.
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Hofrat Ludomil German, Mitglied des Abgeordnetenhauses
Ludomil German
27. Jänner 1914 К 2, U 1, 185 г-v; Sekretär 7
Hofrat German erzählte mir den Verlauf der Audienz bei Kaiser Franz Joseph unmittelbar nach der Vereitelung des polnisch-ruthenischen Ausgleichs durch die Bischöfe1. Urheber war bekanntlich der armenisch-katholische Bischof2, der von Abrahamovicz, dem Führer der ostgalizischen Großgrundbesitzer, in den Vordergrund geschoben war. Dieser bediente sich des Bischofs, um den Ausgleich zu vereiteln und eigentlich, um den Statthalter Bobrzynski zu Falle zu bringen 3 . Die westgalizischen Großgrundbesitzer sind, wie die Demokraten, Freunde des Ausgleichs gewesen, die Podolier aber waren dessen Gegner. Ihre Güter liegen mitten im ruthenischen Sprachgebiet, und es sind ebenso sozialwirtschaftliche wie nationale Motive, von denen sie sich leiten ließen. Der Kaiser nun zeigte sich von allen diesen Verhältnissen vollkommen unterrichtet und sprach sich mit den schärfsten Ausdrücken und der größten Lebhaftigkeit gegen die Verhinderer des Ausgleichs aus. Er nannte es von ihrer Seite eine Tücke, sprach von dem Verrat von Staatsinteressen. Er werde es ihnen nie verzeihen, daß sie das Friedenswerk gestört haben. Hierbei ergriff er den Arm des Hofrats, ging mit ihm in dieser Art im Empfangszimmer auf und ab und sprach leidenschaftlich erregt. Als German das Zimmer verließ, bemerkte der Adjutant, er glaube Schritte im Empfangssaale gehört zu haben. German bestätigte ihm, daß sich die Sache so verhalte, und der Adjutant bemerkte, dies sei ein ganz ungewöhnliches Vorkommnis. „Somit", so sagte German, „besitzt der Kaiser noch die alte Lebhaftigkeit und die frischeste Teilnahme für alle Vorkommnisse."
Moritz von Auffenberg, Armeeinspektor Jänner 1914 К 2, U 4, 513 г - 514 ν; Sekretär 7 Er macht mir diesmal einen besseren Eindruck. Seine Mitteilungen sind geschlossener, was vielleicht auch darauf zurückzuführen ist, daß nach einem 1
2 3
Der polnisch-ruthenische Ausgleich wurde nach einem fehlgeschlagenen Versuch am 14. 2. 1914 im galizischen Landtag verabschiedet. Den Ukrainern wurden darin gemäß ihrer Vertretung im Reichsrat 27% der Landtagsmandate, zwei von zehn Sitzen im Landesausschuß sowie Sitze in allen Landtagsausschüssen zugesichert. Weiters erhielten die Ruthenen die Schulautonomie sowie die Zusicherung der Polen, der Errichtung einer ukrainischen Universität in Lemberg zuzustimmen. Der Kriegsausbruch verhinderte jedoch die Durchführung. Josef Teodorowicz, seit 1902 Erzbischof von Lemberg. Michael Bobrzynski wurde am 14. 5. 1913 als Statthalter durch Witold Korytowski abgelöst.
Jänner 1914
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Jahre und nach der Veröffentlichung so manchen geschichtlichen Materials seine Ideen [sich] geformt haben. Der Grundgedanke seiner Ausführungen ist wieder, daß Österreich-Ungarn im November 1912 durch die mangelhafte Verfassung seines Heeres an einer ausgreifenden Politik gehindert war. Der vieljährige Konflikt mit Ungarn hatte auf die Armee einen verheerenden Einfluß. Ihr Ausbau war unterblieben, ihre Stände herabgesetzt, und es ist ein Korn Wahrheit an dem verbrecherischen Ausspruch eines kossuthistischen Abgeordneten, der in einer Rede sagte, „es ist uns gelungen, aus der gemeinsamen Armee eine Operettenarmee zu machen". Deswegen hatte Auffenberg schon im Frühjahr 1912, vom März ab, eine Reihe von Maßregeln vorgeschlagen, war aber von Berchtold nicht unterstützt worden. Dieser kann damals unmöglich von der Bildung des Balkanbunds, der eben damals erfolgt ist4, etwas gewußt haben. Wahrscheinlich war dies selbst im Oktober noch nicht der Fall. Der Kriegsminister hatte schon ein Jahr vorher Kanonenbestellungen gemacht, ohne daß im Budget eine Deckung dafür vorhanden war. Als dies Ende Oktober [sie!] 1912 zur Kenntnis des Ministerpräsidenten Lukäcs und des ungarischen Finanzministers kam, waren sie höchst ungehalten, und Auffenberg in seiner Stellung bedroht. Dieser erklärte hierauf, er werde am 1. Oktober nachmittags, auf alle Gefahr hin und sein Portefeuille aufs Spiel setzend, in der österreichischen Delegationskommission das Geschehene berichten und die Genehmigung heischen. Auch diesmal wurde er von Berchtold nicht unterstützt, was doch hätte geschehen müssen, wenn Berchtold von dem nahen Ausbruch des Krieges unterrichtet gewesen wäre. Da nun geschah etwas Unerwartetes. Gegen Mittag kam am 1. Oktober die Nachricht von der Mobilisierung der Balkanstaaten5. Damit war die Situation vollständig geändert, und Auffenberg hatte es nicht notwendig, sein Portefeuille einzusetzen, um die Kanonen zu bekommen. Es ist unmöglich, daß Berchtold passiv geblieben wäre, wenn er das Kommende vorausgesehen hätte. Offenbar hat man auch in Berlin nichts davon gewußt. Man kann doch nicht glauben, daß Berchtold dem Kriegsminister gegenüber Geheimniskrämerei betrieben hätte, oder daß er sich nicht die Konsequenzen eines Balkanbundes klar gemacht hätte. Auch ist festzustellen, daß am 1. November8 1912 die österreichischen Militärattaches in Belgrad und Konstantinopel auf Urlaub waren, was nur dadurch zu erklären ist, daß auch ihre Missionschefs nichts von den kommenden Ereignissen gewußt haben. In der damaligen militärischen 4
5
a
Der geheime Bund zwischen Bulgarien und Serbien vom 13. 3. 1912, der am 29. 8. 1912 um eine Militärkonvention erweitert wurde. Die Balkanstaaten hatten am 30. 9. 1912 gegen die Türkei mobilisiert. Vgl. dazu S. 379-383. Das Datum sollte richtig 1. Oktober heißen; Friedjung korrigierte sonst alle Daten von 1. November auf 1. Oktober.
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Moritz von Auffenberg
Lage war Österreich zum Losschlagen nicht bereit. Darauf machte Auffenberg den Minister des Äußern auch aufmerksam. Er gab ihm den Rat, die Sache nach Möglichkeit hinzuziehen, keine gewagten Schritte zu unternehmen, unterdessen aber die umfassendsten Rüstungen zu beginnen, damit etwa im Juni oder Juli 1913 Österreich-Ungarn mit voller Kraft eingreifen könne.3 Er warnte ihn aber, es in der nächsten Zeit auf den Krieg ankommen zu lassen, da durch die jahrelange Vernachlässigung der Armee der Erfolg mehr als zweifelhaft war. Erst infolge der Rüstungen im November und Dezember trat ein Zustand ein, in dem Österreich-Ungarn stark genug zum Eingreifen war. bIm November war die Situation höchst bedenklich. Damals führte Auffenberg vor dem Kaiser aus, daß die Österreicher sich in einer so gefährlichen Lage befinden wie niemals seit 1866. Der Kaiser aber warf [ein]: „In einer gefährlicheren LageV Auffenberg betont immer wieder, daß es sich damals um die Existenz der Monarchie gehandelt habe, während früher, 1859, 1866 doch nur der Verlust einer Provinz in Frage stand.b
Moritz von Auffenberg, beurlaubter Armeekommandant
[Ende 1914] К 2, U 4, 515 г - 519 r; maschinschriftlich; 5 1 9 r - 5 2 1 v von Friedjungs Hand
Die Denkschrift beginnt mit einer Verwahrung gegen den Vorwurf, er habe den Sieg von Komarow überschätzt und durch die übertriebene Schilderung seiner Erfolge das Oberkommando irregeführt6. Sie verweist darauf, daß er nichts anderes gemeldet hatte, als die von den Unterbefehlshabern eingesandten Berichte, ohne daß er sich über die Gesamtergebnisse rühmend geäußert hätte. Darauf geht die Denkschrift auf eine Darstellung der Schlacht von Komarow über. Es wird erzählt, mit welch' großen Schwierigkeiten die Armee durch acht Tage gekämpft hatte, und wie schwer es war, den Widerstand der Russen zu überwinden. Endlich kam der Plan einer doppelten Umfassung des Feindes zur Ausführung. Die Russen waren zuletzt von Norden, Westen und Süden so umschlossen, daß, nachdem der Versuch ihres Durchbruches in der Mitte gelungen war, ihnen nichts übrig blieb als 6
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In der Schlacht von Komarow (26. 8.-2. 9. 1914) blieben die österr.-ungar. Truppen unter General Moritz von Auffenberg siegreich. Zu Auffenbergs eigener Darstellung siehe Moritz Auffenberg-Komaröw, Aus Österreichs Höhe und Niedergang. Eine Lebensschilderung (München 1921) 289-332. Welche Denkschrift Auffenbergs Friedjung erwähnt, konnte nicht eruiert werden. Randbemerkung durch Friedjung, mit Bleistift wieder gestrichen: In der ersten Unterredung Dezember 1913 [sie!; vgl. S. 375] sprach Auffenberg vom Sommer 1914. Dieses Datum wird er wohl Berchtold gegenüber ins Auge gefaßt haben. Ergänzung durch Friedjung.
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der Rückzug nach Osten. Nun hatte am äußersten linken Flügel der Österreicher Erzherzog Peter Ferdinand mit seiner Division die Aufgabe, die Klappe zu schließen. Gelang dies, so waren die Russen in der Falle gefangen. Indessen richtete sich der Stoß des Feindes gegen diese Division, die dem zweiten Korps unter General von Schemua angehörte. Es kann jedem General geschehen, daß seine Truppe nicht vollständig standhält, diesmal aber geschah das Ungünstige, daß Erzherzog Peter Ferdinand seine Division um siebzehn Kilometer zurückgehen ließ,3 sodaß die den Russen zu sperrende Rückzugslinie offen blieb, und sie, wenn auch mit dem Verlust von 20.000 Mann Gefangenen, nach Nordosten entkamen. Immerhin aber wurde am 2. September nach hartem Streite der Sieg errungen. Indessen konnte der Armeekommandant seines Sieges nicht froh werden. Denn an diesem 2. September erhielt er aus dem Hauptquartier die unheilvolle Nachricht, daß die Russen mit überlegenen Kräften gegen Lemberg vormarschieren, und in dieser Weisung wurde dem Armeekommandanten aufgetragen, einen doppelten Entwurf ausarbeiten zu lassen, den einen zum Rückzug seiner Armee hinter den San und den anderen eines Marsches von Komarow gegen Rawa-Ruska in die rechte Flanke der russischen Hauptarmee. Unmittelbar darauf, bam 2. oder 3. September,b aber kam eine zweite Mitteilung aus dem Hauptquartier, aus der hervorging, daß die Armee Auffenbergs die Aufgabe zu übernehmen hatte, über Rawa-Ruska in die Schlacht bei Grodek einzugreifen7. Nun ergab sich für Auffenberg die Frage, wieviel Truppen er gegen die von ihm besiegte russische Armee unter General Plehwe zurücklassen müsse und wieviel er nach Mittelgalizien führen soll. Er wollte ursprünglich die Armeegruppe des Erzherzogs Josef Ferdinand mit vier Infanteriedivisionen und zwei Kavalleriedivisionen zurücklassen, welche so kräftig gegen Plehwe hätten vorstoßen müssen, daß dieser nicht daran denken konnte, der Armee Auffenbergs zu folgen. Er erhielt aber vom Hauptquartier die Weisung, nur drei Divisionen Infanterie dem Erzherzog zur Verfügung zu stellen. Er setzte sich also gegen Rawa-Ruska in Bewegung und zwar in der Absicht, seine Armee mit der Front gegen Süden in die Flanke der Russen zu führen. Nun konnte er seine Truppen nicht genau in die Richtung von Lemberg dirigieren, weil sich auf dem Wege dahin eine Bergstellung befindet, eine förmliche Bastion, welche, wenn von den Russen verteidigt, nicht zu nehmen war. Er mußte also westlich oder östlich davon den Angriff unternehmen. Er erhielt vom Hauptquartier den Auftrag, sich westlich zu halten, um unmittelbar links von der dritten Armee in die 7
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Vgl. dazu Österreich-Ungarns letzter Krieg, hrsg. vom Österreichischen Bundesministerium für Heereswesen und vom Kriegsarchiv. Bd. 1 (Wien 1931) 269-284, sowie Moritz Auffenberg-Komarow, Aus Österreichs Höhe und Niedergang 332-358. Randbemerkung durch Friedjung mit Bleistift: 17, wenn ich nicht irre. Friedjung. Ergänzung durch Friedjung.
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Schlacht einzugreifen. Auffenberg erläuterte mir, daß dies deshalb notwendig war, weil die dritte Armee nach ihrem verlustvollen Rückzüge über Lemberg8 nicht mehr genug gefestet war, um für sich dem Stoße der Russen von Lemberg her zu widerstehen. So ergab es sich, daß die Armee Auffenberg nicht Front gegen Süden hielt, sondern, an die dritte Armee angeschlossen, im allgemeinen mit der Front gegen Osten kämpfte. Aber auch dies verschob sich, denn die Russen griffen den linken Flügel Auffenbergs mit solcher Ubermacht an, daß die Armeegruppe des Erzherzogs Josef Ferdinand sich zurückbiegen mußte und hier Front nach Norden bildete.8 Trotz dieser ungünstigen Lage hielt die dritte Armee nach Kräften stand, und sie würde noch länger habe halten können, wenn Auffenberg nicht am 11. September die Weisung erhalten hätte, die Schlacht abzubrechen und sich hinter den San und in die Stellung hinter den Dunajec zurückzuziehen. Übrigens würde er das Opfer noch weiterer großer Verluste haben tragen können, wenn die rechts von ihm stehenden Truppen, die Armee Boroevic und die BöhmErmollis, die Kraft gehabt hätten, die Initiative zu ergreifen und die Russen jenseits der Grodeker Teiche anzugreifen und zu werfen. So aber blieb ihm nichts übrig, als dem Befehl zu folgen und seine in breiter Front kämpfende Armee in den schmalen Rückzugsraum hineinzupressen, der ihm dadurch verengt wurde, daß die Russen vom Norden her gegen seine Flanke operierten. Er mußte zu seinem Rückzug den Raum zwischen dem Sklo und Przemysl wählen, und bei dieser schwierigen Lage ergaben sich von selbst manche Verluste. Es ist aber falsch, daß namhafte Teile seiner Armee sich in Auflösung befanden. Nirgends fand ein Zusammenbruch statt. Es gab Versprengte, welche nach Przemysl flüchteten und übertriebene Nachrichten von der Niederlage der vierten Armee mitbrachten. Als aber die Armee hinter der Dunajec-Linie ihre neue Stellung nahm, zeigte sich, daß ihr Zusammenhang nicht gelockert war, und daß sie zu neuen Operationen bereitstand. Die Denkschrift stellt auch die bei Komarow miteinander kämpfenden Armeen in ihrer Truppenzahl fest. Auffenberg befehligte 190 Bataillone, sodaß er, die Kavallerie und Artillerie miteingerechnet, über 200.000 Mann unter seinem Befehl hatte. General Plehwe verfügte über mehr als 220 Bataillone, war ihm auch an Artillerie, aber darin nur mäßig, überlegen. b Soweit die Denkschrift.1" Während der Schlacht bei Komarow hielt sich Auffenberg im Schlosse Narol nahe der Nordgrenze von Galizien auf. Auf dem Höhepunkte des Kampfes hatte er auch mit Conrad ein telephonisches Gespräch über die Lage der Schlacht und über die zu ergreifenden Maßregeln. Sein Generalstabschef war General Krauss, der Bruder des Kommandanten der Kriegs8
Am 2. 9. 1914 räumten die österr.-ung. Truppen Lemberg. " Randbemerkung durch Friedjung mit Bleistift: War es Josef Ferdinand? b_b Ergänzung durch Friedjung.
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schule. Daneben stand als Chef der Generalstabsabteilung Oberst Soos. Krauss war immer ruhig, besonnen, während Soos große Dienste durch seine Aktivität und durch seinen Optimismus leistete, der immer erfrischend wirkte.® Auffenberg hatte aber nie das Gefühl eines großen, erhebenden Sieges. Dazu waren die Begebenheiten zu wechselvoll, und die unglücklichen Zwischenfalle der achttägigen Schlacht bei Komarow erweckten zeitweise die größten Besorgnisse. So, als die Meldung kam, die 15. Kavalleriedivision Mayr habe sich um 6 Uhr früh vom Feinde überfallen lassen, während sie sich noch im Biwak befand, sodaß sie, von Maschinengewehren mit Geschossen überschüttet, zersprengt wurde9. Die Pferde rissen sich los, und alles wälzte sich in wilder Flucht nach rückwärts. Das Unheil geschah, weil nicht genügend Feldwachen aufgestellt worden waren. General Mayr wurde deshalb in Untersuchung gezogen. Nach diesen und anderen widrigen Zwischenfallen kam erst am l.September ein freudiger Augenblick, indem angesichts der doppelten Umfassung des Feindes Siegeszuversicht entstehen konnte. Das dauerte ein bis zwei Stunden, als die Meldung eintraf, der Sieg sei wieder durch die Zurückschlagung einer Division zweifelhaft.b Als dann am 2. September alles sich zum besten wendete, waren bereits die Unglücksmeldungen über den Rückzug Brudermanns zur Stelle10 sowie der Befehl aus dem Hauptquartier, sich mit dem Gedanken eines Rückzuges vertraut zu machen. So konnte eine rechte Siegesfreude nicht entstehen. Indessen ist festzustellen, daß die Schlacht bei Komarow, was die Zahl der kämpfenden Truppen betrifft, die größte je von Österreich geschlagene war. Auch bei Königgrätz war die aufgebotene Truppenzahl eine geringere. Auffenberg vermutet, daß auch Conrad später nicht ganz mit sich darüber zufrieden war, daß er die Schlacht von Grodek abbrach. Auffenbergs Ansicht ist, daß man seiner Armee noch größere Opfer hätte auferlegen können und mit den beiden anderen Armeen auf der südlichen Hälfte der österreichischen Stellung den Vorstoß mit neuer Wucht hätte versuchen sollen. c Auffenberg erklärt seinen Nachfolger Erzherzog Josef Ferdinand für einen ruhigen, seiner Sache gewachsenen General11. Boroevic ist sehr tüchtig. Nach der Schlacht bei Grodek suchte man einen Sündenbock. Ob nun Erzherzog Peter Ferdinand gegen ihn gewirkt hat, oder ob Erzherzog Friedrich 9
Im Rahmen der Schlacht von Komarow war am 27. 8. 1914 die 10., nicht 15. Kavalleriedivision unter FML Viktor Mayr von einer Kosakenabteilung überfallen worden. Die Räumung Lembergs am 2. 9. 1914. 11 General Moritz von Auffenberg wurde Ende September 1914, nach der verlorenen Schlacht um Lemberg, seines Kommandos enthoben und im April 1915 definitiv beurlaubt. " Randbemerkung durch Friedjung: Diese Organisation, die eigentlich zwei Generalstabschefs anordnet, hat ihre Nachteile. Sie zwingt den einen zu einer gewissen Abnegation. ь Randbemerkung durch Friedjung: War dies die Division Peter Ferdinand? c Der weitere Eintrag durch Friedjung. 10
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auf ihn eifersüchtig war, weil er nach dem Siege von Komarow soviel gefeiert wurde, genug, ihm wurde die Schuld an dem Mißerfolge beigemessen. An der Art seines Auftretens lag es nicht, da mit ihm gewiß auszukommen sei. Genug, der Erzherzog Friedrich machte ihm persönlich Vorwürfe, und am Tag darauf erhielt er den Brief, der seinen Abgang von der Armee zur Folge hatte. "Auffenberg hat nie mit Hindenburg konferiert und erklärt es für unrichtig, daß er in Differenzen mit der deutschen Armeeleitung geraten ist." Conrad aber ist an dieser Maßregel nicht beteiligt. Er war selbst von ihr überrascht. Es ist aber gewiß unklug, daß man ihn nach seinem Erfolge von Komarow entfernt hatte. Das hat der Sache geschadet. Conrad kann nun der Vorwurf gemacht werden, daß er sich nicht mit seiner Persönlichkeit ganz für ihn eingesetzt hatte. Indessen ist sein Verhältnis zu Conrad seit Jahrzehnten ein so enges, daß es [sich] kaum durch ein persönliches Verhältnis [sie!] wird lockern lassen. Sie haben immer enge zusammengehalten. Umso wichtiger ist, daß Auffenberg gegen die Führung der Armee durch Conrad erhebliche Bedenken erhebt. Zunächst ist festzustellen, daß der österreichische Generalstab ebenso wie der deutsche über das Maß der Rüstungen Rußlands schlecht informiert war. Auch kam Conrad der rasche Ausbruch des Krieges mit Rußland unerwartet. Auffenberg stellt fest, daß der Krieg mit Serbien kurz nach der Ermordung des Erzherzogs beschlossene Sache war. Statt aber alles sofort zu dem Schlage vorzubereiten, legte man die Aktion in die Hand der Untersuchungsrichter im Mordprozesse. Davon machte man das weitere Vorgehen abhängig. Man war der Ansicht, Rußland werde sich Serbiens nicht annehmen. Wenigstens hat General Uexküll, der sich doch in einer hohen Hofstellung befindet und durch Jahre Militärattache in Petersburg war12, zu Auffenberg in der Zwischenzeit zwischen der Mobilisierung gegen Serbien und der gegen Rußland bei einer zufälligen Begegnung gesagt, daß es wohl nicht zum Kriege mit Rußland kommen werde. So also geschah es, daß schon eine große Anzahl von Korps gegen Serbien instradiert war und sich auch schon an der serbischen Grenze befand, als der Aufmarsch gegen Rußland notwendig wurde. Daraufhatte Conrad um den 8. August den Entschluß zu fassen, ob es bei dem Aufmarsch gegen Serbien bleiben solle. Vielleicht wäre es besser gewesen, zuerst in Serbien mit überlegenen Kräften reinen Tisch zu machen. In diesem Falle mußte man in Galizien allerdings weit rückwärts aufmarschieren, vielleicht ganz Galizien opfern. Das Schwanken bezüglich des Aufmarsches war Conrad vielleicht durch die Verhältnisse aufgenötigt. Aber die häufige Änderung der Dispositionen zeigte sich leider auch bei den 12
General der Kavallerie Graf Alexander Uexküll-Gyllenband war 1880 bis 1882 Militärbevollmächtigter in St. Petersburg. Seit 5. 1. 1909 kommandierte er die LeibgardeReitereskadron. Ergänzung.
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Anordnungen für die Operationen im Norden. Befehle und Gegenbefehle ergingen zum Beispiel, als der Entschluß gefaßt werden mußte, ob die Armeegruppe des Erzherzogs Josef Ferdinand zu der Armee Auffenbergs stoßen oder zu der Brudermanns herangezogen werden solle, um sich an der Abwehr des russischen Einbruches zu beteiligen. Endlich wurde das erstere angeordnet. Und das war, wie Auffenberg behauptet, das Richtige, da wenigstens dadurch sein Erfolg ermöglicht wurde. Für das Verständnis der Feldzugslage ist es wichtig, daß die Armee Böhm-Ermollis in Ostgalizien zu Anfang des Feldzuges eigentlich nur dem Namen nach bestand. Erst später erhielt sie durch die von der serbischen Grenze herübergeholten Divisionen eine größere Stärke. Mit dieser kämpfte sie dann in der Schlacht von Grodek. Der Kaiser und Bolfras waren von der Auffenberg widerfahrenden Behandlung selbst erstaunt. Sie erfuhren erst nachträglich davon. Bemerkenswert ist, daß Auffenberg gleichfalls der russischen Spionage sehr große Bedeutung zuschreibt. Er wisse authentisch, daß auch in Ostpreußen manche Eingeborene der Verlockung erlagen und den Russen Spionsdienste leisteten. In Ostgalizien war dies in umfassender Weise der Fall. Selbst hohe Gerichtsfunktionäre beteiligten sich daran. "So ist der Staatsanwalt, der den Prozeß gegen die angeklagten Ruthenen führte, nach Rußland entflohen. Ist das auch richtig?® Es muß durch Jahre ein förmlicher Unterricht in der Spionage in Ostgalizien erteilt worden [sein]. Und nun erzählt Auffenberg die alten kuriosen Geschichten von den Windmühlen, die man gehen ließ, um anzuzeigen, daß die Österreicher marschierten, und zur Ruhe brachte, wenn sie die Bewegung einstellten. Und die andere, daß eine weiße oder eine schwarze Herde auf die Weide getrieben wurde, je nachdem Österreicher oder Russen im Anzüge begriffen waren. Es sind deshalb zahlreiche Hinrichtungen erfolgt, freilich mögen dabei auch Unschuldige den Tod gefunden haben. Das Urteil Auffenbergs über die Truppen aller Nationalitäten ist außerordentlich günstig. Nirgends sei ein Versagen von slawischen Truppen eingetreten, was er selbst vor dem Feldzuge befürchtet hatte. Auffenberg hatte Besorgnisse dieser Art auch mir vor dem Kriege geäußert13, woran ich ihn erinnerte. Er bestätigte dies. Auch nach Rückzügen hielten sich die Slawen günstig. Von einem Regiment, das sich in Mähren zum Teil aus Slawen, und zwar im Wahlbezirk des Nemec ergänzt, erzählt er: Es gehörte zu der Abteilung, die im Laufe des Rückzuges zu der Armee Dankl verschlagen wurde und erst später zu seiner Armee stieß. Er inspizierte die Trümmer dieses Regiments wie alle seine Truppen und dankte ihnen, daß sie sich so brav ge13
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Vgl. S. 377. Ergänzung.
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halten hatten. Dabei sah er nur mutige Gesichter, die Soldaten umringten ihn und brachen in Hoch- und Slava-Rufe aus. Wenn irgendwie, so hätte sich in diesem Falle eine Lockerung des Vertrauens in die Sache zeigen müssen. Auffenberg macht den Eindruck eines ruhigen, seiner Sache gewachsenen Generals, soweit aus einem Rückblick zu erkennen ist. Keine Pose, keine Selbstverhimmelung, keine Ruhmredigkeit in bezug auf seine eigenen Gefühle während der Schlacht bei Komarow. Von seinem Nachfolger, Erzherzog Josef Ferdinand, spricht er günstig. Er legt mir sein Tagebuch aus der Woche von Komarow vor. Darin erscheint er besorgt, oft bekümmert, durchaus nicht heroisch. Es fällt sogar das geringe Selbstvertrauen auf, das geringe Vertrauen auf den zu erringenden Sieg. Er las so schnell, daß ich nur einen ganz allgemeinen Begriff erhielt, umso mehr, als ich in dem Gewirr von Korps, Divisionen, Brigaden völlig unorientiert war, kenne ich doch auch heute nicht die Kriegsgliederung seiner Armee. Irre ich nicht, so standen 12 Infanteriedivisionen unter ihm einschließlich die Armeegruppe Josef Ferdinand. Doch nein, es müssen mehr gewesen sein, da die Denkschrift von 190 Bataillonen spricht. Jedermann weiß, wie schwer ohne Kenntnis der Ordre de Bataille die Orientierung des Hörers ist. Die Verwendung der Kavallerie durch die Führer tadelt er, es zeigte sich dabei eine Unkenntnis der militärischen Voraussetzungen, eine oft übel angebrachte Schneid. Von Dankl spricht er mit Achtung, wenn er auch bemerkt, daß dieser eine leichtere Aufgabe hatte, daß er mit sieben Divisionen gegen fünf feindliche kämpfte. Er konstatiert, daß zu Dankl bayerische Landwehr stieß. Doch sei diese eine weniger tüchtige Truppe wie deutsche Feldbataillone. Endlich etwas Wichtiges: Er stellt fest, daß er die 30,5 Zentimeter Motorbatterien 1912 gegen den Beschluß der Minister auf eigene Faust bestellt hatte. Am 1. November [sie!] 1912 nachmittags hätte die Sitzung des Ausschusses der Delegationen stattfinden sollen, in der man ihn unter Anklage stellen wollte. Das wäre geschehen, wenn nicht an diesem Tage die Kriegserklärung der Balkanstaaten an die Türkei erfolgt wäre14.
14
Vgl. S. 395. Das Datum müßte richtig 1. Oktober 1912 heißen. Am 30. 9. 1912 erfolgte die Bekanntgabe der Mobilisierung der Balkanstaaten gegen die Türkei, noch nicht die Kriegserklärung.
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31. Mai 1915
Ernest von Koerber, gemeinsamer
Finanzminister 31. Mai 1915 К 2, U 2, 215 г - 216 г, 218 r-v; maschinschriftlich mit Korrekturen durch Friedjung
Ich habe die Nachricht von meiner bevorstehenden Ernennung zuerst aus den Zeitungen erfahren 1 . Niemand, auch nicht Stürgkh, machte mir eine Mitteilung, und ich mußte dem mich fragenden Journalisten wahrheitsgemäß sagen: „Man hat mit mir noch nicht gesprochen." Als dann Buriän mir die amtliche Mitteilung machte, sagte ich ihm wörtlich, daß ich „ein Amt ohne Inhalt" zu übernehmen nicht Lust hätte. Wenn ich die große Verantwortung trage, so müßte ich von den entscheidenden Dingen auch Kenntnis haben, um nicht von Ereignissen überrascht zu werden, von deren Kommen mir nichts gesagt worden wäre. Buriän sagte mir die Erfüllung meines Wunsches zu, was mich beruhigen konnte. Wer meine Ernennung angeregt hat, könnte ich mit Bestimmtheit nicht sagen. Möglich, daß es Stürgkh war. Er weiß genau, daß ich mich zu Intrigen nicht hergebe, daß er also in mir nicht einen Nebenbuhler haben werde. Auch stehen die Dinge so, daß unter den unendlich schwierigen Verhältnissen in Osterreich niemand wagen wird, sich für das von ihm bekleidete Amt anzubieten. Solches zu tun könnte nur derjenige wagen, der in sich den Beruf und die Möglichkeit fühlt, den Staat glücklich zu leiten. Wer aber vermöchte dies in Aussicht zu stellen? Bei der Beratung vom 8.März über die Italien zu machenden Zugeständnisse hat Tisza nachdrücklich für Konzessionen gesprochen. Koerber hat ihm bedächtiger zugestimmt und darauf hingewiesen, daß, da Verträge leider keinen Wert besitzen, ein anderer Weg als der schmerzliche der Abtretung Welschtirols nicht existiert2. Das von Buriän mir gegebene Versprechen ist leider nicht gehalten worden. Buriän ist höchst zurückhaltend und geht auf Darlegungen, die Geschäfte betreffen, nicht ein. Er hört aufmerksam zu, erklärt, alles erwägen zu wollen, und verspricht, den Gegenstand scharf im Auge zu behalten. Diese und andere Redensarten wiederholen sich im Gespräch mit ihm, eine ernste Diskussion mit Gründen für oder wider ist mit ihm nicht möglich. Ich verstehe nicht, wie er Verhandlungen mit fremden Diplomaten führen kann, wenn er gleich zurückhaltend ist. Man wirkt doch durch die Wärme seiner Persönlichkeit, durch die Vielseitigkeit der Argumente, diese Gabe aber ist ihm, soweit ich sehe, versagt. Er liebt es, alle Arbeiten und Depeschen selb1 2
Ernest von Koerber war am 7.2.1915 zum gemeinsamen Finanzminister ernannt worden. Im gemeinsamen Ministerrat am 8. 3. 1915 wurde beschlossen, mit Italien über Grenzberichtigungen zu verhandeln und die Abtretung des Trentino zuzugestehen. Vgl. Protokolle des Gemeinsamen Ministerrates der Österreichisch-Ungarischen Monarchie (1914 bis 1918) (Budapest 1966) 215-233.
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ständig zu machen, ohne einem anderen Minister früher Mitteilung zu machen. Mitunter geschieht dann auch etwas anderes, als in den gemeinsamen Beratungen festgestellt wurde. Es gibt überhaupt keine Beratungen der drei gemeinsamen Minister, die in erster Linie verantwortlich sind. Als ich ihm Vorstellungen machte und ihn erinnerte, welche Zusagen er mir bei der ersten Unterredung gemacht hatte, blieb dies vergeblich. Allerdings wurden die Konzessionen, die an Italien gemacht werden sollten und die in dem gemeinsamen Ministerrate festgestellt waren, gemeinsam von Buriän, Koerber und Stürgkh formuliert. Diese Formulierung war insoferne glücklich, als jeder Schein vermieden wurde, daß Österreich-Ungarn dem Königreich Italien Einfluß auf die innere Entwicklung in den italienischen Gebietsteilen gewähre. Leider wurde diese Festsetzung in Rom geändert. Bülow3, der Macchio geistig überlegen, wußte ihn zu bestimmen, die Ausdrücke zu ändern unter dem Vorgeben, daß sachlich nichts geändert werde. Macchio ließ sich bestimmen nachzugeben, was ein großer Fehler war. Er trägt eine schwere Verantwortung. Es war in Wien eine Überraschung, als Bethmann-Hollweg in seiner Reichstagsrede die von Bülow und Macchio gewählte Formulierung der Welt bekanntmachte4. Man wollte dies in Wien vermeiden, um die öffentliche Meinung in Osterreich nicht ungünstig zu beeinflussen. An dem betreffenden Tage kam Koerber zu Buriän, um ihn auf die im Abendblatte enthaltene Meldung aufmerksam zu machen. Buriän hatte das Abendblatt auffallenderweise noch nicht gelesen und war auch von keinem seiner Beamten darauf aufmerksam gemacht worden. Er war tief betroffen. Die von der österreichischen Regierung beabsichtigte Veröffentlichung mußte infolgedessen abgeändert werden. Und doch wäre es natürlicher gewesen, daß die Publikation von Wien ausgegangen wäre. Dieses Vorgehen der deutschen Regierung hat, wie vieles andere, eine tiefe Verstimmung hervorgerufen. Uberhaupt ist das Verhältnis zwischen Buriän und Tschirschky unfreundlich, und Buriän nimmt alle von Tschirschky kommenden Eröffnungen mit Mißtrauen entgegen. Das ist ein schwerer Nachteil. Wenn die Armeen hingebungsvoll zusammenwirken, sollten auch die Regierungen Vertrauen zueinander haben. Jetzt werden Verhandlungen mit Rumänien geführt, ähnlich denjenigen, die dem Bruche mit Italien vorangingen. Man bietet den Rumänen Gebietsteile in der Bukowina und in Ungarn an. Tisza zeigt sich jedoch ablehnend, während er ziemlich freigebig mit den an Italien zu überlassenden österreichischen Gebietsteilen vorging. Er will die Verantwortung nicht übernehmen, zumal mit Hinblick auf die ihm entgegenstehende Opposition. 3
4
Der ehemalige Reichskanzler Fürst Bernhard Bülow war bis zum Abbruch der Beziehungen als deutscher Sonderbotschafter in Rom tätig. In einer Reichstagsrede am 18. 5. 1915.
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Der Ernst der Ereignisse bestimmte Koerber, nach längerer Zeit wieder zum Kaiser zu gehen. Er wurde überaus freundlich empfangen. Der Kaiser ging ihm bis an die Türe entgegen, während er sonst den Teppich seines Schreibtisches nicht verläßt. Koerber setzte ihm nachdrücklich auseinander, daß auf die ungarischen Staatsmänner, besonders Tisza, gewirkt werden müsse, um sie zu den notwendigen Konzessionen zu bestimmen. Er bat den Kaiser um persönliche Einwirkung auf Tisza. Dies wurde ihm auch zugesagt. Es ist aber nicht sicher, ob es in entsprechender Weise geschehen wird. Der Kaiser ist den entwickelten Gründen zugänglich, aber ein anderes ist es, ihn zu bestimmtem Handeln zu veranlassen. Schädlich wirkt auch die strenge Scheidung der Ressorts, welche bei uns ein Grundsatz ist. Über militärische Dinge wird nur mit Militärs gesprochen, mit jedem Minister bloß über Angelegenheiten seines Amtes. Es ist entmutigend, daß dann Dinge geschehen, für welche eigentlich das ganze Ministerium die Verantwortung tragen soll. Man kommt oft zu Koerber, um ihm gewisse Angelegenheiten aufs Herz zu legen, um ihn zu bestimmen, seinen Einfluß in diesem oder jenem Sinne geltend zu machen. Er muß aber erklären, daß er einen derartigen Einfluß nicht besitzt, und daß es ihm schmerzlich ist, Dinge geschehen zu sehen, für welche er die Verantwortung nicht übernehmen kann. In den gegenwärtigen Umständen aber ist ein Rücktritt vom Amte unmöglich, während das Verbleiben große Opfer auferlegt. Bezeichnend war der Vorgang bei der Verhaftung Auffenbergs 5 . Man hatte in dem Nachlasse des Obersten Schwarz Briefe Auffenbergs in der Zeit seiner Tätigkeit als Kriegsminister gefunden, in denen Mitteilung gemacht war über die im Zuge befindliche Mobilisierung und ähnliche streng vertrauliche Sachen. Es ist strafbar, daß Auffenberg solche Dinge mitteilte, aber noch unbegreiflicher, daß er sie dem Papier anvertraute. Sobald diese Briefe in den Besitz der Militärbehörde kamen, nahmen zwei Generäle, darunter Bolfras, Audienz beim Kaiser und verlangten die Verhaftung Auffenbergs. Der Kaiser zögerte, mit Recht darauf hinweisend, daß die Verhaftung einen niederschlagenden Eindruck machen werde. Darauf bat Bolfras den Kaiser zu gestatten, daß ein im Vorsaal befindlicher Auditor im Range eines Oberstleutnants hereingerufen werde, um sein juristisches Gutachten abzugeben. Dies geschah, und der Auditor setzte auseinander, daß der Verrat der militärischen Geheimnisse die Notwendigkeit der Verhaftung mit sich bringe. Nun ist der Kaiser immer willens, dem durch das Gesetz vorgeschriebenen 5
General Moritz von Auffenberg war am 26. 4. 1915, drei Tage nach seiner offiziellen Entlassung und Erhebung in den Freiherrenstand, verhaftet und erst Anfang Juni wieder entlassen worden. In einem Militärgerichtsprozeß im August 1915 wurde er von den Vorwürfen der pflichtwidrigen Amtsführung als gemeinsamer Kriegsminister (1911-1912) freigesprochen. Friedjung nahm an diesem geheimen Prozeß als einer der drei Vertrauensmänner Auffenbergs teil.
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Weg den Lauf zu lassen. Er scheut sich, mit einem Machtwort seinen Willen durchzusetzen, insbesondere dann, wenn er in den Gang des Rechtsverfahrens eingreifen soll. Diese Ängstlichkeit steigert sich eher, wenn er einem untergeordneten Organ gegenüber, wie es ein Oberstleutnant-Auditor ist, seinen abweichenden Willen kundmachen soll. Er bringt es eher über sich, politische Gründe und sein gewöhnlich richtiges Taktgefühl geltend zu machen. So also gab er seine Zustimmung, ohne daß die Minister gehört worden waren. Buriän war betroffen und unangenehm berührt, als ihm die Kunde zukam.
Theobald von Bethmann-Hollweg, deutscher Reichskanzler6
Berlin, 1. November 1915 К 2, U 2a, 64a r - 71a r
Nach den einleitenden Worten bringt Bethmann-Hollweg das Gespräch auf Polen, diese wichtige „Detailfrage", wie er sagt. Ob ich glaube, daß die habsburgische Monarchie imstande wäre, auch der großen Aufgabe gerecht zu werden, sich Kongreßpolen anzugliedern, wenn es ihm überlassen werden würde. Das wenn wird vom Reichskanzler unterstrichen. Es wäre doch eine gewaltige neue Bürde. Meine Antwort brachte mein Vertrauen auf Österreich-Ungarn zu starkem Ausdrucke. Die neuen Schwierigkeiten zu den alten seien dann unendlich groß, aber die Kraft der Assimilisation der Monarchie ist hoch anzuschlagen. Der Reichskanzler gestattete mir, dies ausführlicher zu begründen. Das tat ich, fügte aber hinzu, daß die Kraft der Verdauung durch Österreich-Ungarn davon abhänge, daß es mit Deutschland in einen politischen, Wehr- und Wirtschaftsverband trete. Der Reichskanzler ging darauf bedächtig ein. Es sei sein Gedanke, einen großen mitteleuropäischen Block zu schaffen, für dessen Gestaltung der wirtschaftliche Zusammenschluß entscheidend sein werde. Dagegen sei fraglich, ob der von Bismarck 1879 dem Grafen Andrässy gemachte Vorschlag, um die zwei Reiche ein staatsrechtliches Band zu schlingen, praktisch oder auch nur ausführbar sei. Daß aber das bis zum Kriege bestandene Verhältnis nicht genüge, sei gewiß. Deutschland und Österreich-Ungarn müßten sich enger zusammenschließen oder sich trennen. Seine Bemühungen gingen auf das erste. Es wäre unmöglich, Polen an Österreich-Ungarn zu überlassen, wenn Deutschland nicht die Garantie erhielte, daß es wirtschaftlich an dieser Eroberung teilhabe. Uber die Form des Wirtschafts-
6
Vgl. dazu die Aufzeichnungen Josef Maria Baernreithers über die ihm von Friedjung gegebene Schilderung des Gesprächs in HHStA, Nachlaß Baernreither, Tagebuch Bd. 15, 46-47.
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bündnisses werde in Berlin noch beraten. Es sei nicht so sehr wesentlich, welche Form gewählt werde, ob bloß Präferenzzölle oder mehr, als daß man bei den Verhandlungen mit fremden Staaten einheitlich vorgehe. Jedenfalls müsse eine Ordnung geschaffen werden, die die Zollunion sich als Ziel setze. Aber von vorhinein ist eine Zollunion nicht ins Auge zu fassen. Das würde die österreichische Industrie in Schwierigkeiten bringen und daraus eine Gegenwirkung entstehen, die der Sache selbst gefahrlich wäre. Die Zollunion solle erst aus [den] Verhältnissen „herauswachsen". Jedenfalls aber müßte das neue Verhältnis langfristig sein. Aber, so fragte Bethmann-Hollweg mich, ob ich denn bei meiner Kenntnis der Wiener Verhältnisse glaube, daß die österreichisch-ungarische Regierung darauf eingehen werde, ob der Fels auch Wasser geben werde. Das Wesentliche meiner Antwort war, daß ich sagte: Wenn in dem Kaiser Franz Joseph die Erkenntnis wachgerufen werde, daß eine Militärkonvention wie die in der Denkschrift7 vorgeschlagene seine Autorität stärke und seine Wehrmacht von dem Ubelwollen der parlamentarischen Parteien unabhängig mache, so müßte er doch selbst auf eine derartige Abmachung wertlegen. Ebenso wäre auf ihn in dem Sinne einzuwirken, daß durch ein langfristiges handelspolitisches Verhältnis mit Deutschland auch die Bande zwischen Osterreich und Ungarn fester geknüpft würden. Er muß doch erkennen, wie sehr dies seinem Reiche Festigkeit gewähren würde. Diese Hebel sind anzusetzen. Der Reichskanzler fand dies einleuchtend. Aber er beschwerte sich über die Schwierigkeit, mit Wien, besonders mit Buriän, zu verhandeln. Dieser stelle das, was er für richtig halte, programmatisch fest, ohne sich auf eine Diskussion einzulassen. Man komme bei ihm nicht weiter. In der letzten Zeit haben, so fuhr er fort, Goluchowski und Andrässy mich besucht, und ich habe mit jedem binnen einer Stunde mehr durchgesprochen, und wir sind uns näher gekommen, als wenn ich mit Freiherrn von Buriän eine mehrfache Zeit verhandelt hätte. Dies, so bemerkte ich, ist auch die Beschwerde so manches österreichischen Ministers nach Besprechungen mit Buriän8, aber es sei doch festzustellen, daß er, soviel ich unterrichtet sei, in Bezug auf Kongreßpolen einen bestimmten Vorschlag gemacht habe, auf den er noch eine Antwort erwarte. Danach ist Österreich-Ungarn bereit, sich mit der Verwal7
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Denkschrift aus Deutschösterreich (Leipzig 1915). Friedjung hatte diese anonym als Privatdruck erschienene Broschüre gemeinsam mit Michael Hainisch, Eugen Philippovich und Hans Uebersberger verfaßt und auch an Reichskanzler Bethmann-Hollweg gesandt. Zur Analyse der Denkschrift vgl. Günther Ramhardter, Geschichtswissenschaft und Patriotismus. Österreichische Historiker im Weltkrieg 1914-1918 (Wien 1973) 31-52 und 73-95. In К 1 U 5 und U 6 , K 2 U A . K 3 U Unterlagen und Studiennotizen zur europäischen Geschichte, sowie in der Briefsammlung Friedjung findet sich umfangreiches Material und Korrespondenz zur Denkschrift. Vgl. S. 403 f.
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Theobald von Bethmann-Hollweg
tung von Kongreßpolen, wenigstens seiner Hauptteile, zu belasten. Der Reichskanzler bestätigte dies. Buriän hat ihm dargelegt, daß Galizien mit den Österreich-Ungarn überlassenen Teilen Polens zu vereinigen wäre und eine gewisse Selbstregierung erhalten solle. Der polnische Landtag würde gewisse Befugnisse erhalten, die er in einer Kammer zu erledigen hätte. Dem analog auch der Reichsrat für sein Gebiet. Die gemeinsamen Angelegenheiten Österreichs und des künftigen Polen wären dann im Reichsrat zu verhandeln, in dem die Polen weiter zu sitzen hätten. Bethmann-Hollweg fragte mich, was ich darüber dächte. Ich erwiderte, daß diese Lösung für die Deutschen Österreichs unannehmbar wäre. Denn sie würden dann einer slawischen Mehrheit im Reichsrate wehrlos gegenüberstehen. Der Reichsrat solle vielmehr eine rein westösterreichische Körperschaft bleiben, in der dann die Deutschen die Mehrheit besäßen. Für die gemeinsamen österreichisch-polnischen Angelegenheiten müßte dann eine besondere Delegation eingesetzt werden, wenn man nicht die jetzigen Delegationen mit der Gesetzgebung und der Budgetberatung der österreichisch-polnischen Angelegenheiten betrauen wolle. Der Reichskanzler machte die treffende Einwendung, daß der Reichsrat bei einer solchen Einrichtung depossediert wäre und nicht seine Zustimmung geben werde. Darauf ich: Die deutschen Abgeordneten, mit Ausnahme der sozialistischen, würden mit Freuden einer solchen Lösung die Zustimmung geben, weil das Deutschtum in Westösterrreich dann von allen Anfechtungen befreit sein wird. Die Polen müßten vor das prendre ou laisse gestellt werden; die Autonomie des künftigen polnischen Gemeinwesens würde nur unter den genannten Modalitäten bewilligt werden. Übrigens werde auch in dieser Frage ein Oktroi nötig werden. In dieser wie in der böhmischen Frage. Ich setzte weiter auseinander, daß das, was vom demokratischen Gesichtspunkte ein Nachteil sei, dem Staate zum Vorteil gereichen werde. Nicht, daß ich ein Gegner des Parlamentarismus sei oder in den Absolutismus verliebt wäre, durchaus nicht. Aber die Übertragung der Österreich und „Polen" gemeinsamen Angelegenheiten an eine den jetzigen Delegationen ähnliche Körperschaft hätte den Wert, daß ein Drittel dieser Körperschaft dem Oberhause zu entnehmen wäre. Die jetzigen Delegationen hätten einen konservativen Charakter und das Regieren nie unmöglich gemacht. Der Staat werde an Festigkeit gewinnen, wenn die gemeinsamen österreichisch-polnischen Angelegenheiten (Militär, indirekte Steuern, Handelspolitik, Bankwesen etc.) den verschiedenen Obstruktionen entrückt wären. Mir stünde der Staat zu höchst, und ihm zuliebe müßten Opfer an parlamentarischen Rechten gebracht werden. Der Reichskanzler stellte in Bezug auf eine so geplante Ordnung der Dinge eine Reihe von Fragen, die seine Aufmerksamkeit wie seine rasche Auffassung bewiesen. Er machte ein und die andere scharfsinnige Einwendung,
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so, als ich davon sprach, daß das Herrenhaus in die künftige ebenso wie in die jetzige Delegation ein Drittel Delegierte, darunter auch Polen, entsende; da fiel Bethmann-Hollweg mir ins Wort und bemerkte treffend: In dem Herrenhause, wie es nach Ihrer künftigen Konstruktion beschaffen wäre, würden doch keine polnischen Mitglieder sitzen! Uberhaupt wurde er nicht müde, mich durch Zwischenfragen zu immer ausgedehnterer Charakteristik des Instituts der jetzigen wie der eventuellen Delegationen zu veranlassen, er faßte sein Urteil treffend dahin zusammen, daß er sagte: Würde eine derartige Ordnung getroffen werden, so wäre sie in der Tat durchaus praktisch. Aber es ist zu besorgen, daß „eine so glückliche Lösung" der Behandlung der österreichisch-polnischen gemeinsamen Angelegenheiten nicht erfolgen werde. Die umfängliche Besprechung der Modalitäten der Angliederung Kongreßpolens an Osterreich läßt den Schluß zu, daß der Reichskanzler dieser Lösung geneigt ist, wiewohl er alle Erörterung nur als konditionell bezeichnete. Er sprach sich, als von den von Österreich-Ungarn zu gebenden Garantien die Rede war, sehr bestimmt dahin aus, daß sich Deutschland nicht durch Österreich-Ungarn von Rußland handelspolitisch 3 abschließen lassen könne. Alle Linien, die durch Kongreßpolen ziehen, gehen mit einer Ausnahme (der Wien-Warschauer Bahn) von Deutschland aus. Die Verfügung über diese Linien müsse aus militärischen und handelspolitischen Gründen dem Deutschen Reiche aus [sie!]. Wie dies gedacht ist, darüber sprach sich Bethmann-Hollweg nicht aus. Naturgemäß war ich immer bemüht, den deutsch-österreichisch-ungarisch-polnischen Wirtschaftsbund als die wichtigste Bürgschaft für Deutschlands Anteil an der Verfügung und an dem Export nach Kongreßpolen hinzustellen. Der Kanzler stimmte im Allgemeinen zu, der Grundsatz wird von ihm nicht in Frage gestellt, aber es fehlt doch bei ihm eine klare und fertige Vorstellung, wie diese Einrichtung zu treffen wäre. Mitten durch brachte der Kanzler die allgemeine Lage Europas zur Sprache. Er äußerte sich wie ein Mann, der den Frieden wünscht und seiner Nation keine neuen Opfer auferlegen möchte, wenn es irgendwie ginge. Sein Verantwortlichkeitsgefühl darin ist sehr groß. Es kam aber mit größerer Weichheit zum Ausdrucke, als ich gewünscht hätte. Ich hätte vorgezogen, ihn härter zu sehen. Aber vielleicht tat ich ihm Unrecht. „Man sieht, so sagte er, nirgends ein hoffnungsreiches Anzeichen des Friedens. Rußland ist nicht so niedergeworfen, wie man es nach den Siegen der Verbündeten angenommen hatte. Es ist nicht zu hoffen, daß der Zar einen Separatfrieden machen wird. Dazu ist er nicht selbständig, nicht mutig genug. Ahnlich steht es mit Frankreich. Die Zeichen der Müdigkeit sind jetzt wieder geschwunden, nach Berichten der allerletzten Zeit, die von Neutralen herrühren, ist die öffentliche a
Ergänzung.
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Meinung zur Fortsetzung des Krieges entschlossen. Die Bildung des Ministeriums Briand ist kein ungünstiges Ereignis, auch ist Cambon wirklich zur Zeit, da er Botschafter wurde, mit der Absicht und dem Ehrgeiz nach Berlin gekommen, einen Ausgleich anzubahnen 9 . Aber seitdem Poincare an die Macht kam, fand ich ihn verändert; er wollte nicht zugeben, daß die Wendung der französischen Politik Gefahren in sich schließe.8 Und endlich Italien! Hier sieht man, wie sehr sich alle Psychologie getäuscht hat. Gute Kenner des Landes hatten versichert, daß, wenn Italien einen Mißerfolg erleide, das Volk bald ungeduldig und kriegsmüde werden würde. Nichts davon ist eingetreten. Es ist wahr, daß die Stellung Sonninos eine Zeitlang wankte. Nur, das ist vorüber, seitdem er die Beteiligung an dem Kriege gegen die Türkei ablehnte. Das ist den Italienern ganz recht." Hier unterbrach sich der Kanzler und fragte mich, wie man sich in Osterreich die Fortsetzung des Krieges mit Italien denke. Ich sagte ihm: Man halte einen Offensivstoß gegen Italien für notwendig, sobald Truppen in Serbien frei werden. Die Antwort schien ihm nicht zu gefallen. Aber er lehnte, als ich anknüpfend von den häßlichen Gerüchten in Wien sprach, als ob die deutsche Regierung dem Wiener Kabinett wieder die Abtretung einer Provinz rate, bestimmt ab. Davon sei keine Rede, Fürst Bülow habe keine Mission in Luzern 10 . Viel bestimmter äußerte er sich über die Kriegs- und Friedenslage in Serbien. Er nahm an, daß Serbien in absehbarer Zeit um Frieden bitten werde. Darauf sollten die Zentralmächte eingehen. Bethmann-Hollweg hat die Vorstellung, daß sich ein erträgliches Verhältnis zwischen dem besiegten und verkleinerten Serbien und der österreichisch-ungarischen Monarchie herstellen ließe. Die frühere Politik Österreich-Ungarns, den kleineren Staat zu verärgern, sei unglücklich gewesen. Weshalb solle sich dies nicht ändern lassen? Als ich einwendete, daß das Haus Karageorgevic sich nie an Österreich-Ungarn anschließen werde, es müsse doch wohl weichen, ließ dies BethmannHollweg nicht gelten. Wenn ein Friede mit Serbien nur so zu erreichen ist, daß das Haus Karageorgevic bleibt, so ist er entschieden für dieses Auskunftsmittel. Nur König Peter müßte abdanken, sein Sohn könnte bleiben. Es ist außerordentlich wichtig, daß die in Serbien kämpfenden Truppen für die russische oder französische Front verfügbar werden. Es hat sich gezeigt, daß die Entblößung dieser Kampfplätze sehr bedenklich war. Hindenburg mußte so geschwächt werden, daß er gegen Rußland nichts mehr ausrichten kann. Es war doch hohe Zeit, daß man Massen von Osten nach Westen warf. Diese kamen 9
Dem seit 29. 10. 1915 amtierenden Ministerium Briand gehörte als Generalsekretär im Außenministerium Jules Cambon an, der von 1907 bis zum Abbruch der Beziehungen Botschafter in Berlin war. 10 Fürst Bernhard von Bülow verbrachte mit seiner Frau den Winter 1915/16 in Luzern. " Randbemerkung: Diese, Bethmann Hollwegs, Äußerung befremdete mich, es war doch untunlich, daß Cambon seinen Minister und (dann) sein Staatsoberhaupt preisgab.
