Geschichte der deutschen Poetik: Band 3 Klassik und Romantik [Reprint 2014 ed.] 9783110843118, 9783110035841


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German Pages 730 [740] Year 1971

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Table of contents :
Vorwort
Inhalt
Teil I. Die „ Bildungs"-Poetik und Ausgleichs-Ästhetik der Deutschen Klassik
I. Grund- und Grenzformen klassischen Kunstwollens
II. Kernbestände klassischen Kunstwollens
III. Fortwirkender Bestand, Kritische Überprüfung und letzte Verdichtung des klassischen Kunstwollens
Teil II. Kunstanschauung und Literaturphilosophie der Romantik
I. Frühromantik und Ältere Romantik
II. Jüngere Romantik und Spätromantik
Anmerkungen
Verzeichnis Der Begriffe, Merk- und Kennwörter
Verzeichnis Der Namen
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Geschichte der deutschen Poetik: Band 3 Klassik und Romantik [Reprint 2014 ed.]
 9783110843118, 9783110035841

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G E S C H I C H T E D E R D E U T S C H E N P O E T I K III

GRUNDRISS DER GERMANISCHEN PHILOLOGIE UNTER

MITWIRKUNG

ZAHLREICHER

FACHGELEHRTER

BEGRÜNDET

VON

H E R M A N N PAUL

HERAUSGEGEBEN

VON

WERNER BETZ

13/111

WALTER DE G R U Y T E R - B E R L I N · NEW Y O R K 1971

GESCHICHTE DER DEUTSCHEN POETIK VON

BRUNO M A R K W A R D T

B A N D III: K L A S S I K UND R O M A N T I K

ZWEITE, U N V E R Ä N D E R T E

AUFLAGE

WALTER D E G R U Y T E R · B E R L I N · NEW Y O R K 1971

Photomechanischer Nachdruck der ersten Auflage, 1958

© ISBN 3 11 003584 7 Printed in Germany Copyright 1958 by Walter de Gruyter Λ Co., Berlin Alle Rechte de· Nachdruck·, der photoinechinnchen Wiedergabe, der Herstellung TOO Mikrofilmen, auch auszugsweiie, vorbehalten. Druck: Werner Hüdebrand, Berlin 65

VORWORT ZUM DRITTEN BAND Da dieser Band — wie angekündigt — dem zweiten Band unmittelbar anschließend folgt und mit ihm eine inhaltliche Einheit bildet, die durch die gemeinsame Einleitung in Band II, S. ι—24 zum Ausdruck gebracht wird, genügen wenige Bemerkungen. Außer der Klassik und Romantik wurden Spätromantik und (freilich skizzenhaft) Schwäbische Romantik einbezogen. Der Romantik-Abschnitt wurde in den letzten Jahren um das Dreifache des ursprünglichen Umfangs erweitert, so daß für diesen Teil die Anmerkungen etwas knapper gehalten werden konnten. Dagegen wurden die Exkurse zur werkimmanenten Poetik ausgebaut. Hinsichtlich der fördernden Anregung aus Kollegenkreisen bleibt der im Vorwort zum zweiten Band ausgesprochene Dank auch für die vorliegende Darstellung bestehen. Bei der Materialbeschaffung für die Anmerkungen leisteten wertvolle Dienste Dr. G. E r d mann und I. Schwelgengräber. Der Hauptanteil an der technischen Betreuung fiel wiederum meiner Frau Irmgard Markwardt - Oeser zu, die dergestalt seit nunmehr zwei Jahrzehnten besonders eng mit dem Werden dieser Arbeit verbunden ist. Das Manuskript dieses Bandes (einschließlich der Anmerkungen und der Register) ist im Sommer 1956 abgeschlossen worden; die Arbeit an Band IV konnte inzwischen verstärkt wieder aufgenommen werden und nähert sich im darstellenden Text dem Abschluß. Greifswald, den 24. Oktober 1957 Bruno Markwardt

INHALT DES DRITTEN BANDES Seite

Vorwort

V

Teil I Die „ B i l d u n g s " - P o e t i k der d e u t s c h e n K l a s s i k

und

Ausgleichs-Ästhetik ι

Grund und Grenzformen klassischen Kunstwollens (Winckelmann — K. Ph. Moritz — Herder)

ι

Kernbestände klassischen Kunstwollens (Goethe und Schiller)

71

Fortwirkender Bestand, kritische Überprüfung und letzte Verdichtung klassischen Kunstwollens (Humboldt — Herder — Hölderlin) 149

Teil II Kunstanschauung Romantik

und

Literaturphilosophie

der 198

Frühromantik und ältere Romantik

198

Jüngere Romantik und Spätromantik

322

Anmerkungen

477

Verzeichnis der Begriffe

691

Verzeichnis der Namen

722

TEIL I

Die „Bildungs«-Poetik und Ausgleichs-Ästhetik der deutschen Klassik (Der Wille zum Werk)

I. Grund- und Grenzformen klassischen Kunstwollens (Winckelmann — K. Ph. Moritz — Herder) Mehrfach hat das- Verfolgen der Wandlungen des deutschen dichterischen Kunstwollens über Aufklärung, Rokoko und Geniezeit hinweg Gelegenheit geboten, den Blick vorbereitend hinzulenken auf Ansatzstellen und mehr oder minder weit entfaltete Keimformen für die Kunstgesinnung und Kunstbesinnung der Klassik. Das alles kann an dieser Stelle nicht zusammenfassend wiederholt, sondern muß vorausgesetzt werden. Erinnert sei nur daran, daß auch die A u f k l ä r u n g w e s e n t l i c h an j e n e n V o r a r b e i t e n b e t e i l i g t war, so wenig solche Bezüge rein stimmungsmäßig diesem oder jenem zusagen mögen. Nicht nur Wieland kam von der Aufklärung und durchschritt das Rokoko. Auch Winckelmann kam von der Aufklärung und streifte das Rokoko, und zwar auch kunsttheoretisch. Daß jedoch Wielands melodramatisches Singspiel „Alceste" auf dem Wege zu Goethes „Iphigenie" lag, ist ebenso unbestritten wie die für die Klassik wesentliche Anregung, die von Wielands Sendschreiben „An einen jungen Dichter" (1782) ausging. Gemeint sind jedoch in diesem Zusammenhange vorerst weniger die größeren Überbrückungen, die sich nach der weltanschaulichen Seite hin noch wesentlich erweitern ließen, denn auch Kant ist nicht nur Überwinder, sondern auch Vollender der Aufklärung (und Linien von Leibniz zu Schiller, von Spinoza zu Goethe sind zwanglos zu ziehen), gemeint sind im künsttheoretischen Bereich nicht diese großen Überbrückungen, wie sie im weiteren Umkreis etwa hinüberführen zu Lessings in einem wahrhaft klassischen Stil geschriebenen Abhandlung „Wie die Alten den Tod gebildet" (1769), ganz abgesehen vom „Laokoon" und den antikisierender Art sich nähernden Dramenfragmenten Lessings, sondern vielmehr die zahlreichen Verbindungskanäle 1 M a r k w a r d t , Poetik III

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POETIK UND ÄSTHETIK

DER D E U T S C H E N

KLASSIK

oft zweiten und dritten Grades, ob sie nun über Gessner oder Abbt oder Garve oder Sulzer führen mögen. Bemerkenswert ist die überall abzulesende Erscheinung, daß die Strahlungskraft WinckelmannS, der seine erste grundlegende und alles Spätere durchregende Abhandlung 1755 herausbrachte, bereits in den weiten Raum des breitschichtigen kunsttheoretischen Schrifttums der Aufklärer und Auflockerer, vielfältig das Halbdunkel erhellend, das in diesem Raum trotz aller „Aufklärung" dennoch vorherrschte, hineinleuchtete, wenn durchweg auch nur mit entsprechend gebrochenen und von mannigfachen Widerständen abgelenkten Strahlen. Wenn vielen Aufklärern auch der Glaube fehlte, und vor allem auch die Erlebnisfähigkeit: die Botschaft WinckelmannS hörten sie. Und sie suchten kunstverstandesmäßig zu erarbeiten, was sie nicht kunstgefühlsmäßig zu verwerten verstanden. Soweit es nur um kunsttechnische Leitbegriffe und Formungskriterien wie Regelmäßigkeit, Ordnung, Klarheit, Harmonie, Stofflich-Antikisierendes und ähnliches ging, die im nackten und nüchternen Kernbestand schon von Gottscheds „Kritischer Dichtkunst" aufgestellt worden waren mit dem zuversichtlichen Erziehungs- und Zweckoptimismus des Aufklärers, daß auch wir Neueren solcher Vorzüge sehr wohl teilhaftig werden könnten, soweit es um Elementarformen ging, wird das von der Aufklärung her mitbezogene Erbgut der Klassik wieder deutlicher sichtbar dort, wo es in der Erstarrung der Spätklassik als Erbsünde des Klassizismus greller belichtet in Erscheinung tritt. Aber in reich verzweigten.teils noch der Forschung verborgenen Strömen hat auch die Frühklassik und selbst die Hochklassik manchen Zufluß und Einfluß, dessen spröder Quellboden in der Aufklärung lag, aufnehmen und ihrem Kunstwollen gemäß umlenken müssen. Mit bedingtem Recht kann man für den Bereich der Poetik und Dichtungstheorie, aber auch der Kunstphilosophie in weiterem Sinne zusammenfassend sagen, d a ß die S u c h e und S u c h t n a c h einem „ e i n z i g e n G r u n d s a t z " und G r u n d g e s e t z i n n e r h a l b der Ä s t h e t i k und P o e t i k der A u f k l ä r u n g (und der Auflockerer) im R ä u m e des K u n s t w o l l e n s der K l a s s i k a b g e l ö s t w u r d e v o n e i n e m S u c h e n und S e h n e n n a c h irg e n d w e l c h e n U r f o r m e n u n d U r b i l d e r n , die — ob nun k u l t u r p h i l o s o p h i s c h und k u n s t g e s c h i c h t l i c h aus der B i l d u n g s w e l t der G r i e c h e n oder n a t u r p h i l o s o p h i s c h und

GRUND- UND

GRENZFORMEN

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n a t u r d e u t e n d aus der Formenwelt der N a t u r bezogen — dann in sich ohne weiteres das Gesetz als immanentes Gestalt-Wesensprinzip bergen würden. Den Ur-Normen der A u f k l ä r u n g entsprächen so die Ur-Formen der Klassik als Entwicklungs- und Gegensatzbegriffe zu-v gleich. Der Einheit des Mannigfaltigen in der Aufklärung die organische Ganzheit und lebensvolle Totalität innerhalb der Klassik, wiederum als Entwicklungs- und Gegensatzbegriffe zugleich, als relative Nähe und absoluter Abstand, als Fortsetzung und Entgegensetzung zugleich. Dem „Wohlanständigen" der Aufklärung die „Schicklichkeit" in der Klassik, die gewiß andersartig getönt auf eine dennoch verwandte Grundfarbe zurückgeht. Dem leicht gewonnenen „Vernünftigen" der Aufklärung, das die Begeisterung umgeht, in der Klassik die oft schwer errungene „Besonnenheit", die durch das Feuer der Begeisterung hindurchgeschritten ist und in diesem Feuer ihre geistige Dichte und Härte erhalten hat. Dem leicht behaupteten „Natürlichen" der Auf* klärung, das letztlich nur die Vernunft-Natur sieht und sehen will, ein zäh erkämpfter Naturidealismus, der durch das geniezeitgemäße „erste Wonnegefühl an der Natur" (Maler Müller) hindurchgeschritten ist und dieses stürmische Wonnegefühl umprägt und läutert zum Glanz der „Natur in der Kunstmäßigkeit". Der kunsttheoretische Leitbegriff des Geschmackes, als „guter Geschmack" das vielumstrittene Sturmbanner in den Literaturfehden der Aufklärung, aber auch ein zwischen Verstand und Gefühl hin und hergezerrtes Schmerzenskind und doch Lieblingskind der aufklärerischen Poetik, ein bloßer Wechselbalg für die Stürmer und Dränger, gelangt in der Klassik zu neuem Ansehen. Wiederum jedoch in abgewandelter und vertiefter Fassung. Denn wohl erkennt man Reste der älteren Geschmacksdefinition, aber auch die anspruchsvollere Funktion, wenn etwa Schiller den Geschmack als Mittler sieht, „als ein Beurteilungsvermögen des Schönen", das „zwischen Geist und Sinnlichkeit in die Mitte tritt". Und solche Mittler zwischen Geistigkeit und Sinnlichkeit, zwischen dem Bedeutenden und dem Bildenden suchte und fand die Klassik in immer neuen Fällen und Formen. Nicht eben Selten jedoch blieb auch für die Klassik der vielberufene Geschmack ein bloßer Nothelfer aus kunstphilosophischen Verlegenheiten. Doch ging die Klassik in der Werthebung des Geschmacks noch nicht so weit wie dann A. W. Schlegel, für den

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POETIK UND ÄSTHETIK OER DEUTSCHEN KLASSIK

„Genie nichts anders ist als produktiver Geschmack". Die strenge Scheidung K. Ph. Moritz' half einen Primat des Geschmacks verhindern. Der Sturm und Drang als die andere Voraussetzung der Klassik, ohne die — ζ. B. den Organismusgedanken — sie schlechthin in ihrem Kunstwollen nicht zu erklären sein würde, wurde schon mehrfach gestreift. Der Wildwuchs, wie ihn der Hamann-Herdersche und Junggoethesche Organismusgedanke in erster Üppigkeit junger Entfaltungsfreude angesetzt hatte, wurde gestutzt, und d a s G a n z h e i t l i c h - O r g a n i s c h e a l s das U m s p a n n e n d L e b e n s v o l l e , G e b ä n d i g t - L e b e n s t r ä c h t i g e und F o r m e n d L e b e n s m ä c h t i g e auf eine neue m e n s c h l i c h e B i l d u n g s s t u f e e m p o r g e h o b e n . Die organisch-dynamische Deutung Herders verband sich mit der architektonisch-plastischen Winckelmanns. Indem die bei aller inneren Durchregtheit dennoch vorherrschende Statik der „stillen Größe" Winckelmanns das Gegengewicht hergab gegenüber der Dynamik der werdenden „Energie" Herders (und Harris'), wurde auch in der kunsttheoretischen Besinnung ein Gewichtsausgleich der einseitig tendierenden Bewertungen und Forderungen gefunden. Dem, was „noch selbst im Werden war" des Sturmes und Dranges folgt, mit ihm verwachsen und über es hinauswachsend in der Klassik das, „was in sich selbst vollendet ist" (K. Ph. Moritz, Goethe). D e m U r s p r ü n g l i c h e n , U r t ü m l i c h e n des S t u r m e s u n d D r a n g e s das U r f ö r m l i c h e , Urformenhafte, Urbildliche der K l a s s i k . Dem bedingungslosen Hindrängen zum Volkstümlichen (G. A. Bürger) ein recht bedingungsreiches Emporheben und Emporstreben zum Volkswürdigen (Schillers Bürger-Kritik). Der Wucht des Sturmes und Dranges die Würde der Klassik. Der lauten Größe (das Kolossalische und „Riesenmäßige") die stille Größe. Der naturhaften Einfalt und der echten Lebensvielfalt die „edle Einfalt". Der „schönen Seele" (Empfindsamkeit und Rokoko) die große und schöne Seele, wohl auch die „freie" schöne Seele (Schiller). Wie bei alledem erkennbar bleibt, bergen die Abstufungen, die sich vermehren lassen, doch überall die Möglichkeit des Überganges in sich. Die naturhafte Einfalt nahm ζ. B. schon bei S. Geßner unmittelbar die „edle Einfalt" für sich in Anspruch. Und das „Sanfte und Zarte", schon in Geßners theoretischer Zielsetzung (Idyllentheorie) auf Grund seiner Auffassung der

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Antike voll ausgeprägt — um noch einmal die Fühlung mit dem Rokoko zu berühren —, begegnet nicht nur als Forderung und Stilbestimmung ganz ähnlich drei Jahrzehnte später in den Anthologie-Aufsätzen Herders und in seinen eigenen späteren Versuchen melodramatischer Art wie „Ariadne-Libera" oder „Admetus' Haus", sondern auch Karl Philipp Moritz hebt an der Tasso-Gestalt Goethes „die zarteste Menschheit" und das „zarte Geistige" hervor, und der reifere Wilhelm von Humboldt spricht von der reinsten und vollkommensten nicht allein, vielmehr auch von der „zartesten Gestalt", in der die Griechen das „Symbol der Menschheit" zu erfassen wüßten. Vom Leben hatten die Stürmer und Dränger immer wieder gekündet. Die Klassik knüpft da an. Aber während den Stürmern und Drängern das fesselfreie, ja das innerlich und äußerlich „entfesselte" Leben als das wirkliche Leben galt, sah es die Klassik im gebändigten, eingegrenzten und eben durch solche Grenzen verdichteten Leben. Während jene es im „Werden" vor allem sahen, erblickte es die Klassik im „Wesen". Während es die Stürmer und Dränger vor allem in der Lebensvielfalt (so auch bei Shakespeare) sahen, erkannte es die Klassik in der Lebenseinheit und Lebenseinfalt, die doch zugleich Totalität war. Trotzdem — und das ist hervorhebenswert angesichts vergeistigender Tendenzen der Klassik einerseits und der Tendenz zum Statischen andererseits — das Ideal: „Leben" blieb an sich erhalten. Wiederum erweisen sich die E n t g e g e n s e t z u n g e n vielfach zugleich als abgewandelte F o r t s e t z u n g e n , das scheinbare Angreifen als ein f o r t f ü h r e n d e s Wiederaufgreifen, nicht zwar derselben Lösungen, aber der ähnlichen Aufgabenstellungen. Hölderlin hat einmal das organische Wachstum am Einzelkunstwerk so erklärt, daß ein derartiges Ineinandergreifen ermöglicht werde und zustandekäme, „indem jeder Teil etwas weiter gehet, als nötig ist". Überträgt man diesen Gedanken etwa nach Herders Art auf den genetischorganischen Ablauf der Wandlungen des dichterischen Kunstwollens und der Kunsttheorie, so war auch die Aufklärung und das dichterische Rokoko und die Geniezeit — jede für sich und doch mit den anderen verflochten — etwas weiter gegangen, als zur Ausprägung des jeweils herrschenden oder doch vorherrschenden Kunstwollens und Kunststrebens unbedingt nötig gewesen wäre. Und an diesen äußersten Erkundungsstellen, die über die eigene

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POETIK UND ÄSTHETIK DER DEUTSCHEN

KLASSIK

Wegnutzung schon wegerkundend hinausreichen, konnte dann die Klassik anknüpfen, ohne sich solcher Anknüpfung immer bewußt zu sein. In einem Jahre der Hochblüte des Sturmes und Dranges geht H e r d e r bereits den „ U r s a c h e n des g e s u n k e n e n Ges c h m a c k s " nach, durchbricht er also schon in der programmatischen Titelgebung die geniezeitgemäße Verfehmung des „Geschmacks", strebt er auch inhaltlich bereits zu einer leistungssteigemden und formpflegenden Zusammenarbeit von Genie und Geschmack, spricht er vom „edlen" Genie — schon ein wenig so, wie dann K. Ph. Moritz vom „bildenden Genie" sprach —, nicht mehr vom ungebändigt ursprünglich-urtümlichen Genie, nicht mehr von Genialität um jeden Preis. Und ähnliche Ansätze zu einer Versöhnung, ja einer Synthese von Genie und Geschmack zeigt die Schrift „Vom E r k e n n e n u n d E m p f i n d e n der m e n s c h l i c h e n Seele" mannigfach ausgeprägt. Das engere Programm der Geniezeit war damit recht eigentlich überschritten. Herder war weiter gegangen, als es den Stürmern und Drängern nötig erschien, ebenso mit seiner Warnung vor dem unzulänglichen Shakespearerisieren. Aber eben damit bot er dem Kunstwollen der Klassik längst vor den Jahren der Weimarer Begegnung mit Goethe eine wenig beachtete, aber vielleicht beachtenswerte Ansatzstelle. Ähnlich wie Lessing weitergegangen war, als es dem engeren Programm der Aufklärung entsprochen hätte, daher dem Sturm und Drang Ansatzmöglichkeiten zum Anknüpfen und Weiterbilden geboten hatte und selbst noch der Klassik manche Anregung zur Auseinandersetzung vermitteln konnte. Bei der grundlegenden Bedeutung, die einer W a n d l u n g d e r S p r a c h a u f f a s s u n g für die Wandlung des Kunstwollens und der Kunstauffassung im Bereiche der Wortkunst zukommt, darf angenommen werden, daß einige Grundgedanken der Preisschrift „ Ü b e r den U r s p r u n g d e r S p r a c h e " ebenfalls zu den verborgenen Verflechtungen der Wurzelkräfte der Klassik hinleiten könnten. So etwa der beherrschende Begriff der „ B e s o n n e n h e i t " , der keineswegs auf die Verstandeskräfte eingeschränkt bleibt, sondern alle Fähigkeiten des Gemüts mitumgreift. Wohl noch weiter auf das Inbeziehungsetzen aller Ideale mit dem Urbildlich-Menschlichen, dem Typisch-Menschlichen der Klassik, aber auch mit dem ausgeglichen In-Sich-Einigen der Klassik führt der Satz der Herderschen Preisschrift über die Sprache: „Sie war

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Einverständnis der menschlichen Seele mit sich selbst und ein so notwendiges Einverständnis, als der Mensch Mensch war." Schillers „Künstler" weisen der Kunst eine entsprechende menschlichmachende Funktion zu wie hier Herder der Sprache. Auch von dieser Seite her gesehen, ist es gewiß nicht Zufall, wenn späterhin Wilhelm von H u m b o l d t s an sich wissenschaftlich fester untergründete Sprachphilosophie, die keineswegs so ohne weiteres für die Klassik im engeren Sinne in Anspruch genommen werden soll, aber doch eben dem Humboldt zugehört, der seine entscheidende Bildung im Raum des klassischen Kraftfeldes zwischen Schiller und Goethe erfahren hatte, so manche Anknüpfungsmöglichkeit bei der Schrift Herders finden konnte, die doch zugleich und zunächst dem jungen Goethe die ganze Welt des Sturm und Drang-Herder aufzuschließen vermochte. Und auf der anderen Seite wird wieder der Rückbezug auf die Aufklärung sichtbar, da der junge Herder gerade in dieser Schrift manche bis ins einzelne gehende Anregung und Vorarbeit der S p r a c h t h e o r i e T h o m a s A b b t s hatte verwerten und umwerten können. Eine entsprechende Spannweite über Aufklärung, Geniezeit und teilweiser Anbahnung der Klassik bewährt (teils aus einer weit zurückreichenden Entstehungsgeschichte erklärlich) die Abhandlung „Uber Bild, D i c h t u n g u n d F a b e l " , die neben der FabelTheorie gleichsam über den Ursprung der Dichtung aus Mythologie und Sage handelt und teils schon auf die R o m a n t i k h i n ü b e r weist (J. Grimm), so etwa mit dem Satz: „Unser ganzes Leben ist also gewissermaßen eine Poetik"; in mancher Hinsicht gilt das auch von der Erklärung, daß „bei uns jede Physik eine Art Poetik für unsre Sinne" darstelle, ganz abgesehen vom Entfalten des Poetischen aus dem Mythologischen. Der Begriff und das Kenn- und Merkwort „Poetik" entspricht nicht voll unserer Wortbedeutung, sondern spielt teilweise in „Poesie" hinüber, ähnlich wie in der Aufklärung der Terminus „Dichtkunst" zwischen Poesie und Poetik lag, und zwar bei stärkerer Neigung zur Sinngeltung Poetik. Merklich noch mit A. G. Baumgarten, dessen Begriff der „Ästhetik" verteidigt wird, ansetzend, greift die Abhandlung in ihrem Gesamt mehr das Bildhafte als das Worthafte heraus. Doch wird neben der „bemerkenden" die „bezeichnende Seele" (geistiger Anteil der Poesie, s. auch d. Preisschrift wie vorher die „Kritischen Wälder") wesentlich an der Geburt der Poesie aus der Mythologie und Sage beteiligt.

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Im allgemeinen verstärkt die Sprachauffassung der Klassik den Zug zum Geistigen in der Sprache, den die Sprachdeutung des Sturmes und Dranges hatte zurücktreten lassen, um zunächst einmal freizukommen von den allzu verstandesmäßigen und vernünftigen „willkürlichen, konventionellen Zeichen" der Aufklärung. Daß auch in diesem Falle die Aufklärer und besonders die Auflockerer „etwas weiter" gegangen waren (Ausdruckslehre), als unbedingt für ein rein aufklärerisches Programm nötig gewesen wäre, konnte an entsprechender Stelle gewürdigt werden, betrifft jedoch mehr die Ansatzstellen AufklärungGeniezeit. Nicht so sehr die Grenzen der Sprache für gefühlsmäßige Ausdruckswerte (Sturm und Drang, teils aber auch schon Aufklärung: Leibniz-Lichtenberg u. a.), als vielmehr die Grenzen der Sprache für ideell-idealische Ausdruckswerte einerseits und individuelle und „plastische" Darstellungswerte andererseits, für das geistig „Bedeutende" und gegenständlich „Bildende" werden in der Klassik empfunden, von Moritz sowohl als von Goethe, von Schiller und Humboldt sowohl als von Hölderlin. Die bedrängende Nähe einer machtvoll aufwachsenden Philosophie erzwingt — grundsätzlich ähnlich, obwohl werthaft anders als in der Aufklärung — den kraftvollen Zug zum Ideellen. Der Geist der Sprache wurde wesentlich m i t g e d e u t e t von der Sicht einer Sprache des Geistes (letztlich des Idealismus) aus, wie denn für Humboldt — den Humboldt der „Ästhetischen Versuche" — die Sprache „und daher (I) der Gedanke das Organ" des Dichterischen ist und etwa auch bei Hölderlin — nicht restlos, aber doch weitgehend — das Wort als Zeichen eines Geistigen aufgefaßt erscheint. Der damalige Humboldt erklärt das Wort noch rationalistischer geradezu als Zeichen des Abstrakt-Begrifflichen. So werden auch von der Sprachauffassung her Berührungen mit der Aufklärung spürbar. Aber wie Humboldt, und zwar schon der damalige Humboldt der Abhandlung „Über Goethes Hermann und Dorothea", mit der Wendung auf das Ideenhafte (der Philosophie) einerseits und das Idealische (der Poesie) andererseits über das nur Verstandesmäßig-Begriffliche hinaus einer — gegenüber der Aufklärung — vertieften Geistigkeit in der Dichtersprache und durch die Dichtersprache zustrebte: so wirkt sich ganz allgemein der bedingte Zug zum Rationalen doch wieder wesentlich anders aus als in der Aufklärung. Erneut wird deutlich, daß der Erwerb der Geniezeit innerhalb der Klassik wohl zurück-

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gedrängt, aber nicht erdrückt werden konnte. Ganz abgesehen von dem Terminus der „Hieroglyphe", der das Irrationale im Wort anklingen lassen möchte, aber nicht ganz verläßlich ist, weil er teils auch nur das Unklare (er kommt besonders in diesem Sinne auch in der Aufklärung vor) umschreiben half, teils modisch erstarrte, teils Verlegenheitslösung blieb, mit der sich Herder als Sprachphilosoph eben doch nicht begnügte, ganz abgesehen von dieser gewiß aufschlußreichen Spur und wegerleichternden Fährte einer irrationalistischen Sprachauffassung: die Vorstellung des Organischen (die sich weder im Terminus Hieroglyphe noch im Terminus Chiffrenschrift glücklich abspiegelte) blieb erhalten und half verhindern, daß die Sprache als ein Mechanismus, wenn auch kunstreicher Mechanismus von geistigen, von der Willkür des Verstandes und der Konvention gesetzten Zeichen angesehen wurde. Die Anknüpfungsmöglichkeit reicht in diesem Falle bis zur Sprachphilosophie der Romantik (Einfluß Hemsterhuis' u. a.). Für die Klassik war — vom Kunstwollen der Dichtersprache her gesehen — die Sprache ein lebensvoll und geistvoll d u r c h g e s t a l t e t e r Organismus von „bedeutenden", symbolischen, teils auch mythischen (Hölderlin) Zeichen des Geistes, die den „gestaltlosen, toten Gedanken Form und Leben mitzuteilen" (Humboldt) vermögend und berufen sind. Nicht zum wenigsten von dieser Sprachauffassung aus wird begreifbar, warum der spätere Goethe in Shakespeares Dramen die vielberufene „sinnliche Tat", das Sinnenhaft-Handlungsmäßige, zurücktreten sah und sie „als geistiges W o r t " verstanden wissen wollte („Shakespeare und kein Ende"). Will man — wie Franz Schultz — die Brücke vom Sturm und Drang über die Klassik zur Romantik hinspannen, so gewinnt die „Hieroglyphe" und die „Chiffrenschrift" fraglos eine weit höhere Bedeutung, die jedoch mehr religiöse Bestände oder mythisch-religiöse und naturphilosophische Bestände (die Natur als Rede Gottes usw.) als rein ästhetische Bestände berührt und in der Sprachauffassung der Klassik, verglichen mit dem Sturm und Drang oder der Romantik, nicht zufällig verhältnismäßig zurücktritt. Und wenn in Schillers Worten von der „Hieroglyphe einer Kraft, die mir ähnlich ist" noch etwas vom göttlichen Schöpfungsgeheimnis der Weltwerdung durch das Wort webt, so sind jetzt doch die „Chiffren" der Naturgesetze Verständigungsmittel „denkender Wesen" geworden, nicht mehr Symbole für ahnungsvoll-gläubige Wesen.

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Die Worte formen in dem angedeuteten Sinne Humboldts jedoch nicht allein das Ideelle und Ideenhafte, sondern sie vermögen im Bezirke der gegenstandsnäheren Kunst auch „darstellend" und „bildend" zu wirken. In diesem Sinne konnte Humboldt sagen, daß die „redende" Kunst zugleich als „bildende" angesehen werden müsse. Wie der O r g a n i s m u s g e d a n k e w i r k t der D a r s t e l l u n g s b e g r i f f auf die S p r a c h a u f f a s s u n g h i n ü b e r u n d s i c h e r t dem Geistigen die s i n n e n h a f t e G e s t a l t , wie d a s O r g a n i s c h e dem Geistigen das erw ä r m e n d e L e b e n w a h r t . Die geistig-denkerische Macht, die besonders durch Kant in die Sprachauffassung (für die Dichtersprache bedrohlich) einbricht, erhält in der geistig-dichterischen Macht (Schiller) und der gegenständlich-dichterischen Macht (Goethe), aber etwa auch in der mythischen Gewalt des Wortes (Hölderlin) Gegen- und Ausgleichskräfte, die das Ideelle mit dem Idealischen, die aber auch das Abstrakte mit dem Konkreten, die das Individuelle mit dem Typischen zu versöhnen trachten. Wie die „ T e n d e n z der S p r a c h e zum A l l g e m e i n e n " f ü r die D i c h t e r s p r a c h e m i t i h r e m A n g e w i e s e n s e i n auf das B e s o n d e r e zu ü b e r w i n d e n i s t , bedeutet nicht nur für Schiller eine g r u n d l e g e n d e F r a g e , die in i m m e r n e u e n F o r m e n u n d F a s s u n g e n a u f g e w o r f e n u n d z u l e t z t doch immer ä h n l i c h b e a n t w o r t e t wurde. Man umging oder überrannte nicht einfach diese Schwierigkeit der geistigen Natur der Sprache wie vielfach im Sturm und Drang. Aber man begnügte sich auch nicht mit dem Verweisen auf die „sensitiven Vorstellungen" und die zugeordneten anschaulichen Bestände der Sprache wie Baumgarten innerhalb der Aufklärung. Obgleich dem schärfer überprüfenden Blick nicht entgehen wird, daß wiederum auf höherer Wendung der Entwicklungsspirale manches von den Fragestellungen Baumgartens neu aufgegriffen wurde, aber doch eben anders angegriffen wurde. Die Vorstellung des Lebendig-Organischen ließ weder die Angleichung an die letztlich von der Philosophie her bestimmte rein geistige Tendenz zum Abstrakten erstarren in einer Ideensprache, noch die Angleichung an die letztlich von der bildenden Kunst her bestimmte, gegenständlich „plastische" Tendenz zum Statischen verhärten zu einer bloßen Bildersprache, sondern fand den Weg zur geprägten Form, die lebend sich entwickelt, oder zu der — wie es Schiller umschrieb — „lebendigen

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Gestalt", hinter der immer noch die „lebendige Kraft" Herders wirksam war. Daß jedoch beide Tendenzen bestanden und für die Sprachauffassung, aber auch das Kunstwollen der Klassik entsprechende Gefahrenzonen (sich an die Philosophie einerseits und die bildende Kunst andererseits zu verlieren) mit sich brachten, wird oft genug auch in den Einzelheiten der Literaturphilosophie und Sprachphilosophie der Zeit von K. Ph. Moritz bis zu H ö l d e r l i n und von Schiller bis zu H u m b o l d t erkennbar. Stellt man sich einmal Schillers Neigung zur Philosophie so stark vor, daß er nach der bekannten großen unschöpferischen Pause nicht mehr zur Dichtung zurückgekehrt wäre, oder auf der anderen Seite Goethes Neigung zur ausgeübten bildenden Kunst (mehr als zweitausend Zeichnungen, teils zwar außerkünstlerischer Art, birgt der Nachlaß) so stark vor, daß er sich ganz ihr zuungunsten der Dichtung verschrieben hätte: so wird deutlich, was mit j e n e n vom K e r n b e z i r k des D i c h t e r i s c h e n f o r t l e i t e n d e n Bes t r e b u n g e n u n d G e f a h r e n z o n e n g e m e i n t ist. Es spiegelt sich entsprechend im kritischen Reflex, wenn G. A. Bürger den — ihm vorerst unbekannten — Verfasser der Bürger-Rezension (Schiller) in den Reihen der „Metaphysiker", nicht jedoch der schaffenden Künstler vermutet, oder wenn der H e r d e r der „ A d r a s t e a " zu dem Schluß und Gegensatz kommt: „Nicht also von der zeichnenden oder bildenden Kunst empfängt die Dichtkunst Gesetze". Und doch möchte man diese Kämpfe der Klassik nicht missen, an denen sie ihre Kraft maß. Denn sie focht — nicht restlos zwar, aber doch weitgehend — das durch, was die Aufklärung von der einen Seite und der Sturm und Drang von der anderen Seite doch recht eigentlich nur umgangen hatten. Sie f o c h t diesen Kampf mit diesen G e f a h r e n so d u r c h , wie es i h r e m K u n s t w o l l e n a u f g e g e b e n war. Daß der erstrebte und auch erreichte Ausgleich kein ewiger Friede war und sein konnte, beweist die Sprachphilosophie und Literaturphilosophie der Romantik. Der Dualismus Subjekt-Objekt — wie ihn die Sonderforschung teils zur beherrschenden Leitkraft einer Darstellung der „Ideellen Grundlagen" der Deutschen Kultur des Idealismus, bei alledem etwas einseitig sehend, gewählt hat — kehrt im engeren Bezirk der Literaturphilosophie in mannigfachen Pol-Paaren wieder. Schon in der skizzierten Würdigung der S p r a c h a u f f a s s u n g ,

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von der aus f ü r die Poetik der nähere Zugang gewonnen werden kann, wurde das charakteristische Spannungs- und Ausgleichsfeld angetroffen, das zwischen den Polen des Allgemeinen und Besonderen, Ideellen und Individuellen, dem CharakteristischKonkreten und Typisch-Abstrakten, dem Geistigen und StofflichGegenständlichen sich erstreckt. Die Doppelgesichtigkeit, die Winckelmanns Vorstellung des „Idealischen" a u f weist, ermöglichte und begünstigte von vornherein eine zweifache Blickrichtung. Denn einmal lag für Winckelmann im „Idealischen" und Idealschönen das Idee-Bezogene, indem es auf die geistigen Urbilder im Schaffenden hindeutet. Zum anderen lag im „Idealischen" das Gegenstand-Bezogene, indem das Idealschöne aus einer Reihe von Individualschönheiten abgezogen und typusbildend zusammengezogen erscheint (Ringen der aufklärerischen Vorstellung des Mosaikhaften mit der bereits geniezeitgemäßen, in die Klassik hinüberwirkenden Vorstellung des Organismusähnlichen). Uberwog für den späteren Winckelmann diese zweite Auffassung und Deutung des „Idealischen", so bürgt doch schon der starke Zustrom aus Piaton und Plotin, aus Piatonismus und NeuplatonismuS im Kunstwollen und der Kunstanschauung der Klassik hinreichend dafür, daß die Vorstellung der geistigen Urbilder (und besonders durch Schiller auch der sittlichen Urbilder) in voller Gewichtigkeit sich erhielt. Und auch die Gegenstandsbezogenheit in der zweiten Fassung barg doch immer noch das Urbildhaft-Geistige und Symbolhaft-Gültige im Ansatz zum Typisch-Schönen in sich. Denn die griechische Bildkunst war für Winckelmann nicht ein nur Gegenständliches und anschaubar Vorbildliches, sondern zugleich ein geistiges Urbild der begeisterten inneren Schau. Was jedoch für Winckelmann im bildkünstlerischen Bereiche ohne weiteres an Gegenstandsbezogenheit gegeben war, konnte für den wortkünstlerischen Bereich entsprechend der andersartigen Gesetzlichkeiten, Möglichkeiten und Notwendigkeiten der Sprache nur als aufgegeben, als im dichterischen Kunstwerk weit schwerer erfüllbar empfunden werden. Immer erneut stehen die Kunsttheoretiker der Klassik vor der Frage, wie denn nun der Stoff von der geistigen Form zugleich liebend einbezogen und „idealisierend" (d. h. das „Idealische" ihm abgewinnend) emporgehoben oder aus sich selbst entfaltet (d. h. den Stoff für das „Idealische" empfänglich gemacht) werden könne, wie das Indi-

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viduelle dem Typischen, das Besondere dem Allgemeinen, das Einzelne dem Ganzen organisch eingekörpert und eingeformt und darüber hinaus bildend, darstellend und gestaltend ausgeformt und bewältigt werden könne, ohne vom Geistigen überwältigt oder vom Abstrakten verdünnt zu werden, ohne aber auch das „Idealische" zu trüben oder gar als störender Fremdkörper die Einheit und Ganzheit, das „hohe Urbild aller Einigkeit" (Hölderlin, Hymne: An die Schönheit) zu gefährden und zu beeinträchtigen. K. Ph. Moritz kennt sehr wohl den Widerstand, den die auf Einzel-Wirklichkeiten angewiesene „Realität der Dinge" der bildenden Gewalt der schöpferisch gestaltenden Kraft — er nennt sie „Tatkraft" oder „Bildungskraft" — entgegensetzt. Aber indem diese künstlerisch darstellungsmächtige Tatkraft beim gestaltenden Genie die gesamte Natur-Totalität umspannt und indem sie, das Extensive mit dem Intensiven verbindend, zum „inneren Wesen", das sich in „Erscheinung" auflöst, vordringt, schafft sie sich eine eigene Welt ohne Einzel-Wirkliches, wo jedes Gegenständliche zugleich Ganzheitsbezug nicht nur besitzt, sondern auch schon von sich aus „ein für sich bestehendes Ganze ist". Nicht nur zu Goethe, auch zu Schiller — und in diesem Sonderfall nicht zum wenigsten zu Schiller — führen die Grundlinien der Ästhetik Moritz' hinüber, um von Umsetzungen innerhalb der Romantik vorerst abzusehen. Goethe geht ebenfalls von der Voraussetzung aus, daß der wirkliche Gegenstand schon in dem Augenblick, da ihn ein künstlerisch Schauender und Schaffender ergreift, recht eigentlich nicht mehr der Wirklichkeitswelt angehöre (Novalis noch nutzt diesen Gedanken), sondern schon der Phantasiewelt zugeordnet erscheine, in die er also bereits dank der eigentümlichen künstlerischen Aufnahmefunktion in einer Form und Fassung eingeht, die für das „Idealische" formungsfähig ist. Das entsprechende Vordringen zum „inneren Wesen" des Dinglich-Gegenständlichen fordert Goethes Stil-Begriff. Symbol (gegenüber Allegorie) deutet Goethe so, daß man beim Symbol „im Besonderen das Allgemeine schaut". Diese symbolische Art des Erfassens der Welt gilt als die spezifisch dichterische Art, ja als die eigentliche „Natur der Poesie". Und zwar umfängt die Poesie gerade mit dem unbefangenen Ergreifen des Besonderen kraft ihrer Eigenart (Goethe sagt nicht als Kunst der Sprache, aber er hätte es sagen können) zugleich das Allgemeine, und zwar gerade dann, wenn sie ganz absichtslos und

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naturhaft (im Sinne von „naiv") vorgeht. Goethe h a t gleichsam auf das Wort des Dichters das Vertrauen übertragen, das Winckelmann in die D a r s t e l l u n g s m i t t e l des bildenden Künstlers setzen konnte. Der wahre Dichter soll getrost und ohne ideelle Ablenkung das Besondere geben, da ihm die Gunst des Geistes das Allgemeine ohne Mühe mitgeben werde. Humboldt gesteht diesen Weg des „naiven" Dichtertypus nur dem Epiker zu, glaubt jedoch umgekehrt (aber umgekehrt proportional) die eigentliche Natur der Poesie vorzüglich darin zu erkennen, daß sie als Kunst der Sprache die Welt des IdeelichIdealischen vom Geistigen her besser aufzuschließen und auszuwerten vermöge als die anderen Künste. Die Nähe Schillers, von dem Humboldt ausging, als er auf Goethe einging („Uber Goethes Hermann und Dorothea"), ist bereits spürbar. Die „Tatkraft" K. Ph. Moritz' kehrt — obwohl abgestuft — doch in gewisser Weise wieder in Schillers (von Herder angeregtem und nahegelegten?) Begriff der „lebendigen Kraft", die wie der Vogel im Fluge die „Schwere" des Stofflichen überwindet und überflügelt. Im Spieltrieb müssen der geistige Formtrieb und der sinnliche Stofftrieb aufgehoben (bewahrt und ausgeglichen zugleich) werden. Das eigentliche Wesen, die eigentliche Natur der Poesie wird weder vom naturhaft gegenstandsnahen „naiven" Typus noch vom vernunfthaft und sittlich ideenahen, mit der Natur nicht im instinktiven und realen, sondern immer nur in einem „idealischen" Verhältnis stehenden „sentimentalischen" Dichtertypus erfüllt und verwirklicht. Vielmehr liegt das Ziel darin, dem Menschlichen schlechtweg den „möglichst vollständigen Ausdruck zu geben" im Zusammenzwingen und Zusammenbringen beider Welten. Nämlich jenes „Idealischen", das vom Individuellen die Züge des Schönen zwanglos und naiv abliest, wo immer es sie antrifft, und der anderen Form des „Idealischen", das geistige und sittliche (PlatoPlotin) Urbilder und Ideale braucht, um die Urbilder der Natur neu zu erreichen, sie geistig-sittlich ringend zu erwerben und zu deuten. Da nun einmal der — an sich nicht so naheliegende — Bezug auf Winckelmann um der Kürze dieser vorbereitenden Skizze willen verstärkt worden ist, um die Verwandtschaft der verschiedenen Dichtungsdeutungen und Kunstdeutungen vorerst reichlich vereinfachend und daher vergröbernd herauszuarbeiten, mag auch zur Verwandtschaft mit Moritz' Ideengängen, deren

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Bedeutung für das Kunstwollen der Klassik durchweg unterschätzt worden ist, noch etwas ergänzend vermerkt werden. So steckt in K. Ph. Moritz' oben herangezogener Funktionserklärung der Tatkraft von der Gegenstandsseite her auch die Vorstellung vom Ding, das in sich selbst ein „Ganzes" ist, und damit eine Vorstellung, die Schiller ganz ähnlich gelegentlich der Erklärung des „Naiven" heranzieht, während das Ringen der Tatkraft mit der Stoffweit mehr an das Sentimentalische heranführen könnte. Wie Goethe das Gewahrwerden der wesentlichen Form auf seinen Stil-Begriff überträgt, so greift für Schiller das Erscheinungwerden der freien Form, der auch noch in den „Fesseln der Sprache" freien Form, auf den Stil-Begriff über; denn „Stil" deutet Schiller zur Zeit der Kalliasbriefe als die „höchste Unabhängigkeit der Darstellung" von allen „zufälligen Bestimmungen", und zwar sowohl „allen subjektiven" als auch „allen objektiven". Das Ausgehen jedoch von der Idee, wenngleich dumpfen Idee, bleibt auch für den späten Schiller, als er sich mit Schelling auseinanderzusetzen hat, bestehen; denn „ohne eine solche dunkle, aber mächtige Totalidee, die allem Technischen vorhergeht, kann kein poetisches Werk entstehen". Die eigentliche Natur der Poesie, das spezifisch poetische Wesen liege gerade darin, jene dumpfe, aber triebmächtige „Totalidee" in das Anschaubar-Gegenständliche, „in ein Objekt überzutragen". Teilzugeständnisse an die romantische Dichtungstheorie können über jene Grundeinstellung nicht hinwegtäuschen. Wenn H ö l d e r l i n nach dem Stoff fragt, der „für das Idealische vorzüglich rezeptiv" sei, so bewegt auch ihn die alte Frage nach einer Synthese des Gegenständlichen mit dem Geistig-„Bedeutenden", des Individuellen mit dem Ideellen und weiterhin dem Idealischen. Auch er hofft die „Schwere" des Stofflichen überwinden zu können. Oder richtiger vielleicht: er hofft die Auftriebskraft des Ideelichen und Idealischen durch die „nüchterne" Besinnung auf die Unentbehrlichkeit des Stofflichen begrenzen zu können; denn für ihn war das Fallen „in die Höhe" (geistige Verdünnung, idealische Verflüchtigung) letztlich bedrohender als das Fallen „in die Tiefe" (stoffliche Verdichtung und Überlastung). Im Felde des Mythischen findet er den rechten Ausgleich, ohne den Symbolbegriff aufzugeben. Das Allgemeine darf sich nicht im Individuellen verlieren; aber auch das Individuelle darf vom Allgemeinen nicht aufgesogen und vertilgt

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werden. Die Totalität des Lebens darf niemals der „Einzelheit" hörig werden; aber die „Einzelheit" muß der Totalität zugehörig bleiben. Bei Hölderlin können Schon in stärkerem Ausmaße die von der Literaturphilosophie und Kunstphilosophie (bes. Schiller) weitgehend vorbereiteten Identitätsvorstellungen von der Systemphilosophie (bes. Schelling) wieder zurückbezogen werden auf die dichterische Kunstanschauung. Und der Kampf um die Harmonie des Individuellen und Idealischen kann bereits abgefangen werden in der Vorstellung des „Harmonischentgegengesetzten". Bei alledem bleibt zu berücksichtigen, daß zwischen den Flügelstellungen Winckelmann-Kant eine stiller bildende und wirkende Macht stand: Herder. Was auf rein kunstphilosophischem Gebiet an Vorformen und Vollformen der Identitätsvorstellung sichtbarer hervortritt, das wirkte verhaltener, aber vielfach inniger und lebendiger von der wesentlich Herderschen Vorstellung des Organischen aus. Bis hin zu Hölderlin greift die belebende Vorstellung des Organischen überall durch die kühleren geistigen Konstruktionen der Kunsttheorie und Kunstphilosophie der Klassik hindurch. Herders „Anthologie"- und Epigramm-Abhandlungen aus der frühen Weimarer Epoche Mitte der achtziger Jahre spiegeln deutlich die Verschmelzung seiner grundlegenden Anschauungen aus der Sturm- und Drang-Zeit mit dem werdenden klassischen Kunstwollen, dem sich hier Herder verhältnismäßig weitgehend nähert. In diesen Abhandlungen, die noch zu würdigen sein werden, verbindet Herder bereits den Organismusgedanken mit dem Selbstzweckgedanken und der Idee des Insichruhens und des Insichvollendetseins, wobei die Nähe K. Ph. Moritz' und Goethes deutlich wird. Zugleich aber verliert er die sprachphilosophische Deutung und Voraussetzung des Dichterischen nicht aus dem Blickfeld. Und zwar überbrückt Herder in diesen Zusammenhängen die Zweipoligkeit des Geistigen und Gegenständlichen (über das Medium der Sprache) in der Weise, daß der Dichter erst durch das Wort voll Besitz ergreift von der Natur. Wie der Mensch schlechtweg auf dem sprachlichen Wege vom Wirklichen der Welt Besitz ergreife, so leite im besonderen den Dichter der Trieb, das Gegenstandserlebnis im Wort geistig bewußt und das Lebensgefühl der Freude an der Natur und dem Gegenständlichen im Wort geistig-Seelisch zum voll ausschöpfbaren und dauerkräftigen Besitz zu machen, an dem auch andere (und Herder denkt immer auch an die anderen) teilhaben können.

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„Empfindung" erhält so „Form und Gestalt", wie das „Gefühl" durch das Wort zum „helleren Bild" wird. Das, was K. Ph. Moritz „Tatkraft" oder „Bildungskraft" im schöpferischen Gestaltungsvorgang nannte und was eine künstlerische „ T a t " um ihrer selbst willen setzen sollte, und das, was Herder — auch noch der Herder zur Zeit der größten Nähe zum Weimarer Goethe — gern „lebendige Kraft" nannte und was ein Kunstwerk in organischer Beziehung zu Leben und Volk sehen wollte: T a t k r a f t und L e b e n s k r a f t waren Mächte, die im Kräftespiel des Kunstwollens der Klassik durchaus neben Einheit und Einfalt und Stille und in sich selbst vollendeter Ganzheit, neben Typusbegriff und Symbolbegriff und Humanitätsidee ihren Wirkungsraum und Geltungsrang voll beanspruchen. Schiller deutet einen der mehrfachen Versuche, Tatkraft und Lebenskraft zur Synthese im Künstlertum zu bringen, dort an, wo er vom „naiven" Dichtertypus aussagt, daß sich dieser „seiner geistigen Tätigkeit und seines sinnlichen Lebens" in ungebrochener Wesensganzheit zugleich erfreue. Das Kunstwollen der Klassik war nicht mehr damit zufrieden, im Kunstwerk eine Art Ersatz für eine im wirklichen Zeit- und Volkserleben nicht recht ermöglichte politische Tatkraft (sozialkritische Strebungen der Geniezeit) oder im wirklichen Individualerleben nicht recht ausschöpfbare Lebenskraft (jugendpsychologische Merkmale der Geniezeit) zu sehen und zu suchen, worin das Kunstwollen des Sturmes und Dranges auf weite Strecken hin sein Genügen gefunden hatte. Die Klassik ging voller Ernst daran, nun wirklich dem Kunstwerke eine unzersplitterte, gesammelte „Tatkraft" und eine bildefähige und bildewillige „Lebenskraft" als Kunstwerk voll zukommen zu lassen. Goethes Umformen des „Egmont", Schillers Umformen des „Don Carlos" läßt gerade im Vorraum der Klassik dieses in sich selbst und für sich selbst Anspruchsvoller-Werden und dieses vor den anderen Verantwortungsvoller-Werden im künstlerischen Sinne deutlich genug ablesen. Und vielleicht noch klarer wirkt sich im W e r k w e r d e n und der W e r k w a n d l u n g der lyrischen Dichtungen Goethes bis in kleinste Züge der Sprachgestaltung hinein dieses Anspruchsvoller-Werden aus gelegentlich der Umarbeitungen für die Gesamtausgabe (1789). Man will sich im Kunstwerk nicht mehr einfach genialisch ausleben und ausgeben. Man will einem Werke dienen, auch in schlichter kunsttechnischer Kleinarbeit. Man will „tätig" bilden und 2 M a r k w a r d t , Poetik III

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lebensvoll formen und kunstwürdig gestalten. Auch von dieser Seite des Werkwillens her will das Idealziel der Ganzheit und des Insichselbst-Vollendeten betrachtet und gewertet werden. Es ist keine bloße Auffrischung der älteren Emotionstheorie, sondern eine Aufrichtung der künstlerischen Gestaltungsmacht als einer Leistung schlechthin, aber auch einer Leistung von kulturellem Gewicht und von erzieherischer Gewalt, wenn Schiller vom bloßen Wirkungswert des ästhetischen „Vergnügens" abrückt und zum Tätigen im Künstlerischen, zum Bewirkenswert hindrängt : „Ich ergötze mich an dem Schönen, weil es mir Gelegenheit gibt, etwas zu tun". Und Goethes „Gewahrwerden der wesentlichen Form" bedeutete, auf den künstlerischen Schaffensvorgang übertragen, zugleich die Erkenntnis, daß Form „wesentlich" war und darüber hinaus „wesenhaft" werden konnte und sollte, wie es ihm neben diesem Auswerten der künstlerisch-tätigen „bildenden" Kraft vertraut und erforderlich erscheint, den „eigentlichen Lebenspunkt des Dargestellten" zu erfassen (Briefwechsel mit H. Meyer), also die entscheidende Organisationsstelle für die Lebenskraft aufzuspüren. Wenn Hölderlins Darstellungstheorie die „naive und heroische und idealische Tendenz" einander in der Gegenstandsbezogenheit widerstreiten, jedoch „einig nach dem Gesetze der T ä t i g k e i t , also einig im allgemeinsten, im Leben" sein läßt, so deutet das in eine gewiß abgestufte, aber doch verwandte Richtung. Und dort, wo Hölderlin die Stufen des Ganges und Vorganges menschlicher Bildung mit den Stufen des Spracherlebens und Sprachvermögens in eine organische Entsprechung zu setzen versucht, gipfelt er auf die Vor- und Zwischenstufen (Einfalt des Herzens, Einfalt des Geistes) als die höchste den aus „unendlichem Leben wiederbelebten Geist" auf, der als „gelungenes Werk und Schöpfung" sich manifestiere. Jenem allgemein-menschlichen, bildenden (im Schillerschen Sinn „ästhetischen") Entfaltungsablauf jedoch entspricht durchaus „der Gang und die Bestimmung aller und jeder Poesie". Hölderlins schmerzliches Ringen um die Vollendung in den „Empedokles"Fassungen (das klassischer bleibt als das mehr vorromantisch wirkende Bemühen um den „Anton Reiser") ging nicht nur in einem derartigen kulturphilosophischen und sprachphilosophischen Sinne, sondern als ganz persönliches künstlerisches Anliegen um das gelungene Werk. Wie denn der Briefwechsel Goethes und Schillers immer wieder Fragen und Schwierigkeiten, Möglichkeiten

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und Notwendigkeiten des Werkwerdens und der Werkwandlung, kurz des Werkschaffens weit verantwortungsbewußter aufwirft, als es im Sturm und Drang üblich gewesen war. Der Briefwechsel Schillers mit Körner spiegelt zugleich das Hinstreben zu solcher Werkverantwortung. Das Kunstwollen der deutschen Klassik erkennt in sich nicht nur eine Sonderausprägung des Willens oder der Sehnsucht und wohl auch der bloßen Sucht (des Sturmes und Dranges), das Ungewöhnliche und Große zu erleben und zu erheben um jeden Preis. Es kreist auf der einen Seite sich bescheidender und auf der anderen Seite anspruchsvoller um den Willen zum Werk. Das Übermenschliche aufzutürmen in geniezeitgemäßer Kühnheit, erscheint jetzt als ein verfrühtes Aufrichten von Prunkfassaden, denen das tragende Fundament und der rechte Maßstab fehlten, solange nicht das Menschentum in seinem Wesen, seinem Wert und seiner Würde innerlich angeschaut und formfindend geprägt worden war. Und diese Aufgabe, „der menschlichen Natur ihren völligen Ausdruck zu geben" (Schiller), die alle Sonderaufgaben überwölbt, ist gleichsam vom schnellen und teils vorschnellen Stürmen und Vorwärtsdrängen umgangen oder überrannt worden. Diese Aufgabe also hat die Klassik im besonnenen Uberprüfen und Sichern geniezeitgemäßer Teilerfolge nachzuholen, nachdem schon die Aufklärung von der Seelenkunde her dem Menschlichen (jenseits vom Heldischen einerseits und Verbrecherischen andererseits) mit unzulänglichen Mitteln hatte beizukommen versucht. Im größeren Zusammenhange wiederum ein Beispiel dafür, wie eine Epoche die Teilerträge früherer Epochen als „etwas Vorläufiges" erkennt und neu aufgreift, um etwas vorerst Endgültiges daraus zu machen oder auch die Voraussetzungen zunächst einmal von Grund auf zu klären, um fruchtbarere Folgerungen gewinnen zu können. Die Humanitätsidee ist nicht eigentlich die Ursache für jene Aufgabenstellung, sondern sie ist zuletzt selbst nur eine Folge des Gefühls für diese „zeitige Aufgabe" und eine Ausstrahlung derselben Kernfrage auf kulturphilosophisches Gebiet. Wie die Aufklärung nach Naturnachahmung und selbst nach „Natürlichkeit" (wie sie es auffaßte) gerufen hatte, wie es jedoch dem Sturm und Drang vorbehalten geblieben war, die Natur als Naturerleben sich zu erobern und so erst zum festen Erlebnisbesitz zu machen, was dort in der Aufklärung im wesentlichen doch nur als Besitz-

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ansprach bestanden hatte, ganz ähnlich hatte der Sturm und Drang im Herrschaftsbereich des Prometheussymbols nach dem „Menschen", nach dem „Menschen"-Formen, dem „Menschen"Machen gerufen (ζ. B. Lenz im „Pandämonium Germanicum"), um es doch endlich der Klassik zu überlassen, das Menschentum als Ganzheit, Gattungshaftigkeit (Typusbegriff) und Wesenhaftigkeit oder Werthaltigkeit (Humanitätsbegriff) zum festen Besitz der Kunst werden zu lassen. Denn das Auffallende, Hervorstechende, äußerlich Merkmalhaltige, was dem Sturm und Drang als der „Mensch", als das Individuelle, Besondere und gern auch Sonderbare gegolten hatte, hielt nun die Probe nicht aus, die als Kriterium das Wesen in und hinter der zufälligen und nur „interessanten" Vereinzelung suchte und setzte. Bevor eine Verbesonderung in das Charakteristische, Abartige und Eigenartige verläßlich und künstlerisch fruchtbar erfolgen konnte (ζ. T. geschah das dann im Kunstschaffen der Romantik), mußte das künstlerische Verstehen und das „bildende" Können zunächst einmal das in der Kernsubstanz Menschliche, das Allgemein-Menschliche, das Typisch-Menschliche, das Rein-Menschliche beherrschen lernen. Denn jetzt galt es, das unerschöpfliche Kraftreservoir des Wesentlichen und Wesenhaften fest in die Hand zu bekommen und damit den edelsten Rohstoff und Urstoff, wenn anders nicht von der Substanz gezehrt werden sollte. Den sparsamen Reichtum dieses Urstoffes und Edelstoffes galt es zu entdecken und zu entfalten. Das wahrhaft Schwierige wurde in diesem Sinne von der Klassik im Einfachen erkannt, in der Einfalt, die die Vielfalt in sich barg und deshalb diese Vielfalt, die im Sturm und Drang als vergeudeter Lebensreichtum Selbstzweck gewesen war, jederzeit mühelos aus sich heraus entwickeln konnte. Das Verdienst, die Natur wesenhaft der Dichtkunst erobert zu haben, kommt dem Sturm und Drang zu. Das Verdienst, den Menschen wesenhaft der Dichtkunst erobert zu haben, kommt der Klassik zu. Gewiß liegt dabei der Akzent auf „wesenhaft", da rein stofflich schon die Aufklärung die Natur und der Sturm und Drang den Menschen ins Auge gefaßt hatte. Die in sich vollendete Menschengestalt von gattungsmäßig typischem Wert, wie die Klassik sie in der Freistatue der bildenden Kunst der Alten zu finden meinte, verursachte nicht eigentlich dieses Umwerben klassischer Menschenbildung, sondern ermutigte es und begleitete es nur als kraftspendendes Symbol. Fraglos gab es in der deutschen

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Klassik — besonders bei dem Goethe der „Propyläen" und teils schon der „Italienischen Reise", aber auch bei Wilhelm von Humboldt — viel bemerkte und oft hervorgekehrte Entwicklungsspannen, die das Ideal der Plastik kanonisch erstarren zu lassen drohten, die jene im weiteren Sinne künstlerisch gestaltende, „bildende Nachahmung des Schönen" K. Ph. Moritz' zu einseitig verengte auf eine Nachahmung des bildkünstlerisch Schönen (im engeren Verstände der bildenden Künste). Diese Gefahr lag für Goethe, ganz abgesehen von der engen, über ein Jahrzehnt hinwegreichenden Gemeinschaft mit Heinrich Meyer, umso näher, als er kunsttheoretisch besonders im Bereich der bildenden Kunst zu sprechen liebte. Und die Problematik des Goetheschen„Stil"Begriffs erklärt sich nicht zum wenigsten daraus, daß er ihn (abgesehen von etwaigem Spinoza-Einfluß) bildkunsttheoretisch abzuleiten suchte und so zwischen Wesensbezug und Dingbezug geraten mußte, während eine wortkunsttheoretische Ableitung eine geringere Spannung zwischen Wort und Wesen zu überwinden gehabt haben würde. Aber das ist nicht die Klassik als Ganzes. Für Schiller schied jene Gefahr von vornherein weitgehend aus. Und auch für Goethe lag die Ursache, aus der heraus ihn die bildende Kunst so stark anzog, tiefer in seinem Hinarbeiten auf die reine, plastisch-runde (Begriff der „Rotundität"), reife Gestaltung des· WesenhaftMenschlichen und Wesenhaft-Natürlichen. Es war doch nicht so, daß die Weimarer Kunsttheorie sich in der Forderung, mit Hilfe eines „erneuten Durcharbeitens überkommener Typen" und der „Weiterbildung gegebener Motive" voranzukommen (wie Max Hecker meint), irgendwie ernstlich erschöpfen ließe. Sehr wirkungskräftig griffen die Leitideen der „Tatkraft" und „Lebenskraft" in jenes „bildende Nachahmen" ein. Goethes naturwissenschaftliche Studien bekunden — unabhängig von der Antike Winckelmanns und vollends der Antike H. Meyers — dasselbe Hindrängen zum Naturhaft-Wesenhaften, nach der symbolhaltigen, typischen Grundform. Seine in das Reale verliebte Beschränktheit bedeutete letztlich ebenfalls jenes Umwerben nach Art eines Umkreisens und Umschränkens des Wesenhaften, Typischen, Symbolischen, das seine Kunst und Gabe zu schauen und im Realen aufzuspüren nicht nur fähig und willig, sondern auch anlagemäßig geradezu genötigt war. Dieses „Reale" Goethes streifte immer nur im Grenzwert die Realistik, blieb im Kernbestand aber ein Idealrealismus,

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der das Ideale, aber auch das Ideelle mit umschloß. In diesem Sinne konnte Schiller mit Recht „Idee" nennen, was Goethe als „Erfahrung" erlebte, wie umgekehrt Goethe mit Recht Schillers Entzünden des Lebens an der Idee als Widerspiel seiner eigenen Entfaltung des Symbols aus dem Leben empfinden konnte. Gewisse Ansätze Schillers zu einem poetischen oder ideellen Realismus, wie sie die Sonderforschung nach dem „Teil" besonders im „Demetrius" aufspüren zu können glaubt, würden auch von dieser Seite den Kreis schließen, der als weit auslaufende Welle den Kernbezirk der deutschen Klassik umspielt und nicht zum wenigsten in die jüngere Romantik hinüberwirkt. Hatte der Sturm und Drang den Einzelmenschen als Individualität, die Klassik den Menschen schlechtweg als Typus einzufangen gestrebt, so verdichtete die Klassik besonders im Räume des Dramas das Individuell-Notwendige, bei dem der Einzelcharakter der „Schlüssel" zum Geschick zu sein vermeinte (Lenz' „Anmerkungen"), zum Typus des Notwendigen. Der formal teils unverhüllt antikisierende Schicksalsbegriff des Dramas der Klassik erhält seinen tieferen Sinn, wenn man ihn zu fassen trachtet als ein Streben nach dem Typus und Symbol des Notwendigen schlechtweg. Ob es sich um den Sternenglauben im „Wallenstein" oder um den Orakelglauben in der „Iphigenie" oder der „Braut von Messina" handeln mag: symbolisiert werden mit theatralischen Mitteln sollte zuletzt überall der Typus eines (hinter allem Zufälligen und Auffälligen stehenden) Notwendigen. Die Notwendigkeit des Typischen (in der Menschengestaltung) findet so ihre Entsprechung in dem Typischen der Notwendigkeit (in der Schicksalsgcstaltung; Schicksalsbegriff). Der Verdichtung und Verwesentlichung des Menschentums im Typus war die Verdichtung und Verwesentlichung des Menschenschicksals sinngemäß und stilgerecht, ja organisch notwendig zugeordnet. Wo der Mensch als Repräsentant der „Gattung" gesehen wurde, mußte auch sein Geschick über den Einzelmenschen und seinen Einzelfall hinausragen. Das Kunstwollen drängte zum organischen Zusammenspiel. Die antikisierende Anlehnung beeinträchtigte die an sich ideale Zielsetzung, die eine Idealform des Charakters mit einer Idealform des Notwendigen zu verbinden suchte. Trotzdem sind im Sternenglauben („Wallenstein"), dessen Wahl Goethe im Hinüberblicken auf die naturgesetzlichen Zusammenhänge empfahl, und im Widerschein der Sippenschuld (Ansatz: „Elpenor"-

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Fragment; Ausformung: „Iphigenie"; „Braut von Messina") deutliche Spuren jenes Kunstwollens im Erstreben einer idealen Notwendigkeit enthalten, wie denn auch Hölderlins „Empedokles" um das Typisch-Notwendige des Schicksalhaften ringt. Das Bedürfnis des späteren Goethe, die organische Bindung von Held und Schicksal wiederherzustellen, indem er von der „dämonischen Konstitution" der antiken Charaktere sprach, etwa mit Bezug auf Oedipus in der „Nachlese zu Aristoteles' Poetik", bestätigt doch nur das letztlich Unzulängliche der Lösungsversuche. Es bestätigt aber zugleich das Hinlenken des Kunstwollens auf ein ideal Notwendiges, das dann eben — wie schon vorher — ins „Dämonische" als Schicksal verlagert wird. Das „Dämonische" vertritt in diesem Sinne (wie schon mit Bezug auf Egmont) den Typus des Individualnotwendigen oder die individuelle Notwendigkeit des Typus. Hier nämlich grenzen Typus als Gestalt und Typus als Gewalt und Gesetz, Typus als Wesenhaftigkeit und Typus als Schicksalshaltigkeit ganz nahe aneinander. Die Erklärung des Dämonischen in „Urworte. Orphisch" läßt „angeborne Kraft und Eigenheit... sogar durch Generationen hindurch" weiterwirken, so daß fast die Entwicklungskräfte in Beziehung zu den kosmischen Kräften, wie sie sich volkstümlich im Sternenglauben versinnbildlichen, schon gesehen werden, daß dieses Dämonische, dieses „Gesetz, wonach Du. angetreten", diese „geprägte Form, die lebend sich entwickelt", als fester Bestand „mehr als alles Übrige des Menschen Schicksal bestimme". Vom Notwendigen zum Vollkommenen jedoch und vom Vollkommenen zum Schönen ist der Weg folgerichtig vorgezeichnet; denn „Vollkommenheit ist schon da, wenn das Notwendige geleistet wird, Schönheit, wenn das Notwendige geleistet, doch verborgen ist" (Maximen und Reflexionen). Dieses latent und „verborgen" Notwendigsein steckt sowohl im „Dämonischen" als auch im Typischen (gattungshaft Notwendigen). Die Spannung zwischen Charakterdrama und Schicksalsdrama, zwischen Freiheit im Wollen des Subjekts und Notwendigkeit im Sollen nach objektiven Gesetzlichkeiten der Vorsehung oder der Naturgesetzlichkeit wird nicht aufgehoben, aber doch gemildert und zum Teil ausgeglichen, wenn man nicht den individuellen, sondern den g a t t u n g s m ä ß i g e n Bezug des Schicksals hervorkehrt, also im Schicksal nicht das individuell Notwendige, sondern das typisch Notwendige anerkennt. Schiller läßt die

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„Freiheit des Gemüts" sich im Sinne des Ausgleichs „auf ästhetischem Wege wieder herstellen" und sieht in solcher Wiederherstellung nicht zum wenigsten die Bestimmung der Tragödie. Es gehe beim Pathetischen nicht um die Willensfreiheit des sinn? liehen Menschen, sondern des sittlichen Menschen. Ein Ausgleich ist insofern gegeben, als die Erhebung des sittlichen Menschen über den sinnlichen Menschen ein Gegengewicht bietet für die sinnliche, wirkliche Vernichtung des Individuellen. Das „Moralische" ist in diesem Sinne gleichsam eine Entsprechung des „Idealischen", das auch das nur Individuelle überwindet und überflügelt. Das „Moralische" beträfe mehr die Haltung, das „Idealische" mehr die Gestaltung. Bewußt an Schiller anknüpfend hat Heinrich J o s e p h v o n C o l l i n in seinem Aufsatz „ Ü b e r d e n Chor im T r a u e r s p i e l e " die ausgleichende Aufhebung der Spannung von Subjektivem und Objektivem, von Wollen und Sollen, von Einzelnem und Ganzem so umschrieben, daß „die Materie dient, der Geist herrscht", daß die moralisch-idealische Freiheit ihren Triumph feiere über die „Naturnotwendigkeit". Wieder aber wird die Vorstellung der Lebenstotalität herangezogen, um das Individuelle organisch und harmonisch einbeziehen zu können: „Das Individuum versenkt sich bei dieser Anschauung in die Totalität und reiniget sich zur höchsten Freiheit. Das ist die Höhe Shakespeares und des Schillerschen Wallenstein". Und dort, wo der spätere G o e t h e an sich kämpferisch über „ S h a k e s p e a r e u n d k e i n E n d e " (1813 bzw. 1816) zu handeln hat, sieht er im Ausweichen vor dem Schicksal als dem Typisch-Notwendigen ein Kennzeichen der Abschwächung des modernen „Dramas" gegenüber der antiken Tragödie, sieht er jedoch auch das in Shakespeare gewonnene „ s c h ö n e G l e i c h g e w i c h t zwischen Wollen, Sollen und Vollbringen" als Möglichkeit und Ziel einer Verschmelzung zwischen der antiken Tragödie und dem „sogenannten Drama" der Neueren. Im Wechselspiel von Erheben und Zermalmen kündigen sich gewisse Identitätsvorstellungen an, wie das „Moralische" Schillers auf sittlichem Gebiet etwa dem „Idealischen" auf ästhetischem Gebiet gleichkommt, ja in gewisser Weise mit ihm identisch ist. So wird auch von der hier nur knapp gestreiften Dramaturgie der Klassik her die Fühlung mit dem allgemeinen Kunstwollen, der allgemeinen Kunstauffassung der Klassik spürbar, mit Aufgaben und Lösungen. Indem nicht der realistische Einzelcharakter als solcher das Ideal ist, sondern der

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typushafte Mensch als Gattung, vermag sich dieser typushafte Mensch auch leichter mit einer typushaften Notwendigkeit ausgleichend zu versöhnen. Das Ich weitet die subjektive Enge, indem es das AllgemeinGültige, Rein-Menschliche und Gattungshafte liebend in seinen Kreis zieht. Die Humanitätsidee (Menschenwesen, Menschenwert und Menschenwürde), teilweise verbunden mit dem Ideal der Vervollkommnung durch das Bindemittel und Bildungsmittel des Ästhetischen, überwindet als geistige Zentralkraft das individuelle Geltungs- und Machtstreben der Geniezeit, stellt aber letzten Endes nur eine Höherentwicklung und Umbildung des moralischen Ausgleichsstrebens (bei Th. Abbts Humanitätsidee ist das ohne weiteres erkennbar) der Aufklärung und in gewisser Weise selbst des sozialen Reformwillens des Sturmes und Dranges dar. Bis hinein in die Forderungen der sprachlich-stilistischen und metrischen Formung und das Verhältnis von Haltung und Gestaltung — die „Humanität" entspricht mehr der Haltung, das „Idealische" mehr der Gestaltung—zeigt sich jenes Ausgleichsstreben wirksam, nicht nur im Kunstschaffen, wenn die Rundung fließender Jamben auch noch stürmende Wellen des Affekts glätten hilft, sondern auch im Kunstfordern, so wenn Herder mit Bezug auf die Griechische Anthologie von „jener Humanität der Empfindung" spricht, „die zum Epigramm gehört". Doch pflegt diese Seite des klassischen Kunstwollens und der klassischen Kunsttheorie hinreichend belichtet zu werden. Es sei jedoch besonders die Einwirkung K. Ph. Moritz' auf die sprachlich-metrische Formung nicht nur der „Iphigenie", sondern auch des „Tasso" hervorgehoben. Die L e i t i d e e des Ausgleichs wird zum beherrschenden geistes- bzw. ideengeschichtlichen Blickpunkt in Η. A. Korffs Gesamtschau der Klassik, im besonderen der Hochklassik, die den ersten Gegenstoß der starren „Gesetzmäßigkeit und Formenstrenge" (Frühklassik) gegenüber der Ungebundenheit der Geniezeit überwindet und immer wieder Gegensätzlichkeiten ausgleichend „aufhebt", d. h. zugleich auflöst und aufbewahrt in der höheren Einheit und Ganzheit (zuletzt weist diese Deutungsrichtung auf Hegel). Rationalismus (Teilrückwendung in der Frühklassik) und Irrationalismus (als Erbe der Geniezeit) werden dergestalt ausgeglichen in der Hochklassik, die Korff als Träger der „Idee des Gleichgewichts" überzeugend und nach dieser Seite des Grundsätzlichen hin erschöpfend charakterisiert. Willkür-

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freiheit und bewußte Freiheit finden sich entsprechend in der freien Gesetzlichkeit zusammen. Und mit dieser Idee der „freien Gesetzlichkeit" wird bereits die vor allem von Schiller ausgeprägte Vorstellung des „Schönen" berührt. Im Bereiche der Kunstanschauung, der Korff einen umfassenden Teil seiner Gesamtdarstellung widmet, verschmelzen sich in ähnlicher Parallelentfaltung „Naturidealismus" und „Vernunftsidealismus", als deren hervorragende Träger Goethe und Kant gesehen werden, in Schillers „Verbindung von Vernunft- und Naturidealismus", im Ausgleichen und „Aufheben" von Gehalt-Ästhetik und Gestalt-Ästhetik. Angesichts derartiger in ihrer Ideenrichtung schwerlich überbietbarer Darstellungen mag dieser knappe Vorblick auf das Kunstwollen sich damit begnügen, einleitend nur noch kurz hervorzuheben, daß besonders durch K. Ph. Moritz, Goethe und Kant, zuletzt doch aber auch bei Schiller, und zwar durch dessen Ineinssetzung von Schönheit und „Freiheit in der Erscheinimg" und Aufgipfelung des Spieltriebes die Autonomie des Ä s t h e t i schen und die Selbstzwecklichkeit der Kunst erstmalig mit solchem Nachdruck und mit solcher Klarheit und vor allem zum ersten Male als das tragende Grundprinzip der gesamten Kunstanschauung innerhalb der Gesamtentwicklung der deutschen Poetik und Literaturphilosophie herausgearbeitet worden ist. Erst dann, wenn man die Wandlungen der deutschen Kunstbesinnung und Kunstgesinnung über weitere Entwicklungs- und Entfaltungsräume hinweg überblickt und überprüft, ergibt sich der volle Eindruck der geistesgeschichtlichen Bedeutsamkeit und der entwicklungs· und problemgeschichtlichen Einmaligkeit dieses entschlossenen Freikämpfens der Kunst von außerkünstlerischen Bindungen und Bestrebungen. Und dieser Eindruck vertieft sich dadurch, daß damals mit dem reinen Kunstwollen die Bewährung in der großen Kunstleistung sich begegnete. Das reine Kunstwollen forderte und förderte die reine Kunstvollendung. Es stand ein berechtigter Stolz dahinter, aber zugleich die Demut des ausschließlichen Dienstes am Werk. Es ergibt sich jedoch auch die Beobachtung, daß kein ruckh a f t e s Durchbrechen der E n t w i c k l u n g s s t e t i g k e i t erfolgt ist. Denn ganz abgesehen von den deutlich erkennbaren, aber in sich gebrochenen Teilbemtihungen des Sturmes und Dranges (teils polit. Zweckeinmischung bes. i. d. werkimmanenten Poetik, teils religiöse Leitkräfte), konnten an entsprechender Stelle auch die

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weiter zurückliegenden Vorarbeiten innerhalb der Auflockerungspoetik und Auflockerungsästhetik der Auf klärung und des in diesem Betracht nicht zu unterschätzenden RokokoKunstwollens vorbereitend in die Gesamtwürdigung einbezogen werden. Und es ergibt sich endlich der Eindruck, daß die latenten Gefährdungen, die in einem solch selbstherrlichen Denken und nun auch selbstherrlichen (aber eben doch auch herrlichen!) Dichten lagen, bereits innerhalb der älteren Romantik zu ernstlichen Gefahren im Sinne einer Überspannung werden. Was dort letzte organische Verdichtung sichern, helfen und verbürgen sollte, das drohte hier in „reflektierende" Zersplitterung umzubrechen. Denn wie die Romantik den mit der Zweckbefreiung und ihren Entwicklungsvorstufen zeitlich etwa parallel verlaufenden Befreiungsvorgang hinsichtlich der Wahrscheinlichkeitslehre (Mimesis, Naturnachahmungsbegriff) steigerte und übersteigerte bis zu der Anschauung, daß gleichsam die Natur von der Kunst ihre Schönheitsgesetze zu erfahren und zu empfangen habe (Umkehrung der Mimesislehre, A. W. Schlegel, Schelling u. a.), so auch übertrumpfte und übersteigerte die ältere Romantik die Zweckbefreitheit der Klassik durch die romantische Ironie und die Urbanität des Geistes bis zu dem Grade, daß nun auch das selbstzweckliche Kunstwerk immer noch zweckverdächtig blieb und noch nicht „frei" genug erschien. Dergestalt, daß die „freieste aller Lizenzen" nun auch noch mit Hilfe des ästhetischen Spieltriebes über das Kunstwerk, um dessen Würde willen die Klassik doch gerade die Zweckbindung bekämpft hatte, letztlich willkürlich verfügen durfte, ja verfügen sollte. Doch darüber wird gelegentlich der Darstellung der Romantik eingehender zu handeln sein. Ebenso sei jedoch auf eine gesonderte Herausstellung der einzelnen Bekundungen innerhalb der Klassik verzichtet, da die Sonderabschnitte hinreichend Raum bieten werden für ein Sichtbarmachen des Autonomiegedankens. Gerade auch im gegnerischen Lager empfand main die Postulierung und Manifestierung des Eigenrechts und Eigenwertes der Kunst als eine der die gesamte klassische Kunsthaltung bestimmenden Grundkräfte, gegen die denn auch immer wieder entsprechende Gegenkräfte auf die Bahn gebracht wurden. Uberall dort jedoch, wo ein klassisches Kunstwollen neu zur Geltung drängt, erhebt sich ein erneutes Ringen um den Gedanken der Zweckfreiheit, wie denn etwa Grillparzer — noch unselbständig zwar die Lehren der

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Klassik in seiner Frühzeit nachsprechend — vorerst zu dem Ertrag gelangt: „Der Zweck des Schönen ist das Schöne", aber auch noch 1836 Kants Setzung eines interesselosen Wohlgefallens festhält und ausdrücklich gutheißt. Die Vorstufen des interesselosen Wohlgefallens konnten unter anderem besonders bei dem deutschen Kunsttheoretiker Justus Riedel, wo sie sich weit klarer als etwa bei Mendelssohn ausgeprägt finden, nachgewiesen werden. Aber der eigentliche Dogmatiker der Zweckfreiheit der Kunst innerhalb der Klassik war Karl Philipp Moritz, in dessen Nähe Goethe stand, wie Wieland in der Nähe Riedels gestanden hatte. Moritz jedoch kann nur in kritischer Auseinandersetzung mit Mendelssohn zu seinem Ertrag kommen. Neben Riedel hatte etwa gleichzeitig der junge Herder der „Kritischen Wälder" den Grundsatz geprägt: „Ein Kunstwerk ist der Kunst wegen da" und damit eine wesentliche Vorstufe des klassischen Autonomiegedankens erreicht, ohne späterhin diesen Gedanken festzuhalten. Rein kunsttheoretisch wurde Moritz für die Ästhetik der Klassik grundlegender als Winckelmann. Dennoch empfiehlt es sich nicht nur aus Gründen der zeitlichen Abfolge, die doch auch immer eine lebendige Wuchsweise in sich einschließt, die nun ins Einzelne gehende Beschreibung und Deutung des Kunstwollens der deutschen Klassik mit Winckelmann beginnen zu lassen; denn Winckelmann ermöglicht die tiefer untergründende und bis in die Aufklärung reichende Rückschau in ungleich stärkerem Maße als K. Ph. Moritz. In Johann W i n c k e l m a n n (1717—1768) wiederholt sich zunächst einmal der Ablauf der Entwicklung von der Wirkungsästhetik der Auflockerungsepoche zur Schöpfungsästhetik der Geniezeit, doch ohne deren Ubersteigerungsformen. Das lag rein zeitlich nahe; denn die „Gedanken über die Nachahmung" erscheinen bereits 1755, als Nicolai seine „Briefe über den itzigen Zustand" herausbrachte; die große Kunstgeschichte des Altertums aber liegt 1764, also im Jahre der Oden-Abhandlung des jungen Herder. Trotzdem darf gerade für das Ausprägen der Leitideen der Entwicklungsabstand zwischen den „Gedanken" und der Kunstgeschichte keineswegs überschätzt werden, wie denn ζ. B. Herder in seinem würdigen und einfühlungswilligen WinckelmannAufsatz alle wesentlichen Grundkräfte schon in den „Gedanken" und ihren beiden Ergänzungsschriften enthalten sah. Die befruchtende Berührung Winckelmanns mit dem Geist des deutschen

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Rokoko wurde im entsprechenden Abschnitt dieser Darstellung gewürdigt und bleibt — gerade weil sie sich in und durch Winckelmann vollzog — symptomatisch und symbolisch fast für die vielfach immer noch unterschätzten Wechselbeziehungen zwischen dem Kunstwollen des deutschen dichterischen Rokoko und dem Kunstwollen der deutschen Klassik. Im weiteren Umkreis erinnert Winckelmann darüber hinaus an die durchweg nur ungern zugestandenen Teilbeziehungen zwischen dem Kunstwollen der deutschen Aufklärung und der deutschen Klassik. Daß geniezeitgemäß wirkende Teilkräfte belebend hindurchgriffen (wie etwa: die Schöpfungsvorstellung, die beseelte Art der Kunstanschauung, die erwärmende Gefühlskraft, die Ehrfurcht vor dem Unaussprechlichen des Schönen in Angleichung an die Unaussprechlichkeit des Genialen im Sturm und Drang, das leidenschaftliche Ergreifen des Naturhaft-Starken, das jedoch bei Wilh. Heinse weit geniezeitgemäßer wirkt als bei Winckelmann), wird am bündigsten belegt durch den warmen Widerhall, den Winckelmann beim jungen Herder gefunden hat. Und auch darauf mag in diesem Zusammenhange hingewiesen werden, wie der Gerstenberg der Schleswigischen Literaturbriefe gerade bei seinem Deutungsversuch des Geniebegriffs auf Winckelmann Bezug nahm. Doch darf nicht verkannt werden, daß schon die AuflockerungsÄsthetik innerhalb des fortschrittlicheren Flügels der Aufklärung manche dieser Kräfte weitgehend (zum mindesten als theoretische Kunsterkenntnis vorbereitet) in sich barg. Wesentlich und wertvoll erscheint nicht so sehr der Nachweis derartiger Elemente des Sturmes und Dranges oder gar der Romantik (Franz Schultz) als vielmehr die Beobachtimg, daß jener die geistesgeschichtliche Entwicklung gleichsam wiederholende und doch abwandelnde Ablauf von vornherein unter einer dämonisch sicheren Leitkraft sich vollzieht, die in die Mitte der Gestaltungs- und Ausgleichungs-Ästhetik der Klassik mit ihrem verfeinerten Organismusgedanken hineinragt und wirkend hineinreicht, ja, die diese Mitte als organisierende Verdichtungsstelle selbst erst recht eigentlich mit finden und festigen, und schaffen hilft. Das Wunderbare und Wundervolle bleibt diese innere Zielsicherheit, die. trotz anfänglicher rationalistischer Umklammerung (1755) sogleich das Frühwerk in seinem Kernbestand kennzeichnet und auszeichnet. Nicht auszeichnet durch ein paar sprühende Funken des Schöpfungs- und Geniebegriffs. Die werden letztlich deutlicher

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in Nicolais gleichzeitigen „Briefen über den itzigen Zustand" sichtbar wie schon vorher beim ganz jungen Lessing, so überraschend das anfangs klingen mag. Aber die Grundkonzeption des Kunstwollens der Klassik zu entwerfen drei (1755) bzw. zwei (1764) Jahrzehnte vor Karl Philipp Moritz' Abhandlung über den „Begriff des in sich selbst Vollendeten" (1785), die sonst als zeitlich führend gelten kann, und diese Grundkonzeption durchzuhalten und durchzugestalten, im wesentlichen ohne ein gleichzeitig miterlebtes wertentsprechendes Kunstschaffen: das zeugt von dem Außerordentlichen der Begegnung und von der Inbrunst des Ersehnens, von der Spannung und Anspannung auch, mit der Winckelmann seine Antike erlebte. Der deutsche Winckelmann erlebte — trotz mancher persönlich bedingten und durch die Zeitverhältnisse verstärkten Entfremdung und Verbitterung — seine Antike bei alledem auf deutsche Weise und auf zeitbedingte Weise. Aber jene hohe Anspannung, die erforderlich war, um der Entwicklung in Deutschland so kühn vorgreifen zu können, barg auch ebenso wie das Antike-Erleben Winckelmanns die Gefahr der Überspannung in sich, die für die deutsche Klassik nicht ohne eine entsprechende Nachwirkung und Nebenwirkung blieb. Der Winckelmann der „ G e d a n k e n über die N a c h a h m u n g der griechischen Werke in der Malerei und B i l d h a u e r k u n s t " (1755) hat manche Anregung aus dem lebendigen Umgange mit Friedrich Oeser erfahren. Aber ebensowenig wie Winckelmann Hauptanteile seiner „Geschichte der Kunst" Raphael Mengs zu danken hat, ist für die „Gedanken" eine allzu weitgehende Mitarbeit Oesers anzunehmen. Eine bloße genialische Improvisation nach Art der Stürmer und Dränger stellt die Frühschrift, die bereits dem Mannesalter entstammt, keineswegs dar. Manche Vorarbeit der früheren Kunsttheorie wird ausgewertet, eine Vorarbeit, die nach ihrer stofflichen Reichweite, aber auch nach ihrer ideellen Begrenzung von der Sonderforschung jetzt eingehender überprüft worden ist. Im Bezirk der Bildkunsttheorie, besonders der Theorie der Malerei, waren im Italien des sechzehnten Jahrhunderts, nachdem Lodovice Dolce mit seinem Dialog über die Malerei „L'Aretino" (1557) vorangegangen war, bildkunsttheoretische Gedankengänge vor allem von G. B. Armenini (1587) gepflegt, aber auch von Borghini (1584) und Lomazzo (1584) berührt worden. Armenini empfahl dabei grundsätzlich ein Lernen von der Antike, zwar ohne das übliche Prinzip der Natumach-

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ahmung aufzugeben, das jedoch eine entsprechende Abwandlung erfuhr. Unter den französischen bildkunsttheoretischen Schriften stellt Andr6 Filibien, der über Leben und Werk der berühmtesten alten und neueren Maler gehandelt hatte (1666—88), die Nachahmung der Antike und — neben der hohen Wertung der Zeichnung — das Prinzip der Ordnung (einzelne Wertattribute: le grand, le noble, le gracieux) heraus, während der Engländer Jonathan Richardson in seinem Traiti „de la peinture et de la sculpture" (1728), der das Geistig-Ideeliche in der Kunst zur Geltung bringen möchte und gern auf die Poesie (Pope, Milton) hinüberblickt, besonders das Erhabene (le sublime) von der antiken Plastik abgelesen und abgelernt sehen möchte und das hauptsächliche Wertungskriterium in der „gräce" und „grandeur" aufstellen zu können glaubt. Sowohl F61ibien wie der Franzose Rolland Friart Chambray in seiner „Idie de la perfection de la peinture" (1662) setzen ebenso wie der Engländer J. Richardson zum nachahmenswerten Muster Raffael (darin Winckelmann ähnlich), während Roger de Piles auf Rubens verweist. Roger de Piles, der mit dem „Cours de peinture par principes" (1708) ebenfalls in das achtzehnte Jahrhundert hineinragt (vom jungen Goethe im Zusammenhange mit Winckelmann im „Werther" erwähnt), hatte bereits in seiner „Conversation de la peinture" (1677) an Bewertungsmerkmalen der antiken Bildkunst „La correction de la forme, la puret£ et l'616gance des contures, la naivetd et la noblesse des expressions" hervorgehoben. Im Gesamt seiner Einstellung vollzog R. d. Piles, der bei seiner Übersetzung eines von Ch. Alphonse du Fresnoy stammenden Lehrgedichts „De arte graphica" noch die „antiques" als „rögle de la beautd" anzunehmen geneigt schien, in jener „Conversation" von 1677 schon eine verhältnismäßig klare Schwenkung zu einer grundsätzlichen Gegnerschaft zum Klassizismus. Von de Piles rückt dementsprechend Winckelmann mehrfach betont ab, während er mit Fdiibien und J. Richardson, teilweise auch mit R. F. Chambray in Einzelzügen übereinstimmt. Die berühmte Prägung Winckelmanns war rein formal und in ihren Einzelbeständen weitgehend vorgeformt: mehrfach begegnet bei J. Richardson die Kennzeichnung „noble simplicite", daneben die Zusammenstellung „v6ritable grandeur et . . . noble simplicit6". Shaftesbury bringt in seinem „Judgement of Hercules" die Merkmalsgruppe „solemnity and simplicity". Die Anschauung

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Winckelmanns von der „idealischen Schönheit" konnte sich stützen auf ältere Überlieferungen (Xenophon, Maximius Tyrius, Cicero), die er übersichtlich bei Bellori zusammengestellt antraf (Zusammensehen und Zusammenfügen idealer Einzelteile verschiedener Gegenstände zu einer in sich vollkommenen, „idealischen Schönheit"). Überdies beruft sich Winckelmann für die zweite Form der idealischen Schönheit (geistiges Urbild in der Vorstellung des Schaffenden, also recht eigentlich mehr „ideelle" Schönheit) selbst auf den Plato-Ausleger Proklus. Diese zweite, im strengeren Sinne mehr ideelle als idealische Schönheit, die in den „Gedanken" von 1755 noch als Sonderform herausgestellt wird, tritt in der Kunstgeschichte von 1764 unverkennbar zurück. In gewissem Grade kann in dieser Abkehr, da der Winckelmann der „Gedanken" die geistige Form des Idealischen noch merklich an das rationalistische Vernunftideal angelehnt hatte, eine Fortentwicklung auf der Stufe der „Kunstgeschichte" gesehen werden. So dankenswert die Bemühungen der Sonderforschung um nachweisbare Anregungen immer sein mögen, so kann doch das Wissen um derartige Vorarbeiten nicht der Weite und Würde des Gedankenbaues Winckelmanns Abbruch tun, ganz abgesehen davon, daß sich eben doch auf diesen Gedankenbau und seine Durchseelung die begeisterten Augen der jüngeren Generation richteten, nicht aber auf jene früheren Ansätze (trotz der beiläufigen Erwähnung de Piles in Goethes „Werther"), die eben an und für sich keine fruchtbar fortzeugende Kraft ausgestrahlt hatten, sondern gleichsam erst nach Art der „idealischen Schönheit" von Winckelmann zusammengeschaut und organisch zusammengebildet werden mußten, um voll wirksam werden zu können. Fragt man nach dem, was Winckelmann aus jenen Ansätzen gemacht hat, nach dem, was ihn über jene Ansätze so entscheidend hinausführt, so bleibt zunächst sein Neuerleben des Griechentums als Gesamtheit, Einheit und Ganzheit, sein Versuch, die künstlerischen Höhenwerte des Griechentums aus dem durch „Geblüt" und „Klima" und Erziehungsart bedingten und bevorzugten griechischen Menschentypus und also letztlich des griechischen Volkstums zu erklären. Indem er aber so einerseits und im Sonderfall ganz auf die Mustergeltung des griechischen Volkstums hinlenkte und in diesem Sinne vorerst vom deutschen Volkstum und seinen künstlerischen Möglichkeiten ablenkte (was Gerstenberg sogleich herausfühlt), gab er doch auf der anderen Seite das große

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und in der „Geschichte der Kunst des Altertums" näher ausgeführte Muster für ein inniges Inbeziehungsetzen von Künstlertum und Volkstum, Kunstcharakter und Volkscharakter überhaupt. Winckelmann sah und schilderte, nicht als Erster, aber damals als Wirksamster, wie ein anlagemäßig, umweltmäßig und erziehungsmäßig begünstigtes Volk aus seinen Lebensverhältnissen heraus auch eine hochwertige Kunst hervorbrachte, hervorbringen konnte und nach solchen Voraussetzungen geradezu hervorbringen mußte. Die Wegbahner des Sturmes und Dranges wurden durch dieses auf ein fremdes, aber doch vom deutschen als wesensverwandt empfundenes Volk angewandte Verfahren einer national bezogenen Kunstbetrachtung und Kunstbewertung (nicht allein, aber doch auch nicht zum wenigsten) dazu ermutigt, den Versuch zu wagen, nun ihrerseits eine national bezogene und national bestimmte deutsche Dichtkunst aufzubauen. Was unmittelbar vom deutschen Wesen fortführte, lenkte in diesem Sinne mittelbar doch wiederum zu ihm hin. Insofern gingen von Winckelmanns Werken, die zeitlich vor dem Haupteinsatz des Sturmes und Dranges lagen, bedeutende Anregungen aus, die wichtiger sind als irgendwelche geniezeitgemäße Züge in diesen Werken. Es darf der Satz gewagt werden, daß Winckelmann durch eine letzten Endes der vergleichenden Kunstgeschichte vorbereitend zugekehrte Auffassung, Beschreibung und Bewertung der Kunst der Griechen den weiten Vorsprung gewann vor jenen erwähnten Anregern aus der italienischen, französischen und englischen Bildkunsttheorie. Denn aus dem Nationalcharakter der Griechen, wie er ihn bedingt sah durch „Geblüt" und „Klima" (Montesquieu) und „Erziehung", erklärt und verklärt sich ihm das sinnlich-seelische Gepräge der griechischen Kunst. Ohne es so klar auszusprechen und ohne es auf spezifisch deutsche Verhältnisse zu übertragen, sah doch letztlich schon Winckelmann wie Herder im Kunstwerk den „Abdruck des Nationalgeistes" (Herder) oder den „Ausdruck" des Nationalgeistes (Sulzer), so daß wieder die Blickrichtung auf eine vergleichende Kunstgeschichte erkennbar wird. Was ihm diesen Zugang und jenen Vorsprung zugleich und wesentlich erleichterte, war das Ausgehen von der griechischen Sprache und der griechischen Dichtkunst. Und es darf gerade im Rahmen einer Geschichte der Poetik hervorgehoben werden, daß Winckelmanns Ansichten und Einsichten entscheidend mitbestimmt worden sind durch sein Erlebnis griechischer Sprache und 3 M a r k w a r d t , Pottik III

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griechischer Poesie. Besonders das Homer-Erlebnis hat weitreichenden Anteil an seiner Grundeinstellung gehabt. Ob man nun auf ein lateinisches Homer-Gedicht Winckelmanns in den Hamburger Handschriften hinweist, ob man brieflich bezeugt findet, daß den „Gedanken" eine mehrfach wiederholte HomerLektüre unmittelbar vorangegangen ist, ob man Winckelmanns Versuche in den „ E r l ä u t e r u n g e n " (zu den „Gedanken") beobachtet, Werte des Rhythmischen aus griechischer Dichtung zu deuten, ob gar vom Wohllaut der griechischen Sprache auf ein wohlgeformtes Sprachwerkzeug und so mittelbar auf das körperliche Wohlgestaltetsein der Griechen überhaupt zurückgeschlossen wird, ob innerhalb der Bildkunsttheorie der Blick auf die Dichtkunst und gelegentlich auch auf ihre Theorie hingelenkt erscheint, ob für die Erziehung junger Menschen die Geschmacks- und Gemütsbildung an Kunstwerken „sonderlich der Dichter" empfohlen wird: stets sieht Winckelmann die Bildkunst nicht vereinzelt, sondern im Verbände einer künstlerischen Haltung, hinter der eine einheitliche Kunstgesinnung steht. Eben deshalb, war für ihn selber die Gefahr, daß die „Stille" zur Starre erstarb, nicht entfernt so groß wie für manchen seiner Nachfolger. Fast scheint sich von vornherein für das Kunstwollen (im Gefühl der Gefahr einer Einseitigkeit) das Bedürfnis nach einer Ausgleichung auch insofern einzustellen, als Winckelmann vom Ideal des Plastischen und Statuarischen zum Dynamismus des Dichterischen hinüberschaute, während umgekehrt und doch verwandt Goethe zum Dynamischen der Dichtung, ein ausgleichendes Gegengewicht suchte und fand im Plastischen der Bildkunst. Unermüdlich jedoch suchte Winckelmann ein — wie er meinte — echtes Griechentum. Und wenn er neben jenen bildkunsttheore-, tischen Ansätzen bei Filibien, J. Richardson u. a. auch frühere wortkunsttheoretische Ansätze, so etwa in Gravinas „Deila ragion poetica", als anregungsreich empfand, so vor allem deshalb, weil schon Gravina über den französischen Klassizismus hinweg (der für Frankreich trotz Lessings Polemik eine Klassik bedeutete), auf die griechische Klassik zurückverwiesen hatte. Aber eben: Winckelmann als Persönlichkeit, die vielleicht noch einprägsamer sein Wollen umgreift und verwirklicht als seine Leistung, brachte die Schrittweite mit, diesen Weg erfolgreich zu beschreiten, den so viele immer nur vorgezeichnet und mehr planend als vollendend ins Auge gefaßt hatten. Und er verfügte über die seelische Spann-

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kraft, die Materialien der Geschmackslehre konstruktiven Leitideen, die zuletzt im künstlerisch gestimmten und bestimmten Menschen mehr Leitempfindungen waren und sein mußten, organisch einzugliedern und fruchtbar einzubeziehen in einer Weise, die zugleich induktiv und deduktiv war, indem sie Erfahrung und Erkenntnis wertsteigernd verschmolz. Der Wille zum Objektiven zähmt, aber erdrückt nicht die Keimkräfte des Subjektiven, deren pflegsames Bewahren schon im eigenen Persönlichkeitswert Winckelmanns verbürgt erscheint. Denn Winckelmann selber und seine Leistung bewiesen unendlich überzeugender als alle Theorie, daß es ein subjektives Geschmacksurteil von zugleich objektiver Gültigkeit geben konnte. Es vermag vor allem am Betrachten des schönen Gegenstandes sich zu entfalten und zum Ideal emporzubilden. Und insofern ist seine Verhaltensweise als betrachtender, verstehend urteilender und beschreibender Kunstkenner vorwiegend induktiv und erfahrungsnah. Aber so bewußt und nachdrücklich er eine abstrakte und letztlich kunstferne Begriffssystematik abwehrt, er verschmäht doch nicht die Stützpunkte, wie sie die zeitgemäße Theorie des Geschmacks und des Schönen an deduktiven Hilfskonstruktionen ihm darboten. Darin steht er bei allen Abweichungen im Einzelnen Herders Art nahe und in gewissem Grade auch Lessings Verfahren, lehnt aber mit Herder entschiedener als Lessing (,,Laokoon"-Entwurf) die reine Deduktion, die bloße Ästhetik „von oben" (wie Herder sie nannte) ab. Das weltanschauliche Verankertsein Winckelmanns in der deutschen Aufklärung ist neuerdings von der Sonderforschung mit weitgehendem Anrecht (aber nun wiederum überbetont) geltend gemacht worden. Die Verbesonderung findet beim Ausgleichsstreben Winckelmanns ihr Gegengewicht im Dauerwert des Allgemeingültigen, wie das zeitlich und national-charaktermäßig Gegebene seinen Ausgleichswert findet im überzeitlichen und übernationalen Ideal des Schönen schlechtweg, des ewig Schönen, das an und für sich aus dem Einzelschönen und Eigenartigen, Besonderen emporgebildet, doch von sich aus das Einmalige und Vereinzelte durchleuchtet. Der G a t t u n g s w e r t s t e h t über dem I n d i v i d u a l wert. Der T y p u s im Sinne der Klassik zeichnet sich ahnungsvoll ab. Darin enthüllt sich also in Wirklichkeit als verstehende Tiefe und als ein Vorausblicken, was im ersten Augenblick leicht als Untiefe und ein zeitbefangenes Zurückblicken (etwa angesichts

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des „Laokoon" Lessings) erscheinen mag: Winckelmanns vielfach mißverstandenes, weil teilweise noch mit zeitgebundenen Fachausdrücken arbeitendes Eintreten für die Allegorie. Was er dabei spürte und aufspürte, instinktsicher mehr als begrifflich klar, war der Zugang zum Typusbegriff der Klassik, den er eben nur auf seine zeitbedingte Weise suchte. Wenn trotzdem Winckelmann streckenweise auf den (in mancher Hinsicht das Kunstwollen der Klassik vorbereitenden) Bezirk der Auflockerungs-Ästhetik innerhalb der Aufklärung zurückbezogen werden muß, so einmal deshalb, weil auf diese Weise zugleich jene Voransätze zur Klassik im entwicklungsgeschichtlichen Gedankenverbande der Auflockerungs-Ästhetik eingelagert beobachtbar werden. Zum anderen jedoch, weil die Ausgangsstellung Winckelmanns im rationalistischen Raum besonders eindrucksvoll jene hohe Spannkraft erkennen läßt, die ihn befähigte, die Umschränkung und Einschränkung dieses Raumes machtvoll beiseite zu drücken. Es geschieht dies nicht in Lessings schneidigem Kampfgange, nicht auch mit dem fortreißenden Ideenstrom und Schwung des jungen Herder, sondern in einem ruhig gesammelten Kraftgefühl und also gleichsam mit „stiller Größe". Die Uberwölbung von Klassizismus und Klassik baut ihren einen Tragpfeiler auf dem Boden der Baumgartenschen Ästhetik, wenn auch in eigener Weise und nach eigenem Wollen und Planen. Ein (von der Sonderforschung ζ. T. vermutetes) Übernehmen und Entwickeln jener „Methode" Baumgartens, an Beispielen zu erläutern, dürfte indessen nicht vorliegen. Denn Winckelmann erlebt von vornherein am empirischen Beispiel, wo Baumgartens relative Kunstfremdheit bestenfalls erweist. Auch dort, wo Winckelmanns kunsttheoretische Anschauungen in zeitgebundener Terminologie ein „Schließen", ein Schlüsseziehen von der Kunstleistung aus a n r a t e n , da pflegen derartige Folgerungen — ihm ζ. T. unbewußt — doch eben nur zu geraten, weil ihnen sein Kunsterleben bereits zielsicher den Weg gebahnt hatte. Immer nur mittelbar aber war diese Art des Erweisens, die im Vorbewußten ruhtp, durch die Hilfskonstruktion des Kunstverstandes. Für Baumgarten blieb Hauptkonstruktion eines Kunstsystems, was für Winckelmann Ertrag eines Kunst-Anschauens war. Aber ein Teilstück von der Vollkommenheits-Ästhetik gliedert Winckelmann in den konstruktiv tragenden Unterbau ein, ebenso manchen Einzelzug der Geschmackslehre.

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Der erste Satz seiner „Gedanken über die Nachahmung der griechischen Werke in der Malerei und Bildhauerkunst" (1755) könnte fast noch bei Gottsched stehen — und steht ähnlich bei Gottsched. Er greift die Zielsetzung des „guten Geschmacks" in Wirkungseinheit mit der Mustergeltung der Alten auf. Denn unter „dem Griechischen Himmel" sieht Winckelmann die vorgeformte Verwirklichung und Seinswerdung des guten Geschmacks mustergültig vollzogen. Der milieutheoretische Einschlag (Einfluß des Klimas usw.) deutet merklich auf Montesquieu hin. Und in manchen Gedanken von der geistigen Schönheit und der „schönen Seele" begegnen sich Winckelmann und Shaftesbury, während der theoretische Grundzug der Vollkommenheits-Ästhetik mit dem von Winckelmann indessen keineswegs unkritisch gewerteten Begründer der Ästhetik Baumgarten Fühlung zeigt. Innerhalb der Geschmackslehre wird die nationale Stufung der GeschmacksVerbesonderung zwar zugestanden, der übergeordnete allgemeingültige Geschmack aber an sich aufrechterhalten als Ideal, das die Griechen weitgehend verwirklichen. Deshalb genügt zum Erringen jener Vollendung nicht die Naturnachahmung, bei deren Vollzug ein Italiener eben doch anders sieht und gestaltet als ein Niederländer oder Franzose (Geltungsrecht des nationalen Geschmacks, Ansätze zur vergleichenden Kunstgeschichte). Vielmehr muß die Nachbildung der griechischen Meisterwerke, und Musterwerke hinzutreten, um ausgleichend und vollendend zu wirken. Von einem unkritischen Befangensein Winckelmanns kann nicht ernstlich die Rede sein, da er frei genug urteilt, um auch den „Modernen" (leichter Anklang an den „Querelle") etwa in der Malerei (bes. hinsichtlich: Faltenwurf bzw. „Draperie") eine Teilüberlegenheit gegenüber den Alten einzuräumen, die jedoch im Kontur und in der plastischen Statik Vorbild bleiben. Es geht auch nicht an, zu behaupten, daß Winckelmann neben dem Idealisch-Schönen das Realistisch-Charakteristische ganz übersehen hätte. Aber da sich für ihn die wahre Seelengröße in der gelassenen Würde vollendet äußert, so ordnet er das Ideal der edlen Ausgeglichenheit werthaft dem unausgeglichen Charakteristischen über: „Kenntlicher und bezeichnender wird die Seele in heftigen Leidenschaften; groß aber und edel ist sie in dem Stand der Einheit, in dem Stand der Ruhe". Einheit bedeutet dabei etwa Einigkeit, Eintracht, Einklang mit sich selber, also leidenschaftsbefreite Ausgeglichenheit. Er kennt an sich auch

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bereits das Dionysische, aber als „Fehler", als bloßen „Parenthyrsus". Zu fordern ist zum mindesten eine Verschmelzung des „Bezeichnenden" (Charakteristischen) mit dem „Edlen" (IdealSchönen) ; aber auch dies wird nur Sonderfällen zugebilligt, wie etwa der Laokoon-Gruppe. Eigentliches Ideal und Vor-Bild bleibt das Schlicht-Große, das ebenso klar abgesetzt und abgehoben wird vom nur „Hochtrabenden" und nur „Erstaunenden" wie vom „Heftigen" und „Flüchtigen". Derartige blendende Trugziele sind groben primitiven Frühformen künstlerischen Schaffens und Wirkens eigen, nicht aber der vollendeten Reife. Mit dem Abwehren des „Hochtrabenden" begegnet auf dem bildkunsttheoretischen Kampfabschnitt der allgemeine Abwehrkampf des Aufklärungsklassizismus gegen das Barocke auf wortkunsttheoretischem Gebiete. Mit der Abwehr des „Erstaunenden" aber vollzieht Winckelmann bereits eine wenig beachtete, aber beachtenswerte Schwenkung gegenüber den allgemeinästhetischen Zielsetzungen der Dubos, Muratori, Addison u. a., die das Neuartige, Ungewöhnliche, Uberraschende, Erstaunliche als wünschenswerte Teilwirkungen gefordert hatten. Daß diese Schwenkung keine bloße Rückwendung bedeutet, beweist die Grundhaltung der Abhandlung Winckelmanns, die sich zu jener Kernprägung verdichtet, mit welcher der Winckelmann von 1755 bereits der deutschen Hochklassik die Bahn brechen half, ohne es vorerst selbst zu ahnen, ohne jedoch auch den ethischen Grundzug seiner Zeit im spürbaren moralischen Nebenklang und Begleitmotiv neben dem Hauptmotiv jener Wendung zu verleugnen: „Das allgemeine vorzügliche Kennzeichen der Griechischen Meisterstücke ist endlich eine edle Einfalt und eine stille Größe sowohl in der Stellung als im Ausdruck. So wie die Tiefe des Meers allezeit ruhig bleibt, die Oberfläche mag noch so wüten, eben so zeiget der Ausdruck in den Figuren der Griechen bei allen Leidenschaften eine große und gesetzte Seele". Das Dionysisch-Erregte wird also auch in dieser bekannten Prägung keineswegs übergangen, aber es wird im Vergleichsbild nicht zufällig der Oberflächenwirkung des Hervorstechenden zugewiesen, während das echte Wesen tiefer zu suchen und zu finden ist. Das dabei aufgestellte Ziel einer erkämpften Ausgeglichenheit, eines Erhabenen aus gebändigter Kraft der Selbstzucht und Selbstbewahrung, einer nicht allein schönen, sondern „großen Seele"

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{später theoretisch auch bei Wieland und in der werkimmanenteri Poetik der „Alceste") leuchtet Winckelmann nicht ein aus theoretischer Besinnlichkeit, sondern leuchtet ihm auf aus dem schauenden Sichversenken in das Kunstwerk als Wirklichkeit und Erlebnis. Er gelangt induktiv zu diesem Satz, der zugleich fordernde Setzung ist. Vorerst in einfacher Nebenreihung schließt sich dieses Aussprechen eines Wesensattributes an die Zusammenstellung anderer Attribute: „schöne Natur; edler Kontur („Contour"), Draperie". Aber sogleich wird klar: es ist das „allgemeine, vorzügliche", also vorherrschende und wesensbestimmende Attribut. Und wenn schon im Würdigen der griechischen GewandDarstellung die Wendung von der „edlen Freiheit und sanften Harmonie des Ganzen" stimmungsmäßig vorbereitete auf jenes Endziel, so wird es weiterhin noch mehrfach eingeprägt, und zwar auch f ü r die L i t e r a t u r : „Diese edle E i n f a l t und stille Größe der Griechischen Statuen ist zugleich das wahre Kennzeichen der Griechischen S c h r i f t e n aus den besten Zeiten". Gleichzeitig wird auch formal deutlich, daß es nicht als „ein" Kennzeichen (unter anderen), sondern als „das" Kennzeichen gewertet ist. Und was für den späteren Primat der Plastik Hervorhebung verdient: das kennzeichnende und auszeichnende Merkmal des Statuarischen („der griechischen Statuen") ist dabei ausdrücklich auf das S c h r i f t t u m übertragen worden. Der Kunsthistoriker und Kunstliebhaber, nicht der Kunsttheoretiker Winckelmann gewinnt diese Einsicht. Der Kunsttheoretiker bewegt sich noch streckenweise im Räume der Auflockerer, teils noch im Räume des Rationalismus im engeren Sinne. Dieser Kunsttheoretiker will ζ. B. noch im Befürworten der sinnbildhaltigen, geistig reicheren Malerei den „Pinsel, den der Künstler führet, . . . in Verstand getunkt sehen". Aber der künstlerisch gestimmte Mensch in ihm fordert eine wesensverwandte Seele im Kunstschaffenden, fordert ein seelisches Sich-Einsenken in das Motiv. Und der vorwärtsschauende Blick des Wegbereiters sieht wohl schon aus dem Allegorischen das Typische, Allgemeingültig-Ideale, Gattungshafte sich erlösen, die Möglichkeit auch, aus dem Gattungstypus den „Charakter eines ganzen Volks" auch bildkünstlerisch versinnbildlichen zu können (Berücksichtigung der nationalen Verbesonderungen). Der zeitgebundene Kunsttheoretiker baut ein Stück der Zeichenlehre („bedeutende und sinnlich gemachte Zeichen von Dingen, die nicht sinnlich

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sind") in seine Gedankenfolge ein; der Kunstkenner weiß, daß theoretische Begründungen dem Schaffenden wenig geben. In seiner „Erläuterung der Gedanken von der Nachahmung der griechischen Werke" (1756), die sich mit dem „Sendschreiben" über seine Abhandlung auseinandersetzen, erklärt er sogleich in den ersten Sätzen die Sparsamkeit an gelehrten Belegen eben mit jener Überzeugung, die er hier grundsätzlich formuliert: „Ich bin überhaupt der Meinung", daß „das Schöne in der Kunst mehr auf feine Sinnen und auf einen geläuterten Geschmack als auf ein tiefes Nachdenken beruhet". Für den Autonomiegedanken der klassischen Kunst bietet Winckelmanns Schrift „Über die Fähigkeit der Empfindung des Schönen in der Kunst" (1763) einen frühen recht bemerkenswerten Beitrag. Danach kommt es für die Fähigkeit des Schönheitsempfindens nicht auf irgendwelche triebhaften oder zweckhaften Momente, sondern vielmehr und ausschließlich darauf an, „was der innere feinere Sinn (der also wiederum hervorgehoben erscheint), welcher v o n a l l e n A b s i c h t e n g e l ä u t e r t sein soll, um des S c h ö n e n w i l l e n s e l b s t empfindet". Vor Kant und Riedel klingt hier das uninteressierte Wohlgefallen und die Selbstzwecklichkeit der Kunst deutlich an. Trotzdem wird das lebhafte Beteiligtsein an der Erörterung des Geschmacksproblems in Verbindung mit der Sentiment-Lehre ohne weiteres als zeittypisches Attribut seiner K u n s t t h e o r i e überall ablesbar. Der gute Geschmack bleibt Richter und Wertungsmaßstab, bleibt ein Hauptstrukturglied im theoretischen Gerüst auch der „Geschichte der Kunst des Altertums" (1764), die den Grundplan und die Leitideen der „Gedanken . . . " verhältnismäßig weitgehend beibehalten hat. Winckelmann begnügt sich im Wesentlichen damit, die zeitüblichen Lehren der Ästhetik als Hilfsstützen gelegentlich einzubauen, soweit sie seiner historischen Linienführung förderlich zu sein versprechen. Gerade dort, wo er in seiner sachenvollen und doch seelenvollen Darstellung (in der er noch heute ein Muster sein könnte) mehr sich entspannend als anspannend bei einer allgemeinen Betrachtung verweilt, pflegt solche Annäherung und gleichsam rastmachende Anlehnung an Zeitübliches ohne weiteres erkennbar zu werden. Aber auch in den „Anmerkungen über die Geschichte der Kunst des Altertums" (1767) wird ζ. B. die Theorie des „Vergnügens" für die Bildkunst übernommen, und zwar mit ausdrücklicher Bezugnahme auf die Dichtkunst, indem sowohl „die Kunst der Zeichnung

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und die Malerei wie die Poesie" als „eine Tochter des Vergnügens" bezeichnet wird. Innerhalb der Kunstgeschichte selbst kehren an jenen besinnlichen Raststellen vor allem die Anschauungen vom Allgemeinschönen wieder, das dem verbesonderten Einzelschönen überzuordnen ist und jetzt, an sich aus den „Gedanken . . ." schon vertraut, in größerem Rahmen weitausgreifende Stoffwelten beherrscht. Die Skepsis jedoch gegenüber einer begrifflichen Erfaßbarkeit des Schönen hat sich eher noch verstärkt. Rein begrifflich auszusagen wäre, so scheint ihm, vom Wesen der Schönheit weit eher das, „was sie nicht ist, als was sie ist", also die Bestimmung an negativen Wertungskriterien. Im zweiten Stück des vierten Kapitels seiner Kunstgeschichte, das „Von dem Wesentlichen der Kunst" handelt, verwirft Winckelmann das more-geometricoErweisen für den Bezirk des Kunstschönen und für die Kunstwelt schlechtweg, und zwar auch für deren begriffliche Untergründung. Trotz seiner Anlehnung an die Aufklärungsästhetik in Einzelfragen bleibt er grundsätzlich überzeugt, daß hierin „nicht nach Art der Geometrie verfahren" werden könne. Damit wird dem Cartesianismus und allen denen, die unmittelbar oder mittelbar Cartesius folgen, das Anrecht und die Fähigkeit der Urteilsbildung in Fragen des Geschmacks und der Kunst schlechthin auch von Winckelmann, wie bereits von manchem Auflockerer, entzogen. Die Weihe des Ahnungsvollen und Geheimnisvollen soll die rationalistische Begriffsfreudigkeit nicht antasten dürfen; „denn die Schönheit ist eins von den großen Geheimnissen der Natur, deren Wirkimg wir sehen und alle empfinden, von deren Wesen aber ein allgemeiner deutlicher Begriff unter die unerfundenen Wahrheiten gehöret". Durch Begriffszangen bleibt sie unerfaßbar; denn „wäre dieser Begriff geometrisch deutlich, so würde das Urtheil der Menschen über das Schöne nicht verschieden seyn". Soweit überhaupt Schlüsse gezogen werden können, muß man sich „begnügen, aus lauter einzelnen Stücken wahrscheinliche Schlüsse zu ziehen". Das Ideal der absoluten Vollkommenheit kann selbst im Menschenkörper nicht vorgebildet liegen, da die „höchste Schönheit" nur „in Gott" ruht. Allein in dem Grade, wie sich die Einzelausprägungen menschlicher Schönheit der göttlichen Schönheit nähern, kann etwas erspürt werden von der Schönheit an sich, die aber auch auf diesem Wege immer nur durch Synthese ihrer in der Naturschönheit zerstreuten Teil-

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elemente im künstlerischen Wahl- und Auslesevorgang „der schönsten Teile" gewonnen werden kann. Bei alledem muß der Glaube an ein schlechthin und ewig Schönes aufrechterhalten bleiben. Und Winckelmann hat diese Gläubigkeit vorgelebt und nicht nur erschlossen. Fraglos sind Ansätze zu einer nicht nur induktiven, sondern auch genetischen Wesensbestimmung des Kunst-Schönen bei Winckelmann gegeben, d. h. Ansätze in Richtung Herder. Dorthin verweist sowohl das Ertragsammeln aus einer Reihe von einzelnen Kunsterfahrungen und Kunsterlebnissen in der Haltung des Kunstwertaufnehmenden (induktives Verfahren) als auch — den Drang zur genetischen Wachstumsdeutung offenbarend — das Ertragsammeln und Ertragauswerten in der Haltung des den geschichtlichen Ablauf Betrachtenden. Selbst im individuellen Bereich der Entwicklung innerhalb der Lebensalter des einzelnen Künstlers wird ein genetisches Verfahren fühlbar. Und wie Winckelmann solchen Entwicklungen in Zeitaltern der Völker nachdenkend, betrachtend und nachfühlend folgt, wie er Persönlichkeitsentwicklungen aus den Frühformen des Knabenalters gelegentlich mit besinnlichem Blicke streift, so erhofft er auch in einem Sonderaufsatz, der den „Weg zur Vollkommenheit" einer Persönlichkeit über eine musische Jugenderziehung verlaufen sieht (durch „Erklärung der schönsten Stellen alter und neuer Schriftsteller, sonderlich der Dichter" sollen „Herz und Empfindung" des Knaben „zu eigener Betrachtung des Schönen aller A r t " gleichsam „rührend erweckt" und „zubereitet" werden), ästhetische Bildungsmöglichkeiten „Von der Fähigkeit der Empfindung des Schönen in der Kunst", ohne jedoch zur Tiefgründigkeit Schillers in den Briefen „Über die ästhetische Erziehung des Menschen" auch nur entfernt vordringen zu können, wie denn überhaupt ein starkes Hingelenktsein auf das für die Bildkunst (im Vergleich mit der Dichtkunst) bedeutsamere Technische ihm eigen ist. Dieser starke Einschlag von Kunsttechnik und Kunstverstand gerade in den „Gedanken" von 1755, ζ. T. doch aber auch noch im Großwerk von 1764, jenes Hindrängen zum Erklärenwollen und Begründenwollen zeigt streckenweise einen Kunstkenner, der als T h e o r e t i k e r an einem gewissen ästhetischen Erkenntnisoptimismus verhältnismäßig zäh festzuhalten sucht. Verkennen jedoch — und darin wird wieder die Zwischenstellung zwischen

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Lessing und Herder sichtbar — konnte er, dem sein Bestes aus •dem einfühlenden Kunsterleben zuwuchs, auf die Dauer nicht die Gefahr der rationalistischen Zeitästhetik, sich in „leere Betrachtungen" zu verlieren. So wurde ihm das Theoretisieren Mittel zur Erläuterung und Gliederung, zum Andeuten und Herausarbeiten der großen Leitlinien seiner kunstgeschichtlichen systemsuchenden Darstellung, die den „Versuch eines L e h r g e b ä u d e s " (Vorrede) bewußt unternimmt, wobei sein Ausgleichsstreben Kunstverstand und Kunstgefühl zu einer vielfach wundervollen Wirkungseinheit aufgehen läßt. Winckelmann beweist wohl ungewollt, daß doch etwas in der zeitgegebenen Kunsttheorie steckte, das verwirklicht und nutzbar gemacht werden konnte; aber eben für den genialen Kunstgeschichtler weit mehr vielleicht als für ein wirklich kunstschaffendes Genie. Das Ideal von Harmonie, Einheit in der Vielheit und Einfalt in der Größe in bevorzugter Ruhelage bleibt für die Kunstgeschichte von 1764 bestehen. Das Verharren der Seele im „ m i t t l e r e n S t a n d " zwischen „Schmerz" und „Vergnügen" verbürgt die Haltung der beherrschten Ausgeglichenheit. Selbst dort, wo „Handlung" und „Leidenschaft" die gesammelte Ruhelage der Schönheit zu erschüttern scheinen, wo also vom Künstler nicht nur Schönheit als Sein, sondern auch „Ausdruck" — und Winckelmann kennt bereits den Kunstwert des „Ausdrucks" — gefordert wird, hat das Ausdrucksvolle in Angleichung an das Schönheiterfüllte eine entsprechende Dämpfung und Bändigung zu erfahren. Auch das sind Forderungen, die auf das Kunstwollen der deutschen Klassik vorausweisen. Demgemäß wird der dynamischen Kräftegruppe der Leidenschaft und Aufwallung die statische Kräftegruppe der „Fassung", des Gefaßtseins, der Beherrschtheit und Selbstzucht als Ausgleichswert beigegeben. Der gestaltende Bildkünstler darf vom „Feuer" der Leidenschaft nur die „Funken" sichtbar machen. Selbst ein Dichter wie Homer dämpft den Ausdruck der Aufwallung. Vollends der Bildkünstler ist zur Verhaltenheit, Gelassenheit, Würde und „Fassung" verpflichtet. Daher ist das aktiv Heroische der Bildkunst weniger angemessen als der Dichtkunst, die in diesem Betracht über geeignetere Ausdrucksmittel verfügt. Diese G e g e n ü b e r s t e l l u n g v o n B i l d k u n s t und W o r t k u n s t h i n s i c h t l i c h der M o t i v w a h l und M o t i v b e w ä l t i g u n g des Heroischen mag mit Winckelmanns eigenen Worten vermittelt werden:

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„In Vorstellung der Helden ist dem Künstler weniger als dem Dichter erlaubet: dieser kann sie malen nach ihren Zeiten, wo die Leidenschaften nicht durch die Regierung oder durch den gekünstelten Wohlstand des Lebens geschwächet waren, weil die angedichteten Eigenschaften zum Alter und zum Stande des Menschen, zur Figur (körperlichen Gestalt) desselben aber keine nothwendige Verhältniss haben. Jener aber (der Bildkünstler), da er das schönste in den schönsten Bildungen wählen muß, ist auf einen gewissen Grad des Ausdrucks der Leidenschaften eingeschränkt, die der Bildung nicht nachteilig werden soll" (I,169). Nicht nur im Hinblicken auf Lessings „Laokoon" kommt dieser Unterscheidung der Künste nach den ihnen gemäßen Motiven besondere Bedeutung zu, wie denn auch Winckelmann als Einzelbeispiel bereits in diesem Zusammenhange die Laokoongruppe ins Auge faßt, das Niederringen des Schmerzes und das Ringen um Fassung hervorhebt und das Abweichen vom Vorbild des Dichters in solchen Motiven als berechtigt und erwünscht anerkennt. Diese Unterscheidung birgt zugleich in gewissem Grade eine vorweggenommene Kritik an der weitgehenden Übertragung der Ideale der Bildkunst auf die Ideale der Wortkunst durch die deutsche Klassik (im Goetheschen Sinne) in sich. Denn fraglos berührt hier der Wegbereiter der Klassik die Abzweigung des Eigenweges der Dichtkunst, den dann Herder im Fordern und Schiller im Erfüllen zielklarer verfolgten. Für die Dichtkunst, das erkennt Winckelmann, sind dynamische Möglichkeiten gegeben, die für die Bildkunst erzwungen und schönheitschwächend wirken würden. Aber indem das aktiv Heroische als schönheitgefährdendes' Motiv gesehen wird, werden auch zugleich die Grenzen des Standortes oder Blickfeldes Winckelmanns deutlich. Sein Ideal der Ausgeglichenheit und Entspannung verträgt sich nur mit dem Heldischen der gefaßten Haltung, des irgendwie doch nur Stoischen, gestattet nicht die aktive Anspannung heldischer Eroberungshaltung und Tatbewegung, verharrt im heroischen Ertragen, befreit sich nicht zum heroischen Erkämpfen. Ein latentes Erkämpfen und Erringen liegt nur mittelbar vor, eben im Erkämpfen der „Fassung", der gebändigten Haltung. Der mehr passiv gerichtete Willensidealismus im Heroischen Winckelmanns hebt sich klar ab vom aktiv gerichteten Willensidealismus Schillers und vom dämonisch Heroischen Heinrich von Kleists.

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Rein ästhetisierend jedoch wirkt die Gesamthaltung Winckelmanns in seiner Kunstanschauung und in seiner Kunstgesinnung nicht; schon dadurch nicht, daß er hinter der „Stille" das drängende Leben wirken fühlte. Die Seele soll „ruhig, aber zugleich wirksam, aber nicht gleichgültig" im bildkünstlerischen Ausdruck Gestalt gewinnen. Der „Historienmaler" ζ. B. muß über die Natur hinausgehen, um ausdrucke- und wirkungsmäßig den Steigerungsgrad des „Heldengedichts" zu erreichen, zugleich wiederum ein Beispiel dafür, daß Winckelmann doch häufiger zur Dichtkunst hinüberschaut (und zwar auch dann, wenn er es nicht ausdrücklich hervorhebt), als man vielfach anzunehmen pflegt. Auch in der eigenen Arbeitsweise sucht er vom Dichterischen zu lernen, nicht nur in dem Sinne, wie man „Homer in Winckelmanns Sprache" stilkritisch wiederzufinden gemeint hat, sondern auch in dem Sinne, daß er sich zu den großen Partien seiner Bildnisbeschreibungen wie ein Dichter zu einem Großwerke rüstet. Es soll doch nicht allein die Größe des Leistungsaufwandes andeuten, sondern auch ein Stück der ehrfürchtigen inneren Sammlung, wenn Winckelmann bekennt: „Die Beschreibung des Apollo wird mir fast die Mühe machen, die ein Heldengedicht erfordert". Seine ganze Vorstellung von der anlagemäßigen Begabung, von der Erziehung und der Auslese der Griechen, die jene Idealkunst nur tragen könnten, weil sie so geartet und erzogen sind, rückt das Gefühl für „wahre Ehre" und die „Größe ihrer Denkungsart" (Denkungsart etwa gleich Gesinnung), kurz für eine heldische Haltung stark in den Vordergrund und läßt dieses Gefühl vielfältig und doch einfältig mit dem des Wuchtig-Würdigen sich verbinden, so daß auch von dieser Seite her gesehen, der Erlebnis- und Erkenntniszuwachs des Sturmes und Dranges selbst in der Klassik Winckelmannscher Prägimg nicht völlig verloren geht. Was Winckelmann von jener „edlen Einfalt und stillen Größe in den Werken der griechischen Meister" und von der „edlen Freiheit und sanften Harmonie des Ganzen" schon in der Abhandlung von 1755 gekündet hatte, wurde zum Leitspruch der Klassik, die jenes bildkünstlerische Ideal auf die Dichtkunst übertrug, ohne sich immer der Problematik einer solchen Übertragung kritisch bewußt zu sein. Jene Prägung klingt auch dort, wo sie nicht wörtlich wiederaufgenommen wird, dennoch immer wieder an als „kühne Einfalt und ruhige Unschuld" (Schiller) oder als „Einfalt und bescheidene alte Größe" (Herder) oder auch als

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„schlichte Einfalt und natürliche Wahrheit" (W. v. Humboldt) bis hin zur Fassung Schellings als „Ausdruck der Ruhe und der stillen Größe" oder Görres' als „Einfalt und stille Ruhe". Gerade die Abwandlungen verraten mehr als die bloßen Wiederholungen, wie sich allein der rhythmische Klang der paarigen Wortgruppe schon im Stilgefühl so stark durchgesetzt hatte, daß man allenthalben auf Analogiebildungen stößt. Die Wirkung jener berühmten Prägung auf das Kunstwollen, das ja weit mehr im Begriff des „Idealischen" gipfelt als in dieser vielzitierten .Wendung, soll nicht überschätzt werden; aber sie erweist sich durchweg als eine recht verläßliche Spur für den Weg Winckelmanns durch das kunsttheoretische und kunstphilosophische Schrifttum der gesamten Klassik. Seine Abwandlungen, etwa das Attribut „kühn" in der Schillerschen Fassung, vermögen z.T. auch gewisse durchweg begrenzte Abweichungen von diesem Wege bemerken helfen. Durchweg begrenzte Abweichungen; denn im wesentlichen Verlauf bewahrt die Winckelmannsche Auffassung und Deutung der Antike ihre richtunggebende Kraft. Und der Gegenstoß Aloys Hirts gegen diese Deutung, seine Bestrebungen, mehr das Charakteristische in der Antike aufzudecken, vermochte sich ebensowenig gegen die gewaltige Übermacht Winckelmanns durchzusetzen wie gewisse leicht romantisierende Umdeutungen Wilhelm Heinses, die doch wesentlich im Geniezeitgemäßen verharrten. Dennoch stützte sich die Kunsttheorie der Klassik als Kunsttheorie im engeren und strengeren Sinne nicht allein und nicht einmal überwiegend auf Winckelmann, sondern hinsichtlich der ideellen Grundlegung vor allem und zunächst auf K a r l P h i l i p p Moritz (1757—1793), dessen kunsttheoretische und ästhetische Anschauungen im Goethe der Italienischen Reise lebendig wirksam wurden, um späterhin ihrerseits manche Goethesche Anregung in sich aufzunehmen. Daß sich Karl Philipp Moritz seines eigenen Weges neben Winckelmann sehr wohl bewußt war, zeigt sein kritisches Überprüfen der Kunstwerk-Beschreibung in dem Aufsatz mit der Fragestellung „Inwiefern K u n s t w e r k e beschrieben werden k ö n n e n ? " (1788/89) klar genug an, wobei er im Gefühl für die aufklärerischen, analysierenden. Restbestände in Winckelmanns Art der Kunstbeschreibung stärker als Winckelmann die Ganzheitsvorstellung organischer Art zur Geltung gebracht sehen möchte. Daß er selbst einer solchen Beschreibung und Deutung von Kunstwerken fähig war, beweist sein Aufsatz „Über ein

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Gemälde von Goethe" (1792, entstanden etwa 1789), der nicht zufällig von jenem Werther-Brief (am 10. Mai) ausgeht, in dem die Stimmung einer „ruhigen Heiterkeit" mit dem „Gefühl von ruhigem Dasein" sich gleichsam in klassischer Weise verbindet. Aus einem Werke des Sturmes und Dranges kann dergestalt etwas herausgelesen und von den eigenen kunsttheoretischen Gedanken kann etwas in ein spezifisch geniezeitgemäßes Werk hineingelesen werden, was schon der Klassik angehört oder doch der Klassik zustrebt. Ähnlich scheint die Ästhetik Moritz' in ihrem Eingestelltsein auf den schöpferischen Vorgang von der Schöpfungsästhetik des Sturmes und Dranges auszugehen, um wiederum durch die Strenge des künstlerisch-„bildenden" Verantwortungsbewußtseins beim Schöpfungsvorgange und durch die Voraussetzung und das Ziel der Vollendung und Ganzheit dem Kunstwollen der Klassik die Bahn ebnen zu helfen. Aber auch Aufklärerisches zeigt sich in Moritz noch wirksam, wie er denn frühzeitig popularphilosophische „Beiträge zur Philosophie des Lebens" verfaßt hat und auch mit seinen Arbeiten über Fragen der Psychologie an manchen der späteren Aufklärer erinnert. So steht Karl Philipp Moritz wie Winckelmann an der Überschneidungsstelle von Aufklärung, Sturm und Drang und Klassik, nicht sowohl zeitlich, aber wesenhaft und wirkungshaft. Wie die Aufklärer und Auflockerer, fast wie Batteux oder Brämer unternimmt er den schon in der Titelgebung ganz der aufklärerischen Suche nach einem einzigen Grundgesetz angenäherten „Versuch, einer Vereinigung aller schönen Künste und Wissenschaften" unter einem alle beherrschenden „Begriff". Er knüpft dabei in der kunstphilosophischen Auseinandersetzung an einen aufklärerischen Theoretiker, Psychologen und Ästhetiker, wenngleich polemisch an. Aber das Polemische stellt ihn noch nicht aus diesem Verband heraus. Polemik trieben Aufklärer unter sich auch; das wäre also nichts Besonderes, nichts neue Wege Weisendes. Titelgebung und polemische Anknüpfung scheinen sich vorerst ganz im Rahmen der Aufklärung zu halten. Und fraglos steht man an einer der Berührungsstellen von Aufklärung und Klassik gerade bei diesem wenig beachteten und doch so beachtenswerten „Versuch einer Vereinigung aller schönen K ü n s t e und W i s s e n s c h a f t e n unter dem Begriff des in sich selbst V o l l e n d e t e n " (1785). Man steht jedoch zugleich vor einer Abhandlung, deren Titelgebung nachdrücklich bekundet, daß hier ein Grundsätzliches

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bewußt geleistet werden soll. Schon deshalb geht es nicht an, dieses betonte Bekenntnis einer Grundlegung zu übersehen oder zu übergehen zugunsten einer überbetonten Herausarbeitung des späteren Einverständnisses mit Gedankengängen und Vorstellungen Goethes. Ebensowenig wie es angeht, etwa Schillers frühe Vorschau auf eine „ästhetische Erziehung" und andere Leitideen seiner Ästhetik in den grob skizzierten Umrissen der Rede über die Möglichkeiten der Schaubühne (der stehenden Bühne) von 1784 und den feiner und zielklarer ausgeprägten Zügen seiner „Künstler" (1788) zu übersehen zugunsten des späteren Zuströmens von Begriffsbildungen Kants. Die Abhandlung war durchaus begrifflich gehalten und ist soweit ein Beispiel für die Möglichkeit, Leitideen der Klassik aus dem Ideenbestand der Aufklärung (die im reinen Ideenbestand vielfach weiter war als im Kunstschaffen) in kunstphilosophischer Auseinandersetzung, aber auch reinigender Klärung zu entfalten. F o r t s e t z u n g und E n t g e g e n s e t z u n g zugleich werden auch in diesem symptomatischen Falle erkennbar. Die Lockerung der Zweckbindung der Kunst wird zu einer entschiedenen Lösung der Zweckbindung und damit auch der kunsttheoretischen Verbindlichkeit des Zweckes. Die „Einheit des Mannigfaltigen" wird zur Ganzheit des „in sich selbst Vollendeten". Und doch wirkte hinter dieser kühlen scharfgeistigen Begriffsklärung fast aufklärerischer Art ein ganz Persönliches: die ideale Zielsetzung, die der Dichter des „psychologischen Romans" mit stark autobiographischen Einschlägen „Anton Reiser" (1785/90) nicht verwirklichen konnte. Der „Anton Reiser" war dem „Werther" nicht restlos verwandt, aber doch dem „Werther" des jungen Goethe zugewandt. So war K. Ph. Moritz in seiner Art auch durch einen Sturm und Drang gegangen. Aber gleichsam von vornherein mit der Absicht, den Sturm und Drang von innen her zu überwinden. Das eigene schmerzliche Erlebnis am „Anton Reiser" im Verhältnis zu Goethes „Werther", daß nämlich ein in sich vollendetes Kunstwerk in derselben Richtung schlechthin nicht zu überbieten oder auch nur ein zweites Mal zu erreichen sei und in der Entwicklung der Kunst seinen einmaligen bestimmten Ort habe (gelegentlich des „Tasso" hat Moritz sich in einem Schreiben an Goethe auch grundsätzlich über diese Fragen der Einmaligkeit des echten Kunstwerkes geäußert), dieses wohl früh schon sein eigenes Schaffen als Ahnung begleitende und dann

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zur Überzeugung sich verdichtende Bewußtsein half ihm als Theoretiker und Kunstphilosoph das finden, was er als Künstler nicht zu bieten vermochte: die Idee der Ganzheit des In-SichSelbst-Vollendeten. Moritz vermochte nicht wie Goethe im Kunstschaffen den Sturm und Drang zu überwinden, wohl aber im Kunstwollen und im programmatischen Kunstfordern. Insofern wurde aus einem letztlich unfruchtbaren Kunstschaffen (trotz des „Anton Reiser"-Romans als Vorstufe zum „Wilhelm Meister") dennoch eine fruchtbare Kunsttheorie und auch eine fruchtbare Prosodie, die mehr war als nur der „ V e r s u c h e i n e r d e u t s c h e n P r o s o d i e " (1786), und bemerkenswerte „ V o r l e s u n g e n ü b e r den S t i l " (1793/94), die mehr bieten als bloße stilistische Anweisungen, wie sie unter anderem auch — in der sechsten Vorlesung — jenen Entwurf „Über ein Gemälde von Goethe" in sich aufnehmen, aber vor allem doch ihre tiefere, teils stillschweigende, teils erkennbar hervortretende Untergründung finden durch die ästhetischen Grundbegriffe Moritz'. Es ist keineswegs nebensächlich, daß Moritz den Gestaltungsfragen eine besondere Sorgfalt zuwandte. Denn das ergänzt durchaus folgerichtig die Forderung des in sich selbst Vollendeten, weil für Moritz die innere Einheit von Haltung und Gestaltung eine wesentliche Voraussetzung für das vollendete Kunstwerk war. Und nicht zum wenigsten von dieser Seite der Prosodie her erfolgte die fördernde Anregung zur Formvollendung der „Iphigenie" Goethes. Noch der Tassovers dankt Moritz manche Formverfeinerung, ähnlich wie der Hexameter in „Hermann und Dorothea" Wilhelm von Humboldt in vieler Hinsicht verpflichtet ist. Im „Tasso" erkennt und liebt Moritz nicht sowohl einen „ g e s t e i g e r t e n Werther" als vielmehr — um es einmal so zu umschreiben — einen v e r g e i s t i g t e n Werther. Vom Persönlich-Menschlichen her gesehen, setzte Moritz seiner eigenen Unrast und Unausgeglichenheit einen Gegen-Stand, ein haltbietendes Gegen-Bild. Nicht zuletzt daraus erklärt sich die Strenge der Forderungen, daß es Forderungen an sich selber waren. Sie blieben abstrakt, bis das Erlebnis der Persönlichkeit Goethes die abstrakten Begriffe zu angeschauten Ideen vertiefte und erwärmte. Bereits 1785 also in jenem „ V e r s u c h einer V e r e i n i g u n g a l l e r s c h ö n e n K ü n s t e und W i s s e n s c h a f t e n u n t e r dem B e g r i f f des in sich s e l b s t V o l l e n d e t e n " (Berl. Monatsschrift) i M a r k w a r d t , Poetik III

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wendet sich K. Ph. Moritz gegen die Mendelssohnsche Ersetzung des Batteuxschen Naturnachahmungsbegriffes durch das Wirkungsziel „Vergnügen", weil im „Vergnügen" wiederum ein neuer Zweck von außen her an das Kunstwerk herangetragen werde (S. 43) und man außerdem auch am nur Nützlichen „Vergnügen" finde (S. 38). Es gilt also, den Begriff des Vergnügens am Schönen gegen den des Vergnügens am nur Nützlichen abzustufen und so zugleich hinabzusteigen zur eigentlichen Grundkraft und Ureigenschaft. Der Unterschied wird in scharfsinniger Ableitung, die dem mathematischen Interesse Moritzens alle Ehre macht, letztlich darin gefunden und aufgespürt, daß das Nützliche nur vollkommen wird in Erreichung eines außerhalb seiner selbst liegenden Zweckes; es ist — wie wir etwa sagen würden — ein bloßer Beziehungswert, bleibt also nur relativ gültig. Das Schöne aber trägt — als Selbstzweck — seine Vollendung in sich selbst: es ist Eigenwert und insofern gleichsam „absolut". Demnach stellt der schöne Gegenstand dar ein „in sich selbst Vollendetes, das also in sich ein Ganzes ausmacht" (Verbindung vom Selbstzweckgedanken mit dem klassisch harmonisierten Organismusgedanken.) Das Schöne ist völlig zweckfrei im Wesen und Sein; auch im Sein; denn es ist ausschließlich „wegen seiner eignen innern V o l l kommenheit d a " als Eigenwert undVollendungswert. Es ist etwas, „das bloß um sein selbst willen h e r v o r g e b r a c h t i s t , damit es etwas in sich V o l l e n d e t e s sei". Dieser Grundbegriff der nach innen verlegten zweckbefreiten Vollendung wird also in immer neuen und doch zielgleichen Prägungen klargestelltund gegen jede Mißdeutung gesichert. Er ist keineswegs dunkel und bedurfte — rein begrifflich und kunsttheoretisch gesehen — nicht der Aufhellung durch Goethe, wohl aber einer anschaulichen Belebung. Und das mußte betont werden, weil dadurch — m. E. zum ersten Male mit solcher Prägnanz und solchem Nachdruck (von den erwähnten Ansätzen im Sturm und Drang, bes. bei Herder abgesehen) — der E i g e n w e r t und die Z w e c k b e f r e i t h e i t in der gesamten Entwicklung der Kunsttheorie sich eindeutig und volldeutig durchsetzt. Denn wenn auch der junge Herder nach dieser Seite hin schon vorgestoßen war, mehr erkundend zudem als erobernd, so blieb doch die Geniezeit durch ihre vielfach eingeflochtene sozialkritische Bindung und ihr revolutionäres Reformbestreben in beträchtlichem Grade immer noch zweckgebunden. Aus dieser Tatsache heraus erklären sich denn auch nicht zum

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wenigsten K. Ph. Moritz' scharfe Kritiken („Voss", schon 1784) an derartigen Tendenzen, an dem schrankenlosen Subjektivismus auch des jungen Schiller. Es werden hier jedoch auch gewisse Grenzen der K l a s s i k fühlbar, eine gewisse Verständnislosigkeit gegenüber dem kämpferischen Wirkungswillen des Sturmes und Dranges, sowie eine wohl „aristokratische", aber zugleich recht dünne Geistigkeit, wie denn K. Ph. Moritz im „Tasso" Goethes, zu dem er selbst ein wenig Modell gestanden haben mag, das „höchste Geistige" und ebenso das „zarte Geistige", an dem er wie sein Anton Reiser selbst litt, als das „Höchste der Poesie" erkannte und anerkannte. Die entwicklungsgeschichtliche und ideengeschichtliche Bedeutung jenes von Moritz — schon vor Goethes Einwirkung — so energisch und zielsicher vollzogenen Durchbruchs zur Zweckerlöstheit und Eigenwertigkeit der Kunst (immer vom Wertungswinkel der Klassik aus geurteilt) wird erst im größeren Zusammenhange ermeßbar, wenn man gebührend in Rechnung stellt, daß — von rein ästhetischem Blickpunkt her gesehen — die Gesamtentfaltung der Wortkunsttheorie und Literaturphilosophie vom Barock bis zur Gegenwart letzten Endes sich aufgliedert in die Epoche vorherrschender (moralischer, zeitweise auch überwiegend noch sprachschulender, stilkundlicher und lebenskundlicher) Zweckgebundenheit (Poetik und Wortkunsttheorie von Opitz bis Lessing), die Epoche vorherrschender Zweckbefreitheit (Ansatz: Geniezeit, Durchbruch: Klassik, Aufrechterhaltung und Übersteigerung mit Teilrückwendung: Romantik) und die Epoche eines Ringens der erworbenen Zweckbefreitheit mit erneuter (vorwiegend politischer) Zweckbindung (19. und 20. Jahrhundert). Hinsichtlich der Polemik gegen Mendelssohn, dem Moritz auch einige positive Anregungen verdankte, handelt es sich nicht einfach — wie gelegentlich angenommen wird — um ein vorschnelles, grundsätzliches Verwerfen des „Vergnügens", sondern um die Einschränkung und Präzisierung dieses Begriffs. Moritz argumentiert: „Ein Ding kann also nicht deswegen schön sein, weil es uns Vergnügen macht, sonst müßte auch alles Nützliche schön sein; sondern was uns V e r g n ü g e n macht, ohne eigentlich zu n ü t z e n , nennen wir schön". Die geleistete V o r a r b e i t f ü r K a n t s „interesseloses W o h l g e f a l l e n " wird dergestalt ber e i t s auf dieser F r ü h s t u f e der Ä s t h e t i k K. Ph. Moritz' erkennbar. Es gab aber, wie erwähnt, zahlreiche andere Vor4·

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stufen. Mit jenem Schluß hängt jedenfalls folgerichtig zusammen, daß Moritz beim schaffenden Künstler dessen Seitenblick auf die zu erzielende Wirkung ablehnt; denn durch die Erfolghascherei würde wiederum ein äußerer Zweck gesetzt: eben das Vergnügen, die absichtsbetonte Genugtuung. Auch der Beifall der Besten „will nicht erjagt, sondern nur auf dem Wege mitgenommen sein". Und hier nun läßt Moritz seine Theorie einmünden in eine vertiefte Vervollkommnungs- und Glückseligkeitslehre (also letztlich doch wieder in ein aufklärerisches „Ideal"}, indem er das Humanitätsideal der Klassik (das seinerseits weitgehend vorgebildet war in der Aufklärung und durch die Aufklärung) als ethische Wertrichtung dem Formvollendungsideal der Klassik als der ästhetischen Wertrichtung parallellaufen läßt: „Denn auch die reinste Glückseligkeit will nur auf dem Wege zur Vollkommenheit mitgenommen und nicht erjagt sein". Auf dieses absichtfreie, zwanglose Werden und Wesen des harmonischen Menschen, als dessen Vorbild er dann Goethe verehren konnte, im weiteren Bezug auf die Klassik überhaupt deutet die Zielprägung hin: ein „übereinstimmendes, harmonisches Ganze"; denn der Moritzsche „Ganzheits"-Begriff verdrängt jetzt das ältere Ideal der Einheit in der Mannigfaltigkeit. Daß die oft überstark angesetzte Einwirkung Goethes auf die Konzeption der Moritzschen Hauptschrift gelegentlich des gemeinsamen Aufenthaltes in Rom, eine nachgerade konventionell erstarrte und eben daher schwer zu berichtigende Meinung, die sich vor allem stützen dürfte auf Goethes eigene vorsorgliche Andeutung in der „Italienischen Reise", keineswegs überschätzt werden sollte, beweist hinreichend der Umstand, daß in jenem soeben erläuterten Aufsatz von 1785 bereits die entscheidenden Grundpositionen seiner dann nur breiter ausgeführten Ästhetik unverkennbar von K. Ph. Moritz vorgebildet, ja ζ. T. schon als gesicherte Erträge bereit liegen. Dazu kommt, daß K. Ph. Moritz' herbe Predigt — religiöse Nachwirkungen des einstigen Herrnhuters sind nicht zu übersehen — vom falschen Bildungs- und Gestaltungstpeb auf schmerzlich genug errungener eigener Selbstkritik beruht, also durchaus auf eigenes Erleben und Erleiden zurückgeht (vgl. den „Anton Reiser") und gewiß keiner Goetheschen Einwirkung bedurfte. Jenes eigene Erfahren, jenes weitgehende Verzichten K. Ph. Moritz' auf produktives Schaffen läßt Moritz denn auch sein

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Interesse besonders einstellen auf das schöpferische Verhalten des Künstlers,· läßt ihn Fühlung wahren mit der Schöpfungsästhetik der Geniezeit, der er in älteren Literaturgeschichten auf Grund seines „Anton Reiser" zugeordnet wurde, die er jedoch zugleich organisch hinüberzuleiten versteht in die Gestaltungsund Ausgleichungsästhetik der Klassik, läßt ihn abrücken von der Wirkungsästhetik der Aufklärer und Auflockerer, selbst von der verfeinerten Umbildung bei Mendelssohn. Die Wandlung seiner Einstellung zu Goethes „Werther" vom Angezogensein durch das Subjektive zum Angesprochenwerden durch die objektive Kunstgeltung und zu einer entsprechend objektiveren Kunstbetrachtung in dem Fragment „Über ein Gemälde von Goethe" weist in eine ähnliche Richtung der Reifung. Die Selbständigkeit und die grundlegende Geltung dieses Aufsatzes von 1785, für den Römische „Unterhaltungen" mit Goethe noch nicht in Betracht kommen konnten, wird über die durchaus folgerichtige Fortführung der dort entworfenen Leitideen in der „Bildenden Nachahmung" hinaus noch erhärtet durch den Abschnitt über „ D i e m e t a p h y s i s c h e S c h ö n h e i t s l i n i e " in der Nachlaßsammlung „ L a u n e n u n d P h a n t a s i e n " . Denn darin wird unter Aufgreifen und Ausbau des offenen Briefes an Mendelssohn das Wesen jener „inneren Zweckmäßigkeit" näher umschrieben und der „eigentlich leitende Zweck des Künstlers bei seinem Kunstwerk" gesehen in der gradweisen „Verwandlung der äußeren Zweckmäßigkeit in die innere oder kürzer: das in sich Vollendete". K. Ph. Moritz vermag also trotz der inzwischen erfahrenen Eindrücke seitens der Goetheschen Künstlerpersönlichkeit und Kunstanschauung ohne weiteres auf seinem selbstgeschaffenen Fundament weiterzubauen, gerade was den entscheidenden Grundgedanken des Selbstzwecks und des „In sich Vollendeten" anbetrifft. Denn die selbstzweckliche Deutung ermöglicht zugleich erst von sich aus die Gewinnung des Ganzheitsbegriffes, der den rationalistischen Einheitsbegriff überwindet und in gewissem Sinne auf W. v. Humboldts Totalitätsbegriff oder etwa auch Hölderlins Begriff der „Einheit des Einigen" hinüberweist. Dadurch daß der „bildende" ( = gestaltende) Künstler die in der Naturwirklichkeit immer nur gegebene Außerzwecklichkeit (Zweckbeziehung der Teilglieder, Zweckverflochtenheit) gleichsam „in den Gegenstand selbst zurückzuwälzen", also zum verinnerlichten Selbstzweck umzugestalten sich fähig erweist

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— und daxin liegt Gabe und Aufgabe einbeschlossen —, vermag er den Gegenstand „in sich vollendet zu machen". Gegenüber diesen Prämissen, die K. Ph. Moritz selbst setzt, lehnt sich die Ausführung hinsichtlich des Auslesevorganges zweifellos — wenn man von gelegentlichen Andeutungen Lessings, der darin seinerseits Leibniz verpflichtet war, absieht, — an Leibniz' kosmische Metaphysik an, wie andererseits der organische Entwicklungsgedanke ebenso zweifellos damals bereits sich stützen konnte auf die Goethesche Konzeption von der Urpflanze; ganz zu schweigen von der gemeinsamen Grundlage in Herders Anschauungen. Im Wesentlichen hat das Kunstwerk als in sich vollendeter und eigengesetzlicher wie auch eigenzwecklicher Mikrokosmos ein Abbild zu bieten vom Urbild des Makrokosmos, dessen Schöne — als Schönheit schlechtweg — Gottes Auge allein zu schauen vermag. Indessen scheint es ratsamer, als jenen späteren Ausgestaltungen nachzugehen, einige Leitgedanken der Hauptschrift „Über die bildende N a c h a h m u n g des Schönen" (1788) knapp herauszustellen, wobei in Fortsetzung jener vorbereitenden Ideen von 1785 an erster Stelle stehen mag die lustfreie Selbstlosigkeit des Schaffenden und die Zweckfreiheit seines Werkes. Denn für den wahren, berufenen Schöpfer ist das Lustmoment (der „Genuß"), das den nur vermeintlich Schöpferischen lockt und zum Produzieren verleitet, nicht Anreiz zum Schaffen und darf es auch nicht sein: „jene Vorstellung des Genusses . . . " (Mitfreude, emotionales Vergnügen und Gefallenfinden am Gestalten und Gestalteten) ist zu „verbannen", eine Gefahrenzone, die späterhin Humboldt im Reinerhaltenwollen der Objektivität von subjektiver Beimischung gleichfalls erkennt, aber nicht so ernst nimmt wie Moritz mit seiner herben Forderung der asketischen Hingabe, des Fortwerfens aller persönlichen Miterlebensfreudigkeit. Nicht das genießerische Sehnen oder das Streben nach einer Wirkung darf den Künstler beherrschen und antreiben. Wie der Schaffende so hat sich auch das Werk freizuhalten von jedem bewußten Zweck; hier werden frühere Resultate beibehalten, während ζ. B. hinsichtlich der anthropologischen Einordnung ins Menschheits- und Naturwerden durch Herdersche Einwirkungen Bereicherungen gewonnen wurden. In der Linie des früheren Aufsatzes liegt zweifellos die auch jetzt festgehaltene Erkenntnis, daß das Schöne nicht nützlich zu sein braucht; es gilt das „Nützliche . . . an dem Schönen als überflüssig". Das Schöne „will eben sowohl bloß um sein selbst willen

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betrachtet und empfunden als hervorgebracht seyn". Zu dem interesselosen Wohlgefallen des Aufnahmevorgangs (Burke, Mendelssohn, Riedel, später auch Kant) tritt also ergänzend die Interesselosigkeit des Schöpfungsvorganges. Das „ E d l e " : im Gegensatz zu dem Zweckmäßig-Nützlichen als dem absichtsvollen Beziehungswert steht das E d l e als absichtsloser Selbstwert. Daher gleicht es im Bereich des Ethischen dem Schönen im Bereich des Ästhetischen und kann ohne Gefährdung der Zweckfreiheit in dieses einbezogen werden. Wie das Schöne nämlich geschieht auch das Edle „um dieser Tat selbst willen" ohne im engeren Sinne moralische Nebenabsicht. So wird das Edle und Große für den „edlen Stil" (Klassik) gefordert, nicht nur geduldet. Voraussetzimg für den hohen Stil ist „eine innere Seelenwürde des hervorbringenden Genies . . . ; er schließt zum Mindesten das Unedle aus". In diesem Sinne schlägt das Edle die Brücke zur Ethik, ohne daß deshalb die Kunst der Moral dienstbar gemacht würde, weil das Edle seinem Wesen nach absichts- und zwecklos bleibt. K. Ph. Moritz findet so eine Ebene, und zwar eine Hochebene, auf der E t h i s c h e s und Ä s t h e t i s c h e s sich in voller Freiheit begegnen können, ohne einander zu bekämpfen, aber auch ohne einander zu unterjochen. N a c h a h m u n g und S c h ö p f u n g s p r o z e ß , G e n i e b e g r i f f : die Nachahmung wird im Herderschen Sinne als-Nacheiferung eines Vorbildes gefaßt: „ . . . ich strebe ihm nach; ich suche mit ihm zu wetteifern". Es wird bei diesem Vorgang nicht eigentlich etwas von außen her übernommen, sondern nur auf Anreiz des Vorbildes von innen her „aus uns herausgebildet". Der Nacheiferungsgegenstand wird dabei „gleichsam nur zu Hülfe" genommen. Im Grunde entspricht dem durchaus der Naturnachahmungsbegriff. Der Künstler hat von der Natur „ihre Schöpfungskraft in sein ganzes Wesen" eingesogen, ihm ist „das Maß des Schönen in Aug' und Seele gedrückt"; er gibt sich nicht mit bloßer Naturbetrachtung zufrieden; er belauscht die Natur „in ihrer geheimen Werkstatt"; und so „muß er ihr (nicht sie!) nachahmen . . . und mit der lodernden Flamm' im Busen bilden und schaffen, so wie sie" (S. 14). Nicht aber — und das ist der Kern — dasselbe wie sie. Vielmehr muß die „Realität unter der Hand des bildenden Künstlers (nicht nur bildende Kunst ist gemeint; bilden = gestalten schlechtweg) zur Erscheinung werden", indem die äußere Hülle durchstoßen wird. Die Kraft, die ihn dazu befähigt,

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nennt Moritz „ T a t k r a f t " — offenbar um die aktive Umbildung des Realen und das Dynamische (Nachwirkung der Geniezeit) zu betonen: sie ist die eigentliche Gottesgabe des Genies. Die Einbildungskraft, bei Humboldt dann in die Zentralstellung gerückt, reicht nämlich nicht aus, ebensowenig die Denkkraft, um das Natur-All zu umfassen: „Der Horizont der tätigen Kraft aber muß bei dem bildenden Genie so weit wie die Natur selber seyn". Das Kunstwerk hat nämlich „ein Abdruck" des Kosmischen zu sein. Das Charakteristische erfährt besonders auch jenseits der Hauptschrift, und zwar in den „Reisen eines D e u t s c h e n in I t a l i e n in den Jahren 1786—1788" (1792/93) merkliche Abwehr (III, 212). Das W e s e n h a f t - T y p i s c h e : Das Vereinzelte in der Natur reicht nicht aus für die „stolze (also nicht dienende) Nachahmung" des allumfassenden Ganzen (S. 20). Es gilt über zufällige Vereinzelung (das Charakteristische) vorzudringen zum T y p i s c h Wesenhaften. Und da das Streben zum Typus und Wesenhaften so bedeutsam war für die Klassik, da von hier aus auch der „Stil"Begriff Goethes in seiner Voraussetzung und in gewissem Grade selbst in seiner Formulierung verständlicher wird, mag die Hauptstelle folgen: „Die Realität der Dinge, deren Wesen und Wirklichkeit eben in ihrer E i n z e l h e i t besteht, widerstrebt ihr (der Tatkraft)lange, bis sie das i n n e r e W e s e n , in die Erscheinung aufgelöst, sich zu eigen macht, und eine eigne Welt sich schafft, worin gar nichts Einzelnes mehr statt findet, sondern jedes Ding in seiner Art ein für sich bestehendes Ganze ist" (S. 16). Ähnlich wird weiterhin die „große Harmonie des mitempfundenen Ganzen" stets im Auge behalten und schließlich gegenüber dem Individuell-Vereinzelten das Recht und Vorrecht des Überindividuell-Gattungsmäßigen nachdrücklich herausgestellt, so daß „in der vollendeten Schönheit die Gattung sich selbst erblickt". Ein gewisser Pantragismus liegt in dem Opfern des Individuellen zugunsten der Gattung. Nicht zum wenigsten deshalb ist die Tragödie die höchste Dichtungsgattimg, weil iii ihr der tragische Stoff sich auflöst „in der Veredelung unsres Wesens" durch das Medium des Miterleidens jener Auflösung des Einzelnen in die übergeordnete Ganzheit. Uber den Auflösungs-Begriff (im Sinne des versöhnenden Eingehens) Moritz' hinaus hat hier offenbar

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Goethe die dem klassischen Kunstwollen noch gemäßere Deutung von der „Ausgleichung" gefunden. Scharfe Abgrenzung von Genie (bildende Tatkraft) und Geschmack (nachempfindende Einbildungskraft): Diese klar herausgearbeitete Scheidung, fraglos erleichtert durch die Vorarbeit der Geniezeit, ist von entwicklungsgeschichtlich ganz hervorragender Bedeutung, nicht nur im Rückblick auf die weitschichtige Geschmackslehre des Klassizismus der Aufklärung, sondern auch im Hinblick auf die spätere romantische Auffassung, ja selbst gemessen an dem Herderschen Geniebegriff, der sich allzu bald wieder zurückzog auf die Linie des Geschmacks. Während noch bzw. wieder der ästhetisierend-reflektierende Geniebegriff der Romantik in der Genialität ζ. T. nur eine besonders hoch entwickelte und gesteigerte Form des Geschmacks sah (A. W. Schlegel), setzt Moritz nicht etwa nur einen graduellen, sondern einen durchaus wesenhaften Unterschied zwischen den beiden Fähigkeiten und Funktionen fest. Selbst auf höchster Stufe nämlich vermag für ihn Geschmack niemals überzugehen oder emporzuwachsen ins Geniale, die rezeptive „Empfindungsfähigkeit für das Schöne" nie in die allein geniale „Bildungs- und Tatkraft" des Schöpfers. Hier half Moritz die bittere Selbsterkenntnis und Selbstbescheidung aus seinem versuchten Dichtschaffen einen wertvollen Fund machen für die Theorie. Daß sich eine in Wirklichkeit nur empfangende (rezeptive) Natur in gefährlicher Selbsttäuschung so gern für zeugend (produktiv) hält, liegt nach Moritz darin begründet, daß das Lustgefühl bei der Aufnahme der fremden ästhetischen Leistung, daß seine genießende Freude am fertigen (fremden) Werk ihn ahnen und vermuten läßt, um wie vieles noch das Lustgefühl des Schaffenden während der Gestaltung intensiver sein müsse. Das unbewußte Sehnen nach diesem geahnten, mittelbar erschlossenen Lustgefühl mißdeutet er dann allzu leicht als vermeintlichen Schöpferdrang. Es handelt sich aber in Wahrheit um ein unreines und falsches, egoistisches Gestaltungsstreben, das den Antrieb zum Schaffen liefert. Als Kriterium für echte oder unechte Bildungskraft ergibt sich folgerichtig: denkt der Planende sich die Freude am Werden und an der Wirkung des Geplanten fort, schaltet er sie bewußt aus, und bleibt dennoch der gestaltende Trieb bestehen, so liegt Genie, liegt echte „Tatkraft" vor im Sinne zwanghaften Gestaltenmüssens des „Bildungstriebes". Erlahmt oder schwindet anderer-

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seits mit jenem Hinblicken auf den Genuß und den Wirkungserfolg auch jener Trieb selbst, so liegt gleichsam ein bloßer Selbstbetrug, eine Selbsttäuschung des bloßen Kunstwollens vor, das dann eben gar kein Kunstwollen ist, sondern ein bloßes Wirkenwollen. Der Abstand von der W i r k u n g s p o e t i k der Aufklärung hebt sich ohne weiteres greifbar ab von der werkdienenden Schaffenspoetik und Organismusästhetik, von der „Bildungs". Poetik der Klassik, die eben den echten „Bildungstrieb" fordert. Was in der Fassung bei K. Ph. Moritz auf den ersten Blick ein wenig subtil anmuten könnte (übrigens in Goethe-Schillers „Dilettantismus"-Aufsatz ähnlich vertreten wird), stellt sich bei näherer Betrachtung als eine Erkenntnis dar, die noch heute in gewissem Grade Geltung beanspruchen darf als kritischer Maßstab und Wertmerkmal zur Unterscheidung und Scheidimg von Gestaltung und Technik, von Schaffen und Machen, von Bilden und Verfertigen, Gestalten und Veranstalten, genialem Wurf und virtuosem Entwurf, notwendigem Zugriff und willkürlichem Kunstgriff. Von ganz anderer Seite her kommend, begegnet sich doch Moritz im kritisch überprüfenden Mißtrauen mit G. Chr. Lichtenberg, für den „ein junger Mensch, der einen Trieb in sich verspürt, ein Originalkopf zu werden", auch leicht einer schmeichelhaften Selbsttäuschimg verfallen kann. Im letzten Teile des „Anton Reiser" (1790) hat K. Ph. Moritz manches von jenen strengen Überprüfungen eines unzulänglichen Schaffenstriebes oder Schein-Schaffenstriebes, hinter dem kein echter „Bildungstrieb" wirksam ist, wieder aufgegriffen. Im Hinblicken auf das ruhende Sein als Grundwert der Klassik im Gegensatz oder doch in Abstufung zum Werdenden des Barock, der Geniezeit oder der progressiven Universalpoesie der Romantik gewinnt der Ausklang der Abhandlung K. Ph. Moritz' tieferen Sinn: „Daß wir selber sind, ist unser höchster und edelster Gedanke. Und von sterblichen Lippen läßt sich kein erhabneres Wort vom Schönen sagen als: es ist". Der Anteil S e i n s g e f ü h l und Seinsfreude jedoch, der sich darin ausspricht, erinnert zugleich an den Kraftzustrom, der von der Geniezeit her in den tieferen Wuchsgrund der Klassik hinein- und hinüberwirkt, erinnert daran, daß auch dieses ruhende Sein zuletzt doch wieder nur eine Verbesonderung jenes Gefühls des „Lebens", des Organischen und seiner Lebenstotalität darstellt, das sowohl die Geniezeit'wie die Klassik und die Romantik durchregt und bewegt. So

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auch wird es verständlich, daß im engeren Entfaltungsraum der Klassik K. Ph. Moritz, selber manchen Gedanken Goethescher Naturdeutung auf seine Kunstdeutung übertragend, rein kunsttheoretisch nicht nur auf Goethe zurückwirken, sondern auch auf Schiller einwirken.konnte. Nicht allein in der mehr referierenden Art der ästhetischen Vorlesungen Schillers (Winter 1792/93), wobei die Hauptbegriffe Moritz' als fruchtbar übernommen und angenommen worden sind, noch in der tiefgründigen eigenen Kunst- und Lebenslehre der „Briefe über die ästhetische Erziehung" sind die Spuren der Kunstlehre K. Ph. Moritz' unverkennbar. Ob nun Schiller vom „Ganzen in sich selbst" spricht (22. Brief) oder ob er im Genießen des Schönen allein den Menschen zum „Repräsentanten der Gattung" sich erheben sieht (27. Brief), so hatte auch darin Moritz vorgearbeitet, indem sich schon für ihn der Mensch, der fähig ist, aus seiner eingeschränkten Ichheit in das Interesse der Menschheit hinüberzuschreiten, sich „in der Gattung zu verlieren", an jener Entwicklungsstelle befand, wo das „Edle in der Handlung und das Schöne in der Betrachtung" sich verbinden. Das Wechselspiel von Haltung und Gestaltung rückt für das Kunstwollen und Kunstfordern der Klassik immer klarer und beherrschender in das Blickfeld. Es als freies und doch harmonisch geregeltes Kräftespiel im schaffenden Künstler wirksam und fruchtbar werden zu lassen, setzt voraus, daß die ästhetische „Bildungs- und Tatkraft" im schöpferischen Menschen übergreift auf die allgemeine Menschenbildung im Sinne der Humanität. Angedeutet zum mindesten finden sich bei K. Ph. Moritz Ansätze zur Identitätsvorstellung, so etwa die keimhafte Vorstellung des Ineinswirkens von Natur und Kirnst, die im „Versuch" von 1785 sich noch nicht ausgeprägt zeigte, jedoch sowohl in der „Bildenden Nachahmung" wie in der Ausdeutung des WertherNatur-Verhältnisses („Über ein Gemälde von Goethe") deutlich erkennbar wird. Weisen schon derartige Ansätze in ihrer weiteren Entfaltung über die Klassik hinweg bzw. durch die Klassik hindurch auf die Romantik voraus, so läßt sich Moritz auch als Persönlichkeit und Verfasser des „Anton Reiser" oder hinsichtlich des Todesproblems und des Gedankens der Wiedergeburt in eine „seelengeschichtliche Genesis der Romantik" (R. Unger) einbeziehen, während nach der rein künstlerischen Seite hin derartige Verbindungen zur Romantik bei K. Ph. Moritz immerhin schwächer bleiben als etwa bei Wilh. Heinse.

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Zunächst und zutiefst jedoch bleibt seine Ästhetik der Klassik zugeordnet, der er entscheidende ideelle Antriebe und auch kunsttechnische Anregungen (Prosodie usw.) zu vermitteln vermochte. Dabei bezieht er die „bildende Nachahmung" nicht einseitig auf die bildende Kunst, sondern allgemein auf formende, gestaltende Funktionen der „Bildungs- und Tatkraft". Dennoch ist unverkennbar, wie auch ihm das Hinüberblicken auf die bildende Kunst die Deutung und Forderung dichterischer Vollendung, ζ. T. auch die Begriffsbildung erleichtern helfen mußte. Und es handelt sich um mehr als technische oder terminologische Anleihen und Hilfsbrücken, wenn er ζ. B. vom Gesetz des Perspektivischen aus auch für das Dichtwerk den organisierenden Mittelpunkt und rechten Blickpunkt zu finden hofft. Der „Laokoon" Lessings ist nicht vergessen, wird auch berücksichtigt, untersteht jedoch dem Primat der „bildenden Nachahmung". Noch bevor K. Ph. Moritz auf Goethe einwirken kann und noch bevor Winckelmann in Goethe das Neuerleben der Antike neu und nachhaltiger als bei früheren Ansätzen bewirkt oder begleitet, geht in der ersten Hälfte der achtziger Jahre ein erneuter Impuls von Herder aus, und zwar besonders von dem Herder der „ G r i e c h i s c h e n A n t h o l o g i e " . Aber jetzt traf er — anders in der Zeit der Straßburger Anregungen, die im besten Sinne Führung hatten bieten können — auf einen Goethe, der im wechselseitigen Austausch auch zeitweise selbst schon der Anregende oder doch der zur Weiterführung Anspornende sein konnte. Herders Übertragungsversuche der „Anthologie"-Sinngedichte („Blumen aus der griechischen Anthologie gesammelt") öffnen einen schmalen, aber wesentlichen Zugang zum Dichtschaffen der Klassik. Die begleitenden Aufsätze fordern eine ähnliche Einschätzung als ein kaum aufdringliches, aber eindringliches Zugangschaffen zum Kunstwollen der Klassik. Und zwar — um es vorwegzunehmen — einer deutschen Klassik. Es braucht Herder nicht Hamanns Wort, daß alle Beobachtungen und Anmerkungen Winckelmanns sich auch auf die Poesie anwenden ließen, in bewußter Erinnerung gewesen zu sein. Aber das — von Hamann nahegelegte — Ideell, „ein Winckelmann der Poesie" zu werden, wird merklich um einige Schritte näher herbeigerungen in jenen Aufsätzen, die sich in den „ Z e r s t r e u t e n B l ä t t e r n " (1785!) finden, die „ A n m e r k u n g e n über die A n t h o l o g i e der Griechen, besonders über das griechische Epigramm", deren

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Fortsetzung „Anmerkungen über das griechische Epig r a m m " (und dem noch auf Schiller hinüberwirkenden Aufsatz „Nemesis, ein lehrendes Sinnbild"). Schon die „Ideen" hatten in ihrem großen Entwurf eines griechischen Kulturbildes den Leitsatz ausgesprochen: „Zu allem Schönen der Form ist in Griechenland der Grund gelegt worden", aber auch den anderen: „Wir wollen sie schätzen lernen, ohne selbst Griechen zu werden". Herder sieht auch hier im griechischen Kunstideal nicht das vorherrschend Statische, nicht den Primat der Plastik. Ein Nacheiferung empfehlender Hinweis auf die „naturvolle Lebhaftigkeit ihrer Empfindungen" steht neben der Mitfreude „am schönen Maß und Umriß ihrer Gedanken". Die Epigrammabhandlungen der „Zerstreuten Blätter" wollen innerhalb der Gattungs- bzw. Dichtarttheorie in ähnlicher Weise eine berichtigende Ergänzung der Epigrammtheorie Lessings bieten wie der Herdersche Aufsatz über die Todesdarstellung der Griechen („Wie die Alten den Tod gebildet, ein Nachtrag zu Leasings Abhandlung desselben Inhalts"). Es kommt aber erst in der zweiten Abhandlung zu einer Epigrämmtheorie im engeren Sinne. Herder stößt sich an Lessings „Erwartung und Aufschluß'' und schlägt „Darstellung und Befriedigung" vor. Die „Erwartung" scheint ihm zu sehr an eine oberflächliche „Neugier" gebunden, während schon jedes „edlere Denkmal" und also auch seine Aufschrift „auf tiefere, schönere Empfindungen wirken" wolle. Das Moment der Spannung sei auch in anderen Dichtungsarten anzutreffen. Daß Herder das Wort „Darstellung" aufnimmt, auch neben dem nur „schildernden" Epigramm ein „darstellendes" kennt, ist kunsttheoretisch beachtenswert im Nachwirken des „Darstellungs"-Begriffes. Der Begriff „Darstellung" gewinnt Bedeutung bis hin zur „Kalligone". Wesentlicher als auf Herders „sieben Gattungen des Sinngedichts" näher einzugehen, unter denen erst an letzter Stelle das scharfsinnige, spitze als Epigramm im üblichen Sinne auftritt, erscheint der Hinweis darauf, daß Herder das satirisch pointierte, antithetisch gebaute Epigramm •der früheren Epigrammtheorie ergänzt durch den Typus eines Sinngedichts, das nicht nur auf den Verstand, sondern auch auf das Herz wirkt. Er verlagert das Epigrammatische um beträchtliche Grade zum Meditativen hin. Der leicht lyrisch gefärbte Typus erlebter Meditation, einer stimmungsgesättigten Betrachtung bedeutet

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ihm offenbar den wertvollsten Kernbestand des Sinngedichtes. Darüber kann auch das etwas landläufige „Ziel der Lehre oder der Empfindung" (Zweck des Epigramms) nicht hinwegtäuschen. Selbstverständlich ist ihm zugleich die genetisch-historische Wesensbestimmung. Und da glaubt er nun eben im griechischen Sinngedicht die urtümliche Grundform anzutreffen, die von der einfachen, schlichten „Exposition", von der „Darstellung" ausgeht. Daher kann der Dichter, der für Herder noch immer der „Jüngling" ist, am griechischen Sinngedicht, das nicht nur den Sinn treffen, sondern auch der gemütvollen Besinnung dienen soll, neben der zuchtvollen Bündigkeit auch „eine schöne Ründe, eine liebliche Klarheit" gewinnen lernen. Zugleich betont Herder, daß er sich bei der Auswahl der Gedichtproben überwiegend „an milde Gegenstände" gehalten und das spöttische Epigramm des „Witzes" bewußt zurückgedrängt habe. Das bedeutet aber nicht, daß Herder den „Energie"-Begriff aufgegeben hätte; er baut ihn vielmehr an entscheidenden Stellen in seine Deutungen und Bestimmungen des Sinngedichtes ein und wahrt so auch im Räume dieser seiner Annäherung an die „Stille" der Winckelmannschen Antike das Moment der Dynamik und im belebten, geistig-seelischen Vorgang, wie denn neben der „lebendigen Gegenwart" (Gegenwärtigkeit) die „fortgehende Darstellung" als Merkmal des Sinngedichtes gilt. Gedämpft und ausgeglichen wirkt bei alledem die Stimmung, die über diesen mit merklicher Liebe geschriebenen Aufsätzen ruht. Hin und wieder fällt eine sanfte Belichtung vom Rokoko her auf die „niedlichsten, kleinen Gedichte", die in ihrer „Simplizität" doch so „reizend" zu sein vermögen. Die Welt Geßners berührt sich mit der Welt Winckelmanns, nicht nur durch das Hineinspielen des Einfalts- und Anmutsbegriffs. Aber es bleibt Herder, der diese Welt anschaut und deutet und darstellt. Und es ist die Herdersche H u m a n i t ä t s i d e e , die besonders über dem ersten, von reiner Gattungstheorie unbeschwerteren Aufsatz waltet und das Winckelmannsche Griechentum bereits leise, aber wesentlich lungestaltet. Bei den Griechen glaubt er „jene Humanität der Empfindung, die zum Epigramm gehört", anzutreffen. Das „Siegel anmutiger Einfalt" scheint den besten griechischen Sinngedichten aufgeprägt, wie es „sanftfühlenden Menschen" gemäß ist. Herdersche Humanität und Winckelmanns Kunstideal verschmelzen sich, wenn das sanfte,, Maß der Menschlichkeit, das dieser wohlgebildeten Nation in ihrem gemäßigten Himmelsstrich zuteil worden

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war", gerühmt wird. Die Annäherung von Poesie und Bildkunst, in der Voraussetzung des Homererlebnisses schon bei Winckelmann gegeben, erfolgt fast programmatisch: „Jene Ruhe, jenes stille Mitgefühl, kurz eine sanftumschriebene, heitere Existenz" werden ebenso für die griechische Poesie wie für die griechische bildende Kunst in Anspruch genommen („auch hierin ist die Poesie eine Schwester der griechischen Kunst"). Wesentlich ist dabei, daß Herder nicht nur auf die Wirkung schaut (im Sinne der Wirkungsästhetik), sondern auch auf die „Hervorbringung", die von jenen Kräften bestimmt und gelenkt sein muß. Wesentlicher noch ist das andere, daß nämlich in dieser „Anthologie"- bzw. ersten Epigrammabhandlung Herders bereits der Organismusgedanke (der ebenfalls vom Sturm und Drang her weiterwirkt) mit dem Selbstzweckgedanken und dem Gedanken des In-sich-selbst-Vollendeten verbunden auftritt: „Denn es ist der unerreichte Vorzug der griechischen Kunst und Dichtkunst, daß beide gleichsam nur für sich dastehen und wie Werke der Natur sich in ihrem Innern genießen. Die Sprache der Kunst, das Epigramm konnte von keiner andern sein; in seinen schönsten Stücken stehet es ebenso bescheiden da, in sich vollendet und glücklich". Damit reicht Herder bereits weit hinein in die Welt, die kunstphilosophisch K. Ph. Moritz weiter ausbaut, aber doch anders ausbaut, weil Herders „Energie"-Begriff, die Vorstellung des Organisch-Dynamischen und der warme Zustrom gemütsmäßiger Kräfte diese Welt nicht mehr beleben und durchregen. Unschwer sind bei aller Einfühlungsfähigkeit und Einfühlungswilligkeit in die Welt und das Wesen der griechischen Anthologie nachwirkende Vorstellungen der Frühzeit Herders über das Wesen der Dichtkunst zu erkennen, die in Anpassung an die ganze Stilstimmung der Aufsätze eben nur weit gedämpfter belichtet erscheinen. Das Ausschauhalten nach dem Grundwert des Lyrischen, von dem Herders Konzeption einer naturhaften Erlebnisdichtung ausgegangen war, bestimmt auch noch die Blickrichtung auf das griechische Sinngedicht, das überwiegend als Lyrik erlebter Meditation (mit episch „darstellenden" Einschlägen) gesehen wird. Es bestimmt jedoch darüber hinaus die merklich der Ausdruckslehre angenäherte Vorstellung von den geistig-seelischen Triebkräften überhaupt, die zur Dichtung hinführen und Dichtung bewirken. Aus dem „Vorrecht des Menschen", den Gegenständen

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der Natur erst durch die Sprache das „Siegel" der inneren Besitzergreifung aufzudrücken, ergibt sich zugleich das „Bedürfnis", eine „Sache" voll ausschöpfend zu genießen durch das Wort, durch die Wortwerdung. Denn das volle Gegenstandserlebnis bliebe unerreicht, „wenn wir unsem Genuß nicht ausdrücken". Auch der Einsame ergreift erst völlig Besitz von einem Schönen der Natur, das ihn ergriffen hat, wenn er das bannende, verewigende, den inneren Besitz erst recht eigentlich sichernde Wort findet. Der Trieb, „unser Vergnügen zur Sprache zu bringen" und damit verbunden das Mitteilungsbedürfnis als ein geselliger Trieb werden zu Grundtrieben des dichterischen Ausdrucks und der dichterischen Darstellung schlechtweg. Denn so erst gewinnt „unsere Empfindung gleichsam Form und Gestalt; unser Gefühl wird durch sie (die Worte) ein helleres Bild". Herder gibt hier am Eingang seiner „Anmerkungen über die Anthologie der Griechen" nicht etwa bewußt eine Definition des Dichterischen. Er will vielmehr eine Überleitung schaffen von der Idee der Sprache. Aber er umschreibt dabei ungewollt dennoch weitgehender das Dichterische als in mancher anderen seiner Wesensdeutungen. Und das verdient jenseits aller Merkmalbelege für das Kunstwollen der Klassik eine stärkere Hervorhebung als die gesamte Epigrammtheorie. Es mag an dieser Stelle neben der Theorie des Sinngedichts sogleich Herders Theorie des Epos herangezogen werden, obgleich sie nach früheren Ansätzen erst um ein bzw. zwei Jahrzehnte später sich voll entfaltet hat. Denn indem diese Theorie des Epos ganz um Homer kreist, führt sie zum mindesten in ihrem Stoffbereich in die klassische Welt der Antike. Aber indem ein Herder sie entwarf, wahrte sie immer erneut die innige Fühlung mit der grundlegenden Vorstellung von der „Volkssage" und dem Volkssang. Das bedeutet gattungstheoretisch zugleich ein wenn auch gelockertes In-Fühlung-Bleiben mit dem Ausgangswert der sanghaften Lyrik. Ihm hatte einst im frühen Sturm und Drang die Lyrik als die Quelle und als „Ader des Dramas und der Epopee, der drei einzigen Arten der eigentlichen Dichtkunst" gegolten. Auch die spätere Rangerhöhung des Epos trägt noch deutliche Spuren dieser Ausgangsposition. Die vorerst notwendige (da lange Vernachlässigung überwindende) Einseitigkeit der Vormachtstellung der Lyrik war jedoch hinsichtlich der Gattungsbewertung schon in den „Kritischen Wäldern" einem stärkeren Gefühl für das Eigenrecht jeder Gattung gewichen. Die hohe Bewertung

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Homers war es, die dem Epos eine würdige Gewichtigkeit verschaffte. „Homer, ein Günstling der Zeit"(i795) überschrieb Herder seinen Beitrag für Schillers „Hören" (9. Stück). Er wollte damit aussagen, daß die Zeit erst reif sein mußte, bevor ein Homer frühere Vorarbeiten, sie zugleich weit überbietend und von der Naturdichtung zur Kunstdichtung hinüberleitend, zusammenfassen konnte. Aber es schwang auch in jenem Titelzusatz die leise Mahnung mit, jene von der Volksdichtung her bereitgestellten Vorleistungen nicht zu unterschätzen. Ebensowenig fehlt der Seitenblick auf „alle Volkslieder auf der Erde", deren ewig lebendige lokale und provinziale Abwandlungen vor der problemfreien Annahme eines gesicherten „Urtext Homers" warnen sollte. Den Organismusgedanken gibt Herder nicht preis, sondern sucht ihn mit den Leitideen des Kunstwollens der Klassik in Einklang zu bringen. Die „wahre und schöne Einfalt" der Griechen sei nichts weniger als ein „toter Mechanismus" gewesen. Homers Epik wird gesehen und gedeutet unter Zuhilfenahme des BaumSymbols. Überall, wo ein „lebendiger Zuwachs in regelmäßiger Gestalt an Kräften und Gliedern stattfinden soll, da muß, wie die ganze Natur zeigt (Einwirkung Goethes, bzw. dritter gemeinsamer Quellen), ein lebendiger Keim, ein Natur- und Kunstgebilde da sein, dessen Wachstum jetzt alle Elemente freudig fördern". Die H u m a n i t ä t s i d e e ragt mehrfach hinein, so etwa, wenn als Abstufung und Vorzug Homers gegenüber Hesiod hervorgehoben wird, daß Homer „alle seine Gestalten rein menschlich machte", wobei der Typusbegriff hineinspielen mag. Die große blühende Pflanzung, deren Keime Homer gelegt habe, habe ihren rechten Ort „ganz im Kreise der Menschheit". Nach der ästhetischethischen Seite hin fällt helles Licht auf den Homer, der den „wahren Geschmack eines reinen Menschengefühls zu veredeln wußte". Der Entwicklungsgedanke ist merklich beteiligt bei Herders Vorstellung vom Zustandekommen der Homerischen Epen; ebenso bei den Ansätzen, ein knappes Bild „vom Fortgang der griechischen Kunst aus einem Stil in den andern" zu vermitteln, und zwar betont übertragen „auf Homer und die alten Sänger" (Anlehnung an Winckelmanns „Lehrgebäude"). Auf Winckelmanns starke Bewertung des „Konturs" dürfte die starke und mehrfache Wertung des „Umrisses" (mit Bezug auf das Epos) zurückzuführen sein. Auch Schillers „Anmut und Würde" wird wohl nicht nur als höfliche Geste gegenüber dem Herausgeber der „Hören" beiläufig 5 M a r k w a r d t , Poetik III

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aufgenommen in den Schatz der Merkmalsbestimmungen des Epos Homers, ein Schatz, der — Herders Art entsprechend — mehr reich und stimmungsvoll ausgebreitet als wohlgeordnet und in seinen Einzelbeständen bestimmt erscheint. Neben dem organisch geschlossenen „Umriß" werden noch am ehesten das Gesangsmäßig-Rhapsodische (Epos, Gesang, Rhapsodie), die „schöne Fortschreitung", die dem „wachsenden Gang der Rede" entspricht, die „gehaltene, dauernde" (gelassen-stetige, vgl. W. v. Humboldt) Haltung deutlicher erkennbar als Wesens- und Wertattribute des Epos. Den stimmungsmäßigen Untergrund des Ganzen enthüllt wohl am besten die Prägung: „Epos war das lebendige Wort, die Stimme der Vorwelt". Und so steht denn jetzt auch nicht mehr die Ode, sondern das Epos als Vertreter urtümlicher Dichtung da; aber da es Gesang war, bleibt es doch wiederum dem lyrischen Urquell nahe. Im Vollzug der Annäherung an die Klassik und ihr Kunstwollen stellt dieser Aufsatz Homer aus der Sphäre der reinen Naturdichtung heraus, möchte wohl in ihm mehr den Künstler sehen, begnügt sich jedoch damit — denn das Abschiednehmen von der Naturdichtung fällt schwer — , ihn an den entwicklungsgeschichtlichen Ort des Epos zu stellen, wo sich Naturdichtung zur Kunstdichtung „hinbildet". Das nicht zum wenigsten durch Herder geadelte Wertwort „Volk" tritt merklich zurück. Aber ebenso kennzeichnenderweise hat es erneut Kraft gewonnen, als der ältere Herder bewußter zu den Idealen seiner fruchtbaren Frühepoche zurückgekehrt war. Denn der spätere H o m e r - A u f s a t z in der „ A d r a s t e a " (1803) erkennt im Epos (fast wie Jakob Grimm) wieder ganz „eine lebendige Volkssage". Und während jener Aufsatz von 1795, der zugleich Herders Italien-Eindrücke einflicht, das Schlagwort vom nordischen „Nebel" aufgegriffen und Winckelmann rechtgegeben hatte, greift der Aufsatz von 1803 zuversichtlich zurück auf die Überzeugung des jüngeren Herder, daß die „Volkssage" (und damit die Grundform des Epos) kein bloßer Sonderbesitz der Griechen gewesen sei; denn „den nordischen Nationen fehlt es daran sowenig als den südlichen, wie ihre Schlacht- und Kriegslieder, überhaupt aber die Volksgesänge aller Menschen-Nationen bezeugen". Der Ort des Epos (abweichend von J. Grimm) zwischen Naturdichtung und Kunstdichtung gilt jetzt als hinreichend bestimmt durch die Umschreibung als „ e r h ö h e t e V o l k s s a g e " . Das verbürgerlichte Epos verwirft Herder. Das echte Epos bedarf

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der Kräfte des Heldischen,vor allem aber des Mythischen, Schicksalshaften und Wunderbaren. Ein bloßes Charakterepos (etwa in Anlehnung an das Charakterdrama) sei ein Unding. Die Mythologie ihrerseits ist selbst schon ein Ertrag der früheren „Dichtersage", der aber nur gewonnen werden kann, wenn die Dichter „in. früheren Zeiten einen sinnlichen Volksglauben vor sich fanden". Gegenüber der Historie ist das Epos scharf abzuheben: „Wie Dämmerung und Mittag flohen einander jederzeit das Epos und die handgreifliche Geschichte". Der Energiebegriff gelangt zum vollen Einsatz, wo es um die schaffende Macht des Ineinsbildens von Besonderem und Allgemeinem geht. Der nachwirkende Typusbegriff der Klassik soll merklich verschmolzen werden mit dem Energiebegriff des Sturmes und Dranges. Das Einzelne und Besondere hat das Epos nur insoweit zu berücksichtigen, als in diesem Besonderen zugleich das Allgemeine enthalten ist. Und dieses Allgemeine vermag das Epos „mit der energischen Schöpfungskraft, die der Dichtkunst allein eigen ist", aus, an und in dem Besonderen und Einzelnen herauszubilden. Homer gilt nach alledem als „Verflechter" oder als „melodischer Zusammenstimmer der Volkssage". Damit berührt Herder, wie schon ausführlich im Aufsatz von 1795, die gelehrten Erörterungen über das Verfasserproblem und das Zustandekommen bzw. die Überlieferung der Homerischen Epen. Gelegentlich nähert er sich der Schwelltheorie. Durchweg überwiegt die Vorstellung, daß Homer früher bestehende Volkssagen und Volksgesänge verflochten und künstlerisch zusammengebildet habe, eben in jenem Sinne einer „erhöheten" Volkssage. Das entspricht etwa der Grundauffassung, wie sie schon in der V o r r e d e zu den „ V o l k s l i e d e r n " (1778/79) Homer als den „größten Volksdichter" deutete und sein Epos als „Sage, lebendige Volksgeschichte" umschrieben hatte. Immerhin scheint jetzt der Homer-Aufsatz von 1795 soweit nachzuwirken, daß die scharfe Abhebung vom Kunstepos gemildert und die „lebendige" zu einer „erhöheten" Volkssage wird. Sänge und. Sagen von mythischem Grundwert, als Sang und als vor der Gemeinschaft gesprochenes Wort bilden die Voraussetzungen. Das „göttlich Einwirkende im Glauben der Urzeit" ist bei alledem Kernbestand; aber es bleibt volksbezogen. Die Anzweifelung eines Einzeldichters und die Vermutung einer bloßen Verflechtung und Verknüpfung war schon von Hödelin d'Aubignac (von Herder selbst erwähnt) 6·

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und von Giambattista Vico (den Herder nicht nennt und kaum herangezogen hat) vorbereitet worden. Herder selbst nennt Küster (Historicitica Homeri, 1696) in diesem Zusammenhange, auf den hier indessen nicht näher eingegangen werden kann. Für die Poetik wesentlicher ist Herders Versuch, Epos und Drama gegeneinander abzustufen, und zwar dadurch, daß der Tragödie wohl die stärkere, eindrucksvollere Gegenwärtigkeits-Wirkung, dem Epos dagegen die zwar stillere, aber nachhaltig-haftkräftigere und also „dauernde" Wirkung zugesprochen wird. „Die Epopöe in ihrer stilleren Wirkung. . . füllet die Seele und dauert". Schaffensvoraussetzung ist für das Trauerspiel Konzentration, die jedoch oft als Beengung wirkt, für das Epos eine „umfassende Weite". Neben dieser Weite und dem Wunder (Mythos) liegt die Überlegenheit des Epos darin, daß es „auf die innigste Gesinnung, auf das Herz der Volkstradition bauen muß", wenn es nicht bloßes Märchen bleiben will. Das Epos ist nach Motiv und Sprache geradezu die „poetische Rede der Nation". Damit mündet Herders EposAbhandlung von 1803 wieder ein in seine Ausgangsidee von der lebendigen Volkssage. Während diese Anschauungen vom Epos schon im Hinblick auf die Romantik (etwa auf Jakob Grimm) näheres Eingehen forderten, kann die verhältnismäßig weniger belangreiche spätere Dramentheorie Herders nur durch einen Hinweis auf die Sonderforschung berührt werden, ebenso seine Theorie der Legende. Ode und Epos, Lied, vorwiegend als Volkslied gesehen, und Epos, vorwiegend als „erhöhete V o l k s s a g e " gesehen, bleiben die Kernbezirke der entscheidenden gattungstheoretischen Anregungen und Meinungen Herders. Wenn er in dem Abschnitt „Von der Aesopischen Fabel" der schon mehrfach herangezogenen Abhandlung „ Ü b e r B i l d , D i c h t u n g und F a b e l " (1787) der — in ihrer ganzen Fassung noch ein wenig der Anweisungspoetik zuneigenden — Definition Lessings die eigene entgegenstellt, die das „sinnliche" Überzeugen, den „allgemeinen Erfahrungssatz" (gegenüber Lessings „allgemeinem moralischen Satz") und den Bezug auf einen „gegebenen Fall des menschlichen Lebens" (daher sei auch die vermeintlich „einfache" Fabel Lessings in Wirklichkeit eine schon zusammengesetzte) herausstellt, so versäumt er in der Vorrede nicht, darauf hinzuweisen, daß diese Fabelabhandlung eigentlich schon älteren Datums (ursprünglich für die zweite Auflage der „Fragmente" bestimmt), wenn auch noch nicht überholt sei. Das „anschauend

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erkennt" Lessings genügt offenbar Herder nicht, der den engeren und dichteren Sinnenbezug auf das Leben fordert. Die an sich fruchtbareren, obgleich wesentlich kürzeren Abschnitte über „Bild" und „Dichtung" zeigen mehr eine Mischform Baumgartenscher und geniezeitgemäßer Strebungen. Doch arbeitet die Deutung, daß jedes Gegenstandsbild in jeder „bemerkenden Seele" andersartig zustandekomme, mit an der Lockerung der Naturnachahmungslehre. Auch könnte die stärkere Bewertung der (an sich an Baumgarten erinnernden Dreiheit) „Wahrheit, Lebhaftigkeit und Klarheit" in der Richtung des Durchbildens und Prägens, nämlich jener die rohen Goldbestände des Mythischen und Sagenhaften formverfeinernd bildenden „ P r ä g e k u n s t " wie auch das schöne Wort vom „sparsamen Reichtum" leise auf die Klassik hindeuten. Doch sind von hier aus im ganzen eher Beziehungen zur Romantik als zur Klassik gegeben, wie schon an anderer Stelle angedeutet werden konnte. Das würde an sich in noch stärkerem Maße von dem sogenannten Göttergespräch, das dialogisch einsetzt, um dann erzählend und gefällig plaudernd den alten Rangstreit der Künste liebenswürdig versöhnend auszugleichen im Eingehen auf die Fragestellung „ O b M a l e r e i oder T o n k u n s t e i n e g r ö ß e r e W i r k u n g g e w ä h r e ?" (1785), gelten, weil hier das Malerische und das Musikalische im edlen Wettstreit liegen, wobei allerdings zum mindesten das stark auf die Zeichnung verwiesene Malerische kaum dem Malerischen der Romantik entsprechen dürfte, sondern merklich von Winckelmann (oder in der Stilstimmung von Poussin) gelernt hat. Wenn die personifizierte „Malerei", während Musik und Poesie gerade in eine leidenschaftliche Debatte über Vorteile und Nachteile ihres Zusammenwirkens verstrickt sind, gelassen dasitzt und eine „schöne ruhige Landschaft gezeichnet" hat (sie „zeichnet" auch im szenischen Rahmenteil des Göttergesprächs, statt zu malen!), wenn sie die „ r u h i g e u n d h e i t e r e " Wirkung ihrer Kunst hervorhebt, wenn Apollo den schwesterlich eifrigen und doch schwesterlich freundlichen Wettstreit schlichtend daran erinnert, daß unmittelbarer Gefühlsausdruck überhaupt nicht Sache der vollendeten Kunstschöpfung sein könnte, daß vielmehr immer nur das Erlebte in einem — leicht an Plotin erinnernden — „ r u h i g e n S p i e g e l " t r e u aufgenommen und wieder „abgeglänzt" werden solle und dürfe, daß die größten Künstler gerade die „leidenschaftslosesten, heitersten Charaktere" gewesen seien, wenn die Poesie

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vom „idealischen R e i z " spricht: so finden und fügen sich aus dem lockeren und teils lustigen Gewebe dieser Gesprächsszenerie (Haym verweist auf die Maskenspiele am Weimarer Hofe) doch eine ganze Reihe von Zügen klassischen Kunstwollens zusammen. Und besonders seitdem die wetteifernden Schwestern Malerei und Tonkunst ihre jüngere Schwester, die Poesie, als Schiedsrichterin und bald als Mitstreitende in das Gespräch verwickelt haben, wird ein gewisses Hinüberblicken zur Oper oder wohl auch zum Melodrama spürbar. Wielands Singspieltheorie steht diesen Partien gar nicht einmal so ferne. Denn wenn einerseits die Poesie der Tonkunst, die als nachahmungsfreie „Schöpferin" anerkannt wird, klarzulegen versucht, daß die tiefwirkenden und ausdrucksstarken Wirkungsmöglichkeiten doch erst mit Hilfe des erläuternden Wortes den Nachteil der „Dunkelheit" überwinden könnten, wenn andererseits die Tonkunst ihr Urrecht als freieste Schöpferin nicht in eine Dienstbarkeit gegenüber dem Dichterwort verwandelt sehen möchte, so steht ähnlich wie bei Wieland der Wille und Wunsch zum wert- und wirkungssteigernden Ausgleich von Wort und Ton dahinter. Und ein Stückchen (mehr ist es nämlich nicht) Singspieltheorie wird sichtbar, das sich recht gut in ein nicht unwesentliches Grenzgebiet des Kunstwollens der Klassik einfügt, mag immer im einzelnen die klassische Musik oder Malerei auch einige Seitenhiebe abbekommen. Von Herder selbst her gesehen, wirkt merklich der Ideenschatz des vierten der „Kritischen Wälder" nach, jetzt gewiß ruhiger verwaltet, aber schwerlich fruchtbarer ausgemünzt, denn auch hier nennt Apollo am Schluß die Poesie im Verhältnis zu Malerei und Tonkunst „Schülerin und Lehrerin beider". Und wenn auch offenbar der geistige Charakter der Poesie der ungeistigen Tonkunst helfen soll, so war auch dieser geistige Charakter dort schon ideelich klarer ausgebildet, während es hier mehr spielerisch heißen darf: „Der Tonkünstler dichtet, wenn er spielt, so wie der echte Dichter singt, wenn er dichtet", wobei also wiederum die Herdersche Ausgangsstellung von der Lyrik her sichtbar wird. Eine klare Entscheidung soll merklich das anmutig tändelnde Gespräch nicht mit kunsttheoretischen Definitionen belasten. Aber die größere Nähe der Poesie zur Musik bleibt auch hier unverkennbar. Sie wird erleichtert dadurch, daß sich die verfeinerte Musik „auch geistiger" umzusetzen vermag und so von sich aus die Brücke

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zur „geistigeren" Poesie schlagen helfen kann. Vielleicht ist zuletzt doch dieses stärkere Berücksichtigen des „Geistigen" gegenüber dem nur Sinnenhaften, das an sich Herder nicht aufzugeben geneigt ist, noch das klarste Merkzeichen für den Anteil klassischen „Geistes", der in diesem luftig-launigen Gespräch steckt als wertvollster Kern. In mancher Beziehung ist dieses Göttergespräch so das Gegenstück zu der Abhandlung „Über Bild, Dichtung und Fabel", die nach ihrem Hauptinhalt recht eigentlich über die „bilderschaffende Seelenkraft", den Ursprung des Dichtens aus dem Mythischen und Sagenhaften und dann gattungstheoretisch über die Tierfabel handelt. Die Schwester „Malerei" aus dem Göttergespräch hätte an sich manches Argument aus dieser Abhandlung holen können, die schon das allgemeine Bild einer Eindrucksempfindung als „ein Kunstgemälde der Bemerkungskraft deiner Seele" bezeichnet. Aber sie soll der Musik merklich den gefühlsmäßigen Vorrang einräumen. Und das entspricht denn auch fraglos stärker der Grundeinstellung Herders.

II. Kernbestände klassischen Kunstwollens ( G o e t h e und S c h i l l e r ) Die biologischen Ansätze in der Genievorstellung des jungen Goethe weiten und vertiefen sich in dem Verlaufe des Zusammenwirkens mit Herder in den achtziger Jahren auf Grund der liebevollen naturwissenschaftlichen Studien. Selbst wenn man den anonymen handschriftlichen Beitrag im „Journal von Tiefurt" (etwa 1782/83), das sogenannte „Fragment", dem jungen Schweizer Georg Christoph Tobler zuweisen muß, selbst wenn man Goethes um Jahrzehnte später liegende Äußerung (1828) mit Bezug auf jenes Fragment ähnlich einschränken muß wie etwa die späteren Äußerungen über sein Verhältnis zur Ideenwelt Karl Philipp Moritz', so bleibt doch Goethe die b i o l o g i s c h - m o r p h o l o g i s c h e W e l t - und K u n s t a n s c h a u u n g als ein Eigenes oder doch Eingeeignetes — woher nun auch immer Einzelanregungen ihm zugeflossen sein mögen —, als ein Eigentümliches und auch seine Kunstanschauung wohl noch tiefer Durchdringendes, als bislang nachgewiesen werden konnte. Ohne den starken Einbruch des an der Antike orientierten bildkünstlerischen Ideals wäre die biologische Grundlegung vielleicht Hoch durchgreifender zur Wirkung

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gekommen. Eine Synthese nämlich aus Biologisierendem und Antikisierendem wurde nicht restlos gewonnen, konnte damals wohl auch noch kaum gefunden werden. Die Flügelstellungen Herder und Winckelmann verlieren zeitweise die innere feste Fühlung, obgleich Goethe beide zu umspannen versucht. Das starke Leitwort „Leben" vermag für Goethe vieles zu überbrücken. Und es trägt nicht nur das biologisch-naturwissenschaftliche Gedankengebäude, sondern auch die antiker Form sich nähernden Ideengebäude kunsttheoretischer Art. Bemerkenswert ist es immerhin, daß Tobler ein Griechenverehrer und — ein junger Mensch war, wie Karl Philipp Moritz ein Griechenverehrer und ein junger Mensch war. Es kann nicht ganz gleichgültig sein, ob das Kunstwollen der Klassik nur vom Stadium männlicher Reife aus erklärt oder auch von jugendlichen Lebensströmen aus verstanden wird. Denn was im letzten Grunde den Sturm- und Drang-Goethe und den Goethe der Klassik irgendwie doch auch auf kunsttheoretischem Gebiet als Einheit empfinden läßt: das ist das „Leben", das lebendig Wirkende, lebendig Gestaltende, lebendig Bildende. Die V o r s t e l l u n g vom „ L e b e n " wandelt sich, nachdem tiefere Einblicke in die „Organisation" der Natur getan worden sind. Die Vorstellung vom organischen Kunstwerk wendet sich innerhalb der Klassik unter dem Druck des Primats der Gestaltung streckenweise mehr dem wohldurchorganisierten Kunstwerk zu. Aber der bindende und doch befreiende Blick auf das „Leben" hindert ein völliges Gebanntsein vom Starr-Statuaren. Und das ständige Begleitbewußtsein von der „organischen Natur" nimmt in geläuterter Form dennoch das Gefühlsideal des Sturmes und Dranges mit hinüber. Unter den wenigen kunsttheoretisch beachtenswerten der „Maximen und Reflexionen", die noch vor 1800 anzusetzen sind, findet sich die Notiz: „Organische Natur: ins Kleinste lebendig; Kunst: ins Kleinste empfunden". Im Briefwechsel mit H. Meyer trifft man häufiger auf die Idee des „Lebendigen", auch für den Bereich der bildenden Kunst. Es war eine fast zwangsläufige Folgeerscheinung aus Goethes eigenen Anlagen und Herderschen Anregungen, daß sich Goethe diesem Lebensgeheimnis, das er auf immer neuen Wegen in immer neuen Weisen umworben hat und das ihm auch in den „sibyllinischen Vorahnungen" G. Vicos zu begegnen scheint, auch einmal auf dem Gebiet der Naturerforschung, Naturbeschreibung

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und Naturdeutung zu nähern trachtete, ganz abgesehen von den äußeren Anlässen in der Weimarer beruflichen Wirkungswelt. Und es war innerhalb der seit dem Spätsommer 1783 bestehenden Strebensgemeinschaft zwischen Herder und Goethe, der wiederum neben der fördernden Anspannung beider die spornende Spannung zwischen beiden (ähnlich und doch anders als in der Straßburger Epoche) nicht fehlte, eine gleichfalls zwangsläufige Folgeerscheinung, daß das Drängen zum Ursprünglichen (Straßburg) dem Nachspüren und Nachtrachten und Nachsinnen des Urförmlichen, Urbildkräftigen und Urtypischen (Weimar) Schritt um Schritt weichen mußte. Herder besaß den ideellen Vorsprung: die Denkgewöhnung in organisch-genetischen Entwicklungsabläufen und lebendigen Werdefolgen alles menschlichen und kulturellen Lebens. Goethe gewann in seiner Freude am Greifbaren und Sichtbaren den realen Vorsprung, indem er der bloßen Debatte über die „Uranfänge der Wasser-Erde" eine naturwissenschaftliche Tragschicht zu schaffen sich anschickte. Was Herder dem tiefen Strome kulturgeschichtlicher Wuchswerte abhorchen wollte, eben das hoffte der Augenmensch Goethe dem Naturwachstum absehen zu können, mag auch eine Beurteilung seiner eigenen bildkünstlerischen Versuche zu dem Schluß kommen, daß bei alledem das „innere Auge" die Art des Anschauens bestimmte. Dabei wird nicht übersehen, daß Herder, der bereits sinnespsychologische Zugänge zur Ästhetik im Räume des Sturmes und Dranges erprobt hatte, gleichfalls erkundend zur Naturforschung und Naturdeutung hinüberblickt. Aber für Herder blieb das ein Erproben am Wege. Für Goethe wurde es ein Erleben und eine Wegweisung. Man wird bei der Abstufung GoetheHerder nicht zu vereinfachend die Abstufung Goethe-Schiller herbeirufen dürfen, so sehr sie sich immer aufdrängen mag. Denn in Herder wirkt in weit höherem Grade als in Schiller das Gefühl für ein Sinnenhaft-Organisches mit hinüber auf die Vorstellung des Seelenhaft-Organischen und Geistig-Organischen. Herder ging nicht in dem Grade wie Schiller von der „Idee" aus, sondern das Ideeliche flöß ihm zu aus einer stärker induktiv-empirischen Betrachtungsweise, die Goethe verhältnismäßig näher stand. Herder suchte die sinnennaJie Deutung konstruktiv auszuwerten. Aber er würde kaum — wie dann Schiller es tat — Goethes „Erfahrung" von der „Urpflanze" eine „Idee" genannt haben, eher vielleicht eine Deutung oder ähnlich. Vielleicht auch nur ein „lebendiges

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Wort", eine Prägung, in der er ζ. B. die Keimform und Urform des unendlich reichen und weitwüchsigcn Organismus des Epos — etwa um dieselbe Zeit (1795) — umschreiben zu können meinte. Winckelmann hatte in seiner Art und auf seinem Wege auch nach einer Urform Ausschau gehalten, die er „idealische Schönheit" nannte und vom Ideell-Ideelichen (das in den „Gedanken" von 1755 noch eine ebenbürtige Stelle neben dem EmpirischIdealischen eingenommen hatte) mehr und mehr zurückführte auf ein in gewisser Weise Real-Idealisches, Empirisch-„Idealisches" (Kunstgeschichte 1764) und vom Mosaikhaften, das' als Gefahrenzone streckenweise angrenzt, zum Organischen der vollendet schönen „Teile" hinüberstreben ließ. Und — um das eingangs Erwähnte noch einmal in den Goetheschen Bezirk hineinzustellen — mit bedingtem Rechte kann man sagen, daß die Suche und Sucht nach einem einzigen-„Grundsatz" und Grundgesetz innerhalb der Ästhetik und Poetik der Aufklärung (und der Auflockerer) im Räume des Kunstwollens der Klassik abgelöst wurde von einem Suchen und Sehnen nach irgendwelchen Urformen, die dann in sich ohne weiteres das Gesetz bergen würden. Dem, was „noch selbst im Werden war" des Sturmes und Dranges folgt, mit ihm verwachsen und über es hinauswachsend, in der Klassik das, „was in sich selbst vollendet ist". Dem Ursprünglich-Urtümlichen des Sturmes und Dranges das Urförmliche der Klassik. Dem „Werden" (der junge Herder) soll teils auf genetischmorphologischem Wege, teils in biologisch-organizistischer Weise das „Wesen" abgerungen werden. Die „Urpflanze" soll nicht nur die U r f o r m des Pflanzlichen, sondern zugleich das Grundwesen alles Pflanzlichen umgreifen und in sich begreifen. Von ihr aus hofft Goethe nicht nur die wirkliche Pflanzenwelt, sondern auch alle möglichen Pflanzenwelten erhellend deuten zu können. Die Vorstellung von einer „ursprünglichen Identität aller Pflanzenteile" (Urpflanze) findet auf kunsttheoretischem Gebiet eine gewisse Entsprechung, wenn ζ. B. die spätere Balladentheorie (1821) die verschiedenen „Elemente" des Dichterischen (Dichtgattungen) in der Wirkungsform der Ballade noch ungeschieden „wie in einem lebendigen Urei zusammen" anzutreffen meint. Ein Gedanke, den Herder wenigstens mit Bezug auf Romanze und Epos („so bildete sich aus der Romanze die epische Dichtung") gelegentlich in der „Adrastea" (1803) berührt hatte.

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Zwar eine I n e i n s b i l d u n g v o n n a t u r f o r s c h e n d e r \ind naturdeutender Gegenstandsbeobachtung und Wesensschau einerseits und kunstbeobachtender und kunstd e u t e n d e r W e s e n s s c h a u a n d e r e r s e i t s konnte sich nur schrittweise vollziehen, ohne — um es zu wiederholen — zu einer wirklichen Synthese aufgehöht zu werden (eher könnte man von einer Art von Symbiose sprechen). Die Welt Winckelmanns und die Kunsttheorie K. Ph. Moritz' wurden zu machtvoll in Goethe wirksam, als daß auf rein kunsttheoretischem Gebiet eine überzeugende und fruchtbare oder doch restlose Auswertung der naturwissenschaftlichen Einsichten und Aussichten sich hätte durchsetzen können. Teils auf eigene Anregungen Goethes zurückgehend, aber abgewandelt nun wieder zu ihm zurückkehrend, vervollständigen die bildkunst-theoretischen Anschauungen und Meinungen Heinrich Meyers jene Wendung. Vorerst zwar schien die Italienische Reise eine verheißungsvolle Annäherung beider Welten bringen zu wollen. Und während noch in einem Briefe an die Herzogin Louise (12. X I I . 1786) mit merklichem Bedauern der Abstand festgehalten erscheint: „Das geringste Produkt der Natur hat den Kreis seiner Vollkommenheit in sich. . . Ein Kunstwerk dagegen hat seine Vollkommenheit außer sich" (nämlich in der selten zu verwirklichenden „Idee des Künstlers"); während hier erst als verhaltene Sehnsucht ein Annäherungswunsch mitschwingt, begegnen doch auch zuversichtlichere Äußerungen wie diese: „Wie in dem Organismus der Natur so tut sich auch in der Kunst innerhalb der genauesten Schranke die Vollkommenheit der Lebensäußerung kund". Die Wahl des Wortes „Lebensäußerung" weist zugleich in die biologische Blickrichtung. Auch Äußerungen des Nationalcharakters betrachtet Goethe damals wie naturhafte Lebensvorgänge, so den römischen Karneval als „ein anderes bedeutendes Naturerzeugnis und Nationalereignis". Und wenn Goethe schon unmittelbar vor Antritt der Reise Charlotte von Stein beglückt von seinen Bemühungen um „das Pflanzenwesen" berichtet hatte, wie die Vielfalt des Lebens zur Einfalt sich vereinfache: „Und es ist kein Traum, keine Phantasie; es ist ein G e w a h r w e r d e n der w e s e n t l i c h e n F o r m " , so auch lassen sich weite Ausschnitte seines Ringens um Kunsterkenntnis und Kunstanschauung noch weit späterhin umschreiben als ein G e w a h r w e r d e n w o l l e n d e r w e s e n t l i c h e n F o r m , wobei es unerheblich ist, ob nun für „wesentlich" und im Austausch

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mit diesem Wertwort „wahr" oder „echt" gesetzt wird, wie denn etwa auch Herder in diesem Sinne gern von „Wahrheit" als Wesenhaftigkeit sprach. Die geistige Nähe Herders bewahrt vorerst noch ihre Gewalt über Goethe, so etwa im anteilnehmenden Hinblicken auf das „Volk" (Venedig). „Volk" gilt als einer der seinshaltigen, wesenhaften Bestände von geradezu naturgesetzlicher Notwendigkeit, der keiner Willkür unterliegt („ein notwendiges unwillkürliches Dasein"). Wesenhaftigkeit und Notwendigkeit rücken mehr und mehr in den Mittelgrund organologischer und morphologischer Vorstellungen. Der Organismusgedanke Herders als einer der lebensvollsten und weittragensten Gedanken überhaupt im Kunstwollen des achtzehnten Jahrhunderts (und darüber hinaus) in inniger und steigernder Verschmelzung mit dem jetzt geradezu vergotteten „Kraft"-Begriff, der schon in der Kunsttheorie des jungen Herder („Kritische Wälder") eine entscheidende Geltung neben dem „Energie"-Begriff sich erobert hatte, wirkt noch einmal mit aller Dringlichkeit auf den Goethe der Italienischen Reise hinüber mit Herders Gesprächen über „ G o t t " (1787), die Goethe zur Zeit seines zweiten Aufenthaltes in Rom lebhaft die Strebensgemeinschaft mit Herder wacherhalten. Das Göttliche im Spiegel der wirkenden „organischen Kräfte" als das, was die Welt im Innersten zusammenhält, als die „Urkraft", die sich im Organischen äußert und alles durchregt und bewegt. Und „allenthalben in der Natur unzählige Organisationen, deren jede in ihrer Art nicht nur weise, gut und schön, sondern ein Vollkommenes, d. i. ein Abdruck (an anderer Stelle auch „Ausdruck") der Weisheit, Güte und Schönheit selbst" sei. Goethe, der diese Schrift Herders wohl mehr nach der pantheistischen Seite hin nacherlebte, hat ihre Bedeutung nachdrücklich hervorgehoben. Aber schon ein Jahr später erschien K a r l P h i l i p p M o r i t z ' Hauptschrift über die „ B i l d e n d e N a c h a h m u n g des Schönen" (1788), die bereits gewürdigt werden konnte. Und obgleich sie gegenüber der Abhandlung Moritz' von 1785 einige Anregungen Herders als Bereicherung aufgenommen hatte und obgleich beim persönlichen Austausch zwischen Goethe und Moritz in Italien Moritz gewiß nicht nur der gebende Teil gewesen war, bewirkt dennoch Moritz (ganz abgesehen von Heinrich Meyer) die Wendung der Goetheschen Kunstanschauung auf das Z w e c k f r e i e , E i g e n z w e c k l i c h e , G a n z h e i t l i c h e und I n - S i c h - V o l l e n d e t e und

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neben Winckelmann die Vorbereitung des Primats der Plastik. Herders „Plastik" (1778) hatte zwar auch die Freistatue als besonders hohen Wert der Schönheit herausgestellt. Aber der warme unmittelbare Tastsinn (nicht das kühlere Auge) sollte diese Schönheit umgreifen. Und die Schönheit war „sinnlicher Ausdruck der Vollkommenheit". Auch das Dauernde, Beständige, das „Ewige" und das „ganz Darstellung"-Sein hatte Herder bereits ein Jahrzehnt vor Moritz hervorgehoben. Aber vom psycho-physiologischen Ansatz des Vierten Kritischen Wäldchens her war ihm die Plastik letztlich Gegenstand zum Erhärten seiner Theorie vom Tastsinn, nicht Selbstzweck. Und vor allem: sie galt ihm auch damals nicht als der Kernbezirk, nicht als die Urform und Wesensträgerin des Künstlerischen schlechtweg. Sie hatte nur beigeordneten, nicht übergeordneten Wert. Deshalb bedeutet Goethes einseitige Hinwendung zur Plastik nicht etwa eine Rückwendung zu Herders „Plastik" von 1778, sondern sie bedeutete eine schon in der Wendung der morphologischen Studien Goethes mehr und mehr hervortretende Abwendung von Herder, die Goethes liebenswürdige Art, manches von seinen naturwissenschaftlichen Studien noch in dem von Herder angeregten Sinne umzudeuten, doch nur notdürftig verhüllen konnte. Ob nicht zuletzt auch Herders starke Rückversicherungen in der Schicht des Religiösen und Zweckhaft-Vollkommenen es waren, die Goethes Abstandsuchen beschleunigten, mag hier unentschieden bleiben. Jedenfalls trug die so verheißungsvolle, erneute Strebensgemeinschaft mit Herder in den achtziger Jahren nicht eine so reife Frucht wie das Herdersche Führertum in der Straßburger Epoche der siebziger Jahre. Es kam nur zu Teilerträgen, die zwar zunächst noch ausreichten, ein Sich-Verlieren Goethes an eine Nachahmung der Antike zu verhindern, die aber nicht ausreichten, eine kraftvolle und lebensvolle Organismus-Ästhetik in Goethes Kunstanschauung herauszubilden. Daher waren die Gegenstöße des älteren Herder, die noch eingehender gewürdigt werden sollen, nichts weniger als „Launen" und „Bitternisse" des Alters, sondern eine durchaus berechtigte Verteidigung des Weges, den Goethe mehr und mehr aufgegeben hatte, zum mindesten der Goethe der Klassik im engeren Sinne. Ob und wieweit Herder als letztlich nicht schöpferische Natur die Schwierigkeiten und Notwendigkeiten der reinen Formpflege und bei allem theoretischen Wissen und praktischen Versuchen die Größe des gestalterischen

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Ringens um die Werkvollendung unterschätzt hat, bleibe dahingestellt. Drängt jenes Gewahrwerdenwollen der wesentlichen Form zum Typusbegriff, so f ü h r t d a s G e w i n n e n w o l l e n der i d e a l i s c h e n F o r m , der „ b e d e u t e n d e n " G e s t a l t , z u m S y m b o l b e g r i f f . Soweit man immer den geschichtlichen Voraussetzungen des Symbolbegriffs in Goethes Kunstanschauung nachspüren mag, etwa bei Winckelmann, Heinrich Meyer, Karl Philipp Moritz und Herder: es bleibt Goethes Symbolvorstellung jene erlebnismäßige Erfahrung des schaffenden, dichterisch bildenden Weltdeuters und damit jene eigene Tönung, die durch irgendwelche Einflüsse nicht zu erklären ist. Vielleicht nicht in dem Maße wie etwa seine Vorstellung des „Dämonischen", aber doch in merklicher Weise prägt sich Goethe das Symbolische um in eine Umschreibung und Andeutung des „Unaussprechlichen", aber doch zugleich des an sich und seiner Kunst Erfahrenen. Nimmt man die These an, daß „Erfahrung" für Goethe eine „Enthüllung des Gegenstandes als Leben" bedeute, so birgt auch sein Symbolbegriff den Lebensbegriff und damit die organismushafte Grundkraft in sich. Und das ist wesentlicher als die an sich und im Einzelfall gewiß kunsttheoretisch bemerkenswerte Unterscheidung von Symbol und Allegorie, die klärend in den „Maximen und Reflexionen" (etwa 1807) gewonnen werden kann, nachdem diese Frage seit Winckelmann vor allem durch Herder und Heinrich Meyer der Lösung nähergebracht worden war. Die Allegorie reicht nur zum Begriff im Bild, wobei der Begriff eindeutig und greifbar im Bildlichen erfaßbar bleibt. Das Symbol vermag die Idee im Bild „unendlich wirksam" werden zu lassen, doch vieldeutig und lebensvoll webend wirkt die Idee „unerreichbar" über den Bildbereich hinaus. Das „Bedeutende" kann auch von der Kunstmächtigkeit der in sich vollendeten Gestaltung nicht rein und restlos gedeutet, es kann immer nur andeutend umworben und gleichnishaft umschrieben werden. Das Wunder der Weite und die Weite des Wunders im Ideelichen und Idealen überrennt und überwältigt jedoch nicht (wie streckenweise in der Romantik) das Wunder des Wirklichen. Es ist kennzeichnend für die Gegenstandsnähe Goethes, daß er, der so oft und so gern Fragen der Motivwahl im Kunstschaffen und Kunstwollen nachging, über eben diese — damals gemeinsam mit Schiller erörterten — Fragestellungen, „die Wahl des Gegenstandes bei Kunstwerken" betreffend (an H.

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Meyer, Sept. 1796), zu der Einführung des Terminus „symbolisch" gelangte. Und es ist ebenso kennzeichnend für die lebenshaltige Art seiner „Erfahrung" und für das Erspüren des Wunderbaren im Wirklichen, daß ihn gewisse Gegenstände stimmungsmäßig und ideelich über sich hinauszuweisen und hinauszuheben scheinen. H e i n r i c h M e y e r s emsiger Eifer hatte in der Propyläen-Abhandlung „Über die Gegenstände der bildenden Kunst" (1798/99) immerhin die mechanisierende Attributwirtschaft der Allegorie in ihrer künstlerischen Unzulänglichkeit enthüllt und den fruchtbareren Symbolwert in die Gestalten selbst verlegt unter Zuhilfenahme des Ganzheits- und Vollendungsbegriffs K. Ph. Moritz'. Aber das wirklich Wesentliche dankte er dabei offenbar schon Anregungen Goethes. Und während Meyers umständliche Erörterungen von einem leicht rationalistisch gefärbten Klassifikationseifer keineswegs freiblieben (der nicht einfach mit Goethes Willen zum „Schema" gleichzusetzen ist), erfaßt G o e t h e s P a r a l l e l a b h a n d l u n g unter demselben Titel (ungedruckt, Reise-Akten von 1797) bündiger das Entscheidende, indem sie das Allegorische an den „Witz" heranrückt, während das Symbolische gefühlsmäßig den scheinbar nur auf sich gestellten Gegenständen eingekörpert ist, so daß sie „im Tiefsten bedeutend" sind, obgleich sie rein ästhetisch und formungsmäßig ganz in sich selbst schon vollendet wirken. Sie sind so wirklichkeitserfüllt und „bedeutend", d. h. idee erfüllt zugleich. Mit den Kunstwerken, die nur durch „Verstand, Witz, Galanterie brillieren", wird zugleich eine rokokohafte Haltung abgewehrt. Vor einer mißverstandenen Übertragung des „Poetisierens" auf die bildende Kunst wird gewarnt. Die Gestaltungsproblematik, wie das Allgemeine am Besonderen und im Besonderen, auf das die Kunst darstellungsmäßig angewiesen bleibt (und dem der Künstler Goethe in einer Grundhaltung seines Wesens zugeneigt bleibt), kunsttechnisch gestaltbar und wirkungsmäßig anschaubar gemacht werden könnte und müßte; diese Kernfrage jedes wie immer angestrebten und ausgeprägten Idealrealismus mußte auch jenseits Goethes immer wieder hinführen zum s y m b o l h a f t e n G e l t u n g s w e r t und i d e e l l e n B e d e u t s a m k e i t s w e r t des Gegenständlichen, von dem die künstlerische Sicht auszugehen, in das die philosophische Einsicht einzugehen und die Gestaltung als „Ansicht" (Aspekt) aufzugehen hat. Daß Goethe diese Kernfrage als Kernfrage erkennt und wie weit

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er sie auf die Erfassung poetischen Wesens und poetischen Wertens ausdehnt, bekundet die bekannte, aber auch hier nicht zu entbehrende Prägung aus den „Maximen und Reflexionen", die bei einer Klärung des Unterschiedes von Allegorie und Symbol nicht haltmacht, sondern darüber hinaus zum Poetischen schlechtweg vorzudringen sucht; und zwar im Zurückblicken auf Goethes „Verhältnis zu Schiller": „Es ist ein großer Unterschied, ob der Dichter zum Allgemeinen das Besondere sucht oder im Besonderen das A l l gemeine schaut. Aus jener Art entsteht Allegorie, wo das Besondere nur als Beispiel, als Exempel des Allgemeinen gilt; die letztere aber ist eigentlich die N a t u r der Poesie: sie spricht ein Besonderes aus, ohne ans Allgemeine zu denken oder darauf hinzuweisen. Wer nun dieses Besondere lebendig faßt, erhält zugleich das Allgemeine mit, ohne es gewahr zu werden oder erst spät" (gewahr zu werden). Hatte auch Heinrich Meyer Angenähertes vorbereitend ausgesagt, so war ihm — und sich selbst — doch der Goethe von 1789 bereits anregend vorausgegangen, als er im Briefwechsel mit Meyer in den Kunstwerken der Griechen als das typische Merkmal aufdeckte, daß man, dem Kunstwollen der Alten folgend, nicht bei dem Bilde etwas als Begleitvorstellung sich denken, sondern „das Bild denken und in demselben alles sehen" sollte. Nicht Meyer, sondern Moritz dürfte Goethes Weg zu solchen Zielsetzungen geebnet haben. Aber die Art, wie Goethe das Ziel setzt und sieht, bleibt ihm doch durchaus eigentümlich. Und auch die innere Auseinandersetzung mit Schiller beschleunigt und kräftigt zuletzt doch nur jenes Eigentümliche, das in immer neuen Formen und Fassungen immer erneut die Idee am Leben entfaltet, während Schiller das Leben an der Idee entzündet. Aus der Wirklichkeit wächst für Goethe Wesen und Wert. Eben deshalb will er die Wahl des Wirklichkeitsausschnitts pflegsam vom Künstler betreut, die Gegenstandsbezogenheit und die Poesiehaltigkeit des Gegenstandes, die teils geradezu mit Symbolhaltigkeit gleichgesetzt wird, einfältig erspürt und sorgfältig erwogen wissen. Nicht zum wenigsten deshalb auch gewinnt die Plastik eine so starke Gewalt über sein Kunstideal, weil sie in der Statue als Menschenbildnis den würdigsten und wertvollsten der „Gegenstände" der Natur bildend zu bewältigen trachtet, weil „sie die Darstellung auf ihren höchsten Gipfel bringen kann und muß" („Uber Laokoon" 1798). Erscheinungsbild, Sinnbild und Wesensbild zusam-

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menzuschauen und ineinszubilden lernt der Bildhauer zwangsläufiger als der Dichter, dem er insofern Vorbild werden kann. Dem Plastiker im Dichter Goethe aber sind solche Gedankengänge ganz vertraut. Und sie sind ihm so vertraut und lieb, sie erscheinen ihm so ertragreich für seine Kunstbesinnung und Kunstgesinnung,, daß ihm der scheinbare Umweg über die Bildkunsttheorie zum geradesten Wege zur Wortkunsttheorie und Dichtungsdeutung zu werden vermag. Die Gefahr einer einseitigen Übertragung bildktinstlerischer Ideale auf die Dichtkunst war im entsprechenden Grade für Goethe selbst geringer, mußte aber überall dort größer und greifbarer werden, wo Dichter ohne plastisches Gestaltungsvermögen diese Ideale dennoch aufgriffen und für poetisch verbindlich erklärten Es ist nicht die „ins Reale verliebte Beschränktheit" allein, die ihn das Greifbare und im Herderschen Sinne Ertastbare der Plastik so hoch schätzen läßt. Vielmehr ist es die ständige Selbsterziehung des Schöpfers der Freistatue zu einer Vollendung in der Beschränkung, zur darstellerischen Verdichtung des Wesentlichen und Wesenhaften, die für den gestalterischen Vorbildwert der Plastik im Hinblicken auf die Dichtung geradezu entscheidend wird. Die Bildhauerkunst vermag ihre Höchstleistung an reiner Darstellung letzten Endes deshalb zu erreichen, „weil sie den Menschen von allem, w a s ihm n i c h t w e s e n t l i c h i s t , entblößt" („Uber Laokoon", 1797). Das Herausarbeiten des notwendigorganisch Verbundenen und das Abstreifen des nur zufälligmechanisch Verbundenen kann und soll der Dichter nicht zuletzt vom Bildhauer lernen. G o e t h e s K u n s t b e s i n n u n g ist j e n e m W e s e n h a f t e n e r n e u t n a c h g e g a n g e n , ob nun der W e g j e weils mehr zum T y p u s als dem g a t t u n g s - und a r t m ä ß i g W e s e n h a f t e n oder m e h r z u m S y m b o l als dem i d e e l l u n d bedeutungsmäßig Wesenhaften sich zuwenden mochte. Auch der Stilbegriff sucht letzte Sicherung in jener Grundschicht des Wesenhaften. Der „Stil''-Aufsatz von 1789 umschreibt geradezu „Stil" als eine Formung des Wesenhaften, wobei die Zuversicht, das Wesenhafte sinnenmäßig erfassen zu können, nicht mehr so unbefangen sich äußert wie in der ersten Finderfreude in Italien. Stil ruht „auf dem Wesen der Dinge, insofern es uns erlaubt ist, es in sichtbaren und greifliehen Gestalten zu erkennen". Dieses Erlaubtsein (vielleicht im Hinblicken auf Spinoza behutsam eingeschaltet) β M a r k w a r d t , Poetik III

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jedoch ließ sich andererseits der gegenstandsfrohe Plastiker im Dichter Goethe nicht nehmen. Und er hatte ein Anrecht und einen inneren Anspruch darauf, weil er im Sinne Schillers naiv war. S t i l als d a s W o r t f ü r d a s W e s e n , als das wesenhaltige Wort, stellt folgerichtig auch die höhere Aufgipfelung in der Stufenreihung: Nachahmung, Manier, Stil dar. Obgleich immer zu berücksichtigen bleibt, daß die tiefgreifende und nach allen Seiten hin ihre reichen Bezüge ausstrahlende Bekundung Goethescher Kunstdeutung in der sehr knapp gefaßten Abhandlung über „ E i n f a c h e N a c h a h m u n g der N a t u r , M a n i e r , S t i l " (1789 in Wielands „Teutschem Merkur") nicht eigentlich über Dichtkunst handelt, sondern in den näher ausgeführten Teilen über einen motivlich zudem begrenzten Ausschnitt der bildenden Kunst (Blumen- und Landschaftsmalerei). Die Nähe der Naturforschung, Naturbetrachtung und Naturdeutung der italienischen Zeit und der entsprechende gegenständliche Grundzug dieser Kunstdeutung darf doch nicht darüber hinwegtäuschen, daß bei allem — in seiner Art auch Hölderlin eigenen — kunsttechnischen A n t e i l n e h m e n am r e c h t e n V e r f a h r e n (gemäß dem Motiv und seinen Gestaltungsmöglichkeiten), bei allem Kreisen um den Nachahmungsbegriff dennoch ein ständiges Streben nach dem Begreifen und Beschreiben des Wesenhaften die Gedankenbewegung dieses Aufsatzes begleitet und sie streckenweise in ihrer Richtung bestimmt und beherrscht. Und dieses Streben hebt jene Nähe keineswegs auf, sondern verstärkt sie seinerseits. Denn auch die Naturdeutung wurde sehr bald zu einer Wesensdeutung, wenn auch zu einer unbekümmert und zuversichtlich gegenstandsnahen Wesensdeutung. Goethe erhebt nicht den Anspruch, die Fachwörter Nachahmung, Manier, Stil selbst geprägt zu haben; wohl aber möchte er die bislang schwankenden Begriffe fester bestimmen und besonders dem Stil-Begriff zu voller Geltung verhelfen. Dieser begriffsklärenden Absicht dient vor allem die erste Hälfte des Aufsatzes. Danach hat auch die e i n f a c h e N a c h a h m u n g mit ihrer Fähigkeit, „in einem unglaublichen Grade wahr" zu sein und wahr zu wirken, durchaus die Möglichkeit einer ihrem beschränkteren Kunstwollen entsprechenden „hohen Vollkommenheit". Indessen findet das geistig-seelische Ausdrucksbedürfnis — die Ausdruckslehre klingt unverkennbar an—vielfach kein rechtes Genügen daran, der Natur nur „nachzubuchstabieren", sondern strebt danach, das „mit der

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Seele" Ergriffene und zugleich Charaktervolle auch in angemessen vergeistigender und nicht mehr nur gegenstandsnaher und wirklichkeitsnaher Weise wiederzugeben. Das ermöglicht die Manier, in der sich subjektiver und ausdrucksvoller, damit aber auch charaktererfüllter „der Geist des Sprechenden unmittelbar aus-, drückt und bezeichnet". Die Manier bevorzugt den reicher in sich organisierten Gegenstand und zielt ab auf dessen „allgemeinen Ausdruck". Sie steht etwa zwischen dem Charakteristischen und Typischen, darf jedoch, wenn anders sie nicht „leer" und „unbedeutend" werden will, die Fühlung mit dem NaturwirklichGegenständlichen nicht ganz verlorengehen lassen. Hölderlin warnt dort, wo er aus Charaktertypen zugeordnete Kompositionstypen ableiten möchte (Fragment zur Ilias), ganz ähnlich vor einer Vernachlässigung des „Einzelnen", wenn der „Geist des Ganzen" zu sehr überwiegt. Drängt der künstlerische Darstellungswille darüber hinaus und nach einem erfahrungsbereichemden Durchlaufen jener in sich ebenfalls berechtigten Stadien weiter vor und empor zum wesenhaften Ausdruck, so ist die Gestaltungsstufe „Stil" erreicht worden. Und in diesem Sinne „ruht der Stil auf den tiefsten Grundfesten der Erkenntnis, auf dem Wesen der Dinge, insofern uns erlaubt ist, es in sichtbaren und greiflichen Gestalten zu erkennen". Stil-Haben bedeutet für das Kunstwollen der (Goetheschen) Klassik etwa dasselbe wie Genie-Haben für den Sturm und Drang. Stil will nicht nur Wirklichkeitsschau (einfache Nachahmung), nicht nur verallgemeinernde Persönlichkeitssicht (Manier), Stil will Wesensschau. Stil ist insofern in der Tat eine Forderung höchster Qualität und springt damit vom scheinbar letzterreichbaren Grad von Objektivität zurück zum Subjektiven (Pinder), ist ein kunstkritischer, kein kunsthistorischer Begriff. Man rührt hier an Grenzen des klassischen Kunstwollens, die im Anspruch des einen wesenhaltigen Stils auf Ewigkeitswert spürbar werden. Aber indem Goethes „Stil" zwar Wertbegriff, und damit subjektiver Wertung ausgesetzt, aber zugleich Wesensschau ist, nähert er sich dennoch wieder einem zwar kunstkritisch und programmatisch beeinträchtigten Stilbegriff, der zum mindesten für die wortkünstgeschichtlichen Kategorienbildungen in Betracht käme, insofern als hier hinter dem Wort stets das Wesen gesucht werden muß. Will man den im Einzelnen recht komplizierten Entwicklungsvorgang jener Anschauungen auf eine einfache Formel bringen, ··

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so könnte man etwa sagen: wie Goethe mehr und mehr gewahr wird, daß die Form wesentlich ist, so begnügt er sich nicht mit einer kunsttechnisch gepflegten, sauberen, gediegenen Form, sondern es geht ihm sogleich und dann immer wieder um das „Gewahrwerden der wesentlichen Form" und als Schaffendem um das Gewaltgewinnen über diese „wesentliche" d. h. wesenhafte Form. Wenn einmal versucht worden ist, die Ästhetik und Poetik K. Ph. Moritz' als die Konzeption eines „typisch Jugendlichen" charaktereologisch zu deuten, so wird doch für das Gesamt der Eindruck überwiegen, daß ein noch junger Mensch um das in sich zu männlicher Reifung Vollendende ringt. Dennoch war der Anteil Jugendlichkeit nicht unbeträchtlich und vor allem nicht unwesentlich für die Rezeption durch Goethes Kunstdeutung. Eben deshalb konnte Goethe jenes anregend der Vollendung Zureifende in sich verarbeiten und Widersprüche durch seine harmonisch ausgleichende Persönlichkeit überbrücken, wobei ihm der Geist und die kunstkennerhaft und auch teilweise besinnlich-rationalistisch gedämpfte Begeisterung Winckelmanns, damals in Italien erst voll greifbar und besonders lebendig gegenwärtig, eine starke Hilfe wurde: „Und was ist mir nun aber auch das Andenken dieses Mannes auf diesem Platze!" (Dez. 1786). Jetzt erst, als er über die „sinnlichen Begriffe" verfügen zu können glaubt, die „notwendig vorausgehen müssen", um Winckelmanns Sehweise und Deutungsweise voll zu „verstehen", gewinnt die mehr bildungsmäßige frühere Begegnung mit der Welt Winckelmanns (Leipziger Zeit, Anregung Oesers) wahrhaft volles Leben und tiefe Wirkung. Doch hat Goethes Fortbildung der kunsttheoretischen Leitgedanken Winckelmanns bereits die Sonderforschung beschäftigt, so daß sie nicht im einzelnen verfolgt zu werden braucht. Rein kunsttheoretisch scheinen — m. E. — die Anregungen, die K. Ph. Moritz zu bieten vermochte, in stärkerem Maße Anstoß zu einer Weiterbildung und Verarbeitung durch Goethe geboten zu haben, während Winckelmann überwiegend stimmungsmäßig nacherlebt wurde. Goethes „ I t a l i e n i s c h e R e i s e " folgt streckenweise Moritz', Abhandlung über die „Bildende Nachahmung". Und Goethes R e f e r a t ü b e r M o r i t z ' H a u p t s c h r i f t im Juliheft des „Teutschen Merkur" (1789) nimmt innig die Gedankengänge auf: daß es ein Vorrecht des Schönen darstelle, von der Umklammerung des Nützlichen frei zu sein, daß das vom Nutzen befreite „notwendig ein für sich bestehendes Ganzes sein und seine

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Beziehung (nur) in sich haben" müsse. Klingt dabei die Vorstellung des harmonisch-organischen Ganzen bereits deutlich an, so erweitert es sich in der Richtung zum Totalitätsbegriff Humboldts, zu einer „ruhigen Betrachtung der Natur und Kunst als eines einzigen großen Ganzen". Etwa ein Jahrzehnt nach jenem MoritzReferat führt das Gespräch „ Ü b e r W a h r h e i t u n d W a h r s c h e i n l i c h k e i t der K u n s t w e r k e " (1798) zu dem Endertrag, daß die „innere Wahrheit" des Kunstwerks, daß die organische Übereinstimmung „mit sich selbst", die eigene Folgerichtigkeit, daß zuletzt und zutiefst „das in sich Vollendete" entscheide. Auch damals noch lenkt also nicht allein der neue Zustrom Schiller bestimmend die Führung des Gesprächs, sondern auch Moritz ist am ideelichen Umschreiben des Wesens der Kunstwahrheit merklich beteiligt. Die Blickrichtung beider zielt, wie Moritz es einmal aussprach, „in das innerste Heiligtum der Natur" (Moritz: „Fragmente aus dem Tagebuche eines Geistersehers", 1787). Trotzdem sieht Goethe anders und aus anderem Blickwinkel, und zwar um ebensoviele Grade anders, als er mehr Naturforscher und Naturdeuter war, aber auch um ebenso viele Grade, als er mehr Dichter war als Moritz. Moritz weist mehr zu Leibniz, Goethe mehr zu Herder. Beide haben Winckelmann zu danken, aber Winckelmanns zeitbedingte Anteile an Aufklärungseinschlägen werden von beiden überwunden und beiseitegedrängt im Wesentlichen mit Hilfe des Organismusgedankens, der wieder auf Herder als die tiefere Tragschicht zurückweist. Die Z w e c k b e f r e i t h e i t des K u n s t w e r k s , sein entschiedenes Freisetzen von äußeren Zwecken und selbst von Wirkungszwecken, im Moritz-Referat bereits eindeutig von Goethe angenommen, begleitet trotz mancher Einräumung durchgängig die kunsttheoretischen Anschauungen Goethes bis hin zu jener Verteidigung seiner Katharsisdeutung, als er (Juli 1831) Zelter gegenüber jedes Zweckgerichtetsein und Effektstreben nachdrücklich ablehnt. Wirft er doch bei dieser Gelegenheit einen mißbilligenden Seitenblick auf alle „Buchstabenmenschen, . . . die, weil sie nur den Effekt fühlen, von Produktion nichts begreifen und sich einbilden, der Künstler habe Zwecke, ihnen zu Ehren und zu Liebe". Gewiß hat Goethe wohl auch einmal in entsprechendem Themarahmen eine scheinbare Annäherung an das Lehrhafte vollzogen. Aber der überraschende (Lessing-)Satz: „Alle Poesie soll belehrend sein" erhält nicht nur den Zusatz „aber unmerklich", sondern er

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steht auch in Goethes durch Friedr. Karl Griepenkerls „Lehrbuch der Ästhetik" hervorgerufenen Bemerkungen „Über das L e h r g e d i c h t " (1827, entst. teilw. 1825). Und es ist kennzeichnend, daß Goethe dabei die didaktische Poesie herbe genug als „schulmeisterliche Poesie" abtut und sie nur als Zwitterform, als „Mittelgeschöpf zwischen Poesie und Rhetorik" gelten läßt. Schon Herder hatte in der Abhandlung „Über Bild, Dichtung und Fabel" die „schlechthin lehrende Poesie" nur recht bedingt einbezogen. Kants Begriff des „interesselosen Wohlgefallens" konnte wohl verstärkend einwirken, traf aber bereits eine Grundüberzeugung an, die wesenhaft von Goethe selbst gewonnen, deren ideelichbegriffliche Fassung bestenfalls durch Kant erleichtert, vor allem jedoch durch Moritz bestärkt worden war. Der inneren organischen Wahrheit des Kunstwerkes in sich selbst und vor sich selbst entspricht die innere organische Zweckmäßigkeit. Und wie die innere Echtheit nicht ängstlich den Bezug auf das „Naturprodukt" zu suchen braucht, so ist jene innere Zweckmäßigkeit des Bezuges auf den äußeren Zweck enthoben. Es wird noch gelegentlich der Würdigung der „ V o t i v t a f e l n " auf die Hervorhebung der Befreitheit des Kunstwerks von moralischen oder sinnmäßiggedanklichen Zwecken kurz einzugehen sein, ebenso gelegentlich der einschlägigen Bemerkungen in der „Nachlese zu Aristoteles* Poetik". Die innere Wahrheit ist auch entscheidend für das V e r h ä l t n i s von D i c h t u n g und D a t e n t r e u e , wobei der Dichter deutlich vom Historiker abgehoben wird. Goethe glaubt auch dafür eine Stütze bei den Griechen finden zu können, die „weniger auf die Treue eines historischen Faktums gingen als darauf, wie es der Dichter behandelte" (Eckermann-Gespräche, 31. Jan. 1827). Dieses Wie des Verfahrens erscheint dem Goethe der Klassik, der streckenweise das dynamisch Bewegte und handlungsreich Durchregte des Dramas auch theoretisch in die Richtimg des als „klassisch"-antik vermuteten plastisch Zuständlichen und des vielfach nur dialogisch Belebten (Neigung zum Verweilen), z.T. auch zur Rechtfertigung seiner eigenen Dramenformen, abzulenken geneigt ist, im historischen Drama erschwert. Und zwar deshalb erschwert, weil — wie seine kritische Rückschau auf den „Götz" verdeutlicht (1803/04) — „der fließende historische Gang", das drängende Werden und die ewige Funktion des Geschichtsverlaufs als szenensprengende Bewegung „ein stationäres Interesse der Szenen" unmöglich mache

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oder doch erschwere. Im Hintergrunde steht die formraffende Idee der Zeit- und Ortseinheit. Eben jene innere Wahrheit als rein künstlerische Wesenhaftigkeit braucht auch das Volkstümlich-Wunderbare nicht zu scheuen. Der Aberglaube sei gleichsam die Poesie des Alltagslebens. Dem echten Dichter schade der Aberglaube in der motivlichen Auswertung um so weniger, als er sich „seinen Halbwahn, dem er nur eine mentale Gültigkeit verleiht, mehrseitig zu Gute machen kann". Daß Goethe einen sinnvollen Aberglauben mit Bezug auf das Kosmische bevorzugte, ist aus seinem Anraten der Wahl des Sternenglaubens gelegentlich der Entstehung von Schillers „Wallenstein" hinreichend bekannt. Das Verhältnis und die Wertung von N a t u r w i r k l i c h k e i t und K u n s t w a h r h e i t hat gerade der Goethe der Klassik als Künstler und als Kenner, als Dichtender, aber auch als Deutender in immer neuen Weisen und Worten zu erfassen gestrebt. In der Dringlichkeit dieses Strebens äußert sich zunächst das „dämonische" Sich-Vergewissern seiner Anlage als Schöpfer, d. h. jenes fast leidenschaftlich vorgebrachte kunsttheoretische Anliegen des Kunstdeuters weist zurück auf die Anlage des Kunstschaffenden. Darüber hinaus wird in solcher Dringlichkeit und Nachdrücklichkeit etwas spürbar von dem Bedürfnis, die Spannung abzugleichen, wie sie bei aller Bemühung um Annäherung, Ausgleichung und Versöhnimg dennoch bestehen blieb zwischen jener persönlichen Anlage einerseits und der Anregung (Antike, Italien, Winckelmann, Moritz, Meyer) andererseits, zwischen dem zwar auch nur pflanzenartig schrittweisen, aber doch immer irgendwie organischvital Dynamischen der Naturvorgänge (Naturforschung) einerseits und dem trotz organisch-vitaler Einschläge überwiegend Zuständlich-Plastischen, Idealisch-Ideellen der antiken Kunst andererseits. An sich wurde seinem bedingten Naturidealismus die Ausgleichung von Sinnenhaftigkeit und Wesenshaltigkeit, von Realem und Idealem leichter als etwa Schiller. Die Gegenstandsfreude blieb ihm, nahm jedoch gegenüber der Realistik seiner Sturm- und Drang-Zeit nicht erst unter Kantisch-Schillerscher Einwirkimg vergeistigte Formen an, die in einem freieren Sinne fast als ein poetischer, ideeller Realismus — immer im Raum und Rahmen der Klassik — umschrieben werden könnten. Hatte der „Geniekerl" des Sturmes und Dranges in seiner Shakespeare-Rede (1771) aufgetrumpft: „Und ich rufe Natur!

