Die autobiographischen Aufzeichnungen des schlesischen Theologen Friedrich Lucae (1644–1708): Eine Textedition zur Geschichte des reformierten Protestantismus in Europa [1 ed.] 9783412527471, 9783412527457


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Die autobiographischen Aufzeichnungen des schlesischen Theologen Friedrich Lucae (1644–1708): Eine Textedition zur Geschichte des reformierten Protestantismus in Europa [1 ed.]
 9783412527471, 9783412527457

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JOACHIM BAHLCKE, WOLFGANG MATT (HG.)

DIE AUTOBIOGRAPHISCHEN AUFZEICHNUNGEN DES SCHLESISCHEN THEOLOGEN FRIEDRICH LUCAE (1644–1708) EINE TEXTEDITION ZUR GESCHICHTE DES REFORMIERTEN PROTESTANTISMUS IN EUROPA

NEUE FORSCHUNGEN ZUR SCHLESISCHEN GESCHICHTE

NEUE FORSCHUNGEN ZUR SCHLESISCHEN GESCHICHTE herausgegeben von JOACHIM BAHLCKE Band 31

DIE AUTOBIOGRAPHISCHEN AUFZEICHNUNGEN DES SCHLESISCHEN THEOLOGEN FRIEDRICH LUCAE (1644–1708) Eine Textedition zur Geschichte des reformierten Protestantismus in Europa

Herausgegeben von Joachim Bahlcke und Wolfgang Matt

BÖHLAU VERLAG WIEN KÖLN

Gedruckt mit Unterstützung der Historischen Kommission für Schlesien und des Projektbereichs Schlesische Geschichte an der Universität Stuttgart.

Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über https://dnb.de abrufbar. © 2022 Böhlau, Lindenstraße 14, D-50674 Köln, ein Imprint der Brill-Gruppe (Koninklijke Brill NV, Leiden, Niederlande; Brill USA Inc., Boston MA, USA; Brill Asia Pte Ltd, Singapore; Brill Deutschland GmbH, Paderborn, Deutschland; Brill Österreich GmbH, Wien, Österreich) Koninklijke Brill NV umfasst die Imprints Brill, Brill Nijhoff, Brill Hotei, Brill Schöningh, Brill Fink, Brill mentis, Vandenhoeck & Ruprecht, Böhlau, Verlag Antike, V&R unipress und Wageningen Academic. Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Umschlagabbildung: Museum Catharijneconvent, Utrecht, RMCC S11 (Ausschnitt). Satz: Oliver Rösch, Würzburg Umschlaggestaltung: Michael Haderer | GRAFIKDESIGN, Wien Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISBN 978-3-412-52747-1

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Inhaltsverzeichnis Geleitwort (Joachim Bahlcke) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 Die autobiographischen Aufzeichnungen des reformierten Theologen Friedrich Lucae (1644–1708). Überlieferung – Entstehungskontext – Aussagewert (Joachim Bahlcke) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 1. Die Stellung der Autobiographie innerhalb des literarischen Gesamtwerks . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 2. Der Verfasser: Prägungen, Verflechtungen, Abgrenzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 3. Die Überlieferung der Handschrift und deren familiengeschichtliche Bearbeitung durch Friedrich Lucä (1815–1859) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 4. Die Abschrift des Manuskripts und die Sammlungen von Johann Christoph Kalckhoff (1684–1752) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 5. Teileditionen der autobiographischen Aufzeichnungen und Textvergleiche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 6. Beschreibung, Entstehungszeitpunkt und Aufbau des Manuskripts . . . . . . . . . . 46 7. Lebensgeschichte – Memoiren – Tagebuch – Reisebericht. Zur literari schen Gattung und zum historischen Aussagewert der Aufzeichnungen . . . . . . 52 Grundsätze der Texterstellung (Wolfgang Matt) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Allgemeine Editionsrichtlinien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Auswahl des Textes und Urheberschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Grundsätze der Textgestaltung und Transkription . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Text- und Sachapparat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Edition der autobiographischen Aufzeichnungen von Friedrich Lucae . . . . . . . . . . . . 67 Friderici Lucae eigentgliche Lebens und Totdes Geschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 409 Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 409 Ortsregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 429

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Geleitwort Über das religiöse Alltagsleben, Kultformen und Glaubensanschauungen, die Gestaltung von Kirchenräumen, Gemeindeleben und liturgisches Geschehen im Gottesdienst, aber auch über Konflikte und Gewaltexzesse in einzelnen ­Religionsgemeinschaften findet sich in den autobiographischen Aufzeichnungen des reformierten Theologen Friedrich Lucae eine Fülle genauer Beobachtungen und mitunter bissiger Seitenhiebe. Über die „grose menge allerhand Lumpen gesindleins von Socinianern, Mennenisten, Quäckern, Wiedertauffern, Juden und Papisten“ in der Festung Friedrichsburg (Mannheim) kann er sich ebenso ereifern wie über „Sectirer Versammlungen“ oder die Verhältnisse in seiner Geburtsstadt Brieg: „Weil auch die Gymnasiasten auß Unterschiedenen Religionen bestanden und etliche Reformirter, anderer Lutherischer Religion, theils auch gar der arianischen Secte beypflichteten, so gab es immer viel disputirens und zanckens, auch bißweilen harte Schlägereyen.“ Besonders häufig äußert sich Lucae naturgemäß über die Gegebenheiten seiner eigenen Kirche, reformierte Prediger und spezifische Eigenentwicklungen des europäischen Calvinismus. Vermeintlich randseitige Bemerkungen – etwa ein knapper Hinweis auf den der Forschung bisher unbekannten „Böhmischen Reformirten Hofeprediger“, den eine Adelsfamilie in Schlesien unterhielt – erweisen sich in diesem Zusammenhang als ebenso wertvoll wie längere Ausführungen über französische und niederländische Konfessionsmigranten und deren religiös-kirchliche Integration in den einzelnen Aufnahmegesellschaften. Über keinen anderen Ort berichtet Lucae so ausführlich wie über Amsterdam, das er als Theologiestudent Mitte der 1660er Jahre mehrfach und über mehrere Wochen besuchte. Seiner Wahrnehmung nach lebten die reformierten Prediger bei der dortigen Bevölkerung „in grosem Respect und Reichthumb, in Ehre und Ansehen, mehr als in andern Holländischen Stätten“; der Magistrat müsse sie deshalb „fürchten und gewaltig feyern, ja allen ihren Angebungen und Desideriis flatiren und den Fuchs streichen, deß unbändigen Pöbelvolckes wegen: Denn wan gegen den magistrat die Prediger ofters scharf solten predigen und etwa desselben Gewalt und Ungerechtigkeit bestraffen, würden Sie leichtlich den Pöbel empören und gegen dem magistrat verhetzen und also denselben in gefahr und unsicherheit setzen.“ Es lag deshalb nahe, die Darstellung eines reformierten Gottesdienstes in Amsterdam für den vorderen Buchdeckel zu ­verwenden. Das Hans Jurriaensz van Baden zugeschriebene, um 1658 entstandene Gemälde zeigt einen Gottesdienst in der Nieuwezijds-Kapelle (Neue-Seits-Kapelle, Heilige Stede). Ein ähnliches Bild wird sich Lucae geboten haben, als er die Predigt verfolgte und die Gottesdienstbesucher in Amsterdam beobachtete. Die vorliegende Edition der autobiographischen Aufzeichnungen Friedrich Lucaes steht im Kontext einer bereits längeren Beschäftigung mit Problemen der Religionsund Kirchengeschichte im nachreformatorischen Europa. Die Ergebnisse sind in verschiedenen Sammelbänden dokumentiert: Glaubensflüchtlinge. Ursachen, Formen und Auswirkungen frühneuzeitlicher Konfessionsmigration in Europa (2008); Migration

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Geleitwort

und kirchliche Praxis. Das religiöse Leben frühneuzeitlicher Glaubensflüchtlinge in alltagsgeschichtlicher Perspektive (2008); Schlesien und der deutsche Südwesten um 1600. Späthumanismus – reformierte Konfessionalisierung – politische Formierung (2012); Die Reformierten in Schlesien. Vom 16. Jahrhundert bis zur Altpreußischen Union von 1817 (2016). Mit dem Manuskript Lucaes und der aus dem 18. Jahrhundert stammenden Abschrift wurde während des vergangenen Jahrzehnts überdies in mehreren Lehrveranstaltungen an der Universität Stuttgart gearbeitet. Über ein solches Seminar konnte auch Wolfgang Matt für eine historische Dissertation gewonnen werden. Da er sich speziell mit der bisher nicht untersuchten Gelehrtenkorrespondenz Friedrich Lucaes und dessen personellen Netzwerken im östlichen wie im westlichen Europa ­auseinandersetzt, bot es sich an, ihn in die Edition einzubinden. Das gemeinsam erarbeitete Werk stellt nicht nur die engere Lucae-Forschung auf eine seriöse Grundlage, sondern erlaubt auch neue Einblicke in die Geschichte des reformierten Protestantismus im frühneuzeitlichen Europa. Die Realisierung des Editionsprojekts und die Drucklegung dieses Buches wären ohne die ideelle und materielle Unterstützung mehrerer Institutionen nicht möglich gewesen. Zu danken ist der Historischen Kommission für Schlesien, die das Vorhaben großzügig förderte, der Universitätsbibliothek Kassel – Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel sowie der Universitätsbibliothek Johann Christian Senckenberg Frankfurt am Main. Ein wichtiger Ansprechpartner über die Jahre hinweg war Dr. Kai Drewes (Erkner), der beste Kenner von Lucaes Familiengeschichte. Wertvolle Anregungen und Hilfestellungen gaben ferner Dr. Peter Bahl (Berlin), Clemens L. Herzog (Stuttgart), Dr. Daniel Horath (Ingolstadt), Dr. Jiří Just (Prag/ Praha), Dr. Marta Małkus (Fraustadt/Wschowa), Raschida Mansour (Frankfurt am Main), Prof. Dr. Martin Rothkegel (Berlin), Dr. Hartmut Rudolph (Hannover) und Dr. Kamila Szymańska (Lissa/Leszno). Für vielfältige Unterstützung ist den Wissenschaftlichen Mitarbeitern am Lehrstuhl für Geschichte der Frühen Neuzeit an der Universität Stuttgart, Dr. Marcus Stiebing und Rafael Sendek M.A., sowie den dort tätigen Studentischen Hilfskräften zu danken. Oliver Rösch M.A. (Würzburg) übernahm wie stets mit großem Fachwissen die satztechnische Gestaltung des Buches. Den größten Dank aber schulde ich Familie Lucae, die mir nicht nur Einsicht in die Handschrift Friderici Lucae eigentgliche Lebens und Totdes Geschichte gewährte, sondern dem Lehrstuhl auch das Recht der Veröffentlichung des Manuskripts einräumte. Darüber hinaus erhielt ich Einblick in das in der Schweiz liegende Familienarchiv, das deutlich größere Schätze barg als ursprünglich angenommen. Für die vorliegende Edition erwies sich die Durchsicht dieser Überlieferung als Glücksfall. Stuttgart, im September 2022

Joachim Bahlcke

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Die autobiographischen Aufzeichnungen des reformierten ­Theologen Friedrich Lucae (1644–1708). Überlieferung – Entstehungskontext – Aussagewert Von Joachim Bahlcke 1. Die Stellung der Autobiographie innerhalb des literarischen Gesamtwerks Im Oktober 1869 erklärte sich der Historiker Franz Xaver Wegele (1823–1897), der seit gut einem Jahrzehnt an der Universität Würzburg lehrte, gegenüber der ­Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften zur Übernahme einer ebenso schwierigen wie undankbaren Auftragsarbeit bereit: Er verpflichtete sich, den in der Reihe „Geschichte der Wissenschaften in Deutschland“ vorgesehenen Band über die Entwicklung der deutschen Historiographie zu verfassen. Der Präsident der Historischen Kommission Leopold von Ranke (1795–1886), der das interdisziplinäre Großunternehmen angeregt hatte, wollte den zeitlichen Schwerpunkt auf die Geschichte der Geschichtsschreibung im 18. Jahrhundert und zu Beginn des 19. Jahrhunderts legen. Die theologischen Streitigkeiten in nachreformatorischer Zeit, die das wissenschaftliche Leben in den deutschen Territorien erheblich beeinträchtigt hatten, sollten so weit wie möglich ausgeklammert werden.1 Berücksichtigt man diese Vorgaben, so überrascht es nicht, dass Wegeles Gesamtdarstellung, die 1885 schließlich mit zehnjähriger Verspätung im Druck erschien,2 innerhalb wie außerhalb der Kommission auf harsche Kritik stieß. Der Verfasser habe, so der in zahlreichen Rezensionen zu findende Vorwurf, sein Werk zu enzyklopädisch angelegt und bei der Vielzahl der von ihm berücksichtigten Chronisten und Geschichtsschreiber früherer Jahrhunderte schlichtweg die Orientierung verloren. Neun Zehntel von Wegeles voluminösem, knapp 1.100 Seiten starken Band, schrieb 1886 der mit Ranke befreundete britische Historiker John ­Dalberg-Acton (1834–1902) in seinem auch in Deutschland vielbeachteten Essay Ger1 Schnabel, Franz: Die Idee und die Erscheinung. In: Die Historische Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften 1858–1958. Göttingen 1958, 7–69, hier 23f., 46–50; Blanke, Horst Walter: Historiographiegeschichte als Historik. Stuttgart/Bad Cannstatt 1991 (Fundamenta historica. Texte und Forschungen 3), 328–340; Gall, Lothar: 150 Jahre Historische Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. In: ders. (Hg.): „... für deutsche Geschichts- und Quellenforschung“. 150 Jahre Historische Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. München 2008, 7–57. Zu Wegele vgl. Wendehorst, Alfred: Franz Xaver von Wegele. In: Pfeiffer, Gerhard/Wendehorst, Alfred (Hg.): Fränkische Lebensbilder, Bd. 7. Neustadt/Aisch 1977 (Veröffentlichungen der Gesellschaft für fränkische Geschichte VII A/7), 222–240. 2 Wegele, Franz X[aver] von: Geschichte der Deutschen Historiographie seit dem Auftreten des Humanismus. München/Leipzig 1885 (Geschichte der Wissenschaften in Deutschland. Neuere Zeit 20).

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man Schools of History mit beißender Ironie, seien „Helden gewidmet, die vor Agamemnon gelebt hätten“.3 Einer dieser bis dahin weitgehend unbekannten Geschichtsschreiber der Frühen Neuzeit, dessen Werdegang und Werk der Würzburger Historiker in seiner Gesamtdarstellung überraschend breit würdigte, war Friedrich Lucae (1644–1708). Bereits bei den Vorarbeiten zu seiner Geschichte der Deutschen Historiographie seit dem Auftreten des Humanismus war Wegele, der 1881 in den persönlichen Adelsstand des Königreichs Bayern erhoben wurde, verschiedentlich auf den aus Brieg gebürtigen Theologen gestoßen. Er kannte Lucae als Mitglied des „Historischen Reichskollegs“ (Collegium Imperiale Historicum), dessen personelle Zusammensetzung und Organisation er als erster quellennah untersuchte.4 In seinen Augen war Lucae fraglos „ein fruchtbarer historischer Schriftsteller“, wie er 1884 in seinem Aufsatz Die deutsche Memoirenliteratur schrieb; das wichtigste Werk aber, das die Zeiten überdauern werde, stelle seine Selbstbiographie dar: „Was Lucä auch sonst an Schriften hinterlassen hat, sein Andenken in der Literatur ist wesentlich an diese seine Aufzeichnungen geknüpft.“5 Diese Beobachtungen zu Lucaes schriftstellerischer Tätigkeit führte Wegele in seiner ein Jahr später vorgelegten Gesamtdarstellung noch genauer aus. Die historischen Arbeiten Lucaes seien bestenfalls „Kompilation“, und selbst die Werke zur schlesischen Geschichte, die dem aus dem Oderland stammenden Autor besonders vertraut sei, reichten „über Fleiß und guten Willen nicht weit hinaus“. Auch diese Ausführungen Wegeles endeten mit ­einem klaren Urteil über das literarische Gesamtwerk des Theologen und Geschichtsschreibers Friedrich Lucae: „Das bedeutendste bleibt daher immer seine Autobiographie.“6 Die hohe Wertschätzung von Lucaes autobiographischen Aufzeichnungen, die aus Wegeles historiographiegeschichtlichen Schriften deutlich wird, lässt sich zeitgleich auch in den biographischen Nachschlagewerken finden. Im Jahr 1884 publizierte Colmar Grünhagen (1828–1911) in der Allgemeinen Deutschen Biographie, einem anderen Prestigeprojekt der Historischen Kommission in München, ein Biogramm zu Lucae,

3 „Nine-tenths of his volume are devoted to the brave men who lived before Agamemnon, and the chapter on the rise of historical science, the only one which is meant for mankind, begins at page 975, and is the last.“ Acton, [ John]: German Schools of History. In: The English Historical Review 1 (1886) 7–42, hier 7. Dalberg-Acton benutzte hier allerdings ein im 19. Jahrhundert geläufiges, von dem britischen Dichter George Gordon Byron (1788–1824) popularisiertes Sprichwort, das auf Horaz (65–8 v. Chr.) zurückgeht. Vgl. Manser, Martin H.: The facts on file ­dictionary of proverbs. Meanings and origins of more than 1,700 popular sayings. New York 22007, 32. 4 Wegele, [Franz Xaver] v[on]: Das historische Reichscolleg. In: Im neuen Reich. Wochenschrift für das Leben des deutschen Volkes in Staat, Wissenschaft und Kunst 11/1 (1881) 941–960. Die hier vorgelegten Erkenntnisse flossen später in seine Gesamtdarstellung ein. Vgl. ders.: Geschichte der Deutschen Historiographie, 597–609. 5 Ders.: Die deutsche Memoirenliteratur. In: Deutsche Rundschau 40 (1884) 72–96, hier 85. In gekürzter Form erneut abgedruckt in ders.: Vorträge und Abhandlungen. Hg. v. R[ichard] Du Moulin Eckart. Leipzig 1898, 192–218. 6 Ders.: Geschichte der Deutschen Historiographie, 726f.

Die autobiographischen Aufzeichnungen des reformierten ­Theologen Friedrich Lucae

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bei dem es am Ende lapidar hieß: „Hauptquelle ist Lucae’s Autobiographie“.7 Diese Aussage des Breslauer Archivars und Historikers findet sich seither im Prinzip in sämtlichen Darstellungen, die auf das Leben und Werk Lucaes Bezug nehmen – sie alle folgen ausnahmslos der genannten Selbstbiographie, die als maßgebliches Referenzwerk gilt, ohne den eigentlichen Wissensstand zu erweitern.8 Bei diesem Werk handelt es sich um das Buch Der Chronist Friedrich Lucä. Ein Zeit- und Sittenbild aus der zweiten Hälfte des siebenzehnten Jahrhunderts, das Friedrich Carl August Lucä (1815–1859), ein Nachfahre des schlesischen Theologen, im Jahr 1854 herausgegeben hatte.9 Dessen „erloschenes Gedächtnis“, so formulierte es Wegele 1885, sei „erst in neuester Zeit durch die Veröffentlichung seiner Autobiographie dem lebenden Geschlechte wieder nachhaltig in Erinnerung gebracht worden“.10 Die autobiographischen Aufzeichnungen Friedrich Lucaes, die hier in einer historisch-kritischen Edition vorgelegt werden, scheinen auf den ersten Blick also kein unbekannter Text zu sein. Dies ist richtig und falsch zugleich: Richtig ist, dass der gelehrten Welt bereits seit der Mitte des 18. Jahrhunderts – also rund ein Jahrhundert vor der durch einen Nachfahren vorgenommenen Veröffentlichung – die Existenz solcher Aufzeichnungen bekannt war, die freilich nur einem sehr kleinen Personenkreis zugänglich waren. Falsch ist, dass eine breitere Öffentlichkeit durch die genannte Veröffentlichung von 1854 die Lektüre der tatsächlichen Aufzeichnungen Lucaes ermöglicht wurde. Denn die in jenem Jahr vorgelegte Ausgabe, der nicht nur Wegele und Grünhagen, sondern auch andere Allgemein- und Kirchenhistoriker, Literaturwissenschaftler und Ethnologen folgten, entpuppt sich als ein höchst eigenwilliger, ohne nähere Betrachtung der lebensweltlichen Situation des Herausgebers unverständlicher Text. Es liegt auf der Hand, dass diese Zusammenhänge im Folgenden noch genauer umrissen werden müssen. Die vorliegende Publikation stellt insofern keine erneute Edition der Autobiographie Friedrich Lucaes dar, sondern präsentiert diese zum ersten Mal überhaupt. Sie stellt damit nicht nur die engere Lucae-Forschung auf eine seriöse Grundlage, sondern erlaubt auch neue Einblicke in die Geschichte des reformierten Protestantismus im frühneuzeitlichen Europa. 17

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Grünhagen, [Colmar]: Lucae, Friedrich. In: Allgemeine Deutsche Biographie, Bd. 19. Leipzig 1884, 336–337, hier 337. Zum Gesamtunternehmen vgl. Hockerts, Hans Günter: Vom nationalen Denkmal zum biographischen Portal. Die Geschichte von ADB und NDB 1858–2008. In: Gall (Hg.): „... für deutsche Geschichts- und Quellenforschung“, 229–269. Vgl. exemplarisch Fleischer, Manfred P.: Friedrich Lucae (1644–1708). In: Menzel, Josef Joachim (Hg.): Schlesier des 15. bis 20. Jahrhunderts. Stuttgart 2001 (Schlesische Lebensbilder 7), 66–71, 431. Die Qualität dieser Biogramme variiert stark. Als Beispiel für eine populäre, auf „wohlbekannte Charakterzüge der Schlesier“ abhebende Lebensdarstellung vgl. Krohn, Margot: Friedrich Lucae, Schlesiens Chronist. In: Jahrbuch der Schlesischen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Breslau 11 (1966) 63–104 (Zitat 63). Lucä, Friedrich: Der Chronist Friedrich Lucä. Ein Zeit- und Sittenbild aus der zweiten Hälfte des siebenzehnten Jahrhunderts. Nach einer von ihm selbst hinterlassenen Handschrift bearbeitet und mit Anmerkungen nebst einem Anhange versehen. Frankfurt a. M. 1854. Wegele: Geschichte der Deutschen Historiographie, 726.

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2. Der Verfasser: Prägungen, Verflechtungen, Abgrenzungen Im Jahr 1685 publizierte Friedrich Lucae in Frankfurt am Main ein Werk, in dem er die Geschichte Ober- und Niederschlesiens in zwanzig „Discursen“ in chronologischer und systematischer Form darstellte.11 Es war sein erstes Geschichtswerk überhaupt, mit dem er sich der Gelehrtenwelt präsentierte. Das Thema war von der eigenen Biographie nicht zu trennen: Der reformierte Theologe hatte das Oderland zwar ein Jahrzehnt zuvor aus konfessionspolitischen Gründen verlassen müssen und unterdessen in Kassel eine Anstellung als Pfarrer gefunden, war der früheren Heimat aber unverändert eng verbunden. Sein Buch war zugleich eine wehmütige Erinnerung an das schlesische Reformiertentum, das rechtlich mit dem Aussterben der Liegnitz-Brieger Piasten im Mannesstamm 1675 sein Ende gefunden hatte.12 Lucae hatte das Werk unter dem Namen „Lichtstern“ veröffentlicht, den er eigenen Forschungen zufolge für den ursprünglichen Namen der Familie hielt.13 Namentlich bei den Vertretern der lutherischen Orthodoxie in Schlesien stieß die Darstellung auf scharfe Ablehnung. So verfasste Caspar Sommer (1652–1730), Pfarrer in Geischen im Fürstentum Wohlau, eine beinahe dreihundert Seiten umfassende Stellungnahme über die zahlreichen „Irrthümer“ Lucaes,14 die 1687 im Druck erschien. Eine solche Richtigstellung sei unabdingbar, so Sommer, zumal der Verfasser „seinem Versprechen wegen unpartheiligkeit nicht aller Orthen nachkommet/ sondern seinen Religions-Eifer/ als ein der Reformirten Confession zugethaner in etwas gar zu sehr spüren lässet/ beydes gegen die Römisch Catholischen/ als auch gegen die Lutheraner/ die er zuweilen ziemlich hönisch hält/ und ihnen unbluttige Stiche giebt/ so einem 11

Lichtstern [Lucae], Fridrich: Schlesische Fürsten-Krone/ Oder Eigentliche/ warhaffte, Beschreibung Ober- und Nieder-Schlesiens [...]. Franckfurt am Mayn 1685. Zur Einordnung des Werkes vgl. Kersken, Norbert: Geschichtsschreibung im Exil. Historiker und ihre Texte im Kontext erzwungener Migration. In: Bahlcke, Joachim (Hg.): Glaubensflüchtlinge. Ursachen, Formen und Auswirkungen frühneuzeitlicher Konfessionsmigration in Europa. Berlin 2008 (Religions- und Kulturgeschichte in Ostmittel- und Südosteuropa 4), 27–59, hier 45–48, 55–57. 12 Bahlcke, Joachim: Eckpfeiler der schlesischen Libertaskultur. Die Liegnitz-Brieger Piasten in der Frühen Neuzeit. In: Harasimowicz, Jan/Lipińska, Aleksandra (Hg.): Dziedzictwo reformacji w księstwie legnicko-brzeskim / Das Erbe der Reformation in den Fürstentümern Liegnitz und Brieg. Legnica 2007 (Źródła i materiały do dziejów Legnicy i księstwa Legnickiego 4), 23–42. 13 ����������������������������������������������������������������������������������������� Lucae hatte den Geburtsnamen „Lucas“, unter dem er sich 1662 noch an der Universität Heidelberg immatrikuliert hatte (Generallandesarchiv Karlsruhe, Sign. 205: Akten Heidelberg Universität, Nr. 1069, fol. 18v: „Fridericus Lucas, Bregâ-Silesius“), nur wenig später in „Lucae“ abgeändert (Album Studiosorum Academiae Rheno-Traiectinae 1636–1886. Accedunt Nomina Curatorum Et Professorum Per Eadem Secula. Ultraiecti 1886, Sp. 59: „Fredericus Lucae Brigâ-Silesius“). 14 „Curiosus Silesius“ [Sommer, Caspar]: Animadversiones Und Anmerckungen Uber Friedrich Liechtensterns Schlesische Fürsten-Krone. Weißenfelß 1687, 6. Zum Verfasser vgl. Thomas, Johann George: Handbuch der Literaturgeschichte von Schlesien. Eine gekrönte Preisschrift. Hirschberg 1824, 336f.; Neß, Dietmar: Schlesisches Pfarrerbuch, Bd. 3. Leipzig 2014, 10f.

Die autobiographischen Aufzeichnungen des reformierten Theologen Friedrich Lucae

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unpassionirten Scribenten nicht gar zu wohl anstehen wil“.15 Noch Jahrzehnte später arbeiteten sich Lutheraner in Schlesien an dem Geschichtswerk des letzten Liegnitzer Hofpredigers ab, der aus ihrer Sicht die religiösen Zustände des Landes verzerrt und zum Nachteil der eigenen Konfession dargestellt habe. Der in Schweidnitz tätige Theologe Gottfried Balthasar Scharff (1676–1744), der enge Beziehungen zu Valentin Ernst Löscher (1673–1749) in Leipzig unterhielt und einer der wichtigsten Mitarbeiter von dessen orthodox-lutherischer Zeitschrift Unschuldige Nachrichten von alten und neuen theologischen Sachen im Oderland war, erinnerte 1733 in einem von ihm herausgegebenen Werk zur Liegnitz-Brieger Geschichte daran, wie häufig sich „Lichtstern“ in der Vergangenheit als „Irrstern“ erwiesen habe.16 Wer sich der Person und dem Werk des 1644 in Brieg geborenen Friedrich Lucae annähert, der ist zunächst gezwungen, sich mit der territorialen und konfessionellen Vielfalt Schlesiens auseinanderzusetzen, die nicht nur seine frühe Sozialisation und Ausbildung, die familiären Kontakte und Heiratsnetzwerke prägten, sondern auch Auswirkungen auf seine spätere Rezeption hatten, als er längst in Hessen-Kassel und Nassau-Siegen als reformierter Geistlicher tätig war. Für die Anhänger des evangelischen Bekenntnisses im Herzogtum Schlesien war das 17. Jahrhundert, in dem sich die innere Staatsbildung der Habsburgermonarchie im Zeichen der politiktheoretischen Maxime religio vinculum societatis vollzog, ein Jahrhundert der Extreme. Am Beginn des Zeitraums markierte der von Rudolf II. (1552–1612) im Jahr 1609 erlassene Majestätsbrief für freie Religionsausübung, der durch ständische Initiative durchgesetzt und rechtlich verankert werden konnte, ein Höchstmaß an Bekenntnisfreiheit. Am Ende des Jahrhunderts war von diesen konfessionellen Freiräumen und Rechten nichts mehr zu spüren, im Gegenteil: Ähnlich wie in Ungarn nahm die Rekatholisierung auch im Oderland mitunter militante Züge an.17

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[Sommer]: Animadversiones Und Anmerckungen, 6f. [Scharff, Gottfried Balthasar]: An den wohlgesinnten Leser. In: Thebesius, Georg: Liegnitzische Jahr-Bücher, Worinnen so wohl die Merckwürdigkeiten dieser Stadt, Als auch die Geschichte der Piastischen Hertzoge in Schlesien, von ihrem Anfange biß zum Ende des 16. Jahrhunderts [...] untersuchet [...] werden, Th. 1–3. Hg. v. Gottfried Balthasar Scharff. Jauer 1733, hier Th. 1, Vorrede (nicht paginiert). Zum Kontext vgl. Kraffert, Adalbert Hermann: Chronik von Liegnitz, Th. 2/2: Vom Tode Friedrichs II. bis zum Aussterben des Piastenhauses. 1547–1675. Liegnitz 1871, 285–288. Zu Scharff vgl. Wotschke, Theodor: Scharffs Briefe an Cyprian. In: Correspondenzblatt des Vereins für Geschichte der evangelischen Kirche Schlesiens 18 (1925) 1–72; ders.: Löschers Beziehungen zu Schlesien. In: Correspondenzblatt des Vereins für Geschichte der evangelischen Kirche Schlesiens 18 (1926) 208–285. Bahlcke, Joachim: Un siècle des extrêmes. La situation confessionelle en Silésie au cours du XVIIe siècle. In: XVIIe siècle 68 (2016) 635–647. Zum ostmitteleuropäischen Kontext vgl. Winfried Eberhard, Winfried: Reformation and Counterreformation in East Central Europe. In: Brady, Thomas A./Oberman, Heiko A./Tracy, James D. (Hg.): Handbook of European History 1400– 1600. Late Middle Ages, Renaissance and Reformation, Bd. 2. Leiden u. a. 1995, 551–584; Chaline, Olivier: La reconquête catholique de l’Europe centrale, XVIe–XVIIIe siècle. Paris 1998.

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Auf dem Kupferstich, der in Friedrich Lucaes letztes Geschichtswerk, einen breit angelegten Abriss der europäischen Bildungsinstitutionen, aufgenommen wurde, ist bereits das Todesdatum des 1708 in Rotenburg an der Fulda verstorbenen Theologen vermerkt. Das Buch gab Karl Lucae (1677–1712) drei Jahre nach dem Tod seines Vaters in Frankfurt am Main heraus. Bildnachweis: Bayerische Staatsbibliothek München, Sign. 4 H.lit.u. 30.

In autobiographischen Zeugnissen steht in der Regel das eigene Ich, die individuelle Lebensgeschichte, im Mittelpunkt. Gleichwohl muss auch der Werdegang von Lucae, der erzwungene Wegzug aus Schlesien in ein Territorium im Westen des römischdeutschen Reiches, in breitere Zusammenhänge eingeordnet werden. Die politische Geographie des Oderlandes hatte zur Folge, dass sämtliche Fragen konfessioneller Migration und Mobilität hier eine spezifische Ausprägung besaßen.18 Bedingt durch die territoriale Fragmentarisierung des Landes stellt sich die in den 1620er Jahren einsetzende Auswanderung „als ein vielschichtiger und komplexer, in mehreren Schüben und unterschiedlichen Intensitätsgraden stattfindender Prozeß dar, der sich nahezu über ein volles Jahrhundert erstreckte“.19 Im Zuge der einzelnen Wanderungsbewegungen gab 18

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Jaworski, Tomasz: Kontakty Braci czeskich i kalwinów na Dolnym Śląsku w XVI i XVII wieku. In: Rocznik Lubuski 23/1 (1997) 69–81; Bečková, Marta: Význam Slezska pro bratrskou pobělohorskou emigraci. In: Bobková, Lenka/Konvičná, Jana (Hg.): Náboženský život a církevní poměry v zemích Koruny české ve 14.–17. století. Praha 2009, 657–669. Deventer, Jörg: Nicht in die Ferne – nicht in die Fremde? Konfessionsmigration im schlesischpolnischen Grenzraum im 17. Jahrhundert. In: Bahlcke (Hg.): Glaubensflüchtlinge, 95–118, hier 103.

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es spektakuläre Fälle, die weit über Schlesien hinaus Aufsehen erregten. So zog 1687 eine geschlossene Gruppe von 140 Familien aus den Stiftsdörfern des Zisterzienserklosters Grüssau nach Sachsen.20 Neben dem auf Dauer angelegten Verlassen der Heimat besaßen die Untertanen gerade im Oderland aber auch andere Möglichkeiten, dem Gewissenszwang auszuweichen. Besonders hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang auf die protestantischen Grenz- und Zufluchtskirchen, die in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts entweder in den von der Rekatholisierung nicht betroffenen Fürstentümern Schlesiens oder jenseits der Landesgrenze (zwei auf polnischem, zehn auf brandenburgischem und acht auf sächsisch-lausitzischem Gebiet) errichtet wurden. Diese mit Unterstützung ortsansässiger Glaubensbrüder, adeliger Grundherren oder durch die Einkünfte aus Kollektenreisen errichteten Gotteshäuser machten es den Protestanten vielfach möglich, auch ohne eine vollständige Wohnsitzverlagerung Gottesdienste zu besuchen, an Abendmahlsfeiern teilzunehmen sowie Taufen, Konfirmationen und Trauungen vornehmen zu lassen.21 Die unmittelbaren, durch die Regierung in Wien und die bischöfliche Kirchenleitung in Breslau initiierten Diskriminierungen und Verfolgungen schlesischer Protestanten vor allem nach dem Dreißigjährigen Krieg verdecken leicht die innerevangelischen Dissonanzen und Verwerfungen sowie die Tatsache, dass lutherische Theologen einen erheblichen Anteil an der Polemik gegen die Reformierten und an der Infragestellung von deren Rechtsstellung hatten.22 Die Grundkonstellation umschrieb bereits Johann Adam Hensel (1689–1778), Verfasser der ersten protestantischen Kirchengeschichte Schlesiens, treffend, wenn auch unverkennbar zurückhaltend: „Zur Vollständigkeit unserer Kirchengeschichte von Schlesien in Ansehung der Protestanten gehöret auch, daß wir nach den Beschwerungen, so sie römischer Seits erlitten, auch etwas von ihren innerlichen Unruhen gedenken, welche sie von 1648 bis 1675 unter sich selbst erregt haben, weil leider der Geist der Uneinigkeit damals viel Gewalt hatte, daß die Lutherischen und Reformirten als beyderseits Protestirende sowohl im Reiche und in der Mark, als auch in Schlesien wegen der Kirchensachen nicht die vertrautesten Freunde waren, worüber die dritte Parthey, nemlich die Catholischen im Lande, eben kein Mißvergnügen bezeugten, weil dergleichen Uneinigkeit unter den

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Leszczyński, Józef: Emigracja wyznaniowa ze Śląska do Górnych Łużyc w XVII i początkach XVIII wieku. In: Studia z dziejów Kościoła Katolickiego 3 (1963) 123–149. Dannenberg, Lars-Arne: Konfessionskonflikte in Schlesien im 17. und 18. Jahrhundert und das „Auslaufen“ zu den Grenz- und Zufluchtskirchen / Konflikty wyznaniowe na Śląsku w XVII i XVIII wieku oraz problem „uchodźstwa“ do kościołów granicznych i ucieczkowych. In: ders. u.  a. (Hg.): „Herr, Gott, du bist unsere Zuflucht für und für“. Grenz- und Zufluchtskirchen Schlesiens / „W Tobie, Panie, moja ucieczka“. Śląskie kościoły graniczne i ucieczkowe. Olbersdorf 2012, 33–72. Bahlcke, Joachim/Dingel, Irene (Hg.): Die Reformierten in Schlesien. Vom 16. Jahrhundert bis zur Altpreußischen Union von 1817. Göttingen 2016 (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz. Abteilung für Abendländische Religionsgeschichte. Beiheft 106).

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Protestirenden selbst selten ihr Schaden gewesen; sondern sie vielmehr immer etwas dadurch gewonnen, als verlohren haben.“23 In die Zeit Lucaes fällt zugleich die innerprotestantische Annäherung im Heiligen Römischen Reich und in Europa, die im letzten Drittel des 17. Jahrhunderts auf eine Vereinigung von Lutheranern, Reformierten und nach Möglichkeit auch Anglikanern in einer Kirche abzielte. Sie wurde auch in Schlesien aufmerksam verfolgt. Dies gilt besonders für die Reformierten, die mit den Zentren und wichtigsten Protagonisten irenischer Bestrebungen zum Teil schon lange in Verbindung standen.24 Der aus Brieg stammende, in Frankfurt an der Oder, der Schweiz und England ausgebildete Heinrich (von) Schmettau (1629–1704), der gelehrteste Hofprediger der schlesischen Piastenherzöge, veröffentlichte in Breslau in den 1660er Jahren verschiedene erbauliche und für die Einigungsbestrebungen in der Anglikanischen Kirche werbende Schriften, die er aus dem Englischen ins Deutsche übersetzt hatte.25 Seit der von katholischen und lutherischen Kreisen gemeinsam erzwungenen Aufgabe seines Amtes und dem Wegzug nach Berlin war Schmettau, der 1655 eine Schwester von Lucae geheiratet hatte und mit diesem auch in späteren Jahrzehnten in Verbindung stand, der wichtigste Kontaktmann zwischen Brandenburg und dem Oderland. Eine vergleichbare Vermittlerrolle zwischen dem östlichen und dem westlichen Europa nahm im 17. Jahrhundert Friedrich Lucae ein.26 Auch an seiner Person lassen sich exemplarisch der grenzübergreifende Charakter des Reformiertentums, der ausgeprägte Internationalismus dieser Konfession und die hohe Mobilität ihrer Anhänger studieren. 23

Hensel, Johann Adam: Protestantische Kirchen-Geschichte der Gemeinen in Schlesien [...]. Leipzig/Liegnitz 1768, 396. Wichtig ist in diesem Zusammenhang, auch für die Jahrzehnte vor 1707, die Studie von Schott, Christian-Erdmann: Die Transformation des Luthertums in Schlesien als Reaktion auf die Konvention von Altranstädt (1707–1709). In: Bergerhausen, HansWolfgang (Hg.): Die Altranstädter Konvention von 1707. Beiträge zu ihrer Entstehungsgeschichte und zu ihrer Bedeutung für die konfessionelle Entwicklung in Schlesien. Würzburg 2009 (Beihefte zum Jahrbuch für Schlesische Kirchengeschichte 11), 59–77. 24 Pawelec, Mariusz: Idea protestanckiego irenizmu w ksęstwie brzeskim i legnickim w początkach XVII wieku. In: Harasimowicz/Lipińska (Hg.): Dziedzictwo reformacji w księstwie legnickobrzeskim, 171–189; Schunka, Alexander: Zwischen Kontingenz und Providenz. Frühe Englandkontakte der Halleschen Pietisten und protestantische Irenik um 1700. In: Pietismus und Neuzeit 34 (2008) 82–114. 25 Sträter, Udo: Sonthom, Bayly, Dyke und Hall. Studien zur Rezeption der englischen Erbauungsliteratur in Deutschland im 17. Jahrhundert. Tübingen 1987 (Beiträge zur historischen Theologie 71), 11f., 21–23, 43–45; Bahl, Peter: Der Hof des Großen Kurfürsten. Studien zur höheren Amtsträgerschaft Brandenburg-Preußens. Köln/Weimar/Wien 2001 (Veröffentlichungen aus den Archiven Preußischer Kulturbesitz. Beiheft 8), 70–73, 573f.; ders.: Heinrich Schmettau (1629–1704). In: Bahlcke, Joachim (Hg.): Schlesische Lebensbilder, Bd. 11. Insingen 2012, 149–160. 26 ���������������������������������������������������������������������������������������������� Aus familiengeschichtlich-genealogischer Sicht vgl. Drewes, Kai: Der schottische Bürgerkriegsflüchtling Balthasar Mercer († Bremen 1650) und seine Familie. Mit Beiträgen über die Claypoole, Lucae und (Freiherren von) Uckermann. In: Genealogie. Deutsche Zeitschrift für Familienkunde 47/24 (1998) 215–228, 297–305, sowie weitere Studien des Autors.

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Beziehungsgeschichtliche Studien, die diesen Zusammenhängen systematisch nachgehen, sind unverändert selten.27 Mochte Gustav Hecht (1872–1959), der 1929 das Wirken schlesischer Reformierter im kurpfälzischen Kirchen- und Staatsdienst untersuchte, mit Blick auf „Männer von besonderer Tatkraft und Willensstärke“ auch mitunter zu fragwürdigen Befunden kommen,28 so stellt seine Fallstudie doch unbestritten eine wichtige Pionierleistung dar. Gleiches gilt für die bis heute gültige Arbeit über die brandenburg-preußischen Hofprediger im 17. und 18. Jahrhundert, die 1959 Rudolf von Thadden (1932–2015) vorlegte.29 Ähnlich umfassende Studien, die ­personelle Verflechtungen zwischen dem östlichen Mitteleuropa und Lucaes neuer Heimat im Westen Deutschlands thematisieren, liegen bis zur Gegenwart nicht vor. Es gibt allerdings vielversprechende Forschungsansätze, die darauf abzielen, Karrieremuster für die Hofpredigerstellen in den evangelischen Territorien näher in den Blick zu nehmen. Für Hessen-Kassel etwa ist bekannt, dass die Landgrafschaft „wiederholt als Refugium vertriebener Kalvinisten“ diente: „Ein solcher, im Unterschied zu den lutherischen Territorien häufig ungeplanter Zuzug von außen, bedeutete sicherlich kaum einen Gewinn an Kontinuität. Das, was sich im Bereich der Hofpredigerschaft an Einzelschicksalen greifen läßt, ist darüberhinaus ein Spiegelbild der Gesamtsituation des deutschen Kalvinismus vor und nach dem Dreißigjährigen Krieg. Der Prozeß der Konfessionalisierung war im Bereich des Luthertums mit allen Folgen für die Professionalisierung des Predigerstandes offensichtlich weiter vorangeschritten als im kalvinistischen Hessen-Kassel.“30

27 ������������������������������������������������������������������������������������������ Schunka, Alexander: Migrationen evangelischer Geistlicher als Motor frühneuzeitlicher Wanderungsbewegungen. In: Selderhuis, Herman J./Wriedt, Markus (Hg.): Konfession, Migration und Elitenbildung. Studien zur Theologenausbildung des 16. Jahrhunderts. Leiden/Boston, Mass. 2007 (Brill’s Series in Church History and Religious Culture 31), 1–26. 28 Hecht, G[ustav Heinrich]: Schlesisch-kurpfälzische Beziehungen im 16. und 17. Jahrhundert. In: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins N. F. 42 (1929) 176–222, hier 184. Eine Anknüpfung an Hechts Forschungen bietet der Sammelband: Bahlcke, Joachim/Ernst, Albrecht (Hg.): Schlesien und der deutsche Südwesten um 1600. Späthumanismus – reformierte Konfessionalisierung – politische Formierung. Heidelberg/Ubstadt-Weiher/Basel 2012 (Pforzheimer Gespräche zur Sozial-, Wirtschafts- und Stadtgeschichte 5). 29 ���������������������������������������������������������������������������������������� Thadden, Rudolf von: Die brandenburgisch-preußischen Hofprediger im 17. und 18. Jahrhundert. Ein Beitrag zur Geschichte der absolutistischen Staatsgesellschaft in Brandenburg-Preußen. Berlin 1959 (Arbeiten zur Kirchengeschichte 32). 30 Schorn-Schütte, Luise: Prediger an protestantischen Höfen der Frühneuzeit. Zur politischen und sozialen Stellung einer neuen bürgerlichen Führungsgruppe in der höfischen Gesellschaft des 17. Jahrhunderts, dargestellt am Beispiel von Hessen-Kassel, Hessen-Darmstadt und Braunschweig-Wolfenbüttel. In: Schilling, Heinz/Diederiks, Herman (Hg.): Bürgerliche Eliten in den Niederlanden und in Nordwestdeutschland. Studien zur Sozialgeschichte des europäischen Bürgertums im Mittelalter und in der Neuzeit. Köln/Wien 1985 (Städteforschung. Veröffentlichungen des Instituts für Vergleichende Städtegeschichte in Münster A/23), 275–336, hier 314 (zu Lucae ebd., 332). Vgl. ferner dies.: Geistliche Amtsträger und regionale Identität im 16. Jahrhundert. Ein Widerspruch? In: Dingel, Irene/Wartenberg, Günther (Hg.): Kirche und Regionalbewusstsein in der Frühen Neuzeit. Konfessionell bestimmte Identifikationsprozesse in den

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Joachim Bahlcke Der an der Universität Marburg lehrende Mediziner Samuel Christian Lucae (1787–1821) setzte sich Anfang des 19. Jahrhunderts als erster intensiv mit der eigenen Familiengeschichte ­auseinander. Besondere Aufmerksamkeit widmete er der handschriftlichen Hinterlassenschaft sowie den zahlreichen Büchern seines aus Brieg gebürtigen Ururgroßvaters Friedrich Lucae. Bildnachweis: Privatarchiv der Familie Lucae.

Ein solches Einzelschicksal begegnet uns in den hier vorgelegten autobiographischen Aufzeichnungen von Friedrich Lucae, der die eine Hälfte des Lebens in seinem Geburtsland, die andere außerhalb seines „Vaterlandes“ – so die von ihm gebräuchliche Bezeichnung für die schlesische Heimat – verbrachte. Er starb 1708 mit 63 Jahren als Oberpfarrer an der St.-Jakobi-Kirche sowie als Dechant des Elisabethstifts und Metropolitan der Diözese in Rotenburg an der Fulda. Seine Autobiographie deckt beide Lebenshälften recht ungleich ab; die Gründe dafür werden noch anzusprechen sein. Im Folgenden wird zunächst der Überlieferung der Aufzeichnungen nachgegangen, deren Bearbeitung vorgestellt und das Augenmerk auf die Wirkungsgeschichte gerichtet. Anschließend sind sodann strukturelle Aspekte des Textes, Fragen der Datierung und der Chronologie sowie Beobachtungen zur spezifischen Arbeitspraxis von Lucae zu diskutieren.

3. Die Überlieferung der Handschrift und deren familiengeschichtliche ­Bearbeitung durch Friedrich Lucä (1815–1859) Die autobiographischen Aufzeichnungen Friedrich Lucaes sind seit dessen Tod, zusammen mit einer Reihe weiterer Dokumente des reformierten Theologen, durchgehend in Familienbesitz geblieben. In seinem nur als Typoskript vervielfältigten Stammre

Territorien. Leipzig 2009 (Leucoreastudien zur Geschichte der Reformation und der Lutherischen Orthodoxie 10), 11–22.

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gister der Familie Lucae (1974) spricht Konrad Ludwig Lucae (1910–1999), der sich als langjähriger Leiter des Heimatmuseums in Kirchheimbolanden nicht nur um die pfälzische Lokal- und Landesgeschichte hohe Verdienste erwarb,31 sondern auch die eigene Familiengeschichte kenntnisreich aufarbeitete, von einer „durch Generationen vererbten Handschrift“.32 Sie befindet sich gegenwärtig im Privatbesitz eines in der ­Schweiz lebenden Angehörigen der Familie Lucae. Den frühesten Hinweis auf die Überlieferungssituation finden wir in einer 48 Seiten umfassenden Abhandlung, die Johann Christian Gustav Lucae (1814–1885), Arzt und Lehrer der Anatomie am Senckenbergischen medizinischen Institut in Frankfurt am Main,33 1851 für Mitglieder der eigenen Familie drucken ließ.34 Dem Titel der Abhandlung nach scheint es sich dabei lediglich um eine biographische Würdigung seines drei Jahrzehnte zuvor verstorbenen Vaters Samuel Christian Lucae (1787–1821), eines renommierten, über die Landesgrenzen Hessens hinaus bekannten Mediziners an der Universität Marburg,35 zu handeln. Tatsächlich verbirgt sich hinter dem kleinen Druck jedoch eine gediegene familiengeschichtliche Studie, die der Verfasser als den Versuch 31

Drechsel, Heinrich: Ein Leben für die Heimatgeschichte. Konrad Lucae – Ehrenbürger der Stadt Kirchheimbolanden. In: Donnersberg-Jahrbuch. Heimatjahrbuch für das Land um den Donnersberg 21 (1998) 182–185; Lucae, Konrad: Das Heimatmuseum Kirchheimbolanden. In: Donnersberg-Jahrbuch. Heimatbuch für das Land um den Donnersberg 1 (1978) 159–162. 32 Lucae, Konrad: Stammregister der Familie Lucae. Kirchheimbolanden [1974], 16. Zu seiner Person vgl. die autobiographischen Angaben ebd., 135–138. 33 ���������������������������������������������������������������������������������������������� Stricker, W[ilhelm]: Johann Christian Gustav Lucae. Nekrolog. In: Jahresbericht ueber die Verwaltung des Medicinalwesens, die Krankenanstalten und die oeffentlichen Gesundheitsverhaeltnisse der Stadt Frankfurt a. M. 28 (1884) 270–272; ders.: Worte der Erinnerung an Professor G. Lucae. In: Bericht über die Senckenbergische naturforschende Gesellschaft in Frankfurt am Main (1885) 85–94; Roediger, Ernst: Zur Erinnerung an Gustav Lucae gelegentlich seines 100.  Geburtstages. (Festsitzung am 14. März 1914.). In: 46. Bericht der Senckenbergischen Naturforschenden Gesellschaft in Frankfurt am Main (1916) 112–130; Mann, Gunter: J. Ch. G. Lucae und die Senckenbergische Anatomie. Eine Ikonographie. Frankfurt am Main 1963; ­Lucae: Stammregister der Familie Lucae, 250–287; Klötzer, Wolfgang (Hg.): Frankfurter Biographie. Personengeschichtliches Lexikon, Bd. 1. Bearb. v. Sabine Hock und Reinhard Frost. Frankfurt am Main 1994 (Veröffentlichungen der Frankfurter Historischen Kommission 19,1), 469; Kutz, Corinna: Die Porträtsammlung der Dr. Senckenbergischen Stiftung. Frankfurter Bildnisse aus fünf Jahrhunderten. Bestandsverzeichnis und Ausstellungskatalog. Frankfurt am Main 2000, 76f., 126. 34 ������������������������������������������������������������������������������������������� Lucä, Joh[ann] Christ[ian] Gustav: S[amuel] Christian Lucä, Doctor der Medicin und Professor an der kurfürstl. Universität Marburg. Ein Manuscript. [Frankfurt am Main 1851]. Handschriftliche Vorarbeiten dazu sind in einem Album überliefert, das der Schwester Emma Lucä (1819–1893) anlässlich ihrer Eheschließung mit Friedrich Alexander Marstaller (1814–1875) am 12. Juli 1843 übergeben wurde. Vgl. Universitätsbibliothek Johann Christian Senckenberg Frankfurt am Main, Nachlass Friedrich Lucae, Sign. Ms. Ff. F. Lucae, Bl. 3r–10v („Geschlechts und Stammregister der Familie Lucä“). 35 Wagner, Car[olus] Franc[iscus] Christ[ianus]: Memoriam Viri Experientissimi Samuelis Christiani Lucae [...]. Marburgi 1822; Justi, Karl Wilhelm: Grundlage zu einer Hessischen Gelehrten- Schriftsteller- und Künstler-Geschichte vom Jahre 1806. bis zum Jahre 1830. Marburg 1831,

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einer ersten Fortsetzung der ihm vertrauten Handschrift Friderici Lucae eigentgliche Lebens und Totdes Geschichte verstand. „Durch das vom Vater auf uns überkommene Manuscript der Lebensbeschreibung des Friederich Lucä sind wir in dem Besitz der Geschichte unserer Voreltern bis ins 16te Jahrhundert. Hierin glaube ich liegt für die Nachkommen die Verpflichtung, die Geschichte der Familie fortzuführen.“36 Dem Frankfurter Arzt Gustav Lucae wiederum war sodann das nur drei Jahre später von dessen Bruder Friedrich Carl August Lucä (1815–1859) veröffentlichte Zeit- und Sittenbild aus der zweiten Hälfte des siebenzehnten Jahrhunderts gewidmet, durch das die autobiographischen Aufzeichnungen von Friedrich Lucae – „Nach einer von ihm selbst hinterlassenen Handschrift bearbeitet und mit Anmerkungen nebst einem Anhange versehen“,37 wie es bereits auf dem Titelblatt hieß – erstmals einer breiteren Öffentlichkeit bekannt wurden. Die bearbeitete Fassung und ihr Herausgeber bedürfen einer genaueren Betrachtung, kommt dieser Ausgabe innerhalb der gesamten LucaeForschung doch eine zentrale Bedeutung zu; ihre Zielsetzung, Funktion und Anlage aber bleiben ohne den familiären Entstehungskontext zwangsläufig unverständlich. Friedrich Lucä – der den Nachnamen zumindest in seinen späteren Publikationen anders schrieb als der ältere Bruder – hatte Rechtswissenschaft in Marburg und Göttingen studiert und 1840 die juristische Doktorwürde erlangt.38 Nach anfänglicher Tätigkeit als Rechtsanwalt war er als Jurist am Polizeigericht in Frankfurt und an anderen städtischen Institutionen tätig. Der frühe Verlust des Vaters und weitere familiäre Schicksalsschläge hatten ihn jedoch stärker als den Bruder aus der Bahn geworfen. Gesundheitliche Probleme, später auch berufliche Rückschläge und damit verbunden finanzielle Engpässe beförderten eine gewisse Schwermut und seine schon in der Jugend erkennbare Neigung zu Poesie und Dichtung.39 Dem bereits 1841 herausgegebenen Werk Poetische Lehrjahre eines Deutschen Studenten folgte eine beachtliche Zahl weiterer Schriften zu politischen, religiösen und gesellschaftlichen Fragen der Zeit. Lucäs literarische Interessen waren denkbar breit, sein Werk umfasst Reiseberichte (Zehn Tage in der Schweiz, 1851), epische und dramatische Dichtungen (Das Hermanns-Lied, 1851; Die Deutschen Kaiser in erzählenden Dichtungen zu den Gemälden des Frankfur

409–428; Lucae: Stammregister der Familie Lucae, 198–217; Klötzer (Hg.): Frankfurter Biographie, Bd. 1, 470. 36 Lucä: S[amuel] Christian Lucä, 5. 37 Lucä: Der Chronist Friedrich Lucä, III. 38 ���������������������������������������������������������������������������������������������� Lucae, Fr[idericus] Car[olus] Aug[ustus]: De Partu Illegitimo, Matris Graviditate Itemque Partus Editione Celata, Ad Infanticidii Notionem Recte Definiendam Haud Necessariis. Marburgi 1840. Zu seiner Biographie vgl. den Nachruf in: Frankfurter Konversationsblatt. Belletristische und kritische Beilage zur Postzeitung Nr. 52 vom 2. März 1859; Nekrolog des Herrn Dr. jur. Lucae. In: Mittheilungen an die Mitglieder des Vereins für Geschichte und Alterthumskunde zu Frankfurt a. M. 1 (1858/60) 194–196; Lucae: Stammregister der Familie Lucae, 221–249; Klötzer (Hg.): Frankfurter Biographie, Bd. 1, 469. 39 Im Privatarchiv der Familie Lucae sind zahlreiche Gedichte, Vorträge und sogar Buchmanuskripte, die sämtlichst ungedruckt blieben, sowie mehrere Alben mit Zeichnungen von Friedrich Lucä überliefert.

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ter Kaisersaals, 1854), Studien zur Sprachforschung (Die Namen unserer Vorfahren und ihrer Stammgötter. Logische Bedenken gegen eine bedenkliche Logik, 1856) sowie mehrere kulturgeschichtliche Abhandlungen (Die Stadtwehr und die Quartier-Vorstände der Freien Stadt Frankfurt, 1855; Frankfurter Chronik. Das Jahr 1857. Ein Beitrag zur neuesten Staats- und Cultur-Geschichte der Freien Stadt Frankfurt, 1858; Zur Geschichte des Frankfurter Theaters. Culturhistorische Mittheilungen aus der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, 1859). Als Friedrich Lucä an einem langjährigen Lungenleiden 1859 mit nur 43 Jahren starb, war er in erster Linie als Dichter und Schriftsteller bekannt, der es verstanden hatte, eine kulturell und historisch interessierte Leserschaft an sich zu binden, nicht dagegen als ernsthafter Gelehrter.40 Die Edition der autobiographischen Aufzeichnungen Friedrich Lucaes will sich in dieses Œuvre nicht recht einfügen. Die Initative zu der Ausgabe von 1854 ging denn auch weniger von Lucä selbst als vielmehr von dessen älterem Bruder aus, der sich bereits in früheren Jahren mit der familiären Überlieferung intensiv beschäftigt hatte. In seinen eigenen Lebenserinnerungen beschrieb Gustav Lucae die Bemühungen, dem als rastlos, zugleich aber als scheu und kraftlos beschriebenen Bruder beizustehen und ihm gewissermaßen neuen Lebensmut zu vermitteln. „Mein unglücklicher Bruder bedurfte vor allem einen moralischen Trost und eine geistige Stärkung. Ich schlug ihm daher vor, die Biographie unseres Uraltvaters des Chronisten Friedrich Lucae, der gleichfalls harte Schicksale erfahren hatte[,] zu bearbeiten. Mit Fleiß und Hingebung vollendete er dieses Werk, welches ihm in schweren Zeiten Trost und bei den Mitmenschen Dank und große Anerkennung erworben hat.“41 Mit der Mitte des 19. Jahrhunderts in Angriff genommenen Bearbeitung der im Familienbesitz befindlichen Handschrift, die ­Gustav Lucae im Zuge seiner eigenen genealogischen Arbeiten zweifelsohne studiert hatte, wurden mithin zumindest anfänglich persönliche, nicht primär wissenschaftliche Ziele verfolgt. Der Frankfurter Arzt sah in den Anfeindungen seines Ahnen, der als Konfessionsmigrant zu Anpassung und Neuanfang gezwungen war, Parallelen zu den aktuellen Schwierigkeiten seines jüngeren Bruders, die diesen zu brechen drohten. Wie Friedrich Lucä auf diese Pläne seinerseits reagierte, ist nicht belegt.42 Dass er die Auseinandersetzung mit dem Werdegang des aus Schlesien vertriebenen Theologen 40

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Heyden, Eduard: Gallerie berühmter und merkwürdiger Frankfurter. Eine biographische Sammlung. Frankfurt a. M. 1861, 469; Kurz, Heinrich: Geschichte der deutschen Literatur mit ausgewählten Stücken aus den Werken der vorzüglichsten Schriftsteller, Bd. 4. Leipzig 1872, 358; Jacob, Herbert/Jacob, Marianne (Bearb.): Deutsches Schriftsteller-Lexikon 1830–1880. Goedekes Grundriss zur Geschichte der deutschen Dichtung. Fortführung, Bd. 5/1. Berlin 2009, 510. Zit. nach Lucae: Stammregister der Familie Lucae, 228. In der Gustav Lucae gewidmeten Edition gibt es allerdings eine aufschlussreiche, an den Bruder gerichtete Zueignung, in der Lucä die erhaltene „Anregung“, sich näher mit den autobiographischen Aufzeichnungen des schlesischen Vorfahren zu befassen, offen benennt. Es sei daher nur angemessen, dem älteren Bruder das vorliegende Werk „als ein wahres, gleichsam zum zweitenmal geschaffenes Familieneigenthum“ zu widmen. „Um so lieber gehorche ich aber jener Aufforderung, als gerade Du es warst, der mich zu dieser Arbeit anspornte, um so lieber, als dies zu

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Joachim Bahlcke Die erste gedruckte Familiengeschichte legte 1851 Gustav Lucae (1814– 1885) vor, der als Arzt und Lehrer der Anatomie am Senckenbergischen medizinischen Institut in Frankfurt am Main tätig war. Mit seiner Abhandlung unternahm er erstmals den Versuch, die genealogischen Angaben aus der ihm vertrauten Handschrift Friderici Lucae eigentgliche Lebens und Totdes Geschichte fortzuführen. Bildnachweis: Institut für Stadtgeschichte Frankfurt am Main, Sign. V176-924 (Urheber unbekannt).

jedoch unabhängig von der eigenen Person auch als wissenschaftliche Herausforderung annahm, wird an den intensiven Recherchen im Vorfeld der Edition deutlich. So gibt der 1853 veröffentlichte Aufsatz Einige Nachrichten über des Physikers Dionysius Papin im Jahr 1691 auf der Fulda zu Kassel angestellte Schifffahrtsversuche Aufschluss über seine Bemühungen, weiteres Quellenmaterial für die Edition aufzuspüren. „Im Besitz eines aus dem siebzehnten Jahrhundert herrührenden Manuscriptes des im Jahr 1644 zu Brieg in Schlesien geborenen und durch seine historischen Werke bekannten Chronisten Friedrich Lucä, und im Begriffe, dieses Manuscript, das die interessanten Erlebnisse des vielfach vom Schicksal heimgesuchten und vielgereisten Mannes bis zum Jahr 1690 erzählt, dem Druck zu übergeben, bin ich, durch Freunde aufmerksam gemacht, auch in den Besitz von Abschriften eines kleinen lateinischen Briefwechsels ­zwischen Leibnitz und Lucä gekommen, welcher einige wertvolle Notizen über die auf der Fulda zu Kassel angestellten Versuche mit einem unter dem Wasser gehenden Schriffe enthält.“43 In der Folge „weiterforschend“, habe er noch zusätzliche Funde machen können,

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einer Zeit geschah, wo ich einer Kräftigung bedurfte, wie sie die öftere Unterhaltung mit den charaktervollen, gottvertrauenden Lebensanschauungen unseres Vorfahren bot, der, in der väterlichen Heimath Schlesien’s seines Amtes verlustig, in demselben Lande eine zweite Heimath fand, das auch mir indessen wieder zum Wohnsitze geworden ist.“ Lucä: Der Chronist Friedrich Lucä, Vf. Ders.: Einige Nachrichten über des Physikers Dionysius Papin im Jahr 1691 auf der Fulda zu Kassel angestellte Schifffahrtsversuche. In: Frankfurter Konversationsblatt. Belletristische Beilage zur Postzeitung Nr. 287 vom 2. Dezember 1853, 1146–1147, Nr. 288 vom 3. Dezember

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die seine These zu erhärten vermochten. Friedrich Lucä kann damit als der Erste gelten, der den Briefwechsel seines frühneuzeitlichen Namensvetters systematisch zu erfassen und zu erforschen suchte.44 Weitere Hinweise über die Entstehung seiner Arbeit, überschrieben als den Anhang einleitende „Vorbemerkungen“, gab Lucä am Ende seiner Edition. So habe sich bereits der Vater, Samuel Christian Lucae, Anfang des 19. Jahrhunderts bemüht, Details über die Tätigkeit Friedrich Lucaes in Rotenburg an der Fulda in Erfahrung zu bringen,45 wo dieser von 1696 bis zu seinem Tod 1708 gewirkt hatte. Die Bemühungen hätten jedoch zu keinem greifbaren Ergebnis geführt. Die Auskünfte dagegen, die Friedrich Lucä seinerseits über den Rotenburger Dekan und Metropolitan Christian Carl Wenderoth (1777–1860) in Erfahrung brachte, erwiesen sich für sein Editionsvorhaben als vielversprechend. So konnte er nicht nur Einzelheiten über ein von seinem schlesischen Vorfahren in den Jahren 1700 und 1701 verfasstes zweibändiges, nur handschriftlich überliefertes Geschichtswerk über Stadt und Amt Rotenburg in Erfahrung bringen,46 sondern erhielt auch Abschriften von familiengeschichtlich relevanten Einträgen in den örtlichen Kirchenbüchern.47 Der Kontakt zu Metropolitan Carl Theodor Rohde (1798–1874) in Spangenberg,48 wo Lucae ebenfalls eine Zeit lang gewirkt hatte, erbrachte dagegen keine neuen Funde.49 1853, 1150–1151, Nr. 289 vom 5. Dezember 1853, 1154. In überarbeiteter und ergänzter Form nahm Lucä diesen Bericht später in den Anhang seiner Edition auf. Vgl. ders.: Einiges über Papins Versuche auf der Fulda zu Cassel. In: ders.: Der Chronist Friedrich Lucä, 324– 329. Zum genannten Briefwechsel zwischen Lucae und Gottfried Wilhelm Leibniz (1646– 1716) vgl. Gerland, Ernst (Hg.): Leibnizens und Huygens’ Briefwechsel mit Papin, nebst der Biographie Papin’s und einigen zugehörigen Briefen und Actenstücken. Berlin 1881 [ND Wiesbaden 1966]. 44 Lucä nennt in diesem Zusammenhang – neben Leibniz – namentlich die Korrespondenten Hiob Ludolf (1624–1704) und Christian Franz Paullini (1643–1712). 45 Lucä: Der Chronist Friedrich Lucä, 277f., 352. 46 ������������������������������������������������������������������������������������������� Kittelmann, Hans-Günter (Bearb.): Das edle Kleinod an der hessischen Landeskrone von Friedrich Lucae † 1708. Rotenburger Chronik, Bd. 1: Von den Anfängen bis 1700. Kassel 1996 (Hessische Forschungen zur geschichtlichen Landes- und Volkskunde 29). Zur Rotenburger Chronik Lucaes vgl. Brunner, Hugo: Beiträge zur Geschichte der Schiffahrt in Hessen, besonders auf der Fulda. In: Zeitschrift des Vereins für hessische Geschichte und Landeskunde N. F. 16 (1891) 202–243; Ortmüller, Hans: Kurze Geschichte des landgräflichen Schlosses in Rotenburg a. d. Fulda. In: Zeitschrift des Vereins für hessische Geschichte und Landeskunde 81 (1970) 9–63; Löwenstein, Uta: Zwischen Panegyrik und Kritik. Der Chronist Friedrich Lucae. In: Menk, Gerhard (Hg.): Hessische Chroniken zur Landes- und Stadtgeschichte. Marburg an der Lahn 2003 (Beiträge zur hessischen Geschichte 17), 131–146; Fuchs, Thomas: Geschichtsbewußtsein und Geschichtsschreibung zwischen Reformation und Aufklärung. Städtechroniken, Kirchenbücher und historische Befragungen in Hessen, 1500 bis 1800. Marburg 2006 (Untersuchungen und Materialien zur Verfassungs- und Landesgeschichte 21), 97–102. 47 Lucä: Der Chronist Friedrich Lucä, 278, 282f., 338f., 345. 48 Sturt, Wolfgang/Grimmell, Eduard: Die Familie des letzten kurfürstlich-hessischen Finanzministers Johann Carl Rohde. In: Hessische Familienkunde 6/1 (1962) Sp. 3–14, hier Sp. 7. 49 Lucä: Der Chronist Friedrich Lucä, 281.

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Als sachkundiger Gesprächspartner für Lucäs Editionsunternehmen vor Ort erwies sich der Frankfurter Oberfinanzrat Gustav Adolf Rommel (1803–1868),50 der zudem den Kontakt zu seinem in Kassel wirkenden Bruder Christoph von Rommel (1781–1859) herstellte, einem versierten Landeshistoriker, der nicht nur das kurfürstlich-hessische Haus- und Staatsarchiv leitete, sondern gleichzeitig auch der örtlichen Landesbibliothek und dem Landesmuseum vorstand.51 Friedrich Lucae war für Rommel kein Unbekannter, er hatte dessen „handschriftl. Chronik von Rotenburg“ schon in früheren Jahren benutzt und sie 1835 in einem Teilband seiner voluminösen Geschichte von Hessen zitiert.52 In seiner 1847 vorgelegten Edition des Briefwechsels zwischen Leibniz und Landgraf Ernst I. von Hessen-Rheinfels-Rotenburg (1623–1693) wies er auf diverse Korrespondenzen von und an Lucae hin, die er in der Handschriftensammlung der Kasseler Bibliothek gefunden hatte.53 In einem späteren, 1853 erschienenen Band seiner Geschichte von Hessen, in dem er die Rekrutierungspraxis auswärtiger Theologen unter Landgräfin Hedwig Sophia von Hessen-Kassel (1623–1683) beschrieb, kam er ausführlicher auf Lucae zu sprechen: Ein „Muster dieser Geistlichen“ geradezu, so Rommel, sei „der aus Schlesien nach Cassel übergesiedelte vielseitig gelehrte, auch von Leibniz hochgeschätzte, Friedrich Lucae, (Hofprediger zu Cassel, zuletzt Decan des Stifts Rotenburg)“, gewesen.54 In diesem Band wies Rommel auch mehrfach auf eine „handschriftliche Lebensbeschreibung“ Lucaes hin,55 auf die er ebenfalls in der Kasseler Hofbibliothek gestoßen war. Christoph von Rommel war damit der erste Historiker, der die autobiographischen Aufzeichnungen Friedrich Lucaes – die er zu jener Zeit noch für die originale Handschrift des reformierten Theologen hielt – für eigene Forschungen auswertete. Der Hinweis auf die Lebensbeschreibung und die weiteren Nachrichten, die Friedrich Lucä in Frankfurt Mitte des 19. Jahrhunderts von Christoph von Rommel erhielt, waren für ihn Ansporn, persönlich nach Kassel zu reisen und Einsicht in die dort lie-

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Zu Gustav Adolf Rommel vgl. den Nekrolog in: Mittheilungen an die Mitglieder des Vereins für Geschichte und Alterthumskunde zu Frankfurt a. M. 4,1 (1869) 4–5. 51 �������������������������������������������������������������������������������������� Lautemann, Wolfgang: Dietrich Christoph von Rommel (1781–1859). Historiker und Direktor des Hof- und Staatsarchivs. In: Schnack, Ingeborg (Hg.): Lebensbilder aus Kurhessen und Waldeck 1830–1930, Bd. 6. Marburg a. L. 1958 (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Hessen und Waldeck 20), 294–309; Leesch, Wolfgang: Die deutschen Archivare 1500– 1945, Bd. 2: Biographisches Lexikon. München u. a. 1992, 498f.; Bernert, Helmut: Die wissenschaftlich tätigen Bibliotheksbediensteten 1580–1957. In: Kahlfuß, Hans-Jürgen (Hg.): Ex Bibliotheca Cassellana. 400 Jahre Landesbibliothek. 20.11.1580 – 20.11.1980. Kassel 1980, 65– 102, hier 82f. 52 Rommel, Christoph v[on]: Geschichte von Hessen, Bd. 5. Cassel 1835, 651 Anm. 138. 53 Ders. (Hg.): Leibniz und Landgraf Ernst von Hessen-Rheinfels. Ein ungedruckter Briefwechsel über religiöse und politische Gegenstände, Bd. 1–2. Frankfurt am Main 1847, hier Bd. 1, 6, 166f., 189. 54 Ders.: Geschichte von Hessen, Bd. 9. Cassel 1853, 43. 55 Ebd., 43 Anm. *. Zur Auswertung von Lucaes Aufzeichnungen vgl. ebd., 158.

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genden Dokumente zu nehmen.56 Es gelang Lucä zwar mit Hilfe des Leiters der hessenkasselschen Hofbibliothek, Carl Christian Siegmund Bernhardi (1799–1874),57 eine Reihe ihm unbekannter Materialien zu seinem Vorfahren zu ermitteln und durchzusehen. Die Lektüre der ihn am stärksten interessierenden Handschrift jedoch, die Rommel als „handschriftliche Lebensbeschreibung“ des aus Brieg gebürtigen Theologen identifiziert hatte, musste zwangsläufig enttäuschen. Denn Lucä stellte rasch fest, dass das in Kassel aufbewahrte Manuskript „nur eine von fremder Hand gefertigte Abschrift der in seinem Besitze befindlichen, von Lucä’s eigner Hand herrührenden sei“.58 Auch der zunächst vielversprechende Hinweis von Christian Carl Wenderoth, dass sich das Original der Rotenburger Chronik in Kassel befinde, erwies sich letztlich als unergiebig, da das von Lucä studierte Geschichtswerk wider Erwarten nur wenige neue Informationen über die Amtstätigkeit seines Vorfahren an seinem letzten Wirkungsort enthielt.59 Dass Christoph von Rommel, der von Lucä in Kassel gewiss Einzelheiten über dessen Arbeitsvorhaben erfahren hatte, in seinem bereits genannten, 1853 im Druck erschienenen Werk bei der Charakterisierung des aus Schlesien nach Hessen gekommenen Theologen die „nächstens von einem seiner Nachkommen im Druck erscheinende Biographie“ nannte,60 lässt aufhorchen. Ein erfahrener Historiker wie Rommel hätte den in der Forschung klar besetzten Gattungsbegriff wohl kaum benutzt, wenn Lucä seine in Arbeit befindliche Darstellung nicht selbst mit diesem Wort umschrieben hätte.61 Tatsächlich spricht vieles dafür, dass Lucä zu keinem Zeitpunkt eine den wissenschaftlichen Standards seiner Zeit folgende, nüchterne Edition der autobiographischen Aufzeichnungen seines Vorfahren im Sinn hatte, sondern vielmehr eine umfassende, von ihm abgerundete Lebensgeschichte. Dies erklärt zugleich den Obertitel Der Chronist Friedrich Lucä, der bei Lichte besehen eine biographische Studie ankündigte. Niemand hat dies deutlicher erkannt als Franz Xaver von Wegele, der das 1854 vorgelegte Werk 56 Lucä: Der Chronist Friedrich Lucä, 278f. 57 �������������������������������������������������������������������������������������������� Hopf, W[ilhelm]: Carl Bernhardi (1799–1874). Bibliothekar und Politiker. In: Schnack, Ingeborg (Hg.): Lebensbilder aus Kurhessen und Waldeck 1830–1930, Bd. 1. Marburg a. L. 1939 (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Hessen und Waldeck 20), 23–27; Bernert: Die wissenschaftlich tätigen Bibliotheksbediensteten, 83f. Dass Bernhardi ein ausgezeichneter Kenner von Leben, Werk und Wirkung Friedrich Lucaes war, bewies er in seinem Eröffnungsvortrag anlässlich der Jahresversammlung des Vereins für hessische Geschichte und Landeskunde 1864 in Rotenburg. Dabei kam er auch auf „die von einem Nachkommen desselben im Jahr 1854 zum Druck beförderte Selbstbiographie des strebsamen Mannes“ zu sprechen. Jahresversammlung abgehalten zu Rotenburg am 28. Juli 1864. In: Mittheilungen an die Mitglieder des Vereins für hessische Geschichte und Landeskunde 12–13 (1864) 2–7, hier 2f. 58 Lucä: Der Chronist Friedrich Lucä, 279. In seinem Vorwort bezeichnete Lucä die in Kassel aufbewahrte Handschrift präziser als „eine wörtliche, alte Abschrift des Originals“. Ebd., IX. 59 Ebd., 339f. 60 Rommel: Geschichte von Hessen, Bd. 9, 43 Anm. *. 61 Zum Gattungsbegriff „Biographie“ vgl. Winkelbauer, Thomas (Hg.): Vom Lebenslauf zur Biographie. Geschichte, Quellen und Probleme der historischen Biographik und Autobiographik. Horn/Waldhofen an der Thaya 2000 (Schriftenreihe des Waldviertler Heimatbundes 40).

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Auf Anregung seines Bruders widmete sich der Frankfurter Jurist Friedrich Lucä (1815–1859) Mitte des 19. Jahrhunderts intensiv den autobiographischen Aufzeichnungen seines schlesischen Vorfahren. Das von ihm 1854 vorgelegte „Zeit- und Sittenbild“ stellte allerdings keine Edition des Manuskripts im klassischen Sinn dar. Die hier abgebildete, aus dem Besitz von Ludwig Christian Lucae (1768–1858) stammende Ausgabe enthält ein Exlibris mit dem Wappen der Familie. Bildnachweis: Privatarchiv der Familie Lucae.

als „Schrift über den Chronisten Lucä“ bezeichnete.62 Dazu passt schließlich auch, dass Lucä seine eigentliche Leserschaft außerhalb des engeren Fachpublikums sah. In einer unscheinbaren Anmerkung am Ende seines Buches, wo er die Wiedergabe verschiedener lateinisch geschriebener Briefe zwischen Lucae und Leibniz in deutscher Übersetzung ansprach, führte Lucä aus: „Diese Blätter aber machen keinen Anspruch auf wissenschaftliche Ausschließlichkeit der gelehrten Literatur, beabsichtigen vielmehr, zur bildenden Unterhaltung für jeden denkenden Leser beizutragen.“63 Die von Friedrich Lucä besorgte Ausgabe der autobiographischen Aufzeichnungen erschien 1854 zu Frankfurt am Main im alteingesessenen Brönner-Verlag, den unterdessen Heinrich Carl Remigius Brönner (1789–1857), ein Neffe des Verlagsgründers,

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Wegele: Das historische Reichscolleg, 942. Lucä: Der Chronist Friedrich Lucä, 293 Anm. *.

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führte.64 Dort waren bereits in früheren Jahren mehrere Veröffentlichungen Lucäs erschienen. Das im Oktavformat gedruckte Buch umfasste 16 römisch paginierte Seiten (Widmung, Geleitwort, Inhaltsverzeichnis) und 352 arabisch paginierte Seiten, die ihrerseits aus zwei Teilen bestanden: der eigentlichen Edition von Lucaes Aufzeichnungen (1–274) und einem Anhang, überschrieben mit den Worten „Einige Nachrichten über F. Lucä’s fernere Schicksale“ (275–352). Der Anhang selbst, der den Worten des Herausgebers zufolge der „Vervollständigung des Ganzen“ diene,65 fiel allerdings vergleichsweise disparat aus – er war Forschungsbericht, Biographie, Quellenedition und Familiengeschichte zugleich. Lucä lieferte hier zum einen Informationen zu Lucaes „Leben und Wirken“, die in dessen autobiographischen Aufzeichnungen – die, wie noch zu zeigen sein wird, bruchstückhaft blieben – keine Erwähnung fanden. Zum anderen nahm er drei mehr oder minder selbständige Einzelstudien mit thematischem Bezug zu seinem Vorfahren auf, die teils ausgearbeitet waren, teils aus dem Abdruck verschiedener Quellen bestanden; diese Sonden galten dem Briefwechsel Lucaes mit Leibniz, den technischen Pionierarbeiten des französischen Physikers und Erfinders Denis Papin (1647–1713) sowie der Institution des Ende des 17. Jahrhunderts begründeten „Historischen Reichskollegs“. Für die Genese des 1854 vorgelegten Werks sind besonders die schon genannten „Vorbemerkungen“ sowie die den Anhang abschließenden Ausführungen zu Lucaes Nachlass aufschlussreich. In seinem bereits auf August 1852 datierten Vorwort ging Lucä nur vage auf editorische Aspekte und die Grundsätze seiner Texterstellung ein. Es seien „hier und da Abkürzungen, Uebersetzungen und Schreibänderungen nöthig“ gewesen, da der Inhalt „einer allgemeineren Kenntniß zugänglich werden sollte“. Das Kriterium der Lesbarkeit stand mithin an oberster Stelle, zumal sich das Werk gezielt an eine breitere Leserschaft wandte und auch von „einem Laien“ verstanden werden sollte.66 Für ein solches Vorhaben wurde in der Forschung verschiedentlich der Begriff einer „Lese-Edition“ verwendet,67 und damit ist auch Lucäs Zielsetzung treffend auf den Punkt gebracht. Diesem Zweck sollten nicht zuletzt die im Editionsteil hinzugefügten Anmerkungen dienen, die den autobiographischen Ausgangstext und Lucäs biographische Erzählung gewissermaßen verklammerten. Diese recht willkürlich gesetzten Anmerkungen, 64 65 66 67

Mori, Gustav (Hg.): 200 Jahre Frankfurter Druckgewerbe an Hand der Geschichte der H. L. Brönner’s Buchdruckerei und Verlagsanstalt in Frankfurt a. M. 1727–1927. Eine Erinnerungsgabe zum 1. Oktober 1927. Frankfurt a. M. 1927. Lucä: Der Chronist Friedrich Lucä, IX. Ebd., VIII. Jung, Frank: Zensur, Buchmarkt und öffentliche Meinung im Großherzogtum Toskana während des 18. Jahrhunderts. In: Quellen und Forschungen aus italienischen Archiven und Bibliotheken 82 (2002) 702–729, hier 714 Anm. 43; Knorr von Rosenroth, Christian: Apokalypse-Kommentar. Hg. v. Italo Michele Battafarano. Bern u. a. 2004 (Iris. Forschungen zur europäischen Kultur 22), 209; Wittmann, Reinhard: Der Carl Hanser Verlag 1928–2003. Eine Verlagsgeschichte. München/Wien 2005, 69; Hartnagel, Thomas (Hg.): Sophie Scholl – Fritz Hartnagel. Damit wir uns nicht verlieren. Briefwechsel 1937–1943. Frankfurt am Main 2005, 12.

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die keinerlei Systematik erkennen lassen, verweisen am deutlichsten auf die angestrebte Popularisierung des Stoffes. In den rund 120 Zusatztexten werden dem Leser häufig allgemeingeschichtliche Hintergrundinformationen geboten, die zeitlich wie räumlich weit über den Ausgangstext hinausgehen.68 „Ein Fürsten- oder Herzogthum Brieg besteht gegenwärtig nicht mehr. [...] Die Stadt ist gegenwärtig Hauptstadt des Kreises Brieg im Breslauischen Regierungsbezirk, zählt 11000 Einwohner, hat lebhaften Handel, große Fabrikthätigkeit, ist der Mittelpunkt der Breslau-Oppelner Eisenbahn, und noch immer der Sitz eines tüchtigen Gymnasiums.“69 Auch bei Schlössern, Festungen, Kirchen und anderen Gebäuden war Lucä die Angabe wichtig, ob diese „noch jetzt vorhanden“ seien.70 Es ist leicht erkennbar, dass sich der Herausgeber für diese Informationen größtenteils auf Konversationslexika und Nachschlagewerke der Zeit stützte. Bei der ungewöhnlich langen, sich über drei Seiten erstreckenden Anmerkung zu Anna Maria von Schürmann (Schurman, 1607–1678) – deren Länge sich aus dem Stolz des Nachfahren erklärt, dass ein Mitglied der eigenen Familie mit einer so berühmten Frau in Kontakt gestanden hatte – ist die Anlehnung an den entsprechenden Eintrag im Gelehrten-Lexicon von Christian Gottlieb Jöcher (1694–1758) besonders deutlich.71 Angesichts dieser Arbeitspraxis wundert es geradezu, dass Lucä (neben verschiedenen Abhandlungen seines Vorfahren72) zwei von ihm herangezogene Werke zur hessischen Landesgeschichte von Martin Zeiller (1589–1661) und Friedrich Rehm (1792–1847) genauer benannte.73 Er sei, so Lucä im Vorwort, mit seinen Texteingriffen und „Neuerungen so sparsam als möglich gewesen, und nur so weit gegangen, als es, ohne dem Geist und der Wahrheit des Ganzen zu schaden, durchaus geboten erschien“.74 Angegeben wurden solche Eingriffe im Editionsteil selbst an keiner Stelle, sie erfolgten stillschweigend. Nur aus dem Anhang erfahren wir, dass Lucä beispielsweise despektierliche Äußerungen seines Vorfahren über dessen in Berlin lebenden Schwager, den brandenburgischen Hofpre68

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Über die Festung Breda schrieb Lucä am Ende seiner Anmerkung: „Im Jahre 1793 wurde Stadt und Festung von den Franzosen unter Dümouriez erobert, aber bald wieder geräumt; im Jahre 1795 nahm sie Pichegrü ein, und im Jahre 1813, ward sie durch die Bürger selbst wieder von den Franzosen befreit, da diese einen Ausfall gegen die Russen machend, von jenen ausgeschlossen worden waren.“ Lucä: Der Chronist Friedrich Lucä, 55 Anm. *. Ebd., 3 Anm. **. Ebd., 3 Anm. *. Jöcher, Christian Gottlieb: Compendiöses Gelehrten-Lexicon [...], Bd. 2. Leipzig 1726, Sp. 996– 997 (ob Lucä diese oder eine spätere Ausgabe des Lexikons heranzog, ist nicht zu klären). Vgl. damit das Biogramm zu Schürmann bei Lucä: Der Chronist Friedrich Lucä, 45–47 Anm. *. Mit seinem abschließenden Satz gab Lucä indirekt zu erkennen, auf welche Werke er sich bei der Ausarbeitung seiner Anmerkungen ansonsten zu stützen pflegte: „Für unsere Conversationslexika ist’s keine Ehre, daß sie dieses gelehrte Frauenzimmer nicht mehr kennen.“ Ebd., 47 Anm. *. Lucä: Der Chronist Friedrich Lucä, 45–47 Anm. *, 189 Anm. *, 191 Anm. **, 193 Anm. *, 206f. Anm. *, 209f. Anm. *, 214f. Anm. *. Ebd., 224 Anm. *, 243 Anm. *. Ebd., IX.

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diger Heinrich (von) Schmettau, vollständig strich. Als Begründung führte er in einer Anmerkung an: „Wir hielten es, als zuviel in die inneren Familienverhältnisse eingehend, nicht für geeignet, jene Aeußerungen des Manuscriptes in unsere Bearbeitung mit aufzunehmen.“75 Die Eingriffe Lucäs waren freilich umfangreicher und vor allem substanzieller, als man nach diesen Angaben meinen sollte. Dies beginnt mit der vom Herausgeber veränderten Gliederung des Textes, deren Zusätze er nirgendwo ansprach. Die gleichmäßige Gliederung in 26 Abschnitte sowie die unter den Kapitelüberschriften hinzugenommenen Inhaltsangaben sollten fraglos der Lesbarkeit der Aufzeichnungen zugute kommen, eigene Formulierungen wie „Unerwartete Liebesfesseln“, Hervorhebungen von „Berühmtheiten“ sowie Hinweise auf Gefahren und Bedrohungen („Grauenhafter Anblick“, „Erschreckende Nachricht“, „Gefährliches Abenteuer“) aber auch die Neugierde des Lesers wecken und den Unterhaltungswert des Buches steigern. Diese Angaben führten zwangsläufig zu einer vom Herausgeber vorgenommenen Gewichtung und Hierarchisierung einzelner Passagen und Details in den von Friedrich Lucae verfassten Aufzeichnungen. Von größerem Gewicht sind naturgemäß die Eingriffe in den eigentlichen Text, die aufgrund ihrer Vielzahl nicht im Detail aufgezeigt werden können. An dieser Stelle müssen Beispiele für das Vorgehen Lucäs genügen. Bereits in seinem Vorwort hatte der Herausgeber darauf hingewiesen, dass dem Theologen Friedrich Lucae – gewissermaßen als „Kind seiner Zeit“ – „auch die Mängel der damaligen geistigen und sittlichen Bildung eigen waren“; dies zeige sich besonders dort, wo „er mit der neidenswerthen Glaubensüberzeugung jener Tage, die heute so selten geworden ist, auch den starren unbeugsamen Glaubenseifer verband“.76 Nun war der Frankfurter Jurist Lucä zwar kein unreligiöser Mensch, im Gegenteil, sein Gedicht Römisch-deutsche Christglocke (1845) und das ein Jahr später aus Anlass des 300. Todestages des Wittenberger Reformators verfasste Gedicht Martin Luther lassen erkennen, dass ihm die zeittypische lutherische und überdies „protestantisch-nationale Inszenierung“77 nicht fremd waren. Gleichwohl 75 76 77

Ebd., 340 Anm. *. Zum Verhältnis von Lucae zu Schmettau vgl. Schmettow, Matthias G. v[on]: Schmettau und Schmettow. Geschichte eines Geschlechts aus Schlesien. Büderich bei Düsseldorf 1961, 45, 67–79, 464, 468–471. Lucä: Der Chronist Friedrich Lucä, VIII. Schmidt, Georg: Luther und die Freiheit seiner „lieben Deutschen“. In: Schilling, Heinz (Hg.): Der Reformator Martin Luther 2017. Eine wissenschaftliche und gedenkpolitische Bestandsaufnahme. Berlin/München/Boston 2014 (Schriften des Historischen Kollegs. Kolloquien 92), 173–194, hier 176. Die genannten Gedichte erschienen in Lucä, Friedrich: Drei Gedichte. 1. Martin Luther. 2. Römisch-deutsche Christenglocke [sic]. 3. Das jüngste Gericht von Cornelius. Zum Besten der Frankfurter Lutherstiftung. Frankfurt a. M. 1846. Im Gedicht Römisch-deutsche Christglocke heißt es: „Jetzt plötzlich rief mit lautem Jubelschalle/ Die Glocke funfzehnhundert zwanzig aus,/ Und Luther reichte von der Wartburghalle/ Dem deutschen Volk sein Bibelbuch hinaus./ [...] Noch manch’ Jahrhundert wird die Glocke schlagen,/ Vielleicht sogar für Mord und Tempelbrand,/ Doch einst wird Hymnen sie nach Oben tragen/ Umjauchzt vom ganzen deutschen Vaterland.“ (Ebd., 6). Im Gedicht Martin Luther heißt es: „Und wer du seyst, weß

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ist augenscheinlich, dass Lucä besonders viele religiöse und konfessionspolitische Details in den von ihm herausgegebenen Aufzeichnungen seines reformierten Vorfahren kürzte oder zur Gänze strich.78 Vielleicht befürchtete er, dass solche Passagen einen Leser Mitte des 19. Jahrhunderts ermüden oder gar abschrecken würden. So heißt es etwa über den Besuch Lucaes im großpolnischen Lissa in der Edition von 1854: „Noch am Thore begegnete uns Herr Samuel Hartmann, Dr. theol., und Senior Primarius der reformirten Kirche in Großpolen, welcher uns zum Morgenbrod zu sich einlud und auf polnische Weise mit Rindfleisch, Bier und Branntwein tractirte. Weil ich aber die Lissa besuchte nicht des Bieres oder Branntweins wegen, so observirte ich, wie gewöhnlich, mein: dic, cur hic? Und besahe die Stadt von innen und außen.“79 Im Ausgangstext von Friedrich Lucae lautet die entsprechende Passage auf Seite 215: „Deß morgends früh giengen wir rectà nach der Lissa zu und kamen an einer mitwoche vor der Predigt alda an, da unß bald bey dem Thore herr Samuel Hartmannus, Sanctissimae Theologiae Doctor und Senior Primarius der Reformirten Kirche in Groß Pohlen, einen krancken besuchende, begegnete und bewilkommete. Er bat unß unterdeßen in seiner Behausung daß Quartier zu nehmen, aber wir schlugen die herberge auf in einem Wirthshause und legten saubere kleidung an. Nach anderthalb stunden schickte herr Hartmannus seinen famulum ins Wirthshauß und ließ unß zum morgenbrot invitiren, auch demselben folge leistende. Bey der mahlzeit tractirte Er unß auf Polnische manier mit guttem Rindfleisch, Bier und Brandtwein. Nach dem Essen gab ich die Visite herrn Johanni Bythnero, General Seniore der Polnischen Fraternität, welche nach Außplünderung der Polnischen Lissa eine geraume Zeit zu Brieg auf dem Gymnasio wohnete im Exilio neben meinem Seeligen herren Vater. Sonst hatte herr Hartmannus etwaß mehr Wißenschaft von der Teutschen höfligkeit als etwa dieser. Weil ich aber die Lissa besuchte nicht deß Polnischen Brandtweins oder Bieres wegen, welches der Pohlen Leben ist, sondern der Besichtigung wegen, so observirte auch mein Dic, Cur, Hic und besahe die Stat von innen und außen.“80 Die Kürzungen, aber auch Umstellungen und Umformulierungen fallen unmittelbar ins Auge. Lucaes Ausgangstext hatte mehr als die dreifache Länge. Der Herausgeber nahm sich im Grunde alle Freiheiten, den Text nach eigenem Gutdünken zu verändern. Mal fasste er Aussagen zusammen, mal strich er ganze Passagen. Kurz nach der eben zitierten Stelle fuhr Lucae fort: „Die Grose Reformirte Kirche hat auch steinerne Grund-

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Glaubens Hauch ergeben,/ Wenn deutscher Mutterarm dich je umspann,/ So mußt du ehren Martin Luther’ Streben,/ Und rufen aus: er war ein deutscher Mann!// Dreihundert Jahre sind seit ihm geschwunden,/ Und uns verfolgten tausendfache Weh’n;/ Doch was indeß als groß uns mocht bekunden,/ Das ist in Martin Luther’s Geist gescheh’n.“ (Ebd., 4). Wörter, die in den Gedichten kursiv gesetzt sind, wurden hier recte dargestellt. Der Wechsel von der reformierten zur lutherischen Konfession hatte sich in der Familie Lucae bereits Mitte des 18. Jahrhunderts vollzogen. Vgl. Lucae: Stammregister der Familie Lucae, 70. Lucä: Der Chronist Friedrich Lucä, 178f. Friderici Lucae eigentgliche Lebens und Totdes Geschichte, 215 (in der vorliegenden Edition 309f.; die dort zu findenden Absätze wurden hier ignoriert).

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mauern von ziemlichem Umpfang und einen hohen Thurn. In der Kirche zeigte man mir Unterschiedlicher Polnischer Edelleute Begräbnüß und eine kleine Orgel, von dem Freyherren von Schönaich auß eigenen mitteln hienein gebauet.“ Lucä verkürzte diese Schilderung und strich den zweiten Satz, der inhaltlich ungleich substanziellere Informationen enthielt als der vorherige Satz, vollständig.81 Auch auf der nachfolgenden Seite erfolgten vergleichbar konsequente Kürzungen und Glättungen. Noch ungleich radikaler fielen, um ein zweites Beispiel zu nennen, die Kürzungen bei den Schilderungen Lucaes zum Universitätsleben an der brandenburgischen Landesuniversität in Frankfurt an der Oder aus, das er – als Reformierter – ausführlich und mit spürbar hohem Interesse darstellte. Die Charakterisierung einzelner Gelehrter reicherte er häufig, wie die folgende Textstelle aus den autobiographischen Aufzeichnungen zeigt, mit einer Fülle zusätzlicher Informationen zu Leben und Werk an: „Bey der Theologischen Facultät war herr Doctor Christophorus Pelargus, Franckofurtensis Marchicus, Senior, deß alten Vortreflichen Christophori Pelargi von Schweinitz auß Schlesien, umb die Marck Brandeburg und der Reformirten Religion darinnen Hochverdienter General Superintendentis, deßen Scripta zum theil in meiner Bibliotheca verwahre, hinterlaßener Sohn. Dieser Unvergleichliche Sohn eines Unvergleichlichen Vaters machte sich berühmt und die Universität verbeßert durch seine Vortrefliche Redners kunst und Theologie, wie wol sein Alter und Continuirliche Leibes Unpäßligkeit verhinderte, daß Er nicht mehr außgehen oder profitiren konte. Er besaß eigenthümlich die berühmte Pelargianische Bibliotheca, bestehende in 9000 Voluminibus, welche nach seinem Absterben die Universität an sich gezogen hat. Weil Er mit meinem Seeligen herr Vater Bekandschaft hatte, hielt Er mich sehr werth und durch die öftere Besuchung machte mich bey ihm noch angenehmer und erwarb einen freyen Access in seine Bibliotheca.“82 In Lucäs Edition wurde aus dieser Darstellung der vergleichsweise belanglose Satz: „Bei der theologischen Fakultät war Herr Dr. Chr. Pelarchus Senior, ein unvergleichlicher Gelehrter und Theologe, aber wegen seines Alters nicht mehr fähig, Collegia zu lesen.“83 Lucaes Hinweis auf den Vater wiederum, den der Herausgeber im Text vollständig gestrichen hatte, baute er in eine eigene Anmerkung ein: „Der Vater desselben, auch Christoph Pelarchus (Storch) genannt, geb. 1565 zu Schweidnitz und gest. 1633 als Rector an der Universität zu Frankfurt, ist eigentlich berühmter geworden.“84 Bei der Vorstellung der vier Fakultäten der Viadrina (Seite 181–186), der einzelnen Dozenten sowie der Studentenschaft in Frankfurt an der Oder lieferte Lucae eine besonders dichte Darstellung. Von den mehr als fünfzig Personen, die er dabei namentlich auflistete, wurde von seinem Nachfahren nicht einmal die Hälfte in die Edition über81 82 83 84

„Die große reformirte Kirche hat ziemlichen Umfang und einen hohen Thurm.“ Lucä: Der Chronist Friedrich Lucä, 179. Friderici Lucae eigentgliche Lebens und Totdes Geschichte, 181 (in der vorliegenden Edition 269; der dort zu findende Absatz wurde hier ignoriert). Lucä: Der Chronist Friedrich Lucä, 145. Ebd., 145 Anm. **.

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nommen. Dieser punktuelle Vergleich gilt auch in etwa für das Gesamtmanuskript. Der Text, den Lucä 1854 vorlegte, umfasst rund 40 Prozent des Ausgangstextes. Hierbei ist allerdings in Rechnung zu stellen, dass der Herausgeber den Text sprachlich derart umformulierte, dass sich die Frage, was von den autobiographischen Aufzeichnungen Lucaes tatsächlich übernommen wurde, nicht allein durch quantitative Analysen beantworten lässt. Der hier genannte Richtwert ist gleichwohl aussagekräftig, um die Eignung und Brauchbarkeit des von Lucä vorgelegten Werkes besser beurteilen zu können. Das hier zu erkennende Muster der stillschweigenden Texteingriffe sowie die höchst eigenwillige Montagetechnik Lucäs stellen sich in allen Abschnitten ähnlich dar. Was der Frankfurter Jurist 1854 mit seinem Werk präsentierte, war eher eine Nacherzählung von Lucaes Aufzeichnungen als eine Edition – eine unterhaltsame Lebensbeschreibung, deren Ursprungstext er durch seine Anmerkungen und seine im Anhang publizierten Ergänzungen zusätzlich abzurunden suchte. Ob die Eingriffe „dem Geist und der Wahrheit des Ganzen“ schadeten oder nicht,85 ist eine letztlich nicht zu beantwortende Frage, da sie über editionsphilologische und -wissenschaftliche Überlegungen hinausgeht. Gemessen an den Maßstäben der neueren Quellenkritik wird man nicht umhinkommen, die vermeintliche Edition der autobiographischen Aufzeichnungen von Friedrich Lucae als nicht zitierfähig zu bezeichnen. Die Rezensenten des 19. Jahrhunderts nahmen das Werk mehrheitlich wohlwollend auf, weil sie die Intention des Herausgebers, gehobene Unterhaltung für gebildete Leser zu bieten, ernst nahmen und durchaus begrüßten.86 Mehrere Zeitungen, etwa die Neue Reformirte Kirchenzeitung 87 und das Intelligenz-Blatt für die Kreise Siegen, Wittgenstein und Altenkirchen, veröffentlichten überdies Auszüge des Buches.88 Bezeichnenderweise fiel die Besprechung dann negativ aus, wenn ein anderer, ein wissenschaftlich-kritischer Maßstab an das Buch angelegt wurde. In dem von dem Leipziger Germanisten Friedrich Zarncke (1825–1891) herausgegebenen Literarischen Centralblatt für Deutschland, das nahezu alle Wissensgebiete umfasste und als Rezensionszeitschrift höchstes Ansehen in Deutschland genoss, war über das Werk Friedrich Lucäs von 1854 zu lesen: „Nur der fast gänzliche Mangel an Schriften dieser Gattung aus der damaligen Zeit (Selbstbiographien, Memoiren u. dgl.) verleiht dem vorliegenden Buche einen gewissen Werth.“ Die vom Herausgeber im Anhang gelieferten Ergänzungen seien, hieß es weiter, „wenn sie auch im Ganzen wenig Neues von Bedeutung enthalten, immerhin erwünscht“.89

85 86 87 88 89

Vgl. Anm. 73. Wolfgang Menzels Literaturblatt Nr. 82 vom 14. Oktober 1854, 325–326; Heidelberger Jahrbücher der Literatur 48,1 (1855) 147–150; Ein Tourist des 17. Jahrhunderts. In: Blätter für literarische Unterhaltung 2 (1855) 335. Neue Reformirte Kirchenzeitung Nr. 15 und 16 vom April 1855, 134–142. Verlobung und Hochzeit eines früheren Pfarrers der Stadt Siegen. In: Intelligenz-Blatt für die Kreise Siegen, Wittgenstein und Altenkirchen Jg. 35, Nr. 2 vom 5. Januar 1858, Nr. 3 vom 8. Januar 1858, Nr. 4 vom 12. Januar 1858. Literarisches Centralblatt für Deutschland Nr. 17 vom 28. April 1855, Sp. 266.

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4. Die Abschrift des Manuskripts und die Sammlungen von Johann Christoph Kalckhoff (1684–1752) Im Jahr 1781 veröffentlichte Friedrich Wilhelm Strieder (1739–1815), der zu jener Zeit in der Bibliothek der Haupt- und Residenzstadt Kassel tätig war und wenige Jahre später zum Hofrat und Hofbibliothekar aufstieg, den ersten Band eines hessischen Gelehrtenlexikons. Der Leser sollte dort, so Strieder in seinem Vorwort, möglichst ausführliche Lebensbeschreibungen und Schriftenverzeichnisse derjenigen Gelehrten finden, „die in den gesamten Heßischen Landen seit der Reformation bis auf die gegenwärtigen Zeiten, entweder in öffentlichen Aemtern gestanden haben und noch stehen, oder auch privatisirt haben und noch privatisiren, und dabey Schriftsteller geworden sind, sie mögen sich zu einem oder dem andern Theile der Wissenschaften bekannt haben, und, wie sich von selbst verstehet, in oder ausser dem Vatterlande zu Hause seyn“.90 Strieders Werk Grundlage zu einer Hessischen Gelehrten und Schriftsteller Geschichte, von dem er bis zum Ende seines Lebens 15 Bände (von A bis Steuber) selbst herauszugeben vermochte, ist für Forschungen zur hessischen Bildungs- und Kulturgeschichte bis zur Gegenwart unentbehrlich. Im achten Band seines Gelehrtenlexikons, der 1788 im Druck erschien, findet sich ein ungewöhnlich informativer Eintrag zu Friedrich Lucae – so präzise und umfassende Angaben hatte man bisher in keinem anderen Nachschlagewerk, weder innerhalb noch außerhalb Schlesiens, finden können.91 Bereits im ersten Satz führte Strieder die

90 ������������������������������������������������������������������������������������������� Strieder, Friedrich Wilhelm: Grundlage zu einer hessischen Gelehrten und Schriftsteller Geschichte. Seit der Reformation bis auf gegenwärtige Zeiten, Bd. 1–15. Cassel 1781–1806, hier Bd. 1, 11. Nach Strieders Tod erschienen (unter geändertem Titel) mehrere Nachträge und Fortsetzungen des Gelehrtenlexikons. Zu Autor und Werk vgl. Hopf, Wilhelm: Die Landesbibliothek Kassel in ihrer geschichtlichen Entwicklung 1580–1930. In: ders. (Hg.): Die Landesbibliothek Kassel 1580–1930. Marburg 1930, 1–108, hier 49–59; Bernert: Die wissenschaftlich tätigen Bibliotheksbediensteten, 72f.; Franz, Eckhart G.: „Ingenia, candorem et fidem Catticae gentis magnopere amo“. Eine „Hessische Biographie“ in der Nachfolge Friedrich Wilhelm Strieders. In: Heinemyer, Walter (Hg.): Hundert Jahre Historische Kommission für Hessen 1897– 1997, Bd. 2. Marburg 1997 (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Hessen 61), 1157–1168; Fuchs, Thomas: Traditionsstiftung und Erinnerungspolitik. Geschichtsschreibung in Hessen in der Frühen Neuzeit. Kassel 2002 (Hessische Forschungen zur geschichtlichen Landes- und Volkskunde 40), 311–347, 379f.; Sittig, Claudius: Kassel. In: Adam, Wolfgang/Westphal, Siegrid (Hg.): Handbuch kultureller Zentren der Frühen Neuzeit. Städte und Residenzen im alten deutschen Sprachraum, Bd. 2. Berlin/Boston 2012, 1037–1091, hier 1063f., 1078. 91 Vgl. exemplarisch Nova literaria Germaniae, Bd. 1. Hamburgi 1703, 271–272; Zedler, Johann Heinrich: Grosses vollständiges Universal Lexicon Aller Wissenschaften und Künste [...], Bd. 18. Halle/Leipzig 1738, Sp. 636; Jöcher, Christian Gottlieb: Allgemeines Gelehrten-Lexicon [...], Bd. 2. Leipzig 1750, Sp. 2557; Ehrhardt, Siegismund Justus: Presbyterologie des Evangelischen Schlesiens. Zweiten Theils Erster Haupt-Abschnitt, welcher die Protestantische Kirchen- und Prediger-Geschichte der Stadt und des Fürstenthums Brieg in sich fasset. Liegnitz 1782, 84f.; [Peucker, Johann Georg Gottlieb]: Kurze biographische Nachrichten der vornehm-

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Joachim Bahlcke Nach seiner juristischen Dissertation wirkte der aus Homburg an der Efze gebürtige Johann Christoph Kalckhoff (1684–1752) in der fürstlichen Kanzlei in Rotenburg an der Fulda. Dort sammelte er umfangreiches Material für eine hessische Gelehrtengeschichte. Unter seinen hinterlassenen Papieren befanden sich auch Dokumente, die Leben und Werk des lange Jahre in Hessen tätigen Friedrich Lucae betrafen. Von dessen Autobiographie wurde auf Kalckhoffs Initiative hin eine vollständige Abschrift angefertigt. Bildnachweis: Projektbereich Schlesische Geschichte an der Universität Stuttgart.

Quellen für sein Porträt an, die früheren Biographen offenbar nicht zur Verfügung gestanden hatten: „Kalkhof besaß einen Theil seines [Friedrich Lucaes] eigenhändig geschriebenen Lebens, das ich hier benutzen, die übrigen Data aus meiner Sammlung hinzuthun, auch eine kleine Abkunftstabelle vorangehen lassen kann.“92 Diese kurze Notiz ist der erste in einem Druckwerk zu findende Beleg für die Existenz einer Abschrift von Lucaes autobiographischen Aufzeichnungen, die Strieder zur Verfügung gestanden hatte. Die Fragen, wer der genannte „Kalkhof “ war und in welcher Beziehung Strieder zu diesem gestanden hatte, lassen sich leicht beantworten. Weitaus schwieriger dagegen sind die im Anschluss sich aufdrängenden Fragen zu klären, wie der frühere Besitzer an die Abschrift gelangt war, von wem und zu welchem Zeitpunkt sie hergestellt worden war und wer aus der Familie Lucae dabei eine Vermittlungsrolle gespielt hatte. Bei dem von Strieder genannten Besitzer der Abschrift handelt es sich um den aus Homberg an der Efze gebürtigen Johann Christoph Kalckhoff (1684–1752), der nach seinem Studium der Rechtswissenschaften in Marburg und Halle an der Saale 1708 eine Stelle als Jurist in der fürstlichen Kanzlei in Rotenburg an der Fulda antrat, deren Lei 92

sten schlesischen Gelehrten die vor dem achtzehnten Jahrhundert gebohren wurden, nebst einer Anzeige ihrer Schriften. Grottkau 1788, 72–74. Strieder: Grundlage zu einer hessischen Gelehrten und Schriftsteller Geschichte, Bd. 8, 107f.

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tung er zwei Jahrzehnte später übernahm.93 Kalckhoff, ein unermüdlicher Sammler von Handschriften und anderen Dokumenten zur hessischen Geschichte, zeigte Zeit seines Lebens größtes Interesse an der Landesgeschichte. Bereits 1722 meldete eine Leipziger Gelehrtenzeitschrift, dass Kalckhoff „Hassiam Litteratam versprochen“ habe.94 Für die geplante regionale, biographisch angelegte Gelehrtengeschichte, die am Ende zwei Bände umfassen sollte, leistete Kalckhoff in den folgenden drei Jahrzehnten beachtliche Vorarbeiten. Sein ambitioniertes Vorhaben vermochte er zwar persönlich nicht zu Ende zu führen. Seine Materialsammlungen flossen jedoch in das genannte Gelehrtenlexikon Friedrich Wilhelm Strieders ein, der bereits in seinem Pilotband bekannte, dass er des verstorbenen Rotenburger Kanzleidirektors „hinterbliebene Papiere mit der Geduld, die sie erfordern, zu durchgrübeln und zu benutzen Gelegenheit gehabt“ habe.95 Kalckhoff sei sogar, wie Strieder schrieb, für sein eigenes Unternehmen der maßgebliche „Wegweiser“ gewesen.96 Seinen Respekt gegenüber dem Rotenburger Juristen, der „den ­ersten Gedanken zur Ausführung einer Heßischen Gelehrten Geschichte gehegt, obwohl nicht realisirt hat“,97 bekundete Strieder schließlich auch in dem 1787 veröffentlichten Biogramm zu Kalckhoff. Unter Kalckhoffs hinterlassenen Papieren und Handschriften, die Strieder für sein Gelehrtenlexikon einsehen und auswerten konnte, befanden sich mehrere Dokumente, die Leben und Werk Friedrich Lucaes betrafen.98 Lucae war 1708 in Rotenburg gestorben – just in jenem Jahr, in dem der Jurist Kalckhoff seine Tätigkeit in der hessischen Kleinstadt aufgenommen hatte. Es ist durchaus denkbar, dass der Rotenburger Kanzleidirektor später ein besonderes Interesse daran hatte, mehr über den früheren Oberpfarrer und Metropolitan der Diözese – den er unter Umständen sogar noch kurz persönlich kennenlernen konnte – in Erfahrung zu bringen. Neben der Abschrift von Lucaes autobiographischen Aufzeichnungen, die noch gesondert anzusprechen ist, erwarb Kalckhoff nachweislich dessen Rotenburger Chronik. Das Titelblatt der Handschrift enthält einen eindeutigen, von Kalckhoff verfassten und unterzeichneten Kaufvermerk: „Nota: Dieses Chronikon Rotenbergense hat der Autor, Herr Decanus Lucae sel., eigenhändig geschrieben, nachmals aber in ao. 1730 dessen Tochtermann Herr Diaconus Rübenkönig zu Homberg solches an mich pro 20 fl. überlassen.“99 Ob der Ehemann von Lucaes Tochter Hedwig Sophia (1679–1703), Georg Hermann Rübenkönig 93 94 95 96 97 98

99

Ebd., Bd. 7, 1–18; Fuchs: Traditionsstiftung und Erinnerungspolitik, 349, 364–392, 411f. Neue Zeitungen von Gelehrten Sachen auf das Jahr MDCCXXII, Th. 1. Leipzig 1722, Vorrede (nicht paginiert). Strieder: Grundlage zu einer hessischen Gelehrten und Schriftsteller Geschichte, Bd. 1, 5. Ebd., 8. Ebd., Bd. 7, 1. In seinem Artikel zu Friedrich Lucae verwies Strieder am Ende, beim Schriftenverzeichnis des Theologen, ein zweites Mal auf die Materialsammlung des Rotenburger Kanzleidirektors: „Nach einer in den Kalkhof. Litteral. gefundenen Nachricht“ listete er sechs handschriftlich überlieferte Werke Lucaes auf. Ebd., Bd. 8, 117. Zit. nach Kittelmann (Bearb.): Das edle Kleinod an der hessischen Landeskrone, 6.

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(1666–1740),100 der zum Zeitpunkt des Verkaufs der Handschrift als Pfarrer in Homberg an der Efze wirkte, dem Rotenburger Kanzleidirektor darüber hinaus Teile von Lucaes Briefwechsels veräußerte, wie mitunter angenommen wurde,101 ist nicht belegt. Sicher ist dagegen, dass Kalckhoff eigene Forschungen zu Lucae betrieb. So sind in seinem Nachlassverzeichnis beispielsweise Hinweise auf die umfangreiche Gelehrten- und Amtskorrespondenz des früheren Rotenburger Geistlichen zu finden.102 Nach dem Tod Kalckhoffs 1752 setzte Landgraf Wilhelm VIII. von Hessen Kassel (1682–1760) alle Hebel in Bewegung, um eine freie Versteigerung des Manuskriptnachlasses, die zwangsläufig dessen Zerstreuung zur Folge gehabt hätte, zu verhindern. Die landgräflichen Unterhändler verständigten sich 1753 mit der Witwe des Verstorbenen nach zähem Ringen auf einen Ankaufspreis von 1.200 Reichstalern für die Handschriften und einen Teil der Büchersammlung; der Enkel des Erblassers sollte überdies ein dreijähriges Stipendium erhalten. Kalckhoffs eigenen Briefwechsel dagegen sowie die von ihm gesammelten Korrespondenzen – einschließlich der vermutlich in seinem Besitz befindlichen Briefe von Friedrich Lucae – wurden in einer öffentlichen Auktion versteigert und gelten heute als verschollen.103 Wie die Abschrift von Lucaes autobiographischen Aufzeichnungen nach Kassel kam, wo sie dann von Strieder benutzt wurde, ist folglich gut zu rekonstruieren. Im Gegensatz zu dem Autograph Lucaes zur Rotenburger Geschichte, das ebenfalls aus dem Besitz Kalckhoffs in die hessische Haupt- und Residenzstadt gelangte,104 enthält die Abschrift allerdings weder einen Besitzvermerk noch irgendeinen Hinweis auf den Abschreiber. Es gibt in dem Text verschiedene Marginalnotizen Kalckhoffs, die belegen, dass er das Manuskript gründlich durchgearbeitet hatte.105 Auf die Fragen, wann und 100

Strieder, Friedrich Wilhelm: Grundlage zu einer Hessischen Gelehrten- und Schriftsteller-Geschichte. Von der Reformation bis 1806, Bd. 16. Hg. v. Ludwig Wachler. Marburg 1812, 205f. Anm. *; Bätzing, Gerhard: Pfarrergeschichte des Kirchenkreises Homberg von den Anfängen bis 1984. Marburg 1988 (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Hessen 33; Kurhessisch-Waldeckisches Pfarrerbuch 3), 84–86. 101 Fuchs: Traditionsstiftung und Erinnerungspolitik, 349. 102 Ebd. Im Nachlassverzeichniss von Kalckhoff ist vermerkt: „Volum: XIX. Des Decani Friedrich Lucae Correspondentz, in gelehrten und Ambts-Sachen.“ Hessisches Staatsarchiv Marburg, Sign. 5, 13884, fol. 76r. 103 ������������������������������������������������������������������������������������������� [Krieger, Johann Christian]: Cassel in historisch-topographischer Hinsicht. Nebst einer Geschichte und Beschreibung von Wilhelmshöhe und seinen Anlagen. Marburg 1805, 193; Hopf: Die Landesbibliothek Kassel in ihrer geschichtlichen Entwicklung, 35f.; Vogel, Peter: Einleitung. In: ders. (Bearb.): Die Handschriften der Universitätsbibliothek Kassel, Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel, Bd. 4,3: Manuscripta historica. Wiesbaden 2000, XXVII–XXXVII, hier XXXII; Fuchs: Traditionsstiftung und Erinnerungspolitik, 349, 367, 385–388; ders.: Geschichtsbewußtsein und Geschichtsschreibung, 99 Anm. 449. 104 ������������������������������������������������������������������������������������������ Vogel, Peter/Pitzschke, Angela/Ruhnke, Roswitha (Hg.): Die Handschriften der Universitätsbibliothek Kassel – Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel, Bd. 5: Manuscripta Hassiaca. Katalog. Kassel 1986, Sign. 2o Ms. Hass. 47/1–2. 105 Ebd., Sign. 2o Ms. Hass. 70.

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Letzte Seite eines eigenhändigen Schreibens von Georg Hermann Rübenkönig (1666–1740) an seinen Schwiegervater Friedrich Lucae (Nassenerfurt, 7. November 1702). Der in Homberg an der Efze tätige Pfarrer war im Besitz einer umfangreichen Handschrift Lucaes über Stadt und Amt Rotenburg. Rübenkönig verkaufte das Manuskript 1730 an ­Johann Christoph Kalckhoff, der sich im Rahmen seiner hessischen Gelehrtengeschichte für alle Abhandlungen des bis zu seinem Tod 1708 in Rotenburg wirkenden Geistlichen interessierte. Bildnachweis: Universitätsbibliothek Kassel – Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel, Sign. 2o Ms. hist. litt. 4 Rübenkönig: 3, Bl. 2v.

unter welchen Umständen jene Abschrift hergestellt wurde, gibt es keine gesicherten Antworten. Auch der Frankfurter Jurist Friedrich Lucä, der diese Ungereimtheiten bei der Vorbereitung seiner Edition Mitte des 19. Jahrhunderts in Kassel und andernorts zu klären suchte, fand keinerlei Spuren. „Woher die Kasseler Abschrift rührt, welche nach angestellter Vergleichung Wort für Wort mit dem Original übereinstimmt, und mit dem letzten Worte desselben auch schließt, wissen wir nicht.“106 Lucä hatte zwar auf der in Kassel befindlichen Handschrift der von seinem Vorfahren verfassten Rotenburger Chronik den Namen „J. C. Kalenhoff “ – in dieser Form wird er seiner Edition von 1854 zitiert – gefunden,107 diesen Namen jedoch in keinerlei Verbindung mit den autobiographischen Aufzeichnungen Lucaes gebracht. Höchst aufschlussreich für die hier interessierenden Fragen ist ein von Thomas Fuchs im Hessischen Staatsarchiv Marburg gemachter Quellenfund, über den er in seinem 2006 erschienenen Buch Geschichtsbewußtsein und Geschichtsschreibung zwischen Reformation und Aufklärung berichtet.108 Demnach hatte sich die Kasseler ­Regierung bereits nach dem Tod Lucaes (1708) – also deutlich früher als bisher angenommen – darum bemüht, das Manuskript der von ihm verfassten Rotenburger Chronik zu erwerben. Von deren Existenz hatte Landgraf Karl von Hessen-Kassel (1654–1730) 106 �������������������������������������������������������������������������������������������� Lucä: Der Chronist Friedrich Lucä, 350. An anderer Stelle bezeichnete Lucä die Kasseler Ausfertigung als „eine wörtliche, alte Abschrift des Originals“. Ebd., IX. 107 Ebd., 350. 108 Fuchs: Geschichtsbewußtsein und Geschichtsschreibung, 97–101.

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aus einem Schreiben von Bürgermeister und Rat der Stadt Rotenburg vom 24. März 1711 erfahren: „Wie wir aber gehört, so soll der jüngst verstorbene decanus Lucae als ein gewesener sonderlicher liebhaber der Historien verschiedene curiosa von Stadt und Ambt Rotenberg zusammen getragen haben, so sonder Zweiffel dessen Sohn der Actuarius zu Ziegenhain bey sich haben wirdt.“109 Man hatte sich sogleich an den genannten Sohn, Karl Lucae (1677–1712), gewandt, der am fürstlichen Oberamt in Ziegenhain als Jurist tätig war.110 Dessen Antwort vom 6. Mai 1711 war an den hessen-kasselschen Kriegsrat Johann Balthasar Klaute (1653–1733) gerichtet: Lucae gab an, zur angefragten Handschrift keine Angaben machen zu können, vielleicht sei diese in einer Druckerei zu finden, vielleicht sei sie von dritter Seite verkauft worden. Er erklärte zudem, dass beim Tod seines Vaters keinerlei Manuskripte unter dessen nachgelassenen Papieren vorhanden gewesen seien.111 Schenkt man dieser Aussage Karl Lucaes Glauben, so waren die autobiographischen Aufzeichnungen des Vaters 1708 nicht in den Besitz des Sohnes übergegangen. Da dessen zwei Schwestern bereits verstorben waren, spräche in diesem Fall viel dafür, dass sein einziger Schwager Georg Hermann Rübenkönig – der nachweislich, wie bereits dargelegt, in Homberg das Chronicon Rotenbergense verwahrte – auch die Handschrift Friderici Lucae eigentgliche Lebens und Totdes Geschichte übernommen hatte. Dies ist jedoch wenig wahrscheinlich: Rübenkönigs Ehefrau war 1703 bei der Geburt des ersten Kindes gestorben, die Tochter nur wenige Tage später; am 1. März 1708, zwei Wochen vor dem Tod Friedrich Lucaes, hatte Rübenkönig ein zweites Mal geheiratet.112 Es passt zu dieser neuen familiären Konstellation, dass Rübenkönig zwei Jahrzehnte später die Rotenburger Chronik an Kalckhoff veräußerte. Wahrscheinlicher ist vielmehr, dass Karl Lucae in seinem oben genannten Brief bewusst nicht die Wahrheit geschrieben hatte: Vielleicht wollte er sich vor Begehrlichkeiten schützen, namentlich von Seiten des Landgrafen, vielleicht hatte er auch eigene Pläne, die autobiographischen Aufzeichnungen seines Vaters an die Öffentlichkeit zu bringen. Seine Aussage gegenüber Klaute wird allein schon dadurch widerlegt, dass Karl Lucae nachgewiesenermaßen ein Manuskript vom Vater übernommen hatte: eine respektable, mehr als 900 Seiten umfassende Darstellung der europäischen Bildungsinstitutionen, die nicht nur von Gelehrten, Fachdisziplinen und Bibliotheken handelte, sondern auch eine Fülle kultur- und sozialgeschichtlich wertvoller Informationen zum Alltagsleben der Studenten, zu Stipendien und zu rechtlichen Aspekten des Univer109

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Zit. nach ebd., 97. Vgl. ferner ders.: Von der Übermacht der Fürstengeschichte. Städtische Chronistik in der Landgrafschaft Hessen und in Hessen-Kassel. In: Schlögl, Rudolf (Hg.): Interaktion und Herrschaft. Die Politik der frühneuzeitlichen Stadt. Konstanz 2004 (Historische Kulturwissenschaft 5), 449–469, hier 457. Apell, F[erdinand] v[on]: Die ehemalige Festung Ziegenhain. In: Zeitschrift des Vereins für hessische Geschichte und Landeskunde N. F. 25 (1901) 192–320, hier 265, 314; Lucae: Stammregister der Familie Lucae, 65–68. Fuchs: Geschichtsbewußtsein und Geschichtsschreibung, 100f. Bätzing: Pfarrergeschichte des Kirchenkreises Homberg, 84.

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sitätsstudiums enthielt. Karl Lucae hatte diese aus dem Nachlass übernommene Handschrift unter dem Titel Europäischer Helicon 1711 in Frankfurt am Main publiziert.113 In seinem Vorwort sprach er die Übernahme des Manuskripts, das drei Jahre „wider Willen im Verborgenen“ gelegen habe,114 offen an. Nicht nur dieses Buch zeugt von den akademischen Ambitionen des Sohnes: Karl Lucae, der mit verschiedenen Gelehrten korrespondierte, veröffentlichte noch andere historisch-rechtsgeschichtliche Werke.115 Am 21. August 1712 bat er den Akademiepräsidenten Gottfried Wilhelm Leibniz sogar um Aufnahme in die renommierte Königlich-Preußische Societät der Wissenschaften in Berlin.116 Lucae starb allerdings nur wenige Monate später, am 23. Dezember, mit gerade einmal 34 Jahren. Wäre ihm ein längeres Leben vergönnt gewesen, hätten die autobiographischen Aufzeichnungen seines Vaters wohl schon früher das Licht der Welt erblickt. Keinen Aufschluss zu diesen Fragen geben die beiden handschriftlichen Testamente von Friedrich Lucae und dessen Sohn aus den Jahren 1708 beziehungsweise 1712, die Samuel Christian Lucae, der sich als erster näher mit der Familiengeschichte auseinandersetzte, Anfang des 19. Jahrhunderts in einer Mappe zusammenfügte.117 Friedrich Lucae vermachte seinen Besitz und verschiedene Gegenstände, die aus der Familie seiner zweiten Ehefrau, Elisabeth Luise von Wesenbeck († 1699), stammten, seinem Sohn Karl, den Enkeln und einem Patensohn; der Name Rübenkönig taucht in seiner letztwilligen Verfügung nicht auf. Unter seinen „habseeligkeiten“ nannte er zwar seine Büchersammlung, erwähnte aber keinerlei Manuskripte, Briefe oder andere Dokumente. Das ungleich längere Testament von Karl Lucae enthält ebenfalls keine Details zu diesen Punkten, ist aber insgesamt in buch- und verlagsgeschichtlicher Hinsicht höchst 113

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Lucae, Fridericus: Europäischer Helicon Auff welchem Die Academien, Oder Hohe Schuhlen Von Anfang der Welt biß jetzo Aller Nationen, besonders’ Europae Mit Ihren Fundationen, Unglücksfällen/ Restaurationen, Privilegiis, Jubilaeis, Nothwendigkeiten und Hindernüssen/ Wachsthum und Abnehmen/ rechten Gebrauch und Mißbrauch; Sambt Ihren vornehmsten Lehrern/ deren Verdienste/ Und Academischen Ehren-Tituln In sieben haupt Theilen vorgestelt. Franckfurt am Mayn 1711. Ebd., „Kurtzer Vorbericht“ (nicht paginiert). Weber, Carl Gottlieb: Litteratur der Deutschen Staatengeschichte, Th. 1: Allgemeine Litteratur und insbesondre von Oestreich, Böhmen und den Ländern des Bayrischen Kreises. Leipzig 1800, 97; Rotermund, Heinrich Wilhelm: Fortsetzung und Ergänzungen zu Christian Gottlieb Jöchers allgemeinem Gelehrten-Lexiko worin die Schriftsteller aller Stände nach ihren vornehmsten Lebensumständen und Schriften beschrieben werden, Bd. 4. Bremen 1813, Sp. 11. Bodemann, Eduard: Der Briefwechsel des Gottfried Wilhelm Leibniz in der Königlichen öffentlichen Bibliothek zu Hannover. Hannover 1889, 156. Gleichzeitig übersandte er Leibniz ein eigenes Druckwerk. Vgl. Lucae, Carolus: Natali Quinquagesimo nono Serenissimi Principis Sui Caroli I. Exultans Hassia. Francofurti ad Moenum 1712. Die im Privatarchiv der Familie Lucae überlieferte Mappe enthält einen handschriftlichen Vermerk von Friedrich Lucä vom 8. April 1852, demzufolge die Aufschrift „Friederici Lucae und Caroli Lucae Testamenta De anno 1708 et 1712“ von seinem Vater Samuel Christian Lucae stammt.

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aufschlussreich. Der Erblasser sprach nicht nur eigene Publikationen und persönliche Beziehungen zu Buchhändlern an, sondern ging auch ausführlich auf Ansprüche des Frankfurter Verlegers Friedrich Knoch (1650–1721) ein, bei dem seit 1685 mehrere historische Werke des Vaters erschienen waren.118 Zu seiner eigenen Bibliothek machte Karl Lucae keine genaueren Angaben. Von Lucaes fünf Kindern starben drei Söhne in jungen Jahren. Der jüngste Sohn, Friedrich Heinrich Lucae (1709–1773), der Großvater des eingangs genannten Samuel Christian Lucae, war Amtsschreiber in Kirchheimbolanden unter den Fürsten Karl ­August (1685–1753) und Karl Christian von Nassau-Weilburg (1735–1788).119 Zu ihm hatte Johann Christoph Kalckhoff, der für sein Projekt der Hassia literata zahlreiche Gelehrte beziehungsweise deren Nachkommen anschrieb und um Material zu Leben und Werk bat, vermutlich Kontakt aufgenommen. Es ist bekannt, dass sich Kalckhoff in Fällen, in denen er Originale nicht erwerben konnte, um Abschriften bemühte.120 Auch wenn hierzu Belege fehlen, so ist doch anzunehmen, dass der Rotenburger Kanzleidirektor eine Abschrift von Friedrich Lucaes autobiographischen Aufzeichnungen im zweiten Drittel des 18. Jahrhunderts auf eigene Kosten anfertigen ließ.

5. Teileditionen der autobiographischen Aufzeichnungen und Textvergleiche Die 1854 vorgelegte Ausgabe der autobiographischen Aufzeichnungen Friedrich ­Lucaes hatte zwar in deutschsprachigen Periodika eine gewisse Rezeption gefunden. Die hohe Popularität des Textes, die trotz der offensichtlichen Mängel der Edition bis zur Gegenwart anhält, verdankte sie aber in hohem Maße der Vermittlung durch Gustav Freytag (1816–1895). Der aus dem oberschlesischen Kreuzburg gebürtige Literat, Publizist und Historiker machte die Aufzeichnungen seines ebenfalls aus des Oderland gebürtigen Landsmanns in seinem kulturgeschichtlichen Hauptwerk Bilder aus der deutschen Vergangenheit, das in fünf Bänden zwischen 1859 und 1867 in Leipzig erschien, ­einem großen Publikum bekannt. Der Frankfurter Jurist Lucä hatte im Vorwort über die Erinnerungen seines Vorfahren geschrieben, der Leser habe nicht „die Enthüllung wich118

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Lichtstern [Lucae]: Schlesische Fürsten-Krone/ Oder Eigentliche/ warhaffte, Beschreibung Ober- und Nieder-Schlesiens; Lucae, Fridericus: Schlesiens curieuse Denckwürdigkeiten/ oder vollkommene Chronica Von Ober- und Nieder-Schlesien [...]. Franckfurt am Mäyn 1689; Lucae, Friedrich: Des Heil. Römischen Reichs Uhr-alter Graffen-Saal [...]. Franckfurt am Mäyn 1702; Lucae, Friderich: Des Heil. Römischen Reichs Uhr-alter Fürsten-Saal [...]. Franckfurt am Mayn 1705. Lucae: Stammregister der Familie Lucae, 69–77; Lucä: Der Chronist Friedrich Lucä, 347f. Anm. *. Vgl. ferner das Gedicht, das der Herausgeber der autobiographischen Aufzeichnungen über Friedrich Heinrich Lucae veröffentlichte. Ders.: Der Amtsschreiber zu Kirchheim (Privatarchiv der Familie Lucae). Fuchs: Traditionsstiftung und Erinnerungspolitik, 349, 367, 385; ders.: Geschichtsbewußtsein und Geschichtsschreibung, 65, 85, 101, 144.

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In seinem eigenhändig verfassten Testament sprach Karl Lucae (1677–1712) nicht nur erbrechtliche Fragen an. Er ging auch auf Ansprüche des Frankfurter Verlegers Friedrich Knoch (1650–1721) ein, bei dem seit 1685 mehrere historische Werke seines Vaters Friedrich Lucae erschienen waren. Abgebildet ist hier die letzte Seite des auf den 6. Dezember 1712 datierten Testaments, das Siegel und Unterschrift des Erblassers trägt. Bildnachweis: Privatarchiv der Familie Lucae.

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tiger Geheimnisse des damaligen Staats- und Völkerlebens“ zu erwarten, sondern eine „Erzählung seiner Schicksale, seiner Leiden und Freuden, seiner Gedanken und Empfindungen, seines Strebens und Vollbringens“.121 Dies entsprach recht genau dem spezifischen Ansatz Freytags: einer Kultur- und Alltagsgeschichtsschreibung, die sich „als Oppositionswissenschaft zur Kriegs- und Staatengeschichte“ verstand.122 Für seinen Band über das 17. Jahrhundert wählte Freytag bezeichnenderweise den Bericht Lucaes von dessen Brautwerbung aus, einer „Thätigkeit voll aufregender Gefühle“.123 Freytags Bilder aus der deutschen Vergangenheit zählten während des 19. Jahrhunderts zu den beliebtesten Geschichtswerken der Deutschen. Sie erlebten nicht nur zahlreiche Neuauflagen, sondern wurden auch in andere Sprachen übertragen. Dadurch gewann die 1854 vorgelegte Edition von Lucaes autobiographischen Aufzeichnungen auch außerhalb des deutschen Sprachraums an Bekanntheit.124 Zu Recht schrieb 1908 der Kasseler Kulturhistoriker Paul Heidelbach (1870–1954) in einem Beitrag zu Lucaes 200. Todestag, dass es „namentlich Gustav Freytag“ gewesen sei, der die Selbstbiographie des reformierten Theologen „der Allgemeinheit näher brachte“.125 Auch in anderen Studien, die sich auf die 1854 vorgelegte Edition bezogen, wurde wiederholt auf den Stellenwert von Freytags Hauptwerk für die breitere Rezeption jenes Textes hingewiesen.126 Gewisse Parallelen zu Freytags Geschichtsschreibung und -erzählung finden sich noch in der 1930 von Marianne Beyer-Fröhlich (1896 – nach 1945) vorgelegten Anthologie Selbstzeugnisse aus dem Dreißig jährigen Krieg und dem Barock, dem ­sechsten Band der von ihr im Reclam-Verlag Leipzig herausgegebenen Reihe „Deutsche Selbst121 Lucä: Der Chronist Friedrich Lucä, VII. 122 ��������������������������������������������������������������������������������������������� Schorn-Schütte, Luise: Ideen-, Geistes-, Kulturgeschichte. In: Goertz, Hans-Jürgen (Hg.): Geschichte. Ein Grundkurs. Reinbek bei Hamburg 22001 [11998], 489–515, hier 499. Vgl. ferner Ping, Larry L.: Gustav Freytag and the Prussian Gospel. Novels, Liberalism, and History. Oxford u. a. 2006; Nissen, Martin: Populäre Geschichtsschreibung im 19. Jahrhundert. Gustav Freytag und seine „Bilder aus der deutschen Vergangenheit“. In: Archiv für Kulturgeschichte 89 (2007) 395–425; ders.: Populäre Geschichtsschreibung. Historiker, Verleger und die deutsche Öffentlichkeit (1848–1900). Köln/Weimar/Wien 2009 (Beiträge zur Geschichtskultur 34); Hahn, Hans-Werner/Oschmann, Dirk (Hg.): Gustav Freytag (1816–1895). Literat – Publizist – Historiker. Köln/Weimar/Wien 2016 (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Thüringen. Kleine Reihe 48). 123 Freytag, Gustav: Bilder aus der deutschen Vergangenheit, Th. 2. Leipzig 1859, 279. Zu der bei Freytag aufgenommenen Darstellung von Lucae (279–285) vgl. Lucä: Der Chronist Friedrich Lucä, 196–205. Freytag hatte die von Lucä vorgelegte Fassung sprachlich noch einmal leicht überarbeitet. 124 Vgl. exemplarisch Freytag, Gustav: Pictures of German Life in the XVth, XVIth and XVIIth Centuries, Bd. 1–2. Übersetzt v. [Georgiana] Malcolm. London 1862. 125 �������������������������������������������������������������������������������������������� Heidelbach, Paul: Der Chronist Friedrich Lucä. In: Hessenland. Zeitschrift für hessische Geschichte und Literatur 22 (1908) 184–186, 199–201, hier 185. 126 Wegele: Geschichte der Deutschen Historiographie, 726 Anm. 2; Kügler, Hermann: Eine Schilderung Berlins aus der Zeit des Großen Kurfürsten. In: Zeitschrift des Vereins für die Geschichte Berlins 51 (1934) 38–40, hier 38; Jobst, Albrecht: Evangelische Kirche und Volkstum. Ein Beitrag zur Geschichte der Volkskunde. Stuttgart 1938, 85.

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zeugnisse“.127 (Von den ursprünglich geplanten elf Bänden konnte Beyer-Fröhlich allerdings nur die ersten Bände selbst verantworten, da die österreichische, aus einer jüdischen Familie stammende Germanistin 1937 nach Schweden emigrieren musste.128) Es seien vor allem die bürgerlichen Selbstzeugnisse, so Beyer-Fröhlich in der Einführung ihres Bandes über das „Leben der Nation im 17. Jahrhundert“, die in „das alltägliche Dasein der Menschen“ Einblick gewährten.129 Unter den sechzehn von ihr ausgewählten Texten war ein längerer Auszug der 1854 edierten Aufzeichnungen Friedrich Lucaes, zu dem sie – wenngleich sparsam – eigene Anmerkungen ergänzte.130 Neben diesen mehrbändigen Werken, in denen längere Abschnitte der Edition des Frankfurter Juristen Friedrich Lucä erneut abgedruckt wurden, gibt es eine ganze Reihe von Beiträgen, die kürzere Passagen jener Ausgabe im Wortlaut zitierten. Ähnlich wie Herbert Gruhn (1893–1948), der die Schilderungen Lucaes über das Riesengebirge untersuchte,131 interessierten sich viele Autoren für bestimmte Reiseerlebnisse und -darstellungen des reformierten Theologen, für seine Ausführungen zum akademischen Leben und einzelne Städteporträts.132 Nirgendwo wurde die Ausgabe von 1854, die mitunter in den Rang einer historisch-kritischen Edition erhoben wurde, in ihrem eigentlichen Quellenwert hinterfragt. 127

Beyer-Fröhlich, Marianne (Hg.): Selbstzeugnisse aus dem Dreißigjährigen Krieg und dem Barock. Leipzig 1930 [ND Darmstadt 1970] (Deutsche Literatur. Sammlung literarischer Kunst- und Kulturdenkmäler in Entwicklungsreihen. Reihe Deutsche Selbstzeugnisse 6). 128 Müssener, Helmut: Exil in Schweden. Politische und kulturelle Emigration nach 1933. München 1974, 473; Korotin, Ilse (Hg.): biografiA. Lexikon österreichischer Frauen, Bd. 1. Wien/ Köln/Weimar 2016, 288, 296, 498. 129 �������������������������������������������������������������������������������������������� Beyer-Fröhlich, Marianne: Einführung. In: dies. (Hg.): Selbstzeugnisse aus dem Dreißigjährigen Krieg und dem Barock, 5–14, hier 5f. 130 Dies. (Hg.): Selbstzeugnisse aus dem Dreißigjährigen Krieg und dem Barock, 128–148, 322f. Zu dem bei Beyer-Fröhlich gebotenen Text, der sich aus insgesamt vier (nicht näher gekennzeichneten) Ausschnitten der Autobiographie zusammensetzt, vgl. Lucä: Der Chronist Friedrich Lucä, 70–81, 114–123, 196–204, 206–216. 131 Gruhn, Herbert: Des Chronisten Friedrich Lucä Reise in das Riesengebirge. In: Der Wanderer im Riesengebirge. Zeitschrift des deutschen und des österreichischen Riesengebirgs-Vereins 37/15 (1917) 50–52. 132 �������������������������������������������������������������������������������������������� Vgl. exemplarisch Becker, Albert: Heidelberger Studenten in der Pfalz. In: Pfälzisches Museum – Pfälzische Heimatkunde 40 (1923) 74–77; ders.: Heidelberger Volkskunde. In: Badische Heimat. Zeitschrift für Volkskunde, Heimat-, Natur- und Denkmalschutz 26 (1939) 313– 361; Kügler, Hermann: Eine unbeachtete Schilderung der Mark aus der Zeit des Großen Kurfürsten. In: Brandenburger Land. Monatshefte für Volkstum und Heimat 2 (1935) 368– 374; ders.: Eine Schilderung Berlins aus der Zeit des Großen Kurfürsten, 38–40; Hoe een Silezisch student in 1664 te Utrecht kwam. In: Maandblad van „Oud-Utreecht“ 16 (1941) 60–62; Holmsten, Georg (Hg.): Berlin in alten und neuen Reisebeschreibungen. Düsseldorf 1989, 23–25; Lahnstein, Peter: Das Leben im Barock. Zeugnisse und Berichte 1640–1740. Stuttgart u. a. 1974, 83f., 209–215; Becker, E[mil]: Schloß und Stadt Dillenburg. Ein Gang durch ihre Geschichte in Mittelalter und Neuzeit. Zur Gedenkfeier aus Anlaß der Verleihung der Stadtrechte am 20. September 1344. Dillenburg 21983, 132f.

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Der einzige, der sich bisher um einen Vergleich der Mitte des 19. Jahrhunderts vorgelegten Ausgabe mit dem handschriftlichen Ursprungstext von Friedrich Lucae bemühte, war der evangelische Theologe und Kirchenhistoriker Wilhelm Bickerich (1867–1934). Er stammte aus dem Rheinland, war nach dem frühen Tod des Vaters aber von seinem Großvater in Posen aufgenommen worden und dort aufgewachsen. Nach Studium und Predigerseminar kam er 1892 an die evangelisch-reformierte Johanniskirche nach Lissa, wo er mehr als vier Jahrzehnte lang als Pastor wirkte.133 Bickerich, der stets quellennah arbeitete und mit den Beständen der Archive in Großpolen bestens vertraut war, interessierte sich vor allem für die frühneuzeitliche Kirchen- und Religionsgeschichte seiner Wahlheimat.134 Er kannte nicht nur die historischen Schriften Friedrich Lucaes zur schlesischen Geschichte, die eine Fülle von Informationen zum mitteleuropäischen Reformiertentum enthielten, sondern auch die Ausgabe von dessen Lebensbeschreibung aus dem Jahr 1854, in der Einzelheiten über die in Familienbesitz befindliche Handschrift zu lesen waren. Gerade weil er mit Lucaes Stil und Darstellungsform vertraut war, erregte die Edition des Frankfurter Juristen sein Misstrauen. Da er es gewohnt war, mit Originalen zu arbeiten, bemühte er sich auch in diesem Fall, den Ausgangstext in Augenschein zu nehmen. Bickerich wandte sich daher Anfang des 20. Jahrhunderts an einen Bromberger Pastor, über den er in Kontakt mit dem gegenwärtigen Eigentümer der Handschrift Friderici Lucae eigentgliche Lebens und Totdes Geschichte zu gelangen hoffte. Die Hintergründe dieser Kontaktaufnahme sind nicht bekannt. Bickerich fand jedenfalls heraus, dass das Manuskript von dem Frankfurter Juristen, der die Ausgabe von 1854 besorgt hatte, an dessen ältesten Sohn Gustav Lucae (1854–1903) gelangt war. Dieser war als Eisenbahnbau- und Betriebsinspektor 1900 nach Schmiedeberg im Riesengebirge versetzt worden, dort aber drei Jahre später an den Folgen einer schweren Lungenentzündung gestorben.135 Die Witwe, Anna Wilhelmine Friederike Lucae (1865–1935), zog daraufhin mit ihren vier Kindern nach Marburg, wo einst der Großvater ihres verstorbenen Mannes als Universitätsprofessor tätig gewesen war. In ihrem Besitz befanden sich die autobiographischen Aufzeichnungen von Friedrich Lucae, als sich der Lissaer Pfarrer um eine Einsichtnahme in die Handschrift bemühte. 133

Wojtkowski, A[ndrzej]: Wilhelm Bickerich (1867–1934). In: Reformacja w Polsce 6 (1934) 192–197; Szymańska, Kamila: Bickerich Johann Wilhelm Adam (1867–1934). In: Głowinkowska, Barbara/Konior, Alojzy (Hg.): Słownik biograficzny Leszna. Leszno 2004, 41–43. 134 ���������������������������������������������������������������������������������������� Verzeichnis der Schriften von Pastor D. Johann Wilhelm Adam Bickerich. In: Deutsche Wissenschaftliche Zeitschrift für Polen 12 (1928) 154–162. Ergänzungen enthält der Nachruf: D. Lic. Wilhelm Bickerich †. In: Deutsche Wissenschaftliche Zeitschrift für Polen 27 (1934) 131–132; Rogall, Joachim: Die Geistlichkeit der Evangelisch-Unierten Kirche in der Provinz Posen 1871–1914 und ihr Verhältnis zur preußischen Polenpolitik. Marburg/Lahn 1990 (Historische und landeskundliche Ostmitteleuropa-Studien 6), 156–159, 262–265. 135 Amtliche Mitteilungen. Preußen. In: Zentralblatt der Bauverwaltung 23 (1903) 277; Lucae: Stammregister der Familie Lucae, 292–305. Ein älterer Bruder, Friedrich Wilhelm Lucae (1857–1861), war bereits in jungen Jahren gestorben. Ebd., 221.

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Seiner eigenen Darstellung nach erhielt Bickerich durch die Vermittlung des Bromberger Pastors „eine Abschrift nach dem Original“,136 und zwar derjenigen Seiten, die den ihn vorrangig interessierenden Aufenthalt Friedrich Lucaes Anfang der 1670er Jahre in Lissa betrafen. Die Eigentümerin habe die Handschrift „bereitwilligst geliehen“ und auch einer Veröffentlichung des genannten Abschnitts in den Historischen Monatsheften für die Provinz Posen ihre Zustimmung erteilt.137 Vermutlich wurde die Abschrift direkt vor Ort hergestellt, was in der Universitätsstadt Marburg keine Probleme bereitet haben dürfte. Zwar wurden Archivalien an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert noch vielerorts an auswärtige Nutzer verschickt.138 Da sich Bickerich jedoch nur für einzelne Blätter interessierte, ist es unwahrscheinlich, dass die Handschrift als ganze versandt wurde. Bei dem Vergleich der Druckausgabe mit der aus Marburg erhaltenen Abschrift von Lucaes autobiographischen Aufzeichnungen stellte Bickerich zu seiner Überraschung fest, dass „das Original erheblich reichhaltiger ist als jene“.139 Entsprechend kritisch fiel sein Urteil über den Nachfahren aus, der die Edition 1854 besorgt hatte: „Leider hat aber der Herausgeber in der Absicht, das Werk dem grossen Publikum schmackhaft zu machen, nicht bloss die Schreibweise modernisiert, sondern auch sachliche Veränderungen und Verkürzungen der Lebensbeschreibung vorgenommen, die den Wert der gedruckten Ausgabe als Geschichtsquelle vermindern.“140 Wäre dieser Befund Bickerichs in einem der führenden landesgeschichtlichen Organe und nicht in einer randseitigen Geschichtszeitschrift zu lesen gewesen, hätte er vermutlich größere Wirkung gezeitigt. So aber wurde die Mitte des 19. Jahrhunderts veröffentlichte Ausgabe auch weiterhin als seriöse Edition herangezogen und zitiert. Bickerichs eigene, um Anmerkungen ergänzte Veröffentlichung des genannten Abschnitts stellt somit die erste historisch-kritische Teiledition der autobiographischen Aufzeichnungen Friedrich Lucaes dar. Andere Wissenschaftler hatten zwar keinen Zugang zu der in Familienbesitz liegenden Originalhandschrift Lucaes, konnten aber die in Kassel vorhandene Abschrift aus dem Besitz Kalckhoffs nutzen. Auch sie kamen beim Vergleich zwischen der aus 136 ������������������������������������������������������������������������������������������� Bickerich, W[ilhelm]: Friedrich Lucäs Reise nach Lissa um 1672. In: Historische Monatsblätter für die Provinz Posen 8 (1907) 129–138, hier 130. Bickerich nutzte die Lebensbeschreibung Lucaes später auch für andere Beiträge. Vgl. ders.: Gelegenheitsgedichte aus dem Freundeskreis des Comenius. In: Historische Monatsblätter für die Provinz Posen 13 (1912) 161– 169; ders.: Zur Geschichte des Lissaer Rathauses. In: Historische Monatsblätter für die Provinz Posen 18 (1917) 33–53, hier 38. 137 Ders.: Friedrich Lucäs Reise nach Lissa, 130. 138 Bahlcke, Joachim: Forschungsreisen, Quellenstudien und internationale Kooperation. Ján Kvačalas Studien zu Leben und Werk Daniel Ernst Jablonskis aus wissensorganisatorischer Perspektive. In: Bahlcke, Joachim/Schwarz, Karl W. (Hg.): Zwischen Dorpat, Pressburg und Wien. Ján Kvačala und die Anfänge der Jablonski-Forschung in Ostmitteleuropa um 1900. Wiesbaden 2018 ( Jabloniana. Quellen und Forschungen zur europäischen Kulturgeschichte der Frühen Neuzeit 9), 113–156, hier 140–154. 139 Bickerich: Friedrich Lucäs Reise nach Lissa, 131. 140 Ebd., 130.

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dem 18. Jahrhundert stammenden Abschrift und der Ausgabe von 1854 zu ähnlichen Befunden. So wies Wilhelm Hopf (1876–1962),141 der als langjähriger Direktor der Landesbibliothek Kassel bestens mit den Beständen seines Hauses vertraut war, im Jahr 1930 auf den hohen Quellenwert von Lucaes Aufzeichnungen für die hessische Landesgeschichte hin, merkte aber gleichzeitig an: „Seine Selbstbiographie ist in einer als zuverlässig nachgewiesenen Abschrift in der Kasseler Landesbibliothek vorhanden, aber auch schon 1854 in [einer] vielfach veränderten Form von einem seiner Nachfahren, Dr. Friedrich Lucä, herausgegeben worden.“142 Einen genaueren Textvergleich unternahm 1967 Karl-Sigismund Kramer (1916– 1998), der sich als Vertreter einer exakten, quellenkritisch argumentierenden Historischen Volkskunde einen Namen machte.143 An den Aufzeichnungen von Lucae – einem seiner Vorfahren mütterlicherseits, wie er schrieb – interessierten ihn vor allem die Reiseeindrücke des Theologen, dessen Lebensführung sowie Schilderungen des Volkslebens und der Volkskultur. Die Bearbeitung durch den Nachfahren beurteilte er als „unwissenschaftlich und sprachlich sehr geglättet und inhaltlich gekürzt“; manche Formulierung sei „in der Buchausgabe stark umstilisiert“.144

6. Beschreibung, Entstehungszeitpunkt und Aufbau des Manuskripts Das Manuskript Friderici Lucae eigentgliche Lebens und Totdes Geschichte stammt von der Hand des Verfassers und befindet sich in Familienbesitz. Es umfasst 300 beidseitig beschriebene Seiten im Format 35 x 21 cm. Der Schriftspiegel (30,3 x 14,5 cm) wird an den Außen- und Innenseiten sowie oben und unten durch Linien begrenzt, die in der gleichen Tinte wie der Text gezogen wurden. Es wurde ein bräunliches, festes Papier

141 ������������������������������������������������������������������������������������������� Kahlfuß, Hans-Jürgen: Die Landesbibliothek zu Kassel 1930–1980. In: ders. (Hg.): Ex Bibliotheca Cassellana, 23–64; Bernert: Die wissenschaftlich tätigen Bibliotheksbediensteten, 91f. 142 Hopf, [Wilhelm]: Gesellschaftliche Zustände in Hessen am Ende des 17. Jahrhunderts. In: Hessenland. Monatsschrift für Landes- und Volkskunde, Kunst und Literatur Hessens 41 (1930) 272–278, hier 273. Vgl. ferner ders.: Die Landesbibliothek Kassel in ihrer geschichtlichen Entwicklung, 21. 143 Kramer, Karl-Sigismund: Beschreibung des Volkslebens. Zur Entwicklung der „Münchener Schule“. München 1989. Zu Kramer vgl. Brückner, Wolfgang: Karl-Sigismund Kramer (1916– 1998). In: Bayerische Blätter für Volkskunde 25 (1998) 171–175; Gerndt, Helge: Wissenschaft entsteht im Gespräch. Dreizehn volkskundliche Porträts. Münster u. a. 2013, 19–23; Köstlin, Konrad: Karl-S. Kramer und seine Rechtliche Volkskunde. In: Signa Iuris. Beiträge zur Rechtsikonographie, Rechtsarchäologie und Rechtlichen Volkskunde 16 (2018) 9–26. 144 �������������������������������������������������������������������������������������������� Kramer, Karl-S.: Reiseerfahrungen vor dreihundert Jahren. In: Heilfurth, Gerhard/Siuts, Hinrich (Hg.): Europäische Kulturverflechtungen im Bereich der volkstümlichen Überlieferung. Festschrift zum 65. Geburtstag Bruno Schiers. Göttingen 1967 (Veröffentlichungen des Instituts für mitteleuropäische Volksforschung an der Philipps-Universität Marburg Lahn A/5), 81–96, hier 81 Anm. 1, 86 Anm. 20.

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In der Handschrift Friderici Lucae ­eigentgliche Lebens und Totdes Geschichte befindet sich auf der Innenseite des vorderen Buchdeckels das Exlibris von Samuel Christian Lucae (1787–1821). Von ihm stammen auch verschiedene Anmerkungen und Unterstreichungen, die das gründliche Studium der autobiographischen Aufzeichnungen seines Vorfahren belegen. Bildnachweis: Privatarchiv der Familie Lucae.

ohne Wasserzeichen verwendet. Die Handschrift ist mit großer Sorgfalt geschrieben, nur wenige Seiten weisen Korrekturen des Schreibers oder bewusst gesetzte Lücken auf. Auf einzelnen Seiten befinden sich kürzere Randbemerkungen, Unterstreichungen und Ergänzungen von fremder Hand, älteren wie neueren Datums. Die durchgehende Paginierung 1–300 erfolgte allem Anschein nach erst nachträglich. Die Handschrift wurde vermutlich schon in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts gebunden. Der schlichte Halblederband mit zwei einfachen Lederriemen als Buchschließen weist, ebenso wie die gesamte Handschrift, leichte Gebrauchsspuren auf. Das gebundene Manuskript enthält keine handschriftlichen Besitzereinträge oder Buchstempel. Auf der Innenseite des vorderen Buchdeckels findet sich allerdings ein Exlibris, das wichtige Rückschlüsse auf die Benutzung der autobiographischen Aufzeichnungen Friedrich Lucaes erlaubt: Das Bucheignerzeichen (45 x 48 mm) zeigt eine durch die Wolken brechende, aufgehende Sonne, die von einem nach oben hin offenen Kranz umschlossen ist. Unten ist schräg miteinander gekreuzt ein auf einem Aesculapstab liegender langgezogener Dreieckschild mit Krone zu sehen. Das querschraffierte Dreieckschild ist seinerseits mit einem ovalen Wappenschild belegt. Das Wappen zeigt auf gepunktetem Grund einen schräglinksschraffierten Querbalken, begleitet oben von drei achtzackigen ausgefüllten Sternen und unten von einem Stern über einer liegenden ausgefüllten Mondsichel im Schildfuß. In der Mitte ist in zwei Zeilen „S. C. Lucae M. D.“ zu lesen.145 Die Zuordnung des Exlibris ist unstrittig: Es wurde von dem in Marburg lehrenden Mediziner Samuel Christian Lucae verwendet, der mit der bildlichen Darstellung seinen ärztlichen Stand zum Ausdruck brachte und gleichzeitig die tradi-

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Warnecke, F[riedrich]: Die deutschen Bücherzeichen (ex-libris) von ihrem Ursprunge bis zur Gegenwart. Berlin 1890, 123, Nr. 1204. Abgebildet bei Lucae: Stammregister der Familie ­Lucae, 202.

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tionelle Herleitung des eigenen Familiennamens unterstrich. Schon der Verfasser der Autobiographie, in der sich das Exlibris befindet, hatte in seinem Werk Europäischer Helicon über die Tätigkeit seines dem Brieger Gymnasium vorstehenden Vaters, Johann Lucas (1602–1673), geschrieben: „Wie sein Namen von dem Liecht/ so leuchtete er auch mit allen Christlichen Tugenden seinem untergebenen Gymnasio vor/ auffrichtig/ und ohne Gleißnerey.“146 Es gibt mehrere Indizien, die eine intensive Auseinandersetzung Samuel Christian Lucaes mit dem Leben und Werk seines aus Brieg gebürtigen Ururgroßvaters belegen. Davon zeugt die Lektüre von Friedrich Lucaes Büchern, die er, zusammen mit eigenen Publikationen, mit einheitlichen Rückenschildern versah.147 Er war es, der die beiden bereits genannten Testamente von 1708 und 1712 zusammenführte und mit Seitenzahlen versah – und exakt diese für ihn charakteristische Paginierung findet sich auch in der Autobiographie seines Vorfahren, die er ebenfalls durcharbeitete. Die Anmerkungen und Unterstreichungen von alter Hand stammen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit von ihm.148 Die jüngeren Anstreichungen wiederum dürften sämtlichst von Friedrich Lucä stammen, der die Handschrift Mitte des 19. Jahrhunderts für ein breiteres Publikum zum Druck vorbereitete und Umstellungen von Sätzen und Absätzen zum Teil im Manuskript vermerkte. Dass die autobiographischen Aufzeichnungen Lucaes fragmentarischen Charakter besitzen, war bereits Friedrich Wilhelm Strieder aufgefallen, der 1788 in seiner Vorstellung des schlesischen Theologen anmerkte, mit der von Johann Christoph Kalckhoff übernommenen Abschrift lediglich „einen Theil seines [Friedrich Lucaes] eigenhändig geschriebenen Lebens“ benutzt zu haben.149 Auch der Frankfurter Jurist Lucä bezeichnete 1854 das von ihm bearbeitete Manuskript als „Bruchstück“.150 In der Handschrift finden sich tatsächlich Formulierungen, die darauf hindeuten, dass die überlieferten Aufzeichnungen Teil einer größeren Ausarbeitung waren. Der Text beginnt nach der Überschrift mit dem Satz: „In dem Schlesischen Fürstenthum Brieg, und zwar in der fürstlichen Residentz und Vestung Brieg, auf dem vorher beschriebenem herrlichen Gymnasio, bin ich, Fridericus Lucae, Anno 1644 den 11. Augusti, deß Abends umb zehn uhr, durch die Seegens hand deß Allerhöchsten, vermittelst einer glückseeligen Geburth, in daß grose Weltbuch der Natur eingetragen worden, am Tage Laurentii.“151 Das Ad-

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Lucae: Europäischer Helicon, 326. Privatarchiv der Familie Lucae. Die Aussage von Friedrich Lucä über die Autobiographie, es habe „eine fremde Hand [...] keine Zusätze zu derselben geliefert“ (Lucä: Der Chronist Friedrich Lucä, IX), ist insofern missverständlich. Es gibt solche Zusätze, aber sie stammen nicht im engeren Sinn von einer fremden Hand, sondern von einem Mitglied der eigenen Familie. Strieder: Grundlage zu einer hessischen Gelehrten und Schriftsteller Geschichte, Bd. 8, 107. Lucä: Der Chronist Friedrich Lucä, IX. Friderici Lucae eigentgliche Lebens und Totdes Geschichte, 1 (in der vorliegenden Edition 67).

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verb ‚vorher‘ kann sich an dieser Stelle nicht auf die vorhandenen Aufzeichnungen selbst beziehen, die mit der unmissverständlichen Überschrift Friderici Lucae eigentgliche Lebens und Totdes Geschichte einsetzen, sondern verweist offenbar auf einen anderen von Lucae ausgearbeiteten Text. Gleiches gilt, wenn er wenig später bei der Beschreibung des Schlosses von Oels notiert, dass „davon in dem ersten theil meldung gescheen“ sei.152 Es ist nicht zwingend, dass ein erster Teil – oder unter Umständen eine Vorfassung der Autobiographie – „verloren gegangen sein muß“, wie 1974 Konrad Lucae annahm.153 Sehr viel naheliegender ist eine andere Hypothese, die sich Friedrich Lucaes eigener Darstellung sowie den familiengeschichtlichen Studien von Samuel Christian Lucae verdankt, der in der Handschrift hier und da eigene Ergänzungen vornahm. So berichtete der schlesische Theologe in seinen Aufzeichnungen über den Tod des Vaters: „Deß morgends umb 6 Uhr an einem Sonntag, da ich solte predigen, kam ein Reuter, welcher mir die Botschaft von seinem [ Johann Lucas] Seeligen Absterben brachte. Ich verrichtete zwar selbigen morgen mein Ampt, reisete aber deß mittags mit dem Ordinair Landkutscher über Breslaw nach Brieg und machte allen anstalt zu seinem Begräbnüß.“154 Zu diesen Sätzen findet sich am linken Rand ein knapper, aber wichtiger Vermerk von Lucaes Ururenkel: „13ten Dmbr. 1673. S. Schles. Chronik“.155 Samuel Christian Lucae verwies an dieser Stelle auf das 1689 erschienene Werk Schlesiens curieuse Denckwürdigkeiten/ oder vollkommene Chronica Von Ober- und Nieder-Schlesien seines Vorfahren, in dem dieser geschrieben hatte: „Anno 1673. den 13. December starb M. Johannes Lucae seelig/ dessen entseelter Cörper mit einer ansehnlichen Funeration bey der Schloß-Kirche beerdiget/ auch mit einer grossen Menge gedruckter Lobund Trauerschrifften von denen damaligen gelehrtesten Schulmännern in gantz Schlesien/ ehrenrühmlich begleitet wurde/ worzu auch etliche ausländische/ in der Marck Brandenburg und zu Berlin docirende Professores ihre Epicedia contribuirten/ als seine gewesene Discipuli.“156 In dem genannten Werk äußerte sich Lucae überdies ausführlich zum Gymnasium in Brieg sowie zum Schloss in Oels,157 also zu jenen Orten, auf deren frühere Darstellung er in seinen Aufzeichnungen einleitend verwies. Gegen Ende seiner Autobiographie gibt Lucae schließlich selbst einen diese Zusammenhänge klärenden Hinweis, der zugleich für die Datierung seines Manuskripts größte Wichtigkeit besitzt. Lucae spricht dort die Drucklegung seines Buches Schlesische Fürsten-Krone an, das 1685 bei Friedrich Knoch

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Ebd., 2 (in der vorliegenden Edition 68). Lucae: Stammregister der Familie Lucae, 4. Friderici Lucae eigentgliche Lebens und Totdes Geschichte, 226 (in der vorliegenden Edition 322). Ebd. Lucae: Schlesiens curieuse Denckwürdigkeiten/ oder vollkommene Chronica Von Ober- und Nieder-Schlesien, 561 (die in Kursivdruck gesetzten Wörter wurden hier recte wiedergegeben). „Gymnasium in der Stadt Brieg“ (ebd., 553–570), „Von dem Oelsnischen Fürstenthum“ (ebd., 1106–1160).

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in Frankfurt am Main erschien, und erwähnt die zwei Jahre später anonym von Caspar Sommer in Weißenfels publizierte Replik Animadversiones Und Anmerckungen Uber Friedrich Liechtensterns Schlesische Fürsten-Krone. Das Jahr 1687 liefert infolgedessen einen terminus post quem für die Abfassung der Autobiographie. Seine eigene Reaktion auf die Kritik des lutherischen Theologen liefert dann auch einen terminus ante quem: „Er [der Verfasser] bringt darinnen seltsam Zeug vor. Absonderlich wollte hierauf nicht antworten, thät es aber nachgehends in Meiner Schlesischen Chronick.“158 Da sein Werk Schlesiens curieuse Denckwürdigkeiten/ oder vollkommene Chronica Von Ober- und Nieder-Schlesien erst 1689 im Druck erschien, zum Zeitpunkt dieser Äußerung aber noch in Arbeit war, muss Lucae seine Aufzeichnungen in den Jahren 1687/88 verfasst haben. Das heißt zugleich: Er konnte sich bei dieser Arbeit auf das umfangreiche, zu jener Zeit sicher schon in großen Teilen abgeschlossene Manuskript seiner „Schlesischen Chronik“ stützen, das er in der Autobiographie selbst als „ersten theil“ anspricht. In der Frage der Datierung der Aufzeichnungen irrte der Frankfurter Jurist Lucä, der Mitte des 19. Jahrhunderts annahm, „die ganze Schilderung“ sei „wahrscheinlich zu Rotenburg, wo Lucä zuletzt (von 1696 bis 1708) lebte“, aufgezeichnet worden.159 Für den Entstehungszeitraum 1687/88 sprechen überdies viele andere Zeitangaben in den Aufzeichnungen: die Erarbeitung und Drucklegung eigener Manuskripte,160 die Lektüre bestimmter Werke, die Übernahme weltlicher wie kirchlicher Ämter durch Weggefährten, Lebens- und Regierungsdaten, Geburts- und Todesfälle. Das bezieht sich allerdings nur auf die Reinschrift des Manuskripts. Einzelne Kapitel sind, wie die vielfach in der Darstellung zu findenden Zeitsprünge nahelegen, in einer ersten Fassung offenbar früher ausgearbeitet worden. Auch über den Ort, an dem Lucae sich zum Zeit-

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Friderici Lucae eigentgliche Lebens und Totdes Geschichte, 289f. (in der vorliegenden Edition 50). Lucae war der tatsächliche Verfasser der Schrift Animadversiones Und Anmerckungen Uber Friedrich Liechtensterns Schlesische Fürsten-Krone, Caspar Sommer, nicht bekannt. Er vermutete hinter dem Pseudonym „Curiosus Silesius“ Georg Wende (Wend, 1634–1705), einen früheren Professor am Magdalenen-Gymnasium in Breslau, der als streitbarer Gelehrter bekannt war. Zu Wende vgl. Müller, Karl Gottlieb: Kirchengeschichte der Stadt Lauban von der Mitte des 10. Jahrhunderts an bis mit der dritten Jubelfeier der Reformation im Jahr 1817. Görlitz 1818, 261–268; Bircher, Martin: Die späte Fruchtbringende Gesellschaft und ihre Ständeordnung. Zu einem unbekannten Schulactus, Breslau 1670. In: Garber, Klaus/Wismann, Heinz (Hg.): Europäische Sozietätsbewegung und demokratische Tradition. Die europäischen Akademien der Frühen Neuzeit zwischen Frührenaissance und Spätaufklärung, Bd. 2. Tübingen 1996 (Frühe Neuzeit. Studien und Dokumente zur deutschen Literatur und Kultur im europäischen Kontext 26), 1261–1285, hier 1262f. Lucä: Der Chronist Friedrich Lucä, 277. Diese Angabe übernahm Lucae: Stammregister der Familie Lucae, 39. Besonders viele Hinweise beziehen sich auf das erste theologische Werk. Vgl. Lucae, Fridericus: Geistlicher Welt-Schlüssel/ Oder Geistliche Eröffnung deß kleinen Erd-Gebäues/ Das ist/ Eigentliche Auffweisung der eitelen Menschen in der eiteln Welt/ und der unwiedergebornen/ verkehrten/ falschen Christen in dem Christenthumb [...]. Franckfurt am Mayn 1679.

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punkt der Abfassung aufhielt, gibt es keinen Zweifel – Formulierungen wie „alhier zu Cassel“161 und ähnliche Ortsangaben sind eindeutig. Da Lucae seine autobiographischen Aufzeichnungen in den Jahren 1687/88 verfasste, blieben seine letzten beiden Lebensjahrzehnte zwangsläufig unberücksichtigt. Der Text endet mit seinem „Witwerstandt“,162 dem Jahr, in dem seine erste Ehefrau, Elisabeth Mercer (um 1640–1686), in Kassel verstarb, ohne dass ein Zusammenhang zwischen diesem persönlichen Schicksalsschlag und dem Abbruch des Lebensrückblicks erkennbar wäre. Dazu sind die letzten Sätze, in denen Lucae seine Beobachtungen über die in Hessen aufgenommenen Hugenotten aus Frankreich festhielt, zu unscheinbar. Sein Nachfahre, der die Handschrift Mitte des 19. Jahrhunderts bearbeitete und dazu auch die familiäre Überlieferung genauer in Augenschein nahm, ging von einem Verlust der anschließenden Papiere aus: „Für den Leser unerwartet, für den Herausgeber höchst betrübend bricht hier unsere Handschrift plötzlich ab, ohne daß bis jetzt eine Fortsetzung aufzufinden gewesen wäre.“163 Das war für Friedrich Lucä 1854 der entscheidende Grund, die wichtigsten Vorkommnisse und Begebenheiten der in der Autobiographie fehlenden Lebensjahre mit eigenen Worten zu ergänzen. „Um sich und dem Leser wenigstens einigermaßen eine Entschädigung zu bieten, hat der Herausgeber in dem nachfolgenden Anhange eine Zusammenstellung aller sonstigen Nachrichten über Lucä’s weitere Schicksale niedergelegt.“164 Die Frage, ob der 1687/88 unverändert in Kassel tätige Lucae in späteren Jahren weiter an seinen autobiographischen Aufzeichnungen arbeitete, ist nicht zu beantworten. Der spärliche Familiennachlass enthält keine Belege, die auf eine Fortsetzung hindeuten. Man würde den Charakter der Handschrift Friderici Lucae eigentgliche Lebens und Totdes Geschichte allerdings missverstehen, wenn man einen strukturierten, abgerundeten und in sich ausgewogenen Text erwartet. Das waren die Aufzeichnungen, die zwar mit einer durchdachten Darstellung der älteren und jüngeren Familiengeschichte begannen, dann aber häufig punktuelle Erlebnisse in überraschender Detailfreudigkeit – abhängig von den noch anzusprechenden Vorarbeiten, auf die sich Lucae stützte – in den Vordergrund rückten, bei Lichte besehen nicht. Die von Lucae selbst gewählten Zwischenüberschriften lassen keinerlei Gewichtung erkennen, und auch der Wechsel von persönlichen Erlebnissen und Erfahrungen zu überpersönlichen Ereignissen, also die Einbeziehung politischer, religiöser und gesellschaftlicher Aspekte, will nicht recht überzeugen. Bezeichnend für die provisorische Binnengliederung des Textes sind mehrere Leerstellen in der Handschrift, an denen offenbar später eine Überschrift ergänzt werden sollte. An diesen Stellen sind Anmerkungen von fremder Hand besonders häufig – schon die Fami-

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Friderici Lucae eigentgliche Lebens und Totdes Geschichte, 33 (in der vorliegenden Edition 109). Ebd., 299 (in der vorliegenden Edition 406). Lucä: Der Chronist Friedrich Lucä, 274 Anm. *. Ebd.

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lienmitglieder, die den Text später studierten, taten sich erkennbar schwer mit dessen Anlage.165 Nicht zuletzt diese Beobachtungen lassen es geboten erscheinen, eher von autobiographischen Aufzeichnungen als von einer Autobiographie zu sprechen.

7. Lebensgeschichte – Memoiren – Tagebuch – Reisebericht. Zur literarischen Gattung und zum historischen Aussagewert der Aufzeichnungen Zu diskutieren ist freilich, ob es sich bei der Handschrift Friderici Lucae eigentgliche Lebens und Totdes Geschichte überhaupt um einen autobiographischen Text handelt, wie die vom Verfasser selbst gewählte Bezeichnung seines Manuskripts zunächst nahelegt. Der Titel hat in der historischen und literaturwissenschaftlichen Forschung wiederholt zu der Annahme geführt, Lucae habe „sein Leben aufgezeichnet“.166 Das ist in dieser Allgemeinheit so nicht vertretbar. Bei den Aufzeichnungen handelt es sich, wie im Folgenden zu zeigen sein wird, nicht um eine traditionelle retrospektive Lebensschilderung, für die es aus der Epoche der Frühen Neuzeit zahlreiche, unterdessen gut untersuchte Beispiele gibt.167 In Lucaes Darstellung mischen sich offensichtlich verschiedene literarische Gattungen, und diese Überlappungen haben zwangsläufig Auswirkungen auf den Quellenwert des Textes. Es ist befremdlich, wie unkritisch dessen nur aus einer populären Edition des 19. Jahrhunderts bekannte Ausführungen selbst noch in jüngerer Zeit gelesen und gedeutet wurden.168 165

Auch aufgrund der wenig überzeugenden Binnengliederung der Handschrift, nicht nur wegen der avisierten breiteren Leserschaft, griff Friedrich Lucä bei seiner Edition von 1854 besonders stark in die Struktur der Aufzeichnungen ein. Seine fünf Seiten umfassende Gliederung mit Ober- und Unterpunkten gab der Darstellung eine abgerundete Form, die der Ausgangstext gerade nicht besaß. Vgl. ebd., XI–XV. 166 Löwenstein: Zwischen Panegyrik und Kritik, 133. 167 Wenzel, Horst: Die Autobiographie des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit, Bd. 1–2. München 1980 (Spätmittelalterliche Texte 3–4); Velten, Hans Rudolf: Das selbst geschriebene Leben. Eine Studie zur deutschen Autobiographie im 16. Jahrhundert. Heidelberg 1995 (Frankfurter Beiträge zur Germanistik 29); Krusenstjern, Benigna von: Selbstzeugnisse der Zeit des Dreißigjährigen Krieges. Beschreibendes Verzeichnis. Berlin 1997 (Selbstzeugnisse der Neuzeit 6); Greyerz, Kaspar von/Medick, Hans/Veit, Patrice (Hg.): Von der dargestellten Person zum erinnerten Ich. Europäische Selbstzeugnisse als historische Quellen (1500–1850). Köln/Weimar/Wien 2001 (Selbstzeugnisse der Neuzeit 9); Wagner-Egelhaaf, Martina: Autobiographie. Stuttgart/Weimar 22005; Greyerz, Kaspar von (Hg.): Selbstzeugnisse in der Frühen Neuzeit. Individualisierungsweisen in interdisziplinärer Perspektive. München 2007 (Schriften des Historischen Kollegs. Kolloquien 68); Bähr, Andreas/Burschel, Peter/Jancke, Gabriele (Hg.): Räume des Selbst. Selbstzeugnisforschung transkulturell. Köln/Weimar/ Wien 2007 (Selbstzeugnisse der Neuzeit 19). 168 �������������������������������������������������������������������������������������������� Bernheiden, Inge: Individualität im 17. Jahrhundert. Studien zum autobiographischen Schrifttum. Frankfurt am Main u. a. 1988 (Literaturhistorische Untersuchungen 12), 146–149; Zientara, Włodzimierz: Sarmatia Europiana oder Sarmatia Asiana? Polen in den deutschsprachigen Druckwerken des 17. Jahrhunderts. Toruń 2001, 39–42; ders.: Stereotype Meinungen

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Die Verlegenheit, die ihm bekannten Aufzeichnungen des Vorfahren einer bestimmten Gattung zuordnen zu müssen, traf zuerst Gustav Lucae, als er 1851 mit der Biographie des Vaters einen eigenen familiengeschichtlichen Überblick veröffentlichte. Er sprach vom „Manuscript der Lebensbeschreibung“ des reformierten Theologen, das er mit seiner Studie fortzusetzen gedenke.169 Sein Bruder, der drei Jahre später die Handschrift herausgab, sprach einerseits von der „Lebensgeschichte“ seines Vorfahren, umschrieb diese andererseits aber als „Lebens- und Reiseschilderungen, die zugleich einen trefflichen Beitrag zur Sittengeschichte früherer Tage liefern“.170 Karl-Sigismund Kramer, der nicht nur die stark gekürzte Edition von 1854, sondern auch die in Kassel liegende Abschrift des gesamten Manuskripts kannte, sprach von „Lebenserinnerungen“.171 In der maßgeblichen Familiengeschichte von Konrad Lucae varriert die Begrifflichkeit erheblich, einmal ist von der „Stammesgeschichte“ die Rede, die von dem aus Brieg gebürtigen Vorfahren überliefert sei, einmal von dessen „Lebenslauf “.172 In Fachliteratur und Belletristik sind darüber hinaus weitere Bezeichnungen geläufig: „Selbstbiographie“,173 „Memoiren“,174 „Tagebuch“,175 „Reisebeschreibung“176 und „Reisebericht“.177 Keine dieser Bezeichnungen ist, betrachtet man nur einzelne Seiten der Handschrift näher, völlig von der Hand zu weisen. Dies hängt mit der Entstehung der Aufzeichnungen und der Arbeitsweise des Verfassers zusammen, der scheinbar nur die einführenden Passagen über die familiäre Herkunft in der zweiten Hälfte der 1680er Jahre zusammenhängend ausarbeitete. Bei den anschließenden Abschnitten dagegen – und dies gilt besonders für die verschiedenen, während der Studienjahre und danach unternommenen Reisen – stützte er sich auf ältere Tagebuchaufzeichnungen („Reisejournale“),

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über Polen in deutschsprachigen Druckwerken des 17. und beginnenden 18. Jahrhunderts. In: Hahn, Hans Henning (Hg.): Stereotyp, Identität und Geschichte. Die Funktion von Stereotypen in gesellschaftlichen Diskursen. Frankfurt am Main u. a. 2002 (Mitteleuropa – Osteuropa. Oldenburger Beiträge zur Kultur und Geschichte Ostmitteleuropas 5), 175–185. Lucä: S[amuel] Christian Lucä, 5. Lucä: Der Chronist Friedrich Lucä, X, 340 Anm. *. Kramer: Reiseerfahrungen vor dreihundert Jahren, 81f., 96. Lucae: Stammregister der Familie Lucae, 4, Abbildung nach 58. Klaiber, Theodor: Die deutsche Selbstbiographie. Beschreibungen des eigenen Lebens, Memoiren, Tagebücher. Stuttgart 1921, 57f.; Hopf: Gesellschaftliche Zustände in Hessen, 275. Wegele: Die deutsche Memoirenliteratur, 84f.; Fleischer: Friedrich Lucae, 69. Ein Tourist des 17. Jahrhunderts, 335; Bickerich: Gelegenheitsgedichte aus dem Freundeskreis des Comenius, 163; Riemann, Erhard: Rezension zu Heilfurth/Siuts (Hg.): Europäische Kulturverflechtungen im Bereich der volkstümlichen Überlieferung. In: Zeitschrift für Volkskunde 66 (1970) 174–176, hier 176. Lubos, Arno: Geschichte der Literatur Schlesiens, Bd. 1/1: Von den Anfängen bis ca. 1800. Würzburg 1995, 317. Walther, Peter (Hg.): Musen und Grazien in der Mark. 750 Jahre Literatur in Brandenburg. Ein historisches Schriftstellerlexikon. Berlin 2002, 96; Meyer, Dietrich: Die reformierten Hofprediger im Herzogtum Liegnitz-Brieg im 17. Jahrhundert. In: Bahlcke/Dingel (Hg.): Die Reformierten in Schlesien, 83–111, hier 85.