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gerade noch zurecht. Hätte die französisch-englische Offensive acht Tage früher eingesetzt11, so wäre die Lage des deutschen Heeres sehr bedenklich gewesen. Der Kanzler ging aber, indem er die Notwendigkeit des Friedensschlusses mit Serbien in den Vordergrund rückte, noch weiter. Er will Serbien für seine Verluste in Mazedonien mit Nordalbanien entschädigen. Es soll derart ans Meer reichen. Er werde unter keinen Umständen mehr für ein selbständiges Albanien sein. Er sei dafür auf der Londoner Konferenz eingetreten12, Osterreich zuliebe. Ich warf ein, und Italien zuliebe, was er ohne weiteres zugab. Damit sei es endgültig vorbei. Südalbanien mit Valona solle an Griechenland anfallen, Nordalbanien mit Durazzo an Serbien. Valona an Griechenland? warf ich ein; dem werde in Wien kaum zugestimmt werden. BethmannHollweg gab die Berechtigung dieses Einwandes nicht zu. Schon 1912/13 hatte in österreichischen Marinekreisen die Ansicht bestanden, Valona sei für Osterreich nicht notwendig. In den Händen Griechenlands sei Valona für Österreich-Ungarn ungefährlich. "Der Kanzler führte noch einen anderen Grund für einen baldigen Friedensschluß mit Serbien an. Damit wäre eine Masche in dem Netze der Entente gelockert. Der Friede werde auf einem Kongresse Zustandekommen, bei dem beide Teile gegenübersitzen werden. Da wäre es von großem Vorteile, wenn die serbische Frage bereits gelöst wäre. Es sei übrigens nach Friedensschluß mit Serbien auch leichter, den Krieg auf dem Balkan gegen England und Frankreich weiterzuführen. Was diese Feinde unternehmen würden, sei ungewiß. Man muß auch darauf gefaßt sein, daß sie bei Dedeagatsch landen wollten, um von hier aus gegen Konstantinopel zu marschieren. Das würde den Ernst der Kriegführung beweisen. Wenn sie dagegen von Adana gegen Cilicien und Syrien vordringen, dann wäre dies nur eine offensive Form der Verteidigung Ägyptens.8 Diese Herzensergießungen machten auf mich keinen guten Eindruck. Ich fand, daß seine Annahme, ein durch Nordalbanien vergrößertes, aber sonst furchtbar [geschwächtes] Serbien werde ein friedlicher Nachbar ÖsterreichUngarns werden, vollständig irre sei. bEbenso schien mir die Erwägung, daß die Anglo-Franken bei Dedeagatsch mit größeren Massen landen, überängstlich, selbst dilettantisch. Das können ihm doch schwerlich Militärs eingegeben haben. Auch liegt ein Widerspruch darin, daß Bethmann-Hollweg die in Serbien kämpfenden Truppen nach Frankreich und Rußland schicken will, wenn er Konstantinopel bedroht glaubt. Er deutete allerdings an, daß ein gegen Konstantinopel gerichtetes Unternehmen sowohl auf das türki11
12
"a
Am 25. 9. 1915 begann im Artois und in der Champagne eine Offensive der Entente, die zwischen 7. und 14. Oktober eingestellt wurde. Sie brachte kaum Frontverschiebungen, dagegen eine riesige Zahl von gefallenen, verwundeten und vermißten Soldaten (250.000 auf alliierter, 150.000 auf deutscher Seite). Am 29. 7. 1913 wurde Albanien auf der Londoner Konferenz unter Garantie der europäischen Großmächte als selbständiges Fürstentum eingerichtet. Ergänzung.
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sehe wie auf das bulgarische Heer stoßen werde. Aber gleich darauf die zweifelnde Frage des Kanzlers: Ob aber die Türken mit den Bulgaren ohne deutsche Hilfe stark genug zur Abwehr sein würden? Mit einem Worte: Von einem deutsch-türkischen Vorstoße gegen Ägypten wäre, wenn so zaghafte Auffassungen vorwalten, absolut nicht die Rede.b Aber ich begnügte mich mit zweifelnden Zwischenfragen, weil mir daran lag, das Gespräch auf das Hauptthema zurückzuführen. Das gelang mir, und der Kanzler ging wieder auf den wirtschaftlichen Zusammenschluß Mitteleuropas ein. Er warf die Frage auf, [ob] nicht Seiten Ungarns ein großer Widerstand geleistet werden würde. Ob nicht Tisza sich widersetzen werde? Das mußte ich bejahen, aber ich betonte, daß, wenn der Kaiser von Osterreich sich von der Notwendigkeit eines Wirtschaftsbundes überzeugen lassen könnte, der Widerstand gewisser ungarischer Kreise zu überwinden sei. Wekerle habe sich jetzt schon für ein langfristiges Verhältnis mit Deutschland und Osterreich ausgesprochen. Ein solches gereiche auch Ungarn zum Wohl, es sei eine neue Bürgschaft für die Festigkeit der habsburgischen Monarchie. Der Kaiser Franz Joseph habe schon zweimal parlamentarische Widerstände in Ungarn niedergeworfen, einmal durch Fejerväry, einmal durch Tisza13. Der Kaiser von Osterreich sei stark genug, das, was zum Wohle des Reiches unumgänglich notwendig sei, auch durchzusetzen. Der Kanzler meinte, wohl besitze der Kaiser die Macht, aber werde er sie auch gebrauchen? Sei denn Tisza nicht der Mann, der vor allem Einfluß auf den Kaiser habe? So mag es sein, war meine Antwort. Auch habe Tisza der Monarchie wirkliche Dienste geleistet. Im Grunde aber stehe es so, daß der Kaiser Tisza auch fürchte. Und die Souveräne haben doch nie Sympathien für einen Mann, den sie zu scheuen Grund haben. Der Kanzler bestätigte dies, und, wie mir schien, mit einer gewissen Weh- oder Schwermut, vielleicht Bismarcks gedenkend. Eingehend sprach er dann mit mir die Stimmungen und Strömungen für und gegen den Mitteleuropäischen Wirtschaftsbund durch. Ich legte die Verhältnisse in der österreichischen Industrie, die Beschlüsse der Wiener Handelskammer, die Haltung des Wiener Bürgermeisters, die Stellung Koerbers, Becks, Kleins, Baernreithers dar. Da ich das, was ich selbst vor ihm gesprochen habe, nur skizziere und andeute, kann ich nur einfügen, daß er oft kurz zustimmte, wenn ihm irgendein Argument, eine Schilderung einleuchtete. Die Unterredung hatte zwei Stunden gedauert; nach der ersten Stunde wollte ich mich erheben, ich hatte seine Zeit genügend in Anspruch genommen. Der Kanzler ließ mich nicht gehen, das Gespräch interessiere ihn doch 13
b_b
General Geza von Fejerväry ließ als Leiter eines nichtparlamentarischen Ministeriums am 19. 2. 1906 über königliches Dekret den Reichstag durch Honvedtruppen auflösen. Graf Istvän Tisza erreichte als Parlamentspräsident am 4. 6. 1912 die Annahme einer neuen, die Obstruktion verhindernden Geschäftsordnung.
Ergänzung.
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sehr. Ich bat ihn, mir das Zeichen zum Aufbruch zu geben, wenn er es für gut fände. Das geschah erst nach zwei Stunden.
Staatssekretär Gottlieb von Jagow, deutscher Staatssekretär des Auswärtigen
Amtes
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Jagow ergriff lebhaft das Wort, um von dem dem Ende zugehenden serbischen Kriege zu sprechen. Das beste, so sagte er in Übereinstimmung mit dem Kanzler14, wäre ein baldiger Friedensschluß. Bulgarien wird einen sehr großen Teil Serbiens erhalten, im Osten sowohl wie im Süden. Was übrigbleibt, wird ungefährlich sein und sollte von Österreich-Ungarn besonnen behandelt, womöglich versöhnt werden. Zu diesem Zwecke sollte Nordalbanien zu Serbien geschlagen werden. Von einem selbständigen Albanien könne keine Rede sein. Österreich-Ungarn ist dringend von Annexionswünschen zu räumen, Grenzdistrikte abgesehen. Die Monarchie sollte sich nicht auch noch mit dieser Aufgabe belasten. Das hat die deutsche Regierung in Wien wissen lassen. In Berlin wartet man noch auf Antwort. Diesen Äußerungen stellte ich die Unmöglichkeit gegenüber, die Karageorgevic in Serbien zu lassen. Jagow widersprach lebhaft. Die Karageorgevic bedeuten gar nichts. Es war die Politik Hartwigs, durch welche sie in Gegensatz zu Österreich-Ungarn getrieben wurden.15 Vergebens hielt ich dem entgegen, daß Serbien seit der Thronbesteigung der Karageorgevic immer die Vergrößerung auf Kosten der habsburgischen Monarchie angestrebt und damit gerechnet habe, daß es dieses Ziel nur durch einen Weltkrieg erreichen könne. Ich gab meiner Darlegung die Spitze, daß ich eine neue Differenz zwischen Wien und Berlin, nach der Italien und Rumänien betreffenden, vermieden sehen möchte. Wenn sie entstünde, dann wäre die Aufrichtung des geeinten Mitteleuropa, wie es in der Denkschrift umrissen sei16, nicht möglich. Die Antwort Jagows war spitz: Sollen wir deshalb etwa Österreich-Ungarn ein Königreich zu Füßen legen? Serbien und Polen? So töricht sei ich nicht, war meine Entgegnung; Deutschland könne nicht Idealen zuliebe das hingeben, was es [für] einen Teil seiner Interessen halte. Es sei aber von höchster Wichtigkeit, daß das Wiener Kabinett nicht wieder, wie in der italienischen Angelegenheit, den Eindruck erhalte, Deutschland wolle auf Österreich-Ungarn drücken. Ich wies auf die in Wien umlaufenden Gerüchte hin, die besagten® 14
Vgl. S. 410-412. Nikolaj von Hartwig war von 1909 bis 1914 russischer Gesandter in Belgrad. 16 Denkschrift aus Deutschösterreich (Leipzig 1915). Friedjung hatte diese von ihm mitverfaßte Broschüre auch an Staatssekretär Gottlieb von Jagow gesandt. a Die Aufzeichnung bricht auf halber Seite ab. 15
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Ernest von Koerber
Ernest von Koerber, Ministerpräsident November, Dezember 1916 К 2, U 2, 255 г - 266 r; maschinschriftlich mit Korrekturen durch Friedjung In der Haltung Koerbers lag, als ich bei ihm Ende November 1916 eintrat, etwas Festes und Selbstbewußtes, was ich sonst bei ihm kaum je getroffen hatte. Indessen war er darin der Alte, daß er mit der Klage über die Verworrenheit unserer Zustände begann und sich den Anschein gab, daß er seine Aufgabe zu schwer, seine Kräfte zu schwach halte 1 . Wie immer warf ich gelegentlich, selbstverständlich in aller Höflichkeit, Bemerkungen ein, daß ich diesen Beschwerden und Selbstverkleinerungen etwas skeptisch gegenüberstehe. Er ist viel zu klug, um anzunehmen, daß ich seine Versicherung, er würde am liebsten von seinem hohen Amt verschont geblieben sein, auch nur den geringsten Glauben beimesse. Indessen ist anzuerkennen, daß er bei seinem starken Pflichtbewußtsein wirklich den vollen Ernst und die Schwierigkeiten seines Amtes empfindet, sodaß Wahrheit und Schein in seinen Äußerungen untrennbar verwoben sind. Er begann mit der Mitteilung, daß er die Proklamation über die Errichtung des Königreiches Polen als eine fertige Tatsache vorfand 2 . Stürgkh hatte ihm zwar vom Gange der Verhandlungen Mitteilung gemacht, ohne daß Koerber wußte, die Angelegenheit sei endgültig entschieden. Ebenso stand es mit seiner Kenntnis des Entschlusses über die Sonderstellung Galiziens. Am 1. November erhielt er die Note des Ministeriums des Äußern, daß die Proklamation für den 5. November beabsichtigt sei. Auch fand er den Entwurf eines kaiserlichen Handschreibens vor, welches die Sonderstellung Galiziens anordnete 3 . Dieser Entwurf war aber so mangelhaft, daß er neu gefaßt werden mußte. Stürgkh hatte ihm seinerzeit mitgeteilt, es bestünde die Absicht, Galizien eine Sonderstellung zu geben, aber den östlichen Teil des Landes den Ukrainern zuliebe selbständig zu verwalten und zwar in engerer Verbindung mit Österreich. Er war überrascht, nichts dergleichen vorzufinden. Die Erklärung wurde ihm von Buriän gegeben. Er sagte ihm, daß die Führer der Polen der Regierung erklärt hätten, eine polnische Irredenta werde und müsse entstehen, wenn Ostgalizien selbständig verwaltet werde. Dadurch wurde man eingeschüchtert und ließ das Projekt fallen. Als die ukrainischen Abgeordneten vor einigen Tagen bei Koerber waren, erhoben 1 2
3
Nach der Ermordung Graf Karl Stürgkhs am 21. 10. 1916 wurde Ernest von Koerber am 28. Oktober zum Ministerpräsidenten ernannt. Am 5. 11. 1916 wurde ein von den beiden Kaisern Wilhelm II. und Franz Joseph unterzeichnetes Manifest veröffentlicht, in dem die Bildung eines selbständigen Königreiches Polen aus den russisch-polnischen Gebieten, also ohne Galizien und Preußisch-Polen, angekündigt wurde. Im Zusammenhang mit dem Manifest vom 5. 11. 1916 erließ Kaiser Franz Joseph ein Handschreiben, in dem Galizien eine weitgehende Autonomie zugesagt wurde.
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sie laute Klage darüber, daß die von Stürgkh ihnen gegebene Zusage nicht erfüllt wurde. Koerber mußte ihnen wahrheitsgemäß erwidern, daß er bei der gewählten Lösung nicht zu Rate gezogen worden war und eine fertige Tatsache vorfand. Die Gesetze über die Sonderstellung Galiziens werden auf jeden Fall erst nach Friedensschluß publiziert werden. Insoferne ist die galizische Frage nicht eine drängende. Er selbst kann sich mit der Errichtung eines Königreiches Polen nicht einverstanden erklären. Die eigentliche Absicht, welche für die Maßregel bestimmend war, bestand in dem Vorsatze der Vornahme der Rekrutierung in Kongreßpolen. Davon riet seinerzeit Generalgouverneur Beseler ab. Diese Mitteilung machte Staatssekretär von Jagow Herrn von Koerber im August gelegentlich des Besuches des Reichskanzlers in Wien. Koerber sprach damals Jagow gegenüber seine Zustimmung zur Auffassung Beselers aus. Es scheint nun, daß die deutsche Regierung seitdem in der Absicht der Rekrutierung wankend geworden ist. Man hätte also die Proklamation in bezug auf Polen eigentlich noch hinausschieben sollen. Daß dies nicht geschehen ist, ist ein Beweis, daß die deutsche Regierung die Angelegenheit nicht mit der notwendigen politischen Überlegung geführt hat. Auch in Deutschland ist die Leitung nicht ganz auf der Höhe, es muß gesagt werden, daß Buriän bei all seinem Doktrinismus neben den deutschen Staatsmännern in günstigem Lichte erscheint. Der Ausgleich mit Ungarn, so erwiderte Koerber auf meine Frage, sei noch in wesentlichen Punkten unfertig4. Eine Reihe von Detailabkommen ist allerdings paraphiert, aber über wichtige Bestimmungen liegt kein von beiden Seiten unterschriebenes Protokoll vor, über manches sei nur mündliche Abrede getroffen. Auch die Minister, welche an den Verhandlungen teilgenommen haben, könnten eine erschöpfende Auskunft nicht geben. Über die Viehzölle allerdings, so stellte Koerber auf meine Frage fest, bestehen feste Abmachungen. Es wird also notwendig sein, über manche und gerade wesentliche Punkte erst ins Reine zu kommen. Dieser Teil der Ausführungen Koerbers zeigte eine gewisse Unbestimmtheit, insbesondere da er der Frage auswich, worin die Differenzen bestünden. Seinen Ausführungen war zu entnehmen, daß er nicht die Absicht hegte, mit einem Oktroi in den inneren Fragen vorzugehen. Er führte zwei Gründe für seine ablehnende Haltung an. Auf der einen Seite, so gab er an, wäre 4
Die Verhandlungen über einen neuen wirtschaftlichen Ausgleich waren am 28. 1.1916 in Budapest aufgenommen worden. Der neue, geheimgehaltene Vertrag wurde am 24. 2. 1917 unterzeichnet, allerdings in den Parlamenten nicht mehr behandelt. Stattdessen wurde am 18. 11. 1917 ein Provisorium bis 31. 12. 1919 vereinbart, das nach parlamentarischer Zustimmung am 27.12. 1917 die kaiserliche Sanktion erhielt. Vgl. zu Verhandlungen und Inhalt des Ausgleichs Gustav Gratz und Richard Schüller, Die äußere Wirtschaftspolitik Österreich-Ungarns. Mitteleuropäische Pläne (Wien - New Haven 1925) 14-44, und Alexander Spitzmüller, Der letzte österreichisch-ungarische Ausgleich und der Zusammenbruch der Monarchie (Berlin 1929).
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es nicht am Platz, den jungen Herrscher gleich bei seinem Regierungsantritte mit der Verantwortlichkeit für einen Machtspruch zu belasten 5 . Der zweite Grund sei sachlicher Natur. Es solle die Gelegenheit benutzt werden, tiefer einzugreifen und ernste Schäden der Verwaltung zu verbessern. Es ist sein Plan, die landesfürstliche und die autonome Verwaltung in den Kronländern zusammenzulegen. E r deutete an, daß er in diesem Punkte ebenso denke wie aus seinen Vorlagen von 1903 hervorgehe 6 . Ebensowenig möchte er in der Sprachenfrage die Linien überschreiten, die er damals gezogen hatte. E r trägt Bedenken, die deutsche Sprache als Staatssprache zu proklamieren, wenn er auch beabsichtigt, ihr die Stellung zu sichern, die sie im Dienst wie überhaupt in der Verwaltung notwendig hat. Ich ließ es nicht an Einwendungen gegen diese Bedenken fehlen. Auch wies ich darauf hin, daß es den weltgeschichtlichen Augenblick zu versäumen bedeute, wenn er den kräftigen Griff unterlasse. E r meinte nun, daß der richtige Augenblick für ein Oktroi versäumt worden sei, was nach der Befreiung Galiziens oder nach der Unterwerfung Serbiens hätte geschehen können 7 . Vergebens wandte ich ein, daß ein Erfolg gleicher Art in den nächsten Wochen reifen werde. Die Eroberung Bukarests, die in Aussicht zu stehen scheine 8 , bedeute einen ebenso tiefen Einschnitt in den Verlauf des Kriegs. Ich entnahm seinen Andeutungen, die mit einer gewissen Zurückhaltung vorgebracht wurden, daß er einen gewissen Wert darauf lege, in Ubereinstimmung mit dem Grafen Clam-Martinic zu bleiben. E r erzählte mir, wie es gekommen sei, daß er den Führer des tschechisch-konservativen Adels in sein Kabinett aufgenommen habe. Koerber hatte eine Unterredung mit dem Grafen, in welcher er ihm seine Ideen über die notwendigen Reformen auseinandersetzte und ihn bat, ihm ein Mitglied seiner Partei namhaft zu machen, welches als Ackerbauminister in sein Ministerium eintreten könnte. Darauf ergriff Clam-Martinic das Wort zu einer längeren Rede, legte sein Verhältnis zu dem Programm Koerbers dar, erklärte sich im wesentlichen damit einverstanden und bot sich selbst an, Ackerbauminister zu werden. Darauf ging Koerber ein. E r ist überzeugt, daß Clam-Martinic umgelernt hat, und hebt mit Befriedigung hervor, daß [er] in der Frage der Zusammen-
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Kaiser Franz Joseph war am 21. 11. 1916 gestorben, ihm folgte Erzherzog Karl Franz Joseph als Karl I. (IV.) auf den Thron. Ernest von Koerber hatte noch kurz vor Ende seiner Ministerpräsidentschaft im Dezember 1904, nicht 1903, eine Reform der öffentlichen Verwaltung angekündigt und die Grundzüge in einer Denkschrift dargelegt, die am 9. 12. 1904 allen Abgeordneten zugegangen war. Anfang August 1915 waren die russischen Truppen aus Galizien verdrängt worden; nach der Schlacht am Amselfeld am 25. 11. 1915 zogen sich die serbischen Truppen nach Montenegro und Albanien zurück. Seit 26. 8. 1916 herrschte Kriegszustand zwischen Rumänien und der Donaumonarchie, am 6. 12. 1916 wurde Bukarest von den Mittelmächten besetzt.
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legung der landesfürstlichen und autonomen Behörden ebensoweit gehen wolle als er. Dieser Teil der Ausführungen Koerbers machte mir den Eindruck, daß er die Probleme weniger vom politischen als vom Standpunkte des Verwaltungsbeamten ansehe. Die Verwaltungsreform erscheint ihm mindestens ebenso wichtig wie die Regelung der Sprachenfrage. In bezug auf das Nationalitätenproblem denkt er zaghafter, als ich wünschen würde. Es wäre indessen verfehlt, deshalb seine Kreise stören zu wollen. Mag er immerhin die leitenden Gesichtspunkte im Auge behalten und sich nach ihnen richten! Bei seiner großen Erfahrung und seinem ernsten Wollen kann auch der von ihm gewählte Weg zum Ziele führen. Es ist billig, ihm Zeit zu gewähren und zu beobachten, wie er die Dinge schiebt und lenkt. Mit den Deutschnationalen ist er aber bereits in Widerstreit geraten. Die Besprechung, die er mit ihnen hatte, ist nach seiner Mitteilung unerquicklich verlaufen. Sie traten an ihn mit der Behauptung heran, Stürgkh habe ihnen bestimmte Zusagen in bezug auf die Sprachenfrage gemacht, und forderten von ihm die Einlösung. Er erwiderte ihnen, daß er nicht in Kenntnis dieser Versprechungen sei, und es liegen auch keine Aufzeichnungen des ermordeten Ministerpräsidenten vor. Das Gespräch sei schon deswegen unerquicklich gewesen, weil der Ton, in dem die Herren sprachen, und selbst die Art, wie sie in den Fauteuils saßen, nicht der Stellung entsprochen hätten, die sie als Führer der Deutschen einnehmen sollten. Hier eröffnen sich Konflikte, wie sie schon 1903 und [190]4 zwischen ihm und den Deutschnationalen bestanden haben. Das Gespräch endigte sehr herzlich, da er mich bat, seine Tätigkeit zu unterstützen, und ich ihm versicherte, daß ich seiner Amtsführung mit großen Erwartungen entgegensehe und es für meine Pflicht als Österreicher betrachte, meine Dienste der Lösung der großen Probleme zur Verfügung zu stellen, mit denen er beschäftigt sei. Es war nicht schwer vorauszusehen, daß sich zwischen Koerber und den Deutschnationalen Schwierigkeiten erheben würden. Der erste, der mich darüber unterrichtete, war Professor Samassa. Bei einem Besuche, den er mir machte, erzählte er mir, daß die Führer der Deutschnationalen Koerber das größte Mißtrauen entgegenbringen. Sie waren schon mit seinen ausweichenden Antworten nicht zufrieden, besonders aber darüber, daß er es ablehnte, einen Machtspruch in dem Sinne ergehen zu lassen, in dem sich die Besprechungen des Grafen Stürgkh bewegt hatten. Am allerschlimmsten sei es, daß Koerber beabsichtige, den Kaiser das Gelöbnis auf die Verfassung ablegen zu lassen9, wodurch die Möglichkeit eines Oktrois so gut wie abge9
In einem Handschreiben vom 23. 11. 1916 wurde Ministerpräsident Ernest von Koerber von Kaiser Karl aufgefordert, die erforderlichen Anträge für die Ablegung des Eides auf die österreichische Verfassung vorzubereiten.
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schnitten sei. Ich erwiderte Samassa, daß ich in bezug auf das Oktroi seine Meinung teile und dies auch Koerber gesagt habe. Ich fände es aber billig abzuwarten, welche Maßregeln er ergreifen werde, dann erst sei es Zeit, ihm gegenüber Stellung zu nehmen. Nachdrücklich sagte ich Samassa, daß ich mir von Koerber für Osterreich und für die Deutschen Besseres verspreche als von den Führern der Deutschnationalen. Samstag, den 16. Dezember, ließ mir Koerber telephonieren, ob ich ihn besuchen wolle, und ich erklärte, daß ich lebhaften Dank dafür empfände, von ihm empfangen zu werden. Am selben Tage um Ά5 trat ich bei dem gestürzten Ministerpräsidenten ein10. Ich fand ihn äußerlich ruhig, immer in der für ihn charakteristischen Stimmung des Widerwillens über den Gang der öffentlichen Ereignisse in Österreich-Ungarn. Er war aber um keinen Ton pessimistischer als in irgendeinem seiner früheren Gespräche; er vermied vielmehr subjektive Ergüsse, um mir eine zusammenhängende Darstellung der Ministerkrise zu geben, zu dem ausschließlichen Zwecke, wie er sagte, um mir als Historiker ein Bild der Ereignisse zu gewähren. Er begann damit, daß er feststellte, er wäre vom Beginn an zu dem jungen Kaiser in einem ganz anderen Verhältnisse gestanden als zu seinem Vorgänger. Der junge Herrscher nehme von allen Seiten Berichte entgegen, lasse sich von den Personen seiner Umgebung Anschauungen entwickeln, Tatsachen vortragen, sodaß Koerber mehr als einmal auf vorgefaßte Ansichten gestoßen sei. In der Unterredung, die er mit ihm Freitag, [den] 8. Dezember hatte, trat die Meinungsverschiedenheit deutlich hervor, die zwischen dem Herrscher und zwischen ihm in bezug auf die Oktroyierung neuer Verfassungsgesetze besteht. Der Kaiser hat sich bestimmen lassen, sich für ein Oktroi auszusprechen. Er erzählte Koerber, daß bei dem Empfange Pleners und Becks, die als Präsidenten der höchsten Rechnungsbehörden bei ihm erschienen waren, ihm beide ein Oktroi angeraten hätten. Demgegenüber entwickelte Koerber dem Kaiser die ihn bestimmenden Gesichtspunkte. Er führte mir folgendes darüber aus: Es ließ sich nichts dagegen einwenden, daß der greise Kaiser Franz Joseph die notwendigen Reformen durch einen Machtspruch verkündigte, wozu er nach den bitteren Erfahrungen seines Lebens vollständig berechtigt war. Anders der junge Herrscher. Er werde ein Gelöbnis auf die Verfassung leisten müssen, und es wäre untunlich, trotzdem über die Verfassung hinaus den Völkern Österreichs vorzuschreiben, wie der Staat zu regieren wäre. Wäre der Kaiser ein Mann von 60 Jahren, so ließe sich über die Sache sprechen. Ein junger Herrscher aber habe Zeit, es noch einmal mit dem Parlament zu versuchen, um so den Beweis zu liefern, daß er ehrlich an der Verfassung festzuhalten gedenke. Er solle also nach ei10
Ernest von Koerber hatte am 13. 12. 1916 seine Entlassung eingereicht, am 20. 12. 1916 ersetzte ihn Graf Heinrich Clam-Martinic als Ministerpräsident.
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ner kurzen formellen Session, in der bloß die Gelöbnisse des Herrschers und des Parlaments abzulegen wären, durch seine Regierung die neuen Verfassungsgesetze ausarbeiten lassen, die dann nach einigen Monaten den gesetzgebenden Vertretungskörpern zu unterbreiten wären. Dann hätte der Kaiser sich mit einer feierlichen Kundgebung an das Parlament und an seine Völker zu wenden, um ihnen vorzustellen, daß das Wohl des Vaterlandes eine friedliche Einigung notwendig mache. Das müßte in geradezu herzbewegenden Worten geschehen. Gelingt es auch dann nicht, eine Einigung zu erzielen, so steht der Kaiser rein da, und niemand kann ihm einen Vorwurf daraus machen, wenn er durch einen Machtspruch das verkündigt, was für das Wohl der Völker notwendig ist. Auf diese Ausführungen erwiderte der Kaiser in jener denkwürdigen Unterredung, daß er anderer Ansicht sei, und daß man nicht noch Monate warten könne. Koerber erwiderte, daß er sich den seiner Ansicht entgegenstehenden Gründen nicht verschließe. Er gebe zu, daß gewichtige Erwägungen auch für rasches Handeln sprechen. Aber so willig er auf Gesichtspunkte anderer Art eingehe, so würde er selbst die Verantwortung für den vom Kaiser gebilligten Weg nicht übernehmen können. Er bat den Kaiser, seinen Plan gemeinsam mit einem anderen Ministerpräsidenten zu verfolgen und erhebe nicht die geringste Schwierigkeit, wenn dies der Entschluß des Herrschers wäre. Nach dieser am 8. Dezember geführten Unterredung, in welcher der Kaiser immer gleich huldvoll sprach, und die nicht etwa mit einem Mißklang endigte, war es Koerber klar, daß die Wege des Kaisers und die seinigen auseinandergingen. Er glaubte hinter den Worten des Monarchen den Rat des Prinzen Konrad von Hohenlohe zu hören, den der Kaiser in den letzten Wochen mehrmals empfangen hatte. In der Tat entwickelten sich die Dinge außerordentlich rasch. Der Anstoß zur Krise wurde aber nicht durch die inneren Verhältnisse, sondern durch die Beziehungen zum Grafen Tisza gegeben. Nebensächlich war die notwendige Erörterung über das ungarische Inauguraldiplom11. Tisza schlug in einem Punkte eine Fassung vor, die Koerber nicht akzeptieren konnte. Doch bequemte sich der ungarische Ministerpräsident dem Vorschlage Koerbers an. Die betreffende Formel wurde Montag, den 11., von Koerber an Tisza geleitet. In der Früh dieses Tages ließ Graf Berchtold bei Koerber anfragen, wann er ihn sprechen könne. Der österreichische Ministerpräsident wußte nicht, um was es sich handle, und bestimmte die Stunde zwischen 3-4 nachmittags zu der Unterredung. Sie war von entscheidender Bedeutung. Graf Berchtold kam im Auftrage des Kaisers, der unterdessen von Tisza vollständig für die ungarische Auffassung in bezug auf den Ausgleich gewonnen worden war. Er kündigte Koer11
Am 28. 12. 1916 unterzeichnete Karl das ungarische Inauguraldiplom, am 30. Dezember erfolgte seine Krönung zum König von Ungarn in Budapest.
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Ernest von Koerber
ber an, daß der Kaiser den größten Wert auf die rasche Beendigung und den nahen Abschluß des Ausgleichs lege. Es kam also darauf hinaus, daß der zwischen Tisza und Stürgkh vereinbarte Ausgleich von Koerber übernommen werden mußte. Dieser aber erklärte dem Grafen Berchtold, daß sich ein sofortiger Abschluß nicht vollziehen lasse, da noch einige schwierige Punkte bereinigt werden müssen. Darauf eröffnete ihm Berchtold, daß in diesem Falle ein Wechsel in der österreichischen Regierung notwendig wäre. Koerber nahm dies gelassen zur Kenntnis und blieb bei seiner Ansicht. Darauf fragte ihn Berchtold im Namen des Kaisers, ob er für sich einen Wunsch hege. Er erwiderte, er sei wunschlos. Er beanspruche nichts für sich und werde in das Privatleben zurücktreten. Offenbar hatte der Kaiser die Entlassung Koerbers unter dem Einfluß Tiszas beschlossen, und weder Buriän noch Schießl waren verständigt. Dienstag, den 12., kam im Auftrage des Baron Buriän Graf Hoyos und fragte im Namen seines Ministers ganz bestürzt an, was es denn mit einer österreichischen Ministerkrisis für Bewandtnis habe. Unmittelbar vorher war nämlich an Buriän aus Pest die telephonische Anfrage gekommen, ob denn der gemeinsame Ministerrat angesichts der österreichischen Ministerkrisis stattfinden könne12. Da Buriän von der Krise nichts wußte, schickte er den Grafen Hoyos, um bei Koerber Erkundigungen einzuziehen. Dieser gab dem Minister des Äußern durch Hoyos die notwendige Aufklärung. Auch Schießl war in voller Unkenntnis des Sachverhaltes. Er war betroffen und bestürzt, als Koerber ihm selbst Kenntnis davon gab. Mittwoch, den 13. Dezember wurde Koerber vom Kaiser zum letzten Male in seiner Eigenschaft als Ministerpräsident empfangen. Der Kaiser wiederholte ihm, daß er es für notwendig halte, den Ausgleich mit Ungarn unter Dach zu bringen. Auch er fragte Koerber, ob er einen Wunsch für sich hege. Der Ministerpräsident erwiderte, Kaiser Franz Joseph habe ihm alle Auszeichnungen und Ehren zugewendet, auf die er hoffen konnte, und er danke dem Monarchen für seine Gnade. Der Kaiser nannte ihm seinen Nachfolger nicht, sondern sagte ihm, er werde ihm dessen Namen zur Kenntnis bringen. Dann wurde er huldvoll entlassen. Am Nachmittag erfuhr Koerber, daß Spitzmüller zu seinem Nachfolger bestimmt sei13. Er glaubt mit Bestimmtheit annehmen zu können, daß Spitzmüller vom Grafen Tisza empfohlen wurde. Er glaube nicht, daß der Kaiser früher in Beziehungen mit Spitzmüller gestanden sei, sodaß es ausgeschlossen sein dürfte, er selbst wäre auf ihn verfallen. Dagegen sprach sich Tisza immer Koerber gegenüber mit großer Anerkennung über Spitzmüller aus, dessen Unbefangenheit und 12 13
Der nächste gemeinsame Ministerrat fand am 10. 1. 1917 statt. Vgl. zu den Bemühungen Alexander Spitzmüllers, der schließlich Finanzminister im Kabinett Clam-Martinic wurde, um eine Regierungsbildung, Alexander Spitzmüller, und hat auch Ursach es zu lieben" (Wien u. a. 1955) 201-208.
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Sachkenntnis rühmend. Nach der Ansicht Koerbers wird das Kabinett Spitzmüller bloß ein Übergangsministerium sein. Es wird dann, wie er sich ausdrückte, eine prinzliche Regierung kommen, womit er offenbar ein Kabinett Hohenlohe bezeichnen wollte. Nur in einer Hinsicht brach in der ruhigen Darlegung Koerbers ein Ton des Mißmuts und Argers hervor. Er beklagte sich bitter, daß von Tisza Gerüchte verbreitet würden, als ob er senil und eigensinnig geworden wäre, sodaß mit ihm die Geschäfte nicht besprochen werden können. Diesen häßlichen Ausstreuungen setzte Koerber die Tatsache entgegen, daß der Thronwechsel ihm als Ministerpräsidenten eine außerordentliche Arbeitslast aufgebürdet habe, der er in ununterbrochener Tätigkeit von 6 Uhr früh bis 1 Uhr mitternachts [sich] habe widmen müssen. Auch diesmal verabschiedete ich mich von Koerber mit herzlichen Worten und kündigte ihm an, daß ich unmittelbar nach seinem Rücktritt eine Darlegung der Krise in einem großen Blatte geben wolle14. Er hatte nichts dagegen einzuwenden, bat mich aber, von den mir soeben mitgeteilten Tatsachen nur höchst diskret Gebrauch zu machen. Selbstverständlich gab ich ihm die gewünschte Zusage.
Fürst Karl Max von Lichnowsky, deutscher Botschafter in London a. D., und Arthur Zimmermann, deutscher Staatssekretär des Auswärtigen Amtes Dezember 1916 К 2, U 2a, 57a r - 61a r; maschinschriftlich Fürst Lichnowsky befand sich in aufgeregter Stimmung, voll Erbitterung über den Gang der deutschen Politik, voll Geringschätzung über die Leitung der Geschäfte. Er stand ganz auf der englischen Auffassung, daß Grey den Frieden hätte erhalten wollen und daran durch die Ungeschicklichkeit Deutschlands verhindert worden war. Kurioserweise behauptete er Ähnliches von Rußland und von Frankreich, legte den Vergeltungsgelüsten der Franzosen keine zwingende Bedeutung bei und meinte, die russische Kriegspartei hätte zwar bestanden, ohne jedoch maßgebenden Einiluß zu besitzen. Er selbst wurde nach seiner Rückkehr aus London schlecht behandelt und ihm vorgeworfen, er hätte die deutsche Regierung unrichtig über die Absichten der englischen Politik unterrichtet. Gegen diese Unterstellung müsse er sich wehren. Er habe nach Berlin genau gemeldet, daß England sich im Falle eines Kriegs Deutschlands mit Rußland und Frankreich auf Seite die14
In К 2 U 6, 847 г - 857 г findet sich ein Konzept „Zum Ministerwechsel in Österreich" mit einem handschriftlichen Vermerk Friedjungs „Ist sehr verändert zum Abdrucke gekommen."
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Fürst Karl Max von Lichnowsky und Arthur Zimmermann
ser zwei Mächte stellen werde. Von Greys Friedensliebe ist er fest überzeugt. Er behauptet, durch seine Tätigkeit in London alles zum Ausgleich zwischen Großbritannien und Deutschland vorbereitet zu haben. Immer wieder kommt er auf die abenteuerliche Behauptung zurück, die Aussöhnung hätte sich vollziehen lassen, aber die Regierungsmänner in Berlin hätten ihm den Erfolg nicht gegönnt und den Abschluß der Verhandlungen hinausgeschoben. Die Verhandlungen, die er in London geführt hatte, bezogen sich auf die portugiesischen Kolonien und auf die Bagdadbahn15. Beide Verträge waren beim Ausbruche des Krieges so gut wie fertig. Der Vertrag über die portugiesischen Kolonien enthielt eine Teilung der Einflußsphären, so zwar, daß Deutschland und England in dem ihnen zugewiesenen Gebiete ausschließlich die Anlage von Eisenbahnen, Ansiedlung von Auswanderern und überhaupt alle Handelsvorrechte genießen sollten. Formell wurde zwar festgestellt, daß die Integrität und Souveränität Portugals nicht angetastet werden solle, in der Sache aber war es eine Teilung, da eine Menge Handhaben aufgenommen wurden, durch die Portugal zur Nachgiebigkeit gezwungen werden konnte. Ähnlich in bezug auf die Bagdadbahn. Nach mühevollen Verhandlungen wurde alles bereinigt, die Fortführung der Bahn [bis] Basra festgesetzt. Als ich den Fürsten verwundert fragte, weshalb es also nicht zur Unterfertigung gekommen war, wiederholte er so verdrießlich wie möglich: Weil ihm der Erfolg nicht gegönnt wurde. Welcher Vorwand, so fragte ich, wurde aber von der deutschen Regierung gebraucht, um die Unterfertigung hinauszuschieben? Darauf Fürst Lichnowsky: Die englische Regierung verlangte, daß die Verträge nach ihrem Abschlüsse dem Parlament mitgeteilt werden dürften, zugleich aber auch der Vertrag, welchen England 1899 mit Portugal geschlossen habe. Es ist bekannt, daß schon 1898 ein deutsch-englisches Abkommen über die portugiesischen Kolonien zustandekam16. Das Jahr darauf aber erneuerte England das alte Verteidigungsbündnis, welches seit der Mitte des 17. Jahrhunderts zwischen England und Portugal besteht. Es ist dies die älteste in Europa bestehende Allianz, welche, wie gesagt, 1899 erneuert wurde. Die deutsche Regierung nun weigerte sich, die gleichzeitige Veröffentlichung des deutsch-englischen Abkommens (das Lichnowsky vermittelt hatte) und des englisch-portugiesischen Bündnisses zuzugestehen. Diese Weigerung war unpolitisch und ist auf die Unfähigkeit der deutschen 15
16
Im August 1913 einigten sich England und Deutschland über die Zukunft der portugiesischen Kolonien, im Juni 1914 über die Fortführung der Bagdadbahn und die gegenseitigen Interessen am Persischen Golf. In einer geheimen Deklaration vom 14. 10. 1899 erneuerten England und Portugal ihre Freundschaftsverträge von 1642 und 1661. Da darin auch der Schutz der portugiesischen Kolonien enthalten war, widersprach diese Deklaration dem Sinn nach dem Angola-Vertrag vom 30. 8. 1898, in dem sich Deutschland und England wechselseitige wirtschaftliche Vorzugsstellung in Angola und Mogambique zugesichert hatten.
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Regierungsmänner zurückzuführen. Endlich, nach langem Drängen von Seiten Lichnowskys, nach den schwierigsten Verhandlungen gab die deutsche Regierung nach, und die bereits unterzeichneten Verträge konnten veröffentlicht werden. Da brach der Weltkrieg aus, und alles war zu Ende. Eine wichtige Ergänzung der Mitteilungen Lichnowskys wurde mir durch den Fürsten Bülow gegeben. Bülow steht ebenso wie Lichnowsky in Opposition gegen die Leitung der Reichsgeschäfte, jedoch ohne sich in die Ubertreibungen Lichnowskys zu verlieren und dessen abenteuerliche Leichtgläubigkeit, was die englische Politik betrifft, zu teilen. Ich saß mit ihm und der Fürstin beim Mittagessen im Hotel Adlon, als sich mehrere Herren zu uns setzten, darunter der frühere Botschafter Baron Stumm und dessen Schwiegersohn, der Fürst von Hatzfeldt. Das Gespräch kam auf Lichnowsky. Da erzählte Bülow, Lichnowsky habe ihm einen Brief des Staatssekretärs Jagow gezeigt, der acht Tage vor dem Ausbruch des Weltkrieges geschrieben war. Darin sprach sich Jagow mit einem unbegreiflichen Optimismus über die Lage aus. Österreich-Ungarn, so teilte er Lichnowsky mit, werde an Serbien eine Note mit der Forderung nach Genugtuung richten; es sei aber sicher, daß Rußland sich des Belgrader Kabinetts nicht annehmen werde. Rußland, so versicherte Jagow dem Botschafter in London, wolle nur bluffen und werde wegen Serbiens keinen Krieg führen. Lichnowsky solle sich also wegen der drohenden Verwicklung keine grauen Haare wachsen lassen. Baron Stumm bestätigte die Angaben Bülows und erklärte, Lichnowsky habe auch ihm den Brief Jagows gezeigt; er aber habe bisher mit niemandem über diesen Brief gesprochen, nicht sowohl aus Rücksicht für Jagow als für Lichnowsky, der sich durch diese Mitteilung in die schärfste Opposition zur Reichsregierung stellt. Bei meinem Besuche bei Staatssekretär Zimmermann brachte ich das Gespräch auf die mir von Lichnowsky gegebene Darlegung und erhielt folgende Aufklärung: Es ist richtig, daß die Verträge über die portugiesischen Kolonien und die Bagdadbahn abgeschlossen waren. Tatsache ist auch, daß die englische Regierung verlangte, diese Verträge und der englisch-portugiesische Allianzvertrag von 1899 müßten gleichzeitig veröffentlicht werden. Dagegen erhoben wir Einspruch. Wir verlangten, daß der englisch-portugiesische Allianzvertrag erst einige Monate später veröffentlicht werde, da wir uns sonst durch unser Abkommen mit England lächerlich gemacht hätten. England gestand uns einen Einfluß in den portugiesischen Kolonien zu, veröffentlichte aber gleichzeitig einen Vertrag, in welchem den Portugiesen jeder Schutz, jeder Beistand bewilligt wurde. Jedermann hätte gesagt, daß England uns durch den mit uns abgeschlossenen Vertrag zum besten halte. Das ist das bekannte Doppelspiel der britischen Politik. Übrigens lag den Engländern an diesen Verträgen nicht soviel als an einem Abkommen über die Einschränkung der Seerüstung. Sie wissen, fuhr Zimmermann fort, daß
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im Reichskanzleramt die Geneigtheit zu einem solchen Abkommen bestand. Im Marineamt aber stand man dem entgegen, und wir konnten mit unserer Auffassung nicht durchdringen. E s ist richtig, daß 1913 Vereinbarungen getroffen wurden über das Verhältnis 10:6, die englischen und die deutschen Schiffsbauten betreffend, aber eine wirklich bindende Verpflichtung lag darin nicht. E s blieb also bei der Spannung zwischen Berlin und London, woran die Veröffentlichung der zwei deutsch-englischen Verträge nichts geändert hätte. Indessen haben wir u m des lieben Friedens willen zuletzt doch eingewilligt, daß die Veröffentlichungen dem Wunsche Englands entsprechend erfolgen konnten. Da kam der Weltkrieg dazwischen, und alle die mühevollen Verhandlungen, die monatelange Arbeit verursacht hatten, waren vergebens.
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Ernest von Koerber, Mitglied des Herrenhauses 5. Februar 1917 К 2, U 2, 267 г - 272 г; maschinschriftlich Die Abschiedsaudienz Koerbers beim Kaiser fand Mittwoch, den 13. Dezember statt 1 . Spitzmüller, der das neue Kabinett bilden sollte, hatte zwar seine Liste im ganzen fertiggestellt, ohne aber zum Abschluß gelangt zu sein. Einer oder der andere Posten waren noch zu besetzen. Montag, den 18. Dezember sprach er mit Koerber und teilte ihm mit, der Wunsch des Kaisers gehe dahin, er solle kein Übergangs-, sondern ein dauerndes Ministerium bilden. Er selbst fühle, daß diese Aufgabe seine Kräfte übersteige. In den unmittelbar vorhergehenden Tagen war Baron Handel vom Kaiser in tiefstem Geheimnis nach Prag geschickt worden, um dem Grafen Coudenhove das Ministerpräsidium anzubieten. Der Graf lehnte ab, und es scheint, daß Handel zu demselben Zwecke mit dem Grafen Czernin sprach. Tatsache ist, daß Handel und Czernin nach Wien zurückfuhren, worauf die endgültige Lösung eintrat. Graf Clam-Martinic selbst war bis unmittelbar vor der endgültigen Lösung der Ansicht, er selbst werde der Kombination fernebleiben. Es macht den Eindruck, daß erst mit dem Eintreffen Czernins die Dinge in Fluß kamen. Hohenlohe, Czernin und Clam-Martinic verteilten die leitenden Posten unter sich: Obersthofmeister, Minister des Äußern, Ministerpräsident. Koerber glaubt nicht, daß Prinz Hohenlohe schon vor dem Regierungsantritte des Kaisers Gelegenheit hatte, mit ihm häufig über Politik zu sprechen. Seit jenem Zeitpunkte jedoch ist es häufig geschehen. Unmittelbar nach dem Tode des Kaisers Franz Joseph hatte Koerber eine 1'/2 stündige Audienz bei dem jungen Herrscher, in der er gnädig und mitteilsam war, aus der Koerber jedoch bereits eine gewisse Verschiedenheit der Auffassungen heraushörte. Noch bei Lebzeiten des alten Kaisers hatte Koerber die Unterhandlung mit Tisza eröffnet, um die ihm unannehmbaren Punkte des Tisza-Stürgkh'schen Ausgleiches einer Verbesserung zu unterziehen2. Das war besonders hinsichtlich der Viehzölle der Fall. Nach Koerbers Ansicht ging es nicht an, unmittelbar nach dem Weltkrieg mit den erhöhten Viehzöllen einzusetzen und die Preise des Fleisches noch mehr in die Höhe zu treiben. Er erwirkte also bei Tisza die Zustimmung, daß die vereinbarte Erhöhung stufenweise erst innerhalb [von] sechs Jahren vor sich zu gehen habe. Wenigstens konnte in der Zwischenzeit Fleisch aus den Balkanländern in die Monarchie gebracht werden. Auch mußte noch die Höhe der 1
2
Ernest von Koerber hatte am 13. 12. 1916 seine Entlassung als Ministerpräsident eingereicht. Vgl. auch S. 418-421. Nachdem Alexander von Spitzmüller kein Kabinett zustande brachte, übernahm am 20. 12. 1916 Graf Heinrich Clam-Martinic das Amt des Regierungschefs. Vgl. zu den am 28. 1. 1916 aufgenommenen Verhandlungen über einen neuen wirtschaftlichen Ausgleich S. 415 Anm. 4.
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Quote festgestellt werden, da ein Protokoll darüber nicht vorlag, und die Angabe Tiszas sich mit der Spitzmüllers, den Koerber um schriftliche Auskunft bat, nicht vollständig deckte. Drückend endlich waren die Bestimmungen über die Eisenbahntarife. Hier war durch den Eisenbahnminister Forster, der seiner Sache nicht gewachsen war, das Zugeständnis gemacht worden, welches alle in Osterreich gewährten Begünstigungen auch auf den Verkehr mit Ungarn ausdehnte. Dadurch verlor Osterreich gewissermaßen die Selbständigkeit der Tarifbestimmung. Gerade an dem Tag des Todes des Kaisers Franz Joseph war zwischen Koerber und Tisza in bezug auf die Viehzölle eine Annäherung erreicht worden. Da starb der Kaiser, und eine neue Situation wurde geschaffen. Die ungarische Regierung machte Schwierigkeiten, von dem Stürgkh'schen Ausgleich abzugehen, und das Ende war, daß der Kaiser dem Ministerpräsidenten Koerber durch den Grafen Berchtold die Aufforderung zukommen ließ, den Ausgleich ohne jede Weiterung abzuschließen. Daraufhin mußte Koerber seine Entlassung geben. Koerber ist nach wie vor der Ansicht, daß es Tisza war, der seine Demission herbeiführte. Er muß dem Kaiser auseinandergesetzt haben, daß er alt und eigensinnig geworden sei. Wahrscheinlich aber haben Hohenlohe und Czernin mit Tisza zusammengewirkt. Hohenlohe beriet unausgesetzt mit Tisza, Czernin und Tisza sind die besten Freunde geworden. Wohl gehörte Czernin dem engsten Kreise des Erzherzog Franz Ferdinand an und äußerte sich öffentlich über die Notwendigkeit einer Änderung der ungarischen Verhältnisse. Später aber lenkte er ein und gab Tisza eine schriftliche Zusage, daß er vollständig auf dem Boden des Dualismus und der staatlichen Selbständigkeit Ungarns stehe. Seitdem ist Tisza für Czernin, als er von der ungarischen Opposition angegriffen wurde, energisch eingetreten. Ob diese Freundschaft von Dauer sein wird, läßt sich schwer voraussehen. Es gibt Leute, welche behaupten, daß Tisza keineswegs feststehe. Der Kaiser war auch in der letzten Unterredung, die er Koerber am 22. Dezember gewährte, sehr mitteilsam. Koerber glaubt, aus seinen Worten schließen zu sollen, daß er sich Hohenlohe, von dem er die beste Meinung besitzt, für den Fall aufspare, daß die Mission des Grafen Clam-Martinic scheitert. Er sagte zu Koerber, daß er Hohenlohe entweder zu seinem ersten Obersthofmeister oder zum Statthalter zu machen gedenke. Koerber bemerkte sofort, daß, wenn Hohenlohe Obersthofmeister werde, es notwendig sein werde, ihn mit einem Gehalt auszustatten, was bekanntlich bei den Hofämtern nur ausnahmsweise der Fall ist. Koerber kennt Czernin nicht sehr genau. Er besuchte Koerber einmal noch zu Lebzeiten Kaiser Franz Josephs und hatte mit ihm eine längere Unterredung, in der sie sich sehr gut sprachen. Seit dem Regierungsantritte des Kaisers ließ er sich aber nicht bei Koerber sehen, wahrscheinlich, weil er gemeinsam mit Tisza gegen ihn arbeitete. Czernin wird von seinem Schwager,
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dem Fürsten Montenuovo, sehr ungünstig geschildert. Er sei sprunghaft, nervös und lasse auch eine wichtige Angelegenheit, wenn sie nicht rasch vonstatten gehe, ohne weiteres liegen. Freilich ist zu bemerken, daß Montenuovo, der mit der Entsetzung bedroht ist3, nicht gut auf Czernin zu sprechen ist. Koerber wiederholte mir in eindringender Weise die Gründe, welche er dem Kaiser ausführlich dargelegt hatte, um ihn zu bestimmen, zuerst den konstitutionellen Weg zu gehen, bevor er sich zu einem Staatsstreich entschließe. Niemals, so sagte Koerber, sei es zum Guten ausgeschlagen, wenn ein Herrscher gleich an die Gewalt appellierte. Er sollte dem Parlament vorstellen, daß es auch Pflichten besitze, nicht nur Rechte, und deshalb die Nötigung empfinden müsse, die Ordnung wiederherzustellen. Zeigt sich das Parlament hierzu unfähig, dann erst empfehle sich ein Machtspruch. Ausführlich begründete Koerber, daß an der österreichischen Verfassung große Änderungen vorgenommen werden müßten. Ein Krebsschaden sei die Macht der Landtage und die Selbständigkeit der Landesausschüsse. Es gibt nicht einmal eine Rechnungsbehörde, um die Gebarung des Landesausschusses zu überprüfen. Wohl bestehen seit 1873 direkte Wahlen in Österreich, aber im Grunde seien die Abgeordneten doch Mandatare des Landtags und von ihm abhängig. Ebenso sei die Verfassung zu ändern, da die Sonderstellung Galiziens tief einschneiden werde4. In welcher Art das neue Ministerium vorgehen werde, ist Koerber unbekannt. Augenblicklich gehe die Absicht auf ein Oktroi. Graf Clam-Martinic wenigstens ist dafür eingenommen. Von Clam-Martinic spricht Koerber mit der größten Hochachtung, rühmt seinen Charakter, seinen Ernst, seine Kenntnisse. Ihm liegt das Kavaliermäßige in der Behandlung wichtiger Angelegenheiten ganz fern. Koerber glaubt, daß er ganz loyal in seinem Ministerium wirkte und erst, ohne es beabsichtigt zu haben, nach dem Scheitern der Mission Spitzmüllers zur Leitung der Geschäfte herangezogen wurde. Er konnte sich, so sagte er Koerber, dem an ihn ergangenen Rufe des Vaterlandes nicht entziehen. Clam-Martinic geht in der Sprachenfrage weiter als Koerber. Er betonte bei den Beratungen, daß er die Einführung der deutschen Staatssprache für notwendig halte. Es ist möglich, so sagte Koerber, daß dies Clam-Martinic gelingen werde, und er wünsche ihm hierzu das beste Glück. Ihm selbst wäre es nicht gelungen. Er würde bei den Tschechen und Slowenen auf die größten Schwierigkeiten gestoßen haben [sie!]. Viel3 4
Fürst Alfred von Montenuovo wurde am 7. 2. 1917 durch Prinz Konrad Hohenlohe-Schillingsfürst als Erster Obersthofmeister ersetzt. Im Zusammenhang mit dem Manifest vom 5. 11. 1916, das die Errichtung eines Königreiches Polen aus dem eroberten Russisch-Polen ankündigte, erließ Kaiser Franz Joseph ein Handschreiben, in dem Galizien eine weitgehende Autonomie zugesagt wurde.
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Ernest von Koerber
leicht wird Clam-Martinic als Slawe leichteres Spiel haben. Auch ist nicht zu verkennen, daß sich die Menschen in Osterreich einem Fürsten oder Grafen leichter fügen als einem Manne seiner Art. Es sei erstaunlich, daß Gross und die Deutschnationalen, welche dem Ministerium Koerber mit Mißtrauen und Anmaßung entgegentraten, sich wenigstens anscheinend dem Grafen Clam-Martinic fügen. Gross sei ein so unfähiger Politiker, der immer nur hohle Phrasen wiederhole, daß es ihm, Koerber, nicht möglich gewesen ist, mit ihm zu unterhandeln. Dagegen ist zwischen Koerber als Ministerpräsidenten und Baernreither eine gewisse Annäherung erfolgt. Klein teilte Koerber mit, daß Baernreither mit ihm zu sprechen wünsche, wozu Koerber gerne bereit war5. Die Unterredung drehte sich aber nur um volkswirtschaftliche und Verwaltungsangelegenheiten. Koerber schätzt den Geist Baernreithers hoch, beklagt die Fehler seines Charakters und meinte ein wenig melancholisch: Es treffe sich eben mitunter, daß zwei Männer sich gegenseitig nicht ganz verstehen können.
5
Josef Maria Baernreither vermerkte in seinem Tagebuch zwei Unterredungen mit Ernest von Koerber während dessen Ministerschaft. Zur ersten Unterredung am 2. 11. 1916, die laut Baernreither über Initiative Koerbers zustande kam, vgl. HHStA, NL Baernreither, Tagebuch Bd. 17, 4, zum zweiten Gespräch am 12. Dezember ebda. 29-31.