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Natur!", so bringt das in Italien entstandene „Künstlers Apotheose" die klar abgehobene Prägung: „Die Kunst bleibt Kunst 1'' Hatte derAnhang der Mercier-Übersetzung H. L. Wagners von 1776 selbst der „gefühltesten" Form noch „etwas Unwahres" angemerkt, so packt Goethe in Italien fast beklemmend in ihrer überwältigenden Kraft die Erkenntnis, „daß die Form zuletzt alles einschließe". Und schon beim Umformen und Umschaffen der „Iphigenie", wie sie sich nicht ohne Einwirkung von K. Ph. Moritz' „Versuch einer deutschen Prosodie" (1786) vollzog, ist ihm auch im Bereich der Wortkunst das „Ohr endlich aufgegangen" für die Harmonie und Rundung der Formen, „verjagt eine harmonische Stelle die nächste unharmonische". Bis er schließlich mit demselben überzeugten Ernst, mit dem er dem pflanzlichen Urtypus nachgegangen war, eine ideale Urform, einen Urtypus der Gestaltung an sich für möglich und notwendig erkannte. I11 dem Grade jedoch, wie die Formung und Gestaltung als der eigentliche Wert- und Wirkenskreis des Kunstschaffenden sich vordrängt, tritt der Wert und die Wirkung des Natürlichen im Sinne der Naturwirklichkeit entsprechend zurück, besonders weil das Formerlebnis am Bildkünstlerischen und an der Winckelmann-Moritzschen Antike sich vollzog. Die größte — bei Goethe immer nur relativ größte — Naturferne dürfte jedoch im Raum Heinrich Meyers erreicht worden sein, der an den „Propyläen" mitarbeitete und späterhin Winckelmann mit unzulänglicher Kraft zu ergänzen suchte in seiner „Geschichte der bildenden Künste bei den Griechen und Römern" (1824). Jedenfalls führt der Goethe der „ E i n l e i t u n g in die P r o p y l ä e n " den entschiedensten Gegenstoß gegen den einstigen Naturalismus der Regelbefreier: „Der echte gesetzgebende Künstler strebt nach Kunstwahrheit, der gesetzlose, der einem blinden Trieb folgt, nach Naturwirklichkeit; durch jenen wird die Kunst zum höchsten Gipfel, durch diesen auf ihre niedrigste Stufe gebracht." Goethe geht dabei aus von der Mimesislehre und von der Auflockerungsform der Naturnachahmungstheorie, wie sie etwa Joh. Elias Schlegel (das Naturähnliche) vorgebildet hatte. Jedoch schon der Hinweis auf die „ungeheure Kluft", die Kunst und Natur trenne und die selbst das Genie nur mit kunsttechnischen Mitteln zu überbrücken vermöge, deutet sogleich eingangs an, daß es Goethe um eine Uberwindung der Mimesislehre geht. Der rokokohafte Zwischenbegriff des „gefälligen Scheins" möchte

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die Schwierigkeit mehr umgehen als heben, obgleich er von der Klassik her kennzeichnenderweise immerhin als formfördernde Zwischenstufe einen gewissen Teilwert eingeräumt erhält. Herder und Moritz haben noch die Kraft, vom Organismus und Ganzheitsbegriff her das antikisierender Form sich nähernde Ideal belebend zu durchregen. Im Wetteifer mit der Natur hat der Künstler „etwas G e i s t i g - O r g a n i s c h e s hervorzubringen", das ein Kunstwerk nach Gehalt und Gestalt „natürlich zugleich und übernatürlich" erscheinen läßt. Goethes eigne Naturdeutung wirkt dabei entscheidend mit. Und die Zuversichtlichkeit, mit der er in Italien Naturgesetze und Kunstgesetze verbunden zu sehen meinte, klingt wenigstens gedämpft doch noch nach im Versuch, die Farbentheorie für den Maler auszuwerten, der sich auf seine Weise und auf seinem Wege „den allgemeinsten Naturgesetzen" nähere. Aber nicht mehr ein Gleichschalten von Naturgesetzen und Kunstgesetzen gilt als berechtigt und erforderlich, sondern ein schöpferisch abwandelndes Umsetzen. Dieses Umsetzen beginnt schon zwangsläufig in der Art, wie der schöpferische und bildende Mensch den Naturgegenstand sieht und erlebt. Wenn mancher erst bei Benedetto Croce eine wirklich tiefgreifende Aufhebung der fraglos recht zählebigen (weil irgendwie doch ein Wesentliches, eben den Anteil Wirklichkeitsnähe und Lebensfrische im Dichterischen berührende) Naturnachahmungstheorie, eine klare Trennung von Kunst und Wirklichkeit anzutreffen vermeint, so darf — ganz abgesehen von früheren Loslösungsvorgängen von der Mimesislehre (s. o.) — zum mindesten Goethes Ausspruch nicht übersehen werden, der — im Grundsätzlichen bereits ideelich weitgehend in Herders Abhandlung „Über Bild, Dichtung und Fabel" (1787) vorbereitet — gewiß nicht zufällig an so hervorgehobener Stelle steht: „Indem der Künstler irgend einen Gegenstand der Natur ergreift, so gehört dieser schon nicht mehr der Natur an, ja man kann sagen, daß der Künstler ihn in diesem Augenblicke erschaffe, indem er ihm das Bedeutende, Charakteristische, Interessante abgewinnt, oder vielmehr erst den höheren Wert hineinlegt" (Einleitung zu den „Propyläen"). Im letzten Teil dieser grundlegenden Deutung erkennt man mühelos die Verschmelzung oder doch den Verschmelzungsversuch der ursprünglich Goetheschen (das dem Gegenstande die Idee „Abgewinnen") mit der Schillerschen Auffassung (das Hineinlegen der Idee). Das „Bedeutende" weist auf den Typus- und

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Symbolbegriff, das „Charakteristische" auf den Manierbegriff; das „Interessante" erinnert an die Ansätze zur Klassik bei Garve, ohne daß es von dorther „beeinflußt" sein müßte. Das mit merklicher Rücksicht auf Schiller berichtigende „oder vielmehr" kehrt in anderer Entwicklungsschicht wieder in den „Maximen und Reflexionenetwa in dem Zugeständnis: „Wenn Künstler von Natur sprechen, subintelligieren sie immer die Idee, ohne sich's deutlich bewußt zu sein", nicht ohne Einschlag an Selbstkritik. Wie denn Goethe schon bald nach dem Bekanntwerden mit der Welt Schillers an Jacobi berichtet, dieser werde ihn „nicht mehr als einen so steifen Realisten finden". Nach der programmatischen Seite hin faßt Goethe jenen Grundsatz bündiger und mit aller nachdrücklichen Klarheit: „Der Künstler strebe nicht ein Naturwerk, aber ein vollendetes Kunstwerk hervorzubringen." Die entschiedene Absetzung des Kunstwerkes vom Naturwerk beherrscht nach Ausgangssituation, Entwicklung und Ertrag als innere und äußere Antithese das kunstkritische und kunsttheoretische Gespräch „Über W a h r h e i t und Wahrscheinlichkeit der K u n s t w e r k e " (1798). Aber diese Antithese trägt den Drang zur Synthese in sich, der Goethes gesamte Aussagen über das Verhältnis von Natur und Kunst mehr oder minder stark beherrscht. Wesentlich ist zunächst einmal, daß Goethe dabei vom Bühnenkunstwerk ausgeht, auch die Oper einbezieht, also nicht von der bildenden Kunst handelt wie in dem Stil-Aufsatz, der Propyläen-Einleitung oder dem novellistisch belebten Briefwechsel „Der Sammler und die Seinigen". Gerade der Umstand, daß er jedoch zu ganz entsprechenden Zielen der allgemeinen Kunstdeutung wie in jenen spezifisch bildkunsttheoretischen Abhandlungen hinarbeitet, bestätigt die bedingte Berechtigung, jene Aussagen auch für die Poetik heranzuziehen. Um so mehr, als das dichterische Kunstwollen der Klassik — wie mehrfach hervorgehoben — zum Bildkünstlerischen hinneigt. Im Hintergrunde steht K. Ph. Moritz' „Bildende Nachahmung des Schönen", wobei bildend als gestaltend, formend, prägend, darstellend über die Einzelkunst (bildende Künste) durchaus hinwegreichte. Zudem steht überall der Dichter Goethe auch notwendig hinter dem Bildkunsttheoretiker. In diesem Falle jedoch tritt er unmittelbar als Deuter des Dichtwerks und als Mann des Theaters — wie in der „Theatralischen Sendung" oder im Vorspiel zum „Faust" — vor die kunsttheoretische Frage.

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Wenn die von der Oper herkommende bekannte Schauspielerin Friederike Unzelmann (Bethmann-Unzelmann) dem Weimarer Theaterleiter Goethe, von dem sie ganz bewußt lernen wollte, über den Naturalismus der Hamburger Theaterschule Fr. Ludwig Schröders hinauszugelangen, in ihrer Bewerbung feierlich gelobte, sich nach Goethes Urteil „hinfort ganz zu bilden", so lag in diesem „bilden" auch ein Stückchen jener vertieften und erweiterten Bedeutung des Kunstwortes „bilden", das als Merk- und Kennwort der Zeit ein wenig auch zum Modewort wurde. Zwar Schiller fand ihre Darstellungsweise selbst in Weimar noch zu naturalistisch oder doch zu „natürlich" (an Körner). Aber die Art, wie sie die Phaedra (Racine) oder die Iphigenie (Goethe) auch in Haltung und Gebärde auffaßte, bekundet (wie überkommene Bilder zeigen) deutlich die Einwirkung des klassischen Kunstwollens, dem eine wenngleich entsprechend stilisierte Wahrheit höher stehen mußte als eine unstilisierte Wahrscheinlichkeit. Damals hatte sich das Kunstwollen der Klassik bereits zu behaupten gegenüber der Romantik. Auf den beispielhaften Einzelfall der Friederike Unzelmann, der hier zugleich für andere ähnliche Fälle stellvertretend gelten mag, bezogen, wird dies besonders eindrucksvoll sichtbar, weil sie an sich persönlich den Kreisen der Romantiker nahestand und durch Gestalt und Naturell dem romantischen Kunsttypus zugewiesen erscheinen mochte. Denn sie lernt zugleich die Ehrfurcht vor der Weihe des dichterischen Wortes als eines Eigenwertes. Wenn ihr A. W. Schlegel die „Achtung" vor dem Dichter hinsichtlich der gepflegten Verssprache und deren sprechkünstlerischer Beherrschung zuerkannte (an Schiller, Mai 1801), so bestätigt ihre (trotz einer verführerischen Anregung der Voss. Zeitung) aufrechterhaltene Weigerung, auch nur ein einziges Wort des „Iphigenie"-Textes fortzulassen und dadurch, wie sie verantwortungsvoll hervorhob, „den Jamben zu verkrüppeln", was sie sich an Respekt vor dem Dichterwort gewonnen hatte. Angeblich hätte jene empfohlene Fortlassung (jedenfalls nach Meinung der Voss. Ztg.) den Ausdruck „natürlicher" und also leichter verständlich gemacht, zum mindesten dem Durchschnittspublikum. Und mit ähnlichen Publikums-Urteilen und Vorurteilen setzte sich Goethes kunsttheoretisches Gespräch „Über Wahrheit und Wahrscheinlichkeit" auseinander, wenngleich gewiß von weit höherer Warte. Von einer Theaterdekoration, die das Wirklichkeits- und Wahrscheinlichkeitsprinzip des Zuschauers in

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Harnisch gebracht hat, über die Abwehr des aufklärerischen Wahrscheinlichkeitsanspruches gegenüber der Oper lenkt der „Anwalt" eines gereiften Kunstverstehens den „Zuschauer", der vorerst noch auf der Stufe der „halbgebildeten Liebhaber" steht, zu der Einsicht, daß das „Kunstwahre" nicht mit dem „Naturwahren" sich decke, daß ein begehrendes Interessiertsein bei der Kunstbetrachtung unwürdig sei (leichte Anklänge an Kant), daß die Selbstvergessenheit des kunstwilligen Zuschauers ein Zeichen der unbewußten Freude an der inneren, organischen Einheit, an dem Übereinstimmen des Kunstwerkes „mit sich selbst", an der inneren rein künstlerischen Folgerichtigkeit darstelle. Die besonders von dem Stil-Aufsatz her geläufige Wertungsskala wird, weniger grell belichtet als in der Propyläen-Einleitung (denn der „Zuschauer" soll nicht abgeschreckt, sondern vom „Anwalt" behutsam emporgezogen werden), wiederum andeutend sichtbar. Entsprechend der untersten Stufe der „einfachen Nachahmung der Natur", die als Vorstufe ein gewisses Eigenrecht eingeräumt erhält, wird derjenige Zuschauer, dem das Kunstwerk als Naturwerk im Sinne der Illusion zu „erscheinen" pflege, als an und für sich (weil überhaupt illusionsfähig) „dem Künstler auch lieb und wert" ermuntert, ohne daß jedoch ein Zweifel darüber gelassen würde, daß er „nur auf der untersten Stufe" verharre. Er erfüllt in Goethes Sinne nur die primitivste Voraussetzung, die immerhin den ersten schmalen Zugang zum Anstieg eröffnet. Auf dem Gipfel schaut die Welt der Kunst anders aus. Dort muß der Kunstwert-Aufnehmende erkennen, daß ihm das vollkommene Kunstwerk nur deshalb als Naturwerk erscheinen kann, weil es mit seiner „bessern Natur übereinstimmt, weil es übernatürlich, aber nicht außernatürlich ist". Nun kann aus der Antithese heraus der Versuch zu einer Synthese unternommen werden: „Ein vollkommenes Kunstwerk ist ein Werk des menschlichen Geistes und in diesem Sinne auch ein Werk der Natur. Aber, indem die zerstreuten Gegenstände in Eins gefaßt (Nachwirkung des „Idealischen") und selbst die gemeinsten in ihrer Bedeutung und Würde aufgenommen werden, so ist es über die Natur". Nicht eine Existenz materiell bereichern (Abwehr der Begehrenskräfte), nicht eine Existenz wiederholen (Abwehr der Naturnachahmung), sondern „eine höhere Existenz geben": darin liegen Wesen und Wert der Dichtkunst wie jeder Kunst begründet.

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Es ist ihre edelste Aufgabe, zum mindesten die Sehnsucht nach solcher „höheren Existenz" zu wecken. Vom Künstler aus gesehen, ergibt sich aus diesem hohen Anspruch zugleich die Schwierigkeit des Unternehmens. Denn es sei wohl leicht, dem Künstler anzuraten, die Natur zu studieren; aber es sei unendlich schwieriger, „aus dem Gemeinen das Edle, aus der Unform das Schöne zu entwickeln" (Maximen u. Reflexionen). Dennoch bleibt der Weg über die Natur und durch die Natur hindurch der wirklich fruchtbare. Und auch jene Sehnsucht nach einer Seinssteigerung durch die Kunst entzündet sich nicht zum wenigsten gerade an einem tiefen ahnungsvollen und andachtserfüllten Eindringen in die Natur. Der Naturdeuter und der Kunstdeuter in Goethe begegnen sich gleichsam zu erneuter Einsicht und Einschau in den „Maximen und Reflexionen" dort, wo die Erkenntnis und „Erfahrung" ausgesprochen wird: „Wem die Natur ihr offenbares Geheimnis zu enthüllen anfängt, der empfindet eine unwiderstehliche Sehnsucht nach ihrer würdigsten Auslegerin, der Kunst." Der idealisierende und stilisierende Anteil des Kunstwollens der Klassik, richtiger vielleicht die Abwandlungen des „Idealischen" im Sinne Winckelmanns durch das „Organische" im Sinne Herders und durch das „Edle" im Sinne K. Ph. Moritz' verbindet sich mit der ständigen Suche nach den Stufungswerten: Naturalismus, Manier, Stil in der längeren, leicht novellistisch eingekleideten Briefreihe bildkunstkritischen und bildkunsttheoretischen Inhalts „Der Sammler und die Seinigen" (1799). Nicht zufällig belebt sich die Briefform zum eingelagerten Kunst-,,Gespräch" gerade im sechsten Brief, der „Erfahrung" und „Schöpfung" ganz nahe und in einer für den Dichter Goethe bezeichnenden Weise aneinanderrückt, erneut den Ganzheits- und Einheitsbegriff herausarbeitet und die Erweckung des „Höheren, was in uns liegt", des Verehrungswürdigen und Menschenwürdigen, der Kunst zuweist. Aber Goethe geht hier weiter. Nach dem Anprall der ideebewegten Welt Schillers ist merklich ein Heimfinden zu seiner eigenen Wesenhaftigkeit erfolgt, mag immer mit dem Wortführer des Gesprächs Schiller gemeint sein. Auch die von Goethe selbst herausgearbeiteten Werte des Typischen und Symbolischen, des idealischen „Gattungsbegriffs", das „Bedeutende" und „Geisterhebende" gelten nicht mehr vorbehaltlos als die höchsten Ausprägungen künstlerischer Gestaltungsmöglichkeiten und Gestaltungsnotwendigkeiten.

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Eine auch sonst beobachtbare Rücksicherung gegen ein einseitiges Überspannen des Idealen und Typischen beim festen Halt des Realen und Besonderen wird unverkennbar, ein Wiedereinmündenlassen in das Individuelle, Persönlichkeitshaltige, Charakterklar-Umrissene nach dem Durchströmen des Allgemeinen und eine v e r s t ä r k t e Einbeziehung der ausgleichenden K r ä f t e und Gegenmächte des Charakteristischen: „Ein schönes Kunstwerk hat den ganzen Kreis durchlaufen; es ist nun wieder eine Art Individuum, das wir mit Neigung umfassen, das wir uns zueignen können." Diese Greifbarkeit des Charakteristischen im Sinne der Klassik ist indessen nicht einfach gleichzusetzen mit der Eigenwilligkeit und Einseitigkeit des Charakteristischen im Sturm und Drang. Aber die vielberufene „Kühle" der klassischen Gestalt soll merklich durch „Leben und Wärme" ausgeglichen werden. Rein anschauungsmäßig läßt sich, was Goethe hier den „Kreis" nennt, wohl noch faßbarer als Spirale umschreiben. Denn jene Stelle der Vollendung, an der das Kunstwerk wieder zu dem geistigen Ort des Besonderen, Individuellen, sinnlich Greifbaren sich zurückwendet, liegt doch eben auf einer höheren Entfaltungsschicht gegenüber dem Ausgangspunkt der einfachen Naturnachahmung. Wenn anders Schiller im „Gesprächsführer" — wie Korff vermutet und wie Einzelzüge andeuten — abgespiegelt worden ist, so hat sich jedenfalls Goethe diesen Schiller stark nach eigenen Wünschen umgemodelt. Wohl aber konnte vom Charakterdramatiker Schiller eine Erinnerung an den Plastiker Goethe ausgehen, über dem Typischen nicht das Ausdrucksstarke verloren gehen zu lassen, das im Besonderen schärfere Züge ausprägt, als im Allgemeinen möglich ist. Dagegen dürfte sich Goethe diese Wegberichtigung umgedeutet haben zu einem für ihn fruchtbareren Heimfinden zum ideellen Realismus. Denn als ein solches Heimfinden wirkt dieses ganze Gespräch, wenn daneben auch Versuche, wie etwa die Einbeziehung von Schillers Spielbegriff, unverkennbar sind. Auch die Einleitung zu den „Propyläen" hatte die schlichte Sinnesbezogenheit nicht vergessen: „Wer zu den Sinnen nicht klar spricht, redet auch nicht rein zum Gemüt"; aber dort war es mehr die edle Einfalt der Antike, die Klarheit erlösen sollte aus verworrenen Motivbezirken (darunter auch dem historischen). Goethe gewinnt nunmehr die eigene Grundhaltung zurück, um derentwillen ihn

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die sinnenfrohe, gestaltklare Kunst der Alten angezogen hatte, eine beseelte und geistig durchsättigte Naturnähe. Aus dieser Grundhaltung und der Abwehr romantischer Kunsttheoreme (mehr wohl als einer Abwehr Schillers) heraus will seine Erklärung im Brief an Schiller (6. März 1800 bzw. April 1801) verstanden sein: „Die Dichtkunst verlangt im Subjekt, das sie ausüben soll, eine gewisse gutmütige, ins Reale verliebte Beschränktheit, hinter welcher das Absolute verborgen liegt. Die Forderungen von oben herein (Abwehr der deduktiven Ästhetik) zerstören jenen unschuldigen produktiven Zustand und setzen — für lauter Poesie — an die Stelle der Poesie etwas, das nun ein für allemal nicht Poesie ist". Manche gattungstheoretische Überlegung war ihm aus dem geistigen Austausch mit Schiller zugewachsen, wie denn eine der größeren Abhandlungen „ Ü b e r e p i s c h e und d r a m a t i s c h e D i c h t u n g v o n G o e t h e u n d S c h i l l e r " (1797) den gemeinsamen Anteil überall ablesen läßt, wenngleich für Goethe die Rezension A. W. Schlegels (über „Hermann u. Dorothea") den naheliegenden persönlichen Anlaß bot. So erkennt man das Schmelzprodukt, wenn die Gegenstände zugleich „rein menschlich, bedeutend und pathetisch" sein sollen. Die Antithese entspricht im übrigen weitgehend unseren Anschauungen trotz mancher zeitbedingten Wandlung: Die „sinnliche Breite" des Epischen, das mehr den „außer sich wirkenden Menschen" zu bevorzugen habe, gegenüber dem Dramatischen, das mehr auf einen Punkt gerichtet (dramat. Konzentration) den „nach innen geführten Menschen" behandeln müsse, der ruhige Vortrag des Epikers, der unser „Interesse egal verteilen" und „hinter einem Vorhang am allerbesten" lesen würde (epischeDistanz), gegenüber dem Dramatischen mit seinen „viel lebhafteren Wirkungen" und starken Spannungsabstufungen. Vertraut ist uns auch der Gedanke, daß selbst die epischen Elemente innerhalb des Dramas „gleichsam darstellend vor die Augen gebracht" werden sollten. Anregend dagegen auch für heutige Erwägung erscheint der Gesichtspunkt, daß das Gleichnis und dichterische Bild beim Epiker berechtigter sei als beim Dramatiker, der die erste und zweite Anschauungsschicht weniger häufig zur Verwerfung kommen lassen dürfte. Goethes U n t e r s c h e i d u n g v o n R o m a n und D r a m a in einem der Kunstgespräche von „Wilhelm Meisters Lehrjahren" (V, 7)

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geht vorerst noch ganz auf eine möglichst klare Gegenüberstellung der Gattungen aus. Die von der einen auf die andere Gattung übergreifenden Elemente finden dort keine wesentliche Berücksichtigung. Der Rangstreit der Gattungen wird an sich berührt, aber bereits eingangs abgewehrt, weil beide Gattungen innerhalb ihrer wesenseigenen Grenzen und „in ihrer Art vortrefflich" sein könnten. Erinnert man sich daran, wie mühevoll der Roman als Kunstgattung um seine Geltung (und zwar auch noch späterhin) hat ringen müssen, wie J.H. Merck über den Mangel an epischem Geist geklagt hatte, so wird an einer derartigen Gleichstellung (zum mindesten der Vollendungsmöglichkeit nach) doppelt deutlich die hohe Aufwertung der Romangattung ablesbar, wie sie für den Dichter des „Werther" an sich nahe genug lag. Indessen nicht etwa auf den eigenen Roman seiner Frühzeit, auch nicht auf Wielands „Agathon" (wie Blankenburg in seinem „Versuch über den Roman", 1774) bezieht sich Goethe bei dieser Gegenüberstellung und Abhebung von Roman und Drama. Die B e i s p i e l e f ü r den R o m a n , und nur für ihn werden Beispiele genannt, sind vielmehr ausschließlich dem englischen bürgerlichen Familienroman entnommen, vor allem S. Richardson („Pamela, Clarissa Harlowe, Grandison"), H. Fielding („Tom Jones") und O. Goldsmith mit dem durch Bodes Übersetzung damals schonallgemein zugänglichen „Vicar of Wakefield". Goethe wählte offenbar gerade diese Beispiele und nicht etwa den kulturgeschichtlich reicheren Roman T. G. Smollets („Humphrey Clinker"), weil ihm ihre Hauptgestalten als Belege für seine gattungstheoretische These erwünscht sein mußten, wonach im Roman die Hauptgestalten mehr „leidend" sich verhalten oder doch jedenfalls „das Vordringen des Ganzen zur Entwicklung aufhalten" und also gleichsam „retardierende Personen" darstellen. Im übrigen war das Heranziehen englischer Romane (an sich lagen Jean Pauls Ansätze bereits vor) insofern gegeben, als dieses knappe Kunstgespräch, eigentlich nur das Resume eines Gesprächs und als solches ausdrücklich gekennzeichnet („das Resultat ihrer Unterhaltung"), umrahmt bleibt von dem Hauptgespräch über Shakespeares „Hamlet". So aber auch leuchtet ein, warum der passiv-retardierenden Funktion der Hauptpersonen eine so große Bedeutung (innerhalb der Gesamtkomposition) beigelegt wird. Denn es kommt offenbar darauf an, mit Bezug auf den „Hamlet" zu verdeutlichen, daß er sich insofern dem Epischen

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weitgehender annähere, als die dramatische Gattung an sich zulassen würde. Das gilt auch deshalb, weil Hamlet als Gestalt ganz von einer „Gesinnung" her gestimmt und bestimmt erscheint. Denn dies nun wird als ein weiteres Merkmal für die Zentralgestalten des Romans in Anspruch genommen. Von jenen erwähnten Romangestalten würden nämlich auch die „Begebenheiten" vorwiegend, wie es Goethe plastisch ausdrückt, „nach ihren Gesinnungen gemodelt". Demgegenüber drängt der Held des Dramas treibend-antreibend selber auf die entscheidende Entwicklung zu; er „hemmt" nicht selber, sondern wird gehemmt. Die Hindernisse, die sich ihm entgegenstellen, muß er durch sein Handeln überwinden und beiseiteräumen; oder aber er unterliegt ihrer Gegenkraft und Übermacht, die ihre höchste und erhabene Form als Schicksal entfaltet. Das Schicksalhafte komme demgemäß nur dem Drama zu. Auf der anderen Seite kann Zufallhaftes im Roman soweit geduldet werden, wie es sich von den Gesinnungen herleiten läßt. Indessen kann der Zufall wohl „pathetische" (theatralisch-gesteigerte bis erhabene ?), nie jedoch echt „tragische Situationen" herbeiführen. Goethe geht hier hinsichtlich der Bestimmung des Tragischen noch nicht so weit wie dann Schelling. Denn mit dem unschuldigen Tun läßt er noch mildernd (im Sinne eines Gerechtigkeitsausgleichs und im Rahmen des Ausgleichsstrebens der Klassik) ein schuldiges Tun verknüpft sein, also nicht allein aus der Schuldlosigkeit die hohe Tragik entstehen. Diese Beobachtung bestätigt von der Romantheorie her Goethes dramatisches Kunstschaffen. Jedenfalls ist sie entwicklungsgeschichtlich bemerkenswert. Das alte Redeverteilungskriterium der Vermittlungs- und Darbietungsart der Gattungen nimmt er nur beiläufig am Wege mit, dabei zugleich auf jene schwachen Dramen, die nur „dialogierte Romane" darstellen, kurz hindeutend, aber auch die Möglichkeit offenhaltend, „ein Drama in Briefen zu schreiben" (Rückblick auf den „Werther"?). Die gemessene Gangart des Romans, die beschleunigte des Dramas sind nicht übersehen worden. Dem Motiv nach ist der Roman auf Gesinnungen und Begebenheiten, das Drama auf Charaktere und Taten eingestellt und gattungsgesetzlich angewiesen. Der Begriff „Gesinnung" liegt etwa zwischen dem älteren „Denkungsart" und dem moderneren „Weltanschauung". Daher die starke Hervorhebung der „Gesinnungen" gerade im Bildungsroman der „Lehrjahre". Bei alledem bleibt die gattungs7 M a r k w a r d t , Poetik III

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theoretische Skizze, denn mehr will die Einsprengung des Gesprächs-Resumds nicht sein, nicht ganz unabhängig von dem größeren Rahmen (Hamlet-Gespräch), in den sie eingefügt ist. Was der Bildungsroman „Wilhelm Meisters Lehrjahre" selber bietet an Beiträgen zur Praxis und Theorie der Schauspielkunst, kann hier nicht näher erörtert werden. Die eingehenden Erläuterungen zur rechten „Hamlet"-Auffassung jedoch erwiesen sich als so unmittelbar anregend, daß der Braunschweiger Theaterleiter August Klingemann, der sich auch an das Faustmotiv heranwagte, unter Abwehr der Hamlet-Bearbeitungen durch Franz Heufeld (Wien 1772) und Fr. Ludwig Schröder (Hamburg 1777) seiner eigenen Bühnenbearbeitung von 1815 ausdrücklich den Titelzusatz mit auf den Weg gab „Nach Goethes Andeutungen im Wilhelm M e i s t e r . . D a s organische Einfügen der Einzelrolle in das dramatische Gesamtwerk, das Verstehen dieses Gesamtwerkes (gefördert durch kritische Leseproben) aus dem Kunstwollen des Dramatikers als unerläßliche Voraussetzung für die rechte Erfassung (und neubelebende Verkörperung) der Einzel-, gestalt, die Gewöhnung zunächst einmal an die wertvolle Kritik des theatralischen Kunstwerks, der Hinweis auf den Mangel an „produktiver Imagination" bei manchen der damaligen Schauspieler, das Hervorheben der „inneren Wahrheit der Darstellungskraft", die Aufgabe, das Publikum zu überzeugen und nicht nur zu überspielen: dies und manches andere Kunsttechnische fällt aus der Fülle fruchtbarer Andeutungen für die Theorie der Schauspielkunst ab auf jener Entwicklungsvorstufe für die „Regeln für Schauspieler". Der Punkt über das Geltenlassen und Beachten der Kritik erinnert zugleich daran, daß auch die Theaterkritik damals noch in ihren Anfängen steckte, so reichlich immer die Theater-Fachzeitschriften gerade in der zweiten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts vertreten sein mochten. Herrscht doch in der Epoche etwa von Lessings „Hamburgischer Dramaturgie" bis zum Ende des Jahrhunderts (und darüber hinaus) der aufklärerische Grundzug durchaus vor, waren die Einwirkungen des Sturmes und Dranges und der Klassik bzw. Romantik daran gemessen deutlich zurückgetreten. Zudem überwog trotz des zur Verfügung stehenden größeren Raumes (verglichen mit der späteren Zeitungskritik) anfangs die Dramen-Besprechung bei weitem die Aufführungs-Besprechung. Und nach vorübergehendem Ausgleich überwog dann erst am Jahrhundertende,

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also zur Zeit des „Wilhelm Meister", die Würdigung der theatralischen Leistung. Was die Zeitungs-Theaterkritik im engeren Sinne betrifft, so ist es der aus Livland stammende, journalistisch begabte und politisch eifrig wirksame und betriebsame NapoleonGegner und Goethe-Gegner Garlieb Merkel (1769—1850) gewesen, der im Rahmen der Spenerschen Zeitung die TheaterChronik übertragen erhielt. Bei dieser Gelegenheit bot G. Merkel, der unmittelbar nach dem Erscheinen des „Wilhelm Meister" ein Jahrzehnt in Deutschland verbrachte, einige grundsätzliche Bemerkungen über das Aufgabengebiet oder doch seine eigene Methode der Theaterkritik, die ganz auf das erzieherische Moment spätaufklärerischer Art eingestellt sind und durchaus dem geistigen Wuchsgrunde der Berliner Spätaufklärung entsprechen. Jedenfalls kamen die fortschrittlichen Ideen des Politikers G. Merkel in seiner Auffassung vom Wesen und Wollen der Theaterkritik kaum ernstlich zur Geltung.' Vorerst sind es noch recht magere Erträge: Beschränkung des Theaterkritikers auf das, was wirklich auf der Bühne vorgeht (Vermeidung von Theaterklatsch), Anwesenheit während der ganzen Dauer der Aufführung (was nicht selbstverständlich war), begründeter Tadel („meinen Tadel motivierte ich"; aber schon Lessing forderte das begründende „denn"), gern in Scherzform eingekleidet, zähes Sich-Durchsetzen des Kritikers angesichts eines Beharrens des Schauspielers bei seinen Schwächen usw. Schon während seines Weimarer Aufenthaltes in literarische Parteigruppen persönlich verstrickt (Gruppe: Herder u. bes. Karol. Herder, Böttiger, teils auch Wieland), fehlte ihm nicht allein die geistige Größe und die kritische Klarheit, sondern auch die innere Freiheit, um ein würdiger Nachfolger Lessings werden zu können. Er arbeitete zwar am „Freimütigen" Kotzebues mit, rang auch politisch um freiheitliche Gedanken (freundschaftliche Bekanntschaft mit Seume), blieb jedoch im Räume der Literatur dem Unverblümten, ja Unverfrorenen (zum mindesten Goethe gegenüber) weit näher als dem wahrhaft Freimütigen. Davon zeugen nicht zuletzt seine „Briefe an ein Frauenzimmer über die neuesten Produkte der schönen Literatur in Deutschland" (1801/03). Der Seitenblick auf die Theaterkritik und die Anfänge ihrer Theorie, durch den „Wilhelm Meister" nahegelegt, soll indessen nicht ablenken von den gattungstheoretischen Problemen, wie sie dort erörtert wurden. 7*

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Wieweit Goethe das eigentlich „Tragische" weltanschaulich und kunstanschaulich bejaht oder verneint hat oder ihm ausgewichen ist (an widersprechenden Äußerungen fehlt es nicht), wieweit er das „eigentlich" Dramatische im Theoretisieren und Produzieren rein erfaßt und verwirklicht hat oder verkannt und teils dialogisch, teils mimisch aufgespalten oder opernmäßig und melodramatisch abgewandelt hat (s. Fr. Sengle und dessen Rezensenten, darunter R. Petsch), dieser mehr den Sonderbezirk des Dramentheoretischen angehende Fragenkomplex ist in der Sonderforschung lebhaft erörtert worden. Wesentlich bleibt für das Ausgleichsstreben der Klassik, daß Goethe nicht nur in dem Aufsatz „ S h a k e s p e a r e u n d k e i n E n d e " (1813/16) als relativen Vorzug des neueren Dramas das dort mögliche „Gleichgewicht" zwischen Freiheit und Schicksal (vorerst in Abhebung von der antiken Tragödie, der doch auch ein „schönes Gleichgewicht", aber bedrängt vom despotischen Sollen, eingeräumt wird) herausstellte, sondern daß er darüber hinausgehend und nun auch den Katharsisbegriff entsprechend abwandelnd und ihn offensichtlich dem Kunstwollen der Klassik anverwandelnd in seiner knapp gefaßten „ N a c h l e s e z u A r i s t o t e l e s ' P o e t i k " (gedr. 1827) Katharsis geradezu als „die A u s g l e i c h u n g s o l c h e r L e i d e n s c h a f t e n " (Furcht und Mitleid) auslegt und als „ a u s s ö h n e n d e A b r u n d u n g " umschreibt. Das Ausbrechen der dramatischen Dynamik aus der harmonischen Umschränkung soll merklich abgefangen werden. Außerdem erscheinen die Gattungsgrenzen gelockert, denn jene „aussöhnende Abrundung" ist keineswegs auf die Dramatik beschränkt, sondern ist von jedem vollkommenen Gedicht zu fordern. Es wird sichtbar, wie das allgemeine Kunstwollen der Klassik nur behelfsmäßig zur Umschreibung der dramatischen Sondergattung die keineswegs spezifisch dramatisch bestimmte Idee der „Ausgleichung" und „Abrundung" heranzieht. Es liegt nur eine Übertragung einer allgemein ästhetischen Leitidee auf das Dramentheoretische vor. Der Terminus „Abrundung" und „Rundung" (auch Hölderlin u. a. fordern das Sich-„Ründen" des vollendeten Kunstwerks) war in der Poetik der Aufklärer bzw. Auflockerer bereits vorgebildet als „Ründe, Ründung, Rotundität" und ähnliche Bildungen. Es sei einmal klargestellt — da man teilweise die Wendung Goethes, daß Aristoteles „unter Katharsis diese aussöhnende Abrundung" (jedoch Lesart: „Befriedigung") verstehe, bevorzugt

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hat —, daß Goethe selbst dort, wo er die entscheidende AristotelesStelle richtig und regelrecht zu übersetzen meint, die Fassung bringt (und zwar ohne Lesart-Variante) „Ausgleichung solcher Leidenschaften". Er wiederholt noch einmal „mit Ausgleichung, mit Versöhnung solcher Leidenschaften", um dann erst den abwandelnden Ersatzausdruck „diese aussöhnende Abrundung" zu wählen. Das Aussöhnende wird am Beispiel des ödipus erläutert, wobei die andere Goethe gemäße Abwandlung und Umlagerung des Tragisch-Schicksalshaften zum „Dämonischen" (jedoch ohne Aufhebung des Schicksalshaften als des Typisch-Notwendigen) einbezogen erscheint. Denn trotz seiner „dämonischen Konstitution", die in diesem Falle dem unabwendbar Schicksalhaften entgegenkomme, werde ödipus trotz allem zuletzt doch „aussöhnend ausgesöhnt" erhoben. Goethe hat späterhin diese eigenwillige Auslegung des Katharsisbegriffs gegen philologische Einwände ausdrücklich mit dem Hinweis darauf verteidigt, daß diese Deutung seinem Wesen und Kunstwollen schlechthin unentbehrlich sei. Auch in diesem Falle versteht er unter dem Wahren das für ihn Fruchtbare. Die Eigenwilligkeit vertieft sich damit zur Eigenständigkeit und zum Einverständnis mit dem großen „Einklang" des Dichterischen, von dem der Dichter im Vorspiel auf dem Theater (Faust) so lebendig kündet. Zugleich kommt neben der Ausgleichs-Ästhetik der Klassik die klassische „Bildungs-Poetik" und der Gestaltungsprimat in dieser „Nachlese zu Aristoteles' Poetik" voll zur Geltung. Denn Goethe lehnt es nachdrücklich ab, daß jene AristotelesStelle sich, wie die Wirkungs-Ästhetik der A u f k l ä r u n g (Lessing) angenommen hätte, auf das Werkwirken und damit auf das Verhältnis von Dramatiker und Publikum, von Werk-Schaffendem und Werk-Aufnehmendem beziehen solle. Vielmehr ist Goethe im Sinne der Bildungs-Poetik und Gestaltungs-Ästhetik der Klassik der Überzeugung (er spricht in der „Nachlese" selbst wie auch in der späteren Verteidigung ausdrücklich von einer „Überzeugung"), daß nicht die Werkwirkung, sondern das Werk werden gemeint sei. Und nun wiederum nicht das chaotisch-schöpferisch drängende Werkwerden ohne „Besonnenheit" im Sinne der SchöpfungsP r o g r a m m a t i k des Sturmes und Dranges, sondern das souveräne Werk-„Bilden" und Werk-Gestalten, die „Konstruktion des Trauerspiels", also nicht das Verhältnis: Werk und Wirkung, sondern das Verhältnis Dichter und Werk, die innere Struk-

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turgesetzlichkeit, die zwischen Werk und Werk-Schaffendem webt und waltet. Nicht die Zuschauer haben eine Wirkung zu fordern, sondern das Werk fordert vom Dichter, so „gebildet" und „abgerundet" zu werden („wenn die Tragödie ein vollkommenes Dichtwerk sein soll"), daß jener Leidenschaftsausgleich im Werk selbst in aussöhnender Reifung und Rundung erreicht wird. Daher wohl auch wird für die Lesart „Befriedigung", die zu sehr die Wendung zum Wirkungskriterium zu vollziehen droht, das „Abrundung" eingesetzt, das auf die Werkformung, auf den Bildungsvorgang eindeutiger zugeht. Beim Lustspiel sei die entsprechende Aufgabe des Dichters eine „Entwirrung aller Verlegenheiten". Von jener Position aus, die eine grundsätzliche Verschiebung nicht nur der Folgerungen, sondern auch schon der Voraussetzungen gegenüber der Wirkungs-Poetik der Aufklärung bedeutet, nimmt nun Goethe erneut Gelegenheit, die sittliche Wirkungsmöglichkeit der Bühne überhaupt kritisch in Frage zu stellen. Gemäß der Autonomie des Ästhetischen verwirft er die an die Kunst herangetragenen moralpädagogischen Funktionen für alle Künste; denn „immer ist es falsch, wenn man solche Leistungen von ihnen verlangt". Moralität sei durch Philosophie (die voransteht) und Religion „allein" zu erwarten und zu fördern. Ethisch fruchtbare „Erweckungen" wären wohl gelegentliche, aber durchaus zufällige Begleiterscheinungen, aber keine wesenhaften Grunderscheinungen der Künste und dürften vollends nicht zu künstlerischen Zielsetzungen erhoben werden. Die Tragödiendichter würden zudem, wie die Erfahrung lehre, beim Aufstellen des bloßen Wirkungsprimats auch nur die Enttäuschung erleben, daß die Zuschauer „um nichts gebessert nach Hause gehen", bestenfalls aber in einem „vagen Zustand" entlassen würden, der nach dieser oder jener Seite ausschlagen könne. Alles was der verantwortungsbewußte Dichter tun könne, liege darin, die „Konstruktion der Tragödie" so anzulegen, daß er im Kunstwerk „etwas würdig Anziehendes" in sich vollendet und zweckfrei „abgeschlossen" hervorbringe durch Meisterung des Leidenschaftsausgleichs innerhalb des Werkes selbst. Eine Frage allerdings bleibt offen: was Goethe in diesem Zusammenhange mit „israelitischer Ästhetik" meint (eine Bemerkung, die in den Handschriften teils fehlt, dann nachgetragen wurde), wenn er den „halb scherzhaft-, halb ernsthaften Unterschied" von Tragödie und Komödie am Nicht-Gern-Sterben-Wollen einerseits

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und Gern-Heiratenwollen andererseits ein wenig bewußt billig erläutert. Fast scheint es so („niemand will sterben"), als ob er seine eigene Neigung zur versöhnenden Ausgleichung (der doch wiederum ein tiefes untergründiges Gefühl für das Tragische gegenübersteht) abschieben und verlagern möchte auf das Schuldkonto des Christentums, wie er denn auch — ein wenig auf Nietzsche vorausweisend — die Gefahr, daß eine „Milderung der Sitten" leicht in „Weichlichkeit" ausartet, durchaus klar ins Auge faßt (die Handschrift weiß denn auch noch von „energischen Nationen" zu berichten). Gegenüber dem strengen erhabenen Schicksalsbegriff der Antike würde dann zum mindesten im Unterton des Aufsatzes, der merklich persönlichen Bekenntnischarakter trägt, jener durch das Christentum (und selbst noch durch die Humanitätsidee?) gedämpfte und entkräftete moderne Schicksalsbegriff irgendwie bedauert. Schon in „Shakespeare und kein Ende", wo Goethe die Gegensatzpaare: „antik-modern, naiv-sentimental, heidnisch-christlich, heldenhaft-romantisch, real-ideal, Notwendigkeit-Freiheit, Sollen-Wollen" aufgestellt hatte, steht der Satz: „Durch das Sollen (im unerbittlichen Sinne des antiken Schicksals) wird die Tragödie groß und stark, durch das (sittlich-christliche, vermeintlich freie, moderne, unheldische) Wollen schwach und klein". Das Erhabene der Naturgesetze wird zum Einsatz gebracht, um an das „Wohl des Ganzen" zu erinnern. Dennoch steht bei den Griechen „ihr Sollen immer zu schroff da", um nicht das an sich gegebene (und vom Klassiker ungern aufgegebene) „schöne Gleichgewicht zwischen Wollen, Sollen und Vollbringen" zu gefährden. Also schon dort zieht es Goethe einerseits zur Strenge des antiken Schicksals, dem das echt Tragische und Heldische zugeordnet erscheint. Aber andererseits sieht er die Vorteile der Milderung ein, offenbar nicht zum wenigsten deshalb, weil er stimmungsmäßig nicht nur, sondern vor allem im Gesamt seiner Kunstanschauung zum Ausgleich neigte. Daß das Christentum diesen Ausgleich fördert, sieht er wiederum ein, ohne diese Hilfe gerade von dieser Seite (heidnisch-christlich, heldenhaft-romantisch), die zugleich die Seite der Romantik war, besonders zu begrüßen. Vielleicht deshalb wird in der „Nachlese zu Aristoteles' Poetik" jener Seitenhieb nachträglich (vgl. Lesarten der Handschriften) angebracht gegen die christlich- „israelitische Ästhetik". Goethe hat das Bedürfnis, sich abzusetzen; er will nicht falsch (als in einem bloßen Rückzugsgefecht des Alters befindlich) verstanden werden. Und

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so begrüßt er nur bedingt die Möglichkeit, über den christlichen Umweg zum alten Ideal des klassischen Kunstwollens, eben zur Ausgeglichenheit zu gelangen, das ja doch im Kern (Spannung im Barock) kein spezifisch christliches Ideal sein konnte. Wie die Idee des Dämonischen leicht naturwissenschaftlich gefärbt erscheint (selbst Vorstellungen von festen Erbbeständen ragen — „Urworte, Orphisch"—hinein), so wäre also vielleicht die tragischuntragische Ausgleichsidee leicht christlich gefärbt (mit leise „halb scherz-, halb ernsthafter" Entschuldigung vor diesem Kompromiß zwischen Klassik und Romantik). Doch können diese tiefergreifenden Fragen nicht im Vorübergehen geklärt, wohl aber konnte auf ihr Vorhandensein andeutend hingewiesen werden. Eine leise Verzichtstimmung, die gelegentlich zur Waffe des Humors greift, um mit Enttäuschungen fertig zu werden, umspielt diese spätherbstliche „Nachlese", die, während sie am Herausstellen der „Überzeugung" merklich Halt sucht, in Wirklichkeit doch sich selbst und die anderen mehr überreden als überzeugen möchte. Aber in dieser abgeschwächten Form wahrt sie dennoch mit zäher Treue Kernbestände des klassischen Kunstwollens trotz der Romantik, im Kleinen ähnlich wie Herders spätherbstliche „Kalligone" dem Frühling des Sturmes und Dranges die Treue abzwingen möchte trotz der Übermacht der Klassik. Der Rückbezug vom älteren auf den jüngeren Herder mag hier Anlaß geben, einmal einen Rückbezug vom älteren Goethe zum jüngeren Herder in Zusammenhang mit dem Aufsatz „Shakespeare und kein Ende" anzudeuten. Die vielfach beanstandete Umdeutung der Wirkungswerte Shakespeares vom sichtfreudigen Schau-Spiel auf das Lesedrama wird vielleicht verständlicher, wenn man beobachtet, wie Goethe zu Eingang des Aufsatzes geradezu mit den Gedankengängen des jungen Herder das Auge als den zwar klareren, aber seelenferneren Sinn umschreibt, während das Wort unmittelbarer zum inneren Sinn spreche. Zugleich setzt sich die ebenfalls schon vom jüngeren Herder vorbereitete Auffassung von der Dichtung „als geistiges Wort" durch. Den an sich für eine Shakespearedeutung vielleicht glücklicheren Weg über Herders Aufsatz „Bild, Dichtung, Fabel" geht hier Goethe nicht. Von „Einflüssen" ist bei alledem nicht die Rede, sondern von zeitgegebenen Wechselbezügen. Im Sinne einer ausbauenden Goethe-Deutung hat es J.Petersen unternommen, Goethes eigenen, in den „Noten und Abhand-

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lungen zu besserem Verständnis des West-Östlichen Diwans" ausdrücklich bekundeten Wunsch nach einem System der Gattungsaufteilung zur Erfüllung zu bringen unter Auswertung moderner Deutungswandlungen (ζ. B. beim Epos). Ausgehend von Goethes Anregung, die drei Hauptelemente der „klar erzählenden (Epos), der enthusiastisch aufgeregten (Lyrik) und der persönlich handelnden" (Dramatik) sogenannten „echten Naturformen" in einem Systemkreis sinnvoll dergestalt anzuordnen, daß durch weitere Ergänzung und Einfügung von Zwischenformen schließlich „der ganze Kreis in sich geschlossen ist", gelangt Petersens Konstruktion zu den drei Hauptfaktoren: monologischer Bericht einer Handlung (Epos), monologische Darstellung eines Zustandes (Lyrik), dialogische Darstellung einer Handlung (Drama), gliedert sie um das — von Goethe an anderer Stelle angedeutete — Zentrum der „Urdichtung" und füllt die Kreissegmente durch entsprechend eingelagerte Zwischenformen. Hinsichtlich der Goetheschen Deutung der „Naturformen der Dichtung" muß zugleich auf die einschlägige Abhandlung von R. Petsch hingewiesen werden. Jenes Hinabsteigen zu den „drei echten Naturformen", dem Epischen, dem Lyrischen und dem Dramatischen noch beim späteren Goethe bestätigt trotz mancher Widersprüchlichkeit in der früheren Gattungsbestimmung eine Wertüberprüfung der Gattungsgesetzlichkeit, die im Wesenhaften und Naturhaften der Gattungen Grundweisen des dichterischen Verhaltens und Verfahrens anerkennt. Es ist ein Hinabsteigen in dem Sinne, daß Goethe tiefer dringen möchte zu den Untergründen und Wuchs- und Lebensgründen der drei Gattungen als Kunstformen, eben zu dem, was er die „echten Naturformen" nennt. Im Erstreben und Bewahren des Zuchtvollen und beherrscht Umschränkten, im Abwehren von Bestrebungen, die dem Trugziel des möglichst Naturgetreuen die Gattungsschranken opfern wollten, im Abwehren einer leichtfertigen „Vermischung der verschiedenen Arten" hatte der Goethe der neunziger Jahre des achtzehnten Jahrhunderts teils im Briefwechsel mit Schiller (Dez. 1797), teils in den „Propyläen" (1798) die Reinerhaltung der gattungsmäßig bestimmten Wirkungsformen nachdrücklich verteidigt, nicht zufällig gewiß gerade in den Durchbruchsjahren der progressiven Universalpoesie der älteren Romantik, ganz abgesehen von der bekannten Forderung aus den „Lehrjahren" (V,7), daß sich Roman

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und Drama „in den Grenzen ihrer Gattung halten" müßten. Aber schon damals sieht Goethe, wie weiterhin in den betreffenden A n m e r k u n g e n zu Diderots „ R a m e a u s N e f f e " (1805) klar wird, in den Gattungen nicht einen starren Mechanismus — den er ζ. B. in dem „Fächerwerk" der Gottschedischen Dichtarten als durchaus dichtungsfeindlich empfindet, sondern einen Organismus, dessen innere Lebensgesetzlichkeit der schöpferische Gestalter allein voll erspüren und daher auch allein erfüllen kann. Das pulsierende Leben bedeutet kein schrankenloses Sichaustollen im Sinne einer geniezeitgemäßen Willkürfreiheit. Und der Gattungsorganismus hat seine Kern- und Keimkraft innerhalb seines Lebenskreises rein zu erhalten. In diesem Sinne sind das Epische, Lyrische und Dramatische „Naturformen", die dem Sprechen, dem Singen und der Gebärde und Geste entsprechen. Aber nicht allein ist es dem Organischen gemäß und ohne Schädigung seiner Kernsubstanz möglich, im gleichsam biologisch gesehenen Vorgang andersartige Teilorganismen fruchtbar und nutzbar in sich zu verarbeiten; nicht allein, daß der biegsam-lebendige Gattungsorganismus ausweitungsfähig und eben lebendig bleibt: es sind das zuletzt Entscheidende die drei naturformhaften „Dichtweisen" als ein organisches Bildevermögen und als Wuchsbedingungen, die durch die nur kunsttechnisch gesonderten Dichtungsarten hindurchgreifen und hindurchwirken dürfen. Sie müssen nur ihrem Wachstumsgesetz an sich und in sich immer treu bleiben, dann kommt es auf eine mechanisch räumliche Deckung mit den nur kunsttechnisch belangreichen Gattungsgebieten nicht ein. Goethe kennt durchaus auch jenseits des Dramas ein Dramatisches, jenseits des Epos' und des Romans ein Episches und jenseits des Liedes oder der Hymne ein Lyrisches schlechtweg. Es sind ihm das zuletzt nicht nur künstlerische, sondern allgemein menschliche Verhaltens-, Erlebnis- und Erlebnisbekundungs-Weisen. Zugestanden sei, daß Goethe zeitweise — nicht ohne Hinweis auf die „Alten" — die an sich organische Grundvorstellung sich verhärten und versteifen läßt als ein Beharrendes, Festes, daß dann eine Lockerung (etwa nach Schillers Freiheit in der Regel, Regel in der Freiheit) erfolgt und endlich ein ausweitendes Neubeleben seiner organischen Grundvorstellung sich durchsetzt. Auf höherer Schicht der Erfahrung und des Verstehens kehrt er über die Zwischenstufen der Antike zurück zum organischen Vorstellungsbild seiner früheren Herderzeit. Die Organismus-Ästhetik des Sturmes

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ond Dranges und die — anders geartete und doch in der Endform verwandte — Organismus-Ästhetik der Romantik werfen ihren Widerschein auf die Gattungstheorie Goethes und lassen als sinnvoll erkennen, was als widerspruchsvoll erscheinen könnte: die schöpferische Mächtigkeit und Tiefe bestimmt, wann und wieweit die „Naturform" sich öffnet und schließt, wann und wieweit sie andere Naturformen durchwächst und durchwaltet. Goethes organisch-biologische Kunstanschauung, im Kern der Herders näher verwandt und — verpflichtet, als vielfach noch zugegeben, bedurfte nicht eigentlich des romantischen „Einflusses", um diesen Weg zu diesem Ziel zu führen. Aber sie bedurfte der inneren Auflockerung des Antikisierend-Formstrengen. Die Sonderform der N o v e l l e , die Goethe aus Anlaß der Mitarbeit an Schillers „Hören" mit den „Unterhaltungen deutscher Ausgewanderten" (1795) im Sinne der angewandten bzw. werkimmanenten Poetik mustersetzend in Pflege genommen hatte, mustersetzend auch im engeren Sinne für L. Tiecks Theorie vom Wendepunkt, die Goethes Ferdinand-Novelle als Beispiel heranzieht, während die leicht novellistisch belebte kunstkritische Erörterung „Der Sammler und die Seinigen" doch nur als Grenzfall gelten kann (ähnliche belebend auflockernde Einkleidungen kunsttheoretischer Erörterungen waren bes. seit der Aufklärung vertraut), wurde nach den mehr anekdotisch angelegten Kurzgeschichten von den „Guten Weibern" und den beachtenswerten — von der Sonderforschung bereits entsprechend gewürdigten — ausgeprägten novellistischen Beständen in „Wilhelm Meisters Wanderjahren" doch erst grundsätzlich und ganz bewußt als eigene Gattung der Epik herausgestellt in der sogenannten „ N o v e l l e " (etwa 1825). Wie die B a l l a d e ganz bewußt von Goethe als neu von seinem Kunstwollen zu erobernde Gattung empfunden und aufgefaßt worden war (also im Sinne einer mustersetzenden Poetik), wie er mit den Balladen „recht nordisch" Heinrich Meyer „empfangen" will, nicht ohne Meyer gegenüber beruhigend hinzuweisen auf die Anpassungsbestrebungen dieser nichts weniger als antikisierenden Dichtart an das klassische Kunstwollen („indem wir Ton und Stimmung dieser Dichtart beizubehalten suchen, die S t o f f e würdiger und mannigfaltiger zu wählen besorgt sind", an H. Meyer, 21. Juli 1797), so scheint weit später erst trotz der schon vorliegenden eigenen Leistungen, Versuche und Bewährungen die Novelle gleichsam demonstrativ und repräsentativ als

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Musterfall in gattungstypologischer Hinsicht erfaßt und eben als „Novelle" gedeutet zu werden. Allerdings dürfte die Verlegenheit der rechten Titelwahl ein wenig mitgespielt haben, wenn Goethe in dem bekannten Gespräch mit Eckermann (29. Januar 1827) kurz entschlossen und ein wenig gewiß aus der Not die Tugend machend so entschied: „Wissen sie was, . . . wir wollen es die Novelle nennen", und diese Entscheidung so begründete, „denn was ist eine Novelle anders als eine sich ereignete unerhörte Begebenheit". Wenn er jedoch in diesem Zusammenhange die Novelle ausdrücklich von „bloßer Erzählung" abhebt und ihren „ursprünglichen Sinn einer unerhörten Begebenheit" bereits innerhalb der „Wahlverwandtschaften" erfüllt sieht, wenn endlich auch im Geschehensverlaufe der „Novelle" selbst noch einmal — und zwar m. E. glücklicher als in jener oft angeführten Definition — von dem „seltsamen unerhörten Ereignis" und dem „seltenen menschlichen Fall" die Rede ist, so ist doch offenbar mehr beabsichtigt als eine etwas von oben her vollzogene Notlösung. Es entspricht der Gewöhnung Goethes, dem rechten Verhältnis von geeigneten „Gegenständen" und Dichtarten bzw. Gattungen eine besondere kunsttechnische, aber auch wesenhafte Bedeutung beizumessen, wenn er dabei merklich vom Inhaltskriterium ausgeht. Aber ganz abgesehen davon, daß auch in diesem Falle eine Formfrage der gerechten Gestaltungsweise über die Exposition der „Novelle" (Gespräch vom 21. und 29. Jan.) vorausgegangen war: bereits gelegentlich der ,.Unterhaltungen deutscher Ausgewanderten" war die zwar noch nicht ausdrücklich so benannte, aber eben doch gemeinte Novellenform, wenigstens teilweise vom Formungskriterium aus mit bestimmt worden. Denn neben dem begrenzten Personenbestand werden Ausgeglichenheit und Geschehenstempo, das nicht Durchschnittliche, das nach Handlung und Gesinnung Notwendige und Unentbehrliche in einer sich beherrschenden Darstellungsweise, eine ebenfalls auf Ausgleichung eingestellte Charakteristik und als Wirkungskriterium das Sympathisch-Berührtsein und der „stille Reiz weiter nachzudenken" gefordert. Doch mischt sich auch damals schon das Inhaltskriterium stark ein. Es wäre nicht ohne Reiz, einmal zu überprüfen, ob nicht jene Forderungen mit ihrem merklichen Ausgleichsstreben mehr dem Kunstwollen der Klassik entsprechen, während die vielzitierte Definition von 1827 (wie teils auch die „Novelle" selbst) merklicher dem Kunstwollen der Romantik angenähert

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erscheinen könnte. Im übrigen wird die Würdigung des Kunstwollens der Romantik späterhin Gelegenheit geben, auf Goethes Stellung zum Volkslied und zu anderen Fragen einzugehen. Von dieser weit in die Romantik vorgeschobenen Position aus sei der Blick zurückgelenkt auf die in enger A r b e i t s - und Kampfg e m e i n s c h a f t mit Schiller verfaßten „ X e n i e n " (1796, erschienen im Musenalmanach auf das Jahr 1797) und die „ V o t i v t a f e l n " sowie auf benachbarte Gruppen von Distichen und Epigrammen, die für die Geschichte der Literatursatire oder auch der Kritik und des literarischen Geschmacks, besonders auch des Publikumsgeschmacks im Verhältnis zur klassischen Kunstleistung zuletzt doch wesentlich aufschlußreicher bleiben als für die Geschichte der Poetik und Literaturphilosophie. Denn diese zahlreichen, ζ. T. recht scharf geschliffenen und spitzig gefeilten Gedankensplitter zum Zeit- und Streitschrifttum des ausgehenden achtzehnten Jahrhunderts, die aus dem Nachlaß noch eine umfangreiche Ergänzung erfahren haben, gelangen über die destruktive Kritik an den aufklärerisch oder kirchlich gebundenen Gegnergruppen (wie etwa Nicolai, Gleim, Ramler, Hermes, Kotzebue, Manso, Reichardt, C. F. Cramer oder Fr. und Chr. Stolberg, Klopstock, Lavater, Claudius, Jung-Stilling, Ewald u. a.) nur gelegentlich hinaus und über die produktive Kritik zu positiven Zielsetzungen. Dann aber spiegeln diese Splitter doch eben nur das allgemeine dichterische K u n s t w o l l e n der K l a s s i k , teils polemisch gebrochen, teils klarer wider. Über das Persönliche und Kämpferisch-Gebundene hinweg ging es jenseits der das Ideal trübenden Beimischung künstlerischen Geltungsgefühls doch zuletzt um die teils aktive, teils mehr wertbewahrend passive Verteidigung des klassischen Kunstwollens schlechtweg. Nur so gesehen und von dem hier kämpferisch sich auswirkenden Kunstwollen her erklärt, verliert der hitzige Xenienstreit etwas von dem Beigeschmack einer nicht unbeträchtlichen Stilentgleisung, die in eigener Sache, aber doch auch um der Sache willen fraglos abglitt von der strengen Richtlinie klassischer Haltung, um bestenfalls einen Restbestand an äußerlich klassischer Gestaltung in die Formgebung der Distichen hinüberzuretten, wiederum nicht ohne Einmischung realistischer Derbheiten. Und bei alledem fragt es sich, ob auch nur die Stoßkraft Lessings oder Lichtenbergs erreicht wurde. Sowohl durch die „Xenien" als auch durch die „Votivtafeln" läßt sich der Glaube an den einen Geschmack (aller „Geschmäcke

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Geschmack") und die eine (idealische) Schönheit verfolgen, eine Lehre, die — kunsttheoretisch strenger beurteilt — selbst keineswegs so ganz frei war von Nachwirkungen der Aufklärer- und Auflockerer-Ästhetik. Der Gedanke, daß ein Genie nicht nur geboren, sondern auch „gebildet" werden müsse, begegnet ebensoin den „Xenien", die zugleich einmal die „Griechheit" gegenüber der „Gräkomanie" nach den Wertungskriterien „Verstand und Maß und Klarheit" bestimmen, wie in den „Votivtafeln". Aber wie der Griffel der „Votivtafeln" überhaupt die Schriftzüge tiefer gräbt und ruhiger zieht, als die teils gereizte Hast der „Xenien" im engeren Sinne es erlaubt, so erfährt sowohl die Idee der einen idealischen Schönheit als auch die für die Klassik grundlegende Idee des Bildens ihre weit tiefere und reichere Ausprägung in den „Votivtafeln". Das positive Ziel auserwählter Genien muß es sein, schöpferisch formanregend eine „lebendige Welt ewiger Bildungen", typischer und dauerwertiger Formungen wie lebenshaltige Keime „auszustreuen". Der ästhetische Imperativ „Bilde Schönes!", der dem ethischen vorausgehen sollte, weil jener sät, was dieser erhaltend und entfaltend nährt, muß stets verbunden sein mit dem Bewußtsein, daß bei der Schönheit (anders als bei der Wahrheit) die Gestaltung die Haltung einschließen und von sich aus werthaft bestimmen, also das „Gefäß den Gehalt" machen müsse (Primat der Gestaltung). Diese idealische Schönheit aber „ist ewig nur eine", wie mannigfach und „tausendfach" neuartig auch immer „das ewige Eins'* sich in „das Schöne" verbesondern und in der Erscheinung auseinandertreten mag (das idealisch Schöne im Verhältnis zum individuell Schönen). Nicht die Frage nach dem sittlichen Gehalt und nach der ideellen Sinnerfülltheit des Kunstwerkes darf — weil zweckbelastet — an den „Bildner des Schönen" von außen her herangetragen werden (Autonomie der Kunst). Die große lebendig wirkende Natur und lebendig formende Natur darf weder dem Moralisten noch dem bloßen Schwärmer ausgeliefert werden. Denn gerade ihr fällt als „fromme gesunde Natur" die erhabene Aufgabe des Mittlertums im Sinne des klassischen Ausgleichs zu (Naturidealismus). Das „Streben zum Ganzen" darf die „dienende'* organische Eingliederung des Einzelnen, der die Eigenmächtigkeit des Sturmes und Dranges verloren hat, nicht scheuen (Ganzheitsbegriff), aber muß doch das eigentliche Ideal festhalten: „es sei jeder vollendet in sich" (Vollendungsbegriff). Durchgängig lassen

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die „Votivtafeln", insofern stärker zu Schiller hinüberweisend, die Auseinandersetzung mit Kants Imperativ und die Entgegensetzung des ästhetisch-ethischen Imperativs deutlich ablesen, so bei der Gegenüberstellung von „erhabenen Seelen" und „schönen Gemütern" oder bei der metaphorischen Antithese vom „eisernem Stabe" und „rosichtem Band", das ein wenig rokokohaft eingefärbt erscheint. Die Abhebimg vom Rokoko erfolgt zwar mehrfach unverkennbar, obgleich andererseits gewisse Bindungen bestehen bleiben (ζ. B. auch im betonten Anmutsbegriff der Abhandlung Goethes „Über Laokoon", 1798, wobei der „Gefälligkeits"-Begriff vom rokokohaften Kunstwollen her nachwirkt). Dabei wäre terminologisch zu beachten, daß der „ästhetische" Mensch des Rokoko als „Schöngeist" bezeichnet wird, während der ästhetische Typus der Klassik (offenbar um des Wortspiels willen, aber nicht gerade glücklich angesichts des einstigen bei esprit) als der „schöne Geist" abgestuft erscheint, merklich in Angleichung an das „schöne Gemüt" und die „schöne Seele". Das mag genügen, um wenigstens einige wesentliche der kunsttheoretischen Bestände jener reichen und doch irgendwie innerlich armen, weil am inneren Stilbruch krankenden Sammlungen greifbar zu machen, die im ganzen doch mehr Bekanntes bestätigen als Neues ergründen. Im Bund Goethe-Schiller aber bewahren sie das Symbol eines kämpferischen Zusammenstehens schon bald nach dem endlichen und endgültigen Sichfinden. Und sie bewahren zugleich die leicht verwischte Erinnerung daran, daß die geistige und künstlerische Großmacht des klassischen Weimar gegen eine Unzahl und Überzahl von Zeitmächten sich durchzusetzen hatte. Indem die „Xenien" den kritischen Blick schärften und schulten für das, was als wesensfremd zu verwerfen war, förderten sie doch auch als Zeit- und Streitschrift die klärende Sicht für das, was als wesensgemäß dem klassischen Kunstwollen zugehörig war. So wirkten diese kampffrohen, aber auch besinnlichen Distichen und Epigramme zuletzt stärker auf das eigene Kunstwollen zurück im Sinne einer Kräftigung der eigenen Kunstgesinnung, die sich ja vielfach zur Kulturgesinnung ausweitete, als daß sie auf die widerstrebende Welt der Gegner oder der Lässigen und Lauen bessernd und bekehrend hinübergewirkt hätten. Auch für den Schiller von 1796 konnte es sich wesentlich nur um die Behauptung einer schon gewonnenen kunstanschaulichen Position handeln, die er um so entschiedener verteidigte,

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da er sie sich nicht ohne manche Mühen und Beschwerden und innere Überwindungen erobert hatte. Indessen für Schiller bot der Zugang zur Klassik manche Hindernisse, die er in männlicher Reifung vorbereitend lockerte im Schaffen und Umschaffen des „Don Carlos", im fördernden Verkehr mit Körner, die er teils auch umging durch Gewöhnung an gesicherte Sachlichkeit in geschichtlichen Studien und die er schließlich im zähen Drängen nach kunstverstandesmäßiger Erkenntnis weitgehend überwinden konnte, ohne .jedoch kampflos und restlos seine gesinnungsmäßige und künstlerische Eigenart aufzugeben. Ein gut Stück Willensidealismus war wirksam in diesem Erobern der Welt der Klassik, ähnlich wie im menschlichen Erlebnisbereich ein gut Teil Willensidealismus eingesetzt werden mußte, um den Träger des klassischen Ideals, Goethe, zu erobern und aufzuschließen zur Wirkungsgemeinschaft, zum wechselseitigen Verstehen und Ergänzen. Schillers ideelles Vorerleben war stark und tragfähig genug, um — anders als etwa bei Herder oder Kleist — den großen Einbruch Kantischer Ideen elastisch aufzufangen, ja in seiner Weise und nach seiner Art aufwerten zu können. Sein eigener Werkweg als schaffender Künstler hatte seine Spuren tief genug eingegraben, um auch nicht vom Historismus verwischt zu werden, um den Irrweg auch einer Vermischung von Geschichtswirklichkeit und Kunstwahrheit von Dichtung und Datentreue zu vermeiden, so etwa im Briefe an C. v. Beulwitz (10. Dez. 1788). An Schillers Entwicklungswende auf kunsttheoretischem Gebiet, die keineswegs als scharfer Entwicklungsumbruch sich vollzieht, sondern das scheinbare Entgegensetzen vielfach als ein reiferes Fortsetzen erkennen läßt und kaum noch allzu sehr Wielands Forderung nach größerer Reinheit des Geschmacks bedurfte, als Ansporn zu „wahrer Simplizität", liegen die beiden Dichtungen „Die G ö t t e r Griechenlands" (1788) mit dem parallel gerichteten Briefe an Körner (25. Dez. 1788) und „Die K ü n s t l e r " (1789) mit dem entsprechenden Briefe an Körner (9. Febr. 1789). Gewiß war es ein äußerer Anlaß, daß Wieland für den „Merkur" ein Schillersches Gedicht erbeten hatte. Nicht aber Zufall, sondern folgerichtiger Ausdruck seines Hineinlebens in die griechische Welt war es, wenn diese Dichtung die Götter Griechenlands als symbolische Verwirklichung eines Ideals verherrlichte, das bereits vom Rousseauschen Naturideal weiterwies in die Richtung der

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späterhin näher erläuterten „naiven" Empfindungsweise, wie er sie vor allem im Griechentum verkörpert zu sehen glaubte. Daß die „malerische Hülle" der Poesie diese Welt verklärt, daß die mit der Gegenwart kontrastierende Idylle verschönt im Schimmer rückschauender Sehnsucht auftaucht, darüber war sich Schiller durchaus klar wie auch über den vorwiegend symbolischen Geltungswert einer harmonischen Ausgleichung von Sinnlichkeit und Geistigkeit. Gedankengänge K. Ph. Moritz' werden berührt, wenn Schiller (an Körner, 25. Dez. 1788) die Zweckerlösung des in sich selbst vollendeten Kunstwerkes hervorhebt, und zwar mit persönlichem Einsatz: „Ich bin überzeugt, daß jedes Kunstwerk nur sich selbst, d. h. seiner eigenen Schönheitsregel Rechenschaft geben darf und keiner anderen Forderung unterw o r f e n ist." Indessen sucht Schiller wenigstens mittelbar den ethischen Wirkungsfaktor zu retten. Denn indem der Künstler unter Vermeidung einer absichtsbetonten Zweckmoral nur dem Schönen zustrebt, fällt ihm als Geschenk („Zugabe") der ethische Wert mittelbar dennoch zu, weil sich Schönheit schließlich doch in „allgemeine Wahrheit" auflösen läßt. Gerade wenn es der Künstler verschmäht, um „andere Kronen" zu werben, gewinnt er sie sich kampflos, denn: „Was schöne Seelen schön empfunden/ Muß trefflich und vollkommen sein." „Die Künstler" verraten, wie zäh Schiller an dem ethischen Ideal hängt, wie sehr ihm die Vorstellung der Schönheit als einer verhüllten Wahrheit (Shaftesbury: „all beauty is truth") dementsprechend zusagt. Die Kunst erscheint als Mittlerin zwischen dem Geistigen und Sinnlichen. Damit wird die Kunst zugleich zur Entsprechung der Menschlichkeit, des Menschentums gegenüber der Tierwelt einerseits und der Geisterweit andererseits. Manches klingt schon an Kants „Kritik der Urteilskraft" an. Das Zugangstor zur Vollkommenheit, Harmonie und Menschenwürde ist jenes „Morgentor des Schönen". Erst allmählich erhält das Kunstwerk die Position der letzten Veredlung zugewiesen; auch die Wissenschaftsform muß „der Schönheit zugereifet" sein. In verschiedenen Entwicklungs- und Werthöhenlagen kehrt das Schöne wieder auf der aufsteigenden Kulturspirale, anfangs noch dienend als dumpfer Antrieb zur Veredelung, schließlich aber zu heller Bewußtheit und im gewissen Grade auch zur Zweckbefreitheit sich erhebend. Schon klingt das interesselose Wohlgefallen an, wenn die kontemplativ-ästhetische Haltung sichtbar wird im I M t r k v a r d t , Poetik III

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Anblick beruhigter, überlegener geistiger „Freuden . . d i e seine Gier nicht in sein Wesen reißt". Wie Einzelzüge der „Künstler" auf die „Philosophischen Briefe zwischen Julius un4 R a p h a e l " (i. d. Thalia III, 1786) zurückgreifen, so läßt andererseits eine ganze Gruppe von kunsttheoretischen und kulturphilosophischen Äußerungen und Ausblicken — von der Sonderforschung im einzelnen nachgewiesen — bereits vorausschauen auf die „Briefe über die ästhetische Erziehung des Menschen", und zwar nicht nur auf deren Ableitung des genetischen Geschichtsverlaufes. Und wenn man (wie H. Cysarz betont und wirksam herausstellt) den Bezug auf die Briefe an den Herzog von Schleswig-Holstein-Augustenburg, also auf die ursprüngliche Fassung, herstellen will, so sind auch nach dieser Richtung hin die Bindungen und Verbindungen unverkennbar. Die ideeliche Grundkonzeption ist bereits vor Kants Einwirkung klar ausgeprägt. Ein kurzer Seitenblick auf die selbstkritische Besinnung des Dramatikers mag diese Skizze des Uberganges zum Kunstwollen der Klassik ergänzen. Schon in jenem bei der Würdigung des jungen Schiller erwähnten Brief an Fr. L. Schröder (18. Dez. 1786) hatte sich angesichts eines erneutenAndrängens der Bühnenwelt die Besinnung eingestellt, daß ein allzu starkes Gegenwärtigsein der Bühne beim dramatischen Schaffen den rein dichterischen Schaffenssinn zu stark ablenken könnte in die Richtung eines Wissens und entsprechenden Erstrebens der Bühnenwirkung. Ein derartig bühnenhöriger Dichter laufe Gefahr, „der augenblicklichen Wirkung den dauernden Gehalt, Classicität dem Glänze aufzuopfern — vollends wenn er in meinem Fall ist und noch über gewisse Manieren und Regeln sich nicht bestimmt hat." Keimhaft erlebt hier Schiller an sich selbst schon ein wenig die allgemein von K. Ph. Moritz erhobene Warnung, beim Schaffen zu sehr an die Wirkung zu denken. Aber noch geht es ihm mehr um den „freien und kühnen Wurf". Die Schwierigkeiten im Gestalten und Umgestalten des „Don Carlos" verstärken jedoch die Selbstkritik bis zu dem Grade, daß Schiller die Gattung des Epos' als ihm gemäßer in Erwägung zieht, wobei er dann alle gattungsgesetzlichen Forderungen, „die man an den epischen Dichter von seiten der Form macht, haarscharf erfüllen" will. Das alte Widerstreben, sich von der Gattungsgesetzlichkeit her Fesseln auferlegen zu müssen, schwingt noch

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mit; aber die Einsicht setzt sich zwangsläufig durch; denn „man ist einmal so eigensinnig (und vielleicht hat man nicht Unrecht), einem Kunstwerk Classicität abzusprechen, wenn seine Gattung nicht auf das Bestimmteste entschieden ist" (10. März 1789). Wenn Schiller Gottfried Körner gegenüber Ende 1786 eine Dichtung Stolbergs wohl wegen ihrer „ganz griechischen Simplicität" anerkannt, aber doch eingestanden hatte, daß er an diesem krampfhaften „Jagen" nach griechischer Einfachheit und Einfalt „keinen Geschmack" finden könne, so war ihm doch selbst das Ideal der „Klassizität" gerade um dieselbe Zeit (Brief an Schröder, s, 0.) schon einmal als erstrebenswert bewußt geworden. Und dieses Ideal gab ihn nun nicht mehr frei, bis er sich gelobte, nur nach einem gründlichen Studium der griechischen Meisterwerke und nach einer gründlichen Klärung seiner „dunklen Ahnungen von Regel und Kunst" selbst wieder die dramatisch schaffende Hand regen zu wollen. Seine geschichtlichen Studien und Reinholds Anregungen hatten ihn bereits vor 1790 mit kleineren Schriften Kants vertraut gemacht; die historischen Arbeiten überwiegen vorerst noch. Doch liest der Professor in Jena im Sommer 1790 eine öffentliche Vorlesung über die „Theorie der tragischen K u n s t " , die teils auf eigene Erfahrungen des Dramatikers, teils auf gewisse Einwirkungen K. Th. D a l b e r g s (Erfurt) zurückgeht, eines wenig bekannten Ästhetikers, der damals an seinen „Grundsätzen der Ästhetik" arbeitete. Zwei Aufsätze zur Dramaturgie nehmen von dieser ein wenig improvisierten Vorlesung manches auf und lassen andererseits gewisse Annäherungen an Kantische Vorstellungen erkennen. Der Aufsatz „Über den Grund des Vergnügens an tragischen Gegenständen" (1792), der merklich abrückt vom früheren dramaturgischen Vortrag (1784), sieht den eigentlichen und unmittelbaren Zweck der Kunst im „Vergnügen", aber nicht im sinnlich beengten Belustigen (das Physische), sondern im „freien Vergnügen" der geistigen Kräfte Vernunft und Einbildungskraft (Kant). Soweit erscheint eine Loslfcung vom moralischen Zweckprinzip gegeben, und zwar sollten dabei Mendelssohnsche Vorarbeiten nicht unterschätzt werden neben Kantischen Einwirkungen. Indessen wird das Moralische im Grunde nur umgelagert: es soll nicht mehr Zweck sein, wohl aber Mittel zum Zweck bleiben; denn das „freie" Vergnügen ist in seiner Entstehung „schlechterβ·

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dings nur durch moralische Mittel" erreichbar. Abgehoben wird die „Würdigung der Kunst" (offenbar Bewertung, Rangstufe); für sie ist es „einerlei", ob der Zweck oder nur das Mittel moralisch ist, da sie in beiden Fällen sittlich hochwertig wirkt. Anders steht es mit der „Vollkommenheit der Kunst"; für diese rein ästhetische Vollkommenheit darf der Zweck nicht moralisch sein, da sie dann ihre Freiheit und den Reiz des Vergnügens verliert. Denn dieses Spiel gerade ist es, wodurch die Kunst sowohl ihre ästhetische Mission unmittelbar erfüllt wie mittelbar doch auch „wohltätigen Einfluß" auf die ethische Haltung zu gewinnen vermag. Die Z ä h i g k e i t des ethischen P r i n z i p s wird ablesbar an dem Umstand, daß nicht nur neben der Prägung „freies Vergnügen" die andere „moralische Lust" sich merklich durchsetzt, sondern auch die Verbindung „moralisches Vergnügen" auftaucht. Ein Kompromiß wird deutlich erstrebt, wobei die sittliche Freiheit auch angesichts des sinnlichen Leidens bereits die Brücke schlagen hilft zur Freiheit des geistigen Vergnügens. Für die Klärung des Begriffes „Vergnügen", des Lustempfindens „an tragischen Gegenständen", erweist sich der ethische Faktor geradezu als entscheidendes Kriterium. Die Vorstellung und das Empfinden einer höheren, moralischen Zweckmäßigkeit ermöglicht ein geistig freies Vergnügen trotz der untergeordneten und als Voraussetzung notwendigen Zweckwidrigkeit, ermöglicht „Lust durch Unlust". Gerade im Widerstreit mit den Naturkräften entfaltet sich die ganze Macht des Sittengesetzes. Die naturhaft-sinnliche Zweckmäßigkeit ist der übergeordneten individuellen, moralischen „oder auch eine moralische Zweckmäßigkeit der andern, die höher ist", etwa der sozialen bzw. soziologischen Zweckmäßigkeit („bürgerliche Verbindlichkeit" sagt Schiller) aufzuopfern. Dementsprechend ergäbe sich eine „Stufenleiter" des so verstandenen und vertieften Vergnügens, die Schiller indessen nur im Rohbau entwirft. Die Abhandlung „Über die tragische K u n s t " (1792) erläutert unter Teilauswertung früherer Deutungsversuche das Vergnügen am Mitleiden als ein Lustempfinden am „sympathetischen Leiden", als ejn Wohlgefühl angesichts des gesteigerten Tätigkeitstriebes, der durch den „traurigen Affekt" hochgradig angeregt werden kann. Und in der Tat angeregt wird, weil das Bewußtwerden der sittlich-vernunftmäßigen Freiheit erst vom Anblick des Leidens voll herausgefordert erscheint. Die Zweckbestimmung der tragischen Wirkungsform — denn· Zweckbindung besteht

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noch —, die in enger Anpassung an Lessing die Tragödie als „poetische Nachahmung einer mitleidswürdigen Handlung" umschreibt, trägt durch das betonte Attribut „poetisch" Sorge für eine befreiende Abgrenzung gegenüber der historischen Wirklichkeit einerseits (Verhältnis von Dichtung und Datentreue) und der Naturwirklichkeit andererseits. Nicht aber darf sich der Tragödiendichter dem „strengen Gesetz der Naturwahrheit" entziehen, wobei jedoch „poetische Wahrheit" genügt. Von einem Abbiegen zum „Typus des Heiligen" (Oertel) kann nicht ernstlich die Rede sein. Als Träger der Rührung sind vielmehr „gemischte Charaktere" zu bevorzugen. Denn dem Sinnlichkeits-Überlegenen, der sich einer „reinen Intelligenz in ungewöhnlichem Grade nähert", fehlt der erhebende Kampf mit den sinnlichen Gegenkräften und daher auch das eigentlich tragische Pathos, während sein Gegentypus, der Sinnlichkeit-Verfallene, in seiner hilflosen Hingegebenheit ohne sittliche Gegenwehr und Aufschwung weit eher Unwillen und Abscheu als Mitleid und Rührung erregt. Das Ideal verlagert sich allmählich von der sinnlichen (und „lauten") Größe (der junge Schiller) zur werthaltig sittlichen Größe, deren Bewährung trotz Schuld und Schicksal Achtung erzwingt. Im wesentlichen ist der Aufsatz Lessing, ζ. T. auch Mendelssohn verpflichtet; Kantische Einflüsse sollten nicht überschätzt werden, sind jedoch immerhin in dem Grade spürbar, daß man mit einer gewissen Berechtigung von einer Synthese der Tragödientheorien Lessings und Kants sprechen könnte. In dem Sinne nämlich, daß Schiller mehr und mehr neben dem Rührenden dem Erhabenen, neben der sinnlichen Rührung der erhabenen Rührung (in der Wirkungsrichtung einer lusterregenden Erschütterung), der Lust, der „Wohllust", dem Wohlgefallen an der sittlichen Wertbewahrung an Geltungsrecht einräumt. Im Vorausblicken auf den gemeinsam mit Goethe konzipierten Aufsatz „Uber epische und dramatische Dichtung" interessieren die Ansätze zu einer Gattungsdeutung, die ζ. B. gegenüber der Epik die volle Gegenwärtigkeit der Dramatik herausstellt. Epos und Roman wahren durch Zwischenschaltung des Erzählers weiteren Geschehensabstand und rücken so auch für den Leser die Handlung „in die Ferne". Gedämpfter Affekt (Epos) ist das Ergebnis gegenüber der Affektballung im Drama. Schiller sucht Wesentliches zu konzentrieren in der Prägung: „Alle erzählenden Formen machen das Gegenwärtige zum Vergangenen (da nachträglich berichtend).

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alle dramatischen machen das Vergangene gegenwärtig." Das handlungsmäßige Umsetzen der Empfindung in Dynamik der Begebenheiten bietet die Abstufung vom lyrischen Wirkungstypus, der wohl auch eine Gegenwärtigkeit erfaßt (damit berührt Schiller bereits modernere Deutungen der Lyrik), aber nur eine „gegenwärtige . . . Gemütsbeschaffenheit des Dichters". Das vermag die Dramatik als lyrisches Ingredienz einzubeziehen in ihren eigenen Darstellungsbereich. Die eigentliche Lyrik jedoch (bes. Lied, Elegie, Ode) bleibt eingeschränkt, aber auch konzentriert auf jene „Darstellungen von Gefühlen", die für den Dramatiker nicht ausreichen. Mit der Einbeziehung des Formbegriffes in den Zweckbegriff drängt Schiller über seine Vorgänger hinaus; denn erst die „glücklich beobachtete Form" verbürgt Zweckerfüllung. „Form" meint vorerst noch ein zielstrebiges Zusammenwirken aller Darstellungsmittel, „wodurch eine Dichtungsart ihren Zweck erreicht". Entsprechend dem Wirkungszweck ist auch die Wirkungsform gattungsmäßig gestuft und also verschieden geartet. Ja, das Unterscheidungskriterium der Gattungen liegt letzten Endes überhaupt im Verhältnis dieser Form zum Zwecke: „Das Produkt einer Dichtungsart ist vollkommen, in welchem die eigentliche Form dieser Dichtungsart zur Erreichung ihres Zweckes am besten benutzt worden ist" (Nachwirkung Lessings) Vor einer Uberbewertung des Stoffes wird ausdrücklich gewarnt. Vollkommen ist die Tragödie, in der das erregte Mitleid weniger eine Wirkung des gewählten stofflichen Motivs als vielmehr der am besten (als Mittel) angewandten tragischen Form ist. Diese höhere Formbewertung verdient Beachtung im Rahmen der Annäherung Schillers an das klassische Formideal. Die beiden Abhandlungen über das dramatische Wirkungsziel sind für die reine Ästhetik weniger bedeutsam; aber fruchtbarer für ein Ablesen seiner angewandten Poetik. Schiller hat in einem Briefe an Humboldt im Hinblick auf seine Bemühungen um eine zweckbefreite Ästhetik deren Wert für die im Kunstschaffen anwendbare Kunstdeutung und die produktive Kritik durch kunsttheoretische Forderungen selbst skeptisch so abgegrenzt: Es ist ja überhaupt noch die Frage, ob die Kunstphilosophie dem Künstler etwas zu sagen hat. Der Künstler braucht mehr empirische und spezielle Formen, die eben deswegen für den Philosophen zu eng und unrein sind; dagegen dasjenige, was für diesen

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den gehörigen Gehalt hat und sich zum allgemeinen Gesetze qualifiziert, für den Künstler bei der Ausübung immer hohl und leer erscheinen wird." Trotzdem hat Schiller auch dort, wo es nicht um den Aufbau und Ausbau einer eigenen Ästhetik ging, nämlich in seinen l i t e r a r i s c h e n K r i t i k e n , gern eine theoretische Ausgangsstellung eingenommen, die besonders in der Matthisson-Kritik ganz in ästhetischen Theoremen sich bewegt, und zwar bereits unter der Einwirkimg Kants. Immerhin bieten diese Rezensionen eine Reihe von Beiträgen für den engeren Bezirk der Kunsttheorie. Die Rezension „Über B ü r g e r s G e d i c h t e " (Jan. 1791 i. d. „Allgemeinen Literatur-Zeitung") hält sich relativ frei von ästhetischen Konstruktionen, beweist aber gerade durch dieses noch relative Freisein von Kantischen Einwirkungen, daß Schiller selbständig bereits den Weg der „Künstler" weiterging. Ja, die Hervorhebung der Gabe und Aufgabe der Dichtkunst, in dieser Zeit der Zersplitterung in geistiges und berufliches Spezialistentum („Vereinzelung und getrennten Wirksamkeit unserer Geisteskräfte") ein heilsames Gegengewicht zu schaffen, Kopf und Herz, Vernunft und Phantasie wieder zur organischen Eintracht zu bringen, die Diskrepanz der „abgezogenen Vernunftwelt" und der sinnenhaften Wirklichkeitswelt mit ihrer Gegenständlichkeit wohltuend aufzuheben und zu überwinden und dergestalt „gleichsam den ganzen Menschen in uns wieder" herbeizuführen und „herzustellen": diese bemerkenswerte (und von der Sonderforschung bemerkte) Hervorhebung könnte schon ein wenig auf die dann in den „Briefen über die ästhetische Erziehung" gewonnene Position vorausweisen. Die Annäherung an die Haltung der Klassik ist unverkennbar wirksam. Und eben diese Annäherung brachte im ganzen kritischen Verstehen bzw. Nichtverstehen Bürgerscher Eigenart notwendig eine schiefe Sicht- und Richtlinie in diese Kritik. Bürgers eigenwilliges, aber auch eigenwertiges Kunstwollen, seine auch theoretisch vertretene Forderung einer „populären", einer volksnahen Dichtung stößt sogleich auf schroffe Bedenken, die verraten, wieweit sich der reifende Schiller von der Vorstellungsschicht der Geniezeit fortbewegt hatte. Das teils noch auf Herder zurückweisende Zugeständnis, daß die Reife des „philosophischen Zeitalters" gerade der Lyrik Entfaltungsmöglichkeiten vorenthalte, tritt doch zurück gegenüber der Zuversicht, jene Trennung von „Kopf und Herz" aufhebend über-

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brücken und die auseinanderstrebenden Kräfte zu erneuter Synthese im „ganzen Menschen" zusammenzwingen zu können. Literaturphilosophisch beachtlich erscheint es, daß es vorerst spezifisch das Dichterische, noch nicht die Weite des Ästhetischen ist, das jene erhabene Aufgabe zuerteilt erhält. Doch verbindet sich bereits die Forderung einer „idealisierenden Kunst" mit der späterhin bei Platen und im Münchener Dichterkreise bei Geibel, P. Heyse, Graf Schack, aber etwa auch bei Robert Hamerling u. a. wiederaufgenommenen Forderung einer im Persönlichkeitswert charaktermäßig gesicherten Würde und Würdigkeit des K u n s t s c h a f f e n d e n , der als „vollkommener Geist" den ethischen Auftrieb besitzen muß, sich „zur reinsten, herrlichsten Menschheit hinaufzuläutern". Nur eine hochwertige Persönlichkeit ist zum -Dichter für das Volk berufen, das er durch ein „bildendes" Emporziehen, nicht aber durch ein beifallshungriges Hinabsteigen und ein äußerliches Anbiedern gewinnen und gleichsam kunstreif machen muß. Dabei trägt die ideale Zielprägung einer ästhetischen Erziehung moralpädagogische Färbung, die durch die Deckschicht der Humanitätsidee deutlich hindurchschimmert, wenn etwa erhofft wird, daß „da** geübte Schönheitsgefühl den sittlichen Trieben eine Nachhilfe" bieten und eine „Reinigung der Leidenschaften" durchsetzen werde. Die Hinwendung zum Typushaften, Gattungsmäßigen, zur reinen Menschlichkeit der Klassik fordert vom idealen Volksdichter das Herauslösen und Auswerten dessen, was „bloß menschlich" ist; gewiß nicht ohne eine beachtenswerte Möglichkeit der Lockerung und Lösung vom blassen Bildungserleben aufzudecken. So glaubt Schiller den dergestalt „verfeinerten Wortführer der Volksgefühle" in eine gewisse Versöhnung mit dem Bildungsideal der Klassik bringen zu können. Aber das entsprechende Lockern, ja teilweise Zerreißen volkstümlicher Verwurzelung, die einst Herder gepflegt und gefühlt hatte, das Fühlungverlieren der Klassik mit volkstümlicher Eigenwüchsigkeit und Urwüchsigkeit tritt doch selbst bei einem Schiller, tritt gerade in seiner BürgerKritik mit aller Deutlichkeit in Erscheinung. Und es wird noch das andere sichtbar bloßgelegt, daß nämlich gerade die Lyrik in ihrem Grundwesen als unmittelbarer Gefühlsausdruck mit voller Erlebnisgegenwärtigkeit betroffen werden mußte durch den auch theoretisch empfohlenen leidenschaftdämpfenden Erlebnisabstand im Dienste klassischer Klärung und Beruhigung,

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die doch unleugbar eine Schwächung der Ausdruckskraft und eine Brechung der Unmittelbarkeit in sich schloß. Nachdrücklich warnt Schiller: „ein Dichter nehme sich ja in acht, mitten im Schmerz den Schmerz zu besingen. So wie der Dichter selbst bloß leidender Teil ist, muß seine Empfindung unausbleiblich von ihrer idealischen Allgemeinheit zu einer unvollkommenen Individualität herabsinken". Aufklärerische Restbestände deuten bis auf Weise zurück, wie denn nicht zufällig in diesem Zusammenhange der kritische Gedanke auftaucht, daß die „Aufklärung der Begriffe und sittliche Veredelung" in der damaligen Gegenwart eine volkstümliche Dichtung in Bürgers Sinne verhindern oder doch wesentlich erschweren. Symptomatisch für diese Haltung ist zugleich die Verteidigung des guten Geschmacks und die Voraussetzung eines Eingeweihtseins in die „Mysterien des Schönen, Edeln und Wahren", wie denn überhaupt die Rückbeziehungen der Klassik auf den rationalistischen Frühklassizismus — nicht nur weltanschaulich, sondern auch kunstanschaulich — stärker angesetzt werden müssen, als es noch vielfach geschieht. Was den Lyriker betrifft, so erstrebt auch für ihn das Typische in seinem Ablösungsbemühen vom Individuellen eine „gewisse Allgemeinheit in den Gemütsbewegungen". Der Dichter hat bereits rein „poetisch" zu empfinden, nicht nur poetisch durch formale „Idealisierkunst" zu gestalten. Und wie von der Sinnlichkeit und Affektgebundenheit muß er sich auch von der Gegenwärtigkeit des Erlebens und Erfühlens „loswickeln und frei und kühn in die Welt der Ideale emporschweben". Eine wesentliche Vertiefung erfährt die Idealisierungs-Forderung durch innige Einbeziehung, ja Ineinssetzung mit dem Freiheitsbegriff, dessen grundlegende Bedeutung für Schillers Ästhetik auch Korff (wie G. Baumecker) scharf herausarbeitet und auf den hier ergänzend für die Bürger-Kritik hingewiesen werden mag. Denn jenes Idealschöne beruht auf „Freiheit des Geistes" und auf dem Einsetzen der befreienden „Selbsttätigkeit" gegen die übermächtigen Angriffe des Affekts. Und dem Schwung Schillerscher Begeisterungsfähigkeit gelingt es in der Tat, den an sich nicht hochgeistigen Vorstoß hinsichtlich der „Versündigungen gegen den guten Geschmack" von der rationalistisch-frühklassizistischen Fläche der Geschmacksebene emporzutragen zum Pathos und Ethos seiner Prägungen vom Dichtertum: „Nur die heitre,

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die ruhige Seele gebiert das Vollkommene.... Wenn es auch noch so sehr in seinem Busen stürmt, so müsse Sonnenklarheit seine Stirne umfließen." Doch überschneidet sich das Kunsttheoretische teils empfindlich mit Persönlichem, wobei die „männliche Reife" und „männliche Würde" leicht zurückweist auf das Problem der Altersstufe. Generationsmäßig wäre die Verbindung von künstlerischer Vollkommenheit mit männlicher Reife immerhin interessant; denn für die Geniezeit war der „fühlbare Jüngling" die maßgebende Instanz gewesen. Die „Verteidigung des R e z e n s e n t e n " (1791) gegenüber Bürgers „Vorläufigen Antikritik und Anzeige" hält durchaus die frühere Linie einer „idealischen Seelenstimmung" inne trotz der in Bürgers „Antikritik" ausgesprochenen Warnung vor „Abstraktionen von Empfindungen". Sie zeigt — was hier wesentlich ist —, daß Schiller nicht eine Einzelkritik, sondern „seine Kunsttheorie" in jener Aburteilung Bürgerscher Dichtart bieten wollte, zeigt aber auch die rückwärtige Verbindung mit der rationalistischen Geschmackslehre, wenn hervorgehoben wird: „Die Rede ist von Grundsätzen des Geschmacks." Die Eingangspartie der überaus wohlwollenden Rezension „Über Matthissons G e d i c h t e " (1794) verarbeitet inzwischen gewonnene Bauglieder der Schillerschen Ästhetik, gewinnt jedoch bald Anschluß an die Gedankengänge der Bürger-Kritik. Und zwar dort, wo eine Zurückdrängung des Individuellen zugunsten des Gattungsmäßigen vertreten wird. Der Dichter vermag das Individuelle nur dann in sich „auszulöschen" und zum Gattungshaften, Gattungsgültigen zu steigern, wenn er nicht mehr Einzelperson mit Zufallsbindungen bleibt, sondern „als Mensch überhaupt", also im Sinne reiner Menschlichkeit empfindet. Schiller verschärft diese Anschauung bis zu der Form: „Jeder individuelle Mensch ist gerade um soviel weniger Mensch (nämlich Menschheitstypus), als er individuell i s t . . . . Nur in Wegwerfung des Zufälligen und in dem reinen Ausdruck des Notwendigen liegt der große Stil". Schillers Wohlwollen gegenüber Matthisson gelingt es, mit theoretischen Stützungen die relative Berechtigung der Naturschilderung zu retten, obgleich grundsätzlich in Frage gestellt schien, ob Naturschilderung überhaupt in den Bereich wertvoller Kunstübung einzubeziehen sei, da sie unter und außer der Sphäre des Menschlichen liege und angeblich auch die mustersetzenden Griechen keine reine Naturschilderung in die hohe

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Kunstleistung aufgenommen hätten. Durch Unterscheidung der „schönen" von der „angenehmen" Kunst, wobei der „angenehmen" auch außermenschliche Objekte zugebilligt werden, und durch eine „symbolische Operation", die sowohl Empfindungen als auch Ideen erfassen kann, ist ein Hintiberspielen des Naturreiches ins Menschenreich dem Dichter möglich gemacht worden. Dabei dürfen die Ideen nur andeutend, „anspielend" dargestellt werden als „aesthetische Ideen". Schiller fühlt selbst die Gefahrenzone allegorischer Abstraktion und sucht sein Ideen-Symbol vor diesem Abgleiten in die Allegorie zu bewahren. Die Symbolisierung der Empfindungen wird u. a. durch musikalische Elemente und die bekannte Parallelwirkung von Gemütsbewegung und Naturgeschehen darstellungstechnisch erleichtert. Ästhetische und ethische Bildungskräfte können sich verschmelzen, indem die Naturschönheit zugleich den „aesthetischen Sinn entzücket" und den „moralischen befriedigt". Darüber, daß nicht der „Stoff", sondern nur die „Behandlungsweise" es ist, „was den Künstler und Dichter macht", läßt die Rezension keinen Zweifel. Die erwähnte kunsttheoretische Grundlegung zu Eingang der Matthisson-Kritik setzt das eingehende Kantstudium Schillers voraus. K a n t s „ K r i t i k der U r t e i l s k r a f t " (1790) war kaum in dem Grade wie seine „Kritik der reinen Vernunft" (1781) originale denkerische Höhenleistung. Besonders das Dartun des ästhetischen Verhaltens bzw. der ästhetischen Funktion als ein „interesseloses Wohlgefallen" konnte sich auf fremde Vorarbeit stützen, lag jedenfalls weitgehend vorgebildet bereit (Burke, J. Riedel, Mendelssohn, ζ. T. auch K. Ph. Moritz). Kant verankerte indessen die Interessebefreitheit des reinen Anschauens in seinem System der „reflektierenden Urteilskraft". Andererseits erschwerte er das Klarstellen der Zweckbefreitheit durch die Einbeziehung des Zweckmäßigkeitsbegriffes, wenn auch nur einer „subjektiven" Zweckmäßigkeit. Das Fühlen als dritte Funktion der Vernunft (neben Denken und Wollen) erfaßt den Erfahrungsgegenstand in seinem Bezogenwerden „auf unseren subjektiven Zustand". Die Weise der Betrachtung ist entscheidend für die Spaltung der reflektierenden Urteilskraft in die ästhetische Urteilskraft oder die teleologische Urteilskraft. Diese teleologische Urteilskraft unterwirft ihrer Betrachtung den Begriffsanteil im Gegenstande. Daher ergibt sich für sie eine „objektive" Zweckmäßigkeit, eine Zweckmäßigkeit, die in den Gegenständen selbst

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liegt oder — genauer — die ihnen doch zuerkannt wird. Die ästhetische Urteilskraft unterwirft ihrer Betrachtung den Anschauungsanteil des Gegenstandes. Sie hat es mit. der „subjektiven" Zweckmäßigkeit zu tun, mit einer subjektbezogenen Zweckmäßigkeit, die nur von der Wirkung des Gegenstandes ausgeht. Schönheit ist also kein objektiver Wert, sondern nur ein Beziehungswert subjektiver Art. Wir nennen das „schön", was wir als lustfördernd und in dem Sinne als „subjektiv zweckmäßig" empfinden. Das Wohlgefallen am Schönen ist seinem Wesen nach an keinen weiteren Zweck gebunden. Wie es begriffsbefreit ist, so muß es auch zweckbefreit sein oder genauer: interessebefreit (denn die s u b j e k t i v e Zweckmäßigkeit liegt ja im ästhetischen Verhalten). Das Absichtslose, Interesselose, Begrifflose einerseits und die „subjektive Zweckmäßigkeit" (die Eignung zur Hervorrufung des „Gunst"-Gefühls, des Wohlgefallens) andererseits spiegeln sich in der Definition des Schönen als einer „Zweckmäßigkeit ohne Zweck". Aber es dürften sich zugleich — neben der nicht glücklichen Wortwahl „Zweckmäßigkeit" — darin widerspiegeln die starken Bindungen an aufklärerische Vorstellungen, das Belastetsein mit dem teleologischen Erbe, das Haften wenigstens noch am Wort „zweckmäßig". Letzten Endes ist diese Kantische „Zweckmäßigkeit ohne Zweck", dieses „ohne Interesse"-Sein des Schönen weitgehend in Deckung zu bringen mit K. Ph. Moritz' Zurückführung auf das „In-Sich-SelbstVollendete". Nur eben, daß Kant mit kritischer Analyse verfährt, daß sein ästhetisches Urteilen, gemäß der apriori gegebenen Anlage der Vernunft und Urteilskraft, eine „apriorische" Funktion darstellt, wobei Notwendigkeit und Allgemeingültigkeit einbeschlossen werden. Das nur „Angenehme" weist solche Allgemeingültigkeit und Notwendigkeit nicht auf. Das rein ästhetische Urteilen ist nur möglich angesichts der „freien Schönheit", die das zweckbefreite, interesseerlöste Spiel der Anschauung gestattet. Wie es neben dem notwendigen und allgemeingültigen Schönen die abgeschwächte Form des Angenehmen gibt, so steht neben — bzw. dem Werte nach unter — der freien, beziehungsund zwecklosen Schönheit (ζ. B. reine Formgebilde wie Arabesken, vom Zweck nicht belastete Naturobjekte) die sogenannte „anhängende Schönheit", d.h. eine bereits teilweise mit Nebenabsichten belastete und mittelbar in Zweckhaftigkeiten verflochtene Schönheit.

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Eine derartige Zweckeinmischung birgt z. 6. schon die Gattungsvorstellung in sich, indem wir beim Betrachten (im Hinblick auf die Gattung) nicht mehr dem reinen Anschauen hingegeben sind, sondern den Einzelfall in vergleichende Beziehung setzen zum Norm- und Zweckideal der Gattung. Auch Kunstwerke sind dieser Einmischung unterworfen und daher nicht absolut von „freier Schönheit". Es muß daher die Aufgabe des Künstlers sein, jene mittelbare, durch Zweckvorstellungen gleichsam verunreinigte und dergestalt ablenkende Beziehung auf das Gattungsideal möglichst weitgehend aufzuheben. Daraus war also für das künstlerische Typus-Ideal der Klassik wenig zu gewinnen, wenn nicht eine Umdeutung erfolgte. Es erinnert teils an die Lehre der frühklassizistischen, aufklärerischen Kunsttheorie, an die Forderung eines Versteckens und Verbergens der Kunst (Als-Ob-Spontaneität), wenn Kant den Künstler zu dieser scheinbaren Absichtslosigkeit hindrängt, zu diesem Natürlich-Erscheinen des Kunstwerks im Bemühen um weitmöglichste Annäherung an eine zweckfreie Natur. Zu dieser zweckfreien, ganz auf sich selbst gestellten Natur gehört nun der Mensch nicht, da er ethisch gebunden ist. Hier ist kein reines ästhetisches Anschauen und Urteilen möglich. So übermächtig der Eindruck der Kantischen Theorie auf Schiller immer sein mochte und gerade für den kunsttheoretisch festen Halt Suchenden sein mußte, so war doch seine eigene Geistigkeit bereits hinreichend gekräftigt, sein Zuständigkeitsbewußtsein für diesen Bereich auf Grund eigener Schaffenserlebnisse und Schönheitserfahrungen hinreichend gestärkt, um der Konsequenz Kants den eigenen Freiheitswillen entgegenzusetzen und in das Kantische System eigene Gedankenglieder umformend einzubauen, ganz abgesehen vom lebendigen Zustrom aus der Welt Goethes. Es sollte diese ausbauende Umformung ursprünglich einer dialogisierten Abhandlung „Kallias oder über die Schönheit" vorbehalten sein, die indessen in dieser Form nicht zustande kam. Doch sind die entscheidenden Gedanken in ihrer Grundstruktur in einer Gruppe von Briefen an Körner (8., 18., 19., 23. u. 28. Februar 1793), den sogenannten„Kallias-Brief en" (1793), erhalten geblieben. Unter Entfaltung mancher in Kants „Kritik der Urteilskraft" gegebenen Keimzellen (ζ. B. Unterscheidung der freien und anhängenden Schönheit, K. d. U. § 16, 4; „Beschaffenheit" des Gegenstandes §5; Unterscheidung des Schönen und Erhabenen § 23; bes. die Stellen über den „Form"-

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Begriff u. a.) und unter Zurückgreifen auf die „Kritik der praktischen Vernunft" (1788) gelangt Schiller im Streben nach einer Bestimmung des „objektiv" Schönen zu dem wesentlichen Ertrag: „Schönheit also ist nichts anders als Freiheit in der Erscheinung" (Jonas III, 246; vgl. auch 245 u. 266). Schiller ist — nicht ohne das Ansehen der Kunst im Auge zu behalten — erfolgreich bemüht, ein o b j e k t i v e s Kriterium für das ästhetische Urteilen in entsprechender Weise aufzuzeigen, wie es Kant den logischen und moralischen zugestanden hatte. In Analogie zu dem Vorgange, bei dem die theoretische Vernunft den Anschauungen wenigstens Vernunftähnlichkeit verleiht und in Analogie zu dem Vorgange, durch den die Praktische Vernunft dem Gegenstande willensmäßige Selbstbestimmung zuschreibt bzw. Freiheitsähnlichkeit, darf für das ästhetische Urteilen die Selbstbestimmung und damit Freiheit auf die Erscheinungen der Gegenstände übertragen werden. Und diese „Freiheit in der Erscheinung ist eins mit der Schönheit". Da die Schönheit frei von Begriffen sein muß, so konnte sie im Bereiche der reinen, theoretischen Vernunft nicht nachgewiesen werden, mußte also dem Gebiete der praktischen Vernunft zuzuordnen sein. Wie ein Vernunftwesen aus „reiner Vernunft" handelt, so wird ein Naturwesen aus „reiner Natur" handeln, sobald Selbstbestimmung vorliegen soll. Geebnet worden war Schiller streckenweise der Weg zu dieser über Kant hinausgreifenden Erkenntnis durch dessen Erläuterung der teleologischen Urteilskraft, die denNaturerscheinungen objektive Zweckmäßigkeit verlieh. Das Zurückstrahlen der Freiheitsidee von den Erscheinungen der Gegenstände wirkt sich als Schönheit aus. Körners Einwand, daß immer noch das Subjektive in dieser Bestimmung der Schönheit bestehen bleibe, wehrt Schiller (18. Febr. 1793) ab durch die Darlegung, daß auch am Objekte selbst in der Erscheinung Beschaffenheiten aufgedeckt werden können, die begriffsbefreit und zweckbefreit wirken. Voraussetzung ist dabei, daß wir in der Anschauung des Gegenstandes nicht „über ihn nachdenken", nicht ihn mit der theoretischen Vernunft erfassen wollen, sondern die Objekte nur so aufnehmen, „wie sie erscheinen", daß wir die Anschauungsform als solche als selbstbestimmte, freie Form fassen und keine Zweckbindung beobachten, keinen Grund suchen, „noch außer ihr zu suchen w a n l a ß t werden". Die schöne Form hat ihre Geltung und ihre

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Bedeutung in sich selbst. Indem Schönheit Bestimmung der Erscheinung durch „reine Natur" darstellt, untersteht sie dem Prinzip der „Existenz aus bloßer Form". Damit fällt auch der zweite Einwurf Körners, daß Schillers Schönheit moralische Bindung aufweise, fort, weil Schönheit nur der Form nach, nicht der Materie nach auf die praktische Vernunft bezogen wird. Jedenfalls möchte Schiller durch merklich betonte Abwehr („denn ich bin weit entfernt, die Schönheit von der Sittlichkeit abzuleiten") seiner Neigung, ästhetische und ethische Haltung zu verbinden, entgegenwirken. Und doch „verfällt" er ihm wieder in gewissem Grade trotz allem Herausarbeiten des Freiheitsbegriffes, weil sein Wertgefühl für eine ethische Verbindlichkeit dahintersteht. Denn es ist schwerlich Zufall, daß er hier einen Exkurs über die „moralische Schönheit" einschaltet, der bereits auf eine Idealisierung des kategorischen Imperativs der Pflichterfüllung hinarbeitet in der Erläuterung am Beispiele des Helfenden und in dem Ergebnis, daß „moralische Schönheit" vom Menschen bewährt wird, „wenn ihm die Pflicht zur Natur geworden ist". Damit ist die Linie zu „Anmut und Würde" bereits im Ansatz gegeben. Die Brücke zwischen dem Ethischen und Ästhetiscl^ wird unterbaut durch das aus „reiner Natur" Bestimmtsein sowohl des Schönen als auch des Guten. Wiederum wird die Rückversicherung gewahrt, indem die „sinnliche Natur" im Moralischen nur frei zu erscheinen, nicht frei zu sein braucht. Vorerst schützt der Form-Begriff vor einem unverhüllten Einbruch des moralischen Inhalts. Diese Existenz aus bloßer Form würde aber, wenn auch vom Zwecke unbehelligt und vom Begriffe befreit, von anderer Seite her gefährdet sein, nämlich durch eine „strenge Regelmäßigkeit, weil sie uns den Begriff aufdringt". Diese starre Regelmäßigkeit würde auch nicht übersehen werden können, also als Zwang- und Zweckbindung die Freiheit der Erscheinimg aufheben. Es genügt indessen, wenn der Regelzwang nicht aufdringlich spürbar wird, nicht störend das Freiheitsgefühl der Anschauung beengt; denn an sich kann die Form nicht der Regel entbehren: „Das schöne Produkt darf und muß sogar regelmäßig sein; aber es muß regelfrei erscheinen." Das ist möglich, weil ich die Regel als solche nicht verstandesmäßig zu erkennen brauche; sie taucht nur andeutend im Bewußtsein auf. Erhellendes Licht auf das. Andeutend-Latente wirft Korffs weiter

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deutende Prägung „Schönheit ist also gerade nicht die Regelmäßigkeit, sondern das freie Spiel mit der Regel", während Η. A. Korff selber nur als eine „freie Interpretation der Schillerschen Gedanken" die an sich konstruktiv bemerkenswerte Umschreibung der Schönheit als „Ausdruck des gesunden Lebens" gewertet wissen will, durch die eine enge Fühlung mit Goethes „Naturidealismus" gefunden werden könnte. Indessen, das wäre schwerlich noch Schiller. Dagegen darf in diesem Zusammenhange einmal zurückverwiesen werden auf die bedeutende Rolle, die dem bloßen „Scheinen" innerhalb der Poetik und Ästhetik der Aufklärung (Auflockerergruppe) zugewiesen worden war. Mit den Briefen vom 23. und 28. Februar verläßt Schiller die rein logisierende Deduktions-Linie, um durch Induktion und empirische Beweise weiter zu gelangen. Damit schwenkt er vom Wege der allgemeinen Ästhetik ein in das engere Gebiet der Kunsttheorie und besonders auch der angewandten Poetik. Kennzeichnend dafür ist schon äußerlich, daß hier das Sinnliche, das Dargestelltwerden der Schönheit — nicht nur ihr Wesen — im Vordergrunde steht, daß entsprechend die Technik gesucht wird, daß das deduktive Ergebnis Schönheit ist, daß Freiheit in der Erscheinung modifiziert wird durch das induktive: „Schönheit ist Technik in der Freiheit" oder „Schönheit ist Natur in der Kunstmäßigkeit", eine Deutung, die eine Annäherung an Goethe spürbar werden läßt wie überhaupt die verstärkte Verwendung des Terminus' „Natur". Kunstmäßig oder „technisch" meint eine Form, die auf eine Regel hindeutet, ohne diese Regel kraß zutagetreten zu lassen. „Natur" wird ausdrücklich gegenüber der „Freiheit" bevorzugt, weil sie leichter in den Bereich der sinnlichen Erscheinungen hinüberleitet. „Natur" meint, was durch sich selbst bestimmt ist, was seinen Sinn in sich selber trägt. „Kunst" meint, was erst durch eine Regel entsteht. „Natur in der Kunstmäßigkeit" bedeutet also, was sich selber Gesetz schafft, bedeutet: „Freiheit in der Regel, Regel in der Freiheit." Die „Natur" eines Gegenstandes ist die Beschaffenheit, die nur ihn ausmacht, das Ihm-Eigentümliche (Teilrettung des Charakteristischen durch Schiller gegenüber dem Typischen der Klassik) unter Ausschaltung alles Allgemeinen! (ζ. B. Schwerkraft und daraus resultierende Bewegungen.) Nicht zufällig entsteht dort Schönheit, wo die Masse (Materie) von der Form beherrscht und überwunden wird: „Ein Vogel im Flug ist die glücklichste Dar-

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Stellung des durch die Form bezwungenen Stoffs, der durch die Kraft überwundenen Schwere." Mit dem B e w e r t e n der „lebendigen K r a f t " r e t t e t S c h i l l e r seine D y n a m i k v o r der S t a t i k der K l a s s i k Winckelmannscher Prägung. Freiheit in der Regel ist möglich, weil die Regel, die vom Objekte befolgt wird, doch zugleich mit dem Objekte selbst gegeben ist als „reine Zusammenstimmung des inneren Wesens mit der Form". Darin liegt der Symbolwert des in sich Vollkommenen (s. K. Phil. Moritz und Goethe, bes. „StiT-Begriff); denn nicht wie bei dem nur Zweckmäßigen und Nützlichen besteht hier eine Bindung nach außen hin, vielmehr nur die innere Eigengesetzlichkeit des Gegenständlichen, das „sich selbst zugleich gebietet und gehorcht". Der Widerspruch, daß das Ding einmal durch sich selbst sein soll, was es ist, dann aber auch durch eine Regel „ist", hebt sich auf durch die Erklärung, daß es durch eine Regel „ist", die es sich selbst gegeben hat, also immanenter Gesetzlichkeit folgt. Die „Technik" indessen hat nur die Aufgabe, die Schönheit in der Darstellung sinnlich erfaßbar und „bemerkbar" zu machen; sie ist nur Dienerin der Schönheit, Wirkungsmittel des Schönen, nicht Wesensform des Schönen, die der Freiheit in der Erscheinung vorbehalten bleibt. Die Berührung mit dem Ethischen wird auch hier gefunden. „Vollkommenheit" — wobei allerdings die „moralische" ausgenommen sein soll — kann durch die Technik einbezogen werden in die Darstellung des Schönen, wenn die „Vollkommenheit als Natur erscheint", also nicht aufgezwungen wird, sondern spontan aus der Eigengesetzlichkeit hervorgeht. Da Schiller selbst fühlt, daß seine Betonung der „lebendigen Kraft" mit der klassischen Maßhaltung nicht recht harmonieren will, dämpft er den Willen zur Dynamik durch freiwillige Selbsteinschränkung: „Schönheit ist durch sich selbst gebändigte Kraft; Beschränkung aus Kraft." Doch bleibt auch hier erkennbar, wie er die „Kraft"-Vorstellung (s. Herder) an sich zu retten sucht. Dem Briefe an Körner vom 28. Februar 1793 ist ein kleiner Aufsatz „ D a s Schöne der K u n s t " beigegeben, der ausgeht vom Verhältnis von Stoff und Formung und in seiner Unterscheidung von „Manier" und „Stil" den Stil-Aufsatz Goethes in gewisser Weise verarbeitet. Die Manier läßt die Subjektivität des Gestaltenden sich ungebührlich vordrängen, während beim Stil die subjektive Vermittlung zurückgedrängt wird hinter die Objek9 M & r k w a r d t , Poetik III

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tivität, die nur die Form, nicht den Träger der Form oder den Stoff vorherrschen und zutagetreten läßt. Beim Dichter erschwert sich diese höchste Gestaltungsart durch sein „Medium", sein Darstellungsmittel, die Sprache. Denn selbst wenn seine Einbildungskraft fähig ist, den Gegenstand, in reine Form verwandelt, d. h. „idealisiert", vorzustellen, so bedarf er des Mittels der Sprache, um ihn nach außen hin erfaßbar für den Aufnehmenden darzustellen. Das Sprachmittel nun bietet der Aufgabe, den Gegenstand in seiner Eigentümlichkeit darzustellen, empfindliche Schwierigkeit. Nicht nur und nicht einmal in erster Linie, weil das Wort ein willkürliches und konventionelles Zeichen (Aufklärungsstandpunkt) darstellt, sondern vor allem durch die in dem Sprachmedium gegebene „Tendenz zum Allgemeinen", die eine Bezeichnung des Sinnlich-Individuellen erschwert, das also Schiller wiederum zu retten sucht und anerkennt. Der Dichter muß demnach die „Tendenz der Sprache zum Allgemeinen (Abstrakt-Begrifflichen) durch die Größe seiner Kunst überwinden und den Stoff (Worte u. deren Flexions- u. Konstruktionsgesetze) durch die Form (nämlich die Anwendung derselben) besiegen". Es gilt, dabei die Sprachfesseln möglichst weitgehend zu lockern, um der Gegenständlichkeit der Natur ihre Freiheit und ihr Recht zu sichern. Ziel der dichterischen Darstellung ist so verstanden eine „freie Selbsthandlung der Natur in den Fesseln der Sprache". Weder durch die Naturanlage des Darstellenden noch durch sein Darstellungsmittel darf die objektive Selbstgeltung verhindert oder beeinträchtigt werden. Auf dem tragenden Untergrunde der „Kallias"-Briefe ruht durchaus die Abhandlung „ Ü b e r A n m u t und W ü r d e " (i. d. „Neuen Thalia", 1793), welche die Gegebenheit des ObjektivSchönen verteidigt. Kant hatte mit scharfer Folgerichtigkeit gerade den höher organisierten Naturwesen (Mensch, Pferd usw.) reine Schönheit abgesprochen, weil bei ihnen bzw. angesichts ihrer Erscheinung die Schönheitsvorstellung zu leicht mit der Zweckvorstellung verschmilzt. Daß Kant den ornamentalen Schönheitswert (Arabeske, Tapetenmuster) über die organische Schönheit (menschliche Gestalt) stellte, konnte Schiller nicht zusagen. Hier setzt er ein und schließt eine Lücke, schließt sie nicht ohne merkliches und verschiedentliches Zurückgreifen auf die ältere Ästhetik der Auflockerer. Wesentlich vorgearbeitet hatte sein eigener Exkurs über die „moralische Schönheit" (Kalliasbriefe, 19. Febr. 1793), die als das „Maximum der Charaktervoll-

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kommenheit eines Menschen" angesehen wird, wie es eine zwanglos zur Natur gewordene Pflichterfüllung erreichen kann. Shaftesburys „moral grace" und Schillers „moralische Schönheit", Homes „dignity and grace" und Schillers „Anmut und Würde" liegen letztlich auf einer großen Linie. Nur daß Schiller sie weiter, vortreiben kann, schon durch den Gegenantrieb einer Teil-Abwehr Kants. Das Zuständliche der „architektonischen Schönheit" in der menschlichen Gestalt kann nicht das Wesentliche für den ästhetischen Ausdruckswert darbieten; denn sie bleibt als bloße „Schönheit des Baues" letzten Endes ein Verdienst des Schöpfers, bleibt zudem einseitig naturhaft-sinnlich bestimmt. Schönheit aber ist sie dennoch, weil das ästhetische Urteil sie von ihrer Zweckbindung zu isolieren vermag. Die Anmut ist dagegen die geistdurchdrungene beseelte Schönheit der Bewegung, hinter der als Trägerin die „schöne Seele" steht. Wenn die Natur die Schönheit des Baues verleiht, so schenkt die Seele die „Schönheit des Spiels" unter dem Einfluß der Freiheit. Wie sich überhaupt eine Veränderung im Gemüt innerhalb der Erscheinungswelt nur äußern kann als Bewegung, so erweist sich die „sympathetische Bewegung", die den Gemütsvorgang begleitet, gegenüber der zweckgebundenen „willkürlichen Bewegung" als die bevorzugte Ausdrucksart der Anmut. Beachtenswert erscheint einmal die starke Betonung des dynamischen Elements und andererseits die starke Herausarbeitung des Seelenausdrucks, des „Sprechenden" in der anmutigen Haltung, wenngleich die Anmut noch nicht allein mit der „sprechenden" Bewegung an sich gegeben ist. An die eingehenden Vorarbeiten einer Klärung des Anmutsbegriffs im Kunstwollen des Rokokos sei erinnert. Die „plastischen" Züge gelten demgegenüber als „stumm". Kennzeichnend für die Wahrung des Schillerschen Sonderstandpunktes innerhalb der Klassik ist ζ. B. auch die Anmerkung über Winckelmann, die es abwehrt, daß Winckelmann der beweglichen Grazie statisch gedämpfte Elemente (i. d. „Geschichte der Kunst des Altertums", 1764) zuerteilt, die vielmehr der „Würde" vorzubehalten wären. Die schöne Seele, in der „Pflicht und Neigung zusammenstimmen", darf sich unbekümmert dem Affekte hingeben, weil sie in sich selbst das Gefühl für die gebotenen Grenzen besitzt und dergestalt Anmut und „Schönheit des Spiels" verbürgt. Bei Shaftesbury waren die moralischen Bedingtheiten noch verhältnismäßig strenger gewesen, um die Grenzen des „Enthusiasmus" zu sichern.

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Nach der Übersättigung mit der bequem optimistischen Glückseligkeitslehre der Aufklärung begrüßt Schillers ethisches Pathos durchaus den Kantischen Imperativ. Aber Kants drakonischen Gesetzesdruck empfindet er als übersteigert für wertvollere, in sich bereits edel angelegte Naturen: „Womit aber hatten es die Kinder des Hauses verschuldet, daß er nur für die Knechte sorgte?". Die schöne Seele umschließt im anschaubaren Ausdruck sowohl „Freiheit" wie „Form", während die starre Strenge diese Freiheit, die Unbeherrschtheit („Anarchie der Sinnlichkeit") aber die „Form" beeinträchtigen würde. Wie die Anmut der Ausdruck einer schön gestimmten Seele, so ist die Würde der „Ausdruck einer erhabenen Gesinnung"; oder anders gefaßt: „Beherrschung der Triebe durch die moralische Kraft ist Geistesfreiheit, und Würde heißt ihr Ausdruck in der Erscheinung". Hier muß der Geist heroisch eingreifen, der bei der Anmut duldsam sich verhalten durfte. Im einzelnen verläuft die Linie der Folgerungen gebrochener. Mancher Umweg und mancher Ausweg wird erforderlich, mancher Versuchsweg wird beschritten. Es gilt aus dem — trotz derKalliasbriefe — immer noch bannkräftigen Kraftfeld Kants herauszukommen. Die schroffe Trennung von Vernunft und Sinnlichkeit, von Geist und Natur, bei Goethe weitgehend aufgehoben und ausgeglichen, erschwert Schiller ein stetiges und gleichmäßiges Hinüberleiten vom Reich der Freiheit des Geistes zum SinnenhaftSchönen. Fast scheinen Anlehnungen an Leibniz (prästabilierte Harmonie) streckenweise den Rückhalt bieten zu sollen. Die Loslösung von Kant erfolgt unter hoher Anspannung. Auch Schillers eigene Wesensart ist zu leidenschaftlich verstrickt in den Stolz menschlicher Geisteskraft, um etwa wie Heinrich von Kleist sagen zu können, daß alles Unwillkürliche, daß jede erste Bewegung in ihrer geistigen Ungebrochenheit schön sei, dagegen „schief und verschroben" alles, sobald es sich selbst begreife. Als Kleist das schrieb, hatte er Kant überwunden im Kunstdeuten, wie man das Kunstschaffen Kleists geradezu in seinem weltanschaulichen Traggrund als eine „Kritik des reinen Gefühls" umschreiben könnte, die Kants „Kritik der reinen Vernunft" ergänzt und für den schöpferischen und fühlenden Menschen Kleist ersetzt. Schillers Absetzung und Freisetzung vollzieht nicht ein genialer Bruch, sondern eine mühevolle Arbeitsleistung, so scheint es wenigstens zunächst. Es wird auch Schiller nicht so leicht, loszu-

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kommen von der „Kritik der praktischen Vernunft". Jedenfalls wird ihm solche Freisetzung ungleich schwerer als Goethe, der in brieflicher Polemik gegen Herders Humanitätsbriefe wohl die Anerkennung der Sittengesetze durch die Kunst auf Grund des gemeinsamen „Vernunff-Untergrundes aufrechterhielt, eine Unterordnung der Kunst unter das Sittengesetz jedoch unter Hinweis auf die Gefahr eines Abgleitens „ins Nützlich-Platte" abwehrte (Brief an H. Meyer, Juni 1796). Aber dann, nachdem Schiller gleichsam den besten Willen dargetan hat, m i t Kant seinen Weg zu finden und sich selbst und dem Leser vordemonstriert hat, daß er dabei immer erneut in Widersprüche sich verstricken muß, schwenkt er in klarer Frontstellung g e g e n Kant ein. Wie er schon vorher eine verdeckte Frontstellung gegen Goethe bezogen hatte. Schillers Abhandlung „Uber Anmut und Würde" ist keine geruhsam logisierende Erörterung. Sie steht als Kampfschrift im Spannungsfeld zwischen Goethe und Kant und trägt entsprechende Narben. In ihr ringt Schiller um die Wahrung einer eigenen Position trotz Kant und Goethe. Er will sich von Goethe absetzen und von Kant freiringen. Aber obgleich sein geistiger Freiheitsbegriff und seine ethische Grundeinstellung stärker zu Kant hinüberneigen und obgleich selbst ein wenig persönliche Tendenz gegen Goethe mitwirkt, zwingt ihn sein Künstlertum im Denkertum dennoch um einige wesentliche Schritte näher an Goethe heran. Anfangs scheint die körperliche Schönheit als nur angeborene Eigenschaft und die Anmut als geistig-seelisch zu erwerbende Eigenschaft aufgefaßt zu werden, wobei für den Kämpfer Schiller das zu Erwerbende, das zu Erobernde als verdienstvoller gilt. Dergestalt wird Anmut notgedrungen an den Willen und an die „willkürliche Bewegung" herangedrängt, wobei noch überall Kantisches mit im Spiele ist. Andererseits ist sich die Künstlernatur Schillers durchaus bewußt, daß das „Willkürliche" der Anmut nicht angemessen sein kann. So läßt er vorübergehend dasjenige, was bei willkürlichen Bewegungen unwillkürliche Begleiterscheinung ist, zum eigentlichen Träger des Anmutigen werden. Er arbeitet mit Auswegen wie dem, daß die „Grazie eine Gunst sei, die das Sittliche dem Sinnlichen erzeigt". Er räumt endlich auch der körperlichen, der „architektonischen" Schönheit eine gewisse Möglichkeit der geistigen Ausprägung, also etwas vom Charakter einer zu erwerbenden Eigenschaft ein, um so einen Über-

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gang zu schaffen. Er ruft den Geschmacksbegriff zu Hilfe, der auch bei dem Goethe der Klassik recht hoch im Ansehen steht, da der Geschmack, wie Schiller es darstellt, „als ein Beurteilungsvermögen des Schönen zwischen Geist und Sinnlichkeit in die Mitte tritt" und also die Widerstrebenden und Widerstreitenden zu einer „glücklichen Eintracht verbindet". Ja, der Geschmacksbegriff scheint stellenweise wertvoller zu sein als der Geniebegriff, bis zuletzt die Auffangstellung der „schönen Seele" bezogen werden kann. Kurz, die Abhandlung verleugnet nirgends die Spuren eines schweren Ringens. Und wenn anders man sie nicht so auffassen will, daß in ihren ersten Teilen Kant gegen Goethe, in ihrem Ertrag aber Schiller (der Schiller der Kalliasbriefe nämlich) gegen Kant ausgespielt wird: so bleibt ihr doch die noch unausgeglichene Zwischenstellung eigen, die Goethe noch nicht erreicht und Kant noch nicht ganz verlassen hat. Trotzdem sollte die Klärung solcher Bezüge das S c h i l l e r E i g e n e nicht verloren gehen lassen (was teils in der Sonderforschung geschieht), wie denn auch die Neigung, ζ. B. in den „Briefen über die ästhetische Erziehung", bald Einflüsse Kants und überhaupt der reinen Philosophie, bald Einflüsse Herders und Leibniz', bald Einwirkungen Goethes jeweils überwiegen zu lassen, leicht von Schiller fortführen kann. Die Bestimmung der „Würde" greift verschiedentlich zur ästhetischen Erhabenheit hinüber. Und wenn die Abhandlung von der schönen Seele fordert, daß sie sich im Affekte „in eine erhabene verwandeln" soll, so ist damit die Richtung des Aufsatzes „ Ü b e r d a s P a t h e t i s c h e " vorgezeichnet, der, ursprünglich als Sonderabschnitt der unmittelbar an Kant orientierten Abhandlung „Vom Erhabenen zur weiteren Ausführung einiger Kantischer Ideen" (1793/94) gedacht und angefügt worden war (Neue Thalia), dann jedoch von Schiller aus jener bloßen KantInterpretation herausgehoben wurde. Grundgedanke für die Wesensbestimmung des Pathetischen ist die Voraussetzung, daß erst am schweren Erleiden der ethische Widerstand und damit das Prinzip der Freiheit voll erstarken, ja überhaupt erst vollgültig erscheinen kann: „Das erste Gesetz der tragischen Kunst war Darstellung der leidenden Natur. Das zweite ist Darstellung des moralischen Widerstandes gegen das Leiden". Den Wert- und Wirkungsgrad der sittlichen Macht kann man erst an der Stärke des Erfeldens ablesen. Daher scheidet der (vermeintliche) Stoizismus der französischen Dramatik von vornherein aus, weil die

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starren Helden leidensfremd statt leidensfähig sich darstellen. Daß die französische Klassik schon von Lessing nicht ganz richtig gesehen und nicht ganz gerecht beurteilt wurde, hat neuere Sonderforschung mehrfach klarzustellen versucht. Mit Lessing wird also das sinnlich-menschliche Erleiden festgehalten. Aber Schiller macht zur Prämisse, was dort Endertrag zu sein schien. Für ihn ist das Erleiden nur aktivierender Antrieb zur moralischen Selbsttätigkeit als einer Besinnung auf die Abwehrkraft und Unverletzlichkeit der geistig-seelischen, „weil nie das Leiden an sich, nur der Widerstand gegen das Leiden pathetisch und der Darstellung würdig ist". Nicht das KontemplativErhabene, nicht die bloße „Ruhe im Leiden", als die die „Würde" erläutert werden konnte, sondern das ins Aktive gesteigerte Überwachsen der sinnlich-schicksalshaften Leidensgebundenheit durch den freien ethischen Höhentrieb und das innere Triumphgefühl mitten im äußerlichen Erliegen führen zum Pathetischen hin; denn „in moralischen Gemütern geht das Furchtbare schnell und leicht ins Erhabene über". Was im sinnlichen Felde der Erscheinungen verlustig gehen mag, bleibt bewahrt in der „unbezwinglichen Burg unserer moralischen Freiheit". Gerade das Hochgefühl der r ostigen Freiheit läßt sich nur mit sinnlichem Leiden erkaufen. Die iandruckswirkung verteilt sich in der Weise: „Bei allem Pathos muß also der Sinn durch Leiden, der Geist durch Freiheit interessiert sein". Schillers dramatischer Instinkt verwahrt sich gegen eine bloße Nachfolge Kants dort, wo er im Zwang des Sittlichen oder im Sittlichen als Zwang eine Gefährdung und beengende Umklammerung sieht für jenes Weitegefühl, das den ästhetischen Urteilen eigen ist: „Kein Wunder also, wenn wir uns bei ästhetischen Urteilen erweitert, bei moralischen hingegen eingeengt und gebunden fühlen". Der Dramatiker in ihm drängt den Kunsttheoretiker Schiller dazu, zeitweise den Willen an sich, losgelöst von der sittlichen Verbindlichkeit (ohne daß man nun sogleich an Schopenhauer denken müßte), als Träger der freien Entscheidungsfähigkeit (hier wird der große Abstand von Schopenhauer deutlich) herauszuheben, und zwar zugleich betont als ein „Vermögen der Gattung", damit sich von seiner Seite her dem Typusbegriff der Klassik nähernd, indem er dieses Gattungshaft-Typische gleichsam dramatisiert. Der D r a m a t i k e r in Schiller lenkt den Denker und Deut e r — weit häufiger als die Sonderforschung (ζ. B. bei der Auf-

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teilung der denkerischen, kunsttheor. Schriften nach der ringenden oder harmonischen Artung der Freiheit) anzunehmen pflegt — , wenn er das Prinzip der Freiheit auch noch der „sittlichen Verbindlichkeit des Willens" abzuringen trachtet, indem Sittlichkeit Freiheit voraussetzt, so daß von hier aus ein Zugang zur Freiheitstendenz der Einbildungskraft gewonnen werden kann. Es sind vorwiegend dramentheoretische Abhandlungen, die den Willensidealismus als Erfordernis der Freiheit erachten. Der Dramatiker in ihm will das Element des Rührenden, der Mitleidserregung nicht ohne Not missen. Aber das bedeutet keine bloße Rückversicherung bei Lessing oder gar bei Aristoteles. Vielmehr streben Schillers Gedankengänge, durch Kant streckenweise — besonders terminologisch — beschleunigt, teils aber auch gehemmt und zu mancherlei mühsamen Umwegen gezwungen, letztlich immer wieder dahin, sowohl aus dem Affekt des mitleidenden Nachempfindens wie vor allem aus dem „Furchtbaren das Erhabene zu erzeugen", das heißt von der Rührung fortzuschreiten zur Erschütterung und Erhebung. Die „Furcht" bleibt nicht das auf uns selbst bezogene Mitleid (Lessing), sondern aus der „Furcht" erwächst mit der „Anwendung" auf den eigenen „moralischen Zustand" eine Auftriebsfähigkeit zur Erhebung. Denn die Erhebung aus dem nur betrachtenden Abstand (kontemplativ Erhabenes) ist billig. Wertvoll jedoch ist die Erhebung aus dem opferbereiten Mitgehen, aus dem tapferen Hindurchgehen durch das Leid (werkimmanente Poetik, ζ. B. i. d. „Maria Stuart"). Die bloße Rührung nähert sich dem Sinnlichen, die Erschütterung dem Sittlichen. Der Dramatiker in Schiller ist es endlich auch, der dem „Dynamisch-Erhabenen" eine hervorragende ästhetische Wertgeltung und Wirkungskraft zuweist, jenem Dynamisch-Erhabenen, in dem die „Furcht" sich der „Ehrfurcht" nähert. Damit aber werden zugleich weitere Rückbeziehungsmöglichkeiten zum jungen Schiller — jenseits von Kant und Goethe — deutlich sichtbar. In die Zentralstellung der Menschheitsentwicklung tritt das Ästhetische in den „ B r i e f e n ü b e r die ä s t h e t i s c h e E r z i e h u n g des M e n s c h e n " (1795). Teils unter dem Eindruck ihn enttäuschender Zeitereignisse stehend, vermißt Schiller die ethische Reife der Menschheit. Der Weg der notwendigen Menschheitserziehung muß durch das Ästhetische führen. Das Schöne, das den Zugang zur Freiheit aufschließt, ist kein bloßes Erfahrungsgesetz. Es stellt vielmehr eine Forderung, einen Imperativ dar, der die

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„ T o t a l i t ä t in u n s e r e r N a t u r " verlangt. Der vernünftige F o r m t r i e b und der sinnliche S t o f f t r i e b müssen im S p i e l t r i e b eine Verschmelzung eingehen. Die ästhetische Befreiung im Spieltrieb macht den Menschen nicht nur passiv empfänglich, sondern auch aktiv gestimmt und gleichsam bereit und aufgelegt für das Edle und Gute. Eine Ausgleichung der Kräfte ist auf höherer Wertebene notwendig und auch möglich. Dieses „Gleichgewicht" (16. Brief) Schillerscher Art sucht indessen wieder das Dynamische neben dem Statischen zu retten, während in Goethes Harmonievorstellung trotz aller Belebung doch das Statische streckenweise vorherrscht. Denn von dem Schönen sei „zugleich eine auflösende und eine anspannende Wirkung zu erwarten". Restlos geklärt erscheint der Unterschied von „schmelzender" und „energischer" Schönheit nicht. Beide sollen eingehen in das Idealschöne. Das „Ideal-Schöne, obgleich unteilbar und einfach, zeigt in verschiedener Beziehung sowohl eine schmelzende als energische Eigenschaft; in der Erfahrung gibt es eine schmelzende und energische Schönheit". Die Wirkungen der energischen Schönheit äußern sich besonders am „abgespannten", die der schmelzenden Schönheit am „angespannten" Menschen. Daß die schmelzende Schönheit „als ruhige Form das wilde Leben besänftigen soll" beim sinnlich angespannten, natürlichen Menschen (17. Brief), kann als Wesensattribut der Klassik vermerkt werden. Als Entsprechung für den subjektiven Begriff „Spieltrieb" gilt streckenweise der objektive Begriff der „lebenden Gestalt", in der die ideale Ausgleichung vorliegt. Doch wird dieser objektive Begriff wohl unter der Nachwirkung der früheren Formulierung „Freiheit in der Erscheinung" (Kalliasbriefe) bald durch „Freiheit" verdrängt. Der Spieltrieb, das befreite Abstandhalten wird durch mehrfache Prägungen erläutert: „Der Mensch soll mit der Schönheit nur spielen, und er soll nur mit der Schönheit spielen . . . Der Mensch spielt nur, wo er in voller Bedeutung des Wortes Mensch ist; und er ist nur da ganz Mensch, wo er spielt". Ob man daraus — mit Böhm — folgern darf, daß Schiller auch in der Ethik Identitätsanschauungen vertritt, kann hier nicht im Vorübergehen entschieden werden. Dagegen darf man Schiller wohl in gewissem Grade als „ästhetischen Identitätsphilosophen" gelten lassen. Den Kerngedanken der ästhetischen Erziehung faßt der 23. Brief so: „Es gibt keinen anderen Weg, den sinnlichen

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Menschen vernünftig zu machen, als daß man denselben zuvor ästhetisch macht". Während indessen sonst durchweg das Übergeordnetsein des Ästhetischen hervorgehoben wird, macht hier notwendig dieses „zuvor" stutzig. Auch das V e r h ä l t n i s zur N a t u r (das neben der Wertschätzung des Griechentums und der Manifestation des Künstlers als des ganzen, wahren Menschen als spezifisch Goethesche Einwirkung etwas einseitig hervorgehoben worden ist) ist dreigestuft als „physischer Zustand", in dem der Mensch nur die Macht der Natur an sich erfährt und erleidet, als „ästhetischer Zustand", indem ersieh dieser Macht „entledigt", als „moralischer Zustand", indem er die Natur beherrscht. Trotzdem kann nicht so ohne weiteres das moralische Beherrschen der Naturmacht durch die sittliche Freiheit als die werthaft höchste, jedenfalls nicht als die bindungsbefreiteste angesehen werden, da doch auch ein Beherrschen der Natur wiederum eine Verbundenheit mit dem Stofflichen bedingt. Jedenfalls rettet Schiller verschiedentlich das Dynamische, Tatwillige, so etwa auch dort, wo er zusammenfassend die Schönheit in der Weise umschreibt: „Mit einem Wort: sie ist zugleich unser Zustand und unsere Tat" (25. Brief). Bei alledem bleibt Schillers Schönheitsbegriff keineswegs auf das rein Künstlerische beschränkt, sondern kann und muß als kulturell und geschichtlich gefaßt werden. Die mannigfachen eingehenden Erörterungen und Nachweisversuche einer Beeinflussung durch Plotin, Shaftesbury u. a. können hier keiner näheren Nachprüfung unterzogen, vielmehr muß auf die reichen Erträge der Sonderforschung (bes. 0. Walzel) verwiesen werden. Im Hinblick auf die literaturphilosophischen A n s c h a u u n g e n der K l a s s i k wird eine rückhaltlosere Anerkennung der Griechen fühlbar, die ζ. B. eine Freiheit des Spieltriebes bereits „im Gefühle der Griechen" aufzeigen zu können glaubt. Das wäre also eine der Einflußkräfte, die man neben der verstärkten Geltung des Natürlichen und der Gleichstellung des Künstlertums mit dem vollendeten, harmonischen Menschentum schlechtweg vor allem der Einwirkung Goethes zugeschrieben hat. Dabei verweist auch Schiller auf die Plastik. Das in sich selbst Vollendete (K. Ph. Moritz) klingt an in der Einräumung einer Ausnahmestellung für den ästhetischen Zustand: „Jeder andere Zustand, in den wir kommen können, weist uns auf einen vorhergehenden zurück und bedarf zu seiner

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Auflösung eines folgenden; nur der ästhetische ist ein Ganzes in sich selbst, da er alle Bedingungen seines Ursprungs und seiner Fortdauer in sich vereinigt' (22. Brief). — Entsprechend hinsichtlich der Eindruckswirkung: „Diese hohe Gleichmütigkeit und Freiheit des Geistes, mit Kraft und Rüstigkeit verbunden, ist die Stimmung, in der uns ein echtes Kunstwerk entlassen soll, und es gibt keinen sicherern Probierstein der wahren ästhetischen Güte". Daß es Schiller um das immanent Ethische im höheren Sinne, nicht aber um das tendenziös Moralische im aufklärerischen Sinne geht, beweist die Begründung: „Denn nichts streitet mehr mit dem Begriff der Schönheit, als dem Gemüt eine bestimmte Tendenz zu geben". Die kontemplative Abstandshaltung der Klassik, verbunden mit der Interessenbefreitheit des ästhetischen Wohlgefallens, die klassische Statik, die selbst „das ewig Wandelnde", die Zeit, stille stehen heißt, drängen in prachtvoller Prägung zu nachhaltiger Geltung: „Wenn die Begierde ihren Gegenstand unmittelbar ergreift, so rückt die Betrachtung den ihrigen in die Ferne und macht ihn eben dadurch zu ihrem wahren und unverlierbaren Eigentum, daß sie ihn vor der Leidenschaft flüchtet" — Und „sobald es Licht wird in dem Menschen, ist auch außer ihm keine Nacht mehr; sobald es stille wird in ihm, legt sich auch der Sturm in dem Weltall, und die streitenden Kräfte der Natur finden Ruhe zwischen bleibenden Grenzen." Die hohe Formbewertung setzt sich machtvoll und in der zugespitzten Darstellungsweise selbst ein wenig dramatisch gesteigert (dahin gehört das „vertilgt") durch, wenn nicht allein die „Notwendigkeit der Geister" anstelle der „Notdurft der Materie" die Kunst leiten soll (2. Brief), sondern neben der kühnen Wirklichkeitsüberflügelung selbst eine Stoffüberwindung für möglich gehalten wird: „In einem wahrhaft schönen Kunstwerk soll der Inhalt nichts, die Form aber alles t u n . . . Darin also besteht das eigentliche Kunstgeheimnis des Meisters, daß er den Stoff durch die Form vertilgt . . . " (22. Brief). Schiller hat von einer „ästhetischen Erziehung des Menschen" gesprochen, nicht jedoch von einer Erziehung zum „ästhetischen Menschen". Wollte man ein sinnentsprechendes Attribut einsetzen, so könnte man am ehesten noch von einer ästhetischen Erziehung zum vielseitigen und doch ganzheitlichen, weit um sich greifenden und doch in sich vollendeten Vollmenschen im Sinne einer gesamtmenschlichen Totalität sprechen. Wenn Obenauer in seinem

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Schiller-Abschnitt sogleich eingangs jene Anmerkung Schillers zum 20. Brief, die darlegt, was Schiller unter „ästhetisch" hier begriffen sehen will, ausführlich heranzieht, so wollte er offenbar von vornherein einer voreiligen Übertragung der Prägung vom „ästhetischen Menschen" (wie sie in E. Sprangers „Lebensformen" bereitlag) auf Schiller fürsorglich vorbeugen. Und wenn Cysarz in seinem „Schiller" (1934) die Ästhetik und Kunsttheorie nun zwar unter der Gesamtüberschrift „Der ästhetische Mensch" würdigt, so stellt er doch zugleich überall klar heraus, daß Schiller immer wieder zur Totalität des Gesamtmenschlichen hindrängt und hintreibt. Aber selbst wenn Schiller in die Titelgebung seiner Briefe den „ästhetischen Menschen" hineingenommen haben würde, so meinte „ästhetisch" bei Schiller doch etwas wesentlich anderes als bei Baumgarten oder den Kunsttheoretikern der späteren Aufklärung, die an Baumgarten anknüpften. Das Ästhetische soll nach jener Schillerschen Erläuterung „das Ganze unsrer sinnlichen und geistigen Kräfte in möglichster Harmonie auszubilden" trachten. Es liegt in diesem „Ästhetischen" noch manches oder schon wieder manches von der unbestimmten, aber umfassenden Weite der früheren „Geschmacks"-Metapher, die auch ursprünglich weit mehr auf das Lebenskundige, auf Lebenshaltung und Persönlichkeitshaltung und Weltgewandtheit (das Politische und Polite) gerichtet (Gracian; aber noch Frühaufklärung) und erst allmählich auf das Künstlerische übertragen und enger eingerichtet worden war. Nachdem man für den Sonderbereich seit Baumgarten den Terminus „ästhetisch" eingeführt hatte, erwies sich doch wiederum auch in diesem Begriff die „Tendenz zum Allgemeinen" als so stark, daß der Begriff und die Bezeichnung auf andere Bereiche übergriff oder doch andere Bereiche mit umgriff. Das Attribut „ästhetisch" wurde überdies in der Kunsttheorie der Klassik streckenweise beiseitegedrängt von dem Terminus „bildend". Und es ist zweifellos auch in Schillers „ästhetischer Erziehung" ein gutes Stück der „bildenden" Erziehung in dem Sinne, wie K. Ph. Moritz (und Goethe) von „bildender Nachahmung" gesprochen hatte, mit eingeschlossen und sowohl terminologisch als auch ideelich miteinbegriffen. Endlich aber steckt in diesem „ästhetisch" ganz einfach das ideale Richtungswort „klassisch", wie denn etwa W. v. Humboldt „ästhetisch" und „klassisch" geradezu als Synonyme setzt. (Die Abwertung ist später ablesbar etwa an Wendungen wie „ästhetische Bären-

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haut" in Eichendorffs Roman „Dichter und ihre Gesellen", 1834 oder H. Heines Spottreim „ästhetisch".) Auch diese Erscheinung, die man bei genauerer Durchprüfung der zeitgenössischen kunsttheoretischen und kritischen Schriften bestätigt finden dürfte, ist in der Geschichte der Poetik und Literaturphilosophie nichts Außergewöhnliches. Wie der Aufklärer von „gutem Geschmack" sprach, wenn er aufklärerischen Geschmack meinte und damit gleichsam Tugend auf ästhetischem Gebiet (noch in Shaftesburys an sich weiterweisendem „moral taste" steckt etwas davon), oder wie die Romantik schlechtweg alles „poetisch" nannte, was ihrem „universalen" Kunstwollen entsprach, das bei den Künsten keineswegs haltmachte (und vollends nicht bei der Poesie), wie Schelling die „ästhetische Anschauung" das nannte, was die objektivierte „intellektuelle" oder „transzendentale" Anschauung sein sollte und wollte, wie man im neunzehnten Jahrhundert einen ideellen Realismus „poetischen Realismus" (Otto Ludwig) nannte, weil man wünschte, daß er „poetisch" schlechtweg wäre: so auch oder doch ähnlich setzte das Kunstwollen und Kulturwollen der Klassik vielfach „ästhetisch", wo ein Merk- und Kennwort alles das verdichten (und zugleich ausweiten) sollte, was dem Ideal gerecht zu werden schien, also „klassisch" war. Und da dieses Kunstwollen (und dieser Kulturwille) auf den reinen, aber auch reichen Menschen, auf den klassischen Vollmenschen, auf das ganzheitliche „idealische" Menschentum von typushaftem und wesenhaftem Geltungswert hinstrebte, so konnte von „ästhetischer Erziehung" gesprochen werden, wo letzten Endes eine „klassische" Erziehung gemeint war. Wohl aber war gemäß dem klassischen Kunstwollen, das in diesem Falle nur besonders sichtbar die auch sonst überall merkliche Ausweitung zum weltumfassenden Kulturwillen vollzog, erstmalig in der Geschichte des Kunstwollens und Kulturwillens dem B i l d e n d u r c h d a s S c h ö n e mit solcher Zuversichtlichkeit und solchem sittlichen Ernst ein Übergewicht gegenüber dem L e n k e n d u r c h den G l a u b e n verschafft, aber auch gegenüber dem bloßen E r z i e h e n zu Z w e c k e n . Nicht nur eine „Lenkung des Gemüts" wie bei Sulzer oder Geliert: eine Bildung des ganzen Menschen, und zwar des hochwertigen, typusgebenden Menschen, dem das typushaft Notwendige (Schicksal) zugeordnet und also nichts Bedrückendes war, wurde dem Schönen zuerkannt, aber auch als Aufgabe zugewiesen und auferlegt. Der — für Schillers

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Willensidealismus unabdingbare — Anteil des Willensmäßigen und Heroischen konnte dabei jedoch nicht entbehrt werden. Das machen nicht allein Schillers Aufsätze „Vom Erhabenen" (1793), „Über das Pathetische" (1793) und der stärker auf geschichtsphilosophische Kriterien des Tragischen zurückgreifende Aufsatz „Über das Erhabene" (etwa 1795) schon in der Themastellung deutlich, sondern das wird in entsprechenden Teileinschlägen auch anderer kunsttheoretiseher Abhandlungen Schillers ohne weiteres erkennbar. Es ist nur folgerichtig, daß es ein Dichter der deutschen Klassik war, der dieses Manifest eines kühnen Glaubens an die bildende Kraft des Schönen und Erhabenen setzte als denkwürdigen und charaktervollen Ausdruck des achtzehnten Jahrhunderts. Und es ist nur folgerichtig, daß gerade Schiller es war. Gleichsam von innen her eroberte er sich für das Schöne und die Kunst die Weite letztlich überästhetischer Werte zurück, die er durch die Bindungsfreiheit und die Beschränkung der Kunst auf ihren ästhetischen Eigenwert nicht kampflos verloren gehen lassen möchte. Das war nur möglich durch eine entsprechende Ausweitung des Begriffes „ästhetisch" von innen her. Wenn im neunzehnten Jahrhundert Ludolf Wienbarg, in dem an sich etwas vom Schillerschen Ideenschwung und Begeisterungswillen weiterwirkte, in seinen aus Kieler Vorlesungen hervorgegangenen „Ästhetischen Feldzügen" (1834) den Leitsatz aufstellte: „Nationalgefühl muß dem Gefühl fürs Schöne, politische Bildung der ästhetischen vorausgehen", so liegt darin doch nur bedingt ein voller Gegen-Satz zu Schillers „Ästhetischer Erziehung", weil Schiller den Begriff „ästhetisch" wesentlich weiter gespannt hatte, als ihn Wienbarg faßt, und weil die Reihenfolge im Vollzug der Bildungsmächte nicht das ideelich Entscheidende, sondern mehr das anschaulich zu Erläuternde und teils auch nur das Werbende für Schiller bedeutet hatte. Diese Reihenfolge, um es bewußt ganz schlicht so zu nennen, steht weder in Schillers „Künstlern" noch in seinen „Briefen über die ästhetische Erziehung des Menschen" fest, wie sie denn eine beträchtliche Abwandlung gegenüber der Fassung der Augustenburger Briefe (als Privatbriefe an den Herzog) erfahren zu haben scheint (scheint: weil die Fortsetzung der ersten Fassung als Privatbriefe an den Augustenburger Herzog fehlt, also eine etwaige Wendung nicht nachweisbar, aber auch nicht so ohne weiteres widerlegbar ist).

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Reicher an kunsttheoretischen bzw. dichtungstheoretischen Einzelheiten, weil enger an das Dichterische gebunden, konnten die Betrachtungen „Über naive und sentimentalische D i c h t u n g " (Hören, 1795/96) zugleich manchen der Gedankengänge „Über Anmut und Würde" fortführen. Das eigentliche Darstellungsziel richtet sich auf einprägsame Herausarbeitung zweier Grundformen des ästhetischen Verhaltens. Der Endertrag, aber auch die Weise des Verfahrens hat mannigfachen späteren Typenbildungen und Typendeutungen weitgehend vorgearbeitet, und zwar nicht nur in unmittelbarer zeitlicher Nachfolge, sondern bis hin zu Nietzsche und darüber hinaus. Nur auf J. Görres' Unterscheidung des „eduktiven" und „produktiven" Typus und an Jean Pauls kritische Unterscheidung der „poetischen Materialisten" (Entartungsform des Naiven) und der „poetischen Nihilisten" (Entartungsform des Sentimentalischen) als eine Unterscheidung von poetischen (nicht philosophischen) Vorstellungsund Verfahrensweisen mag kurz vorausgedeutet werden. Einschläge bei Humboldt und Hölderlin werden noch kurz zu berühren sein; die Absprossung weiterer Gegensatzpaare in Goethes „Shakespeare und kein Ende" konnte schon beobachtet werden. Die Darstellung entfaltet sich gelockert und mit freier, weitsichtiger Überschau, ohne die lastende Begriffsschwere der „Kallias'-Briefe, ohne die Vorherrschaft oder doch Vordringlichkeit jenes zähen Ringens um den Primat des Ästhetischen bzw. Ethischen (denn dieses Ringen ist doch eben da und nicht wegzudebattieren) aus den „Briefen über die ästhetische Erziehung". Das Ideal aber bleibt den „Ästhetischen Briefen" schon insofern nahe, als die Vollwertigkeit eines idealen Menschentums erreicht werden soll und nur erreicht werden kann und sich als verbürgt erweist in der „innigen Verbindung beider", des naiven und des sentimentalischen Typus. Doch sind beide als Träger eines dichterischen Gestaltungswillens in sich und für sich durchaus eigen-wertig und eigen-artig. An das Naive mahnt uns die Gegenständlichkeit der in sich selbst ruhenden Natur. Denn die Naturgegenstände repräsentieren das „ruhige Wirken aus sich selbst, das Dasein nach eignen Gesetzen, die innere Notwendigkeit, die ewige Einheit mit sich selbst. Sie sind, was wir waren; sie sind, was wir wieder werden sollen". Doch schwenkt Schiller mit der Erläuterung des Naiven nicht etwa einfach in die Front Rousseaus ein. Näher vielleicht berührt

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sich das, was ihm als naturhaft-naiv gilt, mit dem, was dann Heinrich von Kleist tiefsinnig aufspürte und tiefbohrend nachfühlte in seiner Abhandlung „Über das Marionettentheater". Doch nur bedingt könnte dabei von einer Ansatzstelle für die Romantik innerhalb der Klassik gesprochen werden, weil Kleist gerade die romantische Spiegelung und Brechung der Reflexion und Ironie verneint. Auch das Göttliche im Naiven kehrt bei beiden wieder, nur daß es bei Schiller Kind und Gott heißt, was den Ring schließt, während Kleist mit seinem kühnen „Puppe und Gott" gleichsam die Reflexionsbefreitheit des Kindhaften noch stärker steigern möchte. Naiv ist für Schiller „jedes wahre Genie", naturhaft den Regeln fremd und „bloß von der Natur oder dem I n s t i n k t . . . geleitet". Es ist auch dort heimisch und sicher, wohin an sich sein Kennen und Erkennen nicht reicht; es weitet die Natur aus, ohne sie zu sprengen. Das Schwierige löst es mit göttlich lässiger Leichtigkeit und „anspruchsloser Simplizität". Es folgt einer immanenten Gesetzlichkeit; es wirkt nur seine Natur aus und ist doch oder vielmehr gerade deshalb göttlich; denn „alles, was die gesunde Natur tut, ist göttlich". Das instinktsichere Einssein und Sicheinsfühlen mit der Natur ist naiv, das Ungebrochene, das spekulationslose Eingehen in das Natürliche, das Verwachsensein mit den natürlichen Wurzeln allen Lebens ist naiv. Es ist ein ruhiges Besitzen des Natürlichen, das das Griechentum als selbstverständlich empfand. Und mit dieser Selbstverständlichkeit ist ein gefühlsbetontes strebendes Sehnen im Sinne moderner Naturschwärmerei von vornherein ausgeschaltet. Denn die Natur ist für sie ein Gehabtes, nicht ein zu Erwerbendes: „Sie empfanden natürlich; wir empfinden das Natürliche." In größeren Linien entwirft Schiller, was späterhin Immermanns Aufsatz „Über den rasenden A j a x " (1825) für den Einzelfall eingehender erläutert. Vom ruhig besitzenden oder drängend sehnenden Verhältnis zur Natur aus bestimmt Schiller auch für die Dichtkunst die beiden „Dichtungsweisen", je nachdem, ob Natur bereits besessen oder erst umworben wird: „Der Dichter . . . ist entweder Natur, oder er wird sie suchen. Jenes macht den naiven, dieses den sentimentalischen Dichter." Der naive Typus findet seine hauptsächliche Verwirklichung in der griechischen Dichtung, der sentimentalische in der neueren Dichtung. Doch wehrt Schiller eine mechanisierende Bestimmung nach der Zeitgrenze ab und räumt zudem Verschmelzungsmöglichkeiten beider Gestaltungs-

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und Empfindungsweisen — so etwa im „Werther" — durchaus ein. Der sentimentalische Typus wird durch machtvollen Trieb moralischer Art (hier erfolgt wieder der Einbruch der Ethik auch in die Begründung der Typenbildung) zurückgezogen zur einstigen Natureinheit, kann indessen die nicht mehr als wirklich gegebene Einheit nur über die „moralische Einheit" zu gewinnen trachten im „idealischen" Verhältnis zur Natur. Für reine Nachahmung des Wirklichen fehlt die Voraussetzung, so daß nur eine Erhebung der Wirklichkeit zum Ideal bzw. eine „Darstellung des Ideals" Aufgabe der modernen sentimentalischen Dichtkunst sein kann. Dergestalt ergibt sich die weitere Gegenüberstellung der naiven mit den sentimentalischen Dichtem: „Jene rühren uns durch Natur, durch sinnliche Wahrheit, durch lebendige Gegenwart; diese rühren uns durch Ideen." Die naive Dichtweise fordert und findet „Begrenzung", wodurch die Vorherrschaft der Plastik bei den Alten ohne weiteres einleuchtet, während die sentimentalische, jener idealischen Triebkraft folgend, das „Unbegrenzte" und „Unendliche" erschließen hilft, was an sich der Phantasieweite der Wortkunst gemäßer ist. Werthaft hat der naive Typus voraus jene Gunst der Natur, die ihn sein enger gestecktes Ziel wirklich erreichen läßt. Der Ausgleich ist für den sentimentalischen Typus dadurch gegeben, daß ihn sein Streben einem höheren Ziele, einer „unendlichen Größe" näherbringt, wenngleich er es nie voll erreicht (bedeutsame Ansatzstelle für das Progressive der Romantik). Der ruhigeren, aber begrenzteren Gabe einer gesicherten und ungebrochenen Ganzheit steht so die drängende, grenzenlose Aufgabe gegenüber, diese Ganzheit als Totalität wiederherzustellen. Wie eine verkannte, und zwar als billige „Einfachheit" mißverstandene und mißbrauchte „Naivität" zur realistischen Plattheit und Geistlosigkeit zu entarten droht und mit „Schlaffheit" endet, so verdünnt sich nur allzu leicht das forciert „Sentimentalische" zur Gegenstandslosigkeit oder übersteigerten Schwärmerei. Auf beiden Extremen, wie sie durch den Philister und den Schwärmer repräsentiert erscheinen, stellt sich „Leerheit" ein: dort geistesarm, hier gegenstandsarm. An diesen Extremen setzt dann Jean Paul mit seiner kritischen Typenlehre ein. Entsprechend derartigen Mängeln der Gestaltungsweisen hat die Eindruckswirkung ebenfalls Einseitigkeiten zu vermeiden. So ist der Begriff der „Erholung" durchweg zu eng und flach gefaßt, der Begriff der „Verio H a r k w a r d t , Poetik III

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edelung" dagegen durchweg zu weit und hoch gespannt. Beobachtungsgeist und Spekulationsgeist müssen die Fühlung mit der Z e n t r a l s t e l l u n g des D i c h t e r i s c h e n wahren, in der die große und ewige Aufgabe steht, „der Menschheit ihren möglichst vollständigen Ausdruck zu geben". Beim Einbauversuch einer G a t t u n g s g l i e d e r u n g , die keine systematisch abschließende Geltung beansprucht, stellt eine Anmerkung ausdrücklich klar, daß die drei allein möglichen „Arten sentimentalischer Poesie" (Satire, Elegie und Idylle) mit den gewöhnlich als Satire, Elegie und Idylle bezeichneten Gedichtarten „nichts gemein haben". Ganz so scharf ist in Wirklichkeit das Neugewollte vom Altgewohnten nicht abgehoben worden. Das Ableitungsverfahren ist deduktiv, sucht aber Anlehnung an den empirischen Bestand und ruft Teilinduktionen zu Hilfe. Letzten Endes können für den sentimentalischen Dichter nur die satirische und elegische Empfindungsweise fruchtbar werden, denn die idyllische ist nur eine Sprossung der elegischen. Der Widerstreit des Ideals mit dem Wirklichen führt zur satirischen Haltung, weiterhin gestuft in „strafende" (oder „pathetische") und „scherzhafte" Satire. Teils die Trauer um die Diskrepanz von Ideal und Leben, von Idee und Sein, teils das gemütvolle Sichhingezogenfühlen zum Idealischen führt zur Elegie. Die Einordnung bzw. Absprossung der Idylle wird nicht restlos klar und eindeutig vollzogen. Wesentlich bleibt, daß keine systematisch neue Gattungsgliederung beabsichtigt ist, die allein „von der Form der Darstellung" aus gewonnen werden könnte, während hier nur die über die Artgrenzen hinüberspielenden Empfindungsweisen dreigruppig typisiert werden sollen. Sie können ζ. B. sowohl im Drama wie im Epos vertreten sein und auch im Einzelkunstwerk vermischt auftreten. Aber sie deuten doch an, daß die alten Artklassen, vorwiegend und einseitig vom naiven Typus bezogen, der Erweiterung oder doch Umdeutung bedürfen. Und es darf gesagt werden, daß Schiller dabei wieder um eine Lockerung der starren Forderung der Klassik rang, um freieren Spielraum für seine Wesensart, aber auch — wie etwas später Hölderlin — um Entfaltungsraum für die moderne Dichtung gegenüber der Autoritätsbindung an die Alten. Korff stellt diese geistesgeschichtliche Situation rund heraus. Und sein Hinweis auf Goethes rückschauende Bemerkung gegenüber Eckermann (21. März 1830)

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macht vollends sichtbar, daß Goethe selbst sich zugleich über diesen persönlichen Untergrund der Abhandlung Schillers wie auch über die Rtickführbarkeit der Richtungsworte „klassisch" und „romantisch" auf „naiv" und „sentimentalisch" durchaus im klaren war. Gerade Korffs Deutung, die vorerst einmal das Attribut „sentimentalisch" der neueren Sprachgewöhnung durch die Ersatzform „bewußt" näherzubringen trachtet, übersieht keineswegs gewisse Schwächen der Schillerschen Argumentation. Es gelingt ihr indessen, einen starken Widerspruch in der Anwendung der Schillerschen Typen auf empirische Dichtwerke, besonders auf Goethes Kunstschaffen, auszugleichen durch die Umschreibung der Goetheschen Eigenform als „naive Darstellung einer sentimentalischen Weltauffassung". Mit erfrischender Schärfe der kritischen Belichtung hält jedoch Korff die grundlegende Erkenntnis fest, daß der systematische Wert der Abhandlung merklich zurückstehen muß hinter der geistesgeschichtlichen Bedeutung. Beachtung verdient, daß Korff für den Schillerschen Gebrauch der Bezeichnung „Elegie" auf die verwandte Sinngeltung in Goethes „Römischen Elegien" zu verweisen vermag. Und es darf zugleich daran erinnert werden, daß auch auf den früheren Entwicklungstufen der Wortkunsttheorie und Poetik die Bezeichnung „Elegie" eine wesentlich ausgeweitete Sinngeltung beansprucht hatte. Im Rückblicken auf die sozialkritische Anklagedramatik des jungen Schiller ist es nicht uninteressant zu beobachten, wie selbst jetzt noch teilweise die alte Position behauptet wird, wenn er die Tragödie als pathetische Höhenform der Satire auffaßt. Daß er auch in solchem Behaupten älterer eigener Positionen doch für die Ausgleichung der Klassik Sorge trägt, hat Korff gezeigt, so etwa in der Forderung: „Wenn die pathetische Satire nur erhabene Seelen kleidet, so kann die spottende Satire nur einem schönen Herzen gelingen." Wiederum indessen rettet diese Deutung der Tragödie das aktivistische, dynamische, strebende E l e m e n t , das Schiller selbst noch im Klärungsvorgang klassischer Ausgleichung als den dramatischen Faktor seiner Wesenheit zu bewahren verstand, um es dann als das deutsche Erbe dem Unendlichkeitsstreben der Romantik übermitteln zu können. Er bewahrt es als „energische Schönheit" (Über Anmut und Würde), als die „lebendige 10*

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Kraft" (Kalliasbriefe), als das „Pathetische", als die „Freiheit in der Erscheinung" und die „Freiheit des Gemüts in dem lebendigen Spiel aller seiner Kräfte" (Vorr. zur „Braut von Messina") und nicht zum wenigsten in der Vorstellung des Sentimentalischen wie letztlich auch im Symbolbegriff Und es scheint in diesem Betracht recht kennzeichnend und gleichsam selbst symbolisch zu sein für die Art, wie Schiller in die klassische Zentralkraft der Ausgleichung ein Stück Bewegung und Tatwillen mit hineinnimmt auch dort, wo die höchst bedeutsame Vorrede zur „Braut von Messina" eine Ausgleichung, eine Gewichtigkeitsausbalancierung des Idealen und Sinnlichen in Erwägung zieht innerhalb des Kräftespiels beim dichterischen Kunstwerk. Denn er sieht hier den Ausweg und die Lösung: „Wenn die Wage nicht vollkommen inne steht (Statik), da kann das Gleichgewicht nur durch eine S c h w a n k u n g (geretteter Restbestand an Dynamik, latente, nachschwingende Dynamik) der beiden Schalen hergestellt werden." Mehrfach wurde bewußt versucht, dieses Sondermotiv Schillers in der Leitmelodie der klassischen Harmonie hervorklingen zu lassen, so daß hier die knappe Andeutung genügen mag. Stellt man die Vorrede zur „ B r a u t von Messina" (1803) etwa der Vorrede zu den „Räubern" gegenüber, so kommt die ganze Spannweite seiner kunstphilosophischen Entwicklung und Wandlung von der Geniezeit zur Klassik besonders wirksam zur Geltung; handelt doch diese Vorrede, die zu einer tiefgreifenden literaturphilosophischen Abhandlung ausgebaut erscheint, keineswegs nur „Über den Gebrauch des Chors in der Tragödie". Vielmehr entfaltet — vorwiegend ihre erste Hälfte — in straffer Prägung Grundprobleme der klassischen Wortkunst schlechtweg, und zwar unter Teilausweitung zu romantisch-metaphysischen Vorstellungen. Von der Natur-„Kopie" der „Räuber"-Vorrede rückt diese Anschauung unendlich weit ab und setzt an die Stelle einer robust wirksamen, aber primitiven Illusionstheorie letztlich fast wie Schelling das spezifisch „Poetische" in die Aufhebung und Ausgleichung, in den „Indifferenzpunkt des Ideellen und Sinnlichen". . Damit trägt diese Vorrede für die Theorie der Dramatik doch nicht nur das nach an idealisierendem Kunstwollen, was etwa die Bürger-Rezension ein Jahrzehnt vorher bereits für die Theorie der Lyrik gesichert hatte. Denn jene Übertragung auf dramaturgisches Gebiet will jetzt nicht nur das veredelnde Emportragen über die Lebenswirklichkeit und Lebens-

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Unzulänglichkeit. Sie verschmäht auch die flüchtige Ablenkung durch poetisierende Übermalung mit schönfärbender Traumstimmung. Was Schiller ins Auge faßt, liegt bereits auf der Linie der Identitätsvorstellung; denn die Fragestellung lautet: „Wie nun aber die Kunst zugleich ganz ideell und doch im tiefsten Sinne reell sein" könne. Der Gestaltende muß nicht die Natur greifen wollen, sondern den „Geist der Natur ergreifen". Ideale Kunst will keine Scheinrettung ins Phantastische. Sie will und wird als echte „Kunst des Ideals" willig sein und fähig sein, „diesen Geist des Alls zu ergreifen und in einer körperlichen Form zu binden". Doch kann es sich dabei nur um symbolkörperliche Form, um Existenz aus bloßer Form, um geistige „Realität" handeln, da für den Künstler „alles nur ein Symbol des Wirklichen" sein darf. Und die symbolhafte Bindung schließt die Freiheit nicht aus, sondern schließt sie vor der Einbildungskraft recht eigentlich erst auf durch das Ent-Binden von materieller Verflochtenheit. Indem jedoch die „schöne und hohe Ruhe" über die Stilstimmung des wahrhaft „edlen" Werkes hinaus wirkt und sich dem Zuschauer mitteilt und sein Gemüt „sich immer klar und heiter von den Rührungen scheiden" läßt, es von der „Passion" freisetzt und über sie hinaushebt, nähert sich das Ideal klassischer Gelassenheit bereits merklich der Urbanität der romantischen Ironie.

III. Fortwirkender Bestand, kritische Überprüfung und letzte Verdichtung des klassischen Kunstwollens (Humboldt — Herder — Hölderlin) Schillers Zusammenzwingen der „schöpferischen und der beurteilend formenden Kräfte", Schillers hohe „Geisteskraft" in Verbindung mit der „Naturkraft", von der Humboldts „ V o r e r i n n e r u n g " zur Herausgabe seines Briefwechsels mit Schiller (1830) rückschauend kündet, und zwar in dem unter der Titelgebung „ Ü b e r S c h i l l e r u n d den G a n g s e i n e r G e i s t e s e n t w i c k l u n g " bekanntgewordenen Aufsatz; Schillers denkerische Haltung und sein dichterischer Wert, sein Anderssein als Goethe und — die Griechen und dennoch geistig Mächtigsein und künstlerisch Wirksamsein: darin lag eine ständige, zudem aus persönlicher Nähe erlebte Mahnung für W i l h e l m v o n H u m b o l d t

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(1767—1835), sein Wirkungskriterium höchster Dichtkunst nicht bedingungslos von der Mustergeltung der Antike abhängig zu machen, so sehr er stimmungsmäßig und im Hinüberblicken auf Goethe zeitweise dazu neigen mochte. Sein frühes Lernen von Heynes „Einleitung in das Studium der Antike" (1772), sein Anknüpfen auch an Friedrich August Wolf, sein — zwar damals nicht veröffentlichter — eigener Aufsatz „ Ü b e r d a s S t u d i u m des A l t e r t u m s und des g r i e c h i s c h e n i n s b e s o n d e r e " (entst. 1793), der den hohen Bildungswert des antiken Vorbildes und Urbildes nachdrücklich herausstellte, aber auch seine der Typenbildung und ihrer Ausgleichung zum Allgemein-Menschlichen nachforschende Erörterung „ U b e r die m ä n n l i c h e u n d w e i b l i c h e F o r m " (in Schillers „Hören", 1795), die letztlich in ähnlichem Vorgehen wie Schillers Unterscheidung der naiven und sentimentalischen Dichtung über den Sondertypus zum übergeordnet Gemeinsamen emporstrebte, über das typisch Weibliche und typisch Männliche hinweg das typisch Menschliche suchte und es sowohl wie die Sonderformen am reifsten und weitmöglichsten bei den Alten ausgeprägt fand, zugleich und zuletzt doch wieder die große Frage des Kunstwollens der Klassik, eine Ausgleichung des Individuellen und Idealischen berührend: alle diese Entwicklungswerte und eigenen Bekundungen zeigen ihn unzweideutig als Verehrer der Alten. Aber derselbe Humboldt, der in einem Brief an Goethe aus der Pariser Zeit es als hohen Gewinn für die Deutschen empfand, daß sie Homer und Sophokles so „nah und gleichsam verwandt geworden" seien, der — wie W. Rehm es erneut herausgearbeitet hat — zeitweise geradezu die „Endabsicht des deutschen Charakters" darin erkennen zu sollen meinte, die Alten und Neueren organisch zu verschmelzen, derselbe Humboldt hat im Briefwechsel mit Schiller mit Bezug auf Schillers Abhandlung „Uber naive und sentimentalische Dichtung" wie späterhin mit Bezug auf Schillers Chordrama „Die Braut von Messina" der neueren sentimentalischen Dichtweise den Vorrang einzuräumen sich geneigt gezeigt. Daß es sich dabei um mehr als um eine Briefanpassung handelt, bestätigt der neunzehnte Abschnitt seiner eigenen kunstphilosophischen Abhandlung von 1799, die noch eingehender zu würdigen sein wird. Der scheinbare Widerspruch löst sich leicht, wenn man berücksichtigt, daß vieles von der „höheren Geisteskraft" und der Fähigkeit, ein geistig-künstlerisches Anderssein

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gelten zu lassen, jener Fähigkeit, die der Rückblick auf den Gang der Geistesentwicklung Schillers dem einstigen Freunde zuerkennt, auch Humboldt selbst eigen war. Für ihn, den vorherrschend Betrachtenden, war der Ausgleich nur wesentlich kampfloser zu gewinnen als für die idealistische Kämpfernatur Schillers. Kritisch gesehen und gesagt: Humboldt hatte weniger Eigenes aufzugeben als Schiller, wenn er dem Verstehen des Andersartigen sich hingab. Und so wurde es seiner ästhetisch gestimmten Kontemplation ohne allzu große Opfer an eigenen Einsichten und Ansichten möglich, in seiner Ästhetik sowohl Schiller als auch Goethe gerecht zu werden. In diesem Sinne aber findet wie in seiner Humanitätsidee so auch in seiner Kunstidee die deutsche Klassik eine wertvolle Zusammenschau, weil in diese Kunstidee Kernbestände des Kunstschaffens und Kunstforderns Goethes und Schillers hineingenommen wurden. Wertvoll nicht in erstem Betracht als neue Zielsicht, sondern als Zusammenschau wirkt daher die umfassende Abhandlung „ U b e r G o e t h e s H e r m a n n u n d D o r o t h e a " (entstd. 1797/98, gedr. 1799), die als erster — und einziger — Teil der „ Ä s t h e t i s c h e n V e r s u c h e " herauskam. Nicht nur im Innern ihres Werdens, auch im Äußeren ihres Entstehens versinnbildlicht diese Abhandlung das gleichzeitige Umspannen der beiden Pole Goethe und Schiller. Denn wie Goethes Epos es war, dessen künstlerische Überlegenheit Humboldt von seinem ursprünglichen Plan abbrachte, an Vossens „Luise" grundsätzliche Gedanken über das Idyllische anzuknüpfen, wie — ζ. T. unter Karolinens Einwirkung — Goethes volle Gunst durch diese Abhandlung gewonnen werden sollte, so war Schiller der in den Entstehungsvorgang Eingeweihte und Änderungen der Einleitung Beratende. Ein Jahrzehnt vor dieser Abhandlung hatte Humboldt Goethes „Werther" so verteidigt: „Es ist soviel Einfachheit, Unschuld, Reinheit der Seele darin, so gar nichts Verstimmtes, Überspanntes, Verdrehtes." Und man könnte schon aus der Wahl dieses Blickpunktes — um so mehr als andere, an sich auch mögliche Blickwinkel der Betrachtung ausdrücklich abgelehnt werden — den „klassischen" Humboldt erkennen wollen. Auch daß er Schiller um dessen Urteil bittet über eine Pindar-Ubersetzung (3. Mai 1792), ähnlich und dennoch anders wie Hölderlin im Brief an Schiller Pindar-Fragen bespricht, auch dieser Zug würde sich bruchlos in das Bild einer Art von Vorklassik in Humboldts eigener Ent-

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Wicklung einfügen. Aber gewisse Nachklänge vom Sturm und Drang her dürfen dabei nicht so ganz übersehen werden. Sie bestätigen auch für den Sonderfall Humboldt, daß die Klassik den Organismusgedanken und den Geniegedanken des Sturmes und Dranges nicht brach liegen ließ, wenn sie diese Leitideen auch in ihrer Art entfaltete und — ihrem Kunstwollen entsprechend — veredelte, ζ. T. allerdings auch geistig etwas verdünnte und überfeinerte. Zwar schon themagemäß lag für eine Abhandlung wie die Humboldts „ Ü b e r den G e s c h l e c h t s u n t e r s c h i e d u n d dessen E i n f l u ß auf die o r g a n i s c h e N a t u r " (1795), die stärker ins Naturphilosophische übergreift als der Aufsatz „Über die männliche und weibliche Form", die Vorstellung des Organischen nahe. Aber Humboldt wendet sie ebenfalls auf das geistig schöpferische Hervorbringen an: „Die geistige Zeugungskraft ist das Genie. Wo es sich z e i g t . . . , erweist es sich schöpferisch." Auf dem organischen Versammeln aller Lebenskräfte in einem schöpferischen Augenblick „beruht die Erzeugung auch des geistigsten Produkts". Ob die Vorstellung der tätigen Kraft: „Die Kraft sammelt sich in sich selbst, nie fühlt sie sich reicher und größer, nie lebhafter bewegt, nie rüstiger zur herrlichsten Tätigkeit" bereits unter dem mittelbaren Eindruck von K. Ph. Moritz steht, der das in sich selbst Vollendete doch auch mit der „Tatkraft" verbunden sah, mag dahingestellt bleiben. Schon die Möglichkeit des Bezuges jedoch verrät die relative Nähe der Standorte. An sich erinnert manches jenes Aufsatzes mehr an den jungen Goethe und dessen Vorstellung der „bildenden", organisch zeugenden und formenden Natur. Nur daß vielleicht doch beim frühen Humboldt schon der Gedanke der „schönen Einheit" entsprechend der geistesgeschichtlich veränderten Situation kräftiger und beherrschender herausgearbeitet erscheint. Wie denn frühe Äußerungen über „Pindar" (etwa 1795) schon mit zeitläufigen Wertworten (Würde, milde Sanftmut, strahlende Erhabenheit, Ruhe, Heiterkeit, Glanz, Größe und Anmut) aus dem Wortschatz und der kunsttheoretischen Terminologie der Klassik als mit festen Beständen arbeiten können. Auf verhältnismäßig gefestigte Leitideen konnte letzten Endes auch seine kunstphilosophische Hauptschrift „ Ü b e r G o e t h e s H e r m a n n u n d D o r o t h e a " (1799) zurückgreifen, die erst ein volles Jahrzehnt nach K. Ph. Moritz' für das Kunstwollen der Klassik grundlegender Abhandlung „Über die bildende Nachahmung des Schönen" (1788) folgte und also manches nachträgt und zusammen-

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trägt, was auch jenseits Goethes und Schillers bereits vorgebildet war. Dennoch ging von Humboldts Ästhetik und besonders von seiner Theorie des Epos eine über die Klassik hinausreichende Wirkung aus, deren Ausläufer bis spät ins neunzehnte Jahrhundert hinein erkennbar bleiben. Bei dem Werkwerden des Goetheschen Epos vor allem in metrischen Fragen (Hexameter-Fragen u. a.) beteiligt, mag Humboldt anfangs mehr von dieser Seite her an seinen Plan einer Abhandlung „Über Goethes Hermann und Dorothea" herangetreten sein und dann unter dem Einfluß des früheren Plans hinsichtlich des idyllischen Epos von Voß vorwiegend an eine Theorie des Epos gedacht haben. Aber da er aus der Berührung mit der Gedankenwelt Schillers kam, da er schon über allgemeine Fragen der Typenbildung (männlich, weiblich) selbst gehandelt hatte und da der Haupttitel der Arbeit „Ästhetische V e r s u c h e " lautete, so war eine Ausweitung und Vertiefung zum Kunstphilosophischen ohne weiteres gegeben. Möglich immerhin, daß an der Vermutung Böttigers, daß diesem „Ersten Teil" ein späterer zweiter Teil über Schillers „Wallenstein" hat folgen sollen, etwas mehr als die bekannte Sensationslust Böttigers beteiligt gewesen sein mag. Jedenfalls ist ein zweiter Teil nie zustande gekommen. Aber schon dieser erste Teil greift über sein engeres Thema weit hinaus, sucht ästhetische Grundbegriffe festzulegen, poetische Gattungsgesetzlichkeiten festzulegen, „in das Wesen der dichterischen Einbildungskraft einzudringen" und das Epos als die spezifische Ausprägung des klassischen Formwillens hinzustellen, wie späterhin — jedoch unter anderen Voraussetzungen — Wilhelm Jordans „Epische Briefe" (1876). Dennoch gilt das Epos nicht als die eigentlich „poetische" Gattung, an der sich das Wesen der Dichtung als Dichtung am reinsten entfalten könnte. Als das schaffende Urprinzip, das bei Moritz die „Tatkraft" und „Bildungskraft" war, betrachtet Humboldt die „Einbildungskraft," der die beherrschende Zentralstellung eingeräumt wird: „So ist die Kunst die Darstellung der Natur durch die Einbildungskraft". Doch ist keineswegs die — von Moritz' „Tatkraft" sich abhebende — Einbildungskraft ein bloßes Mittel zum Zweck der Naturnachahmung, sondern umgestaltender Bildungsfaktor, so daß wir etwa sagen würden: durch das Medium der Einbildungskraft. Auch erhält sie ganz im Gegensatz zur Phantasie-Willkür der Geniezeit eine das Reale verklärende, idealisierende Aufgabe

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zugewiesen, indem sie den Gegenstand durch eine „Umänderung seines Wesens... zu einer anderen Höhe", nämlich zur „Idea l i t ä t " erhebt. Dieser Humboldtsche Begriff des „Idealischen" — an sich begegnet der Terminus natürlich seit Winckelmann immer wieder im Kunstwollen der Klassik — verschmilzt etwa unser „ideal" mit „ideell". Daß neben dem Idealen auch das Ideelle einbezogen wird, geht aus einer Wendung Goethe gegenüber hervor, wonach die Natur im Kunstwerk „in einen Gedanken umgeschaffen" werden solle. Die Verbindung beider Elemente ist aber auch aus der Abhandlung selbst erkennbar, wenn ζ. B. das Wirken des Dichters so umschrieben wird: er „ h e b t . . . die Natur aus den Schranken der Wirklichkeit empor und führt sie in das Land der Ideen hinüber, schafft seine Individuen in Ideale um". So wird Natur durch Kunst „verschönt und veredelt" und erhält den Charakter des Idealischen „als etwas über die Wirklichkeit Erhabenen". Erträge für die Klassik: Erhöhung, Veredelung, Idealisierung des Realen, Hinwendung vom nur Individuellen zum Ideal-Typus. Mit dem Leitbegriff der Idealität verbindet sich als weitere Forderung die „ T o t a l i t ä t " als das alles Umfassende, als die organische E i n h e i t , als die Ganzheit — aber zugleich als das Ausstrahlen ins Unendliche. Obgleich bei Humboldt als Träger klassischen Kunstwollens der Vollendungsbegriff überwiegt, bezeichnet er doch schon — von Fr. Strich übersehen? — dieses Ganze als „schrankenlos und unendlich", also anders als Moritz, aber in gewisser Weise ähnlich wie Hölderlin. Denn nach Humboldt hat der Dichter „seinen Leser in einen Mittelpunkt zu stellen, von welchem nach allen Seiten hin Strahlen ins Unendliche ausgehen". — Der mehr objektiven Totalität des Stofflichen (Epik) entspricht die subjektive Totalität (Lyrik), die eine alles beherrschende Stimmungseinheit (Totalität der Empfindung) durchzusetzen und aufrechtzuerhalten hat. Die Möglichkeit einer Synthese aus beiden ist dadurch gegeben, daß die absolute Totalität die objektive Totalität (Welteinheit) zugleich in und mit der subjektiven Totalität (Stimmungs- und Empfindungseinheit) als den „verwandten Kreis" innig umfängt. Erträge für die Klassik: Einheit der Vielheit (Rückschritt gegenüber Moritz' „Ganzheit" ?), das Einbeziehen der Welt in den Kreis der umspannenden Persönlichkeit. So öffnet sich zugleich der Zugang zum Persönlichkeitsideal und Bildungsideal der Humanität. Das Ästhetische

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umgreift auch das Ethische (Schiller). Das Einzelne weitet sich zum Allgemeinen, Rein-Menschlichen (Goethe und Schiller) und strebt zum Universalen, Unendlichen (Hölderlin; Ansatzstelle für die Romantik innerhalb der Klassik). Als dritten Kernbegriff stellt Humboldt die O b j e k t i v i t ä t und Wahrheit heraus. Ob an diesem Punkte bereits Friedrich Schlegels Objektivitätsvorstellung als direkter Einfluß einmündet, bleibe unentschieden. Jedenfalls bewegt sich der jüngere Schlegel, wenngleich Unendlichkeitsstreben sehr früh eingreift (Einwirkung Franziskus Hemsterhuis'), in seinen über mehrere Jahre hinweg sich erstreckenden Aufsätzen zum Griechentum (die u. a. gattungstheoretisch auf den historischen Stufengang: Epik, Lyrik, Dramatik, Didaktik zurückgreifen) „Von den Schulen der griechischen Poesie" (1794) bis hin zu den zusammenfassenden Darstellungen „Über das Studium der griechischen Poesie" (1797) und der „Geschichte der Poesie der Griechen und Römer" (1798) überwiegend in Vorstellungsbahnen der Klassik, während die später verfaßte Vorrede zu dem „ S t u d i u m . . . " bereits gewisse Einräumungen gegenüber der modernen Dichtung für angebracht hält, nicht zum wenigsten unter dem Blickpunkt von Schillers Abhandlung „Über naive und sentimentalische Dichtung". Bei der Humboldtschen Objektivität handelt es sich nun entsprechend der Idealität nicht um die Darstellung eines Naturobjekts — er weist diese Mißdeutung nachdrücklich zurück —, sondern eines Phantasieobjekts; denn die „Kunst bleibt allein innerhalb des Kreises der Einbildungskraft, also innerhalb unsres Gemüts". Drei Stufen der Objektivität werden unterschieden, wobei die erste nicht völlig klar abgesetzt erscheint. Gemeint ist wohl die sinnliche Konzentration auf einen Gegenstand, etwa Goethes gegenständliches Denken, Herders schöne Sichtbarkeit: „So ist es immerein Gegenstand, der ihn (den Dichter) beschäftigt, und dieser eine (objektive Einheit) rein erzeugt durch die Einbildungskraft". Eine weitere Stufe betont die Verwandtschaft „mit dem Stil der bildenden Kunst". Diese der „bildenden Kunst nahekommende" Objektivität ist nun überaus kennzeichnend für jene Gefahr, die oben angedeutet wurde. Ihre Forderung bestätigt, daß die Grenze gegenüber der bildenden Kunst bewußt aufgegeben wird. Ja, Humboldt geht so weit, daß er, ganz im Banne der Gegenständlichkeit, folgert: „In der Tat aber ist auch die

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bildende Kunst mit der Kunst überhaupt äußerst nahe und näher als die Dichtkunst verwandt. Denn sie ist rein darstellend und sinnlich." Das Grundideal war plastisch und nicht dynamisch. Spranger spricht insofern mit Recht von einem „Primat der Plastik in Humboldts Ästhetik". Dagegen kann man mit Bezug auf das spezifisch Dichterische nicht so ohne weiteres von einem Primat der Plastik in Humboldts Poetik sprechen, nicht nur weil er Lessings Laokoon-Gesetz berücksichtigt, sondern auch die Poesie als „Kunst durch Sprache" faßt. Darüber hinaus kann es als symptomatisch gelten und begegnete nicht zufällig als entsprechendes Merkmal, wenngleich anders ausgeprägt, bei Moritz oder Schiller, daß eben das Spezifische der Wortkunst, das bewegte Wort, der lebendige Verlauf in der Zeit, woraus Lessing seine Grenzsetzung und der junge Herder seine vertiefte Anschauung von der Ausdruckskunst des Wortes gewonnen hatte, von Humboldt ganz folgerichtig als diesem Zuständlich-Plastisch-Objektiven hinderlich (Schwierigkeiten der Sprache als Mittel!) empfunden wird und werden mußte, weil hier ein letzten Endes Undichterisches aus der fremden Formkunst des Seienden als geborgtes Ideal und als Wertmaßstab aufgestellt und der Poesie aufgezwungen wurde. Wir stehen an der Ausdrucksgrenze der Klassik, bedingt durch das dichterische Ausdrucksmittel und damit an der Gefahrenzone ihrer Poetik. — Doch trägt Humboldt Sorge für die Einschränkung: „zugleich bildend und stimmend verfahren, das Objekt darstellen und das Subjekt zubereiten" muß der Dichter. Besonders schwierig aber sei das Zubereiten des Subjekts, weil es dem Objektiven widerstrebe; eine Schwierigkeit, die Schiller hat durchkämpfen müssen. Auf dieser Mittelstufe wird neben dem Naiven auch dem Sentimentalischen ein Anrecht eingeräumt. Aber auf der höchsten Stufe überwiegt durchaus das plastische Ideal. In der Bildkunst („Skulptur") sei sie noch am ehesten erreicht. Es erinnert indessen an die unklare erste Stufe der Objektivität, wenn erklärt wird: „Wo der höchste Grad der Objektivität erreicht ist, da steht schlechterdings nur Ein Gegenstand vor der Einbildungskraft" (plastisches Ideal der Freistatue). Klarheit, Ruhe, vollkommene Harmonie — alles dies eigene Bezeichnungen Humboldts — ergeben sich dergestalt als Eindruckswirkung „der Einen reinen, hohen und idealischen Form . . . , die aus einem solchen Kunstwerke uns entgegenstrahlt". Dabei

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geht Objektivität in Totalität und Idealität als Einheit über. Und es birgt diese höchste Form zugleich „Gesetzmäßigkeit" in sich: es ist das Gesetz und die Gesetzmäßigkeit der Klassik. So mag sogleich die Kerndefinition Fr. Schlegels angeschlossen werden, nach der ihm Objektivität als das „gesetzmäßige Verhältnis des Allgemeinen und des Einzelnen in der freien Darstellung" erscheint. Diese Freiheit innerhalb der Gesetzmäßigkeit kehrt in Humboldts Ästhetik wieder in der Verbindung „frei und gesetzmäßig" und läßt sich mühelos auf Schillers „Freiheit in der Regel, Regel in der Freiheit" zurückführen. Der Methode, der Anlage nach erweist sich Humboldts Ästhetik als deduktiv. Zwar abstrahiert sie ζ. T. von dem aus der Nähe beobachteten Schaffen der beiden großen Dichter deutscher Klassik, geht aber dennoch nicht wirklich induktiv vom Empirischen aus, sondern steigt hinunter („Ästhetik von oben" nannte das Herder) von postulierten Oberbegriffen. Wie die ersten Teile der Abhandlung solche Oberbegriffe aufstellen (Einbildungskraft, Idealität, Totalität usw.) und dann erst Beispiele aus dem Goetheschen Epos als nachträglich bestätigende Belege bringen, so wird jetzt vor allem bei der Gattungsableitung (Abschnitt 5if.) ausdrücklich abgelehnt, „bei dem Produkte des Dichters stehen" zu bleiben und daraus kunstphilosophische Rückschlüsse zu ziehen, vielmehr wird durchaus die Gesetzesforderung im soll-ästhetischen Sinne als Wertmaßstab und Kriterium vorangestellt. Die Begriffe gelten als das Primäre. Weil das Problem Induktion oder Deduktion Grundfragen der literaturphilosophischen Methodologie berührt, erscheint ein längeres Zitat zur Klarstellung gerechtfertigt: „Besonders aber sollte man sich bei verschiednen Gattungen von Gedichten oder Dichtematuren schlechterdings nicht begnügen, die Erklärungen derselben aus wirklichen, vorhandenen Mustern zu beweisen. Diese Muster selbst müssen ja erst nach ihnen geprüft und beurteilt werden. Sie (die Gattungen) können den Titel ihrer Rechtmäßigkeit als eigne Gattungen überhaupt und als diese so und so bestimmte insbesondere aus nichts anderem als aus der Natur der Einbildungskraft ( = Begriff) und der verschiedenen Möglichkeit ( = begrifflich erschlossen) dichterischer Wirkungen ableiten." Aus theoretisch, aus deduktiv gesetzten Vor-Urteilen also.

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Man darf sich durch das Wort „Natur" nicht darüber hinwegtäuschen lassen, daß Humboldt bewußt von ideelichen Vor-Urteilen ausgeht und ausgehen will; denn „der Einteilungsgrund aller wesentlich verschiednen Dichtungsarten ist allein (I) die Natur der dichterischen Einbildungskraft". Soweit er dabei auf Schillers Unterscheidung der „naiven und sentimentalischen" Typen, an die sich seine Darlegung (Abschnitt 21 f.) mit ihrer Gegenüberstellung von antiker und „moderner Dichtart" merklich, wenn auch weiterbildend angeschlossen hatte, kritisch ergänzend zurückgeht, konnte diese Forderung nach einer Klärung der Prämisse (des Dichterischen schlechtweg) ein gewisses Geltungsrecht fraglos für sich in Anspruch nehmen. Prinzipiell aber wirkt die Gesamthaltung fast wie ein Rückmünden in die Gesetzes-Ästhetik der Auflockerer und Aufklärer. Auch die damalige Auffassung der Sprache als rein verstandesbezogen und begriffsbildend erinnert an aufklärerische Sprachtheorien. An Forderungen für die Epik bzw. das Epos im engeren Sinne werden als verbindlich und gesetzmäßig aufgestellt: höchste Sinnlichkeit, durchgängige S t e t i g k e i t , Einheit, G l e i c h g e w i c h t , T o t a l i t ä t , p r a g m a t i s c h e W a h r h e i t , Gesetze, die teilweise bis zu Friedrich Spielhagen nachwirken. Bei dem Wahrheitsbegriff lohnt es kurz zu verweilen im Zusammenhange mit der Wahrs c h e i n l i c h k e i t s t h e o r i e und ihren Wandlungen. Humboldt setzt die „poetische Wahrheit" in der üblichen Weise klar ab von der „historischen" Wahrheit. Indessen ist dabei zu berücksichtigen, daß „historisch": der Wirklichkeit entsprechend bedeutet. So versteht sich die Erläuterung: „Historisch wahr ist, was in keinem Widerspruch mit der Wirklichkeit, poetisch (wahr ist), was in keinem Widerspruch mit den Gesetzen der Einbildungskraft steht". Die Einbildungskraft ist also maßgebend, während einst im aufklärerischen Klassizismus (Gottschedischer Färbung) die Wahrscheinlichkeit das Maß für die Phantasie vorschreiben sollte im Sinne der Maßhaltung. Aber andererseits darf doch nicht verkannt werden, daß der poetische Wahrheitsbegriff, bei Humboldt dreifach gestuft, sich auch gegen die Romantik deutlich abhebt. Denn als die niedrige, minderwertige Form gilt die bloße Phantasiewahrheit als solche, die „bloß im Märchen brauchbar" (Abhebung v. d. Romantik) sei, in welchem die Phantasie eigentlich nur mit ihrer eignen Kraft und zudem „an dem leichtesten Stoff spielt." Dieses romantische Element wird abgewehrt. Eine

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höhere Stufe stellt die „ideale Wahrheit" dar, wie sie in der Lyrik und der Tragödie herrscht. Die „pragmatische Wahrheit" könnte auf den ersten Blick fast als Rtickfall in klassizistische Strenge erscheinen, denn sie soll den physischen und moralischen Gesetzen der Natur folgen. Die Einschränkung indessen, daß sie nur „mit dem Naturgange im Ganzen, mit dem Gattungsbegriff der Menschheit (dem Typischen) übereinstimmen muß", beweist hinlänglich, daß dabei die Fühlung mit der idealen Zielprägung der Klassik nicht verlorengeht. Zur angekündigten Ableitung aller G a t t u n g e n dagegen kommt es bei Humboldt nicht. Nur gelegentlich der Abgrenzung des Epos von der Idylle und Tragödie fallen Seitenblicke auf die benachbarten Arten. Die Eigenart der Idylle sieht er — der motivlichen Darstellung nach — in der Zustandsschilderung eines kleineren Weltausschnittes, der tragenden Stimmung und der Eindruckswirkung nach in der freiwilligen Beschränkung auf einen engeren, wenngleich innigen Empfindungskreis. Die Scheidung von Epos und Tragödie wird insofern schwieriger, als Humboldt (wie vorher J. J. Engel u. Eberhard) den Begriff der Handlung auch für das Epos in Anspruch genommen hat. Als wesentliche Unterscheidungskriterien bleiben: die Konzentration, weil „die Tragödie auf einen Punkt versammelt, was der epische Dichter auf eine unendliche Fläche ausdehnt"; die Unmittelbarkeit des Miterlebens beim Drama, während das Epos mittelbarer (Vermittler: Erzähler), gedämpfter wirkt „in verweilender und ruhiger Muße"; das Vorherrschen des Subjekts (Tragöflie) gegenüber dem Objekt (Epos); die Sonderform der Geftihlskonzentration, die „Einseitigkeit der Empfindung". Um Totalität trotz der Konzentration zu erreichen, soll die Tragödie „einen einzelnen Punkt so gleichsam schwängern (innere Ausweitung, latent), daß in ihm allein alles enthalten sei". Punkt vier erklärt, wie Humboldt zu der Gattungszuordnung gelangen kann, die Tragödie als „die höchste Gattung der lyrischen Poesie" zu bezeichnen. Der Vertreter des Primats der Plastik in der Ästhetik schlägt indessen eine neue Zweigruppen-Gliederung vor in „ p l a s t i sche" und „lyrische" Poesie; dann wäre Epik und Dramatik dem „Plastischen" unterzuordnen. Humboldt nähert sich weitgehend der Anschauung, in der Tragödie eine Mischform von epischen und lyrischen Elementen zu sehen, so besonders in einem Privatbrief an Körner (7. März 1797):

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„Unleugbar kommt das Trauerspiel mit beiden im Ganzen überein; wie der lyrische Dichter arbeitet der tragische auf eine bestimmte Empfindung hin, wie der epische legt er eine Fabel an und stellt eine Handlung dar." Die Deutung des Dramas als einer Mischform aus Epik und Lyrik, wie sie verschiedentlich vor Humboldt — s o etwa in Herders Shakespeare-Aufsatz von 1773 — bemerkt werden konnte, ist besonders häufig nach ihm auch späterhin von den Theoretikern beibehalten und weiter ausgesponnen worden, so bei Schelling (Drama als „letzte Synthesis" nicht nur der anderen Gattungen, sondern darüber hinaus „aller Poesie"), Solger (jedenfalls im historischen Ablauf bringt das Drama die Aufgipfelung), August von Platen (unter Vermischung wesenhafter und genetischer Gattungsbestimmung), Karl Immermann (Drama: „eine Mischung aus jenen beiden Urformen und ein Produkt ihrer Verschmelzung", z.T. überkreuzt mit genetischen Vorstellungen: das antike Drama mehr von der Lyrik, das moderne Drama mehr von der Epik ausgehend), Gottfried Keller (mehr genetisch gesehen, „Am Mythenstein", jedoch bedingt, mehr aus Volksfesten entspringend). Fr. Th. Vischer (das Drama soll „diese Gegensätze — das Objektive der Epik und das Subjektive der Lyrik — in einer dritten Form zusammenfassen") und manche andere. Gustav Freytag sieht die Entwicklung ähnlich wie Immermann, sieht auch im Drama die spätere und reifere Form, sucht jedoch die Gattungsgrenzen aufrechtzuerhalten. Am stärksten wohl leistet Otto Ludwig der vorherrschenden Strömung, die überwiegend auf Hegel und Schelling zurückgehen dürfte, Widerstand, zum mindesten hinsichtlich der Gestaltungsweise, die sich von lyrischen und epischen Einschlägen freizuhalten hat, während hinsichtlich der dichterischen Veranlagung denn doch wieder eine Annäherung an die Vorstellung der Mischform spürbar wird, indem der Dramatiker sowohl die „extensive" (Epiker) als auch die „intensive" Seite (Lyriker) vertritt und „die eine durch die andere modifiziert". Doch wird darüber in späteren Teilen dieser Darstellung zu handeln sein. Eine gewisse Ergänzung jener Humboldtschen Zuordnung der Dramatik zum „Plastischen" könnte darin erkannt werden, daß Humboldt in dem aus dem Briefwechsel zusammengestellten theatergeschichtlich aufschlußreichen Aufsatz „Über die gegenwärtige französische t r a g i s c h e B ü h n e " (1799) einen ge-

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wissen Vorzug der französischen Schauspielkunst davon ableiten zu können glaubt, daß dort „die Mimik mit den bildenden Künsten in genauere Verbindung gebracht" worden sei. Ob nun wiederum eine gewisse Anpassung an Goethe und seine „Propyläen", in denen jener Briefauszug (H. an G., 18. Aug. 1799) im Jahrgang 1800. als Beitrag erschien, beteiligt war, bleibe unentschieden. An dem berühmten, dann auch von Napoleon bewunderten französischen Schauspieler Francis Joseph Talma (1763—1826), dessen Berücksichtigung des historischen Kostüms theatergeschichtlich bemerkenswert ist, meint Humboldt das Malerische, die „malerische Schönheit der Stellungen und Bewegungen" beobachten zu können. Wertworte wie: schön, harmonisch, edel, Anstand, echte Würde u. a. und die Forderung an die Deutschen überhaupt, „dem bloßen Auge einen größeren Reiz" zu bieten (das gilt auch für das Drama an sich), die Überzeugung, daß selbst der Maler von derartigen malerischen Stellungen lernen könne, verstärken den Gesamteindruck einer bewußten Anlehnung der Theorie der Schauspielkunst an das klassische Kunstwollen im allgemeinen und das bildkünstlerische Ideal im besonderen. Es wird betont festgestellt, daß Talma selbst zeichne (wie Goethe selbst zeichnete). Diese Deutung ist um so bemerkenswerter, als Talma in Wirklichkeit bereits eine relative Auflockerung des klassizistischen Bühnenstils und Bühnenspiels, jedenfalls, wenn man an den Barockklassizismus denkt, vertrat. Wie denn auch Humboldt zugeben muß, daß dieser Schauspieler selbst mit dem Rücken zum Zuschauer hin zu agieren wage und das dekorative, „statuenhafte" Innehalten (das erhabene Erstarren zur Statue) verschmähe, kurz, daß er „weniger den idealischen als den Naturmenschen" darstelle. Aber Humboldt warnt sogleich wieder vor einem Übertreiben dieser realistischen „Manier". Es werde doch „noch etwas Höheres" erwartet, das der „Feierlichkeit" der Tragödie hohen Stils angemessen sei. Gegenüber der bedenklichen Neigung deutscher Schauspieler zu hastigen Bewegungen sei die „zögernde Ruhe, die allen ästhetischen Stellungen eigen ist", ein Vorzug. Der Begriff „ästhetisch" wird mehrfach mit gedämpft, ausgeglichen, gebändigt, beherrscht usw. und also mit Sonderidealen des klassischen Kunstwollens geradezu gleichgesetzt. „Ästhetisch" heißt ζ. T. einfach klassisch. Zugleich wacht Humboldts zwar noch nicht voll entfalteter Sprachsinn über ein Inbeziehungsetzen von französischem Sprachrhythmus und Rhythmus in der schauspiele11 Markwardt, Poetik III

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rischen Bewegung. Der Alexandriner habe vielleicht nur eine „pathetische Würde" als noch grobe Grundform bedingt, bis dann Verfeinerungen sich ausgebildet hätten in der Richtung einer „gefälligen Harmonie". Neben dem Gefälligen wird das Graziöse erwähnt, die relative Nähe von Rokoko und Klassik spürbar machend. Daß auch das dichterische Kunstwollen des Rokoko von der Bildkunsttheorie — ähnlich wie das Kunstwollen der Klassik — entscheidend bestimmt oder doch wesentlich beeinflußt worden war, daß nicht nur über Geßner und Wieland Fäden auch im Kunstschaffen hinüberspielten, konnte anderenorts bereits hervorgehoben werden. Gelegentlich genügt die Zusammenstellung von zwei Wertwörtern wie hier bei Humboldt die mehrfach — fast leitmotivartig — wiederkehrende Gruppe „edel und graziös", um vom engsten Bezirk aus an die Weite der Beziehungen von Rokoko und Klassik wenigstens andeutend zu erinnern. Von Winckelmann bis Humboldt begegnet man derartigen und natürlich auch kräftiger ausgeprägten Berührungen beider Kunstwelten, soweit sie an sich getrennt erscheinen mögen, immer wieder. Im Rahmen der vergleichenden Literaturwissenschaft bemerkenswert erscheint Humboldts Versuch — dessen Ausbaufähigkeit er selbst am Schlüsse des Aufsatzes betont —, die Stärken und Schwächen der französischen Schauspielkunst (und Tragödie) in Abhebung von den Stärken und Schwächen der deutschen Schauspielkunst (und Tragödie) nicht nur vom Sprachlichen, sondern damit eng verbunden vor allem vom Nationalcharakter und Nationaltypus aus tiefer greifend zu erklären. So empfinde der Franzose teilweise als „natürlich" — auf die Zeitbedingtheit des Natürlichkeitsbegriffs konnte hingewiesen werden —, was dem Deutschen als hohles Pathos oder geziertes Geschmäcklertum erscheine. Geschmack und „Natur" wurden dort weniger als Gegensätze, vielmehr als Ergänzungen angesehen. Humboldt ergänzt also die Zeitbedingtheit des „Natürlichen" durch die Volksbedingtheit des „Natürlichen". Manche Waffe der Stürmer und Dränger, die eben bewußt vom deutschen Gefühl aus sahen und sehen wollten, scheint stumpf zu werden angesichts solcher Erklärung. Grundsätzlich wird die Sondersituation der Schauspielkunst erkannt, nicht unmittelbare Darstellung einer wenn auch idealisierten Natur zu sein, sondern „Darstellung einer andern vorhergegangenen künstlerischen Darstellung" durch den Dramatiker.

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Manches für die Bestimmung der Tragödie läuft nebenher. Vom „Drama" spricht Humboldt — wie auch Goethe — damals mehr mit Bezug auf das neuere Bühnenstück, das vom Schicksalhaft-Heroischen zum Menschlichen (und teils Bürgerlichen) fortleite. Goethe hatte eine derartige Wendung bereits bei Euripides innerhalb der griechischen Tragödie beobachten zu können geglaubt (G. an H., 26. Mai 1799), nachdem Humboldt seine Erläuterung an Kotzebue angeknüpft hatte. Humboldt stimmt Goethe zu und meint, daß der klassizistischen Hochstiltragödie in Frankreich gleichsam der Umweg über das bürgerliche Trauerspiel und ähnliche Zwischenformen fehle, an denen sie neue Lebenskraft hätte gewinnen können. Es wird deutlich, daß trotz dem Erklärungsversuch aus dem französischen Nationalcharakter die klassizistische Tragödie noch nicht als klassische Tragödie und Musterwerk gilt, daß vielmehr die Kritik der Stürmer und Dränger an dem bloßen „Außenwerke der Empfindimg" in französischen Trauerspielen (Herder) nicht ohne Frucht für die Klassik geblieben ist. Humboldt, der in diesem Zusammenhange unter anderem auch den Begriff der dramatischen Konzentration und der dramatischen Bedeutsamkeit berührt (in der Tragödie „muß alles bedeutend sein, alles sich wechselseitig halten und tragen", dramatische Dichte), sucht die tiefere Ursache im Verhältnis zur Sprache überhaupt. Der Franzose beherrscht seinen Ausdruck mehr; der Deutsche, der mit der Sprache ringt, erlebt seinen Ausdruck mehr. Die an sich gewandtere Form erstarrt dem Franzosen leichter zur Formel, der Stil verflacht so zur Manier. Dieses Verhältnis zum Wort beim Franzosen und Deutschen wird in das Gleichnis gefaßt: „Jener zählt bloß sein Geld, dieser prägt sich seine Münze selbst." Die Schwäche des Deutschen liege, von der geringeren Formfreude abgesehen, besonders in einem geringeren Sinn für die „Notwendigkeiten der Zeichen", d. h. für den im Darstellungsmittel gegebenen und bereitliegenden Stiltypus der künstlerischen Gestaltung. Humboldt berührt hier die Frage des Materialstils, eine Frage, die Lessing im „Laokoon" grundsätzlich aufgeworfen und auf seine Art beantwortet hatte. Dahinter erhebt sich die größere Frage, ob oder wieweit das Kunstwollen der Klassik in seinem Streben nach einer Anlehnung an die Gesetze der bildenden Kunst die Warnung Lessings vor einer Mißachtung der Grenzen von Malerei und Dichtimg überging oder in Vergessenheit geraten ließ. Humboldt darf in jenem 11·

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Aufsatz, der eine eigene kleine Theorie der Schauspielkunst bietet, von dem Schauspieler, der neben dem Wort in Mimik, Gebärde und bewegter Gestalt gewissermaßen bildkünstlerische Darstellungsmittel zur Verfügung hat, fraglos mit größerem Recht die Aufgabe des Schauspielers darin sehen, „zugleich als redender und als bildender Künstler zu wirken". Mit größerem Recht, als er die Aufgabe des Dichters darin setzen konnte. Sagt er dasselbe vom Dichter, oder ist Dichtung eine „redende" Kunst, und wenn sie ihm eine „redende" Kunst ist, was bedeutet für den Dichter die Sprache ? Die Antwort verspricht am ehesten die größer angelegte kunstphilosophische Abhandlung „Über Goethes Hermann und Dorothea". Und doch kann vielleicht eine Definition aus jenem Aufsatz über die französische Schauspielkunst, die auch allgemeinere ästhetische Fragen berührt (Verhältnis von Kunst und Natur, im grundsätzlichen Ausgangspunkt ähnlich wie Lessing: ein Stück Natur, „aus dem unermeßlichen All der Natur" gelöst und dennoch in „ein selbständiges Ganzes verwandelt", aber betonter als „Bild der Harmonie und Vollendung", also dem In-sich-selbst-Vollendeten K. Ph. Moritz' angenähert), es kann vielleicht jene Definition die richtige Beantwortung erleichtern helfen. Sie lautet: „Wie individuell auch die Poesie sei, so hat sie immer als bloßes Gedankenbild etwas Vages und Unbestimmtes." Wie kommt Humboldt dazu, da er doch den Ausdruck der Empfindungen an sich kennt, dennoch die Poesie als ein „bloßes Gedankenbild" aufzufassen? Er gelangt dazu über seine damalige Auffassung der Sprache, die im Wort ein Begriffszeichen sieht noch ganz ähnlich wie Garve und andere Auflockerer. Die Problematik des — umstrittenen — „ästhetischen Menschen" in Humboldt, ein im Grunde bestehender Mangel an ausgeprägt bildkünstlerischem Verständnis, die von Humboldt selbst zugestandene Unausgeglichenheit von Einbildungskraft und Verstand, wobei der Verstand offenbar überwog, spielen mit, reichen jedoch zur Erklärung allein nicht aus. Daß er den „Laokoon" mit Nutzen studiert hat, beweist der achtzehnte Abschnitt seiner Abhandlung „Über Goethes Hermann und Dorothea". Humboldt geht dort mit Bezug auf Goethe von der Frage aus, inwiefern Goethe trotz seiner „Verwandtschaft mit der bildenden Kunst" dennoch gleichzeitig die „besonderen Vorzüge der Dichtkunst" wirksam zu machen wisse. Und diese spezifisch poetischen Vorzüge werden auf Grund

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von Lessmgs „Laokoon", der nicht ausdrücklich an dieser Stelle genannt wird, aber ζ. T. wörtlich anklingt, in der Umsetzung in Bewegung, in der Möglichkeit einer „Schilderung des Fortschreitenden" gesehen. Humboldt hält — das sei nochmals betont — den Primat der Plastik, den er für die Ästhetik als Ganzes anzusetzen geneigt ist, für die Poetik nicht aufrecht. Goethe geht darin wesentlich weiter als Humboldt, der ihm hier nicht unbedingt folgt. Zum mindesten gilt das für den Goethe der „Propyläen"-Einleitung. Humboldt weiß mit Lessing: „Der Dichtkunst ist die Bewegung so eigentümlich, daß sie eigentlich keinen Ausdruck für das Stillstehende hat." Und so will der nächste (19.) Abschnitt folgerichtig der „eigentümlichen Natur der Dichtkunst als einer redenden Kunst" gerecht werden. Humboldt ist sich klar: „Die Poesie ist die Kunst durch Sprache." Aber nun zeigt sich, daß Humboldt wohl Lessings „Laokoon", nicht aber Herders „Anti-Laokoon", nicht Herders „Kritische Wälder" in diesem grundsätzlichen Abschnitt zu nutzen wußte. Denn wie später den Sprachphilosophen Humboldt der Sprachphilosoph Herder gefördert hat, so auch hätte des jungen Herders Auffassung vom Dichterwort als beseeltem Ausdruck von „unmittelbaren, ersten, ungeschminkten Regungen" (Shakespeare-Aufsatz) und als „Musik der Seele" den Kunstphilosophen Humboldt an dieser Stelle fördern können. Hier jedoch greift Humboldt noch auf eine letztlich rationalistische Sprachauffassung zurück, die im Zeitraum der Klassik durch die Nähe der Philosophie und die hohe Geltung der Philosophie trotz gewisser Abwandlungen eine merkliche Aufwertung erfuhr, gemessen jedenfalls an der Entwertung, die jene rationalistische Sprachauffassung im Sturm und Drang erfahren hatte. So sieht Humboldt den eilten Gegensatz: die Poesie gehe mehr auf das Individuelle, die Sprache auf das Allgemeine, ja Abstrakte. Dergestalt daß die „Kunst, welche nur in der Einbildungskraft lebt und nichts als Individuen will, mit der S p r a c h e . . . , die b l o ß f ü r den V e r s t a n d d a ist und a l l e s in a l l g e m e i n e B e g r i f f e v e r w a n d e l t " in einem schwer lösbaren Widerspruch steht. Das wäre etwa die Voraussetzung, von der Baumgarten ausging, der Zweifel, der auch bei Lichtenberg begegnet (Nichtgeeignetsein der Sprache zum Gefühlsausdruck) und ganz nahe an Garves Ausgangsstellung grenzt, der zufolge die Dichtkunst als Kunst des Wortes zunächst und „eigentlich nur auf den Verstand" wirken könne. Garve will

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damit den geistigen Grundcharakter der Poesie andeuten und leitet davon gerade das Bedürfnis nach symbolischer Umsetzung ins Bildhafte ab (vgl. Garve-Abschnitt). Humboldt geht hier jene weiteren Schritte jedoch noch nicht, obgleich sie ihm einen Anschluß an die bildende Kunst wenigstens auf Umwegen ermöglicht hätten. Er unterscheidet auch noch nicht, wie später in seiner Sprachphilosophie „malende" (z.T. lautmalende), symbolische und analogiebildende Bestände im Werden und Wesen der Sprache. Der damalige Humboldt kann sich weder auf die umfassenden vergleichenden Sprachforschungen noch auf die Herdersche Sprachphilosophie zurückführen lassen. Beide Wirkungskräfte setzten erst später ein. Der damalige Humboldt, der sich von seiner damaligen Einstellung auf den tranzendentalen Idealismus als der herrschenden Zeitphilosophie teils auch zu diesem einseitigen Sehen der abstrakten, begrifflichen und logisierenden Seite der Sprache dürfte verleitet haben lassen (seine spätere Sprachphilosophie ist wesentlich anders eingestellt), erwartet denn auch von der Philosophie insofern Hilfe aus jenem Widerspruch, als der Mensch einerseits „an der Hand der Philosophie in die Region der Ideen" geführt werden solle und könne, wie er andererseits „auf den Flügeln der Poesie zu Idealen" getragen werden könne und solle. Schillers Nähe ist dabei überall spürbar. Es zeigt sich jedoch bald, daß jene Definition der Poesie „als bloßes Gedankenbild" nicht so seitab vom Wege liegt. Denn im Grunde soll nicht nur die Philosophie zu „Ideen" führen, sondern auch eine bestimmte Art Dichtung soll es, wobei Ideelles und Ideales — wie bei Winckelmann und anderen — die schon früher mehrfach bemerkte Vermischung eingehen, die bis hin zu Otto Ludwigs „poetischem Realismus" und ideellen Realismus spürbar ist. Denn weil — wie noch einmal unzweideutig erklärt wird — „der Gedanke das Organ ist", durch das die Sprache und also auch die Wortkunst, die Poesie wirke, so kann die Poesie die „inneren Formen" leichter (als die anderen Künste) erfassen, wobei die Dichtkunst sich „an die Vernunft anschließen" muß. Gerade jedoch in diesem Falle, wo die Dichtkunst dem „gestaltlosen, toten Gedanken Form und Leben mitzuteilen" hat, ist sie im strengeren und reineren Sinne Dichtkunst, weil eine derartige Möglichkeit unmittelbarer Ideenbelebung den anderen Künsten entgeht, weil sie gerade in dieser ideell-idealischen Dichtweise etwas beweist und bewährt, „das nur die Dichtkunst und keine

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ihrer Schwestern vermag". Darum offenbart die Poesie als geistige Phantasiekunst (hier wird eine gewisse Verwandtschaft mit Herders Deutung im vierten Kritischen Wäldchen erkennbar) am eigentümlichsten und eigenständigsten auch ihr „innerstes eigentümliches Wesen" in diesem Kern- und Heimatbereich als Wortkunst. Humboldt neigt dabei dem Schillerschen Typus zu, der Ideendichtung, die einen besonders hohen Aufschwung braucht, um das Ideelle mit emporzureißen zum Idealischen. Goethe wird gleichsam beruhigt, indem nur der „lyrische, didaktische und tragische Dichter" gattungsmäßig zu diesem Kerntypus des eigentlich Dichterischen vorzudringen vermöge. Der epische Dichter dagegen, als der in dem Falle „Hermann und Dorothea" Goethe ja als Muster und Meister begegnet, braucht „Gestalten, Leben und Bewegung" und hat also „bei seinen Sinnen und den Gegenständen, die ihn umgeben" anzufangen und anzuknüpfen. Das aber ist die andere Dichtweise, die mehr an die anderen Künste angrenzt und in ihrem kunsttechnischen Vorgehen „einen gemeinschaftlichen Pfad mit allen übrigen Künsten" einschlägt. Daher — und nun wird der etwas rätselhaltige Eingangssatz verständlicher — besteht die Möglichkeit, die „redende" Kunst dennoch „als bildende zu behandeln", gerade wenn man so eifrig die „Natur der Dichtkunst als einer bloß redenden Kunst erörtert". Verständlicher wird dieser Satz, der nach einem Kompromiß ausschaut, recht eigentlich auch nur dann, wenn man das Schwebende und Fließende im Begriff „bildend" (den schon der Sturm- und Drang-Goethe kannte und in seiner Art deutete) mit hineinnimmt und gebührend berücksichtigt, nämlich einmal im engeren Sinne, wie man von bildenden Künsten spricht, zum anderen aber in jenem weiteren Sinne, in dem K. Ph. Moritz und nach ihm teils auch der reifere Goethe von „bildender Nachahmung" (bildend-formend, gestaltend, darstellend schlechtweg) spricht. Bemerkenswert für den ideellen Einschlag des Idealischen erscheint weiterhin der Umstand, daß Humboldt in der angedeuteten Weise auch eine „didaktische" Gattung als poetische Sonderform, gleichsam als vierte Gattung neben Lyrik, Epik und Dramatik herausstellt, nicht nur als bescheidene Unterart. Das würde in gewisser Weise auf die Gattungsgliederung in Friedrich Bouterweks „Ästhetik" von 1806 (lyrische, didaktische, epische, dramatische Gattung) vorausweisen. Doch muß berücksichtigt werden, daß Humboldt an entscheidender Stelle

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nur zwei Gattungen, die „plastische" und „lyrische", anerkennen möchte. Die „plastische" Dichtweise (mehr auf Goethescher Grundlage) hebt im 19. Jahrhundert u. a. Heinrich Laube hervor. Während Wilhelm von Humboldt recht willig eine Synthese der klassischen Kunstanschauung zu bieten bemüht war, schien sich der H e r d e r der „ K a l l i g o n e " (1800), an sich vielleicht berufener, jene Synthese zu schaffen, mit einer bis zur Eigenwilligkeit gesteigerten Verteidigung seiner früherhin als Wegbereiter der Geniezeit eroberten Positionen aufzureiben. Von Humboldt — wie teils auch von Schiller — scheidet ihn sein induktives und genetisches Vorgehen, das ihn hätte Goethe annähern können und auch zeitweise angenähert hatte. Von Kants reiner Formästhetik und kritischen Analytik trennte eine kaum überbrückbare Kluft seine Gehaltsästhetik und seinen Organismusgedanken, wie seine miterlebende Einfühlungskritik und die „Energie der Seele" sich abgestoßen fühlte von einem „interesselosen" Wohlgefallen und sein Beharren auf vollkommen organisierte „Wesenheit" (Kalligone) den wesenlosen Scheinwert aus „reiner Form" verwerfen mußte. Der auf Klopstock hinüberdeutende „Darstellungs"-Begriff rettet der Wortkunst das Moment der Ausdruckswertung. Der Harmoniebegriff Herderscher Prägung bewahrt die Einbeziehung der Subjektivität gegenüber der klassischen Erstarrung des Objektivitäts-Primats, indem er nur im harmonisch-organischen Wechselspiel von Objekt und Subjekt die Schönheit für den Aufnehmenden subjektiv wirksam werden läßt und hierin der Romantik vorarbeitet. Das gefühlsmäßige Reagieren, das sich sympathisch Angesprochenfühlen entscheidet als wertendes, sonderndes und sichtendes Schönheitskriterium. Damit wird auch das schöpferisch Erarbeitete oder Erfühlte aufrechterhalten gegenüber dem abstrakt „Gesetzten" und schließlich die Würde der Menschheit als maßgebende Instanz von einer anderen Seite her aus der Geschichte der Menschheit und Natur heraus behauptet. Und fast möchte man sagen: wie Goethe und Schiller die Skizze „Über epische und dramatische Dichtung" gemeinsam zeichneten, so hätten Herder und Schiller eine ästhetische Erziehung des Menschen gemeinsam entwickeln können. Trotz seines — z.T. auch persönlich verschärften — Widerstrebens lädt dergestalt gerade Herder den Blick ungewollt immer wieder ein zu einer überblickenden Zusammenschau der Teilstrebungen innerhalb der Kunstanschauung der Klassik.

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Es wäre eine billige Vereinfachung der reichen, sich widerstreitenden und doch immer erneut zur Synthese zusammengezwungenen und organisch zusammengedrungenen geistig-seelischen, weltanschaulichen und kunstanschaulichen Kräfte, und es wäre zugleich eine unbillige Vergröberung der idealen Antriebe kulturpolitischer Art, wenn man Herders Teileinwände gegen das — von ihm bereits als in sich dogmatisch erstarrt empfundene — Kunstwollen der Klassik, das nicht allein in den „Xenien" die Wendung zum eigenmächtigen Kunstsollen zu vollziehen droht, einfach vom Standort des positiven Christentums einerseits oder gar vom Standort des enttäuschten dichterischen Wettbewerbs aus erklären wollte. Die teilweise erkennbaren Rückversicherungen beim moralpädagogischen Prinzip der Aufklärung wären dann nichts als notgedrungen bezogene Hilfestellungen für die Verteidigung einer derartig gedeuteten und mißdeuteten Grundposition. So einfach ist Herder nicht zu erfassen, wie stark immer die religiöse Tragschicht seiner ästhetischen Position inneren Halt bieten mag. Die Ästhetik und Organik des älteren Herder wächst durchaus um einen ästhetischen Kern, und zwar um einen Kern, dessen Wuchskraft, in der Organismusästhetik des Sturmes und Dranges bewährt, auch im Kunstwollen der Klassik als schlechthin unentbehrlich sich bewiesen hatte. So durfte der Satz (von Obenauer) gewagt werden, der späte Herder sei „ästhetischer gesinnt" als der späte Schiller und der alte Goethe, wenn dieser Satz in der Abwehrstellung auch ein wenig überschärft erscheinen mag. Es könnte wohl auch der Versuch unternommen werden, die Ästhetik und Sprachphilosophie des älteren Herder in ähnlicher Weise nach ihren existenziellen Motiven zu durchforschen und zu deuten, wie es (von G. Küntzel) hinsichtlich der Frühzeit Herders unternommen worden ist. Herders starke Herausarbeitung des „Da-Seins" und andere Anknüpfungspunkte wären ohne weiteres gegeben. Nur fragt es sich, ob man damit vor einer Übermalung oder gar Verzerrung des Herderbildes hinreichend geschützt wäre. An Stelle eines stark ins Positivistische umgefärbten Herderbildes (R. Haym) würden wir eben nur ein ins „Existenzielle" verzerrtes Herderbild erhalten. Herder fordert, daß man ihn immer willig von seinen „Ideen-Gefühlen" aus zu verstehen sucht, auch der ältere Herder. Die Abwehrstellung der betont christlichen Dichter und Kunstrichter gegen das gleichsam als neuheidnisch empfundene Kunst-

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wollen der deutschen Klassik war von Fr. von Stolberg, von dem alternden Klopstock, wohl auch beim Klopstocknachahmer und Bardensänger Denis wie überhaupt im Wiener Bezirk weit eifriger bezogen und weit eifernder verteidigt worden als von Herder. Schon die Rezension Stolbergs von 1788 über Schillers D i c h t u n g „Die G ö t t e r Griechenlands" und vollends die Vorrede zu den „Auserlesenen Gesprächen des P i a t o n " (1796, von den dazugehörenden Anmerkungen ganz abgesehen), gegen die Goethes Entwurf „Plato als Mitgenosse einer christlichen Offenbarung" (etwa 1796, gedruckt erst 1826) Front machte, weisen eindeutig in jene Richtung. An sich war Stoibergs Widerstreben gegen Schiller noch lebhafter als sein Abrücken von Goethe, wie man denn vielfach Schiller nur als eine Art von Vorwerk der Kernstellung Kant anzusehen sich gewöhnte. Ebenso geht K l o p s t o c k mit dem Gedicht seiner Spätzeit „An die D i c h t e r meiner Z e i t " (1800), ohne recht zu fühlen, daß es eben doch nicht mehr „seine" Zeit war, von der christlichen Verteidigungsstellung aus zum Angriff vor. Und der persönliche Mißmut über das Abgedrängtwerden von der Führerstellung dichterischer Geltung mußte bei Klopstock notwendig stärker sich ausprägen als bei Herder, der eine derartige dichterische Führerstellung nie innegehabt hatte. Dennoch bringt Klopstock, dessen Vorstöße gegen Kant unweit flacher verlaufen als bei Herder, eine Reihe von kunstkritischen, auf die eigene Kunstanschauung zurückgehenden Beanstandungen, die sich denen Herders in gewisser Weise annähern. So etwa der Einwand, daß die Sicht der Antike und Ansicht über das Antike in der Klassik nur ein modegerecht „Schiefgesehenes" für ein Echtes anbiete, oder der Einwand vom Sittlichen her, daß die Selbstherrlichkeit und Selbstzwecklichkeit der Kunst vergäße, wie eine auch im ästhetischen Sinne für Klopstock wahrhaft „heilige" Kunst willig und wertsteigernd „auf Edles gründet das Schöne". Daß in Analogie zur sittlichen Tat, die auch nur um ihrer selbst willen geschähe (das Edle als Selbstzweck) eine ästhetische „Tat" im Kunstwerk um ihrer selbst willen durch die „Tatkraft und Bildungskraft" gesetzt werde: diese Lehre der Klassik, am klarsten bei Moritz ausgeprägt, galt eben nicht als ausreichend, galt als verlockend gefährliche Verlagerung des sittlichen Primats. Mehrfach spielt Klopstock seinen Darstellungsbegriff gegen die Klassiker aus, die bestenfalls „Beschreibung" böten, wo sie „Darstellung" zu bieten behaupteten.

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Jedoch: „Darstellung von der Beschreibung rein zu sondern", das hält Klopstock für eine dringliche Aufgabe deutscher Dichtung und deutscher Dichter. Wieweit er mit dem Blick auf Schiller, besonders auf Schiller als Lyriker, darin ein Berechtigtes trifft, kann hier nicht erörtert werden. Aber Klopstock wollte immer zugleich und vor allem das Kunstwollen der Klassik als Ganzes mittreffen, und ein Blick auf Goethes Lyrik lehrt das Schiefe im Ansetzen jener Angriffsrichtung. An sich waren für Klopstock die Voraussetzungen gegeben, nun etwa vom kulturpatriotischen Standort aus die „neuen Herolde der Griechheit" in die Schranken zu weisen. Doch liegen in dieser Richtung beim alten Klopstock nur schwächere Ansätze (das einst wegweisende Wort vom „Hain" wird in eine Klammerparenthese verwiesen) vor, während Herders Vorstöße gerade nach dieser Seite hin an Ernst und Kraft und damit auch an Tiefe gewinnen. Nicht nur der „Iduna"- Streit mit Schiller weist in diese Richtimg. Herder fühlt, daß er nicht nur einen entscheidenden Ausschnitt des „Querelle des anciens et des modernes", ins achtzehnte Jahrhundert übertragen, miterlebte (das fühlte deutlich genug auch Schiller), sondern daß im alten Kampfgang um den bei esprit (jetzt in seiner höchsten Vollendung als „ästhetischer Mensch"), in das achtzehnte Jahrhundert übertragen und vermeintlich endgültig zugunsten des ästhetischen Primats ausgetragen, der Nationalcharakter und die volkswürdige, weil volkseigene nationaleigene Kunst als Kunst leiden müßten, wenn man den wertvollen Grundbestand des „innigen Ernstes" aufopfere, um das heiter überlegene Spiel zur letzten Freiheit emportreiben zu können. In größerem Zusammenhange gesehen (nicht rein ästhetisch gesehen), vertritt Herder in unendlich veredelter, vergeistigter und emporgebildeter Ausprägung alle jene nationaleigenen Kräfte der Selbstbesinnung, die mehrfach schon vor ihm (etwa bei Geliert vom deutschen Gemüt her) das Ideal der künstlerischen Schöngeistigkeit oder auch der gesellschaftlich bestechenden Schöngeistigkeit nicht als den letzten Wert anerkennen wollten, ob nun dieses Ideal von Frankreich angeboten oder von Griechenland zur Verfügung gestellt wurde. Verstärkend kam hinzu, daß Herders Antike-Erlebnis, nachdem es zeitweise vereinfachend etwa Homer als Volksdichter umzudeuten und dem Sturm und Drang anzugleichen versucht hatte, weit mehr die verfeinerte, seelenschöne Seite des sanften innigen Ernstes bei den Alten

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wiederzufinden meinte, wie schon seine Einstellung um die Mitte der achtziger Jahre erkennen ließ. Das bloße Übertragen und Aufpressen eines Gipsabgusses des griechischen Profils jedoch auf das Profil des deutschen Nationalcharakters, der griechischen, vermeintlich echt griechischen Maske auf das frische lebendige deutsche Antlitz mußte gerade einem Herder als ernste Gefahr für den lebendigen und eigenwertigen Kunstbestand erscheinen. Und diese Frische und Lebendigkeit sollte nicht durch die würdige Wucht des Statuarischen erdrückt werden, konnte vielleicht eher noch einen Zustrom politischer Aktivität ertragen, wie etwa der B r i e f H e r d e r s an G l e i m (22. Mai 1792) andeutet. Das ist nicht bloßer Rückfall ins Aufklärerische. Es klingt auch ganz Herderisch und nicht so, als ob Sulzer oder der Bodmer des „politischen Trauerspiels" das Wort hätte. Daß Herders k r i t i s c h e B e d e n k e n g e g e n d a s K u n s t w o l l e n der K l a s s i k nicht in die Richtung der Angriffe der Aufklärer verschiedenster Prägung wie Nicolai, Cornelius von Ayrenhoff (der aus der Motivgeschichte und den Gestaltungswandlungen des Herrmann-Stoffes bekannt ist) oder des „falschen Freundes" der Klassiker Joh. Friedrich Reichardt sich bewegten oder doch nur notfalls ihre Beweisgründe von dieser Seite her ergänzten, weil die alten-jungen „Ideen-Gefühle" (Meiler Müllers) im alten Herder nicht mehr so fruchtbar wirkten, sollte kaum einer näheren Erörterung bedürfen. Daß jedoch auch kein ausschließliches Zurückgehen auf die geniezeitgemäße Ausgangsstellung vorliegt, obwohl sie fraglos weitgehend von Herder als ewiger Kraftquell ausgewertet werden konnte (gerade auch im kulturpolitischen Sinne), läßt ein Vergleichsblick etwa auf G. A. Bürgers Angriffsposition ohne weiteres erkennen. Ganz abgesehen davon, daß schon der Herder der „Plastik von 1770" mit der Zweieinigkeit „ P l a s t i s c h e F o r m u n d o r g a n i s c h e G e s t a l t " recht eigentlich das gesamte (formulierbare) Kunstwollen der Klassik vorweggenommen hatte (was bei Bürger nicht möglich gewesen wäre): Herder hatte schon um die Mitte der siebziger Jahre und vollends um die Mitte der achtziger Jahre wesentlich am Werden des klassischen Kunstwollens und seinem Sichentwinden aus dem geniezeitgemäßen Kunstwollen mitgewirkt. Waren doch auch in Schillers „ästhetischer Erziehung" wie überhaupt in Schillers Ästhetik reiche Begrenzungskräfte am Werk, die das Vordrängen einer antikisierenden Dichtung um jeden Preis und auf Kosten

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einer „modernen" auffingen, auch die Abseitigkeiten Kants und die bildkünstlerisch bedingten Einseitigkeiten Goethes aufzuheben sich bemühten, nur eben weit elastischer und weit behutsamer, als es durch Herder geschah und angesichts nicht nur seiner Persönlichkeit, sondern auch seiner Kunstanschauung geschehen konnte. Stolberg und Klopstock von der einen Seite und Bürger von der anderen Seite verstanden kaum ernstlich, worauf das Kunstwollen der Klassik in seinen letzten Aufgipfelungen hinauswollte. Herder verstand dieses Kunstwollen nur zu gut. Eben deshalb erkannte er auch am klarsten und weitblickendsten die Gefahrenzonen, darunter auch die rein künstlerische, sich zu sehr an eine Übertragung der Ideale der bildenden Kunst mit ihrem ruhenden Sein auf die Dichtkunst als Kunst des lebendig strömenden, seelennahen und geistnahen Wortes, wenn auch des zugleich „plastischen" Dichterwortes zu gewöhnen. Er erkannte, daß man gerade rein ästhetisch gesehen, der Dichtkunst an Eigenleben und Eigengesetzlichkeit (theoretisch) fortnahm oder doch fortzunehmen geneigt war, was man der Kunst als Ganzheit an Machtzuwachs und Freiheit zu schenken meinte, indem man sie für autonom erklärte. Auch der Sprachphilosoph in Herder erkannte das, wie er die Gefahrenzone des seinsfernen Begriff-Dichtens bei Kant bemerkte. Daher ließ Herder nicht einfach das Originalgenie des Sturmes und Dranges auf die Klassik los, wie es Bürger tat ζ. B. im literatursatirischen Gedicht vom „Vogel Urselbst", das an sich wieder den Mehrfrontenkrieg Bürgers recht anschaulich andeutet, sondern auch dort, wo es so scheinen mag, als ob nur der einstige Herder das Wort ergreift, steht immer der ganze Herder dahinter. Und nicht aus einer bloßen Zusammenfassung christlicher, aufklärerischer und irrationalistischer Elemente (wie A. Bettex meint) läßt sich der ganze Herder im Kampf um das klassische Weimar deuten. Zum mindesten der Mitarbeiter am Kunstwollen der werdenden Klassik müßte dann sichtbarer gemacht werden. An sich scheint für Herder der Zugang zum Kunstwollen der Klassik wesentlich leichter gegeben als etwa für Schiller. Schon im Vorraum der Klassik öffnet er nicht zum wenigsten durch den veredelten Geschmacksbegriff diesen Zugang in vorbereitender Kritik an Entartungserscheinungen des Sturmes und Dranges. Aber Herder hatte — um vorerst den Blick auf Kant zu lenken —

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das geistesgeschichtlich notwendige Schicksal, zweimal in seiner Dichtungsphilosophie zusammenzuprallen mit einem rationalistisch eingestellten Ästhetiker, einmal in der Jugend mit Lessing („Kritische Wälder"), zum anderen im Alter mit Kant („Kalligone"). Im letzten Grunde stemmte sich in beiden Fällen die induktiv-empirische Einfühlungsästhetik gegen die deduktivabstrakte, logisierende Begriffsästhetik. Im Kampf mit Lessing — obwohl achtungsvoller und zurückhaltender geführt — gehörte Herder der Sieg oder zum mindesten die Zukunft. Auch dieser Kampfgang mit Lessing (und noch mehr der gegen Riedel) war ein Kampf gegen die Ästhetik „von oben"; denn der „Laokoon" ist konstruktiv nur eine geschickt verhüllte Deduktion, wie allein die Entwürfe beweisen können. Diese Belebungstaktik und Auflockerung durch empirische Elemente (Homer, vgl. bei Humboldt das Epos Goethes) stand letztlich im Dienste der Sprachgestaltung und Stoffgliederung, war einer der großartigen „Kunstgriffe" des Schriftstellers Lessing, wie sich aus Werden und Wesen des Lessingschen Stils beweisen läßt. Trotzdem stand Lessing als — wenngleich absichtsbetont — schaffender Gestalter Herder notwendig näher als Kant. Und so kommt es, daß er den achtungsvoll bekämpften Gegner Lessing gegen den als völlig kunstfremd mißachteten und mißverstandenen neuen Gegner Kant in der „Kalligone" ausspielen zu können glaubt, wie er denn auch in der Zeit- und Streitschrift „ A d r a s t e a " gern auf Lessing zurückgreift im Widerspiel gegen Weimar. So kommt es, daß er recht eigentlich mit der neuen „Mode"-Ästhetik „von oben" (Kants) mehr nach dem Verfahren ins Gericht geht, das er einst in dem modischen Begriffspiel einer Ästhetik „von oben" (J. Riedels) mit besserem Erfolg hatte bewähren können („Viertes kritisches Wäldchen"), wobei nicht zu übersehen ist, daß in Riedels „Theorie" (1767) unter Einwirkung Burkes das „interesselose" Wohlgefallen bereits deutlich vorklang. Wenn jetzt der „Kalligone" zum mindesten ein äußerer Erfolg versagt blieb, so lag das nicht nur an der denkerischen Größe des Angegriffenen. Es lag zugleich in der inneren Gebrochenheit der Angriffskraft selbst begründet. Die Stoßkraft der Genievorstellung war gelähmt durch Einbeziehung verstandesmäßiger oder vernunftgemäßer Faktoren, wie sie mit der Umlagerung und Entspannung des Geniebegriffs innerhalb der Abhandlungen über die „Ursachen des gesunkenen Geschmacks" und „Vom Erkennen

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und Empfinden der menschlichen Seele" vorbereitet worden war. Die Stoßstärke der Sinnenfreudigkeit und der einstige Befreiungsansatz gegenüber moralischer Zweckgebundenheit waren innerlich zermürbt durch den erneuten Einbruch stark ethischer Zwecksetzung beim älteren Herder. Die alten bewährten Truppen waren Herder nicht mehr in unverbrüchlicher Treue verbunden, weil er ihnen selbst nicht restlos die Treue gehalten hatte. Er ließ sich von Kant hinüberziehen auf ein Gebiet, auf dem er sich nicht zurechtfinden konnte, auch kaum ernstlich zurechtfinden wollte. Wie einst im Kampfgang mit dem Verfechter abstrakter SollÄsthetik Riedel — denn als solcher erschien dem jungen Herder ζ. T. irrtümlich Riedel — sind auch jetzt die Linien eigener Zielentfaltung immer wieder durchstoßen von Polemik; nur daß diese verbissen scharfe Polemik weniger fruchtbare Keime enthält als damals. Den allgemeinen, fertigen „gesetzten" Oberbegriff des Schönen hatte der Genetiker und Empiriker damals bestritten, wie er ihn jetzt bestritt. Aber das laufende Gefecht gegen den „Spiel"-Begriff stößt jetzt notwendig und überwiegend ins Leere, weil Kants Spielbegriff, von Schiller mit dem künstlerischen und ethisch befreienden und befreiten „Spiel" zur großartig gesehenen Versöhnung gebracht, nicht so nahe am Oberflächlichen sich fand, wie Herders Kampfwille vermuten lassen möchte. Herder hatte einst die Gefahr der Normsetzung seitens der soll-ästhetischen Forderung auf Grund eines vermeintlich allgemeingültigen Schönheitsbegriffs (Riedel) resolut aufgedeckt. Und auch jetzt hält er mit einer Zähigkeit, die man doch nicht — wie Haym, der Herder nicht gerecht wird — einfach als „Eigensinn" mißdeuten sollte, fest an der Position: „In Sachen des Geschmacks soll Niemand uns ein Soll sagen." Aber jetzt untergräbt er diese alte Stellung selbst mit dem ethischen Soll, nach dem die Künste bloßer „Trödel" wären, wenn ihnen nicht ein, wenn auch „sanftes" Fortleiten vom „Tierischen" und ein „wirksames" Hinüberleiten und Hinauferziehen zum Edleren glücken sollte. Bei alledem hätte der Herder der „Kalligone", wie Haym bereits andeuten konnte und Korff neuerdings hervorhebt, wiederholt Berührung mit Kant zu finden vermocht. Aber er wollte den Abstand. Er wollte die Würde der Kunst schützen vor der Mißdeutungsmöglichkeit, daß sie letztlich bloße „Spielerei" darstelle. Er wollte die Wärme der Kunst, gerade auch der Wortkunst und Tonkunst, beschützen vor der Kälte des abstrakten Kritizismus.