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die Anfang des 19. Jahrhunderts zumindest in Teilen noch existierten,178 heute aber als verschollen gelten müssen. Diese Zusammenhänge waren auch Friedrich Lucä bewusst, als er die Edition des Manuskripts vorbereitete: „Eine genauere Betrachtung unserer Handschrift deutet darauf hin, daß ihr die Blätter eines Tagebuchs zur theilweisen Quelle dienten, das während der Universitätsjahre und auf allen Reisen mit besonderer Vollständigkeit geführt worden war.“179 Was sein Vorfahre mit der Kompilation früherer Notizen und späterer Ergänzungen leistete und schließlich unter dem Titel Friderici Lucae eigentgliche Lebens und Totdes Geschichte bündelte, umschrieb der Frankfurter Jurist 1854 treffend als „Zusammenstellen der ganzen Schilderung“.180 Lucae beließ es allerdings Ende der 1680er Jahre nicht bei einer Zusammenstellung älterer Tagebuchnotizen und jüngerer Textpassagen. Er integrierte in seine Ausarbeitung auch Informationen anderer Autoren, deren Werke er im Lauf der Zeit gelesen hatte. In seine autobiographischen Aufzeichnungen gingen mithin eigene Beobachtungen und spätere Erinnerungen, Reflexionen jüngeren Datums sowie Befunde aus diversen Veröffentlichungen ein. Eine saubere Trennung dieser unterschiedlichen Schichten ist kaum möglich. Dies schränkt zwangsläufig den historischen Aussagewert der Aufzeichnungen ein. In der respublica literaria gehörten Bücher schlechthin zum Habitus des Gelehrten. Entsprechend häufig sind in autobiographischen Zeugnissen des 17. und 18. Jahrhunderts Hinweise über die Zusammenstellung und unablässige Erweiterung der eigenen Bibliothek, Kontakte zu Buchhändlern, das Erscheinen neuer Werke und den Besuch von Auktionen zu finden.181 Lesende und schreibende Pfarrer unterschieden sich in dieser Hinsicht kaum von den an Universitäten und Akademien tätigen Gelehrten. „Sehen, hören, sammeln und schreiben“, so fasste es Hans Erich Bödeker in Anlehnung an eine

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Lucä: S[amuel] Christian Lucä, 8 Anm. *. Lucä: Der Chronist Friedrich Lucä, 277. Es waren freilich nicht jene älteren „Tagebuchaufzeichnungen“, die 1854 von Friedrich Lucä veröffentlicht wurden, wie es fälschlich bei Vierhaus, Rudolf (Hg.): Deutsche Biographische Enzyklopädie, Bd. 6. München 22006, 576 (s. v. Lucae, Friedrich), heißt. Lucä: Der Chronist Friedrich Lucä, 277. Raabe, Horst (Hg.): Öffentliche und Private Bibliotheken im 17. und 18. Jahrhundert. Raritätenkammern, Forschungsinstrumente oder Bildungsstätten? Bremen/Wolfenbüttel 1977 (Wolfenbütteler Forschungen 2); Boehm, Laetitia: Studium, Büchersammlung, Bildungsreise: Elemente gelehrter Allgemeinbildung und individueller Ausprägung historisch-politischer Weltanschauung im konfessionellen Zeitalter. In: Acta historica Leopoldina 31 (2000) 117– 151; Lüdtke, Alf/Prass, Reiner (Hg.): Gelehrtenleben. Wissenschaftspraxis in der Neuzeit. Köln/Weimar/Wien 2008 (Selbstzeugnisse der Neuzeit 18); Bahlcke, Joachim: Briefe, Bücher, Bildungsreisen. Gelehrte Kommunikation im Europa der Frühaufklärung. In: Bahlcke, Joachim/Dybaś, Bogusław/Rudolph, Hartmut (Hg.): Brückenschläge. Daniel Ernst Jablonski im Europa der Frühaufklärung. Dößel 2010, 288–305; Li, Wenchao/Noreik, Simona (Hg.): G. W. Leibniz und der Gelehrtenhabitus. Anonymität, Pseudonymität, Camouflage. Köln/ Weimar/Wien 2016.

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Äußerung von August Ludwig Schlözer (1735–1809) pointiert zusammen, erweisen sich in diesem Zusammenhang als einander ergänzende Praktiken der Gelehrsamkeit.182 In Lucaes Manuskript werden dutzende Werke und deren Autoren namentlich genannt. In vielen Fällen wird darauf hingewiesen, dass sich die entsprechenden Titel in seiner Büchersammlung befänden. So heißt es in der Autobiographie beispielsweise zu Johann Christoph Beckmann (Becmann, 1641–1717), den Lucae in Frankfurt an der Oder persönlich kennengelernt hatte: „Seine Historia Orbis Terrarum, eiusdem Descriptio Universitatis Franckofurtanae, eiusdem Meditationes Politicae, et Lineae Doctrinae Moralis, eiusdem Dissertationes de Titulis, befindet sich in meiner Bibliotheca.“183 Nach der Aufzählung verschiedener theologischer Schriften findet sich an anderer Stelle die Angabe: „Alle diese Disputationes seind befindlich in einem Tomo Meiner Historischen Bücher.“184 Neben den Angaben zu den Titeln werden häufig auch Buchformate oder Lebensläufe und Kupferstiche, die zu einzelnen Autoren vorliegen, erwähnt. „Es lebte hier der Berühmte Philologus und Historicus, als Professor Honorarius, herr Martinus Schoockius von Utrecht auß Holland, deßen sein Bildnüß und Curriculum Vitae und Bildnüß in meiner Bibliotheca in dem Buch in Folio, davon der Titel ist: Effigies et Vitae Professorum Academiae Groningae et Omlandiae, kann ersehen werden.“185 Lucae besaß einen eigenen Katalog seiner Büchersammlung,186 der allerdings nicht erhalten ist. Angaben zum Umfang der Bibliothek können deshalb nicht gemacht werden. Von den Werken, die Friedrich Lucae einst besaß, befinden sich nur noch zwei im Familienbesitz. Beim ersten, nur unvollständig überlieferten Buch fehlt auch das Titelblatt. Bei dem zweiten handelt es sich um eine Schrift des aus Deinze in Flandern gebürtigen niederländischen Theologen Willem Baudaert (Baudartius, 1565–1640), die 1616 in Amsterdam erschienen ist.187 Dieses Werk wird in der Autobiographie allerdings nicht erwähnt. Als Lucae seine älteren Tagebuchaufzeichnungen und Reisenotizen in Kassel zu einer zusammenfassenden Lebensbeschreibung verarbeitete, stützte er sich auch auf diese private Büchersammlung. Besonders aus landeskundlichen und historischen Werken übernahm er zahlreiche Informationen in die eigene Darstellung. Dies gilt zum Beispiel für

182 ��������������������������������������������������������������������������������������� Boedeker, Hans Erich: „Sehen, hören, sammeln und schreiben“. Gelehrte Reisen im Kommunikationssystem der Gelehrtenrepublik. In: Paedagogica Historica 38 (2002) 505–532. 183 Friderici Lucae eigentgliche Lebens und Totdes Geschichte, 181 (in der vorliegenden Edition 270). 184 Ebd., 275 (in der vorliegenden Edition 378). 185 Ebd., 183 (in der vorliegenden Edition 55). 186 „Catalog seiner Bibliothek Mscpt.“. Lucä: S[amuel] Christian Lucä, 43. 187 Baudartius van Deynse, Wilhelmus: De Nassausche oorloghen. Afbeeldinghe, ende beschrijvinghe van alle de veldslagen, belegeringen, ende and’re notable geschiedenissen, ghevallen in de Nederlanden, geduerende d’oorloghe teghens de Coningh van Spaengien, onder het beleydt van den Prince van Oraengien, ende Prince Maurits de Nassau [...]. t’Amsterdam 1616.

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die „Beschreibung der fürnehmsten Stätte/ Plätz und Vestungen/ meistens in Europa, auch theils in andern Theilen der gantzen Welt“, die auf Vorarbeiten von Abraham Saur (Saurius, 1545–1593) zurückging, in erweiterter Form dann aber 1658 von dem Frankfurter Juristen Hermann Adolf Authaeus (Authes, 1622–1671) herausgegeben wurde und eine breite Rezeption erfuhr.188 In manchen Fällen ist eine solche, mitunter recht weitgehende Entlehnung offensichtlich, in anderern darf sie vermutet werden. Hier und da gibt Lucae offen an, dass genauere Informationen zu seinen Ausführungen in anderen Druckwerken zu finden seien. Über die Festung Breda etwa könne man „ein mehres“ nachlesen bei Emanuel van Meteren (1535–1612), und zwar im ersten Band von dessen Werk Niederländische Historien, der in seiner „Bibliotheca befindlich ist“.189 Besonders häufig sind solche Verweise bei der Beschreibung von öffentlichen Gebäuden und Gotteshäusern. Zur Nieuwe Kerk, der zweitältesten Kirche von Amsterdam, schrieb Lucae: „Daher wird in dieser Kirche jährlich ein groser Reichthum, auf viel Millionen sich erstreckende, von Almosen gesamlet, davon auch viel 1000 armer Menschen unterhalten werden, wie auß dem Florilegio Historico Huberi in meiner Bibliotheca zu sehen ist.“190 Der Typus des barocken Polyhistors und Kompilators, der uns in Lucaes monumentalen Geschichtswerken entgegentritt, begegnet uns auch in dessen Autobiographie. Lucaes spezielle Arbeitsweise, seine Kompilationstechnik und Informationsauswahl sollen im Folgenden an einem Beispiel genauer betrachtet werden. Dabei wird ein von ihm unverkennbar genutztes Werk von Philipp von Zesen (1619–1689), einem der vielseitigsten Autoren des 17. Jahrhunderts im deutschsprachigen Raum, zum Vergleich herangezogen: die 1664 im Druck erschienene Beschreibung der Stadt Amsterdam, eines seiner bekanntesten Bücher.191 In seiner Autobiographie erwähnt Lucae weder den Titel des Werkes noch dessen Autor. Zesen gilt als ein herausragender Kenner der Niederlande: Bereits während des Dreißigjährigen Krieges hatte er mehrere Jahre als Übersetzer und Mitarbeiter in Verlagen in Amsterdam, Leiden und Utrecht verbracht. Nach mehreren Ortswechseln war er 1656 erneut in die Niederlande gezogen. Zwei Jahre nach Erhalt des Bürgerrechts in Amsterdam 1662 legte er seine stadtgeschichtliche Darstellung der berühmten, wohlhabenden und weltoffenen Stadt vor, in der er historischen Rückblick und literarische Erzählung kunstvoll miteinander verschränkte. 188

Saurius, Abrahamus: Stätte-Buch: Oder Außführliche und auß vielen bewehrten alten und neuen Scribenten zusammen in ein Corpus gebrachte Beschreibung der fürnehmsten Stätte/ Plätz und Vestungen/ meistens in Europa, auch theils in andern Theilen der gantzen Welt [...]. Hg. v. Hermann-Adolphus Authes. Franckfurt am Mayn 1658. 189 Friderici Lucae eigentgliche Lebens und Totdes Geschichte, 80 (in der vorliegenden Edition 160). 190 Ebd., 118 (in der vorliegenden Edition 202). 191 ������������������������������������������������������������������������������������� Zesen, Filip von: Beschreibung der Stadt Amsterdam: Darinnen von Derselben ersten Ursprunge bis auf gegenwärtigen zustand/ ihr unterschiedlicher anwachs/ herliche Vorrechte/ und in mehr als 70 Kupfer-stükken entworfene führnehmste Gebeue/ zusamt ihrem Stahtswesen/ Kauf-handel, und ansehnlicher macht zur see/ wie auch was sich in und mit Derselben märkwürdiges zugetragen/ vor augen gestellet werden. Amsterdam 1664.

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In seinen Ende der 1680er Jahre verfassten autobiographischen Aufzeichnungen verarbeitete Friedrich Lucae nicht nur ältere Tagebuchnotizen, Erinnerungen und Reflexionen, sondern bediente sich auch großzügig fremder Texte. Bei seiner Beschreibung von Amsterdam stützte er sich vor allem auf ein Werk, dass Philipp von Zesen (1619–1689) im Jahr 1664 publiziert hatte. Der Typus des barocken Polyhistors und Kompilators, der uns in den monumentalen Geschichtswerken Lucaes entgegentritt, begegnet uns auch in dessen Lebensbeschreibung. Bildnachweis: Württembergische Landesbibliothek Stuttgart, Sign. HB 5163.

„An interessierten Käufern und Lesern hat es dieser Stadtbeschreibung mit ihren detailgetreuen Kupfern und sowohl historischen wie aktuellen Informationen nicht gemangelt: das Buch war weitverbreitet.“192 Es wäre geradezu erstaunlich, wenn Lucae, der Amsterdam Mitte der 1660er Jahre mehrfach und über mehrere Wochen besuchte, das Werk von Zesen nicht bereits in den Niederlanden zu Gesicht bekommen hätte. Dass er dem Verfasser der Beschreibung der Stadt Amsterdam persönlich begegnete, ist eher unwahrscheinlich, denn das hätte er bei einer so prominenten Person – wie in anderen Fällen – gewiss vermerkt. Möglich wäre überdies, dass er das Buch bereits vor Ort erwarb und als eine Art Reiseführer 192

Ingen, Ferdinand van: Philipp von Zesens Beschreibung der Stadt Amsterdam (1664). Informierender Bericht und narrative Darstellung. In: Daphnis. Zeitschrift für Mittlere Deutsche Literatur und Kultur der Frühen Neuzeit (1400–1750) 34 (2005) 203–229, hier 205f. Vgl. ferner ders.: Nachwort des Herausgebers. In: Zesen, Philipp von: Sämtliche Werke, Bd. 16: Beschreibung der Stadt Amsterdam. Hg. v. Ferdinand van Ingen. Berlin/New York 2000, 579– 596. Eine in Teilen abweichende Interpretation bietet Gellinek, Christian (Hg.): Europas Erster Baedeker. Filip von Zesens Amsterdam 1664. New York u. a. 1988 (Culture of European Cities 2). Zu Werk und Autor vgl. zusammenfassend Bergengruen, Maximilian/Martin, Dieter (Hg.): Philipp von Zesen. Wissen – Sprache – Literatur. Tübingen 2008 (Frühe Neuzeit. Studien und Dokumente zur deutschen Literatur und Kultur im europäischen Kontext 130).

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für die eigenen Rundgänge in der Stadt nutzte. Angesichts der begrenzten Geldmittel und fehlender Möglichkeiten, Bücher auf der Studienreise zu transportieren, ist jedoch auch dies unwahrscheinlich. Lucae benutzte die Stadtgeschichte Zesens vermutlich erst Jahre später, im Zusammenhang mit der Niederschrift seiner Autobiographie. Keinen anderen Ort schilderte Lucae mit einer solchen Detailfreude wie Amsterdam – und für keinen anderen dürfte er auch ein vergleichbar informatives und zuverlässiges Nachschlagewerk in seiner Büchersammlung besessen haben. Die Reihenfolge, mit der Lucae ausgewählte Gotteshäuser und weltliche Gebäude Amsterdams beschreibt, weist deutliche Übereinstimmungen mit der Gliederung bei Zesen auf. Noch offensichtlicher wird die Kongruenz einzelner Textstellen, die im Folgenden in größerer Länge zitiert werden müssen, bei den konkreten Beschreibungen. So beschrieb Zesen die berühmte Waage von Amsterdam mit den Worten: „auch zur seiten/ nach dem Rahthause zu/ eine zwoseitige sehr hohe steinerne treppe/ welche nach oben zu gehet: da sich ein Wachzimmer/ und die Kammer des Kriegsrahtes befindet. Unter dieser zwoseitigen treppe komt man durch eine sehr hohe tühre in die Wage selbst/ und auf jeder der andern drei seiten noch durch zwo dergleichen tühren; also daß rund herüm sieben tühren/ und in jeder tühre eine große wagschahle zu sehen. Auf diesen wageschahlen/ wie auch auf den kleineren/ welche innerhalb hängen/ werden allerhand Kaufwahren/ die üm die wage herüm täglich mit hauffen liegen/ gewogen: welches der stadt/ und dem Lande/ wan man das wagegeld der Neuen oder Antohnswage [...] darzu rechnet/ jährlich bei die 200000 gülden/ doch bald mehr/ bald weniger/ aufbringet. Und hierzu seind besondere Wage-träger/ welche die kaufmans-gühter auf die wage legen/ wie auch besondere Schleuffer/ die selbige mit ihren schleuffen/ welche durch ein pferd gezogen werden/ anher bringen/ ja noch mehr andere arbeiter/ und anzeichner verordnet. Diese arbeiter/ welche den gantzen tag durch bei der Wage sich finden laßen/ haben/ nachdem sie in besondere ordnungen geteilet seind/ auch ihre besondere nahmen/ und mützen oder hühte; damit sie von den kaufleuten üm so viel besser können erkant/ und unterschieden werden. Etliche tragen rohte/ andere grühne hühte; wiederüm andere zodliche bunte mützen/ da allerhand farben durch einander gespränkelt.“193 In Lucaes Aufzeichnungen heißt es dazu: „Man gehet hienauf eine breite steinerne Treppen und in die Zimmer, worinnen die kammer des kriegs Raths und die Waage Rechnungen verwaltet und gehalten werden. Unten in daß Gewölbe gehen 7  grose Thore, da bey einem jeden Thore eine Grose Waage hanget, darauf die Schweren Kaufmannsgüter abgewogen werden und jährlich der Stat etliche tonnen goldes abwerffen. Hierbey befinden sich viel arbeiter, da ein jeder seine besondere angewiesene arbeit zu versehen hat, und, daß man dieselben erkennen möge, tragen Sie besondere hütte und mützen, etliche rothe, andere grüne, etliche blaue und so weiter.“194 Lucaes Text 193 194

Zesen: Beschreibung der Stadt Amsterdam, 233f. Friderici Lucae eigentgliche Lebens und Totdes Geschichte, 125 (in der vorliegenden Edition 209).

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ist zwar deutlich kürzer und gestraffter. Es ist nichtsdestotrotz unübersehbar, dass er hier der Darstellung Zesens folgt. Damit ist nicht gesagt, dass er die beschriebenen Räumlichkeiten persönlich gar nicht in Augenschein nahm. Aber seine Aufzeichnungen vermischen zumindest dort, wo er durch eigene Lektüre Ergänzungen vornehmen konnte, Authentisches und Angelesenes. Tatsächlich lässt sich gerade in Lucaes besonders ausführlichem Rückblick zu seinem Besuch in Amsterdam eine Fülle vergleichbarer Entlehnungen finden, die aus moderner Sicht einem Plagiat gleichkommen. Über das „Neue Rahthaus“ schrieb Zesen, auf dessen Frontgiebel sehe man „die Amsterdammische Jungfrau/ mit einem öhlzweige/ dem zeichen des friedens/ in der hand/ und mit der Keiserlichen Krohne auf ihrem heupte/ in einem stahtssessel/ den zwee Leuen stützen und bewachen/ sich niedergelaßen. Neben ihr/ zu beiden seiten/ befinden sich die Amstelinnen/ die Seeund strohmfrauen/ samt den Wassermännern; welche sie zum teil mit palmen- und lorbeer-kräntzen verehren/ zum teil mit ihren perlenen hörnern ihr lob ausblasen. Der alte See-vater selbsten stehet ihr/ auf seinem seewagen mit seepferden gezogen/ zu dienste.“195 Bei Lucae wiederum ist zu lesen, man finde auf dem Giebel „die Amsterdamische Jungfrau mit ­einem Oelzweige in der hand haltende und mit einer Kayser krone auf dem ­Staats Sessel sitzende, neben welcher die Strom und See Göttinnin stehen und mit perlen hörnern derselben lob außblasen: Auch der Alte See Vater Neptunus findet sich darbey auf einem Seewagen mit Seepferden bespannet zu ihrem Dienste.“196 Durch die Verkürzung, die Streichung der Wassermänner, wurde an dieser Stelle zudem noch der Sinn verdreht. Selbst Angaben, die auf den ersten Blick die Gelehrsamkeit des Verfassers bezeugen, wurden von Lucae in diesem Abschnitt bedenkenlos plagiiert. Bezeichnend für diese Arbeitspraxis ist der folgende Satz: „Daß Alte Agneten kloster hat Sie [die ‚hiesige Obrigkeit‘] in ein Gymnasium Academicum verwandelt, in welchem, vor Zeiten, der Berühmte Vossius, Blondellus, Rufius, Morus, Hortensius und andere dociret haben.“197 Exakt diese fünf Namen hatte auch Zesen an der betreffenden Stelle in seiner Beschreibung der Stadt Amsterdam genannt.198 Lucae bediente sich bei der Abfassung seiner Lebensbeschreibung großzügig nicht nur fremder Texte, wie vereinzelte Stellen klar erkennen lassen, er übernahm auch einzelne Passagen aus früher verfassten eigenen Schriften beziehungsweise fügte umgekehrt Teile der Autobiographie in später erarbeitete Werke ein.199 Die Handschrift Fride195 196 197 198 199

Zesen: Beschreibung der Stadt Amsterdam, 248. Friderici Lucae eigentgliche Lebens und Totdes Geschichte, 122 (in der vorliegenden Edition 206). Ebd., 126 (in der vorliegenden Edition 210). Zesen: Beschreibung der Stadt Amsterdam, 333. Die Verbindungen zwischen Lucaes autobiographischen Aufzeichnungen und seinem 1689 veröffentlichten Werk Schlesiens curieuse Denckwürdigkeiten/ oder vollkommene Chronica Von Ober- und Nieder-Schlesien wurden bereits angesprochen. Die Überschneidungen einzelner Textpassagen sind unübersehbar, vgl. nur die Angaben zum Gymnasium in Brieg, ebd., 553– 568, mit Friderici Lucae eigentgliche Lebens und Totdes Geschichte, 14–19 (in der vorliegen-

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rici Lucae eigentgliche Lebens und Totdes Geschichte ist insofern keine eigenständige Abhandlung, die man isoliert von den anderen Schriften lesen darf, sondern ein Text, den man in Verbindung sowohl mit früheren als auch mit späteren Werken des reformierten Theologen studieren muss. Hier allerdings ergibt sich ein Problem, denn seit Wegeles Hinweisen aus den 1880er Jahren gibt es keine systematischen Untersuchungen zum Œuvre von Lucae.200 Dieser ist zwar schon früh als „Mann von Verdiensten um die Geschichte“ gewürdigt worden,201 doch sollte man seine Veröffentlichungen nicht auf die historiographischen Schriften reduzieren. Lucaes autobiographische Aufzeichnungen, die auch als erbauliche Erzählung und Anleitung zu einem christlichen Lebenswandel gelesen werden müssen, sind ebenso im Kontext der theologischen Abhandlungen zu sehen, die von der Forschung bisher vollständig unbeachtet geblieben sind.

den Edition 83–93). Umgekehrt flossen Passagen der Autobiographie in das 1711 postum publizierte Werk Titel Europäischer Helicon ein. Dies gilt besonders für die Charakterisierung einzelner Personen. Vgl. exemplarisch die Angaben zu Johann Friedrich Gronovius (Gronow, 1611–1671) ebd., 895, mit Friderici Lucae eigentgliche Lebens und Totdes Geschichte, 104 (in der vorliegenden Edition 185f.). 200 �������������������������������������������������������������������������������������� Ansätze hierzu bieten jüngere Forschungen der polnischen Germanistik und Kulturwissenschaft. Vgl. Mróz-Jabłecka, Kalina: Das Bild der literarischen Provinz Schlesiens am Beispiel von Schlesiens curieuse Denckwürdigkeiten oder vollkommene Chronica von Ober- und Niederschlesien von Friedrich Lucae. In: Adamski, Marek/Kunicki, Wojciech (Hg.): Schlesien als literarische Provinz. Literatur zwischen Regionalismus und Universalismus. Leipzig 2008 (Beiträge des Städtischen Museums Gerhart-Hauptmann-Haus in Jelenia Góra 2), 31–41; Szafarz, Jolanta: Rhetorik und Stereotyp in den schlesischen Chroniken des 17. Jahrhunderts. In: Czarnecka, Mirosława/Borgstedt, Thomas/Jabłecki, Tomasz (Hg.): Frühneuzeitliche Stereotype. Zur Produktivität und Restriktivität sozialer Vorstellungsmuster. Bern u. a. 2010 ( Jahrbuch für Internationale Germanistik A/99), 399–406. 201 Ehrhardt: Presbyterologie des Evangelischen Schlesiens, Th. II/1, 84.

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Grundsätze der Texterstellung Von Wolfgang Matt 1. Allgemeine Editionsrichtlinien Ziel der Edition ist es, den ursprünglichen Charakter des Textes zu erhalten. Angleichungen und Änderungen am Original, die nachfolgend genauer definiert werden, sollen auf ein Minimum reduziert werden. Notwendige Änderungen werden nur dann vorgenommen, wenn es die Lesbarkeit erfordert und um ein besseres Textverständnis zu ermöglichen. Eingriffe in die Textgestaltung werden auf das Nötigste reduziert und im Textapparat vermerkt, zusätzliche Erläuterungen im Text- und Sachapparat werden so knapp wie möglich gehalten.

2. Auswahl des Textes und Urheberschaft Die Textgrundlage der Edition ist die sich in Familienbesitz befindende Fassung der autobiographischen Aufzeichnungen von Friedrich Lucae (1644–1708), die den Titel „Friderici Lucae eigentgliche Lebens und Totdes Geschichte“ trägt. Der vorliegende Text ist eine Reinschrift, weitere Exemplare und Entwürfe sind nicht erhalten. Es handelt sich hierbei um die originale Fassung der autobiographischen Aufzeichnungen. Daher wird diese als Grundlage der Edition verwendet. Daneben ist eine gleichnamige Abschrift überliefert, die in der Landes- und Universitätsbibliothek Kassel aufbewahrt wird.1 Es handelt sich hierbei um eine mit wenigen Ausnahmen wortgetreue Kopie, deren Urheberschaft und Entstehungszeitraum argumentativ gut eingegrenzt werden können, wie im einleitenden Beitrag geschehen. Auf eine Kollationierung wird aufgrund der seltenen Abweichungen der beiden Fassungen im Rahmen dieser Edition verzichtet. Ein Schriftvergleich mit anderen Werken, die nachweislich aus der Feder von Friedrich Lucae stammen, belegt seine Autorschaft. Dies zeigt ein Vergleich zwischen der ­ersten Seite aus dem zweibändigen Manuskript der Rotenburger Chronik (Seite 64)2 und der ersten Seite des verwendeten Textes (Seite 62). Die vorliegende Fassung entstand mutmaßlich zwischen 1687 und 1688, das zweibändige Manuskript der Rotenburger Chronik stammt aus den Jahren 1700 und 1701. 1 Universitätsbibliothek Kassel – Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel, Sign. 2° Ms. Hass. 70. 2 Ebd., Sign. 2° Ms. Hass. 47/1-2. Vgl. auch deren Edition: Kittelmann, Hans-Günter (Bearb.): Das edle Kleinod an der hessischen Landeskrone von Friedrich Lucae † 1708. Rotenburger Chronik, Bd. 1: Von den Anfängen bis 1700. Kassel 1996 (Hessische Forschungen zur geschichtlichen Landes- und Volkskunde 29).

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Wolfgang Matt Erste Seite des von Friedrich Lucae verfassten Manuskripts mit seinen autobiographischen Aufzeichnungen, das sich in Familienbesitz befindet. Bildnachweis: Privatarchiv der Familie Lucae.

Auf den ersten Blick fällt die Ähnlichkeit der Federführung ins Auge. Typisch ist in seiner Kurrentschrift das Absetzen der Feder zwischen einzelnen Buchstaben, um eine bessere Lesbarkeit des Textes zu erzielen. Lediglich einzelne Kombinationen wie beispielsweise „ch“ oder „st“, in selteneren Fällen auch „en“, werden verbunden geschrieben. Beide Handschriften sind leicht nach rechts geneigt. Zudem ist die Palette der jeweiligen Buchstabenvarianten identisch. Exemplarisch seien hier sein großes in Kurrent geschriebenes „G“ und „H“ genannt, die charakteristisch für die Hand von Lucae sind. Einzelne – oft verwendete – Wörter, wie zum Beispiel das „und“, werden bei Lucae in der Regel stark zusammengezogen und sind ebenfalls kennzeichnend für ihn. Zugleich sind jedoch leichte Veränderungen zwischen den beiden Manuskripten zu erkennen. Während das Schriftbild der autobiographischen Aufzeichnungen gleichmäßig er-

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scheint und in den jeweiligen Zeilen bleibt, wirkt es in der Rotenburger Chronik fahriger und weniger klar. Auch ist hier die Parallelität der Zeilen nicht immer gegeben. Ein Altern der Handschrift ist erkennbar, wenig verwunderlich in Anbetracht der zeitlichen Differenz von rund 13 Jahren.

3. Grundsätze der Textgestaltung und Transkription 3.1. Paginierung, Zeilenumbrüche und Textgliederung Die Paginierung der Handschrift wird in der Edition beibehalten. Die Seitenzählung wird zwischen zwei senkrechten Strichen dargestellt. Wörter, die von einem Seitenumbruch getrennt werden, werden in der Trennung belassen. Das heißt, dass zwischen den getrennten Silben die Seitenzahl angeführt wird (zum Beispiel „Erudi- |16| tion“, Seite 85). Da die Zeilenlänge im edierten Text nicht mit jener der Leithandschrift übereinstimmt, werden Worttrennungen am Zeilenende nicht übernommen. Die Einteilung des Manuskripts in Kapitel, deren jeweilige Abschnitte und Absätze werden beibehalten. Einzige Ausnahmen hiervon sind Leerstellen für Überschriften, die auf den Seiten 340, 342 und 346 auftreten. Diese Lücken werden im Textapparat vermerkt, sie werden jedoch nicht eigens im Fließtext durch eine Leerzeile graphisch hervorgehoben. Damit soll einer möglichen Verwechslung mit sich im Text ­befindlichen Absätzen vorgebeugt werden. Einige Leerstellen (Seite 292, 304, 322, 327 und 335) wurden zudem nachträglich durch eine Titelangabe von fremder Hand gefüllt. Diese werden als vollwertige Sinneinheiten betrachtet und entsprechend im Textapparat vermerkt. Die vom Verfasser intendierte Binnengliederung soll dadurch erhalten bleiben. Mutmaßlich handelt es sich bei den nachträglichen Kapitelbezeichnungen um die seines Nachfahren Samuel Christian Lucae (1787–1821). Die uneinheitliche Gliederung in Unterkapitel, so zum Beispiel nach „IX. Friderici Lucae Studia zu Leiden in Holland“ (Seite 181), wird in der Edition aufgegeben. Jede Sinneinheit mit eigener Überschrift wird als vollwertiges Kapitel betrachtet und in die Zählung aufgenommen, um eine verbesserte Übersichtlichkeit des Textes sicherzustellen. Dementsprechend ändert sich die anschließende Nummerierung der Kapitel. Dies wird jeweils im Textapparat angemerkt. Die wenigen mehrspaltigen Aufzählungen auf den Seiten 86–90 und 190f. werden alphabetisch aufgelöst. Auf die mehrspaltige Wiedergabe der jeweiligen Listen wird in der Edition verzichtet, um eine bessere Übersichtlichkeit der angeführten Namen zu erreichen. 3.2. Textwiedergabe, Groß- und Kleinschreibung, Worttrennung und Interpunktion Der Originaltext wird buchstabengetreu wiedergegeben. Daraus resultierende unterschiedliche Schreibweisen einzelner Wörter werden übernommen. Besonderheiten der Schrift, die keine lautliche, sondern lediglich eine graphische Unterscheidung darstel-

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Wolfgang Matt Erste Seite der von Friedrich Lucae stammenden Rotenburger Chronik. Bildnachweis: Universitätsbibliothek Kassel – Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel, Sign. 2° Ms. Hass. 70.

len (wie zum Beispiel „eü“ für „eu“, „ÿ“ für „y“), werden stillschweigend aufgelöst. „I“ und „J“ werden für eine bessere Leseverständlichkeit ihrem Lautwert angepasst. Die für Lucae üblichen „V“ am Wortanfang werden ebenfalls für einen besseren Lesefluss in den gegebenen Fällen ihrem Lautwert entsprechend in ein „U“ umgeschrieben. Da die Handschrift aus der deutschen Kurrentschrift in die lateinische Antiqua in dieser Edition übertragen wird, kann die – im Manuskript nicht immer konsequent durchgeführte – Trennung der Schreibweise zwischen Kurrentschrift für deutsche Wörter und Antiqua für lateinische Begrifflichkeiten beziehungsweise Fremdwörter nicht abgebildet werden. Der Editionstext wird ausschließlich in Antiqua dargestellt. Die Groß- und Kleinschreibung der Leithandschrift wird belassen, um dadurch möglichen Hervorhebungen des Autors zu entsprechen. Bei einem unklaren Lesebefund wird die von Lucae bevorzugte Schreibweise verwendet. Einzelne Wörter, die von ihm zur Hervorhebung durchgängig groß geschrieben werden (zum Beispiel die Namen seiner

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Eltern und seiner Schwester auf Seite 67 und 73), werden in der Edition zur Vereinheitlichung des Schriftbilds angepasst. Ähnliche Hervorhebungen in den Kapitelüberschriften werden ebenfalls nach den Gewohnheiten des Autors umgeschrieben. Diese Änderungen werden im Textapparat vermerkt. Am Satzanfang wird immer groß begonnen. Auch nach einem Semikolon wird, für den Verfasser typisch, groß angefangen. Die Getrennt- und Zusammenschreibung einzelner Wörter erfolgt wie in der Originalhandschrift. Aufgrund des für Lucae typischen Absetzens der Feder zwischen einzelnen Buchstaben kann nicht immer mit letzter Sicherheit bestimmt werden, wo ein Wort beginnt beziehungsweise endet. Bei einer unsicheren Lesart wird den Gewohnheiten des Autors gefolgt. Ein besonders schwieriger Fall ist bei der Wortkombination „wie wol“ anzumerken, da Lucae vor einem „W“ in der Regel einen größeren Abstand lässt als vor anderen Buchstaben. In vielen Fällen ist sowohl „wie wol“ als auch „wiewol“ möglich. Auch der Zeilenumbruch im Original gibt hier keinen Aufschluss, da beide Schreibweisen im Manuskript vorhanden sind. Als Standard wird in der Transkription wegen der Häufigkeit nun „wie wol“ für alle strittigen Fälle gesetzt, nur unmittelbar durch einen Zeilenumbruch festgelegte „wiewol“ (Seite 121, 122, 138, 182 und 358) werden als solche dargestellt, um die Schreibweise des Autors bestmöglich wiederzugeben. Die Interpunktion wird stillschweigend modernen Lesegewohnheiten angepasst. Das übliche Verbindungszeichen wird in der Edition als Bindestrich dargestellt. Aufzählungen werden in der modernen Zeichensetzung wiedergegeben. Neben- und Relativsätze werden nach moderner Rechtschreibung interpunktiert. Einschübe werden, sofern dies nicht bereits seitens des Verfassers geschehen ist, zur besseren Verständlichkeit zwischen zwei Kommata gesetzt. Auslassungszeichen werden mit drei Punkten wiedergegeben. 3.3. Emendationen, Ligaturen, Abkürzungen und Zitate Nur klar identifizierbare Fehler der Reinschrift werden emendiert. Bei gedoppelten Wörtern (Seite 108, 244, 250 und 379) beziehungsweise Satzteilen (Seite 291) wird die zweite Nennung gestrichen. Sinnentstellende Fehler, wie zum Beispiel „wir“ zu „wird“ (Seite 203) oder „Bald“ zu „Bad“ (Seite 318), werden korrigiert. Wortauslassungen (Seite 345) werden verbessert. Emendationen werden im Textapparat vermerkt. Gängige Ligaturen und Dopplungsstriche über Konsonanten (zum Beispiel bei m oder n) werden stillschweigend aufgelöst. Abkürzungen werden bei eindeutiger Erschließbarkeit ebenfalls ihrer Bedeutung entsprechend ausgeschrieben. Die Angabe von Bibelstellen wird aufgrund ihrer eindeutigen Verständlichkeit hingegen nicht weiter verändert. Wörtliche Zitate des Originalmanuskripts werden buchstabengetreu wiedergegeben. Auf eine Ergänzung von Anführungszeichen wird jedoch verzichtet, da der Verfasser vielfach den Wortlaut sinngemäß abändert und eine zuverlässige Zitation im Vergleich zur Fundstelle nicht immer gegeben ist. Abkürzungen in Zitaten (zum Beispiel bei der Wiedergabe von Inschriften) werden ebenfalls nicht aufgelöst, um Abänderungen des Verfassers besser nachvollziehen zu können.

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Wolfgang Matt

3.4. Nachträgliche Änderungen und Hervorhebungen Nachträgliche Markierungen, etwa mit Bleistift eingefügte Klammern oder Unterstreichungen, werden aufgrund ihrer Häufigkeit in der Edition nicht eigens angeführt. Vermutlich handelt es sich um Kennzeichnungen seines Nachfahren Friedrich Lucä (1815–1859) für dessen Edition. Anders hingegen verhält es sich bei schriftlichen Bemerkungen. Ergänzende Kapitelüberschriften von fremder Hand werden in den Fließtext übernommen und als solche im Textapparat vermerkt (Seite 292, 304, 322, 327 und 335). Schriftliche Notizen am Rand werden ebenfalls dort wiedergegeben (zum Beispiel Seite 322). Andere Beeinträchtigungen des Schriftbilds, wie etwa Tinten- oder Stockflecken, werden nicht behandelt, sofern diese sich nicht auf die Lesbarkeit des Textes auswirken.

4. Text- und Sachapparat 4.1. Textapparat Der Textapparat folgt einer alphabetischen Ordnung (a, b, c ... aa usw.). Zum Anfang eines neuen Kapitels wird diese neu begonnen. Er vermerkt Besonderheiten und Änderungen am Originaltext. Unter anderen gehören hierzu Ergänzungen, Unter- und Durchstreichungen sowie Überschreibungen von Friedrich Lucae. Da es sich bei dem der Edition zugrunde liegenden Text um eine Reinschrift handelt, beschränken sich die Anmerkungen meist auf die Korrektur kurzer Flüchtigkeitsfehler. Schriftliche Vermerke und Ergänzungen (etwa das Hinzufügen von Kapitelüberschriften) von fremder Hand werden an der passenden Stelle im Textapparat angezeigt. Editorische Maßnahmen finden ebenfalls hier Erwähnung. 4.2. Sachapparat Im Sachapparat werden im Text genannte Orts- und Personenbezeichnungen aufgelöst. Orts- und Personennamen werden sowohl in ihrer modernen deutschen Schreibweise als auch gegebenenfalls in ihrer aktuellen Landessprache aufgeführt. Beide Bezeichnungen werden bei der Erstnennung auf jeder Seite der Originalhandschrift genannt. Irrtümer bei der Bezeichnung von Orten und Personen durch den Verfasser werden nur dann korrigiert, sofern diese eindeutig identifiziert werden können (so zum Beispiel Seite 68, Fußnote 17 und Seite 74, Fußnote 106). Die Lebensdaten von Personen werden, sofern diese ermittelbar sind, angegeben. Orts- und Personennamen sind in den jeweiligen Registern aufgeführt. Im Falle, dass ein Ort oder eine Person nicht klar zugeordnet werden kann, wird dies mit einem „n. z. e.“ (nicht zuverlässig ermittelbar) gekennzeichnet.

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|1| Friderici Lucae eigentgliche Lebens und Totdes Geschichtea I. Geburth und Geschlecht’s oder Stamm Register.b In dem Schlesischen Fürstenthum Brieg,1 und zwar in der fürstlichen Residentz und Vestung Brieg, auf dem vorher beschriebenemc herrlichen Gymnasio, bin ich, Fridericus Lucae, Anno 1644 den 11. Augusti, deß Abends umb zehn uhr, durch die Seegens hand deß Allerhöchsten, vermittelst einer glückseeligen Geburth, in daß grose Weltbuch der Natur eingetragen worden, am Tage Laurentii. Mein in Gott Ruhender Seeliger Herr Vater ist gewesen Magister Johannes Lucae,d2 damahls albereit Hochmeritirter und Berühmter Professor deß fürstlichen Gymnasii. Die mutter, so mich unter ihrem hertzen getragen, und Ehelich zur Welt gebohren, war Frau Maria gebohrne Mücksin.e3 Unter andern danck’te Plato4 seinen heidnischen Göttern, daß Sie ihn hatten nicht zu einer Bestien, sondern zu einem vernünftigen Menschen laßen gebohren werden. Wie ich mir es schätze für ein zeichen Göttlicher Gewogenheit und irdischer Glückseeligkeit, also werde lebenslang, ja biß an mein bevorstehendes Lebens Ende, hingegen meinem Wahren Gott dancken, der mich nicht nur zu einem Vernünftigen Menschen, sondern zu einer Reformirten Christen Seelen, von diesen benahm’ten meinen fromen und Gottseeligen Eltern in daß Licht dieser Welt gesetzet hat, sagende mit David: Wunderlich sind deine Wercke, wunderlich hastu mich gemacht: Du hast mich, o Gott! auß dem Leibe meiner mutter herauß gezogen, daß erkennet meine Seele. |2| Meinesf Seeligen herren Vaters5 Vater war herr Johannes Lucas,6 ein Berühm’ter a Die Groß- und Kleinschreibung von FRIDERICI LUCAE EIGENTGLICHE LEBENS UND TOTDES GESCHICHTE zu Friderici Lucae eigentgliche Lebens und Totdes Geschichte vereinheitlicht. b Die Groß- und Kleinschreibung von GEBURTH UND Geschlecht’s oder Stamm Register zu Geburth und Geschlecht’s oder Stamm Register vereinheitlicht. c vorher beschriebenem unterstrichen; be vor beschriebenen durchgestrichen. Dieses be mit her überschrieben. d Die Groß- und Kleinschreibung von JOHANNES LUCAE zu Johannes Lucae vereinheitlicht. e Die Groß- und Kleinschreibung von MARIA gebohrne MÜCKSIN zu Maria gebohrne Mücksin vereinheitlicht. f Vor Meines fügte Lucae zwei Unterpunkte an. Diese anfängliche Untergliederung gab er jedoch bereits auf der dritten Seite seiner Autobiographie auf. Die beiden Unterpunkte werden nicht in den Text aufgenommen (vgl. 70 Anm. j).

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Brieg (poln. Brzeg). Johann Lucas (1602–1673), Vater von Friedrich Lucae. Maria Lucas, geborene Mücks (Müks, Mücke, 1618–1666), Mutter von Friedrich Lucae. Platon (428/427 v. Chr. – 348/347 v. Chr.). Johann Lucas (1602–1673), Vater von Friedrich Lucae. Hans Lucas (1569–1649), Großvater väterlicherseits von Friedrich Lucae.

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Friderici Lucae eigentgliche Lebens und Totdes Geschichte

und Hocherfahrener Bawmeister deß Hertzogs zur Oels,7 alwo auch seines Nahmens gedächtnüß in dem fürstlichen Schloß biß auf den heutigen tag floriret. Eben durch desselben Kunst und ungemeine Geschicklichkeit ist mehrenteils daß Schloß von ­grund auf erbauet worden, samt dem prächtigen Saale, davon in dem ersten ­theilg meldung gescheen. Nachgehends hat Er würckliche Dienste bey dem Hertzog zu Brieg8 angenommen und ebenfals vortrefliche Gebäude aufgeführet. In dem fürstlichen Rothen Schloß deß Strelischen9 Weichbildes, wie auch der gewaltigen Odermühlen zur Ohlaw,10 siehet die Posterität biß auf den heutigen tag desselben Bawkunst. Anno 1602 ist mein Seeliger herr Vater von diesem,h seinem Vater, aber meinem Groß Vater, zur Ohlaw gezeuget und gebohren worden. Meines Seeligen herren Vaters Mutter, als meine Großmutter und meines Groß Vaters Ehe Liebste, war frau Agnesia, gebohrne Schwemmin,11 welche im 1620. jahr die Schuld der Natur bezahlet hat. Derer Vater,12 als mein Uhr Groß Vater, ist gewesen deß Rhats und Schöppenstuhls Beysitzer in besagter fürstlicher Stat Oels. Diese Familie der Schwemm hat damahls in groser Estim gestanden, in dem herr Adam Schwemmen,i13 meines Uhr Groß Vaters Bruder, Hochverdienter fürstlicher Rhat gewesen ist, bey dem Hertzog zu Oels; So war auch deßen Schwester Tochter14 verheurahtet mit dem würklichen kayserlichen Obristen Braun15 über ein Regiment zu fuß. Bey meinem andencken lag Er einmahl mit seinem Regiment zu Brieg in der Guarnison und erzeig’te meinem Seeligen herren Vater viel freundschaft und Schwägerliche höfligkeit. Diese beyderseits meine Groß Eltern haben, auser meinem Seeligen herren Vater, sonst keinen Sohn gezeuget, und zwoen töchtern. Die Aelteste Schwester meines Seeligen herren Vaters war frau Agnesia,16 welche mit herren Laurentio Lilgen,17 fürstlichen Rentmeistern zur Ohlaw, und die Andere, Frau Catharina,18 welche mit herren Nicolao Gönnero,19 Schul Cantore zu Strelen, im Ehestand gelebet hat. Weder Herr Caspar

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erstem theil unterstrichen. †...† vor seinem durchgestrichen. en in der Zeile nachträglich eingefügt.

17 18 19 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19

Oels (poln. Oleśnica). Brieg (poln. Brzeg). Strehlen (poln. Strzelin). Ohlau (poln. Oława). Agnes Lucas, geborene Schwemm († 1620), Großmutter väterlicherseits von Friedrich Lucae. n.z.e. Adam Schwemm (1580–1643). n.z.e. n.z.e. Agnes Lilge, geborene Lucas († 1648), Tante von Friedrich Lucae. Verwechslung mit Caspar Lilge († vor 1645). Catharina Gönner, geborene Lucas († nach 1666), Tante von Friedrich Lucae. Nicolaus Gönner (1597–1666).

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I. Geburth und Geschlecht’s oder Stamm Register

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Lilge, weder Herr Nicolaus Gönner haben mit diesen Basen keine Kinder erzielet, weniger hinterlaßen. Anno 1652, nach tödtlichem hintrit herren Caspar Lilgens, verehelichte sich frau Agnesia mit herren Elias Hosemann,20 Predigern zu Tschöpelwitz,21 eine meil Weges von Brieg gelegen, deßen Vater22 die Superintendens Administration nebst dem Hofeprediger Ampt zur Lignitz23 eine zeit lang bekleidete umb die jahre 1622. |3| Sie24 gieng Anno 1653 den Weg alles Fleisches und hinterließ von ihm25 ein eintzige tochter Agnesia,26 welche ebenfals im Jungfern Stande Anno 1676 die Welt gesegnete. Sonst hat zwar herr Elias Hosemann, der Anno 1669 in seinem ­Pfarrdienste starb, von seiner andern frauen27 unterschiedene Kinder hinterlaßen, unter andern ­einen Sohn,28 der jetzo die Prediger stelle in der Pfalz zu Scheffelentz,29 Ampts Mosbachs,30 bedienet, aber keine von dieser meiner Seeligen Vaters31 Schwester. Herren Nicolai Gönneri32 Witwe33 beschloß auch endlich zu Strelen,34 wie oben gemeldet, ohne Erben seeliglich ihr leben, derer Begräbnüß persönlich alda beywohnete, wie wol Sie mir, auser einem Rubin Ring, sonst nichts zur Erbschaft vermachte. Also wird kein naher Blutsfreund, von meines Seeligen herren Vaters wegen, soviel mir wissend, nicht mehr in der der Welt zu finden sein. Betreffende meinen Großvater, vom Vater herren Johann Lucas,35 so habe denselben noch im Leben gekennet. Er war ein alter, fromer, Gottsfürchtiger Mann von 84 jahren, starker und frischer Complexion, stets rothes angesichts, und gesund. In diesem seinem hohen Alter brachte Er nur die Zeit mit Lesen, Beten und Kirchen gehen zu. Mein Wachsthum der ersten Jugend Blüthe pressete ihm manche Freuden thränen auß den Augen, weil Er mich hertzlich liebte und stets mit sich zur Kirchen führete. Als ich in einer Comoedie einen Mercurium agirte, legte Er mir nach vollendung des Actus, die hand auf daß haupt und wündschete mir einen kräftigen Seegen zu meinen fernern Stu-

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Elias II. Hosemann (Hoßmann, † 1665). Tschöplowitz (Tschöpelwitz, poln. Czepielowice). Elias I. Hosemann (Hoßmann, 1580–1630). Liegnitz (poln. Legnica). Agnes Hosemann (Hoßmann), verwitwete Lilge, geborene Lucas († 1648), Tante von Friedrich Lucae. Elias II. Hosemann (Hoßmann, † 1665). Agnes Hosemann (Hoßmann, † 1676). Ursula Hosemann (Hoßmann), geborene Buchwälder († 1674). Elias III. Hosemann (Hoßmann, 1654–1724). Schefflenz. Mosbach. Johann Lucas (1602–1673), Vater von Friedrich Lucae. Nicolaus Gönner (1597–1666). Catharina Gönner, geborene Lucas († nach 1666), Tante von Friedrich Lucae. Strehlen (poln. Strzelin). Hans Lucas (1569–1649), Großvater väterlicherseits von Friedrich Lucae.

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Friderici Lucae eigentgliche Lebens und Totdes Geschichte

diis. Mein Seeliger herr Vater hielt diesen Alten Greiß in hohen Ehren und erzeigte ihm allen Kindlichen Respect. Er starb Anno 1651 deß nachts ohne vorher empfundene Krankheit, wieder unser vermuthen, mit dem eintzigen ruffen: Ach Herr Jesu! sanft und seelig und ward herrlich auf dem grosen todten hofe zu Brieg36 beerdiget. Er hinterließ zwey ansehnliche Steinerne häuser, eines auf der Burg, daß andere auf der Junckern Gaßen gelegen; aber die harten Kriegs Beschwerungen, welche monatlich 18 Reichsthaler erforderten, machten sothane Erbschaft unß, gleich andern, zu Waßer. Meinerj Seeligen frau mutter37 Vater, als mein Groß Vater, ist gewesen Herr Johan Heinrich Mücks,38 vornehmer Weinhändler und deß Schöppenstuhls Beysitzer zu Brieg. Er war von Gotha auß Thüringen bürtig und mit einer Sächsischen Princessin in Schlesien kommen. Desselben Vater, als mein Uhr Groß Vater,39 von der mutter hat zu Gotha in würcklicher Stat Rhats Bedienung gelebet, Nikolaus Mücks genandt, und dessen Eheliebste,40 als |4| meines Groß Vaters41 Mutter,42 ist eine auß dem Adelichen Geschlechte der von Wangenheim gewesen. Die Groß Mutter, nemlich herr Heinrich Mückses Eheliebste, war frau Maria Lamprechtin43 von Berlin, eines fürnehmen Geschlechts alda, derer Bruder, Herr Johann Lamprecht,44 noch bey meinem Andencken regierender Bürgermeister zu Berlin geweßen ist. Von diesen Eltern ist meine Seelige frau mutter45 entsproßen, als die Aelteste unter dreyen Schwestern,k Anno 1618. Im 1632. jahr, ihres Alters im 14. jahre, hat Sie meinen Seeligen herr Vater46 geheurahtet. Ihre Erste Schwester frau Dorothea47 hatte herren Johan Schwedlern,48 fürstlichen Forstverwaltern, zur Ehe. Beyderseits brachten unterschiedene Kinder zur Welt, davon theils frühzeitig den Weg alles Fleisches giengen, wie auch diese Eltern selbst.

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Vor Meiner fügte Lucae einen zweiten Unterpunkt an (vgl. 67 Anm. f ). und hat im vor Anno durchgestrichen.

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Brieg (poln. Brzeg). Maria Lucas, geborene Mücks (Müks, Mücke, 1618–1666), Mutter von Friedrich Lucae. Johann Heinrich Mücks (Müks, Mücke), Großvater mütterlicherseits von Friedrich Lucae. Nikolaus Mücks (Müks, Mücke), Urgroßvater mütterlicherseits von Friedrich Lucae. n.z.e. Johann Heinrich Mücks (Müks, Mücke), Großvater mütterlicherseits von Friedrich Lucae. n.z.e. Maria Mücks (Müks, Mücke), geborene Lamprecht (Lambrecht), Großmutter mütterlicherseits von Friedrich Lucae. Johann Lamprecht (Lambrecht). Maria Lucas, geborene Mücks (Müks, Mücke, 1618–1666), Mutter von Friedrich Lucae. Johann Lucas (1602–1673), Vater von Friedrich Lucae. Dorothea Schwedler, geborene Mücks (Müks, Mücke). Johann Schwedler.

I. Geburth und Geschlecht’s oder Stamm Register

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Eine tochter Elisabeth49 heurahtete herren Ludolphum Beuckium50 von Bernburg51 auß Anhalt, Professorem zu Brieg,52 der aber wegen seines übeln comportements sich von Brieg weg begab und in der Pfalz einen Pfarrdienst acceptirte, auch der Orten, nebst seiner frauen, gestorben ist. Der Aelteste Sohn Abraham Schwedler53 Studierte anfangs zu Dantzig,54 nahm aber endlich Polnische kriegs Dienste an und mit denselben die Päbstische Religion. In ansehung seiner gutten Meriten hat ihn der Polnische König geadelt und mit dem Cognomento Schwartz begnadiget. Er befindet sich noch zu Posen55 in Großpohlen, hat daselbst in eine vornehme Familie geheurahtet, auch etliche mahl von dar hieher nach Cassel56 an mich geschrieben. Der dritte Sohn Johann Friedrich Schwedler57 ist in die Welt hinein kommen, niemand wißende wohin. Die Andere Schwester meiner Seeligen frau mutter ist frau Elisabeth,58 lebet im Ehestande mit herren Johann Jäschke,59 einem eintzigen Sohn eines überauß reichen Vaters,60 welcher aber bey wehrendem Ehestand, weil Er alle tage herrlich und in freuden lebte, seine väterliche gütter mehrenteils verdistilliret hat. Dieser mein Vetter herr Johann Jäschke stand in seiner Jugend in kayserlichen kriegs Diensten in Westphalen unter dem Zerotinischen Cürassirer Regiment. Der vorige Bischoff zu Münster,61 Johann Bernhard von Galen,62 war sein Ritmeister und Er desselben Cornet. Hierauß läst sichs schließen, wie hoch Er hette avanciren können, dafern Er die kriegs Dienste continuiret hette. Sein Aeltester Sohn Johann Heinrich63 starb auf seiner Peregrination zu Itzöhoe64 in Holstein, ob aber der ander Sohn Fridrich65 annoch im leben sey,l kann nicht wissen. Nach tödlichem hintrit meiner Seeligen Groß Mutter66 verehelichte sich mein verwittibter Groß Vater67 mit Frauen Margaretha Holsteinin,68 fürstlicher Cammer l

weiß nicht vor kan durchgestrichen.

49 50 51 52 53 54 55 56 57 58 59 60 61 62 63 64 65 66 67 68

Anna Elisabeth Schwedler. Ludolf Beucken (Beucke, 1633–1675). Bernburg (Saale). Brieg (poln. Brzeg). Abraham Schwedler. Danzig (poln. Gdańsk). Posen (poln. Poznań). Kassel. Johann Friedrich Schwedler. Elisabeth Jäschke ( Jeschke), geborene Mücks (Müks, Mücke). Johann Jäschke ( Jeschke). n.z.e. Münster (Westfalen). Christoph Bernhard von Galen (1606–1678). Johann Heinrich Jäschke ( Jeschke). Itzehoe. Friedrich Jäschke ( Jeschke). Agnes Lucas, geborene Schwemm († 1620), Großmutter väterlicherseits von Friedrich Lucae. Hans Lucas (1569–1649), Großvater väterlicherseits von Friedrich Lucae. Margarete Lucas, geborene Hollstein (Holstein), Großmutter väterlicherseits von Friedrich Lucae.

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Friderici Lucae eigentgliche Lebens und Totdes Geschichte

Frauen, auf welcher beyderseits Personen mich sehr wohl zu entsinnen weiß. Der Groß Vater praesentirte eine Lange, |5| Starcke und Untersetzte Person,69 dabey weiß von angesicht und gelblichten kraußen haaren. In ansehung seiner gutten conduite machte ihn der Hertzog70 zum Obersten Stat Capitain über 4 Compagnien Bürger in der Residentz und Vestung Brieg.71 In dieser andern Ehe zeugete Er einen Sohn Johann Heinrich72 und eine tochter Margaretha Sophia.73 Nach absterben beyderseits Eltern74 ließ sich mein Seeliger herr Vater75 zum Vormünder über diese Kinder, als meiner Seeligen frau mutter76 Stief geschwister, bestellen und stand demselben recht väterlich vor. Ein jedes von diesen Kindern bekam auf die 6000 Reichsthaler an väterlicher verlaßenschaft, unangesehen der Vater den Kindern von der ersten Ehe einem jeden nur 300 Reichsthaler legiret hatte. Die uhrsache dessen war; Der Groß Vater, nemlich derselben Vater, starb zum ersten und vermachte ihr alle Seine haabe und gütter, vorgebende Er hette Sie mehrentheils bey wehrendem Ehestand mit ihr acquiriret, anderer einwendungen anjetzo zu geschweigen. Der Sohn, oder mein Vetter, Johann Heinrich inclinirte zu den Studiis, wieder meines Seeligen herren Vaters gutbefinden, an ihm ein schlechtes Ingenium und gar geringes Iudicium merckende, hette endlich noch wol etwaß praestiren mögen, dafern Er nur dasselbe beßer excoliret und nicht böser geseelschaft und unzeitiger buhlschaft gefolget hette. Sobald Er die Classes durchgangen, zog Er auf Berlin und von dar auf Ütrecht,77 lebte daselbst etliche jahr, consumirte groses geld und kehrete wieder nach hause. Hierauf verheurahtete Er sich mit einem Cammer mädchen vom fürstlichen hofe, bürtig auß Anhalt, Magdalena Praetorin78 genandt, eines Predigers79 Tochter. Vermittelst dieser Heurath bestallete ihn der Hertzog80 zum Haußmeister auf dem fürstlichen Schloß zu Lignitz,81 welche Charge ziemlich Honorabel war, ist auch, Anno 1687, ohne Kinder daselbst gestorben. Die Witwe sol in Anhalt gezogen sein und ohnfern Zerbst einen Prediger82 geehelichet haben; Sie hat alles von ihm ererbet.

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n.z.e. Johann Christian (1591–1639), Herzog von Liegnitz, Brieg und Wohlau. Brieg (poln. Brzeg). Johann Heinrich Lucas († 1687). Margaretha Sophia Lucas († 1670). Hans Lucas (1569–1649) und Margarete Lucas, geborene Hollstein (Holstein), Großeltern väterlicherseits von Friedrich Lucae. Johann Lucas (1602–1673), Vater von Friedrich Lucae. Maria Lucas, geborene Mücks (Müks, Mücke, 1618–1666), Mutter von Friedrich Lucae. Utrecht. Magdalena Lucas, geborene Praetorius. n.z.e. Christian (1618–1672), Herzog von Liegnitz, Brieg und Wohlau. Liegnitz (poln. Legnica). n.z.e.

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Die Tochter Margaretha Sophia,83 meine Base, ein ungemeines, überauß Schönes Weibes Bild und angenehme Person, verehelichte sich, mit meines Seeligen herren Vaters Consens, herren Abraham Schweitzer,84 Predigern bey der Lutherischen Haupt Kirchen zu Brieg; Allein derer Ehestand gerieth sehr übel: Zanck und Uneinigkeit löschte fast gäntzlich ihre Eheliche Liebe auß und machte allen Seegen von ihnen weichend. Unerachtet deß profitabeln Pfarrdiensts haben Sie dermaßen ihr ansehnliches gut verzehret, daß ihre eintzige hinterlaßene tochter85 nach ihrem tode nicht mehr als 700 Reichsthaler davon gefunden hat. Zwar, herr Abraham Schweitzer, weil meine Frau Base zum ersten starb, schritt Er zur andern Ehe mit Herr Paul Christoph Lindners86 fürstlichen Regierungs Raths Tochter,87 aber auch unglückseelig: Denn zanck und hader waren auch ihre tägliche Tractamenten: Sie schieden sich von Tisch und Bette, biß endlich der todt ihre Eheband zerrieß und den gutten herren Abraham Schweitzer auß dieser Welt zoge und seines Jammers Ende machte. Die eintzige von meiner frau Base hinterbliebene Tochter heisset |6| Martha,88 ist ehelich verbunden mit dem Successore89 ihres Vatern,90 bey besagter Lutherischen haupt Kirchen zu Brieg:91 Sie hat aber ohne mein und ihres Seeligen herren Vetters Johann Heinrich Mückses92 Gutbefinden und Rath solchen heurath angefangen und volzogen, darein wir auch, wegen der unß Suspecten und Unanständigen Familie, nimmermehr würden consentiret haben; daher ist unß auch nichts an dieser Freundschaft gelegen und wollen nichts mit derselben zu schaffen haben: Denn wer pech angreiffet, besudelt sich. Damit ich nun wieder auf mich selbst komme, so bin ich der jüngste Gebohrne ­unter vier Geschwistern. Meine erste Schwester Maria93 und Bruder Johannes,94 die ich nicht bey Leben gekennet, sind gar frühzeitig den Weg alles Fleisches gangen. Aber, ­meine Schwester, welche vier jahr aelter ist als ich bin, Maria Elisabeth,m95 befindet sich noch, so lange Gott wil, im Leben. Anno 1655 trat Sie in den Ehestand, im 14. jahr ihres

m

Die Groß- und Kleinschreibung von MARIA ELISABETH zu Maria Elisabeth vereinheitlicht.

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Margaretha Sophia Lucas († 1670). Abraham Schweitzer (Schweizer, 1624–1672). Martha Sophia Schweitzer (Schweizer). Paul Christoph Lindner (G 1606). Sophie Dorothee Schweitzer (Schweizer), geborene Lindner († 1728). Margarethe (Martha) Schweitzer (Schweizer). Michael Lerche (1634–1692). Abraham Schweitzer (Schweizer, 1624–1672). Brieg (poln. Brzeg). Johann Heinrich Mücks (Müks, Mücke), Großvater mütterlicherseits von Friedrich Lucae. Maria Lucas († vor 1644), Schwester von Friedrich Lucae. Johannes Lucas († vor 1644), Bruder von Friedrich Lucae. Maria Elisabeth Lucas (1641–1700), Schwester von Friedrich Lucae.

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Friderici Lucae eigentgliche Lebens und Totdes Geschichte

Alters, mit Verwilligung Unserer Seeligen Eltern,96 mit herren Heinrich Schmettaw,97 damahligen fürstlichen Hofeprediger zur Lignitz. Von der Zeit an, biß hieher, haben diese Eheleute 15 Kinder miteinander gezeuget, davon, meinem Bedüncken nach, noch 8 im Leben sind. Die Aelteste tochter meiner frau Schwester, Anna Sophia,98 ist mit herren Crusio,99 Syndico und Advocato zu Berlin, einem Enckel deß berühmten Doctoris Crellii,100 Churfürstlichen Hofepredigers, ehelich verbunden. Die Andere tochter Henriette101 hat herren Johann Heinrich Sohr,102 Churfürstlichen Brandeburgischen General Commissarium, welcher zu Brieg im Gymnasio mein Condiscipulus gewesen, geheurahtet. Die Dritte tochter Maria Elisabetha103 lebet im Ehestand mit herren Steinhäuser,104 Churfürstlichen Brandeburgischen Regiments Auditeur. Die Vierdte tochter Anna Christina105 hat unlängst Hochzeit gehalten mit herren Crusio,106 Churfürstlichen Brandeburgischen Pommerischen Secretario. Dieser meiner frau Schwester Kinder haben nun wiederumb unterschiedliche Kinder zur Welt bracht, also daß Sie albereit Groß Mutter im 44. Jahr ihres Alters vieler Kindes Kinder ist. Ihr Ehemann, nemlich mein Schwager, herr Heinrich Schmettaw, wie bey der Description deß Fürstenthums Lignitz107 zu sehen, nachdem Er die fürstliche Dienste zur Lignitz quittiren muste, erlangte die Churfürstliche Hofeprediger Stelle zu Berlin. Seine Brüder waren in Breslaw108 kaufleute und anfangs Armseelige Stümper und Kram gesellen, samleten aber nachgehens durch ihre Schacherey ziemliche mittel und ließen sich auf rathgebung ihrer Hoffärtigen Weiber, damit Sie der Doctoren frauen in Breslaw möchten vorgehen, in den Adelstand erheben, welche durch die vielheit ihrer Kinder ihr geschlechte hin und her in der Welt extendiren. |7| Der Aelteste Bruder Meines herren Schwagers hieß Godfried,109 der Ander George,110 der Dritte Ernst111 und Mein Herr Schwager, der Vierdte, Heinrich Schmet-

196 197 198 199 100 101 102 103 104 105 106 107 108 109 110 111

Johann Lucas (1602–1673) und Maria Lucas, geborene Mücks (Müks, Mücke, 1618–1666), Eltern von Friedrich Lucae. Heinrich (von) Schmettau (1629–1704), Schwager von Friedrich Lucae. Anna Sophia Luise Krause (Crusius), geborene (von) Schmettau (1658–1723). Wolfgang Friedrich Krause (Crusius, † 1706). Wolfgang Crellius (Crell, 1593–1664). Henrietta Sohr, geborene (von) Schmettau (vor 1666–1685). Johann Heinrich Sohr (1644–1702). Maria Elisabetha Steinhäuser, geborene (von) Schmettau (vor 1666–1734). Johann Steinhäuser (1645–1728). Anna Christiane Gravius, geborene (von) Schmettau (1663–1685). Verwechslung mit Hermann Gravius (1650–1721). Liegnitz (poln. Legnica). Breslau (poln. Wrocław). Gottfried (von) Schmettau (1620–1668). Er war nicht der älteste Bruder Heinrichs. Georg (von) Schmettau (1615–1672). Ernst (von) Schmettau (1622–1687).

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taw.112 Einer von deß Aeltesten Bruders Söhnen herren Godfried Schmettawes, Wolfgang Schmettaw,113 ist Churpfältzischer geheimer Rhat; THeils Söhne der andern Brüder sind in Chur Brandenburgischen Diensten, als Secretarii und Titular Räthe. Etliche agiren in Breslaw114 handels Leute, von denen einer115 deß Reformirten Predigers in Hamburg de la Fontaine116 eintzige tochter117 geheurahtet hat. Über dieses wohnete auch eine Schwester118 von diesen 4 Brüdern zu Brieg,119 welche von zweyen Männern120 Söhne hinterlaßen: Die Söhne von dem ersten heißen Hannemann, die von dem andern aber werden Schmidt genannt. Meines Seeligen herren Vaters121 Person belangende kan dieselbe auß seinem bey mir sich befindenden Contrefait ersehen werden: Er war eben nicht lang, aber doch, nach Proportion der Länge, ziemlich starck von Leibe, jederzeit rothes Angesichts, und gesunder Complexion. Waß ihm an der Statur abgieng, ersetzte sein groses gemüthe und gelehrsamkeit. Im dreissigsten jahr seines Alters gab ihm die Natur schon graue haare, welche Er auch als eine Kron der Ehre trug. Seinen Wandel führete Er Christlich und leuchtete mit Sitsamkeit, Mäßigkeit, Erbarkeit, Demuth, Friedfertigkeit und Gottseeligkeit seinem hause, seinen Collegen, seiner Anvertrauten Jugend und also dem gantzen Gymnasio zum Beyspiel vor. Pracht, Hoffart, Geitz, Falscheit und andere Vanitäten der Welt hassete Er als ein gift. Alle morgen fieng Er seine Labores an mit brünstiger Anruffung des Nahmens Gottes und endigte denselben mit gleicher Andacht. Auch die Sontägliche Besuchung der Kirche und die Beywohnung bey dem Heiligen Abendmahl deß Herren versäumete Er ja nicht. Wie wol Er auf Berühmten Universitäten daß Studium Philosophicum und Philologicum cum laude absolviret, davon eigentliche Profession machende; Gleichwol ließ Er ihm daß Studium Theologicum vor andern angelegen sein und brachte es darinnen sehr hoch. Die Memoria schiene an ihm gantz ungemein zu sein: Daß gelesene behielt Er und daß behaltene trug Er mit grosem nutzen der Jugend vor. Mit höchster verwunderung konte Er vor dem Ansehnligsten Auditorio memoriter und methodicè peroriren, zwey stunden hintereinander, mit solcher fließender rede, gleichsam wäre es ihm nur eine Kurtzweil. 112 113 114 115 116 117 118 119 120 121

Heinrich (von) Schmettau (1629–1704). Wolfgang (von) Schmettau (1648–1711), Sohn von Gottfried (von) Schmettau (1620–1668). Breslau (poln. Wrocław). Samuel (von) Schmettau (1657–1709). André de La Fontaine (1621–1705). Marie (von) Schmettau, geborene de La Fontaine (1660–1732). Anna (von) Schmettau (1613–1672). Brieg (poln. Brzeg). Tobias Hannemann (1596–1649), erster Ehemann von Anna Hannemann, geborene (von) Schmettau, Christian Schmiede (Schmied, Schmidt), deren zweiter Ehemann. Johann Lucas (1602–1673), Vater von Friedrich Lucae.

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Friderici Lucae eigentgliche Lebens und Totdes Geschichte

In Ansehung seiner Vortreflichen Qualitäten und Dexteritè berief in auch die fürstliche Herrschaft ex Praeceptoratu Classico Anno 1646 zur Profession in Mathesi, Poesi und Linguarum Orientalium, darinnen unvergleichlich excellirende und ein groses praestirende, darzu sein |8| unverdroßener Fleiß und Wachsamkeit bey der Jugend ein groses contribuirten. Anno 1660, nachdem Er daß Rectorat von Anno 1647 als von dem Absterben an bißhieher deß Seeligen herren Georgii Vechneri122 Sanctissimae Theologiae Doctoris rühmlich verwaltet hatte, ward Er persönlich von dem damahligen regierenden ­Hertzog George123 in Schlesien zu Lignitz und Brieg, mit ansehnlichen Ceremonien, bey einer grosen Frequentz zum volkommenen Rectore introduciret. Mit waß für Nutzen Er jederzeit seinem Ampt vorgestanden, können am besten die von ihm Ausgewürckten, hin und wieder in der Welt lebende, berühmte männer bezeugen, derer nur etliche, zum mehrern Beweißthum, hierbei anführe. Unter andern sind seine Discipuli gewesen: Herr Wilhelm Wentzel, Freyherr von Lilgenaw,124 kayserlicher Rhat; Herr Johannes, Freyherr von Dambrowka,125 Landes Aeltester im Fürstenthum Oppeln; Herr Fridrich von Marwitz,126 Churfürstlicher Brandenburgischer Rhat und Land Verweser im Fürstenthum Crossen; Herr Adam von Borwitz,127 fürstlicher Rhat zur Lignitz; Herr Adam Fridrich von Grutschreiber,128 kayserlicher Rhat; Herr Christian Scholte,129 fürstlicher, numehro kayserlicher Rhat zu Brieg; Herr Andreas Tscherning,130 königlicher Dänischer General Auditeur; Herr Johann Friedrich Horn,131 königlicher Dänischer Legations Rhat; Herr Wolfgang Schmettaw,132 Churfürstlicher Geheimer Rhat zu Heidelberg; Herr Johann Heinrich Sohr,133 Chur Brandeburgischer General Commissarius; Herr Chistophorus Wittichius134 Sanctissimae Theologiae Doctor und Professor zu Leiden; Herr Johann Kunschius von Breitenwalde,135 Chur Brandenburgscher Hofeprediger; Herr Benjamin Ursinus,136 Chur Brandeburgischer Hofeprediger; 122 Georg Vechner (1590–1647). 123 Georg III. (1611–1664), Herzog von Brieg und Liegnitz. 124 Wilhelm Wenzel von Lilgenau (1634–1693). 125 Johannes von Dambrowka ( Jan Dąbrówka). 126 ������������������������������������������������������������������������������������� Offenbar Verwechslung von Vater und Sohn: Neumärkischer Regierungsrat und kurbrandenburgischer Verweser des Herzogtums Crossen war Hans Dietrich von der Marwitz (1609– 1680); dessen Vater, Friedrich von der Marwitz († nach 1642), war dagegen Rat in Brieg. 127 Adam von Borwitz (1594–1652). 128 Adam Friedrich von Gruttschreiber (Grudtschreiber, 1645–1709). 129 Christian Scholte. 130 Vermutlich nicht Andreas Tscherning (1611–1659), sondern dessen Verwandter Paul Tscherning (1627–1666). 131 Johann Friedrich Horn (Hornius, um 1629–1665). 132 Wolfgang (von) Schmettau (1648–1711). 133 Johann Heinrich Sohr (1644–1702). 134 Christoph Wittich (1625–1687). 135 Johann Kunsch von Breitenwald (1620–1681). 136 Benjamin Ursinus (von Baer, 1646–1720).

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Herr Johann Adolphi,137 Superintendens im Fürstenthum Curland; Herr Bartolomaeus Schwetkius,138 berühmter Lutherischer Prediger zu Utrecht in Holland; Herr Martinus Grundmann,139 Prediger in Engelland; Herr Johannes Rotharius,140 Hochgräflicher Promnitzscher Hofeprediger zu Soraw;141 Herr Friedrich Christian Winckler,142 Churfürstlicher Rhat und Leibmedicus zu Heidelberg; Herr Johannes Frencelius,143 Medicinae Doctor und Professor zu Franecker144 in Friesland; Herr Balthasar Müllerus145 und Herr Caspar Böher,146 beyde Professores am Joachimthalischen Gymnasio zu Berlin; Herr Godfried Thilo,147 jetziger Zeit Rector deß Gymnasii zu Brieg;148 Herr Thomas Sigfried Ring,149 beruffener Professor Juris bey der Universität Franckfurt an der Oder;150 Herr David Scultetus,151 Chur Brandeburgischer Hofeprediger zu Spandaw;152 Herr Henricus Martinii,153 fürnehmer Doctor und Medicus zu Dantzig;154 Herr Johannes Lindenowsky,155 Doctor und fürnehmer Medicus zu Cleve; Herr Johannes Augustus Biermannus,156 jetziger Zeit Reformirter Prediger zu Cöln am Rhein;157 Herr Christoph Ernst Zimmermann,158 Churpfältzischer Burg Schultheiß zu |9| Friedrichsburg. Und damit ich der sachen nicht zu viel mache, so übergehe vorsetzlich mit Stillschweigen die Specification derjenigen Discipulorum meines Seeligen herren Vaters,159 welche in Pohlen und Ungern zu hohen Dignitäten sind erhaben worden und demselben lebens langn zu dancken sich obligiret befinden und befunden haben. n

danck vor lang durchgestrichen.

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137 Heinrich Adolphi (1622–1686). 138 ����������������������������������������������������������������������������������� Vermutlich nicht Bartholomäus Schwetke (Schwetkius, 1582–1622), sondern dessen Verwandter Gottfried Schwetke (Schwetkius). 139 Martin Grundmann (1619–1696). 140 Johann Rotarius († um 1705). 141 Sorau (poln. Żary). 142 Friedrich Christian Winckler (Winkler). 143 Joachim Frenzel (Frencelius, 1611–1669). 144 Franeker. 145 Balthasar Mülner († 1692). 146 Caspar Böher († 1689). 147 Gottfried Thilo (von Thilau und Steinberg, 1646–1724). 148 Brieg (poln. Brzeg). 149 Thomas Siegfried Ring (1644–1707). 150 Frankfurt an der Oder. 151 David Scultetus. 152 Spandau. 153 Heinrich Martini (Martinius, 1615–1675). 154 Danzig (poln. Gdańsk). 155 Johannes (von) Lindenowski. 156 Johann August Biermann (um 1656–1724). 157 Köln. 158 Ernst Christoph Zimmermann († nach 1682). 159 Johann Lucas (1602–1673), Vater von Friedrich Lucae.

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Friderici Lucae eigentgliche Lebens und Totdes Geschichte

Wie es nun kein geringes war daß Ruder eines so grosen Schulwesens zu führen, darinnen sich 4 Professores, 8 Praeceptores Classici, über 100 Alumni und aufs wenigste 400 Scholaren jederzeit zu zehlen waren, dennoch versüßete dem Seeligen herr Vater alle mühe und unlust der friedliche und überauß liebreiche Ehestand mit meiner Seeligen frau Mutter.160 Die Seelige frau mutter hatte eine mittelmäßige gröse und sehr liebliches Angesicht, gleich dem andern Mücksischen Kindern allen eines Schönen Vaters.161 Sie führete ­einen Stillen Christen Wandel und liebte sehr die einsamkeit. Ihre Geistliche übungen verrichtete Sie abends und morgens mit groser Devotion und führete unß Kinder zu ­ebenmäßiger Gottseeligkeit an. In häußlichen Geschäften war Sie sehr accurat, embsig und vorsichtig. Gleichfals hatte Sie in weiblichen kränklichen Zufällen ihr selbst und andern zu rathen eine Schöne Wissenschaft und Erfahrung, wie Sie dan ofters ­Schwacheiten übereileten. Ein Pferd bieß Sie einmahl in die lincke brust, damit schlepp’te sie sich biß ins grab und konte den Schaden nicht verwinden, selbten über 12 jahr tragende. Durch ihre freundligkeit zog Sie nach sich aller menschen hulde und durch ihre leutseeligkeit machte Sie sich jedermann zum freunde. Die trewe pflege und embsige wartung, welche Sie dem Seeligen herr Vater in seiner öfteren Niederlage leistete, brachte ihr bey jedermann den ruhm einer unvergleichlichen Ehegattin. Ihr Bildnüß, welches bey mir vorhanden und auß Schlesien mitbracht habe, ähnlichet ihr wenig oder nichts: Denn der Mahler hat Sie nur nach seiner eigenen einbildung abgemahlet, nachdem Sie schon gestorben und begraben war. Anno 1666, nach langwieriger kranckheit, darein sich die medici keinesweges finden konten, setzte Sie den Seeligen herren Vater in den betrübten Witwer Standt, welcher Sie auf dem Kirchhof bey der fürstlichen Schloß Kirche in Brieg162 herrlich beerdigen ließ. Obzwar der Seelige herr Vater eine feste und gesunde Natur hatte, die Er gar nicht mit unmäßigem Leben forcirte, dennoch begunte ihn, nach dem Absterben der Seeligen frau Mutter, der Stein und daso Podagra ungeachtet der gutten Diaet in der Neige seines Lebens heftiger zu plagen, auch dermaßen, daß fast die Lähmung der glieder darauf erfolgete; daher muste Er sich auf einen Stuhl in daß Auditorium stets tragen laßen, sein Ampt nach mögligkeit verrichtende. Unterdeßen warteten ihrer viel auf seinen Todt mit Schmertzen. |10| Dieses, Sein Abnehmen der Gesundheit und beschwerliche Niederlagen, attendirte insonderheit der fürstliche Leib Medicus Henricus Martinius163 sehr genaw,

o

das über der Zeile ergänzt.

160 161 162 163

Maria Lucas, geborene Mücks (Müks, Mücke, 1618–1666), Mutter von Friedrich Lucae. Johann Heinrich Mücks (Müks, Mücke), Großvater mütterlicherseits von Friedrich Lucae. Brieg (poln. Brzeg). Heinrich Martini (Martinius, 1615–1675).

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welcher ein Pohle und vor diesem Collegae bey der Schulen zu Keidan164 in Lithauen gewesen war, ein mann, der, weil Er nach der Pohlen art fein häuffig daß Latein herauß schüttete, ihm einbildete, Er müste darumb alles wißen und verstehen. Dieser stand in grosen gnaden bey der Hertzogin,165 damahliger Regentin, und brachte es darzu, daß Sie meinen Seeligen herr Vater166 zum Emerito erklärte, aber seinen Eydam Antonium Brunsenium,167 Hofeprediger, der, sonst Bremensis,168 eines Schneiders169 Sohn, und einen ungemeinen Fuchsschwäntzer von sich gab, zum Rectorat erhobe, nicht ohne sonderbahres mißvergnügen deß Landes und der Stat über deßen eindringen. Itzund ist dieser Phariseer Hofeprediger zu Berlin. Mein Seeliger herr Vater nahm die entbürdung seiner bißherigen Ampts Last als eine Wolthat an; Aber, indem man ihm gar ein geringes Tractament verwilligte und nicht beßer Seine trewgeleisteten Dienste in Consideration zoge, kräncktep solcher gottloser Undanck sein gemüthe desto heftiger. Hieran hatte ebenfals besagter Doctor Martinius grose Schuld, als der eine heimliche Jalousie seiner tochter,170 der itzigen Frau Brunsin wegen, gegen mich truge. Dieselbe war eine wilde und freche dirne, die sozusagen mehr Courtisanen als daß jahr tage hatte. In die Zahl derselben auch mich zu bringen, ungeachtet damahls noch nicht im Predigt Ampt stand, machte Sie allerhand krumme Springe, darzu Sie Mägde und dergleichen Lumpengesindlein erkaufte als Postträger und Kupplerinnen. Ofters kam Sie selbst auf mein Zimmer gelauffen, folg’te mir auch ofters vor dem thore in dem Spatzier gehen nach und bahnete ihr allerhand abwege und umbschweiffe meiner Geseelschaft zu genießen; Allein sothane Courtesie stand mir gar nicht an und fertigte manchmahl diese freche Buhlerin mit derber verspottung und gedrehterq Nasen ab, wie davon die ehrliche Brieger noch werden wißen und sagen können. Indem nun nicht verlangte ein Eydam deß Doctor Martinii zu sein, weniger sein Margarethgen zu einer Buhlerin zu haben, erweckte es bey dem Alten herren Verdruß und dachte sich, besagter maßen, an mich und meinem Seeligen herr Vater zu rächen. Ich gönnte sein Jungfer Töchterlein herren Brunsen hertzlich gerne. Sobald derselbe Rector worden, drang sich der Alte Martinus zum Scholarchen Ampt ein und mengete also, der Vater und Eydam, die Kartte satsam klüglig, da der Vater als Scholarcha und der Eydam als Rector dem Gymnasio vorstand, und pravirten solcher gestalt unß und anp q

es vor solcher durchgestrichen. nah vor nasen durchgestrichen.

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164 Kedahnen (lit. Kėdainiai, poln. Kiejdany). 165 ��������������������������������������������������������������������������������������� Luise (1631–1680), Herzogin von Liegnitz, Brieg und Wohlau, geborene Prinzessin von Anhalt-Dessau. 166 Johann Lucas (1602–1673), Vater von Friedrich Lucae. 167 Anton Brunsenius (Brunsen, 1641–1693). 168 Bremen. 169 Lüder Bruns (Brunsen). 170 Anna Margaretha Brunsenius (Brunsen), geborene Martini.

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Friderici Lucae eigentgliche Lebens und Totdes Geschichte

dern, an diesem Regiment Unvergnügten, tapffer in die augen. Gott stürzte aber diesen Trutz, sodaß der Alte Doctor Martinius nicht lange bey seinem gekühleten müthlein leb’te: Denn Er fiel in eine seltsame abzehrende Schwacheit, konte weder Sterben noch |11| genesen und muste gantzer 14 Tage mit dem Tode ringende auf dem stroh liegen und endlich sterben. Wie der Seeligste Hertzog171 starb, nahmen die Lutheraner auch dem Brunsenio,172 seinem Eydam, daß Rectorat wieder, wie wol Er sich dasselbe fein zu nutzen machte. Dieser Brunsen ist anjetzo zu Berlin Hofprediger, waß einer und der anderr alda von ihm gehalten, kan auß Meinen Berlinischen Correspondentz Schreiben ersehen werden. Bey wehrender Zeit, daß dieses alles mit dem Seeligen herren Vater173 passirte, stand ich albereit zur Lignitz174 im Hofeprediger Ampt. Unterdeßen nahmen die Kräfte deß Seeligen herren Vaters in mehr und mehr ab, biß Er endlich als ein Alter Gläubiger Simeon, sanft und seelig, in Friede, lebenssat und müde, kurtz hernach, als ich ihn noch einmahl besuchet hatte, von hinnen abschiede. Eben in derselben Nacht darauf mir deß morgends ein Expresser Reuter die Bothschaft brachte, empfand ich ein solches natürliches eigentgliches Traum gesichte, gleichsam stünde der Seelige herr Vater für meinem bette. Ich erhob mich unverzögerlich nach Brieg175 und stattete ihm den Sold der Liebe mit thränen und mit einem herrlichen Begräbnüß ab, wie Er solches meritirte, und folgete ihm eine grose Frequentz vornehmer Leute und der Kern der Briegischen Bürgerschaft zu grabe. Die Carmina, welche ihm die Professores und Praeceptores Scholarum zu Breslaw,176 Brieg, Berlin, Lignitz, Goldberg177 und anderswo zum Nachruhm verfertiget, verwahre hierbey zu seinem Nachrühmlichen Unsterblichen Gedächtnüß. Herr Christian Pauli,178 Superintendens, hielt ihm die Leichpredigt aus seinem selbst erwehlten Textworten ex 2. Epistoli ad Thimotheum Cap: 1 V: 12: Denn ich weiß, an welchen ich glaube, und bin gewiß, daß Er mir kan meine Beylage bewahren bis an jenen Tag. Ich gab dem herren Superintenden, gehabter mühwaltung wegen, ein Goldstück von 4 Ducaten. Laut meiner noch vorhandenen Rechnung kostete auch der gantze Funeration Actus über 130 Thaler. Die Bezahlung desselben nahm allein über mich; Sintemal ich und mein herr Schwager Heinrich Schmettaw179 zu Berlin verglichen unß wegen der Erbschaft mit deß Seeligen herren Vaters Belieben in aller gütte und freundr

and vor alda durchgestrichen; ander über der Zeile ergänzt.

171 172 173 174 175 176 177 178 179

Georg Wilhelm I. (1670–1675), Herzog von Liegnitz, Brieg und Wohlau. Anton Brunsenius (Brunsen, 1641–1693). Johann Lucas (1602–1673), Vater von Friedrich Lucae. Liegnitz (poln. Legnica). Brieg (poln. Brzeg). Breslau (poln. Wrocław). Goldberg (poln. Złotoryja). Christian Pauli (1625–1696). Heinrich (von) Schmettau (1629–1704), Schwager von Friedrich Lucae.

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lichkeit und danckte deßwegen Gott. Daher wolte mich nicht gerne ferner mit diesem geldliebenden Menschen verwirren und der Uhrsachen halben lieber ein übriges thun, Friede und Einigkeit zu erhalten. Den Vertrag, den wir damahls beliebter maßen mit einander eingiengen, worüber Er mich quittiret und samt meiner frau Schwester180 eigenhändig unterschrieben hat, können die meinigen, zu verhüttung Zancks und Uneinigkeit, in meiner Geld Schatulle unten in dem Schiebkästlein finden, bewahren und in acht nehmen. |12| Dieses herren Heinrich Schmettawes181 Schwäger und Freundschaft kan mich auch sonst nicht groß rühmen. Von dem anfang her, da Er sich mit meiner frau Schwester182 verehelichte, ungeachtet ich zu der Zeit nur ein knabe von 10 jahren war, ist Er immerdar wieder mich gewesen. Wie Er mich auch ofters bey den Leuten verkleinert und verhast gemacht, auch sonst meine Wolfahrt zu zerstören vielfaltig mahl getrachtet hat, könte hier mit vielen Exempeln confirmiren. Weil Er aber gleichsam von Natur ein Schwätzer ist und es weder Grosen und Kleinen sparet und weder Freund noch Feind verschonet, muß ich ihm diese Schwacheit zu gutte halten. Gott gebe ihm Beßerung, Seegen und Wolthat. Ich wündsche und bitte Gott wolle meine Kinder mit seinem heiligen Geist erfüllen und regieren, damit Sie waß rechtschaffenes lernen mögen, auf daß Sie dieses Menschen Rhat und hülffe, noch der Seinigen Freundschaft, nimmermehr mögen bedürftiget sein: Denn desselben Liebe ist doch falsch und ihre Freundschaft, ohne Vergeltung, gar geringe, welches mein lieber Seeliger herr Vater183 vielmahls mit thränen betrauert hat. II. Friderici Lucae Erste Education und Auferziehung, sam’t der Tauffe.a 1

Indem Meine Gottseelige Eltern reiflich erkanten, daß Sie als Sünder nur einen Sünder gezeuget und gebohren hetten, ließen Sie ihnen für allen Dingen höchst angelegen sein, meine Geistliche Wiedergeburth zu einem Kind Gottes vermittelst der Heiligen Tauffe zu besiegeln, und den Bund der gnaden mit Gott in Christo bekräftigen durch herren Wittichium,1 fürstlichen Hofeprediger, ist mir die Heilige Tauffe mitgetheilet worden. 1

Christoph Wittich (1625–1687).

180 181 182 183

Maria Elisabeth Lucas (1641–1700), Schwester von Friedrich Lucae. Heinrich (von) Schmettau (1629–1704), Schwager von Friedrich Lucae. Maria Elisabeth Lucas (1641–1700), Schwester von Friedrich Lucae. Johann Lucas (1602–1673), Vater von Friedrich Lucae.

a

Die Groß- und Kleinschreibung von FRIDERICI LUCAE ERSTE EDUCATION und AUFERZIEHUNG, sam’t der TAUFFE zu Friderici Lucae Erste Education und Auferziehung, sam’t der Tauffe vereinheitlicht.

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Christoph Wittich (1625–1687).

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Friderici Lucae eigentgliche Lebens und Totdes Geschichte

Und wie es in Schlesien gebräuchlich, daß die Eltern 5, auch an etlichen Orten biß 10 Gevattern zu ihrem Kinde invitiren mögen, also haben auch mich unterschiedene Paten auß der Tauffe gehoben. Der Principaleste unter denselben ist gewesen der Weyland, Durchleuchtigste Fürst und Herr, Herr Christian2 Hertzog zu Lignitz3 und Brieg,4 welcher mich persönlich zur Tauffe gehalten und den Nahmen Friedrich, mir auflegende in Ansehung der damahls gleich einlauffender Zeitung deß geschloßenen Prager5 Friedens. Diesen mir gegebenen Taufnahmen, Friedenreich heissende, sehe jederzeit an als ein merckliches Omen und Denckmahl, theils meines durch Christum erworbenen Friedens mit Gott, theils, wie meine mit Christo befriedigte Seele, mit jedermann Frieden zu halten, sich solte befleißigen. |13| Deß Abends hierauf bey angestell’tem Taufmahl rührete ein plötzlicher Schlagfluß den anwesenden fürstlichen Rhat herr Nicolaus von Rhor6 und ward dadurch der Gäste und Gevatterleute Fröligkeit in Traurigkeit verwandelt. Sobald man ihn nach hause geführet, verschied Er seelig, mit grosem Leidwesen der Seinigen. Der Alten Sprichwort ist nicht zu verwerffen: Non a quovis nasceris, sed a quovis pasceris: Nicht wo du gebohren bist, sondern wo du geweidet wirst. Wie ich mich meiner geburth halben für glückseelig schätzen kan, so nicht weniger, daß mich meine Seelige, Frome frau mutter7 mit ihren eigene Brüsten gesäuget undb wie Hanna ihren Samuel recht mütterlich gepfleget hat. Es ist bekant, wenn die Kinder die milch eines frembden Weibes trincken, können Sie schwerlich die Art und Natur ihrer fromen mütter erlangen. Jedoch ists ein anders, wenn bißweilen mütter auß Stolzheit und Üppigkeit den Kindern die mütter Brüste versagen und ein anders, waß bißweilen christliche mütter auß Noth, wieder ihren Willen, thun müssen. Die brünstige Liebe meiner Seeligen Frau mutter vergönnete mir fast biß ins dritte Jahr die genießung der Mutter milch und beförderte dadurch mein Wachsthum mercklich. Beyderseits meine Gottseelige Eltern hatten von David gelernet, daß Kinder eine Gabe und Geschencke deß Allerhöchsten wären; Daher waren sie vor allen Dingen befließen, mich, zwar ihr Geschencke, aber Gottes Eigenthum, zu seiner Ehre und zu seinem Dienst sorgfältig aufzuziehen. Sie wusten als geübte Christen, daß der jenige herr so himmel und erden erschaffen, durch daß Opffer eines Andächtigen Gebets müste geehret werden und daß die Gottesfurcht eine Princessin aller Tugenden wäre, darumb, wie Sie mich mit ihrem andächtigen Gebet täglich dem Grosen Gott vortrugen, also b hat vor und durchgestrichen.

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Christian (1618–1672), Herzog von Liegnitz, Brieg und Wohlau. Liegnitz (poln. Legnica). Brieg (poln. Brzeg). Prag (tsch. Praha). Nikolaus (Niklas) von Rohr († 1644). Maria Lucas, geborene Mücks (Müks, Mücke, 1618–1666), Mutter von Friedrich Lucae.

II. Friderici Lucae Erste Education und Auferziehung, sam’t der Tauffe

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wolten Sie mich, bey zunehmenden Verstande, sowol durch väterliche als mütterliche Unterweisung gar zeitlich mit derselben vermählen. Philippus Melanchthon8 sahe mit Verwunderung einer Mutter zu Torgaw9 zu, als Sie ein Saugendes Kind an der Brust liegen hatte, auch zwey vor ihr standen, denen sie den morgen Seegen vorbetete und mit der hand Brot zerstieß, denselben ein ­Süpplein zu kochen. Die zwey letzten stücke habe an mir Selbst erfahren. Mein Seeliger herr Vater10 war mit vielem Studiren beschäftiget und mit Unterrichtung der Jugend stets bemühet, also daß Er mich, anfangs im beten und lesen, ohngefehr biß ins fünfte Jahr durch die frau mutter, nebst einer Schulmeisterin, informiren ließ. Weil aber daß Frauen Zimmer fundamentaliter zu informiren niemahls capabel erachtet wird, so versahe mich mein Seeliger herr Vater mit einem Praeceptore Privato, George Pratermann11 genandt. Unter desselben Information aber stand ich kurtze Zeit, weil selbten der Todt mir und der Welt entzog. |14| In dem nun mein Seeliger herr Vater12 nicht allein Selbst in gutten Künsten wolgeübt war, sondern albereit viel hundert tapffere männer tanquam Supremus Praeceptor Silesiae außgewircket hatte, auch andere Eltern lehrende, wie es daß aller vornehmste wäre, Kinder durch fleißige Auferziehung, recht tugendhaftig, in der Welt leben zu lernen, als wolte er mich in hohen Künsten und Sprachen anführen laßen. III. Friderici Lucae Erste Einführung in die Trivial Schule und dan in’s Gymnasium.a Anno 1650 den 1. Mai führete mich Mein Seeliger herr Vater in die Lateinische Schule, in welcher viel hundert Adeliche und Unadeliche Knaben zu einem Mercurio geschnitzet und zu höhern Studiis, mit sonderbahrer glückseeligkeit, veranlaßet worden. Er immatriculirte mich mit eigener hand und introducirte mich persönlich in Infimam Classem Scholae. Zum Andencken deßen zeichnete Er damahls folgende Worte auf: Die 1. Mai hora matutina 8. Filium meum Unicum Fridericum Gymnasio nostro Bregensi1 tradidi: Deus qui solus dona dat hominibus, hunc meum filium Spiritu Sancto Suo regat ut Organum Ecclesiae et Reipublicae salutare faciat, ad Nominis Sui glori1

Brieg (poln. Brzeg).

18 19 10 11 12

Philipp Melanchthon (1497–1560). Torgau. Johann Lucas (1602–1673), Vater von Friedrich Lucae. Georg Pratermann. Johann Lucas (1602–1673), Vater von Friedrich Lucae.

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Die Groß- und Kleinschreibung von FRIDERICI LUCAE ERSTE EINFÜHRUNG IN DIE TRIVIAL SCHULE und dan in’s GYMNASIUM zu Friderici Lucae Erste Einführung in die Trivial Schule und dan in’s Gymnasium vereinheitlicht.

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Brieg (poln. Brzeg).

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am ipsiusquem salutem aeternam. Diesen Gottseeligen Väterlichen Wundsch hat der Grundgüttige Gott nachgehends an mir sichtbarlich erfüllet, darfür ihm hertzlich Lob und Danck sage. Die Unterste Classe, darein ich lociret wurde, hatte gute Praeceptores. Herr Adamus Casurus2 und herr Christophorus Thilo3 ließen ihnen die Information darinnen höchst angelegen sein, unangesehen Sie darbey Strenge Disciplin hielten. Durch ihren Fleiß brachten Sie die Knaben zu gutten Fundamentis, sonderlich Herr Thilo, deßen privat Institution mich auch zugleich bedienete. Fast drey Jahr brachte unter benahmten Lehrmeistern zu. Hierauf gelangte durch die jährliche Translation in Scholam Quartam. In derselben fieng ich an die Lateinische Sprache zu excoliren. Herr Johannes Gerhardus,4 Cantor Parochialis, und herr David Entius,5 Cantor Cathedralis, erwiesen sich gleichfals, bey Scharffer Disciplin, als fleißige Cantores und Praeceptores, wie es dan ohne daß scheinet der Cantorum proprium quarti modi zu sein tapffer zu streichen und den Knaben die posteriora zu gärben; Jedoch waß den herren Johannem Gerhardum betrift, muste man ihn für einen gutten Praeceptorem passiren laßen. Mit seiner Informations Methode und Authorität schaf ’te Er bey der Jugend grosen Nutzen und munterte dieselbe statlich auf, theilß durch Schärffe, theils durch Gütte. Alle Sonnabend bey Recitation deß Lateinischen Evangelii verehrete Er mir einen Kaysergroschen, bißweilen auß eigenen Mitteln, |15| bißweilen auß anstiftung meiner Seeligen frau mutter,6 die ihm daß geld heimlich zusteck’te. Und weil ich von Jugend auf ein Tardum Ingenium, auch in dieser Kindheit eine Schwere Sprache an mir verspüren ließ, richtete Er sich nach meinen Kräften. Wegen meiner gutten Discant Stimme legte auch bey ihm Fundamenta in Musicis. Ich brachte fast drey Jahr in solcher Information zu und avancirte mercklich in literis. Nach gelegten Principis Latinitatis transferirte mich mein Seeliger herr Vater7 in einen höhern Orden und zwar in demselben traf ich an viel hurtige und vornehme Condiscipulos von Edelleuten und andern gutten Geschlechtern. Hierinnen docirten herr Tobias Jungius,8 und herr Johannes Riemannus.9 Herr Jungius war ein gutter Orator und herr Riemannus ein gutter Poeta. In diesen Disciplinen machte den anfang und continuirte biß ich in Graecis Exercitia, in Latinitate Orationes und in Poesi Carmina elaboriren konte. Numehro attendirte Mein Seeliger herr Vater etwaß genawer meine Studia und nahm mich täglich eine Stunde in seine Information. Und weilen unß wochentglich 2 3 4 5 6 7 8 9

Adam Casurus (Kasur, Casurius). Christoph Thilo. Johannes Gerhard (Gerhardus, 1597–1668). David Entius (Ente, † 1663). Maria Lucas, geborene Mücks (Müks, Mücke, 1618–1666), Mutter von Friedrich Lucae. Johann Lucas (1602–1673), Vater von Friedrich Lucae. Tobias Jungius (1608–1667). Johannes Riemann.

III. Friderici Lucae Erste Einführung in die Trivial Schule und dan in’s Gymnasium

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zwey Recreations tage vergünstiget waren, mochte er wol leiden, daß ich mich mit meinen Condiscipulis lustig machte, theils in dem grosen Schulhofe, theils vor dem Thore auf sonderlich darzu bestimmten Plätzen. Einstmahls reysete mein Seeliger herr Vater nach Breslaw,10 da ich dan durch deßen famulum11 in etliche päbstische Kirchen geführet wurde, derselben Zierath, Music, Ceremonien, Altäre etc. dergestalt meinem gemüthe imprimirte, daß mir hernach diese Phantasien schwerlich konten außgeredet werden. Unterdeßen aber befahl er mich herren Nicolao Gertichio,12 Diacono bey der fürstlichen Schloßkirche, deßen Successor wie oben gemeldet, ich hernach zur Lignitz13 worden bin, der mich im Heidelbergischen Catechismo informirte und zum Heiligen Abendmahl zu gehen, mich qualificirt machte. Im 14. Jahr Meines Alters confirmirten mich die Sämtlichen Prediger der Reformirten Kirchen und admittirten mich zum Heiligen Abendmahl. Hierauf valedicirte den Studiis Trivialibus und schritt ad Lectiones publicas in ­Supremo Auditorio. Herr Ludolphus Beuckius14 Bernburgo15 Anhaltinus profitirte Philosophiam Moralem et Naturalem und hatte anfangs einen ziemlichen Applausum, sonderlich mit Seinem Collegio über deß Sperlingii16 Physica. Letzlich gerieth Er in mißverständnüße mit der polnischen Noblesse, die damahls sehr starck im Gymnasio Studierete, und verlohr auf einmahl der Jugend Affection. Herr Johannes Felinus17 Professor Matheseos war ein gelehrter und vortreflich peregrinirter Mann, welchem aber beydes die Dona seiner Erudi- |16| tion der Jugend mitzutheilen, und die Authorität mangelten. Herr David Camerarius18 tractirte Politica, et Philologica. Seine Humanität machte ihn bey der Jugend sehr beliebt, sonderlich bey der Schlesischen Noblesse davon ein groser theil sich seines Tisches bedienete. Mein Seeliger herr Vater19 erlangte, beydes durch seinen Fleiß als vorsichtige Disciplin, bey der Jugend grose Authorität. In Hebraicis und Graecis thät Er Wunder, in Historicis führete Er die Jugend unvergleichlich an und in Logicis und Metaphysicis brachte Er Sie in sehr Kurtzer Zeit zur Prefection, daß viel mit dem Ersten Jahr auf Universiäten cum Laude die Honores Magisterii erhielten, denen andere kaum in drey Jahren nachzufolgen vermochten. Dieser Professorum und Praeceptorum Fleiß und Dexterität setzte daß Briegische Gymnasium bey Einheimischen und Außländischen in grose Renommee. Es fanden sich 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19

Breslau (poln. Wrocław). n.z.e. Nikolaus (Mikołaj) Gertich (1624–1671). Liegnitz (poln. Legnica). Ludolf Beucken (Beucke, 1633–1675). Bernburg (Saale). Johann Sperling (1603–1658). Johannes ( Jan) Felinus (1603–1662). David Camerarius (1615–1684). Johann Lucas (1602–1673), Vater von Friedrich Lucae.

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in demselben, Studierens wegen, allerhand Nationes ein: Pohlen, Preussen, ­Litthawer, Siebenbürger, Ungern, Pommern, Märcker, Lausnitzer, Böhmen, Mährer. Ebenfals haben von Nachfolgenden Vornehmen Adelichen Polnischen Geschlechtern, zu meiner Zeit, als meine Condiscipuli, im Briegischen20 Gymnasio studiret: de Bilsky.21 de Bonar de Balice.22 de Dembinsky.23 de Dobisowsky.24 de Glinsky.25 de Kochlewsky.26 de Kolischitzky.27 de Komorowsky.28 de Kottkowsky.29 de Lasowsky.30 de Lubinetzky.31 de Milinsky.32 de Mirzinsky.33 de Mnimninsky.34 de Morstein.35 de Moskorowsky.36 de Potworowsky.37 de Rozitzky.38 de Schilinsky.39 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39

Brieg (poln. Brzeg). Bilsky, Adelsgeschlecht. Bonar de Balice, Adelsgeschlecht. Dembiński (Dembinsky), Adelsgeschlecht. Dobiaszewski, Adelsgeschlecht. Gliński (Glinsky), Adelsgeschlecht. Kochlewski, Adelsgeschlecht. Kolschitzky (Kulczycki), Adelsgeschlecht. Komorowski, Adelsgeschlecht. Kotkowski, Adelsgeschlecht. Lasowski (Lasowsky), Adelsgeschlecht. Lubiniecki (Lubienetzky), Adelsgeschlecht. Miliński (Milinsky), Adelsgeschlecht. Mierzyński, Adelsgeschlecht. n.z.e. Morstein, Adelsgeschlecht. Moskowski (Moskowsky), Adelsgeschlecht. Potworowski (Potworowsky), Adelsgeschlecht. Różycki (Rositzky), Adelsgeschlecht. Schilling, Adelsgeschlecht.

III. Friderici Lucae Erste Einführung in die Trivial Schule und dan in’s Gymnasium

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de Schirakowsky.40 de Suchodolsky.41 de Ujeisky.42 de Willowoisky.43 de Wischowati.44 de Zakrowsky.45 de Zilinsky.46 Unter diesen sind itzund etliche in Pohlen grose herren, sonderlich ist herr Johannes de Komorowsky47 Supremus Signifer Magnus Ducatus Lithuaniae. Von Schlesischen Baronen befanden sich auch damahls im Gymnasio: Baro von Dambrowka.48 Baro von Goldenstein.49 Baro von Lilgenaw.50 Baro von Reisewitz.51 Baro von Rupa.52 Baro von Saradeck.53 Baro von Scribensky.54 Soviel mich noch errinnern kan, haben von Nachfolgenden Schlesischen und andern Adelichen Geschlechtern mit mir zu Brieg Studieret: von Adelsheim.55 von Beier.56 von Berg.57

40 41 42 43 44 45 46 47 48 49 50 51 52 53 54 55 56 57

Sierakowski, Adelsgeschlecht. Suchodolski, Adelsgeschlecht. Ujejski (Uiyski), Adelsgeschlecht. Wilkowojski, Adelsgeschlecht. Wiszowaty, Adelsgeschlecht. Zakrzewski, Adelsgeschlecht. Zieliński, Adelsgeschlecht. Jan Komorowski. Johannes von Dambrowka ( Jan Dąbrówka). Johann Gottlieb von Goldenstein (Goldstein). n.z.e. n.z.e. n.z.e. n.z.e. n.z.e. Adelsheim, Adelsgeschlecht. Beier (Beyer), Adelsgeschlecht. Berge, Adelsgeschlecht.

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Friderici Lucae eigentgliche Lebens und Totdes Geschichte

von Blach.58 von Blanckstein.59 von Borwitz.60 von Brauchitsch.61 von Buchta.62 von Dham.63 von Dombnig.64 von Drach.65 von Fragstein.66 von Franckenberg.67 von Gafron.68 von Gelhorn.69 von Gfug.70 von Greben.71 von Grutschreiber.72 von Heide.73 von Hund.74 von Jalowcka.75 von Jordan.76 von Knobelsdorf.77 von Koselowsky.78 von Kuschenbar.79 58 59 60 61 62 63 64 65 66 67 68 69 70 71 72 73 74 75 76 77 78 79

Blacha, Adelsgeschlecht. Blanckenstein (Blanckstein), Adelsgeschlecht. Borwitz, Adelsgeschlecht. Brauchitsch, Adelsgeschlecht. Buchta, Adelsgeschlecht. Dham, Adelsgeschlecht. Dombnig (Dombnigk), Adelsgeschlecht. Drach, Adelsgeschlecht. Fragstein, Adelsgeschlecht. Franckenberg, Adelsgeschlecht. Gaffron, Adelsgeschlecht. Gelhorn, Adelsgeschlecht. Gfug, Adelsgeschlecht. Groeben, Adelsgeschlecht. Gruttschreiber (Grudtschreiber), Adelsgeschlecht. Heyde (Heide) Adelsgeschlecht. Hund, Adelsgeschlecht. Jałowiecki, Adelsgeschlecht. Jordan, Adelsgeschlecht. Knobelsdorff, Adelsgeschlecht. Koselowski (Koselowsky), Adelsgeschlecht. Koschembahr (Kuschenbar), Adelsgeschlecht.

III. Friderici Lucae Erste Einführung in die Trivial Schule und dan in’s Gymnasium

von Larisch.80 von Lichnowsky.81 von Logaw.82 von Marwitz.83 von Morawitzky.84 von Niesemeuschel.85 von Nimptsch.86 von Otterwolf.87 von Pafelowsky.88 von Patschinsky.89 von Posadowsky.90 von Pritwitz.91 von Pritzelwitz.92 von Rähwey.93 von Randaw.94 von Ratczeck.95 von Rhor.96 von Rotkirch.97 von Schilling.98 von Schmeskal.99 von Schweinichen.100 von Scridelowsky.101 180 181 182 183 184 185 186 187 188 189 190 191 192 193 194 195 196 197 198 199 100 101

Larisch, Adelsgeschlecht. Lichnowsky, Adelsgeschlecht. Logau, Adelsgeschlecht. Marwitz, Adelsgeschlecht. Morawitzky, Adelsgeschlecht. Niesemeuschel, Adelsgeschlecht. Nimptsch, Adelsgeschlecht. Otterwolff, Adelsgeschlecht. Pavelowsky (Pafelowsky), Adelsgeschlecht. Patschinsky, Adelsgeschlecht. Posadowsky, Adelsgeschlecht. Prittwitz, Adelsgeschlecht. Pritzelwitz, Adelsgeschlecht. n.z.e. Randau (Randow), Adelsgeschlecht. Raczek, Adelsgeschlecht. Rhor, Adelsgeschlecht. Rothkirch, Adelsgeschlecht. Schilling, Adelsgeschlecht. Schmeskal (Smeskal, Schmiskall), Adelsgeschlecht. Schweinichen, Adelsgeschlecht. Skrzydlowski (Skrzydlewski), Adelsgeschlecht.

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Friderici Lucae eigentgliche Lebens und Totdes Geschichte

von Sebottendorf.102 von Seidlitz.103 von Sigroht.104 von Skal.105 von Steinsdorf.106 von Stoltz.107 von Strachwitz.108 von Stritzky.109 von Stwolinsky.110 von Trebra.111 von Üchtritz.112 von Warkotsch.113 von Warlowsky.114 von Wirbsky.115 |17| Die Nobiles und andere vermögende pursche giengen hin und wieder in die Tische, die Armen Studiosi aber paedagogirten bey den Bürgern und hatten in derselben häusern freye Hospitia. Mein Seeliger herr Vater116 hielt selbst eine zeitlang Tischgänger von unterschiedenen Nationen, die ihm aber mehr Verdruß als Profit machten. Über dieses genoßen die Armen noch ein Beneficium wegen der Cantorey, denn deß Sonntags giengen diese Arme Studiosi durch die gantze Stat singen und collegirten ziemliche gelder: Sie theilten sich in drey Chor und ein jedes hatte seinen besondern Regenten, auch Dividirten Sie alle monat die collegirten gelder; Darfür musten Sie in den Kirchen daß Chor bestellen und Musiciren helffen, sonderlich aber bey den Begräbnüßen; Daher an keinem Orte so Schöne Leichprocessionen, und beßere Music bey denselben, als alhier zu Brieg117 zu hören ist.

102 103 104 105 106 107 108 109 110 111 112 113 114 115 116 117

Sebottendorf, Adelsgeschlecht. Seidlitz (Seydlitz), Adelsgeschlecht. Sigroht, Adelsgeschlecht. Skal, Adelsgeschlecht. Steinsdorf, Adelsgeschlecht. Stoltz, Adelsgeschlecht. Strachwitz, Adelsgeschlecht. Stritzky, Adelsgeschlecht. Stwolinski (Stwolinsky), Adelsgeschlecht. Trebra, Adelsgeschlecht. Uechtritz, Adelsgeschlecht. Warkotsch, Adelsgeschlecht. Warlowsky (Warlowski, Warlofski), Adelsgeschlecht. Wirbsky (Wrbsky, Werbsky), Adelsgeschlecht. Johann Lucas (1602–1673), Vater von Friedrich Lucae. Brieg (poln. Brzeg).

III. Friderici Lucae Erste Einführung in die Trivial Schule und dan in’s Gymnasium

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Die Adeliche und Andere Vornehme Jugend aufzumuntern in Studiis und Moribus, wurden zu gewißen Jahres zeiten allerhand Aufzüge, Comoedien und Schauspiele gehalten, vor allen Dingen aber excercirte unß der Seelige herr Vater, gar fleißig, in Orationibus privatis und publicis. Vor meine Person habe sehr ofters publicè peroriret, auch in zuläßigen Schauspielen, die man dem Hertzog118 praesentirte, mich vielmahls brauchen laßen; Hierzu wendeten wir ziemliche unkosten an. Daß Studium Oratoriae betreffende, so inclinirte mein Ingenium von Jugend auf zu demselben, darzu mich auch deß Öftern Exercitium noch fähiger und freymüthiger machte. Ebenfals trieb auch der Seelige herr Vater die Lectiones Privatas mit Grosem Ernst. Wenn etwa ein Gymnasiastes auf Universitäten abreysete, muste er vor allen Dingen durch eine Orationem Valedictoriam dem Gymnasio publicè valediciren, welches einen Schönen Actum gab, sonderlich, weil darbey herrlich musiciret ward; Wie wol auch ihrer viel den Abschied hinter der thüre nahmen. Es ist leicht zu erachten, waß manchmahl bey einer so grosen menge der Studierenden, ja ofters rasenden Jugend, der Seelige herr Vater für Verdrüßligkeiten alß der Oberste Schul Regente müße empfunden haben. Unterdeßen sparete Er nicht Scharffer Straffe und condemnirte, ohne ansehen der Person, nach Befindung der Sache, einen Edelmann so geschwinde ins Carcer als einen gemeinen purschen. Einstmahls gerieth ich selbst alhier in ein groses Unglück mit einem Edelmann Leopold Wilhelm von Warlowsky,119 eines Obristen120 Sohn; Derselbe nöthigte mich, wieder meinen Willen, zum Fechten; Gab mir einen blosen Degen, vor sich aber ein höltzern Rappier behaltende, damit Er Schertzweise tapffer auf mich zustieß; In dem ich nun gedachte, blößlich, |18| die Stöße abzuwehren, stieß ich denselben durch die rechte hand, wieder alles dencken und wollen; Auch hette noch ein gröser Unglück gescheen können, dafern nicht daß von der hand lauffende Blut die Wunde angedeutet und es der Güttigste Gott nicht väterlich abgewendet und verhüttet hette. Unterdeßen tribuirte ihm der Verwundete selbst die Schuld, erkennende, welcher gestalt Er mir diese abgenöthigte, aber in Unglück verwechselte Kurtzweil zugemuthet und derselben Anfänger gewesen wäre. So gehet daß unzeitige handthieren der Degen und anderer Gewehre bey der Fürwitzigen Jugend selten ohne schaden ab, dafür sie sich wol möchte warnen laßen und auß anderer Exempel klug werden. Dieser Leopold Wilhelm von Warlowsky121 hat auch nagehends mit mir zu Heidelberg Studiret, ohne Andencken ermeldter Begebenheit. Weil auch die Gymnasiasten auß Unterschiedenen Religionen bestanden und etliche Reformirter, andere Lutherischer Religion, theils auch gar der Arianischen Secte beypflichteten, so gab es immer viel disputirens und zanckens, auch bißweilen harte Schlägereyen. 118 119 120 121

Georg III. (1611–1664), Herzog von Brieg und Liegnitz. Leopold Wilhelm von Warlowsky (Warlowski, Warlofski, † 1700). Wilhelm von Warlowsky (Warlowski, Warlofski, † 1670). Leopold Wilhelm von Warlowsky (Warlowski, Warlofski, † 1700).

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Friderici Lucae eigentgliche Lebens und Totdes Geschichte

Mit der Condition recipirte man die Socinianer ins Gymnasium, daß Sie den Lectionibus Theologicis beywohnen solten; Nun profitirte mein Seeliger herr Vater122 alle Freytage morgends Theologiam, die Socinianer stell’ten sie zwar auch ein zur Lection, aber mehr auß Zwang als auß Vorsatz an Jesum Christum den Sohn Gottes unsern Seeligmacher Glauben zu lernen. Besagte Socinianer waren mehrentheils Pohlen und vornehme Edelleute. Nach dem mein Seeliger herr Vater von kindes Beinen an ein Tardum Ingenium an mir verspürete, so übereilte Er mich nicht in den Studiis, wolwißende daß die in ­frisches Wachs gegrabene Buchstaben nicht so tauerhaftig wären, als die langsam, nach und nach, ins kupffer gegraben würden, wie ich mir dan auch daß langsam, aber mit Fleiß erlern’te, beßer imprimirte in memoriam, als andere waß Sie, so zu sagen geschwinde, et quidem primo intuitu, lerneten. Sobald auch der Seelige herr Vater observirte, meine in Latinitate, in Graecis, in Hebraicis, in Logicis, in Physicis, in Geographicis, und andere Disciplinis gelegte Fundamenta, sonderlich wie mir Bucani123 Locus Communes Theologicos bekant gemacht hatte, darauß hofnung schöpffende meiner Grösern Progressen, stellte Er mir frey, mich einer Facultät zu appliciren, zu welcher ich selbst belieben trüge. |19| Ich blieb aber bey meiner einmahl gefasten Resolution beständig und erkiesete, mit deß Seeligen herren Vaters124 besonderm Contentment, daß Studium Theologicum. Dasselbe zur Perfection zu bringen, machte der Seelige herr Vater Nöthigen anstalt, mich auf eine berühmte Universität zu befördern. Unterdeßen valedicirte den Briegischen125 Musen publicè, bey groser Frequentz, den herren Professoribus und Comilitonibus durch eine Oration de Utilitate Studii Theologici. IV. Friderici Lucae Erste Reise aus Schlesien auf die Universität Heidelberg.a Im Jahr 1662 den 12. Aprilis gesegnete ich Meine liebe Eltern,1 Freunde, und mein liebes Vaterland, der ich mein Gemüthe in einem engen Schrancken einzuschließen nicht vertragen konte, gedenckende, wie numehro die gantze Welt mein Vaterland sein solte. Eben an besagtem tage reysete ich von Brieg ab. Mein herr Vater und frau Mutter beglei1

Johann Lucas (1602–1673) und Maria Lucas, geborene Mücks (Müks, Mücke, 1618–1666).

122 123 124 125

Johann Lucas (1602–1673), Vater von Friedrich Lucae. Guillaume Du Buc (Wilhelm Bucanus, † 1603). Johann Lucas (1602–1673), Vater von Friedrich Lucae. Brieg (poln. Brzeg).

a

Die Groß- und Kleinschreibung von FRIDERICI LUCAE ERSTE REISE AUS SCHLESIEN AUF DIE UNIVERSITÄT HEIDELBERG zu Friderici Lucae Erste Reise aus Schlesien auf die Universität Heidelberg vereinheitlicht.

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Johann Lucas (1602–1673) und Maria Lucas, geborene Mücks (Müks, Mücke, 1618–1666). Breslau (poln. Wrocław).

IV. Friderici Lucae Erste Reise aus Schlesien auf die Universität Heidelberg

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teten mich biß nach Breslaw,2 alwo meine, albereit vorauß gegangene, Reysegefehrten auf mich warteten. Diese unsere Reyse Compagnie bestand mehrentheils in Schlesischen und Polnischen Edelleuten, welche alle bißhero in dem Briegischen Gymnasio Studiret hatten. Nahmeniglich: Johann Theodorius von Skal,3 Jaroslaus von Skal,4 Pauli de Uieisky,5 Andreas de Rozitzky,6 Johannes de Rozitzky,7 Samuel de Rozitzky,8 Johannes Stephanides9 Cracoviensis10 Polonus Rozitzkyorum11 Ephorus, Johannes Fechnerus12 Bicinensis13 Silesius, Aegidius Zegelius14 Fridebergensis15 Silesius, Thomas Ambrosius16 Lesnensis17 Polonus, Georgius Hermannus Briegensis Silesius.18 Wir bedienten unß zweyer Schlesischer Landkutschen und reyseten also, im geleite deß herren, mittags umb 1 Uhr, auß Breslaw. Den Weg nahmen wir durch Nieder Schlesien über Neumarck,19 Lignitz20 und Buntzlaw,21 welche Stätte oben in dem ersten theil sind beschrieben worden. In Lignitz verweileten wir unß gar nicht, außer daß ich abstieg und von meinem herren Schwager Heinrich Schmettaw22 und meiner frau Schwester23 Abschied nahm. Auß Schlesien kamen wir in Lausnitz, welches der Quers Strohm von einander scheidet. In der Lausnitz besahen wird die Schöne Stat Görlitz,24 eine von den Sechs Stätten, dem Churfürsten zu Sachsen gehörende. Derselben Grose Pfarr Kircheb zu St. Peter, welche inwendig |20| fünf gewölber übereinander hat und die auf derselben thurn hangende grose Glocken, welche 16 personen ziehen müßen, item daß grose b

kirche vor zu durchgestrichen. Kirche über der Zeile ergänzt.

12 13 14 15 16 17 18 19 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24

Breslau (poln. Wrocław). Johann Theodor von Skal. Jaroslaus von Skal († nach 1698). Paweł Ujejski (Uiyski). Andrzej Różycki (Rositzky). Jan Różycki (Rositzky). Samuel Różycki (Rositzky). Johannes Stephanides (Stefanides). Krakau (poln. Kraków). Różycki (Rositzky), Adelsgeschlecht. Johannes Fechner. Pitschen (poln. Byczyna). Aegidius (Egidius) Zegelius (Zegel). Friedeberg am Queis (poln. Mirsk). Thomas Ambrosius. Lissa (poln. Leszno). Georg Hermann. Neumarkt in Schlesien (poln. Środa Śląska). Liegnitz (poln. Legnica). Bunzlau (poln. Bolesławiec). Heinrich (von) Schmettau (1629–1704), Schwager von Friedrich Lucae. Maria Elisabeth (von) Schmettau, geborene Lucas (1641–1700), Schwester von Friedrich Lucae. Görlitz (sorb. Zhorjelc).

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kloster oder jetziges Gymnasium, daß vortrefliche Rhathauß, samt dem grosen Saale, worauf die peinlichen Gerichte gehalten werden, sind besehens würdig. Daß merckwürdigste aber befand sich auserhalb der Stat bey des herren Christi Begräbnüß. Es ist ein vornehmer Patritius von Görlitz zu anfang des Seculi, Emrich25 genandt, auß sonderbahrer Devotion und Curiosität nach Jerusalem zu dem Heiligen Grabe gereyset, alwo Er die gantze Situation und gelegenheit deß grabes Christi, als ein gutter Bawmeister, sehr accurat entworffen; Hernach da Er zu Görlitz wiederumb gesund angelangt, hat Er nicht allein daß grab deß herren Christi, sondern auch desselben Euserliche Situation, von einer grosen Circumferentz, samt allen nechst daran gelegenen Oertern, als den Hohenpriesterlichen Pallast, den gepflasterten Saal, den Bach Kidron, denc Gartten Josephs, die Schädelstätte, die zersprungenen Felsen, Christi gang etc., dergestalt nach dem Entwurf mit ziemlich Weitleuftigten Gebäwden aufrichten laßen, ­gleichsam sehe man dasselbe in Natura zu Jerusalem. Sonderlich waß eigentlich daß Grab betrift, so ist noch niemahls ein mensch darinnen gelegen, dem es wäre zu maß gewesen, einem ist es zu kurz, dem andern zu lang. Am allermeisten behagte unß deß Grabwärters, oder Aufschließers, Sermon, der mit sonderlicher Andacht und Gebehrden die gantze Begebenheit deß Leidens Jesu und seiner Begräbnüß zu erzehlen wuste. Diese Stat Görlitz ligt an dem Neisse Strohm, hat ungemein Grose Steinerne Bürgerhäuser, Starcke Stat thore und Rundele mit Steinernen köstlich außgearbeiteten Galerien, dergleichen sonst nirgends gesehen. Die Inwohner sind auch sehr Sittsam und höflich. Gleich hinter Görlitz fängt sich daß Wendische Land an, darinnen die Wenden ihre besondere Wendische Sprache reden und päbstlicher Religion beypflichten. Es ist ein Volck von sonderbahrer Art Kleidung und Humeur, aber von Ungemeiner Arbeitsamkeit. Man muß in ihren Wirthshäusern und herbergen gar vorsichtig leben, indem Sie leichtlich zum Zorn beweget werden und die geringste Schmach an den Frembden mit harten Schlägen rächen, dergleichen bald einem von unser Compagnie, der ihre hitzige Stirne probiren wolte, mit abbrechung einiger Gartten gewächse, begegnet wäre. Die Edelleute dieses Wendischen Landes erfahren sonst grose Trew an diesen ihren Sclaven und Unterthanen, derer Sie sich auch ziemlich zu bedienen wißen. Die aber immediatè dem Churfürsten Unterthan sind und auf Seinen Cammergüttern wohnen, genießen etwaß mehr Freyheit. |21| Drey meil Weges von Görlitz26 ligt daß Stätlein Reichenbach,27 ehe wir darinnen übernachteten, war es etliche tage vorher ausgebrandt. Von hierauß nahmen wir die Reise auf Baudzen,28 an der Spree gelegen, welche die Hauptstatt in Lausnitz und unter den Sechs Stätten ist. Wir logirten in der Vorstatt gegen der Wendischen Kirche c

die vor den durchgestrichen.

25 26 27 28

Georg Emmerich (1422–1507). Görlitz (sorb. Zhorjelc). Reichenbach/Oberlausitz (sorb. Rychbach). Bautzen (bis 1868 Budissin, sorb. Budyšin).

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über und besahen, weil es Sonntag war, ihren Gottesdienst, welcher theilß päbstische, theils Lutherische Ceremonien mit sich führet. Gleichfals wohneten wir, in der Stat, in der Haupt Kirche dem Lutherischen Gottesdienst bey. Den halben theil dieser grosen Kirche, nämlich daß Chor brauchen die Papisten und den halben theil haben die Lutheraner inne. Sonderlich läst sich hier wol sehen daß Churfürstliche Schloß, worauf man auß der Stat durch Starcke gemauerte gänge gehet. Auf demselben ist die Churfürstliche Land Cantzeley, so wohnen auch alhier der Landshauptmann und Land Räthe. Hind und wieder auf den Straßen gibt es auch hier Gewaltige Steinerne Palatia, vornehmen Land Junkern gehörende, welche auch in der Stat ein ansehnliches Landhauß haben. Die Leute an diesem Orte sind über die maßen höflich und mehrentheils daß Frauen Zimmer von Schöner Gestalt, welches sonderlich die Teutsche Sprache excoliret und sich zierliche Redensarten befleißiget. Eben derselben Civilität verführete dermaßen einen von unserer Geseelschaft, daß Er ihm einen derben Rausch von dem gutten Baudzner Biere darüber hatte zubringen laßen. Als wir nun mit den Kutschen auß der Stat gerücket und dieser verliebte und verspätete nacheilete, taumelte und rollete Er, nahe am thore, bey dem Schlagbaum, einen sehr hohen Berg hienunter in eine Abscheuliche tieffe, so, daß wir ihn auch für todt achteten. Etliche von der Compagnie, samt den Wagen knechten, stiegen aber augenblicklich hinab und trugen den vermeynten Todten herauf, der zwar noch lebete, aber einen Arm verrencket hatte. Es kostete viel mühe und zeit denselben aufzumuntern. Von dannen setzten wir unsere Reyse fort, nicht mit geringer Verwunderung über die Schönen an allen Ecken deß Landes herfür leuchtenden Adelichen häuser. Unter Weges ließen wir unß auch einführen in daß Berühmte Land Nonnen kloster Marienstern, drey Meilen von Baudzen gelegen, fanden aber an sich selbt an dem kloster Gebäwde mehr Zierligkeit und Weitläuftigkeit als etwa an der Kirche, welche nicht eben groß, tunckel und weiß nicht mit waß für einen verdrüßlichen Gestanck erfüllet war. Denselben Abend langten wir zu Camitz,29 auch einer Sechs Stat, an. Alhier logirten wir bey einem Statlichen Wirth, einem Rhatsherren selbiger Stat, der unß vor ein geringes geld überauß wol |22| tractirte. Wir giengen vor der mahlzeit durch die Stat, besahen daß merckwürdigste und befanden längst den gaßen fast alle häuser von unten biß oben auf mit grünen Weinreben überzogen, samt einem Schönem marcktplatz und starcken Ringmauern. Nach gehaltener Abendmahlzeit und Nachtruhe reysete deß morgends die gantze Compagnie weiter und kamen denselben tag biß auf den Grosen Hahn.30 Unterweges passirten wird durch Königsbrück,e31 betrachteten daß Schöne Freyd e

†...† vor Hin durchgestrichen. erg in Königsberg durchgestrichen. Zu Königsbrück über der Zeile verbessert.

29 30 31

Kamenz (sorb. Kamjenc). Großenhain. Königsbrück (sorb. Kinspork).

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herrliche Schloß alda, dem Freyherren von Schellenberg32 zuständig. Der Grose Hahn ligt drey meilen von Dresden. Die Stat Kirche hiesiges Ortes gefiel mit nicht unbillich, wie auch die Stat selbst, sonderlich daß künstliche Uhrwerck am Rhathause, an welchem sich, so oft die Glocke schläg’t, ein artiger Bock Streit praesentiret. In besagter Kirche ward ich auch von ohngefehr gewahr Ambrosii Lobwassers33 Bruders34 Epitaphium. Ich schertzte mit dem Glöckner, der die Kirche aufschloße, waß man hier mit Calvinisten zu thun hette? Über diese Frage erzeigte sich der Arme Stümper der gestalt erschrocken, daß Er nicht ein Wort zu antworten wuste. Von hier hetten wir gerne den Weg auf Dresden genommen, aber der Kutscher wolte sich nicht hierzu persuadiren laßen. Unterdeßen brachte Er unß deß mittags nach Strelen an der Elbe35 in ein gutt quartier. Daß Stätlein ist nicht groß, hat aber ein feines Schloß, darauf die herren von Pflug36 wohnen. Weiter hinauß fiel nichts merckwürdiges vor, biß wir auf Würtzen37 drey Meilen von Leipzig kamen, so an der Mulda lieget. Daß Churfürstliche Schloß, samt der Schloßkirchen, läst sich hier wol sehen. Hiesiger Stat Bier, so man auf dem Schloße brauet, ist auch trinckbar, aber daß Volck desto hoffärtiger und gibt den Frembden, für ihr Geld, nicht viel gutte Worte. Deß morgends früh setzten wir über die Mulda und erreich’ten noch vor mittags die Stat Leipzig. Weil in Leipzig der Pennalismus damahls noch nicht gäntzlich abgeschaffet war, auch die Pennäle die Newankommende Gymnasiasten gar spöttisch zu empfangen pflegten, so verband sich unsere gantze Compagnie, sonderlich weil keiner von unß Studirens halben verharren wolte, unbeweglich zusammen zu stehen und unß lieber tapffer herumb zu schlagen, als dieser Schoristen Pennal possen zu erdulden. In dem rothen hirsch auf dem Breuel logirten wir unß ein. Ob sich zwar einige Pennal putzer auch in demselben Quartier aufhielten, jedoch in dem Sie unsere Resolution und Gewehr sahen, wolte sich gleichwol keiner an unß vergreiffen, auser daß bey finsterm Abend allerhand Schimpfliches Zuruffen gehöret wurde. Den gutten Kerln war es umb einen Schmauß zu thun, den Sie vermeynten unß abzutrotzen; Allein |23| es wolte sich Niemand hierzu verstehen. Ich hatte eine besondere Recommendation auß Schlesien, an einen Professor Medicinae Doctor Amman.38 Derselbe bot mir an, mich auf seiner Stube, More ­Academico, deponiren zu laßen, deßen mich aber weigerte, bedencken tragende mich solcher När-

32 33 34 35 36 37 38

Wolf August Carl von Schellendorff (1598–1666). Ambrosius Lobwasser (1515–1585). Paul Lobwasser (1513–1566). Strehla. Pflugk (Pflug), Adelsgeschlecht. Wurzen. Paul Ammann (1634–1691).

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rischer gewonheit zu unterwerffen. Eben hier in Leipzig besahe unterdeßen die Schönen Kirchen zu St. Nicolai und Thomae. Daß Paulinische, und andern Fürsten Collegia, den Rathskeller, Auerbacher hofe, worinnen man in der Messe die Pretieussen Waaren verkauffet, item die Vestung Pleissenburg,39 die grosen menge der Buchladen und andere merckwürdigkeiten. Hierauf zertrennete sich unser Compagnie, die bißher friedsam und in Einigkeit auß Schlesien gereyset war, und valedicirte einer dem andern. Etliche begaben sich nach Wittenberg, etliche nach Jena, theils auch in Holland. Ich aber und herr Johann Theodorius40 und herrf Jaroslaus von Skal,41 Gebrüdern, mitteten einen eigenen Kutschen von Leipzig biß auf Franckfurt am Mayn.42 Nach Viertägiger Außruhung in Leipzig reyseten wir also, im Nahmen Gottes, nach Franckfurt. Am ersten passirten wir durch daß Stätlein Lützen und besahen ohnfern davon den Aufgerichteten Denckstein, im freyen felde, zum Denckmahl deß auf selbiger Stelle Erschlagenen Königs von Schweden, Gustavi Adolphi,43 und kamen selbigen Abend biß auf Weissenfels an der Sala44 gelegen, woselbst Hertzog Augustus45 zu Hall46 ein vortreffliches Schloß auf einem Berge zu bauen anfieng. Deß andern tages gieng unsere Straße auf Naumburg47 und Schulpforte.48 In Naumburg war nicht viel sonderliches auser der Stifts Kirche und dem fürstlichen hause darbey zu sehen. Zur Schulpforte, welches ein Feld kloster gewesen, von den Lutheranern aber in eine Land Schule verwechselt worden, und nichts mehr als ein Wirthshauß darbey stehet, logirte man unß in dasselbige über Nacht. Diese Schule mit ihren Professoribus, und Praeceptoribus Classicis, stand mir nicht übel an. Man zehlete darinnen über 400 Scholaren, welche allerseits in besondern Röcken und solchen Mützen, fast wie die Lutherischen Prediger in Franckfurt, tragen einher gehen musten. Sie sind allerseits Churfürstliche Alumni und müßen darinnen 6 Jahr, unter ziemlich Scharfferg Disciplin außhalten, werden aber woltractiret, haben darbey eine Schöne Kirche und mittelmäßige Bibliothecam. Zur Recreation sind ­ihnen allerhand lust Spiele, in gewißen tagen der Woche, in dem Gartten vergönnet. In dem Vorhofe des klosters wohnen die Professores, der Verwalter und die Wacht, welche keif g

H mit h in herr überschrieben. ha vor Scharffer durchgestrichen.

39 40 41 42 43 44 45 46 47 48

Pleißenburg. Johann Theodor von Skal. Jaroslaus von Skal († nach 1698). Frankfurt am Main. Gustav II. Adolf (1594–1632), König von Schweden. Weißenfels an der Saale. August (1614–1680), Herzog von Sachsen-Weißenfels. Halle an der Saale. Naumburg (Saale). Schulpforte (Schulpforta).

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nen Alumnum, ohne deß Rectoris Consens, auspassiren läst. Die Victualien führen die Nechsten Stätte und Dörffer ihnen herbey. |24| Von dar erhoben wir unß über den Eckartsberg nach Erffurt,49 bey ziemlicher verdrüßligkeit, indem unser Kutscher, ein alter mann, auß unvorsichtigkeit, hinter dem Wagen stehende, nicht wißende warumb, ihm den Wagen, ehe wir aufsaßen und ein wenig bergauf fahren solte, zurück über den leib rollen ließ, daß wir nicht anders meynten die Brust würde ihm zerschmettert sein; Nichts desto weniger erhohlete Er sich wieder, daß Er gleichwol vorhabende Reyse, wie wol sehr kraftloß, mit unß absolviren konte. Eine Woche zuvor hatten die Erffurter ihren Bürgermeister Limprecht50 enthaupten laßen, daher stand hier noch alles in groser Confusion und hatten viel zu thun, ehe man unß den Pass durch die Stat verwilligte. Alhier in Erffurt quartirten wir unß im Hufeisen ein und traffen eine Gottseelige Wirthin an, die unß woltractirte, sich tröstende, weil Sie jetzo auch einen Sohn auf Universitäten Studiren hette und waß Sie an unß thäte, würden frome hertzen demselben eben mäßigh erweisen. Wir besahen alhier den Petersberg, den Dom und andere Kirchen, aber die berühmte Grose Glocken konten wir vor dieses mahl nicht zu sehen bekommen. Die Stat ist ziemlich groß, habe auch, auser Cöln51 am Rhein, keine Grösere in Teutschland gesehen; Allein gar unformlich, der übel disponirten Straßen wegen, erbauet. Inwendig an den Ringmauern liegen grose Weingärtte, auserhalb ist Sie mit starcken Rundelen, ­tieffen Waßergraben, wie wol mit sehr niedrigen Wällen, bevestiget. Jenseit Naumburg52 hat Sie flaches feld, gegen Gotha aber den Cyriacsberg, ein altes viereckiches, auf einem hohen Berge stehendes umbmauertes vestes Gebäude, davon man die Stat beschießen und den Pass disputiren kan. Nach Besichtigung deßen danckten wir unser wolmeynenden frau Wirthin, die unsern krancken Fuhrmann auch wolversorgete und labete, bezahlten die Zeche und reyseten auf Gotha, zwey meilen davon gelegen. In Gotha fanden wir einen bekanten Jungen Edelmann am hofe,i der zuvor in unserm Fürstlichen Briegischen53 Hofe aufgewartet hatte, deß Geschlechts Grefendorf;54 Derselbe machte unß Addresse daß Vornehmstej auf der fürstlichen Residentz Friedenstein, deßen Fortification damahls noch nicht in Perfection stand, zu sehen; Und zwar die fürstliche Schloß Kirche, sonderlich den grosen Saal in dem hintersten dicken thurn, h i j

eb vor eben durchgestrichen. an vor hofe durchgestrichen. †...† vor nehmste in vornehmste durchgestrichen.

49 50 51 52 53 54

Erfurt. Volkmar Limprecht (1615–1663). Köln. Naumburg (Saale). Brieg (poln. Brzeg). Gräfendorf (Gräffendorff ), Adelsgeschlecht.

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deßen Inwendige Höhe, so hoch ist, als der thurn an sich selbst von außen ist. Rings herumb biß oben auf ist Er mit Galerien und köstlichen mahlwerck gezieret. Hertzog Ernst zu Sachsen55 |25| residirte auf dem Schloße mit einer eigezogenen Hofhaltung. Die Jungen Princen hielten auch damahls ihre Ritterliche Exercitia auf dem besagten Saal. Wegen den kurtz vorher gescheenen Brandes stand die übrige Stat gar in Schlechtem ansehen. Nun giengen wir auf Isenach,56 fanden aber wenig alhier zu observiren. Deß Hertzogs hauß ist von schlechter Condition dem euserlichen ansehen nach. Daß vor der Stat auf einem hohen Berg liegende Schloß Wartenberg,57 alwo Doctor Luther58 nach dem Teuffel sol ein Dintenfaß geworffen haben, gestattete die eylfertige Reyse nicht zu besehen. Hierauf passirten wir durch den Flecken Marcktsuhl,59 alwo viel Eisenwerck geschmiedet wird. Hertzog Johann George60 residirte alhier, der jetzt zu Isenach hof hält. Für dem Schloß stehet ein hoher und ungemein groser Lindenbaum, unter welchem viel Tische standen, welcher mit seinen dicken aesten und blättern dieselben bedeckte, daß der stärckste regen nicht vermochte durchzudringen, also daß, zur Sommers zeit, der Hertzog darunter zu speisen pflegte. In dieser Gegend berührten wir die Grentzen von Hessenland und passirten durch Frauensee und Vach,61 an der Werra. Mein Gemüthe erfreuete sich über die maßen, als ich hörete die Armen Schüller über die Gaßen gehende und daß Brot propter Deum heischende Psalmen singen und daß diese Stat Reformirter Religion wäre, welches mir etwaß Newes zu sein schiene. Von hier zogen wir nach Fulda und ließen unß alda die vornehmsten Gebäwde zeigen, nemlich deß Abt’s hofe, daß Stift, die Pfarr Kirche, daß Baarfüßer kloster und daß Jesuiter Collegium. Der Ort stand mir gar nicht an: Denn der Leute Unfreundligkeit, und Unsauberkeit, erweckte mehr Eckel als appetit zum essen; Und eileten daher sämtlich auß diesem Rotzigen Pfaffen Nest. Eine Meil Weges hievon passirten wir daß Schöne Schloß Neuhof, dem Abt zu Fulda gehörende, vorbey, giengen aber nicht hinein: In allen Fenstern standen Stücke von unten biß oben auß, ob zur Zierde, oder zur Defension, weiß ich nicht. Ohngefehr eine Stunde hinter dem Schloß Neuhof fiel ich, wieder verhoffen, auf freyer Straßen, am Schlage deß Wagens sitzende, in eine Schwere Ohnmacht und erschreckte meine Reyse Gefehrten nicht wenig. Sie hatten auser dem Schlag Balsam sonst keine Medicamenta bey sich, mich zu ermuntern. Weil aber die Stat Schlüchter,62 55 56 57 58 59 60 61 62

Ernst I., der Fromme (1601–1675), Herzog von Sachsen-Gotha-Altenburg. Eisenach. Wartburg. Martin Luther (1483–1546). Marksuhl. Johann Georg I. (1634–1686), Herzog von Sachsen-Eisenach. Vacha. Schlüchtern.

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dem Grafen von Hanaw63 zuständig, nahe vor unß lag, eilete der kutscher hienein. Auß mangel eines Medici, und |26| Apothekers, wiesen Sie mich zu dem Schul Rector der zugleich Reformirter Prediger in der kloster Kirche war, welchen die krancken zu consuliren pflegten. Ich klagte demselben mein Accidens, allein der gutte mann konte mir ex tempore wenig rahten, setzten daher nur unsere Reyse in Gottes Nahmen fort, am dem Fluß Kitzing längst hienunter durch die Stätte Steina,64 Gelnhausen, Salmünster, alwo man unß den Platz zeigt’e, worauf Anno 1647 die Hessen Darmstätischen von dem Schwedischen General Königsmarck65 geschlagen und Grafe Sigismund von Hohenlohe66 gefangen worden. Itzund kamen wir in Hanaw67 an, zwo meilen von Franckfurt68 gelegen. Diese Gräfliche Residentz wird in die Alte und New Stat abgetheilet, beyderseits genießen einerley lustige Situation und Fortification. In der Alt Stat stehet daß Gräfliche Schloß, so ziemlich räumlich, aber von keiner sonderlichen Zierligkeit ist, samt der Alten Pfarrkirche. Die Newe Lutherische Kirche, deren grund Churfürst Johann George zu Sachsen69 bey der kayserlichen Wahl geleget hatte, war damahls noch nicht fertig. Die New Stat übertrift an Zierligkeit und Gröse die Alt Stat, in welcher viele Frantzosen und Niederländer von der Reformirten Religion wohnen, haben auch eine Schöne und in die Runte gebaute Kirche, wie auch ein besonders Schönes Rhathaus. Auf dem marckt in der Neustadt stehet ein hauß, Noaekasten genandt, und führet daher den Nahmen, weil es demselben ähnlichet und also noch ein hauß über sich hat, so sich wol ansehen läst. Meines Ortes halte Hanaw für keine solche Vestung ihrem Ruhm nach: Sie hat nur einfache Wälle und keine Reale Bastionen, da eine die andere defendiret. Die Situation aber, und die ziemlich breiten und tieffen Waßergraben, scheinen in etwaß zu ersetzen, waß jenem abgehet. Der Grafe besetzt mit seinem eigenen Volck die Vestung, würde aber zu krieges Zeit schwerlich bastant dieselbe allein zu mainteniren sein.k Auch die Bürger scheinen sich auf ihre handelung und taback Spinnerey beßer zu verstehen als auf die Waffen. Nach Besichtigung der Stat Hanaw gieng unser Weg recta auf Franckfurt. Unser Quartier war im rothen mänchen. Wir versahen unß auch mit Newen kleidern und andern Nothwendigkeiten. Man führete unß durch eine Kerl’n, für ein trinckgeld, in die Dom Kirche St. Bartholomaei, worinnen, kurtz vorher, der Kayser70 die Krönung empfangen hatte, auf den Römer, in den Braunenfels deß Kaysers Quartir, in die ­Carmeliter k

sein über der Zeile ergänzt.

63 64 65 66 67 68 69 70

Hanau. Steinau an der Straße. Hans Christoph von Königsmarck (1600–1663). Siegfried von Hohenlohe-Weikersheim (1619–1684). Hanau. Frankfurt am Main. Johann Georg II. (1613–1680), Herzog von Sachsen. Leopold I. (1640–1705), römisch-deutscher Kaiser.

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Kirche und sahen daß künstlich gemahlte Marien Bild, welches, wenn man es zur rechten Seiten ansahe, gleichsam lächelte und zur lincken weinete. Ebenmäßig |27| verwilligte man unß für einen Reichsthaler zu sehen die güldene Bulla, wie auch daß Dintenfaß, welches der Churfürst zu Heidelberg Carolus Ludovicus71 dem Chur Bayerischen Abgesandten Doctor Oexel72 bey der Churfürstlichen Session auf den kopff geworffen hatte. Die übrigen klöster und Lutherische Kirchen, samt den Buchladen, wie auch daß Teutsche hauß, sind von unß gleichfals besehen worden. Auserhalb der Stat considerirten wir die Vestung und reyseten über die grose Mayn Brücke, bemerckende darauf den eisernen Wetterhahn zum Wahr Zeichen der Stat Franckfurt.73 Wie wol man hier im Reich von Franckfurt viel Ruhm’s machet, dennoch übertrift Selbtes unser Schlesisches Breslaw74 an der Zierligkeit: Denn in Breslaw sind lauter Steinerne häuser, Regulire Straßen, auf die 12 grose haupt Kirchen ohne die andern, gewaltige Zeughäuser, viele hohe thürne etc. Davon hier wenig zu sehen ist. Numehro gieng die Reyse fort über Darmstadt, wie wol wir von dieses Mahl, alhier, die fürstliche Residentz nicht besichtigten, Bensheim, Weinheim und also durch die Berg Straße, welche mit ihrer Fruchtbarkeit und Lustbarkeit einem rechten ­Canaan ähnlichet, nach Heidelberg zu und observirten zu beyden seiten unterschiedliche Schlößer, und andere Schöne Flecken. An einem Freytag abends lang’ten wir zu Heidelberg an, die beyde herren von Skal75 aber, meine bißherige Reyse Gefehrten auß Schlesien, giengenl von hier, deß Sonnabends nachmittage, rectà nach Tübingen. |28| V. Friderici Lucae Studia zu Heidelberg.a Bey meiner ankunft zu Heidelberg nahm mich, mein alter Schul Freund, herr Fridrich Christian Winckler,1 jetziger zeit Medicinae Doctor und Churfürstlicher Rhat und Leibmedicus, und Landsmann, bald zu seinem Stuben Gesellen und Tisch Cameraden an; Wie wol mir der tisch nachgehends nicht allerdings wol anstehen wolte und demselben ein Viertel Jahr nur genoß, hernach aber changirte. Sonst befanden sich in 1



Friedrich Christian Winckler (Winkler).

l

ge vor giengen durchgestrichen.

71 72 73 74 75

Karl I. Ludwig (1617–1680), Kurfürst von der Pfalz. Johann Georg von Oexle (Oexl, 1605–1675). Frankfurt am Main. Breslau (poln. Wrocław). Johann Theodor von Skal und Jaroslaus von Skal († nach 1698).

a

Die Groß- und Kleinschreibung von FRIDERICI LUCAE STUDIA ZU HEIDELBERG zu Friderici Lucae Studia zu Heidelberg vereinheitlicht.

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Friedrich Christian Winckler (Winkler).

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Friderici Lucae eigentgliche Lebens und Totdes Geschichte

der tischgeseelschaft unterschiedene feine Leute, unter andern ein Edelmann deß Geschlechts von Schertel,2 numehro Rhat by dem Marggrafen zu Baden Durlach,3 item herr Hartmann,4 nachgehends Bürgermeister zu Wesel, item herr Ham,5 welcher Rhat und Kriegs General Comissarius bey dem Bischoff6 zu Münster7 gewesen, auch sich ziemlich durch Seine abgelegte Ambassaden in der Welt bekant gemacht hat. Die Universität alhier betreffende, so war damahls Magnificentissimus Rector herr Grafe von Wittenberg8 auß Schweden und Pro Rector herr Sebastianus Ramspeck,9 Eloquentiae Professor, welcher mich immatriculirte und in Numerum Studiosorum ­recipirte. An Professoribus hatte die Universität keinen mangel, darunter aber gar wenig, ihrem Beruf gemäße, fleißig docirten. Unter den Theologis befand sich herr Doctor Fabritius10 und herr Fridericus Spanhemius.11 Herr Doctor Spanhemius profitirte selten publicè, war auch privatim nicht übrig fleißig. Er fieng gerne viel an, endigte aber wenig. Privatim hielt bey ihm ein Collegium Explicatorium Epistolae Pauli ad Romanos. Sonst gab Er einen unvergleichlichen Disputatorem von sich ab und confundirte gemeiniglich mit Seiner Schnellen Zuge die Opponentes. In vielen Donis ähnlichte Er dem herren Doctor Hornbeck12 zu Leiden. Unter seinem Praesidio muste ich einmahl peroriren de Fructibus Resurectionis Christi, in Gegenwart des Chur Princens, als deß jetzigen Churfürstens,13 und sonst einer grosen Frequentz, diesen Actum exornirte Er, more solito, mit einem Schönen Programma, welches noch in meiner Bibliotheca befindlich ist. Herr Doctor Johannes Ludovicus Fabritius14 ließ ihm etwaß Seine Profession angelegen sein und profitirte publicè, und privatim, mit seinen Schweitzern öfterer. |29| Dieser Doctor Frabritius war zugleich Ephorus im Collegio Sapientiae und darbey ein Accurater Historicus und Practicus Politicus, daher ihn auch der Churfürst15 in Stats sachen vielmahls consulirte. Solche Wissenschaft und Ehre würckete inb ihm

b

ihn vor ihm durchgestrichen; in über der Zeile ergänzt.

12 13 14 15 16 17 18 19 10 11 12 13 14 15

Georg Friedrich Schertel von Burtenbach (1642–1703). Friedrich VI. (1617–1677), Markgraf von Baden-Durlach. Reinhard Hartmann. Balthasar Ham (Hamm). Christoph Bernhard von Galen (1606–1678), Fürstbischof von Münster. Münster/Westfalen. Leonhard Johannes Wittenberg, Graf von Doebern und Neuburg. Sebastian Ramspeck (1615–1668). Johann Seobald Fabricius (Fabritius, 1622–1697). Friedrich Spanheim (1632–1701). Johannes Hoornbeeck (Hoornbeek, 1617–1666). Karl II. (1651–1685), Kurfürst von der Pfalz. Johann Ludwig Fabricius (Fabritius, 1632–1696). Karl I. Ludwig (1617–1680), Kurfürst von der Pfalz.

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Stoltz und aufgeblasenheit, daß Er manchen Gutten mann tapffer durch die hechel zoge und spöttisch begegnete. Esc hielten sich mehrentheils in dem Collegio Sapientiae ­Schweitzer auf, Pursche von geringer Erudition und ungehobelte Gesellen. Dann und wan stellte Doctor Fabritius16 Comoedien and und führete dieselben aufs Theatrum, solche grobe knorren ein wenig zu excoliren, aber ohne Nutzen. Theils unter diesen waren Alumni, theils Convictores. Die Alumni lebten frey, die Convictores zahleten, wochentglich, für den Tisch einen thaler. Über dieses hielt der Ephorus Doctor Fabritius einen besondern tisch vor sich, darfür man, wochentglich, Sechs kopfstücke zahlen muste. An diesem Tische deß Ephori habe mich fast Fünf Viertel Jahr befunden, wie wol auserhalb dem Collegio Sapientiae wohnende, bey herren Godfried Brauneck,17 Churfürstlicher Lehn probst in der Börse. Hier hatte ich wiederumb feine Tisch Cameraden: Monsieur Stockar18 und Monsieur Ziegler,19 beyde Schafhäuser20 Patritii, Monsieur Stirler21 und Monsieur Mobach,22 beyde Berner Patritii auß der Schweitz, Monsieur Kubler23 auß Bündten, Monsieur David Schirmer24 von St. Gall25 auß der Schweitz, numehro Prediger alda, Monsieur von der Felde26 von Hanaw,27 numehro der Niederländischen Gemeinde Prediger alda, Monsieur Emanuel Sustmann28 auß Hessen, numehro Professor und Prediger zu Rintheln.29 Dieser herr Sustmann lebte nicht mehr als ein Studiosus, sondern nur als ein Hospes, der täglich zur Profession asspirirte zu Heidelberg und war schon über 30 Jahr alt, hingegen hatte ich noch nicht daß 20. Jahr erreichtet; Gleichwol hat sichs zugetragen, daß ich denselben hier zu Cassel30 habe ordiniren helffen, da Er bey der Profession zu Rintheln auch die Prediger stelle erlangte. Mehr erwehnter Doctor Fabritius brauchte daß grosen Convictorium, oder Coenaculum, im Collegio Sapientiae zu seinen Collegiis Privatis. Einstmahls hielt Er ein Collegium Explicatorium und Examinatorium über daß Systema Theologium c d

Solte vor hielten durchgestrichen. Es über der Zeile ergänzt. an über der Zeile ergänzt.

16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30

Johann Ludwig Fabricius (Fabritius, 1632–1696). Johann Gottfried Brauneck. Georg Stokar von Neuforn. Franz Ziegler. Schaffhausen. Abraham Stürler. Johannes Mobachius (Mobach). n.z.e. David Schirmer (1643–1712). St. Gallen. Johann Peter van den Velde. Hanau. Emanuel Sustmann (1638–1703). Rinteln. Kassel.

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Maresii,e31 demselben wohnete fleißig bey und schaffte bey mir, und andern Studiosis, mercklichen Nutzen. Monsieur Carrèe,32 Frantzösischer Prediger, muste gleichfals, als Praeceptor Collegii Sapientiae, denen Alumnis Metaphysicam profitiren, ließ es aber auch gar selten an sich kommen. Die guten Sapientisten, so nennet man eigentglich die Studiosos, |30| welche in dem Collegio Sapientiae sich aufhalten, genoßen sonst ziemlicher Ergetzligkeit, wie wol Sie manchmahl sehr geringe abgespeiset wurden, und Recreation. In dem besagten Grosen Coenaculo stand ein Schönes Orgelwerck, zu deßen Erbauung auch selbst einen Ducaten contribuirte, wie solche Freygebigkeit mein Eingeschriebener Nahme, in daß zu dem Ende gemachte Buch, und zweiffels ohne, noch zum Gedächtnüß, in dem Collegio Sapientiae verwahretf wird, außweisen kan. Hinter dem Collegio ist ein groser gartten, darinnen die Sapientisten allerhand Spiele und motiones, ungehindert, excerciren. Mit den andern Studiosis kommen Sie nicht leichtlich in Conversation und war zwischen diesen und jenen fast ein Inveteratum Odium. Die freyen Studiosi verachteten die Armen Sapientisten, daß wolten diese nicht leiden; Daher regnete es manchmahl derbe stöße. Herr Floccenius,33 Primarius Pastor bey der Haupt Kirche zum heiligen Geist, hielt auch ein Collegium Practicum, dictirte Dispositiones Concionum, die man hernach elaboriren und predigen muste privatim. Ich bediente mich ebenmäßig, mit vielen alten Candidatis, dieser gelegenheit. Unter den vornehmsten Studiosis Theologiae, die zu meiner Zeit zu Heidelberg Studierten, befanden sich: Monsieur Merian34 Basiliensis,35 jetziger Zeit Prediger alda, Herr Andreas Alsteinius,36 Marco Westphalus, Prediger in der Grafschaft Bentheim, Monsieur Meyer37 Bremensis,38 gewesener Prediger alda, Monsieur Mickisch39 Dantiscanus,40 Prediger zu Rhorbach in der Pfaltz,41 Herr Reinholdus Pauli42 Dantiscanus, letzlich gewesener Professor zu Marburg,43 Monsieur Jacobus Schroederus,44 e f

Marosii über der Zeile ergänzt. nu vor verwahret durchgestrichen.

31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

Samuel Maresius (Des Marets, 1599–1673). Jean Carré (Carreus, † 1672). Marcus Floccenius (Flocken, 1615–1674). Johann Rudolph Merian (1639–1670). Basel. Andreas Alstenius († um 1688). Conrad Meyer. Bremen. Albert Mickisch († 1682). Danzig. Rohrbach (Pfalz). Reinhold Georg Pauli (1638–1682). Marburg an der Lahn. Justus Jakob Schröder.

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Superintendens zum Horn45 in derg Grafschaft Lippe, Monsieur Caspar Scharbach,46 Prediger im clevischen Lande, Wolerus Norenhold47 Bremensis, Prediger im Bremischen, Herr Elias Keppelius48 Bremensis, Prediger zu Eberbach in der Pfaltz, Monsieur Thomas Haseus49 Westphalus, Prediger in Westphalen, Monsieur Fabritius,50 Prediger in der Grafschaft Bentheim, Monsieur Lupichius51 Losanna52 Helvetius, Prediger in der Schweitz, Monsieur Martinus Gabriel53 Ilantino,54 Rhaetus Prediger daselbst, Benjamin Ursinus55 Lesna56 Polonus, Churfürstlicher Hofeprediger zu Berlin, Monsieur Schlütter,57 dieser hat sich hernach der Labadistischen Sekte eingepflochten, Herr David Schirmer58 St. Gallensis,59 Prediger alda, Monsieur von der Felde60 Hanovicus,61 Prediger alda, Monsieur Sartorius62 et Monsieur Jäckel63 Hanovici, Prediger in selbiger Grafschaft. Monsieur Dorville64 Franckfortensis,65 Prediger in der Pfaltz, Monsieur Mollerus66 Franckofurtensis, Hochteutscher Pre- |31| diger bey der Reformirten Kirche zu Leiden in Holland, Monsieur Philippus Carbius67 Sintzheimensis,68 Palatinus Prediger in der Pfaltz, Monsieur Johannes Cunradus Sulcerus69 Vitoduranus70 Helvetius, Prediger alda, Monsieur Johann Balthasar Hanhardus71 Steckboraeus72 Helg

We vor der durchgestrichen.

45 46 47 48 49 50 51 52 53 54 55 56 57 58 59 60 61 62 63 64 65 66 67 68 69 70 71 72

Horn-Bad Meinberg (Horn). Caspar Scharbach († nach 1685). Wolert Nordenholt († 1689). Johann Georg Keppel (Koeppelius). Thomas Barthold Hasseus. Georg Fabricius (Fabritius, † 1693). Johann Jacob Lupichius (1631–1711). Lausanne. Martin Gabriel. Ilanz/Glion (Ilanz). Benjamin Ursinus (von Baer, 1646–1720). Lissa (poln. Leszno). Heinrich Schlüter (1647–1675). David Schirmer (1643–1712). St. Gallen. Johann Peter van den Velde. Hanau. Peter Sartorius (1642–1693). Jakob Jeckel (1643–1719). Johannes Daniel d’Orville (Dorvillius, 1645–1696). Frankfurt am Main. Johann Möller (Mollerus). Philipp Carbius. Sinzheim. Johann Konrad Sultzer (Sulcerus, 1644–1691). Winterthur. Johann Balthasar Hanhart (Hanhardus, 1643–1729). Steckborn.

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vetius, Prediger alda, Monsieur Johannes Jacobus Reich73 Heidelbergensis, Prediger in der Pfaltz. Wie wol ich auf der Universität Heidelberg noch mehr Studiosos, als meine Condiscipulos, gekennet, so habe doch hier der fürnehmsten gedencken wollen, auß welchen Statliche Gelehrte Leute und Vornehme Prediger worden seind. Bey der Juristischen Facultät florirte der Alte Doctor Cuno,74 von dem man sagte, wenn daß Corpus Juris verlohren wäre,h so würde man es in seinem kopffe wiederfinden. Der berühmte Doctor Böckelmann,75 der von Heidelberg nach Leiden vociret worden, hatte grosen Zulauf, sonderlich von Hamburgern und Westphälingern, machte unter denselben, vor ein Stück geldes, manchen Idioten zum Doctor. Die Medici, Doctor Fausius76 und Doctor Jacobus Israel,77 auß mangel der Auditorum, profitiren selten, hielten doch unterschiedliche Sectiones Anatomicas. Einstmahls habe mit Verwunderung gesehen, wie ein junger verwegener Studiosus Medicinae, seine tapfferkeit sehen zu laßen, fast ein gantz Pfund rohes Fleisch von dem Cadavere eines Decollirten Kerles fraß, nicht ohne Grauen und Eckel aller gegenwärtig umbstehenden Spectatoren. Herr Doctor Leuneschlos78 Matheseos, Doctor Sebastianus Ramspect79 Eloquentiae, Doctor Gerlachius80 Historiae Ecclesiasticae Professor ist weder von mir noch von andern, zu meiner Zeit, auf der Catheder gesehen worden. Hingegen wendete der berühmte Puffendorf,81 Professor Extraordinarius, bey der Jugend desto mehr Fleiß an, welchem insonderheit die Schweden anhiengen. Er laße über den Grotium82 und tractirte sonst in Historicis et Politicis herrliche Sachen. Es thät der Jugend grosen Schaden, daß, über Erzehlte, kein Professor vorhanden war, der etwa in Philosophicis und Humanioribus dieselbe angeführet hette. Wer nach Heidelberg kam und brachte keine Fundamenta auß dem Gymnasio mit sich, der gieng verlohren. Jedoch hielten sich dem ansehen nach mehr Studiosi und Edelleute hier auf der Exercitien, als etwa der Studien wegen: Denn die Universität bestellte jederzeit vortreffliche Fecht, Tantz und Sprachmeister, sonderlich kamen die meisten Edelleute dem Berühmten Churfürstlichen Bereiter Frobenio83 zu gefallen anhero. h

würde vor wäre durchgestrichen.

73 74 75 76 77 78 79 80 81 82 83

Johann Jakob Reich (1642–1690). Heinrich David Chuno (1604–1665). Johann Friedrich Böckelmann (1633–1681). Johann Caspar Fausius (1601–1671). Jakob Israel (1621–1674). Abraham von Leuneschloß († um 1677). Sebastian Ramspeck (1615–1668). Stephan Gerlach (1621–1697). Samuel (von) Pufendorf (1632–1694). Hugo Grotius (de Groot, 1583–1645). Emanuel Frobenius (Froben, 1604–1684).

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|32| Dieser Frobenius lebte anfangs in grosem ansehen, als Er aber der Churfürstin84 Parthei annahm, gab ihm der Churfürst85 ungnädige minen. Einer86 von seinen Söhnen, die albereit in der Reutkunst trefliche Erfahrung hatten, stürtzte den halß entzwey bey dem Einzug deß Hertzogs von Neuburg, da Er auf einem tollen Pferde seine Kunst wolte sehen laßen, welchen hernach, samt andern vornehmen Studiosis, auf meinen Schultern zu grabe tragen half. Sonst praesentirte der alte Frobenio87 eine Schlichte Person, lebte still und mit den Seinigen eingezogen, demüttig und ohne hoffart. In meiner Bibliothec ist der Heidelbergische Parnassus, da nemlich alle damahlige Professores in kupffer gestochen sind, samt ihrer beygefügten Lebens Beschreibung befindlich, und zwar bey deß Typotii Symbola gebunden in folio. Die vornehmsten Studiosi, welche sich Zeit meines zweyjährigen verharrens zu Heidelberg befunden, sind folgende: Der obengedachte Magnificentissimus Rector Grafe von Wittenberg,88 der Grafe von Witgenstein,89 numehro Churpfaltz Rhat und Ober Stallmeister, der junge Grafe Wrangel,90 der Grafe Carlsohn91 deß Königs von Schweden92 Bastart, aber ein Feiner Resolvirter herr, vier Grafen von Ochsenstirn,93 Woiwoda Haletzky94 auß Lithawen, Baronen von Bilandt,95 von Creutz,96 von Schmidtburg,97 von Samslack,98 von Stauf,99 von Wolzogen.100 Mit dem jungen Grafen Wrangel, der ein kleiner unannehmlicher und von Gesichte heßlicher herr, jedoch deß Schwedischen Feldherren101 Sohn war, trug sich einstmahls ein artlicher streich zu: Der Churfürstliche Printzi und itziger Churfürst102 erlustigte i

†...† vor Printz durchgestrichen.

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Charlotte (1627–1686), Kurfürstin von der Pfalz, geborene Prinzessin von Hessen-Kassel. Karl I. Ludwig (1617–1680), Kurfürst von der Pfalz. Aurelius Sebastian Frobenius (Froben, 1641–1664). Emanuel Frobenius (Froben, 1604–1684). Leonhard Johannes Wittenberg, Graf von Doebern und Neuburg. Karl Ludwig von Sayn-Wittgenstein (1655–1699). Carl Phillip von Wrangel (1648–1668). Gustav Carlsson (Graf von Börring, 1649–1708). Karl X. Gustav (1622–1660), König von Schweden, als Karl Gustav Pfalzgraf und Herzog von Pfalz-Zweibrücken. Gabriel Turesson Oxenstierna (1642–1707), Gustav Adolf Oxenstierna (1648–1697), Gabriel Gabrielsson Oxenstierna und Ture Turesson Oxenstierna. Gedeon Aleksander Chalecki (G um 1640). Roelemann Bertram von Bylandt-Halt. Jacob Creutz (1645–1667) und Lorentz Creutz der Jüngere (1646–1698). Craft Wilhelm von Schmidtburg († 1692) und Johann Friedrich von Schmidtburg. n.z.e. Ludwig Wilhelm von Stauff (Stauf, † um 1706). n.z.e. Carl Gustav von Wrangel (1613–1676). Karl II. (1651–1685), Kurfürst von der Pfalz.

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sich, samt seinem Hofemeister, einem Schweitzer deß Geschlechts Wattewil,103 diesem Graf Wrangel und andern vornehmen Studiosis in dem Schießhause; Als nun der Chur Printz seine Zeit ersehen, eilete Er nach hause und wolte abschied nehmen; der Kühne Graf Wrangel, dem dieses nicht gelegen war, und gerne deß Churprintzen Geseelschaft länger genießen wolte, sprach unbedachtsam: Ein Hunßvotte gehet weg. Der kluge Churprintz thät, als ob Ers nicht hörete, aber der Hofemeister Wattewil nahm dem Churprintz bey der hand und sprach: Ihr herren, Sie hören waß geredet wird. Deß Graf Wrangels Hofemeister, Schlütter104 genandt, wolte es excusiren, aber jene stiegen auf den kutschen und fuhren wieder nach hofe. Der Alte Churfürst,105 wie wol Er über diesen Affront treflich geeyfert hat, so ist es dennoch dergestalt vermittelt worden, daß Graf Wrangel zur Straffe dem Churprintzen privatim hat depreciren müßen. Über besagte Grafen und Baronen studirten auch alhier unterschiedliche Reiche und Vornehme Frantzösische Herren und Marquisen, derer Nahmen aber vergeßen habe, auser deß eintzigen Monsieur Coursilion,106 und |33|j Caladrin107 mich errinnernde, von denen der Erste fleißig die Collegia Theologica besuchte. Eben zu dieser Zeit war zu Heidelberg Churfürstlicher Vice Cantzler und Geheimer Rhat Doctor Blume,108 ein Lutheraner. Dieser, wie Er bey der Regierung und Hofe vielerley Novitäten aufbrachte und unter andern auch dem Churfürsten zur Einführung deß Gestämpelten Papiers Rath ertheilte, also wolte Er auch bey der Universität einige Newerungen introduciren und verbitten, daß die Studiosi zu Winters Zeit nicht mit Schellen geleute solten auf dem Schlitten fahren, jedoch ohne Consens deß Churfürstens. Die Studiosi, solches erfahrende, stell’ten dem Doctor Blume, zum Verdruß, durch eine Schlittenfahrt abscheuliche Masquaraden an, Seine und Seiner Frawen109 Person dabey praesentirende: Als nun der Gutte Doctor Blume, mit seinem Diener mitten auf der Straße pathetisch einhergetretten komt, begegnen ihm zwey Vermasquerirte Renn Schlitten, diese wollen jenem nicht und jener diesen nicht auß dem Wege weichen, damit steigt einer auß dem Schlitten und gibt dem herren Doctor Blume mit der Geißel etliche Streiche über die Paruque, setzt sich wieder auf den Schlitten und reißet durch. Herr Doctor Blume, den sein Diener verlaßen hatte, lauffet nach hause und fährt eilends nach Mannheim zu dem Churfürsten ihm seinen Schimpff klagende; Hierauf geschae zwar Inquisition nach dem Beleidiger; Allein derselbe hatte sich schon unsichtbar und auß dem staube gemacht. Und eben derselbe mit Seiner Schlitten Compagnie waren frantzösische herren und Marquise. Unterdeßen muste ihm herr Doctor Blume j

und nach /33/ aus Gründen der Lesbarkeit ausgelassen.

103 104 105 106 107 108 109

David von Wattweyler. n.z.e. Karl I. Ludwig (1617–1680), Kurfürst von der Pfalz. Louis Courcillon de Dangeau (1643–1723). Jean Calandrin. Reinhold Bluhm (Blum, 1617–1690). Juliane Bluhm (Blum), geborene von Bopart.

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Seinen Schimpff und Stöße, und die Studiosi ihre Freyheit, ungehindert auf dem Schlitten zu fahren, behalten, diesem herren nicht zum geringen verdruß. Die Vornehmsten von Adel, welche ebenfals alhier studirten, so viel mich derselben kan erinnern, sind folgende: Monsieur von Besta110 auß Bündten, von Bille111 auß Dennemarck, von Brugsdorf112 auß Holstein, von Buvinckhausen113 auß Elsas, von Falckenberg114 auß Schweden, von Flemming115 auß Pommern, von Grudtschreiber116 auß Schlesien, numehro kayserlicher Rhat, von Hahnstein117 auß Thüringen, von Helmstedt118 auß der Pfaltz, von Ittersum119 auß Gelderlandt, von Köckritz120 auß Schlesien, von Fürst121 auß Schlesien, von Meerschwein122 auß Dennemarck, von Mitmeyer123 auß Schlesien, von Münster124 auß Westphalen, von Neuhof125 auß Westphalen, von Grot126 auß dem Braunschwiegischen,127 von Lindaw128 auß Hessen, jetziger Oberforstmeister alhier zu Cassel,129 von Nostitz130 auß Lausnitz, numehro in Grafen Standt erhoben, von Rochaw131 auß der Marck Brandenburg, Numehro Churpfältzischer Rhat, von Trozzi132 auß Schweden, von Roseroll133 auß Bündten, von Rozitzky134 auß Pohlen, von Schlieben135 auß Preussen, |34| von Schertel136 auß dem Würtenbergischen, Numehrok marggräflicher k

von vor Numehro durchgestrichen.

110 111 112 113

Philipp Besta. Christian Bilde (Bylde) und Jörgen Bilde (Bylde). Joachim von Brockdorff (1643–1719). Eberhard Friedrich Bouwinghausen und Wallmerode (1648–1729) und Magnus Ferdinand Heinrich Bouwinghausen und Wallmerode. Gustaf Mauritz von Lewenhaupt (1651–1700). Heinrich von Flemming. Adam Friedrich von Gruttschreiber (Grudtschreiber, 1645–1709). Burchard von Hanstein. Carl Valentin von Helmstatt (Helmstadt, 1647–1702). Johan Barthold van Ittersum. Ernst Friedrich von Köckritz (1642–1695). Georg Rudolf von Fürst und Johann Georg von Fürst. Magnus Marsvin (Marsveyn). Christoph Wilhelm von Mittmeyer (Mittmeier). Arnold Albert von Münster. Wilhelm Weinmar von Neuhoff (Niehof ). Georg Werner von Groten (Grote, G 1641). Braunschweig. Johann Friedrich von Lindau (1637–1719). Kassel. Johann Christoph von Nostitz (1638–1724). Samuel Friedrich von Rochow (Rochau, 1641–1727). Julius Trotzigh (Trotzig). Sylvester Rosenroll (1646–1721). Andrzej Różycki (Rositzky) und Jan Różycki (Rositzky). Johann Friedrich von Schlieben (1630–1696). Georg Friedrich Schertel von Burtenbach (1642–1703).

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Baden Badischer Rhat, von Warlowsky137 auß Schlesien, von Wedel138 auß dem Meckelburgischen, jetziger Zeit General Feldmarschall in Dennemarck, von Wesenbeck139 auß dem Clevischen, Chur Brandeburgischer Rhat, von Winter140 auß Hessen, von Üchtritz141 auß Lausnitz, von Uieisky142 auß Pohlen, von Zedlitz143 auß Schlesien. Hierbey habe auch anfügen wollen die Nahmen der jenigen Studiosorum, welche jetzo in hohen Aemptern stehen: Monsieur Brömse144 Lubeccensis,145 Rhatsherr alda, Monsieur Dreiling146 auß Riga in Liefland, Rathsherr alda, herr Dorell147 von Franckfurt am Mayn,148 gewesener berühmter Medicus alda, herr Fuchs149 Churpfaltz Lehnprobst, herr Kirchner,150 Churpfaltz Hofegerichts Rhat, jener von Heidelberg, dieser von der Neustadt auß der Pfaltz,151 herr Oldenburger,152 ist eben der jenige, welcher den Constantinum Germanicum und andere Bücher geschrieben, herr Möller153 Hamburgensis,l154 Rhatsherr alda, herr Winckler155 Brigensis156 Silesius Churpfaltz Rhat und Hofmedicus, herr Spina157 Heidelbergensis,158 Professor Juris alda, herr Bender159 Franckofurtensis, Rhatsherr alda, herr Seiler160 Heidelbergensis, eines Schwartzfärbers161 Sohn, anfangs Churpfaltz Geheimer Secretarius, nachdem Er aber Apostasiret, ist Er kayserlicher Rhat worden; zu Nimmegen162 auf dem Friedens Schluß

l

Rh vor Hamburgensis durchgestrichen.

137 138 139 140 141 142 143 144 145 146 147 148 149 150 151 152 153 154 155 156 157 158 159 160 161 162

Leopold Wilhelm von Warlowsky (Warlowski, Warlofski, † 1700). Heinrich Joachim von Wedel († 1718). Matthäus von Wesenbeck (1642–1715). n.z.e. Wigand Gottlob von Uechtritz (1642–1680). Paweł Ujejski (Uiyski). Joachim Friedrich von Zedlitz (1644–1713). Gotthard von Brömbsen und Heinrich von Brömbsen. Lübeck. Johann von Dreyling (Dreylingk). Hermann d’Orell († 1682). Frankfurt am Main. Johann Fuchs. Theobald Paul Kirchner. Neustadt an der Weinstraße (Neustadt an der Haardt). Philipp Andreas Oldenburger (1617–1678). Hieronymus Hartwig Moller (1641–1702). Hamburg. Friedrich Christian Winckler (Winkler). Brieg (poln. Brzeg). Johannes de Spina (1642–1689). Heidelberg. Jacob Bender von Bienenthal (1644–1695). Johann Friedrich Adam Seiler (Graf von Seilern und Aspang, 1646–1715). Johann Jacob Seiler (um 1600–1666). Nimwegen (ndl. Nijmegen).

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ist Er zugleich Gesandtschafts Secretariusm gewesen. Herr Wetterkopf163 Lubeccensis, gewesener Professor zum Kiel, numehro Rhat bey dem Hertzog zu Holstein Gottorp,164 herr Ulcken165 Hamburgensis, Cantzler bey dem Hertzog zu Holstein Gottorp, herr Wolfahrt166 Hanovicus,n167 Doctor Medicinae und Professor alda, herr Riegel168 Hanovicus und Obrister Lieutnant unter der Cron Schweden, herr Couiet169 auß Schweden, numehro bey selbiger Cron Legations Rhat, herr Koch170 von Stralsundt171 auß Pommern, Rhatsherr alda, herr Hamm172 Rhat und General Comissarius bey dem Bischof zu Münster,173 herr Bert174 Wesaliensis,175 Consul alda, herr Caus176 Hanovicus, vornehmer Ingenieur unter der Cron Franckreich, herr Zachmann177 Heidelbergensis, Churpfaltz Landschreiber deß Oberampts Altzey,178 herr Strasburger179 Heidelbergensis, Churpfaltz Rhat und Schultheiß zu Mannheim. |35| Der Alte herr Churfürst180 trug sonderliche Affection gegen die Universität und Studiosos. Den Edlen vergönnete Er freyen Zutrit in seinen Speise Saal und den andern nach hofe. Als Er wieder den Türcken Anno 1663 eine Compagnie Reuter und eine Compagnie Fußknechteo in Ungern schickte, ließ Er die darzu gehörende Standarte und Fahne im so genandten herren Gartten annageln. Er schlug den ersten Nagel ein, darnach der Printz,181 item die hofe Cavallier und befahl ein gleiches zu thun allen anwesenden Studiosis, unter denen auch mich endlich die Ordnung traf. Gleichfals bey Chürfürstlichen Aufzügen, Comoedien, Balleten etc. musten jederzeit die Studiosi die Vornehmsten Personen agiren, dadurch erhielt Er zwischen seinen

m n o

sch vor -sandschafts in Gesandschafts durchgestrichen. Docto vor Hanovicus durchgestrichen. Dragonen vor Fußknechte durchgestrichen.