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Graf Botho von Wedel, deutscher Botschafter in Wien
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5. Jänner 1919 К 2, U2a, 72a r - 73a v; maschinschriftlich
Wedel war 1899-1901 in Tokio. Marschall war ein kluger Mann, aber als Staatssekretär nicht auf der Höhe. Die große Politik war ihm zu fremd. Suvalov nannte ihn „le ministre etranger aux affaires", und das Wort machte im diplomatischen Korps die Runde. Die Anregung zur Intervention von Liaotung ist von Deutschland ausgegangen, 3 auch in der Ausführung übernahm Deutschland die Führung, Rußland und namentlich Frankreich übten weise Zurückhaltung 1 . Marschall und Holstein waren die Urheber. Zweck war, Rußland einen Liebesdienst zu erweisen. Bei Holstein trat die Neigung zu verneinen, anderen Mächten in den Weg zu treten, hinzu. Sein beliebtes „veto" haben fast alle Mächte, auch die Verbündeten, gelegentlich erfahren. Kaiser Franz Joseph sagte einmal bei einer solchen Gelegenheit: „Unser Bundesgenosse ist doch immer der erste, von dem wir eine ablehnende Antwort auf unsere Wünsche bekommen." Holsteins verneinende Politik hat zur allgemeinen Verärgerung gegen Deutschland wesentlich beigetragen. Kaiser Wilhelm empfand das russisch-französische Bündnis 2 fast als persönliche Kränkung. Er suchte nach Gelegenheiten, den Bund zu lockern und Rußland zu beweisen, daß er ein aufmerksamerer Freund sei als Frankreich. Er ging daher gern auf Marschalls Vorschlag ein. Ich war damals an der Botschaft in Paris. Münster erhielt den Auftrag, Frankreich für die Intervention zu gewinnen, nachdem Deutschland und Rußland bereits einig waren. Die russische Botschaft war zunächst unbeteiligt, blieb überhaupt im Hintergrunde. Münster fand es verfehlt, Japan, welches in Deutschland seinen Lehrmeister verehrte, vor den Kopf zu stoßen, und fürchtete auch Verstimmung in England. Ich sah Münster, als er von Hanotaux zurückkam, er erzählte mir, Hanotaux sei peinlich überrascht gewesen, habe allerhand Einwendungen erhoben, aber schließlich erklärt, Frankreich wolle mitmachen, wohl weil er geglaubt habe, Frankreich dürfe nicht zurückstehen, wenn Deutschland Rußland einen Freundschaftsdienst erweise. Für Japan war die Intervention ein harter Schlag: Sie entriß Japan den wertvollsten Teil der Siegesbeute. bDazu kam, daß der deutsche Vertreter Japan haßte und die Intervention in verletzender Form vorbrachte. Er führte das Wort, während der französische und der russische Vertreter sich mehr zurückhielten. b Die 1
Japan mußte aufgrund der Intervention der drei europäischen Mächte auf die von China im Präliminarfrieden von Shimonoseki vom 17. 4. 1895 abgetretene Halbinsel Liaotung verzichten. 2 Die Militärkonvention von 1892. " Randbemerkung durch Friedjung: Aber sagte nicht Hohenlohe, daß Rußland die Anregung gab? b_b Ergänzung durch Friedjung.
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Graf Botho von Wedel
Erbitterung war tiefgehend und nachhaltig. Rußlands Vorgehen verstand man und begriff auch, daß Frankreich, Rußlands Verbündeter, nicht anders konnte, was der französische Gesandte in Tokio, Harmand, wie mir Aoki erzählt hat, mit Tränen in den Augen immer wiederholte, daß aber Deutschland, Japans alter Freund, mitmachte, sogar die Führung übernahm, verstand man nicht. Als Japan nach Ausbruch des Weltkrieges in Berlin vorstellig wurde, hat es sich derselben Worte bedient, die wir bei der Liaotung-Intervention anwandten: Die Sicherung der Ruhe in Ostasien zwinge es usw. Trotz der erlittenen Kränkung kamen unter dem Ministerium Yamagata doch wieder Zeiten, wo Japan eine Annäherung an Deutschland anstrebte. Die Träger der deutschfreundlichen Politik waren Katsura und Aoki, die beide Deutschland gut kannten, deutsch sprachen und Sympathien für Deutschland hatten. Die Anregung, im Boxerkrieg Deutschland den Oberbefehl zu übertragen3, ist von dem damaligen Minister des Äußern, Vicomte Aoki, ausgegangen. Anfangs war man in Berlin zurückhaltend, fürchtete Differenzen mit den anderen Mächten, sowie auch, daß vielleicht kein Ruhm zu ernten sei. Später tippte Seine Majestät beim Zaren wegen Waldersee an4, erhielt eine zustimmende Antwort, und nun war man der japanischen Zustimmung sicher, darauf stimmten auch England und Frankreich - letzteres mit sichtlichem inneren Widerstreben - zu. Wegen eines deutschen Stützpunktes an der chinesischen Küste war nichts abgemacht, der Gedanke wurde bald nach der Liaotung-Intervention von der Marine stark propagiert. Bülow war ganz unsicher und unentschlossen, fürchtete namentlich Erregung in Rußland, ließ sich aber von der Marine treiben. Man legte Rußland nahe, ebenfalls zuzugreifen, und atmete erleichtert auf, als Rußland darauf einging.8 England wurde ebenfalls zur Tafel geladen, um in den Kreis der „Mitschuldigen" hineingezogen zu werden. England nahm ohne Begeisterung, fast widerstrebend an, hat auch nichts in Weihaiwei hineingesteckt, sondern ließ es brach liegen, während Rußland und Deutschland mit Feuereifer an den Ausbau von Port Arthur und Kiautschou herangingen5. Nach dem Boxerfeldzug war jeder japanische Politiker der festen Überzeugung, daß ein Krieg mit Rußland unvermeidlich sei, denn Rußland streckte damals unzweideutig die Hand nach Korea aus. Das konnte Japan nicht dulden. 3
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Zum Boxeraufstand und dessen Niederschlagung 1900/1901 vgl. Zeitalter des Imperialismus. Bd. 1, 329-335. General Alfred von Waldersee hatte im August 1900 das Oberkommando über die internationalen Truppen zur Unterdrückung des Aufstandes in China übernommen. 1898 sicherten sich die europäischen Großmächte Deutschland, Rußland, Großbritannien und Frankreich Stützpunkte an der chinesischen Küste. Randbemerkung durch Friedjung: Ich habe dem Grafen Wedel [gesagt], daß Rußland doch nicht erst die Aufmunterung Deutschlands abgewartet haben wird, sich Port Arthurs zu bemächtigen. Dies klingt unwahrscheinlich. Friedjung.
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Japan hatte sich mit Opfern, die seine finanzielle Lage fast überstiegen, Heer und Flotte geschaffen. Überließ Japan Korea an Rußland, so war das Opfer umsonst gebracht. Auf der anderen Seite liegt der Ozean, aber Korea liegt vor der Tür. Klimatische - der Japaner ist in bezug auf Klima sehr eigen - und wirtschaftliche Verhältnisse (Reisbau, Fischerei) in Korea sagen dem Japaner sehr zu. Der japanische Auswanderer fand in Korea und nur in Korea die gewohnten Verhältnisse der Heimat. Die Überlassung Koreas an Rußland hätte für Japan die endgültige Aufgabe seines großen politischen Zieles, Vormachtstellung in Ostasien, bedeutet. Kampfloser Verzicht auf Korea zu Rußlands Gunsten wäre mit einer Niederlage gleichbedeutend gewesen. Japan mußte fechten, wenn Rußland an Korea rührte, selbst wenn es ein aussichtsloser Kampf war. Rußland hatte aber 1901 bereits an Korea gerührt. Der casus belli war schon damals gegeben, aber Japan war militärisch nicht genügend vorbereitet. "Wedel fügte noch hinzu: Japan wollte schon 1901 losschlagen, da entdeckte man, daß die in Japan verfertigten Zünder der Geschoße schlecht waren, sodaß viele Geschoße schon im Rohr zersprangen. Als man das entdeckte, wurden die Zünder bei Krupp telegraphisch bestellt; der Krieg mußte hinausgeschoben werden, das Säbelrasseln hatte keine Folgen.8 Es rasselte mit dem Säbel, um Rußland vor weiterem Vordringen abzuhalten. Das war Bluff, der auch Erfolg hatte. Seitdem aber rüstete Japan mit aller Kraft zum Kriege gegen Rußland, der damals bereits beschlossene Sache war. Itos Reise nach Petersburg hatte nur den Zweck, vor [dem] In- und Ausland den Schein zu liefern, daß Japan den Krieg vermeiden wollte6, denn der Japaner legt größtes Gewicht auf den Schein des Rechts, auf das „Gesicht", wie der Orientale sagt. 1901 ging Japan auf die Suche nach einem Verbündeten, der nur die Aufgabe haben sollte, Frankreich von einer Beteiligung, die das Bündnis mitbringen könnte, abzuhalten. Mit Rußland traute sich Japan zu, allein fertig zu werden. Yamagata - Katsura - Aoki dachten an ein Bündnis mit Deutschland. Keine Macht konnte Japan gegen Frankreich so sicher schützen. Die japanische Regierungließ es namentlich unter Yamagatas Regierung deutlich erkennen, daß sie ein Bündnis mit Deutschland erhoffte. bAls sich Wedel damals auf Urlaub nach Deutschland begab, ersuchte ihn Aoki, in Berlin anzufragen, ob Deutschland ein Bündnis zu schließen bereit wäre. Er zitierte eine japanische Legende, nach der ein langarmiger und kurzbeiniger Mann sich mit einem kurzarmigen und langbeinigen Mann verband und [sie] sich gegenseitig die besten Dienste leisteten. Als Wedel die Sache in Berlin vorbrachte, lehnten Bülow und Holstein mit Rücksicht auf Rußland bestimmt ab. Um diese Zeit (wohl 1901) teilte Aoki Wedel mit, daß die deutsche Botschaft in London sich fur ein deutsch6
Ende November 1901 machte Marquis Hirobumi Ito in St. Petersburg einen Vorschlag zur Teilung der Interessensphären in Korea (japanisch) und der Mandschurei (russisch). Dies wurde jedoch von russischer Seite abgelehnt. "" Ergänzung durch Friedjung.
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Freiherr Max Vladimir von Beck
japanisches Bündnis ausgesprochen habe. Das war nicht der Botschafter, sondern Eckardstein, damals Geschäftsträger. Dieser Eckardstein war eine zweifelhafte Persönlichkeit, schied aus dem Dienste, nahm Papiere mit, die er später einem Stuttgarter Verlag für 30.000 Mark verkaufen wollte. Der Verlag teilte dies nach Berlin mit. Eckardstein kam in Untersuchung. Im Jahre 1901 ließ die japanische Regierung durch Wedel in Berlin anfragen, wie sich Deutschland im Kriegsfall verhalten werde. Der japanische Gesandte in Berlin, Inouye, [war] nicht eingeweiht, weil einer anderen Partei angehörig. Wedel telegraphierte, und es kam die Antwort, Deutschland werde neutral bleiben. Wohlwollend neutral? fragte Aoki. Wedel erwiderte: In der Antwort steht neutral.13 Man dachte auch an ein Bündnis Japan - Deutschland - England. Erst als Japan erkannte, daß Deutschland taube Ohren mache, wandte es sich an England. Das Bündnis zwischen zwei Seemächten schien den Japanern eigentlich unnatürlich und nicht ganz zweckentsprechend. Ein Bündnis zwischen der japanischen Seemacht und der stärksten europäischen Landmacht wäre das Ideal und England als Dritter im Bunde willkommen gewesen. In Berlin aber kultivierte man immer die längst untergegangene Freundschaft Rußlands und hatte auch eine gewisse Abneigung gegen den Bund mit einer gelben unchristlichen Rasse. Die Engländer waren weniger eigen, sie schlossen ab7, und der Abschluß wurde bekanntgemacht, um Frankreich einen Wink zu geben. Während des russisch-japanischen Krieges blieb Deutschland neutral, aber mit möglichster Begünstigung und offener Sympathie für Rußland, immer dieselbe verhängnisvolle Liebedienerei für das Zarenreich, welches uns niemals Dank dafür wußte. Durch diese Haltung verscherzten wir uns den letzten Rest an Sympathie in Japan. Es wurde unser Feind und Schloß sich mit dem feindlich gesinnten Rußland gegen uns zusammen.
Freiherr Max Vladimir von Beck, Präsident des Rechnungshofes
Februar 1919 К 2, U l , 169 r - 1 7 0 ν
Die ältere Generation im kaiserlichen Hause besaß eine Ritterlichkeit und Liebenswürdigkeit, die der jüngeren ganz abhandengekommen ist. Erzherzog Rainer besaß sie, selbst Erzherzog Karl Ludwig, so unbedeutend dieser auch war. Ritterlichkeit gegen Frauen. 7
Am 30. 1. 1902 schlossen England und Japan ein Abkommen bezüglich Chinas und Koreas, in dem sie sich zur Wahrung ihrer Interessen gegen einen feindlichen Angriff und zur Neutralität im Kriegsfall verpflichteten. Beim Eintritt einer zweiten fremden Macht in den Krieg wäre der Bündnispartner zur gemeinsamen Kriegsführung verpflichtet gewesen. Ergänzung durch Friedjung.
Februar 1919
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Beck ist fest davon überzeugt, daß im Verhältnis zur Schratt das sexuelle Moment nicht mitspielte. Paul Schulz war ihr Vertrauter. Er korrigierte ihr die Briefe, die sie dem Kaiser schrieb. Der Kaiser schrieb ihr fast täglich, wenn er von Wien abwesend war8. Er war bei ihr Mensch, während er sonst immer in amtlichen Pflichten aufging. Sie ist die echte Wienerin, voll Laune und Mutterwitz. Sie sagte ihm offen ihre Meinung. Sie erzählte Paul Schulz, daß sie dem Kaiser einmal gesagt habe: „Auf Seine Majestät kann man sich nicht verlassen!" worauf er sagte: „Das geht doch etwas zu weit." Die Briefe des Kaisers müssen eine Quelle für die Kenntnis seines Wesens sein. Er sagte einmal zu Frau Schratt: „Ich wünsche nicht, daß Sie sich in Politik mischen, aber in Gnadensachen stehe ich Ihnen zur Verfügung." Der Kaiser war in Ischl ein ganz anderer Mensch wie in Wien. Lud er Gäste ein, so hielt er kein Cercle. Er empfing sie im Vorhaus, denn Vestibule oder Hall ist nicht der richtige Ausdruck für diesen Raum. Er nahm dann den Eintretenden unter den Arm und stellte ihn den anderen Gästen vor. Auch die Erledigung der Geschäfte ging in Ischl besonders bequem vonstatten. Beck erhielt 1906 die Aufforderung, sich im Ministerpräsidium einzufinden. Er war gerade mit der Erledigung der Eingaben beschäftigt, welche die Einfuhr holländischer Ochsen nach Österreich-Ungarn zum Gegenstand haben. Es war die agrarische Strömung, und er mußte die betreffenden Gesuche ablehnen. Bei Hohenlohe eintretend, sagte ihm dieser, der Kaiser wolle ihn sprechen, um ihm das Ministerpräsidium anzubieten. Beck, ganz überrascht, bittet um Bedenkzeit, will zuerst mit seiner Frau sprechen. Hohenlohe erwidert, unmöglich, er müsse gleich zum Kaiser gehen, auch ohne sich umzukleiden. Beck geht also vom Präsidium in die Michaeierkirche, betet dort und geht zum Kaiser. Auf das Angebot des Kaisers setzt ihm Beck auseinander, was er über die Lage der Dinge denkt. Er bittet um die Erlaubnis, frei und offen sprechen zu dürfen. Er läßt sich über die Stellung Ungarns zum Reiche aus und gebraucht das Wort, daß, wenn man immer nachgebe, das der Weg zum Abgrund sei. Der Kaiser hatte gerade damals gegen den Ministerpräsidenten Hohenlohe entschieden, der sich dem Verlangen Ungarns nach einem autonomen ungarischen Zolltarif widersetzt hatte. Demnach war die Rede Becks kühn. Aber [der] Kaiser verargte ihm die Offenheit nicht. Zu Frau Schratt sagte er damals, wie sie Beck später mitteilte: „Beck war strenge gegen mich, aber er weiß, was er will!" Der Kaiser hatte ihm von vorneherein gesagt, die Wahlreform9 müsse 8
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Vgl. Meine liebe, gute Freundin! Die Briefe Kaiser Franz Josephs an Katharina Schratt aus dem Besitz der Osterreichischen Nationalbibliothek, hrsg. von Brigitte Hamann (Wien 1992). Am 26. 1. 1907 sanktionierte Kaiser Franz Joseph die Wahlreformgesetze, wodurch das allgemeine, gleiche Männerwahlrecht für das österreichische Abgeordnetenhaus eingeführt wurde.
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Freiherr Max Vladimir v o n Beck
durchgesetzt werden. Als das Werk gelang, schlug Beck ihm Auszeichnungen für die verdientesten Mitarbeiter vor; er nannte die Namen, worauf der Kaiser halb im Ernst, halb im Scherz sagte: Sie vergessen an mich, ich habe doch meinen Anteil an der Durchführung der Reform gehabt. Beck findet, daß ich den Kaiser richtig charakterisiert habe10, doch möchte er seine Geistesgaben um einige Schattierungen günstiger beurteilen. Das, was er erledigte, nahm er nicht bloß, mit einer Nummer, einer Zahl versehen, in seinem Gedächtnisse auf, sondern er beherrschte es, er hatte es immer gegenwärtig, er verwertete es. Doch auch Beck beurteilt den Kaiser nicht so, daß er herzenswarm gewesen sei. Doch machte er den Menschen gerne eine Freude, war aufmerksam für sie. Er hatte nicht bloß Menschenkenntnis, sondern er wußte sie auch klug zu behandeln, wenn er sie benötigte. Als Beleg erzählte Beck, wie ihn der Kaiser während des Kriegs gewinnen wollte, damit er die Leitung des Ernährungswesens übernehme. „Der Antrag machte mir, wie Sie sich denken können, keine Freude." Aber der Kaiser legte ihm diese Sache so ans Herz, daß Beck erklärte, er sei bereit, aber nur unter gewissen Bedingungen, er wolle dem Kaiser darüber eine Denkschrift einreichen. Der Kaiser war erfreut und rief aus: nun habe ich halb gewonnen! und hielt ihn bei diesem Gang der Dinge fest. Beck machte nun Vorschläge, besonders auf Vereinigung aller Dinge in seiner Hand, auch der Zufuhren aus Deutschland und Ungarn; ihm müsse die oberste Verfügung übertragen werden, wobei er auch auf die Verantwortlichkeit des Ministerpräsidenten Rücksicht nahm. Koerber als Ministerpräsident prüfte die Denkschrift und fand, damit sei der Ministerpräsident ausgeschaltet, so gehe es nicht. Beck wollte ihn vergeblich beruhigen: Du kennst mich, Du weißt, ich strebe nichts für mich an, ich bin froh, daß ein Anderer Ministerpräsident ist. Aber er konnte sich nicht mit Koerber einigen. Die Sache zerschlug sich. Während der Ministerpräsidentschaft Becks kam ihm einmal zu Ohren, der Kaiser habe Koerber empfangen. Er brachte also die Sache beim Kaiser vor, da er wissen wollte, ob etwas gegen ihn im Zuge sei. Der Kaiser aber sagte ihm, er habe Koerber nicht gesehen, dieser melde sich nicht einmal zu den Geheimratsaudienzen, „es scheint, er bondiert mit mir!" Der Kaiser war niedergeschlagen, wenn die Dinge schlecht gingen; aber er war „in der Höhe", erholte sich, wenn alles sich gut abspielte. Die Zurückhaltung des Kaisers, wenn er nicht entscheiden wollte, war außerordentlich. Er hatte sich ganz in der Hand; so bei den Ausgleichsverhandlungen mit Ungarn. Er äußerte darüber absolut keine Meinung. Beck legte ihm die übermächtigen Forderungen des ungarischen Ministeriums dar, aber der Kaiser verriet nicht einmal durch eine Bewegung, wie er über die Dinge denke. Der 10
Vgl. Kaiser Franz Josef I. Ein Charakterbild; in: Historische Aufsätze 493-538.
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Kaiser hatte eine ganz eigentümliche Bewegung im Gespräche. Er hatte einige lange Haare in seinem Schnurrbart, die er mit den Fingern in die Höhe zog, wobei er über sie hinwegschielte. Die geistigen Gaben des Kaisers schätzt Beck etwas höher ein, als es in dem ersten Entwurf meines Aufsatzes geschieht. Wir besprechen, daß ich das retouchieren werde. Der Kaiser fällte auch scharfe Urteile über Menschen. Er nannte einmal einen Politiker „den größten Intriganten".
Freiherr Max Hussarek von Heinlein, Professor für Kirchenrecht an der Universität
Wien 10. März 1919 К 2, U 3, 342 г - 345 ν
Bis zu seiner Ernennung zum Unterrichtsminister war Hussarek zum Kaiser nur gelegentlich bei Dankaudienzen gekommen. Er hatte als Vorstand der kirchenpolitischen Abteilung im Unterrichtsministerium Gelegenheit, außerordentlich zahlreiche Aktenstücke des Kaisers mit dessen Bemerkungen zu sehen. Auch bei den Studien über die Kirchenpolitik der 50er Jahre kam Hussarek in die Lage, in die Dinge hineinzusehen. Eine Differenz zwischen seiner und meiner Ansicht besteht in Bezug auf die 50er Jahre. Hussarek nimmt an, damals allein sei der Kaiser er selbst gewesen, die damalige Regierungsweise habe seiner Natur am meisten entsprochen. Durch den Mißerfolg von 1859 kam ein Bruch in sein Wesen. Er verlor das Selbstbewußtsein, er glaubte, er habe eine „unglückliche Hand". Er ließ also seine Minister mehr gewähren. Dabei kommt der Klerikale bei Hussarek zum Vorschein. Er rechnet es dem Kaiser hoch an, daß er die Aprilverordnungen von 1850 nach freiem Entschluß erlassen habe11. Es sei zwar wahr, daß Rauscher ihm die Grundsätze etc. empfahl, aber eine Reihe seiner Minister (Schmerling, Bach) opponierten. Rauscher sei bis zum Schlüsse nicht sicher gewesen, wie sich der Kaiser entscheiden werde. Dieser habe also das entscheidende Wort nach seiner Überzeugung gesprochen. Die Idealisierung des 20jährigen Herrschers geht doch zu weit! Eine weitere Differenz zwischen ihm und mir besteht darin, daß er behauptet, im Konkordat 12 sei kein staatliches Hoheitsrecht aufgegeben worden. Das, was man als Majestätsrecht betrachtete, so die Ernennung von Bischöfen, wurde scharf, eifersüchtig gewahrt. Hussarek will nicht zugeben, daß die Überlassung der Schulaufsicht an die Geistlichkeit nach der Empfindung der leitenden Männer ein Preisgeben jener Rechte gewesen sei. Die" Zu Friedjungs Einschätzung der beiden kaiserlichen Verordnungen vom 18. und 23. 4. 1850 vgl. Österreich von 1848 bis 1860. Bd. 2/1, 494-508. Das Konkordat von 1850.
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Freiherr Max Hussarek von Heinlein
se Überlassung lag vielmehr im Regierungssystem selbst, das die Rückkehr zum Christentum zum Ziele hatte. Aber ich finde Hussarek nicht sehr überzeugungsvoll: Es macht mir mehr den Eindruck, daß er diese Behauptung mehr pour l'honneur du drapeau aufrechterhält. Endlich die Ehegerichtsbarkeit: Das war eine Lieblingsidee Rauschers. In Rom war man gar nicht davon entzückt. Die Eifersucht auf die Hoheitsrechte zeigte sich besonders, als die Kurie 1856 zum Vorsitzenden der Synode von 1856 ernannte [sie!]13. Das wurde zurückgerufen: Der Nuntius war nur in der ersten und in der letzten Sitzung Präsident. Franz Joseph hat durch sein ganzes Leben gerade auf die Bischofsernennungen den größten Wert gelegt. Er wies die Einmischung Roms bestimmt zurück. So einmal, als es sich um das Erzbistum Zara handelte14. Die Kurie hat einen Kandidaten, aber der wurde energisch bei Seite geschoben. Auch gestand der Staat nicht zu, was die Kurie stets geltend machen wollte, daß in Dalmatien ihre Rechte größer seien als im übrigen Osterreich. Auf meine Frage erklärt Hussarek: Es ist nicht richtig, daß der Kaiser in den Randbemerkungen über kirchenpolitische Eingaben, die Hussarek gründlich kennt, sich auf formale Verbesserungen begrenzt habe. Er hat durch Ausrufungszeichen, durch Ohos seinen sachlichen Einwendungen Ausdruck gegeben. Ich schließe aber aus den Bemerkungen Hussareks, daß es sich doch nicht um ein positives Eingreifen des Kaisers handelte. Es ist aber richtig, daß er ein ungewöhnliches redaktionelles Talent besaß. Er legte auf die richtige sprachliche Form großen Wert. Er fühlte sich durch ungenaue, saloppe Wendungen beinahe verletzt. Auch bei mündlichen Vorträgen verlangte er eine sorgfältigere Form des Ausdrucks. Es war nicht geraten, sich im Ausdrucke gehen zu lassen. Hussarek gibt mir einige Beispiele des guten Gedächtnisses des Kaisers, dieses sei „unheimlich" gewesen. Meine Charakteristik seiner geistigen Fähigkeiten findet Hussarek wohl zutreffend, doch in einem Punkte zu scharf. Er schlägt mir folgende Fassung vor: „Nun aber zur Kehrseite: Keine der geistigen Gaben des Kaisers - und unter denen trat die Denkkraft hinter dem Urteilsvermögen zurück - reichte an die Höhe der Mitgift äußerer Würde und Hoheit zurück, die . . . gelegt war. Unter den Elementen seiner Urteilskraft stand über dem Durchschnitt seine Aufnahmsfähigkeit für das 13
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Im Jänner 1856 hatte Kaiser Franz Joseph die österreichischen Bischöfe zu einer Versammlung nach Wien berufen, gleichzeitig hatte die Kurie unabhängig davon eine Zusammenkunft der Bischöfe angesetzt und den Pro-Nuntius Kardinal Michele VialePrelä zu deren Vorsitzenden bestimmt. Nach energischen Protesten der österreichischen Regierung zog der Papst seine Entscheidung zurück. Anstelle des im Oktober 1899 verstorbenen Grigor Rajcevic brachte die österreichische Regierung den Bischof von Sebenico (Sibenik) Matija Zannoni in Vorschlag, der jedoch von der Kurie abgelehnt wurde. Im März 1901 einigte man sich auf den bisherigen Domherrn Matija Dvornik als neuen Erzbischof von Zara (Zadar).
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an ihn Herantretende." Dies ungefähr die Fassung Hussareks, die ich hiermit nur stilistisch etwas glätte15. Er hält diese Fassung für richtiger, weil der Kaiser doch ein scharfes kritisches Urteil besessen habe. Richtig ist, daß er nicht an dem für richtig Erkannten festhielt. Hier hatte ich das Richtige getroffen. Das kam auch daher, weil er sich zuwenig selbst zutraute, nachdem ihm so vieles mißlungen war. Aber sein kritisches Vermögen stand sehr hoch. Er urteilte sehr scharf auch über seine früheren Minister, auch über solche, die er früher hoch geschätzt hatte. In diesem Zusammenhange schlägt Hussarek auch vor, ich solle das mildern, was ich über die wenig glückliche Wahl seiner Minister gesagt habe (auf Seite 4)16. Hier schlägt Hussarek folgende Fassung vor nach der Bemerkung, daß er die Talente wie Andrässy, Bruck, Tegetthoff nicht hoch genug bewertet hatte: „Vielleicht war sein Blick für die ihnen anhaftenden Mängel zu scharf und sein Selbstbewußtsein zu stark, um ihnen im Handeln die volle Freiheit einzuräumen. Auch war [von] ihnen keiner so bedeutend, daß der Kaiser die Pflicht, sich ihnen unterzuordnen, empfunden hätte." Die Milderung des Urteils sei deshalb ratsam, weil man auf die unermeßlichen Schwierigkeiten des Regierens in Österreich-Ungarn Rücksicht nehmen müsse. Wie scharf der Kaiser urteilte, zeigt das, was er dem Grafen Stürgkh über Gautsch sagte, als Stürgkh diesen zum Nachfolger Bienerths empfahl. Stürgkh war zwar schon damals der Mann des Vertrauens des Kaisers, er hielt es aber noch nicht an der Zeit, selbst Ministerpräsident zu werden. Der Kaiser wendete ein: „Aber Gautsch ist doch schwer morodisch!" so erzählte Stürgkh später selbst Hussarek. Indessen ließ sich der Kaiser doch bestimmen, Gautsch zu ernennen. Als aber dieser sich unzureichend zeigte, forderte der Kaiser bestimmt von Stürgkh den Eintritt ins Präsidium. Das geschah dann. Hussarek wurde 1911 unter Stürgkh Minister für Kultus und Unterricht. Damals war der Kaiser sehr müde, oft apathisch bei Vorträgen, die er entgegennahm. Das steigerte sich im Frühjahr 1912; er Schloß die Augen während des Vortrage, vielleicht schlummerte er ein wenig. Es war peinlich. Aber im Herbst 1912 hatte er sich vollständig erholt. Er war so frisch wie ein 60jähriger. Und so blieb er bis in den Weltkrieg, bis an seinen Tod (21. November [1916]). Am 2. November hatte Hussarek zuletzt bei ihm Vortrag gehabt und fand ihn geistig ganz so wie früher. Als Stürgkh dem Kaiser die Ernennung 15
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Friedjungs Formulierung lautet: „Nun aber die Kehrseite: die geistigen Gaben des Kaisers reichten nicht an die Höhe der Mitgift äußerer Hoheit und Würde heran, die ihm von der Natur in die Wiege gelegt war. Nur in der Aufnahmefähigkeit für das an ihn Herantretende stand er über dem Durchschnitt." Vgl. Kaiser Franz Joseph I. Ein Charakterbild; in: Historische Aufsätze 495. Der Aufsatz erschien zunächst im April 1919; vgl. Kaiser Franz Josef. Eine Charakteristik; in: Deutsche Rundschau 179 (April-Juni 1919) 4 - 2 3 und wurde für die Historischen Aufsätze überarbeitet. Bei der Seitenangabe handelt es sich jedoch um das Manuskript der Arbeit.
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Freiherr Max Hussarek von Heinlein
Hussareks vorschlug, wandte der Kaiser ein: „Ist er nicht zu klerikal?" Darauf erwiderte Stürgkh: „Er ist ein guter Österreicher und würde, wenn es notwendig wäre, alle Bischöfe einsperren!" So wurde Hussarek ernannt. Hussarek findet, daß meine Darstellung der nationalen Stellung Franz Josephs ganz richtig ist. Er macht keine Einwendung, keine Einschränkung. Nur eine interessante Ergänzung. Der Kaiser wollte nichts von der Lex Kolisko wissen17. Hussarek fand, man sollte sie zum Gesetz erheben. Stürgkh und Sektionschef Madeyski aber hielten einen Mittelweg geboten. In diesem Sinne beantwortete der Statthalter Niederösterreichs die betreffende Interpellation, was aber einen Sturm hervorrief. Der Kaiser aber entschied mit Heftigkeit: „Die Lex Kolisko werde ich nie unterschreiben!" Offenbar trug Stürgkh dieser Auffassung des Kaisers Rechnung, weshalb er den Entwurf dilatorisch behandelte. Das Motiv des Kaisers, so gibt Hussarek an, sei seine Gerechtigkeitsliebe gewesen. Er fühlte sich zwar „als guter Deutscher", wollte aber die Tschechen nicht schlecht behandeln. Der Kaiser war durch den häßlichen Verlauf der Parlamentstagungen so angewidert, daß er von Stürgkh die Vertagung des Reichsrats verlangte. Stürgkh hatte damit noch warten wollen: Aber der Kaiser beharrte so bestimmt darauf, daß Stürgkh nachgab18. Merkwürdig ist, wie der Kaiser die Kunde von der Ermordung Stürgkhs hinnahm. Er sagte bloß: „Wen soll ich an seine Stelle treten [lassen]?" Dieser Mangel an menschlicher Teilnahme ist aber darauf zurückzuführen, daß er vor allem an den Staat und die Führung der Geschäfte dachte. Es ist richtig, daß der Kaiser auch nach den größten Unglücksfällen die Geschäfte peinlich genau erledigte. Der stärkste Beweis ist folgender. Am 30. Jänner [1889] gab sich der Kronprinz selbst den Tod, und vom 2. Februar ist die kaiserliche Entschließung datiert, durch welche Hussarek zur Promotion sub auspiciis des Kaisers zugelassen wurde (!). Der Tod des Kronprinzen, besonders aber die Tatsache des Selbstmordes, hat den Kaiser tiefer betroffen als alles andere. Die Minister unterließen es aus Schonung, ihn um eine Audienz zur Erledigung von Geschäften zu bitten, selbst Taaffe. Endlich erklärte sich Gautsch bereit, sich zum Vortrag zu melden. Er machte den Anfang. Der Kaiser empfing ihn mit einem versteinerten Gesicht. Gautsch brachte die Angelegenheit vor, die bald erledigt war. Darauf der Kaiser: „Haben Sie noch etwas?" Als Gautsch verneinte, wurde er mit einem Kopfnicken entlassen. Das Verhältnis zu Taaffe. Bei der Entlassung Taaffes galt es als feststehend, daß er, sobald sich das Koalitionsministerium19 ausgelebt habe, in kur17
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Die Forderung nach Festlegung des Deutschen als einziger Unterrichtssprache in Niederösterreich. Sie wurde vom Kaiser nicht sanktioniert. Der Reichsrat war am 16. 3. 1914 vertagt worden und erst wieder am 30. 5. 1917 zusammengetreten. Das Ministerium Fürst Alfred Windischgraetz (1893-1895).
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zer Zeit wieder zum Staatsruder berufen werden solle. Doch erkrankte Taaffe bald darauf schwer. Darauf wurde Nothnagel, der ihn behandelt hatte oder doch konsultiert worden war, um ein Gutachten über seinen Gesundheitszustand angegangen. Er stellte fest: Taaffe werde sich zwar erholen, aber seine Gesundheit sei so schwer erschüttert, daß der Kaiser seinem treuen Diener nicht mehr die Last der Geschäfte werde aufbürden können. Das führte zu der Szene, in der der Kaiser nicht mehr von Geschäften mit ihm sprach20. Hussarek rät, unter die dem Kaiser besonders genehmen Minister den Grafen Bylandt-Rheidt aufzunehmen. Er war von 1876 bis 1888 Reichskriegsminister21. Er hatte 1873 schwere finanzielle Verluste erlitten, und der Kaiser half ihm mehrere Male aus. Zuletzt wollte der Kaiser die Gesamtsumme seiner Schulden wissen. Es waren 80.000 fl, soweit Hussarek weiß. Der Kaiser zahlte sie. Maroicic, der ein loses Maul hatte und gleich den anderen Generälen Bylandt nicht mochte, erfuhr dies bei einer Kartenpartie und machte mit Hinweis auf den gekrümmten Rücken Bylandts die höhnische Bemerkung: „Um 80.000 Gulden könnte sich der Kaiser doch ein Kamel mit zwei Buckeln anschaffen!" Die Folge davon war, daß Maroicic gleich darauf pensioniert wurde22. Hussarek betont immer wieder die kritische Schärfe des Kaisers, den Blick für die Schwächen, das scharfe Urteil über Personen. Er erzählt, Wekerle habe ihm die Erhöhung der Gebühren der Offiziere hoch und teuer versprochen, aber nichts wieder von sich hören lassen. Der Kaiser wartete einige Monate ab, erinnerte ihn dann an die Sache. Darauf erwiderte Wekerle durch eine schöne Rede, in der er auf die Schwierigkeiten der Angelegenheit hinwies. Der Kaiser hörte ihn ruhig bis ans Ende. Dann lui demande: Der wievielte ist heute? Der 17. April, war die Antwort. „Sie irren", sagte der Kaiser, „es ist wirklich der 17. April." Aber diese Geschichte klingt nicht wahrscheinlich. Der Kaiser las die Vorlagen sehr genau und ging auch auf den Kern sehr genau ein. So als ihm die Dienstpragmatik für die Lehrer vorgelegt wurde. Sie umschrieb die dienstliche Pflicht der Lehrer ungefähr so wie die der Beamten. Der Kaiser sagte aber zu Hussarek: Das genüge nicht, vom Lehrer müsse man noch eine größere Hingebung verlangen. Auf meine Frage nach dem Umfange der Bildung des Kaisers und ob er Bücher gelesen, erwidert Hussarek: „Er war kein Bücherleser." Offenbar wußte Hussarek von keinem Buche, das der Kaiser gelesen. Seine stilistische Fähigkeit war sehr groß, 20 21
22
Vgl. Kaiser Franz Joseph I. Ein Charakterbild; in: Historische Aufsätze 509. Graf Arthur Maximilian Bylandt-Rheidt war von 1876 bis 1882, nicht 1888, Reichskriegsminister. Freiherr Josef Maroicic von Madonna del Monte war von 1869 bis zu seiner Pensionierung 1881 kommandierender General in Wien.
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Freiherr Max Vladimir von Beck
auch das Italienische beherrschte er so, daß er in diese Sprache gut übersetzte. Einmal war er, als ein Brief an die Kurie zu senden war, so unzufrieden mit der Übersetzung, daß er aufforderte, ihm das Konzept zu schicken, auf daß er es selbst übersetze. Das muß sein eigener Entschluß und nicht der der Kabinettskanzlei gewesen sein, denn hier gab es zwar Italiener, aber keinen tüchtigen Konzipienten.
Freiherr Max Vladimir von Beck, Präsident des Rechnungshofes
28. März 1919 К 2, U 1, 187 r-v; maschinschriftlich
Die Unterredung mit Beck war deswegen sehr belehrend, weil aus ihr wieder hervorging, daß Kaiser Franz Joseph auch seinen Ministerpräsidenten keinen Einblick in sein Inneres gewährte. Schon die Antwort auf meine erste Frage war bezeichnend, ohne daß daraus zuviel zu folgern wäre. Ich wollte von Beck erfahren, ob Kaiser Franz Joseph Bücher gelesen habe. Darauf sagte mir der ehemalige Ministerpräsident ehrlich, das wisse er nicht. Es war nie Gelegenheit, darauf zurückzukommen. Das historische Wissen Kaiser Franz Josephs, soweit es für seine Regententätigkeit notwendig war, reichte deshalb vollständig aus, weil er seit 1848 alles selbst miterlebt hat. Was vorher geschehen ist, kam doch bei der Verhandlung über Regierungsgeschäfte kaum je in Frage. In Bezug auf die Ereignisse seiner Zeit aber war dem Kaiser alles Notwendige gegenwärtig. Wichtiger war das, was Beck über die Motive sagte, die den Kaiser zur Einführung des allgemeinen gleichen Wahlrechts bestimmt haben23. Ich hatte meine Frage so formuliert: War das allgemeine Wahlrecht dem Kaiser bloß ein taktischer Behelf oder sprach die Erwägung des Gewissens mit, daß das allgemeine Wahlrecht eine Sache der Gerechtigkeit sei? Wunderbarerweise erwiderte Beck auch diesmal, daß er das nicht wisse. Der Vorgang war der, daß Beck zum Kaiser gerufen wurde, der ihm eröffnete, er wolle ihn zum Ministerpräsidenten machen, doch lege er ihm die Bedingung auf, die Annahme des allgemeinen Wahlrechts im Parlament durchzusetzen. Dies habe der Uberzeugung Becks entsprochen, der schon 1893 dem Wahlreformentwurf Taaffe - Steinbach freundlich gegenübergestanden sei24; sein Vater und er, 23
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Am 26. 1. 1907 sanktionierte Kaiser Franz Joseph die Wahlreformgesetze, wodurch das allgemeine, gleiche Männerwahlrecht für das österreichische Abgeordnetenhaus eingeführt wurde. Der Wahlrechtsentwurf der Regierung Taaffe wurde am 10. 10. 1893 im Abgeordnetenhaus eingebracht. Obwohl er bei Beibehaltung des Kurienwahlrechts lediglich für die Städte- und Landgemeindenkurien das allgemeine Männerwahlrecht vorsah und daher nur eine einfache Mehrheit zur Annahme benötigt hätte, scheiterte der Vorschlag im Haus. Die Regierung demissionierte darauf am 11. 11. 1893.
25. April 1919
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beide hochkonservativ, hätten die Reform deswegen für notwendig erachtet, weil sie eine Forderung der Zeit sei. Der Kaiser selbst sprach sich über seine Motive niemals aus. Beck referierte ihm über den Stand der Sache und bestimmte den Kaiser, wenn es notwendig war, selbst durch Unterredungen mit Ministern und Parteiführern die Sache zu fordern. Es sei selbstverständlich, daß ein Minister nicht in die Lage kommt, den Monarchen über die ihn leitenden Motive zu befragen, er habe jedoch nicht den Eindruck, daß Franz Joseph dabei an die Rücksicht auf die Massen, auf [sie!] das Aufhören eines Unrechts geleitet war. Er, Beck, möchte eher glauben, daß auch der Kaiser einsah, die Reform sei unabweisbar und eine Forderung der Zeit. Das war der Kern der ohne Zweifel aufrichtigen Mitteilungen Becks, aus denen wieder hervorgeht, daß Kaiser Franz Joseph auch seine Ministerpräsidenten bloß als die Vollstrecker seines Willens ansah, ohne sich über die strengste Notwendigkeit hinaus mit ihnen über seine Regierungsgrundsätze auszusprechen. Beck fuhr dann fort, über die Tätigkeit seiner Nachfolger zu sprechen. Er selbst habe die Wahlreform als Grundlage zum Neuaufbau Österreichs betrachtet. Solche Vorstellungen waren sowohl Bienerth und noch mehr Stürgkh vollständig fremd. Sie begnügten sich, ohne einen leitenden Gedanken im Auge zu haben, mit den Parteien und ihren Führern zu verhandeln und sich so gut durchzuhelfen wie möglich. Sie verstanden es nicht, auf dem Instrument zu spielen, und Stürgkh kam daher zu dem Schluß, das Instrument sei schlecht. Würde er das Parlament klüger behandelt haben, so hätte er es nicht nach Hause schicken müssen25. Was ihm selbst gelungen sei, hätten auch seine Nachfolger zustande bringen müssen. Er sei mit dem Parlament doch fertig geworden. Begreiflich, daß der Kaiser, als das Instrument durch schlechte Behandlung immer greulichere Mißtöne von sich gab, zu dem Schlüsse kam, es müsse zur Seite gestellt werden.
Friedrich Stadler von Wolffersgrün, Sektionschef i. Ρ 25. April 1919 К 2, U 2, 285 г - 286 ν; maschinschriftlich Stadler ist Deutschböhme aus Eger, der in der inneren Verwaltung in die Höhe kam und mit Koerber daher bekannt wurde, daß Bacquehem als Handelsminister wiederholt die böhmischen Industriebezirke besuchte, begleitet von Koerber. Sie traten sich damals jedoch nicht näher, wenn sie auch in guten Beziehungen blieben. Erst nach dem Rücktritt Koerbers wurde ihr Verhältnis 25
Am 16. 3. 1914 war der Reichsrat vertagt worden. Er trat erst wieder am 30. 5. 1917 zusammen.
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Friedrich Stadler-Wolffersgrün
eng. Sie begegneten sich bei der Enthüllung des Denkmals Harteis in den Arkaden der Universität26, bei welchem Anlaß Koerber ihn (Stadler) aufforderte, ihn zu besuchen. Daraus entstand ein regelmäßiger Verkehr. Sie sahen sich häufig, und Koerber sprach sich mit ihm über alle wichtigen Ereignisse aus. Indessen war Koerber über die Ereignisse seiner Jugend schweigsam, wesentlich deshalb, weil sein Interesse ausschließlich von den öffentlichen Angelegenheiten ausgefüllt war, sodaß er sich nicht über andere Gegenstände ausließ. Auch wenn Stadler von seiner eigenen Jugend erzählte, blieb Koerber verschlossen. Stadler weiß nur, daß sein Vater als Oberstleutnant starb, und daß seine Mutter mit ihm, als er ein Knabe war, in Mariabrunn lebte. Dann kam er ins Theresianum als Internist. Man macht bei allen Zöglingen des Theresianums die Beobachtung, daß sie um ihre Jugend gebracht wurden. Gemütseindrücke blieben ihnen fern, die Familie stand ihnen in zweiter und dritter Linie. Koerber sprach überhaupt nicht von den ihn außerhalb der Politik berührenden Verhältnissen; so hat Stadler trotz ihrer vieljährigen Beziehungen ihn bis kurz vor seinem Tode nie von Frau Schneeberger sprechen hören. Auch seine Familie stand ihm ferne. Sein nächster Verwandter, der jetzige Hofrat Baron Jacobs, der Sohn eines Generalmajors, der ungefähr zehn Jahre jünger war als Koerber, stand ihm gleichfalls nicht nahe. Die Mutter des Baron Jacobs war eine Schwester des Vaters Koerbers. Koerber begann bei der Finanzprokuratur und kam dann ins Handelsministerium. Für den Minister Bacquehem arbeitete er alles und jedes. Er entwarf dessen Reden, alle wichtigeren Arbeiten rührten von ihm her oder gingen durch seine Hand. Als Minister war Koerber autoritär und verlangte unbedingte Unterordnung seiner Kollegen. Er sprach fast nie über die Menschen günstig. Nur Finanzminister Böhm-Bawerk widmete er freundliche Worte, wohl auch deshalb, weil Böhm sich dem Ministerpräsidenten immer fügte. Koerber teilte seinen Kollegen nicht einmal mit, daß er dem Kaiser 1904 seine Demission überreicht hatte; sie waren überrascht und wußten nicht, wie sich verhalten, ob sie gleichfalls ihre Demission geben oder die Ereignisse abwarten sollten. Das Interesse Koerbers und sein unermüdlicher Fleiß waren ausschließlich der Politik zugewendet. Sein Wissen in allen Verwaltungsfragen war erstaunlich, nur die Finanzen lagen ihm etwas fern. Stadler hat selbst Studien über die letzte Geschichte der Monarchie gemacht und holte sich bei Koerber Rat über die Entwicklung mancher Dinge. Immer fand er ihn gerüstet in voller Kenntnis des Gegenstandes. Er brauchte nur in den Schatz seines Gedächtnisses zu greifen und antwortete auf alle Fragen erschöpfend. So besonders über die einzelnen Phasen der Beziehungen zu Ungarn. 26
Das Denkmal für den Altphilologen und ehemaligen Unterrichtsminister Wilhelm von Härtel war am 9. 6. 1912 enthüllt worden.
25. April 1919
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Für alles, was außerhalb der Politik lag, besaß er nur wenig Interesse. Musik stand ihm vollständig fern. Bücher hatte er wohl wenige gelesen. Dagegen war er ein unermüdlicher Zeitungsleser, der von 6 Uhr früh durch viele Stunden mit den Presseerzeugnissen beschäftigt war. Das einzige Gebiet, das ihm sonst näher stand, war die bildende Kunst. Er hatte schon früher eine gute Kenntnis der Kunstwerke des Kunsthistorischen Museums, welches er in den letzten Jahren wiederholt mit Stadler besuchte; er WEIT gut orientiert über den Bestand und die Aufstellung der Werke. Ebenso gingen sie zusammen in die modernen Kunstausstellungen, wo ihn besonders die Porträts interessierten, doch nicht so sehr wegen der Malweise als wegen der dargestellten Personen. Wenn Stadler ihn fragte und bestimmen wollte, im Herrenhaus aufzutreten und selbst eine Anhängerschaft um sich zu sammeln, lehnte Koerber ab mit dem Hinweis, es sei doch vergeblich und in Osterreich jede Anhängerschaft unsicher. Sein Pessimismus war außerordentlich groß, doch über Kaiser Franz Joseph äußerte er sich günstig und rühmte seine Arbeitstüchtigkeit. Als Koerber in seine vorletzte Krankheit verfiel, erklärte er Stadler, er wolle mit dessen Hilfe sein Testament machen. Stadler notierte sich an Koerbers Bette sitzend die Bestimmungen seines letzten Willens und legte ihm dann den Entwurf reingeschrieben vor. Er machte Koerber aufmerksam, daß er seinen letzten Willen entweder vor drei Zeugen erklären oder den von Stadler gemachten Entwurf gleichfalls vor Zeugen unterschreiben oder endlich das Testament eigenhändig abschreiben und fertigen müsse. Koerber nahm sich auch vor, die Niederschrift Stadlers zu kopieren, und brachte diesen Entwurf mit sich nach Baden. Hier wollte er, da er den Gebrauch seiner Hände allmählich wiedergewann, offenbar die Abschrift vornehmen. Er hielt sich aber nicht für so krank, um sich beeilen zu müssen, sodaß er nichts unterschrieb und ohne Testament starb. In dem von Stadler aufgezeichneten Letzten Willen war Frau Schneeberger reichlich bedacht, wie es nur billig war, da sie ihn durch 20 Jahre betreut und ihm große Opfer gebracht hatte. Jetzt ist sie leer ausgegangen. Es haben sich eine Unmenge von entfernten Verwandten gefunden, die er zum Teil nicht einmal persönlich kannte, sodaß einzelne von ihnen nur den 48. Teil seines Vermögens erben werden. Das Vermögen, welches nicht sehr groß war, wird völlig zersplittert, auch seine sehr schöne Wohnungseinrichtung kommt im Dorotheum zur Versteigerung27. In diesem letzten Willen ist auch eine Stelle über den schriftlichen Nachlaß Koerbers enthalten, die Stadler mir vorlas. Sie besagt: Daß er seine Aufzeichnungen einem im Auslande lebenden Freunde anvertraut habe, der auch unterrichtet sei, 27
In К 3 U Unterlagen und Studiennotizen zur europäischen Geschichte findet sich der Katalog zur Versteigerung des Nachlasses Ernest von Koerbers im Wiener Dorotheum vom 19. 5.-21. 5. 1919.
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Geza von Daruväry
was mit dem Nachlaß zu geschehen habe." Er nannte Stadler jedoch nicht den Namen dieses Freundes, und auch Baron Jacobs weiß nicht, wer gemeint ist. Das Urteil Koerbers wurde stark durch persönliche Erlebnisse bestimmt; er war von Bitterkeit gegen diejenigen erfüllt, die ihm unfreundlich gesinnt waren. Auf der anderen Seite stand sein hohes Pflichtgefühl, sein zäher Fleiß für das öffentliche Wohl und seine Unbescholtenheit in allen finanziellen Fragen. Mit ganzer Kraft hat er sich seiner Beamtentätigkeit gewidmet. Sein Scharfsinn war erstaunlich. Er war eine leidenschaftliche Natur, die in großer Heftigkeit losbrechen konnte. Dies haben nicht bloß die Beamten seines Ministeriums erfahren, sondern ebenso seine Wirtschafterin, gegen die er, so sehr er sie schätzte, oft heftig losfuhr. Aber im Verkehr mit den ihm nicht ganz Nahestehenden war er immer höflich und verbindlich. Eine seiner hervorragendsten Eigenschaften war seine Klarheit über die sozialen Bewegungen der Zeit, die [es] ihm ermöglichte, sowohl mit den Christlichsozialen wie mit den Sozialdemokraten in ein Verhältnis zu treten, das ihm die Führung der Geschäfte erleichterte. Daher kommt es auch, daß die deutschösterreichische Republik ihm noch zuletzt ein hohes Staatsamt anbot28.
Geza von Daruväry, Sektionschef in der Kabinettskanzlei des Kaisers i. P.
8. Mai 1919 К 2, U l , 188 r - 1 9 3 r
Uber das Verhältnis des Kaisers Franz Joseph zu den Menschen ist zu sagen: Er stand ihnen nicht warm, auch nicht kalt, sondern indifferent gegenüber. „Ja, indifferent", wiederholte Daruväry auf meine verwunderte Frage, „sie standen seinem Herzen nicht nahe, und er lehnte sie auch nicht ab, sondern 28
Ernest von Koerber war im Februar 1919 die Präsidentschaft des Verwaltungsgerichtshofes angeboten worden. Vgl. Friedjungs postum erschienene Biographie Koerbers in Neue Österreichische Biographie 1815-1918. Bd.l (Wien 1923) 23-41, hier 40. " InKlU 3 findet sich folgende undatierte Notiz Friedjungs: In dem Entwürfe seines letzten Willens, den er seinem Freunde Sektionschef Stadler von Wolffersgrün auf seinem Krankenbette angesichts seines Todes diktierte, sind folgende Worte enthalten: Die Aufzeichnungen über Vorgänge meiner politischen Wirksamkeit sind in sicherer Verwahrung bei einem Vertrauensmann im Ausland. Dort befinden sich auch die Verfügungen darüber, ob diese Aufzeichnungen überhaupt und eventuell wann zu veröffentlichen sind. Stadler hatte sich, als Koerber sich beklagte, daß er seine Reden nicht besitze, sich erboten, sie ihm in Abschriften und Auszügen aus den Bibliotheken zu beschaffen. Diese Arbeiten machte Stadler in der Universitätsbibliothek und sonstfwo]. Koerber war ihm sehr dankbar dafür. Aus diesem Vorgang schließt Stadler, daß er an Aufzeichnungen gedacht, sie vielleicht auch niedergeschrieben habe. Nach Koerbers Tod erkundigte sich Stadler, ob diese Auszüge nicht vorhanden wären. Jacobs sagte, sie hätten sich nicht gefunden. Es ist Stadlers Vermutung, daß sich diese Papiere vielleicht mit seinen Aufzeichnungen in sicherer Hand befanden.
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schätzte sie nach ihrer Verwendbarkeit für die staatlichen Ziele und Aufgaben, die den Inhalt seines Lebens bildeten." Er hatte deshalb auch kein enges Verhältnis zu den zahlreichen Ministern, die Daruväry an der Seite des Kaisers gesehen hat. Solange sie im Amte standen und Dienste leisteten, hatten sie an ihm einen verständnisvollen und immer höflichen, wohlerzogenen Herrscher; aber wie sie austraten, widmete er ihnen kaum mehr irgendwelche Teilnahme. Er ließ sie ruhig gehen, sie existierten nicht mehr für ihn. So wenigstens habe ich ihn in den Jahren 1905 bis 1916 gekannt, in denen ich in der Kabinettskanzlei tätig war. Immer zeigte er sich, was Daruväry mehrmals hervorhob, wohlerzogen, nie hätte er ihnen etwas Unangenehmes gesagt, nie sie verletzt. In früheren Jahren mag das anders gewesen sein, als Greis war er immer gleich höflich, gleich rücksichtsvoll. Er hatte so manchen Minister, besonders in Ungarn, der ihm unangenehm war; er ließ das aber niemandem fühlen. Deshalb hatten sie alle, auch die ihm Unsympathischen, den Eindruck, daß sie wohlgelitten seien; so mancher von ihnen hat sich darin getäuscht. Dabei verstellte er sich nicht etwa, denn er war eine wahrhaftige Natur, sondern er hatte sich so in der Gewalt, daß die Antipathie nicht sichtbar war. Ganz so lernte ich ihn auch in seinem Verhältnisse zu seiner Familie kennen. „Hier habe ich eine Einwendung gegen Ihre Darstellung zu machen," warf Daruväry ein. „Auch seine nächste Familie machte darin keine Ausnahme." Doch seine Gattin, bemerkte ich, ward doch von ihm geliebt, wie Gräfin Festetics mir aus vielen Zügen glaubhaft machte29. „Das kann wohl sein", sagte Daruväry, „ich kam in seine Umgebung erst nach dem Tode der Kaiserin Elisabeth. Von seinen Töchtern aber galt, was ich gesagt habe. Erzherzogin [Marie] Valerie war oft durch Wochen sein Gast in Schönbrunn; sie und ihr Gatte kamen, wie man mir sagte, täglich durch kurze Zeit zu ihm zu Besuche. Zu Mittag aber lud er sie nur einmal in der Woche ein, und es ist so gut wie sicher, daß er froh war, wenn die Mahlzeit zu Ende war und sie sich verabschiedeten." Mit den Erzherzögen verkehrte er sehr wenig. Sie hatten vor ihm den höchsten Respekt, vor ihm als Kaiser wie als Menschen. Sie nahten ihm sehr unterwürfig. Wenn sie zum Empfange bei ihm beschieden waren, hätten sie das Recht gehabt, dem diensttuenden Adjutanten zu sagen, sie seien da, und dieser hätte dann eintreten müssen, um dem Erzherzog Eingang zu verschaffen; wer gerade beim Kaiser war, hätte entlassen werden müssen. Nie aber ist es vorgekommen, daß sie von diesem Rechte Gebrauch machten. Immer warteten sie, bis der 29
Der Großteil der Gesprächsaufzeichnungen mit Gräfin Marie Festetics (K 2, U 1 und HHStA, NL Friedjung, К 1, Tagebücher der Gräfin Festetics, aufgezeichnet von H. Friedjung) wurde nicht aufgenommen, da sie sich ausschließlich mit Vorgängen innerhalb der kaiserlichen Familie (Selbstmord des Kronprinzen, Verhältnis des Kaisers zu seinem Sohn und der Kaiserin etc.) befassen und den Rahmen dieser Edition sprengen würden.