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Und er mußte nicht nur vom künstlerischen, sondern auch vom anthropologischen Blickpunkt aus anders die Kunst anschauen und daher auch eine andere Kunstanschauung gewinnen oder bewahren als Kant. Zugleich scheint — wie Th. Litt klarstellt — verschiedentlich die Annäherung nur durch den Wortlaut der Formulierung gegeben, während der Bedeutung nach der Gegensatz bestehenbleibt. Stärker als der erste Teil der „Kalligone" (Schönheitsbegriff) und der dritte Teil (Erhabenheits- und Schönheitsbegriff) greift der mittlere Teil „Kunst und Kunstrichterei" in den Bereich der Literaturphilosophie hinüber, und zwar vor allem in dem Sonderabschnitt „Poesie und Beredsamkeit". Das stolze Wort Hamanns von der Dichtung als der „Muttersprache des menschlichen Geschlechts" wird aus Rückerinnerung an die kraftvolle Geniezeit aufgenommen, wenn auch die Stimme etwas gebrochen klingt, die es jetzt Kants These vom „Spiel mit Ideen" entgegenstellt. Der Ernst der Verteidigung, der im vermeintlich so mutwilligen Angriff liegt, wird spürbar in der entrüsteten Abwehr: „Wie niedrig stünden Redner und Dichter, wenn sie dies tändelnde Spiel zum Geschäft ihres Lebens machten! Und wie übel zusammengeleimt wäre die menschliche Natur, wenn sie dieses Spiels bedürfte!" Die Heiligkeit der Empfindung, „wo sie es innig meint", darf nicht entweiht werden durch die „KarnevalsMaske" des „Spiel"-Begriffs, und es ist zweifellos, „daß die Poesie die Empfindungen ausdrückt". Das „Spiel" aber würde „heuchelnder Empfindung" Raum geben. Es ist zugleich der alte Kampf Herders gegen Abstraktionen von Empfindungen, an dem sich von seinem Standort aus G. A. Bürger beteiligt. Auch die dichterische Illusion ist nicht Spiel der Täuschung, sondern ein geistig-seelischer „Tausch" durch das Sich-Einfühlen und ein willig oder von genialer Darstellungskraft erzwungenes SichHineinversetzen (Übertragung der Einfühlungskritik auf den dichterischen Wirkensvorgang schlechtweg). Derartige Einfühlung wird ohne weiteres zur Emporbildung des Kunstfrommen führen, der mehr sein muß als ein „Spiel"-Genießender; denn „wem sagte dies sein eignes Herz nicht, wer lebt, wer formt sich nicht selbst in einer wahren Dichtung" ? Es wird klar, daß Herder von hier aus einen verhältnismäßig gangbaren Weg bahnt zur ethischen Forderung, einen Weg, der ihn letztlich auf diesem Gebiet hätte mit Schiller zusammen-

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führen können, ähnlich, wie ihn seine Naturphilosophie zu Goethe hätte hindrängen sollen. Die weit hinüber leuchtende — im poetischen bzw. ideellen Realismus ihren späten Widerschein findende — Prägung der „Kalligone" von der „leib- und geisthaften Wahrheit" im Dichtwerk, die wiederholte ideale Zielprägung, spezifisch für die epische Dichtkunst, daß sie stets „leib- und geisthaft darstellen wollte" und sollte, berührt sich ungewollt mit Goetheschen Anschauungen, und letzten Endes doch auch — es vorwegnehmend — mit dem „zugleich ganz ideell und doch im tiefsten Sinne reell", dem Symbolischen in Schillers etwas später liegenden Vorwort zur „Braut von Messina". Für Herder geht die alte Erkenntnis oder Gläubigkeit doch nicht unter dem Einbeziehen der konstruktiven Funktion des ordnenden Verstandes verloren: „Der Poet ist Erschaffer, Schöpfer; wer dies nicht kann, ist kein Dichter." Die Überlegenheit des Schöpferischen, des spezifisch Dichterischen (gegenüber dem bildkünstlerisch „Plastischen"), die Bewertung des Individuellen und Subjektiven, die Leitidee des „Werdenden" im organischen und künstlerischen Entwicklungsstrom vor allem und die geistesgeschichtlich-historische Sehart waren Kräfte, die Herder an die Romantik weitergeben konnte, gerade auch jene Konzeption des „Werdenden", dem die „werdende" Universalpoesie im 116. Athenäumsfragment ihr Leitprogramm widmet. Und wenn Herder in seiner Zeitschrift „ A d r a s t e a " (1801/02) für das Wunderbare und Traumhafte des Märchens eintritt, wenn er für die Sonderform der „dämonischen" Fabel naturphilosophische Vorstellungen heranzieht, so spürt selbst Haym, daß der „Gegner der Theorien der Jünger der Romantik" damit bei einem naturphilosophischen „Mystizismus" angelangt ist. Nur daß Haym von den „paradoxen Forderungen und Konstruktionen eines Fr. Schlegel oder Novalis" sprechen zu müssen glaubt, an denen hier Herder immerhin „streift". Allerdings fördert die Herdersche Gattungsgliederung im vierten Stück der „Adrastea" kaum wesentlich. Aber der ethische Einbruch, der gegen die französierende Oberflächlichkeit und die bloße „Repräsentation" im (Weimarer) Bühnenwesen mit ernstem Verantwortungsbewußtsein eingesetzt wird, die Einbeziehung des Musikalischen in die „Melodie der Handlung", die Abwehr auch eines zudem unechten und entstellten Griechentums waren eines Herder durchaus würdig. Vor allem findet die 12 M a r k w a r d t . Poetik III

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„Adrastea" die klare Abwehr der einseitigen Blickrichtung zur Bildkunst (Klassik): „ N i c h t also von der zeichnenden oder bildenden K u n s t e m p f ä n g t die D i c h t k u n s t Gesetze." Gerade auch der jüngeren Romantik konnte er unbewußt manches übermitteln von spezifisch „deutscher Art und Kunst", das sich dergestalt von der Geniezeit mit ihrer erlebten Volksnähe über die kühlere Hochebene und das überwiegende Bildungserlebnis der Klassik hinüberretten konnte in die zum mindesten auf „sentimentalischem" Wege neu erstrebte Volksnähe der jüngeren Romantik mit ihrer gekräftigten nationalen Verwurzelung. Träger dieses Erbes zu sein, war Herders Schicksal, das er erfüllen mußte selbst im Widerstreit mit der Kunstanschauung der Klassik. Dieser Widerstreit sollte schon deshalb nicht bedauert werden, da er hohe Werte des Volkstümlichen sicherte. Das Hinüberblicken der Spätklassik auf den französischen Klassizismus — nicht nur auf die Antike, mit der Herders „Adrastea" gerade zu widerlegen vermag, was vermeintlich „antik" war oder sein sollte —, verrät die Gefahr, gegen die er sich zur Wehr setzte, nicht zum wenigsten aus Verantwortungsbewußtsein gegenüber dem „Genius von der Literatur eines Volkes". Im „Horen"-Beitrag „Homer, ein Günstling der Z e i t " (1795) hatte Herder bereits ein Thema berührt, das sehr bald auch Hölderlin beschäftigen sollte. Und im ersten Jahre der „Adrastea" (1801) schrieb Friedrich Hölderlin (1770—1843) einen Brief an Böhlendorf, den man z.T. als Merkzeichen einer Wandlung vom Antikisierenden zum Nationalen überbetont haben mag. Denn Hölderlins E r l e b e n der A n t i k e , künstlerisch eingeformt und mit weltanschaulichen Strebungen verschmolzen im sentimentalischen mehr als naiven Briefroman „ H y p e r i o n oder der E r e m i t in Griechenland" (1797—1799)» der aus „der geheimnisvollen Quelle der Dichtung" die Philosophie entstehen und alles wiederum in Poesie einmünden läßt, wie er aus enttäuschtem Ersehnen den Weg zur Totalität zu weisen trachtet, dieses überwiegend elegisch gestimmte Erleben der Antike erfährt nicht erst späterhin eine scharfe Umbiegung vom Kultus der Alten zur Wertschätzung des Vaterländischen hin. Vielmehr birgt Hölderlins Einstellung zum griechischen Kulturgut schon recht frühzeitig ein gewisses Abstandsuchen in sich, das seiner Forderung eines Abstandhaltens des Dichters vom Rauschhaften der Begeisterung entspricht und das dann nur bewußter verstärkt zu werden braucht,

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ohne daß eine wirkliche Lossagung ernstlich erstrebt worden wäre. Trotz gewisser „orphischer" Teileinschläge erscheint eine Gleichsetzung der Hölderlinschen Vorstellung von der Antike mit Nietzsches Begriff des „Dionysischen" als recht gewagt, das weit eher in Wilhelm Heinses Sehart des Griechentums zu suchen wäre. Immerhin findet eine bereichernde Auflockerung gegenüber Winckelmann statt, die jedoch weitreichend durch Schiller vorgebildet war. Zudem hat die kanonhafte Geltung der Alten auch von der individuellen Seite her mit dem Selbstentfaltungsstreben des jungen Künstlers zu ringen, der — wie sein Hyperion — sich nicht einfach umwerfen lassen möchte von der „schreckenden Herrlichkeit des Altertums" und sich „ein stärkend Selbstgefühl" bewahren will gegenüber der berauschenden Übermacht jener Eindrücke. Besonders seit er seine Zeitschrift „Iduna", ein Journal mit Gegenwartsdienst am Volke plant, für das die k u n s t t h e o r e t i schen N a c h l a ß e n t w ü r f e wohl überwiegend vorgesehen waren (um 1799), verstärkt sich die Rückbesinnung auf Eigengeltung. Das bereits von Dilthey erschlossene Parallel-Gerichtetsein mit der Frühphilosophie Hegels, das schon in dem T h a l i a f r a g m e n t des „ H y p e r i o n " (1794) bzw. im Vorwort neben Berührungen mit Schelling spürbar wird, bleibt besonders angesichts des berühmten „Dreitaktes" im Begriffsbilden Hölderlins beachtenswert. Ein an sich sehr knapp gehaltener Entwurf „Der Gesichtsp u n k t , aus dem wir das A l t e r t u m anzusehen haben", {1799) ist doch in seiner ganzen Fragestellung fruchtbar für eine Klärung der Wertungskriterien antikisierenden Kunstwollens, das sich nicht der Erkenntnis verschließen darf: „Das Schwerste dabei scheint, daß das Altertum ganz unserem ursprünglichen Triebe entgegenzusein scheint, der darauf geht, das Ungebildete zu bilden, das Ursprüngliche, Natürliche zu vervollkommnen . . ." Eine Entlastung vom klar erkannten Druck der jede Originalität brechenden Mustergeltung und des schon Vorgeformten der Antike möchte der Entwurfanlauf tröstlich darin suchen, daß im Urgründe eine Strebenseinheit in allem Menschenwollen und allem Kunstwollen (also auch mit der Antike) besteht, daß aber durch die „besondere Richtung" dieses Strebens ein gewisser Spielraum an originalen Möglichkeiten auch für die Moderne offen gehalten bleibt. Wenn Hölderlin etwas später in dem kunsttheoretisch bedeutsamen Briefe an Böhlendorf (4. Dez. x8oi) mit seiner Gegen1«·

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KLASSIK

gewichtstheorie den Modernen die Anlage und Gabe der „Klarheit der Darstellung" und daher als ausgleichend ergänzende Aufgabe die „schöne Leidenschaft" zuweist, so spielt schon an dieser Stelle das Erhoffen nicht unwesentlich mit, daß auf solchem Wege die Griechen „zu übertreffen" sein könnten. Aber der Brief stößt noch weiter vor. Denn wie durchgängig bei Hölderlin das Kunstkönnen mit einem Gegenwert, ja geradezu Gegensatzwert das Naturvermögen weiterhin steigernd auszugleichen hat zum höheren Dritten, so setzt er — „es klingt paradox" — jene schöne Leidenschaftlichkeit, jenes „Feuer vom Himmel" und „heilige Pathos" für die Griechen als „angeboren", als Naturgabe voraus (Abstufung gegenüber Schiller), dergestalt daß besonders seit Homer ihr Kunstkönnen sich ausgleichend der Darstellungsgabe, einer „Junonischen Nüchternheit" und kühlen Klarheit zuwenden mußte. Eben daraus wird mit merklich befreiter Freude, eine Entfaltungsmöglichkeit zu sehen, gefolgert: „Bei uns ist's umgekehrt. Deswegen ist's auch so gefährlich, sich die Kunstregeln einzig und allein von griechischer Vortrefflichkeit zu abstrahieren. Ich habe lange daran laboriert..." Aber eine derartige Einsicht hatte der junge Herder dreißig Jahre vorher in der „Laokoon"-Kritik seiner „Kritischen Wälder" bereits klarer bewährt und wärmer begründet, wie denn auch die Hölderlin-Forschung (W. Böhm) angesichts solcher Stellen einräumt, daß diese Warnung „ja seit Herder gegeben" gewesen sei. Man kann sich dem Eindruck nicht verschließen, daß Hölderlin letztlich eine ganze Strecke mit dem jungen Friedrich Schlegel benachbart vorwärts drängt, aber im zermürbenden Kampf um ein Freikommen vom mythisch überhöhten Schönheitsideal der Antike das innige Verbundensein nicht wirklich zu sprengen vermag, da er keinen wirklich wertgleichen Ersatz sieht und das romantische Ideal, dem er mehrfach sich nähert, ebensowenig gutheißen konnte wie Heinrich von Kleist. Die Problematik und der Zusammenbruch des Künstlers und Kunstdeuters Hölderlin wirkt wie ein schmerzliches Sich-Aufreiben eines eigenständigen Strebens am Treuehaltenwollen in seiner verzehrenden Liebe und dennoch keineswegs unkritischen Liebe zur erhabenen Gewalt und Würde der Antike, einem Treuehaltenmüssen auch von innen her, das doch gelegentlich Klänge von Liebesüberdruß oder selbst von Liebeshaß als Dissonanzen auftönen läßt in der Stille klassischer Gehaltenheit.

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Beide Richtungen seiner Neigung mit ihrer latenten Spannung zittern noch in einer der späten Hymnen Hölderlins („Der Einzige") nach in der gedämpften und doch dringlichen Frage, die W. Rehm seiner Würdigung des Verhältnisses von Griechentum und Goethezeit voraussenden kann: „Was ist es, das an die alten seligen Küsten mich fesselt, daß ich mehr noch sie hebe als mein Vaterland ?" Aber wenn ihm im Griechentum gleichsam der heilige Leib der Völker entgegenstrahlte, so sucht er wiederum in einer der späten Oden (dem „Gesang des Deutschen"), im Vaterland das „heilig Herz der Völker" wiederzufinden. Und das drängende Ersehnen einer Erfüllung wendet sich in der Dichtung „An die Deutschen" an den „Genius unsers Volks'', der einstmals die „Seele des Vaterlands" würdig offenbaren möge. Im Bezirk der Kunsterkenntnis ist es — ähnlich und doch anders als bei W. v. Humboldt—nicht zum wenigsten auch die dichterische Leistung Schillers, die den Griechenverehrer Hölderlin nachdenken läßt über originale deutsche Vervollkommnungsmöglichkeiten, wie er denn gerade auf Grund seiner Bemühungen um eine möglichst würdige Pindar-Ubertragung — und wie vieles gab Pindars Vorbild seinen eigenen Hymnen an Ansporn und Ermutigung — zugleich zum Nachdenken kommt über eine Eigenwegigkeit, die einer „blinden Unterwerfung unter alte Formen" entgehen könnte. Es bestätigt auch von dieser Seite her die Sondersendung Schillers innerhalb der deutschen Klassik, das Bewahren einer deutschen Grundhaltung trotz des übermächtigen Druckes des Übergewichtes der Antike, daß es Schiller war, dem Hölderlin derartige Gedanken der Besinnung anvertraute. Auf einem eigenen Sondergebiet Hölderlins, dem des Mythischen, gelangt er auf Grund seiner Sophokles-Übertragung in den Sophokles-Anmerkungen zu der nachdenklichen Überzeugung, die Kunsttechnisches kritisch prüft: „Wir müssen die Mythe nämlich überall beweisbarer darstellen." Wie das Kimstschaffen Hölderlins zuletzt auf mythische Gestaltungs- und Empfindungsweisen zustrebt, auf das mythische Drama (Empedokles) so gut wie auf die mythische Ode und Hymne, so auch greifen in sein Kunstwollen und seine Kunstbesinnung, die als Rückbesinnung auf eigne deutsche Möglichkeiten etwas eingehender verfolgt werden mußte, mythische Kräfte über, die sinnliche D e u t u n g und geistige B e d e u t u n g organisch zu binden trachten. Und diese lebendigen (letztlich dichterischen)

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Kräfte verfangen sich nun frühzeitig — und ζ. T. rettungslos sich verwirrend und einer systematisierenden oder logisierenden Auslegung weitgehend Trotz bietend oder doch harte Aufgaben stellend — in den von Hegel und Schelling entliehenen Systemnetzen, die Hölderlins Kunstanschauung wohl manchen Ertrag einzufangen erleichtern (so die Dreistufigkeit: Hegel; das „Harmonischentgegengesetzte": Schellings Identität u. a.), an denen sich aber seine sensible Natur wundreibt, auch dort, wo er Heilung von Zweifeln und Widersprüchen (Einheit und Trennung) zu finden hofft. Zum mindesten dürfte sich das, was er durch die Philosophie gewonnen hat, und das — doch wohl wertvollere — , was er durch sie verlor oder doch zu verlieren drohte und fürchtete, ausgleichen. Erschwerend kam hinzu, daß die schon generatiorismäßig bedingte Nähe zu den Romantikern und die doch wohl überwiegende innere Nähe zur Klassik den Zwiespalt der Ansichten und Einsichten, aber auch der Sehnsüchte weiterhin steigern mußte. Die schon dadurch gegebene Vieldeutigkeit der kunsttheoretischen Aufsätze — der die reiche, aber leicht auch verwirrende Vieldeutigkeit der Hölderlin-Forschung entspricht — muß endlich durch den unausgeformten Fragment-Charakter und das Aphoristische noch weiterhin vermehrt werden. Eine Gruppe von Fragmenten über die Hölderlin besonders liebe Gestalt und den C h a r a k t e r des A c h i l l , der als ein „Wunder der Kunst" gefeiert wird, und „Ein Wort über die I l i a d e " (etwa 1799) streift mit ihrem kunsttheoretisch bemerkenswerten Aufgreifen kompositioneller Fragen zugleich den damals lebhaft entfachten Problemstreit (Koppen, Fr. A. Wolf, Herder, Fr. Schlegel) über Homers Epos und seine Anlageform bzw. Entstehung. So ganz gefangen ist Hölderlin von dem „Göttersohn" Achill, daß er dessen Ausscheiden aus dem Geschehen mit der vermeintlichen künstlerischen Absicht Homers zu erklären sucht, Achill nicht zu sehr einer Profanierung auszusetzen, ein Gedanke, der mehr Hölderlins Zartheit und Behutsamkeit als Homers Kraft entsprechen dürfte. So ganz ist sein inneres Schauen auf Achilles gerichtet, daß ihm alle anderen Heldengestalten der Ilias als bloße Abwandlungs- und Stufungswerte erscheinen, dergestalt daß er vorübergehend das Epos als Charakterepos, bei dem alles vom Helden aus bestimmt sein müsse, etwa in Entsprechung zum Charakterdrama (wie einst Lenz es sah) zu deuten und gattungsgesetzlich zu fordern geneigt ist.

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Und wie Wilhelm von Humboldt etwa gleichzeitig aus Goethes Epos neuklassischer Prägung „Hermann und Dorothea" Grund* gesetze des Epischen abzuleiten trachtete, so scheint es, als ob Hölderlin von Homers Ilias allgemeingültige Beiträge zur Strukturgesetzlichkeit des Epos und darüber hinaus zum Wesen des Dichterischen sich gewinnen möchte, und zwar Hölderlin dem Kunstwerk näherbleibend als W. v. Humboldt. Aber wie W. v. Humboldt nur scheinbar induktiv, in Wirklichkeit jedoch überwiegend deduktiv vorging bei jenem ersten (und einzigen) seiner „Ästhetischen Versuche", so überkreuzt sich zum mindesten das induktive Verfahren der Vorbild-Poetik (Vorbild: Ilias) Hölderlins mit einem Streben nach Deduktion, und zwar auch und noch stärker in anderen kunsttheoretischen Bruchstücken. Die enge Berührung mit der Gedankenwelt Hegels und Schellings legte ein Hineinnehmen abstrakter Ideen nahe. Ob Hölderlin auch schon W. v. Humboldts „Ästhetische Versuche" gekannt hat (zeitlich wäre es nicht so ganz ausgeschlossen), bleibe dahingestellt. An sich bestehende Teilberührungen (Totalitätsbegriff u. Unendlichkeitsbegriff) könnten auf gemeinsame dritte Anregungsquellen hinreichend zurückgeführt werden. Immer aber bleibt diese zeitliche Nähe bemerkenswert im Raum der allgemeinen Strebungen der Klassik und ihres Kunstwollens. Aber während Humboldt, eben weil er die Ausdrucksgrenze und die Problematik der Sprache als des dichterischen Darstellungsmittels spürt, dem Statuarischen der Plastik als idealer Grundform (ein wenig gewiß auch Goethe zuliebe) zuneigt, zeigt ach Hölderlin lebhafter von der Grundform musikalischer Komposition hingezogen. Denn es ist letzten Endes (um im Kunsttheoretischen zu bleiben) doch mehr als ein bloßes Merkwort, wenn er seine dichterische Kompositionslehre und ζ. T. auch seine Gattungstheorie auf der Lehre vom „Ton", vom „Hauptton" des „Ganzen" und vom „Wechsel der Töne" gründen läßt. Sollte ihm doch auch dort, wo das Wort der Rede versagt, der Ton des Gesanges weitere Ausdrucksmöglichkeiten erschließen. Wie nahe ihm die musikalische Komposition vorschwebt, wird besonders greifbar, wenn er den „Hauptton" einmal so erläutert: „Der herrschende Ton wird es nur darum sein, weil das Ganze auf diese und keine andere Art komponiert ist." In jener Angleichung an tonkünstlerische Kompositionsformen dürfte — ähnlich wie bei H. v. Kleist — ein wesentlicher Zug zur Romantik hin zu erkennen sein.

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Ein wenig auch auf Kleists Grundidee der Abhandlung „Über das Marionettentheater" weisen gelegentliche Andeutungen Hölderlins voraus, nur daß Kleist am Tänzerischen umschreibt, was Hölderlin am Gesang versinnbildlicht: „Mit Gesang steigen die Völker aus dem Himmel ihrer Kindheit ins tätige Leben, ins Land der Kultur. Mit Gesang kehren sie von da zurück ins ursprüngliche Leben." Zwischen Herder und Kleist steht hier Hölderlin. Die Nähe Schillers wird dagegen deutlicher, wo Hölderlin von der Kunst als dem „Übergang aus der Natur zur Bildung und aus der Bildung zur Natur" spricht. Kleist gelangt mehr in die ahnungsvolle Tiefe, weil er sich auf Schillers Stufengang nicht mehr so unmittelbar angewiesen fühlt wie ζ. T. noch Hölderlin. Aber den gewaltigen Spannungsbogen zwischen „Kind" und „Gott", zwischen dem Unbewußten und dem Uberbewußten, sieht auch Hölderlin versöhnend sich wölben. Und auch er kennt die bereits von Hamann angedeutete Gefahr eines Mißbrauches des Wortes und die Ehrfurcht des Schweigens, des Stilleseins aus Andacht und Ausdrucksfülle, aber auch aus Ausdracksnot, weil das Wort doch nicht das Letzte sagen würde und deshalb auch gar nicht das Letzte sagen sollte. Auch das nähert ihn — von einer anderen Seite her — wiederum Kleist, der nur weit gewaltiger an den Ausdrucksgrenzen alles Sprachlichen rüttelt, aber auch das Sichbescheiden lernt. Hölderlin kennt nicht nur die Wortschuld im „Empedokles", sondern auch den Sündenfall des Wortes wie Kleist den Sündenfall der Erkenntnis, die sich in Worte äußert. Aber während Kleist als Tragiker Kants „Kritik der reinen Vernunft", an der sein jugendlicher Bildungsoptimismus zu scheitern drohte, für die Symbolwelt dichterischer Weltdeutung ersetzt oder richtiger umsetzt in eine „Kritik des reinen Gefühls", die letzte Grenzen der Verläßlichkeit und Sicherheit des Gefühls abtastet und echte Tragik dort sieht und gestaltet, wo das reine Gefühl versagt (die berühmt-berüchtigte „Gefühlsverwirrung" ist nur Mittel zum Zweck solcher, von Kleist gleichsam in Dramenform geschriebener „Kritik des reinen Gefühls"), kennt zwar auch Hölderlin die hohe Bedeutung einer „Sicherheit des Gefühls", kennt auch er das Schmerzliche einer schicksalshaften Trennung des Fühlenden vom Gefühlten. Indessen: ihm ist noch Schillers Mahnung näher, nicht „die Nüchternheit in der Begeisterung zu verlieren" (Schiller an Hölderlin, 24. Nov. 1796), ihm ist noch die erlösende Lehre der Klassik vertraut, bei aller Gegenstandsnähe

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und Erlebnisnähe den beherrschten und daher beherrschenden Abstand von der Leidenschaft zu bewahren. Und so wird ihm „Gefühl" zugleich „beste Nüchternheit und Besinnung des Dichters, wenn es richtig und warm und klar und kräftig ist. Es ist Zügel und Sporn dem Geist". Vor allem aber — denn diese Lösung bietet noch keine innere Erlösung von jenem Zwiespalt — vermag Hölderlin, während Kleist den tragischen Kampf voll durchkämpft und mit aller Strenge seine Kritik des reinen Gefühls an den Gefühlstrübungen und Gefühlsverwirrungen (wie auch an den zugeordneten Sinnesverwirrungen) durchhält, jene Gefühlsproblematik als „notwendige Willkür des Zeus" den Göttern zuzuweisen und so wiederum in das Mythische auszuweichen oder aber auch ins Mythische emporzudrängen. Nicht zu erörtern ist die gerade hier sich aufdrängende Frage, ob jenes klassische Gefühlsdämpfungsstreben und Gefühlsausgleichungsstreben an der „echten" Tragik leicht vorbeilenkte, die Tragik vorzeitig mit Versöhnung sättigte, so daß auch „Empedokles" zu keiner Tragödie sich vollenden wollte. Vielmehr scheint für das Kunstwollen Hölderlins — wenn schon einmal Kleist beschworen wurde — gegenüber der Kritik des reinen Gefühls (als latente Poetik in Kleists gewaltigem Werk) eine immer wiederkehrende Kritik am Gefühl des Reinen, am Keuschen und Idealen im Sinne der Sehnsucht nach dem Idealischen kennzeichnend zu sein. Kritik in dem Sinne eines schmerzlichen Erkennens und häufigen Nennens des wirklichkeitsgegebenen Nahebeieinanderseins von Reinheit und Gemeinheit. Hölderlin, um das einmal etwas scharf zu formulieren, Hölderlin als Kunsttheoretiker und Dichtungsdeuter redet zwar sich selbst und den anderen (der Mutter, dem Freunde und den vorgesehenen Lesern seiner Nachlaß-Fragmente) unermüdlich Trost zu, daß der Dichter diesen herben Bezug auf das Sinnenhafte nicht entbehren, ja daß er ihn nützen könne und müsse. Aber seine eigene Zartheit und ein Zug zum Abstrakten, der neben seiner Begeisterung nicht übersehen werden sollte und ihm jenes klassische „Nüchtern"Sein erleichterte, aber auch Schwankungen zwischen Mythischem, Symbolischem und Allegorischem mit sich brachte, machten ihm den eigenen Glauben und das eigene Befolgen solcher Lehren merklich schwer. Eine wesentliche Zuflucht bietet der Begriff einer Totalität des Lebens und der Begriff des organischen „Ganzen des Kunstwerks", in das auch das an sich „Unpoetische" harmonisch und nach plan-

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voller künstlerischer Ökonomie eingefügt werden kann, so daß es als Glied dieses Ganzen selbst „poetisch wird". Eine Möglichkeit, solche Zuflucht vor der derben oder „eiskalten" Alltäglichkeit des Lebens aufzusuchen, bietet das Recht und die Pflicht des Dichters, das Widerstreitende und Widerstrebende auszugleichen und anzugleichen und endlich „aufzuheben", etwa in Hegels Sinne im höheren Dritten. Der Hölderlinsche Begriff der „Einheit des Einigen" ergänzt sich durch den Begriff der „Einheit der Entgegensetzung" und erfährt seine Übergipfelung im Begriff des „Göttlichen, Harmonischentgegengesetzten". Daß Schelling solchen Zugang erleichtern konnte, ist ohne weiteres einleuchtend. So kann von der echten „poetischen Individualität" ausgesagt werden, daß „Entgegengesetztes und Einiges in ihr unzertrennlich" enthalten und beschlossen sei, ohne daß die Einheit zerbrochen würde. Und indem er aus der schmerzlichen und doch beseligend fruchtbaren Not, sich selbst in dem Zwischenstadium einer Sehnsucht nach dem Idealischen und eines Abgeschrecktseins vom Realistischen (und doch dichterisch Angewiesenseins auf das Realistische als Ingredienz) vorzufinden, die edle Tugend, andere einer solchen Not zu überheben, macht, scheint ihm gerade jene Spannung künstlerisch besonders ertragreich werden zu können. Jene Spannung und Anspannung findet ihre Entsprechung in der Spannung von Gefühlshingabe und Wahrung des Abstandes. Auch diese Spannung gilt in Hölderlins Kunstlehre als dichterisch triebkräftig, wie sie fraglos in seinem Kunstschaffen, besonders seinen lyrisch-hymnischen Dichtungen zur reinsten und reifsten Frucht geführt hat. Gerade in einigen „Aphorismen", wo der Dichter den Philosophen im Raum bündiger Prägung mehr beiseite drücken kann als in den Aufsätzen, findet Hölderlin klare und tiefe Worte künstlerischer Weisheit, die innere Haltung und Fonnzucht betreffend. Nicht wo die Nüchternheit sich einstellt, sondern „da, wo die Nüchternheit dich verläßt, da ist die Grenze deiner Begeisterung". Halt und Haltung verliert der Dichter, wenn er diese Grenze im Streben nach krampfhafter Steigerung und im vermeintlichen „Schwung" überflügeln möchte; denn „Man kann auch in die Höhe fallen so wie in die Tiefe". Deshalb kann der Künstler die „Schwerkraft, die im nüchternen Besinnen liegt", nicht entbehren. Die Gegenwärtigkeit des Geistes kennzeichnet auch im Sturm der Gefühle gerade den „großen Dichter",

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der „niemals von sich selbst verlassen" ist, „er mag sich soweit über sich selbst erheben, als er will". Etwa das, was Hölderlin an anderer Stelle (Grund zum Empedokles) „stille Besonnenheit und Empfindung" nennt oder wohl auch „Junonische Nüchternheit", das etwa, was Karl Philipp Moritz „innere Seelenwürde des hervorbringenden Genies" genannt hatte, meint diese „Nüchternheit": das vom Schöpfer-Rausch Abstandhaltende. Die „Nüchternheit" ist nichts Verstandesmäßiges. Sie ist das „richtige", verhaltene „Gefühl", das klar empfindet, wieviel mehr oftmals „Stille" zu steigern vermag als „Heftigkeit". Insofern könnte man auch sagen, daß es bei Hölderlin eine Kritik am bloßen Gefühl gibt, während es bei Kleist um eine Kritik des reinen Gefühls geht. Die Nähe der S p r a c h d e u t u n g Hölderlins wird ohne weiteres spürbar. Denn auch die Welt des Wortes fordert Hingabe und Abstand zugleich. Und von dem Stillen, das stärker wirkt als das Heftige, ist der Weg nicht weit zum Schweigen, das ausdruckshaltiger ist als das Wort. Die Tragik des Empedokles als Gestalt liegt nicht zum wenigsten darin schuldhaft begründet, daß er wohl die Hingabe an das Wort, das die Natur erst sprechend macht (erinnert sei an Hamanns Chiffrensprache der Natur), kennt, nicht jedoch den Abstand vom Wort, wo Unaussprechliches diesen Abstand fordert. Im letzten Grunde geht es Hölderlin wieder um das, was K. Ph. Moritz die „innere Seelenwürde des hervorbringenden Genies" nannte. Denn eine innere Seelenwürde des im Wort Schöpfung Setzenden verbürgt auch die Wahrung der gebotenen Grenzen. Die Klage jedoch, die Wort und Sprache als letztlich unzulängliches Organ eines gesteigerten seelischgeistigen Ausdruckswollens empfindet, nähert sich im Grundsätzlichen verwandten Klagen Schillers oder W. v. Humboldts, aber auch H. v. Kleists. Das ist weder etwas der Klassik, noch der Romantik Eigentümliches. Die Klassik (Winckelmann-Goethe) empfindet die Problematik des Wortes mehr, weil sie ein Ideal der bildenden Kunst in das „Material" der Wortkunst nicht restlos übertragen und umsetzen kann. Die Romantik mehr, weil sie teils das Unendliche und Ahnungsvolle, z.T. das Ideal der Tonkunst nicht restlos mit wortkünstlerischen Darstellungsmitteln einkörpern kann. Hölderlins vermeintliche Sonderstellung ist überdies nur eine Etappe auf dem langen längst beschrittenen Wege eines Loslösungs- und Befreiungskampfes der Sprachphilosophie oder

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Sprachauffassung von den Ansätzen innerhalb des Rationalismus. Seitdem die spröde, aber in ihrer Art auch tapfere Wegbahnung der Aufklärung (etwa von Wolff bzw. Thomasius bis hin zu G. Fr. Meiers „Versuch einer allgemeinen Auslegungskunst", 1757, aber auch noch Lessing) mit ihrer (dichterisch hemmenden, ja gefährlichen) Auffassung der Sprache als eines wenn auch komplizierten Mechanismus von „willkürlichen, konventionellen Zeichen" im wesentlichen überwunden worden war, seitdem der Organismusgedanke auch die Sprachdeutung verlebendigend und beseelend ergriffen hatte und so theoretische Teilerkenntnisse innerhalb der Auflockerergruppe der J . A. Schlegel, Garve, Sulzer u. a. betreffs „Ausdruck" (statt „Zeichen") vertiefen konnte, vollends seit Hamann und Herder (besonders dem Herder vor und jenseits der Preisschrift) mußten auch die Ausdrucksgrenzen immer wieder empfunden werden. Und seitdem Erlebnisdichtung da war, wurde auch die Schranke der erlebnismäßigen Ausdrucksmöglichkeiten besonders schmerzlich fühlbar. Nicht nur in der Kunsttheorie des Sturmes und Dranges galt ζ. B. das Genie als ein „Unaussprechliches". Auch in der Dichtung des Sturmes und Dranges klagt mancher mit Maler Müllers Faust: „unsre Sprache reicht nicht zu, alles zu umfassen". Die übersteigerte Ausdruckskraft des Sturm- und Drang-Dramas bringt häufig auch die Begrenzung der Reichweite des Wortes zum Bewußtsein. Auch das Hinüberblicken auf die Musik ist dort schon vertraut, wie denn Herder von der Dichtersprache als einer „Musik der Seele" sprechen und den bewegten Fluß dichterischer Vorstellungen im Wort als „Melodie von Vorstellungen" umschreiben konnte. Und Herders Sprachen-„Roman" klingt bei Hölderlin mehrfach als Voraussetzung an. Die Klassik im strengeren Sinne neigt wieder etwas mehr zum geistigen „Zeichen", das indessen zum geistig bedeutenden Symbol verlebendigt erscheint.. Auch Hölderlins Sprachdeutung trägt Spuren dieser abgewandelten Auffassung des Wortes als „Zeichen des Geistes". Das Eigene Hölderlins wäre vielleicht am ehesten noch das „feiernde Nennen" in Benachbarung des Rhythmischen und Gesangshaften (P. Böckmann), also zuletzt doch wieder das Hymnisch-Mythische, nur jetzt als letzte Sprachmöglichkeit und Grenzwert des Wortes zum Ton hin oder zum Rhythmus hin gefaßt. Wobei immer noch zu berücksichtigen bliebe, ob man Aussagen über Wort und Sprache, die in Dichtungen (Hyperion,

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Empedokles) aus der jeweiligen Situation und Stimmung der aussagenden dichterischen Gestalten organisch, aber eben auch bedingt hervorgewachsen sind, so ohne weiteres als beweiskräftig für die Sprachauffassung als solche in Anspruch nehmen kann. Versucht man es aber mit einer mythischen Sprachauffassung, so steht die symbolische Sprachauffassung nicht mehr weit ab, um so weniger weit, als das Mythische bei Hölderlin streckenweise weitgehende Neigung zeigt, ins Symbolische überzugehen und etwa auch in der Pindar-Deutung Symbolisches anzusetzen. Vielleicht ist dabei Hölderlins Ansicht beteiligt, daß der moderne Dichter das Mythische „beweisbarer" machen müsse, vielleicht aber auch jener erwähnte Zug ins Abstrakte, der selbst die Grenze von Symbol und Allegorie gelegentlich überschreitet. Das aber würde bedeuten, daß Hölderlins Sprachauffassung denn doch wieder dem umspannenden Symbolbegriff der Klassik, z.T. auch dem Typusbegriff der Klassik (denn die Allgemeingültigkeit des mythischen Bezeichnens führt unschwer zum Typus) sich nähert, wie denn das „bedeutende" Wort im Sinne Goethes vom „mythischen" und „feiernden" Wort Hölderlins schwerlich wesenhaft zu unterscheiden ist. Indem jedoch die Gegenstandsfreudigkeit und stoffliche Kraft und Plastik Goethes von Hölderlin gerade auch in seinen mehrfachen theoretischen Selbstermahnungen nicht zufällig so eifrig beschworen und in seinem Dichten nicht überall erfolgreich umworben wird, erscheint die geistige Verdünnung des Mythischen zum Symbolischen und der entsprechende Übergang im Sprachbezirk weiterhin erleichtert. Besonders spürbar wird das im dramentheoretischen Bezirk, wo Hölderlin im „Grund zum Empedokles" wohl die Einsicht zeigt, daß die bloße „unmittelbare Sprache der Empfindung", die für die „tragische Ode" ausreicht, für die Tragödie der substanzstärkenden Ergänzung bedarf im Wählen eines entsprechenden Stoffes, wo jedoch das „Fremde" und nur Gleichnishafte deutlich mitschwingt. Denn im Drama müsse „der Stoff ein kühneres, fremderes Gleichnis und Beispiel von ihr (der Empfindung) sein". Und von dem Ausdruck wird mit Bezug auf den „Empedokles" gesagt, daß das „Einigende" gleichsam „untergehen", also verlorengehen müsse, „weil es zu sinnlich und sichtbar erschien", weil es, dem Besonderen verhaftet, nicht das Allgemein-Geistige zu bewahren vermag. Nicht zufällig muß für Hölderlin der

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„schönste Moment" aller Möglichkeiten dort gegeben sein, „wo der eigentliche Ausdruck, die geistigste Sprache, das lebendigste Bewußtsein" zusammentreffen. So stark auf der einen Seite die unverbrauchte Unmittelbarkeit der Sprache begriffen und fordernd ergriffen wird, so stark ist auf der anderen Seite die Neigung zum Vergeistigen und zum Umsetzen in das Gleichnishafte. Auch deshalb wird Hölderlin zum Mythischen in seinem Kunstwollen und seinem besten Kunstschaffen vorgestoßen sein, weil er das Geistige in der Sprache hier zugleich zu entbinden und an ein Körperhaftes zu binden vermochte. Für die Poetik müssen jenseits der Sprachdeutung gerade auch kunsttechnische Einzelwinke über die Dichtersprache belangreich erscheinen. So etwa der Aphorismus über Inversion (unter „Aphoristisches") mit seiner Warnung vor einem Übertragen der „logischen Stellung der Perioden" auf die Dichtersprache, die derartige logisierende Gefügebildungen nur „höchst selten" gebrauchen könne. Vom engen Bezirk aus öffnet sich der Blick in die Weite der Entwicklungen und Wandlungen des Kunstwollens und Sprachwollens, wenn man von hier aus zurückschaut auf Christian Weises völlig entgegengesetzte Forderung, daß die Syntax der gebundenen Dichtung immer und gesetzlich bindend auch der normalen Wortfolge und Gefügebildung der Prosa (Primat der Prosakonstruktion) Folge zu leisten habe. Ein Blick auf die Nachteile und offensichtlichen Schäden, die der frühaufklärerische Primat der Prosakonstruktion in der vermeintlich lyrischen Dichtung der Frühaufklärung und Aufklärung (bis hin zu Heinrich Brockes und darüber hinaus) angerichtet hat, auf der einen Seite, ein Blick auf die rhythmische Belebung, die seit des jungen Herders Empfehlung der Inversionen einsetzte, ein Blick nicht zuletzt auf Hölderlins eignes Dichten, das die Möglichkeiten der Inversion voll auszuwerten wußte, läßt auch hier Hölderlin antreffen auf der Seite des künstlerisch Fruchtbaren unter Abwehr des künstlerisch Sterilen. Die hohe Bedeutung, die Hölderlin der dichterischen Gefügeformung überhaupt zuweist, bekundet weiterhin eine sprachästhetisch und stilkritisch bzw. stiltheoretisch höchst bemerkenswerte Beobachtung gelegentlich seiner Homer-Auslegung. Sie geht dahin, „daß in einem guten Gedichte eine Redeperiode das ganze Werk repräsentieren kann". Selten ist der Gedanke einer durchgreifenden Stileinheit klassischer ausgesprochen worden.

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Einer Stileinheit, die im kleinsten Bauglied die gesamte architektonische Linie, die in der kleinsten selbständigen Wachstumszelle den organisierenden Kern und den Wachstumstypus des Ganzen antrifft. Selten aber auch ist die tragende Schicht der Organismusästhetik so offensichtlich greifbar, da hier Stileinheit und organische Ganzheit geradezu als Deckbegriffe gefaßt werden. Selten endlich wird die Notlösung, neben einer „inneren Form" von einer „äußeren Form" zu sprechen, in ihrer ganzen Unzulänglichkeit als bloße Notlösung so scharf belichtet. Der sogenannte „Wink f ü r die D a r s t e l l u n g und Sprache" (1799/1800) möchte an sich mehr bieten als kunsttechnische Einzelwinke. Neben einigen bedeutsamen Äußerungen in Privatbriefen, dem Empedokles-Aufsatz und etwa noch dem Fragment „Über das Werden im Vergehen" finden sich vor allem in dieser Abhandlung die im wesentlichen schon gewürdigten sprachphilosophischen Ansätze Hölderlins. Teilweise mit leicht kulturphilosophischen (Einwirkung Herders) und bildungsphilosophischen Gedankengängen (Einwirkung Schillers) verbunden, nähert sich der nicht straff geschlossene Gedankengang über „Darstellung und Sprache", der zugleich durch die Titelgebimg betont den „Darstellungs"-Begriff mit all seiner Bedeutsamkeit für das Kunstwollen der Klassik herausstellt, doch auch mehrfach dem kunsttheoretisch belangreicheren Problem der Dichtersprache im engeren Sinne. Hölderlin setzt dabei dem Dichter das ide?le Ziel, die Ursprünglichkeit des Sprachlichen, von allem Konventionellen und „Positiven" unbelastet, fast im Sinne der jungherderschen Sprachauffrischung wiederherzustellen. Aber Hölderlins Sehnsucht steigert die Konzeption fast ins Metaphysische. Es hat gleichsam keinerlei „Sprache der Natur und Kunst" für den Dichter als gegeben bereitzuliegen „in bestimmter Gestalt", wenn sein reines, unbefangenes Schöpfertum gewahrt bleiben soll. Dergestalt wird ein verwandtes Freikommenwollen vom „Positiven", das zum Kulturverfall zu führen pflegt, vom im Bildungsstoff Überlieferten ähnlich im Spracherleben und in der Sprachdeutung sichtbar wie gegenüber dem Vorbildstoff der Antike. Die Dichtersprache muß im schöpferischen Werden stets neugewonnen erscheinen, damit sie nicht zum originalitätgefährdenden, zum „gefährlichsten" Traditionsgut entarte. Sie hat darüber hinaus den Dualismus von Schein und Sein ausgleichend aufzuheben. Allgemein gefaßt, ist die Sprache das „Produkt" einer

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„schöpferischen Reflexion", wobei Reflexion nicht im rationalistischen Sinne verstanden sein will, vielmehr im Schließen des Kreises oder Vollenden des Stufenganges wieder nah an die Ursprungsempfindung grenzt. Das ausgleichende Gegengewichtschaffen beherrscht das Verhältnis von Gehalt und Gestalt. Die Gestalt soll — bei aller Innigkeit und Ineinsbildung beider — nicht ein bloßer Abdruck des Gehalts sein, sondern zugleich einen Gegendruck bieten, damit der Grundton nicht zu einseitig sich ausprägt und die Stimmungslage harmonisch im Wechsel- und Gegenspiel von Gehalt und Gestalt ausbalanciert werden kann. Dieses G e g e n g e w i c h t s c h a f f e n im Ausgleichen, dieses Ideal, in der Charakterbildung des „Hyperion" so klar geprägt als das „ G l e i c h g e w i c h t der schönen Menschheit", im Gestaltschöpferischen gleichermaßen beobachtet, diese Zentralkraft, die alles Zerfließende bei Hölderlin stets wieder zusammenzwingt und ihn als Theoretiker nicht zum wenigsten der Klassik letzten Endes doch stärker annähert als der Romantik, greift nun weiterhin in die G a t t u n g s g l i e d e r u n g und G a t t u n g s d e u t u n g bestimmend über. Sie prägt sich vorwiegend aus und verbindet sich mit Hölderlins Vorstellungen und Forderungen „Über die Verfahrungsweise des poetischen Geistes" in den Entwürfen der Homburger Jahre „Über die verschiedenen A r t e n zu dichten", dem Fragment „Über den Unterschied zwischen l y r i s c h e r , epischer und tragischer D i c h t u n g " und „Über die Grundlage des tragischen dramatischen Gedichts im allgemeinen und der E m p e d o k l e s - T r a g ö d i e im besonderen", wobei der „ A l l g e m e i n e Grund" (zum „Empedokles") eingangs die Abstufung von „tragischer Ode" und „tragischem dramatischem Gedicht" (Tragödie) andeutet. Das Problem der ihm femer liegenden Komödienform hat Hölderlin nur flüchtig berührt gelegentlich einer ihm recht eigentlich aufgedrungenen Rezension von Siegfried Schmids „Die Heroine" (1801). Im weiteren Umkreis sind die sogenannten Sophokles-Anmerkungen: „Anmerkungen zum ö d i p u s ; Anmerkungen zur Antigone" heranzuziehen, die u.a. gerade die pantragistische Einswerdung („wie Gott und Mensch sich paart") erneut fühlbar werden lassen. Ebenso dürfte der Aufsatz „Über das Werden im Vergehen" manche Andeutung zu dramentheoretischen Fragen bieten. Eigenartig überschneidet sich bei diesen Konzeptionen — denn es sind mehr genialische Konzeptionen als abschließende Aus-

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führungen — der Wille zum gesetzlichen Erfassen bis hin zum zwingenden Schematismus, der selbst graphische Darstellungen zu Hilfe ruft, mit der überwältigenden Wucht des Visionären, das eine logisierende Erläuterung der stark symbolhaltigen Andeutung weitgehend ausschließt. Aber erkennbar wird doch etwa das an die Geniezeit erinnernde Erlösen der Lyrik aus ihrer Hintergrundstellung innerhalb der Literaturphilosophie der Klassik oder die hervorragende Bedeutung der Dreistufigkeit „naivheroisch-idealisch", wobei „heroisch" wohl auch durch „energisch" ersetzt wird. Das zur Romantik hinüberweisende, aber bereits in der Klassik vorbereitete Auflockern der Gattungsgebiete mehr von innen her (Identitätsstandpunkt: Vereinigung des Gegensätzlichen, nicht bloße Verwischung der Gattungsgrenzen), wie andererseits die wieder auf das Kunstwollen der Klassik sich zurückziehende Warnung vor einer leichtfertigen Gattungsbrechung und Grenzverletzung liegen auf der Linie des Ausgleichungsstrebens. Die Wesens- und Zuordnungskriterien sieht Hölderlin nicht zum wenigsten in den drei Faktoren: Anfangston, Grundton (auch „Grundstimmung" genannt) und „Kunstcharakter" (Ausführungsart, sprachliche Ent- bzw. Verhüllungsart). Das vollwertige Dichtwerk jeder Gattung muß mit diesen Grundkräften rechnen und ihre Gegensätzlichkeit zu überwölben trachten in der ausgleichenden Ganzheit, die das Getrennte wieder versöhnend einigt. Die Konstanz der Stimmungslage bleibt ζ. B. im lyrischen Gedicht dennoch gewahrt durch das Wiedereinmünden des Schluß-„Tons" in den Eingangs-„Ton". Warm hebt Hölderlin die Gefühlssättigung des Lyrischen heraus; denn „im lyrischen Gedichte fällt der Nachdruck auf die unmittelbare Empfindungssprache, auf das Innigste, das Verweilen. . . " (Gegenwärtigkeit des Lyrischen). Dagegen trägt das klassische Dämpfen Sorge für ein Abwehren der Maßlosigkeit in der Gefühlshingabe, so daß die „Haltung auf das Heroische" nach dieser Seite hin das Gegengewicht zu stellen hat. Damit die „sinnlichere" Grundstimmung nicht einseitig unharmonisch sich ausleben kann, wirkt ihr im „Schein" das Vermeiden des Wirklichen und das Hinstreben zur Vergeistigung entgegen: die „Richtung" muß sich demgemäß „auf das Idealische zu" einstellen. Von hier aus wird die Eingangsdefinition verständlicher: „Das lyrische, dem Schein nach idealische Gedicht ist in seiner Bedeutung naiv. Es ist die fort13 H a r k w a r d t , Poetik I I I

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gehende Metapher eines Gefühls." Das Epos (Schein: naiv; Bedeutung: heroisch) „ist die Metapher großer Bestrebungen". Beide Umschreibungen, besonders die der Lyrik, wären in gewissem Grade heute noch durchaus für eine Literaturphilosophie der Gegenwart brauchbar. Ein unsicheres Ablenken von der bislang durchgehaltenen Zielrichtung wird erst erkennbar beim Ansatz, die dramatische Dichtung entsprechend zu umschreiben. Die tragische Dichtung (Schein: heroisch; Bedeutung: idealisch) gilt als die „Metapher einer intellektuellen Anschauung", wobei die intellektuelle Anschauung etwa verstanden sein will als Schau des „Ursprünglicheinigen", jener ursprünglichen „Einigkeit mit allem, was lebt" (auf eine überraschende, jedoch durch die gemeinsame Grundschicht: Hegel erklärbare Annäherung an Hebbels Pantragismus sei beiläufig hingewiesen), der Wiederaufhebung der tragischen Vereinzelung. Diese Wiederaufhebung der Zertrennung liegt darin eingeschlossen, daß die Ursprungseinheit, das ursprünglich Einige, nur sich auflöst, „weil es aus sich herausgehen müsse". Die Deduktion wahrt dabei eine gewisse Fühlung mit der Induktion, indem auf Muster wie Pindar, Homer und Sophokles stützungsuchend hinübergeschaut wird; auf Homer ja bereits in den erwähnten Fragmenten. Mannigfache Widersprüche, Überkreuzungen und Begriffsvergattungen bleiben im übersteigerten Aphorismenstil der Entwürfe ungeklärt. Denn die Dreiergruppe: Leidenschaft, Empfindung, Phantasie durchbricht doch teilweise verwirrend die Kombination: naiv-idealisch-energisch. Etwas wie eine Endlösung des schöpferischen Geheimnisses dämmert im immanenten Gesetz der Sukzession, im vertieften Verstände des Rhythmus' auf. Von hier aus ließen sich Verbindungen aufzeigen von Hölderlins teils intuitiver, teils diskursiver und selbst schematisierender Dichtungstheorie zur Dichtungstheorie und zum Kunstschaffen Kleists. Die „Anschauung" eines „Ganzen als solchem" möchten sich beide durch Kants „Kritik" nicht nehmen lassen. Gelegentlich nähert sich Hölderlin (im Fragment „Über die Religion") einem gattungstheoretischen Zuordnungs- und Bestimmungskriterium, das ihm besonders gemäß gewesen wäre. Es bleibt jedoch bei einem bloßen Anlauf, die „epische Mythe" von der „dramatischen Mythe" und dem „Lyrischmythischen" abzuheben. Entsprechend seiner vorwiegenden Begabungsrichtung ist er auch als Kunstdeuter der Wesensbestimmung des Lyrischen

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verhältnismäßig mühelos nahegekommen, während ihm (ähnlich Herder) die Bestimmung und Deutung des Dramatischen und Tragischen (mehr aber wohl des spezifisch Dramatischen) die schwersten Kämpfe bringt. Und doch lockt ihn das Wesen, Wirken und Wollen des Dramatischen und Tragischen zu immer neuen Auslegungen. Was für den Dichter schlechthin gilt: „Meist haben sich Dichter zu Anfang oder zu Ende einer Weltperiode gebildet", das scheint — wie besonders, aber nicht allein das Fragment vom „Werden im Vergehen" erkennen läßt — ganz besonders für den Dramatiker Geltung zu haben, zum mindesten für den letzten Vollendungstypus des Dramas, das Hebbel dann als das „epochale Drama" umschreibt. Die Linie Hegel— Hebbel könnte schon kurz überblickt werden. Hölderlin scheint das Tragische und zugleich Aussöhnende darin erkennen zu wollen, daß der „mythische Zustand" an sich tragisch sei, aber daß durch das ewige Wechselspiel von „Untergang" und „Ubergang", von Auflösung des Alten zur Lösung des Neuen ein Versöhnendes ausgleichend wirke. Weil der tragische „Zustand" zugleich im ewigen Strom lebendigen Werdens tröstliche Rückschau zum Ursprünglicheinigen und Vorschau zum Neu-Werden gestattet und fordert, ist ein befreiender Abstand vom „ersten rohen Schmerz" möglich und der Wirkung des echten Dramas eigen. In der Terminologie, die recht krause Blüten aus dem Grunde der Identitätsphilosophie treibt, bekundet sich ein solches Ausgleichsstreben in Zusammensetzungen wie dem „Unendlichrealen, Individuellidealen", die zugleich Hölderlins alte Not und Nötigung, Geistig-Bedeutsames und Idealisches als im Wort „bildender" Künstler nicht ohne Reales, Mythisch-Symbolisches, nicht ohne Individuelles fassen und faßbar machen zu können, nur von anderer Seite doch erneut sichtbar werden läßt. Beim Angewiesensein des Dramas auf eine kraftvollere Stoffülle wird sich Hölderlin dieser Problematik besonders bewußt. Der Ausweg des „Harmonischentgegengesetzten", ein Begriff, den man z.T. auf Manilus (discordia concors) zurückgeführt hat, bietet wiederum überall die Auffangsstellung. In mehrfachen Wendungen und in verschiedenen Fragmenten wird das Wesensattribut des „Kühnen" mit dem Dramatischen in Beziehung gesetzt. Nach der kunsttechnischen Seite scheint sich Hölderlin weiterhin klar zu sein über die strukturmäßige Bedeutung des „Anfangs- und Endpunktes" im Drama, die in der Tat strukturbeherrschender sein dürften als der „Handle·

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lungs"-Verlauf im Schema Gustav Freytags. Von hier aus wären auch Rückbeziehungen zu Hölderlins Lehre vom Eingangston, Hauptton usw. möglich. Doch müssen diese Andeutungen über seine Gattungstheorie genügen. Gewisse r a t i o n a l i s t i s c h e W e n d u n g e n zur Anweisungs- oder doch Anleitungspoetik hin dürfen bei alledem nicht übersehen werden, die Hölderlins fragmentarische Theoreme von einer zweckbefreiten Literaturphilosophie abheben und als absichtsbetonte Zielprägungen eines um -Schaffensgesetzlichkeiten bemühten Künstlers erkennen lassen. So gesichert sein Glaube an die Genialität des Schöpferischen sein mochte, so gottnah Dichtungen wie „ N a t u r u n d K u n s t " (bzw. „Saturn und Jupiter") und „ D a s h i m m l i s c h e F e u e r " oder „ D i c h t e r b e r u f " den Schaffenden darstellten: Hölderlins zeitweise gebrochenes Selbstgefühl vermeint doch — Otto Ludwig d a r i n gar nicht einmal so unähnlich — zu erkennen, „wie vorteilhaft und wie erleichternd die wahre Erkenntnis der poetischen Formen für die Äußerung des poetischen Geistes und Lebens ist". Und wie er hier im vertraulichen Privatbrief an die Mutter (4. Dez. 1799), der doch zugleich die Gottbegnadung zum Dichtertum im Abwehrkampf gegen den nahe gelegten Brotberuf klarstellt, an den griechischen Werken den „sichern, durch und durch bestimmten und überdachten Gang der alten Kunstwerke" abzulesen glaubt, so verrennt er sich im aufreibenden Kampf um gesetzliche Sicherung des Künstlertums fast erneut in den Lessingschen Glauben an „Kunstgriffe" der Alten, in die Erfassungsmöglichkeit der „poetischen Logik", des „gesetzlichen Kalküls und sonstiger Verfahrungsart, wodurch das Schöne hervorgebracht wird" bis hin (nach aller Übersteigerung) zum streckenweisen Rücksturz in eine Anweisungspoetik, wenn wohl auch eine bedingtere und mehr auf das Technische gehende Anweisung und Anleitung. Der Begriffsfanatismus ermöglicht und fördert diese Zuspitzung, die auch als krampfhaftes und vielleicht schon halb krankhaftes Haltsuchen am starren Schema gedeutet werden könnte. Zweifellos springen hier Extreme ineinander über. Denn in den bewahrenden Abstand der romantischen Ironie, die Novalis einmal — wenngleich nicht erschöpfend — als eine „wahrhafte Gegenwart des Geistes" deutet, hat sich Hölderlin nicht geflüchtet. Auch dies — die Ausschaltung einer Zentralvorstellung bzw. Grundhaltung der Romantik — mag es berechtigt erscheinen lassen, Hölderlin, wenngleich in

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Übergangs- und Sonderstellung, in die Literaturphilosophie der Klassik einzubeziehen. Eine zwingende Entscheidung über seine geistesgeschichtliche Zuordnung wird kaum eindeutig getroffen werden können; mehrfache Äußerungen in der Richtung des Unendlichkeitsstrebens dürfen natürlich nicht mechanisch zum Abstempeln als „Romantiker" berechtigen und liegen z.T. in einer geistigen Schicht mit W. v. Humboldts Totalitätsbegriff. Hölderlins umspannendes, ins Metaphysische ausgeweitetes Streben, das seine Literaturphilosophie bei aller Begriffsfreudigkeit gelegentlich doch in Mythos auflöst oder „verdichtet", will Logisches und Metaphysisches, Rationales und Irrationales, Organisches und „Aorgisches", will letzten Endes Klassisches und Romantisches — denn romantische Elemente sind zweifellos bereits nachhaltig wirksam — zu jenem „Ursprünglicheinigen" ausgleichend und mit fast rauschhafter Intensität des geistigen und künstlerischen Wollens und weltanschaulichen Erahnens zusammenklammern. Seine Intuition, durchkreuzt von Spekulation, griff teilweise schon Zusammenhänge, die die moderne Literaturwissenschaft erst wieder neu tasten muß. Aber seine Sensibilität ertrug nicht die Last der Anspannung. Nicht zum wenigsten daran mag er zerbrochen sein. Und wenn kritische Strenge angesichts des Verzehrenden in Hölderlinscher Sehnsucht die Mahnung A. W. Schlegels heranziehen könnte: „Die Kunstgeschichte soll keine Elegie auf verlorene und unwiederbringliche goldene Zeitalter sein", so wird willige Einfühlung angesichts des mitreißenden Auftriebs dieses Ersehnens das Wort Fr. Schlegels auf Hölderlin umprägen dürfen: „Wo Sehnsucht ist, da ist auch Genie."

TEIL II

Kunstanschauung und Literaturphilosophie der Romantik I. Frühromantik und ältere Romantik In weit höherem Grade, als es bislang in der Geschichte der Poetik, literarischen Programmatik und Wortkunsttheorie (trotz Schiller) der Fall gewesen war, trägt die R o m a n t i k das Dichterische in die Philosophie hinüber und überträgt wiederum die Philosophie besonders als Transzendentalphilosophie auf die Poesie, und zwar nicht zum wenigsten ihre Sprachphilosophie. So mag es gerechtfertigt erscheinen, wenn, um dieses Wechselspiel von vornherein anzudeuten, die Bezeichnung Literaturphilosophie gewählt worden ist, wobei allerdings der Teilwert Literatur im vertieften Sinne aufgefaßt sein will. Die Ablösungsvorgänge eines sich wandelnden Kunstwollens pflegen sich zunächst einmal als Wandlung und Entgegensetzung darzubieten, enthüllen sich jedoch im größeren Zusammenhange der Entwicklung häufig als eine Entgegensetzung, die durch ideeliche Umsetzung dennoch eine Art von Fortsetzung darstellt. So erklärt es sich, daß einmal das Gegensätzliche, etwa unter der Formulierung von Vollendung und Unendlichkeit herausgestellt, andererseits jedoch das Verbindende im Verhältnis zur Klassik betont werden konnte, etwa indem die Romantik letztlich nur als sublimere Form der Klassik und als deren Romantisierung, Steigerung und Übersteigerung aufgefaßt oder als demselben vorherrschend dynamisch-organischen Wuchsgrund entsprossen in nahe Wertverwandtschaft und Wesensverwandtschaft mit der Klassik gerückt werden konnte. Allein i h r E i g e n g e p r ä g e , das zu gewinnen ihr angesichts der Eindrucksgewalt klassischer Kunstgesinnung und Kunstbewährung nicht leicht sein konnte, erschöpft sich nicht in solchen Zusammenhängen und auch nicht im nur Philosophischen. Was ihrem Kunsterleben und Kunststreben und damit ihrem Kunstwollen den eigentümlichen Antrieb und den unverwechselbaren Auftrieb verleiht, ist jener fast stürmische Drang in die W e i t e des W u n d e r s

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und in das Wunder der Weite, der kein Genüge finden konnte in der Diesseitigkeit des In-Sich-Selbst-Vollendeten (Klassik), aber auch nicht in einer noch so echten und reichen Lebensvielfalt (Sturm und Drang) und vollends nicht durch eine „ins Reale verliebte Beschränktheit". Die Weite des Wunders und das Wunder der Weite umspannen die Gesamt-Romantik. Zwar vorerst in der Weise, daß die Weite des Wunders vorwiegend der älteren Romantik, das Wunder der Weite der jüngeren Romantik zugeordnet gelten mag. Aber bei näherer Betrachtung doch so, daß zugleich beide Entfaltungsformen des Romantischen überwölbt erscheinen von der Weite des Wunders und dem Wunder der Weite, der Ferne im wörtlichen und übertragenen Sinne. Daß jenes Wunder der Weite auch im übertragenen Sinne gefaßt werden kann und muß, läßt erkennen, daß in der scheinbaren Antithese die Möglichkeit, ja Notwendigkeit zu einer Synthese gegeben ist. Selbst noch die abgeflachte Vergröberung der Spätromantik bis hin zur Trivialromantik untersteht diesen beiden einander nicht feindlich entgegen, sondern fruchtbar zusammen wirkenden Leitkräften. Ja, gerade sie erleichtert rein äußerlich deren Greifbarmachen und Begreifbarmachen, eben weil sie vergröbert. Denn damals spielte man gleichsam mit betonter Gebärde und gelegentlich selbst ein wenig plump die beiden Trümpfe aus, die von den Romantikern im engeren Sinne weit behutsamer, zurückhaltender und pflegsamer betreut worden waren. Wackenroder und Novalis erlebten die Weite des Wunders anders als etwa Zacharias Werner. Friedrich Schlegel oder Ludwig Tieck faßten das Wunder der Weite anders auf als etwa Eichendorff. Aber das im Einzelnen recht komplizierte Wechselspiel ist ihnen doch allen wieder gemeinsam. Die Sonderstellung Jean Pauls, der damals im Wirkungsgrad auf die Leserwelt als literarische Großmacht neben und kurz nach Goethe und Schiller eingestuft und eingeschätzt werden will, brachte eine stärkere Abwandlung in den teils komisch belichteten, teils idyllisch besonnten Kontrast, insoweit er neben die Weite des Wunders (und das auch ihm nicht so ganz fremde Wunder der Weite) vor allem nun das schlichte Wunder der Enge entdecken und darstellerisch entfalten half. Nicht zum wenigsten durch diese Abwandlung wurde er zum Wegbereiter für eine von der Spätromantik und Nachromantik bei allen Teilberührungen doch merklich abgehobene Richtung: das literarische

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Biedermeier, das auch kunsttheoretisch-programmatisch von Jean Paul lernen konnte. Es ist versucht worden, die Art, wie die Romantik zu einer „Poesie der Poesie" und zur Sonderform der romantischen Ironie gelangt sein könnte, auf das System Fichtes zurückzuführen, wobei die Setzung der Gegenständlichkeit durch die Entgegensetzung einer Wiederverflüchtigung eben dieser Gegenständlichkeit aufgehoben werde. Das hat fraglos viel Einleuchtendes für sich. Vor allem wird so herausgearbeitet, was in der Literaturphilosophie der Romantik immer wieder begegnet, daß nämlich nicht die Einzeldichtung als Kunstwerk das eigentliche und letzte Ziel der poetischen Wesenhaftigkeit und des wesenhaft Poetischen bedeutet, sondern ein höheres Drittes, das durch die Kunstleistung hindurch und über sie hinaus weist und wirkt und das nun eben die Romantik als das schlechtweg Poetische an sich begreift. Dieses höhere Dritte, dieses schlechtweg Poetische kann ζ. B. auch durch die Musik und Malerei hindurch wirken, ebenso durch die Philosophie und andere Wissens- und Lebensäußerungen. Aber indem Transzendentales und Transzendentes oft unausgesprochen, teils auch ausgesprochen („Hindeutung auf das Höhere", Fr. Schlegel) sich verschmolzen und letztlich unentwirrbar verflochten zeigen, sind wir doch wieder auf die Weite des Wunders und das Wunder der Weite verwiesen, das jenen Aufschwung der Poesie über sich selbst hinaus (und zwar auch des wesenhaft und schlechthin Poetischen) erst ermöglicht und ihm erst jenen spezifisch romantischen Wertakzent verleiht, der weder beim Spiel-Begriff Schillers noch beim interessebefreiten Wohlgefallen Kants statthat. Die Aufhebung des Eigenwertes der dichterischen Kunstleistung als einer formenden Vergegenständlichung bedeutet für den Romantiker zuletzt ein Emporheben nicht ins nur Ästhetische und nicht nur ins Ethische, sondern ins Religiöse. Die gesamte Natur, die Erde mit allen ihren Erscheinungen ist als „Gedicht der Gottheit" vom Atem des Poetischen bewegt und durchregt (Fr. Schlegel: Einleitung zum „Gespräch", 1800). Verbindet man die allgemeine Literaturphilosophie der Romantik mit ihrer Gattungstheorie, so ist auch die zentrale Stellung des Märchens als Gattung und des Märchenhaften als poetischer Wertkategorie unter der Leitidee der Weite des Wunders und des Wunders der Weite verhältnismäßig zwangloser und vor allem

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dem spezifisch Romantischen angemessener einzuordnen als mit Hilfe rein kunstpsychologischer Vorstellungen wie etwa: Spielfreude der Phantasie und Phantastik usw., die ebensowohl zur bloßen Groteske führen könnten. Das Abschwenken ins Groteske und Bizarre erfolgt jedoch entschlossen erst dort, wo das Wunderbare ins Wunderliche hinübergespielt erscheint, also etwa bei Ε. T. A. Hoffmann. Das ausgeprägt romantische Kunstwollen dagegen forderte bewußt oder unbewußt eine Übung der Gläubigkeit, einer wie immer gestuften und getönten Gläubigkeit, ähnlich wie einst Lessing nicht etwa nur eine Erregung des Mitleids von der Tragödie verlangt hatte, sondern ein Sich-Üben im Mitleidhaben. Dabei sind die Stufen der Gläubigkeit und der gläubigen Hingabe an ein Außer- und Übernatürliches an sich oft nur Vorstufen und Durchgang zum höchsten Grade einer religiösen Gläubigkeit. Man braucht nur an die weltanschaulich bedingte Einstellung der Aufklärung zum Märchen zu erinnern, um den Hang der Romantik zum Wunderbaren im Räume des Märchenhaften als eine folgerichtige Auswirkung ihres gesamten Kunstwollens zu verstehen. In diesem Sinne war tatsächlich das Märchen für die Romantik ein „Kanon der Poesie" (Novalis), so daß die Folgerung und kunsttheoretische Forderung, daß schlechtweg alles echt Poetische auch irgendwo und irgendwie „märchenhaft sein" müsse, nicht mehr überraschen kann. Die durch die Märchenphantasie erfolgende Auflockerung des Gemüts war zunächst eine Voraussetzung für die Lenkung des Gemüts. Einer derartigen Auflockerung des Gemüts und dessen Loslösung vom aufklärerischen Verstandesdünkel, der nicht zufällig ständiges Ziel für die Polemik der Romantik war, einer Loslösung auch von planer Vernünftigkeit jenseits der Aufklärung zu dienen, war das Märchen und das Märchenhafte besonders geeignet. Seine von enger Motivierung befreite Bewegungswillkür mußte gleichzeitig der romantischen Vorliebe für zwanglose und weiträumige Freizügigkeit, kurz für das Wunder der Weite in erwünschtem Grade entgegenkommen. Gewiß verstärkten sich diese Impulse zugunsten des Märchens und des Märchenhaften durch die volkskundlichen Interessen und die Aufwertung der „Volkspoesie" und des Volkstümlichen im Erlebnisbereich der jüngeren Romantik, und zwar nicht nur bei Wilhelm Grimm und theoretisch vor allem Jakob Grimm. Die ideellen Grundlagen indessen werden zunächst einmal deutlich sichtbar bei Novalis im Raum der Frühromantik. Und zwar gilt

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dies gerade auch für den kunsttheoretischen und literaturphilosophischen Ertrag. Denn bereits Novalis stellt für die Kunstdichtung, die dann vom Eifer Jakob Grimms weitgehend zugunsten der Volkspoesie und Naturpoesie entwertet wurde, die programmatische Bedingung auf, daß jenes Märchenhafte als ein wesentlicher Bestandteil und eine wichtige Voraussetzung für das Zustandekommen einer hochwertigen Dichtung berücksichtigt und einbezogen werden sollte. Ungleich einfacher liegen die Dinge bei jenem Wunderbaren, das die Eröffnungen Gotthilf Heinrich v. Schuberts als „Ansichten von der Nachtseite der Naturwissenschaften" (1808) oder als „Symbolik des Traums" verhältnismäßig spät erst insBlickfeld der Romantik rückten. Dabei galt es, den Magnetismus, Somnambulismus usw. für die dichterische Phantasie fruchtbar zu machen. Was Schubert, wie vor ihm J. C. Reil u. a., bald als Mediziner, bald als populäre Naturphilosophen gleichsam an „interessantem Stoff" darreichten, führt zu jener bereits erwähnten Verbindung des Wunderbaren mit dem Wunderlichen. Ε. T. A. Hoffmann prägt diese Seite in seinem Kunstwollen und Kunstschaffen wohl am greifbarsten aus. Wenngleich dergestalt „neue Wissenschaften" (Ricarda Huch) hinter dieser Ausweitung des Wunderbaren standen, so wurden sie doch für den romantischen Dichter weitere Belege für die Fragwürdigkeit einer nur verstandesmäßigen und vernunftgerechten Weltauslegung und Lebensstimmung. Die Weite des Wunders reicht eben auch in die Bezirke des Unheilbringenden und Unheimlichen, Spukhaften und Gespenstischen. Und nicht zuletzt jene neu aufgedeckten und nur recht unzulänglich erklärten Erscheinungen waren geeignet, das Wunder der Weite zu veranschaulichen, weil man hierbei nicht allein ferne Länder durchstreifen, sondern bis dahin weitgehend unbestrittenes Land wie eine immer noch von heimlich-unheimlichen Schaudern begleitete Neuentdeckung erleben konnte. Umspannender noch als die Nachtseite der Natur erweist sich die Nachtseite des menschlichen Bewußtseins: der Traum. Der Traum und das Traumhafte verfügen über eine noch weitergreifende Wunderwelt als das Märchen und das Märchenhafte. Sie geben auch der Weite des Wunders und dem Wunder der Weite einen schier unendlichen Entfaltungsraum. Schuberts „Symbolik des Traums" faßte also nur nachträglich zusammen, was längst den Romantikern und auch ihrer Kunsttheorie und Literatur-

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philosophie geläufig war. Vom psycho-pathologischen Blickpunkt hatten die „Rhapsodien" J. C. Reils (1803) die phantasiemäßigen Vorstellungen des Traumes gewertet. Schon einige Jahre vorher begegnet bei Jean Paul die Prägung: „Der Traum ist unwillkürliche Dichtkunst" (1799) sowie eine nähere Ausführung darüber, wie erstaunlich weitgehend das Unterbewußtsein des Träumenden gleichsam dichte. Nicht nur Ε. T. A. Hoffmann greift das später lebhaft auf, und zwar auch in der Kunsttheorie (den „Seltsamen Leiden eines Theaterdirektors"; Äußerungen des Malers Bickert im „Magnetiseur"). Für das Kunstwollen der Romantik kann man das Wort, daß der Traum eine unwillkürliche Dichtkunst sei, fast dahin abwandeln: die Dichtkunst ist willkürlicher Traum. Das Willkürliche müßte dabei etwa im Sinne Fr. Schlegels verstanden werden. Die Weite des Wunders und das Wunder der Weite kann vom Traumhaften her auch darstellerisch motiviert und vor allem reich variiert werden. Die romantische „Poesie der Poesie" ist nun nicht allein von der romantischen Ironie her deutbar, sondern erhält darüber hinaus von der romantischen Sprachphilosophie ihre besonders von A. W. Schlegel versuchte Sinngebung. Denn die Sprache an sich ist bereits Poesie, die Dichtung also als Wortkunst ganz folgerichtig eine Poesie der Poesie. Worauf es aber zunächst ankommt: das, was man die Sprachmagie etwa eines Novalis genannt hat, untersteht auch sprachphilosophisch der Weite des Wunders. Novalis vergleicht ζ. B. die Wunderkraft, wie sie irgendeinem durch „herrliches" Andenken „geheiligten" Wort anhaftet, einmal der Wunderkraft, die für den schlicht Gläubigen den Gewändern der Heiligen anhaftet. Ein derartiges Wort sei, so meint er, „fast allein schon ein Gedicht geworden". Die schöpferische Wunderwelt der Wortfindung, der geheimnisvolle Vorgang der Namengebung, die Vorstellung von einer ursprünglichen außergeschichtlichen Einheit von Sprache und Musik, von „heiliger Sprache" und „wunderbarem Gesang", vom Nachklingen und Nachschwingen dieser „orphischen Lyra", der Anteil „Erinnerung von Ewigkeit" in der Sprache, deren Wörter wie die Töne der Musik als „dunkle Wunderzeichen" (Wackenroder) empfunden werden, wie besonders späterhin die auf Jakob Böhme zurückgreifende Natursprachenlehre und die endliche Rückkehr zum Glauben an den göttlichen Ursprung der Sprache (Baader, Fr. Schlegel in seiner Spätzeit); um eingangs nur einiges vorklingen zu lassen: alles das

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konnte kein Genüge finden an der aufklärerischen Wort-Zeichenlehre (Harris, Mendelssohn, G. Fr. Meier u. a.). Aber auch die Gedanken in Herders Preisschrift von 1772 konnten einer solchen Sprachauffassung nicht gemäß sein. Sie geht ebensowenig auf den Aufsatz Fichtes von 1795 zurück, der als viel zu rationalistisch, ja fast als Rückfall in die alte Zeichenlehre, der die Romantiker nur ganz vereinzelt Zugeständnisse machten, empfunden werden mußte. Ebensowenig wie sich die romantische Ironie nur auf Fichte zurückführen läßt. Die Sprache, ob man nun von Hieroglyphen und Chiffren sprach oder von einem Reden in Bildern (wie Hamann), wobei in der poetischen Rede „alles Bild von allem" (A. W. Schlegel) sein konnte, wurde erlebt und ζ. T. mehr ahnungsvoll umschrieben als ein sich ständig erneuerndes schöpferisches Wunderwerk der freien, selbsttätigen geistigen Erhebung (transzendentale Deutung) oder der göttlichen Eingebung (transzendente Hindeutung). Wie diese Weite des Sprachwunders einerseits ins Außermenschliche, Kreatürlich-Natürliche, andererseits ins Kosmische greift, so kommt das Wunder der Sprachweite nicht allein bei den romantischen Gleichnissen vom Ursprung der Sprache zur Geltung, die, gern das Orpheus-Symbol auswertend, in die blauen Fernen des Vorgeschichtlichen nicht allein zurückführen, sondern dem Außergeschichtlichen, Überzeitlichen und Metaphysischen zugewandt erscheinen. Vielmehr gilt die Poesie als die „grenzenloseste aller Künste", gerade weil und insofern sie eine Kunst der Sprache ist (A. W. Schlegel), die über das nur Bildhafte, das zudem gegenüber dem Musikalischen zurücktritt, weit ins Geistige reicht. Auch Sprache an sich ist bereits Ausdruck für die „Unendlichkeit der Organe" (nicht nur für das „organe moral" d. Hemsterhuis'); sie umspannt alle Dinge, Gedanken und Empfindungen und ist recht eigentlich unser „Verklärungsorgan". Denn „durch sie werden wir zum Zauberer, setzen die ganze Natur in Bewegung; sie wird uns nach und nach zur Vision" (Graf Loeben „Guido", 1808). Derselbe Graf Loeben setzt die Sprache mit dem Symbol des Traumes und dessen geheimnisvollen Bilderreihen in Beziehung. Für die Auffassung des Dichterischen innerhalb der romantischen Literaturphilosophie und Poetik bedeuten diese Ausprägungen der Sprachauffassung teils wichtige Begleiterscheinungen, teils geradezu Leitkräfte. Und es wird auf das Verhältnis von Literaturphilosophie und Sprachphilosophie noch zurückzugreifen sein.

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Bei alledem konnte es an dieser Stelle einleitend und einführend nur darum gehen, vorerst eine knappe Formel zu bieten, die keineswegs als alles aufschließende Zauberformel gedacht ist und die lebensvolle Vielfalt der Romantik nicht etwa irgendwie einzwängen und einengen möchte. Diese lebensvolle Vielfalt gehört auch zum Eigengepräge der Romantik. Und es konnte von vorn herein nicht leicbt sein, diesen überquellenden Reichtum an Ideen und jene tiberhöhte, überall ins Religiöse hineinragende Leitkraft, die zudem mehr ein Leitgefühl, ein „Ideengefühl" (im Sinne von Maler Müllers „Faust") darstellte, im Rahmen der Dichtkunst, die doch immer auch Wortkunst bleiben mußte, zur formsetzenden und daher auch formbegrenzten Verwirklichung im. Kunstwerk zu bringen. Manches konnte die Musik, manches die Malerei mit ihren Darbietungsmöglichkeiten glücklicher bewältigen. Und das Empfinden hierfür begleitet denn auch die Gesamtromantik. Die kunsttheoretische oder kunstphilosophische Zielsetzung oder Zielahnung griff so weit über den Machtbereich einer noch so locker umgrenzten Wortkunst hinaus, daß hinter diesem hochgespannten und fraglos überspannten Kunstwollen, das zudem wiederum in sich mannigfach durch Strahlungen aus Religion, Philosophie usw. gebrochen und abgelenkt erscheint, die Kunstleistung im Sinne eines vollendenden Werkschaffens notwendig zurückbleiben mußte. Durch das Gefühl für Ausgleichung, durch den beherrschenden Begriff der „Plastik", durch ihren Willen zum Werk und zum InSich-Vollendeten hatte die Klassik den an sich bereits ausweitenden Drang zur Totalität (Humboldt) zu bändigen vermocht, der nun, in der Form (oder Formauflösung) der progressiven Universalität völlig entfesselt, allzu leicht formsprengend wirken konnte und im Werkwerden ungeduldig das Fragment abzustoßen liebte, bevor es zur Werkvollendung ausreifen konnte. Die durch philosophische Mächte und religiöse Übermächte vielfach durchbrochene und von der romantischen Ironie unterbrochene oder abgebrochene Linienführung wird im Gegensatz zur vollendenden Rundung (Vorform in der Vorklassik: Begriff der „Rotundität") klassischer Gestaltung zu einem wesentlichen Attribute romantischer Kunstgesinnung und Kunstbesinnung, aber auch ihrer Kunst schlechtweg. Die Hochspannung des Subjektivismus widerstrebt im Gesamt der Bewegung doch einer objektiven Gesetzgebung oder verhindert eine objektive Gesetz^·

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findung, wenngleich gerade die Kunsttheorie mit einer ζ. T. recht merklichen Gegenwehr gegen eine Überspitzung des Subjektiven zum Subjektivistischen mehrfach recht kräftige Widerstände — so etwa bei A. W. Schlegel, teils auch bei Hardenberg-Novalis — einzuschalten bemüht war, und zwar nicht ohne eine umwertende, jedoch nicht abwertende Übernahme gewisser kunsttheoretischer Stützpunkte der Klassik (etwa auch in Fr. Schlegels Anfängen). Aber das eigenwertige und eigenwegige Wollen der Romantik kann naturgemäß von ihrer kämpferischen Richtungs-Programmatik deutlicher abgelesen werden als von jenen geistesgeschichtlich gewiß bemerkenswerten und entwicklungs- wie problemgeschichtlich instruktiven Rückversicherungen bei der Klassik einerseits und dem Sturm und Drang andererseits (bes. d. jüngere Romantik). Die über jede Vereinzelung und Sonderausprägung des Gesamtschönen aufgegipfelte rein philosophisch-ästhetische und endlich religiöse Wertung aller Lebens- und Erlebnisformen als künstlerisch und dichterisch, wie sie ζ. B. im Eingangsteil des „Gesprächs über die Poesie" Fr. Schlegels nicht zuletzt durch eine Übertragung spezifisch religiöser Vorstellungen Schleiermachers auf das Ästhetische und Universell-Poetische zur Geltung kommt, erhob zwar das Ästhetische zu einer schier absoluten Wertgeltung des Absoluten (Schelling), brachte indessen — um jene Aufgipfelung zu ermöglichen — die relativen Modifikationen des Gesamtschönen, der Poesie der Welt und der Welt der Poesie, brachte auch seine Aufspaltungen und Entfaltungen innerhalb der Einzelkünste und wiederum in deren Gattungen und Unterarten nicht nur zu einer erwünschten Auflockerung, sondern teilweise geradezu zur Auflösung. Die philosophisch-religiöse Leitkraft, ja Leitgewalt lockerte, ja löste die Verbindlichkeit gewisser Wesensattribute des Gesamtschönen und damit des Verbesonderten, des Sonder-Schönen mit Bezug auf die Sonderkünste und deren Sondergattungen, wobei ein merklicher Hang und auch ein verführerisches Vermögen zur Synästhesie gleichzeitig grenzüberbrückend, aber auch grenzverwischend wirken mußte. Indem die Romantik einerseits im Streben nach unendlicher Fülle und Überfülle alles in den dichterischen Bereich einzubeziehen trachtete, trug sie andererseits das „Poetische" hinüber in die Nachbarkünste und darüber hinaus in: Religion, Philosophie, ζ. T. auch schon in Historie und Volkskunde (bes. d. jüngere Romantik), ja sogar in die Physik, die gemäß ihrer romantischen Spielart sehr schnell in

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Metaphysik und selbst in Mystik umzuspringen pflegte, und schwächte durch derartige Übertragungen notwendig beträchtlich den spezifisch poetischen Kern, die konzentrierte Grundkraft, den haltgebenden Grundstock und (entsprechend der Universalpoesie) den eigentlichen und nur der Dichtung eigentümlichen Heimatbereich des Wortkünstlerischen. Dieser vor allem für die Kunstleistung empfindliche Verlust, mit dem jedoch auch eine kunstphilosophische Zersplitterung einherging, wurde auf der anderen Seite ausgeglichen durch Kraftzufuhr und Wertzuwachs aus Religion, Musik, Malerei, Philosophie, Mystik und den „Nachtseiten" der Naturwissenschaften mit ihren poetisch anregenden Motiven. Dementsprechend geht die Poetik vielfach über und auf nicht nur in Literaturphilosophie, sondern auch in Ästhetik, ja Ästhetizismus, im weiteren Umkreise in transzendentalen Idealismus, Identitätsphilosophie, spekulative Weltschau und in die tragende religiöse Lebensstimmung. In dem Sinne und Grade jedoch, in dem das Ausdrucksmittel der Poesie, die beseelte und durchgeistigte Sprache, ein ewig Unvollendetes, ein sich in sich wandelndes lebendiges Werden und kein in sich ruhendes und auf sich beruhendes Sein darstellt: in diesem Sinne und diesem Grade liegt in der romantischen Literaturphilosophie und poetischen Kunsttheorie trotz aller Verschwommenheit und auch Widerspruchsfreudigkeit (die „paradoxe Lehrart", H. v. Kleist) die ausgesprochen dichterische, wenngleich vorerst unerreichbare Idealforderung reiner ausgeprägt als in dem stark von der bildenden Kunst (Winckelmann-Moritz-Goethe-Humboldt) entlehnten, obwohl abgewandelten „bildenden" Ideal der Klassik. Insofern kommt der romantischen Literaturphilosophie die bewußte oder unbewußte Anlehnung und das vielfach kaum erkannte Zurückgreifen auf die kühne Konzeption des jungen Herder zugute, der gefühlsmäßig erlebte, was Lessing Verstandes- und kunstverstandesmäßig erschlossen hatte, daß nämlich die Sonderform der Poesie als Kunst der Sprache, als Wortkunst eben jenes Werdende, lebendig Bewegte, dynamisch Durchregte (Handlung als „Energie") von sich aus verlangt. Das vorerst Unerreichbare hat Friedrich Schlegel — wie später auch A. W. Schlegel — offen zugestanden, wenn er nicht ohne Stolz feststellt: „Andere Dichtarten sind fertig und können nun vollständig zergliedert werden. Die romantische D i c h t a r t ist noch im Werden; ja, das ist ihr eigentliches Wesen, daß sie ewig nur werden, nie vollendet sein kann."

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(Athenäumsfragment 116). Auch die stärkere musikalische Grundhaltung und die religiöse Durchdringung (Wackenroder-TieckNovalis) wie die geistige Durchsättigung sind dem Wortkünstlerischen gemäßer als das plastische Ideal, das, soweit Bildkunst einbezogen wird, kennzeichnenderweise durch das poetisch-malerische Ideal ersetzt wird. Aber andererseits verstößt die Überbewertung des Werdenden und das bloße Verharren in der schöpferischen Stimmung gegen die Notwendigkeit souveräner Gestaltung. Zu welcher Passivität ein Kultus der bloßen Produktionsstimmung (ohne wirklich erfolgende Kunstleistung) führen konnte, verrät die Folgerung, wie sie Fr. Schlegel in seiner „Lucinde" zieht: „Wie geschieht alles Denken und Dichten, als daß man sich der Einwirkung irgend eines Genius ganz überläßt und hingibt ? Und doch ist das Sprechen und Bilden (=Gestalten) nur Nebensache in allen Künsten und Wissenschaften; das Wesentliche ist das Denken und Dichten, und das ist nur durch Passivität möglich." Was in diesem Falle extrem zugespitzt erscheint, hat dennoch in gemilderter Form Geltung für die Romantik überhaupt. Stimmungsgesättigt sind denn auch vielfach ihre mit Vorliebe, obwohl keineswegs ausschließlich im Aphorismen- und Fragmentstil verfaßten Beiträge zur Literaturphilosophie. Und wie in diesem Beispiel bleibt die Kunsttheorie häufig im Kunstwerk selbst eingebettet; oder sie bildet ihrerseits ein kleines Kunstwerk, wie es theoretisch von der Kritik und Ästhetik gefordert wurde. Nicht nur der Künstlerroman und die Künstlernovelle wie Ludwig Tiecks „Franz Stembalds Wanderungen" oder Hardenberg-Novalis' „Heinrich von Ofterdingen" oder der Novellenzyklus wie Ε. T. A. Hoffmanns „Serapionsbrüder" bieten diesem beliebten, obwohl nicht gerade neuartigen Verfahren erwünschte Gelegenheiten. Nicht allein die als Sonderkunstwerk durchgebildete Vorrede etwa nach Art der Vorreden Jean Pauls stellt ein seit je bevorzugtes Gefäß der für kunstverstandesmäßige Ergießungen. Die „Herzensergießungen" suchen und finden auch eine eigenartige und eigenwertige Form, wie in Wackenroder-Tiecks „Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders", wo die Malerei im Vordergrunde steht, aber doch auch das Künstlerische schlechtweg seine Verklärung mehr als seine Erklärung sucht. Es ging bei alledem nicht um die Art dies Unterbringens, der Einbettung, des wirksamen Werbens und eindringlichen SichAussprechens oder doch nicht im ersten Betracht darum. Denn mit

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diesem Problem der äußeren Fassung waren schon frühere Epochen auf teils recht geschickte Weise fertig geworden. Es ging vielmehr um die innige Verschmelzung, ja Identität von Kunsttheorie und Kunstwerk. Das kaum zu überschätzende Moment der „poetischen Reflexion" (nicht im aufklärerischen Sinne) mischt sich von vornherein in die künstlerische Konzeption; oder es erhebt sich als betrachtende und räsonnierende Überschau, als ein geistig befreites und geistvoll betriebenes Ideenspiel über das Werk, wobei Ideenspiel und Wortspiel eine starke wechselseitige Anziehungskraft zu entfalten pflegen. Die Romantik überbot in der Virtuosität solcher Verschmelzungen und poetischen „Reflexe" (aber auch Paradoxe) fraglos die früheren Epochen. Aber sie lief z.T. auch Gefahr, diese Kunst schon für die Kunst schlechtweg zu nehmen. Die romantische Ironie erfaßte nicht allein die Kunstleistung, sondern auch die Art und die Fassung der Kunsttheorie. Von ihr aus wird verständlich, warum das philosophische Vorbild des Systems nur recht unzulänglich auf die Methode der Poetik zurückwirken konnte. S y s t e m f e i n d s c h a f t , W i l l k ü r l i c h k e i t und S t i m m u n g s f r e i h e i t . Es erinnert an das Zerbrechen rationalistischen Gesetzeszwanges durch den Sturm und Drang, wie andersartig gerichtet und gemischt die bewegenden Kräfte auch gerade innerhalb der Frühromantik erscheinen mögen, wenn die frühromantische Programmatik, besonders im ersten Vorstoß die Forderung der Freiheit bis zur Willkür überspannt, wobei allerdings „Willkür" im romantischen Sinne oft genug recht eigentlich mehr für „geistige Freiheit" und „gemütliche Freiheit" steht. Trotzdem bleibt unverkennbar die Neigung, die Theorie und deren Systematik gering zu achten. Denn die romantische Dichtweise „kann durch keine Theorie erschöpft werden. . . Sie allein ist unendlich, wie sie allein frei ist und das als ihr erstes Gesetz anerkennt, daß die Willkür des Dichters kein Gesetz über sich leide" (Athenäumsfragm. 116). Etwas von dem „Unaussprechlichen" und vollends nicht in Systemen zu Erfassenden der Hamann, Herder, Lenz klingt mehrfach deutlich auf. Selbst die doch so gar nicht kämpferisch-revolutionär gestimmten „Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders" (1797, Wackenroder-Tieck) finden kriegerische Klänge in der Abwehr des Systemglaubens: „Wer ein System glaubt, hat die allgemeine Liebe aus seinem Herzen verdrängt!", wobei das religiöse Element und die Wiederbefreiung des Wunderbaren zum 14 M a r l c w a r d t , Poetik III

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Gegenstoß ausgewertet werden; denn für Wackenroder ist „Aberglaube besser als Systemglaubte", die Weite des Wunders fruchtbarer als die beengende Geschlossenheit des Systems. Wenn man also vor nun schon mehreren Jahrzehnten eine Handschrift, die Hegels Schriftzüge tragen, aber dem Ideengehalt nach Schelling oder auch Hölderlin zugehören soll, mit der sensationellen Titelgebung „Das älteste Systemprogramm des deutschen Idealismus" (angeblich 1796 anzusetzen) veröffentlicht hat, so sollte schon dieser Umstand davor warnen, die anspruchsvolle Aufmachung, die mit Bezug auf die Philosophie des deutschen Idealismus wenigstens teilweise berechtigt sein mag, nun unbesehen auch für die romantische Literaturphilosophie und das romantische Kunstwollen anzuerkennen und anzunehmen. Um 1796 hätten die Frühromantiker an alles andere eher gedacht als daran, ausgerechnet ein „Systemprogramm" zu entwerfen. Es ist durchaus nicht so abwegig, an Hölderlin als Verfasser oder doch Bereitsteller der tragenden Leitideen zu denken. Denn an der Wende von Klassik und Romantik wäre auf der einen Seite ein gewisser Wille zum System (und selbst zum beherrschenden „Schema", Goethe) ebenso erklärlich wie auf der anderen Seite das Hinübergreifen ideelicher Art auf Vorstellungen wie eine „ästhetische Philosophie", eine neue Mythologie usw. Wenn diese Aufzeichnungen wirklich den Namen Systemprogramm nahelegen, dann dürften sie schwerlich von einem der Frühromantiker stammen, bestenfalls von dem werdenden Philosophen Schelling unter ihnen, der dann gleichsam in einem ungedruckten früheren Entwurf einige der Gedanken des „Systems des transzendentalen Idealismus" skizziert hätte. Hölderlins sogenannte „kunsttheoretische Fragmente" von 1798/99 wiederum greifen zu wenig auf das sogenannte „Systemprogramm" zurück, wie es doch wohl geschehen wäre, wenn dieses „Systemprogramm" ihm als Ganzes zugehört haben würde. Die Unentschiedenheit der Sonderforschung in dieser Frage ist verständlich. Und sie ist zugleich instruktiv, indem sie gleichsam durch indirekten Beweis von dem schwer entwirrbaren Kräftespiel der wechselseitigen Anregungen uns einen überzeugenden Anschauungsunterricht bietet. Gerade aber dieses Hin- und Herweben der Fäden, dieses Hinüber- und Herüberspielen der Kräfte erinnert in gewisser Weise wieder an die Situation des Sturmes und Dranges. Man fühlt, daß ein neues Kunstwollen im Werden ist,

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ohne noch recht sagen zu können, woher es kommt und wohin es in seinen inneren Zielsetzungen strebt. Vom Systemwillen jedenfalls möchte man dieses Kunstwollen vorerst noch freihalten. Es hat noch genug mit seinem Lebenswillen zu schaffen, mit seinem Seinsrecht und mit seinem Rechtsein. Die Andeutung genügt vielfach, um sich zu verstehen. Auch wo man zu definieren meint, gibt man mehr ahnungsvolle Andeutungen. Trotz mancher Deutungsversuche bescheidet sich auch Novalis bei dem Eingeständnis „Worin eigentlich das Wesen der Poesie bestehe, läßt sich schlechthin nicht bestimmen" und dem zügeordneten Aufrufen des ahnungsvollen Selbsterlebens: „Wer es nicht unmittelbar weiß und fühlt, was Poesie ist, dem läßt sich kein Begriff davon beibringen". Unumwunden bekennt Tieck, „die spitzfindigen ästhetischen Untersuchungen" nicht zu lieben, da sie keinen rechten Halt bieten und man gleichsam „in einem dünnen Äther von feinen und halbwahren Ideen schwebt". Der junge Friedrich Schlegel hatte in J. J. Engels Poetik geblättert, aber „nichts als etwas Scharfsinn und Eleganz" finden können. Auch Lessings „Laokoon" habe er mit der „törichten Hoffnung", etwas Wesentliches zu gewinnen, studiert. Th. Storm dachte später anders darüber. Immerhin, der junge Friedrich Schlegel erhoffte verdächtig viel vom kunsttheoretischen Erbe der Aufklärung. Er mochte wohl daran gedacht haben, seiner Epoche ein Lessing werden zu können. Der Zwiespalt von Scharfgeistigkeit und Schöngeistigkeit in ihm verfügte jedoch nicht über die Spannkraft Lessings. Und der Zwiespalt zwischen Kritikertum und Künstlertum verfügte nicht über den männlich festen Werkwillen Lessings. Es wirkt wie eine Entschuldigung vor sich selbst, wenn er nun auch bei Lessing das Wertvolle im Fragmentarischen sehen zu sollen glaubte. Vor allem jedoch fehlte ihm der Persönlichkeitswert und die gesinnungsmäßige Haltung Lessings, die er an Lessing höher schätzt „als alle seine Talente". Man könnte sagen, daß Fr. Schlegel von allen bedeutenderen Frühromantikern am stärksten rationalistische Züge in seinem Wesen ausgeprägt zeigt, selbst noch in den Äußerungen seines Kunst wo lie ns. Und selbst noch in der Manifestierung der „Willkür" steckt etwas vom Glauben an das Gesetz und von der Neigung, Gesetze zu erlassen. Nur eben daß man es nicht mehr „Gesetz" nennen darf. Friedrich Schlegel schafft sich auch selbstkritisch ein starkes Gegengewicht im Hervorkehren des „Gemütsmäßigen". Er erläßt M*

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seine Forderungen nicht zum wenigsten auch gegen sich selbst, gegen den aufklärerischen Teilzug seines Wesens. Und da er den Gegenzug überspannt, so kommt es nicht selten auf eine Zerreißprobe an, die schärfer in Erscheinung tritt als die sogenannte ,,romantische Zerrissenheit". Er macht in seiner Art aus seiner Not eine Tugend. Aber er will nun auch, daß das eine für andere verbindliche „Tugend" wird. Er beobachtet an sich, daß er sich „künstlich" einstimmen und umstimmen muß, um irgendwie produktiv oder halbproduktiv wirken zu können. Und er glaubt, nun auch diese subjektive Nötigung zur objektiven Notwendigkeit für andere erheben zu können. Darin liegt zuletzt die Gefahr der Kunstdeutung und Kunstforderung Fr. Schlegels. Das Ergebnis für den hier zu behandelnden Zusammenhang wurde schon angedeutet. In anderer Weise und im weiteren Sinne machte man auch sonst aus der Not eine Tugend, indem man zunächst einmal als überflüssig erklärte, was dem romantischen Geist fast undurchführbar war und ihm wesenhaft widerstrebte: das in sich geschlossene System. So tröstet sich A. W. Schlegel, dessen ruhiger abschätzender Blick den Mangel nicht übersieht, aber als unerheblich hinstellen möchte: „Zum Glück wartet die Poesie eben so wenig auf die Theorie als die Tugend auf die Moral; sonst hätten wir fürs erste keine Hoffnung auf ein Gedicht" (Athenäumsfragm. 9). Es ist schon hier unschwer zu erkennen, wie von jener programmatischen Proklamation freier Willkür einerseits die Bahn für das Ausweitungsstreben offengehalten wird, andererseits aber der Weg abzielt auf die romantische Ironie. Doch nicht nur gemessen am Gesetzes- und Regelzwang soll diese Freiheit herrschen im schöpferischen Vorgang: auch dessen Voraussetzung,, die produktive Stimmung, wird bereits dieser Willkür unterworfen. Ein ganz bewußtes Schalten und Walten mit der Stimmung und Umstimmung ist vom echten Romantiker zu fordern: „Ein recht freier und gebildeter Mensch müßte sich selbst nach Belieben philosophisch oder philologisch, kritisch oder poetisch·, historisch oder rhetorisch, antik oder modern stimmen können, ganz willkürlich, wie man ein Instrument stimmt, zu jeder Zeit und in jedem Grade" (Fr. Schlegel, LyceumsFragment 55). Der romantische Hang zum Austauschen, Ablösen und selbst Verschmelzen der Sonderkünste (Wortkunst, Tonkunst, Malerei)

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oder der Dichtungsgattungen, den man auf die Identitätsphilosophie als Ausgleichung und Aufhebung des Gegensätzlichen im Sinne des Aufbewahrens im übergeordneten Absoluten zu erklären versucht hat (K. Friedemann), ließe sich vielleicht, vom Künstlerischen her gesehen, deuten aus dem Primat der Stimmung und Sehnsucht, also zurückführen auf eben jenes Stimmungsvirtuosentum. Werthaft und wesentlich war die produktive Stimmung und der künstlerische Ausdruckswille an sich Selbstzweck, während es demgegenüber als unwesentlicher und letztlich der freien Willkür anheimgegeben erschien, ob nun die jeweils beherrschende Stimmung sich verwirklichte in Dichtkunst, Tonkunst oder Malerei, bzw. innerhalb der Poesie selbst: in Dramatik, Epik oder Lyrik. Was also vielfach als Vorwurf gegen die Romantik erhoben wird, daß sie nämlich im bloßen Stimmungsvirtuosentum stecken bleibe, das war in gewissem Grade theoretisch gewollt. Und es darf nicht ohne weiteres ein mangelndes Kunstkönnen angenommen werden dort, wo nur ein anders geartetes Kunstwollen vorlag. Die empfindliche Rezeptivität und feingestufte Anpassungsfähigkeit — nicht zufällig stellte die Romantik so gute Übersetzer, zeigte sie eine so hohe Schätzung weiblicher Begabung — treten dabei als positive Werte hervor. Zugleich aber wird deutlich, daß weder der reine Schöpferdrang der Geniezeit erlebt und erstrebt wird noch auch die reife Bildungskraft der Klassik, sondern vor allem die Elastizität und Wandelbarkeit des Gestimmtseins an und für sich. B e i t r ä g e z u r L i t e r a t u r p h i l o s o p h i e . Trotz der Abwehr der Theorie als System war doch gerade F r i e d r i c h S c h l e g e l um die Aufstellung kunsttheoretischer Leitgedanken oder doch Anregungen immer wieder bemüht. Es kommen besonders in Betracht: vorbereitend „Kritische Fragmente", die sogenannten „Lyceumsfragmente" (in Reichardts ästhetischer Zeitschrift „Das Lyceum der schönen Künste", 1797f.) und vor allem grundlegend die „Athenäums-Fragmente" (im „Athenäum", 1798—1800), davon wiederum als programmatisches Zentralglied in der ganzen Kette das Athenäumsfragment Nr. 116. Seit dem dritten Bande des „Athenäums" erschienen die theoretischen und philosophischen Beiträge als „Ideen" (1799), in denen — teils unter Schleiermachers Einwirkung — der Religions-Begriff bereits in die Zentralstellung rückt (Fr. Schlegels sogenannte „Zentrums"-Lehre, die Religion als „Idee aller Ideen"). In dieser Linie liegt etwa auch der Athenäumsaufsatz „An Dorothea", deren persönliche Haltung (wohl im

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romantisch-ironischen Reflex) zu der kühnen Religionsphilosophie der Satz „Dorothea meint, es sei Kaviar der Mystik" knapp umreißen mag. Im letzten Athenäumsbande erschien dann Fr. Schlegels „ G e s p r ä c h ü b e r die P o e s i e " (1800), eine durch ein Kunstgespräch zusammengefaßte Gruppe von vier Essays, die durchweg zehn Seiten Umfang nicht überschreiten, während die knappe, aber entwicklungsgeschichtlich bemerkenswerte Einleitung unter Schleiermachers Einfluß stehen dürfte. Von diesen vier Kurz-Aufsätzen sind der erste, nämlich die Vorlesung „Über die Epochen der Dichtkunst", sowie der letzte „Versuch über den verschiedenen Stil in Goethes früheren und späteren Werken" überwiegend literaturhistorisch bzw. literaturkritisch gehalten. Sie dürfen und müssen jedoch im Zusammenhang des Ganzen aufgefaßt werden als eine Bemühung Fr. Schlegels um die Schaffung einer Tradition für die romantische Poesie und also im Sinne der Vorbild-Poetik. Diesem Typus nähert sich auch streckenweise der dritte Aufsatz, der „Brief über den Roman", der etwa als Mischform von Kunsttheorie und Literaturkritik kurz umschrieben werden könnte. Als Hauptträgerin der kunsttheoretischen Programmatik erweist sich so, abgesehen von bedeutsamen Einschlägen im Gesprächs-Rahmen, die „Rede über die Mythologie" mit ihrer Forderung einer „neuen Mythologie" als organische Kernzelle der neuen (romantischen) Poesie. Aus dem „Brief über den Roman" seien stichworthaft hervorgehoben: Forderung einer einheitlichen Leitidee, Abhebung des Romans vom Epos, Verteidigung der Sonderform der „Arabeske". Das berühmte „Gespräch über die Poesie" kann trotz der angedeuteten Zusammensetzung aus nicht wesensgleichen (und wertgleichen) Einzelaufsätzen als ein Kernstück der romantischen Kunsttheorie und Programmatik gelten. Es hat denn auch eine entsprechende Berücksichtigung in der Forschung erfahren. In ihm verbinden sich Vorbild-Poetik, Programm-Poetik (bes. die „Rede über die Mythologie") und allgemeine Literaturphilosophie zu einer zwar nicht ganz organisch gewachsenen, aber dennoch eindrucksvollen Gesamtwirkung. Daneben sind in Betracht zu ziehen der Aufsatz „Über die Unverständlichkeit" (1800) und der mit dem Kennwort „Literatur" überschriebene Aufsatz in der Zeitschrift „Europa" (1803 und 1805), wie etwa noch der Aufsatz „Über Boccaccio" (1801). Charakteristisch für die allgemeine Marschrichtung bleiben indessen gerade die ersten Vorstöße in den Lyceums- und Athenä-

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ums-Fragmenten. Dagegen sind frühere und ζ. T. an entsprechender Stelle in der Hauptsache schon erwähnte Abhandlungen Fr. Schlegels als Teilauswirkungen des klassischen Kunstwollens zu bewerten, so neben dem Aufsatz „Über das Studium der griechischen Poesie" (1795) die Beiträge „Über die Grenzen des Schönen" (1795) oder „ V o m ästhetischen Wert der griechischen Komödie" (1794). Kaum dürfte es daher berechtigt sein (wie es seitens der Sonderforschung teils geschehen ist), derartigeÄußerungen nun als Beweisstützen heranzuziehen für die Behauptung des Sondertypus' einer romantischen Objektivitätsforderung. Die Ablösung vom Kunstwollen der Klassik erfolgt natürlich nicht ruckartig, sondern in mannigfachen Übergängen und auf reichen Zwischenstufen. Doch bleibt hervorzuheben, daß auch der spätere Fr. Schlegel die Fühlung mit der Vorbild-Poetik der griechischen Kunstwelt zum mindesten mittelbar aufrechterhält. Die teilweise den Übergang von der vor-romantischen Kunstbesinnung zur eigentlichen romantischen Programmatik vollziehenden Einzelkritiken müssen sich mit einem Gesamthinweis begnügen. Ebenso reicht ein kurzer Hinweis an dieser Stelle aus, um dem Mitarbeiter am Athenäum A u g u s t L u d w i g H ü l s e n gerecht zu werden, der durch seine Preisschrift philosophiegeschichtlicher Art über Metaphysik bekannt geworden, mit seinem Aufsatz „Über den Bildungstrieb" (jenseits des Athenäums) erwähnt sein mag, dessen geplante „Kritik der Künste und Wissenschaften" aber eben doch nicht zustande gekommen ist. Seine Zwischenstellung zwischen Fichte und Schelling, vielleicht auch zwischen Hölderlin und Novalis, ist bereits von anderer Seite bestimmt worden. Fr. Schlegel schätzte besonders Hülsens Schweizer „Naturbetrachtungen" mit ihrem Einschlag von Naturreligion. In vieler Hinsicht ein parallel gerichtetes Streben mit Fr. Schlegels Fragmenten, die durch relativ neuere Funde (J. Körner) Ergänzungen erfahren haben, wiesen H a r d e n b e r g - N o v a l i s ' (stilistisch z . T . von Fr. Schlegel überarbeitete) aphoristische Athenäums-Beiträge auf (Sammeltitel „Blütenstaub", 1798). Der keimarme Staub grauer Theorie ist bezeichnenderweise für das romantische Theoretisieren in einen keimkräftigen, duftigen Blütenstaub oder doch in „literarische Sämereien" (so Novalis selbst) umgewandelt worden. Neben dem „Blütenstaub" sind weitere Fragmentenzyklen für das Jahr 1798 anzusetzen, so ζ. B. die von literaturphilosophischen Elementen durchsetzten „Logo-

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logischen Fragmente", die Gruppe „Poesie" und „Poetizismen", während im weiteren Umkreis von den Dialogen bzw. „Dialogen und Monolog" (1798/9) neben dem ersten Dialog (kritische Erörterung über einen Meßkatalog) am ehesten noch der zweite Dialog (über Schriftstellerei im allgemeinen) in Betracht käme. Außerdem hat Novalis' großangelegter fragmentarischer Roman „Heinrich von Ofterdingen" (1802) als Fundstelle kunsttheoretischer Forderungen zu gelten. Produzieren und Theoretisieren verbinden sich darin und versuchen eine Bewährung des Kunstwollens im monumentalen Torso durchzusetzen, wenngleich die theoretischen Zielprägungen, besonders im Gespräch Klingsohr-Heinrich (Kap. λ τ Π u. VIII) des Romans gelegentlich und wohl doch nicht nur in bloßer Anpassung an Goethe recht klar zur K l a s s i k hinüberdeuten oder zum mindesten an den engeren Kontakt von Klassik und Romantik erinnern mögen, der gegenüber dem Trennenden beider Kunstrichtungen nicht übersehen werden darf. In dieselbe Richtung weist eine gewisse Wesensverwandtschaft des Romans mit Hölderlins „Hyperion". Für das Verhältnis zur Mythologie, bzw. Naturphilosophie kann zugleich das Romanfragment „Die Lehrlinge zu Sais" (entstanden etwa 1798), und zwar besonders das zweite Bruchstück manchen theoretisierenden Beitrag über das Verhältnis des Künstlers zur Natur stellen. Dichtdeutung innerhalb des Dichtschaffens findet sich weiterhin eingelagert im Kunstgespräch der Novellen Tiecks, im Künstlerroman wie etwa Tiecks „Franz Sternbalds Wanderungen" (1798), der bei gewissen Berührungen mit Heinse doch in seiner ausgeprägt religiösen Kunstanschauung sich abhebt, das Wechselspiel der Künste mannigfach ablesen läßt und nicht nur die stimmungsstärkere Malerei bevorzugt unter Vernachlässigung der Plastik, sondern gerade auch die Musik als Stimmungsträgerin und letzte Erfüllung menschlicher Ausdrucksmöglichkeit sehr hoch stellt. Auf Brentanos „Godwi" (1801/2) wird späterhin zurückzugreifen sein. A. W. S c h l e g e l , ruhiger und bedachtsamer als Friedrich und stärker philologisch-historisch interessiert, bringt nicht sowohl neue Leitgedanken, als vielmehr kritisch wertvolle Beiträge, u. a. auch zur Metrik, z.T. noch der Klassik näherstehend, aber doch in Bewertung des Klanglich-Musikalischen und des Dynamischen der Romantik zugewandt, so „Die Sprachen, ein Gespräch Über Klopstocks grammatische Gespräche" (im „Athenäum" 1798, vgl. die früheren Aufsätze „Betrachtungen über Metrik" bzw. „Briefe

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über Poesie, Silbenmaß und Sprache"). Wie schon Fr. Schlegel schließt er seine theoretischen Erwägungen gern an die praktische Kritik des Einzelfalls an, entwickelt etwa aus der Kritik über „Hermann und Dorothea" (Jenaer Lit.-Zeitung, 1797) den Unterschied von Drama und Epos oder aus dem Vorbild „Wilhelm Meister" die Aufgabe des romantischen Epikers (Athenäum). Wie der Klosterbruder (Tieck-Wackenroder) in den „Herzensergießungen" mahnte: „und doch wollt ihr das Mittelalter verdammen, daß es nicht solche Tempel baute wie Griechenland?" (S. 102), weist A. W. Schlegel frühzeitig auf die Vorteile der mittelalterlichen Wunderwelt gegenüber dem erzwungenen Wunderbaren in zeitgenössischen Epopeen hin, wobei Nationales und Volkstümliches gleichermaßen bewertet wird. Im „Athenäum" schloß sich A. W. Schlegel in der Formgebung dem Fragmentenund Aphorismenkultus an, indem er „Rhapsodisches" und „Notizen" beisteuerte. Gemäßer aber waren ihm breiter angelegte Erörterungen über Theorie und Literaturgeschichte, so die „Vorlesungen über schöne Literatur und Kunst" (Berlin, 1801—1804), deren erster Teil „Die Kunstlehre" (1801/2) eine Poetik darstellt und denn auch vom Verfasser selbst als „Poetik" bezeichnet wurde. Teile dieser Berliner Vorlesungen wurden erstmalig gedruckt in der bereits erwähnten Zeitschrift „Europa" unter dem Titel „Über Literatur, Kunst und Geist des Zeitalters", unter denen die dritte Vorlesung („Untergang der Ideen") wegen der scharfen Auseinandersetzung mit der Spätaufklärung besonders beachtenswert erscheint, indem sie durch negative Abwehr zugleich die positive Zielsetzung der Romantik anzudeuten vermag. Aus diesem Material der Berliner Vorlesungen schöpfen auch die Erörterungen „Über das Verhältnis der schönen Kunst zur Natur. Über Täuschung und Wahrscheinlichkeit. Über Stil und Manier", die in der Wiener Zeitschrift „Prometheus" (1808) herauskamen und den entsprechenden Titelzusatz tragen „Aus Vorlesungen, gehalten in Berlin im Jahre 1802". Die später — 1807/08 — gehaltenen Wiener Vorlesungen „Über dramatische Kunst und Literatur" (gedr. Heidelberg 1809—1811) berücksichtigen nicht ohne stoffliche Abhängigkeit von den grundlegenden Berliner Vorlesungen vor allem die dramatische Theorie, berühren aber auch das allgemeine Programm, u. a. durch die sdealforderung eines nationalhistorischen Schauspiels und betimmen durch zahlreiche Übersetzungen weitgehend das Abbild

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deutschen romantischen Wollens in der Widerspiegelung des Auslandes. Für die Literaturphilosophie indessen bleiben die „ B e r l i n e r V o r l e s u n g e n " ergiebiger, und zwar hinsichtlich der allgemeinen Kunsttheorie und der romantischen Auffassung der Natur-„Nachahmung" besonders die siebente Stunde, hinsichtlich der Dichtkunst die dreiundzwanzigste Stunde, die u. a. über das Mittel der Sprache über Silbenmaße, Mythologie, Dichtarten, darunter besonders das Epos handelt. Gemeinsam mit Friedrich Schlegel bringt A. W. Schlegel die „Charakteristiken und Kritiken", in deren erstem Bande (1801) Friedrich Schlegels beachtenswerter Aufsatz „Über Lessing" seine Endform findet. Das frühzeitige Zurückgreifen der bereits mehrfach herangezogenen „Herzensergießungen" auf ein poetisiertes, verklärtes Mittelalter und die religiöse Grundhaltung der Kunstfrömmigkeit in schwärmerischer Ausprägung, die willige Hinwendung zum Transzendenten erscheinen bemerkenswert als Ansätze zu jener in der weiteren Entfaltung der romantischen Literaturphilosophie stark anwachsenden Neigung zur Vertiefung ins Mystische. Derartige Tendenzen verbinden sich mit der charakteristischen Annäherung an die Musik bereits in demselben Jahre, in dem W. v. Humboldt seine Ästhetik der Klassik herausbrachte und noch ganz die Dichtung auf die Plastik bezog, so nicht zum wenigsten in T i e c k - W a c k e n r o d e r s „Phantasien über die Kunst für Freunde der Kunst" (1799). So reich Nachwirkungen von Herder, Hamann, Heinse und selbst noch Lessing oder Sulzer, Zuströme von Hemsterhuis, Fichte, Schleiermacher, Schelling u. a., Teilkräfte der Klassik und nachsickernde Grundkräfte der Geniezeit einmünden mochten in die umspannende, zur Sprengung gesättigte Kunstphilosophie der Romantik: sie nahm doch durchweg organische Angleichungen an ihr spezifisches Kunstwollen, Umwertungen und in ihrem Sinne auch Aufwertungen des weltanschaulich-kunstanschaulichen Erbgutes vor und kann — auch von der Fachästhetik her — nicht einfach als Eklektizismus abgestempelt werden, so wirre Überkreuzungen der Einflußströme sie auch immer erfahren und dulden mochte. Wohl aber werden Einzelvertreter als Kompilatoren erkennbar, so vor allem A. F. B e r n h a r d i , dessen mehr angeregte (Fichte-Schelling-Schleiermacher) als anregende Erörterungen in seiner Zeitschrift „Kynosarges" (1802) über „Wissenschaft und Kunst" und den „Musenalmanach für das fahr 1802 von A. W.

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Schlegel und L. Tieck" durchaus eklektisch wirken. Doch bietet Bemhardi, von Friedrich Schlegel mit Recht als bloßer „Anempfinder" gekennzeichnet, trotz krauser Dialektik einen instruktiven Querschnitt, wobei unter anderem klassisch mit „analytisch" und romantisch mit „synthetisch" gleichgesetzt wurde. Auch ist seine Sprachlehre nicht zu unterschätzen, ebenso sein Beitrag zur Klärung des Prosabegriffes. Genie und Geschmack: In einem weit höheren Grade als in der Geniezeit duldet die Genievorstellung der Frühromantik den Geschmacksbegriff neben sich. Und in einem weit höheren Grade als in der Geniezeit duldet das Unbewußte der Genialität die geistige Bewußtwerdung neben sich. Ja, diese geistige Bewußtwerdung galt ihrerseits als ein Wesensattribut des Genies (Novalis) und als dessen Voraussetzung. Es bestand für die Frühromantik nicht mehr wie für den Sturm und Drang die entwicklungsgeschichtliche Nötigung einer befreienden Absage an den Primat des Geschmacks (Rokoko) und einer erlösenden Freisetzung vom Druck rationalistischer Ansprüche (Aufklärung). Wenn die Philosophie, wie es das sogenannte „Älteste Systemprogramm" forderte, eine „ästhetische Philosophie" zu werden versprach, so brauchte man kaum ernstlich zu befürchten, daß die Dichtung in eine Dienstbarkeit der Philosophie abgleiten werde, so bedurfte es also auch nicht des leidenschaftlichen Abwehrkampfes der Geniezeit gegen die Philosophie (Hamann), um die Kernstellung des Dichterischen, eben den Geniebegriff, rein und ungetrübt zu behaupten. Für eine forcierte Aufsteilung der Genievorstellung lag in der geistesgeschichtlichen Situation kein Anlaß vor. Nicht allein das lebhafte Einwirken der Klassik, auch der Primat des Geistes innerhalb der Literaturphilosophie der Frühromantik schränkte die absolute Wertgeltung des Genies beträchtlich ein. Eine Genievorstellung als Inbegriff aller Kunstmöglichkeit und Kunstmächtigkeit (Geniezeit) würde zudem dem Bedürfnis nach Polarität und Identität des Gegensätzlichen widerstreiten. In Wirklichkeit ist denn auch diese Polarität und dieses dualistische Prinzip durchaus gewahrt im (noch näher zu erörternden) Verhältnis des Unbewußten zum Bewußten oder in den beiden Polen: Genie und Geschmack. Und das ideale Ziel liegt in der Aufhebung dieses Gegensatzes von Genie und Geschmack. Der t r a n s z e n d e n t a l e Antrieb, der zunächst einen mächtigen Auftrieb zu verbürgen schien, indem der Dichter gleichsam das

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Urbild aller Weltschöpfung (auch der philosophischen Weltanschauungs-Schöpfung) darstellte, trug in sich selbst die begrenzende rein geistige Kraft und damit eine innere Neigung und ideelle Nötigung zu einer philosophischen Umschränkung. Und der transzendente Antrieb, der zudem in der Geniezeit bei Hamann oder Lavater gewiß nicht geringer war als bei Wackenroder, Novalis oder Tieck, verlieh der Genievorstellung zwar zunächst eine Ausweitung ins schier Unendliche, trug in sich selbst jedoch die Gegenmacht und Übermacht der Religion und führte so zu einer religiösen Umschränkung der Genievorstellung, die bei aller Abweichung im Einzelnen grundsätzlich der religiösen Umschränkung in der Barockzeit verwandt blieb. Der religiös gefärbte, schwärmerische Geniekultus der „Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders", mit dem Wackenroder den „himmlischen Funken" verehrt, wie er Gott aus dem Kunstwerk wieder „entgegenglimmt" (Birken, Quirinus Kuhlman; Hamann, Lavater, Kaufmann) findet dennoch seine Schranke im Wunder der Weite in dem Grade, dessen auch der größte Künstler noch immer bedarf. Nur weil im Sinne der Weite des Wunders die Mutter Gottes selbst an die Stelle und gleichsam in die Stelle getreten ist, die das Gemälde Raffaels ihrem Abbild bestimmt hatte, gelingt dem genialen Maler die geniale Kunstleistung. Nur scheinbar erfährt der Geniebegriff an solchen Stellen seine Steigerung bis ins Göttliche. In Wirklichkeit erfährt er seine D ä m p f u n g im Sinne der religiösen Umschränkung. Trotzdem scheint der stärkste Auftrieb für die Genievorstellung nicht vom Transzendentalen, sondern vom Transzendenten auszugehen. Das schöne Wort Novalis' „Dichten heißt Zeugen. Alles Gedichtete muß ein lebendiges Individuum sein" steht, isoliert betrachtet, dem Sturm und Drang näher. Aber es umschreibt ebensowenig wie der sogenannte „magische Idealismus" die Genievorstellung der Frühromantik, ja nicht einmal die Genie Vorstellung Hardenbergs. Derartige positive Ausdeutungen dürfen wie manche ähnlich formulierten für sich eine hohe Bewertung in Anspruch nehmen. Aber sie stehen nicht stellvertretend für den frühromantischen Geniebegriff, soweit aus allen Schwankungen überhaupt so etwas wie ein einheitlicher Geniebegriff abzulesen ist. Nicht zum wenigsten durch Friedrich Schlegel gerät in die Genievorstellung nicht allein die höhere geistige Bewußtheit, sondern selbst noch mancherlei Rationales hinein, das neue

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Nahrung findet in einer abgeflachten Spielform der romantischen Ironie. Denn die höhere Ausprägungsform der romantischen Ironie dürfte letzten Endes zu jener religiösen Umschränkung (Menschenwerk ist nicht höchstes Werk) beitragen, während es sich hier zunächst um ein Stück merklicher E i n t r ü b u n g der r e i n e n G e n i e v o r s t e l l u n g d u r c h das mehr l i t e r a r i s c h e V i r t u o s e n t u m handelt. Schon das erwähnte Virtuosentum der Stimmung und Umstimmung deutet in diese Richtung (ähnlich auch das Athenäumsfrg. 121). Die Überkreuzung von Dichtertum und Kritikertum, von Kunstschaffen und Kunstwollen nicht allein, sondern von zweckbefreitem Deuten und zweckstrebigem KunstschuleBilden („Gespräch über die Poesie") führt eine innere Brechung der Genie-Einheit als untrennbarer Ganzheit herbei. Eine stets wache und zudem stimmungsmäßig ablösbare und austauschbare Kontrolle des Schaffenden beeinträchtigt eine letzte Versunkenheit und schwächt den Glauben an die einmalige und in ihrer Art ewige Notwendigkeit der Kunstschöpfung ebenso sehr wie sie die urwüchsige Kraft eines elementaren Darstellungsdranges (Geniezeit) lahmen mußte. Der leidenschaftliche Ernst, mit dem der Sturm und Drang die Genialität umworben, und die Inbrunst, mit der er sie verehrt, ja „vergöttert" hatte, wich einem geistreichen Umspielen mit teils schon konventionell vorgeformten Verehrungsformeln. Und das Spiel und Widerspiel, die Spiegelung und Widerspiegelung der romantischen Reflexion und romantischen Ironie warf unstete Reflexlichter (und Reflexionslichter) auf den Altar des einstigen Geniekultus, der sub specie aeternitatis trotz mancherlei christlich-religiöser Umkleidungen nicht mehr als Heiligtum erschien. Die romantische Ironie aber beeinträchtigte nicht allein den Ernst der Genieverehrung und zerbrach nicht allein die Kernsubstanz des Geniebegriffs; sie ersetzte ihn geradezu auf weite Strecken hin, wie sie auch im Kunstschaffen vielfach an die Stelle der schöpferischen Genialität getreten war, so etwa bei L. Tieck oder Fr. Schlegel. Zudem erfuhr der Geniebegriff z . T . eine Zerdehnung und Verallgemeinerung, die anfangs wohl wie ein Geltungszuwachs wirken mochte, die jedoch bald zur Auflösung des Begriffskerns führen mußte. Es handelt sich dabei um einen ganz ähnlichen Vorgang wie bei der Ausweitung des Begriffs der „Poesie". Man gewann an Weite, was man an Dichte verlor. Wenn

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beispielsweise Novalis einmal „Genialität" schlechthin als allgemeine Grundlage unseres Daseins erklärt, so geschieht das nicht ohne ausdrücklichen Hinweis darauf, daß sie „nichts Besonderes", sondern eben der allgemeine Schöpfungsgrund sei, ähnlich wie von der „Poesie" schlechtweg erklärt wird, daß sie „Eins und Alles sei". Auflösung und Ablösung durch die romantische Ironie, Ausweitung ins Universale, teils auch U m d e u t u n g ins Virtuose erweisen sich als stärker als mancherlei „magische" Beschwörungsformeln der alten Genieherrlichkeit. Eine gewisse Überschätzung des Kunstverstandes oder der Kunstvernunft stellte zudem von sich aus ein Gegengewicht gegen den magischen „Idealismus" dar, der überdies mehr auf die Philosophie als auf die Poesie bezogen erscheint und in seiner Lebensdauer begrenzt war (Entwicklungsausschnitt bei Novalis). Bei alledem erweist sich indessen, daß jene Brechung und Dämpfung, die leicht als ein Nicht-Vermögen aufgefaßt werden kann (und im Kunstschaffen z.T. auch ein Nicht-Vermögen war), kunsttheoretisch doch eben einem eigenen Kunstwollen entsprach. Und an diesem Kunstwollen will im Sinne des historischen Verstehens die Kunstleistung doch zuletzt gemessen werden. Wer mit Maßstäben der Geniezeit oder der Klassik an die Frühromantik herantritt, wird ihr Eigenwesen leicht verfehlen. Dem Kunstwollen dieser Epoche ist eine reinliche Scheidung von Schöpfertum und Virtuosentum, aber auch von Genie und Geschmacksbegabung unerwünscht. Ausdrücklich wird der „unselige Gegensatz zwischen Geschmack und Genie" von A. W. Schlegel in seinen Berliner Vorlesungen abgelehnt. Vielmehr ist für A. W. Schlegel das „Genie nichts anders . . . als p r o d u k t i v e r Geschmack". Man trifft hierbei eben nur auf eine besonders klare Formulierung dessen, was vielfach den Frühromantikern vorschwebte, so daß der kritische Hinweis auf den frühromantischen Ästhetizismus selbst im Sinne ihrer Kunstauffassung nicht so ganz abwegig sein dürfte. Als „wahrhafter Kunstsinn "wird dabei das Genie umschrieben, wobei merklich kritische Genialität und schöpferische ineinander hinüberspielen. Noch in den Wiener Vorlesungen wird zwar die Vorherrschaft einer einseitigen Geschmacksrichtung und deren vermeintlich für alle Zeiten maßgebende Gültigkeit als durchaus unhistorisch bekämpft. Rein psychologisch jedoch werden wiederum Geschmack und Genialität verschmolzen zur Wirkungseinheit „Aber die unbedingte Trennung von Genie und Ge-

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schmack . . . ist eine nichtige Ausflucht. Das Genie ist eben die bis auf einen gewissen Grad bewußtlose Wahl des Vortrefflichen, also Geschmack in seiner höchsten W i r k s a m k e i t " . Fast so wie einst Joh. Ul. König den Geschmack an das Vernunfturteil herangerückt hatte (18. Jh.), näherte man ihn nun dem schöpferischen Vorzeichen (Genialität). Der unerbittlich scharfe, aber nach langer Verirrung beider Begriffe unendlich befreiend und klärend wirkende Trennungsstrich, wie ihn besonders K. Ph. Moritz innerhalb der Klassik zwischen rezeptivem, wenn auch noch so kultiviertem „Kunstsinn" und Kunstempfinden (Geschmack) einerseits und produktiver Schöpferkraft im Kunstschaffen (Genie) gezogen hatte, wird also geflissentlich wieder ausgelöscht. An dieser Stelle setzte die Kritik Jean Pauls ein. Und wenn er einwendet, daß diese passiven, weiblichen „Genies" zu zeugen glauben, während sie in Wirklichkeit empfangen, so denkt man unwillkürlich an das oben angeführte Wort Hardenbergs, obgleich gerade Novalis noch einer der schöpferisch Stärksten der Frühromantik war. Selbst Novalis jedoch forderte neben dem „Sinnberaubten" des „magischen" Dichtertums die besonnen formende W a h l f u n k t i o n des g e s c h m a c k v o l l e n K u n s t s i n n s , und zwar nicht allein im klassischen Rahmen des „Ofterdingen"-Romans, wo die Mahnung sich findet: „Nichts ist dem Dichter unentbehrlicher als Einsicht... und Gegenwart des Geistes, nach Zeit und Umständen die schicklichsten (Kunstmittel) zu wählen. Begeisterung ohne Verstand ist unnütz und gefährlich". Auch dort, wo es ihm darum geht, mit Hilfe einer kritischen Abhebung von „Wilhelm Meisters Lehrjahren" das eigene Kunstwollen zu klären, scheint ihm nicht mehr alles nur mit einer Anbetung des „Zufalles" getan zu sein, sondern wesentlich die rein kunsttechnische Fähigkeit, aus dem Zufallenden, aber auch leicht Zufälligen, das formungsmäßig Gefallende und Notwendige sich zu gewinnen, dergestalt, daß nun „also alles . . . auf die künstlerische Wählungs- und Verbindungskunst" ankommt. Die naheliegende Annahme, daß die Genievorstellung der Frühromantik eine Art Synthese der geniezeitgemäßen und der klassischen A u f f a s s u n g darstelle, kann nur bedingt zutreffen, weil der Ansatz von vornherein anders erfolgt, weil die Transzendentalphilosophie und mit ihr die romantische Ironie hineinspielte, und das Indentitätsstreben der Romantik nicht mit

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dem Ausgleichsstreben der Klassik gleichzusetzen ist. Der konstruktive Versuch, den Geniebegriff der Frühromantik zu einer Übersteigerung und Überbietung der Genievorstellung des Sturmes und Dranges zu machen und umzudeuten, führt aus den oben erwähnten Gründen leicht zu einer Fehlfolgerung. Im Gesamt gilt natürlich wie bei den meisten Kunstrichtungen vor allem das als Genialität, was die kunsttheoretischen Forderungen oder gefühlsmäßigen Sehnsüchte der Frühromantik am besten zur Erfüllung zu bringen versprach: „Die Klarheit nun, die Energie, die Fülle, die Allseitigkeit, womit sich das Universum in einem menschlichen Geiste abspiegelt und womit sich wiederum dieses Abspiegeln in ihm spiegelt (doppelte Brechung), bestimmt den Grad seiner künstlerischen Genialität" (Berl. Vorig.). Im ganzen wird gegenüber der angeblichen Einseitigkeit und Stetigkeit des Talents die Vielseitigkeit und die freie Wandelbarkeit des Genies hervorgehoben: „Genie ist nämlich ein System von Talenten" (Athen.-Frgm. 119). Völlig neuartig war diese Definition nicht gerade; denn schon der geistvolle Aufklärer G. Christoph Lichtenberg hatte von einem Plan berichtet, wie man aus dem Genie des berühmten Schauspielers Garrick ein ganzes System der Schauspielkunst mit allen ihren Einzeltalenten habe ableiten wollen. Eine derartige Genieauffassung, die in gewisser Weise eine Steigerung des Begabungsgrades letzten Endes aus einer Summierung zu gewinnen und zu deuten trachtet — eine Deutung, die nicht zum wenigsten von Jean Paul weiter ausgebaut worden ist — , weicht in ihrem Kernbestand nicht unwesentlich von der geniezeitgemäßen und auch von der modernen Genieauffassung ab, bewegt sich aber durchaus in der allgemeinen Richtung der Universalbildung, des romantischen Universalkönnens oder doch Universalwollens. Demgegenüber greift tiefer auf die Wurzelkräfte wachstümlicher und urtümlicher Genialität die Wendung zurück: „Verstand ist mechanischer, . . . Genie ist organischer Geist" (Athen.-Frgm. 366); denn der geniezeitgemäße Organismusgedanke bleibt über die Klassik hinweg eine wertbewahrende Grundkraft auch innerhalb der Romantik, wenn sie auch ζ. T. abgeschwächt oder übersteigert erscheint durch den „ C h a o s " - G e d a n k e n : „Das Chaos muß in jeder Dichtung durch den regelmäßigen Flor der Ordnung schimmern" (Novalis). Natürlich ist dabei mehr gewollt als eine bloße Romantisierung der „künstlichen Unordnung" der Auf-

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klärung. Der Einbruch chaotischer Kräfte ist zuletzt doch nur eine dämonische Spielform des Hineinragens des Unendlichen in das Endliche des Kunstwerkes. Auch die Wendung zu einer romantischen Spielform des Urtümlichen wird gelegentlich deutlich erkennbar. So, wenn es von Fr. Schlegel als die erste Aufgabe angesehen wird, die zwängenden und bedrängenden Gesetze und Ordnungen einer „vernünftig denkenden Vernunft aufzuheben und uns wieder in die schöne V e r w i r r u n g der P h a n t a s i e , in das ursprüngliche Chaos der menschlichen Natur zu versetzen" (Gespräch über die Poesie). Man braucht nicht sogleich überall, gestützt auf eine themagemäß einseitige Sonderforschung, den Geist Rousseaus an solchen Stellen auftauchen zu sehen, denn derartige Gedankenfügungen waren über das geniezeitgemäße Kunstwollen längst mittelbar zugänglich. Wesentlicher erscheint, daß von dieser Sonderdeutung des Geniebegriffs Linien zur Kunstgesinnung H. v. Kleists verlaufen („Uber das Marionettentheater, Brief eines Malers an seinen Sohn" u. a.). In gewisser Weise nähert sich der P o s i t i o n Heinrich von K l e i s t s , wenngleich von einer anderen Seite her L u d w i g T i e c k in seinem beachtenswerten Aufsatze mit der Fragestellung: „Soll der Schauspieler während der Darstellung empfinden ? soll er kalt bleiben ?", und zwar dort, wo er das einst schon von Lessing berührte engere Thema verläßt und entsprechende Forderungen „in jeglicher Kunst" wiederfindet. Die Forderung und Beobachtung nämlich, daß für das Genie „das Schwerste und gewissermaßen Unmögliche" doch zugleich „das Leichteste und Natürlichste sein" werde. Ohne weiteres drängt sich die bekannte Stelle aus einem Privatbrief Kleists an Rühle von Lilienstern (Aug. 1806) in die Erinnerung. Aber anders als Kleist wertet Tieck die Besonnenheit, den auch bei Schelling und A. W. Schlegel wie überhaupt bei den Frühromantikern stark herausgestellten Anteil der Bewußtheit, als die notwendige und organische Ergänzung. Und es ist weit mehr im Sinne Hölderlins als im Sinne Kleists, so nah die beiden sich sonst vielfach berühren, es klingt sogar fast wörtlich an ähnliche Äußerungen und Selbstermahnungen Hölderlins an, wenn Tieck einschränkt: „Die höchste Begeisterung, der wahre Enthusiasmus sind zugleich die echte Besonnenheit und schaffende Klarheit". Der Dichter darf sich nicht im S c h ö p f u n g s t r i e b erschöpfen, darf nicht „seine dichtende Kraft" durch stürmische Einzelimpulse sich entkräften U M a r k w a r d t , Poetik III

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und „verzehren" lassen. Das organische Ganzheitgefühl verteilt gleichsam seine „Begeisterung" über die Gesamtplanung, „indem das Ganze mit allen seinen Teilen allgegenwärtig in seiner Seele lebt". Der bei Tieck auch andernorts stark betonte Sinn für das Ganze umschränkt ein willkürfreies Sichausleben, verhindert aber auch ein schwächendes Sichausgeben des „Genialen". Der Organismusgedanke, merklich klassischer Umprägung, bestimmt den Geniebegriff, umgrenzt ihn und wandelt ihn — etwa gegenüber dem der Geniezeit — merklich ab. Der Erwerb der Klassik ist nicht verloren. Man spürt ihn, wie überhaupt die Nähe der Klassik, wenn Tieck etwa der „flatternden Unruhe" des Triebhaften die „göttliche Ruhe" des Hervorbringens gegenüberstellt, wobei diese überlegene Ruhe sehr wohl innerlich „vom schaffenden Feuer durchdrungen" sein kann und sein soll. Aber man spürt auch die Nähe der romantischen Ironie und der Erlebnisabstands-Überlegenheit. Beachtenswert erscheint, daß Tieck anders als etwa A. W. Schlegel Genie nicht einfach als bloße Höhenstufe des Talents auffaßt; denn „das Genie fängt da an, wo das untergeordnete, selbst kräftige Talent niemals hingelangen kann". Scheint sich dabei Tieck weitgehend der scharfen Trennung von Genie und Talent bzw. Genie und Geschmack, wie sie K. Ph. Moritz innerhalb des Kunstwollens der Klassik, ohne sich indessen darin durchzusetzen, angestrebt hatte, zu nähern, so biegt er doch wieder von diesem folgerichtigen Wege ab. Und selbst in dieser bedeutsamen Bekundung Tiecks wird kaum der Klärungsgrad, wie er im allgemeinen in Sturm und Drang und Klassik gewonnen werden konnte, nicht voll erreicht. Sowohl nämlich für das Genie als auch für das „große Talent" sieht er in der Umgebung der Identitäts- und Indifferenz-Philosophie ein charakteristisches Wesen?- und Wertmerkmal darin, daß beide eine bedeutende F ä h i g k e i t im leichten Auflösen und Aufheben scheinbar „unauflöslicher Widersprüche" besitzen und bewähren. Auch darin wird die Eigenart und Sonderform der romantischen Genievorstellung sichtbar. Genial war in diesem Sinne, wer die Identität des Gegensätzlichen verwirklichte und im Schaffen bewährte, indem er das Gegensätzliche in sich und im Werk „aufhob". Andererseits galt für Tieck als „echtes Genie", wer das Wunderbare und Geheimnisvolle bannkräftig darzustellen vermochte. Und diese Seite ist vielleicht die eigentlich r o m a n -

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tische Seite der Genievorstellung, mag sie anfangs auch auf Stofflich-Motivliches bezogen erscheinen. Denn durch diese Deutung und Wertung wird die echte Genialität zu jenem magisch umstrahlten, in der Glut der Gläubigkeit geschmiedeten Zauberschlüssel, der die Weite des Wunders aufzuschließen die göttliche Kraft in sich birgt. In seiner „Genoveva", mehr noch in seinem ,yKaiser Oktavian" dürfte sich Tieck im vollen Besitze dieser romantischen Genialität gefühlt haben, die, die mit der Weite des Wunders zugleich das Wunder der Weite sich zu gewinnen wußte. Denn was uns leicht als epische Zerdehnung oder lyrische Erweichung des Dramatischen oder (bes. auch bei Brentano oder Zacharias Werner) als opernhafte Umbildung anmuten mag, entsprach offenbar dem romantischen Kunstwollen, an dem allein im Sinne eines historischen und literaturhistorischen Verstehens die Kunstleistung gemessen werden sollte. Aber auch jenseits Tiecks wird der moderne Leser und kritisch wertende Beobachter den Funken der Genialität bei romantischen Dichtern am ehesten noch dort aufblitzen sehen, wo es jene Reiche des Wunderbaren, Märchenhaften, Traumhaften und Geheimnisvollen stimmungsmäßig und gestaltungsmäßig zu erobern und eindrucksmäßig zu behaupten galt. Und es entspricht durchaus seinem bewußten oder unbewußten, ausgesprochenen oder unausgesprochenen, oft als unaussprechlich empfundenen Kunstwollen, wenn sich der Romantiker auch in der Kunstleistung dort am besten bewährt, wo ihn die Weite des Wunders und das Wunder der Weite umfängt. Ein rein schöpferisches, vor allem ein gestaltungsmächtiges Genie ist bei den Romantikern selten, denn H. v. Kleist ist kein reiner Romantiker. Aber wie Lessing, dem Geiste der Aufklärung gemäß, seiner Helferin: Kritik, also im weiteren Sinne der angewandten Poetik, eine Gabe dankte, die dem Genie nahekam, so hatte mancher unter den Romantikern dem Wunderbaren, also im letzten Grunde dem Religiösen oder doch Metaphysischen oder Mystischen eine ähnliche Annäherung an echte Genialität zu verdanken. Kunsttheorie und Kunstschaffen der Romantik stehen, so betrachtet, auch in dieser Hinsicht in einem innigen wechselseitigen Verhältnis. Und selbst noch die z.T. zwiespältige Genievorstellung findet ihr Gegenbild und ihre Entsprechung im romantischen Kunstwerk. Bewußtes und Unbewußtes: Die Zwiespältigkeit oder doch Zweipoligkeit in der Genievorstellung und in der Auffassung der 15·

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genialen Produktion geht letzten Endes zurück auf die zweipolige Spannung, wie sie an sich zwischen der Bewußtheit und dem Unbewußten angenommen, aber mit Hilfe von Identitätsvorstellungen in eine überwölbende Anspannung aufgenommen und „aufgehoben" erscheint. Ja, es gilt geradezu als eine Aufgabe der Kunst, diese Spannung fruchtbar zu machen, indem sie die „ursprüngliche Identität" des Bewußten und Unbewußten wieder herstellt (Schelling). Teilweise löst sich die Gegensätzlichkeit auf in das Unterbewußte (bzw. Vorbewußte) einerseits und Überbewußte („unendliches Bewußtsein") andererseits, wiederum jedoch so, daß der Kreis sich schließt (H. v. Kleist). In den Begriff der Bewußtheit bzw. des Bewußten spielen vielfach noch Erträge der früheren kunsttheoretischen Entwicklung hinüber, so vor allem der ältere Begriff der „Besonnenheit", dem man bereits das Nüchtern-Bedachtsame zu nehmen und eine immanente Planerfülltheit, ja gelegentlich eine Art von geistigem Erleuchtetsein zuzuweisen verstanden hatte. In das Unbewußte, auch wohl „Bewußtlose" (bes. bei Schelling) genannt, münden mancherlei Vorstellungen aus der Geniezeit ein im Sinne eines InstinktivIntuitiven, Dranghaft-Spontanen, erfahren jedoch — wie dort bei Hamann oder Lavater u. a., aber entsprechend abgewandelt — eine merkliche Umbildung ins Religiöse einerseits und, darin abweichender vom Sturm und Drang, ins Philosophische andererseits. Überhaupt bieten für jene P o l a r i t ä t und jenen Dualismus des Unbewußten und Bewußten, Intuitiven und Reflexiven die Religion und die Philosophie als entscheidende Leitkräfte der Romantik die weiträumigen Auffangsgebiete, ζ. T. aber auch die noch deutlich erkennbaren Ausgangsgebiete. Mystische Versunkenheit in hingebender Gläubigkeit und als deren gleichsam säkularisierte kunsttheoretische Ausprägungsform eine gläubige und schwärmerische Kunstfrömmigkeit (Wackenroder) auf der einen Seite und ein kritisches Wachsein, ja ein ironisches Überwachsein, und „philosophisches" Sinnieren und Konstruieren auf der anderen Seite umschreiben dieselbe Polarität. Ein Sich-Ausleben in solcher Polarität wurde gleichsam ermutigt durch ihr jederzeit gegebenes oder doch beanspruchtes Sich-Aufheben in der Identität. Nicht allein Pol-Spannungen wie die zwischen Schleiermacher und Leibniz, selbst die zwischen Jakob Böhme und Spinoza durchfluten das Kraftfeld des Unbewußten und Be-

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wußten. Und selbst die Diesseits-Jenseits-Spannung des Barock erfährt in gewissem Grade eine erlebte Erneuerung, die oft durch philosophische oder auch nur scheinphilosophische Vorstellungen stimmend und bestimmend hindurchgreift, sobald das romantische Gemüt den romantischen Geist von innen her überwältigt. Das Unbewußte hatte im Rahmen der Poetik wie späterhin der aus ihr hervorwachsenden Ästhetik längst vor der Romantikeine verhältnismäßig weitgehende Berücksichtigung erfahren. War doch ζ. B. die Ästhetik als neue Sonderwissenschaft ursprünglich von Baumgarten geradezu gedacht und geplant als eine Logik, als eine Philosophie der „unteren, dunklen Seelenkräfte", die nicht Träger einer begrifflichen Bewußtheit, sondern mehr einer sinnenhaft-naturhaften, lebhaften Unbewußtheit oder Halbbewußtheit (Leibniz: clair-obscur) darstellten, wobei Leibniz mit dem „petites perceptions" eine willkommene Anknüpfungsmöglichkeit bot. Baumgartens warme Verteidigung des Geltungsrechts der „confusen" Erkenntnis (fundus animae) mußte dem Unbewußten einen weiteren Wertzuwachs gewinnen helfen. Die Linie über Bilfinger, Breitinger und die Italiener kann hier nicht neu nachgezeichnet werden; doch sei G. Vico als Vorläufer in Erinnerung gebracht. Ebenso ist noch bei Schelling die Rückverbindung zu Plotin zwanglos herzustellen. Sieht man jedoch von dem Traditionsgut, wie es im „furror divinus" oder „furror poeticus" usw. oder in den Lehren Plotins vorlag, einmal ab, so war nicht allein im Geniebegriff, sondern auch (obwohl geringgradiger) im Geschmacksbegriff bereits ein letztlich unerklärbar Unbewußtes, Unwillkürliches, Instinktives angetroffen worden, ein „je ne sais quoi", das daher den Gottschedianern einiges Kopfzerbrechen verursachen mußte. Der Geniebegriff barg dieses Unbewußte auf der Seite des Kunstwertschaffenden, der Geschmacksbegriff auf der Seite des Kunstwertaufnehmenden. Jedoch vom Künstler selbst wurde natürlich Geschmack gefordert. Für das Kunstwollen des Rokoko, das sich zeitweise freiwillig selber auf eine zweitrangige Kunststufe verwies, war dem Geschmack sogar die Vorrangstellung eingeräumt worden. Ebenso war frühzeitig im Zusammenhange mit dem E r f i n d u n g s b e g r i f f und mit dem Begabungsbegriff das Unbewußte zwangsläufig im Räume (oder doch am Rande) der Problematik einer kunsttheoretischen Betrachtung und Bewertung aufgetaucht (s. auch Bd. I). Erinnert sei im Rahmen

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des 18. Jahrhunderts nur an die Prägung der Breslauer Anleitung (1725) „Unverhoffte Gedanken aber erfindet die Seele selbst", wobei vom Erfindungsbegriff her das Unbewußte in dem „Unverhofften" sich spiegelt. Das nähere Vorbild oder kunstanschauliche Vorbereitungsbild für die Romantik scheint die Geniezeit zu bieten. Aber rein definitionsmäßig hatte schon die A u f l o c k e r e r Gruppe innerhalb der A u f k l ä r u n g weitreichende Vorarbeit geleistet. Das lag nahe, weil man dort von der eifrig betriebenen Seelenkunde aus die Poesie betrachtet und (z.T. gleichsam als Beispiels-Schatzkammer) bewertet hatte. Es ist daher nicht so ganz überraschend, wenn eine relativ neuere Sonderarbeit (A. Tumarkin) z. B. Joh. G. Sulzer als entscheidenden Anreger für die Theoretiker der Romantik in Anspruch nehmen zu können glaubt, zum mindesten hinsichtlich eines Ersetzens der Mimesislehre durch die Ausdruckslehre, die fraglos weiter ins Unbewußte hinüberreichte als die Zeichenlehre der Aufklärung. So waren also die R o m a n t i k e r , zum mindesten in der Kunsttheorie, nicht die „ E n t d e c k e r des U n b e w u ß t e n " (R. Huch), wie sie auch nicht die Erklärer des Unbewußten waren und sein wollten. Nicht allein, daß eine gewisse kunstfromme Scheu vom Geheimnis des Unbewußten zurückschreckt und zurückschrickt (wie im Sturm und Drang bei Lenz, Lavater, teils auch HamannHerder). Es ging durch die Auffangsstellung der Identitätsidee gleichsam der Anreiz, ja recht eigentlich der Anlaß für ein klärendes Unterscheidenwollen und Unterscheidenmüssen des Bewußten und Unbewußten verloren. Was die A n a l y s e und A n t i these betraf, schien Wesentliches zudem ausgeführt oder weitgehend angebahnt durch Schillers Abhandlung „Über naive und sentimentalische Dichtung". Man glaubt nun (trotz mannigfachen Weiterspinnens der Schillerschen Gedankengänge) über die Antithese hinaus für die S y n t h e s e gerüstet und philosophisch gereift zu sein und nimmt selbst noch in das Naive, das man theoretisch bevorzugte (bei wesenhaft überwiegender Hinneigung zum Sentimentalischen) das Bewußte, ja Absichtserfüllte mit hinein, ohne jedoch das Unbewußt-Instinktive aufzugeben. So kann denn das 51. Athenäums-Fragment ganz unbefangen und ernsthaft verkünden: „Das schöne, poetische, idealische Naive muß z u g l e i c h A b s i c h t und I n s t i n k t sein. Das Wesen der Absicht in diesem Sinne ist die Freiheit (vom Dichter her gesehen). Bewußtsein ist noch bei weitem nicht Absicht." Danach — und nach der weiteren

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Ausführung — scheint nicht eine irgendwie äußerlich zweckgebundene Absicht, sondern eine latente, immanente Absicht (das unbewußt Planvolle?) gemeint zu sein. Immerhin will berücksichtigt werden, daß „Bewußtsein" noch nicht als ausreichend empfunden und daß „Absicht" ausdrücklich abgehoben wird. So gesehen, nähert sich diese Auffassung von einer anderen Seite her doch dem „ganz willkürlich" des Lyceumsfragments 55 (bzw. dem Athenäumsfrg. 116). Es handelt sich gewiß nicht einfach um einen Rückfall in Lessings spätes A b w e h r d o g m a , das er gegen den billig gewordenen Geniekultus als den höheren Wert ausspielen zu sollen meint, also um jenes „Mit-Absicht-Dichten", das Lessing zum Wertkriterium erhebt. Aber es sollte nicht so ganz überhört werden, daß etwa auch A. W. Schlegel in seinen Berliner Vorlesungen es nachdrücklich ablehnt, die Dichtimg (als Kunst) nach Art des Sturmes und Dranges zu betrachten und zu bewerten, nämlich als einen „besinnungslosen, fast unbewußten Erguß der Natur". Wesentlich bleibt bei alledem das Ineinsbilden und Zugleichsein von Bewußtem und Unbewußtem, ja selbst dem Naiven und Absichtsvollen im Dichterischen. Für A. W. Schlegels Kunstauffassung überwiegt vielleicht der Anteil des Bewußten im Sinne einer gestaltenden Besonnenheit, wie er es denn auch war, der Genie als „produktiven Geschmack" umschrieben hatte und überhaupt die Unterscheidung von Genie und Geschmack andernorts als müßig und unerwünscht verwarf. Doch bleibt zu erinnern, daß, wie angedeutet, im Geschmacksbegriff an sich bereits ein Anteil an Unbewußtheit gegeben war. Teilweise findet also nur eine Verlagerung des Unbewußtem vom Geniebegriff zum Geschmacksbegriff hin statt. Indessen pflegt damit durchweg eine Abschwächung der Bewertung des Unbewußten (also zum mindesten eine graduelleWertminderung) einherzugehen. Und es dürfte nicht ein bloßer Zufall sein, wenn Schelling als der wohl zäheste Durchdenker und Durchfechter des Bewußtheits-Unbewußtheits-Problems gegenüber A. W. Schlegel den Einwand erhebt, er sei durch die betreffenden Ausführungen der Berliner Vorlesungen in seiner Meinung „von dem bewußtlosen Anteil an der Poesie bestärkt worden". Schelling berührt bei dieser Gelegenheit das Verhältnis von Kunstwollen bzw. Kunstfordem und Kunstschaffen bzw. Kunstleistung. Schellings Naturphilosophie bezieht so stark eine bewußtlose Geistigkeit, die zum Bewußtsein hinschreitet, in die Natur ein, daß damit mittelbar auch für die

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Poetik ein starker Auftrieb des Unbewußten gegeben sein mußte. Aber indem es sich dabei nicht allein um ein Unbewußtes bzw. Bewußtloses (Bewußtseinloses), sondern um einen unbewußten Geist handelte, war zugleich das Brückenlager für den überspannenden Identitätsbegriff vorsorglich bereitgestellt, der nun weder zum höchst Bewußten hinüberschwingen konnte. Ebenso war innerhalb der Philosophie Fichtes dem (an sich von Kant herübergenommenen) Begriff einer „produktiven Einbildungskraft" und deren unbewußter Selbsttätigkeit (gleichsam vorbewußter Art) wie dem damit verbundenen und daraus, erklärten Setzungsvorgange des „reinen Ich" ein wirksamer Wertzuwachs für das Unbewußte gegeben. Besonders allerdings dann gegeben und dann für ästhetische Auffassungen wirksam, wenn man es philosophisch nicht gar so genau nahm (ähnlich wie bei Schellings unbewußtem Geist-Anteil der Natur), und Fichtes „reines Ich" unbedenklich in das „empirische Ich" hinüberspielte. Denn an und für sich hatte Fichte zunächst einmal der Bewertung des Bewußtseins einen starken Wertzuwachs verschafft, indem er sein „reines Ich" mit dem „Bewußtsein überhaupt" gleichstellte. Und der Bedeutungsgrad dieses Bewußtseins schlechtweg, dieses „Bewußtseins überhaupt" wurde von vornherein noch über die kritischanalytische Position Kants wesentlich emporgetrieben dadurch, daß Fichte auch das „Intellegible" (und in gewisser Weise auch das „Ding an sich") Kants in dieses „Bewußtsein überhaupt" mit hineinnahm. Es leuchtet ein, daß diese hohe und überhöhte Geltung (und Funktion!) des Bewußtseins als Selbstbewußtsein, nämlich des durch „intellektuelle Anschauung" gewonnenen (und allein zu gewinnenden) Bewußtseins seiner selbst, daß dieses an sich rein philosophisch gedachte und postulierte Selbstbewußtsein nun auch dort, wo es weniger streng philosophisch gefaßt und erfaßt wurde, einfach in ein geistiges (und künstlerisches!) Selbstbewußtsein sich umsetzte und festsetzte auch in Bezirken, wo (besonders seit der Geniezeit) sonst das Bewußtsein als ein vernunftmäßig und geistig Bewußtes zum mindesten nicht als der letzte Wert (vielmehr streckenweise als Unwert) gegolten hatte. Wieweit ein stilles Anrecht für solche Umdeutung vorlag, indem Fichte seinerseits bei der Postulierung der „produktiven Einbildungskraft" gewissen ästhetisch-künstlerischen Vorstellungen verfallen oder doch verpflichtet war, kann hier nicht beiläufig entschieden werden.

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Bei Schelling sind solche Verflechtungen und Verpflichtungen deutlicher. Im Gesamt hatte F i c h t e den P r i m a t des B e w u ß t e n gefordert und gefördert, das Unbewußte aber gleichsam nur zu einer (allerdings alles erst ermöglichenden) Hilfestellung herbeigerufen. Es ist daher eine nur folgerichtige Erscheinung, wenn die Frühromantik in unmittelbarer geistiger Nähe (und Lebensnähe) zu Fichte das B e w u ß t e als s e l b s t s c h ö p f e r i s c h e Macht des Geistes außerordentlich hoch ansetzte. Und diese Macht des Geistes als eines „Bewußtseins überhaupt" wird als Übermacht besonders deutlich erkennbar, wenn man den vergleichenden Blick auf den Sturm und Drang oder auch die Jüngere Romantik richtet. Im Gesamt wirkte dagegen Schelling (zeitlich später, wenn man von dem umstrittenen sog. Systemprogramm absieht) auf die Theoretiker und Programmatiker der Frühromantik so ein oder so zurück, daß seine Philosophie, die ja zu nicht geringen Teilen Anregungen aus dem Romantikerkreise nachging und zeitlich nachfolgte, das Gegengewicht des Unbewußten verstärken half. Der E i n b r u c h der s p e k u l a t i v e n Philosophie in die l i t e r a turphilosophische S p e k u l a t i o n , denn von einer solchen darf bei den Frühromantikern gesprochen werden, brachte teils Eigenes zurück, das einem lieb und vertraut war, teils brachte er ein irgendwie Befremdendes, das aber eben deshalb einen gewissen geistigen Sensationshunger fesselte und befriedigte, so sehr man sich rein kunsttheoretisch überlegen fühlte. Wie angedeutet, überwiegt im Verhältnis der älteren zur jüngeren Romantik innerhalb der Kunsttheorie und Literaturphilosophie bei aller Berücksichtigung des Unbewußten (bes. in Einzelaussprüchen) dennoch das Wertmaß des Bewußten innerhalb der Frühromantik. Das hängt nicht allein mit der Einwirkung und Rückwirkung der Zeitphilosophie, sondern auch vom mehr Persönlichen her mit dem g e l e h r t e n K r i t e r i u m zusammen, wie es besonders Friedrich und A. W. Schlegel zu vertreten sich nicht ohne geistigen Stolz bewußt waren. Bei A. W. Schlegel ist das ohne weiteres gegeben; wenn auch der Reflex des Literaturpäpstlichen, wie ihn Garlieb Merkel in seinem Zeitbild bietet, zum Zerrbild hin verzeichnet sein dürfte. Aber selbst wenn man etwa Friedr. Schlegels vielberufenes und kunsttheoretisch wohl doch ein wenig überschätztes „Gespräch über die Poesie" mit einbezieht, so wird von den vier kleinen Aufsätzen teils mehr literaturgeschichtlichen und literaturkritischen als kunsttheoretischen Inhalts gewiß nicht von

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ungefähr der relativ längste über die „Epochen der Dichtkunst" einleitend vorausgestellt. Der Dichter soll sich bewußt mit Literatur befassen, wie denn auch der nachfolgende Kunstgesprächsteil keinen Zweifel darüber läßt, daß man sich von einer gleichsam kunstgelehrten Schulung recht viel verspricht. Ein bewußtes Schulegründenwollen ist allenthalben spürbar und damit verbunden als Voraussetzung der Glaube an das bewußte Lernen von einer Vorbild-Poetik. Sowohl dieser erste als auch der letzte (Goethe gewidmete) Aufsatz gehört in diesem Sinne der Vorbild-Poetik an. Der dritte kleine Aufsatz „ Über den Roman" zeigt eine Mischform von literaturkritischem und kunsttheoretischem Interesse. Und selbst der kunsttheoretisch belangreichste zweite Aufsatz, die „Rede Uber die Mythologiedessen allgemeine entwicklungsgeschichtliche Bedeutung innerhalb der Geschichte der Poetik nachdrücklich hervorgehoben sei, zeugt hinsichtlich des Verhältnisses des Bewußten zum Unbewußten von einer sehr zuversichtlichen Einschätzung der Möglichkeit, ganz bewußt eine dichterisch verwertbare Mythologie mehr oder minder künstlich oder doch kunstvoll schaffen und bereitstellen zu können. Ähnlich wie sich nach Fr. Schlegel der modernde Dichter ganz bewußt und willkürlich stimmen oder umstimmen kann (und soll), ebenso bewußt kann (und soll) er sich eine Mythologie schaffen. Gewiß kennt auch Fr. Schlegel den Anteil Unbewußtheit; aber dieser Anteil überwiegt eben doch nicht. In der schwärmerisch gesteigerten Einleitung des „Gesprächs", die nach dem Eindruck des Ganzen doch ein wenig als gefühlsmäßiges Glanzlicht wirken muß, spricht er an sich mit Wärme von dem Stück Poesie in der Natur, jener „formlosen und bewußtlosen Poesie", wie sie in Pflanze und Kind sich rege. Aber ganz abgesehen davon, daß wahrscheinlich Schleiermachers „Reden Über die Religion" diesen merklich religiös gestimmten und bestimmten Impuls bewirkt oder doch wesentlich erleichtert haben: es steht eine andere Überzeugungskraft dahinter, wenn in der jüngeren Romantik etwa Jakob Grimm vom Unbewußten der (dort auch anders gemeinten) Naturpoesie kündet. Und ein Ähnliches gilt, wenn etwa geltend gemacht wird, daß auch A. W. Schlegel bereits gelegentlich seines G. A. Bürger gewidmeten Aufsatzes die Romanzen gleichsam von dem ganzen Volke gedichtet sein läßt, ganz abgesehen von der Rückwirkung der Themastellung (Bürger). Dem Überwiegen der Bewußtheit entspricht nun die Ausprägung der romantischen Ironie.

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Poetische R e f l e x i o n und romantische Ironie: Sowohl das Verhältnis Genie und Geschmack wie die Polarität des Unbewußten und Bewußten riefen zu ihrer Erläuterung zwangsläufig die Begriffsgruppe: poetische Reflexion und romantische Ironie herbei, wie umgekehrt jene Klärungsversuche den Zugang zum Verstehen der romantischen Ironie und der „poetischen" Reflexion erleichtern können. Wenn das sogenannte „Älteste SystemProgramm" eine „ästhetische Philosophie" fordert, so wird vielleicht am schnellsten verständlich, daß den Frühromantikern die „poetische Reflexion" als wichtiges Teilglied der kunstphilosophischen Bemühungen gelten mußte, wie sie auch im Kunstschaffen vermeintlich förderte und nicht hemmte. Als werkimmanente Poetik fand diese poetische Reflexion ihr Gegenstück in den zahlreichen Kunstgesprächen in Romanen und Novellen, nicht ohne Nachwirkung des „Wilhelm MeisterJedoch die „poetische Reflexion" erhält ihre tiefere Sinngebung und ihre kunsttheoretische Berechtigung nicht sowohl aus derartigen verhältnismäßig leicht greifbaren Äußerungsformen als vielmehr aus dem Beteiligtsein an der dichterischen Kunstleistung selbst. Etwa wie das reine Ich und das „Bewußtsein überhaupt" (Fichte) immer neue Stufen und Erscheinungsformen seiner Gegen-Welt und Gegenstandswelt r e f l e k t i e r t , so auch verhilft die „poetische Reflexion" durch eine der „intellektualen Anschauung" letztlich analoge „poetische Anschauimg" dem P h a n t a s i e - I c h des Dichters, das auch kein bloßes empirisches I c h sein kann, (so wenig wie sich das „Poetische" in der Poesie erschöpft) zu den ihm gemäßen Anschauungs-Reflexen. Es hieße die Dinge überspitzen, wenn man etwa im Zurückblicken auf die Baumgartenschen „sensitiven Vorstellungen" mit Bezug auf die Frühromantik von „reflexiven Vorstellungen" sprechen oder auch in der Definition der Poesie seiner „Meditationes" das „sensitiv" durch „reflexiv" ersetzen wollte. Immerhin ist es nicht abwegig, einmal über die bloße Goethezeit auf die Bemühungen der Aufklärung und besonders der fortschrittlichen Auflockerer-Gruppe innerhalb der Aufklärung zurückzublicken. Wie dort das „interesselose Wohlgefallen" Kants weitgehend vorbereitet wurde von Ed. Burke, von M. Mendelssohn und in der wörtlichen Vorformung vor allem durch Fr. Justus Riedel (1768/74) und wie dieses „uninteressierte Wohlgefallen" (Riedel), dieses „ohne interessante Absicht" (Riedel) zeitlich und ideelich näher-

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gerückt durch Kant, der Romantik die Konzeption der romantischen Ironie wesentlich erleichtert haben dürfte, ähnlich berührte sich, wenngleich nur in dem Sinne, wie sich Extreme berühren, die „poetische" Reflexion über die spekulative Philosophie Fichtes doch irgendwie mit der empiristischen Philosophie Lockes, für die in der „reflexion" als dem inneren Sinn die Seele durch sich selbst affiziert wird, wobei Berkeley die „sensation" noch mehr zugunsten der „reflexion" einschränkte. Eine gewisse Übertragung auf das Empiristische war den Frühromantikern schon hinsichtlich der „Ich"-Vorstellung geläufig. Die aufklärerische Reflexion im weiteren Sinne stand der poetischen Reflexion der Romantik entsprechend ferner. Hofft man dort von der kritischen Reflexion des Kunstverstandes aus zugleich eine Verbesserung der künstlerischen Produktion durchsetzen zu können, war dort der Schaffensvorgang von Reflexion begleitet, so erhob sich hier der Künstler reflektierend über sein Schaffen, in dem schon an sich ästhetische Bewußtheit vielfach sich mischte mit genialer Unbewußtheit. Während dort jenes Überprüfen sich stets oder doch weit überwiegend einstellte auf die Absicht (außerhalb des Kunstwerkes) im Sinne der Wirkungspoetik und auf den Zweck im Sinne der Zweckgebundenheit, vertrat die p o e t i s c h e R e f l e x i o n der R o m a n t i k u n d i h r e b e v o r z u g t e F u n k t i o n s f o r m , die r o m a n t i s c h e I r o n i e , im Gegenteil die absolute seelisch-geistige Freiheit, ja selbst noch die gemütliche Freiheit im Sinne souveräner Subjektivität und Willkür, die jene Interesselosigkeit und Absichtsbefreitheit des Kunstwerkes und der Kunstwirkung gleichsam von sich aus reflektierte und so erneut und nachdrücklich demonstrierte. Das immanent „Absichtsvolle" im Sinne einer „Zweckmäßigkeit ohne Zweck", das den inneren Sinn trägt und verbürgt, liegt auf anderer Wertschicht. Insofern liegen also Extreme vor. Sie berühren sich indessen dadurch, daß in beiden Fällen die dämonische Notwendigkeit des dichterischen Schaffens und die ernste Gläubigkeit an diese Notwendigkeit und Gültigkeit aufgehoben und durchbrochen, ja in sich gebrochen erscheint. Die rationalistische Selbstgerechtigkeit glaubte dort schon einen Erweis und Beweis in Händen zu haben, wo die romantische Vernunftsehnsucht immer erst einen Hinweis erblickte. Wenn Fichte in seiner „Bestimmung des Gelehrten" (1794) die Forderung aufstellte: „Alles Vernunftlose sich zu unterwerfen, frei und nach

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seinem eigenen Gesetze es zu beherrschen, ist letzter Endzweck des Menschen, welcher letzte Endzweck völlig unerreichbar ist und ewig unerreichbar bleiben muß, wenn der Mensch nicht aufhören soll, Mensch zu sein und wenn er nicht Gott werden soll" — , so wird erkennbar, wie hier als fernes Ideal, dem zuzustreben ist, eine geradezu göttliche Souveränität der Vernunft auftaucht, während die Aufklärung in ihren besten Trägern zwar auch derartige Ausblicke kannte (Lessings „Erziehung des Menschengeschlechts"), aber im ganzen doch schon weitgehend zu besitzen glaubte, was hier ersehnt wird. Dazwischen lag Kants Kritizismus. Wie angedeutet, ließe sich von Kants „interesselosem Wohlgefallen" gleichfalls ein Zugang zur romantischen Ironie, wenn auch nur auf einem Umwege bahnen. Die Interessebefreitheit müßte dann vom Kunstwertaufnehmenden auf den Kunstschaffenden selbst übertragen werden (K. Ph. Moritz). Zu K a n t und F i c h t e gehen B e z i e h u n g s l i n i e n , wenn Fr. Schlegel im 116. Athenäumsfragment über die romantische Poesie und ihr Wesen sich so ausspricht: „Sie kann am meisten zwischen dem Dargestellten und dem Darstellenden frei von allem realen und idealen Interesse auf den Flügeln der poetischen Reflexion in der Mitte schweben; diese Reflexion immer wieder potenzieren und wie in einer endlosen Reihe von Spiegeln vervielfachen". Wie die philosophische R e f l e x i o n den Denker b e f l ü g e l t , so bef l ü g e l t die poetische R e f l e x i o n den Dichter. Zugleich ist das Potenzieren in kennzeichnender Art mit dem Reflektieren verbunden. Von hier aus war es nicht weit zu der Forderung: „Schaffe dir Ironie und bilde dich zur Urbanität 1" (Athen.-Frg. 431), wobei die Möglichkeit des gewollten, willkürlichen Erwerbs bemerkenswerterweise vorausgesetzt wird. Abgesehen vom Ideengeschichtlichen, einmal motivgeschichtlich gesehen, stand hinter solcher Forderung das Wissen darum, daß die Klassik für den Bereich des Humors im weiteren Sinne noch einen reichen Spielraum zur Entfaltung freigelassen hatte. Die Ungeklärtheit des Humor-Begriffes brachte es mit sich, daß man ihn vielfach (so noch Novalis) mit Ironie gleichsetzte. Oft machte man aus der Not (Mangel an echtem Humor) die Tugend der geistreichen (aber auch leicht geistreichelnden) romantischen Ironie. Das beträfe die werkimmanente Poetik, die etwa bei Tieck leicht abzulesen ist. Dort wo sich Fr. Schlegel in der Aufsatzgruppe des (nur gesprächsmäßig umrahmten) „Gesprächs über die Poesie" um

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die Schaffung einer Vorbild-Poetik für die Romantik bemüht, gesteht der „Brief über den Roman" trotz allgemeiner kritischer Abwehr gegenüber dem modernen englischen Roman dennoch Sterne und Swift zum mindesten eine „seltne Originalität der Phantasie" zu. Die Blickrichtung auf jene von der Klassik freigelassene Lücke ist also bis in Einzelfälle hinein nachweisbar. Und sie reicht nicht nur in diesem Falle in die Aufklärung zurück, die letzten Endes für den Humor und die Satire relativ günstige Voraussetzungen geboten und z.T. auch recht verheißungsvolle Leistungen geboten hatte. Dabei ist nicht allein Liskows Satire von den „Elenden Skribenten" ganz auf Ironie aufgebaut. Ε. Τ. A. Hoffmann steht mit Hippel und F. G. Wetzel in persönlicher Fühlung. Im „Esprit" der Aufklärung lag über den engeren Witz-Begriff hinaus im Terminus „Witz" zudem eine Vorform für die freieste der geistigen Lizenzen bereit. Ebenso ist der Anteil geistigen Spiels im „Scherz"-Begriff des Rokoko nicht zu unterschätzen. Nicht allein daß damals das Wort Ironie über Frankreich zu uns kam, Voltaire hatte auch theoretisch über die Ironie schon einiges auszusagen. Die komische Romanze oder das komische Epos und die komische Erzählung suchten in ihrer Art, wenngleich noch etwas plump, den Ernst der Grundgattungen in den geistreichen Scherz hinüberzuspielen aus einem gleichsam entwicklungsgeschichtlich vorweggenommenen geistigen Überlegenheitsgefühl heraus. Gewiß macht man es sich leichter, gewiß fehlte durchweg vor allem die religiöse Vertiefung im Sinne einer Fragwürdigkeit der menschlichen Wichtigkeit oder, positiv ausgedrückt, im Sinne einer fraglosen Nichtigkeit allen menschlichen Treibens und also auch noch des künstlerischen Hervortreibens. Aber die Sonderforschung kann immerhin im weiteren zeitlichen Rückgriff bereits etwa bei dem belgischen Verfasser einer Weltchronik Fossetier zu Beginn des sechzehnten Jahrhunderts, der einmal Gott „erroniquement" sprechen läßt, oder ζ. B. auch bei Pasqual die kühne Zusammenschau des Vorstellungsbildes Gottes mit der Ironie-Vorstellung zum mindesten formal, aber wohl auch schon ideelich belegen. Der Zusammenhang mit dem empfindsamen Tugendroman der Aufklärungszeit, der religiöse Nebenströmungen in sich aufnahm, wurde über A. Goldsmith deutlich erkennbar hergestellt im empfindsam-humoristischen, sentimental-satirischen Roman Jean Pauls. Zugleich war durch ihn jene neuartige oder doch als neu-

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artig empfundene Sonderform der Auffassungs- und Darstellungsweise mit ihrer mannigfachen Mischung von Ernst und „Scherz", von Schwärmerei und satirisch gefärbter Kritik, von wehmütig ausgeweintem oder fromm ertragenem Leid und übermütig ausgelebter oder doch „ausgelachter" Lust und „Laune" (z.T. noch gleich Humor) den Romantikern gleichsam am großen Beispiel der Kunstleistung demonstriert worden, noch bevor sie selber jene E r g ä n z u n g der klassischen M o t i v w e l t ernstlich in Angriff nehmen konnten. Wahrscheinlich wurde ihnen überhaupt erst oder doch vollends angesichts dieses Beispiels, wie es etwa im „Hesperus" seit Mitte der neunziger Jahre und in den Vorformen schon früher vorlag, klar und eindrucksvoll zum Bewußtsein und auch zur kunsttheoretischen Bewußtheit gebracht, wie reich die Möglichkeiten waren, die sich hier darboten und gleichsam zur Überbietung oder (da das schwerlich in derselben Richtung möglich war) zur Abwandlung ihrem eigenen Kunstwollen anboten. Jean P a u l wurde so ein Stück stillschweigend hingenommener, teils auch offen anerkannter (ζ. B. durch . Ε. T. A. Hoffmann) V o r b i l d P o e t i k , die zum mindesten hinsichtlich der Konzeption der „romantischen Ironie" weit früher und auch stärker eingewirkt haben dürfte als die „Vorschule der Ästhetik" einwirken konnte. . Wie leicht der ungeklärte Begriff des Humors damals noch in den Ironie-Begriff hinübergespielt werden konnte, wird recht instruktiv ablesbar an Hardenbergs ,, Blütenstaub "-Fragmenten (Nr. 28, 29). Dort nimmt Novalis, der dann als einer der ersten die volle Formulierung „romantische Ironie" brachte, während Friedrich Schlegel zwar nicht der erste Aussprecher der Formel, wohl aber der erste lebhafte und entschiedene Fürsprecher für das mit dieser Formel Gemeinte war, wohlwollend Stellung zu der Befürwortung der Ironie durch Friedrich Schlegel, nur daß sich ihm der Begriff vorerst noch mit „Humor" deckt: „Schlegels Ironie scheint mir echter Humor zu sein". Offenbar aber will er der Einbürgerung der „Ironie" neben „Humor" keinesfalls im Wege stehen, vielmehr: „Mehrere Namen sind einer Idee vorteilhaft". Novalis sieht dort in der Ironie bzw. dem „Humor" eine Verschmelzung und „Vermischung des Bedingten und Unbedingten", der „Vernunft und Willkür". Bemerkenswert erscheint, daß der Humor oder die Ironie nicht als eine Erlebnis- und Gestaltungsnotwendigkeit aufgefaßt wird, sondern als eine „willkürlich angenommene Manier". Die beständige „ G e i s t e s - G e g e n w a r t " jedoch, die als psycholo-

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gische Kern- und Keimzelle angenommen wird, ist als Widerspiel transzendentaler Selbst-Bewußtwerdung, aber auch geistiger Selbst-Befreiung gedeutet. Eine willkürliche Aufspaltung des Ich in Selbsterfassung bzw. Selbst-„Bemächtigung" (im transzendentalen Sinne) einerseits und Selbst-Befreiung, ja Selbst-Auflösung andererseits, aber auch Selbst-Begrenzung und Selbstbesinnung (im transzendenten Sinne) begleitet die Vorstellung der romantischen Ironie im philosophischen und psychologischen Doppelbezug. Aber man spürt, daß diese letzte Befreiung dennoch keine Befriedigung mit sich führt. Der laute Triumph des Transzendentalen vermag die stille Mahnung der Transzendenz nicht zum Schweigen zu bringen, wenngleich er sie zeitweise übertönt. Bei Jean Paul lag diese Mahnung von vorherein bereit, um sich besonders im „Titan" als Gegenkraft voll zu entfalten. Im größeren E n t w i c k l u n g s z u s a m m e n h a n g einer Geschichte der Poetik kann und muß die romantische Ironie jedoch noch von einer anderen Seite her betrachtet und bewertet werden. Sie ist und bedeutet, so gesehen, eine l e t z t e M a n i f e s t a t i o n der Z w e c k f r e i h e i t der K u n s t , ein letzter äußerster Gegenstoß gegen die einst fast unbezwinglich erscheinende „moralische" Burg des Zweckprinzipes und des Zweckprimats. Dieses Zweckprinzip war über die Jahrhunderte hinweg so tief und zäh eingewurzelt, daß es nicht mit einem Streiche zu Fall gebracht werden konnte. Oder mit einer Art von romantischer Ironie gesagt, man führte im Eifer des Gefechtes auch dann noch imposante und doch schon verspielte Streiche gegen jenen geftirchteten Gegner, als er schon längst am Boden lag oder doch in seiner Hauptwiderstandskraft gebrochen war. Aber auch im Ernst glaubte man immer noch an dieser letzten Befreiung der Gegenwart durch den Geist mit Hilfe einer ständigen „Gegenwart des Geistes" mitwirken und mitarbeiten zu müssen. Es wäre dies also eine ähnliche Erscheinung wie beim Geniebegriff des Sturmes und Dranges hinsichtlich der Bekämpfung des Lehr- und Lernprinzips der Anweisungspoetik. Auch damals war wie hier sehr weitreichende theoretische Vorarbeit schon geleistet worden, auch hinsichtlich des Geniebegriffs. Aber man hatte dort im Sturm und Drang wie hier in der Frühromantik das richtige Gefühl, mehr überwinden zu müssen als nur den letzten Vordermann. Vereinfacht und vergröbert: die Poesie hatte lange Zeit fremden Zwecken dienen müssen. Dann war, besonders seit der Geniezeit und vollends in der Klassik ihr Selbstzweck begrün-

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det und befestigt worden. Und schließlich erschien sogar noch dieser Selbstzweck und nicht allein die Auflockerung der Zweckbindung (abgespiegelt in der Polemik K. Phil. Moritz' gegen Mendelssohn) als zweckverdächtig. Seine ernste und feierliche Geltung lockerte nun nicht zum wenigsten die romantische Ironie, indem sie den Eigenwert des Kunstwerks nicht als Zweck und Ziel und letzte Instanz — wie das Kunstwollen der Klassik — ansah, sondern sich noch über diese letzte Instanz wiederum zweckfrei und gleichsam pietätlos erhob. Der Wille zum Werk, wie ihn das Kunstwollen der Klassik gegen alle Ablenkungen und Anfechtungen als höchste künstlerische Haltung manifestiert hatte, wich in diesem Sinne einem genialischen Mutwillen, dem auch das Werk nicht mehr heilig war. So gesehen erscheint die romantische Ironie als letzte Stufe der Steigerung und Übersteigerung der Zweckbefreiung der Poesie oder doch des schlechthin „Poetischen". Mag diese über weite Entwicklungsspannen hinweggreifende Deutung und Einordnung der romantischen Ironie, wie sie ein noch so intensives Anblicken und Durchspüren der Romantik selbst auf Merkmale dieser Erscheinung hin auch in tüchtigen Sonderforschungen nicht zu ermöglichen pflegt, immerhin gewagt erscheinen, so liegt doch in der romantischen Ironie zum mindesten ein Sichausleben in möglichst „absoluter" Zweckbefreitheit, wobei die Eigenwertung der Dichtung mit der Eigenwilligkeit des Dichters als mit einer verfeinerten Form der Freiheit noch überboten werden sollte bis hin zum drohenden Absturz von Zweckfreiheit über Zwecklosigkeit in Verantwortungslosigkeit. Und von dieser Gefahrenzone aus wird, entwicklungsgeschichtlich gesehen, zugleich die rückwärtige Verwurzelung der romantischen Ironie in der Schicht des „Scherzhaften" und „Gefälligen" des Rokoko unverkennbar deutlich, eine gewisse Gefahr des Abgleitens in den Relativismus der Riedeischen Ästhetik rokokohafter Prägung; Wielandsche Bezirke werden sichtbar, jedenfalls überall dort, wo die landläufige Form der romantischen Ironie in ihrer Oberflächenströmung begegnet. Doch konnte über diese Seite der romantischen Ironie schon einleitend Grundsätzliches ausgesagt werden. Die Vielfarbigkeit und Vielfältigkeit der romantischen Ironie ermöglicht die Einbeziehung recht verschiedenartiger Teilkräfte, wie etwa der sokratischen und platonischen Ironie einerseits und der christlich empfundenen Abstandshaltung gegenüber der Eitel16 M a r k w a r d t , Poetik III

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keit aller irdischen, also auch der künstlerischen Bemühungen und Leistungen. Indem der Blick auf das Unendliche, auf das „Universum der Schönheit" (Adam Müller) gerichtet ist, verliert die endliche, wenngleich in ihrer Art ebenfalls „unendliche" Schönheitsverwirklichung im Einzelkunstwerk und selbst noch in der Wertsumme aller Kunstwerke notwendig an Eigengeltung und Achtung, so daß dieses Einzelwerk mit romantischer Ironie behandelt werden darf. Die Vergöttlichung und Vergötterung der Kunst bricht in ihrem Kulminationspunkt um in eine freiwillige Demütigung des Kunstwertes vor dem unbedingten Primat des Göttlichen schlechtweg. Die progressive Universalpoesie und die romantische Kunstphilosophie, die ja etwa bei Schelling das Kunstschöne bereits zum Maßstab des Naturschönen erhoben und zum letzten Erfüllungswert der Identität selbst über die Philosophie aufgegipfelt hatte, würde sich in diesem Sinne mit der romantischen Ironie selbst eine Schranke setzen, die das Herrscherliche und Herrliche des Göttlichen vor vermessenen Ubergriffen vom Künstlerischen her sichern soll. Derartige Übergriffe schienen, dem religiösen Empfinden der Romantiker nach, vom autonomen Kunstwollen der deutschen Klassik aus bereits gewagt worden zu sein. Diese Wendung der romantischen Ironie würde an manche Mahnung in den Poetiken der Barockzeit erinnern, wo man vorbeugend den klärenden Trennungsstrich gezogen hatte und eifrig darüber wachte, daß er nicht verwischt wurde. Es ist fast so, als ob der Dichter als irdischer Schöpfer sich einsichtsvoll beuge vor dem himmlischen Schöpfer, indem er das zuletzt doch Unzulängliche der Kunstschöpfung durch die Äußerungsform der romantischen Ironie sich und den anderen eingesteht. Und diese Seite der romantischen Ironie gewinnt notwendig überall dort an Bedeutung, wo die religiösen und spezifisch christlichen Mächte der Romantik, besonders in katholischer Ausprägung sich verdichten. Die Würde und Weite des Wunders konnte nicht die menschliche Enge eines Insichselbstvollendeten dulden. Streckenweise geht dabei die Vorstellung der „Ironie" eigenartig in die Gottesvorstellung über, so etwa bei Adam Müller, wenn er einmal äußert: „Nennen Sie diesen nun den Geist der Liebe oder den Geist der Freiheit, nennen Sie ihn Herz oder Gott — mir schien . . . am geratensten, ihn mit dem bewegtesten, zartesten, geflügeltsten Geist der alten Welt, mit dem Zeitgenossen des Aristophanes, mit Piaton Ironie zu nennen". So in Adam Müllers

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„Vermischten Schriften Über den Staat, Philosophie und Kunst" (Wien, 1812). In solchen Zusammenhängen gewinnt dann das Attribut „göttlich", wenn von der „göttlichen Freiheit des Geistes" gesprochen wird, nicht selten einen weit jenseits des Ästhetischen liegenden ausgesprochen religiösen Sinn, der ja auch bei Wackenroder alles Vergöttern der Kunst umspielt und ständig über den nur ästhetischen Bezug hinausweist. Und wenn Ludwig Tieck einmal in einem Privatbrief beim Eingehen auf Goethes „Natürliche Tochter" die Aufgabe des Dichters darin sieht, daß „aus mitleidender, liebender Ironie" eine Veredelung und Verschönerung der Menschennatur „herausgebildet" werde, so könnte diese Spielart der romantischen Ironie, die in die Liebesphilosophie der Romantik hinüberwechselt, aber wohl schwerlich auf die Vorstellung eines liebevollen humoristischen Verklärens abzielt, entsprechend mit der christlichen Mitleidslehre in Beziehung gebracht werden. Zum mindesten lieben es die Romantiker, derartige Wertbezüge im Unterton mitschwingen zu lassen. Und so könnte man von einem gewissen Umbrechen des ästhetischen Autonomiegedankens von seiner höchsten Übergipfelung in sein Gegenteil, in eine demütige Dienstbarkeit am Göttlichen sprechen. Der Weg verliefe dann über dem Willen zum Werk um seiner selbst willen zum diesen klassischen Werkwillen noch übertrumpfenden Mutwillen, um sich beim Spiel dieses Mutwillens gerade wieder der Unterordnimg unter einen göttlichen Willen und Wert bewußt zu werden. Ja, vielleicht war dieses mutwillige Spielen schon ein ständiges Anspielen auf die irdische Nichtigkeit, anfangs unbewußt, dann schon bewußter. Nicht nur die steile Steigerung der Kunstgeltung im System Schellings, auch der Idealismus Fichtes barg, besonders wenn das Sich-Selbst-Setzen des Ich von den Romantikern teils nicht ohne Künstlereitelkeit auf den „setzenden" Künstler übertragen und ein wenig mißbraucht wurde, gewisse Antriebe in sich, die, dichterisch phantasiemäßig übertrieben, nur noch zu jenem Umbrechen des ästhetischen Geltungsgefühls in ein christliches Demutsgefühl führen konnten. Der Grad, in dem dieser Umbruch bei den einzelnen Romantikern erfolgt, ist naturgemäß verschiedenartig gestuft. Aber in gewissem Maße erleben sie alle dieses „Nach Damaskus" des ästhetischen Primats. Dennoch wäre es nicht berechtigt, nun einfach die gesamte romantische Ironie ausschließlich oder auch nur überwiegend von diesem religiösen Blickpunkt aus zu sehen und zu w·

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würdigen. Im Rahmen des romantischen Kunstwollens will auch die romantische Ironie vor allem als eine ästhetisch gedachte und zu ästhetischen Zwecken angebrachte Teilkraft erläutert sein, wenn auch ihr tieferes Verstehen auf religiöse Untergründe verweist. Von der kunsttechnischen, ästhetischen Seite her gesehen, soll die romantische Ironie eine weitere Sicherung dafür bieten, daß der Stoff nicht den Künstler, sondern der Künstler den Stoff beherrsche. Doch wiederum geht jene, von Fr. Schlegel besonders unermüdlich angepriesene „endlose Reihe" der Übergipfelungen, Brechungen, Spiegelungen und Reflexionen noch beträchtlich weiter. Sie bricht mit der Stoffbeherrschung keineswegs ab. Vielmehr soll und darf der Dichter noch mit dem bereits geformten Kunstwerk als Ganzem willkürlich und frei schalten nach seinem — uninteressierten, interesselosen Wohlgefallen. Der Schöpfer, von der Transzendentalphilosophie vermeintlich mit letzter Vollmacht ausgestattet, ist absolut selbstherrlich, fühlt sich durchaus (und mit Vorliebe) als Herr der Schöpfung, nicht als Diener am Werk. Ihm eignet eine geradezu „erhabene Urbanität". Hinzu trat die Überzeugung „Poesie allein kann sich nur durch Ironie bis zur Höhe der Philosophie erheben". Das ewige Werden scheut das Ergriffensein, weil in ihm zugleich ein Festhalten, ein Beharrenmüssen in derselben Seelenhaltung und Gemütsstimmung liegt. Deshalb darf nicht ein Ergriffensein vom eigenen Werk den Dichter fesseln. Er muß sich jederzeit ablösen können durch romantische Ironie. Ruht doch im Moment der Freiheit einer der höchsten Wertfaktoren der romantischen Ironie „Sie ist die freieste aller Lizenzen, denn durch sie setzt man sich über sich selbst weg", so glaubte schon in den Lyceums-Fragmenten (Nr. 108) Fr. Schlegel zu erkennen. Und für manchen blieb das bei allen späteren Abstufungen dennoch ihre bestechendste Eigenschaft. Fr. Schlegel behandelt oder berührt das Problem der romantischen Ironie besonders in den Lyceumsfragmenten (Nr. 7, 48, 55, 108 u. a.) und den Athenäumsfragmenten (Nr. 51,121,305, 431, weniger in: 152, 220,238). Wenn bereits frühzeitig von der Sonderforschung versucht worden ist, den entscheidenden Ansatz für die romantische Ironie im Bewußtwerden und Bewußtsein des unüberwindlichen Zwiespalts von Form und Inhalt, von Endlichem und Unendlichem, Bedingtem und Unbedingtem (s. Novalis) aufzufinden, als in einer Art von geradezu verzweifeltem Sichhinwegsetzen über diese Dis-

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krepanz (fast als Galgenhumor gedeutet), so greift diese Deutung nur ein, wenngleich beachtenswertes Element heraus aus einer recht komplizierten Gruppe und zudem fluktuierenden Gruppenbildung von mannigfachen Teilkräften, von denen bald diese, bald jene zur Leitkraft bzw. zur bloßen Begleitkraft wird. So leicht faßbar und umschreibbar sind die tieferen Bildungskräfte der romantischen Ironie nicht. Das leuchtet ohne weiteres ein, wenn man beobachtet, wie etwa Fr. Schlegel über die Aufgipfelung der romantischen Ironie geradewegs zum Programmbegriff „Poesie der Poesie" bzw. Transzendentalpoesie gelangt, und zwar für einen romantischen Theoretiker verhältnismäßig folgerichtig. Denn indem in das Kunstwerk selber das reflektierende Erleben und Erkennen beim Schöpfungsvorgange einbezogen wird, werden „alle heiligen Spiele der Kunst" wiederum ihrerseits Gegenstand eines höheren Spiels (Herders Bekämpfen des Kant-Schillerschen „Spier'-Begriffes findet im Beobachten dieses Vorgangs eine gewisse Bestätigung). Und indem die Phantasie noch das Phantasieprodukt nicht als ein Vollendetes in sich ruhen und auf sich beruhen läßt, sondern als ein ewig sich Wandelndes weiterhin abwandelt und so in ständigem Fluß hält, wird in der Tat die Dichtung ersten Grades ihrerseits zum Motiv für ein höhergradiges Weiter-Dichten. Poesie der Poesie meint auch dieses Dichten über das Dichtwerk hinaus. Wieder hat A. W. Schlegel die Konzeption seines Bruders von der sprachphilosophischen oder doch sprachtheoretischen Seite her unterbaut: „Ja man kann ohne Übertreibung und Paradoxie sagen, daß eigentlich alle Poesie Poesie der Poesie sei; denn sie setzt schon die Sprache voraus,... die selbst ein immer werdendes, sich verwandelndes, nie vollendetes Gedicht des gesamten Menschengeschlechts ist" (Berl. Vorig.). Genau genommen beweist zwar Aug. Wilh Schlegel hier nicht die These Fr. Schlegels, sondern er ergänzt sie gleichsam nach unten hin. Sein Erinnern daran, daß „in der Poesie schon Gebildetes (Sprache) weiter gebildet" werde, geht recht eigentlich auf die Grundstufen zurück (Darstellungsmittel), während Fr. Schlegel mehr die Abstufungen innerhalb dieses Neubildens und Umbildens (des Ausdrucksmittels), also Modifikationen zweiten Grades im Auge hat. Jedenfalls wird dabei die Kettenbildung nicht nur an sich spürbar, sondern sie wird wieder einmal um ein Glied verlängert. In diese endlose Reihung der poetischen Reflexionen mit Hilfe nicht zum wenigsten

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der romantischen Ironie mündet ohne weiteres der Gedanke einer progressiven Universalpoesie ein, wobei der Begriff des Universalen, teils unter Schleiermachers Einwirkung in die Vorstellung (und die Anschauung) des Universums übergehen konnte und in der Tat überging. Das Progressive und U n i v e r s a l e : Die endlose Reihung und Spiegelung, wie sie mit der poetischen Reflexion, die fortgesetzte Auflösung und Aufgipfelung, wie sie mit der romantischen Ironie gegeben war, wurde notwendig zu einer ewig werdenden und sich wandelnden Progression. Die Aufhebung der Gattungsgrenzen nicht allein, sondern auch der Grenzen der Sonderkünste, ja das Weben und Walten des „Poetischen" durch alle Erscheinungsformen des Lebens überhaupt führte auch von dieser Seite her zum Universalen. Im programmatischen Kernfragment des „Athenäums" (Nr. 116) zeichnet Fr. Schlegel den Weg vor: „Die romantische Poesie ist eine progressive Universalpoesie." Damit war zunächst in lapidarer Bündigkeit das Programmatische herausgestellt und merklich propagandistisch als ein bereits Erreichtes oder doch Vorhandenes hingestellt. Schon die nächsten Sätze enthüllen und bekennen jedoch den programmatischen Charakter; denn nun wird näher erklärt: „Ihre Bestimmung ist nicht bloß, alle getrennten Gattungen der Poesie wieder zu vereinigen und die Poesie mit der Philosophie und Rhetorik in Berührung zu setzen. Sie will und soll auch Poesie und Prosa, Genialität und Kritik, Kunstpoesie und Naturpoesie bald mischen, bald verschmelzen, die Poesie lebendig und gesellig und das Leben und die Gesellschaft poetisch machen". Ganz ähnlich äußert sich Novalis in den „ F r a g m e n t e n oder D e n k a u f g a b e n " (1798), obwohl er an anderer Stelle die Poesie ζ. B. von der Redekunst ganz energisch abrückt. Die Durchdringung des gesamten Lebens und seiner geistigen und wirklichen Erscheinungsformen mit dem „Poetischen" und „Einbeziehung des gesamten Lebens in die geistige Poesie" sind das letzte Ziel dieser uneingeschränkten Ausweitung. Wie man dann aus dem Romantikerkreise Schleiermacher ein wenig mit romantischer Ironie nachsagte, er wittere überall das Universum, so auch wittern Sie, z.T. wohl nicht ohne die bald erfolgende, eigene Konzeptionen verstärkende Anregung (eben durch Schleiermacher) überall das „Universale". Selbst rein kunstphilosophisch und selbst programmatisch beschwört man dergestalt gleichsam wiederum das Wunder

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der Weite, nicht so ganz ohne Hilfe der Weite des Wunders. Aus besonnener Erwägung heraus können doch auch A. W. Schlegels „BerlinerVorlesungen"in ihrem grundlegenden ersten Teil („Kunstlehre") voraussetzen, „daß es in allen schönen Künsten außer dem mechanischen (technischen) und über ihm einen poetischen Teil gebe, d. h. es wird eine freie schaffende Wirksamkeit (Fichte)... in ihnen erkannt. Poesie heißt dann im allgemeinen Sinne das allen Künsten gemeinsame" (Einleitung). Derartige Äußerungen zeigen besonders instruktiv, daß nicht allein eine neuartige Auffassung der Poesie vorliegt, sondern daß es sich darüber hinaus um einen ausgesprochenen Bedeutungswandel des Wortgehalts „Poesie" und eine ganz entsprechende (gelegentlich noch übersehene) Ausweitung seines Sinngehalts handelt. Man meint nicht nur in der Poesie etwas Neues und Anderes, man meint auch mit „Poesie" etwas Neues und Anderes. Und so wird es verständlich, wenn schon 1806 Fr. Bouterwek „Dichtkunst" bevorzugt, weil „Poesie" zu sehr ausgedehnt erscheint auf die gesamte ästhetisch bestimmte Geistestätigkeit überhaupt. Weniger genialisch, aber gedanklich solider als sein Bruder begründet A. W. Schlegel diese umfassende Spannweite und überwölbende Aufgipfelung aus dem Charakter und Wesen des sprachlichen Mediums, aus dem Wesen der Sprache, deren seelisch-geistige Reichweite von sich aus bereits unendlich sei und auf Unendlichkeit hindeute. Daher werde die Poesie auf Grund und kraft dieses ihres souveränen Ausdrucksmittels folgerichtig und geradezu zwangsläufig die „umfassendste aller Künste und gleichsam der in ihnen überall gegenwärtige U n i v e r s a l - G e i s t " . Die Frühromantiker meldeten damit ihre Rechte an auf den Primat der universal-schöpferischen geistigen Phantasie, auf die „produktive Einbildungskraft" (Kant, überhöht durch Fichte), die es der Philosophie allein ermöglicht, eine ganze Welt, ja das Universum aus dem geistigen „Bewußtsein überhaupt" herauszuspielen und herauszuspinnen. Der progressiven Universalphilosophie des transzendentalen Idealismus (denn so sahen sie ihn und durften ihn in gewisser Weise auch so sehen) setzten sie als Gegenstück, aber auch als Gegenforderung die progressive Universalpoesie entgegen. Und wie nun in jenem weiteren Sinne Poesie alle möglichen benachbarten (und nicht benachbarten) Bereiche mit umfaßt und umgreift, ja von vornherein in sich begreift und verschmilzt, so besteht auch im engeren Umkreis der

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romantischen Poesie „eine unauflösliche Mischung aller poetischen Elemente". Richtig erkennt A. W. Schlegel, daß also auch seine „Kunstlehre" keine systematische Trennung der Gattungen vorzunehmen hat und auch gar nicht vorzunehmen vermöchte, sondern nur deren historische Abfolge entwickeln kann „wegen Mangel strenger Sonderung". In gewisser Weise bestätigt sich angesichts der Bemühung um eine „Kunstlehre", die mehr sein sollte als ein Programm, daß eine systematische Poetik der Romantik, zum mindesten wenn der Akzent ebenso stark auf Romantik liegt wie auf systematische Poetik, nicht gut möglich war. Zwar besitzen wir aus dem Zeitraum eine sehr umfangreiche Poetik, die ausdrücklich das Systematische ihrer Anlage hervorhebt, den „Entwurf einer systematischen Poetik" durch C. Α. H. Clodius (I. Teil 1804), die aber eine Bindung an die. Romantik ebenso bewußt ablehnt. Fast könnte Friedrich Bouterwek (Ästhetik einschließlich Poetik, 1806) bei seiner Abwehr der Systematik und Klassifikation an Clodius gedacht haben. Er verfolgt den Weg Herder-Jean Paul unter schroffer Ablehnung der Transzendentalpoesie und Modemetaphysik. B e r n h a r d i kommt in den erwähnten Aufsätzen zu dem Ergebnis, daß Kunst Anschauung des Universums sei, ganz ähnlich wie Schleiermacher Religion als ein Anschauen des Universums gedeutet hatte. Nach Bemhardis Auffassung vermag das Einzelkunstwerk das Universum nur mit Hilfe des Symbols zur Anschauung zu bringen, dergestalt, daß sich das „Universale", so verstanden, immer nur im Symbolischen verwirklichen lasse und widerspiegele (Annäherung an K. Ph. Moritz). Daher staffelt Bernhardi die Typengruppen der Dichtung je nach der Intensität der Universum-Anschauung. Man könnte darin auch eine Anlehnung an Leibniz' lange nachwirkende Monadenstufung vermuten. Für Bernhardi nimmt der mystische Gedicht-Typus als relativ reinste Veranschaulichung des Universums die Gipfelstufe ein. Die Typenbildung bei Clodius dagegen scheint mehr Klopstock zu folgen, soweit sie das religiöse Kriterium berücksichtigt, was in erheblichem Grade geschieht. Beachtenswert erscheint bei Bernhardi die hohe Bewertung des Epos. Anregungen Schleiermachers und Wilh. v. Humboldts gehen eine eigenartige Mischung ein, wenn Bernhardi erklärt, „daß das bleibende, ewige Universum sich am besten für die plastische Ruhe des Epos schickt", während neben diesem nicht gerade romantisch anmutenden, sondern wohl

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mehr von der Klassik her bezogenen Plastik-Ideal doch auch das dynamische Ideal im lyrischen Typus zu seinem Rechte kommt, weil „der Strom vom Universo in die Seele stürzender Empfindungen sich für die lyrische Darstellungsart vorzüglich eignet". Erwähnenswert wird diese an sich merklich zusammengeborgte Dialektik Bernhardis eben durch die Wendung, die der Begriff der Universalpoesie hierbei vom bloßen Umfassen aller Künste oder Kunstgattungen (Universaldichtung) nimmt bis zum Umfassen und Erfassen des Universums (Dichtung vom Universum), wie denn schon Fr. Hölderlins „Hyperion" in die Sehnsucht ausklang, „eins zu sein mit allem, was lebt, in seliger Selbstvergessenheit wiederzukehren ins All der Natur". Doch wird fühlbar, daß Hölderlin wiederum seinen eigenen Sonderweg geht; denn Selbstvergessenheit liegt auf wesentlich und wesenhaft anderer Linie wie das romantisch Absichtsvolle und Willkürlich-Bewußte. Immerhin sind (etwa über Novalis) Berührungen gegeben, die bei Bernhardi nur formelmäßig besonders sichtbar werden. Auch Friedrich Bouterwek läßt die Individualseele des Dichters zugleich „als eine Weltseele" aus dem Kunstwerke sprechen. Trotz aller Polemik gegen die romantische Philosophie definiert er die dichterische Schönheit ausdrücklich als „intellektuelle Universalität". An sich gehört er zu den Wegsuchern zwischen Klassik und Romantik. Das P r o g r e s s i v e , das als Weg zur Universalität und als Vorstoßen auf diesem Wege ohne weiteres gegeben ist, war bereits im 116. Athenäumsfragment sowohl als Programmpunkt wie als Wesensmerkmal des Romantischen nachdrücklich betont und klar herausgestellt worden. Zugleich hatte das Progressive seine Weihe von der spekulativen Philosophie her erfahren, so daß es in wirksamer Antithese vom Beharrend-Zuständlichen der bloßen Empirie abgehoben und wertmäßig darüber erhoben werden konnte. Es geschah dies besonders greifbar und leicht begreifbar gemacht in den grundlegenden Sätzen aus den „Berliner Vorlesungen" A. W. Schlegels „Die tote und empirische Ansicht von der Welt ist, daß die Dinge sind, die philosophische, daß alles im ewigen Werden, in einer unaufhörlichen Schöpfung begriffen ist". Unschwer ist Fichte herauszuhören aus derartigen Wendungen; aus ähnlichen auch schon Schelling. Aber was vielleicht für die Sonderstellung und Sonderfunktion gerade A. W. Schlegels noch bezeichnender sein mag: auch in diesem Falle begründet A . W . Schlegel die allgemeine Programmthese von der sprachphilo-

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sophischen Seite aus, durch das Darstellungsmittel der Sprache, die „selbst ein immer werdendes, sich wandelndes, nie vollendetes Gedicht des gesamten Menschengeschlechts" darstelle. Indem sich die Vorstellung der Progressivität mehr und mehr verbindet mit der Vorstellung der grenzenlosen Unendlichkeit, gelangt man folgerichtig zu der Steigerungsform einer „ Grenzenlosen Progressivität". Und zwar geschieht das nicht etwa in der gesteigerten Stimmung irgendeines Aphorismus' von Fr. Schlegel oder Novalis, jedenfalls, was die straffe Formulierung betrifft, sondern im Rahmen der „Berliner Vorlesungen", die vielfach mit abkürzenden Stichworten oder auch Schlagwörtern arbeiten, und zwar gerade an Stellen, wo merklich ein Ziel oder doch Zwischenziel auch äußerlich kenntlich gemacht werden soll. Über jene Progression im ewig werdenden und sich wandelnden Sprachgedicht nämlich und auch noch über das dergestalt bereits als progressiv bedingte Einzeldichtwerk hinaus greift das Fortschreiten der Progressionskräfte weiter hinüber auf den Machtbereich der Poesie als Kunst schlechtweg. Denn „das Streben nach dem Unendlichen ist in der Romantischen Poesie nicht bloß im einzelnen Kunstwerke ausgedrückt, sondern im Ganzen der Kunst: Grenzenlose Progressivität". In einem gewissen Grade steckt im Begriff des Progressiven, vom Kunsttheoretischen einmal abgesehen, wohl doch zugleich jener Anteil von einem Ideal der Bildung der Zukunft, wobei humanistische Wertsetzungen der nachwirkenden Klassik (Bildungsroman Goethes, Schillers „ästhetische Erziehung" u. a.) sich verbinden mit romantisch-religiösen Unendlichkeitsvorstellungen. Mythologie und Symbolik: Die Gefahr einer „grenzenlosen" Progressivität und Universalität als Kehrseite ihrer bestechenden Vorzüge lag in einer bedrohlichen Zersplitterung der Kern- und Keimkräfte des Dichterischen durch ein unendliches Auseinanderstreben und ein Zerfließen in das Wunder der Weite. Diese Gefahr erkannte Friedrich Schlegel und suchte sie zu bannen, indem er Ausschau hielt nach einem „festen Halt" in der Erscheinungen Flucht. Das ins Unendliche des Universalen strahlende Kraftfeld bedurfte um so mehr eines organisierenden Mittelpunktes und eines organischen Kraftpols. Diesen „festen Halt", diesen „Mittelpunkt" sucht und setzt Fr. Schlegel in einer „neuen Mythologie". Darin liegt die Abstufung der Schlegelschen Theorie, wie sie doch wohl als ideelicher Fortschritt sich

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geltend macht mit der von Ludovico gehaltenen „Rede über die M y t h o l o g i e " innerhalb des „Gesprächs über die Poesie" (Athenäum). Erörterungen über die Priorität des Gedankens und der Forderung, wie sie besonders angeregt wurden durch die Auffindung des sogenannten „Ältesten Systemprogramms", Problemstellungen also, ob denn nun in Wirklichkeit Schelling oder Fr. Schlegel „zuerst" auf den Einfall einer neuen Mythologie gekommen sei, mögen prinzipiell und ideengeschichtlich berechtigt sein, erweisen sich jedoch kaum als besonders fruchtbar für die geschichtliche Entfaltung der romantischen Literaturphilosophie. Mag nun ζ. B. jene von Schelling am Ausgang seines „Systems des transzendentalen Idealismus" erwähnte und gemäß dieses Hinweises in der Entstehung um einige Jahre zurückliegende Abhandlung (das wäre etwa der zeitliche Einsatz der Romantik 1795), die indessen nicht erschienen war und vielleicht in Vorlesungen aufging, zeitlich den Vorsprung gehabt haben, mag im „Ältesten Systemprogramm" die Forderung einer „Mythologie der Vernunft" ästhetische Einfärbung aufweisen: für Schelling sollte die Mythologie der Philosophie zugutekommen, für Fr. Schlegel der Poesie. Fr. Schlegel hat nun einmal seine „Rede über die Mythologie" herausgebracht, und zwar an einer für die Programmbildung der Frühromantik markanten Stelle, im „Athenäum". Ob, woher und in welchem Grade ihm Anregungen von Schelling zugeflossen sind, das verläßlich zu klären, wird schwerlich restlos möglich sein angesichts des teils auch mündlich erfolgten Ideenaustausches. Zudem war es den Frühromantikern durchaus geläufig und eigentümlich, mochte es nun rein gedanklich nicht überall ihr Eigentum sein, in der sie überwältigenden und doch lockeren Uberfülle und Mannigfaltigkeit und Vielfalt der geistigen Bezüge und Möglichkeiten eine ebenbürtige Gegenmacht zu suchen und zu „setzen", bald in der Philosophie, bald in der Religion, bald in der Poesie (als „Poesie der Poesie"), bald in der — Mythologie. Es ging um die umspannende Einheit in der Gegensätzlichkeit, um das große Stück Gemeinsamkeit in ihrer subjektivistischen Einsamkeit, kurz um die Einheit in der Vielheit; aber auch um das Aufgehobenwerden der Vereinzelung. Die edle Einfalt der Klassik schien eine beträchtliche Stütze zu haben an der immanenten Organisationseinheit der antiken Mythologie. Die organische Einheit der antiken Poesie, wie sie bereits der als Vorlesung

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angelegte erste Essay „Über die Epochen der Dichtkunst" im Rahmen des „Gesprächs über die Poesie" gewürdigt und im Bemühen um Traditionsträger für die romantische, moderne Poesie ins Auge gefaßt hatte, war offenbar auf ihre Mythologie zurückzuführen. Die Folgerung lag nahe genug: „Es fehlt, behaupte ich, unsrer Poesie an einem Mittelpunkt, wie es die Mythologie für die Alten war". Eine bloße Übernahme konnte keine Lösung bringen. Zwar „zur bloßen poetischen Fiktion geworden", wie es der Aufklärer J. J. Engel einmal ausdrückte („Von dem moralischen Nutzen der Dichtkunst"), war die antike Mythologie für Friedrich Schlegel nicht. Aber es ist immerhin bemerkenswert (und daher bemühen wir J. J. Engel), daß Fr. Schlegel nicht betonte, was J. J. Engel klarstellt mit dem Hinweis „das war damals wirklicher Glaube des Volks". Denn hätte er das getan, so wäre er zwangsläufig weitergeführt worden zu der Frage, was denn nun in der modernen Zeit „wirklicher Glaube des Volks" sei, oder doch wo dieser Volksglaube wurzele. Fr. Schlegel geht einen anderen Weg. Oder richtiger: er faßt eine ganze Reihe von Wegverzweigungen ins Auge: die Philosophie des transzendentalen Idealismus (Weltdeutung als Weltdichtung), der nicht allein ein Beispiel, ein Vor-Bild der Art nach, sondern auch eine mittelbare Quelle bieten könnte. Dann wieder — ein wesentlicher Zug für die romantische „Universalpoesie" im mehr stofflich-motivlichen Sinne — die Poesie des Orients; denn „im Orient müssen wir das höchste Romantische suchen". Schließlich die Geschichte, etwa des Mittelalters; Dante ζ. B. habe mythenbildende Kraft besessen und bewährt (Calderon wird damals noch nicht genannt). Auch an eine Neubelebung der alten Mythologie durch auffrischenden und gleichsam modernisierenden Zustrom aus Spinoza oder aus der „modernen" Physik wird gedacht, zum mindesten, um die Erwerbung einer neuen Mythologie zu ermöglichen und zu beschleunigen. Kurz, während er die Einheit sucht, verfällt Fr. Schlegel schon rein methodologisch wieder der Vielheit und Vielgestalt der Anregungen und Möglichkeiten, und schon auf dem Wege zum „festen Halt" verliert er merklich selber den Halt wiederum um des Progressiven und Universalen willen. Und auch um der poetischen Reflexion willen. Denn auf einmal enthüllt sich die neue Mythologie nur als eine magische Umschreibimg, als „ein hieroglyphischer Ausdruck" einer Art von Pantheismus, wobei sich die Natur durch die Zweieinheit von Phantasie und

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Liebe verklärt. Obgleich sie den Umbruch in einen „grenzenlosen Realismus" befördern soll, muß sie „aus der tiefsten Tiefe des Geistes heraus gebildet werden; es muß das künstlichste aller Kunstwerke sein; denn es soll alle anderen einfassen". Was die „Hieroglyphe" betrifft, so mag im Weiterdurchhalten des Kontrastes zum Aufklärer J.J.Engel zurückgegriffen werden auf dessen Satire auf den Schwärmer („Das Zaubermahl"), der sich an Kosmogonieen begeistert, wobei dann „mit keckem Fuß des Genies eine Hieroglyphe zerstampft" wird, damit „der süße Kern aller Erkenntnis hervorspringt". Derselbe Terminus „Hieroglyphe", der für den Irrationalismus der Goethezeit als betontes Wertwort galt, war für den Aufklärer ein Zeichen für „lauter Zauber- und Gaukelwerk". Was dort als Spott und Warnung diente, war hier Glaube und Wunsch. Es darf daran erinnert werden, daß wie im Göttinger Hain und bei Klopstock, Gerstenberg u. a. schon einmal an einer Entwicklungswende auf die Mythologie zurückgegriffen worden war von dem jungen Herder (Odenabhandlung, Fragmente über den neueren Gebrauch der Mythologie u. a. m.). Daß schon Herder eine neue Mythologie auf Grund der Nationalgeschichte gefordert hatte, konnte bereits berührt werden. Dennoch blieb er gerade in diesem Betracht unentschieden, und streckenweise selbst noch im Rationalistischen befangen, indem ihm diese Mythologie doch irgendwie immer nur ein Mittel zum Zweck, wenn auch ein würdiges Mittel zu würdigem Zweck, und zwar sowohl kunstwürdigem als auch volkswürdigem Zweck bedeutet. Aber auch Friedrich Schlegel, der jene Anregung Klopstocks u. a. völlig beiseite schob, ergeht es nicht viel anders. Denn trotz aller echten und vermeintlichen Vertiefungsversuche, an denen es ja auch bei Herder nicht gefehlt hatte, soll — geradeweg gesagt — für ihn die Mythologie eine Art von Lieferant werden. Kritisch gesehen, wird bei den Frühromantikern und ihrem Ruf nach der Mythologie ungewollt und unbewußt ein Stück schöpferischer Unzulänglichkeit sichtbar, das sich angewiesen fühlt auf einen bereits hochkultivierten Boden, der möglichst schon von sich aus „poetisch" triebkräftig zu sein und Früchte zu spenden versprach, ohne daß der opferreiche und zähe Werkwille der Klassik aufgewendet zu werden brauchte. Wenn einst Herder für die Anwendung und Verwendung der „Mythologie" bereits eine „neue (originale), schöpferische, kunst-

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volle Hand" gefordert hatte, so soll für Friedrich Schlegel — im Grunde rationalistischer als bei Herder und dem Schöpferischen ausweichend — die Mythologie das „Künstlichste aller Künste" sein. Gewiß stand das „Künstliche" schon längst vor Schlegel und Herder nahe dem „Kunstvollen", und die Wortbedeutung steht näher bei „kunstreich" und „künstlerisch" und will berücksichtigt sein. Aber gerade bei Friedrich Schlegel gerät in den Begriff des „Künstlichen" schon weit mehr von der uns geläufigen Wortbedeutung hinein. Selbst sein Ideal der Mythologie vermochte er nicht gänzlich frei zu erhalten von dem Forcierten, Gepreßten, Angestrengt-Genialischen, Virtuosenhaft-Gemachten, das nicht zum wenigsten er in das Kunstwollen der Frühromantik hineinbringt. Ein Mann von schlichterem, stärkerem Gefühl wie Schleiermacher spürt das sogleich heraus, wenn er im vertraulichen Privatbrief gesteht: „ich kann nicht begreifen, wie eine Mythologie gemacht werden kann" (März 1800). Sein gefühlsmäßiges Abrücken von dieser „neuen Mythologie" kennzeichnet um so klarer die Sondersituation Fr. Schlegels, als Schlegel nicht zum wenigsten in der „Rede über die Mythologie" (im Rahmen des „Gesprächs...") manche Anregung der „Reden über die Religion" Schleiermachers verwertet hatte. Schleiermacher, dessen Ästhetik weit mehr auf dem Gefühl als dem tragenden Grunde ruhte als die genialische Kunsttheorie Fr. Schlegels, läßt sich durch solche Annäherung nicht über den tiefergreifenden Abstand hinwegtäuschen. Eine Art von Gründerfieber und geistigem Großunternehmertum steckt in Friedrich Schlegel, das alles „machen" zu können glaubt: „Stimmung" läßt sich machen, Dichterschulen lassen sich machen („Epochen d. Dichtkunst" im Rahmen des „Gesprächs"), Mythologie läßt sich machen usw. Natürlich hätte Fr. Schlegel das niemals zugegeben, hatte er doch betreffs der Mythologie die „Tiefe des Geistes" durch Hinweise auf Spinoza und Jakob Böhme zu sichern gestrebt. Mit großem Ernst und großem Eifer geht er an irgendeine „neue" Idee heran; aber bald springt der Ernst in Spiel um und der Eifer erlahmt in Lässigkeit, die gern eine elegante Lässigkeit sein möchte. So hat man mit Schleiermacher das Empfinden, daß das Werben um eine neue Mythologie bei Friedrich Schlegel denn doch kaum in den geeigneten Händen ist. Daran vermag auch das Hin- und Herweben der Vorstellungen über die neue Mythologie zu Schelling nichts Wesentliches zu ändern. Über Mythisches möchte man gern von Hölderlin eine

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Rede gehört haben. Friedrich Schlegel liegt das im Grunde wenig, und zwar sowohl eine „Mythologie der Vernunft", wie sie noch das sog. „Älteste Systemprogramm'' gefordert hatte, als diese allzu vernünftig erschlossene Mythologie der „Rede . . . Für August Wilhelm Schlegel ergibt sich wieder die solidere Ausdeutung durch das Sprachmittel und dessen Charakter. In den frühen Epochen wird unmittelbar aus der Sprache die Mythologie als die eigentlich „dichterische Weltansicht" geboren. Aber strenggenommen endet auch hier die verheißungsvoll an Herder anknüpfende Linienführung — obwohl praktisch z.T. der Umweg über Hemsterhuis in der Romantik bevorzugt wurde — zuletzt bedenklich nahe bei der bloßen „poetischen" Materialversorgung. Denn es folgen weitere Sprachstufen, für die „der Mythus wieder Stoff wird". Immerhin klingt Kritisches mit bei dieser Feststellung A. W. Schlegels. Vorübergehend näherte sich A. W. Schlegel sogar dem Gedanken, daß jene neue Mythologie, von der sein Bruder tiefsinnig halb und halb verworren phantasiert hatte, möglicherweise wirksamer als aus der „tiefsten Tiefe des Geistes" (Friedrich Schlegel) aus den Tiefen der Volksseele und ihres wundersamen Wachstums in der nationalen Geschichte zu finden sei (Anknüpfungsmöglichkeit für Jakob Grimm). Es scheint ihm, wenn schon alle echte Dichtung „ein mythologisches Fundament haben" müsse, wesentlich und wünschenswert, zunächst einmal nachzuforschen, „inwiefern sich noch eine deutsche Mythologie oder Reste derselben oder überhaupt eine romantische erhalten" vorfinden bzw. wieder freilegen lasse. Leider wurde diese nicht neue, aber doch neu erlebte Sicht vorerst nicht verstärkt durch F r i e d r i c h S c h l e g e l , der erst in den Zusätzen der Spätfassung seines „Gesprächs über die Poesie" (von 1823 bzw. 1846) dem Hinweis auf den Orient das Übergewicht nahm durch Rückbesinnung auf die Wertquelle der nordischen Sage wie überhaupt der Volksdichtung. Da jedoch nach Friedrich Schlegels Übertritt zum katholischen Bekenntnis die „neue Mythologie" kaum noch ernstlich von Belang sein konnte (man müßte denn schon an den Jesuiten der Bardenbewegung Denis denken) für seine damalige weltanschauliche Umstellung, da er der geistlichen Dichtung jetzt die höchste Rangstufe zuerkennt als „Poesie der Wahrheit und der göttlichen Geheimnisse", so verliert jener durch die jüngere Romantik ihm zugetragene, also überdies nicht selbst gewonnene Erkenntniszuwachs ebenso wie der Gedanke,

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aus der „reichen Natursymbolik" eine neue Mythologie zu gewinnen, die zu einer fruchtbaren Auswertung geeignete und erforderliche weltanschauliche Tragschicht. Die nun ganz beherrschende Aussicht auf die „Religion des Göttlichen" lenkt zwangsläufig von jenen verspäteten Einsichten wieder ab. Aber auch wenn das nicht geschehen wäre, dürfte Friedrich Schlegel kaum ernstlich für eine tiefergreifende Neudeutung und Neubelebung die geeigneten Voraussetzungen mitgebracht haben. Klopstock und Herder rangen ernstlicher um eine Versöhnung des Religiösen mit dem Mythischen, als es Fr. Schlegel wohl je vermocht haben würde. Das Bedürfnis nach einer neuen Mythologie wird unter Bevorzugung der morgenländischen Mythologie noch von dem Literaturhistoriker, Ästhetiker und Poetiker Fr. Bouterwek an sich zugegeben. Das allgemeine Streben der Frühromantik nach einer Mythologie wird ohne weiteres verständlich aus dem gegenüber der Klassik wohl noch verstärkten B e d ü r f n i s der R o m a n t i k nach symbolischen Formen und s y m b o l h a l t i g e n Werten. — Wenn die „intellektuelle Anschauung . . . der kategorische Imperativ der Theorie" (Athen.-Frg. 76) sein sollte, so mußte das Symbol hohe Geltung zugewiesen erhalten. A. W. Schlegel umschreibt denn auch einmal Mythologie als eine „zweite S y m b o l i k des Universums über jener ersten in der S p r a c h b e z e i c h n u n g e n t h a l t e n e n , welche, mit Freiheit behandelt, sogleich in wahrhafte poetische Werke übergehen kann". Wieder fußend auf dem Darstellungs- und Ausdrucksmittel der Sprache und damit ständig die Fortsetzung und philosophische Umsetzung der älteren Zeichenlehre bietend, heben die Berliner Vorlesungen im Abschnitt „Von der Sprache" nachdrücklich das „volle Bewußtsein des symbolisierenden Vermögens in uns hervor, durch dessen willkürlichen, absichtlichen (!) Gebrauch alsdann aus den poetischen Elementen der Ursprache eigentliche Poesie gebildet wird". In der Kunstpoesie nämlich sei dieser Vorgang absichtsvoll, während er in der Ur- und Naturpoesie spontan verlaufe (Herders Theorie der Sprach-Altersstufen). Die „ S y m b o l i k der W o r t s p r a c h e " ist fürA. W. Schlegel „das Medium der Poesie"; und er erwartet oder hofft jedenfalls, von dieser Position aus sich möglicherweise einen Zugang zum Wesenszentrum der Dichtkunst schlechtweg gewinnen und öffnen zu können. Denn „über das Geheimnis der Dichtung würden Untersuchungen über das Symbolische in

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unserer Erkenntnis die überraschendsten Aufschlüsse geben". In verwandtem Zusammenhange wird geradezu von einer „dichtenden Symbolik" gesprochen. Symbolik dürfte auch Tieck meinen, wenn er in seinem „Sternbald"-Roman von „Allegorie" spricht und die Behauptung „Alle Kunst ist allegorisch" mit dem Hinweis darauf zu stützen sucht, daß das künstlerische Ausdrucks- und Darstellungswollen — abgesehen etwa von der wortbefreiten Instrumentalmusik — immer irgendwie des sinnbildhaften Mediums bedarf. Überhaupt grenzt der „Allegorie"-Begrif f der Romantiker vielfach recht nahe an den „Symbol"-Begriff, in den er bei teils ungeklärt verschwimmenden Grenzlinien zwanglos übergeht. Wieweit der Aufsatz Winckelmanns über die Allegorie ein Festhalten an der ideelich eigentlich schon überholten Bezeichnung Allegorie (bei gleichzeitiger Ausrichtung der zugeordneten Sinngeltung auf den Symbolbegriff), zum mindesten rein als Terminus bis in die Romantik hinein gefördert (oder „verschuldet") haben mag, soll hier nicht entschieden werden. Teils schon im Entfaltungsraum der Aufklärungspoetik wie weiterhin im Sturm und Drang und der Klassik gewinnt man den Eindruck, daß es z.T. weniger um Begriffe als um Worte und Wortgewöhnungen geht, während es für den Betrachter von der Gegenwart her nicht immer leicht ist, sich gebührend freizuhalten von dem wertsenkenden Beigeschmack, den für uns allein schon das Wort „Allegorie" mit sich führt. Man hat es offenbar damals streckenweise mit einer Aufwertung der Wortbedeutung Allegorie versucht unter Beibehaltung der Bezeichnung. Und erst allmählich überzeugte man sich, daß die „Allegorie" denn doch so stark in Mißkredit geraten war, daß man besser daran täte, von einer Vertiefung des Wortsinns abzusehen und eine Übertragung auf den besonderen Terminus „Symbol" vorzunehmen. So ganz unbelastet war übrigens der Terminus Symbol auch nicht; denn wenn ζ. B. der junge Herder von einer kalten oder toten „Symbole" sprach, so meinte er nun wieder im kritisch abfälligen Sinne „Allegorie." Kurz, die Begriffsverwirrung geht zum großen Teil auf Bedeutungswandel oder Bedeutungswirrnis der zugeordneten Wörter zurück und ist in diesem Sinne mehr sprachgeschichtlich zu erklären als kunsttheoretisch zu erhellen. Es ist daher anzunehmen, daß die Forschung in diesen Fragen und ihren Lösungen vorerst noch mancherlei Meinungsverschiedenheiten aufweisen wird. 17 M a r k w a r d t , Poetik I I I

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Jedenfalls wendet sich nicht nur bei Friedrich Schlegel die Bezeichnung „Allegorie" der sinngemäßen Bedeutung von „Symbol" zu, so wenn er den lapidaren Satz ausspricht — und er hatte eine beträchtliche Neigung, lapidare Sätze auszusprechen — „Alle Schönheit ist Allegorie", ein Satz, der dem erwähnten Ausspruch in Tiecks „Sternbald", daß alle Kunst „allegorisch" sei, unverkennbar entspricht. Gerade wegen der fließenden Übergänge zwischen Bezeichnung als Allegorie oder als Symbol scheint es nicht so erheblich (wie Walzel meint), wer denn nun innerhalb der Romantik „zuerst" den Symbolbegriff eingeführt habe, ob A. W. Schlegel, was wahrscheinlicher ist hinsichtlich der Gewöhnung, oder Schelling, was wertvoller ist hinsichtlich der Klärungsbemühung, die als dritte Spielform auch den SchematismusBegriff einbezieht. Wesentlicher bleibt eben dieser ernste Klärungsversuch durch Schelling, der weiterhin ergänzt wird durch Goethes bekannte Unterscheidung. Schelling hat dabei für das Symbol die absolute Identität des Besonderen und des Allgemeinen in Anspruch genommen. Seine Erklärung jedoch: „Darstellung des Absoluten mit absoluter Indifferenz des Allgemeinen und Besonderen im Besonderen ist nur symbolisch möglich" gehört durchaus nicht so spezifisch dem Kunstwollen der Romantik an, sondern hätte schon über vielen weitgreifenden Bemühungen des klassischen Kunstwollens als Leitspruch stehen können, soweit diese Erklärung nicht eben die Schellingschen Systemmerkmale an sich trägt. Erst durch die Aufhebung des Gegensätzlichen in der Ganzheit konnte der Symbolbegriff voll einmünden in eine beherrschende Grundanschauung der romantischen Kunsttheorie. Der Übergang jedoch des Allegoriebegriffs in den Symbolbegriff kann, wie angedeutet, schon vor dem Einsetzen der Romantik beobachtet und nachgewiesen werden. Schon die Aufklärung hat hier Vorarbeit geleistet. Vollends im Sturm und Drang neigt ζ. B. Hamann trotz Beibehaltung der Allegorie-Bezeichnung dennoch in der Sinndeutung stark zum Symbolbegriff. Ja, es erhebt sich die Frage, ob man damals, wenn man etwa vom „Hieroglyphischen" sprach, der reinen Symbolidee, die auch im Kunstwollen und Kunstschaffen der Klassik reicher enthalten, wenn auch vielleicht nicht so oft definiert worden ist als in der Romantik, nicht stellenweise weit inniger angenähert war als die Kunsttheorie der Frühromantik mit allen ihren Geheimsprüchen. Neuerwerb lag hier jedenfalls schwerlich vor.

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P h a n t a s i e f r e i h e i t und Natur-„Nachahmung". Jene Hinwendung zum „Realismus" aus dem Bemühen um eine „neue" Mythologie heraus, bedeutete nicht eine Anverwandlung der antiken Mythologie mit ihrer Natur- und Sinnennähe, vielmehr sollte dieser Realismus aus dem Transzendentalismus als einem hochgeistigen Nährboden erwachsen und sich entfalten, wie er denn in echt romantischer Art als „ein grenzenloser Realismus" umschrieben wird. Der „mütterliche Boden", der die Mythologie hervortreiben und nähren soll, ist auch im Vergleichsbild kaum als empirisch-realer Boden gesehen; der „Himmel" und die „lebendige Luft" gelten ebensowohl als geeignete Atmosphäre, in der das Mythologische gedeiht, übrigens auch der christliche Himmel, wie der nach der „Rede über die Mythologie" eingelagerte Gesprächsteil vollends deutlich macht. Was den „Realismus" anlangt, so zieht Schlegel zwar Spinoza heran, aber nicht um darzutun, daß ein neuer „Realismus" im Rahmen eines philosophischen Systems möglich wäre. Vielmehr lehnt er diese Möglichkeit ausdrücklich ab, um der Poesie die Möglichkeit vorzubehalten, etwa mit Hilfe der neuen Physik (die von Metaphysik nicht frei war) auch diesen letztlich irgendwie magisch bel e u c h t e t e n oder umdämmerten „Realismus" zu verwirklichen. Deutlicher wird das Gemeinte, wenn man an Schellings Prägung „Spinozismus der Physik" (mit Bezug auf seine werdende Naturphilosophie) erinnert, oder auch an Hardenbergs Prägung „realistischer Idealism- oder Spinozism" (Näheres bei J. Körner u. 0. Walzel). Identitätsvorstellungen erleichtern ein Heranrücken des „Realismus" an den Idealismus. Mit irgendwelcher Naturnachahmung im früheren Sinne der Mimesislehre hat diese Spielart des „grenzenlosen Realismus" so gut wie nichts gemein, ist doch für Novalis das Poetische auch zugleich das „echt absolut Reelle". Und wenn Novalis von einem „magischen Idealismus" gesprochen hat, so könnte man jenen Realismus, wie er unter anderem bei Friedrich Schlegel begegnet, mit einiger Berechtigung einen „magischen Realismus" nennen. Was die Physik im Sinne der romantischen Naturphilosophie betrifft, so hat nicht erst Schubert die „Nachtseite der Naturwissenschaften" aufgedeckt und nicht erst der späte Fichte ein „Tagebuch über den tierischen Magnetismus" geschrieben, etwa zu derselben Zeit, in der Ε. T. A. Hoffmann seinen „Magnetiseur" dichtete. Vielmehr hatte bereits zur Zeit des ersten 17·

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„Athenäum"-Jahrganges und also zwei Jahre vor dem „Gespräch über die Poesie" der Physiker J. W. Ritter biologische Vorgänge „in dem Tierreich" auf ständige Begleiterscheinungen des Galvanismus zurückgeführt (Schrift mit umfangreicher Titelformel von 1798). Das Ausschauhalten nach der neuen Mythologie, die Auffassung der Poesie und ihres Ausdrucksmittels als symbolisch, die Wertung der poetischen Reflexion und der romantischen Ironie, das Wechselspiel von Bewußtem und Unbewußtem, die Willkürfreiheit der unbewußt tätigen Einbildungskraft: alles deutet bereits darauf hin, daß die Literaturphilosophie der Frühromantik in weiter Beziehungsferne zur Naturnachahmung alten Schlages steht und ihrem ganzen Kunstwollen nach stehen mußte. Das Recht des Wunderbaren brach von vornherein den Anspruch des Wahrscheinlichkeitsprinzips. Durch die subjektive Phantasiefreiheit und die souveräne Setzung der Außenwelt war jede Form der Verpflichtung einer irgendwie dienenden Nachahmung der Natur aufgehoben. Dabei spielt das Phantasiefreie gern ins Phantastische hinüber, ohne daß mit dieser Bezeichnung ein abfälliger Nebenton verbunden gewesen wäre. Im Gegenteil galt das Phantastische als Steigerungswert des Phantasiemäßigen und als Bürgschaft für eine frei waltende Phantasie. Teils deckt sich „phantastisch" dem Wortsinn nach mit phantasiemäßig. Im „Gespräch über die Poesie" definiert Fr. Schlegel das Romantische als dasjenige, was einen sentimentalen Stoff in einer phantastischen Form darstelle („Brief über den Roman"). Dabei ist sentimental nicht gleichgesetzt mit sentimentalisch, sondern weit eher mit gefühlvoll, von Gemüt erfüllt (Zentralkraft: Gefühl, Liebe). Der L i e b e s b e g r i f f gewinnt überhaupt eine hervorragende Bedeutung a l s B i l d u n g s f a k t o r des P o e t i s c h e n , so wie etwa die Mythologie als Hieroglyphe der Natur nur insofern gilt (ganz abgesehen davon, daß sie Hieroglyphe bleibt), als die magische Doppelkraft „Phantasie und Liebe" entscheidend bei der „Verklärung" mitwirkt. Als gesonderte Forderung herausgestellt, nimmt diese Überzeugung die programmatische Form an: „der G e i s t der L i e b e muß in der romantischen Poesie überall unsichtbar sichtbar schweben". Alles Wirkliche bedeutet zudem nur eine „Hinwendung auf das Höhere, Unendliche" und ist wiederum „ H i e r o g l y p h e der einen ewigen Liebe und der heiligen Lebensfülle der bildenden Natur". Die göttliche Phantasie kommt in der

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Natur selbst nicht zur vollen Ausprägung und Ausformung. Deshalb vermochte die M y t h o l o g i e eine B r ü c k e zwischen N a t u r u n d K u n s t zu schlagen; denn sie ahmt nicht Natur nach, sondern v e r g e i s t i g t sie im S y m b o l und ist (und nun wird jene mehrfach berührte Wendung erst voll verständlich) „ein hieroglyphischer Ausdruck (Übertragung der romantischen Ausdruckslehre) der umgebenden Natur in dieser Verklärung von Phantasie und Liebe". Eine Art von Zauberzeichen, von Wunderzeichen wird die Mythologie, und zwar ein Wunderzeichen im Sinne der Ausdruckslehre, aber zugleich im Sinne der verklärenden Liebeskraft und Einbildungskraft. War nicht selbst die „blaue Blume" der Romantik aus Novalis' Traumreich (Ofterdingen) ein Wunderzeichen, ein hieroglyphischer Ausdruck und selbst ein Stück einer romantischen Mythologie, und zwar wiederum ein Wunderzeichen, in dem sich magischer Idealismus und magischer Realismus wenn auch nur in zarten Andeutungen mischen ? Und ist es nicht gerade auch in diesem fast allzu populär gewordenen Symbol des romantischen Kunstwollens schlechtweg das Ineinanderfließen und einander wechselseitig Befruchten von PhantasieTraum und Liebes-Traum, woraus die Synthese des „Poetischen" gewonnen wird, wenngleich natürlich nicht als kunsttheoretische Erkenntnis, aber doch als kunstdeutende Ahnung? Denn es handelt sich dabei nicht oder nicht nur um eine Äußerungsform der werkimmanenten, latenten Poetik (auch Novalis hatte vor diesem Wort keine Furcht, erwartete er doch ζ. B. von Schelling eine sehr bemerkenswerte, „merkwürdige Poetik"), sondern bereits um ein Heben der kunstphilosophischen Bewußtwerdung aus dem dämmernden Grunde des Unbewußten. Die Liebe hatte daran ihren wesentlichen Anteil. Und Jean Paul mochte an diese Empfängnissymbolik gedacht haben, wenn er kritisch von den Romantikern (und gerade Novalis) spricht, die nur empfangen, wo sie zu zeugen glauben. Auch Heinrich von Kleist zieht später das an sich ja naheliegende Symbol der Zeugung heran; aber dort liegt kennzeichnenderweise der Wertakzent auf der Spontaneität der zeugenden Kraft, nicht wie hier auf der hingebenden Liebe. Und dort geht der magische Realismus bereits in einen wirklichen über, so vertraut Kleist immer mit dem magischen Realismus sein mochte und in der Tat war. Um es noch einmal klarzustellen, denn auch das Wissen darum wird doch von der Wortgewöhnung leicht wieder verwischt:

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wenn die Romantiker mit Vorliebe die „Physik" in das poetische Kraftfeld rückten und sich von ihrer Beteiligung an dem Kräftespiel des Poetischen (oder auch Mythologischen) so vieles versprachen, es geht dabei nicht um eine Physik kausaler Gesetzlichkeiten von Naturvorgängen mechanistischer Art, sondern um ein Erspüren der „Mysterien des Realismus", um ein Ahnen der „heiligsten Offenbarungen der Natur" mit fließenden Übergängen zum Magisch-Mystischen, ja zur „Theosophie" (Fr. Schlegel „Gespräch üb. d. Poesie"). Und selbst bei Hardenberg-Novalis, einem Hauptträger dieses Hinweises auf die Natur, bietet der magische Realismus nur eine Art Auffangstellung für seinen magischen Idealismus. Das geheimnisvolle Leben und Weben des damals gerade entdeckten galvanischen Vorganges, das wunderbare Fließen und Strömen des Galvanismus und die der Liebesanziehung und dem einst umschwärmten „sympathetischen Gefühl" (der junge Schiller u. a.) irgendwie verwandte Erscheinung des Magnetismus, also von noch ungeklärten oder doch kaum halb erklärbaren Kräften, auf die der späte Fichte selbst den Geniebegriff zurückzuführen versucht (Tagebuch), mußte für phantasiemäßige Steigerungszustände und überhaupt für künstlerische Naturen eine bannende Macht besitzen, schien es doch dem ewigen Werden und Wandel (im Sinne des Progressiven) und der unendlichen Ausweitung (im Sinne des Universalen) eigenartig wesensverwandt. Gab es doch der Phantasie reichen Bildestoff, wobei die Phantasiefreiheit nicht von ehernen Gesetzen bedroht, sondern von halbgelüfteten Geheimnissen beflügelt wurde. Die Phantasiefreiheit schließt die Liebesbindung nicht aus, sondern als eine der stärksten Entbindungen vom nur Rationalen durchaus organisch in sich ein, sowohl als irdische Liebe wie als himmlische Liebe, die oft unmerklich ineinander verschweben und sich verweben. Nicht von ungefähr wird von den Romantikern, und zwar auch in ihren kunstphilosophischen Bekundungen so häufig das Kenn- und Merkwort „schweben" verwertet. Es ist kein bloßes Ausweichen von dem Sich-Entscheiden und also vor dem Entschiedenen, vor dem bestimmten Ausdruck. Oder es ist doch längst nicht überall und nicht im ersten Betracht ein solches Ausweichen. Vielmehr gilt dieser S c h w e b e z u s t a n d als spezifisch p o e t i s c h e H a l t u n g , wie er denn etwa der Ahnung, der Sehnsucht, dem Traum entspricht. Er hat in der T e r m i n o l o g i e eine von der Forschung (soviel ich sehe) noch nicht voll berück-

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sichtigte und für die Deutung der Romantik und ihres Kunstwollens noch nicht voll ausgewertete Bedeutung. Dieses „ S c h w e b e n " in der k u n s t t h e o r e t i s c h e n Terminologie der Romantik stellt einen ähnlichen Stufungswert dar, wie etwa das — andernorts vermerkte — „scheinen" in der Kunstsprache der Aufklärung (häufig bei Lessing). Und dieses Schweben, ob es nun ζ. B. bei Fr. Schlegel oder andernorts (ζ. B. auch bei Jean Paul, „Flegeljahre", Kap. „Rosenholz") auftritt, ist nun zugleich ein wichtiges Wesensattribut, ja geradezu ein Erkennungsmerkmal und verläßliches Gütezeichen für die diesem Schwebezustand zugrunde liegende Phantasiefreiheit. Denn sie kann sich aus dieser Schwebe willkürlich bald hierhin, bald dorthin wenden. Jean Paul sieht einen betonten Vorzug darin, daß der Poet „durch bloßes Schweben alles überblicken kann" (Flegeljahre). Die Phantasiefreiheit kann das Märchen oder den Traum oder die Natur ernst nehmen oder scherzhaft-spielend (ironisch); auch die Natur. Eine Bindung an das Naturnachahmungsgesetz oder das Wahrscheinlichkeitsprinzip würde diesen immer wieder gesuchten und geforderten Schwebezustand unmöglich machen. Das Wunderbare dagegen duldete nicht allein sondern verlangte ein In-der-SchwebeHalten der Phantasie. Daher versteht sich auch von dieser Seite her die Prävalenz des Wunderbaren. Trotz seiner stärkeren Neigung zur Herausbildung eines vernunftmäßig faßbaren Kunstsystems und zur Wertung sprachgesetzlicher Bindungen und Verpflichtungen kennt und anerkennt auch Aug. Wilh. Schlegel die „ursprüngliche, göttliche Freiheit der Phantasie". Klarer jedoch als Fr. Schlegel, und zwar recht systematisch, hat er sich mit dem Begriffe der Naturnachahmung, der Mimesis, der Wahrscheinlichkeit und dem Illusionsbegriff auseinandergesetzt. Und er hat diesen Erörterungen hinreichend Gewicht beigemessen, um sie dann in seine „Kritischen Schriften" (Teil II, 1828) aufzunehmen unter der Titelgebung „Über das V e r h ä l t n i s der schönen K u n s t zur N a t u r ; über T ä u schung und W a h r s c h e i n l i c h k e i t " . Ausdrücklich greift er dabei auf K.Phil. Moritz zurück. „Vortrefflich!" meint er zu dessen Ausführungen, „sowohl die im Schönen liegende Beziehung aufs Unendliche als das Streben nach innerer Vollendung ist hierdurch aufs glücklichste ausgedrückt". Der Künstler müsse gleichsam in „seinem eigenen Innern" vermöge geistiger Anschauung ein „Spiegel des Universums" (ähnlich Schleiermacher

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f. d. Religion) sein. Die Auffassung Schellings vom Schönen als dem endlich dargestellten Unendlichen findet hier ihre Entsprechung. Die spekulative Naturphilosophie bedingt dabei einen grundlegend gewandelten N a t u r b e g r i f f . Die „Natur" ist für den Frühromantiker keine reale Gegebenheit, sondern „eine Intelligenz wie wir", sie ist (sie bedeutet nicht nur) diese „Intelligenz" im Sinne der intellektualen Anschauung, mit deren Hilfe sie aus dem „reinen Ich" und „Bewußtsein überhaupt" erst gegeben ist. Der Satz Batteux' ist also ein Fehlansatz und muß geradezu umgekehrt werden. Denn nicht die Natur muß die Kunst „bilden" helfen, sondern, wie A. W. Schlegel es knapp formuliert „die Kunst muß Natur bilden". Und wenn man schon den alten Satz mitnimmt, dann muß man vorsorglich den rechten Schlüssel zu seinem rechten Verstehen mitgeben. Es soll nicht die Natur nachgeahmt werden als Gegenständliches, als reales Sein, sondern es soll der Natur nachgeahmt werden, dem Schöpfungsvorgang, dem ewigen Werden „Die Kunst soll nicht die Kunst, soll die Natur nachahmen. Das heißt nämlich, sie soll wie die Natur selbständig schaffend, organisierend, lebendige Werke bilden". Die Nähe Fichtes und Schellings bleibt spürbar; aber ebenso eine beachtenswerte Nähe K. Ph. Moritz' (und auch Goethes) in der Wiederkehr des Terminus „bilden", der seine hinreichend erörterte Sonderbedeutung besaß. Zugleich erfolgt der Rückgriff auf das Prometheussymbol: „Auf diese Weise hat Prometheus die Natur nachgeahmt." Leichter verständlich würde manche dieser Umschreibungen und Abstufungen, wenn man sich zu der Formel hindurchgefunden hätte: der Dichter soll der Natur nachahmen, nicht aber die Natur nachahmen. Er soll der Natur nachahmen im Sinne ihres organischen Prozesses, nicht die Natur nachahmen im Sinne der Nachzeichnung einer Stoffvorlage. Oder aber: er soll ihr nacheifern, nicht jedoch sie nachformen. In der Tat umgreift diese kleine Änderung (Nacheiferung der Natur statt Nachahmung der Natur) eine kunsttheoretische Entwicklung, die sich über weite Zeiträume erstreckte. Ein Neuerwerb der Romantik war das nicht. Nicht einmal für den Sturm und Drang lag darin etwas entscheidend Neuartiges und Eigenartiges. Und nicht so ganz unberechtigt erscheint der Rückverweis der Sonderforschung in diesem Zusammenhange etwa auf Sulzer (aber überhaupt auf die Gruppe der Auflockerer innerhalb der Aufklärung). A. W. Schlegel vertritt dabei einen nicht extremen, romantischen,

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sondern gemäßigten Naturnacheiferungsbegriff in allerdings klarer Abhebung vom Naturnachahmungsbegriff. So ganz ein bloßes „Meerrettigreiben", wie für den Wandsbecker Boten Matthias Claudius war für A. W. Schlegel das Naturnachahmungsproblem denn doch nicht. War es doch sein Vater, Joh. Adolf Schlegel gewesen, der noch vor Ramler die große Batteux-Übersetzung mit begleitenden eigenen Abhandlungen herausgebracht hatte, nicht ohne eine bemerkenswerte Auflockerung der Lehre Batteux'. A. W. Schlegel folgte also gleichsam einer Familientradition, wenn er dieser Frage eine eigene Abhandlung widmete. Er vertritt ebenso wenig den radikalen romantischen „Nachahmungsgedanken" der absoluten Welt-Setzung aus dem reinen Ich (im Sinne der Fichtenacheiferung). Vielmehr macht er geltend (was relativ neuere Kunstpsychologen als neue Erkenntnis buchen zu können meinen), daß auch die willkürlichste und freieste Phantasie die einzelnen Teilglieder ihrer Organisationen und Kombinationen, die „Bestandteile" als solche stets aus dem Stoffbereiche der Naturgegebenheiten beziehen muß. Und insofern hat der Satz sowohl ausweitenden wie einschränkenden Charakter. „Die Phantasie kann in ihren kühnen Flügen zwar übernatürlich, aber niemals außernatürlich werden." Sie vermag nicht, die göttliche Erschaffung aus dem Nichts zu wiederholen. So zieht A. W. Schlegel die Grenzen gegenüber einer Vergottung und Vergötzung der Phantasieallmacht. Er wahrt jedoch ihr volles Ansehen als eine „wunderbare Tätigkeit" des Menschgeistes. Und zwar muß es sich um einen vollendeten Geist (Nachklänge der Klassik, K. Ph. Moritz) handeln. Daher meint A. W. Schlegel doch etwas wesentlich anderes als etwa E. Zolas Stück Natur, gesehen durch ein Temperament, wenn er Kunst definiert „als durch das Medium eines vollendeten Geistes hindurchgegangen, für unsere Betrachtung verklärte und konzentrierte Natur". Schlegel greift bereits weit tiefer als Zolas Formel, die zudem auch zu ihrer Zeit keineswegs „neu" war. Aber schwerlich greift er tiefer als Goethe, der hinsichtlich des Verhältnisses Kunst und Natur auch kunsttheoretisch schwer zu übertreffen und zu überbieten war. Nun bleibt jedoch A. W. Schlegel bei jener gemäßigten Beurteilung und kritisch begründeten Verurteilung des Satzes Batteux', der ja auch nur handlich formuliert und ausführend systematisiert hatte, was längst geläufig und von den Alten her Erbgut der Poetik war (s. Bd. I), keineswegs stehen. Er vollzieht

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vielmehr den konsequenten B r u c h mit der langlebigen Mimesislehre. Denn er gelangt zu der Überzeugung, daß man den irrigen Satz „die Natur ist in der Kunst Norm für den Menschen", wie er klar und wörtlich sagt, „geradezu umkehren" muß, um zu dem allein richtigen Ergebnis zu kommen „Diesem Satz ist direkt entgegengesetzt der wahre: der Mensch ist in der Kunst Norm der Natur". Das lag bereits auf der Linie, die von Fichte zu Schopenhauer weiterführt: die Natur als Satzung und „Vorstellung". Im Schelling-Abschnitt wird darauf zurückzukommen sein. Selbst für Hardenberg-Novalis, der beruflich der Natur näherstand und ihr Studium empfahl, bedeuten die menschlichen Kunstschöpfungen stets nur „ferne Nachbildungen" des Naturkunstwerkes, wobei die Natur also bereits als Kunstwerk gefaßt und aufgefaßt erscheint. A.W.Schlegel vermag dergestalt, die für ihre Zeit bereits recht fortschrittlichen Auflockerungsbemühungen seines Vaters Joh. Ad. Schlegel (Poesie als „Ausdruck", nicht als bloße „Nachahmung", Ausdruckslehre 1759) mit Hilfe seiner Zeitphilosophie bei weitem zu überbieten. Aber in gewisser Weise vollendet doch der Sohn in der Romantik unter günstigeren Bedingungen, was der Vater in der Aufklärung unter weit weniger günstigen Voraussetzungen schon recht mutig begonnen hatte. Obwohl sich Novalis die Kunst verhältnismäßig stark lebensbezogen darstellt, und obgleich er gelegentlich ein gründliches Lebensstudium vom Dichter verlangt, so bleibt doch immer zu berücksichtigen, daß für den Romantiker das „Leben" selbst bereits als poesiedurchdrungen angesehen, gleichsam nur als eine breite Seite der Poesie aufgefaßt und angeschaut wird. Und es bedürfte kaum der ausdrücklichen Warnung vor der „platten Natur"-Kopie im Bezirk der Romantheorie oder der ausdrücklichen Forderung, daß es immer nur — so etwa im Bezirk des historischen Dramas — dem wahren Dichter um eine „scheinbare Weltkopie" gehen könne, die erst durch „freies Gemüt" (etwa im Sinne einer freischöpferischen Durchseelung und ein wenig bereits anklingend an Grabbes klarer gefaßte Beschränkung der dichterischen „Datentreue" auf den „wahren Geist der Geschichte") belebt werden müsse: es bedürfte kaum dieser und ähnlicher Grenzziehungen, um eindeutig klarzustellen, daß jene Anregung zum Lebensstudium und zur Naturgemäßheit nichts mit irgendwelchem „Realismus" oder gar „Naturalismus" im Sinne eines „konsequenten Realismus" gemein hat.