163 164 165 166 167 168 169 170 171 172 173 174 175 176 177 178 179 180 181

Magnus (von) Wedderkop (1637–1721). Christian Albrecht (1641–1694), Herzog von Schleswig-Holstein-Gottorf. Andreas Ulcken (1645–1688). Christoph Joachim Wolfart (1640–1708). Hanau. Johannes Daniel Rihel (Richel). Wilhelm Julius Coyet (Coyett, 1647–1709). Alexander Coch (Koch, 1642–1712) oder Joachim Christian Coch (Koch, vor 1647–1713). Stralsund. Balthasar Ham (Hamm). Christoph Bernhard von Galen (1606–1678), Fürstbischof von Münster. Gerhard von Berth (Bert). Wesel. n.z.e. Johann Reinhard Zachmann. Alzey. Joachim Ludwig Strasburger. Karl I. Ludwig (1617–1680), Kurfürst von der Pfalz. Karl II. (1651–1685), Kurfürst von der Pfalz.

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hofeleuten und der Universität ein Schönes Comportement, welches bey herren höfen sonst etwaß rares ist. Meines Ortes besuchte den hof ofters, woselbst ich einen Redlichen Freund und Landsmann hatte, herren Peter Thomas,182 Churfürstlichen Hauß Schneidern; Mit demselben machte mir manchmahl eine gutte Stunde und bekam durch ihn, für andere, die besten Raritäten deß Schloßes zu besehen, sonderlich in den Churfürstlichen Zimmern. Daß Schloß an sich selbst ist mit unvergleichlichen Altanen, Säalen, Galerien und Zimmern versehen, dergleichen in Teutschland nicht viel zu finden seind. Auf dem gläsernen Saale stehen vortrefliche Schildereyen und kunststücke; Vornehmlich ist der König Fridericus in Böhmen und Churfürst,183 samt der königin Elisabetha184 Triumph Wagen, worauf Sie beyderseits sitzen und von allen ihren kindern, da ein jedes in besonderer kleidung und Verstellung angethan, gezogen werden, sehr sinnreich und in Natürlicher Lebensgröse verfertiget und admirabel anzusehen. An der einen seiten deß Schloßes stehen die succedirende Churfürsten, oben herumb zwischen den Fenstern in Lebensgröse in Stein außgehauen: Daß inwendige der Hof Kirche läst sich auch wol sehen, worinnen herr Salmuth185 daß Hofeprediger Ampt verwaltete. Über der grosen thüre derselben stehen, Lateinisch, die Worte Davids: Haec est Porta Jehovae quam intrabunt Sancti, auß dem 118. Psalm. Bey der Kirche vorbey gehet man hienunter in den grosen Keller, welcher fast einer hohen Kirche mit dem Gewölbe gleichet, darinnen daß grose Faß und andere grose ungemeine Fäßer liegen, mit einer unglaublichen menge wein’s angefüllet. Als der Hertzog von Neuburg in Heidelberg gegenwärtig mit Churpfaltz die Erbverbrüderung bekräftigte, ließ der Churfürst, unter andern Lustbarkeiten, die Trompeter in daß grose Faß setzen, mit den Paucken, welches damahls leer war, und hielt oben auf der Galerie |36| Taffel. Da nun alles stille und die Hohen Personen speiseten, musten die Trompeter und Paucker sich hören laßen, worauß die Hochfürstliche Geseelschaft sonderliche Vergnügung schöpffte. Daß kupffer bild dieses ungeheuren Faßes ist zu sehen in Tomo Meiner Tabularum Geographicarum, wie auch in Merians186 Pfälzischer Topographie, samt der Beschreibung. An selbiger Ecken gegen die Stat stehet der dicke Thurn und oben auf demselben daß Theatrum, worauf die Comoedien gespielet werden. Inwendig ist der Platz des Thurns dergestalt weitleuftig, daß über 100 Tische gantz bequem darein können gesetzet werden. Einstmahls ließ hierauf der Churfürst187 die Verkehrte Welt praesentiren, nemlich die hirsche jagten die Jäger, die Diener bedienten die herren, die Wei182 n.z.e. 183 Friedrich I. (1596–1632), König von Böhmen, als Friedrich V. Kurfürst von der Pfalz. 184 ��������������������������������������������������������������������������������������� Elisabeth (1596–1662), Königin von Böhmen und Kurfürstin von der Pfalz, geborene Elizabeth Stuart, Prinzessin von England und Schottland. 185 Johann Salmuth (1552–1622). 186 Matthäus Merian der Ältere (1593–1650). 187 Friedrich I. (1596–1632), König von Böhmen, als Friedrich V. Kurfürst von der Pfalz.

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ber schlugen die männer, die Schüler castigirten die Praeceptores, die Pferde ritten auf menschen und so fort an. Unter wehrendem Ballet aber fiel eine funcke von einer Lampen in eines Pferde haare, von hanf gemacht, und zündete dasselbe an. Dieses, auß mangel deß Waßers, gab bey der grosen menge der Zuseher einen gewaltigen Lermen, sonderlich weil man auf den Thurn nurt durch eine enge Schnecken Trappen steiget: Der Churfürst rief umb Gottes Willen man solte ihn zum ersten außlaßen, aber vergebens, die am nechsten bey der thüren saßen, salvirten sich am ersten. Endlich unterdruckte man daß Fewer mit Auflegung allerhand kleiderwercks: Und weil der Thurn Saal sehr hoch und rings umbher grose Fenster, wie eine Kirche, hat, konte der Dampff den Leuten eben nicht sonderlich schaden. Auserhalb dem Schloß praesentirtet sich unter andern merckwürdigkeiten der berühmte Churfürstliche Lustgarten, samt denen zu beyden seiten in tiefen gewölben erbauten Grotten und Schönen Waßerkünsten, davon aber die Wenigsten gangbar sind. Hinter dem gartten strecketp sich hienaufwerts der hohe Berg, Königsstuhl genandt. In einem Schönen Tage bey hellem Wetter, welches sonst zu Heidelberg etwaß rares ist, stieg ich auß Curiosität auf demselben, vergesellet mit herren Stephani Polono,188 der herren Rozizker189 Ephoro; aber, so bald wir die Spitze erreichten, überfiel unß ein gewaltiger Schrecken und Furchtsamkeit, so, daß wir auch eilends, nicht wissende wie, unß dieser Einsamkeit entrißen. Unten an diesem Berge gehet man nach dem Wolfsbrun einem berühmten lustigen ort, von welchem die Heidelberger viel fabuliren. Sonst ist der Revier dieser Gegend überauß lustig, wegen der tiefen thäler und der darbey sich befindenden forellen Weiher; Wie wol ich über dreymahl nicht bin alhier gewesen. |37| Nicht weit hiervon zeiget man daß Antrum, worinnen die Sybillinische ­Weißagerin Jetta gewohnet, und bey dem Wolfsbrun von einer Wölffin sol zerissen worden sein. Man gehet in dasselbe durch einen langen finstern gewölbten gang unter der Erden, darzu brennende Fackeln erfordert werden. Diese unter irdische Wohnstatt ist nicht sonderlich weitleuftig, jedoch finster und unangenehm. Wie groß mein verlangen war, dieselbe zu besehen, desto mehr eilete wiederumb herauß, dem bösen gestanck, Schlangen und anderm Unziefer zu entfliehen. Der Herr Churfürst Carolus Ludovicus190 führete zwar keinen Grosen Hof Staat; Aber die Schöne Ordnung und die Wolmontirten Diener denselben satsam ansehnlich. Herr Grafe von Witgenstein191 war Gros Hofmeister und Burggrafe zu Altzey,192 welches allzeit bey dem Pfältzischen Churhause die vornehmste Charge ist. Herr von Landas193 p

steiget man vor strecket durchgestrichen.

188 189 190 191 192 193

Johannes Stephanides (Stefanides). Andrzej Różycki (Rositzky) und Jan Różycki (Rositzky). Karl I. Ludwig (1617–1680), Kurfürst von der Pfalz. Christian von Sayn-Wittgenstein. Alzey. Johann Friedrich von Landas († 1676).

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gouvernirte als Ober Hofmarschall, herr de la Motte194 als Ober und herr von Friesenhausen195 als Unter Stallmeister. Herr Baron von Croneck196 bediente den Churfürsten als Ober Cammerherr, und herr von Bernstein197 als Stäbler. Herr von Stubenvoll198 war Hauß Hofemeister und bestellte mit seinem Ober Commando Küchen, keller und die Speise Säale und Speisekammern. Obrister Lieutnant Clas199 commandirte die Leib Guarde zu Roß. Die Schweitzer Trabanten hatten zwar keinen eigenen Ober Officirer, aberq Sie praesentirten doch mit ihren gorsen hosen, bordirten Mänteln, Schwartz Sammeten Bareten überauß prächtig. Es waren lauter grose haupt Ker’le mit unvergleichlichen grosen Bärten. Die Leib Guarde zu Roß muste alzeit hinter der Kutschen dem Churfürsten folgen mit aufgestriechenen Carabinern, dieser aber giengen zu beyden seiten der kutschen mit langen Partisanen. Über die Jägerey commandirte herr Schütz von Holtzhausen,200 als Jägermeister. So viel mir wissend, hielt ihm der Churfürst nur 8 Adeliche Pages, aber 12 Trompeter und einen Paucker in gleicher Livrèe, von blauem Tuch, mit silbernen Posamenten besetzet. Der übrigen hofe Diener achte unnöthig zu gedencken. Unter denselben muste es alles stille hergehen, sonderlich wegen der Degenfeldin201 nahm sich ein jeder in acht, daß Sie ja nichts auß der Schule schwätzeten, von dem, waß Sie sahen und höreten. Sie nennetenr dieselbe Ihr Gnaden und flatirten ihr gewaltig. Die Churfürstin so bald Sie nach Cassel gezogen, ließ der Churfürst ihre Zimmer gäntzlich ruiniren und derselben Fenster, Ofen, Thüren und Tapezereyen außheben, ja die Bretter auß dem Boden reissen, zum Zeugnüß seines Zorn’s, auch ihre Favoriten und Affectionirten bekamen von dem Churfürsten Scheele augen. |38| Der oben Erwehnte herr Floccenius202 Primarius Pastor zum Heiligen Geist, welcher die Churfürstin203 biß nach Franckfurt204 begleitete, kam in höchste Ungnade und hette auch die Remotion von seinem Ampt erfahren müßen, dafern sich nicht die Gemeinde seiner angenommen hette. Ich könte von der Sache alhiers viel Specialia anfügen, weil Sie aber nicht hierzu gehören, wil derselben auch nicht weiter gedencken. Wie der Hof so waren auch die Churfürstlichen Cantzeleyen mit wenigen, aber q r s

ab vor aber durchgestrichen. man vor nenneten durchgestrichen. alhier vor alhier durchgestrichen.

194 195 196 197 198 199 200 201 202 203 204

Jacques Bechevel (Beychevelle) de la Motte. Philipp Sigismund von Friesenhausen (1630–1704). n.z.e. Ludwig Kasimir von Bernstein. n.z.e. n.z.e. Philipp Wilhelm Schütz von Holzhausen. Maria Luise von Degenfeld (1634–1677), Raugräfin zu Pfalz. Marcus Floccenius (Flocken, 1615–1674). Charlotte (1627–1686), Kurfürstin von der Pfalz, geborene Prinzessin von Hessen-Kassel. Frankfurt am Main.

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Statlichen Leuten bestellet. Monsieur Rockefort205 ein Engelländer und Unvergleichlicher Staats mann, herr Carl Mieg,206 Cantzler, herr Ezechiel Spanhemius,207 herr Doctor Peil208 waren die Geheimsten Räthe. Bey der Regierungs Cantzeley standen als Räthe herr Doctor Blume,209 Vice-Cantzler, herr Mathias von Borck,210 Pommerischer Edelmann, herr Doctor Schreiber,211 herr Licentiatus Lingelsheim,212 deßen Vater213 dem Churfürsten Friderico Quinto214 die Annehmung t der böhmischen Crone abgerahten hatte. Daß Churfürstliche Hofe Gerichte besetzten Nachfolgende Räthe: Herr Doctor Böckelmann,215 Vice Praeses, herr von Paul,216 herr von Stubenvoll,217 herr von Gallen,218 herr von Botzheim,219 herr von Wetzel,220 theils Churfürstliche Junckern, herr Licentiatus Hofmann,221 herr Doctor Glöckner,222 herr Doctor Eichel.223 In dem Kirchen Rhat praesidirte herr Freese,224 neben welchen noch vier andere Kirchen Rhäte saßen, daß Kirchen Wesen samt der Geistligkeit beobachtende. Die Cammer und Rentherey sachen gouvernirte, als Praesident, der Freyherr von Wollzogen,225 der neben sich die Rechen Räthe der Beambten Rechnungen sehr genaw durchsuchen ließ und über dieselben genawe Inspection hielt. Die Churfürstlichen Außgaben aber muste der Cammermeister versehen und der Geistlichen Gütter Einnahm und Außgabe derselben Verwalter der alte herr Doctor Glöckner. Über diese alle benahm’te Räthe hatte der Churfürst226 einen Geheimen Rhat von Grodnitz,227 Mährischer Nation. Diesen aestimirte der Churfürst für seinen Augapffel t

Aneh vor Anneh durchgestrichen.

205 206 207 208 209 210 211 212 213 214 215 216 217 218 219 220 221 222 223 224 225 226 227

n.z.e. Vermutlich Johann Ludwig Mieg (1609–1671), nicht Carl Mieg (1633–1684). Ezechiel Spanheim (1629–1710). Arnold Peil († 1688). Reinhold Bluhm (Blum, 1617–1690). Caspar von Borck. n.z.e. Ludwig Lingelsheim. Georg Michael Lingelsheim (1556–1636). Friedrich I. (1596–1632), König von Böhmen, als Friedrich V. Kurfürst von der Pfalz. Johann Friedrich Böckelmann (1633–1681). n.z.e. n.z.e. n.z.e. Georg Sigmund von Botzheim. n.z.e. Philipp Ludwig Hoffmann. Georg Gisbert Glöckner (1640–1689). Johann Florens von Eickel (Eickell, um 1643–1672). Johann Jakob Frais († um 1667). Christoph Andreas von Wolzogen († um 1685). Karl I. Ludwig (1617–1680), Kurfürst von der Pfalz. Karl Melchior Grodnitz von Grodnau.

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und attendirte seine Rathschläge als ein Oraculum. Er kam eben in keine Cantzeley, aber der Churfürst kam stets zu ihm. Er logirte auf dem Schloße, hatte weder Weib noch kind, war aber schon sehr alt und continuirlich bettlägrig; Und weil Er niemahls vom Schloß kam, haben ihn wenig Leute in Heidelberg gekennet. Die Hofediener fürchteten ihn sehr. Als Er starb, ließ ihn der Churfürst prächtig begraben. Ich, samt andern vornehmen Studiosis, trugen ihn zu Grabe in die St. Peters Kirche. Der Churfürst richete ihm ein köstliches Trauermahl auß, auch ein jeder Träger bekam einen Ducaten, Handschuh, Trauerbinde und Citrone. Den Kriegs Staat bestellte der Churfürst gleichfals mit Tapffern Leuten und besetzte die Guarnisonen ziemlich starck, hatte aber |39| wenig Reuterey in Diensten. Herr General Maior Gorgas228 commandirte die sämtliche Militz. Herr Obrister Spaar229 war Commandant zu Franckenthal230 und herr Obrister Willer231 zu Mannheim und Friedrichsburg. Capitain Dolhoff232 bewachte stets daß Schloß zu Heidelberg und ward endlich von dem Fechtmeister Lanse233 erstochen, davon in dem Itinerario Germaniae Constantini Germanici pag. 359 mit mehrerm zu lesen ist. Herr Hertzchen234 muste als verordneter Kriegs Commissarius die Soldatesca bezahlen. Wenn der Churfürst235 Seine Vestungen recht sol besetzen, welche sehr weitleuftig sind, wird Er nicht viel Soldaten ins Feld zu stellen haben; Daher Er sich jederzeit seines Außschußes, im Fall der Noth, bedienet. Heidelberg, die Stat, an ihr selbst ist eine alte Unformliche Stat und bestehet in lauter höltzernen häusern. Sie wird getheilet in die Stat und Vorstatt. In der Stat stehet mitten auf dem marcktplatz die Haupt Kirche zum heiligen Geist. Ist ein ziemlich hohes, breites, langes, Steinernes gebäwde, wie wol von schlechter ­Zierligkeit. Inwendig im Chor stehen die alten Churfürstlichen Monumenta, darunter etliche, sonderlich deß Friderici Quarti236 seines von Marmel, sehr künstlich seind. Am allermeisten aber leuchtet herfür Churfürsts Otto Heinrichs237 Monument, von Weisem und Schwartzem Marmel und Alabasternen sinnreichen Bildern, daran daß Wahrzeichen zwo hände einander bey den haaren haltende. Daß Chor wird mit einem eisernen verschloßenen Gegitter von der Kirchen abgesondert, daher kan man nicht gar wol die Inscriptiones der Monumenten lesen, weniger abschreiben. Oben zu beyden seiten in der Kirchen sind die gemauerte Borleiben, worauf vor Zeiten die Churfürstliche Bibliotheca gestanden, ehe Sie geraubet 228 229 230 231 232 233 234 235 236 237

Gustav Gorries von Gorgas. Franz Rudolph von Sparr († 1679). Frankenthal. Robert von Weiler (1602–1671). n.z.e. n.z.e. Bartholomaeus Hertzberg. Karl I. Ludwig (1617–1680), Kurfürst von der Pfalz. Friedrich IV. (1574–1610), Kurfürst von der Pfalz. Ottheinrich (1502–1559), Pfalzgraf bei Rhein, Kurfürst von der Pfalz.

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und nach Rom geführet worden. Der Churfürst schickte den oben gedachten Ezechiel Spanheim,238 bey meinem hier sein zu Heidelberg, nach Rom, zu versuchen, ob Er nicht vom Pabst239 die raren alten Manuscripta zum wenigsten wiederumb erhalten könte: Der Pabst aber hatte geantwortet: Die Manuscripta wolte Er dem herren Abgesandten verwilligen abzuschreiben, aber die Originalia musten im Vatican bleiben; Daher kam der gutte herr Spanhemius unverrichteter sache wieder nach hause und muste vergnügt sein, daß Er Rom und den Pabst gesehen hatte. Besagte Haupt Kirche zum heiligen Geist ist auch von außen mit einem hohen thurn gezieret, samt schönen Glocken. Als Anno 1664 der gose Cometstern erschiene, stiegen bey nächtlicher Zeit eine grose Anzahl an Studenten auf diesen thurn, den Cometen desto beßer zu sehen, dadan ein Polnischer Edelmann, auß vorsichtigkeit, in |40| einem augenblick, oben von der Borleibe, darauf die Bibliotheca gestanden, weil derselben vorwerts die Trallien abgebrochen sein, hienunter in die Kirche gefallen wäre, dafern ich ihn nicht, hinten bey dem rock erwischende, zurückgezogen hette. Es war herr Paulus de Uieisky.240 Die so genandte Kloster Kirche, so in alten Zeiten mit Franciscaner Mönchen besetzt gewesen, ist nun in ein Paedagogium verwandelt, worinnen die Jugend informiret wird, und wohnen der Rector und die Praeceptores in dem kloster, in der Kirchen aber ward Teutschu und Frantzösisch geprediget. Herr Bachendorf241 predigte Teutsch und herr Carèe242 Frantzösisch. In dieser Kirche habe ich alten Epitaphtum Churfürsts Friedrichs deß Ersten243 observiret, mit der Überschrift: Fridericus, Bavariae Dux. Comes. Rheni Palatinus. Sacri Romani Imperii Elector. Salus. Patriae. Praedomum Fulmen. Treis. illustres. Hostes vicit. Principatum auxit et pie vivis excessit. Anno Christi. 1476. Pridie. Idus Decembris. fuit eius vitae socia. Virtus. Gloria. Mortis Comes. Daß oben erwehnte Collegium Sapientiae ist vor Zeiten ein Augustiner kloster gewesen, darinnen auch Doctor Lutherus244 für seiner Bekehrung gelebet hat. In der Capelle desselben sind noch etliche Bilder alter Churfürsten zu sehen: Dieselbe ist zwar jetzo zu einem Auditorio aptiret, es läst sichv aber nicht wol darinnen peroriren, wegen deß starcken Wiederschalls, welchen daß gewölbe veruhrsachet. Über dieses scheinet auch die stinckende Feuchtigkeit, auß den Creutzgängen hinein dringende, gar ungesund zu sein. Daß Kloster ist sehr weitleuftig und desselben Creutzgänge sind kostbar von Steinen erbauet. u v

in der Kirche vor teutsch durchgestrichen. S vor sich durchgestrichen.

238 239 240 241 242 243 244

Ezechiel Spanheim (1629–1710). Alexander VII. (Fabio Chigi, 1599–1667), Papst. Paweł Ujejski (Uiyski). Wilhelm Christoph Bachendorf († 1667). Jean Carré (Carreus, † 1672). Friedrich I., der Siegreiche (1425–1476), Pfalzgraf bei Rhein, Kurfürst von der Pfalz. Martin Luther (1483–1546).

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Waß hiesiges Auditorium Juridicum betrift, samt seiner höhe, weite und zierligkeit, so muß bekennen, daß dergleichen sonst nirgends nicht gesehen habe, daher ist es zu den Promotionibus über auß bequem. Nechst daran stößet daß Auditorium Medicum und unter demselben ist daß Theatrum Anatomicum, welches fast einer kleinen Capellen ähnlichet. Die Börse ist wiederumb ein absonderliches Gebäwde und beschleust einen grosen Hof. Dasselbe begreiffet in sich daß Auditorium Philosophicum und Pritaneum, in welchem zwar die Theologi ihre Lectiones und Disputationes halten, jedoch wird es auch zu den Doctorat Schmausen gebrauchet und ausgeräumet. Oben darüber ist daß Zimmer, worinnen der Senatus Academicus gehalten wird, darbey der Universität ­Archiven Kammer. Auf dem grosen Saal darvor agirten wir Schlesier einstmahls eine Comediae und hatten sehr viel Spectatores. Daß Collegium Casimirianum ist ebenfals ein ansehnliches Palatium, es wird aber nicht in demselbem dociret. Es pflegen sonst Vornehme Studiosi in demselben, der bequemen lustigen Zimmer wegen, zu logiren, welche von dem Oeconomo die Stuben mitten, aber demselben doppelten Profit geben müßen, der daß gantze gebäwde von der Universität zu pachten pfleget. |41| Auß der Stat gehet man durch ein Thor über eine kleine Steinern Brücken in die Vorstatt. Der graben unter der Brücken ist gantz drucken und werden gemeiniglich Beeren und dergleichen wilde thiere darinnen gehalten, auch bißweilen gehetzet. Dieser Vorstatt bestes theil ist die lange Straßen von besagter Brücken biß zum Speyer thor. Auf beyden seiten derselben stehen vortrefliche häuser, auch einige Palatia, viel beßer als in der Stat. Die Kirche zu St. Peter ist eine Pfarr Kirche und die Vornehmste in der Vorstatt; In derselben verrichtete gewöhnlich meinen Gottesdienst und hörete herren Doctor Seobaldum Fabritium245 predigen. Dieser war ein gelehrter mann, vertiefete sich aber dermaßen in Studiis, daß Er endlich darüber seinen Verstand periclitirte. Ich habe vielmahls mit verwunderung angesehen die herrlichen Begräbnüße der Gelehrten Leute, welche alhier in groser menge ruhen, samt ihre Sinnreiche Epitaphia. Die Inscriptiones derselben abzuschreiben, achtete aber nicht nöthig, weil die meisten in daß Chytraei246 Itinerum Deliciis, wie auch in deß Swertii247 Deliciis Selectis Orbis Christianae, welche beyderseits in meiner Bibliotheca befindlich sind, können gelesen werden. Auser dieser stehen noch zwo andere Reformirte Kirchen in der Vorstat, die eine stand wüste, bey der andern war ein Hospital. Der Lutheraner New Erbaute Kirche darzu der Churfürst248 Anno 1660w eigenhändig den Grundstein geleget und zur Providentz genandt worden, läst sich auch wol w

1666 mit 1660 überschrieben.

245 246 247 248

Johann Seobald Fabricius (Fabritius, 1622–1697). Nathan Chytraeus (Kochhaff, 1543–1598). François Sweerts (Franciscus Sweertius, 1567–1629). Karl I. Ludwig (1617–1680), Kurfürst von der Pfalz.

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sehen. Bey dieser Kirchen hatten die Lutheraner einen lustigen Pfarren und Tückischen Gesellen, welcher mit den Leuten viel liederliche händel anfieng. Er hieß Heiland249 und stand bey dem Churfürsten in grosen Gnaden, weil Er ihn mit seiner Concubin, der Degenfeldin,250 heimlich, jedoch bey der lincken hand, copuliret hatte; Denn die Degenfeldin war Lutherisch und besuchte diese Kirche fleißig und betrat einen eigenen Standt recht in der mitten darinnen, welchen so lange der Gottesdienst wehrete, die Leib Guarde Reuter mit auf gestrichenen Carabinern verwahreten und als dan mit solcher Wacht dieselbe wiederumb nach dem Schloße begleiteten. An der Degenfeldin hatten die Lutheraner eine starcke Stütze und vermehreten sich augenscheinlich und täglich unter ihrem Schutz. Ebenmäßig ist in der Vorstatt zu sehen der Churfürstliche Marstall, warlich ein ­recht königliches Gebäwde, dafern Er außgebauet wäre. Er ist viereckicht und beschleust ­einen grosen Platz. Die eine seiten deß Stallß, die so weit noch brauchbar ist, ähnlichet inwendig mit seinem gewölbe und starcken Pfeilern einer Kirchen. Der Boden ist durch und durch mit breiten steinen gepflastert, mitten innen stehen die Schönsten Brunnen und Fontainen und längst hienauß zu beyden seiten über 150 Stände vor die Pferde. Der damahlige Ober Stallmeister Monsieur de la Motte251 ein alter herr, begegnete |42| unß Studiosis über die maßen höflich, so oft wir unß alhier recreirten und die Schönen Pferde besahen. Daß Churfürstliche Grose Gießhaus, daß Ballhaus, daß Schießhaus, daß Grose Weinpressen haus, item der so genandte herren Gartten, der sonderlich den Studiosis zum spatzier gang offen stehet, und andere Plätze mehr vermehren nicht weniger daß ansehen dieser Vorstatt. Auf der seiten gegen dem Gebürge, so hart an die Ringmauern stößet, gehet auß der Vorstatt der Fahrweg nach dem Schloß, da dan den Berg auf häuser gebauet stehen biß nahe an daß Schloß und also eine Schöne Straßen machen. Der Berg ist so jähe, daß im herab fahren die Wagen allzeit müßen mit ketten gehemmet werden. Gleich an der Vorstatt an demx Geißberg ist ein Steinbruch und nahe darbey die Citadelle, Trutzkayser genandt, welche aber der Churfürst252 Anno 1666 umbtauffen, und weil solcher Nahme bey dem Kayser253 gewaltige Jalousie erwecket, die Stern Schantze nennen laßen. Daß euserste Speyer thor ist zwar mit starcken Mauern, Bolwercken und Schantzen versehen, glaube aber nicht, daß Sie eine Belagerung außzustehen würden capabel sein. Gegen dem Neckar an der Stat vorüberströhmende und unterschiedene Schöne mühlen treibende stehet die Stat mehrentheils offen. Man gehet eine lange künstliche x

ei vor dem durchgestrichen.

249 250 251 252 253

Hiskias Eleazar (Heyland, 1624–1691). Maria Luise von Degenfeld (1634–1677), Raugräfin zu Pfalz. Jacques Bechevel (Beychevelle) de la Motte. Karl I. Ludwig (1617–1680), Kurfürst von der Pfalz. Leopold I. (1640–1705), römisch-deutscher Kaiser.

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und schwebende, bedeckte Brücken über die Brücken und längst hienunter, zur lincken hand, auf einem schönen gepflasterten Wege an dem Neckar nach dem Dorf Newenheim254 und von dar in die Berg Straße. In diesem Dorf Newenheim bin einstmahls auß groser Lebens Gefahr durch die Almächtige Hand Gottes errettet worden. Monsieur Kuschenbar,255 ein Schlesischer Edelmann, kam auß Franckreich und reisete wiederumb nach Hause, und wir Landesleute begleiteten denselben zu Roß biß hieher; Als nun etliche Freuden Schüße thäten, wäre ich augenblicklich dem einen in den Schuß geritten, als daß mir die kugel albereit zwischen dem linckeny Arm hin durch striche und mir die kleider berührete. Alhier zu Newenheim hält auch jährlich, im Mai, der Churfürst eine remarquabel Kurtzweil. Es müßen sich auf einen gewissen tag, dieses Monats, knechte und mägde hieher verfügen, die gerne heurahten wollen, aber keine Liebhaber finden können; Alsdann wird eine Säule aufgerichtet, auf freyen Platz, oben darauf ligt ein Rad und auf demselben eine geladene Musquetten, samt einem brennenden Lunten, daß Rad ist über und über mit grünem Laub bedecket, daß man weder Musquetten, oder den Lunten sehen kan. Hierbey laßen sich die Spielleute wacker hören und die knechte und mägde müßen paar und paar, jedoch wechsels weise, umb die Säule tantzen: Es muß auch jedes paar, so oft es der Säule nähert, die Säule mit den händen anrühren, darauf die bestellten Inspectores genawe Achtung geben; |43| Daßjenige paar nun, welches eben in dem augenblick die Säule berühret, wenn die Musquetten loßschießet, wird alsdan, ohne einiges wiedersprechen, copuliret und mit gewissen Verehrungen regaliret. Woher eigentglich der Ursprung dieser Gewonheit herrühre, habe niemahls recht gründlich erfahren können. Gleich vor dem Neckar thor ligt der so genandte Heiligenberg, auf deßen Spitze noch die Rudera eines alten Gebawdes, weiß nicht ob eines Tempels oder eines Schloßes, zu sehen sind. Etliche meynen Heidelberg solle von diesem Berg den Nahmen führen und darauf im Heidenthum ein Oraculum gestanden haben, wie Kornmannus256 in Seinem Buch Mons Veneris genandt, so auch in meiner Bibliotheca vorhandenz ist, muthmaßet. Ich bin auß Curiosität etliche mahl auf diesem Berg gewesen. Man findet noch zwischen dem Gemäuer eine breite steinerne Stiege tief in den Berg hinein, welche gleichfals abgestiegen; Aber, weil Sie numehro verfallen und mit Erden überschüttet worden, konte man weiter nicht kommen, ungeachtet die Heidelberger vorgaben, daß ein verborgener Außgang, durch den Berg, biß unten an den Neckar gehen solte. Weil nun Heidelberg in einem tiefen Thal lieget und von beyden Seiten mit Bergen umbgeben wird, ist es fast ein Wunder im Fall zur Sommers zeit, drey Tage hintereinander klares Wetter ist. y z

Arm vor lincken durchgestrichen. zu seh vor vorhanden durchgestrichen.

254 255 256

Neuenheim. Hans Caspar von Koschembahr (Kuschenbar, 1640–1716). Heinrich Kornmann (1579–1628).

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Wegen deß continiurlichen Regens benahmen es die Alten: Matula Jovis. Zeit meines hierseins hat man keine sonderliche kranckheiten verspüret. Ich vor meine Person bin selbst jeder Zeit frisch und gesund gewesen, auser daß mich, der oben bey Stat Schlüchter gedachte, Paroxismus Apoplecticus etliche mahl angestoßen hat: Die Natürliche Uhrsache desselben mochte wol von dem Wein entspringen, in dem daß tägliche Weintrincken gewaltige Obstructiones nach sich zoge, also daß ich, gewöhnlich, kaum in drey biß 4 Tagen sedes hatte und zwar sehr schmertzhaftig. Ich wil nicht eben daß alte Sprichwort auf die Bahn bringen: Heidelberger Kind. Speyrer Wind. Hessen Blut. Thut selten gut. Jedoch kan mich an den Heidelbergern nicht groser tugenden errinnern, die ich hier zu recommendiren Uhrsache hette. Sie waren auf sonderliche Räncke befließen, den Studiosis daß Geld auß dem Beutel zu locken und schlugen ihnen den Wein über die maßen hoch an, wie wol es ihnen wenig Seegen brachte. Vor den Tisch nahmen Sie groses Geld und tractirten elendiglich, wusten auch nicht einmahl die Speisen recht zuzurichten und die schon Wissenschaft hatten, spareten doch ihr holtz, butter und gewürtze; Daher habe meines Ortes die Abundantz der Vicualien an Schnabelweide und andern Delicatezzen in der Pfaltz nicht war zu sein befunden, wie Etliche rühmen. |44| Auserhalb Heidelberg habe mich auch sonst in der Pfaltz hin und wieder umbgesehen. Die Reichs Stat Speyer ligt nur drey meilen von Heidelberg und bin etliche mahl in derselben gewesen. Einmahl riet ich gantz allein hin und besahe daselbst die Unvergleichliche Dom Kirche, welche von außen mit bley bedecket und mit vier thüren gezieret ist, inwendig aber sehr viel Römische kayser und könige begraben liegen; Derselben Epitaphia und Monumenta sind besehens würdig. In dem Creutzgang stehet der berühmte Oelberg von ziemlicher höhe und umbfang. Daß gantze leiden Christi wird auf demselben sehr künstlich praesentiret und die Personen sind alle daran in lebens Gröse außgehauen von Steinen. Unter andern Personen befindet sich ein kriegsknecht mit einer Brillen auf der Nase und einer mit einem Pflaster an dem Beine. Unten ist eine Capelle, darinnen die Pfaffen zur Passions Zeit Messe lesen. Rings umbher beschleust den Berg ein Zaun, von Steinen außgehauen, aber dergestalt künstlich, gleichsam wäre es von Ruthen ein natürlich gepflochtener Zaun. Nahe an der Dom Kirche stehet der Bischoffshof, von Ziemlicher Gröse und Innerlicher Zierligkeit. Den Dom und die Stat scheidet eine aufgezogene eiserne ketten, deren sich die kayserlichen bedienten bey der Belagerung Philipsburg257 und damit den Rhein für den Frantzösischen Entsatz Schiffen beschloßen haben. Nicht fern von dieser ketten, wiewol auf seiten der Stat gerechtigkeit und Gebiets, stehet auch die so genandte 257

Philippsburg.

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Schwaben Schüßel, ist eigentlich ein groser Runter Steinerner Napff auf einem grosen Postament; Derselbe wird bey Erwehlung eines Newen Bischoffs mit Wein angefüllet und den Leuten frey zu trincken gegeben. Biß an diesen Ort führen auch die Bürgermeister den Bischoff und von dar wird Er von den Canonicis empfangen und in die Dom Kirche begleitet und introduciret. Nach dem Dom sind die Kirchen zu St. Germanus, zu St. Johannes, zu St. Jacob, daß Capuciner und Barfüßer kloster in der Stat die Principalesten und mit vielem Gauckelwerck außgezieret. Daß hauß, worinnen daß Reichs Cammer Gerichte gehalten wird, praesentiret eben nicht sonderlich und nehmen demselben viel ansehnliche Privat häuser in Speyer an Gröse und Zierligkeit den Vorzug. Wegen deß Cammer Gerichts wohnen alhier viel Vornehme Leute. Die Inwohner laßen auch mehr Civilität von sich blicken als die Heidelberger und accomodiren die Frembden in den Wirthshäusern, wiewol vor ihr geld, statlich. In der Rückreise auß Speyer durch den Wald, nach Heidelberg passirende, wäre ich bald in ein Groses unglück gerahten wegen der mich anstoßenden Wölffe, so mich mit ihrem anheulen nicht in geringe Angst setzten. Ich gab dem Pferde die Spore und jagte fort, biß ich in daß Churfürstliche Jagtschloß auß Bruchhausen gelang’te in sicherheit, hierüber büssete den hut ein und getraute mich nicht vom Pferde zu steigen und wiederzuholen, |45| weil meine Pistolen mit keinem pulver versehen waren. Kurtz hernach reisete noch einmahl nach Speyer, vorhabens die Grose Procession am Stillen Freytage zu sehen. Damahls vergesellete sich mit mir Monsieur Benjamin Ursinus,258 jetziger Zeit Churfürstlicher Hofeprediger zu Berlin und herr Norenhold259 Bremensis,260 Prediger am Bremischen Teritorio, und wären bald in ein groses Unglück gerahten. Wir ritten auß Heidelberg etwaß späte und verfehlten deß Rechten weges, der nach dem Thamme gehet, welcher vor dem Rhein ligt. In solcher Verirrung brachten wir, im Finstern, die halbe Nacht zu, denn ein Lager auf der Erden zu nehmen und den morgen zu erwarten, verhinderte beydes die kälte als der Morastige Weg. Endlich erblickten wir ein Licht, unwissende, ob es ein Irrwisch oder Wahresaa Licht, wäre; Gleichwol fasten wir die Resolution grade darauf zuzureiten und kamen endlich in dem Dorfe Ketsch an, da es dan schwer hergieng, daß unß die Leute einließen in die herberge, ungeachtet unsers Bittens, auß Furcht wir möchten Partheigänger auß Philipsburg261 sein. Nach wenig gepflogener Ruhe ritten wir wiederumb auß der herberge und kamen umb 8 Uhre morgends in Speyer an und sahen des mittags die Procession auß der Dom Kirche biß auf den Weidenberg und der Albern Papisten Jämmerliches Geißeln, wie auch die heiligen Gräber. aa

ob vor wahres durchgestrichen.

258 259 260 261

Benjamin Ursinus (von Baer, 1646–1720). Wolert Nordenholt († 1689). Bremen. Philippsburg.

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Die Flagellanten giengen alle verkappet in Weißen hembden, hinten mit entblöseten Rücken, deßgleichen waren auch über den knien die Schenckel entblöset und schlugen allzeit Creutzweise auf ihren eigenen Rücken und dan herabwerts auf die Schenckel mit einer handvoll kleiner Geißeln an den spitzen bepflochten mit kleinen eisernen Spörnlein. Ihr Rücken sahe ziemlich durchlöchert auß. Zu beyden seiten giengen Kerl’e mit spritzen, welche essig in die Wunden spritzeten. Am meisten muste man sich verwundern über die Stärke eines Creutzträgers, welcher, gantz allein, einen überauß grosen Creutz Balcken den Weidenberg hinauf schlepp’te und über dergleichen Gauckel possen mehr bey den heiligen Gräbern, da allzeit eines bey der kirchen köstlicher und zierlicher als in einer andern Kirchen verfertiget war, und stritten also die Pfaffen und Nonnen, wie ein Stift dem andern hierinnen den Vorzug nehmen möchte. In der Vorstatt stehet auch eine kleine Reformirte Kirche, derer Patronus der Churfürst zu Heidelberg ist und den Prediger besoldet, allein die Gemeinde war gar schwach und bestand kaum in 30 Familien. Bey der Reichs Cammer befand sich nur ein eintziger Adsessor, nemlich der Chur Pfältzische herr von Friese262 von unserer Religion. Hierauf eileten unsere Füße wieder nach Heidelberg und betrachteten unter weges denbb vorher gerittenencc Irrweg mit groser Bestürtzung, samt der morastigen tiefen Schlamgruben, welche wir theils vorbey, theils durch passiret waren, danckten dem Allmächtigen wegen seines geleisteten Schutzes und Erhaltung für allem Schaden, Leibes und Lebens gefahr und erzehleten mit desto Grösern Freuden daß in Speyer gesehene und bemerck’te. |46| Itzund trieb mich auch die begierde die Alte Reichs Stat Worms zu besehen. ­Hierzu gab mir bequeme Gelegenheit an die hand herr David Schirmer263 von St. Gall264 auß der Schweitz, itziger Zeit Prediger alda, mein gutter Freund und Tischgeselle. Desselben seinem Vater265 war ein kauf Diener mit 8000 Reichsthalern außgerissen und berichtiget, daß der Dieb zu Worms sich aufhalten solte; Daher schickte Er dem Sohn herr David Schirmer Volmacht sich eilends nach Worms zu erheben und den Dieb außzuforschen, welcher mich bat mitzureisen und ihm Compagnie zu leisten; Zu dem Ende nahm Er auß Heidelberg einen Churfürstlichen Landknecht, mit Nöthigem Pasport und andern Recommendation. Bey unserm Eintrit in Worms begegnete mir abermahls ein groses unglück, aber viel ein gröser glück: Denn auf dem bösen Stein wege stolperte mein Pferd und thät mit mir einen schweren Fall; Auß Beysorge daß Pferd möchte etwa ein Bein gebrochen haben, wolte ich von dem Pferde steigen, unterdeßen richtete sich das Pferd auf und ich konte nicht so geschwinde den lincken Fuß auß dem Steige Biegel ziehen, fieng es an zu lauffen bb cc

uns vor den durchgestrichen. geritteten vor gerittenen durchgestrichen.

262 263 264 265

Nikolaus Gerlach von Friesen († um 1688). David Schirmer der Jüngere (1643–1712). St. Gallen. David Schirmer der Ältere.

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und schleppete mich eine ziemliche Ecke auf den steinen nach sich, biß endlich die Leute herbey sprungen und mich loß machten. Ob ich nun zwar ohne Verletzung der euserlichen glieder, Gottlob, glücklich davon kam, dennoch war mein gantzer Leib jämmerlich zugerichtet und über und über schwartz, braun und blau anzusehen. Herr David Schirmer logirte sich und unß in ein vornehmes Wirthshauß, die Weintraube genandt, und ließ meiner darinnen wol pflegen; Denselben Tag über hielt ich die kammer, aber deß andern tages besahe daß denckwürdigste. Die Stat an ihr selbst ist ziemlich weitleuftig, hat aber viel unbebaute grose Plätze, Wüste höfe und Weinberge in sich, Enge Straßen und Unformliche Alte Bürgerhäuser. In der Vorstatt besitzen sonderlich die Nonnen einen Weingarten, davon man den Wein, wegen seiner köstligkeit, Marien milch nennet. Die Dom Kirche praesentiret von außen mit ihren Vier thürnen vortreflich und ähnlichet fast dem Dom zu Speyer, inwendig aber ist Sie gar schlicht und nicht, wie sonst die papistische Kirchen, mit Zierath versehen. Im Eingang deß Dom’s zeigete man unß ­einen Baum, welcher dem vorgeben nach solle auf einem Dorn gewachsen sein und ruhete auf 20 Säulen. Gleichfals wiesen Sie unß eine grose Stange in der Länge von 66 Werck Schuch, die ein Riese, so vor etliche hundert Jahren alda gelebet, solte geführet haben. Unter andern Kirchen schätzte nach dem Dom der Lieben Frauen Kirche, item die Kirche zu St. Amand, item zu St. Pauli, vor die Grösten und Vornehmsten. In der Kirche zu St. Ceciliae sahen wir ein grab mit rechten grabsteinen belegt von 47 Schuhen lang, darinnen ein Riese solle begraben liegen; Man sagt aber Kayser Maximilianus |47| Primus266 hette auß Curiosität dieses grab eröfnen und anstat deß gesuchten Riesen Cörpers nur Waßer befunden. Von weltlichen Häusern habe hier nichts sonderliches gesehen auser dem so genandten Riesen und Rhathause, samt dem Saal, auf welchen Doctor Lutherus267 vor dem Kayser Carolo Quinto268 erschienen ist. Die Inwohner hiesiges Ortes sind mehrentheils Lutherisch und von ziemlicher Discretion, komt vieleicht daher, weil Sie wegen des Starcken Weinhandels, täglich, mit frembden Leuten conversiren. Weil herr David Schirmer269 den gesuchten Dieb hier nicht antraf, kehrete man wieder umb und nahmen den Weg über Franckenthal270 und Mannheim. Die Churfürstliche Vestung Franckenthal ligt auf Freyer Ebene, welche rings umbher mehrentheils morastig ist, und den Inwohnern nicht die beste gesundheit befördert; Sie wird von Real Bastionen beschloßen, hat inwendig grade Straßen, so daß man von einem thor zu dem andern siehet. Außer der Niederländischen und Hoch Teutschen Kirche ist sonst kein mehr alhier anzutreffen. Die so genandte Schafnerey ist ein groser hof und Churfürstliches Quartir, aber von schlechter Importantz. Hier werden auch in 266 267 268 269 270

Maximilian I. (1459–1519), römisch-deutscher Kaiser. Martin Luther (1483–1546). Karl V. (1500–1558), römisch-deutscher Kaiser. David Schirmer der Jüngere (1643–1712). Frankenthal.

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groser menge Zeuge und Stoffe verfertiget, die man herein ins Reich führet und ofters für Frantzösische, oder Niederländische, Manufacturen verkauffet. Als wir von dar nach Mannheim ritten, musten wir zuvor über den Rhein setzen; Und solches geschae auf der Schönen Churfürstlichen Fehr, oder Fliegenden ­Brücken, worauf auf einmahl über 300 Menschen stehen können, Sie hat zu beyden seiten schöne gedrehete Trallien, gleich einer Rechten Brücken. Mannheim stand zu der Zeit Anno 1663 noch im schlechten stande; Jedoch die Stat beßer als die Citadelle Fridrichsburg.271 Den Bastionen und Schantzen mangelte es auch an euserlicher Perfection. Die häuser von gebackenen Steinen und reguliren Straßen, so viel derselben aufgerichtet, beliebten mir am meisten. In der Citadelle, in welche man gleich auß der Stat über eine Brücken gieng, war auch noch wenig fertig, außer dem anfang deß Churfürstlichen Palatii. Anstat der keller hatten die Soldaten ihre Schenckhäuser in tiefen gruben, sich in etwaß für der Sonnen hitze zu beschirmen: Denn die Vestung ligt auf einem Sandigten Boden, welcher zur Sommers zeit Bürger und Soldaten heftig incommodiret. Meines Erachtens würde die volkommene Besatzung dieser Vestung wegen ihrer Weitleuftigkeit eine kleine Armee erfordern, dafern Sie sich gegen eine Belagerung defendiren solte. Weil der Churfürst auf 10 Jahr von allen Oneribus befreyet, welche sich hier her begeben, häuser zu bauen und zu wohnen; Daher befand sich eine grose menge allerhand Lumpen gesindleins von Socinianern, Mennenisten, Quäckern, Wiedertauffern, Juden und Papisten hierinnen, am aller- |48dd| meisten aber Wallonen, Lothringer, Tyroler etc. Der Obriste Willer,272 deßen Söhne273 eben mäßig in Heidelberg Meine Tisch Cameraden waren, gouvernirte die Vestung als Commandant. Anderthalb Stunden von Heidelberg ligt auch daß Churfürstliche Lusthauß Schwetzingen, alwo der Alte Churfürst274 mit seiner Degenfeldin275 gemeiniglich die Mayen Zeit hielt und auch sonst oft concurrirte. Rectà von dem Schloß Berg zu Heidelberg herunter gehet eine besond’re Straße in grader Linie mit schönen fruchtbaren Bäumen zu beyden seiten besetzet, und wenn man auf dem Schloß Altan herabsiehet diesen Weg hinein, gibt es eine über die Maßen herrliche Perspective. Auf dem Kloster Neuberg,276 eine halbe Stunde von Heidelberg am Neckar liegende, hat sonst die Frau Churfürstin ihren Witwen Sitz und geneußt davon die Intraden. Der Prospect dieses Ortes, und die Lustbarkeit, welche die Natur selbst an die hand gibt, ist gantz admirabel. Deß Klosters Weitleuftigkeit, bestehende in unterschiedenen höfen, dd

Fälschlicherweise mit 49 paginiert. Auf der nächsten Seite schreitet die Paginierung mit 49 voran.

271 272 273 274 275 276

Friedrichsburg. Robert von Weiler (1602–1671). Adam Konrad von Weiler (1635–1718) und Jost Robert von Weiler (1637–1697). Karl I. Ludwig (1617–1680), Kurfürst von der Pfalz. Maria Luise von Degenfeld (1634–1677), Raugräfin zu Pfalz. Neuburg.

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Friderici Lucae eigentgliche Lebens und Totdes Geschichte

läst nicht allerdings wol zu die volkommene Restauration desselben, wegen der grosen erforderten Unkosten; Unterdeßen waren die albereit außgebauten Zimmer recht bequemlich und fürstlich, sonderlich die Schönen Euserlichen Galerien, auß welchen man in die Zimmer gehen konte. In dem Innersten Hof ließen sich die Alten Creutzgänge auch wol sehen, auf hohen steinern Pfeilern stehende. Erzehlter maßen vermeynte numehro gnugsam in der Pfaltz gesehen und gelernet zu haben und war bedacht, jedoch mit Consens Meines Seeligen herren Vaters,277 meinen March in Holland zu setzen, unerachtet ich Philipsburg278 gerne zuvor gesehen hette, welches vorhaben aber die Continuirlichenee Excursionen der Frantzosen verhinderten und desselben Gegenden stets unsicher machten, wie Sie dan auch keine Passagirs in die Vestung einließen, dafern selbte nicht etwas extraordinaires darinnen zu expediren hatten. |49| VI. Friderici Lucae Reise aus der Pfaltz in’s Niederland.a Anno 1664, den 6 Aprilis, valedicirte ich den Heidelbergischen Musen und reisete, im Nahmen Gottes, auf der Postkutsche, im gefolge vieler Begleitenden von Landsleuten, und andern Freunden, durch die oben beschriebene herrliche Bergstraße, nach Franckfurt1 zu. Noch zur Zeit hatte keinen andern Reise Gefehrten2 als einen Cantorem von Gröningen3 auß Friesland, welcher ihm sein Patrimonium zu Heidelberg hohlende wiederumb nach hause kehrete. In unserm ersten Nachtlager zu Eberstadt, eine meilweges vor Darmstadt, begegnete dem gutten mann mit seinem gelde ein groses Unglück, sintemahl da wir auf der Streu lagen und schliefen, stohlen ihm Diebe daß Felleisen mit 500 Reichsthalern, hinter dem haupte, auf einer Banck liegende, weg. Weil aber Niemand sich im Wirthshause befande auser zweyen Leib Guarde Reutern des Fürstens von Darmstadt4 und ein mägdlein, gegen einen trinckgeld, unß einen Winck gab, daß diese Reuter die rechten Diebe wären, so deß morgends früh auß der herberge ritten, reiseten wir nach Darmstadt,b unange1 2 3 4



Frankfurt am Main. n.z.e. Groningen. Ludwig VI. (1630–1678), Landgraf von Hessen-Darmstadt.

ee

Fra vor Excursionen durchgestrichen.

277 278

Johann Lucas (1602–1673), Vater von Friedrich Lucae. Philippsburg.

a

Die Groß- und Kleinschreibung von FRIDERICI LUCAE REISE aus der PFALTZ in’s NIEDERLAND zu Friderici Lucae Reise aus der Pfaltz in’s Niederland vereinheitlicht.

_______________________________ _______________________________ _______________________________ 1 2 3 4

Frankfurt am Main. n.z.e. Groningen. Ludwig VI. (1630–1678), Landgraf von Hessen-Darmstadt.

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sehen der Wirth dieselben treflich vertheidigte, und entdeckten unsere wolgegründete Suspicion dem Cantzler Fabritio,5 welcher bald den Wirth und consequenter diese ­Reuter, so bey ihm übernachtet, zu fordern ordre erthei’lte. Anfangs als Sie erschienen, wolten Sie leugnen, in dem wir ihnen aber einige Umbstände vorlegten, daß entweder Sie, oder der Wirth, nothwendig die Diebe sein müsten, bekanten Sie gutwillig und restituirten daß geld biß auf etliche thaler. Der gutte Cantor war frölich über sein wieder bekommenes geld, darzu ich ihm trewlich hülffe leistete, welches Er sonst schwerlich mit seiner Erschrecknüß und Alberkeit würde außgeforschet haben. Nach erhaltenem Recht, und hülffe, reiseten wir nach Franckfurt6 fort, höreten aber zuvor daß man diesen Dieben, für den begangenen frevel, die Spießruten zuerkante. Ob Sie aber solche Straffe erlitten, oder depreciret haben, ist mir unwissend auß mangel deß berichts. Sonst besahe bey dieser gelegenheit daß Schloß, die Pfarr Kirche und andere merckwürdigkeiten mehr in Darmstadt. Die Stat an ihr selbst ist ein geringes wesen ohne Fortification. Ohnfern hievon nahm auch in Augenschein den fürstlichen thiergarten, welchen rings umb her eine ziemliche hohe mauer beschließet. Auch observirte im Franckfurter Wald, bey dem dorf Springlingen,7 zwene aufgerichtete Denck Steine, von denen man vorgibt, daß ehemals ein gejagter hirsch, |50| so weit als diese Steine von sammen stehen, einen Sprung gethan hette, ist fast ein Spatium meinem bedüncken nach; Eines Schwachen Pistol schußes lang. Sobald in Franckfurt8 anlangte, valedicirte deß herren Cantoris9 Geseelschaft, der zu lande nach Gröningen10 kehrete, und suchte andere Compagnie, mit welcher zu wasser nach Holland abfahren könte. Wieder verhoffen traf auch feine Reyse Gefehrten an, jedoch nach Wundsch, mit denen mich ver=accompagnirte. Unter denen war ein junger Freyherr von Degenfeld,11 der Degenfelderin12 Bruder, welchen der Churfürst13 als einen Extraordinair Envoye nach Brüssel14 zu dem damahligen Spanischen Gouverneur Don Castell Rodrigo15 schickte, item herr Johannes Mollerus16 Juris Licentiatus, b

Franckfurt vor unangesehen durchgestrichen. Darmstadt über der Zeile ergänzt.

15 16 17 18 19 10 11 12 13 14 15 16

Conrad Jacob von Fabricius (Fabritius, 1611–1675). Frankfurt am Main. Sprendlingen. Frankfurt am Main. n.z.e. Groningen. Maximilian von Degenfeld (1645–1697). Maria Luise von Degenfeld (1634–1677), Raugräfin zu Pfalz. Karl I. Ludwig (1617–1680), Kurfürst von der Pfalz. Brüssel (ndl. Brussel, frz. Bruxelles). Francisco de Moura (1610–1675), Marquês de Castelo Rodrigo. Johann Möller (Mollerus).

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Friderici Lucae eigentgliche Lebens und Totdes Geschichte

item der dicke herr Zacharias17 Oeconomus im Collegio Sapientiae zu Heidelberg und andere mehr, deren Nahmen mir entfallen sind. Unsere Sämtliche Compagnie mittete zu Franckfurt einen kahn, oder Nachen, wie Sie es nennen, biß auf Cöln18 am Rhein für weniges geld. Hierauf tratten wir zu Schiffe und reiseten deß morgends, im Nahmen Gottes, an einem Donnerstage, auß Franckfurt auß und bestellten herren Zacharias zu unserm quartier und küchen meister, der dieses hand werck über die maßen wolverstande. Weil wir auch im Schiff unsere eigene herren waren, richteten wir die Reise dergestalt ein, daß wir außsteigen konten, wo es unß nur beliebte, sonderlich in Oertern von Extraordinair merckwürdigkeiten. Die Stat Höchst war der erste Ort, dem zu gefallen daß Schiff unsere Compagnie anlandenc ließ. Daß Schöne Schloß alhier, welches Anno 1631 abgebrandt, schiene von außen her noch sehr wüste zu sein. Man versicherte unß, daß Churfürst Johannes zu Maintz19 Anno 1404 bey desselben Erbawung persönlich hand angeleget und mit seinen Edelleuten Steine und kalck herbey getragen hette. Wir giengen auch auf den Platz nahe an dieser Stat, worauf Hertzog Christian zu Braunschwieg20 von dem General Tilly21 die Berühmte Niederlage erleiden und mit den Seinigen flüchtig durch den Mayn setzen müßen. Hienunterwerts eine meile vor Maintz22 ligt die Hessisch Darmstätische Vestung Rüsselheim,23 samt dem flecken: Sie ist viereckicht, und an einer jeder Ecken mit ­einem Rundel und ziemlich hohen mauern versehen und umbgeben, jedoch von geringer Weitleuftigkeit. Auserhalb ligt der darzu gehörende flecken. Von dar schiffeten wir auß dem Mayn in den Rhein und bemerckten an der Spitze, bey welcher sich diese Ströhme vereinigen, die Vestigra der Schwedischen Vestung Gustavsburg und kamen zu Maintz an. Bey dem Eingang in diese Stat hörete ich daß erste Glocken spiel schlagen. In der Stat befand nichts sonderliches: Sie ligt nach der Länge am Rhein hienunter und hat Enge Straßen und Unformliche Alte Bürgerhäuser. Bey den kranen, wo die Schiffe außladen, stehen allenthalben Stücke damit den Rhein zu bestreichen. |51| Der Dom, oder die Bischoffgliche haupt Kirche, alhier, St. Martin genandt, ist ein Gewaltiges Steinernes, oben rings umbher mit Schönen Galerien und thürnen geziertes, gebäwde, inwendig sehr weit und fast viereckicht. Die Altäre darinnen schimmern überauß reichlich von Gold und Silber. Nechst an derselben stehet Unser Frauen Stift, c

anzu vor anlanden durchgestrichen.

17 18 19 20 21 22 23

Johann Zacharias. Köln. Johann Philipp von Schönborn (1605–1673), Kurfürst und Erzbischof von Mainz. Christian (1599–1626), Herzog von Braunschweig und Lüneburg. Johann T’Serclaes von Tilly (1599–1632). Mainz. Rüsselsheim.

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von nicht geringer Zierligkeit. In den übrigen kirchen und klöstern, nemlich in dem Jesuiter Collegio, zu St. Ignatius, zu St. Quintin etc. befand man eben keine sonderliche merckwürdigkeiten auser den Götzen Bildern und Reliquien, nemlich ein theil von deß herren Christi Schweißtuch, item daß messer, womit Bartholomaeus geschunden, item einen Stein womit Stephanus gesteiniget worden und andere sachen mehr. Daß Churfürstliche Schloß am Rhein, am Ende der Stat liegende, praesentiret von außen Prächtiger als Inwendig. Vorwerts hat es einen Weitleuftigen Vorhof und nechst demselben daß Teutsche hauß, samt einem Lustgarten, in dem Innersten hof aber noch viel Leere und Unaußgebaute Mauern. Auserhalb der Stat vergünstigte man keinem Frembden auf die Albans Schantze und den Jacobsberg zu steigen, von welchen Vestungen sonst die Stat kan defendiret werden, unangesehen ich den berühmten Eichelstein auß dem Jacobsberg gerne hette sehen mögen. Nach dem die Compagnie mit Besichtigung deß Erzehlten einen gantzen tag zubracht, gieng Sie wieder zu Schiffe und passirte den mitten am Rhein stehenden Mäusethurn vorbey. Er ähnlichet fast einer kleinen Citadelle, deßen Steinerne mauern die Anschlagenden Waßer Wellen wenig schaden können. Man wil die Leute überreden, daß ein Gottloser Bischoff zu Maintz,24 Hatto25 genandt, wäre von mäusen auf demselben gefreßen worden, wie Münsterus26 in seiner Cosmographia selbst meynet, von dem Er auch den Nahmen überkommen; Ich befinde aber bey glaubwürdigen Historicis, daß es nur eine alte Fabel und dieser thurn vielmehr in alten zeiten ein Wacht thurn gewesen sey wieder die mausereyen und Mauseköpffe, davon in Merians27 Topographia Archiepiscopatuum Moguntinensis, Coloniensis et Trevirensis Fol. 16, welche in meiner Bibliotheca stehet, mit mehrerm kan gelesen werden. Die Stat Bingen, und daß derselben gegenüber gelegene Schloß Ehrenstein,28 fiel gleichfals in unsern augenschein. In diesen Gegenden tractirte man unß allenthalben, wo nur unser Schiff anlandete, vor geringe Bezahlung, herrlich, also daß wir keiner kalter küche bedorften. In der Churfürstlichen Pfältzischen Stat Bacharach hielten wir unß über einen halben tag auf, theils den herrlichen Bacharacher Wein in Natura zu schmecken, theils den berühmten Bachus Stein gründlich zu besichtigen, von dem daß Sprichwort entstanden: Zu Bacharach am Rhein, zu Klingenberg am Stein, zu Hochenheim am Mayn,29 gibts den herrlichsten und Schönsten Wein. |52| Nahe an dieser Stat ligt am Rhein ein groser Quadrat stein, wie ein Altar. In dem es viel den Sommer über regnet und der Rhein anwächset, kan man ihn nicht ­sehen, 24 25 26 27 28 29

Mainz. Hatto II. († 970), Erzbischof von Mainz. Sebastian Münster (1488–1552). Matthäus Merian der Ältere (1593–1650). Ehrenfels. Hochheim am Main.

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aber bey trock’nem Sommer läst Er sich sehen, daher verkündigen ihnen die Inwohner eine fruchtbare Wein Erndte. Damahls bey kleinem Rhein Waßer ist Er satsam von unß gleichfals gesehen worden. Es kan sein, daß in Heidenthum dem Bacho zu ehren, darauf sey geopffert worden bey kleinem Waßer. Erwehnte Stat Bacharach, quasi Bachi Ara oder Bachi Altar, sahe zur selbigen zeit noch gar wüste auß, daß aber darbey auf einem berg liegende Schloß Stadeck30 schiene doch gleichwol ziemlicher maßen bevestiget zu sein, die mauern daran waren über 14 Schuch dicke und mit Chur Pfältzischen Soldaten besetzt. Von dar kamen wir in die grosen Rheingebürge, zwischen denen der Rhein ­hinfleußt, und bemerckten an etlichen Orten über Sechsfache Wiederschallende starcke Echo, darüber sich unsere Compagnie sonderlich ergetzete. In diesen Gebürgen traffen wir an die Stat Caub,31 samt dem Berg Schloß Gudenfels.32 Auser denen am Schloß euserlich wargenommenen Starcken mauern und thürnen, habe sonst hier nichts observiret. ­Recht gegen über, und zwar mitten am Rhein, auf einer felsen kleinen Insel, ligt daß Veste Schloß, die Pfaltz genandt, hat über auß Starcke mauern von Quaderstücken und ein hohen dicken Thurn, sonst aber eine kleine Circumferentz. Es ist der letzte Ort, welcher Chur Pfaltz am Rhein gehöret. Bey unserer Vorüberfahrt sahen die Armen Soldaten auß den Schießlöchern über die maßen hungrig und durstig herfür, darfür haltende daß die gutten pursche langweilige Zeit, in diesem abgesonderten Ort, haben müsten. Wir ­reich’ten ­ihnen auf einer Ruder stange eine ziemliche Portion Taback durch ein Schießloch hienein, darfür spendirten Sie unß reiche glückwündschung auf die Reyse und der herr Baron von Degenfeld33 vertröstete dieselben baldiger ablösung, die Sie täglich hoffeten. Hier fieng sich daß Trierische Bischthum an. Ober Wesel34 war darinnen die erste Stat, stiegen auch auß dem Schiffe dieselbe zu besehen. Man führete unß in die Aelteste Kirche im Stift Trier, nemlich daß Nonnen kloster St. Bernhardi. Vornemlich, in der Hospital Kirchen nahe am Rhein gelegen, befand sich eine höltzerne Säule, darauf die Überschrift stand: Anno 1287 Wernerus de Wammenraidt,35 ist ein knäblein, von den Juden hier angebunden, gegeißelt und gemartert worden, biß es gestorben ist. Nechst dieser Stat ligt auch auf einem hohen berge daß Veste Schloß Schönberg.36 Und so bald man von Ober Wesel den Rhein hienunter fähret, fangen sich die gefährlichen Klippen, Strudel und Wirbel an, also, daß dieser orten unerfahrene Schiffleute leichtlich können verunglücken, wie wol auch bey Neblichtem Wetter die ­Erfahrensten. Als wir nun dem gefährlichsten ort annaheten, wo der Rhein mit heftiger Strengigkeit und mit grausam anzusehenden Wirbeln und Strudeln vermischet, sich in die Enge 30 31 32 33 34 35 36

Stahleck. Kaub. Gutenfels. Maximilian von Degenfeld (1645–1697). Oberwesel. Werner von Oberwesel (von Womrath, 1271–1287). Schönburg.

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faßet, und zwischen denen zu beyden seiten stehenden |53| klippen hindurch dringet, ermahnete unß der Schiffer, die gefahr wolzubedencken und hertzlich Gott anzuruffen, damit Er unß in der gefahr schützen und begleiten möchte. Hierauf schickte sich ein jeder andächtig zu Gott, der unß auch glücklich durchführete. Kaum da unß die Almächtige hand Gottes auß dieser gefahr sicher geführet, erblickten wir St. Goar, samt dem vesten Berg Schloß Rheinfels, darauf herr Landgrafe Ernst zu Hessen37 residiret. Es lagen eben in dem hafen eine grose menge mit Wein beladene Schiffe und die darbey sich befindende kaufleute empfingen unß sehr freundlich bey dem Außsteigen und nöhtigsten unß unter dem Krhan zu tretten, ist daß bedachte Rad, womit die Schweren Gütter auß den Schiffen gewunden und gehoben werden. So bald wir ihrer Courtesie gehorsam’ten, fragte einer ob wir vormahls auch an diesem ort gewesen wären? Diese Frage schiene unß bald verdächtig zu sein; Jedoch sagten wir Nein? Hierauf zeig’ten Sie unß zwey halß Eisen, eines von Metal, daß andere von Eisen, und begehrten, wir möchten, guttwillig, unß accomodiren und unß einschließen laßen, in dem viel könige und fürsten darein gestanden hetten. Herr Baron Degenfeld38 war der Erste, ich der ander, der solche kurtzweilige Straffe erlitte. Da wir nun also, wie die armen sünder, angeschloßen standen, rief ein ker’l oben von dem krahn, ob wir wolten mit Wein oder mit Waßer getauffet sein? Wir mercketen den Possen und sagten mit Wein: Hierauf lösete man unß ab und umbhalsete die andern die gleiche resolution von sich gaben; Damit führeten Sie unß mit grosen Solennitäten inß Wirtshauß und praesentirten unß einen großen Pocal, daran sehr viel Schilde und Wapen groser herren hiengen, zum Wilkommen, samt einem buch, darein wir unsere Nahmen schreiben musten. Den außgetrunckenen Wein bezahleten unsere Beutel. Unter andern hette auch die königin Christina,39 mit eigener hand, ihren Nahmen in daß buch gezeichnet und daß metallene halßeisen zum gedächtnüß, machen laßen. Die eigentgliche Uhrsache, und Ursprung, sothaner kurtzweil habe nicht gründlich erfahren können. Meines ortes halte darfür, es rühre daher, daß man nehmlich die ­Passagiers, nach vorher, auf dem Waßer besagter maßen, außgestandener Gefahr und Angst, wiederumb ein wenig aufmuntern und erfreuen wil, sonderlich desto mehr daran, lebens lang, zu gedencken. Die Stat St. Goar ist sonst nur ein geringer Ort, daß Berg Schloß Rheinfels aber desto vortreflicher. Der darauf residirende herr Landgrafe Ernst zu Hessen befand sich damahls abwesend |54| und deßhalben ließ man Niemand in die Vestung. Gegen über ligt daß Stätlein Goarshausen40 und daß alte Berg Schloß Catzenellnbogen,41 sonst die Catz genandt. Wir ließen unß an der euserlichen Besichtigung dieser Schlößer gnügen und reiseten, im Nahmen Gottes, wieder fort. 37 38 39 40 41

Ernst I. (1623–1693), Landgraf von Hessen-Rheinfels-Rotenburg. Maximilian von Degenfeld (1645–1697). Christina (1626–1689), Königin von Schweden. St. Goarshausen. Katzenelnbogen.

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Friderici Lucae eigentgliche Lebens und Totdes Geschichte

Eine meil weges von Rheinfels passirten wir daß Chur Trierische Schloß, und Stätlein, Welmenach42 vorbey und kamen selbigen tages, noch bey gutter Zeit, biß auf Poppart43 und fanden alda sehr viel mit Wein beladene Schiffe im hafen liegen. Bey besichtigung der Kirchen hiesiges Ortes zeigte man unß in dem Carmeliter kloster viel alte begräbnüße, berühmter fürsten und herren, derer Nahmen aber mir entfallen seind. Von hier gieng die Reise auf daß Hessische Stätlein Braubach. Unten am Ufer deß Rheins stehet daß fürstliche hauß Philipsburg44 und ließen unß in dasselbe führen. Über dem Stätlein ligt auf einem jähen felsen daß Veste Schloß Marxburg,45 darauf zu steigen die Zeit nicht gestattete. In diesen Gegenden gibt es einen Unvergleichlichen Prospect; Man siehet in einem Gesichte Vier Stätte und Drey Schlösser: als besagtes Braubach, Capell,46 Rens47 und Lahnstein. Capelle ligt jenseits deß Rheins und über demselben daß Schloß, die Stoltze Veste48 genandt, und gehört, samt Rens, Chur Cöln.49 Lahnstein ist maintzisch und mit vielen thürnen gezieret. Nechst darbey stehet daß Schloß Laneck.50 Ich besahe alhier daß berühmte Bad, welches sonderlich für das blut auß werffen und übriges schwitzen dienen sol. Numehro begrüßeten wir auch deß mittags umb ein uhr die Berühmte Stat Coblentz,51 bey welcher die Mosel in den Rhein fält. So bald wir anlandeten, kam ein ansehnlicher mann, gantz sauber schwartz bekleidet, ans Schiff gerietten, nur einen diener und hund bey sich habende, und fragte, von wannen wir kämen? Obschon keiner denselben kante, so hatte mir doch ehermahls daß Bildnüß deß Churfürsten zu Trier52 dermaßen dem gemüthe eingedrucket, daß ich mich bald besinnen konte, wie dieser herr der Churfürst wäre. Die Sämtliche Compagnie gab ihm bescheidene Antwort, Er aber wendete mit dem Pferde umb. Als die Compagnie durch ferners Nachforschen erfuhr, daß dieses der Churfürst von Trier gewesen, verwunderte sichd ein jeder über meinee Curieuse Observation. Hierauf giengen wir in die Stat durch daß Waßer thor, über welchen 10 halbe Cartaunen standen, bemerckende darinnnen Schöne breite Straßen, große Steinerne Bürgerhäuser, aber sonst, auser den beyden grosen Stiftskirchen, nichts sonderliches. d e

Er vor sich durchgestrichen. über vor meine durchgestrichen.

42 43 44 45 46 47 48 49 50 51 52

Auf Merian zurückgehende falsche Bezeichnung von Bernkastel-Kues. Boppard. Philippsburg. Marksburg. Kapellen (Capellen). Rhens. Stolzenfels. Köln. Lahneck. Koblenz. Karl Kaspar von der Leyen (1618–1676), Erzbischof und Kurfürst von Trier.

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Daß Churfürstliche Palatium ist auch von geringer Importantz. Die Steinernen Brücken über die Mosel hat 16 Joch, durch deren bogen ziemlich grose Schiffe passiren können. Euserlich bemerckte die Stat nicht veste zu sein, jedoch hette Sie auf zwoen seiten starcke mauern und thürne. Recht Coblentz gegen über, an der andern seiten deß Rheins, spielet jedermann über die maßen lustig in die augen daß unvergleichliche Schöne und Starcke Schloß Ehrenbreitstein. Gleich unten am berge, vorwerts am Waßer, liegen drey Bolwercke und hinter denselben |55| daß Newe Churfürstliche Schloß von Ungemeiner euserlicher Zierligkeit. Oben auf dem Berge leuchteten unß die Stoltzen Thürne, die gewaltigen mauern, die veste Rundele und mitf Canonen besetzte Cavalliers treflich in die augen und sahen dieses alles mit schmertzen an, musten aber mit den euserlichen Anschauen Content sein, weil kein frembder, ohne besondere Recommendation, eingelaßen wird. Von dar schiffeten wir Engers vorbey nach Andernach, sind beyde Chur Cölnisch. Zu Andernach in der grosen Kirche zeig’te man unß daß grab kaysers Valentiniani,53 welchen die Inwohner als einen heiligen verehren. Gegenüber ligt auf einem hohen felsen die Vestung Hammerstein und nahe darbey der flecken Ludelsdorf, alwo wir daß Creutze gerne gesehen hetten, welches, wie die Papisten fabuliren, so grose Wunder thun sol, konten aber diese Gnade, als ketzer, nicht erhalten. Birsich,54 und Zünsich,55 blieben auf der lincken hand deß Rheins liegen und lencketen unß nach Lintz,56 alwo Chur Cöln57 ein feines Schloß hat. Unsere anlandung geschae hier an einem Sontage morgends; Und weil die thore geschloßen waren und die leute sich allerseits in der Kirche befanden, musten wir unß so lange auserhalb aufhalten. Unterdeßen wurde der oben gedachte herr Johannes Möllerus,58 Licentiatus von Gröningen,59 eines Crucifixes und Marien Bildes, auf dem Wege, ohnfern dem Stat thore stehende, gewahr und eilete in aller Tollkühnheit, ein ruder zu hand nehmende, auf dasselbe loß, unß allen unwissende, waß sein vorhaben wäre und stieß diese Götzen Bilder vom Creutze herunter. In waß für Schrecknüß die sämtliche Compagnie hierüber müße sein gesetzet worden, ist leicht zu erachten: Den dafern solches jemand von den Papisten gesehen hette, würden wir schwerlich daß leben davon bracht, oder sonst eine grose gefahr, und Schaden, auf unß geladen haben.

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mit über der Zeile ergänzt.

53

Dass der weströmische Kaiser Valentinian III. (419–455) nicht in Andernach beigesetzt wurde, ist erst im 19. Jahrhundert nachgewiesen worden. Breisig (Bad Breisig). Sinzig. Linz am Rhein. Köln. Johann Möller (Mollerus). Groningen.

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Friderici Lucae eigentgliche Lebens und Totdes Geschichte

In solcher Angst, und Schrecken, ehe Sie allhier zu Lintz die thore eröfneten, muste unß der Schiffer jenseit deß Rheins setzen und eilendes Unckel60 und Königswinter vorbey, gleichfals Chur Cölnische Oerter, fahren. Nun setzten wir weder in flecken noch dörffern auß, auß furcht die Lintzer möchten unß nachsetzen, biß wir deß abends in Bonn anlangten, jedoch noch immer in furcht lebende. Alhier übernachteten wir in einem Gutten Quartier; In demselben machten sich zweene tischvol Cölnischer Bauern über die maßen lustig, bey dem rothen Wein, Bleichert genandt, und hatten auf jedem tisch eine grose Speckseiten liegen, davon Sie tapffer speiseten. Dergleichen Speckfreßer hatte lebens lang noch nicht gesehen. Ich setzte mich nicht fern von dem eine tische und sahe ihr appetithaftiges Speckfreßen, gleich damahls bey hungrigem magen, mit Verwunderung an. Der eine Bauer merckte, wie attent ich wäre und praesentirte mir ein stück speck, tranck mir auch ein glaß Bleichert zu, sagende: |56| It, (oder iß) (ick sih) Ich sehe, (dat ju een frembd Kerl bist) daß du ein frembder Kerle bist. Ich nahm die gabe an und danckte ihm für die höfligkeit und versuchte diese Speise, ließ mich auch bedüncken, als hette lebenslang nichts köstlichers gespeiset. Hierauf absentirten wir unß bald von dem getümmel und legten unß, nach eingenommener Abendmahlzeit, zur ruhe. Deß morgends besahen wir die Churfürstliche Residentz, unter andern den grosen marcktplatz, den künstlichen brunnen, die Hauptkirche und in derselben Pii Cassii,61 Florentinii62 und anderer heiligen begräbnüße. Die Stat Bonn ist eben nicht gar groß, hat aber Schöne häuser und eine Schöne Fortification. Numehro stand unser aller verlangen nach Cöln.63 Die oben gedachte furcht, daß man unß verfolgen möchte, wegen der von Monsieur Licentiat Möller64 zu Lintz65 verübten frevelthat, stärckte dasselbe noch mehr. Zwischen Bonn und Cöln hielten wir nirgends an und erreichten endlich die Stat Cöln glücklich. In dieser grosen Stat würde viel zeit erfordern, alle Antiquitäten und Curiositäten zu besehen: Wir besahen dem nach nur die merckwürdigsten. Die Dom Kirche zu St. Peter nim’t mit ihrer gröse, höhe und weite allen Kirchen, so viel ich gesehen, den Vorzug, unangesehen Sie nicht gäntzlich außgebauet ist. Mitten in der Kirche gegen dem Chor liegen in grosen Steinern behältnüßen die drey Weisen, oder so genandten heiligen drey Könige auß morgenland. Man kan durch ein gläsern fensterlein annoch derselben angesicht sehen, welche schwartz und gleich den Egyptischen Mumien außsehen, und schließe daß die Cörper nach solcher art müßen sein einbalsamiret worden, daher die Pfaffen daß Albern Volck überreden, als wenn Sie unverweßlich wären. 60 61 62 63 64 65

Unkel. Cassius, römischer Soldat der legendären Thebäischen Legion. Florentius, römischer Soldat der legendären Thebäischen Legion. Köln. Johann Möller (Mollerus). Linz am Rhein.

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Mit dem haupt deß Heiligen Pabst Sylvesters,66 item mit dem oberntheil von dem Stab St. Petri, item mit dem arm der Jungfrauen Agnes67 und St. Germani68 machen die Papisten gleichfals viel pralens, wie auch mit einem sehr grosen Silbernen Creutz und andern köstlichen meßgewandt. Die grose glocke schätzten Sie am gewichte 225 Centner schwer zu sein. Von dem künstlichen Uhrwerk wolten Sie unß überreden, daß es nur deß Jahres einmahl dörfte aufgezogen werden und doch der Sonnen, deß monds und der andern Sternen Lauf zeigete. Unter den Begräbnüßen und Monumentis schätzte meines Ortes deß Churfürstens Ernesti,69 Hertzog zu Bayern, für daß kostbareste in Betrachtung der vielen großen in Ertz gegossenen Wapen, mit denen es umbgeben war. In die Bibliotheca dieser Kirche bin nicht eingelaßen worden. In der Prediger Kirche legten Sie unß vor die augen einen dorn von der kron und ein Creutzlein von dem Creutz Christi, samt einem fuß von dem unschuldigen kindlein. Alberti Magni,70 Bischoffs zu Regenspurg,71 Grab ist recht vor dem hohen Altar. Auch seine trinckg geschirr von lauter Crystall werden hier, gleichfals seine Schriften, verwahret und den frembden zur rarität gewiesen. |57| In der Eilftausend Jungfrauen Kirche, so mit St. Ursula alhier sollen sein erschlagen worden, liegen in schöner Ordnung und Netten Schrancken etliche tausend köpffe mit Seiden gezeug überzogen, welche die Papisten in unserer Gegenwart mit sonderbahrer Devotion verehreten. Ebenmäßig besahen wir in St. Geronis Kirche die Gebeine vieler tausend, unter dem Kayser Diocletiano72 und Maximiano,73 ermordeter martyrer. Sie gaben auch vor, daß der Erdboden in dem Creutzgang keine kröten oder giftiges Unziefer dulden solle. Die Kirche zu Allen Heiligen Aposteln hat auch etwaß besonders, an einer Taffel ­darauf daß Bildnüß und Inscription gemahlet ist von einer Vornehmen Adelichen ­matron, so für todt begraben, aber wunderbar wiederumb auß dem grabe kommen und bey leben erhalten worden ist. Davon kan außführlicher bericht ersehen werden in meinem Welt Schlußel. St. Georgii Kirche ist eine von den Vornehmsten, darinnen stand ein künstlich Uhrwerck vor dem hohen Altar praesentirende den Ritter St. George auf dem Pferd sitzende und den Lindwurm tötende, in volkommener lebens Gröse, dadan bei schlagender Uhr sich allemahl derselbe beweget. g

bein vor trinck durchgestrichen.

66 67 68 69 70 71 72 73

Silvester I. († 335). Agnes von Rom († um 250), Heilige. Germanus (Germain, um 378–448), Bischof von Auxerre, Heiliger. Ernst von Bayern (1554–1612), Erzbischof und Kurfürst von Köln. Albertus Magnus (um 1200–1280), Bischof von Regensburg, Heiliger. Regensburg. Diokletian (Gaius Aurelius Valerius Diocletianus, † um 312), römischer Kaiser. Maximian (Marcus Aurelius Valerius Maximianus, genannt Herculius, † 310), römischer Kaiser.

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In der Kirche St. Ceciliae habe auch gesehen den Silbernen übergüldeten Sarg, darinnen der Heilige Evergislus,74 deß heiligen Severini75 Nachfolger, ruhen sol. ­Gleichfals zeig’te man unß in St. Cuniberti Kirche die Silberne Behältnüße der Gebrüder Evvaldi,76 beyderseits martyrer auß Britannien. In dem Nonnenkloster, Mariae Garten genandt, betrachtete auch einige Gebeine und Reliquien von der heiligen Elisabeth,77 Landgräfin zu Hessen. Wenn ich aber anjetzo durchlese die Hessische Chronica Dilichii78 und befinde, daß Landgrafe Philippus Magnanimus79 derselben gebeine zu Marpurg,80 oder gantzen Cörper in einem verborgenen Ort, von dem heutiges tages Niemand mehr weiß, beylegen laßen, damit dergleichen Superstition von den Papisten nichth möchte getrieben werden, scheinen jenes lauter päbstische lügen zu sein, also, daß daß einfältige volck, wie mit diesen, so mit andern Reliquien der Heiligen nur betrogen wird. Die Kirche zu Unser Frauen in Jerusalem halten auch die Papisten in Cöln81 sehr werth; Theils weil der Magistrat alda, täglich, ehe Er in den Rhat gehet, höret Messe lesen; Theils wegen des Bildnüßes der Mutter Christi von Scharfen Bühelichen holtz oder von dem Sichemischen Baum gemacht und mit gold und perlen reichlich gezieret, so die Infantin Isabella Clara Eugenia82 zu Brüssel83 der königin in Frankreich, Mariae Mediciae,84 diese aber selbtes dieser Kirchen verehret hat. Daß Vornehmste waß man unß in der St. Peters zu besehen vorlegte, waren Arnoldi Colini85 und Johannis Acheni86 sehr künstliche gemählde, samt einer Taffel neben St. Annae Altar, wie auß einer Ehe 30 Kinder entsproßen wären. Über dieses siehet man auch in dem bezirck dieser Kirche die gruft, darein die heilige Ursula87 sol eingekehret haben nach ihrer hieherkunft auß Engelland. Unter der menge so vieler Kirchen in der Stat Cöln, ausgenommen |58| die Dom Kirche, hat die Kirche St. Severini, St. Martini, St. Pantheleon und die Jesuiter Kirche

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m vor nicht durchgestrichen.

74 75 76 77 78 79 80 81 82 83 84 85 86 87

Everigisil (Evergislus, † um 594). Severin († um 397), Bischof von Köln, Heiliger. Brüder Ewaldi (Ewalde), Heilige. Elisabeth (1207–1231), Landgräfin von Thüringen, Heilige. Wilhelm Dilich (Scheffer, 1571–1650). Philipp I., der Großmütige (1504–1567), Landgraf von Hessen. Marburg an der Lahn. Köln. Isabella Clara Eugenia von Spanien (1566–1633), Statthalterin der Spanischen Niederlande. Brüssel (ndl. Brussel, frz. Bruxelles). Maria von Medici (1575–1642), Königin von Frankreich. Arnold Colyns (Colijns, Colin, † um 1600). Hans von Aachen (Achen, 1552–1615). Ursula von Köln, legendäre Heilige.

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vor die Grösten, Schönsten und Vortreflichen, wie wol beyde letzten, so viel ich observiren können, allen andern den Vorzug nehmen. Betreffende die Weltlichen häuser, so leuchtet daß uhralte Rhathauß vor andern herfür; Desselben Gemächer sind zwar mit alten, aber überauß künstlichen und Sinnreichen Mahlereyen außgezieret, sonderlich läst sich darinnen sehen daß bildnüß der jenigen Bürgermeisters, welcher mit einem Dolch einen Löwen umbbracht hat. Die Grose Rhatstube war rings umbher mit alten, aber sehr künstlichen Taffelwerck bekleidet, gleichfals waren die grosen gestühle der Bürgermeister und Rhatmänner wol aptiret und von altem, sehr künstlichem Schnitzwerck außgearbeitet. In den obersten gemächern deß Rhathauses verwahret die Stat ein grose menge pfeile zum gedächtnüß, so in den alten kriegen in die Stat geschoßen und gesamlet worden. Gegen dem Rathhaus über stehet eine Capelle, welche vormahls eine jüdische Synagoga gewesen, darinnen auch viel künstliche bilder stehen. Der Gräfliche Gronsfeldische Hof praesentiret auch prächtig desselben innerliche Gemächer, welche Maria von Medices,88 nachdem Sie auß Franckreich gewichen, bewohnet, laßen sich auch wol sehen. Waß mich am meisten über erzehltes in Verwunderung setzte, war der leute höfligkeit. Sonst sind die Papisten alhier zu Cöln89 wegen ihres Eyfers in der Religion und wegen Verfolgung der Reformirten, denen Sie auch nicht dem heimlichen Gottesdienst placediren und daher der Reformirte Prediger allezeit in politischer kleidung muß einhergehen, damit Er nicht erkant und gefangen werde, sehr berühmt; Unterdeßen ob Sie wol sehen, daß wir nicht ihres Sauerteiges wären, dennoch eröfneten und zeigten Sie unß alles, waß Sie nur für rar hielten und herfür zu bringen vermochten. Auch selbst die Jesuiten begegneten unß, in ihrem Collegio, überauß freundlich. Von der Universität Beschaffenheit konte man eben so wenig observiren oder hören als wiei zuj Maintz90 oder Erffurt.91 Es hat doch auch mit den papstischen Universitäten keine rechte art als wie mit den Evangelischen. Wie gerne auch die Euserliche Fortification der Stat Cöln gegen der Land seiten etwaß genawer betrachtet hette, so wolte es doch die kurtze zeit meines hier seins und die besichtigung der Innerlichen vielen merckwürdigkeiten nicht gestatten. So viel habe doch von dem Thurn der heiligen Apostel Kirchen gesehen, daß die mauern rings umb die Stat mit starcken Thürnen versehen, aberk vor den Thoren auserhalb der Stat keine Vorstätte sein.

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wie unter der Zeile ergänzt. die vor zu durchgestrichen. sein vor aber durchgestrichen.

88 89 90 91

Maria von Medici (1575–1642), Königin von Frankreich. Köln. Mainz. Erfurt.

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Friderici Lucae eigentgliche Lebens und Totdes Geschichte

Nach dem nun diese Reise über der herr Baron von Degenfeld92 seinen Character eines Envoye verborgen und sich als ein Gemeiner |59| Passagier in unserer Compagnie gehalten, nahmen wir von einander abschied: Er stellete, mit seinen Bedienten, die Reise nach Brüssel93 fort und wir übrigen satzten unß auf ein kaufmannschaft Schiff und fuhren in Gottes Nahmen biß nach Arnheim;94 Aber wir hatte nicht mehr die gelegenheit nach eigenen gefallen, als wie vormahls, auf unserm gedingten Schiff außzusteigen und die Stätte zu besehen. Wir schiffeten Monheim95 und Zons vorbey und kamen nach Düsseldorf, umb die Abendszeit, alwo wir übernachteten. Vor der Stat lag auf dem Rhein ein klein wol montirtes, mit Stücken und anderm Zierath, Orlogs Schiff, war daß erste, so ich sahe. Die Stat ist nach Holländischer Art sehr sauber an Straßen und häusern erbauet. Daß fürstliche Schloß ligt fast mitten in der Stat, durch einen Waßergraben abgeschieden und umbgeben, darfür haltende, daß desselben Innerlicher Zierath den Euserlichen übertreffen müße. Daß Newe Jesuiter Collegium, waß daß euserliche ansehen betrift, nimt der Residentz den Vorzug, ist recht viereckicht erbauet, hoch aufgeführet und mit zierlichen fenstern von einerley Gröse versehen. Der Eyfer der Einfältigen Papisten ist hier groß, wiewol Sie sich nach ihrem Herren, dem Eyfrigen Catholischen Hertzog von Neuburg,96 richten, in dem Sie die bey sich wohnende Reformirten damahls hart bedrängten und ihnen wenig Religions Freyheit verstatteten, auß anstiftung der Jesuiten. Die Erste Stat, worauf wir von dar zu kamen, war die Chur Cölnische Vestung Kaiserswerd.97 Man zeig’te mir alhier in der kloster Kirche deß Heiligen Suitberti98 Grab als deß Fundatoris derselben, welcher im 717 Jahr solle gestorben sein. Daß Schloß praesentirte gleichfals beßer von außen als von innen. Von hier gieng die Schiffart wieder fort biß auf Orsoi,99 die Erste Stadt im Clevischen Land. Die Holländer hielten damahls die Besatzung in derselben, ungeachtet die Vestung in sehr schlechtem Zustand war. In dem Stätlein bemerckte nichts denckwürdiges. Daß zwo meylen davon gelegene Rheinberg mit seiner Fortification stand schon beßer in Perfection. An der Ecke gegen dem Rhein ist die Stat nicht allein mit Bastionen und doppelten graben wolverwahret, sondern hat hinter denselbigen einen sehr Starcken thurn, von dem man wie auß einem kleinen Castell über die Wälle schießen, daß an dem Rhein gelegen Fort defendiren und den Rhein bestreichen kan. In dem wir weiter schiffeten, langten wir selbigen tages in die Gegend Bürick und Wesel, ließen aber Wesel an der rechten seiten liegen. Wie gerne auch, insonderheit, die 92 93 94 95 96 97 98 99

Maximilian von Degenfeld (1645–1697). Brüssel (ndl. Brussel, frz. Bruxelles). Arnheim (ndl. Arnhem). Monheim am Rhein. Philipp Wilhelm (1615–1690), Herzog von Neuburg, Jülich und Berg, Kurfürst von der Pfalz. Kaiserswerth. Suitbert (Switbert, um 637–713), Heiliger. Orsoy.

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Vestung Wesel besehen hette, so konte es vor dieses mahl unmöglich gescheen: Denn Sie ligt eine ziemliche Ecke und stück weges von dem Rhein und wird etwaß zeit erfordert, dafern man hinein gehen und dieselbe besehen sol. Weil nun die Schiffer so lange nicht zu verziehen gedachten |60| so muste mit dem Euserlichen Anschauen, von ferne, dieser Stat content sein. Hierauf passirte man Bislick100 und Roes101 vorbey. Zu Embrick102 stiegen wir zwar auf eine halbe Stunde auß und besahen waß in dem lauf zu besehen möglich war, eileten aber fort und kamen deß mittags zu Schenkenschans103 an. Allhier theilet sich der Rhein in zweene Arm. Der Strohm zur rechten der auf Arnheim104 und consequenter biß in Holland und endlich in die See gehet, behält den Nahmen Rhein, der aber auf Nimmegen105 streichet und endlich bey Tiel in die Maase fält, wird die Waahl genandt. Diese zwey sich scheidende Ströhme machen anfangs eine kleine Insel, Grafenwerd genandt, auf derer Spitze die Vestung Schenckenschans ligt. Die Vestung ist an sich selbst nicht weitleuftig: Sie hat keine, wegen deß engen Spatii, rechte Bollwercke, weniger Casamatten oder fürgelegte flügel; Jedoch sehr hohe fürgelegte Wälle und gantze Brustwehren, an welchen zu beyden seiten der Rhein und die Waahl vorbey ströhmen. Vorwerts wenn man von dem lande eingehet, muß man durch drey starcke Schantzen passiren. Meines Ortes verwunderte mich höchlich, daß der Commendant106 so schlechte Wacht hielt. Wir stiegen auß dem Schiff, giengen hienein fast ohne Anrede oder Frage wegen unserer herkunft und Condition. Einer von der Compagnie bat die erste Schiltwacht am thor umb ein stück Lunten zum taback schmauchen, dafür Er ihr einen Stiefer geben wolte: Die Schiltwache nahm den Stiefer und gab ihm über zwo Ellen Lunten von dem Pantelier. Dieses bedünckte mich wieder alle kriegs Raison zu sein. Die Häuser in der Vestung waren, auser deß Commandanten Quartier, von geringer Importantz, mehrentheils Enge und Niedrig, auch die Alte und Newe Kirche gar schlecht anzusehen. Auser den Soldaten wohneten eben nicht viel Bürger darinnen und befinde nicht, wie Etliche Schreiben, daß in Schenckenschans so groser handel und wandel solle getrieben werden. Auf den Wällen, wie in allen Holländischen Vestungen, standen Windmühlen und unter den Stücken gar viel Eiserne. Gleich wie diese Vestung noch auf Clevischen Boden lieget, also war es die letzte Stat oder Vestung in Teutschland, von der wir nun abreiseten und die Niederländische Provincien betratten. 100 101 102 103 104 105 106

Bislich. Rees. Emmerich am Rhein. Schenkenschanz. Arnheim (ndl. Arnhem). Nimwegen (ndl. Nijmegen). n.z.e.

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Friderici Lucae eigentgliche Lebens und Totdes Geschichte

|61| VII. Friderici Lucae Studia zu Nimmegen1 und Utrecht.a Nach abschiffung von Schenckenschans2 landeten wir deß Abends, umb 6 uhr, zu Arnheim,3 in der Ersten Niederländischen Stat an. Eine Viertel meile von der Stat, nemlich zwischen dieser Stat und Schenckenschans, gehet zur rechten ein starcker Sthrom auß dem Rhein, bey einem Fort, Yselort genandt, und fleußt von der durch die Grafschaft Zutphen,b berühret auch theils die Provintz Ober Ysel, Doesburg, Zutphen, Deventer vorbey und ergeust sich endlich hinter Campen in den Zuyder See. Er wird der Ysel Strom benahmet. Der Rhein aber, ungeachtet dieser Theilung, streichet ferner fort und berühret zu Arnheim die Vestung, welche auch disseits ziemlich starck zu sein scheinet. Die Kerl’n, welche unsere Sachen auß dem Schiff trugen, führeten unß in daß Wirthshauß, Im Dom Thurn zu Utrecht heißende, zu logiren. Ich lernete hier zum erstenmahl der Holländischen Weiber Kühnheit mit verwunderung kennen. Denselbigen Abend, wie wol wir unß nichts mehr als brot und käse auftragen ließen, machte sich doch die Wirthin dermaßen mit unß bekant, gleichsam hette Sie unsere Geseelschaft viel Jahr lang genoßen gehabt, und recommendirte unß ihre Tochter auf die beste gattung, welche noch eine junge Dirne war. Solches Weiber Geschwätze aber attendirten wir wenig, legten unß zur ruhe und besahen des morgends die Stat. Dieselbe hat Schöne breite und lange Straßen und auf denselben hin und her vortrefliche häuser. Die Kirche am alten marckt, samt der Wallenburger Kirche, welche nahe an einem Bollwerck gegen dem Rhein stand, sind die Vornehmsten. Sonderlich der Hospital zu St. Agneten umbfieng eine Grose Weitleuftigkeit von Zierlichen Gebäuden. Daß Rhathauß praesentirte eben nicht sonderlich und deß Printzen von Oranien auch der Nassauische Hof benahmen ihm den Vorzug. Man führete unß auch auf den Saal, aufc welchem die Stände von Gelderland ihre Versammlungen und Landtage halten. Diese Schöne Stat, und die darinnen wohnende Statliche leute, erweck’te mir groses verlangen, bald das rechte hertz von Holland zu sehen, weil der anfang davon dermaßen herrlich schimmerte. Herr Licentiatus Johannes Möllerus,4 mein bißheriger Reise Gefehrte, und herr Zacha5 rias gleichfals, von Franckfurt6 auß, richteten nun ihren weg nach Friesland und muste a Die Groß- und Kleinschreibung von FRIDERICI LUCAE STUDIA ZU NIMMEGEN und UTRECHT zu Friderici Lucae Studia zu Nimmegen und Utrecht vereinheitlicht. b und vor Zutphen durchgestrichen. c in vor auf durchgestrichen.

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Nimwegen (ndl. Nijmegen). Schenkenschanz. Arnheim (ndl. Arnhem). Johann Möller (Mollerus). Johann Zacharias. Frankfurt am Main.

VII. Friderici Lucae Studia zu Nimmegen und Utrecht

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also einer dem andern valediciren. Als wir nun auß der oben gedachten herberge zum Dom Thurn in Utrecht giengen und die Zeche bezahlten, begehrete daß unverschäm’te Weib, daß doch ein jeder ihre Tochter küßen und derselben zum gedächtnüß |62| eine Verehrung geben solte, vorwendende es wäre daßiger Orten die gewonheit; Allein Sie erlang’te keines, sondern wir giengen fort und nahmen lachende über diese Narrenpossen völligen Abschied von einander und zog ein jeder seine Straße. Ich reisete aber nicht rectà nach Holland, sondern auf Nimmegen,7 alda meinen Landsmann herren Doctor Wittichium,8 Professorem Theologiae derselbigen Universität, zu begrüßen. Nimmegen ligt drey meilen von Arnheim9 und gieng von dar hieher zu fuß und ließ mein Coffre, oder Truhen, einen Kerl’n auf dem Schubkarn mitführen. Mir war es gantz unwissend, daß hiesiger Orten die Pest regier’te, davon auch die Niederländer wenig Werck machen, dafern Sie nur nicht gar zu heftig wütet. In dem ich aber mit diesem Schubkarnführer und Geleitsmann durch die Dörffer Elden und Eelster10 passirte und alle thüren in den häuser verschloßen, auch sonst keine menschen auf der Straßen merckte, fragte nach deßen Uhrsache? Er sprach: Herr die leute sind hier in der Pest gestorben! Ich alterirte mich zwar ein wenig über diese Rede, faste aber bald frische Resolution und ging im Nahmen Gottes fort. Disseits Nimmegen arrivirte bey dem berühmten Fort Knosdenburg,11 welche die Vormauer der Stat disseits der Waahl ist, woselbst Sie gantz offen stehet, fand aber weder Soldaten, weder Stücke in und bey dieser Vestung, trat auf die Fehr, welche an einem Seile über den Strohm gezogen wird, und fuhr also über die Waahl in Nimmegen und logirte in der Luicker herberge. Ohne Verzögerung besuchte den herren Doctor Wittichium, der mich versuchte zu persuadiren, eine zeitlang alhier zu subsistiren, und brachte mich in ein gut Quartier bey einem Praeceptore Classico, Bolten12 genandt. Den Tisch aber nahm ich bey einem Stat Capitain.13 Hierauf besahe die Universität und befand Sie noch gar in Schlechtem stande und mit geringen Privilegiis versehen, in dem Sie keine Freyheit hatte, Doctores zu promoviren und zu creiren Magistratos etc. Sie war mit vier Professoribus versehen, hatte also in jeder Facultät einen und etwa in allem 30 junge Studiosos und kaum auß der Schule gezogene Pursche. Ich hörete auch herren Doctor Wittichium profitiren und seiner Jugend die Locus Communes Theologicos expliciren, aber nicht memoriter, sondern die Lectionen auß 17 18 19 10 11 12 13

Nimwegen (ndl. Nijmegen). Christoph Wittich (1625–1687). Arnheim (ndl. Arnhem). Elst. Knodsenburgh (Keulenburg). n.z.e. n.z.e.

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Friderici Lucae eigentgliche Lebens und Totdes Geschichte

dem Manuscripto lesende. Ich besuchte auch seine Collegia Privata, worinnen Er mehr Philosophica als Theologica tractirte. Die Stat Nimmegen an ihr Selbst gefiel mir nicht uneben, auch die Inwohner derselben; Aber die damahlß in derselben grassirende Pest machte mir den Ort mißfällig. Anfangs konte nicht penetriren, waß die auf den gaßen vor den hauptthüren stehende Todtenbaaren bedeuteten, biß ich endlich durch nachfragen hörete, welchergetalt dieselben zum merckmahl vorgestellet, der in denselben häusern herschenden Pestilentz und zum zeichen darauß man täglichd sehen könte, ob die Pest ab oder zunehme, gesetzet würden. Wenn einer auf den Straßen solche häuser vorbey passiret, veruhrsachet es doch Alteration. |63| Vor diesem im Papsthum sind in Nimmegen14 viel Kirchen gewesen, itzund stehen die meisten wüste. In der Haupt Kirche hörete ich, gewöhnlich, einen Alten Vortreflichen Prediger und machte mir dadurch ziemlich die Niederländische Sprache bekant. Das Rhathauß stehet nichte wie in andern Orten auf einem Platz, sondern auf einer breiten Straßen; Inwendig ist es über die maßen herrlich mit kostbaren und künstlichen mahlereyen gezieret und mit Statlichen Hochgelehrten Rhatsherren versehen. Gleich diese Straße hienunter nach dem Clevischen Thor ligt der Kälber Pusch, ein sonderbarer mit hohen Linden lustiger ort, worinnen zur Sommers Zeit man im Schatten kan spatziren gehen. Nechst diesem Pusch stehet die uhralte Burg, wie wol etwaß erhöhet, von starcken mauern und thürnen, hinter derselben aber, an der Ecken der Stat, ein sehr hohes und Starckes Bollwerck, von dem man weit und breit ins Clevische Land, ja selbst die Stat Cleve,15 kan liegen sehen. Mitlerzeit gerieth ich hier in Nimmegen bey der Tisch Compagnie in Conversation und Bekantschaft mit einem Clevischen von Adel, Stephanus von Hartfeld,16 deßen Vetter17 Churfürstlicher Brandeburgischer Ober Jägermeister in diesen Landen gewesen war, welcher sonderliche Affection auf mich warf und dem es zu Nimmegen auch nicht länger gefallen wolte. Weil Er nun hörete, daß ich nach Utrecht mich zu begeben resolviret wäre, verband Er sich mit mir genawer, dorthin in meiner Geseelschaft zu reisen und bey mir zu leben. Utrecht ligt von Nimmegen 12 Holländische Meilen; Obschon wochentglich die Ordinaire Rollwagen von dar hinfahren, dennoch resolvirten wir unß, bey der Schönen Mayen Zeit, und marchirten nach Utrecht zu Fuß, vorhabens unß alda ein guttes Quartier zu procuriren.

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se vor täglich durchgestrichen. so vor nicht durchgestrichen.

14 15 16 17

Nimwegen (ndl. Nijmegen). Kleve. Stephan von und zu Hertefeld. Jobst Gerhard von und zu Hertefeld (1594–1659).

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VII. Friderici Lucae Studia zu Nimmegen und Utrecht

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Bey der Stat Rhenen ließen wir unß über den Rhein setzen. Diese Stat ist nicht groß, hat aber starke Alte mauern und ein feines Schloß, worauf deß vertriebenen königs auß Böhmen und Pfaltzgrafens Friderici Quinti18 königlicher Wittwe,19 auf vergünstigung der General Staten, eine zeitlang residiret hat. Eine meil weges hievon ließ man unß auch daß heimliche Adeliche hauß Amerongen besehen, welches hernach in dem letzten kriege die Frantzosen jämmerlich verwüstet haben. In dem Fort gehen übernachteten wir zuf Wick,20 sonst Duerstede genandt. An diesem ort theilet sich der Rhein abermahls und verkleinert sich in länger in mehr. Der Gröste Arm, welcher von hier auf Vianen, Schonhoven21 und Roterdam22 und von dar in die See ströhmet, empfängt den Nahmen der Leck Fluß, der kleinere Arm aber, welcher auf Utrecht gehet, behält den Nahmen der Rhein. Deß morgends, da wir auß Wick wieder gehen wolten, machte unß der Wirth eine sonderliche und lächerliche Rechnung und forderte einen halben Reichsthaler für das blose Nachtlager: Als wir nach der Uhrsache fragten, sprach Er: Ihr habt geschlafen in dem Bette, worinnen ehemahls der itzige könig in Engelland23 geschlafen hat; Es muß ein jeder, der in demselben über Nacht schläft, einen halben Thaler |64| erlegen und solches ist eine Alte Gerechtigkeit des hauses. Ohne einige Protestation erhielt der Wirth von unß seine anforderung, hetten aber lieber unsern halben Reichsthaler ersparen und die kurtze Nacht über auf stroh liegen wollen, dafern unß von dieser Schönen gewonheit nur der geringste winck wäre gethan worden. Hievon ligt Utrecht vier holländische meilen. Mittags umb drey Uhr kamen wir hier an. Mich verwunderte der leute Sicherheit. Daß Land und Stätte standen allenthalen offen, wie auch Utrecht selbst, weniger daß jemand hette fragen sollen, wo kom’t ihr her? In Utrecht hette einen bekanten Landsmann herren Fridericum Schwetgium,24 deßen Vater25 war bey fürstlichen Gymnasio zu Brieg26 Professor und Er meines Seeligen herren Vaters27 Discipulus gewesen, derselbe procurirte unß ein feines Logiement im rothen Löwen bey Fridrich Mathiesen28 Schönfarben, nicht weit von der Jakobs Kirche, nahe an der Viehbrücke, und bedingten für daßelbe, samt dem Tisch wochentglich, einen Ducaten zu geben. f

übernachteten vor zu durchgestrichen.

18 19

Friedrich I. (1596–1632), König von Böhmen, als Friedrich V. Kurfürst von der Pfalz. Elisabeth (1596–1662), Königin von Böhmen und Kurfürstin von der Pfalz, geborene Elizabeth Stuart, Prinzessin von England und Schottland. Wijk bij Duurstede. Schoonhoven. Rotterdam. Karl II. (1630–1685), König von England, Schottland und Irland. Friedrich Schwetke (Schwetkius, 1619–1668). Bartholomäus Schwetke (Schwetkius, 1582–1622). Brieg (poln. Brzeg). Johann Lucas (1602–1673), Vater von Friedrich Lucae. Friedrich Mathiesen.

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20 21 22 23 24 25 26 27 28

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Friderici Lucae eigentgliche Lebens und Totdes Geschichte

Nach deßen Bestellung und Veraccordirung beschleinigten wir unsere rückreise nach Nimmegen,29 von dar unsere Sachen abzuholen, kehreten aber nicht wiederumb zu Wick30 in der vorigen herberge ein, in dem königlichen Bette zu liegen. Ich insinuirte mein und Monsieur Hartfelds31 Intention dem herrn Wittichio32 und daß wir kämen zu valediciren und nach Utrecht zu reisen, welches dem herrn Wittichio nicht angenehm zu sein schiene, der unß beyderseits gerne länger in Nimmegen bey sich gesehen hette; Jedoch ertheilte Er mir insonderheit eine Recommendation nach Utrecht an herren Franciscum Burmannum,33 Theologiae Doctorem und Professorem. Die Zeit meines hierseins in Nimmegen belief sich über einen monat. Mit solcher Recommendation reisete mit Monsieur Hartfeld wieder auf dem Rollwagen nach Utrecht, Nimmegen gäntzlich verlaßende, und bezogen mit einander unser albereit bestelltes Quartier und Tisch. So bald wir unß ein wenig einrichteten, ließen wir unß immatriculiren bey dem Rectore Magnefico, herrn Doctore Regnero à Mansfeld,34 und besuchten die Lectiones publicè et privatim und zwar ein jeder bey seiner Facultät. In der Theologischen Facultät florirten selbiger zeit herr Gisbertus Voetius,35 herr Andreas Essenius36 und herr Franciscus Burmannus, allerseits Doctores und Professores. Herr Franciscus Burmannus nahm mir herrn Wittichii Recommendation gar günstig ab und empfieng mich sehr höflich; Wie wol mich auch den andern herren Professoribus bekant machte. Herr Gisbertus Voetius lebte in grosem ansehen, daher ihn auch die Papisten den Calvinischen Bischoff von Utrecht nandten. Er war sonst kleiner Statur und mager und nach Holländischer Art von weniger Civilität, jedoch freundlich und leutseelig. Sein Conterfait ist in meiner Bibliotheca in Atrio Tertio Praecipuorum Theologorum etc. |65| Er profitirte und disputirte publicè fleißig, privatim aber hielt Er damahls keine Collegia, sondern war stets occupirt mit Bücher schreiben und andern Laboribus; Sintemahl sich fast alle Kirchen in gantz Holland, seines Consilii bedienten bey verworrenen Casibus. Unter allen Theologis, welche dem Synodo Dordracena37 Anno 1618 beygewohnet, lebte Er noch allein in der Welt, als der letzte. Er pflegte dan und wan auch zu predigen: Wegen seiner gelinden und Schwachen Sprache aber konte man ihn nicht wol verstehen, sonderlich der Seiner nicht gewohnet war und im Auditorio, oder in der Kirche, von Ferne saß. In den Predigten tractirte Er mehrentheils Historica, davon der gemeine Mann wenig Erbauung schöppfte; Unter29 30 31 32 33 34 35 36 37

Nimwegen (ndl. Nijmegen). Wijk bij Duurstede. Stephan von und zu Hertefeld. Christoph Wittich (1625–1687). Frans Burman (1628–1679). Regnerus van Mansveld (Mansvelt, 1639–1671). Gisbert Voetius (Gijs Voet, 1589–1676). Andreas Essenius (van Essen, 1618–1677). Dordrecht.

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deßen so liefen ihm doch die Leute häuffig zu, zweiffelsohne mehr seiner Authorität als seiner Lehre wegen. Herr Doctor Andreas Essenius38 ließ ihm auch sein Ampt trewlich angelegen sein und docirte publicè und privatim fleißig. In der Kirchen predigte Er auch, so oft ihn die Ordnung traf: Denn in Holland, in den grosen Stätten, hat keine Kirche ihre gewissen und eigenen Prediger, sondern die Prediger müßen sich eintheilen und bald in dieser bald in der andern Kirchen predigen. Solchen Wechsel halten Sie auch mit Besuchung der krancken und mit Ausspendung des Heiligen Abendmahls. Durch seine Humanität und Pietät zog Er vieler gemüther nach sich und mit seinem fromen Wandel machte Er sich beliebt bey seinen Zuhörern und versiegelte ihnen damit seine lehre zum Exempel der Nachfolge. Herr Gisbertus Voetius39 und dieser herr Andreas Essenius konten unmöglich Philosophiam Carthesianam40 vertragen, mit welcher hingegen, beyden zum Verdruß, herr Franciscus Burmannus41 seine Theologiam mercklich abwürzte; Daher zancketen Doctor Essenius und Doctor Burmannus stets mit einander, disputirten endlich offentglich gegen einander betreffende Moralitatem Sabbathi. Und weil herr Burmannus in Cathedra Scholastica Moralitatem Sabbathi verwarf und denselben nur etwaß Ceremonialisches, auch in dem Newen Testament, zu sein ventilir’te und gleichwol in der Kirche die Zuhörer zur heiligen Sabbaths Feyer ernsthaftig ermahnete, muste Er vielmahls hören, wie Er nemlich anders in der Schule und anders in der Kirche lehrete. Ich habe beyderseits Tractatus in meiner Bibliotheca und sind gebunden bey deß Nicolai Arnoldi42 Tractat contra Comenii43 Praetensam Lucem in tenebris. Vor dem hatte herr Doctor Burmannus zu Hanaw44 in seinem Vaterland daß Predigt ampt verwaltet bey der Niederländischen Gemeinde. Seine Person praesentirte Er treflich wie in der Universität also in der Kirche. Einstmahls begleitete Er einen Übelthäter zu tode und trat deß henckers Schwerdt zu nahe, daß Er auch ihm, in dem streich auf den Armen Sünder, den mantel durchschnitte. |66| Deß herren Burmanni45 Gravitätisches ansehen und pathetische Sprache, bewegten die Auditores sehr zur andächtigen Aufmerckung. In Disputationibus defendirte Er seine Theses ritterlich. Ich hielt unter ihm ein Collegium Theologicum privatim über den Locum de Coena Sacra. Hierüber musten hernach die Auditores publicè disputiren, da ich dan in der Ordnung der 14. war. Bey dieser Disputation begegnete mir ein artiger Possen. Ich hatte darbey einige Corollaria gesetzet; Unterdeßen hatte auch herr Burmannus ein Annexum eines Bo38 39 40 41 42 43 44 45

Andreas Essenius (van Essen, 1618–1677). Gisbert Voetius (Gijs Voet, 1589–1676). René Descartes (Cartesius, 1596–1650). Frans Burman (1628–1679). Nicolaus Arnoldus (Mikołaj Arnold, 1618–1680). Johann Amos Comenius ( Jan Amos Komenský, 1592–1670). Hanau. Frans Burman (1628–1679).

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gens lang, mir unwissende, de Idea Dei, darzu drucken laßen auf meine Unkosten. Deß morgends Frühe, gleich selbigen tag, da die Disputation solte gehalten werden, schickte mir der Drucker die Exemplariag zur Distribution; Hierüber erschrack ich heftig und merckte wie es scharf hergehen würde in Betrachtung dieser gantz Odieusen Materie bey den meisten Professoribus, Predigern und Studiosis. Ich ließ die Exemplaria augenblicklich den Invitirten Opponenten bringen und die übrigen durch die Pedellen distribuiren, auch verfügte mich augenblicklich zum herr Burmanno, ihm solches vorhaltende, der sich aber excusirte und in hofnung gestanden hette, der Drucker würde mir solches gesaget haben. Wie wol ich mich nun zur Defensio besagter Materie im geringsten nicht geschickt oderh praepariret hatte, jedoch so giengen wir, im Nahmen Gottes, ins Auditorium, auf die Catheder trettende. So bald wir auf die Catheder gestiegen, fragte herr Doctor Voetius:46 Domine Respondens, est ne hocce Annexum tuus, aut Domini Praesidis Labor? Ego dicebam, non, Excellentissime Domine, est meus sed Domini Praesidis Labor, qui etiam fortassis iam pro Defensione illius stabit. Weil Er nun hörete, daß es von dem Praeside war annectiret worden, machte Er sich an denselben und tummelten sich über eine Stunde herumb. Endlich tratten die Invitirten Opponenten auf und proponirten ihre Argumenta, wie Sie dieselben, exercitii gratia, wieder meine Theses und Corollaria abgefaßet hatten; Welcher Actus nach Holländischer gewonheit drey stunden lang, nemlich von 8 bis 11 Uhr, wehrete. Eben dieselbe Disputation dedicirte meinem Paten Hertzog Christian47 zur Lignitz48 und Brieg49 und seinem Princen Georgio Wilhelmo,50 darfür Er mir 100 Reichsthaler schenckete. Von derselben reservire noch ein Exemplar in meiner Bibliotheca. Die Universität zu Utrecht hat Schöne hohe und weite Auditoria darzu die Creutzgänge in der Grosen Dom Kirche aptiret worden. Ob Sie zwar mit Privilegiis Doctores zu creiren und zu promoviren versehen ist, so gehen doch dergleichen Promotiones alhier selten vor. Die übrigen Facultäten waren ebenfals mit vortreflichen Professoribus besetzet, welche mit fleißigem lesen und disputiren ihr geld redlich ver- |67| dienten. Unter denselben florirten am meisten: Herr Antonius Mathaei,51 Iuris Utriusque Doctor et Professor Juris. Der berühmte herr Henricus Regius,52 Eques Auratus et Medicinae Professor. Herr g h

die Exemplaria über der Zeile ergänzt. ma vor oder durchgestrichen.

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Gisbert Voetius (Gijs Voet, 1589–1676). Christian (1618–1672), Herzog von Liegnitz, Brieg und Wohlau. Liegnitz (poln. Legnica). Brieg (poln. Brzeg). Georg Wilhelm (1660–1675), Herzog von Liegnitz, Brieg und Wohlau. Anton Matthäus III. (1635–1710). Hendrik de Roy (Regius, 1598–1679).

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Baron de Wolzogen,53 Historiae Ecclesiasticae Professor. Herr Daniel Berckringer,54 ein Ober Pfältzer, Philosoph. Practicus Professor. Herr Johannes de Bruyn,55 Physicae et Matheseos Professor. Herr Paulus Voetius,56 Linguarum Orientalium Professor. Herr Johannes Georgius Gravius,57 Thuringus und von dem Lutherthum zu unß abgetrettener. Unter andern hat Er einen Curieusen Tractatum geschrieben; Contra Vulgi Opinionem Cometas esse Malorum Nuncios, welcher in meiner Bibliotheca befindlich. Herr Regnerus à Mansfeld,58 Philosophiae Professor. Allerseits benahmte herren Professores bey ihrem unabläßigen Laboribus begegneten unß Studiosis sehr höflich und zu dienen bereitet. Meines Ortes pflegte ofters mit Monsieur Hartfeld59 den Alten Redlichen herren und Professor Berckringer, wie auch herr Professor Graevium zu besuchen und bediente mich ihrer Conversation. Zu der Zeit Studierten auch hier etliche Ungern, mit denen aber keine Conversation hielt, weniger mit den Holländern, sondern lebte mit meinem Hartfeld eingezogen, auser deß herrn Weidnerus60 Heidelbergensis und Monsieur Magister Mobach,61 beyderseits gelehrte Leute, die sich nicht deß Studierens wegen, sondern Beforderung suchende, hier aufhielten, stets zu unß kamen und wir, bißweilen, wieder zu ihnen. Der junge herr Doctor Buxtorffius,62 albereit Professor zu Basel, und herr Magister Seiler,63 auch Basiliensis und numehro vornehmer Prediger alda, lebten auch in Utrecht und gaben unß gleichfals etliche mahl die Visite. Mein oben erwehnter Landsmann herr Fridericus Schwetgius,64 Lutherischer Prediger, besuchte unß auch fleißig und bat sich gemeiniglich selbst zu gaste und daß thäte Er nicht allein bey unß, sondern allenthalben, wo Er fette Braten roche. Er speisete niemahls zu hause und behalf sich täglich mit der Näscherey in andern häusern. Mit einem Wort: Er war ein unverschämter Schmarotzer, gieng den Leuten in die Küchen, hob die deckel von den töppfen und dafern Er etwaß ihm anständigesi vermerckte, half Ers redlich verzehren. Hingegen legte Er keinem menschen, in seinem hause, nicht daß geringste stücklein Brot vor; Daher nenneten auch ihn die Utrechter Pater leck poot, i

stend vor ständiges in anständiges durchgestrichen.

53 54 55 56 57 58 59 60 61 62 63 64

Ludwig von Wolzogen (1632–1690). Daniel Berckringer (1598–1667). Johannes de Bruyn (Bruin, 1620–1675). Paul Voetius (Voet, 1619–1667). Johann Georg Graevius (Gräve, 1632–1703). Regnerus van Mansveld (Mansvelt, 1639–1671). Stephan von und zu Hertefeld. Philipp Wilhelm Weidner. Johann Mobachius (Mobach). Johann Jakob Buxtorf (1645–1704). Friedrich Seiler (Seyler, 1642–1708). Friedrich Schwetke (Schwetkius, 1619–1668).

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oder Vater lecke den Topff. So bald wir dieses begunten zu mercken, entschlugen wir unß seiner Geseelschaft nach mögligkeit. Nach verrichteten Studiis giengen wir, gewöhlich deß mittags, spatzieren und recreirten unsere Gemüter mit besichtigung der herrlichen sachen, so wol in, alß auserhalb, dieser Schönen Stat. Vornehmlich leuchtet jedermann in die Augen die Vortrefliche Grose Dom Kirche St. Martini, welcher gröser und höher schätze als die zu Speyer, ja auch länger. Die inwendige Länge derselben befand 166 meiner Schritte zu sein. Sonst sind in derselben weder Antiquitäten |68| noch Raritäten zu sehen, auch keine Gestühle oder Bäncke, sondern die Weiber mußen, so oft Sie zur Kirche gehen, ihren eigenen Stuhl mit sich tragen oder tragen laßen, auser einer Schönen Orgel, auf welcher aber nicht bey dem Gottesdienst, sondern nur in herbstzeiten, deß Abends von 5 bis 6 Uhren, musiciret wird. Umb diese Zeit werden in der Kirche Lichter angestecket, dabey sich dan Edle, Gelehrte, kaufleute und andere einfinden, theils die music zu hören, theils in der Kirche zu deambuliren und zu conversiren. Dieser Gewonheit accomodirte ich mich gleichfals mit meinem Hartfeld,65 unangesehen unser Quartier ziemlich weit von der Dom Kirche abgelegen war. Bey solcher Occasion erblickte ich einstmahls einen Bekanten von Heidelberg, sonst auß Hessen bürtig, und der vor einigen Jahren auß der Universität Marpurg66 ­einen Studiosum erstochen hatte, sich annoch in der Flucht befindende, Fisler67 genandt. Ich gieng gleich auf ihn zu und beneventirte ihn höflich, Er aber stellte sich unbekant, vorwendende ich würde ihn verkennen, und wäre nicht derjenige, vor welchen ich ihn ansehe. In dem ich aber umbständlich seine Bekantschaft zu Heidelberg vorstellte, brauchte Er einige Complimenten, wie Er ins künftige ferner occasion suchen würde mit mir zu reden und trat damit ab. Deß andern tages hernach, da ich am wenigsten an diesen Fisler gedachte und ins Collegium gieng, begegnete mir deß Baron Ackeley68 auß Norwegen sein Hofmeister,69 sonst mein gutter Freund, und warnete mich vor diesem Fisler, denn Er hette gestern abends mit ihm im Castell von Antwerpen70 gespeiset und verstanden, daß Fisler einem den todt drewete, der ihn vor diesen und jenen mörder ansehe und wäre es doch nicht; Weil Er nun auß mancher ley umbständen schließen könte, daß ich der Bedrewete sein müste, als möchte ich mich doch für demselben hütten. Sothane Warnung nahm mit Danck an und verfügte mich deß mittags unverzögerlich mit meinem Hartfeld ins Castell von Antwerpen, nemlich zu dem Fisler in seine herberge: Denn einem Desperaten Bösen Cainitischen Gewißen ist keine Sünde so abscheulich, darzu es sich nicht ferner von dem Satan solte anreitzen laßen. So bald den 65 66 67 68 69 70

Stephan von und zu Hertefeld. Marburg an der Lahn. Johann Heinrich Fisler. n.z.e. n.z.e. Antwerpen (frz. Anvers).

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Fisler antraf, trat ich ihm ins angesichte und sprach: Ich hörete, daß Er auf mich Suspicion hette, daß ich ihn verrahten dörfte, seiner ihm am besten wißende that halben, und deßwegen mir den todt drewete, solchem Verrath vorzubauen, wolte demnach ihm nur hiermit versichern, daß ich ihn keines weges zu verrahten entschloßen wäre, aber mich darumb nicht für seinem Drewen fürchtete, hette Er nun etwaß gegen mich einzuwenden, so wolte es ihm beliebender maßen abthun helffen. Herr Fisler meine Resolution merckende und daß ich mit rechtschaffenem gemüthe aller gefahr vorkommen wolte, zog die Seiten gelieder und ließ Wein auftragen, darfür mich aber bedanckte und zurück kehrete. Nach etlichen tagen hat Er sich auß Utrecht verlohren, ohne jemands Erfahrung wohin Er gestoben wäre. |69| Der haupt Eingang in die Dom Kirche zu Utrecht geschieht durch daß Untertheil des hohen Dom thurns. Dieser thurn ist über die maßen hoch, starck, von quartresteinen aufgeführet; Im Fall Er eine Spitze hette, wolte ihn so hoch schätzen als den Marien thurn in Antwerpen, welcher sonst höher als der Strasburgische71 gehalten wird. Auf demselben hengt ein unvergleichliches Glockenspiel, darauf im Sommer, zur mittagszeit, Psalmen und allerley Geistliche Lieder gespielet werden. Es ist daß gröste in gantz Holland und hat so grose glocken, die gleich den Orgeln Pfeiffen daß tiefe C halten. Oben auf der Gallerie deß thurns warf mir der Wind einen Schönen hut ab und trieb ihn in der luft herumb und endlich gar auß dem gesichte, nicht wißende wohin. Muste also ohne hut herunter steigen und in den kramladen, die nahe an der Kirche stehen, einen andern kauffen. Vergangene Jahre sol diese Schöne Kirche durch einen Sturm Wind am obern Gewölbe gewaltigen schaden erlitten haben. Die Kirche beschleußt ein sehr groser mit Linden Bäumen besetzter lustiger Platz, auf welchem gewaltige, grose häuser stehen, worinnen vormahls die Canonici gewohnet haben. Auf demselben wohnete auch die Welt Berühmte und Gelehrte Jungfer Anna Maria von Schurmann,72 derer Tractatus in meiner Bibliotheca stehet. Durch Recommendation deß herren Doctoris Voetii73 hatte occasion ihr aufzuwarten und mein Stammbuch zu praesentiren, darein Sie auch eigenhändig schrieb und mir sehr höflich begegnete. In dem Creutzgangen der Dom Kirche, wie oben gemeldet, nahe an den Auditoriis und dieselben vorbey, gehet täglich eine starcke passagie; Indem nun die Auditoria unter wehrenden Lectionibus und Disputationibus stets offen stehen und daß fürwitzige Frauenzimmer und mägdevolck hinein guckete, machten die Studiosi einen Unsäglichen Tumult mit stampeln der Füße an die Bäncke, daß auch der Professor und Disputatores so lange acquiesciren muste, biß die Studiosi die fürwitzigen Weibes Personen außgestampelt hatten.

71 72 73

Straßburg (frz. Strasbourg). Anna Maria von Schürmann (Schurman, 1607–1678). Gisbert Voetius (Gijs Voet, 1589–1676).

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Nach dieser Dom Kirche hat die Johannes Kirche den Vorzug, worinnen herr Doctor Burmannum74 ofters hörete predigen, welche auf einem grosen grünen mit Bäumen bewachsenen Platz stehet, von gleichem Nahmen, derer Schatten im Sommer einen bequemen spatzier gibt. Bey selbiger Kirche bewahret die Universität ihre Bibliotheca, bestand aber mehrentheils in alten Büchern. An diesem Johannis Platz wohnen viel vornehme leute, sonderlich stehet darbey der Hof, in welchem die Staten von der Provintz Utrecht ihren Rhat und Versammlung halten; Daher kan man in dieser Gegend allzeit etwaß newes sehen und hören. Daß rareste, waß in erwehnter Bibliotheca gesehen, ist daß ungeheure grose Einhorn. Die so genandte Buer Kirche ist nach dem Dom die gröste; Bey ihrer Weite ist Sie gar helle, aber sehr ungesund wegen der grosen menge der darein begrabener Todten Cörper: Denn ein jeder Bürger, der nur etwaß von Condition ist, läst die Seinigen in dieselbe beerdigen, also, |70| daß ich in den grosen eröfneten Gräbern und Gruften, die niemahls recht können zugemacht werden, manchmahl über 200 Särge hette zehlen wollen. Es läst sich leicht schließen, daß der dadurch erweck’te continuirende gestanck allerhand kranckheiten, samt der Pest, treflich unterhalten müße. Die St. Jacobs Kirche ist auch ein feines Gebäwde, davon nicht weit mein Quartier zum rothen Löwen hatte; Dieselbe ist ziemlich weitleuftig und mit einem Schönen Glockenspiel gezieret. Deß abends von 5 biß 6 Uhr wurde darinnen, auch zur herbstzeit, bey angezündeten Lichtern geprediget und manchmahl von den jungen Purschen durch allerhand muthwillen mit dem Frauenzimmer der Gottesdienst profaniret. Mein Wirth hatte unter andern kindern den Aeltesten Sohn George75 genandt, ein Jüngling ohngefehr 21 Jahr alt, Seiner Profession nach auch ein Seiden Färber wie der Vater,76 arbeitete aber bey einem andern meister, kam aber täglich in deß Vaters hauß und speisete mit unß. Nach solcher gewonheit, da Er mit unß gespeiset, gieng Er wieder in seines meisters Werckstatt von unß ab, also, daß wir an ihm keine Melancholische traurigkeit weder an Worten noch gebährden merckten; Kaum da Er von unß war abgegangen, kam die Bottschaft, wie Er sich in Seines herren, oder meisters, Werckstatt aufgehencket hette, worüber der Vater, mutter77 und Geschwister heftig erschracken, wie leicht zu erachten. Der Vater schickte bald einen seiner knechte und ließ den gehenckten abschneiden und hernach bey Abendszeit daß Aaß auf dem Schif in seinen keller führen, darein man auß dem Waßer fahren konte, dergleichen keller viel in ­Utrecht seind. Zwey tage hernach stellte der Vater ein ordentgliches Begräbnüß an und hatte dieser Selbstmörder die Ehre in diese Schöne Jacobs Kirche mit ordentglichen Ceremonien, wie wol ohne Gesang, Schule oder Leichpredigt, nach Holländischer Gewonheit, bey Volckreicher Versammlung deß Abends umb 8 Uhr begraben zu werden. Ich gestehe,

74 75 76 77

Frans Burman (1628–1679). Georg Mathiesen († um 1665). Friedrich Mathiesen. n.z.e.

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daß ich selbst und mein Hartfeld78 unserm Wirth zu gefallen, der Procession auß Curiosität nachgefolget bin; Unterdeßen verwunderte mich über der sonst, in andern stücken klugen Holländer Thorheit, welche nicht beßer ihre Kirchen in Ehren halten und die Gräber ihrer Seelig Verstorbenen in denselben mit solchen Selbstmördern beflecken, die man anderswo nicht einmahl der Todtenhöfe würdiget. Am andern Ende der Stat bey der Talles Porte stehet die St. Claren Kirche, ist vormahls ein kloster gewesen; Dieselbe hat zween starcke, hohe und zierliche Thürne und ein über die maßen liebliches Glockenspiel. Nicht weit davon ligt auch ein altes kleines kloster, St. Anna genandt, darauß daß Tollhauß gemachet worden, worinnen die Rasenden menschen gepfleget und beobachtet werden, welche gar erbärmliche Spectakel geben, sonderlich wenn man siehet ein stück oder zwölffe, auch mehr, neben einander in ketten geschmiedet liegen, derer grausames Brüllen, viehische |71| Gebährde und unmenschliches Ruffen unß Anschauern grosen Schrecken einjag’te. In derselben Gegend hat auch die Stat Utrecht ein altes kloster in ein Zuchthauß verwandelt, beydes für böse Buben und Frauenzimmer; Wir befanden damahls unterschiedener vornehmer leute Töchter darinen sitzen: Man sagte unß auch, daß Sie fast schärffer als zu Amsterdam gehalten würden. Unter dem Pabsthum ist auch hier St. Petri Collegium gewesen, wird aber itzund zur Frantzösischen Kirche gebrauchet; Herr Baron von Wolzogen,79 Professor Historiae Ecclesisasticae, predigte darinnen und wenn Er auf die Cantzel trat, so musten ihm allezeit zwey Laqueien in blauer Livrèe bey der Cantzel Stiegen aufwarten und die thüre auf und zuschließen. Weil in Utrecht die Frantzösische Sprache die vornehmsten Leute excerirten, brachte es ihm viele Zuhörer; Wie wol auch viel in der Frantzösischen Sprache gäntzlich unerfahren nur auß kurtzweil hinein giengen, die Schöne Dames zu sehen, derer eine grose menge sich hier einfand. Sonst gibts in Utrecht noch mehr Kirchen und klöster, theils aber stehen wüste, etliche werden sonst gebraucht. In der Abtey St. Pauli, nahe an der Dom Kirche, hat die Provintz Utrecht ihre Justitz Kammer, oder Regierungs Cantzeley, in zwölf Gelehrten und andern Adelichen Adsessoribus bestehende, dabey es viel Advocaten und rechtende und fechtende Procuratores gibt. Bei der Marien Kirche wird auch kein Gottesdienst gehalten, sondern in derselben haben in Jahrmärckten die kunsthändler, mahler und andere künstler ihre kramladen und wird also zum kaufhause gemachet, darüber die Papisten heimlich murren. Die Lutheraner hielten ihren Gottesdienst auf einem grosen Viereckichten Saal, dermaßen vortheilhaftig erbauet, daß viel tausend menschen darinnen sitzen konten. Beyderseits Lutherische Prediger, mein oben erwehnter herr Fridericus Schwetgius80 und sein Collega Hübnerfänger81 genandt, ein Thüringer, lebten in groser Uneinigkeit 78 79 80 81

Stephan von und zu Hertefeld. Ludwig von Wolzogen (1632–1690). Friedrich Schwetke (Schwetkius, 1619–1668). Johann Adam Hünerfänger (Hoendervanger, um 1600–1671).

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und schmäheten einander auf offentglicher Cantzel. Man sagte, Sie hette auch wol eher einander bey den haaren erschwischet und umb die köpffe geschmießen. Der Romanisten Gemeinde war auch in Utrecht sehr starck und mit vielen Pfaffen versehen, musten aber heimlich ihren Gottesdienst halten und dorften sich nicht offentglich blicken laßen: Denn der Unter Schultheiß hielt über Sie scharffe Inquisition, hatte auch seine Ausspäher dieselben genaw attendirende. Wenn Er Nachricht erlangte von ihrer Versammlung, brach Er unversehens mit seinen Stecken Knechten in dasselbe hauß, zerbrach ihre Altäre, warf die Götzen herunter und setzte die Anwesenden in Schwere Geldstrafe, jedoch in Ansehung eines und deß andern Vermögens. Gleichfalls mangelte es Utrecht nicht an Mennonisten, Arminianern und andern Sectirern, welche alle heimlich ihre Zusammenkunften hielten. |72| Obschon dreyfache Herrschaft in der Stat regieret, so greiffet doch keine ein in der andern Jurisdiction. Die Staaten beobachten der gantzen Provintz Wolfahrt, die Regierung Rähte administriren der Provintz die Justitz und der Stat Rhat nimt daß Seinige bey der Bürgerschaft in acht. In dem Stat Rhat praesidiret der Ober Schultheiß, welcher seinen Unter Schultheiß hat, von dem albereit meldung gescheen. Dieser Unter Schultheiß muß zur Execution bringen, waß der Ober Schultheiß, samt den Bürgermeistern und Rhatsherren, anordnet und wieder die Gesetzet lauffet. Daß Unter Schultheißen Ampt muß erkauft werden für 14000 holländische Gulden, welche Summa geldes daß Ampt leicht abwirft; Sintemal dem Unter Schultheiß, welchen die bösen Buben wie den Satan fürchten, von allen erhascheten Delinquenten den halben theil der Strafgelder einziehet, wie wol Er ein hauffen Spionen und Stecken knechte davon besolden muß. Ich habe gesehen, daß Er bey Überfallung der Papisten, oben besagter maßen, viel reiche Leute von Condition ertappet hat, da ihm einer allein über 600 Gulden hat geben müßen; Also, daß Er in einem solchen Fischzug, vielmahls, über 6000 Gulden hat einstreichen können. So gehet auch kein tag vorbey, da sich nicht Schiffer und Lumpen Gesindlein mit meßern solten schneiden und fechten, davon ihm, zur Ordinair Strafe, zehn Gulden gebühren. Auf dem Rhathause halten Bürgermeister und Rath ihre Versammlung, welches zierlich, ziemlich weitleuftig und von Steinen erbauet ist; Inwendig hat es feine Säale und mit köstlichen mahlereyen gezierte Rhatstuben. Vor dem Rhathause ist eben der Platz nicht groß, jedoch werden die Übelthäter darauf justificiret, darzu ein sonderliches Chavot aufgerichtet wird, in Praesentz deß Sämtlichen Rhats, welcher zusehende in den Fenstern ligt. Unter andern Weltlichen Gebäwden siehet man auch nahe an dem Martins Dom Pabst Urbani Octavi82 Ultraiectini83 prächtiges Palatium, oder daß hauß worinnen Er gebohren worden, welches hernach die Papisten, von Zeit zu Zeit, demselben zum Ge-

82 83

Verwechslung mit Hadrian VI. (Adriaan Floriszoon, 1459–1523), Papst. Utrecht.

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dächtnüß so köstlich aufgeführet haben.j Über dem Eingang stehet Er in Lebens gröse in Stein außgehauen. Inwendig bin ich nicht gewesen, weiß auch nicht wer es bewohnet hat. Die Waisen kinder, welche hier in halb blauer und weißer Livree gehen, haben hier auch ein feines hauß, So sind auch die Privat häuser, insgemein, nach Holländischer Manier von gebackenen Steinen erbauet und vielmahls köstlicher von innen als von außen außstaffieret. Auf der Straße vom besagtem Urbani Palatio hienunter über den Martins Dam biß zu St. Servasii Abtey wohnen mehrenteils lauter Holländische Patritii, die von ihren eigenen Renten in |73| köstlichen häusern leben. Ein jedes hauß hat vorwerts eine besondere Schöne Galerie, da eine jede köstlicher den die ander gemahlet ist, über welche man durch die grosen in Sommer eröfneten Fenster in ihre Schöne Säale siehet, welche mit den köstlichsten Tapetten, Spiegeln und andern Zierathen dermaßen geschmücket seind, gleichsam sehe man in lauter fürstliche Zimmer, derer köstligkeit nicht zu ­beschreiben. Wie durch gantz Holland also ist auch in Utrecht die gewonheit eingeführet, wenn jemand auß der Familie eines Edelmanns oder Patrii stirb’t, so wird deß Geschlechts Wapen, zwar in seiner Farbe gemahlet, aber in einer Schwartzen Einfaßung über die thüre. so lange die Trauer wehret, deß hauses angehenget, welche theils sehr groß machen laßen, mehrern ansehens wegen. Bey der Katharinen Port, wo vormahls daß Casteel Vreborch gestanden, ist anietzo ein groser Platz, worauf der Viehmarckt gehalten wird. Längst durch die Stat von der Tralles Port biß zu der Wert Port ströhmet der Rhein und theilet sich in unterschiedene Arm durch die Stat, darauf man mit ziemlichen Schiffen oder Schmacken führet, darüber etliche und dreißig Steinerne Brücken, eine jede von besonderm Nahmen, gebauet sind, zur bequemen passagie. Die Fortification stehet auf einem starcken und breiten Steinern Grund, also, daß wol drey Wagen ungehindert neben einander fahren können. Und weil die Stat fast viereckicht, jedoch mehr länglich erbauet, hat Sie an einer jeden Ecken ein starckes Bollwerck, aber sonst wenig Außenwercke. Die Wallgraben sind auch wol befestiget, bewäßert und von ziemlicher Tiefe. So haben auch die thore starcke mauern und Thürne. Mich wundert hochlich, daß in dem letzten kriege mit Franckreich sich diese Schöne, Veste und Volkreiche Stat so bald, ohne Schuß, an die Frantzosen ergeben hat, die Sie hernach so schrecklich geängstiget haben. Vor einem jeden Thore, deren fünffe, liegen feine Vorstätte von Steinern häusern. Rings der Stat herumb an den Wallgraben gehet eine Schöner und zu beyden seiten mit grünenden Bäumen bepflanzter Cingel, oder thamm, welcher einen herrlichen Spatziergang Gelehrten und Ungelehrten gibt. Sonderlich ligt zwischen dem Newen Thor und der Talles Port die Palmaille Bahn, umbgeben mit einem Schönen pusch von Linden und Eichbäumen. Seitwerts an der_______________________________ j

worden vor haben durchgestrichen.

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Friderici Lucae eigentgliche Lebens und Totdes Geschichte

selben haben die Vornehmen herren ihre Lustgärte, von Ungemeiner Zierligkeit, in welchen Gegenden, zu Sommerszeit, eine grose Verkehrung von kutschen und andern vornehmen Spatzier gängern anzutreffenk ist. Die Vorstatt vor der Werthport ist die gröste und zierligste und hinter derselben die lustigsten Spatzier gänge und Gärte, samt andern Schönen Meyer höfen, beydes zur Zierde alß zum Nutzen. |74| Ich und mein Hartfeld84 bedienten unß zuweilen dieser Spatzier gänge, wären aber einstmahls bald in groß Unglück auf denselben gerahten: Denn auf etlichen wegen muß man der General Staaten Pulver mühlen passiren. Eben zu der Zeit machte der Holländische krieg mit Engelland und dem Bischoff85 von Münster86 den anfang. In dem wir beyderseits in allen gutten Discursen den gewöhnlichen Spatzier gang wiederhohleten, hatten unß, wieder unser Dencken, die Pulver müller observiret und einen Argwohn auf unß geworffen, als wären wir Engelländische oder Münsterische Spionen, vorhabens die Pulver mühlen in Brandt zu stecken; Daher überfielen Sie unß gewalthätig und nahmen uns als solche Leute, wieder unser Protestiren, daß wir Studenten wären, gefangen. Diese Action gab einen Gewaltigen Lermen in der Gegend, deß Pöbels mit heller stimme ruffende: Verräther! Verräther! Ihre falsche meynung stärk’te am meisten Unsere Hoch Teutsche Sprache: Wieder unser Bitten und Flehen führeten Siel unß nach der Stat zur Überantwortung der Obrigkeit. Waß für ansehen, ja vielmehr Angst und Scham, wir hier müßen ausgestanden haben, mag ein kluger erachten. Als Sie unß fast an das Stat Thor brachten, blieben wir stehen und resolvirten unß nicht ferner zu gehen, oder zu folgen, Sie solten dan zuvor in unser Quartir zum rothen Löwen und zum Rectore Magnifico87 schicken und unserer Person halben gewiße Nachricht einhohlen, welches die Tollen Schlingel auch placidirten. Bald hierauf kam unser Wirth88 nebst dem Universität Pedellen,89 im Nahmen des Magnifici Rectoris, welche den Rasenden Pöbel besänftigten und durch ihre Caution unß auß ihren händen befreyeten. Wir verfügten unverzögerlich zum Rectore Magnifico und klagten ihm unser Disguosto, der auch augenblicklich zum Ober Schultheiß90 schickte und ihm unsere Unschuld, dabey Er unß Garantiren wolte, andeuten ließ; Worauf der Ober Schultheiß die-

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zu vor anzutreffen durchgestrichen. unß vor Sie durchgestrichen.

84 85 86 87 88 89 90

Stephan von und zu Hertefeld. Christoph Bernhard von Galen (1606–1678), Fürstbischof von Münster. Münster in Westfalen. Regnerus van Mansveld (Mansvelt, 1639–1671). Friedrich Mathiesen. n.z.e. n.z.e.

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sen ungehobelten Vorstättern vor der Wertm port Befehl ertheil’te, daß Sie unß künftig frey und sicher passiren laßen. Sonst bemercke die Inwohner zu Utrecht viel Discreter als in andern orten ins gemein die Holländer zu sein gegen die Frembde. Die Art zu leben, samt der Luft und Wolfeilkeit aller Dinge, ist auch viel bequemer, gesunder und beßer als in andern Orten. Alhier zu Utrecht fangen auch schon die Nacht Schütten an, auf welchen man zu gewißen Stunden, wie bey Tage so bei der Nacht, nach Amsterdam, nach Leiden, nach Roterdam91 und nach dem Haag92 gemächlich, vor geringes geld, kommen kan. Es sind Lange Schmale Bedeckte Schiffe, werden auf den Graften durch Pferde an langen seilen gezogen und von vorsichtigen Steuermännern regieret. Inwendig, zu beyden seiten, sind Bäncke. |75| worauf die Passagiers sitzen. Alle drey stunden bekomt man frische Pferde und andere Schütten. Auf dieser Reise gibt es gemeiniglich seltsame Discurse und wunderliche händel, sonderlich bey Nachtzeit. Wenn daß Schif abgehet, wird eine glocke geleutet, wer nun nicht vorhanden, der muß warten biß zur andern Zeit, denn mit dem glockenstreich stößet daß Schiff ab. Hinten, wo der Steuermann stehet, ist in dem Schiff ein sonderbahres Behältnüß. Wer nicht unter dem Volck wil sitzen, der gibt dem Schiffer ein Trinckgeld, der ihm alsdan daßselbige, samt dem jenigen, so Er zur Geseelschaft bey sich haben wil, einräumet. Wie wol mit solcher gelegenheit auch von Utrecht zum ersten mahl nach Amsterdam reisete, so wird doch die Beschreibung der Stat Amsterdam in den Nachfolgenden reise beschreibungen auch beschrieben werden. Itzund wil nur zuvor meiner Brabantischen Reise in etwaß gedencken. |76| VIII. Friderici Lucae Reise aus Utrecht in Braband.a Weil ich daß niemahls satsam preiswürdige Braband auch gerne gesehen hette und nun in desselben Gegend stand, observirte die gelegenheit und machte mich mit meinem Hartfeld1 auf und besuchte desselben vornehmste Stätte. Wir tratten in einem montage morgends zu Schiffe und schiffeten auf dem Revier biß nach Vianen, zwo meilen von Utrecht gelegen. 1 m

Wert (in deutscher Kurrentschrift) vor Wert (in lateinischer Schreibschrift) durchgestrichen.

91 92

Rotterdam. Den Haag (Haag).

a

Die Groß- und Kleinschreibung von FRIDERICI LUCAE REISE aus UTRECHT in BRABAND zu Friderici Lucae Reise aus Utrecht in Braband vereinheitlicht.

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Stephan von und zu Hertefeld.

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Friderici Lucae eigentgliche Lebens und Totdes Geschichte

Vianen ist eine über die maßen lustiges Stätlein an dem Leck Strohm gelegen. Wegen dieses Ortes sonderbahrer Lustigkeit, von dem man zur rechten über Roterdam2 in die Nort und zur lincken auf dem Rhein aufwerts und folgends durch den Ysel Fluß in die Zuyder See fahren kan, verkehren zur Sommerszeit alhier viel Vornehme herren, welche zu dem Ende, hierselbst, herrliche Wohnungen und Lusthäuser haben. Die Herren von Brederode,3 unter den Edlen Geschlechtern in gantz Holland die Ersten, sind von langen Jahren her dieses Orts und der darbey liegenden Herrschaft Erbherren gewesen, jedoch der Provintz Utrecht incorporiret stehende. Derselben freyherrliches Schloß, samt dem Schönen Lustgarten, beschämet viel fürstliche Palatia. Sonderlich verwunderte mich über der Schönheit der Kirche, vornemlich aber über dem kostbaren Brederodischen Erbbegräbnüß darinnen. Daß Monumentum deß Tapffern und umb daß Holländische Vaterland Hochverdienten herren von Brederode4 mag man billich rechnen unter Hollands Zierahten, welches mit der grosen menge der Alabastern Pyramiden und Marmorsteinern Statuen dem Nassau5 Mauritianischen Begräbnüß zu Delft nicht viel nach, nur daß dieses gröser ist. Von hier auß zogen wir mit dem Ordinair Rollwagen auf Gorcum6 an der Maase und befanden hier einen Treflichen hafen auf besagtem Strohm, wie auch die Stat mit starcken mauern umbgeben, jedoch, auser den Starcken Thämmen, ohne sonderliche wälle, auch die Stat ohne Gröse zu sein. Die Pestilentz fraß hier täglich viel menschen weg, davon wir nicht die geringste wissenschaft oder warnung hatten. Wir besahen die grose Kirche und in derselben sehr viel offene gräber und empfanden auß derselben nicht den besten geruch, welches unß seltsam vorkam, bevorab da wir, wieder die Holländische gewonheit, die Straßen von Volck entleeret bemerckten, und verstanden erst auß unser Nachfragen, welcher gestalt hiesiges Ortes die Pest wüttete. Weil jenseit, kaum eine halbe Stunde hievon die Stat Worcum7 lag, |77| welche kleiner, aber bevestigter als Gorcum ist, samt dem Vesten Schloß Löwenstein,8 worauf der berühmte Grotius9 gefangen geseßen und durch seiner Frauen10 List, die ihn in einen kasten, unter dem Praetext, als wären Bücher darinnen, auß der Gefängnüß befreyet hat, nahmen wir gleichfals diesen Vesten Pass in augenschein, durch welchen nachgehens bey letzterer Frantzösischer Invasion der General Würtz11 der Frantzosen fernern Einbruch in Holland abgewehret hat, und dieses also die Vormauer war, vor der Sie wieder umbkehren musten. 12 13 14 15 16 17 18 19 10 11

Rotterdam. Brederode, Adelsgeschlecht. Reinoud III. van Brederode (1492–1556). Moritz (1567–1625), Prinz von Oranien, Graf von Nassau-Dillenburg. Gorinchem. Woudrichem (Workum). Loevestein. Hugo Grotius (de Groot, 1583–1645). Maria van Reigersberch (um 1589–1653). Paul Würtz (Wirtz, 1612–1676).

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Löwenstein ähnlichet, der Situation nach, Schenckenschantz.12 Es ist an der Spitze deß so genandten Eylands Bommeler Waerdt, vor welcher die Waahl und die Maase sich zu einem Strohm vermischen. Die Wälle daran sind starck und können von ihrer höhe die Canonen weit herumbstreichen. Hierauf verfügten wir unß, wie wol ungerne, wiedererumb nach Gorcum13 umb die mittagszeit in den hafen und mitteten unß ein klein Schif nach St. Gertrudenberg14 und fuhren die Maase hienunter biß auf Dordrecht, welche Stat fast über den halben theil im Waßer lieget. Gegen dem Waßer sind, hin und wieder, Niedrige Schantzen aufgeworffen, zwischen welchen daß Schiffer und Bootsvolck häuffig wohnet. Auf der einen seiten gehet von der Werwe und auf der andern von der Maase ein starcker Arm in die Stat, jener wird der Alte, dieser der Newe hafen genandt, worauf ziemlich grose Schiffe mitten in die Stat fahren und segeln können. Nechst an der Maas seiten am Waßer stehet die Grose Kirche, mit dem hohen jedoch dieckken und ungespitzeten thurn, worauf ein glockenspiel sich täglich etliche mahl hören läst. Von der Kirche gehet man ferner in die Stat durch eine über die maßen lange, breite und mit Schönen häusern gezierete Straße, fast wie die breite Straße zu Leiden, auf welcher daß Stathauß stehet, deß euserliches ansehen nicht eben gar prächtig ist, gleich wie in andern Holländischen Stätten. Die Newe Kirche ligt gantz am andern Ende der Stat und deß Printzen hof, welcher im Pabsthum ein Augustiner kloster gewesen, zwischen den häusern auch von keiner sonderlichen Importantz. Der Ort, in welchem Anno 1618 der grose Synodus gehalten worden, scheinet eine kleine Kirche gewesen zu sein; Die Gestühle und Bäncke stehen noch in der Ordnung, wie Sie bey wehrender Session gestanden haben. Nechst daran ist daß Waisenhauß erbauet. Am meisten wunderte mich hier über der Holländer Sicherheit, die fast auß der Pest nur eine kurtzweil machen, also, daß auch die Lateinische Schule für Dordrecht nahe an daß Pesthauß gebauet worden. Hin und wieder an den Ecken beschleust und bedecket die Stat eine starcke Schantzen mit etlichen Bollwercken und an der Landseiten eine mauer mit etlichen Thürnen, wie auch ein breiter graben. Unter andern floriret in Dordrecht der Weinhandel und daß Brauwerk eines sehr köstlichen Starcken und Fetten Bieres, wodurch die Inwohner groses Reichthum samlen. An den Vorstätten ward starck gebauet, bin aber nicht weit hineinkommen. |78| Bey Continuation deß klaren Wetters fuhren wir mit unserm Schiflein wieder ab nach St. Gertrudenberg, von der Maase über den Biesbos, ist ein Arm auß der See, der sich mit der Werwe und Maase vermischet, ohngefehr drey Holländische meilen breit. Wie gedacht, daß Wetter war unß sehr favorabel von rechter Windstille, dessen ungeachtet, als wir mitten auf dem waßer waren, entstand in der Luft gleichsam ein dicker Nebel, welcher mercklich die Sonnen verdunckelte; Es war aber eigentglich kein 12 13 14

Schenkenschanz. Gorinchem. Geertruidenberg.

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Nebel, sondern eine grose menge geflügelter Würme, fast in der gestalt und gröse wie die heuschrecken, welche dermaßen auß der Luft todt und unkräftig herab fielen, daß wir gnugsam zu thun hatten, mit den Wasser Schüppen dieselben auß dem Schiff zu schütten, welches Sie biß an unsern Fuß knöchel tief erfülleten, auch die See selbst wie mit einem tuch bedecken und überzogen. Mir und meinem Hartfeld15 begunte albereit darüber Bange zu werden, der Schiffer aber sprach unß muth zu, versichernde es wäre nichts ungewöhnliches, sondern diese thiere, wie Sie um diese zeit jährlich sich in der Luft gerierirten, also pflegten Sie bald wiederumb in dem Waßer ihr grab zu suchen. Deß Abends ziemlich spät landeten wir zu St. Gertrudenberg16 an. Der Schiffer brachte unß hier in ein guttes Quartier, den wir bald bezahleten und dimittirten. Dieses ist eine Vortrefliche Holländische Vestung und stets mit Starcker Guarnison belegte Vestung. Sie ligt an einer Spitze und ist an drey seiten mit Waßer umbgeben, unangesehen der tiefen wallgraben und hinter denselben der hohen starcken Bollwercke. Gegen der Landseite hat Sie herrliche Außenwercke, mit vielen Canonen besetzet. Die Stat an ihr selbst ist nicht groß und länglicht erbauet, hat gar schlechte häuser und so zu sagen nur eine Straße, wie auch eine Kirche, samt einem hohen, ungespitzten, viereckichten Thurn. Unser Wirth rühmete unß hier Ihre Trefliche Fischerey von Salm, Stoeren und dergleichen und betheuerte, daß manchen tag in ihren Reviren derselben viel tausend gefangen und nach Holland geführet würden. Wir hätten zwar von hier können leichtlich zu Fuße gehen, weiter ins Land hinein, aber die hitze und die unbekanten wege verhinderten solches, darumb mitteten wir einen Karr’n und fuhren durch die heide auf daß berühmte Breda zwo meilen von Gertrudenberg. Dieses Gertrudenberg und Breda, samt der Landschaft von 17 Dörffern, gehöret dem Princen von Oranien17 erblich, aber die Festungen kommen den General Staaten zu. Obschon die Haupt Vestung Breda eine Starcke Holländische Guarnison jederzeit bewahret, dennoch ließ man unß, ohne weitleuftiges Examiniren, augenblicklich ein. In Breda nahmen wir in dem Wirthshause, zur Goldenen Sonnen genandt, gegen dem Rhathause über, unser Quartier. Diese Haupt Vestung meritiret von außen und innen genaw besehen zu werden. Derselben Grund Riß ähnlichet fast einem Triangel. Die Straßen sind wol disponiret, breit und mit Schönen Steinern Bürgerhäusern besetzet, darunter viel Adeliche höfe sind. Unter den vornehmsten Gebäwden leuchete die haupt Kirche herfür, derer hoher, zierlicher, spitziger, vielmahl durchsichtiger Thurn über die Stat |79| und über daß flache Land hienauß siehet, von dem man sagt, daß Er 362 Werck Schuch hoch sein solle. Inwendig ist die Kirche lichte auch sehr räumlich. An der Nordseiten derselben stehet eine Capelle, darinnen die Grafen von Nassau,18 die Princen Rhenes de Chalon, 15 Stephan von und zu Hertefeld. 16 Geertruidenberg. 17 ���������������������������������������������������������������������������������������� Wilhelm III. (1650–1702), Prinz von Oranien, Statthalter der Niederlande, König von England, Schottland und Irland. 18 Oranien-Nassau, Adelsgeschlecht.

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die alten herren von Breda, köstliche Begräbnüße mit Sinnreichen Inscriptionibus ­haben. Auser dieser Kirche zehlete man Vier kleinere Kirchen in Breda. Daß Rhathauß ­benahm den übrigen Weltlichen Gebäwden in der Stat den Vorzug, aber daß Schloß, oder Casteel, so zu sagen, der gantzen Stat. Daß Casteel sondert ein breiter waßergraben von der Stat ab und muß man über eine Brücke den Eingang nehmen. Hinter diesem graben, gegen der Stat, ligt daß Casteel fast bloß und hat an stat der Schantzen, oder mauern, eine Schöne Galerie stehende auß blauen steinern Pfeilern, oder Säulen, vornen her übergüldet. In dem man unten her durch diese Galerie passiret, siehet man erst den rechten hof. Dieser unangesehen Er mitten in der Vestung stehet, ist dennoch mit Waßer umbgeben, über welches man ebenfals durch eine Brücke eingehet. Der Rechte Hof ist ins Vierdte erbauet, dadanb alle Vier seiten einen grosen Platz inwendig beschließen. Unter den Innerlichen Gemächern ist der Berühmte Goldene Saal zu sehen, worauf Anno 1667 der Holländische Friede mit Engelland geschloßen worden; Derselbe stehet gleichfals auf Steinern Pfeilern und die künstliche Stiegen, oder Schnecken, von einem sonderbaren blauen Stein ausgearbeitet, wird von den künstlern und Bawmeistern für ein Wunder gehalten. Zur seiten deß Saales stehet die Hof Capelle. Daß Zeughauß im Castell war etwa so groß als wie daß Fürstliche Zeughauß zur Lignitz19 auf dem Schloße und mit vielen Waffen, aber sehr alten unformlichen Stücken, samt einigen grosen Carthaunen und Fewermörsern versehen. Man berichtete unß, daß die alten herren Grafen zu Nassau dieselben auß dem Ungrischen kriege hieher bracht hetten. Die Vestung euserlich deß Schloßes ist auch viereckicht, hat aber gegen die Stat, an den Ecken, anstat der Bollwercke nur zwey Starcke Rundele, aber hienaußwerts zwo ­Reale Pasteien, welche mit den Bollwercken der Stat in gleicher Linie zu stehen kommen. Vor denselben aber, über dem rechten Wallgraben, auch hienaußwertsc liegen auch noch unterschiedene Fortificationes, hornwercke, Ravelinen und dergleichen ebenmäßig mit tiefen Waßergraben und Palisaden umbgeben. Seitwerts ströhmet durch den Schloßgraben, durch ein gemauertes Canal, der ­Merck Fluß in die Stat und macht gleichsam in derselben einen runten Circkel und dan wiederumb hinauß, also, daß man auch mit kleinen Schiffen in die Stat fähret und darauf allerhand Lebens mittel zu marckte bringet. Man zeig’te unß auch von dem Schloßwall die gelegenheit besagten Strohms, alwo durch daß beglückte Strategema, eines Dorf- |80| schiffes darinen unterd den Dorf eine gewiße Anzahl Soldaten, mit einem kühnen Capitain, verdecket gelegen, welche hernach, da Sie mit dem Schif unter den Wall kommen, ausgestiegen, die Wälle hienauf b c d

und alle vor dadan durchgestrichen. war vor werts in hienaußwerts durchgestrichen. Sie vor unter durchgestrichen.

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Liegnitz (poln. Legnica).

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lauffende und die Schiltwachten darnieder stoßende, die Holländer diese Haupt ­Vestung den Spaniern wieder auß den händen gerissen, davon in deß Metterani20 ­Erstem Theil seiner Historien, der in meiner Bibliotheca befindlich ist, ein mehres kan gelesen werden. Der Stat Fortificationes betreffende so bestehen dieselben in 15 Bastionen, da zwischen einer jeden ein halber monden stehet. Auf den Courtinen rings umbher stehen grün gepflantzte Bäume und unten an den Schantzen, an dem Waßer, anstat der Pallisaden oder Casamatten, überauß dicke und gleich einer mauer geschnittene Dornensträuche, oder hecken, wie zum zierath, so zur bevestigung. Vor den Weiten und Tiefen Graben liegen die Contrescarpen und vor denselben starcke Pallisaden, auch an allen Ecken noch erst Besondere und Weitleuftigte horn und Außenwercke, alle mit tiefen Graben umbschloßen. Die gantze Stat hat drey, aber wol bevestigte, Thore, mit zierlicher Aufziehe Brücken, und andern zur Vestung nöthigen Dingen versehen. Auf dem Castell ist ein Besonders und also daß Vierdte Thor. Marquis de Houterive,21 ein Frantzmann Reformirter Religion von 84 Jahren, war damahls alhier Gouverneur und der herr von Falckenhain,22 ein Schlesischer vom Adel auß dem Herzogthum Lignitz,23 Colonel, oder Obrister und Commendant, ein Cavallier von 73 Jahren. Dieser herr von Falckenhain, dem mehr die Tapfferkeit auß den augen als auß den kleidern schimmerte, thät mir, seinem Landsmann, grose Ehre an. Ich und mein Hartfeld24 speiseten im Wirthshause mit einem Lieutenant von seiner Leib Compagnie, welcher auß den Discursen eines und daß andere observiret und daß ich auß Schlesien wäre, dem herren Obristen zugetragen hatte, worauf Er mich unverzögerlich complementiren und zu sich invitiren ließ. Diese hohe Ehre nahm ich erkäntlich an und wartete dem herren Obristen auf und persuadirte auch meinen Hartfeld mitzugehen. Deß herren Obristen erste Frage war nach dem Schlesischen Zustand, welche ihm, gar außführlich, zu seinem Contentement beantwortete. Hierauf erzehlete Er mir, wie Er in seiner Jugend, ohngefehr im Eilften Jahr seines Alters, von den kayserlichen Soldaten bey seiner Eltern25 Adelichen Güttern gewalthätig wäre geraubet und seinen Eltern und Freunden entrissen worden, hette auch von der zeit an nichts mehr von seinen Eltern und Freunden, und zweiffelsohne Sie wiederumb von ihm, nichts gehöret; Nachgehends wäre Er in Italiänische, Spanische und Holländische kriegs Dienste kommen, biß endlich die General Staten, in ansehung seiner Conduite, im die Colonells Charge conferiret und ihm diese Importante Vestung Breda anvertrauet hetten, welcher Er auch, nach allem Vermögen, biß auf den Blutstropffen letzten trewlich, vorstehen würde. 20 21 22 23 24 25

Emanuel van Meteren (1535–1612). François de L’Aubespine (um 1584–1670), Marquis de Hauterive. Alexander von Falkenhayn (Falkenhain, † nach 1668). Liegnitz (poln. Legnica). Stephan von und zu Hertefeld. n.z.e.

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|81| Als ich unter andern den herren Colonell von Falckenhain26 auch versicherte, welchermaßen sein Geschlechte annoch in Schlesien florirte, und mir die herren von Falckenhain27 gar wol bekant wären, erfreuete Er sich hertzlich. Er lebte im Witwenstande und hatte zwo erwachsene Töchter,28 beyderseits ansehnliche Dames. Bißher habe nicht erfahren können, an wen Sie nachgehends sind verheurahtet worden. Dieselben begegneten unß, gleichfals ihres Vaters wegen, mit aller höfligkeit. Durch dieses mittel bekamen wir zu Breda in der Vestung und auf den Wällen zu sehen, waß andere zu besehen verweigert wird. Der herr Colonell ordnete unß einen Lieutenant zu, durch deßen Anführung passirten wir alle Bollwercke und wurden auf den Wällen von den Officiren und Wachten freundlich empfangen. Des Andern tages, nach abgelegter Valediction und Dancksagung bey dem herren Colonell, setzten wir unß auf den Geding’ten Karr’n und fuhren rectà nach Antwerpen.29 Man rechnet 7 Meilen von Breda biß Antwerpen. Es ist ein über die maßen gebahnter, grader Weg, den so zu sagen ein Blinder finden muß. In diesen Gegenden gibt es weder Berge noch Wälder, sondern lauter Moerland, daß ist die Erde, die man Dorf nennet und anstat deß holtzes brennet. Selbigen tages langten wir biß auf Braxschoten30 und konten daß in unsern augen scheinende herrliche Antwerpen nicht erreichen, übernachteten auch alhier. Deß morgends machten wir unß früh auf und zogen umb 7 Uhr zu Antwerpen ein, durch die Königs Port, ohne eintziges Examen bey der Wacht, woher wir kämen. Bald am Thore tratten wir in ein hauß, bezahleten den Fuhrmann und sauberten unsere kleider vom staub. Weil es nun morgen war und die Pfaffen auf allen Straßen mit dem Venerabile oder monstrantz zu den krancken liefen, auch recht gegen unserm hause über in ein kloster liefen, und alle Leute auf den gaßen, denen Sie begegneten, auf die Knie fielen, wer es auch nicht thut, an diesem ort nicht unangefochten bleibet, als thäten wir unsern Ersten Außgang auf den Wall, von dem ich albereit viel gehöret und gelesen hatte, und dachten alsdan im herunter steigen, nach vollendeter morgen zeit, vor der Sie unß auch zu Breda warneten, eine gutte herberge zu suchen. Der Wall ist sehr hoch und von einer unglaublichen Breite und Vestigkeit. Rings umb denselben stehen lauter gepflantzte hohe Linden und Fichten Bäume in schönster Ordnung, durchgehens fünf neben einander, jedoch so räumlich, daß gantz gemächlich zwischen zweyen eine kutsche fahren kan; Daher die Breite deß Walls zu bemercken ist, waß derselbe vor eine Dicke haben müße, weil also fünf kutschen, einer dem andern unverhinderlich, darauf und nicht nur an einem Ort, sondern umb die gantze Stat, nemlich disseits dem Lande, man fahren könne. Ohne die Brustwehre befand ich denselben |82| fast über hundert schritte breit zu sein. 26 27 28 29 30

Alexander von Falkenhayn (Falkenhain, † nach 1668). Falkenhayn (Falkenhain), Adelsgeschlecht. n.z.e. Antwerpen (frz. Anvers). Brasschaat.

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Friderici Lucae eigentgliche Lebens und Totdes Geschichte

Hinaußwerts gegen den Wallgraben, der gleichfals sehr breit, tief und an den seiten mit mauern außgefüttert ist, ist dieser Wall von unten biß oben von lauter quartiersteinen aufgeführet, samt denen 8 daran erbauten Bastionen. Bey den Bastionen bemerckte auch zierliche Steinerne Portale und Eingänge in die Untern Gewölber, von denen gesagt wird, daß Sie grosen Kirchen ähnlichen sollen, auch zur Zeit der Noth viel tausend menschen logieren könten. Die gewaltigen Bastionen waren allerseits mit grosen metallenen Canonen besetzt; Sonderlich, welche die Thore bedecken, haben allerseits hohe Steinerne Rundele oder Cavallier, eigentglich Katzen, über sich stehen. Man zehlete der Stat Thore an der Landseiten 4, nemlich daß Kayser, daß Kipdorper, daß Königs und daß Schlicker Thor. Derselben Portale sind obenher plat, ohne Thürne, und nicht viel höher als die Schantzen, aber von gewaltigen Steinen erbauet und mit Starcken Thorgewölbern und künstlich außgehauenen Statuen gezieret. Vornemlich an der Kaysers Port von Kayser Carolo Quinto31 erbauet, siehet man unter andern Zierathen einen Adler zwischen zwo Säulen mit der Überschrift: Plus Oultre. CAROLVS V. CAES: HANC PORTAM PRIMUS MORTACIUM INTROGRESSVS CAESAREAM NVNCUPAVIT DIE XXV NOVEMB: ANNO C. IↃ IↃ. XLV. Die Brücken an den thoren sind gleichfals zierlich und mehrentheils Steinern. ­Auserhalbe dieser unvergleichlichen Fortification, außgenommen daß Castell, davon auch bald meldung gescheen sol, habe damahls keine Ausenwercke gesehen. Selbte sol sein auf Persuasion Mariae,32 der Königin in Ungern, erbauet worden, davon die Überschrift zeuget: Divae MARIAE Hung: Reg: Divi Caroli 5. Caesa: Sorori Patriae ex Fratris Authoritate Tutrici S. P. Q. A. Hanc Molem ex Eius Nomine Marianam nuncupantes, Piis Votis D. D. quod Sollicito illius hortatu. Tantae haec Vastitatis Moesia, Graviss: Reip: Impensis, vel quadrimestri spatio, ad mille passuum longitudinem, in ­Superiorum usque Limbum excitatae sint. Universumque Urbis Ambitum hac parte complerint, mense Augusto C. C. C. C. C. LII. Jenseit gegen der Schelde habe ich über die zehn Pforten gezehlet, wodurch man zu den Kranen oder auf die Außladungs Brücken gehet, vor welchen die Außladende Schiffe liegen. An dieser seiten stehet die Stat offen, hat aber an den Ecken Rundele und 7 oder 8 starcke thürne, davon der Schelde strohm kan bestrichen werden. Der Strohm ist hiesiger Gegend gar starck und erstrecket sich seine Breite über 500 Brabantische Ellen und die Tiefe über 20 Ellen. Dieses tiefe Waßer träg’t auch grose Orlogs Schiffe mit stücken besetzet biß vor die Stat in hafen und an besagte Außladungs Brücken. Es ergießen sich zwar davon etliche Arm in die Stat, tragen aber eben nicht gar

e

halb in Auserhalb über der Zeile ergänzt.

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31 Karl V. (1500–1558), römisch-deutscher Kaiser. 32 �������������������������������������������������������������������������������������� Maria (1505–1558), Königin von Böhmen und Ungarn, Statthalterin der Spanischen Niederlande.

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zu grose Schiffe. Sonst hält auch dieser Strohm Ebbe und Fluth, gleich wie zu Hamburg die Elbe. Der Grund Riß dieser Stat kan ersehen werden in meinem Grosen Stätte Buch, so in meiner Bibliotheca stehet, welcher fast einem halben monden |83| gleichet. Der gantze Umbfang dieser Stat sol sich auf 5 Italiänische meilen erstrecken, ohne daß Castell. Mit solcher Besichtigung der Vestung brachte ich mit meinem Hartfeld33 den morgen mehrentheils zu, ohne Besorgung der monstrantz zu begegnen. Denn wie oben gemeldet: Deß morgends ist es hier nicht rathsam für einen Reformirten Christen, weit außzuspatzieren; Sintemal wer nicht für dem Venerabile die Knie beuget, wird aufs wenigste mit Schlägen oder gefängnüß darzu gezwungen; Sie halten auch hier Scharffe Inquisition wieder die Geusen; So nennen Sie unß Reformirte. Am meisten aber muß man in den Päbstischen Festtagen sich zu hause halten und nicht außgehen. Es hielt sich hier auf ein Junger Fürst auß Anhalt,34 mit seinem Hofemeister,35 der von dar ferner reisete die Länder zu besehen, und war nicht weit von der St. Jakobs Kirche logiret. An dem grosen Festage der Papisten Corporis Christi praesentirte sich die gantze Clerisey in gewöhnlicher Ordnung mit einem vortreflichen Aufzug, unter Trompeten und paucken Schall, welchen vor als nach eine Starcke Guarde begleitete. Eben als auß der St. Jacobs in die Marien Kirche durchf dieselbe Straße, auf welcher der Fürst sein Quartier hatte, die Procession geschae, nahm der Fürst seine Retirade, samt dem Hofemeister und Cammerdiener,36 ins verriegelte Zimmer, alles Unheil zu vermeiden. Etliche tage aber vorher war ein abgefertigter Bothe auß Anhalt bey ihm in Antwerpen37 ankommen, ein Alter, Einfältiger Mann; Wie nun die Procession vorbey passirte, bleibet der Albern Anhaltiner, ordentglich mit bedecktem haupt vor der thüre stehen, welchen der Fürst zu warnen vergeßen hatte, weniger daß Er hette sollen die Knie beugen; In dem komt ein Ker’l von der Guarde und schmeist den Alten Stümper mit einer helleparten auf den Scheitel, darüber Er zur Erden sincken und den Geist aufgeben muste. Der gutte Fürst dorfte sich deß Ertöteten nichtg annehmen, weniger sagen, daß Er ihm angehör’te. Allen Reformirten zur Schmach und den andern zum Spectackel ließen Sie den Cörper den gantzen tagh unbedeck’t auf der Straßen liegen und gegen Abend durch den Schinder unter den Galgen begraben.

f g h

Geschae eben vor durch durchgestrichen. nicht über der Zeile ergänzt. tag vor tag durchgestrichen.

33 34 35 36 37

Stephan von und zu Hertefeld. Anton Günther (1653–1714), Fürst von Anhalt-Zerbst. n.z.e. n.z.e. Antwerpen (frz. Anvers).

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Umb Eilf Uhr sahen wir unß nach einem gutten Quartier umb, sodaß mitten in der Stat gelegen wäre. Man wiese unß auch nicht gar in ein zu kostbares, auch nicht in ein gar zu Schlechtes wirthshauß, zum Phönix genandt, ohnfern der Marien Kirche. Bey einnehmender Mahlzeit ertheilte der Wirth unß von einem und anderm Nachricht, der sich aber höchlich verwunderte über unserer albereit absolvirten Besichtigung der Vestung. Er praesentirte sich auch anleitung zu geben, wie man die vornehmsten Dinge könte zu sehen bekommen. Ungeachtet Er sich über dieses gleichfals anbot deß Mittags unß außzuführen, dennoch bedanckte mich für die Willfährigkeit und dachten viel beßer alleine fortzukommen. |84| Mittags hielten die Canonici die Horas in der Weltberühmten Marien Kirche und wir bey dieser gelegenheit den Eingang in dieselbe. Die bald anfangs von Gold und Silber erblickte herrligkeit dieser Kirche kan ich nicht satsam mit der Feder beschreiben. Damahls befanden sich, auser den Singenden Canonicis, nicht eben viel Leute in der Kirche und die wenigen, so darinnen waren, warffen ihre augen auf unß. Allem unheil aber vorzubauen, fragte einen Glöckner, weil wir dieses Ortes Frembde von Nation und Religion wären, ob man muß auch die Besichtigung der Kirche vergünstigen würde; Hierauf gieng der Glöckner mit kopfschütteln ins Chor zu einem Canonico, zweiffels ohne dessentwegen fragende, der unß wiederumb bedeutete; Es solte unß unverweigert sein. Damit erhoben wir unß weiter in die Kirche und bedienten unß dieses Glöckners zum Wegweiser, bittende, Er solte unß nur daß Denckwürdigste zeigen. Die Inwendige gröse dieser Kirchen übertrift den Dom zu Cöln38 und Utrecht und ist mehr als noch einmahl so groß den der Dom zu Utrecht. Über der grosen menge der künstlichen Steinern Pfeiler, welche gleich einem Atlas der Gewölber Last tragen, verwunderte mich höchlich und noch vielmehr über die grose Menge der Altäre, der Leuchter kronen, Lampen und Geschmückten Bilder. Die künstligkeit der allenthalben an den seiten Wänden hengenden mahlereyen zu unterscheiden, befand sich mein Judicium noch zu schwach, halte auch darfür daß der ­klügste Jahr und tag nicht vermöchte, alles außzuspeculiren. Jedoch übertrafen die Angebaute Capellen, mit ihren Raritäten, die eigentgliche Kirche, derer ich über 50 zehlete. Unter denselben war Unser Lieben Frauen Capellen die Erste, mit einer unvergleichlichen grosen und künstlichen Leuchter krone, samt vielen Statuen und Bildern von Alabaster und Marmel gezieret. Zur lincken hand gieng man die Capelle der Aufopfferung Christi. Daß künstliche Marien Bild, auß Spanien hieher gebracht, hält jedermann für ein Wunder und den an die Fenster gemahlten Streit deß Apostels Jacobi mit den heiden für eine Rarität. Die Capelle der heiligen drei könige, deß hl. Sebastiani, St. Georgii, St. Jacobi, St. Michaelis schimmern nicht weniger von gold und silber; Dennoch zeigte unß der Glöckner eine eiserne Taffel, darauf der Streit Michaelis deß Ertzengels mit den bösen geistern künstlich gestochen war, versichernde, daß ihres Ortes diese künstligkeit höher 38

Köln.

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als etwa die Taffel, wenn Sie schon golden wäre, geschätzet würde. Die übrigen Capellen, nach ihren Nahmen, gehören den Gülden und Zünften. Wie gerne auch die herrlichen monumenta und Epitaphia genawer betrachtet hette, so verhinderte solches die Kurtze Zeit: Denn wir eileten, vorsetzlich, vor Endigung der Horarum auß der Kirche zu gehen. Meiner Curiosität nach hette auch gerne die Länge und Inwendige Breite mögen meßen, aber es gab keine gelegenheit wegen der anwesenden geistligkeit. Nach dem augen maß schätzte sonst, und in Erwegung der in Utrecht von mir wolgemeßenen Kirche, derselben Länge über 300 und die Breite fast auf 150 schritte, welche abmeßung ziemlicher |85| maßen mit deß herren Gölnitii39 meynung in seinem Ulysse Belgico Gallico, der in meiner Bibliotheca vorhanden ist, übereintrift. Auf der einen seiten umgibt die Kirche eine Schöner, grüner, mit Linden Bäumen bewachsener Platz, davon nicht weit ein Brunnen, deßen Deckel auß einem stück Eisen über die maßen künstlich, eben von dem Meister,40 der die eiserne Michaels Taffel geschmiedet und gestochen hat. An die Kirche sind auch gebauet zween Thürne, zwischen denen der haupt Eingang in die Kirche geschieht durch ein groses zierliches Portal. Der Thurn zur lincken reichet zwar weit über die Kirche, hat auch oben eine Galarie und spitze, aber der zur rechten erstrecket sich gewaltig in die höhe. Ich habe mich niemahls so sehr verwundert über deßen höhe und Stärcke als über desselben Zierligkeit und Durchsichtigkeit, die man von allen seiten siehet. Daß glocken spiel auf demselben bestehet in 68 Glocken und die Stiegen oder Schencken, biß zum Sonnen Zeiger von 622 staffeln, und daß vergüldete über der Cron stehende Creutz von 18 Schuhen, welches doch von unten kaum einer Ellen lang zu sein scheinet. In summa alle Zierligkeit dieser Kirche zu beschreiben, ist unmöglich. Und dafern man Sie nicht wolte rechnen unter die Wunder der Welt, so wird Sie doch vielen wundern, zum wenigsten in Europa, den vorzug billich disputiren. Nach der Marien Kirche ist die Pfarr Kirche St. Jacobi die gröste, auch derselben Thurn der stärckste und Höchste, jedoch ohne Spitze. Derselben folget die Pfarr Kirche St. Georgii, St. Andreae, St. Waldpurgis. Wie wol es besagten Kirchen nicht an geschmückten Altären und Götzen mangelt, so sind Sie doch nicht so reich darmit versehen als etwa die kloster Kirchen. Von Mönch’s und Nonnen klöstern gibts hier eine Grose Zahl. Unter die Principalisten klöster werden gerechnet die Abtey St. Michael, nahe an den mauern und Schantzen gegen die Schelde liegende; Sie hat vor der Kirche einen Grosen grünen platz und wird mit einer starcken Mauer umbgeben. Von den Praemonstratenser kloster erzehlete man unß, daß desselben Abt, weiß nicht warumb, alle durch diese Stat passirende Fürsten, wie wol von der Catholischen Religion, zu tractiren und zu beherbergen schuldig wäre. Daß prächtige Monumentum

39 40

Abraham Göllnitz († 1643). Quentin Massys (Massijs, Matsys, um 1466–1530).