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jeweilig vom Kaiser Empfangene entlassen war. Daruväry selbst ist es geschehen, daß, während er bei dem Kaiser in Geschäften tätig war, Erzherzog Franz Ferdinand % Stunden im Vorzimmer wartete; natürlich war dies Daruväry, als er heraustrat, sehr unangenehm, aber auch Franz Ferdinand hatte sich nicht früher anmelden lassen. Der Thronfolger war ihm nicht sympathisch. Immer kam er mit Vorschlägen, mit einer von der des Kaisers abweichenden Auffassung. Das störte den Monarchen. Außerdem hatte er Verbindungen in den Ministerien, in Ungarn natürlich nicht so viele wie in Osterreich; seine Adjutanten und Vertrauten kamen mit Wünschen zu den Beamten; dem Kaiser schien es, daß er hier und da auf passive Resistenz bei den Behörden stieß. Das empfand Franz Joseph unangenehm. Franz Ferdinand war in seinem Auftreten, in seinem Wollen ein Mann von Mut. Ob er es auch in der Ausführung gewesen wäre? Personen, die ihn genauer kannten, haben dies bezweifelt. Sie meinen, er hätte sich den Verhältnissen doch anbequemt. a Franz Ferdinand hatte Conrad dem Kaiser empfohlen, zerschlug sich aber später mit ihm und dachte daran, ihm einen Nachfolger zu geben. Er faßte als solchen Tersztyänszky ins Auge. Aber nach einem eingehenderen Gespräch mit ihm kam er davon ab.3 Es kam manchmal vor, daß Erzherzogin Marie Valerie dem Kaiser mit einer Bitte um eine Empfehlung für irgendeine Person nahte. Das war dem Kaiser unwillkommen. Er liebte diese Einmischung nicht. Doch gab er diesen Wunsch an den zuständigen Minister weiter; man sah aber, wie er sich seiner Schwäche förmlich schämte. Uberhaupt muß stark betont werden, daß der Kaiser eine schüchterne Natur war. Diese Schüchternheit zeigte sich nicht etwa bloß im Verkehr mit ihm fremden Personen und nicht bloß zu Beginn des Gesprächs. Es war ein ständiger Zug seines Wesens, der in seiner großen Bescheidenheit und Anspruchslosigkeit seinen Grund hatte. Auf diese Bescheidenheit ist es auch zurückzuführen, daß er Auseinandersetzungen über Dinge strittiger Natur scheute. Er hätte sich dabei kräftig durchsetzen müssen, und es machte den Eindruck, daß er sich die dialektischen Fähigkeiten dazu nicht zutraute. Deshalb zog er es vor, Ministern, deren Enthebung er für notwendig hielt, das nicht selbst zu sagen. Ihnen aber die Unwahrheit zu sagen, hätte ihm widerstrebt. Denn er war unter allen Umständen wahrhaftig. Das zeigte sich auch in seinem Verhalten, wenn ihm Schriftstücke zur Unterzeichnung vorgelegt wurden. Er wollte in einer Ansprache nicht etwas sagen, woran er nicht glaubte. Zwei Beispiele führt Daruväry für diesen Wesenszug an. Bei der Eröffnung der Urania 30 wurde ihm eine Ansprache vorgelegt, in der das Gebäude der Urania schön genannt 30 a
"
Die Wiener Urania war am 6. 6. 1910 eröffnet worden. Ergänzung.
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wurde. Er war damit nicht einverstanden, und das Lob mußte fallen. Das andere Mal handelte es sich um einen Brief an den Papst in einer kirchenpolitischen Angelegenheit. Darin war von Kaiser Ferdinand, seinem Vorgänger, als von einem glorreichen Monarchen gesprochen. „Aber", so sagte er zu Daruväry, „mein Onkel war doch ein halber Trottel, das kann man doch nicht schreiben!" Deshalb wurde statt vom Kaiser Ferdinand von der damaligen Regierung gesprochen. Der Verkehr mit ihm war nicht bloß wegen seines rücksichtsvollen Wesens und wegen seiner Bescheidenheit angenehm, sondern auch, weil er eine heitere Natur war. Es war ihm angenehm, wenn ihm die Dinge in lebhafter Art, mit humoristischem Beigeschmack vorgebracht wurden. Er selbst schlug eben diesen Ton an. Nicht daß er witzig oder geistreich war, aber seine Ausdrucksweise hatte einen Hauch von Humor, von leisem Humor. Die Erzählung in meiner Charakteristik über ein anzukaufendes Bild („Muß er das kaufen?" 31 ) trifft ganz die Art, wie er das Gespräch führte. Er war, um es mit einem Worte zu sagen, ein heiterer Greis32. Ob er in der Führung eines politischen Gesprächs gewandt war? Er drückte sich gut aus, scheute aber das eindringende Besprechen der Schwierigkeiten. Sie dürfen auch nicht vergessen, sagte Daruväry, daß ich nicht befugt war, bei solchen Meinungsverschiedenheiten zu verweilen. Ich kann aber bestätigen, was Sie in Ihrem Aufsatze sagen, daß er für allgemeine Ideen, für Abstraktionen, keinen rechten Sinn hat. Er besprach die Dinge mehr aus der jeweiligen politischen Lage heraus. Wie sich die Parteien, wie sich deren Führer zu der Sache stellen würden. Hier war sein Urteil sicher, zumal da es auf einer umfassenden Personenkenntnis beruhte. Ich habe in den Jahren meines Dienstes beim Kaiser nie ein Buch auf seinem Schreibtisch gesehen, nicht gemerkt, daß [er] Bücher las oder sich auf theoretische Erörterungen einließ. Doch waren ihm die staatsrechtlichen Grundbegriffe begreiflich, er muß in seiner Jugend darin gut unterwiesen worden sein. So legte er zum Beispiel Wert auf die Grenzlinien zwischen den Gewalten, der ausübenden, gesetzgebenden, richterlichen. Immer war ihm der nächste, der praktische Zweck die Hauptsache. Das gilt auch für sein Eintreten zu Gunsten des allgemeinen Wahlrechts. Es war ihm vorwiegend ein Mittel, gewisse Parteien, gewisse politische Führer bei Seite zu schieben. Ich bin allerdings der Meinung, daß ihm das allgemeine Wahlrecht vorwiegend ein taktischer Behelf war. Es schien mir nicht, daß er dabei von höheren, allgemeinen Gesichtspunkten ausging. Auch über das Nationalitätenproblem habe ich ihn nur skeptisch sprechen gehört. So, als Tisza mit den Rumänen über die ihnen zu machenden Zu31 32
Vgl. Kaiser Franz Joseph I. Ein Charakterbild; in: Historische Aufsätze 496. Dies wurde von Friedjung im Anhang an den Aufsatz (ebda. 541) als von einem seiner Gewährsmänner stammend zitiert.
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geständnisse verhandelte33. Man wollte die rumänische Regierung dadurch gewinnen. Tisza war sogar bereit, den Rumänen nationale Gymnasien zuzugestehen. Der Kaiser hielt nicht viel davon, wußte er doch, daß es der rumänischen Regierung gar nicht darum zu tun war, die ungarischen Rumänen zufriedenzustellen. Damals machte der Kaiser zu Daruväry die Bemerkung, „die Nationalitäten sind nur zufrieden, wenn sie zufrieden sein sollen." Ebensowenig schöpfte der Kaiser aus der Religion Anregungen zu allgemeinen Grundsätzen, Antriebe zum Handeln. Ich habe nie bemerkt, daß ihn religiöse Empfindungen stärker beseelt, ihm eine Stütze im Leben gewesen wären. Wie gesagt, mir ist dies nie entgegengetreten. Der Kaiser hatte auch gar keine Abneigung gegen andere Religionen. Er verlangte auch den Männern seiner Umgebung durchaus nicht die Teilnahme an religiösen Übungen [ab]. Ich begleitete ihn einmal für längere Zeit nach Gödöllö und besuchte, da ich viel zu tun hatte, nie den Gottesdienst. Der Kaiser hat es entweder nicht bemerkt oder hat absichtlich darüber kein Wort verloren. Doch hielt er an den ehrerbietigen Formen im Verkehr mit den Bischöfen fest und war überhaupt bei den kirchenpolitischen Vorlagen auf alles aufmerksam. Militärische und kirchliche Dinge waren stets Gegenstände seiner Aufmerksamkeit. Die eigentliche Religion des Kaisers war sein Pflichtgefühl. Hierin stand er auf seltener Höhe. So wie er wahrhaftig war, so verlangte er auch von seinen Ministern vor allem Aufrichtigkeit. Das war nicht Wekerles Stärke, und deshalb war er dem Kaiser nicht sympathisch. Geistig steht Wekerle sehr hoch, er weiß alles in eine höhere, allgemeine Sphäre zu heben. Aber er verspricht jedem das Beste, ohne alles halten zu können. Nur muß man nicht glauben, daß er sich durch eine Zusage bindet und bei ihr leicht gefaßt werden kann. Er wickelte seine Zusage in so viele Wenn und Aber ein, daß man ihn eines Wortbruchs nicht überführen kann. Den Kaiser verletzte er zum Beispiel durch sein Verhalten beim Ankauf des Nachlasses Kossuth34. Mehr noch ließ der Kaiser das dem damaligen Unterrichtsminister Roland Eötvös entgelten, der für die Sache amtlich verantwortlich war. Eötvös erhielt bei seinem Scheiden aus dem Ministerium nicht die Geheimratswürde. An Tisza war dem Kaiser seine unumwundene Aufrichtigkeit besonders angenehm. Er allerdings war keiner Zweideutigkeit fähig. Doch hatte der Kaiser früher manches an ihm einzuwenden. So, weil er Khuen-Hederväry in dessen Regierung Schwierigkeiten machte, besonders der Ausdehnung des Wahlrechts entgegen wirkte. Aber als Tisza 1913 (?) Ministerpräsident 33
34
In den 1913 eingeleiteten Verhandlungen zwischen der ungarischen Regierung und der rumänischen Nationalpartei über eine Autonomie der siebenbürgischen Rumänen konnten bis zum Ausbruch des Krieges keine Erfolge erreicht werden. Vgl. Kaiser Franz Joseph I. Ein Charakterbild; in: Historische Aufsätze 529.
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wurde35, nahm er den Kaiser ganz für sich ein. Das Verhältnis zwischen ihnen war das zwischen einem Greise und einem jüngeren kräftigen Mann, bei dem der Greis eine Stütze findet. Als Tisza sein Duell mit Rakovszky hatte36, war der Kaiser sehr besorgt und sagte zu Daruväry: „Wenn Tisza etwas Ernstes widerfährt, sind wir verloren!" Da nun warf Baronin Popp die Frage ein, ob diese Schilderung nicht der früheren Ausführung Daruvärys widerspreche, der Kaiser habe zu keinem seiner Minister ein näheres Verhältnis gehabt. Nein, erwiderte Daruväry. So stand es zwischen Franz Joseph und Tisza, solange dieser Minister war. Hätte Tisza sich, aus welchen Gründen immer, zurückziehen müssen, so hätte der Kaiser ihn ruhig nach Geszt (dem Gute Tiszas) ziehen lassen, ohne viel davon berührt zu sein. Denn an Franz Joseph flöß alles ab, was ihm Widriges begegnete, auch der Tod seines einzigen Sohnes. Der Kaiser war so pflichttreu und hielt so an den Gesetzen und den Verträgen, daß ihm die Annexion Bosniens eigentlich unwillkommen war. Er folgte darin den Ratschlägen Aehrenthals. Aber er sagte in den Tagen, da er seine Unterschrift unter die Proklamation setzte, zu Daruväry: „Das ist nicht bloß eine Annexion, sondern eine Usurpation." Damals hielt er es noch für möglich, den Frieden aufrechtzuerhalten. Seit dem Balkankrieg 1912 aber bildete sich bei ihm die Überzeugung aus, es werde zu einem Waffengang kommen. Die Provokationen Serbiens waren eben unerträglich geworden. Diese Grundstimmung verschärfte sich durch die Ermordung des Thronfolgers. "Doch hat ihn der Entschluß, das Ultimatum nach Belgrad zu schicken, schlaflose Nächte gekostet." Auch jetzt handelte er aus der Situation heraus, wahrscheinlich ohne sich ein Bild der Zukunft zu machen. Darin stand er auf einer Stufe mit den meisten seiner damaligen Ratgeber. bIn Deutschland stand es nicht besser. Kaiser Wilhelm war der Ansicht, nicht bloß die Türkei, auch Schweden werde sich gegen Rußland auf die Seite der Mittelmächte stellen. Jagow hat an das Eingreifen Englands nicht geglaubt.b Auch sie haben die Konsequenzen aus dem Beginn des Krieges nicht gezogen. Sie waren eher der Ansicht, Rußland werde sich um der gemeinsamen monarchischen Interessen willen nicht auf die Seite Serbiens stellen. Am längsten hat noch Tisza dem Kriege widerstrebt. Aber auch er ließ sich bestimmen, den Schlag gegen Serbien zu führen. Da er seinen Widerspruch nicht aufrechthielt, nahm er die ganze Verantwortung mit auf sich. Sowohl vor seinem Lande wie vor der Geschichte. Schon das war eine dunkle Stelle 15
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b b
Graf Istvän Tisza hatte am 6. 6. 1913 die Ministerpräsidentschaft übernommen. Entgegen der Ansichten seiner Vorgänger Graf Kärolyi Khuen-Hederväry und Läszlo Lukäcs wandte er sich auch gegen eine moderate Ausweitung des Wahlrechts in Ungarn. Ministerpräsident Graf Istvän Tisza hatte kurz vor Ausbruch des Weltkrieges ein Duell mit Istvän Rakovszky, dem Führer der katholischen Volkspartei. Ergänzung. Ergänzung.
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Franz Schießl-Perstorff
im Charakterbild des vortrefflichen Mannes. Noch schlimmer steht es mit seinem Verhalten am Ende des Krieges. Er war der erste, der ihn verloren gab. Auch sprach er [sich] gleichzeitig für die Loslösung von Österreich und Deutschland aus. Das war ein Bruch in seinem Wesen. Während des Krieges enthielt sich der Kaiser vollständig des Eingreifens in die militärischen Angelegenheiten. Soviel Daruväry weiß, wurden ihm nicht einmal die Pläne zu den großen Entwürfen unterbreitet. Er handelte dabei nach dem Grundsatz, daß er die Führung des Krieges dem Hauptquartier übertragen habe; dieses trug die Verantwortung, sollte also alles selbst anordnen. So erklärt es sich, daß er noch den abgeschlossenen Ereignissen gegenüber eine kritische Haltung einnehmen konnte. "Kaiser Franz Joseph scheint nicht einmal in die Absicht eingeweiht gewesen zu sein, durch Belgien nach Frankreich zu marschieren. Hier irrt Daruväry sicher (Friedjung). Daruväry schließt es daraus, daß Franz Joseph ihm nach der Kriegserklärung Englands sagte: Das sei die natürliche Folge des Einmarsches in Belgien." Der Kaiser war so schüchtern, daß es ihn eine große Überwindung kostete, eine öffentliche Ansprache, die er doch ablas, zu halten. Vor einer Thronrede hatte er gewiß schlaflose Nächte. Er hatte bloß ein Interesse, das für die Staatsangelegenheiten und für das allgemeine Wohl. Sonst traten geistige Dinge nicht in seinen Horizont ein. Nur für die bildenden Künste, besonders die Malerei, hatte er Sinn und einen ausgesprochenen Geschmack. Er besuchte die Sezession, war auch hier höflich in seinem Urteil, aber er lehnte die moderne Richtung in der Malerei ab.
Freiherr Franz von Schießl-Persfor/jfj Kabinettsdirektor des Kaisers i. R
15. Mai 1919 К 2, U l , 171 r - 1 7 2 ν
Schießl wurde im Jänner 1899 zum Kabinettsdirektor ernannt und trat sein Amt im Jänner 1900 an; er bekleidete es bis zum Tode des Kaisers. Franz Joseph stand früh auf und erledigte die ihm am Tage vorher unterbreiteten Aktenstücke. In den Frühstunden wurden ihm von der Militärkanzlei die Zeitungen, die wichtigsten Stellen angestrichen, gebracht, die er durchsah. Dann erschien Montenuovo, um 11 Uhr begannen die Vorträge der Minister, die oft bis 2 Uhr dauerten. Dazwischen wurde ihm auf einer Gasplatte sein Frühstück gebracht, das er in seinem Arbeitszimmer verzehrte. Nach Tische las er das Fremdenblatt. Er hielt keine Nachmittagsruhe, höchstens daß er ein wenig über dem Zeitungsblatt einnickte. NachmitErgänzung.
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tags kamen dann aus dem Ministerium des Äußern und von den zwei Ministerpräsidien die Zeitungsberichte. Die Empfänge und Arbeiten dauerten bis 6 Uhr, wo [sie!] das Abendessen aufgetragen wurde. Er speiste immer allein, nur wenn seine Töchter in Wien waren, aber bei [Marie] Valerie war das nicht regelmäßig der Fall, speisten sie mit ihm. Um Vi9 Uhr legte er sich zu Bett. Bücher las er, wie Schießl bestimmt sagte, nie. Schießl hielt die allgemeinen Audienzen, bei denen er mit jedem der zahlreich Erschienenen bloß eine oder einige Minuten sprach, für überflüssig, dem Kaiser Zeit wegnehmend, wertlos. Am besten wäre gewesen, er hätte abwechselnd Leute bei sich zu Tische gesehen. Dann hätte er mehr Fühlung mit der Welt gehabt. Der Kaiser war 1903 nicht krank, vielleicht müde, was Schießl nicht bestätigen kann. Im Jahr 1907 hatte er eine Lungenentzündung. Er hustete bereits, was ihn nicht hinderte, den Großfürsten Wladimir zur Bahn zu begleiten. Da wurde er ernst krank. Aber nicht so, daß er nicht täglich das Notwendigste unterschrieb. Das geschah immer. Da er aber sowenig wie möglich sprechen sollte, war Schießl mit der Aufgabe betraut, ihm einen kurzen Auszug aus allen Vorträgen vorzutragen. Das tat er so kurz wie möglich und ersparte dem Kaiser die immer in reicher Form stattfindenden Vorträge der Minister. Aber der Kaiser hustete dabei mitunter so stark, daß Schießl seinen Vortrag unterbrechen mußte. Kerzl wurde einmal schon recht ängstlich. Gerade zu dieser Zeit kam zwischen Beck und Wekerle 1907 der Ausgleich zustande, die beiden Ministerpräsidenten brachten Schießl die Akten, der sie des Nachts durchstudierte, das Wichtigste hervorhob und vormittags zum Kaiser ging, um zu berichten. Aber obwohl der Kaiser sehr leidend war, griff er sofort mit der Hand neben [sie!] den Tisch seines Lagers und sagte: Wo sind die Akten? Er hätte am liebsten gleich mit der Unterschrift begonnen. So gewissenhaft war er. Die Minister besprachen mit ihm die auszuarbeitenden wichtigen Gesetzesentwürfe. Die schriftlichen Vorträge, die dann erstattet wurden, waren dann recht trocken. Er las sie durch, hatte aber gewöhnlich nicht viel zu ändern und zu bemerken. Trotzdem las er die Gesetzentwürfe selbst durch. Zur Zeit des Balkankriegs war der Kaiser entschieden gegen jedes Eingreifen Österreichs, das zu schweren Konflikten führen konnte, und sagte zu Schießl: Ein Krieg wäre der Untergang der Monarchie. Die Kunde der Ermordung des Thronfolgers kam nach Ischl sehr bald nach der Ankunft des Kaisers nach Ischl. Es war Graf Paar, dem die Aufgabe zufiel, dem Kaiser die Mitteilung zu machen. Paar erzählte Schießl, der Kaiser wäre tief erschüttert worden. Das war kurz vor dem Mittagsfrühstück. Einige Stunden später wurde Schießl vorgelassen. Er fand den Kaiser vollkommen ruhig. Er bemerkte zu Schießl, nun werde Erzherzog Karl mehr herangezogen [werden] müssen. Er fügte hinzu, es sei ein Glück, daß er eine gute Begabung besitze.
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Franz Schießl-Perstorff
In diesem Gespräche war mit keinem Wort die Rede davon, daß aus dem Ereignisse ein Krieg hervorwachsen werde. Nur verfügte der Kaiser, daß infolge des Ereignisses sofort die Rückkehr nach Wien stattfand. Wie er sich zur Zeit des Ultimatums verhalten habe? Schießl war über den Gang der Verhandlungen nicht eingeweiht. Er glaubt aber, damals sei der Kaiser „gedrängt worden". Erzherzog Franz Ferdinand stand zum Kaiser nicht gut. Am meisten verdroß es den Kaiser, daß er durch seine Leute, Adjutanten, oder sonst in den Ämtern seine Wünsche aussprechen ließ und auf den Gang der Geschäfte Einfluß übte. Ärgerlich bemerkte der Kaiser dann: „Er hat schon wieder hineingearbeitet." Auch wußte der Kaiser, daß die Minister und sonstige hohe Würdenträger in den letzten Jahren alles zuvor mit ihm besprachen, auch bei den ernsten Personalveränderungen zuerst seine Meinung einholten. Jeder wollte sich seine Zukunft durch den Verkehr mit Franz Ferdinand sichern. Schießl bezweifelt, daß er die Energie, mit der er auftrat, auch durch die Tat bewiesen hätte. Man sagte damals: Franz Ferdinand werde, Kaiser geworden, den Ungarn in einem Tage mehr bewilligen, als Franz Joseph in 20 Jahren. Es scheint, daß Schießl dieselbe Ansicht über Franz Ferdinand hegt. Im Jahre 1911 wurde der Kaiser von einer hartnäckigen Heiserkeit befallen. Aber krank war er nicht. Das sei ein Irrtum in meinem Aufsatze. Die Stelle in meiner Charakteristik, die über die Armee, besonders über den Generalstab handelt, billigt Schießl durchaus37. Nur fügt er, was die Auswahl der Generäle bezieht, hinzu, daß in den letzten Jahren der Regierung der große Übelstand herrschte, daß die zuständigen Persönlichkeiten, also Paar und Bolfras, zu alt waren, um die neue Generation zu kennen. Einer von ihnen sagte selbst zu Schießl: Manche dieser Generäle, um deren Ernennung es sich handelt, war Leutnant, als er bereits als Oberst diente. Wie sollte er die neue Generation beurteilen. Der Kaiser wollte sich aber nicht von seiner Umgebung trennen. Daher die Fehlgriffe in der Auswahl der Personen. Ja, es ist wahr, daß der Kaiser für die Staatsdiener, die aus dem Amte getreten waren oder im Amte starben, keine weitere Teilnahme hegte. Sie existierten nicht mehr für ihn. Wenn einer erkrankte und man ihm vorschlug, er solle sich um ihr [sie!] Befinden erkundigen, war er einverstanden, aber dann war er mit ihnen fertig. Manchmal sagte er, wenn ihm mitgeteilt wurde, der und jener sei schwer erkrankt, gleichmütig: Er wird sterben. Diese geringe Teilnahme an den Menschen steht fest, aber damit steht nicht in Widerspruch, daß er, wenn er konnte, Gutes tat und Wohltaten erwies. Rezek erzählte Schießl: Rezek legte dem Kaiser einmal dar, es würde sich empfehlen, die Prager Statthalterei zu teilen und [für] die Spitze der zwei 37
Vgl. Kaiser Franz Joseph I. Ein Charakterbild; in: Historische Aufsätze 531-534.
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August 1919
Sektionen je einen Sektionschef zu ernennen, über das Ganze sollte ein Erzherzog gestellt werden. Da fragte ihn der Kaiser: Haben Sie denn für die zwei Sektionen eine geeignete Persönlichkeit zum Leiter? Als Rezek dies wohlgemut bejahte, sagte der Kaiser trocken: „Das ist ganz vortrefflich, ich habe für das oberste Amt keinen Erzherzog." Schießl fügt hinzu, das sei eine umso richtigere Entscheidung gewesen, als der betreffende Erzherzog doch im Landtag hätte erscheinen müssen, um die Amtsführung zu vertreten. Und wie wäre dies möglich gewesen? Es ist richtig, daß der Kaiser zwar im letzten Jahrzehnt über die politische Lage resigniert dachte, aber man [kann] nicht sagen, daß seine Stimmung darunter litt. Wenn man ihn einen heiteren Greis nannte (wie das Daruväry zu Friedjung bemerkt hatte38), so sei er das in der Tat gewesen. Er, Schießl, habe den Kaiser nie moros gefunden.
Graf Karl Lanckoronski-iirzezie, Kunstsammler und Mäzen
August 1919 К 2, U 6, 870 г - 8 7 1 ν
Lanckoronski stimmte mit meiner Auffassung Franz Josephs überein39. Er erhebt gegen nichts von mir Gesagtem eine Einwendung, gibt aber einige ergänzende Züge. Religion: Der Kaiser hatte bei seiner Trockenheit und Phantasielosigkeit eine Abneigung gegen jede Art von religiösem Uberschwang, ein so guter Katholik er selbst war. Religiöse Enthusiasten waren ihm nicht sympathisch. Bildung und Lektüre: Lanckoronski hat nie gehört, daß er ein Buch gelesen habe. Er hatte auch keine Zeit dazu. Denn er war unaufhörlich mit seinen Akten beschäftigt. Es war ihm, wahrscheinlich weil er selbst nicht belesen war, unangenehm, wenn jemand viel von geistigen, besonders literarischen Dingen sprach. Deshalb hat sich Lanckoronski wohl gehütet, ihn mit Dingen höherer Ordnung zu belästigen. Er wußte, dies wäre dem Kaiser unbehaglich. Er begnügte sich damit, ihm „Spassetteln" zu erzählen und das Gespräch auf einem niedrigen Niveau zu halten. Vielleicht deshalb blieb ihm der Kaiser immer gewogen und besuchte ihn auch auf seinem Gute in Galizien. „Ich habe mich wohl gehütet, sagt Lanckoronski, mit dem Kaiser ein Gespräch zu führen, wie etwa mit Ihnen!" Lanckoronski findet, [daß] der wahre Grund, weshalb Fürst Franz Liechtenstein dem Kaiser unsympathisch war, darin lag, daß der Fürst, ein geistreicher und ungemein belesener Mann, ihn von [sie!] Angelegenheiten einer dem Kaiser zu hohen geistigen 38 39
Vgl. S. 447. Vgl. Kaiser Franz Joseph I. Ein Charakterbild; in: Historische Aufsätze 493-541.
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Graf Karl Lanckoronski-Brzezie
Sphäre unterhalten wollte. Das drückte den Kaiser, und er zeigte seine Abneigung, daß er ihm nicht das goldene Vließ verlieh, das Liechtenstein als ehemaliger Botschafter und Sprosse seines alten Hauses erwarten durfte. Auch gefiel dem Kaiser nicht, daß Franz Liechtenstein Liebesverhältnisse unterhielt, von denen die Welt viel sprach. Dieselbe oder eigentlich noch größere Abneigung hegte Franz Joseph gegen den Grafen Hans Wilczek. Auch er erhielt das goldene Vließ von ihm nicht, es wurde den beiden Herren erst von Kaiser Karl verliehen. Er mochte Wilczek nicht aus bestimmten, zum Teil berechtigten Gründen. Ihm schob es der Kaiser zur Last, daß der Kronprinz Rudolf zu irreligiösen Ideen gelangte, daß er mit den „freimaurerischen" Kreisen in Verbindung trat. Wilczek soll ihn der Kirche entfremdet haben. Ob Wilczek dem Kronprinzen wirklich, wie man erzählt, in dessen Liebschaften Vorschub leistete, darüber weiß Lanckoronski nichts, darüber kann und will er sich nicht äußern. Wilczek aber war Zeit seines Lebens ein großer Frauenjäger. Was den Kaiser besonders abstieß, war das vieljährige Liebesverhältnis Wilczeks mit der Gräfin Larisch-Wallersee, der Nichte des Kaisers. Ihr opferte Wilczek Millionen. Lauter Dinge, die der Kaiser verabscheute. Nicht bloß, daß Kaiserin Elisabeth sich auf die Dauer in der Gesellschaft des Kaisers langweilte, wie Lanckoronski auf meine Frage bestätigte, auch der Kaiser langweilte sich bei der Kaiserin, so sehr er sie liebte, deshalb, weil er den Flügen ihrer Gedanken nicht folgen konnte. Sie beschäftigte sich mit Dingen, die ihm ganz ferne lagen. „Sie war eine Elfe, der aber der Kaisersitz zu hart war", ist eine Wendung, die Lanckoronski öfters auf die Kaiserin anwendete. Viel wohler fühlte er sich [bei] Frau Katharina Schratt, deren Natürlichkeit, Heiterkeit, deren Gewöhnlichkeit ihm mehr zusagte. Sie ist eine offenherzige, wahrheitsliebende Natur, und Lanckoronski rät mir dringend, mit ihr über den Kaiser zu sprechen. Auch Lanckoronski findet, daß der Kaiser eine kühle Natur war, er erklärt es für unerhört, daß er nichts seinen im Felde befindlichen Soldaten hinterließ40. Noch mehr: Lanckoronski findet, daß er Freundschaft nicht kannte, aber in seinem Hasse unversöhnlich war. Wilczek ist ein Beispiel dafür. Den Adel mochte der Kaiser nicht, da er doch ein ihn beengender starker Faktor war. Die Kaiserin hat nicht gut darin gewirkt, daß sie für die Ungarn stets das Wort sprach und mit die Ursache der Schwäche gegen Ungarn war, die unheilvolle Folgen hatte. Nach Lanckoronskis persönlicher Ansicht, die er aber nicht etwa durch Erlebnisse und Mitteilungen Unterrichteter bekräftigen kann, war das Verhältnis des Kaisers zu seinen Vorfahren etwa 40
Friedjung kritisiert gleichfalls, daß Franz Joseph in seinem Testament keine Verfügung zugunsten der Soldaten und ihrer Hinterbliebenen traf; vgl. Kaiser Franz Joseph I. Ein Charakterbild; in: Historische Aufsätze 511.
August 1919
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derartig, daß er in Kaiser Franz sein Vorbild sah, dagegen einen abschreckenden Eindruck von den Folgen der Regierung Kaiser Josefs hatte. Er wollte die Fehler vermeiden, die dieser Herrscher begangen hatte, der ihm lange als Musterbild vorgeführt worden war. Ehrlichen Haß hegt Lanckoronski gegen den Fürsten Montenuovo. Dieser sei beschränkt und habe schädlich gewirkt. Es sei bezeichnend, daß gerade Montenuovo beim Kaiser hoch in der Gunst war. Und doch hätte der Kaiser bedenken sollen, daß Montenuovo als Enkel der Marie Louise schlechtes Blut in den Adern hatte. Und von Marie Louise hatte der Kaiser eine schlechte Meinung. Einmal erhielt die Gräfin Festetics ein Bild Marie Louisens. Bei einem der Besuche des Kaisers bei der Gräfin verehrte sie ihm das Bild; es sei beim Kaiser besser aufgehoben als bei ihr. Der Kaiser dankte ihr, bemerkte aber: Marie Louise war aber doch ein schreckliches Frauenzimmer.
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Wenzel Lustkandl
NICHT DATIERBARE AUFZEICHNUNGEN
Wenzel Lustkandl, Professor für Staatsrecht, Verwaltungslehre und Verwaltungsrecht an der Universität Wien К 2, U 3, 438 г - ν; Sekretär 1 Lustkandl studierte in Prag und kam auf Empfehlung Brauns, des späteren Chefs der Kabinettskanzlei, als Korrepetitor zu Graf Rechberg, dessen Sohn er für die Staatsprüfungen vorzubereiten hatte. Braun war unter anderem dadurch auf ihn aufmerksam geworden, daß er sämtliche Staatsprüfungen mit Auszeichnung gemacht hatte. Er lebte zwischen 1857 und 1859 beim Grafen Rechberg in Frankfurt und hatte im Bundespalais seine Wohnung. Dann kehrte er nach Wien zurück und wurde Präfekt am Theresianum. Seine Arbeiten über das ungarische Staatsrecht begann er erst zur Zeit des Oktoberdiploms, um sich über die Ansprüche der Ungarn zu orientieren. Als er sein Buch über das österreichisch-ungarische Staatsrecht beendigt hatte 1 , überreichte er es Schmerling, der in seiner stolzen Art das Buch kühl in Empfang nahm und es offenbar nie gelesen hat. Darauf aber schrieb Deäk gegen Lustkandl, was höchstes Aufsehen erregte, da dieses Buch Deäks das einzige war, das er je schrieb2. Eines Tages ließ sich Schmerling zum Besuch im Theresianum ansagen. Er passierte die Reihen der Schüler, die mit ihren Lehrern und Präfekten aufgestellt waren, und ging unmittelbar auf Lustkandl zu: „Sie haben durch ihre Arbeiten sich große Verdienste erworben. Sie haben einen Schuß ins Schwarze getan." Dabei machte er die großartige Pose, die er gewöhnlich hatte. Lustkandl wie alle Umstehenden waren höchst überrascht, und Lustkandl entfuhr das Wort: „Aber die bei der Scheibe gestanden sind, haben es nicht bemerkt!" Schmerling war über diese Antwort verdutzt, sah aber sofort, daß Lustkandl selbst über seine schnoddrige Bemerkung erschrocken war und sagte deshalb: „Dennoch war es ein Schuß ins Schwarze." Das war die einzige Anerkennung, die Lustkandl für die Vertretung des Schmerling'sehen Systems erhielt. Als nach 1866 der Ausgleich mit Ungarn notwendig wurde, beschied Braun Lustkandl zu sich (Braun war seit 1860 Chef der Kabinettskanzlei), um sein Gutachten zu hören. Darauf schrieb Lustkandl eine Reihe von Briefen an Braun, in denen er auseinandersetzte, was an den 1848er Gesetzen geändert werden müsse, damit das Reich bestehen könne. Das erste, was er 1
2
Wenzel Lustkandl, Das ungarisch-österreichische Staatsrecht. Zur Lösung der Verfassungsfrage historisch dogmatisch dargestellt (Wien 1863). Ferenc Deäk, Ein Beitrag zum ungarischen Staatsrecht. Bemerkungen über Wenzel Lustkandl's .Ungarisch-österreichisches Staatsrecht' vom Standpunkt des ungarischen Staatsrechtes (Pest 1865).
nicht datierbare
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in seinen Briefen behandelte, war die Bekämpfung des Rechtes des Palatins, das Ministerium zu ernennen, welches der König bloß zu bestätigen das Recht haben solle. Diese Briefe Lustkandis wurden, wie er weiß, dem Kaiser selbst vorgelegt. Der Kaiser äußerte damals, Lustkandl solle sich nur gedulden, bis der Ausgleich abgeschlossen sei, man werde ihn nicht fallen lassen. Als der Ausgleich abgeschlossen war, wurde er auch wirklich zum außerordentlichen Professor ernannt3.
Wilhelm du Nord,
Militärschriftsteller К 2, U 6, 841 r-v
Du Nord war 1849 als Knabe von 13 Jahren in Szegedin und hatte hier Gelegenheit, Perczel zu sehen, auch hörte er Benedek, der verwundet lag, bei dem Wechsel des Verbandes schreien. Als er nach Italien kam, war er durch das Fieber, das er in der Theißgegend gehabt hatte, stark heruntergebracht und war ganz zurückgeblieben und klein, als er mit 18 Jahren Offizier wurde. Nach einer früheren Erzählung kam er zuerst als Kadett nach Mantua. Hier sah er auch [die] Hinrichtung des italienischen Emissärs, der österreichischer Offizier gewesen war4. Als blutjunger Leutnant wurde er mit einem ebenso jungen Kollegen zum Marschallsball in Verona geladen. Also 1854 oder 1855. Radetzky war uralt, watschelte heran, der Oberst stellte ihm „die beiden jüngsten Offiziere" seines Regiments vor, worauf Radetzky: „Oh, die lieben Buberln!" Er führte sie sofort zum Buffet und füllte ihre Taschen mit Bonbons. Auch Benedek wurde du Nord damals vorgestellt. Ich fragte du Nord, welches Urteil die Offiziere der italienischen Armee über Benedek hatten. Er entgegnete mir offenherzig, daß sie zu unreif [waren], um sich eines zu bilden. Er genoß zumal wegen seiner Tat von Mortara das höchste Ansehen5, man wäre ihm immer und überallhin gefolgt. Die Ausbildung der Truppen war höchst schematisch, nur auf Form wurde etwas gegeben, zum Beispiel als er einmal als Leutnant seinen Zug vorführte, wurde die Mannschaft in eine Rotte aufgelöst, um zu teraillieren. Alles war in Ordnung. Doch tadelte der Hauptmann oder sonst ein Vorgesetzter, daß, als sie sich lösten, die Soldaten nicht dem Reglement entsprechend sich um den linken Absatz herumgedreht hatten. 3
4
5
Wenzel Lustkandl wurde 1868 außerordentlicher Professor für Strafrecht an der Universität Wien. Erst 1894 erhielt er eine ordentliche Professur. Wahrscheinlich die Hinrichtung Piero Calvis in Mantua am 4. 7. 1855. Er war bis 1848 österreichischer Offizier, nahm seinen Abschied und kämpfte gegen Osterreich. Bei seiner Festnahme fand man auch Briefe Lajos Kossuths an die ungarischen Truppen in Italien, in denen er sie zur Meuterei aufforderte. Vgl. Österreich von 1848 bis 1860. Bd. 2/1, 224. Am 21. 3. 1849 besetzten österreichische Truppen unter General Ludwig von Benedek das italienische Mortara; vgl. Benedeks Nachgelassene Papiere 129-134.
Alexander Spitzmüller
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Alexander
Spitzmüller К 2, U 5, 636 г
Merkwürdiger Fall seiner Genauigkeit. Es handelte sich um ein Pensionsgesetz für Münzarbeiter. Der Kaiser entdeckte einen Widerspruch. Spitzmüller glaubte, er sei von [der] Kabinettskanzlei aufmerksam gemacht worden. Aber der Beamte der Kanzlei versicherte ihm, daß dies nicht der Fall war. Kaizl wollte den Kaiser auf einen bestimmten Gegenstand bringen, aber der Kaiser ging nicht auf das Gespräch darüber ein. Er sagte dann zu Spitzmüller: Ich möchte denjenigen kennenlernen, der den Kaiser veranlaßt, einen Gegenstand besprechen zu lassen, den er nicht besprochen haben wünscht.
Eduard Sturm, Rechtsanwalt
in Wien К 2, U 2, 325r - 326 ν; Sekretär 1
Sturm erzählte mir, wie der Artikel 19 der Staatsgrundgesetze zustandegekommen sei. Er war Referent, und auf seinen Antrag nahm das Subkomitee des Verfassungsausschusses einen Passus an, der aus der oktroyierten Charte vom 4. März 1849 entnommen war. Die der Charte zugefügten Grundrechte nahm der Verfassungsausschuß deswegen als Grundlagen seiner Arbeit, weil diese Verfassung ja die Zustimmung des regierenden Kaisers gefunden hatte. Das Subkomitee wollte also nur den Satz haben: „Alle Volksstämme des Staates sind gleichberechtigt und jeder Volksstamm hat ein unverletzliches Recht auf Wahrung und Pflege seiner Nationalität und Sprache." Dieser Passus deckt sich auch im allgemeinen mit der betreffenden Stelle in den Grundrechten des Frankfurter Parlaments. Im Verfassungsausschuß selbst aber war Rechbauer dafür, das Recht der anderen Volksstämme noch ausdrücklicher anzuerkennen, und er stimmte hierbei dem Antrage der dem Ausschuß angehörenden Polen und Slowenen zu. Erst dadurch kam der zweite Passus des Artikels 19 in das Gesetz, der ursprünglich lautete: „Die Gleichberechtigung aller landesüblichen Sprachen in Schule, Amt und öffentlichem Leben wird vom Staate anerkannt." Hier hatte bekanntlich das Abgeordnetenhaus statt „anerkannt" das Wort „gewährleistet" gesetzt, und erst im Herrenhause wurde das Wort „anerkannt" eingesetzt. Der dritte Passus des Artikels 19, welcher den Zwang zur Erlernung einer zweiten Landessprache ausschließt, wurde auf Antrag Kliers aufgenommen, der damit dem deutschböhmischen Standpunkt Ausdruck gab. Sturm weist nun darauf hin, daß die ersten zwei Absätze ungefähr ebenso in den Frankfurter Grundrechten enthalten sind. In diesem Gesetzentwurfe war selbstverständlich der Gedanke der, daß in Deutschland das Deutsche „Staatssprache" sei, und daß die gewährleistete Gleichberechtigung nur den Polen, Dänen, Tschechen, Italienern etc. gelte.
nicht datierbare
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Daraus folgert Sturm, daß auch die Gesetzgeber im Jahre 1867 gar nicht daran dachten, die deutsche Sprache bloß als eine Landessprache oder als landesübliche Sprache hinzustellen. Die beiden ersten Absätze beziehen sich gewiß nur auf die Rechte der kleinen Nationalitäten. Daraus hatte Sturm, wie bekannt, in seinem Minoritätsberichte zur Sprachenfrage im Jahre 1848 [sie!] den Schluß gezogen, daß die Verfassung von 1867 dem Deutschen stillschweigend den Charakter der Staatssprache beigelegt habe6. Tatsächlich war dieser Grundsatz in der Rede Grocholskis anerkannt; er hatte aber hinzugefügt, daß die Slawen nicht zugeben könnten, daß man den Usus auch gesetzlich festlege. Darauf hatte Tomaszczuk damals den treffenden Witz gemacht, daß sie das Zugeständnis Grocholskis an die Aufschrift über den Toren mancher Häuser erinnere: „Bis auf Widerruf gestatteter Durchgang." Als das Ministerium Auersperg 1878 zurücktrat, berief der Kaiser Herbst, um sein Gutachten zu hören in Bezug auf die Einsetzung eines Ministeriums de Pretis7. Herbst erzählte später seinen Parteigenossen zu wiederholten Malen, er habe dem Kaiser gesagt, daß er einverstanden sei, wenn de Pretis an die Spitze eines Geschäftsministeriums gestellt würde, etwa bis zur definitiven Ordnung der bosnischen Angelegenheit. De Pretis erhielt vom Kaiser hierauf den Auftrag, die Führer der Verfassungspartei zu einer Besprechung einzuladen. Die Besprechung fand in einem Saale des Finanzministeriums statt. In dieser Versammlung sprach Herbst nicht. Der erste Redner war Hasner. Er sprach sich nicht günstig über das Programm aus, welches de Pretis entwickelt hatte, weil es den Beschwerden der Verfassungspartei gegen das Ministerium Auersperg nicht Rechnung trage. Später ergriff Sturm das Wort, der seiner bekannten, oppositionellen Ansicht Ausdruck gab. Herbst beteiligte sich nicht an der Besprechung, sondern entfernte sich früher. Er hat später stets den Vorwurf zurückgewiesen, daß er den Kaiser und de Pretis etwa im Stiche gelassen habe, denn er habe seine Zustimmung nicht zur Bildungeines definitiven, sondern nur eines Geschäftsministeriums gegeben. Sturm war der Referent über das die Notzivilehe betreffende Gesetz8. Es 6
7
8
Der Antrag auf Feststellung des Deutschen als Staatssprache wurde am 29. 1. 1884 abgelehnt. Eduard Sturm hatte in den sich über Jahre hinziehenden Verhandlungen im Sprachenausschuß sowie schließlich im Plenum des Abgeordnetenhauses die Minorität der Deutschen gefuhrt. Er wies dabei immer auf die Analogien in den Grundrechten von 1848 und 1867 hin. Kasimir von Grocholski als Ausschußvorsitzender hatte in der Debatte erklärt, eine gesetzliche Festlegung einer Staatssprache sei nicht notwendig. Die Verfassungspartei unter ihrem Führer Eduard Herbst hatte im Sommer 1879 dem Kaiser den bisherigen Finanzminister Freiherr Sisinio de Pretis zum Ministerpräsidenten vorgeschlagen, der darauf mit der Kabinettsbildung betraut wurde. Er scheiterte jedoch, da ihm von Herbst und großen Teilen der Verfassungspartei die Unterstützung wegen seiner Verteidigung des Berliner Vertrages entzogen wurde. Die Beratung fand im Abgeordnetenhaus vom 21.-23. 10. 1867 statt. Das Gesetz besagte, daß in bestimmten Fällen (Weigerung eines Seelsorgers, die Trauung vorzunehmen) für Katholiken die Möglichkeit der zivilen Eheschließung bestand.
Hugo Thimig
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ist interessant, daß Mühlfeld es war, der ihm das württembergische Ehegesetz zur Verfügung stellte, welches als Vorlage für das österreichische Notzivilehegesetz benutzt wurde. Als Sturm aber seinen Entwurf vorbrachte, erhob Mühlfeld die schärfste Opposition, weil er bekanntlich eine grundsätzliche Lösung der Ehefrage wünschte. Hierbei eine Reminiszenz Dr. Josef Kopps: Mühlfeld war bekanntlich für die Trennung der Kirche vom Staate. Er wollte der Kirche die größte Freiheit einräumen. Bei einer Beratung machte man ihn aufmerksam, daß aus einem Paragraphen seiner Vorlage folge, daß der Abt eines Klosters das Recht besitze, einen Mönch lebendig einmauern zu lassen. Darauf antwortete Mühlfeld: „Es ist wahr, das wäre ein Unsinn; aber dieser Unsinn ist die notwendige Konsequenz aus dem richtigen Prinzipe, das ich vertrete, und deshalb muß man sie hinnehmen." Herbst, so erzählt Sturm, wollte, wenn er in das Bürgerministerium eintrete, die Finanzen übernehmen. Indessen hatte der Kaiser den Wunsch ausgesprochen, daß Brestel Finanzminister werden solle, und erst darauf ließ sich Herbst nach vielem Sträuben bestimmen, Justizminister zu werden. Während dieser Versammlungen, die mehrere Tage dauerten, erschien plötzlich Brestel im Abgeordnetenhause zum Erstaunen aller im Frack. Alles glaubte, das sei ein Zeichen, daß er bereits zum Minister ernannt sei, und man gratulierte ihm; er aber lehnte die Glückwünsche ab und sagte: „Was fallt euch ein! Mein Rock war zerrissen, und ich mußte ihn zum Flicken geben. So mußte ich meinen Frack anziehen."
Hugo Thimig,
Burgtheaterdirektora К 2, U 1, 55 r-v
Thimig erzählte: Nach Eröffnung des Burgtheaters9, als dessen verfehlter Bau auf alle drückte, wurde Thimig eingeladen, um 7 Uhr früh bei Frau Schratt zu erscheinen, um hier vom Kaiser empfangen zu werden. Er wußte aber nicht weshalb. Da nun wurde er gefragt, wie es eigentlich mit dem Burgtheater stünde. Thimig sagte nun aufrichtig Bescheid. Dazwischen warf die Schratt ein: Die Höhe des Zuschauerraumes rühre auch daher, daß der Architekt den Wünschen des Kaisers willfahren und die zwei Kaiserlogen durch einen Gang verbunden habe. Da fuhr der Kaiser lebhaft, selbst heftig auf und rief: Nie habe er einen solchen Wunsch ausgesprochen, es [sei] Byzantinismus Hasenauers gewesen, daß er diesen Gang angelegt habe, nie werde er, der Kaiser, den Gang betreten. 9
a
Das neue Burgtheater wurde am 14. 10.1888 eröffnet. Der Zuschauerraum wurde wegen der schlechten Akustik 1897 umgebaut. Randbemerkung: Verhältnis zu Kunst und Literatur.
nicht datierbare
Aufzeichnungen
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Frau Schratt stand im besten Verhältnis zur Kaiserin, sie hatte gegen die Kaiserin eigentlich nicht die gebührende Rücksicht. Das war zu sehen, als das Burgtheater in München ein Gastspiel absolvierte. Die Schratt brach das Gastspiel etwas früher ab; als sie auf den Bahnhof kam, erschienen alle Schauspieler, um sich von ihr zu verabschieden. Auch die Kaiserin war anwesend, da die Schratt denselben Zug zur Fahrt nach Wien zu benutzen hatte wie die Kaiserin selbst. Diese war schon anwesend, als die Abfahrtszeit gekommen war; die Schratt aber war noch nicht erschienen, sondern kam um ein gutes Stück nach der Abfahrtszeit. Als nun die Schratt in die Bahnhofshalle hereineilte, ging sie sofort auf die Schauspieler zu, um sich von ihnen zu verabschieden. Man machte sie aufmerksam, daß sie doch die Kaiserin begrüßen sollte, was sie aber nicht tat. Sie verabschiedete sich zuerst von den Kollegen, dann erst ging sie auf die Kaiserin zu, die in der Halle auf- und abging. Sie machte sich gar nichts daraus, daß sie den Zug und die Kaiserin hatte warten lassen. Dann erst ging sie auf die Kaiserin zu, jede der Damen stieg in ihren Wagen ein, der Zug setzte sich in Bewegung. So hatte die Kaiserin auf sie gewartet. Den unmittelbaren Anlaß des Austrittes der Frau Schratt aus dem Burgtheater10 gab ein französisches Stück, das sie in Paris gekauft hatte, um es übersetzen und im Burgtheater aufführen zu lassen. Das Stück war eine grobe Ware und eignete sich nicht fürs Burgtheater. Schienther fand das, und Thimig bestätigte es, als Schienther ihn zu Rate zog. Da rief Frau Schratt aus: „Das werden wir doch sehen! Ich soll mein gutes Geld umsonst daran gewendet haben?" und wandte sich an den Kaiser. Dieser hörte auch den Obersthofmeister Fürsten Montenuovo, und dieser berichtete im Sinne Schienthers. Thimig bestätigte, daß Frau Schratt den Betrieb des Theaters durch ihr Zuspätkommen, durch Nichterscheinen bei den Proben gestört hatte. Ganz wie Schienther es mir erzählt hatte11. Ich, Friedjung, sagte seinerzeit zu Schienther: Merkwürdig, der Kaiser konnte es bei Frau Schratt nicht erreichen, daß sie Disziplin hielt. Da ist es kein Wunder, daß er auch Osterreich nicht in Ordnung halten konnte. Zum Organisieren hatte er offenbar kein Talent. Thimig bestätigte, daß der Kaiser einen sehr gewinnenden Eindruck machte durch „seine faszinierende Schüchternheit". Er hatte wunderschöne, dunkelblaue Augen und einen schönen männlichen Bariton. Aber Thimig bestätigt auch, daß er vom Kaiser nie etwas Treffendes, Kernhaftes gehört hatte, er sprach nur gewöhnliche, nüchterne Dinge. Auch er erzählt nach dem Berichte der Frau Schratt Züge der merkwürdigsten Anspruchslosigkeit. Er äußerte Wünsche sehr bescheiden und war überaus dankbar, wenn Frau Schratt sie sich merkte und für kleine Bequemlichkeiten für ihn sorgte. 10 11
Katharina Schratt war am 1. 10. 1900 aus dem Burgtheater ausgeschieden. Vgl. dazu Bd., 1, S. 374-378.
PERSONENREGISTER Aufgenommen wurden sämtliche in den Gesprächsaufzeichnungen erwähnten Personen, während Verweise auf die Einleitung unterblieben. Die den Namen beigefügten biographischen Angaben sollen die Personen in ihrem öffentlichen Wirkungskreis kurz skizzieren, wobei vor allem jener Zeitraum erfaßt wurde, in dem sie in den Aufzeichnungen handelnd auftreten. Eine Vollständigkeit der Angaben wurde nicht angestrebt, der Zeitraum nach 1918 blieb unberücksichtigt. Wenn nicht anders vermerkt, handelt es sich um österreichische bzw. österreichisch-ungarische Funktionen. Verweise auf Standeserhöhungen unterblieben, berücksichtigt wurde der zuletzt getragene bzw. bei Aufhebung des Adels gültige Titel. Österreichische Erzherzöge und Erzherzoginnen sowie Mitglieder regierender Häuser sind unter ihren Vornamen verzeichnet. Neben allgemein verständlichen Abkürzungen wurden folgende Siglen verwendet: Μ
Mitglied
böhmLt
böhmischer Landtag
dR
deutscher Reichstag
kroatLt nöLt
kroatischer Landtag niederösterreichischer Landtag
öAH
österreichisches Abgeordnetenhaus
öHH uAH
österreichisches Herrenhaus ungarisches Abgeordnetenhaus
Personenregister
Abd al Aziz (1878-1943) 1894-1908 Sultan v. Marokko II 317, 320, 337, 348, 357, 364 Abd el Hamid II. (1842-1918) 1876-1909 Sultan des Osman. Reiches I 62,118, 149, 298; II 90, 94, 115 f., 123, 130, 166 Abd el Kader (1807-1883) algerischer Stammesführer, leitete 1832-1847 den Widerstand gegen Frankreich II 357 Abel, Heinrich S. J. (1843-1926) Beichtvater von Erzherzoginnen 1273 Abrahamovicz, David v. (1839-1926) 1881-1918 M, 1897/98 Präs. öAH, 1907-1909 Minister für Galizien II 394 Adler, Viktor (1852-1918) 1905-1918 MöAH I 225 Aehrenthal, Alois Lexa Graf v. (1854-1912) 1883-1888 Präsidialchef im Ministerium des Äußern, 1888-1894 1. Botschaftssekretär in St. Petersburg, 1895-1899 Gesandter in Bukarest, 1899-1906 Botschafter in St. Petersburg, 1906-1912 Außenminister I 53-71, 74, 76, 146, 149-152,155-157, 160, 162, 165, 169, 173, 176 f., 186, 206-210, 214, 230-233, 237-241, 262, 275, 277-279, 313, 331, 339 f., 342, 344 f., 349, 409 f., 420-422, 435-441, 445-449, 456, 473, 476, 484-487, 489, 491-493, 497; II 29-34, 39-50, 52-56, 60-62, 64-77, 82 f., 86-96, 98-103, 105 f., 120-131, 138-155, 157-159, 161, 163-178, 180-182, 186-193, 195-199, 205-209, 211, 214-233, 236 f., 239-241, 243, 245 f., 248-251, 253 f., 256-258, 260-262, 264-266, 280 f., 318 f., 333-335, 373 f., 378, 387, 393, 449 Aehrenthal, Felix Lexa Frh. v. (1853-1918). Bruder d. O., 1891-1909 Vizepräs. Landeskultur-
463 rat für Böhmen, 1897-1907 MöAH, 1901-1907 MböhmLt I 344, 382 Aehrenthal, Johann Lexa Frh. v. (1817-1898) Vater d. O., 1867-1882 MböhmLt I 409 f., 415, 442 Aehrenthal, Paula Lexa Gräfin v. (1871-1945) Gattin Alois Α. II 60 Agliardi, Antonio (1832-1915) 1893-1896 Nuntius in Wien, seit 1896 Kardinal und Erzbischof von Ferrara I 69, 76, 85, 120, 186, 194, 240 Aigner, Josef Matthias (1818-1886) Maler II 136 Albert (1828-1902) seit 1854 Kronprinz, seit 1873 König v. Sachsen, 1866 Befehlshaber der sächsischen Armee I 87, 337-339, 350; Π 186, 259 Albert I. (1848-1922) Prinz, seit 1899 Regent v. Monaco II 329 Albrecht, Erzherzog (1817-1895) Feldmarschall, 1851-1860 Zivil- und Militärgouverneur von Ungarn, 1866 Oberkommandant der Südarmee, 1869-1895 Generalinspektor des Heeres I 78,87-89, 100-102,107-109,153 f., 226 f., 237, 243,252,316,332-334,361-364, 367,379 f., 387,391; II 13, 79,293 Alexander II. (1818-1881) seit 1855 Zar von Rußland I 55 f., 78, 116, 157, 350 Alexander III. (1845-1894) seit 1881 Zar von Rußland I 56, 60, 149, 163, 167,191-193, 207, 275 Alexander (1857-1893) geb. Battenberg, 1879-1886 Fürst von Bulgarien I 57, 63, 92, 329, 373 f. Alexander (1876-1903) seit 1889 König von Serbien, bis 1893 unter Regentschaft I 96, 150, 209, 298, 349, 374, 445; II 271, 273 f. Alexandra (1844-1925) seit 1863 Gattin Edward VII. v. Großbritannien 1167 Alfonso XII. (1857-1885) seit 1874 König von Spanien II 116 f.