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Dennoch verdient die Abstufung in der Einstellung Novalis' etwa gegenüber den Gebrüdern Schlegel Beachtung, wie sie sich besonders scharf abzeichnet in dem Einwand: „Schlegels übersehen, indem sie von der Absichtlichkeit und Künstlichkeit der Shakespeareschen Werke reden —, daß die K u n s t zur N a t u r gehört und gleichsam die sich selbst beschauende, sich selbst nachahmende, sich selbst bildende Natur ist". Novalis gebraucht hier „bilden" im Sinne der Klassik. Gerade auch im Bereiche übersinnlicher Motivwelten muß die Darstellungsweise um so zwingender und anschaulich überzeugender sein, gerade in Welten des Wunderbaren muß sie so nachhaltig von der Stoffbeherrschung und von der Anschauungskraft des Dichters zeugen, wenn anders das Wunderbare lebensvoll und eindringlich haftkräftig wirken soll. Ansätze zu einem ideellen oder „poetischen Realismus" innerhalb der Romantik fordern nicht nur in diesem Zusammenhang (Bannkräftigmachen des Wunderbaren durch die Lebensdichte der Darstellung) erhöhte Aufmerksamkeit. Denn das deutsche Kunstwollen zeigt über weite Entwicklungswandlungen hinweg immer erneut innere Nötigung und freie Neigung zur Grundform einer durchseelten Wirklichkeitsnähe, eines Idealrealismus, der einer Synthese des Idealen und Realen, ja einer Identität zustrebt. Beim frühen Tieck der „Märchen, herausgeg. v. Peter Leberecht" (1795/6) hat dagegen noch kaum der Romantiker das Wort, wenn er (theoretisch jedenfalls) im Alltäglichen das Poetische, wenn er wie Goethe „in der trockensten Prosa des Lebens die reinste und schönste Poesie zu finden" anriet und sich vorsetzte. Dort mischt sich noch Aufklärerisches und Klassisches in ungeklärtem Streben. Und nicht die Verteidigung des poetisch „Kleinen" etwa durch Adalbert Stifter taucht hier im Hintergrunde auf und vollends nicht Wilhelm Bölsches „besonnener Realismus", der irgendwie doch die „ewig alte, ewig junge Romantik" hineinretten möchte in das Ideal des Realismus, jenes „hochdichterischen Realismus, welcher Romantik und Realismus verschmilzt". Wohl aber erinnert dieser knappe Vorblick daran, wie man auch in späteren programmgemäß vermeintlich „konsequent" realistischen Entwicklungsepochen das heimliche und auch bekannte Fühlungsuchen und Infühlungbleiben mit „romantischen" Werten nicht recht entbehren mochte. Und zugleich bestätigt dieser Ausblick, daß in den scheinbar entferntesten Lagern deutschen dichterischen Kunstwollens den-

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noch immer die Nähe des Idealen und Realen irgendwie aufrechtzuerhalten versucht wird. Teils liegt das gewiß im Wesen der Dichtkunst als Wortkunst von vornherein begründet. Aber es will doch so scheinen, als ob in der über weite Räume reichenden Wiederkehr und in der latenten oder offenen Dringlichkeit der einschlägigen Forderungen ein Stück Nationalcharakter sichtbar würde. Die Wirklichkeit des Wunders und das Wunder der Wirklichkeit sind zwei beherrschende Kraftpole, zwischen denen sich das Kraftfeld des deutschen Kunstwollens vorzüglich zu entfalten liebt. Auch die Romantik und ihr Kunstwollen hat über die Wirklichkeit des Wunders das Wunder der Wirklichkeit nicht einfach aus den Augen verloren. Die werkimmanente Poetik, das im Kunstschaffen symbolisierte undeingekörperte Kunstwollen, spricht freilich in diesem Betracht eine klarere Sprache als die formulierende Kunsttheorie. Aber auch deren strengste Verdikte gegen eine bloße Naturnachahmung, ihr Spott über die aufklärerische Wahrscheinlichkeitslehre, wie er denn ja auch bei dem Tieck des „Gestiefelten Katers" literatursatirisch sich auslebt, dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, daß den wertvollsten Dichtern der Romantik der Erwerb des Sturmes und Dranges und der Klassik, der im Herausstellen des „Lebenden" der „lebenden Natur" bereitlag, nicht verloren ging, mochte er auch streckenweise zurückgedrängt werden. Das W u n d e r b a r e und das Wunderliche: Inder Stellungnahme zum W u n d e r b a r e n läßt A. W. Schlegel seine kritische Berichtigung, ja Umkehrung der Mimesislehre und Wahrscheinlichkeitstheorie gipfeln. Schon vorher hat er gleichsam vorbereitend die Irrlehren der „Täuschung" (als einer Illusion mit Betrugsabsichten) und das trotz aller Auflockerungsbestrebungen (schon innerhalb der Aufklärung) immer wieder dogmatisch sich verhärtende Wahrscheinlichkeitsprinzip polemisch zerpflückt. In echt romantischem Sinne stellt er gegenüber der Beklommenheit angesichts des Wunderbaren, ja der Angst vor dem Wunderbaren, die zur Verarmung der Poesie führen müsse, und der vermeintlichen Verbindlichkeit der Naturgesetze als befreiendes Prinzip die unabhängige Eigengesetzlichkeit der Dichtkunst unmißverständlich heraus. Maßstab ist nicht die Kühnheit des Wunderbaren, der Weite des Wunders und des Wunders der Weite, da diese Kühnheit implizite im echt Wunderbaren enthalten sei. Maßstab ist vielmehr die Reichweite des Gestaltungsvermögens, das jene Kühnheit

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ohne weiteres rechtfertige, sobald es die Kühnheit zur Kunst zu erheben weiß kraft der immanenten poetischen Eigengesetzlichkeit. „Es kommt nur darauf an, daß ein Dichter uns durch den Z a u b e r der D a r s t e l l u n g in eine fremde Welt zu versetzen weiß, so kann er alsdann in ihr nach seinen eignen Gesetzen schalten". Mit nüchternen, aber klaren Worten spricht dieser Endertrag eben das aus, was in manchen dunkelsinnigen Deutungen und aphoristischen Andeutungen anderer Frühromantiker in geschmückteren Fassungen, aber auch geheimnisfroheren Verhüllungen ausgesagt wurde oder doch ausgedrückt werden sollte. War die Poesie und vollends die „Poesie der Poesie" schon an sich ein „Wunder", nämlich ein Wunderwerk der freischaffenden Phantasie, aber auch des scherzhaften dichterischen Ahnungsvermögens, ob es nun als magischer Idealismus oder magischer Realismus sich abspiegelte, so mußte dieses Wunderwerk im Wunderwesen des motivlich oder gemütsmäßig Wunderbaren seine ihm adäquate Welt suchen und finden. Was bei A. W. Schlegel als Endertrag in aller Bündigkeit zusammengefaßt erscheint, war u. a. schon in frühen Ansätzen spürbar bei L u d w i g T i e c k , und zwar in seiner Einleitung zu Shakespeares „Sturm", die er dann als Aufsatz unter dem Titel „ S h a k e s p e a r e s B e h a n d l u n g des W u n d e r b a r e n " (1793) dem ersten Bande seiner „Kritischen Schriften" (1848) einfügte. Allerdings würde es irreführen, wollte man diese, teils mit recht rationalistischen Begründungen der Rechtfertigung des Wunderbaren arbeitende und wenig kühne Beweisführung bereits als eine romantische Bekundung in Anspruch nehmen. Bestenfalls handelt es sich um eine noch unsicher tastende Vorform. Und es dürfte schwerlich berechtigt sein, etwa aus dem Umstände, daß der junge Tieck eine gewisse subjektive Eignung bestimmter Gestalten Shakespeares (so Hamlets) für eine Begegnung mit dem Wunder und also für eine überzeugende Ausprägung des Wunderbaren als vorteilhaft erkennt, eine Parallele zu Fichtes freischöpferischem Ich zu ziehen (in dem Sinne ungefähr, daß das Ich sich das ihm gemäße Wunder setze). So weit war der junge Tieck noch nicht vorgedrungen, der noch nach diesem Aufsatze an Nicolais „Straußfedem" mitarbeitete und noch die „Volksmärchen, herausgegeben von Peter Leberecht" (1797) nicht nur in Nicolais Verlag, sondern ein wenig auch noch in Nicolais Belichtung (mit leicht parodistischem Reflex) brachte. Es geht auch

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nicht an, etwa aus der Märchenproduktion so ohne weiteres ein dem Wunderbaren zugewandtes Kunstwollen abzulesen. Fast ein wenig in der Art, wie die Kunstballade erst über den Umweg der halb parodierenden komischen Romanze in der (von der Aufklärung zum Sturm und Drang führenden) Entwicklung erreicht worden war, hat sich die Romantik das Kunstmärchen gewonnen. Jedenfalls hat offensichtlich Tieck das Volksmärchen anfangs nicht recht ernst genommen, wenngleich nicht so komisch wie die Aufklärung den volkstümlichen Bänkelgesang. Aber eben dadurch mischte sich in diesen Bezirken von vornherein das Wunderliche mit dem Wunderbaren. Nicht allein das bereits im Volksmärchen vorgeformte Wunderliche, das dort den heiteren Gegenpol zum teils düster Grausigen stellte, auch manches andere wurde vom Gebildeten als „wunderlich" empfunden. Der Einbruch der romantischen Ironie hielt jedoch auch in späteren Entwicklungsstadien des Kunstmärchens die Polarität des Wunderbaren und Wunderlichen aufrecht. Bald erwiesen sich die Ausstrahlungen des einen Kraftpols, also des Wunderbaren als stärker, bald die des anderen Kraftpols, also des Wunderlichen, bis bei Ε. T. A. Hoffmann, entsprechend seinem steilen Emportreiben der romantischen Ironie, das Wunderliche streckenweise das Wunderbare zu überwältigen drohte. Auf der formungsmäßig höheren Wende der Entwicklungsspirale erfolgte doch in gewisser Weise ein Wiedereinmünden in die (Tiecksche) Ausgangsstellung. Das Wunderliche beschränkt sich dabei nicht auf das komisch reflektierte Wunderbare und vollends nicht auf das parodierte Wunderbare. Wielands Märchentypus mochte anfangs einwirken, konnte sich aber nicht als dauernde Begleitkraft und erst recht nicht als Leitkraft für das werkimmanente Kunstwollen im romantischen Märchen behaupten. Das ernsthaft und echt Wunderbare wurde zum Leitmotiv, das Wunderliche zum bloßen Begleitmotiv, auch zum E n t s p a n n u n g s w e r t , den Narrenscenen Shakespeares angenähert. Was Tiecks Aufsatz von 1793 betrifft, dem Shakespeare als Vorbild-Poetik gilt, so folgert und fordert er u. a. auch, daß das „Bewegliche" der „Imagination" als Hilfskraft eben jenes Wunderliche, das „Komische" zur Unterstützung mit heranziehe. Überhaupt muß das Wunderbare durch Fülle, Reichtum und Abwechslung jeder nüchternen und ernüchternden Besinnung zuvorkommen und vorbeugen, um sie dergestalt von vorherein auszuschließen.

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Das Wunderliche fungiert also nur als Teilkraft neben vielen anderen, wie denn etwa durch die Musik weiterhin eine Illusionsverstärkung der wunderwilligen Stimmung erstrebt werden kann. Aber obwohl noch unter anderen Kräften versteckt, wird doch schon das Komisch-Wunderliche auf die eine Seite gestellt und das E r h a b e n - W u n d e r b a r e auf die andere Seite. Und das ist nun die Hauptrechtfertigung des Wunderbaren als Wirkungswert in dem Bereiche des Tragischen, daß es in der Tragödie ζ. B. die Wirkung des Erhabenen und Furchtbaren, des Furchterregenden (denn damals gelten Furcht und Mitleid noch recht aufklärerischklassizistisch als der „Zweck des Trauerspiels") wesentlich zu erhöhen vermag, etwa durch Geistererscheinungen. Tieck berührt hier also das alte Thema der Aufklärungspoetik vom Gespensterglauben. Daher ist es auch nur folgerichtig, wenn er merklich alles im Sinne der aufklärerischen Wirkungspoetik von der Wirkung aus sieht und wertet. Und streckenweise gewinnt man den Eindruck, als ob der Zuschauer vom Wunderbaren mehr abgelenkt als zu ihm hingelenkt werden soll; fortgelenkt, damit er gar nicht erst zur Vernunft kommt. Es fehlt also noch der romantische Glaube an die Bannkraft des Wunderbaren kraft seines Eigenwesens und Eigen-, wertes. Immerhin wird die künstlerische, kunsttechnische Auswertbarkeit des Traumes, also das Traumhafte, als geeigneter Träger des Wunderbaren bereits ins Auge gefaßt, also eine dann für die Romantik und ihr Kunstwollen grundlegende Darstellungsform. Das Eingehen auf die wunderbaren „Personifikationen" zwingt den frühen Tieck zu einer Auseinandersetzung mit dem AllegorieBegriff. Und dort, wo er mit dem Terminus Allegorie auch rein als Bezeichnung nicht recht einverstanden ist, wie er sie schon vorher dem Werte nach ausdrücklich verworfen hat, weil sie „nur allein dem Scharfsinn Beschäftigung gibt", befindet er sich merklich auf der Suche nach dem (an sich schon vorliegenden, aber ihm offenbar nicht vertrauten) Symbol-Begriff. Jedenfalls soll hinsichtlich der Einkörperung des Wunderbaren der tiefere und hintergründige Sinn nur angedeutet und versteckt in einer derartigen wunderbaren Personifikation ruhen. Selbst an Goethes „Egmont" wird der störende Einbruch der „Allegorie", gemäß den Einwänden der Egmont-Kritik Schillers, getadelt ähnlich wie an Voltaires „Henriade". Der Mangel, der in einer unorganischen Vereinzelung des Wunderbaren liege, wirf' besonders an J. Fletcher nachgewiesen,

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aber auch an einer Oper J. Fr. Marmontels. Dabei ist zu berücksichtigen, daß der Aufsatz Goethes „Über Wahrheit und Wahrscheinlichkeit der Kunstwerke" (1798), der von der Oper ausging, damals noch nicht vorlag. Hervorhebung verdient, obgleich es im Rahmen eines Shakespeare-Aufsatzes erleichtert und nahegelegt werden mußte, daß Tieck die kunsttechnische, darstellerische Bewältigung des Wunderbaren zu einem W e s e n s a t t r i b u t der G e n i a l i t ä t macht, ja geradezu zu einer Bewährungsprobe des dichterischen Genies; „denn eben darin besteht der Probierstein des echten Genies, daß es für jede verwegene Fiktion, für jede ungewöhnliche Vorstellungsart schon im Voraus die Täuschung (Illusion, Gläubigkeit) des Zuschauers zu gewinnen weiß". Jener Aberglaube, von dem Wackenroder aus einer wesentlich tieferen Stimmung echter Wunderwilligkeit heraus einmal sagte, daß er ihm lieber sei als der Systemglaube, bedarf für den frühen Tieck noch sehr der Veredlung, läßt sich jedoch immerhin „zu den schönsten poetischen Fiktionen" läutern und also auch von berufener Hand verwenden und vervollkommnen. Und es läßt aufmerken, wenn Tieck in diesem Beitrag zur Theorie des Wunderbaren, denn ein solcher Beitrag liegt in der literaturkritischen Einkleidung merklich vor, einige Züge zum Idealbild des echten Volksdichters bietet und stellenweise doch schon betont abrückt von den Satzungen und Setzungen einer rein rationalistischen Poetik, wenn er etwa fordert, „daß wir die Regeln der Ästhetik mit allen Begriffen unsers aufgeklärten Jahrhunderts vergessen und uns ganz dem schönen Wahnsinn des Dichters überlassen" sollen. Einschränkend jedoch wirkt wiederum die Ängstlichkeit, mit der die Vorbereitung, also die Förderung einer Bereitschaftshaltung seitens des Kunstwertaufnehmenden überwacht wird. Das ist sogleich spürbar bei der Stufung der gattungsmäßigen Eignung für die Verwendung des Wunderbaren. Der Epiker, so meint Tieck, vermöge jenes Sichhingeben an den schönen poetischen Wahn leichter zu erreichen als der Dramatiker, weil er mehr Gelegenheit zur Vorbereitung habe und zudem in seiner Darbietungsweise das Wunderbare nur mittelbar sichtbar zu machen brauche (als Phantasiebild), während für den Dramatiker wenig Vorbereitungsraum zur Verfügung stehe und weil im (aufgeführten) Drama das Wunderbare unmittelbar (auf der Bühne) sichtbar werde. Daher fordere der Zuschauer nicht mit Unrecht im allgemeinen vom Dramatiker „eine größere Wahrscheinlichkeit".

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Damit jedoch wird erkennbar, daß der junge Tieck in Wirklichkeit selbst noch nicht so ganz freikommt von den prinzipiell verworfenen „Regeln der Ästhetik", in diesem Falle vom Wahrscheinlichkeitsprinzip, ebenso wie von der Illusionstheorie. Von der eindeutigen Polemik des „Gestiefelten Katers" ist er zum mindesten vorerst beträchtlich entfernt. Noch tragen selbst in der Bewertung Shakespeares sowohl „Geschmack als Scharfsinn" (trotz Ablehnung einer nur scharfsinnigen Allegorie) einen deutlichen Wertakzent. Dennoch birgt die Abhandlung neben unverkennbaren Restbeständen älteren Anschauungsgutes bereits manche Wendung, die dem romantischen Kunstwollen sich gleichsam versuchsweise nähert und als entwicklungsgeschichtlich beachtenswerte Vorform aufgefaßt werden kann. Nur darf bei alledem nicht übersehen werden, daß ζ. B. in der Kunstauffassung des Sturmes und Dranges das Wunderbare z.T. schon unbedenklicher bejaht worden war, und zwar nicht allein von G. A. Bürger. Weit tiefer führen spätere Bekundungen in die Wertwelt des Wunderbaren hinein, so etwa die Verteidigung des Wunderbaren als eines spezifisch dichterischen Wertes durch Rudolf in dem Künstlerroman ,JFranz Sternbalds Wanderungen" (1798). Und es ist in diesem Zusammenhange recht kennzeichnend für die Erhöhung des Wunderbaren zum Wertmesser des Dichterischen schlechtweg und besonders auch des „Romantischen", wenn Novalis in seinem Liebeshaß mit Bezug auf den „Wilhelm Meister" zu einer sich steigernden Ablehnung gelangt, weil in diesem Roman das Romantische als „das Wunderbare" zugrundegehe und weil in ihm „das Wunderbare ausdrücklich als Poesie und Schwärmerei behandelt wird", wobei „Poesie" im abfälligen Sinne gebraucht ist. Das Wunderbare als Kriterium hier und das Wunderbare als Geburtsmysterium des Poetischen im höchsten Sinne im Märchentraum von der blauen Blume im eignen Roman „Heinrich von Ofterdingen", der ein Stück produktiver Kritik am „Wilhelm Meister" darstellt, umschreiben wohl überzeugender als manche Aphorismen die Kemstellung des Wunderbaren in der Kunstauffassung der Romantik. Trotz seiner Sondersituation begegnet sich J e a n P a u l sowohl in seiner werkimmanenten Poetik als auch in seiner Kunsttheorie mit der allgemeinen Wertschätzung des Wunderbaren durch die Romantik; nur eben daß er mehr von einer religiös gestimmten Empfindsamkeit (mit moralpädagogischen Elementen) an diese Fragen 18 M a r k w a r d t , Poetik III

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heran- und zu ihrer Bejahung hingeführt wird. Seine bündige Erklärung: „ A l l e s wahre Wunderbare ist für sich p o e t i s c h " rückt das Wunderbare von vornherein auf eine hohe Rangstufe innerhalb der poetisch fruchtbaren Stoffe und Motive. Denn dies allerdings will berücksichtigt sein, daß Jean Pauls noch näher zu erläuternder Glaube an „poetische Stoffe" wie überhaupt seine verhältnismäßig hohe Stoffbewertung auch hinter dieser Prägung wirksam wird. Die Einschränkung („wahre") erinnert zugleich an die starken kritischen Einschläge seiner „Vorschule der Ästhetik" (1804), die kennzeichnenderweise dem Wunderbaren einen Sonderabschnitt widmet. Das Wunderbare nämlich ist zunächst „belebter Stoff", der nun durch „belebte Form" zum künstlerisch Wertvollen werden kann. Denn an sich ist das Wunderbare mannigfachem Mißbrauch ausgesetzt (etwa durch psychologische Analyse oder durch gegenstandsloses, geistig verdünntes, „luftiges" Ausspinnen ins Haltlose oder Endlose; Ablehnung des „fortgehenden Wunders"). Wie es überhaupt in der Poesie darauf ankomme, welche Seele die Welt beseele, so auch ist es für Wert und Wirkung des Wunderbaren entscheidend, welche Seele die Wunderwelt beseele. Jean Paul befürwortet nicht das Virtuosenkunststück (etwa Ε. T. A. Hoffmanns oder auch schon A. v. Arnims), das Wunderbare mitten in die Alltagswelt zu verpflanzen. Auf der anderen Seite will er es offenbar nicht aus der Nachtseite der Naturwissenschaften allzu billig bezogen sehen; denn er fordert: „Das Wunder fliege weder als Tag- noch als Nachtvogel, sondern als Dämmerungsschmetterling". Wesentliche Voraussetzung ist bei alledem der Glaube an das Wunder, der in unserer mechanisierten Welt an sich schon als „Wunder", und zwar gottlob für die Poesie als ein „großes, unzerstörliches Wunder" gelten könne. Das Wunder in der Poesie sei letztlich, so betrachtet, gar kein Wunder, zum mindesten keins, das uns zu „wundern" brauche. Das Wunderliche dagegen, in seinem Kunstschaffen reichgestuft begegnend, würde schon zu seiner Theorie des Komischen hinüberleiten. Das Religiöse und Mystische: Recht umfangreich müßte dieser Abschnitt ausfallen, wenn auch nur das Wesentlichste in ihm zusammengetragen und ideelich gedeutet werden sollte, was die Romantik oder auch nur die Frühromantik über das Verhältnis von Poesie und Religion auszusagen hatte, ob nun in der Literaturphilosophie oder in der werkimmanenten Poetik. Vieles von dem müßte wiederholt werden, was für die Gesamtromantik unter das

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Leitwort: die Weite des Wunders und das Wunder der Weite gestellt werden konnte (Einleitung); vieles auch von dem, was in anderen Abschnitten immer wieder hineinragte als Hindeutung auf ein Überweltliches und Übernatürliches, auf das göttliche „Universum" (Universalpoesie), auf das „Unbewußte", auf das „Wunderbare", auf das heilige und höchste aller Kunstwerke, dessen Dasein letzte Berechtigung gab, das irdische Kunstwerk mit „romantischer Ironie" zu betrachten und demgemäß zu bewerten bzw. zu entwerten, auf die Grenzen der Genialität trotz alles gelegentlichen Rühmens ihrer „Unendlichkeit", um hier nur einiges in Erinnerung zu bringen. Aber ebenso, und das geht nun besonders die Frühromantik an, ist wohl deutlich geworden, daß die Transzendentalphilosophie und spekulative Weltschau, so sehr sie letztlich überall jene Hindeutung in sich bergen mochte, dennoch im Gesamt ihrer Erscheinung und Wirkung einen starken Gegenspieler stellte gegenüber dem Religiösen im strengeren Sinne, daß das betont „Geistige" das eindeutig „Geistliche" streckenweise zurückdrängte oder doch in der Substanz verdünnte, gelegentlich sogar auflöste. Und wie der magische Idealismus im magischen Realismus seine Ergänzung, aber doch auch seinen Gegenpol, wennzwar im Sinne einer durch Identität zu überbrückenden Polarität, gefunden hatte, so auch enthielt die Forderung einer neuen Mythologie zwar einerseits recht starke Hindeutungen auf ein Christlich-Religiöses, wie denn Schleiermachers „Reden über die Religion" nicht allein auf Fr. Schlegels „Rede über die Mythologie" hinüberwirkten, aber doch ebenso starke Ablenkungskräfte oder doch säkularisierende Umsetzungs- und Umdeutungstendenzen, die wohl im weiteren Verstände mit dem Religiösen, nicht aber im engeren und strengeren Sinne mit der Religion als Glaubens- und Heilslehre übereinstimmten. Naheliegt ein Vergleichsblick von der Frühromantik auf Zacharias Werners Konzeption einer christlichen Mythologie oder auf die Veränderungen, die der späte Fr. Schlegel, obwohl verhältnismäßig behutsam mit seinem „Gespräch über die Poesie" vornahm (Ausgabe d. „Sämtl. Werke", 1823), wobei die „leicht pantheistische, spinozistische" Kehrseite etwa der „Unendlichkeits"-Vorstellung kritisch beleuchtet wurde oder die höchste Stufe der dreistufig angelegten Poesie-Typen, darunter die geistliche Poesie, auf einer „noch höhern Region des Göttlichen" erscheint und eine ins Auge gefaßte „Poesie des Unsichtbaren" auf 18·

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die „Poesie der göttlichen Geheimnisse" wachsam und würdig eingeschränkt wird. Wesentlich anders klingt, was A. W. Schlegel, um vorerst bei der Ansatzstelle Mythologie zu bleiben, in den Berliner Vorlesungen über die Verbindungsfunktion der Mythologie zwischen Philosophie, Ethik und Religion zu sagen hatte. Aber, obwohl oder eben weil A. W. Schlegel nicht auf dem religiösen Flügel der Frühromantik steht, spiegelt sein Hineinnehmen des Mystischen doch recht gut das Verhältnis von Philosophie, Religiosität und Mystik, das die Grundrichtung des frühromantischen Kunstwollens kennzeichnet. „Echte Poesie", so meint er zusammenfassen zu können, „wird von selbst zugleich philosophisch, moralisch und religiös sein; gleichsam eine sinnbildliche Philosophie, eine losgesprochene freie Sittlichkeit und eine w e l t l i c h g e w o r d e n e M y s t i k " . Wesentlich und wesenhaft näher nicht allein dem Religiösen, sondern auch der Religion blieb Wackenroder in den „Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders", die bereits eine Synthese von Glaubenswert und Schönheitswert ersehnten, ein inniges Zusammenfließen von Gottesfrömmigkeit und Kunstfrömmigkeit, „damit aus den zusammenfließenden Strömen von K u n s t u n d R e l i g i o n sich der schönste Lebensstrom ergieße". Das eigentliche Programm der Frühromantik jedoch zog, wie Fr. Schlegel in der „Europa" rückblickend selber hervorgehoben hat, erst in den späteren Teilen des „Athenäums" das Religiöse und Mystische bewußter und betonter heran. Und zwar geschieht dies besonders in den „Ideen". Während etwa Fr. Schlegels „Fragmente" der Religion nur einen relativ geringwertigen Anteil an der Bildungsmission eingeräumt hatten und sie als ein bloßes „Supplement . . . und Surrogat" der Bildung humanistischer Grundfärbung betrachteten, weisen ihr die „Ideen" eine alles andere organisierende und letzten Endes beherrschende Zentralstellung zu. Jetzt sind Philosophie und Poesie gleichsam nur Komponenten dieser Resultante. „Die Religion ist die zentripedale und zentrifugale Kraft." Indessen ergibt sich bei näherem Zusehen, daß eben der Begriff der Religion damals eine andere Grundtönung besitzt, so daß der Wert ihrer Zentralstellung von dort aus eine entsprechende Teilabwertung erfährt. Vom Dogmatischen weit entfernt, von der den „Gebildeten" entgegenkommenden Umbildung und Umbiegung Schleiermachers beeindruckt, bleibt sie doch wiederum bloße Religiosität, zudem mit der merklichen Neigung, in eine bloße

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Modifikation des vagen Unendlichkeitsgefühls (daher die späte Selbstkritik) und schwärmerischen Allgefühls überzugehen. Immerhin tritt die Bezeichnung Religion an die Stelle der (vorher gesetzten) Bezeichnung Weltanschauung; aber daß dies geschieht und geschehen kann, bestätigt die Nähe der Philosophie angesichts dieser Spielart des Religions-Begriffs. „Wer Religion hat, wird Poesie reden"; denn „nur derjenige kann ein Künstler sein, welcher eine eigne Religion (vorher stand: eine eigne Weltanschauung!) und eine originelle Ansicht des Unendlichen hat". Wie mehrfach hervorgehoben, war Fr. Schlegel zu dieser merklichen Hinwendung zur Religion oder richtiger zum Religiösen wahrscheinlich vor allem angeregt worden durch Schleiermacher, obwohl vielfach die Anregungen sonst wechselseitig waren und Fr. Schlegel auf manchen Gebieten weit mehr, als häufig noch angenommen, der Gebende als der Nehmende gewesen sein dürfte. Aber selbst Schleiermachers großzügige Ausdeutung der Religion scheint Fr. Schlegel noch nicht ausgereicht zu haben für seinen Ausweitungsdrang. Und seine innerliche, gern ins Mystische übergreifende religiöse Stimmung hielt nicht eigentlich die vön Schleiermacher vorgezeichnete Richtung inne, wie denn auch weiterhin Spinoza (im „Gespräch über die Poesie") nachwirkt. Aber bereits die Einleitung zum „Gespräch", in der stärker als bislang in der Kunsttheorie das Wunder der Weite für die Poesie in Anspruch genommen worden war, hatte doch zugleich die Weite des Wunders spürbar werden lassen, indem die Erde als eine einzige große Dichtung „der Gottheit" gepriesen wurde. Auch klingt dort der Name Jakob Böhme bedeutsam vor, und zwar wird achtungsvoll auf den „großen Jakob Böhme" verwiesen, von dem auch der Terminus „Zentrum" (Zentrum der Poesie als Mythologie) übernommen erscheint. Es kommt hier auf den Nachweis für den früheren Friedrich Schlegel an; denn für Schlegels Spätzeit ist der Primat der Religion ohne weiteres gegeben. Wenn man gesagt hat, der Versuch Fr. Schlegels, eine neue Weltschau durch eine neue Mythologie anzuregen, sei aufgehoben durch sein Zufluchtsuchen im Schöße der katholischen Kirche und damit bei der alten Trägerin einer einheitlichen „Weltschau", so darf daran erinnert werden, daß ζ. B. Zacharias Werner ganz unbefangen, da die griechische Mythologie nicht mehr besteht, die „christkatholische wieder aufstellen" will, zwar „nicht als Glaubenssystem . . sondern als Kunstmythologie". Er spricht, das programmatische Leitwort reichlich unbefangen übertragend,

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vom Christentum als einer „neuen romantischen Religion". Im gattungstheoretischen Bezirk erklärt er für die Leitkraft seiner eigenen Dramatik „die christlich-romantische Religion". Damit bietet er zu der religiösen Romantik schlagworthaft mehr als würdig das Gegenstück: romantische Religion. Doch bereits Novalis' „Bliltenstaub"-Aphorismen drängten mit Vorliebe ins Religiöse hinüber, das zugleich die Grundhaltung der Kunstanschauung in Tiecks Künstlerroman „Sternbald" entscheidend bestimmt ebenso fast wie in Tieck-Wackenroders „Phantasien über die Kunst". In der vertraulichen Atmosphäre eines (nicht abgesandten) Briefes Cl. Brentanos an Ε. T. A. Hoffmann (Jan. 1816) gesteht Brentano, in wenigen Worten einen weiten Bezirk des romantischen Kunstwollens umschreibend: „Seit längerer Zeit habe ich ein gewisses Grauen vor aller Poesie, die sich selbst spiegelt und nicht Gott." Zugleich wird dabei die Eingrenzung und Überwindung des Subjektivismus und Individualismus innerhalb der romantischen Kunstauffassung vom Religiösen her besonders einleuchtend dargetan. Das Bewußtsein dieser Möglichkeit hatte aber bereits frühzeitig die teils recht kecken, seltener wirklich kühnen Übersteigerungen individualistischer Willkür gleichsam tröstlich begleitet. Ja, man darf vielleicht weiter gehen und sagen: jene waghalsigen Kunstsprünge (auch innerhalb der Theorie und nicht allein in mehr oder minder „verwilderten" Romanen wie Fr. Schlegels „Lucinde" oder Brentanos „Godwi") wurden nur unternommen, und man fühlte sich zu ihrer oft merklich demonstrativen Durchführung nur ermutigt und ermächtigt, weil die tragende religiöse Grundstimmung jederzeit eine sichere Auffangsstellung verbürgte. Auch den hemmungslosen individualistischen Bekundungen fehlte nur selten das bindende und verbindliche Unterbewußtsein, daß ja doch die Phantasie als Grundkraft aller Poesie zuletzt wieder einmündete in den schöpferischen Urquell aller Dinge. Die Weite des Wunders und das Wunder der Weite, dem man selbst eine hochgradige Belastung mit Erotik, Ironie und Bizarrerie zumuten durfte, führten über Märchen und Traum, über „magischen" Idealismus und spinozistischen „Realismus", über Galvanismus, Magnetismus und Somnambulismus, über Mythos und Mystik, über Phantasie und Phantastik mit ungebrochener Und, wie man meinte oder glaubte, unzerbrechbarer Kraft immer wieder zurück und empor zum Gefühl und Bewußtsein einer alles umspannenden Einheit von Poesie und Religion.

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Die Belege ließen sich häufen. Wir sind ihnen bereits in der romantischen Literatlirphilosophie mehrfach begegnet und werden ihnen noch weiterhin begegnen. Die einleitend herausgestellten Leitkräfte einer Weite des Wunders und eines Wunders der Weite konnten als gültig für die Gesamtromantik in Anspruch genommen werden. Und wenn gelegentlich die Kunsttheorie so weit ging, daß die Poesie nicht nur der Philosophie wesentliche Werte phantasiemäßig zuspielen sollte, sondern selbst der Religion, so ist dabei nicht zu vergessen, daß das „Poetische" sich nicht in der Dichtung erschöpfte, sondern bereits von sich aus religiösen Vorstellungen unterworfen war, wie der Unendlichkeit und Ewigkeit. Trotzdem wurde diese Gefahr einer Grenzverwischung nicht übersehen, die als eine Grenzverschiebung gleichsam zuungunsten der Religion durchaus empfunden wurde. So etwa meldete Joseph von Eichendorff, auf jene Erscheinungen zurückblickend, kritische Bedenken an, die vom religiösen, nicht vom ästhetischen Wertungsstandpunkt aus erhoben wurden. Dort, wo er mehr literaturhistorisch als literaturprogrammatisch „Über die ethische und religiöse Bedeutung der romantischen Poesie" (1847) handelt, begründet er angesichts jener Tendenzen einer willkürlichen Uberformung oder gar Abschwächung des Religiösen durch das Poetische: „Denn wie poetisch auch immerhin das Christentum sei, sie (die Dichtkunst) mußte hier zuletzt auf einen übermenschlichen, positiven Inhalt stoßen, der nicht in ihr aufgehen konnte, weil er weder dem Verstände, noch der Phantasie, sondern nur dem Glauben zugänglich ist". Derartige Bedenken werden verständlich, wenn man etwa beobachtet, wie sogar auf sprachtheoretischen Sondergebieten, ζ. B. bei den Theorien über Vokale (Novalis: „Luftseele") und Konsonanten (mehr körperlich-wirklichkeitsnah) eine religiöse Deutung sich einmischt und zu mehr geistreich gemeinten als pietätvoll empfundenen Formulierungen führt wie die zwar nur briefliche von Rahel Varnhagen: „Religion ist Vokal und Geschichte Konsonant" (Apr. 1813). Und es waren nicht immer nur Grenzen des guten Geschmackes, die verletzt wurden. Eichendorff war jedenfalls nicht der Ansicht Zacharias Werners, der als „Priesterkünstler" (Hankamer) allen Ernstes glaubte, in der Poesie und durch die Poesie predigen und bekehren zu können mit Hilfe jenes Typus von Drama, den er ausdrücklich als den der „tragoedia sacra" bezeichnet und als den seinem Kunst wollen „angemessensten" hinstellte, und zwar zur Entstehungszeit des

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Märtyrerdramas „Die Mutter der Makkabäer". Vielleicht hatte er jedoch etwas von jenen Grenzen gespürt, als ihm die Vollendung des zweiten Teiles des „Kreuzes an der Ostsee" nicht gelingen wollte. Eichendorff gab Zacharias Werner an gläubiger Überzeugung gewiß nichts nach und war ihm an persönlicher Würde fraglos überlegen. Eben deshalb besaß und bekundete er ein feiner gestuftes Empfinden für gewisse Veräußerlichungsvorgänge. Von jener besonnenen Überschau Eichendorffs will auch richtig verstanden werden, wenn er im Ausklang seiner Literaturgeschichte ein Herauswachsen aus der romantischen Schule als „Schule" forderte in dem Sinne, daß ein nachgerade zum bloßen Requisit veräußerlichtes und längst „verbrauchtes mittelalterliches Rüstzeug abgelegt" werden sollte. Die Übergriffe und Fehlgriffe blinden oder modischen Eifers gelten ihm auf Grund des oben erwähnten kritischen Einwandes als „katholisierende Spielerei und mystische Überschwenglichkeit". Demgegenüber fordert er eine echte ernste, nicht poetisch ausgeschmückte „religiöse Weltansicht". Daß J. v. Eichendorff neben einer Vergeistigung der Liebe (Abrücken von der Rauschkunst) ein „inniges Verständnis der Natur" vom rechten Poeten erwartet, erinnert an seine Diesseitsfreudigkeit und an jene Leitkraft des Wunders der Weite und Ferne, eine gerade auch für sein Kunstwollen bestimmende und auf sein Kunstvermögen eingestimmte Leitkraft, die in der latenten Poetik seines Werkschaffens, seiner Lyrik und Epik so eindrucksvoll und lebensvoll hervortritt. Was von Eichendorffs gesamter Kunstleistung Dauerwert und Volkstümlichkeit erlangt hat, entsprang nicht zuletzt dem Sinn für das Wunder der Weite. Und trotz jener kritischen Einschränkungen ist ihm die Weite des Wunders nicht verleidet worden. Mitten in einer durchweg anders gearteten und gesonnenen Umwelt steht für ihn noch um die Mitte des neunzehnten Jahrhunderts die alte Überzeugung der Romantik fest, daß alle Poesie „in ihrem Kern selbst religiös ist". Und eben das, was damals vielfach als das Reaktionäre galt, glaubt er, überzeugt von dem Fortschritt der Menschheit mit Hilfe der Religion, als das in Wahrheit Revolutionäre beanspruchen zu dürfen; denn, wie er knapp zusammenfaßt „alle Revolutionen der Poesie sind durch die Religion gemacht worden" (in: Zur Geschichte der poetischen Literatur Deutschlands, 1857). Bis in das Todesjahr eines der am längsten in das neue Jahrhundert hineinlebenden Romantikers klingt so das Leitmotiv von dem schwesterlich nahen Verhältnis

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zwischen Religion und Poesie nach, abgewandelt zwar durch zurückblickende und daher kritisch überblickende Variation, aber unverändert im Motivkern. N a t i o n a l e s und K u l t u r p a t r i o t i s c h e s (Dichtung und Volk) gewinnt in der älteren Romantik im Gesamt ihrer Einstellung und Haltung noch nicht die volle Kraft der Volksbezogenheit, um die die jüngere Romantik weit inbrünstiger, aber auch weit wirksamer und erfolgreicher ringt. Dennoch soll nicht verkannt werden, daß sich bereits innerhalb der älteren Romantik streckenweise Neigungen und Bestrebungen ankündigen, die eine Empfänglichkeit für die nationale Wesensart und Eigenart bekunden und in gewissem Grade vorbereitend die Möglichkeit und die Notwendigkeit volksnahen und kulturpatriotischen Wirkens der Poesie in das Blickfeld der Kunstbetrachtung und in das Kraftfeld der Kunstgesinnung rücken. Vor allem gilt das von Ludwig Tieck und von A. W. Schlegel, teils aber auch von Wackenroder, bei dem neben der fraglos vorherrschenden religiösen Kraftquelle seines Begeistertseins doch auch die kulturpatriotische Kraftquelle manchen erwärmenden Zustrom für seine „Herzensergießungen" bringt. Man wird die Wärme dieses Zustroms sogleich empfinden, wenn man etwa vergleichend hinüberschaut auf den Briefwechsel Goethes mit dem unzulänglichen Winckelmann-Nacheiferer Heinrich Meyer. Die auf das Ideal der griechischen Antike, aber auch das Ersatzideal der römischen Antike wie gebannt eingestellte Blickrichtung übersieht zwar auch dort nicht gewisse Werte in der deutschen Kunst Nürnbergs. In dem Brief, den Meyer am 20. Oktober 1795 an Goethe schreibt, gesteht er immerhin, er habe sich in Nürnberg „über so mancherlei Gutes und Schönes verwundern müssen", ja er meint, daß noch jetzt im Genius der Nürnberger „ein dädalischer Funke" lebe und glühe, „der unter günstigen Umständen leicht wieder angefacht werden und hell leuchten könnte". Er faßt von dieser Stimmung der Durchreise den Plan, „einen neuen, sehr interessanten Artikel von der deutschen Kunst" zu schreiben, zwar nicht ohne vorbeugend hinzuzufügen, daß ein derartiger Beitrag die gemeinsame Strebensrichtung „unsrer vorhabenden Arbeit" durch seine Eigenwegigkeit dennoch „gewiß nicht entstellen" würde. Aber die Einstimmung ist nicht stark genug, um sogleich fruchtbar zu werden; auch Münchens künstlerische Kirchenschätze vermögen sie nicht festzuhalten. Und wenn es auch sachlich begründet ist, es könnte zugleich symbolisch

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sein: „denn ich muß eilen, was ich kann, um über die Alpen zu kommen". Und die „Rauhigkeit des deutschen Himmels" fehlt auch in diesem Briefe nicht. Heinrich Meyer sieht die Nürnberger Kunst, wundert sich darüber, möchte auch etwas „Interessantes" darüber schreiben; aber er erlebt alles das nicht mit dem liebend aufgeschlossenen Herzen Wackenroders und ist bei augenblicklicher Anerkennung von irgendwelchen „Herzensergießungen" weit entfernt. Goethe geht (Nov. 1795) wenigstens mit einem bemerkenswerten Satz auf jenen Hinweis ein: „Nürnberg hoff ich dereinst mit Ihnen zu sehen und glaube selbst, daß man von da und von Augsburg aus den alten deutschen K u n s t h o r i z o n t recht gut werde überschauen können". Man sollte an derartigen Stellen in Goethes Briefwechsel der damaligen Zeit nicht einfach vorübersehen, um so weniger als sich in Goethes Sammlungen etwa 250 Dürer-Blätter finden. Aber es ist doch zugleich gewiß, daß — wenn jener Wunsch sich erfüllt hätte — , Goethe und Meyer die Nürnberger Kunst bei einem derartigen Besuch doch wesentlich anders erlebt haben würden, als Wackenroder und Tieck sie erlebten oder doch als Wackenroder sie erlebt hatte auf der gemeinsam mit Tieck unternommenen Wanderung (1793). Im Kreise der Klassik entschuldigt man sich gleichsam in solchen Fällen wegen des wohlwollenden Seitenblicks auf die deutsche Kunst. Und von dieser Entschuldigung schwingt auch noch etwas mit, wenn das eigene Kunstschaffen zu Dichtgattungen greift, die irgendwie doch als „nordisch" empfunden wurden. In dem Jahr, in dem Tieck die „Herzensergießungen" herausgab, und Goethe und Schiller sich die Kunstform der Ballade voll eroberten, sendet Goethe an Heinrich Meyer „ein paar Balladen" — nicht ohne die scherzende Anspielung auf den oft beklagten „nordischen Himmel" — mit den Worten, „damit Sie doch ja auch recht nordisch empfangen werden". Es geht ihm mehr um die souveräne Eroberung einer neuen Gattung (an H. Meyer, 21. Juli 1797). Ähnlich wie beim Märchen und anderen Dichtungsarten will er sich „über Stoff und Behandlung dieser Dichtungsart selbst aufzuklären" suchen. (14. Juli 1797), eine Bemerkung, die zugleich das Verhältnis von Kunstwollen und Kunstschaffen bei Goethe ergänzend erhellen mag. Oder aber, sollte auch diese Begründung ein wenig verstanden sein als eine jener Entschuldigungen vor dem unzulänglichen Statthalter Winckelmanns, vor Heinrich Meyer ?

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Jedenfalls wird für jene Jahre beides erkennbar: eine gewisse V o r l e i s t u n g im Kreise der Goetheschen K l a s s i k einerseits, die nicht verkannt werden soll, und doch zugleich der stimmungsmäßige und gesinnnungsmäßige Abstand von der Haltung Wackenroders, dem das alles innige Herzensangelegenheit und ein mit restloser seelischer Hingabe vorgebrachtes Anliegen war. In seiner Art erlebte und kündete Wackenroder hier von deutscher Art und Kunst, wie es einst der Goethe des Sturmes und Dranges der Straßburger Herder-Zeit getan hatte. Andersartig und doch benachbart wird die nationale Wendung bei L. T i e c k spürbar. Bereits der junge Tieck erkennt, als er den Aufsatz über „ S h a k e s p e a r e s B e h a n d l u n g des Wunderb a r e n " schreibt (1793 bzw. 1796), in Shakespeare den national bestimmten Dichtertypus, den „Dichter seiner Nation", der „nicht für den Pöbel, aber für das Volk" geschaffen habe. Kurz nach Schillers Auseinandersetzung mit G. A. Bürger verfaßt, folgt Tiecks Aufsatz etwa der Idealforderung Schillers, bleibt also insofern noch dem Wertungskriterium der Klassik nahe. Denn als „echter Dichter" habe Shakespeare nicht einfach die Aufgabe darin sehen können, „sich zu den Vorstellungsarten des Volkes (vom Wunderbaren) herabzulassen", sondern zugleich darin, „diese (volkstümliche) Vorstellung . . . zu seinem eigenen Geiste hinauf" zu erheben. Bei der B e g e g n u n g des genialen D i c h t e r tums mit dem V o l k s g e s c h m a c k hat dieser Volksgeschmack eine „Veredlung und Verfeinerung des Gefühls" zu erfahren kraft der Fähigkeit des Dichters, etwa im Bereich des Wunderbaren, das nur „Abgeschmackte" auszuscheiden und das Verworrene zu läutern und zu klären. Zum mindesten geschmacksbildende und im weiteren Sinne volkserzieherische Funktionen werden also dem Dichter eingeräumt. Der Aufsatz selbst allerdings läßt die rein künstlerische Anteilnahme an Fragen der Komposition, der Vorbereitung, £inlagerungsart und Wirksammachung des Wunderbaren merklich überwiegen, so daß die einleitenden Worte von der Volksbezogenheit keine nachhaltige und überzeugende Ergänzung in den Ausführungen finden. Durch die Brechung der Klassik (Schillers Bürger-Kritik) wird dennoch mittelbar G. A. Bürger sichtbar, wie er auch bei A. W. Schlegel sich wirksam erweist. Eines der Verdienste bereits der Frühromantik liegt fraglos in der Vertiefung des historischen Sinnes und des historischen Ver-

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stehens. Das Verständnis für das deutsche Mittelalter läßt nur eine besonders bekannte Verdichtungsstelle dieses historischen Verstehens entsprechend deutlich hervortreten. Kluckhohn hat in diesem Zusammenhange vor einer Überschätzung des Einflußbereiches Wackenroders gewarnt und für die Bewertung des eigentlichen Mittelalters Novalis als den Bahnbrecher angenommen, wobei Novalis seinerseits auf Vorarbeiten Burkes und des jüngeren Herder zurückgreifen konnte. Faßt man den Begriff des Mittelalters etwas weiter, so wird man Novalis und Wackenroder gemeinsam — Wackenroder besonders nach der Erschließung der gefühlsmäßigen Einstellung hin — die Erschließung der historischen Einfühlung zusprechen müssen, wobei nach dem Wegbereiten des jungen Herder ja kaum noch von einem Bahnbrechen im strengeren Sinne gesprochen werden kann. Für das Kunstwollen wirkte sich die Verpflichtung, eine würdige Tradition zu ehren, aus als ein Gegengewichtschaffen gegenüber der subjektiven und individualistischen Willkür eines bloßen Stimmungsvirtuosentums und als ein Verstärkungsfaktor der Vorstellung vom Organisch-Ganzheitlichen. T i e c k , der im Sonderfall unmittelbarer den Anregungen Wackenroders folgen dürfte, bietet mit seinem Aufsatz über „ D i e a l t d e u t s c h e n M i n n e l i e d e r " in Form einer längeren V o r r e d e zu den „Minneliedern aus dem Schwäbischen Zeitalter" (1803) gewiß ein greifbares Beispiel für jenen Zuwachs an historischer Anteilnahme (gemessen an der Klassik Goethes), aber auch ein Beispiel für die Betrachtungsweise der Frühromantik. Es wird zwar erkannt, daß die „wahre Geschichte der Poesie die Geschichte eines Geistes" sei, noch nicht jedoch die des Volksgeistes, obgleich bereits Herder den Zugang zu solcher Erkenntnis geöffnet haben sollte. Es wird erkannt, daß man mit den Bemühungen, Verständnis für die „altdeutschen" Gedichte zu erwecken, auf Vorarbeiten fußt, wie sie Opitz, Gottsched, Bodmer, Lessing und Myller geleistet hätten. Nicht jedoch wird der junge Herder in diesem Zusammenhange genannt, der trotz einiger zeitbedingter Hemmungen die entscheidende Wendung wesentlich hätte erleichtern können, jene Wendung, die dann doch erst — Herders Geist näher — die jüngere Romantik vollzog. Frühformen deutscher Kunstdichtung werden eben doch als Kunstdichtung gesehen und gewürdigt, wobei der verschwommene Wortsinn des Merkwortes „Künstlichkeit", das uns aus früheren

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Epochen der Geschichte der Poetik vertraut ist und nun (auch jenseits Tiecks) eine nur wenig abgewandelte Neubelebung erfuhr, eine wirkliche Klärung weiterhin behindert. Immerhin liegt für die ältere Romantik ein Fortschritt darin, wenn auch für das damalige Kunstwollen die Lehre gezogen wird aus einer älteren Zeit, „in welcher Natürlichkeit und Künstlichkeit sich gleich unbefangen und reizend zeigten". Es liegt auch ein gewisser durch Novalis (bzw. Schleiermacher) erleichterter Fortschritt — zum mindesten gegenüber den ersten Programmthesen der Romantik — darin, daß Tieck das stark stimmungstragende Leitwort „Gemüt", das für die Romantiker mehr ist als ein bloßer kunsttheoretischer Begriff, eifrig aufnimmt und häufig zur Geltung bringt, ob nun in der Fassung „Freiheit des Gemüts" oder in der Novalis ähnlichen grundsätzlichen Gleichsetzung von „Gemüt" und „Poesie" schlechtweg; denn die Poesie „ist nichts weiter als das menschliche Gemüt selbst in allen seinen Tiefen" (vgl. Novalis-Abschnitt). So kommt Tieck auf den durch Novalis bereits beschrittenen und durch Schleiermachers Gewöhnung an den neuen Wortsinn „Gemüt" allgemeiner zugänglich gemachten Wegen zu der entsprechenden Folgerung „Je mehr der Mensch von seinem Gemüte weiß, je mehr weiß er von der Poesie". Ob in diesem Falle bei Tieck noch etwas von der älteren, weiteren Wortbedeutung „Gemüt" mitschwingt, bleibe dahingestellt. Wesentlicher bleibt, daß das Erlebnis der „altdeutschen" Gedichte Tieck noch nicht zum Erfragen eines deutschen Gemüts als Merkmal des Nationalcharakters drängt. Es geht ihm mehr darum, für das Richtungs- und Wertungswort „romantisch" gleichsam eine altehrwürdige Tradition zu schaffen, indem er für das zwölfte und dreizehnte Jahrhundert „die Blüte der romantischen Poesie in Europa" ansetzt und indem er jene Epoche der Verschmelzung von „Liebe, Religion, Rittertum und Zauberei" ebenso als „die eigentliche Blütenzeit (sol) der romantischen Poesie" umschreibt. Mit dieser rückwärtigen Bezeichnungsübertragung erreicht die Anerkennung des Mittelalters nicht nur terminologisch, sondern auch symbolisch einen besonders hohen Grad. Aber es wird dabei nicht irgendwie ein spezifisch deutsches Kunst wollen von jenen Frühformen, die sich ja keineswegs auf die Minnelieder beschränken, abgelesen. Unmittelbar nach dem vom Sturm und Drang her bereits hinlänglich vertrauten und dort weit hoffnungsvoller Und liebevoller ausgesandten Blick „nach dem

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Norden und seiner Mythologie" taucht wiederum der „liebliche Geist des Orients" auf und „vom Norden sowie Morgen her kamen Sagen, die sich mit den einheimischen vermischten". Das Gemeinschaftliche in der Haltung wird nicht an das Volksmäßige gebunden, sondern übernational gesehen in einem europäischen Rittertum und Christentum der Kreuzzüge. Und nur in diesem Sinne bestand eine Gesinnungsgemeinschaft als Grundlage zu jenen dichterischen Gebilden, nur in diesem Sinne vereinigten „alte Tradition, Liebe und Religion die verschiedensten Gemüter zu einem Interesse", wobei übrigens „Gemüt" nach der älteren Sonderfassung von Charakter tendiert. So kommt es, daß Schiller im Grunde Tieck eine wärmere Welle nationalen Empfindens zuträgt, als es die Minnelieder vermochten. In seiner „ W a l l e n s t e i n " - K r i t i k (1823), die indessen zeitlich dem nationalen Zuwachs in der jüngeren Romantik und den Freiheitskriegen folgt, begrüßt Tieck Schillers Drama nicht zum wenigsten deshalb, weil „Nationalgefühl, einheimische Gesinnung und großer Sinn" uns daraus entgegenstrahlen. Und indem er Schiller als den „Dichter der Nation" anerkennt, drängt sich ihm die Frage auf, wodurch denn Schiller zum Liebling der Nation geworden sei. Die Beantwortung dieser Frage nähert sich dem Versuch — und eben deshalb ist diese Rezension in diesem Zusammenhange der Erwähnung wert — , so etwas wie einen national bestimmten Kunstgeschmack wenn auch nur flüchtig zu umreißen. Und zwar glaubt der ältere Tieck, jene verstärkte Hinwendung des deutschen Publikums zu Schiller beweise, „daß eben unser Volk in der Poesie einen gewissen Ernst, eine Erhebung und Belehrung sucht, eine Wiederkehr großer Gedanken und feierlicher Situationen". Der Zugang des Volkes zu Goethe erweise sich als wesentlich schwieriger. Bei alledem ist die späte Zeit zu berücksichtigen, in der diese Gedanken geäußert wurden. Zwei Jahre später erscheinen Schriften von Immermann und Platen Uber nationale Dramatik. Vier Jahre später kommt Chr. Dietrich Grabbes Abhandlung „Über die Shakespearomanie" (1827) heraus, die viel nachdrücklicher und eindringlicher das nahe innere Verhältnis des deutschen Volkes zu seinem Schiller herausarbeitete, und zwar unter Zurückdrängung des Shakespearekultus, während Tiecks „Wallenstein"-Rezension noch die anerkannte Autorität Shakespeares in manchen Einzelheiten gegen Schiller ausspielte. Der Nachdruck, mit dem die Ranghöhe des vaterländischen Dramas herausgestellt wird: „Die histo-

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rische Tragödie kann keinen edlem und poetischeren Anhalt finden als das eigene Vaterland" ist gewiß bemerkenswert, bedeutet aber kaum mehr als ein Aufnehmen früherer Lehren A. W. Schlegels u. a. Nicht zum wenigsten auf dem Gebiet dramentheoretischer Erörterungen heimisch und hier manchem Romantiker voraus, hat A. W. Schlegel mehrfach dringliche Anregungen zur Förderung eines nationalhistorischen Dramas gegeben. Bei Sulzer, bei Bodmer, im weiteren Umkreis bei Lessing fanden sich wie beim späteren Möser ähnliche Bestrebungen schon in der Aufklärung, von den weit kraftvolleren Bestrebungen im deutschen Sturm und Drang ganz zu schweigen. Ein wenig verblaßt (und bildungshaft verdünnt nur) wird das in der Frühromantik unentschlossen aufgenommen. Die warme innere Anteilnahme Schillers in dessen Rede über die Schaubühne von 1784, die rein theoretisch manches noch der Aufklärung erkenntnismäßig dankt, aber alles geniezeitgemäß durchglüht, ist nicht in entsprechendem Grade wirksam in den Äußerungen der Frühromantiker. Es handelt sich für sie mehr um eine ihrer zahlreichen, gleichsam auf Probe angenommenen Erkenntnisse und Möglichkeiten, hinter der keine geschlossene und vollends keine entschlossene Gesinnung haltgebend steht. Man ist zum Austausch solcher Erkenntnisse und „Prägungen" gegen andere leicht bereit. Es geht merklich nicht um Herzenssachen wie im Sturm und Drang. So ist es bei A.W.Schlegel teils die Verlegenheit um eine „neue" Mythologie, die dazu beiträgt, ihn auf den gewiß nicht neuen Gedanken zu bringen, ob sich nicht vielleicht aus historischen Wuchsformen eine „deutsche Mythologie" gewinnen ließe, wie denn auch sogleich neben der „deutschen Mythologie" das abschwächende „oder überhaupt eine romantische" Mythologie dieses schweifende Suchen, das keine innere Nötigung war, hinreichend zur Geltung bringt. Immerhin bleibt festzuhalten, daß A. W. Schlegel frühzeitig diesen an sich älteren Gedanken aufgriff, während Friedrich Schlegel erst in den Ergänzungen der späten Fassung seines „Gesprächs über die Poesie", etwa gleichzeitig mit jener späten „Wallenstein"-Rezension Tiecks in diesem Betracht den Blick vom Orient zum heimatlichen Norden lenkte. Ein wenig spielt auch der historische Sinn A. W. Schlegels mit, über den er in höherem Grade als Friedrich Schlegel verfügt haben dürfte (Abschnitt: Mythologie und Symbolik). Ein eignes Erobern solcher Teilerkenntnisse, wie etwa auch das Anerkennen der Volksbücher, ist indessen A. W. Schlegel kaum

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zuzuschreiben. Und der Vorsprang Herders im Bewußtmachen der nationalen Bindungen, aber auch der Vorsprung G. A. Bürgers im Bewußtmachen und Werthalten des Volkstümlichen und „Volksmäßigen" konnte von der Frühromantik vorerst bei weitem nicht eingeholt werden, mochte auch A. W. Schlegels Aufsatz über Bürgers Werke (1800) ungleich gerechter bleiben als die vom Standort klassischen Kunstwollens erfolgte Bürger-Rezension Schillers von 1791. Dennoch sind bei A. W. Schlegel eine Reihe von Einzelvorstößen zu verzeichnen, etwa in der — auf ihre sprachgeschichtliche Verläßlichkeit hier nicht nachzuprüfenden, sondern vom Kunstwollen her zu verstehenden — Auslegung des Wortes „theotisce" als „zu dem Volke gehörig", in der mahnenden Einschränkung des literarischen Bildungsstolzes: „Die höheren gebildeten Stände unserer Nation haben keine Literatur, das Volk aber, der gemeine Mann hat sie", in der grundsätzlichen Fragestellung (Goethe gegenüber), ob denn nicht eine neue Symbolik aus dem Politisch-Historischen über die abgebrauchte antike Mythologie hinausführen könne und solle: „Was verspricht also eine mächtigere Wirkung als das Andenken großer, wirklich geschehener Taten, politische Würde, patriotische Gesinnungen?" Vollends die nationale Bedrängnis von 1805/06 rief kulturpatriotische Abwehrkräfte wach, die ein nationalpädagogisches Bewirken durch die Dichtung geradezu als Lebensnotwendigkeit fordern. A. W. Schlegel wird sich damals klar darüber: „Wir bedürfen also einer durchaus nicht träumerischen, sondern wachen, unmittelbaren, energischen und besonders einer patriotischen Poesie". Tatfreudige Elemente werden zur Geltung gebracht. Der bekannte Brief A. W. Schlegels an Fouqui, der — vor der Niederlage von 1806 geschrieben — in der Haltung an den bekannten Brief H. v. Kleists an Rühle erinnert, spricht es mit voller Bewußtheit aus. Allerdings fällt das Stützungsuchen eines „wirklich national" sein sollenden historischen Dramas und das Verankern seiner Wirkung in den breiten tragenden Volksschichten immer noch einigermaßen schwer. Dieser Teil des Publikums begegnet denn doch wieder als der bloße „große Haufen". Und es kommt zu einem Kompromiß zwischen der Bürgerschen „Popularität" und dem Schillerschen Willen zur erhebenden Volkserziehung, denn sowohl „den Gebildeten zu genügen" als auch „den großen Haufen anzulocken" müsse das Wirkungsziel sein. Nicht allein die Stoffwahl und die Haltung, auch die Art der Gestaltung muß geeignet

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sein, volkserzieherisch einzuwirken. Und so kann sich durch den teils verworrenen Wust frühromantischer Anforderungen an den „echten" Dichter die alles zusammenballende Kernforderung der Zeit durchsetzen, daß der Dichter „Erzieher des Volkes sein" solle. Damit wird jedoch unter dem Druck der Zeit die Kunstdeutung der Frühromantik im engeren und strengeren Sinne bereits durchstoßen. Wohl noch tiefer greifend wirkt die Anregung einer „würdigen" Ausbildung des deutschen Charakters bei den „ernsten höheren Gattungen". A. W. Schlegel nähert sich dabei unverkennbar dem Ideal der Volkswürdigkeit, nicht ohne die ältere Einsicht, die schon der Aufklärungspoetik vertraut gewesen war, daß sich Merkmale des Nationalcharakters im Kunstwerk auszuprägen vermögen. Diesen nichts weniger als neuen, aber doch damals neu erlebten Gedanken hat dann Tieck weiter ausgebaut, wie andererseits Tieck und Wackenroder die nationalen Grundströmungen durch die Frühromantik hindurchgerettet hatten. Und wenn Friedrich Schlegel im „Gespräch über die Poesie" neben den Menschheitsbezügen, von denen sein Subjektivismus und Individualismus ausgeht, wenigstens gelegentlich der Schlußzusammenfassung des in großen Linien gedachten historischen Eingangsteils den Ausblick sich eröffnen läßt: „Es fehlt nichts, als daß die Deutschen diese Mittel ferner brauchten . . . und daß sie auf die Quellen ihrer eignen Sprache und Dichtung zurückgehn und die alte Kraft, den hohen Geist wieder freimachen, der noch in den Urkunden der vaterländischen Vorzeit vom Liede der Nibelungen bis zum Fleming und Weckherlin bis jetzt verkannt schlummert : so wird die Poesie, die bei keiner modernen Nation so ursprünglich ausgearbeitet und vortrefflich erst eine Sage der Helden, dann ein Spiel der Ritter und endlich ein Handwerk der Bürger w a r . . . eine tüchtige Kunst erfindsamer Dichter sein und bleiben", wenn Fr. Schlegel diesen Anlauf nimmt, aus dem bloßen Individualismus und Universalismus seiner frühromantischen Programmatik herauszukommen, so dürfte die Begegnung mitTieck nicht ohne ermutigenden Einfluß auf diesen Anlauf gewesen sein. Zugleich taucht die Welt Wackenroders auf, wenn sich aus den Berichten über die bildende Kunst in Paris, von der etwa gleichzeitig auch Heinrich von Kleists Privatbriefe manches (wenig Günstige) zu melden wissen, die Würdigung der „altdeutschen" Malerei und die Würdigung Dürers als nationalbezogen deutlich hervorhebt. Irl entsprechender Linie liegt seine Bemühung um die „Grundzüge 19 Marltwmrdt, Poetik III

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der gotischen Baukunst". Aber es ist doch charakteristisch: ähnlich wie erst späte Zusätze zum „Gespräch über die Poesie" die nordische Mythologie ins Auge faßten, so auch werden diese Würdigungen erst in denselben zwanziger Jahren des neunzehnten Jahrhunderts wirklich ernstlicher ausgebaut. Es darf nicht vergessen werden, daß Friedrich Schlegel gleichsam amtlich für die nationale Erhebung von 1809 als politischer Schriftsteller tätig wurde. Aber es leuchtet ohne weiteres ein, daß diese Haltung nicht für das gesinnungsmäßige Kunstwollen der Frühromantik in Anspruch genommen werden kann. Damals hatte die jüngere Romantik das Wort ergriffen, ganz abgesehen vom gewichtigen Wort des Zeitgeschehens selbst. Und wenn man sich jene gern zitierte Wendung — und gern verkürzt zitierte Wendung — aus dem „Gespräch über die Poesie", wo ein Zurückgehen auf die alten nationalen „Quellen" angeraten wird, einmal etwas näher anschaut, so ist doch eben in diese Stelle ein deutlicher Hinweis auf das Vorbild Goethes und seines Vorgehens, die verschiedenen Kunstformen nicht nur auf den Ursprung hin zu verfolgen und sie dergestalt neu zu „beleben", sondern auch sie zu „verbinden", ausdrücklich eingeflochten, bevor der Blick auf die „vaterländische Vorzeit" zurückschweift. Wie dieser Einschub gemeint ist, unterliegt keinem Zweifel. Denn unmittelbar vorher hat das „Gespräch" durchaus als positiv den Vorzug Goethes herausgestellt: „Goethes Universalität gab einen milden Widerschein von der Poesie fast aller Nationen und Zeitalter". Es ergibt sich also, daß selbst bei jener markanten Wendung auf den Kulturpatriotismus zu dennoch der Universalismus und das Ubernationale keineswegs übergangen, sondern durchaus zeitgemäß einbezogen werden. Daher schien es ratsam, hier nur von einem Anlauf zu sprechen. Dagegen mag der Hinweis auf das Nibelungenlied in jenem Zusammenhange des „Gesprächs" Fr. Schlegels ergänzt werden durch das kunstkritische Ernstnehmen und ästhetische Vollwertignehmen des Nibelungenliedes selbst in abstufender Vergleichung mit der „Ilias" Homers, wie es sich bei A. W. Schlegel findet, und zwar noch im Entfaltungsraum der Frühromantik. (Vorlesungen über die romantische Poesie, 1803/04). Und es ist schon von der Sonderforschung mit Recht hervorgehoben worden, daß von A. W. Schlegel im Beibehalten der Vorstellung von der organischen Einheit des mittelalterlichen Weltbildes dennoch — etwa gegenüber Novalis' mehr religiös gestimmter und bestimmter

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Sehweise — klarer und bewußter die deutsche Haltung eines christlichen Rittertums herausgestellt wird. Diese Verlagerung des Akzentes bedarf gerade im Raum der Frühromantik einer gewissen Anstrengung; und sie fordert auch eine entsprechende Beachtung als Vorbereitungsform für die Kunstanschauung der jüngeren Romantik. Erinnert man sich jedoch daran, wie systematisch und wie nachdrücklich die Poetik des deutschen Barock, in der gar nicht so unähnlich der Frühromantik ebenfalls die christlich-ethische Leitidee mit der nationalen, kulturpatriotischen Leitidee in ständigem Wettbewerb stand, ihre literarhistorischen, wenn auch recht verworrenen Rückblicke auf frühere Entwicklungswerte der deutschen Dichtung auszunutzen und teils auch ein wenig betont auszuschlachten verstanden hatte für eine Kräftigung der nationalen Bewußtwerdung, so wirken daneben jene Anläufe der Frühromantik doch im ganzen verhältnismäßig zaghafter und unentschlossener. Jenes ein wenig naive kulturpatriotische Selbstgefühl barg mehr ungebrochene Kraft in sich, als sie die Frühromantik aufzubringen vermochte. Der Vergleich mit dem Sturm und Drang würde natürlich in diesem Betracht notwendig noch weit ungünstiger für die Frühromantik ausfallen. Aber dieser Vergleich wäre ungerecht und unhistorisch. Denn die Frühromantik hatte vorerst die im Kunstwollen der Klassik verlorenen oder doch stark vernachlässigten Positionen überhaupt einmal wieder Schritt für Schritt zurückzugewinnen. Das leuchtende Vorbild im klassischen Kunstschaffen war viel zu stark, als daß man sogleich ungeblendet in das künstlerische Halbdunkel des Sturmes und Dranges hätte zurückschauen mögen, um dort die Tiefen nationaler Verwurzelung unbefangen erkennen zu können. Und in der leichten Beimischung und auch der stärkeren Beimischung von „romantischer" Ironie, wie sie etwa Tieck bei seinen tapfer geplanten, aber kaum tapfer durchgeführten Rückzügen in das Volksbuchmäßige und Märchenmäßige nicht entbehren zu können glaubte, schwingt noch etwas nach von jener erwähnten Entschuldigungsgeste „scherzender", spielerischer Art, wie sie sich fast zwangsläufig im Kunstwollen der Klassik einstellte, wenn man dort einmal wohlwollend auf diese Dinge einzugehen sich geneigt zeigte. Das Verhältnis von L i t e r a t u r p h i l o s o p h i e und Sprachphilosophie bzw. von Poesie und Sprache ist nun schon ιβ·

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deutlicher überblickbar, so daß einige knapp zusammenfassende Hinweise versucht werden können. Weit überwiegend setzt und sieht die Romantik, besonders die ältere Romantik, die Sprache nicht isoliert, sondern im innigen Zusammenhange mit der Poesie. Ihre Sprachphilosophie läßt sich also nicht ohne Beeinträchtigung des rechten Verstehens loslösen von ihrer Literaturphilosophie. Aber auch umgekehrt wird die romantische Literaturphilosophie erst voll verständlich vor dem Hintergrunde der romantischen Sprachauffassung. Dabei heben sich die frühromantischen Ansichten und Einsichten nicht unwesentlich ab von denen der jüngeren Romantik. Das ergibt sich schon dadurch, daß die Sprachphilosophie der älteren Romantik weit überwiegend phantasiemäßig-konstruktiv (bis phantastisch-intuitiv) vorgeht, während die Sprachauffassung der jüngeren Romantik festeren Halt an der Sprachgeschichte sucht und findet. Der Frühromantik schwebte keine wirkliche Einzelsprache, etwa als historisch gewachsene Nationalsprache vor Augen, wenn sie mehr oder minder widerspruchsvoll über Werden, Wesen und Sinn der Sprache theoretisiert und philosophiert, sondern die Sprache als Abstraktum, die Sprache schlechtweg, die „Sprache der Sprache". Ganz ähnlich wie ihr nicht die Einzeldichtung den Ansatz und Antrieb für ihre Literaturphilosophie bot, sondern das Poetische schlechthin, die „Poesie der Poesie". Wie beides zusammengeschaut wird, konnte schon angedeutet werden. Nicht allein im Verbände mit der romantischen Ironie, die jede Einzelgeltung des Dichterischen immer wieder aufhob um des übergeordneten „Poetischen" willen, auch im Verbände mit der romantischen Sprachtheorie erhielt die scheinbar nur spielerische und wortspielerische Aufgipfelung einer „Poesie der Poesie" ihren tieferen Sinn und ihre ideeliche Berechtigung. Denn, um es noch einmal hervorzuheben, weil die Sprache als Sprache schon Poesie, und zwar wesenhaft und uranfänglich darstellte, mußte die Dichtkunst schon als Wortkunst zu einer Poesie der (Sprach-) Poesie werden. Die Frage, warum und inwiefern die uranfängliche Sprache Poesie darstelle, scheint zunächst einmal auf den jungen Herder und seine Sprachauffassung (i. d. „Fragmenten", d. „Kritischen Wäldern" usw., also vor der „Preisschrift") zurückzuverweisen. Auch Herders Wort etwa von der „Musik der Seele" konnte gerade für die Sprachauffassung der Frühromantik fruchtbar werden.

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Seine Prägung auch von der „Melodie der Vorstellungen", durch welche die Poesie zu einer Musik der Seele wird, könnte ζ. B. bei Wackenroder stehen. Und es möchte mir fast so scheinen, als ob jene Ansätze des jungen Herder vor der Preisschrift „Über den Ursprung der Sprache" (1772), daß jene frühen Ansätze zum vertieften Erfassen des Wesens der Dichtersprache, die — wie teils schon G. Vico — stärker das Irrationale auswerten als die streckenweise in eine rationale Verständlichmachung einbiegende Preisschrift, unmittelbar oder mittelbar am Zustandekommen der romantischen Vorstellungen beteiligt gewesen seien. Diese Möglichkeit zum mindesten zur Erwägung zu stellen, liegt Anlaß vor, weil an sich gewiß mit Recht neben Franz Hemsterhuis' „Lettre sur l'homme et ses rapports" (1772), der von Herder übersetzt und genutzt worden war, weit eher noch Hamann herangezogen zu werden pflegt. Bei diesem Hinweis wird nicht übersehen, daß Herders Auffassung vor allem auf die jüngere Romantik anregend gewirkt hat. Eher könnte der Einwand stichhaltig sein, daß jene frühen Anläufe Herders auf Hamann (und letztlich wohl schon auf G. Vico) zurückzuführen seien. Aber das trifft doch nur teilweise zu. Und gerade das Ausschauhalten nach einer eigenen Wegerkundung liegt in der Blickrichtung der Frühromantik. Vor allem ist neben seiner Auffassung der Dichtersprache als einer Musik der Seele und Melodie der Vorstellungen die Einstufung der Poesie als Phantasie-Kunst, und zwar als geistige Phantasiekunst in den „Kritischen Wäldern" hervorzuheben. Wenn man nämlich alle die teils recht anspruchsvoll formulierten, teils geheimnisvoll verdeckten, teils philosophisch verbrämten Äußerungen der Romantiker auf die schlichte Frage zurückführt, was denn nun im letzten Grunde und Untergrunde die Sprache zur Poesie macht, dann lautet die Antwort: die Phantasie, und zwar eine betont geistige Phantasie. Die Begegnung der Grundgedanken ist nicht einmal überraschend. Der junge Herder steht damals gegen Lessing und gegen die rationalistische Zeichenlehre, so wie die Romantik gegen die Aufklärung. Die der Musik nahe Frühsprache nannte er die „poetische Sprache" (Fragmente) oder auch „natürliche Poesie" (Kritische Wälder). Nur daß er die Musik aus dieser poetischen Frühsprache hervorgehen läßt, während die Romantiker eher dazu neigen, die poetische Sprache aus der Musik hervorgehen zu lassen, weil sie die Tradition der Orphik noch ernst nehmen. Aber Herders Uberzeugung, daß im sprachlichen Urzustände „Poesie und Musik

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auch unzertrennliche Schwestern" waren, wobei im Vergleichsbilde jenes Mutter-Kind-Verhältnis von Sprache und Musik ja bereits wieder aufgehoben erscheint, entspricht wiederum der Sprachauffassung der Frühromantik. Wesentlicher bleibt indessen jene Vorstellung einer Musik der Seele und einer Melodie der Vorstellungen; denn wenn dies auch vorerst für die Poesie in Anspruch genommen wird, so sieht sich doch Herder dahin gedrängt durch die Abwehr einer bloßen Sukzession von konventionellen, artikulierten Zeichen (Lessings „Laokoon). Herder ist den Ausbau dieser Ansätze schuldig geblieben. Die Frühromantik vollzieht diesen Ausbau, gleichgültig, ob sie dabei Herders andeutungsweise Grundlegung genutzt hat oder nicht. Im größeren Zusammenhange jedoch wird die Vorarbeit als Vorarbeit unverkennbar. Das gilt nicht allein für die Sprachphilosophie, sondern auch für die Literaturphilosophie und das Verhältnis beider zueinander. Es wurde schon eingangs berührt, daß dagegen der Herder der Preisschrift „Über den Ursprung der Sprache" der Frühromantik zu rationalistisch beengt und bestimmt erscheinen mußte. In gewisser Weise ebenso wie zwei Jahrzehnte später der Fichte des Aufsatzes „Von der Sprachfähigkeit und dem Ursprung der Sprache" (1795). Nicht allein die zeitlich parallel liegenden „Briefe über Poesie, Silbenmaß und Sprache" (1795) A. W. Schlegels lassen das klar erkennen. Dabei ist zu berücksichtigen, daß A. W. Schlegel einer „vernunftgemäßen" Deutung weit näher zu bleiben pflegte als die Mehrzahl der Romantiker, deren oft mehr blendendes als erleuchtendes Aphorismen-Feuerwerk manches kurz Aufblitzende nur allzu schnell in das Halbdunkel phantasiemäßiger Andeutungen und Ahnungen zurücksinken läßt. Neben A. W. Schlegel hat sich vor allem A. F. Bernhardi, der Fichte zu nutzen versucht, einläßlicher und systematischer mit Problemen der Sprache befaßt. Aber charakteristischer für das Verhältnis von Literaturphilosoohic und Sprachphilosophie bleiben vielleicht doch jene spontanen Einfälle und improvisierten Einformungen, die der Phantasie als dem für die Romantik letzten Wesensgrund aller Poesie und Sprachpoesie und Poesiesprache eben wiederum mit Phantasie beizukommen suchten. Charakteristischer auch war es, daß die Sprache als Wunderwerk des menschlichen Geistes und der göttlichen Sehnsucht ebenfalls willig der Weite des Wunders und dem Wunder der Weite sich unterordnet. Diese Seite der romantischen Sprachdeutung konnte schon einleitend kurz gewürdigt

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werden. Es sind das Leitkräfte, die, wenngleich im einzelnen verschiedenartig verteilt, sowohl die sprachphilosophischen Vorstellungen der älteren als auch (abgeschwächter) der jüngeren Romantik und recht eigentlich verstärkt der Spätromantik gemeinsam und eigentümlich sind. Der Weg von hier aus zu einer Sprachmystik und Sprachmythologie ist nicht weit und mehrfach beschritten worden, so späterhin von Graf Otto v. Loeben, vor allem aber von Franz v. Baader, der Jakob Böhme zur vollen Geltung verhilft. Das Wort wird zum mystischen Ruf, das Bild zum religiösen Gleichnis. Die Stellung zum B i l d h a f t e n in der Sprachauffassung ist für das Verhältnis zur kunsttheoretischen Auffassung bemerkenswert. Die Vorstellung vom Bildlichen in der Sprache geht für die frühe Romantik, der im Gesamt das Musikalische höhersteht (zum mindesten innerhalb der Sprache), mehr auf das Malerische, für die jüngere Romantik teils, bildkräftiger umrissen, ins Zeichnerische oder doch Zeichnerisch-Malerische. Das hängt wiederum damit zusammen, daß zunächst einmal das Bildliche der Frühromantik in einem höheren Grade dem Sinnbildlichen zugewandt ist und, ob nun „Allegorie" benannt oder bereits als Symbolwert erkannt, merklich vergeistigte Züge trägt. Die Bildlichkeit der frühen Romantik rückt die Schau von der bloßen Anschauung fort und ist demgemäß gegenstandsferner; die Vorstellung des Bildmäßigen in der jüngeren Romantik ist wesentlich dingnäher, wirklichkeitsfroher, teils schon idealrealistisch. Die Vergeistigung der Frühromantik geht z.T. so weit, daß sie im Methaphorischen geradezu eine „Befreiung vom Ding" (Fr. Schlegel) sieht und sucht. Sie drängt zum Urbildlichen, während die jüngere Romantik, ohne in die alte Naturnachahmungstheorie zu verfallen, doch sich bescheidener am Naturbild erfrischt und erfreut. Das erscheint nur folgerichtig angesichts des Umstandes, daß zwar sowohl die ältere als die jüngere Romantik Sprache vorzugsweise als schöpferischen Vorgang in enger Verknüpfung mit dem Schöpferisch-Poetischen (Poesiesprache und Sprachpoesie) begreifen, die ältere Romantik jedoch stärker im Sinne einer Individualpoesie, die vom Individualgeist beseelt wird, die jüngere Romantik dagegen vorzugsweise im Vorstellungsverbande eines schöpferischen „Volksgeistes". Herders Gedankengut begegnet, teils vertieft, auch in der Sprachphilosophie der älteren Romantik, aber in der jüngeren Romantik tritt es greifbarer zutage und wird auch mit einem

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anderen Ausschnitt des Herderschen Gesamtbeitrages sichtbar. Umgekehrtes gilt etwa von Hamanns Sprachtheorie, die überwiegend der Frühromantik zugeordnet erscheint, während die Sprachmystik Jakob Böhmes (an sich der Frühromantik zugänglicher als der jüngeren) im spätromantischen Bezirk Baaders kulminiert. Die Einschläge von Sprachmystik und Sprachmagie der Frühromantik, untermischt mit der vorherrschenden Einflußströmung Hemsterhuis', hebt sich verhältnismäßig klar ab von der Vorstellung der Sprache als Organismus in der jüngeren Romantik (J.Grimm, Savigny). Schellings Naturphilosophie erfährt dabei eine sich dann im neunzehnten Jahrhundert weiter verstärkende Abwandlung ins zum mindesten halbwegs Naturwissenschaftliche. Der Organismusgedanke wird jetzt wörtlicher, enger genommen und fester umrissen und ζ. B. auf den Wuchsgrund der Landschaft (J. Görres) oder auf das Volksgeist-Gemäße bezogen und dergestalt mehr dem noch Reingeistigen entzogen. Poesie als die „geistige Kunst des Schönen" (Herders Krit. Wälder) ist der Frühromantik durchaus vertraut. Und der Primat des Geistigen ist für ihre Sprachauffassung unverkennbar, die man sich leicht ein wenig zu sinnenhaft gebunden vorstellt, weil sich ihre Umschreibungen vom Wesen der Sprache mancherlei bildhafter und auch wohl bildernder Analogien und sinnlicher Anknüpfungen an das Anschaubare bedienen. Anders als in der jüngeren Romantik ist das schöpferische Spiel der Phantasie ein vorwiegend geistiges, ja teils abstraktes Spiel. Es gilt (und das greift ins Wortkunsttheoretische über), die sinnliche Bezogenheit der Wörter immer wieder vergeistigend aufzulösen und so zu überwinden, um der reinen Sprache an sich hinter und über allen Sprachformen und Sprachnormen als „Sprache der Sprache" habhaft zu werden. Der übermächtige Eindruck der Philosophie, obgleich durch das hohe Selbstbewußtsein des „Poetischen" gemildert, drängt damals auch die Literaturphilosophie zu einem Sprachideal, das nicht selten mehr einem philosophischen als einem dichterischen Sprachtypus zustrebt. Und letztlich besitzt nur die Religion Kraft genug, um dieser Vorstellung einer, wenngleich poetisch „begeisterten" Philosophensprache als vermeintlicher geistig vertiefter Dichtersprache nachhaltig entgegenzuwirken. Die Region des Geistes und die Region der Geister spielen andererseits ineinander über und verbinden so das abstrahierendvergeistigende Prinzip der romantischen Sprachauffassung mit

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dem mythologisierend-mystischen Prinzip. Wie sich die scheinbaren Extreme Mathematik und Musik berühren müssen, damit sich der Zauberkreis um die Sprache schließt, so auch müssen sich die Welten des Bewußten und Unbewußten berühren, um aus dem Gegebenen der Sprache das Aufgegebene des Geistigen immer von neuem zu erlösen. Das für die ältere Romantik Bestechende des Abstrakten und selbst des Zahlenhaften lag nicht zuletzt darin begründet, daß hier gleichsam ein „aus dem Nichts erschaffenes Reales" den Triumph der reinen Geistesphantasie versinnbildlichte (transzendentale Deutung), während gleichzeitig diese „Realität" im philosophischen Sinne eine „wunderbare Verwandtschaft mit Dingen einer anderen Welt" (transzendente Hindeutung) aufzuweisen schien. Novalis ist es, der diese andre Welt eine „poetische, mathematische und abstrakte Welt" nennt, HardenbergNovalis blieb dabei, ganz abgesehen von seiner eigenen Beschäftigung mit Physik und Mathematik, wohl nicht unbeeindruckt vom mathematischen Einschlag bei Hemsterhuis. Aber das schließt die Hindeutung auf das Transzendente nicht aus, sondern in sich ein. Denn indem sich mit der Zahl und der mathematischen Formel die Vorstellung einer magischen Zahl und einer Art und Spiel-Art von Zauberformel verband, barg und verbarg (aber offenbarte auch) jene andere Welt das Transzendente. Zunächst zwar mit Bezug auf die Doppelgesichtigkeit der Musik hatte sich bereits Wackenroder das „trockene wissenschaftliche Zahlensystem" zu „seltsamen wunderkräftigen Beschwörungsformeln" verwandelt. Und der Graf Loeben spricht später im Zusammenhange mit dieser Vergeistigungstendenz von einer Verwandlung der Wörter in „magische Kräfte oder Zauberformeln", die eine andere „unsichtbare Welt" aufschließen helfen. Verhältnismäßig eng knüpft weiterhin J. W. Ritter zum mindesten stellenweise an Hardenberg-Novalis an (i. d. Fragment eines jungen Physikers), der indessen selber (wie 0. Walzel erneut hervorhebt) den magischen Idealismus nicht als Endstufe empfunden hat, so stark immer ein Verschmelzungsversuch von Hermsterhuis mit Fichte ihn zeitweise beschäftigte. Wie die „Chiffer" neben die Hieroglyphe tritt, so teils auch die „Arabeske", jedoch auf ein wenngleich verspielt-phantastisches künstlerisches Gesamtgebilde bezogen. Und etwas vom Kunstwollen des Rokoko scheint entsprechend modifiziert aufgegriffen zu werden, wenn, sowohl von Goethe (Aufsatz: Von Arabesken,

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1788/9) als auch von Fr. Schlegel (Gespräch üb. d. Poesie, 1800) das Zierlich-Gefällige, Scherzhaft-Spielerische als Formkriterium wie auch der Kunstwert zweiten Ranges (s. d. Abschnitt üb. das Kunstwollen des Rokoko) als Wertungskriterium hervorgehoben wird. Ohne auf das Rokoko zurückzugreifen ist jedoch schon Walzel diesem Begriff der Arabeske innerhalb der eingehenden Erörterungen über Fr. Schlegels „Brief über den Roman" nachgegangen, der eben doch nicht nur eine programmatische Rechtfertigung der „Lucinde" darstelle, sondern mehr literatur-kritisch als kunsttheoretisch eingestellt sei (Eingehen auf Jean Paul, Sterne usw.). Worauf es in diesem Zusammenhange jedoch ankommt: Kants Ästhetik in der „Kritik der Urteilskraft" (1790), deren Zentralgedanke des „interesselosen Wohlgefallens" übrigens bei Justus Riedel (im Rokokobezirk Wielands) im wörtlichen Anklang bereits vorgebildet begegnet, hatte ein Jahr nach Goethes (in Wielands Merkur erschienenem) Arabesken-Aufsatze die Arabeske als reines Formgebilde ohne Zweckbezug als Beispiel angeführt. Wenn nun ein Jahrzehnt später Fr. Schlegel ebenfalls im „Gespräch", aber jenseits des Roman-Briefes die Arabeske als die Ursprungsform der menschlichen Phantasie schlechthin in Anspruch nimmt, wenn aber die menschliche Phantasie Urmutter auch des Sprachlichen ist, dann wirft sich die Frage auf, ob nicht doch (über diesen Einzelfall einer zum wenigstens wahrscheinlichen Rückbeziehung auf Kant hinaus) vor den gewiß reicheren Einwirkungen Fichtes und vollends Schellings es die Bestimmung des Schönen durch Kant gewesen sein mag, was jene hohe Bewertung des Geistig-Abstrakten innerhalb der Frühromantik fördern half. Man darf jedenfalls für die frühen Ansätze sprachphilosophischer Art der Romantik Herder einerseits und Kant andererseits nicht zugunsten Hamanns oder Hemsterhuis' oder Fichtes unterschätzen. Wie dem jedoch auch sein mag, die Literaturphilosophie steht von vornherein in enger Wechselwirkung und fortwährendem Erkenntnisaustausch mit der romantischen Sprachphilosophie; nicht erst bei A. W. Schlegel oder Bernhardi, auch schon bei Novalis, dessen Fragmente und Notizen vielfach zwar kritisch gesichtet werden wollen, bevor sie für verbindliche originale Meinungsäußerungen in Anspruch genommen werden können. Denn manches dürfte dort bloße Lesefrucht und also nicht eigentümliche Erkenntnisfrucht sein.

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Überhaupt sei bei dieser Gelegenheit einmal in Erwägung gestellt, ob und wieweit das Lebensalter auf die Reife, das Wesen und den Wert kunsttheoretischer und literaturphilosophischer Bekundungen Einfluß ausübt. Eine kühne Programmatik ist wohl der Jugend gemäß. Aber fordert eine tiefer untergründete Kunsttheorie nicht reifere kritische Erfahrung ? Hardenberg-Novalis vollendete nicht einmal das dreißigste Lebensjahr. Für den Dichter, besonders für den Lyriker, für die „Hymnen an die Nacht", besagt das wenig; aber für den Kunsttheoretiker? Manches mußte noch etwas hastig verarbeitete Anregung von dritter Seite her sein von dem, was da nach Novalis' frühem Tode an Materialien veröffentlich wurde (und nun immer noch ergänzt wird). Aber selbst diese Bedenken eingerechnet, bleibt achtenswert, ja erstaunlich, wie schnell dieser Geist reifte und wie vieles er uns auch im kunsttheoretischen Bereich geschenkt hat. Allgemein bleibt für die Sprachphilosophie wesentlich das Ringen um die Vorstellung eines geistig Eigenschöpferischen im Sprachwesen und Sprachwerden, einer schöpferischen Leistung aus der Erlebniskraft der Phantasie des Menschengeistes. Und eben diese Vorstellung des erlebnismäßig Schöpferischen rückt Sprache und Poesie sehr eng zueinander, ja bringt sie vielfach in Deckung mit einander. Wenn Sprache „jederzeit aus dem Schöße der Poesie hervorgeht", Poesie jedoch ganz allgemein die „künstlerische Erfindung" als eine „wahrhafte Schöpfung und Hervorbringung" darstellt, wenn wiederum Sprache als Geistsprache und Sprachgeist die „wunderbarste Schöpfung des menschlichen Dichtungsvermögens, gleichsam das große, nie vollendete Gedicht" als Selbstdarstellung und geistige Manifestation der tätigen Menschennatur bedeutet (A. W. Schlegel), so verdichtet sich das Verhältnis von Sprache und Poesie bis zur Identität, was entsprechend zurückwirken muß auf das Verhältnis von Literaturphilosophie und Sprachphilosophie. Eben deshalb aber konnte an dieser Stelle ein kurzes Eingehen auf dieses Verhältnis nicht entbehrt werden trotz der weitgehenden und fördernden Berücksichtigung durch die Sonderforschung (EvaFiesel) und die allgemeine Entwicklungsforschung spezieller Fragestellungen (O.Walzel), auf die im einzelnen verwiesen sei. Doch gibt auch diese Darstellung selbst noch hier und da Gelegenheit, Einzelzüge der romantischen Sprachphilosophie zu berühren. Auf der Suche nach einem wesensgemäßen Attribut für die romantische Dichtkunst erwägt H a r d e n b e r g - N o v a l i s (1772 bis

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1801) neben dem ein wenig modisch gefärbten „transzendental" auch den auf Herder zurückweisenden, aber auch bei Görres anzutreffenden Begriff des Organischen, weil die weiter und lockerer gefaßte Vorstellung des Dynamischen ihm nicht bündig und treffend genug erscheint. Zugleich wird die Überbewertung einer wachen Bewußtheit fühlbar, wenn Hardenberg in der „Poesie" überschriebenen Fragmentengruppe von 1798 das neue Kunstwollen von dem älteren dergestalt abhebt: „Die bisherigen Poesien wirken meistens dynamisch, die künftige, transzendentale Poesie könnte man die organische heißen. Wenn sie erfunden (!) ist, so wird man sehen, daß alle echten Dichter bisher ohne ihr Wissen (im Mskr. bei Novalis doppelt unterstrichen, ein Zeichen, daß der Nachdruck auf diese Worte gelegt sein soll) organisch poetisierten; daß aber dieser Mangel an Bewußtsein dessen, was sie taten, einen wesentlichen Einfluß auf das Ganze ihrer Werke hatte, so daß sie größtenteils nur im Einzelnen echt poetisch, im Ganzen aber gewöhnlich unpoetisch waren". Die Einlagerung in die Poetik des vorherrschenden Organismusgedankens wird an solchen Stellen ohne weiteres greifbar. Die Brechung der Erlebnisunmittelbarkeit durch die Selbstkontrolle im Sinne der romantischen Spiegelung (Reflexion), wobei sich der schaffende Dichter befähigt erweisen muß, „das Ich seines Ichs zugleich zu sein", diese Bewußtheit verbindet sich ganz entsprechend mit der Willkürlichkeit, die von Friedrich Schlegel her bereits vertraut ist. Denn auch für Hardenberg soll „alles Unwillkürliche . . . in ein Willkürliches verwandelt werden". Der instinktive Geist muß durch erhöhte Bewußtwerdung zum „Vernunftgeist" veredelt und zur künstlerischen „Besonnenheit" umgeprägt werden. Das Konstruktive des Spekulativen wirkt bei derartigen Zielsetzungen offenbar nicht unwesentlich mit, Zielsetzungen, die in schroffem Widerspruch stehen etwa zu Kleists Forderungen des „Unwillkürlichen" und Begriffsbefreiten, bzw. einer vom Sündenfall der Erkenntnis unberührten Vorbegrifflichkeit. Doch bleibt auch Novalis die Vorstellung eines inbrünstig seherhaften, ja eines wahrhaft-„sinnberaubten" Dichtertums nicht fremd, obwohl die Ermahnung zu einer leidenschaftbeherrschenden Haltung überlegenen Erlebnisabstandes gerade auch für den jüngeren Dichter überwiegt oder doch stark ausgleichend wirkt und wirken soll. Das Magische weicht dem Organischen. Und der sogenannte „magische Idealismus" bedeutet für Hardenberg-Novalis zuletzt doch nur

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eine Durchgangsstufe seiner Entwicklung. Das Organische bestimmt nicht zum wenigsten den Gestaltungsvorgang als die „künstlerische Wählungs- und Verbindungskunst". Und selbst noch der seherhafte Typus „ordnet, vereinigt, wählt, erfindet", nur eben aus einem unbewußten Drang und ohne Lenkung durch den Kunstverstand. Gewisse Grenzen sind dem Bewußten und Absichtvollen überdies gezogen dadurch, daß Novalis die Kunst stärker naturverbunden und auch in diesem Sinne organisch sieht. Daher wird die Sonderforschung nicht so ganz fehlgehen mit ihrer Auffassung, daß bei einem derartigen, ζ. T. forciert wirkenden Rufe nach B e w u ß t h e i t und Besonnenheit der „Wunsch der Vater des Gedankens" (E. Havenstein) sein mochte. Und zweifellos schwingt in diesem Ruf nach Vernunftgemäßheit und selbst Verstandesmäßigkeit eine gewisse Sehnsucht, ein Ausgleichsbedürfnis des romantischen Menschen nach ernüchternder, aber festigender Klarheit mit. Es liegt auch ein Umspannenwollen des gefühlsmäßig Fernerliegenden darin, wenn Klingsohr gelegentlich selbst dem „kalten, technischen Verstand" sein herbes Daseinsrecht und seine strenge Zucht willig zugesteht im dichterischen Bereich. Während Novalis einerseits das Denken entwertet als bloßen „Traum des Fühlens", als ein „ersterbendes Fühlen, ein blaßgraues, schwaches Leben", schrickt er andererseits nicht vor der fast überbetonten Behauptung zurück, daß der „Sitz der Kunst lediglich im Verstände" anzunehmen sei, daß dem Verstände das Konstruktive zufalle und „Phantasie und Urteilskraft" nur willkürlich von ihm „requiriert" würden. Zu berücksichtigen bleibt allerdings, daß nicht restlos erfaßte Vorstellungen Kants mit am Werkes sind bei zugespitzten Formulierungen wie der anfangs aus dem Munde eines Romantikers überraschenden: „Der Verstand ist der Inbegriff der Talente. Die Vernunft setzt, die Phantasie entwirft, der Verstand führt aus" (ΙΙ,ι S.303). Dennoch sollte man nicht ein bloßes stimmunghaft sprunghaftes Sich-Angezogenfühlen von einem ihm letzten Endes Wesensfremden in derartigen fast intellektuellen Zielprägungen Hardenbergs erkennen wollen. Vielmehr darf in diesem Zusammenhange zurückverwiesen werden auf die durch Reflexion gebrochene oder doch durch Vergeistigung abgeblaßte Genievorstellung der Romantik (ζ. B. A. W. Schlegel) und ihr weitreichendes Durchdrungensein vom philosophischen Zustrom. Novalis, der bis zur Jahrhundertwende etwa 1799/1800 in zahlreichen Fragmenten seine literaturphilosophischen Leitgedanken

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zu gewinnen und zu klären strebte, hatte sich um die Mitte der neunziger Jahre mit Kant, Hemsterhuis und Fichte beschäftigt, wie Auszüge aus ihren Schriften — ζ. B. Fichtes „Wissenschaftslehre" — beweisen. Kein Wunder, daß er philosophische Termini wie „Einbildungskraft, intellektuelle Anschauung" u. a. beibehält und auch von dieser Seite seines Bildungserlebnisses her jenen Bewußtheitseinschlag offenbar werden läßt in der Verschmelzungsbejahung von Dichtung und Weltanschauung; denn „die transzendentale Poesie ist aus Philosophie und Poesie gemischt". Das Transzendentale faßt er einmal als schöpferische Funktion im weiteren Sinne, so daß in diesem Verstände jede Dichtimg — da schöpferisch — auch transzendental genannt werden könnte. Zum andern bedeutet das Transzendentale das Bewußtwerden hinsichtlich jener Funktion, die schöpferische Bewußtheit im engeren Sinne, die eine organische Einheit erst vollgültig verbürgt. Ein gewisses modisches Tändeln mit dem Lieblingswort „transzendental" wird indessen mehrfach beobachtbar, so in Wendungen wie: „Der Künstler ist durchaus transzendental . . . Der Poet ist also der transzendentale Arzt . . . Der transzendentale Dichter ist der transzendentale Mensch überhaupt" und ähnliche. Bei dem Begriff „Geist" ist zu berücksichtigen, daß „Geist" als schöpferische Einbildungskraft in philosophischer Sondergeltung verstanden sein will, also keineswegs einfach mit dem Intellektuellen, Rationalistischen gleichzusetzen ist. Nur so erhält die Prägung „Geist ist jederzeit poetisch" tiefere Bedeutung. Es besteht für Novalis geradezu eine Identität der Attribute „poetisch" und „geistig", (eine Identität, die schon beim jungen Herder vorgebildet war) denn beide sind Auswirkungen und Bewährungen der produktiven Einbildungskraft. Auffallen könnte im ersten Augenblick ζ. B. auch eine zudem durch persönlichen Einsatz gedeckte These wie: „Die Poesie ist das echt absolut Reelle. Dies ist der Kern meiner Philosophie. J e poetischer, desto wahrer." Wesentlich anders beleuchtet wird jene innerhalb der Romantik fast ein wenig verblüffende Stellungnahme, wenn man sich erinnert, daß das eigentlich und wirklich Seiende ja der „Geist" darstellt. Auch Havenstein vergißt gelegentlich wie G. Schultze, daß „Realität" für den spekulativen Idealismus etwas entschieden anderes bedeutet als unsere „Realität". Da es für Hardenberg der „Geist" ist, der die Gegenständlichkeit „poetisiert", so steht eine Natumachahmung im realistischen Sinne nicht ernstlich zur Debatte. Viel-

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mehr wie der Maler von vornherein gewöhnt ist, die Welt mit den Augen des bildenden Künstlers zu sehen und ihre „sichtbaren Gegenstände" gleichsam umerlebt in sich aufzunehmen, „so erfährt auch der Dichter die Begebenheiten der äußern und innern Welt auf eine sehr verschiedene Weise vom gewöhnlichen Menschen". Ähnliches hatte schon der Goethe der „Propyläen" erklärt. Mehrfach lassen Novalis* Äußerungen trotz aller Bewertung des Bewußten das Erstreben einer S t i m m u n g s k u n s t ablesen, so etwa wenn die Poesie als „ G e m ü t s e r r e g u n g s k u n s t " (Nachschwingen der Emotionstheorie ?) oder als Mittel, gewisse „innere Stimmungen" hervorzubringen, gedeutet wird. Novalis kennt mit Friedrich Schlegel die Umstimmungsfähigkeit des romantischen Dichters, der sich zu allem „macht, was er sieht und sein will". Mehr und mehr jedoch verlagert sich die Tongebung von der „Stimmung" auf das „Gemüt", wobei wiederum die Sinngeltung des Terminus „Gemüt" eine Verlagerung vom „Gemüt" etwa im Sinne der Auflockerungspoetik (Sulzer u. a., Seelen- und Vernunftkräfte schlechtweg) zum Gemüt in dem engeren, uns geläufigen Sinne (Seelenkräfte als Erlebnis- und Stimmungsträger, Gestimmtsein des „Gemüts") erfährt, und zwar möglicherweise unter Einwirkung Schleiermachers. Die Dichtung soll auf das „Gemüt" wirken; das hätte zwar auch noch ein Sulzer lehren können im Sinne der Wirkungspoetik. Aber Poesie im weiteren Sinne ist geradezu selbst „Gemüt"; und das ist entschieden romantisches Kunstanschauungsgut. Deshalb ist es für Novalis „höchst begreiflich, warum am Ende alles Poesie wird. Wird nicht die Welt am Ende Gemüt" ? Seit der Auflockerungspoetik werden Strebungen erkennbar, die Bezeichnung „Gemüt", die vorerst überwiegend ein Sammelbegriff für das Gesamt der „Seelenkräfte" (vernunftmäßige und gefühlsmäßige Kräfte) bleibt, behutsam und noch tastend ein wenig zum Irrationalen hinüber zu verschieben. Teils allerdings erfolgt eine solche Verlagerung damals noch mehr in der Richtung des „guten Charakters", der menschenwürdigen Gesinnung. Wenn ζ. B. Sulzer von einer „Lenkung des Gemüts" sprach, so meinte er zuletzt eine Lenkung der Gesinnung, der gesinnungs- und gefühlsmäßigen Einstellung. Aber gewisse Teilwendungen zum Charaktermäßigen hin bestehen ja auch noch heute, etwa bei der Aussage: sie ist ein einfältiges Gemüt usw. Wenn sich auch erst im Sprachgebrauch der Romantik die entscheidende Verschiebung der Wortbedeutung zum „Gefühlsmäßigen" hin vollzogen hat, so dürfen

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frühere Vorbereitungen einer solchen Bedeutungswandlung nicht unterschätzt werden. Andererseits kennt auch die Romantik noch durchaus die ältere umfassendere Wortbedeutung. So auch Novalis, der erst allmählich und durchaus nicht in allen Anwendungsfällen eindeutig zur neueren verengten, aber auch vertieften Wortbedeutung übergeht (wie O. Walzel im einzelnen nachweist, nachdem die Sonderforschung schon Material gesammelt hatte, ohne jedoch die Vorarbeit der Auflockerungspoetik zu berücksichtigen). Etwa im Durchbruchsjahr der Romantik 1797 bringt Schleiermacher in einem Privatbrief an seine Schwester (Dez. 1797) frühzeitig die klare Abhebung des Gemütsbegriffs von Geist und Begabung. Und seine „ R e d e n ü b e r die R e l i g i o n " (1798/99) fördern dann sehr bald die neue Wortgewöhnung, die möglicherweise auf Zinzendorf und damit auf den Pietismus zurückgeht. Fragt man, was nun N o v a l i s , der den Begriff in der bedingt neueren Fassung besonders seit den sogenannten „Fragmenten der letzten Jahre" und besonders auch im „Ofterdingen" anwendet, mit „Gemüt" im irrationalen Sinne eigentlich meine, so wird die Antwort nicht so eindeutig und volldeutig ausfallen können. Schon Schleiermacher, der „Gemüt" ähnlich einbürgern hilft wie Geliert „Herz", ein Wort, das gar nicht so weit absteht (Breitingers „herzrührender" Stiltypus), mischt dem „Gemüt", seinem Thema entsprechend und seiner Haltung gemäß, einen starken Anteil von „Gesinnung" bei, also den Anteil, der schon aus der Auflockerungspoetik um Sulzer vertraut und geläufig war. So weit immer Sulzer und Schleiermacher auseinanderliegen: die letztlich gemeinsame Basis des sittlichen Primats, der auch bei Sulzer keineswegs dem Religiösen so fern gestanden hatte, ist ihnen gemeinsam. Wie bei anderen Romantikern entbehrt auch bei Novalis das Wertwort „Gemüt" nicht dieses sittlichen Anteils. Aber während Schleiermacher das „Gemüt" als Eigenwert freisetzte von Genialität, scheint es bei dem Künstler Novalis näher herangerückt an die geheimnisvollen Kräfte schöpferischer Art. Es entspricht nicht der aktiven „Tatkraft und Bildungskraft" K. Ph. Moritz', die gleichsam für das Kunstwollen der Klassik den Geniebegriff ersetzte; aber es umschreibt doch „ein leises Bilden" der „innern Kräfte". Es ist die Welt der Dichter und der Anteil, den der Dichter zum Weltbild beisteuert („Ofterdingen"). Und es wird gern in der weihevollen Benachbarung der Wert- und Stimmungswörter „heilig" und „geheimnisvoll" gebraucht. Es scheint als hoher

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Funktionswert zum mindesten einen Teil jener Kräfte zu umschreiben, die der Sturm und Drang unter „Genie" faßte, doch so, daß alles gedämpfter, verinnerlichter und in Novalis' Sinne „romantischer" wirkt. Jedenfalls dürfte man auch jenseits Novalis' im „Gemüts"-Begriff der Romantiker eine jener Vorstellungen vor sich haben, in die der „Genie"-Begriff gleichsam versickert oder doch abgelenkt wird, so daß er als solcher sich nicht mehr so eigenständig und eigenmächtig vom „Geschmack" abheben kann. Der Begriff „Stimmung" ist eine weitere dieser Ablenkungsvorstellungen, die die Dichte des Geniebegriffs auflösen oder doch weitgehend auflockern. Dabei wahren „Gemüt" und „Stimmung" gewisse Fühlungen untereinander, so etwa, daß ein halb gesinnungsmäßig, halb künstlerisch-produktives „Gestimmtsein" dem „Gemüt" recht nahesteht. Gelegentlich wird „Gemüt" auch wohl ein bloßes Ersatzwort für „Stimmung", indem das „Gemüt" der geheimnisvoll fruchtbare Wuchsgrund der „Stimmungen" bedeutet. Das Wort Wuchsgrund möchte in diesem Zusammenhange zugleich andeuten, daß die Organismusidee hineinspielt, wie denn neben der Harmonik die Organik des „Gemüts" mehrfach auch in kunsttheoretischen Äußerungen spürbar wird als ideale Zielsetzung oder doch als stille, seelentiefe Sehnsucht. Das Hineinwirken des Religiösen ist ohne weiteres durch Schleiermacher gegeben, mag sich auch Novalis anfangs (so in seinen Randbemerkungen zu Fr. Schlegels „Ideen") noch gegen ein Hinüberspielen des Religiösen in das Künstlerische bzw. des Künstlerischen in das Religiöse (Transponieren d. Transzendenz) merklich sträuben. Ein weiterer Leitbegriff hebt den Ewigkeitswert der K u n s t hervor, gern in Verbindung mit der Vorstellung vom inneren Wahrheitswert: „Der Dichter ist ewig wahr. Er beharrt im Kreislauf der Natur". Auch dort, wo Novalis den Dichter mehr als Träger des Unbewußten sieht, der „Gemüt und Welt" ineinsbilde, spricht er von der „Ewigkeit" einer wertvollen Dichtung. Der Dichter scheint — denn die Merkmalsbestimmungen, an sich schon verdämmernd, widersprechen sich im einzelnen vielfach — für Novalis etwa zwischen dem Seher und dem Denker zu stehen, bald dem einen, bald dem anderen Pol nähergerückt, bald mehr der Begeisterung hingegeben, bald mehr in Besonnenheit sich sammelnd. Vom Redner wird der Dichter „himmelweit" getrennt, also betont abgerückt. Dagegen sieht Novalis im Helden, im heldischen Menschen „das edelste Gegenbild der Dichter", keinen Gegensatz, 20 M a r k w a r d t , Poetik III

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sondern eben ein Gegenbild. Poesie wird im weiteren Sinne der Romantik gefaßt als alles durchdringende Lebensmacht, wenn die Helden „als unwillkürlich von der Poesie durchdrungene Weltkräfte" umschrieben werden. Fichtes „Ich" wird umdeutend übertragen auf ästhetisches Gebiet, wo es spezialisiert in Funktion tritt als „artistisches" Ich, als eine „Kunst, ein Kunstwerk". Vom tätigen Ich, das sich das Nicht-Ich als Material seiner Pflichterfüllung setzt, wird offenbar die Vorstellung des beim Künstler „obenan" stehenden Tätigkeitsprinzips abgeleitet, und zwar gilt — wie der dritte Gesprächspartner in den „ L e h r l i n g e n zu Sais" ausführt — als „Wesen" des Künstlerischen ein „Tun und Hervorbringen mit Wissen und Willen". Man könnte an K. Ph. Moritz denken, wenn Novalis das Schöne in die äußerste Gegensatzstellung zum Nützlichen rückt; doch setzt sich Kant zum mindesten unverkennbar durch in der Zielbestimmung „Wohlgefallen ohne alles Interesse". Überdies wendet Novalis häufig „Poesie" in jenem oben erläuterten, übergreifenden Sinne an, was in Sonderarbeiten nicht überall voll gegenwärtig gehalten zu sein scheint. Besonders klar ausgeprägt erfaßt eine Klage im „ H e i n r i c h von O f t e r d i n g e n " jenes Umsichgreifen der Poesievorstellung auf eine allgemein wirksame und eben nur als „dichterisch" empfundene und bezeichnete Seelenhaltung. Denn ausdrücklich bedauert Klingsohr, daß die Poesie auf eine Sondergeltung eingeengt zu werden pflegt: „Es ist recht übel . . . , daß die Poesie einen besondern Namen und die Dichter eine besondere Zunft ausmachen. Es ist gar nichts Besonderes. Es ist die eigentümliche Handlungsweise des menschlichen Geistes. Dichtet und trachtet nicht jeder Mensch in jeder Minute?". Fast ins Wortspielhafte, wennschon biblisch Geprägte, abgelenkt, mündet zugleich der Zustrom aus der Kantischen Vorstellungswelt oder doch dem Reservoir philosophischer Termini ein, wenn nach Kants Vorbild nun auch für das Poetische so etwas wie eine geistige Anlageform a priori in Anspruch genommen wird. Aber auch dort, wo ohne das Einmünden der Zeitphilosophie der Geniebegriff gedeutet werden soll, besteht die Neigung, die Genialität schlechtweg als notwendig und allgemeingültig „poetisch" zu erklären, ja zu beanspruchen: „Das Genie überhaupt ist poetisch. Wo das Genie gewirkt hat, hat es poetisch gewirkt". Mannigfache Verflechtungen bestehen zwischen Novalis-Hardenbergs Literaturphilosophie und Schellings Ästhetik im Rahmen

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seines transzendentalen Idealismus. Eben diese Verflechtungen, die in der Dresdener Zeit außerdem zu Friedrich Schlegel, August Wilhelm und Karoline Schlegel reiche Gedankenbeziehungen schufen, führten notwendig zu derartig innigem Austausch, daß etwas daraus erwuchs wie ein geschlossener kunstphilosophischer Organismus, dessen einzelne Glieder sich ohne Zwang kaum noch nachträglich losreißen lassen. So kommt es, daß man einerseits Anschauungen etwa Friedrich Schlegels oder Hardenbergs auf Schelling zurückführen und andererseits die Schellingschen Gedankengänge wiederum aus Novalis-Hardenbergs oder Friedrich Schlegels und A. W. Schlegels Anregungen ableiten kann. Jedenfalls ist der Einfluß der Dresdener Romantiker auf Schelling besonders im Bereiche der Literaturphilosophie zu unverkennbar wirksam geworden, als daß man Schellings Identitätslehre, die zudem Schillers Vorarbeit auf ästhetischem Gebiete Wesentliches zu danken hat, einfach zur Grundlage der romantischen Literaturphilosophie schlechtweg machen dürfte. In Formungsfragen (Stil und Manier) folgt Schelling überdies streckenweise Goethe. Dagegen erscheint die Gesamtästhetik, wie sie Fr. W i l h . Jos. S c h e l l i n g (1775—1854) entwickelt vor allem in seinem „ S y s t e m des t r a n s z e n d e n t a l e n I d e a l i s m u s " (1800, als Jenaer Vorlesung S.-Sem. 1799 gehalten), in dem Dialog „ B r u n o oder U b e r d a s g ö t t l i c h e und n a t ü r l i c h e P r i n z i p der D i n g e " (1802) und seiner zusammenfassenden „ P h i l o s o p h i e der K u n s t " (a. d. Nachlaß, gedr. erst 1856f., aber bereits i. d. W.-Sem. 1802/3 u. 1804/5 als Vorlesungen gehalten und entsprechend in Abschriften verbreitet): es erscheint diese durchgestaltete Gesamtästhetik Schellings geeignet, noch einmal jene als charakteristisch erkannten und durchweg schon vor Schelling durch die Brüder Schlegel erörterten Problemstellungen der romantischen Literaturphilosophie in größerer Zusammenschau zu überblicken und sie zugleich zu ergänzen. Die dort beobachtete Zwiespältigkeit im Zusammenwirken von B e w u ß t e m und U n b e w u ß t e m wird auch von Schelling anerkannt, aber aufgehoben in der höheren Identität. Wie das Objektive und Subjektive identisch sind im Absoluten, wie Geist und Natur, Ideales und Reelles sich dem Identitätsbegriff willig fügen müssen, wie Schelling geradezu von „völliger Indifferenz des Objektiven und Subjektiven" spricht, so löst sich für ihn auch der Dualismus von Bewußtheit und Nichtbewußtheit in höherer 20·

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„Potenz" (Potenz-Stufe der Selbstentwicklung d. Absoluten) auf. Die „ästhetische Anschauung" gilt dabei als die „objektiv" gewordene „intellektuelle Anschauung". Und in dieser ästhetischen Anschauung, die Schelling wohl auch die „ p r o d u k t i v e Anschauung" nennt (s. Kant und Fichte), löst sich jener „unendliche Gegensatz" auf. Ja, auf jene Entzweiung läßt er geradezu „jede ästhetische Produktion" zurückgehen, die als Aufgabe auch im Einzelkunstwerk das ausgleichende Aufheben jener entgegengesetzten Zweiheit vorfindet und zu lösen hat (vgl. Hölderlin). Da für Schelling Bewußtes und Unbewußtes zugleich in derselben Anschauung objektiviert wird, so ergibt sich von hier aus eine Erklärung oder doch erläuternde Ausdeutung für die eigenartige Verbindung von Bewußtheit und Unbewußtheit in der Literaturphilosophie der Romantiker. Auf die Prämisse, daß die „ästhetische Anschauung nur die objektiv gewordene transzendentale" Anschauung sei, stützt Schelling die Vorbildgeltung der Kunst für die Philosophie. Denn die Philosophie vermag nicht greifbar darzutun, was die Kunst immer aufs Neue bewahrheitet und bewährt, „nämlich das Bewußtlose im Handeln und Produzieren und seine ursprüngliche Identität mit dem Bewußten". Jene auf höherer Schicht potenzierte produktive Anschauung fällt zusammen mit dem, „was wir Dichtungsvermögen nennen". Bei alledem hegt also Schelling eine recht hohe „Meinung von dem bewußtlosen Anteil an der Poesie", der ihm zugleich durch Plotin nahegebracht sein dürfte. Der Anschauungsbegriff bei Schelling hat — vollends in der Ausprägung als intellektuelle, ästhetische und produktive Anschauung — nichts gemein mit einem Lernen des Dichters vom sinnlichen Anschauen der Natur. Ist doch die Natur selbst nur ein von der Anschauung Objektiviertes. Sie vermag dem Künstler keinen Schönheitsmaßstab zu bieten, muß sich vielmehr ein Gemessenwerden an der Kunstschönheit gefallen lassen. Das N a t u r n a c h a h m u n g s g e s e t z verliert so jede Geltung: „Es erhellt daraus von selbst, was von der Nachahmung der Natur als Prinzip der Kunst zu halten sei, da, weit entfernt, daß die bloß zufällig schöne Natur der Kunst die Regel gebe, vielmehr, was die Kunst in ihrer Vollkommenheit hervorbringt, Prinzip und Norm für die Beurteilung der Naturschönheit ist". Innerhalb der Gesamtentwicklung des Naturnachahmungsbegriffs bietet die Romantik und besonders Schelling wohl die rücksichtsloseste E n t w e r t u n g der N a t u r -

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n a c h a h m u n g s f o r d e r u n g . Fast möchte man von einer Umkehrung der alten Natumachahmungsthese sprechen, wenn Schelling zu Ergebnissen gelangt, wie etwa: „Was poetisch möglich ist, ist eben deswegen schlechthin wirklich" und jeden „Empirismus" geradezu abgestempelt hat als „Prinzip der Unpoesie", weil es Schlechtweg unpoetisch, wie auch unphilosophisch sei, „etwas anderes als wahr und real zu erkennen, als was in der Erfahrung liegt". Schon E.v. Hartmann findet es indessen befremdend, daß Schelling als Vertreter der Naturphilosophie andererseits dennoch — fast ein wenig an Hamann erinnernd — die Natur umschreibt als das „erste Gedicht der göttlichen Imagination". Insofern sollte man recht eigentlich erwarten, daß Schellings Künstler von dieser göttlichen Natur-Dichtung doch nacheifernd lernen könnte. Indessen sucht Schelling als Gehaltsästhetiker die Formschönheit Kants mit ihrer Verengung zu überwinden und setzt gegen das Naturschöne die Symbolhaftigkeit des Kunstschönen. Dadurch vermag er zugleich die U n e n d l i c h k e i t s V o r s t e l l u n g als wesentlichen Faktor der romantischen Kunstanschauung einzubeziehen. Wird doch etwa auch die im Christentum „wieder durchbrechende Tendenz, das Unendliche im Endlichen zu schauen", anerkannt und bezeichnet als „ein symbolisches Bestreben", wenngleich in diesem Einzelfall wegen mangelnder „Objektivität" und Bindung an das Subjekt jene Tendenz „nur als -Mystizismus" sich ausprägen konnte. Brauchbarer erscheint jedenfalls die „Anschauung des Unendlichen im Endlichen", wie sie die neuere Naturphilosophie auf objektive Art vertritt. Die bloße Begrenzung durch Form kann nichts vollwertig Schöpferisches leisten. Die „Leere" an Gehalt läßt sich durch Form nicht füllen. Derartige Kunstgebilde lassen „Absicht und Regel" zu oberflächlich und hartkantig zutage treten und beschäftigen bestenfalls die „Reflexion", nicht aber die anspruchsvolle „Anschauung, welche im Angeschauten sich zu vertiefen liebt und nur auf dem Unendlichen zu ruhen vermag". Schon deshalb, weil jene im Dichtwerk aufzuhebende und in Harmonie aufzulösende Gegensätzlichkeit an sich „unendlich" ist, ergibt sich als Grundcharakter des Kunstwerks „eine bewußtlose Unendlichkeit". In diesem Sinne wird in der ästhetischen Produktion letzten Endes stets „ein Unendliches endlich dargestellt". (In der Auffassung der „bewußtlosen" ästhetischen Produktion bleibt Schelling Plotin näher als Piaton, und zwar nicht nur in der Münchener Rede von 1807).

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Damit ist die romantische progressive Universalpoesie auch von dieser Seite her abgehoben vom formumgrenzten, aber doch auch begrenzten Schöpfungstypus der Klassik. Wenngleich nicht zu übersehen ist, daß Schelling — wie so viele andere — nicht vorübergeht an dem Winckelmannschen Grundideal, das bei Schelling als „Ausdruck der Ruhe und der stillen Größe" leicht modifiziert auftaucht und doch ein wenig als Fremdkörper im romantischen Kunstorganismus wirkt. Man kann sich dem Eindruck nicht ganz verschließen, als ob Schelling allzu willig die mannigfaltigsten Anregungen hineinzuzwingen versucht in sein System des transzendentalen Idealismus. Doch waren zu VVinckelmann hin über die Kunstanschauung des frühen Fr. Schlegel leicht Übergänge und Rückbeziehungen gegeben, wie sie im Gesamt der Ideenverflechtung besonders von Franz Schultz herausgearbeitet worden sind. Zwar ist sich Schelling durchaus klar darüber, daß die Dichtkunst schon als Wortkunst ein Allgemeines im Besonderen, ein Grenzenlos-Fließendes zu vermitteln hat und sich dergestalt grundsätzlich und schon in ihren Ausdrucksmitteln a b h e b t vom „ I d e a l der P l a s t i k " . Der Charakter der „Unbegrenztheit" der Poesie macht sie zur berufenen Vertreterin der „idealen Seite der Kunst, wie die Plastik die reale ist", Unterscheidungen, die beim Gehaltsästhetiker F r i e d r i c h Ast dahin variiert werden, daß für Ast die Musik die ideale Seite der Kunst übertragen erhält. Aber so deutlich Schelling einerseits vom klassizistischen Primat der Plastik abrückt: er umspielt doch das Verhältnis der Antike zur Modernen mit einer Variante des Simonides-Wortes; denn „Die Alten sind redend in der Plastik und dagegen plastisch in der Poesie". Und so nachdrücklich er hervorhebt, daß die progressive Universalpoesie der Modernen mit ihrer durchaus erwünschten, ja als unerläßlich geforderten Einbeziehung des Unendlichen in das Endliche nichts gemein habe mit jener plastisch orientierten Poesie der Alten: er schaut doch ein wenig sehnsüchtig zu diesem Plastischen im Poetischen hinüber, und zwar — ganz offensichtlich — , weil dort bei den Alten angeblich die „ i n n e r e I d e n t i t ä t der redenden und bildenden Kunst weit vollkommener" zum Ausdruck kommt, während die „Neueren" ihm den konstruktiven Grundbegriff seines Systems nicht so brauchbar zuspielen. Zu Schiller, dessen Unterscheidung von Formtrieb und Spieltrieb nachwirkt (wie R. Petsch nachweisen konnte), laufen die Fäden zurück nicht nur in den V o r l e s u n g e n ü b e r die M e t h o d e

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des a k a d e m i s c h e n S t u d i u m s (1803, bes. 14. Vorlesung), und zwar in der Weise, daß Schellings Vorstellung einer platonischen Schönheit trotz Abwehr des Zweckbegriffes dennoch ethische Forderungen in sich aufnimmt. Denn nur im Schönen sollen „Wahrheit und Güte" gleichsam „verschwistert" auftreten können. Nicht zum wenigsten deshalb läßt Schelling von der Dichtkunst alle Philosophie und die „übrigen Wissenschaften" auch im Sinne des historischen Dauerwertes überflügelt werden, fast ein wenig im Sinne des jungen Herder. Besitzt doch die Poesie jene „höhere Würde", die sie zur „Lehrerin der Menschheit" berufen erscheinen läßt. Die U n i v e r s a l i t ä t und der übergeordnete Poesiebegriff kommen in gleicher Weise zur Geltung, wenn — an jung-Herdersche Anschauung wörtlich anklingend — von der Poesie als einem „Ozean" gesprochen wird, in den die anderen Künste und Wissenschaften „zurückfließen" und wieder einmünden. Auch das Progressive der Universalpoesie gelangt zur Auswirkung, indem dieser Einmündungsvorgang genetisch gefaßt und z.T. noch einer zukünftigen Weiterentwicklung vorbehalten wird (vgl. Fr. Schlegel). Die Bewertung des M y t h o l o g i s c h e n u n d S y m b o l i s c h e n als weiterer Attribute romantischer Literaturphilosophie ist bei Schelling schon dadurch gegeben, daß er in der Mythologie jenen Übergang von Philosophie in Poesie vorgezeichnet zu sehen glaubt, den die Weiterentfaltung zu vollziehen habe. Wie nämlich aus der Mythologie und Poesie einst die Philosophie erwachsen sei, so würden wiederum Philosophie wie Wissenschaftlichkeit überhaupt am zwanglosesten über eine neue Mythologie den Rückweg finden können zur Universalpoesie (ähnlich Hölderlins „Hyperion"). Schelling nimmt unter anderem Stellung zu der Frage, ob etwa aus einer „spekulativen Physik" eine moderne Mythologie zu entfalten wäre, und zwar in relativ bejahendem Sinne und mit der zuversichtlichen Erwartung, „daß in der höheren spekulativen Physik die Möglichkeit einer künftigen Mythologie und Symbolik" zu suchen sei. Stets jedoch ist eine „Synthese der Geschichte mit der Natur" als unumgängliche Voraussetzung für jene Art von Mythologie in Anspruch zu nehmen. Die Naturphilosophie kann insofern nicht ohne weiteres als Erzeugerin einer neuen Mythologie herangezogen werden, weil eine derartige Symbolisierung letzten Endes bereits in der griechischen Mythologie vorweggenommen ist. Es würde bei einer Neuformung und Neufassung der Mythologie überhaupt nicht ausreichen, abstrakte Allegorien logisierend abzuleiten, also gleichsam nachzubilden und zu übersetzen aus der

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philosophischen Begriffssprache in die Anschauungssprache. Vielmehr läßt sich eine dichterisch fruchtbare Mythologie nur spontan „erschaffen" im schöpferisch gestaltfindenden Sinne, und zwar mit dem Idealziel, ihr „ein unabhängiges poetisches Leben" einzuhauchen. Hervorragende Dichter unter den Neueren wie Dante, Shakespeare, Cervantes, z.T. auch Goethe im „Faust" (Schelling kann vorerst nur auf das „Fragment" Bezug nehmen) haben sich eine eigene Mythologie in der angedeuteten Weise zu „erschaffen" versucht, entsprechend der erhöhten Bedeutung der Originalität bei den „Neueren" gegenüber den Alten. Und in der Tat billigt Schelling den wahrhaft Schöpferischen das Vermögen mythenbildender Gestaltung zu. Denn aus „jedem Stoff, also auch aus dem der Natur" kann sich „jede überwiegende Kraft (offenbar Schöpferkraft) . . . ihren mythologischen Kreis" selbst bilden. Wie lebhaft eine Mythologie erhofft und von allen Seiten her ein Zugang zu ihr gesucht wurde, verrät weiterhin die Übertragung auf gewisse G a t t u n g s v o r s t e l l u n g e n , so etwa auf die moderne Romanform. Denn nach Schelling soll der Roman ein „Spiegel der Welt, des Zeitalters wenigstens sein und so zur partiellen Mythologie werden", wobei dieses Herausbilden oder Hineinformen einer „partiellen Mythologie" offenbar als ideale Zielsetzung und positiver Wert bejaht wird. Um mit seiner Stoffwelt „identisch" werden zu können, muß der Erzähler eigenes Erleben und eigene Individualität einsetzen. Er kann und soll jedoch diese Faktoren zu symbolischen und weiterhin mythologiebildenden Elementen um- und aufwerten. Das geschieht im Roman. Das Epos ist an universeller Stoffweite zwar dem nur partiellen, beschränkten Geschehenskreis des Romans überlegen; denn das Geschehen im Epos „fängt eigentlich nicht an und könnte ins Endlose gehen". Die Beschränkung im Stofflichen vermag der Roman indessen auszugleichen durch die allgemeingültigere, „indifferentere" Formgebung und Darstellungsweise. Der individuelle Faktor, an sich bereits in der Prosa gedämpft, darf nicht zu kraß hervortreten. Der Erzähler muß epischen Abstand finden und kann ihn gewinnen nicht zum wenigsten durch die r o m a n t i s c h e I r o n i e , „da Ironie die einzige Form ist, in der das, was vom Subjekt ausgeht oder ausgehen muß, sich am bestimmtesten wieder von ihm (dem Subjekt) ablöst und (dergestalt) objektiv wird". Die Funktion der romantischen Ironie, Erlebnisabstand zu sichern, wird wieder einmal vom Sonderfall her fühlbar.

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Der Romandichter darf nicht mit subjektiver Anteilnahme in seinen „Helden" aufgehen, sondern sollte sich stets gegenwärtig halten, daß jener beschränktere, endliche Stoffkreis doch eben nur gewählt wurde, um „das Absolute" formbar und darstellbar machen zu können. Der Held ist von vornherein mehr symbolisch zu gestalten und aufzufassen, eine Kollektiworstellung verdichtend, nur als bindendes Mittel, nur als „Band um die volle Garbe". In Anlehnung an Goethes Bemerkungen im „Wilhelm Meister" wird eine vorwärtsstürmende Aktivität als unvorteilhaft für den Romanhelden abgewehrt. Tat hat sich gebändigter und episch gelassener in „Begebenheit" von retardiertem Geschehenstempo umzusetzen. An sich nämlich besitzt der Roman eine gewisse Tendenz zum Dramatischen hin, schon durch die — dem Epos gegenüber — stärkere Konzentration des Geschehens, eine Tendenz, die indessen in der angedeuteten Weise gemildert werden kann. Aus solchen Gedankengängen wird verständlich, wie Schelling zu der Erklärung gelangen kann: „In dieser Beziehung könnte man den Roman auch als eine Mischung des Epos und Drama beschreiben, so nämlich, daß er die Eigenschaften beider Gattungen teilte". Der Romanprosa wird ein rhythmisierender Teileinschlag als wirkungsfordernd zugestanden, eine mit billigem Schmuck drapierte „poetische" Schreibart dagegen als der „unerträglichste Mißstand" energisch verworfen. Selbst für den Stoff der modernen Tragödie wird eine gewisse „mythologische Würde" anempfohlen. Charakteristische Wesensattribute der modernen Tragödie hegen in der „Mischung des Entgegengesetzten" (des Tragischen und Komischen), in der entsprechenden „Mischung der Prosa und der gebundenen Rede", überhaupt in „episch und dramatisch-gemischten" Wirkungsformen. Eine „synthetisierte" Verschmelzungsform aller Künste wird als Möglichkeit im Musikdrama gesehen, aber nur theoretisch entworfen, da die Oper vorerst „nur eine Karikatur" jenes von Richard Wagner dann zuversichtlicher ins Auge gefaßten Gesamtkunstwerkes darzubieten vermag. Die genetische Wesensbestimmung deutet das Drama als „letzte Synthesis", die sich über Epik und Lyrik aufgipfelt, darüber hinaus jedoch umspannender auch eine „letzte Synthese aller Poesie" schlechtweg als höchste Kunstform zu verwirklichen hat. Die deduktiv-abstrakte Wesensbestimmung gelangt, basierend auf dem Identitätssystem, zu einer ähnlichen Aufgipfelung der Dramatik als höchster Totalität, als ein

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Inerscheinungtreten der „wahren und absoluten Indifferenz" (die im Absoluten statthat), weil der Zwiespalt von Notwendigkeit und Freiheit sich zur Identität aufhebt. Denn weder die subjektive Freiheit, noch die objektive Notwendigkeit darf beim vollkommenen Drama überwiegen oder gar einseitig entscheiden. Vielmehr müssen beide Grundmächte „aus diesem Streit zugleich als siegend und als besiegt... hervorgehen", da es schon im Charakter der Notwendigkeit oder auch der Freiheit liegt, nicht überwunden werden zu können, zugleich aber der echte Kampf die Möglichkeit eines Obsiegens in sich schließen muß, so bleibt nur jenes Zugleich des Siegens und Besiegtseins. In Schillersche Bahnen lenkt Schelling unverkennbar ein, wenn er die Gesinnungsfreiheit im Unterliegen (im Kampf mit der Notwendigkeit) dennoch bestehen läßt, so daß „beide, besiegt und siegend zugleich, in ihrer höchsten Indifferenz erscheinen". Damit erfüllt die Dramatik jene Aufhebung der Gegensätzlichkeit von Unendlichem und Endlichem, von Notwendigkeit und Freiheit und objektiviert diesen Widerstreit, der in der Epik gleichsam noch im „Stande der Unschuld" gar nicht vorhanden oder als solcher ausgeprägt, in der Lyrik zwar gegeben, aber im Subjektiven umgrenzt und eingeengt war. Die primitive Identität im Epischen wird über den erst voll entfalteten Widerstreit in der Lyrik zur wahrhaft wertvollen Identität im Drama emporentwickelt. Wenngleich unter weitreichendem Blickpunkt, wird doch in gewissem Grade die D r a m a t i k gesehen als Schmelzprodukt von Epik und Lyrik, als Gestaltungsform, „bei welcher das Darzustellende ebenso objektiv als im epischen Gedicht, und doch das Subjekt ebenso bewegt ist als im lyrischen Gedicht". Die symbolkräftige Geltung einer erhabenen Gesinnung, des im ethischen Bezirk „Absolut-Großen", das daraus resultierende Übergehen des höchsten Erfeldens in „höchste Leidenslosigkeit", die Leidbefreitheit durch sittlichen Aufschwung selbst, und gerade angesichts einer äußeren Vernichtung: alles das erinnert lebhaft an die bereits von Schillers Willensidealismus eroberte Position. Auf der Seite der Notwendigkeit dagegen sucht zwar Schelling abzurücken vom bloßen „Irrtum", der als Träger des Tragischen in Aristoteles' Poetik auftritt. Aber wenn er dafür den „Willen des Schicksals" oder ein „unvermeidliches Verhängnis" einsetzt, so scheint er fast Schillers dramaturgische Theorie abzubiegen in jene Richtung, die Schillers dramatisches Schaffen

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damals mit der „Braut von Messina" eingeschlagen hatte. Denn so klar sich Schelling darüber ist, daß etwa bei Shakespeare die Charakteranlage als die moderne Schicksalhaftigkeit sich durchzusetzen beginnt: mit Lenzens erfrischendem Rigorismus vertritt er doch keineswegs die Auffassung der Geniezeit, daß der Held den Schlüssel zu seinem Schicksal fest in Händen halte. Das wird auch verhindert durch die Wendung ins Religiöse. Und wenn für ihn auch die bloße empirische Notwendigkeit zu stark einer minderwertigen Zufälligkeit ausgesetzt erscheint und nur „als Werkzeug der höheren und absoluten" Notwendigkeit dienen kann in der Weise, daß sie zur Erscheinung bringt, was diese wesenhaft bewirkt hat, so birgt Schellings Dramaturgie im E m p o r t r e i b e n des Notwendigkeitsbegriffes dennoch manche Wendung, auf die sich die Schicksalsdramatiker rein formal mit mehr Anrecht hätten berufen können, als ihre anmaßende Berufung auf Schiller (ζ. B. bei Adolph Müllner) in Anspruch nehmen durfte. Im Hintergrunde steht auch hier bei Schelling ein recht enges Gebundensein an die traditionelle Mustergeltung der Alten, die auch durch moderne Ubermalungen als vordringliche Grundfarbe immer wieder hindurchschimmert. Schellings romantische Literaturphilosophie nimmt einen — vielfach unterschätzten — starken Zustrom der Klassik in sich auf, der richtungmodifizierend sich auswirkt. Auch jene Ausgleichung des Gegensatzes durch die Tragödie, bzw. in der Tragödie („dieses Gleichgewicht ist die Hauptsache der Tragödie") ist zweifellos eine Zielprägung der Klassik (Goethe) mehr als der Romantik, wie die Zielsetzung der Totalität ihrerseits an W. v. Humboldt erinnert. Zwar scheint es anfangs so, als ob Schellings Ideal des Tragischen die Höhenlage der Deutung selbst noch überwachsen möchte. Der Willensidealismus befähigt den Helden, die tragische Schicksalsmacht umzuwandeln in ein „Symbol des AbsolutGroßen, nämlich der erhabenen Gesinnung". Die Fühlung mit dem Leben und den Lebensmöglichkeiten wird indessen aufgegeben zugunsten einer Art von theatralischem Heroismus, weil dieser Heroismus ins Übermenschliche emporgetrieben wird und recht eigentlich nur in der Steigerungsschicht der Tragödie (in diesem Sinne konnte das Attribut theatralisch gesetzt werden) seine Stätte findet: „Ein solcher Kampf ist auch nur zum Behuf der tragischen Kunst denkbar", denn „zum System des Handelns könnte er schon deswegen nicht werden, weil ein solches System ein Titanenge-

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schlecht voraussetzte". Zur Grundlage einer allgemeinen ethischen Gesetzgebung im Sinne der praktischen Vernunft Kants wäre also diese tragische Höhenschicht des Schicksalhaften nicht geeignet. Das entschlossene Jasagen zum Schicksal, das Sichbekennen zu Schuld und Schicksal hätten einen andersartigen weltanschaulichen Traggrund gefordert, als er Schelling zur Verfügung stand. Nach dieser hohen Anspannung war für ihn nur noch eine Umdeutung ins Religiöse möglich. Und sie erfolgt denn auch unter Abbiegung vom heroischen Ideal und unter einer entsprechenden Preisgabe des Schillerschen Erwerbs. Im Kunstschaffen wäre diese Schwenkung gekennzeichnet durch die Wendung vom Ideal des heroischen Schicksalsdramas zum „modernen", romantischen Teilideal des christlichen Vorsehungsdramas (des sog. Gnadendramas), wobei folgerichtig Calderon zum Mustertypus und Meistertypus aufrückt in demselben Grade, wie Shakespeare an Geltung verliert. Die Weite des Wunders überwältigt jene Freude an dem Wunder der Weite, das einst schon der Sturm und Drang als echte Lebensvielfalt bei Shakespeare gepriesen hatte. Der an sich gegebene Ansatz zu einem Hindurchbrechen in der Richtung des Schicksals- und Heldendramas — was die sittliche Haltung anlangt — führt nur zu einem vorübergehenden, obwohl beachtenswerten Teilvorstoß, weil das C h r i s t l i c h - T r a g i s c h e in eine neue Richtung ablenkt, die den heroischen menschlichen und übermenschlichen Willen durch die göttliche Gnade in seinem Wesen und Wert notwendig einschränken muß. Es bleibt dabei zu berücksichtigen, daß ein Vorbild wie etwa Kleists „Guiskard"-Fragment oder seine heroisch-mythische „Penthesilea" damals noch nicht zur Geltung kamen. An sich wäre auch die „Hermannsschlacht" in Schellings Sinne als „Tragödie" in Betracht gekommen. Der Ausgang der Tragödie nämlich konnte schon bei dem früheren Schelling (des heldischen Schicksalsdramas) versöhnlich sein, war also nicht erst auf eine religiöse Auslegung angewiesen, eine Auffassung, die bemerkenswert erscheint ζ. B. angesichts des Titelzusatzes „Faust, eine Tragödie" bei Goethe. In diesem Betracht hielt sich Schelling bereits auf seiner früheren Stufe hinter Schillers Idealforderung der Bewährung angesichts des Todes merklich zurück. Die bloße Bereitschaft genügte für Schelling, ohne daß eine Verwirklichung zu erfolgen brauchte. Dabei dürfte Goethe nachgewirkt haben, der auch in Einzelfragen der dramatischen Wirkungsform Schellings Forderungen merklich mitbe-

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stimmen hilft. Vereinfacht und vergröbert: Schelling sucht als Theoretiker des Dramas anfangs die Klassik gleichsam in ihrer eigenen Richtung noch zu überbieten und biegt, als sich das als kaum möglich erweist, in den schützenden Machtbereich der Religion ab, ein Weg, den er in beiden Etappen mit manchem Romantiker teilt. Es ist das letzten Endes nur ein Ausschnitt aus der Gesamttendenz romantischer Haltung im dichterischen und dichtungstheoretischen Bereich. Doch wahrt Schelling durchweg eine besonders enge Fühlung mit dem Kunstwollen der Klassik, selbst noch in der Art, wie er die Fortsetzung, das Fortsetzen zum Umsetzen und Entgegensetzen werden läßt. Die Komödien-Theorie ist nicht in dem Maße wie die Tragödien-Theorie der Umbiegung ins Religiöse ausgesetzt und kann also der Idealform der antiken Komödie näher, aber auf der anderen Seite auch der Idealform des Charakterdramas näher bleiben. Und zwar fordert die Höhenleistung in der Komödie „notwendig öffentliche Charaktere". Geradezu eine Art von Mythologie — und wann wären die Romantiker nicht einer neuen Art von „Mythologie" auf der Spur ? — vermag das öffentliche, letztlich politische Leben dem Komödiendichter zu bieten. Die Rangstufe der Komödie wird nicht recht eindeutig erkennbar; denn einerseits soll sie „die höchste Tragödie" sein (wobei der Idealbegriff der romantischen Ironie, vielleicht auch Schillers Deutung der „Satire" mitspielen dürften) und andererseits im Wirkungsziel doch nur ein Wohlgefallen an der „Ungereimtheit" schlechtweg hervorrufen. Wie für Friedrich Schlegel in seiner Frühzeit das „Ideal des reinen Komischen" bei Aristophanes am mustergültigsten ausgeprägt erscheint, und zwar in dem Grade, daß die Komödienform des Aristophanes als „eines der wichtigsten Dokumente für die Theorie der Kunst" überhaupt zu gelten hat, ähnlich hoch stellt Schelling den vorbildsetzenden Musterwert des Aristophanes. Dagegen weicht Schelling von Friedrich Schlegel ab in der nachdrücklichen Herausstellung der „öffentlichen" Charaktere für die Komödie. Darin blieb er der Aristophanes-Überlieferung in seiner Art treuer und näher als Fr. Schlegel. Im Raum der Literaturphilosophie der Frühromantik steht Schelling hinsichtlich des Angeregtseins und des Selberanregens ganz ähnlich da wie A. G. Baumgarten im Räume der Auflockerer und Wirkungsästhetiker innerhalb der Aufklärung. Er bringt das System, läßt sich jedoch im eigentlichen Bereiche der Wort-

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kunsttheorie wie überhaupt in literarischen Dingen manches von der älteren Romantik zutragen, so von den Schlegels wie Baumgarten etwa von den Schweizern Bodmer und Breitinger. Mehrfache systematische Klärungen aber sind ihm in grundsätzlichen Fragen zu danken, so etwa die Unterscheidung von Allegorie (das Besondere steht für das Allgemeine) und Symbol (Besonderes und Allgemeines sind „identisch"). Kunst im absoluten Sinne der Identitätslehre erfordert jedoch, daß das Allgemeine das Besondere und das Besondere das Allgemeine nicht nur bedeutet, sondern „ist". Und in diesem Verstände der Indifferenz hat wahre Kunst symbolisch zu sein. Für die „absolute" Poesie reichen Schillers Attribute „naiv" bzw. „sentimentalisch" nicht aus. Die T y p e n b i l d u n g Schillers nämlich ersetzt Schelling ganz bewußt durch seine Unterscheidung nach dem Verhalten zum Allgemeinen und Besonderen, genauer nach dem Verhältnis des Besonderen zum Allgemeinen und umgekehrt. Es ergibt sich so etwa die Antithese: allegorisch — typisch und als Synthese: „symbolisch" bzw. „absolut" ( = Poesie „in ihrer Absolutheit"). Für das Typushafte gebraucht Schelling wohl auch den Begriff „Schematismus". Aber seine Typenbildung bleibt zu systembezogen, um einleuchtend zu wirken. Innerhalb der Gehaltsästhetik sind Einwirkungen Schellings ζ. B. in F r i e d r i c h A s t s „ S y s t e m der K u n s t l e h r e " (1805) zu verzeichnen, besonders auch hinsichtlich der Identitätsvorstellung, der Ranghöhe und der Wesensbestimmung der Poesie. Friedrich Ast, der Eichendorff den Zugang zur literarischen Öffentlichkeit erleichtert hat, möchte einerseits die Einzelkünste in der Weise aufgliedern, daß die Plastik und im weiteren Sinne die bildende Kunst den Realismus, die Musik dagegen den Idealismus zu vertreten habe, weil dort „das Reale, die Anschauung", in der Tonkunst jedoch „das Ideale, die Empfindung" vorherrsche. Andererseits gelangt er bereits tastend zu einer Art von Verschmelzung beider Teilkräfte, und zwar innerhalb der Dichtkunst. Zwar soll die Poesie „eine rein geistige, also bewußte Absolutheit" offenbaren; aber doch in der Weise, daß ihr Organ darstellt eine „geistige, innerliche, also sich selbst setzende, absolute Anschauung, in welcher sich Realität und Idealität zur idealen Einheit durchringen." Gemäß dem geistigen Charakter der Poesie (Annäherung an die Frühromantik) gilt sie denn auch als die ranghöchste Kunst (wie bei Clodius u. Bouterwek), während von der Klassik her zu-

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gleich der Begriff des „Bildenden" (K. Ph. Moritz, Goethe) einmündet in die Fichte-Schellingsche Begriffskombination. Fr. Ast gelangt dergestalt zu der Bestimmung: „Die Poesie stellt demnach die Absolutheit in ihrer höchsten Vollendung auf der geistigen Stufe des geistigen Bildens d a r . . . Darum ist die Poesie der Gipfel der K u n s t . . . " Merkliche Fühlung mit Schellingschem Gedankengut und also auch mit der Vorstellungswelt der Romantik wahrt K. W. F e r d i n a n d S o l g e r (1780—1819) im „Erwin, vier Gespräche über das Schöne und die Kunst". Ähnlich wie Schellings Gespräch „Bruno, oder über das göttliche und natürliche Prinzip der Dinge" (1802) in mancher Hinsicht aufschlußreicher und charakteristischer erscheint als seine aus den Vorlesungen der Jahre 1802/3 und 1804/5 hervorgegangene und erst weit später (1856 f.) veröffentlichte „Philosophie der Kunst", so wird auch durch Solgers Gesprächsreihe „Erwin" die etwas schillernde Eigenfärbung der Ästhetik Solgers, die u. a. auf den reiferen Tieck anregend eingewirkt hat, besser widergespiegelt als in seinen späterhin (1829) von K. W. L. Heyse, dem Vater des Dichters Paul Heyse, herausgebrachten Vorlesungen über die Ästhetik. Aus diesen nachgelassenen Vorlesungen mag deshalb nur kurz hervorgehoben sein, daß das Schöne aufgegliedert wird in den Gegenstand der Kunst und die Tätigkeit des Künstlers und entsprechend die den Gegenstand der Kunst „symbolisch", die jene Tätigkeit des Kunstschaffenden betreffende „allegorisch" genannt werden. Gattungsmäßig übertragen, gilt in diesem Sinne die Epik als „symbolisch", die Lyrik als „allegorisch". Beim Drama greift die Verschmelzungs-These über in der Weise, daß das Drama das Symbolische und Allegorische in sich vereinigen soll und insofern „universell" sein muß (wobei kein Anklang an die romantische Universalpoesie vorzuliegen braucht), indem es die Tätigkeit der Idee, die sich Realität erst schafft, ausprägt. — Paid Heyse bekundet später (i. „Aus der Werkstatt"), in seiner Frühzeit Solgers Ästhetik-Vorlesungen, die ihm durch seines Vaters Herausgebertätigkeit nahegebracht waren, durchgearbeitet zu haben. In Solgers „Erwin" wird das „Symbol", um dessen Erläuterung sich auch Goethe bemüht hatte, umschrieben als das „Dasein der Idee im Besonderen". Was die Sprache betrifft, so liegt im S y m bol der S p r a c h e kein „willkürliches Zeichen" im Sinne der Aufklärung vor, aber auch keine bloße Vorbildnachahmung (im Sinne

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der Abbildtheorie), sondern eine „wahre Offenbarung der Idee" selbst. Für den Dichter, dem die Sprache keineswegs ein bloßes Material bedeute, birgt das Sprachsymbol die „Selbstoffenbarung der in ihrem Handeln begriffenen, schaffenden Phantasie" in sich. Für ihn fällt der Gegensatz von Phantasie und Wirklichkeit fort, weil ihm anlagemäßig und von vornherein die „höchste Idee" (das Allgemeine) immer schon „unter einer wirklichen Gestalt und nicht anders erscheint" und bewußt werden kann. Das entspräche vollends Goethes Unterscheidung von Allegorie und Symbol. Daraus gewinnt Solger nach der Seite der Forderung hin die Zielprägung für das „Wesen der Poesie überhaupt, daß sie nicht in allgemeine Betrachtungen oder Gefühle ohne ganz lebendige oder einzelne Gestalten zerfließen darf". Schiller und Hölderlin hatten darüber Ähnliches ausgesagt. Für Solger haben sich Idee und Erscheinung untrennbar zu vereinigen und zu verschmelzen. In diese Richtung weist letzten Endes auch die U m g r e n z u n g des S c h ö n h e i t s b e g r i f f e s , der alles ausschließt, was gleichsam als nur intellektuell Erschlossenes über den Dingen schwebt und als Kernwesen des Schönen „die ganze Kraft der Besonderheit, Begrenztheit und Gegenwart" betont herausstellt. Obwohl Solger diese tragende Grundstellung nicht restlos konsequent innehält, kann doch gerade in ihr eine Vorbereitungsschicht aufgedeckt werden, auf die sich ζ. B. der vergeistigte, der ideelle Realismus eines Fr. Hebbel später stützen konnte. Jedenfalls darf auf diese weniger beachtete Möglichkeit einer Einflußdeutung (Solger-Hebbel) hingewiesen werden, wobei das Hingedrängtwerden zu Anschauungen, die eine literaturphilosophische Basis für den poetischen Realismus zu bieten vermochten, wesentlicher erscheint innerhalb der Entwicklung des neunzehnten Jahrhunderts als jene in anderer Beziehung hinreichend verbürgte und bekannte Einwirkung der Ästhetik Solgers auf den Pantragismus Hebbels. Im engeren Bezirke der D r a m a t u r g i e , bzw. hinsichtlich der Ausweitung zum Hebbelschen Pantragismus ist von R. Petsch bereits Solgers Vorrede zur Sophoklesübersetzung „ U b e r S o p h o k l e s u n d die a l t e T r a g ö d i e " (1818) herangezogen worden. Eine Hebbels Auffassung besonders nahestehende Schlußfolgerung mag hier Raum finden: „Während also der einzelne Mensch, sein abgesondertes Dasein mit lebendigem Wollen verfolgend, von der Allgewalt des Notwendigen ergriffen und daniedergeschlagen wird,

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blüht zugleich die gesamte Gattung in dem Widerscheine der ewigen Gesetze mit unvergänglicher und unvertilgbarer Kraft des Lebens". Die epische Gattung soll nach dieser Sophokles-Abhandlung ausgehen von der „Einheit des Urbildes und Abbildes", während die lyrische Gattung die „Verschiedenheit des Ideals und des Einzelnen" hervortreten läßt. Im historischen Ablauf gilt das Drama als die spätere Aufgipfelung. Die Deutung und Wertung der Gattungen erscheint — wie so manches andere bei Solger — nicht gerade eindeutig klar. Die Lyrik erhält im wesentlichen doch eine relativ niedrige Rangstufe zugewiesen. Sie ist zu stark subjektiv gebunden, um die Zweieinigkeit von Idee und Wirklichkeit im Sinne einer Identität erzwingen zu können. Sie kennzeichnet sich daher bestenfalls als ein Sehnen und Streben nach der Idee. Doch ist sich Solger klar über die Wesensbestimmung der lyrischen Wirkungsform, die für ihn „des Künstlers innerste Seele an den Tag entfaltet" und persönliche Hingabe verlangt. Der Epik wird der Rangvorzug eingeräumt, nicht zum wenigsten deshalb, weil sich in ihr am ehesten noch die halb pantheistisch gefärbte Gottesvorstellung Solgers, die sich nicht recht der Romantik einfügen will, behaupten kann. „Die Gottheit selbst geht durch diese Seite der Kunst in ein ganz wirkliches Leben über . . . " Immerhin wirkt an solchen Stellen etwas ein von der Weite des Wunders der Romantik. Die Einordnung der dramatischen Gattung in das an sich schon recht verworrene und durch eine dunkelsinnige Darstellungsweise nachteilig verhüllte Ideengerüst der Solgerschen Ästhetik macht unverkennbar Schwierigkeiten. Der Widerspruch von Idee und Erscheinung steht im Wesenszentrum des Dramatischen. Das Drama vermittelt die eigentliche Wirklichkeit; aber es erschöpft sich auch nicht in einem bloßen Idealisieren des Wirklichen. In ihm soll vielmehr das „Rätsel des Widerspruchs", das Solger wie alle Identitätsphilosophen beschäftigt, seine „Harmonie", seine ausgleichende Auflösung finden. Mehrfach, und zwar nicht allein im „Erwin", auch in der knapperen Sophokles-Vorrede spürt man, wie Solger bei der Würdigung der Gattungen häufig die dünne Schicht abstrakter Begrifflichkeit verläßt und — gelegentlich einigermaßen unvermittelt — Halt sucht bei der induktiven und angewandten Kunsttheorie und Poetik. Und, wie häufig bei der systematischen Ästhetik, enttäuschen die kargen und wenig originalen Erträgnisse, die diesem 21 M a r k w a r d t , Poetik III

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merklich nicht vertrauten und beherrschten Boden der kritischempirischen Kunsttheorie und angewandten Poetik mühsam genug abgewonnen werden. Man erfährt da etwa, daß Tragödie und Komödie bestimmt seien, „den wahren Gehalt des wirklichen Lebens auszudrücken", ohne daß man sich über diesen „wahren Gehalt" klar wäre, man hört, daß das Epische „heroische Handlung" (das alte Heldengedicht) zu bieten und eine „Verknüpfung von Handlungen" zum Gegenstand habe, und mancherlei Selbstverständlichkeiten. Etwa noch auf der Position der Romantik hält sich der erweiterte Poesiebegriff von Schellingscher oder Schlegelscher Prägung. Denn der Primat des Poetischen bleibt im Sinne der Romantik gewahrt im Rangverhältnis der Künste: die „Kunst an sich, die ganze Kunst, stellt die Poesie dar". Sie ist also im echt romantischen Sinne gefaßt als das „Poetische", als das allen Künsten Gemeinsame, ihnen allen Innewohnende und ihnen doch auch Übergeordnete. Schon diese Kernposition gibt ein gewisses Recht, Solgers Ästhetik trotz ihrer Vorbereitungskräfte für den poetischen Realismus an dieser Stelle einzuordnen, ganz abgesehen von der Verbindung mit Schelling.

II. Jüngere Romantik und Spätromantik Die Kunstbesinnung und Kunstgesinnung, das Kunstwollen und die Kunsttheorie der jüngeren Romantik und Spätromantik unterscheiden sich trotz aller Einströmungen und Einwirkungen dennoch in mancherlei Betracht von der Literaturphilosophie der Frühromantik und älteren Romantik. Wie an die Stelle einer anspruchsvolleren Literaturphilosophie wieder mehr die Kunsttheorie (z.T. auch die gegenwartsfrischere Programmatik) tritt, so verliert die Literaturphilosophie, aber auch die Theorie überhaupt an Wertschätzung gegenüber dem Kunstschaffen als sich bewährender Kunstleistung. Dem entspricht es, daß die Vorbild-Poetik an Kraft zunimmt, wobei neue Muster die älteren verdrängen oder doch ergänzen. So etwa wird innerhalb der dramatischen Theorie das Vorbild Calderon trotz lebhaft weiterwirkender Mustergeltung teilweise ergänzt durch Gozzi (Brentano, E. Th. A. Hoffmann). Der lyrische Idealtypus wird vom Volkslied gestellt, auch noch für die Schwäbische Romantik. Volkssage und Volksmärchen nehmen an Mustergeltung wesentlich zu. Der historische Sinn ver-

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tieft sich gefühlsmäßig und steigert sich teils zur Begeisterung: er ist jedoch auch um eine verläßlichere historische Untergründung bemüht, weniger bei der Sammlertätigkeit A. v. Arnims und Clemens Brentanos als bei der Sammlertätigkeit Jakob und Wilhelm Grimms und vollends bei Ludwig Uhland. Der philosophische Impuls erleidet eine merkliche Abschwächung; der nationale Impuls verstärkt sich und belebt das kulturhistorische und volkskundliche Anteilnehmen. Die Vorstellung von einem schöpferischen Volksgeist tritt nicht allein in ernsthaften Wettbewerb mit der Vorstellung der älteren Romantik vom schöpferischen Geist schlechtweg, sondern drückt auf weiten Strecken der Entwicklung diese Vorstellung zur Seite. So wird die Volkspoesie (auch das Volksbuch) noch zielbewußter zum mustergebenden Ideal-Vorbild erhoben. Sie erfährt eine lebendige Aufwertung und liebevolle Betreuung. Ansätze dazu waren in der älteren Romantik bereits gegeben; so etwa hinsichtlich der Volksbücher in A. W. Schlegels Berliner Vorlesungen. Aber der gefühlsmäßige Appell und Widerhall der Herzen waren weit lebendiger, wenn nun J. v. Görres „Die deutschen Volksbücher" (1807) auch den Gebildeten der Nation näherbrachte, wie Achim von Arnim und Clemens Brentano in „Des Knaben Wunderhorn" (1806/08) das Volkslied oder wie es behutsamer und richtiger hieß „altdeutsche Lieder" und Jakob und Wilhelm Grimm die „Kinderund Hausmärchen" (1812 u. 15) und die „Deutschen Sagen" (1816 u. 18). Die Gefühlswärme und das gemütliche Anteilnehmen wußten wirksamer zu werben als die geistvoll formulierten Einzelhinweise der älteren Romantiker. Was dort im wesentlichen Buchstabe war, gewann jetzt Leben. Was dort als gelegentlicher Einblick in einen gewiß reizvollen Seitenweg am Wege mitgenommen worden war, wurde nun zum Richtweg, dessen entdeckungsfreudigem Verfolgen die besten Kräfte gewidmet wurden. Als Traditionsträger dieser Bestrebungen kommt vor allem der jüngere Herder als der führende Anreger und Theoretiker, ja Programmatiker des Sturmes und Dranges in Betracht. Seine kühne Wegbahnung bewährt sich jetzt als wertvolle Vorarbeit. Das gilt nicht allein für die Vorstellung vom Volksgeist und die Bewertung des Volksmäßigen und Volkstümlichen. Auch die Abwehr der Reflexion und Abstraktion, der Überwucherung der Poesie durch Philosophie, das Anrufen der Gemütskräfte und Gefühlswerte, die merkliche Orientierung der Wesens- und Wertbestimmung der Dichtkunst an der Lyrik: alles a·

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das sind, um hier nur einige Züge in Erinnerung zu bringen, Merkzeichen, die sowohl der Ästhetik des jüngeren Herder als der Kunsttheorie der jüngeren Romantik aufgeprägt erscheinen, von den sprachphilosophischen Berührungen einmal ganz abgesehen. Die häufig begegnende und an sich gewiß berechtigte Ansicht von der Wiederaufnahme mancher (bes. Herderscher) Anregungen und Bestrebungen aus dem Kunstwollen und der Kunstauffassung des Sturmes und Dranges durch die jüngere Romantik bedarf nun jedoch einer Reihe von Einschränkungen. Die Wiederkehr einer Reihe von Parallelerscheinungen auf dem der Geniezeit entsprechenden Kurventeil der Entwicklungsspirale kann doch nicht übersehen lassen, daß ein teilweises Wiederaufgreifen und erneutes In-Angriffnehmen von Leitgedanken starke und deutliche Abweichungen keineswegs ausschließt. Wenn die Klassik manches von dem wieder aufnahm, was die Aufklärung vorbereitet hatte (Frühklassizismus, Humanitätsansätze usw.), so pflegt doch in diesem Falle das Unterschiedliche allgemein als das weit Überwiegende empfunden zu werden. Die Unterschiede im Verhältnis Geniezeit — jüngere Romantik sind fraglos z.T. weniger markant, aber trotzdem vorhanden, ganz abgesehen von der für die Gesamtromantik im Verhältnis zur Geniezeit (durch R. Unger) vorgenommene Abhebung von „Gefühlsromantik" und „Phantasieromantik", einer Unterscheidung, die der Frühromantik besser gerecht werden dürfte als der jüngeren Romantik. Der Geniebegriff, im weiteren Sinne und Problemumkreis die Genievorstellung hat im Sturm und Drang (Geniezeit) eine zentrale Stellung inne, obwohl rein begrifflich weitgehende Vorarbeit von der Auflockerergruppe geleistet worden war. In der Kunsttheorie der jüngeren Romantik kann die Genievorstellung im wesentlichen schon vorausgesetzt werden; sie findet keine hervortretende Berücksichtigung. Damit hängt weiterhin zusammen, daß der Titanismus als ideale Forderung und Anforderung des Sturmes und Dranges innerhalb der Kunstbesinnung und Kunstgesinnung der jüngeren Romantik trotz einiger Teilausprägungen nicht als vorherrschende Leitkraft in Erscheinung tritt. Der nationale Antrieb und Auftrieb ist beiden Bewegungen gemeinsam. Aber im Sturm und Drang überwiegt durchaus das National-Revolutionäre, in der jüngeren Romantik und der Spätromantik das NationalKonservative. Das Zurückgreifen auf das Mittelalterliche und Volkstümliche bedeutete für den Sturm und Drang nicht zuletzt

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eine Blutauffrischung für die Kunstdichtung. Für die jüngere Romantik scheint der Anspruch der „Natur- und Volks"-Dichtung sich noch zu steigern (J. Grimm). Aber wie schon bei der älteren und der Frühromantik bedeutet die Verklärung des Mittelalters, das der junge Herder noch fast aufklärerisch als dunkle „mittlere Zeiten" abwehrt, eine Teilkraft aus dem religiösen Kraftfeld der Weite des Wunders und des Wunders der Weite. Und die Volksbuchmotive, etwa in Maler Müllers Genoveva-Drama, erfahren, ζ. B. in Ludwig Tiecks „Leben und Tod der heiligen Genoveva", schon bei den älteren Romantikern eine wesentliche Abwandlung, so etwa auch beim frühen Versuch Chamissos, den Stoff von Fortunat und dem Wunschhütlein neu zu formen. Die Kunsttheorie des Sturmes und Dranges manifestiert sich (und schon dieser Manifest-Charakter ist kennzeichnend) weit mehr als eine revolutionäre Programmatik als in der jüngeren Romantik, wo es bei Ansätzen bleibt. Schwerlich wird jemand etwa die Schwäbische Gruppe des Sturmes und Dranges (Schubart, Schiller) mit der sogenannten Schwäbischen Romantik der Uhland, Schwab, Kerner gleichsetzen wollen, trotz des politisch-kämpferischen Teileinschlages bei Ludwig Uhland. Von dem für den Sturm und Drang zur Erwägung gestellten (in Analogie zur edlen Einfalt und stillen Größe der Klassik gebildeten) Merkwort und Kennwort: echte Vielfalt und laute Größe scheidet für die jüngere Romantik die laute Größe (ebenso wie der geniezeitgemäße Titanismus) weitgehend aus. Aber auch das Darstellungsziel einer echten Vielfalt im Sinne der Lebensvielfalt gibt sich zum mindesten weniger turbulent, weniger verwirrend. Teils wird demgegenüber ausdrücklich die Einfalt gefordert, so etwa bei Eichendorff. Das Kolossalische des Sturmes und Dranges besitzt weniger Anziehungskraft für die jüngere Romantik, wenn auch gelegentlich im Räume der Spätromantik Ε. T. A. Hoffmann einmal an Zacharias Werner eine „grausame Erhabenheit" bewundert. Trotz dem „Werther" Goethes und dem „Sigwart" Millers herrscht hinsichtlich des Verhältnisses von Dramatik und Epik für den Sturm und Drang die dramatische Wirkungsform unleugbar vor, für die jüngere Romantik dagegen unverkennbar die epische Wirkungsform: Roman, Novelle, Märchen und Märchennovelle. Eichendorff bildet sogar einmal die bemerkenswerte Zusammensetzung „Novellenmärchen". Die Bedeutung der Lyrik ähnelt sich in beiden Epochen; doch scheinen odische und hymnische Formen der jüngeren Romantik

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weniger gemäß zu sein. Die lyrischen Begabungen sind im Ganzen geringer und gleichen sich erst dann aus, wenn man die Schwäbische Romantik sowie Chamisso und Eichendorff mit einbezieht. Doch mögen diese Hinweise auf die Abstufungen in der Kunstauffassung und Kunstforderung der jüngeren Romantik und Spätromantik gegenüber der des Sturmes und Dranges genügen, um vor einer zu weitgehenden Gleichsetzung der Bestrebungen bewahrt zu bleiben. Die Abhebung von der Frühromantik und älteren Romantik pflegt demgegenüber leichter zu ihrem Rechte zu kommen. Immerhin seien einige Abweichungen für die Kunsttheorie verzeichnet im Sinne der Ergänzung des bereits oben Ausgeführten. Die romantische Ironie verliert an Geltung innerhalb der Theorie, wie sie auch im Kunstschaffen an Boden verloren hat trotz starker Restbestände, besonders bei Cl. Brentano und in der Spätromantik bei Ε. T. A. Hoffmann. Das Empirische gewinnt an Wertschätzung gegenüber dem Spekulativen. Nicht allein Reflexion und Abstraktion: die gesamte transzendentale Verdünnung der anschauungsfrischen Diesseitsfreudigkeit und der dichterischen Kernsubstanz schlechthin wird als Schwäche der Frühromantik und der älteren Romantik erkannt und streckenweise recht nachdrücklich bekämpft. Die gesamte Poesie wird in ihrem Wesen, Wollen und Wirken stärker auf das Gemüt zurückgeführt als auf den Geist, auch den rein schöpferischen Geist. Es handelt sich dabei nicht einfach um eine Wiederholung der leidenschaftlichen Opposition der Gefühlsrevolution des Sturmes und Dranges gegenüber dem Primat des Verstandes innerhalb der Aufklärung, so verwandt die Reflexionsfeindschaft in beiden Fällen immer erscheinen mag. Der aufklärerische Verstand galt den Stürmern und Drängern als schlechthin unschöpferisch, zweckdienend, poesiefremd. Die jüngere Romantik weiß, daß die ältere dem Geist schöpferische Qualitäten zuweist; aber sie bezweifelt, daß diese geistige Spielart des Schöpferischen dichterisch triebkräftig werden kann. Gerade die größere Nähe erhöht in ihrem Sinne die Notwendigkeit der Grenzsicherung gegen Übergriffe vom Philosophischen her. Die an sich weiterwirkende Vorliebe für das Märchenhafte und Traumhafte, auch das Phantastische selbst, verhindert nicht, daß sich ein vorerst noch mehr erkundendes als zielklares Umschauhalten nach einer Möglichkeit, den Realismus, wenngleich zunächst nur als romantisierenden Realismus (Einschläge bei A. v. Arnim,

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E. Th. A. Hoffmann u. a.) in die Darstellungswerte wirksam einzubeziehen, weit deutlicher bekundet als in der älteren Romantik. Ob man nun im Einzelnen an die Sonderform des „eduktiven" Dichtertypus (J. v. Görres) innerhalb der Kunsttheorie selbst denken mag oder an die latente Poetik im Werkschaffen H. v. Kleists, an gewisse (auch theoretisch-programmatische) Anläufe bei Clemens Brentano oder an die obzwar romantisierende Naturfrische J . v. Eichendorffs und an dessen Zurückführung jeden wesensechten und werthaltigen Dichtertums auf das innige, eindrucksstarke Heimaterleben. Nicht zuletzt gehört hierher auch E. Th. A. Hoffmanns in verschiedenen Fassungen begegnende Forderung, nicht nur durch „Des Vetters Eckfenster" scharf beobachtend und aufnahmefreudig aufgeschlossen sehen zu lernen, sondern auch eindruckssicher und haftkräftig schildern zu lernen (Kunstgespräch der Serapionsbrüder). Die verstärkte Diesseitigkeit der Sprachphilosophie der jüngeren Romantik konnte bereits an anderer Stelle hervorgehoben werden. Dem Wertgewinn in der Konzentration auf das Volkstümliche und Nationale entspricht eine gewisse Einbuße hinsichtlich der Vielseitigkeit der Vorbild-Poetik. So konnte von beachtenswerter Seite darauf hingewiesen werden, daß Jakob Grimm nicht allein (wie schon Herder es tat) unter den Mustern und Meistern der Alten Ovid, sondern darüber hinausgehend auch Horaz und von den späteren Großen der Weltliteratur Dante als Vorbild ablehnte. Indessen darf, was Dante betrifft, in diesem Zusammenhange daran erinnert werden, daß ζ. B. bei E. Th. A. Hoffmann Dante offenbar durchaus noch in hohem Ansehen steht. Auch dürfen radikale Folgerungen wie die J . Grimms oder extreme Ausprägungen des Nationalen und Verengungen auf das Nordische wie die Fr. de la Motte Fouques billigerweise nicht so ohne weiteres verallgemeinert werden. Die Weite des Wunders und das Wunder der Weite behält als Leitkraft der Gesamtromantik ihre alles Andere und Einzelne beherrschende Vormachtstellung auch für die jüngere Romantik inne, übersteigert sich z.T. in der Spätromantik, um in Eichendorff als dem „letzten Ritter der Romantik" eine besonders eindrucksvolle Zweieinheit von Gottesnähe und Weitendrang zu erfahren. Das Heimverlangen und das Heimatverlangen bilden das Gegenstück, das keinen Gegensatz darstellt. Doch wird erst die Einzelwürdigung auch das Gegenbildliche der jüngeren Romantik

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im Verhältnis zur älteren Romantik klarer überschaubar machen. Als relativ konstruktiver Beitrag, der jedoch mancherlei Mittelbarkeiten und Abhängigkeiten aufweist und die Bindungen zur Philosophie fühlbarer aufrechterhält, als es sonst in der jüngeren Romantik üblich ist, ganz einfach deshalb, weil dieser Beitrag ihr zeitlich und ideelich vorgelagert ist, mögen J. v. Görres' „Aphorismen" voranstehen. Trotz stärkerer Hinneigung zur Frühromantik, gehören sie eben doch Görres an und erleichtern dergestalt den Übergang, der zugleich durch mancherlei Mittelbarkeiten und Abhängigkeiten den Übergang von der älteren zur jüngeren Romantik erleichtern hilft, mag der noch stark philosophisch gebundene Entwurf J. Görres' voranstehen. Schellings Identitätsphilosophie stellt eine der richtunggebenden Ausgangspositionen für J o s e f G ö r r e s (1776—1848) in dessen „ A p h o r i s m e n ü b e r die K u n s t " (als „Einleitung zu Aphorismen über Organomie, Physik, Psychologie und Anthropologie", 1802), die, anfangs wenig beachtet, doch einen Plagiator zum Ausschreiben (Kilian) und einen anonymen Polemiker zur Satire ermunterten. Der junge Görres, dem die „Göttingischen gelehrten Anzeigen" das Übertragen des „neuen Idealismus auf die neuere Ästhetik" bereits 1805 bescheinigten, versteht es, mit schnell verarbeitender Aufnahmefreudigkeit eine Fülle philosophischer Anregungen (vor allem: Schelling, Kant, Fichte; dann auch: Spinoza, Leibniz, Locke u. a. m.) zusammenzuraffen und nicht ohne Geschick, aber auch nicht ohne die leicht nachhelfende rhythmisierende Schwungkraft der aphoristischen Darstellungsart mit üppig kombinierender Phantasie zu verschmelzen. Empiristisches und Transzendentales, Biologisches und Axiologisches muß sich kecke, aber z . T . recht geistreiche Parallelsetzungen mit dem Ästhetischen gefallen lassen. Mit lässiger Eleganz und künstlerisch gesteigertem Darstellungswollen werden Anregungen ausgeschüttet, schmiegsam werden Kompromisse geschlossen, um kühne Konstruktionen von teils genialisch unbekümmerter Waghalsigkeit zu sichern; das Überreden hat nicht selten für das Überzeugen einzuspringen. Aber eine wohltuende jugendliche Begeisterung erwärmt und belebt auch manches Erklügelte und versöhnt mit mancher Wirrnis und Krausheit der gedanklichen Verflechtungen. Ob Görres, ihm selbst unbewußt, das scholastische Programm der Erkenntnistheorie dabei wiederaufrichtete (A. Dyroff), kann nicht im Vorübergehen

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entschieden werden. Vor allem baut er auf den Grandpfeilern des Gegensatzes, mehr analogisierend als wirklich systematisierend, sein kühnes, weitgehend dichterisch durchgeführtes Gebilde auf. Für die kunsttheoretische Haltung und Grundstimmung, aber auch für manche Einzelheit sind Anklänge an Herder und Schiller bedeutsamer. Der rein religiöse Anteil darf vorerst noch nicht überschätzt werden. Naturphilosophie und Kunstphilosophie überschneiden sich mannigfaltig. Übergeordnetes Ziel bleibt die schöne Humanität, der Leben und Kunst zuzustreben haben: „Vollendung der Kultur zur höchsten Humanität hinauf ist also höchstes Ideal der Kunst", eine Zielsetzung, die sich mit ähnlichen beim jüngeren Friedrich Schlegel und bei Hölderlin begegnet und an die mannigfaltigen inneren Bindungen zwischen Klassik und Romantik erinnert. Die unwandelbare Entzweiung der Natur, wie sie auch unter den Menschen durch die „Zweiheit der Geschlechter" manifestiert ist, kann für Görres überbrückt werden durch die bindende Kraft der Liebe: „Liebe ist dies Dritte bei dem Zwiespalt der Geschlechter, das Ideal bei Kunst und Wissenschaft". Görres, der sich nicht parteilich festlegen möchte, aber Fichte, Jean Paul, Schelling, Humboldt und Hufeland besonders zu schätzen betont, der sich in seinen naturwissenschaftlichen Interessen als dessen Anreger mit H. Steffens berührt, sucht eine Versöhnung von Empirie und S p e k u l a t i o n : „Nimmer scheide sich Empirie und Spekulation". Entsprechend sollen in der Kunst Sinne und Phantasie zusammenwirken. Schellings Naturphilosophie — wie überhaupt die Identitätslehre — scheint stark mitgewirkt zu haben. Görres unterscheidet im Bemühen um eigene T y p e n b i l d u n g „produktive Kunst", die dann vorliegt, wenn der Künstler „die zum Gefühl gedämpfte Idee" im Kunstwerke darstellt, und „eduktive Kunst", in der die Darstellung gleichsam „schwebt um die Empfindung vom Phänomen, in unseren Sinn geregt". Der „produktive" Künstler löst sich vom Individuellen und Begrenzten, verklärt das Naturbild und wendet sich vom Natureindruck zum Phantasiebilde. Der „eduktive" Künstler dagegen sitzt „mit wachen, offnen Sinn . . . zu Füßen seiner Mutter, der Natur". Er ist der Wirklichkeit willig und aufnahmefreudig hingegeben, aber auch dem Eindruck von außen her preisgegeben. Dieser eduktive Typus ist gegen den Unendlichkeitsdrang gerichtet, auf Individuelles und Begrenztes eingestellt. Das „rein produktive Kunstgenie" zielt auf Form ohne Stoff, das rein eduk-

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tive dagegen auf Stoff ohne Form. Späterhin greifen die „Aphorismen . . . " diese Antithese noch einmal auf, allerdings mit nicht ganz geklärtem Widerspruch: „Produktivität (männlich) strebt nach Stoff und gibt dem Erstrebten Form aus innerem Drang; Eduktivität (weiblich) strebt nach Form und gibt dem Erstrebten Stoff aus innerem Vermögen". Jedenfalls scheint der Typus des Produktiven — soweit aus den romantisch-verworrenen Gedankengängen überhaupt ablesbar — in „reiner" Ausprägung doch mehr der formsetzende sein zu sollen. Den eduktiven Typus nennt Görres in Umkehr der Jean Paulschen Gliederung auch den „weiblichen oder negativen" (passiven), den produktiven entsprechend den „männlichen oder positiven" (aktiven). In jedem wahren Künstler haben sich das produktive und eduktive Element zu verbinden. Zwischen beiden „schwebt", überbrückend und auch wertmäßig aufgipfelnd, der „ideale" Typus. Dieses „Ideale" als bequemer Hilfsbegriff schließt eine verklärende und veredelnde Haltung in sich ein. Denn „dem höheren Gefühl spricht das Vollendete nur zu" dergestalt, daß auch der eduktive Typus nicht das „Gemeine", nicht das Kraftvoll-Realistische aus der Natur aufnimmt, sondern das Edle, Schöne und Vollendete gleichsam nur „der Natur abfühlt". Der spekulativen (produktiven) Wissenschaft im Bereiche des Geistes entspricht die produktive oder positive Kunst im Bereiche des Gemüts. Der „empirischen (eduktiven) Kunde" im Bereiche der Wissenschaft entspricht im Bezirk des Gemütes die eduktive oder negative Kunst. Parallele Entsprechungen bieten Mann und Weib. Das erste Symbol, ihr „erstes Bildwerk" schafft die Kunst in der Sprache. In ihr erhalten geistige Schöpfungen „Bestand und Dasein" für den Sinn und bleibende Bedeutung. Die Sprache ist entwicklungsfähig, und der erste Schritt zu solcher Höherentwicklung liegt in der Poesie, ist bereits „Poesie". Als Definition der Kunstleistung ergibt sich für Görres die Umschreibung: „Ein Segment aus seiner innern Sphäre oder aus der Sphäre außer ihm stellt der Dichter dar im Wort". Ein gewisser Anschluß an die bekannte Schillersche Typenbestimmung wird gesucht, indem der produktive Dichter dem „sentimentalen" ( = sentimentalischen), der eduktive Dichter aber dem naiven gleichgestellt wird. In der Synthese aus der These und Antithese, in der „idealen Poesie muß sentimentaler ( = sentimentalischer) und naiver Dichtergeist in Eins zusammenfließen". Im

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Einzelnen werden die kunsttheoretischen Vorstellungen eigenartig mit naturwissenschaftlichen Schwärmereien verquickt. Eine besondere Rolle spielt bei Görres das stufenweise Hinüberführen im Sinne der spekulativen Naturphilosophie. Damit aber überkreuzen sich Vorstellungen der empirisch-induktiven Naturwissenschaft. So wird in den „Miszeilen" etwa als das Attribut des Idealisten das „Teleskop" bezeichnet: „mit ihm dringt er in die Unendlichkeit hinaus", während für den Realisten das Mikroskop als kennzeichnendes Attribut hingestellt wird: „mit ihm skelettiert er die Schönheit". Im idealen Mittel steht das bloße „nackte" Auge, das Wirklichkeit und Schönheit zugleich umgreift. Fast also begegnet schon hier bei Görres eine Vorahnung des „poetischen" Realismus. Um die Verbindung und Aufhebung des Gegensätzlichen anzudeuten, greift Görres zum Symbol des Hermaphroditen, der die Erlösung vom Gegensatz bringen soll zwischen männlichem (produktivem) und weiblichem (eduktivem) Typus. In diesem Sinne sagt er: „Der Hermaphrodit der Kunst ist das Ideal". Fast in Hegelscher Art wäre also hier der Gegensatz „aufgehoben" im Doppelsinne (neutralisiert, ausgeglichen und zugleich doch aufbewahrt). Der ideale schöpferische Vorgang wird etwa so gesehen und gedeutet: Das Besondere, Vereinzelte, Individuelle muß aus der Außenwelt, aus der Natur geschöpft werden, aber nur, um es im Feuer der Intuition zu verschmelzen mit dem Vergeistigten, Allgemeinen, mit „dem durch die Idee Produzierten". Auch hat schon bei jener Aufnahmefunktion aus dem Naturgegebenen eine sichtende Auslese zu erfolgen, die von vornherein den Verschmelzungsprozeß mit dem Geistigen und Phantasiemäßigen erleichtern hilft. Nur das „Reinste, Gemütlichste" (also Gemütvollste), was die Außenwelt darbietet, wird aufgenommen und fließt dann mit „dem Produkt der Phantasie" zusammen „zum Ideal". Da überdies schon die Natur nicht ills Wirkliches erfaßt wird, sondern bereits modifiziert durch die aufnehmende Geistigkeit eine andersartige Beleuchtung erhält (Goethesche Gedankengänge klingen an), so haben wir es nur mit einem „Reflex des Beleuchteten" zu tun, wie denn auch nicht unser Gemüt, sondern ein schöneres „Echo unsres Gemüts" uns aus der „redenden Kunst" entgegentönt. So kann sich das „Gemüt" (jetzt bereits eine Lieblings- und Sonderbezeichnung für das Wirkungsgebiet des Künstlerischen) an der Dichtung hinaufbilden zum „Ideal". Denn das ist immer wieder der Weisheit

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letzter Schluß, das letzte Wunschwort, das alles Ungeklärte bei Görres gerne klären und auch verklären möchte. Denn eine schwärmerische Verklärung steht unverkennbar hinter dem Ganzen. Aber es muß gesagt werden, daß sie — doppelt enttäuschend nach so kühnen konstruktiven Deutungen — gelegentlich recht grobe Formen annimmt, die hart durch den philosophischen Schleier hindurchstoßen. Die Art der Idealisierung und Romantisierung zwingt zum Geltendmachen kritischer Bedenken. Da wird ζ. B. der pantheistische Zug des naiven Dichtertypus erläutert, für den die Natur ein eigenes Herz besitzt, mit dem sie zu dem seinen spricht, um dann den idealen Zug abzuheben: „Mit regem Leben aber füllt der ideale Dichter die Natur". An sich klingt diese Erfülltheit recht verheißungsvoll, und sie könnte rein begrifflich auf die Vorstellung des „Lebensvollen", des „Lebendigen" zurückgeführt werden. Indessen dieses „rege Leben" entschleiert sich bei näherer Prüfung als eine bloße Inszenierung mit Elfen, Sylphen, Nymphen, Mondscheinlicht usw. Als Gefühls„Blüte" soll sich die im Gemüt entwickelte Idee entfalten; an sich recht bemerkenswert mit Bezug auf die „Ideengefühle" irrationaler Art (Geniezeit). Aber dann heißt es mit verdächtiger Veräußerlichung dichterischer Wirkungsmittel: „in der Sprache zarte, feine Webe stickt der Dichter diese Blüten ein oder (!) drapiert mit dem Idealgewande die Natur". Romantik im flacheren Sinne, fast schon Trivialromantik, wie sie Grabbe oder die Jungdeutschen und nicht zuletzt H. Heine angriffen, wird von solchen Blößen ablesbar. Das mag andeuten helfen, daß die hohen Worte und das Aphorismenspiel manche Unzulänglichkeit und Zeitenge nur notdürftig überdecken. Wertvoller vielleicht, interessanter jedenfalls sind Ansätze zu einer S t u f u n g der redenden K ü n s t e und der Versuch, jene grundlegende Unterscheidung produktiv-eduktiv auf die Sonderg a t t u n g e n zu übertragen. Görres hatte — gemäß der Verschmelzung von Wissenschaft und Kunst — sentimentale (gemeint ist etwa „sentimentalische") Dichtkunst definiert als Wissenschaft, die durch das Gemüt in den Kreis des Lebens hinabgeführt werde, während die naive Dichtkunst als „Kunde" (empirische „Kunde") umschrieben wird, die im Gegensatz dazu „im Gemüt zum Leben hinaufgehoben" erscheint, so daß wieder jene mittlere „ideale" Ausgleichsstellung gefunden wird. Demzufolge kann die Gattungsgliederung ansetzen: „Wissen ins Gemüt hinabgeführt und im

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Worte dargestellt gibt didaktische Poesie; an sie schließt sich die lyrische, die Gefühle im Laut uns malt und ganz zu unterSt im Gemüte in Musik sich verliert". Eingehender wird die Dramatik berücksichtigt. Wenn der dramatische Dichter dem „produktiven" Typus angehört, ist er Tragödiendichter, als „eduktiver" Typus dagegen Komödiendichter: „Der Tragödiendichter zeigt uns nun das Ringen der unendlichen Menschenkraft mit der unendlichen Naturkraft", eine Definition, die in relativer Zeitnähe von Kleists Guiskard-Fragment Beachtung verdient. Mit dem „unendlich" hält Görres zugleich die Konstruktionslinie des „Produktiven" inne; denn diese Gebilde der Poesie sollen durch „Unbegrenztheit und durch Ferne" rühren und ergreifen. Das Wunder der Weite klingt an, obgleich anders als bei Eichendorff. Aus dieser vertieften Auffassung folgert Görres die Größe und Vollkommenheit des tragischen Helden, in dem sich die ganze Menschheit gleichsam zusammendrängen muß. Dort dagegen, wo der Mensch nicht den heroischen Kampf aufnimmt, sondern sich im friedlichen Sinne an die „Materie verliert", entsteht das Lustspiel. Daher ist ihm die schlichte, durchschnittliche „gemeine Menschlichkeit" angemessen. Was die Tragödie vorwärts ins Unendliche erweitert, verengt die Komödie reduzierend auf den beschränkten Gesichtskreis. Die Tendenz der Tragödie geht auf Überhöhung, die der Komödie auf Verkleinerung ihres Helden. Mit Bezug auf den Zuschauer liegt die Tragödie über dessen Niveau, die Komödie unter seinem Standort. Dergestalt wirkt die Dramatik als Ganzes ausgleichend: die Tragödie erhebt den Schlaffen, die Komödie dämpft den Überspannten und Überheblichen. So gelangt Görres wieder zur angestrebten Aufhebung des Gegensätzlichen. Aber es bedarf dazu nicht unbedingt jener Addition von Tragödie und Komödie. Die Form des Schauspiels stellt vielmehr von sich aus das ideale Mittelglied. Das Schauspiel wirkt nicht „exzitierend" (Tragödie) und nicht „deprimierend" (Komödie), sondern nur „konservierend". In ihm tritt uns der gesunde Vollmensch gegenüber, nicht der Übermensch der Tragödie oder der Untermensch der Komödie. Nicht unterschlagen darf man bei dem Tagesschriftsteller Görres die politische Umdeutung. Nach ihr vertritt der Tragödiendichter den Despotismus des Menschengeistes (die Natur beherrschend, herrisch, teils diktatorisch), der Komödiendichter „die Dämagogie der Natur" (das Höhere, Geistige niederdrückend), der ideale

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Schauspieldichter erstrebt den wechselseitigen Ausgleich und repräsentiert den „wahren Republikanism". Als motivliches Problem steht der von Görres sogleich am Beginn seiner „Aphorismen . . . " berührte Gegensatz der Geschlechter im Mittelpunkt auch des Dramatischen: „Wie jedes Ideal, so wird auch das der dramatischen Kunst in der Gegenwirkung der Geschlechter nur erreichbar sein", ein Gesichtspunkt, der im Hinblick etwa auf Hebbels Dramatik Aufmerksamkeit verdient. Und so mögen die auf Hebbel hinweisenden Sätze kurz mitgeteilt werden: „Dem Egoisten muß der Mann allein Person, das Weib nur Sache sein . . . Im Mann allein ist Tätigkeit, im Weibe bloßes Leiden . . .". Für den größeren Zusammenhang der Entwicklung und Wandlung des Genie- und Geschmacksbegriffs läßt sich aus Görres' „Miszellen" als Beitrag die Unterscheidung einreihen: „Genie in der Kunst ist produktive Kraft der Phantasie, innere, treibende, aufsiedende Kraft, die sich nach außen zu verbreiten sucht; Geschmack (ist) Feinheit des Sinnes, der sich leidend den Eindrücken hingibt und das Empfangene dann sichtet und sondert und mit Liebe das Beste erwählt". In welchem Grade die „Aphorismen über die Kunst", die gesondert schon 1801 entstanden und dann als Einleitung den „Aphorismen Über Organomie, Physik, Psychologie und Antrofologie" (1802) vorangestellt wurden, spezifisch romantische Einschläge aufweisen, bleibt umstritten. Es scheint eine Fülle verschiedenartiger Anregungen autodidaktisch und in der Form improvisierend verarbeitet worden zu sein. Wenn Schiller, Herder und Humboldt kunsttheoretisch stark nachgewirkt haben, so bleibt entscheidend für die weltanschauliche Grundschicht doch die E i n wirkung der I d e n t i t ä t s p h i l o s o p h i e . Und die Art, wie Wissenschaft und Dichtung zur Einheit verschmolzen werden, mit der idealen Grundlage: Mathematik, verweist doch durchaus in romantische Richtung (selbst in jüngeren Jahren und kurze Zeit vor der näheren Bekanntschaft mit Clemens Brentano). Ausgeprägt romantische Haltung zeigen vollends die Beiträge zu der Zeitschrift „Aurora" (1804/5), darunter der Aufsatz unter dem Keimwort „ A n t i k und modern" oder ein anderer, kaum mehr als eine Skizze über „ A n t i k e n und modernen Stil". Der Charakter der Antike ist danach Poesie, selbst innerhalb der Philosophie, eine Anschauung, die bereits Hölderlins „Hyperion" ähnlich vertrat, der Charakter der damaligen „Modernen" dagegen

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Philosophie, selbst im Bereiche der Poesie. Das Antike sieht Görres noch mit Winckelmanns Augen als „Einfalt und stille Ruhe", also vorwiegend im Sinne des Apollinischen, nicht des Dionysischen, wie dann Nietzsche sie zu sehen lehrte. Aber ihn zieht es auf die Seite der „Modernen", wo der Geist nicht nach „Einheit", sondern nach „Allheit" strebt und die „Unendlichkeit" zu umfangen trachtet. Fast als Sturm und Drang deutet Görres' schwärmerischaktivistische Kraft diese Bewegung mit ihrer vielseitigen Mannigfaltigkeit, einer Mannigfaltigkeit, der auch „seltsame Verworrenheit, schneidende Kontraste, bizarre Verrenkungen" nicht fehlen, aber doch auch nicht „ungestümte Kraftergüsse". Die von Eichendorff erwähnten Ästhetik-Vorlesungen Görres' in Heidelberg (1807) dürften von seinen „Aphorismen über die Kunst" gezehrt haben. Damals stand Görres bereits in persönlicher und ideelicher Fühlung mit Clemens Brentano und Achim von Arnim. Und schon in diesem Jahre ergänzte er unter dem Eindrucke der Sammlungen Brentanos durch sein um ein tieferes Verständnis für den altüberkommenen und „stammhaftesten Teil" der Poesie werbendes Eintreten für den Dauerwert, aber gerade auch für den „inneren Wert" der Volksbücher die Vorbild-Poetik, wie sie Brentano und A. v. Arnim mit dem ersten Teile ihrer Sammlung „Des Knaben Wunderhorn" im Jahre seiner Ankunft in Heidelberg (1806) für das Volksliedhafte geboten hatten. Für das Volksliedhafte; denn literaturhistorisch und kunsttheoretisch ging es in der Tat darum und nicht um das Volkslied im engeren und strengeren Sinne. Aber es lag darin für die jüngere Romantik ein Stück Programmatik, nur eben in einem weit lebendigeren Sinne als in den literaturphilosophischen oder literaturkritischen Bekundungen der Frühromantik. Auch Görres beschränkte sich nicht auf das Volksbuch im engeren (poetischen) Sinne, wie denn schon die Titelgebung seiner „Näheren Würdigung" der „Deutschen Volksbücher" (1807) etwa die Arznei-Bücher mit einbezieht. Aber noch stärker als der Anteil Muster war hier der Anteil Mahnung ausgeprägt. Zwar Görres ermahnte nicht so ohne weiteres wie einst J. H. Merck die „lieben Deutschen", ihrem Mangel an epischen Geist durch das Lernen der Schriftsteller von der Erzählweise des Volkes wirksam abzuhelfen. Aber er brachte ihnen ihre schönen Volksbücher nicht nur geschmacksmäßig nahe, sondern er legte ihnen auch kulturhistorisch und literaturhistorisch nahe, einmal darüber nachzudenken, wie es denn wohl komme, daß diese leicht mißachteten

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Gebilde (deren Mißachtetwerden schon der Tieck der Märchensammlung „Peter Lebrechts" unter empfehlenden Hinweis aus die „Volksromane" bedauert hatte) einen vielen hochgeschätzten Kunstwerken weit überlegen sich erweisenden Lebenswert und Dauerwert zu behaupten wüßten. Und er stellte die Frage, ob nicht doch hinter dieser zeitlichen eine wesenhafte Bewährung steckte, die auf eine „innere Bedeutsamkeit" hindeutete. Dergestalt führte seine Blickrichtung vom Dauerwert der Volksbücher zu ihrem Lebenswert, waren sie doch selber gleichsam ein Stück des Volkslebens, „unermüdlich durch alle Stände durchpulsierend und von unzählbaren Geistern aufgenommen und angeeignet". Das Prinzip des Lebendigen, Lebensvollen und Lebenspendenden, innerhalb der jüngeren Romantik überhaupt weit stärker zur Geltung drängend als in der vergeistigten Atmosphäre der Frühromantik, setzt sich weiterhin durch in dem kleinen Beitrag Görres' zur Einsiedler-Zeitung über den „Gehörnten Siegfried und die Nibelungen" (1808), wenn dort der Einfall aufleuchtet, daß die Poesie nur dann und dort „recht lebendig und Leben gebend aus dem gemeinen Leben heraus" sich zu entfalten und zu erheben pflege, wenn allgemeine Gärungen das Volksbewußtsein durchregen und bewegen. Das „Andenken früherer Poesie" wird hier ebenso warm heraufbeschworen wie dort die Ehrfurcht vor dem empfohlen worden war, was „unsere Väter" an „Gutem und Schönen" herangebildet und überliefert haben. Der Ausdruck des Kulturhistorischen trägt in beiden Fällen einen kulturpatriotischen Akzent. Das alles mußte den Herausgebern des „Wunderhorns" weit näher liegen als die „Aphorismen über die Kunst". Aber diese „Aphorismen" rückten doch zugleich vom Persönlichen her einen jener Zugänge und Übergänge in ihre geistige Nähe, der an sich vielleicht mehr als Grenzform (zur älteren Romantik hin) wie als Grundform (etwa mit Bezug auf die jüngere Romantik) gelten darf.) So lebhaft der Eindruck sein mußte, den gerade in einer Epoche des nationalen Rückschlages jenes kulturpatriotische Ausgleichsstreben hinterließ, unbedingt neuartig waren die VolksbuchBestrebungen nicht. Denn entwicklungsgeschichtlich gesehen, tritt damit ein Wiederanknüpfen an den Sturm und Drang greifbar genug zutage, sowohl hinsichtlich der Liebe zum Volkslied als hinsichtlich der Vorliebe für das Volksbuch. Verwandt wäre auch ein Erlebnisersatzsuchen für die mangelnde Gelegenheit zur

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politischen und nationalen Auswirkung im engeren Sinne. Und trotz aller persönlichen und zeitlichen Unterschiede steht Chr. D. Schubarts publizistische Betätigung in der „Deutschen Chronik" (i774f.), die sich nicht mit jener kulturpatriotischen Verlagerung begnügen wollte, im Prinzip auf einer Linie mit des Publizisten Görres' „Rheinischem Merkur" (18x4—16), der dann zur gegebenen Zeit die kulturpatriotischen Antriebe und Vorlieben umsetzen konnte in eine zeitgemäße nationale Wirksamkeit. Bis zu welcher Steigerung jedoch bereits die kulturpatriotischen Erprobungen der nationalen Kräfte, denn sie zu betonen ist bei der Heidelberger Romantik schlechthin auch rein ideengeschichtlich unerläßlich, führen konnten, bekundet die Ausprägung der Vorstellung eines dichtenden Volksgeistes durch Jakob Grimm, die Herders Frühkonzeption und selbst A. G. Bürgers derbe Begeisterung noch beträchtlich hinter sich ließ. Zeitlich und wesentlich in unmittelbarer Nachbarschaft begegnet bei Görres bereits die Umschreibung des Volksbuchs als Verkörperung oder, wie Görres sagt, als „Körper des Volksgeistes". In der „wunderbaren", ein wenig die Darstellungsart Jean Pauls und damit auch der romantischen Ironie übernehmenden und (Grabbes) Scherz, Satire, Ironie und tiefere Bedeutung (in Grabbes Sinne) vorwegnehmenden „Geschichte von Bogs, dem Uhrmacher" (1807), die Görres und Brentano gemeinsam als erbauliches Produkt tiefsinnigen Leichtsinns der Phantasie herausbrachten, also im Jahre, von dem hier ausgegangen wurde und in dem auch Görres „Die deutschen Volksbücher" erscheinen ließ, gehört zu den bedenklichen Besitztümern, die der Mensch (Humanitätsidee) der spießbürgerlichen „Schützengesellschaft" zuliebe aufgeben soll, auch die Vaterlandsliebe; aber ebenso „unbrauchbare Phantasien" und (mit unverkennbarem Reflex) „alte fabelhafte Geschichten". Dort nämlich haben Aufkläricht und Kritikastertum, haben Typen wie Nikolai und Kotzebue, die dafür stellvertretend wirken, der „neuen romantischen Clique" einen ebenso unerbittlichen wie ergötzlichen Kampf angesagt. Und es dürfte auch nicht Zufall sein, wenn der Uhrmacher, der alle sieben freien Künste einfängt und mit seiner Kunstmechanik notdürftig zur zweckgebundenen Wirksamkeit bringt (Reflex der ästhetischen Zweckfreiheit), gerade an der romantischen Kunst der Musik seine stärkste Bedrohung findet. Und vollends wird die polemische Stoßrichtung unverkennbar, wenn unter den verdächtigen Auf22 Marlcwardt, Poetik I I I

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käufern jener entbehrlichen und gefährlichen rein-menschlichen Habseligkeiten nun auch der Mensch selber gleichsam als Wiederaufkäufer verlorenen Gutes erscheint, wobei die Verquickung dieses allegorischen Vorganges (an sich erhält auch der AllegorieBegriff seinen Seitenhieb) mit der „neuen Kunst und Poesie" bedeutsam in Erscheinung tritt. Nicht allein wegen der Rolle der Musik oder wegen der grotesken Phantastik lassen sich vom „Bogs" ideengeschichtliche Linien ziehen (und sie sind gezogen worden) zum „Klein Zaches" Ε. T. A. Hoffmanns, der dann später Brentano in seiner Berliner Zeit auch persönlich kennen und schätzen lernte. Das scheint nun in weitester Beziehungsferne zu jener Volksund Naturdichtung zu stehen, wie sie hinsichtlich der Begriffsbildung in Jakob Grimm kulminierte. Zwar klingt die Sehr lange Titelgebung und mancher Einzelzug an Volksbuchbräuche (im weiteren Sinne) an, aber was herrscht und das ganze „Bogs"Unternehmen Brentanos und Görres' beherrscht, ist die Ansage des Kampfes anspruchsvoller Geistigkeit an das Ungeistige. Das ist die andere Seite, die von der Frühromantik her vertraut ist, die aber jetzt doch eine andersartige Belichtung erfährt. Es ist nicht mehr so wie beim frühen Tieck. Man schwankt nicht selber, ob man ernst nehmen oder ironisieren soll, sondern man nimmt die Maske derer an, die das ironisieren möchten, was man selber ernst nimmt, um diese anderen im doppelten Reflex bloßzustellen. Zwar die werkimmanente Poetik zeigt gerade bei Brentano ein starkes Nachwirken der romantischen Ironie, aber auch ihre liebenswürdigere, gemütvollere Umformung. Und angesichts dieses hervorstechenden und daher immer wieder aufgestochenen Charaktermerkmals Brentanos sollte man sein Ringen um eine Annäherung an das Naturhafte nicht übersehen. Es kündigt sich recht früh bei ihm an, zum mindesten in seinem bewußt geäußerten Kunstwollen, das hier besonders berücksichtigt werden muß, wenngleich nur recht andeutend beschrieben werden kann. Geht man auf das Jahr zurück, in dem J. v. Görres seine „Aphorismen über die Kunst" veröffentlicht hatte, so stößt man auf Brentanos „Godwi"-Roman. Den Jugendroman mag man (wie es geschehen ist) mit gutem Recht der Frühromantik zuweisen, und zwar seiner Entstehungszeit u n d seinem Wesen nach. In den Schlußsätzen jedoch der an sich überwiegend autobiographisch beziehungsreichen Widmung seines „verwilderten

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Romans", wie Brentano selbst im Untertitel seinen „ G o d w i " (1801/02) benennt (wobei man mit einigem Wohlwollen das „verwildert" auch in Benachbarung eines gewissen Bemühens um Natur-Annäherung und im entwicklungsgeschichtlichen Zusammenhang mit demWiederaufgreifen geniezeitgemäßer Bestrebungen der jüngeren Romantik auch ein wenig ins Erwünschte des naturhaft Verwilderten etwa nach dem Vorbild des Englischen Gartens hinüberdeuten könnte), wird immerhin schon ein Ansatz spürbar von dem dann vor allem bei Jakob Grimm erfolgenden Vorstoß zugunsten der Naturdichtung bzw. dem Gegenstoß erstrebter und ersehnter Naturdichtung gegen die den poetischen Machtbereich beherrschende Festung der Kunstdichtung. Dabei will berücksichtigt sein, daß der junge Dichter Brentano natürlich anders als dann J . Grimm die Möglichkeit einer naturhaften Poesie innerhalb der Kunstdichtung durchaus bejaht. Sieht man davon ab, daß zugleich das Bedürfnis mitwirkt, die (bes. die erotischen) Kühnheiten des Romans zu entschuldigen, so wäre hinsichtlich des Eintretens für die Gefühlsunmittelbarkeit, wenngleich von einem anderen Zugang aus, doch eine gewisse Teilberührung mit Forderungen H. v. Kleists zu bemerken. Brentano erbittet die Gunst eines heiteren, unbefangenen Sinns und einer fröhlichen Frische, „ . . . damit ich lerne, das Tiefste auf die Oberfläche zu führen (Verhältnis: Ausdruck-Eindruck), und mich bestrebe, einstens wie die N a t u r selbst das dem Menschen zum frohen, erlaubten Genüsse hinzugeben, wovor das Vorurteil, wie man sagt, zurückbebt (Anteil: Entschuldigung). Aber man sagt nur so; der Inhalt der ganzen Welt (das Universale u. d. echte Lebensvielfalt) ist immer der schönste, heiligste oder freudigste; nur der Vortrag, die Unbeholfenheit des Vortrags ist verboten" (V, 5). Will man daraus nicht gar eine Art von „Neuhumanismus" oder neuer „Renaissance" im Sinne der Nähe der Klassik herauslesen, so überwiegt jedenfalls der Eindruck eines Sichberufens auf das „Naturrecht" nach Art des Sturmes und Dranges, zum mindesten eines persönlichen Sturmes und Dranges. Allerdings: die knappe eigentliche Vorrede (Juni 1800 gez.), an sich mehr vorbeugend auf Kritik eingestellt, verspricht, daß der Dichter fortan „kunstreicher . . . vorwärtsschreiten" wolle, fast wie der junge Goethe gelegentlich seines „Clavigo". Sie bekundet vor allem Brentanos Ringen mit dem ihn unterjochenden Subjektivismus und spricht zielsetzend den (an W. v. Humboldt 22·

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anklingenden) Wunsch aus, „zur Macht der Objektivität zu gelangen", einen Wunsch, der Achim v. Arnim gleichfalls vertraut war und von ihm weitreichender erfüllt wurde, bzw. v o n ihm im höheren Grade erfüllt wurde als von Brentano. Für Brentano blieb vielmehr im ganzen jene Art kennzeichnend, die der Roman selbst, wenn auch mit anderer Sinnbeziehung, so umschreibt: „bald suche ich Umrisse von Gesichtern . . . und indem sie selbst immer leise zerrinnen, wird aus meinen einzelnen Arten ein allgemeines Dichten ohne eigentlichen S t o f f . . . " . Und so klagt denn auch die Vorrede zum zweiten Bande des Romans (1802) über das „schwankende Gerüst" der Gesamtkomposition. Dagegen läßt das an sich wiederum persönlich gehaltene Widmungsschreiben dieses Teils an seine Schwester Bettina „ A n B., u n a b h ä n g i g e D e d i k a t i o n " eine Zentralkraft greifbar zur Wirkung gelangen: die — zum mindesten theoretisch geforderte — Abwehr der Reflexion als des schlechthin zerstörenden Prinzips. Brentano versteht die klagenden Jünglinge, die zuschauen müssen, wie „die Philosophie mit der Reflexion alle Töpfe des Prometheus zerschlägt" (an Hamanns Anklage der „mordlügnerischen Philosophie" lebhaft erinnernd), wie der „Geier der Reflexion" das „ewig wiederkehrende Herz" gefühlsmäßiger Dichtkunst zernagt. Die j ü n g e r e R o m a n t i k s t e h t h i e r b e r e i t s im A b l ö s u n g s k a m p f g e g e n die ä l t e r e R o m a n t i k , in einem L o s l ö s u n g s v o r g a n g v o m R e f l e x i o n s m ä ß i g e n , der d a n n in K l e i s t s A b h a n d l u n g „Über das M a r i o n e t t e n t h e a t e r " zur vollsten Stoßk r a f t der n e u e n oder d o c h w e s e n t l i c h a b g e s t u f t e n L e i t i d e e n s i c h e n t f a l t e n s o l l t e . Das Kleistische „Frage dein Gefühl!" klingt bereits in Brentanos(-Marias) Genugtuung an darüber, daß er „noch lieben kann und fühlen im Ganzen, ein volles Leben mit vollem Herzen umarmen", daß er vor intellektueller Zertrennung und Zergliederung „zurückschreckt". Soweit das Widmungsschreiben. Aber darüber hinaus fällt es nicht schwer, in den zahlreichen literaturphilosophischen Exkursen des „Godwi", also des R o m a n s s e l b s t ähnliche Thesen oder Anti-Thesen aufzufinden. Um sogleich jene Wesensverwandtschaft mit dem Kleistschen „Marionettentheater" zu verdeutlichen, mag vorweggenommen werden eine allgemeiner gehaltene Klage aus Godwis „Fortsetzung meines Tagebuchs", die fast ein wenig Rousseauisch — wie denn manches in der jüngeren Romantik

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an die Bestrebungen der Geniezeit anknüpft — die verfehlte Erziehung dafür verantwortlich macht, daß „unsere Seele . . . vom bürgerlichen Leben wie von einem Tanzmeister" in Naturwidrigkeit, Steifheit und gekünstelte Beweglichkeit hinein „geschraubt" wird, die indessen „sobald wir in die Natur treten, zu höchstverderblicher Ungeschmeidigkeit und Einseitigkeit führen". Vielleicht aber darf man dabei noch eher an das Symbol der „Schnürbrust" denken, jenes einst dem jungen Schiller und dem jungen Heinse so verhaßte Symbol des steifen, naturwidrigen Zwanges. Oder auch an die erwähnte Briefstelle Kleists wird man erinnert, die jede erste unwillkürliche Bewegung als schön preist, während alles, „was sich selbst begreift", notwendig schief und „verschroben" ausfallen müsse, wenn Brentano vor jener scheinkünstlerischen, scheinnatürlichen, nur „auswendig gelernten Mannigfaltigkeit" warnt. Besonders ballt sich diese ideale Zielprägung der ungebrochenen Gefühlsechtheit in den Worten des alten Werdo: „. . . ein Gedicht der ewigen Natur ist Demut. Auch kannst du es nicht bilden oder weiter in dieser hohen Gabe vorwärts schreiten, denn alles Wissen ist der Tod der S c h ö n h e i t , die in u n s w o h n e t , u n d dieselbe w ä r e , wär gleich die W i s s e n s c h a f t noch n i c h t e r f u n d e n " . Mit der Forderung nach Gefühlsechtheit verbindet sich das vertiefte Problem der Wahrhaftigkeit und inneren Erlebniswirklichkeit, auf Ausdruckskunst hindrängend und vor der Vereisung durch die Reflexion die spontane Gefühlswärme schützend: „. . . auch der Wahrste lügt, will er mit AVorten, was er fühlet, sagen, und nur die Äußerung ist wahr, die unvermutet und unverschuldet aus der Tiefe steiget". Wieder liegt ein Rückblick auf die Geniezeit nahe, und zwar auf des jungen Herders Zweifel an der Möglichkeit einer rein dichterischen Gefühlssprache, eben weil er — ähnlich Brentano — diese Gefühlssprache ersehnte. Und in diese R e h a b i l i t a t i o n der N a t u r u n d des G e f ü h l s im Angesicht der Kultur und vor dem Verstände kann nun die romantische Philosophie der Liebe in voller Strömung einmünden und auch für das schlechtweg Dichterische und Schöpferische wesensbestimmend und werterhebend, ja wertbedingend einbegriffen werden. In der Liebe liegt zuletzt — ähnlich wie für Görres oder früherhin Heinse — doch die „wahre Auflösung aller Rätsel der Kunst, in der reinen Natur; und die Natur hat sie in

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die Liebe des reinsten Weibes gelegt". In diesem Sinne gilt die ehrfürchtige Betrachtung der Poesie neben der Bild- und Tonkunst „wie eine Reliquie des Ganzen, das die Liebe ist". — Über die Kluft von Natur und Kultur — aufs neue voll empfunden — wird wohl eine Brücke zu schlagen versucht, und dann scheint es Brentano wie seinem Godwi, als „sei der Genius der höchsten Kultur auch derselbe der einfachsten Natur". Aber im Bereiche der Kunst läßt sich die Spannung zwischen Kunstpoesie und Naturpoesie nicht mehr einfach aufheben oder umgehen. Schon im „Godwi" wird das „Gesellschaftslied" als künstliches Produkt gelegentlich abgehoben von dem „göttlichen Gedicht" als (und aus) Naturgabe. Damit klingt jenes „Programm" vor, das Clemens Brentano und Achim v. Arnim dann nicht nur als Theorie, sondern als mustergebende Zielsetzung zu bewähren suchten in der Sammlung „Des Knaben Wunderhorn" (1806—1808). Im Januar 1805 bereits richtet Ludwig A c h i m v o n A r n i m (1781—1831) ein Sendschreiben „An Herrn Kapellmeister Reichardt", das, dem ersten Bande des „Wunderhorns" angefügt, „Von V o l k s l i e d e r n " handelt mit Bezug auf die Sammlung der beiden Freunde. Aber wiederum „handelt" es nicht eigentlich ab im Sinne theoretisierender Erörterung und zielklarer Programmatik, sondern gibt sich mit romantischer Lässigkeit zwanglos stimmungsmäßigen Meditationen hin, wobei historisch-politisches Interesse stark übergreift und streckenweise vom engeren Thema abdrängt. Der kulturkritische Skeptizismus, an sich an die Ausgangsposition der Geniezeit erinnernd, erhält seine abtönende Einfärbung durch die gedrückte Stimmung vor Jena. K u l t u r k r i t i k , nicht zum wenigsten auch gegen ein volksfremdes Bühnenwesen gerichtet (vgl. Herders „Adrastea"), und K u l t u r p a t r i o t i s m u s , der das romantische Hinüberblicken auf die Auslandsliteratur (bes. des Volksliedes) nicht ausschließt, verbinden sich dergestalt zu einer klagenden und mahnenden Betrachtung mehr als zu einem programmatischen Manifest. Der mitreißende Schwung der Herderschen Volksliedbewegung fehlt merklich. Aber aus der dumpfen, bedrohlichen Gedrücktheit der Gegenwart heraus erlöst sich dennoch das drängende Ersehnen: „Wo Deutschland sich wiedergebiert, wer kann es sagen? Wer es in sich trägt, der fühlt es mächtig sich regen." Und gerade die kulturpatriotische Sendung des Volksliedes wird darin gesehen.

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Heilung zu bringen von den Zersetzungserscheinungen; denn es „scheint in diesen Liedern die Gesundheit künftiger Zeit uns zu begrüßen". Bis in Einzelzüge hinein läßt sich diese kulturpatriotische Einstellung Arnims verfolgen, der nachdrücklich Verwahrung gegen die billige Methode unzulänglicher Könner bzw. Nichtkönner einlegt, die angeblich mangelnde Ausdruckskraft ihrer Muttersprache für eigene Schwächen verantwortlich zu machen, eine Abwehr oder, anders gesehen, eine Ehrenrettung des Deutschen, wie sie einst schon Lessing durchgefochten hatte. Sicherlich unbeeinflußt, formuliert doch Arnim nur wenig abweichend: „Denkt auch daran, daß es gar nichts sagt, fremde Sprachen melodischer zu nennen, als nur daß ihr unfähig seid und unwürdig der euern." W e s e n s e l e m e n t e u n d W u c h s b e d i n g u n g e n der V o l k s d i c h t u n g . Vielfach tritt ein wenig abgeblaßt und leicht angekränkelt vom romantischen Bildungserleben, wie es auch in einer teils geschraubten Stilgebung fühlbar wird, Ähnliches zutage, was die Geniezeit im ersten Ansturm leidenschaftlicher erkannt und bekannt hatte: die Erstarrung der modernen Schriftsprache gegenüber der älteren volksnahen Sprechsprache des täglichen Umgangs („Freiheit alter Sprache, die Starrheit der heutigen"), die entsprechende Hochschätzung der Mundarten („dem geschickten Künstler sind die Dialekte Tonarten", Gegensatz zum Jungen Deutschland, etwa zu Ludolf Wienbargs bekannter Abwehr), die Ungebrochenheit des Affektes im Volkserleben und im volkstümlichen Dichten bei dem Teil der Nation, „ d e r a l l e i n n o c h die G e w a l t der B e g e i s t e r u n g g a n z und u n b e s c h r ä n k t e r t r a g e n k a n n " , die sich daraus zwangsläufig ergebende A u s d r u c k s e c h t h e i t des Volksliedes („da verfliegt das Unechte"), die Abwehr der Gefühlsbrechung und intellektuellen Entartung städtischer Zivilisation (der „kränklichen Reizungen der Städtlichkeit"), die Verteidigung des Wunderbaren, des Lebendigen, Wachsend-Werdenden, Erfrischenden, Gesundenden, ewig Erhaltenden und national-volksmäßig Dauernden, „aus dem Herzen des Volks in den Mund unsterblich" Überströmenden. Die A n t i t h e s e v o n N a t u r d i c h t u n g und K u n s t d i c h t u n g , von Brentano bereits teilweise herausgebildet, wird in diesem Sendschreiben nicht systematisch ausgebaut, wenngleich sie als Grundschicht überall hindurchschimmert durch den z.T. recht geschmückten Schleier romantischer Diktion. Nur gelegentlich

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begegnet die gestrafftere Fragestellung: „Wenn nun so einfache, leichte Kunst viel wirkt, wie kommt es, daß oft die schwere gehäufte sogenannte Kunst nichts leistet?" ohne restlos klare Beantwortung zu finden. Eine der Ursachen wird aber offenbar gesehen in einem künstlichen, übersteigerten und überheblichen Kunstwollen, in einem forcierten, beifallhungrigen Kunstschaffen gegenüber der spontanen Unmittelbarkeit bei ausgeprägten Volksdichtern: „Diese brauchten keinen solchen wunderlichen Anlauf zur Poesie; wer dichtete, dem war dies Natur und Leben, wobei es keine Gesichter schnitt". Eine weitere Erklärung bietet offenbar für Arnim die gekünstelte Bildungs- und Schriftsprache. Die apollinische Überlegenheit und Ausgeglichenheit, die „stolze Gleichgültigkeit" (Abwehr der Klassik und der Urbanität der Ironie b. d. älteren Romantikern) ist als Gefahrenzone der Kunstdichtung ebensowenig geeignet, gefühlsmäßig mitzureißen und kann nicht „andere erfassen und ergreifen". Die Zunft nicht nur der Kunstdichter, selbst die ausschließliche Wertgeltung der Genialität erfährt Einschränkung unter dem Eindruck einer Dichtung, die doch unmittelbar aus dem Volk aufzusteigen schien. In diesem Sinne wagt Arnim den Vorstoß: „Jeder ist ein Künstler, der das mitteilen kann, was ihm eigentümlich im All, die andern zu erklären". Und hier mündet zugleich die Volkskunst in die Kunst schlechtweg ein; denn die wahre Kunst bleibt stets „ein A u s d r u c k des ewigen D a s e i n s " . So kann das Sendschreiben doch schließlich manifestartig und prophetisch ausklingen. Denn der, „der viel und innig das Volk berührt", erscheint vorzüglich berufen, sein Volk über alle Standesund Religionsschranken hinweg zu führen „zur einer neuen Zeit unter seiner Fahne", auch im Bereiche der Kunst überwinder zu wrerden des Zwiespalts zwischen „ H e l l e n i s c h e m und R o m a n t i s c h e m " , der nicht unüberwindlich sein darf. „Was der Reichtum unsres ganzen Volkes, was seine eigene innere lebende Kunst gebildet, das Gewebe langer Zeit und mächtiger Kräfte, den Glauben und das Wissen des Volkes, was sie begleitet in Lust und Tod, Lieder, Sagen, Kunden, Sprüche, Geschichten, Prophezeiungen und Melodien: wir wollen allen alles wiedergeben, was im vieljährigen Fortrollen seine Demantfestigkeit bewährt, nicht abgestumpft, nur farbespielend geglättet, alle Fugen und Ausschnitte hat zu dem allgemeinen Denkmale des größten neueren Volkes, der Deutschen".

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Nach anderer Richtung verfolgen späterhin Gottfried Keller — hinsichtlich der Bedeutung der Volksfeste als Träger der Volksdichtung — und Berthold Auerbach, teils recht kritisch gegen die vornehme Liebhaberhaltung der Romantiker eingestellt, benachbarte Gedankengänge in der Themastellung, weichen indessen in der Lösung nicht unwesentlich ab von Arnims Auffassung, die auch nicht gleichgesetzt werden darf mit Bürgers Bemühungen um eine „populäre" Dichtung. Der historische Zug ζ. B., den Auerbach als Rückschrittlichkeit deutet und ablehnt, setzt sich bei A. v. Arnim gerade auch in der ersten „ N a c h s c h r i f t an den L e s e r " (1805) durch als vorwärtstreibendes, auflichtendes Element. Denn das hat ihm das „Wunderhorn" zu seinem „liebsten Buch" gemacht, was darin „weht: die frische Morgenluft altdeutschen Wandels", eine Wendung, die also keineswegs als paradox empfunden wird. Und in dieser sehr knappen ersten „Nachschrift" findet sich nun auch Raum für ein scharfes Abheben von volkstümlich-ursprünglichem Dichten und Kunstdichtung. Denn jedes dieser Volkslieder — so scheint ihm — „atmet, pulsiert in sich, lauter frische spielende, ringende Kinder", während die entsprechenden Gebilde der Kunstdichtung leicht wie „hölzerne Puppen" sich daneben ausmachen, „die selbst echte Dichter aus Angewohnheit des Bildens ihren echten Kindern nachmachen". Allerdings mußte die wesentlich späterliegende „ Z w e i t e N a c h s c h r i f t an den L e s e r " (1818) zugestehen, daß die Herausgeber als Kunstdichter doch eben in die Naturdichtung teils ergänzend eingegriffen, also recht eigentlich doch auch „aus Gewohnheit des Bildens" umbildend sich versucht hatten. Eine heute Selbstverständliche Ehrfurcht vor dem echten Volkslied findet also hier seine nicht unbedenklichen Grenzen an der eignen Dichtfreudigkeit. Und J . H. Voss, dessen Angriff im „Morgenblatt" nicht ohne Berechtigung in diese Richtung vorgestoßen war, wird mit der Schwere seines Vorwurfs der „Verfälschung" kaum ernstlich verstanden, wenn Arnim — ein wenig wohl auch von der Gegenwehr fortgerissen — auch jetzt noch bedauert, „daß nicht noch manches andere darin gerundet, gekürzt und ergänzt ist". Der historische Sinn, in den „Kronenwächtern" bewährt, ist nicht gleichzusetzen mit literaturwissenschaftlichem oder volkskundlichem Verantwortungsbewußtsein im pflegsamen Betreuen älterer Dichtungsbestände. Es ging mehr um die Belebung der Liebe für das Volkslied und Volksliedähnliche schlechthin.

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Einer eingehenden Klärung des Volkslied-Begriffes, einer eigentlichen Abhandlung über Volkslieder und ihren wesenhaften Typus weicht A. v. Arnim absichtsbetont auch bei dieser Gelegenheit aus, indem er sich in dieser Hinsicht beschränkt auf den Abdruck einer längeren wohlwollenden R e z e n s i o n des „Wunderhorns", die G o e t h e in der „ J e n a i s c h e n a l l g e m e i n e n L i t e r a t u r z e i t u n g " (1806) veröffentlicht hatte. Da sich Arnim die Stellungnahme Goethes in jener Besprechung zu eigen macht, so mag erwähnt sein, daß Goethe gewiß die „wahre Poesie" der Volkslieder warm anerkennt; aber doch gewisse Einschränkungen von der Klassik her spürbar werden läßt. Das wiederholte Einräumen deutet ebenso in die Richtung gewisser Teilbedenken oder im Stillen überwundener Hemmungen, wie auch nicht verhohlen wird, daß „hier die Kunst mit der Natur in Konflikt" stehe, der indessen das lebendige „Werden" fördere. Goethe hebt hervor, daß die „seit Jahren" eingebürgerte Bezeichnung „Volkslieder" nicht darüber hinwegtäuschen dürfe, daß diese Lieder „eigentlich weder vom Volk noch fürs Volk gedichtet sind". Ein behutsames Ändern und das „Restaurierte", ja selbst das „Untergeschobene" an Kunstdichtung wird nicht als störend empfunden; denn „wer weiß nicht, was ein Lied auszustehen hat, wenn es durch den Mund des Volkes, und nicht etwa nur des ungebildeten (!) eine Weile durchgeht". Anregungen erwartet er gerade auch für die Tonkunst im Sinne neubelebender Nachbildung. Arnim nimmt nicht irgendwie kritisch Stellung, sondern bietet Goethes Ausführungen als Ersatz für fehlende eigene „Betrachtungen über das Volkslied, die ich hier gern einschaltete", und begnügt sich mit Rückerinnerung an die Heidelberger Sammlerzeit. Letztlich habe jedes Lied „seine beste Geschichte in sich selbst". Während eine umfassende Berücksichtigung der romantischen Volksliedtheorie oder etwa J. Grimms Theorie vom Volksepos nicht beabsichtigt ist, fordert Arnims „ E i n l e i t u n g " in „ D i e K r o n e n w ä c h t e r " (1817) näheres Eingehen. Denn diese selbst wiederum dichterisch durchgeformte „Einleitung", bei deren Lektüre Wilhelm Grimm besonders greifbar das Bild des Freundes vor sich auftauchen sah, und die also fraglos stark individuelle Züge aufgeprägt erhielt, ist nicht ausschließlich dem Verhältnis von „Dichtung und Geschichte" gewidmet, sondern berührt auch mit einigen Gedanken den dichterischen S c h ö p f u n g s v o r g a n g an sich. Und zwar fordert jetzt A. v. Arnim — nicht ohne Ab-

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hebung von der Unmittelbarkeit des Volksliedes — einen gewissen Erlebnisabstand vom ersten Affekt. „Das Mittätige und Selbstergriffene . . . ist gewiß mehr hemmend als aufmunternd", weil die Heftigkeit des Gefühls etwas Beklemmendes und Unfreimachendes mit sich bringe und der Schaffende der leidenschaftlichen Hast „mit der trägen Pflugschar des Dichters, mit der Schreibfeder" nur schwer und letztlich doch immer unzulänglich Gefolgschaft leisten könne. Arnim berührt damit die Problematik der Ausdruckskunst und verneint also die unbegrenzte Unmittelbarkeit einer Ausdruckskunst an sich. Rein sachlich gesehen, taucht hier die ältere Lehre der Poetik vom Affektabstand auf; aber natürlich wesentlich modifiziert etwa gegenüber frühaufklärerischen Auffassungen. Denn Arnim bejaht an sich durchaus die Leidenschaftlichkeit als Attribut des Dichtertums; er verwirft sie nur als deren vermeintlich unerläßliche Vorbedingung: „Die Leidenschaft gewährt nur, das ursprünglich wahre menschliche Herz, gleichsam den wilden Gesang des Menschen, zu vernehmen, und darum mag es wohl keinen Dichter ohne Leidenschaft gegeben haben; aber die Leidenschaft macht nicht den Dichter; vielmehr hat wohl noch keiner während ihrer lebendigsten Einwirkung etwas Dauerndes geschaffen, und erst nach ihrer Vollendung mag gern jeder in eignem oder fremdem Namen und Begebenheit sein Gefühl spiegeln". Nicht die Leidenschaftsflucht oder Gefühlsfremdheit der Aufklärung, deren Nachzügler Voß noch durch Arnim und Brentano in Heidelberg hatte bekämpft werden können, nicht Rationalismus ist es, was Arnim dies subjektive „Selbstergriffensein" abwehren läßt, sondern ein merkliches Hinausstreben aus einseitig romantischem Subjektivismus und ein entsprechendes H i n s t r e b e n zur O b j e k t i v i t ä t , das unverlierbare Werte der Klassik zu bewahren trachtet und zugleich durch Arnims historisches Interesse notwendig Kräftigung erfahren mußte. Diese Objektivität, die auch die historische Dramatik Arnims in gewissem Grade abstuft gegenüber der ausgeprägt romantischen Dramatik, will nun nicht etwa nach Uhlands oder E. Raupachs Art historische Datentreue empfehlen, sondern bietet durchaus dem romantischen Element der intuitiven Ahnung Raum zur Entfaltung, gestattet ein Weiterdichten und ein inneres Verdichten und Ausfüllen lückenhaften Geschehens und lückenhafter Geschehnisüberlieferung. Und gerade auch für seinen historischen Roman „Die Kronenwächter" sichert

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er dem Strom der historischen Dichtung bewußt die Bewegungsfreiheit in der Wahl des Darstellungsverlaufes trotz aller Verbundenheit mit den Quellen. „Das Bemühen, diese Zeit in aller Wahrheit der Geschichte aus Quellen kennen zu lernen, entwickelte diese Dichtung, die sich keineswegs für eine geschichtliche Wahrheit gibt, sondern für eine „geahndete (-erahnte) Füllung der Lücken in der Geschichte, für ein Bild im Rahmen der Geschichte". Unter den zahlreichen Aussagen schaffender Künstler über das Verhältnis von Dichtkunst und Geschichte von Dichtung und Datentreue verdient gewiß diese Prägung Arnims erhöhte Beachtung. Zugleich aber läßt er keinen Zweifel darüber aufkommen, daß das Sehertum der Dichter — denn das Dichten ist für Arnim „ein Sehen höherer Art zu nennen" — die von Leidenschaften ungetrübte und von subjektivistischen Abirrungen befreite Sichtklarheit auch innerhalb jener Wesensschau — wie wir heute etwa sagen würden — aufrechterhalten kann und soll. Das will seine Metapher von der „Kristallkugel im Auge" des dichterischen Sehers, der doch auch ein Sehender, Anschauender sein muß, besagen, und das stellt vollends die Erläuterung unzweideutig heraus: „Ihr Wesen ist Klarheit, Reinheit und Farbenlosigkeit. Wer diese in der Geschichte verletzt, der verdirbt auch Dichtung, die aus ihr hervorgehen soll; wer die Geschichte zur Wahrheit läutert, schafft auch der Dichtung einen sichern Verkehr mit der Welt". Vor Mißdeutungen in der Richtung aufklärerischer Nüchternheit hatte sich dabei Arnim vorbeugend gesichert durch die ausdrückliche Verteidigung des Phantasierechts jedes wahrhaften Dichters. Nur Verständnislosigkeit „mag ihn der Lüge zeihen in seiner höchsten Wahrheit; wir wissen, was wir an ihm haben und daß die Lüge eine schöne Pflicht des Dichters ist". Eine solche Position war unterbaut durch die einleitende Betrachtung darüber, daß materielle Güter leichter übererbt und bewahrt bleiben als geistige Werte, deren ständiger Fluß ein Festhalten über Generationen hinweg erschwert, wenn nicht unmöglich macht. Als Ganzes, als Datenmosaik kann der geistige und kulturelle Bestand und Ertrag einer Epoche recht eigentlich niemals festgehalten werden, so meint Arnim. Gerade auch nicht von den zu eng ihr verflochtenen Zeitgenossen und Miterlebenden. In der Erinnerung aber dämmern unserer „inneren Anschauung" einzelne prägnante Ausschnitte lichtstark auf. Das so verstandene Sehen „ahndungsreicher

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Bilder", das innere Finden und Festhalten „erleuchteter Betrachtungen" führt bereits unmittelbar und fast unmerklich in das Wesensbereich des Dichterischen hinüber. Denn „wir nennen diese Einsicht, wenn sie sich mitteilen läßt, Dichtung; sie ist aus Vergangenheit in Gegenwart, aus Geist und Wahrheit geboren". Dichtung, dergestalt als Deutung des Zeitgeistes verstanden, wird leicht eine historische Neigung und Nötigung mit sich führen. Und dieser historische und kulturhistorische Sinn, die romantische Sammlerfreude und das Anteilnehmen an Erscheinungen und Fragen der Volksdichtung verbinden sich, wenn eine F ö r d e r u n g u n d F o r d e r u n g v o l k s t ü m l i c h e r D r a m e n f o r m e n Achim v. Arnim über Jahre hinweg lebhaft beschäftigte. Es standen diese Bestrebungen, die teils auf das Volksstück im weiteren Sinne abzielten, teils wenigstens die höhere Dramenform möglichst weitgehend dem breiteren Verständnis zugänglich machen wollten, vor allem im engen Zusammenhange mit Arnims lange gehegtem und gepflegtem Plane einer Sammlung bzw. Herausgabe von „altdeutschen" oder doch als altdeutsch empfundenen Bühnenstücken unter stärkerer Berücksichtigung lustspielartiger Theaterstücke. Allerdings scheint dabei die Zeitgrenze (etwa 1750 gibt A. v. Arnim einmal selber an) recht weit zur ausgeprägten Kunstdichtung hin gezogen zu sein. Hätte Arnim diesen weitschichtig ausladenden Plan verwirklicht, so besäßen wir aus dem Heidelberger Kreise neben der Volksliedersammlung und der Volksbuchwürdigung auch eine Volksstück-Sammlung. Allen Ernstes brachten die Heidelberger Jahrbücher (Intelligenzblatt vom März 1808) eine entsprechende Ankündigung, wonach jene Sammlung als „Alte deutsche Bühne" erscheinen sollte. Was von diesen u. a. auch in der Vorrede zu „Halle und Jerusalem" berührten Plänen dann wirklich herauskam, blieb beschränkt auf den Einzelband der „Schaubühne von L. Achim von Arnim" (1813) mit zehn Beispielen, darunter neben Ayrer und Stücken der englischen Wanderkomödianten einige eigene Dramatisierungen vorherrschend volkstümlicher Motive. Unter dem Eindruck der Sammlung L. Tiecks „Deutsches Theater" (1817) läßt A. v. Arnim jene Pläne vollends (obwohl nicht so ganz endgültig) fallen, weil ihm „hier gewissermaßen die Sahne abgeschöpft" worden zu sein scheint, wie seine eigene Rezension der Tieckschen Sammlung freimütig eingesteht. Aber er hat doch auch damals noch nicht vergessen, daß er etwa

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ein Jahrzehnt vorher, und also etwa zur Zeit von J. v. Görres' „Deutschen Volksbüchern" bereits „eine Sammlung alter deutscher Theaterstücke" angekündigt hatte. Wenn auch anfangs jenes beabsichtigte und dann nur recht unvollkommen verwirklichte Unternehmen noch an die Kunstdichtung von A. Gryphius (u. auch Chr. Gryphius) anzuknüpfen suchte, so ist doch die Tendenz unverkennbar, das dramengeschichtliche und theatergeschichtliche Anteilnehmen zu verschmelzen mit einem Eintreten für eine Wiederbelebung oder doch Anerkennung des Volksstückes im weiteren Sinne. Zu einer auch nur einigermaßen zielklaren Programmatik kommt es indessen nicht, da Sammlerfreude und theater- bzw. dramengeschichtliche Liebhaberei merklich überwiegen. Doch ist aus der werkimmanenten Poetik seiner eigenen Dramen und Dramen-Versuche allenthalben der Zug zum Volkstümlichen, zu Sage, Volksbuch und Legende deutlich abzulesen. Dieser Hang zum Volkstümlich Sagenhaften, zum religiös Legendenhaften oder kulturpatriotisch und auch lokalpatriotisch „Historischen" trifft zusammen mit einer hohen B e w e r t u n g des S t o f f r e i c h t u m s im Sinne eines merklichen Strebens nach reicher, bunter und echter Lebensvielfalt (Wiederaufgreifen eines geniezeitgemäßen Bemühens der Stürmer und Dränger). Aber was Arnim unter Lebensfülle und Lebensvielfalt begreift, ist doch wiederum wesentlich abgestuft gegenüber dem, was einst Lenz im Sturm und Drang darunter verstanden hatte. Jedenfalls ist es mehr als die zeitübliche Polemik gegenüber Iffland, wenn er, ehrlich erstaunt über die Stoffarmut bei Iffland, erschrocken sich schon 1805 (gegenüber Brentano) äußert, solch' einen armseligen Inhalt könne ja „eine Maus auf ihrem Schwänze forttragen". Später in der Berliner Zeit, als er die deutsche Tischgesellschaft gründet und H. v. Kleist nahesteht, sieht er in Iffland als Theaterleiter die gefährliche Hemmkraft gegenüber nationalen oder auch nur lokalpatriotischen Wirkungsformen des Dramas. Aber charakteristischer und aufschlußreicher bleibt vielleicht doch jener frühere Seufzer über die Phantasieund Stoffarmut. Denn noch gelegentlich seines „Gleichen"Dramas wehrt er sich grundsätzlich gegen eine durchsichtig zusammenhängende Handlung, die er im grotesken Vergleichsbilde von dem an einem Faden ankristallisierten Kandiszucker der Lächerlichkeit preiszugeben bemüht ist, während er aus eigener künstlerischer Erfahrung dem Freunde (Brentano) bekennt, daß

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er selber erst dann rechte Befriedigung finde, wenn er „durch die Begebenheit so weit fortgerissen" Sei, daß er „Gottes Gnade anrufen möchte, um ihm aus den Verwicklungen wieder „herauszuhelfen". Die selbstkritische Einsicht zeigt sich so vereint mit der prinzipiellen romantischen Ansicht vom hohen Wert eines Reichtums der Fülle; und die wirre organische Verflechtung scheint dergestalt fast als Verpflichtung romantischer Kompositionsweise. In Achim von Arnims „Zeitung für Einsiedler" finden sich u. a. Beiträge der Brüder Grimm. Wilhelm Grimm stellte einige Übersetzungen von dänischen Heldenliedern, Romanzen und Balladen zur Verfügung. J a k o b Grimm (1785—1863) Steuerte vor allem die grundsätzlich gehaltenen „ G e d a n k e n , wie sich die Sagen zur Poesie und Geschichte v e r h a l t e n " (Juni 1808) als zugleich kunsttheoretisch bemerkenswerten Aufsatz bei. Jakob Grimm, der nicht allein Goethes Auffassung, sondern auch die A. v. Armins hinsichtlich der Vorstellung von einem dichtenden Volksgeist bei weitem überbot und in dieser Hinsicht grundlegend abwich, hat jene Vorstellung zu einem fast mystisch gefärbten Glaubenssatz erhoben. Diese Anschauung ist in jenem frühen Aufsatz des damals wenig mehr als Zwanzigjährigen noch nicht voll ausgeprägt, aber merklich vorbereitet. Dennoch bietet er, in einem etwas schwerflüssigen Stil gehalten, der wohl „altdeutsch" wirken sollte, auf dem gedrängten Räume weniger Seiten wesentliche Grundzüge der romantischen A n s c h a u u n g e n über V o l k s d i c h t u n g und Sage. Nicht alles ist eigener Gedankenbau. Das. tragende Fundament hat offenbar Herder gestellt, ohne daß sich J. Grimm überall unmittelbar dieser Vorarbeit Herders bewußt. geworden wäre, während ihm das Vermittlertum L. Tiecks noch in dankbarer Erinnerung war. Und wenn J. Grimm fast wie ein. neues Erlebnis und Ergebnis der jüngeren Romantik hervorheben zu können glaubt „In unserer Zeit ist eine große Liebe für Volkslieder ausgebrochen", so hatte dank Herders Anregungen schon der Sturm und Drang ein gutes Stück dieser Liebe durchlebt. Die Sage jedoch war damals nicht im gleichen Maße in diese Liebe für „volksmäßige" (G. A. Bürger) Dichtungsarten einbezogen worden. Und eben darauf legt J. Grimm den Akzent seiner Fragestellung, die zugleich im weiteren Umkreis das Verhältnis von Poesie und Historie, von D i c h t u n g und D a t e n treue umspannt.