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bey dem hohen Altar, deß Streibahren Caroli41 Hertzogs zu Burgundien Gemahlin Isabellae Borboniae42 im 1465 Jahr alhier beerdiget, läst sich wol sehen. Die Jesuiter Kirche übertrift erwehnte Kirchen alle und hat weder in Franckreich weder in Niederland ihres gleichen nicht. Auß der euserlichen Stirn läst sich bald dieser Kirche köstligkeit praesumiren, wobey die Überschrift: Christo Deo, Virgini Dei parae, B. Ignatio Loiolae43 Societatis Authori Senatus Populusque Antwerpiensis44 publico et privato acre ponere voluit. Inwendig ist die Kirche über und über mit Schwartzem Asiatischen Marmel überzogen, der wie ein Spiegel gläntzet; Zur seiten hat Sie keine Fenster, wie sonst die Kirchen gewöhnlich haben, sondern daß Licht fält oben durch ein künstlich runtes thürlein mitten in die Kirche, macht Sie aber nicht recht lichte, sondern daß es den Eingehenden gleichsam einer Sanctum Horrorem erwecket, die weil daß Licht |86| mit tunckelheit vermischet ist. Der Boden ist ebenfals mit Marmel überzogen. Ich zehlete darinnen 36 Säulen oder Pfeiler von gleicher köstlichen materie. Ebenmäßig sahe erstaunend an der berühmten mahler Brügelii45 und Rubenii46 Gemahlte kunststücke und andere Pretiositäten. Die Jesuiten, derer über 100 in diesem Collegio leben, haben in der Kirche keine Orgel, sondern bedienen sich nur eines Posativs und anderer lieblicher Music und Instrumenten bey dem Gottesdienst. In daß Collegium bin nicht kommen, weil diesen Gästen an diesem ort nicht zu trauen ist. Als wir nun von diesen besehenen herrligkeiten unserm Wirth erzehleten, meinte Er wir müßen mehr glück als andere haben; Jedoch verstehende, daß wir nicht im Prediger kloster gewesen wären, führete Er unß in dasselbe deß Abends um 7 Uhr, da die Mönche gleich von der Mahlzeit kamen. Ich muß gestehn, wenn ich die Marien Kirche und die Jesuiter Kirche außnehme, so wird diese kloster Kirche die Schönste in Antwerpen47 sein. In dem wir darinnen auf und ab spatzierten, daß Merckwürdigste besehende, kam ein frecher Mönch, wie wol mit ziemlicher höfligkeit fragende nach unserer Condition und Nation, weil Er merckte, daß wir nicht der Catholischen Religion beypflichteten, begehrete auch zu wißen, wie unß die Kirche anstünde etc.? Von dem Ersten achteten wir ohne Noth zu sein, ihm die Warheit zu bekennen, daß ander aber, daß unß die Kirche wolanstünde, dafern nur die Götzen herauß genommen wären, konten wir nicht leugnen. Bey dieser Antwort fiel der Mönch nieder auf die Knie, denn wir standen gleich vor dem hohen Altar, schlug an die Brust, becreutzigte sich und sprach: Haec est mea Religio, quid tu credis? Faßete auch mich insonderheit bey der hand und führete ­mich 41 42 43 44 45 46 47

Karl I. der Kühne (1433–1477), Herzog von Burgund. Isabelle de Bourbon (1437–1465), Herzogin von Burgund. Ignatius von Loyola (1491–1556). Antwerpen (frz. Anvers). Jan der Ältere Brueghel (1568–1625). Peter Paul Rubens (1577–1640). Antwerpen (frz. Anvers).

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dem Altar näher. Ob nun wol diese Frage zu beantworten der Ort verdächtig und gefährlich war, gleichwol konte ich Christi Bekäntnüß nicht verschweigen und setzte eines mit ihm dran de Imaginibus et Adoratione Sanctorum. Hierzu kamen die noch mehr Mönche gelauffen, denen dieser zurief: O fratres, videte, hic habeo Haereticum! Mir wolte bey der Sache fast bange werden und abrumpirte den Discurs, die weil es Abendszeit war und noch vielmehr, weil unser Wirth, als der Geleitsmann, sich albereit verlohren und die Mönche die Kirche verschlossen hatten. Unterdeßen nöhtigten unß die Mönche in den Creutzgang zu gehen und in kloster Garten, worinnen wir den gantzen Schwarm antrafen, unter dem wir als Monstra standen und mancherley Verhöhnung und Spöttische Fragen einfreßen musten. Endlich bat ich umb Dimission, vorwendende die anbrechende finstre Nachtzeit, hette aber dieselbe schwerlich erhalten, dafern nicht der Pater Prior48 befohlen hette, unß zu dimittiren: Denn ihre Meynung war, daß Sie unß wolten im kloster behalten und zu ihrer Religion bewegen; Daher musten wir versprechen, mit handgelöbnüß, morgendes tages zur morgen mahlzeit ins kloster zu kommen; So bald Sie unß aber die thüre aufthaten, schlugen wir daß hasen Panier auf und vergaßen unserer Zusage. |87| So bald wir ins Wirthshauß kamen, remonstrirte ich dem Wirth seiner an unß verübten Untrew und die gefahr, darein Er unß gesetzet hette; Dieser aber excusirte sich mit dem, wie Er sich nemlich unserthalben, sonderlich da es wäre zur Disputation gerahten, nicht hette wollen Suspect machen, in dem man ihres Ortes, wieder die Geusen, gar zu scharf zu procediren pflegte. Deß morgends bezahleten wir die Zehrung und wolten dem Landfrieden nicht trauen und schlugen in einem andern Wirthshause, fern von diesem abgelegen, unser Quartier auf, besahen auch keine Kirche oder kloster mehr und hielten unß nur an die Weltlichen Gebäwde. Vornehmlich leuchtete unß daß Rhathauß in die augen, welches meines Ortes gröser als daß Amsterdamische schätze. Es stehet auf dem grosen marckt hinter der Marien Kirche, nicht weit von dem Fischmarckt, ins Quadrat erbauet, hat inwendig einen hof. Über und über ist es überzogen mit einer Art grauer Steine, hat viel Gewölber, deßgleichen zierliche Gewölbte Portale auf Ionische, Dorische, Corinthischen etc. Säulen ruhen. So ist auch die menge der Grosen Fenster mit dergleichen Zierath reichlich versehen und daß Steinwerck daran künstlich außgearbeitet. In den Rhatstuben bin ich zwar nicht kommen, aber wol auf die andern Säale, da man auß einem in den andern gehen kan. Sonderlich vergnügte mich der Haupt Saal, auf welchem die Hertzoge von Braband, item alle Ertz Hertzoge von Oesterreich biß auf könig Phillipum 2.49 in vollkommener Lebens Gröse, in ihrem Gewöhnlichen Habit, künstlich gemahlet standen. Die Börse belangende, so ligt Sie in der Marien Brüder Kirche gegen über, welche beyde Gebäwde ein groser Platz von sammen scheidet, recht mitten in der Stat. Auf die48 49

n.z.e. Philipp II. (1527–1598), König von Spanien.

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sem Platz stehet ein über die maßen groses und hohes Metallenes Creutz und ist dergestalt bequeme gelegen, daß man nicht allein auf dem platz oder auß der Börse gehende, dasselbe kan sehen, sondern, weil die Linien vieler haupt Straßen hier auf dem Platz zusammen lauffen, gläntzet es auf vielen Straßen den Wandelnden bey hellem Sonnen schein wie gold in die augen. Nechst diesem Platz wird stets eine starcke wacht gehalten. So ist auch die Börse recht quadrat und hat an jeder seiten einen zierlichen Eingang. Die Länge derselben erstreckt sich auf 180 und die Breite auf 140 Werck Schuch. Vorwerts über dem hauptthor gegen daß grose Creutz und die Brüder Kirche ist Sie mit einem Schönen thurn und derselbe mit Schönem Uhrwerck gezieret, wie wol Sie auf der andern seiten auch noch einen thurn hat. Über dem haupt Eingang lieset man die Überschrift: S. P. Q. A. In Usum Negotiatorum cuiuscunque Nationis ac Linguae urbisque adeo suae Ornamentum A. M. D. XXXI. à solò extrui cur: |88| Inwendig ist der hof mit Schönen glatten breiten Steinen beleget und rings umbher demselben gehet eine hohe breite Galerie, an derer Gewölbe, nemlich an allen vier seiten, 80 dicke und grose marmel Säulen stehen und die Last tragen. In den ­Obersten Säalen und Gemächern siehet man nichts Denckwürdiges, wie wol, da noch alhier die handelung floriret, dieselben mit Schönen mahlereyen sollen sein gezieret gewesen. Nicht allein wegen der Passagie, sondern wegen der täglichen Verkehrung der kaufleute siehet man täglich an diesem Ort viel Volckes. Nicht einen geringen Zierath gibt auch der Stat Antwerpen50 daß so genandte ­Osterhuys und gehöret der kaufmannschaft in den Hannsee Stätten sämtlich. In vorigen Zeiten bey florirender handelung verwahreten alhier die Hannsee Stätte ihre Gütter, welche durch einen besondern Canal auß der Schelde, auf kleinen Schiffen, biß vor daß Palatium und deßen keller und Gewölber bequemlich konten geführet und außgeladen werden. Es ligt am Ende der Stat bey der Schlick Port gantz allein und daher leuchtet desselben Prospect desto beßer herfür, gleich einem Fürstlichen hofe. Fast wie daß Schloß zu Cassel51 ist es Viereckicht, wie wol nicht gar so hoch, aber länger und breiter, auch zierlicher von lauter grauen Quartier stein erbauet. Die Fenster daran sind alle von einer gröse und weitleuftig. Über dem haupt thor, woran der doppelte Reichs Adler gemahlet, wie auch in allen andern thüren, stehet ein hoher zierlicher thurn, oben durchsichtig und mit Schönen Uhrwercken versehen, samt einer Galerie voni steinern Trallien, von der man die gantze Stat, die vorbey ströhmende Schelde und die vor den thoren liegende lustige Gärte übersehen kan. Die Länge deß Palatii erstrecket sich biß auf 180 Werck Schuch, die Breite aber nicht so weit. Mitten in dem Inwendigen gepflasterten platz stehen zwo köstliche Fontainen und andere wasserreiche künstliche Canale. Unten rings umb daß Palatium sind die gei

von der vor von durchgestrichen.

50 51

Antwerpen (frz. Anvers). Kassel.

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wölber und kammern zur verwahrung der kaufmanns gütter und unter denselben die keller wol aptiret. Auf die ander Wandelung steiget man räumliche Stiegen, darauf die herrlichsten Speise Säale angetroffen werden, samt andern Schönen Gemächern, auf welchen, vor diesem, die kaufleute logiret und gespeiset haben. In diesem Palatioj ist ihrer Compagnie alles Commun gewesen, gleich wie zu Venedig52 die Teutschen kaufleute in dem Teutschen hause alles Commun halten. Wer eigentglich diesen Hof in Possession hielte, habe vergeßen zu fragen, so viel aber erfahren, daß der darinnen wohnende Haußhalter, oder Inspector,k53 von der Stat Lübeck dependirte und Lutherischer Religion beypflichtete. Gegen unß erzeigte sich dieser Inspector sehr höflich und führete unß allenthalben herumb, unter andern in ein Zimmer, auf welchem eine grose menge allerhand ersinnliche Instrumenta hiengen, von Paucken, Trompeten, Posaunen, Zincken, Flöten, |89| groß und kleine Geigen, Positiven, Regalen und andern Saiten Spiele, damit sich zu gewißen tagen die Compagnie hat pflegen lustig zu machen, davon aber die meisten veraltet und unbrauchbar waren. Über dieses halten auch die Antwerper ihre Waßerkunst oder Waßerhauß billich für ein Wunder; Wie dasselbe an sich selbst ein ansehnliches gebäwde ist, also wird in demselben daß Waßer dermaßen durch künstliche Räder und Instrumenta zusammen gezwungen, daß unaufhörlich und unerschöpflich, durch die gantze Stat, allen Brauhäusern und andern Canalen sowol zur Nothwendigkeit als Ergetzligkeit reichlich mitgetheilet wird und vermag solches weder der kalte Winter, weder deß Sommers hitze oder Dürre nicht zu verhindern. Meines Ortes erachte, daß diese Gewaltige Machina jährlich viel tausend thaler zu unterhalten erforderte. Den Weltberühmten Plantinischen Buchdruckerey muß auch der Rhum eines Wunderwercks bleiben. Derselben hof benimt vielen Fürstlichen Palatiis den Vorzug. Über dem Portal stehet Christopherus Plantinus,54 Justus Lipsius55 und Johannes Moretus56 in Stein künstlich außhauen mit dem Symbolo: MORIBUS ANTIQUIS. Ich bemerckte darinnen 12 grose Pressen in Schönster Ordnung, auf einem grosen Saal stehen. Die Zimmer und Säale, auf welchen die Characteres ebenmäßig in Schönster Disposition standen, waren sehr helle und weitleuftig. Man zeigte mir auch derselben Abundantz und daß keine florirende Sprache zu ersinnen wäre, in der gantzen welt, da Sie nicht überflüßige mittel hetten, die grösten Opera in derselben zu drucken. Vor Zeiten, da diese Buchdruckerey im flor gewesen, hat täglich derselben Unterhaltung über 100 Ducaten gekostet, itzund aber ist es schlecht damit bestell’t. j k

†...† vor Palatio durchgestrichen. H vor Inspector durchgestrichen.

52 53 54 55 56

Venedig (ital. Venezia). n.z.e. Christoffel Plantijn (um 1520–1589). Justus Lipsius ( Joest Lips, 1547–1606). Jan Moretus (1543–1610).

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Daß unschätzbare kunststücke des Weltberühmten mahlers Rubenii57 ist unß auch gezeiget worden, nemlich die Grose Taffel, darauf daß Jüngste Gerichte über die maßen sinn und kunstreich mit vieltausend mal tausendfachen Veränderungen gemahlet ist, welches einem die Augen erstaunend machet. Deß Freyherren von Rodis58 Palatium besahen wir auch. Wegen der Vielheit konte man unmöglich alle mahlereyen betrachten. Der Lustgarten darbey könte satsam einen König erlustigen: Denn die Waßerkünste, die außländischen raren Früchte und anderer Zierath sind gantz ungemein. Bey diesem Palatio hat der herr von Rodis eine eigene Capelle erbauet und mit einer Orgel, Organisten, Glöckner, Priester und mit allem, waß zum Gottesdienst gehöret, versehen. Nechst an der Capellen stehet ein kleines kloster, darinnen unterhält Er 12 Arme Jungfern, jedoch feiner Leute kinder, welche gleich andern Nonnen täglich müßen die Horas singen und verheurahtet jährlich eine auß denselben mit freyer hochzeit und mit einem Braut Schatz von hundert Gulden. Der Hospitäler und anderer Gemeiner Stat Gebäwde, davon zwar theils auch besuchet, außführlich zu gedencken, achte nicht nöthig. |90| Der Fischmarckt ist ein besonderer Ort, quadrat und auf allen vier seiten mit gebäwden umbgeben. Inwendig gehen umbs gebäwde breite Gallerien, von schönen Bequemligkeiten, darunter die Fischer die Fische in groser menge verkauffen. Man findet hier viel Leckerbißlein und allerhandl Delicates Fischwerck. Ich sahe hier die ersten hummers, oder gesottene Seekrebse, daran ich mich vor ein geringes geld ziemlich ergetz’te. Ins gemein die Bürgerhäuser betreffende, deren etliche biß auf 18000 und über 200000 Einwohner zehlen wollen, geben Sie schwerlich mit ihrer Schönheit einer Stat in Europa etwaß nach. Die Straßen an sich selbst sind breit und lang, werden auch vortreflich durch die herrlichen, hohen, Steinern häuser gezieret, darunter viel tausend Palatia stehen, unter denen der geringste zur gnüge bequem wäre, einen grosen Fürsten zu logiren. Mehrentheils haben diese Palatia Vorhöfe mit hohen mauern und grosen Steinern Portalen, von andern häusern abgesondert. Und in diesem Stücke achte auch Antwerpen59 weit beßer als Amsterdam. Unter den Einwohnern wird groser Pracht und hoffart getrieben, damit Sie auch den Parisern nichts nachgeben. An Sonn und Feyertagen wird man die grose menge kutschen, auß und in die Kirchen fahrende, schwerlich zehlen und den Schmuck der Dames und herren beschreiben können. Sonderlich halten sich die Bürgermeister, Richter und Rhatsherren sehr magnific und fahren täglich auf prächtigen kutschen aufs Rhathauß.

l

De vor allerhand durchgestrichen.

57 58 59

Peter Paul Rubens (1577–1640). n.z.e. Antwerpen (frz. Anvers).

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Bey solchem Prachtm aber lauffet viel Büberey, Dieberey und Gottlosigkeit, mit unter wegen der grosen menge der Banditen oder Beutelschneider, darfür sich einer wol hütten mag. Ich muß erzehlen, waß mir und meinem Hartfeld60 begegnet ist. Ich und derselbe standen auf dem Grosen Platz der Marien Kirche und besahen dieselbe nochmahls von außen; In dem nahete sich zu unß ein Feiner Wolgekleideter mensch, in seidenem mantel und kleidern, gleich einem Vornehmen kaufman, und redete unß Frantzösisch an. Wir excusirten unß aber mit der Unwissenheit dieser Sprache und verriehten mit unser mutter Sprache unser Vaterland. So bald dieser hörete, daß wir Teutsche wären, fieng Er gleichfals an Teutsch zu reden und führete fast so einen Accent wie die Franckfurter, wolte unß aber sein Vaterland nicht bekennen, wie wir ihm thäten. Hierauf erzehlete Er unß, daß diesen mittag vor dem Königsthor, in der Vorstatt, eine Capelle würde eröfnet werden eines Eremiten, der verheißen hette, grose Miraculan zu thun, Blinde sehend, Lahme gehend zu machen etc. Dafern unß nun beliebte diese Wunder zu sehen, wolte Er, weil wir jetzt zur mahlzeit eileten, umb 1 Uhr hier auf dem Platz unser warten. Unß war diese Courtesie sehr lieb, denn die Curiosität trieb unß, und erweckte die Begierde solches zu sehen, ungeachtet wir unß den Päbstischen Betrug leichtlich einbilden konten, und daß sothane Zeichen nur Phantasien und Augenblendungen sein würden der Alberen |91| Leichtglaubigen Papisten. Umb 1 Uhr da wir nach gegebener Parole auf den Platz kamen, befand sich schon dieser Monsieur da. Wir accompagnirten unß mit demselben und folgeten, wohin Er unß nur führete, in gutter Confidentz, ohne Argwohn. Da wir nun eine ziemliche Ecke von der Stat entfernt waren, beklagte Er sich seiner müdigkeit, bittende wir solten doch in daß Nechste Wirthshauß mit ihm gehen und darinnen ein wenig außruhen. Weil eben selbigen tages die hitze sehr groß, folgete man abermahls dem Anführer. So bald wir ins Wirthshauß kamen, wurde unß ein Schön Zimmer angewiesen, auß welchem man in einen Garten durch eine Stiege gehen konte. In dem wir saßen und nichts mehr als einen trunck Bredaisch Bier genießende, erhob sich eine angenehme Music in einem Cabinet bey dem Zimmer. Die Sache schiene mir baldo betrüglich zu sein. Da wir kaum zweymahl getruncken hatten, kamp ein Ker’le wol montirt und stelle’te sich, als wenn Er unsern Anführer nicht kennete, beklagende wie Er itzund von der Erimiten Capelle käme, wohin Er umbsonst gegangen wäre, weil die vermeinte Eröfnung heute nicht würde vor sich gehen. Demselben kamen bald noch andere Sechs nach, welche sich alle bey unß setzten und als wir abgehen wolten, gewaltig anhielten, noch in etwaß zu verziehen.

m n o p

Pa vor Pracht durchgestrichen. miraca vor Miracula durchgestrichen. bald wegen Tintenflecks nur schwer lesbar. kam über der Zeile ergänzt.

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Stephan von und zu Hertefeld.

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Friderici Lucae eigentgliche Lebens und Totdes Geschichte

Unter wehrender Music praesenirte einer unserm obgedachtem Anführer ein karttenspiel, welcher aber simulirte, gleichsam wäre ihm daran nichts gelegen, und fragte unß, ob wir ihm Compagnie leisten wolten? Wir excusirten unß bestmöglichst, theils weil wir daß kartten Spiel nicht verstünden, theils weil wir mit keinem Geld versehen wären. Allein unser Excusation attendirten die Banditen wenig, sondern strengeten unß noch heftiger an, die kartten zu ergreiffen. Ich merckte wol, daß wir unter den Schelmen gefangen und in groser Lebens gefahr stünden, so daß wir unß nicht getraueten, von ihnen mit manier wegzubringen; Daher gedachte denselben in etwaß zu flatiren und gab meinem Hartfeld einen Winck die Karten zu ergreiffen, der sich auch accomodirte. Anfangs ließen Sie ihn statlich gewinnen und einen thaler nach dem andern einziehen und gedachten ihn also anzulocken. Nachgehends aber verlohr Er nicht allein daß gewonnene, sondern noch etliche thaler von dem eigenem Gelde und daß war mein Wille. Diese Spitzbuben hatten unß unvermerckt hinter die taffel eingedrucket, daß ich nicht herfür kommen konte, da ich gerne wäre aufgestanden und den Wirth ihrer Beschaffenheit halber gefraget hette. Unterdeßen weil ich nun daß rechte Tempo in acht nahm und ihnen remonstrirteq daß wir kein Geldr mehr bey unß hetten, rieß ich mich mit macht durch, ungeachtet ihrer glatten Protestationen, bezahlete die Zeche und eilete mit meinem Hartfeld nach der Stat; Unser Anführer aber blieb bey dieser Compagnie, die Er anfangs nicht kennen wolte. Der bösen Buben absehen war, unß biß |92| auf den Abend zu entretiniren und alsdan nach ihrem gefallen mit unß zu procediren. Ich hatte einen Ring mit 7 Rubinen und mein Hartfeld einen mit so viel Diamanten im Finger, der Sie gewaltig in die Augen stach, wie auch unsern andere Montirung. So bald wir in die Stat und in unser herberge kamen, erzehleten wir, waß für einen Eremiten wir gesehen hetten, da man unß dan glücklich preisete, daß wir ohne gröseren schaden außs den händen dieser Spitzbuben entkommen wären, welche viel dergleichen häuser in und auser Antwerpen61 haben sollen. Und hat sich solchergestalt, an hiesigem Ort, wol fürzusehen ein jeder durchreisender junger mensch. Daß Fürnemhmste, waß wir noch in Antwerpen zu besehen übrig hatten, war daß Weltberühmte Castell. Anfangs besahe dasselbe nur von ferne, selbst zweiffelnde, daß man unß den Eingang gestatten würde. Endlich resolvirten wir unß, biß zu der ersten Vorwacht zu avanciren und wurden bald von dem Corporal gefraget unserer Condition und unsers Begehrens halben? Wir gaben unß für Oesterreichische Unterthanen auß, welches auch zu defendiren vermochte, nichts mehr verlangende, als die Ehre zu haben und daß Castell zu besehen. Dieser satsam Discrete Corporal ließ unß bey dem Vice Commandanten anmelden und erhielt von ihm, augenblicklich, Ordre unß einzulaßen und auf die Wälle zu führen, worüber mich hertzlich erfreuete. Wir giengen also über q r s

strirte in remonstrirte nachträglich über der Zeile verbessert. Geld über der Zeile ergänzt. die vor auß durchgestrichen.

61

Antwerpen (frz. Anvers).

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die Steinerne Brücke, die ziemlich breit und lang ist, hinein. Denn ob zwar die Stat und daß Castell ein groser grüner Platz scheidet, so habe doch keine Ausenwercke, auser dem Schlag Baum, darbey gemercket. Auf der Brücken stehende, sahe auch mit goldenen Buchstaben über dem Schönen Portal diese Worte in Stein geetzet: Soli Deo Gloria. Daß Portal ist sehr weit und gehet man auß demselben durch ein finster hohes thor Gewölbe, welches so lang ist als der Wall breit, in daß Castell. So bald man in daß Castell kom’t, stehet zur Rechten daß Commandanten Palatium, welches einen besondern Vorhof und ein zierliches Ansehen hat, zur Lincken aber die Kirche, nicht eben von sonderlicher Gröse. Mitten in der Vestung ist ein sehr groser Platz, auf deßen mittelpunkt zwo groser Canonen gegen daß thor gerichtet standen, Selbten ist auch satsam räumlich zur Excercirung vieler Regimenter. Rings umb diesen Platz stehen wol vierfach und gleichsam gaßen weise hintereinander die Paraquen der gemeinen Soldaten, nebst den häusern der Officirer, alle in Schöner Ordnung, von Steinen erbauet und mit Ziegeln bedecket, wie auch die Proviant, Munition und Zeughäuser, samt den Pferde Ställen, darein über 3000 Pferde können gestellet werden. Damahls befand sich die Guarnison sehr schwach und in Schlechtem Stande, ohne Reuterey, weil Spanien Friede hatte. Die Soldaten sahen auch ziemlich abgerissen und verhungert auß. |93| Wenn man auf dem mittelpunct deß Castells bey besagtem Canonen stehet, kan man von dar auf alle Bastionen und auf derselben spitzen die Schiltwachen sehen, derer Fünffe seind, davon zwo Bastions gegen die Stat gebauet stehen, dieselbe zu bestreichen. Sie führeten unß am ersten auf daß Ferdinand Bollwerck hinter der Kirche, welches sich nach der Stat neiget. Daß Graß war auf den Wällen so hoch gewachsen, daß wir darinnen biß über die knie gehen musten. Auf jedem Bollwercke standen 8 grose Canonen und etliche Windmühlen. Die Schantzen, samt dem Bollwercken, waren gewaltig hoch und breit, auch von unten biß oben mit lauter quartier Steinen, gleich der Stat Vestung, überzogen. Man zeigte unß auch die thore in den wällen, dadurch man hienunter in die Gewölber gehet, worinnen gleichfals viel munition liegen sol. Wir zehleten auch bey jedem Cavallier zwo gemauerte katzen, oder Cavallier, mit Stücken besetzet, davon man über die Wälle schießen kan. Die gantze Vestung umbgibt ein Weiter und sehr Tiefer Wallgraben, welchem stets auß der Schelde frisches Waßer zufleußt, durch gemauerte Canale und starcke Schleußen. Die Schelde streicht auch fast Selbst an daß Castell, nur daß ein geringes Spatium, gleich einem starcken Thamme, darzwischen liegt. Nach dem wir nun alles in dieser Vestung, welche vor so volkommen gehalten, daß kein Bawmeister weiter an ihr nichts mehr desidiren kan, besichtiget hatten, gaben wir den Crepirenden Soldaten, die unß herumb führeten, ein Trinckgeld und giengen wieder in die Stat. Eben die Straße, darauf man vom Castell in gleicher Linie gehet, ist die bekante und so genandte Löffel Straße, auf welcher die offentglichen huren häuser gehalten werden.

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Durch dieselbe passirten wir, unwißend, daß es dieser huren Winckel wäre, biß wir endlich die in den häusern herauß hengende Bildnüße, der sich dadurch feil bittenden huren, samt ihrem Zuruffen und unverschämten Teuffelspossen, gewahr wurden, darfür wir unß nicht wenig entsetzten und ohne vieles umbsehen eilends hindurch passirten. Auf dieser Löffel Straße verlieret mancher Ehrlicher Mensch Geld und Ehre, Gesundheit und Leben, Seele und Seeligkeit. Solches hat theils Monsieur Stirler,62 Mein gewesener Tisch Camerade zu Heidelberg, ein Schweitzer, erfahren müßen. Derselbe ließ sich verführen durch einen Capitain, welcher sein Landsmann war, mit diesen Dames sich bekant zu machen, auch bey denselben zu übernachten; Unterdeßen, nach dem Sie ihn zu vor berauschet, haben Sie ihm die hosen säcke visitiret und biß auf 20 Reichsthaler herauß gezogen; Als Er nun deß morgens sein Geld vermißet und dasselbe mit drewenden trutz worten fordern wollen, haben die Dames den Spanischen Soldaten, als ihren Beschützern, auß dem Castell geruffen, von denen dieser Gutte herr nicht allein geprügelt, sondern auch mit messern in dem angesicht jämerlich zerritzet worden und hat dennoch sein geld im stich laßen und Seine Courtesie dermaßen |94| theuer bezahlen müßen. Nun stand unser Sinn auf Mecheln63 und Brüssel64 gerichtet und gieng also mit meinem Hartfeld65 zurathe, wie man dorthin die Reise füglich anstellen könte, sonderlich da wir den Thurn zu Mecheln zu Antwerpen66 auf den Thürnen von Ferne sahen. Wie ich dan insonderheit, auch sonst, auf meinen wenigen Reisen mir jederzeit habe höchst angelegen sein laßen, auf die Thürne zu steigen und der Stätte Situation desto genawer zu besehen, dafern nur darzu gelangen können. Mecheln ligt von Antwerpen 4 kleiner meilen und ist im Sommer gesunden Beinen nur ein Spatzier gang. Die Starcken Mauern und die Waßer reiche Waßer graben machen den Ort sehr veste, auch die Inwendigen Straßen und derselben Reinligkeit, samt den Steinern Brücken, sehr ansehnlich und zierlich. Von dem Heiligen Rumoldo67 trägt die Ertz Bischofgliche Kirche den Nahmen. Derselben Innerlicher Zierath ist der künstliche von holtz außgeschnitzte Altar, daß Heilige Grab, die Wapen deß Goldenen Flüßes und daß Bildnüß deß Cardinals Borromaei,68 wie auch Jani Bernatii69 mit der Überschrift: Fac quod velles fecisse moriturus. Der Thurn dieser Dom Kirche ist mit einem herrlichen Glocken Spiel gezieret, hoch und starck, aber oben ohne Spitze.

62 63 64 65 66 67 68 69

Abraham Stürler. Mecheln (ndl. Mechelen, frz. Malines). Brüssel (ndl. Brussel, frz. Bruxelles). Stephan von und zu Hertefeld. Antwerpen (frz. Anvers). Rumold von Mecheln († Ende des 8. Jahrhunderts), Heiliger. Carlo Borromeo (1538–1584). Jan Bernaerts (Bernatius, 1568–1601).

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Unter den klöstern wird daß Franciscaner kloster für daß zierlichste und herrlichste, wie alhier so in gantz Niederland gehalten. Daß Carmeliter, Capuciner und Cartheuser kloster sind gleichfals weitleuftige gebäwde, jedoch übertrift dieselben daß Clarisser Nonnen kloster. Daß Rhathauß, daß Königliche Parlament hauß, darinnen daß Appellation Gerichte von Braband gehalten wird, in 16 Räthen bestehende, item daß Gräfliche Hochstratische, Egmondanische und Arenbergische Hof geben der Stat Grosen Zierath, samt der künstlichen auf dem marckt stehenden Waßerkunst. Der Magistrat bestehet alhier in 12 Personen, darunter 6 Patritii und 6 handwercker seind. Man sagte, daß die Gärber, von denen allzeit einer im Rhat sitzet, weiß nicht warumb, sonderliche Privilegia und Freyheit hetten, gleich den Edelleuten, auf der Stat Territorio ungehindert zu jagen, Vogel zu stellen, zu fischen, zu schießen etc. Ins gemein sind auch hier die Einwohner viel höflicher als die Antwerper, welche den Frembden vor ihr geld nicht viel gutte worte geben und denen die Grob Stoltzheit angeboren ist. Es sind auch zu Mecheln die Einwohner mehrentheils handwercker und floriren alhier die manufacturen über die maßen starck, damit die Spanische Niederlande und andere Provinicien reichlich damit können versehen werden. Die Victualien kan man auch für einen leidlichen preiß überflüßig haben. Vier Meil weges von Mecheln ligt die Haupt Stat Brüssel, in welche man von Mecheln über daß Stätlein Vilvorden70 gehet. In Brüssel werden mehr Politische als Geistliche Denckwürdigkeiten angetroffen. Die Stat war damahls sonderlich nichtt bevestiget. Sie hatte zwar rings umber eine mauer mit vielen alten thürnen, einen Waßergraben |95| und hin und wieder vor demselben Ravaline liegen, einen anlauf abzuwehren, aber schwerlich eine Belagerung. Ein kleiner Strohm, die Semme genandt, fleußt durch die Stat. So gehet von der Stat an biß an Willebroeck eine bequemer graben, auf dem man in den Ruipel strohm und von dem in die Schelde schiffen kan. Inwendig an den Ringmauern gibt es viel unbebaute Plätze und Gärte. Die Vornehmsten Dinge sind in dieser Stat siebenfach; Nemlich man zehlet darinnen 7 thore, 7 haupt Straßen, 7 kunst Brunnen, 7 Pfarr Kirchen etc. Die Vornehmste Pfarr Kirche St. Gudulae hat von außen zween thürne und Inwendig mancherley Götzenwerck. Ertz Hertzogs Ernesti71 Monumentum scheinet daß Prächtigste zu sein. Die übrigen Pfarr Kirchen alhier sind von keiner sonderlichen weitleuftigkeit und zierligkeit. Ebenfals gibt es hier keine Reiche Stifter und bestehen mehrentheilse die klöster in Capuciner, Augustiner, Franciscaner, Barfüßer Carmeliten, Minoriten, Cartheuser, Armer Clarissen und anderer Bettel Orden. Wie wol ofters unter dem Prae-

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nicht über der Zeile ergänzt.

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Vilvoorde (frz. Vilvorde). Ernst (III.) von Habsburg (1553–1595), Erzherzog von Österreich und Regent der Spanischen Niederlande.

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text der Armuth diese Faulentzeru daß gröste Reichthum besitzen und ihnen die Betteley mehr einträgt als andern grose Gütter. Der Jesuiten Collegium stehet auch mit dem Antwerpischen oder Cölnischen in keiner Comperation, dem endlich aber auch nichts mangelt und haben die Patres ein grose Frequentz Scholaren alhier, darunter vieler grosen herren Kinder sich finden, welche dem Collegio jährlich ein Groses beytragen. Unter den Weltlichen gebäwden nimt der köngliche Hof an sich selbst mit ­seiner Gröse und dan mit der Rennbahn und dem Lust und Thier garten ohngefehr den Siebenden Theil von der Stat ein. Der königliche Stall gleichet zwar bey weitem nicht dem Heidelbergischen, gleichwol können auch in diesem über 100 und 27 Pferde gar geräumlich stehen. Über demselben stehet die Rüstkammer, in welcher vornemlich zu sehen ist ein höltzern Pferd mit der haut deß jenigen Pferdes sehr naturel überzogen, darauf der Ertz Hertzog Albertus72 auß der Schlacht von Nieuport73 kommende, zu Brüssel74 seinen Einzug gehalten hat. Gleichfals wird darinnen desselben Küraß, wie auch sonst eine grose menge köstliches Rüstzeuges und andern zum Schertz und Ernst Streit gehörige mit gold, perlen und edelgesteinen besetzte Waffen in schöner Ordnung verwahret. Daß Schwerdt Caroli deß Kühnen75 Hertzogs zu Burgundien wird auch hier in hohen Ehren gehalten und, weil kayser Carolus Quintus76 damit hat pflegen Ritter zu schlagen, zur grosen Rarität gezeiget. Unten am hofe weiset man auch den Brautwagen, welcher zu Mailand77 gemacht worden, 14000 kronen kostende, worauf die Infantin auß Spanien Isabella78 ihren Einzug in Brüssel sol gehalten haben. Für dem Schloß ist ein groser Platz, an welchem die Kirche zu St. Jacobus, der Stände von Brabandv und Luxenburg Kammer, wie auch der Bergische hof, recht dem Schloß gegenüber, liegen. Auß dem platz gehet man rectà ins Schloß durch daß Portal hinein. |96| Der Innere Schloßhof ist Viereckicht und auf allen seiten wie daß Schloß zu Cassel79 bebauet, wie wol gröser als deßen hof. Mitten im hofe stehet eine grose gethürnte Fontaine. Hinter dem Schloß ist noch ein ander Viereckichter platz, meines erachtens viermahl gröser als der rechte Schloßhof, an deßen seiten stößet die Rennbahn und sonst

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Fauletzer vor Faulentzer durchgestrichen. Brab And vor Braband durchgestrichen.

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Albrecht VII. von Habsburg (1559–1621), Erzherzog von Österreich, Regent der Spanischen Niederlande. Nieuwpoort. Brüssel (ndl. Brussel, frz. Bruxelles). Karl I. der Kühne (1433–1477), Herzog von Burgund. Karl V. (1500–1558), römisch-deutscher Kaiser. Mailand (ital. Milano). Isabella Clara Eugenia von Spanien (1566–1633), Statthalterin der Spanischen Niederlande. Kassel.

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andere Plätze, auf welchen die Ritterlichen Exercitia gehalten werden. Man gehet auß dem grosen Schloß durch einen grosen Saal und von dar von einer breiten Steinern Stiegen in denselben hienunter. Dieser Saal ist mit überauß köstlichen mahlereyen und andern kunststücken von Schreiner Arbeit gezieret und gleichet dem grosen Saal in Haag80 ziemlicher maßen wegen der darauf hengenden Fahnen und andern Sieges Zeichen. Auß diesem platz gehet man endlich in die unvergleichliche Lustgärte. Von einer seiten beschleußt dieselben die Statmauer, von der andern seiten gegen die Stat eine besondere mauer. In diesen Gärten ist nichts vergeßen, waß zur menschlichen Ergetzlichkeit dienen mag. Auch sind die Lustgärte mit ihren Lusthäusern von einander unterschieden: Ein anders ist der eigentgliche Lustgarten, ein anders der Pomerantzen Garten, worinnen alle rare Baum Früchte wachsen, ein anders der Baumgarten und ein anders der Thiergarten, da ein jeder garten seine besondern Gärtner und Aufseher hat. In dem Lustgarten stehet ein Zierliches Lusthauß, allerhand Statuen, Spring Brunnen, verdeckte Gänge zwischen den abgetheilten Blumen Feldern. In dem Pomerantzen Garten siehet man die raresten gewächse in Schönster Disposition und köstliche gefäßen, an den seiten die herrlichen Grotten und in denselben allerhand Sinnreiche Satyrische Bildnüße von Sinnreichen Inventionen und Statuen. In dem Baumgarten findet man die herrlichste Disposition fruchttragender Bäume und dadurch schöne formierte Lustgänge und bey denselben kunstreiche Fontainen und Lusthäuser. Der Thiergarten ist auch nicht von geringer Ergetzlichkeit: Es lauffen darinnen häuffig die Dam und andere Hirsche, Rehe, Hasen, Caninichen und viel außländische Bestien, davon theils eingesperret sitzen. Hierbey ist auch ein Vogelhauß zu sehen, mit raren Vögeln angefüllet, deßgleichen Schöne Weiher Teiche, welche frische Canale bewäßern. Bey dem Außgang desselben müßen die Frembden mit Verwunderung ansehen die grose Fontaine, darauf zweene grose metallene Löwen liegen, da ein jeder einen Vogel im Rachen hält, auß welchem daß waßer in die höhe spritzet. Meinem Bedüncken nach hatte lebens lang nichts lustigeres gesehen. Man sagte, daß über 50 Personen über diese Gärte allein bestellet wären und daß viel tausend Reichsthaler dieselben zu unterhalten erforderten, ohne die Garten kosten. |97| Damahls residirte auf diesem Königlichen hofe der Spanische Gouverneur Don Castell Rodrigo,81 ein herr von ziemlichen Alter, der nach Spanische Grandezza eine prächtige Hofstatt hielt, welche noch mehr die Grosen Spannischen herren Räthe, Generals, Unter Gouverneurs, frembder Fürsten Ambassadeurs, Residenten und Cavalliers, die sich an diesem hofe stets befanden, veransehnlichten.

80 81

Den Haag (Haag). Francisco de Moura (1610–1675), Marquês de Castelo Rodrigo.

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Sonderlich lebte unter diesen grosen herren hier zu Brüssel herr Johan George von Fürst82 zu Kupferberg,83 ein Reicher Schlesischer Edelmann und mein werther Freund, der vorher mit mir zu Heidelberg studiret hatte. Er stand bey dem Gouverneur herren Castel Rodrigo in groser Aestim, hielt sein eigene kutsche und fuhr dasiger Gewohnheit nach täglich nach hofe, hatte aber darumb nicht der Alten Freundschaft vergeßen. Wenn man die haupt Straße vom Königlichen hofe herabgehet und sich vor der Grosen Fleichhalle zur Lincken wendet, kom’t man auf den grosen marckt, darauf das Rhathauß stehet: Dasselbe ähnlichet zwar von außen nicht dem Antwerpischen, jedoch ist es auch künstlich und admirabel. Vor demselben auf dem platz ist ein runter Steinerner Craiß, auf welchem die Grafen von Egmond84 und Horn85 sind enthauptet worden. Der Thurn daran ist auch mit vielen Steinern Statuen gezieret, auf deßen Spitzel der Ertz Engel Michael, samt dem Untertrettenen Drachen von Metall gegoßen stehet und sol 15 Schuh hoch sein. Der Inwendigen Gemächer Pracht bestehet in allerhand mahlereyen der Vornehmsten mahler. Unter andern ist zu sehen daß Gerichte Salomonis von dem Künstler Rubenio86 gemahlet und wird auf viel tausend Reichsthaler geschätzet. In etlichen Gemächern werden allerhand Bildnüße, Statuen und künstliches Schnitzwerck von holtz verwahret, welches bey den Einzügen der Alten Ertz hertzoge Alberti87 und Isabellae88 gebrauchet worden. Von alten Kriegs Waffen Bogen, Pfeilen, Lantzen, Pantzer, Küraß, Schwerdter etc. läst sich hier auch eine grose Zahl finden. Daß Landhauß von Braband, die Müntze nahe an dem Bischofshofe, der Nassauische hof, daß Egmondanische Palatium hinter der Sablon Kirche, der Arenbergische hof gegen dem Dominicaner kloster über, item der Aschortische und Hochstratische hof sind ebenmäßig besehens würdig. Die Bürger ins gemein befleißigen sich hier auf Schöne häuser und bemühen sich, daß es einer dem andern vorthun möge. Man sagt, daß kein vornehmer Edelmann oder Praelat in gantz Braband zu finden sey, der nicht in Brüssel89 sein eigen hauß haben solte. Ich habe auch nirgends so viel kutschen als alhier gesehen. Ein jeder, der es nur möglich erschwingen kan, hält ihm hier sein eigene kutsche. Die Zahl sol sich daher der kutschen, |98| wie man mich berichtete, über 6000 erstrecken, davon diejenigen, welche nichts Standes Personen sind oder nicht

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Johann Georg von Fürst. Kupferberg (poln. Miedzianka). Lamoral Graf von Egmond (1522–1568), Fürst von Gavre. Philippe II. de Montmorency-Nivelle (um 1524–1568), Graf von Hoorn. Peter Paul Rubens (1577–1640). Albrecht VII. von Habsburg (1559–1621), Erzherzog von Österreich, Regent der Spanischen Niederlande. Isabella Clara Eugenia von Spanien (1566–1633), Statthalterin der Spanischen Niederlande. Brüssel (ndl. Brussel, frz. Bruxelles).

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in königlichen Diensten stehen, jährlich der Kammer ein gewißes Stück geldes vor diese Ehre und Bequemligkeit erlegen müßen. Es gibt auch unter den Einwohnern ungemeine Liebhaber deß Garten wercks und suchen darinnen, für andere Stätten, sonderbare Ehre. Vor dem Flanderer Thore hat der Königliche Apothecker einen dermaßen köstlichen Garten mit Lusthäusern und Fontainen angeleget, daß schwerlich ein Fürst in Teutschland einen beßern wird besitzen. Von allerhand Victualien hat die Stat überflüßge Zufuhre, daß, gleichwol bey der grosen menge der Vornehmen herren, noch ziemlich wolfeil in den Wirthshäusern zu leben ist. Ins gemein, wie mehrentheils in allen grosen Stätten, bekümmert man sich nicht viel alhier umb daß wahre Christenthum, sondern suchet den himmel in der Welt. Ob wir nun gerne von hier wären weiter gereiset ein mehrers in Braband, sonderlich die Berühmte Universität Loeven90 zu sehen, so wolte doch der anbrechende Geld mangel sothanen gutten Vorsatz verhindern; Sintemal die Reisen in den Niederlanden einen gröseren Beutel als in Teutschland erfordern. Über daß so fraßen die trinckgelder mehr geld weg als die Zehrung, ohne welche man nirgends den Frembden die Raritäten zu besehen vergönnet. So sind auch die Niederländer ins gemein in dem sehr unverschäm’t und wißen mit harter Importunität deßwegen die Passagiers anzulauffen. Eben denselben weg, den wir hierher reiseten, tratten wir wiederumb nach Antwerpen91 an. Wir hielten unß aber nicht lange in Antwerpen auf, sondern umb die Abendszeit, weil die hitze selbigen tages sehr heftig druckte, fasten wir resolution, zu fuß nach Utrecht zu kehren, sonderlich in dem wir auf der anhero reise die Schönen graden und zu gehen auch an den meisten orten bequemen wege albereit beßer bekant gemacht hatten, daß wir solches ohne Weg Weiser zu thun vermochten. Nach dem Außgang auß Antwerpen war selbige Nacht zu Braxschoten92 unsere herberge, eine meil weges davon. Vor anbrechendem tage machten wir unß auf und giengen in der kühlung auf Breda zu, lencketen unß aber in etwaß auf die rechte hand nach Hochstraten93 und besahen alda daß Uhralte Berühmte Gräfliche hauß von außen mit seiner lustigen Situation, ruheten den tag über auß und gegen Abend erhob man sich weiter: Denn ich befand in hiesiger Gegend deß Moerlandes und der heide den Erdboden dermaßen von der Sonnen inflammiret. |99| daß auch unsere Schuhsolen von solcher hitze bersten musten. Deß andern tages kamen wir umb 9 Uhr zu Breda an deß morgends und, weil nicht gesinnt war, dem herren Commendanten von Falckenhain94 aufzuwarten, in dem unser Leinen Gerehte durch diese continuirende Reise und Travaillien ziemlich geschwärtzet

90 91 92 93 94

Löwen (ndl. Leuven, frz. Louvain). Antwerpen (frz. Anvers). Brasschaat. Hoogstraten. Falkenhayn (Falkenhain), Alexander von († nach 1668).

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war, übernachteten wir in dem Wirthshause, vom König in Franckreich genandt, und giengen nicht in die vorige herberge zu Sonnen, damit Er unsere Gegenwart und Rückkunft nicht erfahren möchte. Mit Aufschließung der thore gieng unsere Reise nach Gertrudenberg.95 Die Schiffart aber über den Biesbos wolte unß zu beschwerlich scheinen, sonderlich weil wir auch an der grassirenden Pest zu Gorcum96 Abscheu trugen. Auch rectà über Dort nach Utrecht zu gehen, waren die ambages zu weitleuftig; Daher ließ man es bey der gefasten Resolution bewenden und giengen zu fuß von Gertrudenberg durch daß Ländlein Altena, drey kleiner meilen biß nach Worcum97 zwischen der Maase und dem Biesbos gelegen. Daß Ländlein Altena ligt recht in einem Winckel und bewohnen selbtes über die maßen grobe Holländische Bauern, welche nicht weit außkommen und auch nicht hinwieder viele Passagierer gewohnet sind. Es in demselben Schöne herrligkeiten und dorfschaften, derer Einwohner alles mit Schleußen und Thämmen verbauen und dergestalt enge Pässe machen, daher es unß viel mühe und gefahr kostete, biß wir unß ohne Stöße durch diese ungesaltzene Bauern durchfraßen und nach Worcum gelangten. Zu Worcum setzten wir über die Maase und giengen biß auf Hockelem,98 ein kleines Städtlein deß Landes Gorcum, und von dar durch die Schönen Dörffer Osterwyck99 und Leerbroeck100 auf Vianen, von dar über die Leck nach Utrecht. Auf dieser Reise hatten wir über 4 wochen zubracht und unß ziemlich abgemattet. Vors Erste dancketen wir Gott, der unß gnädiglich beschützet, bey Gesundheit erhalten und für allem Schaden Leibes und der Seelen auf diesen gefährlichen wegen behüttet hatte. Hierauf nahmen wir wiederumb unsere Bücher zur hand, besuchten die Collegia und ersetzten also daß Versäumete mit desto gröserem Fleiß. Und weil mir daß redliche Gemüthe meines Ehrlichen Hartfelds101 so gar wol anstande, also daß zwischen unß mehr als ein aufrichtiges Brüderliches Comportement jedermann verspüren konte, so verharreten wir noch denselben Winter beysammen in ungefarbter Liebe und Vertrauligkeit. Nun lag mir Leiden im Sinn, so wolte mich auch mein Seeliger herr Vater102 nicht länger zu Utrecht wißen, sondern ertheilte mir Ordre nach Leiden zu gehen. Ich gestehe, daß mir die Scheidung von meinem Hartfeld über die maßen wehe thät: Denn unser Bündnüß und Verträuligkeit war hertzlich. Er wolte zuvor seine angefangene Collegia Politica absolviren und hernach nach dem Brandeburgischen Hofe reisen, auf Einrahten seiner Curatorum, sonst wäre Er mir nach Leiden gefolget. 195 196 197 198 199 100 101 102

Geertruidenberg. Gorinchem. Woudrichem (Workum). Heukelum. Oosterwijk. Leerbroek. Stephan von und zu Hertefeld. Johann Lucas (1602–1673), Vater von Friedrich Lucae.

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|100| IX. Friderici Lucae Studia zu Leiden in Holland.a Endlich reisete ich von Utrecht ab mit vielen thränen und mehr als zehnfachem ­embressiren meines Getrewen Hartfelds1 und nahm von ihm abschied mit dem ich, ein Jahr lang, als ein hertz und Seele gelebet hatte, welche Er noch reichlicher mit seinen thränen vermischete. Gleichfals valedicirte den Vornehmsten herren Professoribus, die mir ihre Nahmen zum Gedächtnüß meinem Stambuch einschrieben. Anno 1665 den 3. Martii trat ich zu Schiffe und reisete in Begleitung meines Hartfelds biß auf Woerden nach Leiden zu, sind 7 meilen von Utrecht, alwo wir einander nochmals mit tausendfachen Glück und Seegens Wündschen daß letzte Adieu sagten. Woerden ist sonst ein kleines Stätlein und hat ein ziemlich vestes Schloß, gehöret ins Stift Utrecht. Ferner passirten wir durch Bodegrave,2 woselbst in dem letzten krieg die Frantzosen unmenschliche Tyranney verübt haben, davon in dem Ersten Tomo deß Verwirrten Europae in meiner Bibliotheca umbständlich zu lesen ist. Von Woerden und Bodegrave nahm daß Schiff die passagie ferner durch den Rhein, der in diesen Reviren in länger in kleiner wird, auf Alphen3 und langte zu Leiden in der Haupt grosen Stat und der Welt Berühmten Universität, welche zu sehen vor längsten verlangen truge, glücklich an. Ich fand alhier Unterschiedliche Studirende Land’sleute: Herr Johann Ernst von Pein,4 herr Ernst Ferdinand von Schindelberg,5 herr George Hermann von Schweinitz,6 herr ­Johann Christoph von Schweinitz,7 herr Friedrich von Schweinitz,8 Gebrüdern, herr Johann Erasmus von Abschatz,9 herr Abraham Ernst von Döbschütz,10 herr Carl ­Heinrich von Döbschütz,11 Gebrüdern, Herr Johann Carolus Justus12 Sitta13 Lusatus, derselben Hofemeister herr Peter Titz14 von Breslaw,15 Herr Godfried Besser16 von a

Die Groß- und Kleinschreibung von FRIDERICI LUCAE STUDIA ZU LEIDEN in HOLLAND zu Friderici Lucae Studia zu Leiden in Holland vereinheitlicht.

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Stephan von und zu Hertefeld. Bodegraven. Alphen am Rhein (ndl. Alphen aan den Rijn). Johann Ernst von Pein (1641–1705). Ernst Ferdinand von Schindelberg. Georg Hermann von Schweinitz (1643–1701). Johann Christoph von Schweinitz (1645–1722). Johann Friedrich von Schweinitz (1647–1712). Hans Aßmann von Abschatz (eigentlich Johann Erasmus von Abschatz, 1646–1699). Abraham Ernst von Dobschütz (1644–1675). Karl Heinrich von Dobschütz (G 1645). Johann Karl Justus († 1698). Zittau. n.z.e. Breslau (poln. Wrocław). Gottfried Besser.

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Olaw.17 Allerseits diese herren Landsleute bewilkommeten mich aufs freundlichste und erwiesen mir mancherley höfligkeit. Unterdeßen, weil die meisten Edelleute waren, satzte auf herren Godfried Bessern die meiste Confidentz, der sich auch gegen mich sonderlich affectionirt erzeig’te und renovirte also die alte Schlesische Bekantschaft. |101| Er logirte auf der Rapenborck in dem Churfürsten zu Sachsen, ist eine vortrefliche breite und lange Straße, darauf auch die Universität stehet und mitten hindurch ein theil des Rheins ströhmet, welcher zu beyden seiten mit hohen Linden Bäumen besetzet ist, welche im Sommer Schönen Schatten geben. Eben in diesem hause der Schild des Churfürstens von Sachsen führende, darinnen die Verwittibte Wirthin sich blößlich von dem mitgeld der Studenten ernehrete, procurirte mir besagter herr Godfried Besser18 ein Schönes Zimmer heraußwerts auf die Straße und recht gegen dem herren Doctor Cocceio19 über. Es lebte auch noch sonst ein alter Schlesier, herr Fridrich Goldmann20 von Breslaw,21 ein Mathematicus, der privatim den Liebhabern selbte Wissenschaft profitirte, zu Leiden; Desselben Bruder, auch ein unvergleichlicher Mathematicus, herr Nicolaus Goldmann,22 war unlängst gestorben, deßen hinterlaßene Witwe23 ernehrete sich von Kostgängern, welches Tisches sich auch herr Godfried Besser bediente und mich denselbigen gleichfals anzutretten persuadirte, wiewol die Tischgeseelschaft nur in etliche Personen bestand. Besagter herr Fridericus Goldmann, der in Coelibatu lebte, hat sich hernach selbst vorsetzlich ins Wasser für seinem hause gestürzet und erträncket, zweiffelsohne auß Desperation wegen seiner anwachsenden Armuth, in dem ihm die Collegia nicht eben so viel brachten, daß Er davon den Tisch seines Bruders Witwe, die auch nicht viel zum besten hatte, zu bezahlen vermochte. Mein DIC, CUR, HIC? bezielete hier zu Leiden vornemlich die Studia; Daher mich der Universität und die Universität mir bekant zu machen, ließ mir höchst angelegen sein. Ich befand die Universität in unvergleichlichem Flor. Die Professores in allen Facultäten waren lauter Lumina und Numerus Studiosorum erstreckte sich über 3000 Köpffe auß allerhand Nationen. Herr Jacobus Golius,24 der Berühmte Mathematicus und Linguista, verwaltete damahls daß Rectorat, welcher mich in Numerum Studiosorum recipirte und inscribirte. So lernete auch in kurtzer Zeit die herren Professores in allen Facultäten kennen. 17 18 19 20 21 22 23 24

Ohlau (poln. Oława). Gottfried Besser. Johannes Coccejus (Koch, 1603–1669). Friedrich Goldmann (1622–1665). Breslau (poln. Wrocław). Nikolaus Goldmann (1611–1665). Catharina Goldmann, geborene Noortbergen († nach 1665). Jacob Golius (van Gool, 1596–1667).

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Betreffende die Professores Theologiae, so war derselben Senior herr Abrahamus Heidanus25 ein Oberpfältzer und zugleich Prediger; denselben hatte Gott inb seiner Jugend sonderlich gesegnet, denn als Er in seinem Studenten Stande einstmahls geprediget, hatte ein Reicher Kaufmann26 auß desselben Gaben solche Vergnügung geschöpffet, daß Er in Ansehung derselben ihm seine eintzige Tochter27 zur Ehe anbitten laßen, welcher Er auch geheurathet und nach des Vaters Todt etlichen Tonnen Goldes, als seiner Tochter mann, ererbet hat. Er praesentirte eine Grose Starcke Person, lustigen Gemüths, und woh- |102| nete nahe bey der Universität in einem recht fürstlichen hause, mit kostbaren mahlereyen gezieret. Seine jährliche Besoldung theilte Er unter die Armen, lebte von seinen Renten und machte ihm davon einen gutten tag; Daher die Holländer im Sprichwort sagten: Man gehet selten deß Doctor Heidani28 hauß vorbey, daß man nicht solte darinnen die Gläser, Teller und Schüßeln rasseln hören. Publicè profitirte Er gar selten und privatim noch weniger. Seine eintzige Materia, von welcher Er zuweilen profitirte und disputirte, warc de Origine Erroris. Ob endlich daß zusammen getragene Opus sey gedrucket worden, kan nicht wißen. Herr Doctor Franciscus Burmannus,29 Professor Theologiae zu Utrecht, lebte mit dieses herren Heidani Tochter30 in der Ehe, welcher keinen männlichen Erben hinterlaßen, wie auch herr Burmannus nicht. Wem nun derer Gütter werden sein zutheil worden, habe bißhero nicht erfahren können. Herr Doctor Johannes Cocceius,31 der Berühmte Theologus, hatte sehr grosen Zulauf auß allen Orten von Studiosis, sonderlich von Engelländern, Schotländern, Frantzosen, Ungern, Siebenbürgern, Westphälingern etc. Die Universität Leiden zierete dieser mann vortreflich. Er praesentirte ebenfals eine Gravitätische Person, Groß und Weißes Angesicht mit abgeschorenem Bart, und trug eine graue gekräuselte Paruque. Der lange Professor Rock, mit den schwartz Atlaßen Aufschlägen, und Kragen, längst herunter, accordirte hierzu wol. Die Embsigkeit und Unabläßiges Studiren dieses herren mag nicht beschrieben werden. Weder publicè noch privatim versäumete Er keine Stunde, die Er ihm zu dociren bestimmet hatte; Jedoch thät Er mehr publicè als privatim. Waß Er zu meiner Zeit eigentglich für Collegia gehalten, erscheinet auß Seinen Scriptis und Operibus. Denn die Holländischen Theologi ins gemein haben die geb c

Gott vor in durchgestrichen. war de vor war durchgestrichen.

25 26 27 28 29 30 31

Abraham Heidanus (van der Heyden, 1597–1678). Carel Loten (1584–1652). Sara Loten (1608–1669). Abraham Heidanus (van der Heyden, 1597–1678). Frans Burman (1628–1679). Maria Crucius (de la Croix), geborene Heidanus (1628–1706). Johannes Coccejus (Koch, 1603–1669).

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wohnheit, daß Sie daßjenige, waß Sie künftig wollen außgeben, zuvor profitiren und darüber disputiren. So machte es herr Cocceius auch. Eben damahls tractirte Er den Danielern, Epistolam Pauli ad Ephesos etc., welche hernach den andern Operibus sind adjungiret worden. Deß Predigt Ampt war Er überhoben, halte auch nicht darfür, daß Er mit Donis Externis hierzu sey begabt gewesen. In dem Er in Interpretatione et Explicatione S. Sanctae Scripturae, sonderlich Veteris Testamenti, sonderliche Explicationes und allerhand Novitäten auf die Bahn brachte, satzte es manchmahl in der Universität gewaltige Zänckereyen, vornemlich satzten sich theils Prediger in Leiden mit dem herrn Doctor Hoornbeck32 wieder Seine Dubia de Salute Patriacharum und machten ihm viel zu schaffen. Dafern Er nicht dermaßen Obscurus gewesen wäre, wie im Schreiben so im dociren, dörfte Er sonst mehr erbauet haben. |103| Sonst erzeigte Er33 sich gegen die Studiosos sehr höflich und aestimirte insonderheit die Frembden und nahm unsere Visiten günstig auf, ließ sich aber nicht lange aufhalten und seine Grandezza abrumpirte zeitlich, und gewöhnlich, den Discurs. Herr Doctor Johannes Hoornbeck34 predigte in der Kirche und profitirte zugleich in der Hohen Schule und erbauete an beyden Orten gar viel. Seine Person war mittelmäßig lang und etwaß untersetzt, braunlicht von angesicht und kurtze Schwärtzlichte haare, etwaß kräußlich, bedeckten sein haupt. Seine stimme ließ sich über die maßen lieblich hören und seine fertige Zunge war fast von gleicher Geschwindigkeit wie deß herren Doctoris zu Heidelberg, welche Er gleich jenem in den Disputationibus extraordinair wol zu gebrauchen wuste. Seine Lectiones publicae bestanden mehrentheils in Controversiis contra Pontificios, Arminianos, Socinianos, Lutheranos etc. Er nahm ihm allzeit einen gewißen Locum vor und refutirte dadurch die Adversariorum obiectiones. Eine Zeit lang profitirte Er auch de Fide Patrum V. Test: Praeceptis Christi et Satisfactione. In Collegiis Privatis tractirte Er mehrentheils Theologiam Practicam. Am allermeisten beliebte mir sein Collegium Explicatorium Casuum Conscientiae Amesii,35 da Er gewaltig in die Theologiam Casuisticam hienein lief und trefliche moralia herfürzoge. Von dieses herren Hornbeckii Scriptis, wie auch einige Partes von deß herrn Doctoris Coccei Operibus, deßgleichen deß herren Burmanni36 Opera, sind in meiner Bibliotheca befindlich. Sonst stehet es den Theologiae Professoribus frey zu profitiren, waß Sie nur wollen: Sie binden sich an keine gewiße materiam, wie mancher Professor in Teutschland, die über 8 Jahr über ein Caput Biblicum pfleget zu lesen, sondern richten sich nach den 32 33 34 35 36

Johannes Hoornbeek (Horenbeek, 1617–1666). Johannes Coccejus (Koch, 1603–1669). Johannes Hoornbeek (Horenbeek, 1617–1666). William Ames (Guilielmus Amesius, 1576–1633). Frans Burman (1628–1679).

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Auditoribus, erwegende, daß dieselben nicht lange bey ihnen subsistiren könten und fangen bald diese bald eine andere materie an, absolviren Sie aber auch, einem jedem Satisfaction zu leisten. Die Collegia Privata kosten die Studiosos nichts: Denn die Professores müssen Sie gratis halten, weil nemlich ein jeder jährlich 1000 Reichsthaler zur Besoldung hat. Eben daß ist auch die Uhrsache, warumb in Holland die Professores fleißiger publicè als privatim dociren. Man sagte mir, herr Doctor Cocceius hette noch mehr als 1000 Reichsthaler genoßen. Bey den Juristen Facultät befanden sich Doctor von Thienen37 und Doctor Colonus.38 Sie lebten im grosen ansehen, wurden in vielen wichtigen Dingen von den Holländischen Rhatshäusern consuliret, hatten grosen Zulauf von den Studiosis und verrichteten ihr Ampt trewlich. Die andern von der Facultät habe nicht gekennet. Ebenfalls prangete die Medicinische Facultät mit ihren Lichtern, oder Weltberühmten Professoribus. Herren Doctor Sylvio39 brachte seine unvergleichliche Erudition den Ruhm, daß Er Seinesgleichen in gantz Holland und Teutschland nicht hatte. Er war ein Humaner und Civiler Mann, kurtz von Person, aber eines hohen Gemüthes. Seine Lectiones verichtete Er nur in gleichsam spielende und mit Seiner Suada machte Er die Zuhörer begieriger zu hören. Alle grose herren |104| in Europa bedienten sich seines Rhats und schickten ihm grose Geschencke. In Medicina sol Er sonderliche Principia gehabt haben. Herr Doctor van Horn40 war ein solcher erfahrener Anatomicus, daß Er mit Seinen Sectionibus, bey der Jugend, ein Groses praestirte und Seine Vortrefliche Gelehrtheit jedermann in Verwunderung setzte. Herr Doctor Schuyl,41 Professor Botanices, gab auch in dieser Wissenschaft keinem nach. Diese drey Unvergleichliche männer haben manchen Statlichen medicum außgewircket. Unter andern Hospitälern unterhielt auch die Stat Leiden ein Nosocomium und in demselben ofters über 80 Personen, welche mit allerhand Braßhaftigkeiten und abscheulichen unheilbaren kranckheiten behaftet waren, verpfleget werden. In dem Zimmer, worinnen die meisten krancken lagen, hielten die Professores Medicinae zweymahl in der Wochen Lectiones und nahmen einen krancken nach dem andern vor, considerirende und describirende desselben Morbum nach seinen Uhrsachen, Wachsthum und Zufällen, auch wie Er hette können curiret oder nicht curiret werden etc. Wenn dieselben Personen sterben, so werden Sie, ohne Unterschied, dem herrn Doctor van Horn in die Anatomie zur Section übergeben, welches Sie auch vorher allerseits wißen und sich ­manchmahl selbst mit den Studiosis vexiren, in derer hande Sie gleichfals gerahten müßen. 37 38 39 40 41

Adriaan Beeckerts van Thienen (1623–1669). Daniel Colonius (van Ceulen) der Jüngere (1608–1672). Franciscus Sylvius (Franz de le Boë, 1614–1672). Johannes van Horne (Hornius, 1621–1670). Florentius Schuyl (Florentz Schuijl, 1619–1669).

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In diesem Nosocomio kan ein Studiosus, der seine Fundamenta hat, in einem Jahr beßer eines und daß andere Experimentiren, als viele lebenslang nicht erfahren oder erlernen mögen. Auß Curiosität habe selbst etliche mahl solchen Sectionibus beygewohnet. Die Philosophische Facultät leuchtete ebenfals mit ihren Unvergleichlichen Professoribus der gantzen welt in die augen. Herr Jacobus Golius42 meritirte unter diesen den Vorzug, wegen seines Greysen hauptes und meriten. Es hatten denselben die General Staten in der Jugend als ihren Stipendiaten in die morgenlander reisen laßen, derselben Sprachen zu lernen, welches Er nützlich verrichtet. Er profitirte die Arabische, Aethiopische, Syrische Sprachen, verstand auch die Sinesische, gleichsam wäre es seine mutter Sprache. Nebst dem profitirte Er auch Mathematica mit groser Dexterität. Seine Ungemeine Erudition bewegte ihn zu keiner hoffart und die Gesehenen Sitten der heiden munterten ihn auf Gottseeligen Christen wandel. Er erzeigte sich dermaßen demüttig, als wenn Er der Hochgelehrte Weltbeschauer Golius nicht wäre. Wegen der Exotischen Bücher, die Er mit sich auß Orient gebracht hatte, kam seine Bibliotheca in grose Consideration, habe selbte aber nicht gesehen. Herr Johannes Henricus Gronovius,43 der Unvergleichliche Polyhistor, Criticus, Philologus und Professor Eloquentiae, vermehrete nicht weniger die Universität, dem zu gefallen viel Studiosi anhero kamen. Ich hörete ihn selbst ofters lesen über den Suetonium44 und andere Authores Classicos, wie auch über den Tacitum.45 Er profitirte alles memoriter, mit zugeschloßenen augen, welches seiner Suada mehr nachdruck als abbruch gab. Seine Scripta sind gnugsam der welt bekant gemacht. |105| Herr Georgius Hornius,46 deßen Lob nicht vergehet, so lange die Welt noch ­stehen wird, Historiarum et Politicae Professor, bürtig auß der Ober Pfaltz, schafte ­gleichfals der Universität viel nutzen durch seine Erudition und Fleißigkeit. Er hatte zwar nur ein Auge, sahe aber damit mehr als andere mit zweyen, wie die Holländer von ihm sagten. Fast alle Tractätlein, die mehrentheils in meiner Bibliotheca habe, als Historia Ecclesiastica et Politica, Orbis Politicus, Ulyssea, Arca Mosis, etc. hörete ihn privatim profitiren. Gegen mich trug sein Gemüthe eine besondere Affection und muste ihm ofters nach gehaltener Lection Geseelschaft bey einem Pfeiffchen Taback leisten, welched Er, gleich dem Berühmten Buxhornio,47 sehr liebte. Meine Discurse de Statu Palatino Heidelbergensi, item de Patria mea Silesia attendirte Er sehr fleißig und schöpffte darauß sein Contentement. d

m in welchem durchgestrichen.

42 43 44 45 46 47

Jacob Golius (van Gool, 1596–1667). Johann Friedrich Gronovius (Gronow, 1611–1671). Sueton (Gaius Suetonius Tranquillus, † nach 122). Tacitus (Publius Cornelius Tacitus, † um 120). Georg Horn (Hornius, 1620–1670). Marcus Zuerius van Boxhorn (1612–1653).

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Er lebte im Coelibatu und machte wenig wercks von dem eiteln Weltwesen und vergnügte sich mit geringer kost und kleidung. Ein jeder, der ihn nur einmahl hörete, verlangte ihn mehr zu hören: Denn eben mit dem Stylo, damit Er seine Bücher geschrieben, redete Er auch und war kein Unterschied zwischen seiner Redens und Schreibens Art. Dieses Oraculum zu hören, kamen von allen Ecken Europae Studiosi nach Leiden, gab aber manchmahl den Oesterreichs Gesinn’ten und Affectionirten gewaltige pillen zu verschlucken. Herr Doctor David Stuartus,48 Anglus Philosophiae Moralis Professor, verrichtete sein Ampt fleißig und proponirte der Jugend vortrefliche sachen; Allein, weil Er ein Engelländer war, etwaß kurtzweilig und von lustiger Phisiognomie thäten ihm die Disaffectionirten Holländischen Junge Pursche ofters viel Tort an, so wol auf den Straßen als im Collegio. Meines Ortes gab ihm unterschiedlich mahl die Visite, welches ihm sehr wolgefiel, rühmende, wie Er allezeit Ehre und Faveur von den Teutschen empfienge als von den Unbändigen Holländern. In Engelland, bey seiner Nation, sol Er sonst wegen seiner Erudition in groser aestim gestanden haben. Er erbot sich auch gegen mich groser Dinge und favorable Recommendation zu ertheilen an grose herren, dafern gesinnet wäre in Engelland zu reisen beßerer Promotion wegen, welche reise, wie hernach die Uhrsachen gemeldet werden, nicht Fortgang haben konte. Er heurahtete bey dieser Zeit deß Vornehmen Theologi Thisii49 hinterlaßene Toch50 ter, welche eine Galante Dame und bey den Studiosis ziemlich beliebt und bekant war; Unterdeßen dorfte Er sich nicht viel mit derselben auf der Gaßen praesentiren, dafern Er nicht wolte affrontiret sein. Mich jammerte seiner hertzlich, seiner gutten gegen mich tragendene Affection wegen, vornemlich, wenn Er auch so gar schimpflich in publicof Auditorio affrontiret wurde, wie wol solche Tumultuanten wiederumb Schändliche Titel einfreßen musten. |106| Herr Doctor Johannes de Raei,51 Philosophiae Practicae Professor et Carthesii52 Aemulus Cultor et Excultor, machte ihm mit der Carthesianischen Philosophie grosen anfang, darinnen Ers auch hoch brachte und von Seinem Sauerteig Philosophantium Princeps in publicis Scriptis tituliret wurde. Zwischen ihm und dem vorher gedachten

e f

a vor tragenden durchgestrichen. co in publico vor co durchgestrichen.

48 49 50

David Stuart (1627–1669). Antonius Thysius (Thys, Thijs) der Ältere (1565–1640). Antonia L’Empereur van Opwyck (Oppijck). Sie war allerdings eine Enkelin des genannten Theologen, ihre Mutter Abigaïl L’Empereur van Opwyck (Oppijck), geborene Thysius, war eine Tochter von Antonius Thysius (Thys, Thijs) dem Älteren (1565–1640). Johannes de Raey (Raei, 1622–1702). René Descartes (Cartesius, 1596–1650).

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51 52

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herren Doctor Stuart,53 der ein Purus Aristotelicus54 war, gab es ofters recht lächerliche händel und deßhalben auch wol unter ihren Discipulis truckne ­Schlägereyen. Dieser herr Doctor Raei, welcher zu der Zeit den Rhum deß Vornehmsten Philosophi in Holland hatte, praesentirte auch einen Natürlichen Holländer und Philosophum tam in Verbis quam in moribus und bekümmerte sich nicht viel umb die höfligkeit. Nach Absterben herren Alardi Uchtmanni,55 gewesenen Professoris Linguae Hebraae, votirten die Curatores der Universität, von Utrecht, herren Leusden,56 einen Perfecten Hebraer, der sich auch anietzo durch Scripta in dieser Sprache gewaltig sehen läst. Wie weit ich mit diesen Hochgelehrten männern in Bekantschaft gestanden, kan auß meinem Stambuch ersehen werden, darinnen ihre Nahmen allerseits geschrieben stehen. Allerseits Professores stehen unter der Inspection der Curatorum Academiae; Dieselben beobachten der Universität Privilegia, der Professorum Besoldungen, Fleißigkeit und andere Nothwendigkeiten. Hierzu verordnen die General Staten Tapffere Gelehrte Männer auß ihren Deputirten, welche auch den Professoribus genaw in die karte kucken und die hände binden, daß Sie ohne diese Curatores, davon zwar theils auserhalb Leiden wohnen oder ohne derselben ablegirte Secretarios keinen Conventum oder Consilium halten, auch allerdings ohne ihr wißen keinen Doctorem promoviren dörffen. Sonst gescheen die Promotiones Doctorales zu Leiden auf dreyerley weise: Etliche promoviren Solenni Ritu und mit höchster Pomp, welche ein jeder, der da gedencket ins künftige ein Deputirter und Membrum der General Staten zu werden, annehmen muß und kostet über 2000 Reichsthaler. Etliche promoviren publicè, darbey gescheen aber wenig Ceremonien, außer daß die herren Professores von derselbigen Facultät, der Er zugethan ist, denselben begleiten auß der Senat Stube nach vorher außgestandenem Examine zur Disputation ins Auditorium und ihm selbst opponiren, worauf Sie ihm auch die Honores Facultatis conferiren. Hernach stehet einem jeden Promoto frey, ob Er die herren Doctores und Professores tractiren wil oder nicht. Dieser Actus kostet ohngefehr in allem 100 Reichsthaler. Die dritte art wird genandt Sub Camino promoviren. Hierbey gehen gantz keine Ceremonien vor, sondern der Candidatus, nach dem Er die Disputation drucken laßen, übergibt Sie den Professoribus Facultatis zur Censur, von denen Er hernach privatim ­examiniret und ohne fernere Publication der Disputation in Doctoratu confirmiret wird. Solcher Art Promotion kostet aufs höchste 10 Reichsthaler. Mancher Gelehrter mann muß auß Armuth solcher maßen den Gradum annehmen, wie dan auch der Armen wegen sothaner Wolfeiler Modus Promovendi angesehen ist; Allein die Idioten pflegen sich am meisten Sub Camino promoviren zu laßen und unter denen sonderlich viel Teutsche, 53 54 55 56

David Stuart (1627–1669). Aristoteles (384 v. Chr. – 322 v. Chr.). Allard Uchtmann (1612–1680). Jan Leusden (1624–1699).

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welche |107| als dan nach hause kommen und mit ihren Titeln prangen, ungeachtet Sie derselben nicht würdig seind; Daher heißet es mit den Leidischen wie mit den Paduanischen Professoribus: Nos sumimus Pecuniam et mittimus Asinos in Germaniam. Dergleichen Promotiones gescheen ofters in einer woche drey oder vier, ohne daß es jemand erfähret; Sintemahl diese Doctores, dafern ihre Promotion offenbar gemacht wird, für den Spot nicht sorgen dörffen. Die herren Staten von Holland halten auch bey dieser Universität eine gewiße anzahl Alumnos und Stipendiaten in einem besondern Grosen und Schönen Collegio, derer anzahl biß auf 50 befande. In diesem Collegio ist ein besonderer Regent und Professor Theologiae, welches Ampt damahls herr Doctor Peter Cabeliau57 verwaltete: Er muste den Alumnis wochentglich zweymahl lesen und alle 14 tage einmahl disputiren, auch die Theses drucken laßen, dadurch Er statliche leute außwirckte, mit denen ofters conversirte. Diese Alumni wurden eben nicht vom besten tractiret, waren es auch als Holländer nicht beßer gewohnet. Auß diesem Collegio werden von besagten Alumnis hernach die Capabelsten als Prediger ordiniret und in Ost und West Indien geschickt und müßen auch folgen, wohin Sie die General Staten, ihre Herrschaft, sendet. Ins gemein genießen hier in Leiden die Studiosi ziemliche Privilegia und besondere Beneficia, aber Sie müßen Inscribiret sein. Die jenigen, welche Inscribiret seind und sich selbst auf der Kammer speisen, so man quadriren heißet, dörffen weder Wein, Bier, Brandtwein, weder andere Victualien, dafern Sie dieselben im Groß oder in der Summa einkauffen, veraccisen. Zum Exempel: Wenn ein Bürger etwa für eine Tonne Bier 5 Reichsthaler gibt, kostet dieselbe den Studiosum kaum 4 Reichsthaler; Wenn ein Bürger einen Ohm Wein für 24 Reichsthaler kauffet, darf ein Studiosus kaum 20 darfür bezahlen und so fort an. Daher können die Studiosi, deren Patria mit Holland grentzet, alhier wolfeil leben: Denn wenn Sie ihnen die Victualien auß der heimath ihre Eltern schicken laßen, können Sie im übrigen mit dem Trunck leichtlich zu kommen; Allein solches quadriren, da ihrer 4 oder 5 zusammen tretten und sich miteinander tractiren laßen und da wochentglich einer unter ihnen per vices Oeconomus sein muß, hat bey seiner Wolfeilkeit vielerley Incommodation. Entweder es gibt Untrewe Leute, die ihnen allezeit von Speise und Tranck etwaß abzwacken, oder es gehet gemeiniglich, wo nicht täglich doch vielmahls in der wochen, auf ein sauffen loß. Außgenommen die Ungern, habe sonst von den Extraneis gemercket, die sich dieses quadrirens bedienet hetten. Unterdeßen wer Inscribiret ist und sothane Freyheit schriftlich von dem Magnifico erlanget hat, der kan dieselbe einem Bürger verkauffen, dafern Er Sie nicht selbst genießen wil, wie ich auch gethan habe, wie wol mir daß pretium auß dem gedächtniß entfallen ist. 57

Pieter Cabeljauw (1610–1668).

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|108| Zu diesem quadriren und Lebens art gehöret auch täglich ein mit Geld gespickter Beutel, damit die weit abgelegene unmöglich stets können versehen sein, derer Wechsel ofters ausen bleibet. Ob zwar, in ansehung deßen, ein Frembder nicht möchte Uhrsache haben sich hier inscribiren zu laßen, so wolte es doch auch dieser grosen Universität keinem rahten, daß Er alhier uneingeschrieben leben solte: Denn die jenigen, welche nicht unter der Universität Jurisdiction leben, stehen unter deß Ober Schultheiß gewalt, der Sie gemeiniglich bey dem geringsten versehen, darzu man leichtlich gerahten kan, wieder vorsatz und hoffen, durch seine häscher oder Dieb Leiter apprehendiren oder schimpflich tractiren läst, wie solches Vornehme Adeliche und Unadeliche Vornehme Studiosi ofters ersehen haben, derer gar viel kenne, die itzo, hin und wieder, in hohen Dignitäten leben. Wie schon oben meldung gescheen, befand sich zu meiner Zeit bey dieser Universität eine grose Frequentz, über 3000 Studiosos außtragende. Unter denselben waren nun Vielerley Nationes, wie wol die Holländer den Grösten Numerum machten. Bey solcher menge weitleuftige Conversation zu halten, ist nicht rathsam und muß man hier daß Sprichwort lernen practiciren: Fide, sed cui vide. Die jenigen, mit denen gewöhnlich conversirte, waren meine Tisch Cameraden und Landsleute, alles Gelehrte und Qualificirte Leute von groser hofnung. Auß Alter Affection muß ich meine Landsleute noch einmahl hierbey mit Nahmen nennen. Herr Johann Ernst von Pein.58 Herr Abraham Ernst von Döbschütz.59 Herr Ernst Ferdinand von Schindelberg.60 Herr Carl Heinrich von Döbschütz.61 Herr George Hermann von Schweinitz.62 Herr Johann Carolus Justus,63 Sitta64 Lusatus. Herr Johann Christoph von Schweinitz.65 Herr Peter Titz,66 Vratislaviensis67 Silesius. Herr Friedrich von Schweinitz.68

58 59 60 61 62 63 64 65 66 67 68

Johann Ernst von Pein (1641–1705). Abraham Ernst von Dobschütz (1644–1675). Ernst Ferdinand von Schindelberg. Karl Heinrich von Dobschütz (G 1645). Georg Hermann von Schweinitz (1643–1701). Johann Karl Justus († 1698). Zittau. Johann Christoph von Schweinitz (1645–1722). n.z.e. Breslau (poln. Wrocław). Johann Friedrich von Schweinitz (1647–1712).

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Herr Godofredus Besser,69 Olaviensis70 Silesius. Herr Johann Erasmus von Abschatz.71 Die andern herren Tisch Cameraden und Freunde, mit denen am meisten conversation hielt, waren folgende: Herr Gustavus Johannes Wrede,72 Baro de Elima Suecus. Herr Carolus Wrede,73 Baro de Elima Suecus. Herr Benedictus Gyllenancker,74 Nobilis Suecus. Herr Jonas Drysander,75 Suecus. Herr Johannes Henricus de Beerenhauer,76 Nobilis Borussus. Herr Michael Stürmer,77 Regiomontanus78 Borussus. Herr Fridericus Lunitz,79 Regiomontanus Borussus. Herr Johannes Niclasius,80 Dantiscanus81 Borussus, nachgehends gewesener Prediger alda. Herr Petrus Christoph Wyncken,82 Stada Bremensis.83 Herr Alardus Cummius,84 Hanovera85 Brunsvicensis, Medicinae Doctor. Herr Wilhelmus Nieuhausen,86 Amsterodamensis87 Batavus. Herr Cornelius Schonaeus,88 Alcmariensis89 Batavus. Herr Jacobus Ramaeus,90 Delphensis91 Batavus.

69 70 71 72 73 74 75 76 77 78 79 80 81 82 83 84 85 86 87 88 89 90 91

Gottfried Besser. Ohlau (poln. Oława). Hans Aßmann von Abschatz (eigentlich Johann Erasmus von Abschatz, 1646–1699). Gustaf Johan Wrede von Elimä (1645–1695). Carl Wrede von Elimä. Bengt Gyllenancker (Gyllenanker). Johannes Jonas Dryander. Johann Heinrich von Berrenhauer (Bernhauer, Bernauer). Michael Stürmer. Königsberg i. Pr. (russ. Kaliningrad). n.z.e. Verwechslung mit Albert Niclasius (Niclassius, Niclas, 1641–1675). Danzig (poln. Gdańsk). Peter Christoph Wyncken (Wynken). Bremen. Alhard Hermann Kummen (Cummius). Hannover. Willem van Nieuhausen. Amsterdam. Cornelis Schoon (Schonaeus). Alkmaar. Jacob de Ram (Ramaus). Delft.

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Herr Johannes Gülick,92 Noviomagensis93 Geldrus, Gewesener Professor zum Hamm. Herr Stephanus Eszéki,94 Szatmaria95 Ungarus. Herr Petrus Zimmermann,96 Riga97 Livonus. |109| Zwar bey der grosen menge der Studiosorum habe niemahls von sonderlichen Händeln oder Schlägereyen gehöret, außer daß manchmahl die losen Burschen auf den Straßen unß Teutschen vexirten mit nachruffung: Muf, muf, hasen kopf ! Wenn man diese Schmach rächen wil, gibt es ein gewaltig Lermen, in dem daß Pöbelvolck als dan jenen zu hülffe komt und tapffer mit Steinen loß chargiret, wie solches meine Landsleute Monsieur de Pein98 und herr Doctor Besser99 mit höchster Lebensgefahr erfahren haben. Wir Schlesier hielten sonderlich zusammen und machten unß bey den Holländern ziemlich beliebt. Die Edeleute von unß, welche hier daß Studium Mathematicum excolirten, verfertigten ein Fewerwerck zur Probe ihrer Wissenschaft auß eigenen Mitteln von Waßer kugeln, Raketten und anderen Lustfewern, welches ihnen wol zustatten kam: Denn gleich wie Anno 1666 die Holländer die See Victorie wieder Engelland erhalten und die Holländer deßwegen durch alle Provincien ein groses Danckfest celebrir’ten, ­employirten Sie dasselbe hierzu und mietteten selbigen tages ein Schiff, fuhren deß Abends umb 9 uhr durch die Stat auf den principalesten Graften und zündeten daß Fewerwerck im Schiffe an, unter tausendfachen Ruffen: Vivant Batavi etc. und in gegenwart vieler tausend Zuschauer, gleichsam wäre es mit Fleiß dem Holländischen Staat zu ehren und zu diesem Freudenfest bereitet worden. Die General Staten und die Universität, samt dem Stat Magistrat, nahmen solches über die maßen wol auf und ließen deß dritten tages durch den Rectorem Magnificum100 Unserer Schlesischen Nation eine besonderes Dancksagungs Complement für die gutte Bezeigte Affection abstatten. Man druckete es in die Zeitung und war durch gantz Holland von den Silesiern viel rühmens. Bey dieser Universität ist es nicht so wie in vielen andern Orten, da die Auditoria von einander separiret liegen, sondern in dem Grosen Domo Academica sind alle Auditoria beysammen. Die Universität stehet eigentglich auf der oben albereit erwehnten Schönen Straßen, daß Rapenburck genandt, an einer Ecken deß so genandten Nonnen Steg’s. Daß ge-

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Jan van Gulick. Nimwegen (ndl. Nijmegen). István Eszéki (um 1641–1707). Sathmar (rum. Satu Mare, ung. Szatmárnémeti). Peter Zimmerman (Tsimmerman). Riga (lett. Rīga). Johann Ernst von Pein (1641–1705). Gottfried Besser. Jacob Golius (van Gool, 1596–1667).

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bäwde ist eben nicht übrig groß und nur zwo wandelungen hoch, aber sehr wol aptiret und mit grosen Fenstern, nach art der Kirchen, versehen. Von der Straße gehet man durch ein Weites Steinern Portal in einen geflasterten Vorhof; Zur rechten stehet der Universität Druckerey, zur lincken sind der Pedellen wart häußlein angebauet, welche täglich mit dem Scepter müßen aufwarten und die Professores und Decanos sonderlich bey Disputationibus auß und ein begleiten. Unten ist daß Auditorium Theologicum hoch und gnugsam räumlich für tausend, auch mehr, Studenten. Auser der doppelten Catheder und den subselliis ist sonst kein Zierath darinnen. Weil damahls viel Ungern hier Studirten, vergönneten ihnen die Curatores, daß Sie Sontags in demselben mochten predigen. |110| Auf einer Steinern Treppen steiget man auf die andere wandelung und folgends in daß Auditorium Juridicum, Philosophicum, Medicum etc. Zu seiten stehet die Senat Stube und der Universität Archiven Kammer. Oben über dem Gebäwde stehet ein zierlicher thurn, mit einer bequemen Galerie, deßen Spitze sich umbkehret und nach den winden lencket; Bey Nachtzeit halten die Mathematici hierauf ihre Exercitia Astronomica. Auf diesem thurn habe auch die erste Cameram Obscuram gesehen. Der an die Universität gebaute Hortus Academicus, oder vielmehr Medicus, ist auch von ziemlicher Weitleuftigkeit. Man sieht in demselben in Schönster Disposition viel rare gewächse, kräuter, blumen und pflantzen, dabey die Medicinae Studiosi täglich ihre Speculationes halten und spatzieren gehen. An der einen seiten ist auch eine lange und breite Galerie, darunter man bey einfallendem Regen tretten kan. In derselben hangen ebenfals viel Rare getrucknete Gewächse und sonst allerhand Raritäten von Ost und West Indianischen sachen. Der hierüber gesetzte Gärtner dependiret von dem Professore Botanico und beobachtet alles sehr genaw und vermehret noch jährlich, waß etwa noch in der Volkommenheit dieses Gartens mangelt. Über daß pranget auch die Medicinische Facultät mit ihrem berühmten Theatro Anatomico, wie wol selbtes nicht eben bey der Universität, sondern an einem Ort lieget. Es ähnlichet wegen seiner Raritäten einer rechten kunstkammer. In der Vorkammer desselben ligt ein Sceleton eines ziemlich grosen Wallfisches auf einer langen Taffel. So bald man von dar in den rechten Saal eine kleine Stiegen gestiegen, jaget der erste anblick einem fast Schrecken ein: Denn daß eigentgliche Theatrum ist auf die Art eines Amphi Theatri, in die Runte, mit Bäncken erbauet, da eine Banck höher, rings umbher, als die ander ist. Zu unterste mitten inne stehet die Taffel, worauf die Cadavera geleget und von dem Professore Anatomiret und Seciret werden. Ein jeder, Er mag stehen, auf welcher Banck Er wil, kan die Section sehen. Oben auf den Anlehnungen der Bäncke rings umbher stehen die Sceleta von Menschen, Pferden, Ochsen, Kühen, Hunden, Hirschen, Wölffen, Ziegen, Adlern, Füchsen, Affen, Schwanen, Katzen etc. Etliche halten Fahne in den händen: Etliche sitzen auf Pferden, etliche praesentiren andere Verstellungen. Unter denselben praesentiren zwey Sceleta Adam und Eva bey dem Verbotenen Baum, da jene diesem den Apffel reichet. Ich habe auch auf einer Fahne gelesen diese Worte: Nosce te ipsum.

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Sonderlich verwahret man hierbey Unterschiedliche Egyptische Mumien, unter andern sitzet ein Kerl zu Pferde gleich einem vornehmen Officir im koller und völliger kriegs rüstung, mit einem hut und federpusch, welcher mit seinem fast Naturell aussehenden Augen manchen Einfältigen betrieget, in Meynung als ob derselbe lebte. |111| Mich zog gewaltig in Verwunderung daß Sceleton einer Ratzen, noch mehr aber daß Sceleton einer mauß: Denn die Geschickligkeit, erstlich solche subtile Beinlein abzulösen und hernach an einander zu fügen, übersteiget fast menschlichen Verstand. Die grose menge der zur Anatomie gehörenden Künstlichen Instrumenten scheinet gleichfals etwaß rares zu sein; Es wird auch alhier eine gantze menschen haut gezeiget. Daß messer, welches ein Kerl zu Königsberg101 in Preussen verschlucket, dem es aber wieder außgeschnitten worden, wie in deß Gottfrid Schultzens102 Chronicken Erstem Theile in meiner Bibliotheca mit mehrerm erhellet, ist hier auch zu sehen und andere dergleichen sachen mehr, die mir theils auß dem gedächtnüß gefallen sind. Nicht weniger Zierath gibt der Universität in Leiden die herrliche Bibliotheca, ohnfern der Universität in einem Alten kloster hof gelegen, worein man über den Deol Steg gehet. Derselben Saal ist sehr hoch, breit und lang, bequemlich und mit Schönen Fenstern hierzu aptiret. Die Repositoria stehen nach Art der Vaticanischen zu Rom,103 in Schönster Disposition nach den Facultäten, reihen weise mitten in dem Saal, zwischen denen man in die Länge und Breite gehen und die Bücher, davon die Folianten mehrentheils in ketten geschloßen liegen, nach ihren Titeln besehen kan. Waß in derselben für Köstliche Bücher, und zwar in allen haupt Sprachen, samt den Manuscriptis sich hierinnen befinden müßen, kan ein kluger leicht ermeßen. Sie werden zwar noch täglich vermehret, jedoch werden die jenigen Bücher, welche der Alte Graf Wilhelm zu Nassau104 und der Gelehrte Theologus Johannes Hollmannus105 hierein verehret, vor die raresten und kostbaresten gehalten. In einem Schrancken verwahret man auch alle zur Mathematic gehörende und nöthige Instrumenta, samt zweyen Globis. Ing einem andern Schrancken liegen allerhand Alte und Rare Goldene, Silberne und Küpfferne müntzen in groser Summa. Besagter Graf Wilhelm zu Nassau und Mauritius, Grafe zu Nassau,106 stehen in Lebens Gröse über diesem Schrancken abgemahlet. Ob nun wol diese Bibliotheca der Professorum und Studiosorum wegen sol fundiret sein, so sehe doch nicht, daß es eben den Studiosis gar frey stehet, sich derselben zu bedienen. Theils gehen hierauf mitwochs, welches tages Sie wochentglich eröfnet wird g

D vor In durchgestrichen.

101 102 103 104 105 106

Königsberg i. Pr. (russ. Kaliningrad). Gottfried Schultze (1611–1662). Rom (ital. Roma). Wilhelm I. (1533–1584), Prinz von Oranien, Graf von Nassau-Dillenburg. Johannes Holmannus (1523–1586). Moritz (1567–1625), Prinz von Oranien, Graf von Nassau-Dillenburg.

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auf etliche Stunden; Allein, waß kan solches gar viel helffen? Unangesehen Sie bald auß diesem, bald aus einem andern Authore etwaß excerpiren. Sonst standen mir in Leiden die bücher reichen Buchladen wol an, in dem sich die Buchhändler befleißen, alle Bücher sauber einzubinden und auf Repositoria zu setzen, daher die Buchladen wie die Schönsten Bibliotecken aussehen und manchen verführen, ein Buch zu kauffen, welches Er sonst unterlaßen dörfte. Bey den Auctionibus, welche fast wochentglich gescheen, kan man zuweilen wolfeil, zuweilen theuer Bücher kauffen: Denn, wenn sich zu einem Buche Liebhaber finden, wird ofters desselben Taxa Sechsmahl höher gesteigert, als es werth ist, und dringet einer dem andern dasselbe mit Trutz ab. |112| Von der Universität wende mich nun zu den Kirchen und geistlichen gebäuden. Die St. Peters Kirche ist die haupt und größte Kirche und mag auch mit warheit für eine haupt gebäude passiren. Sie hat rings umb sich her einen weiten Kirchhof, mit Schönen häusern bebauet, unter denen daß grose gefangen hauß, so gleichfals ein ansehnliches Palatium und mit einem thurn gezieret ist, stehet. Die Kirche hat zwar keinen euserlichen thurn, auser einem kleinen thürnlein, aber eine ziemliche Länge und Breite und fast die form eines Creutzes und auf den seiten viel Capellen, samt einem Schönen und mit Eisernen Stacketten abgesonderten Chor. Der meiste Zierath der S. Peters Kirche bestehet in den zwo grosen Orgeln, darauf, wie zu Utrecht, in herbstzeiten deß abends von 5 biß 6 Uhr bey angezündeten Lichtern musiciret wird. Sonderlich ist darinnen zu sehen deß Berühmten und Hochgelehrten Johannis Polyandri von Kirchhofen107 Monumentum von Weißem Alabaster, darauf Er in Lebens gröse künstlich außgehauen lieget. Desselben Überschrift habe verlohren. Der Hochländischen Kirche Gröse und höhe gibt dieser wenig nach, wie wol die St. Peters Kirche viel sauberer gehalten wird. Sie hat auch euserlich keinen hohen thurn und fast die form eines Creutzes. Innerlich ist Sie gleichfals mit einer Orgel gezieret und mit einer grosen Borleiben, worauf die Waisen kinder stehen. Es ist gewiß, daß in diesen beyden Haupt Kirchen Sonntäglich, sonderlich bey Außtheilung deß Heiligen Abendmahls, ich wil sagen zum wenigsten, über 60000 Menschen darinnen zusammen kommen. Waß mir aber bey diesen Haupt Gemeinden mißfallen, waren vornemlich die an die Haupt Kirchthüren gebaute Waßer Steine vor die männer, welche in Gegenwart deß Frauenzimmer, im Ein und Außgehen bey 20 stehen und unverschämt ihr Waßer abschlagen. Die Frauen Kirche ist zwar auch ziemlich weitleuftig, aber von gar geringem Zierath. In derselben ligt der Vortrefliche Josephus Justus Scaliger108 begraben, daß Epitaphium, welches ihm die Curatores Academiae zum Gedächtnüß von Marmorstein aufrichten laßen, hath eine feine Inscription von goldenen Buchstaben und kan man dieselbe lesen h

kann man vor hat durchgestrichen.

107 108

Johannes Polyander a Kerckhoven (van den Kerchoven, 1568–1646). Joseph Justus Scaliger (1540–1609).

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in Academia Illustrium Hollandiae Ordininum Leidensi cum Imaginibus pag. 188, in Quarto, bey meiner Bibliotheca. In dieser Kirche wird wechsels weise bald Frantzösisch, bald Nieder Teutsch wegen der Wallonen geprediget. Die Newe Kirche ist auch ein Admirabel gebäwde, hoch und gantz rund gebauet, mit Schönen Säulen, welche die Last deß gewölbes tragen; Der Bawmeister derselben hat daß eigentgliche Modell hierzu genommen von der so genandten Kirche zu Rom MARIA ROTUNDA. Man kan vernünftig ermeßen, weil in dieser volckreichen Stat die Nach Amsterdam die Gröste in den Vereinigten Niederlanden ist, darinnen man allein über 14 000 Zeugmacher zehlet, nicht mehr als vier Kirchen sein, waß für ein Confluxus sich Sonntäglich in denselben einfinden müße. |113| Unsere Hochteutsche Nation hat auch zu Leiden eine kleine Kirche und predigte zu meiner Zeit in derselben herr Johannes Althusius,109 deß Alten Althusii110 Sohn, deßen Scripta zum theil in meiner Bibliotheca verwahre. Die Gemeinde war auch gar geringe, so sich hierzu ordinair hielt, und kaum 100 personen starck. Meines Ortes wohnete stets bey dieser Gemeinde der Heiligen Communion bey, welche ebenmäßig nach Holländischer Kirchen Gewonheit sitzende bey einer langen taffel gehalten wird. Die Seniores warten auf und setzen Brot und Wein zurechte. Oben an der taffel stehet der Prediger, welcher zu dem, der ihm am nechsten komt zu sitzen, die Worte der Einsetzung deß Heiligen Abendmahls spricht und mit den Seegens worten daß Brot reichet und bricht, hernach dieser dem andern, der ander dem dritten, biß es alle genoßen, die bey der taffel sitzen. Ein gleiches geschieht auch mit dem gesegneten kelch. Wenn nun beydes, daß gesegnete Brot und der gesegnete Kelch, herumb getheilet worden, stehen diese auf und setzen sich andere herbey, jedoch anfangs die männer, hernach die Weiber. Nach deßen Endigung geschieht die Benediction, wie dan auch unter dem Abendmahl von der Gemeinde gesungen wird. Der Lutheraner Gemeinde war in Leiden ziemlich weitleuftig und hatten zum Gottesdienst einen grosen räumlichen Saal aptiret. Den Mennonisten vergönnen die Holländer alhier den offentglichen Gottesdienst, welchen auß Curiosität unterschiedlich mahl besuchte, ihren Prediger von ungemeinen Gaben zu hören. In dem Pabstthum, welches hier anjetzo nicht mucken darf, sind zwar in Leiden mehr Kirchen gewesen, aber theils davon werden von der Stat zu Hallen, daß ist Börsen, worauf sich die grosen handwercks zünfte und Gilden versamlen, theils zu Spitälern, wie unter andern daß grose Catharinen Hospital auf der breiten Straße, gebrauchet. Bey den Reformirten Kirchen sind keine gewiße Prediger, sondern wechseln umb, wie zu Utrecht, und die Prediger predigen bald in dieser, bald in einer andern Kirche.

109 110

Verwechslung mit Samuel Althusius (1600–1669). Johannes Althusius (Althaus, 1563–1638).

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Herr Peter de Witte,111 herr Hermannus Amia,112 herr Peter von Staveren113 waren zu der Zeit in Leiden die Vornehmsten Prediger und männer von hohem Geist und Gaben. Unter den Weltlichen Gebäwden läst sich hier daß Rhathauß wol sehen auf der breiten Straße. Es ist in die Länge gebauet von Quatersteinen und hat vorwerts eine zierliche Galerie, samt einem zierlichem thurn, auser welchem sonst keiner in Leiden ist, mit einem lieblichen Glocken Spiel. Herr Wilhelmus Meermann Ritter,114 ein unvergleichlicher Justitiarius und Statist, regierete als Bürgermeister die Stat Leiden. Er war Deputirter bey dem Stats Collegio im Haag,115 Curator Academiae, in summa ein Hochgelehrter Politicus. Durch die Vielmahlige Gesandschaften, die Er hin und wieder in den königlichen höfen in Europa mit höchstem Ruhm verrichtet, hatte Er grose Wissenschaft erlanget. |114| Dieser Vortrefliche mann,116 von deßen Ruhm man lesen kan in dem Verwirrten Europa bey meiner Bibliotheca, hatte sein Palatium nicht weit von meiner Logiement auf der Rapenburck, daher verwunderte mich ofters über Seiner Holländischen Menagei bey seinem grosen Reichthum. Wenn Er nicht in Haag117 war, machte Er keinen Stat von sich. Seine Töchter118 fuhren gleich fürstlichen Princessinnin aufs prächtigste in kutschen spatzieren und man sagte offentglich, daß Sie, auser deß Sonntags, die gantze woche über nichts anders als Brot, Käse und dürres Fleisch in ihrem hause speisen solten. In ansehung dieser und anderer Vornehmer Leute Sparsamkeit, vielmehr geitzigkeit, ist kein wunder, daß die Holländer viel Geld samlen. Hinter dem Rhathause, wenn man über die Corenbrücke gehet, trift man recht mitten in der Stat an die so genandte Burg, ist eigentglich kein Palatium, sondern auf einem hohen hügel eine Starcke Runte Mauer, darauf man rings umbher gehen und fast die Stat übersehen kan. Man steiget hienauf eine grose Steinerne Treppen. Mitten inne ist ein groser hof und nichts mehr. Der hügel ist mit Bäumen bewachsen und gehen hirsch und rehe drauf, welche die General Staten allzeit zum Vorrath halten auf grose vorfallende Panquete. Unten rings umbher wird der hügel theils mit einer Mauer, theils von denen daran gebauten häusern beschloßen. Nahe hierbey ist daß Waisen hauß, ein über die maßen weitleuftiges Palatium, in welchem über 1000 Arme knaben und mägdlein auferzogen werden, biß Sie Capabel

i

Menge vor Menage durchgestrichen.

111 112 113 114 115 116 117 118

Pieter de Witte (1622–1669). Hermann Amya (1626–1668). Pieter van Staveren (Stavoren, 1632–1683). Verwechslung mit Johan Meerman (1624–1675). Den Haag (Haag). Verwechslung mit Johan Meerman (1624–1675). Den Haag (Haag). Gerardina (Dina) Meerman (G um 1661) und N. N.

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sind, handwercker zu lernen oder sonst den Leuten zu dienen und ihr Brot zu erwerben. Sie gehen allerseits in Rother und Schwartzen Livrèe, mit dem Leidischen Statwapen der zweyen Schlüßel bezeichnet. Es ist sehr artlich anzusehen, wenn diese Kinder paar und paar, erstlich die Knaben, hernach die Mägdlein, zur Kirchen geführet werden, darinnen Sie ihren eigenen Standt haben. Deß Princen hof, stehende auf der Rapenburck, ist zwar nicht übrig groß, aber deßen Zimmer desto herrlicher. Daß gemeine Land hauß auf der breiten Straße läst sich auch noch wol sehen. An der Ringmauer nahe an der Witte Port liegen die Dolens, ist ein groser Platz mit einem Schönen Linden pusch, zierlich bewachsen, auf welchem die Bürgerey im Sommer allerhand Exercitia mit Schießen auß Röhren, auß Bogen etc. übet; Mitten in dem pusch stehet ein groses lustiges Schenckhauß, in welchem allerhand geträncke außgezapffet werden. Über dieses sind auch die junge pursche hier gewaltig eyfrig im Ballschlagen und sind alhier in Leiden Sechs Ballhäuser. Sonst strecken sich die Straßen alle in grader Linie lang hienauß, die häuser auf den Straßen, sonderlich in der Newen Vergröserung, sind alle von gleicher höhe, breite und gestalt. Die Principalesten häuser siehet man auf der Rapenburck und der breiten Straße. |115| Mitten durch die Stat ströhmet der Rhein und theilet sich in Unterschiedliche Arm, welche besondere Grachten mit Stein ausgefüttert machen, die durch die Straßen fließen. Wegen der Vielheit solcher Grachten werden, nach meiner Observation, über 200 Brücken sein. Die jenigen Brücken, worunter die Schiffe durch passiren müßen, sind dergestalt gebauet, daß wenn der Mastbaum deß Schiffes nur ein wenig dieselbe berühret, so erheben und theilen sie sich selbst von sammen, daß die Schiffe ungehindert durchsegeln können, und, sobald nur der Mastbaum durch, fallen Sie wieder zu. Insonderheit zur herbstzeit bey den Starcken Nebeln, oder bey der Abend Finsternüß, fallen ofters leute und kinder in diese Graften, theils werden errettet, theils müssen ersauffen. Und gleich wie ich eine ziemliche Ecke auß meinem Logiement in den Tisch zu gehen hatte, also gieng ich jederzeit mit Furcht und hielt mich genaw auf die Seite, wo die häuser standen. Am meisten müßen die Volsäuffer und Trunckenen dieses Bad versuchen. Auf den Straßen, welche durchgehends mit gebackenen steinen beleget seind, ist es sauberer als vielmahls in Teutschland in Vornehmer Leute häuser. Es wird gar wenig auf denselben gefahren oder geritten: Man bedarf auch wenig Last und Frachtwagen, weil alles auf dem Waßer zugeführet wird. Daß meiste Fahren geschieht mit kutschen, oder mit den kleinen Karr’n der Metzger, Becker und Wollen weber, welche die Grose Englische hunde trecken. Rings umbher beschleußt die Stat ein breiter auf einem Steinern Grund stehender Wall, darauf man mehrentheils umb die gantze Stat gehen kan. Hienauß werts ligt vor dem Wall ein breiter Waßergraben. Auch hin und wieder an den Ecken stehen Bastions mit Windmühlen besetzet. In etlichen Bastions haben die Wollen weber ihre Ramen, in etlichen hat auch die Stat ihre Todten höfe. Einer Grosen Belagerung und Kriegsmacht

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würde die Stat Leiden mit ihrer Vestung schwerlich wiederstand leisten, aber mit Anlaßung deß Waßers dem Feind Abbruch thun können. Die Stat hat 8 haupt Thore, darunter etliche mehr Zierligkeit als Bevestigung haben. Niemand wird hier zum Thore ein oder außgelaßen, solte Er schon deß tages 20 mahl solches thun müßen, Er muß dan zuvor einen Deut, ist der achte theil deß Stievers, erlegen. Sothane Erlegung nennen Sie Passagie geld, welches dem Staat Gewaltige Gelder abwirft, nach dem Ers verpachtet. An dem Wallgraben gehet umb die gantze Stat ein Schöner Cingel, oder ein zu beyden seiten mit grünenden Linden Bäumen besetzter Thamm, und gibt einen lustigen Spatzier gang. Vornemlich stehet vor der Witte Port die Palmaille Bahn, darauf sich die Holländer fleißig exerciren. Ein Stund weges von Leiden ligt daß Schöne Lustreiche Leiderdorf,119 wohin in Schönen Sommer Tagen die Leider mit tausenden spatzieren und nicht ohne Uhrsache: Den der Ort ähnlichet einem Paradiese und ist keine zuläßige Kurtzweile zuersinnen, welche deß Menschen |116| etwa vergnügen möchte, die man hier nicht solte antreffen. In diesen Gegenden gibt es keinen Ackerbau, aber desto Schönere Viehweide und Garten werck. Mir hat auch sehr wolgefallen der Stat Policey Ordnung; Unter andern, daß Niemand in der Stat grose Wäscherey halten darf, zu dem Ende sind vor den thoren Besondere, Gemeine Waschhäuser, darinnen Sie ungehindert bey der Fewerung waschen mögen, auch bald darbey, im Sommer, auf den Wiesen daß gewaschene Tuch trucknen können. Unter den Einwohnern in Leiden scheinen die Gastwirthe die aller Discretesten zu sein; Dieselben haben meisterlich die Kunst gelernet mit ihren Schönen Zimmern, Raren Geträncken und allerhand Musicken, auch andere Bequemligkeiten, deß Beutes ihrer Gäste sich zu bemächtigen. Vornemlich locken Sie viel geld an sich mit dem so genandten Buttelbier, welches in Steinern Krügen mit köstlichem gewürtze, die, weil es noch frisch und ohngejähret ist, eingemischet und hernach, daß keine Luft darzu kan, mit Gurck verwahret wird; So bald man den krug aufmacht, gibt es einen knal wie eine pistolen, da man dan augenblicklich den Finger über den engen hals deß gefäßes halten muß, sonst laufet daß Bier herauß. Allenthalben in den Wirthshäusern hanget über dem Tisch eine Sparbüchs, darein alle die Lasterer und Flucher und Zotten Reisser zur Strafe, für die Armen, von dem Wirth genöhtiget werden, etwaß einzulegen. Wer Gesund und Frisch ist, kan hier zu Leiden sein Divertissement und Bequemligkeit wol genießen, wer aber Schwacher Natur und Complexion ist, darf sich hier nicht groser Gesundheit versehen; Sintemahl zu Leiden nicht so gut als zu Utrecht ist, welche durch die morastige Sumpffigkeit gantz faulhaftig wird. Man hat auch kein frisches waßer und mit dem aufgefangenen Regenwaßer, welches von vielen Tagen her ofters gesamlet wird, werden die Speisen gekochet.

119

Leiderdorp.

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So höret auch die Pest niemahls auf und läst nimmer recht nach.j Darzu aber die grose menge deß Pöbelvolckes, unter dem allerhand unordentgliches wesen vorgehet, viel contribuiret. Auch die grose menge der Fische mit ihrem weit und breit sich außstreckendem gestanck, die hieher zweymahl wochentglich auf den Fischmarckt bracht werden, helffen ebenfals daß Pest übel unterhalten. Auß mangel den Vesten Erde vor den thoren begraben Sie die todten, ohne Klang oder Gesang, ohne Schule und Prediger, ohne Leichpredigt oder Beywohnung deß Frauenzimmers, in die Bastions und, die etwaß von Condition sein, in die Kirchen, ja hin und wieder, wo sie nur veste Erde finden. Die Gemeine Cloacken (Salvo honore) sind über die Graften gebauet, sehr bequem zu verhüttung allerhand stancks und unreinigkeit; Allein es gehen sonst vielerley Gottlosigkeiten in denselben vor, sonderlich bey Abendszeit, darzu dan manchmahl der Unter Schultheiß komt und die lustigen kurtzweiler tapffer in die Straffe setzet. |117| Bey meinem hier sein in Leiden gedachte mich auch etwaß weiter in Holland umbzusehen und daß Remarquabelste zu besehen; Daher verrichtete von hierauß unterschiedene Reisen. [X.]a Die Erste Reise auß Leiden in Holland nach Amsterdam über Harlem.1 Die Erste Reise auß Leiden thät ich nach Amsterdam und Harlem, welcher letzten Stat Encomium in deß Lucae de Linda2 Descriptione Regionum kan gelesen werden, die in meiner Bibliotheca verwahre. Ich hatte zwar albereit auß Utrecht Amsterdam begrüßet, jedoch observirte bey dieser Reise auß Leiden ein mehrers und nahm längere Zeit darzu. Ich fuhr an einem morgen mit herren Doctor Besser3 auß Leiden in der Schüte über Harlem nach Amsterdam und kam umb mittagszeit zu Harlem, deß Abends aber umb 7 Uhr zu Amsterdam an. Sonst kan man auch auß Leiden über daß Harlemer meer nach Amsterdam seegeln, weil aber der Wind nicht allezeit favorabel, fähret man lieber mit der Treck Schüte. Zwischen Leiden und Harlem ist, auser den Schönen Dörffern, nichts merckwürdiges zu sehen.

j

her vor nach durchgestrichen; nach über der Zeile ergänzt.

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a Die folgenden Kapitel X., XI., XII., XIII. und XIV. weichen von der ursprünglichen Zählung als I., 2., III., IV. und V. ab. Eigentlich als Unterkapitel von Kapitel IX. Friderici Lucae Studia zu Leiden in Holland dargestellt, werden diese aus Gründen der Übersichtlichkeit im Folgenden als Hauptkapitel betrachtet. Dementsprechend ändert sich die Zählung der anschließenden Kapitel.

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1 Haarlem. 2 Lucas de Linda (1625–1660). 3 Gottfried Besser.

[X.] Die Erste Reise auß Leiden in Holland nach Amsterdam über Harlem

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Harlem wird unter die Vornehmsten Stätte Holland gerechnet und ist auch eine Schöne, Volckreiche, Nahrhaftige, Reiche Handelsstat von der Gröse fast wie Roterdam;b4 Ihre Straßen sind rein, die häuser von außen prächtig und von innen Nett meubliret. Unter den haupt gebäuden sind die grose Kirche, samt dem Rhathause, die Principalesten. Waß daß Rhathauß betrift, so wird es schwerlich, außgenommen daß Amsterdammische und Delfische, einigen Rathhäusern in Holland etwaß nachgeben, betreffende die euserliche Zierligkeit. Die Glockenspiele auf den Thürnen laßen sich auch tapffer hören. Auß Schlesien gehet der Garnhandel starck hieher. So bringen auch die florirende manufacturen dieser Stat viel nutzen. Es gibt in derselben viel Lutheraner, welche ihre eigene Kirche und Prediger haben. Die andern Secten müßen sich heimlich halten und werden offentglich nicht geduldet. Wenn die Ordinair Schüte alhier arriviret, darf man nur eine Stunde warten, so ist schon eine andere Schüte parat mit ihren Pferden, darein man trit und nach Amsterdam fähret durch die Newe Harlems Fahrt. Auf dieser Fahrt muß man über die Starcken Holländischen Thämme passiren, welche daß Harlemer meer und die Zuyder See scheiden. Wer diese Starcke Bauwercke ansiehet, muß erstaunen: Denn es ist erschrecklich anzusehen, wenn man reiflich erweget, daß beydes der menschen Verstand und Geschickligkeit die grose macht des meeres, in so weit, sol gezwungen werden. Im Fall auch die grose meeres macht durch Brechen und die Oberhand anc diesem Orte gewinnen solte, dürfte sich schwerlich gantz Holland |118| auß der gefahr reissen und deß Untergangs, oder der Überschwemmungen, erwehren. Diese Graft, worauf man von Harlem5 nach Amsterdam fähret, gehet nicht biß in die Stat, sondern eine gutte Ecke von Amsterdam wendet sie sich zur rechten mit dem grösten theil und fält in daß Harlemer meer; Die Schüten aber werden auf sonderbahren Rollen von Sinnreicher Invention auf der Truckene Erden vollends biß in Amsterdam, mit gar geringer mühe, gerollet und wie hernach melden wil, wiederumb bey den Abreisen, biß hieher fort gerollet und geschraubet, welches ein werck von groser Curiosität und Besehens würdig ist. In Amsterdam logirten wir anfangs in dem rothen hirsch, zwischen der Papenbrücke und der Korn Börse; Weil unß aber die herberge nicht anstand, schlugen wir unser Quartier auf in der Königin von Dennemarck, worinnen der Wirth von Lemberg6 auß Schlesien, Balthasar Wedewar,7 bürtig und ein verdorbener Apotheker war, bey welchem ins gemein Studiosi von allerhand Nationen logirten. b Amster in Amsterdam durchgestrichen. Roter über der Zeile ergänzt. c gewinnen vor an durchgestrichen.

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Rotterdam. Haarlem. Löwenberg in Schlesien (poln. Lwówek Śląski). n.z.e.

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Friderici Lucae eigentgliche Lebens und Totdes Geschichte

Unter denselben, die wir hier antrafen, hielt ich am meisten Conversation und Freundschaft mit herren Friderich Cretschmer,8 Comite Palatino Caesareo und Gräflichen Hanawischen9 Rhat, herr Heinrich Stampe,10 herr Otto Risbrig,11 herr ­Brodero Risbrig,12 Dennemärcker, item mit herr Simon Fraser,13 Curländern, herr Johann Philipp Heppe14 von Cassel15 auß Hessen, jetziger Zeit Hochfürstlichen Hessischen Artillerie Obristen Lieutnant, und mit herr Brandan Detri,16 Hamburgern. Weil vornemlich mein absehen dahin zielete, nicht blößlich in Amsterdam zu essen oder zu trincken, sondern desselben Weltberühmte herrligkeit zu sehen, so bestimmte hierzu, dafern es Gott beliebte, eine Zeit von 14 tagen, binnen welcher daß merckwürdigste in Augenschein nahm. Bey Erzehlung desselben mache bilich den Anfang von den geistlichen gebäwden. Nahe an dem grosen Platz, nechst dem Rathhause, stehet die Newe Kirche; Von ausen hat Sie die form eines Creutzes, fast wie die Peters Kirche zu Leiden, und in der mitten einen kleinen, jedoch zierlichen Thurn. Dem als augenmaß nach halte diese Kirche für gröser, langer, aber nicht höher als die Leidische. Ihre fenster gläntzen wie ein Spiegel und sind daran die glaßscheiben von geschliffenem glaße. Inwendig ist die Cantzel, samt dem Chor darunter, worinnen die Seniores sitzen, wie auch andere gestühle von außgeschnitztem holtz werck. Die Leuchter kronen sind auch sehr künstlich von messing gegossen. Es komt in derselben, Sonntäglich, ein groses Volck zusammen und zwar die Vornehmsten und der rechte Kern Amsterdammer; Daher wird in dieser Kirche jährlich ein groser Reichthum, auf viel Millionen sich erstreckende, von Almosen gesamlet, davon auch viel 1000 armer Menschen unterhalten werden, wie auß dem Florilegio Historico Huberi17 in meiner Bibliotheca zu sehen ist. Die Alte Kirche folget dieser in der Ordnung: Sie ist zwar nicht eben so breit wie hoch wie die Newe, aber länger und gleichfals inwendig |119| sauber und nett. Der Hohe, durchsichtige gespitzte thurn mit seinem Glockenspiel und Schöner Galerie veransehnlichet ihr euserliches noch mehr, sonderlich die an die thurnspitze haftende vergüldete Knöpffe. Ohnfern der Antonis Schluyß ligt die Suyder Kirche, ebenmäßig ein groses und sehr räumliches gebäwde und von gleicher zierligkeit und sauberkeit wie die andern Kirchen; Sintemal die Holländer unangesehen Sie eben keinen päbstischen Pracht und kostbaren Götzen Zierath in ihren Kirchen zum Schmuck aufstecken, dennoch beflei18 19 10 11 12 13 14 15 16 17

Friedrich von Cretzschmar († nach 1670). Hanau. Heinrich Stampe (Stampen). n.z.e. n.z.e. n.z.e. Johann Philipp Heppe (1628–1701). Kassel. Brandan Daetrius (Detri). Rudolph Huber (1625–1688).

[X.] Die Erste Reise auß Leiden in Holland nach Amsterdam über Harlem

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ßigend Sie sich die Gotteshäuser vor allen Dingen sauber und Rein zu halten und in so weit von gemeinen Privathäusern abzusondern, zum Zeichen ihrer Devotion. Der an diese Kirche zierliche und mit vergüldeten knöpffen, samt einer Schöner Gallerie und Glockenspiel, gezier’te weitaußsehende Thurn ist in Amsterdam der höchste. Auf einem mit einer mauer umbgebenem Platz, nechst der Newen Fleisch halle, stehet die West Kirche und pranget gleichfals mit einem hohen thurn, deßen Innerliche und Euserliche Zierligkeit den vorher Erwehnten Kirchen fast in allen stücken gleichförmig scheinet. Die Norder Kirche hat auch einen Schönen Freyen platz umb sich, so theils mit einer mauer umbgeben: Sie zwar auch in form eines Creutzes erbauet,e aber nicht von solcher gröse wie die andern. Nach Proportion ihrer Gröse siehet über derselben, in der mitten, eine thurn herauß, welcher mit einem glockenspiel, auch an der Spitze mit einem starck vergüldeten Creutze,f gleich allen andern Kirchen gezieret ist. Hinter dem Waisen hause, nahe an der Ohhe Schluys, stehet die Englische Kirche von keiner sonderlichen gröse und zierligkeit, jedoch vor die Englische Gemeinde satsam räumlich. Nicht weit von dem Ost Indischen Hauß ist die Wael, oder Walonen, Kirche gebauet und wirdg in derselben frantzösisch geprediget. Ob nun wol Beschriebene Kirchen die offentglichen Gotteshäuser zu Amsterdam sind, so kan man leichtlich erachten, weil an diesem Volckreichen Ort von allerhand Secten Leute sich aufhalten, theils denen daß freye Excercitium Religionis concediret, theils inhibiret und verboten worden, bey hoher Straffe, welche auch an der Verbrechern ohn alle gnade trewlich zu Execution bracht wird, in wie vielen heimlichen winckeln dieselbigen ihre Versammlungen müßen halten und ihren Gottesdienst. Den Lutheranern sind zwo offentgliche Kirchen verwilliget und wird auch in der einen Dänisch geprediget, wie auch den Papisten eine, jedoch waß diese betrift mit gewißen Conditionen. Es wird auch schwerlich in gantz Europa eine Schönere Jüdische Synagoge als hier in Amsterdam zu finden sein. Alle die Gefäße, welche daß versteckte Volck zum Gottesdienst brauchet, seind von massiv silber und die Taffeln Mosis oder Gesetz Bücher von gleicher materie und köstligkeit überzogen. Die Leuchter kronen und der Unterschied deß Heiligen von dem gemeinenen Platz, wo die gemeinde stehet, sind alle, samt den Trallien daran, von gläntzendem Messing zierlich und starck gegossen, |120| wie auch daß Pulpt, worauf die grosen Gesetz Bücher liegen; Allein dieser herrligkeit deformiret schändlich daß abscheuliche Brüllen der stinckenden Juden samt andern Phantasien. _______________________________ d e f g

w vor befleißigen durchgestrichen. umbgeben vor erbauet durchgestrichen. knopff vor Creutze durchgestrichen. wir zu wird aus Gründen der Lesbarkeit korrigiert.

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Friderici Lucae eigentgliche Lebens und Totdes Geschichte

In anderer Sectirer Versammlungen bin nicht kommen auser der Quäcker, diese Träumer müßen sich sonst in Amsterdam über die maßen behutsam und heimlich halten, weil ihnen der Unter Schultheiß, deßen Ampt erfordert mit seinen Spionen alle böse Buben aufzuheben, gewaltig nachstellet. Unser Wirth aber, welcher mit einem von dieser Secte stets conversirte, verhalf unß mit seinem addresse, daß ich, mit der Sämtlichen Tischgeseelschaft, an einem Sonntage, morgends umb 6 Uhr in die Quäcker Versammlung gelaßen wurden; Wie wol die Phantasten nicht allerdings dem Landfrieden traueten, die von unserer ankunft deß tages vorher Wissenschaft erhalten, und fanden sich nicht mehr als 22 an männern und weibern bey dem Gottesdienst ein, darunter Etliche, meinem Bedüncken nach, verkleidet hatten: Denn die meisten kamen gleich den Bettlern gantz zerlumpet aufgezogen, auch derjenige, welcher unß addresse gemacht hieher zu kommen, blieb auch außen. Daß Zimmer ihrer Zusammenkunft war nicht übrig groß und fast wie eine Beraucherte Schulstube, mitten und rings umbher mit kleinen Bäncken besetzet. Dieses hauß lag in einem abgesonderten Ort, welches mir nicht mehr zu finden getrauete. In dem hauß gieng man durch einen langen finstern gang in die Stuben. Wie nun einer nach dem andern von diesen Thoren ankam, ohne Reverentz und Begrüßung, so satzte Er sich auch augenblicklich nieder ohne Umbsehen und legte den kopf in die Arme mit verdeckten und geschloßenen augen. Wir saßen allerseits mit den Narren fast einer Stunde Zeit und warteten mit schmertzen, waß doch endlich hierauß werden würde und wolte unß albereit die Zeit zu lang fallen; Weil wir aber gleich wol gerne daß Ende dieses Gottesdiensts erwartet hetten, verzogen wir noch eine gutte Stunde und hoffeten zu hören, waß der Geist denselben, vor dieses mahl, würde haben eingegeben. Endlich, und nach langem warten, machte ein rechte Lumpe den Aufstand und zoge einen Brief auß der Taschen, welcher ein Quäcker auß einem andern Ort an ihre Brüderschaft und Versammlung geschrieben hatte, und laß denselben deß Inhalts ab: Wie nemlich der krancke Freund begehrete, welcher gestalt die Brüder fleißig für ihn beten und denjenigen trost, welchen ihnen der Geist würde eingeben unter wehrender Andacht, solten Sie ihm zu seiner Erquickung zu schreiben. Und damit, weil vor dieses mahl der Geist keinem nichts hatte zu predigen eingegeben, gieng ein jeder nach hause und wir mit ihnen. Ob Sie unß schon nicht wolten würdigen, von ihrer Lehre etwaß hören zu laßen, dennoch waren wir allerseits in so weit zufrieden, daß wir zum ­wenigsten ihrer Versammlung beygewohnet hatten und warhaftig davon reden und erzehlen konnten, welches fürwitzige Holländer, mit Anerbittung vieles Geldes, dasselbe nicht zu sehen oder zu hören erlangen mögen, in dem die Quäcker gar behutsam verfahren und sich der Strafe fürchten und deß Bannes. |121| Sonst leben die Reformirte Prediger bey den Amsterdammern in grosem Respect und Reichthumb, in Ehre und Ansehen, mehr als in andern Holländischen Stätten; Ich wil nicht sagen, die Gemeinde hält Sie für rechte Abgötter; Daher muß der Magistrat dieselben fürchten und gewaltig feyern, ja allen ihren Angebungen und Desideriis flatiren und den Fuchs streichen, deß unbändigen Pöbelvolckes wegen: Denn

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wan gegen den magistrat die Prediger ofters scharf solten predigen und etwa desselben Gewalt und Ungerechtigkeit bestraffen, würden Sie leichtlich den Pöbel empören und gegen dem magistrat verhetzen und also denselben in gefahr und unsicherheit setzen. Ich glaube, ohne daß welcher gestalt manchem König sein Königreich zu regieren nichth solche vorsichtigkeit kostet als hiesigen Magistrat sein Regiment über daß Pöbelvolck und freye Unterthanen. Hingegen müßen die Prediger unvergleichliche arbeit bey den grosen gemeinden außstehen, vornemlich aber mit krancken Besuchen und den hauß Vermahnungen. Diese arbeit mergelt Sie vor der Zeit ab, darumb trift man gar selten einen recht alten Prediger in Amsterdam an; Sie wechseln auch ab mit predigen und prediget einer heute in dieser, morgen ein ander in der andern Kirche nach Erheischung ihrer eingerichteten Ordnung. Gleich wie nun vorher beschriebene Kirchen allerseits sehr künstlich, von allerhand Kunststücken von Alabaster, Marmel, Ertz, Messing, Glasewerck und Mahlereyen gar reichlich gezieret seind, so hat mir in der Newen haupt Kirche die vortrefliche Orgel mit den vergüldeten Pfeiffen, ihr Schnitzwerck, ihre bemahlte Flügel und die marmel Säulen, worauf Sie stehet, am besten gefallen, wie auch die Cantzel, derer Spitze auf die 70 Schuhe sein sol, da man zwischen Zweyen Außgeschnitzten Engeln, anstat der thüre, gehet und auf einer künstlich außgeschnitzten Windel Treppe steiget, welches in allem 50000 Gulden sol gekostet haben: Nicht weniger deß Seeheldens Hansen von Galens18 Monumentum auß Weißem Marmel, darein die Seeschlacht vor Livorno mit den Engelländern gehalten, in welcher Er zwar die Victorie erhalten, aber hingegen sein Leben verlohren, außgehauen ist. In der Alten Kirche habe nicht so wol admiriret die vielen künstlichen Leuchter Kronen, samt andern Zierath von Messing, als der Berühmten Seehelden Jacob von Heemskercke19 und Cornelii Jahnsons20 Epitaphia von Marmel mit Sinnreichen Kunstbildern und Inscriptionen. Weil die Suder Kirche im Südlichen theil, oder mittags der Stat lieget, fühert Sie daher den Nahmen: Inwendig ruhen ihre Schwibbogen auf 27 starcken Pfeilern voni außgehauenen blauen steinen und habe dieselben samt dem Glockenspiel mit Verwunderung angesehen und angehöret. Die Wester Kirche veransehnlichet die grose Glocke von 16000 Pfund, welche die gantze Stunden über auß pathetisch schläget. Nicht weniger merckwürdig ist daß Glockenspiel des thurns, deßen Spitze die kayserliche krone, gantz ungemein reichlich vergüldet, praesentiret.

h i

nicht über der Zeile ergänzt. von über der Zeile ergänzt.

18 19 20

Johan van Galen (1604–1653). Jacob van Heemskerk (Hemskerck, 1567–1607). Cornelis Jansz de Haen (1580–1633).

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In der Norder Kirche, welche, wie oben gemeldet, in form eines Creutzes gebauet ist, beliebte mir sonderlich der bequeme Standt der Cantzel an einer Ecken, also daß einer sich in keinen winckel der Kirchen kan verbergen, daß Er nicht könte den Prediger sehen, dergleichen auch in dem Stätlein Schlichtingheim,21 in Groß Pohlen gelegen, an der Kirche observiret habe. |122| Betreffende die Weltlichen Gebäude, so muß ich auch meines Ortes dem unvergleichlichen Rhathause den Vorzug geben. Wer desselben Stärcke, Zierligkeit und Volkommene Baukunst samt der kostbarkeit recht betrachtet, wird ihm schwerlich die Ehre deß 8 Weltwunders versagen können. Dieses gewaltige Palatium ist viereckicht und an einer seiten so hoch wie an der andern: Man rechnet desselben höhe auf 90, die breite auf 200 und die länge auf 280 Schuhe und den Umkreiß auf 960 Schuhe. Es stehet gantz frey, hinter sich hat es eine Graft, zur lincken die oben beschriebene Newe haupt Kirche, vor sich das alte waagehauß, samt dem Dam, worauf täglich ein groser Fischmarckt gehalten wird. Desselben Auffühurng ins Quadrat von einem besondern modellmeister Quartiersteinen, samt den Simsen und Absatzen, fünffach übereinander mit Säulen, Blumen, Laubwerck und dergleichen Zierath ausgewircket, vermehren sein ansehen gewaltig und prächtig. Wie hoch desselben Inwendige Zimmer und Gemächer sein müßen, kan man auß der höhe der euserlichen Fenster bald abnehmen, wie dan auch zwischen einem jeden Fenster herabwerts Seulen, nach Dorischer, Iconischer, Toscanischer etc. Art außgehauen, stehen; Der Fenster werden von außen rund herum 408 gezehlet, davon die Untersten mit unvergleichlichen dicken und starcken eisernen Gegittern verwahret seind. An dieser haupt seite befindet sich oben an der Stirn oder an dem Giebel ein alabastern Feld,j darinnen von gleicher materie, in volkommener Gröse, die Amsterdamische Jungfrau mit einem Oelzweige in der hand haltende und mit einer Kayser krone auf dem Staatsk Sessel sitzende, neben welcher die Strom und See Göttinnin stehen und mit perlen hörnern derselben lob außblasen: Auch der Alte See Vater Neptunus findet sich darbey auf einem Seewagen mit Seepferden bespannet zu ihrem Dienste. Auf der einen seiten deß Giebels stehet die Gerechtigkeit, auf der andern seiten die Gottseeligkeit, auf der Spitzen der Atlas tragende die Weltkugel auf den Schultern, von hellgläntzenden messing gegossen. Hinter diesem heraußwerts gebaweten Giebel deß Außbaus gehet der Raththurn herfür, nicht übrig hoch, aber desto zierlicher; Er hat eine schöne Gallerie und über derselben einen künstlichen Uhrzeiger mit lieblichen Glocken und allerhand kunstreichen Veränderungen; Von dieser Gallerie bis oben an deß thurns Dach gehen rings umbher steinerne Seulen, zwischen deren Durchsicht grose von Metall gegoßene Statuen stej k

Bild vor Feld durchgestrichen. Stat vor Staats durchgestrichen.

21

Schlichtingsheim (poln. Szlichtyngowa).

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hen. Deß thurns spitze endiget sich mit einem vergüldeten knopf, darüber ein messings Creutz und ein gläntzender Wetterhahn von gleicher Materie. Oben auf der Schiefersteinern Dachung gehen 18 Schornsteine von Weißen steinen künstlich ausgearbeitet, gleich kleinen thürnen, herfür und auf einer jeden haupt Ecke, derer Vier seind, eine ziemliche grose Kayser krone mit vier Adlern unterstützt, auß messing gegossen und starck vergoldet, welche bey’m Sonnenschein gar fern ausstrahlen. Man sagt eine jede dieser krone, mit ihren vier Adlern, sollen 680 Pfund an messing wiegen. |123| An der Abend seite deß Rhathauses stehet ebenfals oben am giebel deß mitlern Außbaues ein Alabastern Feld und in demselben von gleicher Materie eine Jungfrau, welche den kaufhandel der Stat Amsterdam praesentiret, mit einem gefügelten Huhte, Seezeigern, Sandlauffern, Land und See Carten umbringet, vor welcher sich die vier Theile der Welt Africa, Asia, Europa und America demüttigen, da man ein jedes theil in seinem erkäntlichen Habit erkennen kan, und derselben ihre Schätze und Vermögenheiten außschütten, zum Zeichen, daß Sie verlangeten, ihn ihrem Seegestade handelung zu führen. Allerseits sind in Lebens gröse: So stehet auch an einer jeden Ecken deß Giebels eine Statua, zur Rechten die Stärcke, zur Lincken der Friede, auf der spitze der Atlas mit der himmelskugel, auß messing gegossen. An dieser Abend seite gehet nicht mehr als eine thüre ins Rathhauß. Hierbey ist zu mercken, welchermaßen daß gantze gebäwde Sechs Grose Außbaue habe, die gleich den grosen Erckern von Unten herauß werts gehen und oben mit dem Dach wieder zu schließen, nemlich an allen Vier ecken einer und dan auf der haupt und dan auf der Abend seiten einer. Waß nun den Außbau an der haupt seite gegen dem Dam Platz betrift, so sind in demselben vorwerts neben einander sieben geschwiebbögte, von gleicherl Gröse und Höhe, weite Eingänge oder Thüren und an einer jeden seiten deß Außbaues auch eine von gleicher art. Zu diesen Eingängen muß man auf fünf breiten steinern stufen steigen, welche rings herumb umb dieses siebenfache Portal gehen. So bald man Inwendig in den überwölbten Vorgang eingetreten, es geschae auch durch eine von gedachten haupthüren, durch welche es wolle, erblicket man zur rechten die Vorscharr, welche einer Capellen gleichet; Vorwerts ist Sie offen, auser daß Sie ein doppeltes Gegitter von starcken messings Trallien anstatt der Wand hat, dadurch daß licht fält und einsehen kan. Gleichfals ist die thüre daran von Ertzt gegossen, darein diese worte eingeetzet stehen: Discite Iustitiam, moniti et non temnere Divos. Unter diesem Metallenen Gitterwerck ist ein starckes Gewölbe, darauß 18 durchbrochene Fenster und so viel Metallene Canonen sehen, damit im Fall der Noth den Dam Platz zu bestreichen. In dieser Vierscharr werden die peinlichen Gerichte gehalten, welches mit lauter Alabaster und Marmel überzogen ist, und die missethäter dem Nachrichter überantwortet. _______________________________ l

un vor gleicher durchgestrichen; von über der Zeile ergänzt.

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Recht der thüren gegenüber praesentiret sich der Richterstuhl samt den Bäncken zur Lincken den Beysitzer alle von Marmelstein. In der marmelsteinern Wand siehet man zwey weinende kinder, die sich mit ihren Armen auf einen todten kopff lehnen. Oben über dem Richter stuhl stehet die Amsterdamsche Jungfrau mit dem Stat Wapen und einer Posaunen in der hand, neben ihren Füße zween Löwen. An der seiten, den Blut Richtern über, stehet die Gerechtigkeit und die Vorsichtigkeit vor Augen. Hinter der Richter Banck ist daß Gerichte |124| deß königs Salomonis über die zwo streitende mütter wegen ihrer kinder, samt der geschichte Selenci, der auch, der gerechtigkeit gnug zu thun, seines eigenen Sohnes nicht verschonen wollen, künstlich in marmel entworffen. Zur seiten der Vierscharr sind auch in diesem gewölbten Vorgang noch andere Gemächer, nemlich die Kammern der Stat Bothen und der Bürger wachten, deßgleichen an den andern seiten deß Rathhauses die Gefängnüße, die Peinkammern, die Wohnungen der Thor schlüsser und Aufwärter deß Rathhauses, item der Gefangen Wärter. Die Gefängnüße sind von unglaublichen Starcken Mauern und ihre Thüren mit so festen eisern Ringeln verwahret, derer Bewegung und Aufschließung vieler männer hände erfordert. Die Stiege auf dem Vorgange hinauf werts achte Sechs Ellen breit und derselben höhe trägt 24 grose stufen auß polirten Weißen Steinen gehauen. Stracks von hier komt man durch ein herrliches Portal auf den grosen Bürger Saal, welcher 140 Schuhe lang, 150 breit und über 100 hoch ist. Deß gewöbten himmels köstligkeit dieses Saals von Steinmetzer und mahler kunst wäre viel zu weitleuftig hierbey zu beschreiben, wie auch die Schildereyen und Sinnreiche Kunstücke der berühmten mahler. Der Fluhr oder Boden deß Saals ist mit gläntzenden polierten grosen Marmelsteinen beleget. Mitten im Saal deß Fluhrs ist die himmels samt der Erdkugel künstlich eingefaßet. Ein jeder Globus, wie Er auf dem Boden eingefast, hält in der Circumferentz 72 Schuhe; In der himmelskugel siehet man die Thierkreise und Sternzeichen in Marmel und die Sterne in messingm abgebildet, auch mit eingelegten messings ringen in ihren gewißen strichen unterschieden. Die Erd und Seekugel ist gleichfals in marmel nach den Vier Welt Theilen, auch ein jedes Theil in einen besondern Farbe abgetheilet, und derer Nahmen, samt derselben haupt Provincien, mit messings Buchstaben bezeichnet, daß man also füglich Erd und Waßer, Europa von Asia, Africa von America, und so fort an, bey dem ersten anblick unterscheiden kan. Rings umb den Saal siehet man künstliche auß marmel gehauene Seulen zwischen den Fenstern und Thüren, davon die meisten von messing, in welchen allerhand Sinnreiche Figuren und Inscriptiones eingeetzet sind.

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marm vor messing durchgestrichen.

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Durch diese Thüren gehet man in die Justitz, Audientz, Conferentz, Renterey, Archiven, Schatz und andere kammern, von deren innerlichen Beschaffenheit meines Ortes nichts rühmen mag, weil mir der Eintrit in dieselben nicht vergönnet worden; Nur über der Thüre der Justitz Kammer habe bemercket zweene Engel haltende eine Fahne, darinnen mit güldenen Buchstaben diese worte standen: Audi et Alteram Partem, den Rathsherren zweiffelsohne zur Erinnerung. Sonnabends wochentglich werden zwischen zehn und eilf Uhren an die Fenstern dieses grosen Saals gegen dem Dam Platz küßen geleget, vor die Bürgermeister und Rathsherren, in derer Praesentz der Secretarius |125| eines und daß andere der auf dem Platz versamleten Bürgerschaft publiciren muß. An diesem tage wird auch unten bey die Stiege eine Taffel außgehänget, worauf man derjenigen Nahmen lesen kan, welche die woche über gestorben seind, da ein jeder, der etwa in dieser Grosen Stat einen Freund hat, deßen leben oder todt warhaftig kan erfahren. Der Innere Platz, wie auch die übrigen Säale an den andern seiten, waren damahls noch nicht gantz außgebauet, daher, welche heutiges Amsterdam besehen, hievon ein mehres erzehlen können. Gegen dem Rathhauß über, auf besagtem Dam Platz, stehet die Waage, ist ein Gewaltiges Gebäude von graulichten Quartiersteinen, hat oben rings umbher eine Schöne Galerie; Man gehet hienauf eine breite steinerne Treppen und in die Zimmer, worinnen die kammer des kriegs Raths und die Waage Rechnungen verwaltet und gehalten werden. Unten in daß Gewölbe gehen 7 grose Thore, da bey einem jeden Thore eine Grose Waage hanget, darauf die Schweren Kaufmannsgüter abgewogen werden und jährlich der Stat etliche tonnen goldes abwerffen. Hierbey befinden sich viel arbeiter, da ein jeder seine besondere angewiesene arbeit zu versehen hat, und, daß man dieselben erkennen möge, tragen Sie besondere hütte und mützen, etliche rothe, andere grüne, etliche blaue und so weiter. Sonst stehet auch auf dem Grosen Ostersmarckt noch eine andere Waage, dem gebäude nach viel stärcker und gröser als diese, und ähnlichet mit seinem Sieben Thurm Spitzen einem Vornehmen Palatio; In derselben werden die Geschütze, Ancker, Ancker Seile etc. und andere dergleichen Eisen waaren gewogen. Auf dieser Waage hält die Bürgerschaft ihre hauptwacht und etliche Zünfte ihre Zunftstuben. Die Wund Aertzte haben auch ein absonderliches Zimmer, woselbst Sie wochentglich ihre Zusammenkunft halten und von ihren Patienten einander Bericht ertheilen müßen. Wenn man von dem Rhathause, die Waage vorbey, über den Platz auf den Dam und von dem Dam zur rechten gehet, trift man bald die Beurse an. Ich achte dieselbe eben von der Gröse und Länge, als wie die Antwerpische, wie wol von mehrer Zierligkeit zu sein. Sie stehet auf lauter Pfählen und unter derselben ströhmet ein theil deß Amstel Flußes durch: Sie ist auch recht quadrat mit einem Schönen Zwiefachen Portal versehen. Inwendig rings herumb an allen Vier seiten sind gewölbte Gallerien, derer Schwiebogen kostliche Dorische, Toscanische, Corintische etc. Seulen unterstützen. Auf der

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andern Wandelung obenher gibt es weitleuftige Säale, darinnen die kaufleute allerhand Schreybereyen verwahren. Hinterwerts gegen die Suder seite stehet ein zierlicher und dreyfacher, durchsichtiger Thurn, mit verguldeten knöpffen und einem Glocken gebeute gezieret. Der Inwendige platz, worauf die kaufleute sich versammlen und wandeln, ist mit glatten steinen belegt. In dieser Beurse höret man und siehet täglich etwaß newes auß |126| der gantzen welt. Es ist auch niemahls leer von frembden Nationen, Portugiesen, Spaniern, Venetianern, Sicilianern, Africanern, Türcken, Pohlen, Ungern, Moscowitern, Armeniern, Persianern, auch Indianern, welche hier verkehren unter so viel tausend Holländern. Die Newen ankommenden Zeitungen werden in den Postagen wie die Predigten abgelesen. Herr Pasquinus bleibet aber auch nicht außen und stellet sich bey dieser Geseelschaft fleißig ein; Bißweilen striegelt Er den herren Princen von Oranien, bißweilen castigiret Er ins gemein die herren Staaten, bißweilen wirft Er dem herren von Amsterdam, bißweilen die herren kaufleuten harte kletten an, allerhand Schmähschriften auf die beste gattung. An dem Ort, wo die kaufleute am häuffigsten stehen, dringet sich manchmahl ein loser und zu solchen händeln erkaufter Bube ein, der als dan die Exemplaria der pasquillen mitten unter den hauffen wirft und augenblicklich daß hasen panier aufschlägt, so, daß Niemand wißen mag, wohin Er gestoben oder geflogen ist. Gleichwie nun hiesige Obrigkeit ein wachendes Auge hält auf daß Policey wesen und gutte Ordnungen zu besserer Fortstellung der kaufmanschaft, also erweiset Sie sich auch daß Sie eine Liebhaberin der Freyen Künste sey. Daß Alte Agneten kloster hat Sie in ein Gymnasium Academicum verwandelt, in welchem, vor Zeiten, der Berühmte Vossius,22 Blondellus,23 Rufius,24 Morus,25 Hortensius26 und andere dociret haben. Eine jede Facultät versiehet ein eigener Professor. Die Medicinische Facultät floriret am meisten alhier. Herr Blasius,27 derselben Professor, machten ihm mit seiner Dexterität und Fleißigkeit einen grosen Zulauf und zwar desto mehr, weil Er die Artzney kunst in Lateinischer und Niederländischer Sprache profitirte; Daher Er nicht allein Studiosos als Studiosos, sondern auch Barbier, Apothecker, Bader, Wundaertzte und Marcktschreyer Gesellen zu Schülern und Zuhörern hatte, welche theils der magistrat und Ost Indische Compagnie, in so weit Studieren läst und hernach zur See, im kriege und Ost und Westindien und anderswo brauchet, unter denen manchmahl statliche Ker’le sein. n

und vor machte durchgestrichen.

22 23 24 25 26 27

Gerhard Johannes Vossius (1577–1649). David Blondel (Blondellus, 1590–1655). Albertus Rufius († 1678). Alexander Morus (More, 1616–1670). Maarten van den Hove (Hortensius, 1605–1639). Gerard Blasius (1625–1682).

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Oben über dem Auditorio wird für die Studiosos eine feine Bibliotheca verwahret, samt einer Anatomiekammer. In dem Alten Bethanien kloster läst die Stat Amsterdam ihre Jugend in allerhand Künsten und Sprachen informiren und wird die Alte Schule genandt, über deßen Eingang diese goldene worte, mit goldenen Buchstaben, eingegraben stehen: Eruditae Pietatis. Nicht fern von der Newen Kirche gehet man durch einen weiten Vorhof in die Newe Stat Schule, welche zu meiner Zeit der Hochgelehrte Junius28 regier’te. Die Schul Pforte war mit dieser Überschrift gezieret: Disciplina Vitae Scipio: Die Zucht ist deß Lebens Lähnstab; Wie wol die Holländische Jugend hievon nicht viel hören wil, mit welcher die Praeceptores gar behutsam verfahren müssen, damit Sie nicht |127| dieselbe, etwa die verkehrte welt zu spielen, irritiren möchten und Sie als Lehrmeister, wie ofters gescheen, zu castigiren. Über dieses laßen auch die Bürger ihre Söhne in Militarischen Exercitien unterweisen und haben zu dem Ende einen besondern Tril oder Waffen Schule mit drey Trilmeister versehen. Der Inwendige Platz dieser Schule ist gar räumlicho und gar weit gnug für etliche Compagnien zu exerciren. Die Waffen werden in besondern Behältnüßen stets rein und sauber gehalten und ist an Fahnen, Musqueten, Helleparten, Piequen, Spießen und anderen gewehr ein groser Vorrath vorhanden. Die bösen Buben im Zaum zu halten und ihrem Muthwillen zu steuern, hat die Stat Amsterdam auch bequeme mittel. Ein solches mittel ist daß Rasp hauß, oder Zuchthauß. Der Eingang in dasselbe hat beydes Starcke und Prächtige Thore. Über dem Thore siehet man bald, waß in diesem, sonst großen und herrlichen Palatio, zu thun sey: Denn es praesentiren sich zwey Zuchtbuben mit halb entblöseten Leibern und an Beinen gefeßelt, welche an einem stück Brasilien holtz sägen. Unter dem Thor gewölbe hangen allerhand Zucht Instrumenta: Prügel, Korbatschen, Geißeln, Ruthen, Ochsen Riemen, eiserne Feßel und dergleichen. Auß dem Thor gewölbe trit man in einen grosen Viereckichten platz, welcher an allen Vier seiten von dem hohen und grosen gebäude beschloßen wird. Mitten in dem platz, oder hofe, stehet eine zierliche Steinerne Säule und auf derselben die Gerechtigkeit mit ihrem Schwerdt und waage gantz übergüldet, an welcher die frechen Buben gezogen und dem Verbrechen nach gesteupet werden. Unten ringsumbher sind kleine kammern, darinnen die Alten sitzen, mehrentheils handwercker und unter denen Uhrmacher, Kammmacher, Schloßer, Klampter, Pitschierstecher, Drechsler, Seidenstricker, Messerschmiede, Schnurmacher, Handschuhmacher, Schuster, Schneider etc. Einem jeden wird sein Werkzeug, samt den benöhtigten Materialien, herbey geschaffet, wie Ers verlanget, hingegen, waß Er verfertiget, wird verkauffet und daß geld darfür zu seiner Unterhaltung angewendet. Etliche von diesen o

en vor räumlich durchgestrichen.

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Franz Junius der Jüngere (1591–1677).

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handerwerckern sind nicht alle gleicher Uhrsachen wegen im Zuchthause; Theils haben liederliche Schulden gemacht, theils haben die Leute mit ihrer Waare betrogen, andere haben sonst Unheil gestiftet. An einer seiten deß hofes befinden sich die albereit Ausgestrichenen Diebe und andere Grobe missethäter; Daher werden Sie schon schärffer gehalten und daß sind auch eigentglich diejenigen Gesellen, welche am Brasilien holtz sägen müßen, allzeit mit ­enblöseten Leibern, von denen manchmahl der abrinnende Schweiß mit den Scharffen Geißeln, noch darzu, vermischet wird. Oben in den kammern sitzen die böse Buben, da ein jeder auch daß Seinige zu thun hat; Etliche Stricken oder lesen wolle, andere |128| haben Praeceptores und werden im lesen und schreiben unterwiesen, von denen auch die Ungehorsamen an einen Block geklemmet, übergezogen und Streiche leiden müßen. Es mag aber sein Alter oder Junger, so darf keiner arbeiten, waß und wie viel Er wil, sondern waß ihm der Zuchtmeister vorleget, muß Er absolviren, wo nicht, den Rücken herhalten. Ihre kost ist gar geringe und ihr täglich Brot rauh und schwartz. Etliche machet die harte Zucht frömer, andere aber verstockter: Etliche sind lebens lang darein verbannet, etliche auf gewiße Jahre. Deß Nachts werden Sie paar und paar in wolverwahrte kämmerlein eingesperret, in deren thüren runte Löcher sein, dadurch der Zuchtmeister einsehen und deß Morgends die Langschläfer aufwecken kan. Sonntäglich werden diese Gäste allerseits in Speise Saal versamlet, da ihnen dan auß Gottes Wort allerhand Vermahnungen vorgelesen werden, wie wol Sie auch täglich ihr Gebet verrichten müßen. Nicht fern von dem Garn marckt stehet daß so genandte Spinnhauß, oder daß Weiber Zuchthauß, und ein mittel die Unbändigen zu zähmen. Dieses Spinnhauß ist gleichfals ein ansehnliches ins Quadrat aufgeführte Gebäude und wird mit starcken Thoren und eisern Fenster Gittern, wie daß Rasphaus, verwahret. Über der Schönen steinern Pforten stehet die Züchtigung in gestalt einer Frauen in Stein außgehauen, mit der einen hand hält Sie eine Geißel, mit der andern ein Weibes Person bey dem Arm, welche ein Netze stricket, als wolte Sie dieselbe geißeln. Inwendig wird von allen Vier seiten der platz von dem hohen und grosen Gebäwde beschloßen. Unter dem Thor gewölbe steiget man eine breite Treppen auf den grosen Saal. Auf diesem Saal sitzet daß gemeine Frauenzimmer und muß ein jeder die bestimm’te Zeit ihrer Zuchtruthen außhalten. Etliche sind wegen Volsaufferey, andere wegen Verpraßung ihrer Gütter, etliche wegen Zänckerey, die meisten aber wegen Diebstahl und Hurerey, und dergleichen Laster, hieher verwiesen. Der Saal ist rings umbher mit höltzern dicken Stacketten umgeben und an einer seiten zwischen der Wand und denselben ein Gang übrig, davon man durch die Stacketten zu diesen Schönen Thierlein sehen kan. Mitten in dem Saal, binnen den Stacketten nemlich, sind Bäncke gebauet, gleich wie in den Schulen die Classes, da auf mancher Banck 9 biß 10 Personen sitzen: Sie haben auch ihre Translationes: Denn die Newkömlinge werden allzeit zuletzte gesetzet und wenn etliche dimittiret werden, rücken die andern weiter fort und höher hinauf.

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Zwischen diesen Classen, und Bäncken stehet ein Catheder, worauf der Inspector mit einer langen peitschen sitzet; Es war ein Närrischer Ker’l, hatte ein recht wiedertauffers Gesichte, einen gelben Bart und hohen huht, Unter der Catheder saßen die beyden Zuchtmeisterinnin mit Ernsthaftem Ampts Gesichtern, welche, samt dem Zuchtmeister, dem Ansehen nach, die kunst zu geißeln und zu streichen wol zu exerciren wusten, die Sie an diesem Orte mehr als etwa die Schulmeister in den Schulen gebrauchen müßen. |129| Der Inspector legt einer jeden ihr tages werck vor. Etliche wircken Schnüre, etliche klöppeln spitzen, etliche stricken Strümpffe, etliche nähen, etliche spinnen, etliche machen knöpffe, etliche ziehen wolle und so fort an. Waß nun eine jede deß tages über verfertiget, bemercket der Inspector genaw und welche ihr vorgelegtes nicht absolviret haben, belohnet Er mit prügelsuppe oder, dafern es Mägde seind, übergibt Er Sie den Zuchtmeisterinnin, welche dieselben hernach in einem besondern Zimmer, die Speckkammer genandt, über die Banck ziehen und den hintersten behauen, wie wol Sie auch sonst ofters in solche Strafe verfallen sollen und ihnen daß Leeder müßen gärben laßen den Kützel zu vertreiben, ungeachtet es Abscheuliche Grose hummeln und Holländische Viehmägde seind. Wenn aber die freche Dirnen in Gegenwart deß Inspectoris muthwillen treiben, so nim’t Er seine Authorität in acht und schmeißet tapffer drauf loß oder drewet ihnen mit der Speckkammer, da dan die Zuchtmeisterinnin augenblicklich willig und bereitet sein dieselben hinein zu führen und zu streichen, ihnen bey solchem Ampt eine sonderbahre Ehre einbildende. Ich habe gesehen, daß eine Schwester nach außgestandener Strafe wiederumb von den Zuchtmeisterinnin in den Saal geführet wurde, die solche Execution albereit an ihr volzogen hatten, welche die andern mitschwestern gewaltig außlachten und mit der Speckkammer vexirten, unangesehen, waß diese heute empfangen, Sie morgen gewärtig sein musten. Ob nun wol diesen Unverschäm’ten hummeln daß Leeder wol gefeeget werden mag, deßen ungeachtet seind Sie doch, sonderlich die umb hurerey willen gefangen sitzen, frech und leichtfertig und dermaßen verwegen, daß Sie auch manchen ehrlichen menschen mit Unwarheitp beschämen und schamroth machen; In dem Sie, in gegenwart seiner Geseelschaft, Zeit und Ort benennen und zu erdichten wißen, wo Er wäre bey ihnen gewesen, wie viel Er ihnen Spendiret hette etc. Im Fall es aber der Inspector siehet oder höret, schmieret Er den leichtfertigen metzen darfür den puckel. Nach dem man gnugsam die Schönen Thierlein besichtiget und abtretten wil, reichen Sie durch daß Stackett einen klinge Beutel, darein ein jeder nach Belieben etwaß leget, welches ihren Krancken mit Schwestern, zum theil zum Labsal, ihnen aber theils zu Schuhen und Strümpffen, gesamlet wird. Es sitzen auch in diesem Spinnhause Viel Vornehmer Leute Töchter in verborgenen Gemächern unter einer besondern Zuchtmeisterin; Dieselben bekom’t Niemand zu se_______________________________ p

der vor Unwarheit durchgestrichen. Un in Unwahrheit über der Zeile ergänzt.

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hen, sollen doch aber ebenmäßig scharf gehalten werden. Allerseits, ohne Unterschied, müßen mit geringer kost vorlieb nehmen und deß Sonntags wird ihnen auß Gottes wort vorgelesen, waß zu ihrer Lehre dienet und zur Besserung. |130| Gegen dem Spinnhause über stehet deß Princen hof und dabey eine besondere Capelle. Daß Gebäwde ist ins quadrat gebauet, hat Inwendig einen grosen Platz. Mitten im hofe an der Erden siehet man eine Sonnen uhr, derer Abtheilung und Ziefern von Weisen und Schwartzen Marmel gar künstlich formiret sein. Die Circumferentz betrift etwa 14 Schuhe. Mitten in dem Circkel stehet eine zierliche Seule, darauß oben an der Spitze sich eine hand von messing strecket, welche man nach den monaten, und daß Sie mit den Vorbuchstaben derselben, wie Sie unten in dem Circkel bey den Ziefern stehen, einrichtet, correspondiren, dadurch hernach im Fall die Sonne klar scheinet, die Stunden accurat angezeiget werden. Es ist etwaß rares. Sonst ist daß Gebäwde deß hofes nicht von gleicher höhe; Denn an der einen seiten gibt es zwo Wandelungen, an der andern seiten drey übereinander. Dem ansehen nach mag dieser hof vor zeiten sein ein kloster gewesen; Unterdeßen läst der Printz von Oranien in inwendigen Zimmer sauber halten. In dieser Gegend ligt auch daß Ost Indische hauß, oder denen herren von der Ost Indischen Compagnie zuständiges Palatium, an einer Ecken der Suder Kirche über, nur bloß von einer Graft geschieden. Man gehet in dasselbe durch ein starck gewölbtes Portal. Inwendig hat es einen grosen hof, auf welchem viel Canonen und anderer Kriegs Vorrath lieget, sonderlich werden auf diesem hofe die Ost Indischen Schifs Soldaten gemustert und bezahlet. Die Innern Gemächer, Packkammern, Packkeller und Packgewölber sind mehrentheils Grose Säale, darinnen ein unglaublicher Vorrath von köstlichen Orientalischen Specereyen, von Zimmelrinden, Nägelchen, Muskatten, Pfeffer, Ingwer, wie etwa sonst daß korn auf den Fruchtboden außgeschüttet lieget und einen gewaltigen starcken geruch von sich giebet. Man vergünstiget auch den Frembden eine handvoll hievon zu nehmen; Wie wol mich und herr Doctor Besser29 der Verwalter, oder Aufseher, dieser Zimmer freywillig mit einer gutten Portion regalir’te. Auf den Säalen in der Andern Wandelung werden die köstlichsten Materialien conserviret, ebenmäßig in groser Abundantz, nemlich Bezoar, Rohbarbara, Ambra, Zibeth, Drachenblut etc. Hierbey ist auch eine köstliche Artzney kammer, worinnen man die Medicamenta durch Verordnete Apotheker für die Ost Indien Fahrers Schifleute und Soldaten praepariret. Ebenmäßig ist hierbey eine Schöne Rüstkammer zu sehen, von Indianischen kriegs waffen: Schilden, Säbeln, Bogen, Spießen, Aexten, Streithammern, Röhren, Elephanten Rüstungen etc. Über dieses hauß, und waß demselben anhängig, werden allzeit 27 der Vornehmsten Rathsherren und Kaufleute zu Regenten erwehlet, welche die gantze Ost Indische Compagnie und alle Batavische Länder in Ost Indien regieren. Hinter demselben ist 29

Gottfried Besser.

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auch ein groser Schlachthof, worinnen die Ochsen bey tausenden zur Einsaltzung auf die Schiffe, samt anderm Vieh, geschlachtet werden. Ist alles würdig zu sehen. |131| Daß West Indische hauß, nicht fern von dem haringspackers Thurn gelegen, zu dem man über die Newe Harlemer Schlys Brücke, bey der Newen Fleischhalle vorbey, gehet, stehet auf einem freyen platz ins gevierdte; In desselben innern gemächer bin nicht kommen, habe aber in dem Eingange die zwölf monden des Jahres, welche auf grosen Taffeln von besondern Inventionen, gesehen und sind über die maßen künstlich gesehen. Am Süd Ende der Stat stehet daß grose prächtige Land Magazyn und hat ­vorwerts einen grosen Platz, an den andern dreyen seiten aber ist es mit Waßer umbgeben, also, daß daran die Schiffe hart daran stoßen und anländen können; Desselben höhe erstreckt sich auf 5 Wandelungen. Auch geben demselben die vielen, und in gleicher Ordnung und von gleicher Gröse, daran erbauten Fenster einen grosen Zierath. Euserlich siehet man oben an den Giebeln von Alabaster und Marmel die herrlichsten Bilder und Statuen, von Sinnreicher Invention. So bald man durch daß herrliche Portal passiret, geschieht der Eingang in den Grosen Viereckichten platz, welcher mit breiten Quartier steinen über und über beleget ist. Auf diesem platz, rings umbher an den seiten liegen Canonen, Grose Ancker, Kugeln, Mastbäume, alle in Gröster Menge und Ordnung. Auf die höhern Wandelungen gehet man Breite Steinerne Treppen, unter andern Gemächern ist der haupt Saal mit viel Mahlereyen und Kunstbildern von allerhand Außländischen Nationen, samt derselben Verkehrungen, Sitten, Kleidungen, Armaturen etc., außgezieret. In den übrigen Gemächern, Pack Söllern und Pack Gewölbern werden alle Ersinnliche zu den Schifs Außrüstungen Nöthige sachen, von Segeln, Seilen, Flaggen, Schifsfahnen, Laternen, kleinern kugeln, Säbeln, Stangen, hacken, hand Röhre, hand Granaten, Piequen, Schlachtschwerdter etc. häuffig verwahret und in einem solchen Vorrath, daß die Gröste Schiffsflotte damit überflüßig könte ausgerüstet werden. In den Obersten Söllern, wie auch theils in dem Grosen Platz, arbeiten continuirlich Seiler an Seilen, Tauen und Segeln und andere handwercker, sonderlich eine grose menge Grob Schmiede, gleich wie in dem Ost Indischen Hause, welche daß zerbrochene Ancker oder ander Eisen werck ergäntzen oder auch Newes darzu machen müßen. Gleichfals ist dieses Palatium in einer grosen Anzahl Waßer Eymern, Feuer Spritzen versehen, im Fall der Noth, denen in dem hafen liegenden und in Brandt gerahtenen Schiffe, wieder daß Fewer zu hülffe zu kommen und damit dasselbe zu dämpffen. Über allen Thoren und Thüren Inwendig und Außwendig siehet man der See Räthe Wapen künstlich in Stein gehauen. Zur seiten dieses Land Magazyns an dem waßer liegen die grosen Zimmerhöfe, da ein jeder mit einer besondern graft unterschieden wird; Alhier werden täglich von viel hundert Arbeitern Schiffe gebauet und verbeßert, mit grosen Unkosten. |132| Nicht weit hievon befinden sich auch die holtzhöfe, worinnen man einen unglaublichen Vorrath von holtz, Dühlen, Brettern, Balcken, Bäumen, in Schönste Ordnung gesetzet, antrift, welche sich fast der Länge nach über eine halbe stunde gehens erstrecken.

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Wenn man von dem vorher gedachten West Indischen hause längst hienunter an dem Waßer gehet, zu dem Grosen Land Magazyn, bekom’t man hier jederzeit waß newes zu sehen, darzu über eine Stunde zeit erfordert wird. Insonderheit bey dem ­haringspackers und dan bey der Newen Brücke verkehren unaufhörlich die Menschen mit tausenden. Einstmahls, als ich über diese Brücke passirte, trug sich ein artlicher streich zu, für vieler tausend augen; Ein knabe, ohngefehr von 5 Jahren, spielete auf der Straße mit einem Reiffen, deßen Vater, ein feiner ansehnlicher mann, der nechst der Brücken an einem Eckhause wohnete, solches aber nicht leiden wolte, sondern kam auß dem hause mit einem Rüthlein und schlug daß kind etliche mahl über die Schultern. Dieses sahe die mutter deß kindes, und deß Vaters weib, welche zweiffelsohne daß Regiment im hause, nach Holländischer Gewonheit, führete, und kam eilends gelauffen deß kindes streiche zu revengiren und gab auf offentglicher Straße dem mann einen Backenstreich; Der mann, wie wol Er sich schämen mochte, lief mit seiner truckenen Ohrfeige ins hauß und daß Weib hinter ihm her, welche ihm vieleicht mit mehrer solcher Liebes Speise wird tractiren haben. Waß für ein Gelächter über diesem armen Sünder hier müße entstanden sein, kan ein Vernünftiger leichtlich ermeßen. Wegen der stets in diesen Gegenden Vorlaufenden Novitäten ist es lustig zu spatziren; Insonderheit contentirte mich die grose menge der Schiffe, welche hier mit tausenden für Ancker liegen, alle in schöner Ordnung; Daher es nicht anders ist, als wenn man wegen der vielen Mastbäume in einen dürren Wald sehe, darbey sich die Schifs gesellen und Jungen jederzeit lustig machen und auf die mastkörbe auf und nieder klettern. Zwar waß die haupt grosen Orlogs Schiffe betrifft, die können nicht durch die Zuyder See fahren und müßen im Texell liegen bleiben, unterdeßen kommen doch ziemlich grose Kauffardey Schiffe, welche ofters biß 30 à 40 Canonen führen, anhero. Gleichfals vermehret hiesige Lust daß stäte Canoniren auß den Schiffen und wehret selbtes ­manchmahl einen gantzen tag, nach dem nemlich viel Schiffe ein und abfahren. Es ligt auch an diesen Reviren auf dem Wael Eyland deß Berühmten Seeheldens Admiral Ruyters30 hauß, scheinet von außen nicht sonderlich groß zu sein, und dieses herren Bildnüß hieng, auf eine sehr große kupfferne Taffel gemahlet, über der Thüre. Vor ein geringes Geld kan man sich auch auf einem kleinen Botchen unter den grosen Schiffen herumb fahren laßen, dieselbe destobeßer zu besehen, wie ich dan auf einen Ost Indien Fahrer hienauf stieg und mir einen grosen Strauß Vogel zeigen ließ. Dieser Vogel hat zwar schöne Federn, kan aber nicht fliegen; Er hat an den Untersten Füßen grose klauen und die Füße gehen immer dicker hienauf, biß Sie endlich fast wie eines Mannes Füße oben herumb |133| so dicke werden. Der darauf liegende Ober Leib, welchen die Federn bedecken, ist starck, strecket sich aber mehr der länge als der höhe nach. Der aus demselben gehende hals hat eine ziemliche länge, also wenn Er sich mit demselben recht aufrichtet, so ist Er so hoch alß der größte kerl auf einem hohen Pferde sitzende; Der kopf ist nicht sonderlich groß, aber die augen daran gleich einem Hessischen Weißpfennig ohngefehr, nach der Circumferentz. Die Schiffer gaben ihm Eisen 30

Michiel Adriaenszoon de Ruyter (1607–1676).

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und Kupffer werck zu freßen, welches Er alles durch die lange gurgel ohne Bewegung verschlang, welches aber durch seine Innerliche hitze dergestalt verzehret ward, daß davon desselben Excrementa wie sand außsahen. Bey dieser Newen bemeldten Brücken henget eine Armen Büchse von messing von ungemeiner Künstligkeit und kan dieselbige in der gantzen Stat kein mensch aufmachen, ausgenommen der meister, von dem Sie verfertiget worden. Nicht fern hievon ist auch die Korn Börse, worauf die Kornhändler zusammen kommen; Sie stehet zwar nur auf Pfählen von holtz erbauet über dem Waßer, aber wird durch zierliche Galerien mit künstlichen von holtz geschnitzten Seulen unterstützet und gezieret. In diesen Gegenden trift man auch daß hauß an, worinnen die Schiffer eine Taffel außzuhangen pflegen, darauf Sie ihre Nahmen schreiben, samt den Orten, wohin Sie mit ihren Schiffen, auch wann, außlaufen werden und wollen, darnach sich ein jeder kan richten, der etwa Lust in die Welt zu reisen hat. Weiter abwerts am Waßer stehet der haringspackersthurn, gleichfals ein starckes gebäwde, worbey man im Sommer die Packhäuser mit einer Unbeschreiblichen menge harings Tonnen und anderm Trucknem gesaltzenem Fischwerck siehet. Der See Räthe hof, darinnen sieben Räthe von den Niederländischen Provincien und fünffe von den Stätten Amsterdam, Leiden, Harlem,31 Gaude32 und Edam dependiren, läst sich auch wol sehen. Die eigengliche Verrichtung dieser herren bestehet in Bestellung der Kriegs Schiffe, wie auch der Schiffs Officirer und der Boths Leute, zu derer Unterhaltung Sie alhier in diesem hofe die Zollgelder, die jährlich über 16 Tonnen Goldes außtragen sollen, einnehmen und außzahlen. Vorwerts auff dem Giebel deß Palatii praesentiret sich in Stein gehauen der Holländische Löwe in einer Zaunburg, welcher mit seinen klauen zweene Ancker fasset, zur lincken die Iustitia und zur lincken Mars mit einer brennenden Fackelq in der hand haltende und stehende. Die Gröhnlandischen Packhäuser besitzen die Gröhnlandsfahrende Compagnie; Geben gar wenig rares zu sehen auser der grosen menge Wall Fischbeine, Fischtrahn etc., mit welchen Güttern hernach die handelung weiter von hier forgesetzet wird. An allen andern Leibes Bequemligkeiten findet man in Amsterdam ebenmäßig einen grosen Überfluß. Die Fleischhallen, worinnen täglich die Metzger daß geschlachtete Fleisch verkauffen, sind grose Palatia. Und waß für Zufuhre an Victualien, Fleischwerck, See und andern Fischen auf die marcktplätze gescheen, kan meine |134| Feder derselben Abundantz unmöglich satsam beschreiben.

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Fakel vor Fackel durchgestrichen.

31 32

Haarlem. Gouda.

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Es gibt auch hier herrliche Wirthshäuser, wie unter andern die so genandten herren Logiementer, welche mit ihren prächtigen, außgekleideten Säalen, Gemächern, Mobilien, Bedienungen, Küchen, Kellern, Speisekammern, Stallungen, Gallerien etc. gnugsam capabel seind, den Grösten König in seinem Staat zu accomodiren: Sie gehören der Stat, davon daß Gröste dem Wirth jährlich für 5000 Reichsthaler verpachtet wird. Die Stat pfleget auch Groser herren Gesandten in denselben zu tractiren. Ins gemein gibt man hier einen Reichsthaler für die mahlzeit, dabey stets eine herrliche Music zu hören, unter andern Vergnügungen; Wer nun denselben erleget, kan die Ehre haben mit Fürsten und grosen herren zu speisen. Auserhalb der Stat auf dem Waßer liegt auch die Alte und Newe Stat herberge, beyderseits ansehnliche Gebäwde, auf Pfählen stehende: Hierinnen verkehren in den grosen Trinckkammern die Kaufleute und Schiffer bey tausenden und über 30 Schenckknechte, welche die Gäste bedienen. Ebenfals logiren in denselben die bey spätem Abend oder Nacht ankommende Passagiers, nach dem die Bäume, darfür die Schiffe liegen, albereit geschloßen worden. Deß tages kan man eine schmale Brücken hienüber gehen oder sich überschiffen laßen. Die zu Schiffe abreisen, machen sich auch gemeiniglich in diesen herbergen zuvor, mit ihrer Geseelschaft, lustig. Über dieses geben der Stat, beydes zur Nothdurft als Ergetzligkeit, die grosen Zuckerbäckereyen, Bierbrauereyen, Färbereyen, wie auch die Saltzkothen, darinnen von Weibes Personen auß dem Seewaßer saltz gesotten wird, grose Nahrung. Gleichfals vermag die Stat grosen Überfluß von allerhand frembden Indianischen, Sinesischen, Italiänischen, Spanischen, Portugiesischen Früchten, wie auch allerhand Speise Waaren und Geträncken, Außländischer Wein und köstlicher Biere, wie wol im Sommer die frischen keller hierzu mangeln. Auch der Vortheil, welchen die Stat auß der grosen Glocken Gießerey, nichtr weniger auß dem Glaßehause, schöpffet, worinnen man die herrlichsten Gläser und porcellanene gefäße machet, darbey täglich über 30 Personen arbeiten müßen, vermehret ihr den Reichthum. Die andern Manufacturen floriren alhier überhäufter maßen samt dem gewaltigen Kornhandel, umb deßen Überflußes wegen, grose Palatia und Kornhäuser mit Frucht angefüllet und auf die Nothzeit versparet werden. So sind auch alle Straßen und Gaßen mit den köstlichsten kramladen von allerhand Galanterien, Raritäten, Silber und Gold werck, Juwelen, von Büchern, Bildern, Kupfferstichen, Mahlereyen und sonst zum Kleiderwerck gehörenden Dingen angefüllet und mit andern von Kupffer, Eisen, Zinn und Holtz zum haußwesen gehörenden Dingen. Wer auch die Rechten Schliche weiß, oder sich von einem Erfahrenen anführen läst, kan hier in Amsterdam wolfeil leben als sonst nirgends in gantz Holland: Denn wenn man ein kämmerlein, darbey ein Bette ist, auf einen Monat mietet für einen halben |135| thaler, der kan sich täglich, dafern Er menagiren wil, mit 7 Stievern, derer 53 einen _______________________________ r

wen vor nicht durchgestrichen.

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thaler machen, durchbringen, sonderlich im Sommer, da man ohne daß dieser Orten der warmen speisen nicht achtet. Meines Ortes pflegte deß morgends mit herrn Doctor Besser33 einen trunck Frantz Brandtwein zu trincken und darauf spatziren zu gehen. Umb mittagszeit giengen wir in daß Cabaret, ließen unß für ein paar Stiever geräucherten Lachs, oder frisch gesottenen Schellfisch, oder gesottene Schullen, oder frischen häring gesaltzen oder ungesaltzen in der Pfanne mit Butter gebraten, dabey ein stück Holländischen Käßes, ein Weißbrot und ein paar pint Harlemer Bier auftragen und damit befanden wir unß überflüßig ersättiget. Deß Abends machte unß die müdigkeit deß Essens vergessende, vergnügten unß mit einem Pfeifchen Taback und gienge zu Bette; Allein ich gestehe, es gehöret zu dieser Nahrung kein Weicher Mutter Milchs Magen. Und gesetzt, daß man ja warmer kost sich bedienen wil, so kan man gleichfals für 3 Stiever ein ziemlich stücklein Fleisch mit einer Brühe, sauber und nett gekocht, bekommen. Diese Menagie läst sich dieser Orten gar füglich practisiren, weil keiner den andern kennet. Zu mehrer Ergetzligkeit haben auch die Amsterdammer ihre Doelens, oder Schützen häuser, worinnen sich die junge Bürgerschaft mit Armbrüsten, Röhren und dergleichen Gewehr exerciret. Die eine wird die Kleveniers Doele genandt, bey welcher nicht allein der lustige Schießplatz, sondern auch ein groser Saal vorhanden, darauf die Vornehmsten von der Brüderschaft, in alter kleidung und rüstung, wie auch die Königin auß Franckreich Maria de Medices,34 nach dem Sie diese Doele besehen, abgemahlet und hieher gesetzet worden. Man zapffet hierbey allerhand geträncke auß, dergleichen auch in den Handboogs und Voetboogs Doelen geschieht. Unter andern Divertissementen ist die Schauburg, oder daß Comoedien hauß, nicht daß geringste. Die Stat unterhält dasselbe aus gewißen Intraden und setzet Verwalter darüber, welche denen 24 darzu Verordneten und Bestellten Comoedianten an die hand gehen, mit dem waß Sie bedürffen: Sie proponiren ihnen auch, waß Sie spielen sollen, und reichen ihnen den gewißen Sold darfür; Daher werden die Spectatores ohne geld eingelaßen. Daß Theatrum hat die Form eines halben monden, sehr hoch und räumlich. Es ist auch mit Schönen Mahlereyen und Vielfaltigen Veränderungen und Sinnreichen Inscriptionibus gezieret; Sonderlich kommen die Wolexercirten Comoedianten prächtig aufgezogen und haben ihren Besondern Schneider, welcher die Kleider verändern, verbeßern oder New verfertigen muß. So sind auch die Stühle und Bäncke für die Spectatores wol aptiret, zu eines jedem Contentement. Bey solchen Bequemligkeiten wird der Armen nicht vergeßen; Sie jemal die Armen häuser, auser dem Rhatshause, die grösten Palatia in der Stat seind und werden auch jährlich viel Tonnen Goldes an die Armen verwendet. Die Armenhäuser sind folgende: 33 34

Gottfried Besser. Maria von Medici (1575–1642), Königin von Frankreich.