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Alfonso XIII. (1886-1941) 1886-1931 König von Spanien, bis 1902 unter Regentschaft II 65, 117 Alfonso v. Bourbon (1849-1936) span.-karlistischer Thronprätendent I 424 Alt, Rudolf v. (1812-1905) Maler, seit 1879 Prof. Wiener Akademie der bildenden Künste 1103; II 291 f. Alter, Wilhelm (?-1913) Schriftsteller II 296, 299 Amerling, Friedrich v. (1803-1887) Maler I 295 Andrässy, Gyula d. Ä. Graf (1823-1890) 1867-1871 ung. Ministerpräs., 1871-1897 Außenminister 153-56, 58, 62 f., 70,91 f., 104,116-118,126-129,140 f., 146, 148-152,157,162 f., 165,172 f., 192, 253,274,293 f., 313, 324, 328-330, 357,367 f., 380 f., 387,407,423,428, 429-433,453,481,485,498; II 7, 52-54, 79 f., 114 f., 178 f., 282 f., 292 f., 302, 386,406,437 Andrässy, Gyula d.J. Graf (1860-1929) seit 1885 MuAH, 1894 ung. Minister am kgl. Hoflager, 1906-1910 Innenmin., 1918 Außenmin. 1 116-119, 172-174, 431, 481, 483; II 36 f., 50, 63, 95 f., 126,155, 233, 238, 240 f., 246, 248 f., 253 f., 407 Andrian-Werburg, Ferdinand Frh. v. (1835-1914) Vater d. F., Ministerialrat II 60 Andrian-Werburg, Leopold v. (1875-1951) Diplomat u. Schriftsteller, seit 1899 im dipl. Dienst, 1918 Generalintendant d. Hoftheater in Wien II 60 Angeli, Moritz v. (1829-1904) Offizier und Militärhistoriker, 1874-1895 im Kriegsarchiv 1100-102,249 f., 331 f. Angerstein, Mitglied des deutschen Schützenbundes I 355 Antonelli, Giacomo (1806-1876), seit 1847 Kardinal, 1848-1876 Kardinalstaatssekretär I 312
Personenregister
Aoki, Shuzo (1844-1914) 1874-1885 und 1892-1897 japan. Gesandter in Berlin, 1889-1891 u. 1898-1900 Außenminister II 430-432 Appel, Johann Frh. v. (1826-1906) General, 1859 Major, 1866 Oberst, 1882-1903 komm. Gen. in Sarajewo und Chef der bosn. Landesregierung I189,267 Apponyi, Albert Graf (1846-1933) 1872-1918 MuAH, 1906-1910 u. 1917-1918 ung. Minister f. Kultus u. Unterricht 1119; II 63, 74 Apponyi, Anna Gräfin (1818-1900) Gattin d. F. I 97 Apponyi, Rudolph Graf (1812-1876) Diplomat, 1856-1871 Gesandter, seit 1860 Botschafter in London, 1871-1876 Botschafter in Paris I 77, 91, 97 Arneth, Alfred v. (1819-1897) Historiker, 1868-1897 Dir. des HHStA, 1879-1897 Präs. d. Akademie d. Wissenschaften in Wien; seit 1869 MöHH I 286, 295, 310, 319 Arnim-Suckow, Harry Graf v. (1824-1881) 1871-1874 dt. Botschafter in Paris II 305, 316, 343 Arnim, Ritter v., preuß. Offizier und Militärschriftsteller I 89 Arrer, siehe Dimitrijevic-Arrer Atanackovic, Stevo, Gehilfe Emil Gavrilas II 273 Attems, Edmund Graf (1847-1929) 1895-1907 MöAH, 1917-1918 MöHH, 1893-1896 und 1897-1918 Landeshauptmann v. Steiermark 1271 Auerbach, Berthold (1812-1882) Schriftsteller II 161, 339 Auersperg, Adolf Fürst (1821-1885) 1870-1871 Landespräs, von Salzburg, 1871-1879 Ministerpräs., 1879-1885 Präs. d. Obersten Rechnungshofes, seit 1869 MöHH I 259, 274, 357-359, 368, 385, 387, 389, 401 f., 405 f., 412, 425, 428, 453; II 459
Personenregister
Auersperg, Anton Graf (1806-1876) Pseud. Anastasius Grün, Schriftsteller, 1861-1876 MöAH I 311 Auersperg, Ernestine Fürstin (1831-1901) Gattin d. F. 1414 Auersperg, Karl (Carlos) Fürst (1814-1890) 1867-1868 Ministerpräs., 1872-1883 Oberstlandmarschall v. Böhmen, seit 1861 MöHH I 255, 274, 385, 401, 408-410, 413-416, 420 Auffenberg v. Komarow, Moritz Frh. (1852-1928) General, 1911-1912 Kriegsminister, dann Armeeinspektor, 1914 Armeekommandant II 373-383, 391, 394-402, 405 Auguste Victoria (1858-1921) Gattin Wilhelm II. II 320, 342 Auspitz, Leopold (1838-1907) General I 49, 171, 189 f., 202, 243, 252-254, 331-334, 361-363, 391 Aust, Albrecht, Generalstabsoffizier I 103 f. Avarna di Gualteri, Giuseppe Herzog v. (1843-1916) 1904-1915 ital. Botschafter in Wien II 40, 44, 56, 177, 334 Axmann, Julius (1858-1929) 1897-1911 MöAH II 128 Bach, Alexander Frh. v. (1813-1893) 1848-1849 Justizminister, 1849-1859 Innenmin., 1859-1867 Botschafter beim Vatikan, 1856 Ehrenmitglied Akademie d. Wissenschaften in Wien I 270, 274 f., 279 f., 282-289, 292, 294-296, 299-303, 305-321, 323, 325-327, 410 f., 419, 457, 501 f.; II 8, 12, 112, 286, 435 Bach, August (?-1872) Jurist, Bruder Alexander В. I 301, 304, 306-308 Bach, Eduard Frh. v. (1815-1884) Bruder Alexander В., 1849-1850 Zivilkommissar in Siebenbürgen, 1851-1854 und 1855-1862 Statthalter in Oberösterreich, 1854—1855 Zivilkomm, in den Donaufürsten-
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tümern, 1865-1867 Landespräs, von Krain, 1867-1868 Statthalter in Triest I 280 f., 306, 308, 315 f., 320; II 12 Bach, Emilie, Schwester Alexander B. I 286, 301, 309 Bach, Ernst Frh. v. (1873-1904) Sohn Heinrich В. I 275 Bach, Heinrich Frh. v. (1835-1915) Bruder Alexander В., Advokat in Wien I 274 f., 284, 301, 307-310, 314-317 Bach, Johann Bapt. (1779-1847) Onkel Alexander В., seit 1816 Advokat in Wien I 306 f., 309, 314 Bach, Josefa (1793-1884) geb. Kroad, Mutter Alexander В. I 280-282, 301, 306-308, 310, 314; II 12 Bach, Joseph, Propst in Krems, Onkel Alexander В. I 306-309 Bach, Marie Theresia (1837-1922) geb. Kolisko, Gattin Heinrich В., Nichte Alexander В. I 308 Bach, Michael (1784-1843) Vater Alexander В., seit 1831 Advokat in Wien I 281, 301, 306 f., 309 f., 314 Bach, Otto (1833-1893) Bruder Alexander В., seit 1868 Dir d. Mozarteums u. Domkapellmeister in Salzburg, ab 1880 Kapellmeister in Wien I 301 Bach, Robert Frh. v. (1864-1927) Sohn Heinrich В., seit 1888 im diplom. Dienst I 275, 316 f. Bacher, Eduard (1846-1908) seit 1871 Redakteur, 1879 Chefred., seit 1880 Hg. der Neuen Freien Presse I 49 f., 107 Bacher, Rudolf (1862-1945) Maler und Bildhauer, seit 1903 Prof. Wiener Akademie der bildenden Künste II 291 f. Bachmann, Hermann (1856-1920) seit 1895 Redakteur, seit 1900 Chefred. der Vossischen Zeitung I 337, 436; II 187 Bacquehem, Olivier Marquis (1847-1917). 1882-1886 Landes-
466 präs. von Schlesien, 1886-1893 Handelsminister, 1893-1895 Innenmin., 1895-1898 Statthalter in Steiermark, 1906-1917 Präs. d. Verwaltungsgerichtshofes I 51-53, 81, 179, 181, 183,198, 210, 216-223, 239, 256 f., 271, 275, 294, 296, 395, 422, 434 f., 445-448, 474—476, 478 f., 488 f., 459-461; II 21, 23 f., 72, 75, 109-111, 158, 163 f., 290, 441 f. Badeni, Kasimir Graf (1846-1909) 1888-1895 Statthalter in Galizien, 1895-1897 Ministerpräs. I 49, 51, 66, 71, 82, 107, 152,178,181-185, 187, 194, 198, 201, 216, 233, 264, 271, 322, 355 f., 347, 351, 370 f., 396-400, 422 f., 463 f.; II 17, 21, 58 f., 390 Baernreither, Josef Maria (1845-1925) seit 1878 MböhmLt, 1883-1907 MöAH, seit 1907 MöHH, 1898 Handelsminister, 1916-1917 Min. ohne Portefeuille I 52, 53, 82, 220, 224, 244-247, 254 f., 274, 340-343, 346, 404-406, 413-416, 423, 474, 478-482, 484 f.; II 20, 72, 75, 77, 103-105, 180, 205 f., 216, 304, 383-386, 412, 428 Baillet de Latour, Theodor Graf (1780-1848) General, 1848 Kriegsminister I 305, 307, 309 Baillet de Latour, Vinzenz Graf (1848-1913) 1897-1898 Unterrichtsminister, seit 1900 MöHH I 201, 322 Baldacci, Anton Maximilian Frh. v. (1762-1841) 1813 Kriegsminister, 1815-1839 Präs. d. Generalrechnungsdirektoriums I 101 Ballin, Albert (1857-1918) Hamburger Reeder II 84 Baltazzi, Aristides (1853-1914) 1897-1907 MöAH I 382 Balugdzic, Zivojin, 1904 serb. Pressechef, 1907-1909 Generalkonsul in Üsküb (Skopje), 1913-1919 Gesandter in Athen II 270-273
Personenregister Bänffy, Dezsö Baron (1843-1911) 1895-1899 ung. Ministerpräs. I 64, 68 f., 75 f , 85 f., 93,114 f., 118-123, 125 f., 132 f., 139, 141-143, 151 f., 158,165, 173, 176, 186, 194, 210, 223, 240, 322, 330 f., 347, 447, 463-465, 467, 483; II 26, 80 f., 272, 388 Barabäs, Bela (1855-1934) ung. Politiker II 29 Barclay, Thomas Sir, brit. Publizist II 200-202, 204 Bardolff, Carl Frh. v. (1865-1953) Offizier, 1911-1914 Vorstand d. Militärkanzlei Erzh. Franz Ferdinands II 379 Baross, Gabor Baron (1848-1892). 1886-1889 ung. Minister f. öffentliche Arbeiten bzw. Handel I 222 f., 460 f , 488 Barrere, Camille (1851-1940) 1897-1924 franz. Botschafter in Rom I 492; II 32, 313 f., 335, 347, 363 f., 371 f. Bartenstein, Johann Christoph Frh. v. (1689-1776) Staatsmann I 353 Barth, Burghard, Rechtsanwalt in Wien I 416 Barth-Barthenheim, Johann Graf (1784-1846) Gatte d. F., Hofrat 1393 Barth-Barthenheim, Wilhelmine Gräfin (1802-?) Gattin d. O., geb. Löwenthal I 393 Battenberg, siehe Alexander v. Bulgarien Batthyäny, Elemer Graf (1846-1932) Sohn d. F. II 295 Batthyäny, Lajos Graf (1806-1849) 1848-1849 ung. Ministerpräs. II 295 Batthyäny-Strattmann, Edmund Fürst (1826-1914) Gatte d. F. I 289 Batthyäny-Strattmann, Henriette Fürstin (7-1892) seit 1857 Gattin d. O., in 1. Ehe Gattin Max Todescos I 289
Personenregister
Bauer, Bruno (1809-1882) Theologe und Philosoph I 304 Bauer, Ferdinand Frh. v. (1825-1893) General, 1888-1893 Kriegsminister 1202 Bauer, Julius (1853-1941) Schriftsteller u. Journalist, Red. des Wiener Extrablattes I 99 Bauernfeld, Eduard v. (1802-1890) Schriftsteller I 287 f., 320 Baumgarten, Alois v. (1815-?) General, 1865-1868 Generalinspektor d. milit. Bildungsanstalten, 1866 Generalstabschef d. Nordarmee I 503; II 297 f. Baumgartner, Andreas Frh. v. (1793-1865) 1848 Minister f. öffentliche Arbeiten, 1851-1855 Finanz- und Handelsmin., 1851-1865 Präs. Akademie d. Wissenschaften in Wien I 290; II 118 Bayer, Josef (1852-1913) Komponist, 1883-1913 Hofballettdir. 1103 Beaufort, Journalist II 253 Beauvoir, Ludovic-Hebert Marquis de (1846-?) franz. Diplomat u. Schriftsteller I 394 Beauvoir, Wilhelmine Marquise de (1846-?) Gattin d. O., Tochter Johann Löwenthals I 394 Beck, Anton v. (1812-1895) Vater Max VI. В., Dir. d. Hof- und Staatsdruckerei I 348; II 440 f. Beck, Helene v. (1863-1930) seit 1896 Gattin Max VI. В., in 1. Ehe Gattin Ludwig DoczisI 348,421; II 111,433 Beck, Max Vladimir Frh. v. (1854-1943)1880-1906 im Ackerbauministerium, 1906-1908 Ministerpräs., seit 1907 MöHH, 1915-1934 Präs. d. Obersten bzw. österr. Rechnungshofes 1347 f., 456; II 39-41,58,61,68, 77,85-87,96, 98,109-111,120,125 f., 146,150 f., 153-155,162,170,185,193 f., 198, 210 f., 231,243 f., 254,266,309,412, 418,432-435,440 f., 451
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Beck-Rzikowsky, Friedrich Graf (1830-1920) General, 1867-1881 Vorstand d. Militärkanzlei des Kaisers, 1881-1906 Chef d. Generalstabs, seit 1885 MöHH I 49, 59, 99, 103 f., 156, 189, 202, 237, 250, 253 f., 293, 322, 331-334, 362, 378-381, 424, 428, 490, 500-503; II 12 f., 54 f., 178 f., 293, 296-300 Beck-Rzikowsky, Friedrich Graf (1872-1942) Sohn d. O., Generalstabsoffizier I 381; II 55 Becke, Franz Frh. v. (1818-1870) 1867 Finanzminister, 1867-1870 gem. Finanzmin. I 292 Beckx, Pierre-Jean S. J. (1795-1887) 1853-1884 Ordensgeneral d. S. J. 1326 Beer, Adolph (1831-1902) 1873-1897 MöAH I 53, 188, 371 f. Belcredi, Richard Graf (1823-1902) 1860-1863 Landespräs, von Schlesien, 1863-1865 Statthalter in Böhmen, 1865-1867 Ministerpräs., 1881-1895 Präs. d. Verwaltungsgerichtshofes, seit 1881 MöHH 1172, 179, 266, 285, 292, 365, 384, 386 f., 394 f., 411 Bell, Charles Frederic (1847-1911) seit 1890 Manager der Times II 200-202 Belmonte, Gennaro Granito di (1851-1948) 1904-1911 Nuntius in Wien, seit 1911 Kardinal II 99 Bendel, Josef (1848-1915) 1885-1901, 1903-1911 MöAH, 1885-1895, 1899-1901 MböhmLt I 103, 188, 248 Benedek, Ludwig v. (1804-1881) General, 1860-1864 Chef d. Generalstabs, 1866 Kommandant d. Nordarmee 1100 f., 107, 226-229, 264 f., 268 f., 312, 353 f., 356, 360 f., 363 f., 380, 502 f.; II 35, 287, 296-300, 457 Benedek, Julie (1811-1895) Gattin d. 0 . 1 1 0 1 , 226, 268, 353, 356
468 Benedetti, Vincent Graf (1817-1900) 1864-1870 franz. Botschafter in Berlin I 338 Benedikt, Moritz (1849-1920) Redakteur, seit 1881 Mithg., seit 1908 Hg. der Neuen Freien Presse, seit 1917 MöHH I 260; II 42, 101, 152, 170, 228 Benomar, Graf, span. Diplomat, 1875-1888 Gesandter in Berlin 1251 Benoni v. Clanisberg, Cäsar Frh., Sektionschef im Justizmin., Μ Staatsgerichtshof, Jugendfreund Alexander Bachs I 320 Beöthy, Akos (1838-1904) seit 1872 MuAH I 428 Berchtold, Leopold Graf (1863-1942) 1906-1911 Botschafter in St. Petersburg, 1912-1915 Außenminister, 1916 Obersthofmeister, dann Oberstkämmerer Kaiser Karls II 59, 123,145,171, 218,225,236 f., 374, 380-382, 386,395 f., 419 f., 426 Bernatzik, Edmund (1854-1919) seit 1894 o. Prof. für Staats- und Verwaltungsrecht Univ. Wien, Μ Reichsgericht I 343; II 310 Bernhard(1800-1882) 1803-1866 Herzog v. Sachsen-Meiningen I 350 Bernhardi, Theodor v.( 1803-1887) preuß. Diplomat und Schriftsteller II 113 f. Bertie, Francis Leveson (1844-1919) 1903-1904 brit. Botschafter in Rom, 1905-1918 Botschafter in Paris II 350 f. Beseler, Hans Hartwig v. (1850-1921) preuß. General, 1915-1918 Generalgouverneur in Warschau II 415 Bethlen, Andräs Graf (1849-1898) 1890-1894 ungar. Ackerbauminister I 67 Bethlen, Graf, Onkel Johann Esterhäzys I 230 Bethmann-Hollweg, Theobald v. (1856-1921) 1905-1907 preuß. Innenminister, 1907-1909 Staats-
Personenregister
sekretär des dt. Reichsamtes d. Innern, 1909-1917 Reichskanzler II 281, 343, 365, 404, 406-413, 415 Bettelheim, Anton (1851-1930) Schriftsteller und Literaturhistoriker 1188, 310; II 152, 161 Beust, Friedrich Ferdinand Graf (1809-1886) 1840-1866 sächs. Außenminister, 1866-1871 österr.ung. Außenmin. und Reichskanzler, 1871-1878 Botschafter in London, 1878-1882 Botschafter in Paris I 54, 97, 127, 129, 174, 258 f., 276, 295, 336, 354, 362, 366 f., 371, 379, 385-387, 402, 409, 414, 417 f., 429, 451; II 113 f. Beust, Mathilde Gräfin (1817-1896) Gattin d. О. I 258 Beyer, Karl, Ministerialrat im Innenmin. I 288, 315 Bezard, Cäsar v. (7-1853) Assistent an d. Wiener Technik, 1853 hingerichtet II 283-286 Bezard, Johann v. (1826-1890) Offizier, Bruder d. О. II 286 Bezard, Johann v. (1871-?) Sohn d. O., Offizier, Lehrer an d. Wiener Kriegsschule II 286 Biegeleben, Ludwig Maximilian Frh. v. (1812-1872) seit 1850 im dipl. Dienst I 267; II 291 Bienerth-Schmerling, Richard Graf (1863-1918) 1905/06 Unterrichtsminister, 1906-1908 Innenmin., 1908-1911 Ministerpräs., 1911-1915 Statthalter in Niederösterreich I 310 f.; II 61, 111, 125 f., 143 f., 154, 163 f., 192, 230, 241 f., 244, 265 f., 303, 437, 441 Biegelmayer, Ludwig, Finanzrat in Galizien II 11 Bilinski, Leon v. (1846-1923) 1895-1897, 1909-1911 Finanzminister, 1912-1915 gem. Finanzmin., 1899-1909 Gouverneur d. Österr.Ung. Bank, seit 1900 MöHH I 239, 292, 399, 422 f., 463 f.; II 111, 126, 156,163 f., 178, 207
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Personenregister
Binder ν. Kriegelstein, Karl Frh. v. (1869-1905) Militärschriftsteller und Kriegsberichterstatter I 101 Bismarck, Herbert Fürst (1849-1904) 1886-1890 Staatssekretär im dt. Auswärtigen Amt I 58, 158, 232; II 305 Bismarck, Otto Fürst (1815-1898) seit 1862 preuß. Ministerpräs., 1871-1890 dt. Reichskanzler I 50, 55, 57-62, 78, 93 f., 106, 149, 151-153, 158-160, 162, 164, 166-168, 170-172, 186, 205, 216, 235, 251 f., 265, 278, 282, 285, 296, 311, 328, 339, 355, 359, 379 f., 425, 430, 494; II 27, 51 f., 113 f., 185, 305, 340, 361, 368, 376, 388, 390, 406, 412 Blackwood, Frederick Marquis of Dufferin (1826-1902) brit. Diplomat und Politiker I 209 Bleichröder, Gerson v. (1822-1893) Berliner Bankier II 27 Bleriot, Louis (1872-1936) franz. Flugpionier II 257 Blome, Gustav Graf (1829-1906) 1852-1866 im dipl. Dienst, seit 1867 MöHH I 267 Blücher v. Wahlstatt, Gebhardt Fürst (1742-1819) preuß. General I 269 Blum, Julius (1843-1919) 1879-1890 ägypt. Finanzminister, seit 1890 Dir. d. Creditanstalt II 159 Bobigdoric, serb. Presseleiter II 253 Bobrzynski, Michael (1849-1935) 1885-1890, 1905-1911 MöAH, 1908-1913 Statthalter in Galizien, 1916-1917 Minister für Galizien II 394 Böhm-Bawerk, Eugen v. (1851-1914) 1895, 1897/98 und 1900-1904 Finanzminister, seit 1899 MöHH, 1911-1914 Präs. Akademie d. Wissenschaften in Wien I 419, 470; II 442 Böhm-Ermolli, Eduard Frh. v. (1856-1941) General, 1918 Feldmarschall II 398, 401
Bogdanovic, Lukijan (?-1913) seit 1908 serb. Patriarch v. Karlowitz (Karlovci) II 279 Bogicevic, Milan (1840-1929) 1906-1914 serb. Geschäftsträger in Berlin II 343 f. Bogicevic, Philipp, serb. Gesandter in Wien 1162 Bolfras, Arthur Frh. v. (1838-1922) General, 1889-1916 Vorstand d. Militärkanzlei des Kaisers II 401, 405, 452 Bombelles, Joseph Graf (1894-?) Sohn d. F. II 252 Bombelles, Markus Graf (1858-1912) kroat. Politiker, MkroatLt II 252 Bonitz, Hermann (1814-1888) Unterrichtsreformer, seit 1849 Prof. f. Klassische Philologie Univ. Wien, seit 1867 in Berlin I 270 Boris III. (1896-1943) seit 1918 König v. Bulgarien I 78, 95 Boroevic von Bojna, Svetozar (1856-1920) General, 1918 Feldmarschall II 398 f. Braun, Adolf Frh. v. (1819-1904) 1866-1899 Dir. d. Kabinettskanzlei des Kaisers I 88, 322, 347, 397, 425, 428, 453, 498; II 290 f., 456 Braun, Carl (1823-1891) 1856-1891 Vorstand 1. Geburtshilfliche Univ.Klinik Wien 1185 Braun, Gustav (1829-1911) Bruder d. O., 1862-1873 Prof. f. Geburtshilfe am Josephinum, 1873-1901 Vorstand d. Hebammenklinik Univ. Wien I 185 Breisky, August (1830-1889) seit 1886 Prof. f. Geburtshilfe Univ. Wien 1185 Breiter, Ernest (1865-1935) 1901-1918 MöAH II 68 Brentano, Johann Anton Frh. v. (1803-1870) Sektionschef im Finanzmin. I 291 Bresse, franz. Journalist in Wien 1909 II 257
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Brestel, Rudolf (1816-1881) 1864-1881 MöAH, 1868-1870 Finanzminister II 460 Breuning, Moritz v. (1813-1892) Wiener Arzt u. Schriftsteller II 133 Briand, Aristide (1862-1932) 1909, 1911/12, 1915-1917 franz. Ministerpräs. II 410 Brignone, Filippo (1812-1877) ital. General I 89 Bronn, Karl, siehe Weikersheim Bronsart v. Schellendorf, Paul (1832-1891) 1883-1889 preuß. Kriegsminister 1 158, 165 f. Brosch-Aarenau Alexander Frh. v. (1870-1914) Offizier, 1906-1911 Flügeladjutant Erzh. Franz Ferdinands II 229 Bruck, Alexandrine Frf. v. (1835-1911) Gattin Karl В. II 136 Bruck, Friedrich Frh. v. (1838-1909) Sohn Karl Ludwig В., Hauptmann a. D. II 131-137 Bruck, Hans Frh. v. (1841-1915) Sohn Karl Ludwig В. II 133 Bruck, Karl Frh. v. (1830-1902) Sohn Karl Ludwig В., 1886-1895 Botschafter in Rom I 476-478; II 132-136 Bruck, Karl Ludwig Frh. v. (1798-1860) 1848-1851 Handelsminister, 1853-1855 Internuntius in Konstantinopel, 1855-1860 Finanzmin. I 289-292, 302 f., 315, 476-478; II 103 f., 117-120, 131-137, 151, 437 Bruck, Konstantin Frh. v. (1866-1934) Enkel Karl Ludwig B. 1292 Bruck, Maria Frf. v. (1799-1886) Gattin Karl Ludwig В. II 133 Bruck, Mary Frf. v. (?-1922) Gattin Otto В. II 136 Bruck, Otto Frh. v. (1832-1897) Sohn Karl Ludwig В., Fregattenkapitän II 133-135
Personenregister Brudermann, Rudolf v. (1851-1941) General, 1914 Armeekommandant, 1915 i. R. II 399, 401 Brunetiere, franz. Diplomat I 230 f. Bucher, Adolf Lothar (1817-1892) 1864-1886 Vortragender Rat im dt. Auswärtigen Amt I 235 Bucher, Bruno (1826-1899) seit 1869 Sekretär, 1895-1897 Dir. des Osterr. Museums für Kunst und Industrie I 90 Budisavljevic, Bude (1843-1919) serb.-kroat. Politiker II 241, 251, 269 Budwinski, Adam Frh. v. (1845-1900) Senatspräs. d. Verwaltungsgerichtshofs I 365 Bülow, Bernhard Fürst (1849-1929) seit 1874 in dt. diplom. Dienst, 1897-1900 Staatssekretär d. Auswärtigen Amtes, 1900-1909 Reichskanzler, 1914-1915 Sonderbotschafter in Rom I 233, 261 f., 279, 335, 339, 345, 421, 436, 439, 443 f., 446, 473, 494; II 29-32, 34, 69, 91, 125, 143, 167, 222 f., 237, 266-268, 280, 305-308, 315-317, 320-325, 327, 337 f., 340-343, 347-349, 351, 353, 355, 357, 359, 362-368, 370-372, 376, 388-390, 392 f., 404, 423, 430 f. Bülow, Karl Ulrich v. (1862-1914) preuß. General, seit 1899 Flügeladjutant Wilhelm II., 1899-1906 Militärattache in Wien 1434; II 12 f. Bülow, Maria Anna Fürstin (1848-1929) Gattin Bernhard B. II 306, 340, 365, 376, 393, 423 Bugovin, serb-kroat. Politiker II 241 Bukovics, Emmerich (1844-1905) 1889-1905 Dir d. Volkstheaters in Wien I 375 Bunzl, Arthur (1850-1899) 1887-1891 Chefred. d. Wiener Allgemeinen Zeitung, 1893-1899 Chefred. d. Österreichischen Volkszeitung I 229
Personenregister
Buol-Schauenstein, Karl Graf (1797-1865) Diplomat, 1852-1859 Vorsitzender d. Ministerkonferenz und Außenmin. I 91, 501 Burckhardt, Jacob (1818-1897) seit 1858 Prof. f. Geschichte Univ. Basel II 66, 73 Burckhardt, Max Eugen (1854-1912) 1890-1898 Dir. d. Burgtheaters I 375, 378 Burg, Adam Frh. v. (1797-1882) 1828-1865 Prof. f. höhere Mathematik techn. Hochschule Wien, 1879-1882 Vizepräs. d. Akademie d. Wissenschaften in Wien, seit 1869 MöHH II 283, 285 Buriän von Rajecz, Istvän Graf (1851-1922) 1887-1895 Gesandter in Sofia, 1903-1912 und 1916-1918 gem. Finanzminister, 1913-1915 ung. Min. am kgl. Hoflager, 1915/16 und 1918 Außenmin. I 95; II 89, 378, 403 f., 406-408, 414 f., 420 Busch, Moritz (1821-1899) dt. Publizist, Bismarck-Biograph I 235, 282 Buxton, Noel Edward (1869-1948) brit. Politiker, 1903 Gründer und Präs. d. Londoner Balkankomitees II 199 Bylandt-Rheidt, Arthur Graf d. Ä. (1821-1891) General, 1876-1882 Kriegsminister II 439 Bylandt-Rheidt, Arthur Graf d. J. (1854-1915) 1897-1898 Ackerbauminister, 1898-1899 Unterrichtsmin., 1902-1905 Statthalter in Oberösterreich, 1905/06 Innenmin., seit 1900 MöHH I 322; II 31, 57 f. Cairoli, Benedetto (1825-1889) 1878, 1879-1881 ital. Ministerpräs. u. Außenminister I 147 Calice, Heinrich Graf (1831-1912) 1877-1880 Sektionschef im Außenmin., 1880-1906 Botschafter in Konstantinopel 1188 f.; II 116
471 Call zu Rosenburg u. Kulmbach, Guido Frh. v. (1849-1927) 1895-1899 Gesandter in Sofia, 1900-1905 Handelsminister, 1907-1909 1. Sektionschef im Außenmin., 1909-1911 Botschafter in Tokio I 479; II 170, 176, 190, 195 Calvi, Piero (1817-1855) zunächst öst., seit 1848 sardinischer Offizier, 1855 hingerichtet II 457 Cambon, Jules (1845-1935) 1898-1902 franz. Botschafter in Washington, 1902-1907 Botschafter in Madrid, 1907-1914 Botschafter in Berlin, 1915-1919 Generalsekretär d. Außenmin. II 222,322 f., 326,339, 344-347,349,351-357,359-361,409 Cambon, Paul (1843-1924) 1890-1898 franz. Botschafter in Konstantinopel, 1898-1920 Botschafter in London II 336, 346 f., 356,359 Canon, Hans v. (1829-1885) Maler 1207 Caprivi, Georg Leo Graf (1831-1899) 1883-1888 Chef d. dt. Admiralität, 1888-1890 Armeekorpskommandant, 1890-1894 dt. Reichskanzler I 94, 158, 168-171, 186, 251 f.; II 305, 342, 345, 366 Carikov, Nikolai (1855-1930) russ. Diplomat, 1897-1900 Ministerresident beim Vatikan, 1900-1904 Gesandter in Belgrad, 1904-1908 Gesandter im Haag, 1908-1909 Gehilfe d. Außenministers, 1909-1911 Botschafter in Konstantinopel Π 305, 342, 345, 366 Carmen Sylva siehe Elisabeth v. Rumänien Carol (1839-1917) seit 1866 Fürst, seit 1881 König v. Rumänien I 56, 113,127 Cartwright, Fairfax Leighton Sir (1857-1928) 1906-1908 brit. Gesandter in München, 1908-1913 Botschafter in Wien Π 171 f., 175 f., 199, 208-211, 214 f., 227 f., 232, 237 f., 263
472 Cartwright, Maria Lady, Gattin d. О. II 210 Catty, Adolf, Frh. v. (1823-1897) General, 1874-1883 Stellv. Chef d. Generalstabs I 243, 254, 362 Caucig, Franz, General, 1883-1886 Militärintendant, anschl. Generalintendant I 250 Cavour, Camillo Graf Benso di (1810-1861) 1852-1859 und 1860/61 Ministerpräs. v. Sardinien bzw. Italien I 278 Celovic, Luka, serb. Versicherungsmagnat II 274 f. Charlotte, Erzherzogin (1840-1927) Gattin Erzh. Ferdinand Max, 1864-1867 Kaiserin v. Mexiko I 393; II 78 Charlotte (1860-1919) Herzogin v. Sachsen-Meiningen, Tochter Kaiser Friedrichs 1167 Charmatz, Richard (1879-1965) Historiker u. Journalist II 174 Cherisey, Graf, franz. Diplomat, 1906 Geschäftsträger in Tanger II 337 Chevalier, Ludwig (1831-1915) 1881-1900 Dir. d. dt. Staatsgymnasiums in Prag 1103 Chiala, Luigi (1834-1904) ital. Historiker und Journalist I 147 Chiari, Karl Frh. v. (1849-1912) 1897-1911 MöAH, seit 1912 MöHH II 160 Chirol, Harriet, Mutter d. F. II 201 Chirol, Valentine Sir (1852-1929) 1892-1896 Korrespondent der Times in Berlin, 1896-1912 Leiter der Auslandsred. der Times II 200-204, 207 Chlumecky, Johann Frh. v. (1834-1924). 1871-1875 Ackerbauminister, 1875-1879 Handelsmin., 1873-1879 und 1880-1897 M, 1893-1897 Präs. öAH, seit 1897 MöHH I 53, 179, 216, 221, 244, 274, 297, 384-387, 405-408, 413, 424-428, 453, 474; II 17, 74, 289
Personenregister Chotek, Bohuslav Graf (1829-1896) Diplomat, 1871 Leiter der Statthalt e r n in Prag I 379 Chotek, siehe Hohenberg, Sophie Herzogin Christian IX. (1818-1906) seit 1863 König v. Dänemark 1156 Christie, Artemisia, Geliebte Milans v. Serbien I 209 Christomanos, Konstantin (1867-1911) Historiker, Griechischlehrer Kaiserin Elisabeths 1188 Churchill, Winston Sir (1874-1965) seit 1906 mehrfach brit. Minister, 1911-1915 erster Lord der Admiralität, 1917-1918 Munitionsmin. II 339 Ciani I 281, 317 Claar, Maximilian (1873-1938) Historiker und Publizist, 1907-1918 Leiter der Pressestelle an der Botschaft in Rom II 393 Clam-Martinic, Heinrich Graf d. A. (1826-1887). 1853-1859 Landespräs. von Westgalizien, 1861, 1879-1884 MöAH 1 196, 205, 296, 311, 323, 385, 407 f., 415 f.; II 180 Clam-Martinic, Heinrich Graf d. J. (1863-1923) 1894-1913 MböhmLt, seit 1907 MöHH, 1916 Ackerbauminister, 1916/17 Ministerpräs., 1917-1918 Militärgouverneur in Montenegro I 245; II 180, 416 f., 425-428 Clam-Martinic, Richard Graf (1832-1891) Vater d. 0., 1879-1888 MöAH I 245, 395; II 180 Clannern v. Engelshofen, Josef, 1841-1848 Leiter d. Mainzer Informationsbüros, anschl. Hofrat d. Obersten Polizeibehörde I 459 Clary-Aldringen, Manfred Graf (1852-1928) 1896-1898 Landespräs. von Schlesien, 1898/99 und 1899-1918 Statthalter in Steiermark, 1899 Ministerpräs. I 278, 297; II 391
Personenregister
Class, Heinrich (1868-1953) dt. Publizist, 1908-1939 Vors. d. Alldeutschen Verbandes II 352 f. Clemenceau, Georges (1841-1929) seit 1906 mehrfach franz. Minister, 1906-1909 und 1917-1920 Ministerpräs. II 129,196-198, 211-214, 216 f., 230, 238, 257, 264, 313, 327, 331, 348 Cobden, Richard (1804-1865) brit. Politiker I 326 Coburg, Louise Prinzessin (1858-1924) geb. Prinzessin v. Belgien, 1875-1906 Gattin d. F. I 187 f., 211 Coburg, Phillip Prinz (1844-1921) General 1187 f. Combes, Emile (1835-1921) 1895-1896 franz. Unterrichtsminister, 1902-1905 Ministerpräs., 1915-1916 Min. ohne Portefeuille II 314, 328 f., 331 f. Comert, Pierre, Korrespondent d. Temps in Wien und Berlin II 351 f., 356, 361 Connaught, Arthur William Duke of (1850-1942) Sohn Königin Victorias, brit. Admiral II 192 Conrad v. Eybesfeldt, Siegmund Frh. (1821-1898) 1872-1880 Statthalter in Niederösterreich, 1880-1885 Unterrichtsminister I 390 f. Conrad v. Hötzendorf, Franz Graf (1852-1925) 1906-1911 und 1912-1917 Chef d. Generalstabs, 1917-1918 Oberkommandant d. Südfront II 66, 100, 124, 142 f., 146, 159, 174, 188, 220, 230, 258 f., 373, 375, 398-400, 446 Cordon, Franz Frh. v. (1796-1869) General, 1848-1849 Kriegsminister II 132, 134 f. Coronini-Cronberg, Franz Graf (1830-1901) 1871-1895 M, 1879-1881 Präs. öAH, 1870-1877, 1893-1899 Landeshauptmann von Görz, seit 1897 MöHH I 404
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Coudenhove, Karl Graf (1814-1868) Generell, 1866 Kavalleriedivisionskomm. I 228 Coudenhove, Karl Graf (1855-1913) 1896-1911 Statthalter in Böhmen II 57 Coudenhove, Max Graf (1865-1928) 1908-1915 Landespräs. v. Schlesien, 1915-1918 Statthalter in Böhmen II 425 Crenneville, Franz Graf (1815-1888) General, 1859-1867 1.Generaladjutant des Kaisers, 1867-1884 Oberstkämmerer I 88, 90, 266, 503; II 296, 298 f. Crivelli, Albert Graf (7-1868) Diplomat, 1867-1868 Botschafter am Vatikan II 113 Cromer, Evelyn Barin Earl of (1841-1917) 1883-1907 brit. Generalkonsul in Kairo II 335 Crozier, Philippe-Marius (1857-1913) 1902-1907 franz. Botschafter in Konstantinopel, 1907-1912 Botschafter in Wien II 197-199, 210-213, 227 f., 237 f., 255-258, 263 f. Csäky, Albin Graf (1841-1912) 1888-1894 ung. Minister f. Kultus u. Unterricht I 83, 130 Csäky, Theodor Graf (1834-1894) 1866 separatist, ung. Politiker I 483 Cucchiari, Domenico (1806-1900) ital. General I 89 Cudic, Leonidas, 1908-1911 Vizekonsul im Außenmin. II 241 f. Cumberland, Thyra Herzogin v. (1853-1933)I 353 Cwiklinski, Ludwig (1853-1943) seit 1902 Sektionschef im Unterrichtsmin., 1917-1918 Unterrichtsminister II 162 Czapka v. Winstetten, August Frh.v. (1840-1917) Sektionschef im Innenmin. I 262 Czedik-Bründelsberg u. Eysenberg, Alois Frh. (1830-1924) 1869-1883 MöAH, seit 1883 MöHH, 1871
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Leiter d. Unterrichtsmin., seit 1884 Generaldir. d. Staatsbahnen, 1899 Präs. d. Staatsschuldenkommission I 219, 264; II 20 f. Czernin, Ottokar Graf (1872-1932) 1913-1916 Gesandter in Bukarest, 1916-1918 Außenminister II 304, 425^27 Damjanovic, Hadzi Hristo, bosnischer Politiker II 271 Dankl von Krasnik, Viktor Graf (1854-1941) General II 401 Danzer, Alfons (1842-1899) Offizier und Journalist, Hg. der Neuen Armeezeitung I 89, 249 f. Danzer, Karl (1876-1936) Hg. von Danzer's Armee-Zeitung, Sohn d. О. I 362; II 160, 165, 229 Daränyi, Ignaci Baron (1849-1927) 1881-1905 MuAH, 1895-1903, 1906-1910 ung. Ackerbauminister I 446 f., 499; II 19 Daruväry, Geza v. (1866-1934) seit 1905 in d. Kabinettskanzlei d. Kaisers, 1907-1916 Sektionschef II 444-450 Davis, Gustav (1856-1951) 1896-1904 Hg. der Reichswehr, 1900-1938 Hg. der Kronen-Zeitung I 49, 336 Davy, Robert, Hofrat im Innenministerium II 162 Deak, Ferenc v. (1803-1876) ung. Politiker I 85, 128, 330, 428, 432, 465 f., 469; II 64, 456 Debrauz de Saldapenna, Alois (1811-1871) Publizist I 449 f. Decazes, Louis Due de (?-1886) Gatte d. F. I 394 Decazes, Severine Duchesse de (1845-1911) Tochter Johann Löwenthals I 394 Degenfeld-Schönburg, August Graf (1798-1876) General, 1860-1864 Kriegsminister I 226 f., 268
Personenregister
Deines, Gustav Adolf v. (1845-1911) preuß. General, 1886-1894 dt. Militärattache in Wien 1153 f. Delbrück, Hans (1848-1929) dt. Historiker 1165 f. Delcasse, Theophile (1852-1923). 1898-1905 und 1914-1915 franz. Außenminister, 1911-1913 Marinemin. 1437; II 31,267, 309,312-314, 321,328 f., 336 f., 354,363,372 Delle Grazie, Marie Eugenie (1864-1931) Dichterin I 390 f. d'Elvert, Heinrich Frh. (1853-1926) Oberlandesgerichtsrat in Brünn, 1897-1918 MöAH I 499 f. Demel v. Elswehr, Johann (1825-1892) 1861-1892 Bürgermeister v. Teschen, 1861-1892 MöAH 1248 Demel v. Elswehr, Leonhard (1856-1915) Sohn d. O., 1895-1915 MöAH, 1892-1908, 1913-1915 Bürgermeister v. Teschen I 248 Demel, 1866 Offizier I 229 Depretis, Agostino (1813-1887) 1876-1879 und 1881-1887 ital. Ministerpräs., 1877-1879, 1887 Außenminister I 147 Derschatta von Standhalt, Julius (1852-1924). 1885-1892 und 1901-1909 MöAH, 1906-1908 Eisenbahnminister 1185, 455, 460, 499; II 10, 162 Dessewffy, Emil Graf (1814-1866) ung. Politiker I 448 Devrient-Reinhold, Babette (1863-1940) Schauspielerin I 376 Deym von Stritez, Franz Graf (1838-1903) seit 1860 im diplom. Dienst, 1879-1887 MöAH, seit 1887 MöHH, 1887-1888 Gesandter in München, 1888-1903 Botschafter in London I 82, 94 Dillon, Emile Joseph (1854-1914) brit. Journalist II 224 f. Dimitrijevic-Arrer, Maksim, serb. Legationssekretär in Wien II 270
Personenregister
Dinstl, Ferdinand, Vater d. F., Rechtsanwalt in Krems II 12 Dinstl, Ferdinand (1821-1885) 1867-1879 MöAH II 12 Dinstl, Mutter d.O., geb. Bach II 12 Dipauli v. Treuheim, Josef Frh. v. (1844-1905) 1877-1901 MöAH, 1898-1899 Handelsminister, seit 1903 MöHH I 82, 238, 246 f., 398 Disraeli, Benjamin Earl of Beaconsfield (1804-1881) 1868 und 1874-1880 brit. Premierminister 1430 Ditfurth, Moritz v. (1840-1929) Offizier u. Militärhistoriker I 272 Dobernig, Josef (1862-198) 1895-1918 MöAH II 183 Doblhoff-Dier, Anton Frh. v. (1800-1872). 1848 Handels-, Innenu. Unterrichtsminister, 1849-1858 Gesandter in Haag, seit 1861 MöAH I 286 f., 318 f. Doblhoff-Dier, Antonie Frf. v. (1847-1899) Gattin Josef D. I 318 Doblhoff-Dier, Heinrich Frh. v. (1838-1913) 1873-1906 MöAH 1318 Doblhoff-Dier, Josef Frh. v. (1844-1928) Schriftsteller und Diplomat I 318 f. Doblhoff- Dier, Maria Frf. v. (1831-1922) Stiefmutter d. O., geb. Pratobevera I 318 Doczi, Ludwig Baron (1845-1919) 1895-1902 Leiter d. Literarischen Bureaus des Außenmin., seit 1896 Sektionschef I 49, 95-99, 104, 146, 157, 165, 172 f., 178, 210, 214 f., 243, 255, 260-262, 293 f., 297-299, 328-331, 334-336, 339 f., 344, 348 f., 373 f., 378, 381 f., 421, 423, 431 f., 437; II 51-54, 130 Doczi, Paula Baronin, seit 1893 Gattin d. О. I 421 Dorn, Alexander v. (1838-1919) Wiener Gemeinderat, Mitglied Orientkomitee 1909 II 147, 160
475
Dorotka v. Ehrenwall, Georg v. (1778-1875) Vater d. F., General II 287 Dorotka v. Ehrenwall, Joseph v. (1832-1897) Offizier II 287 f. Dorotka v. Ehrenwall, Wilhelm, kroat. Journalist II 269 Drdacki v. Ostrow, Moritz, poln. Historiker I 364 Dreger, Karl (1825-1896) seit 1867 Hg. der Presse I 303 f. Dreher, Anton (1849-1921) Brauindustrieller, seit 1902 MöHH I 206 Dreyfus, Alfred (1859-1935) franz. Offizier I 89, 108, 231; II 201, 328 Dubsky, Adolf Graf (1878-1953) Diplomat, 1907 Attache in Rom, 1913-1914 Legationssekretär in London II 152, 207 Dubsky, Viktor Graf (1834-1915) seit 1857 im diplom. Dienst, 1872-1877 Gesandter in Teheran, 1877-1880 Gesandter in Athen, 1878-1880 Leiter der Botschaft in Konstantinopel, 1882-1903 Gesandter, seit 1888 Botschafter in Madrid II 111-117 Dudik, Beda (1815-1890) Historiker, seit 1859 mährischer Landeshistoriograph I 208 Dufferin, siehe Blackwood, Frederick Dumaine-Chilhaud, Alfred (1852-1930) 1912-1914 franz. Botschafter in Wien II 309, 345 Dumba, Constantin Frh. v. (1856-1947) seit 1879 im diplom. Dienst, 1903-1905 Gesandter in Belgrad, 1909-1912 Gesandter in Stockholm, 1913-1915 Botschafter in Washington I 72; II 176 f., 276 Dumba, Nicolaus Theodor (1854-1928) Industrieller, Bruder d. О. II 176 Dunajewski, Julian v. (1821-1907). 1873-1891 MöAH, 1890-1891 Finanzminister, seit 1891 MöHH I 65, 80, 135, 148, 179 f., 194, 218 f., 292, 395-397, 413
476 Duncker, Carl v. (1830-?) Oberst, Vorstand d. Schriftenabt. d. Kriegsarchivs I 363 f. Dzieduszycki, Fürstin, Bekannte Gustav Kälnokys 1169 Ebner-Eschenbach, Marie Frf. v. (1830-1916) Schriftstellerin II 207 Eckardstein, Hermann Frh. v. (1864-1933) dt. Diplomat, 1899-1902 Botschaftssekretär in London II 353, 356, 432 Edelsheim-Gyulai, Leopold Frh. v. (1826-1893) General, 1869-1874 Generalkavallerieinsp., 1874-1886 komm. General in Budapest I 89, 154 f.; II 288 Edward VII. (1841-1910) seit 1901 König v. Großbritannien II 65, 89, 95, 157,159, 167, 171, 177, 195, 197, 199, 209, 212 f., 217, 222, 224, 235, 238, 264, 323, 336, 361 f., 387 Egloffstein, Hermann v. (1861-1938) sachsen-meiningischer Kabinettssekretär I 350 f. Egloffstein, Leonhard Frh. v. (1815-1900) Vater d. O., sachsenmeiningischer Oberststallmeister u. preuß. General I 350 Eim, Gustav (1849-1897) 1891-1897 MöAH II 136 Eisenmann II 226 Eisner v. Eisenhof, Angelo (1857-1939) Publizist u. päpstl. Geheimkämmerer II 193 f. Eissner v. Eisenstein, Arthur Frh. (1846-1911) 1870-1894 im diplom. Dienst, 1888-1892 Botschaftsrat in Berlin 1158 Eitelberger-Edelberg, Jeannette v. (1838-1909) 2.Gattin Rudolf E„ 1873-1897 Präs. d. Wiener FrauenErwerb-Vereines I 289 Eitelberger-Edelberg, Pauline v. (1826-1857) l.Gattin d. F., geb. Lederer I 287 Eitelberger-Edelberg, Rudolf v. (1817-1885) seit 1852 Prof. f.
Personenregister Kunstgeschichte Univ Wien, seit 1864 Dir. d. Museums für Kunst und Industrie I 90, 287 f. Eldon, siehe Scott, John Eleonore (1860-1917) seit 1908 Gattin Ferdinands v. Bulgarien II 93 Elisabeth (1691-1750) Mutter Kaiserin Maria Theresias I 353 Elisabeth (1837-1898) seit 1854 Kaiserin v. Österreich I 64, 127, 188 f., 376, 391 f., 415, 425 f.; II 78-80, 292 f , 295 f., 445, 454, 461 Elisabeth (1843-1916) Königin v. Rumänien, Pseud. Carmen Sylva 1209 Elisabeth, Erzherzogin (1831-1903) Mutter Maria Christinas v. Spanien 1109 Elster, Dr., Finanzberater des hannover. Königs Georg V. I 277 Engel, Emanuel (1844-1907) 1883-1907 MböhmLt, 1885-1901 MöAH I 455 Engländer, Sigmund (1828-1902) Journalist und Kaufmann, emigrierte 1848 nach London I 304 Englisch, Karl v. (1822-1904) Hofrat, Polizeidir. v. Krakau i. P. I 292 Eötvös, Jozsef Baron (1813-1871) 1848 und 1867-1871 ung. Minister für Kultus und Unterricht 1109 f., 127, 423; II 64 Eötvös, Lorant Baron (1848-1919) Sohn d. O., Physiker, 1889-1905 Präs. d. Ungar. Akademie d. Wissenschaften; 1894-1895 ung. Minister für Kultus u. Unterricht I 84; II 448 Ephrussi, Ignaz (1829-1899) Wiener Bankier I 212 Erb v. Rudtorffer, Ferdinand Frh. (1833-1898) Sektionschef im Innenmin. 1178 f., 395 f., 422 Ernst II. (1818-1893) seit 1843 Herzog v. Sachsen-Coburg-Gotha 1350
Personenregister
Erzberger, Matthias (1875-1921) 1903-1918 MdR II 352 Eskeles, Bernhard v. (1753-1839) Wiener Bankier I 290 Eskeles, Daniel v. (1803-1876) Wiener Bankier I 290 Esterhäzy, Elisabeth Gräfin (1875-1955) Gattin Johann E., geb. Tarnowski I 229 Esterhäzy, Johann Graf (1864-1905) Gatte d. О. I 229 f. Esterhäzy, Moriz Graf (1807-1890) 1848-1856 Gesandter in Rom, 1861-1866 Minister ohne Portefeuille I 265-267, 292 Esterhäzy, Paul Graf (1861-1932) 1907-1912 Sektionschef im Außenmin. II 66, 74 f., 171, 189 Esterhäzy, Polyxenia Gräfin (1830-1913) Gattin Moriz Ε. I 267 Etienne, Michael (1827-1879) Journalist, Chefred. d. Neuen Freien Presse seit 18641 304, 324, 355 Etienne, Chef d. Comite du Maroc 1905 II 337 Eugen, Prinz v.Savoyen (1663-1736) Feldherr I 429 Eugenie (1826-1920) 1853-1870 Kaiserin der Franzosen I 97, 394 Eulenburg, August Graf zu (1838-1921) 1890-1914 preuß. Oberhof- und Hausmarschall, 1907-1918 preuß. Hausminister 1158 Eulenburg, Botho Graf zu (1831-1912) 1878-1881 preuß. Innenminister, 1881-1892 Oberpräs. v. Hessen, 1892-1894 preuß. Ministerpräs, und Innenmin. 1158 Eulenburg, Philipp Fürst zu (1847-1921) seit 1877 im dt. diplom. Dienst, 1894-1903 Botschafter in Wien I 195, 200, 202-204, 213 f., 231-234, 238, 240 f., 261, 278 f., 336, 438-^43; II 305, 338, 364 f., 368, 370, 388 f.