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Aber schon die Bezeichnung „Dichtung" wäre kaum in J. Grimms Sinne. Denn die Sage ist für ihn keine Dichtung im eigentlichen Sinne, sondern eine volkstümlich ausgeformte und mit der „Zunge" des Volkes ausgesagte h i s t o r i s c h e B e r i c h t s w e i s e . Die Sage gehört, sofern sie überhaupt Poesie einbezieht, zur Natur-Dichtung, die schroffer als durchweg bei Herder (von Goethe oder selbst A. v. Arnim ganz abgesehen) von der Kunstdichtung unterschieden und getrennt erscheint. So schroff, daß ein Nebeneinander-Bestehen von Naturdichtung und Kunstdichtung in derselben Epoche von J. Grimm geradezu als eine entwicklungsgeschichtliche Unmöglichkeit behauptet und hingestellt wird. Eine Behauptung, die letzten Endes Herders Vorstellung vom Ursprünglichen und seiner ganzen genetischen Deutungsweise entspricht, die jedoch Herder zugunsten einer Ermutigung zur Gegenwartsdichtung wesentlich zu mildern und abzuschwächen pflegte. Wie sehr eine derartige Ermutigung auch innerhalb der jüngeren Romantik erwünscht war, läßt eine Anmerkung des „Einsiedlers" erkennen, die im Gegensatz zu J. Grimms Strenge die tröstliche Auffassung vertritt, daß „nach unsrer Ansicht in den neuesten Poesien beide Richtungen" nebeneinander zu bestehen vermöchten, sowohl die Naturpoesie als auch die Kunstpoesie. Jakob Grimm aber versuchte folgerichtig den Gedanken zu Ende zu denken, ohne ihn zugunsten einer volkstümlich „altdeutsch" eingestellten romantischen Nachdichtung versöhnlich umzubiegen. Das galt auch für die Neubelebungsversuche des Volksliedes, denen er recht kritisch abwehrend gegenüberstand. So sehr er, der in seiner Art nach dem historisch Lebensvollen trachtete, erkennen und anerkennen mußte, daß J. Görres in seiner Auffassung von den „Volksbüchern" trotz mancherlei sachlicher und historischer Irrtümer dennoch „so hell auf den Grund gesehen", wie es dem fleißigen Sammeleifer von der Hagens, der in dem „Museum für altdeutsche Literatur und Kunst" (hrsg. v.d. Hagen, Docen u. Büsching) Görres kritisiert hatte, schwerlich jemals gelingen werde, so bedenklich stand sein historisch geschärfter Sinn dem lässig-lustigen Verfahren gegenüber, das sich romantisch hinüberträumte in die Möglichkeit, alte Volkslieder durch Umdichtung gleichsam modern auffrischen zu wollen und überhaupt „erneuern" zu können. Die am „Wunderhorn" abgelesene Bearbeitungsmethode, die er allerdings auch an dem frühen Anreger

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seiner altdeutschen Neigungen und Bestrebungen L. Tieck hätte beobachten können, galt ihm, während Wilhelm Grimm nachsichtiger urteilte, als Gefahrenzone der Romantik. Gegenüber seinem Bruder Wilhelm Grimm verfocht er unzweideutig seine Grundeinstellung, wonach A. v. Arnim und Cl. Brentano fehlgriffen, wenn sie durchaus die „alten Sachen zurecht machen" wollten. Sie verstünden nicht recht die ehrfürchtig pflegsame Art der dienenden Betreuung (letztlich mehr wiss. Art); denn „sie lassen das Alte nicht als Altes stehn, sondern wollen es durchaus in unsre Zeit verpflanzen". So wenig man jedoch einen pflanzlichen oder tierischen Organismus aus seinen Lebensbedingungen, aus seinem „natürlichen Boden" ohne Schädigung lösen könne, „so wenig kann die Herrlichkeit alter Poesie wieder allgemein aufleben, d. h. poetisch; allein historisch kann sie unberührt genossen werden" (Brief an Wilh. Grimm, 17. Mai 1809). Das h i s t o r i s c h e N a c h e r l e b e n setzt sich dabei klar ab von einem u n h i s t o r i s c h e n N a c h d i c h t e n oder Einrichten und Einrenken. Gewiß war es J . Grimm, der eher zu einer ernsten und doch in seiner Art begeisterten Nüchternheit, Sachlichkeit und Folgerichtigkeit neigte als zu romantischer Stimmungsversenkung, als Nichtdichter wesentlich leichter als den Dichtern der Romantik, der Versuchung zu widerstehen, die jene als ihr gutes Künstlerrecht, ja als eine Art von nationaler Pflicht erlebten. In jenem Aufsatze von 1808 wird nun der historische Vorgang doch im ganzen so dargestellt, wie ihn auch Tieck oder Görres (von Herder ganz abgesehen) gesehen hatte. Durch die fortschreitende Bildung, wobei man vorwiegend an die Aufklärung, teils aber auch an die Klassik dachte, indem man sich rückwärtige Entwicklungen doch wiederum gegenwartsnah verlebendigte, durch die zunehmende Vergeistigung hat sich die „alte Poesie", die ursprünglich eine Nationalpoesie des ganzen Volkes war, „unter das gemeine Volk, das der Bildung unbekümmerte, flüchten" müssen. So sind auch die Volkssagen, die ursprünglich als „Nationalsagen" dem ganzen Volke zugehörten, in engeren Sinne „Volkssagen, d. h. des gemeinen Volks" geworden. J . Grimm übersieht dabei nicht die (von moderner Forschung als neuartig aufgestellte) Deutung, daß es sich um g e s u n k e n e s K u l t u r g u t handeln könnte (Naumann, K. v. Kraus u. a.). Vielmehr schwärmt die Romantik keineswegs an dieser herben Aussicht und Ansicht vorüber, zum mindesten was J . Grimm betrifft. Aber er setzt 23 M a r k w a r d t , Poetik III

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solcher Meinung, die schon damals nicht „neu" war und letzten Endes aufklärerischen Geist atmet, seine Überzeugung entgegen: „Ich wenigstens meinerseits habe es nie glauben können, daß die Erfindung der Gebildeten dauerhaft in das Volk eingegangen und dessen Sagen und Bücher ( = Volksbücher) aus dieser Quelle entsprungen wären." Dagegen gesteht J. Grimm zu, daß trübende Zuströme Seitens der Kunstdichtung erfolgt sein könnten („ohne Abwehrung unvermeidlicher Einflüsse der Gebildeten"). Gegenüber jenen als aufklärerisch empfundenen Erklärungen gewinnt die Weite des Wunders als Leitkraft der Gesamtromantik Einfluß auf die S t e l l u n g zum W u n d e r b a r e n . Das aufklärerische Kriterium der Wahrscheinlichkeit wird entkräftet zugunsten „der alten Ansicht des Volkes von der Wunderbarkeit der Natur". Daher ist selbst Unwahrscheinliches innerhalb der Darbietungsweise der Sage zu begreifen und zu dulden aus diesem volkstümlichen Wunderglauben heraus. Dabei bleibt jedoch J. Grimm, an sich ähnlich argumentierend wie einst G. A. Bürger (hinsichtlich des Aberglaubens), stärker dem Religiösen zugekehrt. Denn auch in Sagen von einer ausgeprägt wundergläubigen und geistergläubigen Motiv- und Stimmungswelt und in Sagen von „ungeheuern Wundern" wird für „reine Gemüter" (Abhebung von G. A. Bürger) immer noch und immer doch „ein stiller aber wahrhaftiger Grund vergraben" sein und bleiben, den auch der Gebildete und noch nicht Verbildete als tiefere Spur „jener geheimen Wahrheit" erspüren, empfinden und selbst durch eine rein geistig-ästhetische „Gebildetheit nimmer verwischt" sehen möchte, vielmehr nicht ohne eine achtungsvolle „innerliche Scheu" zu betrachten pflege. Das Volk habe gleichsam in den Sagen seine Art der Weltdeutung, seinen Glauben, „den es von der Natur aller Dinge hegend ist", kurz, seinen w u n d e r w i l l i g e n N a t u r g l a u b e n und seine n a t u r g l ä u b i g e W u n d e r w i l l i g k e i t hineingelegt und hineingelebt und hineingeliebt, und zwar unter Verschmelzung dieses Naturglaubens mit seiner Religion. Aus der spröden Stilgebung J. Grimms entfaltet sich nun wiederum das vom Kunstwollen des Sturmes und Dranges, teils jedoch auch von der Klassik (Goethe) her vertraute I d e a l d e s „ L e b e n d i g e n " , und zwar im Sonderfalle des Lebendigen innerhalb des Verhältnisses von Sage u n d G e s c h i c h t e . Hinsichtlich des Verhältnisses von D i c h t u n g u n d D a t e n t r e u e weicht die (historische) Sage von den äußeren Daten wie Name, Ort, Zeit,

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die mit Vorliebe verändert werden, zwar unbekümmert und in aller „Unschuld" ab. Aber den wesenhaften Grundzug, das eigentlich Lebenshaltige und Dauerwertige des historischen Geschehens wahrt sie mit treuer und würdiger „Anhänglichkeit". Allerdings, die kritische Geschichtsschreibung dürfe um der Sagenwahrheit willen nicht aufgegeben werden. Wohl aber sollte das stolze Pochen auf „Urkunden, Diplomen und Chroniken" nicht die stille Stimme der inneren Sagenwahrheit verächtlich übertönen. Und J . Grimm kann es in diesem Zusammenhange begrüßen, daß gelegentlich doch auch ein Historiker wie etwa Johann von Müller (Geschichte der Schweizer Eidgenossenschaft) noch eine tiefere Lebenswahrheit kenne als die der urkundlichen Treue. In Einzelheiten lassen sich die Sagen freien Spielraum, enthalten indessen „im Ganzen das innerste Leben". Gegenüber der Historie, die zuletzt doch auch die „lebendigen Taten" der Völker berichten sollte, verfügt die Sage über eine größere Frische. Und J . Grimm meint, vom „lebendigen Grund von Sagen" aus letztlich alles, was an „altdeutscher Poesie" erhalten sei, ableiten zu können. So ruht die Sage zuletzt doch in dem größeren Kreise des Poetischen, da auch „Poesie nichts anders ist und sagen kann als lebendige E r f a s s u n g des L e b e n s " . Während also auf der einen Seite J . Grimm mit aller Strenge die Sage als volksmäßige Naturdichtung von der gebildeten Kunstdichtung scharf abgrenzen und freisetzen möchte und deshalb ζ. B. den Anteil Erfindung übermäßig zurückdrängt, fühlt er auf der anderen Seite das Bedürfnis, die Volkssage irgendwie mit dem Grundgesetz des Poetischen in Einklang zu bringen. Es handelt sich dabei um das „Poetische" im erweiterten Sinne der Romantik. Und die Bindung schafft die Vorstellung des „Lebendigen". Eben diese Bindung wird bei aller Abstufung auch zwischen Sage und Geschichtsschreibung gesucht und im Wesenhaft-Lebendigen historischer Vorgänge und Kräfte gefunden. In diesem Sinne vermag er die Sagen in ihrer Gespanntheit zwischen innerer Lebenstreue und äußerer Abwandlungsneigung gegenüber der Historie so zu umschreiben: „es ist Wahrheit in ihnen, ob auch die Sicherheit abgeht". Gewiß erscheint hierbei der Begriff der Wahrheit einer romantischen Deutung und Dehnung ausgesetzt. Aber andererseits steht Goethes Unterscheidung von Wahrheit und Wahrscheinlichkeit gar nicht einmal so fern. 23*

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In der G a t t u n g s - G l i e d e r u n g fällt auf, daß J. Grimm die epische Gattung weitgehend mit der Naturpoesie gleichzusetzen geneigt ist. Oder vielleicht richtiger: daß er eine Epik als kunstreiche Dichtung und vollends als künstliche Erdichtung nicht mehr gelten lassen möchte. Er bezeichnet es unumwunden als „Anmaßung, epische Gedichte dichten oder gar erdichten zu wollen, als welche s i c h n u r s e l b s t z u d i c h t e n v e r m ö g e n " . Daraus ergibt sich folgerichtig die U n m ö g l i c h k e i t e i n e s m o d e r n e n E p o s ; d e n n e s fehlen schlechthin alle Voraussetzungen. Ähnlich lehrte K . v. Savigny ein Sich-Selber-Setzen des Rechts aus dem Volksgeist heraus (Abwehr Thibauts). Wenn bereits das Hervorgehen des Ur-Epos aus dem schöpferischen Volksgeist einen „Griff in das Geheimnisvolle" unvermeidbar macht, wobei die Weite des Wunders in ihrer Art wirksam wird, wenn die Annahme eines Einzelverfassers und Einzelurhebers zur Postulierung eines schier „übermenschlichen Menschen" führen würde, so müßte vollends ein moderner Epos-Dichter ein schlechthin Unmögliches vollbringen wollen. Fehlt ihm doch, so darf man ergänzen, jener „ K e r n d e r M y t h e " , aus dem das Volksepos und Nationalepos gleichsam im kollektiven Verfahren gewonnen werden konnte, indem bei der Aufgliederung des Volkes in Einzelstämme ein jeder gleichsam „den Funken der Poesie mit sich genommen" habe. Blickt man auf den Aufsatz in der „Zeitung für Einsiedler" zurück, so fand sich dort in unmittelbarer Nachbarschaft nicht von ungefähr eine Erörterung über Fragen der Mythologie, die auf Creuzers Abhandlung „Philologie und Mythologie in ihrem Stufengange und gegenseitigen Verhalten" aus den „Heidelbergischen Jahrbüchern der Literatur" (1808) zurückging; wobei der antike Ursprung nicht als der alleinige anerkannt worden war. Die Einwirkung des aus Gustav Hugos Schule hervorgegangenen Rechtshistorikers K . v. Savigny (1779—1861) auf J. Grimms Konzeption findet ihren Reflex in der Schrift „ V o m Beruf unserer Zeit für Gesetzgebung" (1814, Heidelberg) welcher „ B e r u f " in Frage gestellt wird. Der Auffassung J. Grimms entspricht es, daß das Epos ebenso wie Sage und Geschichte keinen fremden Zwecken dienen darf. Vielmehr hätten beide: Historie und Epos (u. Sage) voll ihren Zweck erfüllt, wenn sie zur „Bewahrerin alles Herrlichen und Großen" werden, dergestalt, daß sowohl der Einzelmensch als auch „ganze Völker sich an dem unentwendbaren Schatz erfreuen,

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beraten, trösten, ermutigen und ein Beispiel holen". Das N a c h w i r k e n des A u t o n o m i e g e d a n k e n s der K l a s s i k schließt also das nationalerzieherische Element und eine gewisse ideeliche Neubelebung des Vergangenen keineswegs aus. Das wäre für J. Grimm keine von außen herangetragene Zweckforderung, sondern eine eigengesetzliche innere Nötigung, wie sie im Wesen des ewig Lebensvollen in Historie und Sage beschlossen liegt. Das nahe Heranrücken an das Epos (offenbar im Sinne von Volksepos), an die Geschichte, das Abwehren des rein dichterischen Erfindens und ähnliche Züge nähert sich in gewisser Weise bereits der Epos-Theorie in den weit später liegenden „Epischen Briefen" Wilhelm Jordans. Wie dann Jordan, der selber, darin nun allerdings J. Grimms Warnung überhörend, ein Nibelungenepos vorlegte und insofern als Theoretiker in eigener Sache schrieb (Rechtfertigungs-Poetik, s. Schillers „Briefe über Don Carlos" u. a.) geht J. Grimm vom Nibelungen-Epos aus. Sowohl Fr. Schlegels „Gespräch über die Poesie" wie A. W. Schlegels Vorlesungen hatten schon in der Frühromantik den Rückgriff auf das Nibelungen-Epos nicht versäumt. Aber bei Jakob Grimm steht dahinter nicht nur eine nationalliteraturgeschichtliche Besinnung, sondern eine Gesinnung. Und fast ein wenig Dogma wird die geniezeitgemäße Lehre vom W e r t e des U r s p r ü n g l i c h e n u n d V o l k s t ü m l i c h e n in J. Grimms fest zupackenden Händen, fast ein wenig Glaubenssache in seinem eifernden Herzen. Man darf das ohne Ubertreibung sagen, denn dort wo er Achim von Arnims „Ansicht von alter Volkspoesie" berichtigen zu müssen meint (brieflich, Juli 1811), sucht er teils gefühlsmäßig den Freund umzustimmen und richtig für die Volkspoesie, wie er sie auffaßte, einzustimmen, indem er anknüpft an die ihnen beiden gemeinsame („glaubst du mit mir") Überzeugung, daß Religion und letztlich auch Sprache „von einer göttlichen Offenbarung ausgegangen" sei. Ganz ähnlich nämlich müsse die „alte Poesie", die J. Grimm gewiß nicht so geistig-spekulativ ansah wie überwiegend die Frühromantik, letzten Endes unerklärbar von einem und „in einem Ganzen ausgegangen" sein. Als ein Ganzes ist sie, einschließlich ihrer Formen (auch des Reimes und Stabreimes) wie ein Volksmythos gegeben, nicht jedoch in einzelnen „Werkstätten" noch so volkstümlicher Individualkünstler und nicht aus künstlerischen „Überlegungen einzelner Dichter" hervorgegangen. Zum mindesten in Analogie zur religiösen wird diese Ein-Sicht „in das Geheimnis-

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volle" gewonnen. Wesentlich abgestuft erscheint der religiöse Ausgang für die Lyrik (Bibel), von dem aus später Victor Hugo in der Vorrede zu seinem „Cromwell" die Stufenfolge Epos (Homer) und Drama (Shakespeare) entwickeln zu können meint entsprechend der Abfolge naturhaft-ursprünglich, antik, modern. Es ist von anderer Seite (J. Körner, 0. Walzel) in subtiler Einzeluntersuchung auf Vorstufen dieser Auffassung hingewiesen worden; so etwa auf A. W. Schlegels Berliner Vorlesungen und seinen G. A. Bürger gewidmeten Aufsatz (1800), in dem Romanzen und Balladen bereits als Gebilde umschrieben wurden, „deren Dichter gewissermaßen das Volk im ganzen war". Aber beim jungen Jakob Grimm schwingt viel mehr von des jungen Herders gefühlsmäßigem Uberzeugtsein mit als von A. W. Schlegels weiter, aber kühler Umsicht. Es war keine bloße Ansicht, sondern eine fast visionäre Ein-Siclit, die sich deshalb auch schwer kritisch fassen läßt. So weit es um das Epos ging, wurde J. Grimms Vorstellung von den sich selber dichtenden Urformen und Urnormen durch J. v. Görres noch überboten, für den nur ein einziges Ur-Epos Geltung behielt, während die Brüder Grimm wenigstens mehrere Grundformen anzunehmen geneigt waren. Hinsichtlich des Verhältnisses von Kunstwollen und Kunstschaffen erscheint es in diesem Zusammenhange immerhin bemerkenswert, daß die Romantik, und zwar sowohl die Frühromantik als die jüngere Romantik innerhalb der d i c h t e r i s c h e n P r o d u k t i o n d a s E p o s durchaus und in auffallender Weise z u r ü c k t r e t e n ließ (zum mindesten das künstlerisch vollwertige Epos). Fast möchte man sagen, daß es kaum überraschen kann, wenn jemand um 1808 auf den Gedanken kommen konnte, ein modernes Epos sei schlechtweg unmöglich. Gewiß war das nicht der Ansatz oder gar Anlaß für die These J. Grimms. Für J. H. Mercks Klage im Sturm und Drang „Uber den Mangel epischen Geistes" war die empirisch-kritische Beobachtung Anlaß. Aber Merck erhoffte daher auch eine Behebung dieses Mangels durch ein bescheidenes, von jedem Kunstdünkel freies Lernen von der schlichten Erzählkunst des Volkes. Es ging da nicht um die Höhenform des Epos. Aber der Einwand, daß mit der Romantik der Roman eben als neuere Ablösungsform das Epos endgültig überwunden hätte, ist schon deshalb nicht stichhaltig, weil im Verlaufe des neunzehnten Jahrhunderts das große Versepos eine neue Blüte erlebte und starken Anklang beim Kunstwertauf-

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nehmenden fand. Der sogenannte „Historismus" allein erklärt diese Erscheinung nur sehr unzureichend; denn über lebhaften historischen Sinn verfügte bereits die Jüngere Romantik wie z.T. schon die Frühromantik. Daß auch der „Kern des Mythus" zu gewinnen war, hat nicht allein K. Spitteier dargetan. Hätte nicht eigentlich das große religiöse Epos in der Romantik fruchtbaren Wuchsgrund gewinnen können und müssen, auch wenn A. v. Arnim sich mit Dantes „Marterkammer" nicht abfinden oder gar befreunden wollte? Ein Motiv wie das nun in einem episch zerdehnten und lyrisch erweichten „Drama" wirkungslos oder wirkungsarm verbrauchten von der „Gründung Prags" wäre von Clemens Brentano weit eher als Epos, als mythisch-religiöses Epos, zu bewältigen gewesen, wenn man von der Opernform absieht, die er selber in Erwägung zog und dann Konr. Kreutzer verwirklicht hat („Libussa", 1823). Aber eben doch nicht von Cl. Brentano, weil ihm Beruf und Berufung zur Großform des Epos abgingen trotz des wertvollen Anlaufes zur Eroberung des religiösen Epos (in den „Romanzen vom Rosenkranz"). Der „Kern des Mythus" war auch dort gegeben in der slavischen Mythologie; aber er erwies sich in den Händen des Romantikers nicht als triebkräftig für ein modernes Epos. Vollends der geplante Ausbau hätte geradezu einladen müssen zur Konzeption eines religiösen Epos (oder doch eines opemhaften Festspiels). Ähnlich, wenngleich nicht ganz so einleuchtend, ließe sich der indirekte Beweis durchführen an A. v. Arnims „Päpstin-Johanna"-Drama oder selbst an L. Tiecks „Kaiser Oktavian". Es konnten auch nicht allein rein persönliche Unzulänglichkeiten vorliegen (wie bei Henrik Steffens, dessen geplantes „Epos des Alls" ebensowenig zustande kam wie sein geplantes Drama); denn das Vermeiden oder Verschmähen der Epos-Fassung begegnet bei dem einen so gut wie bei dem anderen. Wird in solchen Fällen nicht doch das Kunstwollen als ein Nicht-Wollen erkennbar? Wieweit wäre die Auflösung der Gattungsgrenzen von der Theorie her verantwortlich zu machen ? War es nur der Mangel an Objektivität, das Vorherrschen des romantischen Subjektivismus, der es nicht zur Umformung in Epos-Fassung kommen ließ? Aber regten sich gerade in der Jüngeren Romantik nicht deutlich genug Kräfte, die ernstlich an einer Überwindung des Subjektivismus arbeiteten? Handelt es sich um A b l ö s u n g s e r s c h e i n u n g e n b l o ß e r „ L i e b l i n g s " - G a t t u n g e n ? Oder, wenn der Roman,

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wie angedeutet, noch nicht endgültig das Epos verdrängte, g l a u b t e die Romantik in einer Epoche zu leben, wo das Epos schlechthin nicht mehr lebensfähig sei ? Fehlte der romantischen Sprunghaftigkeit die Geduld des Ausführens? Aber war die Geduld geringer, die dazu erforderlich war, derartig weitgespannte Dramen zu schreiben wie etwa die „Gründung Prags"? Hatte Goethes „Wilhelm Meister" die Meinung bestärkt oder hervorgerufen, daß nun das Epos überholt und der Roman die Zukunft sei? Daß die Versbewältigung nicht abschreckte, beweisen die umfangreichen Versdramen. Verstärkt wird der Eindruck eines Mangels an epischem Geist (hier im engeren Sinne des Epos) dadurch, daß auch die beiden stärksten Begabungen der Epoche, die nicht im strengen Sinne der Romantik angehören: Jean Paul und H. v. Kleist Roman und Prosaidylle bzw. Drama und Novelle in Pflege nahmen, aber nicht das Epos. Spielte bei alledem die Antithese antik-modern mit hinein und in welchem Grade ? War erst ein großes Vorbild wie Byron erforderlich, um die Fragwürdigkeit des Epos aufzuheben und emporzuheben in eine neue Würdigkeit und zu einer neuen Würde? Hätte nicht für die Ausprägung der romantischen Ironie etwa das komische Epos günstige Gelegenheit geboten (selbst und nicht zuletzt für Jean Paul) ? Die Fragen ließen sich häufen. Antworten lassen sich auf jede einzelne unschwer finden, aber auch unschwer widerlegen. Es kam darauf an, das Vorhandensein und Wirksamsein eines zeitimmanenten Kunstwollens anzudeuten, nicht etwa gar eine Einwirkung des Verdiktes J. Grimms zu beweisen oder zu behaupten. Dazu wäre der Verruf auch viel zu spät gekommen. Das Kunstwollen hatte längst vorher seine indirekte Beweisführung vollzogen, die Beweisführung nämlich seines Daseins und seines Soseins und seines Mächtigseins. Was J. Grimm und seine Kunstauffassung bzw. seine Überzeugung betrifft, so erweisen sich seine Grundvorstellungen schon in dem etwas eingehender gewürdigten Sagen-Aufsatz voll ausgeprägt. Und seine spätere Abhandlung „ Ü b e r den a l t d e u t s c h e n M e i s t e r g e s a n g " (1811) braucht das Wesentliche nur wiederaufzugreifen und die folgerichtigen Anwendungen zu machen. Angesichts der Bedeutung jedoch, die das M ä r c h e n h a f t e für das gesamte Kunstwollen der Romantik und besonders der jüngeren Romantik in Anspruch nehmen kann, scheint es ratsamer, auf seine Märchen-Theorie etwas mehr Aufmerksamkeit zu richten.

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Die U r s p r u n g s - u n d W e s e n s b e s t i m m u n g des M ä r c h e n s durch J. Grimm fußt unverkennbar auf jener Grundvorstellung. Und er hat in einem späteren Briefzeugnis (an Franz Pfeiffer, 19. Febr. i860) Wert darauf gelegt, daß sein ideeller und forschungsmäßiger Anteil an der Sammlung der „Kinder- und Hausmärchen" an Intensität der inneren Anteilnahme keineswegs geringer gewesen sei als die (besonders hinsichtlich der wirksamen Stilgebung fraglos überlegene) seines Bruders Wilhelm Grimm. Auch das Märchen ist für ihn Naturdichtung und Volksdichtung. Die Vorstellung des Urtümlichen und Volkstümlichen beherrscht eindeutig den Märchen-Begriff. „Kinder"-Märchen will er sie nicht nur in dem Sinne genannt wissen, weil unschuldsvolle reine „Kinderwahrheit" — der W a h r h e i t s b e g r i f f gewinnt in der jüngeren Romantik überhaupt eine verstärkte Geltung — , die dennoch zugleich tiefste Wahrheit auch „der alten Menschen", also der Erwachsenen darstelle, sich darin kundgibt, sondern auch weil der „Anfang des einzelnen Menschen auf der gleichen Linie mit dem Anfang des Volks" stehe. Man braucht nun nicht sogleich den Gewährsmann Hemsterhuis zu bemühen oder J. J. Rousseau. Es war dies vielmehr ganz einfach innerhalb der Poetik ein Neubeleben geniezeitgemäßer, besonders Herderscher Lieblingsgedanken. Wesentlicher als Einflüsse aufzuspüren bleibt die Beobachtung, daß J. Grimm, ähnlich wie er der Sage eine eigene „Wahrheit" bewahren möchte, die nicht selten tiefer greife als die vielleicht äußerlich datentreuere Geschichtswahrheit, so auch dem Märchen einen besonderen W a h r h e i t s - G e h a l t zuerkennt. Der irrationale Wahrheitswert wird gegen den rationalen Wahrheitsbestand ausgespielt, die innere Erfahrung gegen die äußere Erfahrung, die Ahnung gegen das „Wissen". Von jenem wahrhaftigen „Grund" und jener „geheimen" Wahrheit, die der Unverbildete in den Sagen aufzuspüren vermag, erhält auch das Märchen seinen Anteil zugewiesen. Aber insgesamt bleibt der Unterschied hinsichtlich der historischen Wahrheit bestehen, daß die Sage relativ „historischer", das Märchen dagegen relativ „poetischer" aufzufassen ist. Es wäre auch angesichts der Ausweitung der Leitkraft des Märchenhaften in der Romantik und in ihrer Literaturphilosophie schwer, wenn nicht unmöglich gewesen, den Anteil des „Poetischen" abzuleugnen oder zu entwerten. Immerhin mußte das Märchen im engeren Sinne abgehoben werden von jenem Märchen-

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haften schlechtweg. So wird J. Grimm stärker noch als bei der Bestimmung der Sage als Sonderform auch für das Märchen ein Zugeständnis nach der Seite der „Poesie" hin abgerungen, ja von den herrschenden Anschauungen aufgenötigt. Das betrifft vor allem die Form und Fassung der Vermittlung, bei der durch den Einbruch des Kunstmärchens das Naturmärchen und Volksmärchen an Eigensubstanz einzubüßen drohte. Kurz, diese Poetisierung fürchtete J. Grimm, der den inneren poetischen Gehalt des Märchens gewiß fühlte, aber nicht überbetont wissen wollte, um einer verfälschenden Poetisierung und Romantisiening nach Möglichkeit die Anknüpfungsstellen zu entziehen. Er dachte darin strenger als sein Bruder Wilhelm Grimm. Die „Treue" der Vermittlung beschränkte er im Entgegenkommen gegenüber dem „Poetischen" schließlich darauf, daß der Kernbestand unbeschädigt bleiben muß, daß, wie er im Vergleichbilde es umschreibt, „ich den Dotter nicht zerbräche". Randwerte erleiden im Abwandlungsvorgange der Jahrhunderte gewisse Veränderungen und Einbußen; der Kernwert bleibt. Was das Märchen dem Gelehrten in Jakob Grimm als Material der Forschung bedeutet (und die „Anmerkungen" zur Märchensammlung dürften in starkem Maße seiner Mitarbeit zu danken sein), ist aus der erwähnten späteren Briefst eile ersichtlich. Besonders für die Mythologie hofft er manches Wertvolle aus dem Kern- und Keimbestand des Märchens gewinnen zu können. Er war dabei schwerlich angewiesen auf Anregungen seitens der „Rede über die Mythologie" Friedrich Schlegels („Gespräch über die Poesie"). Und es ist wohl kaum ein Nachhall des vor allem von der Frühromantik erhobenen Rufes nach der „neuen" Mythologie, was hier aufklingt. Und vorklingt, wenn man an seine wesentlich später veröffentlichte „Deutsche Mythologie" (1835) denkt. Es ist vielmehr das sichere Gefühl und nicht nur das gelehrte Wissen darum, daß M ä r c h e n u n d M y t h o s auf einen gemeinsamen Wuchsgrund zurückzuführen seien, wie denn vorerst noch überall der umspannende Rahmen der Naturdichtung und Volksdichtung sichtbar bleibt. Für die Märchentheorie ist die Entscheidung darüber, ob die „Urmärchen" J. Grimms schon Märchen oder bloße Märchenskizzen gewesen seien, weniger relevant als für die Märchengeschichte. Das „Sprunghafte" beweist noch nicht den bloßen „Skizzierungsstil", schon weil J. Grimm möglicherweise dieses Merkmal des „Sprunghaften", das schon im Sturm und Drang

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als Wert- und Wesensattribut volkstümlicher Lyrik galt, ganz bewußt als Merkmal eben der Natur- und Volkspoesie beibehalten haben könnte. Fraglos besaß W i l h e l m G r i m m (1786—1859) die stilistisch glücklicher formende Hand. Ob er überall den Kernbestand, auf den sich J. Grimms Forderung schließlich zurückgezogen hatte, restlos zu wahren wußte, steht hier nicht zur Erörterung. Vielmehr ist entscheidend, daß Wilh. Grimm es war, der jene Vorreden zur Märchensammlung wirklich Schrieb, während J. Grimm seinen an sich „längst" gehegten Plan, „besondere Forschungen über die Natur der Märchen bekannt zu machen", nicht zur Ausführung gebracht hat. Gemäß seiner künstlerischen Teilbegabung hat Wilh. Grimm auch im Grundsätzlichen das Bedürfnis empfunden, das Märchen nicht allein als ein Stück Volkskunde oder ein Stück abgeflachter Mythologie zu betrachten, sondern es bei aller Berücksichtigung des strengeren Prinzips Seines Bruders doch eben als Dichtung, wenngleich als Volksdichtung der Poesie weitergehend anzunähern. J a k o b G r i m m sah hier die Gefahr der bloßen „Verzierungen", übersah jedoch zum mindesten zeitweise (denn ganz einheitlich und gleichbleibend ist seine Einstellung zum Märchen nicht), daß auch das Volk ein letztlich irgendwie ästhetisches Phantasiebedürfnis mit dem Märchen befriedigen will. Er sah ein und erkannte an, daß „ S a g e n h i s t o r i s c h e r , M ä r c h e n p o e t i s c h e r " schon ihrer Natur nach sein müssen. An sich machte offenbar schon das Attribut „poetisch" J. Grimm stutzig und auch skeptisch oder doch kritisch. Die Ausweitung des Begriffs des „Poetischen" durch die Frühromantik und das schlagwortartige Einhämmern läßt solche Reserviertheit begreiflich erscheinen. Das Märchen hat ihm wahrscheinlich nicht in dem Grade wie die Sage als naturhaft gegolten; es war gleichsam durch das „Poetische" in seiner Reinheit getrübt, nicht mehr quellfrische Naturform. Das Verhältnis von N a t u r p o e s i e u n d K u n s t p o e s i e zum Begriff des Poetischen schlechtweg sucht vor allem die b r i e f l i c h e A u s e i n a n d e r s e t z u n g m i t A. v. A r n i m (1811) zu klären. Bemerkenswert erscheint dabei im Rahmen der Kunstauffassung der Jüngeren Romantik die A b l e i t u n g sowohl der P o e s i e schlechtweg als auch der „Volkspoesie" a u s d e m „ G e m ü t " . Wie gelangte J. Grimm überhaupt dazu, auf den reinen PoesieBegriff einzugehen? Arnims Taktik drängte ihn dazu, zunächst

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einmal auf den Poesie-Begriff zurückzugreifen. A. v. Arnim hatte den nicht so ganz unberechtigten Eindruck gewonnen, daß eben das, was J. Grimm Naturpoesie nannte, eigentlich eine andere Bezeichnung tragen müsse, wenn auf der anderen Seite nicht die Bezeichnung Kunstpoesie einen kritisch-abwertenden Beigeschmack erhalten sollte. Denn wenn anders Naturpoesie wirklich „Poesie" darstellte, so blieb der Kunstpoesie der Nebenton des Künstlichen anhaften. Er sprach das nicht so klar aus; aber alle seine Einwände zielen darauf hin. In der Tat neigte J. Grimm mehr und mehr dazu, das Epos als stellvertretend für die Naturpoesie anzusehen und anzusetzen und dieses Natur- oder Volksepos auf den Natur- oder Volksmythos zu beziehen. Aber er machte gegenüber A. v. Arnim geltend, gerade indem er beide vorwiegend historisch bedingte Poesie-Arten eben doch als „Poesie" bezeichne („Poesie heiße"), vergäße er bei der Naturpoesie durchaus nicht den Anteil Poesie, wie er denn andererseits der Kunstpoesie ihren „Poesie"-Anteil zuerkenne. Folgerichtig sucht er zunächst einmal den Poesie-Begriff als solchen zu umschreiben. Es geschieht dies in bemerkenswerter Berücksichtigung der „Gemüts"-Vorstellung und unter gleichzeitiger Zuordnung der Poesie als Wortkunst: „Die Poesie ist das, was rein aus dem Gemüt ins Wort kommt." Nicht zu übersehen ist dabei die Voraussetzung des „reinen" Vorganges. Denn gerade diese Voraussetzung gilt ihm bei der ursprünglichen Naturpoesie als gesicherter und wirksamer als bei der späteren Kunstpoesie. Von hier aus wird auch kunsttheoretisch verständlich, warum er die „alte epische Poesie-SagenMythengeschichte" irgendwie (denn es bleibt zuletzt ein Glaube) als „reiner und besser" empfindet. Die T r ü b u n g e n jener Reinheit erfolgen im Bereiche der Kunstdichtung vor allem d u r c h „ W i t z " u n d „ R e f l e x i o n " . Die volle Schwenkung gegenüber der Aufklärung wird eindrucksvoll sichtbar; aber auch die Teilschwenkung und Abstufung gegenüber der Frühromantik. Was in der Epoche des Rationalismus „Aufklärung" bringen sollte, das bringt jetzt Trübung. Aber zum mindesten randweise richtet sich der Angriff auch gegen die romantische Ironie und die „poetische Reflexion" der Frühromantik. Derartige „witzige, d. h. wissende" Einschläge in der Kunstpoesie lassen jene Eintrübungen um so nachteiliger und nachhaltiger zur Auswirkung gelangen, als der späteren Kunstpoesie jener „ S c h e i n des g ö t t l i c h e n A u s g a n g s " fehlt, wie er in der Natur-

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poesie mit ihrer reinen Frische noch nachleuchtet. Jakob Grimm stellt den Gott also gleichsam an den Beginn, nicht an das Ende, wie es H. v. Kleist tat (und in gewisser Weise auch Schiller). Von anderer Ausgangsstellung gelangt er doch streckenweise auf den Weg, den Kleists Kunstdeutung (im „Marionettentheater") kurz zuvor oder etwa gleichzeitig beschritten hatte. Aber Kleist möchte an den Umweg um die Welt glauben, der das Paradies der GemütsReinheit und des unverfälschten, ungetrübten Gefühls wieder aufschließt. Er möchte dem Kunstdichter den Weg zum Ursprünglich-Naiven gangbar machen und offenhalten. J . Grimm würde diese Möglichkeit, an die auch Herder dachte und glaubte, ablehnen. Der Irrweg des Sentimentalischen, um verkürzend mit Schillers Terminus zu reden, interessiert ihn kaum weiter. Er hatte alle Kraft daranzusetzen, um den Begriff der Naturpoesie und der Volkspoesie herauszuhalten aus allen Kunstbeimischungen und Beimischungen einer Künstlerindividualität. Denn dies ist nun die letzte Konsequenz. Und gerade die Auseinandersetzung mit A. v. Arnim zwang zur klaren Scheidung und Unterscheidung. Daher findet sich die W e s e n s b e s t i m m u n g der vielerörterten und vielumstrittenen Volks poesie wohl bündiger in diesen Privatbriefen als in den einschlägigen Schriften ausgesprochen. Sie lautet: „Die Volkspoesie tritt aus dem Gemüt des Ganzen hervor". Es bildet diese Wesensbestimmung der Volkspoesie offenbar auch in der ganzen Formulierung ein bewußtes Gegenstück zu der erwähnten Wesensbestimmung der Poesie schlechtweg. Und wenn dort die Poesie „rein aus dem Gemüt ins Wort" kam, so vergißt J . Grimm auch bei der Volkspoesie nicht die Sprache als Trägerin. Etwa an Herder erinnert die Parallele der jeweiligen dichterischen Entwicklungsstufe zur entsprechenden Sprachstufe. Der Sündenfall der Erkenntnis ist auch der Sprache nicht erspart geblieben: „Die neue Sprache hat die Unschuld verloren". Doch ist anders als bei Herder ein Ursprung der Sprache aus dem Göttlichen angenommen worden (Brief an Arnim, Ende Juli 1811) zwar nicht einfach der „himmlische" Ursprung nach der Art Süssmilchs, mit dem sich einst Herders Sprachdeutung kritisch auseinanderzusetzen hatte, aber doch so, daß ein kräftiger Grundzug der Sprachauffassung Hamanns die Herderschen Züge abbiegt und abwandelt, ohne daß damit irgendetwas von einem Einflüsse Hamanns behauptet oder vermutet werden sollte. Es ist weiterhin zu berücksichtigen, daß A. v. Arnim gleichsam J . Grimm mit

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dessen eigenen Waffen der historischen Rückführungen zu der Behauptung gelangt war, daß „keine absolute Naturpoesie vorhanden" sein könne. Dergestalt sah sich J. Grimm über das Historische hinaus auf den göttlichen Ursprung zurückverwiesen. So gelangt er zu einer Art naturhafter Offenbarungsvorstellung, die fast der religiösen adäquat oder doch analog erscheint. Die Romantiker gelangten überhaupt leicht zu Ver-Götterungen, die aber ebenso leicht zu Ver-Götzungen werden konnten. Jedenfalls wurde es J. Grimm auf diesem Wege und auf diese Weise wesentlich leichter, das „Unerklärliche" jenes „wundervollen" UrAusgangs sowohl der Sprache als auch der Naturpoesie und „Volkspoesie" wenigstens andeutend zu umschreiben, dieses „in einem Ganzen ausgehen" wie jenes aus dem Gemüt des Ganzen Hervortreten. Nun endlich erklärt sich vollends das nahe Aneinanderrücken von Volkspoesie und M y t h o s , von N a t u r p o e s i e u n d Mythologie. In den Mythen ertastet er eine Urstufe der Volkspoesie. Wieder setzt und sieht J. Grimm (wie in Sage und Märchen) einen eigenen und tieferen Wahrheitsgehalt im „Mythischen", denn „was alle Mythen aussagen, läßt sich nicht wegräsonnieren, sondern ist wahr". Auch die frühromantische Göttin Philosophie berge keine höhere Weisheit und keine tiefere Wahrheit als die Mythologie. Wenn schon andernorts die Prosa des modernen Romans als unpoetisch gegenüber der Versform des Volksepos verworfen wurde, so wird nun auch verständlich, wie und daß J. Grimm von hier aus selbst Grenzen für die Wertgeltung der Poesie Goethes finden zu können glaubte „In diesem Sinne ist Goethes Poesie weniger als eine alte Mythologie". Uber Sage und Märchen hinaus suchte und fand er im Mythologischen einen Kraft- und Wertbestand innerhalb der Natur- und Volkspoesie, der es mit dem bisherigen höchsten Kraft- und Wertbestande der Kunstpoesie nicht nur aufnehmen zu können versprach, sondern eine Überbietung zu ermöglichen schien. Auf Umwegen begegnet man also wieder einmal einem der Romantiker auf der Auswegsuche vor der Entwicklungsumschränkung durch Goethes übermächtige Kunstleistung. Diesmal stand kein eigener Künstlerehrgeiz hinter jenem Ausschauhalten; nicht das Ringen des Genies wie bei H. v. Kleist. Aber es darf doch gesagt werden, daß für J. Grimm die Vorstellung des dichtenden Volksgemüts etwa das ersetzte, was sonst der Geniebegriff gewesen war. Das

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Geheimnis des Genies wurde abgelöst durch das Geheimnis des schöpferischen Volksgeistes, oder genauer des als göttlich begnadet angesehenen Volksgemütes. Gegenüber der Gruppe der „Heidelberger" wirken Erscheinungen wie Heinrich von Kleist oder Jean Paul als eigenwegige und eigenwillige Einzelgänger, die jeder für sich noch einmal die Entwicklung von der Aufklärung zur Romantik durchlaufen, um den „sichern Weg" ihrer Eigenart und Eigenkraft zu finden. Beide ihrer Zeitverwandten und doch Wesensfremden an schöpferischem Vermögen weit überragend, beide in der Ausprägungsart ihrer dichterischen Genialität zum Extrem der Unbedingtheit geneigt, so daß man beiden (letztlich vom einseitig klassischen Blickpunkt aus) selbst „Ungeschmack" zum Vorwurf gemacht hat. Der eine von lebhafter und eindringlicher Gegenwartswirkung, der andere, rein künstlerisch Genialere von weitreichender Zukunftswirkung. Der eine mehr dem Religiösen, der andere mehr dem Mythischen zugekehrt. Der eine der große Epiker, der andere der große Dramatiker. Der eine der bedeutende Humorist, der andere der große Tragiker. Beide zunächst wie durch eine tiefe Kluft getrennt; und dennoch nicht ohne Begegnungen. Steckt in Kleists „Zerbrochenem Krug" nicht mehr Humor im modernen Sinne als in manchen berühmten Romanen Jean Pauls ? Und quillt nicht umgekehrt bei Jean Paul manche Komik, mancher Ausfluß und Ausdruck seines satirisch-sentimentalen (und sentimentaüschen) „Humors" aus dem Untergrunde des Tragischen? Begegnen sich nicht beide zuletzt doch auf der nicht überall sichtbar zutagetretenden, aber tragenden Grundschicht jener seltenen Mischform des Tragikomischen ? Führt nicht auch Kleist das Tragische gern an die Grenze des Tragikomischen heran, teils auch in seinen Novellen (ζ. B. in der „Marquise von Ο . . . " ) , lockt ihn nicht oft merklich der kühne Höhenweg, wo das Erhabene des Tragischen an das „umgekehrt Erhabene" des Humors grenzt wie an einen grandiosen Absturz ? Und erstrebt nicht auch Jean Paul, jedenfalls von seinem Kunstwollen her gesehen (denn die Kunstwirkung ist bei ihm stärker der Geschmacks Wandlung unterworfen gewesen), den Gefühlsaufschwung ins Erhabene, teils in die religiöse Erhabenheit Klopstocks, indem er den Übergang von der schönen Seele zur großen Seele und zur Seelengröße sucht? Kennt nicht auch Kleist das Idyllische, nicht nur im „Käthchen", auch in der Novelle (etwa als Kontrastwert im „Erdbeben in Chile") oder

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der Legende? Begegnen sich nicht beide, wie sich Extreme begegnen, im ständigen Aufspüren und Aufreißen des Hintergründigen und Untergründigen, das keine leichte Versöhnung und verklärende Ausgleichung verspricht; aber das doch darum oft leidenschaftlich und inbrünstig ringt und eben dieses Ringen zum Kunstwert erhebt, um zugleich darin die künstlerische Eigenart zu entfalten und auch ihrem Kunstwollen gemäß zu gestalten? Sowohl Jean Paul wie Kleist haben von sich aus und ganz bewußt einen T r e n n u n g s s t r i c h zwischen i h r e m K u n s t w o l l e n u n d dem der K l a s s i k , a b e r a u c h der R o m a n t i k gezogen. Das wird im Einzelnen noch sichtbar zu machen sein. So wie sie die Klassik und die Romantik sahen und werteten, fühlten sie sich jedenfalls als diesen Kunst- und Stilrichtungen nicht zugehörig. Und noch weniger wollten sie ihnen irgendwie hörig werden. So wie die geisteswissenschaftliche und ideengeschichtliche Rückschau und Überschau die Klassik und Romantik sieht, in voller (und gelegentlich doch wohl zu weit getriebener) Ausweitung, fällt es natürlich leichter, beide relativ „richtungsgerecht" unterzubringen. Schließlich sind beide von ihrer geistigen Umwelt nicht unberührt geblieben. So wird man etwa Jean Paul mit Hilfe der romantischen Ironie, wie es bereits geschehen ist, mehr oder minder überzeugend bei der Frühromantik, Kleist etwa mit Hilfe seiner starken Bewertung des Gefühls als reflexionsfreiem Gemütswert bei der jüngeren Romantik unterbringen können, von an sich näherliegenden Attributen Sowohl bei Jean Paul wie bei Kleist, die aber weniger dem Kunstwollen zugeordnet erscheinen, ganz abgesehen. Da jedoch hier von kunsttheoretischen Fragestellungen und Lösungsversuchen die Rede ist, die „Vorschule der Ästhetik" in ihrer ersten Ausgabe etwa am zeitlichen Beginn, in ihrer maßgebenden zweiten Ausgabe etwa am Ausgange der Jüngeren Romantik liegt, die „Nachschule" sogar noch ein Jahrzehnt später herauskommt und die hier absichtlich im Sinne der Ergänzung ausgewerteten Vorreden ebenfalls später anzusetzen sind, so mag es sich einigermaßen rechtfertigen lassen, wenn an dieser Stelle Jean Pauls Beiträge zur Poetik gewürdigt werden, ganz abgesehen von seinem Weiterwirken auf Ε. T. A. Hoffmann. Innerhalb der Gruppe mag Kleist voranstehen, der den Heidelbergern immerhin wesentlich näher bleibt. Wenn Görres im Tragödiendichter den „produktiven", im Komödiendichter den „eduktiven" Typus verwirklicht sah, so

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schien H e i n r i c h v o n K l e i s t (1777—1811) beide Ausprägungsformen in seinem genialen dramatischen Schaffen zu bewähren. Darüber hinausgreifend jedoch konnte Kleist als Repräsentant des jenen beiden Sonderformen aufgegipfelten, die ersehnte Synthese des Dichterischen schlechtweg bildenden Künstlertums gelten, zum mindesten was sein Kunstwollen betrifft. Indem er die Spannung zwischen Klassik und Romantik in der Anspannung seiner schöpferischen Werkleistung fruchtbar werden ließ, rieb er zwar im Ringen um die höhere Ganzheit und die Eigenwegigkeit und Eigenwilligkeit ein wertvolles Stück bester Lebens- und Schaffenskraft auf (darin Hölderlin verwandt). Aber zugleich wurde so die latente Poetik in seinem Schaffen als werkimmanente Poetik zu einer der am weitesten vorgetriebenen Erkundungen und kühnsten Erprobungen innerhalb des Gesamtraums der Romantik überhaupt. Wie er selber aus sprödem aufklärerischen Boden sich hindurcharbeiten mußte, so scheint es der letzte große Vollender und Überwinder der Aufklärung Kant gewesen zu sein, der ihn recht eigentlich erst zur Besinnung und mittelbar auch zu seiner Kunstbesinnung gebracht hat. Denn indem Kleist an Kants „Kritik der reinen Vernunft" verstandesmäßig und vorerst auch lebensstimmungsmäßig scheiterte, klammerte er sich doch gleichsam an diesen Felsen an, an dem er scheitern „sollte". Kants Kritizismus wurde ihm schmerzliche Heilung, gab ihm aber auch im Gegensätzlichen Halt und Anhalt zum Erkunden der ihm wesenseigenen, schicksalshaft vorgezeichneten Wegrichtung. Wenn Schiller dem Kantischen Aus-Pflicht-Handeln sein Aus-Neigung-Handeln entgegengesetzt hatte auf ethischem Gebiet, so setzt nun H. v. Kleist der Kantischen „Kritik der reinen Vernunft" seine eigene K r i t i k des r e i n e n G e f ü h l s entgegen. Dieser Kritik des reinen Gefühls setzte er in seinem Dichten ein ebenso würdiges und wuchtiges Denkmal, wie das war, das Kant im kühlen Reich des Denkens errichtet hatte. Wie Kant die Grenzen der Vernunfterkenntnis abtastete im Sinne einer unbestechlichen Erkenntniskritik, so spürte Kleist, den Grenzen der Gefühlserkenntnis nach im Sinne einer kritischen Erprobung derVerläßlichkeit und Reichweite eines ungetrübten und also „reinen Gefühls". Er tat das nicht als Philosoph, auch nicht als Kunstphilosoph, sondern als schaffender Dichter. Das zentrale Problem in der Tragödie H. v. Kleists dürfte tatsächlich in dieser Kritik des reinen Gefühls liegen. Denn echte 21 M a r k w a r d t , Poetik III

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Tragik entsteht für Kleist nicht dort, wo der Verstand oder die Vernunft versagt (dort sieht Lessing das Tragische), auch nicht dort, wo der Wille versagt (dort sieht Schiller vorzüglich das Tragische), sondern allein dort, wo das reine Gefühl versagt. Gewiß vergröbern derartige vereinfachte Merkmalsbestimmungen, aber sie bezeichnen dennoch ein Eigentümliches zum mindesten andeutend. Die vielberufene, je nach der Einstellung des Bewertenden berühmte oder berüchtigte „Gefühlsverwirrung", die Goethe von vornherein stutzig werden ließ, ist in Wirklichkeit nicht Selbstzweck, sondern nur ein Mittel zum Zweck seiner Kritik des reinen Gefühls. Sie ist ihm nicht Ziel, sondern Weg und Umweg. Sie ist nicht Leitkraft, sondern Begleitwert. Es ist hier kaum erforderlich ausdrücklich hervorzuheben, daß Kleist nicht das Gefühl unter Kritik stellt, sondern daß er die Möglichkeiten eines Weltverstehens und Menschenverstehens aus dem bloßen Gefühl heraus kritisch abschätzt. Wie bei Kant hinter der Erkenntniskritik dennoch die Ehrfurcht steht vor der reinen Vernunft, ebenso steht bei Kleist hinter der Gefühls-,,Kritik" in dem angedeuteten Sinne die E h r f u r c h t vor dem r e i n e n Gefühl. Ja, eben diese Ehrfurcht war der tiefere Antrieb zur Strenge des Anspruchs. Und eben diese Ehrfurcht bringt der Auftrieb zum Erhabenen innerhalb der „Furcht" des Tragischen. Kleist hofft im reinen Gefühl einen Hort des reinen Menschtums zu finden. Er erlebt die Humanität der Klassik um zu dieser reinmenschlichen Sicherheit des Gemüts als Gefühlskraft. Weis für die Klassik die Humanität war, war für die Romantik Kleists die Kritik des reinen Gefühls. Hier auch glaubt er einen Halt zu finden im Strome der „poetischen" Reflexion und „romantischen" Ironie. Aber auch an diesem GefühlsHalt kann man scheitern. Und eben dieses Scheitern an diesem letzten und menschlich festesten Halt, dieses Verspielen des kostbarsten Hortes muß vorzüglich tragisch wirken. Die werkimmanente Poetik im Sinne einer Kritik des reinen Gefühls bleibt nicht auf den Dramatiker und Tragiker Kleist beschränkt, .etwa auf die „Penthesilea" oder das „Käthchen von Heilbronn" oder den „Amphitryon" oder über edelste und seltenste Tragikomik ins rein Komische gewendet selbst den „Zerbrochenen Krug" (Evchen-Ruprecht). Sie wird fast ebenso eindrucksvoll ablesbar von Novellen wie dem „Zweikampf" oder der „Verlobung in St. Domingo" (Toni-Gustav), als Kritik des

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reinen Rechtsgefühls (abgehoben von der Rechtsnorm und Rechtsform) in der chronikartigen Erzählung „Michael Kohlhaas" oder auch in der „Marquise von 0." Das gesamte Kunstschaffen Kleists kreist um diesen ihn immer wieder mit einer fast magischen Gewalt anziehenden Kraftpol der Gefühlskritik, d. h. der Kritik durch das Gefühl, aber auch der Kritik einer Erkenntnismöglichkeit auf rein gefühlsmäßiger Grundlage, also gleichsam einer Gefühlserkenntniskritik. Dem Begriff „Kritik" haftet dabei etwas an von der Wertbedeutung, die im achtzehnten Jahrhundert „Kritik" und „kritisch" teils recht weitgehend mit „Philosophie" und „philosophisch" sich decken ließ (noch bei Kant mitschwingend als Nebentönung der Bedeutung). Man möchte fast den „magischen Idealismus" und „magischen Realismus" der Romantik in solchem Verstände ergänzen durch einen „magischen Kritizismus" Kleists. Und man könnte auch von einer Philosophie des Gefühls sprechen, die dann Kleists Literaturphilosophie weitgehend beherrschen würde. Bei aller gebotenen Würdigung der Eigenwegigkeit und Eigenwilligkeit H. v. Kleists läßt sich von hier aus unschwer ein Zugang aufschließen zu der hohen Bewertung des Gemütes durch die jüngere Romantik (z.T. vorbereitet vom Sturm und Drang, aber auch bedingter von der älteren Romantik). Strebt die jungromantische Kunstauffassung einem Primat des Gefühls bereits unverkennbar zu, so erfährt dieser Primat der Gemütswerte durch Kleist und sein Wesen und Werk eine Ballung und Steigerung, die selbst vor Ubersteigerungen nicht zurückschreckt. Gefühlskriterium, Gefühlsverwirrung und Gefühlsparoxismus, aber auch Gefühlsklärung, Gefühlsbewährung und Gefühlstriumph stellen die Entsprechungen in den Einzelausprägungen dar. In ähnlicher Weise erfährt das im Raum der jüngeren Romantik verstärkte Nationalgefühl eine nicht selten ins Dämonische und Ausschließliche erhöhte und überhöhte Steigerung (Hermannsschlacht, polit. Lyrik), teils eine klärende Gefühlserprobung am Maße des Verantwortungsgefühls und wiederum des Rechtsgefühls (Homburg), während doch zugleich überall das spezifisch Kleistische jener Kritik des reinen Gefühls (hier d. Nationalgefühls) aufrechterhalten bleibt. In diesem Sinne und nach dieser Deutung wäre Kleist im „Homburg" doch nicht einfach aus aufklärerischen Irrungen und geniezeitgemäßen Wirrungen zur „Vernunft" (oder zum Vernunftidealismus, Η. A. Korff) gekommen. Wohl aber könnte 21*

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man im Formwollen des „Homburg"-Schauspiels, das hart an das Tragische grenzt, bereits einen Ausschnitt jenes Wegsuchens zwischen K l a s s i k und R o m a n t i k erkennen, daß die allgemeine Richtung des Kunstwollens sonst erst für einen späteren Entwicklungsabschnitt kennzeichnet. Ob Kleists Kunstwollen bei längerer Entfaltungsmöglichkeit eine Wandlung im Sinne einer Ausgleichung von Gefühlswertung und Vernunftwertung, von unmittelbarer Ausdrucksgewalt und vermittelnder, strenger formender Ausdrucksbewältigung vollzogen haben würde, kann hier nicht beiläufig entschieden werden und wird letztlich bloße Vermutung bleiben. Darf doch auch die realistische Richtungs- und Ausrichtungskraft in ihrer Entwicklungsmöglichkeit nicht unterschätzt werden. Auch sie fällt an und für sich noch nicht aus dem Rahmen der jungromantischen Kunstbestrebungen heraus, sprengt ihn jedoch z.T. wiederum durch die hochgradige Steigerungsform. In seiner Kunstleistung spiegelt sich ja nicht allein die Gefühlskritik als Motiv (Beweggrund und Vorwurf zugleich), sondern auch die S p a n n u n g von A u s d r u c k s i n t e n s i t ä t und zwingender E i n d r u c k s k r a f t . Auf seine Art verwirklicht er den „magischen" Realismus im Raum seines „magischen" (Gefühls-)Kritizismus. Sowohl als Vorstoß in die Richtung der Ausdruckskunst wie als Vorstoß in die Richtung des Realismus hat man deshalb sein Kunstwollen traditionsuchend in Anspruch genommen; beides nicht ohne eine gewisse Berechtigung. Die werkimmanente Poetik Kleists als eine Kritik des reinen Gefühls war eine künstlerische Höhenleistung, die der denkerischen Höhenleistung in Kants „Kritik der reinen Vernunft" durchaus ebenbürtig war. Sie bedeutete eine künstlerische Ablösungsform und — von Kleists Kunstwollen her — eine erlebnismäßige Erlösungsform. Und sie Schloß jene P o l a r i t ä t von A u s d r u c k s kunst und E i n d r u c k s k u n s t nicht aus, sondern in sich ein. Faßt man Fichtes Gegenstück und Gegenbild zu Kant mit ins Auge, so reichte die intellektuelle Anschauung des reinen GefühlsBewußtseins, des Gefühls-Bewußtseins „überhaupt", für ein formsetzendes ^nstwollen nicht aus. Sie bedurfte einer Umsetzung in die gegenständliche Anschauung. Einer Setzung und Formsetzung, die das „reine Ich" (des Gefühls) am Gegenstand betätigte und so bestätigte. Jedenfalls entfaltet sich bei Kleist aus der hohen Spannung wiederum die hohe Anspannung. Und es bleibt letzten Endes dem „reinen Gefühl" des Kunstwertschaffenden anheim-

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gegeben, bei welchem Motiv-Detail die innere Schau aus hingegebenem Gefühl oder die äußere Schau aus Hingabe an die Wirklichkeit vorzuherrschen hat. Vielleicht gehört selbst jener fast noch aufklärerische Glaube an die dichterische Fruchtbarkeit des Vergleichsbildes jenes „erleuchtenden Gleichnisses", wie es J . J . Breitinger umschrieben und Lessing so mannigfach bewährt hatte, als vorbereitendes Entwicklungsstadium mit in diese Reihe. Nur, wie Kant Vollender und Überwinder der Aufklärung zugleich war, so auch kehrt neben der inneren Gefühls-Erleuchtung für Kleist jenes noch rationalistisch gefärbte erleuchtende Gleichnis nun auf der Überwindungsschicht wieder als ein sichtscharfes Aufleuchten der Gegenständlichkeit, die in ihrem Sinne das „Ding an sich" gelten läßt, nicht hinter der Erscheinung, sondern in der Erscheinung selber, vereinfacht und vergröbert gesagt: das Ding an sich nicht im idealistischen, sondern im realistischen Sinne. Und wenn Fichte in das reine Bewußtsein auch die intelligible Welt Kants mit hineinnahm, so brauchte der Dichter Kleist gleichsam einen kraftvollen Träger, um jenes Intelligible in das reine Gefühls-Bewußtsein mit hineinzuformen. Dieser kraftvolle Träger, der selbst noch (literaturgeschichtlich gesehen oder problemgeschichtlich gesehen) die dünne Geistigkeit der Frühromantik auf sich nehmen konnte, ohne daran zusammenzubrechen, war jener Anteil an Realismus. Es findet bei der immer wieder eintretenden Spannung von Ausdrucksintensität gleichsam jenes „Gefühl vom anderen", jene instinktsichere Einfühlung in Wesen, Wert und Wollen des anderen Menschen, das man bereits als ein bedeutsames Merkmal der Psychologie Kleists hinreichend erkannt und erläutert hat und das doch in Wahrheit nur einen Ausschnitt aus dem umspannenden Kraftfelde der „Kritik des reinen Gefühls" darstellt, seine folgerichtige Entsprechung in dem instinktsicheren Gefühl des schaffenden Künstlers für „das andere", für Wesen, Wert und Tendenz (Kunstwollen) im Stofflich-Motivischen und dessen z.T. realistische, jedenfalls eindrucksmäßig-gegenständliche Verbesonderungen. Wiederum entscheidet das Gefühlskriterium, nun auch bewußter auf die kunsttheoretische Bekundung übertragen. Wohl am bündigsten faßt diese Überzeugung, die ihrerseits merklich den Gefühlsakzent trägt, die bekannte Prägung in dem Brief an Rühle von Lilienstern (Aug. 1806) über die Kunst: „Es gibt nichts Göttlicheres als sie! Und nichts Leichteres zugleich; und

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doch, warum ist es so schwer? Jede erste Bewegung, alles Unwillkürliche ist schön; und schief und verschroben Alles, so bald es sich selbst begreift. Ο der Verstand! Der unglückselige Verstand! . . . Folge Deinem Gefühl". Es entspricht dieses „Unwillkürliche" bei Kleist etwa dem „Unbewußten" der Romantik, während die Symbolisierung des Traumhaft-Unbewußten (magnetischer Rapport, Somnabulismus) besonders aus der werkimmanenten Poetik („Käthchen", „Homburg") vertraut zu sein pflegt. Dagegen macht er es sich mit der Identität: Bewußt-Unbewußt nicht so leicht wie die Theoretiker der „transzendentalen" PoesieVorstellung innerhalb der Frühromantik. Zum mindesten war ihm diese Ineinsbildung nicht sowohl ein Gegebenes als ein dem Künstler immer neu Aufgegebenes. Auch scheint sich ihm diese Polarität und Polspannung weiterhin aufzustellen zu dem ins Extrem getriebenen Spannungsverhältnis: U n t e r b e w u ß t e s und Ü b e r b e w u ß t e s . Das gilt vor allem für den markantesten Beitrag zur Kunst theorie die Abhandlung „ Ü b e r d a s M a r i o n e t t e n t h e a t e r " (1810), der jene frühere briefliche Prägung recht gut als Motto vorangestellt werden könnte. Marionette („Puppe") und Gott, das endliche Unbewußtsein und das „unendliche Bewußtsein" fungieren hier stellvertretend für das Unterbewußte und das Uberbewußte. Zugleich kehrt die Wendung von der „ersten Bewegung" aus jenem Privatbrief als Ineinsbildung von A u s d r u c k s u n m i t t e l b a r k e i t und A u s d r u c k s d y n a m i k (Rhythmik) wieder, teils dunkelsinnig-tiefsinnig umspielt von biblischer Symbolik, teils aber doch auch fast rokokohaft verspielt oder aufgelockert. Die Weite des Wunders der Romantik ragt hinein in das fast rokokohafte Grazie-Ideal des Marionettensinnbildes, wobei zu berücksichtigen bleibt, daß Umwege vom Idyllisch-Einfältigen des Rokokohaften zur stillen Einfalt der Klassik führen. Denn so gewagt es auf den ersten Blick immer erscheinen mag, es liegt in dem merklichen Bevorzugen des Terminus „Grazie" an entscheidenden Stellen wohl doch mehr als ein stiller Dank an seinen verständnisvoll fördernden Ermutiger Martin Wieland. Es liegt darin ein Stück jener Vorstellung der rokokohaften Kunsttheorie von der Anmut und Grazie als einer „Schönheit in Bewegung" in Abhebung von der statuarischen, hohen Schönheit. Aber Kleist sieht diese Schönheit in der unwillkürlichen rhythmischen Bewegung nicht rokokohaft als Spiel, er sieht sie als

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Beispiel jenes uranfänglich Unwillkürlichen, das „schön ist", jener „ersten Bewegung", bei der hinter dem Ausdrucksspiel der „Puppe" der Schöpfungsausdruck des ersten Bewegers aufleuchtet. Es geht ihm nicht im ersten Betracht um die „moralische Grade" Shaftesburys. Weit eher wird die tiefere Gefühlsströmung wirksam, die über Vico-Hamann führt, wenn er zusammenfaßt: „wir sehen, daß in dem Maße, als in der organischen Welt die Reflexion dunkler und schwächer wird, die Grazie darin immer strahlender und herrschender hervortritt." Die Weite des Wunders verbindet sich auf dem Wege vom Unterbewußtsein zum göttlich Überbewußten mit dem Wunder der Weite. Denn erst nachdem und „wenn die Erkenntnis gleichsam durch ein Unendliches gegangen ist", findet sich auch die verlorene Grazie wie ein Stück und Glück des verlorenen Paradieses der erkenntnisfreien Unschuld wieder ein, d. h. im Unterbewußt-Primitiven (Puppe) oder im Überbewußt-Vollendeten (Gott). Es ist der Zauberkreis der Kunst, der sich schließen muß, der magische Zirkel, damit das verlorene Paradies des Reflexionsbefreiten auf dem weiten Umwege „um die Welt" wieder gewonnen werden kann. Wie für den Menschen schlechtweg der Sündenfall der Erkenntnis die göttliche Spontaneität und die unschuldige Sicherheit seines Gefühls erdrückt, so drohte dem künstlerischen Menschen Kleist die Erkenntniskritik Kants zu seinem Sündenfall werden zu wollen. Sein Weg durch das Werk war ein schöpferisch-kämpferischer Weg zur Wiedergewinnung jener bedrohten und vorübergehend verlorenen, ja kaum noch erst besessenen Welt, die Kleist wohl als göttliche Gabe zu werten, aber auch als künstlerische Aufgabe umzuwerten verstanden hat. Rein gattungstheoretisch untergründet, kann in der starken Herausarbeitung des Dynamisch-Rhythmischen der Anteil Dramatiker in Kleist wirksam geworden sein. Das würde eine gewisse Entsprechung zu einer Leitkraft der Kunstphilosophie Schillers sichtbar werden lassen, nur daß Schiller bei aller Freude am Pathos eine mehr geistige, Kleist eine mehr gefühlsmäßige Dynamik und damit eben das Rhythmische überwiegen läßt. Es manifestiert sich in der auf metaphysische Vorstellungen und Überzeugungen hindeutenden Abhandlung „Über das Mario/· nettentheater", die eben deshalb in recht weiter Beziehungsferne steht zu Ε. T. A. Hoffmanns „Seltsamen Leiden eines Theaterdirektors", zunächst eine Absage an d a s Ü b e r w e r t i g e des

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Geistigen der älteren Romantik (Lit.-Philos.), und nicht etwa nur (gleichsam im Überwinden seiner eigenen Frühstufe) an das Verstandesmäßige und Vernunftgerechte der Spätaufklärung. Aber ihr tieferer Sinn erschöpft sich nicht in solcher leichter zu umschreibenden und in der Tat von Kleist mehrfach knapper ausgedrückten Absage. Und es erschöpft sich der Sinn dieser Abhandlung nicht an einer Variation des Themas der Abhandlung Schillers „Über naive und sentimentalische Dichtung", so unverkennbar immer die befruchtenden Anregungen sein mochten, wobei Kleists Steigerungsbedürfnis u. a. das Symbol des Kindes durch das Symbol der Puppe (ein auch sonst i. d. Jüngeren Romantik beliebtes Sinnbild) zu überbieten trachtet. Und es handelt sich auch nicht allein um ein Fortspinnen und Weiterspielen von Lehren Schellings, wonach der Künstler den Weg vom Bewußten zum Bewußtlosen durchschreiten muß, während die Natur ein Gegenbild dieses Vorgangs bietet, eine Anschauung, die auf Schillers kritische Bedenken stieß. Vielmehr sucht und findet Kleists werkimmanente Poetik einer Kritik des reinen Gefühls nun die repräsentative Entsprechung im Raum einer und eben seiner bewußt ausgesagten Kunstauffassung. Nicht entfernt in dem Grade wie Schiller (oder in seiner Art auch Schelling) ist es ihm zu tun um ein wertendes Messen und typisierendes Bestimmen an Hand des Natur-Künstler-Verhältnisses. Ihm liegt sein Alles oder Nichts in der Gewinnung der Zweieinheit von reinem Ausdruck und reinem Gefühlsrhythmus, von Unmittelbarkeit und Dynamik. Nun handelt Kleist im „Marionettentheater" themagemäß vom Ausdrucksvermögen des Tänzerischen, nicht des Dichterischen, zum mindesten rein inhaltlich. Und es liegt nahe, in diesem Zusammenhange sich zu erinnern an die Geniezeit, etwa an den Begriff der „energischen" Künste, zu denen neben der Musik auch die Tanzkunst gerechnet wurde (Linie: J. J. Harris-Herder). Diesen „energischen Künsten" wurden in Übernahme der vorerst aufklärerischen Zeichenlehre (Chr. Wolff, G. Fr. Meier, Mendelssohn u. a.), die jedoch bald eine gefühlsmäßige Umdeutung erfuhr, „natürliche Zeichen" zugesprochen, während sich die Poesie mit „willkürlichen" (dafür jedoch auch dem Geistig-Symbolischen zugängliche) Zeichen darzustellen habe. Schon der junge Herder hatte in seiner Art die Poesie von der Einengung auf bloße willkürliche Zeichen zu befreien versucht. Das Bildliche nicht allein

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(Chr. Garve), vor allem auch das Musikalische, das bereits bei Daniel Webb näher an die Poesie herangerückt worden war („Observations", 1762) und das gerade in der Dichtersprache Geltung fordern durfte, hatte er sich herbeigerufen für diesen, zwar nicht restlos und zielklar durchgeführten, aber doch unternommenen Befreiungsversuch. Die Zielklarheit litt unter der Rücksichtnahme auf seine eigene Bestimmung der Dichtkunst als eine spezifisch „geistige" Phantasiekunst des Schönen, die er nicht preisgeben wollte als den als übergeordnet empfundenen Wert. Hier genügt der kurze Rückverweis auf jenen Befreiungsversuch, der nun in Kleist eine Art von Fortsetzung und Ergänzung erfuhr. Von Herders „Kritischen Wäldern" zu Kleists Abhandlung „Uber das Marionettentheater" lassen sich zwanglose Verbindungen herstellen, die nicht überraschen können, wenn man bedenkt, wie mannigfach die Verflechtungen und (vielfach unbewußten und uneingestandenen) Verpflichtungen waren, die besonders von der Jüngeren Romantik zum Sturm und Drang hinüberweisen. Dagegen würde Herders Oberbegriff der „geistigen Kunst des Schönen" stärker auf die Frühromantik hinüberweisen. Indessen ebenso wie jener Zusammenhang bestätigt sich auch in diesem Einzelfalle die schon einleitend bemerkte Abhebung vom Sturm und Drang. Vor allem geht Kleist nicht sprachphilosophisch an die Probleme heran (und ebensowenig von der Seite einer psycho-physiologischen Ästhetik). Sein früher liegender Aufsatz „Über die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Reden" kann ernstlich kaum als sprachphilosophischer Beitrag gelten. Jedoch verstärkt sich die vom jungen Herder her vertraute Bevorzugung des Werdenden, lebendig Wachsenden und damit wiederum die Parallele Geniezeit-Jüngere Romantik. Auf neuer Entwicklungsstufe erfolgt ein an sich nicht ganz unähnlicher Umschwung von der Zeichenlehre im engeren Sinne zur Ausdruckslehre im engeren und weiteren Sinne, wie er schon von der sogenannten Auflockerergruppe innerhalb der Aufklärung vorbereitet worden war. Der unmittelbar aus der Situation des Redenden geforderte und durch die fördernde Teilnahme (Aufnahmebereitschaft) der Zuhörenden angeregte Ausdruck ähnelt etwa dem, was man damals „lebendigen Ausdruck" genannt hatte. Indessen, es dürfte doch weit überwiegend der Dramatiker und Rhythmiker in Kleist sein, der auf eine wirkungsteigernde Verschmelzung von Dynamik und Rhythmik frühzeitig hinarbeitet.

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Ebenso ist ein Anteil von Unmittelbarkeit (als Forderung und Förderung) bereits in diesem an sich noch recht rationalistisch gefärbten Aufsatze nachweisbar. Es war nur folgerichtig, daß Kleist in seinem R i n g e n um den u n m i t t e l b a r e n A u s d r u c k eine helfende Kraft, ja eine alles erklärende und alles verbürgende Macht und Gewalt in der Musik suchen mußte (Ansätze b. Daniel Webb u. a.). Es scheint zeitweise fast so, als ob H. v. Kleist jenen „Laokoon der Musik" (aber im Herderschen, nicht Lessingschen Sinne) ernsthaft in Angriff nehmen wollte, den einst das 18. Jahrhundert gefordert hatte. Jedenfalls hofft er, das tiefste Wesen aus der „Wurzel . . . aller übrigen" Künste, eben aus der Musik sich entfalten zu sehen und also auch theoretisch ableiten zu können. Wenn er die Dichtung als Wortkunst — wie Goethe zeitweilig auf Farben — auf Töne beziehen möchte, so hebt sich das stark auf die Bildkunst zielende Kunstwollen der Klassik auch in diesem Reflex deutlich von der zuversichtlicher zur Musik hinüberhorchenden Kunstdeutung der Romantik ab. Das wäre die allgemeine Tragschicht. Aber es ist noch nicht die Eigenwelt Kleists. Denn diese eigenwillige und eigenwegige Richtung, die Kleists Kunstwollen einschlägt, liegt im S p a n n u n g s f e l d z w i s c h e n K l a s s i k u n d R o m a n t i k , wobei aus der Polspannung eine produktive Anspannung gewonnen wird, dank der überlegenen Schöpferkraft Kleists. Doch dürfte auch sein Zerbrechen auf die Überspannung dieser Anspannung (Guiskard) wenigstens zum Teil zurückzuführen sein, ähnlich und doch wieder wesenhaft anders wie bei Hölderlin. Besonders die werkimmanente Poetik zeugt von einem derartigen fruchtbaren Umsetzen der Spannung (Klassik-Romantik, z.T. noch Geniezeit-Klassik-Romantik) in die werkschaffende Anspannung; aber eben doch auch streckenweise von der Überspannung des Höhenbogens, der jene Polarität, die für den Kunstschaffenden in höherem Grade fühlbar werden mußte als für den historisch und kunsttheoretisch Betrachtenden, dem sich aus dem ursprünglich Entgegengesetzten leichter eine Fortsetzung durch mannigfach gestuften Umsetzung organischer Art ergibt. So begnügt sich in jenem Sonderfalle Kleists Neigung zur letzten Steigerung eines Impulses nicht mit einer A n e r k e n n u n g der M u s i k als der Urkunst, der alle übrigen Künste nur entwachsen seien. Er dringt auf die Zuspitzung des Allgemeinen zum Kunst-

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technischen der angewandten Poetik und hält doch zugleich das allgemeingültige Gesetz aufrecht, wenn er aus ahnungsvollem Dämmer den Gedanken aufblitzen läßt, daß „im Generalbaß die wichtigsten Aufschlüsse über die Dichtkunst enthalten sind" (Brief, Herbst 1811, an Marie v. Kleist?). Es handelt sich dabei nicht einfach um eine Spielform der romantischen Verschmelzung aller Künste unter dem Prinzip des „Poetischen" im erweiterten Sinne, derzufolge dann naturgemäß wiederum aus den Einzelkünsten „Aufschlüsse" für die Poesie zu gewinnen sein mußten. Und es ist weiterhin nicht unwesentlich, daß sich dieser impulsive Einfall zeitlich nach der Abhandlung „Über das Marionettentheater" einstellt, durchsetzt und offenbar mit der Kleist eigenen Zähigkeit (oder doch hochgradigen kurzfristigen Konzentration) auch festsetzt. Es ist nicht unwahrscheinlich, daß Kleist diesem Gedanken einmal nachgegangen wäre, von der einen „energischen" Kunst, der Tanzkunst, nun weiterschreitend zu der anderen „energischen" Kunst, der Musik, die ihm die Mutter aller übrigen Künste zu sein schien. Auch diese kunsttheoretische Möglichkeit der Entwicklung wäre dann durch seinen Freitod jäh abgebrochen worden. In welchem Grade die musikalische Kompositionsart, wie sie Ε. Τ. A. Hoffmann brieflich einmal in eigener Sache Zug um Zug erläutert, gleichsam als ein Teil der werkimmanenten Poetik (bzw. Musiktheorie) auch aus Kleists Kunstschaffen ablesbar ist, kann nicht im Einzelnen verfolgt werden. Die Kleist-Forschung hat in diesem Bezirk sowohl auf symphonische Sätze innerhalb der NovellenTechnik als auch auf eine gewisse Opernstruktur innerhalb des Dramatischen hinweisen zu können geglaubt. Wie die Weite des Wunders, nicht allein im Sinne des Zahlenwunders Wackenroders, gerade auch die Musik mit umspannt, wird wohl am eindringlichsten motivlich wirksam in der Novelle „Die heilige Cäcilie oder die Gewalt der Musik", die zugleich eine der deutlichsten Verdichtungsstellen romantischen Kunstwollens darstellt. Fand sich im Ertrag der Abhandlung „Über das Marionettentheater" die von keiner Reflexion belastete Grazie wieder ein „bei dem Wesen, das entweder gar keins oder ein unendliches Bewußtsein hat", so muß der Kunstschaffende Ausschau halten nach einer Möglichkeit, sich die ungetrübte Ausdrucksreinheit und ungebrochene Ausdrucksunmittelbarkeit auf seine Weise und mit seinen Ausdrucksmöglichkeiten zu gewinnen. Für den

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Musiker scheint das leichter durchführbar als für den Dichter, der mit der P r o b l e m a t i k der S p r a c h e a l s A u s d r u c k s m i t t e l zu kämpfen hat. Was im Falle der Marionette, die Wirklichkeit und Gleichnis ineinsbildet, durch das spezielle Ausdrucksmittel erleichtert wird (in dem Grade, wie der Tanz der Musik nähersteht), danach hat der Dichter auf seinem weit schwerer zugänglichen und erschließbaren Boden zu streben. Er nämlich muß durch die spröderen, von anderen und z.T. unberufenen Händen abgegriffene Schale (Sprachform) vorzudringen suchen zum „Wesen und Kern der Poesie". Dieser Kern liegt für Kleist wiederum im reinen Ausdruck, genauer vielleicht noch in der Identität: Eindruck = Ausdruck bzw. der Wirkungsidentität: Ausdruck = Eindruck. Manches von dem, was bei Hölderlin sprachphilosophisch vertiefter begegnet und im „Empedokles" auch um künstlerische Manifestierung ringt, findet sich bei Kleist zum mindesten in jähen Ausbrüchen der Kunsterkenntnis und rein persönlichen Aussprüchen als Kunstbekenntnis. Vom selbsterlebten Ringen um diese Zentralgewalt ergriffen und bewegt, spricht er es im „ B r i e f e i n e s D i c h t e r s an e i n e n a n d e r e n " aus, die Schulform sei Außenwerk und Beiwerk, bleibe eine letzten Endes störende Hülle „Wenn ich beim Dichten in meinen Busen fassen, meinen Gedanken ergreifen und mit Händen ohne weitere Zutat in den Deinigen legen könnte: so wäre, die Wahrheit zu gestehen, die ganze Forderung meiner Seele erfüllt". Es ist dies merklich eine erfühlte, keine erdachte Forderung. Es handelt sich überhaupt bei Kleist nicht um ein Erkennen und Ergreifen von Gesetzen, sondern um ein Ergriffensein von inneren Forderungen, um ein gefühlsmäßiges SichHerantasten an den Wesenskern seiner Kunst. Kurz, es handelt sich auch in der Kunstauffassung um eine Wegerkundung mit Hilfe der Kritik des reinen Gefühls. So schwingt diese Sehnsucht, das Gefühl im theoretischen Idealfall ohne Vermittlung des Instruments der Sprache packen zu wollen und zu können, gelegentlich ins rein Menschliche hinüber, etwa in dem schmerzlichen Seufzer „Ja, wenn man Tränen schreiben könnte . . . ! " (An Altenstein, Aug. 1806). Im V e r h ä l t n i s z u r M a l e r e i , für die das Sprachproblem fortfällt, scheint die romantische Grenzauflösung stattzufinden, die von Lessings „Laokoon" möglichst weit entfernt zu sein scheint, wenngleich dem Kontur und der Farbe ein gewisses

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Eigenrecht eingeräumt bleibt im Gegensatz zur Vertilgung der sprachlichen Mittelbarkeit (als extremes Ziel) in der Poesie. Aber was hinter dem Verwerfen der Nachahmung eines Kunstvorbildes (also nicht der Natur) wirksam wird, wie es der „Brief eines jungen Dichters an einen jungen Maler" vertritt, ist letztlich die Übertragung des poetischen Ideals einer subjektiven Ausdrucksunmittelbarkeit und damit das Bewahrenwollen einer individuellen, charakteristischen Eigentümlichkeit. Durch ein bloßes Nachbilden, so argumentiert jener Kunst-Brief, würden diese subjektive Ausdrucksfähigkeit und jene charakteristische Ausdruckseinmaligkeit notwendig geschwächt und damit die Erfüllung der Forderung in Frage gestellt, nämlich „euch selbst, euer Eigenstes und Innerstes durch Umriß und Farbe zu Anschauung zu bringen". Man braucht weder das Fichtesche Ich, noch das „sich selbst" des Geheimnisses zu Sais (Novalis), hinter solchen Wendungen Kleists zu wittern. Vielmehr entspricht das noch durchaus dem subjektiven Blickpunkt des jungen Dramatikers Schiller, von dem aus gesehen alle Dramengestalten „zuletzt wir selbst" seien. Ebenso braucht man nicht sogleich Wilh. Heinses ästhetischen Immoralismus zu bemühen, wenn etwa in dem „Brief eines Malers an seinen Sohn" das Gleichnis von der spontanen Zeugung begegnet. Vielmehr kommt es Kleist offenbar nur auf ein neues eindrucksvolles Symbol für die Unmittelbarkeit und ihre künstlerische Fruchtbarkeit an. Wie sich die triebhafte Hingabe aus reinem Gefühlsdrang als lebensvoller und also auch lebenzeugender erweist als ein ernsthaft bedachter Zeugungsvorgang, so auch erweist sich das triebhaftspontane Kunstschaffen als lebenskräftiger als ein künstlicher Stimmungskultus (dem W. Heinse auf vorromantischer Stufe nicht fernstand, der aber gerade von Kleist abgelehnt wird). Die Abkehr Kleists von den Theoretikern der Frühromantik ist allenthalben unzweideutig vollzogen. Und den „paradoxen Mutwillen ihrer Lehrart" bekämpft und verwirft er trotz einer gewissen Rücksicht auf seine romantischen Freunde. Von der Klassik und ihrem Kunstwollen unterscheidet sich Kleist nicht allein seinem ganzen dichterischen Typus nach. Die Abhebung von der Klassik bekundet sich auch kunsttheoretisch, und zwar am deutlichsten wohl in der Stellung zum Formproblem, in der Formungs- und Gestaltfrage. Es wäre an sich irrig zu folgern, daß die geforderte unmittelbare Ausdruckskunst

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die gestaltende Formgebung grundsätzlich vernachlässigen dürfe. Vielmehr ist sich Kleist klar darüber und hat es auch klar genug ausgesprochen: „in der Kunst kommt es überall auf die Form an, und Alles, was eine Gestalt hat, ist meine Sache" (an Collin, Febr. 1808). Mag ein wenig Selbstermahnung an derartigen Äußerungen beteiligt sein: seit der Klassik war es schlechtweg unmöglich, die Bedeutung der Form zu übersehen, zum mindesten im Raum kunsttheoretischer Besinnung. Aber in das Formproblem greift das Sprachproblem untrennbar über. Und die Sprachgestaltung darf nicht einen vorherrschenden Eigenwert beanspruchen, besonders nicht im Sinne einer klassischen Formgerechtigkeit und Selbstgerechtigkeit der Form. Denn diese Gestaltung und Formung ist nicht das Erstbewegende, Ursprüngliche und Ursächliche, sondern sollte nur eine sich notwendig einstellende Folgeerscheinung und Auswirkung des zuletzt stets entscheidenden Ausdruckswillens sein. Die gefühlsmäßige Haltung bedingt die adäquate Gestaltung, der Kritik des reinen Gefühls entspricht eine Kritik der reinen Form (aber nicht der bloßen Form). Bei der ersten Eindrucksempfängnis des Kunstwertaufnehmenden darf jedenfalls nie die Form überwiegen. Man darf sich nicht sogleich durch ihre Annehmlichkeit und Gefälligkeit bestechen lassen. Und ebenso wenig darf man bei der Bewertung und Würdigung ausgehen von einem Form-Vorurteil. Sprache ist nur unentbehrliche Hilfsform und Hilfsfassung. Dichtung ist nicht einfach Wortkunst. Die eigentlich wertvolle und also zu fordernde Leistung der Formgebung beruht auf einer möglichst ungeschwächten, nicht durch Sprachschmuck abgelenkten Vermittlung, auf Erlösung des Ausdrucks (seelisch-gefühlsmäßiger Art) im „Ausdruck" (sprachlicher Art). Und der Wert dieser Gestaltsetzung wird bestimmt durch den Grad ihrer Unmittelbarkeit und Ungebrochenheit. „Denn das ist die Eigenschaft aller echten Form, daß der Geist augenblicklich und unmittelbar daraus hervortritt, während die mangelhafte ihn wie ein schlechter Spiegel gebunden hält und an nichts erinnert als an sich selbst." Die Gestaltung und ihr Ertrag die Gestalt, die Form, darf also nicht Selbstzweck werden und nicht in irgendwie aufdringlicher Weise unser Anteilnehmen herausfordern und festhalten, sondern soll nur in dienender Funktion ihr Genügen finden und als Trägerin des Ausdrucks sich bescheiden, ohne Anspruch auf Eigengeltung zu erheben.

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Über Adam Müllers Aufsätze „Von den Modulationen des Schmerzes" (etwa 1807, mit Belegproben aus Kleists Dichtungen) und „Die Subordination der Liebe", aber auch über die Dresdener Vorlesungen und Müllers grundlegende „Lehre vom Gegensatz" suchte die Sonderforschung einen neuen Zugang zur Kleistdeutung zu gewinnen. Und zwar hält sie es für möglich und wahrscheinlich, daß die psychologisch eingestellte Ästhetik E. Burkes (1729—1797), wie sie in Garves Verdeutschung „Burkes philosophische Untersuchungen über den Ursprung unsrer Begriffe vom Erhabenen und Schönen" (1773) vorlag und Kleist durch Adam Müllers Vermittlung nahegebracht sein soll, richtunggebende Anregungen für Kleists eigene Schaffensart, besonders in der „Penthesilea" und der Novelle „Die heilige Cäcilie . . . " geboten haben könnten. Eine kritische Überprüfung dieser Deutung ist hier nicht erforderlich, weil die Sonderforschung nur die angenommene Auswirkung auf Kleists Kunstschaffen nachzuweisen bestrebt ist, dagegen für Kleists eigene kunsttheoretische Äußerungen jenen Einfluß Burkes keineswegs in Anspruch nimmt, sondern gelegentlich der Erörterung über „Das Marionettentheater" ausdrücklich klarstellt: „Trotzdem werden wir hier von einer direkten Anregung nicht sprechen dürfen." Von gewissen Teilüberspitzungen abgesehen, wie sie die erste Finderfreude verständlich macht, bleibt der Hinweis dankenswert, besonders auch im Eingehen auf Adam Müllers Ästhetik. In einem (nicht vereinzelten) Sonderfalle würde sich übrigens dabei die bemerkenswerte Mitarbeit Garves (wenn auch nur als anregenden Vermittlers) innerhalb der Geschichte der Kunsttheorie bestätigen. A d a m Heinrich Müller (1779—1829), dessen „ L e h r e vom G e g e n s a t z " (1804) mit Görres' „Aphorismen..." manchen geistig verwandten Zug aufweist und grundlegend wird für seine überwiegend eklektischen Anschauungen, bietet — außer in den bereits genannten Aufsätzen — auch in seiner Dresdener Vorlesungsreihe „ Ü b e r die deutsche W i s s e n s c h a f t und L i t e r a t u r " (gedr. 1806, 1807»), die den Brüdern Schlegel weitgehend verpflichtet ist, teils aphoristisch-knappe, teils rednerisch ausgeführte Beiträge zur romantischen Kunsttheorie. Die zweite Vorlesungsgruppe „Von der Idee der S c h ö n h e i t " stellt bereits in der Titelgebung der Druckfassung von 1809 den ästhetisierenden Charakter bewußt heraus. Die Sonderforschung konnte nur allzu

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berechtigt die definitionsfremde, jeder präzisen Zielprägung abholde Art des Müllerschen Ästhetizismus hervorheben. Etwas billig erscheint in der Tat ζ. B. die Umschreibung: „Poesie ist geschlossene Kunstdarstellung des Lebens durch das Wort." Und vollends, wo sich Adam Müllers Sensationsbedürfnis und Geltungsstreben an Kant heranwagt, muß der Abfall im geistigen Niveau peinlich zutagetreten, da ihm für solche Gegnerschaft Herdersche Blickweite und Schillerscher Auftrieb, aber auch Kleists umschaffende Genialität fehlen. Für die Deutung und Bestimmung der dramatischen Wirkungsform dagegen besaß Adam Müller in seiner Lehre vom Gegensatz gewiß eine günstige Ausgangsposition. Aber auch hier verflacht er ζ. B. die Identitätsvorstellung bedenklich, wenn es gilt, nun den zeitüblichen Ausgleich der Gegensätzlichkeit zu finden. Das Stützungsbedürfnis des popularisierenden Schöngeistes schwenkt wendig vom Versuch eigener Stellungnahme zur vorgeformten fremden Deutung über, so im Abschnitt über das Erhabene, der — Burke anpreisend — eben doch auch Burke folgt: „Der höchste Reiz der Tragödie liegt in der Verbindung des Schauerlichen mit dem Schönen, und so hat das Geheimnis der Verträglichkeit dieser beiden streitenden Elemente viele große Autoren beschäftigt. Eine der neuesten (?) Behandlungen dieses merkwürdigen Stoffes ist von Edmund B u r k e . . . " Und nun folgt ein Panegyrus auf diesen großen „prophetischen Redner", dessen Lehre zu vermitteln Müller sich zur rühmlichen Lebensaufgabe setzen möchte. Das Vorbild, dem auch ζ. B. Herder und Kant manches zu danken hatten, war nicht unwürdig gewählt; aber Müller ahmte mehr nach, als daß er im guten Sinne nachgeeifert hätte. Zum Teil erklärt es sich aus dem Vorlesungscharakter, wenn Adam Müller mehr dazu neigt, fremde Meinungen zu sammeln, zu verarbeiten und gegeneinander auszuspielen als eigene Ansichten und weiterführende Aussichten zu bieten. So kommt es zu mancherlei Überschneidungen von Einflußströmungen (Burke, Fr. und A. W. Schlegel u, a.) ähnlich wie bei Bernhardi. Und dieses Verfahren bringt es mit sich, daß wie in Görres' „Aphorismen . . . " manches stärker auf die F r ü h r o m a n t i k hindeutet als auf die jüngere Romantik. Die überwiegende Bedeutung Adam Müllers ist nicht auf kunsttheoretischem Gebiet, sondern in der Ausprägung seiner nationalen Staatslehre zu suchen. Er

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hat das Glück gehabt, mit Heinrich von Kleist in einen näheren geistigen Kontakt zu treten. Und diesem Umstände dankt er es, daß auch seine Kunstauffassung eine gewisse Aufmerksamkeit beanspruchen darf. An sich hat er auch Edmund Burke nicht in seiner Ganzheit erfaßt; denn er sah in Burkes Frühwerk, der Jugendschrift „Über den Ursprung unserer Begriffe vom Erhabenen und Schönen" („A Philosophical Enquiry into the Origin of our Ideas of the Sublime and Beautiful", 1757) allzu einseitig das Werk, das „Burkes Ruhm hauptsächlich vor der Welt begründete". Allerdings ist Adam Müller dabei der kritische Blick für das e n t w i c k l u n g s g e s c h i c h t l i c h B e d e u t s a m e nicht abzusprechen. Denn in der Tat brachte Burkes „Erhabenheits-Abhandlung" eine entscheidende Entwicklungswendung in die zählebige LonginTradition, nicht zum wenigsten durch das Stützungsuchen beim psychologischen Empirismus, ohne zwar den Anteil „Schrecken" (horror) im Erhabenheitsgefühl im modernen Sinne zurückzudrängen auf das gebotene Maß. Aber das Erhabene nicht als Steigerungsform, sondern als eigenwertiges Gegenstück des Schönen zu sehen, hat vor allem Burke gelehrt (s. auch K. Vietor). Auch dem erhabenen Sprachstil wendet er seine Aufmerksamkeit zu. Wesentlich war im ganzen Vorgehen der Untersuchung, daß nicht allein die Wirkung und der Wert, sondern themagemäß der seelische Traggrund des Erhabenheitsgefühls aufgespürt wurde. Übrigens findet sich auch einiges von der GegensatzLehre Adam Müllers bei Ed. Burke bereits vorgebildet, wenn man von jenen etwaig in Erwägung zu ziehenden Berührungen mit Görres u. a. einmal ganz absieht. Auch mag in diesem Zusammenhange auf Jean Pauls Umschreibung des Humors als ein „Umgekehrt Erhabenes" hingewiesen werden. Die Art, wie Klopstock das vor allem religiös Erhabene, das auch Jean Paul vertraut ist, erlebt und gestaltet hatte, war nun offenbar dem Poetiker Clodius sehr gemäß, der für die Poetik mehr bietet als A. Müller. Mit betonter Abwehr der herrschenden „philosophischen Sekten" verbindet C. Α. H. Clodius (1772—1836) in seinem breitschichtig angelegten „ E n t w u r f einer s y s t e m a t i s c h e n P o e t i k nebst Collektaneen zu ihrer Ausführung" (I. Teil, Leipzig 1804) merklich das Bemühen, in der Ästhetik Kants eine tragfähige Grundlage für seinen Systemwillen zu finden, obwohl er 25 M a r k w a r d t , Poetik III

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sich auch mit Kant streckenweise kritisch auseinandersetzt (bes. S. 39 f.) Clodius, selbst Professor der Philosophie und Verfasser einer „Religionslehre" (1808), geht unter anderem auf Reinhold und die Kantische Schule, auch auf Fichte und Schelling ein, ohne sich an eine Richtung verpflichtend binden zu wollen. Dabei spielte wahrscheinlich nicht unwesentlich das religiöse Bedürfnis mit, das sich von philosophischen Lehren nicht einfach festlegen und in seiner Entfaltungsmöglichkeit einengen lassen möchte. Indem Clodius innerhalb der kunsttheoretischen Begriffsbildung die Schillersche Synthese auszuwerten strebt, deutet er die Poesie als eine „freie", eine im höheren Sinne „spielende" Kunst, die Reales und Ideales dadurch zur Eintracht zusammenzwingt, daß sie ein Besonderes, ein Reales hervorbringt und herausstellt, aber nur „um die innere, formelle, idealisierende Geistesnatur darinnen anzuschauen". Dementsprechend wird der Naturnachahmungsbegriff Batteux' abgelehnt und das Reale als ein bloßer Gelegenheitsmacher für das Symbolhaltige einbezogen. So soll ein Wirkliches als Ideal in Erscheinung treten, indessen keineswegs auf die Weise und „nicht dadurch, daß etwas Ideales dem Wirklichen g l e i c h t " (S. 471). Die Identitätsvorstellung wird also merklich verschmäht, obwohl auch neben den Anklängen an die Klassik (und an Klopstock) romantische Begleitmotive nicht fehlen. Ein wenig kantisierend und gleichzeitig seine eigene stark religiös gefärbte Ethik bewußt zur Geltung bringend, wählt Clodius die Zielprägung „Imperativ des höheren Lebens" oder auch „Imperativ des instinktfreien Lebens" als Leitwort, womit der Anklang an Kants Imperativ, aber in Schillers Umprägung, und zugleich an Kants „interesseloses Wohlgefallen" ohne weiteres vernehmbar wird (Verschmelzung von Ethik und Ästhetik). Die Poesie, die durch ihre Geistigkeit allen anderen Künsten überlegen und dergestalt „ausgemacht die höchste und reinste Kunst" darstellt, erfährt ihre Vollendung, und ihre Bedingungen werden am weitgehendsten erfüllt durch die G a b e des G e n i e s , das erläutert werden kann als die „Kraft einer höheren Natur, ohne Vorschrift, Regeln und Fesseln aus dem ganzen Felde des Möglichen nur das Notwendige herauszufinden und zu greifen" (S. 7). Demnach vollzieht das Genie eine Wahlfunktion wie die Vernunft, ist jedoch ausgerüstet mit der Griffsicherheit für das Wesentliche und Notwendige. Die Hervorhebung des Notwendigen

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nähert sich der Kunstauffassung der Klassik. Dem T a l e n t fehlt diese Gabe; es besitzt demgegenüber nur ein zwar auch angeborenes Geschick, aber eingeschränkt auf die technische Kunstfertigkeit. Ebenso zeigt sich Clodius um die Unterscheidung von Genie und G e s c h m a c k bemüht. Sie sind nicht wie bei A. W. Schlegel nur gradmäßig, Sondern wesenhaft unterschieden. Da die Dichtkunst als Geniegabe nicht lehrbar ist, so kann die A u f g a b e der P o e t i k , auf die Clodius in beachtenswerter Weise auch methodologisch eingeht, nicht etwa darin bestehen, irgendwelche Regeln und Vorschriften geben zu wollen. Insofern reicht die Poetik nicht in den Wirkungsbereich des Genies, sondern nur in den des Geschmacks und bleibt demgemäß und insoweit „Kritik". Etwaige positive Regelsetzungen werden — mit dem alten Vergleichsbilde Youngs — als zwecklose „Krücken", die nur behindern, statt zu fördern, verworfen. Die Poetik hat sich vielmehr, wenn anders sie methodisch sinnvoll bleiben will, mit „klassifizierten Betrachtungen" und mit „Definitionen" zu begnügen. Sie darf jedoch auch mit Hypothesen arbeiten. Und zwar nimmt sie derartige Hypothesen aus dem Schatz der rationalen Psychologie und beglaubigt sie mit Hilfe der empirischen Psychologie. Es leuchtet ein, daß sich diese Strenge Auffassung vom Wesen und Wollen der Poetik als einer „systematischen" Wissenschaft betont distanziert von dem phantasiereichen und teils dichterischen Verfahren der romantischen Literaturphilosophie. Andererseits ist ebenso unverkennbar die Neigung zur Klassifikation. Obwohl sich Clodius durchaus klarhält, daß die Aufgabe einer Wesensbestimmung des „Schönen" recht „eigentlich für die Ästhetik" und nicht für die Poetik „gehört", stuft seine mächtig sich ausweitende Poetik (mit ihren fast 800 Seiten Umfang) dann doch eifrig die Grade des Schönen ab. Hervorzuheben wäre etwa die erneute Umschreibung des „poetisch Schönen" als Widerschein des Idealen im Realen. Ein an sich unternommener Definitions-Versuch hinsichtlich des Humors (S. 188) läßt bei alledem die Rückständigkeit gegenüber Jean Pauls ungefähr gleichzeitig gefundener Wesensdeutung klar zutagetreten. Vorerst schwenkt Clodius in die reine Ästhetik ab, hält jedoch durch Beispiele und Belege eine lockere Fühlung mit der Dichtkunst auch in diesen Teilen seines „ E n t w u r f e s . . . " aufrecht. Dabei bevorzugt seine religiöse Gesinnung merklich Klopstock als Muster- und Meisterdichter im Sinne der Vorbild-Poetik. 26·

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Diese religiöse Einstellung und Einstimmung läßt ihn dort, wo er im vierten Kapitel (S. 448ff.) von den „Dichtungsarten" handelt, an eine Einteilung der Gesamtpoesie in eine „göttliche" und „menschliche" Poesie denken, wozu u. a. Klopstocks Auffassung von der „heiligen Poesie" ermutigen mußte. Doch überwiegt die andere, ebenfalls nicht uninteressante Hauptgliederung nach dem Verhältnis zum Stoff, zur „Materie". Zwar auch die Einteilung göttlich-menschlich sah sich letztlich auf stoffliche Motive zurückverwiesen. Aber Clodius stellt außerdem gesondert diese am Stoffkriterium gebundene Unterscheidung ausdrücklich heraus. Genauer unterscheidet er eine stoff-ferne und stoff-nahe Poesie. Die nicht an bestimmte Materie gebundene Dichtung ordnet er der „lyrischen" Gruppe, die stoffbedingte, an Objekte gebundene der „darstellenden Poesie" zu (S. 469). Das entspräche etwa der Einteilung W. v. Humboldts, während zugleich aus dem Kreise der Göttinger und Klopstocks der Darstellungsbegriff übergreifen würde. Für den lyrischen Dichter sei der objektive Anlaß höchstens ein Erwecker der Stimmung, nicht eigentlich „Materie" als solche. Wenn Clodius fordert, daß die „darstellende Poesie" poetische, d. h. idealisierte Objekte oder „objektivisierte (so!) Ideen" erfassen solle, so könnte das als eine teilweise Vorwegnahme eines idealen oder poetischen Realismus vermerkt werden (etwa in der Richtung A. Stifters). Aber derartige Ansätze sind damals nichts Außergewöhnliches. Wertmäßig stellt Clodius die „göttliche" Poesie als eine „höhere lyrische Poesie" voran, gemäß seinem religiösen Wertungskriterium. Dem Gesamttypus nach ist Clodius, gleichsam im Vorhof an der Schwelle des neunzehnten Jahrhunderts, stark kritisch-historisch und nicht allein systematisch interessiert. Er hat offensichtlich wie wenige die ältere Poetik weitgehend verarbeitet und wirkt insofern zugleich zusammenfassend und Überblick schaffend. Wenn Clodius mit seinem „Entwurf einer systematischen Poetik", deren erster (und einziger?) Teil 1804 herauskam, in der Titelgebung.fast zu wenig zu versprechen und jedenfalls mehr zu halten scheint, als er versprach, so scheint Jean Pauls gleichzeitig veröffentlichte „Vorschule der Ästhetik" fast mehr zu versprechen, als die Ausführung bringt, die auch als bloße Vorschule gewertet, der reinen, philosophischen Ästhetik weit ferner blieb als Clodius mit seinem Entwurf einer „Poetik". Und wenn

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Clodius im Titelzusatz zu seiner systematischen Poetik „Collectaneen zu ihrer Ausführung" ankündigte, so hätte dieser Titelzusatz fast eher vor Jean Pauls Poetik stehen können. Aber eben: Clodius war Philosophieprofessor mit theologischen Interessen, und Jean Paul war Dichter. Jean Paul wollte ausdrücklich kein System schreiben, auch kein poetisches. Er wollte Erträge eigener Kunstbesinnung und Kunsterfahrung mit der Rechtfertigung des eigenen, im Werk bewährten oder erstrebten Kunstwollens verbinden im Sinne einer anregenden angewandten Poetik, nicht einer rein theoretischen oder gar philosophischen Poetik. Es konnte schon angedeutet werden, daß seine Wesensumschreibung des Humors die gleichzeitige in Clodius' Poetik übertrifft. Aber er überbietet natürlich auch Clodius in allen Fragen künstlerischer Einfühlung. Gewisse Berührungen mit Clodius werden vor allem im Sittlich-Religiösen spürbar, das merklich für beide den stillen Traggrund und Nährgrund darstellt. Rein kunsttheoretisch ergeben sich gewisse Ähnlichkeiten in der Auffassung des Verhältnisses von Realität und Idealität; denn letzten Endes ist auch für Jean Paul das, was Clodius das „poetisch Schöne" nennt, ein Widerschein des Idealen im Realen. Als dennoch recht aufschlußreiche Einzelheit sei erwähnt, daß offenbar Klopstock für Clodius' theoretische Poetik ebensoviel bedeutet wie für Jean Pauls werkimmanente Poetik. Und wenn Klopstock von Clodius gern als Beispieldichter herangezogen wurde, so bedeutete er für Jean Paul doch auch ein „Stückchen" Vorbild-Poetik. Endlich entspricht Clodius' „Materie" als Gliederungs- und Unterscheidungskriterium der Stoff-Nähe bzw. der Stoff-Ferne in gewissem Grade der Zwei-Typenbildung (Materialist-Nihilist) bei Jean Paul; in gewissem Grade, denn Clodius erstrebt eine ernsthafte Einteilung, während Jean Paul nur Extreme ad absurdum führen will. Doch bevor Jean Pauls Kunstwollen und Kunstfordern näher gewürdigt wird, scheint es ratsam, dem Poetiker Clodius den Literaturhistoriker und Ästhetiker Fr. Bouterwek anzuschließen, der zur Zeit seiner „Ästhetik" bereits an einer groß angelegten „Geschichte der neueren Poesie und Beredsamkeit seit dem Ende des 13. Jahrhunderts" (1801—1819) arbeitete und in seiner kritischen Tendenz gegen die romantische Transzendentalphilosophie Clodius an Schärfe und Entschiedenheit noch bei weitem überbot.

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In der Abwehrfront gegen eine einseitig übersteigerte Romantik gewinnt F r i e d r i c h B o u t e r w e k (1765—1828) mit seiner „ Ä s t h e t i k " (1806), die sehr bald mehrere Auflagen erlebte, merklich an nachhaltigem Einfluß auf die spätere Kunsttheorie, so etwa im Einzelnen nachweisbar auf Platens und Grillparzers, aber auch auf Wienbargs Kunstanschauung. Seine Ästhetik hinterließ aber zugleich deutliche Spuren innerhalb der benachbarten Fach- und Schulliteratur, so etwa in Wilhelm Meyers „Praktischem Handbuch des Stils der deutschen Prosa" (1827), das sich denn auch in seiner Widmung ausdrücklich zu Bouterweks Vorbild bekannte. Bouterwek macht energisch Halt am „Abgrund des absoluten Mysticismus", verwirft den „toll gewordenen ästhetischen Idealismus" und die „allerneueste Mode-Metaphysik", ohne jedoch in einen „gemeinen Naturalismus" abgleiten zu wollen (S. 213 u. 343). Auch eine nüchtern rationalistische Einstellung liegt ihm fern, wie er denn gegen Systemseligkeit, Klassifikation und geistlose Korrektheit oder „korrekte Trivialität" unermüdlich sich einsetzt (z.B. S. 229/30; 271; 346; 349; 375 u. a.). Ihm scheint vielmehr der Weg Herder-Jean Paul am zuverlässigsten weiterzuführen. An Herder orientiert erweist sich vor allem die kraftvoll ausgeprägte G e n i e v o r s t e l l u n g , die die wohltuende Klarheit seiner kunsttheoretischen Erörterungsprosa mit erwärmender Begeisterung durchdringt: „Das wahre Kunstgenie . . . findet sich im Konflikt mit dem Zeitalter, mit Mustern, Beispielen, Regeln, kurz, mit Allem, was nicht unmittelbar die Natur selbst i s t . . . Mit Schöpfergefühl strebt es, eine Welt aus sich selbst heraus zu bilden". Ohne bewußt Ursprüngliches und Eigengeartetes zu beabsichtigen, bringt das Genie aus immanenter Gesetzlichkeit doch „nur Originales hervor" (S. 223). Durch das Medium des Genies tritt das „individuellste in der Seele des Künstlers" in Erscheinung und verfällt doch nicht der Verengung des Individuell-Gebundenen; „denn die menschliche Seele spricht als eine Weltseele aus ihm". Soweit Vernunft als schöpferische Freiheit des Geistes am Genie teilhat, wirkt sie „unmittelbar darstellend, nicht räsonnierend". Damit wird eine G e f a h r e n z o n e der r o m a n t i s c h e n „ R e f l e x i o n " bloßgelegt. Zwar will Bouterwek die blaue Blume nicht einfach eingehen lassen. Er ist sich durchaus klar darüber, daß ein zwangloses Weiterwachsen vom romantischen Boden ausgehen muß; aber die Antike und ein reineres Kunstgefühl sollten „diese Blume erziehen".

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Wenn Bouterwek das „Bedürfnis einer ästhetischen Mythologie" anerkennt (S. 251), so berührt er sich darin mit Friedrich Schlegel und Schelling, kann aber ebensowohl auf Herder fußen. Eine einseitig „nordische Mythologie" erscheint ihm nicht besonders empfehlenswert, während die „morgenländische Fabelwelt" als Ergänzung ernstlich in Betracht käme. Richtungsmäßig macht die Bouterweksche Ästhetik, auf die auch Wienbarg gelegentlich zuriickgriff, den Eindruck einer Verbindung der Forderungen der Geniezeit und der Klassik unter Einbeziehung eines als brauchbar empfundenen romantischen Erbteils. Als Bildungsfaktoren des Kunstwerkes gelten die Künstlerindividualität, die Schule (Dichterschule), das Zeitalter und die Nationalität (S. 236). Der hochgespannte Geniebegriff bestimmt also nicht einseitig den künstlerischen Schaffensvorgang und sein Ergebnis in der vollendeten Kunstschöpfung. Neben der allgemeinen Ästhetik bringt Bouterwek in der „Zweiten Abteilung" eine umfassende P o e t i k (a. a. 0., S. 301—436). Da man neuerdings (Romantik) unter Poesie die ästhetisch eingestellte Richtung der Geistestätigkeit überhaupt zu begreifen pflegt, bevorzugt Bouterwek die Bezeichnung „Dichtkunst". Sie gilt als die Urkunst. Die hohe Bewertung seitens der Romantik wirkt ein. Doch konnte Bouterwek teilweise auf seinen Gewährsmann Herder und dessen Vorstellung des poetischen Jünglingsalters der Sprache zurückgreifen, wenngleich die eigentliche Ästhetik des jungen Herder hier Schwankungen aufweist, da er zeitweise die Poesie als umfassende, aber spätere Kunst den anderen Künsten aufgipfelt. Unmittelbar an Herders „Laokoon"-Kritik erinnert indessen Bouterweks Abwehr einer Uberschätzung des Wortmaterials als einem bloßen Ablauf artikulierter Töne in der Zeitfolge (Lessing). Hinsichtlich der Ablehnung zuständlicher Schilderungen bleibt indessen auch für ihn die „Laokoon"-Autorität bestehen (S. 338,343). Er übersieht nicht die Vorzüge einer „schwärmerisch"-romantischen Poesie; aber die Entartung, die er damals beobachten zu können glaubt, lehnt er ab. Er kennt und anerkennt bereits eine Poesie des Lebens, der Lebensnähe, so daß Wienbargs Rückverweis auf Bouterwek verständlich wird, wenn man nicht an gewisse parallele Bestrebungen der jüngeren Romantik denken will. Doch erinnert manche Auffassung an die Einwirkung der Romantik, der sich Bouterwek nicht gänzlich zu entziehen vermag. So etwa die Deutung der dichterischen Schönheit als „intellektuelle Universalität"; denn offenbar wirkt dabei die Vorstellung der Uni-

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versalpoesie ein, nicht etwa die rationalistische Deutung der Dichtung als einer „schönen Wissenschaft". Die Dichtersprache wird eingehend gewürdigt (S. 313f.). Im übrigen arbeitet seine Artgliederung mit der letztlich romantischen Unterscheidung von Naturpoesie und Idealpoesie (S. 341 f.). Hinsichtlich der G a t t u n g s g l i e d e r u n g (S. 346ff.) hält er ein starres System für an sich nicht berechtigt. Aber wie er in der Vorrede angekündigt hat, daß er die Künste vom „Standpunkte der ursprünglichen Bedürfnisse des menschlichen Geistes" betrachten wolle, so glaubt er die Ausprägung der Dichtungsgattungen ursächlich gebunden an gewisse Anlagen der menschlichen Geistesfunktion (Nachwirkung seines Kantischen Kritizismus), an gewisse, relativ feststehende Elementarformen (neuerdings Hartl). Er scheidet die lyrische, didaktische, epische und dramatische Gattung. Die L y r i k stellt die „poetische Natur des Dichters selbst dar", wobei die „Subjektivität des lyrischen Ausdrucks" betont wird (S. 350 u. 367). Das Lied kann in seiner Simplizität als der „natürlichste Ausdruck des Gefühls" gelten, und zwar innerhalb der Naturpoesie, während die Ode eine entsprechende Stellung innerhalb der Kunstpoesie zugewiesen erhält, und als romantische Formen Kanzone, Sonett und Madrigal Berücksichtigung finden. In die epische Gattung werden neben den üblichen Formen, darunter Märchen, Novelle, Anekdote, auch auffallenderweise Romanze und Ballade einbezogen, wie dann häufiger in der Kunsttheorie des neunzehnten Jahrhunderts. Wenn neuerdings ζ. Β. E. Hirt wegen starker Belastung der Ballade mit stofflichem Geschehen sie von der Lyrik abzweigen möchte, so hat er also in Bouterwek (aber auch in Kleinpaul u. a.) einen Vorläufer dieser wesenhaften Aufteilung. Als Muster des Epos wird Homer beibehalten, dagegen das Epos mit „witzelnder Antithese" abgelehnt. Klopstocks „Messias" wird gerettet, obgleich das religiöse Epos nicht streng dem epischen Gesetze folgt. Denn man dürfe nicht „einer Schulgrille die Natur und das Recht des Genies aufopfern" (S. 386). Als formal ideales komisches Epos wird Voltaires umstrittene „Pucelle" eingeschätzt. Gelegentlich der Würdigung der d r a m a t i s c h e n W i r k u n g s f o r m e n (S. 391 f.) fällt die vertiefte Deutung des Handlungsbegriffes auf, die von Lessing zwar bereits in der Fabelabhandlung gestreift, im „Laokoon" selbst (abgesehen vom Nachlasse) indessen nicht weiterführend aufgegriffen worden war. Bouterwek stellt den Unterschied von realem Geschehen und seelischer Dynamik klar

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heraus und würde selbst dem neueren „Seelendrama" Raum bieten durch die Erläuterung: „Eine poetische Handlung ist aber keine äußere Begebenheit. Das Handeln geht von innen aus. Die dramatische Poesie ruht auf Handlung der Seele". Obgleich Aktivität nicht unterschätzt wird, da bei ihrem Fehlen allzu leicht ein bloßes dramatisches Gespräch zustande kommt, hält Bouterwek doch seine Grenzziehung elastisch genug, um auch dem Lesedrama ein Existenzrecht nicht zu versagen. Ebenso wird die Hinwendung zur Lyrik, die Bouterwek mit Herder als dichterische Urform anzusetzen scheint, dem Dramatiker gestattet. Schließlich finden Dichtungen von dramatischem Formtypus, die nicht unmittelbar für die Bühne geeignet sein mögen, wohlwollendes Verständnis. So wird etwa Gerstenbergs „Ugolino", aber auch Klopstock gerettet. Im Hinblick auf eine Dramen-Definition des jüngeren Hebbel interessiert die Forderung, daß der Gedanke im Drama zur Tat werden müsse (S. 394). Charakteristisch für Bouterweks Vermeiden starrer Klassifikation wirkt der Umstand, daß er in Erweiterung der Gattungen es vorzieht, eine Ergänzungsklasse zu bilden, anstatt das Eigenrecht irgendeiner Sonderausprägung dichterischer Gestaltung zu vergewaltigen. Zu dieser Gruppe rechnet er neben der Hirten- und Schäferpoesie, der Fabel und dem Epigramm überraschenderweise auch den Roman. J e a n P a u l Friedrich Richter (1763—1825) hat gleichsam noch einmal alle Wandlungsstufen vom Klassizismus der Aufklärung (Jugendperiode) über den Sturm und Drang (Einwirkung: Hamann-Herder-Jakobi-Klopstock), also besonders die empfindsamreligiöse Ausprägungsform, und die Klassik (Einwirkung Winckelmanns, aber etwa auch Goethes „Wilhelm Meister") bis zur Romantik durchschritten, und zwar ohne daß er die eine Stufe verleugnet hätte, nachdem er die andere erreicht hatte. Am tiefsten ist er wohl mit der religiösen Empfindsamkeit innerlich verbunden geblieben, als deren bedeutendes Nachspiel und doch neuartiges Aus-Spielen er im Räume der Romantik gelten kann. Aber er ist zugleich ein Vorspiel und Voraus-Spielen zur literarischen Biedermeierzeit, zum mindesten mit einem wesentlichen Anteil seines vielfarbig schimmernden Kunstwollens. Seine Poetik ist kein vorwegnehmendes Programm, sondern ein überschauender Nachtrag. Sie ist ein bemerkenswertes Denkmal in der Geschichte der Poetik auch deshalb, weil wir nicht allzu viele relativ größer angelegte Kunsttheorien aus Dichterhand besitzen.

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Der ihm inhaltleer erscheinende „Gräzismus" hat den Inhaltsfreudigen trotz verschiedener Annäherungsversuche an Weimar doch von der strengen Formklassik ferngehalten. Und die „Griechentendenzen" sagten ihm wenig zu, obwohl die schöne Prägung „Nicht das hochauffahrende Wogen, sondern die glatte Tiefe spiegelt die Welt" an die berühmte Prägung aus Winckelmanns „Gedanken über die Nachahmung" erinnern könnte. Seine werkimmanente Poetik steht der Goetheschen Klassik so fern, daß jenes kritische Abstandsuchen trotz der würdigen Verteidigung der „Lehrjahre" Goethes (in Abhebung von Novalis) als nur folgerichtig, ja zwangsläufig gelten kann. Auf der anderen Seite ließ ihn der romantische „Mystizismus" und der romantische Mangel an werkschaffender Gestaltungskraft doch auch vor einer engeren Bindung an die Romantik zurückschrecken. Die Absage an die „Metaphysik" des absoluten Idealismus und die spekulative Transzendentalphilosophie, die Polemik gegen den Götzendünkel, wie ihn sein religiös gestimmtes Gemüt im Fichteanismus zu erkennen meinte, tritt nicht allein, aber in der letzten Konsequenz zutage, wenn er den Wahn Fichtes und Schellings im Wahnsinn Schoppes (im „Titan") schonungslos widerspiegelt in einer gleichsam romantisch-antiromantischen „poetischen Reflexion". Berücksichtigt man, daß sich schließlich bei Jean Pauls Hang zur Empfindsamkeit, und zwar auch der Empfindsamkeit englischer Färbung (0. Goldsmith), ältere rationalistische Unterströmungen immer wieder an die Oberfläche arbeiteten, so ist es nicht verwunderlich, wenn man seine Poetik schon frühzeitig nicht recht eindeutig unterzubringen wußte. Um nur einige Stimmen herauszugreifen: Friedrich Bouterweck, Generationsgenosse Jean Pauls und — wie bemerkt — schärfer noch als er eingestellt gegen den „toll gewordenen ästhetischen Idealismus", läßt Jean Paul mit dessen „Vorschule" auf den Weg Herders Blumen streuen, wie er denn selber in seiner umfangreichen „Ästhetik" diesem Wege Herder-Jean Paul folgt. Fr. Th. Vischer zieht Jean Pauls ÄsthetikVorschule zur Verstärkung der Autoritäten der Klassik heran. Im Gesamt steht Jean Pauls „ V o r s c h u l e der Ä s t h e t i k " (1804) jedoch in relativ größerer Beziehungsnähe zur Romantik. Für seine Poetik im weiteren Sinne sind neben diesem (in der Ausgabe von 1813 maßgebenden) Hauptbeitrag heranzuziehen die Vorreden beider Ausgaben, die Vorarbeiten: Bemerkungen 1783, besonders aber die „Ästhetischen Untersuchungen" (1794!), die „ K l e i n e

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N a c h s c h u l e zur ä s t h e t i s c h e n V o r s c h u l e " (1825), die Vorreden zur „Loge" (1792) und zur,, Jubelfeier" (1797) für die Romantheorie sowie die in der folgenden Darstellung genannten späteren V o r r e d e n sowie Einsprengungen in den Romanen selber. T y p u s und methodische A n l a g e : Die von mancherlei Seite beanstandete Titelgebung als „Vorschule der Ästhetik" besteht doch insofern zu Recht, als im historischen Ablauf der Geschichte der Poetik die ganz auf Poesie eingestellten „Meditationes" Baumgartens in der Tat gewissermaßen zu einer Vorschule der Ästhetik Baumgartens wurden, die Poetik also eine Vorstufe, ja die Vorstufe für die Ästhetik bereits beim Begründer der Ästhetik darstellte. Aber es handelte sich für Jean Paul natürlich, wie auch die „ästhetische" Nachschule erkennen läßt, um eine Äußerungsform seiner Einkleidungsfreude. Schon an der Titelgebung der einzelnen (15) Programme erkennt man, daß es sich, wie die zeitgenössische Kritik sogleich vermerkte (daher die Abwehr i. d. Vorrede z. 2. Auflage), spezifisch um eine Poetik handelt. Ihr Hauptwert beruht auf ihrer engen Verbundenheit mit dem eigenen Erleben des schöpferischen Vorganges. Als Beitrag zur Geschichte der Poetik verschafft sie vor allem den „komischen" Kunstformen Geltung und Wertschätzung. Im entwicklungsgeschichtlichen Sinne ist sie von besonderem Interesse, weil sie die mannigfachen Zusammenhänge der gefühlsmäßig-dynamischen Richtung der Romantik mit der Geniezeit (Hamann-Herder) einerseits und die schwächeren der reflektierenden Richtung der Romantik mit der Aufklärung und deren empfindsamer Ausprägung andererseits erkennen läßt. Ihre Hauptschwäche oder doch ihre Grenze hinsichtlich der Allgemeingültigkeit liegt, wie auch sonst häufig bei Poetik-Versuchen aus Dichterhänden, in dem Eingestelltsein auf die Eigenwelt, die teils auch eng benachbarte Strebensrichtungen doppelt vorsorglich und kritisch wachsam abwehrt, um möglichen Gleichsetzungen vorzubeugen. So wehrt ζ. B. Jean Paul die Romanproduktion Joh. Thimotheus Hermes' mit ein wenig übertriebenem Eifer ab, obwohl ihm mancher andere gewiß ferner stand als Hermes. Der Dichter als Poetiker versagt vielfach dort, wo er zum Kritiker wird. Die positiven Einzelergebnisse dagegen, die isoliert betrachtet gelegentlich enttäuschen mögen, haben hinsichtlich der Darbietungsweise wohl auch unter einer unzulänglichen formalen Klarstellung leiden müssen. Denn obwohl Jean Paul selber in seiner „Vorschule" seine „gefeilteste" Arbeit sah, so birgt auch sie noch immer einen

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beträchtlichen Zuschuß seiner krausen Denkart und vor allem Darstellungsart; und der teilweise recht üppige Bilderschmuck verschönert und belebt zwar, klärt aber schwerlich. So stellen manche verschnörkelte Bemerkungen, wie etwa die über das Verhältnis von „Lebensprose" dem „höheren Darüberschweben" und der „Gemeinpoesie" (mit Bezug auf Goethes „Lehrjahre") selbst Forscher mit weittragendem Durchblick vor schwierige Aufgaben. Es mag hingewiesen sein auf die Bedeutung des „Schwebe"-Symbols in der Kunsttheorie der Romantik. Selbst die schier feierliche Einzwängung in fünfzehn „Programme" und ein würdig-steifes Paragraphengewand vermag die üppig drängende Phantasiefülle nicht wirksam abzuschnüren. Soviel ist indessen klar: die reine Spekulation wird auch als Methode der Poetik abgelehnt (Einfluß Herder-Jacobi; auch schon Brentano ?) zugunsten einer mehr empirischen, angewandten Poetik, wobei jedoch gegenüber einer psycho-physiologischen Grundlegung, um die sich streckenweise, wenngleich nicht in seinen letzten Erträgen Herders Frühästhetik bemüht hatte, vom guten Ästhetiker verlangt wird, daß er eigentlich Dichter sein müsse. Also einerseits: Abwehr romantischer Spekulation, andererseits: Annahme des Schlegelschen Gedankens einer „poetischen Poetik" (Athenäumsfrg. 28), zugleich als Beispiel des vermittelnden Ausgleichsstrebens. „Überall die vereinende Methode" wolle er anwenden, wobei jedoch die Vorliebe des sentimentalen Humoristen für Verschmelzung und auch wohl Verkoppelung von Antithetischem vielleicht stärker wirksam war als ein wirklich Synthetisches. Dem empirischen Charakter entspricht die Neigung, die Grenze zwischen Literaturphilosophie bzw. Poetik einerseits und literarischer Kritik andererseits aufzugeben und aufzuheben. Bereits die „Ästhetischen Untersuchungen" hatten als Ziel ins Auge gefaßt: „Die beste Poetik wäre, alle Dichter zu charakterisieren", also Poetik als Vorbild-Poetik, wobei kritische Schreckbilder und Abschreckbilder als negative Kriterien nicht ausgeschlossen waren. Die theoretische Klassifikation und Systematisierung widerstrebt ihm als Vergewaltigung des beispielgebenden Genies. G e n i e u n d T a l e n t : In der Stufenfolge poetischer Kräfte steht auf der untersten Stufe die Einbildungskraft, soweit sie als eine bloße „potenzierte Erinnerung" aufzufassen ist, in die Kernstellung gerückt erscheint dagegen die „Bildungskraft" (K. Ph. Moritz) oder Phantasie, die (im Gegensatz zur bloßen Einbildungskraft)

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als der Elementargeist der übrigen Bildungsfaktoren gelten kann. Die Phantasie totalisiert (Humboldt?) alles, drängt bloße Teilglieder zu einem „abgeschlossenen Ganzen" (Organismusgedanke) zusammen. Ihre kombinierende Funktion erreicht verschiedene Grade, deren höchster eben die Genialität darstellt. Die H e r v o r h e b u n g des „ G a n z e n " , an sich ein durchgehender Zug und ein Merkmal hoher künstlerischer Qualität, kann als Erbgut der Organismusästhetik gelten und verdient besondere Beachtung gerade angesichts der Vorliebe Jean Pauls für die Einzelheiten. Den abgrenzenden Gegenwert zum Genie findet Jean Paul im Talent, das auf Grund einseitiger Begabung nur mit Einzelwirkungen arbeitet. Hierin kann es dem Genie sogar gleichkommen; aber die große, organisch alles durchdringende und umschließende Einheit fehlt ihm. Es richtet sich nicht auf das organische Ganze, das von der „Begeisterung" (der Genialität) durchflutet sein muß, während die einzelnen Teile von der kunsttechnischen Bewußtheit (Talent) betreut werden müssen. Daß in der Tat der Organismusgedanke hindurchgreift, bestätigt die Wahl eines Bildes aus dem organischen Wachstum (das gleichzeitige Aufblühen aller Kräfte im Genie, ein in den Einzelzügen etwas sentimental ausgemaltes Blumenbild), um demgegenüber das Wesen der Genialität zu umschreiben. Die Phantasie als „Blumengöttin" ist dabei echter Jean Paul (und kein echter Herder), könnte aber notfalls auf die „blaue Blume" in Novalis' „Ofterdingen" zurückgeführt werden (als romantischer Bezug, nicht als Einfluß). Da nun jedoch, was das Verhältnis von Genie und Talent betrifft, Jean Paul (in nicht übermäßig klarer Weise) den Instinkt auffaßt als eine einseitige Triebkraft und als „einseitigen Strom aller Kräfte", so erklärt es sich von hier aus, warum er Instinkt in diesem Sinne eher dem Talente als dem Genie zuspricht und an der entscheidenden Stelle (§ n ) formulieren kann: „Der Glaube von instinktmäßiger Einkräftigkeit des Genies (Irrglaube) konnte nur durch die Verwechslung des philosophischen und poetischen mit dem Kunsttriebe der Virtuosen (Talent) kommen und bleiben". Deutlich aber wird die A b w e h r e i n e s r o m a n t i s c h e n V i r t u o s e n t u m s , wie es zum Teil Fr. Schlegel nahe an das Genie heranrückte, ja mit ihm in Deckung zu bringen merkliche Neigung bezeugte. Doch ist dieser Instinkt-Begriff Schwankungen unterworfen, die bis ins Gegenteil ausschlagen (Gegensatz von § 9 zu §§ 13/14) ähnlich wie die Bewertung der Bewußtheit und Unbewußtheit.

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Als minderwertige Abart und Übergangsform der Genialität stellt er den damals als zeitgemäß beobachteten Typus der „leidenden Grenzgenies", der weiblichen, nur rezeptiven oder passiven „Genies" auf, denen die geniale „Besonnenheit" mangelt. Schon der Umstand, daß auch derartige minderwertige Dichtertypen überhaupt „Genies" genannt werden, bestätigt das unbewußte Entwerten des Terminus Genie, verglichen mit der einmaligen Gültigkeit für höchste Ausprägungen des Schöpferischen in der Geniezeit. Solche Grenzgenies und rezeptive Naturen (J. P. nennt K. Ph. Moritz, Novalis, Tieck) sind geniale „Empfänger", aber keine Zeuger und Erzeuger. Sie „gehören unter die genialen Mannweiber, welche unter dem Empfangen zu zeugen g l a u b e n " . Damit distanziert er sich wiederum unzweideutig von den Frühromantikern. Darüber hinaus nähert sich dieser von Jean Paul ausdrücklich und nachdrücklich verworfene Typus etwa dem, was in den fells' Goethe und Schiller gemeinsam zuzusprechenden Aufzeichnungen „Über den Dilettantismus" (etwa 1799) dem bloßen Kunstliebhaber und „Dilettanten" (im höheren Sinne) zugewiesen wird, dessen Haltung ebenso rezeptiv, passiv und nur empfangend erscheint. Demgegenüber wird der echte Schöpfungsertrag übrigens dort ebenfalls mit dem organischen Vergleichbild der Blüte umschrieben (aber natürlich ohne die sentimentale Einfärbung Jean Pauls). Und der Dilettant vermeine mit dem Geruch der Blume schon die Blume selber hervorbringen zu können. Darauf muß hier zurückgegriffen werden, um Nähe und Abstand gleichermaßen spürbar werden zu lassen. Bei derartig passiven Begabungen überwiege, so meint Jean Paul, das Empfinden gegenüber dem Erfinden. Schon hier wird — wie überhaupt mit Ausnahme vielleicht des Wunderbaren — der Stoff-Erfindung eine besondere Bedeutung zugesprochen. Den Geniebegriff im engeren Sinne faßt er (Progr. 3) in gewisser Annäherung an die romantische Universalität als eine „Vielkräftigkeit" im Gegensatz zur „Einkräftigkeit" des Talents. Da er aber andererseits — ähnlich wie Hardenberg-Novalis „Besonnenheit" als unerläßliche Voraussetzung für jede echte Genialität fordert, so geht man besser zurück auf Herders „Energie der Seele", auf dessen gegen das frühere „Kraftgenie" bereits wesentlich abgehobenen Geniebegriff der Entwicklungsstufe „Vom Erkennen und E m p f i n d e n . . . " (1774/78), um Jean Pauls nicht gerade bündigklare Ansicht wenigstens mittelbar zu erläutern und dem Ver-

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ständnis zugänglich zu machen. Fr. Bouterweks Wink, Jean Paul als Poetiker auf Herder zurückzuführen, verrät mehr Einsicht als manche moderne Interpretation und bewährt sich auch in Einzelheiten. „ B e s o n n e n h e i t , B e w u ß t e s u n d U n b e w u ß t e s " . Das Wertwort „Besonnenheit" begegnete bereits als wesentliches Attribut des Genies gegenüber dem bloßen „Grenzgenie". Es bedeutete dort etwa die überlegen prüfende, im vertieften Sinne „reflektierende" ästhetische Urteilskraft. Der Begriff ist aus der Poetik der Klassik vertraut, läßt sich aber auch auf Herder (Preisschrift von 1772) zurückführen. Für Jean Paul meint es etwa das unbewußte Selbst-Bewußtsein (trotz seiner Fichte-Abwehr kommt er im Einzelnen nicht ganz ohne Anleihen oder doch Begriffsgewöhnungen aus). Als „göttlich" erscheint diese Art der Besonnenheit scharf abgehoben von der „gemeinen, geschäftigen" (Zweck-) Besonnenheit und weit über sie hinausgehoben. Es liegt in ihr etwas von appolinischer Kontemplation. Es kommt in ihrem Reich nicht, wie wohl Jünglinge meinen (Abhebung vom Sturm und Drang?), auf eine unbeherrschte Auswirkung von Leidenschaften an, sondern auf die Abdämpfung der Erregung zum beruhigten, beherrschten und eben daher beherrschenden Darstellungswillen. „Der rechte Genius beruhigt sich von innen; nicht das hochauffahrende Wogen, sondern die glatte Tiefe spiegelt die Welt" (Annäherung an die Klassik). Nicht der gefesselte, gebundene Prometheus, wohl aber der selbstbeherrschte Prometheus würde etwa dem Geniebegriff Jean Pauls entsprechen. Das Zusammenwirken von Besonnenheit und Begeisterung beim schöpferischen Vorgange deutet er etwa so, daß das Ganze von der Begeisterung „erzeugt" und getragen, die einzelnen Glieder jedoch von der besonnenen Ruhe „erzogen" werden, von jener Besonnenheit, die eine Modifikation der Versenkung darstellt. Hier tritt einer seiner nicht seltenen Widersprüche offensichtlich zutage. Denn da die Teile, wie wir sahen, ja auch vom bloßen Talent beherrscht werden können, käme folgerichtig dem Talent vor allem oder doch jedenfalls a u c h „Besonnenheit" zu. Da indessen, wie oben bemerkt, die Genialität sich nur im Ganzen bekunden und bewähren soll, wäre für das Genie Begeisterung wesentlicher als Besonnenheit. Mag in diesem Falle „Ruhe" nicht mit Besonnenheit gleichzusetzen sein: es kam darauf an, und es ist ganz evident, daß der Dichter häufig mit dem Poetiker durch-

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geht und einer schönen Prägung wegen die Linie der schlüssigen Folgerungen unbedenklich aufgibt. Aber eben diese Prägungen bergen dennoch oft mehr Kunstweisheit und zugleich echtes Leben, so daß man sie nicht um der Makellosigkeit einer Kette von trockenen Schlüssen willen vermissen möchte. Und von hier aus wird die Aphorismen-Poetik der Romantiker mittelbar gerechtfertigt. Das Beste bei Jean Paul nämlich sind zuletzt auch Aphorismen, und zwar trotz seiner gestrengen Paragraphen. Und es spricht für den Reichtum seiner Phantasie, daß sie noch in Fesseln zu tanzen vermag, daß sie nicht allein den Paragraphen einiges Schnörkelwerk anhängt, sondern sie regelrecht zum Aufblühen bringt. Das wäre nun also die echte Besonnenheit gegenüber der Zweck-Besonnenheit, überzeugender demonstriert, als wenn einleuchtend darüber doziert würde. So steht denn auch (und darin bleibt er durchaus folgerichtig) sein Begriff oder richtiger sein Wertwort „Besonnenheit" in schroffer Abwehrstellung gegenüber der nüchtern-praktischen Technik im Kunstschaffen, wobei Jean Paul nicht versäumt, die „Humanisten"-Poetiken anzuprangern „mit ihren frechen, kalten Anleitungen, wie die schönsten Empfindungen darzustellen sind", zwar nicht ohne im Eifer des Gefechts zu übersehen, daß es dort um „Empfindungen" im Sinne der besonders seit dem Sturm und Drang befreiten Erlebnisdichtung nicht einmal ging, wie denn die Auflockerer innerhalb der Aufklärung (noch von der Psychologie her) alle Hände voll zu tun hatten, um zunächst einmal Empfindung (als gemütsmäßige Fühlweise) von „Empfindung" (als seelische Vorstellung) notdürftig zu unterscheiden. Aber Jean Paul geht es mehr um einen Generalerlaß gegen alle „besonnenen Gliedermänner". Die Kraft nun, die den göttlichen Funken in die Besonnenheit hineinträgt, ist (ein wenig überraschend nach dem früher Gesagten) plötzlich wieder — der Instinkt, das Unbewußte: „Das Mächtigste im Dichter ist gerade das Unbewußte". Indessen Jean Paul setzt offenbar „Instinkt" und „Unbewußtes" nicht einfach gleich. Vielleicht trifft man sein rechtes Meinen, wenn man den Instinkt mehr auf das (tierhaft) Unterbewußte, das „Unbewußte" dagegen auf ein („göttlich") Bewußtloses zurückleitet. Das würde auch die innige Ineinsbildung von Besonnenheit und Unbewußtheit erklären; denn beide wurzeln zuletzt im „göttlichen" Auftrieb. Mit der billigen Flucht in die „Identität" behilft sich Jean Paul nicht. Dennoch sei zurückverwiesen auf das in einem früheren Abschnitt

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über Bewußtes und Unbewußtes in der Kunstphilosophie der Frühromantik etwas näher Ausgeführte. In der Gesamthaltung neigt er (wie die jüngere Romantik) wohl doch mehr dem Primat des Unbewußten zu. Das würde ihn auch, obwohl von anderen Voraussetzungen aus, wiederum H. v. Kleist im Sinne der sich berühren-t den Extreme näherbringen. Nur daß Jean Paul notfalls den Schalk zur Hilfe herbeiruft, wo er an das Unaussprechliche rührt. Und so gern er im weiteren Verlaufe seiner Erörterungen aus eigener Kunsterfahrung praktische Hinweise nach Art der angewandten (und anwendbaren) Poetik einflicht: selbst seine „Regeln und Winke für Romanschreiber", deren Titelgebung wahrscheinlich von einem leisen Schmunzeln begleitet war, enden mit der lapidaren Schlußforderung, die für Dilettanten zugleich ein Wink mit dem Zaunpfahl war, „Der letzte, aber vielleicht bedeutendste W i n k . . . ist dieser: Freunde, habt nur vorzüglich wahres, herrliches Genie . . . !". Jene pädagogisch-kunstpädagogischen, spezifisch lehrhaften Elemente, die wie in fast allen Werken Jean Pauls auch in der „Vorschule" nachweisbar und gewissermaßen der Titelgebung stilgerecht angepaßt sind, wollen also angesichts derartiger grundsätzlicher Einschränkungen nicht überschätzt Werden. Der m o r a l p ä d a g o g i s c h e G r u n d z u g seiner werkimmanenten Poetik findet in der theoretischen Poetik der „Vorschule" sein Gegenstück, ohne sich lästig aufzudrängen wie etwa bei Geliert. Immerhin wird in diesem Bezirk das Nachwirken der Empfindsamkeit fühlbarer. Jedenfalls werden der Poesie auch außerästhetische Werte zuerkannt und zugewiesen. Doch soll sich das sittlich Bereichernde und im gewissen Grade auch das Gemüt Lenkende (Sulzer u. a.) nicht geistig verengen zu einer künstlich und tendenziös aufgesetzten Schlußmoral, sondern überall unmerklich das Kunstwerk begleiten und innig durchdringen: Kunst und Ethos sind von vornherein wesenseins. Was Jean Paul besonders anzog und seinem ganzen Naturell nach anziehen mußte, das war jene von Shaftesbury, Wieland und Jacobi her vertraute „sittliche Grazie", die dem Rokokohaften längst entwachsen war und in gewisser Weise von Schiller die höheren Weihen empfangen hatte. Der Grazie-Begriff in H. v. Kleists Marionetten-Symbol ist vorwiegend ästhetische Grazie, während es Jean Paul auf die moralische Grazie vorzüglich ankommt, die zudem einen ätherischen Zustrom von der „schönen Seele" her erfahren hat. Jean Paul neigt dazu, über das nur Sittliche hinweg 28 H a r k w a r d t , Poetik III

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Aussichten zu eröffnen ins Religiöse. Manches Vergleichsbild, manches fast biblisch klingende Gleichnis legt davon auch in der „Vorschule" Zeugnis ab und will offenbar Zeugnis ablegen. Das sittliche Zwischenreich der Klassik und der Humanität ist ihm zuletzt doch nur ein Durchgang und keine Heimat. Selbst in seinem Beitrag zur d i c h t e r i s c h e n T y p e n b i l d u n g , wie sie besonders seit Schillers Unterscheidung des „naiven" und „sentimentalischen" Dichter-Typus beliebt wurde, muß ihm ein biblisches Vergleichsbild Wesentliches klären helfen. Er hebt mit nicht gerade besonders glücklich gewählten Kennworten den „ M a t e r i a l i s t e n " scharf ab vom „ N i h i l i s t e n " , wobei zum rechten Verstehen spätere Bedeutungen von vornherein tunlichst auszuscheiden sind. Und um den übersteigerten Realisten vom übersteigerten Idealisten (richtiger: Transzendentalidealisten) abzuheben, vergleicht er deren notwendig vergebliche „Schöpfungs"Bemühungen im tragikomischen Reflex mit dem Gebahren zweier Männer, von denen der eine (Materialist) wohl den Erdklumpen, die „Erdscholle" überreichlich zur Verfügung hat, aber nicht den lebendigem Odem, nicht die „lebendige Seele", indessen der andere (Nihilist) wohl „beseelend blasen" möchte, „aber nicht einmal die Scholle" zur Verfügung hat. Gewiß nicht von ungefähr krönt dieses Vergleichsbild die Ableitung und Beschreibung der beiden unzulänglichen Verhaltensweisen beim dichterischen Schaffen. Rein ideelich macht Jean Paul bei diesem Verfahren gleichsam zu Haupttypen, was in Schillers bekannter Abhandlung von 1795 als extreme Entartungsformen zur plastischen Herausarbeitung des naiven Dichtertypus einerseits und des sentimentalischen andererseits gleichsam als düstere Folie gedient hatte. Vielleicht dachte er auch ein wenig an den magischen „Realismus" und den „magischen Idealismus" der Frühromantik, die dann bewußt oder unbewußt mißverstanden und merklich karikiert wären. Daß er in beiden eine Profanierung göttlicher Schöpfung sah, bekundet der Tenor jenes gleichnishaften Schußakzentes. Weder der „poetische Materialist", im Sinne Jean Pauls also der Erdverfallene, noch der „poetische Nihilist", also der Erdentrückte, besitzen jenen „göttlichen" Funken der genialen Besonnenheit. Von „prosaischer Nachäffung" der Natur, durch die eine Dichtung zum bloßen „Kopierbuch des Naturbuchs" herabgedrückt würde, von Dichtwerken als bloßen „unpoetischen Repetierwerken der großen Weltuhr"-, wozu der. „poetische

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Materialist" bestenfalls oder schlimmstenfalls gelangt und Seinem verfehlten Ansatz nach gelangen muß, rückt Jean Paul mit einer fast leidenschaftlichen Entschiedenheit ab. Das ist nach der werkimmanenten Poetik seiner Romane und Idyllen kaum anders zu erwarten. Es ist jedoch wenig glücklich, wenn er gerade H. Brockes oder J . Thim. Hermes als Belege aufgreift und angreift, also Dichter, die ihm zum mindesten in der religiösen Grundstimmung und manchem Einzelzuge nahestanden. Aber, wie gesagt, beeinträchtigte dabei das subjektive Interesse des Dichters die objektive Gerechtigkeit des Kritikers. Jedenfalls will Jean Paul von einer Naturnachahmung um jeden Preis (von der bes. Hermes weit entfernt war) nichts wissen. Denn „weder der Stoff der Natur, noch weniger deren Form ist dem Dichter roh brauchbar". Es hat vielmehr eine Stoffbeseelung stattzufinden, bei der es nun wesentlich darauf ankommt, „welche Seele die Natur beseele". Der rechte Dichter darf und Soll nicht ein bloßer „Spiegel", sondern muß fähig und berufen sein, durch die „Magie der Phantasie" (Annäherung an die Romantik) ein Wirkliches vergeistigend umzuformen. Bei alledem läuft es aber doch wieder ein wenig auf die günstige Stoffwahl oder glückliche Stofferfindung, entsprechend einem starken Zusatz von Inhaltskriterium in Jean Pauls Poetik, hinaus, wie denn jene Erdscholle eben doch kein „Körper" war, was gewiß nicht zufällig hervorgehoben wird. Es muß sich um „belebten Stoff" handeln. Das eben ist der große Mangel des „poetischen Nihilisten", daß er sich Vor lauter Vergeistigen und Erdenflucht ins Leere und Stofflose verliert. Trotz mancher Teilberührung schon auf Grund der gleichen Anregung (Schiller) weicht also Jean Pauls TypenPaar doch deutlich ab von J . v. Görres' „produktivem" und „eduktivem" Typus, obwohl das Vergleichsbild vom Mikroskop und Teleskop (Görres) für Jean Paul und seinen Zweck recht brauchbar gewesen wäre. Mit dieser Typen-Aufstellung ist gleichzeitig die E i n s t e l l u n g zur Mimesislehre gegeben. Jean Paul unterscheidet Erde und Leben. Der Dichter soll nicht erdverfallen, wohl aber lebensverbunden sein. „Dem reinen durchsichtigen Glase des Dichters ist die Unterlage des dunklen Lebens notwendig"; denn nur dann spiegelt er wirklich die Welt ab. Die durchsichtige, lebensleere Vergeistigung des Nihilisten besitzt nicht diese weltspiegelnde Lebensgrundlage. Das aber will sagen, Jean Paul lehnt auch 26*

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die romantische Umkehrung der Mimesislehre ab, wie sie bei Schelling, aber auch A. W. Schlegel begegnete. Das Kunstwerk wäre ihm nicht Norm der Natur, ebensowenig wie das Naturwerk Norm für das Kunstwerk. Er hält sich an die mittlere Linie und gerät damit unvermutet in die Nähe der Klassik, zum mindesten Goethes, jedenfalls hinsichtlich seines Ideals in der Theorie. Setzte er sich aber möglicherweise in jenen beiden Typen nicht auch in bewußter oder unbewußter Selbstkritik Abschreckbilder, die eigene Gefahren in ihm selber und seinem Kunstschaffen vom kontrollierten Kunstwollen aus bannen oder doch bändigen helfen sollten? Das würde wiederum von anderer Seite her bestätigen, daß Dichter leicht ichbezogene „Programme" (so nannte ja die „Vorschule" ihre Abschnitte) aufstellen, wo sie sachliche Klärung zu bieten meinen. Oder reichte die Selbstkritik nicht ganz aus, um den „Nihilisten" in sich als die größere Gefahr zu erkennen ? Vielleicht galt ihm sein Inhaltskriterium und sein Stoffhunger als bedrohlicher. Wie dem immer sei: als Hindeutungen auf Jean Paul sind jene extremen Typen bemerkenswerter wie als Ausdeutungen des Dichtertums und seiner Variantenbildungen. Obwohl das Dichtwerk als Wortwerk betont wird, scheint im Verhältnis von Stoff u n d F o r m der Stoff im ganzen zu überwiegen. Der besonders seit dem Göttinger Kreise und Klopstock verfolgbare „Darstellungs"-Begriff tritt bei Jean Paul zurück. Ein gewisser Glaube und eine entsprechende Vorliebe für „poetische" Stoffe und „poetische" Einfälle und „Erfindungen" sind merklich ausgeprägt. Zum mindesten wird der Inhaltswert als ebenbürtig neben den Form wert gestellt. Einseitigkeiten werden wie sonst abgelehnt. Der beste Geschmack, die höchste Geschmacksstufe wird erreicht, indem sich über den einseitig stoffbetonten und den einseitig formbetonenden Geschmack aufgipfelt der „geniale mit neuer Form u n d neuem Stoff". Jenes Gleichnis oder Symbol von „durchsichtigem Glase" würde im ersten Vergleichsbildteil an sich auf die „reine" Form hindeuten, aber nicht auf die reine Form der Klassik, sondern auf jenes Vergleichsbild H. v. Kleists, das ein ähnliches Bild vom widerspiegelndem Glase nutzt, um die Unmittelbarkeit des Ausdrucks zu umschreiben (im Unterschied zum „schlechten Spiegel"). Bei Jean Paul aber ist es der stoffliche Lebensgrund, weil es um die Widerspiegelung der Welt geht. Aber nicht auch und nicht vorwiegend um die innere Welt, um die seelische Welt? Zuletzt

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berühren sich nicht nur die Extreme, sondern auch die beiden Extremen: Jean Paul und Kleist. Aber was für Jean Paul jener „ätherische Sinn" bedeutete, der sich in echter Dichtung mit dem „unbehilflichen Leben" zu versöhnen hatte, das wurde Kleist zu einem leidenschaftlichen Glauben an die Kritik des reinen Gefühls, die doch auch die „gebrechliche" Lebenswelt zu ihrer dunklen Folie nötig hatte, um die innere Welt abzuspiegeln. Der Spiegel mußte „rein" sein wie die echte Form, wenn er nicht wie die aufdringliche Form nur an sich selber erinnern wollte. Auch bei Jean Paul muß das durchsichtige Glas der Dichtung zugleich „rein" erscheinen. Meint er an jener Stelle nicht auch die Form? Doch überwiegt das Wertungskriterium der „belebten Form" anscheinend sowohl das der reinen wie auch der „neuen" Form. Und diese „belebte Form", die ja schon den Anteil Leben attributiv in sich aufnimmt, ist noch ihrerseits wieder abhängig vom „belebten Stoff" (Abhebung von „Körper" und Erdscholle), wie es denn als entscheidender Mangel jener abgelehnten Dichtertypen gilt, daß sie beide nicht die „belebte Form" erreichen können. Wieder jedoch würde gleichsam als Folie hinter der belebten Form der belebte Stoff zu stehen haben, wenn anders ein hochwertiges Kunstgebilde Zustandekommen soll. Der Organismusgedanke behält seine Kraft, er bildet, entwicklungsgeschichtlich gesehen, die Folie sowohl für das Ideal des belebten Stoffes wie für das Ideal der belebten Form. D a s K o m i s c h e u n d der H u m o r : Die Vorstellung einer „Folie", durch die das poetisch Entscheidende erst bewirkt wird, überträgt Jean Paul von der allgemeinen Wesensbestimmung des Poetischen (Verhältnis von Poesie zur Lebens-„Folie") auf die Sonderbestimmung des Humors und der Komik. Und es ist nicht zuletzt diese Übertragung, die ihm zu einem beträchtlichen Vorantragen und Vorantreiben jener Begriffe verhilft. Denn wie hinter dem Komischen als Folie die bessere Einsicht des Lesers oder Zuschauers steht, so steht hinter dem Humor die Fernsicht des Unendlichen und in der letzten Instanz die göttliche Einsicht, vor der die Wichtigkeit des irdischen Weltgetriebes zur Nichtigkeit werden muß. Aber indem das Erhabene der Unendlichkeit als Folie hinter der wichtig-nichtigen Welt aufleuchtet, macht es diese Welt zugleich transparent, so daß der H u m o r a l s d a s „ u m g e k e h r t E r h a b e n e " mit der scheinbaren Entwertung eine wirkliche Aufwertung erfährt.

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Den Weg dahin hat sich Jean Paul durchaus nicht leicht gemacht. Und man kann an diesem Einzelfall ablesen, daß die „Vorschule" doch nicht nur um das eigene Schaffen herumgeschrieben worden ist. Denn er setzt sich zunächst mit ä l t e r e n D e f i n i t i o n e n auseinander, so mit Aristoteles, Kant, Schiller, Flögel u. a. Er hat also durchaus Umschau gehalten nach einschlägigen Vorarbeiten. Daß er Clodius noch nicht heranzieht, der ebenfalls eine Wesensbestimmung des Humors unternommen hatte, erklärt sich aus dem gleichzeitigen Erscheinen der beiden Poetiken, zum mindesten hinsichtlich der ersten Ausgabe der „Vorschule". Auf diesem Wege gelangt Jean Paul zu dem Ergebnis, daß das Lächerliche das „unendlich Kleine" sei, eine geradezu in sich „ideale Kleinheit" darstelle. Der Begriff des „Kleinen" (bis hin zur Stilform des „Niedlichen") hatte bereits in der Kunsttheorie der Rokokozeit Beachtimg gefordert und gefunden; und auf das Verhältnis zum Rokoko wird denn auch noch kurz einzugehen sein dort, wo eine gewisse Fortbildung oder doch Ergänzung der Wesens- und Wirkensbestimmung des Komischen und Humoristischen über die „Vorschule" und deren zweite Ausgabe hinaus mit Hilfe von kunsttheoretischen Bekundungen der „Vorreden"-Poetik versucht werden soll. Ähnlich wie bei der abgrenzenden Bestimmung des Genies durch das Talent als Gegenbegriff wird dabei als Vergleichsmoment das Erhabene herangezogen. Wieder ist es zugleich der Humorist in Jean Paul, der sich von den Kontrastwerten wie im Dichtschaffen nun auch in der poetischen Theorie besondere Wirkungen verspricht. Und es ist kennzeichnend, daß er gerade in diesem Zusammenhange auf den allgemeinen Vorteil einer Erläuterung durch Kontrastierung ausdrücklich hinweist (§ 27). Er scheint schon an dieser Stelle auf ein Inbeziehungsetzen des Humors zum Erhabenen, das als seine Hauptleistung in der Geschichte der Theorie des Komischen gelten darf, abzuzielen. Aber vorerst handelt er vom Lächerlichen und Komischen. Und das will sich nicht recht eignen für einen solchen Kontrast. Hält man also mit Jean Paul zunächst einmal das Thema des lächerlich Komischen fest, so erhebt sich der Einwand, daß nicht Lächerlichkeit, Sondern Verachtung den strengen Gegensatzbegriff zur Bewunderung (als der Wirkung des Erhabenen) stellt. Und so ergibt sich der Eindruck, daß treffender als diese nicht ganz schlüssige Folgerung, zu der er teils durch seine Vorgänger ver-

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leitet zu sein scheint, jene Kennzeichnung wirkt, die Jean Paul nun vornimmt. Es kommt doch hinzu, daß er selber das „Kleine" nicht nur als „lächerlich" und komisch, sondern auch als idyllisch und von innerer Größe künstlerisch nicht nur zu verwerten, sondern auch theoretisch zu bestimmen verstand („Quintus Fixlein"-Vorrede). Will man sein als besseren Zugang unternommenes Verfahren auf eine knappe Formel bringen, so könnte man von einer E i n m i s c h u n g s t h e o r i e oder U n t e r s t e l l u n g s t h e o r i e sprechen, die im Einzelnen ein wenig kompliziert erscheinen mag, im Ganzen jedoch einleuchtet. Es führt jedenfalls weiter als das Eingangsverfahren, das zu dem Ergebnis kam: „Dem Unendlich-Großen, das die Bewunderung erweckt, muß ein ebenso Kleines entgegenstehen, das die entgegengesetzte Empfindung (das Lächerliche) erregt." Die Einmischungs- oder Unterstellungstheorie dagegen geht nicht von der Stoffverwendung des Schaffenden, sondern von der mitwirkenden Phantasie des Kunstwertaufnehmenden aus. Denn nicht der Irrtum oder das Ungereimte an sich (als objektiver Stoff) wirken lächerlich und komisch. Vielmehr entsteht der eigentlich komische Kontrast erst dadurch, daß sich die Einsicht des Lesers in die Aktion oder Situation der beobachteten Person einmischt. Erst diese Einmischung, und zwar in Form einer Unterschiebung und Unterstellung der höheren Einsicht des Lesers verleiht dem „Irrtum und Unverstand jene Folie, die ihn zum Komischen erhellt". Es begegnet also sowohl der Leitbegriff der Folie wie der Begleitbegriff des Erhellens. Der Klarheit halber vereinfacht und vergröbert: wir legen dem Irrenden, der von seinem Blickpunkt aus nicht selten subjektiv recht hat, unseren besseren Überblick über die wirklich bestehende Lage gleichsam unter: Und da er „dennoch" ungereimt sich verhält oder handelt, eben weil er jenen ihm nur subintelligierten Überblick nicht hat, so wirkt er (unbewußt verglichen mit unserer Einsicht und Übersicht) notwendig lächerlich und komisch. Es handelt sich also dabei seitens des Kunstwertaufnehmenden um einen vorschnellen, aber reizvollen Trugschluß, wie denn Jean Paul selber von einem „Syllogismus der Empfindung" ( = Vorstellung) spricht. Prinzipiell ist diese Einmischungs- und Unterstellungstheorie verwandt mit dem Reiz der Ähnlichkeitstheorie Joh. Elias-Schlegels (Lockerung der Mimesislehre), wo das Begleitbewußtsein halbbewußter Art, nur eine Illusion vor sich zu

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haben, als wirkungssteigemd gilt. Jean Paul unterscheidet das „Lächerliche der Lage" und „der Handlung" als wesentliche Typen des Komischen, den „objektiven Kontrast" (der an sich besteht) und den vor allem komisch wirksamen „subjektiven Kontrast", der durch die erläuterte Art unserer Einmischung erst in jenen objektiven hineingetragen wird. Diese feinsinnige Ausdeutung als Hinein-Empfindung kann, obwohl schon damals nicht restlos originell, auch heute noch (Lipps, Worringer u. a.) als bemerkenswerter Beitrag zu einer Theorie des Komischen gelten. Die Abgrenzung des Komischen gegen das S a t i r i s c h e erfolgt vor allem dadurch, daß Satire von Jean Paul aufgefaßt wird als vom Mittel zu einem Zweck beherrscht und an das Moralische im Sinne der Wertkritik gebunden. Das Komische, das „Lächerliche" dagegen, der „Scherz kennt kein anderes Ziel als sein eigenes Dasein". Insofern bleibt für das Komische der Selbstzweckgedanke aufrechterhalten. Unser Vergnügen am Komischen, Vergnügen hier im Sinne Schillers und gemäß dem früheren Sprachgebrauch als Wohlgefallen, entspringt nicht oder doch nicht allein und vorwiegend aus Stolz und Überlegenheitsgefühl (Hobbes), sondern aus der lust betonten Beweglichkeit (Befriedigung des Tätigkeitstriebes), mit der die Phantasie zwischen den angedeuteten Vorstellungsreihen hinundherspringt, nämlich erstens der eigenen wahren Reihe, zweitens der fremden an sich auch wahren und drittens der fremden, von uns jedoch „nur untergelegten illusorischen" Reihe. Im weiteren Sinne ist es das mit dieser Beweglichkeit und Sprunghaftigkeit wirksam werdende Freiheitsgefühl, das vergnügt und gefällt. Es ist „der Genuß . . . des ganz für das Freie entbundenen Verstandes". In dem Grade jedoch wie das rein Lächerliche und nur Komische an bloße Endlichkeiten gebunden bleibt, und diese Bindung eben kennzeichnet sein Wesen, vermag es auch nur eine relative Freiheit zu entbinden. Die große, weltüberlegene Befreiung nämlich bringt erst auf höherer Stufe der H u m o r . In jenen recht eigentlich erhabenen Bezirken, wo der Kontrast in das Unendliche ausschwingt und hinüberwächst, überhaupt dort, wo das Endliche vernichtet und aufgehoben erscheint durch den Kontrast mit der Idee, stellt sich die „humoristische Totalität" ein. Daraus leitet sich für den Humor das Recht und der Anspruch ab, die Rangstufe des

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„ u m g e k e h r t E r h a b e n e n " einzunehmen. Der Humor ist das Erhabene mit dem umgekehrten Vorzeichen, er ist das Gegenstück, nicht der bloße Gegensatz zum Erhabenen. Den Zugang zur Wesensbestimmung des Humors findet also Jean Paul über die Unendlichkeitsvorstellung der Romantik (das romantische Komische). Aber den Zugang zum Erhabenheits-Begriff dürften ihm die bei Kant und Schiller gegebenen Anknüpfungsmöglichkeiten, wie sie dort schon in der Umschreibung und Beschreibung des Erhabenen bereitlagen, erleichtert haben. Nannte er sie doch selbst unter seinen Vorarbeitern, wenngleich nur mit Bezug auf die Theorie des Lächerlichen. Zunächst zwar besteht die Leistung des Humors nur darin, daß er durch die Entgegenstellung des Kleinen an sich das kontrastierende Große an sich aufhebt. Aber es liegt und lebt eine befreiende Großartigkeit und eine großartige Befreiung in einer derartigen Aufhebung und Auflösung des Kontrastes, „weil vor der Unendlichkeit Alles gleich ist und Nichts" (§ 32). Es geht daher auch vom Humor als dem „umgekehrt Erhabenen" eine erhebende Wirkung aus. Er hat eine Kraft aufzuwenden (aber eben auch zur Verfügung), die es mit dem Großen an sich aufzunehmen vermag. Mit dem Großen an sich; denn der Humor ist anders als Parodie und Ironie nicht eingestellt auf Einzelnes und Besonderes, auf Vereinzeltes (und ein Gleichsetzen mit der Karikatur wäre schwerlich in Jean Pauls Sinne). Vielmehr erfaßt er das Typische, Allgemeine, ReinMenschliche. Es ruht Duldung und Milde im Humoristen schon deshalb, weil er sich selber lächelnd miteinbezieht ins Humorverklärte und nicht am Einzelspott haftet. Hinter dem Humor steht ein tiefer Ernst. Wohl scheint er wie ein bloßer Gaukler auf dem Kopfe zu stehen; aber dabei trinke er gleichsam „den Nektar hinaufwärts", und seine „Höllenfahrt" (Erniedrigung) „bahnt ihm die Himmelfahrt" (Erhöhung mit der Wirkung: Erhebung in Entsprechung zum Erhabenheitsgefühl). In seinem Lächeln liegen zugleich noch Schmerz und Größe, in seiner Heiterkeit die Erlösung von der Erdgebundenheit. „Daher bereitet sich der Mensch, der sich über das Leben und dessen Motive erhebt, das längste Lustspiel", das dauerwertigste, freieste und befreiteste Spiel der Lust. Und es mag an dieser Stelle daran erinnert werden, daß Novalis, dessen Äußerungen über den Humor an sich wesensmäßig und wertmäßig (denn der Salto in das Transzendentale besagt nicht viel in der Romantik) hinter Jean Paul zurück-

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stehen müssen, einmal den Mangel an guten Lustspielen erklärt mit der Unfähigkeit, das Leben als ein Spiel der geistigen Lust aufzufassen. Die V o r s t e l l u n g der „ F o l i e " spielt nun wieder hinein, wenn Jean Paul die andere Seite des Humors betrachtet; denn die Abschattung des dem H u m o r „ u n t e r l e g t e n E r n s t e s " zu einem weltschmerzlichen Untergrund vertieft sich zu einer „humoristischen Lebensverachtung". Und die Weltverlachung verbindet sich ihm noch leicht mit der Weltverachtung. Von hier aus scheint der Humorbegriff Jean Pauls noch gewissen Eintrübungen unterworfen zu sein, die es verständlich machen, wenn man seinen „Humor" teilweise recht einseitig als Galgenhumor umgedeutet hat. Fast möchte man sagen, wie eine Tragik erhebender Art von einer Tragik niederdrückenden Art (J. Volkelt) unterschieden worden ist, so kennt auch Jean Paul neben dem Humor erhebender Art einen Humor niederdrückender Art. Nur eben fragt es sich, ob denn diese Ausprägungsform die Bezeichnung „Humor" noch zu Recht trägt (ebenso wie jene Spielform des Tragischen). Der „unterlegte E m s t " kommt jedoch auch noch insofern zur Geltung, als in der befreienden, auflockernden Entspannung, die im Humor der pathetischen Anspannung des Erhabenen (und Tragischen) folgt, immer noch ein latenter Ernst enthalten ist und als Bitterreiz (Lenz) auch erhalten bleibt. Nur im Individuum kann sich der Humor ausleben (darin also dem Wunderbaren in Jean Pauls Sinne benachbart). Als wesentliches und wesenhaftes Attribut ergibt sich so seine Subjektivität, als ein weiteres seine Sinnenhaftigkeit (§§ 34/35). Es kann hier nicht im Einzelnen ausgeführt werden, was die „Vorschule" in ihren weiteren Teilen über die g a t t u n g s m ä ß i g e G l i e d e r u n g des H u m o r s in einen epischen, dramatischen und lyrischen Humor (Programm 8) oder über Wesen und Wirkungsform des Witzes (Programm 9) an Erkenntnissen vermittelt. Es galt vor allem, deutlich werden zu lassen, daß Jean Paul das Wesen des Humors im Rahmen einer Theorie des Komischen auf eine tragfähige Grundlage gestellt hat, auf der noch Vischer weiterbauen konnte. In der werkimmanenten Poetik seines künstlerischen Schaffens, das ihm jene mehr erlebte als erschlossene Erkenntnis offenbar entscheidend mit gewinnen half, fehlt auch jene theoretisch stark hervorgerückte Kehrseite des Humors nicht. Und nicht selten mischt sich dort ein rührender

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Humor mit der satirischen Verlachsatire und der romantischen Ironie, die doch eben nicht, wie Novalis meinte, so einfach mit dem Humor gleichzusetzen war. Dort auch mag von karikierenden Einschlägen die Rede sein, wie sie indessen bei manchem großen Humoristen ebenfalls anzutreffen sind; sie bestimmen aber nicht das Wesen des Humors, wie sie vor allem nicht relevant sind für die theoretische Bestimmung dieses Wesens durch Jean Paul. Kunstwollen und Kunstschaffen dürfen nicht durch eine selbstgenugsame Konstruktionsfreudigkeit zu einer erzwungenen Deckung gebracht werden, wo der objektive Befund Abweichungen feststellt. Ein Dichter schreibt nicht nur immer sich selber aus oder ab, wenn er theoretisiert; mancher ermähnt sich auch und besinnt sich auch in Form der Kunstbesinnung. Das gilt von Lessing und in gewisser Weise auch von Jean Paul. An sonstigen Erträgen können nur einige Einzelheiten mehr stichworthaft vermerkt werden. In besonders breiter Erörterung sucht sich Jean Paul Klarheit zu verschaffen über das Werden und Wesen der Charaktere (Progr. 10). Nicht das Was, sondern das Wie entscheidet bei der Charakteristik; denn die Charaktere dürfen nicht „gemacht" werden, sondern sie müssen wachsen. Kaum besonders ertragreich erscheint das, was über Drama, Epos und Roman ausgeführt wird (Progr. n/12). Vor allem aber liegt die Lyrik, die übrigens in der ersten Auflage der „Vorschule" ganz fehlte, merklich seitab. Erwähnenswert ist die Erkenntnis der Gegenwärtigkeit der lyrischen Wirkungsform (§ 75) und die Rettung der Lyrik erlebter Meditation, der Lyrik stimmungsgesättigter Betrachtung mit der Begründung „In der Dichtkunst ist jeder Gedanke der Nachbar eines Gefühls, und jede Hirnkammer stößt an eine Herzkammer". Ebenso wird die gewiß nicht neue Deutung des Lyrischen als der Urform alles Poetischen festgehalten „Die Lyra geht, da Empfindung überhaupt die Mutter und der Zunderfunke aller Dichtung ist, eigentlich allen Dichtformen voraus: als das gestaltlose Prometheus-Feuer". Das Prometheussymbol scheint auf die Geniezeit, die Formgebung fast auf Hamann (oder Herder) zurückzuweisen. Der stiltheoretischen Ergänzung dienen zwei weitere Programme (14/15). Die angehängten drei Leipziger Vorlesungen „Über die Parteien der Zeit" bieten weit mehr zeitbezogene Gegenwartskritik und Polemik als Poetik. In einem verklärenden warmherzigen Nachruf auf Joh. Gottfr. Herder findet die „Vorschule" ihren würdigen

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Abschluß. Die „ K l e i n e N a c h s c h u l e z u r ä s t h e t i s c h e n Vors c h u l e " (1825) apostrophiert vorwiegend ironisch-polemisch die literarischen Mißstände und Schwächen der Zeit, wobei skizzenhaft (und scherzhaft-verspielt) die Disposition der „Vorschule" ζ. T. nachgebildet wird: ein charakteristisches Weiterschnörkeln der dort groß angelegten Linien ins selbstironisch, aber auch selbstüberlegene Miniaturbild, also ins „komische Kleine". Im ganzen wohl mehr konzipiert, angelegt und gedacht als Literatursatire, nicht als eine positive Ergänzung, und also etwa einmündend in eine Verlängerung, in ein von Jean Paul mit Vorliebe gepflegtes Weiterspinnen jener dort angehängten „Vorlesungen in Leipzig über die Parteien der Zeit". Als immerhin beachtenswerte Einzelheiten mögen Erwähnung finden eine Ergänzung zum Geniebegriff: das „Fremdartige, die Originalität und Neuheit" gelten dabei wiederum als besondere Merkmale der Genialität. Als Einzelprägung, die das von mancher Seite vermißte Lebensfrohe in der Humor-Definition zum mindesten anklingen läßt, die schlichte Umschreibung der Einfalt und Einfältigkeit im edlen Sinne „Der Humor läßt uns werden wie die Kinder". Das Verhältnis von Dichter, Rezensent und damit im wesentlichen das Verhältnis von K u n s t s c h a f f e n u n d K u n s t k r i t i k belichtet Jean Paul in der „Vorrede zur zweiten Auflage" (1817) seines „Siebenkäs". Oder richtiger: das Mißverhältnis; denn die Belichtung arbeitet mit satirischen Streiflichtern und kritischschalkhaften Glanzlichtern. Aber auch diese satirisch-humoristische Brechung bringt doch einige Erhellung in das Halbdunkel der dichterischen G e s t a l t u n g s - u n d U m g e s t a l t u n g s v o r g ä n g e hinsichtlich des Werkwerdens und der Werkwandlung und der dabei wirksamen Bildekräfte. Jean Paul geht aus von der Erfahrung, wie wenig Beachtung Kritik und Publikum derartigen, oft recht tiefgreifenden Umformungen zu schenken pflegen, und zwar gilt das in eigener Sache nicht allein für die Änderungen und Verbesserungen beim „Siebenkäs", sondern auch für die beim „Quintus Fixlein", der „Vorschule", der „Lewana" und dem „Hesperus" vorgenommenen, obwohl er gerade in diesem Falle mit der „Baumsäge" in der einen, dem Okuliermesser in der anderen Hand wie ein rechter Gärtner das Wachstum überwacht und fortlaufend betreut habe. Von diesem Ansätze ist es nicht weit zu der Frage nach den Ursachen einer derartigen Unterschätzung des Wertes dichterischer

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bzw. schriftstellerischer Umformungen, besonders der nach erstmaligem Abschluß erfolgten Werkwandlung. Eine wesentliche Ursache glaubt Jean Paul in der vom Leser und wohlwollenden Kritiker gern gehegten und bewahrten Illusion zu erkennen, daß die dichterische Produktion völlig mühelos erfolgen müsse. Etwas drastisch und ohne ängstliches Besorgtsein um die Geschmackslinie umschreibt Jean Paul jene Vorstellung spontaner Unmittelbarkeit mit dem genieunzeitgemäßen Vergleichsbilde, daß nach solcher Auffassung dem Dichter „alles bloß so natürlich entfahre und entschieße" wie den — Blattläusen jener von den Bienen (Ameisen?) so behebte süße „Honigtau". Man übersehe indessen, daß die Biene den Honig mit dem dazugehörigen Wachs erst „künstlich zubereite". Ob und inwieweit damit zugleich über die Genievorstellung des Sturmes und Dranges hinaus die teilweise (aber eben doch nur teilweise) übersteigerte Genievorstellung der älteren Romantik (wie Korff sie erkennen zu können glaubt) polemisch getroffen werden soll, mag dahingestellt bleiben. Jedenfalls aber setzt sich hierbei der Epiker Jean Paul zur Wehr gegen eine vorwiegend von der Lyrik und auf die Lyrik bezogene Überwertung des Unmittelbaren. Das wird noch deutlicher, wenn er jene Auffassung und Bewertung als einseitig hinstellt, derzufolge eine jede Zeile möglichst ein unmittelbarer und unbewußter „Erguß und Ausbruch" sein und (hinsichtlich der Werkwandlung) bleiben sollte. Ganz abgesehen davon, so wendet Jean Paul ein, daß die Veränderung im Sinne einer echten Verbesserung, d. h. wenn anders sie künstlerisch wertvoll und kunstverstandesmäßig sinnvoll ist, doch „auch wieder ein erster Ausbruch" sei (vollwertige Hilfskonzeption): es gehe schlechtweg nicht an, den lyrischen Gefühlsausdruck als solchen nun zum Maßstab aller und jeder Kunstleistung und Kunstformung zu erheben. Jean Paul ist sich durchaus der Gefahr bewußt, die darin liegen kann, daß die kunstverstandesmäßige Besonnenheit und der ihr entspringende Bändigungsvorgang auf die Spontaneität gleichsam drücken und sie an einer freien Entfaltung hindern kann; aber ebenso der anderen Gefahr, daß sich der bloße Gefühlsimpuls erschöpft und ausgibt, ohne doch dem Leser allzu vieles gegeben zu haben. Er umschreibt diese Erkenntnisse und Erfahrungen im satirischen Reflex durch die beiden Typen von Kritikern, denen bald zu wenig Gefühlsunmittelbarkeit und zuviel bewußter Formungswille, bald jedoch auch das umgekehrte Kräfte- bzw.

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Schwächenverhältnis beanstandenswürdig erscheint. Nimmt ζ. B. der Künstler darauf Rücksicht, daß selbst ein noch so „vollschlagendes Herz" niemals unorganisch losgelöst leben kann, sondern in seiner Antriebskraft beruhigend geregelt und gedämpft werden muß, um das „feine Adergeflecht der Kunst" wirksam speisen zu können, so beklagen die Rezensenten die Drosselung des Gefühlsantriebes. Uberläßt jedoch der Dichter seinem „übervollen Herzen" ohne Kontrolle die spontane Bewegung und Erregung der Blutwellen, die es antreibt, so verfällt er wiederum der anderen Gruppe von Rezensenten. Und sie erklärt, „mit dem Kunstwerke sei es wie mit einem papiernen Drachen, welcher nur höher steige, wenn ihn der Knabe an der Schnur ziehe und zügle, aber sofort sich senke, wenn ihn der Kleine nicht anhalte, sondern gehen lasse". Bei alledem wird auch durch den satirischen Schleier hindurch doch deutlich, daß Jean Paul nicht geneigt ist, aus dem Wechselspiel und Widerspiel des B e w u ß t e n u n d U n b e w u ß t e n eine Zuflucht oder Ausflucht zu Identitätsvorstellungen zu nehmen. Er ist um so weniger geneigt dazu, als sein eigenes Kunstschaffen eben aus diesem Spannungsverhältnis fruchtbare Antriebe zu gewinnen weiß. Er ist auch nicht genötigt dazu, weil seine eigene zweipolige Gespanntheit sich fruchtbar entspannend aufteilt in das SatirischHumoristische einerseits und das Idyllisch-Rührende andererseits, wobei Überschau und Beschaulichkeit, erkämpfte Reflexion und erlebte Meditation (stimmungsgesättigte Betrachtung) sich entsprechend ergänzen und zwanglos ergeben. Gegenüber jener hohen Bewertung der Werkwandlung in der „Siebenkäs"-Vorrede hat sich in der Vorrede zur dritten Auflage des „Hesperus", die nur um wenige Jahre später anzusetzen ist, (1819) denn doch eine gewisse Skepsis gegenüber den „Verbesserungen" aus größerem Zeit- und Erlebnisabstande durchgesetzt. „Der spätere Mensch hält zu leicht das Ändern am jüngern für ein Bessern desselben", so bescheidet sich nun Jean Paul, dem es in diesem Falle widerstrebt, nach etwa zweieinhalb Jahrzehnten „dem ersten jugendlichen Ausströmen des Herzens ein anderes Bette" und damit allzu leicht auch einen „schwächeren Fall und Zug" zu geben und womöglich aufzuzwingen. Besonders gelte das von gefühlsbetonteren Partien, die einst aus ungebrochener Begeisterung erwachsen seien. Fast ein wenig wie der verwandte Seufzer H. v. Kleists über die Gefühlsbrechung durch ein SichSelbst-Begreifen, wenngleich wesenhaft und wesentlich abgestuft,

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klingt das wehmütige Eingeständnis „Ach, alles Erste im Dichten wie Leben ist, was ihm auch sonst abgehe, so unschuldig und gut". Frei von dem, was Kleist als den Sündenfall der Kunsterkenntnis umschrieben hatte, eignet der spontan gewordenen Frühfassung jene ungebrochene Kraft, die jeder echten Unschuld eigen ist und die später durch Können und Kenntnis doch irgendwie verloren gehe. Selbst die beste eheliche Liebe sei eben doch nicht mehr das, was die jungfräuliche gewesen sei. Es geschieht nun nicht von ungefähr, daß Jean Paul, während Heinrich von Kleist jenes Erste und Unwillkürliche „schön" sein läßt, den wertenden Akzent auf die Attribute „unschuldig" und „gut" verlagert hat. Seine W e l t f r ö m m i g k e i t verbindet sich mit christlicher G o t t e s f r ö m m i g k e i t , wenn er sittlich gestimmte und bestimmte Bezeichnungen den rein ästhetischen selbst in scheinbar nur beiläufigen Wendungen vorzieht. Eine Schönheit um jeden Preis im Sinne des ästhetischen Immoralismus verwirft er, und zwar auch dort noch, wo künstlerische Genialität ihr bestechenden Glanz und imposante Größe verleiht. Durch sein Schicksal in den Entfaltungsraum der Romantik gestellt, dessen Anziehungskraft seiner eigenen Phantasiefreudigkeit gefährlich zu werden droht, wahrt er sich dennoch den kritischen Blick für die Problematik des ästhetischen Menschen. Selbst Geschmacklosigkeit erscheint ihm immer noch erträglicher als Herzlosigkeit. Und die von Η. A. Korff in entsprechendem Zusammenhange hervorgehobene Selbstverteidigung Roquairols im „Titan" nimmt gewiß nicht zufällig gerade auch auf die „Herzlosigkeit" der „Genies" unter den „Roman- und Tragödienschreibern" Bezug. Die vermeintliche Gottähnlichkeit des schöpferischen Menschen wird schonungslos als Affenähnlichkeit enthüllt und entwertet. Das geschieht nicht aus einem zelotischen Eifern heraus wie einst bei ZeSen, sondern aus dem Gefühl heraus, daß jenes durch die Klassik (und Romantik) herbeigeführte Ubergewicht des Genialen und Ästhetischen nur durch ein sehr nachdrückliches Gegengewicht ausgeglichen werden kann. Für den Bereich der angewandten Poetik, dem letztlich auch die „Vorschule der Ästhetik" angehört, mag aus der erwähnten „Hesperus"-Vorrede, die zugleich über die Ausscheidung überflüssiger Fremdwörter Rechenschaft ablegt, das Eingehen auf das Verhältnis von F o r m u l i e r u n g u n d G e s t a l t u n g Erwähnung finden. Jean Paul gibt hier einen bemerkenswerten Hinweis auf

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einen Mißbrauch, den der reifere Dichter an sich selber, aber auch an anderen Schriftstellern beobachtet hat. Es handelt sich dabei, knapp gefaßt, um die Abwehr einer Methode und um die Abkehr von einem Verfahren, wobei den Kunstwertaufnehmenden eine mehr oder minder begriffliche Formulierung vorwegnehmender Art geboten wird anstelle einer dichterisch formenden und sich organisch entfaltenden Gestaltung. Die kunsttheoretische bzw. kunsttechnische Forderung geht nun dahin: der Dichter darf und soll nicht vorweg ankündigen und berichten, wie ein Verhalten oder eine Haltung seiner Personen zu wirken habe oder vom Leser zu bewerten sei; sondern er soll durch die Art seiner Darstellung und Gestaltung den vom Kunstwollen angestrebten Eindruck und die beabsichtigte Wirkung gleichsam „zwanglos" erzwingen. Ohne sich dessen bewußt zu sein, denn sein Anteilnehmen an philosophischen Fragen war nur recht gering, berührt dabei Jean Paul etwa den Bezirk der Zweckmäßigkeit ohne Zweck Kants. Die echte künstlerische Gestaltung nämlich ist unbewußt zweckmäßig, während die bloße literarische Formulierung allzu merklich auf eine bestimmte Wirkung oder Meinung abzweckt. Und dieses Bestimmenwollen des Lesers durch den Dichter führt zur Verstimmung. An seinen eigenen früheren Werken, aber besonders auch an einer gewissen Technik, die er bei Fouqu6 und vollends in den szenischen Anmerkungen der Schicksalsdramatiker wie Zacharias Werner und Adolph Müllner beobachtet hat, mißfällt Jean Paul diese leidige „Vorsprecherei der E m p f i n d u n g e n " und jenes „Vor-Echo" der Eindruckswirkung. Nicht der Kunstschaffende darf formulierend aussprechen, was aus seinen Geschöpfen sprechen müßte. Statt des Hinweises sollte der Könner eben stets den Beweis geben, daß er formen kann und nicht zu formulieren braucht. Im Rahmen der angewandten Poetik unterscheidet Jean Paul das, was etwa mit der wesenhaften und werthaften Gegenüberstellung von formulierender und gestaltender Charakteristik (und Darstellungsweise überhaupt) vielleicht etwas klarer zu umschreiben wäre. Er erkennt und benennt damit einen wesentlichen Mangel, der das Merkmal eines nur Literarischen gegenüber dem wahrhaft Dichterischen zu sein pflegt und bis in die Gegenwart hinein nachweisbar ist, vor allem empfindlich mißstimmend in der Lyrik und Dramatik, aber störend auch in der Epik. Der Hang zum Begrifflichen, Erklärenden spielt dabei ebenso stark mit wie die

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Neigung zum Zwang oder der Zwang der Neigung. Teils aber zeugt dieses Verfahren auch nur von einer krampfhaft „überwundenen" Unsicherheit, die nicht deutlich genug sein zu können glaubt. So nebensächlich jene Vorredenbemerkung im ersten Augenblick erscheinen mag: wir stehen hier vor einem der Fälle, die davor warnen sollten, die kritischen und selbstkritischen Bekundungen der Kunstschaffenden zu unterschätzen gegenüber den an sich gewiß oft imposanteren Konstruktionen der „reinen" Kunsttheorie. Im Sonderfalle Jean Paul und angesichts der Eigengesichtigkeit, die er seinen berühmten „Vorreden" zu verleihen weiß, ist es nicht weiter verwunderlich, wenn diese Vorreden manchen Zug ausgeprägt zeigen, der kunsttheoretisch ebenso bemerkenswert erscheint wie manche der Erläuterungen und Erklärungen in seiner zusammenfassenden Poetik, eben der „Vorschule". Das gilt in gewissem Grade selbst für den Sonderbereich, der an sich in der „Vorschule" besonders pflegsam betreut worden ist: das K o m i s c h e u n d den Humor. Um nur einen Hinweis zu geben: die Vorrede zu dem als „komische Geschichte" umschriebenen Spätwerk „Der Komet" (1820), die also zeitlich später liegt als die zweite Auflage der „Vorschule", bringt ergänzend einen Beitrag zum Verhältnis H u m o r und F r e i h e i t . Nicht ohne rückgreifende Anspielungen auf die Vorbild-Poetik, wie sie für den Humoristen in Rabelais, Cervantes und Wieland gegeben ist, gelangt Jean Paul zur Forderung des freien Spielraumes und des spielerischen Freiraumes, den das Scherzhafte und Komische (auch und nicht zuletzt im politischen Betracht) zu ihrer Entfaltung so bitter nötig haben. Denn, so meint er, erst die „größere Freiheit" ermöglicht jene „Vielzahl" von Ideen, deren Aufeinandertreffen befruchtend wirkt auf das Keimen und Entfalten des Humors. Wenn dabei vom „Scherz" gesprochen wird, so ist dieser Scherzbegriff Jean Pauls doch scharf abzuheben vom „Scherz" und „Scherzhaften" des rokokohaften Kunstwollens, weil schon der (beiden Vorstellungen zugrunde liegende) „Spiel*'-Begriff wertmäßig und wesensmäßig abgestuft erscheint. Das will berücksichtigt sein, wenn Jean Paul die gleichnishafte Umschreibung bringt: „Der S c h e r z . . . begehrt noch mehr Freiheit zu seinem Spielraum, als er benutzt und muß über das Ziel hinaushalten, um in dasselbe zu treffen." Das Bewußtsein und Gefühl der Freiheit ist also letztlich entscheidender als das Gebrauchmachen von der zur Verfügung stehenden Freiheit. Jean Paul hat dabei, und die 27 M a r k w a r d t » Poetik III

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Abhebung von der Rokokowelt Wielands wird auch von dieser Seite deutlich, die Rangstellung des Humors als würdiges Gegenstück zum Erhabenen nicht aus dem Blickfeld verloren. Das beweist sein (wenig beachtetes) fast feierlich getöntes Vergleichsbild. „Der komische Genius gleicht der Glocke, welche frei hängen muß, um einen vollen Ton zu geben; aber dumpf und mißtönig erklingt, von der Erde berührt". Es beweist aber zugleich, daß Jean Paul, wie schon seine „Vorschule" zu verdeutlichen suchte, den G r u n d u n s e r e s V e r g n ü g e n s an k o m i s c h e n G e g e n s t ä n d e n doch nicht so einfach im bloßen Überlegenheitsgefühl kraft der klareren Einsicht (seitens des Lesers) sieht, sondern vor allem in der Freude am freien Spiel der geistigen Kräfte, in dem Freiheitsgefühl und der geistig tätigen Beweglichkeit, die von der einen Vorstellungenreihe zur anderen hinüberspringen muß und darf (Nachwirkung der Emotionstheorie und deren Übertragung auf die Wirkungsform des Komischen und Humoristischen). Zwar auch jene bündige Umschreibung genialer Komik, die zeitlich und vielleicht auch ideelich über die der „Vorschule der Ästhetik" hinausreicht, scheint zu bestätigen, was man (so bes. Η. A. Korff) am Ertrag der Humor-Definition der „Vorschule" vermißt hat, die Einbeziehung nämlich des Gegen- und Ausgleichswertes oder doch notwendigen Ergänzungswertes (der Weltüberlegenheit) durch jene Kraft, die als „Erdenliebe" für Jean Pauls im Kunstschaffen eingekörpertes Kunstwollen in Anspruch genommen worden ist. Denn würde, um jenem Vergleichsbilde nahe zu bleiben, nicht auch die frei schwingende Glocke der Erdbefreitheit immer noch und immer nur ein tönendes Erz und eine klingende Schelle bleiben, letztlich eine wenngleich noch so genialisch angeschlagene Narrenschelle, wenn sie der Liebe nichts hätte? Wie aber, wenn Jean Paul im schönen und stillen Einverständnis mit sich selbst und seiner Tugend der Menschenliebe aus ewig wärmendem und schwärmendem Herzen heraus von dieser ihm eigentümlichen, also unveräußerlichbar und unverlierbar zugehörenden Tugend nicht ausführlich gehandelt hätte, weil sie ihm ein Selbstverständliches und stillschweigend Gegebenes war? Es wäre nicht der einzige Fall bei kunsttheoretischen Bekundungen schaffender Künstler, daß sie ihr bestes, innigstes Besitztum nicht bewußt machen, weil es ihnen gar nicht formulierbar bewußt wird. Aber auch davon abgesehen, konnte das Neue nicht in der Mahnung zur Menschenliebe und Erdenliebe liegen.

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Schon zu einer Zeit, als man sich in der Abhebung des Satirischen vom Humoristischen noch nicht so sicher fühlte, als man noch das Humoristische in die „Satire" mit einzubeziehen pflegte, verstand man dennoch die Voraussetzung der „Menschenfreundschaft" für die komischen Wirkungsformen hervorzuheben als unbedingt erforderlich, wenn anders die Satire nicht in das „Pasquill" abgleiten sollte. Zwar Liscow hätte diese menschenfreundliche Tugend schwerlich in Anspruch nehmen dürfen. Aber Gottlieb Wilhelm Rabener, der gefühlswarmen Gemütswelt des „Herzens" Gellertscher Prägung nahestehend, durfte nicht nur dort, wo er ausdrücklich vom Mißbrauche der Satire handelte, sondern auch mit unmittelbarem Bezug auf seine eigenen Satiren (im Vorbericht zum vierten Teile seiner Satirischen Schriften, 1755) den Anspruch erheben, „mit redlichem Herzen ein Menschenfreund" und von „menschenfreundlichen Gesinnungen" erfüllt zu sein. Seit Geliert den aufklärerischen „Witz"-Begriff durch die gemüterfüllte Verstellung des „Herzens" ergänzt hatte, vollends seit seinem programmatischen Eintreten für das „bewegende", rührende Lustspiel (1751), wobei er sich auf eigene Rühr-Lustspiele nach Art der „Zärtlichen Schwestern" stützen und ein warmherziges Wohlwollen als Ausgleichswert gegenüber dem leicht Herzlosen der satirischen Verlachkomödie fordern und fördern konnte, also etwa seit der Mitte des achtzehnten Jahrhunderts war jene Grundbedingung wertvoller Komik durchaus geläufig, mochte auch im Sturm und Drang das Grotesk-Komische vorherrschen und in der Klassik eine gewisse Humorarmut spürbar werden. Dagegen lag das, was von einem Naturell wie dem Jean Pauls immer wieder zu erringen war, und worauf sich also das Kunstwollen und Kunstfordern richten mußte, weit mehr in der Gewinnung und Aufrechterhaltung des geistig und gemütsmäßig freien Abstandes im Sinne der Weltüberlegenheit. Denn seiner künstlerischen Anlage und menschlichen Neigung nach drohte Jean Paul weit eher die Gefahr, daß jene Menschenfreundschaft und Weltliebe durch den Hingabedrang des Anteilnehmens und Sichmitteilens zu stark ins Rührende hinübergeriet, als die umgekehrte Gefahr, daß er durch Überhöhung in die Herzenskälte oder doch Herzenskühle der (von ihm jedenfalls so empfundenen) romantischen Ironie geraten wäre. Ob und wieweit nicht dennoch die freieste aller Lizenzen (Fr. Schlegel), die romantische Ironie, bei allen kritischen und selbstkritischen Bemühungen Jean Pauls, sich von ihr fernzuhalten, auf seine 27·

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Wesensbestimmung des Humors und seine Wertbestimmung des Verhältnisses von Humor und Freiheit unbemerkt ein wenig abgefärbt haben könnte, mag hier unentschieden bleiben. Jean Paul verfügte schließlich nicht über die kritische Selbstbehauptungskraft Lessings. Fühlbar wird an jenem Nichterwähnen der Güte und Menschenliebe als Grundlage des Humors wiederum die schaffensnahe, werkverbundene Art der angewandten Poetik, die ihre Aufmerksamkeit (trotz der selbstermahnenden §§-Einteilung) nicht systematisch verteilte, sondern auf das in eigener Sache Erforderliche konzentrierte. Wollte man bei gebotener Berücksichtigung der unterschiedlichen Ranghöhe Jean Paul in die von der Aufklärung ausgehende E n t w i c k l u n g des s a t i r i s c h e n u n d k o m i s c h e n S c h r i f t t u m s einordnen, so würde man seinen Grundtypus näher an die Gruppe Gellert-Rabener als die Gruppe Liscow-Lichtenberg heranrücken, ihn näher zu Hippel als zu Thümmel stellen. Der Ranghöhe nach entspräche er bei allem wesenhaften Unterschiede Wieland. Er ist nach Wieland der stärkste Bewahrer und Bewährer komischer Genialität. So fern er auch dem Kunstwollen des Rokoko stehen mag: es gibt gegenüber der französisch-aristokratischen eine deutsch-bürgerliche Ausprägungsform des Rokoko, die Berührungen mit der Welt Jean Pauls aufweist. Das ist bereits mit dem Vorherrschen des Deutsch-Bürgerlichen gegeben. Denn obwohl im „Gespräch über den Adel" (im Rahmen der „Flegeljahre") Walt die Meinung vertritt (die Vult ironisiert), daß der Dichter zwar in allen Ständen zu Hause sein müsse, daß ihm jedoch die „höheren Stände" einen gleichsam von sich aus poetischen Stoff böten, da sie „selber schon f ü r diePoesie d u r c h einePoesie aus der schweren tiefen Wirklichkeit entrückt" seien, so kann es doch keinem Zweifel unterliegen, daß Kunstwollen und Kunstleistung Jean Pauls einer spezifisch bürgerlichen Grundstimmung und Grundgesinnung angehören. Und wie im ausgehenden neunzehnten Jahrhundert Theodor Fontane wohl einmal die Meinung ausspricht, daß mit dem letzten Adel auch die letzte Poesie aus dem Leben verschwinden würde, trotzdem aber dem Naturalismus vorarbeitet, so auch hat Jean Paul trotz jener das alte Standeskriterium (vgl. Bd. I) moderner variierenden Äußerungen, die er persönlich zudem auch nur teilweise deckt (vgl. Vult), unbewußt der nach ihm kommenden Richtung des bürgerlichen Biedermeier vorgearbeitet. Schaut man vom Satirischen auf das Idyllische hinüber, so ergäbe sich eine

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Anknüpfungsmöglichkeit an jene deutsch-bürgerliche Spielform des an sich aristokratischen Rokokos, wie sie etwa Joh. Peter Uz vertreten hatte. Denn die Kunst, stets fröhlich zu sein, wie sie J. P. Uz lehrte und pries, und die Lebenskunst, stets froh und zufrieden zu sein, wie sie Jean Pauls Vorrede zu seinem „Quintus Fixlein" (1795) preist und anpreist, liegen letzten Endes auf einer Linie. Es ist, im größeren Zusammenhange gesehen, jene Linie, die über den Schwäbischen Dichterkreis der Schwab, Uhland, Kerner weiter verläuft zu Adalbert Stifter und also einmündet in den literarischen Biedermeier des neunzehnten Jahrhunderts. Rokoko und Biedermeier (der Romantiker A. L. Hülsen ζ. B. scheint Züge beider Erlebnisarten in seinem vielseitigen Wesen aufzuweisen) erweisen sich auch in der Wortkunst verwandt, vielleicht verwandter als in der Bildkunst, da das dichterische Rokoko in Deutschland wohl noch stärker verbürgerlicht und verkleinbürgerlicht erscheint als das bildkünstlerische Rokoko. Und nicht A. L. Hülsen allein kannte die Versöhnbarkeit der freien, tänzerischen himmlischen „Grazie" mit dem „Ideal des Familienmenschen", der spielerischen Geselligkeit und der Idylle. Die Forderung an den Dichter, der „ganzen Welt" entdecken zu helfen, „daß man kleine sinnliche Freuden höher achten müsse als große" aus dieser berühmten „Fixlein"-Vorrede findet folgerichtig ihr Gegenstück in Adalbert Stifters entsprechenden Forderungen und Mahnungen kunsttheoretischer Art. Die-romantische Weite des Wunders war dem religiösen Empfinden Jean Pauls in seiner (gegenüber der strengeren Romantik abgestuften) Art gewiß lieb und vertraut. Aber dem romantischen Wunder der Weite, der Wanderlust unrastvollen Umhergetriebenseins mancher, und besonders der „jüngeren" Romantiker setzte schon jene frühe Vorrede gleichsam vorausahnend den zwar schalkhaft umkleideten, im Kerne aber ernsthaft gemeinten Bescheid entgegen „Die nötigste Predigt, die man unserem Jahrhundert halten kann, ist die: zu Hause bleiben". Und so beglückend immer für den Schaffenden ein Ausleben und Ausgeben seiner Genialität sein mag und sein muß, im Beglücken des Lesers wird er erfolgreicher sein, wenn „er so schön aus dem Wege des genialischen Glückes in den des häuslichen einbeugen" und einschwenken kann. So erhebend und befreiend die Weltbetrachtung (selbst mit einem gelinden Zuschuß an Weltverachtung) aus der Höhe des Geistes und des entsprechenden Überlegenheitsgefühls sein mag und in der Tat ist, so

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kann es doch auch recht befriedigend und befreiend, vor allem jedoch sehr befriedigend sein, gleichsam von „seinem warmen Lerchennest" aus die nächste Umwelt liebevoll zu ergreifen und sie phantasievoll zu steigern. Man braucht nicht sogleich an A. Stifters „Bunte Steine" vorauszudenken, wenn so dem Dichter des „Quintus Fixlein", aber doch auch etwa des „Maria Wuz" bereits „der Sand ein Juwelenhaufe ist". Und wenn eingangs dieses Abschnittes gesagt wurde, daß Jean Paul in gewisser Weise noch einmal die Kunstwelten und das Kunstwollen von Aufklärung-Rokoko, Geniezeit, Klassik und Romantik durchmessen habe, ohne sich irgendwo endgültig zu binden, so könnte man nun erweiternd sagen, daß er bereits prüfend die Wegstrecke ermißt, die dann zum Biedermeier führt. Nicht zwar so, als ob er erst im Biedermeierlichen seine höchste Vollendung hätte finden können; nicht nur sein „Titan" beweist, daß er ein Anderes und ein Mehr leisten wollte und konnte. Aber doch in dem Sinne, daß vom literarischen Biedermeier aus gesehen, Jean Paul als ein wesentlicher Traditionsträger und Wegbereiter gelten darf, als ein gutes Stück Vorbild-Poetik zur Ermutigung und Ermunterung biedermeierlicher Welt und- Kunstanschauung. Es spricht für die reiche, wenngleich etwas verworrene Vielfalt in Wesen und Werk Jean Pauls, wenn in ihm sich Ε. T. A. H o f f m a n n (1776—1822) zeitweise eine Art von Vorbild-Poetik setzen konnte. Neben Goethe und Ludwig Tieck, der seinerseits in späteren Entwicklungsstadien seiner mannigfachen Verwandlungen und Anverwandlungen (bes. i. d. „Reise ins Blaue hinein") von seinem Verehrer Ε. T. A. Hoffmann Anregungen erfahren hat (nämlich von dessen „Goldenem Topf"), ist es Jean Paul, der durch seine Kunstleistung weit mehr als durch seine Kunsttheorie Ε. Τ. A. Hoffmanns erstes Wegsuchen und Wegfinden erleichtert hat. Jean Paul erschließt ihm auch formal den Zugang zur großen Literatur durch eine gewiß nicht kritik- und bedenkenlose, im Ganzen aber doch empfehlende Vorrede, die er für die „Fantasiestücke in Callots Manier" (1814—15) zur Verfügung stellte. Und als Ε. Τ. A. Hoffmann etwa ein Jahrzehnt später an Jean Paul den „Kater Murr" (2. Teil) überreichen läßt, spricht er es im Begleitschreiben (Jan. 1822) freimütig noch kurz vor seinem Tode aus, „wie Ihre Werke mein Innerstes durchdrungen und auf meine Gestaltung gewirkt haben". Insofern konnte also mit Bezug auf Jean Paul von einer Vorbild-Poetik und Muster-Poetik gesprochen werden,

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die allerdings trotz dieses späten Bekenntnisses zugunsten Jean Pauls dennoch mehr von Tieck ausging, soweit Hoffmanns reifere Schöpfungen in Betracht kommen. Ε. T. A. Hoffmann erwähnt in diesem Schreiben Jean Pauls „Kometen". Spät also traf er auf jenes schöne Wort über das W e s e n des H u m o r s als einer freischwingenden Glocke, die der erdüberlegenen Freiheit bedürfe. Er selber hatte, seiner Eigentümlichkeit entsprechend, jene gebrochene, satirisch-ironische Klangfärbung bevorzugt, vor der Jean Pauls Gleichnis allerdings auch ein wenig im Sinne einer Selbstermahnung gewarnt hatte. Es scheint auf den ersten Blick kaum die r o m a n t i s c h e I r o n i e in höherem Sinne zu sein, sondern schon eine abflachende nachromantische oder doch spätromantische Ironie, die Ε. Τ. A. Hoffmann ausprägt, so daß es auch von dieser Seite her gesehen nur bedingt zutreffen würde, wenn der Literaturhistoriker, Dichter und Poetik-Verfasser Rudolf v. Gottschall einmal Ε. Τ. A. Hoffmann den „romantischen Jean Paul" nennt. Immerhin umschreibt diese ein wenig journalistisch anmutende Bezeichnung mit knappem Umriß jenen Vorgang einer Romantisierung des Jean Paulschen Kunstwollens durch das Darstellungswollen Hoffmanns. Selbst wenn man sich vorerst auf diesen Jean Paul zugekehrten Teilausschnitt der Kunstwelt und des Kunstwollens Ε. T. A. Hoffmanns beschränkt, darf man nicht übersehen, daß der geistvolle Aphorismendichter der Aufklärung G. Chr. Lichtenberg von Hoffmann als „der humoristischste aller humoristischen deutschen Schriftsteller" anerkannt worden ist, wie er denn andererseits in jenem erwähnten Briefe an Jean Paul neben Hamann auch den Humoristen Th. Gottlieb v. Hippel nicht nur als „Landsmann" hervorhebt. Stellt man schließlich in Rechnung, daß bei Ε. Τ. A. Hoffmann im Bezirke zugespitzter Satire manches an den frühen Liscow erinnert, so wird durch die Vordergrundsschicht der romantischen Ironie der Hintergrund des aufklärerischen Esprit sichtbar. Und wenn man neuerdings Jean Paul das Karikaturistische hat zuschreiben wollen, so käme das (nicht nur dem Zeichner) Ε. T. A. Hoffmann weit eher zu, und insofern wäre er dann doch wieder der „romantische Jean Paul". Dies um so mehr, als bei näherer Prüfung die Art seiner Ironie dennoch als romantische Ironie in Anspruch genommen werden kann. Denn einmal ganz abgesehen von Tieck als Vorbild, verfügt Ε. Τ. A. Hoffmann über die Voraussetzung einer gewissen Hypertrophie

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der Einbildungskraft in einem so hohen Grade, daß es nicht überraschen kann, wenn die Sonderforschung über die romantische Ironie (Fritz Ernst) in ihm geradezu die dichterische V o l l e n d u n g der r o m a n t i s c h - i r o n i s c h e n H a l t u n g u n d G e s t a l t u n g erkennen zu können und anerkennen zu müssen meint. Wenn man nun darüber hinaus bemüht gewesen ist, von diesem Ausgangspunkt her Ε. T. A. Hoffmann einen Zugang zum echten Humor zu erschließen, so dürfte das die kritische Grenze zum mindesten streckenweise bereits überschreiten. Denn obwohl er „die Ironie immer mit dem tiefsten Schmerz in Beziehung bringt", (E. v. Schenk), so fehlt ihm doch die Kraft gütiger Menschenliebe und überlegener Lebensliebe, wie sie der wertvolle Humor voraussetzt. Das Grotesk-Komische, Burlesk-Satirische und DämonischBizarre ist ihm eigentümlicher zugehörig, und zwar auch seinem Kunstwollen. Und selbst die romantische Ironie, wenigstens die begrifflich konstruierbare, scheint von dieser Seite aus beträchtlichen Eintrübungen ausgesetzt zu sein. Außerdem finden wir sie eher in der latenten Poetik der Kunstleistung, also der werkimmanenten Poetik, ausgeprägt als in den kunsttheoretischen Bekundungen. Dem immanenten Kunstwollen Hoffmanns ist sie vertraut, dem bewußt ausgesprochenen aber schwerlich verständlich und begreifbar gewesen. Dazu fehlten ihm die philosophischen und spezifisch die transzendentalphilosophischen Bedingungen und Vorstellungen. Wenn ζ. B. von der Ironie gesagt wird, daß sie „tief in der menschlichen Natur" ruhe und diese recht eigentlich erst „in ihrem innersten Wesen" bedinge, so klingt dieser Ansatz zu einer Bestimmung der Ironie zwar recht verheißungsvoll. Wenn aber Ε. T. A. Hoffmann nun fortfährt zu erklären, daß aus der Ironie (oder der menschlichen Natur?) „mit dem tiefsten Ernst der Scherz, der Witz, die Schalkheit herausstrahlen", so ist man notwendig etwas enttäuscht von Attributen, die schließlich ebenso gut auf das „Scherzhafte" und „Gefällige" des Rokoko oder den „Witz" der Aufklärung wie auf die Sonderform der romantischen Ironie hindeuten könnten. Und erst gestützt auf Erläuterungen Tiecks aus der Einleitung zu dessen „Phantasus" gelangt weiterhin jener Definitionsversuch zu einer höheren Auffassung, wonach das Umbrechen des Lebensschmerzes in Lebenslust als zeugungskräftig für den Humor gilt „Die krampfhaften Zuckungen des Schmerzes, die schneidensten Klagetöne der Verzweiflung strömen

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aus in das Lachen der wunderbaren Lust, die eben erst von Schmerz und Verzweiflung erzeugt wurde". Man spürt schon an solchen Stellen, wie für Ε. T. A. Hoffmann das, was er „Humor" nennt, merklich zum Bizarren und Dämonischen, zum Insich-Gespannten und Angespannten hinneigt. Humor ist ihm keine gütig überlegene Entspanntheit und gesundende Entkrampfung, die wohl das Leid und die schmerzliche Unzulänglichkeit und Gebrechlichkeit der Welt kennt, aber sie bereits hinter sich und unter sich versunken sieht. Humor ist ihm eher schon eine Entladung des Leidenschaftsernstes, ohne jedoch eine Reinigung der Leidenschaften zu verbürgen. Was ihm „Humor" bedeutet, ist vielmehr ein immer erneutes R i n g e n der L e i d g e b u n d e n h e i t m i t dem L e i d e n t b u n d e n s e i n in der Menschenseele. „Die volle Erkenntnis dieses seltsamen Organism der menschlichen Natur möchte ja eben das sein, was wir Humor nennen, und so sich das tiefe i n n e r e W e s e n des H u m o r i s t i s c h e n , welches meines Bedünkens mit dem wahrhaftig Komischen eins und dasselbe ist, von selbst bestimmen". Die Gleichsetzung des Humoristischen mit dem „wahrhaft" Komischen verrät zudem, daß die Sonderbestimmung des Humors als Eigengepräge noch nicht recht gelingen will. Es darf über den Einzelfall hinaus daran erinnert werden, daß die Wesensbestimmung des Humors auch um jene Zeit noch merkliche Schwierigkeiten macht, wobei teils aus dem achtzehnten Jahrhundert die Gleichsetzung mit „Laune" (und allgemeinem Gestimmtsein, man konnte damals auch bei „schlechtem Humor" sein) unverkennbar nachwirkt. Und selbst Jean Paul hatte in der „Vorschule der Ästhetik" um eine reinliche Scheidung und klare Unterscheidung zu kämpfen gehabt. Es darf gesagt werden, daß die Wesensbestimmung des Humors zu den spät gereiften Früchten am Baume neuerer kunsttheoretischer Erkenntnis zu zählen ist. Gelegentliche glückliche Einzelprägungen ändern nichts an diesem Gesamteindruck. Vielleicht darf man noch einen Schritt weiter gehen. Denn es möchte fast scheinen, als ob auch der Humor im Kunstschaffen stärkeren geschmacklichen Wandlungen unterworfen sei und schneller veralte als etwa das Tragische. Das Humoristische bei Wieland liegt uns ferner, ist unserer Einfühlung schwerer zugänglich als das Tragische bei Lessing. Das Humoristische bei Jean Paul, obwohl uns nicht nur zeitlich näher, bleibt uns ferner als das Tragische bei Heinrich von Kleist. Doch müssen hier Andeutungen genügen.

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Man wird nach alledem von Ε. T. A. Hoffmann billigerweise nicht erwarten, daß er nun sogleich alle früheren Versuche der Deutung überholt hätte. Er knüpfte auch nicht etwa folgerichtig an den durch Jean Paul bereits gewonnenen Erwerb an, um ihn weiterhin aufzuwerten. Vielmehr scheint er — und das ist für das enge Verhältnis von Kunstwollen und Kunstleistung von Kunstpraxis und Kunsttheorie recht bemerkenswert — vorwiegend v o m e i g e n e n b e w u ß t e n oder u n b e w u ß t e n K u n s t w o l l e n a u s g e g a n g e n zu sein. Wie nahe beieinander auch für sein Kunstbewußtsein noch Humor und Ironie stehen, bezeugt der Umstand, daß er unmittelbar nach jener Umschreibung von Ironie und Humor unter den Beispielen Shakespeares Falstaff als „Ausbund der herrlichsten Ironie, des reichhaltigsten Humors" bezeichnet. Auch wird die Ironie unbedenklich als ein „krampfhafter Kitzel" gedeutet, den der schmerzliche Widerstreit und das „Mißverhältnis" von Ideal und Leben hervorrufe. Die Vorstellung: Humor wird gegenüber Jean Paul nicht sowohl vertieft als vielmehr erweitert, und zwar in dem Grade, daß etwa auch die seelische Situation Hamlets einbezogen werden kann. Mit viel Wohlwollen könnte man hierin so etwas wie eine Synthese des Erhabenen und des „umgekehrt Erhabenen" (Jean Paul) erkennen und anerkennen. Einer strengeren kritischen Prüfung wird sich der Eindruck ergeben, daß es sich weniger um eine echte Synthese als um ein Nebeneinander und Miteinander, ja oft nur um eine Summierung von Tragik und Komik handelt. Möglicherweise spielen auch Identitätsvorstellungen (Aufhebung des Gegensätzlichen) mit hinein. In diesem Sinne gilt vor allem Shakespeare als der „laute Verkündiger des eigentlichen Humors, der das Komische und Tragische selbst ist". In gewisser Weise entspricht dem die briefliche Bemerkung „Den Jokusstab schwingt der Humor, aber er krönt mit Dornen" (Sept. 1813). Anders gesehen und gesagt: Ε. T. A. Hoffmann trennt nicht das Humoristische vom T r a g i k o m i s c h e n . Jener Ausspruch über Shakespeare nähert sich ja bis in die Wortbildung hinein dem Begriffe des Tragi-Komischen, das wir bei aller Anerkennung des Schmerzes und Leides als Folie des Humors doch eben wesentlich und wesenhaft vom reinen Humor abheben. Auch was man als höchste Vollendungsform der romantischen Ironie in seiner Kunstleistung hat beobachten wollen, tendiert in Wirklichkeit mehr zum Tragikomischen. In seinen höchsten Bewährungen hat

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er dieses Tragikomische als Epiker fast so rein ausgeprägt wie Kleist als Dramatiker (teils auch bei Kleist als Novellist: Die Marquise von 0. . .). Dieses Tragikomische, nicht selten aber auch ganz einfach die abgeflachte Form eines gewissen Galgenhumors, ist seinem Wesen und Wollen gemäßer als der Humor in unserem Sinne. Ähnlich wie sein Phantasiespiel gern in Phantastik umspringt. Den Humor als ein umgekehrt Erhabenes, als ein Erhabenes mit umgekehrtem Vorzeichen, zu begreifen und gestaltend zu ergreifen wie Jean Paul, das war, von vereinzelten Ansätzen abgesehen, nicht seine Sache und nicht seine Sendung, mag hier und da in den kunsttheoretischen und kritischen Bekundungen auch ein ahnungsvolles Wort in diese Richtung voranleuchten. Dabei dürfte jene Bemerkung über Humor und Ironie das verhältnismäßig Tiefste und Reichste sein, was er in diesem Betracht zu bieten hat. Sie findet sich in jenem umfangreichen Kunstgespräch zweier Theaterleiter, eines berufsmäßigen Theaterdirektors (des „Grauen") und eines Liebhabers (des „Braunen"), das ursprünglich in dem „Dramaturgischen Wochenblatt" unter dem Titel „ D i e K u n s t v e r w a n d t e n " , unmittelbar darauf in erweiterter Fassung und unter dem etwas irreführenden Titel „ S e l t s a m e L e i d e n eines T h e a t e r - D i r e k t o r s " (1818) als künstlerisch aufgelockerte dialogische Erörterung über Zeit- und Streitfragen vorwiegend des Theaterbetriebes, des Bühnenerfolges, der Spielplangestaltung und vor allem auch der Schauspielkunst Klarheit zu gewinnen suchte. Das Anteilnehmen an Theaterfragen lag nahe genug für den früheren Bamberger Theatermusikdirektor (ebenso für die Zeit in Leipzig und Dresden) und wirkte nicht allein durch die Freundschaft des bedeutenden Schauspielers Ludwig Devrient hinüber in die Berliner Epoche des Kammergerichtsrates und Kriminalrichters. Das streckenweise etwas behaglich sich ausbreitende Kunstgespräch nimmt denn auch seinen Ausgang von der Oper. Aber wenn es zuletzt mit dem Marionettentheater endet, so ist das doch wohl mehr als scherzhafte Pointe gedacht, indem der Leiter eines LiebhaberMarionettentheaters so vielen Nöten und Schwierigkeiten, eben den „seltsamen Leiden" eines echten Theaterdirektors enthoben ist. Ε. T. A. Hoffmann hatte offenbar nicht die Absicht (schwerlich auch die Fähigkeit), eine tiefgründige Wesenserläuterung der Kunst mit Hilfe des Symbols der Marionette zu bieten, wie

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es Kleist in dem Aufsatz „Über das Marionettentheater" unternommen hatte. Er wollte aber auch nicht bloße Schauspieleranweisungen vermitteln wie etwa der Reiseschriftsteller Seume. Probleme der Bühnenleitung, des Verhältnisses zum Publikum, zu den Behörden, der Schauspieler untereinander werden zwanglos besprochen neben kritischen Erwägungen über Wert und Wesen der Schauspielkunst. Immerhin läßt Ε. Τ. A. Hoffmann, der einen früheren Aufsatz Schillers „Braut von Messina" gewidmet hatte (kritische Stellung zum Chor-Gebrauch), die Gelegenheit nicht vorübergehen, einige dramaturgische Gedanken zur T h e o r i e des D r a m a s einzuflechten. Zunächst einmal erfolgt im Rahmen einer Auswahl von wertvollen aufführungswürdigen Stücken ein beachtenswerter Vorstoß zugunsten der M ä r c h e n s t ü c k e des „herrlichen Gozzi". Wieder ist es die Mischung des „Hochkomischen" mit dem „Pathetischen", die nun auch bei Gozzi als besonders reizvoll empfunden wird. Wieder einmal aber ist es auch das Märchen, von dem eine innere Neubelebung erhofft wird, in welchen Spielformen und Abtönungen immer es in der Romantik begegnen mag. „Welche Größe, welch tiefes, reges Leben herrscht in Gozzis Märchen." Zum mindesten als Textgrundlage zu Opern wären sie auswertbar für die Gegenwart. Es ist nicht unwahrscheinlich, daß Hoffmann durch den ihm seit seiner Leipziger Zeit befreundeten Romanisten Adolf Wagner, den Oheim Richard Wagners, besonders lebendig in die Welt des Burlesk-Komischen bei dem Italiener Gozzi eingeführt worden ist. Hinsichtlich der L u s t s p i e l e gelten als negative Wertungskriterien neben abgeschmackten Redensarten, Zoten, Planlosigkeit, Charakterlosigkeit und Mangel an Zusammenhang zwar auch „schale Wortspiele". Das hindert aber nicht, daß an anderer Stelle, nämlich im Rahmen-Gespräch der „Serapionsbrüder" im Anschluß an die Lesung des „Signor Formica" ein Wortspiel aushelfen muß, um den Mangel an wertvollen Lustspielen zu erklären. An sich wird recht bedrohlich vom Gesprächspartner Vinzenz der Plan aufgestellt, „in einer Abhandlung von höchstens vierzig Bogen" die Ursachen jenes Versagens im Lustspiel zu klären. Diese im Scherz angedrohte umfangreiche Lustspiel-Abhandlung hat Ε. T. A. Hoffmann nie geschrieben. Aber das knappe Wortspiel, das er an ihre Stelle treten läßt, verdient doch einige Beachtung: „Es fehlt . . . uns am Lustspiel hauptsächlich deshalb, weil es uns an der Lust fehlt.

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die mit sich selbst spielt, und an dem Sinn dafür." Auf der Wegstrecke zwischen Brentanos „Ponce de Leon" und G. Büchners „Leonce und Lena" ein immerhin bemerkenswerter Ausspruch, der in gewisser Weise auch für die romantische Ironie fruchtbar gemacht werden kann. An und für sich schweben Ε. T. A. Hoffmann in jenem Serapions-Brüder-Gespräch offensichtlich teils mehr vom Komischen ins Possenhafte übergreifende Lustspiele vor. Doch wird die Forderung des Planvollen, nun auch formal ins Positive gewendet, erneut unterstrichen; denn aus einem „tüchtigen Plan" soll sich das Komische, Drollige und Possenhafte „von selbst" ergeben. Eine planlose Einfallreihung und Einzelbildreihung dagegen wird verworfen. Die Gefahr der bloßen Bilderreihung an Stelle einer in sich abgerundeten Ganzheit der Struktur bestehe überhaupt noch stärker für „dramatische Dichter" als für Epiker. Um zum Kunst-Gespräch der beiden Theaterdirektoren zurückzukehren: Voraussetzung für das Drama von höherem Geltungsanspruch und Wirkungswert ist stets die „innerste Überzeugung der Notwendigkeit" beim Schaffenden, der keineswegs willkürlich, vielmehr nie „ohne tiefe Absicht" an sein Werk schreite. Eine bedenkliche Zeitschwäche sieht Ε. T. A. Hoffmann in der Neigung, das Dramatische ins Rhetorische hinüberzubilden, überhaupt in der Verwechslung des Dramatischen mit dem Rhetorischen. In gewissem Grade wird Shakespeare gegen Schiller ausgespielt. Das gilt, obwohl sich Hoffmann für das Zustandekommen einer guten dramatischen Exposition besonders interessiert zeigt, wie denn die „wundervoll herrliche Exposition" in Schillers Tell-Drama auch eine entsprechende Anerkennung findet. Die epische Ersatzexposition nicht allein, auch die nur dialogisierte Epik im Scheindrama wird als negatives Wertungskriterium scharf betont. Die positive Wesens- und Wertbestimmung zeigt eine Ε. Τ. A. Hoffmannsche Tönung, zum mindesten in den Nebenzügen, die allerdings auch als allgemein-romantisch aufgefaßt werden könnten. „Worin besteht denn eigentlich die göttliche Kraft des Dramas, die uns so wie kein anderes Kunstwerk unwiderstehlich ergreift, anders, als daß wir, mit einem Za,uberschlage der Alltäglichkeit entrückt, die wunderbaren Ereignisse eines fantastischen Lebens vor unseren Augen geschehen sehen." Zauber, wunderbar, phantastisch geben sich ohne weiteres als romantische Merkwörter, wobei allerdings

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wortgeschichtlich berücksichtigt sein will, daß „fantastisch" damals teils noch für phantasiemäßig im weiteren Sinne gebraucht wurde. Über den tragisch getönten Humor als wesentlichen Bestand des Dramatischen konnte schon gesprochen werden. Vor allem in Shakespeares Gestalten bemerkt Ε. T. A. Hoffmann „das Gepräge jener Ironie, die sich oft in den höchsten Momenten witzig fantasierend ausspricht, sowie seine komischen Charaktere eben wieder auf tragischem Grund basiert sind". Indessen: mehr ein Zug zum T r a g i k o m i s c h e n , weniger eine wirkliche Synthese dürfte darin zur Geltung kommen. Jedenfalls bleibt das Nebeneinander, das nicht zu einer Ineinsbildung reicht, charakteristisch für Ε. T. A. Hoffmanns stetige Gespanntheit und ermöglicht ihm das Hin- und Herspringen zwischen dem Magisch-Mystischen und dem Skurrilen, zwischen dem Märchenhaft-Mythischen und dem Karikaturenhaft-Mystifizierenden. Es sind nicht selten etwas halsbrecherische Sprünge, die ihn von einem Pol zum anderen tragen. Aber auch dies gehört letzten Endes zum Eigengepräge seines Darstellungswollens und vor allem auch zu seiner Wirkungsabsicht. Denn diese Gespanntheit verbürgt Spannung. Stünden nicht Anschauungskraft und Phantasiefülle ihm im erstaunlichen Grade zu Gebote, so könnte allein angesichts des Spannungskultus die Frage entstehen, ob wir es bei Ε. T. A. Hoffmann überhaupt noch mit einem rein dichterischen Kunstwollen im engeren und strengeren Sinne zu tun haben. Man braucht sich dabei nicht die harten Vorwürfe Eichendorffs zueigen zu machen, die vor allem auf den Mißbrauch des Alkohols als Reiz- und Rauschmittel abzielen. Aber jenes Entrücken der Alltäglichkeit, ob es nun ins Dämonisch-Diabolische oder Phantastisch-Groteske führt, geht oft von einem Rauschbedürfnis aus und geht wiederum auf die Befriedigung eines phantasiemäßigen Rauschbedürfnisses aus hinsichtlich der Eindruckswirkung auf den Leser. Es handelt sich nicht einfach um eine „romantische" Wirklichkeitsflucht, die nur die S o n d e r f o r m des R a u s c h h a f t e n , selbst im Bereiche des Märchenhaften annähme. Vielmehr kann es geradezu als ein Merkmal des Darstellungswollens Ε. T. A. Hoffmanns gelten, das Wirkliche bald unmerklich verspielt, bald ruckhaft zwingend hineinzureißen in das magische Kraftfeld einer phantasiemäßigen Hochspannung. Gewisse Ansätze in dieser Richtung bietet auch A. von Arnim. Der Virtuos spannender Phantastik überwältigt in ihm nicht

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selten den gestaltenden Dichter. Und es gibt einzelne Erzählungen, etwa unter den „Nachtstücken", wie ζ. B. den „Ignaz Denner" (ursprünglich d. „Revierförster"), die sich bedenklich der Schauerromantik nähern. Aber bei einem Dichter wie Edgar Ellan Poe, der in seiner Technik von Ε. T. A. Hoffmann gelernt hat, ist das ebenfalls nachzuweisen. Das Kunstwollen wird in solchen Fällen überwuchert von der Sensationsfreude. Teils dürften jedoch auch bewußte oder unbewußte K r a f t p r o b e n des Virtuosentums vorliegen. Und trotz mancherlei Entgleisungen sollte man die Konzentration des Kunstwollens nicht unterschätzen, die erforderlich war, selbst noch an sich schauerromantischen Motiven dichterische Werte abzugewinnen. Jenes der Alltäglichkeit-Entrücktwerden, das im Drama durch die unmittelbare Veranschaulichung (Aufführung) gleichsam schlagartig (wie mit einem Zauberschlage) erreicht wird, ist eben die Forderung, wie sie nun in eigener Sache für die „Prinzessin Brambilea", die in gewisser Weise die Stegreifkomödie kunstmäßig aufzuhöhen trachtet, programmatisch aufgestellt wird. Das Kunstwollen ist dabei auf das Wirkungsziel gerichtet, „den Leser aus dem engen Kreise gewöhnlicher Alltäglichkeit zu verlocken und ihn im fremden Gebiet . . . auf ganz eigene Weise zu vergnügen". Indessen, und damit wird ein letztlich metaphysischer Anspruch auf die E i g e n g e l t u n g des Andersweltlichen und Überwirklichen erhoben, auf den gerade neuere Hoffmannforschung hingewiesen hat, indessen jenes „fremde Gebiet" ist in tieferem Verstände doch einzubeziehen „in das Reich, welches der menschliche Geist" als ein „wahres Leben und Sein nach freier Willkür beherrscht". Die straff ausgeprägte, scharfgeistige Konstruktion des ordnenden Verstandes und anordnenden Kunstverstandes darf nicht darüber hinwegtäuschen, daß neben ihr eine gemütsmäßige Versenkung in tiefere Seinszusammenhänge Ε. T. A. Hoffmann durchaus vertraut ist, wenngleich Versuche, ihn über Zwischenstufen zu unmittelbar auf Jakob Böhme zurückzuführen, über das Ziel hinausschießen dürften. Erkennbar aber bleibt, wie der „Zufall", der etwa in der spätromantischen Schicksalsdramatik zunächst als störende Veräußerlichung empfunden wird — auch von Ε. Τ. A. Hoffmann, der an sich einmal ernstlich den Plan erwogen hat, das „Feld" Adolph Müllners auszubauen, wie dieser bloße Zufall als Zufälliges bei Ε. Τ. A. Hoffmann eine vertiefende Umdeutung erfährt als ein dem

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Menschen schicksalshaft Zufallendes, nicht nur als ein bedrohlich auf ihn Zukommendes, sondern auch und über alle Wirrnis hinweg zuletzt doch wieder als ein ihm Zukommendes. Seinem Verleger (Kunz) umschreibt er einmal die Darstellungsabsicht, die ihn beim Niederschreiben der „Elixiere des Teufels" geleitet hätte, so: „Es ist darin auf nichts Geringeres abgesehen, als in dem krausen, wunderbaren Leben eines Mannes (Medardus), über den schon bei seiner Geburt die himmlischen und dämonischen Mächte walteten, jene geheimnisvollen Verknüpfungen des menschlichen Geistes mit all den höheren Prinzipien, die in der ganzen Natur verborgen und nur dann und wann hervorblitzen, welchen Blitz wir dann Zufall nennen, recht klar und deutlich zu zeigen." Und im wesentlichen dürfte die Kunstleistung, die doch wohl nicht nur ein „Schauerroman" (R. M. Meyer) ist, das hier ausgesprochene Kunstwollen verwirklicht haben. Und zwar gilt dies darstellungsmäßig nicht zum wenigsten von dem Schlußakzent, der auf der Forderung an sich selbst liegt, das an sich Verborgen-Verworrene möglichst zur vollen Klarheit und anschaubaren Deutlichkeit zu bringen. Es ist dieselbe Forderung, die ausführlicher und allgemein bekannter auf das rechte und scharfe Sehen und wache Ausschauhalten gelegentlich der Erzählung „Des Vetters Eckfenster" so eindringlich und eindrucksvoll hinwirkt. Es ist zugleich eine Forderung seines Kunstwollens, die in seinem Kunstschaffen eine weitreichende Erfüllung erfahren hat. Denn nicht nur dort, wie ζ. B. in den „Nachtstücken" (1817), wo eine ausgesprochene Phantastik und das Suggestivmachen des Grausigen, des Gespenstischen oder des im Sinne der älteren Poetik „Wunderbaren" den wachen Kunstverstand gleichsam zur kunsttechnischen Nothilfe rief, um nun doppelt anschaulich und zwingend zu gestalten und zu formen, was an sich ins Gestaltlose und Formlose zu verschwimmen drohte (Klein-Zaches; Der Sandmann u. a.), sondern auch dort, wo diese Elemente verhältnismäßig zurücktreten, also in Erzählungen wie etwa den stärker historischkulturhistorisch eingestellten Novellen „Meister Martin der Küfner und seine Gesellen", „Der Artushof" oder „Das Fräulein von Scuderi" bewahrt und bewährt sich jene Schärfe des Schauens und jene Stärke des Anschaubarmachens. Die werklatente Poetik läßt dabei in einem fast überreichen und überdeutlichen Grade die Zweiheit und Vermischung des W u n d e r b a r e n u n d W u n d e r l i c h e n als eines der dichterischen

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Darstellungsziele erkennen. Wenn in einer Anmerkung zu „Kater Murr" das Gemüt des Schriftstellers als „das wunderlichste Ding auf Erden" bezeichnet wird, so ist es nur folgerichtig, wenn aus diesem wunderlichsten Ding auch entsprechend wunderliche Dinge hervorgehen. Alle jene Doppelgänger und in zwei Welten heimischen Gestalten wie der Archivarius Lindhorst (Der goldene Topf), der Fremde (Aus dem Leben eines bekannten Mannes), der Goldschmied Leonhard (Die Brautwahl) u. a. sind, soweit sie der Wirklichkeitswelt angehören, mit Zügen des Wunderlichen ausgestattet; soweit sie der Zauberwelt oder Wunderwelt angehören, dem Wunderbaren zugeordnet. Das Wunderliche bietet dabei den Anknüpfungspunkt für das Wunderbare, ähnlich wie das Heimliche in der Wirklichkeitsschicht mit Vorliebe als Anknüpfungsstelle ausgewertet wird für das Unheimliche in der Sphäre des Wunderbaren. Das Märchenhafte der Romantik erfährt so eine entsprechende Abwandlung. Es wird nicht nur für das Kunstmärchen fruchtbar gemacht, sondern auch für die Novelle. Diese Erscheinung ist vorerst ein allgemein romantischer Zug. Aber Ε. T. A. Hoffmann hat dieser Darstellungstechnik vermöge seines Virtuosentums im fast nachtwandlerisch sicheren Hin- und Herspringen zwischen den beiden Schichten sein Eigengepräge verliehen. Er besitzt jene kunstverstandesmäßige „Besonnenheit", jene „Gegenwart des Geistes" (Novalis bei d. Umschreibung der Ironie u. d. Humors), von der manche der anderen Romantiker nur sprechen, nämlich an der richtigen Stelle und im richtigen Augenblick den Absprang von der Wirklichkeitswelt in die Wunderwelt zu vollziehen. Und er verfügt auch über die geistige Spannkraft des rechtzeitigen Rücksprunges von der Phantasieschicht in die Ebene der Wirklichkeit. Eng damit verbunden ist das W a h r s c h e i n l i c h m a c h e n des U n w a h r s c h e i n l i c h e n . In dem Kunstgespräche der Serapionsbrüder, das zwischen der „Brautwahl" und dem „Unheimlichen Gast" eingelagert ist, bekennt der eine Gesprächspartner ganz in Hoffmanns Sinne, er sei bei der Erzählung seinem „Hange, das Märchenhafte in die Gegenwart, in das wirkliche Leben zu versetzen, wiederum treulich gefolgt". Es erhebt sich dagegen von anderer Seite die Forderung, daß der Erzähler einen allmählichen Ubergang von der Wirklichkeitswelt in die Wunderwelt fürsorglich und behutsam schaffen solle, um gleichsam wie auf einer Leiter den Leser stufenweise aufsteigen zu lassen. Er verspricht 23 M a r k w a r d t , Poetik III

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sich davon den Vorteil, daß der Leser dann jenes phantastische Reich als dem eigenem Leben angehörend, als einen wenngleich „wunderbar herrlichsten Teil desselben" empfinden würde. Es klingt merklich der Glaube Ε. T. A. Hoffmanns an eine hintergründige und aiißernatürliche Welt auf. Das Gespräch führt nach einigem Für und Wider, wobei dem fürsorglichen Leitersetzer der Einwand begegnet, daß es bei manchem würdigen Leser an Willigkeit, bei manchem schwer beweglichen Leser aber ganz einfach an Fähigkeit, die Stufen mitzuersteigen, fehlen werde, schließlich zu dem Ergebnis: es kommt darauf an, durch die „Macht der D a r s t e l l u n g " auch ohne große Übergänge „mitten in der Alltäglichkeit" dem Leser den „wunderbarsten Zauber" zu erschließen. Das an anderen Stellen als Eindruckswirkung auf den Leser (oder Zuschauer i. Drama) verlangte Entrücktwerden aus der Alltagswelt steht hierzu nicht im Widerspruch. Es ist eben der Ertrag der Fähigkeit des Kunstschaffenden, durch jene Macht der Darstellung mitten aus dem Alltäglichen heraus diese Eindruckswirkung zu erzwingen. Und es gelingt ihm, wenn und weil ihm die Zauberkraft eigen ist, das Unwahrscheinliche wahrscheinlich zu machen. Der Schlüssel zu diesem Geheimnisse liegt für den Maler-Dichter Ε. T. A. Hoffmann nicht zuletzt im Bannkräftigmachen und im Haftkräftigmachen des jeweils erstrebten Anschauungseindrucks, in der Verwirklichung also der Forderung, die einer der Serapionsbrüder kurz vor der Verlesung der Novelle „Signor Formica" so formuliert: wir wollen den Salvator Rosa „recht wahrhaft vor uns erschauen". Und diese S i c h t f r e u d i g k e i t , die mitten im Spätromantischen bereits den F r ü h r e a l i s m u s vorbereiten hilft, so ζ. B. die schon von anderer Seite verzeichnete Neigung und Fähigkeit, in knappen szenischen Anmerkungen mit wenigen Skizzenstrichen eine Gestalt zu umreißen, läßt auf keinen Geringeren wie Heinrich von Kleist zurückblicken, auf den „herrlichen Kleist", wie ihn Ε. Τ. A. Hoffmann einmal in einem Privatbriefe, der Kleists Todesursache teilnahmsvoll. nachforscht, genannt hat. In demselben Briefe wird Kleists „Käthchen von Heilbronn" neben Shakespeares „Romeo und Julia" und Calderons „Andacht zum Kreuz" als besonders starkes Erlebnis gewürdigt. Diese Dramen „versetzten mich in eine Art poetischen Somnambulismus, in dem ich das Wesen der Romantik in mancherlei herrlichen, leuchtenden Ge-

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staltungen deutlich wahrzunehmen und zu erkennen glaubte!" (an Hitzig, April 1812). Bedenkt man, daß Hoffmann erst ein Jahr darauf sich voll bewußt wird, daß „so ein Stück Autor aus mir geworden" ist, so wird ohne weiteres in jener begeisterten Bekundung ein wesentlicher Ausschnitt der sein eigenes Wegsuchen erleichternden Vorbildpoetik sichtbar. Das bedeutet: neben Jean Paul, dessen Kompositionsweise etwa im „Kater Murr" nachwirkt, neben Tieck und Goethe, sollte Kleist als ein wesentlicher Anreger nicht unterschätzt werden, und zwar sowohl hinsichtlich der romantischen Grundhaltung als hinsichtlich der f r ü h r e a l i s t i s c h e n E i n s c h l ä g e . Der für einen Dichter bemerkenswerte kritische Sinn Ε. T. A. Hoffmanns, der ihn Kleists verkannte Genialität schon damals erkennen und auch in dem Kunstgespräch (Seltsames Leiden eines Theaterdirektors) anerkennen läßt, bestätigt sich nun auch in eigener Sache. So ist er sich beispielsweise sehr bald klar darüber, daß sein Märchen vom „Goldenen Topf" einer seiner wertvollen Arbeiten darstellt, ebenso klar jedoch auch darüber, daß sein Versuch im Drama „Blandina" nicht ausreicht. Und trotz mancher „merkantilistischer" Gelegenheitsmachwerke führte ihn dieser kritische Sinn zu einem z.T. recht bewußten Kunststreben, das spürbar wird, wenn er sich von der im „Goldenen Topf" erreichten Leistungshöhe planmäßig weiter emporarbeiten zu können hofft oder wenn er mehr im Einzelnen die Komposition im „Magnetiseur" überwacht durch eine straffende Verdichtung der Katastrophe. Vom Blickpunkt der Kunsttheorie bleibt es daher zu bedauern, daß Ε. T. A. Hoffmann nur verhältnismäßig wenige in sich geschlossene Beiträge zur Entwicklung der Poetik geboten hat. Er fühlte und betätigte sich längere Zeit hindurch als Musiker und Komponist (Vertonung von Goethes „Scherz, List u. Rache", vergeblich von Jean Paul an Goethe empfohlen; von Z. Werners „Kreuz an der Ostsee" und vor allem als zeitweise recht erfolgreicher Opernkomponist von Fouquis „Undine"). So kann es nicht überraschen, wenn der Hauptanteil der selbständigen Aufsätze die Musik betrifft. Das gilt auch noch von Aufsätzen aus der Spätzeit über Κ. M. v. Weber oder Spontini, dessen „dramatischer Ausdruck" hervorgehoben wird. Am Kriterium des Dramatischen gemessen, wird Gluck bejaht, Rossini dagegen verneint. Die Schwächen des Weberschen „Freischütz" als Drama entgehen ihm nicht. Trotz derartiger Einsprengungen drama28·

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turgi scher Erwägungen überwiegt die Musikkritik als solche. Die ganze Welt um die Gestalt des Kapellmeisters Johannes Kreisler, die Kreisleriana innerhalb der „Fantasiestücke", aber auch noch im „Kater Murr" lenkt naturgemäß das Interesse, soweit Theorie in Betracht kommt, auf die Musiktheorie ab. Selbst im Briefwechsel überwiegen auf weiten Strecken Probleme der Tonkunst. Bereits der frühe Ansatz zu einem Singspiel („Die Maske", 1799), merklich den Meister Reichardt nachahmend; oder der Beitrag „Ritter Gluck" (1809) zur „Allgemeinen musikalischen Zeitung", nicht unbeeinflußt offenbar durch die Übertragung von Diderots „Rameaus Neffe" durch Goethe (1805), weisen in die dann weiter verfolgte Richtung. Das ist nur folgerichtig angesichts der ganzen — auch beruflichen — Entwicklung. Auffallen aber muß folgendes: der Komponist und Musiker Hoffmann hat keine wesentlichen und wertvollen Beiträge zur Lyrik geboten, auch nicht zur Theorie der Lyrik. Als es darum geht, den Text zur Undine-Oper musikgerecht in Verse umzugießen, überläßt er das Fouqu6 und gesteht freimütig, daß ihm das Versifizieren überhaupt schwerfalle. Und weiter: der umfassendste kunsttheoretische Beitrag des Epikers Ε. Τ. A. Hoffmann beschäftigt sich mit dem Drama (dem Bühnenwerk als Grundlage der Schauspielkunst). Ebenso der frühe Aufsatz über Schillers „Braut von Messina", an sich ein belangloser, kaum besonders origineller Beitrag, den er als „Schreiben eines Kloster-Geistlichen" für den „Freimütigen" bestimmte. Immerhin die Dramentheorie beschäftigt ihn mehrfach. Indessen: abgesehen von einem Jugendlustspiel „Der Preis", das für ein von Kotzebue und Iffland ausgehendes Preisausschreiben gedacht war, und der dann als unzulänglich von ihm selbst verworfenen „Blandina" hat sich Ε. T. A. Hoffmann selbst nicht im Drama versucht. Für einen frühen Kompositionsentwurf „Der Kanonikus von Mailand" nennt er im Briefwechsel (1806) einen fremden Textdichter (Rohrmann). Wenn trotzdem das Drama den Kunsttheoretiker und Kritiker in ihm immer wieder anzieht, so mögen wohl zunächst persönliche Erfahrungen, wie die des Theatermusikdirektors in Bamberg, und persönliche Beziehungen, wie die frühzeitig in Warschau angeknüpfte zu seinem Landsmann Zacharias Werner und die späteren zu dem begabten Bamberger Schauspieler Carl Friedrich Leo sowie vor allem dem berühmten Ludwig Devrient wesentlich dazu beigetragen haben.

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Bei dem nach inzwischen erfolgter Entfremdung versöhnend ausgleichenden Eingehen auf die Dramen Zacharias Werners im kunsttheoretisch stark angereicherten Rahmengespräch der „Serapionsbrüder" (im Anschluß an den „Signor Formica") liegt das ganz offen zutage. Und vielleicht finden wir hier eine der tieferen Ursachen, um derentwillen der Novellen- und Märchennovellendichter Ε. T. A. Hoffmann sich vom Drama ferngehalten hat, angedeutet. Denn seine Selbstkritik und seine Zugeständnisse in eigener Sache lassen es als abwegig erscheinen, daß er gar nicht bemerkt haben sollte, wie manche der Schwächen, die dort von den Gesprächspartnern des Serapionklubs Z. Werner zugeschrieben werden, so etwa der Hang, die „Romantik" nur allzu oft „ins Abenteuerliche, in geschmacklose Bizarrerie" oder gar in eine „grauenvolle Hypermystik" abirren zu lassen, wie eben diese Merkmale auch seiner eigenen Kunstproduktion nicht so ganz fremd waren. Aber es wird dort nicht zufällig betont, daß die Weit des Wunders und das Wunder der Weite sich rein gattungstechnisch und szenisch schwer bewältigen lassen. Novelle und Märchen boten dem Wunderbaren einen weit freieren Spielraum. Und man kann vielleicht noch einen Schritt weitergehen. Es wird dort eine „vollkommene Gesundheit des inneren Gemüts" von jedem wertvollen Tragödiendichter gefordert. Ε. T. A. Hoffmann aber war sich schmerzlich bewußt, über diese dort so nachdrücklich hervorgehobene Voraussetzung nicht zu verfügen. Das Gefühl für gattungsgesetzliche Grenzen hätte sich so mit dem Gefühl für die Grenzen der eigenen Begabung und für mancherlei pathologische Bedrohungen verbunden, um Ε. T. A. Hoffmann im wesentlichen mit Beiträgen zur Theorie des Dramas sich begnügen zu lassen. Was die Problematik der Musikalität oder Nichtmusikalität in den eigenen Dichtungen und besonders im Stil des MusikerDichters angeht (R. M. Meyer ζ. B. behauptet eine erstaunliche Unmusikalität im Stil Hoffmanns), so könnten darüber nur exakte rhythmisch-melodische oder ähnliche Stiluntersuchungen befriedigenden Aufschluß geben. Und es bleibt darüber hinaus die Möglichkeit bestehen, ob nicht in der Anlage, im Aufbau der Erzählungen eine gewisse musikalische Kompositionsart sich nachweisbar durchsetzt, wie sie die Sonderforschung etwa bei H. v. Kleist beobachten zu können glaubt. Für die Kunsttheorie steht jedenfalls außer Zweifel, daß Ε. T. A. Hoffmann dem

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Verhältnis von D i c h t u n g u n d Musik durchaus Beachtung geschenkt hat. Wir wissen nicht nur von einem für den Opernkomponisten naheliegenden Aufsatz über Dichter und Komponisten, mit dem er eine alte von Wieland her verfolgbare Tradition fortsetzt, sondern wir haben auch von ihm selber und mit Bezug auf seine eigene Kunstleistung einen ausdrücklichen Hinweis auf jene musikalische Kompositionsart innerhalb der dichterischen Komposition, und zwar mit Bezug auf die „Elixiere des Teufels". In jenem bereits herangezogenen Privatbrief (24. März 1814), der über die Darstellungsabsicht und weltanschauliche Leitidee jenes umstrittenen Werkes Aufschluß gibt, fährt Ε. Τ. A. Hoffmann an der betreffenden Stelle fort: „Um mich musikalisch auszudrücken, fängt der Roman mit einem Grave sostenuto an — (er erläutert das am motivlichen Bestand) — , dann tritt ein Andante sost. e piano ein (Motiv-Parallele) — hier hebt ein Allegro forte an"; kurz, es war ihm offenbar geläufig, bei dem dichterischen Aufbau die Gesetze der musikalischen Komposition vor Augen oder richtiger im Ohr zu haben. Um aus den Dichtungen selbst wenigstens ein Beispiel herauszugreifen, das ein Inbeziehungsetzen des Dichterischen mit dem Musikalischen, wie es der Romantik nahelag, zu belegen vermag, sei erinnert an die Ausführungen Prosper Alpanus im Gespräche mit dem jungen Dichter Balthasar in „Klein Zaches". Danach müssen „jene herrlichen Akkorde" im Inneren der Dichterherzen widerhallen, die dem „fernen Lande voll göttlicher Wunder angehören". Und es wird zum Grundsätzlichen der Wesensbestimmung des Dichterischen gemacht, was vorerst nur dem Sonderfall (Indien) angepaßt erscheinen könnte: „Die glücklichen, mit dieser inneren Musik begabten Menschen sind die einzigen, die man Dichter nennen kann." Eine derartige feinspürende Musikalität verbürgt gleichsam ein Verstehen der geheimnisvollen Sprache der Natur und der Kreatur; denn „in diesen Momenten verstehst du wirklich die wunderbaren Stimmen der Natur, denn aus deinem eigenen Innern erhebt sich der göttliche Ton, den die wundervolle Harmonie des tiefsten Wesens der Natur entzündet". Es gibt nicht nur beim Spiel auf dem Klavier den Nachklang der dem jeweils angeschlagenen Ton verwandten Töne; auch in der Poesie ist dieses Gesetz zu beachten und das jeweils Mitschwingende zu berücksichtigen beim Bemühen, „die innere Musik mit Feder und Tinte zu Papier zu bringen". Es ließe sich von hier aus ein

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zwangloser Anschluß herstellen an die romantische Sprachphilosophie, denn das Verstehen der „Natur"-Sprache (Natursprachenlehre) wird dort noch näher ausgemalt. Für unseren Zusammenhang jedoch bleibt wesentlich die Ineinsbildung des Musikalischen und des Dichterischen. Ein gewisses Gegenstück, das Verhältnis von D i c h t u n g und M a l e r e i , genauer des Dichterischen und des Malerischen betreffend, findet sich im Gespräche des Goldschmiedes Leonhard mit dem jungen Maler Edmund Lehsen in der „Brautwahl". Dabei vertritt der Maler zugleich die romantische These von der alles durchdringenden Universalpoesie, von jenem Poetischen schlechtweg also, das auch jenseits der Wortkunst die anderen Künste durchdringen muß; denn „Dichter muß der Landschaftsmaler ebensogut sein als der Geschichtsmaler, sonst bleibt er ewig ein Stümper". Bemerkenswert ist der Umstand, daß jenes Poetische mit dem „Fantastischen" (weiterer Begriff, etwa: Phantasiemäßigen) gleichgesetzt wird. Auf die sich bereits anmeldenden Einwände gegen diese These kann hier nicht näher eingegangen werden. Und es bedarf bei dem Maler und Zeichner Ε. Τ. A. Hoffmann auch kaum weiterer Nachweise. Kann man doch Ε. T. A. Hoffmann mit wenngleich bedingtem Rechte in jene lange Reihe von Dichtern einordnen, die zum mindesten zeitweise und streckenweise zwischen Malerei und Poesie als angemessenes künstlerisches Wirkungsfeld geschwankt haben: Salomon Gessner, Maler Müller, Goethe, G. Keller, C. F. Meyer, Chamisso, Philipp Otto Runge, August Kopisch, Paul Heyse, Anzengruber, Rosegger, V. v. Scheffel, Wilhelm Busch, Gerhart Hauptmann, Ernst Barlach u. a. Seiner ersten Sammlung von Erzählungen, Märchen und Aufsätzen, eben den „Fantasiestücken" gedachte Hoffmann ursprünglich den Titelzusatz „Bilder nach Hogarth" mit auf den Weg zu geben. Und in der Tat hat Hogarths „Enraged musican" eine wesentliche Anregung gegeben für die Gestalt des Kapellmeisters Johannes Kreisler. Aber näher verwandt schien ihm dann der französisch-lothringische Maler Jacques Callot (1592—1638), so daß er sich für die Titelergänzung „nach Callots Manier" entschied und die Sammlung mit einem Aufsatze „Jacques Callot" einleitete. Die dämonisch-diabolische Seite seiner Kunst hätte in dem Spanier Goya eine wohl noch stärkere Entsprechung finden können, besonders wenn man an die „Nachtstücke" (1817) denkt.

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Indessen scheint er Goya kaum näher gekannt zu haben. Dagegen ging von dem Maler Joh. Erdmann Hummel nachweisbar eine Anregung aus für Ε. T. A. Hoffmanns Erzählung „Die Fermate"; ähnlich wie für die Erzählung „Doge und Dogaressa" ein Gestaltungsanreiz ausging von einem Gemälde K. Wilh. Kolbes, der mit dem Bildnis: Böttcherwerkstatt auch auf den „Meister Martin d. Küfner" einwirkte, jene Erzählung also, in der Ε. T. A. Hoffmann überdies auf Albrecht Dürer und schon auf den jungen Peter Cornelius selbst hinweist. Die Gestalt des Malers Salvator Rosa wird zur Zentralgestalt in der Malernovelle „Signor Formica". Die Titelgebung verwendet den Schauspielernamen Salvator Rosas, der — darin Hoffmann ähnlich — zugleich Begabungsanlagen für Schriftstellerei und Musik aufweisen konnte. Im Einzelnen hat bereits die Sonderforschung (A. Salzheim) jene bemerkenswerte Erscheinung, die man als p h a n t a s t i s c h e A u s m a l u n g v o n v o r l i e g e n d e n B i l d w e r k e n durch den Dichter umschrieben hat, zu würdigen versucht. Für das dichterische Kunstwollen ist bei alledem entscheidend, daß, dem Grundzuge der Romantik folgend, nicht die Plastik, sondern die Malerei zur phantasiemäßigen Anregung wird. Der eigene Anteil und Antrieb an malerischer und zeichnerischer Sichtfreudigkeit und auch die eigene Darstellungsneigung wird gleichsam in der Erfüllung, wie er sie in bedeutenden Gemälden antraf, aufgefangen und setzt sich nun unmittelbar produktiv um im Dichtwerk. Doch ist nicht zu übersehen, daß jene Vor-Bilder bereits durchweg einen erzählenden Zug oder doch Einschlag in sich bargen, der nur befreit und phantasiemäßig belebt zu werden brauchte. Es widersprach offenbar nicht der dichterischen Kunstauffassung Ε. T. A. Hoffmanns, daß jenes schöpferische Element, das er als die „eigentliche Schaffungskraft" (vgl. Goethes: Schöpfungskraft) einmal Fouque gegenüber in einer für die Öffentlichkeit bestimmten Brieffiktion (Frauentaschenbuch, Jg. 1818) erwähnt, sich an dem schöpferischen Impuls einer anderen Kunst entzündet. Das bedeutet indessen nicht nur oder nicht so ohne weiteres eine Bestätigung seiner realistischen Darstellungsfähigkeit. Das Veranschaulichen beschränkte sich nicht auf die reale Anschaubarkeit der Natur, sondern griff, gemäß der Eigenrichtung seines Kunstwollens, mit Vorliebe hinüber in den Bereich des Visionären, ja fast schon der pathologisch gefärbten Halluzination. Karikatur und Vision bestimmen als Grenzpole das Zeichnerisch-Malerische, das bei Ε. T. A. Hoffmann erschaut und er-

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lebt wird intensiver als bei den Realisten und Naturalisten im engeren Sinne. E s ist von manchen Seiten der Einwand einer mit einer gewissen Veroberflächlichung verbundenen äußeren Kunsttechnik gegen Ε . T. A. Hoffmann erhoben worden, zum Teil gewiß mit Recht. Nicht in jedem Einzelfalle konnte der vielbeschäftigte Kriminalrichter seine volle Arbeitskraft den schriftstellerischen Arbeiten zuwenden. Und so muß gelegentlich eine nur formulierende Manier den gestaltenden Stil ersetzen. Trotzdem wird man die Ansprüche nicht unterschätzen dürfen, die Ε . Τ. A. Hoffmann an sich selbst als Künstler stellte. Schon Ricarda Huchs klug beobachtendem Auge ist es nicht entgangen, wie immer wieder der geheimnisvolle „innere Sinn" von Ε . T. A. Hoffmann hervorgehoben worden ist, teils als ein intuitives Aufgeschlossensein gegenüber außerwirklichen und außerweltlichen Erscheinungen, teils geradezu als „sechster Sinn" deutbar. Darüber hinaus aber reichen gewisse, auch kunsttheoretisch aufschlußreiche Bekundungen, die neben den inneren Sinn den Sinn für das Innerliche stellen. Denn das, was Ε . T. A. Hoffmann als den inneren Sinn bezeichnet, ist nicht ohne weiteres gleichzustellen mit Verinnerlichung. Die Zweiheit i n n e r e r S i n n und S i n n f ü r d a s I n n e r l i c h e dagegen muß als recht charakteristisch gelten für die dichterische Kunstauffassung Ε . T. A. Hoffmanns. E s kann bei Hoffmann gerechterweise und vollends im Vergleich mit manchen anderen Schriftstellern nicht von einer ausgesprochenen Schriftstellereitelkeit die Rede sein. Um so schwerer wiegt eine an sich mehr das Technische der Drucklegung betreffende Abwehr irgendwelcher Verbesserungen von dritter Seite, wie sie sich im Briefwechsel findet mit der Begründung, „es ist nicht Eitelkeit; aber jeder hat doch was eigenes; und was so aus der Seele, aus dem Innersten hervorgegangen, dem schadet oft selbst scheinbare Politur" (Juli 1813). Was dergestalt im ganz persönlichen Bezirk beansprucht und beschützt wird, das begegnet nun auch prinzipiell mehrfach in verschiedenartigen Formen und Fassungen als Bestimmung und Bedingung eines wesenhaften und wahrhaften Dichtertums, das ein zugleich vom Musikalischen und Malerischen durchdrungenes Künstlertum schlechtweg darstellt. Ob er nun an Callots Naturauffassung den „höheren Sinn" bewundert, der „alle Wesen zum höheren Leben entzündet" und als „heiliger Zweck aller Kunst" gepriesen wird, ob er die „innere Musik", den göttlichen Klang

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aus dem „eigenen Innern" als das einzige verläßliche Merkmal des Poetischen bezeichnet: immer bleibt seine Sondervorstellung des inneren Sinns irgendwie umfangen von einem allgemeineren Bewußtsein des hohen Wertes der Innerlichkeit und bezogen auf diesen oft ein wenig exaltiert geäußerten Sinn für das Innerliche. Und das Wunder der Weite, das nicht allein ferne Märchenwelten, sondern auch geheimnisvolle Wunderwelten inmitten der Alltäglichkeit aufschließt, wahrt auch von dieser Seite her innige Fühlung mit der Weite des Wunders, das sich zuletzt doch nur im Innern als ein Vorgang der Verinnerlichung vollzieht. Eine völlige Deckung von Kunstauffassung und Kunstleistung wird man für diesen Bezirk nicht vorbehaltlos zugestehen können. Das Kunstschaffen bleibt in diesem Betracht häufig hinter dem — zum mindesten theoretisch behaupteten — Kunstwollen zurück. Ja, es fragt sich, ob dieses Kunstwollen ehrlich und ernsthaft auf Verinnerlichung eingestellt war. Trotzdem durfte bei der Würdigung der Kunsttheorie diese theoretische Forderung nicht übergangen werden. Verstanden zum mindesten hat Ε. T. A. Hoffmann diese hochgespannte Forderung, wenn er sie auch keineswegs überall verwirklicht hat. Vielleicht hat er auch ein wenig viel von ihr gesprochen, weil er sie nicht restlos zu verwirklichen vermochte. Dort, wo Ε. Τ. A. Hoffmann im die Einzelbeiträge umrahmenden Kunstgespräch der „Serapionsbrüder" Zacharias Werner seinen Tribut als früherer Freund zollt, der dem Dichter der „Söhne des Tals" und des „Kreuzes an der Ostsee" in Warschau persönlich nähergetreten war, sich ihm später jedoch entfremdet hatte, ist es vor allem der (nie vollendete und erschienene) zweite Teil des „Kreuzes an der Ostsee", der den Antrieb zu dieser vornehm gedachten und doch kaum ganz geglückten „Rettung" Werners gibt, einer Rettung, die zwar auch an den Schwächen nicht kritiklos vorübergeht. Mochte ein wenig dabei mitspielen, daß der Musiker Hoffmann sich in Kompositionen zum ersten Teile des „Kreuzes an der Ostsee" versucht hatte, er würde um dessenwillen dieses Fragment oder das, was er davon kennengelernt hatte, nicht sogleich auf die Höhe von Calderons „Wundertätigem Magus" gestellt oder gar Dante in diesem Zusammenhange bemüht haben. Was ihn als wesensverwandt offenbar ehrlich beeindruckt hatte, war der Umstand, daß dort das Kunstwollen Z. Werners auf das Erzwingen einer „grausenhaften Erhabenheit" gerichtet zu sein schien, wenn auch das Kunstkönnen nicht ausreichte zu einer voll-

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endenden Verwirklichung der vorschwebenden Konzeption. Er selbst mochte um den Ehrgeiz wissen, das Grauen und Schaudern bis zum Erhabenen zu steigern, aber selbstkritisch auch um die Grenzen, die seinem eigenen dichterischen Vermögen gesetzt waren. Z a c h a r i a s W e r n e r (1768—1823) besaß dagegen kaum ein so einsichtsvolles Grenzgefühl hinsichtlich der Reichweite seiner Begabung. Ihm fehlte auch der Anteil Humor (wenn auch nur ein in sich gebrochener Humor), der als das umgekehrt Erhabene (Jean Paul) einen Zugang zum Grauenvollen und Dämonischen als einer anderen Spielart des umgekehrt Erhabenen erleichtern konnte. Aber indem sein Wirkungswille, der stärker hervortrat als ein tieferwurzelndes Kunstwollen, das Religiöse mit der schicksalshaften Bedrohung verband, näherte er sich gelegentlich (allerdings nur gelegentlich) jener „grausenhaften Erhabenheit". Jedenfalls gilt dies von seinem Wirkungswillen, der in dem erwähnten Falle deutlich auch als Kunstwollen greifbar wird, weil er teils wohl nur von einer Planung und Konzeption berichtet hatte. Daß dieses hochgespannte und überspannte Kunstwollen bei Zacharias Werner vielfach nicht in Eintracht zu bringen war mit seinem Kunstschaffen, hat die Sonderforschung bereits im Hinblick auf die „Söhne des Tals", besonders auf den ersten Teil „Die Templer auf Cypern" bemerkt, wonach die Kunstformung der Klassik zuneigte, „während das Kunstwollen mehr zur Romantik drängte" (Paul Hankamer). Die späterhin (1807) erfolgte Umformung verstärkte dann aus bewußtem Kunstwollen den Zug zum Romantischen und spezifisch zum Religiösen. Die V o r b i l d - P o e t i k im Sinne der Mustergeltung stellte zunächst einmal Schiller, dem sein unleugbarer theatralischer Begabungsanteil entgegenkommen mußte, späterhin jedoch Calderon und die Barocktragödie, aber auch die barocke Opernform. Das Theatralisch-Opernhafte hatte offenbar Ε. T. A. Hoffmann bei seinen Kompositionsversuchen sogleich herausgespürt. Im engeren Umkreis wurde Z. Werners ungeklärtes Kunstwollen in seiner Warschauer Frühzeit angeregt durch einen kaum ernstlich dazu Berufenen, den künstlerisch dilettantierenden Lotteriebeamten Mnioch (geb. 1765), ähnlich und doch anders wie der junge Eichendorff durch Graf Loeben beeindruckt wurde oder später Theodor Storm durch den auch im Kreise Geibels oft umsorgten, endlich dennoch verbummelten „genialischen" Ferdinand Röse, den Dichter des Märchens „Das Sonnenkind".