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1. Daß hauß der Alten Männer und Weiber, darinnen derselben über 200 ernehret werden, ist ein herrliches Gebäwde; Es wird aber keiner eingenommen, welcher nicht ein Bürger oder Bürgerin in Amsterdam |136| gewesen und der nicht gewißes haußgeräthe von Bettgewandt, Stühlen, Stuhlküßen, Schüßeln, samt zweyen Reichsthalern an geld, einbringet. Der Innere hof dieses hauses ist in zwey theil unterschieden: Der eine theil bleibt den Männern zum Lustgarten, der andere den Weibern zum Bleichfelde. An der einen seiten deß Gebäwdes haben die Männer ihre besondere Gemächer und auf der andern die Weiber. Hinter den Kammern sind Schöne Spatzier Gallerien und nebenst denselben ist der Speise Saal mit Schildereyen gezieret. Ein jeder, waß Er mit hierein bringt, wird nach seinem Tode der Commun Kammer deß haußes zugeschrieben. 2. Der Witwen hof gibt, dem euserlichen nach, keinem Fürsten hofe nach. Daß Gebäwde von allen Vier seiten umpfängt inwendig einen Schönen mit Bäumen und Schönen Brunnen besetzten hof; Die Witwen, mit ihren Vaterlosen Waisen, genießen hierinnen freye Wohnung und sonst nicht viel übriges, die Kinder aber müssen bald nach der mutter Tode herauß weichen. 3. Dem Lazereth mangelt auch an der Weitleuftigkeit nichts. Etliche kauffen sich hierein, auf ihr Lebenstage der kost zu genießen, andere aber werden auß Barmherzigkeit eingenommen. Es gibt unter denen eingezogenen viel hirnblöde, aberwitzige Leute, jedoch auch viele gesunde, welche allerseits ihre Versorgung und Verpflegung haben. 4. Nicht fern vom Lazareth liegen die Armen Gesinde häuser, in welchen die armen Dienstbothen, welche untüchtig ferner Dienste zu leisten, ernehret werden. Man sagte mir, wie geringe auch derselben Kost wäre, dennoch jährlich über 6 tonnen Goldes erfordern solte, wegen der grosen menge der Armen. 5. Daß grose Gast oder Krancken hauß wird in drey theile abgetheilet: In dem ­einen werden die frembden Bettler drey tage lang bewirthet, jedoch daß die männer von den frauen abgesondert bleiben: So bald Sie schlafen gehen, müßen Sie meßer, kleider und waß sich bey ihnen befindet, vor dem Gemach ablegen und die Thüre hinter sich schließen laßen, auf den Morgen gibts ihnen der Inspector wieder. In dem andern theil werden die Soldaten versorget, welche in deß Staats Diensten die Gesundheit verlohren und zum Krieg nicht mehr Capabel seind. In dem dritten theil werden die frauen versorget. Es ist ein Schönes Palatium mit herrlichen Portalen, Gallerien und Lusthöfen samt allen Bequemligkeiten versehen, auch so gar, daß eine eigene Apothecken und unterschiedliche Chirurgi, welche die Verwundeten verbinden, darinnen stets gehalten werden; Darbey ist auch ein klein Capelle zum Gottes Dienst angebauet. 6. Daß Diaken Waisen hauß, so gantz frey an der Amstel gelegen, wer es von ferne siehet, seine höhe, länge, quadrat form, mit der grose Menge Fenster, muß meynen, daß es ein fürstlicher hof wäre. Man nimt den Eingang in dasselbe durch eine hohe Treppen und muß in die, bey der thür stehende, Armen Büchse den Waisen etwaß einlegen. Die Beschaffenheit der Gemächer habe nicht gesehen, aber wol den Innern Schönen platz, worauf die Kinder spielten, derer über 600 sein. Diese Kinder genießen groser Bequemligkeit und werden zu allem angeführet, worzu Sie nur die Lust treibet, sonderlich

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zu Gottes wort. Ihre Intraden bestehen mehrentheils in den gesamleten Allmosen Geldern bey den Kirchen. |137| 7. Daß Waelen oder Frantzosen Waisen hauß komt zwar an Reichtum und Schönheit diesem nicht gleich, jedoch genießen die Waisen mit jenen gleiche Auferziehung und Unterweisung in Gottes wort und andern Wissenschaften, davon Sie sich mit der Zeit ernehren können. 8. Daß grose Waisen hauß ähnlichet gleichfals einem grosen herren hofe; Niemand wird eingenommen auser ehrliche Bürger Kinder im 9. Jahr ihres Alters, derer Eltern 12 Jahre Bürger gewesen; Die Zimmer, Speise Säale, Schlafkammern werden in drey theile abgetheilet: In dem einen logiren die erwachsenen knaben, in dem andern die erwachsenen mägdlein, in dem andern, oder dritten, die kleinen knablein und mägdlein beysammen. Über dem Portal stehet ein knabe und mägdlein in Stein ausgehauen, in Schwartzer und Rother Livrèe der Stat Amsterdam. Die Überschrift hiervon kan man lesen in dem Florilegio Historico Huberi,35 wie auch in meinem Geistlichen Welt Schlüßel, welche in meiner Bibliotheca vorhanden sind. Hier wird nun nichts gesparet zu gutter Verpflegung und Unterrichtung s der Kinder: Sie haben eigene Lehrmeister und Lehrmeisterin: Die erwachsenen Knaben gehen deß morgends zu ihren lehr und handwercks meistern und stellen sich zur Mahlzeit und Nachtlager wieder ein, die Mägdlein aber werden im hause unterrichtet, so lange biß Sie tüchtig sein, ihr Brot zu verdienen. 9. Der Baginen hof ist ziemlich weitleuftig, sauber und nett; In denselben begeben sich die Baginen, daß ist alte, unverheurahtete Jungfrauen, so sich mit ihrer hände arbeit ernehren: Sie kommen wenig auß und verrichten ihren Gottesdienst in einem darzu bestimten ort: Wenn eine stirbt, wird Sie von den andern Schwestern zu grabe, auf besondere Weise, getragen, nicht auf den Schultern, sondern an Riemen mit den händen. 10. Mit dem Almosiniers hauß, oder der Armen Verpfleger hause, hat es eine solche Bewandtnüß: Man nimt die Armen Verlaßenen Waisen, ungeachtet ihre Eltern keine Bürgern, weniger Reformirter Religion zugethane gewesen, auch wol gar Frembdlinge und Findlinge, darinnen auf zur Auferziehung und Versorgung. Es werden von den ­Almosiniers zu gewißen Zeiten Allmosen gesamlet zu derselben Unterhaltung. Dieses hauß ist ein bequemes mittel, dadurch aller Straßen Betteley gesteuert wird, worauf die Verordneten Stockknechte fleißig achtung geben und die faulen gaßenlauffers ins Rasphaus bringen. 11. Ebenfals achte daß Tollhauß für ein Besehens würdiges Palatium; Denn einen theil davon nennet man daß Newe, den andern theil daß Alte Tollhauß. In dem Innern hofe habe wargenommen einest entblöseten Frauen Bildes von Marmel, welches sich in die haare rauffet und die Tollheit abbildet. An den seiten rings s t

Un vor Unterrichtung durchgestrichen. über dem vor eines durchgestrichen.

35

Rudolph Huber (1625–1688).

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umbher sind die kämmerlein angebauet, darinnen die Rasenden liegen und werden mit starcken eisernen Ringeln verwahret. Man siehet hier erbärmliche Specktakel, darauf ein jeder sich erkennenu kan und sehen wer wir menschen seind, wenn Gott ein wenig |138| seine hand von unß abziehet. Unter den Tollen gibt es viel vornehme Leute, welche bißweilen sich ziemlich klug stellen, aber unversehens wiederumb zu rasen anfangen. Diese Arme menschen machen ihren Pflegern und Aufsehern viel zu schaffen. 12. Weil die Pest auch selten in Amsterdam recht nachläst, so hat sich die Stat mit einem vortreflichenv Pesthause versehen; Selbtes ligt vor dem heiligen Thor an einem sehr lustigen Orte, rings umbher mit Schönen Linden püschen umbgeben, daß es von ferne, dem Unwissenden, gleich einem Vornehmen Lusthause in die Augen fält. Man sagte, daß für die krancken darinnen eine Apotecken wäre, auch stets Verordnete Pest Aertzte dabey wohnen müsten. Bey diesem Pesthause ist auch eine besondere Capelle und Todtenhof. Den Weg auf einem lustigen Thamme habe selbst mit Schlagbäumen verwahret gesehen. Auß diesem erzehlten kan man schließen, waß die eintzige Stat Amsterdam für gewaltige Geld Summen, beydes zur Erhaltung der Armen als zur Bawständigkeit dieser so groser Palatien, jährlich anwenden müße. In diesem Stücke haben Sie viel von den Sinnreichen Sinesern gelernet, denen Sie nachaffen und allen Nationen in Europa den Vorzug nehmen. Am allermeisten muß man sich verwundern über die Schöne Ordnung in den Armen häusern, nach welcher die Waisen Väter und Spital herren alles reguliren und alles in gutter Ordnung erhalten. Wenn ich die übrigen Privathäuser in Amsterdam ansehe, so finden sich viel darunter, welche mit ihrer Innerlichen Außzierung über drey Tonnen Goldes aestimiret werden. Die Principalsten häuser und die Reichesten Kaufleute trift man auf der Kaysers, Princen und der herren Graft an, worauf man die Schönsten und Grösten häuser bey tausenden zehlet. Mitten durch diese Straßen ströhmen Schifreiche Waßer, welche Ufer mit steinen zu beyden seiten außgefüttert und grünen hohen Linden Bäumen besetzet seind. Man steiget durchgehends in diese mit unschätzbaren Reichthümern erfüllete häuser auf künstlichen Steinern Treppen, derer Lehnen entweder künstlich von Eisen außgearbeitet oder gar von Messing gegossen seind; Bey einer jeden Thüre stehet deß herren im hause Nahmen mit goldenen Buchstaben in Stein geetzet.w Auß solchen häusern machen die Amsterdamer rechte Abgötter und streitten fast miteinander, wer denselben die meiste Ehre anthun und einer dem andern den Vorzug nehmen möge.

_______________________________ u v w

ankennen vor erkennen durchgestrichen. Vortr vor vortreflich durchgestrichen. gea vor geetzet durchgestrichen.

[X.] Die Erste Reise auß Leiden in Holland nach Amsterdam über Harlem

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Ein Kaufmann Nahmens Peter von Allerwelt36 auf der Herrengraft bestellte mir jederzeit die Briefe in Schlesien und war Manistischer Secte beygethan; So oft ich in sein hauß kam, hieß mich die magd bey der Thüre stehen bleiben, biß der herr kam, der mich dan auch nicht weiter führete, damit nicht etwa durch meine Schuhe sein Steinern Fluhr oder hauß Erden verunsaubert würde, unangesehen Er bloß eine magd hielt, die den Fluhr täglich feegen muste, welches mich |139| heftig verdroß und gab auch endlich diesem stoltzen hauß Narren nicht viel gutte worte. Nicht weit von dieser Straße wohnete der Berühmte Hochgelehrte Comenius37 in einem kleinen hause, zum Lamm genandt, welchen auch besuchte. Er erzeigte mir auch alle Civilität, wegen meines Seeligen herren Vaters38 wegen, welchen Er de Persona et Fama wol kannte. Die vielen Hohen und Starcken Brücken in dieser Stat werden wol in der Summa etliche tausend außtragen: Der meisten Lehnen sind von Eisenwerck gemachet, ­gleichsam wären es starcke höltzerne Balcken. Dieser Brücken Vielheit veruhrsachet die durch die Stat ströhmende Amstel, welche sich in so viel Arme außbreitet, wodurch fast alle Straßen der gantzen Stat ihre Graften und Bewäßerungen bekommen. Wie hoch auch diese Brücken seind, dennoch pflegen zur Sommerszeit die sich badenden haupt Schwimmer, von dar, hienunter ins waßer zu springen und sich eine geraume Zeit unter dem waßer zu verbergen, welches abscheulich anzusehen ist; Darbey lauffen die Ker’le und Boths Gesellen gantz nackt auf den Brücken herumb, für welchen manches Erbahres frauen mensch sich schämet und entsetzet, manche fürwitzige hingegen an diesen monstris ihre augen weidet. Bey Abendszeit werden auf allen Straßen und Graften und an allen Ecken durch die gantze Stat Laternen angezündet, welche durch die gantze brennen, so, daß man unter der grosen Menge deß Volckes auf den Straßen, Brücken und Graften gehen kan als am tage. Die Hamburger haben auch dergleichen Ordnung angefangen. Es werden auch auf allen Thürnen, bey dem Rhathause, bey der Newen Waage, starcke Nachtwachten gehalten, wie auch auf dem Monckelbaen und Rompeerts Thurn. So haben auch die Schiffer ihre Nachtwachten und ihre besondere Glocken, welche alle Stunden geleutet werden, zu Verhüttung aller Gefahr und Unordnung. Die Stat Thore haben weder an Stärcke noch Zierligkeit keinen mangel, sonderlich die Brücken. Ringsumb die gantze Stat gehet ein starcker, breiter, von grund auf gemauerter Wallx und beschleußt die halbey Stat wie einen monden. Von der einen Ecken biß an die andere haben 27 Reale Bollwercke gezehlet, wie wol sie keine Brustwehren haben und oben mit Windmühlen besetzet sind. x y

graben, und vor Wall durchgestrichen. gantze vor halbe durchgestrichen; halbe über der Zeile ergänzt.

36 37 38

Peter Allerwelt. Johann Amos Comenius ( Jan Amos Komenský, 1592–1670). Johann Lucas (1602–1673), Vater von Friedrich Lucae.

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Friderici Lucae eigentgliche Lebens und Totdes Geschichte

Außwerts vor dem Wall gehet auch umb die Stat ein Breiter, Tiefer Waßer graben. Die eine Seite gegen dem Waßer stehet gantz offen und befestigen die stets darfür liegende Schiffe dieselbe gnugsam. Auserhalb der Stat sind zwar keine sonderliche Vorstätte, aber herrliche Wirthshäuser, in welchen man die Rollwagen antrift, welche die Passagiers zu Lande führen, wohin Sie nur verlangen. Nach dem ich mich nun mit herren Doctor Besser39 satsam in dieser herrlichen Stat umbgesehen hatte, erhoben wir unß beyderseits wiederumb nach Leiden, rectà über daß Harlemer Meer. Auf diesem meer ist es bey Sturmzeit sehr gefährlich zu schiffe, weil es lauter kurtze wellen schlägt, und verunglücken sehr ofters Schiffe, |140| wie dan Pfaltz Graf Eduard,40 deß Königs Friderici41 Sohn und deß Chur Fürsten Caroli Ludovici42 zu Heidelberg Bruder, solcher gestalt alhier sein Leben hat einbüßen müssen. Eben auch bey unserer Überfahrt überfiel unß ein heftiger Sturm und bedeckte unser Schiff dermaßen mit wellen, daß wir anfiengen unsere Seelen den händen Gottes zu empfehlen; Aber der Allmächtige Gott, dem Wind und Meer gehorsam sein muß, ließ unß diesen Sturm sehr favorabel werden, daß wir, nach außgestandener Angst, innerhalb drey stunden zu Leiden glücklich anlangten und wieder unsere Bücher ergriffen und die Collegia besuchen konten. [XI.]a Die Zweyte Reise auß Leiden in Holland nach dem Haag1 und Delft. In dem Hochmögenden Holland hatte ich numehro den Vornehmsten Sitz der Musen und Gelehrten wie auch den Vornehmsten handelsplatz der Kaufleute besehen, jetzt verlangte mich auch den Vornehmsten Sitz der Vortreflichsten Staats Männer und Herrschender Rhatsherren zu besehen. Sothanes Vorhaben zu bewerckstelligen, veraccompagnirte mich abermahls mit herren Doctor Besser,2 meinem Landsmann und Tisch Cameraden, und satzten unß an einem Dienstag abends umb 7 Uhr in die Nacht Schüte und fuhren von Leiden ab nach dem Haag, drey kleiner meilen von dar gelegen. Wir hetten zwar zu Fuß diesen kurtzen weg gehen können, weil aber zwischen dem Haag und Leiden nichts merckwürdiges zu 1 2

Den Haag (Haag). Gottfried Besser.

39 40 41 42

Gottfried Besser. Verwechslung mit Friedrich Heinrich (1614–1629), Pfalzgraf. Friedrich I. (1596–1632), König von Böhmen, als Friedrich V. Kurfürst von der Pfalz. Karl I. Ludwig (1617–1680), Kurfürst von der Pfalz.

a

Zählung des Kapitels abgeändert (vgl. 200 Anm. a).

1 2

Den Haag (Haag). Gottfried Besser.

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[XI.] Die Zweyte Reise auß Leiden in Holland nach dem Haag und Delft

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besehen ist, als bedienten wir unß dieser Ordinair gelegenheit. Deß Nachts umb 11 Uhr arrivirten wir im Haag. Stracks auf dem Leidischen Veer führete man unß Unbekante in eine herberge, die nicht die beste war. Wir übernachteten in derselben mit Verdruß, wegen der Vielheit der sich darinnen aufhaltenden Courtisanen, (viel mehr Banditen) und Dames; Und auß Furcht man möchte unß die hosen säcke visitiren, worzu dieses erbahre Gesindlein ziemlich begunte anstalt zu machen, legten wir unß nicht schlafen. Mit anbrechendem morgen machten wir unß auf und logirten unß auf deß Stathalters platz in ein beßeres Wirthshauß, in welchem viel Statliche Leute gleichfals logierten. Weil es aber alhier in den Wirthshäusern gar kostbar zu leben ist, hielten wir nur eine Mahlzeit und behalffen unß hernach mit dem Cabaret und speiseten, waß wir wolten und wie viel und wann wir wolten. Bey dem ersten Außgang auß der herberge tratten wir auf den erwehnten Stathalters platz, welcher recht quadrat und allen seiten mit Bäumen besetzet ist. Von einer Ecken zur andern gehet ein rechter Creutz weg und in dem mittelpunct stehet eine Steinerne Säule: Denn weil der platz gantz grün mit grase bewachsen ist, kan man den weg unterscheiden und daß Creutz erkennen. |141| Ob ich nun viel herrliche Stätte in Holland besehen hatte, so stellte gleichsam in Vergeßenheit aller derselben Schönheit und befand den Haag3 gegen dieselben ein rechtes Paradieß zu sein. Deß morgends umb 9 Uhr, umb welche Zeit täglich die Versammlungen der General Staaten gescheen, giengen wir auch zum ersten mahl nach deß Princen hofe. Dieser hof ligt mitten im Haag und begreift in der Circumferentz so viel als ein kleines Stätlein. Anstat einer mauer aber umbschleußt den hof eine grose menge herrlicher Gebäwde, in welchen theils Bediente der General Staaten, theils deß Princen von Oranien4 logieren. Der Hof ist recht quadrat, doch mehr länglicht, und an dreyen Seiten von außen mit einer graft, an der Abendseiten aber mit der Viver umbgeben, welche Viver ein groser, breiter und an dem ufer mit steinen ausgefüttertes waßer oder Teich ist, gleich einer grosen Cisternen, darinnen Schwanen und dergleichen gevögel häuffig geheeget werden. Der Hof hat drey Thore oder Eingänge, eines gegen morgen, mittag und mitternacht; Bey einem jedem Thore habe sonst keine Wacht gesehen als zwey Küraßierer zu Roß, daß Gewehr praesentirende. Wenn man aber zum Thore gegen mitternacht, an deßen Ecken ein dicker thurn stehet, den Eingang nimt, gehet man zwischen hohen gebäwden, gleich einer Schönen Straßen, in welchen die Justitz Cantzeleyen, Schatz und Rechen Kammern gehalten werden, in den Innern hof. Ich habe durch die Fenster in etliche Gewölber, welche mit starcken eisern Gegitter verwahret sind, gesehen dieser gebäude und einen unglaubigen Vorrath von Schriften 3 Den Haag (Haag). 4 Wilhelm III. (1650–1702), Prinz von Oranien, Statthalter der Niederlande, König von England, Schottland und Irland.

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Friderici Lucae eigentgliche Lebens und Totdes Geschichte

und Briefschaften darinnen befunden, in solcher menge, daß mich bedünckte, es müste gantz Hollands Schreiberey hier verwahret liegen. Dieser Innere hof ähnlichet einer Rechten Beurse, welche der Vielheit der darauf stets verkehrenden Menschen, von Officirern, Civil bedienten Advocaten und anderer Expectanten, welche entweder bey der Justitz kammer negotiren oder aber sonst ­Dienste und Chargen sollicitiren. Mitten in dem platz stehet ein über die maßen groses und hohes gebäude, mit unterschiedlichen kleinen Thürnen, wie eine Kirche auch mit hohen Fenstern gezieret. In desselben Untersten Saal steiget man eine Breite Steinerne Stiegen. Auf diesem hohen Gewölbten Saal sind rings umbherb kramladen erbauet, in welchen von gold und silber, von perlen und edelgesteinen die köstlichsten Sachen und Raritäten verkauffet werden. Über den Kramladen hiengen alle Fahnen und Standarten, welche die Holländer von anfang ihrer freyen Republick, zu Waßer und Lande, ihren Feinden abgeschlagen haben, in sehr groser anzahl. Von außen an der einen seiten deß Saals gehet man auf einer künstlichen breiten Stiegen auf den Grosen haupt Saal, der über diesem ist, und auß dem Grosen Saal in daß Vorgemach derjenigen Zimmer, in welchen die General Staaten den Frembden Ambassadeurs Audientz geben, Geheimen Rhat halten, auch die Archiven bewahren. Hinter diesem gebäude sind noch unter- |142| schiedliche, hohe Steinerne Behausungen angebauet und geheime kammern, auch ist unten an denselben ein Schöner Lustgartten. An der seiten deß Vivers stehet daß eigentgliche Palatium deß Princens von Oranien; Von unten und ausen her hat es Schöne Bedeckte Gallerien, unter welchen man sich bey dem Regen Wetter bewahren kan, sonderlich ist hieran gebauet die Frantzösische Kirche, wie auch ein groses Stockwerck gleich einem Viereckichten Thurn, über vier wandelungen hoch, mit grosen Fenstern, samt einem Altan anstat deß Daches, worauf man weit über den Haag5 sehen und spatzieren kan. Die Zimmer dieses Theils deß hofes sind mehrentheils königlich meubliret, davon ich aber damahls wenig sehen konte, weil der Printz von Oranien6 in der Trauer leb’te. Auf diesem grosen Rhathause der Holländer kommen die Staaten zusammen, nemlich die Deputirten von den Sieben Provintzien und derselben Vornehmsten Stätten, in welchem Rhat nebst dem Princen von Oranien der Pensionarius daß Ruder führet und fleißig observiren muß, wie weit sich die kräfte einer und jeden Provintz sich erstrecken und wie Sie mögen conserviret und beschützet werden. Von diesem Rhat dependiren auch alle hohe Officianten, so wol in bürgerlichen als kriegs Aemptern. Vor der Mittagsport deß hofes bey der Brücken stehet zur lincken hand ein Schöner Lustgartte deß Princen und darvor ein groser grüner Platz mit Schönen häusern und b unbher vor umbher durchgestrichen.

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5 Den Haag (Haag). 6 Wilhelm III. (1650–1702), Prinz von Oranien, Statthalter der Niederlande, König von England, Schottland und Irland.

[XI.] Die Zweyte Reise auß Leiden in Holland nach dem Haag und Delft

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bäumen umbgeben und mitten auf demselben der Rabenstein, oder daß gemauerte Chavot, worauf die mißethäter abgethan werden. Zur rechten diese platzes gehet man durch ein Portal und dadurch auf den berühmten Vivers Berg, welchen der oben erwehn’te Waßer Teich von dem hofe scheidet. Eigentglich ist es kein Berg, sondern ein über die maßen lustiger Linden und Eichen pusch, mit Fichten vermischet, in welchem zur Sommers zeit die Vornehmen Cavalliers und Dames mit viel 100 Kutschen die so genandte Tour à la mode deß Abends auf und ab fahren. An beyden seiten desselben stehen die Vortrefflichsten Palatia, theils einem und dem andern von den General Staaten gehörende, theils für die Abgesandten Groser herren bestimm’t. Hinter dem Viversberg an Noord Ende deß Haags auf einer sehr Langen und Schönen Straße ligt der Alte Princen hof, in welchem die Frau Großmutter7 deß Princen von Oranien logierte, und hinter demselben der Unvergleichliche Lustgartten. Von der pracht der Gemächer deß hofes kan nichts sonderliches rühmen, weil alles schwartz bekleidet war, aber der Gartten vergnügte meine augen destomehr, sonderlich die kleine Runte Insel zwischen den Blumen Feldern schiene etwaß ungemeines zu sein, darauf man eine kleine Brücken gieng und allerhand Lustspiele antraf. Die übrigen Palatia, derer sehr viel sind, stehen nicht eben den Frembden zur Besichtigung offen, außgenommen deß Fürstc Mauritii8 hauß, nahe an dem hofe, bey der Noord porten stehende; Es ist zwar nicht groß, aber hoch von dreyen wandelungen, mit Schönen Fenstern von außen, und mit Ungemeinen Raritäten von innen gezieret. |143| Vorwerts hat daß hauß einen kleinen Vorhof, mit einer mauer umbgeben, und ein zierliches Portal oben mit dem Fürstlichen Wapen gezieret. Auß dem Vorhof gehet man stracks ins hauß, deßen Fluhr mit kostbahren Steinen beleget und deßen Wände mit kostbaren Schildereyen von Indianischen Geschichten behenget seind. Von unten an biß oben zum Dache hienauf ist daß hauß gantz in der mitten offen, also, daß man auf einer Künstlichen Winde, gleichsam wie in einem Trage Seßel sitzende, durch alle Wandelungen hindurch fahren und alle Säale auf einmahl besehen kan. Die Vornehmsten Köstligkeiten bestanden mehrentheils in Indianischen Raritäten; Unter andern war die Treppen von der anderen Wandelung auf die dritte von lauter ­Elffenbein zusammen gefüget, samt den außgedreheten Trallien. In etlichen Zimmern und Kammern standen auch Tische und Bettladen von Elffenbein. Man sahe auch in ­einem Schönen Zimmer die Tapeten von Seltsamer Materie überauß künstlich gewürcket, vornemlich waren in dieselbe zwo Nackte Indianerin, sehr naturell, in Lebens gröse, mit eingewürcket, von denen man unß berichtete, daß Sie deß Fürst Mauritii Beyschläferinnen in Indien gewesen wären, die Er sehr geliebet und hoch gehalten hette. c Printz vor Fürst durchgestrichen.

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7 Amalie (1602–1675), Prinzessin von Oranien, geborene Gräfin zu Solms-Braunfels. 8 Johann Moritz (1604–1679), Fürst von Nassau-Siegen.

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Über dieses vergnügten mich auch die andern herrligkeiten von Spiegeln, Schräncken und Mahlereyen, da bey einem jeden stücke etwaß besonders und Indianisches herfürschimmerte und dergleichen sonst nicht zu finden ist. Es ist aber zu mercken, daß durch den Fürst Mauritium nicht verstehenden Alten Fürst Moritz9 zu Oranien, sondern herren Johann Mauritz10 Fürsten zu Nassau, gewesenen Admiral’n in Indien und Churfürstlichen Brandeburgischer Stathaltern im Herzogthum Cleve, welcher vor wenigen Jahren dieses zeitliche im 82 jährigen Alter gesegnet, deßen seine Lebens Geschichte Caspar Barlaeus11 beschrieben hat, welches Buch in meiner Bibliotheca, samt den Kupffern, befindlich ist. Eben derselbe Mauritius hat dieses beschriebene hauß erbauet und dermaßen köstlich meubliret. Unter den geistlichen Gebäuden behält die Grose Kirche, hier im Haag12 bey dem Marckt stehenden, für andern den Vorzug: Sie ist mit einem starcken und hohen thurn und derselbe mit einem herrlichen glockenspiel versehen; Inwendig vermehret ihr ansehen die Schöne Orgel samt dem Chor, in welchem sehr viel Monumenta, Epitaphia, Wapen und Schilde Vornehmer, alhier begrabener, helden zu sehen sind; Und für die Grose Gemeinde im Haag ist Sie auch satsam räumlich. In den Andern Zwoen Kirchen, nemlich in der Kloster und Englischen Kirche, trift man wenig merckwürdiges an. Die Lutheraner mögen hier auch offentglich ihren Prediger auftretten laßen, ­gleichfals kommen die Papisten in der Catholischen Abgesandten und Residenten häusern zusammen, ungehindert die Messe zu hören; An heimlichen Sectirern mangelts auch nicht. |144| Daß Rhathauß dieses Ortes ist gleichfals ein statlich gebäwde. Nicht weniger hat die Bürgerschaft weitleuftige Doelens, oder plätze, worauf Sie ihre Excercitia halten und dabey lustige Wirthshäuser, sonderlich läst sich daß grose Gießhauß wol sehen, von Ungemeiner Gröse, daß auf eine Gießung allzeit 24 Canonen können gegoßen werden. Der Armen wird hier auch nicht vergeßen und haben die Alten männer und frauen, Breßhafte und andere Armen ihre besondern Spitäler und reiche verpflegung. Obschon auch der Haag nicht so gar enge bebauet ist wie Amsterdam oder Leiden, nichts desto weniger sind die Straßen zierlich, sauber und mit Schönen häusern besetzet und hat gemeiniglich ein jeder hauß hinter sich ein Gärtlein. Man kan in der Nacht in Haag reuten, gehen, fahren, schiffen wie bey tage, denn Er hat weder Thore noch mauern, weder Schantzen noch Wachten und wird daher ein groses Dorff genennet. Damahls waren etwa in allem eine Compagnie zu Roß und drey zu Fuß einquartiret, welche auf dem Marckt und auf dem platz nahe an dem hof bey dem Corps de Guarde wacht hielten. Im Rücken von der See kan Niemand einbrechen und auf den andern seiten ist der Haag mit dem Lande und deßen Vestungen satsam verwahret, daß die 19 10 11 12

Moritz (1567–1625), Prinz von Oranien, Graf von Nassau-Dillenburg. Johann Moritz (1604–1679), Fürst von Nassau-Siegen. Caspar van Baerle (Barlaeus, 1584–1648). Den Haag (Haag).

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Holländer, dafern Sie sich auf den Frontiren wol defendiren, hier keinen Einfall befürchten dörffen und dem Aufrührischen Pöbelvolck zu steuern sind schon 4 Compagnien gewachsen. Alhier im Haag verkehren continuirlich eine Unglaubliche menge Vornehmer Leute und Ansehnliche Gesandschaften und kan ein Politicus unter denselben mehr hören, sehen und lernen als sonst in keinem Ort Hollands; Wie wol man der Conversation alhier vorsichtig gebrauchen muß, sonst kan man leicht in unglück und händel gerahten. Für junge Cavallier floriren hier alle Adeliche Exercitia in Summo Gradu: Reuten, Tantzen, Fechten, Ballschlagen etc. können Sie so gut als in Paris lernen. Bey diesen gutten Künsten und Bequemligkeiten gehet aber auch viel unordentgliches böses wesen für, welches die Frembden Cavalliers auß Spanien, Engelland, Franckreich, Schweden, Teutschland, Italien Dännemarck etc., die stets sich hier aufhaltende Officires, wenn sich nicht zu Felde liegen, und die grose menge der herren Diener und Lacquien veruhrsachen, darfür man deß Abends nicht so sicher wie etwa zu Amsterdam auf den Straßen gehen kan und gibt es daher immer Mord und Todtschläge alhier. Ob zwar auch der Haag nur eine halbe meil weges von der Offenbaren See und dem Dorf Schevelingen13 lieget, dennoch weil die Schiffe hier nicht anlanden können, so müßen auch die Victualien diesem Volckreichen und mit Grosen herren angefüllten Ort von den andern seiten, theils zu lande, theils zu waßer zugeführet werden; Daher ists viel theurer im Haag14 leben als in Amsterdam, wo sich noch über dieses die Reichen kaufleute mit käse und brot behelffen; So wachsen auch dieser Orten wenig gartten gewächse, gemüße und früchte wegen des Sandichten Erdbodens und muß alles anderswoher kommen. Auß Plaisir giengen wir auß dem Haag nach Schevelingen15 auf dem Schönen Stein Thamm durch die Sandberge oder Duynen, in welchem Dorffe lauter arme Fischer wohnen, und besahen die Gegend, in welcher der jetzige König von Engelland16 von den General Staaten abschied genommen und ins Schiff getretten nach Engelland übergeführet zu werden, nach dem ihn die General Staaten biß dahin complementiret und begleitet hatten. |145| Weilen die Schöne Stat Delft nur eine meile von dem Haag17 gelegen ist, erhoben wir unß gleichfals hienüber und besahen daß merckwürdigste darinnen. Eine halbe meil weges zwischen dem Haag und Delft, etwa eines kleinen Canonen Schußes seitwerts deß Weges, erblickten wir daß herrliche Lusthauß Ryswick, dem Princen von Oranien18 zuständig, und giengen von der graden Straße drauf zu. Stracks 13 Scheveningen. 14 Haag (Den Haag). 15 Scheveningen. 16 Karl II. (1630–1685), König von England, Schottland und Irland. 17 Den Haag (Haag). 18 ����������������������������������������������������������������������������������������� Wilhelm III. (1650–1702), Prinz von Oranien, Statthalter der Niederlande, König von England, Schottland und Irland.

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in dem darbey liegenden Schönen Dorf Ryswick,19 in deßen herberge wir etwaß morgenbrot einnahmen, recognoscirten wir zuvor deß Ortes Beschaffenheit, alwo sich der Printz von Oranien, damahls ein herr ohngefehr von 16 Jahren, befande, und verstanden, daß man die Passagiers ungehindert in den hof passiren ließe, welche vor jetzo keine Wacht hette. Ehe wir in hof giengen, besahen wir zuvor den Unvergleichlichen Lustgartten und desselben Raritäten von Künstlichen Grotten, Waßerkünsten, Fischweiher, Vogelhäuser, Thierbehältnüße, Außländischer Gevögel und Thiere, item den Entenfang und alle andern ersinnliche Ergetzligkeiten, welche dem oben beschriebenem Königlichen Lustgartten zu Brüssel20 nicht viel nachgeben. In dessen fiel die Essens Zeit eind und erhielten so viel Nachricht, daß man unß in den Speise Saal schon einlaßen würde, wohin der Printz albereit zur Taffel gangen wäre. Dieser junge Printz führete eben keinen grosen Staat und gieng alles bey seiner Bedienung in der stille zu, als etwa in einem privat hause; So bald wir in den Speise Saal tratten, erblickten wir den Princen bey einem runten tisch, nebst seinem Hofemeister21 und zween Edelleuten, sitzende und speisende; Diese drey saßen bey dem tisch mit bedeckten häuptern und machten auß dem Princen kein sonderlich werck. Unter wehrender Mahlzeit, weil wir noch aufwarteten, kam noch ein Officirer, deßen Condition wir aber nicht erfahren konten, welcher sich ohne Eintzige Complementen, Reverentz oder hutabnehmung nechst dem Princen an den tisch setzte, welchen auch wieder keiner von den Beysitzenden mit der hutabnehmung beehrte. Sothane Schlechte höfligkeit bey der Taffel eines so Vornehmen Fürstens hette mir nimmermehr einbilden können, dafern Sie nicht selbst mit augen gesehen hette. Die Tractamenten auf der Taffel waren eben nicht die Niedlichsten. Von Trabanten und Leib Guarden merckte man auch nichts auser ein paar Pages und Lacqueien. Nach dem wir fast unß resolvirten abzutretten, schickte der Hofemeister, von der Taffel, einen Pagen an unß, fragende, wer wir wären und waß wir wolten? Wir bekanten unser Condition und Vaterland und daß wir nur verlanget hetten, den Princen zu sehen; Hierauf ward unß auf deß Princen gesundheit ein Becher wein praesentiret, nemlich nach dem der Page die Antwort berichtete, welche wir trancken, und so bald dieses gescheen, unsere Reverentz machten und auß dem Saal, consequenter auß dem Hofe Ryswick, in Gottes Nahmen fort, auf Delft giengen. Der euserliche herrliche Prospect der Stat Delft correspondiret mit ihrer Innerlichen Schönheit: Denn in dem ersten Eintrit durch die Haagse Porte erblickte ich die Lange Straße, die alte Delft genant, welche mit |146| ihren zierlichen häusern, zu beyden seiten, gnugsam von dem Reichthum der Einwohner zeuget. d

ein vor ein durchgestrichen.

19 20 21

Rijswijk. Brüssel (ndl. Brussel, frz. Bruxelles). n.z.e.

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[XI.] Die Zweyte Reise auß Leiden in Holland nach dem Haag und Delft

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Weil wir etwaß ermüdet auch noch halb nüchtern waren, giengen wir auf den recht mitten in der Stat gelegenen Marckt in ein Wirthshauß und ließen unß einen gutten Schellfisch kochen, nahmen darbey die occasion in acht und forscheten nach der Stat Beschaffenheit sehr genaw, da unß dan auch der Wirth, ein feiner mann, eines und daß ander zu besehen adresse machte. Am ersten erhoben wir unß in die Grose haupt Kirche, welche man billich unter die Grösten und Schönsten Kirchen in gantz Holland zehlen muß: Sie stehet auf dem marcktplatz gegen dem Rhathauß über auf einem Schönen mit grünen Bäumen besetzten platz. Vorwerts hat Sie einen hohen und Starcken, jedoch sehr zierlichen Thurn und auf demselben ein hellklingendes Glockenspiel. Die Spitze des Thurns ist euserlich mit Vielen Vergüldeten knöpffen und zu oberste mit einem hahn gezieret. Oben bey dem anfang deß Kirchen Daches gehet auch fast umb die gantze Kirche ein Steinern gang, fast auf die Art wie zu Maintz22 im Dom Stift. Inwendig in der Kirche hengen die Schönsten Kronen Leuchter von messing, so sind auch sonst in der Kirche viel sachen, unter andern die Trallien an der Cantzel Treppen, die Pulpeter, worauf die Prediger und Vorsänger die Bücher legen, gar kostbar auß messing gegossen; Sonderlich daß Stacket unter der Cantzel, worinnen die Älter männer sitzen, ist künstlich von holtz außgeschnitzet. In der höhe läst sich auch die Schöne gemahlte und vergüldete Orgel wol sehen und hören. Nicht weniger vergrösert daß ansehen dieser Kirche daß überauß Kostbare und Unvergleichliche Monumentum deß Fürstens Mauritii23 Princens von Oranien, deß Tapffern heldens. Selbtes stehet am Ende des Chor’s, wie etwa zu Cassel24 in der Stifts Kirche Landgrafe Wilhelmi Sapientis25 Epitaphium. Man steiget auf dasselbe 5 Stuffen von polierten steinen; Vorwerts hat es oben einen Schwiebogen, daran deß Princen volkommenes Wapen von Marmel außgehauen ist, in seinen Natürlichen Farben. Unter diesem Schwiebogen gehet man hienein, da anstat der seiten wände an einer jeden seiten sieben hohe und ziemlich dicke Alabaster Säulen Schwärtzlich und Blaulicht, hinter einander, jedoch eine von der andern fast zwo Ellen weit, stehen, welche nach der Architurkunst sehr sinn und kunstreich seind. Oben an jeder Säule nach einander in der Ordnung, zur rechten, seind die sieben Wapen der sieben haupt Provincien Niederlands, von Stein metzer arbeit und starck vergüldet, angeheftet; An der lincken seiten aber iste ein jede Säule mit einem besondern Wapen deß hauses Oranien gezieret, von gleicher Arbeit und Zierath als wie der Provincien ihre; Über dieses hanget auch an einer jeden Säule eine besondere Fahne, welche eigentglich zu dem Wapen einer jeden Provintz gehöret, wie auch zu den Wapen und e

sind vor ist durchgestrichen.

22 23 24 25

Mainz. Moritz (1567–1625), Prinz von Oranien, Graf von Nassau-Dillenburg. Kassel. Wilhelm IV., der Weise (1532–1592), Landgraf von Hessen-Kassel.

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Schilden deß hauses Oranien. Hinten, wo die Säulen in der Perspective in mehr und mehr enger zufallen, stehet der Printz Mauritius in Lebens Gröse und vollem Küraß sehr Naturell auß Stein gehauen, einen Regiments stab in der hand haltende. Ober über demselben, doch beßer hienein werts, ist sein Küraß, helm mit Federpüschen, Degen und andern heldenzeichen angeknüpffet, dabey eine Schöne Inscription in |147| Metall geetzet zu lesen ist. Meines Ortes gestehe, daß ich dieses Begräbnüß unter die Principalesten Raritäten Hollands zehle. Die so genandte Alte Kirche in Delft läst sich auch wol sehen und gibt jener, waß die Gröse betrift, wenig nach: Sie ist ebenfals von Steinen aufgeführet und mit einer kleinen Thurn spitze euserlich, innerlich aber mit einer grosen Orgel und Schöner Cantzel versehen. Unter den Weltlichen gebäuden praesentiret sich alhier daß Stathauß in Ungemeiner Zierligkeit; Desselben ins quadrat außgeführte gebäwde beschleußtf inwendig einen kleinen hof. An der Noord seiten stehet ein kleiner Thurn und oben auf demselben eine Schöne Galerie, worbey ein angenehmes Glockenspiel, welches mit dem auf der grosen gegen überstehenden Kirchen correspondiret; Unten durch den Thurn gehet daß Portal in den innern besagten hof, an der andern seiten aber gegen dem platz steiget man eine Schöne Treppen von außen auf daß Rhathauß. Amsterdam wil ich außnehmen, sonst habe in gantz Holland kein zierlicher Rhathauß gesehen: Vorwerts gegen dem marckt stehen die Virtutes und andere Sinnreiche Statuen in Lebens gröse in Stein außgehauen und aufs zierlichste vergüldet und gemahlet. Deß Princen hof der Alten Kirche gegen über scheinet vor diesem ein kloster gewesen zu sein, wegen der daran gebauten Capelle; Dieses Palatium, in welchem ein groser platz und Lustgartten begriffen, hat einen grosen Umbfang, ist aber rings umbher nur einer Wandelung hoch. Nahe an der Jacobs port auf der Alten Delft ligt daß Oost Indische hauß, worinnen die Oost Indische Compagnie einen theil ihrer kriegs und Schifs Armaturen verwahret, und an der andern seiten auf der Geer Graft stehet daß West Indische hauß, wie wol von schlechter Gröse und Vorrath. Stracks an der Ecken, wenn man zur Jacobs poort eingehet, praesentiret sich daß Vortrefliche Holländische Ammunition hauß, an welchem zu beyden seiten die graften fließen: Es ist ins Quadrat erbauet und pranget von außen mit zierlichen giebeln, samt einem grosen Vorplatz und Fenstern; Inwendig hat es einen ziemlichen weiten hof mit Canonen, Anckern, Kugeln, Mastbäumen und andern kriegs Bereitschaften versehen und reichlich angefüllet. Sonst haben auch die General Staaten zu Delft noch ein ander Ammunition hauß am andern Ende der Stat liegen, in welchem ein groser theil der Artollerie, welche Sie zu Lande brauchen, stehet, nebst anderer kriegsrüstung zu Pferde und zu Fuß in groser menge. Es werden auch in diesem Zeughause Bomben, Granaten und dergleichen _______________________________ f

wird vor beschleußt durchgestrichen.

[XI.] Die Zweyte Reise auß Leiden in Holland nach dem Haag und Delft

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­ ewerwercke durch die verordneten Büchsenmeister mit hauffen zum Vorrath verferF tiget. Nahe hierbey auf dem Wall hat der Pulver Thurn gestanden, welchen vor etlichen dreißig Jahren der Donner anzündete und in dieser Gegend und Ecken die Stat gewaltig beschädigteg und auch viel menschen zerschmetterte. |148| Zur Recreation für die Bürgerschaft gibt es hier Schöne Doelens, welche mit ihren Lustplätzen, Gärtten und Springbrunnen die Amsterdamischen übertreffen, nur daß jene köstlicher und meublirter Trinckzimmer haben. Für die Alten abgelegten Männer und Weiber unterhält die Stat ein Schönes Hospital, ebenfals für die Waisenkinder einen grosen hof, worinnen Sie wie in andern Stätten erzogen und gepfleget werden; Sonderlich ist daß Alte Gasthauß oder Hospital würdig zu besehen, samt der Capellen: Wenn man durch die Capellen gehet, siehet man anstat deß innern hofes einen Schönen Lustgartten und, wenn man durch diesen gehet, kom’t man in einen andern, in welchem die Schönsten Springbrunnen und Fischweiher vorhanden sind. Daß herrliche Gymnasium dieser Stat kom’t auch in grose Consideration; In demselben dociren jederzeit Gelehrte Männer und bringen die Jugend in Literis sehr hoch. Diejenigen, welche in diesem Gymnasio ihre Fundamenta geleget und hernach auf Leiden oder Utrecht kommen, kan man bald erkennen; Denn Sie sich zeitlich heraußsetzen und es vielen alten Academicis zuvorthun, sonderlich die Studia Humaniora betreffende. Auch die Schullehrer, nach dem Sie sich eine zeitlang excoliret, werden hernach gemeiniglich auf Universitäten gesetzet und zu Professionen vociret. Gleich wie sich die Holländer wenig an die Pest kehren, weil Sie derselben gewohnet sind, also stehet daß Pesthauß in dieser Schönen Stat Delft fast mitten in der Stat; Wie wol auch alle diejenigen, welche mit andern ansteckenden kranckheiten alß Rothe Ruhr etc. inficiret seind, darein geleget werden. Desselben Innerliche herrligkeit zu besehen, habe niemahls verlangen getragen. Weil alhier so viel Reiche Leute und Rentenirs wohnen, welche bey denen Oost und West Indischen Compagnien ihr Interesse haben, so kan man der übrigen Privat häuser köstligkeit und herrligkeit vernünftig ermessen. Es sind auch die Straßen und Graften sehr breit und mit starcken Brücken versehen. Von außen wird die Stat rings umbher mit einem starcken gemauerten Wall und breiten Waßergraben beschloßen. Der Wall hat an den Ecken starcke Rundele und kurtze dicke Thürne mit Schießlöchern. Ehe wir auß der Stat giengen, besahen wir zuvor den Brüderhof wie auch daß Tollhauß bey der Haagsen Porte, worbey eine Kirchen stehet, darinnen aber nicht geprediget wird. Besagte Haagse Porte bedeckt ein Ravalin. Für der Jacobs Porte, auf dem Wege nach Roterdam,26 trift man etliche häuser an der Schifbauer, aber sonst auserhalb der Stat keine Vorstätte. g

sche vor schädigte in beschädigte durchgestrichen.

26

Rotterdam.

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Friderici Lucae eigentgliche Lebens und Totdes Geschichte

Die Einwohner zu Delft schienen mir Civiler und Gewissenhafter zu sein als im Haag.27 Es vergnügte unß auch unsers zweytägigen Wirths Discretion, der die Zehrungs Gelder gar mäßig von unß forderte. Mit diesem gutten Contentement kehreten wieder nach dem Haag zu Ryswick28 zur lincken hand vorbey. Und weil daß berühmte Dorf Loosduinen nur eine Stund weges vom Haag ligt, giengen wir hienauß, deßen Raritäten zu besehen. Dieses Loosduinen ist eigentglich der Ort, woselbst Margaretha,29 eine Gräfin von Holland, Anno 1276 364 lebendige, aber kleine Kinder gleich den jungen hühnlein sol zur welt gebohren haben. |149| Man zeig’te unß ein Becken von messing, worinnen diese kinder von dem Bischoff Guido30 in Gegenwart vieler Vornehmer herren wären getauffet und die knäblein Johannes, die mägdlein aber Margaretha wären benahmet worden. Waß nun hievon geschrieben und gewiesen wird, muß man glauben. Unter andern hat Abraham von Kreckwitz,31 der Gelehrte Schlesische Edelmann, in seiner Sylvula Historico Politica, und zwar in dem ersten theil, wie auch Chytraeus32 in seinen Deliciis Itinerum davon geschrieben; Beyderseits Authores befinden sich in meiner Bibliotheca. Von Loosduinen erhoben wir unß abermahls nach dem Haag,33 satzten unß deß Abends in die Nacht Schüte, fuhren wieder nach Leiden und begrüßeten nach achttägiger Reise, wiederumb frisch und gesund, Gott sey Danck, unser Quartier und Tischgeseelschaft. [XII.]a Die Dritte Reise auß Leiden in Holland nach Catwyck ob See.1 Auß Curiosität wolte ich auch genawer die See beschauen; Weil nun Leiden nur zwo meil weges davon abgelegen war, gab mir solche Nähe die beste Ocassion an die hand. In Leiden höret man zur Sommerszeit, deß Nachts bey stillem Wetter, gantz eigentglich daß Brausen deß meeres. Meinem Verlangen auch satisfaction zu leisten und daß gehör’te auch zu sehen, so gieng mit meiner Geseelschaft, bey klarem Sonnenschein, diesen kurtzen weg auß Leiden nach Catwyck ob See zu Fuße. 1

Katwijk aan Zee.

27 28 29 30 31 32 33

Den Haag (Haag). Rijswijk. Margarete von Henneberg (1234–1276). Guido von Avesnes († 1317), Bischof von Utrecht. Abraham von Kreckwitz. Nathan Chytraeus (Kochhaff, 1543–1598). Den Haag (Haag).

a

Zählung des Kapitels abgeändert (vgl. 200 Anm. a).

1

Katwijk aan Zee.

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[XII.] Die Dritte Reise auß Leiden in Holland nach Catwyck ob See

235

Auf dieser Straße passiret man vor dem hauß Eyndegeest,2 worinnen der Hochgelehrte Carthesius3 gewohnet hat: Es ist ein lustiger ort mit einem Waßergraben und einem sehr lustigen grünen pusch umbgeben. Besagter Carthesius hat sonst Niemand bey sich gehabt als nur einen famulum, und Koch,b welcher nach Leiden gehen, die Speisung einkauffen und zurichten müßen. Vor dar kamen wir auf daß grose Dorf Rheinsberg,4 so von dem Rhein den Nahmen hat, welcher auß Leiden recta hierauf zuströhmet, aber in dieser Gegend mercklich beginnt abzunehmen und in länger und mehr schwächer zu werden. Eine Viertelstunde hievon ligt daß Dorf Catwyck ob Rhin, wo selbst sich die Duynen oder Sandberge anfangen, oder die See Kante. Zwischen diesen Sandbergen nim’t der Rhein dergestalt ab, daß Er endlich zu einem stehenden waßer und sehr Schmalen graben wird. Wer dieses siehet, kan ihm nicht einbilden, daß der Mächtige Rhein, der so ein pralenden anfang macht, so einen geringen und unansehnlichen Außgang haben solte. |150| Von hier giengen wir auf Catwyck ob See,5 bey welchem Dorfe die Duynen oder Sandberge den Rhein gäntzlich verschlingen und verschleifen, daß Niemand sehen kan, wo Er hin kom’t, welches fürwar ein Verwunderung würdiges Werck Gottes ist. In diesem Dorf Catwyck ob See wohnen lauter Fischer, sind mehrentheils arme Leute, die mit groser Lebensgefahr auf der See die Fische fangen: Denn Sie haben nur kleine Schiflein und wenn ein Sturm anbricht, ist es umb ihr Leben bald gescheen; Daher trägt sichs ofters zu, daß die leeren Schiffe ans Land kommen, hingegen die Leute zurück bleiben, aber endlich derselben todten Cörper von den Wellen ans See gestade getrieben werden; Dieser Uhrsache halben findet man an hiesigem Ort viel Witwen und Waisen, welche der Holländische Staat unterhält. Eine gutte Ecke hinter diesem Dorffe, hinter den besagten Sandbergen, kom’t man zur offenbahren See, welche der Allmächtige Gott gleichsam zur grentze und zur mauer dem meer gesetzet und vorgebauet hat. Hierbey kan man bemercken die macht des meer’s mit seiner Sechstündigen Ebbe und Fluth. In diesen Gegenden können die grose Schiffe nicht anlanden, weder bey Ebbe noch Fluth, weil daß Gestade hier zu hoch und nicht tief gnug ist. Nechst dem Ufer auf einem Sandhügel stehet ein Pharos, oder ein kleiner Thurn, auf deßen Spitze deß Nachts eine brennende Laterne gesetzet wird zur Warnung den vorbey schiffenden. An dem See Ufer oder in den Sandbergen werden die Wilden Kaninchen mit groser menge geheeget, derer gebratenes Fleisch so delicat als der hasen ist, haben auch fast die gröse und so graue haare wie die hasen. b Koch vor Koch durchgestrichen.

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Endegeest. René Descartes (Cartesius, 1596–1650). Rijnsberg. Katwijk aan Zee.

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Friderici Lucae eigentgliche Lebens und Totdes Geschichte

Eben an diesem ort ist auch vor zeiten daß Ostium Rheni gewesen, da nemlich der Rhein in die See gefallen und sich mit derselben vermischet hat, welcher numehro, wie gesagt, in den Sandbergen verschleifet. Bey diesem Ostio hat ein Castell gestanden, wie man noch in den alten Land Carten siehet, davon auch Tacitus6 gedencket, Arx Britannica genandt, auf Hollandisch T’Hyys te Britten, welches von den Alten Römischen Kaysern erbauet, hernach wie wol mehr als für 1200 Jahren durch eine grose Waßers Fluth mit Sand überschüttet und dergestalt versencket und bedecket worden, daß man nicht mehr die geringsten Vestigra davon sehen kan. Anno 1666 entstand ein Gewaltiger Orcan, welcher die grose Oost See gewaltig aufschwellend machte, durch welchen starcken Sturm der Sand, welcher die Rudera dieses uhralten Schloßes und Castells gäntzlich bedeck’te und dasselbe darunter gleichsam vergraben lag, der maßen abgespület wurde, daß man die alten mauern nicht allein sehen, sondern auch zwischen denselben tief hienunter gehen konte. Es war ein groses Wunder der Almächtigen hand Gottes, selbtes in augenschein zu nehmen, kamen viel tausend menschen auß den Provincien anhero. Etliche, die nachgruben, fanden darinnen allerbey alte Römische kupffer, auch teils silber müntze, verkauften hernach den Curieusen ein stück für 2 auch wol 3 Ducaten. Ohngefehr stand es drey wochen offen, hernach erhob sich wieder |151| ein Schrecklicher Sturm und Aufschwellung deß meers, wodruch es wiederumb gäntzlich mit Sand bedecket und überschwemmet und abermahls wie zuvor unsichtbar gemacht wurde. Die Gelehrten, sonderlich der Unvergleichliche Historicus und Politicus herr Professor Geogius Hornius,7 ominirte dem Holländischen Staat grose Veränderungen, unter andern praesagirte Er frembder Völcker Einfall, wie auch kurtz hernach erfolgete. Als die Grose Fewers Brunst den grösten theil der Stat London in Engelland verzehrete und etliche tage umb sich fraß, hat man deß Nachts an diesem Ufer den feurigen wiederschein gesehen; Etliche bekümmerten sich höchlich, waß doch dießes immermehr für ein ungemeiner feuriger Schein sein müste; Andere, ehe die Zeitung von dem Brandt ankam, praesumirten es wäre der wiederschein von den Streichenden häringen: Denn ich habe es selbst gesehen, wenn im Sommer die häringe streichen, daß man bey dem Untergang der Sonnen einen gläntzenden wiederschein weit in die See hienein davon mercken kan, gleichsam wäre ein groses Fewer vorhanden; Allein endlichc langte der hinckende Bothe an, welcher die traurige Uhrsachen dieses feurigen Wiederscheins klärer beglaubt machte. Bey favorablen Wetter und unter wehrender Ebbe kan man ziemlich tief in die See hienein gehen. Die Holländer, ob Sie schon auf dieser küste nichts köstliches eben fin-

c langte vor endlich durchgestrichen.

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6 Tacitus (Publius Cornelius Tacitus, † um 120). 7 Georg Horn (Hornius, 1620–1670).

[XII.] Die Dritte Reise auß Leiden in Holland nach Catwyck ob See

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den, nehmen daß Tempo wol in acht und führen gantze wagen vol See muschel herauß, davon Sie hernach gutten Kalck brennen und damit feste häuser bauen, viel beßer als wir Teutschen mit dem berg oder stein kalck. Einstmahls, da wiederumb so ein Ungemeiner Sturm zur See entstand, hatte ich mich wol hertzlich gerne der See genähert, die Brausenden Wellen und die Ungeheure Aufschwellung derselben recht zu sehen, welche sich viel höher als die an der Seekante stehende Sandhügel aufthürnend sol; Allein wegen deß so gar heftigen Windes konten wir unmöglich fortkommen, muste also mit meinen gefehrten auf der ersten Viertel meile wieder umbkehren und nach Leiden gehen. Da auch in diesem 1666. Jahr die Grose Seeschlacht zwischen Engelland und Holland gehalten wurde, hörete man den Donner der Canonen gantz eigentglich in Leiden. Zu Catwyck ob See8 im Wirthshause zeigte man zur Rarität einen Schuch deß grosen Bauers von Leckerkirchen,9 von abscheulicher Gröse. Anfangs sahe solchen Schuch, samt der Erzehlung hievon, nur für ein kurtzweil an und konte mir unmöglich einbilden, daß heutiges tages so ein groser mensch in der Welt leben solte. Dieser Schuch war fast einen Ellen lang und über einen Viertel Ellen breit. Kurtz hernach habe den Grosen |152| Ker’le in Natura und in Person gesehen: Er praesentirte sich in Türckischer kleidung und einem Türckschen Tulpan oder Bund bedecket, welches seine Länge noch mehr veransehnlichte. Die aller grösten männer reichten ihm kaum biß an den Nabel und ein glied seines Fingers war länger als der grösten Männer gantzer Finger. Umb diese Zeit sahe ich auch eine Holländische Jungfrau, welche nicht viel kleiner war als dieser Bauer. Die Holländer hatten beyderseits gerne miteinander sich verehelichen laßen, es sol aber der grose Limmel zum heurathswerck nicht sein capabel gewesen. Er bildete sich viel ein, saß stets auf einem grosen Stuhl und man muste ihm gutte Worte geben, ehe es ihm gelegen war aufzustehen. Obzwar daß grausame meer mit seiner Ungestümmigkeit schrecket, jedoch gönnet es auch den Menschen manche Ergetzligkeit. Unter andern Fischwerck fängt man hier in der See eine Art krebslein, die man Garnat nennet: Sie sind wie die andern krebslein, nur daß Sie keine Scheeren haben; Man koch’t Sie auch nur im Waßer wie die krebse und speiset Sie mit essig und pfeffer, sind sehr Delicat. Für einen Stiever bekom’t man derselben ein groß maß vol. Wenn diese Garnat, oder art Seekrebslein, gefangen werden, gibt es eine unvergleichliche lust: Denn da rollen die Fischer einen besondern Wagen bey ankommender Fluth ins Waßer, welcher hernach von den Wellen ans Land getrieben wird, eine grose menge solcher krebslein mit sich bringet, ja, der Wagen ist ofters von denselben biß oben auf erfüllet. Ich habe manchmahl mich hierüber im geist erfreuet, in Betrachtung der Weißheit und Gütte Gottes, die so wunderbar den Menschen ihre Nahrung zuführet. d so vor aufthürnen durchgestrichen.

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8 Katwijk aan Zee. 9 Lekkerkerk.

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Friderici Lucae eigentgliche Lebens und Totdes Geschichte

[XIII.]a Die Vierdte Reise auß Leiden in Holland nach der Insel Goeree in Seeland. Ich habe oben bey der Stat Leiden meldung gethan von der herrlichen See Victorie, welche die Holländer gegen Engelland erhalten Anno 1666. Eben in diesem blutigen Seegefechte verlohren die Engelländer ihre Vornehmste Admirals. Admiral Ascü1 Schif gieng unter, Er aber ward gefangen, hingegen verlohr Admiral Barclai2 daß leben und sein Schiff brachten die Holländer gefangen auf. Dieses Gewaltige Schiff, samt noch andern gefangenen Grosen Orlogs Schiffen, welche theils in Goeree, theils vor Maasland Schluis lagen, bewegten unser sämtliche Tischgeseelschaft, auß Curiosität, diese Grose eroberten Capital Schiffe in augenschein zu nehmen und den Holländischen Triumph genawer zu betrachten. |153| An einem Montag abends begaben wir unß auf die Ordinair Nachtschüte 10 Personen starck und fuhren über den Leidischen Dam3 und Vorburg,4 sind zwey Vortrefliche Dörffer, nach Delft und kamen deß morgends umb 4 Uhr alda an. Deß tages vorher hatten die Holländer etliche hundert gefangene Engelländische Matrosen, Bothsknechte und Soldaten hieher bracht und in die Capelle deß Tollhaußes, davon im vorhergehenden Bericht gescheen, eingesperret. So bald wir auß dem Schiff stiegen, besuchten wir diese Gefangenen und observirten unter denselben viel Tapffere Leute, aber auch viel krancke. Mich wunderte, daß die Holländer diese Gefangene nicht beßer verwahrete. Für der Thüre standen ein paar armseelige Musquetirer, denen Sie leichtlich hetten können die hälse brechen, samt allen Wachten in den Thoren, die ebenfals schlecht versehen waren, und die flucht nehmende; Sintemahl in den Holländischen Stätten, welches keine ­Vestungen oder frontir plätze seind, werden niemahls Soldaten einquartiret, sondern diese Stätte haben ihre eigene Soldaten, zum Unterschied der andern Stübchens genandt, ist so viel als Stuben Scheißer Salva Venia. Es sind gemeiniglich Alte Gesellen und von geringer Courage und halten nur pro forma ihre Schiltwacht. Hierauf tratten wir wieder zu Schiffe und schiffeten auf Maasland und von dar auf Maasland Schluis.5 Hierbey ist zu mercken, daß in gantz Holland die Grosen See Schiffe nirgends können einlauffen als in den zween grosen Seehafen, nehmlich im Texel und dan hier zu Maasland Schluis. An sich selbst ist dieser Ort nur ein Dorf, aber wegen der stets hieran ländenden Schiffe findet man in demselben alles, waß zur Nothdurft und anderer Bequemligkeit gehöret. Die Einwohner aber sind mehrentheils ungeschliffene und una Zählung des Kapitels abgeändert (vgl. 200 Anm. a).

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George Ayscue (um 1616–1671). William Berkeley (1639–1666). Leidschendam. Voorburg. Maassluis.

[XIII.] Die Vierdte Reise auß Leiden in Holland nach der Insel Goeree in Seeland

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freundliche Leute, welche den Frembden nicht viel gutte worte geben. Maaslandschluis ligt ohngefehr 10 Holländische meilen von Leiden. Unser Compagnie miettete hier ein eigen Schiff und segelte über die Maas, welche sich hier mit der See vermischet und albereit saltz waßer hat, auch fast zwo meilen breit ist, nach der Vestung Briel,6 der hauptstatt deß Landes von Voorn. Diese Stat Briel muß ich hoch admiriren wegen ihrer Fortification und Situation; Sie ligt etwa ein paar starcke Musqueten Schüße von der Maas, doch so, daß zwo starcke graften auß der Maas, die Alte und Newe Graft genandt, in die Stat gehen, worauf man mit Schiffen fahren kan. Die Euserlichen Bollwercke stehet auf starcken mauern von ziemlicher höhe und sind mit Gewaltigen Canonen besetzet. Rings umb die Stat habe derselben sieben gezehlet. Der Stat Inwendiges befand eben von keiner sonderbahren Gröse und Zierligkeit zu sein, es wohneten auch mehrentheils Leute von geringer Condition in derselben, die übrigen waren Schiffer und Soldaten. |154| Vor dieses mahl passirten wir nur durch den Briel und setzten unß auf die ­Ordinairier Schüte und fuhren auf Helvot,7 von Helvot aber auf Helvot-Schluis,8 welches Dorf im Vliet der Vornehmste hafen ist und übernachteten alhier. Der Vliet ist ein Arm der offenbahren See und in dieser gegend über zwo meilen breit. Zu Helvot Schluis musten wir abermahls ein Schiff mietten und ließen unß über den Vliet auf die Insel Goeree, ohngefehr 16 meilen von Leiden gelegen, überschiffen. Dieses ist sonst eine langweilige Reise, darüber manche 6 tage zu bringen müßen, auch wol mehr, wenn der Wind nicht favorabel ist. Wir aber hatten daß glück von Gott, daß wir besagte waßer in wenig stunden übersegeln und in Goeree glücklich einlauffen konten. Daß Land von Goeree ist eine kleine Insel, zur Provintz Zeeland gehörende, ohngefehr zwo meilen lang und eine meile breit. Der Boden dieses Ländleins ist gantz unfruchtbar und sandigt und an der Seekante mit Duinen, oder Sandbergen, umbgeben: Es liegen auch nur zwey Dörffer drauf, nemlich Goeree und Altdorf,9 derer Einwohner Fischer und arme Schiffer seind. An dem hafen deß Dorfs Goeree trafen wir die Engelländischen Gefangenen Schiffe an, denen wir zu gefallen hierher gereiset waren. Die Zahl dieser Gefangen Orlogs Schiffe belief sich in kleinen und grosen biß auf fünfzehn stück: Sie lagen auf dem Waßer in Schönster Ordnung, waren aber albereit ihrer Mannschaft entblößet worden, welche die Holländer, hin und wieder, in den Stätten gefangen hielten, wie dan auch derselben Admiral Ascü10 selbst im Haag11 gefangen lag. Der Holländische Capitain, der bey den Schiffen die Wacht mit wenig Soldaten 16 17 18 19 10 11

Brielle (Den Briel). Hellevoet. Hellevoetsluis. Ouddorp. George Ayscue (um 1616–1671). Den Haag (Haag).

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Friderici Lucae eigentgliche Lebens und Totdes Geschichte

hatte, weil die gantze Holländische Flotte schon wiederumb auf der See kreutzete, vergünstigte unß den Eingang in diese Schiffe, dergleichen lebenslang meinen augen noch nicht vorkommen waren. Wir befanden die Schiffe alle mit metallenen Stücken besetzet. In den kleinsten Schiffen zehlete biß auf 40 Canonen, die andern aber führeten derselben 60 à 70. So sahe es in den Schiffen nicht zum besten auß, theils ähnlichten gar einer wüsten und grausamen mördergruben; Nicht allein waren Sie jämmerlich durchschoßen und an den Mastbäumen sehr beschädiget, sondern wir sahen auch bald hier eine abgehauene hand, bald dort einen arm, bald dort ein bein, bald hier ein stück eines hirnscheedels oder sonst andere theile von abgelösten menschen Cörpern liegen. Auch alles, wohin wir unß nur wendeten, war mit menschen blut und gehirn bespritzet. Über dieses lagen noch viel verwundete und krancke Soldaten in den Schiffen und in Schwebenden Indianischen Betten, gleich den starcken Netzen gestricket, welche jämmerlich winselten und hatte schlechte Pflegung. Solches alles gab ein erbärmlich Spectakel, auch einen bösen Stanck, |155| der unß zeitlich auß dem Schiff jagte. Wir stiegen auch in deß Todtgebliebenen Admiral Barclai12 haupt Admiral Schiff; Es führete 98 Metallene Stücke von Unterschiedener Gröse und hatte vier Lagen: In der untersten Lage waren lauter gantze Carthaunen, in der andern Lagen halbe Carthaunen, in der dritten dreyviertel Carthaunen, in der obersten Lage befanden sich mehrentheils 8pfündige Stücke. Oben auf dem Schiff, wo diese Stücke standen, war die Gallerie aufs zierlichste gemahlet und mit den Schönsten Trallien gezieret: So gieng man auch auf einer zierlichen breiten Treppen hienunter in daß Schiff. In demselben ähnlichte deß Admirals Zimmer und Schlafkammer einem fürstlichen Zimmer: Rings umbher war es mit köstlichen Tapezereyen bezogen, mit Schönen Stühlen besetzet, mit zween Grosen Spiegeln behenget, wie auch die Bettlade mit den kostbaresten Gardinen. Für die Kleider und Briefschaften standen auch in der kammer Schöne Schrancken. Die Küche, recht deß Admirals Zimmer gegenüber, war so groß als daß Zimmer, aber an allen vier seiten mit gläntzendem messing, anstat der Wände, umbgeben. Der heerd war von poliertem eisen gemacht und sonst sahe man auch in dieser saubern Küche daß Netteste Küchen geschirr von messing, kupffer und eisen aufgestürtzet. Daß übrige von Proviant, Munition, Kraut und Loth hatten schon die Holländer auß den Schifs Proviantkammern heraußgehoben und damit ihre Schiffe versehen. Sonst meynen die Engelländer einen grosen Vortheil vor den Holländern zu haben, weil Sie lauter metallene Stücke führen und darauß zweymahl eher als die Holländer auß ihren eisernen Stücken einmahl schießen können; Über daß so bauen die Engelländer ihre Capital Orlogs Schiffe von einem besondern festen holtze, welches in Irrland wächset und keine Splitter gibt; Dahingegen daß Gemeine Eichen und Tannen holtz, davon die Holländer ihre Schiffe zimmern, leichtlich durch die Canon kugeln zersplit12

William Berkeley (1639–1666).

[XIII.] Die Vierdte Reise auß Leiden in Holland nach der Insel Goeree in Seeland

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tert wird, da manchmahl ein Splitter von den Balcken loßgeschlagen unter den Soldaten mehr schaden thut und derselben ofters mehr verwundet und niederschlägt, als sonst 20 Canon kugeln nicht vermögen zu thun; Allein vor dieses mahl und in besagter See Schlacht hat dieses Vortheil den Engelländern nicht helffen wollen. Nach dem wir nun alles mit sehr hohem Contentement besichtiget hatten, vornemlich da man unß die Art und Weise zeig’te, wie in dem Seegefechte die Schiffe einander zu attaquiren, auch wie einer sich gegen dem andern zu defendiren pflegte, item wie Sie die Canonen auf roll rädern stehende handthierten, auch die Seegel streichen ließen, item wie Sie nach art der Attaque die Schiffe wendeten, und andere Curiositäten mehr, giengen wir ins Wirthshauß, vorhabens ein stück brots, käße und einen trunck zu genießen; |156| Aber wir fanden eine kalte herberge und Niemand, auser ein kleines mägdlein zuhause, der unß etwa die verlangte Nothdurft gereichet hette; So kamen unß auch sonst wenig leute ins gesichte; Unterdeßen bildete ihm Niemand ein, daß an diesem Orte die Pestilentz herrschen solte, keine lebendige Seele ertheilte unß auch hievon nicht die geringste Nachricht. Weil weiter an diesem Ort nichts merckwürdiges zu besehen war, als tratten wir wieder, in Gottes Nahmen, zu schiffe und seegelten bey sehr guttem Winde über daß Vliet zurücke nach Helvot Schluis,13 von hier aber schiffeten wir auf der Ordinair Schüte per posta nach dem Briel14 und lang’ten noch denselben Abend alda an. Ob wir zwar deß Tages vorher den Briel durch passirten, nichts desto weniger wolte man unß mehr kennen, auch nicht einlaßen, vorgebende wir kämen auß der Pest und dem inficirten Goeree, welches mehrentheils außgestorben wäre, woselbst auch die herren Staaten nichts mehr als die leeren Schiffe hetten stehen laßen; Gleichfals erlitten die Engelländischen Schiffe von der Pest anstoß, hetten auch viel Schwache und mit der Seuche behafteteb Soldaten bey sich. Wie heftig wir unß über diese Anredec müßen alteriret haben, kan ein Vernünftiger leichtlich ermeßen und mag wol sagen mit warheit, daß unß allen alle gebeine bebeten und daß hertz im Leibe zitterte. Nach vielfaltigen Protestiren, daß wir nemlich Passagiers und auf kein Englisch Schiff gestiegen, auch sonst in Goeree in kein hauß kommen wären, ließ unß der Commendant15 in die Vestung passiren. Zu unserm grosen glück trafen wir ein statlich Wirthshauß, zum Churfürsten zu Heidelberg genandt, und in demselben einen gutten Wirth an, welcher unß freundlich empfieng, sagende: Ihr herren, ihr komt auß der Pest, aber erschrecket nicht, ich wil euch gutten Rath geben. Hierauf führete Er unß in ein Zimmer, schloß die Fensterladen b c

bald vor behaftete durchgestrichen. Anrde vor Anrede durchgestrichen.

13 14 15

Hellevoetsluis. Brielle (Den Briel). n.z.e.

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Friderici Lucae eigentgliche Lebens und Totdes Geschichte

fest zu, machte auch in dem Camin ein gewaltig Fewer von Dorp und legte einen gutten Vorrath Dorp darbey, unangesehen unß selbigen tages sommer hitze ziemlich druckte. Wir erschrockene und halberstorbene erwarteten nun mit Schmertzen auf den Außgang sothanen Beginnens. Kurtz hernach brachte der Wirth anstat eines Löschtrunckes einend Grosen Krug mit Brandwein erfüllet, eine Schüßel mit Taback, eine Pulverhorn mit Mußquetenpulver, samt zugehörigen pfeiffen, und belegt den Steinern Fluhr deß Zimmers mit Madratzen und Küßen, vergröserte auch daß Fewer im Schornstein und sprach: Nun, ihr herren, daß sol vor dieses mahl Ewer Tractament sein, wer desselben nicht gewohnet ist, der mag es lernen speisen; Ich riegele nun die thüre zu und wird diese Nacht keiner von euch mehr außgelaßen werden, darumb bedien’t euch deß Tabacks, daß pulver schüttet ins glaß und trinckt davon den Brandtwein und so continuiret auch mit der Fewer Anlegung und sobald ihr einen gutten Tummel vermercket, so legt euch nieder, deck’t euch wol zu und schwitzet, so viel euch möglich sein wird. |157| Daß war ein wunderlich Recept und Wunderliche Cur! Aber wie seltsam dieser Rhat unß vorkam, nichts desto weniger nahmen unsere erschrockene Gemüther denselben mit Danck an, confirmirten unß demselben, brauchten die verordneten Mittel, ohne empfindende Wiedrigkeit, gleichsam wäre es daß Delicateste und süsseste Zucker werck, schwitzeten auch ärger als in der Badestuben. So machten wir auß der Noth eine Tugend; Wie wol etliche über die maßen nach einem frischen Trunck lechtzeten. Der Wolmeynende Wirth blieb die gantze Nacht auf, kam alle stunden vor die Thüre und fragte fleißig nach unserm Zustand. Deß morgends, da Er unß die kammer eröfnete und wir unß allerseits zwar gesund, aber fast verwirret in köpffen befanden, führete Er unß in ein ander Gemach, darinnen wir unß abtruckneten. Anstat der kalten Schaalen aber setzte Er unß gutte suppen und allerhand warme speisen vor, auß derer Wolgeschmack und appetit ein jeder seine Gesundheit mit dem Wirth praesumirte. Nach eingenommenen Inbiß bezahleten wir dem ehrlichen Wirth seine Accommodation, tratten zu schiffe und seegelten über die Maas, im Nahmen Gottes, wieder nach Maasland Schluis,16 von Angst zu sagen wißende, aber auch Gott preisende, der unß auß solcher gefahr erettet und behüttet hatte. Von Maasland Schluis gienge nun, gar bequemermaßen, auf der Maas hienaufwerts, Flardingen,17 Schiedam, Delftshafen18 vorbey nach Roterdam.19 Diese Stat Roterdam d e

ein k vor einen durchgestrichen. ging vor gieng durchgestrichen.

16 17 18 19

Maassluis. Vlaardingen. Delfshaven. Rotterdam.

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[XIII.] Die Vierdte Reise auß Leiden in Holland nach der Insel Goeree in Seeland

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achte nach Leiden in gantz Holland für die Gröste, Sie ist aber nicht mit so schönen häusern wie Amsterdam, Leiden, Delft oder der Haag20 bebauet. Die Haupt Kirche zu St. Lorentz stehet an der Rotte mitten in der Stat, welcher strohm die Stat durchströhmet, davon Sie auch den Nahmen träg’t. Von Ausen pranget diese Kirche mit einem zierlichen gespitzten hohen thurn, auf welchem ein Glockenspiel lieblich sich läst hören, Inwendig ist Sie nicht sonderlich hoch, jedoch sehr weit, breit und lang und groß gnug für die Grose Gemeinde dieser Volckreichen Stat. Nach Holländischer Gewonheit hengen auch in der Kirche Schöne Leuchterkronen von messing und dergleichen Zierath. Auser der Engelländischen Kirche und der Capellen in deß Princen hofe trift man sonst hier keine Kirche an. Die Lutheraner, Arminianer und dergleichen Sauerteig halten ihre Zusammenkunft auf denen ihnen angewiesenen Säalen. Deß Princen hof hat vorwerts ein lang gebäwde, inwendig aber keinen sonderlichen platz. Nicht ferne davon stehet daß Stathauß mit einem kleinen, aber zierlichen Thurn. An der einen seiten ligt vor dem Rhathause ein länglichter platz. Auf einer sehr breiten Brücken, welcher fast gröser als besagter platz ist, stehet auf der Grosen Steinern Lehnen die Statua, auß messing gegossen, in vollkommener Lebens Gröse Erasmi Roterodami.f21 Etliche sehen es nur vor kupffer an. |158| Betreffende die Doelens an der Delfts Porte gelegen, so geben Sie mit ihren herrlichen Palatiis keinen in Holland daß geringste nach, samt andern Lustbarkeiten. Unter andern Palatiis aber zu Roterdam22 scheinet die Beurse, in dem alten hafen gelegen, zwischen dem alten hafen und dem harings Vliet, dem euserlichen ansehen nach daß herrlichste zu sein: Sie ist recht quadrat und pranget an der eine Ecke mit einem Thurn, neben her streichen mit vollem Seegel die Grösten Schiffe in daß harings Vliet und wieder herauß in den hafen. Wenn man von dem Rhathause zur rechten die lange Straße hienunter gehet nach der Ostport, trift man unten in einer Reihe nacheinander liegende an: Der General ­Staaten Zeughauß, daß Alte Männer und Frauenhauß, daß grose Gasthauß, daß Pesthauß, daß Tollhauß. In dem Zeughause wird ein groser Vorrath von Canonen, Kugeln, Anckern, Mastbäumen, Seilen und andern Nothwendigkeiten zur Außrüstung der Kriegs Schiffe verwahret. Es unterhält auch die Stat ihr eigen Waisenhauß und versorget ihre Armen reichlich. Für die Studierende Jugend hat die Stat auch ein Berühmtes Gymnasium und besetzet jederzeit dasselbe mit gelehrten Professoribus, darzu Sie die Erwehn’te Statua f

Die Groß- und Kleinschreibung von ERASMI ROTERODAMI zu Erasmi Roterodami vereinheitlicht.

_______________________________ 20 21 22

Den Haag (Haag). Erasmus von Rotterdam (Desiderius Erasmus, um 1466–1536). Rotterdam.

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Friderici Lucae eigentgliche Lebens und Totdes Geschichte

ihres Erasmi23 mercklich aufmuntert; Ihre Stipendiaten versorget Sie auch reichlich, als sonst keine Stat in Holland thun mag, von denen sich sehr viel in Oost Indien begeben nach absolvirten Cursu Studiorum und daselbst Prediger stellen bedienende. Zwischen dem Newen und Alten hafen ströhmet auch hindurch der Wein hafen und machet gleichsam auß der grosen Wein Straße eine besondere Insel, auf welcher nahe an dem Waßer daß Oost Indische hauß stehet, auch ein zierliches und mit vielen kriegs Bereitschaften erfülltes Palatium. Die General Staaten halten auch hier ein Besondern Baw, Zimmer und Steinhawer hof, darbey auch viel Schiffe und Schifs Geräthschaften verfertiget werden. Ins gemein floriret zu Roterdam der Weinhandel, die Manufacturen und andere Trafiquen, welches der bequeme hafen und Spanische, Portugiesische, Frantzösische, Engelländische und andere Schiffarthen veruhrsachen. Die Delfts Porte ist die Schönste. Von ausen umbgibt die Stat eine Niedrige, aber starke mauer und tiefer Wallgraben. Von Vorstätten findet man hier gar nichts und von Gartten werck wenig. Wegen der Abundantz der Victualien läst sichs hier wolfeiler leben als in Amsterdam, sonderlich gibt der Wollbestell’te Fischmarckt den Schleckermäulern allerhand Delicate Seefische; So kan auch der Durstigen Durst durch daß gutte auß der Rotte gebraute Roterdamer Bier wol besänftiget werden. Von hier nahmen wir nun unsere Rückreise wieder nach Leiden zu Fuß: Denn die Schönen Thämme und püsche, samt den herrlichen adelichen häusern und höfen, da man von einem auf den andern |159| kom’t, verkürtzten und reitzeten unß dermaßen diesen weg mit lust zu gehen, daß wir, nicht wißende wie, diese 4 Meilen von Roterdam24 auf Leiden passirten und kamen endlich alhier zu Leiden, Gottlob, wiederumb frisch und gesund an. Jedoch besahen wir unterweges zur Rosenburg25 ein Wunderbares Baum gewächse. An diesem Ort wird eine gewiße Indianische Art Vögel geheeget, derer Nahmen mir auß dem gedächtnüß entfallen ist, welche der gröse nach einer taube gleichet, nur daß Sie graue Federn hat; Diese Art Vögel bleiben alle auf einem Baum beysammen und fliegen nicht weiter und je mehr Sie sich vermehren, je mehr bauen Sie ihnen Nester, also daß der grose Baum, worauf Sie stets sitzen, viel tausend und tausend Vogel Nester hatte und in einem jeden Nest zum wenigsten überg 6 vögel wohneten; Wenn man etwa einen Aast beweget, fallen die vögel eher herunter, als daß Sie solten hinwegfliegen; Daher man in Sprichwort redet: Die Vögel zu Rosenburg wachsen auf Bäumen. Dieses Vogelwerck ist sehr wunderbar anzusehen. Es kommen auch im sommer weit und breit Passagiers denselben zu gefallen hieher. Ich beklage sehr meine Vergeßenheit

g

über nach über aus Gründen der Lesbarkeit ausgelassen.

23 24 25

Erasmus von Rotterdam (Desiderius Erasmus, um 1466–1536). Rotterdam. Rozenburg.

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[XIII.] Die Vierdte Reise auß Leiden in Holland nach der Insel Goeree in Seeland

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über dieser Vögel Nahmen. Ich kan mich auch nicht mehr errinnern, waß man denselben hat zu freßen gegeben und ob auch Sie sind von menschen als ein Nahrungsmittel verspeiset worden. In Leiden, woselbst wiederumb die Studia continuirten, gerieth mein Lieber Landsmann herr Doctor Besser26 in eine gefährliche Action mit zween Brüdern deß Geschlechts Münsbroeck27 von Osnabrüg28 auß Westphalen, derer Vater29 anfangs Hofemeister bey dem königlichen Schwedischen Bastart Gustavssohn,30 hernach Landdrost, so lange der Schwedische Krieg gewehret, daselbst gewesen war. Beyderseits Brüder hielten sonst mit mir und den andern hauß Cameraden ein guttes Comportement und waren von gutter Conduite, auß waß Uhrsahen Sie aber mit herren Doctor Besser in Zanck gerahten, habe niemahls gründlich erfahren können. Einstmahls, da ich in meiner Kammer Studierte, welche ober herr Doctor Besser Kammer stand, erhob sich ein gewaltiger Zanck und starcker wort wechsel, welcher mich nicht anfechten ließ; Kurtz hierauf aber hörete ich herren Doctor Besser ruffen: Ach! Bruder kom zu hülffe. In diesem Erschrecknüß nahm ich meinen Degen zur hand und lief hienunter, da ich dan befande, daß diese zween Brüder mit ihren entblöseten Degen auf herr Doctor Besser frisch zustießen und hieben, wie Sie nur konten, welcher sich in einen Winckel reteriret und über der Continuirenden Defension dergestalt abgemattet hatte, daß Er sich nicht länger zu wehren vermochte und Sie ihm also den Rest gegeben hetten; Weil nun ein Ohnfehlbarer Todtschlag vorhanden war, gedachte ich gleichwol denselben zu verhütten und meinen Lieben Landsmann zu erretten. In dem aber diese Münsbroecks auf mein Ermahnen und Zusprechen dennoch nicht wolten nachlaßen, so gedachte ich müste Schiedsmann sein und fiel dem Jüngsten Münsbroeck von hinten zu in die |160| haare, zog denselben zurücke und tummelte ihn statlich herumb, wie Er mir dan mit dem Degen schon nichts thun konnte in Benehmung desselben Vortheils; Hierüber erlangte herr Doctor Besser31 Luft, ermunterte sich und gieng auf den Erhitzten Aeltesten Bruder32 tapffer loß und verhinderte, daß Er den Jüngsten Bruder,33 welchen ich unter meine Füße zu Boden geworffen und fein drucken bemaultaschete, nicht zu secundiren vermochte, Er jagte auch gar denselben zur kammer hienauß. Ich aber meines Ortes hette bald den langen Finger in der lincken hand eingebüßet und als der Schiedsmann daß beste davon getragen: Denn der Unterdruckte erschnapp’te

26 27 28 29 30 31 32 33

Gottfried Besser. Hugo Konrad Meyer von Münzebruch (Muntzbrug, G 1643) und Adolf Christian Meyer von Münzebruch (Muntzbrug, G 1644). Osnabrück. Hermann Meyer von Münzebruch. Gustav Gustavson (1616–1653). Gottfried Besser. Hugo Konrad Meyer von Münzebruch (Muntzbrug, G 1643). Adolf Christian Meyer von Münzebruch (Muntzbrug, G 1644).

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Friderici Lucae eigentgliche Lebens und Totdes Geschichte

mir besagte lincke hand und zermalmete derselben langen Finger sehr schmertzhaftig; Wie wol ich ihm endlich durch die starcken Backenstreiche den mund eröfnete und den Finger auß den Zähnen loß zulaßen nöhtigte. Mitlerzeit enstand ein groser Lermen, welcher die Streitenden von einander brachte. Noch desselbigen tages kamen beyde Brüder auf meine Kammer und lobeten meine, an meinem Landsmann, gegen Sie geleistete Defension, weil gleichwol dadurch ein groses Unglück wäre verhüttet worden, boten mir auch die Versöhnung an, welcheh zwar acceptiren konte, nicht desto weniger aber dieselbe recusirende in ansehung eines gutten zwecks, nemlich, daß ich dieselbe acceptiren wolte, doch mit bedinge, daß Sie sich auch zugleich mit herren Doctor Besser vertragen solten: Sie placedirten solches, nahmen meine Rath an und versöhneten sich beydes mit mir und mit ihm und promittirten einander daß gescheene zu vergeßen und deßen nimmermehr zu gedencken. Numehro ließ ich mich unbekümmert umb ihre händel und ermahnete Sie allerseits dem Vertrag nachzuleben; Allein es wehrete nicht 8 tage, da war herr Doctor Besser, am hellen tage, vor Universität in Gegenwart vieler hundert Studenten von zweyen gantz unbekanten Studiosis geprügelt und überfallen, gantz gewalthätig, die ihm zum überfluß den Degen abrißen, disarmirten und in die Graft den Degen warfen und mochten diese Kerl’e durch auß nicht erforschet werden. Weil ich mir nun leichtlich konte einbilden, daß diese Kurtzweil von den Münsbroecks eine angestellte sache wäre, begab ich mich auß diesem Quartier und fieng in ­etwaß anzumercken, wo der hund begraben lege, und daß die Wirthin, eine glatte Witwe, an diesem Streit grose uhrsache wäre. Ich logierte mich aber bey herren Bruch,34 der Universität Fechtmeister, ein, woselbst auch die herren von Debschütz35 mit ihrem Hofemeister,36 gleichfals meine Landsleute, einquartiret waren. In diesem Quartier leb’te ich friedsam und vergnügt, besuchte auch fleißig meine Nachbarn in dem Holländischen Collegio, davon oben meldung gescheen, und hielt mit einigen Promovirten Magistris darinnen gutte Conversation, blieb auch so lange hierinnen wohnen biß zu meinem gäntzlichen Abschied auß Leiden.

h

zu vor welche durchgestrichen.

34 35 36

n.z.e. Abraham Ernst von Dobschütz (1644–1675) und Karl Heinrich von Dobschütz (G 1645). n.z.e.

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[XIV.] Fünfte Reise auß Leiden in Holland über die Zuyder und Oost See nach Hamburg 247

|161| [XIV.]a Fünfte Reise auß Leiden in Holland über die Zuyder und Oost See nach Hamburgb Wie hertzlich gerne auch, mit Meines Seeligen herren Vaters1 Belieben, in Engelland gereiset wäre, so konte doch sothanes Vorhaben, unangesehen etliche mahl anstalt machte, nicht volzogen werden wegen deß Engelländischen und Holländischen Krieges zur See: Denn die Engelländischen Capers kreutzeten für allen Holländischen Seehafen, plünderten und raub’ten alle Schiffe, nahmen auch alle auß Holland kommende Passagiers gefangen, dafern dieselben nicht von andern Potentaten vermochten Pässe aufzuweisen und legten ihnen gar Schwere Rantzion auf. So lange nun in Leiden zu subsistiren und auf den Frieden zu lauern, war auch nicht rathsam, weil ich schon zwey Jahr in Holland gelebet hatte; Demnach so resolvirte ich mich, Anno 1667 den 2. Maii, im Nahmen Gottes, der Herrlichen Stat Leiden und derselben Universität, den herren Professoribus, sonderlich dem Ehrlichen herren Professor Hornio,2 der mich sehr liebte, auch mir viel guttes wündschete, zu valediciren. Meinem vorher erwehn’ten Lieben Landsmann herren Doctor Besser3 kam dieser mein Abschied sehr schmertzhaft vor, welcher mich gerne in Teutschland begleitet hette, wenn nicht sein geld wechsel wäre außen blieben. Bey meinem Abzug auß Leiden genoß ich abermahls der Ehre, daß die herren Landsleute, nemlich die herren von Schweinitz,4 Abschatz5 und Döbschütz6 mich biß an die Schüte nach dem Harlemer thor begleiteten, daselbst ich mich auf daß Schiff setzte und nach Amsterdam fuhr. In Amsterdam kehrete ich in meiner alten herberge zur Königin zu Dännemarck bey herr Balthasar Weduwar7 ein und traf von Bekanten hierselbst an den oben gedachten herren Fridrich Cretschmer,8 Comitem Palatinum Caesareum und Gräflichen Hanawischen9 Rhat, nebst Monsieur von Fraser,10 einem Churländischen Edelmann; Beyderseits aber befanden sich in einem übeln Stande: Denn es hatte herr Cretschmer den einfältigen Fraser persuadiret zum Vorlehn von 150 Ducaten, mit Versicherung daß Er ihm auß 2 Ducaten 3 machen wolte, welchem der Albern Churländer glauben und die a b

Zählung des Kapitels abgeändert (vgl. 200 Anm. a). Nach Hamburg von fremder Hand 1667 vermerkt.

11 22 33 44

Johann Lucas (1602–1673), Vater von Friedrich Lucae. Georg Horn (Hornius, 1620–1670). Gottfried Besser. Georg Hermann von Schweinitz (1643–1701), Johann Christoph von Schweinitz (1645–1722) und Johann Friedrich von Schweinitz (1647–1712). Hanß Aßmann von Abschatz (eigentlich Johann Erasmus von Abschatz, 1646–1699). Abraham Ernst von Dobschütz (1644–1675) und Karl Heinrich von Dobschütz (G 1645). n.z.e. Friedrich von Cretzschmar († nach 1670). Hanau. n.z.e.

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55 66 77 88 99 10

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Friderici Lucae eigentgliche Lebens und Totdes Geschichte

Ducaten gegeben; Als aber herr Cretschmer die Probe seiner Alchymisterey beweisen sollen, hatte ihm der übel verwahrete Mercurius die 150 Ducaten zum Schornstein außgeführet. Dieser Arme Betrogene Fraser wolte nun seine Ducaten wieder haben und der Betrieger Cretschmer konte dieselben nicht wieder schaffen, daß veruhrsachte, wie leicht zu erachten, Melancholische gedancken und groses Leidwesen. Den Außgang sothanen Goldmacherey habe nicht erfahren; Man hette aber ­billich den Alten Goldmacher sollen auf die Finger kloppen, der den einfältigen jungen menschen in solches Unglück stürtzete und desselben einfältige Jugend mißbrauchte. |162| Bey dieser Geseelschaft traf ich auch einen feinen Menschen an, herren Johann Boie11 von Boitzenburg,12 an der Elbe im Lüneburgischen gelegen, welcher nach Hamburg zu reisen mit mir einerley vorsatz hatte. An diesem herren Boie verspürete ich eine gutte Conduite, jedoch fragte ich den herren Weduwar,13 unsern Wirth, meinen Landsmann, nach deßen Condition, der mich alsdan versicherte, daß demselben trauen und zum Reise Gefehrten annehmen möchte. Hierauf verband ich mich mit herren Boie zur trewen Reise Geseelschaft, welche trewe Reise Geseelschaft nothwendig zur See requiriret wird, blieben aber noch 8 tage in Amsterdam beysammen, da ich dan binnen dieser zeit daß vorher gesehene noch einmahl genawer beschauete und dem Gedächtnüß und Gemüth fester imprimirte. Unterdeßen accordirten wir mit einem Hamburger Fahrer, welcher, weil Er nicht viel Gütter aufzuladen hatte und fast ein leedig Schiff, von einem jedem nur einen Ducaten Fuhrlohn forderte und unß auch darfür, nechst Göttlicher hülffe, in Hamburg zu liefern versprach, kam auch solchen Promessen redlich nach. In dem wir aber nicht wusten, wohin unß möchten die Winde treiben oder wie lange wir etwa dörften unterweges sein, verproviantirten wir unß mit allerhand Speisewerck von kalten Braten, Würsten, Butter, Käse, Brot, Bier, Brandtwein etc. und andern Nothwendigkeiten. Hierauf ließen wir unsere Sachen zu Schiffe bringen auf dem Schubkarn und folgeten denselben an einem Dienstag mittags umb 1 Uhr. Und welches wol zu mercken: Aller Orten durch gantz Holland, wenn man auß den Schiffen steiget oder in dieselben eintretten wil,c geben sich über die maßen viel Träger und Schubkarn Fahrers an, welche sich einem daß bey sich habende Gut für ein trinckgeld an Ort und Stelle zu fahren anerbitten; Unter diesen Gesellen sind gemeiniglich die Aergsten Diebe, die manchem Unachtsamen Reisemann dergestalt sein Gut abführen, daß Ers lebenslang nicht mehr zu sehen bekom’t; Daher muß ein Reisender diesen Willigen Dienstanbietenden Leu-

c

wil über der Zeile ergänzt.

11 12 13

Johannes Boye (Boyen, Boie, G um 1640). Boizenburg/Elbe. n.z.e.

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[XIV.] Fünfte Reise auß Leiden in Holland über die Zuyder und Oost See nach Hamburg 249

ten nicht trauen, sondern muß ihnen, sobald Sie sein Gutt auf den Kar’n geladen und abführen, auf der Fersen folgen. Unsere sämtliche Tisch Geseelschaft begleitete unß biß ans Schiff und truncken nach art der Amsterdamischen Gewonheit, davon oben meldung gescheen, in der ­Newen herberge der Stat den Abschied. Wie es auch bräuchlich ist, daß bey den ankunft als abreise die Schiffe in dem hafen müßen eine Salve geben auß den Stücken, so thät unser Schifs Patron deßgleichen und stieß nach abgelösten Anckern in Gottes Nahmen ab, bey favorablem winde. Wir schiffeten durch den Pampus, daß ist durch den engen Schlund, der biß an ­Amsterdam gehet, in die Zuyder See und sahen zur rechten die Vestung Muyden14 und zur lincken Noord Holland liegen. Wir behielten auch die Noord Holländische See Küste im Gesichte, |163| so lange biß es mit anbrechenden Abend begunte finster zu werden. Ich gestehe die erste Nacht kam mir die See sehr grausam vor, ungeachtet es gantz Windstille und der himmel klar war. Gegen morgen erhob sich zwar etwaß Wind, hatte aber nichts zu bedeuten und liefen hernach vormittags umb 10 Uhr in den hafen zu Enchuysen15 ein. Dieses gab mir feine Occasion an die hand die Berühmte Stat zu besehen. Bald anfangs muste mich über die starcken Thämme verwundern, daran die Wellen der Offenbaren, gleichwol denselben ohne schaden, schlugen, wie dan auch der grund derselben von Stein aufgeführet war. Bey und auf diesen Thämmen liegen drey starcke mit vielen Canonen besetzte Blockhäuser, welche die Seehafen bedecken, sonderlich stehet zwischen denselben der starcke, dicke und hohe Engelländische thurn, auß welchem man, wie auß einem Castell, in die Seed schießen und die Schiffe defendiren kan. Hinter den Thämmen, längst hienab einer graft, sind die Saltzkoten, oder Saltzsiedereyen, in groser menge erbauet, darbey stehet ein Pharos, oder Nacht Laterne. Unser Schiff seegelte zwischen dem Wester und Ooster hoft in die Stat in den ­Newen hafen und befand in demselben eine grose anzahl groser See Schiffe. Der hafen war zu beyden seiten mit gar Schönen häusern bebauet und kramladen, in welchen man allerhand Trucken Speisen, von fetten waaren, item Taback und der gleichen für die Seefahrer verkaufte. Die Stat hatte mir auch von außen so weitleuftig eingebildet, als ich Sie hernach befand. Mitten in der Stat stehet die haupt oder Wester Kirche, ein sehr groses, wie wol nicht eben gar zu hohes gebäude, mit einem Schönen Kirchhof umbgeben. Hieran stehet auch ein besonder Thurn, welcher recht wie ein Pyramis von holtz erbauet ist, nemlich von unten quadrat und weit und nach oben zu immer gespitzter, mit einem Schönen stunden Zeiger gezieret.

d

See vor See durchgestrichen.

14 15

Muiden. Enkhuizen.

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250

Friderici Lucae eigentgliche Lebens und Totdes Geschichte

Die Zuyder Kirche ist kaum halb so groß, hat aber einen hohen Thurn mit einer Gallerie und Glockenspiel und siehet man denselben gar in der See. Daß Rhathauß stehet nicht wie sonst gewöhnlich mitten, sondern recht am ende der Stat, wenn man nemlich von der Zuyder Kirche über den Fischmarckt nach der langen Brücke gehet, aufe der breiten Straße nach dem Oost Indischen hause, von keiner besondern Gröse oder Zierligkeit, waß aber demselben abgehet,f ersetzet daß Oost Indische hauß. Daß Oost Indische hauß ligt über dem Oost hafen, über welchen man besagte lange Brücke gehet, gantz allein ins Quadrat gebauet und beschleust in allen vier seiten daß gebäwde einen grosen Innerlichen platz, in welchem die Oost Indische Compagnie einen grosen Vorrath von Canonen, Kugeln, Anckern, |164| Granaten, Schwerdtern, Mastbäumen, Seilen und andern Kriegs und Schifs Nothdürftigkeiten: Unten in den Gewölbern und oben auf den Säalen liegen die köstlichsten Specereyen außgeschüttet, zur lincken hand ist ein groser Platz auserhalb dem Palatio, auf welchem die grosen ­Orlogs Schiffe gezimmert und außgerüstet werden. Recht gegen der Wester Kirche über hat die Admiralität von Holland ihren hof, ist aber wenig in demselben zu sehen, auser einem Gutten Vorrath von kriegs Munition. Nechst an stehet daß West Friesländische Ammunition hauß, so vor diesem ein kloster gewesen. Nicht weit hievon haben auch die Land Stände von Noord Holland ihr Magazyn und zwar auß einer Alten Kirche gemacht. Auf der Vierdyck und auf der Pactwy Straße ligt daß West Indische hauß und läst sich wol sehen, wie auch der Directoren Kammer von den Extraordinair Convoien bey dem Newen hafen. Waß sonst die Alten Männer und Alten Weiber Hospitäler, die Waisen, Pest und Krancken häuser betrift, so befinden sich dieselben, nach Holländischer Gewonheit, in dieser Stat in guttem Stande, vornemlich bey der Zuyder Kirche praesentiret sich daß Waisenhauß gleich einem fürstlichen Palatio. Die General Staaten laßen auch hier continuirlich Canonen gießen, zu dem ende stehet in einem Bollwerck ein groses gießhauß, auch sonst werden hier die gewaltigen grosen Ancker Seile in groser menge außgearbeitet. Wie wol diese Stat sich ziemlich weit außbreitet, so nehmen doch die grosen Seehafen in derselben ein groses theil weg und sind auch sonst sehr viel unbebaute plätze darinnen. Deß Berühmten Paludani16 Raritäten Kammer, welche mehrentheils in Indianischen Raritäten bestehen sol, konte nicht besehen, weil es etwaß weitleuftigkeit gab und unser Schifs Patron nicht länger warten wolte.

e f

gantz allein vor auf durchgestrichen. ersetzet nach abgehet aus Gründen der Lesbarkeit ausgelassen.

16

Bernardus Paludanus (Berent ten Broecke, 1550–1633).

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[XIV.] Fünfte Reise auß Leiden in Holland über die Zuyder und Oost See nach Hamburg 251

Von Principal kaufleuten wohnen wenig in Enchuysen,17 die meisten haben nur ihre Factores hier. Die übrigen Einwohner bestehen in Admiralitäts und der Oost und West Indischen Compagnie bedienten handwerckern, Schiffern, Schifsbauleuten und Bootsleuten. An der seiten gegen daß Land wird die Stat von einem starcken wall und unterschiedenen Bollwercken bedeck’t. Wie gerne ich und mein Reisegefehr’te herr Boie18 alhier übernachtet hetten, auß Furcht für der Wilden See, vermochten wir doch nicht den Schifs Patron zum Verzug zu persuadiren: Denn noch denselben Abend umb 7 Uhr stieß Er nach entrichtetem Zoll ab und seegelte durch den Newen hafen, bey dem oben gedachten Engelländischen Thurn vorbey, in die offenbare See, vorgebende Er müste sich deß gutten Windes bedienen. Deß Abends in der Kühlung, so bald wir auß dem hafen gelauffen, empfohlen wir unß Gott und legten unß zur ruhe, bey der Schönen Windstille, in dem wir doch ohne daß nichts anders als waßer und himmel sahen. Deß morgends mit der Sonne aufgang kam der Schifs Patron für unsere Coiuite und weck’te unß auf, vorwendende, daß wir diesen anstehenden tag grose gefahr würden müßen außstehen. So bald die Sonne höher stieg, konnten wir den hohen Thurn zu Harlingen in Friesland sehen. Die Uhrsache dieser besorgenden gefahr waren die Sandbäncke und |165| sandhügel in diesen gegenden deß meeres; Daher müßen die Schiffer alhier auf dem meer so genaw die striche kennen wie die Fuhrleute die Wege auf dem Lande, dafern Sie nicht auf solchen sandbäncken wollen sitzen bleiben und untergehen. Des Morgends, nach dem wir Gott gelobet und angeruffen hatten, bedienten wir unß deß morgenbrots und speiseten dasselbe hier auf dem Waßer, mit gröserm Appetit als sonst auf dem Lande. Nun aber gieng die gefahr erst recht an. Wir kamen zu einer kleinen Insel, der Schelling genandt, an deßen Küsten wir fast den gantzen Tag zubrachten: Denn wenn wir etwa einen Pistolen Schuß gefahren waren, musten die hierzu verordneten Schiffer daß Loth außwerffen und die Tiefe erkundigen. Daß Loth ist eigentglich ein stücke Bley an einem langen seile, damit die Schiffer die Tiefe des meeres accurat nach Ellen erforschen und darnach daß Schif richten können. In dem Sie nun gnugsam wusten, wie tief unser Schif im waßer gienge und wie ­schwer desselben Last wäre, gaben Sie desto genawer achtung auf daß Loth und ließen, wo es nicht tief gnug war, den Steuermann daß Schiff ablencken. Deß Abends legten die Schiffer daß Schiff für Ancker und speiseten, und wir mit ­ihnen, jedoch von eigener kost, hielten auch mit einander gutte Conversation, ruheten auß und blieben über Nacht an der Seeküste der Insel Schelling liegen. Deß morgends,

17 18

Enkhuizen. Johannes Boye (Boyen, Boie, G um 1640).

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Friderici Lucae eigentgliche Lebens und Totdes Geschichte

frühe mit der Sonnen Aufgang, lösten wir die Ancker und giengen zu Seegel, es kostete aber manchen sauern Schweiß die Bootsleute, ehe Sie sich von dem Schelling abarbeiteten. Nach der Schiffer richtigen Sonnen Compas kamen wir, umb 10 Uhr, deß morgends von dem Schelling biß an die Insel Ameland und sahen den herren von Ameland,19 welches Ländlein etwa drey Dorfschaften begreift, am Ufer stehen; Wie wol dieser herr der General Staaten Vasal ist, sol, wie man sich erzehlet, päbstisch sein; Er machte auß unß Ankommenden kein sonderlich werck und wir wiederumb nicht auß ihm. Die Seeküste dieses Ameland erforderte ebenmäßig genawe Vorsichtigkeit und die Außwerffung deß Loths wegen der vielen Sandbäncke. So bald wir dieselben überstanden, befahl der Schifs Patron die Ancker außzuwerffen und nahm die gantze Schifsgeseelschaft daß morgenbrot ein. Ich und herr Boie20 aber, als wir Unsern Speisekorb herfür zogen, befanden unsers in Amsterdam gekauftes, gebratenes Fleisch voller Würme und stinckend zu sein und musten dasselbe in ziemlicher Quantität über Bort werffen, welches unß sehr leid thät, weil es viel geld kostete, insonderheit da unser übrigen Vorrath deß dürren Fleisches gar schlecht war. Der Ehrliche Schifs Patron und allerseits Bediente boten unß, auß mitleidigkeit, ihren Tisch und Küche an, dafern wir mit ihnen wolten vorlieb nehmen; Diese höfligkeit dorften wir |166| nicht abschlagen, sondern musten viel mehr der ­g utten Leute Affection suchen, weilg wir noch einen fernen weg zu reisen vor unß hatten. An diesem Ameland lagen wir biß gegen Abend umb 4 Uhr. Von hier an biß auf Hamburg hatten wir nun keine Insel mehr zu gewarten, weniger biß vor die Elbe der Sandberge zu befürchten, und kamen in mehr und mehr tiefer in die Offenbare See. Die Seekranckheit kan zwar nicht ein jeder vertragen, bißher aber, bey dem favorablem Winde, blieb ich darmit verschonet. Unterdeßen begunte unß die Zeit lang zu werden, zumahlen dieselbe zu passiren mit Lesen wolte die hitze nicht zulaßen; Daher such’ten wir allerhand Divertissement und exercirten mancherly kurtzweil mit dem Schifs Patron, welcher sich dermaßen mit Brandtwein und Taback dermaßen anfüllete, daß Er füglich für einen Comoedianten passiren konte. Weil unß aber, wie gedacht, unsere Victualien der Sonnen hitze unbrauchbar gemacht hatte, bedienten wir unßh deß Schifs Patron’s Tisches und Victualien, nicht der Delicatezze, sondern des hungers halben: Denn ein Gesunder Junger Mensch, in dem Er jetzt auf der See speiset, mag ihm nur die Rechnung machen, daß deri hunger ihn bald überfallen werde. Daß beste Labsal gaben mir die Seefische, welche zuweilen die See-

g h i

wel vor weil durchgestrichen. unß über der Zeile ergänzt. C vor der durchgestrichen.

19 20

Watze Frans van Cammingha (1603–1668). Johannes Boye (Boyen, Boie, G um 1640).

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[XIV.] Fünfte Reise auß Leiden in Holland über die Zuyder und Oost See nach Hamburg 253

fischer an unser Schiff brachten vor liederlich geld, welche der Schifskoch nach seiner Art zurichtete. Einsmahls, da die Sonne so gar warm stach, daß Sie unß auch auf der Couiüte zu weichen nöhtigte, kleidete sich herr Boie auß und stieg auß dem grosen Schiff hienunter in daß Botchen sich zu baden und in dem See Waßer zu erfrischen, welche Badung mir aber nicht anstand und blieb oben auf dem Schiffe stehen und sahe demselben zu; Kaum da herr Boie sich gebadet hatte und aufgestiegen war, kam ein kleines Wölcklein und empörete dermaßen die Wellen, daß Sie daß Bottchen vielmahls über und über warffen und, dafern herr Boie nur noch eine Viertelstunde darinnen verzogen, würde es ihm, menschlichem ansehen nach, daß Leben gekostet haben. Die übrigen Begebenheiten sind von keiner Importantz, daß ich derselben in Specie erwehnen solte, außer daß unß ofters die nur auf etliche Canonen Schüße vor unß vorbeystreichende Engelländische auch Holländische Capers grose Furcht einjag’ten, von denen wir aber doch verschonet blieben. Die bey klarem Sonnenschein in der See sich praesentirende und spielende Seehunde veruhrsachten unß auch manches plaisir, welches der mehr erwehn’te Schifs Patron mit mancherley kurtzweiligkeiten mercklich vergröserte; Also daß es daß es an guttem Zeit Vertrieb, nach dem wir einander beßer kennen lernten, gar nicht mangelte. Da es endlich dem Schifs Patron wolte an Brandtwein gebrechen, seegelte Er biß an die Seeküste von Dithmarsen21 nach Brunsbüttel und ließ ihm sein Brandtwein Fäßchen wiederfüllen, ohne welches Er nicht zu leben vermeynte. |167| Von dar seegelten wir nach der Elbe zu und erblickten zur rechten die Küste vom Ertz Stift Bremen und zur lincken von Holstein. Kurtz vorher, ehe sich die Elbe mit der See vermischet, machen die vielen Sandbäncke die See gar gefährlich; Daher allenthalben in dem Waßer angebundene und angeanckerte Tonnen schwimmen, darnach sich die Schiffer regulieren müßen. Ehe man diesen Revier passiret, kostet es auch die Schiffer viel Zeit und Mühe. An beyden seiten der Elbe liegen viel herrliche Dorfschaften, sonderlich zur lincken leuchtet die Königliche Dänische Hauptvestung Glückstadt mit ihren hohen Thürnen und gewaltigen starcken wällen und denen darauf gepflantzten Canonen prächtig herfür, davon man die Elbe bestreichen und die Schiffe im gehorsam füglich halten kan. Nach dem wir nun gantzer 8 Tage auf dem Waßer zubracht, ohne Empfindung einiges Sturm’s und Ungewitters, kamen wir an einem Dienstag morgends zu Hamburg in dem hafen bey dem Blockhause, Gott sey Danck, glücklich an. Ich und Mein Reisegefehrte herr Boie22 bezahleten dem Schifs Patron die veraccordirte zwey Ducaten für die Fracht, aber vor die unß mitgetheilte Speisung begehrte desselben Discretion nichts. Wir ließen unß ins Wirthshauß, zur Stadt Reval genandt, an der Dom Kirche und der Peters Kirche gegenüber gelegen, führen.

21 22

Dithmarschen. Johannes Boye (Boyen, Boie, G um 1640).

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Friderici Lucae eigentgliche Lebens und Totdes Geschichte

So bald wird unß sauber ankleideten und noch selbigen morgen außgiengen, begegnete unß zu allem glück, der mein ehemahls in Amsterdam gewesener hauß und Tisch Camerade, deßen auch oben bey der Stat Amsterdam Beschreibung meldung gescheen, herr Brandan Detri.23 Dieser erfreute sich hertzlich über meiner Ankunft und versprach deß mittags umb 1 Uhr mit einer Kutsche unß abzuholen und die merckwürdigkeiten der Stat zu zeigen. Er hielt auch seine Parole und zu bestimmter Zeit nach eingenommener morgen mahlzeit forderte Er unß mit der kutsche ab; Allein Er führete unß zuvor auserhalb der Stat und zeigte unß die herrlichen Lustgärtte und Lusthäuser. Ohngefehr umb 3 Uhr brachte Er unß in einen Vortreflichen Lustgarten, in desselben Lusthause Er ein Delicates Vesper Brot, ja gar Frauenzimmer und Musicanten, bestallet hatte. Diese kurtzweil beliebte meinem Reisefehrten über die maßen wol, der auch daß Frauenzimmer zu bedienen geschickter als ich war. Deß Abends mit dem Thorschließen kehreten wir in die Stat und in unser Quartir, darüber büßete herr Boie einen feinen hut, mit einer Schönen hutschnurn, ein. Deß morgends forderte unß Monsieur Detri unß wiederumb ab mit der Kutsche, darauf wir unß weigerten zu sitzen: Denn man muß für eine auf einen tag gemietete Kutsche in Hamburg einen Reichsthaler geben, daher wolten wir Unkosten dem herrn Detri verhütten, auch lieber daß Inwendige der Stat zu fuß besehen. Am ersten giengen wir in die St. Peters Kirche, welche von außen einen hohen, Spitzigen thurn hat: Inwendig ist Sie sehr räumlich und fast so breit als lang. An den Pfeilern siehet man noch viel |168| Päbstische Altäre und Götzenbilder, vornemlich aber eine groses Uhrwerck samt einer Schönen Orgel und Predigtstuhl. Zu demmahl tauften Sie gleich ein Kind in dieser Kirche, dabey der Lutherische Pfarr24 heftig mit dem Exorcismo donnerte; Die Gevatterinnin waren alle nach Hamburger gewonheit in sonderlicher kleidung, Sie hatte kurtze Wämbster mit vielen Falten, die Ermel daran waren gantz enge voran zugespitzet und die Armen biß oben auf mit goldenen ketten beflochten; Auf dem haupt trugen Sie ein klein Schwartz Sammeten häublein, wie ein hütlein, mit perlen besetzet; Unter dem Wambst gieng ein rock hienunter bis auf die füße mit vielen falten, welcher aber unten rings umbher mit vielen posamenten besetzt war. Den halß ließen Sie nur ein wenig sehen, mit perlen und goldenen ketten bedecket, daß übrige war gantz zu. Vorne hienunter hatten Sie eine weise Schürtze, mit künstlichen Borten benehet. Diese tracht, wie wol Sie Altfränckisch zu sein scheinet, nicht desto weniger stehet Sie nicht übel an und praesentiret gleichsam eine Innerliche Erbarkeit, darüber auch die Hamburger steif halten. Die Dom Kirche recht gegen über hat einen spitzigen, hohen thurn und ist ein Altfränckisches gebäwde und ähnlichet aber mehrentheils einem kaufhause oder Boerse: Denn die mahler, kupfferstecher und andere kunsthändler haben darinnen ihre kramladen und in den Creutz Gängen und in derselben Gewölber werden gleichfals allerhand 23 24

Brandan Daetrius (Detri). Johannes Müller (1598–1672).

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Raritäten und köstligkeiten, von Gold, silber, Stein, messing, Elffenbein, Blech, Sthal, holtz, sonderlich die Kostbaren Schräncke etc., verkauffet; So findet man auch theils ­Buchladen darinnen; Daher trift man continuirlich die Leute mit hunderten in der Kirche spatzieren gehen, handelnde und wandelnde, oder sonst verkehrende, alhier an. Den Chor der Kirchen habe verschloßen befunden, von dem man sagte, daß Alte und künstliche Epitaphia in demselben zu lesen wären, auch daß vieler Vornehmer Leute kinder und andere Hohe Familien viel küsten mit kostbaren Mobilien darinnen zur Verwahrung solten stehen haben; Vornemlich bin berichtet worden, daß deß berühmten, aber gar zu klugen und wunderlichen fürstlichen Brunschwigischen25 Cantzlers zu Hanover26 Langerbecks27 Sarg und Leichnam, weiß nicht warumb, auch hierselbst solte noch unbegraben, samt seiner köstlichen hinterlaßenen Bibliotheca, stehen. Daß Dom Stift hat noch seine Lutherische Canonicos und Praepositum, welche sich von deßen Intraden bereichern und ihnen einen gutten tag machen. Die Kirche zu St. Nicolai bey dem Fischmarckt achte für die Schönste: Euserlich zieret Sie ein hoher thurn, deßen spitze mit vielen (wie die Hamburger sagen) goldenen knöpffen samt einer zierlichen Gallerie pranget und einem lieblichen glockenspiel. Diese goldene knöpffe sollen von dem Schatz gemacht sein, welchen Sie dem berühmten Seeräuber, Stürtzebecher28 genandt, hetten abgenommen. Inwendig verstellen die Schönheit dieser Kirche die vielen Götzen Altare. In der halle oder unter der grosen gewölbten Kirchthüre werden von den Buchhändlern allerhand Bücher verkauffet. |169| Die St. Catharinen Kirche begreift auch eine ziemliche Weitleuftigkeit und derselben thurn läst sich mit seiner hohen spitzen weit sehen; Ihr inwendiges aber verdunckeln ebenmäßig die alten Crucifixe, Altäre und Götzen. In Der Jacobis Kirche, deßen Thurn beydes, die Kirche und die Stat, zieret, ­findet man auch dergleichen Phantasienj überflüßig, in welcher der Gelehrte und Lustige ­Schuppius29 als Pastor Primarius predigte. In der Heiligen Geist Kirche, dabey ein groses Hospital, haben die Buchhändler ihre kramladen wie in dem Dom. Die Neustäter Kirche war zu der Zeit noch nicht außgebauet und, weil man den Todten Cörper deß Verstorbenen General Puttenhausens30 den tag vorher beygesetzet hatte, gab es einen ungesunden stanck in derselben. Die übrigen Kirchen, als Maria Magdalena, Michaelis und Johannis haben nicht denckwürdiges an sich, auser daß Sie vor diesem sind kloster Kirchen gewesen, wie man auß denen daran stehenden Creutzgängen sehen kan. j

v vor Phantasien durchgestrichen.

25 26 27 28 29 30

Braunschweig. Hannover. Heinrich Langenbeck (1603–1669). Klaus Störtebeker (Nikolaus Storzenbecher, um 1360–1401). Johann Balthasar Schupp (Schuppius, 1610–1661). n.z.e.

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In diesen Kirchen sind die Prediger gewaltige Calumnianten und Bauch Diener: Sie samlen von ihren Beichthellern grose Schätze, auch der Jordan und Kirch oder Todtenhof vermehren ihnen dieselbigen: Sie tragen drey mützen übereinander: Die erste ist ein Bareet von feinem Tuch, damit Salutiren Sie oder resalutiren ins gemein die Begegnenden, die ander mütze ist von Leeder, dieselbe ziehen Sie ab mit der Lincken und zugleich mit der Rechten daß Bareet, wenn ihnen etwa jemand von Condition oder, wie Sie es nennen, ein Wolthätiges Kirchkind, begegnet; Die dritte ist von Sammet, selbte nennen Sie Soli Deo und wird niemahls abgenommen als bey dem Gottesdienst und Nennung deß Nahmens Christi. Hierbey tragen Sie gewaltige krausen umb den halß und lange weite Röcke mit weiten Ermeln und dan darüber die weißen Chorröcke. Unter den Weltlichen Gebäwden ist daß Rhathauß daß Vornehmste, wie wol es nicht gar groß ist, auch keinen Innerlichen platz oder hof hat. Vorwerts sind daran auf die 24 Steinerne Statuen zu sehen in volkommener Lebens Gröse der Alten Römischen Kayser. Von hinten zu kan man nicht beykommen wegen deß Waßers. In den Rhatstuben bin ich nicht gewesen. Die Bürger Säale sind auch gewölbet und nicht übrig groß. Die Rhatsherren gehen im besondern Habit mit kurtzen Schwartzen Mänteln von vielen Falten, auch engen gefaltenen Ermeln, auf dem haupt tragen Sie ein Schwartzsammet Bareet, fast wie die hohen Doctor hütte. Dem Rhathause gegen über stehet die Böerse, gleichet aber der Amsterdamischen nicht; Vor derselben ist ein groser platz mit einem zierlichen Stacket umbgeben, auch mit einer Dachung, darauf die kaufleute täglich verkehren,k nechst daran ist ein Schönes Gebäwde mit Schönen grosen Säalen, gleichfals zur Wandelung für die kaufleute aptiret. |170| Von andern Palatiis publicis gibt es hier wenig zu sehen. Daß Zuchthauß und der grose Stat Bauhof werden, von den übrigen, wol die principalesten sein. In der Neustadt bey der Kirche stehet der Reichen Juden oder Portugiesen hauß, komt in grose Consideration. Damahls logierte die Königin Christina31 auß Schweden in demselben. Die Königin zu sehen giengen wir deß morgends frühe hienauß und befanden die haußthüren mit 2 Trabanten besetzt. Die Trabanten, so bald Sie vernahmen, daß wir verlangten die Königin zu sehen, errinnerten Sie unß ein wenig zu verziehen; In dem wir noch davon redeten, so kam ein Cavallier mit Weiten Langen Schurtzhosen und mit vielen Band besetzet, hatte einen feder pusch auf dem hut und ein Spanisch Rütchen in der hand, auf den Fluhr getretten, vor welchem die Trabanten Ihrel helleparten praesentirten, welchen Cavallier wir nicht erkennet hetten, dafern unß nicht die Trabanten berichtet hetten, daß es die Königin wäre; So bald Sie wieder die Stiegen aufstieg, hießen unß die Trabanten folgen und kamen auf den Saal, worauf die Königin ihren Pfaffen ließ Messe halten und fiel mit solcher Devotion auf die Knie, daß davon der Saal erschütterte, hatte auser etlichen Italiänern sonst Niemand bey sich. k l

†...† vor verkehren durchgestrichen; ver in verkehren über der Zeile ergänzt. der vor Ihre durchgestrichen.

31

Christina (1626–1689), Königin von Schweden.

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Dieser Königin Christina Natürlicher Verstand und Gemüthe mag wol gröser sein und Schöner als derselben Dürres Runtzlichtes Angesicht und Pucklichter Leib. Ehe die Messe sich endigte, giengen wir unsers Weges wieder fort. Der Newe Baum in Hamburg läst sich auch wol sehen, ist ein groses an dem Seehafen gelegenes Wirthshauß; Inwendig findet man vortrefliche Säale und Trinckstuben, sonderlich siehet man auf dem grösten Saale oben rings umbher lauter Seeschlachten aufs künstlichste gemahlet. Oben auf dem hause ist der Altan mit Bley bedecket, darauf man spatzieren gehen und einen Unvergleichlichen Prospect über die Stat und daß Waßer hienüber nach Harburg haben kan. Waß die Privathäuser betrift, so findet man zwar viel Nette und so wol inwendig als außwendig herrlich außstafierte häuser der Bürger: Denn in diesem stück affen Sie den Holländern mehr nach als andere Stätte; Aber viel Capital oder haupt häuser und höfe laßen sich hier nicht antreffen. Die Straßen können auch nicht so sauber wie in Amsterdam gehalten werden, theils weil hier nicht so viel graften sind, theils weil in Hamburg mehr als in den Holländischen Stätten geritten und gefahren wird. Sonst sind die Straßen in der Neustadt viel regulirer angelegt als in der Altstadt, aber noch nicht gantz bebauet. Die Altstat scheidet eine Alte Unformliche Schantze von der Neustadt mit einem doppelten graben, bey welchem die weiber die bleichhütten haben. |171| Man gehet an dreyen Orten auß der Alten in die Neustadt; Nemlich über den Thamm an der Aelster, welcher an einer seiten mit Schönen häusern, an der andern aber mit hohen Linden Bäumen besetzet ist, daran auch die grosen Aelster mühlen gebauet sind; Daß ander thor stehet bey der Waßerkunst und an der heiligen Geist Kirche, darbey eine breite und starcke Brücke mit steinen besetzet, samt einer steten Wacht, daß dritte thor auß der Alt in die Neustadt ist bey dem Newen Baum oder der vorhin beschriebenen Newen Stat herberge. Sonst hat fast die Neustadt gleiche Circumferentz wie die Altstadt, nur nicht so volkommen bebauet. In derselben stehet auf einem grosen platz der Stat Zeug und Munition hauß, deß Commendanten hauß, der Soldaten häuser, wie auch ein bequemer hafen zur außladung deß holtzwerck’s; Es durchströhmet sonst die Neustadt keine graft wie die Altstadt. Hingegen gehet ein Arm auß der Elbe durch die Stat, auf welchem die auß Sachsenland und der Marck Brandeburg kommende Schiffe, welche unglaublichen Überflüß von Kornfrüchten, von allerhand Bieren, item von allerhand ersinnlichen Victualien in die Stat einführen und von darauß gar wiederm in Ebbe und dan in die See fahren können. Die Brücken über diesen Strohm, und andere graften, sind allerseits starck, zierlich und auf Holländische manier gebauet, man hat auch hier in Hamburg schon alle Sechs stunden Ebbe und Fluth. Wie starck die Trafiquen und handelungen an diesem Ort floriren müßen, kan ein Verständiger in Betrachtung der Seefahrt, der Böerse, der Reichen Kaufleute, der _______________________________ m

in vor wieder durchgestrichen.

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Friderici Lucae eigentgliche Lebens und Totdes Geschichte

Pracht, der köstlichen Kramladen, der Schiffe und andern Kennzeichen leichtlich erkennen und ermessen. Die Bierbrauereyen stehen hier auf derjenigen graft, in welcher mehrentheils (Salvo honore) die Secreter zusammen fließen und solches bey wehrender Ebbe klärlich sehen kan; Daß hierauß gebraute Bier ist sehr fett, ein Eckelhafter Zärtling aber, wenn Er diese gelegenheit und brauwesen samt der Materie ansiehet, wird es schwerlich mit Appetit trincken können. Obwol die Stat über die maßen Volckreich von Einheimischen und Frembden ist, so hat Sie doch an allen Dingen überfluß wegen der Grosen Zufuhr zu waßer und lande; Wie wol ich sagen darf, welchermaßen es zu Amsterdam in den Wirthshäusern nicht so gar kostbar als hier zu leben ist: Denn die Hamburger sind wie in diesen, so auch andern Dingen, dem ansehen nach, mehr auf den unbillichen gewinn als die Holländer befließen; Sintemal der Hamburger pracht, Stoltz und Üppigkeit erfordert gar zu viel. |172| Wie wol auch es bey manchem Pral sachte heißet: Denn man kan hier alles für Geld zu lehnen bekommen: Kleider, Kutschen, Schmuck, Diener, daher viele deß morgends große Cavalliers und Dames praesentiren und mit frembden Reichthum stutzen und deß abends, oder deß andern tages, sind Sie Bettlers. Der Magistrat ist sonst in Abstrafung der Laster über die maßen scharf und gehet schwerlich eine Woche vorbey, daß nicht Meister Hans auf seiner Scheedelstät mit Geißeln, Brandwercken und dergleichen arbeit nicht solte beschäftiget sein. Die Jugend erzeigt sich auch auf den Straßen überauß muthwillig und unbändig und ist viel undisciplinirter als in Holland. Die Vornehmsten Kaufleute in Hamburg bekennen sich zu unser Reformirten Religion und bedienen sich deß Gottesdiensts zu Altenaw,32 eine Viertel meil weges von der Stat im Dänischen Gebiete. In dem Engelländischen hofe hält zwar die Engelländische Nation ihren besondern Prediger, welcher aber im geringsten mit denen Reformirten Hochteutschen Predigern concurriret und die rechte warheit zu bekennen, so tragen die Engelländer gemeiniglich etwaß von dem Quäcker Geist an sich, daß hingegen diese derselben conversation wenig verlangen. Von der Bürgerschaft werden die Kriegs Exercita, schießen etc., auf den Wällen geübet, sonderlich haben Sie hier zu einen sehr bequemen platz im Wall bey dem Stein Thor. Der Stat Hamburg Fortification benim’t der Stat Amsterdam den Vorzug: Sie hat breite, hohe Wälle und rings herumb wird Sie, samt der Neustat, mit 21 Realen Bollwercken umbschloßen. An etlichen Orten stehen über den Bollwercken starcke Cavallier, oder Katzen, und unten in dem Wallgraben ligt zwischen zwoen Bastions ein starckes Ravalin; Die Wallgraben sind auch sehr weit und tief bewäßert, welche die Fossepre bestreichen kan. Auf den Wällen siehet man Grose Windmühlen und Canonen stehen. 32

Altona.

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In der Alten und Neustadt sind 6 haupthore, Sie haben zwar keine thürne, aber unter den Gewölbten starcken Schantzen gehen Sie hindurch, an derer Festigkeit Niemand etwaß desidiren kan: Sie werden täglich starck, wie mit Bürgern so mit Soldaten, besetzet, zu dem Ende täglich 3 Compagnien Bürger und so viel Soldaten auf die Parade und Wacht geführet werden. Die Bürgerschaft, ohne Tagelöhner und Gesellen, bestehet in 52 Fahnen: Sie führen grose Drommeln und schlagen einen Lächerlichen March, unß zieren sich bey dem Aufzug aufs zierlichste. Von der Hamburger Sonntags Feyer machen Sie selbst kein sonderlich werck und ist daß offentgliche arbeiten auf den Laden und in den werckstätten bey Schneidern und Schustern gar gemein, auch unter der predigt. Es sol auch sonst deß Herren tag in den Wirthshäusern schändlich profaniret werden. |173| [XV.]a Friderici Lucae Reise von Hamburg in die Marck Brandeburg und Studia zu Franckfurt an der Oder.b1 Weil ich nun binnen 6 tage Zeit, meinem erachten nach, Hamburg gnugsam besehen und durchwandert hatte, so nahm ich von meinem Gutthätigen und Wolmeynendem Freunde herrn Brandan Detri2 wie auch von meinem Reise Gefehrten herrn Johann Boie3 Abschied, denselben für alle mir erwiesene höfligkeit und liebe danckende, satzte mich auf die Calesche und reisete ihm Nahmen Gottes über Berlin nach Franckfurt an der Oder zu. Bey dieser Angetrettenen Reise, welche Tag und Nacht gehet, gönnete mir Glück keinen Reise Gefehrten und saß gantz allein auf dem Wagen mit dem Postilion und bekam alle drey meilen einen Newen Postilion, so daß ich mich mit keinem recht einrichten konte. Sechs meilen von Hamburg kamen wir umb 4 Uhr gegen Abend bey der ­fürstlichen Residentz Lawenburg4 an, alwo die Post in der Vorstatt abwechselt und etwaß aufgehalten wird, welches mir gelegenheit gab, mit dem Postilion in die Stat zu gehen, derc bey

a Zählung des Kapitels abgeändert. Ab diesem Punkt führte Lucae ursprünglich die Zählung der Kapitel mit X. fort. Aufgrund der in der Edition geänderten Kapitelzählung wird hier die Kapitelzahl angepasst (vgl. 200 Anm. a). b Die Groß- und Kleinschreibung von Friderici LUCAE REISE von HAMBURG in die MARK BRANDEBURG und STUDIA zu FRANCKFURT an der ODER zu Friderici Lucae Reise von Hamburg in die Marck Brandeburg und Studia zu Franckfurt an der Oder vereinheitlicht. c be vor der durchgestrichen.

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Frankfurt an der Oder. Brandan Daetrius (Detri). Johannes Boye (Boyen, Boie, G um 1640). Lauenburg.

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Friderici Lucae eigentgliche Lebens und Totdes Geschichte

hofe Briefe abzugeben und mit Befehl hatte, dieselben persönlich dem Hertzog Sachsen Lawenburg5 einzuhändigen, welchen Er aber nicht antrafe. In dem Stätlein sahe es gar schlecht auß, auch daß Schloß praesentirte euserlich wenig Weitleuftigkeit und ­Zierligkeit. In dem eileten wir wieder fort und wurden berichtet, daß der Hertzog von Sachsen Lawenburg auf dem Dorfe Geren,6 eine meil weges hievon, auf der Jagt wäre. So bald wir ins Wirthshauß dieses Dorfes kamen, fragte der Postilion nach dem Hertzog, welchen die Leute verleugneten. Der Postilion tränck’te in zwischen die Pferde und ich kühlete den Durst mit einem Trunck Bier und trat für den Kamin, dabey saß ein mann, welchen für einen Trompeter ansahe in schwartzer kleidung und schmauchte Taback, welches der Hertzog selbst war, der sich aber nicht wolte zu erkennen geben; Dieser, mir Unbekante und Unvermuthete Hertzog, fragte fleißig nach meiner herkunft, dem aber nicht sonderlich antwortete; Als Er aber hörete, daß der Postilion den Hertzog suchte und an ihn persönlich Briefe einzuhändigen hette, stand dieser mann (der Hertzog) auf und gieng hinter die thüre hienauß in den Hof und schickte von dar einen Kerl’n, der dem Postilion andeutete, welchergestalt der Hertzog ankommen wäre und, dafern er Briefe hette, solte Er Sie ihm bringen; Damit gieng der Postilion hienauß und befand, daß es eben derjenige wäre, welcher |174| kurtz vorher bey mir an dem Kamin geseßen hatte, dem Er sich weigerte die Briefe dieser Uhrsache wegen, in meynung, daß Er unmöglich könte der Hertzog7 sein, ungeachtet wieder deß Hertzogs heftiges Protestiren, biß endlich der Wirth im hause solches betheuerte. Der Hertzog nahm daß Paquet Briefe zwar an, gab aber dem Armen Postilion kein trinckgeld, darfür Er dem Hertzog grobe kletten anhieng und derbe schandflecke nachwarf. Bißher war ich gewohnet der grosen Stätte, der herrlichen Dörfer und Wolgekleideten Leute und Reinen Gemächer; Daher kamen mir die halbwüsten Stätlein, die kleine Dörflein mit ihren Beraucherten Stroh und Leimen häußlein und daß armseelige Volck seltsam für. In den Bauernhäusern ist alles in einem, daß ist, wenn man zum hause einsiehet oder gehet, siehet man Stube, Küche, Kammer, Stallung der Kühe oder Ochsen und Pferde auf einmahl, weil dieselben nicht unterschieden sind, auch der Rauch steiget zum Fenster hienauß auß mangel des Schornsteins. Von hier gieng die Post auf Boitzenburg an der Ebbe,8 dem Hertzog zu Meckelburg Swerin9 gehörende: Ich hette alhier gerne mit herrn Johann Boie,10 meines hinterlaßenen Reise Gefehrtens11 auß Holland Vater, gesprochen, welcher fürstlicher Zollver15 16 17 18 19 10 11

Julius Franz (1641–1689), Herzog von Sachsen-Lauenburg. Gehrum (Boizenburg/Elbe). Julius Franz (1641–1689), Herzog von Sachsen-Lauenburg. Boizenburg/Elbe. Christian Ludwig I. (1623–1692), Herzog von Mecklenburg-Schwerin. Verwechslung mit Wilhelm Boye (Boyen, Boie, um 1610–1676). Johannes Boye (Boyen, Boie, G um 1640).

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walter und ein Reicher mann war, aber die Post eilete fort und zwar Tag und Nacht durch Wälder und heyden und armseeligen Dörfer. In dem Lüneburgischen Stätlein Dämitz,12 so bald die frischen Pferde angespannet, gieng es wieder per posta auf daß Erste Brandeburgische Stätlein Lentzen,13 drey meilen von Dämitz gelegen, und bekamen wieder frische Pferde. Ich konte wenig ruhen auf diese Reise, deß Tages mattete mich die heftige hitze ab und ob ich schon ­längst gestrecket deß Nachts mich in die Calesche legte, dennoch verhinderte daß ­schüttern und rumpeln den Schlaf; Wie wol hiesiger Orten die Straßen, sonderlich in den Wäldern und heyden, wegen deß sehr starcken und harten Sandes sehr bequem und gemächlich zu fahren seind. Von Lentzen fuhr die Post auf Perleberg, die Hauptstatt im Ländlein Priegnitz, 6 meilen von Lentzen. Perleberg mag vor Zeiten ein feiner Ort gewesen sein, wie man noch auß den Grosen, aber meistentheils Verwüsteten häusern von steinen siehet; Auf dem marcktplatz stehet eine Steinerne Statua Kaysers Caroli Magni.14 Von Hamburg auß speisete hier zum ersten mahl in deß Postmeisters hause und behalf mich mit dem lieben Brot, nicht auß mangel deß geldes, sondern auß mangel der Zeit. Es saß auch an deß Postmeisters Tische ein ansehnlicher, aber mir unbekanter Cavallier und war Incognito von Berlin kommen, mit der Post auf Hamburg reisende: Dieser führete bey der mahlzeit Aergerliche Atheistische Discurse und opponirte dieselbe deß gutten Postmeisters Christlichen Reden von der Auferstehung der Todten; In welchen wort streit mich aber nicht einmischen wolte; Wie ich auf den Wagen steigen wolte, vertrauete es mir der Postmeister, daß der Schöne Disputator der Weltberühmte General Würtz15 wäre. |175| Von Perleberg auß biß auf daß herrliche Churfürstliche Ampt hauß Kliesth16 fähret man mehrentheils in Wäldern drey meilen lang. Unter andern verwunderte mich höchlich über die Armseeligen Edelleute in diesen Gegenden, da manchmahl in einem kleinen Dörflein derselben 3 bis 4 wohnen. Von Perleberg an biß auf Spandaw,17 12 meilen, passiret die Post keine Stat mehr und sind die Posten, samt den Postmeistern, auf die Dörfer verleg’t. In etlichen Orten habe, hin und wieder, auf den Dörfern mehr Discretion bey den Postmeistern verspüret als in den Stätten. Im Fall die Post umb essenszeit bey denselben anlang’te, invitirten Sie mich gar höchlich zum Tische und begehrten für ihr Brot und Tranck keine Zahlung; Solche Ungemeine Civilität habe ich sonderlich in dem letzten Posthause für Spandaw genoßen. 12 13 14 15 16 17

Dömitz. Lenzen (Elbe). Karl I., der Große (um 747–814), römischer Kaiser. Paul Würtz (Wirtz, 1612–1676). Kleest (Kliest). Spandau.

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Friderici Lucae eigentgliche Lebens und Totdes Geschichte

Deß morgends umb 8 Uhr passirten wir durch daß Stätlein Spandaw, in welchem die Lutheraner eine Grose Kirche haben mit einem zierlichen thurn. Es ist auch in demselben ein Ansehnliches Churfürstliches hauß, aber die Bürgerhäuser seind von schlechter Importantz. Zur Rechten hand, so bald man durch den starcken Stat Thor thurn über die Spree Brücke passiret, ligt daß Vortrefliche Casteel und Churfürstliche Vestung Spandaw und wird durch den Spree Fluß von dem Stätlein abgeschieden: Sie ist nicht weitleuftig und hat nur 4 haupt Bastions, welche, wie auch derselben Courtinen, von starcken Quadrat steinen sehr hoch, euserlich, aufgeführet seind. Auf der Bastion gegen besagtes Stat Thor stehet ein hoher, runter, dicker thurn, ohne Dach, welcher oben mit stücken besetzet ist, davon man daß Stätlein und die ­Vestung überschießen, füglich bestreichen und defendiren kan. Auf der andern Bastion gegen Berlin stehet eine hohe Katze, oder Cavallier. In der Vestung sollen gewaltige Proviant, Munition und Zeughäuser sein, worinnen damahls der Obriste Quast18 als Commendant commendirte. Von außen kan man auß den Schießlöchern erkennen, daß in den Gewaltigen Bollwercken gewaltige Gewölber sein müßen. Der Waßergraben ist sehr breit, tief und zum Überfluß verpallisadiret, wie man dan auch rings umbher nicht wol zu avanciren vermag wegen des vorliegenden grosen Teiches oder Sees und der morastigen Felder. Stracks für Spandaw fängt sich ein groser Tannenwald an und continuiret biß an den grosen Thiergartten von Berlin eine halb meil weges. Nach ablegung dieser zwo meilen fuhren wir zu Berlin umb 10 Uhr in dem Posthause ein, auf der Spandawischen Straße, und ich ward nechstbey in deß Stat Wachtmeisters hauß gewiesen zu logieren und zu speisen, worinnen sich vielerley kostgänger aufhielten. Ich kleidete mich bald sauber an und gedachte einem und dem andern Bekanten die Visite zu geben. So bald daß morgenbrot eingenommen, gieng ich auß die Stat zu besehen, da mir dan der Wirth einen verordnete, der mich anführen muste, wie wol wegen Abwesenheit deß Churfürstens19 und der Hofstatt nicht eben |176| sonderlich viel zu sehen vorfiel. Es wird sonst die Stat Berlin von dem Spree Fluß unterschieden, welcher zwo Stätte macht, der eine theil, oder die eine Stat, behält den Nahmen Berlin, die andere und zwar kleinere Stat, wird Cöln an der Spree20 genennet. Die Stat Berlin hat ihr besonder Rathhauß, wie wol von keiner sonderlichen Weitleuftigkeit oder Zierligkeit; Die Kirche zu St. Nicolai ist die haupt Kirche, derselben folgen die Marien, die heilige Geist und kloster Kirche. Die Sämtliche Bürgerschaft bekennet sich zum Lutherthumd und sind die meisten mit ihren Predigern ziemlich grob d

Groben vor Lutherthum durchgestrichen.

18 19 20

Albrecht Christoph von Quast (1613–1669). Friedrich Wilhelm (1620–1688), Kurfürst von Brandenburg und Herzog von Preußen. Cölln (Cölln an der Spree).

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und ungesaltzen. Ins gemein seind die häuser von Stein erbauet, welche den breiten, auch ziemlich langen Straßen mercklichen Zierath geben. Auß Berlin gehet man an zweyen Orten in Cöln. Nicht weit von der St. Nicolai Kirche ist der mühlen Damm, da nicht allein auf demselben Grose mühlen stehen, sondern auch der Fischmarckt gehalten wird; Welcher mühlen Damm aber eigentglich eine sehr Weite Brücke ist, worüber die Passagie in Cöln gehet. Die andere Passagie auß Berlin in Cöln geschieht über die lange Brücke, von der man gleich auf den grosen platz vor dem Schloß arriviret. Diese Brücke ist ein überauß zierliches Gebäwde, so wol der stärke als der Kunst nach. Sintemahl wie Sie nach ­einem Holländischen Modell wol gegründet auf starcken Pfählen ruhet, also hat Sie oben zu beyden seiten an den Lehnen so viel Pyramiden als der Churfürst zu Brandeburg Provincien, da dan in einer jedern Säule ein besonder Wapen, von Bildschnitzer und Mahler arbeit, künstlich angefüget ist, von ziemlicher Gröse. So bald über diese Brücke passiret, trit man auf den grosen platz, auf welchem recht gegenüber die Dom Kirche und zur rechten die Churfürstliche Residentz stehet. Auf dem besagten grosen platz stehet die Rennbahn, von dar gehet man durch ein zierlich Steinern Portal in den ersten Schloß hof, welcher sehr weit und an allen Vier seiten mit Schönen gebäwden beschloßen wird, unter denen die Cantzeleyen, Rentkammer, die Bibliotheca, Apotheckene und andere Gemächer. Mitten in dem hof stehen allzeit zwo halbe Carthaunen und an den seiten deß gebäwdes rings umber seind zierliche Stackette angefüget, hinter welchen eine grose anzahl Stückkugeln, Bomben, Granaten in feiner Disposition liegen. Auß diesem hof nim’t man den Eingang in den Innern hof, welcher Viereckicht ist und allen Vier seiten mit hohen Gebäwden von Vier Wandelungen gleichfals umbpfangen wird; Hierinnen sind eigentglich die Churfürstlichen haupt Zimmer. An der einen seiten gegen dem garten kan man mit Pferden und Wagen auf einer breiten Schnecken, mitf gebackenen steinen beleget, biß in die Zimmer reuten und fahren, an derer seiten wänden Ungemeine Grose hirschgeweihe zum Zierath hengen. Auf der andern seiten gegen die Stat gehet man euserlich auf einer zierlichen steinern Schnecken, auf einem Altan, und von demselben in den grosen Haupt Saal, welcher mit grosen Bildnüßen der kayser und könige, sonderlich aber mit einer Grosen menge ­Fahnen, welche nach und nach daß Churhauß den Feinden abge- |177| nommen, zum andencken deß Thriumphs, gezieret ist. Euserlich veransehnlichen auch den hof die grosen Steinern Statuen der Alten Churfürsten, nach ihrer Ordnung stehende. Hinter dem Schloß, und zwar nechst daran, lig’t der grose Lustgarten, auf einer Insel, fast wie zu Cassel21 die Awe. Bald bey dem Eingang stehet vor dem Blumen Felde

e f

Apothecken über der Zeile ergänzt. un vor mit durchgestrichen.

21

Kassel.

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der Itzige Churfürst22 in Lebens gröse auß Alabaster gehauen. Die übrigen Raritäten dieses Gartens bestehen in den Künstlichen Fontainen und Waßerkünsten, in dem etliche durch Corallene Röhre Waßer spritzen und andern Zierath von Agtstein an sich haben, sonderlich die Grotten. Die Schönen gänge, die raren gewächse, daß Newe lusthauß, daß Pomerantzen hauß sind auch Besehens würdige sachen. Daß übrige, waß zum Schloß gehöret, ist daß Reuthauß, daß Jägerhauß, daß Gießhauß, daß Wagenhauß, die grose Waßerkunst. Wenn man sich wieder auß dem Schloß in die Stat Cöln23 wendet, leuchtet einem recht gegen über auf der Schloßgaßen in die augen der Churfürstliche Stall, ein hohes und langes gebäwde mit grosen fenstern, unten in demselben haben die Pferde ihre Quartire, oben aber wird die Churfürstliche Rüstkammer und in derselben eine grose menge köstliches Rüstzeugs, wie zur Pracht und Lust also zum Ernsthaften Streit, verwahret und den Frembden gewiesen. Auf diesem Stall sind auch noch andere Leere Säale, worauf der Churfürst zuweilen zu speisen pfleget und grose herren tractiret. Unter den Geistlichen Palatiis in Cöln behält die Grose Dom Kirche zur heiligen Dreyfaltigkeit den Vorzug: Sie ist hoch, weit und von ziemlicher Länge, mit zwey Altfränckischen starcken Thürnen gezieret. Auf dem einen Thurn hängt eine Grose Glocke, welche mit ihrer Schwerigkeit der Grosen Glocken zu Erffurt24 nicht viel nachgibt und wird niemahls als nur bey Churfürstlichen Begräbnüßen geleutet. Inwendig in der Kirchen siehet man die Churfürstlichen Begräbnüße, sonderlich pranget Churfürst Johannis25 und Churfürst Joachimi26 Monumentum, von metall gegoßen, mit sinnreichen Bildern über die maßen. Die Churfürstlichen Stände und andere Borleiben der Räthe und hofe Bedienten sind mit mahlerwerck gold und silber farben reichlich überstrichen, wie auch der Predigtstuhl. Der itzige Churfürst aber komt niemahls persönlich in die Kirche, sondern läst ihm auf einem Saale allzeit predigen; Damit aber seine herren Hofeprediger möchten zufrieden sein, so wird allezeit, so oft einer auf dem Saale prediget, welches Sie Wechsels weise verrichten, nebst dem Opfferbecken für die Armen, auch eines für den Prediger, der eben geprediget hat, herumb getragen; Eben daß thut den Lieben herren gar sanfte und können daher wol leiden, daß ihr David zwar deß herren hauß baue, ob Er schon nicht selbst hinein komme und den offentglichen Gottesdienst in der Versammlung der Christlichen Gemeinde besuche. Zur selbigen Zeit standen nur 4 Prediger bey hofe und bey dieser Kirche: Herr Bartholomaeus Stoschius,27 Strela28 Silesius, herr Johannes Kunschius,29 Trop- |178| pavien22 23 24 25 26 27 28 29

Friedrich Wilhelm (1620–1688), Kurfürst von Brandenburg und Herzog von Preußen. Cölln (Cölln an der Spree). Erfurt. Johann Cicero (1455–1499), Kurfürst von Brandenburg. Joachim I. (1484–1535), Kurfürst von Brandenburg. Bartholomäus Stosch der Jüngere (1604–1686). Strehlen (poln. Strzelin). Johann Kunsch von Breitenwald (1620–1681).

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sis30 Silesius, herr George Cunrad Bergius,31 Doctor Franckofurtensis32 Marchicus, und herr Christianus Sagittarius,33 ein Ober Pfältzer. Von diesen Hofepredigern dorfte der Churfürst34 nicht mehr als den Aeltesten und Obersten in sein Consistorium setzen, auch sonst keine Geistlichen von den Lutheranern als den Probst; Wie wol deß Consistorii Praeses Unserer Religion ist. Damahls bekleidete diese Charge der Vice Cantzler herr von Rhaden,35 ein Pommerischer Edelmann. Hinten an der Dom Kirche gegen daß Schloß in den Creutzgängen ist anjetzo die Churfürstliche Schule, oder daß Jochimthalische Gymnasium, welches in Vorigen kriegs zeiten von Jochimthal36 hieher transferiret worden, hat aber nur noch den Schatten davon. Bey demselben läst der Churfürst täglich 3 Tische Alumnos speisen, auser welchen auch sonst die Frequentz gar schlecht ist, ich habe auch niemahls vernommen, daß sonderliche Leute hierauß kommen wären; Wie wol der damahlige Rector herr Johannes Vorstius37 sich mit seinen Controversiis de Caena contra Titium38 Professorem Helmstadiensem39 ziemliche Renomèe erlangte, davon auch einen theil in meiner Bibliotheca verwahre. Die Reformirte Gemeinde bestand nur mehrentheils in Churfürstlichen Hofe Bedienten, die Bürger auch in Cöln40 waren Lutherisch. Von der Zeit an sol sich die Reformirte Gemeinde mercklich vermehret haben, zu dem Ende auch der Churfürst auf dem Friedrichswerder, ist eine Newe Vorstatt und Vergrößerung, eine Newe Kirche bawen laßen, in welcher die Reformirten mit den Lutheranern wechselsweise den Gottesdienst verrichten. Mitten in Cöln, ohnfern dem Rhathause, stehet der Lutheraner Kirche, zu St. Peter genandt. Man sagte, die Cölner solten doch etwaß modester als die Berliner sein, wie wol ich solches nicht verspüren können. Der Churfürst wie Er den Stätten Berlin und Cöln eine ziemlich Weitleuftige Jurisdiction vergönnet, welches sonst bey Residentzen etwaß rares zu sein scheinet, also siehet Er auch in Ecclesiasticis den Lutheranern viel nach, welches zweiffelsohne die Lutherischen Räthe und Ministri veruhrsachen. Wie Berlin so hat auch Cöln sein eigen Rathhauß, Bürgermeister und Rhatsherren. Itzund sol der Churfürst in Cöln auch einen Reformirten Bürgermeister eingesetzet haben. Daß Rhathauß ist zierlicher als daß Berlinische und hat auch einen feinen Thurn

30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40

Troppau (tsch. Opava). Georg Conrad Bergius (1623–1691). Frankfurt an der Oder. Johann Christian Sagittarius (1603–1674). Friedrich Wilhelm (1620–1688), Kurfürst von Brandenburg und Herzog von Preußen. Lucius von Rhaden († 1686). Joachimsthal. Johann Vorstius (Vorsten, 1623–1676). Gerhard Titius (1620–1681). Helmstedt. Cölln (Cölln an der Spree).

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und wolbestelltes Uhrwerck. Die Gemeinen Bürgerhäuser in Cöln sind größer und prachtiger als die Berlinischen, sonderlich praesentiren sie sich auf der Schloß Straße sehr magnific, so wohnen auch die Vornehmsten Ministri in Cöln. Von denen beyden Newen Vergrößerungen, nemlich dem Fridrichswerder und der Dorotheen Stat, war Anno 1667, bey meinem hiersein, wenig oder nichts zu sehen. Die Euserliche Fortification beyderseits Stätte, Berlin und Cöln betreffende, so ist Sie zwar gnugsam nach der kunst, aber nur von sand aufgeführet und daher ein Unbeständiges wesen; An etlichen Orten stehen zwar die Schantzen auf gemauerten gründen, welche doch wenig helffen. Waß ein Jahr gebauet worden, fält daß andere wiederumb ein. Sonst beschleußt die Statte eine Alte, starke Mauer und starken thor und andere thürnen, wie auch Waßergraben, dörften wol |179| zur Nothzeit daß beste thun müßen. Von außen umb die Stat habe sonst wenig von feinen Gärten gesehen, welche zu pflantzen der Sand Boden nicht wil zulaßen. An Victualien, sonderlich an fisch und krebswerck, findet man hier grosen Überfluß, jedoch machet die Vielheit der Officirer, der Bedienten, der Schleckermäuler und der Soldaten, vornemlich aber der Grose Hof Staat alles sehr theuer. Die handelungen dieser Stätte erstrecket sich nicht eben gar weit. Der Hof läst viel waaren auß Holland und Hamburg bringen und die Manufacturen, so man hier etwa verfertiget, werden auch hier wieder consumiret und nicht weiter geführet; Bey abwesenheit deß Hofstat und der Soldatesca siehet man wenig merckwürdiges. Bey meinem hiersein wartete ich auch dem Churfürstlichen Aeltesten Hofeprediger herr Batholomaeo Stoschio41 auf, welcher von Strelen42 auß dem Hertzogthum Brieg43 in Schlesien deß Rectoris44 Sohn ist und meines Seeligen herren Vaters45 gewesener Condiscipulus in dem Briegischen Gymnasio. Er empfieng mich auf seinem Musaeo sehr höflich, promittirte mir auch meines Seeligen herren Vaters wegen alle fernere Affection und Promotion und persuadirte mich eine zeitlang in Franckfurt46 zu bleiben, weil der Churfürst47 nicht gerne promovirte, welche nicht auf seinen Universitäten studiret hetten. Herr Johannes Kunschius,48 meines Seeligen herren Vaters gewesener Discipulus und nachgehends groser Freund, befand sich bey der Abwesenden Churfürstlichen Hofstatt, sonst hette ihn gerne sprechen mögen, der mich in Holland Unterschiedene mahl mit Briefen ersuchte. 41 42 43 44 45 46 47 48

Bartholomäus Stosch der Jüngere (1604–1686). Strehlen (poln. Strzelin). Brieg (poln. Brzeg). Bartholomäus Stosch der Ältere (1566–1625). Johann Lucas (1602–1673), Vater von Friedrich Lucae. Frankfurt an der Oder. Friedrich Wilhelm (1620–1688), Kurfürst von Brandenburg und Herzog von Preußen. Johann Kunsch von Breitenwald (1620–1681).

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Der Con Rector am Gymnasio, herr Gerson Vechner,49 mein Verwandter wegen herren Heinrich Schmettawes,50 meiner Schwester51 Manns, deßen Schwester52 seinen Bruder in Breslaw,53 herr George Schmettaw,54 kaufmann, zur Ehe hatte, auch deßen Vater, herr Doctor Georgius Vechnerus,55 meines Seeligen herren Vaters Antecessor im Briegischen Gymnasio deß Rectorats undg seine Ehefrau56 zu Brieg, wie auch derselben Vater,57 ein Rhatsherr zu Brieg, mein Gutter Freund gewesen, stellete sich gantz Frembde gegen mich mit seiner Frauen,58 da ich ihm die Visite gab, unangesehen Er mir ehemahls in Brieg andere Freundschaft versprochen hatte, dafern ich auf Berlin kommen würde; Daher machte auch nicht, gegen diesen Stoltzen Schulman, grose Complementen, sondern nach dem kaum gesprochenen Salve sprach ich mein Vale und ließ den Thoren mit seinen stoltzen Minen an seinem ort beruhen. Es hielt sich auch zu der Zeit alhier auf der Junge Freyherr von Rupa59 und sein Praeceptor David Ursinus,60 welche beyderseits besuchte, welche meine Condiscipuli zu Brieg im Gymnasio gewesen waren. Sonst hatte zwar meines Seeligen herren Vaters wegen noch mehr Bekante in Berlin, welche unter ihm zu Brieg studiret hatten, die ich aber nicht begrüßete. Sonderlich wegen meiner Großmutter61 von der mutter62 leb’ten noch unterschiedene Freunde, wie dan meiner Großmutter leiblicher Bruder, Herr Lamprecht,63 davon oben schon meldung gescheen, lange Zeit Wolmeritirter Consul der Stat Berlin gewesen ist; Allein |180| weil Sie unß wegen deß ohne kinder verstorbenen herren Bürgermeister Lamprechts eine Schuldforderung zu zahlen sich weigerten und restirten, nahm ich Bedencken ihnen zuzusprechen und nicht etwa suspicion zu erwecken, als wäre ich hieher zu dem Ende kommen, daß ich mit ihnen litigiren wolte. Ohne, daß ich weitleuftig worte hievon machen wil, so sage kürtzlich: Die Art der Leute hat mir dieses Ortes nicht angestanden. g

ge vor und durchgestrichen.

49 50 51 52 53 54 55 56 57 58 59 60 61

Gersom Vechner (1629–1708). Heinrich (von) Schmettau (1629–1704), Schwager von Friedrich Lucae. Maria Elisabeth (von) Schmettau, geborene Lucas (1641–1700), Schwester von Friedrich Lucae. Eunike (von) Schmettau, geborene Vechner (1624–1686). Breslau (poln. Wrocław). Georg (von) Schmettau (1615–1672). Georg Vechner der Jüngere (1590–1647). Anna Vechner, geborene Hector (G um 1600). Johann Hector. Hedwig Vechner, geborene Friederich. n.z.e. David Ursinus. Maria Mücks (Müks, Mücke), geborene Lamprecht (Lambrecht), Großmutter mütterlicherseits von Friedrich Lucae. Maria Lucas, geborene Mücks (Müks, Mücke, 1618–1666), Mutter von Friedrich Lucae. Johann Lamprecht (Lambrecht).

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62 63

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Nach dreytägiger hierverbleibung eilete sehr nach Franckfurt an der Oder64 und satzte mich auf daß Fürstenwalder65 Marcktschief und fuhr biß dorthin 8 meilen auf der Spree. Ich traf zwar hierbey schlechte geseelschaft an, aber diese Reise erstreckte sich auch nicht weit. Denselbigen Abend schif ’ten wir biß auf Köpenick, einem marcktflecken, samt einem Churfürstlichem Schloß, worauf anjetzo der Churprintz Fridericus66 mit Seiner Gemahlin Henriette,67 gebohrner Landgräfin zu Cassel,68 so unlängst gestorben, seine Residentz haben sol. Deß morgends machten wir unß zu Köpenick früh auf zeitlich in Fürstenwalde zu sein, hatten aber vor unß einen sehr gefährlichen weg, und ort, nemlich die Uckel, ist ein großer See, fast eine halbe meil weges lang, in welcher Unterschiedene kleine Ströhme zusammen stoßen und sich in der Spree vermischen, welche durch die Uckel streichet. Die Unergründlichkeit dieses Sees gibt viel strudel und Wirbel, daher jährlich viel Schiffe, und auch menschen, auf derselben untergehen. Der frome Gott half unß gnädig durch und deß mittags umb 1 Uhr nach Fürstenwalde, ein kleines halbverwüstetes Stätlein von Schlechter Nahrung und handelung, aber von Schwerer Contribution nach der Märckischen Gewonheit. Der Rector alhier in der Schule, herr Johann Heinrich Drechsler69 von Brieg70 aus Schlesien, mein Landsmann und meines Seeligen herren Vaters71 Discipulus, befand sich nach meinem Nachfragen wol, gab ihm aber nicht die Visite. Von hier reiseten freytags einige Wagen auf den Sonnabends marcktag nach Franckfurt, mit welcher gelegenheit ich vollends glücklich in Franckfurt anlang’te, deß morgends umb 8 Uhr, und übernachtete zuvor anderthalb meil weges hievon auf einem Dorfe. Man zehlet in der Marck Brandeburg zwar viel Dörfer, aber dafern man derselben 6 solte zusammen schließen, würden Sie kaum ein recht Dorf außmachen. Mich hat ofters noch darzu der Armen Leute in diesen Orten gejammert; Unterdeßen sind sie doch freygebig bey ihrem Armuth und theilen einem Passagier gerne mit, waß Sie nur vermögen. In Franckfurt an der Oder traf ich Unterschiedene Landsleute an, vornemlich aber herren Martinum Gerhardum,72 Briga Silesium, welcher mir unverzögerlich bey der Alten Frau Haasin,73 einer Redlichen Matron, auf dem marckt Tisch und Logiement pro64 65 66 67 68 69 70 71 72 73

Frankfurt an der Oder. Fürstenwalde/Spree. Friedrich (1657–1713), Kurprinz, als Friedrich III. Kurfürst von Brandenburg und Herzog in Preußen, als Friedrich I. König in Preußen. Elisabeth Henriette (1661–1683), Kurprinzessin von Brandenburg, geborene Prinzessin von Hessen-Kassel. Kassel. Verwechslung mit Bernhard Dreßler (1630–1693). Brieg (poln. Brzeg). Johann Lucas (1602–1673), Vater von Friedrich Lucae. Martin Gerhard († 1694). n.z.e.

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curirte, alwo ich zum hauß und Tisch Cameraden bekam herrn Christian Horn74 von Stralsund auß Pommern, Medicinae Candidatum und feinen menschen. |181| Ich fand an diesem Ort die Universität über die maßen wolbestellet und mit gelehrten Professoribus besetzet. Bey der Theologischen Facultät war herr Doctor Christophorus Pelargus,75 Franckofurtensis76 Marchicus, Senior, deß alten Vortreflichen Christophori Pelargi77 von ­Schweinitz78 auß Schlesien, umb die Marck Brandeburg und der Reformirten Religion darinnen Hochverdienter General Superintendentis, deßen Scripta zum theil in meiner Bibliotheca verwahre, hinterlaßener Sohn. Dieser Unvergleichliche Sohn eines Unvergleichlichen Vaters machte sich berühmt und die Universität verbeßert durch seine Vortrefliche Redners kunst und Theologie, wie wol sein Alter und Continuirliche Leibes Unpäßligkeit verhinderte, daß Er nicht mehr außgehen oder profitiren konte. Er besaß eigenthümlich die berühmte Pelargianische Bibliotheca, bestehende in 9000 Voluminibus, welche nach seinem Absterben die Universität an sich gezogen hat. Weil Er mit meinem Seeligen herr Vater79 Bekandschaft hatte, hielt Er mich sehr werth und durch die öftere Besuchung machte mich bey ihm noch angenehmer und erwarb einen freyen Access in seine Bibliotheca. Herr Doctor Fridericus Becmannus80 von Zerbst auß Anhalt (deß Welt berühmten Becmanni81 oder Masonii82 Professoris zu Zerbst Nachgelaßener Sohn, welcher nemlich die Anatomiam Universalem geschrieben wie auch die herrliche Manuductionem ad Linguam Latinam und in meiner Bibliotheca befindlich seind) hatte vor der Zeit mit seiner Erudition der Universität groses Aufnehmen bracht; Zu meiner Zeit aber profitirte Er nicht mehr wegen der ihm zugestoßener continuirenden heißerkeit, unter deßen stand Er dem Oeconomie wesen der Universität desto sorgfältiger vor und brachte mercklich derselben Gütter und Vorwercker in verbeßerten stand. Als es mir bey der vorher gedachten Frau Haasin83 nicht länger wolte anstehen, bediente ich mich seines Tisches, darbey sich herr Schröer84 von Grünberg85 auß Schlesien, nachgehends Vornehmer Advocatus zu Cüstrin,86 herr Hünicke,87 ein Anhaltiner, herr 74 75 76 77 78 79 80 81 82 83 84 85 86 87

Christian Horn (Hornius). Verwechslung mit Gottlieb Pelargus (Storch, 1605–1672). Frankfurt an der Oder. Christoph Pelargus (Storch, 1565–1633). Schweidnitz (poln. Swidnica). Johann Lucas (1602–1673), Vater von Friedrich Lucae. Friedrich Beckmann (Becmann, 1624–1667). Christian Beckmann (Becmann, 1580–1646). Christoph Masonius, Pseudonym von Christian Beckmann (Becmann). n.z.e. Georg Schröer. Grünberg (pon. Zielona Góra). Küstrin (Cüstrin, poln. Kostrzyn nad Odrą). n.z.e.

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Jeremias Felbinger88 von Brieg89 auß Schlesien, von dem bald mehrers melden werde, sich befanden. Herr Doctor Becmannus führete sonst bey der Mahlzeit gutte Discurse, allein man muste gewaltig wegen seiner heischern sprache die Ohren spitzen, manchmahl ward Er selbst über sich verdrüßlich und abrumpirte die Angefangene Erzehlung. Eben zu der Zeit langte auch Sein halbbruderh herr Johannes Christophorus Becman90 nus von seiner Peregrination an, ein mann von Ungemeiner Dexterität und Erudition, und trat auch in Unsern Tisch, itzund ist dieser Becmannus der Universität Franckfurt groses Ornament und schreibet viel Bücher: Seine Historia Orbis Terrarum, eiusdem Descriptio Universitatis Franckofurtanae, eiusdem Meditationes Politicae, et Lineae Doctrinae Moralis, eiusdem Dissertationes de Titulis, befindet sich in meiner Bibliotheca. Der Gutte herr Fridericus Becmannus trug auch ein Schweres hauß Creutz an seiner Ehefrauen,91 deß Alten Doctoris Bergii92 Tochter von Berlin, und muste Sie ihrer Tollheit halben in ketten schließen laßen. |182| Herr Johannes Waltherus Lesle,93 Sanctissimae Theologiae Doctor Dantisca94 nus und von Schotländischen Eltern daselbst gebohren, praesentirte eine Gravitätische Person und observirte wol die Grandezze; In Linguis Orientalibus excellirte Er vortreflich und brachte es in Theologie hoch; Demselben war mein Seeliger herr Vater95 sehr wolbekant, auch ich: Denn da ich noch in Brieg96 studirte im Gymnasio, kam Er einsmahls zu unß und begehr’te meiner Seeligen Frau mutter97 Schwester, Jungfer Sophia Margaretha Mücksin,98 zur Ehe, die bey unß in Tisch gieng und unter deß seeligen herren Vaters Vormündschaft stand; Sothanes vorhaben wäre auch zweiffels ohne zum Effect kommen, dafern die Jungfer nicht zu dem mahl wäre zu jung gewesen. Deßen ungeachtet ließ Er mich doch in allen stücken seine Affection genießen und bey öfterer conversation seine höfligkeit. Herr Elias Grebnitz99 auß Sachsen ist in seiner Jugend Lutherisch und ein Discipulus deß Lutherischen Pabsts zu Wittenberg deß Calovii100 gewesen; Nachgehends ist Er zu unß getretten und Professor zu Franckfurt101 worden. Man aestimirte ihn für h

Br vor halbbruder durchgestrichen.

188 189 190 191 192 193 194 195 196 197 198 199 100 101

Jeremias Felbinger (1616–1690). Brieg (poln. Brzeg). Johann Christoph Beckmann (Becmann, 1641–1717). Catharina Eleonora Beckmann (Becmann), geborene Bergius (1630–1667). Johann Bergius (1587–1658). Johann Walther Lesle (um 1625–1679). Danzig (poln. Gdańsk). Johann Lucas (1602–1673), Vater von Friedrich Lucae. Brieg (poln. Brzeg). Maria Lucas, geborene Mücks (Müks, Mücke, 1618–1666), Mutter von Friedrich Lucae. Sophia Margaretha Mücks (Müks, Mücke), Tante von Friedrich Lucae. Elias Grebenitz (Grebnitz, 1627–1689). Abraham Calov (Calovius, 1612–1686). Frankfurt an der Oder.

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einen gutten Theologum und Geschickten Philosophum,i wie wol ihm der Lutheranismus noch sehr anhieng, wie auß unterschiedenen Disputationibus zu sehen, die Er de Universalis gratiae Negatione Divinae geschrieben und selbte in meiner Bibliotheca in einem Volumine, deßen Titulus ist: Boecleri102 Sacrum Romanum Imperium, verwahre. Dieser hette zwar bey der Jugend ein mehres praestiren können, wenn Er nicht wäre zu nachläßig und zu stoltz gewesen, wie wol viel Wittenbergische Grobheit mit unterlief. Herr Johannes Simonis,103 Anhaltinus, praestirte zu der Zeit bey der Theologischen Facultät daß meiste: Er war von gar geringer und armseeliger Extraction und muste sich kümmerlich durchfreßen, biß Ers hier zubrachte und zu solchen Ehren gelangte: Seiner Fleißigkeit wegen liefen ihm die Studiosi sehr zu: Er machte sich an den Calovium zu Wittenberg und disputirte publicè und privatim wieder denselben. Wie es aber damit abgelauffen, habe bißher nicht erfahren mögen. Ob nun wol erzehlter maßen die Theologische Facultät an Gelehrten Professoribus keinen mangel hatte, dennoch lebten hier gar wenig Studiosi Theologiae, daher man im Sprichwort redete: Es wären zu Franckfurt ebenj so viel Professores Theologiae als Theologiae Studiosi. Die Juristische Facultät hatte schon grösern Zulauf und war ebenfals mit Vortreflichen Professoribus versehen. Herr Johannes Brunnemannus,104 Doctor, ein Weltberühmter Jurist, praesentirte eine kleine Person und war ein Altes Greißes kleines männlein, daß kaum über die Catheder sehen konnte, aber ein desto größer Gemüthe. Ich habe ihn etliche mahl disputiren hören, dabey Er nicht pflegte viel worte zu machen, sondern alles mit kurtzen, aber Nachdrücklichen worten und reden abfaßete. Dem zu gefallen kamen nach Franckfurt viel Candidati sich von demselben in Doctoralibus Honoribus promoviren zu laßen, dergleichen Actus hier selbst mit grosen Solennitäten celebriret werden, auch unterschiedliche gesehen habe. |183| Herr Doctor Fridericus Rhetius,105 Anhaltinus, kam in grose Consideration und legte sich mehrentheils auf daß Ius Publicum, darinnen Er auch den Brunnemann106 übertreffen solte. Bey seiner Erudition schiene Er etwaß stoltz zu sein und ambirte eine Churfürstliche Geheime Rhatstelle zu Berlin, die Er aber nicht erhalten konnte, weil Er, wie man sagte, den Baron von Schwerin,107 der damahls im Churfürstlichen hofe Praesident und daß Fac Totum war, samt dem Cantzler Fridrich von Jena,108 nicht zu i j

Th vor Philosophum durchgestrichen. mehr vor eben durchgestrichen.

102 103 104 105 106 107 108

Johann Heinrich Boeckler (Boeclerus, 1611–1672). Johann Simonis (1635–1698). Johann Brunnemann (1608–1672). Johann Friedrich Rhetz (Rhetius, 1633–1707). Johann Brunnemann (1608–1672). Otto der Ältere von Schwerin (1616–1679). Friedrich von Jena (1620–1682).

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Freunden hatte. Nach dieser beyder Absterben sol ihn der Churfürst zum Geheimen Rhat nach Berlin beruffen haben. Herr Doctor Joachimus Decherus,109 Bremensis,110 passirte für einen Gelehrten Juristen und verwaltete zugleich daß Bürgermeister Ampt der Stat Franckfurt111 rühmlich. Herr Doctor Philippus Jacobus Wolf,112 ein Märcker und Lutheraner, nahm sich wegen seines Alterthums der Profession wenig an: Er hatte numehro daß seinige gethan und profitirte selten, leb’te darbey sehr eingezogen und wartete seines haußwesens ab. Herr Doctor Samuel Strykius113 von Lentzen114 auß der Marck, herr Doctor Brunnemannus Eydam, war zwar nur Extraordinarius Professor, hatte aber bey den Studiosis einen grosen Applausum. Zeithero hat Er sich sehr mit seinen Scriptis heraußgesetzet und berühmt gemacht. Man sagte, daß Er samt seinem Schwieger Vater, dem Doctor Brunnemann, ein heimlich Eyfriger und Grober Lutheraner sein solte, wie solches auch auß dem Tractatu de Jure Ecclesiastico cum Strykii Supplementis in meiner Bibliotheca mit mehrerm kan ersehen werden. Herr Henricus Boots,115 Bremensis, profitirte den Junioribus die Institutiones und stand eben in keiner sonderlichen Renomèe. Allek diese benahm’te Doctores und Professores der Juristischen Facultät hatten nicht allein viel zu thun (wie wol nur theils davon) mit ihrem dociren, sondern daß anlauffen frembder Leute in rechtssachen und außländischer Schöppenstühle in peinlichen Processen, welche ihre Consilia desidirten, machten ihnen viel zu schaffen. In der Medicinischen Facultät docirten zween alte männer, Doctor Polysius116 und Doctor Ursinus,117 beyderseits Franckfurter und Lutheraner, von denen man hette sagen mögen, waß bey der oben gedachten Theologischen Facultät, daß so viel Studiosis Medicinae, so viel Professores Mediciniae in Franckfurt wären. Bey der Philosophischen Facultät mangelte es auch nicht an gelehrten Leuten, aber ofters an derselben Fleißigkeit. Es lebte hier der Berühmte Philologus und Historicus, als Professor Honorarius, herr Martinus Schoockius118 von Utrecht auß Holland, deßen sein Bildnüß und Curriculum Vitae und Bildnüß in meiner Bibliotheca in dem Buch in Folio, davon der Titel ist: Effigies et Vitae Professorum Academiae Groningae et Omlandiae, kann ersehen werden. k

Alld vor Alle durchgestrichen.

109 110 111 112 113 114 115 116 117 118

Joachim Decher (1614–1667). Bremen. Frankfurt an der Oder. Philipp Jakob Wolf (1604–1681). Samuel Stryk (1640–1710). Lenzen (Elbe). Verwechslung mit Daniel Boots († 1676). Melchior Polisius (1600–1671). Christoph Ursinus (1607–1676). Martin Schoock (Schoockius, 1614–1669).

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Er hielt privatim allerhand Collegia Politica, es wolte aber doch |184| nicht mit ihm so fort, als wie man in Aula Electorali Brandeburgica vermuthend war; Er solte Annales Marchicas schreiben, unterdeßen zanck’ten sich die Räthe zu Berlin darüber, weil ihm theils darzu die Archiven nicht wolten unter die hände darzugeben. Er concurirte auch wenig mit den andern Professoribus, weil Er den Vornehmsten den Rang disputirte. Herr Schoockius,119 deß alten Schoockii120 Sohn, profitirte Philosophiam Moralem, jedoch mehr privatim als publicè; Demselben kam daß disputiren sehr schwer an und machten ihm manchmahl die Studiosi seine Profession und Disputiren gar sauer und viel zu schaffen. Herr Doctor Risselmann,121 Bremensis,122 Orientalium Linguarum Professor, kam selten ans Licht, weniger auf die Catheder, also daß ihn gar schwerlich ein Studiosus, zu damahliger Zeit, wird profitiren oder disputiren gehört haben. Herr Doctor Buchius123 auß Anhalt war zwar ein Junger, aber sehr Geschickter Mann; Er inclinirte sehr zu der Carthesianischen124 Philosophie und profitirte privatim den Junioribus Metaphysicum et Logicam. Itzund ist Er Professor Theologiae Ordinarius in Franckfurt.125 Herr Johannes Placentinus,126 Bohemus, Mathematum Professor, sol in seiner Jugend statliche Specima Eruditiones von sich gegeben haben, aber weil Er mit den Böhmischen Närrischen Visionibus sein Gemüthe beschmitzte, ließ Er sich überreden, Er müste ein groser herr werden und die damahlige Princessin Elisabeth127 auß dem Churhause Pfaltz, Aebtissin zu Herffurt128 in Westphalen, heurathen, mit der Er Helden würde zeugen, die nicht allein daß Böhmerland, sondern gantz Europam überwinden und unter ihre Herrschaft bringen solten; Hierüber gerieth der Gutte Placentinus in Raserey und ernehrete in seinem hauße einen Alten 82 jährigen Alten ­Böhmischen Mann, der ihn mit ein paar höltzern schlägeln auf den tisch klappern muste, sich einbildende es wären ein paar keßelpaucken, dabey Er seine Tochter, ein mäglein von 10 Jahren mit goldenen ketten behieng und zum Tantz führete, gleichsam wäre es die Princessin Elisabeth. In solcher Tollheit erschoß Er auch einen Statlichen Studiosum,129 von dem bald außführlicher melden werde, worauf man ihn mit gewaltiger hand gefangen nehmen und in ketten und banden schließen ließ. 119 120 121 122 123 124 125 126 127 128 129

Isaac Schoock (Schoockius, 1650–1681). Martin Schoock (Schoockius, 1614–1669). Johann Risselmann (Rießelmann, 1630–1698). Bremen. Philipp Buchius (1639–1696). René Descartes (Cartesius, 1596–1650). Frankfurt an der Oder. Jan Kołaczek ( Johannes Placentinus, 1630–1683). Elisabeth von der Pfalz (1618–1680), als Elisabeth III. Äbtissin des Frauenstifts Herford. Herford. Johann Ziegler.

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Umb diese Zeit machte der Churfürst130 auch einen Newen Professorem Philosophiae, Hartnaccius131 genandt; Dieser Discipulus Calovii132 zu Wittenberg gieng von dar durch und begab sich zu Unserer Religion, in hofnung es solte ihm so wie dem Doctor Grebnitz133 gelingen, welches auch hette gescheen mögen; Allein Er Schwängerte ein Weibes Bild und ehe die Species an’s Licht kamen, schlug Er daß haasen Panier auf. Nach der gemeinen Rede sol Er ein Mönch worden sein. |185| Die Universität Franckfurt134 hat auch ihren besondern Syndicum und Secretarium, daß Syndicat bekleidete herr Doctor Lindholtz135 und daß Secretariat herr Lisberger,136 beyderseits Lutheraner. Unter den herren Studiosis lebten auf dieser Universität viel Doctor mäßige Leute und derselben Anzahl bestand mehrentheils in Juristen. Ein fürstlicher Rhat zu Lignitz137 bey dem Hertzog in Schlesien, Nahmens Werlienus,138 hatte dieser Universität ein groses Legatum vermach’t von 5000 Reichsthaler, deßen Capital der Hertzog139 zu Lignitz und Brieg140 zu seiner Kammer gezogen hatte, auch, laut des Testaments, jährlich 4 Arme Studiosos von den Interessen unterhielt, nemlich einen Theologum, Jure Consultum, Medicum und Philosophum und einem jeden 60 Reichsthaler zahlen ließ. Ein jeder genoß dieses Beneficium 3 Jahr, trug in der Summe einem jeden in dreyen Jahren 180 Reichsthaler. Der Hertzog elegirte hierzu keinen, sondern ließ die Competenten darumb loosen; Zum Exempel waren drey Competenten Theologi und loseten, so erhielt nur der jenige daß Beneficium, auf welchen daß Loß fiel, die übrigen giengen leer auß. Wie es itzo mit diesem schönen Beneficio gehalten werde, nach dem der kayer,141 und also die Papisten, daß Herzogthum ererbet, habe biß dato nicht erfahren können. Die Vornehmsten Studiosi, mit denen hier zu Franckfurt conversir’te, sind folgende: Herr Georgius Mylius142 auß Anhalt, numehro Churfürstlicher Rhat und Land Syndicus im Hertzogthum Cassuben. Herr Peter Schultz,143 Doctor, von Franckfurt Extraordinarius Professor und Syndicus der Stat Franckfurt. 130 131 132 133 134 135 136 137 138 139 140 141 142 143

Friedrich Wilhelm (1620–1688), Kurfürst von Brandenburg und Herzog von Preußen. Daniel Hartnack (1642–1708). Abraham Calov (Calovius, 1612–1686). Elias Grebenitz (Grebnitz, 1627–1689). Frankfurt an der Oder. Tobias Lindholtz. n.z.e. Liegnitz (poln. Legnica). Thomas Werlienus (1575–1645). Christian (1618–1672), Herzog von Liegnitz, Brieg und Wohlau. Brieg (poln. Brzeg). Leopold I. (1640–1705), römisch-deutscher Kaiser. Georg Mylius. Peter Schultz (1643–1698).