477 Exner, Auguste, l.Gattin Franz Serafin E. d.J., Nichte Alexander Bachs I 308 Exner, Charlotte (1814-1859) Gattin Franz Serafin E. d. Ä. I 275 Exner, Emilie (1850-1909) geb. Winiwarter, Gattin Siegmund E., 1901-1906 Präs. d. Wiener FrauenErwerb-Vereines, Pseud. Felicie Ewart I 274, 279-282, 286 f., 300-302, 310, 312, 314 Exner, Franz Serafin (1802-1853) 1831-1848 Prof. der Philosophie Univ. Prag, seit 1848 im Unterrichtsmin. I 275 Exner, Franz Serafin (1849-1926) seit 1891 o. Prof. f. Physik Univ. Wien I 308 Exner, Johann, 1866 Auditor am Landes-Militärgericht in Budapest 189 Exner, Siegmund (1846-1926) seit 1875 ao., 1891-1917 o. Prof. f. Physiologie Univ. Wien I 89, 274 f., 279-282 Exner, Wilhelm (1840-1931) Technologe, 1882-1897 MöAH, 1905-1918 MöHH I 52 Eynatten, August Friedrich v. (1798-1860) General I 477; II 105, 119 f. Falk, Miksa (1828-1908) 1868-1906 Chefred. des Pester Lloyd, seit 1869 MungAH 1 124-128, 162 f., 464, 483 Falke v. Lilienstein, Hans Frh. v. (1862-1932) Sohn d. F., Jurist und Schriftsteller I 354 Falke v. Lilienstein, Johann Frh. v. (1827-1895) 1867-1895 Chef des Literarischen Bureaus des Außenmin. I 304, 354 Falkenhayn, Franz Graf (1827-1898) 1866 Oberstleutnant, seit 1867 MöHH I 228 f., 403 Falkenhayn, Julius Graf (1829-1899) 1879-1895 Ackerbauminister, 1879-1899 MöAH I 79,182, 197 f., 216, 370
478 Fallieres, Armand (1841-1931) 1906-1913 franz. Präs., mehrfach Minister II 208 Faragan, Redakteur d. Times II 201 Fatica, Angelo, Advokat in Kairo II 135 f. Faure, Felix (1841-1899) 1895-1899 franz. Präs. I 250 Feigl, Daniel (1869-?) Journalist 1225 Feilbogen, Siegmund (1858-?) bis 1908 Prof. f. Nationalökonomie Wiener Exportakademie II 263 Fejerväry von Komlos-Keresztes, Geza (1833-1914) General, 1865 Flügeladjutant des Kaisers, 1884-1903 ung. Landesverteidigungsminister, 1905-1906 Ministerpräs. 1455, 466; II 9, 27, 29, 34-39, 51, 57, 62 f., 81 f., 194, 234, 244, 249, 385, 412 Fellner, Peter Frh. v. (1854-1928) Vizepräs. d. Landesgerichts Wien 1321 Fellner, Thomas (1852-1904) seit 1879 Archivar, 1883-1904 Archivdir. im Innenmin. I 262 Ferdinand I. (1793-1875) 1835-1848 Kaiser von Osterreich I 306, 314, 457; II 447 Ferdinand (1861-1948) seit 1887 Fürst, 1908-1918 König v. Bulgarien I 78, 95-97, 214; II 70, 93 f , 103, 198, 207 f , 214, 253, 319 Ferdinand Karl, Erzherzog (1781-1850) General, 1832-1846 Statthalter in Galizien, 1834-1838 kaiserl. Kommissär in Siebenbürgen I 365 Ferdinand Karl, Erzherzog (1821-1849) General 1109 Ferdinand Max, Erzherzog, siehe Maximilian, Kaiser v. Mexiko Ferrari, Andrea (1850-1921) seit 1890 Erzbischof v. Mailand, seit 1894 Kardinal II 393 Ferrata, Dominique (1847-1914) seit 1896 Kardinal, 1914 Kardinalstaatssekretär II 393
Personenregister Fesch, Milosch v., Sektionschef im Unterrichtsmin. II 162 Festetics de Tolna, Marie Gräfin (1839-1923) seit 1870 Hofdame Kaiserin Elisabeths II 292-296, 445, 455 Fialla, Hermann, Advokat in Wien 1211 Fidler, Karl (1818-1887) 1849-1860 im Innenministerium, ab 1860 im Polizeimin., 1863-1865 Chef d. Presseleitung, ab 1865 in Triest, 1870/71 Leiter der Statthalterei in Triest, 1871-1885 Sektionschef im Unterrichtmin. I 172, 288, 409 Fiedler, Ferdinand (1842-1910) General, 1884-1888 Chef d. Operationsbüros d. Generalstabes, 1898-1905 Korpkommandant in Lemberg, 1905-1908 komm. General in Wien, 1908-1910 Generaltruppeninsp. 1189 f.; II 22 Fiedler, Franz (1858-1925) 1901-1911 MöAH, 1901-1918 MböhmLt, 1907-1908 Handelsminister II 84, 254 Fischel, Alfred v. (1853-1926) Rechtsanwalt und Politiker in Brünn I 500 Fischer, Friedrich Frh.v. (1826-1907) General, seit 1866 Vorstand d. Büros für Kriegsgeschichte 1154; II 300 Fischer, Jesuit II 194 Fischhof, Adolf (1816-1893) Politiker, 1848/49 Μ d. Reichstages I 224 Fogazzaro, Antonio (1842-1911) ital. Schriftsteller II 204 Fontenay, Louis Gabriel Vicomte de, franz. Diplomat, 1908 Generalkonsul in Budapest, seit 1914 Gesandter in Durazzo (Duräs) II 197 Forgäch, Johann Graf (1870-1935) 1907-1911 Gesandter in Belgrad, 1911-1913 Gesandter in Dresden, 1913-1917 Sektionschef im Außenmin. II 174, 215, 220
Personenregister
Forster, Zdenko Frh.v. (1860-1922) 1911-1917 Eisenbahnminister II 426 Forstner v. Billau, Franz Frh. v. (1837-?) General, 1885-1892 Militärattache in Rom II 303 Forstner v. Billau, Richard Frh. (1869-1907) Sektionschef, 1900-1902 Vorst.d. Präsidialabt. d. Ministerratspräs. I 346 Fort, Josef (1850-1929) 1893-1896 und 1897-1911 MöAH, 1894-1906 MböhmLt, 1906-1907 Handelsminister II 84, 254 Fournier, August (1850-1920) seit 1903 o. Prof. f. allg. Geschichte Univ. Wien II 162 Fox, siehe Liechtenstein, Mary Franck, Karl v. (1806-1867) General, 1864-1866 Kriegsminister I 87, 266 f. Franck, Moritz v. (1814-1895) 1861-1864 und 1867-1870 Bürgermeister v. Graz I 389 Franckenstein, Baronin II 176 Frank, Josip (1844-1911) kroat. Politiker u. Publizist II 89, 250-253, 269, 274, 277, 377 f. Frank, Chefredakteur d. Agramer Tagblatts II 252 Frankl-Hochwart, Ludwig August v. (1810-1894) Schriftsteller u. Journalist I 311, 392 Franz II. (I.) (1768-1835) seit 1792 röm.-dt. Kaiser u. König von Ungarn, seit 1804 Kaiser von Österreich 1102, 210, 289, 306, 426; II 18, 455 Franz Ferdinand, Erzherzog (1863-1914) Thronfolger I 108, 229 f., 242, 260, 263 f., 271 f., 275, 322, 340-343, 347 f., 434, 442-444, 456 f., 474, 490, 495, 497; II 9 f., 22-25, 42, 49, 58-60, 98 f., 111,146, 157, 163, 167 f., 171, 180, 192-194, 199, 216 f., 229, 236, 238 f., 241, 243 f., 246, 248, 250, 253, 260-263,
479 265 f., 303 f., 309-311, 375, 378 f., 381, 426, 446, 449, 451 f. Franz Joseph (1830-1916) seit 1848 Kaiser v. Osterreich und König v. Ungarn 149, 51, 54, 57,59,62,64, 67 f., 71 f., 75 f., 78,82,84-87, 90 f., 93-96,98-100,102 f., 107,109-115, 118-132,134-139,141-143,147, 149,151 f., 154,156,163-165, 173-175,178-185,187-190,194, 197-199,201-203,208,210 f., 217 f., 222,227-227,231-242,245-248, 250,252,254 f., 259-261,263 f., 266 f., 271-274,277-279,281, 283-285,290 f., 293-296,300,310, 312 f., 315,321 f., 324,329 f., 332-335,338,340 f., 343 f., 346-348, 350 f., 353,356-359,361 f., 364-369, 371,373-378,383-390,392 f., 395-408,410-415,418 f., 421-129, 432,436,438 f., 442-444,447 f., 450 f., 452,457,460,462-467,470, 473-477,480,483-485,489 f., 492 f., 495-499, 501-503; Π 7 f., 10,12 f., 15 f., 18 f., 22,24-30,33,35-41,43, 48-52,56-59,63, 75, 77-82,92 f., 95-97,100,103-105,107,109 f., 112 f., 115,126-128,132-135,142, 145,150 f., 153-155,157-159,163 f., 167 f., 171 f., 176 f., 181-186,188 f., 195-198,206,208,222, 229-231, 233-236, 244,246,248 f., 252 f., 257, 259, 262,265 f., 274,286,289-299, 301-303,309-311,372,377,379 f., 382,386,390 f., 394,396,401, 405-407,412,414,418,420,425 f., 429,433-455,457-461 Franz Karl, Erzherzog (1802-1878) Vater d. Ο. Π 78 Franz Salvator, Erzherzog (1866-1939) Gatte Erzherzogin Marie Valeries Π 445 Freese, Julius (?-1883) Journalist 1409 Freiberg, Rudolf v. (1843-1902) Sektionschef, bis 1897 Vorstend d. Kanzlei d. Ministerratspräs. I 49, 99, 148, 171 f., 336
480 Friedländer, Ludwig, Exporteur II 162 Friedländer, Max (1829-1872) Journalist, 1864 Mitbegründer d. Neuen Freien Presse I 355; II 301 Friedländer-Fuld, Milly (1868-?) Gattin d. Kohlenindustriellen Friedrich F. II 376 Friedländer-Malheim, Friedrich v. (1825-1901) Maler II 292 Friedrich III. (1831-1888) 1888 dt. Kaiser 1 154, 166 f., 228, 251, 311; II 79, 361 Friedrich, Erzherzog (1856-1936) General, 1914-1916 Armeekommandant I 363 f.; II 399 f. Friedrich August III. (1865-1932) 1904-1918 König v. Sachsen I 350 Friedrich Karl (1828-1885) Prinz v. Preußen, Generalfeldmarschall 1228 Friedrich Wilhelm I. (1802-1875) seit 1831 Regent, 1847-1866 Kurfürst v. Hessen I 257, 276 f. Friesen, Richard v. (1808-1884) 1849-1852 sächs. Innenminister, 1858-1876 Finanzmin., 1866-1876 Außenmin., 1871-1876 Ministerpräs. I 337 f. Frischauer, Berthold (1851-1924) bis 1914 Korrespondent d. Neuen Freien Presse in Paris II 145, 314 Fröbel, Julius (1805-1893) Journalist, 1848 Μ d. Reichstages I 409 Frydmann-Prawy, Marceil v. (1847-1906) Journalist, seit 1886 Chefred. d. Fremdenblattes 1148 Fürstenberg, Karl Emil Prinz zu (1867-1945) seit 1892 im diplom. Dienst, 1905-1909 Legationsrat in St.Petersburg, 1909-1911 Gesandter in Dresden, 1911-1913 Gesandter in Bukarest, 1917-1918 Botschafter in Madrid II 60, 131 Fürstenberg, Max Egon Fürst zu (1863-1941) seit 1886 MöHH und MböhmLt, seit 1897 Chef des Gesamthauses Fürstenberg
Personenregister I 243-245, 341 f., 439-444, 484 f.; II 77 Fürstenberg, Therese Landgräfin (1839-1920) Hofdame Kaiserin Elisabeths II 77-82 Fürth, Hugo v., Berater Ferdinand v. Bulgariens II 152, 160, 165 Funder, Friedrich (1872-1959) 1902-1938 Chefred., seit 1904 Hg. d. Reichspost II 226, 228 Gablenz, Ludwig Frh.v. (1814-1874) General, 1865-1866 Statthalter in Holstein I 227 f., 264-268 Gablenz Rudolf, Student an d. Wiener Technik, 1851 verhaftet II 284, 286 Gabrieli, Adolf v., Assistent an d. Wiener Technik, 1851 verhaftet II 284 Gärtner, Friedrich (1882-1931) Sektionschef im Min. f. öffentl. Arbeiten, seit 1924 Dir. d. DDSG II 204 Gagern, Maximilian Frh. v. (1810-1889) 1855-1873 im Außenmin. II 291 Gajäri, Ödön, ung. Journalist, Chefred. d. Az Ujsäg II 127 Galen, Augustin Graf OSB (1870-1949) Beichtvater Erzh. Franz Ferdinands II 263, 266 Galgotzy, Anton v. (1837-1929) General, 1887-1891 Stellv.d. Generalstabschefs, 1905-1908 Generaltruppeninsp. II 22 Gallina, Josef Wilhelm Frh. v. (1820-1883) General, 1869-1874 Generalstabschef I 332 Gallina, Luise Frf.v. (1827-1882) Gattin d. О. I 332 Gangibauer, Cölestin (1817-1889) seit 1881 Erzbischof von Wien, 1884 Kardinal I 88 Garibaldi, Guiseppe (1807-1882) ital. Freiheitskämpfer II 288
Personenregister
Gaupp ν. Berghausen, Ludwig (1834-1897) General, 1866 Hauptmann I 227 Gautsch v. Frankenthurn, Paul Frh. (1851-1918). 1885-1893 und 1895-1897 Unterrichtsminister, 1897-1898 und 1904-1906 Ministerpräs., 1899-1904 und 1906-1911 Präs. d. Obersten Rechnungshofes, seit 1895 MöHH I 79, 182-185, 201 f., 212, 216, 234 f., 239, 247, 255-257, 264, 272, 297, 321 f., 352, 395, 399 f., 422 f., 463 f.; II 16 f., 19-21, 23 f., 26, 29-31, 57-59, 154, 177, 185, 235 f., 266, 303, 437 f. Gavrila, Emil, ung.-serb. Politiker, Rechtsanwalt in Budapest II 271, 273 Gencic, George, 1899-1900 serb. Innenminister, 1903 Volkswirtschaftsmin. II 272 Georg V. (1819-1878) 1851-1866 König v. Hannover I 276 f. Georg (1832-1904) seit 1902 König v. Sachsen Georg I. (1845-1913) seit 1863 König v. Griechenland 1181; II 46 Georg II. (1826-1914) seit 1866 Herzog v. Sachsen-Meiningen I 409 Georg, Prinz v. Griechenland (1890-1947) 1898-1906 Gouverneur v. Kreta 1106 f., 214 f. Georg, Prinz v. Serbien (1887-1972) Kronprinz, verzichtet 1909 auf Thronfolge II 129, 270, 275 f. George V. (1865-1936) seit 1901 Thronfolger, seit 1910 König v. Großbritannien I 393 Georgevic, Viadan (1844-1930) 1887-1900 serb. Ministerpräs. u. Außenminister II 179, 186 f., 191, 196, 222, 252, 272, 274 German, Ludomil (1851-1920) 1907-1918 MöAH II 394 Gerson, Felix v. I 229 f. Geßmann, Albert (1852-1920) 1891-1911 MöAH, 1907-1908 dt.
481 Landsmannminister, 1908 Min. f. öff. Arbeiten II 231 Geyringer-Winterstein, Friedrich Frh.v. (1846-1923) Sektionschef im Finanzmin., Regierungskomm. bei d. Österr.Ung. Bank I 85, 291 Giehne, Friedrich (1807-1879) Wiener Journalist I 409 Giers, Nikolaj Graf (1820-1895) 1875-1882 Dir. d. asiat. Departements d. russ. Außenministeriums, 1882-1895 Außenmin. I 50, 58, 60, 192 f., 494 Giolitti, Giovanni (1842-1928) 1901-1903, 1903-1905, 1906-1911, 1911-1913 ital. Ministerpräs. II 177, 371, 373, 383 Giovanelli, Karl Frh.v. (1847-1922) 1900-1904 Ackerbauminister I 419, 479 Giskra, Elisabeth Frf. v. (1867-1935) Tochter d. F. I 418 Giskra, Karl Frh. v. (1820-1879) 1861-1879 MöAH, 1867-1870 Innenminister 1259,305,311,365 f., 371 f., 384-390,392,399^01,411, 416-420,426,450 f., 502; II 282 Giskra, Karl Frh.v. (1864-1919) Sohn d.O., Gesandter, seit 1889 im diplom. Dienst I 418 Gladstone, William Ewart (1809-1898) 1868-1874, 1880-1885, 1886 und 1892-1894 brit. Premiermin. I 105 Glaser, Julius (1831-1885) seit 1860 o.Prof. f. österr. Strafrecht Univ. Wien, 1868-1870 Sektionschef im Unterrichtsmin., 1871-1879 Justizmin., 1872-1879 MöAH I 185, 295 f., 401 f., 406, 426 Glaser, Wilhelmine (1836-1960) Gattin d. 0 . 1 1 8 5 Gleispach, Johann Graf (1840-1906) seit 1861 im Justizdienst, 1892-1895 und seit 1897 Präs. des Oberlandesgerichtes Graz, 1895-1897 Justizminister, seit 1895 MöHH I 271
482
Glossy, Karl (1848-1937) 1890-1904 Dir. d. städtischen Museums u. d. Stadtbibliothek Wien, Mithg. d. Osterreichischen Rundschau I 305, 320; II 159 Gneisenau, August Graf v. (1760-1831) preuß. General und Kriegstheoretiker I 356 Gniewosz-Olexow, Eduard v. (1822-1906) Sektionschef i.R., 1873-1897 MöAH II 10-12 Gobbi, Ferdinand, Sektionschef II 135 Göpferth v. Altburg, Adalbert, Bibliothekar im Kriegsarchiv I 99 Görgei, Arthur (1818-1916) 1848 Oberkommandant der ung. Revolutionsarmee II 286 Görner, Karl v. (1858-1924) 1893-1920 Chefred. d. Linzer Tagespost I 99 Görres, Joseph v. (1776-1848) kathol. Publizist II 162 Goldschmidt, Journalist (?) I 286 Goltz, Colmar Frh. v.d. (1843-1916) preuß. General, 1883-1895 und 1909-1911 in türkischem Dienst II 357 Goluchowska, Maria Gräfin (1823-1906) Gattin d. F. II 10 Goluchowski, Agenor Graf d. Ä. (1812-1875) 1849-1859, 1866-1868 und 1871-1875 Statthalter in Galizien, 1859-1860 Innenminister, 1860-1861 Staatsmin. I 205, 299, 369, 408, 477; II 10-12 Goluchowski, Agenor Graf d. J. (1849-1921) seit 1870 im dipl. Dienst, 1887-1894 Gesandter in Bukarest, 1895-1906 Außenminister, seit 1875 MöHH I 73, 93, 95 f., 98,104, 106 f., 122, 146, 152, 170 f., 173, 178, 203, 209, 214 f., 231, 241-243, 249, 254 f., 261 f., 297-299, 335 f., 339 f., 342-344, 346, 348 f., 373 f., 381 f., 397, 399, 420 f., 431, 435-441, 445-449, 456, 473, 476, 484-487, 489, 491-493,
Personenregister 497; II 17, 28, 30, 32-34, 40 f., 43 f., 49, 53, 56 f., 59-62, 77, 80, 146, 163, 209, 234 f., 266, 333, 387 f., 407 Goluchowski, Graf, Vater bzw. Großvater d. О. II 10 Gomperz, Max v. (1822-1913) Industrieller, seit 1858 Verwaltungsrat der Creditanstalt I 287 f.; II 117-120 Gomperz, Theodor (1832-1912) 1873-1900 o.Prof. f. klassische Philologie. Univ. Wien, seit 1901 MöHH II 179 Gorcakov, Alexander Fürst (1798-1882) 1856-1882 russ. Reichskanzler u. Außenminister 154; II 114 f. Goschen, William Edward Sir (1847-1924) 1905-1908 brit. Botschafter in Wien, 1908-1914 Botschafter in Berlin II 198 f., 207 f., 218 Govöne, Giuseppe (1825-1872) ital. General, 1866 Divisionskommandant, 1867-1869 Chef d. Generalstabs, 1869-1870 Kriegsminister 189 Grabmayr v. Angerheim, Karl (1848-1923) 1897-1907 MöAH, seit 1907 MöHH, 1913-1918 Präs. d. Reichsgerichts I 254 Gramont, Antoine Hzg. v. (1819-1880) 1857-1861 franz. Botschafter am Vatikan, 1861-1870 Botschafter in Wien, 1870/71 Außenminister I 258, 337 Gredler, Andreas v. (1801-1870) Rechtsanwalt in Wien II 133 f. Gregr, Edvard (1827-1907) 1861-1907 MböhmLt, 1883-1907 MöAH 1 107, 381 f. Grey, Edward Viscount of Falloden (1862-1933) 1892-1895 Unterstaatssekretär im brit. Außenmin., 1905-1916 Außenmin. II 90, 129 f., 195 f., 202, 219, 224, 228, 238, 338-340, 350, 421 f.
Personenregister
Grimaud d'Orsay, Betty Gräfin (1839-1907) verwitwete Löwenthal v. Linau I 382-384, 392 f., 476-478 Grocholski, Kazimierz v. (1815-1888) 1861-1888 MöAH, 1871 Minister für Galizien II 459 Gross, Gustav (1856-1935) 1879-1918 M, 1917-1918 Präs. öAH II 428 Gruber v. Menninger, Ignaz Frh. (1842-1919) Beamter im Finanzmin., seit 1902 Sektionschef, seit 1910 Vizegouverneur d. Osterr.Ungar. Bank I 291 f. Grübl, Raimund (1847-1898) 1878-1898 Wiener Gemeinderat, 1892-1894 Vize-, 1894-1895 Bürgermeister I 475 Grün, Anastasius siehe Auersperg, Anton Graf Grünhut, Karl (1844-1929) 1874-1915 o.Prof. f. Handels- u. Verwaltungsrecht Univ. Wien, seit 1897 MöHH II 17 Grünne, Karl Graf (1808-1884) General, 1850-1859 Vorstand d. Militärkanzlei des Kaisers, seit 1859 Oberststallmeister I 378, 457, 501 f.; II 80,112 Grünne, Gräfin, Tochter d. О. I 457 f. Gruscha, Anton Josef (1820-1911) seit 1890 Erzbischof von Wien, seit 1891 Kardinal I 272 Güdemann, Moritz (1835-1918) seit 1866 Rabbiner, seit 1893 Oberrabbiner in Wien II 144,146, 163 Guerrera, Madrider Börsenspekulant II 114 Guggenberg zu Riedhofen, Otto v. (1848-1914) Arzt in Brixen, 1904-1913 Bürgermeister v. Brixen 1296 Guicciardini, Francesco Graf (1851-1915)1906, 1909-1910 ital. Außenminister I 492 Guillemin, Jean, franz. Diplomat, 1905-1909 Botschaftsrat in Wien II 255-258
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Gutmann, Max v. (1857-1930) Industrieller, seit 1917 MöHH II 17 Gutmann, Schwester Frau Porges' I 176 Guttenberg, Emil Frh. v. (1841-1941) General, 1896-1897 Eisenbahnminister 1189 Guttmann, В., Bekannter Friedjungs in London II 339 Guttmann, Julius (1847-?), Journalist I 336 Gyulai, Franz Graf (1798-1868) General, 1849/50 Kriegsminister, 1857-1859 komm. General in der Lombardei I 225 f.; II 112, 137 Haan, Ludwig v. (1813-1868) Ministerialrat im Justizmin., Jugendfreund Alexander Bachs I 320 f. Haan, Wilhelm v. (1845-1901) Sohn d. O., Sektionschef im Justizmin. I 320 f. Haber v. Linsburg, Louis (1804-1892) Industrieller und Bankier, seit 1872 MöHH I 290; II 132 Habietinek, Karl (1830-1915) 1871 Justizminister, 1899-1904 Präs. d. Obersten Gerichtshofes, seit 1879 MöHH II 23, 290, 309 Häfner, Leopold (1819-?) Journalist 1304 Haidinger, Wilhelm v. (1795-1871) Mineraloge u. Geologe, 1849-1866 Dir. d. Geolog. Reichsanstalt II 285 Hailig v. Hailingen, Gustav, Hofrat i. P. I 364 f., 369 Hainisch, Michael (1858-1940) Sozialpolitiker I 235; II 179 Halban, Heinrich v. (1845-1902) seit 1870 im Staatsdienst, 1873-1886 in d. Presseabt. d. Ministerratspräs., 1886-1898 Kanzleidir. öAH I 49f, 178-185, 194, 224, 256 f., 271, 336, 370, 394-400, 422 f., 445 Haidane, Richard Viscount of Cloan (1856-1928) 1905-1911 brit.
484 Kriegsminister, 1912-1915 Lordkanzler II 384 Hallwich, Hermann (1838-1913) 1871-1897 MöAH I 52, Hamerling, Robert (1830-1889) Schriftsteller I 353 Hammann, Otto (1852-1928) seit 1893 Pressereferent im dt. Auswärtigen Amt II 267, 306 f., 341-343, 352, 358, 367 Hammerschlag, Paul (1860-vor 1935) Dir. d. Creditanstalt II 160, 179 Hampe, Josef, Dir. d. Eisenwerkes Eibiswald II 132 Handel, Erasmus Frh. v. (1860-1928) 1902-1905 Statthalter in Dalmatien, 1905-1916 und 1917-1918 Statthalter in Oberösterreich, 1916-1917 Innenminister, seit 1917 MöHH II 19 f , 425 Hanotaux, Gabriel (1853-1944) 1894-1898 franz. Außenminister II 309, 312, 315 f., 429 Hansemann, Adolph (1827-1903) dt. Bankier I 469 Harambasic, August, kroat. Politiker II 269 Harden, Maximilian (1861-1927) dt. Journalist, seit 1892 Hg. der Zukunft II 307, 388 Hardinge, Charles Sir (1858-1944) 1906-1910 und 1916-1920 Unterstaatssekretär im brit. Außenmin., 1910-1916 Vizekönig in Indien II 95, 196, 217 f., 222, 224 Harmand, Francois (1845-1921) 1894-1905 franz. Gesandter in Tokio II 430 Härtel, Wilhelm v. (1839-1907) seit 1872 o.Prof. f. klass. Philologie Univ. Wien, 1896-1899 Sektionschef im Unterrichtsmin., 1900-1905 Unterrichtsmin., 1900-1907 Vizepräs. d. Akademie d. Wissenschaften in Wien, seit 1891 MöHH I 201 f., 321 f.; II 292, 442 Hartmann, Ludo Moritz (1865-1924) Historiker II 156
Personenregister Hartwig, Nikolaj v. (1855-1914) russ. Diplomat, 1900-1906 Dir. d. asiat. Departements d. Außenmin., 1906-1909 Gesandter in Persien, 1909-1914 Gesandter in Belgrad II 413 Hasenauer, Karl Frh.v. (1833-1894) Architekt II 460 f. Hasner v. Artha, Leopold (1818-1891) 1861-1867 M, 1863-1865 Präs. öAH, 1867-1870 Unterrichtsminister, 1870 Ministerpräs., seit 1867 MöHH I 172, 311, 371 f., 386, 401, 417, 426, 453; II 459 Hatzfeld-Wildenburg, Hermann Fürst (1867-1941) dt. Diplomat II 423 Haymerle, Heinrich Frh.v. (1828-1881) seit 1850 im dipl. Dienst, 1877-1879 Botschafter am ital. Hof, 1879-1881 Außenminister I 56 f., 92, 126,147, 149, 156, 161 f., 190, 328-330, 374 Haynald, Lajos (1816-1891) 1852-1861 Bischof v. Großwardein (Nagyvärad, Oradea), seit 1867 Erzbischof v. Kalocsa, seit 1879 Kardinal 1 154, 327 Haynau, Julius Jakob Frh.v. (1786-1853) General, 1849 Armeekomm, in Ungarn II 262 Heidler, Karl v. (1848-1917) 1891-1900 Generalkonsul in Kairo, 1900-1903 Gesandter in Belgrad, 1903-1909 Gesandter in Bern I 349 f. Heilsberg, Josef (1840-1894) 1873-1894 MöAH I 474 Heinrich, Erzherzog (1828-1891) 1343 Heinrich VII. Reuß, Prinz (1825-1906) seit 1853 im preuß. bzw. dt. diplom. Dienst, 1878-1894 Botschafter in Wien I 232, 351 Helene (1873-1972) seit 1896 Gattin Victor Emanuel III. v. Italien II 48 f.
Personenregister
Helfert, Joseph Alexander Frh.v. (1820-1910) 1848-1861 Unterstaatssekretär im Unterrichtsmin., seit 1863 Präs. d. Zentralkommission f. Denkmalpflege, seit 1881 MöHH I 288, 294, 323, 418 Hell, Franz v. (1812-1873) 1866-1867 Presseleiter im Ministerratspräs. 1409 Henckel v. Donnersmarck, Guido Fürst (1830-1916) Montanindustrieller I I 212 f. Henckel v.Donnersmark, Viktor Graf (1854-1916) preuß. Diplomat I 238 Henikstein, Alfred Frh.v. (1810-1882) General, 1864-1866 Generalstabschef, 1866 der Nordarmee zugeteilt I 226, 228, 252, 264, 380; I I 297-299 Henikstein, Gustav Frh.v. (1840-1909) General, Sohn d. O. 1252 Herbette, Jules-Gabriel (1839-1901) seit 1860 franz. Diplomat, 1886-1896 Botschafter in Berlin I I 256 Herbette, Maurice Lucien (1871-1929). Sohn d.O., franz. Diplomat I I 256 f. Herbst, Eduard (1820-1892) 1861-1891 MböhmLt, 1861-1892 MöAH , 1867-1870 Justizminister I 72, 133, 188, 259, 295, 311-313, 324 f., 371-373, 384-386, 388-390, 407, 411 f., 416, 419 f., 426, 428, 452 f., 502; I I 255, 282 f., 301, 459 f. Herbst, Sohn d. О. I 188 Hertz, Friedrich (1878-1964) Publizist, Soziologe u. Historiker I I 147 Herwegh, Emma (1817-1904) Gattin d. F. I 458 Herwegh, Georg (1817-1875) Revolutionär u. polit. Schriftsteller I 458 Herzog, Jakob (1842-1915) Journalist, seit 1870 Hg. d. Montags-Revue I I 15, 20 f.
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Heß, Heinrich Frh.v. (1788-1870) General, seit 1861 MöHH I 227, 378, 500 f.; I I 137 Hieronymi, Karolyi (1839-1911) 1892-1895 ung. Innenminister, 1903-1905 und 1910-1911 Handelsmin. I 110-117, 151, 173 f. Hildebrandt, Johann Lukas v. (1668-1745) Architekt I 383 Hildegard, Erzherzogin (1825-1864) Gattin Erzh. Albrechts I 87 Hilmi Pascha (1855-1921) türk. Politiker, 1902-1908 Gouverneur v. Mazedonien, 1909-1910 Großvesir I I 124, 147 f., 169 Hindenburg, Paul v. (1847-1934) dt. General, 1916-1918 Generalstabschef I I 400,410 Hinzpeter, Georg (1827-1907) Erzieher und Vertrauter Wilhelm II. I 167 Hirsch, Moritz Frh. v. (1831-1896) Eisenbahnindustrieller I 415 Hirschfeld, Ludwig v. (1831-?) Regierungsrat, 1854 in d. Obersten Polizeibehörde, seit 1866 Leiter d. Telegraphen-Correspondenzbureaus 1457-459 Hochenburger, Viktor v. (1857-1918) 1897-1901 MöAH, 1909-1916 Justizminister, seit 1917 MöHH 1176 Hönig, Fritz (1848-1902) dt. Militärschriftsteller I 158-160 Hofmann, Leopold Frh.v. (1822-1885) 1865/66 Ziviladlatus d. Statthalters in Holstein, seit 1867 Sektionschef im Außenmin., 1876-1880 gem. Finanzmin., 1880 Generalintendant d. Hoftheater, seit 1877 MöHH I 265, 293, 296, 299, 366 f., 453 Hofmann, Leopoldine, siehe Waideck Hofmann v. Wellenhof, Paul (1858-1944) 1891-1918 MöAH 1102, 499 Hofmokl, Dr. I I 277
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Hohenberg, Sophie Herzogin (1868-1914) Gattin Erzh. Franz Ferdinands, geb. Gräfin Chotek 1271 f., 340-343,348,379,434,443, 497; II 24,59,194,261,266,310 Hohenfels-Berger, Stella Frf.v. (1857-1920) seit 1881 Burgschauspielerin I 374 Hohenlohe-Langenburg, Ernst (1863-1950) dt. Diplomat, 1900-1905 Regent v. SachsenCoburg-Gotha, 1905-1907 Stellv. Leiter d. Kolonialabt. d. Auswärtigen Amtes, 1907-1912 MdR II 34 Hohenlohe-Langenburg, Hermann Fürst (1832-1913) 1871-1881 MdR, 1894-1907 Statthalter in ElsaßLothringen II 34 Hohenlohe-Schillingsfürst, Chlodwig Fürst zu (1819-1901) 1866-1870 bayer. Ministerpräs., 1871-1881 MdR, 1874-1880 dt. Botschafter in Paris, 1885-1894 Statthalter in Elsaß-Lothringen, 1894-1900 Reichskanzler II 305, 314 f., 361, 371, 429 Hohenlohe-Schillingsfürst, Gottfried Prinz zu (1867-1932) 1902-1907 Militärattache in St.Petersburg, 1914-1918 Botschafter in Berlin II 60 Hohenlohe-Schillingsfürst, Konrad Prinz zu (1863-1918) 1903-1904 Landespräs. d. Bukowina, 1904-1906 und 1906-1915 Statthalter in Triest, 1906 Ministerpräs., 1915/16 Innenmin., 1916 gem. Finanzmin., 1917-1918 1. Obersthofmeister des Kaisers II 30 f., 62, 177, 192, 419, 421, 425 f., 433 Hohenlohe-Schillingsfürst, Konstantin Fürst (1828-1896) General, seit 1866 1. Obersthofmeister des Kaisers I 229, 377 Hohenthal-Knauthain, Karl Adolf Graf v. (1811-1875) 1835-1866 sächs. Diplomat I 258
Personenregister
Hohenwart, Karl Graf (1824-1899) 1867-1868 Landespräs, von Kärnten, 1868-1871 Statthalter in Oberösterreich, 1871 Vors. d. Ministerrates, 1873-1897 MöAH, 1885-1899 Präs. d. Obersten Rechnungshofes, seit 1897 MöHH I 51 f , 172, 180, 195-198, 219, 263, 370, 424-426, 453; II 78, 184, 290 f., 301 Hohenzollern-Sigmaringen, Leopold Erbprinz v. (1835-1905) 1870 span. Thronfolgekandidat II 114 Holland, Lady, Adoptivmutter Mary Liechtensteins I 97 f. Hollo, Lajos (1859-1918) ung. Politiker II 238 Holstein, Friedrich v. (1837-1909) seit 1860 im preuß. diplom. Dienst, 1876-1906 Vortragender Rat im Auwärtigen Amt I 251, 338; II 30, 267 f., 280, 305-307, 316 f., 320 f., 327,336-338,340-342, 347, 351, 353, 355, 362-364, 367 f., 370, 388 f., 429, 431 Holstein-Glücksburg, siehe Schleswig-Holstein-Glücksburg, Wilhelm Prinz Holzgethan, Ludwig Frh.v. (1810-1876) 1870-1872 Finanzminister, 1871 Ministerpräs., 1872-1876 gem. Finanzmin. I 453 Hope, Verwandter d. Herzogs v. Norfolk II 203 Hopfen, Franz Frh.v. (1825-1901) 1864-1880 Dir. d. Boden-CreditAnstalt, 1861-1879 M, 1870-1873 Präs. öAH I 405 Horänszky, Nändor (1838-1902) 1902 ung. Handelsminister I 455 f. Hormayr, Josef Frh.v. (1781-1848) Historiker und polit. Publizist II 159 Hornbostel, Theodor v. (1815-1888) 1848 Handelsminister, seit 1856 Dir. d. Creditanstalt II 119 f. Horowitz, Eduard v., Sektionschef im gem. Finanzmin. I 299
Personenregister
Horst, Julius Frh. v. (1830-1904) General, 1871-1880 Verteidigungsminister I 358 Horvath, Edmund, Informant d. Gesandtschaft in Belgrad II 252, 271, 273 f., 278 Horvath, Gyula, MuAH 1120 Hoyos, Alexander Graf (1876-1937) Diplomat, 1912-1917 Chef des Kabinetts d. Außenministers, 1917-1918 Geschäftsträger in Oslo II 420 Hoyos, Ladislaus Graf (1834-1901) Diplomat, 1882-1883 1. Sektionschef im Außenministerium, 1883-1894 Botschafter in Paris 1176 Hubbard, William F. 1899-1902 Korrespondent d. Times in Madrid, seit 1902 in Rom II 203 f. Hübner, Josef Alexander Graf v. (1811-1892) 1849-1859 Botschafter in Paris, 1859 Polizeiminister, 1859-1867 Botschafter am Vatikan, seit 1879 MöHH II 112 f. Huemer, Johann (1849-1915) 1888-1891 Gymnasialdir., 1891-1897 Landesschulinsp. von Niederösterreich I 305 Hupka, Joseph (1875-1944) seit 1906 ao., seit 1915 o.Prof. f. Handelsund Wechselrecht Univ. Wien II 153 Hussarek von Heinlein, Max Frh. (1865-1936) seit 1892 im Unterrichtsmin., 1911-1917 Unterrichtsmin., 1918 Ministerpräs., 1895-1911 ao.Prof., 1918-1919 o. Prof. f. Kirchenrecht Univ. Wien II 435-440 Huyn, Johann Karl Graf (1812-1889) General I 306 Hye von Gluneck, Anton Frh. (1807-1894) seit 1848 im Justizmin., seit 1859 Sektionschef, 1867 Justizmin. u. Leiter d. Unterrichtsmin., seit 1869 MöHH I 325; II 103 f., 289
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Ignatiev, Nikolaj Graf (1832-1908) russ. Politiker, 1881-1882 Innenminister 1157 f. Inouye, Katsunoske, 1898-1907 japan. Gesandter in Berlin II 432 Isabella, Erzherzogin (1856-1931) Gattin Erzh. Friedrichs II 293 Isfordink-Kostnitz, Georg v. (?-1879) Legationsrat I 319 Iswolski, Alexander Graf (1856-1919) 1879-1900 russ. Gesandter in Belgrad, 1900-1902 Gesandter in Tokio, 1903-1906 Gesandter in Kopenhagen, 1906-1910 Außenminister, 1910-1917 Botschafter in Paris II 46, 75 f., 83, 88, 90, 92 f., 98,101-103, 105-107, 121-123, 125, 129 f., 141, 145 f., 149, 171, 174 f., 188-191, 197, 209-212, 214, 216, 218 f., 222-225, 236 f., 251, 263 f., 318-320, 334 Ito, Hirobumi Fürst (1841-1909) 1886-1888, 1892-1896, 1898, 1900-1901 japan. Ministerpräs., 1906 Generalresident in Korea II 431 Ivanic, Ivan, 1908 serb. Pressechef, 1909 Gesandtschaftssekretär in Konstantinopel II 279 Jablonowski, Felix Fürst (1808-1857) General, Bruder d. F. II 11 f. Jablonowski, Karl Fürst (1807-1885) seit 1861 MöHH II 11 Jablonski del Monte Berico, Josef (1806-1876) General, 1866 Festungskomm. v. Olmütz II 297 f. Jacobi, Hugo (1842-1906) Red. d. Berliner Neuesten Nachrichten 1166-169 Jacobs, Eugen Frh.v. (1890-?) Hofrat, Cousin Ernest v. Koerbers Π 442, 444 Jacobs, Gisela Frf.v. (1857-1891) Mutter d. O., Tante Ernest ν. Koerbers II 442 Jacobs, Karl Frh. v. (1850-1911) Vater Eugen J., General II 442
488 Jähns, Maximilian (1837-1900) preuß. Offizier und Militärhistoriker 1159 f. Jagow, Gottlieb v. (1863-1935) seit 1895 im dt. diplom. Dienst, 1909-1913 Botschafter in Rom, 1913-1916 Staatsekretär d. Auswärtigen Amtes II 384 f., 413, 415, 423, 449 Jaksch v. Wartenhorst, Anton (1810-1887) 1845-1881 Leiter der 2., seit 1850 auch der 1. medizin. Klinik in Prag I 416 Jaksch v. Wartenhorst, Friedrich (1846-1908). Sohn d.O., 1878-1907 MöAH 1416 Jaksic, Svetislav, serb. Journalist, Hg. d. Belgrader Stampa II 253, 274 f. Jansekowitsch, Maximilian Frh.v. (1832-1912) Sektionschef im gem. Finanzmin. I 299 f. Janski, Ludwig, General I 333 Jaures, Jean (1859-1914) 1885-1889, 1893-1898 und 1902-1914 franz. Abgeordneter, 1902 Gründer d. L'Humanite II 327-331 Jaworski, Apolinary v. (1825-1904) 1871-1904 MöAH, seit 1888 Vorsitzender d. Polenclubs, 1893-1895 Minister f. Galizien I 51, 184 f. Jeftanovic, Gligorje (1840-1927) serb.-bosn. Politiker u. Großgrundbesitzer II 271 Jelacic von Buzin, Josef Graf (1801-1859) General, 1848-1849 Banus von Kroatien und kgl. Kommissär in Ungarn I 119, 123 Jellinek, Georg (1851-1911) 1883-1889 ao. Prof f. Staatsrecht Univ. Wien, seit 1890 o. Prof. Univ. Heidelberg I 99 Jellinek, Hermann (1822-1848) Schriftsteller u. Journalist I 302 Jettel v. Ettenach, Emil Frh. (1846-1925) seit 1870 im Außenmin., 1902-1910 Leiter des Literari-
Personenregister schen Bureaus 153-71,73,86,104, 144,206-210,214 f., 254,277 f., 296, 299 f., 339 f., 346,348-350,374 f., 378,420 f., 435-438,444 f., 491-494; II 34,39,41-43,48,55 f., 61 f., 73 f., 76,120,128 f., 131,163,178,186 f , 189,195,205,226 f., 271 Jodl, Friedrich (1849-1914) 1885-1896 o. Prof. f. Philosophie dt. Univ. Prag, 1896-1914 Univ. Wien 1272 Joelson, Alfred v. (1831-1913) General I 303 Joelson, Karl Raphael v. (1763-1827) Advokat in Wien I 303 Joelson, Dr., Vater Alfred J. I 303 Johann (1801-1873) seit 1854 König v. Sachsen I 258, 338, 379 Johann Georg, Prinz v. Sachsen (1869-1938) sächs. General I 350 John, Franz Frh.v. (1815-1876) General, 1866 Generalstabschef d. Südarmee, 1866-1868 Kriegsminister, 1869-1874 komm. General in Graz, 1874-1876 Chef d. Generalstabs I 88 f., 202, 227, 243, 253 f., 268, 325, 334, 380 Jokai, Mor v. (1825-1904) ung. Politiker und Publizist I 432 Josef II. (1741-1790) Kaiser I 210; II 455 Josef Ferdinand, Erzherzog (1872-1942) General, 1914 Armeekommandant II 397-399, 401 f. Joseph, Erzherzog (1776-1847) seit 1795 Palatin v. Ungarn I 109 Josephine (1763-1814) 1796-1809 Gattin Napoleon 1.1 375 Josika, Samuel Baron (1848-1923) 1895-1898 ung Minister am Hoflager I 120 f., 152 Jubal, Karl (?-1853) Prof. in Budapest, wg. Hochverrat hingerichtet II 286 Justh, Gyulav. (1850-1917) seit 1884 M, 1905-1909 Präs. ungAH I 465; II 245
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Personenregister
Kageneck, Karl Graf (1871-1967) preuß. General, Flügeladjutant Wilhelm II., 1908-1914 dt. Militärattache in Wien II 141 f., 159, 187 f., 195 Kaiserfeld, Moriz v. (1811-1885) 1849 Μ d. Reichstages, 1861-1872 M, 1868-1870 Präs. öAH, 1870-1884 Landeshauptmann d. Steiermark, seit 1871 MöHH I 236 Kaizl, Alfred, Onkel d.F., Dir. d. Südbahn I 248 Kaizl, Josef (1854-1901) 1885-1888 und 1890-1898 MöAH, 1895-1901 MböhmLt, 1898-1899 Finanzminister I 248 f., 256, 345, 352, 382, 398, 422, 461-463, 465, 478; II 458 Kalchberg, Josef Frh.v. (1801-1882) 1849 Μ d. Reichstages, 1849-1853 Statthalter in Schlesien, seit 1860 Sektionschef im Handelsmin., 1863-1865 Handelsmin. I 449; II 287 Kailay v. Nagy-Kallo, Benjamin (1839-1903) 1879-1882 1. Abteilungschef im Außenmin., 1882-1903 gem. Finanzmin. I 67, 92,152, 155 f., 161, 164, 190, 299, 328-330, 428-431, 447-449, 461, 486-488; II 89 Kalnoky, Alexander (Sändor) Graf (1830-1905) Bruder d. Außenministers I 76 f., 90-94, 169 Kälnoky, Gustav Graf (1799-1884) Vater d. F. I 53, 64, 91 Kalnoky, Gustav Graf (1832-1898) seit 1855 im diplom. Dienst, 1874-1880 Gesandter in Kopenhagen, 1880-1881 Botschafter in St. Petersburg, 1881-1895 Außenminister I 53-71, 73-79, 81-86, 90-94, 96 f., 104-106, 110, 112-127, 129 f., 132, 134-146, 148, 150-152, 155-158, 161-165, 169-171, 173-177, 179-181, 185 f., 190, 193 f., 207-210, 213-217, 219, 221-223, 231, 237, 241, 255, 278 f., 298, 313, 328-331, 381, 394-397, 422, 447 f.,
461, 487, 498; II 7, 22, 32 f., 47, 52, 112, 345, 388 Kälnoky, Hugo Graf (1844-1928) Bruder d. O., General I 77, 94, 169, 206-210
Kalnoky, Isabelle Gräfin (1809-1875) Mutter d. О. I 77, 90 Kalnoky, Maria Gräfin (1857-1943) Gattin Hugo К. I 169 Känia de Kanya, Kaiman (1869-1945) seit 1892 im konsul. Dienst, seit 1905 im Außenmin., 1910-1913 Leiter d. Literarischen Bureaus, 1913-1918 Gesandter in Mexiko II 59 f., 120, 129-131, 139, 141, 144-146, 169-171, 188-190, 195 f., 199, 205, 227, 236-239, 260, 264 Kanner, Heinrich (1864-1930) 1894-1918 Hg. d. „Zeit" I 71, 224, 473 Kapnist, Peter Graf (1838-1904) 1884-1891 russ. Gesandter im Haag, 1891-1897 Dir. d. asiat. Departements im Außenmin., 1897-1904 Botschafter in Wien 1492 Karamat, Johann. Dir. d. Sparkasse in Semlin (Zimuny, Zemun) II 244 Karl I.OV.) (1887-1922) 1916-1918 Kaiser v. Österreich u. König v. Ungarn II 416-420, 425-427, 451, 454 Karl, Erzherzog (1771-1847) General I 101 f. Karl Albert (1798-1849) seit 1831 König von Sardinien 1147 Karl Alexander (1818-1901) seit 1853 Großherzog v. Sachsen-WeimarEisenach I 350 f. Karl Ferdinand, Erzherzog (1818-1874) General I 109; II 116 Karl Ludwig, Erzherzog (1833-1896) Bruder Kaiser Franz Josephs I 72, 188, 309, 316, 408; II 79, 432 Kärolyi, Alajos Graf (1823-1889) 1859-1878 Gesandter bzw. Botschafter in Berlin, 1878-1888 Botschafter in London I 265
490 Karolyi, Gabor Graf (1841-1895) 1887-1895 MuAH 1123 Kast-Ebelsberg, Michael Frh. v. (1859-1932) 1897-1898 Statthalter in Oberösterreich, 1898-1899 Ackerbauminister I 238, 352 Kathrein, Theodor Frh.v. (1842-1916) 1884-1907 M, 1893-1897 Vizepräs., 1897 Präs. öAH, 1904-1916 Landeshauptmann von Tirol, seit 1907 MöHH I 51, 370 f. Katsura, Taro Graf (1847-1913) 1875-1878 japan. Militärattache in Berlin, 1898-1901 Kriegsminister, 1901-1906, 1908-1911 und 1912-1913 Ministerpräs. II 430 f. Kaulbars, Nikolaj (1842-1905) seit 1881 russ. Militärattache in Wien, 1886 ao. Bevollmächtigter in Bulgarien 1191-193 Kellersperg, Ernst Frh.v. (1822-1879) 1862-1863 und 1867-1868 Statthalter in Böhmen, 1863-1867 Statthalter in Triest, 1863-1865 und 1873-1879 MöAH I 452 f. Kellner v. Köllenstein, Friedrich Frh. (1802-1883) General, 1849-1859 2. Generaladjutant d. Kaisers I 501 Kempen v. Fichtenstamm, Johann Frh. (1793-1863) 1852-1859 Polizeiminister 1302,317,457; II 285 Kerzl, Josef v. (1841-1919) Leibarzt Kaiser Franz Josephs II 451 Khevenhüller-Metsch, Edina Fürstin (1851-1924) Bekannte Gustav Kalnokys 1144, 169 Khevenhüller-Metsch, Franz Graf (1783-1867) General, 1849-1850 Militär- u. Stadtkomm. v. Prag, 1850-1851 Militär- u. Zivilgouverneur v. Galizien u. Bukowina I 323 Khevenhüller-Metsch, Rudolf Graf (1844-1910) seit 1867 im dipl. Dienst, 1879-1881 Generalkonsul in Sofia, 1881-1886 Gesandter in Belgrad, 1888-1902 Gesandter in Brüssel, 1903-1910 Botschafter in
Personenregister Paris 1161 f., 175 f., 329, 373 f., 447; II 208 Khuen-Hederväry, Karoly Graf (1849-1918) 1883-1903 Banus v. Kroatien, 1903 und 1910-1912 ung. Ministerpräs., 1904/05 Min. am Hoflager I 67 f., 116,119,123, 139 f., 143 f., 151 f., 490, 495 f., 499; II 12, 27, 233 f., 269, 272, 448 Khuen-Hederväry, Margarete Gräfin (1860-1922) Gattin d. О. I 144 Kiamil Pascha (1832-1913) 1885-1891, 1895,1908-1909, 1912-1913 türk. Großvesir II 123, 130, 148, 163, 171 Kiderlen-Wächter, Alfred v. (1852-1912) seit 1880 im dt. dipl. Dienst, 1888-1894 Vortragender Rat, 1895-1899 Gesandter in Kopenhagen, 1899-1910 Gesandter in Bukarest, 1908-1909 Stellv. Staatssekretär, 1910-1912 Staatssekretär d. Ausw. Amtes II 306, 322-324, 326 f., 338 f., 342-356, 358-362, 365, 367, 369 f., 376, 382 Kindinger, Leopold, Arzt, 1. Gatte Karoline Kriegs-Aus I 308 Kinsky, Graf, konserv. böhm. Politiker I 218 Kiss v. Ittebe, Nikolaus (1852-1909) Gatte Katharina Schratts I 377 Klehmet, Reinhold (1859-1915) 1896-1908 Vortragender Rat im dt. Auswärtigen Amt, 1909-1911 Generalkonsul in Athen II 321, 324 f., 366 Klein v. Ehrenwalten, August (1824-1890) Wiener Industrieller 1252 Klein v. Ehrenwalten, Gattin d. O., geb. Henikstein I 252 Klein, Franz (1854-1926) Jurist, 1905-1908 und 1916 Justizminister, seit 1905 MöHH I 234, 264; II 85, 412, 428 Kleyle, Franz Joachim v. (1775-1854) Hofrat, Gutsverwalter Erzh. Karls I 394; II 12
Personenregister
Klezl, v., Nichte Josefine Knorrs II 157 f. Klier, Franz (1819-1884) 1861-1882 MböhmLt, 1867-1884 MöAH II 458 Klimt, Gustav (1862-1918) Maler II 292 Klindworth, Georg (1797-ca. 1880) Informant u. diplom. Agent I 449 f. Klinkowström, Alfons Frh. v. (1818-1891) Verwaltungsbeamter u. Publizist II 164 f. Klyucharich, Arthur v., Regierungsrat im Außenmin. I 83 Knorr, Georg Christian (1691-1762) Reichshofrat I 353 Knorr, Emilie Frf.v. (1807-?) Mutter Josefine K., in 2. Ehe Gräfin Colloredo-Mannsfeld I 353 Knorr, Josef Frh.v. (1789-1839) Staatsrat, Vater d. F. I 353 Knorr, Josefine Frf. v. (1827-1908) Schriftstellerin I 353, 393; II 157 f. Knox, Philander (1853-1921) 1904-1909 und 1917-1921 USSenator, 1909-1913 Außenminister II 387 König, Gustav Frh.v. (1825-1909) General I 99 Koerber, Ernest ν. (1859-1919) 1887-1895 Chef d. Präsidialbüros im Handelsmin., 1895 erster Sekretär im Innenmin., 1897/98 Handelsmin., 1899 Innenmin., 1900-1904 und 1916 Ministerpräs., 1915-1916 gem. Finanzmin. I 239, 264, 294, 297, 341 f., 344-348, 351 f., 371, 382, 396, 398, 404, 419, 422, 434 f., 441-443, 446 f., 454-456, 459 f., 463 f., 468, 470-475, 478-482, 486, 488-491, 493, 495-500; II 7-10, 15-28, 50 f., 56-59, 68, 108-111, 120, 125 f., 155-159, 164, 182-186, 193, 207, 233-236, 254 f., 266, 309-311, 390 f., 403-406, 412, 414-421, 425-428, 434, 441-444 Koerber, Ernestine v. (1822-1905) Mutter d. О. II 442
491 Koerber, Joseph v. (1815-1878) Vater Ernest ν. К., Offizier II 442 Koerner, Paul Ernst v. (1849-1933) 1899-1914 Dir. d. handelspol. Abt. im dt. Auswärtigen Amt II 385 Kogalniceanu, Mihail (1817-1891) von 1863-1880 mehrfach rumän. Minister, 1863-1865 Ministerpräs. I 138 Kohn, Gustav (1840-1915) seit 1885 im Vorstand, seit 1897 Vizepräs. d. israelit. Kultusgemeinde Wien II 144, 146, 152, 162 Kolatschek, Adolf (1821-1889) Journalist u. Schriftsteller, 1848 Μ d. Reichstages I 409 Koller, Alexander Frh.v. (1813-1890) General, 1868-1870 und 1871-1874 Statthalter in Böhmen, 1874-1876 Kriegsminister I 333 Kolisko, Eugen (1811-1884) seit 1857 Primär am Wiener Allgem. Krankenhaus I 308 Kolisko, Louise, Gattin d. O., Schwester Alexander Bachs I 286, 305-309 Kolisko, Rudolf (1859-1942) 1896-1918 MnöLt II 438 Kolossväry Dezsö Baron (1854-1915) 1903 ung. Landesverteidigungsminister 1190; II 9, 234 Kolowrat-Liebsteinsky, Franz Anton Graf (1778-1861) 1826 Staats- und Konferenzminister, seit 1836 Mitglied d. Staatskonferenz, 1848 Ministerpräs. I 291 Konyi, Mano (1841-1917) Historiker, 1865-1885 Leiter d. Stenographenbüros d. ung. Landtags 1111, 115, 119, 123, 127, 146, 172-175, 357, 431 f., 483 Kopp, Georg v. (1837-1914) seit 1881 Bischof von Fulda, seit 1887 Fürstbischof von Breslau, seit 1893 Kardinal I 247 f.; II 392 Kopp, Josef (1827-1907) seit 1847 Wiener Gemeinderat, 1873-1907 MöAH II 302, 460
Personenregister
492 Korb-Weidenheim, Karl Frh.v. (1835-1891) 1861-1879 MöAH, 1879-1880 Handelsminister, 1880-1881 Statthalter in Mähren 1358 Korytowski, Witold v. (1850-1923) 1907-1911 MöAH, 1906-1908 Finanzminister, 1913-1915 Statthalter in Galizien II 178 Kossuth, Ferenc (1841-1914) Sohn d. F., 1906-1910 ung. Handelsminister 1 110, 112, 117, 133, 137, 465; II 18 f., 21 f., 24, 74, 126 f., 197, 226, 233, 238, 240, 243, 245, 249, 253 f., 395 Kossuth, Lajos (1802-1894) 1848-1849 ung. Finanzminister und Vors. d. Landesverteidigungsausschusses I 68, 84, 112, 133, 137, 139, 157, 174; II 448 Kostic, serb. Pressechef u. Korrespondent d. Neuen Freien Presse II 252 f., 276 Kotzebue, August v. (1761-1819) Dichter I 320 Koudelka, Joseph Frh. v. (1773-1850) General I 383 Koudelka, Gattin d. O., geb. Wetzlar 1383 Kozlowski-Bolesta, Wladimierz v. (1859-1917) 1889-1902 und 1905-1913 MöAH II 68 Krall-Krallenberg, Karl v. (1829-1907) 1895 Leiter d. Justizmin., bis 1899 Präs. d. Oberlandesgerichts Wien I 234 Kramäf, Karel (1860-1937) 1891-1916 MöAH, 1894-1913 MböhmLt I 224, 248 f., 297, 335, 455, 478 f.; II 125, 154, 156, 187, 193, 235, 255, 375 Kramäf, Gattin d. О. I 249 Krasojevic, Gyuro, ung.-serb. Politiker II 269 f., 277, 279 Kraus, Alfred v. (1824-1909) General, 1881-1889 Statthalter in Böhmen 165
Kraus, Felix v. (1805-1875) Generalstabsarzt I 86-88, 90 Kraus, Otto, Agramer Journalist II 251-253 Kraus, Victor v. (1845-1905) Sohn Felix K., 1880 Gründer d. dt. Schulvereins, 1883-1896 MöAH I 86-88
Kraus, 1908 Sekretär d. jüdischen Bundes in Wien II 163, 173, 181 Krauss, Alfred (1862-1938) General, seit 1910 Kommandant d. Kriegsschule II 398 f. Krauss, Karl Frh.v. (1789-1881) 1851-1857 Justizminister, 1857-1865 Präs. d. Obersten Gerichtshofes I 296 Krauss, Karl Frh.v. (1834-1905) Sohn d. O., 1879-1884 Leiter d. Büros für Angelegenheiten Bosniens u.d. Herzegowina, 1884-1889 Generalkonsul in Warschau, 1889-1899 Generalkonsul in Venedig I 296, 299 Krauss, Philipp Frh.v. (1792-1861) 1848-1851 Finanzminister I 290 Krauss, Rudolf (1863-?) General, 1914 Generalstabschef Auffenbergs II 398 f. Krieg v. Hochfelden, Dorothea Frf. (1781-1861) Gattin d. F. I 353 Krieg v. Hochfelden, Franz Frh. (1776-1856) 1831-1847 Gubernialpräs. v. Galizien I 353, 364 f. Krieghammer, Edmund Frh.v. (1831-1906) General, 1893-1902 Kriegsminister I 201 f., 250; II 8, 22 Kriegs-Au, Adolf Frh.v. (1819-1884) 1880 Finanzminister I 308 f. Kriegs-Au, Karoline Frf.v. (1826-1862) Gattin d.O., geb. Bach I 308 f. Kriehuber, Josef (1800-1876) Maler u. Lithograph I 307, 314 Krismanic, Erwin v., Sohn d. F., seit 1897 Oberst 1104, 108
Personenregister
Krismanic, Gideon v. (1817-1876) General, 1866 Generalstabschef d. Nordarmee 1 104, 227-229, 360, 379 f.; II 297, 299 Kristoffy, Jozsef (1857-1928) seit 1896 MuAH 1905 ung. Innenminister II 29, 57, 62-64, 126 f., 239, 244, 246-250 Kroad, Großmutter Alexander Bachs 1281 Krobatin, Alexander Frh. v. (1849-1933) General, 1912-1917 Kriegsminister II 385 f. Krüger, Paul (1825-1904) 1883-1902 Präs. v. Transvaal II 358 Kubenik, Rechtsanwalt, Freund Eduard Warrens I 286 Kuczynski, Eugen v. (1852-1937) Diplomat, 1905-1911 Gesandter in Peking II 387 Kübeck-Kübau, Alois Frh. v. (1818-1873) 1859-1866 Bundespräsidialgesandter in Frankfurt, 1872/ 1873 Botschafter im Vatikan II 113 Kübeck-Kübau, Guido Frh. v. (1829-1907) 1868-1870 Landespräs, von Kärnten, 1870-1895 Statthalter in Steiermark, 1873-1879 MöAH 1389 Kübeck-Kübau, Karl Frh. v. (1780-1855) 1840-1848 Chefder Allgem. Hofkammer, seit 1850 Präs. d. Reichsrates II 8 Küchenbecker, Offizier, Lehrer an d. Genieakademie, 1848 Revolutionär II 111 f. Kühlmann, Margarete v. (1884-1917) Gattin d. F. II 338 f. Kühlmann, Richard v. (1873-1948) 1904-1905 dt. Geschäftsträger in Tanger, 1909-1914 Botschaftsrat in London, 1915 Gesandter in Haag, 1916 Botschafter in Konstantinopel, 1917-1918 Staatssekretär d. Auswärtigen Amtes II 317, 321, 335-340, 350, 389 f.