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Das mag zugleich andeuten, wie gar nicht einmal so selten unbekannte oder wenig bekannte Anreger besonders in das noch jugendlich unbestimmte Kunststreben und Kunstsehnen später berühmt gewordener Dichter zum mindesten stimmungsmäßig eingreifen, gleichsam als ein lebendig gewordenes und eben deshalb intensiv erlebtes Stückchen Vorbild-Poetik. Nicht zwar in dem Sinne vorab und überall einer festen Mustersetzung, als vielmehr in dem Sinne eines jugendlichen Beeindrucktwerdens von irgendwie als interessant empfundenen und von romantischem Schimmer umgebenen „Persönlichkeiten", die so häufig keine sind. Der Genieapostel Kauffmann war eine solche Natur; in Zacharias Werner steckte ein Stück davon, das jedoch vom schaffenden Impuls verdrängt wurde. Psychologisch dürfte die oft erstaunliche Eindruckskraft derartiger meist problematischer Gestalten so zu erklären sein, daß der beeindruckte größere Dichter sich angesichts ihrer Erscheinung gleichsam ermuntert und ermutigt findet, das zu leisten, was sie immer nur versprechen und immer nur vorsprechen. Nicht die großen Anregernaturen vom geistigen Format eines Herder sind dabei gemeint, wie schon die Namen erkennen lassen, sondern die kleinen unruhigen Geister, deren Impuls eben gerade ausreicht, um größere zu entzünden. In einer Geschichte der Poetik und literarischen Programmatik dürfen diese Gestalten nicht ganz fehlen; denn sie helfen das Kunstwollen entfalten, oft weniger durch die von ihnen vertretene Position als durch eine durch sie herausgeforderte früher oder später einsetzende Opposition der wirklich Berufenen. Biographisch gesehen, spielt nicht selten die Umwelt und die zufällige Begegnung bei solch einer durchweg vorübergehenden Beeinflussung positiver oder negativer Natur eine wesentliche Rolle. Und der werdende Dichter wählt gerade diesen unzulänglichen Anreger häufig nur in Ermangelung eines besseren. Mnioch zu erwähnen besteht Anlaß, weil Zacharias Werner nach dem Tode des nur wenig Älteren ausdrücklich hervorgehoben hat: „Ich verdanke ihm in Hinsicht meiner ästhetischen und religiösen Ideen sehr viel". Jedenfalls blieb die Verbindung des Ästhetischen mit dem Religiösen (bei später zunehmender Vorherrschaft des Religiösen) kennzeichnend für den Romantiker. Beide Leitkräfte erfuhren, dem psycho-pathologischen Einschlag in Z. Werners Anlage entsprechend, eine Übersteigerung in das Rauschhafte, Ekstatisch-Visionäre, dem keine ebenbürtige Gestaltungskraft zu Gebote stand. Begleitende Teilkräfte wirkten

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von J. J. Rousseau, dem Freimaurertum usw. mit und lange nach und trugen neben einer ungesund erhitzten Erotik zur Verworrenheit seines Wesens und Wollens bei. Weit überwiegend handelt es sich bei Z. Werners kunsttheoretischen Äußerungen um Beiträge zu einer T h e o r i e des D r a m a s , im besonderen zu einer Programmatik des durchaus religiöschristlich gestimmten und bestimmten Zukunftsdramas. Während Ε. T. A. Hoffmann weit bescheidener erwägt, ob auf dem Felde, das Adolph Müllner mit Werken wie „Die Schuld" oder „König Yngurd" bestellt habe, noch eine fruchtbare motivlich gestaltungsmäßige Anbau- und Ausbaumöglichkeit bestehen mochte (Brief, Nov. 1816), dürfte Zacharias Werner an sich selbst gedacht haben, als er ein Jahrzehnt vorher unter dem frischen Eindruck von Schillers Tod verzeichnet, „welcher Posten ist jetzt vakant". Und ganz ist er zum mindesten in seinem Kunstwollen nicht freigekommen von dem stillen und mehr als stolzen Anspruch, Schiller ersetzen, ja ihn zum mindesten in gewisser Richtung überbieten zu können. In diese Richtung eines Überbietens weist die rhetorische Fragestellung, ob man nun etwa in der Entwicklung des Dramas bei dem Punkte, wohin Schiller gelangt sei, stehen bleiben solle. Er fordert eine „Reform der ganzen tragisch modernen Bühne", als deren beispielhafter Beginn sein „Kreuz an der Ostsee" gedacht ist. Insofern leitet Ε. T. A. Hoffmann (falls ihm nicht eine entsprechende mündliche Äußerung Z. Werners unmittelbar zur Verfügung stand) also offenbar ein richtiges kritisches Gefühl, wenn er im unausgeführten zweiten Teile dieses Dramas eine wesentliche Manifestation der Kunstabsichten Z. Werners erkennt und anerkennt. Der Dichter des Schicksalsdramas „Der 24. Februar" (das stofflich George Lillos „The fatal curiosity" folgt) glaubt Schillers weltanschauliche Grundlagen als zu heidnisch-fatalistisch, als zu sehr auf dem gewiß hohen „Lebensideal der Griechen" beruhend, abwehren zu müssen. Genau genommen sei allerdings die tragische Kunst bei den Griechen auch schon das gewesen, wozu Zacharias Werners „Reform" sie wieder machen möchte, „ein Propyläum der Religion". Nur muß das „starre Fatum der Alten" durch die „Milde" des Christentums ersetzt werden, die sich Schiller trotz mancherlei Bemühungen nie restlos habe anverwandeln können. Das Verhältnis von D r a m a u n d R e l i g i o n verschiebt sich in einem so hohen Grade zugunsten des Christlich-Religiösen, daß

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die Erweckung oder Befriedigung des religiösen Sinnes schlechtweg als „Quintessenz des Tragischen" gilt. Zwar melden sich streckenweise Bedenken vom Künstlerischen her. Und so darf trotz allen christlichen Eiferns denn nicht das Christentum als „Glaubenssystem" gleichsam nur dramatisiert werden. Vielmehr darf es im Bühnenwerk, und deshalb erhoben sich gerade von streng christlicher Seite Einwendungen gegen Z. Werners These, nur umgebildet „als Kunstmythologie" in Erscheinung treten. Wenn in anderem Zusammenhange jedoch von der „Kirche und deren Dienerin, der Kunst" die Rede ist, wenn schon 1805, also ein halbes Jahrzehnt vor Z. Werners Ubertritt zur katholischen Kirche, von dem Heiland als von dem „reinsten Heros einer göttlichen Tragödie" gesprochen wird, dann wird es fast verständlich, wie die Sonderforschung (R. Ulshöfer), nicht mehr damit zufrieden, Zacharias Werner als Außenseiter der Romantik (Hankamer u. Stuckert) betrachtet zu sehen, ihn als Gesamterscheinung jener Spätromantik zuweisen zu sollen glaubt, etwa wie Fr. Schlegel in dessen später Periode nach der Konversion. Und es ist dann auch nicht mehr überraschend, wenn im „24. Februar" ein bloßer Rückfall und in der „Mutter der Makkabäer" (eigentlich mehr ein Mysterium als ein Drama) die höchste Vollendungsstufe zum mindesten des Kunstwollens oder richtiger der Programmatik, ja der „romantischen Theorie" des Dramas überhaupt gesehen wird. Es bleibt unerörtert, inwieweit es sich dabei um eine einseitige Sehart und eine gebundene Blickeinstellung handelt. Auch Einseitigkeit kann lehrreich werden und wird es in diesem Falle. Denn angesichts der scharf akzentuierten Herausarbeitung der christlichen Leitidee innerhalb der Dramentheorie der Romantik wird an den weit vorgeschobenen Positionen die Stelle erkennbar, an der die Poesie sich ihres Eigenwertes begibt und dienend einem weitergespannten Wertverbande ein- und unterordnet. Kunsttheoretisch gesehen: der S e l b s t z w e c k der K u n s t , ein vorherrschender Grundsatz und programmatischer Leitsatz der Goethezeit, erscheint an diesen Positionen w e i t g e h e n d a u f g e h o b e n . Fraglos hat besonders der Zacharias Werner der Spätzeit (bes. seit 1814) eine dieser vorgeschobenen Positionen bezogen. Und es ist zuzugeben, daß gerade in der theoretischen Zielsetzung diese Entwicklung lange schon sich anbahnt. Trotzdem dürfte es nicht berechtigt sein, Zacharias Werner im Gesamt seiner Kunstanschauung und Kunstleistung jener Spätstufe ohne Vorbehalt zuzuordnen.

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Die labile psychische Struktur, das Schwankende im Wesen Z. Werners als Mensch und Künstler, die individuelle Eintrübung auch des Religiösen durch eine bedenkliche Nähe des Erotischen und durch Erinnerungsbilder an eine hochgradig hysterische, zuletzt von unverkennbaren religiösen Wahnvorstellungen bedrängte Mutter: alles dies machte eine in sich geschlossene und von vornherein zielbewußte Kunstauffassung unmöglich. Zeitweise mischt sich auch eine gewisse Berechnung ein, die sich gerne derjenigen „Schule" anschließen möchte, der die Zukunft gehört. Briefliche Äußerungen lassen solche Erwägungen erkennen ,,.. . ob man aber der neuen (romantischen Schule) beikommen kann und ob man es tun soll, weiß ich nicht". Nur etwa ein Jahrzehnt jünger als Schiller, von Goethe in Weimar gefördert (Interesse für Z. Werners Sonette, Lesung des „Kreuzes an der Ostsee", Aufführung der „Wanda", geplante, dann allerdings vorerst wieder abgesetzte Aufführung des „24. Februars") schien Z. Werner vorübergehend geneigt, sich der Weimarer Klassik ganz bewußt anzunähern. Selbst dem „realistischen Tic" suchte sich sein Kunstwollen damals anzupassen (komische Romanze von den „Drei Rittern"). Diese v o r ü b e r g e h e n d e A n p a s s u n g an d a s K u n s t w o l l e n der K l a s s i k barg ernsthaftere Bestände der Vorbild-Poetik Schillers in sich. Schillers Lehre ζ. B., daß ein gewisser Einschlag an Lyrik im Drama durchweg förderlich sei, (Theklahandlung im „Wallenstein"), wird von Zacharias Werner eifrig aufgegriffen und sich zu eigen gemacht. Er wirft im Anschluß an Schillers Lehre die Frage auf, ob nicht „das Tragische, zumal in der Spitze des Affekts, ganz nahe ans Lyrische" angrenze. Man könnte zunächst meinen, daß es sich bei derartigen Erwägungen ganz einfach um die lyrische Erweichung und Dämpfung des Dramatischen durch das Lyrische im Romantischen (Liedeinlagen usw.) handele. Indessen Zacharias Werner läßt keinen Zweifel über die Herkunft dieser Hinweise der angewandten Poetik. Denn die lyrischen Partien scheinen „beim Tragischen besonders nach Schillers ganz richtiger Theorie unentbehrlich". Dann wieder hört man das Bekenntnis „Ich bin ganz Tieckisch", und zwar recht frühzeitig. Für die Schicksalstragödie „Der 24. Februar" aber dürfte als Vorbild weniger Tiecks „ K a r l von Berneck" als vielmehr die Linie George Lillo („The fatal curiosity") — Karl Phil. Moritz („Blunt") in Betracht kommen. Das mag weiterhin andeuten,

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wie Zacharias Werners Kunstwollen beträchtlich über dieRomantik (und vollends die Spätromantik) zurückgreift und mancherlei Anstößen von außen nachgibt. Das Verhältnis D i c h t u n g u n d H i s t o r i e bedarf angesichts eines gewissen historischen Anteilnehmens Z. Werners zum mindesten einer kurzen Erwähnung. Um das Wesentliche vorwegzunehmen : die Verschmelzung des Poetischen mit dem Mythischen gilt ihm als dichterisch fruchtbarer als eine Poetisierung des Geschichtlichen. Und wenn auch seine „Wanda" oder „Kunigunde" irgendwie historisch gefärbt sind, wenn auch sein halbwegs historisches Drama „Martin Luther oder die Weihe der Kraft" (1806), ein Werk, von dem er später abrücken zu müssen meinte durch die „Weihe der Unkraft", gewisse Einzelzüge historischer Art und Zeitfärbung nicht verschmäht, so meldet er doch grundsätzlich Bedenken an gegen rein historische Stoffe und deren, wie er es ausdrückt, „dramatische Behandlung". Denn das Historische erfüllt nicht jene Bedingung des Tragischen, einen „Mythenglauben" welcher Art immer zum Ausdruck zu bringen. Dem geschichtlichen Geschehen jedoch fehle das innige Verwobensein mit dem Mythischen (und Mystischen). Es erweist sich auch insofern als nach Z. Werners Meinung „nicht ästhetisch" auswertbar, als es dem Tatsachenbestande des Wirklichen zu eng verflochten und verpflichtet bleibt. Eine Auflockerung des Verhältnisses von Dichtung und Datentreue zugunsten der dichterischen Freiheit würde also seiner Kunstforderung kein Genüge tun. Diese Tendenz wurde verstärkt durch die zunehmende Überwältigung auch des Mythisch-Historischen durch das MythischReligiöse. Im Sonderbereich der Schicksalsdramatik, auf die bereits bei Schellings Dramentheorie hingedeutet werden konnte, unternimmt es ζ. B. A d o l p h M ü l l n e r (1774—1829) im Eingangsabschnitt seines V o r w o r t e s zum „Neunundzwanzigsten Februar", die antikisierende Linie der Nachklassik mit der spätromantischen zu verschmelzen und recht anspruchsvoll auf Schillers Ästhetik zurückzuführen. Ein Glauben oder doch zum mindesten ein Ahnen schicksalshafter Verflochtenheit wird dabei auch für den modernen Menschen als unstreitbares Gegebensein vorausgesetzt: „Das Ahnen einer höheren Weltordnung, mit welcher das Erdenleben durch unsichtbare Fäden zusammenhängt, ist ein still bewahrtes Eigentum jeder menschlichen Brust. Diese Fäden sieht-

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bar werden zu lassen dem inneren Sinn und so jenes Ahnen zur lebendigen Empfindung zu steigern, welche die tote Lehre nicht ersetzen kann, ist unfehlbar ein würdiger Vorwurf der tragischen Kunst und kann, wie mich dünkt. Einer der möglichen Gattungen von Tragödien füglich als Hauptzweck angewiesen werden." Nur als auch berechtigte Sonderform, nicht aber als alleingültiger Idealtypus im Sinne einer richtungbeherrschenden Programmatik wird also das Schicksalsdrama in Empfehlung gebracht. Unter S t ü t z u n g auf Schillers Darlegungen über das Erhabene und Pathetische sucht Müllner für diesen Dramentypus eine nachträgliche Rechtfertigung von der klassischen Ästhetik her zu gewinnen oder doch zu konstruieren. Das „Erhebende" zwar wagt selbst er nicht für das Schicksalsdrama in Anspruch zu nehmen, wohl aber das „Erhabene". Die Eindruckswirkung soll sich zusammensetzen aus dem Schauder und dem „Wehe" (Schiller), wie sie die sinnliche Natur des Menschen angesichts einer schicksalshaften Übermacht befällt, und dem BesänftigendVersöhnenden, jenem „Wohl" (Schiller), das aus dem Zufluchtsuchen und Zufluchtfinden in der Burg ethischen Bewußtseins, dem Sichgeborgenfühlen in der geistig-moralischen Natur des Menschen erwächst. Anerkannt wird, daß es auch der moralischen Natur des Menschen schwer fallen mag, den Anschein von Ungerechtigkeit zu ertragen ohne Einbuße an ästhetischem Lustgefühl. Indessen verliert sich — wie Müllner hofft — diese Verstimmung gleichzeitig mit jenem „Anschein", wenn es dem Zuschauer gelingt, sich auf die höhere ethische Warte zu erheben, von der aus gesehen, jenes Scheinunrecht schicksalshafter Art „im Überblicke einer erhabenen Ordnung der Dinge untergeht". Die Übergangsmöglichkeit des F u r c h t b a r e n ins E r h a b e n e muß wiederum Schiller decken. Im einzelnen wird auseinandergesetzt, wie die anscheinende Härte des Schicksals, ja selbst seine Grausamkeit gegen den Einzelnen dennoch in Übereinstimmung zu bringen ist mit der höheren Sinnhaftigkeit im Wohlwollen für die Gesamtheit. Bei alledem spürt man, wie einseitig Schiller gesehen und ausgeschlachtet wird, und wie veräußerlicht und billig die Genugtuung wirkt, möglichst häufig von „Colossalität", von „colossalen Gesetzen" sprechen zu dürfen. Zwar übersieht Müllner keineswegs die auch von Schiller gelegentlich der „Braut von Messina" hervorgehobene Unmöglichkeit und Bedenklichkeit, 28 M a r k w a r d t , Poetik I I I

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etwa die Schicksalsvorstellung der Antike auf das moderne Bewußtsein übertragen zu wollen. Vielmehr betont er die Notwendigkeit — und hier mündet der religiöse Impuls der Romantik ein — , das Fatum der Alten zu übertragen auf die christliche „Glaubenslehre". Denn andernfalls würde gerade die Wirkung, „welche der Hauptzweck der oben charakterisierten TragödienGattung ist", verlorengehen, jene Mischung nämlich von Schauder und Mitleid, von Erschütterung und Erhabenheitsgefühl. Müllner scheint indessen mehr den zürnenden Gott des Alten Testaments vor Augen zu haben, wenn er zu beweisen versucht, daß es auch der Religion der Liebe keineswegs an „colossalen Gesetzen" von abschreckender Strenge der Vollstreckung fehle. Aber dennoch soll der versöhnende Ausgleich auf Grund reuiger und „abgebüßter Schuld" notwendig erfolgen. In gewissem Grade wird so die Tragödie zur Dienerin der Religion; denn jener Anblick des Erhaben-Schrecklichen und der Versöhnung im „Spiegel der Kunst" führt notwendig zu einem „Aufschwünge des Glaubens". Die Unsterblichkeitsvorstellung wird dabei gleichsam zur Hilfestellung herangezogen, um eine Rehabilitation der menschlichen Freiheit gegenüber jener religiösen Gesetzesstrenge zu gewährleisten. Im Hinblick auf das Kunstschaffen der Schicksalsdramatiker darf indessen kritisch eingewendet werden, daß diese Dienerin der Religion vielfach als recht unwürdig erscheint. Immerhin bleiben derartige Rechtfertigungsversuche an sich beachtenswert, da die modische Wirkungsweite der Schicksalsdramatik nicht unterschätzt werden darf (Houwald, Kind u. a.). Die Weite des Wunders und das Wunder der Weite verbinden sich in J o s e p h v o n E i c h e n d o r f f (1788—1857) und seinem Kunstwollen wie auch weitgehend in seinem Kunstschaffen ohne mystische Verkrampfung (Z. Werner), abgesehen etwa vom ersten Einsatz in seiner Lyrik unter Loebens Einwirkung, und ohne teils veräußerlichten Sensationstrieb (Ε. T. A. Hoffmann) zu einer harmonischen Wirkenseinheit, die noch einmal alle oder doch die meisten wertvollen Kräfte der Romantik in sich sammelt und künstlerisch. fruchtbar ausstrahlen läßt. Nicht dies, daß er so vieles von der früheren Romantik und den vor ihm wirkenden Romantikern wußte, wie späterhin seine literaturhistorischen Beiträge dartun, war entscheidend, sondern daß er so vieles um die Romantik wußte und es erlebte. Das dann bald volkstümlich gewordene Lied von Gottes Gunst, die uns die Wunder der weiten

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Welt schenkt (Der fromme Wandersmann), schließt bei aller Schlichtheit die Hauptelemente seines Denkens und Dichtens in sich ein. Diese Z w e i e i n i g k e i t von G o t t e s n ä h e u n d N a t u r n ä h e , von Transzendenz und Diesseitigkeit, durfte Eichendorff dankbar als ein Geschenk hinnehmen, das ihn als Künstler und Schaffenden zum Weiterschenken ermutigt und ermächtigt. Dort, wo von dem Verhältnis von Religion und Poesie in der Romantik die Rede war, konnte dieser Grundzug seines Wesens und Wollens schon kurz gewürdigt werden. Wie er das frohe, frische Wandern sogleich spontan als eine Gunst Gottes empfindet, so wächst hinter dem herrlichen Hochwald die Gestalt des göttlichen Meisters empor, der den schönen Wald so hoch da droben aufgebaut hat und dessen Schirm und Schutz er dankbar seinen geliebten Wald anempfiehlt. Diese Verbindung von Jenseitigkeit und Diesseitsfreude hat für Eichendorff nichts Erzwungenes oder gar irgendwie Tendenziöses; sie zu fühlen und auszusprechen, ist ihm ein ganz natürliches inneres Bedürfnis. Gerade er, der ein Dichtertum als „Profession" mehrfach und nachdrücklich zurückgewiesen hat, der überzeugt war, daß der „Dichter von Profession" allzuleicht einer „poetischen Zerfahrenheit" verfalle und daß die „prosaischen Gegensätze" die Poesie nicht beeinträchtigen, sondern „konzentrieren", war dennoch weit mehr ein echter und rechter Dichter als so mancher jener romantischen hochgeistigen Theoretiker, die sich nicht genugtun konnten, den Primat des Poetischen hervorzukehren. So eng umgrenzt verhältnismäßig sein Motivkreis war: Eichendorff ist mehr Dichter als der große Theoretiker Friedrich Schlegel. Zwar Universalpoesie zu verwirklichen, war seine Sache nicht, wie es auch nicht seiner Anlage und Absicht entsprochen hätte. Aus einem klug verwalteten s p a r s a m e n R e i c h t u m heraus, der Eindruckswiederholungen (das nachhaltige Jugenderlebnis des rauschenden Waldes) nicht scheut, weiß er dennoch bald Herz und Gemüt mehr als den Geist seines Lesers zu gewinnen. Von einer Literaturphilosophie kann man bei dem Dichter J.v. Eichendorff füglich nicht gut sprechen. Abgesehen von recht verworrenen Vorstellungen seiner Frühzeit, da er mit Graf Loeben „philosophische Gespräche" führte, könnte man höchstens dem späteren Literaturhistoriker Eichendorff eine gewisse religionsphilosophische Grundlegung in der kritischen Bewertung und kunsttheoretischen Forderung zuerkennen. Doch ist die Ansicht des Literatur29·

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historikers und Literaturkritikers, des Literaturethikers möchte man fast sagen, über die romantische Poesie und die „Doktrin der romantischen Schule" bereits von der Sonderforschung (Richard Dietze) frühzeitig eingehend berücksichtigt worden. Es kommt hier auch vor allem auf die Bekundungen des Dichters Eichendorff (und des früheren Eichendorff) an, auf seine spezifisch dichterische Kunstauffassung. Die Haltung in seiner Spätzeit zeigt streckenweise schon die Anzeichen einer gewissen Erstarrung. Doch darf nicht vergessen werden, daß J. v. Eichendorff im höheren Lebensalter stand, als er in seinem Fragment einer Autobiographie unter dem schlichten Titel „Erlebtes" (Untertitel: „Halle und Heidelberg") das jungempfundene Wort prägte: „Die Jugend ist die Poesie des Lebens" und die Mahnung daran knüpfte „sei nur vor allen Dingen jung! Denn ohne Blüte keine Frucht!" Folgt man wörtlich der Darstellung des „Erlebten", so müßte während seines Studiums in Heidelberg eine engere persönliche Fühlung nicht allein mit Joseph Görres, sondern auch mit Achim von Arnim und Clemens Brentano bestanden haben. Die allerdings nur recht stichworthaft gehaltenen Tagebücher und ein Brief an Görres aus späteren Jahren (August 1828) dagegen stellen klar, daß zu dem Heidelberger Professor J. v. Görres nur eben das Verhältnis eines wenngleich begeisterten Hörers und auch späterhin dankbaren akademischen Schülers, zu A. v. Arnim eine lockere persönliche Beziehung mit mehrmaliger Begegnung (die für Brentano nicht einmal belegt ist) bestanden hat. Die erlebte Rückschau auf „Halle und Heidelberg" mischt naturgemäß Dichtung und Wahrheit. Die inneren Begegnungen aber sind da. Eichendorff hört in Heidelberg eifrig den Professor J. v. Görres (u. a. auch über „Ästhetik"), wie er in Halle in seinen ersten Semestern Hendrik Steffens gehört hatte. Etwa zur Zeit seines Heidelberger Studiums kommt „Des Knaben Wunderhorn" und die „Einsiedlerzeitung" (Trösteinsamkeit) heraus. Aber unmittelbar zur Heidelberger Romantik kann man Eichendorff nicht nur wegen der späterliegenden Entfaltung seiner wesentlichen Kunstleistung nicht zählen. Vielmehr war es ein von den Meistern der Romantik kaum ernst genommener, wenn auch zeitweise von Goethe geschätzter und überschätzter Außenseiter der Romantik, Graf Otto Heinrich von Loeben, der zunächst zum nicht gerade besonders berufenen Mittler der romantischen Welt und zum Anreger und Ermutiger der eigenen dichterischen

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Produktion Eichendorffs werden sollte. Graf Loeben, der auch innerhalb der romantischen Sprachphilosophie eine, obzwar untergeordnete Rolle spielt, hatte sich u. a. mit seinem „Guido"Roman an eine Art Fortsetzung des „Ofterdingen"-Fragments Novalis' herangewagt. Das Tagebuch Eichendorffs verzeichnet über die erste Begegnung „poetische Natur in stiller Verklärung, philosophische (wahrscheinlich überwiegend religionsphilosophische) Gespräche". Sehr bald entwickelt sich Eichendorff über Loeben hinaus und von ihm fort. Weit enger als mit den Heidelberger Romantikern war die persönliche Fühlung mit Friedrich Schlegel und vor allem mit dessen Gattin Dorothea Schlegel (geb. Mendelssohn) während seines Aufenthaltes in Wien. Und Dorothea Schlegel war es auch, die z.T. als Verfasserin eines fragmentarischen Romans „Florentin" den Erstlingsroman Eichendorffs „Ahnung und Gegenwart" taufte und betreute, der etwa 1808—11 entstand und 1815 erschien. So läßt schon ein knapper Überblick erkennen, wie der junge Eichendorff sowohl mit Trägern des Geistes der jüngeren Romantik als auch der älteren Romantik in geistige und auch in mehr oder minder enge persönliche Fühlung kam. Auch insofern lebt in ihm als dem „letzten Ritter" der Romantik ein gut Stück Gesamtromantik noch einmal auf, obwohl gleichsam nur andeutungsweise und nicht im strengeren Sinne. Schon in dem Erstlingsroman „ A h n u n g u n d G e g e n w a r t " (1815) heben sich die Grundzüge des Eichendorffschen Kunstwollens und seiner dichterischen Kunstanschauung verhältnismäßig klar ab, deutlicher jedenfalls als in den etwas allgemein gehaltenen und z.T. verschwommenen Umschreibungen poetisierender Art innerhalb der Sonetten-Gruppe „Der Dichter" (sechs Sonette über die Sendung des Dichters). Die Zentralgestalt des Romans, der dichterisch begabte Graf Friedrich erteilt dem vorerst noch recht unzulänglichen Dichter Faber die mahnende Lehre, nicht durch ein innerlich unwahrhaftiges Scheinwesen und Schöntun das wahre Sein verhüllen und etwa nur „durch schöne Worte und künstliche Gedanken Gott und Menschen" schönrednerisch „überlisten" zu wollen. Etwas von der edlen Einfalt drängt, weniger formstreng zwar als in der Klassik, aber frischer und jugendlich überzeugt im Fordern zur Geltung, wenn nur demjenigen Größe zuerkannt wird, dem diese Einfalt eignet; „denn es ist nichts groß, als was aus einem e i n -

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f ä l t i g e n H e r z e n kommt". Was hier der Romangestalt in den Mund gelegt wird, hatte zur Zeit der Entstehung des Romans Eichendorff in eigener Sache und mit Bezug auf seine ersten Dichtungen in einem Briefe an Ο. H. v. Loeben zu umschreiben versucht mit der Prägung von „jener schönen Unschuld, der Seele aller Poesie" (Juni 1809). Zugleich aber setzt sich dort die Unendlichkeitsvorstellung der Romantik durch, wenn jenes gottgegebene „unendliche Streben" im Dichterherzen das Element „lebendiger Freiheit" unmittelbar erleben und an den Kunstwertaufnehmenden weitergeben soll: „Das ist kein Zweck, sondern die Natur der Poesie". Nicht ganz klar dagegen wird beim ersten Hinsehen, was denn nun der junge Eichendorff mit dem „einförmigen Selbstmord der Poesie" meint. Nähere Einfühlung in die Briefsituation jedoch läßt erkennen, daß er sich wahrscheinlich schon aus einem erstarkenden eigenen Kunstwollen zur Wehr setzt gegen Loebens Einfluß, der ihm das unmittelbare Aussagen dessen, „was ich empfand", und seine „ursprüngliche Freiheit" bedrohte und verfälschte. Auch die zersetzende Selbstironie wird in diesem Zusammenhange als Trübung reiner Dichtung und Gefährdung echten Dichtertums erkannt und genannt. Selbstsicherheit und Selbstvertrauen dagegen sind ihm wertvolle Bürgen, ja unerläßliche Voraussetzungen des dichterischen Wertes und der k ü n s t l e r i s c h e n W a h r h a f t i g k e i t . Daher stattet er dem Ästhetiker Friedrich Ast, der für die Veröffentlichung seiner ersten Gedichte (i. d. Zeitschrift f. Wiss. u. Kunst, 1808) so wohlwollend gesorgt hatte, nicht nur einen formellen Dank ab. Aus dieser Wahrhaftigkeit, aus dieser Sorge heraus, irgendwie unecht und unwahr werden zu können, erklärt er denn auch in einem Briefe an Fouque (Okt. 1814) sein Widerstreben, seinen Erstlingsroman, der vor den Freiheitskriegen entstanden und z.T. zeitkritisch eingestellt war gegen den Ungeist der Zeit, der also zur Zeit seines Erscheinens keine „Gegenwart" im strengeren Sinne mehr war, zu überarbeiten, da er ihn in den „gegenwärtigen Zustand" doch nur krampfhaft „hinüberkünsteln müßte". Es ist dies nur eine Variation seines Leitmotivs, das ζ. B. für die Lyrik lautet: „Anders sein und anders singen ist ein dummes Spiel." Auch das Unterwerfen an sich vorhandener freier Eingebungen unter bewußt angestrebte Leitideen gilt ihm in diesem Sinne als unehrliches Spiel, das für den Dichter zugleich formungstechnisch zu einem gefährlichen Spiel werden kann, weil es so

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leicht zu blutleeren, vom „eigentlichen Leben losgelösten" Verallgemeinerungen führt und verführt. Dieselbe A b w e h r der A b s t r a k t i o n vertritt Graf Friedrich im Roman „Ahnung und Gegenwart", bezeichnet er doch die „gänzliche Abstraktion" geradezu als die „größte Sünde unserer jetzigen Poesie". Der junge Eichendorff bezieht damit in der kritischen Polemik etwa die Position der jüngeren Romantik, von der aus nicht zum wenigsten die Opposition gegen die ältere Romantik erfolgte. Wenn nun an jener Stelle des Romans nicht allein das ständig gefühlsmäßig gesteigerte, ja begeisterte Betrachten und Anschauen der Welt als ein positives Kriterium der Poesie hervorgehoben wird, sondern auch das sittliche Gesonnensein (Gesinnungskriterium), so dürfte in diesem Sonderfalle dazu beitragen der Gegenstand des Kunstgesprächs: Achim von Arnims bei aller üppigen Romantisierung doch merklich moralpädagogisch eingestellter Zeitroman von der „Gräfin Dolores" (1809), der seinerseits als eine freie Übertragung der Gesellschafts- und Eheprobleme aus Goethes „Wahlverwandtschaften" in eine romantische Welt- und Lebensschau gelten kann und seinerseits wesentlich auf Eichendorffs Erstlingsroman eingewirkt hatte. Die Organismus-Ästhetik der Goethezeit spiegelt sich im Rahmen dieses Kunstgespräches im Vergleichsbilde der natürlich gewachsenen Dichtung mit einem fest im Erdreich wurzelnden, lebenstüchtigen „schlanken hohen Baum". Nur muß man sich klar darüber sein, daß die Forderung der N a t u r n ä h e u n d N a t u r f r i s c h e aus einem Eigenerleben Eichendorffs erwachsen war, das aus der Hauptquelle der Lobowitzer Jugenderinnerungen, aber auch aus mancherlei Reiseeindrücken gespeist wurde. Und so dürfte es weniger auf eine Modifikation der Vorstellung von Kunstpoesie durch die Vorstellung von „Natur"-Poesie innerhalb der jüngeren Romantik zurückzuführen sein als vielmehr auf ganz persönliche Erfahrungen und Überzeugungen des jungen Eichendorff, wenn Graf Friedrich als sein Stellvertreter einmal die Situation des vorerst noch unzulänglichen Dichters Faber als die dem echten und rechten Dichter einzig angemessene und für die Produktionskraft einzig ersprießliche Situation hinstellt. Es ist der frische frühe Morgen in freier Natur. „So sollte jeder Dichter dichten, am frühen Morgen, unter freiem Himmel, in einer schönen Gegend. Da ist die Seele rüstig; und so wie dann die Bäume rauschen, die Vögel singen

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und der Jäger vor Lust in sein Horn stößt, so muß der Dichter dichten." Diese Stelle wird mit Recht gern zitiert, um Eichendorffs Dichtweise zu kennzeichnen; fortgelassen aber wird durchweg die Entgegnung Fabers; sie lautet: „Sie sind ein Naturalist in der Poesie." Man will so offenbar eine Mißdeutung und eine zu moderne Auslegung der Bezeichnung Naturalist vermeiden. Schon die verklärende Auswahl jedoch (schöne Gegend) ist so offensichtlich, daß eine derartige Mißdeutung kaum ernstlich zu befürchten wäre, wie sich denn auch der Gesprächspartner keineswegs durch diesen kecken Einwand beirren läßt. Das Kunstwollen richtet sich nicht auf Naturnachahmung, sondern auf Naturfreude und Naturfrische. Es ist nicht eingestellt auf eine Kopie der Naturwirklichkeit; es wählt die romantischen Ausschnitte und Stimmungswerte, übrigens keineswegs nur die Morgenfrühe und Morgenfrische, sondern gern auch die wehmütig getönte, sehnsuchtsvolle Nachtstimmung („Es schienen so golden die S t e r n e . . . " ) , so daß man auch die Gruppenwerte N a t u r w e h m u t und N a t u r d e m u t als Spielformen der Zweieinheit von Diesseitserleben und Jenseitsbezogenheit herausstellen könnte, und zwar als betonte Wertgruppe zum mindesten in der latenten, werkimmanenten Poetik. Jedenfalls gibt kein echter Dichter eine „fertige" Erde, ebenso wie kein Dichter „einen fertigen Himmel" bietet, sondern immer nur die „Himmelsleiter" aufstellt von der „schönen Erde" aus. Wieder ist es die „schöne" Erde wie dort die „schöne" Gegend, nicht die Erde schlechtweg und vollends nicht das Erdhafte im streng realistischen Sinne. Die Auswahl des „romantischen" Motivs erleichtert den Anlauf und die Einfühlung in die Stimmungswelt. Zudem bedarf der Dichter immer auch der ehrlichen und wohlwollenden Bemühung des Lesers. D a s a n r e g e n d e E l e m e n t überwiegt gegenüber dem Vollendungstrieb. Die Hindeutung auf die Transzendenz spielt mit hinein. Nicht das in sich selbst Vollendete der Klassik, vielmehr das über sich selbst Hinausweisende und Hinaufweisende bleibt so auch für Eichendorff das romantische Ideal, während der Gegentypus eines ins Phantastische abirrenden überhitzten Phantasietriebes, die Problematik des scheinschöpferischen Menschen (Novelle: Die Zauberei im Herbste) „ewig hinunterzieht". Die Gefahr des Phantasierausches, vom Literaturhistoriker Eichendorff mit aller Schärfe am Beispiel E.T.A.Hoffmanns erläutert, soweit es sich um künst-

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liehe Rauschmittel handelt, kann indessen auch aus der natürlichen Quelle des Sinnenrausches erwachsen (Novelle: Das Marmorbild). Die Eigenmächtigkeit und Übermächtigkeit der Phantasie ist weder eine gesunde noch eine fruchtbare Produktionsgrundlage, wie denn überhaupt die Vereinzelung und Hypertrophie der Einbildungskraft nicht das vollwertige Dichtertum verbürgt. In dem Roman „ D i c h t e r u n d i h r e G e s e l l e n " (entstanden etwa 1833/4) weist ζ. B. ein Dichtertypus (Otto) eine ganze Reihe durchaus positiver dichterischer Merkmale auf (neben Phantasie auch Erlebnisfrische, Gefühlsinnigkeit usw.). Ihm fehlt jedoch das wertvolle, gefestigte Menschentum als die alles tragende Grundlage und ebenso der freie Erlebnisabstand und die daraus sich ergebende Gestaltungsüberlegenheit. Immerhin steht er dem Dichterideal wesentlich näher als der problematische Dichtertypus (Dryander), der gleichsam als tragikomisches Miniaturund Zerrbild der Tassogestalt einer billigen Selbstbespiegelung und Selbstbemitleidung verfallen erscheint. Erst der dritte Dichtertypus (Fortunat) verwirklicht würdiger die Forderungen, die an den gestaltungsfähigen und lebensfähigen Dichter zu stellen sind. Bei alledem dürfte die Annahme (der Sonderforschung) nicht fehlgehen, daß auch in den beiden anderen Dichtertypen eigene Wesensmerkmale Eichendorffs anzutreffen seien, besonders in der Gestalt Ottos, und daß sich also Eichendorff in gewissem Grade Warnbilder der eigenen Schwächen und Gefährdungen selbstkritisch und ihn von Irrwegen fortweisend aufgerichtet habe. Daß man Dryander einfach mit dem sentimentalischen, Otto mit dem naiven und Fortunat mit der auch von Schiller geforderten Synthese aus diesen beiden Grundformen gleichsetzen dürfte, es also mit einer bloßen Übertragung früherer kunsttheoretischer Erträge zu tun hätte, scheint dagegen schon angesichts des Eigenen, das Eichendorff merklich mit hineinverarbeitet hat, als weniger wahrscheinlich, wenn auch ein mittelbares Beeindrucktsein von Schillers Typenbildung nicht so ganz von der Hand zu weisen ist. So stark in der Personengruppierung dieses Romans, der auch die Pflicht- und Tatmenschen (Walter, Manfred) von den künstlerischen Anlagen abhebt, die Abstufungen des Dichtertums zur Geltung kommen: insgesamt wirken die kunsttheoretischen Bekundungen Friedrichs in „Ahnung und Gegenwart" als eindeutiger für Eichendorffs Kunstwollen. Die wesentlichen Richtungspunkte stehen für Eichendorff also verhältnismäßig frühzeitig fest.

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Auf der anderen Seit« erzwingt nicht allein die betonte Titelgebung des Romans (der eigentlich wiederum eine Novelle darstellt) eine verstärkte Aufmerksamkeit, sondern auch der merklich freiere kritische Abstand von den Scheinidealen und den Irrungen und Wirrungen des Romantischen. Zunächst mag der Eindruck überwiegen, als wolle Eichendorff, den kritischen Einwänden Novalis' (und teilw. auch Jean Pauls) gegen den großen Bildimgsroman Goethes folgend, gleichsam nach Art einer produktiven Kritik einen romantischen „Wilhelm Meister" als Gegenbeispiel oder doch als Gegenstück herausstellen. Und die Parallelen in Motiv, Personengruppierung usw. drängen sich deutlich genug auf; das Künstlerische tritt nicht vor dem tätigen Lebensanspruch zurück, sondern wahrt zum mindesten eine ebenbürtige Geltung neben ihm. Aber bald stößt man auf ein unverkennbares Abwehren eines „Romantischen" um jeden Preis, auch um den Preis der Lebenstätigkeit und Lebenstüchtigkeit. Abgewehrt wird ζ. B. die romantische Methode, in Künstlerromanen „ästhetische Diskurse vom Zaune" zu brechen wie das bequeme Ausruhen auf der „ästhetischen Bärenhaut". Entwicklungsgeschichtlich (über einen größeren Zeitraum hinweg) gesehen, äußert sich darin zugleich das Absinken des einst geradezu zum idealen Leitwort erhobenen Begriffes „ästhetisch". Abgewehrt wird die Gebrochenheit der ästhetisch-problematischen Charaktere und ihre E r l e b n i s f o r m des Ästhetizismus oder geistigeUnform der r o m a n t i s c h e n I r o n i e , die vom Erhabenen unversehens ins gleichsam umgekehrt Erhabene umspringt, weil dem jener verführerischen Ironie Verfallenen jeder feste Lebensemst, aber auch die beharrliche künstlerische Stileinheit fehlt. In Dryander vor allem wird ein Warnbild gezeichnet und fast ein wenig ins Karikaturenhafte hinübergezeichnet (das an Ε. Τ. A. Hoffmann gemahnt), wie er denn einmal selber von sich bekennt: „das ist die verrückte Doppelgängerei in mir, ich kann nichts Großes ersinnen, ohne ihm sogleich von hinten einen Haarbeutel anzuhängen; ein tragischer, wahnsinniger König und ein Hanswurst, der ihm fix ein Bein unterstellt, die hetzen und balgen sich Tag und Nacht in mir, daß ich zuletzt nicht weiß, welcher von beiden Narren ich selber bin". Um Modelle in der romantischen Literatur konnte Eichendorff nicht verlegen sein; er brauchte nur an Ludwig Tieck zu denken. Das polemische Anspielen auf das Doppelgänger-Motiv, die Personalunion Poet-Musiker u. a. könnten

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noch näher auf Ε. T. A. Hoffmann hindeuten. Aber auch eine gewisse Gefahrenzone in sich selber mochte Eichendorff im Auge haben. Denn an sich trägt Dryander andererseits unverkennbare Züge des echten Romantikers; selbst das Volksliedersammeln ist nicht vergessen worden (Teilanspielung auf Brentano ?). Indessen: daß aus diesem verworrenen Stimmungsmenschen ein tüchtiger Pflichtmensch werden könnte, bezweifelt nicht allein der dem Staatsdienst sich zuwendende Tatmensch Manfred, sondern offensichtlich auch Eichendorff selber, der seinen Dryander im wörtlichen Sinne die Flucht ergreifen läßt vor seinem eigenen (wiederum stimmungsgebundenen) und nur vorübergehend gefaßten „Entschluß", Landwirt werden zu wollen. Selten ist die L e b e n s s u c h t einerseits und die L e b e n s f l u c h t andererseits des „echten" Romantikers so drastisch enthüllt worden. Dennoch legt Eichendorff dieser problematischen Gestalt, die in der romantisierenden Erzählung von der lebendigen Brunnenfigur und der daräuf folgenden Desillusionierung einen Musterfall an künstlerischer Werkironie demonstriert und die ein gewisses Gegenstück und (teils politisch zeitkritisch gefärbtes) Gegenbild findet im wenig sympathisch gezeichneten Maler Albert, seine eigene Überzeugung bei, „Profession vom Dichten machen, das ist überhaupt lächerlich, als wenn einer beständig verliebt sein wollte und noch obendrein auf öffentlicher Straße". Echter Eichendorff ist dabei die keusche Scheu vor einer Preisgabe des Gefühlslebens, das, einmal ausgesprochen, so leicht an innerer Wahrheit verliert. Aber diese Scheu gehört zugleich zur Schönheit. Denn sie ist eine Seite, und zwar eine wesentliche Seite der gewissermaßen ins Romantische hinübergetragenen edlen Einfalt des Herzens. Die L i e b e nämlich ist an sich durchaus eng verschwistert mit der Poesie, nicht allein im Sinne eines „Verliebtseins in die unvergängliche jungfräuliche Schöne des reichen Lebens" (Privatbrief 1809), sondern auch als echter und rechter „Poetenmantel", als Zaubermantel, der nach Arkadien, der in das Wunder der Weite trägt, das die „unermeßliche Aussicht" aufschließt („Taugenichts"). Dieses Wunder der Weite, wie es in der lyrischen Stimmungsnovelle „Aus dem Leben eines Taugenichts" überall und wohl am einprägsamsten aufleuchtet, hat wie dort durchweg den starken Sicherungsbezug über die Erinnerung auf die Heimat. Tiefes poetisches Erleben erweist sich als schlechtweg untrennbar vom

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tiefen Heimaterleben, ja Poesieerleben und Heimaterleben sind geradezu identisch und fordern und fördern sich wechselweise. Eichendorff hat dergestalt in seiner Art ein gutes Stück Programm der Heimatdichtung geschrieben, längst bevor die Heimatkunst als literarische Bewegung voll einsetzte. Und er könnte von ihr als Traditionsträger, und zwar als künstlerisch hochwertiger Traditionsträger in Anspruch genommen werden, zum mindesten soweit es um das Herzstück der Heimatstimmung geht. Nicht zufällig ist es der merklich bevorzugte Dichter Fortunat, der im Roman „Dichter und ihre Gesellen" die Heimat des später zum Priesteramt sich berufen fühlenden Dichters Viktor ( = Lothario) kennenlernen will, weil er überzeugt ist, daß nur aus der nachfühlenden Kenntnis der Heimat eines Dichters das letzte und feinste Verständnis für dessen Wesen und Eigenart erwachsen kann. Denn „auf ihre stillen Plätze ist der Grundton gebannt, der dann durch alle seine Bücher wie ein unaussprechliches Heimweh fortklingt". Auch der lebenstüchtige Dichter-Freund Walter, einer der „Gesellen" der Dichter, begründet seine Liebe zu jenem Poeten Viktor mit der erlebten Erfahrung, daß jener ihm „von dem Waldesrauschen meiner Kindheit wunderbaren Klang gibt". Heimatgefühl, E r i n n e r u n g s g e f ü h l und poetisches Gefühl, überall bei Eichendorff als organische oder doch leidenschaftlich umworbene Einheit erlebt und gestaltet, treten aus der werkimmanenten Poetik an solchen Stellen eben nur kunsttheoretisch bewußter zusammen und zutage. Das kunsttheoretische Bekunden verlegt Eichendorff, es nicht gern „vom Zaune brechend", mit Vorliebe an den Kapitelschluß bzw. in dessen Nähe. Findet sich ζ. B. gegen Ende des zwanzigsten Kapitels jene erwähnte Formulierung von der Fragwürdigkeit einer Poesie als Profession (sie hat eben auch für Eichendorff Konfession zu sein), so bringt der Ausklang des neunten Kapitels den gefühlsbetonten Ausspruch, der „die Seele des Dichters" einer gefangenen Nachtigall vergleicht, die bei dicht verhängtem Käfig nur noch um so „schöner schlägt" und die der Berufene „oft in Träumen wunderbar klagen" hört, ein Ausspruch, den Eichendorff m. W. nicht Fortunat (wie die Sonderforschung, Chr. Riepe, angibt), sondern dem jugendlichen Studenten und Poeten Otto in den Mund gelegt hat. Von der schweren Feierlichkeit des Geniekultus des Sturmes und Dranges weit entfernt hält sich die schalkhafte Wendung, daß der Dichter sein „Genie"

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überall wie der Wanderer die Sommerfäden mit sich herumtrage. Überhaupt ist das fast rokokohaft wirkende H e i t e r - G e l ö s t e , das durch Lieblingswörter wie „zierlich" u. a. vom Stilgepräge her bestätigt wird, ein nicht zu unterschätzendes Wesens- und Wertmerkmal Eichendorffschen Dichtertums. Es bleibt eine romantische Grazie, die nach unstudiertem Gesetze tanzt und auch das Lustspiel „Die Freier" so beschwingt erscheinen läßt. Diese b e s c h w i n g t e und b e f l ü g e l n d e H e i t e r k e i t der K u n s t mit dem Lebensernst in E i n k l a n g und zur E i n t r a c h t zu bringen, müht sich nicht nur der Dichter-Freund Walter im Gespräch mit Otto, sondern das ist ein dringliches Anliegen Eichendorffs selber, der nicht müde wird, alle Möglichkeiten recht und gerecht zu erwägen. Auch gerecht; denn neben der Problematik des ästhetischen Sehnsuchtsmenschen romantischer Prägung entgeht ihm keineswegs die Fragwürdigkeit eines allzu billigen Pflichtmenschentums, das es häufig genug nicht allzu schwer hat, „fast alle Stunden etwas Rundes fertig zu machen", während demgegenüber der Künstler „auf Erden niemals fertig" wird, „ja in alle Ewigkeit kein Ende absehen" könne. Es ist nicht einfach der Gedanke einer progressiven Universalpoesie, der hier anklingt; denn auch die Wissenschaft wird neben der Kunst an dieser Stelle einbezogen. Es ist vielmehr das Wunder der Weite, das zum Weh der Weite sich wandelt und dem Heim-Weh sein Gegenbild nun auch im rein Geistigen stellt. Die k u n s t t h e o r e t i s c h e n E i n s c h l ä g e in den lyrischen Gedichten können nicht im Einzelnen gewürdigt werden. In den sechs Dichter-Sonetten begegnet die Diesseits- Jenseits-Überbrückung durch den Dichter u. a. in der Weise, daß er sowohl der schönen Mutter Natur, die ihn „geboren", als auch dem Himmel, der ihn „auserkoren" hat, innig liebend zugewandt und wesenhaft verwandt erscheint. Man hört vom „Wunderland" und der „Wunderquelle"; doch auch davon, daß Dichtwerke mehr sind als bloße Träume und leere Wahngesichte. Aber als Ganzes zwingt schon die Sonettform Eichendorff eine ihm nicht gemäße Steifheit auf. Und daß „sich die Träume / Wie von selbst zum Werk der Musen" weben und beleben, ist ihm im Sinne der hohen Bewertung des Traumhaften durch die Romantik durchaus geläufig („Dichterfrühling"), wie es gleichfalls seiner werkimmanenten Poetik ein vertrautes Gesetz ist. In seinen schlichten Liedformen hat er das alles (und besseres) weit wirksamer gesagt. Und zuletzt

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mündet alles doch wieder ein in die stolz-bescheidene Gewißheit, daß der Dichter trotz zeitbedingter Trübungen das Bewußtsein und Selbstbewußtsein in sich tragen darf, nicht allein der „Liebling der Natur", sondern das „ H e r z der W e l t " zu sein, das selbst dann seinen inneren Reichtum nicht verliert, wenn rings umher alles verarmt und die Stätte der Wunder verschlossen und unzugänglich erscheint. Der Gemütswert wird also eindeutig ausgespielt gegen den geistigen Wert. Voraussetzung bleibt neben dem inneren Reichtum die innere Wahrhaftigkeit; denn „Was wahr in dir, wird sich gestalten / Das andre ist erbärmlich Ding" (An die Dichter). Voraussetzung bleibt jedoch auch die Begnadung des Dichters durch Gott selbst in „gnadenloser" Zeit, wie das freudige Anschauen der Welt und das Heben der tiefsten Lebensschönheit Geschenke sind, die Gottes Gnade so wunderbar „in des Dichters Herzensgrund" gesenkt hat (Der Dichter). So strebt Eichendorffs mehr gefühlsmäßige Kunstauffassung wieder hin zu jener Zweieinheit von Gottesliebe und Lebensliebe, von Gottesnähe und Naturfrische. Trotz der Neigung zu einem poetischen Gottesgnadentum hält Eichendorff den Eigenwert der Dichtkunst und damit die kunsttheoretische Leitidee der Goethezeit im wesentlichen fest, fester jedenfalls als etwa Zacharias Werner, wie ihm denn schon frühzeitig der Selbstzweck der Kunst festgestanden hatte: „Sie will und soll zu nichts brauchbar sein." Zum mindesten wird eine bewußte Zweckbindung abgelehnt. Der sittliche Wirkungswert wird allerdings vorzüglich am religiöschristlichen Gehalt gemessen und kritisch ermessen; aber das geht mehr den Literaturhistoriker Eichendorff an. Vorübergehend hatte Eichendorff dem Berliner Kreise nahegestanden, dem u. a. Fouqu6 und Chamisso angehörten. Aus diesem Kreise sind uns die Worte späterer Erinnerung überliefert: „Wir hatten die Romantik recht eigentlich gepachtet und sogen sie mit jedem Atemzuge ein." Sie haben nicht zuletzt Geltung für A d a l b e r t v o n C h a m i s s o (1781—1838), der sich zum mindesten in seiner Frühzeit ganz als Lehrling der Romantik fühlte. Mit bezug auf den gemeinsam mit Varnhagen von Ense herausgegebenen Musenalmanach für das Jahr 1804 erkennt er die romantische Vorbild-Poetik als Formschule ausdrücklich an; es bestehe nämlich sein „damaliges Dichten meist nur in der Ausfüllung der poetischen Formen, welche die s.g. (sogenannte) neue (romantische) Schule anempfahl". Mit Stolz berichtet er

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von dem Wohlwollen Fichtes. Die Bekanntschaft mit Fouqu£, der frühzeitig einiges zum Grünen Almanach beisteuerte, regt ihn an zu einem Versuch in einem dramatischen Spiel, das durchaus in die Richtung des romantischen Kunstwollens weist „Fortunatus Glückssäckel und Wunschhütlein". Unter den älteren Romantikern ist es vor allem A. W. Schlegel, mit dem er engere Fühlung gewinnt. Sein Dichterdank gilt jedoch den Anregungen, die er unter den jüngeren Romantikern vor allem von Jakob und Wilhelm Grimm erfahren zu haben in einer „Zueignung an die Brüder Grimm" gelegentlich des Gedichtes „Der arme Heinrich" mit anspruchsloser Bescheidenheit und herzlicher Wärme zugesteht. Die Brüder Grimm hätten ihm erst den Garten der Sagen erschlossen und sein Ohr mit den Zauberklängen der Märchenwelt erfüllt. Das von J. Grimm gelehrte Kriterium des Wertes der Volkspoesie und Naturpoesie und die von ihm ζ. T. recht schroff betonte Unmöglichkeit für den modernen Kunstdichter, etwas Ebenbürtiges schaffen zu können, mag nachschwingen in dem höflichen Zugeständnis Chamissos, daß ihm kein Versuch einer Neubelebung so recht der Meister würdig erschienen sei; denn „abgelöst von ihrer Wurzel / Verdorrten sie in meiner Hand". Daß sich dabei zugleich der Organismusgedanke durchsetzt, bedarf kaum näherer Erläuterung. Dieser Dank an die Brüder Grimm wiegt um so schwerer, als er aus Chamissos Spätzeit stammt. Trotz Ansätzen zum Realismus und zur sozialen Tendenz ist also ein gewisses stilles Umwerben des romantischen Ideals vom Kunstwollen Chamissos aufrechterhalten worden. Rein künstlerisch stellten die nachhaltigsten Vorbild-Kräfte im Sinne der MusterPoetik Goethe und verhältnismäßig bald auch schon Uhland. Wesentliche kunsttheoretische Erträge sind für die ausgesprochen romantische Epoche schwerlich zu verzeichnen. Die Bemerkungen über die Sendung des Dichtertums in der Einleitung des Musenalmanachs für das Jahr 1833 weisen schon über die Romantik hinaus, ebenso die Beschäftigung mit Beranger. Für die Kunsttheorie ist vielleicht am ehesten noch der Erwähnung wert, daß der gebürtige Franzose Chamisso, der auf Schloß Chaumont und in Coppet mit der Frau von Stael und auch mit A. W. Schlegel in engere Berührung kommt, eine Übersetzung von A. W. Schlegels Vorlesungen über dramatische Literatur unternimmt, und zwar gemeinsam mit der Trivialromantikerin Helmine von Checy (einer Enkelin der Karschin), die Ε. Τ. A. Hoffmann in an sich

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herber juristischer Angelegenheit gar ritterlich vernommen hat als wenig gestrenger und doch korrekter Richter. Chamisso läßt nicht unerwähnt, daß der Text der von Karl Maria von Weber geschaffenen Oper „Euryanthe" von eben dieser schriftstellernden Dame stammte, meint jedoch kritisch „Sie ist ganz ungelehrt (etwa ein wenig der Karschin nachgespielt?), nur liederreich, doch keine Dichterin. Sie hat aber ein unglaubliches Talent zu schreiben". Das hat Chr. Dietrich Grabbe offenbar auch bemerkt, indessen weniger wohlwollend vermerkt in „Scherz, Satire, Ironie und tiefere Bedeutung". Als persönliche Äußerung über die Entstehungsweise des „Peter Schlemihl", und zwar über das Verhältnis von Erlebnis und Dichtung bzw. ideelicher Tendenz und Poesie sei auf den bekannten Brief (April 1829) hingewiesen. Dort wehrt Chamisso die mit der Schattenlosigkeit der Schlemihl-Gestalt früh verbundenen Deutungen und Bedeutungen ab durch die knappe Feststellung „Ich will mit meiner Poesie selten etwas". Das würde sich also in die Linie der Zweckfreiheit einfügen, ohne daß man derartige Bemerkungen in eigener Sache bei schaffenden Künstlern überschätzen dürfte. Jedenfalls legt er Wert auf den rein erlebnismäßigen Vorgang, zunächst den inneren der Konzeption und Produktionsstimmung als spontanes Darstellungsbedürfnis einer mehr gefühlsmäßigen als gedanklichen Regung. Sodann äußerlich, indem die anregende „Anekdote" als Motivkeim in diesem Falle auf ein kleines Reiseerlebnis zurückgeführt wird, bei dem Chamisso alles Mögliche an Reiseutensilien verloren hatte, so daß Fouqu6 schalkhaft gefragt haben soll, ob er nicht am Ende auch seinen Schatten verloren habe. Wenn Chamisso brieflich andeutet, daß Ε. T. A. Hoffmann (von dessen Hand wir übrigens ein Jugendbildnis Chamissos besitzen) in seinem „Abenteuer in der Sylvesternacht" eine Nachzeichnung des Mannes ohne Schatten in dem Manne ohne Spiegelbild geboten habe, so dürften derartige Motive Ε. T. A. Hoffmann schon vorher vertraut gewesen sein. Und man könnte auch sagen, daß der Gesamttypus von Chamissos „Peter Schlemihl" als Märchennovelle oder Novellenmärchen mit gespenstischem Einschlag an Ε. T. A. Hoffmann erinnere. Die personelle Brücke ist mit der Gestalt des beiden Dichtern befreundeten E. Hitzig, für dessen Kinder Chamissos berühmtes Märchen ursprünglich gedacht war, ohne weiteres gegeben. Wesentlich ist nicht die Beobachtung irgendwelcher Ab-

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hängigkeiten, sondern das damals schon stark Ausgebreitete im Kunstwollen, und zwar selbst bei eigenwegiger Motivwahl. Auf die politischen Einschläge einerseits und die biedermeierlichen Anteile andererseits einzugehen, wird sich noch an gegebener Stelle (Kunstauffassung u. liter. Programmatik im 19. Jh.) Gelegenheit bieten. An die mannigfachen zeitlichen Überschneidungen beim Wegsuchen zwischen N a c h k l a s s i k und N a c h r o m a n t i k erinnert der Umstand, daß Chamisso, nachdem er in Paris Uhland kennen und schätzen gelernt hat, ausdrücklich vermerkt, daß ihn „nach Goethe kein Dichter so angeregt" habe wie Uhland, bei dem die Form nicht Selbstzweck sei; vielmehr gelte von Uhlands Gedichten: „die Form darin ist wegen der Poesie da". Das könnte noch auf die Abwehr einer bloßen Formpflege im Raum der jüngeren und späteren Romantik zurückgeführt werden; für H. v. Kleist hat die bloße Form, auch die „gefühlteste" immer noch etwas Unwahres. An sich ist Uhlands Kunstwollen durchaus nicht so formüberlegen. Er lernt ganz bewußt formen, nicht zum wenigsten in der Balladenform, während für das historische Drama das Inhaltliche vorherrscht. L u d w i g U h l a n d (1787—1862), im engen Sinne Generationsgenosse von Eichendorff und Chamisso, neigt beim Wegsuchen zwischen Nachklassik und Nachromantik mehr der Klassik zu, während bei J u s t i n u s K e r n e r (1786—1862) der Zug zur Romantik überwiegt. Nicht zuletzt um seinetwillen hat man wohl den S c h w ä b i s c h e n D i c h t e r k r e i s auch als S c h w ä b i s c h e R o m a n t i k bezeichnet. Doch berechtigt zu dieser Bezeichnung außerdem der Umstand, daß „Des Knaben Wunderhorn" der Arnim und Brentano zur Vorbild-Poetik erhoben worden ist, auch noch bei Karl Mayer oder Wilhelm Müller, der wesenhaft dem Kreise nahesteht. Die Brücke dürfte Eichendorffs liedhafte Lyrik geschlagen haben. Gewisse biedermeierliche Einschläge sind sowohl im Kunstwollen Eichendorffs als verstärkt bei Chamisso zu verzeichnen. Sie durchwirken allenthalben das ζ. T. ein wenig derbere Gewebe der Schwäbischen Heimatkunst und treten etwa bei Karl Mayer nur besonders sichtbar zutage. Von einem eigenen Kunstwollen kann bei G u s t a v S c h w a b (1792—1850), bei dem eine halb biedermeierlich, halb historisch gefärbte Sammlerfreude sich geltend macht (Bearbeitung „Deutsche Volksbücher", damit der Linie Görres-Simrock einzuordnen, Mustersammlung von Proben des Prosastils: Die deutsche Prosa von Mosheim bis auf 30 M a r k w a r d t , Poetik III

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unsere Tage u.a.), kaum ernsthaft die Rede sein. Es mag mit dem religiösen Zuge des Gymnasialprofessors und Konsistorialrates zusammenhängen, wenn nicht allein in der Prosa-Sammlung die Erbauungsprosa merklich mit Liebe betreut, sondern auch durch eigenes Beispiel (die „Legende von den heiligen drei Königen") die Legendenform in Pflege genommen wird. Vielleicht ist dies für das Eigenwollen charakteristischer als die bekannteren Gedichte teils balladesker Art (Der Reiter auf dem Bodensee, Das Gewitter) oder das Studentenlied (Lied eines abziehenden Burschen). Der Balladendichter Schwab sucht den Mangel an rein dichterischer Substanz in den wirksamsten Fällen durch eine veräußerlichte Spannung zu ersetzen. Der Wille zur inhaltlichen Spannung überwältigt dabei den Willen zur künstlerisch formenden Anspannung. Gustav Schwab rechnete es sich in einem seiner Gedichte zur Ehre an, ein „Schüler" Uhlands zu heißen. Und wenn Justinus Kerner gelegentlich für die einzelnen Glieder des Schwäbischen Kreises das unerläßliche Stück Originalität zu retten versucht, indem er betont „Bei uns gibts keine Schule / Mit eigenem Schnabel jeder singt / Was halt ihm aus dem Herzen springt", so verbindet sich bei solcher merklich vorbeugenden Abwehr das naheliegende individuelle Geltungsstreben des Künstlertums (und Künstlerruhms) mit der Vorstellung einer Naturpoesie, die etwa dem Kunstwollen der jüngeren Romantik entspricht, nur vielleicht die Verschlichtung noch ernstlicher auffaßt. Indessen die Anzeichen einer in ihrem Kunstwollen und Kunststreben verwandten Gruppe sind deutlich genug gegeben: Uhland bildet die Kernzelle; mit ihm ist Justinus Kerner persönlich befreundet, mit ihm ist Karl Mayer persönlich befreundet, und das „Schüler"-Bekenntnis Schwabs vervollständigt dieses Bild. Da ist eine studentischromantisch gefärbte Keimzelle in Tübingen; und nicht nur Eichendorff hat hervorgehoben, wie vieles derartige studentisch-jugendliche Gruppen an jenem „Poetischen" schlechtweg bergen können. Man besitzt ein eigenes kleines Bundesblättchen, wenn auch vorerst nur in handschriftlicher Aufmachung, das sogenannte „Sonntagsblatt", zu dem Uhland, Kerner und Mayer Beiträge liefern. Daraus erwächst der „Poetische Almanach für das Jahr 18x2" (hrsg. von Schwab u. Kerner), während der „Deutsche Dichterwald von Justinus Kerner, Friedrich Baron de la Motte Fouquö, Ludwig Uhland und Anderen" (Tübingen 1813) schon ein wenig aufgelockerter wirkt.. Kurz: das individuelle Kunstwollen stärkt

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und stützt sich deutlich an einem Gruppengefühl, am Gemeinsamen der Bestrebungen. Was Eichendorff als Eigenerleben auszeichnet, das Fruchtbarmachen der Heimatliebe, wird in diesem Kreise gleichsam zu einem Gruppen- und Gemeinschaftserlebnis. Es ist dies nicht so ganz unerheblich angesichts der Entwicklung der Heimatdichtung im neunzehnten Jahrhundert. Auf der anderen Seite würde man dem Kunstwollen und Kunstschaffen des Schwäbischen Kreises nicht voll gerecht werden, wenn man es ausschließlich auf den Typus der Heimatdichtung einengen wollte. Nicht allein das Volkstümliche verbindet sich mit dem Heimatlichen; ein lebhafter historischer Antrieb ist in Uhland wirksam, ein ausgesprochener Hang zu den „Nachtseiten der Naturwissenschaft" bei Justinus Kerner unverkennbar, den nicht nur als Arzt die „neuen Wissenschaften" fesseln. Davon zeugt die von seiner Hand aufgezeichnete „Geschichte zweier Somnambulen" (1824) ebenso wie der bekanntere Bericht über „Die Seherin von Prevorst, Eröffnungen über das innere Leben des Menschen" (1829). Besucher wie Baader, Görres, Schelling, Schleiermacher, deren Anteilnahme nicht zum wenigsten Friederike Hauffe (eben der Seherin von Prevorst) galt, versinnbildlichen gleichsam jene engere Verknüpfung Justinus Kerners mit der Romantik, wie denn zu den Gästen des Kernerhauses neben der engeren Gruppe der Uhland, Karl Mayer, Schwab, Alexander von Württemberg und Wilhelm Müller auch Achim von Arnim und Ludwig Tieck zu zählen sind. Nicht ohne Selbstironie beleuchtet der Magus von Weinsberg, wie man Kerner auch wohl zubenannte, das Verhältnis seines Poetenruhmes, seines Geistesruhmes und seines Geisterruhmes; durch poetische und ärztliche Kunst lebe er wohl nur flüchtig im Gedächtnis der Mitwelt: „Nur wenn man von Geistern spricht / Denkt man mein noch — und schimpft tüchtig". Die Mischung von idyllischer Eigenbrödelei und Tiefsinn, von Sinnigkeit und Tiefsinnigkeit kommt nicht zum wenigsten in seinem mit Liebe betreuten (aber nicht erschienenen) „Hadesbuch", einer mit Verssprüchen erläuterten Sammlung von „Klecksographien" nicht ohne eine gewisse Bizarrerie zum Ausdruck. Die „Mischung des höchsten Ernstes mit dem ungebundensten Spaß" rühmt noch Friedrich Hebbel an jener auch im Hinblick auf H. Heine bemerkenswerten Sonderform der stimmungsvoll, teilweise auch humoristisch aufgelockerten Reisebeschreibungen „Reiseschatten von dem Schatten30·

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spieler Luchs" (1811). Die Kunsttechnik der Empfindungsanalyse des menschlichen Inneren, ohne große Geschehensanteile nötig zu haben, und so „sein ganzes Ich nach und nach abzuwickeln wie ein Gespinst" (Hebbel), kurz das eigenwegige und eigenwillige Kunstwollen dieser „Reiseschatten", die zeitlich wesentlich vor Heines „Reisebildern" lagen, sind recht aufschlußreich für die werklatente Poetik. Wie G. Schwab die Legende, nimmt J. Kerner diese Spielart des Reiseromans in Pflege. Daß neben einer gewissen Neigung zum Düsteren und Unheimlichen (Die vier wahnsinnigen Brüder, Kaiser Rudolfs Ritt zum Grabe) durchaus auch hellere Stimmungslagen von dem Lyriker Kerner beherrscht wurden (Der reichste Fürst), ja das Kindergemüt warmherzig angesprochen wird (Guter Rat), daß Frische und Wehmut zu ihrem Recht kommen (Wohlauf, noch getrunken den funkelnden Wein bzw. Dort unten in der Mühle): alles das sind bemerkenswerte Äußerungen seines Kunstwollens. Und doch sagt es vielleicht mit wenigen Worten mehr, wenn man darauf hinweist, daß Kerners Handwerksburschenlied (Mir träumt, ich flog' gar bange . . .) ζ. B. ohne weiteres in „Des Knaben Wunderhorn" stehen könnte und auch wirklich dort stand. Ebenso finden sich Uhlands erste Balladen in Achim von Arnims „Zeitung für Einsiedler" (1808). So wird auch äußerlich die Fühlung der Schwäbischen Romantik mit der jüngeren Romantik greifbar; ebenso die zeitliche Überschneidung, die durch das Nacheinander der Darstellungen in den Literaturgeschichten leicht verwischt werden kann. Zu eben dieser Zeit fällt Uhland ein Urteil über die „eigentliche Poesie", das erkennen läßt, wie verhältnismäßig weitgehend der teils merkliche Mangel an unmittelbarer Gefühlswärme dennoch seinem Kunstwollen und seiner Kunstauffassung entsprochen zu haben scheint. Brieflich äußert er sich gegenüber Karl Mayer in dieser Hinsicht einmal so: „Dieses Aussprechen von G e f ü h l e n . . . scheint mir nämlich nicht die eigentliche Poesie auszumachen. Schaffen soll der Dichter, hervorbringen, nicht bloß leiden und das Gegebene beleuchten" (12. Aug. 1809). Es ist nicht so ganz unwahrscheinlich, daß der junge Uhland dabei noch unselbständig sich die Vorwürfe und Forderungen zu eigen gemacht hat, die von Jean Pauls „Vorschule der Ästhetik" her geläufig waren. Immerhin traf offenbar die eigene Meinung damit zusammen. Und wenn bei Justinus Kerner die ganze Färbung der Lyrik satter, weicher, durchweg auch gefühlswärmer wirkt als bei Uhland, so

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könnte also dahinter nicht ein bloßes Unvermögen, sondern auch ein anders gerichtetes Kunstwollen stehen. Nicht erst der Tübinger Professor neigt zu einer gewissen, oft ein wenig vernünftig-nüchternen Sachlichkeit, die im Dichterischen gern das Stofflich-Inhaltliche hervorkehrt. Der epische Einschlag in seiner Lyrik würde dieser Stoffreudigkeit zwanglos folgen, ζ. T. aber auch nur dem volksliedhaften Typus gemäß sein. Dabei soll nicht unterschätzt werden, daß trotz der verhältnismäßig kurzen Epoche der Produktivität (deren Kürze sogar die Psychiater auf den Plan gerufen hat) das Kunstwollen eine deutliche Entwicklung erfährt. Der ζ. T. noch epigonenhafte Stil der Frühepoche in seiner Balladendichtung bevorzugt eine mittelalterliche Ritterromantik mit begrenztem Stimmungsumfang und Motivkreis und sentimentalem Wirkungswillen (Sterbende Helden; Der blinde König; Der Sänger; Das Schloß am Meer). Formungstechnisch bleibt noch manches in der bloßen Versepik stecken. Im Einzelnen hat die Sonderforschung diese Entwicklungs-Wandlungen verfolgt. Und es leuchtet ohne weiteres ein, daß Balladen und Romanzen wie „Taillefer" oder „Des Sängers Fluch" ein geklärteres Kunstwollen bewähren, daß der Stimmungsreichtum und die Spannungsweite gekräftigt erscheinen etwa in den wiederum später liegenden „Der Schenk von Limburg", anekdotenhaft-gelockerter, gelöster und beschwingter, oder in „Bertran de Born"; „Der Waller"; „Ver sacrum"; „Das Glück von Edenhall", durchweg schwerer, teils wuchtig und nicht ohne starke und imposante Ballung der Darstellungskraft. Wie bei Kerner und Schwab als Erzähler ist auch bei Uhland als Balladendichter eine Sonderform zu verzeichnen, die schalkhaft behaglich erzählende „Märe" (Schwäbische Kunde). Inwiefern die Märenkunde biedermeierlichen Keimkräften Entfaltungsmöglichkeiten bietet (und bieten soll), braucht kaum ausdrücklich erläutert zu werden. Treuherziger Biedersinn fügt sich vorzüglich in diese Form. Wenn Ludolf Wienbarg den Balladendichter Uhland einen gleichsam in tausend Stücke zersprungenen Dramatiker genannt hat, so will die Anknüpfung des Vergleichsbildes weder bei den Balladen noch bei den Dramen Uhlands so recht gelingen. Denn im Durchschnitt steckt in den Balladen mehr Versepik von spannungsreicherem Geschehensimpuls als ausgesprochene Dramatik, wie ein Vergleich mit Schiller sogleich verdeutlichen würde. Und Uhlands Dramen und dramatische Entwürfe bestätigen noch weniger den „eigentlichen", nur eben zersplitterten Dramatiker. Von

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der Kunsttheorie her gesehen, interessieren die dramatischen Versuche „Ernst, Herzog von Schwaben" (1818) und „Ludwig der Bayer" (entstd. 1818/19, a u % · 1826), die Schiller verpflichtet sind, wie auch die Entwürfe (Konradin; Otto von Wittelsbach) vor allem unter dem Gesichtspunkt des V e r h ä l t n i s s e s v o n P o e s i e und H i s t o r i e , von D i c h t u n g und D a t e n t r e u e . Brieflich bekundet Uhland seinem Vater „Ich habe mich hierin (Ludwig d. Bayer) treu an die Geschichte gehalten und die noch vorhandenen Urkunden fast wörtlich benutzt" (20. Mai 1818). Mochte angesichts des Preisausschreibens der Münchener Hoftheaterintendanz rein äußerlich die Rücksicht darauf ein wenig mitspielen, daß in der Preiskommission „ohne Zweifel Historiker" saßen, das Kunstwollen also durch den Erfolgswillen etwas eingetrübt sein: noch 1851 vertritt Uhland auch grundsätzlich das Anrecht des historischen Sinnes auf ein Vorherrschenlassen der Datentreue. Fast klingt es wie ähnliche Äußerungen H. W. Riehls, wenn er hervorhebt: „Nachdem unserer Zeit die urkundliche Geschichte allgemeiner zugänglich geworden ist, hat der Dichter den Wettstreit mit dem Geschichtsschreiber zu bestehen". Uhland würde sich also im Wertverhältnis von d i c h t e r i s c h e r F r e i h e i t und D a t e n t r e u e zugunsten der Datentreue entscheiden. Letzten Endes grundlegend für solche Entscheidung war offenbar sein eigener historischer Sinn, der sich vor allem als literaturhistorischer Sinn bei dem Romanisten und Germanisten Uhland äußert. Wie er durch das ernsthafte Studium altfranzösischer Epen in seiner Pariser Zeit (Aufsatz über das altfranzösische Epos) einerseits ζ. T. wertvolle motivliche Anregungen für seine Balladendichtung gewonnen hatte, so begnügt er sich auf der anderen Seite nicht mit bloßen dichterischen Anverwandlungsversuchen des Volksliedhaften, sondern ist in späteren Jahren (etwa 1836—45) in wissenschaftlicher Erforschung dem W e r d e n und W e s e n des V o l k s l i e d e s mit großer Liebe und zäher Ausdauer nachgegangen, wie nicht allein die Sammlung „Alte hoch- und niederdeutsche Volkslieder" mit ihren begleitenden „Abhandlungen und Anmerkungen" beweist, sondern auch die Abhandlung über die deutschen Volkslieder. Wie eine Planskizze aus dem Nachlaß bestätigt, ging sein Streben noch wesentlich über das dann Gebotene hinaus. Geplant war u. a. ein „Eingehen auf das Wesen und den Grund aller Volkspoesie und der Deutschen insbesondere im Leben und den poetischen Vorstellungen des Volkes". Das würde eine

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Ergänzung, wohl auch Berichtigung der Konzeption Jakob Grimms ankündigen. Aber auch das Vorhandene läßt bereits ablesen, wie Uhland sich das Wechselspiel von Volksdichtung und Kunstdichtung vorstellte. Während „neuere" Forschung nachweisen zu können meinte, daß es sich beim Volkslied und der Volkspoesie vielfach um gesunkenes Kulturgut gehandelt habe, nimmt Uhland, darin offenbar J. Grimm folgend, fast umgekehrt an, daß ein volksmäßiger Liedtypus den Urgrund und Ursprung für die spätere Kunstdichtung geboten und bedeutet habe (etwa im 12. Jahrhundert noch sporadisch erschließbar), deren spätere Vorherrschaft das Volkslied beiseitegedrängt, bis es sich (seit dem 14. u. bes. im 16. Jahrh.) erneut Wuchsraum und Geltung verschafft habe. In abgelegenen Gegenden habe sich dagegen das Volkslied, in dessen mündliche Überlieferung der kritische Philologe Uhland sonst kein großes Vertrauen setzt, „bis auf die letzte Zeit im Munde des Volkes erhalten". Während der Sturm und Drang (auch der jüngere Herder) die Würfe und Sprünge in der oft unterbrochenen Abfolge des Geschehens für ein Wesensmerkmal des Volksliedhaften und der Volksballade erklärt hatte, erkennt Uhlands behutsamere Deutung darin einen Beleg und eine bloße Begleiterscheinung der unpflegsamen Überlieferungsart, nicht also ein Merkmal des Wesens, sondern ein Merkmal des Werdens. Eine gewisse Vorstellung vom Zersungenwerden des Volksliedes ist ihm bereits geläufig. Auch als Mittel und Möglichkeit der Volkskunde wird das Volkslied eingespannt. Denn so wie einerseits das Volkslied nur aus dem Volksleben heraus sinnvoll und verständnisvoll zu deuten, zu verstehen und zu erläutern sei, so könne andererseits das V o l k „ o h n e B e i z i e h u n g s e i n e r P o e s i e " n i c h t w i r k l i c h e r k a n n t und verstanden werden. Uhland kommt es in der „ A b h a n d l u n g ü b e r d i e d e u t s c h e n V o l k s l i e d e r " anders als A. V.Arnim) weniger auf ein Preisen der Vorzüge als auf ein historisches Verstehen und sachliches Umschreiben und Beschreiben an. In diesem Sinne g i l t i h m d a s V o l k s l i e d a l s : ein „überall gangbarer Gesang", der motivlich „gemeingültige Gegenstände" bevorzugt und formungstechnisch in „schlichterem Stil und einfacheren Formen" gehalten ist. Es bewahrt sich in ihm trotz vorübergehenden Aufgesogenwerdens durch die Kunstdichtung eine „unverlorene Volksart". Auch das Merkwort „ V o l k s t o n " findet Verwendung. Und ein wenig schon kündigt sich das dann im Entwicklungsraum des poetischen Realismus so beliebte Richtungs-

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und Wertungswort vom „Naturton" und „Naturlaut" an, wenn Uhland meint, daß derartige „Stimmen aus Feld und Wald" bald selbst an den Höfen „willkommen" gewesen seien. Die Anschauung der Romantik kommt zum Ausdruck in der Ansicht, daß die Epoche des Volksliedes (vor allem die sog. „altdeutsche" Zeit) in ihrer ganzen „Geistesrichtung wesentlich eine poetische war". Daher kann man immer nur „im Lichte der Poesie" jener Zeit die Epoche recht und gerecht beurteilen, wie denn auch die (nicht mehr so selbstverständlich hingenommene) Vorliebe für das Wunderbare im Sinne des Aberglaubens (Gespensterglaube usw.) vom poetischen Blickwinkel aus in milderer und mildernder Beleuchtung begegnet. Fast scheint Eichendorff mitzusprechen, wenn vom frischen, naturfrohen Sinn des Volkes so warmherzig die Rede ist. Im Übrigen hat fraglos Jakob Grimm manche Anschauung Uhlands, etwa die über das Tierepos und das Verhältnis von Kunstund Volkspoesie, beeinflußt. Aber von einer kritiklosen Übernahme hält sich nicht allein Uhlands Bewußtsein gründlichen eigenen Forschens frei. Vielmehr dürfte auch das Selbstgefühl des Dichters jenes niederdrückende Übergewicht der Natur- und Volkspoesie wesentlich gelockert haben. Das liebevolle Bewahren der Volkspoesie schließt nicht mehr eine Bewährung in der Kunstpoesie aus. Ebenso wird der Primat des Mythologischen gebrochen. Zwar besteht in der „jugendkräftigen Poesie der unverbildeten Völker", wie es mit fast Herderschen Worten heißt, noch ganz die schöne Einstimmigkeit des Poetischen mit dem Natürlichen und Naturganzen. Aber wenngleich die von vielen Göttern beseelte Natur mehr und mehr entgöttert wird, so bleibt doch „jene B e f r e u n d u n g des G e m ü t s mit der N a t u r " als menschliches Bedürfnis bestehen und wird auf späteren Entwicklungsstufen in die sittliche Wertebene eben nur „weiter hinauf" verlagert, nämlich in die Vorstellung eines alles durchwaltenden Schöpfergottes, der die Menschenseele „mit der schönen Natur zum Einklang verbunden hat". Das Mythische wandelt sich so zum Religiösen. Trotz fortschrittlicher Einstellung erscheint also bei Uhland die Weite des Wunders keineswegs so ganz aufgehoben, sondern vermeintlich emporgehoben auf eine höhere Schicht menschlicher Einsicht in göttlich waltendes Wesen. Die Natur, zugleich als Kunstwert und Kunstwerk etwa nach Schellings Art gesehen und gedeutet, entzieht sich in ihrer Ganzheit der formungskünstlerischen Erfassung, die also auf ein Sinnbild-

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haftes, auf das irdische Gleichnis angewiesen bleibt. In seinem kunsttheoretisch beachtenswerten Gedicht, das er „ D e m K ü n s t l e r " (1808) widmet und das — ebenso wie etwa Köslins „Gespräch am Sonntag-Morgen" — merklich der Bannkraft der „Faust"Sprache verfallen ist, wird diese romantische N a t u r a u f f a s s u n g im R a h m e n der K u n s t a u f f a s s u n g deutlich erkennbar und widergespiegelt. Doch mag der Hinweis auf das irdische Gleichnis andeuten helfen, daß neben Schelling auch Goethe wirksam geworden sein dürfte, vielleicht der eine durch den anderen hindurchwirkend, wobei Goethe für Uhland die größere Nähe besaß. Überall jedoch ist das Ineinandergreifen und Ineinanderspielen romantischer und klassischer Leitkräfte oder doch Geleitkräfte und Begleitkräfte in Uhlands Kunstanschauung und ihren Bekundungen unverkennbar, wobei die Entwicklungstendenz und das ihr zugrundeliegende Neigungsgefälle vom Romantischen verstärkt auf das Klassische hinzulenken und hinauszulaufen scheint. Jedenfalls glaubt die Sonderforschung, und zwar gerade diejenige, welche von einer „Schwäbischen Romantik" spricht (H. 0. Burger), im Verhältnis der einzelnen Beiträge Uhlands zu Problemen der Ästhetik eine zunehmende Neigung zur „Objektivierung des Unendlichen" beobachten zu können. Ob allerdings im Verhältnis des Aufsatzes „ Ü b e r d a s R o m a n t i s c h e " , der in zwei Fassungen vorliegt, zum Aufsatz-Entwurfe „ U b e r d a s W e s e n der P o e s i e " , der ungedruckt blieb und wohl für das Sonntagsblatt vorgesehen war, eine so lebhafte und scharf markierte Wendung der ganzen Gedankenrichtung eingetreten ist, wie die Sonderforschung z.T. annimmt, mag hier billig dahingestellt bleiben (wie vollends die vermeintliche „Schwenkung um 180 0 "). Das W e g s u c h e n z w i s c h e n N a c h k l a s s i k u n d N a c h r o m a n t i k , wie es weithin das erste Drittel des neunzehnten Jahrhunderts kennzeichnet und bestimmt, brachte vielmehr einen Austausch der jeweils vorherrschenden Richtpunkte ohne weiteres mit sich. Es braucht sich also bei derartigen Erscheinungen und wechselnden Entscheidungen noch nicht um ein für den einzelnen Kunsttheoretiker irgendwie Charakteristisches oder Eigentümliches zu handeln. So steht es auch — und nicht zuletzt — mit Uhlands Kunstauffassung, der man nicht gar zu sehr eine denkerische Tiefe an-deuten sollte. Es kommt hinzu, daß Nachlaßaufsätze eben doch nicht wirksam in die Entwicklung der Geschichte der Poetik eingegriffen haben,

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ganz abgesehen davon, daß der Grad ihrer Originalität nicht immer eindeutig festzustellen sein wird. Manches in ihnen kann (und wird häufig genug) mehr als ein Vermerken und Bewahren fremder, als irgendwie fruchtbar erkannter Meinungen aufgefaßt werden, ähnlich dem Aphorismen- u. Fragmenten-Nachlaß der Romantiker (etwa Novalis'). Dagegen sind Einzelbeobachtungen immerhin beachtenswert wie etwa die, daß innerhalb der beiden Fassungen des Aufsatzes „Über das Romantische" die psychologische Auffassung des Romantischen einer metaphysischen Auffassung des Romantischen weicht. Obwohl in Angleichung an größere Vorbilder die Fragestellung kritischer Art sich bei derartigen „Vertiefungs"-Versuchen aufdrängt: Uhland ein Metaphysiker? Vielleicht jedoch führt noch am relativ weitesten, und zwar weiter als die Anklänge an Schelling, die Abwehr Kants u. a. die schlichte Mahnung, daß auch das Schöpfertum des Künstlertums sich seiner Grenzen bewußt bleiben müsse. Denn für Schelling schien ja fast die Kunst das Muster für die Natur werden zu wollen in Umkehrung der älteren Mimesislehre. Das religiös gefärbte „Schwärmer heißen"-Wollen weicht bei Uhland doch wohl in Wirklichkeit mehr einem Gestalter-Sein-Wollen. Aber beide weisen letzten Endes auf ein Sich-Bescheiden-Wollen. Und wenn vom „Romantischen", wie Uhland es sah, die laute Größe im Sinne des Sturmes und Dranges ausgeschlossen bleiben sollte (ζ. B. Ansicht einer geringen poetischen Wirkungsfähigkeit in Motiven wie erhabenen Naturerscheinungen: Gewitter oder Orkan u. a.), wenn auf der anderen Seite aber auch die stille Größe der Werkvollendungsfreude der Klassik abgedämpft wird, so liegt in dieser Mahnung zum Sich-Bescheiden-Müssen neben dem Anteil religiös gestimmter Demut zugleich (und teils aus ihr hervorgehend) bereits eine nicht geringe Keimkraft für die spätere Entfaltung eines literarischen Biedermeiertums. In der Schwäbischen Romantik, wenn anders man überhaupt das dichterische Kunstwollen und Kunstschaffen im Schwäbischen Dichterkreise und in den ihm benachbarten Strebensrichtungen so anspruchsvoll umschreiben will, liegt, gemessen an der Hochromantik, naturgemäß eine Abschwächungsform vor, die indessen in ihrer Art auch wiederum mancherlei Stärken und Vorzüge aufweist. Eine wirkliche Abflachungsform liegt dagegen in der Trivialromantik vor, die kunsttheoretisch zu unbedeutend ist, als daß sie an dieser Stelle einbezogen werden müßte.

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Von einem „Verfall" der Romantik (R. Huch) kann nur dann und nur dort die Rede sein, wenn man und wo man die romantische „Schule" als Literaturrichtung und zeitbedingte, also auch zeitlich begrenzte Dichtungsepoche meint. Dann wäre etwa die Trivialromantik das Zerfallsprodukt. Und es besteht hier weder Anlaß noch die Absicht, auf Äußerungen des „Kunst"-Wollens der Trivialromantik einzugehen. Bereits im Rahmen der Schicksalsdramatik, etwa bei Chr. Emst von Houwald (Das Bild, Der Leuchtturm), streift man hart an das Trivialromantische mit Einschlägen des nachklassischen Epigonentums. Das Recht zu einem solchen Verzicht läßt sich zwanglos schon aus dem Umstand herleiten, daß ein eigentliches Kunstwollen im ernst zu nehmenden Sinne gar nicht vorlag oder doch, wo es äußerlich vorzuliegen scheint, vielfach auf Selbsttäuschung und Selbstberuhigung beruhte. In Wirklichkeit handelt es sich durchweg um nicht selten mit Scheinsicherheit verbrämte Entschuldigungen, ungerechtfertigte Berufung auf vermeintliche Vorbilder, von denen man nur Zerrbilder zu bieten vermochte, und anspruchsvolle Ablenkungsversuche theoretischer Art von dem z.T. recht nackt zutagetretenden Unvermögen. Schon die Vorredenpoetik A. Müllners nähert sich bedenklich diesem Typus. Die Romantik als Lebensgefühl und Stilform jedoch hat, nachdem sie einmal ihre historische Verdichtung in der Romantik als Epoche gefunden hatte, nicht aufgehört, zum mindesten begleitend, streckenweise auch erneut leitend (Neuromantik) auf die Entwicklung und Wandlung des Kunstwollens und der dichterischen Kunstauffassung und Kunstanschauung einzuwirken. Ein Entsprechendes gilt indessen auch von der Klassik. Und es folgt nur den allgemeinen Entwicklungsgesetzen und Ablösungsvorgängen, wenn sich beim vorerst ermüdeten Nachlassen der romantischen Antriebe wiederum die klassischen Werte und Wirkungen mehr in den Vordergrund schoben. Der Mißkredit, in den unzulängliche Nachahmer und Epigonen klassischer und romantischer Muster und Meister das hochwertige Kunstwollen der Klassik und Romantik vorübergehend bringen konnten, bedeutete keinen Verfall, sondern letztlich nur einen verantwortungsarmen oder verantwortungslosen Mißbrauch, teils auch ein bloßes Mißverstehen des dort Erstrebten und Erreichten. Sobald daher und wo immer auch echte Begabungen wie Grillparzer oder Platen, Lenau oder Mörike, Immermann oder Heine

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ihr Kunstwollen an dem der Klassik oder Romantik oder beider Strebensrichtungen und Stilmächte zu stützen und zu stärken oder zu klären und zu modifizieren suchten, stellte sich, gewiß verschieden im Wirkungsgrad, aber doch unverkennbar im Wertbewußtsein, die dauerwertige Lebenskraft und das künstlerische Ansehen weitgehend wieder her. Es ergibt sich dergestalt ganz unverkennbar ein Wegsuchen zwischen Nachklassik und Nachromantik auf weiten Strecken des neunzehnten Jahrhunderts als ungefähre Gesamtrichtung. Als ungefähre, wie es einem Wegsuchen zukommt. Indem man aber auf dieser Wegsuche gern ein wenig an den idyllischen Raststellen verweilte, erkannte man nicht selten, daß die eigene Anlage und das Zufluchtsuchen vor mancherlei zeitgegebener Enttäuschung recht eigentlich als Ziel eben das nahelegte, was in der Gesamtbewegung nur wie eine Raststelle der besinnlichen Einschau und behaglichen Umschau erschienen war. Kurz, dieses Wegerkunden zwischen Nachklassik und Nachromantik endete häufig beim literarischen Biedermeier. Auch noch in einer Epoche vorherrschend politisch bestimmter und kämpferisch gestimmter Kunstgesinnung rettet sich in das Biedermeierliche hinüber ein wesentlicher Restbestand der relativen Zweckbefreitheit und Überzeugung vom Selbstwert des Kunstwollens der Goethezeit. Schon diese Beobachtung deutet an, daß es nicht so ohne weiteres einen Widerspruch in sich selbst darstellt, wenn jenes Wegsuchen, das noch im poetischen Realismus erkennbar bleibt, zunächst biedermeierliche Richtungen einschlug. Wieweit aus der bloßen Erschöpfung einer auf die Dauer nicht aufrecht zu erhaltenden Hochspannung dennoch eine eigenwertige Schöpfung werden konnte, wird bei der Würdigung des biedermeierlichen Kunstwollens späterhin näher zu erläutern sein. Ebenso die Frage, wieweit aus der bloßen Flucht vor der Zeitbewegung und Zeiterregung eine Zuflucht zu in sich wesenseigenen und wesensechten Schichten einer möglichen (wenngleich nicht der besten aller möglichen) Kunstentfaltung werden konnte. Das nähere Verfolgen dieser Entwicklung wie überhaupt des Kunstwollens und der dichterischen Kunstauffassung im neunzehnten Jahrhundert wird einer gesonderten Darstellung vorbehalten bleiben müssen.

Anmerkungen Im Unterschied zu Band II sind die Exkurse, bes. zur werkimmanenten Poetik, aus den im Vorwort erwähnten Gründen weiter ausgebaut worden, während die Einzelanmerkungen — besonders im Abschnitt Romantik — etwas zurücktreten, was dadurch gerechtfertigt erscheinen dürfte, daß für die hier behandelten Zeitabschnitte eine größere Vertrautheit mit der Sekundärliteratur beim Leser vorausgesetzt werden kann. Zudem sind im darstellenden Text häufiger als in den anderen beiden Bänden andeutende Hinweise auf die Sonderforschung erfolgt, die dem Kenner genug sagen. Exkurse zur werkimmanenten Poetik: Goethe S. 504 f., Schiller S. 521 f., Hölderlin S. 548 f., Tieck S. 572 f., Novalis S. 595 f., Brentano S. 611 f., Arnim S. 620 f., Kleist S. 637 f., Jean Paul S. 658 f., Ε. T. A. Hoffmann S. 669 f., Zacharias Werner S. 677 f., Eichendorff S. 685 f. Den Gesamtberichtsraum umspannen Werke wie: H e r m a n n A u g u s t K o r f f : Geist der Goethezeit, Band II: Klassik (Leipzig 1930, 2. Aufl. 1954), Band I I I : Frühromantik (Leipzig 1940, 2. Aufl. 1949,3. Aufl. 1954), Band I V : Hochromantik (Leipzig 1953), Band V mit Anmerkungen und Register ist — nach freundlicher mündlicher Mitteilung des Verfassers — in absehbarer Zeit zu erwarten. — F r a n z S c h u l t z : Klassik und Romantik der Deutschen, in: Epochen der deutschen Literatur Band IV/i und 2. Stuttgart 1935 und 1940, 2. Aufl. (postum) 1952 mit Anhang: Der gegenwärtige Stand der Romantikforschung (Band 2, S. 429 bis 439). — F r i t z S t r i c h : Deutsche Klassik und Romantik, 4. Aufl. Bern 1949. — Sonderaspekte treten stärker zutage bei W a l t e r R e h m : Griechentum und Goethezeit, Leipzig 1936 und Ders.: Götterstille und Göttertrauer, ein Beitrag zur Geschichte der klassisch-romantischen Antikendeutung, in: Jb. d. Freien Dt. Hochstifts 1931, Buchfassung München 1951. — W. H. B r u f o r d : Gesellschaftliche Grundlagen der Goethezeit, Weimar 1936. — R e i n h a r d B u c h w a l d : Das Vermächtnis der deutschen Klassiker, Leipzig 1944. — Für breitere Kreise bestimmt und mit scharf gesellschaftskritischer Tendenz P a u l R e i m a n n : Hauptströmungen der deutschen Literatur 1750—1848, Berlin 1956 (vgl. dazu diese Anmerkungen S. 487).

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ANMERKUNGEN

Klassik Η. A. Korff a.a.O. Band II (Neuaufl.); hervorgehoben sei der Abschnitt „Kunstanschauung" S. 401 ff. — Zur Begriffsbestimmung vgl. Rudolf Unger: Klassizismus und Klassik, in: Neue Jbb. f. Wiss. u. Jugendbildung Bd. 8 (1932). —Alexander Heussler: Klassik und Klassizismus in der deutschen Literatur. Studie über zwei literarhistorische Begriffe, Bern 1952 = „Sprache und Dichtung", hrsg. v. F. Strich u. W. Henzen, Bd. 76 (Berner Diss.). — E r n s t Bergmann: Die klass.-dt. Bildungswelt, Philos. Reihe Nr. 16, 1921. — K. Bornhausen: Schiller, Goethe und das deutsche Menschheitsideal, Leipzig 1921. — E r n s t Cassirer: Idee und Gestalt, 1921. — Ferd. Denk: Ein Streit um Gehalt und Gestalt des Kunstwerks in der deutschen Klassik, in: GRM Jg. 18 (1930), S. 427ff. — Ders.: Das Kunstschöne und Charakteristische von Winckelmann bis Friedrich Schlegel, Diss. München 1925. — B e n n o von Wiese: Das Humanitätsideal in der deutschen Klassik, in: GRM Jg. 20 (1932). — P. Binswangen Die deutsche Klassik und der Staatsgedanke, Berlin *933· — Rudolf Sühnel: Die Götter Griechenlands u. d. dt. Klassik, Würzburg 1935 (merklich von der Stefan George-Schule beeinflußt). — Ch. Ephraim: Wandel des Griechenbildes im 18. Jh. Winckelmann, Lessing, Herder 1936. — Hans Rose: Klassik und künstlerische Denkform des Abendlandes, München J 937· — E r n s t Merian-Genast: Das Problem der Form i. d. französischen u. deutschen Klassik, in: GRM Jg. 1927 (1939). — E r n s t Busch: Das Erlebnis des Schönen im Antikebild der deutschen Klassik, in: Dt. Vjschr. f. Lit.wiss. u. Geistesgesch. Jg. 1940. — Joachim Müller: Wirklichkeit und Klassik, Berlin 1955 (Klassik hier indessen nicht als Epochenbegriff, sondern als Wertungskriterium, dementsprechend gesammelte Aufsätze, reichen von Lessing bis Heine). S. 28.

Joh. Winckelmann. — Bibliographie von H. R u p p e r t (Jahresgabe d. W.-Gesellschaft 1942). — Carl J u s t i : Winckelmann u. seine Zeitgenossen, 3 Bde., 1866—72; 4. Aufl. i. 2 Bdn. 1943 (m. Einl. v. Ludw. Curtius u. Bibliographie). — Heinrich Segelken: Winckelmann, Stendal 1917. — Arnold E. Berger: Der jg. Herder u. Winckelmann, in: Studien z. dt. Philolog. Halle 1904. — Helene Stöcker: Zur Kunstanschauung des 18. Jhs., von Winckelmann bis Wackenroder, in: Palaestra Nr. 26 (1917). — E r n s t Bergmann: Das Leben u. das Wunder Joh. Winckelmanns, Volkelt-Festschrift, München 1918. —

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Μ. G. Zimmermann: Winckelmann, der Klassizismus u. d. märkische Kunst, Lpz. 19x8. — H u b e r t Ermisch: Winckelmann u. Sachsen, in: Neues Archiv für Sachs. Gesch. Nr. 39, Dresden 1918. — H. Thiersch: Winckelmann u. seine Bildnisse, München 1918. — Wilh. Waetzold: Deutsche Kunsthistoriker, Bd. I, S. 5iff., Lpz. 1921. — Hans Gerh. Evers: Studien zu Winckelmanns Stil, Diss. Göttingen 1924. — Maria Müller: Untersuchungen zur Sprache Winckelmanns, Diss. (Masch.) Lpz. 1926. — E r i c h Aron: Die deutsche Erweckung des Griechentums durch Winckelmann u. Herder, Heidelberg 1929 (mehr üb. Herder als Winckelmann). — Walther Rehm: Winckelmann und Lessing, 1941. — K. Gerstenberg: J. Winckelmann u. A. R. Mengs, 27. Hallisches W.-Programm 1929. — G o t t f r i e d Baumecker: Winckelmann in seinen Dresdner Schriften, die Entstehung von W.s Kunstanschauung u. ihr Verhältnis zur vorhergehenden Kunsttheoretik(l) mit Benutzung d. Pariser Manuskripte W.s dargestellt, Bln. 1933; dort S. 148—165 krit. Überblick über die bis dahin vorliegende W.-Literatur. — K. Eberlein: Winckelmann u. Frankreich, in Dt. Vjschr. Nr. 9 (1933) S. 592ff. — K. J. Obenauer: Die Problematik des ästhet. Menschen i. d. dt. Lit., Münch. I 933· — Konrad Kraus: Winckelmann u. Homer mit Benutzung d. Hamburger Homer-Ausschreibungen W.s, Bln. 1935 (S. 35—39 u. 66—69 einiges zur Kunsttheorie im engeren Sinne). — Wolfgang Schadewaldt: Winckelmann u. Homer, Lpz. 1941. — Curt Müller: Die geschichtl. Voraussetzungen des Symbolbegriffs in Goethes Kunstanschauung, Lpz. 1937 (Palaestra Nr. 211) über Winckelmann, a. a. 0., S. 20—85 warnt vor zu starker Pressung W.s hinsichtlich der neuplatonischen Ideengrundlage, wie sie bei E r n s t C as sir er „Freiheit u. Form" zu beobachten sei; übrigens scheint auch das von C. Müller anscheinend noch nicht berücksichtigte W.-Kapitel in Frz. Schultz: Klassik u. Romantik d. Deutschen (1. Aufl. 1935) nicht ganz frei von jener Deutung zu sein. Doch sei nicht nur in diesem Betracht, sondern auch wegen einiger Ergänzungen auf die Neufassung des W.-Kapitels in der Neuauflg. von 1952 verwiesen (dort Bd. I, S.68—158: „W.u. seine Wirkung — .Klassik' u. .Klassizismus' der Griechen"). S. 29.

Teilbeziehungen zwischen A u f k l ä r u n g und Klassik. — W. bleibt für derartige Beziehungen besonders

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kennzeichnend; es geht aber nicht gut an, ihn, wie H.-G. Thalheim es unternimmt, ganz aus der Aufklärung im engeren Sinne heraus zu deuten und entsprechend einzuengen. Die früher fraglos ζ. T. empfindlich spürbare Vernachlässigung der aufklärerischen weltanschaulichen Tragschicht darf nicht ins Gegenteil umschlagen. Franz Schultz drängt W. zu gewaltsam zur Romantik hinüber, Thalheim aber drückt ihn kaum weniger gewaltsam auf die Aufklärung als Ausgangsposition zurück. Eine Berührung beider Auffassungen bzw. eine Anknüpfung für Thalheim bot Franz Schultz, a. a. 0. (2. Aufl. Bd. I 1952), S. 73, wo W. als „Brennpunkt aller Unzufriedenheit mit den Verhältnissen seines Heimatlandes" gekennzeichnet wird, vgl. auch S. 77 (ζ. T. auch in der Neufassung seines W.-Kapitels, a. a. O., Bd. 1952, S. 154/55·) S. 30.

Bildkunsttheorie. — Eine dankenswerte Einzeluntersuchung bietet G. Baumecker: Winckelmann in seinen Dresdner Schriften, Bln. 1933. G. B. würdigt im Eingangskapitel die (Bild-) Kunsttheorie vor Winckelmann (S. 9 bis 34); aber auch in dem Kapitel über die einzelnen „Thesen" der Dresdner Schriften W.s erfolgt die Interpretation in ständigem Vergleichen mit den vorhergehenden bildkunsttheoretischen Lehren und Meinungen (S. 37—105). Baumecker stützt sich dabei auf das Material der Pariser Manuskripte Winckelmanns, die in zahlreichen Auszügen aus jenen Bildkunsttheoretikern Winckelmanns Vorarbeiten erkennen lassen. Ohne einer wilden Einflußjagd zu verfallen, sucht B. in erfreulich klarer u. behutsamer Weise Anlehnung u. Abhebung zur Geltung zu bringen. Einsichtig wirkt der kritische Uberblick über die Winckelmann-Literatur, S. 148—164, der auch an den Schwächen der großen Winckelmann-Biographie Justis nicht ängstlich voriibersieht. Es dürfte in Wirklichkeit mit Justis WinckelmannWerk ähnlich stehen wie mit R. Hayms gewiß immer noch ungleich wertvollerem Herder-Werk; beide Biographen haben kein rechtes inneres, kein erlebnismäßiges Verhältnis zu ihrem Thema, bekritteln gern, ohne über eine feingestufte Einfühlungsfähigkeit zu verfügen, ganz abgesehen von der Zeitbefangenheit, aus der heraus sie schreiben. Justi wird Winckelmann ebensowenig gerecht, wie Haym Herder gerecht wird. Das darf heute gesagt

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werden trotz aller Hochachtung, die jenen Werken, an ihrer Entstehungszeit gemessen, gebührt. S. 34.

H o m e r - E r l e b n i s . — Nachdem schon G. Baumecker (1933) die häufige Homer-Lektüre erneut hervorgehoben hatte, unternimmt es K o n r a d K r a u s : Winckelmann u. Homer, Bln. 1935, grundsätzlich die gesamte Erlebnisweise u. Sehweise der Antike bei Winckelmann zurückzuführen auf das richtunggebende Homer-Erlebnis. K. Kraus bringt a.a.O., S. 13/14 W.s l a t e i n i s c h e s H o m e r - G e d i c h t , S. 18—39 W.s Homer-Exzerpte, darunter „Homer-Worte", die auf W.s Kunstinteresse hinweisen, freilich auf nur etwa drei Seiten (S. 35—39). Auf Grund der Untersuchung v. W. S c h a d e w a l d t : W. u. Homer, Lpz. 1941 ergänzt Franz Schultz sein W.-Kapitel in der Neuauflg. (1952) Bd. I S. 74/75 bes. betr. des Homer-Erlebnisses.

S. 36.

K l a s s i z i s m u s u. K l a s s i k . — Gewisse Berührungen räumt selbst Frz. Schultz ein i. d. Ausgabe von 1935, S. 1 3 1 ; i. d. Neuausgabe von 1952, S. 150/51 (nun auch Schinkel u. Asmus Jakob Carstens herangezogen, um die Abhebung doch wieder zu verdeutlichen). Scharfe, etwas überspitzte Abhebung bei A l e x . H e u s s l e r a.a.O. (1952); Nachweis, daß sich ,,zwei Gestaltungsweisen der Kunst mit antiker Tendenz" (S. 35) gegenüberstehen, bes. an Gottscheds „Cato" und Goethes „Iphigenie"; Klassik: „Einheit" und „Idee", Klassizismus: „Einheiten" und „moralischer Satz"; Klassik im Sinne Fr. Strichs; vgl. S. 34, 36f., 43/44 (Metrik), 47, 52, 61.

S. 38.

Gegen das B a r o c k e . — Winckelmanns Kunstauffassung wird als „antibarock" umschrieben von K o n r a d K r a u s , a.a.O., S. 66 f. Doch dürfte im positiven Ausdeuten die Vorstellung des Organischen (in Abhebung vom Architektonischen) zu sehr auf Goethe u. K. Phil. Moritz hinüberweisen. In dem bei K. Kraus vorausgesetzten Grade tritt das „Organische" zum mindesten als Kernstück der Kunstanschauung Winckelmanns schwerlich zutage. Es bleibt bestenfalls Begleitmotiv, ohne indessen zum Leitmotiv erhoben zu werden. Im übrigen darf man nicht vergessen, daß auch die Aufklärung „antibarock" eingestellt war. Richtiger ist die Harmonievorstellung zur Geltung gebracht worden, a.a. 0., S. 37/38, über das Anti-Barocke auch F r z . S c h u l t z , a. a. O., Neuauflg. Bd. I (1952), S. 79.

31 M a r k w a r d t , Poetik III

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S. 39.

Zeichenlehre. — Obwohl er der Ausdrucks-Zeichenlehre besondere Aufmerksamkeit zuwendet u. ihr eine an sich richtig bemerkte Geltung einräumt, übergeht O. W a l z e l : Grenzen von Poesie u. Unpoesie (1937) diese Einschläge bei Winckelmann, der kaum irgendwie zur verdienten Geltung gelangt.

S.40.

Bezugnahme auf die D i c h t k u n s t . — Soweit möglich, wurde die durchweg unterschätzte Bezugnahme auf die Poesie durch Winckelmann berücksichtigt; doch wäre eine Sonderabhandlung über diese vernachlässigten Fragen erwünscht. Nicht nur hinsichtl. der Theorie des „Vergnügens" bestehen derartige Zusammenhänge, auch hinsichtl. der Motivwahl (ζ. B. des „Heroischen") usw. Kein Wunder, wenn W. nicht erst auf Goethe, sondern schon auf K. Phil. Moritz eingewirkt hat. Und nicht von ungefähr stellt Frz. S c h u l t z : Klassik u. Romantik der Deutschen (1935) S. 287 die These auf: „Der Ästhetiker Moritz ist an die Reihe Shaftesbury—Winckelmann— Herder angeschlossen". Freilich dürfte damit die Vielseitigkeit der von K. Phil. Moritz verwerteten u. verarbeiteten Anregungen keineswegs erschöpft sein.

S. 41.

Das A h n u n g s v o l l e u. Geheimnisvolle. — Es sollte in der Winckelmanndeutung nicht übersehen werden. Doch ist es nicht berechtigt, seine Kunstanschauung in das Zwielicht einer religiösen Mystik zu rücken. Dazu neigt allzu sehr das Winckelmann-Kapitel in Frz. S c h u l t z : Klassik u. Romantik der Deutschen, Stuttgart 1935, bes. S. 96/97, 100 u. ö. Schon E. Aron: Die dt. Erweckung des Griechentums durch Winckelmann u. Herder (1929), S. 22 hatte ein „beinah pietistisches Erbauungspathos" in Winckelmann hineingedeutet. G. B a u m e c k e r : Winckelmann in seinen Dresdner Schriften (1933), S. 161 übt berechtigte Kritik an dieser tendenziösen Umdeutung. Frz. S c h u l t z übertrifft E. Aron noch an Hineindeuten religiöser Erlebnisse in Winckelmann, wobei ihn auch R. Unger nicht zu beirren vermag (Schultz S. 124, Unger S. 193, Bezugnahme Schultz auf Unger bei Schultz S. 297). Später (2. Aufl. 1952) urteilt Schultz unter dem Eindruck neuerer Sonderforschung (bes. W. Schadewaldts, a. a. O., 1941) kritisch ausgeglichener, vgl. auch hinsichtl. der Unendlichkeitsvorstellung, a. a. 0., (1952), S. 80/81 (Abhebung v. d. Romantik). Trotzdem finden sich auch jetzt noch Wen-

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düngen wie die von „einer deutschen Klassik, die geboren ist aus den Gründen schauender Mystik", a. a. 0., S. 127 (also im W.-Kap.). S. 46.

Karl Philipp Moritz. — Die Vielseitigkeit der Bestrebungen u. Bewährungen K. Ph. Moritz' wird bes. erkennbar, wenn man neben seinen kunsttheor. Verdiensten seine stiltheor. u. kunsttheor. Erträge berücksichtigt. Aber irgendwie erinnert die Radikalität seiner Formulierungen an die weitgehende, wenngleich nicht absolute Unreife des Menschen. Ihm fiel der Triumph zu, die Autonomie der Kunst fast schon im Stefan Georgeschen Sinne einer l'art pour l'art zu demonstrieren u. formulieren. Sein Ästhetizismus in der Kunsttheorie entspricht seinem Psychologismus im Kunstschaffen des „Anton Reiser". Er drängt die Forderung des Lebens (angeblich um einer Förderung der Kunst willen) zurück. Das erscheint umso überraschender, als er u. weil er im „Anton Reiser"-Roman die sozialen Hemmungen nicht nur deutlich erkannt, sondern auch drastisch dargestellt hatte. So verstanden, bedeutet seine Flucht ins rein Ästhetische zugleich eine Zuflucht vor den drängenden u. drohenden Anforderungen des täglichen Lebens. Fast schon im Sinne A. Schopenhauers wird ihm die Kunst zum Quietiv, zu einem Betäubungsmittel u. zur letzten Endes billigen Vertröstung. Und wo die Kulturpolitik ihr Versprechen bitter versagt, scheint es die Kunst billig zu erfüllen. K. Ph. Moritz erkannte die Fehler der Wirklichkeit („Anton Reiser"); aber er glaubte sie ausgleichend aufheben zu können durch eine vermeintlich absolute Vollkommenheit der Kunst. Die Sinnlosigkeit der Wirklichkeit glaubt er beruhigend aufheben zu können durch eine Sinnerfülltheit der vollendeten Kunst. So zog er die Folgerung im Raum der Klassik aus den Prämissen des Sturmes u. Dranges. Wenn der politisch vollkommene Mensch nicht zu finden und nicht zu verwirklichen war (Geniezeit), so sollte wenigstens und situationsgemäß der ästhetisch vollkommene Mensch zu verwirklichen sein, wenn nicht als ein Gegebenes, so doch als ein Aufgegebenes. Die Verzweiflung der polit. Situation spiegelt sich dergestalt in der Verzwicktheit der ästhet. Konstruktion, die selbst schon einen freilich wenig gestützten Bogen zur Romantik hinüber vorbereitet. Eine knappe Skizze bietet F r a n z S c h u l t z : Klassik u. Romantik d. Deutschen (1935), S. 285—288. Der dort

si·

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ausgesprochene Wunsch, daß K. Ph. Moritz endlich eine würdige Sonderdarstellung finden möge, muß auch heute noch wiederholt werden. S. 46.

Ä s t h e t i s c h e A n s c h a u u n g e n . — Neben Max Dessoirs Berliner Dissertation: K. Phil. Moritz als Ästhetiker, gedr. Naumburg 1889, sind jetzt zwei neuere Dissertationen zu nennen, die sich weitgehend in der Themenstellung und deren Inangriffnahme begegnen, K a r l K i n d t : Die Poetik von K. Ph. Moritz, ein historischer Beitrag zur systematischen Literaturwissenschaft, Rostock 1924 (Schreibmaschinen-Exemplar) u. die spätere von E d u a r d N a e f : K. Phil. Moritz (1756—1793), seine Ästetik und ihre menschliche und weltanschauliche Grundlage, Zürich 1930 (bei den Lebensdaten auf dem Titelblatt ist ,,1756" wohl als Druckfehler zu verstehen, da Naef selbst im Lebensabriß richtig 1757 angibt). E. Naef erläutert: „Kindts Bestreben ist die Darstellung der Poetik Moritzens in ihrer persönlich-weltanschaulichen Verflochtenheit" und berührt damit recht nahe seinen eigenen Untertitel. Er meint, daß er zwar „dasselbe" wolle wie Kindt, aber auf anderem Wege, indem die analytische Methode Kindts durch eine „synthetische" Methode ersetzt werden solle. Kindt habe eine „Gesamtschau" bieten wollen, er, Naef, eine „Einheitsschau". Besonders scharf dürfte diese methodische Eigenwegigkeit indessen kaum ausgeprägt worden sein. Der Abschnitt „Ästhetik der Zeit" wird A. Baeumlers an dieser Stelle nicht hinreichend zitiertem Werke über „Kants Kritik der Urteilskraft" (1923) manches zu danken haben. Indessen bietet die gedruckte Dissertation Naefs vorerst einen leichter zugänglichen Gesamtüberblick, wobei der Grad des Abhängigkeitsverhältnisses zu Kindt hier nicht näher erörtert werden kann.

S. 47.

D e r „ V e r s u c h einer V e r e i n i g u n g a l l e r s c h ö n e n K ü n s t e u. W i s s e n s c h a f t e n unter dem Begriff des in sich selbst Vollendeten" (aus der Berlinischen Monatsschrift, Jg. 1785) wird zitiert nach dem Neudruck i. d. Deutschen Literaturdenkmalen, DLD, Nr. 31, Heilbronn 1888, wo sich der „Versuch" im Anhang findet (S. 38ff). Diesem von S. Auerbach besorgten Neudruck sind die Belegstellen auch der Hauptschrift „Über die bildende ( = gestaltend schöpferische) Nachahmung des Schönen" entnommen worden.

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S. 48.

E i n v e r s t ä n d n i s m i t G o e t h e . — K. Phil. Moritz geht in seiner Kunstauffassung schon vor der persönlichen Bekanntschaft auf Goethe zu, ebenso wie Schiller schon vor seiner Bekanntschaft mit Kant auf Kant zugeht. Die entsprechenden Ideen waren zeitgegeben weit mehr als persönlich „beeinflußt". K. Phil. Moritz ist trotz seines „Anton Reiser"-Romans weit überwiegend kunsttheoretisch u. stiltheoretisch eingestellt. Kein Wunder, daß er in diesem Bereich streckenweise Goethe vorausgeht, der ihn freilich von der Naturphilosophie u. der Theorie der bildenden Kunst aus merklich und mühelos überholt. Aber K. Phil. Moritz hatte manches von dem formuliert, was Goethe bereits geformt u. in der Kunstleistung demonstriert hatte. Eben deshalb vermochte sich K. Phil. Moritz einen Zugang auch im Theoretisieren zu erleichtern, den sich Goethe schon im Produzieren erschlossen hatte. Mit Recht hebt Frz. S c h u l t z : Klassik u. Romantik d. Deutschen (1935), S. 286/87 hervor, daß K. Phil. Moritz in Goethe gleichsam das „verkörperte Beispiel für seine (eigene) Kunsttheorie" angetroffen u. anerkannt habe.

S. 52.

E i n w i r k u n g G o e t h e s . — Goethes Hinweis betreffs dieser Einwirkung lautet: „Es (das Moritzsche Heft) war aus unsern Unterhaltungen hervorgegangen, welche Moritz nach seiner Art benutzt und ausgebildet hat" (W. Α. I, 32, S. 302). Doch hat Goethe selbst in seiner Anzeige der Moritzschen Hauptschrift („Teutscher Merkur", 1789) vorerst betont klargestellt: „ . . . wir finden ihn jenen Grundsätzen getreu, zu welchen er sich schon ehemals (offenbar in jenem „Versuch" von 1785) bekannt" hatte (W. Α. I, 47, S. 84).

S. 53.

S e l b s t g e s c h a f f e n e s F u n d a m e n t . — Die Frage der Selbständigkeit bzw. Abhängigkeit u. damit die Frage nach der Priorität wird zum mindesten gestreift in der Sonderforschung durch E d u a r d N a e f : K. Ph. Moritz, seine Ästhetik u. ihre menschliche u. weltanschauliche Grundlage, Zürich 1930, S. 93—95, nachdem diese Frage schon von B. M a r k w a r d t im Artikel „Poetik" des Merker-Stammlerschen Reallex. (1928) angeschnitten worden war. Naef verweist darauf, daß durchgängig das Urteil der Zeitgenossen zugunsten des Goetheschen „Einflusses" sich erhalten habe u. etwa noch i. d. Arbeit von

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E r i c h T h a t : Goethe u. Moritz, Diss. Kiel 1920 (Schreibmaschinen-Exemplar) nachwirkt, wenn auch That sich mit der Kennzeichnung „Übereinstimmung" begnügt. Naef selbst vermag neben jenem Zeugnis Goethes auch eine Briefstelle Schillers (an Charlotte, 25. Febr. 1789) beizubringen, die bereits die Problematik jener Abhängigkeitstheorie erweise, und stellt selbst — wie der ReallexikonArtikel „Poetik", RL. II, S. 70 hervorheben konnte — klar, daß zum mindesten der Zweckbefreitheits-Begriff eindeutig v o r dem Goetheschen Einfluß gewonnen wurde. Doch unterschätzt Naef trotz Goethes bereits in diese Richtung deutenden Hinweises im „Teutschen Merkur" die grundlegende Bedeutung des Moritzschen „Versuchs . . . " von 1785 innerhalb der Gesamtentwicklung der Literaturphilosophie. S. 55.

I n t e r e s s e l o s i g k e i t des S c h ö p f u n g s v o r g a n g e s . — Darin deutlich abgehoben u. doch wieder im Endertrag übereinstimmend mit Goethes u. Schillers Aufsatz „Über den Dilettantismus". Denn eben das Nichtinteressiertsein an der Wirkung unterscheidet auch für Goethe u. Schiller den echten Künstler vom bloßen Auch-„Künstler" (Dilettanten).

S. 59.

N a c h w i r k e n auf S c h i l l e r (Spuren der Kunstlehre K. Ph. Moritz'). — Bis zu „wörtlichen Entsprechungen" glaubt G. Baumecker: Schillers Schönheitslehre, Heidelberg 1937, S. 119—123 dieses Nachwirken beobachten zu können. Baumecker berücksichtigt nur die Hauptschrift Moritz', die er dementsprechend ganz auf Goethe zurückführt (Rom-Begegnung), während die Abhandlung Moritz' von 1785 übersehen wird. Wie schon in der Winckelmann-Arbeit liegt das Positive wiederum in den Einzelhinweisen. Die Neigung, alles auf Goethe auszurichten, läßt ihn sowohl Moritz' Hauptschrift wie Schillers „Briefe" als „Dank-Mal" für Goethe bezeichnen. Dieser einseitige Bezug auf Goethe muß kritisch abgewehrt werden. Dagegen ist die Nachwirkung auf Schillers Ästhetik ganz unverkennbar.

S. 60.

E r g ä n z u n g . — Wie weitgehend man gerade auch neuerdings geneigt ist, in K. Phil. Moritz nur den Verfasser des „Anton Reiser"-Romans u. d. Dichter d. Sturmes u. Dranges zu sehen u. zu würdigen, den Kunsttheoretiker der Klassik in ihm völlig zu übersehen, davon

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zeugt ζ. Β . die an sich nicht uninteressante, freilich für breitere Schichten bestimmte Gesamtdarstellung v . P a u l R e i m a n n : Hauptströmungen d. dt. Liter. 1750—1848, Beiträge zu ihrer Geschichte u. Kritik, Bln. (Dietz-Vlg.) 1956; bes. da von „ K r i t i k " i. Zusatztitel u. v . „Hauptströmungen" i. Haupttitel d. Rede ist, durfte bei 824 S. Gesamtumfang K . Ph. M. nicht so einseitig interpretiert werden. An sich ist es dankenswert, wenn sonst vernachlässigte Einzelerscheinungen wie ζ. B . Ludw. Wekhrlin, Knebel, Knigge, Forster, J. H. Voss u. a. näher ins Blickfeld einer (überwiegend gesellschaftl.) Betrachtung gerückt werden. Aber eben deshalb würde der Titel richtiger lauten können: Nebenströmungen d. dt. Literatur. Leise fröstelt den Leser, wenn er erfährt, daß Goethe Ideen vertreten habe, „die die Eisdecke des dt. Feudalismus durchbrachen". Bei den wirklich bedeutenden Gestalten kann P. R . überhaupt nicht so recht warm werden. Das gilt natürlich besonders von Heinr. v . Kleist, wobei nur ein geringer Trost darin liegen kann, daß „die Schüsse vom Wannsee ein solches E c h o " erregt hätten, daß sie „ z u m Thema unzähliger (!) liter. Untersuchungen" geworden seien. Immerhin hat H. v. Kleist bei P . R . den erstaunlichen Erfolg zu buchen, daß „seine besten Werke zum dauernden klassischen Bestand d. dt. Literatur" gehören. Erstaunlich „bürgerlich" wirkt -es auf der anderen Seite, wenn P. R. keinen Geringeren als Alfred Biese: Dt. Literaturgesch. feierlich in seinem schmächtigen Literaturverzeichnis nicht entbehren zu können glaubt. Kein Wunder, daß ζ. B . Joh. Gottfr. Herders „Stimmen der Völker in Liedern" (der exakt histor. Titel lautete übrigens „Volkslieder") nach Reclams Univ. Bibl. zitiert werden. S. 60.

Joh. Gottfr. Herder. — „ G r i e c h i s c h e A n t h o l o g i e " . Vgl. dazu R. H a y m : Herder Bd. I I Neuaufl., hrsg. v . Wolfgang Harich (1954) S. 336f.; bes. auch der Abschnitt: „Zur Poetik u. Geschichte der Dichtkunst", a. a. O., S. 347 f. Die grundlegende Bedeutung für das Kunstwollen der Klassik hat freilich R . H a y m kaum erkannt. Und bei seinem Voreingenommensein für Lessing ist es schon erfreulich, daß er wenigstens die Epigrammtheorie Herders als eine „glückliche" Ergänzung der Lessingschen Epigrammabhandlung anerkennt, a. a. 0 . ,

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S. 351. Auch Η. A. Korff wertet — soweit ich sehe — diese Beiträge Herders für seine kunstphilos. Deutung der Klassik nicht aus, sondern beschränkt sich auf eine gründliche Analyse des wesentlichen Bestandes der „Kalligone". — Neue Interpretation von H e i n z B e g e n a u : „Grundzüge der Ästhetik Herders", Weimar 1956 (Beiträge z. dt. Klassik 2); zutreffend, doch wohlwollend rez. v. K. S v o b o d a i. d. DLZ Jg. 78 (1957), Sp. 195 t., der B.s tendenziöse Verlegungen richtig herausstellt. Umso dankenswerter erscheint die Einsicht, die man bei F r a n z S c h u l t z , a. a. Ο. I (1935), S. 202/03 antrifft. Und zwar sieht Frz. Schultz die anregende Einwirkung Herders auf Goethe nicht zum wenigsten im Sinne einer werkimmanenten Poetik bzw. im Sinne einer VorbildPoetik: „Daß zunächst Goethe sich seit 1781 in Form und Gehalt an Herders Übertragungen aus der Griechischen Anthologie als an ein ihm gerade damals zuwachsendes dichterisches Melos hielt, steht fest". Freilich habe Goethes lebendiges Interesse für diese Fragen nun seinerseits ermutigend auf Herder zurückgewirkt. Seine Fähigkeit u. Neigung, einen zunächst einmal an sich erfahrenen Anregungsvorgang (Anregung von dritter Seite) nun seinerseits fruchtbar zur Entfaltung zu bringen, würde in diesem Falle (Herder-Goethe) also verwandt sein mit dem ähnlichen Anregungsvorgang: K. Ph. Moritz—Goethe. Doch handelte es sich bei der zweiten Herderschen Anregungswelle (in Weimar) ebenso wie bei der ersten (in Straßburg) mehr um gestaltete Poetik (Vorbild-Poetik u. werkimmanente Poetik, freilich begleitet von werknahen Interpretationen), während bei K. Ph. Moritz eine begrifflich formulierte Poetik vorherrscht. Bemerkenswert ist rein stofflich der Umstand, daß Herders Vorlage, Rieh. Fr. Phil. Bruncks Ausgabe d. „Analecta veterum poetarum Graecorum" (1772—76), ihrerseits auf Straßburg zurückweist). Neuaufl. (1952) I, S. 228/29, v gl· auch (freilich ζ. T. einschränkend) m. Bezug a. d. morphologischen Studien, S. 240/41. S. 60.

Z u g a n g z u r K l a s s i k . — D i e s e r Zugang dürfte ideelich beachtenswerter sein als der in Goethe-Biographien vielfach betonte gesinnungsmäßige Einfluß der Frau v. Stein; denn Herder beeinflußte die Kunstanschauung im engeren Sinne, die hier vor allem in Frage steht, nicht nur die allgemeine Lebensstimmung. Der Herder

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der „Griechischen Anthologie" war hinsichtlich der Kunstanschauung das Vorbild, das sich Goethe aus Charlotte v. Stein hinsichtlich der Weltanschauung zuletzt doch selber erst vorbilden mußte. Der in Herder wirksame Entwicklungsgedanke gab hier den neuen Antrieb, wie er ihn einst angesichts des (trotz der Vertiefung durch die Frankfurter Krankenzeit nachwirkenden) Befangenseins in die Rokokowelt gegeben hatte. Wo er Erstarrung oder Beharren antraf, setzte er die belebende Gegenkraft ein. Das geschah auch späterhin, als er die Erstarrung in eine bildkünstlerisch bestimmte Klassik kritisch belebend aufzulockern trachtete („Adrastea"). Selbst vermeintliche Merkmale der ethischen „Rückschrittlichkeit" dürfen über die eindeutig vorliegenden Beweise seiner ästhetischen u. kunsttheoretischen Fortschrittlichkeit u. Entwicklungsfähigkeit nicht hinwegtäuschen. Mochte Herder kein verläßlicher Kritiker mehr sein, ein genialer Anreger ist er zum mindesten für die Literatur immer geblieben. Diese anregende Kraft trieb vom Rokoko zum Sturm u. Drang, vom Sturm u. Drang zur Klassik, von der Klassik zur Romantik. Und selbst Keime zum Realismus hat er mannigfaltig ausgestreut. Jedes Stocken in der Entwicklung, jede Verhärtung u. Verholzung im Wachstum hat er sehr bald empfunden u. sehr wirksam zu überwinden gewußt. Berücksichtigt man die Umschränkung vom Religiösen her, so bleibt die Freiheit des Ausblicks in zukünftige Entwicklungsmöglichkeiten doppelt bewundernswert. S. 63.

A n n ä h e r u n g an die A u s d r u c k s l e h r e . — D e r innige Verband von Herders Kunstphilosophie u. Sprachphilosophie wird auch an dieser Stelle recht instruktiv sichtbar. Noch in der kritisch gegen Kants Ästhetik gerichteten „ K a l l i g o n e " genügt Herder nicht nur (im Gegensatz zum „uninteressierten", zum interesselosen Wohlgefallen Kants, das, wie erwähnt, von Kant auch nur aus dritter Hand übernommen worden war: Ed. Burke, Fr. J. Riedel u. a.) das gefühlsmäßige Anteilnehmen am Schönen, also „gerade das höchste Interesse", sondern es muß auch dieses interessierte Wohlgefallen durch die „Darstellung" dergestalt erleichtert, ja recht eigentlich erst ermöglicht werden, daß wir durch die Ausdrucksfähigkeit in eine sympathisierende Aufnahmewilligkeit (Haltung des Kunstwertaufnehmenden) ver-

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setzt werden, weil erst der „Ausdruck" uns begreifbar u. sinnenhaft greifbar macht, was „uns harmonisch ist" u. uns in diesem Sinne ästhetisch anspricht, weil es der letztlich biologisch untergründeten Ganzheitsidee des Organischen (vgl. Goethe) u. damit unserem Sinn für das Wesenhafte (erneute Annäherung an Goethe) entspricht. Mit Bezug auf die „Kalligone" einläßlich u. verläßlich interpretiert von Η. A. K o r f f : Geist d. Goethezeit, Bd. II, 2. Aufl. (1954), S. 491—494. S. 71.

S. 72.

S. 73.

Goethe. — Biologisch-morphologische W e l t - u. K u n s t a n s c h a u u n g . — Die Ahnung dieser Zusammenhänge leuchtet erfreulich bei Η. A. Korff auf: Geist der Goethezeit II, 2. Aufl. 1954; denn Korff erkennt, daß die „klassische Kunstgesinnung Goethes auf seiner Naturphilosophie" gründe, a. a. 0., S. 409. Und es ist gleichsam ein beruhigendes Gefühl für die Richtigkeit eigener Konzeptionen u. Deutungen, wenn man einer derartigen Andeutung von dem z. Zt. besten Kenner der Goethezeit begegnet. L e i t w o r t „Leben". — Gegenüber der geniezeitgemäßen „Lebendigkeit" hebt für die Klassik „die Gesetzlichkeit des Lebens" mit Recht hervor Η. A. Korff: Geist der Goethezeit, Bd. II (Klassik), 2. Aufl. 1954, S. 409. Irgendwie hing die Vorstellung der „Lebendigkeit" des Stürmers u. Drängers G. zusammen mit den dunklen, aber „lebhaften" Empfindungen der Baumgartenschen Ästhetik (Aufklärung). In ähnlicher Weise hängt aber auch diese „Gesetzlichkeit des Lebens" der Klassik entwicklungsgesetzlich zusammen mit dem „Gesetz der Vernunft", mit dem Vernunftidealismus u. Erziehungsoptimismus d. dt. Aufklärung. Dieser Zusammenhang kann in Korffs Darstellung nicht zur vollen Geltung kommen, weil er schon rein zeiträumlich die Aufklärung als ein Ganzes nicht mit einbezieht. B e u r t e i l u n g bildkünstler. Versuche. — Recht kritisch u. mit „unbedingter Ehrlichkeit" beurteilt Wilhelm Pinder: Goethe u. d. bildende Kunst, Festrede, Bayerische Akad. d. Wiss., München 1933, die zahlreichen (über 2000) bildkünstler. Versuche Goethes. Positiv bewertet werden bes. in Sepia, in Tuschmanier u. in Aquarell ausgeführte Blätter, bei denen ζ. T. eine „verblüffende u. packende Wirkung" zu verzeichnen sei; bes. im ersten Eindruck erweisen sie sich „mit schlagender

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Kraft wirksam", während sie bei krit. Uberprüfung an Dauerwert einbüßen (ζ. B. „Sonnenuntergang am Meere, Ruine am Meere, Vesuvausbruch"). Derartige Bilder seien aber kennzeichnenderweise nicht sowohl unmittelbare Naturstudien, sondern weit überwiegend „Erinnerungsphantasien"; und insofern sei auch u. gerade bei diesen wertvollen Produktionen wiederum das „innere Auge" maßgebend u. wertverbürgend beteiligt gewesen. W. Pinder führt sie auf den Dichter zurück, indem er sie „gedichthaft packend" nennt. Mit dem „inneren Auge" hat W. Pinder offenbar das erlösende Wort gefunden, das ihm seine prekäre Aufgabe erleichtem hilft, gemäß seiner durchgreifenden These: „Alles, was er sah, war Baustein wohl einer Welt des Auges, jedoch einer Welt d e s i n n e r e n A u g e s , das nur durch Sprache sich aufsuggeriert", a. a. 0., S. io. Goethe geht vom „inneren Auge" aus und wendet sich auch wieder an das „innere Auge". Hinsichtlich der Bildkunst-Theorie Goethes sind W. Pinder merklich die Widersprüche in den verschiedenen Bekundungen aufgefallen, so etwa hinsichtlich des Verhältnisses von Kunst u. Natur (Bezug auf Goethes Äußerung v. 6.9.1787). Auf derartige Widersprüche auch hinsichtl. des Verhältnisses von bild. Kunst u. Poesie weist W. Pinder bes. hin; a. a. O., S. 3, 5, 10. Bemerkenswert erscheint bei alledem: während d. Literaturhistoriker ζ. T. geneigt ist, manche dichterische Eigentümlichkeit auf den bild. Künstler in Goethe zurückzuführen, sieht sich der Kunsthistoriker genötigt, den vermeintl. bild. Künstler G. auf den Dichter zurückzuführen, um ihn verstehen u. rechtfertigen zu können. Freilich dürfte bei Pinder der vom Expressionismus bezogene, also zeitgebundene Wertmaßstab allzusehr mitgewirkt haben; daher spricht er von einem „Diktat der Literatur an die bildende Kunst", von bloßen „Photographien" u. daher schätzt er den formlosen Ausdruck höher als die ausformende Gestaltung. H a n s K e i p e r t : Die Wandlung Goethescher Gedichte zum klassischen Stil, in: Jenaer German. Forschungen Nr. 21, Diss. Jena 1933, Einleitung betont den „Augenmenschen", a. a. 0., S. 6, ohne das „innere Auge" zu berücksichtigen. S. 75.

R e i n k u n s t t h e o r e t i s c h e s G e b i e t . — Goethes Beiträge zur reinen Kunsttheorie, bes. zur wortkünstler.

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Kunsttheorie sind, gemessen an seinem Gesamtwerk, relativ gering. Auch Η. A. K o r f f läßt im „Vorblick" zum „Dritten Buch" (Geist der Goethezeit II) keinen Zweifel darüber: „Wir besitzen von ihm keine Theorie der Dichtung, es sei denn in den gelegentlichen Bemerkungen seiner Briefe und Gespräche" (S. 427); jetzt i. d. 2. Aufl. (1954), S.401 (wörtlich übereinstimmend), vgl.auch a.a.O., S. 403: „Hinter dieser mächtigen Entwicklung d. allgemeinen Theorie des Schönen u. d. Kunst bleibt die spezielle Theorie der Dichtung merklich zurück. Goethe bildet, aber redet nicht oder nur in einer für die Öffentlichkeit nicht bestimmten Form". — Immerhin sind die Bestände doch etwas reicher, als man zunächst annehmen möchte; sie sind nur kaum jemals erschöpfend gesammelt, noch weniger ausgewertet worden. Der kurze Aufsatz v. W o l f g a n g K a y s e r : Goethes Auffassung v. d. Bedeutung der Kunst, Goethe-Jb., N. F. Bd. X V I (1954) S. 14—35 (ursprüngl. als Diskussionsvortrag i. d. G.-Gesellschaft gehalten) beschränkt sich auf eine freilich vertiefte Erläuterung der kunsttheor. Terminologie G.s, wobei drei Fachwörter: Sich-Aneignen, Verstehen, Durchdringen i. d. Mittelpunkt gerückt werden. Im wesentlichen handelt es sich also um das Verhalten des Kunstwertaufnehmenden (teils ständischbildungsmäßig, teils zeitlich u. national bedingt), weniger um das Wesen der Kunst an sich u. den Schaffensvorgang sowie dessen Voraussetzungen, Probleme d. Poetik, die nur gestreift werden können. Der Titel würde also vielleicht treffender lauten: Goethes Meinungen üb. d. Verhalten des Kunstwertaufnehmenden. Zugleich wird die Grundidee des „Gesunden" als entscheidendes Kriterium f. d. Bewertung von Kunstwerken deutlich erkennbar als die eigentlich konstruktive Leitidee des Aufsatzes. Wohl durch Raumnot gezwungen, verzichtet W. K a y s e r auf eine Herstellung der Bezüge auf d. zeitparallele Poetik u. Ästhetik, obwohl es schon Anerkennung verdient, daß wenigstens Herder u. K. Phil. Moritz beiläufig Erwähnung finden. Mit Geschick versteht es W. K., von der Enge der drei Kunstwörter den Blick auszuweiten auch auf Probleme wie: Stoff, Gehalt u. Form. Überwiegend berücksichtigt er die Spätzeit Goethes. Daß G. der „kompetenteste Kritiker" (mit Bezug auf Kleist gebraucht, a. a. 0., S. 23) gewesen sei, ist fraglich, wie denn ein Dichter höchst selten den anderen Dichter verläßlich krit. zu würdigen

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pflegt. Im Gesamt ein dankenswerter, obwohl nur skizzenhafter Beitrag zu G.s Kunsttheorie. S. 78.

G o e t h e s S y m b o l b e g r i f f . — Den Symbolbegriff sucht u. a. zu klären F e r d i n a n d W e i n h a n d l : Die Metaphysik Goethes, Bln. 1932. Ferd. Weinhandl verweist u. a. auf den Brief Goethes an Schiller vom 16. Aug. 1797, wo von „Einheit u. Allheit", aber auch von der Stellvertretung des Einen für Viele die Rede ist, und zwar nicht ohne Zuhilfenahme des Totalitätsbegriffs. Gegenüber der Allegorie bleibt das Symbol einerseits weit näher beim Gegenstande, greift aber in der Deutung u. Bedeutung „viel weiter" über den konkreten Gegenstand als solchen hinaus; a. a. 0., S. 282. Die „idealistisch-symbolische Auffassung der Gestalt" hebt hervor H. S p i n n e r : Goethes Typusbegriff (1933) S. 32; 233 u. a. — Der wesentliche u. wertvolle Entwicklungsbeitrag des Symbolbegriffs Goethes liegt in der Überwindung des Allegorie-Begriffs Winckelmanns u. des Darstellungsbegriffs Klopstocks oder auch der Sproßform einer „darstellenden Bildnerei" bei G. A. Bürger, um nur einige Vorformen in Erinnerung zu bringen.

S. 78.

Geschichtliche Voraussetzungen d. S y m b o l b e g r i f f s . — Die Sonderuntersuchung C u r t M ü l l e r s : Die geschichtlichen Voraussetzungen d. Symbolbegriffs in Goethes Kunstanschauung, Lpz. 1937 ( = Palästra 211) geht aus von modernen Symboldefinitionen unter Berücksichtigung von W e i n h a n d l : Über das aufschließende Symbol, Bln. 1929, R. S c h e r e r : Das Symbolische, Jbb. d. Görresgesellschaft 48 (1935), A. B a e u m l e r : Einleitung zu „Der Mythus von Orient u. Occident" (BachofenEinleitung), Münch. 1926. Die eigentliche Untersuchung verfolgt dann vor allem die Bemühungen bei Winckelmann (unter Einschluß R. A. Mengs') in der Dresdener u. ital. Epoche, bei Lessing, wobei die Lehre von den natürlichen u. willkürlichen Zeichen recht unzulänglich berührt wird, bei Herder u. K. Phil. Moritz, wobei der alte Irrtum (Goethe als der entscheidende Anreger für Moritz) aufgegriffen wird. Dankenswert sind die Ausführungen über Heinr. Meyer. Das Schlußkapitel behandelt das „Auftauchen des Symbolbegriffs bei Goethe", S. 213—235. Der Schlußabschnitt: „Der Symbolbegriff in Goethes Kunstanschauung", S. 235—241 ist leider recht schmal ausgefallen. Wie das Vorwort erklärt, ist der Verf. durch

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Weinhandls inzwischen herausgekommene Arbeit über die Metaphysik des Symbols bei Goethe zur historischen Abwandlung seines Themas gezwungen worden. Selbst wenn man anerkennt, daß Goethes Standort auch jenseits jenes Schlußkapitels mehrfach sichtbar bleibt, etwa im Rahmen des Meyer-Abschnitts (S. 206, 210), so hätte doch die historisch-genetische Grundlegung reicheren Ertrag im Goethe-Abschnitt durch Abhebung oder Bezug bringen können. Oder aber — die „geschichtlichen Voraussetzungen" waren ζ. T. gar keine wirklichen Voraussetzungen, sondern bloße Entfaltungsansätze vor Goethe, ohne auf Goethe hinzuweisen oder hinzuwirken. Daß die naturwiss. Studien Goethes, bes. die Beobachtungen über die „organische Gestalt'' seit Winckelmann entscheidenden Anteil an der Ausbildung des Symbolbegriffs gehabt haben, hebt hervor Curt Müller (a. a. O., 1937)· S. 78.

T y p u s b e g r i f f . — In einer mannigfach über das engere Thema hinausgreifenden u. manches von der allgemeinen u. speziellen Poetik Goethes erfassenden Sonderuntersuchung würdigt Heinr. Spinner: Goethes Typusbegriff (in: Wege zur Dichtung, hrsg. v. E. Ermatinger, Nr. 16) Horgen-Zürich/Leipzig 1933 (der Diss.-Teildruck, ebenfalls 1933, reicht nur bis zum „Stil-Manier"-Aufsatz). H. Spinner neigt dazu, G. zu sehr in das „erkenntniskritische Gebiet" abzudrängen u. auch in der Deutung hinüberzuspielen. Der Abschnitt „Dichtkunst, allgemeine Weltliteratur", a. a. 0., S. 231—37 gelangt über eine, wenngleich vielseitige u. rein materialmäßig dankenswerte Zitat-Häufung nicht recht hinaus. Da keine eindeutige Bestimmung von Goethes Typusbegriff vorliege, will H. Sp. eine „entwicklungsmäßige Darstellung" versuchen, ausgehend von den „Wurzeln des Typusbegriffes". In der Botanik, Anatomie u. Farbenlehre habe G. mit dem Problem gerungen u. verschiedene Lösungen gegeben in Anpassung an den jeweiligen Gegenstand. Wenig hoch stellt H. Sp. den schematischen osteologischen Typusbegriff; doch sei das osteologische Schema „die bezeichnende Stufe von Goethes Klassik". Im wesentlichen hat sich der Typusbegriff in den mittleren 90er Jahren herausgebildet, wobei sich die „klassisch-idealist. Kunstlehre der Propyläenzeit" mit der „naturwiss. Methodik der Farbenlehre" verbunden zeigt. Nach Schillers Tode

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habe sich der Goethesche Typusbegriff kaum noch vertieft oder wesentlich gewandelt. Der realistische Anteil verstärkt sich im Alter. Und es darf über H. Spinner hinaus betont werden, daß auch die Typus-Vorstellung ein realistisches Gepräge annimmt. Faßt man „Realismus" weit genug (u. nicht als Naturalismus), so steht dem nicht die Äußerung entgegen „Der Künstler will zur Welt durch ein Ganzes sprechen; dieses Ganze aber findet er nicht in der Natur" (Gespr. mit Eckermann, 18. April 1827). Neben dem Totalitätsstreben der Klassik u. dem Begriff der Gattung verdient als Bildungskraft des Typusbegriffs Hervorhebung (weil bislang wenig beachtet) die Vorstellung u. Forderung des „Resultats". Das „Resultat" meint den wesentlichen, allgemeingültigen Ertrag, der die geistige u. künstler. Bewältigung erleichtern hilft, vgl. ζ. B. Goethes Aufsatz über „Frauenrollen auf dem römischen Theater durch Männer gespielt" (1788). Der männliche Schauspieler ist gezwungen, das Typische des Weiblichen zu erfassen, gerade weil ihm das Besondere nicht eigen ist. Zum Typusbegriff vgl. auch F r a n z Z i n k e r n a g e l : Goethes Ur-Meister u. d. Typusgedanke, Akademie-Rede, Zürich 1922, bes. S. 17—25. Frz. Zinkernagel spricht geradezu von einem „Parallelismus" in Goethes naturwiss. u. kunsttheor. Denken, a.a.O., S. 23; vgl. auch H . A . K o r f f : Geist d. Goethezeit II (2. Aufl. 1954), S. 409: Die absolute Geltung des Typus-Begriffs glaubt Korff auch für die „klassische" Naturphilosophie kritisch einschränken zu müssen zugunsten der Variationsfreiheit innerhalb der Gesetzlichkeit, a. a. 0., S. 413/14, dergestalt, daß in einer freilich Schillers Kunstphilosophie vielleicht allzu merklich angenäherten Weise gesetzmäßige Freiheit u. freie Gesetzlichkeit ineinander hinüberspielen. In Wirklichkeit dürfte Goethe — wie späterhin im 19. Jh. Otto Ludwig — den Umweg über den „individuellen Typus" nur deshalb suchen, um eine begriffliche Verdünnung des Typus-Begriffs im Sinne einer künstlerischen Gegenständlichkeit zu verhindern. Eben deshalb fordert G. das „besondere Allgemeine". Denn er weiß, daß der echte Künstler das Gattungsmäßig-Typische zuletzt immer nur u. immer wieder am Gegenständlich-Besonderen wirksam demonstrieren u. manifestieren kann. S. 81.

S t i l b e g r i f f . — Die Bezüge auf die Philosophie Spinozas (neuerdings bes. herausgestellt durch Paul

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Reimann a. a. Ο., 1956. S. 2i6ff.) hob u. a. hervor f. d. italien. Epoche Η. S p i n n e r , a. a. Ο., (1933), S. 161, „spinozistische Kunstanschauung". Erst die ,,nachitaiienische Klassik" (a. a. 0., S. 133!) steht unter dem Zeichen der „kritizistischen" Philosophie, die sich deutlich abhebt vom „spinozistischen Realismus" d. ital. Entwicklungsepoche. Erst im Anschluß an diese Entwicklungsvorstufe von höchst bedeutsamer Art überwiegen in der spezifisch Weimarer Epoche die „formalen" Elemente, vgl. a. a. O., S. 175. Goethes Stilbegriff als ein „Gewahrwerden der wesentlichen Form" ist mit seinem Typusbegriff als einem Gestaltwerden der gattungsmäßigen Gesetzlichkeit jenseits des nur Individuellen als einer übergeordneten KollektivVorstellung von entwicklungsgesetzlicher Bedeutung ebenso innig und untrennbar verwandt u. organisch verbunden u. verwachsen wie mit seinem Symbolbegriff als einer übergeordneten gattungsmäßigen Kollektiworstellung des bildhaft Gegenständlichen als einer „Aufhebung" des Besonderen im Allgemeinen. Nur vorübergehend scheint unter Schillers Einfluß der „kritizistische Idealismus" im Sinne Kants zu überwiegen u. d. ideeliche Vorherrschaft an sich zu reißen. Bei alledem muß stets gegenwärtig gehalten werden, daß Goethes ,,Stil"-Begriff über den bloßen Sprachstil beträchtlich hinausragt. „Stil" besagt u. bedeutet f. Goethe ein künstlerisches, ja ein letzten Endes weltanschauliches Verhalten u. nicht nur ein sprachliches Gestalten. „Stil" umschreibt für G. nicht nur ein sprachliches Wirken, sondern ein künstlerisches Wunder, das Wunder nämlich der Vergegenständlichung des Wesenhaften. Was den Bezug auf die Philos. Spinozas betrifft, so bietet (freilich bei Vernachlässigung des „Stil''-Begriffs u. erstaunlicherweise auch des „Typus"-Begriffs) P. Reimann : Hauptströmungen d. dt. Liter. (1956) S. 216—231 immerhin einiges allgemein Orientierende unter gleichzeitiger Berücksichtigung der Einstellung Herders, Fr. Jacobis, M. Mendelssohns u. Joh. Christian Edelmanns (1698—1767). Von Jacobi käme bes. in Betracht die Schrift: „Über die Lehre des Spinoza in Briefen a. d. Herrn M. Mendelssohn" (1785, also zeitparallel mit K.Ph. Moritz' bekannterer Schrift über die „Bildende Nachahmung"). Herders Schrift „Gott" dürfte dabei freilich recht weit zu Spinoza hinüber gedrängt worden sein. An sich wird die

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Annäherung Herders an Spinoza i. d. achtziger Jahren im wesentlichen richtig erkannt, obwohl ein wenig überbetont. Der Gesamttendenz d. Darstellung P. Reimanns entspricht es, wenn Goethes Abwehr gegen d. franz. Materialismus, ζ. B. gegen Holbach („Systeme de la nature") gemildert wird zu einer bloßen Abwehr gegen d. „mechanischen Materialismus". Goethes geistige Weite widerstrebte indessen von vornherein der beklommenen bis beklemmenden Enge des Holbachschen Blickfeldes. Kein Wunder, daß Goethe den pantheist. Standpunkt gegenüber dem rein „materialist." Blickpunkt bevorzugt hat. Und das angebliche „Schwanken" Goethes zwischen der „materialist, u. pantheist. Auffassung" erweist sich bei näherem Zusehen eben doch als eine eindeutige Bevorzugung des Pantheismus (bzw. Panentheismus). Kants „Allgem. Naturgesch. u. Theorie d. Himmels", die P. Reimann i. d. Zusammenhange bemüht, dürfte stärker auf Herder als auf Goethe eingewirkt haben (vgl. W. Harich). Goethes Überzeugung, ausgedrückt im Gespräch mit Fr. Wilh. Riemer (vom März 1807), daß die Natur „keine Sprünge" mache, beweist noch nicht ein Vorwegnehmen der Entwicklungstheorie Darwins. Immerhin ist zuzugestehen, daß Goethes Naturphilosophie manches von dem vorweggenommen hat, was fast ein Jahrhundert später ein so großes Aufsehen erregen sollte. Das Verhältnis Goethes zu Cuvier einerseits u. Lamarck andererseits wird im ganzen richtig gesehen, wenngleich offenbar unter Beeinflussung durch die Deutung Fr. Engels'Goethe allzu nahe an Lamarck herangerückt erscheint. S. 83.

S t i l als k u n s t k r i t i s c h e r B e g r i f f . — Daß „Stil" kein kunsthistorischer, sondern ein kunstkritischer Begriff ist, hebt hervor Wilh. Pinder: Goethe u. d. bildende Kunst, a. a. 0., 1933. Treffender wäre freilich die Kennzeichnung als kunsttheoretischer, ja recht eigentlich kunstphilosophischer Begriff gewesen. Denn anders als etwa G. E. Lessing leitet Goethe sein Gestaltungsgesetz des „Stils" nicht von einer Kritik der bestehenden Kunstwerke ab als vielmehr auf ein Ideal der noch zu schaffenden Kunstwerke hin. Lessing will im kunstkritischen Sinne vor allem Schlechtes oder Unzulängliches verhindern. Goethe will im kunstdeutenden, kunstphilos. Sinne ein Besseres oder dem echten, wahren und also „fruchtbaren" Kunstkönnen Zugängliches und einer gesunden

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Kunstentwicklung Zuträgliches bewirken. Er will von der bloßen Opposition zur richtunggebenden Position gelangen. Der äußere Anlaß (Blumenmalerei) scheint ebenso gering zu sein wie etwa der äußere Anlaß (Schauspielkunst von Männern in Frauenrollen) für den Typusbegriff im formkünstlerischen Bereich. Aber der innere Ertrag für die Kunsterkenntnis reicht eben doch über eine bloße Kunstkritik wesentlich u. wesenhaft hinaus. In diesem Sinne wäre W i l h . P i n der entsprechend zu berücksichtigen, bes. die scharfe Abwehr auch des Stilbegriffs des „Kunstbetrachters" (gemeint ist Kunsttheoretikers bzw. Kunstphilosophen) a. a. O., S. 15. Nicht nur als bildender Künstler habe es G. zu keinem ,,Stil" gebracht, sondern auch der „Kunstbetrachter" G. „findet nicht einmal einen positiven Stilbegriff". W. Pinder läßt dabei offenbar nur den historischen Stilbegriff als „positiv" gelten, während man in diesem Betracht ebensowohl von einem relativen Stilbegriff sprechen könnte. Der klass. G. sucht einen a b s o l u t e n Stilbegriff von überzeitlicher Gültigkeit. Pinder ist als Kunsthistoriker, wenngleich als Kunsthistoriker von Rang, zu sehr gewöhnt, in bloßen „Epochen- u. Zeit-Stilen" zu denken, um die rein kunstphilosophische Tiefe der genialen Goetheschen Konzeption ermessen zu können. Der Kunsthistorismus verfällt eben allzu leicht in Geschmacksrelativismus. Goethe will gar nicht „jenen rein kunsthistorischen Standpunkt gewinnen" (a. a. O., S. 18/19), der W. Pinder so erstrebenswert erscheint. W. Pinder müßte nicht W. Pinder sein, wenn ihm nicht in diesem Zusammenhange die Einsicht käme, daß es Goethe mit seinem Stilbegriff vor allem auf eine ideale Forderung angekommen ist. Und richtig ist dann wieder, daß „Stil" für Goethe „höchste Qualität" bedeute. Das „kolumbische Ei", von dem Goethe sprach, wenn es galt, das Werturteil zu finden: „hier ist Stil", habe Goethe in einem „orphischen Dunkel" gehalten. Und wenn W. Pinder mit Fr. Gundolf zu meinen scheint, daß es im Erfassen des „fruchtbaren Moments" zu suchen sei, so drängen beide damit Goethe viel zu beengend auf Lessing zurück. Vielmehr, Goethes Stilbegriff oder Stilvorstellung hängt eng u. innig m. s. Typusbegriff u. letztlich m. s. Symbolbegriff zusammen. Der Typusbegriff verweist mehr auf die Naturwiss. u. Naturphilosophie, der Symbolbegriff mehr auf die Kunstwissenschaft u.- Kunstphilosophie (ζ. T.

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auch die Sprachphilosophie). Der Stilbegriff aber schlägt die kühn geschwungene Brücke zw. beiden Begriffs- u. Vorstellungswelten; und eben deshalb hat er entsprechende Spannungen u. kritische Belastungsproben auszuhalten. S. 85.

Z w e c k b e f r e i t h e i t des K u n s t w e r k s . — In seiner Würdigung der Stellung Goethes zu Aristoteles betont Karl Schlechta: Goethe in seinem Verhältnis zu Aristoteles, in: Frankfurter Studien zur Religion u. Kultur der Antike, Nr. 26, Frankf. a. M. 1938 als das beiden Gemeinsame nicht zuletzt die „absolut ästhetische Idee" von einem „reinen Selbstzweck des Kunstwerks". K. Schlechta führt freilich dabei auf Aristoteles nur mit bedingter Berechtigung zurück, was vor allem u. zunächst einmal auf K. Phil. Moritz zurückgehen dürfte.

S. 85.

K a t h a r s i s d e u t u n g . — Von einer ,.irrigen Übersetzung*' u. „gewaltsamen" Interpretation d. Katharsisbegriffs b. Aristoteles durch G. spricht K. S c h l e c h t a : a. a. 0. (1938), gesteht aber die erstaunliche Aristoteles-Nähe Goethes i. d. Gesamtauffassung zu. Verf. behandelt u. a. die Beziehungen d. Goetheschen u. d. Aristotelischen Naturauffassung. Als bemerkenswerte Episoden d. Beschäftigung G.s m. d. Poetik d. Arist. unterscheidet K. Schlechta die Zeitabschnitte 1765—68, 1797,1824—30. — Auszug im „Überblick d. N. Folge d. G.-Jahrbuchs" III, 1 (1938) S. 251—56.

S. 86.

L e h r g e d i c h t . — Sophien-Ausgabe Bd. 41, 2; G. hält es für ratsam, von den drei Gattungen das „Lehrgedicht" als Sonderform im Räume der „didaktischen" Poesie abzuheben. Wieder aber ist das „Lebendige" das Kriterium; denn der Leser des Lehrgedichts muß daraus die Lebenslehre entnehmen „wie aus dem Leben" selber. Das Lehrgedicht steht zwischen Poesie u. Rhetorik; es steht „zwischen Dicht- u. Redekunst", ebenso wie die „scheltende" (satirisch-polemische) Poesie immer auch u. immer nur eine „Ab- u. Nebenart" der eigentlichen Dichtkunst bleiben müsse. Das Lehrgedicht hat Anspruch auf poetische Geltung, aber nur insofern u. insoweit „rhythmischer Wohllaut" sich mit dem poetischen „Schmuck der Einbildungskraft" wirksam und formvollendend verbindet. Weil aber gerade die didaktische Poesie „um ihrer P o p u l a r i t ä t w i l l e n schätzbar" sei, sollte auch der hochbegabte Dichter sie keineswegs vernachlässigen oder gar

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verschmähen. Die Engländer könnten u. sollten ihm dabei als erstrebenswertes Vorbild dienen, weil sie es verstünden, zunächst einmal den Ernst durch Scherz belebend aufzumuntern, um dann die Lebenslehre wirksam anzubringen. Bei alledem komme es auf die Fähigkeit an, dem belehrenden Inhalt jeweils auch die belehrende Formung zu geben, indem man das Erfahrungswissen mit dem Formkönnen wirksam verwebt. Das Bindemittel des „Humors" (gute Laune) sei als „reiner Humor" selten, aber begehrenswert. Ein echter u. rechter LehrgedichtVerfasser müsse zugleich u. vor allem ein „ästhetischsittlich-historisch unterrichteter Lehrer" sein. Der Übergang u. die entwicklungsgeschichtlich höchst bedeutsame Überführung vom aufklärerischen, teilweise systemphilosoph. Lehrgedicht zum klass. Lehrgedicht von allgemeinmenschlicher, lyrischer Geltung b l e i b t bemerkenswert. S. 89.

B e n e d e t t o Croce. — Verf. v. d. Ästhetik als Wissenschaft vom Ausdruck u. allgem. Sprachwissenschaft, aus dem Ital. übers, v. Feist u. Peters, Tübingen 1930. Was Wilh. Pinder das „innere Auge" nennt, meint in anderem Zusammenhange 0. W a l z e l : Plotins Begriff der ästhet. Form, in: Vom Geistesleben alter u. neuer Zeit. Lpz. 1922, wenn er darzulegen versucht, „daß Plotins Eidos auf die innere Anschauung des Künstlers gehe", a. a. 0., S. 41. 0. Walzel nach steht Benedetto Croce der Vorstellungswelt Plotins erstaunlich nahe, indem beide das „innere Bild . . . im Kopf des Künstlers" für künstlerisch entscheidender halten als die gestaltgebende Verwirklichung mit Hilfe „einer technischen Veräußerlichung". An sich dürfte 0. W. in Plotin allzu Modernes hineinsehen, so daß er jene „auffallenden Übereinstimmungen" mit B. Croce beobachten zu können glaubt. — Goethe hat im Spätsommer 1805 einen Abschnitt aus Plotins „Enneaden" übersetzt, freilich nicht aus der Urschrift, sondern aus zweiter Hand, nämlich aus der latein. Übersetzung des Marsilius Ficinus (an Zelter übersandt am 1. Sept. 1805). Den Begriff „Eidos" bei Plotin übernimmt Goethe als „Gestalt". Danach bedeutet „Gestalt" für Goethe vorab eine innere Anschauungsform des „inneren Auges" (Wilh. Pinder), keine äußere Formgebung kunsttechnischer Art. Der „Gestalt" in diesem prägnanten Sinne haftet also etwas an von dem „Gesicht", vom Visionären der inneren Wesensschau. Und

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insofern nähert sich dieser Begriff von einer anderen Seite her (u. unter anderem Einfluß) doch wieder dem „Stil"Begriff. S. 91.

R e f l e x der K l a s s i k b e i F r i e d e r i k e U n z e l m a n n . — Sonderuntersuchung üb. ihre theatergeschichtl. Bedeutung I r m g a r d L a s k u s : Friederike Bethmann-Unzelmann, Versuch einer Rekonstruktion ihrer Schauspielkunst auf Grund ihrer Hauptrollen, Diss. Kiel (gedr. Lpz.) 1926. Die Unzelmann spielte an klass. Rollen u. a. die Iphigenie u. d. Maria Stuart. Hauptsächlich behandelt I. Laskus die Berliner Zeit (1788—1815). Fr. U. war eng mit dem Romantiker-Kreise verbunden (oft erwähnt im Briefwechsel der Gebrüder Schlegel mit Rahel Lewin, aber auch in Briefen von Tieck, Brentano, Varnhagen v. Ense, Jean Paul, Bettina v. Arnim, Schelling). Aber ebenso begegnet sie im Briefwechsel von Goethe u. Schiller. In Weimar u. Berlin bestanden damals recht verschiedene Auffassungen von der Schauspielkunst. Über die Unzelmann liegen Zeugnisse aus der Theaterwelt im engeren Sinne vor von Goethe in Weimar, A. W. Iffland in Berlin u. Fr. Ludw. Schröder in Hamburg. Zur Gegenpartei gehörte G a r l i e b M e r k e l , einer der Begründer der modernen Theaterkritik; — vgl. Garlieb Merkel über Deutschland zur Schiller-Goethe-Zeit (1797—1806), hrsg. v. Julius Eckhardt, Bln. 1887.

S. 93.

G a t t u n g s b e g r i f f . — D i e Relativität des klass. Gattungsbegriffs, der nicht die höchste Form der Kunst darstelle, berührt Η. A. K o r f f : Geist d. Goethezeit, Bd'. II, 2. Aufl. 1954, S. 422; der wahre klass. Künstler müsse durch Idealisierung über die bloße Typisierung des Gattungsbegriffs hinausgehen. Daß Korff den Gattungsbegriff nicht unterschätzt, beweisen seine Ausführungen a. a. 0., S. 409/410. Die Gattungsgesetze gelten als die „ewigen Ordnungen des Lebens". Davon deutlich abgehoben, räumt G e o r g L u k a c s : Goethe u. seine Zeit, Bln. 1950 dem Gattungsbegriff merklich eine zentrale Stellung im Ideengefüge der Klassik ein. Das gilt etwa auch für seine „Faust"-Deutung innerhalb der „Faust-Studien", a. a. 0., S. 200—328. Das Individuum soll mit seinem Schicksal u. seiner Entwicklung stellvertretend sein für das „Geschick der ganzen Gattung" (S. 226). So gelangt G. Lukacs zu der Formel

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ANMERKUNGEN

vom „Drama der Menschengattung" (Überschrift einer Einzelstudie). S. 94.

G e s p r ä c h s f ü h r e r S c h i l l e r : Η. A. K o r f f : Goethezeit Bd. II, 2. Aufl. (1954) S. 420.

Geist

d.

S. 98.

T h e a t e r - F a c h z e i t s c h r i f t e n (u. T h e a t e r k r i t i k ) . — Eine sehr instruktive Auswertung dieser Theaterfachzeitschriften bietet K u r t K e r s t i n g : Wirkende Kräfte i. d. Theaterkritik des ausgehenden 18. Jh.s, Diss. Greifswald, gedr. in: Drama u. Theater, hrsg. v. Max Hermann u. Julius Petersen, Berlin 1937. Die v. Verf. betreute Diss. Kerstings war bestimmt, eine Fortsetzung zu bieten zu Fr. Michaels: Die Anfänge d. Theaterkritik in Deutschland, Diss. Lpz. 1918. Sie reicht von etwa 1768—1800 u. verwertet als Quellenmaterial zahlreiche Fachzeitschriften. Danach ist die Einwirkung der Klassik als Stilepoche auf die Theaterkritik nur recht gering gewesen; vgl. a. a. 0., S. 71/72. Der Typus-Begriff setzt sich dabei ebenso merklich durch wie der Symbol-Begriff; auch der Primat d. „Plastischen" wird kurz berührt; erst im 19. Jh. wirken sich d. klass. Prinzipien aus, nicht ohne v. d. Position zur Opposition zu führen.

S. 101. D a s T y p i s c h - N o t w e n d i g e . — Vgl. dazu auch H . A . Korff: Geist d. Goethezeit Bd. II, 2. Aufl. (1954), S. 410, wo unter Heranziehung des Goethezitats: „Alles Willkürliche, Eingebildete fällt zusammen (beim Anblick griech. Statuen): da ist Notwendigkeit, da ist Gott", die Gattungsgesetzlichkeit als eine Notwendigkeit schlechthin „vergottet" erscheint. Die Bedeutung dieser Prägung stellt Η. A. Korff nachdrücklich heraus mit dem betonten Zusatz wertender Art: „Diese Stelle ist vielleicht diejenige, die den tiefsten Einblick in die unbewußten Voraussetzungen von Goethes klassischer Kunstgesinnung gewährt." Alex. Heussler a. a. O. (1952) übersieht das. S. 104. I d e e des D ä m o n i s c h e n . — D a s Gesetz in sich (Egmont) kann zum Gesetz an sich nur dann werden, wenn die individuelle Natur Träger der typischen Naturgesetzlichkeit wird. Und das Untragische des „Dämonischen" grenzt unmittelbar an das Tragische, ganz ähnlich wie das „Typische" nur dann künstlerischen Halt u. kunsttechnische Haltbarkeit gewinnt, wenn es die Umgrenzung durch das „Besondere" u. „Individuelle" duldet. Das

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„Dämonische" birgt dergestalt nicht nur das Bewußtsein u. die Gewißheit des Guten, weil individuell Fruchtbaren u. Ersprießlichen in sich, sondern auch die Gewißheit des Schönen. Es wird dadurch von einem zunächst ethischen Wert zu einem zum mindesten mittelbar ästhetischen Wert, indem auch Schönheit zum Schicksal werden kann (das ist eben „Schicksal, und — ein schönes"). S. 105. S y s t e m der G a t t u n g s a u f t e i l u n g . — Eine anschauliche Konstruktion des in sich geschlossenen Zirkels der Dichtungsgattungen bringt die Schlußpartie der Abhandlung von J u l i u s P e t e r s e n : Zur Lehre von den Dichtungsgattungen i. d. A. Sauer-Festschrift 1925, bes. S. 8off. Die Abhandlung Petersens hält zugleich Umschau weit über den Bezirk der Gattungssystematik hinaus u. bringt reiche Literaturhinweise zum Gattungsproblem u. zur Literaturphilosophie überhaupt. — Indem Petersen Epik u. Drama einander näherrückt, begegnet er sich mit Auffassungen W. v. Humboldts; u. es darf vielleicht angesichts der von Petersen stärker für das Drama in Anspruch genommenen Objektivität das Wort Hölderlins aus dem „Allgemeinen Grund" (zum „Empedokles") als verwandte Anschauung herangezogen werden: „Eben darum verleugnet der tragische Dichter.. . seine Person, seine Subjektivität ganz . . ." (H. W. hrsg. v. Franz Zinkernagel, II, 380). S. 106. D a s D r a m a t i s c h e , E p i s c h e u. L y r i s c h e . — Neuerdings bewegt sich E m i l S t a i g e r : Poetik 1948/52 merklich in dieser Richtung, freilich ohne Goethes Vorgängerschaft zu nennen. E. Staiger übersieht jedoch, was ihm die Kritik daher mit Recht zu bedenken geben konnte, daß es sich dabei um allgemein-menschliche Verhaltensweisen handeln kann, die eben deshalb nicht als gesetzgebend für die Gattungsgliederung in Anspruch genommen werden dürfen. S. 107. S o n d e r f o r s c h u n g , N o v e l l e n i. W i l h . Meister. — E m i l K r ü g e r : Die Novellen in „Wilh. Meisters Wanderjahren", Diss. Kiel 1926. H e i n r i c h M e y e r u. d a s „ N o r d i s c h e " . — Goethes Briefwechsel mit Heinrich Meyer, hrsg. v. M a x H e c k e r , Bd. I Weimar 1917 (Schriften d. Goethegesellschaft, Nr. 32). Der 1760 in Zürich geborene Autodidakt H.Meyer war 1784 nach Rom gekommen, später lebte er 1792—1803 in Goethes Hausgemeinschaft. Am 20. Okt. 1795 be-

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richtet Η. Meyer über die Nürnberger Kunst gelegentlich einer Reise nach Italien. Als unzulängl. WinckelmannErsatz wirkt H. Meyer nicht immer fördernd auf Goethe ein, so sehr dieser ihm für Anregungen betr. d. bild. Kunst u. ihrer Technik Dank zu schulden meinte (Italien. Reise, 25. Dez. 1787). S. 112. Exkurs: Werkimmanente Poetik (Goethe). — Nach den reichen u. überreichen Deutungen, die G o e t h e s Werk gefunden hat, ob nun von ästhetisierender Sicht (Gundolf) oder konstruktiv-geistesgeschichtl. Sicht (Korff) u. a. m., ist es vielleicht dienlich, einmal v. d. werkimmanenten Poetik her eine Skizze seines vorherrschenden Kunstwollens zu entwerfen, wobei die großen Grundkräfte ohne dekoratives Beiwerk stichworthaft umrissen seien. Manches konnte schon /i. d. entsprechenden Exkurs über den geniezeitgemäßen Goethe (Bd. II) hinaus vom reifen Goethe ausgesagt werden. Die v . Sturm u. Drang her bekannte B e h e r r s c h u n g a l l e r d i c h t e r . H a u p t g a t t u n g e n u. damit die über alle Formbesonderungen hinwegreichende B e g a b u n g s v i e l f a l t bleibt bestehen, u. wird zur kunsttechn. Meisterschaft gesteigert. Und wenn hinsichtl. der reinen GefühJsausdruckslyrik (bes. volkstüml. Prägung) eine gewisse Einsparung erfolgen mag, so wird andererseits eine lyrische Grenzform wie die Ballade oder (u. vorzugsweise) Romanze erst voll in Pflege genommen. Im Gesamt erfahren jetzt die epischen Sonderformen einen beträchtl. Zuwachs, während sich die Ausweitung der lyr. Gattung vor allem auf die Sonderform der klassischen Elegie erstreckt. Die Gesetzlichkeit des Bildungsromans („Wilhelm Meister") ergänzt den jugendlichen Gestaltungsimpuls des Leidenschaftsromans („Werther") u. erweist über M. Wieland u. K . Phil. Moritz hinaus ideell u. kompositionell die Möglichkeit (u. entwicklungsgeschichtl. Notwendigkeit) eines deutschen Weltanschauungsromans, wobei die Entwicklung vom ästhetischen Individualismus („Lehrjahre") zum utopischen Sozialismus („Wanderjähre") über das „Klassische" bereits ins „Realistische" merklich u. mannigfach hinüberdeutet. Das gewandelte Kunstwollen wird dabei durch einen Vergleich mit der „Theatralischen Sendung" bes. instruktiv sichtbar. Dem entspräche auf lyr. Gebiet „Die Wandlung Goethescher Gedichte z. klass. Stil" (Sonderforschg. v . Hans

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K e i p e r t , Jena 1933). Neben der ausgleichenden Formglättung gehört die Typisierung u. Verallgemeinerung zu den vorherrschenden merklich hervortretenden Stilbildungskräften, die jene Entwicklung Goethescher Lyrik z. klass. Stil kennzeichnet. Das Subjektivistische u. rein Individuell-Gebundene wird Schritt um Schritt zurückgedrängt zugunsten des Gültigen u. Verbindlichen, eben des Allgemeingültigen u. Allgemeinmenschlichen. Die exakte Stilforschung will u. muß dabei klarstellen, daß im klass. Stilideal beträchtliche Formungsprinzipien der Aufklärung wieder aufgegriffen werden, nur eben jetzt auf einer höheren Kehre der Entwicklungsspirale u. demgemäß aufgewertet u. weiterentwickelt. Zu diesen Formungskriterien gehören: ein verstärkter Ordnungssinn, ein verstärkter Gliederungssinn, ein Überwiegenlassen der Schriftsprache u. ihrer strengeren Gesetzlichkeiten gegenüber der freieren, ungezwungeneren (teils mundartlich gefärbten) Sprechsprache d. Sturmes u. Dranges, ein strengerer Strophen- u. Versbau, ein Herausbilden von ideell einheitl. Sinngebungsgruppen innerhalb d. straffer durchgegliederten Verszeilen, eine Hinneigung zur Proportion u. Symmetrie, zu einer parallelen Entsprechung, von der paarig zugeordneten Wortgruppe angefangen bis hinauf zur proportional-symmetrischen Gesamtkomposition eines Gedichts. Das bedeutet indessen nicht, daß die mechan. Regelmäßigkeit d. Aufklärung ihre harten Triumphe über den organisch-sprechsprachl. Freiwuchs des geniezeitgemäßen Stils feiert. Vielmehr versucht G. vom Organisch-Wachstümlichen d. Geniezeit zum BildendPlastischen d. Klassik zu gelangen. Aber wie er vom Urpflanzlichen her die Gesetzlichkeit zu erkennen u. beobachtend zu erleben glaubt, so auch bedeutet ihm jetzt das Organische nicht mehr ein üppiger u. möglichst von allen Gesetzen befreiter Wildwuchs, sondern ein Wachstum nach immanenten Gesetzlichkeiten. Das Bild, das sich vom Organischen her gesehen ergibt, ist nicht etwa eine streng regelmäßig zurechtgestutzte Hecke oder ein figürlich zurechtgeschnittener Taxusbaum: das wäre ein Rückfall i. d. Rokokostil. Vielmehr möchte man, um in organischer Symbolschicht benachbarter Art zu bleiben, von einem aufgeforsteten Walde sprechen, in dem das Organische des Einzelbaums zwar bestehen bleibt, aber die Bäume doch in regelmäßigen Reihen u. Abständen stehen. Und im Hintergrunde tauchen dann nicht zufällig die

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antiken Säulenreihen auf, d. h. die bildende Kunst wird hinter dem zuchtvoll gepflegt Organischen sichtbar. Es geht dabei um das Ineinsbilden von Organisch-Wachstümlichem u. Statisch-Bildkünstlerischem (v. A. Heussler unterschätzt) im Stil d. dt. Klassik Goethescher Prägung. Was jene Erweiterung der epischen Arten betrifft, so bestätigen die „ Wanderjähre" mit ihrem ζ. T. schon vorher verwerteten Novellenbestand zugleich, daß der Ansatz zur Sonderform d. Novelle, wie er i. d. FerdinandNovelle der „Unterhaltungen deutscher Ausgewanderten" an sich gegeben war (vgl. L. Tiecks Novellentheorie vom „Wendepunkt"), wirksam ausgebaut u. nun der Vollendung zugebildet wurde, ganz abgesehen v. d. „Novelle" u. d. mit ihr verbundenen theoretischen Definition. Die Pflege des Märchens als Kunstmärchen verstärkt den Variantenreichtum epischer Sonderformen. Es gibt kaum einen bedeutenden Dichter i. d. dt. Literatur, der in dem Grade wie Goethe alle Gattungen beherrscht. Auch i. d. Weltliteratur sind derartige Fälle recht selten. Wie der Künstlerroman d. „Theatral. Sendung" zum Weltanschauungsroman erweitert u. vertieft wurde, so die Titanen- u. Liebestragödie d. Urfaust zum Weltanschauungsdrama (Faust I u. II). Kurz, der Goethe der Reifezeit ist sich jenes (keineswegs selbstverständlichen) Vermögens, alle Gattungen u. Arten in verewigender Formsetzung durch Verwirklichung ihrer Formgesetze zu bewältigen, durchaus bewußt; selbst das zeitsatirische Tierepos (Reineke Fuchs) fehlt nicht, ebensowenig das Epigramm. Bei alledem wird das „Typische" d. Klassik auch kunsttechnisch wirksam wie andererseits der Goethesche „Stil"Begriff, dadurch daß das Typische u. Stilgerechte der einzelnen Gattungen u. Arten voll zur Geltung gebracht u. z. Gültigkeit erhoben, herausgebildet u. emporgebildet wird. Den „Farcen" der Frankfurter Zeit würden auf der Reifeschicht etwa die satirisch-karikaturistischen „Revolutionsdramen" („Großkophta" u. „Bürgergeneral") entsprechen. Hierbei zeigt sich im Zerrspiegel das Typische u. Symbolische im Reflex der Karikatur. — Unterscheidet man die episch., dramat. u. lyr. Gattung von dem Epischen, Dramatischen u. Lyrischen schlechtweg, so gewinnt das Epische eine Verstärkung innerhalb d. lyr. Gattung (Elegie), das Lyrische eine Verstärkung i. d. dramat. Gattung (auch im „Faust"), während das TheatralischDramatische zurückgedrängt wird auf (dann freilich sehr

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wirksame) Einzelszenen im Drama, aber auch auf Einzelsituationen in Roman oder Novelle. Das Epische erfaßt auch die Ideen-Lyrik, selbst wenn man berücksichtigt, daß etwa die „Geheimnisse" von vornherein auf die breitere epische Entfaltung hin angelegt worden waren. Auch die „Novelle" war zeitweise als Epos („Die Jagd") geplant. Selbst den „Tell"-Stoff hielt Goethe als geeignet für ein Epos, während im Räume der Frühklassik der epische Ansatz des „Egmont" (Frühfassung: „Das Vogelschießen vor Brüssel") noch in das Theatralisch-Dramatische hinübergebildet werden konnte. Im Gesamt schien die Beherrschung aller Gattungen u. vieler Sonderformen G. weit mehr zu einer Auflockerung u. Aufhebung d. Gattungsgrenzen zu befähigen (u. zu berechtigen) als die Romantiker, deren Werkschaffen — u. darum geht es hier, nicht um die formulierte Theorie — gattungstypologisch unsicher wirkt, abgesehen etwa v. d. Sonderform d. Novelle. Während G. aus der Fülle schöpfte u. schenkte, versuchten die Romantiker vielfach eben doch aus der bloßen Not eine „große" Tugend zu machen. Der klassische Meister durfte auch in diesem Falle die (Gattungs-)Form zerbrechen, während die romantisierenden Schüler in Wirklichkeit an dem Formgesetz zerbrachen, abgesehen von hervorragenden Einzelerscheinungen wie H. v. Kleist oder Novalis. Neben dem ebenso ausgeprägten wie außergewöhnlichen Beherrschen des Gattungs- u. Artmäßigen steht ebenbürtig das Weiterentwickeln des Psychologischen. Es fällt dem modernen Betrachter nicht so leicht auf, weil er an „Psychologie" (bis Psychologismus) bis zum Überdruß gewöhnt worden ist. Aber auch dieser Bereich der Liter, mußte zunächst einmal erobert werden. Goethe hat nicht nur das „Seelendrama" in d. „Iphigenie" u. dem „Torquato Tasso", Werke, die beide u. jedes für sich den Ansatz zum Seelendrama vorwiegend lyrischer Grundhaltung i. d. „Stella" weit übertreffen, auf die klassische Entwicklungshöhe emporgebildet, sondern auch in den „Wahlverwandtschaften", die ursprünglich f. d. Einbau i. d. „Wanderjahre" bestimmt waren, ein frühes Meister- u. Musterstück für die späterhin vielfach gepflegte psychologische Problemnovelle (Kleist, Hebbel, Storm u. a. m.) geschaffen. Aber auch hier verbindet sich das Psychologische mit dem Biologischen; denn das Seelenverwandte bedingt u. bewirkt das Körperlich-Ähnliche.

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Trotz der in „Werthers Leiden", ζ. T. auch in d. „Stella" gebotenen Beispiele einer frühen Auswirkung der psychologischen Feinstufigkeit, wird doch erst i. d. Werken d. Reifezeit die seelisch-geistige Differenziertheit zu einem (vielfach v. d. Sonderforschung übersehenen) beherrschenden Schaffensgesetz. Längst zwar hat man im „Tasso" einen „gesteigerten Werther" gesehen u. mit Bezug auf d. „Iphigenie"- u. „Tasso"-Drama von „Seelendramen" gesprochen. Die werkimmanente Poetik nähert sich in derartigen Fällen der liter. Programmatik. Ansätze, wie sie ζ. B. im „Anton Reiser" K. Ph. Moritz' vorliegen, werden durch diese programmatische Beispielsetzung mühelos überholt. Und es ist i. d. Zusammenhange bemerkenswert, daß zwar hinsichtl. d. Anteils philosophischer Bildungsmächte der „Wilhelm Meister" als Bildungsroman den „Agathon" Wielands nicht so ohne weiteres überwindet, wohl aber hinsichtlich der psychologischen Deutung u. Darstellung. In der Stoffverwertung u. d. kulturgeschichtlichen Kenntnis des griechischen Lebens dürfte Wieland sogar Goethe überlegen gewesen sein; aber nicht hinsichtlich der psychologischen Deutung. Selbst die sozialen Umschichtungen (ζ. B. das „Maschinenwesen" i. d. „Wanderjahren") werden vorwiegend am psychologischen Reflex (ζ. B. bei Frau Susanna, dem „nußbraunen Mädchen") sichtbar gemacht. So kommt es, daß G. auf dem Entwicklungswege vom ä s t h e t i s c h e n I n d i v i d u a l i s m u s („Theatral.Sendung") z. u t o p i s c h e n S o z i a l i s m u s („Wanderjahre") stets Ausschau hält nach den psychologischen Rückwirkungen u. stets Vorsorge trägt, sie nicht nur glaubhaft, sondern auch gegenständlich greifbar zu machen in ihrer ganzen Lebensvielfalt. Denn G. war es, der den Programmteil „echte Vielfalt" aus d. Sturm u. Drang mitten i. d. „Klassik" voll verwirklichte, so daß sich „echte Vielfalt" u. „edle Einfalt" durchweg organischer verbinden u. harmonischer zusammenwirken als „edle Einfalt" u. „stille Größe". Schiller war als Dramatiker mit seiner Darstellungstendenz weit mehr auf die psychologische Verkürzung u. Konzentration angewiesen als auf die epische Entfaltung der subtileren Seelenvorgänge. Die Lebensbedingungen der Seele gelten Goethe als wesentlich gerade in einer Epoche, in der die Lebensbedingungen des Leibes („L'homme machine", Helvetius) entscheidend zu werden sich anschicken. Der französ.

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Materialismus bleibt im Ganzen Goethe doch merklich ferner als das Ideeliche Spinozas. Nicht als ob G. die zwischenmenschlichen Beziehungen der Gesellschaft unterschätzt hätte, soweit sie das wirtschaftlich-Wichtige u. Notwendige betreffen („Wanderjähre" u. „Faust" II). Aber der eindeutige Ausweis seines Kunstschaffens hält die psychologische Betreuung u. d. geistig-seelische Verstehen als unentbehrlich für eine soziale Betreuung u. ein polit. Verstehen. Der höchste Wert bleibt f. Goethe in diesem Sinne wirklich der Mensch mit seiner Menschlichkeit; er muß sich aber ständig als der höchste Wert beweisen, um wiederum den Wert der „Humanität" an sich u.' durch sich zu bewähren auch angesichts (u. gerade auch angesichts) schwerer Prüfungen d. Schicksals („Iphigenie, Tasso, Wilh. Meister, Der Gott u. d. Bajadere" usw.). Gotteswürdige Menschen werden auch menschenwürdige Lebensbedingungen schaffen; nicht göttergleiche Menschen („Prometheus"), sondern gotteswürdige Menschen („Das Göttliche"). So gelangt G. über die irdische Seele dennoch zu einer Gottesbeziehung. Zwischen dem Egozentrischen u. d. Theozentrischen, zwischen dem Biologischen u. d. Theologischen wird ein Ausgleich gesucht u. gefunden auf der Hochebene des gotteswürdigen Menschen. Das Transponieren des Transzendenten i. d. Humanität mit religiösem u. religionsphilos. Einschlag überwiegt. Und das gesamte Kunstwollen im Werk dient nicht zuletzt diesem Transponieren des Transzendenten in die Humanität. Der Gott wird näher an den Menschen herangerückt („Der Gott u. d. Bajadere") u. d. Mensch näher an den Gott („Das Göttliche"). Der religiöse Anteil dieser Humanität ist dabei deutlichen Schwankungen unterworfen, u. zwar nicht nur deshalb, weil der Goethe der Reife streckenweise die romant. „Weite des Wunders" auf sich übergreifen u. sich von ihr unwillig ergreifen ließ ζ. T. in dem Grade, daß die letzte Überhöhung der klass. Aufklärung i. eine romant. Verklärung umzuschlagen geneigt schien (Deutungsdifferenz um den Ausgang von „Faust" II). Hier dürfte man an ein ideeliches Grundgesetz der Reifezeit rühren, das im Vorbeigehen hier nur recht behelfsmäßig umschrieben werden konnte. (A. Heussler beschränkt sich ohnehin zu sehr auf die „Iphigenie"). Zugleich griff das naturwiss. Studium, das auf die Gewinnung einer konstruktiven Naturphilosophie hinarbeitet u., wie schon Η. A. Korff eingehender erläutern konnte,

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weit mehr auf die Artenwandlung als die Entstehung des „Lebens" gerichtet ist, vielfach mitbestimmend i. d. werkimmanente Poetik über, wobei der Sinn f. d. Typische, das Symbolische u. das „Gewahrwerden der wesentlichen Form" (Stil-Begriff) jenes Transponieren des Naturgesetzlichen i. d. Kunstgesetzliche erleichtern hilft. Die theor. Abwehr der Philosophie entspringt weniger einem Ausweichen als eben diesem Hingerichtetsein auf die Naturphilosophie im Grenzbezirk zur Kunstphilosophie. Philosophen, die diesem Streben entgegenkamen, wie etwa Spinoza, sind Goethe durchaus (u. erstaunlich weitgehend) zugänglich. Der gemeinsame Traggrund bleibt das Erleben u. Erleiden des Organischen, das selbst dem zeitweise übermächtigen Gegendruck des „Plastischen" (Winckelmannsche Antike bzw. W. v. Humboldtsche Auslegung) standzuhalten vermag, wenngleich nicht ohne Anstrengung (u. streckenweise Überanstrengung). Und selbst jenes Erproben der verschiedenen Gattungen u. Arten stellt in gewisser Weise einen Parallelvorgang dar zum Erproben naturwiss. Verfahrensweisen. Dem Nachgehen der Frage: „Wie Natur im Schaffen lebt", die mit vollem Recht schon Η. A. Korff hervorgehoben hat (Geist d. Goethezeit II, 2. Aufl., Lpz. 1954, S. 40), entspricht das Erforschen der Frage, wie denn nun die schaffende u. „wirkende Natur" in sich selber zum Leben kommt. Das Schöpferische i. d. Natur entspricht dem Naturhaft-Organischen im Schöpferischen des gestaltenden Künstlers. Und das gegenständliche Verfahren erweist sich in beiden Bereichen als näher verwandt, als es auf den ersten Blick hin scheinen möchte. So verstanden, verleugnet der Dichter G. nicht den Naturforscher, wie andererseits der Naturforscher nicht den Dichter G. verleugnet. Dem biogenetischen Grundgesetz, wie es G. sich darbietet, entspricht ein bio-ästhetisches Grundgesetz, das seinerseits aber auch genetisch bleibt, indem es das Vollkommene u. „In sich Vollendete" (K. Ph. Moritz) der klassischen Kunstleistung ableitet vom lebendigen Werden. Und nicht zufällig fragt G. in dem gerade neuerdings vielberufenen Aufsatz „Über liter. Sansculottismus" nicht nur nach dem „klassischen Nationalautor", sondern auch nach der Voraussetzung seines Entstehens aus den jeweiligen Lebensverhältnissen heraus. Die soziologischen Entwicklungsmöglichkeiten werden allenthalben recht ähnlich gewertet u. gedeutet

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wie die morphologischen Entwicklungsnotwendigkeiten, wie auch die vergleichende Morphologie, die den Naturforscher G. bes. anzieht, nicht weit absteht von einer vergleichenden Literaturbetrachtung, der er sich nicht nur mit seiner Konzeption d. Weltliteratur annähert. Nicht mehr ein Sich-Berauschen an der Natur-,,Freiheit" (Sturm u. Drang) genügt dem reifen Goethe; er will sich Klarheit schaffen über die Natur-,.Gesetzlichkeit". Und es ist nicht allein, aber auch nicht zuletzt eine Folge dieser naturwiss. Bestrebungen, wenn die FreiheitsVorstellung der titanenhaften Willkürfreiheit (Sturm u. Drang) sich in eine Freiheits-Idee als Einsicht i. d. Notwendige verwandelt. Im Ganzen aber steht die biologische u. psychologische Gesetzlichkeit f. d. Kunst G.s höher als die soziologische Gesetzlichkeit, der sich Schiller weit mehr zuneigt. Die soziologische Freiheit bleibt daher auch beim reifen Goethe überwiegend in den Bereich der bloßen Vision verwiesen u. zwar vom „Egmont" der Frühklassik (Freiheitsvision des zum Sterben bereiten Egmont) bis zu „Faust" II (Vision des todesnahen Faust, mit „freiem Volk auf freiem Grund zu stehen"); nur die „humane" Freiheit innerer Art läßt sich verwirklichen („Iphigenie"; Grenzform „Tasso"). Die soziologische Freiheitsbestrebung in den „Wanderjähren" ist zwar nicht visionärer, aber doch „utopischer" Art im Sinne eines utopischen Sozialismus. Denn die werkimmanente Poetik enthüllt, was die ζ. T. bereits realistische Darstellungsweise verhüllen könnte, daß nämlich die soziaüst. innere oder äußere Kolonisation am Ende doch nur eine utopische „Vision" bleibt. Letzten Endes stehen sich „Faust" II u. d. „Wanderjahre", so gesehen u. gedeutet, weit näher, als es auf dem ersten Blick hin scheinen könnte. Wenn Η. A. Korff einerseits in einer bewunderungswürdigen Selbstdisziplin die Bezüge Goethes auf die Monadenlehre Leibniz' nicht für seine konstruktiven Zwecke auswertet oder gar ausschlachtet (a.a. 0., Bd. II, 2. Aufl. S. 46/47), so dürfte ihm m. W. doch ein kleiner Irrtum unterlaufen sein, indem er Herders vermeintliche Umdeutung der Monaden in „substantielle Kräfte" als eine willkürliche u. vor allem spätere, nachträgliche Umdeutung der Monadenlehre Leibniz' hinstellt (a. a. O., Bd. II. 2. Aufl. 1954, S. 46). Leibniz sprach ursprünglich nicht von Monaden, sondern von „substances spirituelles"

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(und zwar in Nachwirkung von Descartes). Erst unter dem Einfluß der Terminologie Giordano Brunos setzte sich der Begriff (u. d. Bezeichnung) Monade durch. Herder greift also auf die ursprüngliche Konzeption Leibniz' zurück; jedenfalls nimmt er keine willkürliche u. nachträgliche Umdeutung u. Umbenennung vor. Trotzdem bleibt der Hinweis Η. A. Korffs wertvoll, weil eben jenes Zurückgreifen Herders auf die frühere Leibnizsche Konzeption (u. Formulierung) zum mindesten mittelbar beweist, daß Herder seinen Leibniz doch besser gekannt haben muß als manche Philosophen annehmen oder zugestehen wollen. Insofern dürfte Herder denn doch der „geistige Erbe Leibnizens" gewesen sein (vgl. Η. A. Korff, a.a. O., S. 45). Ob wirklich „Gott" in diesen „substances spirituelles" irgendwie „schlummerte", bleibe füglich dahingestellt; und wenn, dann doch nur der „Gott" des Pantheismus u. Panentheismus. Die vergeistigte „Gegenständlichkeit" Goethes aber dürfte diesen vergeistigten „Substanzen" näher stehen als einer vergeistlichten Vergottung. Goethe war in diesem Betracht eben doch kein Hölderlin. Auf der anderen Seite sollten mehr äußere Bezüge auf die Naturwissenschaften wie die i. d. „Wahlverwandtschaften" auf die Vorgänge chemischer Verbindungen billigerweise nicht überschätzt werden. Die werkimmanente Gesetzlichkeit kennzeichnet vielmehr den ersten Teil als idyllische Stimmungsnovelle psychologischen Gepräges, den zweiten Teil dagegen als Schicksals- u. Charakternovelle. Und die scheinbar naturwiss. Symbolik des Eingangs schließt religiöse Elemente im Schlußteil keineswegs aus (Ottilie-Handlung). Auf der anderen Seite beginnen die „Wanderjahre" mit einem religiösen „Gemälde," um mit einem utopisch-gesellschaftlichen „Entwurf" zu enden, der im personellen Bereich den gemeinnützigen Arzt im naturwiss. Bezirk geradezu als Vorbild aufstellt. Hier wird in die Tageshelle des praktischen Berufs gerückt, was im „Faust" zum mindesten als Nachtseite der Naturwissenschaften zur Geltung kommt. Während das Nachbargebiet der naturwissenschaftlichen Studien mehr das Inhaltliche betrifft, soweit es sich um dichterische Kunstwerke handelt, greift das zeitweise Lieblingsgebiet der bildenden Kunst weit mehr in die Gestaltgebung über. Das gilt keineswegs nur von der Helena-Tragödie im „Faust", sondern bereits von der

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„Iphigenie", die in metrischen Fragen nicht zufällig vom Vertreter der klass. „Vollendung in sich selber" K. Phil. Moritz zu lernen nicht verschmähte. Das gilt auch von den großen „Elegien", von „Alexis u. Dora" sowohl als vom Achilleis-Fragment. Im Gesamt macht sich der Einbruch der Ideale der bildenden Kunst ablenkender geltend in der Kunsttheorie als im Kunstschaffen, abgesehen von extremen Fällen wie der „Natürlichen Tochter", wo der Stil zur Manier zu erstarren droht. Kaum wird jemand ernstlich behaupten wollen, daß die „Iphigenie" oder die „Römischen Elegien" oder die Elegie „Alexis u. Dora" unter der Statik des Bildkünstlerischen im Sinne eines erdrückenden Primats der Plastik zu leiden hätten. Wohl aber wird das Gestaltungsgesetz u. Formungsprinzip einer plastischen Gegenständlichkeit allenthalben ablesbar. Jenes „innere Auge", jenes „innere" Sehen, auf das ζ. B. Wilh. Pinder den Künstler Goethe doch wohl allzu einseitig einschränken möchte, erreicht zum mindesten eine so hochgradige Intensität, daß es über die Grenzen der Künste gleichsam „hinwegsehen" muß, um ein volles Genüge im Ergreifen und Ausformen des Gegenständlichen zu finden. G. war kein in die bildende Kunst verirrter (obwohl zeitweise in sie verliebter) Dichter, u. er war erst recht nicht ein in die Dichtung geratener bildender Künstler, wenn anders man nicht das „bildend" so weit auslegen will, wie es etwa durch K. Phil. Moritz („Uber die bildende Nachahmung des Schönen") geschehen ist. Gerade die werkimmanente Poetik kann allzu hellsichtige Kritiker dahin belehren (u. darin beruhigen), daß Goethe der Sprachkunst keine (letztlich bildkünstlerische) Möglichkeit bzw. Unmöglichkeit abgezwungen hat. Er wußte (so gut wie Fr. Strich), daß jenes ruhende „Sein" der in sich ruhenden Freistatue, das ihm freilich rein kunsttheoretisch zeitweise als Ideal vorschwebte, schlechthin nicht im lebendigen rhythmisch bewegten u. erregten Wortgebilde (u. Wortkunst-Gebilde), sondern nur „in Stein", in Marmor zu „bilden" war. Ja, es gibt Sonderfälle, wie etwa Schillers „Nänie", die das PlastischArchitektonische (ζ. B. i. d. Komposition) sichtbarer ausprägen, ganz einfach deshalb, weil es sich für Schiller dabei um ein bewußtes Gegengewichtschaffen gegen seine vorherrschende dramatische Dynamik handelte. Goethe besaß nicht nur die bildende Natur im Sinne des Naiven, sondern auch das natürliche „Bilden" im Sinne der 33 M a r k w a r d t , Poetik I I I

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Winckelmannschen Antike. Schiller als vorwiegend sentimentalischer Typus mußte beides erst „erwerben" u. „suchen". Aber eben deshalb tritt die kunstverstandesmäßige Setzung u. Satzung bei Goethe weniger sichtbar zutage als (zum mindesten gelegentlich) bei Schiller. Sowohl der „Tasso" als der „Faust" entziehen sich weitgehend der Umschränkung durch das Statisch-Statuarische. Und so konnte der bekannte Vorwurf des Herder der Spätzeit den Dichter Goethe nur sehr bedingt u. peripher betreffen u. krit. treffen. G. berührte mit freilich weitgehenden Belastungsproben des Sprachkunstwerks die Grenzen zum Bildkünstlerischen hin nicht deshalb, weil er die Gegenständlichkeit u. Plastik der bildenden Kunst auf die Dichtkunst als Sprachkunst u. Wortkunst übertrug, sondern weil er die plastische Gegenständlichkeit als Dichter in sich trug und in seinen Schöpfungen fruchtbar austrug. Jedenfalls überschreitet der Kunstschaffende jene Grenze weit seltener (u. behutsamer) als der Kunsttheoretiker und Kunstdeutende. In derartigen Fällen berichtigt gleichsam dergestalt die werkimmanente Poetik die formulierte Poetik. S. 112. Schiller. — W i r k u n g s g e m e i n s c h a f t m i t G o e t h e ( A n n ä h e r u n g a n G o e t h e ) . — Obwohl sich Schiller im Bereich der reinen Kunstphilosophie Goethe ebenbürtig, ja überlegen fühlen durfte — etwa in dem Verständnis für Kant u. der Kritik an Kant — war er sich doch des Vorsprungs Goethes im Produzieren hinreichend bewußt, um ihm auch im Theoretisieren zunächst einmal weitgehend entgegenzukommen. Schon Η. A. K o r f f hebt entsprechend das Bemühen Schillers hervor, „die Errungenschaften des Kantischen Denkens mit den Errungenschaften des Goetheschen Dichtens in Einklang zu bringen", Geist d. Goethezeit II, 2. Aufl. (1954), S. 446 u. spricht geradezu von einer „geistesgeschichtlichen Symbolik jener Freundschaft zwischen Goethe u. Schiller". Freiüch erschöpft sich Schillers Beitrag zur Poetik nicht in einer „Schönheits"-Theorie, wie man nach Η. A. Korffs gewiß geistvoller u. fruchtbarer Deutung anzunehmen geneigt sein könnte, bes. angesichts der Ausführungen Korffs a . a . O . , S. 275 ff.; aber auch a . a . O . , S. 447 ff. Es entspricht zwar dem Umfange u. der Bedeutung des Materialbestandes, wenn Schillers Schönheitstheorie u. allgemeine Kunsttheorie bei H. A. Korff weit eingehender'

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behandelt wird als Goethes Kunsttheorie. Aber in einem Werk, das den Titel trägt „Geist d. Goethezeit", wäre es doch erfreulich gewesen, wenn zunächst einmal die Kunstphilosophie u. Literaturphilosophie Goethes in ihrem vollen, vielfach denn doch unterschätzten Umfange zur Geltung u. ausführlich interpretierten Entfaltung gelangt wäre. Hierin werden gewisse Grenzen der geistesgeschichtlichen Betrachtungs- u. Bewertungsweise deutlich spürbar. Schillers Kunsttheorie gibt eben philosophisch weit mehr her als Goethes Kunsttheorie. Aber wie steht es kunsterfahrungsmäßig ? Immerhin hatte Goethe einem Schiller gegenüber etwa ein Jahrzehnt Kunsterfahrung voraus. Goethes erste Fassung des „Götz" liegt 1771. Schillers „Räuber" liegen 1781. Unter Hinweis auf Goethes Brief an Schiller vom 4. Sept. 1794 (mit Bezug auf die Kalliasbriefe), aber auch im Verfolgen der Grundeinstellung seiner Untersuchung, Schiller mehr von Goethe aus zu deuten als von Kant aus (wozu Η. A. Korff neigt bei aller anerkannten kritischen Reserve), betont G o t t f r i e d B a u m e c k e r : Schillers Schönheitslehre, Heidelberg 1937, S. 21 eine derartige Annäherung für die Kalliasbriefe. Die Verschmelzung von Kants u. Goethes Schönheitsauffassung in Schillers Kunsttheorie hebt hervor Η. A. K o r f f , a. a. 0., S. 453. S. 1 1 2 . G e s c h i c h t s w i r k l i c h k e i t . — Mit Bezug auf Kant handelt es sich vor allem um K a n t s „Ideen zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht" u. d. Abhandlung üb. d. „Mutmaßlichen Anfang des Menschengeschlechts". S. 1 1 3 . K u n s t als M i t t l e r i n zwischen dem G e i s t i g e n u. Sinnlichen (Vernunft u. Natur). — H . A. K o r f f a. a. 0 . , (1954), S. 278f.; 454/55, 474 u. a. S. 114. S o n d e r f o r s c h u n g . — Wilh. B ö h m : Schillers Briefe üb. d. ästhet. Erziehung (1927). S. 114. H. Cysarz. Vgl. Herbert Cysarz: Schiller (1934). S. 1 1 5 : „ V e r g n ü g e n " , Mendelssohns V o r a r b e i t e n . — N i c h t zufällig greift Schiller auf die „gemischten Empfindungen" zurück, von denen M. Mendelssohn i. d. „Briefen über die Empfindungen" (1755) gehandelt hatte. Und wenn Schiller eine „bündige Theorie des Vergnügens" forderte, so lagen dafür weitreichende Ansätze bei M. Mendelssohn immerhin vor. Die Beziehung von Klassik u. Aufklärung S3·

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wird nicht nur in diesem Punkte evident. Und es ist keineswegs Zufall, wenn ζ. B. H e r m a n n O e r t e l : Schillers Theorie der Tragödie Diss. Lpz., gedr. Dresden 1934 in einem Eingangsteil „Lessings Theorie der Tragödie" vorausschickt, a. a. 0., S. 9—16, wie er denn auch weiterhin mehrfach auf Lessing zurückgreift, a. a. O., S. i8f., 2of., 23, 27, 36f., 43f., 47f., 73f., 79, u. ö. S. 116. S i t t l i c h - v e r n u n f t m ä ß i g e Freiheit (Freiheitsb e g r i f f ) . — Die zentrale Stellung des Freiheitsbegriffs in Schillers Kunsttheorie hebt u. a. hervor Η. A. K o r f f : Geist d. Goethezeit II, 2. Aufl. S. 276: „Das Urideal Schillers ist die Idee der Freiheit". Schillers Schönheitstheorie als „Übertragung der Freiheitsidee auf die Natur", a . a . O . , S. 278 u. ö. Abschnitt: Die Ästhetik des Vernunft-Idealismus bzw. der Verbindung von Vernunft- u. Naturidealismus, a. a. 0., S. 447 ff. H e r b e r t C y s a r z : Schiller, Halle (Niemeyer-Verlag) 1934, dem die „Jahresberichte der Neueren dt. Liter." X I I I (1936) S. 106 eine „visionär-konstruktive Schau" des Schillerbildes freilich recht skeptisch bestätigen, macht Schiller hinsichtlich des Freiheitsbegriffs zum „Seher" der Befreiungskriege in der „Jungfrau von Orleans" u. i. „Wilhelm Tell"-Drama. Immerhin gelangt H. Cysarz zu der Einsicht: „Die Menschenrechte der französ. Revolution werden entformelt u. verlebendigt. Schillers Freiheit heischt Selbstbestimmung unseres Gesamtwesens". Die durchweg i. d. Schiller-Forschung begegnenden Abhebungen u. teilweise schroffen Unterscheidungen des Freiheits-Begriffs beim jungen Sch. einerseits u. beim reifen Schiller andererseits übersehen das Gemeinsame, nämlich das durchgängig Sittliche im Freiheitsbegriff. Schiller versucht frühzeitig u. dann immer wieder das Ethische mit dem Ästhetischen in werterhöhenden u. wirkungssteigernden Einklang zu bringen. Im Hintergrunde steht dabei ständig der ethisch-ästhetische Erziehungsoptimismus der dt. Aufklärung. Die Freiheit des Ästhetischen bei Schiller betont u. a. A l b e r t B e t t e x : Der Kampf um das klass. Weimar. . . Zürich u. Lpz. 1935, S. 189, Schillers Brief v. 4. Nov. 1795, der die Bindung der Poesie an die Zeit u. ihre Verhältnisse vom idealist. Standpunkt aus leugnet, letztlich um der „dichterischen Freiheit" willen (Abwehr gegenüber Herder

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auch hinsichtl. Mythologie).

einer Bevorzugung

der

„nordischen"

S. 116. „ B ü r g e r l i c h e V e r b i n d l i c h k e i t " . — D a s „Vergnügen" ( = Wohlgefallen) an der sittlichen Freiheit (u. auch die polit. Freiheit erhält nur durch „sittliche Freiheit" ihr höheres Daseinsrecht) steigert sich demgemäß in Anpassung an den Wertgrad der Zweckmäßigkeit, dergestalt, daß sich über der individuellen Freiheit die bürgerlich-polit. Freiheit aufgipfelt, die ihrerseits von der allgemeinen Freiheit des „Menschengeschlechts" im Sinne der „weltbürgerlichen" Freiheit überboten wird. Eine Brücke zwischen individueller Freiheit u. weltbürgerlicher Freiheit schlägt die „nationale" Freiheit (,,Tell"-Drama). Den Zugang aber zu diesen „Freiheiten" erschließt — wie den Übergang zur Vernünftigkeit — die Schönheit als „Freiheit in der Erscheinung"; sie stellt indessen für Schiller nicht das Endziel, sondern nur ein Zwischenziel, eine freilich unentbehrliche Wegmarke auf dem Wege zur „Freiheit an sich" dar. Das, was politisch-bürgerlich „verbindet" u. in diesem Sinne des Gemeinsamen für den Einsamen u. Vereinzelten „verbindlich" ist (auch für Wilhelm Teil!), befreit dergestalt über das Ästhetische das Allgemeinmenschlich-Ethische. Das „Ästhetische" ist in diesem Sinne nur Mittel zum (höheren) Zweck, nicht aber Selbstzweck (Abweichung von K. Phil. Moritz, Ausbau von dessen Änsatz zum Ethischen im „Edlen" u. der „Tatkraft"). Alles in allem wiegt diese „bürgerliche Verbindlichkeit" bei Schiller wesentlich u. werthaft schwerer als bei Goethe, der ihr freilich die naturgesetzliche u. naturwiss. Verbundenheit entgegenzustellen hatte als überindividuellen Wert. S. 117. „ T y p u s des H e i l i g e n " . — Herrn. O e r t e l : Schillers Theorie d. Tragödie, Diss. Lpz. 1934, S. 50 mit Bezug auf Kants „Krit. d. prakt. Vernunft", Akad.-Ausg. S. 82f.; an sich stellt Oertel Schillers Idealtypen mehr zwischen den erhabenen Tugendhaften u. den „erhabenen" Verbrecher. Uber den soziolog. bemerkenswerten Typus des Verbrechers vgl. G e o r g L u k ä c s : Zur Ästhetik Schillers (entst. 1935) in: Beiträge zur Geschichte d. Ästhetik, Bln. 1954, S. 51. S. 117. „ G e m i s c h t e C h a r a k t e r e " . — Vgl. Anm. über „Vergnügen" u. M. Mendelssohns Vorarbeiten; vgl. auch Aus-

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führungen in Bd. II dieser Darstellung üb. Joh. Elias Schlegel (Ulfo im Knut-Drama). Ansatz zum „gemischten Charakter" bereits 1657? bei Andreas G r y p h i u s (Perserkönig Abas in der „Catharina von Georgien"). S. 121. A u f k l ä r e r i s c h e R e s t b e s t ä n d e (Chr. Weise). — Die vom französ. Klassizismus u. seiner Theorie vertraute, an sich konventionelle Lehre vom Leidenschaftsabstand begegnet ζ. B. schon in C h r i s t i a n W e i s e s „Curiösen Gedancken von deutschen Versen" (1691 bzw. 1693, vgl. Bd. I dieser Darstellung) ζ. B. in dem Bedauern angesichts von Gedichten, in denen „sich die Poeten mit solchen unzeitigen (unangebrachten) affecten gar zu bloß gegeben und den raptum ihres Gemüts in einer indifferenten conversation nicht wohl haben verbergen können". Gewiß handelt es sich bei Schiller um eine weit höher liegende Wende der kunsttheor. Entwicklungsspirale. Immerhin begegnet sich dabei im Prinzipiellen die Frühaufklärung mit der in die Klassik eingekörperten Hochaufklärung. S. 121. A u f k l ä r u n g u. s i t t l i c h e V e r e d e l u n g . — Schiller nimmt dabei die beiden Hauptfaktoren der bühnenmäßigen Wirkungswerte wieder auf, die er i. d. „Schaubühne als moralische Anstalt" (1784) bereits ausführlich entwickelt hatte. S. 122. B ü r g e r s „ A n t i k r i t i k " . — G. A. Bürger hatte nicht ungeschickt dort eingesetzt, wo ein Widerspruch in der Haltung Schillers spürbar zu werden schien. Denn während Schiller durchweg die Loslösung vom Individuellen zugunsten des Typischen gefordert hatte, brachte er dennoch die Formulierung: „Der höchste Wert seines Gedichts kann kein andrer sein, als daß es der reine vollendete Abdruck einer interessanten Gemütslage, eines interessanten vollendeten Geistes ist" (XVI, 228). Nur übersieht Bürger, daß Schiller für das Individuum die Vollendung in sich selbst voraussetzt. S. 123. M a t t h i s s o n - K r i t i k . — B e i m Eingehen auf Matthissons Gedichte selbst zeigen sich deutliche Berührungen mit Lessings „Laokoon" hinsichtlich der Auflösung der Schilderung in das Sukzessive, ohne daß Lessing erwähnt würde. Ebenso erinnert die Forderung, den symbolischen Geltungswert der Natur zu erfassen, teils in recht nahen

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Anklängen an die Ausführungen unter dem Stichwort „Landschaft" in S u l z e r s „Allgemeiner Theorie der schönen Künste" (1771 bzw. 1774). Es ist interessant, daß angesichts der Dichtungen Matthissons doch der Dichter u. dichterische Kritiker sich gegenüber dem konstruktiven Theoretiker durchsetzt. So etwa wird trotz jener Erlebnisabstands-Forderung (Bürger-Kritik) einmal bedauert, daß jenes „überströmende, der Gegenwart ganz hingegebene (!) Gefühl" vermißt wird (XVI, 266). Symptomatisch ist weiterhin, daß die Konstruktion einer Notwendigkeit angesichts der Praxis nicht voll aufrechterhalten werden kann; es wird zu einem „gleichsam notwendig" merklich u. mehrfach abgeschwächt. Gegenüber Bürger aber wird Matthissons Dichtertum schon dadurch gerettet, daß er neben dem Vertrautsein mit der Natur „mit klassischen Mustern" seinen Geist genährt, seinen Geschmack gereinigt, seine sittliche Grazie bewahrt hat (XVI, 270). S. 123. A b g l e i t e n in d i e A l l e g o r i e . — Um ein derartiges Abgleiten ins Allegorische zu verhindern, fordert Schiller: die Naturschilderungen dürfen nicht durch bloße Assoziationen ins Ideeliche hinüberleiten. Die „symbolische Einbildungskraft" pflegt die Vernunft zu beteiligen u. zu aktivieren. Sie wird ohne weiteres danach streben, jenes Spiel ihrem „Verfahren" anzugleichen. Und so wird die Natur zu einer lebendigen Geistersprache. Sie wird es aber nur — u. hier greift selbst bei der Beurteilung der Naturschilderung Schillers ethisches Kriterium wieder ein — in einer „sittlich gestimmten Seele", in einem Gemüt, das zum Bewußtsein seiner „moralischen Würde" erwacht ist. S. 130. A n m u t u. W ü r d e . — Mehr die bloße Titelgebung als der Inhalt lehnt sich im Begriffspaar Anmut u. Würde den „Grundsätzen der Ästhetik" (1791) von K . V . D a l b e r g an, wo Anmut u. Kraft als Gegenpole aufgestellt worden waren. Ernstlicher kommt S u l z e r s „Allgemeine Theorie . . . " mit ihrem Stichworte „Reiz" in Betracht. Zugleich kann Schiller teils auf frühere eigene Anschauungen zurückgreifen, wie er sie etwa schon in seiner Akademieschrift „Versuch über den Zusammenhang der tierischen Natur des Menschen mit seiner geistigen" (1780) vertreten hatte. Teilw. wird Kant nach Shaftesbury umgebogen, der Schiller zum mindesten mittelbar vertraut gewesen sein

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dürfte; teils greift auch Mendelssohnsches u. Lessingsches Gedankenerbe ein. S. 131. T e i l a b w e h r K a n t s . — Kant sah sich immerhin genötigt, unter anerkennendem Rückverweis auf Schillers Abhandlungen (u. zwar in „Die Religion innerhalb der Grenzen d. bloßen Vernunft", 1793) die rigorose Schärfe der „Kritik der prakt. Vernunft" zu mildern, ohne indessen seine Grundhaltung aufzugeben oder Schiller auch nur voll zu verstehen. S. 133. „ K e i n e l o g i s i e r e n d e E r ö r t e r u n g " . — Man wird Schillers Abhandlung daher auch nicht mit der Methode logisier. Erörterung beikommen können, wie es — wiederum von Goethes kritischen Bemerkungen ausgehend u. an Goethe messend — G. B a u m e c k e r a. a. O., (1937), S. 23—47 unternommen hat, der triumphierend jeden logischen Widerspruch Schillers aufzählt. Die Widersprüche zwischen d. „Kalliasbriefen" u. „Über Anmut u. Würde" werden nach G. B. „nur aus der Gespaltenheit bis ins Innerste seines Wesens" erklärbar! B. kommt zu sehr von Winckelmann u. Goethe her, um Schiller aus Schiller heraus verstehen zu können. S. 134. „ U b e r d a s P a t h e t i s c h e " . — Über d. Formgesetz d. Pathetischen b. Schiller als ein Grundgesetz seiner Haltung u. Gestaltung handelt bereits mit Bezug auf d. Sturm u. Drang Schillers P a u l B ö c k m a n n : Formgeschichte d. dt. Dichtung Bd. I, S. 668 ff. — Ähnlich, zugleich mit Bezug auf d. Schiller d. Reifezeit B . M a r k w a r d t : Schillers Kunstanschauung i. Verhältnis zu seinem Kunstschaffen, in: Wiss. Ztschr. d. Ε. M. Arndt-Universität Greifswald, Jg. IV (1954/55) S. 259 f.; dort das „Gesetz d. Pathetischen" als „werkimmanente Poetik" gefaßt S. 278 f. — Die in diesem Aufsatz vertretene innige Verbundenheit v. Kunstanschauung u. Kunstschaffen war übrigens schon in einer weit früher liegenden Publikation v. P a u l B ö c k m a n n : Schillers Geisteshaltung als Bedingung s. dramat. Schaffens, Dortmund 1925 betont worden („um so mehr tritt die wunderbare Kongruenz hervor, die zwischen s. dichter, u. theor. Schaffen besteht", a.a.O., S. 15). Daß nicht nur der Sturm u. DrangSchiller gemäß der kennzeichnenden geniezeitgemäßen Aversion gegen die „Regel" sich vom kunsttechnischen Einzelhinweis eine größere prakt. Förderung f. d. Dichter versprach, sondern auch d. Sch. d. Reifezeit, dafür sind

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a. a. 0 . Belege beigebracht. Sie seien hier ergänzt durch Schillers briefl. Bemerkung gegenüber W. v. Humboldt (1798), H. möge nicht überrascht sein, daß Sch. sich die „Wissenschaft u. Kunst jetzt in einer größeren Entfernung u. Entgegensetzung denke, als ich vor einigen Jahren vielleicht geneigt gewesen bin. Meine ganze Tätigkeit hat sich jetzt der Ausübung zugewendet; ich erfahre täglich, wie wenig der Poet durch allgemeine reine Begriffe b. d. Ausübung gefördert wird, u. wäre in dieser Stimmung zuweilen unphilosophisch genug, alles was ich selbst u. andere von d. Elementarästhetik wissen, für einen einzigen empirischen Vorteil, für einen Kunstgriff des Handwerks hinzugeben". S. 149. Exkurs: Werklmmanente Poetik (Schiller). — Der entsprechende Exkurs in Bd. II ist bereits ζ. T. auf die Werke d. Reifezeit eingegangen, was ζ. B. angesichts der Beziehungen zwischen dem „Fiesco" u. „Wallenstein" ohne weiteres gegeben war. Manches Ergänzende bringt zugleich der Aufsatz d. Verf.s über: Schillers Kunstanschauung i. Verhältnis z. s. Kunstschaffen, in: Wiss. Zeitschr. d. Ε. M. Arndt-Univ. Greifswald, Jg. 4,1954/55, S. 259—283. Wie das Kunstwollen Goethes durch die bildende Kunst u. d. naturwissenschaftl. Studien nicht unwesentlich i. d. Reifezeit d. Klassik modifiziert wurde, so erfuhr das Kunstwollen des reifen Schiller eine ähnliche Abwandlung durch die Beschäftigung mit Historie u. Philosophie. Dabei verstärkte die Beschäftigung mit der Historie den Sinn für das, was „Bedeutung" beanspruchen darf, die Beschäftigung mit der Philosophie dagegen den Sinn für das, was „Deutung" beanspruchen darf. Beide Bereiche aber bedürfen der „Deutung" des „Bedeutenden". Und die Dichtung fordert eine (letztlich symbolrealistische) Vergegenständlichung und Veranschaulichung jener „Deutung des Bedeutenden". Die Mehrschichtigkeit der Wirkungsabsicht u. d. Kunstwollens bringt einmal ein Aussparen u. Aufsparen der philosophischen Vertiefung mit sich, um zunächst einmal die Einsicht auf die bloße (äußere) Ansicht zu beschränken, die sich mit der exempelhaften Demonstration der tieferen Problematik zu behelfen (u. scheinbar auch zu begnügen) scheint. Aber hinter der Flächigkeit (u. Oberflächlichkeit) der historischen „ K u lissen" wird ein tiefergreifender Deutungswille sichtbar, der das zunächst einmal Einleuchtende wieder in Frage

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stellt um einer echteren u. anspruchsvolleren Erleuchtung willen. Hinter der plausiblen Erläuterung steht bei Schiller allenthalben die durchaus problematische „Läuterung", nicht nur im sittlichen Vermögen, sondern auch im historischen Verstehen, das im Sinne der Klassik freilich weitgehend mit einem allgemein-menschlichen, vernunftmäßig-humanen „Verstehen" zur Identität gebracht wird. Das zeitgemäß Gebundene bleibt dergestalt immer nur (oder doch überwiegend) ein Bild u. Vorbild für ein zuletzt doch Zeitentbundenes u. Zeitentrücktes, das sich dem Zeitzwang enthebt, weil es über ihn „erhaben" ist. Aber eine echte Erhabenheit muß die Feuerprobe einer echten Zeitgebundenheit durchlaufen haben, wenn anders der Kunstwertaufnehmende vom „Erhabenen" nicht nur überredet, sondern von ihm überzeugt sein soll. Erst das zeitliche Verflochtensein u. d. gesellschaftliche Verpflichtetsein verbürgt die Großheit u. Reinheit der überzeitlichen rein-menschlichen Idee, wie sich erst im Spiegel des Vergehend-Vergänglichen die Ewigkeit des Dauerwertigen kritisch erkennen u. anerkennen kann. Der Mensch ist nicht auf sich gestellt (auch der Starke ist nicht am mächtigsten allein), sondern den anderen zugesellt; und erst am Erproben des Reagierens auf die anderen u. des Reagierens der anderen auf ihn bestätigt sich eine Charaktergröße, die selbst dort, wo sie auf religiöse „Sendung" oder auf nationale „Sendung" (Jungfrau v. Orleans, Teil, Demetrius, ζ. T. auch Wallenstein) zurückgeht, doch immer nur „aufgeht", sobald sie und soweit sie Menschenwürdigen, Gotteswürdigen und Volkswürdigen aufgeht. Das historisch-politisch Erforderliche muß immer „aufgehoben" sein im national Erforderlichen, aber auch in der zuletzt doch wieder überzeitlichen sittlichen Forderung. Tragik entsteht nicht zuletzt dort, wo das zeitlich Erforderliche nicht mit der sittlichen Forderung übereinstimmt, wo das Ideal am Leben zerbricht, weil das Leben nicht dem Ideal entspricht. Schon weil die Möglichkeit der Macht („Wallenstein") zum Mißbrauch der Macht führt (u. verführt), versagt die sittliche Reinheit des Strebens, indem bloße Visionen u. Illusionen einer nationalen Förderung (Reichsidee, Friedensidee) versagen vor der strengen Konsequenz einer schlechthin sittlichen Forderung. Bis zur Subtilität steigert u. übersteigert Sch. dieses Messen der nationalen Förderung an der sittlichen Forderung ζ. B. in der Diffe-

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renzierung des politischen „Mordes" (Tell-Parricida). Aber für Sch. war das keine Pedanterie, sondern eine letzte Konsequenz, eine Konsequenz, die ebenso unerbittlich den nationalen Anspruch Demetrius* an der sittlichen Forderung mißt, das Nationale nur fordern zu dürfen, wenn man das Sittliche vertritt, wenn das nationale Gewissen dem sittlichen Gewissen standhalten u. vor ihm bestehen kann. Das historische Wissen wird immer wieder gewogen u. gewertet am sittlichen Gewissen überhistorischer Art. Ja, weithin bedient sich Sch. des histor. Wissens nur als eines Gelegenheitsmachers zur Erprobung u. Erhärtung, zur Klärung u. Verklärung des überhistor., rein menschlichen Gewissens. Die historisch bedingte Verlegenheit (Beschränkung durch d. Zeitverhältnisse) oder Verwegenheit (kühne Durchbrechung dieser Zeitgebundenheit) verbürgt noch nicht jene „klassische" rein menschliche Überlegenheit, die allein aus der Synthese des historischen Verflochtenseins mit dem schlechthin sittlichen Verpflichtetsein entspringt. Und selbst, wo ein Phantasiestoff die historische Bindung von vornherein aufhebt, oder doch auflockert, wie in der „Braut von Messina", bleibt dennoch die sittliche Verbindlichkeit bestehen, die hier im Chor zu Wort u. Wirkung kommt, der jenes auch sonst allenthalben vorhandene, aber latent gehaltene Gewissen demonstrativ u. dekorativ zugleich personifiziert u. symbolisiert. Das objektive Parteiergreifen der Reifezeit Schillers ist dabei besonders instruktiv dem subjektiven (vorwiegend gefühlsmäßigen) Parteiergreifen des jungen Schiller gewichen. Das politische Organ des antiken Chors wird hier bewußt zum „Kunstorgan". Aber das Vorhandensein des Chors erinnert doch in erforderlichem u. förderlichem Grade den Dramatiker daran, daß die gesellschaftliche Funktion des Theaters nicht ungestraft für den Dramatiker außer acht gelassen werden kann, weil er jene „Öffentlichkeit" dartut, die sich durchweg auch in der Sonderform der Lyrik Schillers darbietet, und zwar sowohl des Schiller der Frühzeit („Anthologie auf 1782") als auch der Reifezeit (Ideenlyrik, ζ. T. auch Balladen). Die Ineinsbildung des „Ideals u. d. Lebens", des „Idealen u. Sinnlichen" hebt die Funktion des Chors über die schmückende Aufgabe eines „lyrischen Prachtgewebes" wesentlich u. werthaft hinaus. In ihm u. seiner Verwendung bekennt sich Sch. nicht nur zu seiner Neigung, allgemeine Lebensweisheiten i. d. ver-

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besonderten Lebenswirklichkeiten des Kunstwerks mehr oder minder willkürlich u. bewußt einzuflechten, d. h. sich im Chor ein Vehikel zu schaffen, um die teilweise überreiche Fracht seiner Sentenzen an das Publikum heranzubringen, sondern er bekennt sich darin u. damit auch zum ursprünglich „öffentlichen" soziologischen Charakter eines nicht nur religiösen, sondern auch nationalen Kult- u. Festspiels, dem er i. d. „Jungfrau von Orleans" einerseits u. i. „Tell"-Schauspiel u. „Demetrius"-Fragment andererseits die meister- u. musterhaften Paradigma gesetzt hat. Während in d. „Jungfrau v. Orleans" der Grad politischer Einsicht u. nationaler Begeisterung noch ständisch gestuft bleibt (Dunois hat mehr nationale Einsicht als Thibaut), ist umgekehrt im „Tell"-Schauspiel gerade das Volk in seinen breiten Schichten u. in s. Repräsentanten u. „Typus" Wilh. Teil der verläßliche Träger des Nationalempfindens, während die höheren Stände (Ulrich v. Rudenz) unsicher u. eingetrübt erscheinen. Und erst im Attinghausen findet sich die Einheit zur Ganzheit zusammen, während Bertha von Bruneck den Übergang des Adels zum bürgerlichen Freiheitsstreben vertritt. Was hier das Jungfräuliche vermag, symbolisiert das Mütterliche in der Marfa des „Demetrius"-Fragments. Die Getäuscht-Enttäuschte wird dabei zur Täuschend-Echten, weil ihr Gewissen stärker ist als ihr Wissen (um die Herkunft d. Demetrius). Streben u. Leben, Schicksal u. Schuld, Wissen u. Gewissen werden vom reifen Schiller immer wieder gegeneinander gemessen u. gewertet, ob nun im „Wallenstein", i. d. „Jungfrau v. Orleans", i. d. „Maria Stuart", i. d. „Braut von Messina", im „Teil" oder im „Demetrius". Das Kunstwollen mißt — wie auch i. d. Balladen u. d. Ideengedichten — immer wieder den Anspruch der „Sitte" an dem Anrecht der „Sittlichkeit". Nur daß der Schiller der Reifezeit nicht mehr auf das Extrem angewiesen ist, die „Sitte" durch ein vermeintlich „revolutionäres Unsittliches" (Verbrecher erhabener Art) aufzuheben u. zu entwerten, sondern daß jetzt der „Verbrecher" im sühnenden Erkennen u. Bekennen seines „Verbrechens" den Zugang findet zu jener echten Größe, die sich ihrer Schwäche und menschlichen Kleinheit bewußt wird u. die die Seelengröße des Verzichts über die Willensgröße des Anspruchs stellt. Es weicht dergestalt nicht nur die „natürliche Größe" (Sturm und Drang) einer „sittlichen Größe" (Deutung Η. A. Korffs), sondern

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es weicht auch die „Größe um jeden Preis" (Sturm u. Drang) einer Größe um den „höchsten Preis", um den Preis nämlich der duldenden Demut u. des sozialen Dienstes oder der nationalen Sendung. Die Motivwelt der Balladen („Kampf mit dem Drachen, Bürgschaft, Kraniche des Ibykus") steht dabei nicht zurück gegenüber der Motiv- u. Problemwelt der Dramen; denn die geniezeitgemäße Selbstüberhebung weicht mehr u. mehr der klassischen Selbstüberwindung. Die These vom Mißbrauch der Macht ergänzt sich durch die Antithese vom rechten Gebrauch der Freiheit. Die Jungfrau von Orleans wird erst frei in der Unfreiheit; sie bestätigt erst ihr Anrecht auf die göttliche Sendung durch die Entfaltung ihres Charakters; dasselbe gilt von Maria Stuart und in gewisser Weise auch von Wilhelm Teil. Erst die nackte Not zwingt sie zum Bekenntnis ihrer Würdigkeit, sich zum Erhabenen nicht nur des Selbsthelfers, sondern des Selbstopfers zu erhöhen u. zu erheben. Bei allen mündet das sittlich Erhebende ein in das sittlich Erhabene, dergestalt daß die „Schöne Seele" unversehens, aber zwangsläufig übergeht u. aufgeht in die „erhabene, die große Seele". Das „Morgentor des Schönen" führt, so verstanden, nicht nur in das Land der Erkenntnis, sondern auch in den Bereich des Bekenntnisses. Und die Schönheit der Humanität (Goethe) wird zur Humanität des Schönen (Schiller), das eben deshalb dem Erhabenen näher bleibt. Als die Götter menschlicher noch waren, waren Menschen göttlicher. Die Bürgschaft des guten Menschen für das Vorhandensein des Göttlichen (Goethe: „Das Göttliche") wird zu einer Bürgschaft des göttlichen Menschen für das göttlich Gute (Schiller). Goethe demonstriert, daß der Mensch gut sein muß; Schiller postuliert, daß der Mensch gut sein will, denn für ihn ist der Mensch das „Wesen, das will". Das Echtsein u. Edelsein aber ist beiden gemeinsam; nur daß für Goethe dieses Echtsein näher dem Wesentlichen, für Schiller näher dem Wirklichen liegt, wobei freilich für Sch. das Wirkliche weitgehend mit dem sittlich Wirkenden sich deckt, während es bei Goethe weit mehr der „wirkenden Natur", dem Biologisch-Psychologischen entspricht. Die Morphologie der Gestalten (Goethe), und zwar sowohl im Leben als in der Kunst, wandelt sich bei Schiller in eine Symbolik der Geschichte u. des geschichtlichen „Mythos" unter Berücksichtigung einer dichterischen Symbolik der Philosophie. Dabei ist

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zu berücksichtigen, daß Hegels Geschichtsphilosophie Schiller noch nicht zugänglich war, obwohl er ihr ahnungsvoll nahekam (vgl. G. Lukäcs). Die Bevorzugung des histor. Motivs ist für d. ReifeDramen evident, während die Balladen zum mindesten die Sagenschicht i. d. Nachbarschaft z. Historischen bevorzugen gegenüber einem bloßen Phantasiestoff. Das Kunstwollen entfaltet sich dementsprechend vorzugsweise an historischen, sagenhaften, memoirenhaften oder mythischen Stoff-Beständen, um ihnen über das Stoffliche hinaus eine ideeliche Deutung u. Umdeutung zu geben. Durchweg reizt dabei das an sich schon stofflich „Bedeutende", das der Prolog zum ,,Wallenstein" nur gesondert u. programmatisch herausstellt, zum mehr dramatischen als epischen „Bilden" im Sinne eines bedeutsam Bildenden u. bildend Bedeutsamen. Eben dies hebt Schiller in gewissem Grade von Goethe ab, den das „Bildende" weit leichter u. zwangloser zum „Bedeutenden" hinführt. Das Typologische bleibt bei Goethe stärker angewiesen auf das Psychologische, bei Schiller stärker auf das Historische (u. Philosophische). In diesem Heranbilden u. Herausbilden des Bedeutenden überwiegt bei Schiller eindeutig u. durchgängig der dramatische Impuls, aber auch die theatralisch-dramatische Dynamik. Das gilt auch von den Balladen, die gegenüber ihren stofflichen Quellen überall eine merkliche Umformung zugunsten einer theatralisch-dramatischen Wirkung vornehmen. So wird ζ. B. in d. „Kampf mit dem Drachen" die epische Vorgeschichte d. Quelle umgesetzt in eine rückwärts aufrollende dramatische Analysis (Vorwegnehmen d. Gerichtsverhandlung), i. d. „Bürgschaft" werden die Spannungselemente der Rückkehr des Bürgen gehäuft, i. d. „Kranichen des Ibykus" wird auch äußerlich die seelische Auflockerung durch die Wirkung des Chors i. d. psychologische Motivierung d. Enthüllung einbezogen usw. Kurz, das Kunstwollen des Balladendichters bleibt ganz unverkennbar bezogen auf das Kunstwollen des Dramatikers, und zwar weit mehr als dies bei Goethes merklich der Romanze angeglichenen Form u. Fassung der Fall ist. Das gilt auch in gewissem Grade v. d. Ideengedichten, die das dramatisch Spannende im Antithetischen bevorzugen gegenüber der gedanklichen Entfaltung in epischer Berichtsform. Selbst wo Sch. vermeintlich der „Liedform" sich bedient wie i. d. „Lied v. d. Glocke" (wobei

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freilich die Hebung des freimaurerischen „Gesellschaftsliedes" programmatisch mitspielt), wie im Hymnus „An die Freude" u. dem „Bürgerlied", das treffender zu d. „Eleusischen Fest" umbenannt wird, sind dramatische Hilfskonzeptionen ganz unverkennbar wirksam gemacht worden. Und auch die kulturgeschichtlichen Entfaltungen („Spaziergang, Götter Griechenlands, Eleusisches Fest" u. a.) verleugnen nicht die Konzentration zu dramatischen Prägungen. Soweit ein spezifisch lyrischer Impuls sich Geltung zu verschaffen u. dichterische Gestalt zu finden weiß, nähert er sich dem „Odenaufschwung" u. der hymnischen Steigerung, selbst in einer Zeit, wo Schiller nicht mehr zu befürchten brauchte wie in jungen Jahren, dem Sondergebiet der „Ode" zugewiesen zu werden als ein gleichsam in das Drama verirrter Odendichter. Gemeinsam steht als beherrschende Kraft hinter beiden Erscheinungen die Neigung u. Nötigung zum „Pathetischen". Und der Wirkungswille zielt mehr auf das Erhabene als auf das Schöne, dergestalt daß durchweg das Schöne dem Erhabenen untergeordnet, gelegentlich ihm wohl auch aufgeopfert wird. Der edle Wille überwältigt die edle u. schöne Seele, die eine schon bei M. Wieland theoretisch u. praktisch (Singspiel „Alceste") angekündigte Umwertung u. Aufwertung zur „großen Seele" erfährt. Die geniezeitgemäße „Schaustellung der Größe" bleibt bestehen. Aber die geniezeitgemäße „Größe um jeden Preis" weicht einer Größe um den höchsten (ethischen) Preis. Der „erhabene Verbrecher" bewahrt zwar weiterhin f. d. Tragiker u. Dramatiker Schiller eine starke Anziehungskraft (Wallenstein als „Verräter", Demetrius als „Betrüger", Maria Stuart als „Gattenmörderin", Wilhelm Teil als politischer „Mörder"); aber die Wertung verlagert sich unverkennbar vom „Verbrecher-Sein" auf das „Erhaben-Sein". Und wenn die Schuld auch kein „schönes" Sein ermöglicht, so gestattet sie doch ein „erhabenes" Schicksal. Bei alledem läßt auch der reife (u. gerade der reife) Schiller keinen Zweifel darüber, daß es sich bei tragischen Gestalten u. Charakteren niemals um eine absolute u. ideale Größe handeln kann, sondern immer nur um eine subjektive Größensehnsucht, die charakterhaft eingetrübt u. schicksalhaft eingeengt u. mannigfach bedrängt u. bedroht u. bedrückt erscheint. „Der historische Wallenstein war nicht groß, der poetische darf es nicht sein": dieses

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Wort Schillers aus dem Bestand seines kritisch erläuternden u. deutend formulierenden Kunstwollens wird allzu leicht von denen überhört, die etwa auch bei G. E. Lessing die begleitende Bekundung angesichts der „Emilia Galotti" überhören, daß die „Heroininnen" so ganz und gar nicht nach Lessings „Geschmack" gewesen seien (Köster-Korff). Freilich ist die formulierte Poetik nicht so ohne weiteres gleichzusetzen mit der werkimmanenten Poetik. Und es kann keinem Zweifel unterliegen, daß sowohl Lessing in jenem Falle wie Schiller in diesem Falle die theoretische Warnung bei der künstlerischen Verwirklichung zum mindesten streckenweise außer acht gelassen hat. Das Bekenntnis im Kunstwerk erwies sich zuletzt doch als stärker als die Erkenntnis in der Kunsttheorie. Zudem gönnte Schiller seinem Wallenstein zum mindesten jene Größe der tragischen Fallhöhe wie seinem Talbot („Jungfrau v. Orleans") oder seinem Demetrius. Die Problematik des Geschichtlichen, die vernehmlich durch alle „Erhabenheit" u. allen Erziehungsoptimismus hindurchklingt, verbindet sich in derartigen Fällen mit der Problematik des Charaktermäßigen (Philipp II, Wallenstein, Maria Stuart, Demetrius, konzipiert auch im Warbeck). Aber aus mancherlei Umschichtungen des Erziehungsoptimismus in Erziehungsskeptizismus (Fragwürdigkeit der Wandlungsfähigkeit u. Entwicklungsfähigkeit, ja Entwicklungswilligkeit Erwachsener u. bes. genial Gewachsener) leuchtet doch irgendwie u. immer wieder der Trost auf, daß nur bereits in sich gebrochene Persönlichkeiten auch vom „Schicksal" gebrochen u. zerbrochen werden können. Andererseits zieht nur der wahrhaft Große das wahrhaft große Schicksal an; genauer: der in einigem u. oft einseitigem Betracht „Große", der doch keine große „Persönlichkeit" im Sinne der Klassik darstellt. Und fast möchte u. könnte man das Goethe-Wort vom höchsten Glück, das in der Persönlichkeit liegt, dahin abwandeln oder dahin ergänzen, daß für Schiller das höchste Unglück der Erdenkinder, die mehr als Kinder der Erde sein wollen, im bloßen Schein, in der bloßen Illusion, eine Persönlichkeit, ja ein „kleiner Gott der Welt" zu sein, liege. Der tragische Sündenfall der Vergottung (u. Vergötzung) ist Schiller schon jenseits der „Empedokles"-Tragödie Hölderlins durchaus vertraut. Aber auch das Persönlichkeitshaltige kann, selbst wo es über dem bloßen Schein zum echten Sein strebt, zu einer Schicksalshaltigkeit u.

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geradezu zur Schicksalshaftigkeit werden, wenn die Zeitverhältnisse u. Lebensverhältnisse die Persönlichkeitswerte irgendwie niederdrücken oder doch nicht zu einer vollen Entfaltung kommen lassen (Grundtypus: Wallenstein, Demetrius, vor dem entscheidenden Umbruch auch Wilhelm Teil). Indem i. d. Charakteren innere Brüchfe gegeben sind (Wallenstein, Maria Stuart, Johanna, Don Cesar, Demetrius), wird der Einbruch der Schicksalsgewalt ermöglicht u. erleichtert; besonders deutlich i. d. „Braut von Messina", wo die leidenschaftliche Aktivität der Zentralgestalten ihrerseits ungewollt dem Walten des Schicksals entgegenkommt, auch wo sie ihm entgegenzuarbeiten meint. So weitgespannte u. umspannende u. daher leicht in ihrer Begriffsdichte geschwächte u. i. ihrer Begriffssicherheit gelähmte Bezeichnungen wie „Idealismus" oder „Realismus" müssen angesichts der komplizierten Mehrschichtigkeit des nur scheinbar „einfachen" Kunstwollens u. der Kunstleistung (werkimmanente P.) Schillers notwendig versagen; zum mindesten vermögen sie nur recht allgemeine u. „erste" (aber nicht erstrangige) Orientierungen zu bieten. Nicht von ungefähr warnt ein selbstdenkender Deuter wie E. Spranger vor dem billig-unbilligen Festlegen Schillers auf derartige behelfsmäßige Schablonen. Dann nämlich würden eine ganze Reihe von Fragen offen bleiben: ist nun z . B . das „Formgesetz" des jungen Schiller (vgl. P. B ö c k m a n n : Formgeschichte d. dt. Dichtung, Bd. I, Hbg. 1949, S. 668 ff. u. ders.: Schillers Geisteshaltung als Bedingung s. dramat. Schaffens, 1925) der Realismus u. d. Ideengehalt „Idealismus" (P. Böckmann wehrt die Einengung auf einen „selbstgenugsamen Realismus" ab, rückt aber die „pathetische Kunst" nahe an den Idealismus heran, a. a. 0., 1949, S. 670), wandelt sich das Kunstwollen u. „Formgesetz" (das i. d. vertieften Auffassung u. Auslegung P. Böckmanns sich weitgehend meinem Begriff „Kunstwollen" nähert), wandelt sich dann das Formgesetz zum „Idealismus" u. d. Ideengehalt zu einem „objektiven Realismus" oder zu einem realen Objektivismus (oder zum idealisierenden Objektivismus bzw. „objektiven Idealismus", vgl. G. Lukacs: Zur Ästhetik Schillers [1935], jetzt in: Beiträge zur Geschichte der Ästhetik, Bln. 1954, S. 11—96) und endlich: hat wirklich der „späte Schiller" eine entschiedene (u. f. s. etwaige Fortentwicklung entscheidende) 3 1 M a r k w a r d t , Poetik I I I

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Wendung zum „Realismus" vollzogen? Immerhin bleibt es bei aller Deutungsvielfalt u. allem Deutungswirrwarr dennoch dankenswert, wenn die Sonderforschung von der Werkanalyse u. Werkinterpretation her zu Erkenntnissen oder zum mindesten zu Teileinsichten zu gelangen versucht, die geeignet sind (oder waren), das Gesamtbild Schillers entsprechend zu vervollständigen, ζ. T. auch zu berichtigen, und zwar i. d. Hauptkonturen (denn darum geht es hier). Und wenn man auch nicht gut so weit gehen kann wie H. Cysarz, der gerade im Rahmen seiner genialisch großzügigen Schiller-Deutung den „Idealismus" u. „Realismus", wenn anders ich mich recht erinnere, als zwei linke Kinderschuhe drastisch-desillusionierend bezeichnet (die das „Kind" so oder so anziehen kann), so dürfte doch P. Böckmann richtig verfahren, wenn er neuerdings das Kunstwollen, mindestens als „Formgesetz" vorzugsweise auf die Vorstellung (u. Programmthese) des „Pathetischen" zurückführt. Von anderer Seite her bin ich in dem erwähnten Zeitschriftenaufsatz von 1954/55 (Kunstauffassung u. Kunstschaffen) zu einem ganz ähnlichen Ertrag gelangt, ohne daß mir damals das umfassende Werk P. Böckmanns (situationsgemäß!) schon zugänglich war. In der Tat liegt im Willen zum „Pathetischen" (im Schillerschen Verstände) ein wesentlicher, wenn nicht der wesentlichste Zugang zum Kunstwollen Schillers, auch im Sinne einer werkimmanenten Poetik. In diesem Einzelfalle sind also der Westen u. Osten gleichsam getrennt marschiert, um doch vereint zu schlagen. Und daß es dabei gerade um Fr. Schiller ging, mag kein schlechtes Zeichen sein. Die Einheit Schillers u. seines Kunstwollens (trotz der Modifikation der Stilepochen: Sturm u. Drang, Klassik) symbolisiert dergestalt die Einheit Deutschlands u. d. dt. Forschung. Dagegen dürfte es kaum ratsam sein, das Kunstwollen auch nur des „späten" Schiller zu eng an das H. v. Kleists heranzurücken. Gewiß drängt sich in diesem Zusammenhange der Gedanke auf, daß der späte Sch., bes. wenn ihm eine weiträumige Entfaltungszeit vergönnt gewesen wäre, nicht unwahrscheinlich auf einer höheren Kehre u. Wendung der Entwicklungsspirale den teilweise fast schon naturalistischen Form-Realismus seiner Frühzeit (der noch nicht das eigentliche „Formgesetz" in sich birgt) modifiziert wieder aufgegriffen haben würde (wie in der Kunsttheorie Herder), dann nur angenähert einem·

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konzentrierenden Typus, der am nur kopierenden u. „charakterisierenden" u. individualisierenden Realismus der Frühzeit kein Genüge mehr hätte finden können, vollends nachdem Sch. das Stadium des idealisierenden Typus der Klassik mit beträchtlichem künstlerischen Gewinn durchlaufen hatte. Freilich, eine „ins Reale verliebte Beschränktheit", wie es Goethe so lässig-überlegen ausdrücken durfte, wäre Schiller kaum gemäß, wahrscheinlich auch gar nicht zugänglich gewesen. Sein latentes Gesetz bleibt die Steigerung, nicht zwar im Sinne Klopstocks in das irgendwie immer (national oder religiös) Rauschhafte, sondern die Erhöhung ins Erhabene (weniger gefühlsmäßiger als willensmäßiger, weniger ästhetischer als ethischer Art). Es handelte sich bei dem dramat. „Pathetiker" Sch. um eine Steigerung in die sittliche Forderung (unter tapferem Einbeziehen des Volksfördernden), der das ästhetisch Erforderliche sich jeweils anzupassen hatte (u. nicht umgekehrt). Ob es einem Sch. mit längerer Lebensdauer vergönnt gewesen wäre, das „Wahre" mit dem „Wirklichen", das „Wahre" mit dem „Wahrscheinlichen" (vgl. Goethes einschlägige Abhandlung), das „Echte" der Kunst mit dem „Rechten" des Lebens, also letztlich „Ideal und Leben" kunstgerecht und kunstwertig, ja kunstwertsteigernd zu verbinden u. organisch (bis synthetisch im dialektischen Aufhöhen der dramatischen Antithetik) zu verschmelzen, muß eine bloße Vermutung bleiben. Da sich seine dramatische Spannung (auch in Ballade u. Ideengedicht) nicht zuletzt aus jener Diskrepanz von „Ideal u. Leben" nährte, ist es unwahrscheinlich, daß er das ihm naturnotwendige u. wesenhaft eigentümliche Bedürfnis nach Spannung allzu leicht aufgegeben u. „aufgehoben" haben würde. Denn Sch., wie er auch wachsen u. sich wandeln mochte, bleibt immer vorab der Dramatiker schlechthin, der das dramatische Kunstwollen i. d. dt. Literatur am reinsten ausprägte, und zwar i. d. formulierten Poetik sowohl als auch i. d. werkimmanenten Poetik. Er bietet nach Formgesetz, Kunstwollen u. Kunstschaffen eben das, was in diesem Wirkungsbereich u. nach diesem Wirkungsgesetz gattungstypologischer Art schwer zu überbieten war. Schiller beherrscht die dramat. Wirkungsform nicht zuletzt deshalb, weil er vom dramatischen „Gesetz" beherrscht, ja im besten Sinne besessen war. Und in der Kunst besitzt nur der Besessene wirklich das, was er sich in verewigender Form-

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Setzung erworben hat. Das Gesetz seines Kunstwollens deckte sich weitgehend mit dem Gesetz des Dramas. S. 149

Wilh. v. Humboldt. — Die Belegstellen beziehen sich auf W . v. Humboldts Gesammelte Schriften, preuß. AkademieAusgabe, hrsg. von A l b e r t L e i t z m a n n , Bd. II, Bln. 1904. — E d u a r d S p r a n g e r : Wilh. v. Humboldt u. d. Humanitätsidee, Bln. 1909, unveränd. Neuautl. Bln. 1928. — H a n s A. d. F u e n t e : Wilh. v. Humboldts Forschungen über Ästhetik, Gießen 1912. — A n n e l i s e M e n d e l s s o h n : Die Sprachphilosophie u. d. Ästhetik Wilh. v. Humboldts als Grundlage für d. Theorie der Dichtung, Diss. Hamburg 1928 (unklare Datierung der Diss., da dort schon Arbeiten Cassirers von 1929 zitiert werden; auch die JsbDL 4 N· F. verzeichnen sie erst unter dem Berichtsjahr 1931). — H a n s E b e r l : Wilh. v. Humboldt u. d. dt. Klassik, Bln. 1933 (Schriftenreihe der „Tafel"). — G. V a n i e k : Die Theorie des Epos bei den Brüdern Schlegel, den Klassikern u. Wilh. v. Humboldt, Wiener Programm 1903. — F r a n z S c h u l t z : Klassik u. Romantik der Deutschen (1935) S. 156/57 (passim; verhältnismäßig wenig bzw. unverhältnismäßig wenig üb. W. v. Humboldt, wohl damals schon für den zweiten Teil vorgesehen). — W i l h e l m v. H u m b o l d t : Auswahl aus Briefen u. Tagebüchern, zusammengestellt von R u d o l f F r e e s e , Verlag d. Nation o. J. (u. ohne Copyright). Jahreszahl nicht zu ermitteln, aber offenbar nach 1945, wahrscheinlich nach 1950 erschienen (in myst. Dunkel gehüllt).