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Herr Wilhelmus Nüslerus144 von Brieg auß Schlesien, freyherrlicher Schöneichischer145 Secretarius zu Beuthen.146 Herr Christianus Eisenberger147 auß Anhalt, Berufener Reformirter Prediger in Moscovien, numehro zu Berlin. Herr Strimesius,148 Regiomontanus149 Borussus, Doctor Theologiae und anjetzo derselben Facultät Professor zu Franckfurt. Herr Georgius Schröerus,150 Grünbergensis151 Silesius, Advocatus zu Cüstrin152 und Doctor. Herr Joachimus Helcherus153 von Großglogaw154 auß Schlesien, Syndicus der Stat Anclam155 in Pommern. Herr Christophorus Freudenberg156 von Hirschberg157 auß Schlesien, Registrator der Hauptstatt Breslaw158 in Schlesien. Herr Abraham Buchwälder159 von Guben auß Lausnitz, Rathsverwandter zu Guben. Herr Diterici160 und herr Koberus,161 beyderseits von Görlitz auß Lausnitz und Gelehrte Männer, von welchen aber nicht erfahren können, wo Sie hinkommen und in der Welt geblieben sein mögen. Herr Marckmann162 von Zerbst auß Anhalt, Iuris Utriusque Licentatius, ist gestorben, von dem berichtet worden, daß Er eine von meiner Schwester163 Töchter in Berlin hette heurathen sollen. |186| Herr Johannes Ziegler164 von Lüben165 auß Lausnitz; Eben dieser ist der Oben

144 145 146 147 148 149 150 151 152 153 154 155 156 157 158 159 160 161 162 163 164 165

Wilhelm Nüssler (Nüßler). Schönaich, Adelsgeschlecht. Beuthen an der Oder (poln. Bytom Odrzański). Jakob Christian Eisenberg (1642–1702). Samuel Strimesius (1648–1730). Königsberg i. Pr. (russ. Kaliningrad). Georg Schröer. Grünberg (poln. Zielona Góra). Küstrin (Cüstrin, poln. Kostrzyn nad Odrą). Joachim Helcher. Glogau (Großglogau, poln. Głogów). Anklam. Christoph Freudenberg (1634–1706) Hirschberg (poln. Jelenia Góra). Breslau (poln. Wrocław). Abraham Buchwälder. Thomas Abraham Dietrich († um 1708). Johann Georg Kober (Koberus). Andreas Markmann († 1680). Maria Elisabeth (von) Schmettau, geborene Lucas (1641–1700), Schwester von Friedrich Lucae. Johann Ziegler. Lübben (Spreewald).

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Erwehn’te Ziegler, welchen der Rasende Professor Placentinus166 erschoß, mein Lieber Werther Freund. An einem morgen, da die Studiosi auß dem Juristen Collegio kamen und, der gewonheit nach, auf der Straßen etwa über’m hauffen stehen blieben, kom’t der Tolle Placentinus im blosen hembde für Seine Thüre gelauffen mit einem Fewer Rohr und schie’st auch augenblicklich unter den hauffen, diesen Ehrlichen Ziegler ins Knie deß rechten Bein’s treffende, welcher an dieser Verwundung, weil die kugel in der Knie Pfanne stecken blieb, sein junges hurtiges Leben in der besten hofnungs Blüthe denl 9. Tag aufgeben muste. Über Benahmte lebte auch hier in Franckfurt167 noch ein Landsmann von Brieg168 auß Schlesien, Jeremias Felbinger,169 eines Kürschners170 Sohn, welcher anfangs zur ­Bernstadt171 in Schlesien, nachgehends zu Cöslin172 in Pommern Cantor gewesen, aber an beyden Orten deß Socinianismi wegen außgebannet war. Mit diesem Felbinger hette die Universität ein groses versehen können: Denn Sie vertraute demselben alle Manuscripta deß Alten Doctoris Crellii,173 welcher Er ins rein abschreiben und zum druck geschickt machen solte, weil sonst Niemand deß Crellii hand so accurat lesen konte. Es wuste aber keiner von den Professoribus, daß dieser Felbinger so ein Gelehrter und Subtiler Socinianer wäre. Er gieng in Unsern Tisch bey dem herren Doctor Becmann174 und konte sich jedermann demüttigst accomodiren, Er gab auch etliche mahl mir, und ich ihm, die Visite. Einstmahls bot Er mir daß Novum Testamentum in Teutscher Sprache für das Timpleri175 Metaphysica zu vertauschen an, welchen wechsel auch auß Curiosität placidirte. Dieses Novum Testamentum hat Er als ein Gutter Graecus selbst vertiret und zu ­Amsterdam drucken laßen; In dem Er nun vermeynet, dem Grund Text mit der Version näher zu kommen, befindet man in demselben so viel Quinten zum Beweißthum der Socinianischen Lehre darinnen, daß einem darüber die haare gen Berge steigen über der Schändlichen Verfälschung der heiligen Schrift. Ich berichtete dieses Felbingers Beginnen meinem Seeligen herren Vater,176 welcher mich aber von deßen Conversation bey zeiten abmahnete, auch daß ich mich seinethall

auf vor den durchgestrichen.

166 167 168 169 170 171 172 173 174

Jan Kołaczek ( Johannes Placentinus, 1630–1683). Frankfurt an der Oder. Brieg (poln. Brzeg). Jeremias Felbinger (1616–1690). n.z.e. Bernstadt in Schlesien (poln. Bierutów). Köslin (poln. Koszalin). Johann Crellius (Crell, Krell, 1590–1633). Friedrich Beckmann (Becmann, 1624–1667) oder Johann Christoph Beckmann (Becmann, 1641–1717). Clemens Timpler (1563–1624). Johann Lucas (1602–1673), Vater von Friedrich Lucae.

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ben bey der Universität nicht etwa intriciren solte. Solchem Väterlichen Rath leistete gehorsam. Endlich hat die Universität selbst gemercket, nach meinem Abzug, waß an diesem mit dem Schafspeltz der Demutt bedeck’ten reisenden Wolf zu thun wäre, in dem Er sich gelüsten laßen die Jugend an sich zu locken, heimliche Versammlungen anzustellen, auch die Alten von dem Gottesdienst abzuhalten; Daher ihm nicht allein die Professores deß Crellii Scripta auß den händen gerissen, in denselben gleichfals vielerley Verfälschung befindende, sondern Er ist auß der Stat und dem Lande als ein geistiges unkraut getrieben worden. Daß Schädliche oder übel vertirte Novum Testamentum verwahre in meiner Bibliotheca. |187| Sonst können die Studiosi in Franckfurt177 wolfeil leben: Die Reichen gehen wochentglich in Tisch für 1 Reichsthaler aufs höchste und die Aermernm in die Communität für 1 Orthsthaler, wie wol sich auch zuweilen wol gar Edelleute der Communität bedienen: Denn man speiset ziemlich wol darinnen, weil der Churfürst178 für einen jeden Communitäter einen Orthsthaler zuleget und zahlet auß den Intraden deß Alten Minoriten klosters, worinnen die Communität gehalten wird. Die Communitäter haben zwar einen besondern Inspectorem, der genaw auf den Oeconomum achtung geben muß, damit die Speisen wol zugerichtet werden; Allein es lauft doch, so viel ich bemercket, da man mich pro Hospite führete, viel unordentgliches und unsaubers wesen mit unter. Daß Comportement der Studenten mit den Soldaten ist gar schlecht und der Commendant Obriste Plettenberg179 versetzte manchmahl einen gutten streich den Studenten und manchmahl die Studenten seinen Soldaten. Und diese händel liefen gemeiniglich für, wenn deß abends zur Winterszeit die Studiosi auß der Communität giengen. An einer Ecken der Stat bey dem Lebuser Thor stehet daß grose Collegium, an sich selbst ein groses gebäwde, und hat vor sich liegen einen weiten platz, darinnen im Collegienkeller Bernawer180 Bier verschencket wird. Inwendig praesentirte daß Collegium sehr schlecht. Im Auditorio Magno standen zwar etliche Bildnüße der Alten Churfürsten, aber daß war der Zierath alle, auser daß oben in der andern Wandelung die Bibliotheca in einem ziemlich grosen Saal zu sehen war, welche nachgehends mit der Pelargianischen181 Bibliotheca sol sein vermehret worden. Diese Bibliotheca ward wochentglich deß mitwochs den Studiosis eröfnet, welche auch gegen ein Revers, auf gewiße Zeit, darauß Bücher lehnen konten. m

Aermen vor Aermern durchgestrichen.

177 178 179 180 181

Frankfurt an der Oder. Friedrich Wilhelm (1620–1688), Kurfürst von Brandenburg und Herzog von Preußen. Johann von Plettenberg (1602–1675). Bernau bei Berlin. Christoph Pelargus (Storch, 1565–1633) oder Gottlieb Pelargus (Storch, 1605–1672).

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Gegen der Oder ligt daß Auditorium Juridicum und hat wenig Zierath, auch nicht gar zu grosen Raum. Imn übrigen kan der Universität Franckfurt Beschreibung außführlicher ersehen werden in deß Becmanni182 Operibus Politicis bey meiner Bibliotheca. Die Stat Franckfurt ist vor diesem eine grose handelstatt gewesen, darzu Sie der vorüberflüßende und biß an derselben Statmauern streichende Oderstrohm sehr bequem machte, aber itzund thut derselben der new gemachte graben, da man auß der Oder auf daß Stätlein Mühlrose und von dar in die Spree schiffen kan, grosen und mercklichen Abbruch und Schaden. In meinem grosen Volumine Geographico, darinnen die Tabulae Geographicae Germaniae verfaßet sind, kan man die eigentliche Situation diese new angelegten grabens sehen. Nach der Innerlichen Situation und Disposition ähnlichet Sie der fürstlichen Residentz Stat Brieg183 in Schlesien, meinem Vaterlande. Unter ihren Vornehmsten Palatiis scheinet daß Rhathauß herfür, samt dem Thurn mit der Uhr, worauf täglich musiciret wird. Rings umbher von außen stehen am Rathhause kramgewölber und inwendig findet man unterschiedene grose Säale, in welchen tuchmacher, kürschner, |188| Leinwadweber ihre Waaren feil haben. Der Magistrat ist mit dem Syndico Lutherisch, aber der Churfürst184 hat ihnen ­einen Reformirten Bürgermeister185 gesetzet. In der Stat haben die Lutheraner zwo Kirchen. Die Haupt Kirche ist ein altes mit zween hohen thürnen geziertes Gebäwde, groß und weitleuftig. Man findet in demselben noch viel papistisches Gauckelwerck von Götzen und Altaren, dabey die Lutheraner steif halten. In dieser Haupt Kirche predigen drey, in der andern Kirche aber zween Prediger. Die Universität hat eine besondere Reformirte Kirche, in welcher herr Doctor Lesle186 als Primarius und herr Licentiatus Fromholdo187 als Diaconus den Gottesdienst verrichtete. Von Bürgersleuten war Niemand unserer Religion zugethan, ohn allein die Universitäts Bedienten. Der Bürger häuser seind mehrentheils groß und hoch von steinen aufgeführet, darunter daß Sandreutersche hauß daß gröste zu sein scheinet, in welchem der Churfürst bey seinem hiersein logieret. Durch die Unerträgliche Contributionen werden diese gutte Leute sehr erschöpff ’t und arm gemacht; Und dafern Sie nicht daß wenige von den Studenten zu genießen n o

im vor Im durchgestrichen. als vor Fromhold durchgestrichen.

182 183 184 185 186 187

Johann Christoph Beckmann (Becmann, 1641–1717). Brieg (poln. Brzeg). Friedrich Wilhelm (1620–1688), Kurfürst von Brandenburg und Herzog von Preußen. Sigmund Schultze († 1678). Johann Walther Lesle (um 1625–1679). Matthias Fromhold († 1676).

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hetten, dörften Sie gewaltig crepiren. Die Contribution wird alhier über die maßen scharf eingefordert von den Soldaten, welche bey dem mangel deß geringsten hellers die Leute bald mit der Execution plagen, auch die Restanten werden gar hart zur Zahlung gezwungen. An der einen seiten deß marckt’s stand die hauptwacht und rings umb dieselbe her 24 geladene eiserne stücke, welches Ombragie gab, wenn man der Universität oder der Bürgerschaft nicht aller dings trauen wolte. Von seiten der Oder hat eben die Stat leichtlich keiner Invasion zu besorgen, über welche eine lange höltzerne Brücke gebauet ist, die gar leicht kan abgenommen werden. Es umbgibt auch die Stat eine Alte starcke mauer mit hohen thor und andern thürnen, davon theils gar zerschoßen und löchricht seind, von der Zeit an, da der König in Schweden188 die kayserlichen heraußgeschlagen, hat Sie die Stat nicht wieder repariren können auß mangel der Nöthigen Geldmittel. An eine jeden thor thurn hängt eine grose Keule und dabey ein Täfelein mit dieser überschrift allen Eltern zur Warnung: Wer seine Kinder bey Leben gibt all sein Brot und leidet hernach selber Noth. Den sol man schlagen mit dieser Keule todt. Vor einem jeden thor ligt ein Ravelin, die Wallgraben aber seind, wegen der höhe, ohne Waßer. Die Grose menge der Fische gibt dieser Stat, sonderlich dem Armuth darinnen, grose Lebensmittel, also daß man auf dem Fischmarckt täglich vor 2 Dreyer ein Gutte mahlzeit Fische kauffet. Umb die Stat liegen auch viel und grose Weinberge, darinnen Rother und Weißer wächst; Allein die gutten Leute können darauß wenig Profit machen, weil Sie denselben nicht verführen, sondern selbst außtrincken oder Essig darauß machen müßen. Vor dem Gubnischen thore hat die Universität auß dem Alten Cartheuser kloster eine mayerey, oder Vorwerck, gemacht, hält darauf einen Verwalter und schöpffet ­g utten Nutzen auß dem Bierschanck. |189| Zeit meines hierseins entstand an einem mittag umb 12 Uhr, ohnfern meinem Quartier, ein Unversehene Fewersbrunst in eines Schmieds hause und legte in etlichen Stunden über 60 grose häuser in die Asche. Bey solcher gefahr zauderte ich nicht lange, sondern brachte zeitlich meine Bücher in sicherheit. Eben an demselben tage kam herr Heinrich Schmettaw,189 mein Schwager, mit seiner Frauen,190 als meiner Schwester, und der sämtlichen Familie alhier auf der Oder zu Schiffe an auß Schlesien, welcher nach dem Er von seiner Superintendentz Administra-

188 189 190

Gustav II. Adolf (1594–1632), König von Schweden. Heinrich (von) Schmettau (1629–1704), Schwager von Friedrich Lucae. Maria Elisabeth (von) Schmettau, geborene Lucas (1641–1700), Schwester von Friedrich Lucae.

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tion in Lignitz,191 davon die Uhrsachen in dem Ersten theil angewiesen worden, Beurlaubung erhalten, zu Berlin Promotion suchende. Er bestand auf eine zeitlang zu Franckfurt192 daß Brunnemannische hauß, neben dem herr Doctor Becmann193 nahe an der Oder gelegen. Als Er nach Berlin reisete, bat Er mich, daß ich zu der Frau Schwester einziehen möchte, derselben biß zu seiner Wiederkunft in ihrer Einsamkeit und in diesem Frembden Ort ihr Geseelschaft zu leisten, welches mir auch gefallen ließ und ihm gratificirte; Ich fiel aber in diesem hause in eine Wunderbahre kranckheit und solte, wie man mich hernach berichtete, gleich den Lunaticis oder mondsüchtigen, deß Nachts biß auf den Obersten Boden gestiegen sein und gewandelt haben. Deß morgends, nach wieder zu mir selbst kommen, befand ich mein angesicht gantz keßelschwartz und braun von dem aufgestiegenem geblüte zu sein; Daher consulirte augenblicklich einen gutten Medicum, Doctor Gottlieb,194 welcher mir in dem lincken Arm die Ader springen ließ und nechst Gott mir zu voriger gesundheit und gestalt deß angesichts verhalf. Herr Heinrich Schmettaw machte es nicht lange in Franckfurt, sondern bey seiner Rückkunft von Berlin reisete Er mit der gantzen Familie hienüber. Ich aber miettete mir ein ander Logiement und continuirte den Tisch bey herr Doctor Becmann. Weil ich aber die Haupt Vestung Cüstrin195 gerne gesehen hette, so reisete ich in der Wochen nach Martini mit herren Ziegler,196 welchen herr Professor Placentinus197 erschoßen, und herr Timotheo Felino,198 Lesna199 Polono, meinem Gewesenen Condiscipulo zu Brieg,200 der gleichfals kurtz hernach in Schweden jämmerlich ertruncken in der See, vergesellet hienüber, sind drey meil weges von Franckfurt. Wir passirten durch daß Dorf Lebus, alwo zwar ein Ampthauß, aber keine Stat, wie etliche Geographi fabuliren, mehr zu sehen ist, wie wol Lebus vor Zeiten ein Bischthum sol gewesen sein. Man komt hinter diesem Dorf bald auf einen sehr langen Thamm, welcher über 30 Brücken und zu beyden seiten lauter morast liegen hat. Die Gegend dieser Orten ist auch gantz gleich und eben biß für die Vestung Cüstrin. Eine halbe meile von Cüstrin stehet schon auf diesem Thamm ein Wachthauß stets mit Soldaten besetzet. Bey Annäherung der Vestung arrivirten wir zu dem außen oder horn Werck, disseits der Oder vor der Brücken gelegen, und passirten durch dasselbe auf die Grose Oder Brücke, welche von holtz erbauet, so daß man Sie bald abwerffen kan.

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Liegnitz (poln. Legnica). Frankfurt an der Oder. Friedrich Beckmann (Becmann, 1624–1667). n.z.e. Küstrin (Cüstrin, poln. Kostrzyn nad Odrą). Johann Ziegler. Jan Kołaczek ( Johannes Placentinus, 1630–1683). Timotheus Felin (Felinus, † um 1667). Lissa (poln. Leszno). Brieg (poln. Brzeg).

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Jenseit der Brücken ligt noch ein gröser hornwerck, welches man aber zur lincken seiten liegen läst, und nahe vorbey über ein Ravelin und auß |190| demselben wieder über eine Brücke, durch ein starck gewölbtes haupt thor, daß Lange Thammthor genandt, passiret. Man recommendirte unß ein Guttes Quartier bey dem Stat Wachtmeister und trafen alda an deß dasigen Gouverneurs und Generals herrn Grafen von Dohna201 Secretarium,202 mit dem wir in Conversation geriethen und der unß auch gutte Addresse gab, die Vestung203 zu besehen. Alhier predigen die Lutheraner in der Stat Kirche, in welcher etliche fürstliche Begräbnüße stehen, auch sonst allerhand Götzenwerck. Nechst derselben ligt daß Churfürstliche Schloß, jedoch mit einem truckenem Graben von den Bürgerhäusern geschieden. Inwendig im Schloß ist ein kleiner hof, von dar gehet man in die Cantzeleyen und Rentkammern und dan die Stiegen hienauf in die Churfürstlichen Zimmer, sonderlich auf den grosen Saal, auf welchem herr Joachimus Mencelius,204 Hofprediger, predigte und auch zugleich die Cantorey verwaltete bey dem Gottesdienst: Denn die Gemeine bestand damahls kaum in 20 Personen, darunter der herr von Brandt205 und der herr von Born,206 beyderseits Regierungs Räthe, die Vornehmsten waren, samt dem Vice Commandanten.207 Mitten in der Vestung stehet ein Schöner Groser Marcktplatz und feines Rhathauß, wie auch die gemeinen Bürgerhäuser von steinen zierlich, aber nicht gar hoch gebauet sind. An der seiten deß Schloßes bey dem Garten stehen zwey Grose Zeughäuser, welche mit einer grosen anzahl Schwerer Canonen, doppel Carthaunen, Carthaunen, Feldschlangen, Grosen Böldern und Fewermörsern, Granaten, Doppelhacken, Musquetten, Küraß und vielen andern zurp Defension und Außrüstung einer Armee herrlichen Waffen angefüllet seind, und zwar alles in groser menge. Hinter diesen Gewaltigen Zeughäusern unten an dem Wall stehet daß Grose Gießhauß, daß Laboratorium der Fewerwercker etc. und vielerley verfertigte kriegs Praeparatoria. An der andern seiten der Vestung sind die Grosen Proviant und Munition häuser mit unglaublicher menge Proviants von allerhand Früchten beschüttet, samt allem Zugehör; Unter denselben gibt es gewaltige Gewölber und keller, ebenfalls mit aller Nothwendigkeit versehen.

p

Rü vor zur durchgestrichen.

201 202 203 204 205 206 207

Christian Albrecht von Dohna (1621–1677). n.z.e. Küstrin (Cüstrin, poln. Kostrzyn nad Odrą). Joachim Mencel der Jüngere (Mencelius, 1616–1673). Eusebius von Brandt (1642–1706). Karl Hildebrand von dem Borne (Born, um 1630–1709). Otto der Ältere von Schlabrendorf (Schlabrendorff, † 1672).

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Für die Verstorbenen hat man auch an dem Wall in der Vestung ein Begräbnüß, dabey eine kleine Capellen gebauet ist. Nach Besichtigung des Inwendigen vergünstigte man unß auch die Besichtigung der Fortification. Die gantze Vestung ligt in der Vierung, doch etwaß länglicht, und hat 51 haupt ­Bastions mit sehr hohen Cavallieren oder Katzen, sonderlich hat die Bastion an der langen seiten einen Unvergleichlichen hohen Cavallier, und zwar von steinen aufgeführet und mit Erden außgefüllet, von dem man über die gantze Vestung schießen und dieselbe defendiren kan. Zwischen diesen Bollwercken sind die Gemauerten Courtinen sehr breit von lauter gebackenen steinen mit unterschiedenen starcken absätzen anstat der streichwehren, daran die Brustwehren über 15 Werck Schuch dicke seind, welche Dicke aber auf anordnung deß General Grafen von Dhona biß auf zwo Ellen abgenommen worden, damit man desto beßer von dem Wall in die Oder hienabwerts sehen könte; Wie |191| wol kluge Mathematici solches improbiren wollen. Die Starcken Wälle und Bollwercke seind alle hohl und gewölbet, in welchen Gewölbern allerhand Munition, kugeln, handmühlen und anderer Vorrath verwahret wird. Anstat der Waßergraben hat die Stat208 lebendiges Waßer: Denn Sie ligt recht in der Ecken, wo die Warte in die Oder fält, da dan beyderseits breite ströhme an die hohen gemauerten und gleich aufgeführten Wälle anschlagen. Auch die Warte, in dem Sie sich mit der Oder vermischet, umbfängt zur rechten die Stat mit einem arm, nemlich zur seiten gegen die Newe Marck, und erfüllet die Wallgraben mit Waßer. Hinter dem Schloß gehet man unten durch den Wall an die Oder an eine kleine Brücke, an welcher etliche kleine Waßer mühlen liegen, ohne daß die Wälle rings umb die Vestung mit Wind mühlen besetzet sind. Auß der Vestung gehet zwey haupt Thore. Vor dem kurtzen Thamm Thor ligt auch ein Ravelin und hinter demselben ein hornwerck mit Waßer umbgeben. Es hat die Vermischung der Oder mit der Warte etwaß merckwürdiges, in dem man beyde ströhme einen gutten strich lang von sammen unterscheiden kan, die Oder an ihrer Schwartzen und die Warte an ihrer Gelben Farbe. Damahls war Vice Commandant in Cüstrin der Obriste Schlebberndorf209 Reformirter Religion. Dieser beydes von Natur als kunst unvergleichliche Vestung wird nicht bald ein Feind schaden können; In dem derselben wegen deß auf anderthalb meilen rings herumb stehenden Sumpffes und moraßes nicht wol beyzukommen ist. Wir divertirten unß hier fast drey Tage und giengen hernach mit gutter Vergnügung wieder nach Franckfurt,210 unß glückseelig schätzende, diese Weltberühmte Vestung gesehen zu haben.

208 209 210

Küstrin (Cüstrin, poln. Kostrzyn nad Odrą). Otto der Ältere von Schlabrendorf (Schlabrendorff, † 1672). Frankfurt an der Oder.

[XV.] Friderici Lucae Reise von Hamburg in die Marck Brandeburg und Studia zu Franckfurt an der Oder

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Auf dieser Rückkehr von Cüstrin nach Franckfurt übernachteten wir zu Golitz211 im Ampt Lebus bey dem Pfarrer, herr Ditrich212 genandt, einem Schlesier von Trachenberg.213 Dieser Dietericus hatte lebenslang nicht Theologiam studiret, sondern war vorhabens zu Franckfurt in Jure sich zu perfectioniren; Weil Er aber wenig mittel vermochte und auß mangel derselben sich nicht lange auf der Universität zu leben getrauete, verband Er sich Ehelich mit deß Pfarrers214 Tochter215 und simulirte, als wenn Er Theologiam studiret hette, excercirte sich auch etliche mahl im Predigen; So bald nun der Alte Pfarr und Vater starb, succedirte Er demselben im Officio. Denn die Lutherischen Pfarren in der Marck Brandeburg genießen dieses Beneficium, daß wenn ein Qualificirter mensch etwa eines Predigers Tochter heurahtet, so kan Er nach Absterben deß Vaters daß Pfarr Ampt erhalten, darzu ihm selbst daß Consistorium beförderlich ist, insonderheit dafern die Gemeine vor ihn intercediret, gleich wie vor diesen herr Ditrich die Gemeine zu Golitz gethan hatte. |192| [XVI.]a Friderici Lucae Reise von Franckfurt an der Oder1 nach Brieg2 in Schlesien.b Ob ich nun wol gäntzlich resolvirte diesen Winter über in Franckfurt zu verbleiben, so fügte es doch Gott weit anders, darzu Er zum Mittel verordnete eine nach Brieg in Schlesien gantz leedig zurückkehrende Kutsche, oder Landkutsche (ist einer bequemer mit tuch bedeckter Wagen). In ansehung dieser gutten gelegenheit, die mir sonst dieses Ortes nicht so leichtlich hette mögen vorstoßen, bediente mich derselben und reisete damit von Franckfurt, den 29. November Anno 1667, ab,c wie wol nicht ohne mißrathen gutter Freunde, wegen der damahligen eingefallenen heftigen Winter kälte. 1 Frankfurt an der Oder. 2 Brieg (poln. Brzeg).

211 212 213 214 215

Gohlitz (poln. Górzyca). Thomas Abraham Dietrich († um 1708). Trachenberg (poln. Żmigród). David Rhadion († 1695). n.z.e.

a b c

Zählung des Kapitels abgeändert. Ursprünglich als XI. aufgeführt (vgl. 200 Anm. a). Die Groß- und Kleinschreibung von FRIDERICI LUCAE REISE von FRANCKFURT an der ODER nach BRIEG in SCHLESIEN zu Friderici Lucae Reise von Franckfurt an der Oder nach Brieg in Schlesien vereinheitlicht. von Franckfurt vor ab durchgestrichen.

1 2

Frankfurt an der Oder. Brieg (poln. Brzeg).

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Friderici Lucae eigentgliche Lebens und Totdes Geschichte

Vor allen Dingen valedicirte den herren Professoribus, herrn Doctor Pelargo,3 herrn Doctor Lesle4 und herrn Doctor Becmanno,5 meinem Tischwirth, wie auch meinen lieben Conversations Freunden, welche mich biß fürs thor mehrentheils begleiteten. Meine Reise Geseelschaft bestand nur in etlichen Personen von geringer Condition, jedoch empfieng ich von derselben, als der Principaleste auf dem Wagen, mancherley aufwartung und bedienung, sonderlich deß abends in den Wirthshäusern. Beydes, die grimmige kälte und der Tiefe Schnee, der sich noch täglich vermehrete, ließen unß deß tages kaum drey meilen reisen. Deß andern tages mittag’s kamen wir in die Stat Crossen,6 sechs meilen von Franckfurt gelegen, und fanden bey einem Alten Ratsherren, auf dem marckt dem Rhathause gegen über, eine gutte herberge, samt aller Bequemligkeit, welche die halb erfrorenen aufmuntern kan, und verharreten auch denselben Tag und Nacht alda. Crossen ist sonst ein Ziemlicher, an der Oder gelegener, Nahrhafter Ort, darinnen die Bürgerschaft Lutherisch ist, auch zu ihrem Gottesdienst eine Grose Kirche hat. Daß Churfürstliche Schloß, worauf gemeiniglich die Churfürstlichen Witwen ihren Witwen Sitz halten, ligt etwaß durch eine Fortification von der Stat abgesondert und desselben Cantzeley Regierte, zu der Zeit, der Churfürstliche Landverweser herr Fridericus von Marwitz,7 deßen sein herr Vater8 bey dem Hertzog9 zu Brieg war fürstlicher Rath gewesen, der herr Landverweser aber meines Seeligen herren Vaters10 Discipulus im Briegischen Gymnasio. Weil mir die Veränderung der kleidung auf dieser Reise sehr verdrüßlich fiel, konte ich diesem herren die Visite nicht geben, der mir sonst hohe Ehre, wegen meines Seeligen herr Vaters, ohnfehlbarlich würde erzeiget haben als desselben erkäntlicher gewesener Discipulus. |193| Auf dem Schloß haben die Reformirten eine besondere Kirche, in welcher herr Thilmeyer11 predigte, deßen Sohn12 für etlichen Jahren bey mir hier zu Cassel13 war, deß Chur Brandeburgischen Obristen und Commendanten14 Sohn15 zu Magde-

13 14 15 16 17 18 19 10 11 12 13 14 15

Gottlieb Pelargus (Storch, 1605–1672). Johann Walther Lesle (um 1625–1679). Friedrich Beckmann (Becmann, 1624–1667). Crossen an der Oder (poln. Krosno Odrzańskie). Verwechslung mit Hans Dietrich von der Marwitz (1609–1680). Friedrich von der Marwitz († nach 1642). Johann Christian (1591–1639), Herzog von Liegnitz, Brieg und Wohlau. Johann Lucas (1602–1673), Vater von Friedrich Lucae. Friedrich Thulemeyer (Thulemeier, Thulmeier, † um 1688). Friedrich Wilhelm Thulemeyer (Thulemeier, Thulmeier, 1650–1708). Kassel. Isaak du Plessis-Gouret (1637–1688). Friedrich Wilhelm du Plessis-Gouret (G um 1670) oder Lorenz Christoph du Plessis-Gouret (G um 1672).

[XVI.] Friderici Lucae Reise von Franckfurt an der Oder nach Brieg in Schlesien

285

burg, herren de Plessis, als Informator bedienende. Die Gemeine bestand auch kaum in 20 Personen. Auf dem marckt stehet daß Rhathauß und umb dasselbige einige feine Bürgerhäuser. Man kan sonst hier wolfeil leben wegen deß Überflußes der Victualien. Die Einwohner machen sich bey ihrem Roten Landwein lustig, sauffen aber von der Zeit mit diesem kalckichten Getränke Podagra und Stein in hals. An der Fortification ist nichts sonderliches. Daß Fürstenthum Crossen, von deßen Hauptstatt Crossen es den Nahmen führet, hat einen kleinen umbfang, nicht mehr als dieses Crossen und noch zwey andere Stätlein, Zülch16 und Bobersberg,17 in sich begreifende. Vor alten Zeiten gehörete es zu Schlesien immediatè, numehro aber stehet es unter der Souverainität deß Churfürsten zu Brandeburg. Von hier kamen wir in die kayserliche Erblande, nemlich in Nieder Schlesien, und zwar anfangs in daß Glogawische18 Fürstenthum, geriethen aber auf sehr gefährliche Irrwege, weil die Straßen und Bahnen der Tiefe Schnee gäntzlich bedeckte. Ofters musten wir allerseits hand anlegen und Pferde und Wagen mit Schauffeln und Spaden, welche der Kutscher in Franckfurt19 sorgfältig beygeschaffet hatte, herauß arbeiten helffen, darbey wir für dem Einfall der Wölffe nicht gar sicher waren, welche sich in diesen gegenden häuffig aufhalten, auch sich grausam umb unß herum hören ließen. Einsmahls brachten wir fast den gantzen tag mit solcher arbeit zu biß in die finstere Nacht, unwißende an welchem Ende der Welt wir schwebeten, endlich höreten wir die Glocke 12 Uhr schlagen und konten solchergestalt den Schluß machen, entweder ­einem Dorfe oder Stat nahe zu sein. Ich gestehe, daß mich bey so gestalten sachen und gefährlichkeiten die angetrettene Reise sehr gerewete und and daß Wiederrathen der herren Franckfurter Freunde ofters denckende. Als aber der mond begunte etwaß herfür zu schimmern, wurden wir gewar, daß wir bey einem Hochgerichte standen und daß alles, hinter und vor unß, mit Schnee bedecket wäre; Dieser Zustand veruhrsachte tausendfachen kummer: Denn obschon unß die Arbeit in abweltzung deß Schnees ein wenig erwärmete, so zwang unß doch die müdigkeit wieder zu ruhen, und in dem wir ruheten, vergieng unser Natürliches Fewer gar bald und ward von der heftigen kälte überwunden. Wie gerne wir auch ein kohlfewer gemachet hetten, ließ der mangel der nöthigen materialien nicht zu. Und welches daß Aergste war, so entstunden zwischen dem kutscher und dem Wagen knecht grose Zanckhändel, daß Sie auch einander etlichemahl

d

daß vor an durchgestrichen.

16 17 18 19

Züllichau (poln. Sulechów). Bobersberg (poln. Bobrowice). Glogau (poln. Głogów). Frankfurt an der Oder.

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Friderici Lucae eigentgliche Lebens und Totdes Geschichte

jämmerlich zerschmießen, ja gar einander den todt drewende, also daß ich meines theils gnugsam zu schaffen hatte, beyderseits Tolle Narren zu besänftigen. Weil es dan in solcher kälte unter freyen himmel länger zu subsistiren mir unmöglich fallen wolte, so faste die Resolution und nahm’ eine Schüppe oder Spade in die hand, in dem sich der mond in länger in mehr herfür that, und gieng mit dem einen Reise Gefehrten, wie wol im Schnee biß an den Unterleib, allzeit vorwerts füllende, wo |194| etwa tiefe mit Schnee bedeckte gefährliche gruben sein möchten; Weil nun nirgends den Schnee tiefer befand, krappelte ich gleiches weges fort und erblickte in solchem recognosciren ein Licht, welchem folgete, auch endlich einige garten Zäune und häuser. Meinem Bedüncken nach bin ich fast auf der Offenbahren See nicht solchen Aengsten gewesen als auf diesen Irrwegen. Und da mich alhier die müdigkeit übereilen wolte, auch einige umb die häuser mit Schnee bedeckte Graben und Gruben besorgete, fieng ich an umb hülffe zu ruffen, da dan nach vielem ruffen mir die Leute antworteten, nach meinem Begehren fragende? Ich rief ihnen deutlich unsere Noth zu, beye versprechung eines gutten Trinckgeldes im Fall Sie mir zu kommen und den weg zeigen würden, welches Sie auch trewlich thäten. Ich samt dem Reise Gefehrten, der ein Schneider war, ließen unß in die warme stuben führen und erfuhren, daß wir für Grünberg20 in der Vorstatt wären, erhielten auch durch unser Bitten, daß der Mann deß hauses hienauß gieng und den kutscher, samt Wagen und Pferde, zu unß auf den rechten Weg brachte. Die Leute konnten sich nicht gnugsam verwundern, wie wunderlich unß Gott müste behüttet haben in ansehung der gefährlichen gruben, darein wir gar leichtlich hetten gerahten und fahren können. Noch dieselbe Nacht, für den morgen, weil wir die gutten Leute nicht ferner beunruhigen wolten in ihrem kleinen häußlein, zeig’ten Sie unß die herberge und konten wegen der darinnen Logierenden Soldatenf kaum einkommen und wie sehr auch unsere Abgemattete Leiber und Leere magen auch hungerte, wolte man unß doch nicht daß geringste stücklein Brots verabfolgen laßen, außer einem Trunck Brandtwein auf vieles Bitten. Die Pferde musten gleichfals fasten, daß Beste war die warme stuben. Deß morgends mit dem thor aufschließen gieng ich in die Stat Grünberg, daß Vaterland herren Doctoris Abrahami Sculteti,21 Chur Pfältzischen gewesenen Hofepredigers und Hochverdienten Theologi umb unsere Reformirte Kirche, und hohlete meinem hungrigen magen daß morgen brot.

e f

und vor bey durchgestrichen. Soldaten vor Soldaten durchgestrichen.

20 21

Grünberg (poln. Zielona Góra). Abraham Scultetus (1566–1624).

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[XVI.] Friderici Lucae Reise von Franckfurt an der Oder nach Brieg in Schlesien

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Vor diesem war dieser Ort gantz Lutherisch, aber durch deß Grafen von Dohna22 Deformation, gleich andern kayserlichen Stätten in Schlesien, ist Er päbstisch gemacht worden. Die übrigen Lutheraner bedienen sich in dem Crosnischen Fürstenthum der Kirchen. Auser der grosen Kirche, samt dem Rhathause, wobey ein Zierlicher Thurn mit einer Schönen Schlag Uhr stehet, siehet man wenig sonderliches in dem Stätlein, deßen Inwohner sich mehrentheils von der Wollentuchmacherey ernehren. Umb die Stat, von außen, gibt es auch viel Weinberge, tragen aber saure Beeren. Die Stat umbschleust auch eine mauer und ist die Hauptstatt deß Weichbildes von 30 bis 40 Dorfschaften, ins Glogawische Fürstenthum gehörende, von welchem Fürstenthum in dem Ersten theil weitleuftige meldung gescheen ist. |195| Von Grünberg23 gieng nun unsere Reyse ferner fort und zwar etwaß glückseeliger über Wartenberg,24 daselbst die Jesuiten ein Schönes Collegium haben, item über New Saltz,25 woselbst eine kayserliche saltzsiederey ist, item über New Stätlein, item über Bolckowitz,26 Lüben,27 Parchwitz,28 Neumarck,29 Lissa30 und endlich nach Breslaw,31 30 Meilen von Franckfurt32 gelegen, welche Stätte allerseits in dem Ersten theil gleichfals beschrieben worden. Waß für Kälte und Verdruß bey der damahligen harten Winters Zeit außstehen müßen, kan nicht satsam meine Feder beschreiben und halte gäntzlich darfür, daß mir meiner gesundheit, sonderlich deß Füßen, grosen Schaden zugefüget habe. Zu Breslaw munterte mich etliche tage ein wenig auf und thät meinen Freunden und Bekanten, sonderlich von der Schmettawischen33 Familie, meine ankunft kund und bewilkommete mich mit denselben, welche sich höchst verwunderten über meine abgelegte Reise bey der grimmigen kälte. Deß dritten tages reisete mit der Ordinairen Landkutsche nach Brieg34 in mein Liebes Vaterland, daraußg ich für 6 Jahren gegangen war.

g

†...† vor darauß durchgestrichen.

22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34

Karl Hannibal von Dohna (1588–1633). Grünberg (poln. Zielona Góra). Deutsch Wartenberg (poln. Otyń). Neusalz an der Oder (poln. Nowa Sól). Polkwitz (poln. Polkowice) Lüben (poln. Lubin). Parchwitz (poln. Prochowice). Neumarkt in Schlesien (poln. Środa Śląska). Deutsch Lissa (poln. Leśnica). Breslau (poln. Wrocław). Frankfurt an der Oder. Schmettau, Familie. Brieg (poln. Brzeg).

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Friderici Lucae eigentgliche Lebens und Totdes Geschichte

[XVII.]a Friderici Lucae Wiederkunft zu seinen Eltern und in sein Vaterland nach absolvirten Studien.b Nach dem Mein Seeliger herr Vater1 und frau mutter2 deß tages vorhero Meine Ankunft in Breslaw verstanden hatten, erwarteten Sie selbigen tages meiner mit Verlangen. So bald ich von dem Kutschen abstieg, empfiengen mich diese, meine Liebe Eltern, in vollen Freuden mit reichen Liebesküßen. Mein Seeliger herr Vater steck’te mir augenblicklich, zum merckmahl seiner ­hertzens Freude, einen Schönen Newen Goldenen Pitschier Ring, mit einem Ametist, darein daß Wapen samt meinem Nahmen gestochen war, in Finger und führete mich unten in die Speise Stuben und speiseten daß Abendbrot mit einander in hertzlicher Fröligkeit. Den Ring habe nach der Zeit, den Bindfaden auf eine Schachtel siegelnde, zerbrochen, sonderlich den Stein gänztlich verderbet. |196| In dem Grosen Weitleuftigen Rectorat hause räumete mir der herr Vater3 ein Schön, lustiges, Musaeum ein und gab mir alle seine Theologische Bücher. Bey diesen meinen Lieben Seeligen Eltern hette ich recht vergnügt leben können, dafern nicht meiner Schwester4 Aelteste Tochter, Anna Sophia,5 ein Unbändiges und Unerzogenes mägdlein von 11 Jahren, welche numehro zu Berlin verheurathet lebet mit einem Advocaten, Crusius6 genandt, mich manchmahl bey der frau mutter7 angegoßen und Verdruß und Wiederwertigkeit erwecket hette: Denn weil die frau mutter diese Anna Sophia von kindes beinen an als ihr leibliches kind auferzogen hatte, schiene dieselbe an ihr hertz gebunden zu sein; Daher überhob sich daß mägdlein und mißbrauchte ihrer Großmutter hulde und stiftete, wie gesagt, viel böse händel an und dorfte wenig Bestrafung oder Verweisung ihrer Laster wegen befürchten. Ich bemerckte auch die Vielfaltigen Veränderungen, welche sich binnen Zeit meines abwesens, so wol in Ecclesiasticis als Politicis, vorgelaufen waren.

a Zählung des Kapitels abgeändert. Ursprünglich als XII. aufgeführt (vgl. 200 Anm. a). b Die Groß- und Kleinschreibung von FRIDERICI LUCAE WIEDERKUNFT zu seinen ELTERN und in sein VATERLAND nach ABSOLVIRTEN STUDIEN zu Friderici Lucae Wiederkunft zu seinen Eltern und in sein Vaterland nach absolvirten Studien vereinheitlicht. Nach STUDIEN von fremder Hand 1667 vermerkt.

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Johann Lucas (1602–1673), Vater von Friedrich Lucae. Maria Lucas, geborene Mücks (Müks, Mücke, 1618–1666), Mutter von Friedrich Lucae. Johann Lucas (1602–1673), Vater von Friedrich Lucae. Maria Elisabeth (von) Schmettau, geborene Lucas (1641–1700), Schwester von Friedrich Lucae. Anna Sophia (von) Schmettau (1658–1723), Nichte von Friedrich Lucae. Wolfgang Friedrich Krause (Crusius, † 1706). Maria Lucas, geborene Mücks (Müks, Mücke, 1618–1666), Mutter von Friedrich Lucae.

[XVII.] Friderici Lucae Wiederkunft zu seinen Eltern und in sein Vaterland nach absolvirten Studien

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Hertzog George8 war Todt und regier’te numehro Hertzog Christian,9 wie wol mehr sein Gemahlin Louise,10 nebst dem Obermarschall und Landeshauptmann Freyherren von Lilgenaw,11 als Er Selbst. Auch sonst hatten viel Bedienten und Freunde bey Kirchen, Rathshäusern, bey dem hofe und Gymnasio der Welt gutte Nacht gegeben, welche nicht mehr antraf und derer Aempter und Stellen albereit andere bekleideten. Es ist jederzeit gefährlich in den Fürstlichen und Groser herren höfe im Fall unter dero Bedienten, sonderlich Vornehmsten Ministeria, Factiones herschen, denn der Dritte muß gemeiniglich dabey leiden: Maßen wendet Er sich schon zu dieser Parthei, so hat Er jene zum Feinde, und wendet Er sich zu jener, so hat Er diese zum Feinde und so fort an. Unter den Räthen und Hohen Ministris deß Fürstlichen Briegischen12 hofes gab es gewaltige Jalousien und stets heimlichen Zwiespalt. Damit ich nun nirgends möchte anstoßen, bewarb ich mich weder umb dieses noch umb eines andern Gunst; Unterdeßen, wie klüglich auch zu politisiren vermeyn’te, konte ich doch nicht der Gefahr entgehen. Mein Seeliger herr Vater und frau mutter trug ein heftiges Verlangen, mich einmahl predigen zu hören. Nun erachtete es ohnedaß meiner Schuldigkeit zu sein, mich hören zu laßen und dadurch meine Liebe Eltern zu erfreuen; Allein wie ich es anstellen solte, war die Frage? Der damahlige Superintendens und Ober Hofeprediger Herr Johannes Gualtherus Biermannus13 war ein Mann von groser Authorität, welchen jedermann mehr fürchtete als liebte: Hingegen lag bey dem Hertzog und der Hertzogin der andere Hofeprediger, herr Christianus Ursinus,14 im Gnaden Schoß und konte, wann Er wolte, einen bald helffen, aber auch schaden. Diese, beyderseits Vornehmsten Theologi, leb’ten in offenbaren |197| Mißverständnüßen und Zänckereyen und hassete dieser deß andern und der ander dieses Adhaerenten und Creaturen. Bey so gestalten sachen wuste ich nicht zu wem ich mich halten solte, gedachte es aber auf beyden seiten zu versuchen. In dem mich nun am ersten bey dem herren Superintendenten15 insinuirte, welcher mir selbst die Cantzel anbot, verstellete der herr Hofeprediger Ursinus16 sein angesicht gegen mich, als ich aber gleichfals desselben Gewogenheit suchte, machte der Herr Superintendens Scheele augen.

18 19 10 11 12 13 14 15 16

Georg III. (1611–1664), Herzog von Liegnitz und Brieg. Christian (1618–1672), Herzog von Liegnitz, Brieg und Wohlau. Luise (1631–1680), Herzogin von Liegnitz, Brieg und Wohlau, geborene von Anhalt-Dessau. Wilhelm Wenzel von Lilgenau (1634–1693). Brieg (poln. Brzeg). Johann Walther Biermann (1613–1670). Christian Ursinus (1630–1672). Johann Walther Biermann (1613–1670). Christian Ursinus (1630–1672).

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Friderici Lucae eigentgliche Lebens und Totdes Geschichte

Also wolten mich diese gutte Leute fast mit gewalt zur Partialität zwingen. Weil aber damahls im Vaterlande einige Promotion zu erlangen keine mittel und wege eröfnet sahe, achtete es nicht nöthig zu sein, mich ihren Zanckhändeln zu intriciren, faßete auch etliche mahl Resolution auser dem Vaterland Beforderung zu suchen, wie wol mich der Liebe Seelige herr Vater17 gleich ein Magnet zurücke hielt, von dem nicht gerne in seinem Alter gewichen wäre. Mitlerzeit wurden mir unterschiedene Vornehme Praeceptorat, oder wie man es ­nennet Hofemeister Stellen bey Jungen Edelleuten, unter andern bey einem Gersdorf18 im Jaurischen19 Hertzogthum, angetragen. Bey dem Gymnasio hette gleichfals eine Profession erlangen können, entweder Historica oder Politica zu dociren; Allein meine Natur liebete die Freyheit und befand sich nicht capabel in dem Schulstaub zu schwitzen. Unterdeßen machte sich meine Seelige frau mutter20 in langer in schwächer und endlich gar betlägrig, biß Sie endlich, mit deß Seeligen herren Vaters und meinem grosen Leidwesen, sanft und seelig diese Zeitligkeit gesegnete. Der herr Vater ließ den Verblichenen Cörper mit Christlichen Ceremonien auf den Kirchhof der fürstlichen Schloß Kirche beerdigen, davon oben ausführlich Bericht gescheen. Der Einsame Witwer stand, worein den Seeligen herren Vater der Seeligen frau mutter Todesfall setzte, reitzete mich noch mehr an, mit und bey ihm vergesellet zu leben, sonderlich weil ihn die Podagrischen und Stein Schmertzen sehr ofters überfielen und queleten. Nach dem Absterben der Seeligen frau mutter ließ meine Schwester,21 samt ihrem Mann Heinrich Schmettaw,22 ihre Tochter, die Oben Erwehnte Anna Sophia,23 nach Berlin zu sich abholen; Also daß der herr Vater seine haußhaltung gantz enge eingeschrenckete und nicht mehr als einen Famulum und eine Magd, oder Köchin, in Diensten behielt. Man siehet doch, wie wunderbar die Göttliche Providentz mit unß Menschen spielet. Oben Erwehnter herr Hofeprediger Ursinus trauete gar zu viel der fürstlichen grosen Gnade, aber zu seinem eigenen grosen Schaden. Nach dem derselbige ein geraume Zeit mit dem herren Superintendenten in Feindschaft gelebet, zerfiel Er endlich auch mit dem Ober Hofmarschall und Landshauptmann Freyherren von Lilgenaw.24 Sonst stand es umb deß herren Superintendentens und

17 18 19 20 21 22 23 24

Johann Lucas (1602–1673), Vater von Friedrich Lucae. Gersdorf, Adelsgeschlecht. Jauer (poln. Jawor). Maria Lucas, geborene Mücks (Müks, Mücke, 1618–1666), Mutter von Friedrich Lucae. Maria Elisabeth (von) Schmettau, geborene Lucas (1641–1700), Schwester von Friedrich ­Lucae. Heinrich (von) Schmettau (1629–1704), Schwager von Friedrich Lucae. Anna Sophia (von) Schmettau (1658–1723), Nichte von Friedrich Lucae. Wilhelm Wenzel von Lilgenau (1634–1693).

[XVII.] Friderici Lucae Wiederkunft zu seinen Eltern und in sein Vaterland nach absolvirten Studien

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deß Land’shauptmans |198| Comportementc gar schlecht, aber gegen diesen herren Ursinum25 tratten Sie, wie Herodes und Pilatus, bald zusammen und satzten ihm sehr harte zu; Sonderlich veraccompagnirte sich mit denselben der fürstliche Regierungs Rhat Christian Schultz,26 ein Gewaltiger Machiavellist und keines menschen Freund als seines Mammons. Herr Ursinus, weil ihm der Hertzog27 nicht nach wundsch und wieder verhoffen nicht assistirte, vermeynete den Hertzog zu erschrecken und auf die Probe zu setzen und forderte seinen Abschied; Allein der sonst güttige Hertzog verstand es unrecht, vergaß seine Gnade und dimittirte den gutten herren Ursinum, mit deß gantzen Landes Verwunderung, zweiffelsohne auß Persuasion Gedachter herren, die ihm zu schwer waren. Den 10. Sonntag nach Trinitatis thät Er hierauf die Valet Predigt auß dem gewöhnlichen Evangelio und applicirte die Worte Christi über Jerusalem gesprochen: O! Jerusalem, wenn du es wüstes, waß zu deinem Friede dienet, über daß fürstliche hauß, wie wol keine Seele von der Hofstat in die Kirche kam, auch theils deß Sonnabens vorher verreiseten. Er nahm sein Refugium in die Pfaltz, vieleicht nicht ohne Berewung seiner unbedachtsamen Resolution, woselbst ihn der Churfürst28 zu Weinheim,29 einem Stätlein in der Berg Straße, 2 meilen von Heidelberg gelegen, zum Inspector machte, alwo Er auch wenig Zeit hernach gestorben ist. Er hat einen Sohn30 und eine Tochter31 hinterlaßen. Der Sohn sol in der Pfaltz, weiß nicht wo, ein Schul Praeceptor, die Tochter aber bey der Fürstin zu Dillenburg am hofe und diensten sein. Herren Gunst und Aprilen Wetter Sonnen Schein und Rosen Blätter Frauen Lieb und Karttenspiel verkehren sich oft, wer’s glauben wil. Von diesen beyden Theologis und Hofepredigern, herren Superintendenten Biermanno32 und herren Christian Ursino, wird man in meiner Bibliotheca, unter den eingebundenen Miscellaneis Theologicis in quarto, Unterschiedliche Gedruckte Leich, Tauf und andere Predigten finden.

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stand es nach Comportement aus Gründen der Lesbarkeit ausgelassen.

25 26 27 28 29 30 31 32

Christian Ursinus (1630–1672). Christian (von) Scholtz (Scholz, † 1674). Christian (1618–1672), Herzog von Liegnitz, Brieg und Wohlau. Karl I. Ludwig (1617–1680), Kurfürst von der Pfalz. Weinheim an der Bergstraße. Christian Friedrich Ursinus (um 1658–1719). n.z.e. Johann Walther Biermann (1613–1670).

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Friderici Lucae eigentgliche Lebens und Totdes Geschichte

|199| [XVIII.]a Anstellung als Pfarrer und ersten Hofprediger zu Brieg.b1 Nach dem der Hofeprediger herr Christianus Ursinus2 auf sein eigenes und trotziges Begehren die Dimission erhalten hatte, waren nur zween Prediger bey der fürstlichen Schloß Kirche, nemlich herr Johannes Gualtherus Biermannus,3 Superintendens und Oberhofprediger, und herr Johannes Dares,4 Diaconus. Der herr Superintendens, dem daß fürstliche Consistorium viel mühe machte, thät wochentglich nur zwo Predigten, die übrige arbeits last aber lag dem herren Dares auf dem halße, wie wol einige Candidati ihm zuweilen die Predigten abnahmen. Ohngefehr nach Verflüßung 8 wochen ließ mich der herr Superintendens zu sich ruffen, unwissende waß solches bedeuten möchte, dennoch erachtete meiner Schuldigkeit zu sein, diesem Befehl nachzuleben. So bald ich für den herren Superintendenten kam, führete Er weitleuftige Discurse von des Erwehnten herren Ursini Dimission wie auch von dem itzigen Kirchen Statu und gedachte welchermaßen herr Ursinus unbedachtsam verfahren, daß Er dem Hertzog5 den Stuhl vor die Thüre gesetzet hette. Ich hörete dieses alles an ohne Beyfügung meines Judicii hierüber, als Frembde und Unbekante sachen. Als nur ein mehrers die Zeit hievon zu reden nicht gestattete, trug mir der herr Superintendens erst die Uhrsache vor, warumb Er mich hette zu sich ruffen laßen. Nemlich es hette der Hertzog gnädigst befohlen, mir bey der Schloß Kirche ein Diaconat und Pfarr Stelle zu praesentiren, wolte mich bey Seinem Hof zu einem Prediger bestellet wißen, hoffende, daß ich solche Gnade erkennen und acceptiren würde. Ich gestehe, daß mich diese Proposition, oder Vocation, zu einer so Vornehmen Charge sehr befrembdete und meine Einbildung sich derselben niemahls versehen hette; Unterdeßen bedanckte mich Unterthänigst für Ihrer Fürstlichen Durchleuchtigkeit Gnädigstes Andencken und Vorsorge, welche mich als Ihren Diener und Paten ­hierzu Capabel erkennen wolten, gehorsamst den herren Superintendenten bittende, weil unmöglich ex tempore die Resolution hierauf abstatten könte, mir auf etliche Tage Zeit zu gönnen, damit desto reiflicher die Sache mit meinem herren Vater6 zuvor überlegen möchte, deßen Consilium vor allen Dingen hierüber nothwendig adhibiren müste, welches auch der herr Superintendens großgünstig verwillig’te. So bald ich diese Zeitung Meinem Lieben Seeligen herren Vater proponirte, erfreuete Er sich hertzlich, so daß ihm auch für Freude die |200| thränen auß den augen häuffig a Zählung des Kapitels nachträglich eingefügt. b Überschrift von fremder Hand eingetragen; ersten über der Zeile ergänzt.

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Brieg (poln. Brzeg). Christian Ursinus (1630–1672). Johann Walther Biermann (1613–1670). Johann Dares (1635–1696). Christian (1618–1672), Herzog von Liegnitz, Brieg und Wohlau. Johann Lucas (1602–1673), Vater von Friedrich Lucae.

[XVIII.] Anstellung als Pfarrer und ersten Hofprediger zu Brieg

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über die Backen floßen. Meines Ortes trug eben kein so groses verlangen nach diesem Officio: Denn ich war noch jung und im predigen für ein so Wichtiges Ampt, deßenc mühsamkeit, fürwar, einen Extemporancum Concionatorem erforderte, nicht gnugsam außgeübet; Hingegen war die Ampts Last und Arbeit gar schwer. Über dieses gieng es bey hofe manchmal gar wunderlich durch einander, daß ich mich zu bedencken vielerley Uhrsache fand; Allein der Seelige herr Vater sprach mir gutten muth zu und versüßete mir dermaßen alle Difficultäten und Beschwernüße, daß ich, im Nahmen Gottes, nach etlichen Tagen dem herren Superintendenten7 meine Resolution eröfnete, mich beydes, der Unmittelbahren Beruffung und vornehmlich der hülffe und beystandes deß Almächtigen Gottes, getröstende, der keinen zu seinem Ampt und Dienst beruffet, welchen Er auch nicht mit Nöthigen gaben darzu außrüsten und reichlich segnen solte. Der Herr Superintendens erzeigte hierüber ebenfalls eine sonderbahre Vergnügung mich zu seinem Collegen zu bekommen, gleichsam wäre ich sein Sohn. Er referirte noch denselben Abend unverzögerlich dem Hertzog8 diese meine Erklärung und daß ich, Unterthänigst, daß Gnädigst mir aufgetragene Diaconat und Prediger Stelle acceptiren wolte. Hierauf ließ der Hertzog eine Schriftliche Vocation, nach Schlesischer Gewonheit, außfertigen, mit angeheng’ter Specification der Besoldung unter seinem Eigenhändig unterschriebenem Nahmen und Siegel, und mir selbte durch einen Registratorem von der Cantzeley gnädigst überreichen, welchem einen Ducaten in Specie zum trinckgeld gab. Daß Original dieser Vocation habe zum Gedächtnüß und zu mehrerer Versicherung deß oben Erzehlten hierbey inseriren und einbinden laßen. Nach diesem machte der herr Superintendens anstalt daß Examen und Ordination zu beschleinigen. Daß Examen geschae in der Consistorial Stube, wie gewöhnlich in Gegenwart deß Sämtlichen Briegischen9 Ministerii, von 1 bis 4 Uhr nachmittage. Daß Sothaner Examination wegen erhaltene Testimonium ist gleichfals hier angefüget, wie es gedrückt, mit dem Siegel deß Fürstlichen Consistoriii bekräftiget und mit den Nahmen der dabey gewesenen Vornehmsten Prediger unterschrieben und bezeichnet worden. Deß Morgends an einem Freytage nach vollendeter Predigt, welche mein herr Collega Johannes Dares10 verrichtete, ward die Ordination in der fürstlichen Schloß Kirche, in meinem, aber noch nicht vollen, 25 jährigen Alter mit folgenden Ceremonien abgehandelt: So bald die andern Prediger von den andern Kirchen sich einfanden, legten Sie allerseits, wie auch ich, die Weißen Chorröcke an und ward unterdeßen von der Cantorei c

weil vor deßen durchgestrichen.

17 18 19 10

Johann Walther Biermann (1613–1670). Christian (1618–1672), Herzog von Liegnitz, Brieg und Wohlau. Brieg (poln. Brzeg). Johann Dares (1635–1696).

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mit der Orgel, Posaunen, Zincken und Geigen figuraliter daß Veni Sancte Spiritus gar lieblich musiciret. Kurtz vor |201| deßen Endigung gieng der herr Superintendens,11 auch im Weißen Chorrock, auß der Sacristey und ich hinter demselben, hinter mir aber die herren Prediger in ihrer Ordnung insd Chor nach dem Altar; Der herr Superintendens trat auf die Oberste Stuffe des Altars, ich aber muste mich auf die Unterste Stuffe deß Altars auf die Knie legen. Unten an einer jeden seiten deß Altars standen zween Prediger. So bald alles stille worden, machte der herr Superintendens den anfang mit Vorlesung der Ordinations formul. Und nach dem Er die Ordines abgelesen und daß darauf geforderte Jurament ich abgeleget hatte, imponirte Er gantz allein und zum ersten die hand auf mein entblößetes haupt und gab mir mit hell außgesprochener Stimme die Confirmations Benediction. Hierauf trat ein jeder absonderlich von den anwesenden Predigern herbey und thäten mit auflegung der hände dergleichen. So bald dieses volbracht, sprach der herr Superintendens den Seegen über die ­gantze Gemeine und trat von dem Altar ab und gieng in die Sacristei, dem wir allerseits in voriger Ordnung, wie wir heraußgegangen waren, folgeten, inzwischen musicirte wiederumb die Cantorei figuraliter: Lobe den herren meine Seele etc. Hiermit legten wir allerseits die Chorröcke ab, ich aber empfieng von dem herren Superintendenten und sämtlichen herren Predigern eine besondere Glückwünschung als von meinen künftigen Collegii. Der Hertzog,12 und der gantze Hof, befand sich persönlich in der Kirche und sonst eine grose menge Volckes. Dem herren Superintendenten für gehabte mühwaltung praesentirte ich 3 Ducaten, wie auch den herren Assessoribus daß gebührende accidens, welche Verehrung aber von mir anzunehmen Sie sich allerseits weigerten und zurück schickten. Deß Sonntags hierauf trat ich mein Ampt, in Gottes Nahmen, mit hertzlicher Anruffung umb seinen Beystand, getrost an und verrichtete die mittags predigt, auß den Worten deß Apostels Pauli den Text nehmende: Denn ich schäme mich der Evangelii von Christo nicht. Denn es ist eine Kraft Gottes, die da seelig macht alle, die daran glauben. Roman: 1 V. 16. Dieses mahl predigte ich Sonntag mittags, weil es meine Extraordinaire Anzugs Predigt war: Denn sonst hielt ich die Frühpredigten Sonntags morgends von 6 biß 7 Uhr. Es ist zu mercken, daß Sonntäglich bey der fürstlichen Schloß Kirche 3 Predigten gehalten worden, nemlich, wie gesagt, deß morgends von 6 biß 7 Uhr, darnach von 8 biß fast 11 Uhr, welche haupt Predigt der herr Superintendens stets hielt, und dan mittags von 1 biß fast 3 Uhr, welche Predigt mein herr Collega Dares,13 Diaconus Primarius, jederzeit ablegen muste und solche Ordnung continuirte Winter und Sommer. Im Winter steckte man bey den Frühpredigten brennende kertzen auf die Schönen Leuchter kronen. d

na vor ins durchgestrichen.

11 12 13

Johann Walther Biermann (1613–1670). Christian (1618–1672), Herzog von Liegnitz, Brieg und Wohlau. Johann Dares (1635–1696).

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|202| Als ich nun deß Sonntags solchergestalt meine Anzugs Predigt abgeleget hatte, ließ mich der Hertzog14 deß monntags drauf, samt dem herren Superintendenten,15 zur Taffel oder zum morgenbrot einladen, zuvor aber zum handkuß in sein Cabinet. Dergleichen Gnade wiederfuhr mir auch bey der Hertzogin,16 welche mich gleichfals vorher in ihr Zimmer ruffen ließen und mit dem handkuß begnadigten. Der Hertzog erzeig’te sich auch über die maßen gnädig bey der mahlzeit gegen mich und machte ihm unter andern eine sonderliche kurtzweil, daß Er solte einen von seinen Paten zum Prediger haben. Bey diesem meinen angetrettenem Ampt dorfte ich nun nicht viel spatzieren oder müßig gehen. Und so mir Gott nicht sonderlich die Schwere arbeits last, der mich ­hierzu selbst beruffen, hette helffen tragen, wäre es unmöglich gewesen, daß ich junger mensch und im predigen noch nicht gnugsam Exercirter dieselbe hette sollen mit Satisfaction der Gemeinde, oder können, außstehen. Unterdeßen erleichterte mir mercklich solche Last, zu meinem grosen Soulagement, deß Hertzogs Gnade, welcher fleißig meine Predigten besuchte, auch im Winter sich die kälte nicht ließ abhalten. Und wan schon keinere von den Zarten höflingen auß Furcht der kälte in die Kirche kam, so stellte sich doch der Hertzog ein, unangesehen Er ofters Niemand bey sich hatte außer einem Adelichen pagen, der ihm über den Grosen Saal in die Kirche leuchten muste. Eigentlich bestanden meine Labores darinnen 1. muste ich, wie gesagt, wochentglich alle Sonntage ordinair die Frühpredigt verrichten. 2. muste ich alle Freytage wochentglich predigen. 3. muste ich täglich deß abends um 4 Uhr die Betstunde, wie wol mein herr Collega Dares17 deß morgends umb 7 Uhr, halten, aber nicht schlechter Ding’s wie es etwa zu Cassel18 bräuchlich ist, da mein ein Capitel auß der Biebel samt dem Gebet abließet, sondern daselbst explicirte man und tractirte analyticè ein gantz Caput Biblicum und proponirte als dan darauf die Nöthigsten oder allerhand Erbauliche Doctrinas, welche Sermon jederzeit aufs wenigste, ohne daß gebet, eine halbe stunde wehrete. Solche arbeit schaf ’te meiner Theologia Practica zwar grosen Nutzen und machte mir die Bibel bekanter, aber diese Concatenati Labores matteten nichts desto weniger mich sehr ab und forcirten allzu strenge mein Ingenium. Glaube auch nicht, daß ich solche Ungewöhnliche arbeit lange würde haben außstehen können, nicht so wol in ansehung meiner Virium Corporis, welche jederzeit, Gott sey Danck, gar starck gewesen, als in Regard meiner Gemüths kräfte und der Gedächtnüß, derer periclitation mehr gefahr als der Leibes kräfte nach sich ziehet. e

keiner über der Zeile ergänzt.

14 15 16 17 18

Christian (1618–1672), Herzog von Liegnitz, Brieg und Wohlau. Johann Walther Biermann (1613–1670). Luise (1631–1680), Herzogin von Liegnitz, Brieg und Wohlau, geborene von Anhalt-Dessau. Johann Dares (1635–1696). Kassel.

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So bald ich auß der Kirche nach hause kam und meinen Mantel abwarf, so bald wurde zum Studier tisch und zur Newen arbeit getrieben und zwar auf solche weise täglich und täglich, also daß ich fast nicht so viel Zeit übrig hatte, etwa einen gutten Freund zu besuchen oder mich besuchen zu laßen. |203| Ich hatte zwar bey dem Diaconat keine Ministerialia zu verrichten, denn der Superintendens19 als Oberhofeprediger verichtete die Copulationen und die Begräbnüßpredigten bey den Edlen und Vornehmen und mein herr Collega Johann Dares20 hielt die Leichpredigten, Copulationen, Tauffen und krancken Besuchungen bey den Geringern und zogen davon ihre Gesetzte Accidentia; Dahingegen genoß ich etwaß von den Begräbnüß Gängen, Vorbitten, Dancksagungen und dergleichen laut der angefügten Fürstlichen Geschriebenen Vocation; Wie wol diese Accidentia gar wenig außtrugen, dennoch machten die Gewöhnlichen New Jahrs Praesente der Hertzogin21 und anderer gutten Freunde diesselben etwaß erklecklicher. Auß der fürstlichen Hof Apothecken bekamen wir Prediger auch allzeit zum ­Newen Jahre allerhand Confecturen, köstliches Räuchwerck und dergleichen Erfrischungen, wie auch auß der Rentkammer ward einem jeden ein Rieß papier, ein paar Feder messer und Calender gereichet. Und ob sich schon mein Ordinair Besoldung nur auf 200 thaler belief, jedoch war damit gar wol content, weil dieselbe quatemberlich mir zu hause geschickt wurde an paarem gelde und dorfte mich nicht erst, wie anderswo, mit den Bedienten oder Bauern wegen der angewiesenen Zinsfrüchte umb meinen sauer Verdienten Lohn plagen. Daß wenige mir gebührende Deputat Korn lieferten mir gleichfals die Beampten auß dem fürstlichen Stift, deßen Beschaffenheit droben albereit weitleuftig beschrieben worden. Über dieses, weil ich Ordinarius Diaconus und Prediger war bey der fürstlichen Schloß Kirche, so hatte ich auch die Session als ein Consistorialis und Membrum bey dem fürstlichen Consistorio, welches alle monntage gehalten ward. Es fielen ofters bey diesem Consistorio in Ecclesiasticis und Matrimonialibus merckwürdige und seltsame Casus vor, derer Decision genawe Vorsichtigkeit erforderte wegen der Papisten, und in Specie deß Bischoffs22 zu Breslaw,23 der unß sehr genaw attendirte und so bald Er etwas erschnap’te, daß nicht in seinen kram dienete, dem kayserlichen hof avisirte und dem Hertzog24 Wiederwärtigkeit veruhrsach’te. Der Herr Superintendens wohnete dem Consistorio bey als Primarius Assessor, daß Ruder aber deß Kirchen Raths führete herr Christian Scholtz25 von Herrmannsdorf,26 19 20 21 22 23 24 25 26

Johann Walther Biermann (1613–1670). Johann Dares (1635–1696). Luise (1631–1680), Herzogin von Liegnitz, Brieg und Wohlau, geborene von Anhalt-Dessau. Friedrich (1616–1682), Landgraf von Hessen-Darmstadt und Bischof von Breslau. Breslau (poln. Wrocław). Christian (1618–1672), Herzog von Liegnitz, Brieg und Wohlau. Christian (von) Scholtz (Scholz, † nach 1674). Hermsdorf (poln. Sobięcin).

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fürstlicher Rhat und deß Consistorii Praeses, welche manchmahl einander hart in die haare geriehten: Denn der Superintendens hielt es mit der Geistligkeit, dieser aber mit den Edelleuten, weil Sie ihm statlich die Küche spickten, ungeachtet ofters die Edelleute unverantwortliche händel gegen ihre Prediger schmiedeten und sonst gegen die Kirche sündigten. Neben diesen beyden Vornehmsten Membris stand ich und mein herr Collega von der Reformirten Religion im Consistorio, die übrigen Assessores waren alle Lutherisch, nemlich der Primarius Senior,27 der Archidiaconus28 und Diaconus29 auß der Haupt Kirche. So lange wir im Consistorio beysammen saßen, war zwischen unß und ihnen ein guttes Comportement, indem Sie sich unserm Reformirten Directorio accomodiren und unterwerffen musten. |204| In diesem stück hatte der Hertzog30 in Schlesien zu Lignitz31 und Brieg,32 betreffende daß Consistorium, grose Praerogativ für dem Churfürsten zu Brandeburg,33 welcher nicht mehr als zween Reformirte Assessores, nemlich den Praesidem und einen von seinen Hofepredigern, einsetzen darf, wie gerne auch die andern Hofeprediger diese Ehre genießen wolten und mit händen und füßen darnach streben. Der Hertzog gab zwar den Consistorialen keine besondere Besoldung, jedoch vergönnete Er unß die dabey fallende Accidenten. Unterdeßen, weil der herr Superintendens34 die meiste mühe im Consistorio hatte, zog Er auch daß beste von den Sportelgeldern. In dem Briegischen Fürstenthum befanden sich gleichwol über 100 Lutherische Prediger: Nun war kein Prediger, der nicht zum wenigsten deß Jahres einmahl den herren Superintendenten hette consuliren und ihm darfür eine Erkäntlichkeit erweisen müßen, zu geschweigen der jenigen Gemeinden, welche mit ihrem Prediger und der jenigen Prediger, welche mit ihren Collatoribus und Patronis unaufhorlich im Zanck und Streit lebten, welches ihm gleichfals die hände füllete. Unter dieser grosen menge Lutherischer Prediger waren im gantzen ­Fürstenthum keine Reformirte, auser auf dem Dorf und hause Rosen35 hielt der Freyherr von ­Ritczanf36 einen Böhmischen Reformirten Hofeprediger. f

Ritz vor Ritczan durchgestrichen.

27 28 29 30 31 32 33 34 35 36

Johann Baptista Schwope (1605–1671). Abraham Schweitzer der Jüngere (1624–1672). Johann Christoph Letsch (1634–1686). Christian (1618–1672), Herzog von Liegnitz, Brieg und Wohlau. Liegnitz (poln. Legnica). Brieg (poln. Brzeg). Friedrich Wilhelm (1620–1688), Kurfürst von Brandenburg und Herzog von Preußen. Johann Walther Biermann (1613–1670). Rosen (poln. Rożnów). Karl Wilhelm Říčanský von Říčan (Karel Vilém Říčanský z Říčan, † 1687).

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In der fürstlichen Residentz Stat Brieg, nicht allein bey dem Consistorio, sondern auch sonst bey andern Occasionen, concurrirten wir Reformirten fast täglich mit den Lutheranern. Man invitirte unß zu ihren und wir Sie zu unsern Begräbnüßen. Im Fall ein Vornehmer Lutheraner starb und auf den Kirchhof bey unserer Kirche begraben wurde, stand es ihm frey, entweder durch einen Reformirten oder Lutherischen Prediger ihm die Leichpredigt halten zu laßen. Es lebten in Brieg auch viel Vornehme Lutherische Bürger und heimliche Nicodemiten, welche Jahr auß Jahr ein sich zu unserer Kirche hielten und nicht eher in ihre Lutherische Kirche giengen, auser wenn Sie etwa in derselben communicirten. Ja, unser gröster theil der Zuhörer in den Sonntags predigten bestand in Lutheranern. Ob nun wol die Lutherischen Prediger über diese, ihre auf beyden seiten hinckende Kirchkinder, tapffer grunzeten und murreten, so fragten Sie doch nichts darnach, wie dan auch zuweilen einer und der ander von ihnen gar zu unß herüber trat. Über dieses so muste alle vom fürstlichen hof dependirende Diener, ohne Unterschied der Religion, ihre Kinder in unser Kirche von unß tauffen laßen und baten ofters darzu die Reformirten Lutherische und die Lutherische Eltern Reformirte Gevattern, deren man zu invitiren 10 frey hatte; Dafern aber jemand diese gesetzte Zahl überschritte und mehr Gevattern bat, muste Er vor jede Person einen Reichsthaler der Kirche Strafe erlegen. Es hat sich zugetragen, daß etliche 15 biß 20 Gevattern gebeten, daher haben Sie auch, ohne weigerung, 5 biß 10 Reichsthaler willig Strafe gegeben. |205| Bey Ausspendung deß Heiligen Abendmahls, welches alle Jahr viermahl gehalten ward, wechselte mein herr Collega Johann Dares37 mit mir umb, so daß Er ein Viertel Jahr den gesegneten Kelch, ich aber daß ander Viertel Jahr hernach denselben administrirte. Der Herr Superintendens38 administrirte continuirlich, bey allen Communionen, daß Gesegnete Brot und hielt auch allemahl die Praeparations Predigten. In der Schloß Kirche befand sich köstlicher Altar Zeug und Silbergeschirr von Grosen kannen und kelchen, welches zweiffelsohne die den Papisten affectionirte und mit denselben heuchelnde Hertzogin39 den Papisten in die hände wird gespielet haben, wie zur Lignitz40 gescheen. Die Herren, nach und nach, zu Brieg41 regierende Hertzoge hetten die Reformirte Gemeinde treflich vermehren können, dafern Sie ihren hof mit Reformirten Diener zu besetzen ihnen hetten laßen angelegen sein; Aber Sie waren in dieser Wichtigen Sache gar zu kaltsinnig und raumeten den Lutheranern gar zu viel ein. Sonst brachte die Zerstörung der Polnischen Lissa42 unserer Gemeinde in Brieg groses Aufnehmen: Denn die Vertriebenen Pohlen und Böhmen kamen häuffig nach 37 38 39 40 41 42

Johann Dares (1635–1696). Johann Walther Biermann (1613–1670). Luise (1631–1680), Herzogin von Liegnitz, Brieg und Wohlau, geborene von Anhalt-Dessau. Liegnitz (poln. Legnica). Brieg (poln. Brzeg). Lissa (poln. Leszno).

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Brieg und machten sich hierselbst seßhaftig, denen der Hertzog43 Vielfaltige Gnaden erzeig’te; Auch theils qualificirte in Aempter setzte. Den jenigen, welche nicht die Teutsche Sprache verstanden, verwilligte auch der Hertzog daß Exercitium Religionis in Polnischer Sprache auf dem Gymnasio in dem grosen Auditorio zu halten, nicht ohne sauer sehen und heimliches murren der Papisten. Und damit ich wieder auf den herren Superintendenten Biermannum komme, derselbe, ob Er wol ein Gesunder Mann von starcker Complexion zu sein schiene und von kranckheiten wenig zu sagen wuste, machte sich numehro dan und wann, wieder seine gewonheit, schwächlich, daher man nicht viel guttes ominirte; Sintemal die jenigen, welche selten oder niemahls krancken, empfinden zu seiner Zeit desto heftiger die kranckheiten. Endlich überfiel ihn ein starcke Diarhoea und warf ihn gar aufs Bette, derer Uhrsache ein Trunck hefigten Bieres solte gewesen sein, welches Er im Durst unvermeidlich hette trincken müßen, weil ihm seine Ehefrau,44 zweiffelsohne, wie man sagte, auß kargheit ihm nicht ein frisches Faß hette anzapffen wollen. Auß Verwahrlosung deß Medici schlug darzu ein heftiges und hitziges Flecken Fieber und nahm dergestalt überhand, daß Er darüber sanft und seelig den Geist in die hände seines Erlösers übergab. Der Hertzog befand sich damahls eben auserhalb der Stat auf dem Jagthause Klein Lignitz und man verbot der gantzen Hofstat sehr scharf, daß Niemand hievon dem Hertzog Relation thun solte. Und ob mich zwar den Sonntag hernach der Hertzog hienauß berufen ließ, den Gottesdienst zu verrichten, so war mir gleichfals inhibiret, nicht daß geringste gegen den Hertzog zu gedencken. Fast 5 tage nach deß Seeligen herren Superintendenten Tode wurden etliche Räthe hienauß geschicket, welche dem Hertzog den Verlust diesen tapffern Mannes beybringen und die Erschrecknüß außreden musten. |206| Unterdeßen betrauerte doch der Hertzog45 deß herren Superintendens46 Todesfall hertzlich als einen Verlohrenen Zierath seines fürstlichen hauses und Kirche und die Sämtliche Priesterschaft als ihres gewesenen Trewen Vaters und Regierers. Hierauf ließ der Hertzog eine Prächtige Funeration anstellen. Die gantzeg Priesterschaft deß Fürstenthums ward convociret, von denen ihrer 12 die Todten Baare, samt der Leiche, welche mit Gemahleten Wapen an allen vier seiten behaftet war, trugen, weil Er auß einem Adelichen Geschlechte herstammte. Die Andern Prediger, über 80 an der Zahl, wie auch daß Gymnasium und Schuldiener giengen vor, der Hertzog aber, und der gantze hof, alle Ministri, Doctores, Advocaten, in Summa die gantze Bürgerschaft folgeten der Leiche nach.

g

gant vor gantze durchgestrichen.

43 44 45 46

Christian (1618–1672), Herzog von Liegnitz, Brieg und Wohlau. Ester Maria Elisabeth Biermann, geborene Wiesenbach. Christian (1618–1672), Herzog von Liegnitz, Brieg und Wohlau. Johann Walther Biermann (1613–1670).

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Der Cörper ward in der Schloß Kirche, recht unter der Cantzel, in ein gewölbtes Grab eingesencket und mit einem Leichstein bedecket. Herr Johann Dares,47 Mein herr Collega, thät die Leichpredigt auß den Worten Johann: 12 V. 26: Wo ich bin, da sol mein Diener auch sein: Und wer mir dienen wird, den wird mein Vater ehren. Diese worte hatte ihm Selbst der Seelige herr Superintendens zum Leich Text erkieset. Bey diesem ansehnlichen Funerations Actu hielt Ich die Parentation nach vollendeter Predigt, gleichfals in der Schloß Kirche, und beschloß diese Begräbnüß Ceremonien. Hierbey muß ich doch gedencken der zweyen Wunder, welche diesem herren Superintendenten kurtz vor seinem Ende begegnet sein: Einmahl, als der herr Superintendens deß Abends in der Hebraeischen Bibel einen Text überlesen undh sich darauf zur Ruhe begeben und deß morgends wiederumb aufstehende noch einmahl den Text genawer überlesen wollen, wird Er gewar allerhand seltsamer Characteres mit schwartzer Dinte umb denselben Text in der Bibel geschrieben, welche weder Er, noch kein mensch, ja, ungeachtet Er ein Unvergleichlicher Linguista und in allen Orientalischen Sprachen treflich erfahren war, hat verstehen weniger interpretiren können. Darnach veruhrsachte dem Seeligen herren Superintendenten allerhand Speculationes ein dreyfacher Schlag, gleichsam wie mit einer langen ruthen, in seinem Musaeo auf den Studier Tisch mitten unter seiner geistlichen Arbeit gescheen. Dergleichen Begegnüße sind nicht allemahl auß der acht zu laßen, weil Sie doch gemeiniglich etwaß Extraordinaires praesagiren und nach sich ziehen, gleich wie hier erfolget und gescheen ist. Nun bekümmerte sich jedermann, insonderheit die Priesterschaft, mit waß für einem Subiecto der Hertzog diese Hohe Ehren Stelle bekleiden würde. Ein jeder vermuthete man würde auß frembden Orten, wie vormahls auch gescheen, einen Superintendenten vociren auß mangel Qualificirter männer zu dieser Charge, die meisten aber befanden sich in ihrer meynung betrogen. Nach Endigung dieser Begräbnüß Solennitäten ließ der Hertzog der anwesenden Priesterschaft andeuten, daß Sie morgends umb 9 Uhr |207| bey hofe, auf dem grosen Kirch Saal, unaußbleiblich, allerseits erscheinen solten, wie wol ohne Erklärung zu waß ende. So bald wir an diesem bestimmten Ort erschienen, schickte der Hertzog48 den herren Johann Jacob von Hof,49 Unter Marschalle und Cammer Junckern, welcher die Sämtliche Priesterschaft auß dem Saal in deß Hertzogs Zimmer forderte, worinnen der Hertzog unter einem Roth Atlaßen Baldachin an einem Rothsammeten Stuhl sich anlehnende stand und einem jeden Prediger in Specie den handkuß gnädig anbot. Zur lincken seiten deß Hertzogs stand der Oberhofmarschall und Landeshauptmann Freyherr von Lilgenaw50 und allerseits die fürstlichen Räthe. h

und daß vor und durchgestrichen.

47 48 49 50

Johann Dares (1635–1696). Christian (1618–1672), Herzog von Liegnitz, Brieg und Wohlau. Johann Jakob im Hof (Imhoff, 1627–1700). Wilhelm Wenzel von Lilgenau (1634–1693).

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Besagter Landshauptmann, da sich ein jeder in Ordnung gestellet, fieng zierlich an in Teutscher Sprache zu peroriren,i als ein Cavallier von Ungemeinen Naturalien und Gaben, und legte die Uhrsachen gegenwärtiger Versammlung vor; Nemlich daß Ihre fürstliche Durchleuchtigkeit der Hertzog nach Absterben deß Seeligen herren Superintendens Biermanni51 gnädigst resolviret hetten, ohne Verzögerung, der Kirche und Priesterschaft ihres Fürstenthums Brieg52 einen andern Superintendenten vorzustellen, worzu Sie herren Nicolaum Gertichium,53 anfangs gewesenen Diaconumj bey Briegischer Schloß, jetzo aber Hofepredigern bey Lignitzscher54 Schloß Kirche, gnädigst ersehen und erwehlet hetten, hoffende die Sämtliche Priesterschaft würde ihr solches gefallen laßen und denselben zu ihrem Superintendenten annehmen, auch künftig darfür erkennen; Und unerachtet dieser herr Nicolaus Gertichius anjetzo Absens wäre, so würden Sie doch, Ihrer Durchleuchtigkeit dem Hertzog Selbst, anstat seiner mit einem Unterthänigen handschlag Gehorsam und gebührenden Respect verheißen. Gleich wie nun in dem Fürstenthum der Primarius Senior55 bey der Haupt Kirche zu Brieg der Nechste nach dem Superintendenten ist, also beantwortete derselbe auch jetzt, im Nahmen der Priesterschaft, kürtzlich deß herren Landeshauptmanns Oration und contestirte der Priesterschaft Zufriedenheit über der Gnädigsten Disposition deß Hertzogs, danckende auch für die Landes Väterliche Fürstliche Vorsorge hierinnen und brachte dem Hertzog den ersten handschlag, dem wir andern in unser Ordnung allerseits folgeten und ein gleiches abstatteten. Hiermit wurden wir allerseits dimittiret und auf dem grosen Saal bey dreyen Grosen Taffeln herrlich tractiret. Waß den Lieben Seeligen Hertzog möge animiret haben, Erwehnten herren Nicolaum Gertichium zu diesem Hohen Ampt zu bestellen, habe meines Ortes niemahls ergründen können. Muthmaßentglich steckte eine grose Politic hierunter, nicht so wol auf seiten deß fromen Hertzogs als der Räthe, welche dem Hertzog, mit Verwunderung der Klügsten, hierzu persuadirten: Denn diese herren Politici wolten gerne auch in Ecclesiasticis absolutè daß Ruder führen und die Oberhand im Spiel haben, mit einem wort: Sie verlangten einen Superintendenten, nicht den Sie, sondern der Sie müste fürchten, weniger der ihnen konte in die karten kucken und die Warheit sagen; Sintemal die Authorität und Klugheit deß Ver- |208| storbenen herren Superintendentens56 hielt Sie statlich im Zaun und die hand auf ihrem Auge; Daher gedachten Sie bey der Occasion an herren i j

peroiren vor peroriren durchgestrichen. Superintendenten vor Diaconum durchgestrichen.

51 52 53 54 55 56

Johann Walther Biermann (1613–1670). Brieg (poln. Brzeg). Nikolaus (Mikołaj) Gertich (1624–1671). Liegnitz (poln. Legnica). Johann Baptista Schwope (1605–1671). Johann Walhter Biermann (1613–1670).

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Gertichio57 einen mann zu finden, bey dem Sie sicher nach wundsch und ungehindert würden verfahren, regieren und sieden und braten können, also vorhabende, theils desselben Unverstand, theils desselben Blödigkeit zu mißbrauchen. Ob zwar herr Nicolaus Gertichius daß Lob eines gutten Mann’s und Predigers verdiente, dennoch erstreckte sich seine Qualitäten und Erudition nicht so hoch, daß Er so einem Wichtigem Ampt hette vorstehen können; Zumahlen Er lebenslang keine Universität besuchet, weniger in Linguis Orientalibus, weder in Theologia Elenchtica und Controversiis, weder in Jure Canonico seu Ecclesiastico einige Wissenschaft hatte. Der gutte mann, der sich selbst zu dieser hohen Charge am wenigsten Capabel befand, versuchte auf mancherley weise sothane Vocation zu depreciren, sich mit seinem Unvermögen excusirende;k Allein es wolte keine Excusation nichts verfangen. Einmahl es hieß hier: Sic volo sic iubeo, herr Nicolaus Gertichius, und kein ander, sol Superintendens sein und bleiben. Wie sehr sich der gutte mann hierüber gegrämet habe, erzehl’ten mir hernach seine kinder.58 In dem dieses alles passirte, lag Er zur Lignitz59 kranck an einem bösen Schenckel, deßen Cur die Chirurgi nicht verstanden; Daher Er nur alles bey diesem Vorhaben mit Briefen abhandelte. Unterdeßen gönnete man ihm Frist, auß Unmögligkeit der Erscheinung wegen, biß zur gäntzlichen genesung, mit welcher es aber gar schlecht ablief: Denn es schlug endlich zu dem bösen Bein, darauß die Aertzte gantze stücke Fleisch schnitten, eine sehr starcke Brust Beschwerung und der kalte Brandt, der ihm endlich den Lebens Faden abschnit und Er seeliglich dieses Zeitliche gesegnete. Meines Ortes erachte, daß der gutte mann über solche Vocation mehr erschreckende als sich erfreuende durch starcken Gemüthskummer zu seiner kranckheit und todt, menschlich davon zu reden, ein groses mag contribuiret haben; Also berief ihn Gott in himmel, da Er albereit den Beruf zu dem Honorablen Superintendenten Ampt auf Erden hette antretten sollen. Bey deßen Begräbnüß in Lignitz haben die Rasenden Lutheraner in Lignitz seltsame händel angefangen und ihm die Leichpredigt, welche sein Diaconus Johannes Laurentius60 gehalten in der fürstlichen Stifts Kirche St. Johannis, disputiren wollen, wie wol durch fürstliche Disposition die Lutheraner endlich sich conformiren müßen. Bey so gestalteter Vacanten Superintendenz zu Brieg61 lag mir und meinem Collegen herren Johann Dares62 doppelt auf dem halße. Die mitwochen Predigten verrichteten zwar, per Vices, die Prediger vom Lande, es gab unß aber wenig Erleichterung in ansehung der andern Arbeit. Herr Johann Dares verrichtete Sonntäglich die Haupt und k

de vor excusirende durchgestrichen.

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Nikolaus (Mikołaj) Gertich (1624–1671). n.z.e. Liegnitz (poln. Legnica). Johann Laurentius (1635–1695). Brieg (poln. Brzeg). Johann Dares (1635–1696).

[XVIII.] Anstellung als Pfarrer und ersten Hofprediger zu Brieg

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ich die mittags Predigt. Die Sonntäglichen Früh Predigten hielt ein Extraordinarius bestalter Candidatus, ich aber continuirte zugleich die freytags Predigten. |209| Nec te collaudes nec te culpaveris ipse hoc faciunt Stulti quos gloria vexat inanis. Weilen dan die Reformirte Gemeinden so wol zu Brieg63 als Lignitz64 mit gar zu wenig Predigern versehen war, machte der Hertzog65 anstalt alles in gutte verfassung zu bringen und solchen gutten anstalt erforderte sonderlich daß Consistorial wesen, welches auf Schwachen Füßen stand wegen Ermangelung eines Superintendenten. Man hielt daß Consistorium bey solcher Vacantz in der Regierungs Cantzeley in Beysitzung der jenigen Lutherischen Räthe, die nicht darzu gehöreten, wie wol daß Consistorium, und die Convocation der Geistlichen Consistorialen, gar selten gehalten ward. Die Prediger auf dem Lande klagten über Vielerley Beschwernüße, wusten dabey nicht zu wem sie sich wenden möchten, denn Niemand half ihnen: Die endlich helffen konten, wolten den Fuchs nicht beißen und damit rieß vieles Unordentgliches wesen ein. Viele junge Leute beförderte man zum Predigtamt und die alten Expectanten blieben im nachsehen. Etliche führete man auch durch die Unrathethür in den Schafstall, nemlich durch geschencke, heurahten und dergleichen wege. Diesem allem bauete der Hertzog vor und berief zum Superintendenten herrn Christian Pauli,66 bürtig auß dem Dorfe Gafron,67 im Wohlawischen68 Fürstenthum gelegen, alwo sein Vater69 Pfarr gewesen, damahls Predigern zu Dantzig,70 einen Gelehrten, Modesten und Fromen Theologum, der schon vorlängst Schlesische Promotion ambiret hatte. Dieser herr Christianus Pauli stehet anjetzo bey der Reformirten Gemeinde in Hamburg, hält mit mir fleißige Correspondentz und ist meines Sohnes Caroli71 Pate. Der Redliche herr Pauli, ungeachtet seiner gutten Erudition, hatte doch gnugsam zu thun, ehe Er dem Statum Ecclesiasticum kennen lernete. Er ließ sich hierinnen von den Politicis, oder Räthen, informiren, welche daß beste vor sich behielten, daß übrige ihm bekant und kund machten. Durch diese Schalckheit blieben Sie meister im Spiel und kochten, waß Sie nur wolten. Damit man aber ihre herrschaft und führendes Ruder im geistlichen Kirchen wesen nicht möchte mercken, so placidirten Sie dem gutten herren Superintendenten Pauli einige Newerungen und Veränderungen in den Kirchen Ordnungen, aber von geringer Importantz. Ich ziehe hier mit willen die Feder ab, denn nach deß herren Pauli ankunft zu Brieg verwaltete ich schon daß hofprediger Ampt in Lignitz und ließ die Brieger an ihrem Ort beruhen, mit denen nicht viel zu schaffen hatte. 63 64 65 66 67 68 69 70 71

Brieg (poln. Brzeg). Liegnitz (poln. Legnica). Christian (1618–1672), Herzog von Liegnitz, Brieg und Wohlau. Christian Pauli (1625–1696). Klein Gaffron (poln. Gawronki). Wohlau (poln. Wołów). Abraham Pauli († um 1650). Danzig (poln. Gdańsk). Karl Lucae (1677–1712).

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Friderici Lucae eigentgliche Lebens und Totdes Geschichte

|210| [XIX.]a Reise nach Liegnitz.1 Uebertragung und Antretung der ersten hofprediger Stelle in Liegnitz.b Mit gleicher Sorgfalt wolte auch der Hertzog2 die Schloß Capelle zu Lignitz, nach des Seeligen herren Nicolai Gertichii3 todt, mit einem Hofprediger versehen wißen. Morgends an einem Monntage ließen mich die Räthe, wieder mein Wißen und Dencken, in die Cantzeley fordern und erklärten mir deß Hertzogs gnädige meynung, wie Er nemlich entschloßen wäre, in ansehung meiner bißher treu geleisteten Dienste mich mit der Hofprediger Stelle in Lignitz zu begnadigen, in hofnung, daß ich sothane gnade erkennen und Selbte acceptiren würde. Auf diese so wichtige Proposition aber wolte mich nicht bald resolviren, sondern bat die Sämtliche Regierung auf 8 tage Bedenckzeit, damit, weil Omnis Mutatio Periculosa wäre, ich gleichwol zuvor mit meinem herr Vater4 die sache reiflich überlegen möchte. Ob ich nun wol im geringsten nicht uhrsache hatte, mich über die angetragene herrliche Hofeprediger Stelle zu bedencken; Jedoch so stellte ich dem Seeligen herr Vater dieses alles zu Gemüthe, sonderlich den grösten Scrupel, welchergestalt ich ihn mit annehmung solcher Vocation würde zurück laßen müßen; Allein der Seelige herr Vater zog meine Verbeßerung und Promotion zu dem hohen Ehren Ampt in grösere Consideration als meine Geseelschaft und ermahnete mich ernstlich die angebotene Gnade des Hertzogs ja nicht abzuschlagen. Ich folgete dem Väterlichen Trewen Rath und entdeckte 8 tage hernach der fürstlichen Regierung meine Resolution und daß ich Unterthänigst den Unmittelbahren Beruf zu der Hofprediger Stelle in Lignitz, in Gottes Nahmen, annehmen wolte, worauf mir die herren Räthe gratulirten, ich aber gieng bald zu dem Hertzog, der mich auch hierzu mündlich vocirte, dargegen mich für sothane Gnade Unterthänigst bedanckende. Alsbald ließ der Hertzog die Verordnung von der Cantzeley außfertigen, wie es nemlich, so bald der Vocirte Superintendens5 von Dantzig6 würde kommen, bey dieser Veränderung solte gehalten werden, so wol in Brieg7 als Lignitz. Herr Christian ­Pauli solte Superintendens und Ober Hofeprediger, herr Johann Dares8 solte der Ander Hofeprediger sein und herr Anton Brunsen9 solten mein Diaconat bekleiden, jedoch mit dem Praedicat eines Hofepredigers. a Zählung des Kapitels nachträglich eingefügt. b Überschrift von fremder Hand geschrieben.

_______________________________ 1 2 3 4 5 6 7 8 9

Liegnitz (poln. Legnica). Christian (1618–1672), Herzog von Liegnitz, Brieg und Wohlau. Nikolaus (Mikołaj) Gertich (1624–1671). Johann Lucas (1602–1673), Vater von Friedrich Lucae. Christian Pauli (1625–1696). Danzig (poln. Gdańsk). Brieg (poln. Brzeg). Johann Dares (1635–1696). Anton Brunsenius (Brunsen, 1641–1693).

[XIX.] Reise nach Liegnitz. Uebertragung und Antretung der ersten hofprediger Stelle in Liegnitz

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|211| Bey sothanem Verlauf erhielt ich auch meine Schriftliche Vocation, unter deß Hertzogs10 Nahmen, zu der Hofeprediger Stelle nach Lignitz,11 welche, gleich als wie die Briegische12 zum Diaconat, in Originali anfügen wollen, damit man gleichwol sehen möge, wie hochc ich gleichwol beydes in Ehren und jährlicher Besoldung durch diese Beforderung sey melioriret und verbeßert worden. Dem jenigen Secretario, welcher mir die Vocation von dem Hertzog überreich’te, gab ich in Specie einen Ducaten. Ich gestehe, daß ich deß Briegischen Diaconats oder Pfarrdiensts sat und müde war wegen der Überhäufften und Unerträglichen Arbeit, wodurch mein Gedächtnüß mercklich entkräftet worden und glaube, dafern nicht der liebe Gott vor mich gesorget hette, daß ich es schwerlich würde lange außgestanden haben. Über dieses stand die Besoldung mit der Arbeit in keiner Comparation. Ich muß oft bey mir selbst lachen, wenn etwa Prediger über ihre Arbeit, da Sie doch etwa, wochentglich, zwo Predigten oder drey verrichten müßen, so hohe Beschwerung vorwenden und anführen: Denn waß achte ich diese gegen meine Arbeit, da ich fast alle tage predigen und mich auf einmahl, in meiner Jugend und besten Alters Blüthe, dermaßen hart angreiffen muste. Gott sey Danck, der es mir überstehen helffen! Hiermit machte mich zum Abzug fertig und that an einem Sonntag mittags einer überauß grosen Versammlung meine Abschieds Predigt, dabey sich auch unter andern Hohen Personen der itzige Ober Hofmarschall zu Berlin am Churfürstlichen hofe, herr Melchior Fridrich Freyherr von Canitz,13 befand. Die Text worte war gezogen auß dem 1. Cap: Jeremiae V. 7: Du solt gehen, wohin ich dich sende, und predigen, was ich dich heisse. Nach verrichteter Predigt schickte mir die Hertzogin14 einen Silbernen Tischbecher zur Verehrung, welche gerne gesehen, daß ich eine Jungfer auß ihrem Frauenzimmer geheurahtet hette. Deß Monntag mittags nahm ich bey dem Hertzog, der Hertzogin, dem Princen15 Abschieds Audientz und nachgehends bey allen gutten Freunden. Inzwischen ließ ich meine Bücher und sachen einpacken. Dem Lieben Seeligen herr Vater16 thät zwar diese Scheidung wehe, jedoch, weil Er darzu gerahten, mir meine Beßerung gönnende, stellete Er sich endlich zufrieden. An einem Donnerstag morgends reisete ich in Begleitung einiger gutten Freunde, mit meinem famulo,17 im Nahmen Gottes, von Brieg ab auf dem mir biß Lignitz zuge-

c

ich vor hoch durchgestrichen.

10 11 12 13 14 15 16 17

Christian (1618–1672), Herzog von Liegnitz, Brieg und Wohlau. Liegnitz (poln. Legnica). Brieg (poln. Brzeg). Melchior Friedrich von Canitz (1629–1684). Luise (1631–1680), Herzogin von Liegnitz, Brieg und Wohlau, geborene von Anhalt-Dessau. Georg Wilhelm (1660–1675), Herzog von Liegnitz, Brieg und Wohlau. Johann Lucas (1602–1673), Vater von Friedrich Lucae. n.z.e.

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Friderici Lucae eigentgliche Lebens und Totdes Geschichte

ordneten Landkutschen und gesegnete mich mit dem herren Vater, welcher gleich damahls zu Bette liegende am Podagra schmertzlich arbeitete. So bald ich Sonnabends in Lignitz anlang’te, bezog ich daß Hofprediger hauß und verding’te mich an tisch mit meinem famulo bey herren |212| Johann Köhlichen,18 fürstlichen Kornschreibern, deßen frau19 war meines Antecessoris Nicolai Gertichii20 Tochter. Diesen meinen famulum ließ ich hernach in Lignitz21 die Apothecker Kunst lernen. In Lignitz hielt ich meine Anzugs Predigt auß dem Ordentglichen Sonntäglichen Evangelio. Die Gemeine war hier nicht groß. Herr Rudolph Godfrid Knichen22 und herr Martinus Bernhardi,23 beyderseits Regierungs Räthe, waren die Vornehmsten in der Gemeine. Jährlich hielten wir daß Abendmahl viermahl, darbey sich, hin und her vom Lande, Unterschiedliche Adeliche und Andere Vornehme Personen sich einfanden und die Gemeine ziemlich vergröserten. Herr Rath Knichen hatte eine grose Familie und erzeigte sich für seine Person, dan und wann, Devot. Herr Rath Bernhardi aber konte nicht für einen Aufrichtigen Reformirten Christen halten: Denn Er war nur der Beförderung wegen auß dem Lutherthum zu unß getretten und heuchelte mit seinen alten Brüdern mercklich. Seine Ehefrau24 eyferte bey ihrem Lutherthum auß unverstand und Er ließ kein Eintziges von seinen Kindern in der Reformirten Religion auferziehen zum grosen Aergernüß Unserer Reformirten Kirche und Gemeine. In vielen Dingen lag Er mit den Lutheranern unter der Decke und favorisirte denselben mehr als seinen Glaubens Genoßen; Daher konte zu diesem mann keine Confidentz tragen. Er ließ auch sonst im Gerichte gewaltig die Affecten verspüren und verfuhr manchmahl mit passionirtem Urtheil gegen die jenigen, welche Er nicht wol wolte, darüber viel seufzer ergiengen und viel gutte Leute bey mir klagende einkamen. Mein Labores waren hier zu Lignitz erträglicher als zu Brieg;25 Wie wol bey den Grosen Festtagen mich die selben ziemlich druckten auß mangel der Adiuvanten. Sonntags predigte ich sonst ordinair zweymahl,d hergegen dorfte keine Betstunden halten, auch nur alle 14 tage mitwochs einmahle predigen.

d e

nur vor zweymahl durchgestrichen. zwo vor einmahl durchgestrichen; ein in einmahl über der Zeile ergänzt.

_______________________________ 18 19 20 21 22 23 24 25

Johann Kölichen (Kölich, Köhlich). n.z.e. Nikolaus (Mikołaj) Gertich (1624–1671). Liegnitz (poln. Legnica). Rudolf Gottfried (von) Knichen (vor 1621–1682). Martin Bernhardi (1625–1700). Anna Elisabeth Bernhardi, geborene Naticius († 1698). Brieg (poln. Brzeg).

[XIX.] Reise nach Liegnitz. Uebertragung und Antretung der ersten hofprediger Stelle in Liegnitz

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Bey dem fürstlichen Consistorio hatte ich keine Session, denn die Lutheraner bißen unß auß, denen der Hertzog26 auß Persuasion der Lutherischen Räthe zu viel nachgab, wie oben bey dem Fürstenthum Lignitz gedacht worden. Herr Martinus Bernhardi, der sich, wie gedacht, euserlich zu Unß bekante, praesidirte zwar im Consistorio, aber mit sehr grosem Contentement der Lutheraner; Sintemahl ein Offentglicher Lutheraner hette ihnen schwerlich mehr flatiren und nach ihrer Pfeife tantzen können, als dieser, der Lutheraner Schoß Kind, Bernhardi thät. Unter deßen befriedigte mich gar sehr, daß mit den groben Gesellen keine Concurrentz halten dorfte, weder bey Begräbnüßen, |213| weder in der Kirche, weder im Consistorio: Denn so wenig ein parder ihm kan andere Flecken anstreichen, als Er von Natur hat, so viel weniger mögen diese harte köpffe erweichet oder gewonnen werden, weder durch gelindigkeit, weder durch überweisung ihrer Irthümer. Dieser und anderer Uhrsachen wegen lebte ich hier vor mich und hielt gar wenig Conversation. Meine Spatziergänge thät ich gemeiniglich alleine und zuweilen reisete ich nach Ziebendorf,27 vier meilen von Lignitz,28 zu dem Berühm’ten herren Doctor Jonston,29 meinem sehr Werthen Freunde. Ich reisete auch jährlich zweymahl nach Brieg30 und besuchte den herren Vater.31 Es hielten zwar auch etliche Lutherischer Prediger, wie auch der Rector Scholae Lignicensis, herr Ephraim Hermannus,32 und herr Godfried Thilo,33 Rector Scholae Goldbergensis,34 beyderseits Gelehrte männer, mit mir Conversation, wie man aber solchen Leuten trauen müste, lehrete mich die Erfahrung. [XX.]a 1ste Reise von Lignitz nach Lissa1 in Pohlen. Weil ich in Pohlen zur Lissa unterschiedene Bekante hatte, auch noch niemahls in dem Benachbarten Pohlen gewesen war, so bediente mich bey Schönen Sommertagen der 26 27 28 29 30 31 32 33 34

1

Christian (1618–1672), Herzog von Liegnitz, Brieg und Wohlau. Ziebendorf (poln. Składowice). Liegnitz (poln. Legnica). Jan Jonston ( John Johnston, 1603–1675). Brieg (poln. Brzeg). Johann Lucas (1602–1673), Vater von Friedrich Lucae. Ephraim Heermann (1627–1689). Gottfried Thilo (von Thilau und Steinberg, 1646–1724). Goldberg (poln. Złotoryja). Lissa (poln. Leszno).

_______________________________ a

Die Zählung der folgenden Kapitel XX., XXI., XXII. und XXIII. wurde nachträglich eingefügt. Eigentlich als Unterkapitel von Kapitel XIX. Reise nach Liegnitz. Uebertragung und Antretung der ersten hofprediger Stelle in Liegnitz dargestellt, werden diese Kapitel aus Gründen der Übersichtlichkeit im Folgenden als Hauptkapitel betrachtet. Dementsprechend ändert sich die Zählung der anschließenden Kapitel.

_______________________________ 1

Lissa (poln. Leszno).

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Friderici Lucae eigentgliche Lebens und Totdes Geschichte

gelegenheit und reisete mit Meinem Tischwirth, herren Johann Köhlichen,2 und herren Hopstock,3 fürstlichen Rentschreibern zu Lüben,4 nach dieser Stat Lissa, 12 Meilen von Lignitz gelegen. Wir nahmen unsern Weg über Schlichtingsheim an der Oder5 und übernachteten bey dem herren selbigen Stätleins deß Geschlechts von Schlichtingsheim,6 schon ins Polnische Königreich gehörende. Dieser herr bekante sich zur Lutherischen, seine Frau7 aber zur Reformirten Religion. Die Gutte Frau, welche sich alleine zu hause befand, empfieng ihren Alten Praeceptorem, Erwehnten herren Köhlichen, sehr höflich und bewillkommete mich und den herren Rentschreiber Hopstock mit gleicher Ehrerbittigkeit, wündschende, daß ihr Herr möchte einheimisch sein. Ich sahe alhier zum ersten mahl die Polnische Tisch Ordnung, da man die Gäste mit grosen Bier und Brandtwein gläsern zu empfangen pfleget und bewirthet, auch den Tisch dreyfach über einander mit Schüßeln und Speisen besetzet. Unter wehrender Mahlzeit kam ein groser Polacke mit einem grosen Bart in Polnischer kleidung für den Tisch getretten, fragende: Ob unß auch die Speisen schmecketen? So bald wir ja sagten, macht Er einen Polnischen Reverentz und |214| bat unß vor lieb zu nehmen, wartete auch so lange auf für dem Tisch biß zur Endigung der Mahlzeit. Der Speise Saal mit seiner Weitleuftigkeit und Gemählden hette wol einen Fürsten vergnügen können. Deß morgends giengen wir ins Stätlein8 und besahen die Lutherische Kirche: In dem Adelichen hofe redete alles polnisch, in dem Stätleinb aber Teutsch. Hierauf danck’tenc wir der Adelichen Frauen9 für ihre höfliche Accomodation, die unß gerne denselben tag über bey sich behalten hette, und reiseten weiter fort. Mittags umb 1 Uhr erreichten wir daß Dorf Hoersdorf10 und besuchten den Prediger herren Vigilantium,11 der unß mit einem gutten morgenbrot tractirte, nach polnischer manier zugerichtet. Der herr dieses Dorfes, herr von Milinsky,12 mein gewesener Condiscipulusd im Briegischen13 Gymnasio, befand sich nicht einheimisch, sonst würden b c d

dem vor Stätlein durchgestrichen. be vor danck’ten durchgestrichen. Dr vor Condiscipulus durchgestrichen.

12 13 14 15 16 17 18 19 10 11 12 13

Johann Kölichen (Kölich, Köhlich). Balthasar Hopstock. Lüben (poln. Lubin). Schlichtingsheim (poln. Szlichtyngowa). Samuel der Ältere von Schlichting (G 1627). Christina von Schlichting, geborene Gruszczyńska (um 1640–1676). Schlichtingsheim (poln. Szlichtyngowa). Christina von Schlichting, geborene Gruszczyńska (um 1640–1676). Heyersdorf (poln. Jędrzychowice). Johann Vigilantius (1631–1696). n.z.e. Brieg (poln. Brzeg).

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[XX.] 1ste Reise von Lignitz nach Lissa in Pohlen

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wir gleichfals von ihm ein guttes Tractament genoßen habe. Der Eine theil deß Dorfes bestand in Lutherischen, der Andere in Reformirten Bauern; Jedoch administrirte der Prediger Vigilantius einem so wol als dem andern daß Abendmahl nach seinem Glauben, den Lutheranern auf Lutherische, den Reformirten auf Reformirte Weise. Dieses Predigers Frau14 gab unß ein Wunderbar Spectakel, in dem Sie ihres kurtzen Gedächtnüßes halben alles, waß Sie nur anfaßete, augenblicklich wieder auß den händen fallen ließ und dasselbe zerbrach oder beschädigte; Daher derselben der Prediger, ihr mann, nicht daß geringste, weniger die Kinder, anvertrauen dorfte. Nach eingenommenen morgenbrot zogen wir auf Fraustadt.15 Diese Stat gehöret zu Gros Pohlen und wird unter die königlichen Stätte gerechnet, Sie ist gar nahrhaftig und von vielen Reichen kaufleuten berühmt gemacht. Die Inwohner darinnen bekennen sich allerseits zu Lutheri16 Lehre und haben auch ihre freyes Exercitium Religionis, wie auch eine ansehnliche Pfar Kirche nebst einer kleinen Kirche, daß Kriplein Christi genandt, worinnen der Bekante Lutherische Prediger Valentin Herberger17 geprediget hat. Daß Rhathauß und die Bürgerhäuser seind mehrentheils von Stein aufgeführet, auch die Straßen von ziemlicher Disposition. Rings umbher umbgibt die Stat eine Starcke Mauer und waßergraben und sondert Sie von den Vorstätten ab, welche viel 100 Tuchmacher bewohnen von deutscher Nation, wie dan auch in der Stat die Leute mehr Teutsch als polnisch reden. Weil der Abend aber herbey nahete und unser Vorhaben hier |215| nicht zu übernachten war, machten wir unß selbigen Abend noch biß auf Laswitz18 und logirten bey herren Johanni Sigismundo,19 Predigern deß Ort’s, auch meinem gewesenen Condiscipulo im Briegischen20 Gymnasio, und genoßen von ihm allerley höfligkeit und gutte bewirthung. Deß morgends früh giengen wir rectà nach der Lissa21 zu und kamen an einer mitwoche vor der Predigt alda an, da unß bald bey dem Thore herr Samuel Hartmannus,22 Sanctissimae Theologiae Doctor und Senior Primarius der Reformirten Kirche in Groß Pohlen, einen krancken besuchende, begegnete und bewilkommete. Er bat unß unterdeßen in seiner Behausung daß Quartier zu nehmen, aber wir schlugen die herberge auf in einem Wirthshause und legten saubere kleidung an. Nach anderthalb stunden schickte herr Hartmannus seinen famulum ins Wirthshauß und ließ unß zum morgenbrot invitiren, auch demselben folge leistende. Bey der mahlzeit tractirte Er unß auf Polnische manier mit guttem Rindfleisch, Bier und 14 15 16 17 18 19 20 21 22

n.z.e. Fraustadt (poln. Wschowa). Martin Luther (1483–1546). Valerius Herberger (1562–1627). Laßwitz (poln. Lasocice). Johann Sigismund (Siegmund), genannt Rokizanski (Rokyczanski, † 1697). Brieg (poln. Brzeg). Lissa (poln. Leszno). Adam Samuel Hartmann (1627–1691).

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Friderici Lucae eigentgliche Lebens und Totdes Geschichte

Brandtwein. Nach dem Essen gab ich die Visite herrn Johanni Bythnero,23 General Seniore der Polnischen Fraternität, welche nach Außplünderung der Polnischen ­Lissa eine geraume Zeit zu Brieg auf dem Gymnasio wohnete im Exilio neben meinem Seeligen herren Vater.24 Sonst hatte herr Hartmannus etwaß mehr Wißenschaft von der Teutschen höfligkeit als etwa dieser. Weil ich aber die Lissa besuchte nicht deß Polnischen Brandtweins oder Bieres wegen, welches der Pohlen Leben ist, sondern der Besichtigung wegen, so observirte auch mein Dic, Cur, Hic und besahe die Stat von innen und außen. Von der Innerlichen Beschaffenheit dieser Stat kan man wenig ruhm machen, denn Sie ist nur von holtz und Leimen erbauet, außer daß Rathhauß und etlicher kaufleute häuser auf dem marckt sind steinern aufgeführet. Die Grose Reformirte Kirche hat auch steinerne Grundmauern von ziemlichem Umpfang und einen hohen Thurn. In der Kirche zeigte man mir Unterschiedlicher Polnischer Edelleute Begräbnüß und eine kleine Orgel, von dem Freyherren von Schönaich25 auß eigenen mitteln hienein gebauet. Eben daß ist die Kirche, in welcher ein Kaufmann von Lissa, Dlugasch26 genandt, den für Kosten getöteten, aber wiedergefundenen Cörper Landgraf Fridrichs zu Hessen27 durch die Polacken in einem Scharmützel heimlich so lange vergraben und verwahret gestanden, biß dersselbe durch den Hessischen Abgesandten herren von Boineburg,28 in aller Stille, abgefordert und nach Hessen abgeführet worden. Die Lutheraner haben zwar auch eine grose Kirche, aber auch nur von holtz erbauet samt dem thurn daran. Die Böhmische Brüderschaft, Re- |216| formirter Religion, verrichtet ihren Gottesdienst in dem Schulhauße, nahe an der grosen Reformirten Kirche stehende. Nicht weit von dem Schloß stehet der Papisten Kirche, auch von gar schlechter Importantz. Waß man aber daß Schloß nennet, ist nur ein groses, gemauertes, einfaches gebäwde, dabey ein überauß groser Lustgartten hinterwerts lieget mit allerhand Fontainen, Fallbrücken und dergleichen Ergetzligkeiten gezieret, wie wol nicht von sonderlicher rarität und kostbarkeit. Diese Stat Lissa,29 und daß herumb liegende Ländlein, gehöret dem Grafen von Lessinsky,30 Pohlnischen Groß Cantzlern, welcher seiner Interesse halben den Reformirten sehr flatiret und dieselben seine Stat und Land zu vergrößern gewaltig an sich locket, wie wol desselben Vorfahren auch Reformirter Religion gewesen sein. Die Lutheraner genießen sonst mit den Reformirten gleiche Freyheit und bestehet auch der Stat 23 24 25 26 27 28 29 30

Johann Bythner (1602–1675). Johann Lucas (1602–1673), Vater von Friedrich Lucae. Hans von Schönaich (1623–1675). Andreas Dlugosch (Andrzej Długosz, † um 1658). Friedrich (1617–1655), Landgraf von Hessen-Eschwege. Friedrich von Boineburg, genannt Hohenstein (1634–1686). Lissa (poln. Leszno). Rafał Leszczyński (1650–1703).

[XX.] 1ste Reise von Lignitz nach Lissa in Pohlen

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Magistrat eines theils in Reformirten und andern theils in Lutherischen Rathsherren. Auch die Bürgermeister alterniren in dem Ampt jährlich und regieret dieses Jahr ein Reformirter, in dem andern Jahr ein Lutherischer Bürgermeister. Wegen der gutten handelsschaft halten hier die Judene grose Verkehrung und zehlet man die Bösewichter bey hunderten. Auß mangel eines Strohmes, oder Baches, oder Canales, vornemlich aber weil die gaßen ungepflastert sein, ist in der Stat ein solcher Koth und Unflath, dergleichen lebens lang in keiner Stat gesehen, darfür sich die Leute bey Nassen herbst Zeiten kaum in den häusern beschützen können, daß Er nicht hienein fließen solte; Wie wol die Vielheit deß Tuchmacher und dergleichen Volckes diesen Koth mercklich vermehret, welche am hellen Tage, unverschäm’t, die Gaßen zu cloacken und misthaufen machen. Die Stat ist sonst ein Weitleuftig wesen und fast von Gröse wie Müllhausen,31 wil sagen noch volckreicher. Wegen der grosen Zufuhre von Victualien läst sichs hier wolfeil leben, wie in allen andern Orten deß Pohlerlandes. Ich hatte in der Lissa einen gutten Freund an einem Schönfärber, Salomon Schüller,32 meines herr Gevatters Johann George Schüllers33 in Breslaw34 Bruder, welcher mich gerne länger bey sich gesehen und extraordinair tractiret hette; Allein meinen weg nach hause ließ mir mehr angelegen sein alß die gutte Bewirthung. Diese weitleuftige Gerümmel hat keine mauern und wird von außen nur mit einem einfachen wall beschloßen und truckenem graben. Die Leute mache auch eben keinen |217| unterschied, ob Sie über den Wall in die Stat steigen oder ordentglich zum thore eingehen. Bey der Abreise begleitete unß der Herr Doctor Hartmannus,35 und herr Schüller,36 biß fürs thor: Sie gesegneten unß und wir danckten ihnen für erwiesene höfligkeit und Wolthat. Ich verehrete dem herren Doctor Hartmanno, auf sein Begehren, ein Schönes mit silber beschlagenes gestöcklein; Dargegen versprach Er mir eine Uhr zu schicken, welche aber noch empfangen sol. Bey dem gutten Wetter und wege ließen wir die Pferde wol zujagen, denn es war schon nach mittag und gedachten noch selbigen abend in Rawitsch37 zu kommen. Wir passirten durch daß Stätlein Reusen,38 alwo ein Schönes Schloß, aber der ungezähmeten Polacken wegen gar gefährlich alhier zu verharren ist und kamen selbigen abend gar e

die Juden über der Zeile ergänzt.

31 32 33 34 35 36 37 38

n.z.e. n.z.e. n.z.e. Breslau (poln. Wrocław). Adam Samuel Hartmann (1627–1691). n.z.e. Rawitsch (poln. Rawicz). Reisen (poln. Rydzyna).

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Friderici Lucae eigentgliche Lebens und Totdes Geschichte

spät in daß besagte Stätlein Rawitsch. Die rechte warheit zu bekennen, so war unß bey der Reise nicht wol zu muthe: Denn die Finsternüß brach an, der Kutscher hatte keine Wißenschaft deß Weges und der dicke Wald, durch welchen wir reysen musten, ist nimmer ohne polnische Mäuseköpffe. So bald wir zu Rawitsch in der Vorstatt anlangten, ließenf wir unß vollends den weg in die Stat weisen; In der Stat aber trafen wir einen grosen Tumult an von polnischen Reutern, welche auf dem marckt, in einem Wirthshause, einander gewaltig die Säbeln an den köpffen wetzeten. Weil nun herr Köhlichen,39 unser Reyse Gefehrte, ein geborner Pohle, fertig die Polnische Sprache redete, bat Er bey dem thore einen mann, daß Er unß ins hauß nehmen möchte für den Rasenden Pohlen sicher zu sein: Denn wären Sie unser gewar worden, hetten wir grose gefahr außstehen müßen. Der mann entschuldigte sich aber unß einzunehmen, sondern ließ unß durch einen Jungen längst dem Statwall hinter den häusern ein hauß zeigen, welchem wir mit dem Wagen folgeten und entgiengen der Polacken ihren augen; Allein in diesem hause herrschete dermaßen daß Armuth, daß wir weder zu beißen noch zu brechen, ja nicht einen trunck Bier haben konten. Eine alte mutter, welche alleine im hause lebte, konte nicht überredet werden außzugehen und Bier zu holen auß Furcht der Polacken. Bey so gestalten sachen brachten wir die Nacht mit Gesprächen zu und ruheten wenig, theils auß mangel des Lagers, theils wegen der Schwermenden Polacken, besorgende verrahten und von ihnen überfallen zu werden. Am meisten befriedigte unß hierbey der Hof und bequeme Stall, welchen man zur verwahrung der Pferde und deß Wagens verriegeln und verschließen konte. Deß morgends, wornach unß hertzlich verlangete, erzehlete man |218| wunder Dinge von den Verübten Gottlosigkeiten der Polacken, welche mit anbrechendem tage auß der Stat gezogen waren, und preiseten unß jedermann glückseelig, daß wir von ­ihnen keinen anstoß leiden dörffen: Denn wann diese Leute schon anfangen zu rasen, darf sich kein mensch in solchen Offenen Stätlein erkühnen denselben zusteuern, sonst müste es daß gantze Stätlein entgelten und in gefahr der plünderung, oder der anzündung, oder gutter stöße, stehen. Daß Stätlein Rawitsch40 bekennet sich zu Lutheri41 Lehre und hat auch zum offentglichen Gottesdienst eine feine mit Vielen Epitaphiis und andern Gemählden, nach Lutherischer Art, gezierte Kirche mit zweyen Predigern. Die Bürger ernehren sich mehrentheils von der Wollentuch macherey und sind auß Schlesien der Religion wegen von dem kayser vertrieben hieher unter den Polnischen Schutz gewichen.

f

en in ließen über der Zeile ergänzt.

_______________________________ 39 40 41

Johann Kölichen (Kölich, Köhlich). Rawitsch (poln. Rawicz). Martin Luther (1483–1546).

[XX.] 1ste Reise von Lignitz nach Lissa in Pohlen

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Auf dem marcktplatz stehen feine grose Bürgerhäuser und die Straßen sind auch viel reiner als zur Lissa.42 Am morgen umb 8 Uhr reiseten wir durch einen dicken Wald wieder nach Schlesien zu über Hernstadt43 und Steinaw44 im Wohlawischen45 Fürstenthum, alwo wir unß in dem Wirthshauß an der Oder mit einer gutten mahlzeit accomodiren ließen, lang’ten deß abends zu Lüben46 an und übernachteten bey unserm Reise Gefehrten, dem fürstlichen herr Rentschreiber Hopstock,47 deß andern tages aber erhob ich wieder mit herr Köchlichen,48 Gott sey Danck, frisch und gesund, nach Lignitz.49 Waß die Stätte Hernstadt, Steinaw und Lüben betrift, so seind Sie schon oben bey dem Fürstenthum Wohlaw und Lignitz beschrieben worden. [XXI.]a 2. Reise auß Lignitz nach Gros Glogaw1 und Beuthen.2 Weil ich noch niemahls in der kayserlichen Vestung Gros Glogaw gewesen war und dieselbe gerne besehen hette, als gab mir hierzu herr Christian Pauli,3 damahliger Superintendens zu Brieg,4 gutte gelegenheit an die hand. Es wohnete desselben Verwittibte Schwester5 zu Beuthen, noch drey meilen hinter Glogaw und also 10 meilen von Lignitz; Weil Er nun dieselbe von dar abhohlen und mit sich nach Brieg führen wolte, bat Er mich umb die Reise Geseelschaft. Wir zogen an einem monntage auß Lignitz mittags biß nach Lüben, alwo unß der Bürgermeister herr Calmann,6 unserer Religion zugethan, wol tractirte und kamen deß andern tages bey gutter Zeit |219| zu Glogaw7 an. Es Commendirte die Vestung der Wunderliche kayserliche General Knigge.8 Und weil unß desselben Narrenpossen, 1 2 3 4 5 6 7 8

Glogau (Groß Glogau, poln. Głogów). Beuthen an der Oder (poln. Bytom Odrzański). Christian Pauli (1625–1696). Brieg (poln. Brzeg). n.z.e. Georg Callmann (1609–1684). Glogau (Groß Glogau, poln. Głogów). Jobst Hilmar von Knigge (1605–1683).

42 43 44 45 46 47 48 49

Lissa (poln. Leszno). Herrnstadt (poln. Wąsosz). Steinau an der Oder (poln. Ścinawa). Wohlau (poln. Wołów). Lüben (poln. Lubin). Balthasar Hopstock. Johann Kölichen (Kölich, Köhlich). Liegnitz (poln. Legnica).

a

Zählung des Kapitels nachträglich eingefügt (vgl. 307 Anm. a).

1 2 3 4 5 6 7 8

Glogau (Groß Glogau, poln. Głogów). Beuthen an der Oder (poln. Bytom Odrzański). Christian Pauli (1625–1696). Brieg (poln. Brzeg). n.z.e. Georg Callmann (1609–1684). Glogau (Groß Glogau, poln. Głogów). Jobst Hilmar von Knigge (1605–1683).

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Friderici Lucae eigentgliche Lebens und Totdes Geschichte

die Er mit den Passagiers gewöhnlich zu treiben pflegte, bekant waren, gaben wir unß in den Reise röcken im thore bey der Examinirenden Wacht für fürstliche Cantzeley Bedienten von Lignitz9 auß, den sonst hette Er gar gewiß unß zu sich gefordert und die Jesuiten zum disputiren übern halß geschickt, bey welchen Verwegenen Gesellen, sonderlich wo Sie die Oberhand haben, nicht viel zu gewinnen ist. Ob wol in dieser Stat Unterschiedliche Vornehme Leute wohneten, so gieng doch viel unordentgliches wesen in derselben vor. Der Landshauptmann Grafe von Herberstein10 favorisirte, seines Nutzes halben, den Gottlosen Juden und der General Knigge den Pfaffen, hierüber wurden die Gutten Leute unterdrucket und abgemergelt. Beyderseits brachten es darzu, daß kein Lutherischer Advocat mehr in der Cantzeley der Leute Sache führen dorfte, unangesehen diese ein groses geld zu geben sich erboten. Die Stat ist mit der Insul, worauf die Dom Kirche stehet, so groß als Cassel.11 Die Jesuiten haben darinnen ein ansehnliches Collegium, die Stat eine grose Pfarr und die Franciscaner eine grose kloster Kirche. Vor der Stat ligt der Lutheraner Kirche, welche auf Bewilligung des Friedens Schlußes zu Münster Sie erbauet haben. Erwehnter General Knigge, ein Brunschwiegischer12 Edelmann und Apostata, vexirte die Lutheraner, seine Alte Glaubens Genoßen, rechtschaffen. Deß Sonntags, wenn Sie hienauß zur Predigt giengen, sperrete Er die Thore und in dem einen thor Flügel hatte Er ein enges Pförtlein, wodurch kaum ein Schmaler mensch mit mühe kriechen konte, schneiden laßen, also daß nur einer nach dem andern sich mühsam durcharbeiten muste und gehörete viel Zeit darzu, biß sich alle hindurch schoben in dem ein und außgehen. Die Vestung an ihr selbst ist eben so considerabel nicht. An der einen seiten streichet die Oder vorbey, darüber eine höltzerne Brücke gehet auf die besagteb Dom Insul, für welcher eine Starcke ligt, mit pallisaden umbgeben, an der andern seiten aber hat Sie nur druckene graben. Die Wälle stehen zwarc auf gemauerten Gründen, sind von ziemlicher höhe und Stärcke, auch an etlichen Ecken mit Cavallieren über den Bollwercken versehen, aber an Ecken gegen die Oder ligt die Stat dermaßen Niedrig, daß man außen von der Conterscherpe fast in die Bollwercke sehen kan, in dem diese ja so hoch als jene ist; Daher haben Sie eine alte Kirche mit Erden außgefüllet und zur Batterie gemacht zur beßeren Defension der Vestung. Ich besuchte auch alhier meinen Alten Academischen Freund herrn George Stabel,13 welcher mich sehr freundlich empfieng und höflich mit einer Kurtzen Collation tractirte. b c

n in besagten durchgestrichen. nur vor zwar durchgestrichen.

_______________________________ 19 10 11 12 13

Liegnitz (poln. Legnica). Johann Bernhard von Herberstein (1630–1685). Kassel. Braunschweig. Gottfried Stabel.

[XXI.] 2. Reise auß Lignitz nach Gros Glogaw und Beuthen

315

|220| Man zeigte mir auch den Ort, in welchem vor alten Zeiten einige Rathsherren eingesperret haben erhungern müßen, davon viele Historici gedencken. Gegen Abend reiseten wir wieder auß Glogaw14 und wolten nicht darinnen übernachten, auß Furcht man möchte unß bey dem General15 verrahten, der ohne daß viel nachfragens unsertwegen anstellen ließ. Deß Andern tages morgends kamen wir nach Beuthen.16 Dieses Stätlein ohne Mauern und Wälle ist von schlechter Importantz, wie wol es an der Oder ligt. Die häuser darinnen seind von holtz erbauet und werden mehrentheils von Armen Tuchmachern bewohnet. Es gehöret zwar unter die Jurisdiction der Freyherren von Schönaiche,17 immediatè aber zum Glogawischen Fürstenthum. Vor diesem florirte alhier daß Vortrefliche Gymnasium Academicum, davon daß Gebäwde und in demselben die Schönen Auditoria noch zusehen seind, von ziemlicher Weitleuftigkeit. Es stand fast Wüste und Öde, außer daß ein Zuckerbecker Reformirter Religion, bürtig von Geneve,18 der mit seinen Conditereyen weit und breit handelte, darinnen wohnete. Dieser man erzeigte sich sehr höflich gegen unß. Er hatte nur eine eintzige tochter von 24 Jahren: Sie lag continuirlich auf dem Bette, ohne Verstand und Sprache, konte weder stehen noch gehen; Ihre Gröse war kaum der Gröse eines Kindes von 4 Jahren zu vergleichen und ihr gantzes Leiblein ähnlichte einem Sceleton und doch speisete Sie täglich zweyer menschen Kost und ist leicht zu erachten, waß dieses Elend den Eltern für hertzeleid müße erwecket haben. Meines Ortes habe lebenslang keine so jämmerlich Spectakel gesehen, nicht wißende, waß man darauß hette machen sollen. Rings umb daß Stätlein Beuthen liegen lauter Weinberge, davon der gekelterte Wein in Pohlen geführet wird, wie wol auch die Beuthner sich mit dem Übrigen statlich lustig machen können. Die Zeit wolte es nicht leiden, sonst hetten wir gerne über die Oder gesetzt und daß Berühmte Schloß Carlath19 besehen, der herren von Schönaich Residentz, und herren Wilhelm Nüslerum,20 meinen Alten Schulfreund, Secretarium und daß Fac Totum darauf, besuchet. So bald deß herren Pauli21 Schwester,22 derer mann23 alhier ein Becker gewesen war, ihre Sachen bestellet hatte, reiseten wir mit ihr, in Gottes Nahmen, zurück nach

14 15 16 17 18 19 20 21 22 23

Glogau (Groß Glogau, poln. Głogów). Jobst Hilmar von Knigge (1605–1683). Beuthen an der Oder (poln. Bytom Odrzański). Schönaich, Adelsgeschlecht. Genf (frz. Genève). Carolath (poln. Siedlisko). Wilhelm Nüssler (Nüßler). Christian Pauli (1625–1696). n.z.e. n.z.e.

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Friderici Lucae eigentgliche Lebens und Totdes Geschichte

Lignitz,24 wie wol durch eine andere Straße, damit wir nicht wieder auf Gros Glogaw kommen dörften, über daß Stätlein Bolckowitz.25 Von Lignitz begab sich herr Pauli mit seiner Schwester nach Brieg,26 ich aber verblieb zu Lignitz in meiner Behausung und tractirte zuvor den herrn Pauli mit einer Abendmahlzeit. Von diesen beyden Orten, Gros Glogaw und Beuthen, kan man oben bey der Beschreibung deß Fürstenthums Glogaw mehrere Particularia sehen. |221| [XXII.]a 3te Reise auß Lignitz1 nach Hirschberg2 ins Warme Bad3 und Riesen Gebürge. Bey Schöner Sommerzeit machte ich mit dem fürstlichen Rhat herren Knichen4 und dem herren Tobias Francke,5 Bürgermeistern zu Lignitz, eine Compagnie, darzu dieser Kutschen und Pferde lehnete, und besuchten daß Warme Bad zu Hirschberg, 8 starcke meilen von Lignitz gelegen. Daß erste Nachtlager hielten wir zu Goldberg,6 einer feinen fürstlichen Stat mit Schönen Steinern häusern, Kirchen, doppelten Stadtmauern, auch einer ansehnlichen Bürgerschaft prangende. Hierselbst tractirte unß Bürgermeister und Rhat aufs köstlichste. Diese Leute in solchen Land Stätten wie Sie sich mehr Ergetzligkeit und Veränderung machen als in den Grosen Stätten, so ließen Sie auch damahls ihre Stat Musicanten mit Trommeten und Paucken und andern Instrumenta unter wehrender Mahlzeit aufwarten. Deß Nachts, da der herr Bürgermeister Francke ziemlich den Rausch im kopffe fühlete, satzte Er sich dem Rathsherren und Bürgermeister Collegio auf den marckt unter freyen himmel und ließen ihnen den trunck bey’m Trompeten Schall noch beßer schmecken. Herr Rhat Knichen samt mir blieb oben im Fenster deß Saals liegen, höreten und sahen auf den Außgang sothaner Fröligkeit. In deßen kam ein Armer, Trunckener Bürger und fragte diese herren, ob daß mode wäre, daß man hier in dem mondenschein sich so lustig machte? Allein der Arme Stümper ward nach hause gewiesen durch die aufwartenden Stat Diener und wegen dieser kühnheit deß morgends ins Gefängnüß geworffen, auch auf 5 thaler strafe condemniret. 1 2 3 4 5 6

Liegnitz (poln. Legnica). Hirschberg (poln. Jelenia Góra). Bad Warmbrunn (Warmbrunn, poln. Cieplice Śląskie-Zdrój). Rudolf Gottfried (von) Knichen (vor 1621–1682). Tobias Franck (von Franckenburg, 1616–1686). Goldberg (poln. Złotoryja).

24 25 26

Liegnitz (poln. Legnica). Polkwitz (poln. Polkowice). Brieg (poln. Brzeg).

a

Zählung des Kapitels nachträglich eingefügt (vgl. 307 Anm. a).

1 2 3 4 5 6

Liegnitz (poln. Legnica). Hirschberg (poln. Jelenia Góra). Bad Warmbrunn (Warmbrunn, poln. Cieplice Śląskie-Zdrój). Rudolf Gottfried (von) Knichen (vor 1621–1682). Tobias Franck (von Franckenburg, 1616–1686). Goldberg (poln. Złotoryja).

_______________________________ _______________________________

[XXII.] 3te Reise auß Lignitz nach Hirschberg ins Warme Bad und Riesen Gebürge

317

Meines Ortes improbirte höchlich dieses Crudele Procedere den herren Bürgermeistern: Denn es hette wol ein anderer, nüchterner weise fragen mögen, ob daß mode wäre, wenn die Regenten der Stat auf Unkosten der Gemeinen Bürgerschaft unter’m freyen himmel schmauseten die gantze Nacht durch und mit bösen Exempeln ihre Untergebenen Bürger ärgerten. Nach dem morgen Imbiß giengen wir zu Wagen und kamen selbigen Abend noch biß auf Hirschberg.b Dieser Ort ist ein sehr Wolerbaute, mit Schönen Steinern häusern, Kirchen, Thürnen und Thoren Gezierte Stat im Riesen Gebürge, welches Schlesien von Böhmen scheidet, im Fürstenthum Jauer7 gelegene Stat. Die Kirchen haben den Lutheranern die Papisten genommen, welche theils zu Jauer, theils in die Grentz Kirchen deß Fürstenthums Lignitz verrichten ihren Gottesdienst und beharren beständig bey ihrer Religion, darbey Sie viel ungemach erdulden. |222| Auch seind die Inwohner mehrentheils Wolhabende Leute wegen deß ­starcken Leinwad handels nach Leipzig und Holland und anderer Waaren; Sonderlich bringt ­ihnen die herumbliegende Ritterschaft gutte Nahrung. Gegen einen Anlauf umbgibt die Stat eine Starcke mauer mit Thürnen und Waßergraben. Es liegen auch in diesem Weichbild viel Schöne Berg und Adeliche Schlößer und Grose Dörffer und wohnen in manchem Dorfe über 200 Bauern. Eine meil weges tiefer ins Gebürge hienein, hinter Hirschberg,8 ligt eigentglich der Warme Brunnen mitten in einem Flecken, daß Bad9 genandt. Wegen der stets hierbey sich befindenden Bade Gäste und Frembder herren gibt es im Flecken zierliche häuser, mit allen ersinnlichen Bequemligkeiten versehen. Am morgen, so bald wir hier ankamen, bezogen auch wir ein Schönes Lustiges hauß und zahlten ohne die Accomodation täglich darfür, wie wol nur ein Zimmer brauchende, einen Reichsthaler. Umb daß hauß gieng oben offene Gallerien, von denen man in den Flecken und in die Gebürge sehen konte. Herr Pauli,10 Superintendens von Brieg,11 pflegte alhier gleich gegenwärtig der Bade Cur und wir bedienten unß seines Tisches. Die Victualien werden auß allen Orten hierher häuffig geführet, samt allem Überfluß von Delicatezzen. Der haupt Brunn stehet mitten im Flecken mit einem Schönen, steinern, hohen Gebäwde umbgeben und bedecket in gestalt eines dicken Gespitzten Thurns. Inwendig sind rings umb den Brunnen her Schöne Trallien und Kämmerlein, worinnen sich die Bade Gäste auß und ankleiden.

b

Heidelberg vor Hirschberg durchgestrichen.

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Jauer (poln. Jawor). Hirschberg (poln. Jelenia Góra). Bad Warmbrunn (Warmbrunn, poln. Cieplice Śląskie-Zdrój). Christian Pauli (1625–1696). Brieg (poln. Brzeg).

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Friderici Lucae eigentgliche Lebens und Totdes Geschichte

Der Brunnen wird taglich 4 mahl ab und angelaßen. Deß morgends, wenn mit der Glocken geleutet wird, gehen die männer und hernach daß frauenzimmer ein und deß mittags hält man wieder solchen Wechsel. Für daß Badc müßen die Gäste zum ersten mahl, und nachgehends wochentglich, einen Ducaten geben und solches gilt gleichviel, ob einer Alleine ist oder ob Er eine Familie bey sich hat, welches geld dem herren deß Bades, dem herr Grafen von Schafgotzsch,12 zukom’t. Der Gebühr dem Bade Wärter und andern Bade Bedienten bleibet vor sich. Nicht fern davon stehet noch ein ander Brunnen, auch mit einem feinen Gebäwde bedecket, der Probst Brunnen genandt, der aber nicht so kräftig ist, in dem Er durch Canale von jenem Brunnen muß erwärmet werden, hingegen dörffen auch die Badenden nicht so viel geld darfür zahlen. Ich habe mich höchst über die Wärme dieses Waßers verwundert, welches so warm ist, daß man kaum die hand darinnen mag |223| erleiden. Wenn der Brunnen gantz abgelaßen worden, setzten sich bißweilen die Badenden auf den grund und laßen sich hernach mit dem quellenden Waßer, nach und nach, von unten biß oben, auf treiben, welches sehr artlich anzusehen ist, anderer Kurtzweil anjetzo zu geschweigen. Die Natur deß Brunnen sol sehr kräftig sein wieder allerhand Schwacheiten deß frauenzimmers, sonderlich für den Stein und Podagra, auch die gelähmete glieder rectificiren; Wie wol ich meines Ortes gar wenig dergleichen krancke gesehen, welche, obd Sie sich schon etlichemahl deß Brunnen bedienet, gäntzlich wären restituiret worden. In dem Flecken ist eine Schöne Probstey, samt einer Kirche, und darbey ein Probst mit 6 Prämonstratenser Mönchen. Diese invitirten unß allerseits zu sich in ihren herrlichen kloster garten auf den Keegelplan und tractirten unß mit allerhand Garten Früchten und Böhmischen Wein. Es waren lustige Brüder und darbey rechte Idioten, die sich mehr umb den Bauch als die Bücher bekümmerten. Ich und herr Pauli13 zogen Sie statlich durch die hechel, darzu unser mitgebrachtes frauenzimmer auche daß ihrige contribuirte, und machten unß mit den purschen eine ungemeine kurtzweil, welches ihnen die höchste Freude und Vergnügung war. Von hier giengen wir noch tiefer ins Gebürge, wie wol mehrentheils zu Fuß, biß an die Böhmische grentze, weil man mit dem Wagen nicht wol fortkommen kan. Die Spitzen dieses Riesen Gebürges sind von abscheulicher höhe und glaube mit Vielen Historicis, daß auser den Alpen keine höhere Berge in Teutschland sein. Johannes Christophorus Becmannus,14 Professorf zu Franckfurt an der Oder,15 hat zu seiner Historia c d e f

Bald zu Bad aus Gründen der Lesbarkeit korrigiert. nach vor ob durchgestrichen. auch vor auch durchgestrichen. der vor Professor durchgestrichen.

_______________________________ 12 13 14 15

Christoph Leopold Gotthard von Schaffgotsch (1623–1703). Christian Pauli (1625–1696). Johann Christoph Beckmann (Becmann, 1641–1717). Frankfurt an der Oder.

[XXII.] 3te Reise auß Lignitz nach Hirschberg ins Warme Bad und Riesen Gebürge

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Geographica et Civilis Orbis Terrarum eine besondere Oration von diesem Riesen Gebürge beygefüget, welche in meiner Bibliotheca befindlich ist. Auf der höchsten Spitze, die Schneekappe genandt, hat der Grafe von Schafgotsch16 eine Capellen gebauet, darauf bißweilen Messe und Walfahrten gehalten werden. Ich bin aber nicht hienauf kommen. Von dem Berühmten Rübenzahl, einem Verfluchten und hieher Verbannten König, davon etliche so viel Erzehlens machen, wie dan auch einer mit Praetorius17 ein gantz Buch davon außgegeben, als solte Er zuweilen bald in gestalt eines Thieres oder Menschens erscheinen, Donner und Regen Wetter erwecken, einen erfreuen, den andern betrüben, einem gold und silber auß holtz machen, dem andern hauß und hof verderben etc. Wollen die Leute nichts hören oder wißen und halte es auch für eine alte Fabel auß dem Heidenthum herkommende und magg wol auch der Teuffel selbst der Rübenzahl sein, der manchmahl den Italiänischen und Tyrolischen Schatzgräbern und Teuffelsbannern, die hieher ofters kommen, Schätze und Edelgesteine zu suchen, schreckhaftig erscheinet und die jenige bannet und aengstiget, die ihn ihn zu bannen vermeynen. Man hat in den gründen und höhlen auch unterschiedene mahl Todte Cörper gefunden, welchen muthmaßlich |224| der böse, und von ihnen Irritirte, Geist den hals zerbrochen. Von unser Compagnie hat keiner dergleichen Ungeheuer verspüret oder gesehen in diesen lustigen Gegenden. In einem entlegenen tiefen Thal trafen wir an eine Glasehütte und bemerckten, daß die von allen menschen abgesonderten Glase Macher, die in vielen Jahren sich nicht herauß begeben sollen, unter einander ein Unordentgliches Leben führeten und nicht die besten Brüder sein mochten: Sie hatten darbey eine kleine mühlen, Back und Brauhauß und schienen mit aller nothdurft wolversehen zu sein. Ihre gebärden und gestalt ähnlichte rechten Wilden Leuten und gaben unß wenig gutte worte, weniger Antwort auf daß nach dem wir frageten. Man sagte unß hernach im Bade,18 daß die Glasehütte schon in Böhmen gelegen wäre. Nach dem wir nun eine zeitlang ziemlich herumb geklettert und in den Gebürgen herumbgekrochen waren, auch der Abend und ein Donner Wetter heran nahete, kehreten wir zurücke nach dem Bad zum Abendessen und hierauf zur Ruhe. So bald wir von dem herren Pauli19 abschied genommen deß morgends, reiseten wir wieder deß Weges, welchen wir kommen waren, nach Lignitz20 zu mit guttem Contentement.

g

mag über der Zeile ergänzt.

_______________________________ 16 17 18 19 20

Christoph Leopold Gotthard von Schaffgotsch (1623–1703). Johannes Praetorius (Hans Schultze, 1630–1680). Bad Warmbrunn (Warmbrunn, poln. Cieplice Śląskie-Zdrój). Christian Pauli (1625–1696). Liegnitz (poln. Legnica).

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Friderici Lucae eigentgliche Lebens und Totdes Geschichte

Unterweges sprachen wir wieder zu Goldberg ein und ich besuchte Insonderheit den Rectorem Scholae alda, herren Godfrid Thilo,21 meinen gewesenen Condiscipulum im Briegischen22 Gymnasio, welcher mich in daß alte Gymnasium führete und mir die Rudera dieser Vortrefflichen Fürsten Schule zeigte, darinnen der Welt Berühmte Valentinus Trozendorffius23 dociret hat, von dem man sagt, daß außer dem Melanchtone24 Teutschland keinen solchen Schulmann solle jemahls gehabt haben. Die letzten Hertzoge zur Lignitz und Brieg hetten gerne diese herrliche Gebäwde in stand gebracht; Weil aber die Pfaffen darauf Praetension machten, dorften Sie es nicht wagen. Sonst ist oben bey dem Fürstenthum Lignitz hievon weitleuftiger Bericht gescheen.

|225| [XXIII.]a 4te Reise auß Lignitz1 nach Brieg2 zu Meines Seeligen herren Vaters3 Begräbnüß. Mit der Zeit ward ich in Lignitz und in Selbigen Fürstenthum in mehr und mehr bekannter und hette mir manche Spatzier Farth und fröliche Zeit machen können, dafern mir an Weitleuftiger Conversation wäre viel gelegen gewesen. Wie oben gedacht, so thät ich meine meiste Reisen nach Brieg und gemeiniglich zweymahl deß Jahres den herren Vater zu besuchen, jedoch selten drey tage bey ihm verharrende: Denn mein Ampt rief mich bald zurücke, auch muste man mit der hin und her Reise von Lignitz nach Brieg, waren 14 meilen, im Sommer 4, im Winter aber 5 Tageb zubringen. Meine Ankunft erfreu’te wol jederzeit den herren Vater hertzlich, und ob Er schon schwach war, so machte Er ihm doch bey meiner Gegenwart sonderbahre Ergetzligkeit. Aber es wehrete nicht lange. Anno 1673 kam herr Heinrich Schmettaw,4 Churfürstlicher Hofeprediger, Meiner frau Schwester5 Mann und Schwager, nach Brieg, vorhabens sich mit dem herren Vater

1 2 3 4 5

Liegnitz (poln. Legnica). Brieg (poln. Brzeg). Johann Lucas (1602–1673), Vater von Friedrich Lucae. Heinrich (von) Schmettau (1629–1704), Schwager von Friedrich Lucae. Maria Elisabeth (von) Schmettau, geborene Lucas (1641–1700), Schwester von Friedrich Lucae.

21 22 23 24

Gottfried Thilo (von Thilau und Steinberg, 1646–1724). Brieg (poln. Brzeg). Valentin Trotzendorf (Friedland, 1490–1556). Philipp Melanchthon (Schwartzerdt, 1497–1560).

_______________________________ a b

Zählung des Kapitels nachträglich eingefügt (vgl. 307 Anm. a). meilen durchgestrichen. Tage über der Zeile ergänzt.

_______________________________ 1 2 3 4 5

Liegnitz (poln. Legnica). Brieg (poln. Brzeg). Johann Lucas (1602–1673), Vater von Friedrich Lucae. Heinrich (von) Schmettau (1629–1704), Schwager von Friedrich Lucae. Maria Elisabeth (von) Schmettau, geborene Lucas (1641–1700), Schwester von Friedrich ­Lucae.

[XXIII.] 4te Reise auß Lignitz nach Brieg zu Meines Seeligen herren Vaters Begräbnüß

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und mit mir zu vergleichen der frau Schwester wegen, da ich mich dan gleichfals mit nach Brieg erhob. Diese Vergleichung volzogen wir im Frieden und in der Stille. Der Seelige herr Vater hatte zwar ein Testament gemacht, aber alle Jalousie zu verhütten, bat ich den herren Vater daß Testament zu cassiren und einem jeden gleiche Portion zu geben, welchen Vorschlag auch der Seelige herr Vater amplectirte. Herr Schmettaw nahm seine Portion oder Erbtheil gleich mit sich, dargegen ließ Er hinter sich eine Schriftliche Obligation, mit seiner eigenen hand geschrieben und mit seinem und Meiner frau Schwester Nahmen und Pitschaft bekräftiget und besiegelt, welchergestalt Er nun und nimmermehr, weder von mir, weder von den meinigen nicht daß geringste praetendiren wolte noch könte, so wol wegen deß Väterlichen als Mütterlichen Erbtheils, redlich und ehrlich bekennende mit dem durch diese theilung ihm zugefallenen content und zufrieden zu sein. Wie Er dan auch warhaftig zufrieden sein kan, in dem ich, wie auch der Seelige herr Vater, ihn selbst die theilung ließen machen, daß Er auß der Massa zu seinem Theil legen undc nehmen mochte, waß ihm belieb’te. Diese Obligation bewahre in meiner Schatull als ein kleinot unter andern Briefschaften in dem Schieblädlein, darnach sich gleichfals meine Liebe kinder nach meinem Absterben sonderlich werden zu richten haben. Denn herr Schmettaw und die frau Schwester stehen jederzeit in dem Argwahn, als hette mir der Seelige |226| herr Vater6 zu viel und ihnen zu wenig gegeben, Sie betriegen sich aber beyderseits in ihrer meynung. Und gesetzt, daß mir der Seelige herr Vater etliche hundert thaler zum Studieren gegeben, so haben Sie hingegen eine Freye Hochzeit von dem herr Vater Seeligen bekommen, der ihnen alle Hochzeit Geschencke in händen gelaßen, samt andern köstlichen Mobilien und Haußgeräthe in groser menge. Der Unvergnügte herr Schmettaw7 ist ofters umb eines Thalers wegen sehr zum Zanck geneigt und besorge, seine Kinder möchten ihres Vaters Art von Natur an sich haben. Sonderlich hat Er seine Töchter mit allerhand dort und daher zusammen geraspelten Gesellen verheurahtet, welche auß einer Ungegründeten Aufwiegelung mit meinen Kindern Unnöhtigen Streit moviren dörften; Daher ermahne meine Kinder nochmahls Besagte Obligation herrn Heinrich Schmettawes wol zuverwahren, kraft welcher Sie allen Geitzigen Zänckern gar bald werden können daß Maul stopffen.

c wo vor und durchgestrichen.

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6 Johann Lucas (1602–1673), Vater von Friedrich Lucae. 7 Heinrich (von) Schmettau (1629–1704), Schwager von Friedrich Lucae.

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Friderici Lucae eigentgliche Lebens und Totdes Geschichte

[XXIV.]a Tod und Begräbniß meines seeligen herrn Vaters. Tod und Begräbniß des Herzogs Christian.b1 Herr Heinrich Schmettaw nach Volziehung deßen erhob sich wieder nach Berlin und ich nach Lignitz2 und haben wir beyderseits damahls den Seeligen herren Vater zu letztenmahl gesehen. Eine Viertel Jahr hernach erschien mir deß Nachts der Seelige herr Vater im Traum Gesichte sehr Naturell, gleichsam redete ich mit ihm wachende, darüber aber auß dem Schlaf erwachende mich sehr alterirte. Deß morgends umb 6 Uhr an einem Sonntag, da ich solte predigen, kam ein Reuter, welcher mir die Botschaft von seinem Seeligen Absterben brachte.c Ich verrichtete zwar selbigen morgen mein Ampt, reisete aber deß mittags mit dem Ordinair Landkutscher über Breslaw3 nach Brieg4 und machte allen anstalt zu seinem Begräbnüß. Dieses Begräbnüß bestell’te ich aufs herrlichste, wie einem solchen umb daß Gemeine Wesen und umb mich Hochmeritirten Vornehmen Schullehrer und Vater geziemete. Hievon ist albereit oben Weitleuftig gedacht worden. Die Epicedia und Carmina, mit welchen so viel Gelehrte Männer dieses Begräbnüß beehret haben, verwahre noch eind Exemplar hievon in meiner Bibliotheca zum Gedächtnüß. Nach Endigung der Funeration regalirte ich deß Abends den herren |227| Superintendenten,5 der die Leichpredigt gehalten, und andere Vornehme Freunde mit einem Trauermahl. In allem, laut der in meiner Schatull sich befindlichen Rechnungen, hat mich dieses Begräbnüß, ohne meine und meines famuli6 trauer kleider, über 130 thaler gekostet, welche ich allein bezahlet und hat herr Schmettaw7 hierzu keinen heller gegeben. Er machte zwar einige Praetension auf einiges Silbergeschirr, welches bey Unserer Vergleichung und Theilung der Seelige herr Vater8 nebst andern Mobilien vor sich zu seinem täglichen gebrauch behielt, betraf aber nicht viel, daher erhohlete mich in demselben, wegen meiner Gethanen und Erwehnten Begräbnüße Unkosten, davon sonst herr a b c d e

Zählung des Kapitels nachträglich eingefügt. Überschrift von fremder Hand geschrieben. Am linken Rand der Vermerk 13ten Dmbr. 1673. S. Schles. Chronik. von fremder Hand. in vor ein durchgestrichen. un vor Begräbnüß durchgestrichen.

1 2 3 4 5 6 7 8

Christian (1618–1672), Herzog von Liegnitz, Brieg und Wohlau. Liegnitz (poln. Legnica). Breslau (poln. Wrocław). Brieg (poln. Brzeg). Christian Pauli (1625–1696). n.z.e. Heinrich (von) Schmettau (1629–1704), Schwager von Friedrich Lucae. Johann Lucas (1602–1673), Vater von Friedrich Lucae.

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[XXIV.] Tod und Begräbniß meines seeligen herrn Vaters. Tod und Begräbniß des Herzogs Christian

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Schmettaw, dafern Er von den wenigen mobilien participiren wollen, den halben theil, gar billich, mir hette entrichten müßen. Wie gerne nachgehends dem Seeligen herr Vater ein Epitaphium nach Schlesischer Gewonheit hette aufgerichtet, so trug ich doch hohes Bedencken deßwegen, besorgende es möchte mit der Zeit von den Papisten violiret werden, wie dan auch kurtze Zeit hernach denselben die Reformirte Schloß Kirche in die hande fiel. Und so war ich in meiner Geburths Stat Brieg9 gantz außgethan und hatte keine Blutsfreunde mehr alda, weniger etwaß anders an güttern. Ich valedicirte auch den übrigen muthsfreunden gäntzlich und kehrete nach Lignitz10 wieder zurücke und erlang’te von dem fürstlichen Stifts Verwalter11 freye Fuhre für die übrigen Bücher deß Seeligen herren Vaters, davon ich einen gutten theil herren Heinrich Schmettaw, auß Freygebigkeit, zukommen ließ, für schlechten Danck und Erkäntligkeit. Weil mir auch länger meine Füße unter eines andern Tisch, wie wol für gebührendes Tischgeld, zu setzen nicht anstehen wolte, so nahm ich ein feines Weib12 von Brieg mit mir nach Lignitz und bestell’te durch Sie meine eigene Küche und haußwesen. Mitlerzeit fielen in Lignitz einige Veränderungen vor. Der Alte Hertzog Christian13 fieng zu Brieg an zu krancken und erhob sich nach Lignitz, in meynung alhier frische Luft zu schöpffen, besuchte auch noch meine Predigt in der Kirche, gleich als ich den Text von dem in Frieden fahrenden Alten Simeon abhandelte, aber zum letzten mahl: Denn Er machte sich bald bettlägrig, mit mercklich verschwindenden kräften. Und weil die Medici an Seiner Genesung zweiffelten, war die Hertzogin14 mit den Räthen beschäftiget, damit Sie den Princen15 bey Zeiten möchten auf die seite in sicherheit bringen, auß furcht der kayser16 dörfte die Ober Vormündschaft praetendiren und den Princen apprehendiren laßen; Daher schickten Sie an einem Sonnabend in aller stille den Princen mit seinem Informatore Bone17 durch die Lausnitz nach Franckfurt |228| an der Oder18 auf die Universität. Eben an selbigen Sonnabend begunte der Hertzog19 sehr Schwach zu werden und ließ mich zu sich fordern, da ich ihm dan unter andern Besprachungen auß Joseph Halls20 und Molleri21 Sterbens Gedancken vorlesen muste, biß Er etwaß einschlum19 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21

Brieg (poln. Brzeg). Liegnitz (poln. Legnica). n.z.e. n.z.e. Christian (1618–1672), Herzog von Liegnitz, Brieg und Wohlau. Luise (1631–1680), Herzogin von Liegnitz, Brieg und Wohlau, geborene von Anhalt-Dessau. Georg Wilhelm (1660–1675), Herzog von Liegnitz, Brieg und Wohlau. Leopold I. (1640–1705), römisch-deutscher Kaiser. August Friedrich Bone (1635–1692). Frankfurt an der Oder. Christian (1618–1672), Herzog von Liegnitz, Brieg und Wohlau. Joseph Hall (1574–1656). Martin Moller (1547–1606).

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Friderici Lucae eigentgliche Lebens und Totdes Geschichte

merte. Sonntag morgends hierauf nach verichteter Ampts Predigt rief man mich wieder zu ihm; Wie wol Er schon gar beschwerlich die Zunge rührete, auch daß Gesichte und Gehör abnahm, dennoch trat die Hertzogin22 zur rechten, ich zur lincken seiten deß Bettes, die Räthe standen zu den Füßen, und ich rief ihm mit sehr starcker Stimme allerhand Trost Sprüche in die Ohren, biß Er endlich bey solcher Zuruffung seeliglich verschied, dermaßen sanfte, daß auch die Räthe nicht vermeynten, daß Er entseelet wäre, biß ich ihm eine Feder vor den mund hielt und die augen zudruck’te. Diese Räthe, die im Leben dem Hertzog gnugsam schmarotzerten und liebkoseten, thäten ihm nicht einmahl die Ehre bey seinem Absterben, daß Sie sich zu seinem Todtbette hetten nähern sollen, sondern blieben alzeit abwerts und von ferne stehen, ­zweiffelsohne auß Furcht deß Todes, da doch der Hochseelige Hertzog mit keiner ansteckenden Seuche behaftet war. Und das war ein merckmahl der Eitelkeit der fürstlichen Hoheit in dieser welt. Mit waß vor Solennitäten der Hertzog hierauf zur Lignitz23 begraben und wie die Hertzogin zur Regentin und Ober Vormünderin laut deß fürstlichen Testaments eingesetzet worden, ist albereit oben bey dem Fürstenthum Lignitz meldung, gar umbständlich, gescheen und außführlich. Ich erkenne es als ein Rechtes Göttliches Schicksal, daß ich eben dem Hochseeligen Hertzog, der mich auß der Tauffe gehoben, im Tode habe trösten und die Augen zudrücken müssen. Der Hertzog, Hochseeligen Andenckens, hatte zwar ein Testament hinterlaßen und seine Diener darinnen wol bedacht, daß ich auch meines Ortes nicht außgeschloßen gewesen bin, auch desto mehr, weil den Hochseeligen Hertzog zum letzten im Tode bedienete; Allein die Hertzogin konte wol in Acht nehmen, waß ihr im Testament anständig und profitabel zu sein schiene, daß Übrige aber wurde dergestalt vertuschet und geheim gehalten, daß weder Prediger noch andere Diener, auser den Vormündlichen Räthen, nichts bekamen. Bald nach der Funeration danck’te die Hertzogin deß Hertzog Treueste Diener ab, unter dem Praetext Sie müste den hof einziehen, und nahm hingegen allerhand Lumpen Gesindlein an, von denen Sie vielerley Betrug, Diebstahl, Schandflecke und andern Verdruß erfahren muste. Es gieng auch die Rechte Goldene Zeit bey der Hertzogin ihren Augen Dienern an: Sie konten sieden und braten nach Belieben, scharreten und kratzeten zusammen, waß Sie nur konnten, und wurden sehr reich. |229| Waß auch sonst merckwürdiges bey der Hertzogin24 Regierung passiret ist, albereit oben weitleuftig gedacht worden.

22 23 24

Luise (1631–1680), Herzogin von Liegnitz, Brieg und Wohlau, geborene von Anhalt-Dessau. Liegnitz (poln. Legnica). Luise (1631–1680), Herzogin von Liegnitz, Brieg und Wohlau, geborene von Anhalt-Dessau.

[XXIV.] Tod und Begräbniß meines seeligen herrn Vaters. Tod und Begräbniß des Herzogs Christian

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Kurtze Zeit nach deß Hochseeligen Hertzogs25 Tode entstand in Lignitz26 eine grose Fewersbrunst, in dem dritten hause von meiner Behausung bey einem Schneider mittags umb 4 Uhr. Ich war damahls gleich nach Parchwitz27 gereiset gewesen und hatte daselbst den Schul Rectorem herr Gutbier28 besuchet, der vielmahls für mich pflegte zu predigen. In dem ich nun auf der Rückreise begriffen war und ohngefehr ein meil weges von der Stat29 arrivirte, sahe ich über der Stat einen gewaltigen starcken Rauch aufgehen und bildete mir anfangs ein, es rauchete etwa ein Becker oder Töpffer Ofen, biß die Flamme mit macht empor stieg und sich augenblicklich in dreyen Orten über der Stat außbreitete. Hierauf muste der Kutscher auf mein Befehl auß allen Vermögen zujagen, so daß ich nicht weiß, wie ich in der Angst in die Stat kommen bin. So bald ich unter daß thor kam, rief man mir zu, mein hauß lege schon in der Asche, darüber dermaßen erschreckende, daß ich fast nicht auß der Stelle gehen konte. Wie ich aber auf die Schloßgaße kam, befand ich mein hauß noch im gutten stande, aber deß Ersten Nachbars seines in voller Flamme stehen. Endlich ergrief die Flamme den hintern theil deß hauses und verbrandte die Stallung samt etlichen kammern über derselben, denn weil daß hauß gewölbet, auch mit eisernen Fensterladen und dergleichen Thüren versehen war, konte daß Fewer den Mauern nicht mehr schaden. Unterdeßen hatte gleichwol die Hertzogin vor mich wol gesorget und durch ihre Bediente meine Bibliotheca in Sicherheit aufs Schloß transportiren laßen, da mir ­gleichwol unter dem Getümmel nicht mehr als ein eintzig Büchlein, nemlich Georgii Hornii30 Orbis Politicus und Orbis Imperans, in einem Bande, entkommen ist. Ich hatte auch ein paar goldene hembde knöpffe auf daß Repositorium geleget und vermeynte selbte würden auch verlohren sein, aber da ich wieder mein Musaeum nach dem Brandt in ordinem redigir’te, fand ich Sie am Erden zwischen den Brettern liegen. Zu allem glück war mein Famulus31 zuhause geblieben, der auf alles gutte achtung gegeben. Durch diese Unvermuthete Fewers Brunst geschae der Stat unsäglicher Schaden. Es brandten über 218 grose Steinerne häuser auß und ab, samt vielen mobilien. Der Wind jagte auch daß Fewer über die Mauer und Schantzen in die Vorstat und verzehrete einen gutten theil davon; Und dafern Starcke Wind gegen mein hauß gewehet hette, würde es, samt dem fürstlichen Schloße, Selbst in sehr groser gefahr gestanden haben. Die Hertzogin thät ein Lobwürdiges werck hierbey: Denn Sie gab einer jeden Abgebrandten Familie 2 Scheffel korn und täglich 2 maß Bier, auch den Armen und gäntzlich abgebrandten etwaß geld, biß Sie sich recolligirten und erhohleten. Auf ihren Befehl 25 26 27 28 29 30 31

Christian (1618–1672), Herzog von Liegnitz, Brieg und Wohlau. Liegnitz (poln. Legnica). Parchwitz (poln. Prochowice). Jeremias Gutbier († 1684). Brieg (poln. Brzeg). Georg Horn (Hornius, 1620–1670). n.z.e.

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muste auch daß gantze |230| Fürstenthum, davon auch die Ritterschaft nicht außgeschloßen war, täglich über 400 Pferde und Wagen herbey schaffen, welche den grauß und geräusche abführen musten; Daher konte die Bürgerschaft desto geschwinder zur Aufbauung ihrer häuser gelangen. Daß Wenige in meinem hause Verderbte ließ der herr Stifts Verwalter herr Baurmeister,32 herr Andreas Baurmeisters33 General Fruchtschreibers zu Cassel34 Bruder, wieder aufbawen und zwar beßer als es vorher war. In diesem hause genoß ich alle ersinnliche Bequemligkeit, unter andern drey Stuben und so viel kammern, ein Gewölbe, korn Boden, Schöne keller, Küche, Stallung, Badstuben etc. Bloß daß mich der Schloßwallgraben, welcher an den hof stieß und viel Schlam, stanck und Feuchtigkeit mit sich führete, mich in etwaß incommodirte. Vor dem Glogawischen Thore lag mein Pfarr Garten von ziemlicher Gröse, mit allerhand gutten Frucht Bäumen besetzet. Es stand auch darinnen ein sehr lustiges Sommer hauß und darbey ein keegelplan, deßen mich aber wenig bedien’te, außer daß zuweilen die herren Räthe und Cantzeley Bedienten mich besuchten und zu diesem Exercitio Corporis anlaß gaben. Den garten mit dem Graße und ander’m Zugehör pflegte allzeit, für gewißes geld, Frembden zu vermitten. Mein bestes Divertissement, welches mir gemeiniglich die Woche einmahl machte, geschae in der fürstlichen Bibliotheca, darüber die Inspection hatte, auch in gutte Ordnung brachte, wie wol ich ein gut stück weges von meiner Behausung biß dahin gehen muste. Der kern dieser Bibliotheca bestand In Juristischen und Historischen Büchern, in groser Abundantz. Herr Heinrich Schmettau,35 Mein Antecessor bey dieser Inspection und Hofeprediger zu Berlin anjetzo, hat sich diese Bibliotheca wol zu nutze gemacht, auch damahls, da Er seines Ampts erlaßen wurde, unter andern die Grose Englische Biblia Poliglotta mit sich herauß nach Berlin genommen, ohne daß Er jemand hievon hette ein guttes wort geben sollen. Nach deß Hertzog Christiani36 Todt kam der Hertzogin37 herr Bruder, herr Johann George38 Fürst zu Anhalt, Churfürstlicher Stathalter, nach Lignitz,39 dem die Hertzogin viel köstligkeiten auß deß Hertzogs Verlaßenschaft spendirte; vornemlich Sechs Weiße und Braune Scheckirte Rare Pferde, welche 2000 Reichsthaler gekostet hatten; Daher vermuthete man, Sie würde auch ihm etwaß auß der Biblotheca, welche der Fürst besahe, zukommen laßen, aber Er praetendirte davon nichts. Wie wol man es ihm beßer hette gönnen können als den Papisten, in deren händen nun daß gantze werck stehet. 32 33 34 35 36 37 38 39

n.z.e. Andreas Baurmeister (Bauermeister). Kassel. Heinrich (von) Schmettau (1629–1704), Schwager von Friedrich Lucae. Christian (1618–1672), Herzog von Liegnitz, Brieg und Wohlau. Luise (1631–1680), Herzogin von Liegnitz, Brieg und Wohlau, geborene von Anhalt-Dessau. Johann Georg II. (1627–1693), Fürst von Anhalt-Dessau. Liegnitz (poln. Legnica).

[XXV.] Verheirathung mit Elisabetha Mercer

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|231| [XXV.]a Verheirathung mit Elisabetha Mercer.b1 Bey dieser meiner gutten Station und Bequemligkeit in Lignitz2 dachte ich an den Göttlichen Ausspruch: Non est bonum Hominem esse solum: Es ist nicht gut, daß der mensch alleine sey. Weil ich 5 Jahr albereit in dem Predigt ampt unverehligt gelebet hatte, meyn’ten etliche, ich würde in der Einsamkeit ferner mein Leben zubringen, und theils von meinen Freunden wündtscheten solches hertzlich; Andere thäten mir bald diese, bald andere Vorschläge, in Summa, man recommendirte mir vieler feiner Eltern kinder und töchter, auch unter denen etliche von ziemlichen mitteln; Allein ich befand in mir nicht die Geringste Gemüthsbewegung sothane Recommandations zu acceptiren oder an den Vorgeschlagenen Personen Belieben zu tragen, wie wol keiner lebendigen Seelen meine gedancken und vorhaben entdeckende. Mitlerzeit, dac am wenigsten bey so vielen Vorschlägen mit heuraths gedancken mein Gemüthe geschwängert war und die vorgeschlagenen Partheien gar schlecht attendirte, ließ sich eine Frembde Jungfrau, Elisabeth Mercers, von der lebenslang nicht gehöret oder gesehen hatte, bey mir anmelden, vorhabens daß Heilige Abendmahl privatim bey mir zu halten, welches man erst publicè gehalten hatte und Sie daher nicht so lange, biß man es wieder publicè hielte, zu warten vermeynte. Diese Jungfer Elisabeth Mercers war mit herren General Freyherren von Schlepusch3 von Bremen in Schlesien kommen, welcher im Fürstenthum Lignitz anderthalb meilen von der Stat Lignitz einen Adelichen Rittersitz besaß nahmens Klein Polewitz4 und gewöhnlich darauf wohnete. Deß Sontags, da sich die Jungfer einstellete und nach verrichteten Gottesdienst auß der Kirche in mein hauß kam und die Heilige Communion andächtig absolvirte, nahm ich occasion mit derselben zu reden von dem Zustand der Kirchen in Bremen, und weil Sie mir ein paar Kapaunen in die Küche schickte, nebst einem halben Reichsthaler, so sagte ihr darfür Danck und ließ Sie im Seegen deß herren von mir gehen, unerachtet auß den Discursen von ihrer Wiederkunft nicht daß geringste penetriren konte. |232| Ich muß gestehen, bey dem ersten anblick dieser Jungfer5 verspürete nicht allein in derselben eine feine mir anständige Conduite und bey derselben eine Conformität meines Gemüthes, sondern mein aufwallendes geblüthe und bewegtes hertze schiene mir ein merckmahl zu sein, daß mit mir der Geist der Liebe etwaß sonderliches vorhaben müste, in dem lebenslang keine solche brünstige Affection auf irgends eine Jungfer gleich wie auf diese getragen hatte. a Zählung des Kapitels nachträglich eingefügt. b Überschrift von fremder Hand geschrieben. c ich vor da durchgestrichen.

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Elisabeth Mercer (um 1640–1686), spätere Ehefrau von Friedrich Lucae. Liegnitz (poln. Legnica). Jacob von Schlebusch (Schleebusch, Schlepusch, 1613–1675). Pohlwitz (poln. Pawłowice Wielkie). Elisabeth Mercer (um 1640–1686), spätere Ehefrau von Friedrich Lucae.

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Diese, meine hertzliche, jedoch keusche Liebe, verbarg ich veste in dem ­hertzens Schrancken und ließ keine Seele nicht daß geringste davon erfahren. Die Jungfer Mercers legte sich alle abend mit mir zur ruhe und stand deß morgends, in meinen gedancken, mit mir wieder auf. Etliche mahl bey der Mahlzeit erwehnete von dieser Jungfer gegen meine Haußhalterin,6 die sonst ein kluges weib in solchen dingen war, die mir gleichfals diese Jungfer gewaltig durch alle Praedicamenta anlobete, am ­wenigsten merckende die uhrsache meines Discurses von derselben. Deßgleichen thät mein Glöckner,7 der Sie ebenmäßig rühmete. Mit solchen heimlichen Liebes gedancken quelete mich eine geraume Zeit, redete aber endlich dieselben meinem gemüthe auß und dachte, warumb sol’te dan dein gemüthe vergeblich kräncken über eine frembde Jungfer, welche wieder auß dem Lande ziehet und dir doch nimmermehr zutheil werden kan. Ein halb Jahr hernach, da mir die gutte Jungfer Mercers auß dem Gedächtnüß entfallen war, ließ sich albereit vergeßene Jungfer abermahls bey Schöner Begrüßung durch deß herren General Baron Schlepusches8 pagen, dem von Saltz,9 anmelden und andeuten, daß Sie gesinnet wäre wiederumb zu communiciren. Sothane Botschaft ernewerte mir die Alte hertzens Wunde. Ich nahm auch bey dieser gelegenheit anlaß mit aller höfligkeit weitleuftig eines und daß andere den Pagen, der Jungfer wegen, zu fragen, konte aber wenig, oder nichts, von ihm erfahren. Den ersten Sonntag hierauf fand sich die Jungfer Mercers ein, unwissend meiner ­Liebesgedancken. Ich hielt ihr wieder wie vormahls die Communion und nach derselben Endigung discurirte ich mit ihr von allerhand Materien, damit ich ihre Person in etwaß divertiren möchte. Deß Sonnabends vorher ließ ich Sie durch meinen Glöckner zum mittagsmahl einladen, welche Invitation Sie aber abschlug, vorwendende, daß Sie gewohnet wäre den Tag über zu fasten, an welchem Sie communiciret hette. In dem ich nun nach abgelegter Andacht, wie gesagt, den Discurs |233| von unterschiedenen Materien anfieng, hette dadurch sonderlich gerne erfahren mögen, ob Sie von Adel und in Schlesien zu verbleiben Lust trüge, welches aber vor dieses mahl unmöglich erfahren konte. Der Anwesende Glöckner,10 samt meine Haußhalterin,11 hörete diese Discurse von Ferne und schöpffeten allerseits auß der Jungfer12 Conduite groses Contentement, wie wol ohne Ergründung meines Intents. Hierauf erhob sich die Jungfer mit aller höfligkeit wieder aus meiner Behausung und, weil Sie vermeynete, ich hette eine Liebste, recommendirte Sie sich derselben, gab ihr aber bald meinen Ehelosen stand zu verstehen und daß ich keine Liebste hette. 16 17 18 19 10 11 12

n.z.e. Georg Lindner. Jacob von Schlebusch (Schleebusch, Schlepusch, 1613–1675). n.z.e. Georg Lindner. n.z.e. Elisabeth Mercer (um 1640–1686), spätere Ehefrau von Friedrich Lucae.

[XXV.] Verheirathung mit Elisabetha Mercer

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Itzund gieng wieder mein kummer an, überlegende die sache reiflich und dachted hin und her, konte aber kein mittel ersinnen, dadurch daß Geschlecht und Beschaffenheit der Jungfer Mercers zu erfahren, welche stets vor eine Adeliche Person ansahe, nicht für rathsam daher befindende mich gegen jemand zu expectoriren. Unterdeßen starb der General Schlepusch13 zu Polewitz,14 welchen man zu Lignitz15 in die St. Johannis Kirche prächtig beerdigte. Umb diese Zeit gieng ich auf die fürstliche Bibliotheca, welche in besagter Kirche stand unter meiner Inspection, da mir auf dem Wege Herr Tobias Pirner,16 Pfarrer zu Nickelstadt,17 begegnete, ein Fromer, Ehrlicher und Aufrichtiger mann, wie wol Lutherischer Religion. Weil ich nun wuste, daß die frau General Schlepuschin18 samt der Jungfer Mercers sonntäglich nach Nickelstadt in die Kirche zum Gottesdienst hielten, bat ich diesen herr Pirner unvermeckter weise meinethalben nachzufragen, beydeß, daß Geschlecht als die übrige Conduite der Jungfer Mercers, worzu Er sich bald obligirte und auf die andere woche die relation hievon versprach. Herr Pirner hielt seine Parole trewlich, mir in optima forma referirende, waß Er der Jungfer Mercers wegen von der frau Generalin verstanden hatte, insonderheit daß Sie auß keiner Adelichen Extraction, abere auß einer sehr Vornehmen Familie wäre. Ihr Herr Vater ist gewesen Herr Balthasar Mercers,19 gewesener Parlaments Adsessor zu Edenburg20 in Schotland, welcher vielmahls von dem König in Engelland in Wichtigen Commissionen, unter andern einmahl zu Hamburg, ist gebrauchet und von selbiger Republic mit einer kostbaren Medaille zum andencken regaliret worden. Deßen Bruder Robertus Mercers21 war königlicher Hofprediger zu London, ein Fromer und Hochgelahrter Theologus, bey könig Carolo I.22 Ihre mutter ist gewesen frau Elisabeth Mercers, geborne von Kennewy,23 eines Vornehmen Schotländischen, auch mit Gräflichen häusern Recht Adelichen Geschlechts in Verwandtschaft stehende.

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daß ich vor dachte durchgestrichen. wäre vor aber durchgestrichen.