493
Kuenburg, Gandolph Graf (1841-1921) 1888-1897 MöAH, 1891-1892 dt. Landsmannminister, seit 1897 MöHH I 99, 220, 255, 474 Kuhn v. Kuhnenfeld, Anna Frf. (1891-?) Gattin Otto К. II 170 Kuhn v. Kuhnenfeld, Franz Frh. (1817-1896) General, 1868-1874 Kriegsminister, 1874-1888 komm. General in Graz 1 104, 202, 225 f., 253, 258 f., 312, 332-334, 361 f., 367, 378 f., 391, 411, 424; II 137 Kuhn v. Kuhnenfeld, Otto Frh. (1859-?) seit 1882 im diplom. Dienst, 1903-1909 Gesandter in Cetinje, 1909-1916 Gesandter in Lissabon II 169 f., 190 Kuranda, Ignaz (1811-1884) Hg. d. Ostdeutschen Post, 1861-1884 MöAH I 287, 355; II 120, 281 Kuropatkin, Alexej (1848-1925) 1898-1904 russ. Kriegsminister, 1904/05 Generalkomm, im russ.japan. Krieg II 179, 383 Kutschker, Johann Rudolf (1810-1881) 1857-1876 Ministerialrat im Unterrichtsmin., seit 1876 Erzbischof von Wien, seit 1877 Kardinal I 359, 403 f., 427 Lackenbacher, Ignaz v., Sektionsrat, Journalist unter Schmerling I 409 La Marmora, Alfonso Marchese (1804-1878) 1859-1866 Generalstabschef d. ital. Armee, 1859/60 und 1864-1866 Ministerpräs. 189,147 Lamsdorff, Vladimir Graf (1845-1907) russ. Diplomat, 1897-1900 Gehilfe d. Außenministers, 1900-1906 Außenmin. 158,484,493 f.; II 76 Lanckoronski-Brzezie, Karl Graf (1848-1933) seit 1874 MöHH, 1915/16 Oberstkämmerer II 453-455 Lang, Lajos Baron (1849-1918) ung. Nationalökonom, 1889-1893 Staatssekretär im Finanzmin., 1902/03 Handelsmin. 1133
494 Langenau, Ferdinand Frh. v. (1818-1881) General, seit 1850 im dipl. Dienst, 1871-1880 Botschafter in St. Petersburg I 54: II 114 f. Langrand-Dumonceau, Andre Graf (1826-1900) belg. Financier I 276 f. Länyi, Jozsef v. (1868-1931) ung. Sprachlehrer Erzh. Franz Ferdinands, seit 1906 Weihbischof v. Großwardein (Nagyvärad, Oradea) II 194, 263 Larisch-Moennich, Heinrich Graf (1850-1918) 1890-1918 Landeshauptmann von Schlesien, seit 1884 MöHH I 247 Larisch-Moennich, Johann Graf (1821-1884) 1861-1865 Landeshauptmann von Schlesien, 1865-1867 Finanzminister, seit 1871 Obersthofmarschall, seit 1861 MöHH I 292, 407 Larisch-Wallersee, Marie Louise Gräfin (1858-1940) Nichte Kaiser Franz Josephs II 454 Lasser v. Zollheim, Antonie Frf. (1830-1889) Gattin d. F. 1410, 454 Lasser v. Zollheim, Josef Frh. (1814-1879) seit 1849 im Innenmin., 1860-1865 Min. ohne Portefeuille, 1868-1870 Statthalter von Tirol, 1871-1878 Innenmin., 1867-1878 MöAH I 288-290, 305, 315, 367 f., 385, 387, 389, 402 f , 406 f., 410-413, 425-428, 453 f.; II 289 Lasser v. Zollheim, Oskar Frh. (1851-1926) Sohn d. O., Verwaltungsbeamter I 367, 410-413, 452-454 Latour, siehe Baillet de Latour Laudon, Gideon Frh. v. (1717-1790) General I 429 Lebel, Nicolas (1835-1891) franz. Waffentechniker II 143 Leboeuf, Eduard (1809-1888) 1870 franz. Kriegsminister II 383
Personenregister Lecher, Otto (1860-1939) 1889-1906 Sekretär d. Handelskammer in Brünn, 1897-1918 MöAH 1176; II 160 Lecher, Zacharias Konrad (1829-1905) Journalist, 1864 Mitgründer d. Neuen Freien Presse, seit 1866 Chefred. d. Presse I 286, 302-304, 354 f. Lecomte, Raymond, franz. Diplomat, 1895-1907 Botschaftssekretär in Berlin, 1908-1918 Gesandter in Teheran II 338, 364, 370, 389 Leddihn, Adolph, Generalstabsoffizier I 333 Ledebur-Wichein, Johann Graf (1848-1903) 1895-1897 Ackerbauminister, Vors. d. Kath. Konfessionsvereins in Prag I 244 Lederer, Arthur Frh. v. (1841-?) General I 269 Lederer, Bela ( 1860-1903) ung. Historiker I 431-433 Lederer, Moritz (1832-1921) Rechtsanwalt, 1871-1895 Gemeinderat, 1878-1880 Vizebürgermeister, 1891-1895 Stadtrat v. Wien I 286-289, 314, 475 Lemayer, Karl Frh.v. (1841-1906) seit 1869 im Unterrichtsmin., 1876 Sektionschef, seit 1888 Senatspräs., seit 1894 2.Präs. d. Verwaltungsgerichtshofes, seit 1895 MöHH I 388-390, 400-404, 406, 418-420, 450 f.; II 24, 310 Lemayer, Stephanie Frf. v. (1847-1874) Gattin d. O., Tochter Karl Giskras I 390, 418 Lenau, Nikolaus (1802-1850) Schriftsteller I 317, 320 Lenbach, Franz v. (1836-1904) Maler I 382 f. Leo XIII. (1810-1903) seit 1878 Papst I 76, 78, 391 Leopold, Erzherzog (1823-1898) General, 1866 Korpskommandant 1229
Personenregister
Leopold, Prinz v. Bayern (1846-1930) bayr. General I 242 Le Pere, franz. Jesuit, verwickelt in Dreyfus-Affare II 332 f. Le Sourd, George, franz. Diplomat, 1870 Botschaftsrat in Berlin I 338 Lerchenfeld, Hugo Graf (1843-1925) 1880-1918 bayr. Gesandter in Berlin I 251 Lesczynski, Paul v. (1830-1918) preuß. General und Militärhistoriker 1159 Lesseps, Ferdinand de (1805-1894) franz. Ingenieur I 478; II 135 Lettow-Vorbeck, Oskar v. (1839-1904) preuß. General und Militärhistoriker I 270; II 55 Levysohn, Arthur (1841-1908) Chefred. d. Berliner Tageblattes 1157, 159 Lewinsky, Josef (1835-1907) Schauspieler, Regisseur und Dramatiker, seit 1858 am Burgtheater 1102 f., 352 f. Lewinsky, Karl v., Preßleiter unter Schmerling, Sektionschef d. Obersten Polizeibehörde I 315, 409, 459 Lexa siehe Aehrenthal Lichnowsky, Karl Fürst (1819-1901) Vater d. F. I 233, 444 Lichnowsky, Karl Max Fürst (1860-1928) seit 1887 im dt. diplom. Dienst, 1892-1899 Botschaftssekretär in Wien, 1899-1904 Vortragender Rat, 1912-1914 Botschafter in London 1169-171,199 f., 233, 345, 421,444; II 338, 421-424 Liebert, Eduard v. (1850-1934) preuß. General, 1896-1900 Gouverneur v. Dt. Ostafrika, 1907-1914 MdR 1159 f. Liechtenstein, Alfred Fürst (1842-1907) 1879-1886 MöAH, seit 1887 MöHH II 7, 390 f. Liechtenstein, Alois Prinz (1846-1920) 1869-1873 im diplom. Dienst, 1879-1911 MöAH, seit 1912 MöHH I 97 f.; II 29, 111
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Liechtenstein, Franz Prinz (1853-1938) 1894-1898 Botschafter in St.Petersburg, seit 1917 MöHH I 202; II 453 f. Liechtenstein, Johann Fürst (1840-1929) seit 1861 MöHH I 90, 318 Liechtenstein, Mary (1850-1878) geb. Fox, seit 1872 Gattin Alois L. I 97 f. Liechtenstein, Rudolf Prinz (1838-1908) General, 1863-1868 Flügeladjutant d. Kaisers, 1896-1908 1. Obersthofmeister, seit 1897 MöHH I 242, 375-377, 473 Lienbacher, Georg (1822-1896) 1873-1896 MöAH I 316; II 104 f. Liliencron, Detlev Frh.v. (1844-1909) Dichter II 158 Lindenau, Wolf Hugo v. (1828-1900) sächs. bzw. dt. Legationsrat, 1871-1874 MdR I 336-338 Lindheim, Alfred v. (1836-1913) Kaufmann u. Historiker, 1878-1913 MnöLt 1188 Lisavac, Mladen, serb-kroat. Politiker II 278 List, Friedrich (1789-1846) Nationalökonom II 291 Lloyd George, David (1863-1945) seit 1890 im engl. Unterhaus, 1905-1908 Handelsminister, 1908-1915 Schatzkanzler, 1916-1919 Premiermin. Π 213,339,350,352,356,360 Lobanov-Rostovskij, Alexej Fürst (1824-1896) 1879-1882 russ. Botschafter in London, 1882-1894 Botschafter in Wien, 1895 Botschafter in Berlin, 1895-1896 Außenminister I 58-61, 63, 74, 163, 213 Lobkowitz, August Longin Fürst (1797-1842)1826-1832 Gouverneur v. Galizien I 364 Lobkowitz, Georg Fürst (1835-1908) 1865-1867, 1870/71 und 1883-1908 MböhmLt, seit 1883 MöHH, 1883-1907 Oberstlandmarschall in Böhmen 1 179, 183, 193, 218, 232, 241, 244, 325, 395, 398
496 Lobkowitz, Rudolf Prinz (1840-1908) General, 1890-1905 Korpskomm, in Budapest I 237 Loebl, Hermann Frh.v. (1835-1907) 1888-1893 Statthalter in Mähren, 1897-1898 Minister ohne Portefeuille I 369 Löwenfeld, Julius v. (1808-1880) preuß. General, 1866 Divisionskomm. 1166 Löwenfeld, Dir. einer Versicherung II 13 Löwenstein, Adele, Bekannte Friedrich Beusts I 416-418 Löwenstein, Vater d. О. I 416 Löwenthal, Anka Frf.v. (1853-?) Gattin Arthur L. I 394 Löwenthal, Arthur Frh. v. (1835-1905) Industrieller, Sohn Max L. I 394 Löwenthal, Jakob v. (1771-1864) Bankier, Vater Johann L. I 393 Löwenthal, Jakob (1807-1882) Journalist u. Schriftsteller I 302 Löwenthal, Johann Frh. v. (1803-1891) General, 1858-1868 Militärattache in Paris, seit 1868 im Außenmin. I 393 Löwenthal, Maria Anna (1816-1838) 1. Gattin d. O., geb. Gräfin Wurmbrand-Stuppach I 393 Löwenthal, Max Frh.v. (1799-1872) Postfachmann u. Schriftsteller, Pseud. Leo Walthan I 320, 394 Löwenthal, Rosalia v., Gattin d. Bankiers Jakob L., geb. Arnstein 1393 Löwenthal, Sophie Frf.v. (1810-1889) Gattin Max L., geb. Kleyle, Schriftstellerin I 320, 394 Löwenthal, Wilhelmine (1825-1907) 2. Gattin Johann L. I 393 f. Löwenthal v. Linau, Heinrich (1870-1915) seit 1895 im diplom. Dienst, 1914-1915 Gesandter in Albanien I 383 Lonyay, Menyhert Graf (1822-1884) 1867-1870 ung. Finanzminister,
Personenregister 1870-1871 gem. Finanzmin., 1871-1872 ung. Ministerpräs. I 173, 432 Lorenz, Josef v. (1814-1879) Waffentechniker 1166 Loris-Melikov, Michail Graf (1825-1888) 1880-1881 russ. Innenminister 1157 Lorkovic, Ivan (1876-1926) 1906-1918 MkroatLt II 252, 269 Loubet, Emile (1838-1929) 1887-1888 franz. Minister f. öff. Arbeiten, 1892 Ministerpräs., 1892-1893 Innenmin., 1899-1906 Präs. d. Republik II 313, 328, 371 f. Louis Napoleon (1864-1932) franz. Thronkandidat I 230 Louis, Georges (1847-1917) franz. Diplomat, 1903-1909 Dir. d. polit. Angelegenheiten im Außenmin, 1909-1913 Botschafter in St. Petersburg II 257 Lubomirski, Georg Fürst (1817-1872) seit 1867 MöHH II 11 Lucam, Wilhelm v. (1820-1900) seit 1842 Beamter, seit 1854 2. Sekretär, 1857-1878 Generalsekr. d. Nationalbank, 1878-1891 Vizegouverneur d. Österr.-Ungar. Bank 1260,289-291 Ludwig I. (1786-1868) 1825-1848 König v. Bayern I 207 Ludwig III. (1845-1921) 1912 Regent, 1913-1918 König v. Bayern I 237; II 259 Ludwig Viktor, Erzherzog (1842-1919) General, Bruder Kaiser Franz Josephs I 99, 242, 387, 391 f. Ludwigstorff, Anton Frh. v. (1845-1929) 1885-1907 MöAH, seit 1907 MöHH II 20 Lueger, Karl (1844-1910) 1875/76 und 1878-1910 Gemeinderat, 1897-1910 Bürgermeister v. Wien, 1885-1910 MöAH I 208, 211 f., 271, 475; II 128, 154, 246, 261
Personenregister
Lützow, Heinrich Graf v. (1852-1935) 1895-1899 Gesandter in Dresden, 1900-1904 Sektionschef im Außenmin., 1904-1910 Botschafter in Rom, seit 1909 MöHH I 435; II 48, 96-99, 102, 258-260 Luitpold (1821-1912) seit 1886 Prinzregent v. Bayern I 242 Lukäcs, Läszlo (1850-1932) 1895-1905 und 1910-1912 ung. Finanzminister, 1912-1913 Ministerpräs. 1176; II 241, 245-247, 249 f., 382, 395 Lukinic, Edo (1870-1928) 1906-1918 MkroatLt II 252 Lustkandl, Wenzel (1832-1906) seit 1868 ao.Prof, seit 1894 o.Prof. f. Staatsrecht, Verwaltungslehre u. -recht Univ. Wien, 1873-1902 MnöLt, 1878-1885 MöAH II 456 f. Luzio, Alessandro (1857-1930) ital. Historiker 1147, 161 Luzzatti, Luigi (1841-1927) seit 1891 mehrmals ital. Finanzminister, 1910/11 Ministerpräs. II 96, 363 f., 366 f., 372, 383 f. Macchio, Karl Frh. v. (1859-1945) seit 1881 im dipl. Dienst, 1899-1903 Ministerresident in Cetinje, 1903-1908 Gesandter in Athen, 1909-1914 Sektionschef im Außenmin., 1914-1915 Botschafter in Rom I 189; II 169,181, 196, 404 Mack ν. Leiberich, Karl Frh. (1752-1828) General I 503 Madeyski-Poray, Georg v. (1878-?) Sektionschef, 1918 Unterrichtsminister II 438 Madeyski-Poray, Stanislaw v. (1841-1910) 1879-1899 MöAH, 1893-1895 Unterrichtsminister, seit 1899 MöHH I 239, 256 Maffi, Pietro (1858-1931) seit 1903 Erzbischof v. Pisa, seit 1907 Kardinal II 393 Mahler, Gustav (1860-1911) Komponist, 1897-1907 Hofoperndir. 1378
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Malcher, Franz Xaver (1836-1897) seit 1884 Bibliothekar d. Albertina, seit 1887 Archivar d. erzherzögl. Hauses 1101, 363 f. Mancini, Pasquale (1817-1888) 1876-1878 ital. Justiz minister, 1881-1885 Außenmin. I 147, 161 Mandl, Ignaz II 276 Mandl, Leopold (1860-1930) Journalist, Balkanspezialist II 226, 228 f., 253, 269-275, 277 Mannsfeld, Hieronymus Graf v. (1842-1881) 1873-1881 MböhmLt, 1879-1881 MöAH, 1875-1879 Ackerbauminister 1145 Manos, Gregor, griech. Diplomat, 1900-1910 Gesandter in Wien 1104-107 Mansurov, 1900 russ. Geschäftsträger in Belgrad I 349 Manteuffel, Edwin Frh. v. (1809-1885) preuß. General, 1866 Komm. d. Mainarmee, 1879-1885 Statthalter in Elsaß-Lothringen 1266 f. Marat, Jean Paul (1744-1793) franz. Revolutionär II 271 Maravic, Siegmund v., Polizeikommissar in Semlin (Zimony, Zemun) II 245 Marckwort, Ferdinand, Diplomat, 1869-1876 Legationsrat in Bern 1318 Maria Christina (1858-1929) 1879-1885 Königin, 1885-1902 Regentin v. Spanien 1109; II 116 f. Maria Fedorowna (1847-1928) seit 1866 Gattin Zar Alexander III. 1167 Maria Josepha, Erzherzogin (1867-1944) Mutter Kaiser Karls 1434 Maria Pavlovna (1786-1859) Großherzogin v. Sachsen-WeimarEisenach I 350 Maria Theresia (1717-1780) Kaiserin 1 114, 130, 210, 310, 353 Maria Theresia (1801-1855) Königin v. Savoyen-Piemont, Mutter Victor Emanuel II. II 49
498 Maria Theresia, Erzherzogin (1816-1867) Schwester Erzh. Albrechts, Königin v. Sizilien I 364 Maria Theresia, Erzherzogin (1855-1944) Gattin Erzh. Karl Ludwigs, seit 1896 Witwe I 242, 309,434 Marie Antoinette (1755-1793) Königin v. Frankreich II 49 Marie Louise, Erzherzogin (1791-1847) Gattin Napoleon I. I 375; II 49, 455 Marie Valerie, Erzherzogin (1868-1924) Tochter Kaiser Franz Josephs I 72, 376 f.; II 80 f., 445 f., 451 Maroicic v. Madonna del Monte, Josef Frh. (1812-1882) General, 1869-1881 komm. General in Wien II 439 Marschall, Godfried (1840-1911) seit 1901 Weihbischof, 1905-1910 Generalvikar v. Wien 1109; II 262 f. Marschall v. Bieberstein, Adolf (1842-1912) 1890-1897 Staatssekretär im dt. Auswärtigen Amt, 1897-1912 Botschafter in Konstantinopel, 1912 Botschafter in London 1 158,168; II 76, 308, 338, 343, 350, 357, 366 f., 429 Mary (1867-1953) Gattin König George V. I 393 Masaryk, Tomas Garrigue (1850-1937) seit 1882 ao. Prof., seit 1897 o. Prof. d. Philosophie u. Soziologie tschech. Univ. Prag, 1891-1893 und 1907-1915 MöAH I 248; II 242, 273, 278, 375 Masin, Draga (1867-1903) seit 1900 Gattin Alexander II. v. Serbien I 349; II 271, 274 Mataja, Viktor (1857-1934) 1908-1909, 1911 und 1917 Leiter d. Handelsmin., 1914-1917 Präs. d. statist. Zentralkomm., 1917-1918 Min. f. öffentl. Fürsorge II 160,165
Personenregister Matscheko, Michael v. (1832-1897) Industrieller, 1877-1880 u. 1887-1893 Präs. d. Niederösterr. Gewerbevereins, 1879-1891 MöAH II 284, 286 Mattus, Karel (1836-1919) 1866-1870 und 1873-1893 MböhmLt, 1879-1890 MöAH, seit 1899 MöHH I 179, 394 f. Mauthner, Max Frh. v. (1838-1904) Industrieller, 1879-1899 MöAH, seit 1899 MöHH, 1892-1904 Präs. d. niederösterr. Handelskammer I 52, 236 Mautner v. Markhof, Victor (1865-1919) Industrieller II 17 Max, Prinz v. Sachsen (1870-1951) Sohn König Georgs, Priester I 350 Maximilian I. (1756-1825) seit 1806 König v. Bayern II 78 Maximilian (1832-1867), Erzh. Ferdinand Max, 1854-1857 Oberkomm, d. Kriegsmarine, 1857 Generalgouverneur d. Lombardei, seit 1864 Kaiser v. Mexiko I 356, 450; II 78 May, Johann (?—1851) Revolutionär II 283-285 May (?-1870) preuß. Offizier u. Kriegsschriftsteller 1165 f. Mayer, Laurenz (1828-1912) seit 1868 Beichtvater Kaiser Franz Josephs, seit 1876 Hof- und Burgpfarrer I 273 Mayer, Bankier, Bekannter Alexander Bachs I 288 Mayer v. Mayrau, Cajetan Frh. (1811-1883) 1848-1860 im Staatsdienst, 1866-1874 Dir. der Creditanstalt I 288 f., 296, 315 Mayer-Gunthof, Oskar, Industrieller II 160 Mayr, Viktor, General, 1914 Kavalleriedivisionskomm. II 399 Mazuranic, Boguslav (1866-1918) 1908-1918 MkroatLt II 252 Medakovic, Bogdan (1854-1930) seit 1883 M, 1906-1918 Präs. kroatLt II 226, 228, 241
Personenregister
Meding, Oskar (1828-1903) Schriftsteller, seit 1863 in hannover. Dienst, 1867-1869 inoffizieller Gesandter in Paris I 276 Mehmed Ali (1810-1878) türk. General, 1878 2. Bevollmächtigter am Berliner Kongreß I 430 Menger von Wolfensgrün, Max (1838-1911) 1871 und 1874-1907 MöAH I 82, 210 f., 247 f., 372, 390, 418 Mensdorff-Pouilly, Albert Graf v. (1861-1945) seit 1884 im diplom. Dienst, 1904-1914 Botschafter in London, seit 1917 MöHH II 60, 129, 167, 171, 195 f., 339, 387 Mensdorff-Pouilly, Alexander Graf (1813-1871) General, 1861-1864 Statthalter in Galizien, 1864-1866 Außenminister I 266 f., 292, 379 Mentzingen, Friedrich Frh. v. (1856-1922) 1899-1904 dt. Gesandter in Tanger II 335 Menzel, Adolf (1857-1938) 1886-1889 Juristenpräfekt am Theresianum, seit 1894 o.Prof. f. österr. Verwaltungs- und Staatsrecht Univ. Wien, 1917 Μ d. Reichsgerichtes I 212 Merey von Kapos-Mere, Kajetan (1861-1931) seit 1885 im diplom. Dienst, 1904-1910 Sektionschef im Außenmin., 1910-1914 Botschafter in Rom II 258, 383, 387 f. Meriy del Val, Raffaele (1865-1930) seit 1903 Kardinal, 1903-1914 Kardinalstaatssekretär II 203 f., 332 f. Merveldt, Franz Graf (1844-1916) 1886-1889 Landespräs. v. Schlesien, 1889-1890 Statthalter in Oberösterreich, 1890-1901 Statthalter in Tirol, seit 1901 MöHH II 72 Metternich-Sändor, Pauline Fürstin (1836-1921) Gattin Richard M.-W. 177
499 Metternich-Winneburg, Klemens Fürst(1773-1859)1821-1848 Staatskanzler I 302; II 18 Metternich-Winneburg, Richard Fürst(1829-1895) 1859-1871 Botschafter in Paris I 174, 265, 292 Metzburg, Johann Nepomuk Frh. v. (1780-1839) Statistiker, seit 1802 im Staatsdienst I 353 Meyendorff, Peter Graf (1796-1863) russ. Diplomat, 1850-1854 Botschafter in Wien I 459 Meysenbug, Otto v. (1806-1886) 1862-1868 Unterstaatssekretär im Außenmin. I 265 Mezössy, Bela, 1909 Staatssekretär im ung. Ackerbaumin. II 238 Milan (1854-1901) 1882-1889 König v. Serbien I 63 f., 96, 162-164,170, 176, 209, 298, 328 f., 349, 374; II 274 Milde, Hugo v. (1834-1916) General, seit 1891 Präs. d. Militärobergerichtes in Wien 1190 Milovanovic, Milovan (1869-1912) 1908-1909 und 1911-1912 serb. Außenminister, 1911-1912 Ministerpräs. II 129-131, 149, 174, 209 f. Minghetti, Laura (1835-1915) Schwiegermutter Bernhard v. Bülows II 376 Mitis, Georg Frh.v. (1810-1889) 1861-1879 Sektionschef im Innenmin. I 321 Moering, Karl (1810-1870) General, 1868-1870 Statthalter in Triest 1288 Mohr, Martin (1867-1927) 1901-1907 Chefred. d. Allgemeinen Zeitung München, seit 1908 Chefred. d. Münchner Neuesten Nachrichten 1436 Molden, Berthold (1853-1942) Journalist I 95, 348; II 48, 76, 145, 152, 226, 228, 258 Mollinaiy v. Monte Pastello, Anton Frh. (1820-1904) General I 360
500 Moltke, Helmuth Graf v. d.Ä. (1800-1891) preuß. General, 1858-1888 Chef d. Generalstabes I 59, 89, 158-160, 167, 296, 362, 380 Moltke, Helmuth Graf v. d. J. (1848-1916) preuß. General, 1906-1914 Chef d. Generalstabes 1202 f.; II 221 Moltke, Kuno Graf v. (1847-1923) preuß. General, seit 1893 Flügeladjutant Wilhelm II., 1897-1899 Militärattache in Wien I 200, 202 f. Mommsen, Theodor (1817-1903) seit 1858 o.Prof. f. alte Geschichte Univ. Berlin, seit 1881 MdR I 210 Monaco, siehe Albert I. Montalembert, Charles Comte de (1810-1870) franz. Publizist u. Politiker I 109 f. Montenuovo, Alfred Fürst (1854-1927) seit 1898 2., 1909-1917 1. Obersthofmeister I 377; II 426 f., 450, 455, 461 Monts de Mazin, Anton Graf (1852-1930) seit 1878 im dt. diplom. Dienst, 1886-1888 Botschaftssekretär in Wien, 1890-1894 Generalkonsul in Budapest, 1895-1902 preuß. Gesandter in München, 1902-1909 Botschafter in Rom 1236-238; II 32,177,266-268, 321, 362-367,371-373, 376, 390 Mosch, Karl Frh.v. (1806-1885) 1859-1861 Leiter d. Statthalterei in Galizien II 11 Moser, Alois (1818-1892) bis 1873 im Finanzmin., zuletzt Sektionschef, 1873-1878 Gouverneur d. BodenCredit-Anstalt, 1878-1892 Gouverneur d. österr.-ung. Bank, seit 1876 MöHH I 291 Moysset (?), franz. kath. Journalist II 314, 327, 332 Müffling, Friedrich Karl Frh.v. (1775-1851) preuß. General, 1815 Verbindungsoffizier im engl. Stab 1269
Personenregister Mühlberg, Otto v. (1847-1934) 1885-1900 Vortragender Rat, 1900-1907 Unterstaatssekretär im dt. Ausw. Amt, 1907-1915 preuß. Gesandter beim Vatikan II 388-390, 392 f. Mühlfeld, Eugen (1810-1868) 1848 Μ d. Reichstages, 1861-1868 MöAH I 416; II 460 Mühling, Carl J. (1858-?) 1898-1900 Chefred. d. Allgemeinen Zeitung München 1195 Müller, Eugen v. (1829-1891) General, 1866 Flügeladjutant Benedeks I 312; II 297 Müller, Felix v. (1857-1918) seit 1882 im dt. diplom. Dienst, seit 1898 Gesandter II 324 Müller, Richard, Bibliothekar u. Archivar d. Albertina I 364 Müller, Rudolf, Offizier, fiel 1866 bei Königgrätz I 228 Müller v. Szentgyörgy, Ladislaus (1855-1942) seit 1879 im diplom. Dienst, 1904-1909 2., 1909-1912 und 1917-1918 1. Sektionschef im Außenmin., 1912-1914 Botschafter in Tokio II 176, 181 Müller, Handelsagent in Belgrad, 1909 wg. Spionage verhaftet II 270 Müllner, Laurenz (1848-1911) seit 1887 o.Prof. f. Philosophie an d. theolog., seit 1896 an d. philosoph. Fakultät Univ. Wien I 88, 272 f., 390 f. Münchhausen, Alexander Frh.v. (1813-1886) hannov. Politiker, 1850-1851 Ministerpräs. I 276 Münster-Ledenburg, Georg Graf (1820-1902) 1873-1885 dt. Botschafter in London, 1885-1900 Botschafter in Paris II 314-316, 429 Münz, Bernhard (1856-1919) seit 1889 Bibliothekar d. israelit. Kultusgemeinde Wien I 416 f. Münz, Bernhard (1857-1921) Red. d. Neuen Wiener Tagblattes I 49, 178, 214 f.
Personenregister
Münz, Sigmund (1859-1934) seit 1892 Red. der Neuen Freien Presse I 231, 279; II 40, 42, 153, 160 f., 166, 257 f. Muley Hafid (1875-1937) 1908-1912 Sultan v. Marokko II 321, 348 Muraviev, Michail (1845-1900) 1893-1897 russ. Gesandter in Kopenhagen, 1897-1900 Außenminister 1 150, 344 Muraviev, Nikolaj (1850-1908) 1894-1905 russ. Justizminister, 1905-1908 Botschafter in Rom II 97 Murchison, Roderick Sir (1792-1871) brit. Geologe II 283 f. Mussafia, Adolf (1835-1905) seit 1867 o. Prof. f. Romanistik Univ. Wien 1147 Nacovic, Grigor (1845-1920) von 1879-1901 mehrfach bulg. Minister, 1879-1880,1886-1887 und 1894-1896 Außenmin., 1903-1906 diplom. Agent in Konstantinopel 195 f. Nädasdy, Ferenc Graf (1801-1883) 1857-1860 Justizminister, 1861-1865 Hofkanzler f. Siebenbürgen I 327; II 103 f. Nagy, Emil, ung. Politiker II 50 Nagy v. Alsoszopor, Läszlo (1803-1872) General, 1861-1864 Generalstabschef, 1866 Leiter d. Untersuchungskomm. über die Führung d. Nordarmee I 378 Napoleon I. (1769-1821) Kaiser d. Franzosen I 296; II 291 Napoleon III. (1808-1873) 1848-1852 Präs., 1852-1870 Kaiser d. Franzosen I 258, 265, 285, 303 f., 362, 379, 388, 450, 458; II 112, 114 Narfon, Julien de, franz. kath. Journalist II 314, 332 f. Narväez, Ramon Maria de (1800-1868) mehrfach span. Ministerpräs. I 339
501
Nastic, Grigor, bosn. Journalist, 1909 Hauptzeuge im Agramer Hochverratsprozeß II 245, 274-277 Natalie (1859-1941) Gattin König Milans v. Serbien I 96 Natzmer, Oldwig v. (1782-1861) preuß. General, Vertrauter Wilhelm 1.1 168 Natzmer, Sohn d.O., preuß. Hauptmann 1168 f. Nauendorff, KavallerieofFizier, 1866 verwundet I 269 Naumovyc, Johann (?-1891) 1873-1879 MöAH I 66 Navarini, Octavius v. (1836-1908) General, 1870-1872 und 1884-1889 im Kriegsmin. I 360 Nayenne, franz. Diplomat II 329 Necker, Moritz (1857-1915) Journalist u. Literaturkritiker I 188 Negrelli von Moldelbe, Alois (1799-1858) Ingenieur I 478 Negrelli, Tochter d. О. II 135 f. Nelidov, Alexander (1838-1910) 1883-1897 russ. Botschafter in Konstantinopel, 1897-1903 Botschafter in Rom, 1903-1910 Botschafter in Paris II 263 f. Nemec, Antonin (1858-1926) 1907-1918 MöAH I 225; II 401 Nenadovic, Jasa, 1903-1905 Kabinettschef Peters v. Serbien, 1907-1912 Gesandter in Konstantinopel II 272 Neuber, August (1822-1890) General, 1866 im Hauptquartier d. Nordarmee I 227 f. Neumann, Wilhelm Anton OCist (1837-1919) seit 1882 o. Prof. f. Exegese d. Alten Bundes Univ. Wien I 283, 317 Neumann, Arbeiter auf dem Gut J. M. Baernreithers I 246 Neusser, Edmund v. (1852-1912) seit 1893 Vorstand d. 2. Wiener mediz. Univ.-Klinik II 236 Nicolson, Arthur Sir (1849-1928) seit 1870 im brit. diplom. Dienst,
502 1895-1904 in Tanger, 1904-1910 Botschafter in Madrid, 1910-1916 Unter Staatssekretär im Außenmin. II 335, 350 Niebauer, Anton Frh.v. (1832-1914) seit 1868 im Finanzmin., 1894 Sektionschef, seit 1897 MöHH I 291 Nigra, Costantino Graf (1828-1907) ital. Diplomat, 1885-1904 Botschafter in Wien I 50, 63, 147, 161 Nikita (1841-1921) seit 1860 Fürst, 1910-1918 König v. Montenegro II 168-170,190, 244, 275 f., 374 Nikolaus I. (1796-1855) seit 1825 Zar v. Rußland I 275, 285, 350, 457 Nikolaus II. (1868-1918) 1894-1917 Zar v. Rußland 1 168, 275, 344, 492 f.; II 33 f., 49, 59, 89, 92, 97 f., 145, 189, 191, 218, 273, 374, 383, 409,430 Nikolic, Vladimir (1853-1933) 1906-1908 Sektionschef d. kroat. Landesreg. II 269 Nisard, Armand, franz. Diplomat, 1905 Botschafter am Vatikan II 329 Noailles, Emanuel Marquis de (1830-1909) 1882-1886 franz. Botschafter in Konstantinopel, 1896-1902 Botschafter in Berlin II 315 du Nord, Wilhelm (1836-1909) Offizier u. Militärschriftsteller, 1866 im Kundschaftsbüro d. Nordarmee I 252; II 457 Norfolk, Henry Fitzalan Howard Herzog v. (1847-1917) brit. Politiker, 1895-1900 Generalpostmeister II 202-204 Noske, Konstantin (1848-1920) 1894-1907 MöAH, Wiener Gemeinderat I 475 Nostitz-Rieneck, Albert Graf v. (1843-1929) General, seit 1899 Obersthofmeister Erzh. Franz Ferdinands I 456 Nothnagel, Hermann (1841-1905) seit 1882 Vorstand der I. Wiener mediz. Univ.-Klinik II 439
Personenregister Novakovic, Stojan (1842-1915) serb. Politiker, mehrfach Minister, 1909 Ministerpräs. II 130 Novakovic, in Belgrad ermordet II 277 Oberndorfer, Joseph, Assistent an d. Wiener Technik, 1851 verhaftet II 284 Obersteiner, Heinrich (1820-1891) Neurologe, seit 1880 ao., seit 1898 tit.o.Prof. f. Anatomie u. Pathologie d. Nervensystems Univ. Wien 1211 Obolenski, Valerian Fürst (1848-1907) 1897-1900 Ministerialrat im russ. Außenmin., 1900-1906 Stellv. Außenmin. I 435 Obrucev, Nikolai (1830-1904) russ. General, 1881-1898 Generalstabschef 1232 Oertzen, Jasper v. (1801-1874) 1851-1858 mecklenburg. Gesandter beim Bundestag in Frankfurt, 1858-1869 Staatsminister I 205 Oettl, Joseph (1796-1856) 1848-1856 Chef d. Präsidialbüros d. Innenmin. 1315 Ofenheim von Ponteuxin, Viktor (1820-1886) 1864-1872 Generaldir. d. Lemberg-Czernowitz-JassyEisenbahn, 1879-1881 MöAH I 389 Onderek, Johann, Bezirksvorsteher in Galizien II 12 Oppenheimer, Ludwig Frh. v. (1843-1909) 1873-1882 MböhmLt, 1873-1895 MöAH, seit 1895 MöHH I 223, 258-260, 417 f.; II 195 Oppenheimer, Vater d. O., Bankier I 417 f. Oppenheimer v. Marnholm, Richard (1864-?) Generalkonsul, seit 1908 im Außenmin. II 229, 232 Orges, Hermann v. (1821-1874) Journalist, 1854-1864 Red. d. Allgemeinen Zeitung, seit 1864 in Wien II 290 f.
Personenregister
Orleans, Antoine de, Herzog v. Montpensier (1824-1890) seit 1859 Infant v. Spanien II 114 Orleans, Isabelle (1878-1961) Tochter Herzog Philippe ν. О. I 242 Orsini, Feiice (1819-1858) ital. Terrorist I 457-459 Orsini und Rosenberg, Heinrich Fürst (1848-1929) seit 1872 MöHH 1346 Ossolinski, Jozef Graf (1748-1826) poln. Politiker u. Historiker II 11 Osten-Sacken, Nikolaj (1895-1912) 1884-1895 russ. Gesandter in München, 1895-1912 Botschafter in Berlin II 237, 263 f. Ottenfels-Gschwind, Moritz Frh. v. (1820-1907) seit 1843 im diplom. Dienst, 1868-1887 Gesandter in Bern I 318 Otto, Erzherzog (1865-1906) Vater Kaiser Karls I 260, 263 f., 272; II 310 Paar, Eduard Graf (1837-1919) General, 1887-1917 Generaladjutant d. Kaisers 1188; II 186, 235, 379, 451 f. Pacak, Bedrich (1846-1914) 1891-1911 MöAH, 1906-1907 tschech. Landsmannminister I 471, 480 Packenyi von Kilstädten, Friedrich Frh. (1817-1889) General I 379 Palacky, Frantisek (1798-1876) tschech. Historiker u. Politiker, seit 1861 MöHH I 414 Pälffy von Erdöd, Eduard Graf (1836-1915) 1883-1901 MböhmLt, 1887-1901 MöAH I 489 Pallavicini, Johann Markgraf v. (1848-1941) seit 1873 im diplom. Dienst, 1906-1918 Botschafter in Konstantinopel II 65, 77, 100, 141, 163, 166 f., 171, 195 f. Palmer, Eduard (1873-1914) Generaldir. d. Länderbank, Vertrauter Katharina Schratts 1275-377; II 235
503
Päpay, Istvan v. (1827-1897) seit 1867 in d. Kabinettskanzlei d. Kaisers, seit 1886 Sektionschef I 84, 111, 255, 330, 498 Parma, Robert Herzog v. (1848-1907) Vater Kaiserin Zitas, seit 1859 im Exil in Österreich I 78 Parocchi, Lucido (1833-1903) seit 1877 Kardinal 1147 Pasetti v. Friedenburg, Marie Frf. (1844-1936) Gattin d. F. I 309, 321 Pasetti von Friedenburg, Marius Frh. (1841-1913) seit 1864 im diplom. Dienst, 1890-1895 1. Sektionschef im Außenmin., 1895-1904 Botschafter in Rom 1186, 214, 255, 277-279, 309, 321; II 45 Pasic, Nikola (1846-1926) 1891, 1904-1905, 1906-1908,1909-1911, 1912-1915, 1918 serb. Ministerpräs. II 245, 252, 270, 272 Pastor, Ludwig Frh.v. (1854-1928) seit 1887 o.Prof. f. Neuere Geschichte Univ. Innsbruck, seit 1901 Dir. d. Österr. Hist. Instituts in Rom 199 Paty de Clam, Marquis du, verwickelt in Dreyfus-Affäre II 201 Paul I. (1754-1801) seit 1796 Zar v. Rußland I 60 Payer v. Thum, Rudolf (1867-1932) Historiker u. Archivar II 286 f. Pearson, Cyril Arthur Sir (1866-1921) brit. Zeitungshg. Π 200 Peez, Alexander Frh.v. (1824-1912) 1876-1885 u. 1890-1895 MöAH, seit 1902 MöHH II 290 f. Penizek, Josef (1858-1932) 1897-1918 Leiter d. Wiener Red. d. Närodni listy I 107 Perczel v. Bonyhäd, Mor (1811-1899) 1848/49 ung. General Π 457 Pergelt, Anton (1853-1910) 1892-1910 MöAH, 1895-1910 MböhmLt 1187 f., 210, 236, 246 f., 342, 348; II 7,111, 255 Pernerstorfer, Engelbert (1850-1918) 1885-1897 und 1901-1918 MöAH I 257; II 226
504 Perthaler, Johann v. (1816-1862) seit 1849 im Justiz-, 1857-1859 im Innenmin. I 296, 449; II 286 f. Peter I. (1844-1921) seit 1903 König v. Serbien II 222, 271-273, 277, 410 Peter Ferdinand, Erzherzog (1874-1948) General II 397, 299 Petrovic, Alexander (Sändor, Branko) serb. Pressechef, Journalist II 272 f., 277 f. Petrovic, Vukasin, von 1885-1900 mehrfach serb. Finanzminister II 187 Pfeiffer, Moritz, Vetter Eduard Sueß', Prager Industrieller II 283 Pfordten, Ludwig v.d. (1811-1880) 1848-1849 sächs. Innenminister, 1849-1859 u. 1864-1866 bayr. Staats- u. Außenmin., 1859-1864 bayr. Gesandter beim Bundestag 1100 Philipp, Peter (1847-1920) Schriftsteller u. Kritiker I 224 Philippovic v. Phillippsberg, Josef Frh. (1819-1889) General, 1874-1881 komm. General in Prag, 1878 Komm. d. Okkupationstruppen in Bosnien, 1881-1882 komm. General in Wien, 1882-1889 Korpskomm. I 118, 293 Pichon, Stephen (1857-1933) 1901-1906 franz. Generalresident in Tunis, 1906-1911, 1913 und 1917-1920 Außenminister II 145, 257, 309, 312 Pietak, Leonhard (1841-1909) 1893-1907 MöAH, 1900-1906 Minister f. Galizien, seit 1907 MöHH I 455 Pillersdorf, Franz Frh.v. (1786-1862) seit 1806 im Staatsdienst, 1848 Innenmin. u. Ministerpräs. I 295 Pillersdorf, Hermann Frh.v. (1817-1887) 1863-1866 und 1868-1870 Landespräs. v. Schlesien, 1865-1879 MöAH I 406, 411
Personenregister
Pininski, Leo Graf (1857-1938) 1889-1898 MöAH, 1898-1903 Statthalter in Galizien, seit 1903 MöHH 1144 Pipitz, Josef v. (1798-1877) seit 1849 Gouverneur d. Nationalbank, seit 1861 MöHH I 290 f. Piret de Bihain, Eugen Frh. (1821-1902) General, seit 1868 Obersthofmeister Erzh. Albrechts 1101 Pisling, Theophil (1834-1916) Journalist, 1867-1907 im Literar. Bureau d. Außenmin. 1171 f., 254 f., 286, 409 Pitner, Siegfried Frh.v. (1865-1945) 1908-1911 Konsul im Außenmin. II 232, 245 Pitreich, Heinrich Frh.v. (1841-1920) General, seit 1883 im Kriegsmin., 1902-1906 Kriegsmin. 1 189, 490, 497; II 8, 22, 42 f., 50 f., 234 f. Pius IX. (1792-1878) seit 1846 Papst I 326 f. Pius X. (1835-1914) seit 1903 Papst II 49, 313 f., 328 f., 332 f., 372, 392 f. Planitz, Karl Paul v.d. (1837-1902) seit 1883 sächs. Generalstabschef, 1891-1902 Kriegsminister I 78, 338 Plappart v. Leenheer, August Frh. (1836-1907) seit 1867 im Innenmin., 1894-1896 Sektionschef, 1898-1906 Generalintendant d. Hoftheater, seit 1902 MöHH I 376 Platen zu Hallermund, Adolf Ludwig Grafv. (1814-1889) 1855-1866 hannov. Außenminister, 1866 im Exil I 276 Plehwe, Pavel (1850-1916) russ. General, 1914-1916 Armeekomm. II 397 f. Plener, Ernst Frh..v. (1841-1923) 1873-1895 MöAH, 1878-1895 MböhmLt, 1893-1895 Finanzminister, 1895-1918 Präs. d. Gem. Obersten Rechnungshofes, seit 1900 MöHH I 51 f., 72, 76-86, 90 f.,
Personenregister
97 f., 109 f., 128, 143-145, 148, 174-180,182 f., 185, 187, 194-199, 215, 218-223, 229, 236 f., 255 f., 263 f., 271 f., 297, 313, 324 f., 351, 370-372, 392-397, 399, 404, 449-452, 461, 471, 474; II 17, 147, 177-179, 418 Plener, Ernst-Josef Frh. v. (1887-1917) Sohn d. О. I 85, 255 Plener, Ignaz Frh.v. (1810-1908) 1861-1873 MöAH u. MböhmLt, 1860-1865 Finanzminister, 1867-1870 Handelsmin., seit 1873 MöHH I 98, 133, 385, 449-451, 453; II 132, 134 Plener, Marie Frf. v. (1851-1928) Gattin Ernst P. I 77, 83, 85, 97, 255 Poche-Bukowe, Adolf Frh. v. (1811-1893) 1862-1870 Statthalter in Mähren, 1863-1873 MöAH I 406, 411,415 Podewils-Dürnitz, Klemens v. (1850-1922) 1887-1896 bayr. Gesandter in Rom, 1896-1902 Gesandter in Wien, 1902-1903 Unterrichtsminister, 1903-1912 Staats- u. Außenmin. I 233-235, 238, 241 f., 250-252, 271 f., 321, 383, 444 Podlipny, Johann (1848-1914) 1897-1900 Bürgermeister von Prag, 1899-1913 MböhmLt 1108 Pogatscher, Rudolf (1859- nach 1937) seit 1882 im konsular. Dienst, 1891-1902 Dragoman in Konstantinopel, seit 1902 im Außenmin. 1189; II 181 Poincare, Raymond (1860-1934) franz. Politiker, mehrfach Minister, 1912-1913 Ministerpräs., 1913-1920 Präs. d. Republik II 314, 330, 346 f., 410 Pollak, Heinrich (1835-1908) Journalist, seit 1867 Red. u. Miteigentümer d. Neuen Wiener Tagblatts I 259, 409, 417 f. Polzer, Aurelius (1848-1924) 1889-1903 Geschäftsführer d.
505 Vereins Südmark, seit 1889 Schriftleiter d. Grazer Wochenblattes I 221 Ponsonby, John Viscount (1770-1855) 1832-1841 brit. Botschafter in Konstantinopel, 1846-1850 Botschafter in Wien 1270 Popovic, Dusan, kroat. Politiker II 252 Popovic, Stephan, Hofrat, bis 1908 MkroatLt II 278 Popp v. Böhmstetten, Josefa Frf. v. (1861-1921) geb. Kolisko II 449 Popper v. Podhrägy, Leopold Frh. (1821-1886) ung. Holzindustrieller 1211 Porges, Schwester Frau Gutmanns 1176 Porges, jüd. Funktionär aus Leipzig II 173 Poschacher v. Poschach, Ferdinand (1819-1866) General II 137 Possinger-Choborski, Ludwig Frh. v. (1823-1905) 1868-1871 Leiter d. Statthalterei v. Galizien, 1871 Leiter d. Ackerbaumin., 1874-1880 Statthalter in Mähren, 1880-1889 Statthalter in Niederösterreich 1369 Postl, Karl Anton (1793-1864) Pseud. Charles Sealsfield, Schriftsteller 1319 Potiorek, Oskar (1853-1933) General, 1902-1906 Stellv. Generalstabschef, 1911-1914 Chef d. Landesreg. f. Bosnien-Herzegowina, 1914 Komm, d. Balkanstreitkräfte I 189 f.; II 381 Potocki, Alfred Graf (1822-1889) seit 1861 MöHH, 1867-1870 Ackerbauminister, 1870-1871 Ministerpräs., 1875-1883 Statthalter in Galizien I 258 f., 313, 366, 369, 385, 411; II 12, 290 Potocki, Andreas Graf (1861-1908) 1895-1897 MöAH, 1901-1903 Landmarschall, 1903-1908 Statthalter in Galizien, seit 1907 MöHH II 13, 41
506
Potocnjak, Franjo (1862-1932) 1897-1903 und 1906-1908 MkroatLt, 1906-1908 MuAH II 274 f., 277 Prade, Heinrich (1853-1927) 1885-1910 MböhmLt, 1885-1911 MöAH, 1906/07 und 1908 dt. Landsmannminister, 1909-1914 Präs. der Österr. Industrie- und Handelsbank II 7, 10 Präsek, Karel (1868-1932) 1901-1918 MöAH, 1907-1908 tschech. Landsmannminister II 111, 254 Pratobevera, Adolf Frh. v. (1806-1875) 1848-1850 im Justizmin., seit 1850 Rat am Obersten Gerichtshof, 1861 Leiter d. Justizmin., 1861-1873 MöAH I 318 f. Pratobevera, Gattin d. O., geb. Wagner I 306 Prazak, Alois Frh.v. (1820-1901) 1861-1863 und 1873-1892 MöAH, 1879-1892 tschech. Landsmannminister, 1881-1888 Leiter d. Justizmin., seit 1892 MöHH 1179, 219, 358, 394 f., 414 de Pretis-Cagnodo, Sisinio Frh. (1828-1890) seit 1867 Sektionschef im Handelsmin., 1870/71 Leiter d. Handelsmin., 1871-1872 und 1879-1889 Statthalter in Triest, 1872-1879 Finanzmin, 1872-1882 MöAH, seit 1889 MöHH I 253, 274, 295, 312, 324, 358 f., 412, 428; II 459 Pribicevic, Svetozar (1875-1936) serb.-kroat. Politiker, seit 1902 Red. d. Novi Srbobran II 241 f., 251, 269, 276, 278 Prim, Juan Graf de Reus (1814-1870) span. General, 1869-1870 Ministerpräs. II 114 Prokesch-Osten, Anton Graf (1795 bis 1876) General u. Diplomat II 152 Prokesch-Osten, Anton Graf (1837-1919) Sohn d. О. II 152 Promber, Adolf (1843-1899) 1873-1892 MöAH I 452
Personenregister Pserhofer, Freund Heinrich Taaffes 1185 Pserhofer, Vater d.O., Apotheker in Toblach 1185 Pulszki, Ferenc (1814-1897) ung. Politiker, 1849-1866 im Exil, 1869-1894 Präs. d. ung. Nationalmuseums I 306 Pulszky, Agost (1846-1901) 1894/95 Staatssekretär im ungar. Unterrichtsmin. I 84 Pulz, Ludwig Frh.v. (1822-1881) General I 360 Radetzky v. Radetz, Joseph Graf (1766-1858) General, 1831-1857 Generalkomm, in LombardoVenetien 1 108, 227; II 457 Radivojevic, Milan, südslaw. Agitator II 245 Radivojevic-Vacic, Jovan, seit 1908 MkroatLt II 278 f. Radolin-Radolinski, Hugo Fürst (1841-1917) dt. Diplomat, 1895-1900 Botschafter in St. Petersburg, 1900-1910 Botschafter in Paris II 336, 389 Radowitz, Joseph Maria v. (1839-1912) dt. Diplomat, 1892-1908 Botschafter in Madrid II 306 f., 340 f. Rahl, Karl (1812-1865) Maler, seit 1862 Prof. Akad. d. Bildenden Künste Wien I 314 Rainer, Erzherzog (1827-1913) 1861-1865 Ministerpräs. I 387; II 23-25, 309, 432 Rakosi, Jenö (1842-1929) 1881 Mitgründer, 1891-1925 Chefred. d. Budapesti Hirlap II 276 Rakovszky, Istvän (1858-1931) ung. Politiker, Vors. d. kathol. Volkspartei II 130, 449 Ramming ν. Riedkirchen, Wilhelm Frh. (1815-1876) General, 1866 Korpskomm., 1866-1873 komm. General in Prag I 227 f.
Personenregister
Rampolla del Tindaro, Mariano (1843-1913) 1887-1903 Kardinalstaatssekretär I 491; II 49, 392 f. Rappaport v. Arbengau, Alfred (1868-?) 1908-1909 Generalkonsul in Saloniki, seit 1909 im Außenmin. II 124, 131, 140,173, 181 Rath, alldt. Politiker II 352 Ratibor u. Corvey, Max Prinz v. (1856-?) Gesandter, seit 1882 im dt. diplom. Dienst, 1890-1894 1. Botschaftssekretär in Wien, 1894-1897 Generalkonsul in Budapest, 1897-1902 preuß. Gesandter in Weimar 1185 f. Ratkowsky, Matthias (1832-1917) 1870-1897 Juristenpräfekt u. Bibliothekar am Theresianum I 212 Rauch, Pavao Baron (1865-1933) 1908-1910 Banus v. Kroatien II 89, 239, 250, 252 f., 269 Rauscher, Josef Othmar v. (1797-1875) seit 1844 Lehrer Franz Josephs, 1849 Bischof von Seckau, seit 1853 Erzbischof von Wien, seit 1855 Kardinal I 270, 404; II 435 f. Rechbauer, Karl (1815-1889) Grazer Advokat, 1861-1885 M, 1873-1879 Präs. öAH I 406; II 458 Rechberg u. Rothenlöwen, Aloys Graf v. (1835-1877) Sohn d. F. II 456 Rechberg u. Rothenlöwen, Bernhard Graf v. (1806-1899) seit 1829 im diplom. Dienst, 1855-1859 Bundespräsidialgesandter in Frankfurt, 1859-1864 Außenminister, seit 1861 MöHH I 204-206, 317, 448 f., 477; II 456 Rechberger v. Rechcron, Joseph, Offizier im Kriegsarchiv I 363 Rechcron, siehe Rechberger v. Rechcron Redlich, Josef (1869-1936) 1907-1918 MöAH, 1918 Finanzminister II 144, 160, 206, 226, 253 f.
507
Redwitz-Schmölz Oskar Frh.v. (1823-1891), Schriftsteller, 1851-1852 Prof. f. Literatur u. Ästhetik Univ. Wien I 72 Redwitz-Schmölz, Frf. v., Tochter d. О. I 72 Reinisch, Simon Leo (1832-1919) 1866/67 Leiter d. Archäolog. Museums in Mexiko, seit 1873 o. Prof. d. ägypt. Altertumskunde, seit 1876 auch. d. ägypt. Sprache Univ. Wien I 282-285, 317 Reischach, Siegmund Frh. v. (1809-1878) General, 1859 Divisionskomm. I 379 Renvers, Rudolf v. (1854-1909) Arzt u. Vertrauter Bernhard Bülows II 367 Reschauer, Heinrich (1838-1888) Journalist, 1879-1884 MöAH I 295 Retsey, Adam Frh. v. (1775-1852) General, 1848 ung. Ministerpräs. 1268 Reuß, siehe Heinrich VII. Reuß Reuter, Ida Maria, Gattin d. F. I 304 Reuter, Julius Baron (1816-1899) Gründer d. Nachrichtenagentur Reuter I 304 Reventlow, Ernst Graf zu (1869-1943) alldt. Politiker II 352 Reverseaux de Rouvray, Frederic Marquis de(1845-1916) 1897-1907 franz. Botschafter in Wien II 197 Revoil, Paul (1856-?) franz. Diplomat, 1901-1903 Generalgouverneur v. Algerien, 1907-1910 Botschafter in Madrid II 340 Revoltella, Pasquale Frh. v. (1795-1869) Triestiner Bankier I 290; II 103 f., 119 f., 135 Rex, Rudolf Graf v. (1858-1916) 1897-1916 sächs. Gesandter in Wien II 146, 191 Rezek, Antonin (1853-1909) seit 1886 o. Prof. f. Osterr. Geschichte tschech. Univ. Prag, seit 1896 im Unterrichtsmin., 1900-1903 tschech. Landsmannmin. I 480; II 452 f.
508 Richter, Edmund, 1896-1922 Kanzleidir. d. Technischen Hochschule Wien II 286 Richter, Franz (1810-1861) 1856-1860 1. Hauptdir. d. Creditanstalt I 477; II 104 f. Richthofen, Oswald Frh. v. (1847-1906) 1897-1900 Unterstaatssekretär, 1900-1906 Staatssekretär d. dt. Ausw. Amtes II 30, 367 f., 370 Riedl, Richard (1865-1944) 1909-1918 Sektionschef im Handelsmin. II 151 f., 160,165 Rieger, Frantisek Frh.v. (1818-1903) 1861-1895 MböhmLt, 1861-1867 und 1873-1891 MöAH, seit 1897 MöHH I 218, 414 Ringelsheim, Josef Frh. v. (1820-1899) General I 226 Ripp, Isidor Frh.v. (1840-1904) General, bis 1883 Militärattache in Rom II 303 Rippler, Heinrich (1866-1934) 1896-1922 Chefred. d. Berliner Täglichen Rundschau II 352 f., 360 Ristic, Jovan (1831-1899) 1868-1872 und 1889-1893 im serb. Regentschaftsrat, 1872-1873, 1875, 1876-1880 und 1887/88 Außenminister, 1876-1880 und 1887/88 Ministerpräs. I 431 Ristic, Svetozar, serb. Journalist II 275 Riza Bey, Ahmed (1859-1950) jungtürk. Politiker II 160 f., 165-167 Robilant, Carlo Feiice Graf (1826-1888) 1871-1885 ital. Botschafter in Wien, 1885-1887 Außenminister, 1888 Botschafter in London I 63, 147, 161 Rochelt, Emil (1847-1918) seit 1879 Kurarzt in Meran I 72 Rodakowski, Josef v. (1830-1912) General, 1865 Generalstabschef in Holstein, 1866 Generalstabschef d.