S. 150. W a l t e r R e h m . — Vgl. die Lit.-Angaben zu Beginn des Klassik-Abschnitts d. Anmerkungen. S. 150. B r i e f w e c h s e l m i t S c h i l l e r . — Ergänzend: Neue Briefe W . v. Humboldts an Schiller 1796—1803, hrsg. von E b r a r d , Bln. 1911. Auch Schillers Briefe an W. v. H. sind verhältnismäßig reich an kunsttheoretischen Äußerungen, so u. a. hinsichtlich der Relativität einer rein begriffl. Kunstphilosophie, der gegenüber Schiller aus einer gewiäsen Übersättigung heraus einen brauchbaren „ K u n s t griff des Handwerks" bevorzugen möchte (1798). Damals gilt W. v. H. für Schiller merklich als Vertreter der Kunstphilosophie angesichts der im Entstehen begriffenen „Ästhetischen Versuche" Humboldts (1799), vgl. dazu H a n s E b e r l : W . v. H. u. d. dt.· Klassik (1933) S. 17.

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S. 154. F r i t z S t r i c h . — Die an sich konstruktiv beachtliche Stilisierung von Klassik u. Romantik auf „Vollendung" einerseits u. „Unendlichkeit" andererseits ist zu sehr auf die Antithese eingestellt, um den Ubergängen hinreichend Geltungsraum zu gönnen; Humboldts „Strahlen ins Unendliche" deuten einen derartig. Übergang an; F r i t z S t r i c h , vgl. die Lit.-Angaben zu Beginn des Klassik-Abschnitts d. Anm., vgl. ferner s. Schüler A. H e u s s l e r (1952). S. 155. S t u f e n d e r O b j e k t i v i t ä t . — Vgl. E d . S p r a n g e r , Wilh. v. Humboldt u. d. Humanitätsidee, S. 361. S. 155. „ S t i l d e r b i l d e n d e n K u n s t " . — Die ständige Blickrichtung auf die bildende Kunst wird weiterhin ablesbar an der Heranziehung des Begriffs „Colorit". Das „Colorit" ist ein Zeichen dafür, daß die Einbildungskraft nur mit sich selbst beschäftigt ist, ohne einen Gegenstand bildend zu erfassen. Indessen wird in einer längeren Anmerkung Humboldts erkennbar, daß ihm das Malerische (gleichsam Farbig-Reiche u. Romantische, das daher die Romantik, etwa bei Tieck u. a., als Sonderbereich der Bildkunst bevorzugt gegenüber der Plastik) nicht zusagt. Das „Colorit" ist stimmungsgesättigt. Auch der Maler hat „zugleich einen objektiven u. subjektiven W e g " einzuschlagen. Das klassische Gleichgewicht von „Bildend" u. „Stimmend" darf nicht gestört werden: „Man muß einen Gegenstand vor ihr (der Phantasie) bilden und ihre K r a f t stimmen" (H. G. S. II, 168). Die Malerei steht in diesem Sinne — für H. auch rangmäßig — in mittlerer Stellung zwischen Plastik u. Musik. S. 156. „ K u n s t d u r c h S p r a c h e " . — A n n e l i s e M e n d e l s s o h n : Die Sprachphilosophie u. d. Ästhetik Wilh. v. Humboldts als Grundlage für die Theorie der Dichtung, Diss. Hambg. 1928 (teils verzeichnet unter 1931). A. Mendelssohn versucht zwischen Sprachphilos. u. Kunstphilos. in der Weise eine Brücke zu finden: „ E s liegt also . . . . zwischen Bilden u. Stimmen ein analoges Verhältnis vor zwischen der Sprache als Mittel, sich überhaupt der Welt zu bemächtigen, u. der Sprache als Instrument, ein bestimmtes Weltbild zu schaffen" (a.a.O., S. 36). Doch ist vom histor. Blickpunkt aus kritische Reserve geboten, weil Α. M. besonders durch Hinein- bzw. Hinausdeutung des Symbolbegriffs modernerer Prägung Humboldts Sprachphilosophie u. teils auch seine Dichtungstheorie weitgehend umbiegt in Richtung der Sprachphilosophie E m s t Cassirers. Die

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Verfasserin selbst gibt die Zielsetzung: , , . . . nicht Humboldts Lehre historisch treu darzustellen, sondern seine Gedanken für die systematischen Fragen (nämlich Cassirers sprachphilos. Systematik) fruchtbar zu machen" (S. 47). An sich ist die Aufdeckung solcher Verwurzelung nicht uninteressant. Als Einzelheit sei hinsichtl. des Totalitätsbegriffs der Hinweis auf einen Brief an Schiller (Neue Briefe W. v. Humboldts an Schiller, 1796—1803, hrsg. von E b r a r d , Bln. 1911, S. 276) vermerkt. Hinsichtlich der Beziehung Sprachphilosophie u. Literaturphilosophie sei verwiesen auf H. G. S. II, 143, VII, 49, 69 f. u. a. — Bei der Diss, von 1928 handelt es sich wahrscheinlich nur um einen Teildruck; vgl. S. 532. S. 157. M e t h o d e . — Einmal streift W. v. Humboldt, zwar nur in Parenthese u. zudem in jene Anmerkg. üb. „Colorit" eingestreut, immerhin die Möglichkeit der psychophysiologischen Ästhetik, ohne zu berücksichtigen, daß sie der jüngere Herder im vierten seiner „Kritischen Wälder" bereits ausgebildet hatte (das vierte krit. Wäldchen trat nicht an die Öffentlichkeit). Hinsichtlich des Ausgehens von den einzelnen Sinnen beim Deuten der Künste schaltet H. die Klammerparenthese ein , , . . . (wie bei ästhetischen Untersuchungen häufiger geschehen sollte) . . .", H. G. S. II, 167. S. 157. B e o b a c h t e t e s S c h a f f e n . — Wahrscheinlich orientiert W. v. Humboldt ζ. B. die letzte Wirkungsdifferenz zwischen dem „bildenden" u. „stimmenden" Gestalter an Goethe u. Schiller, vgl. etwa H. G. S. II, 171. S. 157. G o e t h e s E p o s . — Im Hinblick auf Winckelmann fordert aus den mittleren Partien Erwähnung das Kennwort des 38. Abschnitts: „Schlichte Einfalt u. natürliche Wahrheit unsres Gedichts", H. G. S. II, 191. S. 158. S c h i l l e r s U n t e r s c h e i d u n g . — An Schillers bekannte Prägung knüpft ζ. B. der vorangestellte Merksatz im 25. Abschnitt bewußt an: „Homer ist mehr naiv, Ariost mehr sentimental" (II, 169). Zudem wählt H. für seine ausbauende Ableitung der Typenunterschiede (S. 162 bis 171) gewiß nicht zufällig die beiden Dichter, die bereits Schillers Abhandlung „Uber naive und sentimentalische Dichtung" herangezogen hatte. Doch findet Humboldt, entsprechend seinem deduktiven Vorgehen — erst in

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der „Objektivität" im höheren Sinne eine hinreichende Begründung, während die Schillersche Unterscheidung nur auf der Mittelstufe ausreicht. Denn auch bei der naiven, gegenstandergebenen Darstellungsweise trägt die schöpferische Steigerung, die schaffende Begeisterung des vermeintlich nur Objektiven ein latentes Element des Subjektiven u. Sentimentalischen in sich. Die innere „Gesetzmäßigkeit" der Einbildungskraft im Sinne jener höheren Objektivität führt letztlich wieder zurück auf die Gleichzeitigkeit des „bildenden" u. „stimmenden" Wirkungsvorgangs. S. 158. G e w i s s e s G e l t u n g s r e c h t (der N a t u r b e z o g e n h e i t ) . — Wenn Schiller den Dichter an sich im höheren Verstände als „Bewahrer der Natur" ( = der vollmenschlichen Synthese) auffaßt u. bezeichnet, so könnte man bei Humboldts Deutung den Künstler fast als „Wahrer der Doppelnatur", nämlich des Subjektiven u. Objektiven erläutern. Indessen lag auch diese Lösung nach Schillers Abhandlung „Über Anmut und Würde" weitgehend vorgebildet bereit. S. 168. Herder. — „ K a l l i g o n e " . Neu hrsg. von Heinz B e g e n a u (Weimar 1956), dessen „Grundzüge der Ästhetik Herders" (in den Beiträgen zur deutschen Klassik, Abhandlungen Bd. 2, Weimar 1956) aus Herder einen Materialisten und Atheisten machen wollen, was nicht ohne vergröbernde Vereinfachungen und bedenkliche Fehlinterpretationen abgeht (auf die Sekundärlit. wird so gut wie überhaupt nicht zurückgegriffen). — O. W a l z e l : Poesie und Unpoesie (1937) berührt das „Kalligone"-Thema nur beiläufig, bringt aber Einiges über das Verhältnis von Poesie u. Musik beim späten Herder, a.a.O., S.78/79, wie vorher, angelehnt an G. Jacoby üb. d. Verhältnis „Krit. Wälder" — „Kalligone", a. a. 0., S. 76. So bleibt der „Kalligone"-Abschnitt in Η. A. K o r f f s : Geist d. Goethezeit II (2. Aufl. 1954), S. 488—497 das Muster im ruhig-gerechten Abwägen u. verstehenden Deuten. Freilich muß sich Herder dem beherrschenden Strukturgesetz von Vernunft- u. Naturidealismus einfügen („Gegensatz von Natur- u. Vernunftidealismus"); aber es geschieht dies mit fürsorglich schonender u. doch zielstrebig aufbauender Hand. S. 169. O b e n a u e r . — Vgl. die Lit.-Angaben zum WinckelmannAbschnitt d. Anmerkungen.

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S. 169. G. K ü n t z e l . — Gerhard Küntzel: Herder zwischen Riga u. Bückeburg, d. Ästhetik u. Sprachphilos. d. Frühzeit nach ihren existenziellen Motiven, Frankf. a. M. 1936; vgl. die Anmerkg. z. Bd. II dieser Darstellung (Abschnitt: d. jg. Herder), S. 602. S. 169. „ I d e e n - G e f ü h l e " — . Nach einer in Bd. II zit. Prägung im „Faust" Maler Müllers. Dieses Verstehen der Herderschen Grundkonzeption findet bei weitgehender u. weitsehender Einfühlungsfähigkeit u. Einfühlungswilligkeit auch bei Η. A. Korffs (auf eine krit. Würdigung der „Kalligone" beschränkte) Interpretation derkunsttheoret. Bekundungen des späten Herder für seine vorwiegend geistesgeschichtl. und also im strukturellen Kern denkgeschichtliche Einstellung seine Grenze dort, wo nur das „natürliche Gefühl" (a. a. 0., Bd. II, 1954, S. 489) als Träger der Herderschen Einwände gegen Kants Ästhetik erkannt u. anerkannt wird. In Wirklichkeit lagen bei Herder, u. zwar auch beim späten Herder Gefühl u. Idee so nahe beieinander, daß sie schlechthin nicht zu trennen sind; eben deshalb wird hier das Merkwort aus der jungherderschen Epoche „Ideen-Gefühle" aufgegriffen. Herder bekämpft nicht nur die abstrakte Verdünnung des unmittelbaren Gefühls, sondern auch die metaphysisch-transzendente Verspieltheit der Idee. Er will die Fühlung mit der dichterischen Wirklichkeit nicht nur, sondern auch den Zusammenhang mit einem dingnahen u. den Bedürfnissen der Menschheit willig zugekehrten Denken u. Ideen-Haben resolut (bis robust) wieder herstellen. Die Idee, die man gefühlsmäßig im Dichtwerk demonstriert u. konkretisiert, erscheint ihm verläßlicher u. unerläßlicher als die Idee, die man begrifflich ins Transzendentale transponiert u. „idealisiert". Das dichterische Ding für sich (u. für die Nation) erscheint ihm wesenhafter u. wertvoller als das philosophische Ding an sich. Und vielleicht versäumt er nicht die philos. Diktion, wahrscheinlich verschmäht er sie, um kunsttheoretisch immun u. kunstdeutend kommun zu bleiben. Η. A. K o r f f erfaßt eindeutig den richtigen Ansatz der zwischen Kant und dem späteren Herder anhängigen Rechnung, wenn er vom Herderschen „Widerspruch des natürlichen Gefühls gegen die logizistischtranszendentale Methode" ausgeht. S. 169. A b w e h r s t e l l u n g u n t e r dem A s p e k t des C h r i s t e n t u m s . — Angesichts der eindeutigen religiösen Um-

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schränkung der angedeuteten Standpunkte Stolbergs u. Klopstocks geht es schlechterdings nicht an, den späten Herder mit diesem krit. Wertungsstab abzutun. Die sittl. Tragschicht ist das Gemeinsame, nicht der religiöse Primat; auch berücksichtigt der späte Herder weit gewissenhafter die soziale Funktion der Poesie. Η. A. K o r f f formuliert vereinfachend das Verworrene klärend: „Wie nach Schiller die Kunst eine Tochter der Freiheit, ist sie nach Herder umgekehrt eine Tochter des Bedürfnisses", a. a. Ο., II (1954) S. 496. Auch um ihrer ästhetischen Reinheit willen vermag Herder die Kunst nicht analysierend zu isolieren, sondern er sieht ihre Würde erhöht durch den innigen u. schlechthin untrennbaren Verband mit anderen Wertwelten (Ethik, Religion, Nation). Und neben ihrer sozialen Verpflichtung sucht er ihre biologische Verflochtenheit gegenüber der kunst-logischen Vereinsamung leidenschaftlich zu verteidigen. S. 169/70. W e r d e n des k l a s s i s c h e n K u n s t w o l l e n s . — Herders Mitwirkung daran wird bes. instruktiv herausgearbeitet von F r z . S c h u l t z , a . a . O . , Bd. I, 2. Aufl. 1952, S. 198/99 (Stichwort: Werdende Klassik in Weimar). Ganz abgesehen von der erwähnten Einwirkung auf Goethe, a. a. O., S. 229 im Räume der Dichtung u. dem Wechselspiel zwischen Herder u. Goethe im Räume der Naturwissenschaft im weiteren Sinn, a. a. 0., S. 240. S. 174. Fr. J. R i e d e l : Theorie der schönen Künste u. Wissenschaften (1767 bzw. 1774); vgl. Anm. in Bd. II dieser Darstellung. S. 175. S p i e l b e g r i f f . — W. v. Humboldt: Ästhetische Versuche I (1799) berührt leicht den Spielbegriff u. rückt ihn ein wenig schon in Herdersche Beleuchtung, wenn er ζ. B. meint, daß der Dichter, „welcher nur seiner inneren Stimmung folgt, bloß ein Spiel zu durchlaufen habe" (H. G. S. II, 170). Doch hebt sich naturgemäß Herders zähe Gegenwehr gegen die „Spiel"-Vorstellung immer noch beträchtlich ab gegenüber der nur beiläufigen Unzulänglichkeitserklärung des „bloßen Spiels" seitens W. v. Humboldt. Immerhin dürfte W. v. Humboldt von jenem Verdacht frei sein, unter den man (doch wohl nicht ohne Vorurteil) Herders geradezu fanatische Abwehr des Spielbegriffs gestellt hat. Sollte es so ganz zufällig sein, wenn es gerade die beiden stärksten Auspräger der Humanitätsidee (Herder-Humboldt) sind, die sich in solchen Be-

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denken gegen den in sich übersteigerten Spielbegriff begegnen ? Das freilich mag zutreffen, daß Herders Sehart u. Wertungsweise „von einer prinzipiell nur (!) ästhetischen Anschauung weggeführt hat", wie E r n s t Georg W o l f f : Ästhetik der Dichtkunst, Systematik auf erkenntniskritischer Grundlage, Zürich 1944, S. 451 von seinem Blickpunkt aus mit Recht betont; vgl. auch H . A . K o r f f , a. a. Ο., II (1954), S. 497; freilich meint E. G. Wolff in diesem Zusammenhange mehr die kulturgeschichtl. Verflochtenheit als den Spielbegriff bzw. die Polemik gegen den Spielbegriff. S. 175. A l l g e m e i n g ü l t i g e r Schönheitsbegriff. — Wie bereits die „Kritischen Wälder" hält noch die „Adrastea" trotz aller Würdigung zeitlicher, nationaler u. individueller Besonderungen dennoch eine übergeordnete Schönheit für möglich als „das Ideal, das über alle Völker und Zeiten reichet", XXIII, 76. — Wahrscheinlich denkt E. G. Wolff an diese Ubereinstimmung (oder nur an die „Adrastea" ?), wenn er von dem „überhistorischen... Phänomen" des „Künstlerisch-Schönen" bei H. spricht, a. a. 0., (1944), S. 451, freilich ohne jeden exakten Bezug. S. 175. B e r ü h r u n g mit K a n t . — Eine andere Berührung Herders mit Kant (betr. d. ästhetischen Lustgefühls) glaubt E. G. W o l f f : Ästhetik (1944) S. 452 Anm. beobachten zu können. Es ist kennzeichnend, daß ein erkenntnistheoret. Maßstab durchweg zu einer Ablehnung Herders gelangt, so etwa auch hinsichtl. der Sprachphilosophie, von der sich E. G. Wolff „gleichsam wider Willen u. mit Bedauern zu distanzieren" veranlaßt sieht, a. a. 0., S. 617. Das ist bes. bemerkenswert, weil E. G. Wolff bei krit. Reserven der Existenzialphilosoph. sich nähert u. also eigentlich doch irgendwie mit G. Küntzels forschem Versuch einer existenzialen Umdeutung der Herderschen Sprachtheorie übereinkommen müßte. S. 178. A b w e h r der B i l d k u n s t als Vorbild. — Die „Adrastea" hebt diese heute wieder spruchreife Freisetzung der Wortkunsttheorie von der Bildkunsttheorie (nach Vorstufen dieser Bemühung bei J. Petersen u. a.; vgl. neuerdings noch P a u l B ö c k m a n n : Formgeschichte d. dt. Dichtung, Bd. I, Hbg. 1949, S. 10) in dem Abschnitt „Allegorien der Rede" nachdrücklich hervor. Und zwar fährt Herder an der betreffenden Stelle fort „ . . . desto strengere (Gesetze) legt sie sich aber selbst auf. Eines der

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Ersten ist: nicht für die steinhauende oder zeichnende Kunst zu singen oder zu allegorisieren. Wie hölzern ist dieser Trödel neuerer Verskunst! Die Muse dichtet nicht, sie singt nicht; sie meißelt u. hobelt" ( X X I I I , 322). Demgegenüber wird die Annäherung an die Musik spürbar: „ D a Empfindungen, Triebe u. Affecten der wirksamere Theil unsrer Natur sind", genügt ihnen die Ausdrucksgrenze der Sprache oft nicht, u. über den Ausruf u. die Gebärde drängt der Ausdruckswille zur restlosen Entspannung in der Tonkunst ( X X I I I , 330/31). Für die Literaturphilosophie der Romantik gewann die Musik als Schwesterkunst der Dichtung hochgradige Bedeutung u. eine Rangerhöhung, teils selbst über die Poesie hinaus. Uber Herders Verhältnis zur Musik handelte eingehend W o l f g a n g N u f e r : Herders Ideen zur Verbindung von Poesie, Musik u. Tanz, Bln. 1929 ( = Germ. Studien Nr. 74). S. 178. Friedrich Hölderlin. — Die Belegstellen beziehen sich auf die kritischhistor. Ausgabe: Fr. Hölderlins sämtl. Werke u. Briefe, hrsg. v. F r z . Z i n k e r n a g e l , Inselverlag Lpz., bes. Bd. II, III u. IV. — Im Erscheinen begriffen d. neue krit. Ausg. (Große Stuttgarter Ausg.), seit 1943 (hrsg. v. Fr. B e i s s n e r ) . F r a n z Z i n k e r n a g e l : Entwicklungsgeschichte v. H.s „Hyperion", Straßburg 1907. Frz. Z. nimmt f. d. verschied. Entstehungsstufen entsprech. philos. Einflußschichten an (Fichte, Schiller, Schelling, Hegel). Krit. Stellung nehmen hierzu u. a. E r n s t C a s s i r e r : H. u. d. dt. Idealismus, in Logos Jg. V I I u. V I I I sowie, gestützt auf Cassirer, V e r o n i k a E r d m a n n : H.s ästh. Theorie i. Zshg. s. Weltanschauung, Diss. Jena 1923 ( = Jenaer Germ. Forschg. Nr. 2). — L o t h a r K e m p t e r (s. Anm. zur Romantik). Von F r z . Z i n k e r n a g e l besteht auch eine Abhandlung üb. d. kunsttheor. Fragmente H.s. Stärker, als d. Titel vermuten läßt, geht auf H.s kunsttheor. Anschauungen ein W a l t e r H o f : Hölderlins Stil als Ausdruck seiner geistigen Welt, Meisenheim 1954, (vgl. meine Rez. i. d. DLZ, Jg. 78 [1957], Sp. 214f), und zwar im Einleitungskap. über Hölderlins Welt, a. a. O., S. I i — 1 0 0 . W. Hof stellt selber die freilich nur rhetorisch gemeinte Frage: „Ist es nicht seltsam, daß eine Darstellung des Hölderlinschen Stils mit einer Interpretation seiner philos. Fragmente beginnt?" (Vorwort), also jener

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Fragmente, die einst schon Frz. Z i n k e r n a g e l zu deuten versucht hatte. Kurz, W. Hof zeigt sich lebhaft interessiert an kunstphilos. Fragestellungen H.s als Vorfragen f. d. Antwort auf die Frage nach dem Wesen des Sprachstils. — Freilich gehört Mut (bis Übermut) dazu, diese sehr subtilen u. zudem weit verzweigten Fragenkomplexe so zuversichtlich erörtern (u. beantworten!) zu wollen, ohne die zeitgenöss. Poetik hinreichend zu kennen! Man vergaß bei einem derartigen, zeitweise modisch gewordenen Verfahren, daß man, dieweil man „ganz von vorne" anzufangen vorgab, in Wirklichkeit „ganz von hinten" anfing. Trotz themagemäß naheliegender Würdigung d. Bemühungen um H.s Kunsttheorie im Rahmen seiner „geistigen Welt" wäre es zu begrüßen u. der Aufgabe u. Absicht, das „eigentümlich Hölderlinische" aufzuspüren, fraglos weit dienlicher gewesen, wenn W. Hofs Sonderuntersuchung (die weder ein Namens- noch ein Sachregister, noch ein Liter.-Verzeichnis aufweist bei über 400 S. Umfang!) ihre ganze Kraft auf die wiss. Stilcharakteristik gesammelt hätte, statt sie im letzten Endes doch unzulänglich gebliebenen „Deuten" der Kunstphilos. zu zersplittern. Zwei Halbheiten bilden noch nicht eine Ganzheit. Und das Anspruchsvolle ist nicht immer identisch mit dem Ansprechenden. S 178. „ H y p e r i o n " . — Vgl. d. Sonderforschung v. Frz. Z i n k e r n a g e l (1907) u. W i l h . B ö h m : Hölderlin I (1928), S. 147ff., bes. 230—280; zugleich sei auf den einschlägigen Aufsatz i. d. Ermatinger-Festschrift hingewiesen. S. 179. A b h e b u n g v o n N i e t z s c h e s B e g r i f f des „ D i o n y s i s c h e n " . — Gegen die Umdeutung ins „Dionysische" wendet sich ζ. B. auch das grundlegende H.-Werk v. W i l h . B ö h m : Hölderlin, dessen Bd. II (1930) einer wiss. behutsamen u. doch einfühlsamen Würdigung d. LiteraturPhilosophie H.s breite Strecken d. Gesamtwürdigung einräumt u. bes. auch „Poetik u. Systemganzes" (Kap. VIII) in Beziehung setzt; dort auch reiche Literaturhinweise. Hinsichtl. jener Umdeutung ins „Dionysische" könnte weitere Verwirrung dadurch entstehen, daß H. das „Apollinische" (Nietzsche) als „Junonisch" (gern: „Junonische Nüchternheit") zu bezeichnen pflegt, so daß am ehesten noch das von H. mit „Apollinisch" Umschriebene sich dem nähern würde (aber eben doch nur recht bedingt

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nähert), was dann Fr. Nietzsche unter dem Kennwort „Dionysisch" begreift. Das Organisch-Dynamische im Antike-Bild H.s ist jedenfalls vom Orgiastisch-Dionysischen bei Nietzsche schroff abzuheben; vgl. dazu auch W. H o f : Hölderlins Stil (1954), dessen Blick freilich zu starr auf das (vermeintlich) „eigentümlich Hölderlinische" gerichtet bleibt, um weiterreichende Perspektiven ins Auge fassen zu können. Zudem hat W. Hof hinreichend zu tun, um wenigstens die Abhebung Hölderlin-Hegel herauszuarbeiten. Aber mehr oder minder bewußt ist die von W. Hof bezogene Position von einer latenten Opposition gegen das Antike-Bild Nietzsches bestimmt worden. — Wenigstens im Exkurs betr. Fr. B e i s s n e r : Hölderlins Übersetzungen aus d. Griechischen, Stuttgart 1933 stellt W. Hof klar: „Man hätte niemals das .Apollinische' bei Hölderlin u. d. .Dionysische' bei Nietzsche mehr oder weniger gleichsetzen dürfen, da beide nur das Dynamische gemeinsam haben", a. a. 0., S. 414. Übrigens war dieser Anteil des „Dynamischen" an sich schon von Winckelmann beobachtet, aber literaturprogrammatisch bzw. kunstphilosophisch nicht gutgeheißen worden. Soviel kann verläßlich gesagt werden: das Apollinische bei Hölderlin entspricht nicht dem Apollinischen bei Nietzsche. Bei dem „Dionysischen" liegt der Fall weit weniger eindeutig, obwohl sich W. Hof erfreulich bemüht, den Begriff (oder doch wenigstens den Terminus) „Begeisterung" bei Hölderlin näher zu umgrenzen und zu präzisieren. S. 179. Ü b e r m a c h t j e n e r E i n d r ü c k e . — Zieht man die P r i v a t b r i e f e mit heran, so zeigt sich, daß H. sich mehrfach anstemmt gegen das drohende Schicksal des Epigonentums, wie es zweifach (Antike u. Weimar) ihn zu bedrängen scheint. Von Gegenwehr gegen ein Epigonentum kann insofern gesprochen werden, als Hölderlin ζ. B. in einem zugleich kunsttheor. sehr bedeutsamen Brief an Neuffer (v. 3. Juli 1799), fast ähnlich wie späterhin K. Immermann, die Klage erhebt: „Das Zeitalter hat eine so große Last von Eindrücken auf uns geworfen . . ." (IV, 428). Es ist nicht nur das Erbe der Antike gemeint, sondern auch die Gegenwart, der Druck einer „Periode, wo schon Meisterwerke nah um einen liegen" (Brief an Schiller, 20. Juni 1797; IV, 299).

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S. 179. F r ü h p h i l o s o p h i e H e g e l s (W. D i l t h e y ) . — W i l h . D i l t h e y : Die Jugendgeschichte Hegels, in: Gesammelte Schriften IV, 1; vgl. dazu V. E r d m a n n : Hölderlins ästh. Theorie, S. 6/7. Aus der Tübinger Stiftszeit bestanden Beziehungen zwischen Hegel u. H.; bei Hegel handelte es sich vorerst um Religionsphilosophie; vgl. dazu (ζ. T. mit krit. Abstufungen gegenüber W. Dilthey) W i l h . B ö h m : Hölderlin II (1930), Anm. S. 767. Zu Abstufungen etwas gewagter Art gelangt W. H o f : H.s Stil (1954), der allerdings mehr den späteren „ganzen" Hegel vergleichend heranzieht, so ζ. B.: „Warum soll man nicht sagen dürfen, das idealistisch-metaphysische Geisterlebnis (gemeint ist: Erlebnis des Geistigen) erscheine in Hegels System in philosophischer, in Hölderlins Dichtung in dichterischmythischer Gestalt. . . ?", a. a. 0., S. 83. Hinsichtlich der Vergeistigung des Wirklichen u. d. Verwirklichung des Geistigen kommt W. Hof zu folgender Variation des bekannten (u. vielfach mißdeuteten) Satzes Hegels vom Wirklichen u. Vernünftigen: „alles Wirkliche ist gestalthaft, und alles Gestalthafte ist wirklich", a. a. 0., S. 18; vgl. auch T h e o d o r H a e r i n g : Hölderlin u. Hegel in Frankfurt, i. d. H.-Gedenkschrift Tübingen 1943. S. 179. Z i t a t e . — Vgl. II 347 bzw. IV 531. S. 180. K r i t . B e d e n k e n geg. d. V o r b i l d d. A n t i k e — („lange daran laboriert"). — Um ein relativ „Neues" bemüht sich (obgleich d. Verdacht, einen „Schein des Neuen" zu suchen, abgewehrt wird) der Brief an Neuffer vom 3. Juli 1799, der bereits klarstellt: „ . . . so wie wir irgend einen Stoff behandeln, der nur ein wenig modern ist, so müssen wir nach meiner Uberzeugung die alten klassischen Formen verlassen, die so innig ihrem Stoff angepaßt sind, daß sie für keinen andern taugen" (IV, 425). Der Brief erörtert eifrig das Verhältnis: Gehalt u. Gestalt, Stoff u. Form. Es handelt sich dabei um ein ausgesprochen kunsttheor. „Räsonnement". S. 180. „ S e i t H e r d e r g e g e b e n " . — V g l . Wilh. Böhm: Hölderlin II, 80. S. 181. W. R e h m . — „Götterstille u. Göttertrauer, ein Beitrag zur Gesch. der klass.-romant. Antike-Deutung" im Fr. Dt. Hochstift Jg. 1931. Buchfassung München 1951; vgl. auch D e r s . : Griechentum u. Goethezeit, Lpz. 1936.

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S. 181. „ M y t h e . . . b e w e i s b a r " . — Den Terminus „beweisbar" beanstandet (wie manches andere etwas selbstsicher) W. H o f , a. a. 0., (1954), S. 71, als „eines der vielen schiefen(l) Wörter der Spätzeit" Hölderlins; gemeint sei „zweifellos" mit dem „unglücklichen Wort" in Wirklichkeit: sinnerfüllt, deutbar mit Bezogenheit auf eine „unendliche göttliche Macht". W. Hof dürfte freilich dabei die Intensität u. Besessenheit der betr. Vorstellung Hölderlins bedenklich unterschätzen, für die das „Mythische" eben doch dichterisch-gestaltend zwingend gemacht u. also doch „beweisbar dargestellt" werden kann u. muß. Das Wort „beweisbar" bezeichnet m. E. recht prägnant das Überzeugtsein Hölderlins von jener Möglichkeit, deren Verwirklichung nicht zuletzt seine Dichtung diente. Wer sonst hat dieses „beweisbar" besser bewiesen als Hölderlin! Es gehört in diesem Sinne zu seiner werkimmanenten Poetik. S. 182. V i e l d e u t i g k e i t d. H . - F o r s c h u n g . — Neuerdings um eine weitere Interpretation bereichert u. bestätigt durch W a l t e r Hof, a.a.O., (1954). W.Hof geht i. d.Vorr. selber auf die „Parteien"-Bildung unter d. Hölderlin-„Auslegern" ein (S. 8) u. führt diese Deutungs-Divergenz weniger auf die Dichtung als auf die sogen. „Philos. Fragmente" zurück. Von einer eingehenden Würdigung dieser „Philos. Fragmente", darunter auch der kunsttheor. u. literaturphilos. Fragmente sucht W. Hof einen Zugang zur „geistigen Welt" H.s zu gewinnen (Kap. I mit etwa 100 Seiten Umfang!), und zwar erfolgt dabei eine ideelich-inhaltliche Auslegung, vorerst also keine stilist. Auswertimg. Verf. erklärt das aus der kompl. Entstehungsgeschichte seiner Untersuchung. Methodisch unvorteilhaft muß sich freilich gerade b. d. Inhalts-Deutung die bewußte Ablehnimg der Berücksichtigung von zeitgenöss. Einflüssen auswirken. Denn die ζ. T. recht verwickelten Ideengänge entbehren so jener verständniserleichternden Zugänge. Auch Hölderlin baut eben doch nicht im luftleeren Raum, sondern verarbeitet mancherlei zeitgegebenes Material. Kein Wunder, daß W. Hof nicht so ganz auskommt ohne vergleichende Seitenblicke, so etwa auf Herder, Kant, Schiller, Kleist, Fichte, Schelling, Hegel. Kunsttheor. belangreiche Aufsätze u. Ideen Hölderlins berücksichtigt W. Hof, a. a. O., S. 1 4 ! , 25—27, 32, 37f. („Grund zum Empedokles"), 47f., 67f. (Theorie d. Tragödie), 83/84^ (Verhältnis zu Klassik u. Romantik) usw.;

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aber nicht nur im kunsttheor. eingestellten Eingangs-Kap., sondern gelegentlich auch in späteren Teilen s. Untersuchung, so etwa a. a. 0., S. 214f. (Verhältnis v. Form u. Inhalt). Die schon in früheren Anmerkgn. erhobenen krit. Einwendungen können hier allgem. dahin ergänzt werden, daß Verf. besser getan hätte, zunächst einmal ein umfassendes Bild v. d. Sprachphilosophie u. Sprachdeutung Hölderlins zu entwerfen, statt sich in ζ. T. recht verschwommenen Umschreibungen seiner allgem. „geistigen Welt" zu ergehen u. entsprechend zu verlieren. Vorarbeiten standen ihm hinreichend zur Verfügung (Eva Fiesel, Paul Böckmann, Oskar Walzel u. a.). S. 182. P r o f a n i e r u n g Achills. — Gerade in jenem (kompositionell-wertmäßig umstrittenen) Zurückstellen Achills glaubt Hölderlin zugleich ein bewußtes Hochhalten der Zentralgestalt u. ein entsprech. Hochstellen erkennen zu können durch ein Fernhalten des Bedeutenden u. Ungemeinen vom Alltäglichen u. Gemeinen; denn „der Idealische durfte nicht alltäglich erscheinen" (II, 360). S. 183. H o m e r s „Ilias". — Weitere Beiträge zum engeren u. weiteren Thema wie die Abhandlungen „Über die Humanität Homers i. s. Iliade" u. „Von der Humanität Homers in Ansehung des Krieges u. d. Kriegführenden s. Iliade" (V, 302 ff.) oder d. „Geschichte d. schönen Künste unter d. Griechen" (stark abhängig von Winckelmanns „Geschichte d. Kunst d. Altertums", 1764) sind mehr historischwürdigend als spezif. kunsttheor. gehalten. S. 185. T o t a l i t ä t s - u. G a n z h e i t s b e g r i f f . — Als wichtiger Begriff der „ O r g a n i s m u s ä s t h e t i k " auch mit Bezug auf H. hervorgehoben bei 0 . W a l z e l : a.a.O. (1937), S. 167/68; W. H o f , a. a. O., (1954), S. 1 6 / 1 7 , J 9 : >Ί η Wahrheit kann das Ganze nur, indem es den Teil vernichten will, selbst zum Teil; der Teil, indem er das Ganze vernichten will, selbst zum Ganzen werden (Die .Verwechselung' des Entgegengesetzten im höchsten Widerstreit)". Eine weitere Progression fast schon im romantischen Sinne führt zu dem Ertrag: „da das Ganze ja doch zugleich das Ganze bleiben muß, kann es gar nicht im Wortverstand ( = im wörtl. Sinne) zum Teil werden u. umgekehrt". Die Annäherung an d. romant. Identitätsphilos. wird ohne weiteres an solchen Stellen erkennbar, ohne daß weitere Belege aus d. Sekundärliter, beigebracht werden müßten.

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S. 186. A b g e s c h r e c k t s e i n v. d. d e n n o c h a l s d i c h t e r , erfordert. e r k a n n t e n R e a l i s t i s c h e n . — Erfreulicherweise hat bereits die themagemäß mehr biograph. eingestellte H.-Sonderforschung diesen grundlegenden Zwiespalt i. d. Einsicht u. „Einplanung" Hölderlins übernommen, so etwa W i l h . M i c h e l : Das Leben Fr. Hölderlins, Bremen 1940, S. 280/81, wo der einschlägige Brief H.s an Neuffer (12. Nov. 1789) zitiert u. ausgewertet wird, u. zwar mit dem Akzent auf dem „Lebendigen", was an Goethes Grundkonzeption erinnern würde. Hervorgehoben wird dabei Hölderlins Selbstkritik: „ich scheue das Gemeine u. Gewöhnliche im wirklichen Leben zu sehr". Wilh. Michel erkennt richtig, daß es hier um ein Ringen H.s darum geht, „eine Vereinigung von Kunstfragen u. Seinsfragen" durchzusetzen. Jener denkwürdige Brief war nach früheren H.-Interpreten auch v. 0. W a l z e l , a.a.O., (1937), S. 168 nicht übersehen worden (freilich steht bei 0. Walzel 1798, bei W. Michel 1789!). S. 187. S p r a c h d e u t u n g H ö l d e r l i n s . — Mit dem Problem der Sprache befassen sich u. a. die Briefe an Neuffer (Anfang Juli 1794, IV, 167) u. an den Bruder Karl (28. Nov. 1798, IV, 364/65 bzw. 1. Jan. 1799, IV, 384, Frühjahr 1801, IV, 523/24); vgl. auch V. E r d m a n n , a. a. 0., S. 6of. — Der zuerst genannte Brief (an Neuffer) weist auf die Gefährdung der Unmittelbarkeit der reinen Ausdruckssprache durch notgedrungene Anpassung bei Übersetzungen hin, ein Problem, das auch Novalis i. d. Aphorismengruppe „Blütenstaub" beschäftigte. Wie schon vermerkt, bringt W. Hof i. s. Untersuchimg von 1954 üb. H.s Stil nicht die zu erwartende Grundlegung betr. Hölderlins Sprachauffassung, so daß man auf verstreute Bemerkungen angewiesen bleibt; einiges immerhin a. a. 0., S. 25—27, 41/42 u. ö. Der Abschnitt „Das Wort, Allgemeines" (S. 317 f.) behandelt mehr die Neubelebung des Wortes. Dabei nähert sich W. Hof, wenngleich von anderer Seite her u. auf anderem Gebiet, dem „Verfremdungseffekt" Bertolt Brechts. Nach alledem empfiehlt es sich, hinsichtlich der Sprachauffassung u. Sprachtheorie Hölderlins zurückzugreifen auf wiss. ernster zu nehmende Darlegungen bei E v a F i e s e l : Die Sprachphilosophie d. dt. Romantik, Tübingen 1927 oder P a u l B ö c k m a n n : H. u. s. Götter, München 1935 oder 0 . W a l z e l : Poesieu.Unpoesie (bzw.Nichtpoesie), Frankf. 35 M a r k w a r d t , Poetik I I I

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a. Μ. 1937. S. 170—74 (durchweg krit. referierend üb. d. vorliegenden Erträge v. E. Fiesel u. P. Böckmann), a.a.O., S. 202. — W. Hof verschmäht es noch 1954(1), sich irgendwo u. irgendwie mit diesen wertvollen Erträgen vorhergehender Forschung auseinanderzusetzen. S. 190. A p h o r i s m u s üb. d. I n v e r s i o n . — I n weiter Beziehungsferne zu weiland Chr. Weises Gesetz der (auch f. d. Verssprache verbindlichen) Prosa-Konstruktion (vgl. Bd. I dieser Darstellung) steht Hölderlins an Herders Auffassung angeschlossene Überzeugung vom Anrecht d. poet. Sprache auf die „kühne" Inversion; vgl. 0. W a l z e l , a. a. 0., (1937), S. 166, wonach die logisierende Syntax (Chr. Weisescher Observanz) f. d. Dichter „gewiß nur höchst selten brauchbar" erscheint. Nicht von ungefähr bringt dasselbe Zitat W. H o f , a. a. 0., (1954), S. 139, um anschließend die Verwendung der Inversion an Einzelbeispielen stilist. zu erläutern. S. 192. „ G l e i c h g e w i c h t " . — Wie stark gerade das Symbol des Gleichgewichts H. anzieht, verrät ζ. B. die Erläuterung i. d. Entwurf „Über die verschiedenen Arten zu dichten", derzufolge bes. angesichts schwerer Erschütterungen das ausgleichende Bedürfnis bestehe nach einem „Gegenstande, bei dem wir uns am leichtesten in einem G l e i c h g e w i c h t e , in Ruhe u. Klarheit wiederfinden" (II, 363), oder auch d. Brief an Schiller v. 20. Juni 1797, in dem von dem noch ringenden jüngeren Künstler ausgesagt wird: „ . . . hier ist nicht das alte G l e i c h g e w i c h t , worin der erste Künstler sich mit der Welt befand" (IV, 299). S. 192. K o m ö d i e n f o r m . — F r a n z Z i n k e r n a g e l : Hölderlin über das Lustspiel, in: Euphorion Jg. 1928, S. 360! W . B ö h m : Hölderlin II (1930), S. 221. Demnach bedarf die frühere Sonderarbeit V. E r d m a n n s , die noch betonte, daß die Komödie i. d. Theorie H.s „völlig fehlt" (a.a.O., S. 94), einer entsprechenden Ergänzung. S. 192. S o p h o k l e s - A n m e r k u n g e n . Zu d. Sophokles-Anmerkungen vgl. E r n s t E m m e r t : Hölderlin u. d. griechische Tragödie, Untersuchimg d. Anmerkungen u. Übersetzungen v. Sophokles' Tragödien, Freiburg 1928. S. 193. G r a p h i s c h e D a r s t e l l u n g e n . — Vgl. jetzt W. H o f : a. a. 0., (1954), der nicht ohne Ursache u. Berechtigung im Bestreben nach vereinfachender Klärung im Dienst

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der Erklärung u. Erläuterung zu einer graphischen Darstellung seine Zuflucht nimmt. S. 193. „ n a i v - h e r o i s c h - i d e a l i s c h " . — Vgl. W. Hof, a. a. 0 . , (1954), S. 216.

S. 193. G a t t u n g s b e g r i f f . — Das Wechselspiel d. Gattungen selbst erörtert unter dem Kenn- u. Merkwort „Aphoristisches" (etwa 1799 anzusetzen) jener bekannte Aphorismus üb. d. wechselseitige Förderungsmöglichkeit von Tragiker, Lyriker u. Epiker, die aber nicht einfach gleichzusetzen ist mit einer romant. Grenzverwischung, sondern im Sinne der Ineinsbildung u. d. Ausgleichens (Richtung: Totalität, W. v. Humboldt) verstanden sein will. H. formuliert: „Der tragische Dichter tut wohl, den lyrischen, der lyrische den epischen, der epische den tragischen zu studieren; denn im tragischen liegt die Vollendung des lyrischen. Denn wenn schon die Vollendung von allen ein vermischter Ausdruck von allen ist, so ist doch nur eine der drei Seiten die hervorstechendste" (II, 430). S. 194. Aphorismenstil d. E n t w ü r f e . — Den Unterschied von Novalis' Aphorismen-Typus hebt berechtigt hervor O. Walzel, a. a. 0 . , (1937), S. 166. S. 196. R a t i o n a l i s t i s c h e Wendungen. — H. spürt selber die Gefahr, als ein allzu absichtsbetont u. reflektierend schaffender Dichter zu erscheinen; u. er wehrt diese Gefahr ab mit der Beteuerung: „Glaube deswegen nicht, Lieber!, daß ich willkürlich mir eine eigene Form vorsetze und ausklügle" (an Neuffer, 3. Juli 1799, IV, 425), oder ähnlich abwehrend: „Halte mich für einen kalten Theoristen, wenn Du willst" (an Neuffer, 4. Dez. 1799, IV, 472). Zugleich wird die Bedeutung des Jahres 1799 f. d. Theoretiker H. deutlich erkennbar. S. 197. K l a s s i s c h e s u. R o m a n t i s c h e s . — Das Verhältnis Klassik-Romantik, von Hölderlin u. Eichendorff aus gesehen, berührt u. a. Martin Ninck: Hölderlin-Eichendorff; vom Wesen des Klassischen u. Romantischen, Heidelberg 1928. S. 197. Zusatz ( H ö l d e r l i n ) : das ä l t e s t e S y s t e m p r o g r a m m d. dt. Idealismus. —Über H.s Beteiligung daran vgl. 0 . W a l z e l , a. a. 0., (1937), S. 128! Dort geht 0 . Walzel auf die Kontroverse hinsichtlich des Verfassers dieses Systemprogramms ein, die stattgefunden hat u. a. zwischen 85*

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F r z . R o s e n z w e i g u. E r n s t C a s s i r e r bzw. W i l h B ö h m (Dt. Vschr. IV, 339ff.) u. L u d w i g S t r a u ß (ebendort V, 679f.). Als Einzelanregung durch H. nimmt die „Thronerhebung der Schönheit" an W i l h . M i c h e l : Das Leben Hölderlins (1940), S. 204. W. Michel verweist i. d. Zusammenhang auf d. persönl. Begegnung HölderlinSchelling zu Frankfurt a. M. im April 1796; u. er meint, daß im Gegensatz zu Hegel u. Schelling, die zunächst einmal f. d. Autorschaft in Betracht kommen (bes. Schelling), Hölderlin als der Einzige den Primat der Schönheit mit diesem Nachdruck vertreten haben dürfte. Demnach wäre H. zum mindesten beteiligt an jenem „ältesten Systemprogramm". S. 197. Hölderlin (Exkurs: werkimmanente Poetik). — Ähnlich wie bei Kleist tritt das Kunstwollen im vertieften Sinne bei Fr. H ö l d e r l i n zutage, indem das Bewußte der Darstellungsabsicht mit dem Spontanen eines dranghaften Müssens als einer unbewußten Manifestation sich unverkennbar verbunden zeigt. Die Besonnenheit eines formfindenden u. formwählenden Kunstgepräges wird immer wieder bedroht von einer Besessenheit u. Begeisterung, die, aus dem Unbewußten künstlerisch-schöpferischer Wallungen u. Wollungen aufsteigend (den „Urwillen" Schopenhauers gleichermaßen heraufbeschwörend, aber auch beschwörend u. bändigend), zum Bewußten u. Gekonnten eines „Kunstwollens" im engeren Sinne sich hinüberrettet, um das „Bild der Götter" (vgl. P. Böckmann : Hölderlin u. seine Götter) in seiner Seele nicht nur zu retten, sondern es auch immer erneut in seinem Kunstschaffen aufrichten zu können. Hölderlin u. Kleist sind vorzüglich geeignet, dergestalt das zu belegen, was mit dem weiteren Begriff des Kunstwollens gemeint ist. Denn mit dem „Kunstwollen" soll hier wie überhaupt keine bloße irgendwie äußerlich formulierte oder innerlich postulierte Kunstabsicht im kunstverstandesmäßigen Sinne gemeint sein, sondern zugleich u. nicht zuletzt jener triebmächtige Drang u. Zwang zum schöpferischen „WollenMüssen", jene Freiheit, die eine Einsicht in die künstler. Notwendigkeit gesetzlich in sich birgt u. also eine Freiheit, die im „Zwang" wirkend-wirklich „aufgehoben" bleibt. Die werkimmanente Poetik Hölderlins hat mit der Kleists das Formgesetz des Rhythmischen gemein. Aber das „eigentümlich Hölderlinische" (dem neuerdings W. Hof

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so tapfer nachspürt), strebt nicht auf das RhythmischDramatische zu wie bei Kleist, sondern auf das Rhythmisch-Hymnische. Und es ist nur folgerichtig, wenn auch sein dramatisches Bemühen i. d. „Empedokles"-Fragmenten dieses Grundgesetz des Rhythmisch-Hymnischen nicht verleugnet, sondern bestätigt. Selbst der „Hyperion"Roman verleugnet dieses werkimmanente Gesetz des Rhythmisch-Hymnischen keineswegs. Zugleich aber wird an ihm die starke Spannung des Mythischen (GriechischMythologischen u. Deutsch-Nationalen) symbolisiert. Aber dieses Mythische Hölderlins bleibt trotz allen Hinstrebens zum Nationalen dem Primat der Mustergeltung der Antike weit näher als das Mythologische bei Kleist. Der „Eremit von Griechenland" repräsentiert u. manifestiert zugleich den aktiven politischen Helden, der sein Griechenland liebt, weil es das moderne Griechenland ist, von Hölderlin her gesehen, als Ersatzform für sein deutsches Vaterland, das kulturpatriotisch irgendwie u. irgendwo im Griechentum wurzelt. Das Heroische des „Heldischen" widerstreitet immer wieder dem „Humanen" des Menschlichen, im „Hyperion" so gut wie im „Empedokles". Aber die Einheit des Heldischen u. Humanen entspringt u. entspricht mehr der Einfalt der Antike als dem Zwiespalt der Romantik. Und die werkimmanente Poetik Hölderlins besagt wie seine außerdichterisch formulierte Poetik, daß er, wie auch Η. A. Korff zugestehen muß, weit mehr einer „romantischen Klassik" als einer klassischen Romantik zugehört. Die deutsche Klassik strebt in ihm u. durch ihn zwar zur klassischen Romantik; aber doch so, daß das Bildungserbe der Antike überwiegt, auch im Umbiegen dieses antiken Bildungserbes zum Erwerb einer vaterländischen Besinnung u. Gesinnung. Hölderlins Wendung zum Nationalen, vorbereitet u. beeinflußt von Schiller, erfolgt im Medium Goethes, d. h. es bleibt mehr kulturpatriotisch, als daß es bewußt politisch-national werden könnte. Und wo ihn das Herz an sein Deutschtum bindet, vermag es sich doch nur fruchtbar zu entbinden aus der Empfängnis des antiken Bildungserbes, das in dem nationalen Bildungserbe „aufgehoben" erscheint. Das Naturgefühl wird an der antiken Gegenständlichkeit gewonnen, aber am antiken Formvermögen gewissenhaft gemessen. Die Antike ist nicht Endziel, sondern Durchgang für Hölderlin, aber ein unentbehrlicher Durchgang, um jenen Zugang gewinnen zu können. Das „Idealische" Winckelmanns wird

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bereits merklich u. mannigfach „romantisiert", aber doch so, daß die klassische Grundsubstanz unverkennbar erhalten bleibt. Und das erstaunlich romanhafte, abenteuerliche Geschehen im ,,Hyperion"-Roman findet immer wieder seine Bändigung durch dieses vorherrschend „Idealische" und „Heroische" in Abwehr eines nur „Realistischen". Diese Schonung des Idealistischen aus einer von H. eingestandenen Scheu vor dem Realistischen unterstreicht zugleich den Abstand von H. v. Kleist u. berechtigt dazu, Hölderlin der Klassik zuzuordnen, obwohl Zugeständnisse an die Romantik weder übersehen werden noch werden können. Aber nicht nur die Einstellung zum Realistischen trennt Hölderlin von Kleist, sondern auch die Einstellung zum Philosophischen. Hinsichtlich dieses philosophischen Anteils ist man soweit gegangen, Hölderlin vom Einflüsse Kant-Schiller zu lösen, um ihn auf — Leibniz zurückführen zu können (so K. H i l d e b r a n d t : Hölderlin, Philosophie u. Dichtung, Stuttgart u. Bln. 1939, freilich mit zeitgebundener Tendenz!). Nach K. Hildebrandt läge die Schuld des Empedokles (ζ. B.) u. damit die „strafwürdige Hybris" in der Selbstvergötterung oder, wie K. Hildebrandt behutsamer formuliert, i. d. „Gottnähe", die freilich an die „alte dt. philos. Religion der Mystiker" unbedenklich (bis bedenklich) herangerückt wird. Mythos u. Mystik würden sich dergestalt eigenartig ergänzen. Eine derartige Interpretation nähert sich verdächtig der Auffassung, wie sie seinerzeit E. Kolbenheyer im „Paracelsus"-Roman, streckenweise auch im „Gottgelobten Herzen" vertrat, so etwa besonders greifbar i. d. Unterredung zwischen dem Mönch Eckhard u. d. Papst Johann gegen Ausgang des genannten Romans, also vereinfacht u. vergröbert im Sinne des „Cherubinischen Wandermanns" Angelus Silesius'. Aber wenn so die „Grundanschauungen" Hölderlins zu deuten wären, u. K. Hildebrandt behauptet dies jedenfalls u. versucht auch einige Belege dafür beizubringen, ζ. T. unter Zurückgreifen auf die Ideologie des „Hyperion"Romans, dann könnte das Sich-Göttlichfühlen recht eigentlich kein Verschulden sein, weil Hölderlin den persönlichen Gott ablehnt. Das aber würde besagen, daß nicht hier das tiefere u. eigentliche Verschulden des Empedokles liegen könne. Wenn K. Hildebrandt den Bezug auf Klassik oder Romantik ablehnt, so verkennt er offenbar den Doppelbezug Hölderlins. Ein an sich verständliches Aus-

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weichen vor der Entscheidung bedeutet eben nicht einen gangbaren Ausweg aus dem Wesenszwiespalt u. d. Wirkenszweiheit Hölderlins. Ganz abgesehen davon, daß die von ihm postulierte u. merklich konstruierte „Religion" Hölderlins allzu weitgehend der „Religion" Goethes einerseits und derjenigen Schillers zur Zeit von dessen Dichtung „Die Götter Griechenlands" entspricht. Inwiefern derartige Bezüge nun mit den Rückbezügen auf die alte „philosophische" Religion d. dt. Mystiker in einer folgerichtigen Verbindung stehen sollen, bleibt reichlich verschwommen bis ungeklärt. K. Hildebrandt verharrt dabei im Bereich kecker bis kühner Behauptungen, ohne schlüssige u. überzeugende Beweise einführen zu können. Es werden nur einige vage Andeutungen gemacht u. von ihnen aus dann eifrig bis übereifrig gefolgert. Kurz, K. Hildebrandt hat, was er will: aber (mit Herder gegen Lessing zu reden) „woher kann er es haben ?'* Nun, er hat es daher, woher er zeitlich kommt, u. so ist es kein Wunder, wenn er im Empedokles ein Symbol „dionysischer Weltbejahung" erblicken zu können glaubt, nicht ohne das „Wunder der Volksverjüngung" jählings heraufzubeschwören. Sogar die Idee der „Volksgemeinschaft" glaubt er aus dem derartig mißbrauchten Empedokles-Fragment ablesen zu sollen. K. Hildebrandt sucht sich dergestalt aus der Affäre zu ziehen, daß er argumentiert, i. d. ersten Fassung des „Empedokles"-Fragments herrsche freilich das persönliche Schuldgefühl des Empedokles, sich Gott genannt zu haben, unverkennbar vor. Aber selbst dort löse sich Empedokles bereits von diesem irrigen Schuldgefühl. In d. zweiten Fassung des Fragments dagegen sei diese vermeintliche Schuld entsprechend abgewandelt, und zwar sowohl im eigenen Gefühl des Empedokles als auch im Urteil des Priesters. Zuerst sei es die äußere „Sünde" des Sich-Gott-Nennens gewesen; in der zweiten Fassung Hege dagegen ein Verstoß gegen die staatlich-politische Weisheit als soziale Forderung vor. Die Auseinandersetzung K. Hildebrandts mit der weit gediegeneren Hölderlin-Forschung P. Böckmanns kann nicht befriedigen u. vollends nicht überzeugen. K. Hildebrandt will Hölderlin durchaus zum dichtenden Philosophen machen. Weit überzeugender erscheint P. Böckmanns Deutung, Hölderlin auszurichten auf die „mythische Feier" u. auf ein „feierndes Anrufen der Götter", die von der Vergottung der Antike zu einer Vergötterung des Vaterlandes über-

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zugehen vermag, indem sie das eine „feiert" und das andere (Nationale) fordert. Und wie Schiller das Nationale in fremdländischen Motiven spiegelte („Jungfrau von Orleans, Wilh. Teil, Demetrius"-Fragment), so auch verhilft Sehnsucht nach dem Antiken Hölderlin zur Einsicht in das National-Notwendige. Die Tendenz K. Hildebrandts, möglichst alles auf Leibniz u. dessen Monadologie zurückzuführen, muß vollends abstrus wirken. Und die philosoph. Grundpositionen, wie sie Η. A. Korff herausarbeitet, nämlich Piaton u. Kant wirken weit überzeugender als die von K. Hildebrandt postulierten u. konstruierten Positionen: Plato u. Leibniz, wenngleich in gewissem Sinne als eine Vorstufe Leibniz anerkannt bleiben muß. Bemerkenswert wäre höchstens die Abwehr des Vorwurfes (gegen Hölderlins dichterisches Verfahren), daß er Konkretes allzu abstrakt verallgemeinere u. typisiere. Die Konstellation: Plato, Leibniz, Schelling gerät bedenklich in eine bloße Konstruktion hinein. Es schien so, als ob Hölderlin eine „hymnische Dramatik" zeitweise verwirklichen konnte, wie H. v. Kleist eine balladeske u. romanzenhafte Dramatik („Penthesilea" u. „Käthchen") verwirklicht hat. Und es ist nicht von ungefähr, daß M. Wieland vom „Tod des Guiskard" spricht mit Bezug auf Kleist (wobei der „Tod Wallensteins" nicht allzuweit abliegt, wie denn die erhaltenen Szenen irgendwie „Wallensteins Lager", entsprechen), wie die Titelgebung bei Hölderlin „Tod des Empedokles" lautete. Aber Hölderlins Kunstwollen u. vor allem seinem Kunstkönnen widerstrebte das Theatralische im wertvollen Sinne als die der Bühne zugekehrte Seite des Dramatischen, in der sich das Drama auf seinen Ursprung vom Mimus besinnt u. sich zu ihm bekennt. Er hat dieses Theatralisch-Dramatische merklich schon in den Entwürfen zum „Empedokles" aus dem Auge der dramatischen Konzeption u. aus der Gewalt der dramatischen Komposition verloren. Selbst das Vorbild des jungen Schiller vermochte diesem grundlegenden Mangel nicht wirksam abzuhelfen. Und so war es letztlich nur ganz folgerichtig, daß sein „Empedokles", soweit man nach den Bruchstücken urteilen kann, eher zu Goethe hinüberwies, und zwar hinsichtlich der Haltung zu Goethes „Prometheus"-Fragment, hinsichtlich der Gestaltung zu Goethes „Iphigenie". Denn in Goethes dramatischlyrischer Sonderart findet sich gleichfalls manches gültig

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eingeformt von jenem „hymnischen Feiern", wie es Hölderlin gemäß war. Goethes „Torquato Tasso" stand zuletzt Hölderlins Transponieren der erhabenen Gegenständlichkeit in die erhobene Stimmung weit näher als die Ineinsbildung von Charakter- u. Schicksalsdrama bei Schiller. Ob man nun das Fragment „Der Tod des Empedokles" oder das Fragment „Empedokles auf dem Ätna" heranzieht, immer mischt sich ein halb christliches, halb pantheistisches Element in die Welt u. das Wesen der griechischen Antike. Überhaupt muß man sich klar darüber sein, daß Hölderlins Begeisterungswilligkeit u. Begeisterungsfähigkeit eine belebende Erwärmung des antikisierenden Motivs u. auch der antikisierenden Gestaltung mit sich bringt. Auf der anderen Seite war ihm nur in einer Stunde der Depression die Philosophie eine notdürftige Zuflucht, ein heilsames „Hospital für verunglückte Poeten". An sich schätzte er die Philosophie weit höher als etwa H. v. Kleist, wie er denn zur Zeit des ersten Ansatzes zu seinem „Hyperion' '-Roman bereits ein Sokrates-Drama geplant hatte. Das vereinsamte Nichtverstandenwerden des griech. Philosophen Empedokles aus Agrigent mußte ihm als wesensbenachbart erscheinen, wie der Zug zum Erhabenen eine gewisse Befriedigung suchen u. finden konnte in der erhabenen Situation des Freitodes auf dem Ätna, wobei sich Naturphilosophie u. Kunstphilosophie verbinden konnten. Die Spannung zwischen Prometheus u. Faust, zwischen Denker, Dichter u. Seher, die Hölderlin selber vertraut war, kann den Priester Hermokrates nicht als berufenen Richter über die eigene Verfehlung anerkennen, ebensowenig die vom Priestertum beeinflußte Menge, die mehr Macht als Einsicht besitzt. Nur in ihm selber kann der Richter erstehen, wobei die Vergottung in die Schuld der Gottlosigkeit umschlägt: „Allein zu sein und ohne Götter, dies, dies ist er; ist der Tod!". Die letzte Entscheidung liegt in dem Sich-Selbst-Bescheiden, dem immerhin der Trost bleibt, seinem getreuen Schüler Pausanias die Lehre vom willigen Eingehen in das Naturhafte und also Göttliche übermitteln zu können. Dieser Trost scheint ihm verläßlicher zu sein als das Zurückgerufen-Werden aus der Verbannung; denn in diesem Trost liegt nicht die Willkür des Wandelbaren, sondern das Gesetz eines Wunderbaren, das dennoch ein Natürliches bleibt. Die scheinbar romantische Weite des Wunders erweist sich dergestalt bei

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näherem Zusehen als eine klassische Bestätigung der naturnahen Einfalt. Das aber besagt, daß auch die werkimmanente Poetik Hölderlins näher an die Klassik als an die Romantik heranrückt, wie denn auch das „Naive" des „Hyperion"-Romans wohl das „Sentimentalische" durchläuft, aber nicht darin stecken bleibt. Vollends in den „feiernden Oden" u. Hymnen erfüllt sich weit mehr das Gesetz eines klassischen Formwollens als des Stimmungsvirtuosentums der Romantik. Denn das Vorbild Pindars wirkt sich wesentlich anders aus als etwa i. d. freirhythmischen Hymnen des jungen Goethe der Frankfurter Zeit. Dem Unrastvollen der Extreme hat nämlich Hölderlin als Hymniker immer wieder die Gewinnung der Mitte, die reife Rast im ausgeglichenen Mittelzustand entgegengesetzt, so daß dem stürmerisch-drängerischen, aber auch dem romantischen Verschmähen der klassischen Mitte teils ein Beklagen des Verlustes der Mitte (im elegischen Sinne), teils eine Behauptung der Mitte (im heroischen Sinne) entgegengesetzt wird. Gegenüber H. v. Kleist erweist sich bei H. der Hang u. Zwang zum Philosophieren als weit ausgeprägter. Die frühe Freundschaft mit Schelüng u. Hegel mochte dabei mitspielen. In dieser Nähe zur Philosophie begegnet sich Hölderlin mit Schiller, entfernt sich aber von ihm, indem er stärker als Schiller das Philosophische in das Poetische hineinzuformen versucht. Ebenso nähert er sich Schiller im Durchbruch vom Klassisch-Griechischen zum Romantisch-Nationalen, entfernt sich aber von ihm, indem er die Wendung des späten Schiller zum Realismus nicht mitmacht, sondern ins „Idealische" ausweicht. Er vermeidet es merklich, das Poetische, ja schon das eigentlich Historische in das Poetische einzuformen (trotz des „Hyperion"). Hölderlin steht zwischen Klassik und Romantik wie Klopstock zwischen Geniezeit u. Goethezeit; er teilt mit Klopstock das Ästhetisch-Priesterliche u. RauschhaftSeherische sowohl auf religiösem als auf nationalem Gebiet. Aber die antikisierende u. romantisierende Naturfrömmigkeit entfernt ihn wiederum von Klopstock, bes. auch deshalb, weil er immer wieder geneigt ist, die „Götter" gegen den „Gott" Klopstocks auszuspielen oder doch entscheidend ins Spiel zu bringen. Trotzdem gibt es im Kunsttypus gewisse, bislang vernachlässigte Berührungsstellen mit Klopstock, so etwa die Tendenz zum Abstrakten, die Tendenz zum Erhabenen, ganz abgesehen von der Ten-

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denz zum Bewältigen griechischer Formen gegen das Widerstreben der deutschen Sprache. Denn darin geht er weiter als Goethe u. wirksamer (weil behutsamer u. einfühlsamer) zu Werke als Klopstock. Der Anteil des „Naiven" ist weniger kraftvoll als bei Goethe; aber H. bleibt nicht so weitgehend wie Schiller auf den Umweg des „Sentimentalischen" angewiesen, weil er das Naturhafte nicht nur „sucht", sondern mit einer gewissen rührenden (bis erschütternden) Naivität zu „vergöttern", ja recht eigentlich zu „vergotten" versucht u. formfindend auch zu vergotten versteht. Eben deshalb aber ergibt sich als ein wesentliches Wirkungsgesetz seines Kunstwollens u. auch seines Kunstschaffens eine tragische „Fallhöhe" von der Höhenlage seiner „Sehnsucht" zu der Tiefenlage seines „Verzichts" u. seiner Resignation. Diese Diskrepanz von übersteigerter Forderung u. überanstrengtem Erfüllenwollen beherrscht (u. bedingt) nicht allein die gegensätzlichen Typen seiner hymnischen u. odenhaften Gesänge (die Η. A. Korff überzeugend nachweisen kann), sondern greift nicht selten in die Spannung der Einzeldichtung hinüber. Irgendwie bleibt H. im Hymnisch-Lyrischen den „forcierten Talenten" bedeutsam (aber auch streckenweise bedenklich) verwandt. Das hängt — ähnlich u. doch anders als bei H. v. Kleist — mit der Einengung d. Eigenkraft zwischen der Übermacht Goethes u. Schillers zusammen. Hyperion ist weder ein Fiesko noch ein Wallenstein, noch ein Demetrius, freilich auch kein „gesteigerter Werther", wie (über„modern") P. Reimann: Hauptströmungen d. dt. Lit., 1956, S. 385 meint. Und Diotima, die mehr klassisch verklärte als romantisierte S. Gontard, ist keine Iphigenie, obwohl sie Hölderlin merklich „hinaufzieht"; denn wo Iphigenie zur Kultur emporzieht, zieht Diotima zu einer freilich „vergotteten" Natur zurück. Sie bleibt zuletzt mehr ein Protest, als daß sie ein Programm werden könnte. Sie symbolisiert eine kühne Mischung von Pietismus u. Spinozismus, indem sie die „Heilige" mit der „Naturgöttin" verbindet u. die eine durch die andere überwindet. Und Empedokles ist kein Faust u. kein Tasso; aber er ist auch kein Marquis Posa. Er fordert nicht Erkenntnisstreben oder Gedankenfreiheit, sondern nur Götternähe in der Nähe des Todes. Nicht das christliche: lehre uns bedenken, daß wir sterben müssen, damit wir klug werden, nicht das (Schillersche) lehre uns bedenken, daß wir sterben müssen, damit wir frei werden,

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sondern lehre uns bedenken, daß wir sterben müssen, damit wir in einen Gott der menschlichen Vergottung (u. Vergötzung) eingehen, ist die Lehre Hölderlins, der bei allen seinen „Göttern" dennoch nie ganz von dem Gott seiner Frühzeit loskam. Von seinem christl. Gott getrennt durch Philosophie u. mehr oder minder philosophisch gefärbte Poesie, sucht H. immer wieder den „Ersatz" bald im Griechengott, bald im Naturgott als vermeintlicher Verdichtung der Gottnatur. Und so ist es kein Wunder, daß er auf die „Urgötter" jenseits der landläufigen antiken Mythologie zurückgegriffen hat. Im Übermaß einer Konzentration auf das Göttliche verfällt H. in das „Zerstreutsein" auf „die Götter". Und dieses „Zerstreutsein" vermag auch die formende Konzentration seines Kunstwollens und Formkönnens nie restlos aufzuheben u. auszugleichen. Wenn Goethe u. Schiller ein (prinzipiell noch zu wenig beachtetes) Hin- u. Her zwischen Gott u. Göttern durchzuhalten vermochten (oder doch versuchten!), so nahm H. den Widerspruch im göttlichen Anspruch so ernst, daß er zuletzt als Dichter u. Mensch daran (oder doch nicht zuletzt daran) zerbrechen mußte, ob nun jeweils die Antike oder die Natur oder die Nation vergöttert u. vergottet wurde. Gattungstypologisch tritt die tastende Unsicherheit des Hymnikers H. nicht nur i. d. verschiedenen Fassungen des Dramas „Empedokles", sondern auch i. d. verschiedenen Fassungen des Romans „Hyperion" eindeutig zutage. Die „Hyperion"-Fragmente aus Jena (von 1795), die im wesentl. „Hyperions Jugend" betreffen, zeigen im zweiten der drei Versuche nicht zufällig eine Rückübertragung in die hymnisch-metrische Form; es handelt sich dabei um die sog. „metrische Hyperion"-Fassung. Darin wird das in der Prosafassung bereits enthaltene und gestalterisch eingekörperte „Rhythmische" eben nur folgerichtig in die gebundene Form übertragen bzw. zurückübertragen. Aber dieses metrische „Hyperion"Fragment umfaßt nur etwa zehn Seiten. Formal handelt es sich dabei um Versepik, inhaltlich weit überwiegend um Ideendichtung, die zudem eine unverkennbare Annäherung an den älteren Typus des aufklär. „Lehrgedichts" aufweist. Wie Schiller möchte auf dieser Stufe H. jenes „Lehrgedicht" zum klass. „Ideengedicht" veredeln. Kommt darin der Rhythmiker H. zur Geltung, so in dem sogen. Jenaer „Hyperion"-Kapitel zugleich der

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Philosoph Η., wobei neben Kant auch Fichte eingewirkt haben dürfte (ganz abgesehen v. d. Verbesonderung i. d. Lehren Reinholds), in denen ein wenig wie bei Leibniz das Streben als Entwicklungsmoment mit hineinwirkt, und zwar in das theoretische u. praktisch-empirische Ich, in den „intelligiblen" u. sittlichen Charakter. Dagegen haben Schillers etwa zeitparallel liegende „Briefe üb. d. ästhet. Erziehung" schwerlich schon einwirken können. Für das Umsetzen der Philosophie in Lebensweisheit ist kennzeichnend der Umstand, daß in der dritten Fassung des Roman-Fragments (aus Waltershausen 1794), die in Schillers kurzlebiger Zeitschrift „Neue Thalia" erschienen ist, eine allgemein gehaltene Lebensweisheit d a s G a n z e einleitet ( „ l o k o k o m m u n e r " Eingang). Zu der rhythmischen u. philosophischen Komponente tritt dann in der Endfassung der nationale Faktor u. stark aktivierte Motor nationalen Bewußtseins schon in diesem Eingang hervor. Hölderlin hat inzwischen gegenständlicher (klassischer) schildern gelernt u. weicht deshalb nicht mehr vor den wirklichen Gegebenheiten in bloße (u. blasse) philos. Theoreme aus. Freilich handelte es sich bei jenem Eingang des „Thalia"-Fragments mehr um eine Vorbemerkung lebensphilos. Art. Der eigentliche Eingang war dagegen betrachtend-elegisch gehalten u. gattungstypologisch mehr lyrisch als episch eingestellt. Das Gesetz des lyrischen Hymnikers u. Rhythmikers verschafft sich also auch in kompositionellen Einzelheiten überzeugend Geltung. Es gelang H. eben doch nicht, was er seinem Freunde Magenau im Sommer 1792 schon angekündigt hatte, nämlich „Romanist" d. h. Romandichter zu werden, weil bes. beim schönen Geschlecht mit lapidaren Hymnen zuletzt doch wenig zu gewinnen sei. Und wenn er Freund Neuffer zugesteht, daß es ihm vorerst u. vorab nicht um Geschehensvermittlung, sondern um „Gemälde von Ideen u. Empfindungen" zu tun sei, so hat unverkennbar noch der Philosoph einerseits u. d. Lyriker andererseits die Oberhand, obwohl immerhin schon der bildende Formungswille sich ankündigt mit der kunsttechnischen Einsicht, daß sich alles Einzelne organisch auf den Zentralcharakter beziehen müsse. Aber auch das bleibt mehr ein bloßes „Ideen-Gefühl" im Sinne von Maler Müllers „Faust", wie denn der damalige H. ausdrücklich von einer „überdachten Empfindung" spricht. Das bestätigt, daß H. nicht nur vom Typus des Geistig-Visionären u. Mythisch-

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Visionären, sondern auch vom Typus der erlebten Meditation, der stimmunggesättigten Betrachtung aus erfaßt u. gedeutet werden will. Von der klassischen Besonnenheit will auch der romantisch Besessene nicht lassen, wie der Vaterlandsfreund nicht lassen will von der Liebe zum Griechentum. Kein Wunder, daß er mit dem „Hyperion"Roman nicht einen kulturgeschichtlich zurückgreifenden Griechenroman nach Wielands Art schreibt, sondern einen Zeit-Roman, ja recht eigentlich einen Gegenwartsroman; denn es handelt sich nicht um das „alte" Griechenland, sondern um das „neue" Griechenland. Bes. wenn man die früheren Fassungen berücksichtigt, kommt man recht zeitnah an Hölderlins Gegenwart heran. Die Zentralgestalt des Romans lebt etwa um die Zeit, in der Wieland seine histor.-kulturhistor. Griechen-Romane schrieb. Es geht um den nationalen Befreiungskampf der Neugriechen gegen die Türken, dergestalt daß ein polit.-„histor". Roman (Briefroman) entsteht, dessen Handlung u. Gesinnung im Grenzbezirk von Politik u. Geschichte, von Bewältigung des Lebens u. Betrachtung des Lebens angesiedelt erscheint. Dem gattungsmäßigen Typus nach liegt eine stark lyrisch erwärmte Epik in einer ζ. T. rhythmisierenden Prosa vor. Trotz dieses hymnisch-lyrischen, musikalisch-rhythmischen Grundzuges treten im Gegensatz zum Roman der Romantiker (im engeren Sinne) ausgesprochen und abgesondert lyrische Einlagen unverkennbar zurück. Sie begegnen i. d. Endfassung nur ganz vereinzelt. Die innere Nähe zur Lyrik, die bei alledem spürbar bleibt, verraten durchweg deutlicher die früheren Fassungen. Das aber besagt, daß die Zurückdrängung des lyrischen Hymnikers wohl beabsichtigt, aber kaum gelungen ist. Sowohl der Dramendichter als auch der Romandichter H. verleugnet nicht den Lyriker. So verstanden, bleibt „Hyperion" ein Hymnus auf den nationalen Freiheitskämpfer, wie der „Empedokles" ein mythischer Hymnus bleibt auf den Weltanschauungskämpfer. Dabei entsprechen sich das Aufgehen in eine vergötterte Vaterlandsliebe von „mythenbildender" Kraft dort u. das Aufgehen (u. Sich-Auflösen) in eine vergottete Naturliebe von mythischer Gewalt hier. Der Patriot und der Philosoph u. Prophet, der sich vom bloßen Priester abhebt, kommen ohne eine mythische Wirklichkeit und einen wirklichen Mythos nicht aus, wie sie in der dichterischen Ausformung

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nur durch das Hymnisch-Rhythmische zu erfassen oder wenigstens andeutend zu umgreifen und zu gestalten sind. Die werkimmanente Poetik Hölderlins bekundet, wieweit über Klopstock, Stolberg (J. H. Voß) u. Goethe hinaus das Formgefühl der „echten"Klassik dem deutschen Sprachtypus eingekörpert werden konnte, ohne seinen Eigenwert zu beeinträchtigen oder aufzugeben. Aber auch einem Hölderlin wollte dieses Wagnis nur in der hymnischen Lyrik (u. deren Transponierungen i. eine hymn.-mythische Dramatik bzw. eine hymn.-elegische Romanform) gelingen. In seinem Zwiespalt zwischen griechischem Geist u. deutscher Begeisterung vermochte H. nicht die großen Dichtungsgattungen (Dramatik, Epik), sondern nur eine Dichtungsart (Hymnik) zu verwirklichen.

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ANMERKUNGEN

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„Klassik u. Romantik . . . " 1952) wenigstens bedingt anerkennt, eine der Bürgschaften für das Bestehen einer Gesamt-Romantik, die allerdings nur dann Kredit besitzt, wenn sie im Kunstschaffen zwar keine restlose, aber doch eine weitgehende Entsprechung findet. Die Romantik wäre also auch insofern spezif. „deutsch", als die Liter.philos. u. Liter.-theorie (hier ohne polit. Besonderung gebraucht) der Kunstleistung die Richtung weist. Neben der Literaturphilos. kann eigentlich nur die Religionsphilos. einen ebenbürtigen Rang für eine Wesensbestimmung der Romantik beanspruchen. Die u. a. bei P a u l B ö c k m a n n : Formgesch. d. dt. Dichtung I, Hbg. 1949, S. 40 bevorzugte Bezeichnung „Literaturästhetik" würde f. d. Romantik als zu eng erscheinen, weil hier die Philos. als Ganzes hineinragt (einschließlich der Religions- u. Naturphilos.) u. umgekehrt (umgekehrt histor. gesehen) als in der Aufklärung die Poesie u. ihre Theorie in die Philosophie hinüberwirkt. Dabei erweist sich das „Irrationale", v o n G . L u k ä c s i.d. (marxist.) Philosophiegesch. d. 19. Jh.s leidenschaftlich bloßgestellt in: Die Zerstörung der Vernunft, 1954, nur recht bedingt als der gemeinsame Traggrund; ebenso das Transzendentale, das ohne das „Transzendente" nicht „romantisch" fruchtbar u. ideenmäßig bestimmend werden kann im Verbände u. Verstände der romant. Literaturphilosophie. Sie umfaßt nicht nur ästhetische Werte u. Wirkungen, ist also keine bloße „Literaturästhetik". P. Böckmann verwendet auch nur allgemein jene Bezeichnung. Η. A. K o r f f bevorzugt die Bezeichnung „Kunstphilosophie", wahrt also den allgem. philos. Akzent. Uns muß es themagemäß vorab um Literaturphilos. gehen, wobei die Philos. des „Poetischen" im weiteren Sinne einzubeziehen bleibt. In gewisser Weise näherte sich Fr. Schlegel der Liter.-Philos., als er an F. H. Jacobi (7. Nov. 1812) schrieb: „Ich schrieb kritisch u. literarisch über Kunst, Geschichte u. Literatur. Ich konnte es nicht verhindern, daß nicht einiges Philosophische, einiges von dem, was mich eigentlich mehr als alles andere beschäftigte, mit zum Vorschein kam"; vgl. Fr. Schlegels Neue philos. Schriften, hrsg., eingeleitet u. erläutert von J o s e f K ö r n e r , Frankf. a. M. 1935, S. 3. Weil (abgesehen von der Religion) die Philosophie die frühen Romantiker „mehr als alles andere beschäftigte", wurde ihre Literaturtheorie zu einer Literaturphilos. Aber auch das Transponieren des Transzendenten in das „Poetische" erfolgt 30 M a r k w a r d t , Poetik III

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nicht selten auf philos. Wegen u. Umwegen. Und bezieht man die Religionsphilos. gebührend ein, so darf auch unter diesem Blickwinkel von einer Liter.-Philos. die Rede sein. Übrigens enthält das 252. Athenäums-Fragment Fr. Schlegels die Formulierung „Philosophie der Poesie". Und dieses Athenäumsfragment, wie J. K ö r n e r a. a. 0. S. 356 betont u. bestätigt, geht zurück auf die früheren Aufzeichnungen über einen Entwurf zur „Ästhetik", wie schon Marie J o a c h i m i (im Euphorion XIV, S. 665!) vermutet hatte. Der moderne Terminus „Literaturtheorie", der stark polit. bestimmt u. vor allem auf den „Realismus" gerichtet ist, wäre für die philos. bestimmte Kunsttheorie der Romantik zu eng gefaßt; freilich ist er fortlaufenden, ζ. T. recht erfreulichen Erweiterungen, u. zwar auch in der Richtung des Romantischen, ausgesetzt bzw. relativ willig geöffnet. S. 198. V e r b i n d e n d e s im V e r h ä l t n i s z u r K l a s s i k . — Neuerlich hervorgehoben in dem 1950 gehaltenen Münchener Vortrag von F r z . S c h u l t z , abgedr. als Anhang z. Klassik u. Romantik der Deutschen (2. Aufl. 1952) S. 432; u. a. wird Caroline v. Günderode ergänzend herangezogen (aber wie steht es mit dem Formgesetz?), die Nachwirkung Piatos betont u. für die Heidelberger Romantiker auf die dionysische u. „apollinische Antike" als Sonderform hingewiesen. Wenn aber Frz. Schultz (Vortrag 1950) unter seinen Belegen der Verbindung Klassik — Romantik ζ. B. Fr. Schlegels „gräkomanische" Epoche übergeht, so übersieht er, daß Η. A. K o r f f schon in der ersten Auflage bei der Würdigung von Schlegels Aufsatz „Über das Studium d. griech. Poesie" (1795) die vom Ideal d. Klassik sich abhebenden Elemente klar genug herausgearbeitet hatte, Η. A. Korff a. a. 0., Bd. III, S. 305/06. Die Bezüge zur Klassik wurden verstärkt deutlich ζ. B. auch seit den Veröffentlichungen aus dem Nachlaß Fr. Schlegels durch J o s e f K ö r n e r : Neue philos. Schriften (1935). Denn wenn dort auch auf Grund der sog. Trierer Ästhetik-Hefte ζ. T. ein Deckungsuchen bei Hemsterhuis, Schiller u. Fichte gegenüber Kant deutlich wird, so weist doch manches eindeutig auf die Klassik zurück. Zwar läßt sich die beliebte Dreiergruppe des jg. Fr. Schlegel u. seiner Bekundungen zur Liter.-Philos.: „Vielheit, Einheit, Allheit" nicht einfach mit der lit-.-histor. Abfolge Sturm u:

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Drang, Klassik, Romantik gleichsetzen (dazu ist der Einheitsbegriff zu eng mit dem „Kraft"-Begriff verbunden), aber unverkennbar tiberkreuzt sich auch hier wie allenthalben bei Fr. Schlegel das Philos.-Prinzipielle mit dem Empirisch-Historischen. Vgl. auch A. E m m e r s l e b e n : Die Antike i. d. romant. Theorie, Bln. 1937. S. 198. R o m a n t i k a l s s u b l i m e r e F o r m der K l a s s i k (Romantisierung). — Gemäß der konstruktiven Leitidee wird letztlich (wie der Sturm u. Drang) auch die Romantik von der Klassik her belichtet (u. ζ. T. auch bewertet) bei H. A. K o r f f a. a. 0., Kap. II Romantisierung der Poetik (1. Kap. Romantisierung der Weltanschauung, 3. Kap. Romantisierung des Geschichtsbildes). S. 198. E i g e n g e p r ä g e . — F r z . S c h u l t z vermißt einerseits eine Herausarbeitung des Eigentümlich-Romantischen; er vermißt (u. wünscht) sogar annähernd brauchbare Umschreibungen (ja Definitionen), auch der Versuch einer Wesensbestimmung durch J. P e t e r s e n will ihm nicht zusagen; andererseits bescheidet u. geduldet er sich mit dem Trost, daß die Summe von Erträgen aus Einzelinterpretationen romantischer Dichtwerke derartige Definitionsversuche (der Gesamtromantik) ermöglichen werde. Aber müßte das nicht auf ein bloßes Mosaik von Merkmalen hinauslaufen? Vgl. Vortrag v. 1950: Der gegenwärtige Stand der Romantikforschung, Klass. u. Romant. d. Deutschen Bd. II (1952), S. 432!, 439. — E r i c h R u p r e c h t : Der Aufbruch d. romant. Bewegung, München 1948 bemüht sich um eine Klärung der Epochenbezeichnung u. deren Wesensbestimmung; er hofft, daß „diese echte Prägung" irgendwie aufzufinden sein müsse. — Die Umschreibung: Weite des Wunders u. Wunder der Weite, die oben bevorzugt wird, ist vor jenen Forderungen aus dem Materialbefund vom Verf. vorerst als Notbehelf gewagt worden, weil man schlechterdings nicht überall abwarten kann, bis die Sonderforschung „so weit ist". „ N e u e W i s s e n s c h a f t e n . " — Vgl. nun auch P a u l W a l d e n s Vortrag über d. Einfluß d. R. auf die exakten Naturwissenschaften, in: Romantik, ein Zyklus Tübinger Vorlesungen, Tüb. 1948, hrsg. v. T h e o d o r S t e i n b ü c h e l . S. 203. G ö t t l i c h e r U r s p r u n g der S p r a c h e (Baader). — D a v i d B a u m g a r d t : Franz v. Baader u. d. philosoph. Romantik, Halle 1927 (Dt. Vjschr., Buchreihe, Bd. 10), 3β·

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S. 348—355. — Gemäß seiner Anschauung, daß der Mensch nur ein von Gott „Gedachtes" ist, ist auch die Sprache eine Schöpfung u. ein Geschenk Gottes; B. selber spricht von einer „theistischen Sprachtheorie", wobei er sich besonders eng an den Franzosen Bonald anlehnt unter entsprechender Abwehr der Theorie bei Condillac (vgl. Baaders Bonald-Rezension von 1825). Hamanns Einfluß ist, obwohl naheliegend, nicht nachweisbar. Dagegen sucht B. seinen Gewährsmann Bonald zu ergänzen durch eine recht phantastische Auslegung der babylonischen Sprachverwirrung, die gleichsam ein Sündenfall der (Sprachen-)Erkenntnis gewesen sei. Demgemäß versucht B. mit mehr als gewagten Etymologien alles vom Hebräischen abzuleiten bzw. darauf zurückzuführen. Das Morgenland gilt als „aller Zungen Heimath". D. B a u m · g a r d t verweist u. a. auf St. Martin, J. P. Süßmilch, Kaindl (Benediktiner u. Abtei-Archivar) u. Leopold Schmid als etwaige Anreger, im weiteren Umkreis auf J. Böhme; dagegen scheiden Herder u. W. v. Humboldt f. B.s Sprachtheorie aus, die symbolistisch-mystisch vorgeht. Das Einmischen J. J. Rousseaus dagegen dürfte auf ein Mißverstehen Baaders zurückzuführen sein. S. 203. Franz v. Baader. — D a v i d B a u m g a r d t : Franz v. Baader u. d. philosophische Romantik: Dt. Vjschr. Bd. 10 (1927); dort Überblick über die frühere Frz. v. BaaderLit., der Anschluß sucht beim Expressionismus u. spekulativen u. intuitiven Naturphilosophien in Abhebung von den „exakten" Naturwissenschaften, bei „organologischen" Soziallehren in Abhebung von „naturrechtlich" untergründeten „Gemeinschaftstheorien", bei einer „metaphysischen" Geschichtsdeutung in Abhebung von einer nur „deskriptiven" Geschichtsforschung usw. Verf. geht dabei von der merklich tendenziös gesetzten Prämisse aus, daß seine Gegenwart irgendwie mit d. Romantik verwandt sei (Abwehr der Rationalität wie Romantik im Verhältnis zur Aufklärung). Es sei abzuwehren das vielfach noch begegnende Vorurteil, daß es sich bei Frz. v. Baader um „verstiegene theosophische Ideologien" handle. Neben Gestalten wie Schelling oder Hegel, wie Schleiermacher oder Savigny, wie Adam Müller u. selbst Nebengestalten wie dem General Radowitz sei Frz. v. Baader unverdient vernachlässigt worden. Die vorgefaßte Meinung, daß Frz. v. B. nur als Schüler des späten Schelling zu betrach-

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ten sei u. die „Oppositionsstellung der römisch-kathol. Kirche" hätten zu dieser Verkennung der Verdienste Baaders wesentlich beigetragen. Die Mitwelt habe Frz. v. Baader recht hoch geschätzt (Goethe, Hegel, Fr. H. Jacobi, Schelling, Fr. Schlegel, Novalis, Jean Paul, L. Tieck, H. Steffens, Clemens Brentano. Rahel Varnhagen, Karoline Schelling, Bettina v. Arnim, J. Görres, Justinus Kerner, Lenau bis hin zu Kierkegaard), die Nachwelt jedoch habe ihn unterschätzt. Zwar in der frühen Philosophie-Geschichte des 19. Jh.s wird ihm noch eine beachtliche Stellung u. Geltung eingeräumt; auch der „Romantikerkönig" Fr. Wilh. IV. habe sich an B. interessiert gezeigt u. die Ausgabe seiner sämtlichen Werke gefördert. Etwa seit 1870 gerät B., von Bismarck diskreditiert, zeitweise in Vergessenheit. Während in B.s Frühzeit noch Restbestände der Aufklärung hineinragen, bezieht er späterhin eine ausgesprochen anti-rationalistische Position, indem er an die Stelle von Descartes' „Cogito, ergo sum" das „Cogitor, ergo sum" (Cogitor a Deo) setzt, wonach der Mensch nur als ein von Gott Gedachtes zu einem Selbstbewußtsein gelangen kann („so kann er auch seines Seins nur gewiß sein, indem er sich von Gott gedacht weiß"). Vorstufen solcher Anschauungen sind nachweisbar bei Pierre Poiret (Ende d. 17. Jh.s) u. bei St. Martin. P. Poiret war von Descartes ausgegangen, aber auf Jakob Böhme zugegangen. St. Martin „De l'esprit des choses" war u. d. Titel „Vom Geist u. Wesen der Dinge" 1811 von G. H. Schubert übersetzt, also leicht zugänglich. S. 205. E i g e n g e p r ä g e der R o m a n t i k . — Mit freilich unzulänglichen Mitteln versucht diesem Eigengepräge beizukommen eine ungedr. gebliebene (Masch.-Expl.) Untersuchung von F r i e d l u i s e H e i n r i c h s : Die Aufgabe des Dichters nach der Auffassung der Frühromantik (Diss. Bonn 1948, 96 S.). Denn das Sondergepräge d. Frühromantik wird nicht hinreichend klar abgehoben von dem der Gesamtromantik. Dies erklärt sich ζ. T. auch aus der relativ schmalen Untersuchungsbasis (Tieck, Fr. Schlegel, Novalis), bei der also A. W. Schlegel nicht zu seinem Recht gelangt. — Da es sich um eine Masch.-Diss. handelt, scheinen einige Hinweise angebracht zu sein. Nachdem kurz die Nachwirkung der früheren Kunstauffassung auf d. Romantik u. d. Verhältnis der Frühromantik zur Philo-

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Sophie (S. 4—20) einleitend berührt worden sind, ohne daß Erhebliches zutage gefördert wird (starke Abhängigkeit v. d. Sekundärlit.), gliedert Verf. ihren Hauptstoff i. d. angedeuteten Reihenfolge, die offenbar zugleich eine Wertstufung bzw. Entwicklungsstufe in sich bergen soll, dergestalt, daß Novalis als Entwicklungshöhe gilt. Es muß überraschen, daß F. Heinrichs zum mindesten aus methodischen Gründen nicht d. damals schon vorliegende Sonderuntersuchung von C a r l o E n g e l Über den Dichterbegriff d. Heidelberger Romantik (1934) ausgewertet hat. Vom einseitigen Blickpunkt der Romantik erfolgen Fehlurteile über die Aufklärung (ζ. B. S. 5, 8). Für den Fr. SchlegelAbschnitt (S. 41—69) hätte O. W a l z e l : Poesie u. Unpoesie (1937) stärkere Berücksichtigung verdient. Etwas einseitig dürfte L. Tieck gesehen worden sein; vgl. die Prägung: „Die Offenbarung des Wunderbaren u. Geheimnisvollen (als Mittel) zur Überwindung der Welt als höchste Aufgabe des Dichters" (S. 34). Ein Ähnliches gilt von der Formulierung im Fr. Schlegel-Abschnitt: „Die Verkündung des Unendlichen als höchste (heiligste, vornehmste) Aufgabe des Dichters" (S. 63) sowie von dem Novalis-Abschnitt (S. 70—89) mit der entsprechenden Formulierung: „Das Eingehen in die Harmonie als höchste Aufgabe des Dichters" (S. 83). Eine fruchtbare Lösung ihrer Aufgabe, nämlich den Dichterbegriff im Raum der Frühromantik zu klären, wäre Verf. wesentlich erleichtert worden, wenn sie häufiger einen Vergleichsblick auf die Jüngere Romantik geworfen hätte. S. 206. R e l i g i ö s e V o r s t e l l u n g e n S c h l e i e r m a c h e r s . — Über seine ästhet. Anschauungen vgl. R u d o l f O d e b r e c h t : Schleiermachers System d. Ästhetik, Bln. 1932. S. 214. Ü b e r den R o m a n (u. d. „ A r a b e s k e " ) . — C a r l E n d e r s : Fr. Schi., die Quellen seines Wesens u. Werdens, Lpz. 1913, S. 241. „Arabesken" bezeichnet Fr. Schi, dort als „die einzigen romantischen Naturprodukte unseres Zeitalters" (Jugendschrift. II, S. 374). Phantastik des Improvisierten gilt dabei als Vorzug der „Arabeske". — O. W a l z e l : Grenzen von Poesie u. Unpoesie (Poesie u. Nichtpoesie, 1937), Kap. V ; Fr. Schi. „Gespräch üb. d. Poesie", a. a. 0. S. 112ff., bes. i. d. Zushg. d. „Brief über den Roman" a. a. 0. S. 141 f. Dort auch üb. d. Arabeske unter Rückgriff auf Goethes Aufsatz „Von Arabesken" (1788/89 i. „Teutschen Merkur") u. beiläufiger Erwähnung der Ver-

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wendung des Ausdrucks (ohne Definition) bei L. Tieck u. Heranziehung des „Wörterbuchs zur Erklärung u. Verdeutschung der unserer Sprache aufgedrungenen fremden Ausdrücke" (1801) a. a. O. S. 142—144. — Über die T h e o r i e d. R o m a n s Fr. Schlegels u. d. Roman als „Krönung" der gattungstypologischen Progression bringt einige Aufschlüsse A. B ö g e r : Die Anschauungen d. dt. Frühromantik üb. d. Wesen d. poetischen Gattungen, Diss. Greifswald 1922 (Masch.-Expl.) S. 239ff., bes. 241; die „Philosophie des Romans" erscheint der Theorie der anderen Dichtarten irgendwie überlegen (S. 244). Als Muster gilt vorerst für Fr. Schi, noch Goethes „Wilh. Meister"; die Ideenträchtigkeit u. d. gesellschaftl. Funktion des Romans, der als „moderne" Gattung „romant." Art gilt, wird hervorgehoben, ebenso die Eignung zur Entfaltung der romant. Ironie. S. 214. B e r ü c k s i c h t i g u n g in der F o r s c h u n g . — Das „Gespräch über die Poesie" wird ζ. B. in einem Sonderabschnitt (V) interpretiert von 0. W a l z e l : Grenzen von Poesie u. Unpoesie (bzw. Poesie u. Nichtpoesie) Frankf. a. M. 1937, S. 112f., um nur eine der letzten größeren Publikationen über Kunsttheorie zu erwähnen. Ö. Walzel weist dabei zurück auf F r i t z S t r i c h : Die Mythologie i. d. dt. Lit. von Klopstock bis Wagner, Halle 1910, um den Bezug auf Schleiermacher zu unterstreichen. Die Walzelsche Auslegung kann als die bislang eindringlichste gelten, die frühere Deutungsversuche überholt hat, so etwa die J. M i n o r s , während M a r g a r e t G r o b e n : Fr. Schlegels Entwicklung als Literarhistoriker u. Kritiker (Diss. Köln 1931) das berühmte „Gespräch'.' wie überhaupt den Kunsttheoretiker Fr. Schi, vernachlässigt oder ihn doch nur am Rande berücksichtigt. Als Vorarbeiten hat 0. Walzel verzeichnet R u d o l f H a y m : Die romant. Schule, 5. Aufig., Bln. 1928, S. 742f„" Fr. G u n d o l f : Romantiker, Bln. 1930, S. 45t.; O t t o Mann: Der jg. Fr. Schlegel, Bln. 1932, S. 167t.; A l f r e d S c h l a g d e n h a u f f e n : Frederic Schlegel et son groupe. La doctrine de 1'Athenaeum (1798—1800), Paris 1934, S. 344f.; vgl. a. a. 0. S. 113. Gegenüber den der Klassik angenäherten frühen Abhandlungen Fr. Schlegels erscheint das „Gespräch" zwar nicht übersehen, aber doch nur unzulänglich berücksichtigt worden zu sein von A d o l f B ö g e r : Die Anschauungen d. dt. Frühromantik üb. d.

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Wesen der poetischen Gattungen, Diss. Greifswald 1922 (Maschinen-Exemplar), im Kap. 3 „Die Dichtarten im Rahmen der Kunstlehre Fr. Schlegels" (Fr. Schlegel als theoret. Begründer der romant. Schule), a. a. O. S. ioof. (Erwähnung: S. 105, 113, 158, 167, 227, 239, 287 u. a.). Immerhin wird Fr. Schlegel durch A. B ö g e r in s. kunsttheoretischen Bedeutung für d. Frühromantik gebührend hervorgehoben. Aber frühe Anpassung an die Klassik und eigene Wegfindung geraten dabei streckenweise bedenklich durcheinander. S. 215. N e u e F u n d e . (J. K ö r n e r . ) — Neue philosophische Schriften Fr. Schlegels. Eingeleitet und erläutert von J o s e f K ö r n e r , Frankf. a. M. 1935, bes. der Schlußteil: „ A u f z e i c h n u n g e n z u r Ä s t h e t i k u. P o e t i k " a . a . O . S. 331—387; Sondereinleitung J. Körners dazu S. 331 bis 362. — Das Gesamtwerk Novalis' sei vollständiger zugänglich als das Fr. Schlegels; diesem Mangel möchte J. Körner mit s. Publikationen abhelfen. Der Leser wird das begrüßen u. ebenso die Gründlichkeit der Einleitungen u. Anmerkungen. Ob damit Fr. Schlegel ein besonderer Dienst erwiesen wird, bleibt freilich dahingestellt; denn durchweg handelt es sich um (ζ. T. noch merklich tastende) Vorstufen. Und wenn — wie J. K. selber betont — Fr. Schlegels Schriften überwiegend den Charakter von Entwürfen tragen, so gilt dies besonders von jenen frühen Entwürfen. Der Abdruck aus aufgefundenen Studienheften bleibt immer eine zwiespältige Angelegenheit, nicht zuletzt bei kunsttheoret. Entwürfen; denn sie dienen oft mehr der Selbstklärung der Ansichten als der Aufklärung u. Bereicherung der Einsichten des Lesers, der ja für derartige Entwürfe eigentlich gar nicht vorgesehen war. Das gilt auch von den hier in Frage stehenden Trierer (späterhin Berliner) Studienheften, selbst dann, wenn sie — wie J. K. glaubhaft macht — nur geborgene Reste verlorener Gesamtbestände darstellen. Das „Entdeckungsjahr" war 1913; das Publikationsjahr 1935. J. K. möchte aus diesem großen Zeitabstand einen Vorwurf gegen die Liter.-Wiss. konstruieren. Vielleicht bekundet sich darin aber nur der Umstand, daß diese Funde eben doch nicht gar so sensationell waren. Es geht J. K., obgleich er weit kritischer bleibt, ähnlich wie Buchwald mit dem Fund der Abelschen Genierede (Schiller-Monographie, vgl. Bd. II dieser Darstellung). Die Finderfreude überschätzt den

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Fund u. möchte ihn zu einem Pfund machen, mit dem man „wuchern" kann (ohne daß etwas Ersprießliches wächst). Im Einzelnen: Fr. Schi, hat sich bes. 1795/96 eifrig mit ästhetischen Fragen befaßt, aber das bleiben eben doch bloße Vorfragen für den Romantiker. Es bleiben zudem mehr Vorfragen des Literaturkritikers (nach dem Maßstab der Bewertung) als Fragen des Kunsttheoretikers u. Literaturphilosophen (nach dem Wesen der Poesie) im Verhältnis zur Kunst überhaupt. Bemerkenswert für den werdenden Romantiker ist am ehesten noch die frühe Ineinsbildung von historischem u. literaturkritischem Verstehen u. weiterhin der sich bereits ankündigende religiöse Anteil. Vorerst aber sucht Fr. Schi, im „Felde" zwischen Klopstock u. Kant einen eigenen Entfaltungsraum. Der Idee nach geht es u. a. um ein objektives Prinzip des Geschmacksurteils (angesichts der Skepsis Kants). Neben der Nähe Kants, wenngleich im Sinne der Gewinnung einer eigenen Position mit Hilfe von Opposition, wird die Nähe der Ästhetik Schillers allenthalben spürbar, bes. im Bemühen, das Schöne u. Gute miteinander in Einklang zu bringen. Aber auch Schillers Ästhetik tut dem jugendlich strebenden Kunstdeuter kein Genüge; und er möchte eine „ästhetische Revoluzion" (sie!) herbeiführen, aber zugleich Gesetzgeber sein, indem er alte Gesetzestafeln zertrümmert. Und doch verwertet er allzu merklich für seinen vermeintlichen Neubau, der über ein bloßes Mosaik fremder Meinungen selten hinaus gelangt, jene Trümmer des Alten, angeblich Überholten. Und wenn er mit Begriffen wie Vielheit, Einheit u. Allheit arbeitet (a. a. 0. S. 349), so möchte man fast eine abstrakte Umschreibung von Sturm u. Drang, Klassik u. Romantik darin erkennen, wobei indessen zu berücksichtigen bleibt, daß die Romantik damals erst im Werden war. Selbst Elemente des Rokokohaften scheinen sich einzumischen in Kennwörtern wie dem „Reizenden, Anmutigen" u. d. „Leichtigkeit" (a. a. 0. S. 350, 373/74, 380 u. ö.). Aus Lessings „Laokoon" wird das Gegensatzpaar „coexistent" u. „successiv" eingebaut (S. 372); kurz der eklektische Charakter dieser Studienhefte zur Ästhetik u. Poetik ist ganz unverkennbar, wie sie überhaupt für die (Früh-)Entwicklung seiner Kunstanschauung kennzeichnender sind u. für die Übergangsstufen als für die eigentlich romantische Kunstanschauung u. Literaturphilosophie. Wenn aber die dritte Anmerkung Fr. Schlegels zu § 22 seines Entwurfes einer „Ästhetik"

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auf dieser frühen Entwicklungsstufe bereits lautet: „Die Poesie ist das beste Medium unter allen Künsten zur Erscheinung der Allheit", so dämmert darin schon das letztlich religiöse Bewußtsein der Romantik ahnungsvoll auf oder auch in § 24 „Die Göttlichkeit (Erscheinung der Allheit) ist der herrschende, höchste, königliche Teil des Schönen" (a. a. O. S. 377). S. 217. D r a m a t i s c h e Theorie (z. französ. Klassizismus). — Wie Fr. Schlegel anfangs Lessing ergänzen wollte innerhalb der Romantik, so hat A. W. Schlegel streckenweise die etwas vorschnelle oder doch zeitbedingte Polemik Lessings gegen die französ. Klassik in seiner Art (u. sogar in franz. Sprache) fortgesetzt mit seiner Gegenüberstellimg von Racines „Phedre" mit Euripides' „Phädra." Die „tragödie classique" der Franzosen kommt dabei fast so schlecht weg wie bei Lessing. Überall sah der Deutsche „Rhetorik", wo der Franzose in seiner Art durchaus echt u. in seiner Art, d. h. seinem Nationalcharakter nach auch „klassisch" war; vgl. auch den „Horen"-Aufsatz: „Etwas üb. W. Shakespeare bei Gelegenheit Wilh. Meisters" (1796). Im Einzelnen Jos. Körner: Die Botschaft d. dt. Romantik an Europa, in Schrft. z. dt. Lit. f. d. Görresgesellschaft hrsg. v. G. Müller, Bd. 9, Augsburg 1929. Dort auch das Urteil Heinrich v. Collins i. d. Zeitschrift „Prometheus" (Wien 1808); dagegen S c h r e y v o g e l im „Sonntagsblatt", der erkannte, daß hier A. W. Schlegel nur gleichsam „den zweiten Teil zu Lessing" darzubieten sich anschickte. Ein Beispiel zugleich für die eigenartigen, aber unverkennbaren Überschneidungen von Aufklärung u. Romantik, zum mindesten was Fr. Schlegel u. A.W. Schi, betrifft. Sie lernten von der Aufklärung, aber nur um sie zu verleugnen. Es war mehr als billig (bis imbillig), die französ. Klassik mit Hilfe der Klassik der Antike „unmöglich" machen zu wollen. In Wirklichkeit besaß weder die Aufklärung noch die Romantik den Zug u. das Zeug, um die französ. Klassik ad absurdum führen zu können. Man verschanzte sich hinter dem eigenen Nationalcharakter, wo es darauf angekommen wäre, den fremden Nationalcharakter zu verstehen u. ihn gerecht zu würdigen. Und letzten Endes ist A. W. Schlegels Vergleichung der beiden Phädren gar nicht allzu weit entfernt von des jungen Goethes Farce „Götter, Helden u. Wieland" mit dem billigen (bis unbilligen) Vergleich der Alkeste von Euripides mit der

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„Alceste" Wielands. Man konnte sich nicht verständigen, weil man sich nicht zu verstehen verstand. Der Sturm u. Drang wie vorher die Lessingsche Aufklärung vermochte die französ. Klassik noch nicht zu verstehen, die Romantik vermochte sie nicht mehr zu verstehen. Aber beide Epochen u. Stilrichtungen vermochten auch die echte Antike nicht zu begreifen, weil sie nicht — wie ζ. T. wenigstens die Klassik — von ihr ergriffen waren. — A. W. Schlegels „Vergleichung der Phädra des Racine mit der des Euripides" (französ. Fassung „Comparaison entre la Phedre de Racine et celle d'Euripide", Paris 1807) bot ein Vorspiel zur modernen vergleichenden Literaturgeschichte, vgl. dazu die an sich überwiegend biographische, ζ. T. freilich auch polit. Darstellung auf Grund unveröffentlichter Briefe von Pauline G r ä f i n de Pange: Aug. Wilh. Schlegel u. Frau v. Stael, dt. Übers., Hambg. 1940, S. 140. — Der Mitbegründer des „Journal des Debats" Dussault sah denn auch in dieser Gegenüberstellung nicht nur einen Angriff auf Racine, sondern auf die französ. Literatur überhaupt. Von anderer Seite erkannte man in dieser Schrift A. W. Schlegels geradezu den „Ausgangspunkt der romantischen Revolution in Frankreich", a. a. 0. S. 142. A. W. Schlegel war sich der Anknüpfung an die Polemik sehr wohl bewußt: „Und trotzdem war meine Kritik noch sehr gemäßigt, wenn man die Polemik Lessings dagegen hält, der vierzig Jahre früher die drei Trauerspiele (Ratines) .Rodogune', ,Merope' und .Semiramis' mit Spott überhäuft hatte." Die Rückversicherung der romant. Kritiker bei dem aufklär. Kritiker Lessing wird in derartigen Einzelfällen überraschend evident. — Die Anschauung Maria J o a c h i m i s , daß nicht der Roman, sondern das Drama für Fr. Schlegel die ranghöchste Gattung bzw. Dichtungsart darstelle, wird von A. Böger a. a. O. (1922) S. 282 in einer Anmerkg. bekämpft; die Rangerhöhung des Dramas sei nur f. d. erste (noch der Klassik nahe) Frühstufe nachweisbar. Aber selbst i. d. Briefen seiner Frühzeit habe Fr. Schi, den Roman sehr hoch eingestuft. Kritisch ist zu sagen, daß A. Böger i. s. Darstellung die Theorie des Dramas merklich vernachlässigt, so daß ihm ein verläßliches Kriterium f. eine zuverlässige Rangstufung der Gattungen fehlen dürfte; denn einerseits überwiegt die Theorie der Lyrik, andererseits die Theorie des Epos (die ihrerseits merkl. der Klassik nahebleibt) u. des Romans.

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S. 225. Ludwig Tieck (Exkurs: werkimmanente Poetik). — Man hat versucht, das Wesenseigene d. Gestaltungsweise Tiecks zu erfassen unter dem Merkwort der Anpassungsfähigkeit u. Wandlungsfähigkeit Tiecks, indem man ihn in seiner Eigenschaft u. Eigenart als den „Schauspieler", als den Proteus oder gar als das „Camäleon" unter den Schriftstellern der Romantik bezeichnet hat. Das alles bleibt beträchtlich bis bedenklich an der Oberfläche. Sehr viel tiefer greift die Deutung Η. A. K o r f f s , die an u. von Tieck den Sondertypus der „romant. Ironie" abzuleiten unternimmt, ein Unternehmen, das berechtigt ist, indem es zugleich bereichert. Denn kaum jemand sonst verwirklicht im Kunstschaffen u. dem dahinter stehenden Kunstwollen so instruktiv das strakturbedingende u. formgesetzliche Prinzip der „romant. Ironie" in so ausgeprägter Weise wie die epische u. dramat. Dichtung L. Tiecks. So ist es kein Wunder, wenn es Η. A. Korff in einem bewundernswürdigen Grade gelungen ist, die dichter. Gesamterscheinung u. Gesamtleistung Tiecks unter das Merk- und Kennwort einer spezifisch „romantischen Ironie" zu stellen, Geist d. Goethezeit III (Frühromantik), 2. Aufig. 1949, S. 502ff., wobei die Widersprüchlichkeit von „Scherz u. Ernst" u. deren produktive Ineinsbildung in den Vordergrund gerückt worden ist. In der Tat kulminiert das Kunstwollen u. die Kunstleistung Tiecks in der „romant. Ironie"; aber Kunstwollen u. Kunstleistung erschöpfen sich nicht darin u. damit. „Romant. Ironie" erscheint als das Formungsprinzip (im Sinne P. Böckmanns) nicht allein in persönlichen Bekenntnissen wie etwa: „Der Gegensatz des Scherzes u. des Ernstes ist für mein Wesen durchaus notwendig", sondern auch als werkimmanente Poetik sowohl in Großwerken wie dem „ K a i s e r O k t a v i a n " , als auch in Nebenwerken wie in den literatursatirischen, romant. ironischen Komödien „ D e r g e s t i e f e l t e K a t e r " u. Märchenspielen wie dem „ L e b e n u. T o d des k l e i n e n R o t k ä p p c h e n s " oder dem „ L e b e n u. T o d des k l e i n e n T h o m a s , g e n a n n t D ä u m c h e n " , ganz abgesehen vom „ P r i n z e n Z e r b i n o " . Ob nun Tieck auf das Volksmärchen oder das Volksbuch (legendären Gepräges: Genoveva, märchenhaften Gepräges: schöne Magelone) zurückgreift, immer erfolgt notwendig bis notgedrungen eine Transponierung aus dem naiven Ernst der Vorlage in den romant.-ironischen „Scherz" u. das ernsthafte Spiel oder den verspielten

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Ernst, dergestalt, daß der Stofftrieb aufgelöst u. der Formtrieb aufgehöht erscheint in den „Spiel"-Trieb, wobei im scherzhaften Ernst auch das Ernste spielerisch aufs „Spiel" gesetzt wird. Das Verhüllen u. Enthüllen greifen dabei organisch u. virtuos ineinander. Im Ernst bleibt der Scherz verhüllt, u. im Scherz wird der Ernst enthüllt. Der Ernst leuchtet im Scherz auf, u. d. Scherz irrlichteriert im Ernst. Dahinter steht die romant. Lehre vom Schwebezustand, nicht nur vom Schweben poetischer Art über Wesen, Wert u. Wirklichkeit, sondern auch vom Schweben zwischen Ernst u. Scherz, zwischen dem Erhabenen u. dem Erheiternden, wobei der erhöhte Begriff der klass. (u. antiken) Heiterkeit, immer noch u. immer auch merklich u. merkwürdig gebrochen von der romant. Ironie, durchleuchtet. Selbst die bes. von Wieland kultivierte rokokohafte Ironie als Vorform u. Vorspiel-Form der romant. Ironie, ja selbst die aufklärerische Satire als Vorform u. Vorspielform der romant. Literatur-Satire macht sich noch heimlich (bis unheimlich) im Hintergrunde u. gern verleugneten Untergrunde der Tieckschen Romantik (wie etwa auch bei Fr. Schlegel) geltend. Und vielleicht polemisiert L. Tieck nur oder doch auch so lebhaft gegen die Aufklärung, weil er ursprünglich so stark an ihr interessiert u. orientiert war. Schroff gesagt: zum romantisierenden Aufklärer geboren, hat sich Tieck die Rolle des aufklärerischen Romantikers erkoren, wie sich Fr. Schlegel, zum krit. Aufklärer geboren, in die Rolle des romant. Kritikers hineingespielt hat, bis ihm der Katholizismus jenen Halt gab, den er durch eigene Haltung nicht zu gewinnen vermochte. Tieck wußte nie recht, was er wollte, u. wollte nie recht, was er wußte. Und er wurde nicht Romantiker, weil er auswählte zwischen den gegebenen Möglichkeiten, sondern weil er auswich in die möglichen Gegebenheiten. So wurde ihm aus der Neigung eine Nötigung. Er entschloß sich letztlich aus lauter Unentschlossenheit zur Romantik; er besaß für die Romantik nur deshalb eine Schwäche, weil ihm für die Realistik (sowohl als für die Klassik) die Kraft fehlte. Seine romant. Position wird nicht zuletzt gewonnen aus einer Opposition gegen die Aufklärung. In dem Dramatiker oder vermeintlichen Dramatiker Tieck wird das offensichtlicher als in dem Novellisten. Aber auch der vielberufene „Wendepunkt" des Novellisten (u. d. Theoretikers der Novelle) erweist sich bei näherem Zusehen eher

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als eine Wendung von der Aufklärung zur Romantik als von der Klassik zur Romantik, obwohl ihm Goethes „Ferdinand"-Novelle in den „Erzählungen deutscher Ausgewanderten" dabei vorgeschwebt hatte. Und es bleibt fraglich, ob u. inwieweit für den schauspielerisch interessierten u. theatermäßig betätigten Tieck nicht selbst bei dieser Konstituierung des „Wendepunkts" die Peripethie des Dramas das eigentliche Vorbild abgegeben hat. Das würde erinnern an die zeitgemäß notgedrungene u. entsprechend notdürftige Methode des Aufklärers Blankenburg in seinem breitschichtigen „Versuch über den Roman" (1774), die Gesetze des Romans in Ermangelung maßgebender Vorbilder vom Drama her zu übertragen. In diesem Zusammenhange erhebt sich die Frage, ob L. Tieck trotz seiner theatralischen Ambitionen u. seiner dramat. Produktionen nicht eigentlich immer Novellist gewesen ist, auch in seinem Roman „Vittoria Accorombona", den man zeitweise (u. etwas sensationell) H. v. Kleist hat zuschreiben wollen. Jedenfalls wurden Tiecks Dichtungen mehr als Fragment. Und deshalb lohnt es sich, nach seiner werkimmanenten Poetik zu fragen. Gattungstypologisch scheint er mehr zu bieten für die Gesetzlichkeit der Epik als für die Gesetzlichkeit der Dramatik, mehr auszusagen über die Novelle als über das Drama; denn er begnügt sich durchweg mit einem bloßen Dramatisieren. Wohl aber birgt etwa sein „Kaiser Oktavian" die Formgesetzlichkeit des romant. Theaters weitgehend in sich, wobei das Schwanken u. echt romant. „Schweben" zwischen Komödie u. Tragödie keine künstlerische Benachteiligung, sondern im Sinne der Romantik eine Bevorzugung in sich birgt. Indem Tieck von der Schauer- u. Schicksalsromantik auch im Drama („Karl v. Berneck") ausging, wobei die Stimmung eines trüben, nebligen Septemberabends mitwirkte, ohne daß man sogleich an Ernst Barlachs symbolistisches mehr als expressionistisches Drama (bzw. dramat. Dichtung) „Der tote Tag" denken müßte, also von einer Tragik mehr niederdrückender als erhebender Art, und an das Stimmungs- u. Schicksalsdrama im Gefolge von Schillers „Braut von Messina" (u. deren Nachfolgern) anknüpfte, wurde er zum Ahnherrn u. Anreger für das Schicksalsdrama im 1. Drittel des 19. Jh.s. Indem er Anschluß suchte an Goethes „Stella" mit dem Kurzdrama „Der Abschied" (1792), gelangt er im Wesens- u. Wertbezirk der romant. Neubelebung des Märchens einer-

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seits u. d. Volksbuches andererseits zu dem „Genoveva"Drama u. vor allem zu dem „Kaiser Oktavianus"-Drama. Dabei stand Tieck der Tradition nicht mit Ehrfurcht (wie die Brüder Grimm), sondern eben mit romantischer Ironie gegenüber. Wenn A. W. Schlegel mit Bezug auf den Dichter des „Blonden Eckbert" meint, die „Quintessenz seines ganzen Wesens" in der Strophe von der „Waldeinsamkeit" (das Wort hilft L. T. einbürgern) erkennen zu können, so dürfte das letztlich eine wohlwollende Schmeichelei gewesen sein. Und wenn die Prägung von der „Mondbeglänzten Zaubernacht / Die den Sinn gefangen hält", den Prolog der als Personifikation auftretenden Romanze („Genoveva"Drama) bekanntgemacht (u. erhalten) hat, so dürfte dabei der formulierende Kritiker L . T . mindestens ebensosehr das Wort gehabt haben wie der gestaltende Dichter, der sich in solchen Fällen merklich (u. künstlich) in eine Stimmung versetzt, die von vornherein „romantisch" sein sollte u. wollte. Das Kunstwollen L. Tiecks tendiert überhaupt oder überwiegend zur Absichtsdichtung, die dem Dilettantismus bedenklich nahe bleibt, natürlich jenem höheren Dilettantismus, wie er Goethe u. Schiller in ihrer bekannten Abhandlung vorschwebte. Aber eine bewegliche, bewußt lenkbare Phantasie hat ihm etwas gegeben, was dem Dichtertum im vollwertigen Sinne nahe kommt; sie hat ihm vor allem die Voraussetzung mitgegeben zu jener schier grenzenlosen Umstimmungsfähigkeit (u. Einstimmungsfähigkeit) virtuoser Art, die Fr. Schlegel im Athenäumsfragm. 116 vom echten u. rechten romantischen Dichter forderte. Man braucht nur einmal neben jene scheinbar „schlichten" Klänge (die wiederum nur Goethe abgehorcht waren) des Gemüts die schroffe Dissonanz seiner sog. „Dämonie" zu stellen, die sogar Sonderuntersuchungen auf den Plan gerufen hat (Willi B u s c h : Das Element des Dämonischen in L. Tiecks Dichtungen, Diss. Münster 1911; M a r i a n n e T h a l m a n n : Probleme d. Dämonie in L. Tiecks Schriften, Weimar 1919), um jene wunderbare (bis wunderliche) Wandlungsfähigkeit zu ermessen, die ihm eigen war u. bis zuletzt, da er der Romantik weitgehend abgeschworen hatte, eigentümlich blieb. Man braucht nur einmal die situationsgegebene Sensations-Schriftstellerei seiner Frühzeit, die sich an den Aufklärer Fr. Nicolai anschloß, mit der ehrgeizigen u. dichterisch ehrenvollen Novellen-Produktion

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seiner Spätzeit zu vergleichen, um jene Variabilität u. jenen Variantenreichtum, der dennoch irgendwie eine künstler. Armut blieb, bestätigt zu finden. Indem (u. weil) L. Tiecks Kunstwollen stets bereit war (u. allzu willig war), dem herrschenden Zeitgeschmack ein Opfer zu bringen, wurde er selber als Dichter in seiner Kunstleistung ein Opfer der Kunstrichtungen u. Geschmackswandlungen, die er durchlief. Und so glaubt man ihm weder die Notwendigkeit, „romantisch" zu dichten, noch die späte Neigung, in den Realismus hinüberzuwechseln. Der unverkennbar aufklärerische Einsatz, den T. an sich mit Kleist teilt, kann nicht einmal vom nachweisbaren Einfluß Jakob Böhmes wirksam überwunden werden, ganz abgesehen davon, daß es eigentlich weit mehr der kritische Denker u. dichtende Deuter L. T. war, der diese J. Böhme-Rezeption erlebte u. erlitt. Kein Wunder, daß er eigentlich erst zu sich selber kam, als er von der Romantik „verlassen" war. Aber auch diese Stufenfolge von Aufklärung, Romantik, Realismus erfolgt bei L. T. nicht auf der Höhenschicht H. v. Kleists, sondern kennzeichnenderweise unter ständiger Bedrohung der „Kunst"Dichtung durch eine freilich gehobene Unterhaltungsliteratur, wie denn das „Dämonische" bis zuletzt dem Schauerromantischen verdächtig (u. bedenklich) nahe geblieben ist. So ganz verabschiedet hat L. T. die Schauerromantik niemals, so sehr er auch ihr künstler. Niveau zu heben getrachtet (u. gestaltend vermocht) hat. Die Art, wie Vittoria Accorombona ermordet wird, spricht überzeugend davon. Und ebenso wie der tödliche Dolch dort das Herz nicht sogleich trifft, sondern wollüstig umherbohren muß, so hat auch L.Tieck den Zeitgeschmack nie im Zentralstoß voll getroffen, sondern immer nur die Grenzbezirke, die Grenzbezirke nämlich, die zwischen Aufklärung (Frühzeit), Klassik, Romantik u. Realismus liegen. Das aber bedeutet, daß der „Romantiker" L. Tieck ständig auf andere Stilepochen angewiesen blieb, um seinen Eigenwert auch nur annähernd verwirklichen zu können. Kurz, das echt romantische „Schweben" wird bei L. Tieck bereits zum unentschlossenen Schwanken. Er ist überall heimisch, weil er sich nirgends zu Hause fühlt. L. Tieck bleibt der bedeutendste Novellist, der aus der älteren Romantik hervorgegangen ist. Aber er wird es nur, indem er sich von der Romantik löst. Er ist zuletzt doch weit mehr ein Anreger (ζ. B. für Cl. Brentano, Ε. Τ. A.

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Hoffmann, Κ. Immermann) als ein Gestalter von dauerkräftigem Eigenwert, wie er denn andererseits ein Angeregter geblieben ist (so von Wackenroder, Shakespeare, Steffens, Schelling u. a.). Und wo er den Zugang zum „Neuen" aufzuschließen glaubte, blieb er doch in Wirklichkeit immer nur ein Durchgang. Er war ein Weg·bereiter, aber kein Wegbahner. Seine Kunst-Möglichkeit verdichtete sich nirgends zur Kunst-Mächtigkeit. Er verharrte bei der romantischen Ironie, weil er der realistischen Satire nicht voll gewachsen war. Sein Kunstwollen schien unbegrenzt zu sein (auch hinsichtlich der Gattungen); aber sein Kunstkönnen verwies ihn nach mancherlei Irrfahrten zuletzt doch wieder auf die Novelle. Und so kann es nicht überraschen, daß auch seine dramatischen Großwerke wie „Genoveva" oder „Kaiser Oktavian" letzten Endes doch wieder u. doch auch wie dialogisierte Legenden oder Novellen wirken. Trotz der theatralischen Ambitionen gehört dergestalt L. Tieck in der Kernsubstanz seiner Kunstleistung der Epik zu, nicht der Dramatik, wenngleich einer Epik mit dramatischem Einschlag. Eben deshalb aber wiegt die Schwenkung des späten Tieck zum Frührealismus hin keineswegs so leicht, wie es ζ. T. die Sonderforschung (so ζ. B. F. Heinrichs im Tieck-Abschnitt ihrer Diss, von 1948, Masch.-Expl., üb. d. „Aufgabe des Dichters nach d. Auffassung d. Frühromantik" S. 25) hinstellen möchte. S. 231. B e w u ß t h e i t s - U n b e w u ß t h e i t s - P r o b l e m (Schelling). — 0 . Walzel: Grenzen von Poesie u. Unpoesie (1937) weist darauf hin, daß hinsichtlich der „Einheit des Bewußten u. Unbewußten" u. des Verhältnisses von unbewußter Tierheit u. bewußtem Menschsein eine Bemerkung Frz.v. Baaders die Schrift Schellings „Über das Wesen der menschlichen Freiheit" (1809) beeinflußt habe, a. a. 0 . S. 153. Allgemein nimmt einen starken Einfluß Baaders auf Schelling an D a v i d B a u m g a r d t : Frz. v. B. u. d. philosoph. Romantik (1927), bes. S. 23of., wobei gemeinsame Beziehungen zu Ritter, G. H. Schubert u. H. Steffens hervorgehoben werden i. d. Münchener Zeit. S. 235f. P o e t i s c h e R e f l e x i o n u. r o m a n t i s c h e Ironie. — In dem recht kurz gehaltenen 2. Kap. „Romantisierung d. Poetik" in Teil I I I (Frühromantik) von Η. A. K o r f f s „Geist d. Goethezeit", 2. Aufig. (1949), S. 278—303 wird mehrfach das Problem der romantischen Ironie berührt 37 M a r k w a r d t , Poetik III

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(a. a. 0. S. 280/81), während die poetische „Reflexion" gleichsam nur am Weg mitgenommen wird (a. a. 0. S. 283). Dabei deutet Η. A. Korff die „romant. Ironie" als die Überwindung des (klassisch) Gegenständlichen, während das Kunst-Werk als solches keine Relativierung erfahren habe. Von der Poetik (u. ihren Entwicklungsvorstufen) her gesehen, erfolgt aber doch eine geistig reflektierende Brechung des klassischen Willens zum Werk. Denn die romant. Ironie bietet sich nicht zuletzt dar als eine Aufhebung des Werkwillens der Klassik (das Fragment als notwendiger Ausdruck des romant. Darstellungswillens). Und nicht von ungefähr ruft auch Η. A. Korff in diesein Zusammenhange den „Spiel*'-Begriff einerseits zur Hilfe u. andererseits den Begriff des „interesselosen Wohlgefallens" (a. a. 0. S. 279). Man kann in der Tat ohne diese Hilfsbegriffe die romant. Ironie nicht befriedigend erläutern. Es wäre sicherlich fruchtbar gewesen, wenn Η. A. Korff diese Ausgangsposition, deren grundlegende Strukturen bis auf die Aufklärung zurückreichen, konsequent beibehalten hätte in dem Sonderabschnitt üb. d. „Romant. Ironie", a. a. O. S. 502—523, oder wenn er diesen Abschnitt im Rahmen jener allzu straff umgrenzten „Romantisierung der Poetik" behandelt hätte. Denn die Forderung u. Rechtfertigung der romant. Ironie ist fraglos ein Kernstück der romant. Literaturphilos. u. Poetik. In diesem Sonderabschnitt üb. d. „Romant. Ironie" interpretiert Η. A. Korff im Wesentlichen (u. Wertvollen) die Ironie im Sinne einer werkimmanenten Poetik, wobei er mit an sich sicherem Ansatz von L.Tieck ausgeht. Aber dabei überwiegt nun die Vorstellung, als ob die romant. Ironie letztlich doch „eine Flucht in den Scherz" (S. 503) darstelle, weil der Romantiker dem vollen Lebensernst (der Klassik, also der Goethezeit im engeren Sinne) nicht mehr gewachsen gewesen sei. Η. A. Korff gewinnt dank dieser Sicht u. Einsicht u. a. den wesentlichen u. wertvollen Ertrag, daß ζ. B. Hölderlin kein „Vollromantiker" gewesen sei, weil er dieses Umbrechen i. d. romant. Ironie gescheut u. in Wahrung seines Eigenwesens also auch vermieden habe. Η. A. Korff behält merklich den Wertmaßstab der Klassik als des Zentrums der „Goethezeit" bei, wenn er der Frühromantik die Kraft aberkennt, zu einer „ernsthaften Uberwindung des Lebens aus sich selbst" zu gelangen; denn „mit der Flucht in den Scherz weicht die Romantik dem Ernste der Klassik aus" (S. 505) ·

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im Sinne einer „spielerischen Geisteshaltung", ja einer „Scherz-Vergottung". Was bei dieser geistesgeschichtlichen Konstruktion anspricht, ist die zwar von Η. A. Korff nicht durchgeführte Rückbeziehung auf die rokokohafte Ironie (Wieland) des Rokokoklassizismus. Die Entwaffnung des Ernstes der Leidenschaften durch die Komik bei Wieland, die im Rokokoklassizismus Wielands der Entwaffnung und Unschädlichmachung der Leidenschaften durch die Vernunft bei Lessing (Aufklärung im engeren Sinne) entspricht, hätte entwicklungsgeschichtlich den Zugang zum tieferen Verstehen u. Deuten der romant. Ironie erleichtern helfen können. Dann wäre das Populär-Machen u. Vulgär-Machen der romant. Ironie durch merklich pädagogische Stützen wie etwa den „Galgenhumor" kaum erforderlich gewesen, also durch Stützen, die kunstphilosophisch eben doch kaum voll befriedigen können, um die romant. Ironie zu umschreiben, ebensowenig wie der gerade bei Tieck naheliegende Seitenblick auf die Schauspielkunst, die ihre Rolle nur „spielt" u. mit ihrer Rolle nur „spielt", ohne sie wirklich ernst zu nehmen. Parodie, Karikatur, Satire (Tieck) sind doch nur mögliche, nicht notwendige Äußerungsformen d. romant. Ironie. Es sind Wirkungsformen, nicht Wesensarten. Das Wesen der romant. Ironie liegt wesentlich tiefer. Und man muß zunächst einmal das Typische der romant. Ironie erkennen, wenn man die karikaturistische Überhöhung ertragen will. Sehr glücklich ist dagegen Η. A. Korffs blitzlichtartig erhellende Prägung, daß L. Tieck ζ. B. dank der romant. Ironie immer wieder u. immer wirksam eine „eingebildete Bildung" (S. 507) dargestellt u. bloßgestellt habe, ebenso die andere, daß das Ausspielen der Romantik gegen die Aufklärung doch immer nur ein „Spiel" geblieben sei, das nicht entschlossen ist, nun wirklich einmal „Ernst" zu machen. Die ernsthafte Wichtigtuerei der Aufklärung konnte in diesem Sinne nicht durch die romant. Wichtigtuerei der Komödien Tiecks überwunden werden. Und so ist es begrüßenswert, wenn Η. A. Korff an dieser Stelle vorausweist auf Cl. Brentano u. dessen Komödie „Ponce de Leon", die bis auf G. Büchners „Leonce u. Lena" (neben A. de Mussets „Fantasio") hinübergewirkt hat. Brentanos romant. Ironie überspielt noch das Sinnspiel durch das Wortspiel. Zugleich aber „spielt" dergestalt die romant. Ironie der Frühromantik in die der „Hochromantik" hinüber. Das Wesentliche u. Wesenseigene aber bleibt m. E. das Spiel

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nicht nur mit der Wirklichkeit u. die Flucht vor ihr „in den Scherz", sondern das kunstvolle u. reflektionsreiche Spiel auch noch mit dem Werk als Kunstwerk. Das Typische der interesselosen Zweckbefreitheit (älteren Gepräges) findet so den Zugang zur Übersteigerung des Typischen zur Karikatur u. z. Satire, die ihrerseits umschlägt in ein zum mindesten immanent u. latent Zweckvolles u. Planvolles. Und wie das Wunderbare der Romantik übergeht in das Wunderliche, so auch geht wiederum dieses Wunderliche der Romantik über in die „romantische Ironie". Man schwebt zwischen diesen Werten u. Welten, weil man u. wenn man die wirklichen Werte in Frage stellt, weil man die ewigen Werte bejaht. Auch Tiecks „ironische" Märchendichtung wird unter diese Leitidee der romant. Ironie gestellt, wie denn überhaupt jener Abschnitt üb. d. „romant. Ironie" im wesentlichen um die Dichtungen Tiecks herumgeschrieben worden zu sein scheint u. zwar in einem feinen Gefühl f. d. werkimmanente Poetik in L. Tiecks Gesamtdichtung, wobei die „tiefere Bedeutung" aus GrabbesTitelgebung nicht zufällig ausgeschaltet bleibt. S. 235. N a c h w i r k u n g d. „ W i l h . M e i s t e r " . — D a b e i ist freilich zu berücksichtigen, daß die „Theatralische Sendung", die noch stärker die Kunsttheorie einbezieht, ζ. B. im Gespräch Meister — Werner üb. d. Einheiten, damals noch nicht aufgefunden u. also auch nicht bekannt war, was gelegentlich übersehen worden zu sein scheint. S. 238. S o n d e r f o r s c h u n g . — Vgl. u. a. die Sonderuntersuchung F e r d i n a n d W a g e n e r : Die romant. u. d. dialektische Ironie, Diss. Freiburg 1931 (Buchform: Arnsberg i. W.). — C a r l E n d e r s : Fr. Schlegel, die Quellen seines Wesens u. Werdens, Lpz. 1913, S. 359 f. S. 246t. D a s P r o g r e s s i v e u. U n i v e r s a l e . — C a r l E n d e r s : Fr. Schlegel, die Quellen seines Wesens u. Werdens, Lpz. 1913, Kap. V I Einheit-Allheit, die progressive Universalpoesie a . a . O . S. 35if.; dort wird die Einwirkung seitens Hemsterhuis' betont. An die Stelle des Querelle des Ancients et des Modems tritt die „absolute Identität des Antiken u. Modernen". Die formale Verschiedenheit ist nicht entscheidend. „Aus dem, was die Modernen wollen, muß man lernen, was die Poesie werden soll, aus dem, was die Alten tun, was sie sein muß" (LyceumsFragment 84). Insofern kritisiert Fr. Schlegel seinen Ver-

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such „Über das Studium der griechischen Poesie", weil dort die romant. Ironie (die Erhebung zum Absoluten im Sinne des Abstandes) gefehlt habe. Sonderdefinition der progressiven Universalpoesie a. a. 0. S. 363/64. Indessen wird bei C. Enders zu wenig in Rechnung gestellt die Einmündung des Universums im Sinne der romant. Weite des Wunders. Und es genügt auch nicht, etwa das Universale der Religion gegen das Speziale der Nation auszuspielen. Vielmehr führt das Progressive zum Universalen, wie das Universale notwendig das Progressive in sich schließt. Nur soweit das Progressive zugleich universal ist, muß das Universale zugleich progressiv sein — und umgekehrt. Diesen wechselseitigen Bezug unterschätzt C. Enders. Das Progressive tendiert von vornherein zum Universalen, wie das Universale das Progressive voraussetzt. Ihre Identität birgt das Progressive in sich, das ohne das Universale in einer „romantischen" Sehnsucht befangen bleibt. — Vernachlässigt wird das Progressive u. Universale im Fr. Schlegel-Abschnitt (u. auch sonst) i. d. Sonderuntersuchung von A d o l f B ö g e r : Die Anschauungen der dt. Frühromantik üb. d. Wesen d. poet. Gattungen Diss. Greifswald 1922 (Masch.-Exempl.). Nur gelegentlich der Würdigung der Romantheorie Fr. Schlegels fällt einiges ab (a. a. O. S. 239^). Das Prinzipielle aber wird trotz gelegentlicher u. zudem recht flüchtiger Bezüge offensichtlich nicht erkannt. Es wäre vorteilhafter f. d. an sich i. d. Themastellung dankenswerte Sonderuntersuchung gewesen, wenn derartige Grundbegriffe der Romantik herausgearbeitet worden wären, statt — wie es nun geschieht — billiger Abhebungen vom „Rationalismus". Der Sonderabschnitt üb. Fr. Schi., offenbar ein Kernstück der gesamten Untersuchung, leidet unter dem Vermischen des Nachklassischen mit dem Frühromantischen (ζ. B. betreffs der Theorie des Epos, a. a. 0. S. I37ff.). — Reichlich beiläufig u. oberflächlich berührt eine andere Masch.-Diss. von F r i e d l u i s e H e i n r i c h s : Die Aufgabe des Dichters nach d. Auffassung d. Frühromantik, Bonn 1948 das Problem d. progressiven Univ.-Poesie, so etwa im Fr. Schlegel-Abschnitt, a. a. O. S. 54, wo es letztlich nur als eine Verlegenheitslösung u. ein Ausweichen aufgefaßt u. dargestellt wird. S. 2 5 9 ! P h a n t a s i e f r e i h e i t u . N a t u r n a c h a h m u n g . — Während die Phantasiefreiheit durchweg i. d. Sonderforschung voll

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zu ihrem Rechte kommt, tritt das Verhältnis d. Romantik z. Naturnachahmung vielfach über Gebühr zurück. Vielleicht wollte F r i e d l u i s e H e i n r i c h s : Die Aufgabe des Dichters nach der Auffassung d. Frühromantik, Diss. (Masch.-Expl.) Bonn 1948 ein Gegengewicht bieten, indem sie in ihren Sonderabschnitten üb. Tieck, Fr. Schlegel u. Novalis, nachdem sie jeweils die „Eigenart" der einzelnen Träger frühromant. Kunstauffassung (unter denen ihr Fr. Schlegels Eigenart bes. kompliziert erscheint) gewürdigt hat, dem „Verhältnis zur Natur" besondere Aufmerksamkeit widmet. Dabei schießt sie nun ihrerseits wiederum über das Ziel hinaus; denn die „Natur" hat zum mindesten f. d. Frühromantik nicht entfernt jene Bedeutung, die ihr Fr. Heinrichs zuweist. Der Begriff der „Naturpoesie" (J. Grimm) aus der Kunsttheorie d. jüngeren Romantik darf nicht so ohne weiteres auf die Frühromantik zurückübertragen werden. Die Meinung vollends, daß Fr. Schlegel durch das selbstkrit. Bewußtsein seines eigenen Mangels an Naturanschauung zur Forderung einer poet. Mythologie gelangt sei, vergröbert bedenklich Ansichten, die F. H. bei maßgebenden Forschern angetroffen (aber kaum restlos verstanden) hat. Ohne Einbeziehung der Kunstanschauung A. W. Schlegels dürfte es zudem sinnarm (bis sinnlos) bleiben, von der Naturauffassung d. Frühromantik zu handeln. S. 274f. D a s R e l i g i ö s e u. M y s t i s c h e . — Η . A. K o r f f : Geist d. Goethezeit Teil IV (Hochromant.) 1953, Einleitung S. 31 „Denn Romantik ist eine religiöse Weltanschauung, ein religiöses Lebensgefühl" . . . Um den Zusammenhang mit der „Goethezeit" zu sichern oder zu verstärken, setzt Η. A. Korff hinzu „der offene Durchbruch der bis dahin mehr geheimen Religiosität der Goethezeit". Dieser „geistesgeschichtl." Zusammenhang wird in den Leitideen der „Einleitung" weiterhin durch den Begriff der „Kultur" hergestellt, indem das Christentum nicht als Eigenwert betrachtet, sondern vorwiegend u. durchgängig als Beziehungswert auf die Kultur gewürdigt wird. Die „kulturgründende und -erhaltende Macht der Religion" wird hervorgehoben. Termini wie „Abendland" und „Kulturkreis" erinnern etwas an Oswald Spengler. An sich kam das Christentum als Christentum eben doch aus dem „Morgenlande", was nicht nur Herder, sondern etwa auch Frz. v. Baader noch voll gegenwärtig war. In entsprechen-

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der Weise rückt Η. A. Korff in Gedankeneinheit mit seiner Gesamtkonzeption das Transzendentale der Philosophie sehr nah an das Transzendente der Religion heran. Der Bezug auf die Mystik J. Böhmes verbesondert sich als „kuriose Sympathie für Jacob Böhme". Und es gehört die ganze konstruktive Fähigkeit, ja Genialität Η. A. Korffs dazu, um die Romantik (bes. auch hinsichtl. der „Hochromant.") irgendwie überzeugend an die Goethezeit im engeren Sinne heranzurücken. Damit nun auch dürfte es zusammenhängen, daß Η. A. Korff ein Überwiegen des religiösen Zuges für die Frühromant. in Anspruch nimmt (S. 10), während in der Hochromant. (jüngere Romant.) der „nationale Zug" den Primat errungen habe. Wäre der Wertmaßstab eines „positiven" Christentums angelegt worden, so müßte recht eigentlich die Hochromant., also die jüngere Romant. die Prävalenz der religiös-christl. Tendenz vertreten (u. nicht die Frühromant.). Erscheinungen wie Cl. Brentano, Frz. v. Baader, Zachar. Werner, Eichendorff sprechen eindeutig dafür, ebenso die „Welle von Konversionen zur kathol. Kirche". Aber schon der Umstand, daß diese „Welle" erwähnt wird (S. 12), beweist, daß Η. A. Korff die Tatbestände, die seiner Leitthese: „In der Frühromant. hat der religiöse Zug die Führung" zu widerstreiten scheinen, keineswegs übersehen hat. Aber er hat, ganz abgesehen davon, daß er dort „religiös" u. nicht „christlich" sagt (u. offenbar bewußt setzt), die konstruktive Lösung in Bereitschaft, daß der national-histor. (bes. d. histor.) Zug d. jg. R. es mit sich bringt, daß auch das Religiöse sich national-histor. verbesondert u. verengt als eine Wieder-Holung des mittelalterlichen Christentums der „alten" Kirche. Der philos.-schöpf. Sinn der Frühromant. habe, so gedacht u. gedeutet, den Willen zur „Entwicklung" in sich geborgen, während die spätere Romantik sich vielfach (u. ζ. T. allzu vielfach) mit einer bloßen „Wiederherstellung" begnügt habe. Von der Poetik her gesehen (unter Einschluß d. werkimmanenten Poetik) liegen die Dinge m. E. so, daß die jüngere u. spätere Romant. sowohl den christl. als auch den nationalhistor. „Zug" der Frühromant. wesentlich verstärkt hat. Nur fällt die Verstärkung des nationalen u. histor. Zuges mehr ins Auge u. mehr ins Gewicht, weil dieser Zug in der Frühromant. (gewiß auch vorhanden, aber) weniger weit ausgebildet worden war. Umgekehrt fällt die Ver-

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Stärkung des religiösen Antriebs weniger auf, weil er schon in d. Frühromant. verhältnismäßig reicher ausgebildet erscheint. Nur wenn man die Religiosität stark an den Idealismus anlehnt, indem man sie zunächst u. vorzüglich als Kulturträgerin bewertet, kann die Frühromant. i. diesem Betracht als überlegen gelten. Die „Welle des Idealismus" aber kulminiert für Η. A. Korff in der Klassik u. Frühromantik, a. a. 0. S. 17. Von hier aus, von der ideelichen, kulturpolit. Bewertung der Religion aus wird nun vollends jene Entscheidung Η. A. Korffs verständlich u. auch in ihrer Art u. von ihrem Blickwinkel aus einleuchtend, daß nämlich i. d. Frühromant. die religiöse Leitkraft wertmäßig überwogen habe. Denn nicht von ungefähr formuliert Η. A. Korff so: „Die Religiosität (nicht das Christentum!) dagegen sinkt unter ihre eigene Idee zurück (!), indem sie sich unter Preisgabe der Freiheit des Geistes (philosoph. Religion bzw. religiöse Philos.) ganz von der Überlieferung (histor. Zug d. Hochromant.) in Fesseln schlagen läßt", a. a. 0. S. 15. Philosophie als „Religion" u. „Religion" als Philosophie spielen dabei dialektisch ineinander hinüber. Von der formulierten u. werkimmanenten Poetik aus beurteilt, erscheint mir bes. wertvoll die gewiß vereinfachende, aber eben deshalb das „Typische" treffende Entscheidung Η. A. Korffs: die Frühromantik sei die „idealistische Phase" d. Romant., die Hochromant. (jüngere R.) sei die „realistische Phase" d. Romant., a. a. 0 . S. 16. Freilich darf dieser „realistischen Phase" nicht das Ferment des Religiös-Mystischen entzogen werden, das Η. A. Korff weniger gemäß zu sein scheint u. sein muß, da er vom Spezifikum der „Goethezeit" ausgeht u. immer wieder darauf zugeht. Von der Poetik u. Literaturphilosophie aus gesehen, hat die ältere, die Früh-Romant., die Religion oder das Religiöse i. d. Dienst der Kunst oder doch der (vorherrschend künstlerischen) Kultur gestellt, während die „Hochromant." als jüngere R. die Dichtung letztlich in den Dienst der Religion zu stellen geneigt ist. Der Umschwung von der christl. zur nationalen R. erfolgt dort eben nur so u. kann nur erfolgen, dadurch daß das Volkstümliche u. Nationale gleichsam vergottet, ja verchristlicht wird; vgl. die religiös-christlichen Voraussetzungen der Idee vom „Volksgeist" bzw. d. „Volksseele" bei J. Grimm. Der Vergottung des Griechentums in der Klassik folgt so die Vergottung des Volkstums i. d. Ro-

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mantik, bes. i. d. „Hochromant." (i. d. jüng. R.). Aber ζ. T. sah (u. verurteilte) die jüngere Romant. bereits als eine bloße Vergötzung (d. Antike) dasselbe, was die Frühromant. notgedrungen u. notdürftig mit der Idee des Christlich-Religiösen in Einklang zu bringen versucht hatte. 0. W a l z e l a. a. O. (1937) macht sich diese Probleme verhältnismäßig leicht, während sie Η. A. Korff ernstlich anpackt. S. 274. D a s V e r h ä l t n i s v o n R e l i g i o n u. P o e s i e (Ergänzung). — Der Primat des Christlich-Religiösen tritt bes. eindeutig zutage bei Franz v. Baader. D a v i d B a u m g a r d t Fr. v. B. u. d. philos. Romantik (1927) meint, daß weder bei Wackenroder noch den „beiden Schlegels.. . oder sonstwo" die „Höchstbewertung" der spezifisch christl. Kunst u. die Abwehr der „heidnischen" Kunst so grell u. greifbar sich ausgewirkt habe wie bei Fr. v. B., dessen Kunstphilosophie kurz gewürdigt wird a. a. 0. S. 356—63, wobei die Abhängigkeit von St. Martin unverkennbar ist. Es handelt sich dabei um ein Transponieren der Transzendenz in die zudem „höhere" Realität u. um „den Durchblick der ewigen Natur in der zeitlichen" Natur, um ein Durchblickenlassen der ewigen Welt durch die irdische Welt. Die künstlerische Aufgabe sei demgemäß, „eine höhere W e l t . . . durchblicken zu lassen". Selbst Milton u. Klopstock tun Frz. v. B. kein Genüge im Raum dieser „christlichen Kunsttheorien". Aber den Leitsatz: „Alle K u n s t . . . ist . . . im Grunde christlich" hätte D. B a u m g a r d t ebenso scharf ausgeprägt finden können bei Eichendorff, der bei den Vergleichen mit anderen Romantikern zu Unrecht übersehen wird. Die Schwenkung von Spinoza zu J. Böhme ist kennzeichnend für die Neigung Frz. v. Baaders zu Extremen, wie er denn im Christlichen sehr bald das Extrem des Mystischen bevorzugt. Im Herausstellen des eigentlichen christlichen (u. nicht nur theosophisch-mystischen) Prinzips dürfte in Wirklichkeit Eichendorff überlegen gewesen sein. S. 280. R e v o l u t i o n d u r c h R e l i g i o n . — Diese freilich auf die Revolutionen in der Poesie beschränkte Aussage Eichendorffs sticht erstaunlich ab von dem mystisch-religiösen Standpunkt Frz. v. Baaders, wonach der „erste Revolutionär" kein Geringerer als der Teufel selber gewesen sei. S. 281. E r g ä n z u n g . — Angesichts des Primats des Religiösen u. Mystischen i. d. Romantik kann es kaum noch überraschen,

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daß auch die Sekundärliteratur üb. d. Romantik ζ. T. die absolute Vorherrschaft des Christlich-Religiösen zur Geltung bringt, so etwa R o b e r t U l s h ö f e r : Die Theorie des Dramas i. d. dt. Romantik, in: Neue dt. Forschungen, Abtg. Neuere dt. Lit.-Gesch. (hrsg. v. G. Fricke), Bd. I, Bln. 1935. Diese in der Stoffvermittlung vielseitige Sonderuntersuchung bleibt in der weltanschaulichen Tendenz durchweg u. durchaus einseitig. Die einseitig religiöse Deutung d. Romantik läßt U. das Wesensattribut „romantisch" geradezu gleichsetzen mit „religiös". Auf der Suche nach einem gemeinsamen Wesensmerkmal aller Romantiker glaubt er zu finden die Formel: „Gemeinsam ist allen Romantikern nur dieselbe Gottesvorstellung". Bis zu welchen Überspitzungen diese Einstellung u. Einschränkung getrieben wird, verrät die Schlußzusammenfassung, in der die Klassik mit dem Alten Testament (Gott der Gerechtigkeit), die Romantik mit dem Neuen Testament (Gott der Liebe) gleichgesetzt wird. Darin soll der „grundlegende Unterschied" zwischen Klassik u. Romantik zutage treten, a. a. O. S. 169. Demgemäß wird etwa Schillers „Braut von Messina" (an sich kennzeichnender Ansatz f. d. sog. Schicksalsdramatik im ersten Drittel des 19. Jh.s) anregend, ja wegweisend für Clemens Brentano (a. a. O. S. 153), bei dem sie ihre Transponierung von der Klassik i. d. Romantik erfahren hat; bes. denkt Ulshöfer dabei an das Märtyrerdrama Brentanos „Die Gründung Prags". Kein Wunder auch, daß die Leitidee der „Gräfin Dolores" (Achim v. Arnim) darin gesehen wird, daß die „Spur vom Ebenbilde Gottes" bei aller Verzerrung im Irdischen dennoch unverlierbar u. unverwischbar bleibt (a. a. 0. S. 145 Anmerkg.), daß Zacharias Werner besonders liebevoll betreut u. gedeutet wird (a. a. O. S. 132—143), daß Todesstimmung u. Lebensgefühl in Einklang gebracht werden als ein im höheren Dritten (des christl. Glaubens) aufgehobener Widerspruch, so etwa bei Adam Müller. Nicht zufällig sei für A. Müller das „Auferstehungsmoment" u. das „Himmelfahrtsmoment" entscheidend (a. a. O. S. 114). Die Tragödie habe nach Adam Müller in die „Unvergänglichkeit" einzumünden. Inwiefern freilich im „Egmont, Tasso, Wallenstein" das Ideal der religiösen Unsterblichkeits-Tragödie verwirklicht sein soll (a. a. O. S. 115), bleibt einigermaßen unklar. Aber allenthalben setzt R. Ulshöfer seine christlich-religiöse Tendenz nachdrück-

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lieh durch; u. man kann nicht behaupten, daß es auf geistlose Art geschieht; aber auf gewaltsame Art geschieht es mehrfach ganz unverkennbar. S. 28if. Nationales u. K u l t u r p a t r i o t i s c h e s (Dichtung u. Volk). — Ergänzend sei vermerkt die freilich zeitbedingt eingetrübte Deutung dieser Bestrebungen i. dem Aufsatz von Hermann Meyer: Frühromantische Ursprungsformen des deutschen Bewußtseins, i. Z. f. Dk„ Bd. 50 (1936), S. 520I — Kennzeichnend f. d. Tendenz ist das Sichberufen H. Meyers auf den Aufsatz von W a l t h e r L i n d e n : Umwertung der dt. Romantik, in Z. f. Dk., Jg· I 933. S. 65—91. Demgemäß beanstandet Herrn. Meyer die kosmopolitische Ausgangsstellung d. Frühromantik, so etwa Fr. Schlegels Forderungen aus dem Jahre 1797, daß die dt. Bildung in ihrer „Richtung u. Stimmung der Menschheit entspreche", daß die dt. Bildung u. Kunst ihren Vorteil bewahren solle, sich freizuhalten von einer Umschränkung durch die nationale Eigenart usw., wobei H.M. das v. ein. Athenäumsfragment monierte „Bardengebrüll" offenbar mißtönend in das germ. Leitmotiv hineinklingt. — An positiven Werten begegnet durchweg das Bekannte; bei Novalis und Tieck scheint die nationale Bezogenheit bes. ausgeprägt. Im „Sternbald" (1789) habe Tieck der altdeutschen Kunst gehuldigt (Dürer u. Lukas v. Leyden); bes. wird auf die Einleitungsworte an den Leser zu Beginn des 2. Buches Bezug genommen, die mit Wackenroders Gedanken übereinstimmen. Zum Beleg des Verhältnisses Novalis' zum Staate werden die „Fragmente" Nr. 288 u. 289 (Minor II, 270) vermerkt. Die nationalen Reflexe gelegentl. der Frankreichreise Fr. Schlegels (Bericht in der Zeitschrift „Europa" 1803) u. im gleichzeitig liegenden Aufsatz „Nachrichten von den Gemälden in Paris" werden hervorgehoben. Durchgängig wird das „universale" Element der Religion vom „nationalen" Element abgehoben, wobei Zeitbedingtes wiederum spürbar werden dürfte. — F r i e d l u i s e H e i n r i c h s : Die Aufgabe des Dichters nach d. Auffassung d. Frühromantik (1948) bringt einleitend einige Hinweise (S. 8), doch bleibt das Eingehen auf diese Fragen, etwa im Tieck-Abschnitt (S. 32—34), nur recht beiläufig u. ohne tieferes Eindringen. S. 282. Der „alte deutsche K u n s t h o r i z o n t " . — Diesen „alten dt. Kunsthorizont" läßt bes. eindrucksvoll sichtbar werden Η. A. K o r f f a. a. O. Bd. IV (2. Aufl. 1953) unter

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weitreichendem Rückgriff auf geistesgeschichtl. Entwick« lungsvorformen im i . Kap. d. II. Buches: Die nationalromantische Bewegung bis zur Frühromantik. Nicht nur auf Klopstock u. Herder, auch auf Lessings Vorarbeit wird dabei zurückgegriffen,a.a.O. S. 97/98, freilich entsprechend der Begrenzung des Gesamtwerkes zur Aufklärung hin unter Aussparung der keimhaften Ansätze bei Joh. Elias Schlegel als dem Vorläufer Lessings. Auf der anderen Seite erweitert Η. A. Korff den alten dt. Kunsthorizont zum Kulturhorizont. Was für Lessing (u. vollends Joh. El. Schlegel) nur ein Begleitmotiv, oder wie Korff es prägnant für die Geistes- u. Ideengeschichte umschreibt, ein „beiläufiger Gedanke" gewesen sei (a. a. 0. S. 101), habe f. d. jungen Herder streckenweise die Leitmelodie abgegeben, wobei die Vorstellungen: Urdichtung, Volksdichtung u. Geniedichtung wertsteigernd sich miteinander verbunden hätten. Freilich kommt die Mitarbeit Wielands nicht voll zu ihrem Recht. Das ist aber nur eine notwendige Folge des erwähnten Zurückstehens der Aufklärung, gemessen an der Betonung der Vorleistung im Sturm u. Drang (vgl. Korff Bd. I). Der Name Wieland wäre an sich „fällig" gewesen a. a. Ο. IV, S. 98. Aber der Dank dafür, daß Korff so weit zurückgegriffen hat von der Position seines Bd. IV, darf nicht umschlagen in die undankbare Forderung, daß man noch weiter zurückgreifen könnte, zum mindesten was den Beitrag der Aufklärung betrifft. Das gilt um so mehr, als es Korff in diesem Zusammenhange nicht zuletzt ankommt auf den Akzent einer „Entdeckung des 16. Jh.s", a. a. 0. S. 105. Diese Wieder-„Entdeckung" sei zunächst einmal mehr nationaler als religiöser Art gewesen, wobei der „Götz-Typus" (freies Rittertum) seine notwendige Ergänzung gefunden habe im „Sachs-Typus" (freies Städtewesen). Bei alledem habe man nicht sowohl eine Renaissance bezweckt als vielmehr eine „historische Elegie" angestimmt über den „Untergang der guten alten Zeit". Doch wäre hinzuzusetzen, daß es sich dabei immerhin bereits um eine sehnsuchtsvolle Elegie gehandelt hat. Man erging sich eben doch nicht nur in dieser Elegie, sondern man erstarkte auch kraft dieser Sehnsucht, indem das Nationalgefühl an dieser Sehnsucht sich kräftigte u. der Nationalcharakter sich seiner selbst bewußt wurde. Das gilt um so mehr, als man im Sturm u. Drang dasjenige realistisch sah, was einem in der Romantik phantasiemäßig bis phantastisch vorschwebte, wobei der roman-

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tische Begriff des „Schwebens" nicht unwesentlich mit im Spiel war. Das nationale Gewissen wurde dabei transponiert in das nationale Gemüt, eben in dem Sinne, in dem Η. A. Korff treffend das Attribut „nationalromantisch" verwendet. Aus diesem nationalromantischen Gemüt mehr als aus dem nationalen Gewissen werden sowohl die von Η. A. Korff herausgearbeiteten „Grundformen romant. Nationaldichtung" als die erneuerten „alten Dichtungsformen" u. die „Erneuerung der Volksphantasie" geboren. Denn das kulturpatriotische Gewissen wurde bereits vom Sturm u. Drang wachgerüttelt; das nationalromantische Gemüt indessen wurde erst von der Romantik wachgerufen u. entfaltet. Aber in Wirklichkeit wird hier nur formuliert, was Η. A. Korff an den gegebenen geistesgeschichtlichen Beständen u. Zuständen begrifflich-greifbar demonstriert hat. Kurz die formulierte Poetik u. die werkimmanente Poetik (die Η. A. Korff vor allem zu betreuen hat) begegnen sich in einem erstaunlich u. erfreulich hohen Grade; sie entsprechen einander, ohne sich zu widersprechen. Und selbst, wo sie sich zu widersprechen scheinen, wächst aus dem Widerspruch eine wertvolle Entwicklung des kunstphilosoph. Denkens u. Deutens; nur daß für unsere Sicht der Gesamtaspekt weiter zurückrückt in die Lösung der Lessingzeit, als es dem Geist der Goethezeit gemäß ist u. sein kann. Aber vielleicht mußte eine Kritik der unnationalen Literatur dem theoret. u. prakt. Erwerb einer National-Literatur vorausgehen, indem der National-Kritiker dem National-Autor vorausgehen mußte. Der klassische National-Kritiker vertritt dabei das National-Gewissen, der klassische National-Autor verkörpert dabei das National-Gemüt. S. 283/84. V e r t i e f u n g des h i s t o r i s c h e n Sinnes. — Η. A. K o r f f Bd. 3 (2. Aufl. 1949), Kap. 3 „Romantisierung des Geschichtsbildes", S. 304ff. Ausgehend von dem längst i. d. Poetik geläufigen Gegensatz von „Modern u. antik" gelangt Η. A. Korff zu einer „Poesie d. Zukunft" a. a. 0. S. 3iof. u. zu einer über die Nationallit. weit hinausreichenden „Weltgeschichte der Poesie" a. a. 0. S. 32of„ dergestalt daß National-Lit. u. Universalliteratur mannigfach u. unmerklich ineinander übergreifen. Denn für den Romantiker kann man zur Universal-Lit. immer nur über die Nationallit. gelangen, wie andererseits die Nationallit. nur innerhalb der Universallit. ihren eigenen Ort u. ihre

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geeignete Geltung erhalten kann. Der spez. literaturhistor. Sinn innerhalb des historischen Sinnes, die Historie der Dichtung innerhalb der Historie der Daten u. demgemäß das Verhältnis von Dichtung u. Datentreue manifestiert sich innerhalb der Frühromantik als ein Gewahrwerden des historischen Typus im Rahmen des typisch Historischen, innerhalb der Hochromantik u. „jüngeren Romantik" als ein Gewahrwerden des typisch Historischen innerhalb des Volkstümlichen. Dabei „schwebt" u. schwingt freilich gerade innerhalb der „jüngeren (Hoch-) Romantik" das typisch Historische u. der historische Typus vielfach u. mannigfach in den volkstümlichen Typus hinüber, dergestalt daß das urtümlich Gewachsene u. das historisch Gewordene kaum noch klar zu trennen sind. Der historische Sinn wird dabei bes. in der jüngeren Romantik immer wieder aufgehöht u. aufbewahrt durch das vermeintlich schöpferische Sein. Man dichtet nicht selten unhistorisch um, was man nicht historisch deuten u. umdeuten kann. Nicht nur Achim v. Arnim gegenüber (dem relativ historisch gewissenhafteren) Clemens Brentano, auch Wilh. Grimm gegenüber (dem relativ historisch gewissenhafteren) Jakob Grimm spielen das dichterische Vermögen aus gegen das historische Verstehen. Dieses Wechselspiel von unhistorischem Umdichten u. historischem Dichten u. Deuten macht (hinsichtlich d. jüngeren Romantik) deutlich H e r b e r t L e v i n : Die Heidelberger Romantik, München 1922. Obwohl diese Sonderuntersuchung überwiegend biographisch eingestellt ist, wobei die Zentren Heidelberg einerseits u. Kassel andererseits hervortreten wie zahlreiche persönliche Verflechtungen der älteren mit der jüngeren Romantik, bleibt doch hinreichend Raum für die Herstellung der ideelichen Bezüge. Die Position L. Tiecks einerseits u. die Opposition zu J. H. Voß andererseits helfen die Brücke schlagen zwischen der älteren u. jüngeren, der Früh- u. d. Hochromantik. Freilich verengt sich dabei der historische Sinn vielfach eben doch nur auf den literaturhistor. Sinn. Und läuft nicht selten Gefahr, die „Tiefe" des histor. Sinns daran zu messen, ob das Mittelalter u. das 16. Jh. wirklich oder nur vermeintlich erfaßt worden sind. Denn oft genug (u. allzu häufig) war die Romantik von diesem Geschichtsgeist nur gemütsmäßig ergriffen, ohne ihn vernunftmäßig zu begreifen. Man schwärmte stimmungsmäßig vom Mittelalter, ohne es historisch u. kulturhisto-

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risch beschwören zu können. Man war vom Geist „alter" Zeiten gemütsmäßig gebannt, ohne daß man ihn kulturgeschichtl. gültig erkannt hätte. Und man war in einem Jahrhundert gern romantisierend zu Gast, ohne daß man in ihm historisierend zuhause gewesen wäre. Man täuschte Geschichtskultur vor, ohne Kulturgeschichte verwirklichen zu können. Erst das ig. Jh. mit seinem Historismus mußte das als Erfüllung nachtragen, was man i. d. Romantik nur als Aufgabe vorgegeben u. phantasiemäßig vorgestellt hatte. Kurz, der historische Sinn der Romantik bedurfte des historischen Sinns durch den Realismus, wobei sich Übergangsformen einstellten wie etwa der Übergang von der historisierenden Romantik (L. Tieck, Arnim, Kleist) zu einer romantisierenden Historie (W. Scott, Wilh. Hauff, W. Alexis u. a.). Immer aber blieben der geschichtliche Sinn u. d. Sinn der Geschichte in einem merkwürdigen u. dennoch fruchtbaren Widerstreit miteinander; wie denn Geschichtsphilosophie u. Geschichtsschreibung eine ähnliche Verwandtschaft u. Verwandlung aufweisen wie Dichtung u. Datentreue. Nur eben daß die Romantik „Geschichte" konstruierte, wo der Realismus „Geschichte" demonstrierte, u. zwar nicht selten drastisch demonstrierte, wo die Romantik phantastisch konstruierte. Das wird besonders evident am Verhältnis des Mythos der Geschichte zur Geschichte des Mythos (Creuzer, Görres, Frz. v. Baader u. a.). Nicht selten endete die Vertiefung des historischen Sinns bei einer unhistorischen Untiefe, ob nun alles aus einem indischen Mythos (Görres) oder einem morgenländischen Mythos (Creuzer) oder einer morgenländischhebräischen Sprachphilosophie (Frz. v. Baader) abgeleitet wurde. Historische Fakten u. historisierende Phantasie gerieten nicht selten in einen romantischen Wettbewerb, wobei die Phantasie die Fakten weniger bewältigte als vergewaltigte. Und die Begeisterung der Deutung triumphierte häufig über den (klassischen) Geist des Bedeutenden, wie das blinde u. doch hellgesichtige Sehertum triumphierte über die klassische Klarheit des „Bildenden". Im Ganzen war und wirkt der historische Sinn der Romantik stärker als das historische Verstehen, schon deshalb, weil die Romantik im Rahmen und Raum der romantischen Ironie den unhistorischen Sinn, überspitzt zum historischen Unsinn, niemals restlos entbehren konnte (vgl. L. Tieck).

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S. 299. Hardenberg-Novalis. — Novalis' Schriften, hrsg. v. L. T i e c k u. Ed. v. B ü l o w — Novalis' Schriften, hrsg. v. J. Minor — Novalis' Schriften, hrsg. v. P a u l K l u c k h o h n , Lpz. 1929 — Novalis' Briefwechsel mit Fr. u. Aug. Wilh. Schlegel, Charlotte u. Caroline Schlegel, hrsg. v. J. M. R a i c h (1880). H e i n r i c h S i m o n : Der magische Idealismus, Studien zur Philos. des Novalis, Heidelb. 1906. — E g o n Friedeil: Novalis als Philosoph, Münch. 1904. — G e o r g G l o e g e : Novalis' „Heinrich v. Ofterdingen" als Ausdruck seiner Persönlichkeit, eine ästhetisch-psycholog. Stiluntersuchung, Lpz. 1911. — E d u a r d H a v e n s t e i n : Frh. v. Hardenbergs ästhet. Anschauungen, verbunden mit einer Chronologie seiner Fragmente, Palaestra Nr. 84, Bln. 1909. — M. M a e t e r l i n c k : Les Disciples des Sais et les Fragments de Novalis, 2. Aufig., Brüssel 1895. — W e r n e r F l ö r c k e : Novalis u. d. Musik mit bes. Berücksichtigung des Musikalischen in Novalis' „Hymnen an die Nacht", Diss. Marburg 1928. — W e r n e r H e r z o g : Mystik u. Lyrik bei Novalis, Diss. Jena 1926 bzw. 1928. — H e i n z R i t t e r : Novalis' Hymnen an die Nacht, ihre Deutung nach Inhalt u. Aufbau usw., Heidelb. 1930 ( = Beiträge zur neueren Literaturgesch., Neue Folge, hrsg. v. M a x v. W a l b e r g Nr. XIII). — K. A t z e n b e c k : Der Tod in der Weltanschauung d. Romantik, dargestellt an Fr. v. Hardenbergs Dichtungen, Diss. Münch. 1922 (Masch.Expl.). — P. J. C r e m e r s : Der magische Idealismus als dichter. Formproblem i. d. Werken Fr. v. Hardenbergs, Diss. Bonn 1921 (u. Masch.-Expl.). — H. F r i e d e m a n n : Das Motiv der Götter Griechenlands von Schiller bis Heine, 1905. — R u d o l f H a y m : Die Romantische Schule, 5. Aufig., besorgt v. 0. Walzel, Bln. 1928. — A. H u b e r : Studien zu Novalis mit bes. Berücksichtigung der Naturphilosophie, Euph., Ergzg.-Heft 4 (1899), S. 90—132. — A n t o n i e H u g . v. H u g e n s t e i n : Zur Textgesch. v. Novalis' Fragmenten, in Euphor. X I I I (1906). — Ilse K l e t t e : Die Nacht i. d. Dichtungen d. Romantik, Diss. Greifswald 1924 (Masch.-Expl.). — P. K o e h l e r : Zur Entstehungsgesch. der Hymnen an die Nacht, in Euphor. Jg. 1911. — J u s t u s O b e n a u e r : Hölderlin-Novalis, Jena 1925. — W. O l s h a u s e n : Fr. v. Hardenbergs Beziehungen z. Naturwissensch, s. Zeit, Diss. Lpz. 1905. — R i e h . R o t h e : Novalis als religiöser Dichter, Gesammelte Vortrage u. Abhandlungen, Elberfeld 1886. — A. S c h u -

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b a r t : Novalis' Leben, Dichten u. Denken, Gütersloh 1887. — E. Spul£: Novalis, Essay sur l'idealisme romantique en Allemagne (bes. üb. d. Hymnen an die Nacht), Paris 1904. — R u d o l f Unger: Herder, Novalis, Kleist, Studien üb. die Entwicklung des Todesproblems vom Sturm u. Drang zur Romantik, Frankf. a. M. 1922. — O s k a r W a l z e l : Uber Novalislit., in Euphor. Nr. 15. — Ders.: Die Formkunst von Hardenbergs „Heinrich v. Ofterd i n g e n " GRM. J g . 7. — Ders.: Grenzen von Poesie u. Unpoesie (bzw. Nichtpoesie), Frankf. a. M. 1937, Abschnitt IVNovalis (Zeichenlehre) a.a.O. S. 80ff.u.passim. N o v a l i s ' B r i e f e u. Werke hrsg. v . E w a l d W a s m u t h , Bln. 1943 (3 Bde), darin d. Abschnitt „Poetik", Bd. III, S. 604—632. — F r i e d l u i s e H e i n r i c h s : Die Aufgabe des Dichters nach der Auffassung d. Frühromantik, Masch.Diss., Bonn 1948, S. 70—89. S.300. „ I m ganzen . . . u n p o e t i s c h " . — Vgl. II 327 Nr. 40. S.300. Unwillkürliche-Willkürliche. — Vgl. II, 1 , S. 88. S. 300. „ B e s o n n e n h e i t " — vgl. der Ausgangspunkt i. d. Sprachphilos. Herders bis hin zum „besonnenen" Realismus auf der Vorstufe zum Naturalismus (Wilh. Bölsche). S. 300. Das „ M a g i s c h e " . — Heinr. Simon: Der magische Idealismus, Studien zur Philos. d. Novalis (1906) unterschätzt etwas diesen bloßen Durchgangscharakter des „Magischen" wie auch das Gegengewicht der Beziehung zum Materiellen u. Wirklichen. Das Organische darf nicht einfach aufgehoben werden im „Magischen". „ J e zahlreicher u. elastischer die Sinne sind, desto vollkommener ist der ganze Mensch; wer also Menschen bilden will, verfeinere ihre Sinne." S. 301. S o n d e r f o r s c h u n g . — z . B . E d u a r d H a v e n s t e i n : Fr. v. Hardenbergs ästhet. Anschauungen (Diss. Bln. 1908). Der Ruf nach „Vernunft" u. „Verstand" darf in Novalis' Kunsttheorie nicht überhört werden, a. a. 0 . S. 15, 17, „intellektuale Anschauung" wird von N. betont, a.a.O., S.36,40. Aber der Primat des Gefühls wird dennoch aufrechterhalten, denn „das Denken ist nur ein Traum des Fühlens, ein erstorbenes Fühlen, ein blaßgraues, schwaches Leben". Und stärker als der äußere Zwang zur Vernunft erweist sich die innere Neigung u. Nötigung zum Gefühl. Die Widersprüchlichkeit von Vernunft u. Gefühl durch38 M a r k w a r d t , Poetik III

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dringt aber die gesamte Kunstanschauung Novalis'. E. Havenstein sieht u. deutet diese Widersprüchlichkeit, die er an sich durchaus anerkennt, mehr psychologisch als philosophisch. Er sieht im Romantiker mehr einen psychologischen als einen philosophischen Typus. Damit aber sind die Grenzen seiner Novalis-Deutung angezeigt. Richtig erkannt wird dagegen die Tendenz Novalis' zum Symbolismus; auch die Lehre Fichtes wird stark ins Symbolische umgebogen. Das Anschlußsuchen bei der Plastik einerseits (Klassik) u. der Musik andererseits (Romantik) ist ganz unverkennbar. S. 301. „ V e r s t a n d f ü h r t aus." — Vgl. II, 1 S. 303. Genievorstellung. — E. H a v e n s t e i n a . a. 0. S. 2of. (Anlehnung an Hemsterhuis). H. Simon: Der magische Idealismus S. 5/6; die „Lehre vom magischen WunderIch" (S. 21) deutet auf die Genievorstellung, ebenso die „hieroglyphische Kraft" des Ich. N. selber: „Synthetische Urteile sind geniale . . . Ist ein Genie möglich ? Ist Magie möglich ?" a. a. 0. S. 24—26. S. 302. G. Schultze. — Gerhard S c h u l t z e : Die Poesie im Urteil d. dt. Gehaltsästhetik von Schelling bis Vischer, Diss. Lpz. 1916. S. 303. „ G e m ü t s e r r e g u n g s k u n s t . " — Die Bedeutung des „Gemütsbegriffs" ist v. d. Sonderforschg. üb. d. Romantik vielfach hervorgehoben worden. Schon R. H a y m weist in Abhebung von Fichte Novalis auf das „reichere, aber auch dunklere Gemüt"; dagegen polemisiert freilich nicht ganz zu Unrecht H. Simon a. a. 0. (1906) S. 22 Anmerkg., wobei der Gemütsbegriff bei N. sich nicht einfach auf das Dichtergemüt einschränken lasse. — Vgl. zu „Gemüt" auch S. 83 dieser Darstellung. S. 305. E w i g k e i t s w e r t der Kunst. — „Daher die Unendlichkeit eines guten Gedichts, die Ewigkeit" (N. selber), vgl. O. W a l z e l : Grenzen von Poesie u. Unpoesie (1937) S. 90. — W. Herzog: Mystik u. Lyrik bei Novalis (Diss. Jena 1926) allg. Ewigkeitsbegriff im Kap. Mystik u. magischer Idealismus bei Novalis (S. 15) u. a. m. Selbst im Stilbild, ζ. B. dem des „Ofterdingen"-RomanFragments begegnet nicht von ungefähr so häufig das Wertwort „ewig" bzw. „Ewigkeit" (über 7omal) vgl. die Stiluntersuchung über den „Ofterdingen" von G. Gloege (1911), S. 151, 176.

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S. 306. „ K u n s t , K u n s t w e r k " . — Vgl. 11,2 S. 496. S. 306. K l i n g s o h r s B e g r i f f des D i c h t e r s . — I S. 120/21; dieser Dichter-Begriff dürfte indessen der Klassik näherstehen als der Romantik, soweit es um die im Kunstwerk formulierte Poetik geht. Die am Kunstwerk demonstrierte, u. also werkimmanente Poetik dagegen gehört weit überwiegend der Romantik an. S. 307. Novalis (Exkurs: werkimmanente Poetik). — In seinen Aphorismen üb. d. Kunst ist Novalis Fr. Schlegel durch die Echtheit intuitiver Einfälle nicht selten überlegen. Diese Überlegenheit resultiert nicht zuletzt aus seiner Überlegenheit als schaff. Künstler. Die werkimmanente Poetik seines Kunstschaffens als gestaltgewordenes (wenngleich ζ. T. Fragment gebliebenes) Kunstwollen befruchtet wirksamer, als es bei Fr. Schlegels unzulänglichem Kunstvermögen der Fall ist u. sein kann, auch seine formulierte Poetik. Selbst verglichen mit L. Tieck überwiegt bei Novalis das unmittelbar Dichterische über die sowohl bei Tieck als auch Fr. Schlegel doch irgendwie rationalistisch gebrochene Reflexion. Und es ist daher kein Wunder, daß ζ. B. Fr. Schlegel Goethes „Wilhelm Meister" als Muster für den Roman durchaus anerkennt, während Novalis der überlegenen Vorbildkraft Goethes zwar auch seinen gebührenden Tribut zollt, aber trotzdem (oder eben deshalb) in der eigenen „Nachbildung" (H. v. Ofterdingen) unversehens, aber notwendig einen eigenen Weg sucht u. findet, der zwar einerseits auf die Klassik zurückweist, aber andererseits auf die Romantik hinauswill. Das Element des Literaturhaften, das bei Fr. Schlegel u. A. W. Schlegel unverkennbar mitwirkt u. auch bei L. Tieck mitspielt, tritt bei Novalis zurück zugunsten des Dichterischen. Das Kunstwollen ist bei Novalis echter u. unmittelbarer als bei den Brüdern Schlegel. Daher scheint es ratsam, seine werkimmanente Poetik kurz einzubeziehen, wie ihm denn auch im darstellenden Text ein Sonderabschnitt eingeräumt worden ist. In höherem Grade als bei Fr. oder A. W. Schlegel verwirklicht sich im Kunstwerk Novalis' das spezifisch romantische Kunstwollen, u. zwar sowohl in der Epik als auch in der Lyrik. Zugleich darf der philos. Einschlag im Kunstschaffen Novalis' ebensowenig unterschätzt werden wie die bewegende u. alles durchregende religiöse Grundkraft. Nicht zufällig kann die Stilforschung im Einzelfalle nachweisen, daß im „Heinrich v. Öfter-

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dingen" durchschnittlich auf jeder dritten Seite das Wort „wunderbar" begegnet (5omal auf 150 Seiten). Das Wunderbare, Traumhafte, Märchenhafte bestimmt weitgehend das Stimmungsfeld, aber auch das Gestaltungsgesetz. Nicht das Gattungsgesetz des Romans soll verwirklicht werden, höchstens die Freiheit u. Vielheit des „romant." Romans soll manifestiert werden im Sinne der Frage: „Sollte nicht der Roman alle Gattungen des Stils . . . begreifen ?" Der vermeintlich „bürgerliche Roman", den N. an sich anzustreben vorgibt, der aber „romanzenähnliche" Kompositionsweise einschließen u. Momente wie „Seltsamkeit, Andacht u. Verwunderung" auswerten muß, vor allem aber „ganz Abdruck des Gemüts" zu sein trachtet, gerät so nicht nur mit notdürftigen Variationen, sondern mit der ganzen notwendig romant. Vision u. Konzeption über das Vorbild der „Lehrjahre" Goethes hinaus. Denn um „Wilhelm Meisters Lehrjahre" handelt es sich, da die „Wanderjahre" noch nicht vorhanden u. die Kap. d. „Theatralischen Sendung" noch nicht wiederaufgefunden waren. Es ist nun recht instruktiv für das Verhältnis von bewußter Darstellungsabsicht einerseits u. unbewußtem Kunstwollen andererseits, daß Novalis' Darstellungsabsicht ursprünglich u. zunächst eindeutig auf einen Wettbewerb mit dem bannkräftigen Idealbild der „Lehrjahre" gerichtet war, also wenngleich nicht auf eine bloße Nachahmung, so doch auf eine Nacheiferung abzielte. Das unbewußte Kunstwollen im Sinne einer werkimmanenten Schaffensgesetzlichkeit erwies sich sehr bald als stärker, verglichen mit der planvollen Darstellungsabsicht. Denn dieses unbewußte, aber unwiderstehl. Kunstwollen knüpfte wohl an d. romant. Einschläge an, die bereits in den „Lehrjahren" wirksam wurden, ging aber bildendumbildend, bedeutend-umdeutend über jene Anregungen hinaus, indem nun gleichsam zum Leitmotiv erhoben wurde, was dort im Gesamt doch nur Begleitmotiv geblieben war u. gemäß Goethes Kunstwollen, das in der Klassik seinen hauptsächlichen Halt gefunden hatte (indem fes ihn durch eigene Haltung u. Gestaltung gleichzeitig erprobte u. erschuf), auch ein bloßes belebendes Begleitmotiv bleiben sollte. Vereinfacht u. vergröbert gesagt, die werkimmanente Poetik im „Ofterdingen" war nicht nur kraftvoller in ihrer dunklen Zielgewißheit als die programmatisch formulierte Poetik außerhalb des

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Dichtwerks, sondern auch richtungsgebender als die im Kunstwerk formulierte Poetik. Hier liegen die Grenzen der Deutung 0. W a l z e i s einerseits u. P a u l K l u c k h o h n s andererseits, wobei freilich P. Kluckhohn dem Gewahrwerden der wesentlichen „Form" weit näher gekommen sein dürfte als 0. Walzel, zum mindesten was die Wertgewichtigkeit der im Kunstwerk (in Kunstgesprächen) formulierten Poetik betrifft. Denn 0. Walzel versteift sich zu sehr auf die (von Goethe her gesehene u. abgeleitete) Meinung, daß vor allem das Kunstgespräch Klingsohr-Heinrich grundlegend geblieben sei für die Grundkonzeption des „Ofterdingen"-Romans. Genauer: Walzel argumentiert, daß Novalis am Paradigma der „Lehrjahre" die romant. Zerfahrenheit kritisch kontrolliert u. daraufhin im eigenen Werkschaffen weitgehend verworfen u. verlassen habe zugunsten einer „ins Reale verliebten Beschränktheit". Nach Walzel folgt dem Zuspruch zu den „Lehrjahren" der Widerspruch gegen sie, um dann jedoch dem krit.-selbstkrit. Widerrufe dieses Widerspruchs willig u. einsichtig zu weichen. Mit Recht hat schon die Sonderforschung (E. G u e n t h e r : F. v. H. [Novalis] u. s. Verhältnis zur erzählenden Dichtung, Diss. Hbg. 1938) geltend gemacht, daß eine derartige Wandlung d. Bewertung d. „Lehrjahre" dann innerhalb eines Monats erfolgt sein müßte (a. a. 0. S. 41, nämlich vom 23. Februar bis zum 5. Apr., Beginn des Romans 1799, Abschluß des Fragments April 1800). Der bekannte Brief an L. Tieck (23. Febr. 1800) würde die ernüchternde Selbstbesinnung gegenüber d. Vorbildgeltung kennzeichnen. Demgegenüber macht P. Kluckhohn geltend, daß nicht sowohl im kunsttheoret. Gespräch Klingsohrs als vielmehr im kunstphilos. u. letztlich religiös bestimmten Gespräch Heinrich-Sylvester die „höchste Auffassung vom Wesen der Dichtkunst" verkörpert sei, wobei dann der Widerschein, das „wunderbare Widerlicht der höheren (religiösen) Welt" gebührend das eigentümliche wie eigenwertige Kunstwollen zur voll entfalteten Geltung bringe, indem der „Geist der (religiös getönten) Tugend" die bloße Tugend des Geistes entsprechend überhöht u. werthaft überbietet. Dabei bleibe dann die Dichtkunst der religiösen Tugendlehre der Romantik in ähnlicher Weise übergeordnet, wie seinerzeit die Tugendlehre der Aufklärung der Formvollendung der Poesie übergeordnet war. Die reine Menschlichkeit der Humanität ginge dabei ein (u. auf) in menschenwürdige

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u. dennoch wunderwillige Göttlichkeit. Es heißt nicht mehr: als die Götter menschlicher noch waren, waren Menschen göttlicher, sondern weil ein „überirdischer Sinn" sie durchleuchtet, leuchtet im Menschlichen das Göttliche auf. Es handelt sich dabei um ein Transponieren in die Transzendenz (u. nicht nur in das philos. Transzendentale). Auch die Ideendichtung „Die Jünglinge zu Sais" weist in eine benachbarte Richtung, wobei Mythisches u. Mystisches, Wunderbares u. Wunderliches sich mannigfach überkreuzen. Und wenn Novalis im „Ofterdingen" vom „Wilh. Meister" Goethes lernt, um über ihn in romant. Richtung hinauszugelangen, so hat er in den „Jünglingen zu Sais" von Schiller gelernt, u. zwar ebenfalls, um über ihn hinauszugelangen. Dabei dürften indessen dem eigenen Kunstwollen die „Geheimnisse" Goethes die Brücke der Bedeutung u. Andeutung eines schlechthin nicht restlos Deutbaren geboten haben. Die Identität des „überirdischen Sinns" mit der irdischen Sinngebung u. Sinngeltung spielt dabei von der Identitätsphilosophie merklich u. mannigfach hinüber. Die Trostlosigkeit des Daseins sucht Zuflucht in dem Trostreichtum des Traums, der aus der Weite des Wunders seine tragende Kraft gewinnt. Trotz seines Charakters als Fragment erfüllt dergestalt der romant. Roman, der im „Ofterdingen" aus dem klassischen Roman (Goethes „Lehrjahre") hervorwächst, das Kunstwollen einer romanhaften Romantik weitergehend, als es die begleitende Theorie verspricht. Vielleicht (u. wahrscheinlich) aber blieb der „Ofterdingen" Fragment nicht nur wegen des frühen Hinscheidens seines Verfassers, sondern auch u. nicht zuletzt wegen des Schwankens zwischen theoretischer Darstellungsabsicht u. prakt. Kunststreben. In diesem Sinne konnte der „Ofterdingen" keine Vollendung bieten, weil er eine Fortsetzung des Alten mit dem Ansatz zum Neuen verschmolz. Der Übergang v. d. Klassik z. Romantik, in gewissem Grade vorgeformt in Goethes „Wilhelm Meisters Lehrjahren", wird in Novalis' „Heinrich von Ofterdingen" vollzogen, wenngleich nicht vollendet. Der Ubergang von Wirklichkeitswelt u. Wunderwelt, von Wirklichkeitstreue u. Traumechtheit bildet gestaltungsmäßig eine folgerichtige Entsprechung. Novalis flüchtet nicht einfach i. d. Traum, aber er transponiert in das Traumhafte. Er weicht nicht einfach aus in die Vision, wo die Wirklichkeit vor dem romant. Kunstwollen

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versagt, sondern er sucht Befriedigung in der Weite des Wunders, wo das Wunder des Wirklichen unbefriedigt läßt. So gesehen u. gedeutet, ist,.Heinrich v. Ofterdingen" gleichsam ein Durchbruchsgefecht Novalis' aus d. kunstästhet. Einkreisung durch d. Vorbildgewalt der (freilich schon ihrerseits romant. aufgelockerten) Klassik. In diesem halb verehrungsvollen, halb verzweiflungsvollen Durchbruchsgefecht lernt N. seine eigene ktinstler. Kraft ermessen, aber auch ihre künstlerische Grenze erkennen oder doch erfühlen. Und so ist das „Ofterdingen"Fragment Fr. v. Hardenbergs entwicklungsgeschichtlich irgendwie verwandt mit dem „Guiskard"-Fragment H. v. Kleists: beide wollen eine Brücke schlagen, der eine im Roman, der andere im Drama, während sie zugleich notgedrungen diese Brücke abbrechen, um eine neue zu bauen. Das „Schöne" überschneidet sich dabei mit dem „Interessanten", das Wirkliche mit dem Visionär-Traumhaften, das „Klassische" m. d. „Romantischen", das klassisch Bewahrte mit dem romant. Bewegten, das klassisch Plastische mit dem romant. Rhythmischen. Nicht nur der Dichter als ein „Sprachbegeisterter" (Novalis selber), sondern auch als ein Inhaltsbewältigter beweisen in beiden Fällen die Größe zugleich u. Grenze ihres künstler. Wollens u. Vermögens. N. findet zuletzt seine Auffangsstellung im Religiösen, Kleist im Nationalen. Beide bedürfen jener Auffangsstellung, um sich nicht zu verlieren in die Unendlichkeit, in das „Universale" und Universumhafte, in die unendliche „Progression" der romant. Sehnsucht. Trotz der Programmthesen Klingsohrs im „Ofterdingen", die 0 . Walzel vielleicht zu sehr auf N. selber zurückführt, dürfte indessen Kleists ,,Guiskard"-Fragment im Gesamt des Kunstwollens der Klassik näher stehen als Novalis' „Ofterdingen"-Fragment, das spontan zur Romantik durchbricht. Dabei ist nicht die Entstehungszeit entscheidend, sondern der Schaffensimpuls. Und in diesem Bereich nähert sich (trotz d. Deutung 0 . Walzeis) Kleist weit mehr dem Realismus im Raum des Dramas als Novalis im Raum des Romans. Im Gesamt d. Kunstleistung u. d. Kunstwollens drängt Novalis mehr zum Mystischen, Kleist mehr z. Mythischen, Novalis mehr z. Symbolischen, Kleist mehr z. Realistischen, Novalis mehr z. Bedeutsamen, Kleist mehr z. Bedeutungsvollen, Novalis mehr zum Stimmungsvollen des Gemüts, Kleist mehr z. Bestimmung durch die Kritik des reinen Gefühls.

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Aber nicht Kleist, sondern L. Tieck war der Anreger von Novalis'. Und nur wenige Jahre trennten damals (1799) Novalis von seinem allzu frühen Tode (1801). Wie sein Leben ist sein Werk Fragment geblieben, weniger in dem Sinne, wie etwa Fr. Schlegel im „Fragment" eine eigene, eigenwertige Kunstform entwickeln zu können glaubte, sondern insofern, als der geniale Ansatz u. Anlauf kaum irgendwo i. d. Kunstleistung seine überzeugende Bestätigung fand. Kein Wunder, daß er die Raffung u. Straffung des dennoch unendlich reichen Traumgebildes zum dichterischen Wort u. gestalterischen Wert werden ließ, wo von Dichtung die Rede war. Erst im wachen Traum scheint ihm das romant. Dichterische zuzuwachsen, u. die „blaue Blume" welkt unter seinen zaudernd-zagen Händen, ohne recht geblüht zu haben. Kein Wunder, daß er bei der Andeutung stehen bleibt, wo ihm die Deutung als Dichter vorschwebt. Ihm schloß sich die Wunderwelt auf, bevor er das Wunder der Welt (u. d. Wirklichkeit) voll erfassen konnte. Aber schwerlich wäre Novalis auch willens gewesen, sich mit der Wirklichkeit der Welt jenseits des traumhaften Wunders kämpferisch auseinanderzusetzen, wie es H. v. Kleist bei ähnlich verkürzter Lebensdauer nicht erspart blieb. Fr. v. Hardenberg wurde 29 Jahre alt, u. H. v. Kleist starb mit 34 Jahren. Aber obgleich sie sich im Lebensalter einander annähern, entfernen sie sich dennoch deutlich voneinander hinsichtlich der Kraft des Zusammenpralls von Romantik u. Realismus. Für Novalis kann Geliebte u. Welt im Symbol der blauen Blume ineinander fließen; für Kleist wäre das kaum denkbar. Das Recht der Persönlichkeit ist i. d. Motivwelt Kleists allenthalben zusammengestoßen mit dem Anspruch u. Recht der Gesellschaft, bei Novalis bleibt es im wesentlichen auf sich selber gestellt. Dergestalt gelangt N. über Tieck streckenweise hinaus, bleibt aber in der Idee hinter Kleist zurück. Er begnügt sich mit dem Reich der romant. Phantasie, wo Kleist in das Reich der Wirklichkeit ζ. T. resolut u. robust vorstößt. Novalis entfaltet in der Ideendichtung in Prosaform „ D i e L e h r l i n g e zu S a i s " , die freilich Fragment geblieben ist wie Goethes Ideendichtung in Versform „ D i e G e h e i m n i s s e " , einen naturphilosoph. bis mystischen Ansatz mit Hilfe eines halb naturphilos., halb kunstphilos. Gesprächs, dem die eigentlich weltanschauliche Folgerung so gut (u. noch mehr) fehlt als den „Geheimnissen" Goethes. So

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steht die Ideendichtung „Die Lehrlinge zu Sais" als „Lehrgedicht" ähnlich zu Goethes „Geheimnissen" wie der „Ofterdingen" als Roman zu Goethes „Lehrjahren". Der Tempel zu Sais sollte mannigfachen Wandlungen der Menschheitsentwicklung unterworfen werden, u. alles würde wohl auf eine echt romant. Kosmogonie hinausgelaufen sein, wobei auch die indische Mythologie ausgewertet worden wäre, wie die Stichwörter der Fortsetzung erkennen lassen. Kurz, das verschleierte Bild im Tempel zu Sais wird eher weiter verhüllt als enthüllt. Und die „Geheimnisse" Goethes gewinnen Oberhand über das Erkennenwollen der „Lehrlinge". Dabei überwältigt merklich (u. absichtlich) die Naturmystik in der Nähe einer mytholog. Natur-„Philosophie" die Naturphilosophie im engeren Sinne u. vollends die Naturwissenschaft im strengeren Sinne. Nur deshalb hat das Naturhafte der Liebe die Deutungsgewalt u. das Wahrheitsgewicht, das ihm N. zubilligen zu wollen schien. Denn das Gemüt („Kanon des Gemüts") führt zurück zur Natur, indem es von ihr ausgeht u. zugleich auf sie zugeht. Der Wunsch der Ferne (Wunder der Weite) u. das Wesenhafte der Nähe (Weite des Wunders), nämlich das Naturhafte der Geliebten (u. des Geliebten) greifen treulich-tröstlich ineinander über. Die Selbsterkenntnis als kritische u. doch gemütvolle Voraussetzung für alle Erkenntnis — für ihre Weite u. ihr Wunder — war vielleicht nicht der Weisheit letzter Schluß in diesem Ideengedicht, aber doch der Erkenntnis erster u. entscheidender Ansatz. Über Schillers kulturphilos. Ideendichtung hinausstrebend, nähert sich Novalis in den „Jünglingen zu Sais" der naturphilos. Ideendichtung, nicht ohne Vorstellungen religiöser Mystik zu Hilfe zu rufen. So wird wiederum über dem Mythischen des Isis-Kultus zum Mystischen der Natur-Deutung gestrebt, u. zwar in einem Grade, daß H. A. K o r f f (G. d. G. III, 2. Aufig., 1949, S. 561) von Anthroposophie sprechen u. erläuternd die anthropos. Lehre von Rudolf Steiner heranziehen konnte. Der Dichter als gefühlsmäßiger NaturDeuter vermag es für N. mit dem Natur-Forscher durchaus aufzunehmen, ja bleibt ihm im letzten Ertrag einer Einfühlung in die Geheimnisse der Natur überlegen. Aber wieder sind Traum u. Vision, Natur-Symbolik u. WortHieroglyphe die eigentlichen Träger des Gestaltungsgesetzes in der vielfach u. verschiedenartig interpretierten Ideendichtung, die N. mit Macht u. nicht ganz ohne Zwang

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in die Schicht der Gefühlsdichtung deutend-verdämmernd emporpressen möchte. Er bleibt aber in diesem Falle den Ideengedichten Goethes u. Schillers näher, als er im „Ofterdingen" den „Lehrjahren" Goethes geblieben war, vollends wenn man berücksichtigt, daß W. Pinder dem „Augenmenschen" Goethe zuletzt doch nur die innere Schau, das „innere Auge" hat zugestehen wollen. Sonst freilich könnte man auch in den „Lehrlingen zu Sais" eine Durchbruchsleistung zur Romantik hin erkennen, indem die idealisierende u. typisierende Sicht (Goethe) ergänzt u. abgewandelt wird zu einer ironisierenden u. individualisierenden aber auch mystifizierenden „inneren" Erleuchtung, dergestalt, daß die äußere Sicht (u. erkennende Einsicht) dem „inneren Licht" (u. der gläubigen Schau) weichen muß, um der romantischen Sehnsucht freieren Lebensraum zu bieten. Die anschauende Erkenntnis weicht der ahnungsvollen Schau, u. der romant. Primat des Gemüts greift auf die Natur über, so daß wiederum das Kriterium des echten Gemüts bei Novalis von der Kritik des reinen Gefühls bei H. v. Kleist sich abhebt. Daß auch in diese fragmentarische Ideendichtung, deren Vollendung nicht unwahrscheinlich von der Naturmystik zur Glaubensmystik weitergeführt hätte u. damit zur Zuflucht aus dem Rätselreichen in der religiösen Auffangsstellung, das Märchenhafte hineingeformt worden ist, verstärkt den romantischen Charakter trotz merklicher Anleihen bei der Ideenlyrik der Klassik. Und wie unter den Stationen des Erkenntnisweges bereits jetzt neben der antiken u. indischen Götterlehre die christliche Heilsbotschaft begegnet, dürfte sich der Tempel zu Sais am Ende doch wieder in eine Kirche oder in ein Kloster verwandelt haben, u. zwar folgerichtiger als in Schillers Ballade. In den „Hymnen an die Nacht", hinter deren Todessehnsucht im Bereich persönlichen Erlebens u. Erfeldens der Verlust seiner im jugendlichen Alter verstorbenen Braut Sophie stand (u. man sollte dieses innere psycholog. „Gesetz" nicht unterschätzen), vollzieht bes. die fünfte der Hymnen nicht nur die Ausweitung vom Lebensgeschichtlichen u. Seelengeschichtlichen zum Kulturgeschichtlichen u. Ideengeschichtlichen, sondern damit verbunden den in den ersten Hymnen freilich schon latent im Ansätze gegebenen Durchbruch zur christlichen Kulturvision u. Heilslehre als zu einer Art erhabener Trosteinsam-

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keit. Ob man nun den jungen Wieland der Schweizer Zeit (u. Elis. Rowe) oder Klopstock (u. Petrarca) oder Hölderlin oder Stimmungsähnlichkeiten bei Jean Paul erläuternd heranziehen mag: die werkimmanente Poetik der Hymnen verweist auf die spez. romant. Abwandlung u. Verbesonderung aller jener verwandten Situationen u. Stimmungen. Gattungstypologisch wird die Nähe der Legende spürbar, wie im „Ofterdingen" die Nähe des Märchens, wie in den „Jünglingen zu Sais" die Nähe der religiösen Parabel. Demnach tendiert Novalis als gestaltender Dichter zum Umbiegen einer Gattung zu einer enger umgrenzten Sonderform; denn die allgemeine Auflockerung der Gattung durch d. Romantik kann die angedeutete Tendenz nicht befriedigend erklären. Formungsmäßig verweisen die „freien Rhythmen" der „Hymnen a. d. Nacht" (die 6. weicht ins Metrische ab) mehr auf Sprachmelodie als auf Rhythmus, also mehr auf das „Musikalische", etwa in der Art, wie schon der junge Herder von der Sprache als einer „Musik der Seele" u. „Melodie meiner Vorstellungen" gesprochen hatte; doch ist auch das Rezitativische unverkennbar dort zur Hilfe gerufen, wo von der Sinngebung her der melodische Spannungsbogen nicht durchgehalten werden kann. Das Kunstwollen jedenfalls ist merklich auf Musikalität u. Sprachmelodie eingestellt, ohne daß freilich das Kunstvermögen dieses hochgespannte Wollen restlos (u. reibungslos) verwirklichen konnte. Auch in derartigen Einzelheiten teilt Novalis mit anderen Romantikern das Überhöhte des Kunstwollens, gemessen an dem kunsttechnisch Erreichbaren. Das Grundgesetz des romant. Poetischen aber vermag er reiner zu erfüllen als wohl sämtliche Frühromantiker (bestenfalls abgesehen von L. Tieck). Nach alledem sucht Novalis, obwohl ihm nach Beruf u. Berufung das Naturwissenschaftliche näher bleibt u. lieber ist als anderen Vertretern der frühen Romantik (u. sowohl im „Ofterdingen" als auch in der rhythmisierenden Prosakonzeption der „Lehrlinge zu Sais" bleibt das unverkennbar spürbar u. wirksam), das Traumhaft-Märchenhafte zur vollen Geltung zu bringen. Den Traum etwa von der „blauen Blume" hat nicht nur H. v. Ofterdingen geträumt, sondern — trotz vorübergehender Ableugnung — doch auch dessen Vater in der Stimmung einer Italienreise. Der Individualismus des ersten Kapitels der „Lehrlinge zu Sais": „Mich führt alles in mich selbst zurück",

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jener Individualismus, der den „Schleier" nicht zu heben trachtet, bleibt eben doch beim „Selbstbewußtsein" stehen. Aber als „echter Lehrling zu Sais" gilt doch nur, wer beim bloßen Individualismus des Erkennens u. Besinnens nicht verharrt. Die Stellung u. Einstellung zur „Natur" enthüllt bereits die Problematik der Deutung durch die Grenze u. Gefahr der Mißdeutung. Freilich können Dichtungsdeutung u. Naturerklärung noch zusammenwirken; denn „Naturforscher u. Dichter haben durch eine Sprache sich immer wie ein Volk gezeigt". Aber dem Dichter bleibt dunkle Ahnung, was dem Naturforscher als klare Andeutung gegeben erscheint. Die Verhältnisse der Natur bleiben letztlich so unbegreiflich wie die Verhältnisse der Gesellschaft. Und auch die Historie, die Geschichte, wird letztlich „zum Traum einer unendlichen, unabsehlichen Gegenwart". Nur das „einfache u. gottesfürchtige Gemüt" kann in beiden Fällen helfen, das Wertvolle u. Wesenhafte vom Zufälligen u. Wirklichen zu scheiden. Die „neuen Arten" schützen nicht vor den alten Entartungen (Abhebung von Goethe). Und die vorgeahnte „List der Vernunft" Hegels erscheint zum mindesten andeutungsweise als die „listige Fallgrube des menschlichen Verstandes". Die „Freiheit" scheint manches zu retten; aber es fragt sich doch, ob die Natur nicht ein bloßes von romantischer Ironie umspieltes „Gedankenspiel" u. letzten Endes nur eine „wüste Phantasie ihres Traumes" darstellt. So bleibt das Entscheidende nicht die menschliche Bestimmung, sondern die mystische „Stimmung" („Das Beste ist überall die Stimmung", Annäherung an die Programmatik Fr. Schlegels). Und indem das Wunderbare mit dem Wunderlichen gemischt erscheint, eröffnet sich schon von der Frühromantik aus der Ausblick nicht nur auf die Hochromantik, sondern auch auf die Spätromantik Ε. T. A. Hoffmanns u. anderer. Es ist doch nicht nur die Gans, die Märchen vermittelt, oder der Bach, der Balladen u. romant. Romanzen daherplätschert, sondern auch der echte Dichter, der das Wunderbare mit dem Wunderlichen verschmilzt, u. zwar schon bei Novalis i. d. Frühromantik. Nicht nur die Weite des Wunders ist in den „Hymnen an die Nacht" vertreten, sondern es wirkt auch das Wunder der Weite in die „Lehrlinge zu Sais" hinüber, wie denn „ein Mann aus fremden Landen" bereits in den romant.-mystischen „Lehrlingen zu Sais" auftritt mitten in der Romantik u. längst bevor der Bote aus der Fremde

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etwa zum strukturbedingenden, organisierenden Prinzip des konsequenten Realismus (Naturalismus) geworden ist. Und nicht nur Hyacinth bietet den Reflex dieser Einwirkung aus der Fremde. Schon im „Ofterdingen"-Fragment ging es nicht nur darum, daß ein „magischer Schleier" sich in „weiten Falten" um das „klare Bewußtsein" legte, sondern auch darum, daß die märchenhafte u. mythische Landschaft „Atlantis" ein Traumhaft-Wirkliches wurde; u. i. d. „Lehrlingen zu Sais" soll auch die vermeintliche „Fremdheit" dem Lehrling noch „fremd" werden, wobei gleichsam der romant. Verfremdungseffekt von dem realist. Verfremdungseffekt Bertolt Brechts sich entsprechend abhebt. Und wer näher der „blauen Blume" der Romantik steht, von der sowohl Sohn als Vater ihren Traum geträumt haben, ob Hyacinth oder Rosenblüt, kann hier nicht im Vorbeigehen entschieden werden. Das grandiose Novellenfragment der Romantik dreht sich eben nicht nur um einen „Falken" wie bei Boccaccio-Heyse, sondern auch u. nicht zuletzt um diese „blaue Blume". Ihre Vision erlebt zu haben u. ihre Version u. Variante immer neu erstrebt zu haben, bleibt nicht das geringste dichterisch-deutende u. denkerisch-andeutende Verdienst Novalis'. Nicht allein das „Ofterdingen"-Romanfragment zeugt davon, sondern auch die Prosadichtung fragmentarischer Art „Die Lehrlinge zu Sais", die die kulturgeschichtlichen Konzeptionen der Ideendichtung Schillers mit den „Geheimnissen" Goethes verbinden, um dieser Synthese des Antithetischen eine neue, spezifisch romant. Lösung des Rätselreichen grundlegender Weltanschauungsfragen zu entwinden. Aber unverkennbar sollte der Darstellungsabsicht nach, wie die Notizen Novalis' für eine etwaige Fortsetzung ankündigen, die Einmündung in das „neue Testament u. neue Natur als neues Jerusalem" erfolgen, wenngleich auch die Kosmogenien der „Alten" nicht außer acht gelassen werden sollten. Mit anderen Worten, die Prosadichtung rhythmisierender Art „Die Lehrlinge zu Sais" nähert sich weltanschaulich den „Hymnen an die Nacht" u. sucht damit eine künstlerische Verwirklichung jenes christlich-religiösen Anliegens, das Novalis immer erneut u. in immer neuen Formen u. Fassungen beschäftigt. Unter den Trägern frühromantischer Gesinnung verwirklicht Novalis bes. eindringlich u. eindrucksvoll die Nähe der Romantik zur Religion, wenn man etwa vom Schwärmertum Wackenroders absieht. Das

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bedarf besonderer Hervorhebung, weil N. beruflich auf die Naturwissenschaft hingewiesen zu sein schien. Aber das echte, tiefere Sein hinter diesem Schein sah u. suchte er doch eben im Christlich-Religiösen. Nicht nur sein Todesgedanke (vgl. R. Unger), auch sein Lebensbewußtsein bevorzugt die religiöse Auffangsstellung. Demgemäß ist seine werkimmanente Poetik bei aller Freude am künstlerischen Gestalten nicht vorzüglich auf das ästhetische Formungskriterium eingestellt u. ausgerichtet, sondern vielmehr echt in der Gesinnung, wo er aus dem Glauben heraus gestaltet. Er realisiert seine Gläubigkeit, indem er sie zu romantisieren meint. Und seine dichterische Erhebung grenzt allenthalben an die christliche Erbauung. Die tiefste Deutung des Dichterischen findet er dort, wo die gläubige Deutung den letzten Traggrund sichern hilft. Darin liegt seine Größe als Dichter, aber auch seine Grenze als Deuter. — ( E r g ä n z u n g z. S. 299). S p r a c h p h i l o s o p h i e (0. W a l z e l ) . — Spezielle Fragestellungen ergeben sich für 0. Walzel schon durch die Unterscheidung von Ausdruckslehre u. Zeichenlehre, wobei Anregungen meiner früheren Herderarbeit bedingt anregend gewirkt haben dürften; denn bei Herder sind sowohl Ansätze zur Zeichenlehre als auch zur Ausdruckslehre gegeben, u. bis dahin ist 0. Walzel auf diese Unterscheidung nicht so klar zugegangen u. eingegangen. In 0. Walzeis Grenzen von Poesie u. Unpoesie (bzw. Poesie u. Nichtpoesie) 1937 finden sich entsprechende Beiträge (abgesehen vom merklich grundlegenden Herder-Abschnitt a. a. O. S. 72t.) im Novalis-Abschnitt (Zeichenlehre a. a. 0. S. 8of.). Überhaupt ist O. Walzels Darstellung stark orientiert an dem Unterschied von poetischer Sprache als Zeichen oder als Ausdruck, so daß selbst der Unterschied von Poesie u. Unpoesie bzw. von Poesie u. Nichtpoesie an diesen Wertungs- u. Wirkungskriterien abgelesen u. demonstriert wird. S. 307. SchelUng. — Die Einwirkung ζ. B. auf die Kunstgespräche im „Corinne"-Roman der Mme. de Stael hat im einzelnen nachweisen können J e a n G i b e l i n : L'esthetique de Schelling et Mme de Stael, Paris 1924. Mittelsmänner waren ebenso wie für den Schelling-Einfluß auf das Werk De l'Allemagne (mit dem dann H. Heine den Wettbewerb aufnahm) sowohl A. W. Schlegel als auch Fr. Schlegel, vgl. P a u l i n e de P a n g e a. a. 0. (1940), S. 138. Allzu

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vorschnell nimmt eine Abhängigkeit der Ästhetik Schellings v. d. Kunstlehre Fr. Schlegels an 0. Böger: Die Anschauungen d. dt. Frühromantik üb. d. Wesen d. poetischen Gattungen, Diss. Greifswald 1922 (Masch.Expl.), S. 101. Ebenso wie dort A. W. Schlegel gleichsam als bloßer (u. blasser) Ableger v. Fr. Schlegel aufgefaßt (u. dementsprechend vernachlässigt) wird. S. 322. K u n s t t h e o r i e d. jüngeren Romantik. — Eine wirklich befriedigende Sonderarbeit besteht — m. E. — nicht; denn Carlo Engel: Studien zum Dichterbegriff u. zur poetischen Anschauung der Heidelberger Romantiker, Diss. Frankf. a. M., gedr. Würzburg 1934 bleibt unzulänglich u. zudem in der formalen Fassung verworren bis gespreizt im „dichterischen" Gehaben. Schon die Formulierung im Titel „zur poetischen Anschauung" spiegelt das „Ungefähre"; denn offensichtlich ist nicht die poet. Anschauung gemeint, sondern die Auffassung von d. Poesie. Womöglich meint Verf. aber auch seine eigene, vermeintlich „poetische" Anschauung vom Dichter„Begriff". Es erregt eine schmerzliche Bewunderung (bis Verwunderung), daß es Carlo Engel gelungen ist, die Verworrenheit der Dichter-Vorstellung (denn von „Begriff" kann an sich schon schwerlich die Rede sein) der jüngeren Romantik nun seinerseits noch weiterhin zu verwirren, wozu die Geheimsprache seines mystisch, (bis mythischen) Stils ein Erhebliches beiträgt. Eine der Ursachen dieser hoffnungslosen Wirrnis dürfte darin zu suchen sein, daß Verf. sich ins Biographische flüchtet, wo Begriffe fehlen. C. Engels Kapitel etwa über die „Brüder Grimm und d. Heidelberger Romantiker" (S. 6f.) läßt das Biographische überwiegen. Das anschließende Kap. „Zeit u. Kritik" (S. 22—27) kommt über den Charakter einer bloßen Miszelle nicht hinaus. Dort taucht plötzlich unvermittelt Görres auf, der sonst völlig vernachlässigt worden ist u. auch hier beiläufig erwähnt wird. Was dann in kurzen Abschnitten üb. Brentano (S. 28f.), Arnim (S. 42f.), Jakob Grimm (S. 66f.), Wilh. Grimm (S. 76f.) gesagt wird, ist streckenweise wenigstens etwas brauchbarer. Doch wird auch hier die eigene Urteilswilligkeit u. Urteilsfähigkeit allenthalben vermißt. Arnim ζ. B. erscheint nur deshalb als „echter" Dichter, weil Brentanos verständnisvolle Freundschaft ihn (doch auch nur mit beträchtlichen Einschränkungen) dafür hält. Und Bren-

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tano seinerseits erscheint nur als „echter" Dichter, weil — Carlo Engel ihn dafür hält. Und J. u. Wilh. Grimm erscheinen nur als verläßliche Kronzeugen für die unverläßlichen Dichter Brentano u. Arnim, weil sie die Begründer der Germanistik (aber schwerlich der Literaturwissenschaft) sind. Aber üb. diese Sonderwürdigungen wird an entsprechender Stelle noch einiges zu sagen sein. — Auch 0. W a l z e l : Grenzen von Poesie u. Unpoesie (bzw. Nichtpoesie) Frankf. a. M. 1937 erkennt die Unzulänglichkeit der „Studien" Carlo Engels {a. a. 0. S. 156), wobei er besonders das Verhältnis v. Volkspoesie u. Kunstpoesie im Auge hat. Η. A. K o r f f : Geist d. Goethezeit, Teü IV (1953) bezeichnet die „jüngere" Romantik als „Hochromantik", wie er denn diesem Teil IV das Leit- u. Kennwort „Hochromantik" mit auf den Weg gegeben hat in merklicher Anpassung an seine Gliederung der Klassik; er spricht wohl auch von „Deutschromantik" (bes. i. d. Inhaltsangabe). — Das fünfte Buch behandelt „Die Vollendung der Kunstphilosophie", a. a. 0. S. 703—752. Η. A. Korff umgrenzt diese Vollendung der Kunstphilos. durch die Zeitgrenzen 1790 u. 1820. Der späte Termin dürfte bedingt sein durch Hegels Ästhetik-Vorlesungen zu Heidelberg 1818. An sich war um diese Zeit die eigentliche Lit.-Philos. der Romantik (im engeren Sinne) schon merklich im Abblühen begriffen. Hegels Geschichtsphilos. ζ. B. weist schon auf Fr. Hebbels Kunsttheorie u. seine Anschauungen vom „epochemachenden Drama" voraus, wie A. Schopenhauer auf Grillparzer hinüberweist. Auch Solger steht bereits an der Wende v. d. Romantik z. Realismus. Einleuchtend wirkt der grundlegende Gedanke, daß die Ästhetik der Klassik in der Romantik eine Transponierung vom Psychologischen ins Metaphysische erfahren hat. Dennoch wird man die Ansätze zum Realismus innerhalb der Literaturphilos. d. Romantik nicht unterschätzen dürfen. S. 323. S a m m l e r t ä t i g k e i t v. A r n i m s u. B r e n t a n o s . — Weder A. v. Arnim noch Cl. Brentano sind streng philolog. geschulte „Sammler". Immerhin übertrifft Brentano an histor. u. literaturhistor. Einfühlung A. v. Arnim, der ζ. T. recht willkürlich vorgeht, u. zwar sowohl im „Wunderhorn" als auch in der Einsiedlerzeitung. A. v. Arnim geht in den „Modernisierungen" sehr viel unbedenklicher

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vor als Cl. Brentano, der weit behutsamer verfährt. Brentano meldet histor. Bedenken an, wo A. v. Arnim die unhistor. Bearbeitung unbedenklich gutheißt. Beide waren bloße Dilettanten; aber Brentanos histor. Sinn war relativ ausgeprägter. Für A. v. Arnim war die Vergangenheit nur ein Durchgang zu seiner Gegenwart, während Brentano ihr ein Eigenrecht williger u. verständnisvoller (im Sinne des histor. Verstehens) einräumte. Bei A. v. Arnim scheint die Ehrfurcht vor dem histor. Gewordenen häufiger getrübt von der Ehrsucht, eigene Dichtungen notdürftig unterzubringen. Einzelbelege für diesen freilich nur bedingten Unterschied bringt (nach dem Vorgang R. Hayms) bes. H e r b e r t L e v i n (1922), S. 42 u. ö. Rein lokal gesehen, griff die Sammlertätigkeit von Heidelberg auf Kassel über. Und die Sammlertätigkeit der Brüder Grimm war bereits weit wissenschaftlicher eingestellt. Bei A. v. Arnim u. Cl. Brentano wurde die Bemühung, das Fremde histor. verstehend unterzubringen, immer wieder eingeschränkt durch das merkliche Bemühen, das Eigene (an vermeintlicher Dichtung) irgendwie unterzubringen. Man machte das Fremde bekannt, um das Eigene beliebt zu machen. Man ließ das Fremde histor. gelten, um das Eigene ästhetisch zur Geltung zu bringen. Man hielt sich an das äußere Sammeln, um der inneren Sammlung im Sinne künstlerischer Konzentration überhoben zu sein. Und nicht selten mußte die histor. Einfühlung den genialen Einfall ersetzen. Die Einordnung in die Tradition muß die schöpferische Intuition ersetzen. Und das „Weh dir, daß du ein Enkel bist" wird oft genug variiert zu einem uneingestandenen: Wohl dir, daß du ein Enkel bist. Denn das Traditionsbewußtsein wird stärker ausgebildet als das Selbstbewußtsein. Das histor. Überlieferte ist verläßlicher als das durch eigene Produktion „Gelieferte", das histor. Erworbene ist maßgebender als das ästhet. Errungene. Ja, es gilt geradezu ids Wertkriterium, wenn man das Neu-Gewonnene in das AltUberkommene stileinheitlich u. bruchlos eingliedern kann. Die erwähnte Sonderarbeit v. H e r b e r t L e v i n : Die Heidelberger Romantik, Münch. 1922 bedarf eines kurzen Eingehens. Unter Berücksichtigung der Voraussetzungen i. Heidelberg (Fr. Creuzer, Karl Daub u. a.), unter biograph. Einbeziehung d. Karoline von Günderode u. d. mannigfachen persönl. Verflechtungen entwirft H. L. ein anschaul. Bild von jenem Sammlereifer. Dabei kommen die 39 M a r k w a r d t , Poetik I I I

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rückwärtigen Beziehungen zur Jenaer Vorstufe (Savigny) u. zur Sproßform i. Kassel (d. Brüder Grimm, J. G. u. W. G.) voll zur Geltung, obwohl das Biographische das Ideeliche streckenweise zu überrunden droht. Immerhin wird die Entstehung des „Wunderhorns" verhältnismäßig verläßlich dargestellt, wobei Cl. Brentano relativ histor. gewissenhafter wirkt u. waltet als A. v. Arnim. Die Bemühungen Büschings u. von der Hagens finden Berücksichtigung. Die Spannung Romantik — Aufklärung wird gebührend herausgearbeitet. Volkslied und Volksbuch (J. Görres, Vorarbeit: Fr. Schlegel u. A. W. Schlegel), das auch mit der Sammlung des „Buches der Liebe" durch Büsching u. v. d. Hagen vertreten ist (a. a. 0. S. 61), stehen merklich im Mittelpunkt der Untersuchungen H. L.s; ähnlich die Bemühung um d. Gesch. d. Mythologie (Creuzer-Görres). Im weiteren Umkreis begegnen Graf Loeben u. d. Übersetzer Johann Gries, der Tasso- und Ariost-Übersetzer. Gries war seit Frühling 1806 i. Heidelberg wirksam, das er 1808 verließ; vgl. E l i s . C a m p e : Aus dem Leben v. J. D. Gries 1855. Sammler waren (längst vor dem Biedermeier) vor allem Cl. Brentano, A. v. Arnim, W. u. J. Grimm, J. Görres, Jung Stilling, Winckelmann (a. a. O. S. 36), Supliz u. Melchior Boisser£e (bes. bild. Kunst) u. a. m. S. 323. V o r a r b e i t H e r d e r s . — Ohne Herders Vorarbeit ist der Ertrag d. jüngeren Romantik kaum zu denken. Das gilt sowohl vom histor. Sinn als vom nationalen Sinn, sowohl von der sprachphilos. Besinnung als auch von der kulturgeschichtl. Gesinnung, sowohl von der Abwehr abstrakter Philos. als von der Ablehnung einer gesetzgebenden Kunsttheorie, sowohl vom Volksliedgedanken als von der Vorstellung vom Volksgeist, sowohl vom Entwicklungsgedanken als vom Organismusgedanken. Kurz, was der jg. Herder projektiert hatte, beginnt d. jüngere Romantik zu produzieren, wobei das Urtümliche u. Volkstümliche eine merkliche Aufwertung erfährt. Volkskunst u. Volkskunde ergänzen sich dabei wechselseitig, wie sich das Histor. u. Nationale ergänzen. Das Mißtrauen gegenüber der Philos. aber mußte i. d. jüng. Romantik verstärkt werden durch das Vertrauen zur Poesie, die vom Volk ausging u. wieder auf das Volk zuging. Die Herdersche Konzeption der Nationalliteratur half die Position d. Volkslit. gewinnen. Und wenn Herders Deutung der

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Dichtung als einer spez. „geistigen" Kunst der Lit.-Philos. d. älteren Romantik näher zu stehen scheint, so kam seine Deutung der Dichtkunst als einer Emanation des Volksgeistes dem Kunstwollen der jüngeren Romantik entgegen. S. 341. R e h a b i l i t a t i o n der N a t u r u. des G e f ü h l s (Brentano). — Dieses bemerkenswerte Kunstbemühen übersieht fast völlig C a r l o E n g e l a. a. 0. (1934) in seinem Brentano-Abschnitt (S. 28—41), indem dort zwar von dem Streben nach einer „höheren Natureinheit" die Rede ist (S. 40), aber das Gefühlskriterium weitgehend ausgeschaltet bleibt, weil C. E. sich zu sehr ablenken läßt von den selbstkritischen Gegenforderungen Brentanos: Ordnung u. Planmäßigkeit. Das ergibt sich folgerichtig aus dem für Carlo Engels Themastellung („Dichterbegriff . . . der Heidelberger Romantiker") verfehlten Verfahren, das problematische in sich gebrochene Dichtertum Brentanos psychologisch zu ergründen u. notdürftig zu umschreiben. — Richtig beobachtet wird die Neigung Brentanos, sich mit dem vorweggenommenen u. voreingenommenen Attribut „poetisch" aus der Affäre zu ziehen, ob es sich nun um die „poetischen Lande der Phantasie" oder um „poetische Worte" u. „poetische Ausdrücke" (gelegentl. d. „Romanzen vom Rosenkranz") oder um „poetisches" Leben (auch jenseits der Dichtkunst) handeln mag. Brentano nimmt damit etwas vorweg von dem Notausgang Otto Ludwigs, den ihm gemäßen Idealrealismus oder Realidealismus kurzerhand als „poetischen" Realismus zu bezeichnen. Die vorwärtsweisenden „poetisch"realistischen Ansätze bei Brentano werden von Carlo Engel nicht erkannt u. daher auch nicht anerkannt. Begrüßenswert ist ein gewisser Ansatz zur werkimmanenten Poetik hinsichtl. d. „Romanzen vom Rosenkranz" u. des „Libussa"-Dramas, der freilich schon im Keim verkümmert bleiben muß, da nicht einmal die gattungstypologische Verbesonderung (Romanze — Heiligendrama) berücksichtigt wird. Berechtigt erscheint dagegen die Herausarbeitung des religiös-christl. Akzents (S.38). Der Hinweis auf den Brief an Sophie (Okt. 1803) bleibt dankenswert, ebenso auf die Selbstkritik Brentanos hinsichtlich seiner „Sprachkoketterie" (a. a. O. S. 37). O. W a l z e l a. a. O. (1937) übergeht Brentanos Kunsttheorie vollständig. S. 342. Brentano, (Exkurs: werkimmanente Poetik). — Wenn einst Klopstock der Steigerung in das Rauschhafte 39·

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sowohl im religiösen wie im nationalen Bezirk bedurft hatte, um sich seines Dichtertums bewußt u. als Gestalter wirksam zu werden, so bedurfte Cl. Brentano des Auftriebs des Religiösen einerseits u. des Volkstümlichen andererseits, um sich zur Produktion ermutigt u. ermächtigt zu fühlen. Der (überwiegende) religiöse Auftrieb bekundet sich etwa in den „Romanzen vom Rosenkranz" u. im Märtyrer-Drama „Libussa"; aber auch in weiterlebenden Gedichten, wie etwa von dem zuletzt siegreichen Glauben des frommen Mütterleins, der die schützende Mauer gegen die irdischen Feinde durch die Macht des Gebetes herbeizwingt, wenn es sich, realistisch gesehen, auch nur um ganz natürliche, aber situationsgemäß eben doch wunderbare Schneeverwehungen handeln mag. Die Weite des Wunders der Romantik umhegt hier gleichsam die Enge des rein-menschlichen Sich-Behauptens im Kriegerisch,,Historischen". Das innere Gesetz der E r b a u u n g s literatur ist in derartigen Fällen in dem Gesetz der Kunstdichtung im besten Sinne aufgehoben. Religiöse Gesinnung u. ästhetischer Sinn haben in Brentanos Dichten immer wieder eine organische Einheit erstrebt u. sie, zwar nur in glücklichen Einzelfällen, auch zu erreichen vermocht. In glücklichen Einzelfällen, weil vielfach der Einbruch der romantischen Ironie u. der zugeordneten Freude am Wortspiel u. selbst a. d. Gedankenspielerei den „poetischen" Eindruck ursprüngl. Einfalt zerstört oder doch die ursprüngl. Klarheit bedenklich (weil gedanklich) eintrübt. Das dichterisch gestaltende Transponieren der Transzendenz in die „poetische" Realität gelingt eben doch nur gelegentlich. Und die Religion bleibt durchweg die Gelegenheitsmacherin für die Poesie. Fast könnte man zuspitzen: nur wo Brentano den religiösen Ruf vernimmt, vervollkommnet sich seine Erbauungsliteratur zur echten Kunstpoesie. Aber, und darin liegt eine unübersehbare Einschränkung der religiösen Einseitigkeit, auch das Volkstümliche befreit in ihm zum mindesten streckenweise das Dichterische. So gesehen u. gedeutet steht immer das Kirchenlied einerseits u. das Volkslied andererseits stützend u. stärkend hinter den wertvolleren dichterischen Produktionen Brentanos. Und vereinzelt gelingt es ihm, dieses Einerseits-Andererseits glücklich u. organisch zu einer Einheit zu verschmelzen. Dem Endlichen kommt auch in der Kunst nur Dauerwert zu, wenn ihm das Unendliche nicht allein der pro-

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gressiven Universalpoesie der Romantik eingekörpert ist, sondern auch das Unendliche der Gottesvorstellung, so daß sich religiöser Ewigkeitswert u. poetischer Dauerwert folgerichtig verbinden. Denn „jedes, auch das gelungenste Kunstwerk, dessen Gegenstand nicht der ewige Gott und seine Wirkung ist," muß trotz allen kunsttechnischen Virtuosentums stets unzulänglich u. i. d. Wirkung unbefriedigend bleiben. Näher heran an den Menschen aus dem Volke aber — u. darin liegt die zweite Voraussetzung des gesellschaftlichen Funktionswertes der Poesie sowohl im Sinne der religiösen Gemeinde als auch der nationalen Gemeinschaft — führt die Erbauungsdichtung, wenn sie den Anschluß an die Volksdichtung nicht verschmäht. Brentano nämlich sieht diese Annäherung von Kunstdichtung u. Volksdichtung im Gegensatz zu J. Grimm nicht nur als möglich an, sondern auch als schlechthin notwendig. Und wie die Erbauungsliteratur nur wirksam werden kann, wenn sie im Volke wurzelt, so auch kann die Kunstdichtung nur wertvoll werden, wenn sie sich nährt aus den Wurzelkräften der „Volkspoesie". Anders gesehen u. gesagt: Die Weite des Wunders der Religion kann die relative Enge des Wunders der Nation u. der Volksmäßigkeit schlechthin nicht entbehren. Eine Notbrücke zwischen beiden vorerst noch getrennten Wertwelten vermag der historische Sinn u. das historische Verstehen im Sinne einer religiös verbesonderten u. gesteigerten „Geschichtlichkeit" (die A. v. Arnim weiter u. williger ausbaut) zu schlagen, wenn man im Geist der Geschichte auch den Geist Gottes zu vernehmen und zu verspüren vermag. Freilich ragen u. reichen das Geschichtliche u. das Vorgeschichtlich-Mythische vielfach u. mannigfach ineinander, wie etwa das „Libussa"-Drama bekundet. Das „Libussa"-Drama „ D i e G r ü n d u n g P r a g s " (1815) trägt nicht umsonst den Zusatztitel: „Ein historischromantisches Drama". Wir würden es heute weit eher u. wohl auch treffender ein , .mythisch-romantisches Drama" nennen. Die Mythologie ist dabei die slawische Mythologie, nicht jedoch die antike oder nordische Mythologie, die uns sonst im dt. Drama hauptsächlich begegnen. Darin war Zacharias Werner wegbahnend vorausgegangen. Aber auch Brentano hat sich hier mit der slawischen u. spezifisch der tschechischen Mythologie befaßt (vgl. A. v. R a y s s a r o w u. K . G. A n t o n ) . Hajek v. Libotschan („Böhmische Chronik" 1541) bot manches Stoffliche. Es ist

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kennzeichnend für die Art der Verarbeitung des „Historischen", daß den Romantiker weit mehr das Phantastische als das Historische angezogen hat. Das Lyrische, das Η. A. K o r i f (Bd. IV S. 449) als den „Grundcharakter" Brentanos mit Recht hervorhebt, (unter gebotener Einbeziehung des Religiösen) setzt sich auch in diesem fast barock gestimmten Märtyrer- u. Erlösungsdrama Brentanos ganz unverkennbar durch. Die Auffangsstellung des Christentums einerseits u. des Muttertums andererseits bieten seiner Unrast Halt (wie weit später im Expressionismus des 20. Jh.s). Das immanente Gesetz der „Libussa" vereinigt wiederum das Gläubige mit dem Volksaberglauben, also das Religiöse mit dem Nationalen. Das „klassische" Freimaurertum verschmilzt sich sonderbar, ja wunderbar u. wunderwillig genug mit dem romant. Christentum. Die Bemerkungen des Slawen-Unterführers Biweg über den eigenartigen „Meurer" u. Bildner Pachta, die Bekundungen Pachtas selber (i. d. Halle des Schlosses Libin) verweisen auf das „klassische" Freimaurertum. Auch in späteren Teilen des Dramas, wo Pachta von seiner Entführung durch die Avaren-Krieger berichtet, wird das deutlich. Aber entscheidend bleibt dennoch seine Bekehrung zum Christen. Das Götzenbild wird beim Sturz vom Tempelgesims zerschmettert, nicht jedoch der Bildner selbst. Die Wendung zum Märtyrer-Drama wird nicht nur durch den Meister Theophilus vollzogen, sondern auch durch die weibliche Zentralgestalt Trinitas, die berufen ist, das Christentum in Böhmen zu verbreiten. Zurückgeführt auf jene Grundkräfte, vertritt Trinitas das Christentum, Wlasta (Böhmischer Mägdekrieg) das Volkstum, d.h. wieder bedarf Brentano der vereinigten Anspornungen d. Christenglaubens einerseits u. des Volksglaubens (u. Aberglaubens) andererseits. Ziel des Kunstwollens war auch hier ein Triumph des Christentums im Sinne einer Weite des Wunders. Das Wunderliche des Volksaberglaubens hatte letztlich nur die dienende Funktion, das Wunder des echten u. rechten Glaubens zu bestätigen. Calderon u. Zacharias Werner bieten das liter. Vorbild, während die Libussa-Aufführung des bekannten Theaterprinzipals Johannes Velten in Dresden (1666) nur im ersten Teü motivlich in Betracht kommt. Erinnert sei daran, daß die Familie Brentano seit 1808 ein größeres Landgut Bukowan im Böhmischen besaß, um das sich Clemens Brentano neben seinem Bruder Christian dem Wunsche der Familie

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nach kümmern sollte (aber kaum ernstl. gekümmert hat). Die Stadt Prag aber hat sich ihm eingeprägt, ein Beispiel dafür, daß Brentano keineswegs nur, wie er „romantisch" glauben machen möchte, aus bloßer Phantasie heraus gedichtet hat. Eigenartig genug verbinden sich so das Religiöse u. das Reale beim Zustandekommen dieser Konzeption eines lokal-konkreten u. zugleich religiösabstrakten Märtyrerdramas, das motivlich auf Grillparzer vorausweist, aber weltanschaulich die religiöse Auffangstellung aufsucht. Das Werk wurde schließlich ein Kompromiß (wie die meisten Dichtwerke Brentanos), u. es wurde der russischen Großfürstin Katharina Paulowna (die freilich zugleich Herzogin von Oldenburg war) gewidmet. Das hindert nicht, daß spezifisch deutsche Kulturtraditionen nachwirkten (neben Calderon) wie etwa Goethes „Faust" oder Schillers „Jungfrau von Orleans". Das Volkstümliche (Volkskundliche u. Sagenhafte) überwucherte, wie die Anmerkungen andeuten, vielfach das Religiöse, das doch merklich den Primat für sich beansprucht. Letztlich bleibt das Ganze opernhaft in Anlehnung an Kreutzers Oper „Libussa", die 1823 in Prag aufgeführt wurde. Aber hier war Brentano der Vorgänger für den Textdichter Bernard jener Oper Kreutzers. Eine bloße „Spiegelfechterei der Phantasie" an Brentanos „Libussa" beanstandet kritisch die Jenaische „Allgemeine Literaturzeitung" (bereits 1815). Das werkimmanente Gesetz verweist jedenfalls weit mehr auf ein mythisches Weihespiel u. nationales Festspiel als auf ein „romant.-histor. Drama". So betrachtet u. bewertet, würden sich auch die lyrisch-hymnischen Werte besser u. bruchloser einfügen u. damit Η. A. K o r f f Recht bekommen, der im Dichter Brentano vorab u. vorzüglich den Lyriker sieht. Immerhin interessiert Brentanos „Libussa"-Fragment im Vorausblicken auf Grillparzer, wie sein Lustspiel „Ponce de Leon" im Vorausblicken auf G.Büchners freilich vorab von A. de Musset („Fantasio") abhängigem Lustspiel „Leonce u. Lena". Eben aber diese Motiv-Spannung Grillparzer-Büchner zeugt für die anregende mehr als ausführende Vielseitigkeit Clemens Brentanos. Die Spännung von klass. Freimaurertum einerseits, romant. Christentum andererseits war aufrechterhalten worden in dem „Comingo"-Drama Brentanos „ A l o y s u. I m e l d e " , das sich mit dem Schicksal der romant.-

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mystischen Sekte der Camisarden oder „Elendsbrüder" befaßte. Es war bis 1910 verschollen u. wurde erst 1912 veröffentlicht (abgesehen von einigen eingestreuten Gedichten). Es mochte dabei im Sinne der Vorbild-Poetik Goethes „Wilhelm Meister" nachwirken, wofür noch die erste Prosafassung Zeugnis ablegen könnte. Die zweite, die Versfassung, ist Fragment geblieben. Vom Persönlichen her spielt zudem der Streit um Rahel Lewin (später Gattin Vamhagen von Enses) mit hinein, kein Wunder, daß eine Art von Schlüsseldrama daraus geworden ist, wobei Comingo bedenklich Varnhagen von Ense gleicht, und das beschlagnahmte Manuskript eine entsprechende Rolle spielt. So ist das Romeo u. Julia-Motiv eingetrübt durch rein persönl. Komplikationen. Historisch wirken Montesquieu einerseits u. d'Alembert andererseits hinein. Es geht — gattungstypologisch — um die Umformung einer Novelle (der Madame de Tencin) in ein Drama. Es handelt sich um die „Comminge"-Novelle. Wieder aber wird der religiöse Hintergrund der Camisarden-Bewegung deutlich. Und nicht von ungefähr taucht im Hintergrund Klopstock mit seinen biblischen Dramen einerseits u. seinen bardischen Dramen andererseits auf. Manches verweist auch auf H. v. Kleists Erstling „Die Familie Schroffenstein", und insofern weicht Brentano von dem Ertrag der zugrundeliegenden franz. Novelle wesentlich ab, wobei bereits Schicksalsdramatisches nicht allein im Requisit (Erbschwert), sondern auch in der Grundhaltung zur Geltung drängt. Tristan u. Isolde einerseits, aber auch Pyramus u. Thisbe andererseits dürften die liter. Vorbilder für „Aloys u. Imelde" gestellt haben. Germanistische Ambitionen setzten sich dergestalt durch ohne eigenwertiges dramatisches Vermögen. Man wuchert mit alten Motiven, ohne ihnen eine neue Gestaltung überzeugend abzugewinnen. Kurz, wo Brentano ein Gegenwärtiges zu bieten u. künstlerisch zu bilden vorgibt u. sich selber vortäuscht, folgt er in Wirklichkeit einer älteren Tradition, ob nun im „Libussa"-Drama oder im „Comingo"-Drama. Er bedarf des Vorgeformten, um selber zur Formung zu gelangen. Er kann nur „erfinden", wo er etwas vorfindet, gleichgültig ob es sich um das Lyrische oder Dramatische handelt. Und wie er in der formulierten Poetik immer wieder vom „Poetischen" spricht, ohne es wirklich zu beherrschen, so ringt er auch in der werkimmanenten Poetik immer um das „Dichterische",

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ohne es wirklich zu gewinnen u. zu gestalten. Und nur dann u. dort, wenn u. wo das Historische oder das Religiöse ihn stärkt u. gestaltungsmäßig stützt, wo er den Glauben der Kirche oder den Aberglauben des Volkes zu Hilfe ruft, wird aus dem religiös Deutenden oder dem volkstümlicher Überlieferung Dienenden der Dichter, der dort glaubhaft zu gestalten weiß, wo er die Mischung von Glauben u. Aberglauben hinter sich weiß. Das gilt auch in gewissem (wenngleich eingeschränktem) Sinne von den „Romanzen vom Rosenkranz", in denen nicht zufällig Schicksalsdramatisches vorklingt u. das Wunder der kämpferischen Wandlung eines sündigen Geschlechts verquickt erscheint mit Elementen des Volksaberglaubens wie etwa dem Liebestrank oder dem lebendig gewordenen (Tränen verströmenden) Bildnis der Mutter der drei „Rosen". Wieweit sich bei Vollendung der Dichtung die schwüle Glut des Sündigen vollends zur reinen Flamme sinnbefreiter Gläubigkeit u. damit zur Erlösung von der Erbschuld geläutert hätte, ist schwer zu entscheiden, lag aber offenbar im Kunstwollen von vornherein bereit. Das romant. Gestaltungsgesetz einer bis zur Phantastik gesteigerten Phantasie u. die Umsetzung des ethischen Kampfes in einen religiösen Kampf wird aber auch jetzt schon erkennbar. Und das spätere Abrücken Brentanos von dieser Dichtung dürfte mehr der sinnlichen Verflechtung als der religiösen Verpflichtung gegolten haben, die als religiöses Gefühlskriterium besonders schweren Belastungen durch Gefühls Verwirrungen (u. Verirrungen) ausgesetzt bleibt, wie später das rein menschliche Gefühlskriterium H. v. Kleists sich an schwersten Gefühlsverwirrungen erproben mußte, um die gültige Bestätigung seines inneren u. unüberfragbaren Wertes zu finden u. nach aller Verfinsterung endlich doppelt hell aufleuchten zu lassen. Ob aber am Ende nicht doch die demütige Beugung der Poesie unter den Primat der Religion dem eigentlich u. echt Poetischen, selbst wenn man es im Sinne der Romantik versteht u. gelten läßt, nicht nur das künstlerisch-konstruktive Rückgrat gebrochen, sondern auch das schlicht glaubende Herz zerbrochen hat, so daß Brentano (wie Arnim u. späterhin vollends Z. Werner) an Kunst einbüßt, wo er als katholischer Christ zu büßen meint, kann im Skizzenstil dieser Exkurse nicht so beiläufig erörtert oder gar verbindlich entschieden werden. Zum mindesten für die Romanzen vom Rosenkranz liegt

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indessen diese Fragestellung nahe. Auf der anderen Seite wird klar, daß diese „Romanzen" von den „komischen Romanzen" der frühen Aufklärung unendlich weit entfernt und ihnen ideelich weit überlegen sind. Aber wenn man sie einen „katholischen Faust" genannt hat (was schon Η. Α. Κ or ff abwehrt), so dürfte eher der von Brentano selber geforderte Bezug auf Dantes „Göttliche Komödie" berechtigt sein; doch wiederum so, daß man fast von einer Tragikomödie des Göttlichen im brechenden Zwielicht der romantischen Ironie (u. d. Sinnlichkeit u. Phantastik Brentanos) sprechen möchte. Und wenn strenge Kreise protestantischer Kirchlichkeit bereits an der dichterischen „christlichen" Mythologie von Klopstocks „Messias" Anstoß nahmen, wieviel mehr müßten dann strenggläubige Katholiken die Problematik der „Romanzen vom Rosenkranz" Brentanos beanstanden. Es ist eben doch auch dem ehrlichsten Kunstwollen nicht leicht, die Eigenwelt der Dichtimg mit anderen u. bes. mit ihr übergeordneten (oder doch als übergeordnet empfundenen) Wertweiten in bruchlose Einheit zu bringen. S. 342. Stimmung vor J e n a . — A. v. Arnim beabsichtigte, dieser gedrückten Stimmung durch kulturpatriotische Impulse mit der geplanten Herausgabe einer nationalen Zeitschrift „Der Preuße" aufzuhelfen; daraus wurde nichts, u. nur eine Sammlung „Kriegslieder" konnte damals Zustandekommen. In gewissem, entsprechend modifiziertem Sinne war dann die „Ztg. für Einsiedler" eine nachträgliche Verwirklichung jenes Plans, wobei das Nationalhistorische, um eine prägnante Formulierung Η. A. Korf fs zu gebrauchen, den Hauptakzent trug; vgl. Herbert Levin: Die Heidelberger Romantik (1922) S. gif.; Einen entsprach, modif. Reflex mit Bezug auf die Frühromantik bringt Otto B r a n d t : A.W. Schlegel, der Romantiker u. d. Politik, Stuttg. u. Bln. 1919, wobei die positive Einstellung A. W. Schlegels zu Preußen abgehoben wird von der negativen Fr. Schlegels; a.a.O. S. 71—73; die jüngere Romant. wird dort berücksichtigt S. 79. S. 343. Wesenselemente d. Volksdichtung. —· Wenn A. v. Arnim „die hohe Würde alles Gemeinsamen, Volksmäßigen darstellen" will, so erinnert das Programmwort „volksmäßig" an G. A. Bürger, so sehr sonst der Abstand von ihm erkennbar wird. Und die Betonung der „Würde" rechtfertigt auch vom Sonder fall der jüngeren Romantik

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aus unser Merk- u. Kennwort „volkswürdig", das werthaft abgestuft u. aufgehöht gegenüber dem nur „Volksmäßigen" bei G. A. Bürger erscheint. S. 344. „ S e n d s c h r e i b e n " , Z i t a t e . — II, 476/77. S. 345. J. H. V o ß ' A n g r i f f . — Die weltanschauliche u. persönliche Spannung zw. der Gruppe der Heidelberger Romantiker und dem um den Veteranen der nachwirkenden Aufklärung J. H. Voß gescharten Kreis (H. S. Michaelis, 0. J. D. Martens, Alois Schreiber) arbeitet mit reichem Material, aber verwirrend in den Einzelzügen heraus H. L e v i n a. a. Ο. (1922). Voß sprach geradezu von „mutwilligen Verfälschungen" u. einem „untergeschobenen Machwerk"; daß er zudem von „Gassenhauern" u. „abgestandenen Kirchenhauern" sprach, erinnert peinlich an das grobschlächtige krit. Verfahren Fr. Nicolais gegenüber der Volksliedbestrebung Herders. S. 346. A r n i m s „ E i n l e i t u n g " . — H. R. L i e d k e : Literary Criticism and Romantic Theory (A. v. Arnim), Columbia 1937, Germ. Studies Nr. 6. S. 347. H i s t o r . D a t e n t r e u e . — Auf die Auffassungen L. Uhlands u. E. v. Raupachs üb. d. Verhältnis von Dichtung u. Datentreue wird Bd. IV dieser Darstellg. kurz eingehen; vgl. vorerst E. K l o t z : Das Problem d. geschichtl. Wahrheit im histor. Drama Deutschlands v. 1750—1850, Diss. Greifswald 1927. S. 347. H i n s t r e b e n z u r O b j e k t i v i t ä t . — Die naturwiss. Interessen A. v. Arnims dürfen nicht unterschätzt werden. C a r l o E n g e l : „Studien zum Dichterbegriff ... der Heidelberger Romantiker" (1934) berührt sie wenigstens einleitend im Arnim-Abschnitt (a. a. O. S. 42). Die Poesie tritt für A. v. A. nicht nur als Geschichte, sondern auch als „Naturereignis" in die (dichterisch greifbare) Erscheinung (S. 44). Das Streben zur Objektivität vernachlässigt diese Sonderarbeit, obwohl sie Wandlungen der „Subjektivität" (S. 47) zugibt. Hinsichtl. des dichterischen Verfahrens wird A. v. Arnims Mangel an Ordnungssinn u. zielstrebiger Planung immer wieder hervorgehoben. Das ruhige Ausreifen u. objektivierende Vergegenständlichen wird bei A. v. A. vielmehr vermißt (S. 56). Es wird zugestanden, daß A. v. A. die „unbedingte Heiligkeit des Faktischen" wohl kennt, sie als Romantiker aber eben doch nicht anerkennt (S. 63), dagegen habe er „Wechsel-

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Wirkungen zwischen Poesie u. Wissenschaft" immerhin „gespürt". Im Ganzen bleibt das Bild von Arnims „Dichterbegriff" bei Carlo Engel verworren, um so mehr, als er es aus bloßen kritischen Reflexen von dritter Seite zusammensetzt. Dagegen wird die religiöse Tönung der Dichter-Vorstellung bei A. v. A. richtig beobachtet (S. 58). Die werkimmanente Poetik bleibt völlig unbeachtet u. unausgewertet. Man erfährt nur (u. zwar notdürftig), was A. v. A. über sein Dichtertum „bekundet" hat u. was andere (d. Freunde) dazu gesagt u. darüber ausgesagt haben. Was aber helfen „Sonder"-Untersuchungen, die vor dem Besonderen u. Eigentümlichen hilflos ausweichen, so anspruchsvoll sie im stilist. Gehaben u. Gepräge auch immer auftreten ? S. 351. „ Z e i t u n g für Einsiedler". — Brentano u. Arnim planten etwa seit 1805 eine eigene Zeitschrift, die das Cottasche „Morgenblatt f. gebildete Stände" überbieten sollte; sie sollte den Geist des Mittelalters neu erwecken u. seltene liter. Kostproben bieten („lauter reizende u. kuriose Bruchstücke"), vor allem auf „Poesie u. Historie des Mittelalters" sollte sie zurückgreifen; zeitweise dachte man angesichts des Sagenhaften u. Anekdotischen an den etwas herben Titel „Lügen". Der Titel „Trösteinsamkeit" wurde dann für die Restauflage der „Einsiedlerzeitung" gewählt, wobei „alte u. neue Sagen u. Wahrsagungen, Geschichten u. Gedichte" überwiegen sollten; dabei sollte das nur „Volksmäßige" zugleich gesichtet werden, um das Volkswürdige wirksam herauszustellen. S. 351. Achim v. Arnim (Exkurs: werkimmanente Poetik.) — In Achim v. Arnims Kunstwollen überwiegt von vornherein u. durchgängig das „Wollen" gegenüber der „Kunst"; er will mehr, als er vermag. Er läßt sich durch Vorbilder verleiten, die Kunstwirkung zur Anregung zu nehmen, um sich zur Kunstleistung ermutigt zu fühlen. Und so bleibt er in jenem höheren Sinne, in dem Goethe u. Schiller vom Dilettantismus handelten, doch zuletzt ein „Dilettant". Dieser Befund wird bestätigt durch den Eindruck, daß er stets geneigt ist, „Eigenes" dort unterzubringen, wo eigentlich „Anderes" erwartet wird, in „Des Knaben Wunderhorn" so gut (oder schlecht) wie in der Einsiedlerzeitung („Trösteinsamkeit"). Vor lauter und gewiß „lauter" gemeinter Anpassung gelangt er kaum jemals zur eigenen „Fassung" u. zur formenden Fassung