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13 Jacob von Schlebusch (Schleebusch, Schlepusch, 1613–1675). 14 Pohlwitz (poln. Pawłowice Wielkie). 15 Liegnitz (poln. Legnica). 16 Tobias Pirner der Jüngere (1626–1705). 17 Nikolstadt (poln. Mikołajowice). 18 ������������������������������������������������������������������������������������������� Anna Elisabeth von Schlebusch (Schleebusch, Schlepusch), verwitwete von Londi (Londy), geborene von Eick (1626–1706). 19 Balthasar (Archibald) Mercer (1607–1650), späterer Schwiegervater von Friedrich Lucae. 20 Edinburgh. 21 Vermutlich Robert Mercer (um 1600–1667). 22 Karl I. (1600–1649), König von England, Schottland und Irland. 23 Elisabeth (Margaret) Mercer, geborene Kennewie (um 1610–1660), spätere Schwiegermutter von Friedrich Lucae.

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|234| Als Anno 1644 in Engelland sich die Gefährlichen Troublen herfür thäten, muste ihr herr Vater, Erwehnter Balthasar Mercers,24 wie auch der Unverheurahtete herr Robertus Mercers,25 königlicher Hofprediger, weil Sie beyde deß Enthaupteten Königs26 Favoriten waren und desselben Parthie hielten, auß Furcht vor dem Cromwell27 und seiner Adhaerenten nach deß Königs Enthauptung sich mit der gantzen Familie, nebst vielen andern königlich Gesinnten, auß dem Königreich begeben. Er nahm zu Bremen seinen Asylum und lebte alda von eigenen mitteln, die ziemlich groß waren. Bißweilen machte Er Compagnie mit kaufleuten und schoß ihnen ansehnliche Geld Summen vor; Allein Er kam ofters mit ihnen zu schaden, weil viele bancorotireten, und vergeringerte dadurch seine Capitalien mercklich. Anno 1650 starb Er zu Bremen seeliglich, hinterließ die Betrübte Wittwe,28 eine Frome Gottseelige Matron, mit 3 Söhnen29 und dreyen Töchtern.30 Die Söhne, als meiner Liebsten31 Brüder, seind kaufleute und hin und her in der Welt zerstreuet worden. Einer hat noch vor wenig Jahren in den Canarien Inseln gewohnet, der ander in Indien. Die Aelteste Schwester32 wohnet in London verheurathet mit einem deß Adelichen Geschlechts Cleipold,33 Cromwells Schwester Sohn,34 welcher aber nicht der Aelteste Sohn seines hauses ist, daher treibet Er nach Engelländischer Gewohnheit die kaufmannschaft. Die dritte Tochter,f35 als meiner Liebsten Andere Schwester, lebet zu Wahnfried36 in Hessen verehelicht mit herren Jost Christoph Uckermann,37 Handelsmann. Meiner Liebsten frau mutter ist in ihrem Witwenstande auch sehr unglückseelig gewesen; Sintemal die jenigen kaufleute, denen Sie ihre gelder vorgelehnet, alle zur See verunglück’t haben bancorotiren müßen, also daß die gutten kinder ihrer Eltern hinterlaßener Baarschaften wenig fro worden seind, die sich auf viel tausend erstreckten. Jef

L vor Tochter durchgestrichen.

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Balthasar (Archibald) Mercer (1607–1650), späterer Schwiegervater von Friedrich Lucae. Vermutlich Robert Mercer (um 1600–1667). Karl I. (1600–1649), König von England, Schottland und Irland. Oliver Cromwell (1599–1658). Elisabeth (Margaret) Mercer, geborene Kennewie (um 1610–1660), spätere Schwiegermutter von Friedrich Lucae. Namentlich bekannt ist nur Thomas Mercer (1641–1653). Helena Claypoole, geborene Mercer (um 1635–1688), Elisabeth Lucae, geborene Mercer (um 1640–1686), Margarethe Uckermann, geborene Mercer (um 1642–1689). Elisabeth Mercer (um 1640–1686), spätere Ehefrau von Friedrich Lucae. Helena Claypoole, geborene Mercer (um 1635–1688). James Claypoole (1634–1687). Hier irrt Lucae. Helena Mercer war nicht mit dem Sohn einer Schwester von Oliver Cromwell (1599–1658) verheiratet. Vielmehr war der ältere Bruder ihres Ehemanns, John Claypoole (1623–1688), mit Elizabeth Cromwell (1629–1658), einer Tochter Cromwells, verheiratet. Margarethe Uckermann, geborene Mercer (um 1642–1689), spätere Schwägerin von Friedrich Lucae. Wanfried an der Werra. Jost Christoph Uckermann (um 1646–1701), späterer Schwager von Friedrich Lucae.

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[XXV.] Verheirathung mit Elisabetha Mercer

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doch nach dem Sie die köstlichen Meubeln und kostbare Juwelen zu gelde gemacht, hat doch noch ein jedes ein ehrliches bekommen und ererbet. Anno 1660 starb auch die Seelige frau mutter seeliglich in Bremen und ist alda nebst ihren Herren zu St. Stephan in die Kirche, in ihre vor hundert Reichsthaler darzu erkaufte und erbaute Gruft, Christlicher Gewohnheit nachg beerdiget worden. Nach ihrem tode ist meine Liebste bey Herr Doctor Schnellens38 Witwe39 in Bremen eine zeitlang in Tisch gangen. |235| Die Uhrsachen, welche damahls die Jungfer Mercers40 von Bremen in Schlesien gezogen, waren folgende: Der frau General Schlepuschin,41 welche auß Schlesien bürtig und eine geborne von Eicken war, erster Herr ist der Schwedische Obriste Lundy42 gewesen, Schotländischer Extraction, ein Naher Verwandter der Jungfer Mercers ihrer mutter43 wegen. Eben dadurch kam Sie in Bekantschaft mit der frau General ­Schlepuschin, welche Sie ofters in Wirthschaft sachen zurathe zoge auf ihrem Gutt Schönbeck,44 nahe bey Bremen gelegen. Nach dem aber der General45 und Generalin Schlepuschin beyderseits in Schlesien sich erhoben auf ihre daselbst liegende Gütter, nahmen Sie die Jungfer Mercers mit sich zur Gespiel Gesellin ihrer Fräulein Töchter46 und ward von ihnen allerseits in gutter Aestim gehalten. Sothanes Vernehmen und Nachricht entzündete noch mehr meine Liebe gegen Sie, vornemlich weil Erwehnter Herr Pfarr47 von Nickelstadt48 diese Jungfer so hoch recommendirte wegen ihrer Gottesfurcht, Frömigkeit, klugheit, häußligkeit und andern ruhmwürdigen Qualitäten, daher auch die frau Generalin kein Bedencken trüge, bey ihrem Vielen ab und zu reysen derselben ihr gantzes hauß und Oeconomie wesen zu vertrauen. In dem nun die ströhme keuscher Liebe mein gantzes hertz anfülleten biß aufs Überlauffen, so schüttete dieselben am ersten gegen diesen Ehrlichen mann auß und offenbahrete seiner Verschwiegenheit, waß sonst keinem menschen in der gantzen welt noch zur Zeit entdecket hatte: Nemlich, dafern es Gottes wille und möglich wäre, verlangte g

nach über der Zeile ergänzt.

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38 Conrad Schnelle (1609–1658). 39 Almata Schnelle, geborene Holle (1619–1677). 40 Elisabeth Mercer (um 1640–1686), spätere Ehefrau von Friedrich Lucae. 41 ������������������������������������������������������������������������������������������ Anna Elisabeth von Schlebusch (Schleebusch, Schlepusch), verwitwete von Londi (Londy), geborene von Eick (1626–1706). 42 Jacob von Londi (Londy, † 1659). 43 Elisabeth (Margaret) Mercer, geborene Kennewie (um 1610–1660), spätere Schwiegermutter von Friedrich Lucae. 44 Schönebeck. 45 Jacob von Schlebusch (Schleebusch, Schlepusch, 1613–1675). 46 Maria Elisabeth von Londi (Londy, 1646–1699), spätere Ehefrau von Heinrich von Poser dem Jüngeren (1630–1680), und Susanna Elisabeth von Schlebusch (Schleebusch, Schlepusch, G 1667), spätere Ehefrau von Heinrich Alexander von Bibran (1656–1694). 47 Tobias Pirner der Jüngere (1626–1705). 48 Nikolstadt (poln. Mikołajowice).

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Friderici Lucae eigentgliche Lebens und Totdes Geschichte

ich die Jungfer Mercers zur Ehe zu haben, bittende der Herr Pfarr wolte mir in dieser Importanten sache trewlich assistentz leisten und mein guttes vorhaben befördern helffen. Der gutte herr Pfarr, der ihm solchen aufgetragenen Dienst vor die Höchste Ehre schätzte, ließ ihm daß werck sehr angelegen sein und incaminirte meinh Intent der frau Generalin am ersten, unwißende der Jungfer Mercers. Weil aber die frau Generalin mit dem Begräbnüß deß herren Generals beschäftiget war, muste die antwort anstehen biß nach derselben Volziehung. Itzund gieng nun der Briefwechsel an. Herr Pirner gab bald mit dem Ersten gutte Vertröstung. In summa die sache avancirte in kurtzer Zeit erwünschter maßen, daß sie numehro bloß auf einer Persönlichen Visite beruhete. An einem Monntage, nach vorher gescheener Anruffung Gottes und Veranlaßung herren Pfarrers, erhob ich mich zu pferde gantz alleine nach Nickelstadt, wie es war abgeredet worden, zum herr Pfarr, forderte |236| ihn ab und reiseten mit einander, in aller stille, in Gottes Nahmen hienüber nach Polewitz,49 eine Viertel meile davon liegende. So bald wir in den freyherrlichen hof alda kamen, alwo man schon Nachricht von Unser Ankunft hatte, stand herr Heinrich von Poser,50 der Fürstenthümer Jauer und Schweidnitz königlicher mann und Ober Steuer Einnehmer, der frau General Schlepuschin51 Tochter52 mann, im hofe unten an der Stiegen und empfieng unß mit groser höfligkeit, führete mich auch alsbald in den grosen Speise saal und divertierte mit allerhand Discursen, wie Er dan ein sehr Gelehrter und Qualificirter Cavallier war. Bald hernach ließ mich die frau Generalin in ihr Zimmer fordern und bewilkomm’te mich mit groser Civilität, nahm auch hinwiederumb mein Compliment sehr günstig an. Mein Anbringen contentirte Sie sehr wol und thät auch bald gutte Versicherung eines glückseeligen Ausganges meines verlangens. Mitlerzeit bereitete man die Taffel zum morgenbrot. In dem hierzu die frau Generalin, nebst ihrer fräulein, herren von Poser und Seiner Liebsten erschienen, folgete auch meine Liebste,53 welche mich aufs höflichste empfieng. Hierauf satzten wir unß allerseits zur Taffel. Unter wehrender mahlzeit führete man allerhand lustige Discurse und war meine Liebste daß rechte Centrum, zu dem sich alle diese Linien zogen. Nach Endigung der mahlzeit absentirte sich die gantze Compagnie und ließen mich und meine Liebste allein in dem Speise saal stehen, bey welcher Occasion ich derselben mein hertz eröfnete und verlangen ihrer theilhaftig zu werden, hoffende Sie würde von meiner keuschen Liebes Flamme etwaß participiren und selbige kraft Göttlicher Providentz zur Ehelichen Verbündnüß ausschlagen laßen. h

es vor mein durchgestrichen.

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49 Pohlwitz (poln. Pawłowice Wielkie). 50 Heinrich von Poser der Jüngere (1630–1680). 51 ������������������������������������������������������������������������������������������ Anna Elisabeth von Schlebusch (Schleebusch, Schlepusch), verwitwete von Londi (Londy), geborene von Eick (1626–1706). 52 Maria Elisabeth von Poser, geborene von Londi (Londy, 1646–1699). 53 Elisabeth Mercer (um 1640–1686), spätere Ehefrau von Friedrich Lucae.

[XXV.] Verheirathung mit Elisabetha Mercer

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Gleich wie nun gemeiniglich in Liebessachen deß Frauenzimmers Nein so viel als Ja ist, so verstand auch meiner Liebsten erstes ausgesprochene Nein vor Ja. Die frau Generalin, nebst dem herren von Poser, giengen unterdeßen ab und zu, ­vexirten unß beyde Verliebte mit dem höflichsten Schertz. Endlich, da Unsere Liebe sich nicht länger unter den Complimenten verbergen wolte, brach Sie wie der mond hinter trüben wolcken auf einmahl herfür, daß es hieße: Ja, ich bin Dein und du bist Mein! Hierzu ließen wir die frau Generalin, den herren von Poser und meineni Redlichen Gewerbsmann, den herr Pfarr,54 bitten, welche alsbald in den Saal kamen und selbst unser mündliches Ja mit Zusammen Fügung der hände bekräftigten als hohe Beystände und Zeugen. |237| Zum Pfand meiner Liebe überreichte ich meiner Liebsten55 eine kleine Bibel, sehr starck mit silber beschlagen, und einen Ring mit 10 Diamanten, welchen zu dem Ende in Breslaw56 vor 52 Reichsthaler machen ließ. Meine Liebste hingegen contestirte gleichfals ihre Liebe gegen mich mit einem Ring von einem Diamant, welcher wegen seiner Gröse auf 90 Reichsthaler aestimiret wird, die mir auch einstmahls ein Jude in Cassel57 darfür geben wolte. Als nun die sache solchermaßen ihre Richtigkeit hatte, giengen wir wieder deß Abends zur Taffel und genoßen in aller Fröligkeit deß Abend Brots, biß man mich samt dem herr Pfarr Pirner58 zur ruhe in die wolbereitete Schlafkammer anwiese. Hierauf legte deß morgends meine Danckbarkeit für erzeigte Ehre der frau Generalin59 ab, nahm von meiner Liebsten und von allen hohen Anwesenden Abschied, kehrete mit dem herr Pirner auf Nickelstadt60 und von dar nach Lignitz.61 Nach diesem correspondirte wochentglich etliche mahl mit meiner Liebsten und gab ihr alle Sonntage nach verrichtetem Gottesdienst die Visite zu Polewitz,62 regalirte Sie auch allemahl mit einer sonderbahren Verehrung und bestimmten endlich den 19. November, war eben der Elisabethen Tag Anno 1675, zum Termin Unserer Hochzeit. Als nun Unsere Courtesie von dem Tage der Verlöbnüß an fast 5 wochen gewehret hatte und dieser fest berahm’te Hochzeit Tag herbey nahete, auch alles nothwendige warj herbey geschaffet und die Hochzeit Gäste allerseits waren invitiret worden, welches i j

de vor meinen durchgestrichen. w vor war durchgestrichen.

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54 Tobias Pirner der Jüngere (1626–1705). 55 Elisabeth Mercer (um 1640–1686), spätere Ehefrau von Friedrich Lucae. 56 Breslau (poln. Wrocław). 57 Kassel. 58 Tobias Pirner der Jüngere (1626–1705). 59 ������������������������������������������������������������������������������������������ Anna Elisabeth von Schlebusch (Schleebusch, Schlepusch), verwitwete von Londi (Londy), geborene von Eick (1626–1706). 60 Nikolstadt (poln. Mikołajowice). 61 Liegnitz (poln. Legnica). 62 Pohlwitz (poln. Pawłowice Wielkie).

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Friderici Lucae eigentgliche Lebens und Totdes Geschichte

mehrentheils meine Liebste bestellte, auch die erforderten Unkosten willig außlegte, langte erstlich herr Johannes Dares,63 Mein gewesener Collegia und Hofprediger von Brieg,64 an nach gescheener Einladung und Ersuchung, daß Er mich copuliren möchte. Deßen ankunft zu Polewitz avisirte mir alsbald meine Liebste durch einen Expressen und schickte darbey der frau Generalin zwo kutschen, eine mit 6, die andere mit 4 Pferden bespannet, mich und meine Gäste auß Lignitz abzuhohlen. Weil aber diese zwo kutschen nicht alle Gäste führen konten, so lehnete mir auch der herr von Schweinichen,65 Landshauptmann, item die Aebtißin deß Nonnenklosters,66 item der Stat Rhat ihre kutschen, allerseits mit 4 Pferden bespannet, samt etlicher Caleschen, worauf mich im Nahmen Gottes mit meinen Gästen nach Polewitz verfügte. Deß Abends umb 6 Uhr geschae die Copulation nach gehaltener Copulations Predigt, in welcher Herr Dares die Nahmen Fridrich und Elisabeth sehr Sinnreich und Emblematisch außlegte, in Praesentz Unterschiedener Vornehmer von Adel und anderer Vornehmer Freunde bey brennenden Fackeln auf dem Grose Speise Saal. |238| Mich führeten Herr Rudolph Godfried Knichen,67 fürstlicher Rhat zu Lignitz,68 und Herr Caspar von Braun,69 meine Liebste aber Herr Heinrich von Poser,70 der Fürstenthümer Schweidnitz71 und Jauer72 Ober Steuer Einnehmer und königlicher Mann, und herr Sigismund von Eicke,73 der frau Generalin74 herr Bruder, zur Copulation. Vor der Copulation praesentirte mir die Fräulein von Schlepusch75 den krantz, welcher einen Ring von 5 Reichsthaler darfür spendirte auf Überredung meiner Liebsten.76 So bald die Copulation volzogen, gieng man zur Taffel. Wir bewirtheten auch die Gäste drey Tage in höchster Fröligkeit mit alle Contentement, wie wol den dritten mittags die Gäste mehrentheils abzogen. Unterdeßen endigte sich alles in Einigkeit und gutter Vertrauligkeit. Deß Vierdten Tages hielt ich auch mit meiner Liebsten die Heimführung nach Lignitz, begleitet von Gedachtem Herren Rhat Knichen und seiner ­Liebsten77 auf der Frau Generalin Leibkutsche, mit sechs Pferden bespannet. 63 Johann Dares (1635–1696). 64 Brieg (poln. Brzeg). 65 Hans von Schweinichen (1610–1677). 66 n.z.e. 67 Rudolf Gottfried (von) Knichen (vor 1621–1682). 68 Liegnitz (poln. Legnica). 69 Caspar von Braun. 70 Heinrich von Poser der Jüngere (1630–1680). 71 Schweidnitz (poln. Świdnica). 72 Jauer (poln. Jawor). 73 Sigismund von Eick. 74 ������������������������������������������������������������������������������������������ Anna Elisabeth von Schlebusch (Schleebusch, Schlepusch), verwitwete von Londi (Londy), geborene von Eick (1626–1706). 75 Susanna Elisabeth von Schlebusch (Schleebusch, Schlepusch, G 1667), spätere Ehefrau von Heinrich Alexander von Bibran (1656–1694). 76 Elisabeth Lucae, geborene Mercer (um 1640–1686), Ehefrau von Friedrich Lucae. 77 n.z.e.

[XXVI.] Tod des Herzogs Georg Wilhelm und Besitznahme des Landes von Seiten Oestreichs

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[XXVI.]a Tod des Herzogs Georg Wilhelmb1 und Besitznahme des Landes von Seiten Oestreichs.c Gleich wie aber in der Welt nichts beständiges und gemeiniglich auf Freude Traurigkeit folget, so musten wir ein gleiches erfahren. Denn kaum als ich mit meiner Liebsten in Liegnitz anlangte und auß den kutschen in mein hauß eintrat, hörete man murmeln die Leute, daß mein Herr, der Hertzog George Wilhelm zu Brieg,2 gestorben wäre. Dieses Geschrey jagte der gantzen Stat ein gewaltig Schrecknüß ein, und pressete viele seufzer auß. Weil man aber keine gewiße nachricht haben konte, glaubten es etliche, andere nicht, sonderlich weil man vorher von deß Hertzogs kranckheit nichts |239| von hofe vernommen hatte. In dem noch jedermann zwischen furcht und hoffnung stand und ängstiglich seufzete, kamen wieder verhoffen zweene kayserliche, von dem Ober Ampt auß Breslaw3 abgefertigte Commissarii und sonst newgebackene Barones perposta duch die Stat gerennet, rectà nach dem fürstlichen Schloß zu, besprachen sich weder mit dem Landshauptmann,4 weder mit andern Räthen und versiegelten augenblicklich ex ­Authoritate Nomine Caesaris5 die Archiven Gewölber, Cantzeley und Rentkammer, mit der Papisten höchstem Frolocken. Diß causirte erst recht heulen und Weinen, in dem jedermann befand die böse Zeitung war zu sein. Und wir arme Diener insonderheit konten unß leichtlich die Rechnung machen, daß unser Ende verhanden wäre. Besagte Commissarii gaben auch sonst hohen und niedrigen fürstlichen Bedienten wenig gutte worte und ließen sich bey hofe von dem fürstlichen Burggrafen, dem von Kreckwitz,6 wol tractiren und reyseten deß dritten Tages wieder nach Breslaw. Mittlerzeit arrivirte auch ein fürstlicher Reuter von Brieg und brachte die Confirmation wegen deß Hertzogs7 absterben. Dieser Geselle war einer harten strafe würdig: Denn Er hette viel eher als die kayserlichen Commissarii in Lignitz8 sein können, dafern Er sich nicht von den kayserlichen Beampten zu Neumarck9 hette bestechen und mit dem Trunck biß auf den Rausch aufhalten laßen.

a Zählung des Kapitels nachträglich eingefügt. b Georg Wilhelm über der Zeile ergänzt. c Überschrift von fremder Hand geschrieben.

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Georg Wilhelm (1660–1675), Herzog von Liegnitz, Brieg und Wohlau. Brieg (poln. Brzeg). Breslau (poln. Wrocław). Hans von Schweinichen (1610–1667). Leopold I. (1640–1705), römisch-deutscher Kaiser. Hans Ernst von Kreckwitz (1630–1691). Georg Wilhelm (1660–1675), Herzog von Liegnitz, Brieg und Wohlau. Liegnitz (poln. Legnica). Neumarkt in Schlesien (poln. Środa Śląska).

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Friderici Lucae eigentgliche Lebens und Totdes Geschichte

Hiermit gieng unser Elend recht an und ein jeder von den Bedienten machte sich fertig den Wandersstab zu ergreiffen. Die Räthe und Cammer Bedienten waren in so weit ihrer Aempter beraubet und ich erwartete täglich ein gleiches. Kurz hernach ward von andern abgefertigten kayserlichen Commissariis, so wol von denen Räthen und Cammer Bedienten wie auch von denen Beampteten auf dem Lande der Eyd der Trewe abgefordert und zugleich Cantzeley und Rentkammer wieder eröfnet. Die sache aber hatte doch keine art. Alle Bedienten verwalteten ihre Aempter mit Furcht, nicht wißende, ob Sie Gnade oder Ungnade verdienen und in Statu quo bleiben würden. Unterdeßen nahm ich die Silbergeschirre bey der fürstlichen Capelle wol in acht, trauete dieselben nicht länger in der Capelle, sondern verwahrete sie in meinem hause. Unter denselben befand sich ein sehr groses silbernes Taufbecken, nebst einer grosen darzu gehörenden gießkanne, beydes zusammen auf die 300 Thaler werth, item eine grose und eine kleinere Abendmahls kanne, item ein vergüldeter kelch, samt zugehörigen Patellen, in allem auf 100 und 40 Thaler werth geschätzet. |240| Den Papisten, bey denen diese heilige Gefäße verrahten und noch köstlicher beschrieben worden, lauerten gewaltig darauf, hatten aber noch keinen Befehl die Kirche zu apprehendiren. Sie stellten die sache ziemlich klüglich an und gedachten mir diese Gefaße auß den händen zu spielen, dargegen unsere Reformirte Räthe, O die heuchler!, gar nicht protestirten. Es wohnete in Lignitz10 ein kayserlicher Accisen Einnehmer, Merius11 genandt, ein Hamburger und Apostata, welcher die anwesenden kayserlichen Commissarien zu Gevattern gebeten hatte und daß kind auf dem Schloße zu tauffen durch den Catholischen kloster Pfaffen anstalt machte. Selbigen Tages schickte Er zu mir im Nahmen der kayserlichen Commissarien und begehrte die silberne Taufgeräthe zu seines kindes Tauffe zu haben; Allein ich verstand die Sache unrecht und schickte ihnen ein Groß messings Becken, Sie schickten mir aber dasselbige wieder zurücke und vergnügten sich hernach mit einem kupffernen auß der kloster kirche. Mitlerzeit machte man zu Brieg12 anstalt mit deß Hertzoges13 Begräbnüß Ceremonien. Alle Solennitäten, welche hierbey zu sehen gewesen, kan man lesen in meiner Schlesischen Fürsten krone, pagina 599, mit andern Begebenheiten, gar umbständlich.d Nach geendigter fürstlicher Sepultur reysete ich wieder von Brieg, woselbst der Sepultur beywohnete, mit meinem Glöckner14 nach Lignitz über Breslaw15 und langte bey meiner Liebsten16 frisch und gesund an, wie wol ich unterweges ziemliche kälte ausstehen muste. d

wie auch nach umbständlich durchgestrichen.

10 11 12 13 14 15 16

Liegnitz (poln. Legnica). n.z.e. Brieg (poln. Brzeg). Georg Wilhelm (1660–1675), Herzog von Liegnitz, Brieg und Wohlau. Georg Lindner. Breslau (poln. Wrocław). Elisabeth Lucae, geborene Mercer (um 1640–1686), Ehefrau von Friedrich Lucae.

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[XXVI.] Tod des Herzogs Georg Wilhelm und Besitznahme des Landes von Seiten Oestreichs

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Einen Monat hernach fanden sich abermahls die kayserlichene Commissarien in Lignitz ein, denen daß gantze Fürstenthum die huldigung ablegte, mit ebenmäßigen Ceremonien als dem Hertzog gescheen war. Die Sämtliche Ritterschaft, 6 Compagnien starck, ritten den Commissarien entgegen. Unter dem Goldbergischen17 thor praesentirte ihnen der Stat Magistrat die Schlüßel, auf den wällen wurden die Canonen abgebrandt und auf den thürmen ließen sich paucken und Trommeten hören. Bey der hierauf erfolgenden mahlzeit, damit der Kayser18 die Ritterschaft regalirte und die Deputirten vor den Stätten, giengen unter den jungen Edelleuten allerhand Zanckhändel vor, nach dem sie der Wein erhitzte. Bey dieser Algemeinen Versamlung deß Landes und der Stätte wurden Landshauptmann,19 Räthe und Beamptete in ihren Aemptern confirmiret, welches den Lutheranern gewaltige Freude machte. Dergleichen geschae auch in den andern Fürstenthümern, zu Brieg und Wohlaw,20 durch besondere Commissarios. Vom kirchen wesen ließ der kayser nicht ein Wort gedencken, weniger preponiren, welches ihnen wieder diese Freude vergällete. Sonderlich war ihnen bey der sache |241| nicht allerdings wolzumuthe, in dem besagte Commissarien nach deren Kirchen Beschaffenheit auf denen Cammerdörffern genaw forscheten. Deßen ohnerachtet erzeigte sich die Canaille in Lignitz21 gantz sicher und trotzig. Man hörete Sie ofters ruffen: Nun stehets ja beßer mit unß. Vorher hatten wir zweene Herren, den kayser22 und den Hertzog,23 itzund gehorchen wir nur einem, nemlich dem kayser. Mitlerzeit correspondirte ich fleißig mit Herren Johann Kunschio von Breitenwal24 de, Churfürstlichen Brandeburgischen Hoffprediger, bürtig von Troppaw25 auß Ober Schlesien. Dieser war meines Seeligen Herren Vaters26 Discipulus am Briegischen27 Gymnasio gewesen und von der Zeit an Sein Erkäntlicher und Beständiger Freund. Solche affection ließ Er mich reichlich genießen. Zum Beweißthumb deßen dachte Er fast eher an mich als ich an ihn und recommendirte mich der Gemeinde zu Wesel, wie wol etwaß zu spät, in dem Sie bereits einem andern die Vacante Pfarrstelle conferiret hatte. Inzwischen suchten die Fraw Landgräffin und Regentin zu Hessen Cassel,28 Fraw e

fürst in fürstlichen durchgestrichen; kayser in fürstlichen zu kayserlichen über der Zeile ergänzt.

17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28

Goldberg (poln. Złotoryja). Leopold I. (1640–1705), römisch-deutscher Kaiser. Hans von Schweinichen (1610–1677). Wohlau (poln. Wołów). Liegnitz (poln. Legnica). Leopold I. (1640–1705), römisch-deutscher Kaiser. Georg Wilhelm (1660–1675), Herzog von Liegnitz, Brieg und Wohlau. Johann Kunsch von Breitenwald (1620–1681). Troppau (tsch. Opava). Johann Lucas (1602–1673), Vater von Friedrich Lucae. Brieg (poln. Brzeg). Kassel.

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Friderici Lucae eigentgliche Lebens und Totdes Geschichte

Hedwig Sophia,29 einen Hoffprediger für die junge Hertzogin in Curland, gebohrne Fürstin zu Nassau Siegen.30 Herr Kunschius, solches vernehmende, schrieb abermahls wieder mein dencken an die Fraw Landgräffin und recommendirte mich hierzu. Nachgehends stellte die Fraw Landgräffin ohnverzögerlich ordre, daß Er mich dißfals sondiren möchte. So bald Er mir hievon part gabe, resolvirte wolbedächtiglich, sehende welchermaßen numehrof meine subsistentz zu Lignitz die endschafft erreichte, da der kayser mich nicht besolden würde, auch die Gemeinde noch weniger hierzu capabel und vermögend wäre. Viertenzehn Tage hernach erhielte von Hocherwehnter Fraw Landgräffin die Vocation und ordre, daß die Reyse, ohne verzug, auf Cassel beschleinigen solte. Bey so gestalten sachen gieng mit mir Selbst zu rathe, wie dem Hochfürstlichen Befehl zu meiner avantage nachleben möchte; Jedoch continuirte meine Sacra in der Schloßkirche. Bißweilen fanden sich auch bestellte Spionen ein von denen Commissarien, welche auf meine Predigten lauerten. Einstmahls, als der Glöckner31 bey mir die gewöhnliche aufwartung abstattete, sprach Er: Verwichene nacht sahe im traum alle glocken vom thurn herunter durch und in die Kirche fallen und ominire hierauß nichts gutes. Ich lachete hierüber mit Bedeutung, daß man auf keine träume bawen müste. |242| Damit aber bey meiner newen vocation nichts versäumen möchte, reysete auf Brieg,32 vorhabens die Verwittibte Hertzogin33 zu consuliren. Hierselbst traff ich an den Anhaltinischen Dessawischen Cantzler Milagium,34 welcher jetzt der Hertzogin mit rath assistirte, einen aufgeblasenen Mann, dem mein negotium am ersten entdecken wolte, davon mich aber Seine stolze figur zurückzoge. Mittags ließ mich bey der Hertzogin anmelden, welche mir alsbald audientz ertheilte und nach anhörung meines anbringens sagte: Der Herr folge in Gottes Nahmen nach Cassel35 dem Beruff, mit unserm Gottesdienst zu Lignitz36 ist es doch auß. Aber ein’s wil Seiner verschwiegenheit anbefehlen: Eben vorgestern empfieng ich Brieffe von vertrauter hand auß Wien, berichtende daß vor etlichen Tagen ein expresser Currir von dar abgangen an die Ober Ampts Räthe zu Breslaw,37 mit kayserlicher ordre, daß Sie citissimè sich nacher Lignitz erheben f

sich auch vor numehro durchgestrichen.

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29 �������������������������������������������������������������������������������������� Hedwig Sophia (1623–1683), Landgräfin von Hessen-Kassel, geborene Markgräfin von Brandenburg. 30 Sophia Amalie (1650–1688), Prinzessin von Kurland, geborene Gräfin von Nassau-Siegen. 31 n.z.e. 32 Brieg (poln. Brzeg). 33 ��������������������������������������������������������������������������������������� Luise (1631–1680), Herzogin von Liegnitz, Brieg und Wohlau, geborene Prinzessin von Anhalt-Dessau. 34 August Milagius (von Milagsheim, 1633–1685). 35 Kassel. 36 Liegnitz (poln. Legnica). 37 Breslau (poln. Wrocław).

[XXVI.] Tod des Herzogs Georg Wilhelm und Besitznahme des Landes von Seiten Oestreichs

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und die Schloßkirche sperren und versiegeln solten; Daher besorge, ehe der Herr wieder nach Lignitz kom’t, wird schon die Kirche verschloßen sein. Sothane Rede der Hertzogin machte mir indenck deß Glöckners38 vorher erwehnten traum und betrübte mich schmertzlich. Hierbey suadirte Sie mir die Abreyse abermahls, mit Anwündschung Göttlichen seegens zu Meiner Newen vocation, und verehrete mir ein massiv silbern kännchen, wie auch eine Vierteljährige Besoldung, nemlich 60 Reichsthalter. Hierauß reciprocirte daß fürstliche Compliment mit unterthänigster Dancksagung und Vielen seegens wündschen, gab also Meinem Special Vaterland, der Stat Brieg, daß letzte adieu und reysete wieder über Breslaw nach Lignitz. Kaum arrivirte hierselbst, hörete alsbald von der Schloßg Kirche versiegelung, bemerckte auch der Gemeinde und meiner Liebsten39 grose Bestürtzung hierüber. Bey der versiegelung hatten etliche von unß zugesehen und genaw remarquiret derer Commissarien zitternde hände, wie Sie dan auch, gleichsam für angst, oben auf der Borleiben der einen thüre vergeßen, also daß hernach die Unsrigen hienein giengen und die rückstelligen Bücher herauß hohleten. Als ich meine bishero secretirte vocation und vorhabenden abzug der Gemeinde publicirte, waren Sie allerseits content und wündscheten mir alle prosperität. Deß Regierung Rahts Knichens40 Haußfraw,41 von Nation eine Dessawerin auß Anhalt, war die |243| Eintzige, bey der sich die passionen und gewöhliche affecten regeten, als die sich etwas formalisiren wolte, gleichsam ich Sie verließe und dergleichen mehr. Allein ich remonstirte ihr, falß der kayser42 auf ihre Person reflectiren, auch Sie mir mein nöhtiges tractament jährlich verhandreichen würde, könte Sie sich gewiß versichern der veränderung meiner resolution und meines verbleibens bey ihr in Lignitz.43 So wenig nun dieses der mögligkeit ähnlichte, desto unmöglicher konte ohne sold hier leben; Sintemal es bestande die Reformirte Gemeinde meistentheils in fürstlichen Bedienten, welche itzund selbst allerseits der dimission erwarteten und sich zerstreueten anderwerts Gelegenheit suchende, hatte daher von ihr auch nichts weiter zu hoffen. Nach dem nun die Schloßkirche dergestalt verlohren gieng, verrichtete ich Sonntags den Gottesdienst in meinem Hause, wie auch daß Heilige Abendmahl. Unterdeßen schickte mich zur abreyse an. In regard deß fernen weges von Lignitz biß auf Cassel44 getrauete mir nicht viel mitzunehmen, insonderheit weil von dar erst in Curland weiter gehen solte. Deßwegen

g

Ki vor Schloß durchgestrichen.

38 39 40 41 42 43 44

n.z.e. Elisabeth Lucae, geborene Mercer (um 1640–1686), Ehefrau von Friedrich Lucae. Rudolf Gottfried (von) Knichen (vor 1621–1682). n.z.e. Leopold I. (1640–1705), römisch-deutscher Kaiser. Liegnitz (poln. Legnica). Kassel.

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Friderici Lucae eigentgliche Lebens und Totdes Geschichte

übergab den grösten Theil meiner Bibliotheck Herrn Christian Reusnero,45 Cantori bey St. Peter und Paul in Lignitz, damit Er die Bücher nach und nach mit der Zeit verkauffen möchte. Die meubles von Zinn, Messing, kupffer, holtzwerk etc. verkauffte alsbald, wie wol mit grosem schaden. Jedoch, ich wil lieber hievon schweigen als viel reden, denn daß verlohrene kom’t nicht wieder. Vornemlich hat besagter Cantor mich gewaltig mit den Büchern hintergangen und mir quid pro quo geschickt. Die Schlüßel zu der fürstlichen Bibliotheck in St. Johannis Kirche, wie auch zu der Bibliotheck bey der Schloßkirche, übergabe dem Rhat Martino Bernhardi,46 deßgleichen die vorher gedachte Silbernen Kirchen geräthe, gegen einen schein, welcher in meiner Scatull befindlich ist. Meine Haußhälterin47 und famulum48 hinterließ ich und miethete einen Diener auf die Reyse, Wentzel49 genandt, bürtig von der Polnischen Lissa.50 Nach dem ich meine Valedictions Predigt gehalten hatte, Dominica Palmarum, reysete ich, samt meiner Liebsten,51 den 31ten Martii, Stili Novi, in deß Herren geleite, auf einer Landkutsche, Anno 1676, dabey viele gute Freunde mit thränenden augen folgeten, mittags umb 1 Uhr, war ein Monntag, auf Leipzig auß meinem Vaterlande Schlesien. |244|h Als ich nun, besagtermaßen, den 31 Martii Anno 1676 auß Lignitz52 reysete, hielt daß erste nachtlager zum Hayn53 in deß Bürgermeisters54 hause, der mir alle höfligkeit erwiese. Deß Morgends passirten wir weiter über Buntzlaw55 und Görlitz.56 Hierselbst besahe meine Liebste57 daß Heilige Grab, wie auch die Haupt Kirche, davon bereits meldung gescheen. Von dar setzte den weg fort durch die Sechs Stätte, auf Reichenbach,58 Königsbrück,59 Strehlen, den Grosen Hahn60 und Wurtzen.61

h

Die Textgestaltung der Handschrift legt hier eine Leerstelle für eine Kapitelüberschrift nahe. Aus Gründen der Lesbarkeit wurde auf eine Leerzeile verzichtet.

_______________________________ 45 46 47 48 49 50 51 52 53 54 55 56 57 58 59 60 61

Christian Reusner (1627–1684). Martin Bernhardi (1625–1700). n.z.e. n.z.e. n.z.e. Lissa (poln. Leszno). Elisabeth Lucae, geborene Mercer (um 1640–1686), Ehefrau von Friedrich Lucae. Liegnitz (poln. Legnica). Haynau (poln. Chojnów). n.z.e. Bunzlau (poln. Bolesławiec). Görlitz (sorb. Zhorjelc). Elisabeth Lucae, geborene Mercer (um 1640–1686), Ehefrau von Friedrich Lucae. Reichenbach/Oberlausitz (sorb. Rychbach). Königsbrück (sorb. Kinspork). Großenhain. Wurzen.

[XXVI.] Tod des Herzogs Georg Wilhelm und Besitznahme des Landes von Seiten Oestreichs

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Allhier zu Wurtzen arrivirte abends zu grosem glück. Meine Liebste war eben Schwanger und mit Leibes wehen geplaget. Deßen ohnerachtet erzeigte sich die Wirthin in der Herberge sehr murrisch und wolte unß durchauß keine besondere stube einräumen. Bey solchem unfreundlichen volck musten wir in der Gemeinen stube unter denen Fuhrleuten und unter ihrem stanck und dampff auf der streu liegen. Deß nachts setzen ihr die schmertzen noch heftiger zu. Endlich trieben diese Sie hinauß in hoff. Da daß Licht herfür brach, bemerckten wir an dem ort, wo Sie geseßen, einen frühzeitigen abortum. Hierauf ließ alsbald anspannen, also daß wir diese drey meilen vollends zurück legten und morgends umb 10 Uhr zu Leipzig anlangten, an dem so genandten stillen freytag vor Ostern. In Leipzig traffen wir im Brüel ein sehr gutes quartier an und in demselben eine freundliche, bescheidene Wirthin. Dieselbte pflegte nicht allein Meine Liebste sorgfältig, sondern procurirte auch, auf Mein Begehren, eine Verständige Hebamme, oder Bademutter, derer Cur sich meine Liebste unterwarff und auch nechst Gott recht glücklich. Mitlerzeit fiel daß Osterfest ein. Bey solcher Fest Feyer besuchte den Gottesdienst der Lutheraner und hörete insonderheit Herren Doctor Carpzovium62 predigen, von dem Sie so groses wunder machen. In der Kirche St. Thomae hörete eine überauß herrliche Music. So führete mich auch der Küster, unwißend wer ich wäre, in die Sacristey. |245| Hierinnen erblickte ein kostbares Marien Bild. Selbiges war mit ungemein grosen rechten Perlen und andern Juwelen gezieret, welches starck nach dem Pabstthumb schmeckte. Gleichfals sahe ein paar grose, massiv silberne Leuchter auf dem Altar. Selbige hatte heimlich eine kauffmanns Fraw der Kirche Besagten Osterabend geopffert. Der Doctor Lehmann,63 Superintendens, machte publicè in der Predigt hievon groß werck und verglieche wol zehnmahl diese Fraw denen Weibern, welche Jesum im grabe salben wollen,i da jene es hätten im vorsatz, diesej aber in der that verrichtet. Wieder vermuthen begegnete mir Herr Baron Meidel64 mit Seinem Hoffmeister Herr Besser65 auß Curland. Diese lernten mich in Schlesien kennen. Hier in Leipzig tractirten Sie mich den zweyten Tag abends, der Ostern, in Herr Doctor Schachers66 Hause. Ein jahr hernach ward dieser Baron Meidel, als Er in einem Duell wieder einen Sächsischen Lieutnant,67 den Hoffmeister Besser secundirte, jämmerlich erschoßen. Die gantze action erzehlet der XI. theil Theatri Europaei außführlich. Besagter Besser ist itzund würcklicher Brandeburgischer Rhat und Churfürstlicher Ceremonien Meii j

wo vor wollen durchgestrichen. es vor diese durchgestrichen.

62 63 64 65 66 67

Johann Benedict Carpzov II. (1639–1699). Georg Lehmann (1616–1699). Jakob Friedrich von Maydell (1658–1677). Johann (von) Besser (1654–1729). Christoph Hartmann Schacher (1633–1690). Carl Gebhard von Lochau.

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Friderici Lucae eigentgliche Lebens und Totdes Geschichte

ster. Wie mich Baron Meidel versicherte, hatte Er kein Belieben in Leipzig zu leben, gleichsam ahmete ihm schon daß Unglück. Aber den Hoffmeister, als der damahls Theologiam studirte, könte Er nicht fortbringen. Inzwischen beßerte es sich mit meiner Liebsten68 von tag zu tag, also daß wir nach Cassel69 eileten. Zu dem ende miethete in Leipzig eine Landkutsche. Weilen man unß bange machte wegen der auf ’m Lande einquartirten Soldaten, daher sahe mich nach einem Reyse gefehrten umb. Inzwischen gab sich ein Apothecker Geselle, von Cassel bürtig, welcher zeithero in Schlesien zu Breslaw serviret hatte, Rembold70 genandt, bey mir an. Denselben nahm’ gleichsam als eine kleine Convoy mit. Mitwoch’s nach Ostern resolvirte den abzug auß Leipzig und Donnerstags ­hernach zu Mittage giengen wir in Gottes Nahmen zu wagen. Damit reyseten wir fort über Lützen, Naumburg,71 Porta,72 Erffurt,73 woselbst ich die grose Glocke besahe, Gotha, Creutzberg74 und also ferner in Hessen und auf Cassel. Von Creutzberg, so zwo meilen nur von Wahnfride75 ligt, spedirte expressen und notificirte meinem Schwager76 und meiner Liebsten Schwester77 unsere ankunfft. An dem besagten Rembold genoßen wir auch einen guten Reyse gefehrten. Nachgehends ist Erk Hoff Apothecker zu Cassel worden. Itzung agiret Er einen Apothecker in Bremen. |246|l Anno 1676, den 5. April, Stili Veteri, Mittwoch’s, morgends umb 10 Uhr, da eben Jahrmarckt war, arrivirte zu Cassel78 samt meiner Liebsten79 glücklich. Wir nahmen die Herberge im Wilden mann. Auß’m thor Zettel hatte Ihre Hochfürstliche Durchlaucht,80 damahls Regentin, alsbald unsere ankunfft gesehen. Hierauf schickten Sie dero Hoffprediger Herren David Pforrium81 zu mir und ließen mich gnädigst bewillkommen.

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ist Er über der Zeile ergänzt. Die Textgestaltung der Handschrift legt hier eine Leerstelle für eine Kapitelüberschrift nahe. Aus Gründen der Lesbarkeit wurde auf eine Leerzeile verzichtet.

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68 Elisabeth Lucae, geborene Mercer (um 1640–1686), Ehefrau von Friedrich Lucae. 69 Kassel. 70 n.z.e. 71 Naumburg (Saale). 72 Pforta. 73 Erfurt. 74 Creuzburg. 75 Wanfried an der Werra. 76 Jost Christoph Uckermann (um 1646–1701), Schwager von Friedrich Lucae. 77 Margarethe Uckermann, geborene Mercer (um 1642–1689), Schwägerin von Friedrich Lucae. 78 Kassel. 79 Elisabeth Lucae, geborene Mercer (um 1640–1686), Ehefrau von Friedrich Lucae. 80 �������������������������������������������������������������������������������������� Hedwig Sophia (1623–1683), Landgräfin von Hessen-Kassel, geborene Markgräfin von Brandenburg. 81 David Pforr (Pforrius, 1631–1688).

[XXVI.] Tod des Herzogs Georg Wilhelm und Besitznahme des Landes von Seiten Oestreichs

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Freytags legte meine erste unterthänigste aufwartung ab bey Ihrer Hochfürstlichen Durchlaucht, welche mich gnädigst empfiengen, auch denselben abend bey der fürstlichen Taffel behielten. Hier favorisirte mir daß glück, die Churfürstin zu Pfaltz,82 die Princessin Elisabeth,83 die Princessin Henrietta,84 nachgehends Churprincessin zu Berlin, die itzige Frau Landgräffin,85 den Herren Landgraff Carln86 und Printz Philipps87 den reverentz zu machen und zu sprechen. Sonnabends ließen mich Ihre Hochfürstliche Durchlaucht auß’m wirthshause führen und in ein besonder Quartier vor’m Schloß anweisen. Insonderheit bedeutete mich der Marschall von Donop,88 daß ich täglich, zweymahl, auß der Küche die Speisen, auß’m keller Wein und Bier solte abholen laßen. Auch würde mir sonst alles nöthige bey hofe verabfolget werden. Über dieses schickten mir Ihre Hochfürstliche Durchlaucht ofters allerhand delicatezzen von der taffel. Deßgleichen ward auch Meine Liebste von dem gantzen hoff mit gnädigen und affectionirten augen angesehen. In dem nun nicht Casselsche Dienste, sondern zum Hoffprediger in Curland vociret war; Daher vertröstete mich Ihre Hochfürstliche Durchlaucht welchergestalt der Hertzog89 und die Hertzogin zu Curland90 ehestes auß Holland nacher Cassel würden kommen, da ich alsdan von hier in dero suite nacher Curland gehen solte. Inzwischen legte zu Cassel, am Sonntag Jubilate Mittags, bey sehr Volckreicher versammlung, meine Erste predigt ab. So lernte auch, nach und nach, die Vornehmsten Ministros und Räthe deß Hofes kennen, als da waren: Freyherr von Döringenberg,91 Cammer Praesident. Freyherr von Kunowitz,92 Regierungs Praesident. Herr von Ohr,93 Geheimter Rhat. |247| Herr von Donop,94 Rhat und Marschall. Herr von Meisebug,95 Hoffmeister.

82 83 84 85 86 87 88 89 90 91 92 93 94 95

Charlotte (1627–1686), Kurfürstin von der Pfalz, geborene Prinzessin von Hessen-Kassel. Elisabeth Charlotte (1652–1722), Prinzessin von der Pfalz. Elisabeth Henriette (1661–1683), Prinzessin von Hessen-Kassel, spätere Ehefrau von Friedrich (1657–1713), Kurprinz von Brandenburg. Amalia (1653–1711), Erbprinzessin von Hessen-Kassel, geborene Prinzessin von Kurland. Karl (1654–1730), Erbprinz von Hessen-Kassel. Philipp (1655–1721), Prinz von Hessen-Kassel. Anton Gabriel von Donop († 1681). Friedrich Kasimir Kettler (1650–1698), Prinz von Kurland. Sophia Amalie (1650–1688), Prinzessin von Kurland, geborene Gräfin von Nassau-Siegen. Johann Caspar von Dörnberg (1616–1680). Johann Dietrich von Kunowitz (1624–1700). Burkhard von Oer († nach 1676). Anton Gabriel von Donop († 1681). Wolrad von Meisenbug (Meysenbug, Meysebug, 1632–1702).

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Friderici Lucae eigentgliche Lebens und Totdes Geschichte

Herr von Spiegel,96 Ober Jägermeister. Herr von Greben,97 Rittmeister über die Guarde. Herr von Schwertzel,98 Cammer Juncker. Herr von Wallenstein,99 Cammer Juncker. Herr von Atzenhofen,100 Stallmeister. Herr Motz,101 Obrister und Commendant zu Cassel. Herr Johann Vulteius,102 Cantzler. Herr Bagenstecher,103 Geheimter und kriegs Rath. Herr Doctor Gall,104 Vice Cantzler. Herr Badenhausen,105 Geheimter und Legations Rath. Herr Haxthausen106 Herr d’Orville107 Regierungs Räthe. Herr Jungmann108 Herr Bourdon109 Herr Mönch,110 Ober Cammer Rhat. Unter dem Frawenzimmer befanden sich die Fraw von Wallenstein111 bey der Fraw Regentin,112 die Fraw von Meisebug113 bey der jungen Fraw Landgräffin114 Hoffmeisterin. Beyderseits erzeigten sich sehr affectionirt gegen unß. Insonderheit die Fraw von Wallenstein, welche hernach am königlichen Hoff zu Coppenhagen115 Hoffmeisterin gewesen. Nicht weniger contestirte ihre affection die Fraw von Meisebug, geborne von Robinson auß Engelland. In regard der Landsmannschafft aestimirte Sie meine Lieb196 Karl Rabe von Spiegel zum Desenberg († 1679). 197 n.z.e. 198 Georg Schwertzell von und zu Willinghausen (1617–1687). 199 Gottfried von Wallenstein (1607–1692). 100 n.z.e. 101 Johann Christian Motz (1604–1683). 102 Johannes Vultejus (1605–1684). 103 Andreas Christian Pagenstecher (1612–1677). 104 Hieronymus von Gall († 1684). 105 Regner Badenhausen (1610–1686). 106 Heinrich Haxthausen (1624–1702). 107 Johann Joachim d’Orville (Dorvillius, 1633–1688). 108 Johann Heinrich Jungmann (1620–1697). 109 Samuel Bourdon (1631–1688). 110 Nikolaus Münch (1625–1680). 111 Juliane Elisabeth von Wallenstein, geborene von Uffeln (1618–1692). 112 �������������������������������������������������������������������������������������� Hedwig Sophia (1623–1683), Landgräfin von Hessen-Kassel, geborene Markgräfin von Brandenburg. 113 Elisabeth von Meisenbug (Meysenbug, Meysebug), geborene Robinson (1629–1681). 114 Amalia (1653–1711), Erbprinzessin von Hessen-Kassel, geborene Prinzessin von Kurland. 115 Kopenhagen (dän. København).

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ste116 gar hoch. Diese beyde Frawen vermochten damahls bey hofe viel, unter der Fraw Regentin Regierung, und halffen manchem zur Beforderung. Der Fraw Regentin Hochfürstliche Durchlaucht warteten 4 e’Stats Jungfern auf: Die Fräule von Grot,117 welche den Ober Marschall zu Berlin, den berühmten Herr von Grumpkow,118 geheurahtet. Die Fräule von Canitz119 auß Schlesien, deß Ober Marschalls Baron von Canitz120 zu Berlin Tochter, hat geheurahtet den Herren von Brand,121 Verwesern zu Crossen.122 Die Fräule von Uffeln,123 deß General Feld Zeugmeisters von Uffeln124 Tochter,m hat geheurahtet den Herren Obersten von Bülow,125 königlichen Dänischen Landdrost zu Delmenhorst. Die Fräule von Börstle126 hat geheurahtet, außer ihrem Standt, Doctor Hülsemann,127 Cammer Gerichts Rhat zu Berlin. Im Ministerio standen nachfolgende Theologi und Prediger: Herr Johann Henricus Stoeckenius,128 Consistorial Rhat und Superintendens. Herr Soldan,129 Consistorial Rhat und Decanus bey St. Martini. Herr David Pforrius,130 Hoffprediger. Herr Georgius Heinius,131 Pastor bey St. Martini. Herr Momberg,132 Metropolitanus in der Brüder Kirche. Herr Vietor,133 Metropolitanus in der Neustadt. Herr Klöpper,134 Diaconus in der Brüder Kirche. m

Tochter aus Gründen der Lesbarkeit ergänzt.

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116 Elisabeth Lucae, geborene Mercer (um 1640–1686), Ehefrau von Friedrich Lucae. 117 ������������������������������������������������������������������������������������� Gertrud Sophie von Grote (um 1653–1693), spätere Ehefrau des Joachim Ernst von Grumbkow (1637–1690). 118 Joachim Ernst von Grumbkow (1637–1690). 119 Augusta Elisabeth von Canitz (1659–1722), spätere Ehefrau des Eusebius von Brandt (1642– 1706). 120 Melchior Friedrich von Canitz (1629–1685). 121 Eusebius von Brandt (1642–1706). 122 Crossen an der Oder (poln. Krosno Odrzańskie). 123 Charlotte Elisabeth von Uffeln († 1687), spätere Ehefrau des Thomas Christian von Bülow (1651–1706). 124 Heinrich von Uffeln (1615–1678). 125 Thomas Christian von Bülow (1651–1706). 126 Sophia Elisabeth Hülsemann (Hilsmann), geborene von Börstel (Borstell, 1656 – nach 1716). 127 Theodor Hülsemann (Hilsmann, um 1635–1716). 128 Johann Heinrich Stöckenius (1606–1684). 129 Justus Soldan (1600–1677). 130 David Pforr (Pforrius, 1631–1688). 131 Georg Hein (Heinius, um 1629–1699). 132 Johannes Momberg (1626–1678). 133 Philipp Otto Vietor (1646–1718). 134 Johann Klöpper (1633–1708).

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Friderici Lucae eigentgliche Lebens und Totdes Geschichte

Herr Sontag,135 Diaconus in der Neustadt. Herr Brunstein,136 Adiunctus bey St. Martini. Herr Conradi,137 Guarnisons Prediger. |248|n Itzund, da mir keine arbeit oblage, verlangte die beschloßenen Bremer reyse bewerckstellung. Meine Liebste138 hatte daselbst ihre meubles in der Verwittibten Fraw Doctor Schnellin139 hause stehen. Nun hätte Sie dieselben gerne vor unser abreyse in Curland disponiret und abgehohlet. Hierzu eröfnete sich eine erwündschte gelegenheit. Es gieng eben eine kutsche mit 6 Pferden bespannet auf Rintheln140 von hofe; Daher suchte bey Ihrer Hochfürstlichen Durchlaucht141 umb erlaubnüß, welche gnädigst mir die reyse und kutsche verwilligten. Gleichfals ließen Sie mir 40 Reichsthaler, als den halben theil meiner Schlesischen reyse kosten, zahlen. Die andere helffte solte mir bey ankunfft der Hertzogin von Curland142 werden. Auch injungirten Sie mir den retour binnen 14 tagen aufs längste. In regard Hochfürstlicher ordre beschleinigte die reyse desto mehr. Am Montag Mittags brachen wir auf und giengen über Immenhausen, Trendlenburg,143 Borgholten,144 Schier145 auf Rintheln. So bald hierselbst der Herr Landdrost von Born,146 deßen Bruder147 ich am Briegischen148 hofe kennete, meine ankunfft hörete, invitirte Er mich in Sein hauß mit zur taffel. Deß andern tages besahe die Vestung und die Universität zu Rintheln, bemerckte aber eine geringe frequentz von Studenten. Auch die Vestung an der Weser seite stand noch in schlechter perfection. Bemeldter Herr Landdrost war auch so gütig und ließ mich mit Seiner Chaise und Pferden biß auf Minden, die zwo meilen, führen. Hier in Minden arrivirte morgends nach der Predigt. Wegen der grosen menge Brandeburgischer Soldaten, welche eben marchfertig lagen, konte nicht weit außge-

n

Die Textgestaltung der Handschrift legt hier eine Leerstelle für eine Kapitelüberschrift nahe. Aus Gründen der Lesbarkeit wurde auf eine Leerzeile verzichtet.

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135 Justus Valentin Sontag (1640–1711). 136 Johann Erich Brunstein (1636–1704). 137 Georg Conradi (Conrady). 138 Elisabeth Lucae, geborene Mercer (um 1640–1686), Ehefrau von Friedrich Lucae. 139 n.z.e. 140 Rinteln. 141 �������������������������������������������������������������������������������������� Hedwig Sophia (1623–1683), Landgräfin von Hessen-Kassel, geborene Markgräfin von Brandenburg. 142 Sophia Amalie (1650–1688), Prinzessin von Kurland, geborene Gräfin von Nassau-Siegen. 143 Trendelburg. 144 Borgholz. 145 Schieder (Schüer, Schieder-Schwalenberg). 146 Georg Friedrich von dem Borne (Born, 1632 – nach 1668). 147 n.z.e. 148 Brieg (poln. Brzeg).

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hen, umb nicht affrontirt zu werden. Jedoch besahe die herrliche mit kupffer bedeckte Thumb Kirche, darbey die Churfürstliche Cantzeley und derer Thumb Herrenhäuser stehen. Deßgleichen besuchte die Marien Kirche, wie auch die Martini Kirche. Der Veste Besichtigung war vor dißmahl nicht erlaubet. Nach dem wir im Posthause daß Morgenbrot eingenommen hatten, gieng ich zuschiffe umb 1 Uhr Mittags und seegelte auf der Weser in einem kleinen Fischer Kahn bey favorablem Wetter auf Petershagen. Dieses ist ein Groser Offener Flecken und hat vormahls die Cantzeley deß Fürstenthumbs Minden darinnen gestanden, so aber nach Minden verleget worden. An der Weser seite gegen |249| abend ligt daß Churfürstliche Schloß mit einer starcken batterie, so mit eisernen Canons besetzt ist. In dem Schloß ist eine Capelle, worinnen die Reformirten den Gottesdienst verrichten. Numehro stehet auch diese Gemeinde, samt dem Prediger, in Minden. Auf dem Schloß residiret der Landdrost, welche Charge damahls einer von Ledebuhr149 bekleidete. Von hier bediente mich der so genandten kehrwagen biß auf Bremen. In Bremen logirten wir bey Herrn Johann Dietrich Hacke150 auf ’m Thumbshofe. Dieser war ein alter Bekanter von Meiner Liebsten151 und begegneteo unß recht höflich. Mitlerzeit, da Meine Liebste ihre meubles einpackete, besahe der Stat Seltsamkeiten. Am ersten ließ ich mich führen in St. Mariae, oder Lieben Frawen, Kirche. Gleichfals besahe die Grose Thumb Kirche, darinnen die Lutheraner predigen. In derselben stehen viele alte und rare Epitaphia und dergleichen sachen. Der Creutzgang weiset auch viele uhralte Leichensteine, derer Alten, darunter Begrabener Bischoffe und Praelaten. Aber dieselben vor dißmahl zu remarquiren, hatte keine Zeit übrig. An ihr selbst ist die Kirche ein sehr langes gebäwde, wie wol nicht breit, auch nicht übrig hoch. Von außen hat Sie einen hochgespitzten thurn, der ander aber an der mittags seite war vor etlichen jahren durch den Blitz angezündet und verbrandt worden. Oben an der fronte zwischen beyden thürnen praesentiret sich ein künstlicher Uhrzeiger. Ob Er aber gangbar sey, kan nicht versichern. Die Kirche scheinet mit kupffer und der thurn mit Bley bedeckt zu sein. Daß Gymnasio, oder daß Alte Catharinen kloster, und in demselben daß Auditiorium Theologicum besuchte ebenmäßig. Hierinnen fand nichts sonderliches außer der Bibliotheck. Herr Bibliothecarius Hipstät,152 ein Alter Mann, war wenig von Discoursen und difficil in communication derer raritäten. Auß der kloster Kirche haben Sie ein Zeughauß gemacht. In demselben verwahret die Stat eine ziemliche menge armaturen von Stücken, harnischen und zugehörigen Waffen. Jedoch befinde mehr kleinere als grobe Canons darinnen.

o

begente u vor begegnete durchgestrichen.

149 150 151 152

Gerhard Jan von Ledebur (1628–1679). Johann Dietrich Hacke (1627–1704). Elisabeth Lucae, geborene Mercer (um 1640–1686), Ehefrau von Friedrich Lucae. Johann Hipsted (Hippstedt, 1612–1682).

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Auf ’m Rathhause leuchtet der Grose Vorsaal an der Rhahtsstube herfür. Selbigen machen viele alte und künstliche mahlereyen gläntzbar. Unter andern lage auf einer taffel ein Sceleton vo’m wallfisch, welcher ehemahls in der Weser gefangen worden, von ziemlicher gröse. Unten ist der Statkeller in guter disposition und mit herrlichen Rheinischen Weinen angefüllet. An der Mittags seiten seind kleine Cabineter angebawet, oder trinck stübchen, vor die Wein gäste. Vor dem Rhathause stehet der Ungeheure Ruland, an welchen deß Nachts eine grose brennende Laterne angehencket wird. Untenp am erden deß Rhathauses ist ein groser Durchgang, oder geplasterter saal, woselbst frembde Buchhändler, kunsthändler ihre |250| Bücher und Schildereyen gewöhnlich feil haben. ­Euserlich hat eben daß Rhathauß keinen sonderlichen Zierath außer einer grosen, breiten, steinernen gallerie, darauf sich daß Judicium bey außübung der Justitz praesentiren. Die Schütting ähnlichet einem Vornehmen Palatio. Unten ist vor die gemeine Leute der grose steinerne saal, in welchem etliche kleine See Schiffe mit metallenen Stücken schwebend hangen. Von dar steiget man eine bequeme Treppen auf den Haupt saal. So bald die thüre aufgethan wird, stehet darbey ein Geharnschter Mann mit einer partisan, welcher durch sein künstliches Bewegen die Eingehenden erschrecket. Nechst daran ist ein kleiner Speise saal und in demselben ein schrancken mit Vielemq silbergeschirr angefüllet. Einstmahls seind die Jungen Landgraffen zu Heßen Cassel auf demselben magnific tractiret worden. Die so genandten Elterleute halten hierüber die Aufsicht und laßen ordinair darinnen daß starcke Bremische drey groten Bier außzapffen. Meistentheils seind die Privat häuser massiv erbawet, jedoch zierlicher von innen als außen, auch von keiner sonderlichen gröse. Es imitiren die Inwohner der Holländischen Reinligkeit. Belangende die kauffmannschafft, so floriret Sie ziemlicher maßen durch die Schiffarth, also daß der ansehnlichste theil der Bürgerschafft auß Kauffleuten und Schiffern bestehet. Vor dißmahl war Herr Johannes Cocceius,153 Erster Prediger bey Unser Lieben Frawen Kirche, der Eintzige in deßen Bekantschafft ich gerathen bin, durch addresse besagten Herren Hackes.154 Nachdem nun Meine Liebste ihre meubles eingepacket und dem Schiffmann anbefohlen hatte, tratten wir den retour an. Eben denselben weg, welchen wir hieher zogen, giengen wir wieder auf Cassel,155 nemlich über Minden, Rintheln156 etc. Bey meiner ankunfft in Cassel legte unverzögerlich meine aufwartung bey hofe ab. Solches geschae freytags. Mitwochs hernach fiel der Monatliche Bettag ein. An demselben hielt die Predigt. p q

Es vor Unten durchgestrichen. eine vor Vielen durchgestrichen.

153 154 155 156

Verwechslung mit Hermann Coccejus (Koch, 1632–1709). Johann Dietrich Hacke (1627–1704). Kassel. Rinteln.

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Ob wol Meiner Liebsten Fraw Schwester157 unß in Cassel die visite gab, dennoch verlangte mich ihrr Hauß zu sehen. Deßhalben bat abermahls urlaub bey Ihrer Hochfürstlichen Durchlaucht158 und reysete auf Wahnfride.159 Von Cassel auß schiffeten wir auf der Fulde nacher Munden.160 Hierselbst besahe ich daß fürstliche Schloß und deßen Gemächer. Man zeigte mir, hin und wieder, in denen wänden viele schwartze Flecken, von denen Sie vorgaben, als wäre es Blut deren Anno 1630 von dem kayserlichen General Tilly161 allhier verübten grausamen Massacre. Aber ich konte es schwerlich glauben. Daß Stätchen an ihm selbst ist ziemlich lebhaftig, hat eine gute Schiffarth auf Bremen und darbey profitable trafiquen, sonderlich mit dem Brühahn, der von hier starck auf Cassel geführet wird. Daß merckwürdigste an diesem ort betrifft die beyden ströhme |251| die Fulde und die Werra. Denn Sie fließen hier vereinbahrlich zusammen und verlieren ihre Nahmen. Hernach wird der conjungirte strohm die Weser genandt. Über den Fluß gehet man auf einer langen, steinernen, bedecken Brücke, welche 9 gewölbte und wolbefestigte Bogen hat. Von hier fuhren wir aufwerts auf der Werra. Es ist zwar ein sehr lustiger weg, aber die hitze incommodirte unß im Schiffe heftig. So avancirte auch daß Fahren schlecht, weil daß Schiff mit Seilern muste gezogen werden. Unterweges passirten wir Viele notable oerter und considerable Berg Schlößer: Nemlich daß Schloß Ludwigstein, dem Herren Landgraff Ernst162 zuständig, item Arnstein, denen Freyherren von Bodenhausen,163 item Fürstenstein, denen Herren von Dide164 gehörig. Witzenhausen, die Heßische Stat, hat eine lange steinerne Brücke über die Werra und inwendig eine grose, aber finstre Pfarrkirche. In derselben ist der Herren von Bodenhausen Begräbnüß und Monumentum wolzusehen, wird aber sehr unsauber und die Statuen daran unaußgeputzt gehalten. So ligt auch in der Stat ein altes kloster, samt der kirche, gantz wüste. Allendorf in Sohden165 begrüßete Sonntags morgends. Auser der Kirche, welche damahls noch nicht recht außgebawet war, vermag diese Stat nichts merckwürdiges. Ohngefehr eines Büchsenschußes davon liegen die Sohden, dahin man über eine steinerne Brücke passiret. Hierbey ist der Saltzbrunn recht würdig zu besehen. Man steiget r

h vor ihr durchgestrichen.

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Margarethe Uckermann, geborene Mercer (um 1642–1689), Schwägerin von Friedrich ­Lucae. 158 �������������������������������������������������������������������������������������� Hedwig Sophia (1623–1683), Landgräfin von Hessen-Kassel, geborene Markgräfin von Brandenburg. 159 Wanfried an der Werra. 160 Hannoversch Münden. 161 Johann T’Serclaes von Tilly (1559–1632). 162 Ernst I. (1623–1693), Landgraf von Hessen-Rheinfels-Rotenburg. 163 Bodenhausen, Adelsgeschlecht. 164 Diede zum Fürstenstein, Adelsgeschlecht. 165 Allendorf an der Werra (Bad Sooden-Allendorf ).

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Friderici Lucae eigentgliche Lebens und Totdes Geschichte

ziemlich tieff hienunter, auf zweyen Treppen. Zwey Pferde ziehen durch ihren steten umbgang daß waßer herauf, welches in den grosen höltzernen keßel wird geleitet und darinnen vom Wilden waßer geschieden. Von dar fleußt es durch Canale in die Sohden und so weiter. Der Brunnen wird wolverwahret, auch nicht einem jeden eröfnet. Es ähnlichen die Häuser deren Saltzsieder und fürstlichen Beampten einem Stätchen. Insonderheit muß der fürstliche Ober Saltzgrabe, damahls Doctor Ungefug,166 und der Rentmeister hier gouverniren und die Justitz administriren. Gleichfals haben Sie hier eine eigene mit zween Predigern besetzte Kirche. Ehemahls bekleidete auch in Sohden die Pfarrstelle Herr Lauinger,167 welcher hernach zu denen Lutheranern in Isenach168 trate. Auß dieser Schmaltz grube schöppfet der Herr Landgraff jährlich auf die 24 000 thaler. Weilen jetzo die hitze zu groß und die Schiffarth zu langsam war, stiegen wir, bey kühlem abend, auß und giengen durch Eschwege biß auf daß Dorff Schwebde,169 denen von Keudel170 zuständig, und des morgends früh nach Wahnfride.171 Wir genoßen in deß Herren Schwager Uckermanns172 und Seiner Liebsten,173 als Meiner Frawen174 Schwester, Hauß alle gute accomodation. Daß Stätchen an ihm selbst vermag wenig denckwürdiges. |252| Beydes, die Kirche und Schloß, seind von geringer importance. Weil hier ein kleiner Stappel deß fruchthandels auß Thüringen auf der Werra, und nachfolglich auf der Weser, hienunter auf Bremen gehet, hat daß Stätchen ziemliche Nahrung. Es ­flatiren sich die Inwohner als hätte die Stat den Nahmen Wahnfride175 von dem Ersten Bischoff Winfrido, oder Bonificario,176 in diesen Gegenden erhalten; Ist aber ­schwerlich zu glauben. Eine viertel stunde hievon siehet man den grosen Bergfall, Anno 1640 ­gescheen. Ohngefehr eine halbe stunde hievon ligt der Berühmte Gehülffens Berg. Auf deßen spitze stehet eine grose Kirche, darinnen daß Bildnüß deß ­Besagten Bonifacii verehret und darzu grose Wallfahrten gehalten werden. Meines ortes habe etliche mahl diesen Berg auß curiosität besteigen wollen, bin aber stets verhindert worden.

166 167 168 169 170 171 172 173 174 175 176

Johann Christoph Ungefug († vor 1693). Johannes Laubinger (1652–1699). Eisenach. Schwebda. Keudell, Adelsgeschlecht. Wanfried an der Werra. Jost Christoph Uckermann (um 1646–1701), Schwager von Friedrich Lucae. Margarethe Uckermann, geborene Mercer (um 1642–1689), Schwägerin von Friedrich Lucae. Elisabeth Lucae, geborene Mercer (um 1640–1686), Ehefrau von Friedrich Lucae. Wanfried an der Werra. Bonifatius (Winfrid, um 673–754/55), Heiliger.

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Nach wir nun unß zu Wahnfride divertiret und mit denen Freunden abouchiret hatten, giengen wir zu Lande über Eschwege, Reichen Sachsen,177 Bischhausen und Cappel178 wieder auf Cassel.179 Bey Meiner ankunfft wartete alsbald Ihrer Hochfürstlichen Durchlaucht180 auf. Meine erste Frage thät ich nach der Hertzogin von Curland181 und ob dieselbte bald kommen würden? Allein Sie ermahneten mich zur geduld und versichterten dero ­Baldiges ­arrivement. Inzwischen überfiel Meine Liebste182 abermahls ein heftiger abortus. In regard ihrer schmertzlichen Blutstürzungen verziehe mich schon ihres Lebens. Jedoch Gott der Herr segnete deß Herren Doctoris Holstenii,183 Hochfürstlichen Leib Medici, consilia und medicamenta mercklich, also daß Sie durch Gottes gnade wieder gesund wurde. Auf erfolgte genesung muste vor Herren Superintendenten am Sonntag morgends, war der Sonntags Trinitatis,t in der Schloß Kirche die Haupt Predigt verrichten. Deßen ohnverachtet wolte mir doch endlich die Zeit zu lang fallen, bey meinen müßigen tagen. Itzund, den 20. May, arrivirte zu Cassel der Churprintz zu Brandeburg184 und numehriger Churfürst Fridericus 3. Der gantze hof, insonderheit die Hochfürstliche Fraw Regentin,185 wie auch der Herr Landgraffe,186 samt einem grosen gefolge von kutschen und einer Ansehnlichen Cavalcada,u giengen ihm entgegen unter Trommeten und Canonen schall. Zu der Zeit der von denen Frantzosen übergangene General Chavignac187 lebte in Cassel. Dieser vermehrete nicht wenig den Einzug. Er ließ, nebst einer kostbaren kutschen, 50 handpferde führen, welche kostbarer außstaffieret waren als die Landgräfflichen. Den 24. May wurden zwischen Hocherwehntem Churprincen und der Princessin Elisabeth Henrietten,188 Landgräffin zu Hessen, alß deß Herren Landgraffens jüngster

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1. vor Sonntag durchgestrichen. nach vor Trinitatis durchgestrichen. Cal vor Cavalcada durchgestrichen.

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177 Reichensachsen. 178 Waldkappel (Cappel). 179 Kassel. 180 �������������������������������������������������������������������������������������� Hedwig Sophia (1623–1683), Landgräfin von Hessen-Kassel, geborene Markgräfin von Brandenburg. 181 Sophia Amalie (1650–1688), Prinzessin von Kurland, geborene Gräfin von Nassau-Siegen. 182 Elisabeth Lucae, geborene Mercer (um 1640–1686), Ehefrau von Friedrich Lucae. 183 Gideon Holstein (Holsteinius, Holstenius, 1630–1682). 184 ����������������������������������������������������������������������������������������� Friedrich (1657–1713), Kurprinz von Brandenburg, als Friedrich III. Kurfürst von Brandenburg und Herzog in Preußen, als Friedrich I. König in Preußen. 185 Amalia (1653–1711), Erbprinzessin von Hessen-Kassel, geborene Prinzessin von Kurland. 186 Karl (1654–1730), Erbprinz von Hessen-Kassel. 187 Gaspard de Chavagnac (um 1624–1695). 188 ������������������������������������������������������������������������������������������ Elisabeth Henriette (1661–1683), Prinzessin von Hessen-Kassel, spätere Ehefrau von Friedrich (1657–1713), Kurprinz von Brandenburg.

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Friderici Lucae eigentgliche Lebens und Totdes Geschichte

Schwester, die Sponsalien vol’nzogen. Deß morgends thät der Herr Hoffprediger Pforrius189 in der Kirche eine Predigt ex Gene: 24. à V. 1 ad 5. Mittags berieff man alle Räthe und daß Sämtliche Ministerium nach hofe. Umb 2 Uhr musten |253| wir unß allerseits im goldenen saal und hernach in der Fürstin Zimmer versammlen. In demselben war gegenwärtig daß gantze fürstliche Hauß, wie auch die Churfürstin zu Pfaltz,190 vornemlich der Churprintz191 und die Princessin Landgräffin.192 Herr Otto Freyherr von Swerin,193 Churfürstlicher Geheimter Rhat und Praesident, that die anwerbung in einer zierlichen, wolabgefasten Oration. Herr Caspar Freyherr von Döringenberg,194 Heßischer Cammer Praesident, antwortete hierauf im Nahmen deß fürstlichen Hauses. Nach endigung derer Reden geschaen die Complimenten und Handgelöbnüß. Als sich der Churprintz herumb wendete von der Princessin, wäre Er bey nahe über einen grosen auf der Erden liegenden hund gefallen, dafern man ihn nicht wunderlich erhalten hätte. Deß Abends blieb die gantze Versammlung bey der Taffel und ward der Actus mit glückwündschungen unter Trompeten und Canonen schall beschloßen. Wie groß auch diese Frewde zu sein schiene, dennoch ward Sie bald mit traurigkeit vermischet. Es giengen drey Princen in kurtzer Zeit den weg alles Fleisches nach einander hin, daher allerhand Iudicia und speculationes entstanden. Von denen blieb nur der itzige Erbprintz Fridericusv am Leben, welchen Gott erhalte. Hierüber verschwande auch alle apparence wegen anherokunfft der Fraw Hertzogin auß Curland.195 Denn es arrivirte zu Cassel196 ein junger Printz auß Curland,197 samt Seinem Hoffmeister Heidebrecht.198 Dieser berichtete mich, daß vor 8 tagen der Hertzog199 und die Hertzogin rectà auß Holland in Curland zu waßer gangen wären. Hierüber alterirte mich nicht wenig und sahe meines wartens vergebligkeit. Gleichwol schwieg ich stille und ließ mich nichts mercken. Ohngefehr eine woche hernach berieff mich Ihre Hochfürstliche Durchlaucht200 nach hofe in ihr Cabinet hinter der Kirche,

v

Carolu vor Fridericus durchgestrichen.

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189 David Pforr (Pforrius, 1631–1688). 190 Charlotte (1627–1686), Kurfürstin von der Pfalz, geborene Prinzessin von Hessen-Kassel. 191 ����������������������������������������������������������������������������������������� Friedrich (1657–1713), Kurprinz von Brandenburg, als Friedrich III. Kurfürst von Brandenburg und Herzog in Preußen, als Friedrich I. König in Preußen. 192 ����������������������������������������������������������������������������������������� Elisabeth Henriette (1661–1683), Prinzessin von Hessen-Kassel, spätere Ehefrau von Friedrich (1657–1713), Kurprinz von Brandenburg. 193 Otto der Ältere von Schwerin (1616–1679). 194 Johann Caspar von Dörnberg (1616–1680). 195 Sophia Amalie (1650–1688), Prinzessin von Kurland, geborene Gräfin von Nassau-Siegen. 196 Kassel. 197 Karl Jakob (1654–1677), Prinz von Kurland. 198 Bogislaw von Heydebreck (1645–1676). 199 Friedrich Kasimir Kettler (1650–1698), Prinz von Kurland. 200 �������������������������������������������������������������������������������������� Hedwig Sophia (1623–1683), Landgräfin von Hessen-Kassel, geborene Markgräfin von Brandenburg.

[XXVI.] Tod des Herzogs Georg Wilhelm und Besitznahme des Landes von Seiten Oestreichs

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worinnen dero Bibliotheck stande, auch die junge Fraw Landgräffin201 anwesend ­waren. Allhier proponirte Sie mir mancherley Fragen und ob ich noch in Curland wolte reysen? Aber ich stellte alles dero Hochfürstlichen disposition anheim, und wolten Sie mich schon in Indien schicken, würde folgen. Sothane antwort beliebte überauß wol der Fürstin, darüber dero contentement bedeutende. Hievon thäte Meiner Liebsten202 rapport, die auch selbst dergleichen Discourse am hofe hörete, welche sich hertzlich betrübte. Sintemal Sie hörete ungerne von Curland, aber wäre es Gottes wille |254| wündschete Sie wol hertzlich in Cassel203 zu leben. Solches rührete her, in dem ihr gute Freunde Curland gantz rauh und deßen Inwohner als seltsame Leute beschrieben. Mitlerzeit schickten die Fürstin204 etliche mahl die Fraw Hoffmeisterin von Wallenstein205 an mich, welche die sache recht klüglich erforschete. In dem ich aber merckte, daß Sie meinw gemüthe sondiren und exploriren wolte, gieng ich desto behutsamer. Endlich schickte der Herr Superintendens206 zu mir, begehrende, daß ich auf bevorstehenden Sonntag in der Haupt Kirche St. Martini predigen möchte. Ich willigte hierein, wie wol unwißende warumb. Nachgehends, als ich Ihrer Hochfürstliche Durchlaucht aufwartete, fragten Sie, ob ich Lust in Cassel zu verbleiben hätte, weil doch vor dißmahl die Vocation in Curland schwerlich vor sich gehen würde, wegen der Hertzogin außenbleiben? Hierauf erklärete unterthänigst meinen gehorsam und daß Ihre Durchlaucht nach gefallen mit mir agiren könten. Inzwischen passirte zu Cassel unter denen Predigern eine grose veränderung. Der Metropolitanus zu Homburg,207 Herr Fabritius,208 starb, an deßen stelle setzten die Fürstin den Metropolitanum von Allendorf,209 Herren Ludolphum.210 Herr Doctor Wetzel,211 Inspector zu Schmalcalden,212 ward nach Allendorf beruffen und zum Superintendenten an dem Werra strohm ernennet; Hingegen succidirte Herr Pforrius,213 Hoffprediger zu Cassel, als Inspector zu Schmalcalden. An deßen Platz denominirte die Hochfürstliche Herrschaft Herren Philipp Otto Vietorem,214 bißherigen Metropolitaw

mich vor mein durchgestrichen.

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201 Amalia (1653–1711), Erbprinzessin von Hessen-Kassel, geborene Prinzessin von Kurland. 202 Elisabeth Lucae, geborene Mercer (um 1640–1686), Ehefrau von Friedrich Lucae. 203 Kassel. 204 �������������������������������������������������������������������������������������� Hedwig Sophia (1623–1683), Landgräfin von Hessen-Kassel, geborene Markgräfin von Brandenburg. 205 Juliane Elisabeth von Wallenstein, geborene von Uffeln (1618–1692). 206 Johann Heinrich Stöckenius (1606–1684). 207 Homberg an der Efze. 208 Adolf Fabricius (Fabritius, 1604–1676). 209 Allendorf an der Werra (Bad Sooden-Allendorf ). 210 Lorenz Ludolph (1608–1679). 211 Hieronymus Wetzel (1623–1694). 212 Schmalkalden. 213 David Pforr (Pforrius, 1631–1688). 214 Philipp Otto Vietor (1646–1718).

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num in der Neustat zu Cassel. Bey sothaner mutation war daß Neustäter Metropolitanat vacant gemacht. An einem Freytag kam der Herr Superintendens in mein Hauß mitx Bedeutung, daß Er ordre hätte von dem fürstlichen Consistorio, mir im Nahmen deß Herren Landgraffen215 und der Hochfürstlichen Fraw Regentin besagtesy Metropolitanat zu offeriren, in dem mich Ihre Durchlaucht hier in Cassel behalten wolten. Demnach beruhete es auf meiner resolution, dafern diese vocation, als eine Göttliche, acceptiren wolte. Wie wol mich am wenigsten sothaner fürstlichen gnade versahe, jedoch danckte dafür unterthänigst, fuhr flugs zu und berieth mich nicht mit Fleisch und Blut in ansehung, daß Meiner Liebsten216 Cassel wolbeliebte. Acht tage hernach ward ich aufs Consistorium gefordert und als Metropolitanus und Ober Pfarrer in der Neustadt confirmiret, von dem damahligen Vice Cantzler Doctor Gall.217 Folgende Mitwoche geschae meine Solenne Introduction durch Herren Superintendenten bey Volckreicher Versammlung. Den 13. Sonntag nach Trinitatis |255| legte meiner Gemeinde die anzugs predigt ab. So empfieng auch hierauf die gratulationes bey hofe von Gnädigster Herrschaft. Bey dieser function dorffte weder tauffen, weder Leichpredigten halten. Aber ich muste alle Freytage morgends umb 6 Uhr im Sommer und zu winterszeit umb 7 Uhr die Predigt in der Grosen Stiffts Kirche halten. Deßwegenz befand mich nicht wenig incommodirt, in dem fast die gantze Stat passiren auf die 1200 schritte und auf dem bösen Pflaster und viel stancks einfreßen muste. Über dieses blieben mir ordinair die Sonntag, Mitwochs und Praeparations Predigten abzulegen. Alle Jahr hielt auch daß Praesidium dreymahl im Presbyterio, wenn nemlich mein Quatember erschiene. Mit der catechisationaa hatte nichts zu thun, welche meinem Collegen oblage. Daß jährliche Salarium für diese Dienste bestande meistentheils in frucht gefällen. Auß dem Stifft St. Martini hätte mir zwar mein assignirtes canonicat jährlich 30 Thaler tragen sollen; Allein die gelder kamen gar unrichtig und langsam ein, also daß ich in Meinem haußwesen keinen stat darauf machen konte. Sonst ist eigentlich ein Metropolitanus in Hessen so viel als ein Vice Superintendens, in dem Er die Fratres, oder Prediger, in Seiner Class unter der inspection hat. So hält Er auch jährlich einmahl mit ihnen einen Conventum und führet daß Praesidium, wie auch derer Prediger Introduction, samt dem Superintendenten. In die Neustäter Class zu Cassel218 gehören 10 Prediger. x y z aa

und vor mit durchgestrichen. mir vor besagtes durchgestrichen. gl vor wegen in deßwegen durchgestrichen. †...† vor catechisation durchgestrichen.

215 216 217 218

Karl (1654–1730), Erbprinz von Hessen-Kassel. Elisabeth Lucae, geborene Mercer (um 1640–1686), Ehefrau von Friedrich Lucae. Hieronymus von Gall († 1684). Kassel.

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Itzund lebte auch in Cassel der Engelländische Theologus Johannes Duraeus,219 welcher den Religions Vergleich zwischen unß und denen Lutheranern suchte. Dieser war malcontent mit dem Ministerio und dieses mit ihm. Auß eigenem plaisir cedirte Er denen Lutheranern grose Dinge, welches daß Ministerium höchst improbirte, sonderlich in articulo de S. Caena et de Gratia Universali. Über daß unterfieng Er sich daß Ministerium hin und wieder bey privat conversationen zu reformiren und hinter dem rücken zu censuriren. Solches erweckte zwischen beyden eine Jalousie. Mich, als einen Frembden, wolte Er auf Seine alliance bringen und mir die Herren Collegen verdächtig machen. So bald aber den Zweck Seiner familiarität merckte, abandonirte deßelben familiarität und conversation. Bißhero hatte Er ein jährliches Salarium vom Herren Landgraffen.220 Jedoch in regard Seines übeln comportements und verdächtiger Irrthümer ward ihm solches auf einmahl abgeschnitten. Endlich starb Er im Hohen Alter und ward begraben. |256| Vor diesem war besagter Duraeus221 Prediger bey der Engelländischen Gemeinde zu Elbing222 in Preussen. Aber auß einer ambition verließ Er sein Ampt und und gieng wieder in Engelland zeitwehrenden Interregni zum Protector Cromwel.223 Von demselben impetrirte Duraeus den Character eines Legati ad stabiliendam Unitatem inter Reformatos et Lutheranos. Daher gab man ihm am Casselschen224 Hoff den Rang über den Cantzler. So viel ich an ihm merckte, inclinirte Er etlicher maßen ad Weigelianismum und Arminianismum, sonderlich aufs letzte. Wie wol ich meines ortes ziemlich weit von meinem Vaterland entfernet lebte, dennoch hatte die Hertzogin zu Brieg,225 Meines Hochseeligen Herren226 Fraw Mutter, Meiner nicht vergeßen. Denn Sie schrieb eigenhändig an mich und schickte mir einen goldene Medaille von 4 Ducaten mit dem Bildnüß besagten Hertzogs, welches, samt dem Brieffe, verwahre, jenes in meinem Goldcabinet, dieses unter meiner correspondentz. Nicht weniger gnadenstrahlen warffen zu Cassel die Churfürstin zu Pfaltz227 auf mich. Einstmahls schickten Sie ihren Cammerdiener in mein Hauß, welcher mir unwissende daß Maß zu einem Priester Mantel nahm. Nachgehends überbrachte mir dieser, im Nahmen der Churfürstin, einen Mantel von feinem Tuch zum praesent. Damit obligirten mich die Churfürstin zur öfteren visite, da Sie dan en confiance und höchst verträulich mir ihre noth klagte und ihren Zustandt entdeckte. Waß noch mehr? So

219 John Dury (Durie, Duraeus, 1596–1680). 220 Karl (1654–1730), Erbprinz von Hessen-Kassel. 221 John Dury (Durie, Duraeus, 1596–1680). 222 Elbing (poln. Elbląg). 223 Oliver Cromwell (1599–1658). 224 Kassel. 225 ��������������������������������������������������������������������������������������� Luise (1631–1680), Herzogin von Liegnitz, Brieg und Wohlau, geborene Prinzessin von Anhalt-Dessau. 226 Georg Wilhelm (1660–1675), Herzog von Liegnitz, Brieg und Wohlau. 227 Charlotte (1627–1686), Kurfürstin von der Pfalz, geborene Prinzessin von Hessen-Kassel.

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erklärete Sie sich auch sehr gnädig gegen meine Liebste228 und verehrete derselben ein futteral mit vergüldeten silbernen löffel, meßer und gabel. Als der Churfürst,229 ihr Herr, Seinen Raht Hachenberg230 an Sie schickte mit allerhand offerten und daß Sie nach Heidelberg wieder kommen und daselbst in loco ihre deputirte gelder verzehren solte, nach dem die Degenfeldin231 bereits gestorben war, consultirte Sie auch unter andern meine wenige dexteritè. Weil Sie ihr bedencken hatte nach Heidelberg zu gehen, dem Land Friede nicht trauende, verblieben Sie zu Cassel. Itzund richtete mein haußwesen ein, wie wol mühsam und kostbar, in dem mir etwa meubles beyschaffen muste. Unterdeßen arrivirten auch Meiner Liebsten sachen auß Bremen, mit welchen deß Haußes nothwendigkeiten ziemlicher maßen ersetzte. So stellte auch mein access gastmahl dem Ministerio und dem Stat Magistrat an, welcher mir darzu den wein verehrete. |257|bb Anno 1677. Mit dem anfang dieses jahres redete man starck, als würde die Fraw Regentin Hochfürstliche Durchlaucht232 dem Herren Landgraffen233 die Regierung abtretten. Etliche wündsch’ten solches hertzlich, andere aber betrübten sich. Umb diese Zeit setzte die Feder an und schrieb meinen Geistlichen Welt Schlüßel: Hierzu muste die Zeit gleichsam erkauffen, in ansehung deß studirens auf meine drey ordinaire wochen Predigten. Ich ließ mir selbige sehr angelegen sein. Sonntags predigte ich daß Evangelium: Mitwochs einen beliebten Text, Freytags in der Haupt Kirche über daß Erste Buch Mosis; Solches alles erforderte fleiß und arbeit. In der Neustadt bey meiner Gemeinde fand ich viele erkäntliche wolthäter. Selbige gaben mir, nach ihrem vermögen, gute Newjahrs geschencke, auch sonst in die Küche allerley speise werck. Unter andern war Herr Beza,234 Bürgermeister, nachgehends Regierungs Rhat, mein special guter Freund, der mir mit aller courtesie und höfligkeit begegnete. Mit ebenmäßiger civilitè tractirte mich Herr Ober Jägermeister Spiegel,235 ohnerachtet Er Lutherischer Religion beypflichtete. Endlich erfolgete den 6. Augusti der Fraw Regentin Hochfürstlichen Durchlaucht abdication. Deß Morgends umb 8 Uhr erschienen auf dem goldenen Saal die Stände von Praelaten und der Sämtlichen Ritterschaft, daß Ministerium zu Cassel,236 allerseits bb

Seite ohne eigene Paginierung.

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228 Elisabeth Lucae, geborene Mercer (um 1640–1686), Ehefrau von Friedrich Lucae. 229 Karl I. Ludwig (1617–1680), Kurfürst von der Pfalz. 230 Paul Hachenberg (1642–1680). 231 Maria Luise von Degenfeld (1634–1677), Raugräfin zu Pfalz. 232 �������������������������������������������������������������������������������������� Hedwig Sophia (1623–1683), Landgräfin von Hessen-Kassel, geborene Markgräfin von Brandenburg. 233 Karl (1654–1730), Erbprinz von Hessen-Kassel. 234 Johann Georg Beza (um 1628–1689). 235 Karl Rabe von Spiegel zum Desenberg († 1679). 236 Kassel.

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Räthe wie auch Bürgermeister und Rhat. Die Praelaten und Ritterschaft stellten sich ­längst dem saal herunter zur rechten und die Räthe, daß Ministerium etc. zur lincken. Oben, da der saal etwaß erhöhet ist, stand ein Tisch mit rothen sammet beleget und zweene dergleichen stühle. In zwischen fiengen die Trompeten und Paucken an und geschae die erste Salve auß Canonen umb die gantze Staat. Hierauf trat auß der Fürstin Vorgemach der Marschall von Donop237 nebst denen Hoff Cavallieren in Goldenen saal, welchen die Fraw Regentin folgete und der Herr Landgraffe die Hochfürstliche Fraw Mutter führende. Beyderseits Hochfürstliche Personen setzten sich nieder, nach dem Sie den Goldenen saal zwischen denen zu beyden seiten stehenden Ständen passiret waren, die Fürstin zur rechten, der Herr Landgraff zur lincken seiten, also daß Sie den Tisch und alle anwesende vor sich hatten. An der Fürstin seite stand der Cammer Praesident Freyherr von Döringenberg238 und Herr Doctor Galle,239 Vice Cantzler; An deß Herren Landgraffen seite warteten auf der Regierungs Praesident |258| Freyherr von Kunowitz240 und der Cantzler Vulteius,241 nebst dem Geheimen kriegs Rhat Bagenstechern.242 Zeitwehrender anschickung geschae die zweyte salve auß Canonen. Nach dem alles stille perorirte der Vice Cantzler Galle243 und übergabe mit vielen glückwündschungen im Nahmen der Fürstin244 daß Regiment. Diese Rede beantwortete der Cantzler Vulteius im Nahmen deß Landgraffen245 mit vielen contestationen und dancksagungen und acceptirte die Regierung. Als beyde orationen sich endigten, trat der Erb Marschall Freyherr von Riedesel246 herfür und legte eine danck als auch eine gratulations oration im Nahmen der Stände ab. So bald sich der Actus endigte,cc erfolgte die dritte Salve. Damit gieng die Hohe Herrschafft zur Taffel, und wir alle mit einander, und wehrete die Mahlzeit biß auf den abend. Mitwochs vorher hielt Herr Pforrius247 die Abdications Predigt ex 1. Sam: 12 V. 21 ad finem. Wie es schiene, war der Herr Landgraff nicht allerdings damit content. Diese Predigt ist gedruckt und in Meiner Bibliotheck vorhanden.

cc

sich vor endigte durchgestrichen.

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237 Anton Gabriel von Donop († 1681). 238 Johann Caspar von Dörnberg (1616–1680). 239 Hieronymus von Gall († 1684). 240 Johann Dietrich von Kunowitz (1624–1700). 241 Johannes Vultejus (1605–1684). 242 Andreas Christian Pagenstecher (1612–1677). 243 Hieronymus von Gall († 1684). 244 �������������������������������������������������������������������������������������� Hedwig Sophia (1623–1683), Landgräfin von Hessen-Kassel, geborene Markgräfin von Brandenburg. 245 Karl (1654–1730), Landgraf von Hessen-Kassel. 246 Johann Riedesel zu Eisenbach (1624–1691). 247 David Pforr (Pforrius, 1631–1688).

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Jedermann besorgete mit der Newen Regierung auch Neuerungen, die aber nicht erfolgeten. Es ließ der Herr Landgraff alles in vorigen Terminis beruhen. Jedoch über den kriegs e’Stat wolte Er den Frantzosen General Chavignac,248 welcher zeithero in Cassel249 gelebet und groses geld verzehret hatte, nach dem Er von Franckreich außgetretten wegen einiges disgousto; Es ward aber dem Herren Landgraffen von allen wiederrahten, daher denominirte Er zu Seinem General Lieutenant Herren Augustum Grafen von der Lippe.250 Bey so gestalten sachen betraff die milice die erste reformation und die Vestung Cassel. Weil noch, hin und wieder, daß kriegsfewer glimmete, richtete Er etliche Regimenter zu pferd und zu fuß auf. Deß Obristen Of ’m Kellers251 Regiment detachirte Er in Dennemarck, wiewol unglücklich; Denn auf der Insel Rügen bekamen die Dänen unter dem General Rumor252 von denen Schweden stöße und so ward daß gantze Regiment gefangen und 10 Fahne geriethen besagten Schweden zugleich in die hände. Also favorisirte diesem nicht daß glück wie Anno 1676 dem Heßischen Regiment unter dem Obristen Brügge253 vor Philippsburg. Insonderheit ließ itzund der Herr Landgraff den Fortifications Baw ernstlich treiben. Es kostete aber manchen herrlichen garten; Sintemal man legte etliche Newe Revaline vor dem Wallgraben an und rings umb die Stat eine Contrescarpe. Bey hofe reducirte Er auch die Leib Quardie zu Roß und ordnete darüber den Cammer Juncker Baumbach254 zum Ritmeister und zum Ober Stallmeister Wilhelm von Meisebug,255 bißherigen Hoffmeister der Churfürstin zu Pfaltz. Im außgang diese 1677. jahres gieng auch den weg alles fleisches |259| Herr Justus Soldan,256 Consistorial Rhat, Decanus und Pfarrer bey St. Martini, im 77. jahr Seines alters. Demselben succedirte Herr Georgius Heinius,257 Archidiaconus besagter Kirche. Den 3. November abends umb 8 Uhr, als ich mit Meiner Liebsten258 am tisch saß und daß abendbrot eingenommen hatte, überfielen Sie die geburths wehen. Ich schickte alsbald nach der Hebamme. So bald dieselbe kame und den anstalt gemacht hatte, gebahr Meine Liebste einen jungen Sohn.259 Wie nun die geburth an einem Freytag geschae, also ließ denselben Donnerstags hernach bey hofe tauffen von dem Herren

248 249 250 251 252 253 254 255 256 257 258 259

Gaspard de Chavagnac (um 1624–1695). Kassel. August Graf zu Lippe-Brake (1643–1701). n.z.e. Detlef von Rumohr (1634–1678). Johann zur Brüggen (1611–1697). Adolph Friedrich von Baumbach (1647–1725). Wilhelm von Meisenbug (Meysenbug, Meysebug, † um 1697). Justus Soldan (1600–1677). Georg Hein (Heinius, um 1629–1699). Elisabeth Lucae, geborene Mercer (um 1640–1686), Ehefrau von Friedrich Lucae. Karl Lucae (1677–1712), Sohn von Friedrich Lucae.

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Vietoro,260 Hoffprediger. Der Herr Landgraff261 hobe und hielt denselben in Hoher Person zur tauffe. Nach verlesung der Tauff Formul benahmte Er ihn Carolus.dd Hierauf muste mit dem Marschall Donop262 zur kutsche sitzen, der mich in mein Hauß begleitete und im Nahmen deß Herren Landgraffen einen Silbernen, figurirten, vergüldeten Becher zum Pattenpfennig verehrete, welchen unter Meinem Silbergeschirr verwahre. Vor die Adelichen Weiber, welche die Züchten praesentirten, gab eine collation. Deß abends hernach tractirte andere gute Freunde und Nachbarn. Nebst dem Herren Landgraben invitirte auch, von außen, zum Gevatter Herren Christianum Pauli,263 gewesenen Superintendenten zu Brieg,264 numehrigen Prediger zu Hamburg. Anfangs ließ sich daß kindbett Meiner Liebsten wol an; Aber es änderte sich bald, in dem Sie böse Brüste bekame, also daß Sie nicht säugen konte, daher eine Amme annehmen muste. Über dieses viel Carolus in eine schwere kranckheit, welche Paroxismi Epileptici begleiteten; Aber Gott sey danck, der ihn auß dieser gefahr gerissen. Meines erachtens ist ihm damahls die Zunge etwaß laediret worden, daher ihm einigermaßenee die sprache schwer fallen wil. Damit ich’s nicht vergeße, so ist auch zu Bremen Herr Lubertus Formenoir,265 deß Rhats und Regierender Bürgermeister, von mir zu Meines Sohnes Patten eingeladen worden, der sich sehr günstig, als Meiner Liebsten Alter Freund und Bekanter, hierob erzeigte, wie Er dan nachgehends solches thätlich erwiesen hat. Kurtz vorher, ehe Meine Liebste deß Sohns genesen, besuchte mich meine Fraw Schwester266 auß Berlin. Hierzu bequemte sich recht erwündschte gelegenheit. Es ward die Newe Cammer Jungfer Mademoiselle de Wrechen267 von dar nach Cassel268 abgeholet zu der Verlobten Chur Princessin.269 Eben in derselben Compagnie kame Sie mit, blieb 4 tage in Cassel und zog wieder nach hause.

dd ee

Die Groß- und Kleinschreibung von CAROLUS zu Carolus vereinheitlicht. etwaß vor einigermaßen durchgestrichen.

_______________________________ 260 261 262 263 264 265 266

Philipp Otto Vietor (1646–1718). Karl (1654–1730), Landgraf von Hessen-Kassel. Anton Gabriel von Donop († 1681). Christian Pauli (1625–1696). Brieg (poln. Brzeg). Lubert Formanoir (1634–1696). Maria Elisabeth (von) Schmettau, geborene Lucas (1641–1700), Schwester von Friedrich Lucae. 267 Sabina Tugendreich von Wreech. 268 Kassel. 269 ����������������������������������������������������������������������������������������� Elisabeth Henriette (1661–1683), Prinzessin von Hessen-Kassel, spätere Ehefrau von Friedrich (1657–1713), Kurprinz von Brandenburg.

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Friderici Lucae eigentgliche Lebens und Totdes Geschichte

|260| [XXVII.]a Reyse auß Caßell1 auf Hamburg. Anno 1678. Mit dem anfang dieses jahres machten Ihre Durchlaucht die Fürstin2 anstalt dero Witwensitz zu Schmalcalden3 zu beziehen. Jedoch laborirten Sie eyfriger in Vollziehung der heurath deß Chur Princen4 mit dero Princessin Tochter.5 Denn es wolte daß ansehen gewinnen, als giengen die Herren Berliner mit der Kauffraw und retraction schwanger. Den 2. Januarii gesegnete dieses Zeitliche Herr Andreas Christian Bagenstecher,6 hochmeritirter Geheimter und kriegs Rhat, in Steinschmertzen. Es folgete der Regierende Herr Landgraff7 persönlich Seiner Leiche, dergleichen ich niemahls mehr in Cassel gesehen. Bald nach Ostern thäten die Fürstin Durchlaucht eine reyse nach Schmalcalden; Sothane reyse bezielete nur die disposition deß Schloßes zu dero künfftigen wohnung. Hierbey verübte Herr George Heinius8 einen groben Vorwitz. Wenn etwa die ­Hochfürstliche Herrschafft außer Landes verreyset, oder wieder kommt, so convociret Herr Superintendens9 daß Ministerium, welches bey hofe die gratulationes ablegende aufwartet. Nun war Er jetzt Decanus und maßete sich der Convocation, wieder deß Herr Superintendenten wißen, an. Etliche vo’m Ministerio folgeten auch. Solches erfuhr der Herr Superintendens zeitlich und bawete durch herrn Pforrium10 bey der Fürsten vor. Als wir nun ins Zimmer tratten und Herr Heinius die Rede thäte, lieff es schlecht ab. Die Fürstin fragte nach dem Herren Superintendenten und auß weßen antrieb wir, ohne ihn, unß dieser Ceremonien unterfiengen? Wir zückten die schultern. Hierauf gab die Fürstin dem Herren Heinio eine scharffe Lauge und ließ unß damit abziehen. Nachgehends actionirte der Herr Superintendens Herren Heinium. Deßwegen stellte Serenissimus eine Commission an, die streitenden zu entscheiden. Aber es concurrirten hier mehr dinge und erweckten unter dem Ministerio ärgerliche factiones. Endlich wurden die Zanckhändel in der güte beygelegt, wie wol der groll derer Hertzen schwerlich außgelöscht. Die herfür glimmende Füncklein hat man stets bemercket biß zu eines und a

Zählung des Kapitels nachträglich eingefügt.

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11 Kassel. 12 �������������������������������������������������������������������������������������� Hedwig Sophia (1623–1683), Landgräfin von Hessen-Kassel, geborene Markgräfin von Brandenburg. 13 Schmalkalden. 14 Friedrich (1657–1713), Kurprinz von Brandenburg. 15 Elisabeth Henriette (1661–1683), Prinzessin von Hessen-Kassel, spätere Ehefrau von Friedrich (1657–1713), Kurprinz von Brandenburg. 16 Andreas Christian Pagenstecher (1612–1677). 17 Karl (1654–1730), Landgraf von Hessen-Kassel. 18 Georg Hein (Heinius, um 1629–1699). 19 Johann Heinrich Stöckenius (1606–1684). 10 David Pforr (Pforrius, 1631–1688).

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deß andern todt. Es gerieth auch so gar der Stat Magistrat mit ins spiel. Am meisten musten es die Prediger entgelten, in dem ihnen etliche beneficia abgestricket worden. Inzwischen hatte ich mit dem Meinigen zu thun. Meine Liebste11 bewahrete eine obligation von Wilhelm Grison,12 Schotländer und kauffmann in Hamburg, auf 1000 Reichsthaler. Diese war ihr bey mütterlicher erbschafft, samt ihrer Fraw Schwester13 zu Wahn- |261| friden,14 zu gefallen. Eben diese 1000 thaler waren dem Wilhelm Grison15 von der Seeligen fraw mutter16 vorgelehnet worden. Nun hatte denselben etliche mahl daß Unglück zur See betroffen, daß Er bancorotiren müßen. In dem ich an Meinen Herren Gevatter Herrn Pauli17 einen guten Freund vermochte, erkundigte mich bey ihm bemeldten Grisons wegen. Dieser aber tröstete schlecht. Hierauf schrieb an Grison selbst und merckte auß Seiner antwort, wie Er an der Zahlung difficultirte. Bey so gestalten sachen resolvirte die Reyse auf Hamburg. Den 4. September setzte mich in Gottes Nahmen auf die Post, da mir Herr Reinhold Bödicker,18 Postmeister zu Cassel,19 mein Special guter Freund, geseelschafft leistete biß auf Northeim. Daß erste Nachtlager, nach dem wir Munden20 an der Werra passirten, hielten wir im Brunschwiegischen zu Fahrloß.21 Von dar giengen wir deß morgends auf Northeim, sahen zur rechten seiten die Stat Göttingen und die Schlößer Pless22 und Hardenberg liegen, da jenes Heßisch, dieses aber denen Edelleuten von Hardenberg23 gehöret. Northeim ist eine ziemlich grose und alte Stat. Wenn man von Munden zum thor hienein komt, bemerckte ein altes kloster, daran die kirche wüste stehet und nichts mehr übrig hat als viele hohe steinerne pfeiler. Von hier giengen wir auf Saltz tor Hellen,24 daselbst viele saltzsiedereyen vorhanden, und Gandersum,25 welches ein fein Stätchen ist. Es stehet hier ein fürstliches Stifft, samt der kirche. Die Aebtißin ist ein Standt deß Reichs und gemeiniglich eine fürstliche Person. Auch die Jungfrawen darinnen seind entweder Standes oder guten Adelichen Geschlechts.

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Elisabeth Lucae, geborene Mercer (um 1640–1686), Ehefrau von Friedrich Lucae. William Grison († nach 1678). Margarethe Uckermann, geborene Mercer (um 1642–1689), Schwägerin von Friedrich Lucae. Wanfried an der Werra. William Grison († nach 1678). Elisabeth (Margaret) Mercer, geborene Kennewie (um 1610–1660), Schwiegermutter von Friedrich Lucae. Christian Pauli (1625–1696). Reinhard Bödicker (1622–1693). Kassel. Hannoversch Münden. Varlosen (Niemetal). Pless (Plesseburg). Hardenberg, Adelsgeschlecht. Salzderhelden (Einbeck). Gandersheim (Bad Gandersheim).

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Lambsprinck,26 ein groser Flecken, gehöret ins Hildesheimische. Allhier baweten die Papisten ein groses kloster. Den Baw befande im kloster mehr avancirt zu haben. Der damahlige Churfürst zu Cöln,27 und Bischoff zu Hildesheim,28 unterhielte hierinnen Viele Junge Catholische Engelländische Edelleute als Alumnos und ließ Sie in Theologia et Philosophia informiren. Morgends umb 9 Uhr arrivirten wir zu Hildesheim. Diese Stat hat von außen einen einfachen Wall mit starcken Rundelen und tieffen waßergraben, also daß Sie sich gegen eine kleine macht wol defendiren dörffte. Inwendig seind viele grose, wie wol nur höltzerne und mit grosen thüren und fenstern gezierete privat häuser. In etlichen Kirchen predigen die Lutheraner und haben auch ihren Superintendenten und die Papisten ihr Jesuiter Collegium. Damahls war Superintendens Doctor Götz,29 welcher ehemahls zu Jena und zu Erffurt30 gestanden. Die Pfarrkirche und St. Michaelis erachte vor die considerabelsten. Der Stat gröse, wegen der Länge, übertrifft Minden an der Weser. Drey kleine Meilen von dar ligt Hanover,31 allwo wir vor abends arrivirten. Vor der Stat erblickte einen feinen garten, samt dem |262| Lusthause, welchen der Hertzog Johann Fridrich32 denen Capucinern geschencket hatte. An ihr selbst praesentiret die Stat von außen sehr schlecht. Die Vestung ist mit einer contrescarpe, vielen Ravelinen, waßergraben und sehr hohen Bastionen versehen. Weilen aber der Boden hier herumb sehr sandigt, als scheinen die schantzen nicht eben die stärcksten zu sein. Inwendig scheidet der Leine strohm die Stat in zwey theil. Der eine theil, die Alte Stat genandt, hat vier hauptstraßen von ziemlicher Breite, wie wol Altfränckischen häusern, fast auf die art wie zu Minden an der Weser. Bey dem marckt, der gar klein ist, stehet die Pfarrkirche und daß Rhathauß. Beyderseits vermögen nichts remarquables. In dem man von dem marckt eine kleine Straße passiret, komt man zu dem Schloß. Deßen fronte wendet sich nach der Straße wie sonst ein privat hauß, außer daß es etliche grose Altanen hat. Im ersten eingang durch daß Portal trit man in den grosen vorhoff, da dan zur rechten hand deß Ober Marschalls Herren von Plato33 besondere wohnung stehet. Der Hoff ist recht quadrat und die Fenster rings herumb von gleicher proportion. Daß gebäwde ist nicht übrig und nur auf Italiänische manier drey wandelungen hoch. Die Treppen seind an jeder seite in der mitten über die maßen breit, also daß 8 personen ungehindertb neben einander gantz commode auf und nieder steigen können und von polirten steinen fabriciret. Oben rings umbher seind von denen gemächern bedeckte b

gantz vor ungehindert durchgestrichen.

26 27 28 29 30 31 32 33

Lamspringe. Köln. Maximilian Heinrich (1621–1688), Herzog von Bayern, Erzbischof und Kurfürst von Köln. Georg Goetze (1633–1699). Erfurt. Hannover. Johann Friedrich (1625–1679), Herzog von Braunschweig-Lüneburg. Franz Ernst von Platen (1631–1709).

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gallerien, auß denen man hinein spatzieret. Die Zimmer haben keine sonderliche gröse, aber desto mehr Zierligkeit durch die kostbaren Tapeten und Mahlereyen oben auf denen decken. In deß Hertzogs Zimmer stand ein ofen von massiv silbernen platten. An der seite deß Schloßes befindet sich daß Opern und Comoedien hauß, welches auch keine sonderliche weitleufftigkeit hat. Außer der Zeit, da nicht agiret wird, kan man wenig hievon judiciren. Unten an der seite gegen die Stat stehet die Schloß Capelle von schlechter gröse. Der Altar darinnen praesentirte daß Bildnüß Jesu starck vergüldet und mit kostbaren Decken beleget. An dem fürstlichen Chor sahe man gleiche kostbarkeit von violet blawen sammet, reichlich mit golde bordiret. Die Orgel, worauf die Italiänische Castrati musicirten, war mit Schnitzwerck gezieret, wie wol ohne Farben in natura. Gegen über dem Schloß wohneten etliche Ministri, deren häuser mit glasurten gebackenenc steinen von grün und brauner Farbe, von unten biß oben, besetzt war, wie in Holland die haußerden und bey unß die öfen. Ohnfern dem Schloß gehet man über die Brücke in die Neustadt. Zur lincken hand stehet deß Ober Stallmeisters Behausung, ein über diemaßen curiöses gebäwde nach Italiänischerd Architectur, daran daß Chur Brandeburgische und Braunschwiegische Wapen und allerhand sinnreiche inscriptiones herfür leuchten. |263| Zur rechten hand etwaß weiter hienaußwerts ist ein groser platz, den selben beschließen an der abend seite eine Reihe ansehnlicher, wie wol nur höltzerner häuser. Man sagte mir, daß ein kauffmann, Taube34 genandt, dieselben auß eigenen mitteln erbawet hätte. An der andern seite mitternachtswerts befindet sich die Newe Kirche. Mitten auf dem platz stehet eine sehr grose fontaine oder Waßerkunst. Ich gestehe, daß fast nirgends, außer ehemahls zu Speyer den Oelberg, etwaß künstlichers gesehen habe. Die Trallien rings herumb seind von grauen steinen sehr nette außgehauen. Hinter denselben ist daß waßer behältnüß. Mitten inne stehet der Parnassus, samt dem außgießenden Apollo, und alles, mit noch mehrern Bildern, in volkommener Lebens gröse. Gewiß kan es vor ein rares kunststück passiren. Aber, wie ich mercke, gibt Niemand darauf achtung. Auch wird es nicht im gang gehalten. Von hier wendete mich auf die rechte hand vorwerts und kame zu dem fürstlichen Marstall. Derselbe ist ein sehr langes in einer Linie erbautes hauß von holtz, mit Ziegelsteinen außgepflochten. Die Pferde darinnen standen in 4 reihen und in einer jeden reihe zehlete 60 Pferde Stände, machten 240 Pferde. Nach Besichtigung deßen gieng mit der Post, deß abends umb 10 Uhr, auf Zell.35 In derselben nacht passirten wir durch daß berühmte fürstliche Zellische Lusthauß Borchdorp;36 Allein die Finsternüß ließ mich hier nichts sehen. Deß Morgends umb 7 Uhr, c d

steinen vor gebackenen durchgestrichen. †...† vor Italiänischer durchgestrichen.

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Johann Duve (1611–1679). Celle. Burgdorf.

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bey einem dicken nebel, kamen wir in Zell an und stiegen im Posthause ab. Mein erster gang war in die haupt Kirche. Es ist dieselbe, etwaß breit und lang, aber nicht hoch. Daß rareste darinnen betrifft die Statuen, oder Bildnüße, derer Hertzoge. Dieses Begräbnüß hat eben keine besond’re Capelle oder Behältnüß, sondern es wird von dem einen ende der Kirche umbschloßen unter dem mittelsten Gewölbe, da an dem andern ende der Altar stehet. Besagte Statuen stehen alle in Lebens gröse auf ihren postamenten in der Ordnung und seind sehr naturell von polirten metall gegoßen, pariren überauß prächtig. Daß Schloß scheidet ein ziemlich tieffer wallgraben, samt einer einfachen, wie wol starcken schantze von der Stat. Man gehet über eine Brücke durch ein starckes und etwaß finster thorgewölbe hienein. Es ligt recht quadrat und hat an jedem ecke ein Rundel. Gleichfalls bevestiget jeder ecke eine starcker runter thurn daß Schloß gebäwde, darinnen grose Fenster und Zimmer sich befinden. Meines erachtens übertrifft der innere Schloßplatz zu Cassel37 diesen; Aber hier die Capelle die Casselsche. Vor dem Schloß stehen die fürstliche Marställe. Die Stat hat ziemlich breite und lange straßen, jedoch wenig ansehnliche häuser. Rings herumb beschleußt Sie ein starcker wall mit rundelen und waßergraben. In vielen dingen ähnlichet dieses Vestung der Lignitschen38 in |264| Schlesien. Daß Rhathauß scheinet ein altes gebäwde zu sein. Unten hat es den Stat keller, da man allerhand geträncke außzapffet. Als wir im Posthause speiseten, saß ein kerl alleine über dem andern tisch. Vor demselben warnete mich ein guter Mann, daß wir ja nichts von dem dasigen hoff reden solte, weil dieses ein bestellter Spion wäre, der alles, waß Er nur erschnappte, nach hofe dem Hertzog39 und der Hertzogin40 anbringen müste. Es pflegen hier jährlich die Teutschen Reformirten etliche mahl daß Heilige Abendmahl zu halten, in dem der General Chauvet41 unserer Religion beypflichtet. Ob es aber mit der Zeit künfftig werde verwilliget werden, falß Er solte sterben, kan nicht wißen. Sie hohlen jederzeit Herr Cocceium42 auß Bremen zu verrichtung deß Gottesdiensts. Sonst hält die Hertzogin ihren eigenen Frantzösischen Hoffprediger.43 Bey dero abwesenheit aber muß Er in der Stat denen übrigen Frantzosen, und nicht bey hofe, predigen. Umb die Stat herumb gibt es eine lustige gegend, insonderheit machen Sie der fasan garten, die Stüttereyen und etliche Jagtpüsche noch annehmlicher. Der Gottesacker ist auch wolgelegen, wie wol der zu Hanover44 noch beßer. Ich habe an keinem ort einen e

am Sch vor ein durchgestrichen.

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Kassel. Liegnitz (poln. Legnica). Ernst August (1629–1698), Herzog zu Braunschweig und Lüneburg. Sophie (1630–1714), Herzogin zu Braunschweig und Lüneburg, geborene Prinzessin von der Pfalz. Jeremias Chauvet (um 1619–1699). Hermann Coccejus (Koch, 1632–1709). Johann Joseph Binder (1642–1706). Hannover.

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dermaßen bequeme gelegenen Todtenhoff gesehen, der nicht zu nahe, auch nicht zu weit, von der Stat wäre wie zu Hanover. Es umbschleußt denselben eine dühlen wand unter einem angenehmen gepüsche von Linden Bäumen. Von hier gieng abermahls zu wagen über die Lüneburger heyde tag und nacht, biß wir zu Harburg ankamen. Dieses Stätchen ist von geringer condition, aber daß Schloß eine Haupt Vestung. Hierein bin nicht kommen wegen eilender post. Von außen aber bemerckte deßen situation. Es ligt gleichsam im waßer, hat eine schöne Brücke und Hohe und starcke, doppelte wälle. Am meisten verwunderte mich über die gewaltigen schleußen, deren eröfnung noch mehr daß Schloß ins waßer setzet. An diesem ort endiget sich die fahrende post und gehet man zu schiffe die zwo meilen vollends nach Hamburg. Den ersten abend, nach glücklicher überkunfft, logirte in der Stat Harburg, oder in der Harburgischen Herberge. Deß andern tages gab Herren Christian Pauli45 die visite, Meinem Herr Gevatter und Werthen Freunde. Dieser ließ alsbald, mir unwissend, Mein Couffre auß der Herberge hohlen und räumete mir ein Zimmer in Seinem hause ein. Daß erste meiner affairen betraffen mehr erwehnten Wilhelm Grison.46 Ich fragte deßhalben gute Freunde umb rath, sonderlich den Herren Del Boe47 und Herren Bene,48 beyderseits Vornehme Handelsleute Reformirter Religion, welche mich aber schlecht vertrösteten. Deßen ohnerachtet besuchte Wilhelm Grison, legte ihm Seine obligation vor und forderte Bezahlung. Anfangs stellte Er sich sehr wiedersinnig, die unmögligkeit und Seinen erlittenen schaden vorwendende, auch warumb mich nicht ehender hätte angegeben bey wehrender und publicirter transaction mit Seinen Creditoren. Hierauf aber remonstrirte welchergestalt mir daß letzte wäre unwiß- |265| end. Belangende den erlittenen schaden hoffete Er würde sich schon längst wieder erhohlet haben. Vor dißmahl gieng gewiß betrübt auß Grisons49 Hauß. Inzwischen nahete der Sonntag herbey, welcher war der 16. nach Trinitatis. An demselben hielt auf Herren Pauli und Seines Herren Collegae de la Fontaine50 die Haupt Kirche in der Grosen Reformirten Kirche zu Altona, bey volckreicher versammlung. Wir drey fuhren zusammen in der kutsche hienauß und wiederumb herein. Unterdeßen erkundigte mich je mehr und mehr deß Grisons wegen. Die meisten gaben die sache verlohren, außgenommen ein Diaconus von der Gemeinde, Herr Ulrich Bolte,51 welcher hernach, wie auch besagter Herr Bene,52 ofters mit mir correspondiret, dieser fovirte mir gute hofnung, versichernde Wilhelm Grison hätte einen 45 46 47 48 49 50 51 52

Christian Pauli (1625–1696). William Grison († nach 1678). Jacob de la Boe (1623–1683). n.z.e. William Grison († nach 1678). André de La Fontaine (1621–1705). n.z.e. n.z.e.

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Eydam,53 wäre ein wolhabender Mackler, derselbige könte wol etwaß herschießen. Ich faste dieses wol und gieng von stund an zum Grison, remonstrirte ihm die grose trew, welche Er von Meinen Schwieger Eltern54 genoßen und daß Er nun nicht dergestalt an ihren kindern dieselbte mit undanck belohnen solte; Zu dem hätte Er einen Eydam, der bey Seinem itzigen geldmangel ihm schon assistiren würde etc. Hiemit gewahn ich den Schuldner, daß Er resolvirte 121 banco thaler pro 1000 zu zahlen. Waß zu thun? In Betrachtung deß Mannes unmögligkeit ein mehrers zu thun, gedachte etwaß wäre beßer als nichts, übergab ihm die Obligation und striech die 121 banco thaler in Beutel, mit aller Freunde verwunderung, daß ich mich so viel herauß bracht hätte. Etwaß legte alsbald in Hamburg an und kauffte meiner Liebsten55 grün taffete Vorhänge zum Sechs wochen Bette. Inzwischen gerieth durch adresse deß Herren Pauli56 mit mehrern guten Freunden in conversation. Hierunter war die Fraw Hübnerin.57 Auf Ottensen hinter Altonah58 an der Elbe hatte Sie einen Vortrefflichen Meyer hoff und herrlichen garten, samt dem Lusthauß. Bey schönem wetter invitirte Sief mich und Herren Pauli hienauß, kame auch selbst in Herren Pauli hauß mit der kutsche gefahren und hohlete unß ab. Hierselbst befande groß plaisir, wol meublirte Gemächer, Vielerley Musicalische Instrumenta, etliche kostbare marmor und alabasterne Statuen, sonderlich daß Venus Bild etc. Die Dame tractirte unß mit einer Netten mittags collation und begleitete unß nach genoßenem divertissement wiederumb in die Stat. Gleichfals gerieth in Bekantschafft mit Herren Janson Rüpke,59 Groenlandfahrern, wohnende auf ’m Wiederkehr. Derselbe lebte im Ehestand mit deß Berühmten Theologi Momma60 Schwester,61 einer Vernünfftigen Frawen. Sein Bruder ist Herr Rüpke,62 itziger Zeit Reformirter Prediger zu Glückstadt. Von demselben wurden wir eingeladen auf die Thranbrennerey; Daselbst sahe ich den thran von dem Wallfisch Fett brennen in den grosen küpffernen keßeln und hernach in die Fäßer schlagen. Man gab mir etwaß zu schmecken von dem knorpel am Zahnfleisch deß Wallfisches, worauß daß Fischbein wächset, und gestehe, wie wol es rohe war, daß es fast ein euster geschmaß hat. Hierbey

f

Sie über der Zeile ergänzt.

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53 n.z.e. 54 ��������������������������������������������������������������������������������������� Balthasar (Archibald) Mercer (1607–1650) und Elisabeth (Margaret) Mercer, geborene Kennewie (um 1610–1660), Schwiegereltern von Friedrich Lucae. 55 Elisabeth Lucae, geborene Mercer (um 1640–1686), Ehefrau von Friedrich Lucae. 56 Christian Pauli (1625–1696). 57 n.z.e. 58 Altona. 59 Hendrik Jansen Rüpke (Rupke). 60 Wilhelm Momma (1642–1677). 61 n.z.e. 62 n.z.e.

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ward mir auch daß membrum Virile und daß Ohr vo’m |266| wallfisch zur rarität verehret. Daß Membrum conservire bißdato bey der Bibliotheca, daß Ohr schenckte dem Herr Postmeister63 zu Cassel.64 Es ist an ihm selbst die Thranbrennerey vor der Neustadt an der Elbe gelegen, ein lang höltzern gebäwde, aber wegen deß gestancks sehr unangenehme. Damahls arbeiteten auf die 200 Personen darinnen. Deß abends tractirte unß Herr Janson Rüpke65 in Seinem hause mit einer mahlzeit. Bey der occasion ward auch bekant mit dem Berühmten Handelsmann Ter Schmidten66 und Herren Wolters.67 Der Zweyte logirte in dem königlich Dänischen Hauß, ohnfern der Holländischen Rhede. Als wir ihm die visite gaben deß morgends, erzeigte Er sich sehr kummerhaftig, klagende, daß verwichene nacht die Eule über Seinem Hause starck geruffen hätte, machte ihm daher die gedancken, es würde Seinen Todt bedeuten. Ich wunderte mich über diesen Zarten Christen höchlich, daß Er dergestalt dem Vogelgeschrey so viel krafft zueignete. Wir konnten ihm auch sothane thörichte impression schwerlich außreden. Die übrige Zeit consumirte hier mit Besuchung der Buchladen in der Thumbkirche. Kurtz vorher hatte sich hierinnen ein Melancholicus selbst mit einem Tertzerol erschoßen. Auf anhalten deren Herren Prediger legte Donnerstags in der kleinen Reformirten Kirche noch eine Predigt ab zu Altonah.68 Es hatte ehemahls Meiner Liebsten69 Bruder70 in Hamburg servirende Seinem Patron, bey Seinem abzug, eine Medaille von 12 Ducaten in verwahrung gegeben. Solches entdeckte mir Wilhelm Grison71 und gieng auch mit mir in deß kauffmanns hauß. Anfangs wolte es der kauffmann leugnen. Nachgehends sagte Er ja, auf mein anhalten, wie wol mit der condition, gleichsam hätte Er nicht verwahrungs, sondern pfandsweise die medaille bey sich, auß mangel nöhtigerg instruction muste es glauben und befand nicht rathsam schärffer d’rauf zu dringen. Nach dem ich mich auf die 9 tage in Hamburg aufgehalten, gieng ich wieder Sonnabends zu Schiffe. Herr Pauli72 verehrete Meinem Sohn Carolo73 einen rosenobel und

g

deß vor nöhtiger durchgestrichen.

63 64 65 66 67 68 69 70 71 72 73

Reinhard Bödicker (1622–1693). Kassel. Hendrik Jansen Rüpke (Rupke). Johann ter Schmitten (1608–1679). n.z.e. Altona. Elisabeth Lucae, geborene Mercer (um 1640–1686), Ehefrau von Friedrich Lucae. n.z.e. William Grison († nach 1678). Christian Pauli (1625–1696). Karl Lucae (1677–1712), Sohn von Friedrich Lucae.

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ich Seiner Tochter74 einen Demant Ring von 6 Reichsthalern. In dem wir über die Elbe auf Harburg setzten, incommodirte unß ein starcker sturm; Jedoch behütete Gott unser Schiff und arrivirte also glücklich zu Harburg.h Von hier reysete mit der fahrenden Post den vorigen weg, über Zell,75 Hanover,76 Hildesheim, Gandersum,77 Lambsprinck,78 Northeim, von Munden79 auf Cassel.80 Mitwochs bey meiner ankunfft fand meine Liebste und Carolum gesund und daß gantze Hauß im guten standt. Weilen mich diese reyse viel geld, mühe und arbeit gekostet hatte, zahlete ich Herren Schwager Uckermann81 als Interessenten besagter schuldforderung 40 Reichsthaler, damit Er gantz wol content war, in ansehung daß es nimmermehr hievon etwaß zu erhalten, wie auch Seine Liebste,82 vermuthet hätte. |267| Itzund fieng nun wieder mein studiren und Ampts Geschäffte an. Sonderlich laborirte an dem Weltschlüßel eyfrigst. In dem sich die abforderung der Churfürstlichen Braut83 verzögerte, ja fast gar krebsgängig werden wolte, kamen Ihre Durchlaucht, die Alte Fürstin,84 von Schmalcalden,85 fasten die resolution, als eben Mein Gnädigster Herr86 und die junge Fürstin87 im Schwalbacher Brunnen waren, und reyseten samt der Princessin auf Berlin. Deß Tages vorher besuchte mich die Alte Fürstin und die Churprintzliche Braut persönlich in Meinem hause und divertirten sich im Musaeo über eine gute stunde. Sothane Hochfürstliche gnade erkante im unterthänigsten respect. Deß Abends ließen mich Ihre Hochfürstliche Durchlaucht zur taffel ruffen, hernach begehrende, ich möchte doch Ihr dessein Herren Schmettaw,88 Meinem Schwager, avisiren und recommendiren, wie auch geschae.

h

†...† vor burg in Harburg durchgestrichen.

_______________________________ 74 75 76 77 78 79 80 81 82 83

n.z.e. Celle. Hannover. Gandersheim (Bad Gandersheim). Lamspringe. Hannoversch Münden. Kassel. Jost Christoph Uckermann (um 1646–1701), Schwager von Friedrich Lucae. Margarethe Uckermann, geborene Mercer (um 1642–1689), Schwägerin von Friedrich Lucae. Elisabeth Henriette (1661–1683), Prinzessin von Hessen-Kassel, spätere Ehefrau von Friedrich (1657–1713), Kurprinz von Brandenburg. 84 �������������������������������������������������������������������������������������� Hedwig Sophia (1623–1683), Landgräfin von Hessen-Kassel, geborene Markgräfin von Brandenburg. 85 Schmalkalden. 86 Karl (1654–1730), Landgraf von Hessen-Kassel. 87 Amalia (1653–1711), Landgräfin von Hessen-Kassel, geborene Prinzessin von Kurland. 88 Heinrich (von) Schmettau (1629–1704), Schwager von Friedrich Lucae.

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Bey dero ankunfft zu Berlin praesentirten sich nicht die freundlichsten Gesichter. Daselbst lieffen die consilia wunderlich durcheinander. Sie fand auch weder den Churfürst,89 weder die Churfürstin,90 weder den Churprintzen91 einheimisch. Daher hielt es harte wieder, wie starck Sie auch die copulation poussirte. Deßen ohnverachtet wolte Sie nicht eher von dannen ziehen, biß alles volbracht wäre. Anno 1679, den 5. Aprilis, segnete Gott meinen Ehestandt mit einer gesunden Tochter,92 Sonnabend morgends umb halb 6 Uhr. Weilen Hochbemeldte Fürstin sich Selbst auf solchen Fall sich gnädigst anerboten hatten, als schickte den Gevatterbrief auf Berlin und invitirte Ihre Durchlaucht zu Meines Kindes Godel. Hierauf antworteten Ihre Durchlaucht gnädigst, wie der Brieff annoch unter meiner correspondentz vorhanden ist, und acceptirten die Gevatterschafft. Unterdeßen ließ ich den 10. Aprilis Meine Tochter in der Neustäter Kirche tauffen. Hierbey hobe die Fraw Marschallin von Donop93 anstat der Fürstin daß kind auß der Tauffe und benahmte es Hedwig Sophia. Nachgehends tractirte die Vice Gevatterin, samt denen andern Adelichen Gezüchten und Weibern, mit einem morgenbrot in meinem Hause. Numehro hatte auch den Weltschlüßel verfertiget. Denselben übernahme ­Christian Hermsdorf,94 Buchhändler zu Franckfurt,95 zum Verlag, jedoch muste ihm 100 Reichsthaler zum Druck vorschießen. Darfür gab Er mir 150 Exemplaria und pro labore 50 Reichsthaler. Dieselben schickte auf Berlin, Bremen, Franckfurt an der Oder96 und Hamburg, verhandelte Sie gegen andere Bücher, erhielt auch etwaß geld darfür. Sonderlich beförderte mich hierinnen trewlich Herr Rötcher,97 Chur Brandeburgischer Hoffprediger zu Cüstrin,98 mit welchem starck correspondirte. Den Weltschlüßel dedicirte der Verwittibten Churfürstin zu Pfaltz,99 der Alten Fraw Landgräffin100 und Meiner gewesenen Hertzogin Louyse101 in Schlesien. Die Chur-

189 190

Friedrich Wilhelm (1620–1688), Kurfürst von Brandenburg und Herzog von Preußen. Dorothea (1636–1689), Kurfürstin von Brandenburg, verwitwete Herzogin von Braunschweig-Lüneburg, geborene Prinzessin von Schleswig-Holstein-Sonderburg-Glücksburg. 191 ����������������������������������������������������������������������������������������� Friedrich (1657–1713), Kurprinz von Brandenburg, als Friedrich III. Kurfürst von Brandenburg und Herzog in Preußen, als Friedrich I. König in Preußen. 192 Hedwig Sophia Lucae (1679–1703), Tochter von Friedrich Lucae. 193 Elisabeth von Donop, geborene Bock von Wülfingen. 194 Christian Hermsdorf (Hermsdorff ). 195 Frankfurt am Main. 196 Frankfurt an der Oder. 197 Franz Christian Rötcher (1637–1693). 198 Küstrin (poln. Kostrzyn nad Odrą). 199 Charlotte (1627–1686), Kurfürstin von der Pfalz, geborene Prinzessin von Hessen-Kassel. 100 ��������������������������������������������������������������������������������������� Hedwig Sophia (1623–1683), Landgräfin von Hessen-Kassel, geborene Markgräfin von Brandenburg. 101 ��������������������������������������������������������������������������������������� Luise (1631–1680), Herzogin von Liegnitz, Brieg und Wohlau, geborene Prinzessin von Anhalt-Dessau.

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fürstin verehreten mir 20 |268| und die Fraw Landgräffin102 30 Creutz Reichsthaler. Auß Schlesien empfieng hierauf keine antwort. Daher biß dato in gedancken stehe, der Brieff, samt dem Buch, sey nicht an die Hertzogin103 kommen, derer gnädigstes ansinnen gegen mich beßer kennete. Sie hat mit mir ofters, auch nach dem, Brieffe gewechselt, aber keines wortes hievon meldung gethan. Am meisten imputire die schuld ihrem Hoffprediger Brunsenio,104 in dem endlich so viel außforschete, daß ihm gleichwol daß Pacquet zu händen kommen wäre. Inzwischen sagten zu Cassel105 adieu die Fraw Churfürstin106 und erhoben sich nach Heidelberg zu dem Herren Sohn, dem jetzt Regierenden Churfürst Carln.107 Ihr Churfürstliche Durchlaucht nahmen eine höchst rühmlichen abschied. Etliche Tage vorher gaben Sie die Visite allen Hohen Ministern, Räthen und Predigern. Bey dieser gnade wiederfuhr mir ebenmäßiges. Ihre Churfürstliche Durchlaucht kamen abends umb 5 Uhr in mein Hauß und divertirten sich auf meinem Musaeo biß umb 6 Uhr. In dem Sie abtratten, kam dero Cammer Jungfer und praesentirte mir einen vergüldeten Tisch Becher mit einem Deckel. Hierauf reyseten Sie deß dritten Tages ab. Der Herr Landgraff108 begleitete Sie mit einer ansehnlichen Suite, ließ dreymahl die Canons umb die Stat lösen und die Soldatesca mit fliegenden Fahnen aufwarten. Ich dichtete eine Glückwündschungs carmen, wie solches annoch in Meiner Bibliothec vorhanden, und schickte davon 40 exemplaria nach Heidelberg, welches sehr gnädigst von dem Churfürsten aufgenommen worden. Den 13. Augusti besagten jahres ward endlich daß Beylager der Chur Princes109 sin zu Potsdam vollezogen. Wenig Zeit hernach fanden sich die Alte Fraw Landgräffin, Fürstliche Durchlaucht, zu Cassel ein. Sie verweileten sich aber nicht lange allhier, sondern eileten nach Schmalcalden.110 Es begleitete der Herr Landgraff dieselbte aufs prächtigste mit Loßbrennung der Stücke und der Sämtlicheni Milice und Bürgerschafft.

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Sat vor Sämtlichen durchgestrichen.

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102 �������������������������������������������������������������������������������������� Hedwig Sophia (1623–1683), Landgräfin von Hessen-Kassel, geborene Markgräfin von Brandenburg. 103 ��������������������������������������������������������������������������������������� Luise (1631–1680), Herzogin von Liegnitz, Brieg und Wohlau, geborene Prinzessin von Anhalt-Dessau. 104 Anton Brunsenius (Brunsen, 1641–1693). 105 Kassel. 106 Charlotte (1627–1686), Kurfürstin von der Pfalz, geborene Prinzessin von Hessen-Kassel. 107 Karl II. (1651–1685), Kurfürst von der Pfalz. 108 Karl (1654–1730), Landgraf von Hessen-Kassel. 109 Elisabeth Henriette (1661–1683), Kurprinzessin von Brandenburg, geborene Prinzessin von Hessen-Kassel. 110 Schmalkalden.

[XXVII.] Reyse auß Caßell auf Hamburg

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Bey so gestalten sachen ward es bey hoff ziemlich stille. So starb auch auf Seinen Gütern der Marschall von Donop.111 An deßen Platz bestellten Ihre Durchlaucht Herren Wilhelm von Hof,112 bißherigen Legations Rhat. Itzund reyseten die Hertzogin Loyse auß Schlesien in Heßenland. Sie waren zu Bückeburg gewesen und besuchten die Alte Fürstin,113 Landgraff Herrmanns114 Gemahlin, den Baase zu Rotenburg.115 Aber Sie kamen nicht auf Cassel. Unterdeßen ließen Sie mir dero ankunfft durch einen Reuter bedeuten, schrieben eigenhändig an mich und verehreten mir eine goldene Medaille, dero Contrefaits von 4 Ducaten, wie selbige in meiner gold Schatulle befindlich ist. |269| Gleichfalls gieng zu Cassel116 den weg alles Fleisches herr Raban von Spie117 gel, Ober Jäger Meister. Etliche Tage vorher verspürete man an ihm deß Verstandes Beraubung. Deßen ohnverachtet rieffen Sie mich deß morgends zu ihm. Nachgehends kam in erfahrung, daß solches nur ein praetext und ein Lutherischer Praedicant vorher bey ihm gewesen wäre, der ihm daß Abendmahl bey bereits verschwundenen Sinnen gereichet hätte. Damit ich es aber nicht vergeße, so ließen Ihre Durchlaucht,118 die Alte Fürstin, vor dero Abzug nach Schmalcalden119 Meine Tochter Hedwig Sophia120 vor sich tragen und statteten ihr den Patten Pfennig mit einem Vergüldeten Becher, auf drey kugeln stehende, samt dem Deckel, ab. Anno 1680 divirtirte sich eine zeitlang bey mir Herr Christoph Ernst Zimmermann121 von Strehlen122 auß Schlesien, gewesener Auditeur zu Mannheim. Diesen guten Mann kennete von kindes beinen an und nahm daher immer Seine Zuflucht zu mir, thäte auch nichts ohne meinen rath. Weil Er anjetzo der Pfältzische Dienste erlaßen, suchte Er ein Employ im Nassauischen und bat mich, daß ich mit ihm nach Dillenburg reysen und ihm daselbst bey dem Fürsten123 recommendiren möchte, darinnen ihm auch gratificirte, wie auß folgendem erscheinet.

111 112 113

Anton Gabriel von Donop († 1681). Wilhelm von Hoff (1644–1689). Kunigunde Juliane (1608–1683), Landgräfin von Hessen-Rotenburg, geborene Prinzessin von Anhalt-Dessau. 114 Hermann IV., (1607–1658), Landgraf von Hessen-Rotenburg. 115 Rotenburg an der Fulda. 116 Kassel. 117 Karl Rabe von Spiegel zum Desenberg († 1679). 118 �������������������������������������������������������������������������������������� Hedwig Sophia (1623–1683), Landgräfin von Hessen-Kassel, geborene Markgräfin von Brandenburg. 119 Schmalkalden. 120 Hedwig Sophia Lucae (1679–1703), Tochter von Friedrich Lucae. 121 Ernst Christoph Zimmermann († nach 1682). 122 Strehlen (poln. Strzelin). 123 Heinrich (1641–1701), Fürst von Nassau-Dillenburg.

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Friderici Lucae eigentgliche Lebens und Totdes Geschichte

[XXVIII.]a Friderici Lucae Reyse auß Cassel auf Dillenburg.b Die Fürstin zu Dillenburg, Dorothea Elisabeth,1 geborne Hertzogin auß Schlesien zu Lignitz2 und Brieg,3 war von kindes beinen an meine Gnädigste Fürstin. Ein halbjahr vorher schickte Sie dero Aelteste Princessin4 nach Coppenhagen5 in Dennemarck. Dieselbte begleitete die Jungfer von Nostitz,6 meine auß Schlesien ebenmäßig alte Bekante Freundin. So bald Sie zu Cassel arrivirten, überbrachten Sie mir von der Fürstin, als dero Fraw Mutter, einen gruß und vergüldeten Becher, begehrende ich möchte einmahl nach Dillenburg kommen. Eben sothane gnädigste invitation encouragirte mich desto mehr zu dieser vorhabenden reyse. Wir giengen mit der ordinairen Postkutsche auf Gudensberg und Marpurg.7 Zu Marpurg logirten wir im weißen roß und blieben hierselbst anderthalt tage. Diese Zeit passirten wir mit Besehung deß ortes seltenheiten. Auf ’m fürstlichen Schloß traff ich an den Maior Culmann8 und Commandanten Maior Of ’m Keller.9 Von demselben erlangte permission daß Schloß zu besehen. Die Veste euserlich befande von keiner importance zu sein, in dem Sie erst repariret und erweitert wurde. Gegen |270| der Stat bemerckte eine Batterie mit 6 biß 10 Stücken, derer Brustwehr in einer einfachen mauer bestande. Und, wie wol das Schloß auf ’m Berge ligt, so hat es doch von denen andern beyden seiten Berge, welche dem Feinde sehr avantagieux sein dörfften. Daß Schloßgebäwde ist ein altes, irregulirtes werck. Die Gemächer darinnen seind von schlechter Bequemligkeit, sonderlich im Sommer, auch schlecht meubliret in abwesenheit der Herrschafft. Der Gröste saal war damahls mit getreide angefüllet, daher wir denselben nicht besehen konten. In der engen Hoff Capelle war der Tisch daß netteste und zwar von schwartzem polierten Marmorc gantz gläntzbar. Im herunter passiren besuchten wir die Grose Lutherische Kirche und giengen die fürstliche Cantzeley vorbey unten am Schloßwege. Diese Kirche besahen wir auß curiosität, wegen deß Anno 1605 darinnen entstandenen tumults. In derselben befande a Zählung des Kapitels nachträglich eingefügt. b Die Groß- und Kleinschreibung von FRIDERICI LUCAE Reyse auß Cassel auf Dillenburg zu Friderici Lucae Reyse auß Cassel auf Dillenburg vereinheitlicht. c alab vor Marmor durchgestrichen.

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Dorothea Elisabeth (1646–1691), Fürstin von Nassau-Dillenburg, geborene Prinzessin von Brieg. Liegnitz (poln. Legnica). Brieg (poln. Brzeg). Sophie Auguste (1666–1733), Prinzessin von Nassau-Dillenburg. Kopenhagen (dän. København). n.z.e. Marburg an der Lahn. n.z.e. n.z.e.

[XXVIII.] Friderici Lucae Reyse auß Cassel auf Dillenburg

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etliche kostbare Epitaphia. Unten an der spitze der Stat, im thal genandt, ligt die berühmte St. Elisabeth Kirche, ein hohes, weites, von rothen quadrat steinen aufgeführtes gebäwde. Von außen hat Sie zweene hohe thürne mit zierlichend galerien. Vor 6 jahren stürtzte ein Dachdecker von dem einen herunter den halß ab. Inwendig befinde drey Chöre. In dem einen stehen die monumenta der Alten Landgraffen in ziemlicher anzahl, wie wol ohne sonderliche künstliche arbeit. In dem andern siehet man St. Elisabethen10 Sarg von holtz, samt dem deckel, auf vier höltzernen Füßen stehen. Es ist starck besetzt mit Dobbleten, welche einfältige augen für rechte Edelgesteine achten. Rings herumb wir Er mit einem eisernen gegitter umbschloßen. Anno 1539 hat Landgraff Philipp11 die Gebeine herauß nehmen und unter einen stein anderwerts begraben laßen. Vermutlich hat besagter Landgraff in dem fürstlichen Archiv Seiner posterität zum nachricht den ort bemercken und anweisen laßen. Vor etlichen jahre bate der Cardinal Fridrich und Landgraff,12 damahls Bischoff zu Breslaw,13 Meinen Herren Landgraff Carlen14 inständig umb der St. Elisabeth Gebeine, die Er wolte als ein Heiligthumb in Seiner New erbawten Begräbnüß Capelle in der St. Johannis Stiffts Kirche zu Breslaw beysetzen. Aber Mein Herr lachte deßen, sagende: Daß sey ferne, daß ich meinen Vetter in Seiner Superstition solte stärcken. Im dritten Chor stehet der Hohe Altar und nechst demselben an der wand in stein gehauen ein anzahl der hier begrabenen Land Commenthuren. Hinter der Kirche befindet sich deß Land Commenthurs Hauß, samt dem Vorwerck, darinnen itzund Graff Augustus von der Lippe,15 Heßischer General Feldzeugmeister, residiret und an der seite daß Hospital, welches die St. Elisabeth fundiret, dotiret, auch hierinnen daß Zeitliche gesegnet hat. |271| Als wir von dar wieder hienauf in die Stat giengen, führete man unß in die Universität, sonderlich in daß Auditiorium Juridicum, welches lang, aber etwaß schmal ist. An der Rechten seiten seind die Bildnüße in Lebens gröse etlicher Landgraffen, an der Lincken seiten Vieler Professorum ohne unterschied derer Facultäten angeheftet. Hierbey stehen auch deß Paedagogii Lehrstuben, samt der Reformirten Kirche. In derselben befinde alles in sehr guter disposition. Oben wohnet der Primus Professor Theologiae als Scholae Inspector. Vor diesem ist der ort ein Prediger kloster gewesen und Anno 1531 der Universität gewidmet worden. Weiter aufwerts kamen wir zu dem Collegio Philosophico. Unten in denen Auditoriis standen auch etliche Contrefaite Alter Landgraffen und Professorum, sonderlich d

die vor zierlichen durchgestrichen.

10 11 12 13 14 15

Elisabeth (1207–1231), Heilige, Landgräfin von Thüringen. Philipp I., der Großmütige (1504–1567), Landgraf von Hessen. Friedrich (1616–1682), Landgraf von Hessen-Darmstadt, Bischof von Breslau. Breslau (poln. Wrocław). Karl (1654–1730), Landgraf von Hessen-Kassel. August Graf zu Lippe-Brake (1643–1701).

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Friderici Lucae eigentgliche Lebens und Totdes Geschichte

deß Berühmten Eobani Hessi,16 wie auch Rodolphi Goclenii.17 Hierbey führete mich mein alter Bekanter Herr Samuel Andreae,18 damahliger Professor Eloquentiae und Bibliothecarius, auf die Bibliotheck. Der Numerus librorum war noch geringe und, wie ich verspürete, legten Sie erst den grund darzu. Bey dieser occasion besuchte auch Herren Reinholdum Pauli,19 Professorem Theologiae, welchen zu Heidelberg gekant hatte. Vorzeiten war dieses Collegium ein Barfüßer kloster. Heutiges tages logiren die fürstlichen Alumni über denen Creutzgängen in kämmerchens, wie wol ungesunden, feuchten gemächern, und werden täglich zweymahl im Tabulat gespeiset. Die Kirche hierbey, ein langes gebäwde, stehet gantz wüste und, wie man mir erzehlete, wird bißweilen zur Reitschule gebrauchet. Die Alumnos gouverniret der Ephorus Professor Theologiae und in absentia deßelben bey der Taffel Stipendiariorum Maior. In der Kogel Herren Kirche ist alles schlecht conditioniret und wenig denckwürdiges. Die jungen Studiosi Theologiae exerciren sich gewöhnlich in derselben mit Predigen. Unter denen Weltlichen gebäwden in der Stat leuchtet auf dem marckt daß Rhathauß herfür. In dem die Lahn gleich vorbey ströhmet, gehet man auß der Stat in die Vorstatt über eine ziemlich starcke und lange steinerne Brücke. Binnen der Stat gibt es mancherley Judicia und Jurisdictiones: 1. Daß fürstliche Samt Hoffgerichte, in welchem die Hoff Richter alterniren, nemlich bald einer vo’m Hause Cassel und nach deßen absterben einer vo’m Hause Darmstadt. 2. Die fürstliche Casselsche Cantzeley. 3. Die Universität. 4. Der Commenthur im Teutschen hause. 5. Daß bürgerliche Rhathauß. So wil auch der Commentant auf ’m Schloß Seine besondere Jurisdiction über die Soldatesca, wie auch billich, praetendiren. Der Stat Situation ist ziemlich lustig, am meisten aber wegen der Gelehrten Leute menge, also daß man nicht leichtlich so viel derselben, wie hier, antreffen wird an ­einem orte. |272| Nach dem vor dißmahl Marpurg,20 in so weit, gesehen, eileten wir nach Dillenburg. Bald nach unserer ankunfft hierselbst kleidete mich sauber an. In dem mir aber den Bart wolte putzen laßen, konte im thal, so nennen Sie den Flecken Dillenburg, keinen Barbier haben. Endlich gab sich ein Becker knecht an. In dem nun Niemand anders vorhanden, unterwarf ich mich Seinem Scherrmeßer, aber der Urzeitige Barbier zerfetzte dermaßen mein angesicht, daß ich fast schämete außzugehen. Deßen ohnerachtet avisirte der Fürstin Durchlaucht21 meine ankunfft. Dieselbte waren so gnädig und schickten zur stund ihren lacquei herunter, der unß hienauf forderte, auch unsere sachen mit zunehmen verständigte. 16 17 18 19 20 21

Helius Eobanus Hessus (Koch, 1488–1540). Rudolf Goclenius der Ältere (Göckel, 1547–1628). Samuel Andreae (1640–1699). Reinhold Georg Pauli (1638–1682). Marburg an der Lahn. Dorothea Elisabeth (1646–1691), Fürstin von Nassau-Dillenburg, geborene Prinzessin von Brieg.

[XXVIII.] Friderici Lucae Reyse auß Cassel auf Dillenburg

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In dem Eingang passirten wir durch die Bastion, worinnen daß Thor die Soldaten bewachen, als dan über die Brücke und daß lange, starcke Thorgewölbte. Im hoff wiesen Sie unß in ein Zimmer. Kaum hatten wir etwaß geruhet, wurden wir zur Audientz gelaßen, da dan die Liebe Fürstin sich recht über meiner ankunft ergetzte. Diese Audientz wehrete so lange, biß wir deß abends an taffel giengen. Der Fürst22 reichte mir die hand im speise saal und empfieng mich gnädigst, wie auch der gantze hoff. Hier traff auch etliche Bekante an, nemlich den Alten Hoffmeister Wigand von Vippach,23 gewesenen Stallmeister zu Brieg24 in Schlesien, item den Stallmeister von Baumbach,25 welchen auch in Schlesien gesprochen, und eine Jungfer von Nostitz26 vor dar geheurahtet hatte. Diese Cavalliers begegneten mir recht civil, wie auch derer Princen Informator, Monsieur Dilthey,27 deßgleichen der Hoffprediger Herr Brand,28 nachgehends Professor zu Herborn und entlich zum Hamm. So lern’te auch hier kennen Printz Augustum,29 Fürst Heinrichs Vatern30 Bruder. Dieser Herr lebte auser der Ehe und ergetzte sich täglich im thal mit liederlicher Compagnie bey’m tranck. So merckte auch sonst an ihm wenige fürstliche Tugenden. An die Taffel brachte Er jedesmahl mit sich ein schoßhündchen und, wenn Er ein wenig geßen, setzte Er daßelbe vor sich auf ’m teller. Zeit meines hierseins vergönnete mir der Fürst deß gantzen Schloßes Besichtigung. Gewiß ist dieses Berg Schloß ein weitleufftiges gebäwde. Die Mauern rings umbher, sonderlich an der thalseite, sind von einer ungemeinen stärcke und höhe. Oben auf denen Mauern kan man gemächlich spatziren und durch die schießlöcher weit umb sich sehen. Die Gemächer betreffende waren Sie damahls, wegen ihrer menge und gröse, noch nicht außgebauet. Aber waß die Capelle anbelangt, beliebte Sie mir über die maßen wol. Sie ist weißgraw bemahlet und an allen ecken vergüldet. Recht gegen der Cantzel über stehet daß fürstliche Kirch Gemach, außwendig von unten biß oben mit glaß fenstern überzogen, inwendig mit vielen schildereyen bekleidet. Täglich hielten Sie darinnen zwo Betstunden, deß morgends umb 9 und mittags umb 4 Uhr. |273| Daß Zeughauß dieses Schloßes läst sich auch wol sehen. Darinnen bemerckte eine ziemliche anzahl grober Canonen und unter denselben eine überauß schöne metallene Feldschlange, zierlich gepflochten und formiret wie ein drachen kopff. Von harnisch und andern armaturen, so viel der ort erfordert, war auch ein guter Vorrath vorhanden. Ohnfern deß Zeughauses gehet auß dem Schloß gebäwde ein hoher thurn herfür, darauf der Thurnwächter die Uhre richtig gestellet und die ankommenden zu 22 23 24 25 26 27 28 29 30

Heinrich (1641–1701), Fürst von Nassau-Dillenburg. Friedrich Wigand von Vippach († nach 1679). Brieg (poln. Brzeg). Adam Reinhard von Baumbach (1633–1691). Bertha Helene von Baumbach, geborene von Nostitz († um 1680). Johann Eberwein Dilthey (1654–1721). Theodor Eberhard Brandt (Brand, † nach 1697). August Heinrich (1657–1680), Prinz von Nassau-Dillenburg. Georg Ludwig (1618–1656), Erbprinz von Nassau-Dillenburg.

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Friderici Lucae eigentgliche Lebens und Totdes Geschichte

Pferde, oder wagen, anbläßet. Zur seiten gegen über stehet der Marstall, in demselben zeigte mir der Stallmeister31 ein Pferd über 24 jahr alt, welches noch Hertzog Georges32 in Schlesien gewesen war und die Fürstin33 mit herauß gebracht hatte. Welches mich am meisten verwunderte, so ist daß Schloß mit gewaltigen gewölbern und kellern versehen, also daß in etlichen gewölbern, welche fast Kirchen ähnlichen, rechte bewäßerte Cisternen gefunden werden. Es war auch die Fürstin so gnädig und ließen mich hienauß in thier garten fahren und dasige zwey Lusthäuser zeigen; Davon daß Erste ziemlich groß und inwendig wol meubliret ist. Deßelben Structur beliebte mir wol. Es wird alles hieran mit einem dach bedecket. Unten rings umbher seind lauter gallerien, wie wol etwaß niedrig, und an denselben etliche kleine gemächer. Mitten inne aber ist der grose, hohe, wol außgezierte saal, deßen höhe sich biß oben hienauf an die dach spitze erstrecket. In dem thiergarten heeget der Fürst34 eine Stütterey. Daß Stättchen, oder Thal, darbey der Dille Fluß ströhmet, vermag gar nichts merckwürdiges. Unten, wenn man den Schloßberg herabsteiget, stehet die Kirche mit einem alfränckischen gespitzten thurn. Gegen über am Schloß ist derer Prediger wohnung gleichsam in Felsen deß Berges eingehauen. Inwendig in der Kirche, welche etwaß länglicht, jedoch schmal ist, befinden sich die fürstlichen Begräbnüße ohne Zierath und Köstligkeit. Ein eintziges Epitaphia samt dem Bildnüß eines hier verstorbenen Rheingrafens remarquirte. Nach dem wir unß nun hier gnugsam divertiret, und ich mich insonderheit mit der Lieben Fürstin besprochen hatten, giengen wir auf Herborn. Vorher aber beurlaubte mich bey dem Fürsten, welcher unß in unserm Gemach, durch die oben erwehnten Hoff Cavalliers, mit einem galanten Frühstück tractiren ließ. In Herborn traff ich den fürstlichen Rhat und Ober Schultheiß Dilthey35 an. Denselben hatte gleichfals in Schlesien gekennet. In ansehung deßen bewirthete Er unß mit einer mittags collation. Ehe solches geschae, besichtigte ich vorher deß ortes gelegenheit. Es fleußt die Dille hier vorbey. So umbgibt auch die Stat eine Mauer, daran unterschiedene Alte thürne stehen. Die grose Pfarrkirche mit dreyen thürnen ist von Mittelmäßiger gröse. An der seite über einer Capelle stehet eine alte Theologische Bibliotheck und in derselben ein Sceleton Weiblichen geschlechts. Herr Doctor und Professor Hildebrand36 Bremensis37 war eben Bibliothecarius und Herr Doctor Nethenus,38 ehemahliger Professor zu Utrecht, Pastor Primarius. Mit beyderseits machte mich 31 32 33 34 35 36 37 38

Adam Reinhard von Baumbach (1633–1691). Georg III. (1611–1664), Herzog von Brieg und Liegnitz. Dorothea Elisabeth (1646–1691), Fürstin von Nassau-Dillenburg, geborene Prinzessin von Brieg. Heinrich (1641–1701), Fürst von Nassau-Dillenburg. Philipp Dilthey (1619–1690). Hermann Hildebrand (1635–1707). Bremen. Matthias Nethenus (1618–1686).

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bekant. Die Auditoria der sonst berühmten Schule seind von keiner sonderlichen condition. Von hier verfügten wir unß auf daß Schloß, so etwaß erhöhet ligt. Von darunter übersiehet man die Stat, aber die inwendigen gemächer waren meistentheils wüste und öde. Kurtz |274| vorher starb herr Caussenius39 in Coelibatu, ein berühmter Advocatus zu Frideberg40 in der Wetteraw. Dieser legirte der Herbornischen Hohen Schule Seine Bibliotheck. Darwieder protestirte die Universität zu Marpurg.41 Jene aber kame zuvor und apprehendirte die Bibliotheck, nebst einem Capital, von deßen fallender pension etliche Professores besoldet werden. An ihr selbst war eben die Bibliotheck nicht so gar weitleufftig und, wie es schiene, ziemlich wol conditioniret. Sonderlich praevalirte die Juristische Facultät. Eben diese Bibliothec stand damahls auf ’m Schloß in salvo in zweyen kleinen zu dem ende reparirten gemächern. Nach dem wir nun dieses alles besehen, kehreten wir wiederumb auß’m Nassauischen über Marpurg und so weiter in Heßen nacher Cassel.42 Diese abgelegte reyse wolte mir eben nicht zum besten zuschlagen. Durch die motion vom Fahren incommodirte mich der stein. Anfangs konte nicht wißen, waß es wäre, in dem dergleichen niemahls empfunden hatte. Es cessirte der appetit zum eßen und ein steter Durchbruch machte mich sehr verdrüßlich. Viertzzehn tage hernach, als ich urinirte, gieng ein groser stein von mir, wie eine kleine Bohne, jedoch ohne ­schmertzen. Zum gedächtnüß verwahre diesen stein in einem helffenbeinern schächtlein. Ich brachte Herren Zimmermann43 wieder mit mir, welcher sich noch etliche wochen in meinem Hause aufhielt und endlich von Cassel auf Heidelberg reysete. Bey dieser Occasion überschickte Churfürst Carln44 ein Exemplar Meines Weltschlüßels samt einem Brieff. Durch recommendation der Alten Churfürstin,45 dero Churfürstlichen Durchlaucht Fraw Mutter, ward sothanes praesent höchst gnädigst aufgenommen. Maßen Seine Churfürstliche Durchlaucht ließen mir durch dero Geheimbden Secretarium, meinem Vetter Wolfgang von Schmettaw,46 gnädigst antworten und zur contestation dero Churfürstlichen Gnade regalirten Sie mich mit dero Bildnüß, oder einer goldenen Medaille von 14 Ducaten; Da nemlich auf der einen seite gepräget Churfürst Carln Bildnüß, auf der andern seite die Churfürstliche Residentz Stat Heidelberg. Hierbey versicherten Sie mich auch aller Churfürstlichen Gnade. Diese Medaille verwahre in meiner gold Scatull. Wenig Zeit hernach begegnete mir ein groß unglück. Ich hatte dem Herren Klöpper,47 Predigern zu’m Brüdern, die visite gegeben. In dem nun wieder nach hause gieng, 39 40 41 42 43 44 45 46 47

Johann Conrad Causenius (1601–1676). Friedberg (Hessen). Marburg an der Lahn. Kassel. Ernst Christoph Zimmermann († nach 1682). Karl II. (1651–1685), Kurfürst von der Pfalz. Charlotte (1627–1686), Kurfürstin von der Pfalz, geborene Prinzessin von Hessen-Kassel. Wolfgang von Schmettau (1648–1711). Johann Klöpper (1633–1708).

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Friderici Lucae eigentgliche Lebens und Totdes Geschichte

brach auf ’me Neustäter Kirchhofe der eiserne rost, also daß ich mit dem rechten Fuß durchfiel und den Fuß jämmerlich unten am schien bein jämmerlich zerriße. Ich muste alsbald die Kammer und daß Lager halten und überauß grose pein außstehen. |275| Damit die Cur facilirte und die inflammation verhütete, schnitte mir der Chirurgus oben daß schienbein auf, wie auch unterwerts, und zapffete die böste materie ab. Es continuirte der schmertz und deß Bein’s eröfnung auf die 4 wochen. Nach dem ließ daß Bein zuheilen und Gott gab segen zu völliger genesung. Weil die Wunde auß’n recht geheilet ward, empfand nachgehends keine incommodität. Eben im außgang diese 1680. jahres erschiene der Ungeheure Grose Schwantz oder Comet stern. Abends umb 5 Uhr, in dem ich in meinem Musaeo studirte, klopffte Herr Mathaei,48 Wachtmeister Lieutenant im Neustäter thore, in mein hauß und bedeutete deßen erscheinung. Hierauf, als es hörete, gieng mit meiner Liebsten49 auf die Fulda Brücke. Daselbst fande bereits eine große menge Volckes gegenwärtig und sahe mit erstaunung aller meiner Sinnen die erschreckliche Zorn ruthe Gottes. Zeithero war der Himmel stets wölckigt und trübe; Aber itzund praesentirte Er sich in schönster klarheit, also daß man den Cometen in Seinem Lauff gantz accurat remarquiren konte. Unter denen Gelehrten gab es manches prognosticon. Selbst die Herren Professores Marpurgenses50 disputirten deßhalben scharff mit einander. Doctor Reinholdus Pauli51 schrieb die Christliche Betrachtung über die Bedeutung der Cometen. Doctor Brandt,52 Matheseos Professor, gab herauß den Vernunfft und Schrifftmäßigen Bericht von Cometen. Doctor Tesmarus53 edirte Astrologum Romanum ex Cometis Vaticinantem. Doctor Holtermann54 iuris consultus, disputirte wieder diesen und edirte Astrologum Christianum. Doctor Waldschmidt,55 Medicus, schrieb Astrologum Medicum. Doctor Maius,56 aber auch Medicinae Professor, refutirte dieses mit Seiner Disputatione Physica de Cometis. Alle diese Disputationes seind befindlich in einem Tomo Meiner Historischen Bücher. Ob sie sich nun allerseits bemüheten, dennoch blieb die Deutung allein dem Allwißenden und Allmächtigen Gott bekant, wie unß solches nun der außgang lehret. In diesem jahr gieng auch den weg alles fleisches Herr Johann Caspar Freyherr von Döringenberg,57 Fürstlicher Heßischer Hochmeritirter Geheimter Rhat und Cammer e

’te in brach’te vor auf ’m durchgestrichen.

48 49 50 51 52 53 54 55 56 57

n.z.e. Elisabeth Lucae, geborene Mercer (um 1640–1686), Ehefrau von Friedrich Lucae. Marburg an der Lahn. Reinhold Georg Pauli (1638–1682). Johann Georg Brand (1645–1703). Johann Tesmar (Tesmarus, 1643–1693). Arnold Moritz Holtermann (1627–1681). Johann Jakob Waldschmidt (1644–1689). Heinrich May (Majus, 1632–1696). Johann Caspar von Dörnberg (1616–1680).

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Praesident. Deßelbten funeration geschae deß abends bey Fackeln. Ich legte in derf Stiffts Kirche die Parentation ab, welche gedruckt worden und in meiner Bibliotheck anzutreffen ist. Darfür erhielt den recompens von 12 Zehntthalern. Deß morgends hernach thät der Decanus Herr Heinius58 die Leichpredigt. In besagter Stiffts Kirche stehet besagten Herren Epitaphium sehr kostbar von metall. |276| Anno 1681 war ein überauß warmer Sommer. Deßelben bedienten sich Ihre Königliche Majestät die Königin Charlotte Amelie,59 Königin zu Dennemarck, geborne Landgräffin. Sie kamen mit einer ansehnliche Suite nacher Pyrmont60 in Saurbrunnen, 14 meilen von Cassel.61 Bey dero ankunfft gieng die Alte, Verwittibte Fraw Landgräffin,62 als dero Frau Mutter, wie auch der Herr Landgraff63 mit Seiner Gemahlin64 nacher Pyrmont und leisteten der Königin Geseelschafft bey der Brunnen Cur. Unterdeßen geschaen zu Cassel allerhand praeparatoria auch hierselbst die Königin zu bewillkommen. Den 17. Junii erfolgete zu Cassel der königliche einzug deß mittags unter lösung der Canonen. Es begleitete die Hohe Herrschafft eine grose menge kutschen und Cavallerie. Der Herr von Plesse65 war der Vornehmste königliche e’stats Minister, welcher der Königin aufwartete. Nechst ihm bediente Herr von Geismar66 die Hoffmeister, Herr Lincker67 die Rhats und Herr Johannes Musculus68 die Hoffprediger charge. Unter dem königlichen Frawenzimmer befand sich die Fraw von Wallenstein,69 Hoffmeisterin, und die Fräulein von Uffeln.70 Beyderseits hatten grose affection vor mich als meine alte Bekante Freundinen. Zeitwehrender Hoher anwesenheit der Königin stellte der Herr Landgraff alle ersinnliche Lustigkeiten von Täntzen, Aufzügen, Comoedien, Jagten und Fewerwercken an. Hierbey ließen Ihre Majestät eine sonderbare Leutseeligkeit von sich blicken. Sie ertheilten dem Stat Frawenzimmer, und also auch Meiner Liebsten,71 gnädigste audientz. f

der nach der aus Gründen der Lesbarkeit ausgelassen.

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Georg Hein (Heinius, um 1629–1699). Charlotte Amalie (1650–1714), Königin von Dänemark, geborene Prinzessin von HessenKassel. 60 Pyrmont (Bad Pyrmont). 61 Kassel. 62 �������������������������������������������������������������������������������������� Hedwig Sophia (1623–1683), Landgräfin von Hessen-Kassel, geborene Markgräfin von Brandenburg. 63 Karl (1654–1730), Landgraf von Hessen-Kassel. 64 Amalia (1653–1711), Landgräfin von Hessen-Kassel, geborene Prinzessin von Kurland. 65 Christian Siegfried von Plessen (1646–1723). 66 Johann Friedrich von Geismar (Gaismar, † 1697). 67 Georg von Lincker (1630–1699). 68 Johannes Musculus (1635–1708). 69 Juliane Elisabeth von Wallenstein, geborene von Uffeln (1618–1692). 70 n.z.e. 71 Elisabeth Lucae, geborene Mercer (um 1640–1686), Ehefrau von Friedrich Lucae.

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Ebenmäßige gnade begegnete auch mir. Bey dieser gelegenheit praesentirte Ihrer Majestät Meinen Weltschlüßel; Denselbigen nahmen Sie höchst gnädig an. Zum Zeugnüß der königlichen gnade beschenckte mich die Königin mit einer grosen, silbernen, vergüldeten Suppen Schale, vier pfund schwer. Ehe die Königin abreyseten, ließen Ihre Majestät daß Sämtliche Ministerium zu Cassel vorg sich kommen und zum Handkuß gelangen. Dergleichen gnade hatte abermahls. Hierauf giengen die Königin und der Herr Landgraff nach 14tägigem verbleiben zu Cassel zu waßer auf der Weser hienunter, Bremen vorbey, in Holstein und endlich in Dennemarck. Von der Zeit an haben mich die Königin etliche mahl grüßen und bey absterben meiner Liebsten gnädigst condoliren laßen. |277| Im Monat Julii besagten jahres arrivirten die Fürstliche Aelteste Princessin Augusta Sophia von Dillenburg72 und folgeten mit der Mademoiselle de Nostitz,73 Schlesiern, meiner sehr werthen Freundin, in Dennemarck der Königin. Sie erzeigten mir grose gnade und überbrachten mir von dero Fraw Mutter74 einen vergüldeten Tischbecher zum praesent. Ebenmäßig kame auf Cassel75 Herr Johann von Line,76 Iuris Utriusque Doctor, mit Seinem Jüngsten Sohn Alberto.77 Dieser gute Knabe hatte eine außgerenckte hüffte. Solchen Schaden hatte Sein Bruder78 causiret, der ihm ehemahls die Treppen herunter gestoßen. Nun wolte Er denselben bey dem Scharff Richter zu Cassel curiren laßen, wie auch geschae, wie wol ohne effect. Bald hernach starb besagter Herr Doctor von Line zu Bremen. Nachgehends ließen die Vormünder Albertum bey mir. Von der Zeit an, biß hieher, habe ihn unter meiner Inspection zur Schule gehalten und nebst Meinem Sohn79 auferzogen. Mit dem außgang deß Augusti thät eine spatzier reyse auf Wahnfride80 mit Meiner Liebsten.81 Auß Curiosität gieng von dar samt Meinem Schwager82 auf Mühlhausen.83 Hierselbst besahe ich die Kirchen, samt dem Rhathauß. In der Rhatstube standth mitten ein viereckigter tisch, auf welchen ein Scepter lage; Vor dem tisch standt ein schwartz Sammeter stuhl. Ich fragte nach deßen Bedeutung? Hierauf vernahme, daß der Scepter und Stuhl den Römischen Kayser als Obersten Herren dieser Reichs Statt g h

und vor vor durchgestrichen. sta vor standt durchgestrichen.

72 73 74

Sophie Auguste (1666–1733), Prinzessin von Nassau-Dillenburg. n.z.e. Dorothea Elisabeth (1646–1691), Fürstin von Nassau-Dillenburg, geborene Prinzessin von Brieg. Kassel. Johann von Line (1627–1682). Albert von Line. n.z.e. Karl Lucae (1677–1712), Sohn von Friedrich Lucae Wanfried an der Werra. Elisabeth Lucae, geborene Mercer (um 1640–1686), Ehefrau von Friedrich Lucae. Jost Christoph Uckermann (um 1646–1701), Schwager von Friedrich Lucae. Mühlhausen (Thüringen).

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75 76 77 78 79 80 81 82 83

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praesentirte. Rings herumb waren starcke alte gestühle, auf die art wie in denen Chören der Catholischen Kirchen angefüget, als der Bürgermeister und Rhatsherren Sitze bey denen Consultationen. Gleichfals sahe in dieser Rhatstube deß itzigen Kaysers Leopoldi84 Bildnüß, und zwar ziemlich groß im Bruststück mit einer Netten Feder geschrieben, bestehende in lauter Sprüchen, dermaßen künstlich, daß man die ähnligkeit merckete. Mich dünckete, ich hatte in mancher Zeit nichts curieusers gesehen. In der Haupt Kirchen remarquirte viele überbleibsel vo’m Pabstthumb. Sonderlich bemerckte an dem Altar die zweene postementen. An dem einem war mit goldenen Buchstaben geschrieben die Einsetzung deß Heiligen Abendmahls; In dem andern deß Heiligen Apostels Pauli anhang: So oft ihr von diesem Brot eßet und von diesem Kelch trincket, solt ihr deß Herren todt verkündigen, biß daß Er komt. Der Glöckner, welcher unß herumb führete, schiene etwaß Naseweiß zu sein; Daher fragte ihn umb die erklärung, wie gleichwol beyderseits postementen oder die überschrifft concordirten? Er merckte zwar mein Intent, |278| wie wol nicht meine Person, wolte aber alsbald dem Superintendenten85 ruffen. Unterdeßen befande nicht rathsam die Disputation an diesem ort, sondern gieng davon. An ihr selbst ist die Stat eine grose weitleufftige rümmeley von alten höltzernen häusern. Auch stehen etliche alte wüste Kirchen darinnen. Die Inwohner laßen wenig höfligkeit blicken und seind ziemlich tölpisch, grob und ungehobelt; Daher man auch ihnen mancherley verübte alberkeiten zuschreibet, welche hieher nicht setzen mag. Vor der Stat flüßet eine Bach aufwerts, oder Berg an, welches wunderbarlich anzusehen ist. In alten Zeiten sol hier, begangener mißethat wegen, ein mönch zum todt condemniret sein gewesen; Allein Er hatte sich angeboten, dafern Sie ihn perdoniren würden, wolte Er die Bach dergestalt in die Stat führen. Demnach wäre ihm gratificiret und daß waßer in solchen Lauff gerichtet worden. Ob dem also sey, kan nicht wißen? So viel hörete davon allhier erzehlen. Noch am selbigen abend kehreten wir wieder nach Wahnfride.86 Deß morgends ließ mich der Fürst daselbst, Carl Landgraff,87 Landgraff Ernsten88 Sohn, zu sich ruffen. Hierselbst zeigte Er mir Seine Newerbawte Capelle und Speise saal, welchen Er mit Tapeten, darinnen die Sieben Papistische Sacramenta gewürcket waren, bekleidet hatte. Über dieses ließ Er mich Seinen Silber Schrancken sehen. Unter andern bemerckte einen Grosen Orientalischen Bezoarstein in eines eyes gröse, dergleichen schöner nicht gesehen habe. Weil Eri aber, Seiner gewonheit nach, allerhand gefährliche Discourse von Regierungssachen movirte, deprecirte daß gehör und gieng davon. i

Er über der Zeile ergänzt.

84 85 86 87 88

Leopold I. (1640–1705), römisch-deutscher Kaiser. Johann Bernhard Frohne (1621–1690). Wanfried an der Werra. Karl (1649–1711), Landgraf von Hessen-Wanfried. Ernst I. (1623–1693), Landgraf von Hessen-Rheinfels-Rotenburg.

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Meinen retour auf Cassel89 stellte nun zu waßer, auf der Werra, an. Unterweges besahe die Stat Eschwege etwaß genawer. Ich halte Sie nach Cassel vor die Gröste Stat Heßenlandes. Man passiret über der vorbey fließenden Werra durch eine ziemliche lange, und hohe, steinerne Brücke in die Stat. An der seiten gegen den strohm ligt der St. Cyriaci Berg und auf demselben ein altes, groses gebäwde, samt einer wüsten Kirche; Ist vorzeiten ein Nonnen kloster gewesen, welches Kayser Carolus Magnus90 sol erbawet haben. Etliche wohnungen davon seind repariret und zu der Stat Schule aptiret worden. Beyde Kirchen in der Alten und Newen Stat vermögen nichts merckwürdiges. Auch daß fürstliche Schloß ist von geringer weitläufftigkeit. Hinten an demselben ligt ein groser garte, mit einer steinern mauer umbgeben. Vorwerts stehet ein Vereckigter Pavillon mit einem grosen inwendigen Saal. Der Prospect von denen Altanen dieses Schloßes hienüber ins Eichsfeld, und auf ’m Gehülffensberg, ist daß allerlustigste und angenehmste. Anno 1632 starb auf ’m Schloß zu Eschwege der Gelehrte Landgraff Moritz zu Heßen.91 Die Stat ist ofters abgebrandt; Daher seind die Häuser darinnen meistentheils new und höltzern. Unter dem Schloß, außwerts, stehen die Statmühlen samt der Schleuse. Damit den umbweg verhüten möchte, passirte zu schiff glücklich, mit |279| Meiner Liebsten,92 hindurch. Ferner schiffeten wir auf Allendorf,93 Witzenhausen, Munden94 und endlich auf Cassel.95 Wenig Zeit hernach gab mir die Frau Formenoir,96 deß Herren Bürgermeisters Luberti Formenoir97 zu Bremen Stieff Fraw Mutter, als meines Herren Gevatters, die Visite. Sie divertirte sich auf die 10 tage bey mir recht vergnügt. Vermuthlich wäre Sie noch länger bey unß geblieben, wenn nicht Meiner Liebsten einfallende unpäßligkeit solches verhindert hätte. Bey dem abzug beschenckte Sie mich und die meinigen reichlich. Anno 1682. Der anfang dieses jahres mit Seinen steten waßergießen ominirte nicht viel gutes. Und in dem daß Regen Wetter continuirte, ergoßen sich aller orten die ströhme und bäche gewaltig. Ebenmäßiges begegnete unß zu Cassel. An einem Sonntag umb 3 Uhr schwellete sich die Fulda zusehends auf. Ehe man es vermuthete, überschwemmete Sie die gantze Neustadt über und über. In der Kirche stieg daß waßer auf die vier Ellen hoch und rieß die Stühle und Bäncke übern hauffen. In der Sacristie stand die Fabritianische98 Bibliotheck. Vorher, da daß Waßer zu wachsen anfieng, lieff 89 90 91 92 93 94 95 96 97 98

Kassel. Karl I., der Große (um 747–814), römischer Kaiser. Moritz, der Gelehrte (1572–1632), Landgraf von Hessen-Kassel. Elisabeth Lucae, geborene Mercer (um 1640–1686), Ehefrau von Friedrich Lucae. Allendorf (Bad Sooden-Allendorf ). Hannoversch Münden. Kassel. Lucia Formanoir, geborene Duising (Duysing, 1638–1711). Lubert Formanoir (1634–1696). n.z.e.