Personenregister
2. Kavalleriedivision in d. Nordarmee I229,252, 264-270 Rodich, Gabriel Frh.v. (1812-1890) General, 1866 Korpskomm, in d. Südarmee, 1870-1881 Statthalter in Dalmatien, seit 1885 MöHH 1387 Rockel, August (1814-1876) Dirigent u. Journalist I 409 Röckenzaun, Richard v. (1836-1905) General, Sektionschef im Kriegsmin. I 250 Rössler, Mauriz v. (1857-1912) 1903-1909 Sektionschef im Handelsmin., 1909-1911 Sektionschef im Außenmin., 1911-1912 Handelsmin. II 205 f. Rogge, Walter (1822-1892) Journalist u. Historiker I 303 Rohan, Camillo Fürst (1800-1892) seit 1861 MöHH I 415 Rohonczy, Sylvia (1840-?) Tochter Anton Schmerlings I 305, 310 Rokitansky, Karl Frh.v. (1804-1878) seit 1844 o. Prof. f. patholog. Anatomie Univ. Wien, seit 1867 MöHH II 133 Romberg, Konrad-Gisbert Frh. v. (1866-1939) dt. Diplomat, bis 1901 Botschaftsrat in Wien I 231 f. Rose, Clemence, Korrespondentin d. Morning Post in Rom u. Wien II 200-204, 208 Roseberry, Archibald Primrose Earl of (1847-1922) 1886 und 1892-1894 brit. Außenminister, 1894-1895 Premiermin. I 63 Rosegger, Peter (1843-1918) Schriftsteller II 339 Rosen, Georg(1820-1891) 1867-1875 dt. Generalkonsul in Belgrad I 430 Rossum, Willem van (1854-1932) seit 1911 Kardinal II 393 Rotheit, Rudolf (1861-?) Red. d. Vossischen Zeitung I 436; II 187 Rothschild, Albert v. (1844-1911) Bankier II 146, 163
Personenregister
Rotteck, Karl v. (1775-1840) Staatswissenschaftler, 1798-1832 Prof. Univ. Freiburg I 389 Rottenburg, Franz v. (1845-1907) seit 1896 Kurator d. Univ. Bonn II 336 Rottenburg, v., Bruder d. O., Ingenieuroffizier in Marokko II 336 Rouvier, Maurice (1842-1911) 1887 franz. Ministerpräs., 1889-1892 und 1902-1905 Finanzmin., 1905-1906 Ministerpräs. u. Außenmin. II 312 f., 328, 347, 353, 356 f., 369 Ruber, Ignaz Frh. v. (1845-1933) Jurist, 1896 Sektionschef im Justizmin., 1897-1899 Justizmin., seit 1899 Senatspräs., seit 1907 Präs. d. Obersten Gerichtshofes, seit 1902 MöHH I 234, 264 Rudini, Antonio Marquese di Starabba (1839-1908) 1891-1892 und 1896-1898 ital. Ministerpräs. II 366 Rudnay, ung. Politiker II 249 Rudolf, Erzherzog (1858-1889) Thronfolger I 78, 99, 175,191, 230, 322, 343, 410, 414; II 51, 438, 449, 454 Rüdt v. Gollenberg, Anna (1836-1921) Schwester Joseph Dorotkas II 287 f. Rumerskirch, Karl Frh. v. (1867-1947) seit 1899 Obersthofmeister Erzh. Franz Ferdinands II 261 Ruß, Viktor (1840-1920) 1870-1887 und 1889-1901 MböhmLt, 1871-1901 MöAH, seit 1907 MöHH, Präs. d. Osterr. Nordwest-Dampfschiffahrtsges. 1 146, 257, 372 f.; II 283 Saar, Ferdinand Frh. v. (1833-1906) Schriftsteller II 152, 161 Saar, Melanie Frf.v. (7-1884, Selbstmord) Gattin d. Ο. Π 161
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Sabatier, Paul (1858-1928) franz. Schriftsteller u. Theologe II 204 Sacken, Adolf Frh.v. (1830-1900) General, 1876-1886 Dir. d. Kriegsarchivs I 249 Salisbury, Robert Marquess of (1830-1903) 1866/67 und 1874-1878 brit. Staatssekretär f. Indien, 1878-1880, 1885-1892 und 1895-1900 Premier- u. Außenminister, 1900-1902 Premiermin. I 63, 94, 105 Salm-Reifferscheid, Elisabeth Fürstin (1832-1894) Mäzenin Ferdinand Saars II 161 Salm-Reifferscheidt, Franz Altgraf (1819-1887) 1861-1887 MöHH und MböhmLt I 410, 414 f. Salm-Reifferscheid, Hugo Fürst (1803-1888) seit 1861 MöHH I 244 Salm-Reifferscheid, Robert Altgraf (1804-1875) Sektionschef im Innenmin., 1866 i.R. I 410 f. Salzmann v. Bienenfeld, Franz, 1843-1857 Generalsekretär d. Nationalbank I 291 Salzmann, Enkelin Josef Schreyvogels Π 159 Samassa, Paul (1868-1941) 1899-1900 Chefred. d. Münchener Neuesten Nachrichten, 1900-1908 Hg. d. Alldeutschen Blätter II 417 f. San Carlo, Herzog v., Vertrauter Alfonso XII. ν. Spanien II 117 San Giuliano, Antonio di (1852-1914) 1905-1906 und 1910-1914 ital. Außenminister, 1906-1909 Botschafter in London, 1909-1910 Botschafter in Paris II 383 Sanguszko, Eustachy Fürst (1842-1903) 1873-1879 MöAH, seit 1879 MöHH, 1890-1895 Landmarschall von Galizien, 1895-1898 Statthalter in Galizien I 352 Sarrien, Ferdinand (1840-1915) seit 1885 mehrfach franz. Minister, 1905 Ministerpräs. Π 211
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Sauermann (Saurma?), preuß. Legationsrat in Madrid 1869 II 114 Savic, Dusan, 1909 serb. Pressechef II 279 Sazonov, Sergej (1860-1927) 1906-1909 russ. Gesandter beim Vatikan, 1909-1910 Gehilfe d. Außenministers, 1910-1916 Außenmin., 1917 Botschafter in London II 264, 313 Schäffle, Albert (1831-1903) Staatswissenschaftler, 1871 Handelsminister u. Leiter d. Ackerbaumin. I 52, 196; II 291 Schaf, Alexander, Kommiß d. Drasche'schen Tuchgeschäftes 1457 Schandera, Max (1863-?) Journalist I 255 f. Scharnhorst, Gerhard v. (1755-1813) preuß. General u. Kriegstheoretiker 1356 Scheibert, Justus (1831-1903) preuß. Offizer u. Militärschriftsteller 1159 Schemua, Blasius (1856-1920) General, 1910 Sektionschef im Kriegsmin., 1911-1912 Chef d. Generalstabs II 381, 383, 397 Schenk, Josef, Frh.v. (1858-1944) seit 1885 im Finanzmin., seit 1895 Rat, seit 1906 Senatspräs. d. Verwaltungsgerichtshofes, 1916/17 Justizmin. I 351 f., 365, 418-420; II 17, 179, 207, 226 Schenker, Mitglied im Orientkomittee 1909 II 160 Schießl v. Perstorff, Franz Frh. (1844-1932) seit 1869 im diplom. Dienst, 1895-1899 Gesandter in Belgrad, 1899-1917 Dir. d. Kabinettskanzlei d. Kaisers I 335; II 41, 128, 310, 420, 450-453 Schiff, Offizier 1866 I 319 Schilcher, Friedrich (1811-1881) Maler II 136 Schimmelpfeng, Adolf (1837-1923) kurhess. Geheimrat I 257, 276 f.
Personenregister Schlauch, Lörinc (1824-1902) 1873-1887 Bischof v. Szatmär (Sathmar, Satu Mare), seit 1887 Bischof v. Großwardein (Oradea, Nagyvärad), seit 1893 Kardinal 1120,130 Schleinitz, Alexander Graf v. (1807-1885) seit 1828 im preuß. Staatsdienst, 1858-1861 Außenminister, 1861-1885 Min. d. kgl. Hauses 1174 Schienther, Paul (1854-1916) Theaterkritiker, 1898-1910 Dir. d. Burgtheaters I 374-378; II 461 Schlesinger, Ludwig (1838-1899) 1870-1899 MböhmLt, seit 1894 Intendant d. dt. Landestheaters in Prag I 279 Schleswig-Holstein-Glücksburg, Wilhelm Prinz (1816-1893) General, 1866 Kavalleriedivisionskomm. I 228 Schlinkel (?), Bekannter Friedjungs 1909 II 157 Schiitter v. Niedernberg, Karl Frh. (1812-1878) General, 1859 Generaladjutant d. Kaisers I 378, 502 Schmerling, Anton v. (1805-1893) 1849-1851 Justizminister, 1860-1865 Staatsmin., 1861-1867 MöAH, 1865-1891 Präs. d. Obersten Gerichtshofes, seit 1867 M, 1871-1879 Präs. öHH 1 133, 172, 255, 270, 284, 286, 295, 305, 310 f., 315 f., 323, 354, 383 f., 392 f., 409, 411 f., 449, 453 f.; II 78, 134, 435, 456 Schmerling, Heinrich v. (?-1868) Offizier, Bruder d. О. I 383 Schmerling, Joseph v. (1806-1884) General, 1860-1862 Stellvertreter d. Kriegsmin., 1862-1866 Korpskomm., 1866-1869 komm. General in Temesvar (Timisoara), seit 1879 MöHH I 383 Schmerling, Moriz v. (1822-1882) seit 1876 Rat, seit 1878 Senatspräs. d. Verwaltungsgerichtshofes I 383
Personenregister
Schmerling, Pauline v. (1806-1840) Gattin Anton S. I 383 Schmerling, Rainer v. (1810-1892) Leibarzt Erzherzog Albrechts I 383 Schmeykal, Franz (1826-1894) 1861-1894 MböhmLt 1 197, 324 Schmidt, Kaspar (1806-1865) Pseud. Max Stirner, Philosoph I 304 Schmitt, Jenö Henrik (Eugen Heinrich) (1851-1916) Philosoph, 1890-1896 Bibliothekar im ung. Justizmin. I 114 Schmittlein-Prechtler, Ferdinande (1854-1915) Schauspielerin, seit 1898 am Burgtheater I 376 Schmoller, Gustav v. (1838-1917) Nationalökonom, seit 1884 Μ d. preuß. Staatsrates I 235 Schnabl, Carl (1846-?) Pater, HofCeremonarius I 273 Schneeberger, Helene, Freundin Ernest Koerbers I 472^*74, 489 f., 496 f.; II 7, 13-17, 107-109, 442 f. Schneeberger, Wilhelm, Gatte d. O., Rechtsanwalt I 187 f., 211 f., 472, 496; II 7,13, 15, 107-109 Schneider, Ernst (1845-1913) 1891-1907 MöAH I 297 Schoen, Wilhelm v. (1851-1931) seit 1877 im dt. diplom. Dienst, 1885-1900 1.Botschaftssekretär in Paris, 1900-1905 Gesandter in Kopenhagen, 1905-1907 Botschafter in St. Petersburg, 1907-1910 Staatssekretär d. Ausw. Amtes, 1910-1914 Botschafter in Paris II 212, 281, 314-327, 333 f., 336, 342, 355, 366 f., 370 Schönaich, Franz Frh.v. (1844-1916) General, 1905-1906 Landesverteidigungsminister, 1906-1911 Kriegsmin. 1 107-109, 322; II 43, 50, 75, 86, 100, 180, 199, 229 f., 241, 262, 264-266 Schönaich, Gustav (1841-1906) Bruder d. O., Musikschriftsteller u. Journalist 1107-109
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Schönborn, Friedrich Graf (1841-1907) 1888-1895 Justizminister, 1895-1907 Präs. d. Verwaltungsgerichtshofes I 144, 216, 229, 256 f., 262, 325, 396 f.; II 16 f., 23 f., 310 Schönborn, Therese Gräfin (1843-1910) Gattin d. О. I 229 Schönburg-Hartenstein, Alexander Fürst v. (1826-1896) 1872-1882 MböhmLt, seit 1872 MöHH I 79, 144 f., 295, 395 Schönerer, Georg v. (1842-1921) 1873-1889 und 1897-1907 MöAH 1 175, 195, 234, 240 f.; II 21 Schönfeld, Anton Frh.v. (1827-1898) General, 1876-1881 Generalstabschef, 1882-1895 Korpskomm., 1895-1898 Generaltruppeninspektor I 89, 103, 171, 202, 252 f., 334, 362 Schönfeld, Elisabeth Gräfin (1832-1904) Obersthofmeisterin Erzh. Maria Theresias I 391 f. Schönfeld, Georgina Frf. v. (1826-1890) Gattin Anton S. 1252 f. Schönfeld, Maximilian, Bruder Anton S. I 253 Scholl, Friedrich v. (1846-1928) Generaladjutant Kaiser Wilhelm II. II 318 Schratt-Kiss, Katharina (1853-1940) Schauspielerin 1112, 245 f., 322, 352 f., 374-378, 392, 404; II 16, 235, 295, 433, 454, 460 f. Schreiber, Clara, Bekannte Bauernfelds I 320 Schreiber, Rabbiner in der SchifTgasse I 211 Schreiner, Elise Frf. v. (1825-1898) Gattin d. F. I 319 Schreiner, Gustav Franz Frh. v. (1821-1886) 1850-1858 Dragoman in Konstantinopel, seit 1858 Generalkonsul in Kairo, 1875-1881 Gesandter in Rio de Janeiro I 319 Schreiner, Gustav (1847-1922) 1895-1913 MböhmLt, 1901-1918
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MöAH, 1908-1910 dt. Landsmannminister II 254 f. Schreyvogel, Josef (1768-1832) Dramaturg u. Schriftsteller II 159 Schroth v. Rohrberg, Mathias, Chef d. Staatspolizei seit 1856 1458 Schütz, Friedrich (1845-1908) Red. d. Neuen Freien Presse u. Dramatiker I 311 f., 318 Schulz, Paul (1860-1919) 1911-1919 Vizepräs. d. Obersten Rechnungshofes, seit 1917 MöHH II 177 f., 231, 376, 433 Schwabe v. Waisenfreund, Karl (1827-1875) seit 1852 im Finanzmin., seit 1868 im gem. Finanzmin. 1291 Schwanebach, Petr v. (1848-1908) russ. konserv. Politiker, 1905 Landwirtschaftsminister, 1906-1907 Reichskontrolleur II 224 f., 318 Schwartz ν. Mohrenstern, Schwiegermutter Marius Pasettis, Cousine Alexander Bachs I 309, 321 Schwarz, Ferdinand, Jugendfreund Alexander Bachs I 320 Schwarz, Heinrich v. (1845-1915) Offizier, seit 1905 Oberst II 405 Schwarz, Wilhelmine, Gattin Ferdinand S., geb. Kleyle I 320 Schwarzenberg, Felix Fürst (1800-1852) 1848-1852 Ministerpräs. u. Außenminister I 155, 270, 305, 315, 394; II 78, 132 Schwarzenberg, Friedrich Prinz (1862-1936) 1893-1901 und 1903-1913 MböhmLt, 1895-1907 MöAH, seit 1907 MöHH I 245, 345 f., 382, 489 Schwarzenberg, Ida Fürstin (1870-1946) Gattin Fürst Karl IV. 1223 Schwarzenberg, Karl III. Fürst (1824-1904) 1861-1863, 1865-1867, 1870-1871 und 1883-1890 MböhmLt, seit 1879 MöHH I 240, 408
Personenregister
Schwarzenberg, Karl IV. Fürst (1859-1913) 1889-1913 MböhmLt, 1891-1895 MöAH, seit 1904 MöHH I 82, 223, 240, 278 Schwarzer, Ernst (1808-1860) Journalist, 1848 Minister f. öff. Arbeiten I 286, 302-304 Schwarzer, Louise (1836-?), Schriftstellerin, Gattin Z.K. Lechers I 286 Schwegel, Josef Frh.v. (1836-1914) 1877-1881 Sektionschef im Außenmin., 1879-1907 MöAH, seit 1907 MöHH II 222 Schweinitz, Hans Lothar v. (1822-1901) preuß. General, 1869-1876 preuß. Gesandter bzw. dt. Botschafter in Wien, 1876-1893 Botschafter in St.Petersburg I 58 f., 149, 193, 359 Schwetz, Johann (1803-?) Burgpfarrer I 273 Schwitzer, Ludwig (1850-?) Wirtschaftsred. d. Neuen Freien Presse II 144,147, 226 Schwitzer v. Bayersheim, Ludwig (1839-?) General, 1901 Korpskomm. in Temesvär (Timisoara) 1391 Scott, John Earl of Eldon (1751-1838) brit. Politiker, 1801-1806 und 1807-1827 Lord Chancellor I 83 Scudier, Anton v. (1818-1900) General I 88 f. Sealsfield, siehe Postl, Karl Anton Seefried, Elisabeth Gräfin (1874-1957) Enkelin Kaiser Franz Josephs II 158 Seefried, Otto Graf (1870-1951) Gatte d. О. II 158 Segantini, Giovanni (1858-1899) Maler II 292 Seidler, Gustav (1858-1933) Prof. f. Staatsrechnungswiss. Univ. Wien I 72, 185, 234, 264 Selves, Justin de (1848-1934) 1911-1912 franz. Außenminister II 326
Personenregister
Sennyey, Pal Baron (1824-1888) 1865-1867 Leiter d. prov. Landesregierung f. Ungarn I 429 Sieghart, Rudolf (1866-1934) 1902-1910 Vorstand d. Präsidialkanzlei d. Ministerpräs., 1910-1916 Gouverneur der Boden-CreditAnstalt, seit 1912 MöHH 1199, 255, 297,345 f., 434 f., 454-^57,470-472, 481 f., 497; II 13,15-17, 39-41, 68, 90,107-109,143,153-156,158,162, 164,170 f., 198,241-244,265 f., 303 Sieghart, Gattin d. О. II 153, 207 Silva-Tarouca, Ernst Graf (1860-1936) 1892-1913 MböhmLt, 1891-1907 MöAH, seit 1907 MöHH, 1917-1918 Ackerbauminister I 255 f., 488 f.; II 263 Silva-Tarouca, Helene Gräfin (1835-1931) Schwester Gustav Kalnokys I 94 Silva-Tarouca, Maria Gräfin (1863-1934) Gattin Ernst S.-T. I 255 f., 488 f. Silvela у Le-Vielleuze, Francisco (1843-1905) mehrfach span. Minister, 1899-1900 und 1902-1903 Ministerpräs. II 353 f. Simic, Djoka (George) (1854-1921) 1894 und 1896-1897 serb. Ministerpräs. u. Außenminister, 1907-1912 Gesandter in Wien, seit 1912 Gesandter in St. Petersburg I 96 Simonyi, Lajos (1824-1894) 1875-1876 ung. Handelsminister 1468 Singer, Emanuel (1846-?) Red. d. Neuen Wiener Tagblatts I 235 f., 255 f. Singer, Isidor (1857-1927) Journalist, Mithg. d. „Zeit" I 71 f., 224, 473 Singer, Siegmund (1851-1913) 1906-1913 Chefred. d. Pester Lloyd II 276-278 Singer, Wilhelm (1847-1917) seit 1891 Chefred. d. Neuen Wiener Tagblatts 1 178, 214, 352; II 42
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Skarbek, Stanislaw Graf (1778-1848) galiz. Adeliger II 11 Skene, Alfred Frh.v. (1815-1887) 1861-1871 und 1875-1886 MöAH 1324 Skrbensky v. Hriste, Leo (1863-1938) 1899-1916 Erzbischof von Prag, seit 1901 Kardinal, 1916-1920 Erzbischof von Olmütz I 374 Skrejsovsky, Jan (1831-1883) tschech. Journalist I 281 Smets, Moritz (1828-1890) Journalist u. Schriftsteller I 295, 304 Smolka, Franz v. (1808-1898) 1867-1877 und 1879-1893 M, 1881-1893 Präs. öAH 1194 Sommaruga, Franz Frh.v. (1815-1884) 1835-1867 im Staatsdienst, 1848 Μ d. Reichstages 1320 Sommaruga, Henriette Frf. v. (1820-1882) Gattin d. O., geb. Kleyle I 320 Somssich, Pal (1811-?) ung. Politiker 1 172, 432 Sonnenschein, Siegmund (1861-?), Journalist und Beamter im Eisenbahnmin. I 264 Sonnino, Giorgio (1847-1924) 1906 und 1909/10 ital. Ministerpräs. u. Innenminister, 1914-1919 Außenmin. II 410 Soos v. Badok, Karl (1869-1953) Offizier, seit 1913 Oberst II 399 Sophie, Erzherzogin (1805-1872) Mutter Kaiser Franz Josephs 1109, 323, 391 f., 425 f.; II 11 f., 77 f., 296 Spalajkovic, Miroslav (1869-1951) bis 1911 Sektionschef im serb. Außenmin., 1911-1913 Gesandter in Sofia, 1913 Leiter d. Außenmin., 1914-1917 Gesandter in St. Petersburg II 226, 229, 232, 242, 245, 277 f. Speidel, Ludwig (1830-1906) Journalist u. Theaterkritiker I 286 Spens-Boden, Alois Frh. v. (1835-1919) 1893-1900 Statthalter
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in Mähren, 1900-1902 Justizminister, seit 1905 MöHH I 419, 470; II 24 Spitzer, Albert, Sekretär d. öst.-ung. Handelskammer in Konstantinopel I 188 Spitzmüller-Harmersbach, Alexander Frh.v. (1862-1953) 1902-1910 Vizepräs. d. niederösterr. Finanzlandesdirektion, 1910-1915 Dir. d. Creditanstalt, 1915-1916 Handelsminister, 1916/17 Finanzmin., 1918 gem. Finanzmin. I 461-464; II 207, 385, 420 f., 425-427, 458 Springer, Anton Heinrich (1825-1891) Historiker, seit 1873 Prof. f. Kunstgeschichte Univ. Leipzig I 288 Stadion v. Thannhausen, Philipp Graf (1799-1868) General 1225 f.; II 137 Stadion-Warthausen, Franz Graf (1806-1853) seit 1827 im Staatsdienst, 1841-1846 Gouverneur d. Küstenlandes, 1847-1848 Gouverneur v. Galizien, 1848-1849 Innenminister I 288, 410; II 164 f. Stadler v. Wolffersgrün, Friedrich (1851-nach 1929) seit 1873 im Staatsdienst, bis 1906 Sektionschef im Unterrichtsmin. II 441^444 Stambulov, Stefan (1854-1895) 1887-1894 bulg. Ministerpräs. 1170 Stametz-Mayer, Bankier in Wien vor 1848 I 288 Staniek, Heinrich (1842-1905) Burgtheaterarzt I 375 f. Stancov, Dimitar (1861-?) 1897-1906 bulg. diplom. Agent in St. Petersburg, 1906-1908 Außenminister, 1908-1915 diplom. Agent, seit 1909 Gesandter in Paris II 46 Stankovits, Offizier, Adjutant General Kuhns I 362 Starcevic, Ante (1823-1896) 1878-1896 MkroatLt II 90, 269 Starhemberg, Camillo Fürst (1804-1872) seit 1861 MöHH I 453 f.
Personenregister Starhemberg, Camillo Fürst (1835-1900) Sohn d. O., seit 1873 MöHH I 453 f. Steed, Henry Wickham (1871-1956) 1897-1902 Korrespondent d. Times in Rom, 1902-1914 in Wien, 1914-1919 Leiter d. außenpolit. Redaktion II 172, 182, 200-204, 207-210, 217-219, 223, 251 Stein, August (1851-1920) Leiter d. Berliner Büros d. Frankfurter Zeitung II 305-308, 340-344, 358 Steinacker, franz. Diplomat II 216 f. Steinbach, Emil (1846-1907) 1891-1893 Finanzminister, 1904-1907 Präs. d. Obersten Gerichtshofes, seit 1899 MöHH 1 135, 180 f., 185, 212, 221, 229, 234, 255, 294, 351, 371, 397; V24, 309, 440 Steinbach, Gustav (1848-1911) Red. d. Neuen Freien Presse I 423 Steinbach, Bruder Emil S. I 212, 229 Steinbach, Schwägerin Emil S., geb. Kaunitz I 229 Steinhardt, Isidor, Journalist, Balkanspezialist II 244 f., 253, 275-279 Steinitz, Eduard v. (1839-1911) General I 360 f. Steinitz, Eduard v. (1868-1955) seit 1904 in d. kriegsgeschichtlichen Abt. d. Kriegsarchivs, seit 1917 General I 502 f.; II 54 f. Steinmetz, Karl Friedrich v. (1796-1877) preuß. General, 1866 Korpskomm. I 166 Steinwender, Otto (1847-1921) 1885-1918 M, 1909-1911 Vizepräs. öAH 1 185, 224 Stemrich, Wilhelm (1852-1911) dt. Diplomat, 1907-1911 Unterstaatssekretär d. Ausw. Amtes II 322 Stephanie, Erzherzogin (1864-1945) Gattin Erzh. Rudolfs I 188
Personenregister
Stern, Alfred (1831-1918) 1898-1904 Vize-, 1904-1918 Präs. d. israelii. Kultusgemeinde Wien II 146, 162 f., 173, 181 Sternberg, Adalbert Graf (1868-1930) 1904-1911 MöAH II 206 Stirner, siehe Schmidt, Kaspar Stränsky, Adolf (1855-1931) 1895-1918 MöAH I 297; II 193 Stransky v. Dresdenberg, Franz (1831-1902) General, 1874-1876 Leiter d. Präsidialbüros d. Kriegsmin., 1876-1878 Kommandant, d. Militärakademie Wiener Neustadt I 333 f. Strauß, Rechtsanwalt d. Neuen Freien Presse II 228 Stremayr, Karl ν (1823-1904) 1870-1880 Unterrichtsminister, 1879-1880 Justizmin., 1879 Vorsitzender d. Ministerrates, 1893-1898 Präs. d. Obersten Gerichtshofes, 1861-1880 MöAH, seit 1899 MöHH I 313, 355-359, 365-368, 371, 386, 401, 426 f. Strobach, Josef (1852-1905) 1893-1996 Wiener Gemeinderat, 1896-1897 Bürgermeister, 1897-1905 Vizebürgermeister I 211 Stuart-Wortley, Edward James Montagu (1857-1934) brit. Offizier, 1901-1904 Militärattache in Paris, seit 1908 General II 324 Stubenrauch v. Tannenberg, Georg v. (7-1886) General, 1859 Adjutant Benedeks, seit 1866 Oberst im Kriegsmin. I 332 Stürgkh, Karl Graf (1859-1916) 1891-1895 und 1897-1907 MöAH, seit 1907 MöHH, 1909-1911 Unterrichtsminister, 1911-1916 Ministerpräs. 1210,223 f., 231,254,263,421, 455,478; II 20,156,303,311,403 f., 414 f., 417,420,425 f., 437 f., 441 Stumm, Ferdinand Frh. v. (1843-1925) 1877-1879 dt. Gesandter in Kopenhagen, 1879-1890 Botschafter in Madrid II 423
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Sturdza, Dimitrie (1833-1914) mehrfach rumän. Minister, 1895/96,1897-1899 und 1907-1908 Außenmin., 1901-1905 Ministerpräs. 1138 Sturm, Eduard (1830-1909) 1867-1889 MöAH I 296, 372, 416, 451 f.; II 458—460 Sueß, Adolf Heinrich (1797-1862) Vater d.F., Fabrikant II 283 f. Sueß, Eduard (1831-1914) seit 1857 Prof. d. Geologie Univ. Wien, 1863-1873 Wiener Gemeinderat, seit 1869 MnöLt, 1873-1897 MöAH, 1893 Vizepräs., seit 1897 Präs. d. Akademie d. Wissenschaften in Wien I 270, 475; II 281-286, 302, 386 Supilo, Franjo (1870-1917) serb.kroat. Politiker Π 251, 271, 273 f., 277 f. Suvalov, Pavel Graf (1830-1908) 1885-1894 russ. Botschafter in Berlin, 1895-1897 Generalgouverneur in Polen II 429 Swift, Jonathan (1667-1745) brit. Schriftsteller I 332 Sylvester, Julius (1854-1944) 1897-1918 M, 1911-1917 Präs. öAH Π 111 Szajer, Tomasz (I860-?) 1879-1911 MöAH I 398 Szäpäryi, Geza Graf (1828-1898) Gouverneur v. Fiume II 273 Szäpäry, Gyula Graf (1832-1905) 1873-1875 ung. Innenminister, 1878-1887 Finanzmin., 1889-1890 Ackerbaumin. u. Min. am kgl. Hoflager, 1890-1892 Ministerpräs. I 66, 74, 124, 193 f. Szäpäry, Läszlo Graf (1831-1883) General 1190 Szeberenyi, Läjos, Pastor in Foth II 194 Szechenyi, Gyula Graf (1829-1921) Schwiegervater Alois Aehrenthals, 1899-1903 ung. Minister am kgl. Hoflager II 60
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Szecsen de Temerin, Anton Graf (1819-1896) 1860-1861 ung. Minister ohne Portefeuille I 448 Szecsen de Temerin, Nikolaus Graf (1857-1926) seit 1880 im diplom. Dienst, 1895-1901 Sektionschef im Außenmin., 1901-1911 Botschafter am Vatikan, 1911-1914 Botschafter in Paris 1164, 374, 448 f. Szell, Kaiman (1845-1915) 1875-1878 ung. Finanzminister, 1899-1903 Ministerpräs. u. Leiter d. Innenmin. 1 123, 175, 260 f., 274, 341, 373, 455 f., 463^70, 473, 481-483, 486, 496, 499; II 8 f., 19, 23-27, 59, 81, 234, 309 Szeps, Julius (1867-?) Journalist, seit 1909 Chefred. d. Fremdenblatts II 129, 146, 196-199, 210-217, 227 f., 232, 257, 260-264 Szilägyi, Dezsö (1844-1901) 1889-1895 ung. Justizminister I 66, 68, 75, 83, 85, 111 f., 115-117, 122, 124, 128-134, 138, 144, 151, 173-175, 430, 432, 465-467, 483 Szlävy, Joszefv. (1818-1900) 1870-1872 ung. Ackerbauminister, 1872-1874 Ministerpräs., 1880-1882 gem. Finanzmin., 1881 Leiter d. Außenmin. 1123, 161, 299,466 Szögyeny-Marich, Läszlo v. (1841-1916) 1882-1883 2., 1883-1890 1. Sektionschef im Außenmin., 1890-1892 ung. Min. am kgl. Hoflager, 1892-1914 Botschafter in Berlin 1110, 156, 160-165, 173, 175, 177,180, 261, 436 f., 449, 456, 491; II 52, 125 f., 261 f., 264, 362, 382 Sztäray, Istvän Graf (1858-1896, ermordet) II 81 Szterenyi, Jozsef (1861-1941) 1905-1910 Staatssekretär im ung. Handelsmin., 1917-1918 Ackerbaumin. II 90
Personenregister
Taaffe, Eduard Graf (1833-1895) 1863-1867 Landespräs. v. Salzburg, 1867 Statthalter in Oberösterreich, 1867 Innenminister u. Vorsitzender d. Ministerrates, 1867-1870 Leiter d. Landesverteidigungsmin., 1869-1870 und 1879-1893 Ministerpräs., 1870-1871 und 1879-1893 Innenmin., 1871-1879 Statthalter in Tirol I 51, 55, 64 f., 71, 78 f., 80 f., 144 f., 148, 177-183, 193, 195 f., 209 f., 216 f., 218-224, 255, 257, 259, 262, 264, 284, 292, 294, 296, 313, 316, 351, 357-359, 368, 370, 384-388, 391, 394-397, 399, 404, 406, 410^15, 422 f., 425, 428, 451, 453, 474 f.; II 21 f., 80, 136, 185 f., 282 f., 289 f., 293, 375, 438-440 Taaffe, Heinrich Graf (1872-1928) Sohn d. 0.1185, 294 Taaffe, Ludwig Graf (1791-1855) 1823-1826 Gouverneur v. Galizien, 1848 Justizminister, 1850-1855 Präs. d. Obersten Gerichtshofes I 205, 364 Tardieu, Andre (1876-1945) außenpolit. Red. d. Temps, seit 1914 franz. Abgeordneter II 312-314 Tarkovich, Jozsef, ung. Staatssekretär im Ministerratspräs. 1120 Tattenbach, Christian Graf (1846-1910) 1889-1895 dt. Gesandter in Tanger, 1897-1908 Gesandter in Lissabon II 336 Taussig, Theodor v. (1849-1909) Bankier, 1874-1909 Dir. d. BodenCredit-Anstalt I 52 Teck, Franz Herzog v. (1837-1900) brit. General I 393 Tegetthoff, Wilhelm Frh. v. (1827-1871) Admiral I 355 f.; II 437 Teodorowicz, Josef (1864-1938) seit 1902 griech.-armen. Bischof v. Lemberg II 394 Terenyi, Lajos (1854-?) seit 1892 MuAH I 64, 118,120,125,132
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Personenregister
Tersztyänsky ν. Nädos, Karl (1854-1921) General, seit 1912 komm. General in Budapest II 446 Teschenberg, Ernst v. (1836-1886) Sektionsrat im Außenmin. 1165, 173, 293, 330; II 52 Thaler, Karl v. (1836-1916) Journalist u. Schriftsteller, 1868-1870 und 1873-1904 Red. d. Neuen Freien Presse I 409 Thalloczy, Lajos (1854-1916) seit 1896 Dir. d. gem. Finanzarchivs, seit 1901 Sektionschef im gem. Finanzmin., 1915 Zivilgouverneur in Serbien I 448 f., 483 Theresia v. Sizilien, siehe Maria Theresia, Erzherzogin Thile, Karl Hermann v. (1812-1889) seit 1837 im preuß. diplom. Dienst, 1862-1870 Unterstaatssekretär, 1870-1872 Staatssekretär d. Ausw. Amts I 337 f. Thimig, Hugo (1854-1944) Schauspieler u. Regisseur, 1912-1917 Burgtheaterdirekor II 460 f. Thomas, Albert (1878-1832) franz. Historiker u. Politiker II 331 Thorsch, Alexander (1853-?) Journalist, seit 1899 Red. d. Neuen Freien Presse I 107, 279, 382; II 20 Thun-Hohenstein, Franz Fürst (1847-1916) 1883-1889 und 1901-1911 MböhmLt, seit 1881 MöHH, 1889-1896 und 1911-1915 Statthalter in Böhmen, 1898-1899 Ministerpräs. u. Leiter d. Innenmin. I 51, 53, 71, 81, 145, 183, 187, 195, 197 f., 200, 203 f., 209 f., 224, 232, 234 f., 239-241, 244, 247, 249, 252, 256 f., 259 f., 271, 274, 294, 321, 325, 336, 348, 352, 371, 397 f., 422, 439 f., 462 f., 465, 467, 475 f.; II 180, 194, 259 f., 390 Thun-Hohenstein, Friedrich Graf (1810-1881) Vater d.O., 1847-1850 Gesandter in Stockholm, 1849-1850 Gesandter in München, 1850-1852 Bundesgesandter in Frankfurt,
1852-1855 Gesandter in Berlin, 1859-1862 Gesandter in St. Petersburg I 260 Thun-Hohenstein, Karl Graf (1803-1876) General, 1866 Korpskomm. I 229, 269 Thun-Hohenstein, Leo Graf (1811-1888) 1848 Präs. d. Guberniums f. Böhmen, 1849-1860 Unterrichtsminister, 1861-1871 MböhmLt, seit 1861 MöHH I 270, 294 Thun-Hohenstein, Oswald Graf (1849-1913) 1880-1882 MböhmLt, seit 1883 MöHH I 240, 480; II 391 Thun-Hohenstein, Siegmund Graf (1827-1897) 1870-1872 Statthalter in Mähren, 1872-1897 Landespräs, v. Salzburg I 319 Thum und Taxis, Emmerich Fürst (1820-1900) General, seit 1877 MöHH I 229, 269 f., 360, 503 Thurn-Valsässina, Duglas Graf (1864-1939) seit 1887 im diplom. Dienst, 1911-1913 Botschafter in St. Petersburg II 374, 383 Tisza, Istvän Graf (1861-1918) seit 1886 M, 1912-1913 Präs. uAH, 1903-1905 und 1913-1917 ung. Ministerpräs. I 496 f.; II 9, 19, 23, 27, 51, 81 f., 127, 241, 245-247, 249, 403-405, 412, 419-421, 425, 447-450 Tisza, Kälmän Graf (1830-1902) 1875-1890 ung. Ministerpräs. I 60, 66, 68, 123-125, 128, 140-143, 191-194, 330, 368, 432, 465 f., 468 Tittoni, Tommaso (1849-1931) 1903-1905 und 1906-1909 ital. Außenminister, 1910-1916 Botschafter in Paris II 44, 48, 55 f., 62, 98, 102, 105, 150,177, 193, 260, 263 f., 333-335, 371-373 Todesco, Eduard Frh.v. (1814-1887) Bankier I 289 Todesco, Max, Bruder Eduard u. Moriz Т. I 289
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Todesco, Moriz (1816-1873) Bankier 1289 Toll, Sergej Graf (1848-1923) russ. Politiker II 318 Tomacek, Diener d. Grafen Rechberg I 204, 206 Tomaszczuk, Anton (1840-1889) 1871-1889 MöAH II 459 Tomic, Jasa (1856-1922) ung.-serb. Politiker u. Journalist II 245 Tomicic, Georg, General, bis 1908 MkroatLt II 269 Trabert, Adam (1822-1914) Journalist u. kurhess. Politiker I 409 Trani, Mathilde Gräfin (1843-1925) Schwester Kaiserin Elisabeths 1376 Trauttenberg, Constantin Frh. v. (1841-1914) seit 1862 im diplom. Dienst, 1879-1882 Legationsrat in St. Petersburg I 155 Trauttmannsdorff, Karl'Fürst (1845-1921) seit 1870 MöHH II 157, 159 Trefort, Agostan (1817-1888) 1872-1888 ung. Unterrichtsminister I 83 Treitschke, Heinrich v. (1834-1896) seit 1874 Prof.f. Geschichte Univ. Berlin, 1871-1888 MdR I 337 Treuinfels, Leo Maria (1848-?) Abt d. Benediktinerstiftes Marienberg, 1891-1907 MöAH I 455 Trocart, Vertreter d. SchneiderCreuzot-Werke II 277 Trotha, preuß. Militär schriftsteiler 1165 Tschirschky u. Bögendorff, Heinrich v. (1858-1916)1906-1907 dt. Staatssekretär d. Ausw. Amtes, 1907-1916 Botschafter in Wien II 30,80-84,88 f., 105-107,122 f., 128,174-176,190 f., 225, 268,280 f., 306 f., 316 f., 340-342,347 f., 359, 362 f., 365, 367-370,376,389,404 Tschirschky u. Bögendorff, Maria v. (1868-1948) Gattin d. О. II 316, 340
Personenregister Tucher v. Simmelsdorf, Cäcilie Frf. v. (1884-1967) Gattin Heinrich T. d. J. II 159 Tucher v. Simmelsdorf, Heinrich Frh. (1853-1925) 1903-1918 bayr. Gesandter in Wien II 162, 191, 196, 210, 225, 280 f., 384 Tucher v. Simmelsdorf, Heinrich Frh. (1875-1962) Neffe d. O., bayr. Legationssekretär in Wien II 46, 74, 76, 143, 159 Tuskan, Grga (1845-1923) 1887-1918 MkroatLt II 226, 228, 269 Tuvora, Joseph (1811-1871) Journalist I 303 f. Tyrrell, George SJ (1861-1909) Theologe, 1906 aus d. Jesuitenorden ausgeschlossen II 204 Tyrrell, William Baron (1866-1947) seit 1889 im brit. diplom. Dienst, 1896-1903 Privatsekretär d. Unterstaatssekretärs, 1905-1915 d. Außenministers II 202, 204 Uchatius, Franz Frh.v. (1811-1881) General u. Waffentechniker II 143 Uexkuell-Gyllenband, Alexander Graf v. (1836-1915) General, 1880-1882 Militärbevollmächtigter in St. Petersburg, komm. General in Kaschau, Wien u. Budapest, 1908 i. P., seit 1909 Kapitän d. Leibgarde-Reitereskadron I 258; II 180, 400 Uexkuell-Gyllenband, Alfred Graf v. (1838-1877) Offizier, 1870 Militärbevollmächtigter in Berlin 1258 Ugron, Gabor (1847-1911) ung. Politiker, 1917 Innenminister II 74 Ullmann, Julius, Advokat in Wien 1211 Umberto (1844-1900) seit 1878 König v. Italien 1147 Unger, Josef (1828-1913) 1867-1868 MöAH, seit 1868 MöHH, 1871-1879 Minister ohne Portefeuille, 1881-1913 Präs. d. Reichsgerichtes
Personenregister
I 294-296, 313, 358, 402, 406, 412, 419, 424, 426; II 23-25, 289 f , 301 f., 310 Urban, Karl (1855-1940) 1901-1918 MöAH, 1916-1917 Handelsminister II 72 Urusov, Lev Fürst (1839-1928) russ. Diplomat, 1898-1903 Botschafter in Paris, 1905-1910 Botschafter in Wien II 123, 209, 264 Vajda, Alexander v. (1872-1950) siebenbürg.-rumän. Politiker, 1906-1918 MuAH II 239 f. Varga, Emil v., General, 1866 Rittmeister I 269 Varnhagen v. Ense, Karl August (1785-1858) Schriftsteller, 1814-1819 im preuß. diplom. Dienst II 159 Vassel, v., 1904-1911 dt. Konsul in Fez II 348 f. Vaszary, Kaiman (1832-1915) 1891-1912 Erzbischof v. Estergom (Gran), seit 1893 Kardinal 1120,130 Veiglsberg, Leo, Red. d. Pester Lloyd 1116,124 f., 127 f. Veldic, kroat. Politiker II 252 Velics, Ludwig v. (1857-1917) seit 1879 im diplom. Dienst, seit 1893 Legationsrat in Berlin, 1902-1905 Gesandter in Dresden, 1905-1916 Gesandter in München 1154-158, 162 f. Viale-Prelä, Michele (1798-1860) 1845-1855 Nuntius in Wien, seit 1852 Kardinal, seit 1855 Erzbischof v. Bologna II 436 Victor Emanuel II. (1820-1878) seit 1849 König v. Sardinien, seit 1861 König v. Italien I 89; II 49 Victor Emanuel III. (1869-1947) 1900-1946 König v. Italien II 48 f., 65, 97 f., 102, 174, 177, 372 Victor Napoleon (1862-1926) franz. Thronprätendent I 230
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Victoria (1819-1901) seit 1837 Königin von Großbritannien 1167, 206, 393; II 325, 361 Villers, Alexander v. (1812-1880) Schriftsteller, 1860-1870 sächs. Legationsrat in Wien I 338 Viktoria (1840-1901) Mutter Wilhelm II. I 167; II 361, 388 Visconti-Venosta, Emilio Marquese (1829-1914) 1863-1864, 1866-1867, 1869-1873, 1873-1876,1896-1898 und 1899-1901 ital. Außenminister 1492 Vitzthum von Eckstädt, Karl Friedrich Graf (1819-1895) 1843-1868 im sächs. diplom. Dienst, 1868-1873 öst.-ung. Gesandter in Brüssel 197,258 f.; II 113 Vogue, Eugene Vicomte de (1850-?) frz. Diplomat u. Schriftsteller I 230 f. Vukotic, Janku, montenegr. General, 1912 Generalstabschef, 1913-1919 Ministerpräs. u. Kriegsminister II 252 Vukovic, Ante v. (1850-1930) 1897-1911 MöAH II 252 Wagner, Jugendfreund Alexander Bachs I 286, 306, 310 Wahle, Richard (1857-1935) Prof.f. Philosophie Univ. Czernowitz I 273 Waideck, Leopoldine Frf. v. (1842-1891) Gattin Erzh. Heinrichs 1343 Waldeck-Rousseau, Pierre (1846-1904) 1899-1902 frz. Ministerpräs, und Innenminister II 314, 327 f., 332 f. Waldersee, Alfred Graf v. (1832-1904) 1882-1888 preuß. Stellv., 1888-1891 Generalstabschef, 1900/01 Komm. d. Interventionstruppen in China 1158-160, 167, 381; II 430 Wangenheim, Hans Frh.v. (1859-1915) seit 1888 im dt. diplom. Dienst, 1909-1912
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Gesandter in Athen, 1912-1915 Botschafter in Konstantinopel II 348 Wanka, Ludwig (1854-?), Oberst, seit 1894 in d. Militärkanzlei d. Kaisers 1202 Warrens, Eduard (1820-1872) Journalist I 286, 288, 304, 314 Warrens, Gattin d. О. I 286 Waser, Joseph v. (1811-1899) 1861-1873 MöAH, 1868-1870 Sektionschef im Justizmin., seit 1877 MöHH I 296 Wassilko, Nikolaj v. (1868-1924) 1901-1918 MöAH I 455 Watzdorf, Bernhard Frh. v. (1804-1870) 1843-1870 sachsenweimar. Staatsminister I 350 Wayna, Moritz v. (?-1839) l.Gatte Julie Benedeks, Großkaufmann 1353 Wedel, Botho Graf (1862-1943) 1904-1907 dt. Generalkonsul in Budapest, 1907-1909 preuß. Gesandter in Weimar, 1910-1916 Vortragender Rat im Ausw. Amt, 1916-1919 Botschafter in Wien II 429-432 Wedel, Karl Fürst (1842-1919) 1879-1887 dt. Militärattache in Wien, 1899-1902 Botschafter in Rom, 1902-1907 Botschafter in Wien, 1907-1914 Statthalter in Elsaß-Lothringen II 31, 39-41, 280 Weeber, August (1826-1895) 1870-1895 MöAH I 324 Wehli, August Frh.v. (1810-1892) Sektionschef, 1871 Leiter d. Innenmin. I 288 Weikersheim, Karl Fürst v. (1862-1925) bis 1911 Frh.v. Bronn, General, Flügeladjutant d. Kaisers I 229 f., 263 Weiskirchner, Richard (1861-1926) 1897-1918 MöAH, 1909-1911 Handelsminister, 1912-1919 Bürgermeister v. Wien II 68, 111, 412
Personenregister Weiß v. Starkenfels, Viktor v. (1818-?) bis 1862 im diplom. Dienst, 1873-1879 MöAH II 135 Weiß-Tessbach, Adolf v. (1831-1900) 1872-1885 MöAH I 414 Weißbrodt, Red. d. Augsburger Allgemeinen Zeitung I 409 Weißmann, Johann, Sektionschef im Innenmin. I 305 Wekerle, Sändor (1848-1921) 1892-1895, 1906-1910 und 1917-1918 ung. Ministerpräs., 1889-1892 und 1906-1910 Finanzminister I 68, 75, 84 f., 111 f., 114-116, 118 f., 122-124, 128, 131, 133-140, 142 f., 164, 174, 330, 466 f.; II 47, 50, 74, 77, 81, 86, 89, 98, 126, 130, 176-178, 229 f., 233, 238, 242 f., 248, 261, 270, 412, 439,448, 451 Welcker, Karl Theodor (1790-1869) Staatswissenschaftler I 389 Welsersheimb, Rudolf Graf (1842-1926) seit 1866 im diplom. Dienst, 1890-1894 2., 1895-1900 l.Sektionschef im Außenmin., 1894-1895 Gesandter in Bukarest, 1903-1911 Botschafter in Madrid I 73-76, 86, 151, 188 Welsersheimb, Zeno Graf (1835-1921) General, 1880-1905 Landesverteidigungsminister, seit 1889 MöHH I 179, 182 f., 396, 399, 422 f. Weist, Tochter Josef Schreyvogels II 159 Welti, Emil (1825-1899) seit 1869 mehrfach Schweizer Bundespräs. 1319 Werner, Alexander, ung. Sekretär d. Kabinettskanzlei d. Kaisers I 266 Wersebe, Gustav Frh.v. (1834-1913) General, 1866 Ordonnanzoffizier Bendedeks I 225-229 Wersebe, Bruder d. О. I 227 Wertheimstein, Josephine (1820-1894), Bankiersgattin, geb. Gomperz I 288
Personenregister
Wesselitzki, Gabriel Bosidarovic, russ. Auslandsjournalist II 280 Wessenberg-Ampringen, Johann Frh.v. (1773-1858) 1848 Vors.d. Ministerrates u. Außenminister I 306, 319 Westphalen, Graf, verließ Preußen 1866 I 90 Wetzer, Heinrich Joseph (1801-1853) kath. Theologe, seit 1828 Prof.f. orientalische Philosophie Univ. Freiburg I 250 Wetzer, Leander Frh.v. (1838-1904) General, 1888-1901 Dir. d. Kriegsarchivs I 249 f., 363 Wetzer, Gattin d. О. I 249 Wilczek, Hans Graf (1837-1922) seit 1861 MöHH II 454 Wilhelm I. (1797-1888) seit 1861 König von Preußen, seit 1871 dt. Kaiser I 55, 90, 100, 154, 158, 160, 166-168, 265, 350, 379, 387, 425 Wilhelm II. (1859-1941) 1888-1918 dt. Kaiser u. König v. Preußen I 106, 158 f., 167 f., 200, 202 f., 206, 237, 250, 260, 339, 429, 434, 442 f., 456; II 29 f., 32, 34, 52, 92, 95, 107, 125,143, 183-185, 187, 223, 237, 267, 281, 304-306, 308 f., 316-318, 320 f., 324 f., 331, 336-338, 341-343, 347 f., 353, 358, 361-366, 368-372, 376, 388-390, 429 f., 449 Wilhelm, Erzherzog (1827-1894) General I 87 f., 90, 101, 226-229; II 297 Wimpfen, Franz Graf (1797-1870) General, 1859 Armeekommandant 1379 Windischgraetz, Alexandrine Prinzessin (1850-1933) II 176 Windischgraetz, Alfred Fürst zu (1851-1927) 1883-1893 MböhmLt, 1893-1895 Ministerpräs., seit 1879 M, 1897-1918 Präs. öHH 153, 70 f., 81 f., 151,197 f., 216,370,490; II 185 Windischgraetz, Joseph Prinz (1831-1906) General I 270
521
Windischgraetz, Ludwig Prinz (1830-1904) General, Korpskomm. 1 183, 189, 434 Winiwarter, Helene, Gattin d. F., Schwester Alexander Bachs I 274, 287, 305 f., 309 Winiwarter, Josef (1815-1903) Jurist, 1848 Μ d. Reichstages I 282, 286 f., 305 Winternitz, Jakob v. (1843-1921) Journalist, Regierungsrat im Literarischen Bureau d. Außenmin. 1148 Witte, Sergej Graf (1849-1915) 1892-1903 russ. Finanzminister I 275, 437 Wittek, Heinrich v. (1844-1930) 1897-1905 Eisenbahnminister, 1899/1900 Vors.d. Ministerrates, seit 1905 MöHH I 52, 456, 460, 479; II 178 f. Wittelshöfer, Leopold (1818-1889) Arzt, Red. d. Wiener medicinischen Wochenschrift I 86-88 Wittelshöfer, Otto (1855-1901) Sozialtheoretiker, Sohn d. О. I 86, 176, 212, 248 f., 348 Wladimir Alexandrovic (1847-1909) russ. Großfürst, Bruder Zar Alexander III. II 451 Wodzicki-Granow, Anton Graf v. (1848-1918) 1891-1897 und 1901-1905 MöAH, seit 1905 MöHH II 58 Woinovich, Emil Frh.v. (1851-1927) General, 1901-1915 Dir. d. Kriegsarchivs I 500; II 179, 205, 296, 300 Wolf, Karl Hermann (1862-1941) 1897-1918 MöAH, 1897-1913 MböhmLt 1195; II 259 Wolfarth, Carl Frh.v. (1823-1911) Beamter im Außenmin., seit 1897 tit. Sektionschef I 299 Wolff, Karl (1828-1903) Red. d. Neuen Wiener Tagblatts I 325 f. Wolff-Metternich zur Gracht, Paul Graf (1853-1934) dt. Diplomat, 1901-1912 Botschafter in London II 338
522 Wolkenstein-Trostburg, Anton Graf v. (1832-1913) seit 1858 im diplom. Dienst, 1881-1882 2.Sektionschef, 1882-1894 Botschafter in St.Petersburg, 1894-1903 Botschafter in Paris, seit 1895 MöHH I 78, 97, 150, 174 f., 190-194, 230-232, 326 f., 373, 441; II 112 Wolkenstein-Trostburg, Maria Gräfin v. (1842-1912) seit 1886 Gattin d. 0 . 1 1 7 4 ; II 34 Württemberg, Alexander Herzog v. (1804-1895) General, Vater Franz Tecks I 393 Württemberg, Wilhelm Herzog v. (1828-1896) General I 360 Wurmbrand-Stuppach, Gundaker Graf v. (1838-1901) 1879-1897 MöAH, 1893-1895 Handelsminister, 1896-1897 Landeshauptmann v. Steiermark I 216, 223, 263 Yamagata, Aritomo (1838-1922) japan. General u. Politiker, 1889-1891 und 1898-1900 Ministerpräs. II 430 f. Zäcek, Jan (1849-1934) 1885-1911 MöAH, 1908-1909 tschech. Landsmannminister, seit 1912 MöHH II 143 Zahn, preuß. Offizier, Pressechef d. Generalstabs u. Adjutant Waldersees 1159 Zaleski, Philipp v. (1836-1911) 1883-1888 Statthalter in Galizien, 1888-1893 Minister f. Galizien, 1888-1897 MöAH, seit 1897 MöHH 1 148, 369 Zallinger, Franz v. (1842-1907) 1875-1901 MöAH I 352 Zanardelli, Giuseppe (1826-1903)
Personenregister mehrfach ital. Minister, 1901-1903 Ministerpräs. I 492 Zang, August (1807-1888) Journalist, 1848-1867 Gründer u. Hg. d. Presse II 133 Zeißberg, Heinrich v. (1839-1899) Historiker, seit 1872 o.Prof.f. allg. Weltgeschichte Univ. Wien 1101 Zichy, Ferdinand Graf (1829-1911) ung. Politiker, Gründer d. Kathol. Volkspartei I 186 Zichy, Jänos Graf (1868-1914) ung. Politiker, 1910-1913 und 1918 Unterrichtsminister I 444; II 9 f. Zichy, Livia Gräfin (1839-1913) Gattin Ferdinand Ζ. 1186 Ziemalkowski, Florian v. (1817-1900) 1867-1888 MöAH, 1873-1888 Minister f. Galizien, seit 1888 MöHH I 358 Zimmermann, Arthur (1864-1940) seit 1903 Vortragender Rat, 1910 Dir. d. polit. Abteilung, 1911-1916 Unterstaatssekretär, 1916-1917 Staatssekretär des dt. Ausw. Amtes II 421-424 Zingerle, Pius (1801-1881) seit 1862 Prof. f. orientalische Sprachen an d. Sapienza I 327 Zmejanovic, Gavrilja, serb. Bischof v. Werschetz (Versecz, Vrsac) II 279 Zolger, Ivan (1867-1925) Sektionsrat, seit 1915 Sektionschef im Ministerratspräs., 1917-1918 Minister ohne Portefeuille II 170 f. Zopf, Therese, Pflegerin Eduard v. Bauernfelds I 320 Zwack, Ella, Schwägerin Siegmund Feilbogens II 263 Zweig, Egon (1870-?) Sektionsrat im Unterrichtsmin. II 162 Zweybrück, Franz (1853-?) Journalist I 207
Alexander Demandt
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Die freien Gewerkschaften Österreichs im Ersten Weltkrieg 1992. 465 S. Br. ISBN 3-205-05411-3
83: Josef Schöner Wiener Tagebuch 1944/1945
Hrsg. v. Eva M. Csäky/Franz Matscher/Gerald Stourzh 1992. 491 S. Geb. ISBN 3-205-05531-4
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84: Charles Comte de Zinzendorf Aus den Jugendtagebüchern, 1747,1752-1763
Hrsg. v. Maria Breunlich/Marieluise Mader 1997. 798 S. 4 S. Farbabb. Geb. ISBN 3-205-98157-X
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bohlau Wien neu 85: Birgitt Morgenbrod Wiener Großbürgertum im Ersten Weltkrieg
Die Geschichte der „Österreichischen Politischen Gesellschaft" (1916-1918) 1994. 260 S. 12 SW-Abb. Br. ISBN 3-205-98256-8
86: Isabel Pantenburg Im Schatten des Zweibundes
Probleme österreichisch-ungarischer Bündnispolitik 1897-1908 1996. 512 s. Br. ISBN 3-205-98570-2
87, 88: Heinrich Friedjung Geschichte in Gesprächen
Aufzeichnungen 1898-1919 Herausgegeben u. eingeleitet von Franz Adlgasser u. Margret Friedrich. 2 Bände im Schuber. 1997. 1032 S. 2 SW-Abb. Br. ISBN 3-205-98598-3 (Bd. 87) ISBN 3-205-98593-1 (Bd. 88)
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