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ich eilends mit dem Glöckner99 hienein und setzte die folianten auß denen untersten gefächern in die höhern. Theils Bücher legte auf einen Hohen Tisch. Aber, ohnverachtet dieser meiner vorsorge, überstieg daß waßer diese Fächer, warff den tisch umbj und umb und thät denen Büchern grosen schaden, so viel nemlich als es derselben ergreiffen konte. Nachgehends ließ ich samt Meinem Herren Collega Stippio100 die Bücher durch den Buchbinder saubern und trucknen, auch etliche anders einbinden. Unterdeßen, wer konte darfür? Den schaden hatte Gott zugeschickt. In meiner Behausung gieng es eben so her. Alle Bier und Wein Fäßer brachten wir auf ’m hauß Erden. Diese aber wurden noch dem Neptuno zutheil und zum spiel. Im hoff warff daß waßer daß in schichten hochgelegte holtz auch herunter. Auf denen straßen konte kein Nachbar zum andern kommen. Die in Niedrigen häusern wohnende reterirten sich unter die Dächer. In dem die Victualien denen Leuten in kellern verdorben, musten Sie unß auß der Alt Stat die Lebens mittel auf Schiffen zuführen. Wenn daß waßer die Mawer, die sonst gar dünne, auch nicht übrig hoch ist, umbgerißen hätte, welche gefahr wir gar sehr besorgeten, so wären viel hundert menschen versoffen, wo nicht gäntzlich die Häuser ruiniret worden. Deß Nachts umb 11 Uhr empörete sich ein gewaltiger sturm wind mit abscheulichen Brausen, dabey man empfindlich ein Erdbeben verspürete. Dieses machte die gefahr und waßers noth desto schrecklicher. Sothane Waßersfluth wehrete denk halben |280| Sonntag, die gantze Nacht und den Montag biß gegen abend. So bald sich der sturm legte, so bald fielen die gewäßer. Und so sahe man erst den erlittenen schaden. Selbst die Vestung und Hohen wälle der Stat hatte der continuirende regen herunter geworffen. Dieser abfall importirte etliche Tonnen goldes. Von der Zeit an, biß hieher, haben die wälle nicht recht standhaftig wieder können repariret werden, in dem gemeiniglich, waß in einem jahr gebawet wird, daß andere jahr herabfält. Durch dieses erdbeben wurde auch damahls zu Traubenhausen,101 ist ein Dorff drey meilen von Cassel,102 ein Berg herab gewaltzet. Sothaner Bergfall bedeckte eine mühle und unterschiedliche häuser, also daß zugleich IX Personen lebendig begraben worden. In diesem jahr grassirte die pest in Sachsen und Thüringen gewaltig. Endlich ergrieff Sie auch die Stat Wahnfriede103 in Heßen. Weilen mein Herr Schwager Uckermann,104

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ab vor umb durchgestrichen. dringent vor den durchgestrichen.

199 100 101 102 103 104

n.z.e. Johannes Stipp (Stippen, Stippius, 1636–1686). Trubenhausen. Kassel. Wanfried an der Werra. Jost Christoph Uckermann (um 1646–1701), Schwager von Friedrich Lucae.

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nebst Seiner Frawen,105 als meiner Liebsten106 Schwester, hier wohnete, veruhrsachte es bey unß grosen kummer. Jedoch hat der Grundgütige Gott ihr Hauß gnädiglich bewahret. Der Herr Landgraff,107 mein Gnädigster Herr, besetzte alsbald die Stat mit einer starcken Reuterey. Kein mensch konte ein noch außgehen. Denen eingesperreten führete man alle nöthige lebens mittel herbey und setzte Sie an einen gewißen ort zur abhohlung. Ohngefehr sturben in der Stat 200 menschen, klein und groß. Gott sey Danck! weiter ist daß übel in Heßen nicht kommen. Sonst hatte auch umb diese Zeit zu Cassel Meinen Sohn Carolum108 und Meine Tochter Hedwig Sophia109 an der Brust Schwachheit gantz gefährlich darnieder liegen. Aber der Allmächtige Gott halff ihnen auch wieder auf. Der helffe ihnen ferner! Unter wehrender pest zu Wahnfride schrieb Bürgermeister und Rhat an mich und addressirte eine Supplic an Herren Landgraffen, begehrende, daß die Stat doch ein wenig möchte eröfnet werden. Ich praesentirte auch die Supplic dem Herren Cantzler Vulteio.110 Zwar der gute Herr erzeigte satsame commiseration; Aber der Bittel vermochte Er nicht zugewehren, meynende es wäre besser, daß ein mensch stürbe, dan daß daß gantze Volck verdürbe. Anno 1683. Umb diese Zeit verfertigte ein Tractätlein, Allmosen Kasten genandt. Deßgleichen schriebe von der Pest und derer Geist und Leiblicher artzney ein Opusculum. Beyderseits manuscripta befinden sich noch unter meinen sachen. So bald die Pestilentz nachließ, fragte man nicht mehr nach dieser materie. Zu dem andern hätte endlich wol noch einen verleger bekommen können, falß denselben eyfriger suchen wollen. Im Monat May kame zu mir Herr Anthon Günther Heilersieg111 von Bremen. Er brachte an mich recommendations Schreiben von Seinem Herren Vetter Bernhard Heilersieg,112 gewesener Gräfflicher Cantzeley Directore zu Oldenburg,113 wie auch von Seiner Baase, Meiner Hochwerthen Freundin der Fraw Formanoir.114 |281|m In nahm denselben115 alsbald auf in mein Hauß und Tisch. Er war damahls ein junger mensch von 18 jahren. Wie wol Er keine Profession machte vo’m studieren,

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g vor Bitte durchgestrichen. Paginierung nachträglich hinzugefügt.

105 106 107 108 109 110 111 112 113 114 115

Margarethe Uckermann, geborene Mercer (um 1642–1689), Schwägerin von Friedrich Lucae. Elisabeth Lucae, geborene Mercer (um 1640–1686), Ehefrau von Friedrich Lucae. Karl (1654–1730), Landgraf von Hessen-Kassel. Karl Lucae (1677–1712), Sohn von Friedrich Lucae. Hedwig Sophia Lucae (1679–1703), Tochter von Friedrich Lucae. Johannes Vultejus (1605–1684). Anton Günter Heilersieg (1662–1696). Bernhard Heilersieg (1606–1683). Oldenburg (Oldb). Lucia Formanoir, geborene Duising (Duysing, 1638–1711). Anton Günter Heilersieg (1662–1696).

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so wolte ihn doch Sein Erwehnter Herr Vetter116 mit der Verwittibten Hertzogin von Tarante117 in Franckreich schicken, sich in selbiger Sprache zu perfectioniren. Deßwegen, ehe die Princessin118 von Cassel119 auf Heidelberg reysete, gieng ich selbst mit ihm zur Hertzogin und wiederhohlete deßen recommendation. Die gute Hertzogin verabredete hierauf mit unß so viel: Nemlich so bald Sie würde nach Heidelberg kommen, wolte Sie, gute Zeit vorher, demselben ihre Reyse und den Tag bedeuten laßen, da Er sich alsdan aufmachen und folgen könte. Die Hertzogin zwar reyseten fort, aber vergaßen deß guten Heilersiegs. Mitlerzeit hörete anderwerts von ihrem aufbruch auß Heidelberg. Deßwegen correspondirte fast auf die 4 wochen mit Herren Brincken,120 der Alten Churfürstin121 zu Heidelberg Secretario, ja alle posten, und recognoscirte der Hertzogin Gedancken. Endlich schrieb in Nahmen der Hertzogin Herr Secretarius, welchermaßen Sie als morgen auf Spaa122 in Brunnen und vor dar in Franckreich gienge, dafern es nun dem jungen Heilersieg ­beliebte, solte Er mit der Post auf Franckfurt,123 von dar zu waßer auf Cöln124 und mit denen karren auf Axen125 reysen und also folgen. Weilen nun dieser rath denen gethanen promessen und abreden gäntzlich aversirte, auch besorglich war, daher fasten wir eine andere resolution und suadirten Monsieur Heilersieg solte zu Cassel bleiben. Zu dem brandten bereits in Franckreich die Persecutionen Lichter lohe. Selbst dem Herren Cantzley Director126 beliebte mein Vorschlag sehr wol. In dem nun Monsieur Heilersieg itzundn von der Feder profession wolte machen, und von mir aller orten recommendation verlangte, lebte ihm zugefallen wie ein Vater gegen Seinen Sohn. Ich gieng mit ihm zu allen damahls lebenden hohen Ministris und machte ihm addresse. Meine Liebste127 bemühete sich bey der Fürstin128 und ich bey dem Herren Landgraffen129 auf ’s äuserste Seinethalben. Solches geschae etlichemahl.

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it vor itzund durchgestrichen.

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Bernhard Heilersieg (1606–1683). Emilie (1626–1693), Herzogin von Tarent und Talmont, geborene Prinzessin von HessenKassel. 118 n.z.e. 119 Kassel. 120 n.z.e. 121 Charlotte (1627–1686), Kurfürstin von der Pfalz, geborene Prinzessin von Hessen-Kassel. 122 Spa. 123 Frankfurt am Main. 124 Köln. 125 Aachen. 126 Johann Vultejus (1605–1684). 127 Elisabeth Lucae, geborene Mercer (um 1640–1686), Ehefrau von Friedrich Lucae. 128 �������������������������������������������������������������������������������������� Hedwig Sophia (1623–1683), Landgräfin von Hessen-Kassel, geborene Markgräfin von Brandenburg. 129 Karl (1654–1730), Landgraf von Hessen-Kassel.

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Endlich brachte ich es so weit, daß der Herr Landgraff ihn zu sehen verlangte und befahl mir, wie ich ihn solte laßen ins Vorgemach tretten, damit wenn ihre Durchleuchtigkeit an die Taffel giengen, denselben en passant sehen möchten. Solches geriethe nach wundsch und schöpfften Ihre Durchlaucht mit dem ersten anblick sonderliches contentement an ihm. Wenig Zeit hernach berieff mich Herr Cantzler Vulteius130 und bedeutete mich, daß Ihre Durchlaucht dem jungen menschen von Bremen den Untersten Scribenten Dienst bey dero Geheim’ten Cantzeley conferiren wolten. Ich zeig’te es Monsieur Heilersieg an, der hierauf selbst dem Herren Cantzler aufwartete und daß gnädigste offerto acceptirte. Diß war also der erste Fuß, welchen Herr Heilersieg, durch Meine mediation, zu Seiner fortun in Cassel setzte. Nachgehends hat mich die Hohe Herrschafft umb Sein comportement gefraget, welches jederzeit höchst recommentiret habe, zu deß Recommendirten |282| fernern avancement. Von der Zeit an hat Er131 täglich zu genommen an Qualitäten, darzu auch meine Discourse etwaß, zweiffelsohne, contribuirten. Nicht weniger habe ihm recht väterlich mit rath, heilsamen ermahnungen und dergleichen profitabeln mitteln an hand gangen und aller orten trewlich assistiret. In dem Er sich nun von tage zu tage qualificirter machte und Sein gutes naturell excolirte, brauchte ihn der Herr Landgraff132 ofters in Gesandschafften als einen Secretarium. In regard Seiner dexteritè und fidelitè machte ihn der Herr Landgraff zum Cabinets Registratore und endlich zum würcklichen geheimten Secretario. Nach dem Er in so weit sein intent erreichet hatte, samt einer honorablen Charge, schwängerte Er sich mit Liebes gedancken. Bald lenckte sich Seine inclination zu dieser, bald zu einer andern parthie, jedoch alles mit meinem rath. Meines ortes laborirte starck vor ihn bey dem Amptmann Hilmers133 zu Mühlenbeeck134 bey Rintheln.135 Dieser hatte eine Reiche und Galante Tochter;136 Allein es wolte nicht gelingen. Sonst, wie gesagt, erwehlete Er ihm bald diese, bald jene Jungfer. Ofters wolte Er augenblicklich daß heuraths werck pousiren, also daßo Er ohnfehlbar in einem sichern ort unglücklich würde angelauffen sein, falß ich gefolget und nicht bedachtsamer gerathen und verfahren, auch die gedancken auß dem sinn geredet hätte.

o

daß über der Zeile ergänzt.

130 131 132 133 134 135 136

Johannes Vultejus (1605–1684). Anton Günter Heilersieg (1662–1696). Karl (1654–1730), Landgraf von Hessen-Kassel. Heinrich (Henrich) Hilmers (1632–1695). Möllenbeck. Rinteln. n.z.e.

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Solchermaßen hat Er’s mir auch zu dancken, wenn jenes hintertrieben und Seine Wolgerahtene Ehe mit deß Kauffmann Schönawers137 Tochter138 zu Cassel139 bewerckstellet worden. Über dieses gönnete ihm in meinem Hause und Tische alle Bequemligkeit und Freyheit; Also daß Er nicht lebete wie ein Frembder, sondern selbst wie ein Herr, ja als ein Sohn deß Hauses. Wie wol Er nun mirp und Meiner Liebsten140 sothane Amitie mit aller höfligkeit verschuldet und wochentlich daß Tischgeld mit fünff Orthsthalern entrichtet hat, so habe hier zu dem ende, vorsetzlich, davon gedencken wollen, inq hofnung Er werde, dafern Er leben solte oder die Seinigen mit der Zeit, meine, ohne ruhm zu melden, allen ihm erzeig’ten faveur, trew und dienste meine kinder genießen laßen und sich ihrer wieder annehmen, wie ich an ihm gethan habe. Wie Er mir von Seinem Herren Vetter141 sey anbefohlen worden, mit versprechung schuldigster danckbarkeit, werden deßen Brieffe zeugen, welche unter der Rubric Bremische Correspondentz stecken. Auser Zweiffel wird Er sich auch errinnern Seiner mir ofters, sonderlich bey meinem abzug auß Cassel, gethanen Sincerationen. Unterdeßen zweiffele keines weges an Seiner erkäntligkeit, in dem mir Sein ehrliches gemüthe wolbekant ist, welchergestalt meine ihm erwiesene wolthaten, bißhero, Seine Belohnung übertroffen haben. Dieses 1683. jahr war auch ins gemein theils unglücklich, theils glücklich. Binnen solcher Zeit belagerten die Türcken die Stat Wien. Aber, vermöge Göttlicher assistence, entsatzten die Christlichen Alliirten die Stat avantagieux und schlugen den Feind davon ab und in die Flucht. Es erhoben sich auch der Herr Landgraff mit einer kleinen Suite dorthin, ehe Sie aber arrivirten, war |283| der entsatz der Stat Wien schon gescheen. In diesem jahr bezahlete auch die schuld der Natur Herr Johann Christian Motz,142 Obrister und Commendant zu Cassel.143 Deßelben Begräbnüß wurde mit groser pomp’ vol’nzogen. Mitr diesem jahr fiengen sich auch Meiner Liebsten144 kranckheiten in länger in mehr an.

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Er vor mir durchgestrichen. damit vor in durchgestrichen. Anno 1684 vor Mit durchgestrichen.

137 138 139 140 141 142 143 144

Hieronymus Schönauer (1640–1680). Martha Schönauer. Kassel. Elisabeth Lucae, geborene Mercer (um 1640–1686), Ehefrau von Friedrich Lucae. Bernhard Heilersieg (1606–1683). Johann Christian Motz (1604–1683). Kassel. Elisabeth Lucae, geborene Mercer (um 1640–1686), Ehefrau von Friedrich Lucae.

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Jedoch gebahr Sie glücklich den XIII. Julii morgends, war halb 8 Uhr, eine junge Tochter.145 Weil das Kind nicht frisch sich befande, ließ es hernach im hause tauffen. Zur Godell hatte ernennet Jungfrau Catharina Lucia Duinsings,146 Herren Henrici ­Duisingii147 Doctoris Theologiae und Professoris zu Marpurg148 Tochter, Numehro Herren Motzen149 Regierungs Rhats zu Cassel Ehefrau. Gleichfalß invitirte zur Gevatterschaft die schon mehr gedachte Fraw Lucia Formanoir,150 Witwe von Bremen, und Herren Peter Schütters151 Kauffmanns Ehefrau152 zu Breslaw153 in Schlesien. Zur Losung des Christenthumbs ließ das Kind benahmen Lucia Henrietta. Derselben geburth geschae in meiner abwesenheit, als ich eben Freytag morgends in der St. Martini Kirche predigte! In dem nach hause gieng, begegnete mir eine Nachbarin und wündschte glück zur jungen Tochter. Daß kam mir lächerlich vor, weil vor einer stunde, da auß dem hause gieng, nicht den geringsten anstalt hierzu verspürete. Unterdeßen hatte meine Liebste alles heimlich disponiret, in hofnung mich solchermaßen zu erfrewen. So bald als ich nun in daß hauß kame, befande alles, sonderlich die Liebe Tochter, wie mir die Fraw gesaget hatte, deßwegen Gott dem Allmächtigen danckete. Anno 1684. Den 1. Julii gesegnete die Sterbligkeit Herr Johannes Henricus Stoeckenius,154 Ober Hoffprediger und Superintendens zu Cassel. Welches etwaß rares war, so hatte Er bey hofe 49 jahr geprediget und sein alter auf 78 jahr, 3 monat und 1 tage gebracht. Deßelben Begräbnüß wurde solenniter vol’nzogen und die Leiche von 12 Geistlichen getragen, aber der Herr Landgraff155 folgete nicht der procession. Deßelben Eydam, Herr David Pforrius,156 Inspector zu Smalcalden,157 hatte grose hofnung gemacht der Succession halben. Jedoch, es fügte sich alles anders. Den 14. Augusti erschiene die Sämtliche Priesterschafft in Cassel und hielt den Synodum in St. Martini Kirche. Herr Vietor158 legte die Predigt ab ex Johann: 21 V. 15–17. Herr von Kunowitz,159 Herr Cantzler Badenhausen160 und Vice-Cantzler Gall161 waren fürstliche Deputirte. Nach geendigter Predigt spielete man die Orgell. Besagte Depu145 146 147 148 149 150 151 152 153 154 155 156 157 158 159 160 161

Lucia Henrietta Lucae (1683–1685), Tochter von Friedrich Lucae. Katharina Lucie Motz, geborene Duising (Duysing, 1663–1697). Heinrich Duising (Duysing, 1628–1691). Marburg an der Lahn. Justin Eckhard Motz (1643–1723). Lucia Formanoir, geborene Duising (Duysing, 1638–1711). Peter Schütter. n.z.e. Breslau (poln. Wrocław). Johann Heinrich Stöckenius (1606–1684). Karl (1654–1730), Landgraf von Hessen-Kassel. David Pforr (Pforrius, 1631–1688). Schmalkalden. Philipp Otto Vietor (1646–1718). Johann Dietrich von Kunowitz (1624–1700). Regner Badenhausen (1610–1686). Hieronymus von Gall († 1684).

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tirte saßen an einem Tisch im Chor. Zu demselben näherten sich |284| die Prediger, einer hinter dem andern gehende, nach dem die Classen mit ihren Metropolitanis folgen; ein jeder zohe alsdan Sein geschriebenes Votum herauß und legte es auf ’m Tisch. Hierbey fielen nun die meisten Vota, oder stimmen, auf Herren Georgium Heinium,162 bißherigen Decanum und ersten Pfarrern zu St. Martini. Nach dem der Actus sich endigte, gieng die Priesterschafft, paar und paar, auf ’m Newen Baw und wurde vo’m Herren Landgraffen163 mit drey Mahlzeiten wol tractiret. Weilen nun die meisten Stimmen auf erwehnten Heinium zieleten, blieb Er Superintendens, Herr Vietor164 Ober Hoffprediger und die zweyte Hoffpraedicatur unbesetzt. Den 16. Augusti gieng auch den weg alles fleisches Herr Johannes Vulteius,165 der Berühmte, Alte, Heßische Cantzler. Er ward alt worden, 80 jahr weniger 4 monat. Dem euserlichen ansehen nach erzeigte Er sich Mein Freund zu sein. Ich gab ihm ofters visite, darüber groses vergnügen contestirende. Bey Seiner Funeration besang sein grab mit einem Teutschen trauer Gedichte. Hievon wird sich ein exemplar unter meinen Theologischen Miscellaneis in folio befinden. Itzund riethe mit Herren Secretario Heilersieg166 auf Wahnfriede167 zu Pferde spatzieren. In der rückreyse kame in grose lebens gefahr. Man persuadirte mich auf ein ander pferd zu sitzen und legte mir einen sporen an. So bald wir adieu gesaget und vor die Stat ritten, mochte ich etwa auß unbedachtsamkeit daß Pferd mit dem sporen rühren, deßen es ungewohnet war. Hierauf rieße daß kollernde Pferd mit mir auß, lieff über stock und stein und trennete mich von Herren Heilersieg, der mir nicht nachjagen konte. Weilen ich nun zur lincken hand den Werra strohm und deßen hohes ufer hatte, besorgete daß Pferd dörffte sich dorthin wenden und mit mir hienunter stürtzen. Demnach resolvirte und sprang in deß Pferdes vollem Lauff herab und fiel gefährlich, ja vor todt, auf ’m rücken. Mitlerzeit gieng daß Pferd durch und Herr Heilersieg arrivirte mich halb todt findende. Nach dem mich etwaß recolligirte, setzte mich auf deß knechtes Pferd und dieser auf daß außgerießene und wieder geholete. In dem Dorff Fride168 tränckte mich mit frischem eßig und erquickte mercklich meine erschrockene Lebens Geister und geschwächetes hertze. Vor sothane wunderliche Göttliche erhaltung weiß dem Grundgütigsten Gott, biß auf diese stunde, nicht gnugsam danck zu sagen. Derselbige stehe mir und den meinigen ferner bey mit Seinen Allmächtigen schutz flügeln! |285| Anno 1685. Bey diesem jahr fält hier etwaß vor, welches zum ’83 jahr müste eingefüget werden, aber vergeßen worden. Weil es merckwürdig, habe es hier einschieben wollen. Nemlich im besagten 1683. jahr beurlaubte zu Schmalcalden169 die Welt die 162 163 164 165 166 167 168 169

Georg Hein (Heinius, um 1629–1699). Karl (1654–1730), Landgraf von Hessen-Kassel. Philipp Otto Vietor (1646–1718). Johannes Vultejus (1605–1684). Anton Günter Heilersieg (1662–1696). Wanfried an der Werra. Frieda (Meinhard). Schmalkalden.

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Verwittibte Fraw Landgräffin, Fraw Hedwig Sophia,170 geborne Marggräffin zu Brandenburg. Es war bey dero ende der Herr Landgraff171 und die Fraw Landgräffin.172 Nachgehends ward der entseelte Cörper mit einem Grosen Comitat von Edelleuten und Bedienten nacher Cassel173 begleitet. Ich verlohr mit derselben eine Gnädigste Fürstin. Sie mochten mich, wie gantz Cassel weiß, gerne hören und umb sich leiden. Kurtz vorher vereehreten Sie noch meiner Tochter,174 als ihrer Patin, einen silbernen Becher. Die Funeration geschae deß abends unter brennenden Fackeln. Sie war eben nicht gar zu prächtig, sondern nach dem modell der Seeligen Fürstin, wie Sie es bey Leben vorgeschrieben, eingerichtet. Ein jeder Prediger zu Cassel bekame 5 Begräbnüß groschen, davon ein jeder eines Reichsthalers werth, und 24 Reichsthaler zum Traurmantel, auch einen flor oder trauerbinde. Herr Hoffprediger und Inspector zu Schmalcalden David Pforrius175 thät die Parentation bey der Beysetzung in der Kirche. Allein es ist kein Buchstabe von denen funeralien zum gedächtnüß, weder gedrucket, weder hinterlaßen worden, auch selbst besagte funeration und parentation nicht. Waß deßen uhrsache sein möge, habe nicht erfahren können. So viel habe verstanden, als wäre die parentation einiger worte wegen nicht anständig gewesen. Unterdeßen schrieb ich einen Teutschen Sermonem Panegyricum, oder daß Besänfftigte thränen auge, 10 Bogen lang in folio, an die Königin in Dennemarck,176 zu Glückstadt gedruckt. Diese Schrifft ist am königlichen hoff höchst gnädigst aufgenommen worden. Zum Beweißthumb deßen ließen mir die Königin, durch dero Hoffmeister Herren von Geismar,177 zwey übergoldete Tischbecher mit deckeln, bey nahe 80 Reichsthaler werth, praesentiren. Ich erhielte selbst nur 14 Exemplaria hievon, die andern blieben alle in Dennemarck. Ein’s befindet sich unter meinen Miscellaneis Theologicis eingebunden. Nun komme ich wieder zu dem 1685. jahr in der Ordnung. Im Monat May gieng Herr Secretarius Heilersieg178 mit dem fürstlichen Envoy Herren von Diede und Fürstenstein179 nach Wien.

170 �������������������������������������������������������������������������������������� Hedwig Sophia (1623–1683), Landgräfin von Hessen-Kassel, geborene Markgräfin von Brandenburg. 171 Karl (1654–1730), Landgraf von Hessen-Kassel. 172 Amalia (1653–1711), Landgräfin von Hessen-Kassel, geborene Prinzessin von Kurland. 173 Kassel. 174 Hedwig Sophia Lucae (1679–1703), Tochter von Friedrich Lucae. 175 David Pforr (Pforrius, 1631–1688). 176 Charlotte Amalie (1650–1714), Königin von Dänemark, geborene Prinzessin von HessenKassel. 177 Johann Friedrich von Geismar (Gaismar, † 1697). 178 Anton Günter Heilersieg (1662–1696). 179 Hans Eitel Diede zum Fürstenstein (1624–1685).

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Mitlerzeit verfertigte ich Herren Rötcher,180 Churfürstlicher Brandeburgischer Hoffprediger zu Cüstrin,181 die Praefation zu Seinem übersetzten Prüfestein, von dem Saemann zu Cassel gedruckt. |286| Wie wol nun meine jüngste Tochter Lucia Henrietta182 ein Kind von guter art und behägligkeit war, so mir und der Mutter183 manche Frewde erweckte, dennoch beliebte Sie dem Herren beßer. Einstmahls als wir bey der mittagsmahlzeit am tisch saßen, und daß liebe Kind mit unß, eröfnete sich die stubenthiere ohne jemands Bewegung. Weil ich nun dergleichen schon bey dem absterben der meinigen remarquiret, praesumirte alsbald eine veränderung meines Hauses. Wenig tage hernach fiel mein Liebes Kind in eine Beschwerliche Brustschwacheit und starb den 26. Martii morgends umb 8 Uhr seelig, 1 jahr, 36 wochen alt. Über solchen unvermutheten Todesfall grämete sich meine Liebste hertzlich und ich mich mit ihr. Jedoch unterwarffen wir unß dem Göttlichen willen mit Christlicher gelaßenheit. Nachgehends stellte demselben ein geziemende Begräbnüß an und ließ es in der Neustäter Kirche im Chor beysetzen. Zeithero bekümmerte sich jedermänniglich, wen doch der Herr Landgraff184 zu der Vacanten Hoffprediger stelle vociren würde. Etliche gedachten bey ihren conversationen bald auf diesen; Andere bemüheten sich gar vor diesen und jenen zu sprechen, zu lauffen und anzuhalten. Meines ortes aber machte hierauf, als ein Frembdling, die wenigste reflexion. In dem so den Lieben Gott walten ließ, nahm’, wieder verhoffen, Herr Vietor185 im Nahmen Ihrer Hochfürstlichen Durchlaucht occasion zu reden. Vornemlich proponirte Er mir als Ober Hoffprediger, wie Er mich bey solcher Commission zu der Hoffpraedicatur sondiren solte. Jedoch bey dem ersten vortrag resolvirte nichts, sondern erwehlete einen Tag Bedenckzeit. Deß dritten Tages hernach entdeckte Herren Vietori meine Conditiones, nemlich, dafern man mir Honores et Emolumentum eines Hoffpredigers conferiren wolte, daß alsdan diese vocation acceptiren würde. Hierauf verwiese Er mich zu dem Herren Landgraffen. Ich folgete und wurde von dem Herren Landgraffen gnädigst angesehen, der mich persönlich vocirte, meine conditiones confirmirte und also mit einer schönen glückwündschungs rede zum Hoffprediger bestellte. Von stund an ließen Sie mir auch daß jährliche tractament in dero Rentkammer anweisen. Gleichfals wartete der Fürstin186 auf und empfieng von ihnen die Gnädigste gratulation, wie auch nachfolglich vo’m gantzen hofe. 180 181 182 183 184 185 186

Franz Christian Rötcher (1637–1693). Küstrin (poln. Kostrzyn nad Odrą). Lucia Henrietta Lucae (1683–1685), Tochter von Friedrich Lucae. Elisabeth Lucae, geborene Mercer (um 1640–1686), Ehefrau von Friedrich Lucae. Karl (1654–1730), Landgraf von Hessen-Kassel. Philipp Otto Vietor (1646–1718). Amalia (1653–1711), Landgräfin von Hessen-Kassel, geborene Prinzessin von Kurland.

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Vor sothane unverhoffte vocation danckete meinem Gott hertzlich, andächtig bittende umb fernere gaben und beystand Seines Heiligen Geistes, damit diesem wichtigen Ampt fruchtbarlich vorstehen möchte. |287| Mit dem alten jahre legte meine valedictions predigt in der Neustäter Gemeinde ab, ex. 2. Thessal: cap: 3. V. 18. Bey hofe halff schon die Weinachtsferien predigen und daß Heilige Abendmahl ausspenden. Am Newen Jahres Tage starb Meines Herren Collegae187 Haußfraw.188 Derselbigen thät ich die Leichpredigt, welche auch ist gedruckt worden in Quarto. Den 13. Januarii, war eine mitwoche nach der Erscheinung, geschae unser beyder Introduction, nemlich Herren Vietoris als Ober Hoffpredigers und Meiner als Hoffpredigers, vor Offentglicher Hoffgemeinde solenniter. Herr Landgraff189 und Printz Philips,190 Hochfürstliche Durchlaucht, waren auch gegenwärtig. Die Introduction verrichtete Herr Superintendens Heinius191 und die Predigt ex Esaiae cap: 58. V. 1. Wie wol ich bey hofe daß völlige Ampt würcklich versahe, dennoch blieb in der Neustadt wohnend biß auf Ostern. Mein gewesener Collega Herr Johannes Stippius192 succedirte numehro in dem Neustäter Metropolitanat. Der weg auß der Neustadt täglich in die Alt Stat nach Hofe zu gehen, sonderlich die Fulda Brücke, fiel mir manchmahl ziemlich beschwerlich. Auch war selbiges jahr ein ungewöhnlicher kalter winter, welcher vieles eyß und die straßen ungebahnet oder ungangbar machte. So bald ostern herbey nahete, räumete die Neustadt und bezohe auf der marcktgaßen daß Reuterische Hauß. Vor deßen mietung zahlete jährlich 40 Reichsthaler. Darfür hatte ziemliche Bequemligkeit, sonderlich eine überauß grose Studierstuben. Deßen ohnerachtet nahm’ die Unpäßligkeit Meiner Liebsten193 in länger in mehr überhand. Wir brauchten alle ersinnliche mittel und Doctores, aber ohne Frucht. Bißweilen giengen viele steine von ihr, davon theils annoch bewahre; Gleichwol raisonirten die Medici, als begleitete den stein noch ein anders innerliches übel. Endlich giengen derselbigen Consilia einmütig dahin, daß Sie nach Wildungen194 in Saurbrunnen reysen solte. Diesen rath ergrieff Sie mit beyden händen und folgete. Mit dem anfang Junii erhob Sie sich dortin mit meiner Tochter Hedwig Sophia.195 Mein Gnädigster Herr gaben Selbst hierzu eine ansehnliche kutsche mit vier pferden. Nach verfließung 14 tagen besuchte Meine Liebste zu Wildungen und fand Sie höchst miserabel. Denn der Brunnen wolte ihr gar nicht wolzuschlagen. Der Vomitus conti-

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Philipp Otto Vietor (1646–1718). Philippine Christine Vietor, geborene Blommart (1652–1685). Karl (1654–1730), Landgraf von Hessen-Kassel. Philipp (1655–1721), Prinz von Hessen-Kassel. Georg Hein (Heinius, um 1629–1699). Johannes Stipp (Stippen, Stippius, 1636–1686). Elisabeth Lucae, geborene Mercer (um 1640–1686), Ehefrau von Friedrich Lucae. Wildungen (Bad Wildungen). Hedwig Sophia Lucae (1679–1703), Tochter von Friedrich Lucae.

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nuirte auch einen weg wie den andern und warff den kaum getrunckenen Brunnen und genoßene Speise augenblicklich wieder auß. Zu dem war aller appetit verschwunden. Bey so gestalten sachen verlangte Sie wieder nach hause. Ich ließ mir ihr verlangen gefallen und reyseten also wieder miteinander nach Cassel.196 Die Verwittibte Fraw Gräfin von Waldeck,197 Reformirter Religion, |288| hatte ihr, die Zeit über zu Wildungen,198 viele gnade und höfligkeit erzeiget, auch Sie etlichemahl an der Taffel tractiret. Bey solcher occasion, wie wol Sie199 frölicher wündschete, besahe die Stätte Fritzlar und Wildungen. Fritzlar ligt drey meilen von Cassel.200 Wegen der Vielen thürne pariret die Stat von außen herrlich, inwendig aber ist Sie fast wüste. Die Eder streichet vorbey, über welche hier eine lange steinerne Brücke von 8 Bogen gehet. Inwendig in der Stat befindet sich daß Thumb Stifft, darinnen Canonici mit ihrem Decano den Gottes Dienst verrichten. Vor wenig jahren gerieth der Decanus mit einem Heßischen Ritmeister deß Geschlechts von Rantzaw201 auß Hollstein in streit; Als nun der Decanus morgends in die Kirche gieng, überfiel ihn der Ritmeister, bastionirte denselben, welcher alsbald sich auf sein bereits gesatteltes Pferd setzte und glücklich eschappirte. Die Thumbkirche ist ein ziemlich langes gebäwde mit 2 gespitzten thürnen. Rings herumb liegen der Canonicorum Häuser. Auf dem Kirchhoff seind an die Kirche grose Beinhäuser gebawet, darinnen die Todtengebeine Schichtweise geleget und gesamlet werden. An der Casselischen Pforte stehet daß Franciscaner kloster von ziemlicher weitläufftigkeit. Die besagte Thumbkirche pranget mit ihrem Alterthumb, als die von Bischoff Bonifacio202 Anno 732 erbawet worden. Die Canonici genießen auß Heßenland einen überauß grosen Zehenden an Fruchtgefällen. Solches ist dem Herren Landgraffen203 eine beschwerliche Last. Man sagt, es wäre von einigen Ministris bey dem Münsterischen Friedens Schluß versehen worden, daß sothane Beschwerung bey Heßen inhaerirend blieben. Vor etlichen jahren gieng ein Heßischer Bauer auß Fürwitz mit seinen Cameraden in die Thumbkirche. Sein intent war einmahl die Ceremonien der Meß zu hören, davon Er so viel gehöret hätte. In dem Er nun sahe den Kelch von dem Meßpriester außtrincken, rieff Er laut: Daß ist unrecht! Christus hat befohlen: Trincket alle darauß. Solches erweckte einen gewaltigen Lermen unter denen Pfaffen in der Kirche. Aber der Bauer machte sich albald unsichtbar und lieff davon. In dem die Pfaffen deßelben wohnung 196 197 198 199 200 201 202 203

Kassel. Luise Anna von Erbach, geborene Prinzessin zu Waldeck (1653–1714). Wildungen (Bad Wildungen). Elisabeth Lucae, geborene Mercer (um 1640–1686), Ehefrau von Friedrich Lucae. Kassel. Rantzau (Ranzow), Adelsgeschlecht. Bonifatius (Winfrid, um 673–754/55), Heiliger. Karl (1654–1730), Landgraf von Hessen-Kassel.

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und ort, woher Er wäre, außmachten, verklagten Sie ihn zu Cassel bey’m Consistorio, für den affront satisfaction begehrende. Nach dem nun der Abgerichtete Bauer auf ergangene citation erschiene, stellte Er sich gantz Närrisch oder wahnsinnig, also daß daß Consistorium an ihm nichts gewinnen konte; Solchermaßen musten die Pfaffen diesen Opponenten passiren laßen. Wildungen, eine Meile hinter Fritzlar, ligt theils auf einem Felsen. Die Stat umbgibt eine Mauer mit etlichen Alten thürnen. Mitten in der Stat stehet die Pfarrkirche, von keiner sonderlichen Gröse, hat |289| aber inwendig etliche schöne Epitaphia und von außen einen hochgespitzten thurn. Ohnfern derselben hat der Herr Graff ein ziemlich weitleufftiges Hauß, mit einer schönen fronte, wie wol nur höltzern laßen bawen. Auch unter denen Bürger häusern scheinen etliche ansehnliche herfür. An der Mitternachts seite ligt daß Schloß hoch auf einer Felsen klippe. Nechst darbey seind zweene wolangelegte Lust und Obstgärte. Am meisten macht der Saurbrunn diesen ort berühmt. Der Statbronn scheinet ziemlich kräfftig und mit Seiner Säure dem Schwalbacher gleich zu sein. Sie meßen demselben grose tugenden bey wieder den Nieren und Lendenstein und dergleichen kranckheiten. Ebenfalß wil man daß hier gebrauete Bier vor gesund halten. Meines ortes habe mich weder deß Bier’s, weder deß Brunnens bedienet, außer daß denselben im Sommer auß plaisir etlichemahl zu Cassel204 zu trincken pflegte. Ich gerieth allhier in conversation mit Herren Doctor, Professor und Superintendenten Hanenkenio205 von Giessen.206 Gleichfals logirte in Meinem Quartier Herr Doctor Wetzel,207 Superintendens zu Allendorf208 in Heßen. Bey Meiner wiederkunfft verfertigte ich dem Verleger Ingebrand209 auf Begehren die Dedication an die Fraw Landgräffin210 bey denen New aufgelegten und gedruckten ­Soliloquiis Neubergeri.211 Gleichfals endigte Meine arbeit der Fürsten Krone, oder Schlesiens kurtzer Beschreibung. Ich ließ dieselbige vermittelst Herr Knoches212 verlag zu Franckfurt213 in Octavo drucken. Auß sonderbarem Bedencken exprimirte auf etlichen Exemplaren nicht Meinen Nahmen, sondern setzte Fridrich Lichtstern.

204 205 206 207 208 209 210 211 212 213

Kassel. Philipp Ludwig Hanneken (1637–1706). Gießen. Hieronymus Wetzel (1623–1694). Allendorf (Bad Sooden-Allendorf ). Johann Ingebrand (Ingebrandt, † nach 1689). Amalia (1653–1711), Landgräfin von Hessen-Kassel, geborene Prinzessin von Kurland. Theophilus Neuberger (1593–1656). Friedrich Knoch (1650–1721). Frankfurt am Main.

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So dedicirte auch daß Buch Printz Fridrich zu Heßen Cassel214 und Printz Wilhelm zu Nassau Dillenburg.215 Der Erste schenckte mir 12 Reichsthaler, der Ander einen grosen, silbernen, vergoldeten Tischbecher mit einem Deckel. In Schlesien waren Sie bekümmert, wer Fridrich Lichtstern sein müste. Unter andern fand sich einer, welcher hierüber Anmerckungen schriebe und zu Weissenfels216 in Meissen217 hatte drucken laßen unter diesem Titel: Curiosi Silesii Animadversiones und Anmerckungen über Fridrich Lichtsterns Schlesische Fürsten Krone. Diesen Anonymum aber machte zeitlich auß und erfuhr, daß Er Magister George Wende,218 ehemahliger Professor Gymnasii zu St. Mariae Magdalenae in Breslaw,219 itziger Zeit aber Rector zu Lauban220 in Ober Lausnitz, wäre. Er bringt darinnen seltsam Zeug vor. Absonderlich wolte hierauf nicht antworten, thät es aber nachgehends in Meiner |290| Schlesischen Chronick. [XXIX.]a Friderici Lucae Zweyte Reyse auß Cassel1 auf Bremen.b Bißhero hatte Meine Liebste2 unaufhörlich gekrancket. Solches erweckte Meinem Gemüthe nicht geringen chagrin. Auch fatigirte mich meine continuirende arbeit mercklich. In dem sich die schmertzliche unpäßligkeit etwaß legte, ermahnte Sie mich selbst, ich möchte doch in etwaß meinem Gemüthe eine veränderung und erfrischung durch eine spatzier reyse machen. In dem nun mehr erwehnter Herr Heilersieg3 eben itzund auf Bremen fahren wolte, machte mit ihm Compagnie. Wir giengen mit dem Postwagen biß auf Munden4 und logirten daselbst übernacht. Deß morgends setzten wir unß zu Schiffe und schiffeten in Gottes Nahmen auf Bremen zu. Damit aber die reyse facilitiret würde, mietheten wir selbst ein klein Dühlen Schiffgen biß auf Rintheln5 vor 5 Reichsthaler, welches leichte und schnelle lieff. 1 2 3 4 5

Kassel. Elisabeth Lucae, geborene Mercer (um 1640–1686), Ehefrau von Friedrich Lucae. Anton Günter Heilersieg (1662–1696). Hannoversch Münden. Rinteln.

214 215 216 217 218 219 220

Friedrich (1676–1751), Erbprinz von Hessen-Kassel. Wilhelm (1670–1724), Prinz von Nassau-Dillenburg. Weißenfels an der Saale. Meißen (sorb. Mišno). Georg Wende (Wend, 1634–1705). Breslau (poln. Wrocław). Lauban (poln. Lubań).

a b

Zählung des Kapitels nachträglich eingefügt. Die Groß- und Kleinschreibung von FRIDERICI LUCAE Zweyte Reyse auß Cassel auf Bremen zu Friderici Lucae Zweyte Reyse auß Cassel auf Bremen vereinheitlicht.

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Kassel. Elisabeth Lucae, geborene Mercer (um 1640–1686), Ehefrau von Friedrich Lucae. Anton Günter Heilersieg (1662–1696). Hannoversch Münden. Rinteln.

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Auf dieser reyse passirte viel oerter, welche vorher noch nicht gesehen hatte. Den ersten mittag stiegen wir zu Oelsheim6 auß, so ein Heßisch Dorff ist, an der Weser gelegen. Wir besuchten Herr Eymann,7 den Pfarrer, der unß mit der Mittags mahlzeit bewirthete. Hierauf schiffeten wir weiter fort, wie wol sich der herr Pfarr, der unß biß an das Ufer begleitete, verwunderte, daß wir unß so einem kleinen Schiffgen anvertraweten, viel glücks zur reyse wündschende. Hierauf passirten wir daß kloster Herstelle und hielten selbigen abend daß erste Quartier zu Beverungen. Dieser ort ist ein klein höltzern Stätchen, ins Paderbornische Bischthumb gehörende. Deß morgends frühe, nach dem wir hier wenig ergetzligkeit genoßen, giengen wir zu schiffe und fuhren die Stat Höxter wie auch das kloster Corvei8 vorbey und hielten zu Holtz Minden9 mittags mahlzeit. In diesem höltzernen Stätchen, unter deß ­Hertzogs zu Wolffenbüttel10 Jurisdiction, siehet man wenig denckwürdiges. Sonst hat der Lutherische Prediger allhier den Titel Abt, so doch in der that nichts anders als ein Superintendens ist. Ohnfern der Stat sahen wir die so genandte Teuffelsmühle an der Weser. Dieselbige ligt recht unter einem Felsen, auß welchen daß waßer springt, so die mühle wunderbarer weise treibet. Diesen mittag passirten wir daß Schloß Fürstenberg, so auch Wolffenbüttels ist und auf ’m Berg ligt, wie auch daß Schloß Poll,11 und arrivirten abends zu Bodenwerder. Allhier gibt es einen köstlichen Brühahn, sonst wenig denckwürdiges. Die Stat praetendiret eine Souverainität, die ihr aber die Hertzoge zu Braunschwieg12 gewaltig |291| durchlöchert haben. Sonst remarquiret man auß denen Mauern und alten steinern Bürgerhäusern, daß vorzeiten die Stat considerabler mag gewesen sein. Deß morgends vor tage schiffeten wir weiter fort. Unterweges befande grausame felsen und ohngefehr eine viertel meile von der Stat einen Felsen Berg, davon daß echo sechsmahl deutlich wiederschluge. Eine viertel meile weiter hienunterwerts zeigte man unß daß Berühmten Adelichen Hauß Helen.13 Selbiges ist ins quadrat gebauet und hat an allen vier seiten so viel fenster als tage im jahre. Man sagte, der fundator14 wäre dieses hoffärtigen Bawes wegen von dem Hertzog gestraffet und dadurch in groses armuth gesetzet worden. In diesen gegenden war der Weserstrohm dermaßen seichte, daß auch die Bauern mit hewwagen hindurch fuhren. Deß abends hielten wir die nachtherberge

16 17 18 19 10 11 12 13 14

Oedelsheim. Johannes Eymann (1640–1693). Corvey. Holzminden. Wolfenbüttel. Polle. Braunschweig Hehlen. Fritz von der Schulenburg (1518–1589).

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im Dorff Oren.15 Es logirte auch zugleich im wirthshause deß Wunderlichen Hertzogs Ferdinand Alberti zu Brunschwieg Beveren16 hinterlaßene Witwe,17 deß Tollen Landgraff Fritzen18 Tochter. Ich hatte zwar die ehre und gnade gehabt, dieselbte zu Cassel19 am hoff zu sprechen, aber ich wolte mich hier nicht kund geben. Weilen Oren nur eine meilweges von Hameln entlegen, arrivirten wir hier morgends umb 6 Uhr. Auf der Weser an der Stat her zu schiffen unter denen Mauern wird Niemand verwilliget; Daher muß man durch viele umbschweiffe in die Stat gehen. Jenseits liegen sehr hohe Berge, sonderlich der jenige von dem erzehlet wird, daß durch einen Lockpfeiffer meistentheils der Stat kinder wären verführet worden. Denn Sie hatten ihm biß in den Berg gefolget, der sich alsdann zugethan, also daß die kinder verlohren gangen. Unterdeßen halten solches die Einwohner vor eine fabel und wollen nichts davon wißen oder gestehen. Die Vestung an ihr selbst scheinet satsam considerabel, hat tieffe und weite waßergraben, schöne brücken, gute außenwercke, fast auf die art wie Hanover,20 Hohe Bastions mit doppelten Cavalliren, oder katzen, starcke courtinen, dreyfache schantzen und wol verpallisadiret. Oben seind die Batterien mit vielen groben Canons besetzt, samt allem Zugehör. Aber besagte Berge benahmen ein groses ihrer stärcke. An ihr selbst ist die Stat ziemlich weitleufftig, hat alte, grose und theils steinerne häuser, ein feines Rathhauß und breite und lange straßen. Damahliger Commendant General Öfener21 hatte sonderlich ein prächtiges Hauß zu Seiner wohnung. Waß die Kirchen betrifft, seind Sie ziemlich groß und haben gespitzte, hohe thürne. Sonst leben die Inwohner auf Westphalische manier und laßen wenig civilitè blicken. An der Schleuße, oder dem Schutzwehr an der Weser, bleiben die Schiffe liegen und werden alsdan durchgelaßen. Daßelbe ist grausam, wegen des hohen waßerfals, anzusehen. Auß besorgender gefahr werden gemeiniglich die Schiffe von pretieusen sachen, sonderlich von denen passagiers, entladen. Dergleichen thäten wir auch. Aber unser Schiffmann war ein verwegener Kerl. In dem Er anstalt machte mit der hienunter fahrt, waren eine grose menge Zuschawer gegenwärtig. Hierauf sprach der Schiffer: Auf gesundheit der Zuschawer! Damit fuhr Er hienunter und ward augen- |292| blicklich von denen wellen samt dem Schifflein bedeckt, daß man nichts mehr davon sehen konte. Über eine kleine weile kam daß leere Schifflein herfür, deßen unterstes zu oberste gekehret war. Jedermann seuffzete und gab den Kerl’n verlohren. Endlich sahe man ihn auch

15 Ohr (Emmerthal). 16 Ferdinand Albrecht I. (1636–1687), Herzog von Braunschweig-Wolfenbüttel-Bevern. 17 ��������������������������������������������������������������������������������������� Christine (1648–1702), Herzogin von Braunschweig-Wolfenbüttel-Bevern, geborene Prinzessin von Hessen-Eschwege. 18 Friedrich (1617–1655), Landgraf von Hessen-Eschwege. 19 Kassel. 20 Hannover. 21 Georg Friedrich von Öffener (1621–1693).

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unter den wellen empor schwimmen. Er arbeitete sich gewaltig hindurch und lenckete sich nach dem ufer. Nun lag eben am ufer ein groß Schiff angebunden, unter welches es bald gerathen wäre zu Seinem untergang. Allein zu grosem glück wendete Er sich, schwimmende längst dem Schiff hienunter, biß Er deßen spitze und den außgang erreichte. Ich habe fast lebenslang kein verwegener Gemüthe gesehen als diesen Schiffer und mit mir die Umbstehenden. Nach eingenommener Frühkost giengen wir durch die Stat biß an den ort, wo daß Schifflein der Schiffer wieder zurechte machte und anlandete. Unterweges empörete sich einer groser sturm, der unß nöthigte zum außsteigen. Wir nahmen hierauf unser retirade in daß Heßische Stätchen Oldendorf22 in der Graffschaft Schawmburg. Hierselbst stehen zwey ansehnliche Adeliche häuser, denen von Münchhausen23 zuständig. Wegen der grosen hitze suchten wir erquickung, konten Sie aber nicht finden: In ansehung deßen giengen wir zu Fuß wieder an die Weser, traffen unser schifflein an, ließen unß übersetzen und gaben dem Heßischen Vogt zu Rammcke,24 Herren Stirn,25 die visite. Unter weges ergrieff unß ein hartes donnerwetter und regen, der unß redlich abwusch, ehe wir ins Hauß kamen. Dieser gute Mann erzeigte unß alle höfligkeit, ja tractirte unß mit einem vesperbrot recht galant. Über dieses lehnete Er unß Chaise und Pferde und beförderte unß selbigen abend noch biß auf Rintheln.26 Daselbst dimittirten wir den Schiffer. Zu Rintheln logirten wir über nacht bey Bürgermeister Brugmann.27 Deß morgends gab Herren Doctor May,28 Professori Medicinae, die visite. Hierauf besuchte unß Herr Commendant Obrister Hahnstein29 im Quartier und ließ unß, mit Seiner Chaise und Pferden, auf Minden fahren. Nach unserer ankunfft in Minden Sonnabends besuchten wir Sonntag morgends die Reformirten Kirche. Selbige bestehet auß einer kleinen Gemeinde. Der Prediger hieß Heickenrodt30 von Eschwege auß Heßen und Sein Adiunctus Pörtner,31 Bremensis.32 Wir machten mit unser anwesenheit ein groß aufsehen in der Gemeinde. Es bildeten die Leute ihnen ein, wir wären Engelländische oder Frantzösische Flüchtlinge. Deßhalben ließen Sie im wirthshause der drey kronen, darinnen wir logirten, recognosciren. Nach vernehmung unserer condition invitirte unß der Prediger Heickenrodt zur abendmahlzeit. Ich observirte an dem Mann eine schlechte conduite und geringe Theologische

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Hessisch Oldendorf. Münchhausen, Adelsgeschlecht. Rumbeck. Wolrad Stirn († 1689). Rinteln. Christian Bruggmann. Heinrich May (Majus, 1632–1696). Dietrich von Hanstein (1644–1716). Johann Heuckenrod (1613–1696). Hermann Pörtner. Bremen.

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dexteritè. Jedoch lebte Er hier wol und hatte bey Seinem hause einen schönen garten von obstbäumen und, welches verwunderlich war, Nechstc an der küchen Sein Begräbnüß bawen laßen, darinnen bereits Seine Fraw33 und kinder34 ruheten. |293| So viel die Zeit verstattete, besahen wir auch die andern Kirchen. Sonderlich höreten wir deß mittags im Thumb der Papisten Betstunde. Hierbey machte daß Frawenzimmer eine über auß angenehme Music. Montag morgends giengen wir auf den Wall. Ich verwunderte mich nicht wenig über deßelben höhe und stärcke. An der einen seite wolte über die courtine herunter in den graben sehen; Solches wurde aber die Schiltwacht gewahr und rieff mich an: Den Kopff zurück oder ich gebed Fewer. Weil hier die schärffe merckte, unterließ ich den Fürwitz. Gleichfals befande die Batterien und Bastions durchgehends mit vielen Canons wolbesetzt. Also daß allein auf einer Batterie 10 Canons standen. Aber Sie waren meistentheils nur eisern. Nach eingenommenem Mittagsmahl beschleinigten wir die Reyse mit dem Postwagen. Gegen abend arrivirten wir zu Uchte. Hier ligt eine Heßische Guarnison zu Fuß. Sonst gehört der Flecken, samt dem Ampt, dem Grafen von Tecklenburg35 und ist ein Heßisch Lehn. Selbige nacht fuhren über die heyde nach Bahrenburg,36 welches Ampt dem Hertzog von Zell37 zustehet. Wir ruheten etwaß auß, bekamen frische Pferde und erreichten morgends umb 10 uhr Bassen,38 drey meilen von Bremen. Wir speiseten hier daß morgenbrot und reyseten von dar weiter, also daß wir deß mittags umb 3 uhr glücklich Bremen erreichten. Bey unser ankunfft zoge ich mich sauber an und gieng mit Herren Heilersieg39 in meiner Fraw Gevatterin, der Fraw Formenoir,40 Behausung auf der Catharinen straße. Dieselbte beneventirte unß überauß höflich und freundlich. Deß abends hattee an der Taffel daß glück Herren Bürgermeister Formenoir41 kennen zu lernen als meinen Herren Gevatter und meines Sohnes Caroli42 Paten. Zum Beweißthumb ihrer affection bewirtheten Sie unß mit allem ersinnlichen divertissement. Vornemlich gerieth auch in Bekantschafft mit Herren Bürgermeister Doctor von Cappeln.43 Dieser Herr warff

c d e

be vor Nechst durchgestrichen. ges vor gebe durchgestrichen. hatte über der Zeile ergänzt.

33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43

Margarete Magdalena Heuckenrod († 1658). n.z.e. Tecklenburg, Adelsgeschlecht. Barenburg. Celle. Bassum. Anton Günter Heilersieg (1662–1696). Lucia Formanoir, geborene Duising (Duysing, 1638–1711). Lubert Formanoir (1634–1696). Karl Lucae (1677–1712), Sohn von Friedrich Lucae. Dietrich von Cappeln (1632–1687).

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sonderliche affection auf mich. Und welches daß meiste, so sondirte Er mich offentlich an der Taffel, ob ich auch mit der Zeit, bey vorfallender vacantz, in der Stat Bremen eine vocation annehmen wolte. Diese Frage aber beantwortete mit einer freundlichen mine und tieffer reverence. Wenig Zeit hernach starb der gute Herr und mit ihm sein Patrocinium gegen mich. Gleichfals lernete hier kennen Herren Doctor D’werhagen,44 Rhats Herren und Scholarchen. Herr Doctor Mathias Bothe,45 Theologiae Professor, speisete auch zum öftern mit unß. Nachgehends excercirte Erf mit mir eine vertraute correspondence. Doctor Gerhardus Meyer,46 Pastor Primarius zu St. Steffan, bediente sich gleichfals meiner conversation. Unterandern besuchte daß Gymnasium und gab Herren Cocceio,47 Primario Ministerii, die Visite. |294| Weil Albertus von Line48 annoch in meinem tisch lebte, so erzeigte mir deßelben Vormünder Herr Albertus Meyer,49 Iuris Utriusque Doctor, grose ehre. Er stellte eine galante mahlzeit an und tractirte überauß magnificus. Hierbey war auch anwesend sein Herr Bruder,50 Chur Brandeburgischer Rhat zu Halberstadt. Ebenmäßig tractirte mich Herr Bürgermeister Formenoir51 nicht allein in Seinem garten, welcher in der Stat ligt, sondern auf auf Seinem gut zum Blumenthal. Herr Heilersiegs52 Schwager Clapmeier,53 welcher bey dem Wartthurn auf Delmenhorster Straße ein schön gut hatte, wie auch eine viertel meile weiter zum Varle einen schönen mayerhoff, gärtte und fischweiher, welche biß an daß Hauß stoßen, machte unß auch eine grose ergetzligkeit mit fischen, schießen und einer netten mahlzeit. Gegen abend giengen wir, samt der Fraw Formenoiri54 und der Fraw Clapmeierin,55 auf Delmenhorst ins Oldenburgische. Diese reyse contentirte mich gewaltig. Sie führeten unß in ein gut quartier, da der Wirth auß Heßen von Treisa56 bürtig und ein Trompeter war. An ihm selbst ist der ort nur ein groser Flecken, länglicht und höltzern. Man erzehlete als wäre vor diesem ein Collegium Canonicorum hier gewesen. Ich remarquirte aber wenig vestigia hievon; Sintemal die Kirche kleine und meistentheils nur holtzwerck hat. Zwischen dem Flecken und dem Schloß fleußt die Dilme. Vorwerts

f

Er über der Zeile ergänzt.

44 45 46 47 48 49 50 51 52 53 54 55 56

Johann Dwerhagen (de Verhagen, 1652–1694). Matthias Boot (1648–1727). Gerhard Meier (1646–1703). Hermann Coccejus (Koch, 1632–1709). Albert von Line. Albert Meyer († nach 1692). Nikolaus Meyer († nach 1692). Lubert Formanoir (1634–1696). Anton Günter Heilersieg (1662–1696). Johann Klapmeier († um 1696). Lucia Formanoir, geborene Duising (Duysing, 1638–1711). Agnes Klapmeier († nach 1676). Treysa.

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ligt der Vortreffliche Gartten. Ich kan mich nicht entsinnen, daß ich ehemahls von dergleichen lustigen situation, disposition und annehmligkeit einen solchen Gartten gesehen hätte. Rings umbher umbgeben die schönsten und höchsten Pappel und Linden Bäume, gantz regulair in der nettesten ordnung gepflantzet, den Gartten. Inwendig siehet man die schönsten alleen, fontainen, portale, rare gewächse, blumen felder, Irrgänge, Pyramiden, Zwergbäume und mitten inne daß Gräffliche Oldenburgische Wapen von Boxbaum zusammen gesetzet. Über dieses wird hierbey unterhalten ein ansehnliches Pomerantzen hauß. Der herumb gezogene waßer graben gibt allerhand von fischen, arten und vermehret dieses Paradises herrligkeit. Auß diesem Gartten gehet man eine zierliche, gleichfalls mit Blumen werck bepflantzte, Brücke. Gegen dem Gartten und die Stat umbgibt daß Schloß eine contrescarpe, hinter welcher ein waßergraben und Ravelin sich befindet. Also daß drey Brücken müßen passiret werden, ehe der eingang durch daß rechte portal geschieht. Dieses ­befestiget ein starckes Rondel an der seite, wie dan auch daß thor gewölbe eine gute force hat. Rings herumb ist eine courtine mit casamatten versehen. Die daran hangende Bastions sind eben so |295| gar regulair nicht, auch ziemlich enge. Auf denen wällen standen nur eiserne Stücke. Unter der Gräfflichen Regierung sol allhier ein gewaltiges Zeughauß gewesen, darauß aber der König in Dennemarck die metallenen Canons gezogen und mit eisernen verwechselt hat. Inwendig scheinets als wären 2 höfe. Belangende die Gemächer, so habe dieselben nicht besehen außer unten die Capelle. Wie mich dünckte, so mochte Sie wol auß einem andern gemach darzu sein aptiret worden, denn ich befinde Sie gar niedrig und schmal. Meines ortes aestimire daß Schloß vor eine considerable Vestung. Solchen ruhm hatte es schon Anno 1482, als der Bíschoff Henrich57 zu Münster daßelbe nicht anders als durch hunger bezwingen konte. Anno 1547 brachte es Graff Anthon zu Oldenburg58 wiederumb mit List an sich. Vorzeiten ist’s auch eine Residentz der Grafen von Delmenhorst gewesen. Anno 1678, als die Frantzösische Armee unter dem General Crequi59 biß ins Oldenburgische avancirte, machten Sie mine daß Schloß Delmenhorst zu attaquiren. Aber die Dänen hielten es besetzt und canonirten tapffer herauß. Zwischen dem Schloß und der Stat hielten sich einem Lusthauß 9 Frantzosen auf. Diese merckte der Constabel und traff daß hauß glücklich, erlegte auch Besagte Frantzosen. Hievon habe den ort und stelle gesehen. Nach dem wir deß abends wol bewirthet, auch über nacht wol logiret wurden, giengen wir deß andern tages wieder auf Bremen. Selbigen mittag ließ mich die Frau Formenoiri60 ins Zuchthauß führen. So folgete Sie auch selbst nach auf deß Herren 57 58 59 60

Heinrich XXVII. von Schwarzburg (1440–1496), als Heinrich II. Erzbischof von Bremen, als Heinrich III. Bischof von Münster. Anton I. (1505–1573), Reichsgraf von Oldenburg und Delmenhorst. François de Créquy (Créqui, 1629–1687). Lucia Formanoir, geborene Duising (Duysing, 1638–1711).

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Bürgermeisters Kutsche. Von dar fuhren wir hienauß zum Steffans Thor in die Thranbrennerey. Hierselbst war erst vor etlichen tagen außgeschiffet worden ein ungeheur Wallfisch. Ich maße deßelben Breite und befande, daß die eine spitze deß schwantzes bißg zur andern spitze 18 schuh an der distantz hatte. In dem wir nun fast 8 tage lang der Herrligkeit genoßen, gedachten wir wieder auf unsere retour. Herr Bürgermeister Formenoiri61 erzeigte sich dermaßen gütig und stellte eine Compagnie von 3 kutschen an. Unterdeßen bestellte ich einen so genandten kehrwagen, welcher unß biß auf Minden fahren solte. Deß Mittags umb 11 Uhr zogen wir mit diesem ansehnlichen geleite auß Bremen. Die Fraw Formenoiri, ich, Herr Heilersieg,62 deß Herren Bürgermeisters jüngste Tochter63 und die Köchin saßen auf einer Kutsche. Nun weiß ich nicht, wie es der Kutscher versahe: Denn fast auf gleichem wege warff Er unß umb. Aber, Gott sey danck, ohne unglück. Inzwischen eileten die andern Kutschen fort und wir folgeten nach biß auf daß Dorff Arsen,64 dem Magistrat zu Bremen gehörende. Allhier fanden wir von dem Herren Bürgermeistern eine köstliche bereitete |296| valet collation. Die sämtliche Compagnie erzeigte sich überauß lustig und vergnügt. Endlich gieng es ins scheiden. Ich und Herr Heilersieg65 setzten unß auf den gedingten kehrwagen und nahmen die reyse route auf Sieke66 durch die Graffschafft Hoya. Weil es eben gut wetter war, reyseten wir die nacht über und arrivirten deß andern tages zur Lievenow,67 an der Warme gelegen. An diesem ort dienete unß die mitgegebene kalte küche vortrefflich. Daß Stätchen, samt dem Ampthauß, gehöret ins Zellische Land. Von hier giengen wir auf Petershagen an der Weser. Es beliebte unß aber hier nicht daß nachtlager, deßwegen setzten wir über den strohm und logirten in dem Dorff Lage68 bey dem Zollverwalter. Deß nachts empörete sich ein heftiger sturmwind und in meinem Leibe ein groses übel. Sintemal es überfielen mich dergestalten die obstructiones, daß ich nicht in geringer gefahr schwebete. In dem ich den sedem mit gewalt erzwingen muste, kostete es mich so grose angst und mühe, daß mir die augen auß’m kopff stiegen, samt dem geblüte, daß es schiene, als wäre ins angesicht mit Fäusten geschlagen worden. Solches verschwiege vor dem Heilersieg. Auß deßen Frage, waß mir schadete, bemäntelte es gleichsam hätte angestoßen.

g

†...† vor biß durchgestrichen.

61 62 63 64 65 66 67 68

Lubert Formanoir (1634–1696). Anton Günter Heilersieg (1662–1696). n.z.e. Arsten (Bremen). Anton Günter Heilersieg (1662–1696). Syke. Liebenau. Lahde (Petershagen).

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Ferner kamen wir deß dritten Tages nach Bückeburg. Diese Stat und herrliche Gräffliche Residentz, wie auch die schöne Kirche, wündschete zu sehen. Es eilete aber Herr Heilersieg nach hause und wolte nicht eine Stunde verziehen. Es ligt nur Bückeburg eine meile von Rintheln.69 Bey unser ankunfft deß morgends umb 10 Uhr zu Rintheln invitirte unß Herr Obristen Hahnstein70 und Commendant zum morgenbrot. So verschaffte auch der Ampts Vogt Zobbe71 unß Pferde und wagen biß auf Trendlenburg72 in Heßen. Diese reyse, oder dieser weg, passirten wir etliche mahl die Weser. Zu Rintheln setzten wir über und langten selbigen abend zu Fischbeck73 an. Dieses ist ein Adeliches Jungfern Stifft unter deß Herr Landgraffen Jurisdiction. Wir logirten in der fürstlichen Vogtey, da der Vogt unß ein herrliches nachtlager und gutes abendbrot genießen ließ, wie wol mich noch immer die obstructiones incommodirten. Morgends früh fuhren wir durch Hameln und über die Weser. Deß Mittagsh speiseten wir zu Bodenwerder und erreichten noch selbigen abend Lüchtringen.74 Von hier musten wir daß Berg Schloß Fürstenberg vorbey gehen, dem Herren Hertzog zu Wolffenbüttel75 zuständig. Gegen die Weser seite scheinet deßen fortification stärcker zu sein sein als gegen daß Land. An der einen ecke hat es eine ziemlich starcke, steinerne und mit stücken besetzte batterie. Davon kan man die Weser bestreichen. Daß gebäwde an ihm selbst ist eben von keiner importance. Nechst darbey ligt ein meyerhoff. Deß Landes gegend wird der Forst ins gemein genandt, hat böse |297| wege und bißweilen gefährliche raubereyen. Bey dem kloster Herstelle, im Paderbornischen gelegen, setzten wir wieder über die Weser. Dieses kloster Franciscaner ordens ligt auf einem hohen Berge. Hienauf bin nicht kommen. Es scheinet etwaß wegen der mawer feste und daß gebäwde, samt der Kirche, ziemlich weitleufftig zu sein, jedoch alt und sehr zerfallen. Denselben mittag arrivirten wir zu Trendlenburg bey überauß groser hitze. Hierselbst gab unß der Heßische Rentmeister frische Pferde und wagen. Deß abends umb 9 Uhr kamen wir vor daß Statthor. So bald wir unß der Wacht angaben, ließ unß der damahlige Commendant daß thor aufmachen und passiren. So hatte vor dißmahl die reyse glücklich abgelegt. Bey meiner wiederkunfft traff meine Liebste76 im ziemlichen stande an. Jedoch vernahm’ von dem gesinde, daß Sie etliche mahl anstoß von ihrer alten plage verspüret hatte.

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abends vor Mittags durchgestrichen.

69 70 71 72 73 74 75 76

Rinteln. Dietrich von Hanstein (1644–1716). n.z.e. Trendelburg. Fischbeck (Hessisch Oldendorf ). Lüchtringen (Höxter). Wolfenbüttel. Elisabeth Lucae, geborene Mercer (um 1640–1686), Ehefrau von Friedrich Lucae.

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Mit anbrechendem herbst fieng abermahls die raserey der schmertzlichen kranckheit an. Ich consulirte herren Doctor Waldschmidt,77 Herr Doctor Dolaeum,78 Herr Doctor Mey,79 Herr Doctor Anglocrator80 und viele andere Medicos. Allerseits contribuirten ihren rath und fleiß bestmöglichst, aber fruchtloß. Die grausamen schmertzen an der seiten, daß stete erbrechen, der verschwundene appetit setzte ihr in länger in mehr zu. Unterdeßen trug Sie ihr creutz mit geduld. So bald nur ein wenig die schmertzen cessirten, erzeigte Sie sich wieder lustig, wie wol bißweilen über vermögen. Ihr absehen bezielete meine gemüths ruhe und daß Sie mir gerne den chagrin benehmen wolte. Die Herren Medici, wie es schiene, waren hierbey nicht einerley meynung. Einer raisonirte so, der andere anders von der kranckheit. Meines ortes approbirte derer sentiment, welche den Morbum vor den stein hielten. Einmahl gaben sich satsam die Indicia an. Darnach seind ihre Eltern und Brüder damit incommodiret worden. Ich reservire bißdato noch einen stein, in der gröse eines grosen tauben eyeß, welcher von ihrem jüngsten Bruder,81 als Er 7 jahr alt gewesen, ist geschnitten worden, eben von dem jenigen Stein Schneider, welcher vorher zu Rom82 Pabst Alexandrum 7.83 geschnitten hatte. Eben dieser Scheinschneider gab hierbey meiner Seeligen Fraw Schwieger Mutter84 zu verstehen, daß wenn schon der knabe von diesem stein befreyet worden, welchermaßen dennoch ein ander bey ihm wachsen würde, weil hierzu Seine Natur inclinirte. Deren Herren Medicorum erforderte artzney mittel brauchte Sie willig. Unterdeßen gab ihr daß Bad die meiste Linderung. So bald Sich die schmertzen angaben, ließ Sie ihr ein Bad anlegen. Solches iterirte Sie wie am Tage so deß nachts. Hierauf ruhete Sie alsdan etwaß sanffter. |298| Anno 1686. Vorhergehendes jahr endigte mit traurigkeit und sorgen. Mit ­ebenmäßigem prast fieng daß Newe wieder an. Meiner Liebsten85 unpäßligkeit continuirtei einen weg wie den andern. Auch verzehreten die heftigen schmertzen und daß stete erbrechen ihre Leibes kräffte in länger in mehr. Insonderheit schwächeten die täglichen Badungen den abgemergelten Leib gewaltig. Unterdeßen bereite Sie sich andächtig und bußfertig zum Seeligen abschied und setzte alles irrdische auf die seite.

i

continuirte über der Zeile ergänzt.

77 78 79 80 81 82 83 84

Johann Jakob Waldschmidt (1644–1689). Johann Dolaeus (Doläus, 1651–1707). Heinrich May (Majus, 1632–1696). Michael Angelocrator († nach 1685). John Mercer († nach 1654) oder Thomas Mercer (1641–1653), Schwäger von Friedrich Lucae. Rom (ital. Roma). Alexander VII. (Fabio Chigi, 1599–1667), Papst. Elisabeth (Margaret) Mercer, geborene Kennewie (um 1610–1660), Schwiegermutter von Friedrich Lucae. Elisabeth Lucae, geborene Mercer (um 1640–1686), Ehefrau von Friedrich Lucae.

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Sonsten wie Sie lebenslang von einem resoluten Gemüthe war, so beharrete Sie darbey biß an daß ende, welches ihr Gott gönnete. Gegen außgang deß Januarii machte Sie sich beständig betlägrig. Denen schmertzen zu wiederstehen, waren bereits die kräfte verschwunden. Endlich disponirte Sie alles vernünfftig. Die Verwittibte Fraw Hastin,86 derer Herr87 zu Rintheln88 war Rath gewesen, assistirte ihr mit pflegung und handreichung. Ich stellte ihr auch unter thränenden augen vor unsere beyde kinder Carolum89 und Hedwig Sophia.90 Aber Sie macht kein groß werck mehr auß ihnen. Hierauß praesumirte ihr annahendes ende. Jedoch bedeutete Sie ihnen den mütterlichen seegen. Hierbey bemerckte auch, daß sich von ihr selbst die stuben thüre aufthäte. Solches habe gemeiniglich bey absterbern derer meinigen in acht genommen. In dem Sie Meinen Herren Collegam Vietorem91 verlangte, ließ denselben ruffen. Mit groser andacht hörete Sie Seinen trost und gebet an und bestellte ihr die Leichpredigt. Es war der 3. Februarius, da dieses passirte. Mittags hernach periclitirte in etwaß der verstandt und sprache. Gegen abend aber fand sich der verstand wieder. Ohngefehr umb 8 Uhr brachenj ihr die augen und lag also vor sich hin. Zwischen 12 und 1 Uhr übergab Sie ihre, durch Christi Blut theuer erlösete Seele, in die hände ihres Schöpffers und entschlieff unter meinem seuffzen und gebet sanffte und seelig. Den entseelten Cörper ließ alsbald gebührend kleiden und wolbewahren. Weil die rechte seite etwaß blaw war, so merckte man, daß Sie zugleich etlicher maßen der schlag gerühret hat. Unterdeßen stellete einen meinem Standt gemäße Leichconduct an. Selbigen vol’nzohe Freytags den 10. Februarii, bey einem grosen gefolge. Es kame auch ihre Fraw Schwester92 von Wahnfried,93 wie auch ihr Herr, mein Schwager Uckermann,94 herüber und wohneten mir zum trost der funeration bey. Gleichfals ziereten denselben mit ihrer gegenwart daß Adeliche Frawenzimmer auß der Stat und von hofe. |299| Besagter maßen hielt Mein Herr Collega Vietor95 die Leichpredigt. Meine Seelige Liebste hatte ihr selbst den Text erwehlet auß’m 38. Psalm: V. 23: Verlaß mich nicht Herr, mein Gott, Sey nicht ferne von mir. Eyle mir beyzustehen, Herr meine

j

fand si vor brachen durchgestrichen.

86 87 88 89 90 91 92 93 94 95

Justine Elisabeth Hast (Hasten), geborene Biermann († 1702). Johann Conrad Hast (Hasten, 1622–1678). Rinteln. Karl Lucae (1677–1712), Sohn von Friedrich Lucae. Hedwig Sophia Lucae (1679–1703), Tochter von Friedrich Lucae. Philipp Otto Vietor (1646–1718). Margarethe Uckermann, geborene Mercer (um 1642–1689), Schwägerin von Friedrich Lucae. Wanfried an der Werra. Jost Christoph Uckermann (um 1646–1701), Schwager von Friedrich Lucae. Philipp Otto Vietor (1646–1718).

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­ ülffe. Ihre gebeine ruhen auf dem grosen Todtenhofe, recht vorne an, zwischen deH nen beyden bedeckten Schuppen, worinnen die Trauer Leute sitzen, gegen über dem häußchen, so anstat der Cantzel gebrauchet wird bey denen Leichpredigten, wenn man Sie im Sommer hieraußen hält. Also ward durch den verlust Meines Eheschatzes,96 welchen mit schweren seuffzen und tausendfachen thränen betrauerte, in betrübten Witwerstande gesetzt. Über daß muste meine Haußhaltung gantz einrichten auf andere manier und dem Gesinde meistentheils überlaßen. Am meisten bekümmerte mich meiner Kinder97 auferziehung. Daß beste war, in dem Herr Secretarius Heilersieg98 sich daß Haußwesens ziemlich anmaßete; Darnach daß ich die Kinder in und außer hauses denen Lehrmeistern anvertrauete. Jedoch: Der Treweste Aufseher mangelte. Weil mir nun beydes, Die Ampts und Haußsorge, auf dem halße lagen, druckte mich die Last desto schwerer. Unterdeßen hielt dem Lieben Gott stille und ließ ihn walten. Im Monat May segnete Gott die Fraw Schwägerin Uckermännin99 mit einem jungen Sohn.100 Beyderseits Eltern stellten mit Herren Heilersieg die Gevatterschaft an. Damit ich mir ein wenig eine veränderung machte und daß gemüthe erfrischete, reysete mit hienüber. Zu vermehrung der Compagnie vergeselleten wir unß mit Herren Reinhardt Böticker,101 dem fürstlichen Herren Postmeister, Meinem sehr werthen Freunde, der mir jederzeit grose Freundschafft erzeiget hat. Nach vollbrachter Kindtauffe reyseten wir wiederumb auf Cassel.102 Etliche Monat hernach gab mir mein alter Academischer Freund auß Schlesien, Herr Fridrich von Schweinitz,103 die visite. Ich tractirte ihn so gut, als mein Witwerstandt vermochte. Von der Zeit an hat dieser Herr die Alte Freundschafft gleichsam ernewert und continuiret. Er lebet itzund im Haag104 in Niederland auf sein plaisir und schreibet ofters an mich. Er war Lutherischer Religion, hat aber daselbst die Religion changiret und bekennet sich numehro zu unß. Wegen der grosen Persecution in Franckreich kamen viele Flüchtlinge von dar ­nacher Cassel. Der Herr Landgraff105 erzeigte ihnen ungemeine grose gnade. Über dieses stellte Er durch alle Seine Länder eine Collecte an. Solchermaßen wurden auf die 9000 thaler gesamlet. Monsieur von Halcke,106 fürstlicher Cammer Juncker und Regie196 197 198 199 100 101 102 103 104 105 106

Elisabeth Lucae, geborene Mercer (um 1640–1686), Ehefrau von Friedrich Lucae. Karl Lucae (1677–1712), Sohn von Friedrich Lucae, und Hedwig Sophia Lucae (1679–1703), Tochter von Friedrich Lucae. Anton Günter Heilersieg (1662–1696). Margarethe Uckermann, geborene Mercer (um 1642–1689), Schwägerin von Friedrich Lucae. Anton Günther Uckermann (G 1686), Neffe von Friedrich Lucae. Reinhard Bödicker (1622–1693). Kassel. Johann Friedrich von Schweinitz (1647–1712). Haag (Den Haag). Karl (1654–1730), Landgraf von Hessen-Kassel. Gustav Georg von Halcke (1647–1713).

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rungs Rhat, maßete sich hierüber der Direction an. Die ersten Prediger, welche der Herr Landgraff predigen ließ, waren Monsieur L’Anfan107 und Baumont.108 |300| Betreffende Monsieur L’Anfan109 so ließ sich auß ihm blicken ein kluger und listiger kopff. In dem Er aber zu zeitlich Seine Frantzösische Tücke entdeckte, bestellte ihn der Herr Landgraff110 zum Professore Honorario zu Rintheln.111 Als Er nun dorthin auf dem weg begrieffen war, legte Er sich nieder und starb. Waß den Baumont112 belanget, so bestellte ihn der Herr Landgraff zum Ordinair Prediger der Frantzösischen Gemeinde. Dieser war nicht viel beßer als der Erste; Sonderlich verspürete man an ihm grose ambition. Auch venerirte Er daß Ministerium zu Cassel113 gar schlecht und sol von einem und dem andern gar sinistrè iudiciret haben, ohnerachtet Er nur ein geringer Dorff Prediger, ohnfehrn Laon in Champanien, gewesen ist. Bey ausspendung der Collecten wurde es versehen, daß Sie dieselben zu reichlich außspendeten denen zuerst ankommenden. Denn als der Vertriebenen mehr kamen, musten Sie darben in ansehung der bereits consumirten collecten. Ohne ruhm zu melden, contribuirte hierzu auch daß meinige laut Collecten Buches. Nachgehends vergönnete der Herr Landgraff, daß die Frantzosen Sonntags, nach gehaltener mittags Predigt, auch bey hofe predigten. Anfangs war es etwaß newes, aber bald waß altes. Der Herr Landgraff bestellte deßhalben noch zweene Prediger, nemlich Monsieur Choly,114 der vorher in Metz gestanden hatte, und Monsieur L’Ambrement,115 einen jungen Menschen. Über dieses bawete der Herr Landgraff zwey Newe Dörffer im Ampt Grebenstein, Carlsdorf und Mariendorff,116 und besetzte Sie mit Frantzösischen Bauern. In Cassel legte Er an eine fabrique und allerhand manufacturen. Vor dem Newen Thor ließ Er ein stück deß so genandten Obersten Gartten einreißen und den grund legen zu ­einer ­Newen Stat, gab darzu holtz, steine, fuhren und kalck. In summa, Er sparete keine unkosten, in hofnung diese Leute würden sich niederlaßen und beständig in Heßen verbleiben. Aber die Besten Capitalisten zogen wieder davon und denenselben folgeten die Geringern. Damit zerschmeltzete wieder die angelegte Fabrique mit allen angewendeten unkosten. So gieng auch daß Bawwesen der Newen Stat langsam von statten. Wie es schiene wolte es denen Frantzosen in Heßen nicht schmecken.

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Paul L’Enfant (Lenfant, 1617–1686). Pierre de Beaumont († 1713). Paul L’Enfant (Lenfant, 1617–1686). Karl (1654–1730), Landgraf von Hessen-Kassel. Rinteln. Pierre de Beaumont († 1713). Kassel. Paul Joly (1638–1710). Philippe de L’Ambremont (Lambremont, † 1719). Mariendorf.

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Friderici Lucae eigentgliche Lebens und Totdes Geschichte

Unter ihnen selbst sponnen Sie factiones an und unter ihren Predigern Jalousien, wegen deß Rang’s. Beyde Conseilleurs, Vernecourt117 und Du Collet,118 konten sich auch nicht vertragen. Besagte Prediger associrten sich anfangs unser’m Presbyterio, laut fürstlicher anweisung, und hernach schliechen Sie sich herauß. Wie in diesem so in andern dingen, hielten Sie mit dem Ministerio keine concurrentz. Bißweilen besuchte mich Monsieur Choly und ich ihn wieder. Außer Zweiffel lieffen viele heimliche Spionen und Verräther mit unter. Einstmahls wurden dergleichen auf dem wall angetroffen, welche die Schantzen gemeßen hatten, aber Sie eschappirten. Der Hoff Zucker Becker, ein Frantzoß, und ein perruquen macher waren interessirt und in hafft genommen. Nach vierteljähriger gefängnüß ließ man Sie auch beide lauffen.

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Frédéric de l’Alouette de Vernicourt (1623–1698). Jean Perrachon du Collet († nach 1693).

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Anhang Personenregister Wie im Sachapparat werden auch im Personenregister verwandtschaftliche Beziehungen zu Friedrich Lucae benannt. Dessen Name wird nur für die einleitenden Beiträge erfasst, nicht aber für den eigentlichen Editionsteil. Personennamen, die ausschließlich in der Einleitung zu finden sind, werden kursiviert dargestellt. Aachen (Achen), Hans von (1552–1615) 136 Abschatz, Hans Aßmann (eigentlich Johann Erasmus von Abschatz, 1646– 1699) 181, 191, 247 Adelsheim, Familie 87 Adolphi, Heinrich (1622–1686) 77 Agnes von Rom († um 250), Heilige 135 Albertus Magnus (um 1200–1280), Bischof von Regensburg, Heiliger 135 Albrecht VII. von Habsburg (1559–1621), Erzherzog von Österreich, Regent der Spanischen Niederlande 176, 178 Alexander VII. (Fabio Chigi, 1599–1667), Papst 117, 404 Allerwelt, Peter 223 Alstenius, Andreas († um 1688) 104 Althusius (Althaus), Johannes (1563– 1638) 196 Althusius, Samuel (1600–1669) 196 Amalia (1653–1711), geborene Prinzessin von Kurland, Landgräfin von Hessen- Kassel 343f., 351, 353, 368, 379, 390f., 394 Amalie (1602–1675), geborene Gräfin zu Solms-Braunfels, Prinzessin von Oranien 227 Ambrosius, Thomas 93 Ames (Amesius), William (Guilielmus, 1576–1633) 184 Ammann, Paul (1634–1691) 96 Amya, Hermann (1626–1668) 197 Andreae, Samuel (1640–1699) 374 Angelocrator, Michael († nach 1685) 404 Anton I. (1505–1573), Reichsgraf von Oldenburg und Delmenhorst 401

Anton Günther (1653–1714), Fürst von Anhalt-Zerbst 163 Aristoteles (384 v. Chr. – 322 v. Chr.) 188 Arnoldus (Arnold), Nicolaus (Mikołaj, 1618–1680) 145 August (1614–1680), Herzog von SachsenWeißenfels 97 August (1643–1701), Graf zu Lippe-Brake 358, 373 August Heinrich (1657–1680), Prinz von Nassau-Dillenburg 375 Authaeus (Authes), Hermann Adolf (1622– 1671) 56 Ayscue, George (um 1616–1671) 238f. Bachendorf, Wilhelm Christoph († 1667) 117 Badenhausen, Regner (1610–1686) 344, 388 Baerle, Caspar van (Barlaeus, 1584–1648) 228 Baudaert (Baudartius), Willem (1565– 1640) 55 Baumbach, Adam Reinhard von (1633– 1691) 375f. Baumbach, Adolph Friedrich von (1647– 1725) 358 Baumbach, Bertha Helene von, geborene von Nostitz († um 1680) 375 Baurmeister (Bauermeister), Andreas 326 Beaumont, Pierre de († 1713) 407 Bechevel (Beychevelle) de la Motte, Jacques 114, 119 Beckmann (Becmann), Catharina Eleonora, geborene Bergius (1630–1667) 270 Beckmann (Becmann), Christian (1580– 1646) 269

410

Anhang

Beckmann (Becmann), Friedrich (1624– 1667) 269f., 276, 280, 284 Beckmann (Becmann), Johann Christoph (1641–1717) 55, 270, 276, 278, 318 Beeckerts van Thienen, Adriaan (1623– 1669) 185 Beier (Beyer), Familie 87 Bender von Bienenthal, Jacob (1644–1695) 110 Berckringer, Daniel (1598–1667) 147 Berge, Familie 87 Bergius, Georg Conrad (1623–1691) 265 Bergius, Johann (1587–1658) 270 Bergius, Catharina Eleonora → Beckmann (Becmann), Catharina Eleonora Berkeley, William (1639–1666) 238, 240 Bernaerts (Bernatius), Jan (1568–1601) 174 Bernhardi, Anna Elisabeth, geborene Naticius († 1698) 306 Bernhardi, Carl Christian Siegmund (1799–1874) 25 Bernhardi, Martin (1625–1700) 306f., 340 Bernstein, Ludwig Kasimir von 114 Berrenhauer (Bernhauer, Bernauer), Johann Heinrich von 191 Berth (Bert), Gerhard von 111 Besser, Gottfried 181f., 191f., 200, 214, 219, 224f., 246f. Besser, Johann (von, 1654–1729) 341f. Besta, Philipp 109 Beucken (Beucke), Ludolf (1633–1675) 71, 85 Beyer-Fröhlich, Marianne (1896 – nach 1945) 42f. Beza, Johann Georg (um 1628–1689) 356 Bibran, Heinrich Alexander von (1656– 1694) 331, 334 Bibran, Susanna Elisabeth von, geborene von Schlebusch (Schleebusch, Schlepusch, G 1667) 331, 334 Bickerich, Familie 44 Bickerich, Wilhelm (1867–1934) 44f. Biermann, Ester Maria Elisabeth, geborene Wiesenbach 299 Biermann, Johann Walther (1613–1670) 289, 291–301

Biermann, Johann August (um 1656–1724) 77 Biermann, Justine Elisabeth → Hast (Hasten), Justine Elisabeth Bilde, Christian (Bylde) 109 Bilde, Jörgen (Bylde) 109 Bilsky, Familie 86 Binder, Johann Joseph (1642–1706) 364 Blacha, Familie 88 Blanckenstein (Blanckstein), Familie 88 Blasius, Gerard (1625–1682) 210 Blommart, Philippine Christine → Vietor, Philippine Christine Blondel (Blondellus), David (1590–1655) 59, 210 Bluhm (Blum), Juliane, geborene von Bopart 108 Bluhm (Blum), Reinhold (1617–1690) 108, 115 Bock von Wülfingen, Elisabeth → Donop, Elisabeth von Bodenhausen, Familie 349 Boe, Jacob de la (1623–1683) 365 Böckelmann, Johann Friedrich (1633– 1681) 106, 115 Boeckler (Boeclerus), Johann Heinrich (1611–1672) 271 Bödeker, Hans Erich 54 Bödicker, Reinhard (1622–1693) 361, 367, 406 Böher, Caspar († 1689) 77 Börstel (Borstell), Sophia Elisabeth von → Hülsemann (Hilsmann), Sophia Elisabeth Boineburg, Friedrich von, genannt Hohenstein (1634–1686) 310 Bonar de Balice, Familie 86 Bone, August Friedrich (1635–1692) 323 Bonifatius (Winfrid, um 673–754/55), Heiliger 350, 393 Boot, Matthias (1648–1727) 400 Boots, Daniel († 1676) 272 Bopart, Juliane von → Bluhm (Blum), Juliane Borck, Caspar von 115 Borne (Born), Georg Friedrich von dem (1632 – nach 1668) 346

Personenregister

Borne (Born), Karl Hildebrand von dem (um 1630–1709) 281 Borromeo, Carlo (1538–1584) 174 Borwitz, Familie 88 Borwitz, Adam von (1594–1652) 76 Botzheim, Georg Sigmund von 115 Bourdon, Samuel (1631–1688) 344 Bouwinghausen und Wallmerode, Eberhard Friedrich (1648–1729) 109 Bouwinghausen und Wallmerode, Magnus Ferdinand Heinrich 109 Boxhorn, Marcus Zuerius van (1612–1653) 186 Boye (Boyen, Boie), Johannes (G um 1640) 248, 251–253, 259f. Boye (Boyen, Boie), Wilhelm (um 1610– 1676) 260 Brand, Johann Georg (1645–1703) 378 Brandt, Augusta Elisabeth von, geborene von Canitz (1659–1722) 345 Brandt, Eusebius von (1642–1706) 281, 345 Brandt (Brand), Theodor Eberhard († nach 1697) 375 Brauchitsch, Familie 88 Braun, Caspar von 334 Brauneck, Johann Gottfried 103 Brederode, Familie 156 Brederode, Reinoud III. van (1492–1556) 156 Brockdorff, Joachim von (1643–1719) 109 Brömbsen, Gotthard von 110 Brömbsen, Heinrich von 110 Brönner, Familie 26f. Brönner, Heinrich Carl Remigius (1789– 1857) 26 Brueghel, Jan der Ältere (1568–1625) 166 Brüggen, Johann zur (1611–1697) 358 Bruggmann, Christian 398 Brunnemann, Johann (1608–1672) 271 Bruns (Brunsen), Lüder 79 Brunsenius (Brunsen), Anna Margaretha, geborene Martini 79 Brunsenius (Brunsen), Anton (1641–1693) 79f., 304, 370 Brunstein, Johann Erich (1636–1704) 346

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Bruyn (Bruin), Johannes de (1620–1675) 147 Buchius, Philipp (1639–1696) 273 Buchta, Familie 88 Buchwälder, Abraham 275 Buchwälder, Ursula → Hosemann (Hoßmann), Ursula Bülow, Charlotte Elisabeth von, geborene von Uffeln († 1687) 345 Bülow, Thomas Christian von (1651– 1706) 345 Burman, Frans (1628–1679) 144f., 150, 183f. Buxtdorf, Johann Jakob (1645–1704) 147 Bylandt-Halt, Roelemann Bertram 107 Byron, George Gordon (1788–1824) 10 Bythner, Johann (1602–1675) 30, 310 Cabeljauw, Pieter (1610–1668) 189 Calandrin, Jean 108 Callmann, Georg (1609–1684) 313 Calov (Calovius), Abraham (1612–1686) 270f., 274 Camerarius, David (1615–1684) 85 Cammingha, Watze Frans van (1603– 1668) 252 Canitz, Augusta Elisabeth von → Brandt, Augusta Elisabeth von Canitz, Melchior Friedrich von (1629– 1684) 305 Cappeln, Dietrich von (1632–1687) 399 Carbius, Philipp 105 Carlsson, Gustav (Graf von Börring, 1649– 1708) 107 Carpzov, Johann Benedict II. (1639–1699) 341 Carré (Carreus), Jean († 1672) 104, 117 Cassius, römischer Soldat der legendären Thebäischen Legion 134 Casurus (Kasur, Casurius), Adam 84 Causenius, Johann Conrad (1601–1676) 377 Chalecki, Gedeon Aleksander (G um 1640) 107 Charlotte (1627–1686), geborene Prinzes- sin von Hessen-Kassel, Kurfürstin von

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Anhang

der Pfalz 107, 114, 343, 352, 355, 369f., 370, 377, 385 Charlotte Amalie (1650–1714), geborene Prinzessin von Hessen-Kassel, Königin von Dänemark 379, 390 Chauvet, Jeremias (um 1619–1699) 364 Chavagnac, Gaspard de (um 1624–1695) 351, 358 Christian (1599–1626), Herzog von Braunschweig und Lüneburg 128 Christian (1618–1672), Herzog von Lieg- nitz, Brieg und Wohlau 72, 82, 146, 274, 289, 291–297, 299–301, 303– 305, 307, 322–326 Christian Albrecht (1641–1694), Herzog von Schleswig-Holstein-Gottorf 111 Christian Ludwig I. (1623–1692), Herzog von Mecklenburg-Schwerin 260 Christina (1626–1689), Königin von Schweden 131, 256f. Christine (1648–1702), geborene Prinzessin von Hessen-Eschwege, Herzogin von Braunschweig-WolfenbüttelBevern 397 Chuno, Heinrich David (1604–1665) 106 Chytraeus (Kochhaff ), Nathan (1543– 1598) 118, 234 Claypoole, Helena, geborene Mercer (um 1635–1688) 330 Claypoole, James (1634–1687) 330 Claypoole, John (1623–1688) 330 Coccejus (Koch), Hermann (1632–1709) 348, 364, 400 Coccejus (Koch), Johannes (1603–1669) 182–185 Coch (Koch), Alexander (1642–1712) 111 Coch (Koch), Joachim Christian (vor 1647–1713) 111 Colonius (van Ceulen) der Jüngere, Daniel (1608–1672) 185 Colyns (Colijns, Colin), Arnold († um 1600) 136 Comenius (Komenský), Johann Amos ( Jan Amos, 1592–1670) 145, 223 Conradi (Conrady), Georg 346 Coyet (Coyett), Wilhelm Julius (1647– 1709) 111

Crellius (Crell, Krell), Johann (1590– 1633) 276 Crellius (Crell, Krell), Wolfgang (1593– 1664) 74 Créquy (Créqui), François de (1629–1687) 401 Cretzschmar, Friedrich von († nach 1670) 202, 247f. Creutz, Jacob (1645–1667) 107 Creutz, Lorentz der Jüngere (1646–1698) 107 Cromwell, Elizabeth (1629–1658) 330 Cromwell, Oliver (1599–1658) 330, 355 Crucius (de la Croix), Maria, geborene Heidanus (1628–1706) 183 Daetrius (Detri), Brandan 202, 254, 259 Dalberg-Acton, John (1834–1902) 9f. Dambrowka (Dąbrówka), Johannes ( Jan) von 76, 87 Dangeau, Louis Courcillon de (1643– 1723) 108 Dares, Johann (1635–1696) 292–296, 298, 300, 302, 304, 334 Decher, Joachim (1614–1667) 272 Degenfeld, Maria Luise von (1634–1677), Raugräfin zu Pfalz 114, 119, 125, 127, 356 Degenfeld, Maximilian von (1645–1697) 127, 130f., 138 Dembiński (Dembinsky), Familie 86 Descartes (Cartesius), René (1596–1650) 145, 187, 235, 273 Dham, Familie 88 Diede zum Fürstenstein, Familie 349 Diede zum Fürstenstein, Hans Eitel (1624– 1685) 390 Dietrich, Thomas Abraham († um 1708) 275, 283 Dilich (Scheffer), Wilhelm (1571–1650) 136 Dilthey, Johann Eberwein (1654–1721) 375 Dilthey, Philipp (1619–1690) 376 Diokletian (Gaius Aurelius Valerius Diocletianus, † um 312), römischer Kaiser 135

Personenregister

Dlugosch (Długosz), Andreas (Andrzej, † um 1658) 310 Dobiaszewski, Familie 86 Dobschütz, Abraham Ernst von (1644– 1675) 181, 190, 246f. Dobschütz, Karl Heinrich von (G 1645) 181, 190, 246f. Dörnberg, Johann Caspar von (1616– 1680) 343, 352, 357, 378 Dohna, Christian Albrecht von (1621– 1677) 281f. Dohna, Karl Hannibal von (1588–1633) 287 Dolaeus (Doläus), Johann (1651–1707) 404 Dombnig (Dombnigk), Familie 88 Donop, Anton Gabriel von († 1681) 343, 357, 359, 371 Donop, Elisabeth von, geborene Bock von Wülfingen 369 Dorothea (1636–1689), geborene Prin- zessin von Schleswig-Holstein-Sonder- burg-Glücksburg, verwitwete Herzogin von Braunschweig-Lüneburg, Kur- fürstin von Brandenburg 369 Dorothea Elisabeth (1646–1691), geborene Prinzessin von Brieg, Fürstin von Nassau-Dillenburg 372, 374, 376, 380 D’Orell, Hermann († 1682) 110 D’Orville (Dorvillius), Johann Joachim (1633–1688) 344 D’Orville (Dorvillius), Johannes Daniel (1645–1696) 105 Drach, Familie 88 Dreßler, Bernhard (1630–1693) 268 Dreyling (Dreylingk), Johann von 110 Dryander, Johannes Jonas 191 Du Buc (Bucanus), Guillaume (Wilhelm, † 1603) 92 Duising (Duysing), Heinrich (1628–1691) 388 Duising (Duysing), Katharina Lucie → Motz, Katharina Lucie Duising (Duysing), Lucia → Formanoir, Lucia Dury (Durie, Duraeus), John (1596–1680) 355

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Duve, Johann (1611–1679) 363 Dwerhagen (de Verhagen), Johann (1652– 1694) 400 Egmond, Lamoral Graf von (1522–1568), Fürst von Gavre 178 Eick, Anna Elisabeth von → Schlebusch (Schleebusch, Schlepusch), Anna Elisabeth von Eick, Sigismund von 334 Eickel (Eickell), Johann Florens von (um 1643–1672) 115 Eisenberg, Jakob Christian (1642–1702) 275 Eleazar (Heyland), Hiskias (1624–1691) 119 Elisabeth (1596–1662), geborene Elizabeth Stuart, Prinzessin von England und Schottland, Königin von Böhmen und Kurfürstin von der Pfalz 112, 143 Elisabeth (1207–1231), Landgräfin von Thüringen, Heilige 136, 373 Elisabeth von der Pfalz (1618–1680), als Elisabeth III. Äbtissin des Frauenstifts Herford 273 Elisabeth Charlotte (1661–1722), Prinzessin von der Pfalz 343 Elisabeth Henriette (1661–1683), geborene Prinzessin von Hessen-Kassel, Kurprinzessin von Brandenburg 268, 343, 351f., 359f., 368, 370 Emilie (1626–1693), geborene Prinzessin von Hessen-Kassel, Herzogin von Tarent und Talmont 385 Emmerich, Georg (1422–1507) 94 Entius (Ente), David († 1663) 84 Erasmus von Rotterdam (Desiderius Erasmus, um 1466–1536) 243f. Erbach, Luise Anna von, geborene Prinzessin zu Waldeck (1653–1714) 393 Ernst von Bayern (1554–1612), Erzbischof und Kurfürst von Köln 135 Ernst I. (1623–1693), Landgraf von Hessen-Rheinfels-Rotenburg 24, 131, 349, 381 Ernst I., der Fromme (1601–1675), Herzog von Sachsen-Gotha-Altenburg 99

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Anhang

Ernst (III.) von Habsburg (1553–1595), Erzherzog von Österreich und Regent der Spanischen Niederlande 175 Ernst August (1629–1698), Herzog zu Braunschweig und Lüneburg 364 Essenius (van Essen), Andreas (1618– 1677) 144f. Eszéki, István (um 1641–1707) 192 Everigisil (Evergislus, † um 594) 136 Ewaldi Brüder (Ewalde), Heilige 136 Eymann, Johannes (1640–1693) 396 Fabricius (Fabritius), Adolf (1604–1676) 353 Fabricius (Fabritius), Conrad Jacob von (1611–1675) 127 Fabricius (Fabritius), Georg († 1693) 105 Fabricius (Fabritius), Johann Ludwig (1632–1696) 102f. Fabricius (Fabritius), Johann Seobald (1622–1697) 102, 118 Falkenhayn (Falkenhain), Familie 161 Falkenhayn (Falkenhain), Alexander von († nach 1668) 160f., 179 Fausius, Johann Caspar (1601–1671) 106 Fechner, Johannes 93 Felbinger, Jeremias (1616–1690) 270, 276f. Felin (Felinus), Timotheus († um 1667) 280 Felinus, Johannes ( Jan, 1603–1662) 85 Ferdinand Albrecht I. (1636–1687), Herzog von Braunschweig-Wolfenbüttel-Bevern 397 Fisler, Johann Heinrich 148f. Flemming, Heinrich von 109 Floccenius (Flocken), Marcus (1615–1674) 104, 114 Florentius, römischer Soldat der legendären Thebäischen Legion 134 Formanoir, Lubert (1634–1696) 359, 382, 399f., 402 Formanoir, Lucia, geborene Duising (Duy- sing, 1638–1711) 382, 384, 388, 399– 401 Fragstein, Familie 88 Frais, Johann Jakob († um 1667) 115

Franck (von Franckenburg), Tobias (1616– 1686) 316f. Franckenberg, Familie 88 Frenzel (Frencelius), Joachim (1611–1669) 77 Freudenberg, Christoph (1634–1706) 275 Freytag, Gustav (1816–1895) 40, 42 Friederich, Hedwig → Vechner, Hedwig Friedrich (1616–1682), Landgraf von Hessen-Darmstadt, Bischof von Breslau 296, 373 Friedrich (1617–1655), Landgraf von Hessen-Eschwege 310, 397 Friedrich (1676–1751), Erbprinz von Hessen-Kassel 395 Friedrich I. (1657–1713), König in Preußen, als Friedrich III. Kurfürst von Brandenburg, Herzog in Preußen 268, 351f., 359f., 368f. Friedrich I. (1596–1632), König von Böhmen, als Friedrich V. Kurfürst von der Pfalz 112, 115, 143, 224 Friedrich I., der Siegreiche (1425–1476), Pfalzgraf bei Rhein, Kurfürst von der Pfalz 117 Friedrich IV. (1574–1610), Kurfürst von der Pfalz 116 Friedrich VI. (1617–1677), Markgraf von Baden-Durlach 102 Friedrich Heinrich (1614–1629), Pfalzgraf 224 Friedrich Wilhelm (1620–1688), Kurfürst von Brandenburg, Herzog von Preußen 262, 264–266, 274, 277f., 297, 369 Friesen, Nikolaus Gerlach von († um 1688) 123 Friesenhausen, Philipp Sigismund von (1630–1704) 114 Frobenius (Froben), Aurelius Sebastian (1641–1664) 107 Frobenius (Froben), Emanuel (1604–1684) 106f. Frohne, Johann Bernhard (1621–1690) 381 Fromhold, Matthias († 1676) 278 Fuchs, Johann 110 Fuchs, Thomas 37

Personenregister

Fürst, Georg Rudolf von 109 Fürst, Johann Georg von 109, 178 Gabriel, Martin 105 Gaffron, Familie 88 Galen, Christoph Bernhard von (1606– 1678), Fürstbischof von Münster 71, 102, 111, 154 Galen, Johann van (1604–1653) 205 Gall, Hieronymus von († 1684) 344, 354, 357, 388 Geismar (Gaismar), Johann Friedrich von († 1697) 379, 390 Gelhorn, Familie 88 Georg III. (1611–1664), Herzog von Brieg und Liegnitz 76, 91, 289, 376 Georg Ludwig (1618–1656), Erbprinz von Nassau-Dillenburg 375 Georg Wilhelm (1660–1675), Herzog von Liegnitz, Brieg und Wohlau 80, 146, 323, 335–337, 355 Gerhard (Gerhardus), Johannes (1597– 1668) 84 Gerhard, Martin († 1694) 268 Gerlach, Stephan (1621–1697) 106 Germanus (Germain, um 378–448), Bischof von Auxerre, Heiliger 135 Gersdorf, Familie 290 Gertich, Nikolaus (Mikołaj) (1624–1671) 85, 301f., 304, 306 Gfug, Familie 88 Gliński (Glinsky), Familie 86 Goclenius (Göckel), Rudolf der Ältere (1547–1628) 374 Glöckner, Georg Gisbert (1640–1689) 115 Goetze, Georg (1633–1699) 362 Goldenstein (Goldstein), Johann Gottlieb von 87 Goldmann, Catharina, geborene Noortbergen († nach 1665) 182 Goldmann, Friedrich (1622–1665) 182 Goldmann, Nikolaus (1611–1665) 182 Golius (van Gool), Jacob (1596–1667) 182, 186, 192 Göllnitz, Abraham († 1643) 165 Gönner, Catharina, geborene Lucas († nach 1666), Tante von Friedrich Lucae 68f.

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Gönner, Nicolaus (1597–1666) 68f. Gorries von Gorgas, Gustav 116 Gräfendorf (Gräffendorff ), Familie 98 Graevius (Gräve), Johann Georg (1632– 1703) 147 Gravius, Anna Christiane, geborene (von) Schmettau (1663–1685) 74 Gravius, Hermann (1650–1721) 74 Grebenitz (Grebnitz), Elias (1627–1689) 270f., 274 Grison, William († nach 1678) 361, 365, 367 Grodnitz von Grodnau, Karl Melchior 115 Groeben, Familie 88 Gronovius (Gronow), Johann Friedrich (1611–1671) 60, 186 Grote, Gertrud Sophie von → Grumbkow, Gertrud Sophie von Groten (Grote), Georg Werner von (G 1641) 109 Grotius (de Groot), Hugo (1583–1645) 106, 156 Grünhagen, Colmar (1828–1911) 10f. Gruhn, Herbert (1893–1948) 43 Grumbkow, Gertrud Sophie von, geborene von Grote (um 1653–1693) 345 Grumbkow, Joachim Ernst von (1637– 1690) 345 Grundmann, Martin (1619–1696) 77 Gruszczyńska, Christina → Schlichting und Bukowiec, Christina von Gruttschreiber (Grudtschreiber), Familie 88 Gruttschreiber (Grudtschreiber), Adam Friedrich von (1645–1709) 76, 109 Guido von Avesnes († 1317), Bischof von Utrecht 234 Gulick, Jan van 192 Gustav II. Adolf (1594–1632), König von Schweden 97, 279 Gustavson, Gustav (1616–1653) 245 Gutbier, Jeremias († 1684) 325 Gyllenancker (Gyllenanker), Bengt 191 Hachenberg, Paul (1642–1680) 356 Hacke, Johann Dietrich (1627–1704) 347f.

416

Anhang

Hadrian VI. (Adriaan Floriszoon, 1459– 1523), Papst 152 Haen, Cornelis Jansz de (1580–1633) 205 Halcke, Gustav Georg von (1647–1713) 406 Hall, Joseph (1574–1656) 323 Ham (Hamm), Balthasar 102, 111 Hanhart (Hanhardus), Johann Balthasar (1643–1729) 105 Hanneken, Philipp Ludwig (1637–1706) 394 Hannemann, Anna, geborene (von) Schmettau 75 Hannemann, Tobias (1596–1649) 75 Hannenstein, Anna (von) → Hannemann, Anna Hanstein, Burchard von 109 Hanstein, Dietrich von (1644–1716) 398, 403 Hardenberg, Familie 361 Hartmann, Reinhard 102 Hartmann, Adam Samuel (1627–1691) 30, 309–311 Hartnack, Daniel (1642–1708) 274 Hasseus, Thomas Barthold 105 Hast (Hasten), Justine Elisabeth, geborene Biermann († 1702) 405 Hast (Hasten), Johann Conrad (1622– 1678) 405 Hatto II. († 970), Erzbischof von Mainz 129 Haxthausen, Heinrich (1624–1702) 344 Hecht, Gustav (1872–1959) 17 Hector, Anna → Vechner, Anna Hector, Johann 267 Hedwig Sophia (1623–1683), geborene Markgräfin von Brandenburg, Landgräfin von Hessen-Kassel 24, 338, 342, 344–346, 349, 351–353, 356f., 360, 368–371, 379, 385, 390 Heemskerk (Hemskerck), Jacob van (1567– 1607) 205 Heermann, Ephraim (1627–1689) 307 Heidanus (van der Heyden), Abraham (1597–1678) 183 Heidanus, Maria → Crucius (de la Croix), Maria

Heidelbach, Paul (1870–1954) 42 Heilersieg, Anton Günther (1662–1696) 384f., 389f., 395, 399f., 402f., 406 Heilersieg, Bernhard (1606–1683) 384f., 387 Hein (Heinsius), Georg (um 1629–1699) 345, 358, 360, 379, 389, 392 Heinrich (1641–1701), Fürst von NassauDillenburg 371, 375f. Heinrich XXVII. von Schwarzburg (1440– 1496), als Heinrich II. Erzbischof von Bremen, als Heinrich III. Bischof von Münster 401 Helcher, Joachim 275 Helmstatt (Helmstadt), Carl Valentin von (1647–1702) 109 Henneberg, Margarete von (1234–1276) 234 Hensel, Johann Adam (1689–1778) 15 Heppe, Johann Philipp (1628–1701) 202 Herberger, Valerius (1562–1627) 309 Herberstein, Johann Bernhard von (1630– 1685) 314 Hermann IV. (1607–1658), Landgraf von Hessen-Rotenburg 371 Hermann, Georg 93 Hermsdorf (Hermsdorff ), Christian 369 Hertefeld, Jobst Gerhard von und zu (1594–1659) 142 Hertefeld, Stephan von und zu 142, 144, 147f., 151, 154f., 158, 160, 163, 171f., 174, 180f. Hertzberg, Bartholomaeus 116 Hessus (Koch), Helius Eobanus (1488– 1540) 374 Heuckenrod, Johann (1613–1696) 398f. Heuckenrod, Margarete Magdalena († 1658) 399 Heyde (Heide), Familie 88 Heydebreck, Bogislaw von (1645–1676) 352 Hildebrand, Hermann (1635–1707) 376 Hilmers, Heinrich (Henrich, 1632–1695) 386 Hipsted (Hippstedt), Johann (1612–1682) 347 Hoff, Wilhelm von (1644–1689) 371

Personenregister

Hoffmann, Philipp Ludwig 115 Hohenlohe-Weikersheim, Siegfried von 100 Holle, Almata → Schnelle, Almata Holstein (Holsteinius, Holstenius), Gideon (1630–1682) 351 Hollstein (Holstein), Margarete → Lucas, Margarete Holmannus, Johannes (1523–1586) 194 Holtermann, Arnold Moritz (1627–1681) 378 Hoornbeeck (Hoornbeek), Johannes (1617–1666) 102, 184 Hopf, Wilhelm (1876–1962) 46 Hopstock, Balthasar 308, 313 Horaz (65–8 v. Chr.) 10 Horn (Hornius), Christian 269 Horn (Hornius), Georg (1620–1670) 186, 236, 247, 325 Horn (Hornius), Johann Friedrich (um 1629–1665) 76 Horne (Hornius), Johannes van (1621– 1670) 185 Hosemann (Hoßmann), Agnes, verwitwete Lilge, geborene Lucas († 1648), Tante von Friedrich Lucae 68f. Hosemann (Hoßmann), Agnes († 1676) 69 Hosemann (Hoßmann), Elias I. (1580– 1630) 69 Hosemann (Hoßmann), Elias II. († 1665) 69 Hosemann (Hoßmann), Elias III. (1654– 1724) 69 Hosemann (Hoßmann), Ursula, geborene Buchwälder († 1674) 69 Hove (Hortensius), Maarten van den (1605–1639) 59, 210 Huber, Rudolph (1625–1688) 56, 202, 221 Hünerfänger (Hoendervanger), Johann Adam (um 1600–1671) 151 Hülsemann (Hilsmann), Theodor (um 1635–1716) 345 Hülsemann (Hilsmann), Sophia Elisabeth, geborene von Börstel (Borstell, 1656 – nach 1716) 345 Hund, Familie 88

417

Im Hof (Imhoff ), Johann Jakob (1627– 1700) 300 Ingebrand (Ingebrandt), Johann († nach 1689) 394 Isabella Clara Eugenia von Spanien (1566– 1633), Statthalterin der Spanischen Niederlande 136, 176, 178 Isabelle de Bourbon (1437–1465), Herzogin von Burgund 166 Israel, Jacob (1621–1674) 106 Ittersum, Johan Barthold van 109 Jäschke ( Jeschke), Elisabeth, geborene Mücks (Müks, Mücke) 71 Jäschke ( Jeschke), Friedrich 71 Jäschke ( Jeschke), Johann 71 Jäschke ( Jeschke), Johann Heinrich 71 Jałowicki, Familie 88 Jansen Rüpke (Rupke), Hendrik 366f. Jeckel, Jakob (1643–1719) 105 Jena, Friedrich von (1620–1682) 271 Joachim I. (1484–1535), Kurfürst von Brandenburg 264 Jöcher, Christian Gottlieb (1694–1758) 28 Johann Christian (1591–1639), Herzog von Liegnitz, Brieg und Wohlau 72, 284 Johann Cicero (1455–1499), Kurfürst von Brandenburg 264 Johann Friedrich (1625–1679), Herzog von Braunschweig-Lüneburg 362 Johann Georg I. (1634–1686), Herzog von Sachsen-Eisenach 99 Johann Georg II. (1613–1680), Herzog von Sachsen 100 Johann Georg II. (1627–1693), Fürst von Anhalt-Dessau 326 Johann Moritz (1604–1679), Fürst von Nassau-Siegen 227f. Joly, Paul (1638–1710) 407 Jonston ( Johnston), Jan ( John, 1603– 1675) 307 Jordan, Familie 88 Julius Franz (1641–1689), Herzog von Sachsen-Lauenburg 260 Jungius, Tobias (1608–1667) 84 Jungmann, Johann Heinrich (1620–1697) 344

418

Anhang

Junius, Franz der Jüngere (1591–1677) 211 Justus, Johann Karl († 1698) 181 Kalckhoff, Johann Christoph (1684–1752) 33–40, 45, 48 Karl (1654–1730), Landgraf von HessenKassel 37, 343, 351, 354–360, 368, 370, 373, 379, 384–386, 388–393, 406f. Karl (1649–1711), Landgraf von HessenWanfried 381 Karl I., der Große (um 747–814), römischer Kaiser 261, 382 Karl I. (1600–1649), König von England, Schottland und Irland 329 Karl I. der Kühne (1433–1477), Herzog von Burgund 166, 176 Karl II. (1630–1685), König von England, Schottland und Irland 143, 229 Karl II. (1651–1685), Kurfürst von der Pfalz 102, 107f., 111, 370, 377 Karl V. (1500–1558), römisch-deutscher Kaiser 124, 162, 176 Karl August, Fürst von Nassau-Weilburg (1685–1753) 40 Karl Christian, Fürst von Nassau-Weilburg (1735–1788) 40 Karl X. Gustav (1622–1660), König von Schweden, als Karl Gustav Pfalzgraf und Herzog von Pfalz-Zweibrücken 107 Karl Jakob (1654–1677), Prinz von Kurland 352 Karl I. Ludwig (1617–1680), Kurfürst von der Pfalz 101f., 107f., 111, 113, 115f., 118f., 125, 127, 224, 291, 356 Kennewie, Elisabeth (Margaret) → Mercer, Elisabeth (Margaret) Keppel (Koeppelius), Johann Georg 105 Kerckhoven (van den Kerchoven), Johannes Polyander a (1568–1646) 195 Kettler, Friedrich Kasimir (1650–1698), Prinz von Kurland 343, 352 Keudell, Familie 350 Kirchner, Theobald Paul 110 Klapmeier, Agnes († nach 1676) 400 Klapmeier, Johann († um 1696) 400

Klaute, Johann Balthasar (1653–1733) 38 Klöpper, Johann (1633–1708) 345, 377 Knichen, Rudolf Gottfried (von, vor 1621– 1682) 306, 316, 334, 339 Knigge, Jobst Hilmar von (1605–1683) 313–315 Knobelsdorff, Familie 88 Knoch, Friedrich (1650–1721) 40f., 49, 394 Kober (Koberus), Johann Georg 275 Kochlewski, Familie 86 Köckritz, Ernst Friedrich von (1642–1695) 109 Kölichen (Kölich, Köhlich), Johann 306, 308, 312f. Königsmarck, Hans Christoph von (1600– 1663) 100 Kołaczek (Placentius), Jan ( Johannes, 1630–1683) 273, 276, 280 Kolschitzky (Kulczycki), Familie 86 Komorowski, Familie 86 Komorowski, Jan 87 Kornmann, Heinrich (1579–1628) 120 Koschembahr (Kuschenbar), Familie 88 Koschembahr (Kuschenbar), Hans Caspar von (1640–1716) 120 Koselowski (Koselowsky), Familie 88 Kotkowski, Familie 86 Kramer, Familie 46 Kramer, Karl-Sigismund (1916–1998) 46, 53 Krause (Crusius), Anna Sophia Luise, geborene (von) Schmettau (1658–1723) 74, 288, 290 Krause (Crusius), Wolfgang Friedrich († 1706) 74, 288 Kreckwitz, Abraham von 234 Kreckwitz, Hans Ernst von (1630–1691) 335 Kummen (Cummius), Alhard Hermann 191 Kunigunde Juliane (1608–1683), geborene Prinzessin von Anhalt-Dessau, Landgräfin von Hessen-Rotenburg 371 Kunowitz, Johann Dietrich von (1624– 1700) 343, 357, 388 Kunsch von Breitenwald, Johann (1620– 1681) 76, 264, 266, 337f.

Personenregister

L’Alouette de Vernicourt, Frédéric de (1623–1698) 408 L’Ambremont (Lambremont), Philippe de († 1719) 407 L’Aubespine, François de (um 1584–1670), Marquis de Hauterive 160 La Fontaine, André de (1621–1705) 75, 365 La Fontaine, Marie de → Schmettau, Marie (von) Lamprecht (Lambrecht), Johann 70, 267 Lamprecht (Lambrecht), Maria → Mücks (Müks, Mücke), Maria Landas, Johann Friedrich von († 1676) 113 Langenbeck, Heinrich (1603–1669) 255 Larisch, Familie 89 Lasowski (Lasowsky), Familie 86 Laubinger, Johannes (1652–1699) 350 Laurentius, Johann (1635–1695) 302 Ledebur, Gerhard Jan von (1628–1679) 347 Lehman, Georg (1616–1699) 341 Leibniz, Gottfried Wilhelm (1646–1716) 22–24, 26f., 39 L’Empereur van Opwyck (Oppijck), Antonia → Stuart, Antonia L’Empereur van Opwyck (Oppijck), Apigaïl, geborene Thysius 187 L’Enfant (Lenfant), Paul (1617–1686) 407 Leopold I. (1640–1705), römisch-deutscher Kaiser 100, 119, 274, 323, 335, 337, 339, 381 Lerche, Michael (1634–1692) 73 Lesle, Johann Walther (um 1625–1679) 270, 278, 284 Leszczyński, Rafał (1650–1703) 310 Leuneschloß, Abraham von († um 1677) 106 Letsch, Johann Christoph (1634–1686) 297 Leusden, Jan (1624–1699) 188 Lewenhaupt, Gustaf Mauritz von (1651– 1700) 109 Leyen, Karl Kaspar von der (1618–1676), Erzbischof und Kurfürst von Trier 132 Lichnowsky, Familie 89

419

Lichtstern, Friedrich → Lucae, Friedrich Lilge, Agnes → Hosemann, Agnes Lilge, Caspar († vor 1645) 68f. Lilgenau, Wilhelm Wenzel von (1634– 1693) 76, 289f., 300f. Limprecht, Volkmar (1615–1663) 98 Lincker, Georg von (1630–1699) 379 Linda, Lucas de (1625–1660) 200 Lindau, Johann Friedrich von (1637–1719) 109 Lindenowski, Johannes (von) 77 Lindholtz, Tobias 274 Lindner, Georg 328, 336 Lindner, Paul Christoph (G 1606) 73 Lindner, Sophie Dorothee → Schweitzer (Schweizer), Sophie Dorothee Line, Albert von 380, 400 Line, Johann von (1627–1682) 380 Lingelsheim, Georg Michael (1556–1636) 115 Lingelsheim, Ludwig 115 Lipsius (Lips), Justus ( Joest, 1547–1606) 169 Lobwasser, Ambrosius (1515–1585) 96 Lobwasser, Paul (1513–1566) 96 Lochau, Carl Gebhard von 341 Löscher, Valentin Ernst (1673–1749) 13 Logau, Familie 89 Londi (Londy), Anna Elisabeth von → Schlebusch (Schleebusch, Schlepusch), Anna Elisabeth von Londi (Londy), Jacob von († 1659) 331 Londi (Londy), Maria Elisabeth von → Poser, Maria Elisabeth von Loten, Carel (1584–1652) 183 Loten, Sara (1608–1669) 183 Loyola, Ignatius von (1491–1556) 166 Lubiniecki (Lubienetzky), Familie 86 Lucä → auch Lucae, Lucas Lucä, Emma (1819–1893) 19 Lucä, Friedrich (1815–1859) 11, 18–32, 37, 39f., 43, 45f., 48, 50–54, 66 Lucae → auch Lucä, Lucas Lucae, Familie 18–20, 26, 28–30, 34, 39– 41, 45–48, 51f., 55, 62 Lucae, Anna Wilhelmine Friederike, geborene Reichenecker (1865–1935) 44f.

420

Anhang

Lucae, Elisabeth, geborene Mercer (um 1640–1686), erste Ehefrau von Friedrich Lucae 51, 327–336, 339–342, 345–347, 350f., 353f., 356, 358, 361, 366–368, 378–380, 382, 384f., 387, 391–393, 395, 403–406 Lucae, Elisabeth Luise, geborene von Wesenbeck († 1699), zweite Ehefrau von Friedrich Lucae 39 Lucae, Friedrich (1644–1708) 10–12, 14, 16–18, 21–27, 29–66 Lucae, Friedrich Heinrich (1709–1773) 40 Lucae, Friedrich Wilhelm (1857–1861) 44 Lucae, Gustav (1814–1885) 19–22, 26, 53 Lucae, Gustav (1854–1903) 44 Lucae, Hedwig Sophia → Rübenkönig, Hedwig Sophia Lucae, Karl (1677–1712), Sohn von Fried- rich Lucae 14, 38–41, 303, 358f., 367f., 380, 384, 399, 405f. Lucae, Konrad (1910–1999) 19, 49, 53 Lucae, Lucia Henrietta (1683–1685), Tochter von Friedrich Lucae 38, 388, 391 Lucae, Ludwig Christian (1768–1858) 26 Lucae, Samuel Christian (1787–1821) 18– 20, 23, 39f., 44, 47–49, 53, 63 Lucas → auch Lucä, Lucae Lucas, Agnes, geborene Schwemm († 1620), Großmutter väterlicherseits von Fried- rich Lucae 68, 71 Lucas, Agnes → Hosemann (Hoßmann), Agnes Lucas, Friedrich → Lucae, Friedrich Lucas, Hans (1569–1649), Großvater väterlicherseits von Friedrich Lucae 67–72 Lucas, Johann (1602–1673), Vater von Friedrich Lucae 30f., 48f., 67–70, 72– 81, 83–85, 90–92, 126, 143, 180, 223, 247, 266–270, 276, 284, 288–290, 292f., 304–307, 310, 320–323, 337 Lucas, Johann Heinrich († 1687) 72 Lucas, Johannes († vor 1644), Bruder von Friedrich Lucae 73

Lucas, Magdalena, geborene Praetorius 72 Lucas, Margarete, geborene Hollstein (Holstein), Großmutter väterlicherseits von Friedrich Lucae 71f. Lucas, Maria Elisabeth → Schmettau, Maria Elisabeth (von) Lucas, Margaretha Sophia († 1670) 72f. Lucas, Maria († vor 1644), Schwester von Friedrich Lucae 73 Lucas, Maria, geborene Mücks (Müks, Mücke, 1618–1666), Mutter von Friedrich Lucae 67, 70, 72, 74, 78, 81–84, 92, 267, 270, 288–290 Ludolf, Hiob (1624–1704) 23 Ludolph, Lorenz (1608–1679) 353 Ludwig VI. (1630–1678), Landgraf von Hessen-Darmstadt 126 Luise (1631–1680), geborene Prinzessin von Anhalt-Dessau, Herzogin von Liegnitz, Brieg und Wohlau 79, 289, 295f., 298, 305, 323f., 326, 338f., 355, 369–371 Lupichius, Johann Jakob (1631–1711) 105 Luther, Martin (1483–1546) 29f., 99, 117, 124, 309, 312 Mansveld (Mansvelt), Regnerus van (1639– 1671) 144, 147, 154 Maresius (Des Marets), Samuel (1599– 1673) 104 Maria (1505–1558), Königin von Böhmen und Ungarn, Statthalterin der Spanischen Niederlande 162 Maria von Medici (1575–1642), Königin von Frankreich 136f., 219 Markmann, Andreas († 1680) 275 Marstaller, Friedrich Alexander (1814– 1875) 19 Marsvin (Marsveyn), Magnus 109 Martini, Anna Margaretha → Brunsenius (Brunsen), Anna Margaretha Martini (Martinius), Heinrich (1615– 1675) 77–80 Marwitz, Familie 89 Marwitz, Friedrich von der († nach 1642) 76, 284

Personenregister

Marwitz, Hans Dietrich von der (1609– 1680) 76, 284 Massys (Massijs, Matsys), Quentin (um 1466–1530) 165 Mathiesen, Friedrich 143, 150, 154 Mathiesen, Georg († um 1665) 150 Matthäus III., Anton (1635–1710) 146 Maximian (Marcus Aurelius Valerius Maximianus, genannt Herculius, † 310), römischer Kaiser 135 Maximilian I. (1459–1519), römisch-deutscher Kaiser 124 Maximilian Heinrich (1621–1688), Her- zog von Bayern, Erzbischof und Kur- fürst von Köln 362 May (Majus), Heinrich (1632–1696) 378, 398, 404 Maydell, Jakob Friedrich von (1658–1677) 341f. Meerman, Gerardina (Dina, G um 1661) 197 Meerman, Johan (1624–1675) 197 Meier, Gerhard (1646–1703) 400 Meisenbug (Meysenbug, Meysebug), Elisa- beth von, geborene Robinson (1629– 1681) 344 Meisenbug (Meysenbug, Meysebug), Wilhelm von († um 1697) 358 Meisenbug (Meysenbug, Meysebug), Wolrad von (1632–1702) 343 Melanchthon (Schwartzerdt), Philipp (1497–1560) 83, 320 Mencel (Mencelius), Joachim der Jüngere (1616–1673) 281 Mercer, Balthasar (Archibald, 1607–1650), Schwiegervater von Friedrich Lucae 329, 366 Mercer, Elisabeth (Margaret), geborene Kennewie (um 1610–1660), Schwiegermutter von Friedrich Lucae 329–331, 361, 366, 404 Mercer, Elisabeth → Lucae, Elisabeth Mercer, Helena → Claypoole, Helena Mercer, John († nach 1654), Schwager von Friedrich Lucae 404 Mercer, Margarethe → Uckermann, Margarethe

421

Mercer, Robert (um 1600–1667) 329f. Mercer, Thomas (1641–1653), Schwager von Friedrich Lucae 330, 404 Merian, Matthäus der Ältere (1593–1650) 112, 129, 132 Merian, Johann Rudolph (1639–1670) 104 Meteren, Emanuel van (1535–1612) 56, 160 Meyer, Albert († nach 1692) 400 Meyer, Conrad 104 Meyer, Nikolaus († nach 1692) 400 Meyer von Münzebruch (Muntzbrug), Adolf Christian (G 1644) 245f. Meyer von Münzebruch (Muntzbrug), Hugo Konrad (G 1643) 245f. Meyer von Münzebruch (Muntzbrug), Hermann 245 Mickisch, Albert († 1682) 104 Mieg, Carl (1633–1684) 115 Mieg, Johann Ludwig (1609–1671) 115 Mierzyński, Familie 86 Milagius (von Milagsheim), August (1633– 1685) 338 Miliński (Milinsky), Familie 86 Mittmeyer (Mittmeier), Christoph Wilhelm von 109 Mobachius (Mobach), Johann 103, 147 Möller (Mollerus), Johann 105, 127, 133f., 140 Moller, Hieronymus Hartwig (1641–1702) 110 Moller, Martin (1547–1606) 323 Momberg, Johannes (1626–1678) 345 Momma, Wilhelm (1642–1677) 366 Montmorency-Nivelle, Philippe II. de (um 1524–1568), Graf von Hoorn 178 Morawitzky, Familie 89 Moretus, Jan (1543–1610) 169 Moritz, der Gelehrte (1572–1632), Landgraf von Hessen-Kassel 382 Moritz (1567–1625), Prinz von Oranien, Graf von Nassau-Dillenburg 156, 194, 228 Morstein, Familie 86 Morus (More), Alexander (1616–1670) 59, 210

422

Anhang

Moskowski (Moskowsky), Familie 86 Motz, Johann Christian (1604–1683) 344, 387 Motz, Justin Eckhard (1643–1723) 388 Motz, Katharina Lucie, geborene Duising (Duysing, 1663–1697) 388 Moura, Francisco de (1610–1675), Marquês de Castelo Rodrigo 127, 177f. Mücks (Müks, Mücke), Familie 78 Mücks (Müks, Mücke), Dorothea → Schwedler, Dorothea Mücks (Müks, Mücke), Elisabeth → Jäschke, Elisabeth Mücks (Müks, Mücke), Johann Heinrich, Großvater mütterlicherseits von Friedrich Lucae 70, 73, 78 Mücks (Müks, Mücke), Maria, geborene Lamprecht (Lambrecht), Großmutter mütterlicherseits von Friedrich Lucae 70, 267 Mücks (Müks, Mücke), Maria → Lucas, Maria Mücks (Müks, Mücke), Nikolaus, Urgroßvater mütterlicherseits von Friedrich Lucae 70 Mücks (Müks, Mücke), Sophia Margaretha, Tante von Friedrich Lucae 270 Müller, Johannes (1598–1672) 254 Mülner, Balthasar († 1692) 77 Münch, Nikolaus (1625–1680) 344 Münchhausen, Familie 398 Münster, Arnold Albert von 109 Münster, Sebastian (1488–1552) 129 Musculus, Johannes (1635–1708) 379 Mylius, Georg 274 Naticius, Anna Elisabeth → Bernhardi, Anna Elisabeth Nethenus, Matthias (1618–1686) 376 Neuberger, Theophilus (1593–1656) 394 Neuhoff (Niehof ), Wilhelm Weinmar von 109 Niclasius (Niclassius, Niclas), Albert (1641–1675) 191 Nieuhausen, Willem van 191 Niesemeuschel, Familie 89 Nimptsch, Familie 89

Nordenholt, Wolert († 1689) 105, 120 Noortbergen, Catharina → Goldmann, Catharina Nostitz, Bertha Helene von → Baumbach, Bertha Helene von Nostitz, Johann Christoph von (1638– 1724) 109 Nüssler (Nüßler), Wilhelm 275, 315 Öffener, Georg Friedrich von (1621–1693) 397 Oer, Burkhard von († nach 1676) 343 Oexle (Oexl), Johann Georg von (1605– 1675) 101 Oldenburger, Philipp Andreas (1617– 1678) 110 Oranien-Nassau, Familie 158 Otterwolff, Familie 89 Ottheinrich (1502–1559), Pfalzgraf bei Rhein, Kurfürst von der Pfalz 116 Oxenstierna, Gabriel Gabrielsson 107 Oxenstierna, Gabriel Turesson (1642– 1707) 107 Oxenstierna, Gustav Adolf (1648–1697) 107 Oxenstierna, Ture Turesson 107 Pagenstecher, Andreas Christian (1612– 1677) 344, 357, 360 Paludanus, Bernardus (Berent ten Broecke, 1550–1633) 250 Papin, Denis (1647–1713) 27 Patschinsky, Familie 89 Pauli, Abraham († um 1650) 303 Pauli, Christian (1625–1696) 80, 303f., 313, 315–319, 322, 359, 361, 365–367 Pauli, Reinhold Georg (1638–1682) 104, 374, 378 Paullini, Christian Franz (1643–1712) 23 Pavelowsky (Pafelowsky), Familie 89 Peil, Arnold († 1688) 115 Pein, Johann Ernst von (1641–1705) 181, 190, 192 Pelargus (Storch), Christoph (1565–1633) 31, 269, 277 Pelargus (Storch), Gottlieb (1605–1672) 31, 269, 277, 284

Personenregister

Perrachon du Collet, Jean († nach 1693) 408 Pflugk (Pflug), Familie 96 Pforr (Pforrius), David (1631–1688) 342, 345, 352f., 357, 360, 388, 390 Philipp (1655–1721), Prinz von HessenKassel 343, 392 Philipp I., der Großmütige (1504–1567), Landgraf von Hessen 136, 373 Philipp II. (1527–1598), König von Spanien 167 Philipp Wilhelm (1615–1690), Herzog von Neuburg, Jülich und Berg, Kurfürst von der Pfalz 138 Pichegru, Jean-Charles (1761–1804) 28 Pirner, Tobias der Jüngere (1626–1705) 329, 331–333 Plantijn, Christoffel (um 1520–1589) 169 Platen, Franz Ernst von (1631–1709) 362 Platon (428/427 v. Chr.–348/347 v. Chr.) 67 Plessen, Christian Siegfried von (1646– 1723) 379 Plessis-Gouret, Friedrich Wilhelm du (G um 1670) 284 Plessis-Gouret, Isaak du (1637–1688) 284f. Plessis-Gouret, Lorenz Christoph du (G um 1672) 284 Plettenberg, Johann von (1602–1675) 277 Pörtner, Hermann 398 Polisius, Melchior (1600–1671) 272 Posadowsky, Familie 89 Poser, Heinrich der Jüngere von (1630– 1680) 331–334 Poser, Maria Elisabeth von, geborene von Londi (Londy, 1646–1699) 331f. Potworowski (Potworowsky), Familie 86 Praetorius, Magdalena → Lucas, Magdalena Praetorius (Schultze), Johannes (Hans, 1630–1680) 319 Pratermann, Georg 83 Prittwitz, Familie 89 Pritzelwitz, Familie 89 Pufendorf, Samuel (von, 1632–1694) 106 Quast, Albrecht Christoph von (1613– 1669) 262

423

Raczek, Familie 89 Raey (Raei), Johannes de (1622–1702) 187f. Ram (Ramaus), Jacob de 191 Ramspeck, Sebastian (1615–1668) 102, 106 Randau (Randow), Familie 89 Ranke, Leopold (von, 1795–1886) 9 Rantzau (Ranzow), Familie 393 Rehm, Friedrich (1792–1847) 28 Reich, Johann Jakob (1642–1690) 106 Reichenecker, Anna Wilhelmine Friederike → Lucae, Anna Wilhelmine Friederike Reigersberch, Maria van (um 1589–1653) 156 Reusner, Christian (1627–1684) 340 Rhaden, Lucius von († 1686) 265 Rhadion, David († 1695) 283 Rhetz (Rhetius), Johann Friedrich (1633– 1707) 271 Rhor, Familie 89 Říčanský von Říčan (Říčanský z Říčan), Karl Wilhelm (Karel Vilém, † 1687) 297 Riedesel zu Eisenbach, Johann (1624– 1691) 357 Riemann, Johannes 84 Rihel (Richel), Johannes Daniel 111 Ring, Thomas Siegfried (1644–1707) 77 Risselmann (Rießelmann), Johann (1630– 1698) 273 Robinson, Elisabeth → Meisenbug (Meysenbug, Meysebug), Elisabeth von Rochow (Rochau), Samuel Friedrich von (1641–1727) 109 Rötcher, Franz Christian (1637–1693) 369, 391 Rohde, Carl Theodor (1798–1874) 23 Rohr, Nikolaus (Niklas) von († 1644) 82 Rommel, Christoph (von, 1781–1859) 24f. Rommel, Gustav Adolf (1803–1868) 24 Rosenroll, Sylvester (1646–1721) 109 Rotarius, Johann († um 1705) 77 Rothkirch, Familie 89 Roy (Regius), Hendrik de (1598–1679) 146

424

Anhang

Różycki (Rositzky), Familie 86, 93 Różycki (Rositzky), Andrzej 93, 109, 113 Różycki (Rositzky), Jan 93, 109, 113 Różycki (Rositzky), Samuel 93 Rubens, Peter Paul (1577–1640) 166, 170, 178 Rudolf II. (1552–1612), römisch-deutscher Kaiser 13 Rübenkönig, Georg Hermann (1666–1740) 35–39 Rübenkönig, Hedwig Sophia, geborene Lucae (1679–1703), Tochter von Friedrich Lucae 35, 38, 369, 371, 384, 390, 392, 405f. Rufius, Albertus († 1678) 59, 210 Rumohr, Detlef von (1634–1678) 358 Rumold von Mecheln († Ende des 8. Jahrhunderts), Heiliger 174 Ruyter, Michiel Adriaenszoon de (1607– 1676) 216 Sagittarius, Johann Christian (1603–1674) 265 Salmuth, Johann (1552–1622) 112 Sartorius, Peter (1642–1693) 105 Saur (Saurius), Abraham (1545–1593) 56 Sayn-Wittgenstein, Christian von 113 Sayn-Wittgenstein, Karl Ludwig von (1655–1699) 107 Scaliger, Joseph Justus (1540–1609) 195 Schacher, Christoph Hartmann (1633– 1690) 341 Schaffgotsch, Christoph Leopold Gotthard von (1623–1703) 318f. Scharbach, Caspar († nach 1685) 105 Scharff, Gottfried Balthasar (1676–1744) 13 Schellendorff, Wolf August Carl von (1598–1666) 96 Schertel von Burtenbach, Georg Friedrich (1642–1703) 102, 109 Schilling, Familie 86, 89 Schindelberg, Ernst Ferdinand von 181, 190 Schirmer, David der Jüngere (1643–1712) 103, 105, 123f. Schirmer, David der Ältere 123

Schlabrendorf (Schlabrendorff ), Otto der Ältere von († 1672) 281f. Schlebusch (Schleebusch, Schlepusch), Anna Elisabeth von, verwitwete von Londi (Londy), geborene von Eick (1626–1706) 329, 331–334 Schlebusch (Schleebusch, Schlepusch), Jacob von (1613–1675) 328f., 331 Schlebusch (Schleebusch, Schlepusch), Susanna Elisabeth von → Bibran, Susanne Elisabeth von Schlichting, Christina von, geborene Gruszczyńska (um 1640–1676) 308 Schlichting, Samuel der Ältere von (G 1627) 308 Schlieben, Johann Friedrich von (1630– 1696) 109 Schlözer, August Ludwig (von, 1735–1809) 55 Schlüter, Heinrich (1647–1675) 105 Schmeskal (Smeskal, Schmiskall), Familie 89 Schmettau, Familie 287 Schmettau, Anna (von, 1613–1672) 75 Schmettau, Anna Christiane (von) → Gravius, Anna Christiane Schmettau, Anna Sophia Luise (von) → Krause (Crusius), Anna Sophia Luise Schmettau, Ernst (von, 1622–1687) 74 Schmettau, Eunike (von), geborene Vechner (1624–1686) 267 Schmettau, Georg (von, 1615–1672) 74, 267 Schmettau, Gottfried (von, 1620–1668) 74f. Schmettau, Heinrich (von, 1629–1704), Schwager von Friedrich Lucae 16, 28f., 74f., 80f., 93, 267, 279f., 290, 320–323, 326, 368 Schmettau, Henrietta (von) → Sohr, Henrietta Schmettau, Maria Elisabeth (von), geborene Lucas (1641–1700), Schwester von Friedrich Lucae 16, 73f., 81, 93, 267, 275, 279, 288, 290, 320f., 359 Schmettau, Maria Elisabetha (von) → Steinhäuser, Maria Elisabetha

Personenregister

Schmettau, Marie (von), geborene de La Fontaine (1660–1732) 75 Schmettau, Samuel (von, 1657–1709) 75 Schmettau, Wolfgang (von, 1648–1711) 75f., 377 Schmidtburg, Craft Wilhelm von († 1692) 107 Schmidtburg, Johann Friedrich von 107 Schmiede (Schmied, Schmidt), Anna → Hannemann, Anna Schmiede (Schmied, Schmidt), Christian 75 Schmitten, Johann ter (1608–1679) 367 Schnelle, Almata, geborene Holle (1619– 1677) 331 Schnelle, Conrad (1609–1658) 331 Scholte, Christian 76 Scholtz (Scholz), Christian (von, † nach 1674) 291, 296 Schönaich, Familie 275, 315 Schönaich, Hans von (1623–1675) 31, 310 Schönauer, Hieronymus (1640–1680) 387 Schönauer, Martha 387 Schönborn, Johann Philipp von (1605– 1673), Erzbischof und Kurfürst von Mainz 128 Schoock (Schoockius), Isaac (1650–1681) 273 Schoock (Schoockius), Martin (1614– 1669) 55, 272f. Schoon (Schonaeus), Cornelis 191 Schröder, Justus Jakob 104 Schröer, Georg 269, 275 Schürmann (Schurmann), Anna Maria von (1607–1678) 28, 149 Schulenburg, Fritz von der (1518–1589) 396 Schütter, Peter 388 Schütz von Holzhausen, Philipp Wilhelm 114 Schultz, Peter (1643–1698) 274 Schultze, Gottfried (1611–1662) 194 Schultze, Sigmund († 1678) 278 Schupp (Schuppius), Johann Balthasar (1610–1661) 255 Schuyl (Schuijl), Florentius (Florentz, 1619–1669) 185

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Schwedler, Abraham 71 Schwedler, Anna Elisabeth 71 Schwedler, Dorothea, geborene Mücks (Müks, Mücke) 70 Schwedler, Johann 70 Schwedler, Johann Friedrich 71 Schweinichen, Familie 89 Schweinichen, Hans von (1610–1677) 334f., 337 Schweinitz, Georg Hermann von (1643– 1701) 181, 190, 247 Schweinitz, Johann Christoph von (1645– 1722) 181, 247 Schweinitz, Johann Friedrich von (1647– 1712) 181, 190, 247, 406 Schweitzer (Schweizer), Abraham (1624– 1672) 73, 297 Schweitzer (Schweizer), Margarethe (Martha) 73 Schweitzer (Schweizer), Martha Sophia 73 Schweitzer (Schweizer), Sophie Dorothee, geborene Lindner († 1728) 73 Schwemm, Familie 68 Schwemm, Adam (1580–1643) 68 Schwemm, Agnes → Lucas, Agnes Schwerin, Otto der Ältere von (1616– 1679) 271, 352 Schwertzell von und zu Willinghausen, Georg (1617–1687) 344 Schwetke (Schwetkius), Bartholomäus (1582–1622) 77, 143 Schwetke (Schwetkius), Friedrich (1619– 1668) 143, 147, 151 Schwetke (Schwetkius), Gottfried 77 Schwope, Johann Baptista (1605–1671) 297, 301 Scultetus, Abraham (1566–1624) 286 Scultetus, David 77 Sebottendorf, Familie 90 Seidlitz (Seydlitz), Familie 90 Seiler (Seyler), Friedrich (1642–1708) 147 Seiler, Johann Friedrich Adam, Graf von Seilern und Aspang (1646–1715) 110 Seiler, Johann Jacob (um 1600–1666) 110 Severin († um 397), Bischof von Köln, Heiliger 136

426

Anhang

Sierakowski, Familie 87 Sigismund (Siegmund), Johann, genannt Rokizanski (Rokyczanski, † 1697) 309 Sigroht, Familie 90 Silvester I. († 335), Papst 135 Simonis, Johann (1635–1698) 271 Skal, Familie 90 Skal, Jaroslaus von († nach 1698) 93, 97, 101 Skal, Johann Theodor von 93, 97, 101 Skrzydlowski (Skrzydlewski), Familie 89 Sohr, Henrietta, geborene (von) Schmettau (vor 1666–1685) 74 Sohr, Johann Heinrich (1644–1702) 74, 76 Soldan, Justus (1600–1677) 345, 358 Solms-Braunfels, Amalie von → Amalie, Prinzessin von Oranien Sommer, Caspar (1652–1730) 12, 50 Sontag, Justus Valentin (1640–1711) 346 Sophia Amalie (1650–1688), geborene Gräfin von Nassau-Siegen, Prinzessin von Kurland 338, 343, 346, 351f. Sophie (1630–1714), geborene Prinzessin von der Pfalz, Herzogin zu Braun- schweig und Lüneburg 364 Sophie Auguste (1666–1733), Prinzessin von Nassau-Dillenburg 372, 380 Sparr, Franz Rudolph von († 1679) 116 Spanheim, Ezechiel (1629–1710) 115 Spanheim, Friedrich (1632–1701) 102, 117 Sperling, Johann (1603–1658) 85 Spiegel zum Desenberg, Karl Rabe († 1679) 344, 356, 371 Spina, Johannes de (1642–1689) 110 Stabel, Gottfried 314 Stampe (Stampen), Heinrich 202 Stauff (Stauf ), Ludwig Wilhelm von († um 1706) 107 Staveren (Stavoren), Pieter van (1632– 1683) 197 Steinhäuser, Johann (1645–1728) 74 Steinhäuser, Maria Elisabetha, geborene (von) Schmettau (vor 1666–1734) 74 Steinsdorf, Familie 90 Stephanides (Stefanides), Johannes 93, 113

Stipp (Stippen, Stippius), Johannes (1636– 1686) 383, 392 Stirn, Wolrad († 1689) 398 Stöckenius, Johann Heinrich (1606–1684) 345, 353, 360, 388 Störtebeker (Storzenbecher), Klaus (Nikolaus, um 1360–1401) 255 Stokar von Neuforn, Georg 103 Stoltz, Familie 90 Stosch, Bartholomäus der Ältere (1566– 1625) 266 Stosch, Bartholomäus der Jüngere (1604– 1686) 264, 266 Strachwitz, Familie 90 Strasburger, Joachim Ludwig 111 Strieder, Friedrich Wilhelm (1739–1815) 33–36, 48 Strimesius, Samuel (1648–1730) 275 Stritzky, Familie 90 Stryk, Samuel (1640–1710) 272 Stuart, Antonia, geborene L’Empereur van Opwyck (Oppijck) 187 Stuart, David (1627–1669) 187f. Stürler, Abraham 103, 174 Stürmer, Michael 191 Stwolinski (Stwolinsky), Familie 90 Suchodolski, Familie 87 Sueton (Gaius Suetonius Tranquillus, † nach 122) 186 Suitbert (Switbert, um 637–713), Heiliger 138 Sultzer (Sulcerus), Johann Konrad (1644– 1691) 105 Sustmann, Emanuel (1638–1703) 103 Sweerts (Sweertius), François (Franciscus, 1567–1629) 118 Sylvius (de le Boë), Franciscus (Franz, 1614–1672) 185 T’Serclaes von Tilly, Johann (1599–1632) 128, 349 Tacitus (Publius Cornelius Tacitus, † um 120) 186, 236 Tecklenburg, Familie 399 Tesmar (Tesmarus), Johann (1643–1693) 378 Thadden, Rudolf von (1932–2015) 17

Personenregister

Thilo, Christoph 84 Thilo (von Thilau und Steinberg), Gottfried (1646–1724) 77, 307, 320 Thulemeyer (Thulemeier, Thulmeier), Friedrich († um 1688) 284 Thulemeyer (Thulemeier, Thulmeier), Friedrich Wilhelm (1650–1708) 284 Thysius (Thys, Thijs), der Ältere, Antonius (1565–1640) 187 Thysius, Apigaïl → L’Empereur van Opwyck (Oppijck), Apigaïl Timpler, Clemens (1563–1624) 276 Titius, Gerhard (1620–1681) 265 Trebra, Familie 90 Trotzendorf (Friedland), Valentin (1490– 1556) 320 Trotzigh (Trotzig), Julius 109 Tscherning, Andreas (1611–1659) 76 Tscherning, Paul (1627–1666) 76 Uchtmann, Allard (1612–1680) 188 Uckermann, Anton Günther (G 1686), Neffe von Friedrich Lucae 406 Uckermann, Jost Christoph (um 1646– 1701), Schwager von Friedrich Lucae 330, 342, 350, 368, 380, 383, 405 Uckermann, Margarethe, geborene Mercer (um 1642–1689), Schwägerin von Friedrich Lucae 330, 342, 349f., 368, 384, 405f. Uechtritz, Familie 90 Uechtritz, Wigand Gottlob von (1642– 1680) 110 Uffeln, Charlotte Elisabeth von → Bülow, Charlotte Elisabeth von Uffeln, Heinrich von (1615–1678) 345 Uffeln, Juliane Elisabeth von → Wallenstein, Juliane Elisabeth von Ujejski (Uiyski), Familie 87 Ujejski (Uiyski), Paweł 93, 110, 117 Ulcken, Andreas (1645–1688) 111 Ungefug, Johann Christoph († vor 1693) 350 Ursinus (von Baer), Benjamin (1646–1720) 76, 105, 120 Ursinus, Christian (1630–1672) 289– 292

427

Ursinus, Christian Friedrich (um 1658– 1719) 291 Ursinus, Christoph (1607–1676) 272 Ursinus, David 267 Ursula von Köln, legendäre Heilige 136 Valentinian III. (419–455), weströmischer Kaiser 133 Vechner, Anna, geborene Hector (G um 1600) 267 Vechner, Eunike → Schmettau, Eunike (von) Vechner, Georg (1590–1647) 76, 267 Vechner, Gersom (1629–1708) 267 Vechner, Hedwig, geborene Friederich 267 Velde, Johann Peter van den 103, 105 Vietor, Philipp Otto (1646–1718) 345, 353, 359, 388f., 391f., 405 Vietor, Philippine Christine, geborene Blommart (1652–1685) 392 Vigilantius, Johann (1631–1696) 308f. Vippach, Friedrich Wigand von († nach 1679) 375 Voetius (Voet), Gisbert (Gijs, 1589–1676) 144–146, 149 Voetius (Voet), Paul (1619–1667) 147 Vorstius (Vorsten), Johann (1623–1676) 265 Vossius, Gerhard Johannes (1577–1649) 59, 210 Vultejus, Johann (1605–1684) 344, 357, 384f., 389 Waldeck, Luise Anna Prinzessin zu → Erbach, Luise Anna von Waldschmidt, Johann Jakob (1644–1689) 378, 404 Wallenstein, Gottfried von (1607–1692) 344 Wallenstein, Juliane Elisabeth von, geborene von Uffeln (1618–1692) 344, 353, 379 Wangenheim, Familie 70 Warkotsch, Familie 90 Warlowsky (Warlowski, Warlofski), Familie 90 Warlowsky (Warlowski, Warlofski), Leopold Wilhelm von († 1700) 91, 110

428

Anhang

Warlowsky (Warlowski, Warlofski), Wilhelm von († 1670) 91 Wattweyler, David von 108 Wedel, Heinrich Joachim von († 1718) 110 Wedderkop, Magnus (von, 1637–1721) 111 Wegele, Franz Xaver (von, 1823–1897) 9– 11, 25, 60 Weidner, Philipp Wilhelm 147 Weiler, Adam Konrad von (1635–1718) 125 Weiler, Jost Robert von (1637–1697) 125 Weiler, Robert von (1602–1671) 116, 125 Wende (Wend), Georg (1634–1705) 50, 395 Wenderoth, Christian Carl (1777–1860) 23, 25 Werlienus, Thomas (1575–1645) 274 Werner von Oberwesel (von Womrath, 1271–1287) 130 Wesenbeck, Familie 39 Wesenbeck, Elisabeth Luise von → Lucae, Elisabeth Luise Wesenbeck, Matthäus von (1642–1715) 110 Wiesenbach, Ester Maria Elisabeth → Biermann, Ester Maria Elisabeth Wetzel, Hieronymus (1623–1694) 353, 394 Wilhelm (1670–1724), Prinz von NassauDillenburg 395 Wilhelm I. (1533–1584), Prinz von Oranien, Graf von Nassau-Dillenburg 194 Wilhelm III. (1650–1702), Prinz von Oranien, Statthalter der Niederlande, König von England, Schottland und Irland 158, 225f., 229 Wilhelm IV., der Weise (1532–1592), Landgraf von Hessen-Kassel 231 Wilhelm VIII. (1682–1760), Landgraf von Hessen-Kassel 36 Wilkowojski, Familie 87

Winckler (Winkler), Friedrich Christian 77, 101, 110 Wirbsky (Wrbsky, Werbsky), Familie 90 Wiszowaty, Familie 87 Witte, Pieter de (1622–1669) 197 Wittenberg, Leonhard Johannes, Graf von Doebern und Neuburg 102, 107 Wittich, Christoph (1625–1687) 76, 81, 141, 144 Wolfahrt, Christoph Joachim (1640–1708) 111 Wolf, Philipp Jacob (1604–1681) 272 Wolzogen, Christoph Andreas von († um 1685) 115 Wolzogen, Ludwig von (1632–1690) 147, 151 Wrangel, Carl Gustav von (1613–1676) 107f. Wrangel, Carl Phillip von (1648–1668) 107 Wrede von Elimä, Gustaf Johan von (1645– 1695) 191 Wrede von Elimä, Carl von 191 Wreech, Sabina Tugendreich von 359 Würtz (Wirtz), Paul (1612–1676) 156, 261 Wyncken (Wynken), Peter Christoph 191 Zacharias, Johann 128, 140 Zachmann, Johann Reinhard 111 Zakrzewski, Familie 87 Zarncke, Friedrich (1825–1891) 32 Zedlitz, Joachim Friedrich von (1644– 1713) 110 Zegelius (Zegel), Aegidius (Egidius) 93 Zeiller, Martin (1589–1661) 28 Zesen, Philipp (von, 1619–1689) 56–59 Ziegler, Franz 103 Ziegler, Johann 273, 275f., 280 Zieliński, Familie 87 Zimmermann, Ernst Christoph († nach 1682) 77, 371, 377 Zimmerman (Tsimmerman), Peter 192

Ortsregister

429

Ortsregister Aufgenommen werden die Namen von Städten, Ortschaften und Festungen. Namen von Landschaften, Flüssen und Gebirgen bleiben unberücksichtigt. Weicht die Schreibweise des Namens, den Friedrich Lucae in seinen autobiographischen Aufzeichnungen nennt, von der heutigen Schreibweise ab, so wird auch die in seinem Manuskript vorkommende Form – in Kursivdruck – in Klammern angefügt. Der historischen deutschen Namensform wird grundsätzlich der Vorzug gegeben, andere amtliche Namen werden jeweils in Klammern genannt. Das Ortsregister dient damit zugleich als Konkordanz. In Schlesien sind die Namen der Fürstentümer häufig identisch mit denjenigen der Zentralorte in den einzelnen Territorien. Der Name „Brieg“ wird daher im Ortsregister auch dann erfasst, wenn Lucae vom Fürstentum Brieg oder vom Herzog von Brieg spricht. Ortsbezeichnungen, die ausschließlich in den einleitenden Beiträgen zu finden sind, werden ebenfalls kursiviert. Aachen (Axen) 385 Alkmaar 191 Allendorf an der Werra (Bad Sooden-Allendorf, Allendorf, Allendorf in Sohden) 349, 353, 382, 394 Alphen aan den Rijn → Alphen am Rhein Alphen am Rhein (Alphen, ndl. Alphen aan den Rijn) 181 Altona (Altenaw, Altonah) 258, 366f. Alzey (Altzey) 111, 113 Amsterdam 55–59, 151, 155, 167, 170, 191, 196, 200–224, 228f., 233, 243f., 247–249, 251, 254, 256–258 Andernach 133 Anklam (Anclam) 275 Antwerpen (frz. Anvers) 148f., 161, 163, 166, 168–170, 172, 174, 176, 178f., 209 Anvers → Antwerpen Arnheim (ndl. Arnhem) 138–141 Arnhem → Arnheim Arnstein 349 Arsten (Bremen, Arsen) 402 Bacharach 129f. Bad Breisig (Birsich) 133 Bad Warmbrunn (Warme Bad, Warmbrunn, poln. Cieplice Śląskie-Zdrój) 316–319 Barenburg (Bahrenburg) 399 Basel 104, 147 Bassum (Bassen) 399 Bautzen (Baudzen, bis 1868 Budissin, sorb. Budyšin) 94f.

Bensheim 101 Bentheim 104f. Berlin 16, 28, 39, 49, 70, 72, 74, 77, 79f., 105, 122, 259, 261–263, 265–267, 270–272, 275, 280, 288, 290, 322, 326, 345, 359f., 368f. Bern 103 Bernau bei Berlin 277 Bernburg (Saale) 71, 85 Bernkastel-Kues (Welmenach) 132 Bernstadt in Schlesien (poln. Bierutów) 276 Beuthen an der Oder (Beuthen, poln. Bytom Odrzański) 275, 313, 315 Beverungen 396 Bierutów → Bernstadt in Schlesien Bingen 129 Bischhausen 351 Bislich (Bislick) 139 Blumenthal 400 Bobersberg (poln. Bobrowice) 285 Bobrowice → Bobersberg Bodegraven (Bodegrave) 181 Bodenwerder 396, 403 Boizenburg/Elbe (Boitzenburg) 248, 260 Bolesławiec → Bunzlau Bonn 134 Boppard (Poppart) 132 Borgholz (Borgholten) 346 Brasschaat (Braxschoten) 161, 179 Braubach 132 Braunschweig (Braunschwieg, Brunschwig, Brunschwieg) 109, 128, 255, 314, 361, 363, 396

430

Anhang

Breda 28, 56, 158–161 Breisig → Bad Breisig Bremen 79, 104f., 122, 191, 253, 272f., 327, 330f., 342, 346–350, 356, 359, 364, 369, 376, 380, 382, 384, 387f., 395, 399–402 Breslau (Breslaw, poln. Wrocław) 11, 15f., 28, 49f., 74f., 80, 85, 93, 101, 181f., 190, 267, 275, 287f., 296, 311, 333, 335f., 338f., 342, 373, 388, 395, 398 Brieg (poln. Brzeg) 10, 12f., 16, 18, 22, 25, 28, 30, 48f., 53, 59, 67–80, 82f., 85–87, 90, 92f., 98, 110, 143, 146, 266–268, 270, 274–276, 278, 280, 283f., 287, 289, 292f., 297f., 301–310, 313, 316f., 320–323, 325, 334–339, 346, 359, 372, 375 Brielle (Den Briel, Briel) 239, 241 Bromberg (poln. Bydgoszcz) 44f. Bruchhausen 122 Brüssel (ndl. Brussel, frz. Bruxelles) 127, 136, 138, 174–176, 178, 230 Brunsbüttel 253 Brussel → Brüssel Bruxelles → Brüssel Brzeg → Brieg Budissin → Bautzen Budyšin → Bautzen Bückeburg 371, 403 Bürick 138 Bunzlau (Buntzlaw, poln. Bolesławiec) 93, 340 Burgdorf (Borchdorp) 363 Byczyna → Pitschen Bydgoszcz → Bromberg Bytom Odrzański → Beuthen an der Oder Campen 140 Capellen → Kapellen Carlsdorf 407 Carolath (Carlath, poln. Siedlisko) 315 Celle (Zell) 363f., 368, 399, 402 Chojnów → Haynau Cieplice Śląskie-Zdrój → Bad Warmbrunn Cölln (Cölln an der Spree, Cöln an der Spree) 262–266 Cölln an der Spree → Cölln

Corvey (Corvei) 396 Creuzburg (Creutzberg) 342 Crossen an der Oder (Crossen, poln. Krosno Odrzańskie) 76, 284f., 287, 345 Cüstrin → Küstrin Czepielowice → Tschöplowitz Danzig (Dantzig, poln. Gdańsk) 71, 77, 104, 191, 270, 303f. Darmstadt 100f., 126–128, 374 Deinze 55 Delfshaven (Delftshafen) 242 Delft 191, 201, 224, 229, 232, 234, 238, 243 Delmenhorst 345, 400f. Den Haag (Haag) 155, 177, 197, 224–230, 234, 239, 243, 406 Deutsch Lissa (Lissa, poln. Leśnica) 287 Deutsch Wartenberg (Wartenberg, poln. Otyń) 287 Dillenburg 291, 371f., 374 Dithmarschen (Dithmarsen) 253 Dömitz (Dämitz) 261 Dordrecht 144 Dresden 96 Düsseldorf 138 Eberbach 105 Eberstadt 126 Edam 217 Edinburgh (Edenburg) 329 Ehrenbreitstein 133 Ehrenfels (Ehrenstein) 129 Eisenach (Isenach) 99, 350 Elbing (Elbing in Preussen, poln. Elbląg) 355 Elbląg → Elbing Elden 141 Elst (Eelster) 141 Emmerich am Rhein (Embrick) 139 Endegeest (Eyndegeest) 235 Enkhuizen (Enchuysen) 249, 251 Erfurt (Erffurt) 98, 137, 264, 342, 362 Eschwege 351, 382 Fischbeck (Hessisch Oldendorf ) (Fischbeck) 403 Flardingen (ndl. Vlaardingen) 242

Ortsregister

Franeker (Franecker) 77 Frankenthal (Franckenthal) 116, 124 Frankfurt am Main (Franckfurt, Franckfurt am Mäyn, Mayn) 12, 14, 19–22, 24, 26, 29, 32, 37, 39–41, 43f., 48, 50, 54, 56, 97, 100f., 105, 110, 114, 126–128, 140, 171, 369, 385, 394 Frankfurt an der Oder (Franckfurt an der Oder) 16, 31, 55, 77, 259, 265f., 268– 285, 287, 318, 323f., 369 Fraustadt (poln. Wschowa) 309 Frieda (Meinhard) (Fride) 389 Friedberg (Hessen) (Frideberg in der ­Witteraw) 377 Friedeberg am Queis (poln. Mirsk) 93 Friedrichsburg (Fridrichsburg) 77, 116, 125 Fritzlar 393f. Fürstenberg 396, 403 Fürstenstein 349 Fürstenwalde/Spree (Fürstenwalde) 268 Fulda 99 Gandersheim (Gandersum, Bad Gandersheim) 361, 368 Gawroniki → Klein-Gaffron Gdańsk → Danzig Geertruidenberg (Gertrudenberg, St. Gertrudenberg) 157f., 180 Gehrum (Boizenburg/Elbe) 260 Geischen (poln. Giżyn) 12 Gelnhausen 100 Genève → Genf Genf (Geneve, frz. Genève) 315 Gießen (Giessen) 394 Giżyn → Geischen Glogau (Großglogau, Glogaw, Großglogaw, poln. Głogów) 275, 285, 287, 313, 315f. Głogów → Glogau Glückstadt 253, 366, 390 Goeree 239, 241 Görlitz (sorb. Zhorjelc) 93f., 275, 340 Göttingen 20, 361 Gohlitz (Golitz, poln. Górzyca) 283 Goldberg (poln. Złotoryja) 80, 307, 316, 320, 337

431

Gorinchem (Gorcum) 156f., 180 Górzyca → Gohlitz Gotha 70, 98, 342 Gouda (Gaude) 217 Grebenstein 407 Groningen (Gröningen) 126f., 133 Großenhain (Gros Hahn) 95f., 340 Großglogau → Glogau Grünberg (poln. Zielona Góra) 269, 275, 286f. Grüssau (poln. Krzeszów) 15 Guben 275 Gudensberg 372 Gutenfels (Gudenfels) 130 Gustavsburg 128 Haag → Den Haag Haarlem (Harlem) 200f., 217 Halberstadt 400 Halle an der Saale (Hall) 34, 97 Hamburg 75, 106, 110f., 163, 202, 223, 247–259, 303, 329, 336, 359–361, 365–367, 369 Hameln 397, 403 Hamm 375 Hammerstein 133 Hanau (Hanaw) 100, 103, 105, 111, 145, 202, 247 Hannover (Hanover) 191, 255, 362, 364f., 368, 397 Hannoversch Münden (Munden) 349, 361, 368, 382, 395 Harburg 257, 365, 368 Hardenberg 361 Harlingen 251 Haynau (Hayn, poln. Chojnów) 340 Hehlen (Helen) 396 Heidelberg 12, 76f., 85, 90f., 101, 103f., 106–108, 110–113, 116f., 120–123, 125f., 128, 147f., 174, 176, 178, 184, 186, 224, 241, 291, 356, 370, 374, 377, 385 Hellevoet (Helvot) 239 Hellevoetsluis (Helvot Schluis) 239, 241 Helmstedt 265 Herborn 375–377 Herford (Herffurt) 273

432

Anhang

Hermsdorf (Herrmannsdorf, poln. Sobięcin) 296 Herrnstadt (Hernstadt, poln. Wąsosz) 313 Hessisch Oldendorf (Oldendorf) 398 Heukelum (Hockelem) 180 Heyersdorf (Hoersdorf, poln. Jędrzychowice) 308 Hildesheim 362, 368 Hirschberg (poln. Jelenia Góra) 275, 316f. Hochheim am Main (Hochenheim am Mayn) 129 Höxter 396 Holzminden (Holtz Minden) 396 Homberg an der Efze (Homburg) 34–38, 353 Hoogstraten (Hochstraten) 179 Horn-Bad Meinberg (Horn) 105 Ilanz/Glion (Ilanz) 105 Immenhausen 346 Itzehoe (Itzöhoe) 71 Jauer (poln. Jawor) 290, 317, 332, 334 Jawor → Jauer Jędrzychowice → Heyersdorf Jelenia Góra → Hirschberg Jena 97, 362 Jerusalem 94 Joachimsthal (Joachimthal) 265 Kaiserswerth (Kaiserswerd) 138 Kaliningrad → Königsberg i. Pr. Kamenz (Camitz, sorb. Kamjenc) 95 Kamjenc → Kamenz Kapellen (Capellen, Capell, Capelle) 132 Kassel (Cassel, Caßell) 12, 22, 24f., 33, 36– 38, 42, 45f., 51, 53, 55, 61, 71, 103, 109, 114, 168, 176, 202, 231, 263, 268, 284, 295, 314, 326, 333, 337–339, 342–344, 348f., 351–356, 358–361, 364, 367f., 370–372, 374, 377, 379f., 382f., 385, 387f., 390f., 393–395, 397, 406f. Katwijk aan Zee (Catwyck ob See) 234f., 237 Katzenelnbogen (Catzenellnbogen) 131 Kaub (Caub) 130

Kedahnen (Keidan, lit. Kėdainiai, poln. Kiejdany) 79 Kėdainiai → Kedahnen Ketsch 122 Kiejdany → Kedahnen Kiel 111 Kinspork → Königsbrück Kirchheimbolanden 40 Kleest (Kliest, Kliesth) 261 Klein Gaffron (Gafron, poln. Gawronki) 303 Kleve (Cleve) 77, 142 Klingenberg 129 Kluczbork → Kreuzburg O.S. Knodsenburgh (Keulenburg, Knosdenburg) 141 København → Kopenhagen Koblenz (Coblentz) 132, 133 Köln (Cöln, Cöln am Rhein) 77, 98, 128, 132–134, 136–138, 164, 176, 362, 385 Königsberg i. Pr. (russ. Kaliningrad) 191, 194, 275 Königsbrück (sorb. Kinspork) 95, 340 Köpenick 268 Köslin (Cöslin, poln. Koszalin) 276 Kopenhagen (Coppenhagen, dän. København) 344, 372 Kostrzyn nad Odrą → Küstrin Koszalin → Köslin Kowary → Schmiedeberg Krakau (poln. Kraków) 93 Kraków → Krakau Kreuzburg O.S. (poln. Kluczbork) 40 Krosno Odrzańskie → Crossen an der Oder Krzeszów → Grüssau Küstrin (Cüstrin, poln. Kostrzyn nad Odrą) 269, 275, 280–283, 369, 391 Kupferberg (poln. Miedzianka) 178 Lahde (Petershagen, Lage) 402 Lahneck (Laneck) 132 Lahnstein 132 Lamspringe (Lambsprinck) 362, 368 Lasocice → Laßwitz Laßwitz (Laswitz, poln. Lasocice) 309 Lauban (poln. Lubań) 395

Ortsregister

Lauenburg (Lawenburg) 259 Lausanne 105 Lebus 280, 283 Leerbroek (Leerbroeck) 180 Legnica → Liegnitz Leiden 56, 63, 76, 102, 105f., 180–185, 187–189, 194–200, 202, 217, 224, 228, 233–235, 237–239, 243–247 Leiderdorp (Leiderdorf) 199 Leidschendam (Leidischen Dam) 238 Leipzig 13, 32, 35, 40, 42, 96f., 317, 340– 342 Lekkerkerk (Leckerkirchen) 237 Lenzen (Elbe) (Lentzen) 261, 272 Leśnica → Deutsch Lissa Leszno → Lissa Leuven → Löwen Leyden → Leiden Liebenau (Lievenow) 402 Liegnitz (Lignitz, poln. Legnica) 12f., 69, 72, 74, 76, 80, 82, 85, 93, 146, 159f., 274, 280, 297f., 301–308, 313f., 316f., 319f., 322–327, 333–340, 364, 372 Linz am Rhein (Lintz) 133f. Lissa (poln. Leszno) 30f., 44f., 93, 105, 280, 298, 307–313, 340 Lissa → Deutsch Lissa Livorno 205 Loevestein (Löwenstein) 156 Löwen (ndl. Leuven, frz. Louvain, Loeven) 179 Löwenberg in Schlesien (Lemberg, poln. Lwówek Śląski) 201 London 236, 329f. Loosduinen 234 Louvain → Löwen Lubań → Lauban Lubin → Lüben Ludelsdorf 133 Ludwigstein 349 Lübben (Spreewald) 275 Lübeck 110f., 169 Lüben (poln. Lubin) 287, 308, 313 Lüchtringen (Höxter) 403 Lüneburg 248 Lützen 97, 342 Lwówek Śląski → Löwenberg in Schlesien

433

Maassluis (Maasland Schluis) 238, 242 Magdeburg 284f. Mailand (ital. Milano) 176 Mainz (Maintz) 128f., 132, 137, 231 Malines → Mecheln Mannheim 108, 111, 116, 124f., 371 Marburg an der Lahn (Marburg, Marpurg) 18–20, 34, 37, 44f., 47, 104, 136, 148, 372, 374, 377f., 388 Mariendorf (Mariendorff) 407 Marksburg (Marxburg) 132 Marksuhl (Marcktsuhl) 99 Mechelen → Mecheln Mecheln (ndl. Mechelen, frz. Malines) 174f. Meißen (Meissen, sorb. Mišno) 395 Metz 407 Miedzianka → Kupferberg Mikołajowice → Nikolstadt Milano → Mailand Minden an der Weser (Minden) 346–348, 362, 398, 402 Mirsk → Friedeberg am Queis Mišno → Meißen Möllenbeck (Mühlenbeeck) 386 Monheim am Rhein (Monheim) 138 Mosbach 69 Mühlhausen (Thüringen) (Mühlhaußen) 380 München 10 Münster (Westfalen) 71, 102, 154, 393, 401 Muiden (Muyden) 249 Nassenerfurt 37 Naumburg (Saale) 97f., 342 Neuburg (Neuberg) 107, 112, 125, 138 Neuenheim (Newenheim) 120 Neumarkt in Schlesien (Neumarck, poln. Środa Śląska) 93, 287, 335 Neusalz an der Oder (New Saltz, poln. Nowa Sól) 287 Neustadt an der Elbe (Neustat) 367 Neustadt an der Weinstraße (Neustadt an der Haardt, Neustadt) 110 Nieuwpoort (Nieuport) 176 Nijmegen → Nimwegen

434

Anhang

Nikolstadt (Nickelstadt, poln. Mikołajowice) 329–331, 333 Nimwegen (Nimmegen, ndl. Nijmegen) 110, 139–142, 144, 192 Northeim 361, 368 Nowa Sól → Neusalz an der Oder

Potsdam 370 Poznań → Posen Prag (tsch. Praha) 82 Praha → Prag Prochowice → Parchwitz Pyrmont (Bad Pyrmont) 379

Oberwesel (Ober Wesel) 130 Oedelsheim (Oelsheim) 396 Oels (poln. Oleśnica) 49, 68 Ohlau (Ohlaw, Olaw, poln. Oława) 68, 182, 191 Ohr (Emmerthal, Oren) 397 Oława → Ohlau Oldenburg (Oldb) 384 Oleśnica → Oels Oosterwijk (Osterwyck) 180 Opava → Troppau Opole → Oppeln Oppeln (poln. Opole) 28, 76 Orsoy (Orsoi) 138 Osnabrück (Osnabrüg) 245 Otyń → Deutsch Wartenberg Ouddorp (Altdorf) 239

Rawicz → Rawitsch Rawitsch (poln. Rawicz) 311f. Rees (Roes) 139 Regensburg (Regenspurg) 135 Reichenbach/Oberlausitz (sorb. Rychbach) 94, 340 Reichensachsen (Reichen Sachsen) 351 Reisen (Reusen, poln. Rydzyna) 311 Rhenen 143 Rhens (Rens) 132 Riga (lett. Rīga) 110, 192 Rīga → Riga Rijnsberg (Rheinsberg) 235 Rijswijk (Ryswick) 230, 234 Rinteln (Rintheln) 103, 346, 348, 386, 395, 398, 403, 405, 407 Rohrbach (Pfalz) (Rhorbach in der Pfaltz) 104 Rom (ital. Roma) 117, 194, 196, 404 Roma → Rom Rosen (poln. Rożnów) 297 Rotenburg an der Fulda (Rotenburg) 14, 18, 23–25, 34–38, 40, 50, 61, 63f., 371 Rotterdam (Roterdam) 143, 155f., 201, 233, 242–244 Rozenburg (Rosenburg) 244 Rożnów → Rosen Rüsselsheim (Rüsselheim) 128 Rumbeck (Rammcke) 398 Rychbach → Reichenbach/O.L. Rydzyna → Reisen

Paderborn 396, 403 Padova → Padua Padua (ital. Padova) 189 Parchwitz (poln. Prochowice) 287, 325 Paris 170, 229 Pawłowice Wielkie → Pohlwitz Perleberg 261 Petershagen (Petershagen an der Weser) 347, 402 Pforta (Porta) 342 Philippsburg (Philipsburg) 121f., 126, 132, 358 Pitschen (poln. Byczyna) 93 Pless (Plesseburg) 361 Pleißenburg (Pleissenburg) 97 Pohlwitz (Klein Polewitz, poln. Pawłowice Wielkie) 327, 332–334 Polkowice → Polkwitz Polkwitz (Bolckowitz, poln. Polkowice) 287 Polle (Poll) 396 Posen (poln. Poznań) 44, 71

Salmünster 100 Salzderhelden (Einbeck, Saltz tor Hellen) 361 Sathmar (rum. Satu Mare, ung. Szatmárnémeti) 192 Satu Mare → Sathmar Schaffhausen (Schafhausen) 103 Schefflenz (Scheffelentz) 69

Ortsregister

Schenkenschanz (Schenkenschans, ­Schenckenschans) 139f., 157 Scheveningen (Schevelingen) 229 Schieder (Schüer, Schieder-Schwalenberg, Schier) 346 Schlichtingsheim (Schlichtingheim, poln. Szlichtyngowa) 206, 308 Schlüchtern (Schlüchter) 99 Schmalkalden (Schmalcalden, Smalcalden) 353, 360, 368, 370f., 388–390 Schmiedeberg (poln. Kowary) 44 Schönburg (Schönberg) 130 Schönebeck (Schönbeck) 331 Schoonhoven (Schonhoven) 143 Schulpforte (Schulpforta) 97 Schwebda (Schwebde) 350 Schweidnitz (poln. Świdnica) 13, 31, 269, 332, 334 Schwetzingen 125 Ścinawa → Steinau an der Oder Siedlisko → Carolath Sinzheim 105 Sinzig (Zünsich) 133 Składowice → Ziebendorf Sobięcin → Hermsdorf Sorau (Soraw, poln. Żary) 77 Spa (Spaa) 385 Spandau (Spandaw) 77, 261f. Spangenberg 23 Speyer 121–124, 148, 363 Sprendlingen (Springlingen) 127 Środa Śląska → Neumarkt in Schlesien St. Gallen (St. Gall) 103, 105, 123 St. Goar 131 St. Goarshausen (Goarshausen) 131 Stahleck (Stadeck) 130 Steckborn 105 Steinau an der Oder (Steinaw, poln. Ścinawa) 313 Steinau an der Straße (Steina) 100 Stolzenfels (Stoltze Veste) 132 Stralsund (Stralsundt) 111, 269 Strasbourg → Straßburg Straßburg (frz. Strasbourg) 149 Strehla (Strelen an der Elbe) 96 Strehlen (Strelen, poln. Strzelin) 68f., 264, 266, 371

435

Strzelin → Strehlen Sulechów → Züllichau Świdnica → Schweidnitz Syke (Sieke) 402 Szatmárnémeti → Sathmar Szlichtyngowa → Schlichtingsheim Torgau (Torgaw) 83 Trachenberg (poln. Żmigród) 283 Trendelburg (Trendlenburg) 346, 403 Treysa (Treisa) 400 Trier 130, 132 Troppau (Troppaw, tsch. Opava) 264f., 337 Trubenhausen (Traubenhausen) 383 Tschöplowitz (Tschöpelwitz, poln. Czepielowice) 69 Tübingen 101 Unkel (Unckel) 134 Utrecht (Ütrecht) 55f., 72, 77, 140–144, 146f., 149–153, 155f., 164f., 179–181, 183, 188, 195f., 199f., 233, 272, 376 Vacha (Vach) 99 Varlosen (Niemetal, Fahrloß) 361 Venedig (ital. Venezia) 169 Venezia → Venedig Vianen 143, 156, 180 Vilvoorde (Vilvorden, frz. Vilvorde) 175 Vlaardingen (Flardingen) 242 Voorburg (Vorburg) 238 Waldkappel (Cappel) 351 Wanfried an der Werra (Wahnfried, Wahnfriede, Wahnfride) 330, 342, 349–351, 361, 380f., 383f., 389, 405 Wartburg (Wartenberg) 99 Wartenberg → Deutsch Wartenberg Wąsosz → Herrnstadt Weinheim an der Bergstraße 291 Weißenfels an der Saale (Weissenfels, Weissenfels an der Sala) 50, 97, 395 Wesel 102, 111, 138f., 337 Wien 15, 387, 390 Wijk bij Duurstede (Wick) 143f. Wildungen (Bad Wildungen) 392–394

436

Anhang

Winterthur 105 Wittenberg 29, 97, 270f., 274 Witzenhausen 349, 382 Woerden 181 Wohlau (Wolaw, poln. Wołów) 12, 303, 313, 337 Wolfenbüttel (Wolffenbüttel) 396, 403 Wołów → Wohlau Worms 123 Woudrichem (Workum, Worcum) 156, 180 Wrocław → Breslau Wschowa → Fraustadt Würzburg 9f. Wurzen (Würtzen) 96, 340f.

Żary → Sorau Zerbst 72, 269, 275 Zhorjelc → Görlitz Ziebendorf (poln. Składowice) 307 Ziegenhain 38 Zielona Góra → Grünberg Zittau 181, 190 Złotoryja → Goldberg Żmigród → Trachenberg Zons 138 Züllichau (poln. Sulechów) 285