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des ihm Eigentümlichen. Er erobert nicht die „Gattungen", sondern erprobt sie. Er versucht sich in der volkstümlichen Lyrik u. in der ideenhaltigen Dramatik. Ohne wahrhaft ein echter Dichter zu sein, „poetisiert" er ein wenig u. „romantisiert" er allenthalben. Er ist mehr durch Ehrgeiz u. persönliche Beziehung in die Kunst geraten, ohne daß ihm jemals ein wirkliches Kunstwerk geraten ist. Und wenn man im Anschluß an Frz. Mehring Kleist einen „verirrten preußischen Junker" (reichlich vorschnell) genannt hat, so könnte aus jenem Blickwinkel weit eher A. v. Arnim so genannt werden. Denn während für H. v. Kleist die Kunst die eigentliche Heimat wurde, die ihm Ruhm, wenngleich nicht Ruhe u. Rast eingebracht hat, so war sie für A. v. Arnim doch nur eine Wahlheimat, in der er sich gern als ein Auserwählter fühlen wollte. Das Geschmackstalent verwechselt sich dabei mit dem schöpferischen Genie. Und selbst der Geschmack erweist sich nicht als unbedingt verläßlich. A. v. Arnim gehört in diesem Sinne zu den „forcierten Talenten". Kein Wunder, daß er gern „Gedichte" anbrachte, ohne wirkliche Dichtungen hervorzubringen. Sein allzu bewußtes Kunstwollen beschlagnahmt alle möglichen Gattungen, ohne sie wirklich zu beherrschen, ohne irgendwelchen fruchtbaren Gebrauch von den wechselnden „Lieben" u. Vorlieben zu machen. Im Sinne Jean Pauls wäre er bestenfalls ein „Grenzgenie", das aktiv zu zeugen glaubt, wo es in Wirklichkeit nur passiv empfängt. Er bewundert das Volkslied u. schafft kimstreiche, aber auch gekünstelte Volkslieder, die dadurch nicht besser werden, daß er sie unter die echten Volkslieder des „Wunderhorns" einzuschmuggeln sucht. Er kann alles ungefähr, aber nichts ordentlich; er ist überall sattelrecht, aber nirgends wurzelecht. Sein historischer Sinn ist stärker als seine dichterische Sinnenhaftigkeit, so daß der Anlauf zu einem histor. Roman („Die Kronenwächter", 1817) weiter reicht als seine Lyrik u. Dramatik. Hier nähert sich das romant. Kunstwollen dem realist. Kunstwollen, u. A. v. Arnims relative Bewährung in den „Kronenwächtern" beruht nicht zum wenigsten darauf, daß er Beobachtungen seiner Gegenwart nicht ohne greifbare Gegenständlichkeit in die Vergangenheit zurückversetzt. Der histor. Impuls der jüngeren Romantik gelangt dabei zu einer Sinnfälligkeit, die streckenweise weniger „romantisiert" als Walter Scott,

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dessen Einfluß auf den dichterischen Historismus erst etwas später einsetzt (Wilh. Hauff, Wilibald Alexis usw.). Aber dieses an sich verheißungsvolle epische Kunstwollen im Bereich des histor. Romans, das am ehesten noch zu einer Vollendung der Dichtersehnsucht A. v. Arnims hätte führen können, blieb kennzeichnenderweise Fragment, wenngleich ein entwicklungsgeschichtl. nicht zu unterschätzendes Fragment. Schon von anderer Seite ist darauf hingewiesen worden, daß ζ. B. die Gestalt der Äbtissin nicht abgeblaßt u. normiert erscheint wie etwa bei L.Tieck oder Fouqu£, sondern realistischer gestaltet wird, etwa wie — um jenen Eindruck nach rückwärts zu ergänzen — die Genoveva bei dem Stürmer u. Dränger Maler Müller als gesunde, heimatverbundene Gutsfrau ins Realistische transponiert worden war. Aber in Nachfolge von Goethes „Stella" u. in Abwandlung von Goethes „Faust" wagte sich das ein wenig lyrisch getönte historisierende u. romantisierende Talent Arnims an Dramen heran wie „Die Gleichen" u. d. „Päpstin Johanna". Der motivgeschichtliche Ansatz scheint in beiden Fällen von der bildenden Kunst ausgegangen zu sein; denn auf der Grabplatte des Grafen v. Gleichen waren die im redlichen Nacheinander geehelichten Gattinnen in einem problematischen Nebeneinander dargestellt; u. unter der Reihe der Papstbüsten soll sich auch ein Frauenbildnis befunden haben, so daß die Legendenu. Sagenbildung entsprechende Anknüpfungsmöglichkeiten vorfand. Bekanntlich berichtet Fernandos Gattin in Goethes „Stella" die Geschichte vom Grafen v. Gleichen. Graf v. Soden hatte vor A. v. Arnim 1791 das Motiv in einem Ritterdrama „Ernst Graf v. Gleichen" behandelt, ebenso der mit A. v. A. persönlich bekannte Wilh. v. Schütz „Der Graf u. die Gräfin v. Gleichen" (1807). Einflußmäßig kommt bes. v. Soden als Anreger in Betracht, wobei die lenkende Kraft i. d. Gleichen-Drama v. Sodens von der Gestalt Volgstatts, bei A. v. Arnim von der Gestalt Hartmanns in recht ähnlicher Weise u. Stärke ausgeht. Ebenso wird die in der Heimat zurückgebliebene Gräfin bei v. Soden umworben durch den Liebhaber Berga, bei A. v. Arnim durch den früheren Geliebten, den Ritter Plesse. Selbst Einzelanklänge im Dialog hat die Sonderforschung nachweisen können. Auch Sodens Sultantochter Fatime kehrt in A. v. Arnims Amra wieder. A. v. Arnim besaß nicht hinreichend Kritik gegen-

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über seinem Vorläufer (v. Soden), um zu erkennen, daß bei der Liebesverstrickung der Gräfin mit Plesse die schuldhafte Verbindung des Grafen mit Amra an tragischem Gewicht verliert. Er übernimmt also bedenkenlos, ohne kritisch zu überprüfen. Der Nacheiferungswille erdrückt so das eigene Kunstwollen u. Kunstgewissen. Ebensowenig wird ihm bewußt, daß der durch Hartmann gelenkte Graf v. Gleichen an persönl. Wert u. Gewicht entsprechend verliert. Ist das eigene Kunstwollen schon insofern unausgebildet, indem es weitgehend einer bloßen Nachbildung verfällt, so spielt nun zugleich die Abhängigkeit von der Volkssage u. dem romant. Volksaberglauben mit hinein. Denn das Schicksal des Hauses v. Gleichen wird fast schon nach der Art des Schicksalsdramas abhängig gemacht von dem „bösen Geheimnis vom Dreibrüderschatze". Und nur notdürftig wird dabei die Sippentragik auf die Sittenschuld zurückgeführt. Wie in Grillparzers „Ahnfrau" spielt die „weiße Frau" eine Rolle, u. der frühere Ehebruch rächt sich in der Bedingung, daß nur drei eheliche Söhne den glückbringenden Schatz heben können. Es handelt sich also um eine fatalistisch gefärbte Stammessage, die Sippenschuld mit Sittenschuld verschmilzt. Die Gegnerschaft der „Neu-Gleichen" u. „Alt-Gleichen" ähnelt den feindlichen Häusern Rossitz u. Warwand in Kleists Schicksalsdrama „Die Familie Schroffenstein". Kurz das Historische (bzw. Literaturhistorische) gerät bei A. v. A. immer wieder in Konflikt mit dem weltanschaulich Prinzipiellen. Das werkimmanente Kunstwollen sucht merklich (wie in gewisser Weise auch bei Brentano) die Qualität durch Quantität zu ersetzen u. zu verdrängen. Und im Gefühl eines unzulänglichen Kunstvermögens rafft A. v. Arnim alles zusammen, was seinem ehrgeizigen Kunstwollen Erfolg zu verheißen scheint: liter. Einflüsse, volkskundliche Bestände usw. Biblische Einflüsse müssen zudem notdürftig aushelfen, wenn die bibl. Geschichte von Joseph u. seinen Brüdern hineinspielt. Die finsteren Kräfte des naturhaft Dämonischen werden im Sinne der Romantik von den guten Gewalten des Christentums zuletzt doch siegreich überwunden. Und es ist kennzeichnend für diese Tendenz, daß der Graf v. Gleichen „zum heiligen Stande" übertreten, also Mönch oder Priester werden will. Das Aufgefangenwerden vom Religiösen überdeckt dergestalt allenthalben das Versagen

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des rein Künstlerischen. Die Weite des Wunders befreit so (im Notausgang aus der dichterischen Verlegenheit) von der Vielfalt des Wunderbaren u. Wunderlichen. Auch des Wunderlichen: denn nur recht mühsam wird das Groteske der Motivwandlung, daß der „zweibeweibte" Graf v. Gleichen am Ende beide Frauen schon verloren hat, bevor er mit großer Gebärde auf sie verzichtet (u. auch das nur im Hinblick auf ein besseres Jenseits), aufgehoben durch die religiöse Komponente. In Wirklichkeit ist er v. d. romant. Liebeshelden Ritter Plesse v. d. Plesse schon längst vollwertig ersetzt worden, der gemäß dem romant. Kultus des Mittelalters unverkennbare Züge des Minnesängers trägt. Wieder bietet sich die Oper als Ausweichgebiet an. Und gattungstypologisch verweist das „Gleichen"-Drama auf die Novelle wie das „Päpstin Johanna"-Drama auf den Roman. Kurz, A. v. Arnim bleibt im Sinne der werkimmanenten Poetik auch dort Epiker, wo er Dramatiker sein möchte. Als Vermittlerin zwischen dem epischen Kunstwollen und dem religiösen Wirkungswillen dient die Legende, auch als dramatisch umgesetzte Legende (in Anpassung an L. Tiecks „Heilige Genoveva"). Denn die Päpstin Johanna ist nicht nur ein Roman-Drama oder Dramen-Roman, sondern recht eigentlich eine dialogisierte Legende. Und nicht zufällig ragt neben der Venusberg-Sage, also dem romant. Sagenhaften, die Christophorus-Legende hinein. Außerdem werden in Einzelepisoden noch eine Reihe von Märchen, Sagen u. Legenden verwertet, ganz abgesehen von dem stark beteiligten Merlin-Mythus-Motiv, die epische Quantität soll wiederum entschädigen für den Mangel an dramat. Qualität. Das romant. Gnadendrama wird dabei merklich erstrebt, wenngleich künstlerisch kaum vollgültig verwirklicht. In ähnlicher Weise ließe sich das vermeintliche Ideendrama „Halle u. Jerusalem", das den alten Cardenio- u. Celinde-Stoff (A. Gryphius) aufgreift^ auf seine epischen Bestandteile zurückführen. Denn wo A. v. Arnim ein Ideendrama vorschwebte, dialogisierte er immer wieder einen Weltanschauüngsroman. Die Gattungsgesetze waren ihm ebensowenig und fast noch weniger geläufig wie den meisten Romantikern, die merklich aus der Not eine Tugend (der Gattungsverschmelzung) zu machen trachteten. Ob A. v. Arnim Dichter war, mag zweifelhaft bleiben; daß er kein Dramatiker war, ist gewiß. Auf diese

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Weise bestätigt die werkimmanente Poetik das Schwankende seiner formulierten Poetik. Seine Ansätze zur Epik überzeugen weit eher als seine Ansprüche auf die Dramatik; die „Kronenwächter" oder die „Gräfin Dolores" weit eher als die „Gleichen" oder die „Päpstin Johanna" oder „Halle u. Jerusalem". Und wenn Brentano ihn für einen Dichter hielt, so bleibt fraglich, ob wir diesen mehr als wohlwollenden Gewährsmann (nämlich Brentano selbst) für einen Dichter halten. S. 351. Jak. Grimm (Brüder Grimm). — Verhältnismäßig wenig Gesondertes über J. Grimm bietet Η. A. K o r f f : Geist d. Goethezeit, Teil IV (1953) in dem an sich sehr instrukt. Kapit. „Die romantische Germanistik", a. a. 0. S. 138— 196. Unter Rückgriff auf J. J. Bodmer (1757), den Sturm u. Drang, Fr. H. Myller (Sammlung dt. Dichter a. d. 12., 13. u. 14. Jh.) u. Herder verfolgt Η. A. Korff die „romant. Germanistik" bes. seit L. Tieck, u. zwar unter Berücksichtigung des „Kompendiums d. dt. Lit.-Gesch. v. d. ältesten Zeiten bis zu Lessings Tod" von E r d u i n J u l i u s K o c h , von dem noch Wilh. Wackenroder die Grundbestände d. dt. Literatur vermittelt worden waren, ebenso Fr. H. v. d. Hagen usw. Begrüßenswert erscheint es, daß dabei auch J. Görres (im Gegensatz zu manchen anderen Darstellungen) zu seinem Rechte kommt. Die „Kollektivdichtung" (S. 157) führt dagegen Η. A. Korff auf „die Grimms" zurück, während J. Grimm der Hauptanteil dieser Konzeption zukommen dürfte. Eben deshalb wurde Jak. Grimm hier bes. herausgestellt, um so mehr als Wilh. Grimm hinsichtl. „Der Naturdichtung" weit weniger rigoros erscheint als Jak. Grimm. Die „Brüder Grimm" behandelt Η. A. Korff bes. a. a. 0. S. 185—196. Dabei kommt auch die Sonderstellung der Sage zu ihrem Recht. S. 351. D i c h t e n d e r V o l k s g e i s t . — Diese letztlich entscheidende Grundkonzeption wird völlig übersehen im Sonderabschnitt „Jakob Grimm" der Sonderuntersuchung C a r l o E n g e l s : Studien zum Dichterbegriff u. zur poet. Anschauung der Heidelberger Romantiker, Diss. Frankf. a. M. 1934 (S. 66—75). — Viel weiter führt die Interpretation O. W a l z e l s : Poesie u. Unpoesie (bzw. Nichtpoesie, 1937) S. 156f., bes. S. 158 u. 160. — Beide aber erfassen richtig das Kollektive im Begriff der Volksdichtung. Der Rückgriff auf die Theorie u. Programmatik des 40 M a r k w a r d t , Poetik III

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„Sturmes und Dranges" wird freilich in beiden Darstellungen vermißt. Sie ist aber eben doch unzweideutig vorhanden und auch entwicklungsgeschichtl. wirksam. S. 352. V o l k s b ü c h e r . — Gerade an dieser Prägung J. Görres' hätte C a r l o E n g e l den „Dichterbegriff" der Heidelberger Romantik erläutern können. Das ist indessen nicht geschehen. Ein Ähnliches gilt von dem Begriff „Volkslied". Weder C. Engel noch 0 . Walzel wird der Sonderform des „Volksbuches" u. des „Volksliedes" gerecht. Weder die belehrenden Einschläge des Volksbuches noch die epischen Einschläge des Volksliedes kommen i. d. genannten Darstellungen zu ihrem Recht. S. 353- „ G e s u n k e n e s K u l t u r g u t . " — Bei Η. A. K o r f f , Teil I V (1953), S. 194 als „herabgesunkenes Kulturgut" in entsprechendem Zusammenhange berührt. S. 354· „ R e i n e G e m ü t e r " , L e i t m o t i v d e s „ G e m ü t s " . — Erfreulicherweise bringt die Untersuchung C a r l o E n g e l s (1934) ein Zitat (a. a. O. S. 66), das jene Bezugnahme auf das „ G e m ü t " erkennen läßt: „Die Poesie tritt aus dem G e m ü t d e s G a n z e n hervor; was ich unter Kunstpoesie meine, aus dem (Gemüt) des Einzelnen". — Hierher gehört auch das, was 0 . W a l z e l a. a. O. (1937) S. 162 als die „Volksempfindung" bezeichnet. S. 356. E p i s c h e G a t t u n g . — Die Prävalenz des Epos ist i. d. Lit.-Theorie J. Grimms vorherrschend. Die Volkssage gilt als Urquelle des Poetischen schlechtweg. Und sie läßt sich am ehesten (u. am wirksamsten) umsetzen in das Epos; vgl. C a r l o E n g e l a . a . O . (1935) S. 68 u. 7 1 ; vgl. auch 0. W a l z e l a. a. O. (1937) über den Begriff „Volksepos", S. 161 u. 163. S. 357. N a c h w i r k e n d e s A u t o n o m i e g e d a n k e n s d e r K l a s s i k . — Das Sich-von-Selber-Dichten im Sinne des InSich-Selbst-Vollendeten der Klassik wird dabei v o m dichtenden Individualgeist (der Klassik) auf den dichtenden „Volksgeist" der Romantik übertragen. Nicht nur C a r l o E n g e l hebt diese romant. Autonomie hervor a. a. 0 . S. 67 u. a. (Naturpoesie als ein „Sich-von-Selbstmachen"), sondern auch O. W a l z e l a. a. O. S. 159. S. 369. H. v. Kleist. — Die Relativität des Kunstwerkes u. der dichter. Wirkung Kleists betont (i. d. Sicht des Auslandes) 0. W a l z e l : Grenzen von Poesie u. Unpoesie (bzw. Nicht-

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poesie) 1937, S. 6; die absolute Geltung des Kunstschaffens H.v. Kleists betont demgegenüber H.A. K o r f f : Geist d. Goethezeit IV (2. Aufig. 1953) u. zwar bereits in der Einleitung a.a.O. S. 18, 21. Kleist u. Ε. T. A. Hoffmann werden dort nahe aneinandergerückt als die wirkungsmäßig bes. erfolgreichen Dichter der Hochromantik, die sich demFrührealismus zuneigt. Gegenüber der Kollektivleistung der älteren u. d. Spätromantik bzw. Hochromantik werden H. v. Kleist u. Ε. T. A. Hoffmann als die Individualleistungen der Hochromantik erkannt u. anerkannt, wobei Goethes „Faust" die Bindung u. Brücke bildet. Freilich scheint es gewagt (im Ganzen aber gewonnen), wenn selbst zwischen dem älteren Goethe der Spätzeit u. Ε. Τ. A. Hoffmann Verbindungen hellsichtig gesehen u. konstruktiv gesucht werden, wobei in der nicht herangezogenen, aber sehr wohl erkannten Entwicklungsferne das Gesamtkunstwerk Rieh. Wagners ins Blickfeld u. kritisch-kräftig in die Perspektive des Nationalhistorischen gerückt wird, u. zwar von den Meistersingern bis zu den Nibelungen. Kleist u. Hoffmann gelten für Η. A. Korff jedenfalls als die „beiden großen Individualitäten der Hochromantik, die jene Kollektivleistung entsprechend ergänzen u. künstlerisch werthaft erhöhen", a. a. 0. S. 19, 21/22, 26 (Einleitung). Und in dem ersten Kap. „Das Ringen um die dramat. Form" gibt in Abhebung von L. Tieck nicht zufällig H. v. Kleist den Ton an. Denn indem Shakespeares Sonderform entdeckt wird, mußte H. v. Kleist an Gewicht gewinnen. Der spanischen Tradition (Calderon) folgt die deutsche Tradition, die in H. v. Kleist gipfelt, indem Kleist die zweite „Generation" der Goethezeit repräsentiert (a. a. O. S. 33). Er versteht Shakespeare mit Sophokles zu verbinden, nicht zuletzt im Guiskard-Fragment (a. a. O. S. 35). Zur Vernunft gekommen u. damit dem Vernunftidealismus angenähert aber ist für die Sicht Η. A. Korffs Kleist erst im „Prinzen v. Homburg". Auch Kleist wird demnach erst vollwertig, wenn u. wo er sich dem Vernunftidealismus zuneigt. Anders gesehen und gesagt: Kleist wird erst voll anerkannt, wo er selber den Vernunftidealismus (im „Prinzen v. Homburg") anerkennt. Insofern wird auch der Romantiker Kleist, der doch im Vorwärtsstreben vor allem Realist war, nur anerkannt, soweit er sich umbiegen läßt zum Idealismus der Klassik bzw. der Frühromantik. Er gehört aber eben doch der Rückwendung der Romantik zum Realismus an,

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und zwar nicht nur als Dramendichter, sondern auch als Novellist. S. 369. „ K r i t i k der r e i n e n V e r n u n f t . " — Über Kl.s Stellung dazu, die Reichweite seines Kant-Verständnisses usw. gehen die Meinungen auseinander; sie stimmen aber darin ungefähr überein, daß Kl. den „eigentlichen" Kant nicht begrifflich voll erfaßt habe; vgl. H. M e y e r - B e n f e y : Das Drama H. v. Kleists, Göttingen 1911, S. 43—55; Fr. G u n d o l f : H. v. Kl. (1922) S. 19 (recht beiläufig u. geringschätzig); R. P e t s c h : Kleist u. Kant, GRM., Jg. 8 (1920). — Gerh. Fr i c k e : Gefühl u. Schicksalbei H. v. Kl. (1929), Kap. 3: Das Kanterlebnis a. a. 0. S. 28—44; auch G. Frikke wendet sich gegen Fr. Gundolf, freilich vom existenzialphilosoph. Blickwinkel aus. S. 369. „ K r i t i k des r e i n e n G e f ü h l s . " — Wie schon der darstell. Text andeutet, sehe ich darin eine Grundkraft des Verhaltens u. Gestaltens Kleists, ohne ihn darauf einengen zu wollen. Schon als junger Dozent habe ich in Kl.Vorlesungen u. Kl.-Seminaren (seit etwa 1926) diese These vertreten u. eingehend am Material u. am Gestaltungstypus Kleists erläutert, bevor Gerh. F r i c k e : Gefühl u. Schicksal bei H. v. Kleist, in: Neue Forschung 3, Bln. 1929 mit einer ähnlichen Deutung hervortrat, die freilich gegenüber jener von mir vermittelten Interpretation zum Existenzialphilosophischen umgedeutet u. zudem religiös akzentuiert erscheint. Damals mit anderen und größeren Arbeiten beschäftigt (Poetik, Lessings Sprachstil), habe ich den jene mündl. Ausführungen verdichtenden Aufsatz über Kleists „Kritik des reinen Gefühls" zurückgestellt. Ein Streit um die Priorität (etwa auch gegenüber Cl. Lugowski, s. u.) soll damit hier indessen nicht entfacht werden. Während ich das zentrale Problem der Dramatik u. überhaupt der Dichtung H. v. Kleists — nun doch wiederum wesentlich anders als G. Fricke — in einer von Kants „Kritik der reinen Vernunft" herausgeforderten u. abgehobenen „Kritik des reinen Gefühls" sah u. im wesentlichen' noch heute sehe, hat J o s e f C o l l i n : Η. ν. Kl., der Dichter des Todes, in: „Euphorion" 27 (1926), S. 69ff. im Todesgedanken den „Träger von Kleists ganzer Dichtung" erblickt, zu diesem Aspekt wohl angeregt von R. U n g e r : Herder, Novalis u. Kleist, Studien üb. d: Entwicklung des Todesproblems . . ., Dt. Forschg. 9 (1922). Darauf

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gestützt, aber auch davon abweichend hat M a r t i n L i n t z e l : Liebe u. Tod bei H. v. Kleist, Akad.-Verlag, Bln. 1950 die Problemstellung entsprechend ausgeweitet. Lintzel glaubt zwar kein ausschließliches, aber doch ein „wesentliches Grundelement i. d. Dichtung Kleists" darin nachweisen zu können. Mehr möchte übrigens Verf. auch nicht beanspruchen f. seine zudem aus früheren Überzeugungen abgeleitete Formel von der „Kritik des reinen Gefühls"; denn einen so komplizierten Fall wie H. v. Kl. wird man niemals auf eine Formel festlegen dürfen. Diese vereinfachende und also auch vergröbernde Formel hat aber für unsere Zwecke den Vorteil, leichter auf die Kunstanschauung Kleists u. sein werkimmanentes Kunstwollen übertragen werden zu können, während das Todesproblem sowie bes. das Todes-Liebes-Problem weit mehr auf die Weltanschauung u. das Lebensgefühl Kleists hinüberweisen. Rein wiss. u. methodisch schreibt M. Lintzel m. E. den von Flodoard v. Biedermann 1912 hrsg. KleistGesprächen einen übertriebenen Quellenwert zu. Übrigens mündet auch M. Lintzels neuere Sonder-Untersuchung ein i. d. Erkenntnis, daß bei Kl. das Gefühlsmäßige so völlig überwiegt, daß er von einem „Eingesperrtsein im Gefühl" spricht u. daß er die Tragik seiner Gestalten „in erster Linie in ihrem Gefühl" wurzeln läßt (End-Ertrag S. 76). Außerdem ist ganz unverkennbar, daß C l e m e n s L u g o w s k i : Wirklichkeit u. Dichtung, Untersuchungen zur Wirklichkeitsauffassung H. v. Kleists, Frankf. a. M. 1936 weitgehend meine früh vertretene Leitthese vom Wert des „reinen Gefühls" als Gefühlskriterium im Raum u. Rahmen einer „Kritik des reinen Gefühls" wieder aufgegriffen hat, wobei er sich G. Fricke zunächst einmal verpflichtet fühlen mußte, da er den ersten Anstoß meiner Anregung nicht kennen (und als solchen anerkennen) konnte. Und, wie es so geht bei Verwertungen von Anregungen, Lugowski nähert sich meiner Konzeption beträchtlich weitergehend als G. Fricke (so etwa a. a. O. S. 146: „Unmittelbarkeit" u. „Sicherheit des Gefühls", S. 148/49, 151, 153, 160, 163, 186, 190, 206 u. a.). Nun hat jedoch Cl. Lugowski seinen freilich recht umfangreichen Kl.-Aufsatz (denn um mehr handelt es sich nicht u. soll es sich offenbar auch nicht handeln) mit einer ganzen (u. zwar recht dankenswerten) Reihe anderer Aufsätze zusammengestellt (üb. d. heroisch-galanten Roman, den Anti-Märchen-Roman usw.) unter einem, streng

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genommen, irreführenden Gesamttitel. Und nur recht gezwungen, wenngleich nicht ohne Wendigkeit, werden Bezüge von diesen Sonderaufsätzen zu dem über Kleist hergestellt. Wieder auch wird (wie so häufig in neueren Kl.-Forschungen) umständlich und ausführlich erörtert, was bei der leichten Übersichtlichkeit des recht begrenzten Material-Bestandes selbstverständlich ist (oder doch nachgerade sein sollte). Zudem vermißt man eine philos. befriedigende Definition des „Wirklichkeits"-Begriffs. Denn daß das Wahrscheinliche nicht immer das Wahre, das Wirkliche nicht immer das Wesenhafte u. Wesentliche, das objektiv Kausale nicht immer auch das ethisch Echte ist, daß auch, um einen Terminus, der manches vereinfacht, aus der Lessing-Forschung (H. Rempel) zu übertragen, eine Diskrepanz zwischen Kausalität und Moralität besteht, das alles bedurfte f. d. Kl.-Kenner kaum so eingehender Erörterungen u. letztlich ermüdender Aufdröselungen längst vertrauter Inhalte, wobei übrigens die Spielform des National-,,Gefühls" kaum zu ihrem vollen Recht kommt. Wenigstens aber wird die enge Benachbarung d. „Hermannsschlacht" m. d. „Michael Kohlhaas" erkannt (S. 209). Aber insgesamt würde alles, auf einen Generalnenner gebracht, doch auf eine „Kritik des reinen Gefühls" hinauslaufen. Denn das ist die innere u. echte „Wirklichkeit", die für Kleist zugleich die innere u. echte Werthaftigkeit u. Werthaltigkeit in sich schließt. Erfreulich bleibt bei alledem, daß Cl. Lugowski weit nachdrücklicher als G. Fricke das „Unmittelbare" in Kleists Haltung u. Gestaltung herausgearbeitet hat. Und eben darin dürfte der sonst begrenzte Fortschritt seiner Kl.-Deutung zu suchen sein. Er unterschätzt jedoch die äußere Wirklichkeit, die nicht durch Indizienbeweise der Kausalverknüpfung nachweisbar (u. doch im Sinne Hölderlins „beweisbar"), trotzdem ebenbürtig bleibt jener inneren „Wirklichkeit" (im Sinne von Gefühls-Wahrheit). Diese Wirklichkeit ersten Grades ist von Kleist stets würdig verwaltet und wirksam gestaltet worden. Und man darf angesichts der gewiß löblichen Bemühung, Kleist dem „wirklichen" Glauben zu gewinnen, nicht seinen Glauben an das Wirkliche hintanstellen. Dieses Bemühen wird überdeutlich spürbar bei Fr. B r a i g : H. v. Kl., München 1925, der einen bes. extremen Fall konfess. Befangenheit darstellt u. zu dessen willkürlichen Konstruktionen und

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religiösen Manifestationen eine erfreulich krit. Stellung bezogen hat H a n s R i e s c h e l : Tragisches Wollen, Untersuchungen zum Lebens- u. Schaffensproblem H. v. Kleists, Diss. Göttingen 1941 (vgl. „Theater u. Drama"), S. 91/92. S. 370. T r a g i k ( S c h i l l e r u. K l e i s t ) . — Näher an den i. d. Kleistdeutung so beliebten Schicksalsbegriff, der freilich häufig als eine gleichsam u. vermeintlich „erhabene" Verlegenheitslösung wirkt, rückt das Tragische W e r n e r P s a a r : Schicksalsbegriff u. Tragik bei Schiller u. Kleist, Diss. Bln. 1940. — Aufschlußreiche Liter.-Hinweise über d . Tragische bei B e n n o v. W i e s e : Die deutsche Tragödie von Lessing bis Hebbel, Hamburg 1948, Anmerkg.; dort auch Einbeziehung d. Kunsttheorie. S. 370. H o r t des r e i n e n M e n s c h e n t u m s . — Zeitweise v. Kl. gesucht i. d. Ideal des Primitiven bei J. J. Rousseau; vgl. O s k a r v. X y l a n d e r : H. v. Kleist u. J. J. Rousseau, Germ. Studien 193, Bln. 1937. Auch H a n s M. W o l f f a. a. Ο. (1954) m u ß auf das Rousseau-Ideal zurückgreifen. — Diesem Einfluß entspricht die eingelagerte Idylle i. d. Dramen u. Novellen als Gegenwert zum VerdichtetGesteigerten, aber ihm entspringt ζ. T. auch die gesellschaftskrit. Tendenz. 0. v. Xylander würdigt eingangs (u. eingehend) die frühere Kl.-Sekundär-Liter. hinsichtl. seiner Einstellung z. Rousseau. Dort auch eingehende Lit.-Verweise. — Die von mancher Seite vielberufene „monomanische Dämonie" Kleists (Fr. G u n d o l f einers., G. L u k ä c s anderers.) wird gerade in der Sehnsucht nach dem Gesund-Natürlichen u. damit benachbart nach dem „reinen Gefühl" ausgeglichen durch das Naturhafte des Gefühlskriteriums in Richtung einer freilich aktivdynamischen Menschlichkeit, die nicht nur das Urmenschliche (Rousseau), sondern auch das Unmenschliche durchschreiten muß, um ihre Belastungsprobe zu bestehen. Die tröstliche Botschaft der Humanität soll so zu einer verläßlichen Bürgschaft gefestigt werden. Der Zweifel an ihrem Wert setzt den Glauben an ihre Wirklichkeit voraus, um ihn bestätigt zu finden, indem der Glaube den Zweifel überwindet, wie das Vertrauen das Mißtrauen zu überwältigen hat. S. 371. K u n s t s c h a f f e n K l e i s t s (u. A r b e i t s w e i s e ) . — Über die technische Seite, die Voraussetzungen u. äußeren Begleitumstände, über das ganze Verfahren u. d. A r b e i t s -

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w e i s e unterrichtet (stark am Äußerlichen haftend) eine nur in Masch.-Schrift vorliegende Untersuchung v. O t t o R e u t e r : H. v. Kleists Art zu arbeiten, Diss. Greifswald 1921. Da sie hier leicht zugänglich ist u. a. d. Kunsttheorie wenigstens streckenweise angrenzt, sei einiges daraus u. darüber vermerkt. Gestützt auf Joh. R e h m k e , den Vertreter der „Grundwissenschaft" u. dessen Lehrbuch d. allg. Psychologie (1905) sowie dessen Theorie vom „Gehabten" (Joh. Rehmke, den ich auch noch hören durfte, war „rein philosophisch" u. weniger „musisch" eingestellt), auf W i l h . D i l t h e y u. W i l h . S c h e r e r (Poetik), handelt O. Reuter zunächst ein wenig frisch-züversichtlich üb. „die Seele u. das Dichten", wobei u. a. Gedächtnis u. Phantasie immer unter „erkenntnistheor." Hilfestellung abgegrenzt werden; Eigenes wird angestrebt m. d. Begriff einer „unwirklichen Totalität der Konzeption" (S. 11), die der „wirkl. des Werkes" vorausgeht. Nicht das Seelische selber, der Ausdruck des Seelischen wird v. Dichter verwirklicht. Gemäß seiner Themastellung verweilt Verf. etwas länger bei der philos. psychol. Deutung der Konzeption. Gegenüber diesem betont kunstphilos. Anlauf sinkt die Charakteristik d. Arbeitsweise beträchtlich ab, und man erfährt durchweg das schon Bekannte. Als Beispiel f. d. scharfe Beobachtungsgabe wird der bek. Brief an Ulrike (24. Juni 1804) mit d. Bericht üb. d. Verhandig. Kleist-Köckeritz ausgewertet, die Vertiefung der Ding-Schau zu einer Wesens-Schau wird wenigstens angedeutet. Kl.s Tagebuch verfahren erfährt gebotene Abhebung vom Sammelbuch-Verfahren Jean Pauls. Neben Entwürfen u. Vorstufen, Erlebnisquellen u. Stoffquellen erfährt die sprachl.-stilistische Formung Berücksichtigung (S. 102f.); der „besessene" Ausdruckskünstler erweist sich bei näherem Zusehen dennoch als ein sehr besonnener u. gründlicher Stilüberprüfer. In diesen Fragen berührt sich 0. Reuter (ohne ihn hinreichend auszuwerten) mit A l b e r t F r i e s : Stilist, u. vgl. Forschungen ζ. H. v. Kl. mit Proben angewandter Ästhetik, Berl. Beiträge z. germ. u. roman. Philologie, Bln. 1906, dessen Titelzusatz jedoch mehr verspricht als er hält. Denn A. Fries meint damit (soweit dies überhaupt klar wird) wahrscheinl. die nicht-stilist. Exkurse, etwa üb. „Lebensbeziehungen i. d. Werken" (S. 71 f.), Stoff-Parallelen u. a. Dunkel erinnert man sich, daß weiland der Stilforschung aufgeholfen werden sollte, indem man sie

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als „angewandte Ästhetik" bezeichnete. Vielleicht ist also auch das gemeint. — Weitgehend bei Stilvarianten verharrt auch Tino K a i s e r : Vergleich d. verschied. Fassungen von Kl.s Dramen, Diss. Bern, gedr. Bern-Lpz. 1944, eine primitivere Vorstufe zu Hans M. W o l f f : Η. ν. Kl., d. Geschichte s. Schaffens (1954). — In d. weiteren Zusammenhang d. Arbeitsweise gehört Charl o t t e S c h i l a k o w s k i : Kleists Überarbeitung seiner Dramen, Diss. Kiel 1926, in der d. „Ursachen u. Auswirkung (d. Umarbeitungen) auf d. Gesamtorganismus d. einzelnen Kunstwerks" untersucht werden. Sie berührt d. Kunstwollen, wo sie auf jene Umarbeitungen eingeht, „die das bereits Geschaffene unter d. Einfluß sich wandelnder künstler. Zielsetzung umgestalten" (im 2., weit umfangreicheren Teil, S. 22—97). Die freilich nur „erschlichene" Konzentration des Zeitablaufs (meint: Geschehenszeit) i. d. Schroffensteinern würde auf die Zeiteinheit u. damit auf d. Klassik zusteuern. Und diese Wendung des Kunstwollens glaubt Verf. auch an der „Penthesilea" beobachten zu können. Wieder bewährt die Stilformung Kl.s (wie häufig i. Sonderarbeiten) ihre Anziehungskraft. — F. d. Novellen vgl. Herrn. D a v i d t s : D. novellist. Kunst H. v. Kl.s, Bonner Forschg. V, Bln. 1913, bes. d. zweiten Teil „Der formende Künstler" (S. 94—146), wobei neben dem jeweiligen „Blickpunkt" (in Abwehr des von Fr. Spielhagen bezogenen u. v. MindePouet auf Kl. übertragenen „Objektivitäts"-Begriffs u. d. Übernahme des gen. Terminus von K ä t h e Friemann: Die Rolle d. Erzählers i. d. Epik, Lpz. 1910) der „Handlung", d. „Personen" u. d. „Behandlung des Sichtbaren" auch wiederum Stilistisches ausgewertet wird. S. 371. Magischer K r i t i z i s m u s . — Wenn hier, den magischen Idealismus u. d. magischen Realismus d. Romantik ergänzend u. modifizierend, diesen bereits geläufigen Einstufungsversuchen ein magischer Kritizismus b. Kl. gegenübergestellt wird, so ist damit nicht sowohl jenes „Grundgesetz" i. Leben u. Schaffen Kl.s gemeint, das Muschg: H. v. Kl., Zürich 1923 herausstellen zu können glaubt im zumindest mittelbaren Bezug auf Kants Kritizismus, sondern, freilich benachbart (Ablösungs- u. Abwandlungsform d. Kritizismus), ein magischer „Gefühls-Kritizismus". Das Attribut „magisch" würde dabei die suggestive Gewalt, das Dunkel-Dumpfe u. zugleich Dranghaft-

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Spontane dieses spez. Kleistischen Gefühlskritizismus noch bes. betonen, während „Kritizismus" neben dem Kant-Bezug besonders auch die Anknüpfungsstelle bietet für die mannigfach. Einbrüche u. Durchbrüche einer „romant." Reflexion, aber auch für jenes bis zur Inquisitionstechnik u. zum logisierenden Indizienbeweis einer scheinbar zwingenden „Objektivität" verschärfte Schein-Vertrauen zu einem unbedingt verläßlichen Klärungsvermögen des bloßen Intellekts, das indessen durchweg ad absurdum geführt wird (u. auch werden soll). S. 372. R i c h t u n g des Realismus. — Im allgem. zum mindesten als Teilkraft anerkannt. Herrn. D a v i d t s a. a. 0. (1913) S. 1 spricht zwar noch von dem „rauhen, realist. Gewände" (!), durch das d. Novellen Kl.s zunächst „nicht salonfähig" gewesen seien. Georg L u k a c s : Deutsche Realisten d. 19. Jh.s, Bln. 1951 rechnet Kl., dem er mit naheliegenden Vorbehalten gegenübersteht, immerhin zu den „Realisten". Das geschieht, abgesehen davon, daß eine Reihe an sich älterer Aufsätze unter einem gemeinsamen Titel vereinigt werden mußten, vor allem mit der Begründung, daß Kl. über einen hohen Grad von unbestechlicher subjektiver „Ehrlichkeit" verfügt habe, wobei die Begabung immerhin einbezogen wird (S. 47: „Begabung u. Ehrlichkeit"), obwohl Kl. ein „bornierter" u. eigentlich nur in die Kunst „verirrter" Junker gewesen (u. letzten Endes auch geblieben) sei. Die Extreme berühren sich in dieser (übrigens aus d. Jahre 1936 stammenden) Kleist-Abhandlung, indem nämlich Lukacs zu ähnlichen strengen kritischen Reservaten gelangt, wie weiland aus ästhetisierenden Gründen Fr. Gundolf. Beide erkennen Kleists Kunst nur sehr bedingt und mit vielen Einschränkungen an, der eine aus geschmacklichen, der andere aus gesellschaftl. Gründen. Dennoch (oder eben deshalb) berühren sie sich (das Monomanische, das „Bornierte", das schlechthin „Vereinsamte", das „Lebensgefühl" usw.). Auch indem Lukacs seine einschlägige Abhandlung überschreibt: „Die Tragödie H. v. Kleists", womit er keineswegs nur den Dramatiker u. Novellisten, sondern auch den Menschen Kl. meint, wie es vielfach, ja durchweg dort geschieht, wo man von Kl.s Tragik handelt, folgt er von anderem Ansatzpunkt aus dennoch erstaunlich weitgehend den Spuren Gundolfs u. dessen Aspekt vom großen Tragiker. Ein wirkliches Verstehen des Kunstwollens dürfte

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in beiden Fällen kaum vorliegen. Aber Lukacs ringt ehrlicher u. ernstlicher darum als Gundolf. Dabei macht es sich Lukacs keineswegs leicht, indem er von F r a n z Mehring ausgeht (u. schwer von ihm los- u. kaum weit über ihn hinauskommt). Für Gundolf scheitert Kl. letztlich am perversen Reagieren in Geschmacksfragen, für Lukacs am reaktionären Reagieren in Gesellschaftsfragen (trotz zugestandener Ansätze zur Fortschrittlichkeit). Kl. überspringe, das beanstandet Lukacs vor allem, alle „gesellschaftlichen Vermittlungen" (S. 31/32); er konstruiere sich eine unwirkliche gesellschaftliche Welt je nach Bedarf seiner Problemstellung zuiecht. Das wäre nicht gerade ein „realistisches" Verfahren; denn die PhantasieUmwelt steht dergestalt in Kontrast zu der WirklichkeitsUmwelt. Ausnahmen bilden für G. Lukacs eigentlich nur „Der zerbrochene Krug" und der „Michael Kohlhaas"; und ihretwegen würdigt er H. v. Kl. offenbar nur seiner Aufmerksamkeit; sie werden als ein „Sieg des Realismus" (S. 47) anerkannt. Soweit sich Lukäcs notgedrungen u. themagemäß auch mit ästhetischen Dingen wenigstens randweise befassen mußte, hat er es offensichtlich im wesentlichen mit Fr. Gundolf bewenden lassen. Leider hört der Kl.-Aufsatz dort auf, wo er eigentlich hätte anfangen müssen, wenn anders Kl. als Realist gewürdigt werden sollte. — Weit behutsamer i. d. Folgerungen spricht Η. A. K o r f f von einem „metaphysischen" Realismus, womit er nicht nur den „magischen" Realismus, sondern darüber hinaus auch den magischen Gefühlskritizismus anklingen läßt, a. a. Ο. IV (1953), S. 47 u. bes. 48, 63 u. a. S. 374. „ F o l g e deinem Gefühl." — Diese markante Prägung stellt durchaus berechtigt m. d. Grundidee des „Marionettentheaters" zusammen Hans M. W o l f f : Η. ν. Kleist, die Geschichte seines Schaffens, Berkeley u. Los Angeles 1954, S. 209/10. Interessant (bis sensationell) wirkt im umfangreichen „Anhang" d. Versuch einer Rekonstruktion von Ur-Fassungen: Urfassg. d. „Käthchens" (Kunigunde v. Thurneck), S. 251 f.; der „Penthesilea", S. 28of., des „Findlings", S. 300f.; des „Bettelweibs", S. 309!; d. „Marquise ν. Ο. . . . " , S. 311 f. — Der darstellende Text bestätigt die Bedeutung dieses Anhanges; denn er dient im wesentlichen einer Begründung u. Erläuterung der Berechtigung zu derartigen Rekonstruktionen, wie er

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denn auch etwas unvermittelt mit einer Interpretation von „Urkäthchen u. Urpenthesilea" beginnt. Im einzelnen ist ζ. Β. Η. M. Wolff überzeugt, daß im „Urkäthchen" die Holunderstrauchszene noch nicht besteht, nachdem er ausgegangen ist v. d. auffallenden Getrenntbleiben d. Kunigunde- u. Käthchen-Handlung i. d. Endfassung. Das besagt, Η. M. Wolff geht nicht sowohl vom Ideelichen (wie Fricke od. Lugowski) an Kl. heran, sondern vom Entstehungsgeschichtlichen u. d. stofflichen Beständen, indem ihn vorab u. ausschließlich das Werkwerden u. d. Werkwandlung interessieren. Daher berührt er sich mit Vorarbeiten wie etwa denen von K u r t Gassen üb. d. Chronologie d. Novellen, C h a r l o t t e S c h i l a k o w s k i üb. d. „Bearbeitung d. Dramen" oder auch T i n o K a i s e r : Vergleich d. verschied. Fassungen v. Kl.s Dramen, BernLpz. 1944, die zum mindesten manches Datenhafte dargeboten haben dürfte. Η. M. Wolff a. a. Ο. (ΐ954) nennt u. würdigt aber keine dieser Vorarbeiten gemäß dem Eingangssatz seines „Nachwortes", wonach ihm eine „Auseinandersetzung" mit der reichhaltigen „dt. Literatur" (Sekundärliteratur) d. letzten Jahrzehnte „nicht ratsam" erschienen sei. Jedenfalls ähnelt dies dem weniger schroffen, aber unverkennbar lässig-eleganten Verfahren, das er auch i. s. Darstellung üb. d. Aufklärung (1949, Bern; vgl. Bd. II dieser Darstellung S. 479, 484, 505/06, 508, 519) angewandt hatte. Dieses Verschmähen des bislang Geleisteten macht es d. Verf. (u. s. Leserl) sehr umständlich; denn alle längst bekannten Tatsachenbestände müssen nun wieder einmal (wie schon bei Cl. Lugowski) ausgebreitet werden. Manche Bekundungen sind recht scharfsinnig, andere ein wenig überspitzt, und wieder andere lassen an des jungen Herders Wort über Lessing denken: „so hat L., was er will, aber woher kann er's haben?". Die Einbeziehung d. Kunstanschauung Kl.s in die Reihe der Beweisstücke f. d. Vorhanden-Gewesensein von Frühu. „Ur"-Fassungen erscheint jedenfalls als recht dürftig (u. ergänzungsbedürftig). Dankenswert ist u. a. die Zusammenstellung einiger Novellen unter dem Wertungswinkel der sozialen Anklage (Erdbeben, Verlobung, Findling, Kohlhaas); aber weniger glücklich wirkt dabei schon wieder die Abzweigung d. Novellen: Marquise ν. Ο. . . und Zweikampf, nur weil hier wesensverwandte weibl. Hauptgestalten dominieren. Das Rechts- und Gerechtig-

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keitsproblem in einer Welt voller Vorurteile beherrscht doch auch diese Novellen. An sich aber sieht Η. M. Wolff die sozialen Einschläge der Novellen klarer (oder stellt sie doch mehr heraus) als G. Lukics (1951 bzw. 1936). S. 383. Kleist (Exkurs: werkimmanente Poetik). — Soweit Kleist als „Romantiker" gelten kann und nicht schon als „Realist" in Anspruch genommen werden muß, ist er die stärkste schöpferische Kraft im Raum der jüngeren Romantik überhaupt, wie sich denn im Gesamtaspekt des Werkschaffens und Werkvermögens der Romantik der Eindruck ergibt, daß die schöpferische Leistung vorwiegend in den Grenzbezirken zu benachbarten Stilepochen zu suchen ist, nämlich im Grenzgebiet zur Klassik hin einerseits u. z. Realismus hin andererseits. H. v. Kleist umspannt letztlich im immanenten Gesetz seines Werkes beide Grenzbezirke, die im „Guiskard" einerseits (Grenzbezirk z. Klassik) u. im „Zerbrochenen Krug" andererseits (Grenzbezirk z. Realismus) eben nur besonders greifbar innerhalb der Dramatik zutage treten, während sie im „Prinzen v. Homburg" zu einer höheren Synthese zusammentreten, einer Synthese, die der „Amphitryon" weitgehend vorbereitet hatte. Wenn man zuspitzen will: Kl. gerät nur i. d. Romantik hinein, weil er im häufig hoffnungslosen Wegsuchen zwischen Klassik einerseits u. Realismus andererseits keine andere Rast- u. Ruhestätte finden kann' wie das Tröstlich-Traumhafte, Märchenhaft-Mächtige der Romantik, ähnlich wie seine Sehnsucht nach dem Nationalcharakteristischen, Nationaltypischen u. Nationalhistorischen keine geeignetere Auffangsstellung finden konnte als das Deutsch-Romantische u. das Romantisch-Deutsche. Das ihm innewohnende u. seinen Dichtwerken eingekörperte Gesetz vereinigt letzten Endes alle wesentlichen Satzungen u. Setzungen v. d. Aufklärung (von der er nicht zufällig weltanschaulich ausging) über Klassik u. Romantik hin zum Realismus, ähnlich wie er hinsichtlich der Vorbild- u. Musterpoetik den kühn überwölbenden Bogen von d. Antike über Shakespeare zu spannen trachtete, wobei die Aufklärung wiederum nicht nur dadurch beteiligt blieb, daß M. Wieland die ermutigende, literaturtheoret. Programmatik bot. Vielmehr wirkt der aufklärer. Kampf gegen die Vorurteile merklich nach in Kleists romant. bis realist. Kampf um

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das unvoreingenommene Urteilen u. Beurteilen von Mensch u. menschlichem Verhalten, aber auch von Nation u. nationalem Verhalten. Dem kategorischen (ethischen) Imperativ des „Alles oder Nichts" entspricht der kategorische (nationale bis nationalistische) Imperativ des Verhältnisses v. Recht oder Unrecht, mein Vaterland! (Hermannsschlacht), aber auch der ästhetische Imperativ: schön, oder unschön, aber echt gefühlt, der freilich nicht rein ästhetisierend bleiben konnte, sondern ähnlich u. doch anders wie bei Fr. Schiller das vertieft verstandene u. gestaltete „Ästhetische" immer wieder nahe an das Sittliche heranrückte. Und zuletzt mündet alles ein in den kategorischen Imperativ des Gefühls, ob nun des Individualgefühls oder Nationalgefühls oder — weniger stark ausgeprägt — des Menschheitsgefühls. Kleist als denkender Mensch meinte an der Philosophie I. Kants zu zerbrechen (u. es war keineswegs nur der aufklärerisch beeinflußte Protestant, wie G. Lukacs meint, der vom Kantischen Kritizismus erschüttert worden ist); aber Kleist als dichtender Deuter vermochte die Philosophie Kants zu durchbrechen. Er ersetzte oder ergänzte die „Kritik der reinen V e r n u n f t " durch eine werkimmanente „Kritik des reinen Gefühls". Kleist bleibt nicht wie Schiller bei einer krit. Umsetzung des Kantischen Idealismus stehen, sondern er arbeitet als schaffender Künstler auf eine Ersetzung des Vernunftidealismus Kantischer Prägung durch einen Gefühlsidealismus Kleistischer Prägung heimlich unbewußt (bis unheimlich bewußt) hin. Schiller ging auf Kant zu, ehe er ihn näher erfaßt hatte u. näher begreifen konnte; aber er ging sogleich von Kant merklich fort, sobald eine bewußte Begegnung stattgefunden hatte. Kant wird für ihn ein klärender Durchgang zur Eigenwelt u. zum Eigenwollen, auch zum eigenen Kunstwollen. Für Kleist war Kant gleichsam ein unklarer Ausgang, unklar nicht nur deshalb, weil er nicht über die philosophische Kapazität Schillers verfügte, sondern unklar auch (und vor allem auch) deshalb, weil Kleist nicht erkannte, daß ihm Kant als Vollender und zugleich Uberwinder der Aufklärung sehr wohl hätte eine förderliche Kraft sein und geben können, um den eigenen jugendlichen Ansatz einer reichlich populären bis vulgären Aufklärungsphilosophie zu überwinden oder doch denkerisch zu „überholen". Kant vermochte aber deshalb nicht, den Denker in dem Dichter

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und Deuter Kleist zu ermutigen, weil dieser Denker von geringerer Reichweite im Dichtertum Kleists war, als das Denkertum im Dichtertum (freilich oft bewußt von diesem getrennt) bei Schiller gewesen war. Das Dramatikertum in Schiller u. Kleist war einander ebenbürtig und ebenwertig, wenn auch nicht gleichartig, mag man immer in Schiller den größeren Dramatiker u. i. Kleist den größeren Tragiker erkennen u. anerkennen wollen. Die Frage nach dem stärkeren Denkertum i. Schiller u. Kleist dagegen muß zugunsten Schillers entschieden werden; denn bei Kl. wurde das Denkerische sehr bald überspielt vom Dämonischen, die Intention sehr bald überholt v. d. Intuition, die Spekulation sehr bald verdrängt oder doch überboten von der „romant. Reflexion" einerseits u. d. realistischen „Sensation" (Humes „sensation") andererseits. Demgemäß bewegt sich Kleist nach dem „Verlust der Mitte" (der klass. Mitte) vorzugsweise in den Extremen von Romantizismus und Realistik, wie er als Dichter extreme Themenstellungen u. Motivdeutungen bevorzugt, wie er als Dramatiker zwischen Tragik u. Tragikomik sich mit erstaunlicher Kühnheit u. bewunderungswürdigem Können bewegt. Sein Lustspiel „Der zerbrochene Krug" streift mehrfach das Tragische (wie häufig das wertvolle Lustspiel), und seine Tragödie der „Penthesilea" streift mehrfach das Tragikomische wie auch das Lustspiel nach Moltere „Amphitryon", von dem der moderne Zuschauer weit mehr das Gesetz des Tragikomischen als das Gesetz des Komischen abzulesen geneigt (u. genötigt) sein dürfte. Kurz, Kleists Kunstwollen, soweit es als werkimmante Poetik greifbar wird, bewegt sich sowohl im Grenzbereich der Epochenstile als auch im Grenzbereich der Gattungsstile. Das „Käthchen von Heilbronn" scheint hinsichtlich des Epochenstils der Romantik zuzugehören; aber gattungsmäßig schwankt es zwischen Märchen, Volksstück u. psychol. Problemdrama. Im dramatischen Handlungstypus vertritt es eine Mischform von Enthüllungshandlung (äußeres Geschehen: ständische Herkunft Käthchens) u. Zielhandlung (inneres Geschehen: Gefühlssicherheit Käthchens). Gattungstypologisch käme zudem neben dem Märchen auch die Romanze in Betracht, die L. Tieck nicht zufällig als Rahmenfigur in seinem romant. „Lustspiel" vom „Kaiser Oktavian" ebenfalls heranziehen mußte (vgl. Quellen z. „Käthchen v. Heilbronn"). „Penthesilea" wäre

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dem ganzen Motiv nach dem Epochenstil d. Klassik zuzuordnen; aber romant. wie auch realist. Faktoren sind am Gesamtwerk unverkennbar beteiligt. Gattungsmäßig wirkt das Ganze wie eine grandiose Ballade. „Amphitryon" scheint sich dem Motiv nach als „klassisch" auszuweisen, dem Problem nach aber tendiert es zur Romantik hin, indem die Weite des Wunders gerade durch die Schlußlösung einbezogen wird, so daß dieses Werk, das mit der Sosias-Teilhandlung überdies Wirkungswerte des Realismus verwendet, Heidnisch-Mythisches· u. ChristlichMystisches verbindet. Gattungsmäßig bewegt es sich nicht nur im Grenzbezirk von Komödie u. Tragödie, sondern mischt Sagenhaftes mit Legendarischem. Die „Hermannsschlacht" als politisch-histor. Drama mischt Vergangenes mit Gegenwärtigem, wobei Rom stellvertretend für Frankreich fungiert. Das Kunstwollen umgreift das historische Thema und zugleich die aktuelle Tendenz, das Realistische der nationalen Not u. zugl. das Symbolische d. psychologischen Problems (Thusnelda-Teilhandlung), das Klassische des Heroismus u. d. Romantische d. Nationalismus (im Sinne d. jünger. Romantik u. ihrer nationalhistor. Bestrebung). Artmäßig bevorzugt es das Grenzgebiet des Gruppendramas u. Individualdramas; gattungsmäßig wird die Nähe des Epischen spürbar. Der „Prinz v. Homburg" scheint sich einer neuen Klassik zu nähern, aber einer „Klassik", die die Romantik bereits durchschritten hat. Der Not der Volkwerdung („Hermannsschlacht") entspricht dabei die Notwendigkeit der Staatserhaltung. Artmäßig nähert es sich vom historisch-polit. Dramentypus her weitgehend dem nationalen Festspiel, aber zugleich vom psychologischen Problemdrama her weitgehend dem politischen Thesenstück, wobei die These am Prinzen als der Zentralgestalt demonstriert, von Nebenpersonen wie Kottwitz oder dem Kurfürsten aber formuliert wird. Uberhaupt scheint Kl. seit der „Hermannsschlacht" den Weg zum Thesendrama im historischen Gewände beschritten zu haben. Vielleicht wäre der „Guiskard" schon eine Entwicklungsvorform geworden; dort würde die These an Guiskard, dem Normannenherzog, demonstriert, von Nebengestalten wie dem Greis (Chorführer),z.T. auch dem Chor selber formuliert. Kleists Neigung u. Nötigung zur Konzentration betrifft im Sinne der werkimmanenten Poetik eben nicht nur die dramatische (bzw. novellistische) Form, sondern auch den Inhalt. Ebenso ist das kunst-

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technische Verfahren der sog. „Inquisitionstechnik", der zäh zielstrebigen Befragung letztlich nur eine Äußerungsform dieser Konzentration, die den Novellen ebenso eignet wie den Dramen. Das Gestaltungsgesetz bzw. Formgesetz (vgl. P. Böckmann) folgt dem Widerstreit von Einheit des Gefühls u. Zwiespalt der Vernunft. Und wo die Grenzen der Vernunft auf diese Weise (u. nicht zuletzt d. jenes Inquisitionsverfahren) sichtbar gemacht und erkennbar werden, da wird die Anerkennimg des Gefühlskriteriums erzwungen, so daß jene Zentralkraft der „Kritik des reinen Gefühls" als dichterischer Protest gegen die denkerische „Kritik der reinen Vernunft" voll zur Geltung u. Entfaltung kommen kann. Das individuelle Rechts-Gefühl u. d. nationale RechtsGefühl sind dabei nur stark hervortretende Verbesonderungen. Entscheidend f. d. werkimmanente Poetik bleibt jene bereits im darstellenden Text eingehendei erläuterte „Kritik des reinen Gefühls" überhaupt. In ihr manifestiert sich das schlechthin beherrschende Gesetz im Kunstwollen u. Kunstschaffen Kleists von den „Schroffensteinern" bis hin zum „Homburg", vom „Michael Kohlhaas" u. d. „Zweikampf" bis hin zur „Marquise von Ο . . . " . Und selbst im Lustspiel „Der zerbrochene Krug" entscheidet Eves Gefühlskriterium, das als „Goldwaage des Gefühls" bei Alkmene nur Schwankungen ausgesetzt werden kann (die zu entsprech. Schwankungen zwischen Tragödie u. Komödie im Sinne d. Tragikomödie führen), weil Alkmene den Gatten „vergöttert" hat und so dem Irrtum der tragikomischen Ironie ausgesetzt ist. Die tragische Ironie Kleists geht wohl von d. romant. Ironie aus, aber sie geht auf die realistische Ironie zu. Das „Pathetische" in Kleists Kunstwollen ist demgemäß stärker (als das Pathetische Schillers) auf eine Einbeziehung des Pathologischen angewiesen, weil die letzte Bewährung des Gefühls sich nur an einer letzten, äußersten Belastung erproben u. erweisen kann. Das „Tragische" gewinnt aber nur dort endgültig Gewalt u. Übergewicht, wird nur dort zur Leit- u. Leidkraft, wo die Gefühlstrübung u. Gefühlsverwirrung unlösbar bleibt, weil das Gefühlskriterium versagt hat oder überanstrengt worden ist („Schroffensteiner, Verlobung in St. Domingo, Penthesilea, Michael Kohlhaas"). In gewissem Grade ist das Gefühl zugleich Schicksal, wie etwa im Naturalismus „Milieu" Schicksal werden kann. Daß Kleist in der Berücksichtigung des gesellschaftlichen 41 M a r k w a r d t ,

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Milieus bzw. in der Nichtberücksichtigung des gesellschaftl. Milieus sich eines „Überspringens aller gesellschaftl. Vermittlungen" schuldig macht, daß er vielmehr „das direkte Gegenüberstellen von Menschen und Schicksal" bevorzugt, war eben sein grandioser Protest gegen eine umweltgebundene Abhängigkeit des Menschen, zum mindesten des überdurchschnittlichen Menschen. Gelegentlich dämmert selbst fanatischer Konstruktionsfreude etwas auf von der Ehrfurcht vor der alle Bedenken der Soziologie und Gesellschaftsphilosophie überwältigenden schöpferischen Gewalt der künstlerischen Gestaltungskraft, so etwa dort, wo G. Lukäcs angesichts des „Guiskard"-Fragments zugestehen muß: „Er hat in den erhaltenen Einführungsszenen tatsächlich eine bei ihm sonst nie (?) vorhandene und auch im ganzen Drama der neueren Zeit seltene Großartigkeit erreicht" (a. a. 0., 1951, S. 31). Der Vorwurf, daß Kleist eine phantastische Umwelt „konstruiert" habe (ζ. B. i. d. „Penthesilea"), um seine „monomanischen" (u. dekadent-pathologischen) Individualprobleme durchhalten zu können, vergißt den Anspruch der Romantik auf eine Romantisierung und Poetisierung des Lebens, wie er ebenso ζ. B. bei A. v. Arnims „Päpstin Johanna" oder Cl. Brentanos „Gründung Prags" (Libussa-Motiv) oder L. Tiecks „Kaiser Oktavian" zutage tritt, ganz abgesehen von der Phantasieumwelt in M. Wielands „romant." Epos „Oberon". Derartige Versäumnisse einer Berücksichtigung des romantischen Kunstwollens müssen notwendig eintreten, wenn man Kleist ganz am Maße des „Realismus" zu messen unternimmt. Man wird sich schon daran gewöhnen müssen, daß H. v. Kl. die „Realität" zugleich u. nicht zuletzt im Sinne des transzendentalen Idealismus auffaßt, indem er die tragische Spannung von Wahrheit und Wirklichkeit, von Wesenhaftigkeit u. Seinshaltigkeit aufrechterhält. Kleist strebt über das antikisierende, aber auch romantisierende Schicksalsdrama hinaus, indem ihm das „Schicksal" als eine tragische oder tröstliche Manifestation und Rehabilitation des rein-menschlichen Gefühls erscheint, als eine Befreiung auch vom gesellschaftlichen Zwang (wie vom religiösen Zwang), indem die Freiheit der Persönlichkeit (auch der extravaganten Persönlichkeit) widerstrebend-strebend, widerwillig-willig in die Nötigung u. Notwendigkeit des Gesellschaftlich-Gemeinsamen übergeht. In diesem Sinne ist die Tragik des „Einsamen" bei Kl. keine auswegslose Tragik niederdrückender-

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Art, sondern nur eine Vorstufe zur Tragik erhebender Art. Sie ist immer nur ein Durchgang, ebenso wie die Gefühlsverwirrung nur ein Durchgang ist zur letzten Bestätigung oder zum letzten Versagen des Gefühlskriteriums. Soweit das Typische sich ausprägt, nähert es sich vom ironisierenden Typus d. Romantik (bes. der Sonderform d. tragischen Ironie) her gelegentlich bereits dem konzentrierenden Typus des Realismus. Den „reinen" MenschenTypus sieht u. sucht indessen Kl., gemäß der Prävalenz des Gefühlskriteriums, zuletzt u. vor allem doch wieder im „reinen" Gefühl. Die Vorliebe für d. extremen Einzelfall, die man von gewisser Seite Kleist zum Vorwurf gemacht hat, darf über das Typische (bis Thesenhafte) seiner Problemstellung u. d. Grundsätzliche seiner Problemlösung nicht hinwegtäuschen. Denn der zunächst schroff individualistische Einzelfall ist wohl der Ansatz u. Gelegenheitsmacher; aber er ist nur ein Ausgang, während der Endertrag u. d. vielfach verworrene Weg zu ihm oft auf ein Soziales u. Allgemein-Menschliches hinarbeiten oder doch hindeuten. Die entscheidende Frage ist immer wieder die Vertrauensfrage, wobei das Vertrauen zu sich selber u. d. Vertrauen zu dem Anderen mannigfach ineinander herüber- u. hinüberspielten. Die dialektische Spannung der Widersprüchlichkeit von Vertrauen u. Mißtrauen durchregt u. bewegt vielfach das äußere u. innere Geschehen („Schroffensteiner, Verlobung in St. Domingo, Guiskard, Penthesilea, Hermannsschlacht, Homburg, Marquise ν. Ο . . . , Michael Kohlhaas, Zerbrochener Krug"). Dem entspricht die Spannung zwischen gültigem Rechtsgefühl u. geltender Rechtsform u. Rechtsnorm („Schroffensteiner, Zweikampf, Michael Kohlhaas, Guiskard, Hermannsschlacht, Homburg"). Selbst wo Märchenhaftes hineinragt u. uns geheimnisvoll anrührt wie im „Käthchen v. Heilbronn", wird die Widersprüchlichkeit von Seinsrecht u. Scheinrecht (echte Braut: Käthchen, unechte Braut: Kunigunde) spürbar wie andererseits das nachtwandlerische Vertrauen zu sich selber (Holunderstrauchszene), ebenso wo das Humoristische u. Satirische hineinragt wie im „Zerbrochenen Krug", wo Eves Rechtsgefühl mit der täppisch-tragikomischen Rechtsbeugung des Dorfrichters Adam i. Widerstreit liegt u.wo i. Begleitmotiv Marthe Rull die komisch belichtete Rechtsnorm vertritt. Soweit die theoret. Zurückführung d. Wortkunst auf Grundgesetze der Tonkunst sich im Werkschaffen be-

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stätigt, überwiegt in Gesamtkomposition u. Einzelausprägung das Rhythmische gegenüber dem Musikalischen. Auch der sog. symphonische Dreisatz etwa d. Novelle „Das Erdbeben in Chile" folgt mehr rhythmischen als musikalischen Intentionen. Die größere Nähe des Rhythmischen mit seinem gelockerten Wechsel von Anspannung u. Entspannung zum Dramatischen, mit seiner Abwechselung von Verdichtung u. Auflockerung ist dabei ohne weiteres evident. Dennoch kennt Kl. durchaus den „Gegenrhythmus" u. weiß ihn vielfach wirksam auszuwerten, darin irgendwie Fr. Hölderlin verwandt, wenngleich eine dem jeweiligen inhaltlichen Motiv zugeordnete Rhythmik überwiegen dürfte. Die werkimmanente Gesetzlichkeit des Rhythmischen in Kleists Kunstschaffen ist noch kaum gebührend dargestellt u. klargestellt worden; sie beherrscht auch seine politische Lyrik u. dichterisch aufgehöhte Publizistik. Diese eigenartige u. eigenwillige Rhythmik ist eine der Ursachen dafür, daß Kleists Werke sich der Übersetzung weitgehend entziehen, wie überhaupt die in Kleist ausgeprägte Nationalliteratur wenig geeignet erscheint, in eine formal vollkommene Universalliteratur überzugehen. Die Abkehr vom „Paradoxen" der romant. „Lehrart", also von d. romant. Liter.-Philos., schließt die Hinwendung zum Paradoxen im eigenen Kunstwollen keineswegs aus. Dagegen steigert u. überspitzt Kl. als Dichter das Paradoxe gern zum Paroxismus (ζ. B. i. d. „Penthesilea"), wie er das Traumhafte gern ins Visionäre („Käthchen, Homburg"), das Unbewußte gern ins Unterbewußte, das Schaudern der „Schauerromantik" gern ins Grandios-Grausige („Schroffensteiner, Leopold v. Österreich, Guiskard-Fragm., Penthesilea u. Hermannsschlacht"), die romantische Sehnsucht in realistisches Besessensein, den Schwebezustand des romant. „Dämmerns" i. die Kraftdemonstration der Dämonie umsetzt („Guiskard, Hermannsschlacht, Homburg"). In dem Sproß eines alten pommersch-märkischen Adelsgeschlechts, der freilich nicht so „borniert" gewesen sein dürfte, wie Fr. Gundolf und von anderem Blickpunkt auch G. Lukacs glauben machen möchten, mußte sich der Dichter mit gewaltiger und streckenweise auch entsprechend gewaltsamer Anstrengung und Anspannung der letzten Kräfte durchkämpfen durch spröde Schichten ständischen Befangenseins. Und nur jenes Besessensein konnte dieses Befangensein überwinden, nicht ohne Rückfälle und selbst Rückstürze zwar, aber doch in einem

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erstaunlich hohen Grade. Kein Wunder, wenn die rückhaltlosen Geständnisse einer dynamisch-dämonischen Natur immer wieder von rücksichtsvollen Zugeständnissen eingeengt u. eingetrübt erscheinen: ständische Ebenbürtigkeitsmachung Käthchens, weltanschauliche Unsicherheit des „Revolutionärs" Kohlhaas gegenüber dem Werturteil Luthers, Atmosphäre d. „Berliner Abendblätter" usw. Der Typus des Geistig-Visionären u. Mythisch-Visionären, an sich lyrische Grundformen, werden weitgehend u. wirksam auf d. Drama u. d. dramat. Novelle übertragen, während der lyrische Typus des Naiven einerseits u. d. erlebten Meditation (stimmungsgesättigte Betrachtung) andererseits im wesentlichen auf eine Hilfestellung von Kontrastwerten eingeschränkt bleiben. Die Gesetzlichkeit der „Zeitgedichte" politisch-nationaler Art folgt mehr den Anforderungen einer rhetorischen Publizistik, demonstriert aber wiederum die Konzentration u. Konsequenz als dichterische Erlebnis- und kunsttechnische Verfahrensweisen. Konzentration i. d. Form u. Konsequenz im Inhalt zeichnen überhaupt die Kunstwerke Kleists aus. Und es ist in diesem Sinne nur folgerichtig, wenn die dynamische Rhythmik von Ballung u. Entladung, von Maßlosigkeit u. formender Bändigung, von Grenzenlosigkeit und formender Umschränkung Kl. gerade diejenigen Gattungen bevorzugen läßt, die eine außerordentliche Konzentration i. d. Komposition erfordern: Drama u. Novelle. Und so ist es keineswegs gewagt, sondern in weitgehendem Maße berechtigt, wenn Η. Α. Κ orf f dem zunächst (und „zutiefst") als dionysischer Dynamiker von hohem Spannungs- u. Geschehenstempo u. dem fast rauschhaft unkontrolliert wirkenden „Gefühls"-Dichter u. instinktiven „Gefühls"Deuter u. „Gefühls"-Kritiker H. v. Kl. dennoch einen hohen Grad an bewußtem „Kunstverstand" u. Kunstwollen zuweisen kann. Nur möchte mir scheinen, als ob dabei (von d. Poetik her gesehen) weniger entscheidend die bekannten, oft u. oft widersprüchlich interpretierten Äußerungen Kleists über die neue „Erfindung" bzw. „Entdeckung" im Bereich der dramat. Wirkungsform seien als eben jenes erwähnte schöpferische Vorziehen der zuchtvollen Gattungen Drama und Novelle (m. d. Ergänzung: Anekdote). Der vermeintlich Formfremde, ja Formfeindliche, der als expressiver Künstler die Unmittelbarkeit des Inhalts möglichst freisetzen

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möchte von der Mittelbarkeit der Form, der vermittelnden Form u. der formenden Vermittlung, fühlt sich andererseits wahlverwandt angezogen von der Formen-Straffung u. Formenraffung dramatischer u. novellist. Kunstgebilde. Die Ausweitung der Erzählung nach einer alten Chronik „Michael Kohlhaas" spricht um so weniger dagegen, als selbst bei diesen Annäherungen an den Roman die straffe Novellenstruktur erstaunlich weitgehend aufrechterhalten bleibt, abgesehen vielleicht v. d. trivialromantischen Konzession der Zettel-Geschichte. Die Aufhebung der Aktgliederung (als ein wesentliches Merkmal der „Erfindung" u. „Entdeckung") spricht um so weniger dagegen, als die werkimmanente Poetik („Penthesilea", wahrscheinlich „Guiskard", u. d. „Zerbrochene Krug", der eben doch nicht nur ein „Einakter" war) unschwer erkennen läßt, daß ein äußeres Gliederungssystem (das zudem ζ. T. zum Schema abgeflacht war) eben nur überboten werden soll durch eine latente, innere Systematik nicht nur organisierender, sondern organischer Art. Die Unentbehrlichkeit der Konzentration betr. d. Handlungsformung findet ihre Gegenspannung in der Unerbittlichkeit der Konsequenz betr. d. Handlungsführung (abgesehen etwa v. d. „Marquise ν. Ο . . . " , ζ. Τ. auch ν. „Käthchen ν. Heilbronn"). Alles, was soziologisch eingestellte Kritik so schmerzlich an Kleist vermißt, vor allem das „Überspringen aller gesellschaftlichen Vermittlungen", folgt (v. d. Poetik her gesehen) weitgehend aus dem untrüglichen Gefühl Kleists für das gattungstypologisch zunächst einmal Primäre. Kleist war schließlich kein Romandichter, der die gesamten gesellschaftlichen Verflechtungen und Verpflichtungen einbeziehen kann und muß. Weil er diesen Unterschied erkannte, vermochte gerade der Epiker M. Wieland, der doch zugleich Kenner der Antike und Shakespeares war, dem Gegentypus des Dramatikers erstaunlich hellsichtig und weitsichtig gerecht zu werden. Er sah Kleist nicht auf einem Neben- und Irrwege (wie neuerdings G. Lukäcs, der Kleist u. a. zum Traditionsträger für — Frank Wedekind macht 1), sondern auf einem neu zu bahnenden, sehr verheißungsvollen, Sophokles und Shakespeare zusammenführenden „Hauptweg" (wie neuerdings Η. A. Korff). Die werkimmanente Poetik beweist, daß jener bewußte Vorsatz Kleists, die „Lücke" neben Goethe u. Schiller zu schließen, hinter sich das Gesetz hatte, jenes Gesetz, „nach dem er angetreten".

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Tragik entsteht für Kleist nicht dadurch, daß die Vernunft die Antinomien der Welt nicht als aufhebbar und so geistig beschwörbar zu erkennen vermag; vielmehr dadurch, daß das Gefühl die „Antinomie der Welt" (v. Einsiedel, 1931) nicht „anzuerkennen" vermag u. daß es in Lagen gerät, wo es „machtlos" u. sich selber untreu wird. Kleist lenkte sich gleichsam ab von der Katastrophe seines Kanterlebnisses, das an sich und in sich stärker war als manche tieferreichende Kanterkenntnis Dritter, indem er als weit tragischer die Problematik des Gefühls erleben u. gestalten lernte. Aber weil er diese Problematik künstlerisch zu bewältigen wußte, bannte er zugleich das in ihr liegende und lauernde Bedrohtsein u. Bedrängtsein. Insofern ist seine Dichtung in hohem Grade Konfession. Er schrieb sich frei von diesem Druck eines lastenden Gefühlszweifels; u. er kämpfte sich frei von den Bindungen des Schicksals an Zufall u. Willkür (Entwicklung: Schroffenstein-Homburg). Auch seine „Dämonie" ist, so verstanden, nicht Selbstzweck u. Endstufe. Sie ist ein machtvolles Mittel, die Entladungen (d. Katharsis) zu entschärfen, indem er ihnen Luft verschafft und so in der Endspannung zugleich die Entspannung bereit hält. Nicht das Beweisbare der Vernunft (auch nicht das ihm zwar verwandte Beweisbare Hölderlins), sondern das Bewährbare des Gefühls bietet ihm den heiligen Halt im heillosen Wirrwarr der Lebensmächte. Hier berühren sich die Extreme Kleist u. Jean Paul. Aber Jean Paul bedarf des Humors, um den Aufschwung zu gewinnen. Kleist bedarf der Tragik, um die aufgestellte Höhenschicht zu erreichen u. sie zu behaupten. Vielleicht noch genauer (denn das wäre ζ. T. auch Schiller gemäß): Kleist braucht das Tragische als ständigen Begleiter und Ermahner, um immer zum Letzten zu gelangen u. immer „aufs Ganze" zu gehen. Man vergißt leicht, daß er, abgesehen von den Schroffensteinern, die streckenweise noch mit einer Mischform des Traurigen und Tragischen zu kämpfen haben, nur eine Tragödie geschaffen und vollendet hat (vgl. GuiskardFragment) —die „Penthesilea". Und fast scheint zunächst einmal quantitativ das Tragische in den Novellen stärker ausgeprägt zu sein, soweit man einer Novelle überhaupt Tragik zuerkennen will (Erdbeben, Verlobung, Findling, Kohlhaas). Aber fast überall steht das Tragische warnend u. wachend am Wege (Käthchen, Amphitryon, Hermanns-

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schlacht, Homburg; Marquise ν. Ο., Zweikampf). Gerade diese Beobachtung aber sollte kritischen Zweifel erwecken gegenüber der häufig begegnenden Meinung, das Tragische sei die schlechthin zentrale Kraft. Denn ganz abgesehen von der ebenso durchgängigen Erscheinung, daß Kleist das Tragische kühn an die Grenze des Komischen heranführt und es also nicht in seiner reinen Ausprägung herrschen oder gar vorherrschen läßt: es ist einleuchtend, daß er auch noch das Tragische in den Dienst seiner „Kritik des reinen Gefühls" stellt, die sich als übergeordnet erweist, um so mehr, als ihr ebenso das Komische zum Gelegenheitsmacher wird. Die Meinung vom Primat des Tragischen ist überdies vom tragischen Lebensweg u. vom „tragischen Wollen" Kleists (Hans R i e s c h e l , 1940 bzw. 41) merklich in manchen (den meisten ?) KleistDeutungen verstärkt, wenn nicht sogar von dorther bezogen u. wieder darauf bezogen worden. Und daß weiterhin Schicksal u. Wirklichkeit dem Gefühl zwangsläufig zugeordnet sind, ist schon von dritter Seite (v. E i n s i e d e l , F r i c k e , L u g o w s k i ) erwiesen worden. Es entspricht nun aber der Größe des Dichtertums Kleists, daß er alle jene Werte in die „Kritik des reinen Gefühls" hineinzuformen versteht. Kleist glaubte zunächst an die Erkenntnis. Eben deshalb konnte er von Kants Erkenntniskritik so subjektiv echt u. wahr betroffen werden. Und derartig oberflächlich, wie manche uns glauben machen möchten, verstand oder mißverstand er den Kritizismus Kants schwerlich, will er sich doch (an einer der Hauptbelegstellen) nur u. ausdrücklich (der leichteren Verständlichkeit halber) in „einem Gleichnis" aussprechen, wobei es um den Trug der Sinnestäuschung geht. Kl. dürfte sich durchaus bewußt gewesen sein, daß dies nicht der ganze Kant war. Aber gleichzeitig mußte ihm, der vorerst von der Aufklärung her kam, an u. durch Kant klar werden, daß hier die Vernunft, die bislang alle anderen Gebiete ihrer Kritik unterworfen hatte, nun selbst ihrerseits der Kritik unterworfen wurde. Die Vernunft hatte ihren Schimmer der Unfehlbarkeit als oberste Richterin verloren. Sie erwies sich bei strenger Prüfung als abhängig von menschlichen Erkenntnisformen, deren Bedingtheit u. Begrenztheit. Mochte für Kant der ältere Sprachgebrauch „kritisch" für „philosophisch" stehen u. „Urteilskraft" für „ästhetisches Urteil": für Kleist blieb auf jeden Fall die E n t -

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täuschung bestehen, daß das Kritisch-Philosophische der Vernunft versagte u. vollends beim Beurteilen anderer Menschen, das für die Dichtkunst erheblich war, versagen mußte. Er sah zunächst nicht ein, daß der ganze philosophische Ansatz für den Dichter verfehlt war, aber instinktiv suchte er einen neuen Ansatz, u. zwar gleichsam im Vor-Vernunfthaften u. damit im Primitiv-Naturhaften (J. J . Rousseau). Und als auch dieser Glaube erkaltet war, weil Vergangenes sich nicht als gegenwärtig lebendig u. lebenswarm bzw. lebenswahr erhalten ließ, flüchtete er sich mit der ganzen Unbedingtheit u. Unmittelbarkeit seiner schöpferischen Sehnsucht in den Glauben an das Gefühl. Aber nur unter der Bedingung, es der Kritik unterwerfen zu können. Naher betrachtet, handelt es sich von vornherein um ein Neben u. Ineinander, nicht jedoch um ein bloßes Nacheinander, denn man muß sich klar darüber sein, daß sich schon i. d. „Familie Schroffenstein" das Gefühlskriterium als solches durchsetzt. Das „Ideen-Gefühl" Maler Müllers steht ihm dabei gar nicht einmal so fern; aber zugleich lehrt ihn die Romantik die Identität. Für Kleist war oder wurde das zu einer Identität von Vernunfterkenntnis u. Gefühlserlebnis. Er konnte, so verstanden, durch das Gefühl allein zur „Vernunft" kommen. Nicht das Morgentor des Schönen erschloß ihm der „Erkenntnis Land" (wie Schiller), sondern das nächtlich dunkle Tor des Gefühls öffnete ihm den Zugang zum Weltverstehen, zum Gefühlsleben u. Lebensgefühl, aber auch zum Kunstgefühl, das auf die Wahrheit der Wirklichkeit zugeht, aber nicht in ihr aufgeht. Und wenn für ihn der ganze Glanz und zugleich Schmerz seiner Seele in der „Penthesilea" lag, so nicht deshalb, weil er mit diesem Werk ein Seelendrama geschaffen zu haben glaubte oder gar sich Goethes dramat. Sonderform anzupassen trachtete, sondern deshalb, weil für ihn, für sein Kunstwollen u. Kunstschaffen eine aufleuchtende Klärung u. eine einleuchtende Erklärung nicht möglich erschien ohne eine schmerzliche Bewährung. Kleists Rigorismus der Gefühlsechtheit u. Gefühlsunmittelbarkeit überbot noch die Unbedingtheit der idealen Forderung Schillers, weil er den letzten Schutz der höheren Vernunft weitgehend verschmähte, den Schiller in der unbezwinglichen Burg der moralischen Freiheit aufsuchte und in Anspruch nahm. Kleists Freiheit drängt u. dringt auf die Echtheit des SichErlebens, nicht auf die Freiheit des Sich-Erhebens. Er

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kennt (nicht nur i. d. „Marquise ν. 0 . . . " , auch im „Homburg") durchaus das Freiwerden durch ein Sich-SelberBewußtwerden. Aber wertvoll u. wertbeständig wird u. wirkt dieses Sich-Seiner-Selbst-Bewußtwerden nur durch ein Sich-Selbst-Hingeben an das Gefühl des Unmittelbaren und also Unbewußten. Der Sündenfall des Erkennens wandelt sich so zu einem Himmelsflug des gefühlsmäßigen Erlebens. Und Kleist möchte durch seine Kunst diesen Himmel erstürmen u. erzwingen und ihn nicht nur erflehen. Kleist rührt überall an das Äußerste, um das Innerste rege zu machen; er ist bereit, das Letzte zu wagen, um das Höchste zu gewinnen. Daher bevorzugt er den kurzen Anlauf, um Kraft zu behalten für den steilen Aufschwung (Kompositionsgesetz ζ. B. im „Kohlhaas", i. d. „Marquise", aber auch i. d. Dramen). Nur scheinbar gibt er sich aus, wo er sich hingibt. Wo die Romantiker immer oder häufig ihr Genüge finden am „Schweben" darüber, findet er seine Erfüllung im Sich-Verschwenden daran. Aber während ζ. B. Jean Paul sich in der Vielheit leicht verliert, versammelt Kleist seine besten Kräfte in der Ganzheit. Und alle Attribute der Romantik, so oft und gern er sich ihrer bedient, bleiben dem Gesetz der Substanz unterworfen. Alle Transformationen des Transzendenten bleiben unterworfen dem Gesetz einer Realität, ob man sie nun als politisch-gesellschaftl. Realität, als „magische" Realität oder als „metaphysischen Realismus" faßt u. umschreibt. Der Zauber, der von Kleist als Künstler ausgeht, ist nicht zuletzt beschlossen in dieser Transfiguration u. Transformation des Transzendenten in eine Wirklichkeit, die auf der Erde gründet, um das Außerirdische zu ergründen, die dem Wirklichen sein Recht zumißt, um Anspruch u. Ausweitung des Unwirklichen ganz zu ermessen. Jean Paul S. 394. „ G r ä z i s m u s . " — Mit Bezug auf Weimar i. d. „Geschichte meiner Vorrede z. 2. Aufig. des „Quintus Fixlein" (gesondert erschienen Aug. 1796, während d. 2. Aufig. selber erst 1800 herauskam). S. 394. H a n g zur E m p f i n d s a m k e i t . — W e r n e r S c h m i t z : Die Empfindsamkeit J. Pauls, Beiträge z. neueren Lit.Gesch. X V , Heidelberg 1930, bes. S. n 6 f f . ; Unterscheidung des Empfindsamen (J. Paul) u. d. Sentimentalischen (Schiller) S. 117—20 (unklar, unnötig kompliziert bis

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scheinphilos.-verworren!). W. Sch. schwankt, ob das Empfindsame das dem „Sentimentalischen" zugehörende Zweite oder das ausgeschlossene Dritte darstellt. So wird der verheißungsvolle Ansatz zu einer Abhebung wirkungslos (bis ergebnislos) vertan; das an sich fruchtbare Problem wird nicht erfaßt, sondern es wird nur damit gespielt. S. 394. W e g Herders. — Die Anlehnung u. Abhebung betr. Herder arbeitet heraus E d u a r d B e r e n d (1909), S. 111 bis 113 (Abhebung hinsichtl. des Schönheitsbegriffs), S. 179 (Abhebung hinsichtlich des Geniebegriffs), S. 2x6 (Abhebung hinsichtl. des Komischen); Anlehnung an Herder S. 10, 26, 45 u. ö. Im Gesamt sieht E. Berend J. Paul mehr auf „Abwegen" von Herder. Wesentlich anders sieht die Dinge Max K o m m e r e l l i. s. J. Paul-Monographie (2. Aufig. 1939), der S. 291—93 die Wesensverwandtschaft Herder-J. Paul herausarbeitet, ohne das Verschiedenartige zu übersehen (u. zwar geschieht das zu Eingang der Würdigung der „Vorschule", freilich ohne rechten Bezug auf die Themen u. Probleme d. „Vorschule"). Mir will scheinen, daß man zu verschiedenen, ja widersprechenden Urteilen kommt, je nachdem ob man vom früheren oder späteren Herder ausgeht. J. Paul hat offenbar vom jüngeren Herder mehr gelernt u. angenommen als vom späteren Herder. Und letztlich stimmt er insofern mit den Romantikern überein. Das hat Fr. B o u t e r w e k aus größerer Zeitnähe heraus ganz richtig erkannt u. berechtigt ausgesprochen. S. 394. „ V o r s c h u l e d. Ä s t h e t i k . " — J. Pauls Sämtliche Werke, hist.-krit. Ausgabe, 1. Abt., 11 Bde., Weimar 1935, Einleitung v. Eduard Berend a. a. 0. S. V — X X X I I . (Einzelausgabe, hrsg. v. Jos. Müller, Lpz. 1923.) In dieser instruktiven Einleitung wird u. a. hervorgehoben das relativ frühe Bekanntsein J. Pauls mit ästhet. u. kunsttheor. Schriften von Hutcheson, Dusch, Riedel, Diderot, Mendelssohn, Sulzer, Engel, Blankenburg („Versuch üb. d. Roman" 1774), Pope, Platner (Ästhetik, Vorlesungen), ganz abgesehen von Aristoteles, Longin, Cicero, Quintilian sowie mit Lessing, Herder, Hamann u. Home, J. Beathie (Über das Lachen), Dubos, aber auch dem frühen Kant („Beobachtungen üb. d. Gefühl d. Schönen u. Erhabenen", 1771 u. vorher) u. a. An Vorstufen sind zu verzeichnen: „Bemerkungen üb. uns Menschen", „Erfindungsbücher", „Untersuchungen" bes. spezialisiert als „Ästhetische

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Untersuchungen" (seit 1794), „Über die natürliche Magie d. Einbildungskraft" (1795), Geschmacks-Aufsatz (Anhang z. „Titan"), „Geschichte meiner Vorrede zur zweiten Auflage des ßuintus Fixlein" (1796) usw. Im Gesamt handelte es sich bei der „Vorschule" um eine Selbstrechtfertigungspoetik. E d u a r d Berend: Jean Pauls Ästhetik, in: Forschungen z. neueren Lit.-Gesch. 35, Bln. 1909 betrachtet die „Vorschule" nicht isoliert, sondern in engem Verband mit der früheren u. zeitparallelen Ästhetik u. bietet insofern ein Muster an Gründlichkeit; nur daß er des Guten gelegentlich zuviel tut, daß man vor lauter Seitenblicken auf andere Jean Paul bedenklich aus den Augen verliert. Der damals beliebten u. eifrig betriebenen „Einflußjagd" ist er (obwohl er sie im Vorwort abwehrt) doch schließlich verfallen. So kommt es, daß ihm merklich der Atem ausgegangen ist, als er im 15. u. letzten Kap. (nach 216 Seiten!) das eigentlich Wesentliche u. Wertvolle, nämlich die Idee des Humors, des Lächerlichen usw. („Das Lächerliche u. Erhabene") einfängt mit der leise verschämten Begründung, daß er sich das Beste „bis zum Schluß" aufgespart habe. Davon hebt sich Max K o m m e r e i l i. d. Methode scharf ab: Jean Paul (2. Aufig., 1939, die nur durch Vorrede u. Register gegenüber d. 1. Aufig. v. 1939 ergänzt worden ist), der das einschlägige Kap. zwar auch an den Schluß seiner J. P.-Monographie stellt, aber sogleich die Prävalenz des Humors in der Überschrift hervortreten läßt: „Die Vorschule u. ihre Lehre des Humors" a. a. O. S. 391—419. Allerdings reizt Μ. K. zum mindesten anfangs mehr der Anteil Literaturkritik als der Anteil Poetik. Demgegenüber konzentriert Η. A. K o r f f : Goethezeit III (2. Aufig. 1949) seine Aufmerksamkeit in dem nur knappen, aber gehaltreichen Abschnitt „J. P.s Vorschule d. Ästhetik" (a. a. 0. S. 294—303) sogleich auf das wesentlich Kunsttheoretische, entsprechend der Einlagerung i. d. Kap. „Romantisierung der Poetik". Von seinem Blickwinkel eines Ausschauhaltens nach echter u. unechter „Poesie" betrachtet O. W a l z e l : Poesie u. Unpoesie (bzw. Nichtpoesie) 1937, S. 175—180 die Poetik der „Vorschule", wobei er, seiner Problemstellung gemäß, den Unterschied von „Materialisten" u. „Nihilisten", die Stellung zum Wunderbaren u. a. herausarbeitet, während ihn die Deutung des Humors in seinem Zusammenhang nicht interessiert. — Verdächtig hastig u. beiläufig er-

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ledigt die „Vorschule" K u r t Berger: Jean Paul, der schöpferische Humor, Weimar 1939, S. 380/81; aber diese Beiläufigkeit erklärt sich bei näherem Zusehen aus dem Umstand, daß K. Berger, gemäß der These seines Titelzusatzes, das Kernproblem ausdrücklich von der „Vorschule" ableitet (S. 26) u. dementsprechend schon vorher allenthalben erörtert hat, so ζ. B. unter dem Stichwort der „Schöpferische Humor" (S. 180—83), wo denn auch auf die „Vorschule" zurückgegriffen wird. Joh. A l t s J.P.Monographie, München 1925, würdigt mehr in allg. Betrachtungen die „Vorschule", a. a. 0. S. 313—329. In die Richtung des Biographischen weist neuerdings E. Berend: Jean Pauls Persönlichkeit i. Berichten d. Zeitgenossen; ges. u. hrsg. i. Akademie-Verl. 1956, IX. S. 396. Literar. K r i t i k . — Diese Hineinverarbeitung d. liter. Kritik in die „reine" (in Wirklichkeit durch das Bemühen um Selbstrechtfertigung entsprechend eingetrübte) Kunsttheorie erinnert an den ursprüngl. f. d. „Vorschule" geplanten u. sogar öffentl. angekündigten Titel „Jean Pauls Vorlesungen über die Kunst, gehalten i. d. Leipziger Ostermesse 1804" (vgl. d. Ztg. f. d. elegante Welt, Nov. 1803). Diese Einbeziehung der liter. Kritik wie der geplante Titel „Vorlesungen" läßt hinüberblicken nicht nur auf die Berliner Vorlesungen A. W. Schlegels u. die Wiener Vorlesungen Fr. Schlegels, sondern auch auf die von den gen. Vorlesungen zwar merkl. abgehobenen „Vorlesungen über deutsche Wissenschaft u. Literatur" (1806) von Adam Müller, die u. a. auch die Kritik bes. als „vermittelnde Kritik" einbeziehen, vgl. 0. W a l z e l : Romantisches, Bonn 1934, S. 114I S. 398. B e d e u t u n g der S t o f f - E r f i n d u n g . — Die hohe Bewertung der Erfindung entspricht dem Primat der Phantasie. Bemerkenswert ist i. d. Zusammenhang, daß eine neuzeitliche Poetik ebenfalls, wenngleich von anderen Voraussetzungen aus, zu einer ähnlichen Hochschätzung der Erfindung gelangt, nämlich E r n s t Georg W o l f f : Ästhetik der Dichtkunst, Systematik auf erkenntniskrit. Grundlage, Zürich 1944, bespr. v. Verf. i. d. Dt. Literaturzeitung, Jg. 69 (1948), Sp. 257—65; dort krit. üb. den Erfindungsbegriff (Sp. 264/65). S. 400. In Fesseln tanzen. — Anklang an eine Umschreibung des Rhythmisch-Metrischen durch Fr. Nietzsche.

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ANMERKUNGEN

S. 400. E m p f i n d u n g als Fühlweise oder Vorstellung. — Vgl. Bd. II dieser Darstellung, Verzeichnis d. Begriffe S. 680. S. 401. S h a f t e s b u r y . — Ob darüber hinaus Shaftesbury mit seinem „Essay on the Freedom of Wit and Humor" (in: Characteristics of Men, Manners, Opinions, Times Bd. I, 4. Auflg. 1727) auf J. P.s Deutung des Humors eingewirkt hat, bleibt dahingestellt. S. 402. D i c h t e r i s c h e T y p e n b i l d u n g . — Durchweg v. d. J. P.-Forschung berücksichtigt, aber zu isoliert betrachtet; eingehend bei 0. W a l z e l a. a. 0. (1937) S. I75f.; unter Bezugnahme auf Schillers G. A. Bürger-Kritik knapp herausgestellt bei H. A. K o r f f a. a. 0. (1949) S. 295/96. S. 404. S t o f f u. Form. — Mit dem Ideal einer Wechselwirkung von „belebtem Stoff" u. „belebter Form" könnte J. P. noch einen wertvollen Beitrag zur Stoff-Form-Diskussion unserer Gegenwart bieten. Durchweg dürfte die Bedeutung dieses Ertrages seiner Poetik i. d. Sonderforschung unterschätzt worden sein. S. 405. Das Komische u. d. Humor. — Als konstruktives Prinzip ausgewertet u. i. d. Dichtungsdeutung J. P.s, aber auch i. d. ansprechenden Art d. Darstellung bes. eindrucksvoll, obwohl etwas einseitig herausgebildet bei K u r t Berger: J. P.; der schöpferische Humor, Weimar 1939, der wohl die bislang liebevollste u. i. der Interpretation anschmiegsamste Auslegung bietet. Ich möchte aber fast meinen, daß Κ. B. die Reichweite des Humor-Begriffs wesentl. weiter ausgedehnt hat, als es bei J. P. selber der Fall ist, u. zwar sowohl hinsichtl. der formulierten als auch der werkimmanenten Poetik. Die J. P.-Biographien von R. 0. Spazier (1833), W a i t h e r Harich (1925) u. W a l t h e r Meier (1926) finden verständnisvolle Berücksichtigung. Manches dagegen dürfte über Gebühr hineininterpretiert sein unter d. Eindruck d. Spezialuntersuchung von H a r a l d H ö f f d i n g : Humor als Lebensgefühl, eine psychologische Studie, übers, aus d. Dänischen von Heinr. Goebel, Lpz. u. Bln. 1918. Doch werden zugleich enger an J. P.s Welt gebundene Sonderarbeiten ausgewertet wie ζ. B. der Aufsatz v. Julius Petersen: J. P. u. d. Weimarer Klassiker, i. d. Sammelband: Aus d. Goethezeit (1932), die Unterscheidung von Humor u. Klassik i. Joh. V o l k e l t : System d. Ästhetik II, die

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Würdigung des humor. Charakters durch Günther V o i g t : Die humoristische Figur bei J. P., Diss. Göttingen, gedr. Halle 1934; Rud. Unger: J. P. u. Novalis, J. P.Jb. I (1925); S. K i e r k e g a a r d : Om Begrebet Ironi med stadigt Hensyn tili Sokrates (Gesammelte Schriften XIII), Kopenhagen 1930; E r n s t Bergmann: Platner u. d. Kunstphilosophie des 18. Jh.s, Lpz. 1913 (vgl. Walther Meier); R i c h a r d Rohde: J. P.s Titan, Untersuchg. üb. Entstehung, Ideengehalt u. Form d. Romans, in: Palaestra 105, Bln. 1926 u. a. Max K o m m e r e i l widmet i. s. J. P.-Monographie (2. Aufig. 1939) dem „Humorist. Ichgefühl" ein Sonder-Kap. (S. 299—310); ohne auf Henri Bergson: Le rire, also jenen französ. Vertreter d. Lebensphilos., der stark auf d. dt. Expressionismus hinübergewirkt hat, einzugehen, den K. Berger wenigstens randweise (S. 200) berührt, nimmt Μ. K. seinen Ausgang von einer Theorie des Lachens. Dagegen berührt er die Abwehr des Komischen in Gestalten wie Emanuel („Hesperus") oder Albano („Titan") oder Liane („Titan"). — Wesentlich anders ist es um Walt bestellt, die Zentralgestalt d. „Flegeljahre"; vgl. E v a W i n k e l : Die epische Charaktergestaltung bei J. P.; der Held d. „Flegeljahre", in: Dichtung, Wort u. Sprache, H. 7, Hbg. 1940, wo u. a. der „hohe" Mensch J. P.s vom „erhabenen" Menschen Schillers abgehoben, der Vergleichsblick aber auch auf G. Hamann (Sokrates) gerichtet wird, während die Parallelsetzung mit d. Don Quichote etwas erzwungen erscheint. S. 407/08. Theorie des Komischen. — Außer den im darstellenden Text Genannten vgl. auch Fr. Th. Vischer: Aesthetik od. Wissenschaft d. Schönen (1846—57); H a r a l d H ö f f d i n g : Humor als Lebensgefühl, eine psychol. Studie (s. o.), Lpz. 1918; Sören K i e r k e g a a r d : Der Begriff der Ironie mit beständiger Rücksicht auf Sokrates, übers, v. W. K ü t e m e y e r , München 1929; Julius Bahnsen: Das Tragische als Weltgesetz u. d. Humor als ästhet. Gestalt des Metaphysischen, hrsg. v. A. Ruest, Lpz. 1931 u. a. S. 410. Lenz: „ B i t t e r r e i z . " — Vgl. Bd. II, S. 408 dieser Darstellung. S. 411. Wesen u. Werden d. Charaktere. — Joh. V o l k e l t : Die Kunst des Individualisierens i. d. Dichtungen J. P.s, Halle 1902 (Gedenkschrift f. R. Haym) unter Hinweis auf J. P.s eigene Beiträge zur Psychologie, etwa i. d. „Levana". — W. S c h m i t z a. a. 0. (1930), S. 65ft. —

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G. V o i g t : Die humorist. Figur b. J. P., Halle 1934, versucht eine Vertiefung bes. S. 25f. u. 62t. (Bevorzugung d. Idyllen). — E v a W i n k e l a. a. O. (1940) betr. Walt i. d. „Flegeljahren". — Die gesellschaftl. aufschlußreiche Arbeit von A n n e l i e s M e y e r : Die höfische Lebensform i. d. Welt J. P.s, Neue Forschg. 18, Bln. 1933, analysiert themagemäß vor allem die Verhältnisse, i. d. J. P. seine dichter. Gestalten stellt, berücksichtigt aber auch die Art der ζ. T. satir. Charakteristik. Im allg. bietet die Praxis weit mehr als die Theorie. S. 411. „ Ü b e r die P a r t e i e n d. Z e i t . " — Über den Publizisten J. P. handelt O r t r u d C n y r i m : J. P.s publizist. Leistung 1796—1825, Diss. Heidelberg, gedr. Worms 1936; sie bezieht u. a. auch die „Vorschule der Ästhetik" in die publ.-polemische Funktion ein: „Die Polemik d. Vorschule gegen Aufklärung u. Romantik" (S. 54!). S. 416. „ V o r - E c h o " u. „ V o r - S p r e c h e r e i . " — Die Technik des modern. Romans hebt sich darin deutlich ab von dem Verfahren, das ζ. B. im 16. Jh. beim Aufkommen des bürgerlichen Romans noch Jörg Wickram durchweg u. fast stereotyp anwandte, nämlich durch deutliche (bis überdeutliche u. daher aufdringliche) Vor-Ankündigungen das Kommende schon vorwegzunehmen. Doch ist bei diesem Vorsprechen Wickrams die Sorge um das rechte Verstandenwerden gebührend mit in Rechnung zu stellen. Auch Grimmelshausen im 17. Jh. zeigt sich noch eifrig bemüht um jenes Verstandenwerden um jeden Preis. Erinnert sei auch an das „Vor-Echo" u. die „Vor-Sprecherei" in Form des Prologs auf dramat. Gebiet. S. 417. H u m o r u. F r e i h e i t . — Diese kaum irgendwo beachtete, geschweige denn gebührend ausgewertete Deutung des Humors im Verhältnis zur Freiheit („Komet"-Vorrede, J. P. Sämtl. Werke I, 15, 1937, S. 7; die Einleitung v. E. Berend beschränkt sich im wesentl. auf die Entstehungsgeschichte) hat selbst bei K u r t B e r g e r : J. P., der schöpferische Humor (1939), keine Berücksichtigung gefunden, obwohl das hier in Betracht kommende Kap. VI die Überschrift „Der f r e i e Humor" trägt. Aber auch der Abschnitt üb. d. „Kometen" a. a. O. S. 400f. erkennt nicht die Fruchtbarkeit jener Vorrede für die Auslegung des Humor-Begriffs. Verständlicher erscheint es, wenn H . A . K o r f f , dem f. d. Würdigung der Kunsttheorie

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J . P.s nur wenige Seiten zur Verfügung stehen, jene vertiefte Umschreibung übergeht. Hier jedenfalls muß ihre Bedeutung mit allem Nachdruck hervorgehoben werden, um so mehr, als sich i. dieser vernachlässigten VorredenPoetik die Forderung des Humoristen mit der Anforderung des Publizisten wirksam verbindet. Denn im Grundfe wiederholt sich hier in Angelegenheit des Humors f. d. 19. Jh., was einst schon in Angelegenheit d. Satire K. W. Rabener f. d. 18. Jh. bedauert hatte. S. 418. Η. A. K o r f f . — Geist d. Goethezeit I I I (2. Aufig. 1949), S. 302: „Denn J . P. hat bei diesen Bestimmungen des Humors (die .Vorschule') seltsamerweise ein Element vergessen, das gerade seinem Humor erst die eigentliche Wärme gibt: die E r d e n l i e b e ! " S. 419. A b h e b u n g des S a t i r i s c h e n vom H u m o r i s t i s c h e n . — Besonders der frühe J . P. verharrte noch merklich im Satirischen, wobei die Sonderforschung die Stufen: Ironische Allegorie („Lob der Dummheit"), Ironischer Subjektivismus („Grönländische Prozesse") u. a. sog. „Witzlyrik" („Papiere des Teufels") unterschieden hat. Bemerkenswert erscheint f. d. Poetik, daß es f. d. Satire weniger auf das Motiv als auf den Anlaß ankommt. Vorerst lernt J . P. noch von der Satire der Aufklärung u. ihren rationalistisch allegorisierenden Gestaltungsweisen. Aber er sucht schon den Zugang von der abstrakten Allegorie zur konkreten Metapher. Und er nähert sich der Romantik, indem er ihr Leitwort f. d. Poesie im allgemeinen „Poesie d. Poesie" hinsichtl. der Satire verbesondert in die Programmthese „Metapher der Metapher". Denn seine Satire setzt schon die Metapher voraus, um, von ihr ausgehend, zu einem metaphor. Metapherngespinst zu gelangen, das er beliebig ausspinnt. Und mehr und mehr verlagert er das Rationale in das Irrationalistische, indem seine Satire nicht nur krit. etwas aussagt, sondern auch gestalterisch etwas ausformt, das sich vom Publizistisch-Politischen her zwangsläufig dem ÄsthetischKünstlerischen angleicht u. annähert. Die GesinnungsDemonstration führt auf diese Weise zur Gemüts-Manifestation. Und die Lenkung des Meinens geht auf in die „Lenkung des Gemüts" (vgl. schon Sulzer). Dieser Vorgang findet eine weitgehend überzeugende Interpretation bei K. B e r g e r a. a. O. S. 275L u. G ü n t h e r V o i g t a. a. 0 . S. 17t. Im Gesamt konnte das Satirische f. J . P. 42 M a r k w a r d t , Poetik III

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nur eine Vorstufe und einen Zugang bieten für das Humoristische, weil ihm das Gemüt zuletzt doch höher stand als die Gesinnung u. weil die Gesinnung nur Bestand hatte, wenn sie ihre Begründung im „Gemüt" fand. Doch scheint m. E. das Metaphorische durch G. Voigt überschätzt worden zu sein gegenüber dem Assoziativen, vgl. auch Fr. M a r c u s : J. P. u. H. Heine, Diss. Marburg 1919. S. 422. Jean Paul (Exkurs: Werkimmanente Poetik). — Während sich die „Vorschule der Ästhetik" noch heute, und zwar nicht zuletzt in Künstlerkreisen eines bemerkenswerten Ansehens erfreut, sind seine Dichtungen überwiegend der Nicht-Achtung oder gar der Mißachtung verfallen. Demnach würde seine formulierte Poetik dauerwertiger sein als seine werkimmanente Poetik. Denn was haben uns Werke u. Werkgesetzlichkeiten zu sagen, wo u. wenn die Werke selber vor der Nachwelt versagt haben. Andererseits gibt es ernst zu nehmende Kritiker u. Literaturhistoriker, die J. Paul zum „größten Humoristen" der dt. Dichtung erheben. Die Bewertung u. Bezeichnung „Humorist" erinnert daran, daß in der Abfolge der Wandlungen des Geschmacks, des kunstwertaufnehmenden, aber auch des kunstschaffenden Reagierens u. Produzierens das Humoristische stärkeren Schwankungen unterworfen zu sein scheint als etwa das Tragische. Nüchtern gesagt u. nackt herausgestellt, würde im Falle J. P. uns das Satirische zu zaghaft u. zahm, das Humoristische zu lyrischsentimental vorkommen, als daß ihnen noch unsere ehrliche Anteilnahme zukommen könnte. Und herbe Kritiker urteilen: J. P. ist weder ein „schöner Geist", denn dazu fehlt ihm die lässig-leichte Eleganz Wielands (u. selbst Thümmels) u. der feinstufige Geschmack, noch ist er eine „schöne Seele", soviel schöne (bes. weibliche) Seelen weiland immer für ihn u. mit ihm schwärmen mochten; denn dazu mangelt es ihm an Einfalt des reinen Gefühls, dazu vertraut er seinen Zettelkästen allzu sehr, also dem kenntnisreichen Wissen, das er allzu eifrig „anbringt". Trotzdem müßte sich die Frage ergeben u. (ζ. T. anklagend) erheben, ob nicht neben dem großen Lyriker Goethe u. dem großen Dramatiker Schiller doch auch der große Epiker J. P. Anspruch auf den Rang des „Dritten" haben könnte. Unvorstellbare Publikumserfolge (u. hohe Honorare) scheinen diesen Einwand zu rechtfertigen. Aber ganz abgesehen davon, daß Goethe alle drei Gat-'

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tungen beherrschte, also auch die Epik: J . P. bleibt auch in der Epik werthaft auf die komische Epik beschränkt, der sich auch seine Idyllen weitgehend einordnen lassen. Lyrik und Drama scheiden ganz aus, trotz der lyrischempfindsamen Einschläge seiner Prosa-Epik. Höchstens wäre seine Publizistik noch der Erwähnung wert. Wenn anders sich aber in der Beschränkung erst der Meister zeigt, könnte er immer noch das Prädikat der Meisterschaft für seine umfass. Leistung fordern. Nicht das Konfuse u. Abstruse seiner Form u. Unform allein bietet eine hinreichende Erklärung für sein Versagen vor dem Kunst-Richter-Stuhl der Nachwelt, obwohl es wesentlich zur Entfremdung beigetragen haben dürfte. Auch die Uberschätzung abseitigen Wissenprunks, die Überladung mit Stoff- u. Einfall-Reichtum, das kompliziert Künstliche u. das künstlich Komplizierte, der Zwang des Erfindens um jeden Preis (unter Preisgabe des Geschmacks), die Hypertrophie des Metaphorischen u. die in eine wahre Sucht umschlagende u. sich überschlagende, an sich rührende bis erschütternde Sehnsucht nach dem Sentimentalen sind entscheidend an jenem Versagen beteiligt. Nicht daß er zu wenig konnte, hat J . P. zuletzt zu Fall gebracht, sondern daß er zu viel wollte. Er wollte ζ. B . durchaus das Erhabene u. endete doch beim „umgekehrt Erhabenen", beim Humor. Er wollte durchaus das Tragische u. war doch weit besser heimisch im Komischen. E r wollte durchaus das Philosophische u. war doch weit inniger zugewandt dem Religiösen. E r wollte das Imposante u. war doch weit wirksamer im Idyllischen. Kurz, sein hochgespanntes u. überspanntes Kunstwollen stand vielfach in Widerstreit mit seinem Gestaltungsvermögen. Und trotz aller Schwächen bleibt er irgendwie einer unserer starken Wegbereiter auf einem Gebiet, das so schwierig war wie er selber. Es fehlt dem großen Humoristen J . P. wie dem großen Tragiker H. v. Kleist das Gefühl für die Grenzen des Maßlosen u. des Formlosen u. selbst noch des Geschmacklosen. Sie verkennen den Wert u. das künstlerische Gewicht dieser Grenze, indem sie vorgeben, sie zu verachten. Und es bleibt vom tragenden Schaffensgrund ihrer Besonderheit, ja Sonderlichkeit aus schwer zu entscheiden, ob sie die Maßhaltung nur verschmähen oder sie versäumen. Der große Humorist wie der große Tragiker gehen bei aller gestaltenden Liebe zum Einzelnen aufs Ganze. Aber dieses Ganze ist keine organische Einheit, keine ideeliche Ganz-

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heit, sondern eine rhythmische (Kleist) oder musikalischmetaphorische Vielheit (J. P.), die im Ringen mit der Einheit die Oberhand gewinnt. Gerade weil beide vom Rationalistischen ausgehen, wirkt ihr Durchbruch zum Irrationalen zunächst überraschend, freilich dann auch um so überzeugender. Kleist betreibt in der Kunst intensive Wirtschaft, J. P. extensive Wirtschaft. Aber beide betrieben eine künstlerische Ökonomie der Verschwendung, die sich ausgibt, weil sie sich rückhaltlos hingibt. Doch H. v. Kleist kommt seine wesensgemäße Gattung des Dramatischen (auch im Bereich der Novelle) zu Hilfe, um dem Ausschweifenden der Phantasie eine schützende Schranke zu setzen, während die J. P. wesensgemäße Gattung des Epischen (auch im Bereich der Idylle) in sich die Verführung zum Ausschweifenden der Erfindungsfreude enthält. Für beide scheidet die Lyrik als Sonderform weitgehend aus. Aber beide nehmen das Lyrische sehr wirksam in ihre „Hauptgattung" hinein: Kleist in die Dramatik u. dramat. Novellistik, J. P. in den Roman u. die Prosaidylle. Beide versuchen, das Gefühl freizukämpfen u. es zu einer Eigengeltung u. zu einem Rang zu erheben, der der Vernunft (u. dem Willen) ebenbürtig, wenn nicht für das Menschliche ihm überlegen ist. Aber für Kleist bedeutet das Gefühl ein Wertungskriterium, für J. P. einen Durchgangswert zum Göttlichen. Kleist überprüft die lieblose Vernunft durch das Gefühl, J. P. überprüft das besinnungslose Gefühl durch die Besonnenheit. Der im Denkerischen irgendwie naiv wirkende Kleist ist im Künstlerischen sentimentalisch, der im Denkerischen ebenfalls naiv wirkende J. P. ist im Künstlerischen sentimental. Soweit Kleist sich im Idyllischen erholt, ersetzt es gleichsam die Funktion der Rastszene im Drama. J. P. aber erhebt das Idyllische zum Eigenwert (der vielleicht seinen eigentlichen Kunstwert repräsentiert). Kleist tendiert zum Ursprünglichen, J. P. zum Abgeleiteten; H. v. Kleist zum Konzentrierten, J. P. zum Abgelenkten; Kleist drängt zum „hohen" Schicksal, J. P. zum „hohen" Menschen. Beide lieben die Kontraste u. leben in Kontrasten. Aber Kleist hebt das Kontrastierende im Tragischen auf, J. P. im Komischen. Eine gewisse Begegnung beider findet im Tragikomischen statt, das indessen bei Kleist einen „notwendigen" Ertrag darstellt, bei J. P. dagegen nur einen „möglichen" Zugang zum ersten Untergrund des Humoristischen aufschließt. Bei alledem darf

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nicht vergessen werden, daß J. P. dem kraftvoll-derben Humor in Kleists „Zerbrochenem Krug" kaum etwas Ebenbürtiges im prosa-epischen Bereich entgegenzusetzen hat, während der „Amphitryon" Kleists schon mit dem Hinweis auf das Religiöse J. P.s tragikomischen Einschlägen i. d. großen Epik relativ verwandter bleibt. Beide sind von einer starken Innerlichkeit beseelt (bis besessen). Aber Kleist sucht diese Innerlichkeit mit Gewalt zu verwirklichen, J. P. versucht sie mit Gemüt zu verwesentlichen u. zu romantisieren. Beide gestalten u. wirken mehr musikalisch als plastisch, aber Kleist mehr rhythmisch, J. P. mehr melodiös. Vergleichbares u. Unvergleichbares ließe sich häufen; jedenfalls erscheint es ergiebiger, J. P. mit Kleist zusammenzurücken als ihn an die anderen „beiden Großen" Goethe u. Schiller wohlmeinend anzuschließen, von denen schon ihre Maßlosigkeit beide (Kleist wie J. P.) ausschließt. Man hat J. P. als Gefühlsphilosophen innerhalb der Dichtung in Anspruch genommen. Es handelt sich aber mehr um ein stark ausgeprägtes Lebensgefühl, das die Weltdeutung ganz in sich hinein verlegt, um sie dann irgendwie doch formsuchend, wenngleich in krausen Gebilden wieder aus sich herauszuspinnen. Daß er alles in sich hineinzieht, entspricht seiner Neigung u. Nötigung zur Innerlichkeit, die zuletzt alles vom Gemüt aus ergreifen möchte, so rastlos auch die Lebhaftigkeit der Vernunft u. der Welterkenntnisdrang um sich greifen mögen, um die ganze geistige Vielfalt mit zu umspannen. Und vielleicht führt es uns einige Schritte an das „Problem" J. P. heran, vielleicht wird wenigstens ein Stück des Geheimnisses seiner Eigenart enthüllt u. ein Teil des Rätsels seiner inneren werkimmanenten Schaffensgesetzlichkeit gelöst, wenn man die verworrene Vielfältigkeit der Erscheinungsformen zurückführt auf das schier grenzenlose Vertrauen zur deutenden Kraft jener Innerlichkeit, jenes „Gemüts". Darin läge dann die Größe J. Pauls, aber auch zugleich seine Grenze. Seine Grenze insofern, als er dem Gemüt gleichsam (nicht zu viel vertraut, aber) zu viel zutraut u. zuweist an Leistung. Die gerade uns Heutigen schmerzlich spürbare Problematik seines Kunstschaffens würde sich dann erklären aus einer Überladung nicht nur mit Gemüt, sondern aus einer leistungsmäßigen Überlastung des Gemüts. Wo es zusammenbricht unter dieser an sich lieben Last eines unendlichen Glaubens und

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Vertrauens, muß dann der Humor retten und aus den Trümmern eine letztlich erträumte Welt aufbauen unter Zuhilfenahme von stützenden Materialien aus der Wirklichkeitswelt. Und bei diesem gütigen Hilfswerk gegenüber dem Erliegen u. Erleiden des Gemüts ist dann jeder kleine Baustein erwünscht (Detailmalerei des „Kleinen") und jede waghalsig eingebaute Stütze erlaubt. Der Geschmack wird dabei kaum ernstlich befragt, nicht nur nicht der „klassische Geschmack". Immerhin mag man dem eigentümlichen Kunstwollen das Eigenrecht zum „Barocken" oder „Bizarren" einräumen. Das wäre, so gesehen, die Eigengesetzlichkeit seiner kunsttechnischen Bauweise. Und warum soll der Humor nicht dem Gemüt Hilfestellung leisten? Er wird es seinem Wesen nach immer oder doch sehr häufig tun. Insofern wäre also der „Wahnsinn", der doch „Methode" hat, zu verstehen und wohl auch weitgehend zu billigen, um so mehr, als er hier wirklich ans Genie grenzt. Aber nun unterwirft J. P. den Humor einer ähnlichen Uberanstrengung, wie sie vorher das Gemüt auf sich nehmen mußte. Denn der Humor (als werkimmanentes Prinzip) soll nicht allein die Unzulänglichkeit u. Gebrechlichkeit der Wirklichkeitswelt durch seine liebevoll läuternde Macht überwinden: er muß bei J. P. selbst noch die sprengende Kraft des Tragischen bewältigen u. überwältigen. Er muß nicht nur die Tragik erhebender Art hinüberbilden in seine Wert- u. Wirkenswelt: er muß auch die Tragik niederdrückender Art (Joh. Volkelt) mitten in ihrem schicksalsschweren Zusammensturz auffangen. Und er erhält zugleich den Auftrag, selbst noch das Edle der „hohen Menschen" zu überhöhen u. mit seinem göttlichen Glanz zu überstrahlen. Es sind wahre Herkulesarbeiten, die J. P. dem Humor zuweist. Und daneben steht die Fülle der Kleinarbeit gleichsam alltäglicher, ja allstündlicher Rettungsaktionen. Überspitzt ausgedrückt: J. P. rettet sein gesamtes Kunstwollen u. Lebensgefühl, aber auch seinen ganzen Lebenskampf hinein in den Humor, so daß der Humor sich vor lauter Aufgaben selbst nicht mehr zu retten weiß. Kein Wunder, wenn er sich gelegentlich selbst verliert — nämlich den Humor. Der Humor wirkt zwar noch nicht erzwungen (wie bei „forcierten Talenten"), aber überbeansprucht u. überfordert von all den Forderungen u. Anforderungen. Und die Hochspannung führt zum Notausgang des überspannten, um

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sich Luft zu verschaffen (Einsatzstelle f. d. barocken Humor). Aber diese etwas unvermittelte u. ruckhafte Selbstbefreiung verstößt leicht gegen die gelassene Ausgeglichenheit des schon von sich aus „freien" Humors. Auch ruft er in solcher Bedrängnis (u. an sich sollte er nicht sich, sondern andere aus Bedrängnis, Bedrückung u. Bedrohung befreien) gern Hilfskräfte herbei, die sich ihm aus den Zeitbestrebungen anbieten, vor allem die romantische Ironie. Während jedoch der Humor, den das Gemüt als Helfer bemühte, diesem innig verwandt, mit ihm eine fruchtbare Arbeitsgemeinschaft eingehen kann, lebt der echte u. rechte Humor in Arbeits-Unfrieden mit der romant. Ironie. Schon wegen dieser Eintrübung seines Humors durch Einbrüche u. Zuflüsse der romant. Ironie kann J. P. (m. E.) nicht, wie seine Verehrer wollen, als der „größte Humorist" der dt. Lit. gelten. Vielmehr dürfte er entwicklungsgeschichtlich zwischen Hippel u. Raabe stehen, wobei er bildungsmäßig u. an Erfindungsfülle über beiden, aber im Kunstwert doch wohl ζ. B. unter Keller rangiert. Dennoch kann die ihm nicht angemessene Hilfskraft der romant. Ironie vielleicht helfen, die eigentliche u. entscheidende Grenze seiner Größe u. der Bedeutung seines Humors aufzuspüren. Es fragt sich nämlich, ob überhaupt das Humoristische die Zentralkraft darstellt oder ob nicht vielmehr ganz im Innersten auch noch aller gemütvollen u. humorvollen Innerlichkeit der Primat dem Religiösen zufällt. Das aber würde bedeuten: ebenso wie die romant. Ironie nicht oder doch nicht nur aus der Freiheit des Fichteschen Idealismus zu verstehen ist, sondern sich der Weite des Wunders in der Romantik beugt, so auch ordnet sich selbst noch der „hohe" u. „freie" Humor J.Ps. zwar nicht dem Gesellschaftlichen, dem Politischen, wohl aber dem Transzendenten, dem Religiösen freiwillig unter. Der „Ausweis" der Freiheit des Humors birgt zugleich den Hinweis auf ein noch Höheres in sich u. leitet erst von diesem Hinweis die Gültigkeit seines Sich-Ausweisens u. die Gültigkeit seines Sich-Auswirkens ab. Das aus dem Hochgespannten abgeleitete Überspannte wäre, so gedeutet, kein unbewußtes Versagen des Kunstwollens u. der Darstellungsabsicht, sondern es wäre im Gegenteil eine bewußte Demonstration menschlicher und auch menschl.-schöpferischer Dürftigkeit u. Bedürftigkeit, von der sich die Manifestation der unüberfragbaren Überlegen-

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heit göttlicher Güte u. göttlicher Schöpfung um so weihevoller u. wundervoller abheben kann. Das Sich-Überheben im Humor würde dann also erfolgen, weil sich J. P. nicht zur Überheblichkeit gegen das Göttliche führen u. verführen lassen will. Der Humor soll befreien von der Furcht, aber auch er soll verharren in der Ehrfurcht. Ε. T. A. Hoffmann S. 423. Th. G o t t l i e b v. H i p p e l . — Hippel (1741—1796) kommt bes. mit dem „komisch." Roman „Lebensläufe nach aufsteigender Linie" (1778) in Betracht, in dem er Humor mit Satire mischt u. zum Einflechten allg. Lebensweisheiten von ζ. T. ironischer Gebrochenheit neigt, wobei selbst barocke Stilmittel als auflockerndes Element nicht gescheut werden, wie andererseits bibl. Wendungen sich der Erbauungsliter, angleichen. Für die spätaufklärerische Poetik sei hier das humor, gefärbte negative Kriterium f. d. echte Dichtertum nachgetragen: „Wer Jahreszahlen u. Geschlechtsregister (Ahnentafeln) behalten kann, ist k e i n Dichter" sowie das positive der schnellen Auffassungsgabe (Nachwirkung der geniezeitgemäßen „Schnelligkeit" im Genie-Begriff): „Ich habe noch keinen Dichter gekannt, der nicht schnell gefaßt hätte, was er gelesen. Beim mündlichen Vortrage gelingts nicht allen. Prosa behalten sie leichter als Verse. Bei andern Leuten ist es umgekehrt . . . Ein jeder Originalkopf muß schnell fassen u. schnell vergessen" (a. a. O. S. 20). Das Verhältnis von Genie u. Geschmack wird i. d. Form der im Kunstwerk formulierten Poetik in einem kunsttheoretischen Gespräch zwischen d. Pastor u. d. Herrn v. G. (a. a. O. S. 297/98) erörtert; dabei tritt noch das Bewußtsein des metaphor. Gebrauchs von „Geschmack" (Hinweis auf den „Appetit") greifbar zutage. Recht hübsch die Bemerkung: „Ein Genie trägt einen roten Rock oder so was; ein Geschmackvoller eine sanfte Farbe." Das allgemein Gefallende gilt als geschmackvoll (vgl. Fr. Justus Riedel im Rokoko): „Geschmack ist das allgem. Gefallen, Gefühl ist ein Privatgefallen; Gefühl hat man, Geschmack lernt man." Halb ernsthaft, halb ironisch betont Hippel die Anpassung des Geschmacksurteils an das Werturteil der Gesellschaft. Hippel steht, den zeitl. Abstand einberechnet, Jean Paul näher als Ε. T. A. Hoffmann. S. 424. F r i t z E r n s t . — Die romant. Ironie, Diss. Zürich 1915.

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S. 424. „ I r o n i e . . . u. Schmerz." — E r n s t v. Schenk: Ε. Τ. A. Hoffmann, ein Kampf um das Bild des Menschen, Berlin 1939, S. 451. Dort über Ironie u. Humor S. 448f.; Humor u. Satire S. 369/70; Mythos u. Metaphysik des Humors S. 399f. — Im Gesamt dürfte E. v. Schenk das Weltbild u. die Kunstanschauung Ε. T. A. Hoffmanns zu weit zum Philosophischen (u. Existenzphilosophischen?) hinüberdeuten. Immerhin weiten die Ausblicke auf die Dialektik Hegels (S. 176/77), auf Schelling u. Frz. v. Baader u. den Heidelberger Theologen Karl Daub (S. 256—64), um hier nur einiges aus dem umfangreichen, aber auch ideenreichen H.-Werk E. v. Schenks hervorzuheben, den weltanschaulichen Rahmen in an sich erfreulicher Weise; nur daß Ε. T. A. Hoffmann nicht ganz diesen weiten Rahmen mit seinem geistigen Sein u. seinem künstlerischen Wollen auszufüllen vermag. Aber H. fällt eben gern aus dem Rahmen, nicht nur in diesem Falle, wo es um „das Bild des Menschen" geht (vgl. Schenks Titelgebung). — Fragen d. Poetik berührt E. v. Schenk außer an den genannten Stellen auch S. 183 (Versuch, das religiöse Moment in H.s „Ästhetik" zu retten), 198, 322f. (Abschnitt: Die Zweideutigkeit der Kunst, dort auch eingangs die Bezeichnung „Poetik"), 366, 463! (Theorie des Dramas), 655, 683 („Wahrnehmung" als Kernstück von H.s „Ästhetik", u. zwar Wahrnehmung auch des Übersinnlichen u. Häßlichen) usw. — Ein Bezug auf den belgisch-franz. Historiker Fossetier u. auf dessen Prägung von der Ironie Gottes („Dieu luy dit erroniquement", 16. Jh.) sowie auf Pasquals verwandte Umschreibung findet sich S. 451. Das wertvolle H.-Werk E. v. Schenks, das allenthalben nach Vertiefung und Ausweitung drängt, neigt indessen allzusehr dazu, H.s Weltbild u. Künstlertum ins Philosophische einerseits und Religiöse andererseits hinüberzudeuten. S. 426. Das Tragikomische. — Während bei H. v. Kleist das Tragikomische durchweg stärker in das Erhabene u. Tragische hinübergebildet erscheint, tendiert das „Tragikomische" bei Ε. T. A. Hoffmann mehr zum GroteskKomischen. Sowohl die Sonderarbeit von K u r t W i l l i m czik: Ε. Τ. A. Hoffmann, die drei Reiche seiner Gestaltenwelt, Diss. Bln. 1939, die zeitbedingt eingetrübt wirkt (Bluterbe, Rasse ζ. B. beim Julia Marc-Erlebnis usw.; vgl. auch d. Exkurs zur werkimm. P.), als die großangelegte H.-Monographie von E r n s t v. Schenk a. a. 0.

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(1939) werden dieser Ausprägung des Tragikomischen nicht gerecht. Es ist aber eine Grundkraft seines Verhaltens u. Gestaltens, gemäß der inneren Gebrochenheit seiner Welt- u. Kunstanschauung. E. v. Schenk berührt es wenigstens gelegentlich, so etwa a. a. O. S. 323. (Näheres unter werkimm. P.) S. 429. S e r a p i o n s - B r ü d e r . — Zum Kreise der WirklichkeitsModelle d. Serapionsbrüder gehörte u. a. der schlesische Trivialromantiker Karl Wilh. S a l i c e - C o n t e s s a (1777— 1825), dessen Ehrenrettung mit lokalpatriot. Tendenz vertritt Gerh. P a n k a l l a : K . W . Contessa u. Ε. Τ. A. Hoffmann, Diss. Breslau 1938. Statt der forcierten Angleichung an H. wäre eine unvoreingenommene Herausarbeitung der Eigenheit Contessas erwünschter gewesen. Der richtige Ansatz, daß eine soziologische Lit.-Betrachtung auch die gehobene Unterhaltungsliter, betreuen müsse, wird durch die erwähnte Tendenz verdorben. Was hilft es ζ. B., wenn (S. 71) behauptet wird, wie Hoffmann habe auch Contessa i. s. Märchen den „magischen Alltag" verlebendigt, wenn eben doch bei Contessa dieser magische Alltag in eine alltägliche „Magie" veräußerlicht worden ist. S. 430. „ H i n - u. H e r s p r i n g e n " (Sprünge). — Bei d. Würdigung d. „Goldenen Topfes" flicht K. W i l l i m c z i k a. a. O. (1939), S. 25 eine (stark vereinfachende) Betrachtung ein, derzufolge zwei „Arten" von Künstlern zu unterscheiden seien: „Beim einen ist der Übergang, beim anderen der Sprung Gesetz" (als Beispiel des Kontrastes: GoetheKleist, Keller-Hoffmann, Stifter-Hesse). Daran dürfte einiges Zutreffende sein, wenngleich vergröbert. Dagegen wirkt die Unterscheidung von Künstlern mit Entwicklung u. ohne Entwicklung (a. a. O. S. 21) allzu „konstruktiv", bes. wenn dort H. v. Kleist als Beispiel (neben Klopstock) für die Nicht-Entwicklungsfähigen bemüht wird. Ins zeitgebunden Politische gerät K . W. vollends, wenn er eine allmähliche Entwicklung abhebt von einer „organischen Revolution" (S. 28/9). Die eben dort erfolgende Abstufung: Bildungsroman, Erziehungsroman u. Entwicklungsroman ist an sich begrüßenswert; leider aber wird bes. der Terminus Bildungsroman schief gedeutet u. verwendet („Bildung" = Belehrung durch — „Kollegien"!). S. 431. S c h a u e r r o m a n t i k . — Mit Bezug auf die „Elixiere des Teufels" (unter vorsorglicher Ehrenrettung des Kern-

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motivs: Medardus-Aurelie) bei H . A . K o r f f : a . a . O . , Teil IV (1953), S. 572. Korff beschränkt sich daher bewußt auf die Interpretation jenes Kernmotivs von künstler. Vollwertigkeit. „Das Majorat" gilt geradezu als „ein Musterbeispiel für echte Schauerromantik" a. a. 0. S. 617, in diesem Falle mit Bezug auf die „Liebesaffäre"; doch würdigt Korff durchaus die relative Bedeutung und Daseinsberechtigung derartiger extremer Erscheinungen: „Die Romantik des Schauerlichen ist darum das eigentliche u. tiefste Thema dieser Geschichte, die etwas echt Romantisches hat u. als eine der charakteristischen Leistungen romant. Erzählungskunst betrachtet werden muß." Es liegt Korff also ganz fern, Ε. T. A. Hoffmann, dem er ein sehr umfangreiches Kapitel widmet, auf die „Romantik der Fratze" (S. 593; Stücke nach Callot) abdrängen zu wollen, wie er denn diese drastische Prägung selber als ein „übertriebenes Wort" kritisch einschränkt. Im Gesamt stellt dieses H.-Kapitel, das auch f. d. Kunstanschauung u. bes. d. werkimm. Poetik manchen fruchtbaren Hinweis u. Anknüpfungspunkt bietet, ein sehr erforderliches Gegengewicht (u. eine längst erwünschte Ergänzung) zu den Auffassungen E. v. S c h e n k s dar. S. 431. Ε. A. Poe. — Nicht nur der Amerikaner Ε. A. Poe hat von Ε. T. A. Hoffmann gelernt, auch für den russischen Dichter Dostojewski („Raskolnikow oder Schuld u. Sühne") stellte er gleichsam die Vorbild-Poetik; vgl. K. W i l l i m c z i k a. a. 0. (1939), S. 121. S. 434. „ M a c h t der D a r s t e l l u n g . " — Auch Η. A. K o r f f a. a. Ο. IV (1953), S. 604 bestätigt, daß diese Forderung einer überzeugenden Darstellung u. Formgebung von H. selber im Kunstschaffen erfüllt worden sei u. daß letztlich darauf die Wirkung u. Nachwirkung beruhe: „Nicht das Geheimnis ihrer Stoffe, sondern das Geheimnis ihrer Form ist das eigentliche Geheimnis von H.s Erzählungen." Freilich sollte man die Wirkungsverstärkung durch die rein stoffliche Spannung nicht unterschätzen; denn die Wendung, die H. an sich landläufigen Motiven zu geben weiß, erleichtert der Formgebung das wirksame Einsetzen u. Umsetzen. Diese hohe Bewertung der Formgebung vernachlässigt völlig die freilich vorwiegend biograph. (u. polit.) eingestellte populärwiss. H.-Biographie von T h e o P i a n a : Ε. T. A. Hoffmann, ein Lebensbild, Bln. 1953, während dieses skizzierte Lebensbild alle Verbindungen

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H.s mit dem Osten (bes. Polen) recht instruktiv herausarbeitet. Th. Piana polemisiert u. a. gegen die (sowieso längst veraltete) H.-Deutung des Lit.-Histor. Gervinus, a. a. O. S. 79. Gemäß der Themastellung erfährt man vom Kunstschaffen H.s wenig, von seinem Kunstwollen gar nichts. Die gesellschaftl. Zustände dagegen finden eingehende Berücksichtigung und gelten auch als Ursache für H.s Neigung zum Weingenuß (S. 55). Während E. v. Schenk a. a. 0. (1939), S. 74 in „Klein Zaches" (Zinnober-Gestalt) die Deutung als „zeitkritische Allegorie" ablehnt u. betr. H. hervorhebt: „Politik um der Politik willen hat ihn weniger interessiert als irgendeinen der dem Zeitgeist wie er Verpflichteten", betont Th. Piana a. a. O. (1953) H.s polit. Anteilnehmen, ζ. B. die „satirische Bloßstellung der reaktionären Klassenjustiz" (in „Meister Floh" S. 115), gestützt auf G. Lukdcs u. P. Reimann. Th. Piana hebt die Anerkennung hervor, die Hoffmann bei französischen Schriftstellern wie Balzac, A. de Musset, Th. Gautier, Ch. Baudelaire und G. Sand gefunden habe (S. 103). S. 436. „Die Maske." — Aufgefunden u. veröffentlicht v. Fr. Schnapp erst 1923, noch weitgehend abhängig vom ital. Lustspiel-Typus, also (kunsttheor. gesehen) der Vorbild-Poetik hörig (u. nicht nur zugehörig). S. 436. C. Fr. Leo; L u d w i g Devrient. — W. Mansolff: H.s Beziehungen zum Drama u. z. Theater, Germ. Stud., Η. 7, Bln. 1920. S. 437. A u f b a u d. Erzählungen. — O. Schissel v. Fleschenburg: Novellenkomposition in H.s „Elixiere des Teufels", Halle 1910. S. 441. „ G e s t a l t e n d e r Stil." — H. Schmerbach: Stilstudien zu Ε. T. A. Hoffmann, Germ. Stud., Η. 76, Bln. 1929. S. 442. Nie v o l l e n d e t e r 2. Teil. — Genauer: nie zur vollen Zufriedenheit Z. Werners vollendeter 2. Teil d. „Kreuzes an der Ostsee"; denn an sich soll dieser Teil nur „verschollen" sein. Nach Joh. B r a n d t : Studien ζ. Z. W.s „Kreuz a. d. Ostsee", Diss. Marb. 1912, Kap. III (S. 28ff.) war nach W.s eigenen brieflichen Zeugnissen (bis 1817) der 2. Teil etwa nur zur Hälfte abgeschlossen gewesen; darauf bezieht sich Frz. S t u c k e r t (1926) S. 48, der das Vorhandensein von Teil 2 behauptet.

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S. 442. „ G r a u s e n h a f t e E r h a b e n h e i t . " — Diese Prägung hat merklich nachgewirkt i. d. Sekundär-Lit. über Z. Werner, so ζ. B. bei F r a n z S t u c k e r t (1926) vergröbert zu einer „sadistischen Freude am Grausamen" a. a. O. S. 184. S. 443. Ε. T. A. Hoffmann (Exkurs: werklmmanente Poetik). — Obgleich zwischen den Künsten schwankend (Poesie, Musik, bild. Kunst), also zunächst einmal anlagemäßig weit über den Bereich der Poesie hinausweisend, konzentriert sich H. in einem f. d. romant. Gattungsauflockerung u. -ausweitung erstaunlichen Grade auf das Wirkungsgesetz nicht nur einer Gattung (Epik), vielmehr einer Sonderform, der Novelle. Das güt auch dort, wo er keine Novelle zu schreiben glaubt. Von der begabungsmäßig gegebenen Zersplitterung (zwischen den Künsten) hebt sich diese Sammlung der ganzen Kraft auf eine epische Sonderform (u. keineswegs selbstverständlich) ab. Mögen auch nachweisbar Werke der bild. Kunst häufig motivliche Anregungen geboten haben, so beugen sich derartige Anregungen dennoch dank dem darstellerischen Können H.s willig dem einen Grundgesetz, das den Unbeherrschten beherrscht: der Ineinsbildung von inhaltlicher Spannung und formender Anspannung. Und mag das Moment der Spannung gelegentlich an die Unterhaltungsliteratur grenzen, so versteht das Moment der Anspannung, Motiv u. Formung stets erneut auf die Wertschicht der Kunstdichtung emporzudrücken u. mit prächtigem Phantasieschwung emporzureißen. In der gesamten Romantik gibt es (von glücklichen Einzelfällen abgesehen) keinen Dichter, der dem Novellistischen so überzeugend u. wirkungsvoll die verwirklichende Form u. Fassung verliehen hätte wie Ε. T. A. Hoffmann. Denn die an sich genialere Novellenart H. v. Kleists bleibt zu sehr auf die Sonderart der spezif. dramat. Novelle beschränkt; ihr Kunstwert (Stilform) steht höher, ihr Wirkungswert (bes. auf breitere Schichten) bleibt geringer. Ludwig Tieck aber verharrt (trotz dramat. Einschläge) wohl vorwiegend im Epischen d. Novelle; aber ihm fehlt die Spontaneität der phantasiemäßigen Konzeption. Freilich wird mit der Reichweite der Wirkung auch die Grenze des Wertes spürbar. Krit. gesehen: H. befriedigt ζ. T. Instinkte der Leserschaft, die nicht überall rein künstlerischer Art sind. Die Aufgliederung der gesamten Werke in „vier Reihen" und „drei Reiche" durch die Sonderforschung (K. W i l l i m c z i k , Diss. Bln. 1939),

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die recht konstruiert wirkt und zudem zeitlich eingetrübt erscheint, ändert nichts an dem Vorherrschen jenes Grundgesetzes, das eben alle „Reihen" u. „Reiche" durchwaltet. Innerhalb der romant. Programmatik verwirklicht H. bes. das Zusammenspiel des Wunderbaren mit dem Wunderlichen, wobei die Wahrheit des Wunders gern dem Wunder der Wahrheit und das Wunderliche gern dem Wirklichen angenähert erscheint. In der Verfahrensweise des Annäherungsstrebens wird oft das Sprunghafte u. Ruckhafte bevoizugt (Einmünden i. d. Spannungs- u. Anspannungsgesetz). Auch das Märchen wird jenem Gesetz u. diesem Verfahren unterworfen. Das „fremde Prinzip", das beunruhigend in die bürgerl. Alltagswelt (gern überraschend u. als Kontrastwert) dringt, wird für H. bald ein sehr „vertrautes Prinzip". Sein Kunstwollen erkennt u. verwertet alle jene Bestände i. d. Romantik, die nicht nur einem Kreis von Erlesenen gemäß, sondern größeren Leserkreisen relativ leicht zugänglich sind u. sein mußten. In diesem Sinne hat er es vermocht, jene Kluft zwischen Bildungsliteratur u. Volkslektüre zu überbrücken, die einst Schillers herbe Rezension d. Gedichte G. A. Bürgers schonungslos, aber auch erzieherisch mahnend aufgedeckt hatte. Freilich dürfte diese Überbrückung nicht gerade auf der Hochebene der Schillerschen Ethik u. Pathetik erfolgt sein (wobei „Pathetik" auf den Begriff des „Pathetischen", nicht aber auf die vulgäre Bedeutung hinweist). Der „Gespenster"-Hoffmann stellt aber nicht nur i. d. Nachwirkung eine machtvolle Wirklichkeit dar, sondern er nähert sich auch in der Gestaltung dem Gesetz der Wirklichkeitserfassung, so daß die Inhalte vielfach phantastisch-romantisch, die Formungen aber realistisch wirken. Der Karikaturenzeichner weiß die Überspitzung des Typischen zum Satirischen der Gesellschaftskritik dienstbar zu machen. Aber die Verschrobenheiten u. Schrullen u. deren dichterische Darstellung (u. ethische Bloßstellung) sind ihm dennoch nicht bloße Mittel zum Zweck, sondern teilweise Selbstzweck, der einen Eigenwert hat. Sein Kunstwollen zielt nicht immer sogleich ab auf ein Anprangern im Sinne kämpferischer Anklage, sondern auf ein Darstellen im Sinne einer Erfassung der Vielfalt (u. Einfältigkeit) dieser gebrechlichen u. zählebigen Welt. Und selbst das Grausige gerät nicht so hoffnungslos ins Grauenvolle wie etwa bei dem Dramatiker Zacharias

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Werner; es wahrt gern ein tröstliches Glanzlicht geistiger Überlegenheit im Sinne der romantischen Ironie. Die „Schauer"-Romantik etwa bei L. Tieck wird nicht in der Spätromantik Ε. T. A. Hoffmanns durch Vergröberung überboten, sondern nicht selten verfeinert durch das Ingrediens des Wunderlichen und so entschärft, wenn auch nicht neutralisiert. Freilich wird das Grausig-Groteske und Bänglich-Bizarre bei Ε. T. A. Hoffmann noch nicht versöhnend überstrahlt wie etwa das Köstlich-Kauzige bei Gottfried Keller. Aber schon die Grundkraft des Spannenden läßt das Spukhafte leichter mit in Kauf nehmen. So arg ist es also doch nicht um den „Angstschrei" iKritik H. Heines) bestellt. Das innere Gesetz der weltanschaulichen Haltung u. d. künstlerischen Gestaltung bei Ε. T. A. Hoffmann drängt auf den reinen Kunstwert jenseits der religiösen Wertung. Er ist nicht frei von der Neigung der Romantiker, sich mit dem Künstler u. seiner Problematik zu befassen, statt zunächst einmal echte dichterische Kunstwerke zu „verfassen". Aber er sieht in der Sendung des Künstlers nicht mehr (wie weitgehend Wackenroder) eine Sünde des sich die Schöpfung (wenngleich nur einer Kunstwelt) zumutenden, sich zu ihr erhebenden u. eben deshalb überheblichen Menschen. Die Meinung der Barockzeit, daß der Mensch (auch der Künstler) im schöpferischen Bezirk nicht mit seinem Gott in einen anmaßenden Wettbewerb treten dürfe, eine Meinung, die in der spez. christlich-religiös gestimmten u. bestimmten Romantik u. ihrer Literaturphilosophie merklich ihre schmerzliche Auferstehung feiert, dieser Meinung hat sich Ε. T. A. Hoffmann auch nicht willig-willenlos (die Willenlosigkeit tritt ζ. B. bei Brentano hervor) angeschlossen, diesem demütigenden Gedanken hat er sich nicht dienend gebeugt. Er flüchtet lieber ins Groteske, als daß er zu Kreuze kriecht. Darin könnte man von gewisser Seite einen betrüblichen Mangel sehen; darin liegt aber zugleich eine erhebliche Macht und nicht nur eine spielerische Eigenmächtigkeit. Indem Ε. T. A. Hoffmann seine Phantasie gleichsam rücksichtslos spielen läßt, räumt er der romantischen Phantasie die Wirkung des entscheidenden Triumphes im freien Spiel der künstlerischen Kräfte ein. Aber indem er der Phantasie zugleich den Triumph einräumt, räumt er mit allen ihren Beschränkungen befreiend auf. Der Traum u. das Märchen u. das Traummärchen u. selbst noch der

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Gespensteraberglaube sind für ihn Durchbruchsstellen der Phantasie durch die Umschränkung der Vernunft selbst noch für die „vernünftigen Verehrer Gottes". Und auch das „Teuflische" auf der Folie des Göttlichen (u. umgekehrt) dient diesem in seinen Erzählungen durchgängig verfolgbaren Befreiungsvorgang. Insofern zieht Ε. T. A. Hoffmann gleichsam die letzte Konsequenz aus dem Kunstwollen der Romantik. Und das hat man dort, wo man vereinfachende Formeln suchte (ζ. B. im Ausland), richtig herausgefühlt. Aber — u. darin hegt die Grenze Ε. Τ. A. Hoffmanns — die Weite des Wunders u. das Wunder der Weite als Grundkräfte des Romantischen schlechtweg kommen (kennzeichnenderweise) bei Ε. T. A. Hoffmann schwerlich zu ihrem Recht. Und insofern liegt denn doch eine Veräußerlichung der inneren Werte der Romantik vor. Das Typische des veräußerlicht Romantischen schlug (ohne den Halt u. das Gegengewicht jener ernsten Grundwerte) allzu leicht um in die Karikatur, wobei auch der Karikaturenzeichner H. dem Dichter H. nicht selten ins Handwerk pfuschte. Das gilt nicht nur von den Novellen, sondern selbst noch von den Märchen (-Novellen). Aber indem sich die romantische Ironie entsprechend übersteigerte, schlug sie in die realistische Ironie oder in eine ironische Realistik um. Und indem, so verstanden, H. die Romantik bereits in gewissem Grade zersetzte, setzte er gleichzeitig zur Realistik an, die zumindest in die literarhistorische Frührealistik mannigfach hinüberwirken konnte. Ein gewisser Hang zur Modelldichtung (HoffmannKreisler, Julia Marc usw.) scheint sich dem Realismus anzunähern. Aber ein zumindest ebenso starker Hang zur Rauschdichtung, die den Reiz des Rausches künstlerisch umsetzt, wirkt gelegentlich wie ein fernes Vorspiel des Expressionismus, ein Eindruck, der durch das Einbeziehen einer gelegentlich echten, vorzugsweise aber vulgären Mystik entsprechend verstärkt werden muß. Nicht selten setzt sich das Künstwollen dort am ehesten in Kunstleistung um, wo der eine Rausch durch den anderen, etwa der Rausch der Liebe durch den Rausch der Furcht (das Groteske der ,,Schauer"-Romantik), überhöht u. irgendwie erträglich, vor allem aber den Wuchsbedingungen des Kunstwerkes zuträglich gemacht wird. Und nicht zuletzt bedarf Ε. T. A. Hoffmann des spannungsweiten, mit außerirdischen u. außerüblichen Energien

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geladenen Kraftfeldes der Romantik (oder richtiger vielleicht des Romantischen popularisierender Art), um jene Hochspannung des Rausches u. Reizes nun auch produktiv formfindend durchhalten zu können. In diesem Sinne setzt er das Romantische den äußersten Belastungsproben aus, um gleichsam seine Tragfähigkeit zu erproben; aber er setzt es auch der Gefahr aus, sensationell mißbraucht zu werden. Die Ermutigung zum Wagnis endet nicht selten bei der Zumutung des Gewagten. Damit hängt es (nicht allein, aber wesentlich) zusammen, daß bei Ε. T. A. Hoffmann die Autonomie der Kunst in den äußersten Grenzbezirken umschlägt in eine mehr oder minder verhüllte Wirkungspoetik. Das gilt nicht zuletzt von der werkimmanenten Poetik. Vereinfacht gesagt: sein Kunstwollen schlägt um in Wirken-Wollen, die Darstellungsabsicht um in Wirkungsabsicht. Und die scheinbar so unbegrenzte „Freiheit" der Kunst schlägt um in eine Dienstbarkeit im Hinblick auf die Publikumswirkung. Überspitzt formuliert: indem sich die Extreme nicht nur berühren, sondern in ihren Übergängen zugleich verwischen, verwandelt sich die Autonomie unversehens (aber zwangsläufig) in eine Antinomie. Das würde bedeuten, Ε. T. A. Hoffmann konnte nur der dauerkräftige Erzähler der Romantik (als Stilepoche) werden, indem er das eigentliche Kunstprinzip der Romantik (d. h. ihren dichterischen Typus) aufgab u. selbst ζ. T. bewußt aufopferte. Das Wechselspiel von Phantastik u. Fanatismus (ζ. B. im „Fräulein v. Scuderi") wird — kunsttheoret. gesehen — zugleich eine Wechselwirkung von gesteigerter Künstlerphantasie u. künstlerischer Besessenheit u. Konzentration mit dem Unterschied, daß eben dasselbe, was in der bürgerlichen Welt ein Verschulden ist, in der Kunstwelt zu einem Verdienst wird (oder doch werden kann, Gestalt Oliviers). Das Wechselspiel von Schuld u. Schicksal (ζ. B. „Elixiere des Teufels") wird — kunsttheoret. bewertet — zu einer Wechselwirkung zwischen dem Schicksalsdrama (ins Novellistische übertragen) u. dem ins Epische transponierten Erlösungsdrama (Gestalt des Medardus). Stets erneut ringen H.s Gestalten mit der Freiheit des Willens, wie er selbst gerungen hat mit der Freiheit seines Kunstwollens. Das Wechselspiel von Wunder und Wirklichkeit, genauer des Wunderlichen u. des Wahren (ζ. B. „Der Sandmann") wird entsprechend zur Wechselwirkung der subjektiven Kunstwahrheit u. d. objektiven Kunstwirklichkeit 43 M a r k w a r d t ,

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(Gestalt der Clara), wobei das „Wunderlich-Wunderbare", nun nach innen verlegt, der krit. Prüfung durch den Verstand bzw. den Kunstverstand unterworfen bleibt. Das Wechselspiel von organischer Natur u. mechanisierter Natur-„Wissenschaft" wird im Kunstwerk zum Gesetz durch ein Umsetzen des nur kunsttechnisch Organisierten (u. Konstruierten) in den ewigen Protest des OrganischGesunden. S. 443. Zacharias Werner. — Bemerkenswerte Würdigungen liegen vor von P a u l H a n k a m e r : Z. Werner, ein Beitrag zur Darstellung d. Problems d. Persönlichkeit i. d. Romantik, Bonn 1920 u. von F r a n z S t u c k e r t : Das Drama Z. Werners, Entwicklung u. literargesch. Stellung, Dt. Forsch. 15, Frankf. a. M. 1926. Beide halten es für überflüssig, W.s Kunstanschauung ein Sonder-Kap. einzuräumen oder sich auch nur irgendwo u. irgendwie im Zusammenhang über seine Kunsttheorie zu äußern. Aber auch die Sonderlit. im engeren Sinne bietet kaum einen Rückhalt für d. obige Darstellung, eine Situation übrigens, vor die sich Verf. nicht nur in diesem Einzelfall, sondern recht oft gestellt sah. Eine textkrit.-histor. W.-Ausgabe liegt ebenfalls nicht vor. So kann es schon als glücklicher Zufall gelten, wenn wenigstens dank der Bemühungen O s w a l d F l o e c k s die Briefe (2 Bde., München 1914) u. Tagebücher W.s zugänglich gemacht worden sind. Die Bedeutung der Brief-Sammlung O. Floecks zwang seinerzeit P. Hankamer zu ergänzenden Anmerkungen (schon , 1920), vgl. P. Hankamer a. a. 0. S. 331. Die „Tagebücher des Dichters Z. Werner", hrsg. v. O. Floeck, sind in der Reihe der Publikationen d. Bibl. d. liter. Vereins i. Stuttgart erst 1939 (Textband) bzw. 1940 (Erläuterungsband) zu Leipzig erschienen. Manches ähnelt im Typus den „Confessiones" (1781/88) von J. J. Rousseau hinsichtlich der brutalen Selbstpreisgabe, wie denn der Name Rousseau recht oft begegnet („heiliger Rousseau" a. a. O. S. 33). Durchweg lassen die im Telegrammstil gehaltenen Reiseberichte die äußeren Eindrücke überwiegen; doch bringt der Abschnitt üb. d. Aufenthalt auf Schloß Coppet (Schweiz) mancherlei Liter., so etwa Gespräche mit der Stael (ζ. T. üb. Dichtungen), A. W. Schlegel (üb. Poesie u. Religion), dem dän. Dichter Adam Gottlob Oehlenschläger (üb. Poesie u. Religion), der übrigens eine recht wohlwollende Charakteristik W.-s gegeben hat (vgl. Er-

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läuterungsband 1940) S. 46; auch mit Henriette Mendelssohn (der unverheiratet gebliebenen jüngeren Tochter Moses Mendelssohns, Schwester Dorothea M.s) wird W. bekannt. Hinsichtlich d. Vorbild-Poetik ist die Lesung von Dramen Lessings i. d. Kreise bemerkenswert. Von Werken W.s ragen „Wanda, Königin d. Sarmaten" u. „Kunigunde"' („Cunegunde") in diesen Berichtsraum hinein. Auch erfährt man, daß W. damals, längst vor dem Drama H. Laubes, eine Dramatisierung des Christine-v.-SchwedenMonaldeschi-Stoffes geplant hat (vgl. Briefe II, S. 215). Für die Poetik selber aber fällt in den Tagebüchern kaum etwas Bemerkenswertes ab; das Theater-Interesse ist deutlich (Ansatz zur Theaterkritik, S. 40). Bei den Berichten aus Italien überwiegen Eindrücke aus dem Bereich der bildenden Kunst; u. a. begegnet W. dem Bildhauer Thorwaldsen. Um Mißverständnissen vorzubeugen: mit dem „jungen Goethe" ist Goethes Sohn August v. Goethe, mit „Tieck" der jüngere Bruder des Romantikers, der Bildhauer Christian Friedrich Tieck (1776— 1851) gemeint. S. 443. P a u l H a n k a m e r . — A. a. O. (1920), S. 61; ,,.. . Künstwerk, das bei merklichem Schwanken zwischen zwei Kunstformen tatsächlich mehr zur Klassik tendierte, während das Kunstwollen mehr zur Romantik drängte." P. H., dessen Diss, von 1919 (Z. W.s Schicksalsdrama „Der 24. Februar") bereits W. zum Thema gewählt hatte, steht im oben gen. Buch merklich unter d. Eindruck des zeitparallelen Expressionismus, wie denn dort kühn behauptet wird, schon W. hätte „mit verwunderlich sicherem Instinkt nach einem primitiven Expressionismus getastet". Man hielt damals Umschau nach Traditionsträgern f. d. Express.; u. neben Klopstock, Kleist u. G. Büchner wurde nun auch W. zeitgerecht umgedeutet. So wird ζ. B. das „Ekstatische" überbetont. Gleichzeitig wird W. streckenweise (Religion u. Erotik) auf Hamann hin stilisiert, obwohl der Hauptakzent auf dem Katholizismus W.s u. dessen Vorbereitungsstufen liegt. Das genialisch Verworrene W.s zieht P. Hankamer merklich an, ohne daß er es klärend zu bewältigen weiß. Von der ausgezeichneten Einfühlung sticht die nicht immer zulängliche Materialbeherrschung unvorteilhaft ab. Der Widerstreit von Kunstwollen u. Kunstschaffen bei Zacharias Werner wird durchweg richtig erkannt. 4.1·

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Aber für die Kunsttheor. i. engeren Sinne bieten Sonderuntersuchungen, wie ζ. B. die von R. U h l s h ö f e r , weit mehr. Auch H e r b e r t B r e y e r : Das Prinzip von Form u. Sinn im Drama Z. W.s, in: Sprache u. Kultur d. german.romanisch. Völker IV, Breslau 1933 bringt wenigstens im Schlußwort (S. 227t.) einen freilich logisierend-schematisierenden Versuch, der Kunstanschauung W.s beizukommen, bes. auf Grund des Briefes W.s an Peguilhen vom 5. 12.1803, wobei allerdings viel Selbstverständliches „erklärt" wird. W. wird bezeichnet als „Occasionalist" von spez. „Eigengesetzlichkeit". Im Aufspürenwollen dieser Eigengesetzlichkeit aus dem Werk nähert sich H. Breyer in gewiss. Grade einer werkimmanenten Poetik, die freilich noch in den Anfängen steckt. S. 445. T h e o r i e des D r a m a s . — Über die Einzeldramen W.s besteht eine Reihe von Sonderuntersuchungen; über die Gesamtdramatik neben der älteren von R u d o l f D i e k m a n n : Z. W.s Dramen, ihre Quellen u. ihr Verhältnis zur Geschichte, Diss. Münster 1913, die bereits gen. Arbeiten von F r z . S t u c k e r t (1926) u. H. B r e y e r (1933). Auf die allg. Kunstauffassung geht, wie erwähnt, H. Breyer ein, wenn auch nur recht summarisch u. ohne hinreichendes Material. Dagegen fehlt sonderbarerweise eine Berücksichtigung der dramat. Theorie W.s völlig. Sie soll offenbar durch das Ablesen des dramat. Kunstwollens aus den Einzeldramen ersetzt werden. Doch bleibt H. Breyer durchweg in der bloßen Werkanalyse stecken, außerdem folgt er zu sehr der Ansicht (u. Antithese) Fr. Strichs, die er zudem veräußerlicht u. schematisiert. Die früher liegende, aber weniger nach Stilepochen konstruierende und schematisierende Arbeit von Frz. Stuckert käme am ehesten noch mit dem 11. Kap. „Die Tragik in d. Dramen Werners" in Betracht, a. a. 0. S. 169—76. Der Einleitungsteil betrachtet im 2. Kap. „W. als Dramatiker" und verspricht nach der Inhaltsangabe auf drei Seiten (S. 6—9) d. Verhältnis von „Romant. Theorie u. Drama" zu erörtern, handelt in Wirklichkeit aber dort vom Undramatischen der Romantik, für das entsprech. Belege bes. aus der Dramenpraxis beigebracht werden, und läßt W. neben Kleist als einzigen echten theatral. Dramatiker der Romantik gelten. S. 446. S o n d e r f o r s c h u n g (R. U l s h ö f e r ) . — R. U l s h ö f e r : Die Theorie des Dramas i. d. dt. Romantik, Bn.l 1935,

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Abschnitt Ζ. Werner S. 132—43, betont d. Zwiespalt W.s im Schwanken zwischen der „alten Schule" (aristotelischem Theater u. dessen Anhängern i. Deutschi. u. Frankreich) u. der „neuen Schule" (A. W. Schlegel, L. Tieck u. a.). Ulshöfer weiß die von 0. F l o e c k hrsg. Briefe W.s (1914) bereits weit fruchtbarer zu machen als P. Hankamer, der sie eigentlich nicht erst in nachträglichen Anmerkungen berücksichtigen durfte, da sie längst vorlagen. Über d. Verhältnis von Religion u. Ethik a. a. 0. S. 133; auch die Phantasie bleibt auf Gott bezogen (S. 135). Obwohl Z. W. Schelling nicht kannte, nähert er sich (ζ. T. über Schleiermacher u. A. W. Schlegel) dessen Anschauungen zur Ästhetik (Ausgangsposition: Kant-Schiller). Die Spannung von Eigenliebe („Egoismus") u. Gottesliebe beherrscht W.s Dramen (S. 136), daher erklärt sich das letztlich Unveränderte des weltanschaulichen Gehalts. Auch die „neue Kunstschule" (der Romantik) genügt nicht diesem Streben, da sie zu egozentrisch (u. egoistisch) bleibt (S. 137). Religiöser Sinn als „Quintessenz des Tragischen". Trotzdem ist Ulshöfer merklich bemüht, W. an Schiller heranzurücken (S. 138, 140). R. U. weist Z . W . in krit. Auseinandersetzung mit P. H a n k a m e r u. F r z . S t u c k e r t , die W. als „Außenseiter" der Romantik auffaßten, d. „Spätromantik"zu. F r z . S t u c k e r t (1926) hatte sich bei jener Charakterisierung W.s als „Außenseiter", a. a. O. S. 178 ausdrücklich auf P. Hankamer berufen. S. 446. M y s t e r i u m . — Die Märtyrer-Tragödie würde mit Z. W. treffender noch als „tragoedia sacra" zu umschreiben sein. S. 448! Z. Werner (Exkurs: werkimmanente Poetik). — Das Kunstwollen Z. Werners ist unverkennbar auf die dramatische Wirkungsform gerichtet, wie er denn selbst Sonette ins Dramatisch-Dialogische umzusetzen trachtet. Im Gesamtraum der Romantik verfügt er neben Kleist (insofern wesensverwandt, obwohl nicht wertgleich) über die stärkste dramatische Begabung. Von hieraus erklären sich die positiven Urteile Ifflands, der Mad. v. Stael, Goethes, Ε. T. A. Hoffmanns, Grillparzers. Die Bekanntschaft mit Iffland und der Schauspielerin Unzelmann erinnert daran — und die werkimmanente Poetik seiner Dramen bestätigt es — , daß sich in ihm das Dramatische deutlich dem Theatralischen zuneigt. Er verfaßt nicht Lesedramen wie Tieck, Brentano, Arnim, sondern Bühnenwerke. Er stellt auch nicht nur Kontrastszenen neben-

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einander (ein Notzugang des Epikers Tieck zum scheinbar Dramatischen), sondern verlegt die echt dramatische Widersprüchlichkeit in die Szene selber. Anregungen Schillers („Teil") oder auch Goethes („Egmont") folgend, nimmt er einen Teil der Exposition gern in Form einer Gruppenszene einfacher Berufsschichten vorweg und erzwingt damit die innere Anwesenheit des vorerst noch (bühnen-)abwesenden Helden (Maurer-Gruppe i. d. „Söhnen des Thals", Fischer-Gruppe i. d. „Kreuz an der Ostsee", Bergmanns-Gruppe i. d. „Weihe der Kraft", also im Lutherdrama). In vollem Gegensatz zu den programmgetreuen Romantikern kennt er den Vorteil der Zeiteinheit, die er (abges. etwa vom „Luther"-Drama) durchweg erstaunlich streng im Sinne der dramat. Konzentration innehält. Schon diese straffe Gesetzlichkeit, die auch sonst seine Komposition auszeichnet, deutet im Kunstschaffen weit mehr auf die Klassik als auf die Romantik. Das instinktsichere dramat. Kunstwollen erwies sich als kräftiger ausgeprägt als die ζ. T. von der Romantik übernommene oder ihr anpassungswillig angenäherte Kunsttheorie. Auch darin werden mit Kleist verwandte Züge spürbar, jedenfalls was das Kunstwollen betrifft. Aber Kleist vollzieht das innere Gesetz des Genies, Z. Werner vollführt die „Kunst"-Stücke des Virtuosen. Kleist vertritt den dämonischen Heroismus, Z. Werner den dämonischen Mystizismus. Kleist will (vorübergehend) im Katholizismus Besinnung suchen, Z. Werner sieht im Katholizismus Bestimmung. Beide gehen von der Aufklärung aus und auf das Mythologische zu, aber Kleist auf ein dichterisch-national Mythologisches, Werner auf ein christlich-sakral Mythologisches. Werner drängt im Kunstwollen zum Barocken zurück, Kleist drängt zum Realistischen vorwärts. Für Kleist ist das Kunstwerk eine Manifestation göttlicher Schöpfersehnsucht, für Z. Werner eine geschickte (bis kunsttechnisch virtuose) Demonstration des schöpferischen (letztlich allein schöpferischen!) Gottes (vgl. Barock), dessen Verherrlichung u. Verklärung auch die Bühne, die nicht moralisches Institut (Wieland, Schiller), sondern religiöse Institution ist oder sein sollte, demütig zu dienen hat. Demgemäß ergibt sich ohne weiteres die Tendenz zum Märtyrerdrama barocker, nur scheinromantischer Art, die sich bald ungehemmter, bald verhüllter im Kunstschaffen und seiner Gesetzlichkeit auswirkt („Söhne des Thals",

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„Mutter der Makkabäer"). Der Umweg über Wieland u. die problemat. Humanität des Freimaurertums ist für den, vom religiösen Wahnsinn seiner Mutter von vornherein in seiner Gesamtrichtung vorgezeichneten Z. W. nur ein verlegener Umweg der notdürftigen Selbstrechtfertigung seines späteren religiösen Fanatismus. Er gelangt denn auch folgerichtig nicht wie H. v. Kleist über die Aufklärung und die Romantik zum Realismus, sondern von der Aufklärung über die Romantik zum — Barock; also nicht vorwärts, sondern zurück. Andersartig u. doch verwandt vertritt also Z. Werner wie Ε. T. A. Hoffmann den Zersetzungsvorgang des Romantischen, ohne über die dichterische Qualität Eichendorffs zu verfügen. Was bei Eichendorff Echtheit ist, ist bei Z. Werner überhitzte Ekstase. Anpassungswillige u. tendenziöse Deutungen wie die P. Hankamers (Barock kennzeichnenderweise unter dem Stichwort „Gegenreformation" gefaßt) dürfen u. können darüber nicht hinwegtäuschen. Denn hier gilt es, nicht wie P. Hankamer den Katholiken zu werten u. zu würdigen, sondern den Künstler Z. Werner. Je mehr der Katholik blendet, verblaßt der „Dichter". Z. Werner versteht es, sich religiös zum Ekstatiker zu steigern, wo er künstlerisch (ideelich-gestaltend) Eklektiker bleibt, fraglos ein sehr geschickter, ja virtuoser Eklektiker, aber eben doch ein Eklektiker, der wohl eine Summierung zu bieten vermag (Schiller, Goethe u. a.), aber keine Synthese. Sein werkimmanentes „Gesetz" schwankt zwischen dem künstlerischen Nacheifern u. dem religiösen Eifern, wobei (für den Einsichtigen vorauszusehen) das religiöse „Eifern" eindeutig überwiegt. Er zieht die letzte Konsequenz der Romantik nach der religiösen Seite hin wie Ε. T. A. Hoffmann nach der realistischen Seite hin. Er gestaltet die Wirklichkeit des Wunders, wie Ε. Τ. A. Hoffmann das Wunderliche des Wirklichen gestaltet. Beide sehen u. suchen die letzte Lösung der Romantik in ihrer Auflösung. Ε. Τ. A. Hoffmann im Bezirk der epischen Dichtung, Z. Werner im Bezirk d. dramat. Dichtung. Und wo Ε. Τ. A. Hoffmann vom romant. Phantasiereichen ins Phantastische ausweicht, da weicht Z. Werner vom romant. Phantasievollen ins Religiös-Fanatische aus. Beide vertreten eine doppelte „Flucht": der eine (Ε. Τ. A. Hoffmann) flieht vor der Realität in die „Phantasie" u. das Phantastische; der andere, Z. Werner, flieht vor dem Eklektischen ins Ekstatische. Beide glauben die Romantik

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zu überwinden, indem sie sie „überspielen". Der eine (Ε. T. A. Hoffmann) spielt das Wirkliche ins Unwirkliche hinüber, der andere läßt das Unwirkliche wunderbar in die Wirklichkeitswelt hineinragen. Aber Ε. T. A. Hoffmann neigt mehr zum relativ Realistischen, Z. Werner mehr zum absolut Symbolischen. Das Wunder der Weite vollzieht sich bei Ε. Τ. A. Hoffmann im Raum einer Phantasiewelt der unbegrenzten Möglichkeiten. Die Weite des Wunders umgreift bei Z. Werner auch die begrenzten Schicksale des Menschen der Wirklichkeit. Z. Werner weiß sich die Weihe des Priesters zu geben, wo er im Kern seines Wesens (soweit er überhaupt über einen Wesenskern verfügt) doch nur Sektierer bleibt. Und die Heilslehre hat in seinen Händen mancherlei Unheil angerichtet, nicht nur im Bezirk der Kunst, auch im Bereich der Religion (vgl. „Weihe der Kraft" bzw. „Weihe der Unkraft"). Echte Lebenskraft bewährte keine der beiden Fassungen des Luther-Dramas, das eigentlich nur noch im lit. Bewußtsein wach erhalten geblieben ist durch den (zudem polemischen) Einbau in die äußere u. innere Handlung von Th. Fontanes Roman des kläglich verbildeten Ästheten „Der Schach von Wuthenow", wobei der weltanschauliche Protest sich in der Parodie entlädt. Das „Romantische" ist nicht das innere „Gesetz" Z. Werners oder doch nur insoweit, als es sich mit dem Religiösen deckt. Die Andeutung des Wunderbaren wird bei ihm zum Bedeutenden, ja künstlerisch „Bildenden" des Wunders. Und wenn das Religiöse sonst i. d. Romantik als ein von fernher herüberklingender u. ständig mitschwingender Glockenton das Begleitmotiv für ein wertvolles Lebensgefühl abgab, so vergröberte es Z. Werner zum robusten Paukenschlag. Was sonst mit Glockengeläut zur lieblichen Feier lud, das entlud sich bei ihm gleichsam mit „Pauken und Trompeten". Was sonst liebevoll-verehrend umworben wurde mit demütiger Scheu, das vergewaltigte er mit einer Brunst, die sich für Inbrunst ausgab. Und so kommt zwar die Weite des Wunders als Leitkraft der Romantik durchaus zu ihrem Recht, aber weniger als frommer Spruch wie als fanatischer Anspruch, weniger auch qualitativ als quantitativ. Ein Einzelfall: fast in allen Dramen Z. Werners legen liebende Frauen irgendwo u.irgendwann Pilgerkleider an; aber sie passen nicht immer hinein. Sie wirken wie Masken und nicht wie Menschen. Auch jenseits dieses Sonderfalls wirkt manches opernhaft-

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dekorativ. Eigentlich bewegt sich der Bühnen-Prediger, der im ganz anderen Sinne als der Lessing des „Nathan" die Bühne als „Kanzel" betrachtet (u. benutzt, um nicht zu sagen mißbraucht), immer schon auf die priesterliche Weihe zu. Aber um diese Weihe wirksam zu gestalten, fehlte ihm letztlich der feste, im Innerlichen verankerte Traggrund der menschlichen Würde, aber auch der formenden Gewalt. Nicht unwahrscheinlich, daß aus dem selbstkritischen Unbehagen über dieses negative (zum mindesten passive) Selbstgefühl eine restlose Vollendung u. vollends eine Publikation des zweiten Teil-Dramas des zyklisch angelegten „Kreuzes an der Ostsee", das die „Weihnacht" (im Sinne von: Nacht der Weihe) heißen sollte, zuletzt doch unterblieb, so daß dieser Teil gänzlich verloren gehen konnte. Die Bühne hat sich gleichsam dafür gerächt, daß Z. Werner sie (in anderem Sinne als der Lessing des „Nathan") zur „Kanzel" machen wollte. Denn für Z. Werner wurde zur Gelegenheit, was für Lessing aus Verlegenheit geschehen war. Und es war das tragische oder tragikomische „Gesetz" Z. Werners, daß der Prediger nicht nur den „Poeten" ablöste, sondern ihn auch in eine esoterische Substanzlosigkeit (u. Distanzlosigkeit) schlechterdings auflöste. Denn das vom Religiösen Berauschte Klopstocks wurde unzulänglich ersetzt durch das Berechnende Z. Werners. Daher blieb der Kunstleistung Z. Werners der Dauerwert versagt. Geblieben ist in gebildeten Schichten eigentlich nur noch eine blasse Erinnerung an das „Schicksalsdrama" im engeren Sinne, den „24. Februar", das i. d. Gesch. d. Poetik immerhin schon durch die relative Seltenheit einer Deckung von Geschehenszeit und Aufführungsdauer (beide etwa eine Stunde) eine kunsttechnische Beachtung verdient. Dagegen ist das Transponieren in das Transzendente, das dem Kunstwollen Z. Werners entsprach, oft bedenklich weit in ein bloßes Transformieren in das TrivialMystische abgeglitten, so krampfhaft sich auch immer die Aufsteilung ins Mystisch-Mythische dagegen anstemmen mochte. Es lag gewiß nicht in der Darstellungsabsicht Z. Werners, aber es entsprang der mannigfach gebrochenen Relativität seines Kunstvermögens, wenn Schillers Pathos bei ihm zum Pathetischen, wenn Schillers Schicksalsvorstellung bei ihm zum Schicksalsmechanismus verflacht wurde, wie andererseits der Symbolbegriff Goethes bei ihm veräußerlicht zum Allegorischen zurückgebildet

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erscheint. Und berücksichtigt man dennoch gebührend die kunsttechnische Begabung, die zweifelsfrei feststeht, so erscheint Z. Werner (in Abhebung von H. v. Kleist) ähnlich innerhalb der Romantik wie H. Sudermann (in Abhebung von G. Hauptmann) innerhalb des Naturalismus oder G. Kaiser (in Abhebung etwa von Fr. v. Unruh) innerhalb des Expressionismus. Auch kunsttechnische Feinheiten, wie etwa das wohlberechnete Einleiten nicht nur eines Dramas, sondern auch eines Dramenaktes, ja selbst einer Einzelszene durch eine aufschließende lyrische Einstimmung oder der an sich romantische Anspruch an die Prävalenz der Gefühlsechtheit gegenüber der Lebensechtheit, womit etwa die Katharina-Bora-Deutung im Luther-Drama gerechtfertigt wird: „Was im Gemüt gelebt, ist dagewesen" (ein Beleg zugleich für den Primat des Gemüts), selbst das rührend rastlose bis erschütternd kritiklose Freiringenwollen religiöser Erhebungen von nur irdischen (ζ. B. historischen) Bestrebungen vermag diesen Gesamteindruck wohl zu beschönigen, aber nicht zu beseitigen. Jenseits der Kunst besitzt Z. Werner eine entfernte Wesensverwandtschaft mit J. G. Hamann; aber Hamanns Kraft fehlte ihm. Die Weihe der Kraft fehlte ihm, und so sucht er Ersatz bei der Kraft der Weihe bis hin zur Priesterweihe; aber auch von ihr gewinnt man den Eindruck einer „Weihe der Unkraft". Auch das Lutherdrama „Die Weihe der Kraft", fraglos eine der wertvollsten Dichtungen Werners, ist eigentlich nur durch die weltanschaulich-krit. Einbeziehung in Th. Fontanes leicht histor. gefärbte Erzählung „Schach von Wuthenow" mittelbar lebendig erhalten geblieben. Z. Werner dürfte in die Romantik nur deshalb und insoweit geraten sein, weil sie u. sofern sie der Erbauungsliteratur volle Kunstgeltung einzuräumen schien. Er gehört zu denjenigen, die unter Umgehung des Sturmes und Dranges, der ihm freilich auch schon zeitlich entrückt war, von der Aufklärung (Wieland-Einfluß i. d. Frühgedichten, Freimaurerkultus i. d. „Söhnen des Thals") unmittelbar bei der Klassik Halt suchten wie etwa Grillparzer, der ihn nicht zuletzt deshalb überschätzt. Die Romantik bleibt für ihn eine Art von vermeintlich zweckmäßiger Wahlheimat. Elchendorff

S. 451. E i c h e n d o r f f a l s L i t . - H i s t o r i k e r . — H a n s E g o n H a s s : Eichendorff als Literaturhistoriker. — Historismus

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u. Standpunktforschung — ein Beitrag zur Geschichte der Literaturgeschichtschreibung und ihrer Methodenprobleme, in: Jahrb. f. Ästhetik u. allgem. Kunstwissenschaft, Bd. II (1952—1954), hrsg. v. Prof. Heinr. Lützeler, Bonn 1954, S. 103—177. In Betracht kommen neben der im Text erwähnten „Geschichte der poet. Literatur Deutschlands" (1857) sieben Abhandlungen i. d. „Histor. pol. Blätter f. d. kathol. Deutschland" Jg. 1846—48, darunter über „Brentano u. seine Märchen", „Die dt. Salon-Poesie der Frauen", „Die geistl. Poesie in Deutschland" u. „Die dt. Volksschriftsteller". Daneben „Über die eth. u. religiöse Bedeutung d. neueren romant. Poesie in Deutschld.", Lpz. 1847; „Der dt. Roman d. 18. Jh.s i. s. Verhältnis z. Christentum", Lpz. 1851. H a n s E g o n H a s s S. 120—134. Abschnitt „ E i c h e n d o r f f s D i c h t u n g s b e g r i f f " erfaßt im wesentlichen doch nur den „Dichtungsbegriff" des späten Eichendorff u. damit diejenige Vorstellung vom Wesen u. Wirken der Dichtkunst, die den Traggrund bietet für die konstruktiven Leitgedanken und die ethischreligiösen Wertsetzungen in seiner Literaturgeschichtsdarstellung. Das gilt sowohl vom „funktionalen Dichtungsbegriff" als auch vom „wertenden Dichtungsbegriff", wobei der „funktionale" mehr das konstruktiv bewirkende Moment der Gesamtentwicklung bedeutet, während der „wertende" mehr den Maßstab für die Einzelbewertung an die Hand gibt. Es kommt zuletzt nicht auf die „lieblichen Talente", sondern auf die rechte „Art ihres Gebrauchs" (im Dienst eines positiven Christentums) an. Der Darstellungsbegriff behält dabei eine betonte Geltung, indessen wiederum in dem Sinne einer „Darstellung des Ewigen u. Schönen im Irdischen" (Transponieren der Transzendenz u. Transparentmachen des Ewigen, das durch die zudem schon erhöhte Wirklichkeit hindurchschimmert). Im Gegensatz zu Klopstocks Dichterbegriff meldet E. ernste Bedenken an gegen eigenmächtiges Phantasieverfahren im Bereich religiöser Vorstellungen u. Symbole. Η. E. Hass glaubt dagegen einen engen Bezug zu den Auffassungen Fr. Schlegels (bes. in dessen sog. Wiener Vorlesungen) zu erkennen (a. a. O. S. 124). Der Gegenzug zu einem Transponieren des Transzendenten wirkt sich entsprechend aus als eine „Transzendierung des Irdischen" (also ein Transponieren aus der Wirklichkeit in die Transzendenz). Im Hingerichtetsein auf das

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Überirdische u. in jenem angedeuteten Wechselspiel, im fließenden Hin- u. Herweben, glaubt Η. E. Hass geradezu ein Zentralstück der dichterisch-religiösen Kunstanschauung Eichendorffs erkennen zu können. Es würde sich also um eine Spielart jenes romant. „Schwebens" handeln, das (im darst. Text) mehrfach als ein Typisches der romant. Literaturphilos. herausgestellt worden ist: Eichendorff befürchtet keine Loslösung der Poesie von der Lebenswirklichkeit, weil für ihn auch das Leben auf die Religion bezogen bleibt. Ähnlich verfährt er mit dem Sonderwert des Volkstümlichen u. im weiteren Umkreis des Nationalen schlechtweg. Wieder glaubt Η. E. Hass die Nähe Fr. Schlegels beobachten zu können. Jedenfalls sind auch die Völker u. Nationen vom Religiösen her deutend zu betrachten u. zu bewerten, wobei bei Eichendorff erneut das Wert- u. Kennwort „positiv" herhalten muß. Die nähere Erläuterung scheint m. E. auf Herder zurückzuweisen (vgl. das Zitat S. 128/29). Religiöses Bewußtsein u. nationales Bewußtsein stützen sich wechselseitig, wobei der dt. Nationalcharakter dem religiösen Streben bes. willig entgegenkomme. Bloße Sittlichkeit genüge nicht (Abwehr des Humanitätsideals der Klassik), weil sie immer nur eine Erscheinungsform (u. Folge) der christlichreligiösen, alles bewegenden u. durchregenden Grundkraft bedeute. Das Genie von Gottes Gnaden duldet keine „communistische Rebellion" des „Dichterpöbels", der erfolgreich sein könne, weil er auf einen „Lesepöbel" stoße. Eine gewisse Exklusivität wird spürbar, obwohl Η. E. Hass merklich bemüht ist, die Gegenwehr Eichendorffs gegen die ästhetische Aristokratie zu betonen. Im übrigen verwertet Η. E. Hass in diesem Abschnitt durchgängig Fr. Schlegel (ζ. T. auch A. W. Schlegel) als Orientierungspol für das kunsttheoretische Reagieren des späten Eichendorff. S. 461. D a s L u s t s p i e l . — O. D e m u t h : Das romant. Lustspiel i. s. Beziehungen z. dichter. Entwicklung Eichendorffs (Prager dt. Studien 20), Prag 1912 vermißt allgemein das Eingehen auf das romant. Drama, das von R. U l s h ö f e r inzwischen nachgeholt sein dürfte. L. T i e c k sei zu sehr in die Zentralstellung gerückt worden. Was Eichendorff betreffe, so sei dessen Ruf als Dramatiker „umstritten" (aber eben doch offenbar mit Recht!). Für die werkimmanente Poetik des Lustspiels kämen vor allem „Die

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Freier" in Betracht. Nach 0. Demuth ist dieses Lustspiel aus der Kritik an der Unzulänglichkeit der Lustspieltradition hervorgegangen. Auch der „Empörungskampf der Schlegel gegen Kotzebue" habe keine wirkliche u. wirksame Befreiung für das wertvolle Lustspiel gebracht, obwohl Fr. Schlegel mit seinem Aufsatz „Über die griech. Komödie" dem Lustspiel ein hohes Ziel gesteckt hatte. Auch Schillers Turandot-Bearbeitung habe daran nichts Wesentliches zu verändern u. zu verbessern vermocht. An L. Tiecks Märchenkomödien wird nicht das romantisch Komische, wohl aber das spez. Dramatische vermißt trotz der Anregung durch Aristophanes, Holberg u. Ben Jonson; die romant. Ironie habe notgedrungen u. notdürftig die echte Komik ersetzt. Damit sei die Zerstörung der Illusion folgerichtig verbunden. Goethe, dem romant. Lustspiel an sich verständnisvoller gegenüberstehend als der geborene Dramatiker Schiller, habe gefordert: „Das Amalgane von Heiterem u. Tristem i. d. herrschenden Komödie" müsse verschwinden. Und der Briefwechsel zwischen Goethe u. Schiller verwirft die romant. Lösung des Lustspielproblems, die der „wilden Imagination einfach die Zügel schießen" lasse. Auch Holtei u. Nicolai verwerfen aus anderem Blickwinkel u. von andersartigem Wertungsstandpunkt aus die „exzentrische Imagination" des romant. Lustspiel-Typus. Gemessen an Schillers Warnung, daß im Lustspiel allzu leicht die „notwendigen Grenzen beim Gebrauch schöner Formen" überschritten werden könnten, gilt auch Brentanos „Ponce de Leon" nicht als vorbildliche Leistung der romant. Lustspielproduktion. Vor lauter subjektiver (Wort- u. Wortspiel-)Komik ginge das objektiv Komische einer wirklichen Lustspielwelt verloren. Bemerkenswert erscheint in dem Zusammenhange, daß Goethe in Auseinandersetzimg mit L. Tieck als Theaterfachmann bes. auch hinsichtl. des Lustspiels die „theatralische Richtung" im vermeintlich Dramatischen vermißte, eben jenes Theatralische, das als die der Bühne zugekehrte Seite des Dramatischen gelten kann. Ob aber Schellings Ästhetik, wie Verf. meint, günstigere Voraussetzungen f. d. romant. Lustspiel geschaffen hat, muß dahingestellt bleiben; denn Schelling lag die Definition des Tragischen näher als die des Komischen. S. 462. Elchendorff (Exkurs: werkimmanente Poetik). — Bereits in dem darstellenden Text konnten mehrfach Äußerungs-

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formen und Kunstanschauungsnormen der werkimmanenten Poetik hineinverarbeitet werden, so etwa die Zweieinheit von Gottesnähe und Naturnähe, das Moment der „Erinnerung", die romantische Grazie (in Abhebung vom Rokoko), das Traumhafte, das Prinzip des sparsamen Reichtums, der Primat des einfältigen Herzens, das Wechselspiel von Naturwehmut und Naturdemut, die Wechselwirkung von Poesieleben und Heimaterleben, von Lebensheiterkeit und Lebensernst, die Wertminderung des Abstrakten u. a. m. Entscheidend bleibt, daß E. irgendwie ein Wesentliches u. Typisches der Romantik erfaßt u. verwirklicht haben muß, so wenig er immer den kunstphilos. Ansprüchen der Frühromantik genügt haben würde. Denn wie Ε. Τ. A. Hoffmann als Erzähler die Romantik in breiteren Schichten lebendig zu erhalten vermocht hat, so Eichendorff als Lyriker. Eichendorff dürfte der am meisten gelesene (u. vorgelesene) u. der am leichtesten verstandene u. nachgefühlte Lyriker d. R. sein, wie Ε. Τ. A. Hoffmann der am meisten gelesene u. am leichtesten verstandene (zum mindesten vermeintlich verstandene) Novellist d. R. Es ist daher durchaus folgerichtig, wenn bei E. auch i. d. werkimmanenten Poetik das Lyrische eindeutig überwiegt. Die wertvollste u. wertbeständigste seiner Erzählungen „Aus dem Leben eines Taugenichts" ist letzten Endes eine lyrische Stimmungsnovelle, so merklich sie sich auch immer von Th. Storms frühen lyr. Stimmungsnovellen abheben mag. Seine Romane „Ahnung u. Gegenwart" oder „Dichter u. ihre Gesellen" dagegen sind nur noch in lit.-histor. interessierten Kreisen (notdürftig u. unzulänglich) bekannt. In weit höherem Grade des Werts u. d. Wirkung als etwa Cl. Brentano u. A. v. Arnim trifft er den Volksliedton. Denn für E. ist das keine, wenngleich liebevoll betreute Kulturangelegenheit, sondern echtes Gefühlsanliegen, eine Herzenssache, nichts „Kulturliches", sondern ein Natürliches. Das Volksliedhafte ist ihm keine bloße Möglichkeit, um durch ein vermeintlich leicht zu öffnendes Hintertürchen auf einen letztlich volksfremden Parnaß zu gelangen (A. v. Arnim), sondern eine menschliche Neigung u. eine künstlerische Nötigung. Der Adlige steht in diesem Falle dem Volke näher als mancher Bürgerliche, weil er nicht künstlich u. krampfhaft um den „nötigen" Abstand besorgt zu sein braucht. Auch wo er sich hingibt, gibt er sich nicht auf. Aber er weiß u.

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fühlt, wo er die auffrischenden Kräfte, deren er bedarf, finden kann. Er braucht das; aber er berechnet es nicht. Eichendorff hat einen ähnlichen Vorteil wie Ε. Τ. A. Hoffmann: er vermag aus der zeitlichen Spätstellung heraus fast spielend (u. künstlerisch dennoch sehr ernsthaft) das zu verwerten u. zu verwirklichen, was andere vor ihm mühevoll u. weniger erfolgreich zu erwerben getrachtet hatten. Aber er hat auch das Zeug dazu u. den gemütvoll-mutvollen Zug dazu. Und obwohl er — darin dem sonst völlig anders gearteten Ε. T. A. Hoffmann ähnl. — reichlich Gebrauch macht von all den „typischen" Attributen der Romantik, bleibt er dennoch zugleich u. unverkennbar den Kernkräften der Romantik weit näher. Das wurde ihm nicht zuletzt erleichtert durch seine kathol. Glaubenstiefe, aber auch durch seine Naturliebe, Heimatliebe u. Erinnerungsfreude. Dabei sind seine Erinnerungen kraftvoller u. weniger wehmütig als die Th. Storms. Das schließt nicht aus, daß seine Naturbeobachtung (im Sinne d. Romantik) merklich zurückbleibt hinter einer frisch und frei romantisierenden Naturschwärmerei. Aber indem er so frisch und frei romantisiert, wirkt alles echter u. auch stilgerechter als bei vielen anderen Romantikern. Diese Naturschwärmerei nämlich bevorzugt (trotz aller Mondscheinromantik) durchweg die Lichtseite der Natur, nicht wie Ε. T. A. Hoffmann die „Nachtseite" der Natur (u. d. damaligen Naturwissenschaften romant. Gepräges). Eichendorffs Gestaltungs-,,Gesetz" ist nicht sowohl „Originalität" als vielmehr Variabilität. Er ist ein Muster u. Meister i. d. Variation an sich ähnlicher Grundmotive. Und nicht allein das Lebensgefühl des Katholiken erleichtert ihm den Zugang zum Mittelalter u. d. im romant. Sinne „altdeutschen" Dichtung, sondern auch diese Gestaltungsweise, diese Freude am Variieren u. diese Fähigkeit zu variieren trug wesentlich zu dieser Anpassung, ja Anverwandlung an ältere Auffassungen vom Wesen u. Wert des Dichterisch-Formkünstlerischen bei. So verstanden wurde der „letzte Ritter" der Romantik zugleich zum berufenen und berechtigten Retter einer mittelalterlichen Kunstauffassung. Und so verband der Dichter von „Ahnung u. Gegenwart" die Ahnung des Gewesenen mit der Forderung des Gegenwärtigen. Die Freude der Erinnerung an das Vergangene wurde nicht erkauft mit einer Fremdheit gegenüber dem Gegenwärtigen.

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Im Gesamt des künstlerischen Vermögens u. d. weltanschaulichen Meinens und im besonderen des literaturhistorischen Forderns überwiegt zunächst einmal die Weite des Wunders, während i. d. künstlerischen Wirkung u. letztlich auch i. d. werkimmanenten Poetik des Werkschaffens das Wunder der Weite den Vorrang, wenngleich nicht die Alleingeltung für sich beanspruchen darf. Eichendorff vermag aber die Weite des Wunders nur glaubhaft zu machen, weil er u. wo er an das Wunder der Weite glaubt. Das künstlerische „Wunder" indessen liegt darin begründet, daß Eichendorff im Schlichten zugleich das Echte auch formgebend verwirklicht, daß er also „echt" bleibt, wo er nur kunstgerecht zu bleiben meint; daß er den echten Ton traf, weil er von der Echtheit der Gestaltung (u. Haltung) gleichsam ungewollt u. unbewußt „betroffen" wurde, daß er gestaltend gebot über den Ausdruck, der das Echte ausdrückt, daß sein Kunstwollen hinausragte über sein Kunstvermögen, daß er nur dasjenige als „Theoretiker" wollte, was er als Künstler konnte, und zwar nicht nur „romantisieren" konnte, sondern auch im Werkschaffen „realisieren" konnte. Das Maß seiner Kunst war also gemessen am Maß (u. d. Grenze) seines Kunstvermögens. Sein Kunstwollen überflügelt zwar sein Kunstkönnen hinsichtlich der Zielsetzung weltanschaulicher Art, nicht jedoch in der Grenzziehung formkünstlerischer Art. Und selbst dort, wo er dem Gott seiner Weltanschauung „untreu" zu werden droht, bleibt er der „Göttin" seiner Kunst treu. Die Heilslehre des Christentums mag kunsttheoretisch u. literaturprogrammatisch überwiegen: in der Kunstpraxis findet er sich immer wieder überwältigt vom werkimmanenten Gesetz seiner Kunstlehre u. Dichtungsdeutung (als Wesensdeutung, nicht als historische Auslegung). Heilslehre und Kunstlehre in Einklang zu bringen u. zur Eintracht zu zwingen, das Religiös-Ethische mit dem Ästhetisch-Ethischen wirkungssteigernd zu versöhnen, das ist für E. die vordringliche Aufgabe, wie es seine vorzügliche Kunstgabe war. Er steht darin Fr. Schiller (bei allem weltanschaul. Abstand) näher, als er vermutet; und er steht Goethe (bes. als Lyriker) näher, als er vermeint. Insofern (u. nicht nur insofern) treffen wir ihn bereits auf der Wegsuche zwischen Nachklassik u. Nachromantik, und zwar ζ. T. vor dem lit. Biedermeier. Zum mindesten vertritt das Kunstwollen Eichendorffs weitreichend den

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Übergang von der Nachklassik (über die Romantik) zum Biedermeier. Er vollendet die Romantik als Stilepoche (u. Lebensgefühl), um sie im Christlich-Religiösen zu übersteigern und im Künstlerisch-Schaffenden vollendend zu überwinden u. gestaltgebend zu überbieten. Gottesnähe u. Volksnähe führen bei E. nicht zu einem unvePsöhnlichen Zwiespalt, sondern zu einer edlen u. echten Einfalt. Und was die echte Vielfalt betrifft, so spiegelt sie sich (umgrenzter) in seinem werkimmanenten Kunstwollen nicht zuletzt in der Vielfältigkeit der Abwandlungen einiger (relativ weniger) Grundthemen. Die edle Einfalt der Klassik aber wird bewahrt i. d. Verfahrensweise beim Transponieren des Transzendenten in die liebevoll u. lebensvoll erfaßte u. geformte „Realität"; wie andererseits das Transponieren der Realität in die Transzendenz verwirklicht erscheint durch die Jenseitsbezogenheit des Diesseitigen. Kurz, er vermag nur so innig u. echt an das Wunder der Natur zu glauben, weil er so unbefangen u. innig an das Wunder des Übernatürlichen glaubt. Bei aller Abhebung der Grundhaltung von Heinr. Brockes, wie sie durch Verschiedenartigkeit der Epochen u. Veranlagungen ohne weiteres gegeben ist, liegt dennoch auch im Dichten u. Denken Eichendorffs etwas vom „Irdischen Vergnügen in Gott", das sich aber weit frischer u. weniger besinnlich darbietet als bei H. Brockes. Vereinfacht gesehen u. gesagt: dem aufklärerischen „Vergnügen in Gott" steht hier ein romantisches „Vergnügen in Gott" gegenüber, als Gegensatz-Stück, aber ζ. T. doch auch als Gegen-Stück. Und wo H. Brockes einst glaubensfromm u. in seiner Art schon naturfromm argumentierte, da vermag der Romantiker Eichendorff frisch u. frei zu jubilieren. Die Natur ist ihm nicht (u. damit berührt er sich wiederum mit H. Brockes) ein Gegensatz zum Göttlichen, sondern ein bestätigender Zusatz zum Göttlichen; sie ist kein Widerspruch, sondern ein Zuspruch, denn durch sie (u. durch sie hindurch) spricht Gott zu Menschenherzen. Und auch das Volkswürdige, das ihm mehr bedeutet als das Volkstümliche, ist ihm wertvoll „aufgehoben" nur im Gotteswürdigen. Nicht zwar in dem Sinne, wie etwa J. Grimm das Schöpferische des „Volksgeistes" u. d. Volksseele mit der schöpferischen Gottesgabe ineinszubilden trachtet, aber in dem Sinne, daß er Gott dort zu bejahen bereit ist, wo er das Volkstümliche 44 M a r k w a r d t . Poetik Π Ι

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nicht zu verneinen gezwungen ist. Das Schöpfertum in Gott mit seinem ewigwaltenden Gesetz und das Schöpfertum im Dichter beeinträchtigen sich nicht (wie ζ. T. im Barock), sondern sie können in Eintracht zusammenstimmen. Die Kunst dient Gott; sie ist Gottesdienst, weil sie schlechthin keine höhere Wertfunktion erfüllen könnte. Denn auch die gesellschaftliche Funktion der Kunst deckt sich für Eichendorff mit ihrer religiösen Mission. Ihre göttliche Gültigkeit (im Verwirklichen des Kunstgesetzes) bleibt so zuletzt doch wieder abhängig von der göttlichen Gnade. Der Kunstbegeisterte ist zugleich der Gottbegnadete. Und seine Bewahrung hängt von diesem Bewußtsein ab. Nicht das gesellschaftliche Bewußtsein, sondern das göttliche Sichbewußtwerden entscheidet. Diese Wertung verstärkt u. versteift sich (wie angedeutet) beim späten Eichendorff. Uber d. allgem. Problematik d. Verhältnisses v. Religion und Poesie (daneben auch über d. hist. u. myth. Problematik) handelt — freilich an einem Beispiel a. d. mod. franz. Dramatik — der Verf. d. Ästhetik der Dichtkunst, Systematik auf erkenntniskritischer Grundlage E r n s t G. W o l f f (vgl. S. 653) neuerdings in: Dogma, Geschichte und Mythus im neuzeitl. Drama („L'Otage" von Paul Claudel), Neujahrsblätter zum Besten d. Waisenhauses in Zürich Nr. 119 (1956); u. a. S. 4 f., 9 t., 30, 42. S. 465. Schwäbische R o m a n t i k . — Heinz O t t o Burger: Schwäbische Romantik, Studie zur Charakteristik des Uhlandkreises, Stuttgart 1928, benutzt ζ. T. ungedrucktes Material, so ζ. B. Uhlands Aufsatzentwürfe z. Poetik. Die philos. Verbindung m. d. Romantik sei hinsichtlich Schellings bes. durch Heinrich Köstlin hergestellt worden.

Verzeichnis der Begriffe, Merk- und Kennwörter (Versuch einer systematischen Gliederung) Es kann sich nur um einen Versuch handeln, weil eine „Geschichte der Poetik" nicht gut gleichzeitig ein „System der Poetik" darstellen kann. Immerhin mag dieser Versuch andeuten, daß die überwiegend chronologische Abfolge ein system. Durcharbeiten der histor. Bestände nicht ausgeschlossen, vielmehr in sich eingeschlossen hat im Sinne einer latenten Systematik. Dergestalt soll das Historische durch das Prinzipielle auch äußerlich sichtbar ergänzt werden. Gegenüber Bd. II hat der vorliegende Band streckenweise schon in der Darstellung selber die Aufgliederung besonders komplizierter Entwicklungsabschnitte (Frühromantik) nach begrifflichen Kriterien bevorzugt (vgl. S. 209—299). Dennoch wurde im Gesamt der Charakter der „Geschichte" aufrechterhalten. Wenngleich dieses Begriffregister schon aus drucktechnischen Gründen keine Vollständigkeit aufweisen kann, so möchte es andererseits etwas mehr bieten als ein bloßes Sachregister. Und vielleicht mag es über seinen praktischen Zweck hinaus eine gewisse Vorarbeit leisten für eine „Systematische Poetik". Denn ein „System der Poetik", das nicht rein deduktiv vorgehen will (vgl. Herders Abwehr einer „Ästhetik von oben") und Stützen der Induktion und Interpretation aus dem Kunstwollen heraus (werkimmanente Poetik) nicht verschmäht, würde und müßte nicht den schlechtesten Ansatz und Anhalt finden in und an einer latent systematischen „Geschichte der Poetik". Daß dem Verf. selber ein derartiger Plan vorschwebt, sei leise vorgemerkt. So auch will es verstanden sein, wenn gelegentlich ein Kennund Merkwort einbezogen worden ist, das noch nicht eine ganze Gruppe von Belegen hinter sich hat, ganz abgesehen von der erwähnten und in der entsprechenden Vorbemerkung von Bd. II (S. 660) näher umschriebenen drucktechnischen Schwierigkeit. Soweit es irgend möglich war, half I n g e S c h w e l g e n g r ä b e r durch vorbereitende Sichtung diese Schwierigkeit mit überwinden. Trotzdem wolle bitte der (jüngere!) Leser auch dieses Mal „produktive Kritik" von sich aus leisten, indem manches nur mehr anregend als abschließend verzeichnet werden konnte. Das eingeklammerte Τ weist auf das Vorkommen des Begriffswortes im Titel einer zeitgenössischen Publikation hin. Der Schlußabschnitt „Einzelbegriffe" wurde absichtlich weder alphab. noch system, geordnet, um diese Auffangsstelle für etwaigen Zuwachs „bis zum letzten Augenblick" frei beweglich zu erhalten. 44·

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VERZEICHNIS DER BEGRIFFE, MERK- UND KENNWÖRTER

S o n d e r f o r m e n der P o e t i k A l l g e m e i n e s S. 5, 7, 19, 33/34, 51, 84, 101, 106/07, (109), 128, 1 4 1 , 1 4 7 , 156, 157, 160, 198, 207, 209, 212, 221/22, 234, 240, 248, 267, 291, 299, 322, 357, 385, 387, 391, 393, 395, 400, 403, 4 1 1 , 417, 418, 435, 444. 473/74. 475. 514. 528. 531, 548. 549, 631, 632. A n w e i s u n g s p o e t i k S. 68, 196, 240, 400. W i r k u n g s p o e t i k (u. Auflockerungsästhetik) S. 2, 3, 27, 28, 29, 41, 58, i o x , 102, 130, 158, 230, 236, 264, 266, 271, (272), 289, 304. 317. (319). 377. 531. 673· S c h ö p f u n g s p o e t i k (u. Organismusästhetik) S. 4, 16, 28, 53, 58, (77), 101, 106, 191, 311, 315, 324, 361, 460, 544, (590). „ B i l d u n g s " - P o e t i k (u. Ausgleichsästhetik) S. 1, 25, 29, 53, 57, 58, 60, 90, 101, 108, 109, 140, 141, 172, 293, 399, 455. P o e t i k a l s L i t e r a t u r p h i l o s o p h i e S. 1 1 , 16, 26, 51, 109, (138), 141, (157), (193), 197, 198, 200, 202, 207, 208, 210, 215, 218, 2 1 9 , 242, 2 5 1 , 260, 279, 291/92, 294, 299, 306, 307, 3 1 1 , 3 1 7 , 322, 371, 396, 401, u. ö „ 532, 534, 560, 562, 584, 608, 644,

671. A n g e w a n d t e P o e t i k S. 118, 227, 321, 322, 379, 389, 396, 401, 415, 416, 420, 447, 532. I m K u n s t w e r k f o r m u l i e r t e P o e t i k (Kunstgespräche, Gedichte usw.)*) S. 98, (107), 109f., 112/13, 1 8 1 , 1 8 6 , (188/99), 208/09, 216, 235, 304, 306, 337—340, 420, 427—430, 433, 434- 438/39. 453—459- 461/62, 466, 473, 595, 596, 606, 664. A p h o r i s m e n - P o e t i k ( i n Aphorismenformu.Fragmenten) S.208, 209, 210, 212, 213 (T), 215, 216, 217, 218, 328 (T), 336 (T), 400, 545. 547. 595. 600. W e r k i m m a n e n t e P o e t i k S. 26, 3 9 , 1 0 7 , 1 3 6 , 1 8 5 , 1 8 7 , 235, 237, 261, 268, 270, 273,280, 316, 327, 350,359/60, 369,370—374. 376, 378, 379. 389. 394. 401, 4°3> 410, 424. 432. (433). 445. 456, 461, 468, 488, 504f., 508, 5 1 1 , 513, 514, 521 f., 528, 529/30/31, 536, 543, 548f., 549, 559, 572f., 574, 578, 580, 583. 584. 589. 595 f ·. 596. 603, 606, 611 f., 616, 620f., 623, 625, 629, 637ff., 641, 646, 654, 658^, 669f., 673,676, 677f., 684, 685 f., 689. V o r b i l d p o e t i k (Muster, Vorbilder, Gewährsmänner) S. 107, (181), .183, 194, 214, 234, 239, 270, 317, 322, 327, 335, 387, 389. 392. 396, 422. 435. 444. 447. 462, 463. 465. 488, 554. 559. 564. 580, 595. 599. 615. 627, 637, 651, 667, 668, 675. *) Der Oberbegriff: Typus, Anlage- u. Äußerungsform d. P. (Bd. I, II) konnte entbehrt werden, da die Arten festliegen; doch sei angesichts der Romantik wenigstens die Poetik in aphorist. Fassung berücksichtigt.

VERZEICHNIS DER BEGRIFFE, MERK- UND KENNWÖRTER

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P r o g r a m m - P o e t i k , L i t e r . P r o g r a m m a t i k S. 6, 63, 83, 198, 200, 214, (245), 248, 276, 277, 279, 299, 322, 323, 325, 327, 335. 342, 444. 445. 446. 449. 637. 670, 678, 688. P o e t i k a l s S e l b s t r e c h t f e r t i g u n g (u. Selbstkritik) S. 52, 179, 180, 181, 182, 223, 339, 340/41, 345, (346), 348, 357, 393, 404, 411, 417, 419, 420, (454), 457, 466, 475, 545, 611, 652, 653. „ P o e t i k " i n T i t e l u n d Z i t a t S. 7, 23 (T), 100 (T), 217, 248, 261, 385 (T), 396. R ü c k g r i f f a u f die f r ü h e r e G e s c h i c h t e d e r P o e t i k S. i f . , 6, 7, 18, 28, 30, 47, 50, 74, 76, 82, 87/88, 100, 104, i n , 117, 121, 122, 124, 125, 128, 131 u. ö., 190, 229, 242, 264, 266, 284/85, 289, 291, 296,304,311,314,318, (319), 324—326, 347, 377. 388. 391. 399. 406, 407, 424. 633. 664. Rückgriffe auf frühere und Vorgriffe auf spätere Epochen (Entwicklungszusammenhänge u. Entwicklungsansätze) D a s E p o c h e n - V e r h ä l t n i s (u. Problematik der Epochen-Zuordnung) S. 5/6, 19, 29/30, 192, 258, 264, (267), 291, 367, 368, 369, 372, 378, 381, 391, 393, 447, 468, 474, 475/76. 543. 554. 637. 639. (656), 676, 689. R ü c k g r i f f auf die B a r o c k z e i t u n d die „ g a l a n t - k u r i ö s e " E p o c h e S. 51, 104, 190, 220, 229, 240, 242, 291, 443, 481, 614, 629, 662, 671, 678, 679, 690. R ü c k g r i f f a u f d i e A u f k l ä r u n g S. 1 — 3 , 19, 27, 29, 35, 36, 41, 47, 48, 51, 52, 57, 88, 99, 102, 109, 110, 121, 125, 128, 130, 132, 135, 140, 141, 158, 164, 169, 172, 188, 190, 201, 211, 217, 230, 235, 236, 241, 264/65, 268, 270,271, 287, 303/304, 324, 326, 337, 353, 354, 393, 419, 422, 490, 505, 515, 516, 518—520, 5 6 1 , 564, 565, 570, 5 7 3 , 5 7 5 , 576, 578, 579, 588,

589, 597, 610, 618, 619, 637, 642, 648, 656, 657, 658, 682, 689. R ü c k g r i f f a u f die R o k o k o z e i t S. 4, 5, 27, 29,62, i n , 131,162, 219, 238, 241, (270), 297, 298, 406, 417, 421, 424, 489, 505, 569. 573. 579- 664. R ü c k g r i f f a u f d e n S t u r m u n d D r a n g S. 20, 29, 47, 48, 51, 58, 63, 64, 72, 74, (87), 9 4 , 1 0 1 , 1 0 7 , 1 1 0 , 1 2 0 , 1 4 8 , 1 5 2 , 1 6 2 , 1 6 3 , 165, 169, 172, 173, 178, 199, 206, 209, 210, 213, 218, 220, 222, 228, 231, 240, 268, 273, 283, 287, 291, 305, 323—325,

326, 336, 339, 341, 343, 350, 351, 354, 377, 391, 393, 395, 411, 413, 419, 422, 474, 489, 508, 511, 525, 563, 569, 571, 588, 622, 655, 664, 682.

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VERZEICHNIS DER BEGRIFFE, MERK- UND KENNWÖRTER

V o r g r i f f a u f die R o m a n t i k S. 7, 9, 27, 29, 57, 58, 59, 68, 78, 104, 107, 109, 1 4 3 , 1 4 4 , 1 4 5 , 147, 155, 158,168,177/78, 180, 183, 197, 489, 509, 543. R ü c k g r i f f a u f die K l a s s i k S. 198, 199, 205, 206, 213, 216, 218, 222, 226, 228, 250, 258, 268, 272, 281, 283, 286, 291, 293, 304, 310, 315, 317, 319, 324, 346, 353, 357, 378, 381, 393/94, 397. 398/99. 404, 419. 422.443.447.449.465.473.474—476, 547, 5 6 3/64, 567. 568, 569, 571. 573, 576, 578, 581, 584, 586, 595, 598, 599. 602, 608, 626, 637, 639, 640, 678, 682, 689. V o r g r i f f a u f die B i e d e r m e i e r z e i t (Wegsuchen zwischen Nachklassik u. Nachromantik) S. 420, 421, 422, 465, 469, 474, 476. V o r g r i f f a u f das „ J u n g e D e u t s c h l a n d " , den M ü n c h e n e r D i c h t e r k r e i s u. a. S. 5 1 , 1 2 0 , 1 4 2 , 3 1 3 , 343, 390, 391, 463, 475/76. V o r g r i f f a u f den R e a l i s m u s (u. Ansätze) S. 1 4 1 , 259, 267, 320, 322, 326/27, 3 3 1 , 372, 373, 388, 420, 434, 435, 463, 476. 489. 495, 504, 529/30, (531), 576, 577, 59 1 · 600, 611, 621/22, 627, 6 34/35. 637, 643. 672, 678, 679. V o r g r i f f a u f den E x p r e s s i o n i s m u s (u. weitere Richtungen) S. 51. 359/60, 37 2 . 460, 475. 49 1 . 545. 564, 574. 600, 605, 608, 614, 645/46, 655, 672, (675), 682. Nation und Dichtkunst A l l g e m e i n e s S. (4), 17, 33, 39, (64), 65t., 7 6 , 1 7 1 , 1 7 2 , 1 7 8 , (179), 180, 1 8 1 , 217, 234, 281—291, 323/24, 327, 336, 337, 343, 353/54, 361, 371. (384), 391. 420/21, (465/66), 470, 492, 517, 524. 537, 554, 556, 581, 583. 584, 587, 588, 589. 599. 610, 612, 613, 614, 615, 618, 638, 640/41, 684. N a t i o n und M e n s c h h e i t (u. Ausweitung auf andere Nationen) S. 66, 119, 120, (286), 344, 356/57, (361), 517, 522/23, 587. A u s p r ä g u n g und A b h e b u n g des N a t i o n a l c h a r a k t e r s S. 32/33, 39- 65, 66, 67, 1 7 1 , 172, 178, 179, (180), 217, 281—291, 283, 289, 323, 336, 337, 343, 391, 420, 421, (492, 538), 549. 570, 584. 588, 614, 615, 637, 684. N a t i o n a l e O r i g i n a l i t ä t (u. ihre Problematik) S. 32, 120, (171), 178, 179, 180, (181), 217, 282, 327, 337, 587. N a t i o n a l g e f ü h l und V a t e r l a n d s l i e b e S. 33, 68, 1 1 9 , 1 7 1 , 178, (179), 180, 1 8 1 , 217, (281—291), 286, 288, 323/24, 327, 336, 337, 343. 371, 470. (517), 5 2 2 / 2 3> 5*4, 549, 556, 557/58, 588, 613, 630, 637, 638, 684. D a s V e r h ä l t n i s von N a t i o n und H i s t o r i e S. 353, 355, (470), 522/23, 524, 583, 610, 618.

VERZEICHNIS DER B E G R I F F E , M E R K - UND KENNWÖRTER

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D a s V e r h ä l t n i s v o n N a t i o n u n d M y t h o l o g i e S. 253, 255, 290, 3 1 1 , 356, 357, 3 9 1 , 613, 678.

„ N a t i o n a l p o e s i e " (u. Abhebung von „Volkspoesie") S. 178, 283. 346, 353. 356, 365. 366, 470, 4 7 1 , 610, 6 1 5 , 616, 640, 644.

K u l t u r p a t r i o t i s c h e L e i t i d e e S. 171/72, 28if., 336, 337, 342, 343. 350. 587. 618. Volk und Dichtkunst A l l g e m e i n e s S. 7, 64, 65, 66ff., 1 1 9 — 1 2 2 , 3 5 1 , 3 5 7 , 5 1 1 , 5 2 2 , 524, 5 3 1 , 584, 587, 610, 618/19, 686, 689.

Volk u n d N a t i o n (Vermischung und Abhebung) S. 353, 5 1 1 , 524, 5 3 1 , 584.

V o l k s d i c h t u n g a l s V o r b i l d (u. Maßstab) S. 119, 322, 323, 335, 343- 344- 358, 610, 613.

„ V o l k s g e i s t " u n d „ V o l k s s e e l e " (u. Volksgemüt als schöpferische Werte) S. 255, 295, 296, 323, 337, (344), 351, 356, 358, 366/67, 584, 610/11, 625/26, 689.

Das Verhältnis von Volkspoesie, N a t u r p o e s i e u n d K u n s t p o e s i e S. 65, 66, 1 7 1 , (201), 202, (255), 338, 342, 343, 346,

352, 355. 361. 362, 363/64. 365. 455. 463. 471. 472, 613,

625/26, 686.

S o n d e r f o r m e n d e r V o l k s p o e s i e (Volkslied, Ballade, Volksbuch, Volksepos, Volksstück) S. 64, 65, 66, 67 (T), 287, 322, 323 (T), 325, 335/36 (T), 337, 338, 342 (T), 346/47, 349, 350, 351. 352, 354- 356, 358, 465 (T), 470, 471 (T). 572. 610, 619, 620, 622, 623, 626, 639.

U r s p r ü n g l i c h k e i t d e r V o l k s p o e s i e (genetische Wesens- und Wertbestimmung) S. (4), 65, 66, 343—345. 352, 354, 357, 361, 366, (588), 610, 618/19.

D a s V o l k s t ü m l i c h e u n d V o l k s w ü r d i g e S. 4 , 1 1 9 / 2 0 , 1 7 1 , 1 7 8 , 201, 255, 286, 288/89, 324. 327. 343. 349. 352, 357. 522, 584. 590, 610, 612, 615, 6 1 7 , 618/19, 620.

V o l k s g l a u b e u n d V o l k s a b e r g l a u b e S. 67, 87, (202), 252, 354, 472, 614, 617, 623.

V o l k s m y t h o l o g i e , V o l k s s a g e , V o l k s m ä r c h e n (u. Kunstmärchen) S. 7, 64, 67, 68, 69, 1 8 1 , 201/02, 252, 287, 322, 323 (T), (325), 344, 351 (T)—355, 356, 357, 361/62, 366, 430, (472), 506, 615, 639, 666.

P r o b l e m a t i k d e r V o l k s p o e s i e (u. Kritik) S. 119/20, 122, 288, 327. 345. 346. V o l k s k u n s t u n d V o l k s k u n d e (volkskundl. Elemente) S. 201, 323. (336), 345. 363. 471. 610, 615, 623. V o l k s k u n s t u n d H e i m a t k u n s t S. 327, 460, 465, 467, 687.

696

VERZEICHNIS DER B E G R I F F E , M E R K - UND KENNWÖRTER

Volkskunst als Traditionsträger (Dauerwert) S. 68, 286, »88. 336. 343. 344. 355. 35 6 . 47*· Geschichte und Dichtkunst

Allgemeines S. 67, 86, 94, 112, 1 1 5 , (138), 1 4 2 , 1 5 0 (T), 1 5 8 , 1 6 1 , 1 6 8 , 206, 2 5 2 , 253, 255, 279, 283—285, 288, (289), 322/23, 333/34. 345. 346, 347/48. 349. 351 (T), 353—359. 3 6 3 — 3 6 6 , 4 3 9 , 448, 4 6 5 , 4 6 7 , 470, 4 7 1 , 5 1 5 (T), 5 1 6 , 521—529, 5 3 8 , 5 5 4 , 5 5 8 , 5 6 1 , 5 6 4 , 590/91, 6 0 4 , 6 0 8 , 609,

6 1 2 , 613/14, (616), 6 1 7 , 619, 620—623, 640. Dichtung und Datentreue (Kunstwahrheit u. Geschichtswirklichkeit) S. 67, 86, 1 1 2 , 1 1 7 , 1 5 8 , 266, 347/48, 349, 3 5 1 , 354/55. 448, 461. 47°. 59 0 /9i. 6 i 9 · Geschichte und Vorgeschichte S. 66, 67, 1 8 4 , 204, (289), 3 5 1 — 3 5 9 . 5 1 5 (T). 6 1 3 . Kulturgeschichte, Kulturphilosophie und Literaturgeschichte (Kunstgeschichte) S. (18), 1 9 , 32/33. 4i/4 2 - 43. (60), 6 1 , 63, 65, 66, 67, 7 3 , 74. (83). 88 (T), 96, 98/99, 1 0 3 , i n , 1 1 3 , 1 3 3 , 1 3 6 , 1 3 8 , 1 4 1 , 1 5 0 (T), 1 5 1 , 155 (T), 1 5 7 , 1 6 0 , 1 6 2 , (170), 1 7 9 (T), 190, 2 1 4 , 2 1 5 (T), 2 1 6 , (220, 224), 234, 238, 267/68, 270, 280 (T), 281/82, 284, 288, 291, 320, 323, 335. 336, (342). 345. 349- (350), 352 (T), 353. 403. 419. 420, 4 2 3 , (429), 443/44. 450. 456, 470/71. 497/98. (501). 527—529. 570/71, 580, 582, 583, 590, 5 9 1 , 602, 603, 605, 609, 610, 622, 623, (624), 656, 658, 683, 685, 686, (688). Nationalgeschichte und Universalgeschichte (Geschichte der „Menschheit") S. 3 3 , 168, 2 1 7 , 245, 253, 255, 287, 290, (320/21), 5 1 5 (T), 583, 610, 618, 627, 637, 640. Geschichte im Reflex der Dichtungsgattungen (u. Dichtungsarten: Sage, Märchen, histor. Drama, Roman usw.) S. 2 2 , 24, 4 5 , (64), 66/67, 68, 86, 96, (136), 194, 2 1 7 , 266, (271), 286/87, 288, (316), 317,322, 3 3 3 , 345, 346. 3 4 7 / 4 8 , 3 4 9 . 3 5 1 (T), 352, 363, 364, 366, 3 7 1 , 392, 439, 500, 523, 613, 6 1 5 , 621, 622, 640. Bewertung des Mittelalters S. 217/18, 2 5 2 , 284, 285, 289/90, 324/25, 3 4 5 , (472), 5 8 3 , 587, 590, 5 9 1 , 620, 624, 687. Entwicklung und Ausbildung des historischen. Sinns (histor. Verstehen) S. 6 5 ! , 1 1 2 , 1 1 5 , 1 7 7 , 283, 287, 322/23, 345. 349. 388, 470, 522. 569. 583. 589—59». 608—610, 6 1 3 , 621. Poesie und Politik (u. Sozialkritik, Gesellschaft) S. 17, 44, 50, 51, 59, 116, 1 1 9 , 1 4 0 , 142, 1 4 7 , 1 7 1 , 172, 246, 280, 290, 317, 325. 333/34. 336/37. (341). 342. 344. 37*. 4*7. 420/21, 454, 459. 463. 476. 483. 487. 492, 504. 506, 508/09, 510/11, 5 1 2 ,

VERZEICHNIS DER BEGRIFFE, MERK- UND KENNWÖRTER

697

516, 517, 523/527,529, 531, 537,549,558,564,567,571,600, 604, 613, 618, 634, 635f., 640f., 650, 656, 657, 663, (664), 668, 670, 683 (T), 690. G e s c h i c h t e und M y t h o l o g i e S. 67, 69, (71), 1 8 1 , 252, 253, 255, 287, 288, 3 1 1 , 362, 366, 448, 525, 549, 591, 613. H i s t o r i s c h e M o t i v e u n d C h a r a k t e r e (in Drama, Roman usw.) S. 23, 94, (136,153), 1 6 1 , 348, 439, 448, 517, 523—529, 549, 640. Religion und Dichtkunst A l l g e m e i n e s S. 9, 26, 41, 52, (56), 59. 67, 76 (T), 102, 103, 104, 1 1 7 , 169, 170, 184, 194,(T), 200/01, 203, 205, 206, 207, 209, 213, 214, (215), 216, 218, 220, 221, 225, 227, 228, 229, (230), 234 (T), 238, 242/43, 244, 248, 256, 259, 260, 273, 274—281, 279 (T), 285, 286, 290/91,294, 296, 297, 304 (T), 305,307 (T), 309. 315. 3 l 6 · 317. (321), 325. 327. (344). 354. 356, 357. 358, 359- 3 6 4 , 3 6 5 . 3 6 6 , 3 6 7 , 3 7 4 . 375. 3 8 5 . 3 8 6 (T), 3 8 7 , 388, 389, 393. 394. 400, 402, 403, 405, 415, 4 2 1 , 442, 443—448. 449.

450, 451, 456, 462, 472, 474, 489, 496 (T), 509, 512, 520 (T), 524. 531. 535. 536/37. 542. 543. 546. 550. 551. 554. 555. 556.

561, 562, 5 6 4 ! , 570, 581, 582—586, 587,588,597, 598,599, 601, 602, 603, 605, 606, 611—615, 616, 617, 620, 623, 624, 638, 642, 650, 659, 663, 665, 671, 672, 674, 675—684, 686, 687, 688, 689 (T). P o e s i e im D i e n s t e d e r R e l i g i o n (u. absoluter Führungsanspruch) S. 200/01, 203, (205), 213, (220), 221, 238, 242/43, 275, 276—278, 279, 280, 388, 389, 444, 445/46. 45°. (531). 536/37. 584. 585. 586. 606, 612/13, 615, 617, 674, 677, 678, 683, 684, 688, 690. P o e s i e im B ü n d n i s m i t d e r R e l i g i o n (u. relativer Führungsanspruch) S. 77, 169, 204, 206, 208, 248, 274, 276, 278, 280/81, 285/86, 291, 357, 444, 451, 462, 489, 509, 512, 524, 531. 605, 690. R e l i g i o n im V e r h ä l t n i s zum M y t h i s c h e n (u. Abwehr der antiken Mythologie) S. 9, 169/70, 194, 217, 256, 259, 275, 276, 277, 278, (366), (391), 448, 472, 543, 601, 602, 618, 678. R e l i g i o n im V e r h ä l t n i s zum M y s t i s c h e n S. 203, 207, 218, 228, 248, 275, 276, 277, 280, 295/96, 309, (351), 550, 551, 582, 583, 585/86, 598, 599, 600, 601, 602, 604, 616, 640, 672, 681. D i e W e i t e des W u n d e r s u n d d a s W u n d e r d e r W e i t e (die Wirklichkeit des Wunders u. das Wunder der Wirklichkeit) S . 7 8 , 196199t,

203, 2 1 0 , 226, 227, 242, 247, 250, 268, 275,

277, 278, 279/80, 294, 316, 3 2 1 , 325, 327, (333), 354, 356,

698

VERZEICHNIS DER BEGRIFFE, MERK- UND KENNWÖRTER

375. 379. 421.437,442, 450,451, 459,461, 472, 509, 598/99. 601, 604, 612, 613, 614, 624, 640, 663, 679/80, 688, 689.

D a s W u n d e r b a r e (im religiösen Sinne) S. (29), 203, 209, 226/27, 268, 269, (272), 273, (274), 354,598,612,614,617, (652), 680. D a s T r a n s z e n d e n t e (u. im Verhältnis zum Transzendentalen) S. 200, 204, 218, 223, 240, 297, 451, 456, 461, 509, 536, 583. R e l i g i ö s e D e u t u n g d e s U n e n d l i c h e n (u. das „Ewige") S. (147,155), 198, 225, 242, 244, (247), 250,260, 309, 374/75, 379. 405. (408/09), 454, 482, 566, 580, 594, 599, 613, 683, (vgl. auch: Die Weite des Wunders . . . ) . R e l i g i o s i t ä t im V e r h ä l t n i s z u r H u m a n i t ä t (der Gott u. „die Götter") S. 71, 103/04, (112 T), 185, 275, 276, 386. 402, 443f-, 447. 45°. 453/54. 474. 5°9. (520 T), 5 5 1 , 5 5 6 , 597/98, 679, 684.

D a s T r a n s p o n i e r e n d e r T r a n s z e n d e n z (Umsetzung religiöser in poetische Vorstellungen u. umgekehrt) S. 1 (T), 4, 9, 20, (22, 23), 52, 76, 81,113,180/81,184,186,187,189,195, 200, 228, 259, 275, 297, 305, 309, 321, 357, 366, (367), 385, 400, 401, 402, 509, (536), 554, 585, 597, 598, 602, 612, 663, 681, 683, 689. D a s „ G ö t t l i c h e " (Transponierung u. Säkularisierung) S. 144, 186, 237, 242, 243, 275, 321, 364, 365, 525 (T), 550, 553, 598, 618 (T), 660, 664. Ä s t h e t i s c h e U m d e u t u n g d e s „ U n e n d l i c h e n " (Transponierung u. Säkularisierung) S. 145, 154, 155, 197, 198, 209, 247, 250, 263, 275, 314, 408/09, 454, 473, 482. D i e S c h ö p f e r v o r s t e l l u n g in R e l i g i o n u n d K u n s t (Verhältnis von religiös, u. ästhet. Schöpfervorstellung) S. 26, 55/56, 180, 200, 204, 220, 228, 230, 234, 238, 242, 277, (305), 375, (402), 411, 415, 462, 472, 546, 642, 664, 671, 690. P r o p h e t e n t u m , P r i e s t e r t u m u n d S e h e r t u m S. 180, (227), 228, 300, 301, 348, (374), 553, 554, 558, 591, 680, 681. Ü b e r g ä n g e z u r E r b a u u n g s d i c h t u n g (Legende, relig. Epos, Gnaden- u. Erlösungsdrama usw.) S. 279, 316, 350, 359, 392, 446, 448, 466, 586, 611, 612—616, 618, 624, 664, 673, 677, 678, 682, 683. V e r g o t t u n g u n d V e r g ö t z u n g S. 170, 179, (215), 221, 242, (243). 366, (394). 415. 528, 553. 555. 556, 579. 584, 5 8 5·

P a n t h e i s m u s S. 76, 252, 275, 321, 332, 390, 497, 553. P i e t i s m u s S. 52, 304, 555. R e l i g i ö s e I m p u l s e d e s „ M i t t e l a l t e r " - I d e a l s S. (208), 217, 218, 220, 285, 290, 325, (583). G ö t t l i c h e r , h i m m l i s c h e r U r s p r u n g d e r S p r a c h e (u. d. Poesie) S. 203, 364/65, 366, 564.

VERZEICHNIS DER BEGRIFFE, MERK- UND KENNWÖRTER

699

Philosophie und Dichtkunst A l l g e m e i n e s S. i , 7, 8, 10, n , 12, 15, 16, 18, 19, 21, 25, 26, 32, (43), 47 (T), 48, 52, 54, 73, 79, 81, 86, 102, i n , 112, (113), 114 (T), 115, 1 1 7 , 1 1 8 , 1 1 9 , 1 2 3 — 1 2 5 , 1 2 6 f „ 132—136, (138), 141, 165, 166, 169, (173), 174—176, 178. (179). i 8 2 < (184). 186, 187, 188, 194, (197), 198, 200, 205, 207, 209, 210 (T), 213/14, 215, 219, 222, 223, (227), 228, 229, 231/32, 233, 235/36, (241),242, 243 (T),244,245, 246—249,251/52,254/55, 258, 259, 266, 275, 276, 277, 279, 296, 298, 301, 302, 306, 307 (T)—318,319,321,326,328,329,332,334/35,340,369. 37of., 385/86,402, (406), (409), 414,416,424,426, (445—451), 453. 474. 490, 494. 495/96- 497. 509. 5™, 5 1 1 / " . 5*4. 5*5. 516/17, 521, 5 2 5 ! , 536, 537, 538, 540—542, 544. 550—557, 561, 562, 565, 584, 594, 605, 608, 623, 624, 628, 629, 632, 638, 649, 659, 661, 663, 665. P o e s i e i m D i e n s t e d e r P h i l o s o p h i e (u. Primat, Vorrang der Philosophie) S. 165, 166, 200, (204), 205, 219, (222), 233, 244, 252, (254), 275, 296, (326). P o e s i e i m B ü n d n i s m i t d e r P h i l o s o p h i e (u. Identitätsvorstellung) S. 8, 10, 12, 16, 24, 59, 79, 137, 148/49, 166/67, 178, 186, 193, 194, 198, 200, (205), 210, 213, 223, 228, 229, 230, 232, 237, 245, 246, 247, 251, 258, 259, 275, 276, 279, 302, 306, 307, 310, 314, 318, 321, 334/35, 414. 426, 550/51. 553. 554. 556. 557. 562, 581. 595. 59^. 649. Poesie im W i d e r s t r e i t und W e t t s t r e i t mit der P h i l o s o p h i e (u. Abwehr) S. 1 0 , 1 1 , 182, (186), 209/10, 211, 219, " 5 . (247). 248/49, 251, 259. (272). (276), 279, 296, 306, 323, 326, 340, 455, 510, 521, 536, (547), 553, 557, 610. P h i l o s o p h i e a l s S p r o ß f o r m d e r P o e s i e (Primat der Poesie) S. 178, 242, 308, 311, (319), (322), 451. Ä s t h e t i k u n d „ ä s t h e t i s c h " (bzw. Kunstanschauung) S. 2, 7, 8 (T), 13, 18, 26, (27), 28, 29, 35, 36/37, 40, 41, 42, 43, 47, 48. 51. 52. 53. 55. 59. 60, 73, 74, 77, 84, 86 (T), 94, 95.101. 102/03, 106, 107, i n , 114 (T), 115 (T), 116, 117, 118/19, 120, 123—125, i26f., 134,136—140,141—143.151.153 (T), 157, 158, 161, i68f., 174—176,183, 200, 206, 207, 218, 219, 229, 232, 239 (T), 243/44, 247, 248, 251, 279, 306, 307/08, 309, 310/11, 318—321, 328, 377, 383f., 390 (T), 391,394 (T), 395 (T), 395/96. 397. 414. 415. 444. 449. 458. 483. 484. 486, 489.490,499.514.516.519 (T). 521,529.531. 532, 534. 536, 537. 538, 561, 562, 569, 600, 607, 608, 609, 612, 632, 633, 634, 635. 638, 651 (T), 652, 657, 665 (T), 677, 685.

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VERZEICHNIS DER BEGRIFFE, MERK- UND KENNWÖRTER

D a s ä s t h e t i s c h e „ V e r g n ü g e n " S. 40, 50, 51, 115 (T), 116, 418, 482, 515, 517. D a s i n t e r e s s e l o s e W o h l g e f a l l e n S. 28, 40, 51, 55, 86, 113, 123/24,125,139,174, 200, 235, 237, 244, 298, 306, 386, 489, 578· V e r h ä l t n i s v o n Ä s t h e t i k u n d E t h i k S. 32, 55, 65, 85/86,110, in,

1 1 3 , 1 1 4 , 1 1 6 , 1 2 0 , 1 2 3 , 1 2 5 , 127, 1 2 9 , 1 3 5 — 1 3 9 , 1 4 1 ,

143, 145, 170, 175/7 6 . 200, (276), 304, 311, 386, 389, 401, 4 1 5 . 449- 5 0 3 . 5 1 6 , 5 1 7 , 5 1 9 , 524/25, 531, 5 3 7 , 6 3 8 , 6 5 7 .

V e r h ä l t n i s v o n P o e s i e u n d E t h i k (Sitte u. Sittlichkeit, das „Moralische") S. 23, 24, 25, 55, 8 6 , 1 0 2 , 1 0 3 , 1 1 0 , 1 1 3 , (114), 115/16, 1 1 7 , 127, 1 3 2 — 1 3 6 , 1 4 5 , 1 6 9 , 1 7 0 , 212, 279 (T), 304, 3 1 6 u . ö „ 4 0 1 , 408, 4 4 9 , 4 8 9 , 5 1 8 ( T ) , 5 1 9 , 5 2 2 , 523/24, 5 3 1 ,

597, (613), 623, 630, 638, 670, 677, 678, 684. P s y c h o l o g i e (das Psychologische) S. 17, 19, 47, 48, 73, 328 (T), 373. 383. 387. 444. 474. 5°7/°®. 59> 5 " . 526, 534. 594. 608, 632 (T), (639), (641), 655. K u n s t e r z i e h u n g u n d K u l t u r e r z i e h u n g (pädag. Elemente, Erziehungsoptimismus bzw. Erziehungsskeptizismus) S. 2, 4. 32< 33. 34. 42. 48, 56, 59. 62. 99. Ι « 2 , (110), 113, 119 136 (T)—140, 141, 1 4 2 , 1 4 3 , 1 6 7 , 1 6 8 , 169, 234, 283, 288/89,

303. 329. 333. (336). 401. 455. 490. 516, 528, 593, 626, 670. T r a n s z e n d e n t a l p h i l o s o p h i e (u. das Transzendentale) S. 198, 200, 207, 219, 220, 223, 240, 244, 245, 247, 248, 251, 252, 2 5 9 , 2 7 5 , 2 9 7 , 300, 302, 307/08, 3 1 0 , 3 2 6 , 3 6 1 , 3 8 9 , 3 9 4 , 5 6 1 ,

583· I d e a l i s m u s (Naturidealismus, Vernunftidealismus, Willensidealismus usw.) S. 3, 8, 11, 12, 26, (32), 87, 112, 130, 142, 166, 210 (T), 220, 222, 243, 247, 252, 259, 261, 275,300, 307 (T)f„ 314/15, 328, (332), 394, 402 u. ö., 496, 516, 529, 530, 535, 542, 550, 584, 627, 633, 663. V e r h ä l t n i s v o n I d e e u n d I d e a l S. 10, 14, 15, 22, 35, 38, 39, 48. 73. 9°. 121, 134 (T), 137, 145, 146, 149, 154, 166, 167, 171, 254, 268, 321, 330, 331/32 u. ö., 386, 387, 389, 519, 522, 523, 526, 531, 536, 538, 554. R a t i o n a l i s m u s (u. rational) S. 8, 25, 39, 79, 122, 174, 188, 196, 197, 204, 211, 220, 236, 253, 254, 293, 361, 394, 547, 564, 581. 595. 657, 659· V e r n u n f t - B e g r i f f (u. Verstand) S. 3, 123 (T), 126, 127, 132, 133,164, 224, 237, 301, 374, 390, 490, 519, 520 (T), 522, 593, 604, 627, 628 (T), 641, 647, 648/49, 660, 661, 672, 674. I r r a t i o n a l i s m u s (u. irrational) S. 9, 25, 197, 253, 293, 332, 361, 561, 565, 657, 659.

VERZEICHNIS DER BEGRIFFE, MERK- UND KENNWÖRTER

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E m p i r i s m u s (u. empirisch) S. 74, 174, 175, (235), 236, 309, 328, 329. 331. 332, 385. 387. (396), 521. 557. 563· V e r h ä l t n i s von S u b j e k t und Objekt (Subjektivität u. Objektivität) S. I i , 15, 23, 24, 35, 53, 54, 83, 95, 123/24, 126, 129/30, 137, 155, 156, 157, 159, 168, 205/06, 215, (260), 307/08, 309, 312, 314, 340, 347, 359, (403), 408, (410), 503, 523. 527. 529. 533, 535. 6 *9. 673. 685. Naturphilosophie (vgl. Natur und Dichtkunst); S p r a c h philosophie (vgl. Sprache und Dichtkunst); L i t e r a t u r p h i l o sophie (vgl. Sonderformen der Poetik); P a n t h e i s m u s (vgl. Religion und Dichtkunst); Geist und „ G e i s t i g k e i t " (vgl. Wesen der Poesie); Wahrheit und das Wahre (vgl. Haltung und Gestaltung). Natur und Dichtkunst Allgemeines S. 2/3,13, 16, 19, 20, 50, 54, 55, 56, 58, 59, (61), 63, 65, 66, 71—75,82 (T), 83, 86, 87, 88, 89, 90—95,110,112/13, 117, 122/23, 125, 128/29, 138, 143, 144, 145, 152 (T), 154, 158,164,184, 215 (T), 216, 217 (T), 234, 242, 260, 261, 263, 264, 266, 267, 280, 302/03, 312, 329, 330, 331, 3391, 344/45. 354/55. 361—363. 364. 366, 376.386,390,403/04.451,455/56. 461/62,472—474,491,495,510/11,513, 516, 517, 518/19, 535, 549, 554. 556, 558, 582. 601, 604, 6 1 1 , 674, 686, 687, 689. Naturphilosophie S. 2, 152, (158), 177, 184, 202, (216), 231/32, 259, 264, 266, 296/97, 308/09, 3 1 1 , 3 2 9 : 3 3 1 , (473), 485, 490,

495. 498,509. 5 1 0 · 511/12, (516), 535. 553, 561, 564,600, 601. N a t u r im V e r h ä l t n i s zu anderen Wertbezirken (Kultur, Ethik usw.) S. 61, 64, 75 u. ö., 138, 145, 215, 216, 341, 342, 343, 344· N a t u r w i s s e n s c h a f t und Biologie S. 22, 23, 24, 54, 7 1 — 7 5 , 77, 85, 87, 89, 103, 104, 106, 107, (267), 268, 296, 297, 328, 329, 3 3 1 , 490, 494, 498, 505, 507, 509, 5 1 0 / n , 5 1 2 , 5 1 7 , 5 2 1 ,

534, 537. 563. 564. 601, 603, (604), 606, 619, 674. „ N a c h t s e i t e n " der N a t u r w i s s e n s c h a f t e n (Galvanismus, Magnetismus usw.) S. 202, 253, 260, 262, 278, 374, (434), 467, 687. Organismusgedanke (u. das Organische) S. 4, 9, 10, 16, (18), 50,54. 58,63,72,73,74,76,78, 85,89,99,105—107,152 (T), 168,169, 191, 226, 296, 300/01, 305, 353, 377, 397, 405, 455, 463, 4 8 1 , 490, 494, 505/06, 5 1 0 , 5 4 1 , 674 u. ö.

E n t w i c k l u n g s g e d a n k e (u. Morphologie) S. 2, 4, 10, 54, 65, 66, 73. 77. ( " 3 ) , 177. (207), 346, 352. 377. 488, 489. 490, 510/11, 525, 557, 610.

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VERZEICHNIS DER BEGRIFFE, MERK- UND KENNWÖRTER

D a s L e b e n u n d „ L e b e n d e " (Lebendige) S. 5, 1 0 , 1 1 , 1 7 , 18, 21, 24,47 (T), 58. 65, 68, (71), 72, (73), 75, (76), 78, 80,146,148, 184, 185, 266, 268, 332, 336, 340, 354, 355, 381, 391, 396, 403, 405, (410, 415), 426, (428), 429, 433, 445, 452, 455, (459), 464, 490, 510, 523, 525, 531, 537, 545, 558, 611. D a s G e s u n d e u n d „ R ü s t i g e " S. 110, 128, 139, 144, (151), 333, 343. 345. 437. 492. 631. 674· Naturnachahmung und Wahrscheinlichkeitsprinzip (Lockerung u. Überwindung) S. 19, 27, 50, 55, (60), 69, 82 (T), 85 (T), 87, 88, 89, 90 (T), 91, 92f„ 105,158, 2x8, 230, 259, 260, 263, 264, 265, 266, 268, 302/03, 308/09, 354, 381, 386, 403, 404, 407, 456, 474, 581/82.

S c h r o f f e A b w e h r u n d U m k e h r u n g d e r M i m e s i s l e h r e S. 27, 88, 89, 90, 242, 264, 265/66, 268, 308/09, 403/04, 474.

N a t u r n a c h e i f e r u n g s t a t t N a t u r n a c h a h m u n g S. 55/56, 89, 264, 265, (339). „ N a t u r p o e s i e " (durchweg synonym mit Volksdichtung u. abgehoben von Kunstdichtung) S. 66, 202, 234, 338, 339, (342), 343. 344. 345. (346). 352, 354. 355. 356. 361, 362, 363—365. 366. 455. 463. 472. 582, 625, 626. N a t u r h a f t i g k e i t und P o e s i e h a l t i g k e i t der „ w i r k e n d e n " N a t u r (naturimmanente Poesie u. poesieimmanente Natur) S. 3. 59. (83)-85. 105, 110,152, 200, 234, 260, 261,264,266, 267, (280), 312, 331, (332), 339.341/42.344.354/55.361—363. 366, (391), 392, 451, (462), 472/73. (491). 510, 513, 519. 525. 535. 553. 555. 556. 558, 566, 631, 649, 686, 689. D a s N a i v e u n d S e n t i m e n t a l i s c h e (Natur als Gegebenes u. als „ A u f g e g e b e n e s " ) S. (4), 14, 15, 17, 143—148, 143 (T), 150, 155, 156, 158, 193, 230, 260, 318, 330, 332, 365, 402, 513.

5x4. 534 (T). 554. 555. 645, 650/51. 659, 660. V e r g e i s t i g t e u n d b e s e e l t e N a t u r (Verhältnis von Naturwahrheit u. Kunstwahrheit) S. 87, 89, 90, 92, 93, 110, 117, 121, 123, 127, 128/29, (138), 149. J 53. 154. 158, 164. 196. 204, 217 (T), 261, 263 (T), 266, 267, 302/03, 312, 329, 330, 331, 332, (341/42). 354. 386, 403/04. 456. (472/73). 491. 495. 518/19, 683. B e a c h t u n g und B e o b a c h t u n g der N a t u r als W i r k l i c h k e i t (das „Realistische", Realismus als Stilform) S. 21, 37, 87, 90, 94, 95, 161, 166, 177, 186, 259, 266, 318, 320, 330, 386, 447. 463. 531. 550. 573. 584. 598. 599. 622, 627, 630, 633, 634. 635, 639, 640, 642, 662, 672, 679, 680, 687.

VERZEICHNIS DER BEGRIFFE, MERK- UND KENNWÖRTER

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T r a n s p o n i e r e n d e r „ R e a l i t ä t " in d a s T r a n s z e n d e n t a l e b z w . T r a n s z e n d e n t e (Wirklichkeit u. „Wirklichkeit") S. 154, 200, 260,319, 321, 354, 386, 387, 389,402, (525, 531), 54a, 558, 6oi, 602, 642, 648, 650, 688, 689. Sprache und Dichtkunst (einschließl. Stil) A l l g e m e i n e s S. 6f., 16,64,130,161,164,166,174, i S f i . , 191 (T), 207, 219, 245, 247, 255, 263, 279, 293 (T), 294 (T), 330, 332, 343/44. 365/66, 377. 391. 404. 437. 513. 545/46, 555. 563/64. 603, 606. S p r a c h p h i l o s o p h i e u n d S p r a c h t h e o r i e (Sprachauffassung) S. 6—10, 16, 18, 33, 64, 130, 158, 164, 165/66, 169, 184, 187—192, 198, 203/04, 207, 245, 247, 249/50, 255/56, 279, 291—299, 293 (T), 294 (T), 319/20, 327, 330, 365/66, (377), 380, (382), 391, 439, 453, 489, 499, 533/34, 538, 544, 545, 563/64, 591, 606, 610. S p r a c h e a l s D a r s t e l l u n g s m i t t e l S. 16, 33/34,39,130,161,163, 184, i87f., 191 (T), 193, 207, 218, 245, 250, 255/56, 341, 365, 391. 5*3. 533. 539· Z e i c h e n l e h r e (das Wort als „Zeichen") S. 8, 39, 130, 188, 204, 230, 256, 261, 293, 294, 319, 376, 377, 391, 482, 493, 606. A u s d r u c k s l e h r e (das Wort als „Ausdruck") S. 63, 82, 156, 165, 187, 266, 293, 341, (374), 377, 380—382, 445, 489/90. (491). 606, 630, 632, 634. V e r h ä l t n i s v o n „ P r o s a " u n d „ P o e s i e " (auch jenseits des Sprachlichen) S. 219, 267, 343/44, 366. V e r h ä l t n i s v o n S p r a c h e u n d S p r a c h s t i l S. 25, 39, 49 (T), 130, 163, 174, 188, 190, 191 (T), 193, 214 (T), 218/19, 304. 313. 332. 343/44. (365). 373. 377. 382. 385. 390 (T). 415/16, 428, (434), 437, 441, 454/55, 465/66 (T), 471, 485, 513, 519, 538/39.545. 546, (552). 555.556,594.595.611,632,633,659. A u s d r u c k s g r e n z e n d e r S p r a c h e S. 184, 187/88, 341, 380, 513/14, 539· Bedeutungswandel und Bedeutungsschwankung der k u n s t t h e o r e t . T e r m i n i (Austausch der Termini) S. 37, 140/41, 161, 167, (208), 247, 254, 257, 260, 261/62, 302, 3°3/°4, (306), 325, 331/32, (388), 391, 611, 619, 648/49, 664. N a t u r s p r a c h e n l e h r e u n d S p r a c h m y s t i k (Sprachmagie) S. 9, 187, 203/04, 255, (258), 292, 295, 296, 297, 300, 366, 438, 439- 519· H i e r o g l y p h e u n d „ C h i f f r e " S. 9, 204, 252, 253, 258, 260, 261, 297. 594. 601.

704

VERZEICHNIS DER BEGRIFFE, MERK- UND KENNWÖRTER

Metrik, Rhythmik und Dichtkunst (u. das „Rhythmische")*) A l l g e m e i n e s S. 25, 34, 49 (T), 91, 161, 163, (183), 188, 194, 216 (T), 217 (T), 218, 294 (T), 357, 360, 375-377. (379). (392), 436, 437. 499. 505. 513. 5i8 (T), 539, 548, 549, 556, 557. 558, 559. 599. 603, 616, 653. V e r s d i c h t u n g (in Abhebung von „Prosa") S. 25, 49, 360, 436, 467, 518, 539, 556, 616, 664. S o n d e r f o r m e n d e s Metrums (Reim, Hexameter, Alexandriner, Jambus usw.) S. 25, 49, 91, 162, 357. Das Metrum a l s S t i m m u n g s t r ä g e r und A u s d r u c k s w e r t S. 25, 91, 162. D a s Metrum als g l i e d e r n d e r F o r m w e r t S. (25), 49, 218, 357, 505. 513. G e s p r o c h e n e V e r s s p r a c h e (Schauspielkunst) S. 91, 161/62. Abwehr des P r o s a k o n s t r u k t i o n s g e s e t z e s (f. d. Verssprache der Lyrik) S. 190, 546. Versrhythmus, Prosarhytmus und Kompositions„ R h y t h m u s " (u. das Rhythmische) S. (183), 188, 194, (379). 548. 549. 557. 558. 559. 603, 605, 645, 659/60. 661. Der R h y t h m u s als S t i m m u n g s t r ä g e r und A u s d r u c k s w e r t S. 34. (437). 499. 513. 603, 644. Nachbarkünste und Dichtkunst A l l g e m e i n e s S. 21, 30!, 47, 81, 98/99,114,116,156,166/67, *75. 183, 188, 200, 208, 216, 2x8 (T), 246, 247, 249, 281/82, 311, 318/19, 322, 338, 376, 378, 379, 391, 427/28, 429, 438, 441. 442, 462, 495, 498, 513, 533, 539, u. ö. 669. B i l d e n d e K u n s t S. 11, 21, 30 (T), 30—46, 47, 60, 63, 69, 72, 76, 77. 79. 80, 81, 82, 86, 87, 90, 138, 145, 155, 156, 159, 160, 161,163, 164,165, 166, 168, 172,173,178, 200, 249, 281/82, 289, 303, 310, 480, 485, 489, 490, 491, 504, 506, 512, 513, 514, 521, 587, 669, 675. P l a s t i k (u. das „Plastische") S. 20, 21, 30 (T), 31 (T), 34, 37 (T), 39. 77 (T), 81, 156, 164, 216, 218, (248), 249, 310, 440, 505, 510, 513, 514, 533, 539, 594, 599, 661. Malerei (u. „zeichnende Kunst") S. 30 (T), 31 (T), 37, 39, 40/41, 45, 47 (T), 69 (T), 200, 205, 207, 208, 212, 213, 216, 220, 282, 295. 303. 378, 381 (T), 439, 440, 441, 498, (512), 533, 534, 538. 539. 587 (T). *) Das Gebiet der Metrik wurde nur gestreift, da in ebendieser Publikationsreihe die dreibändige Deutsche Versgeschichte A n d r e a s H e u s l e r s vorliegt.

VERZEICHNIS DER B E G R I F F E , MERK- U N D KENNWÖRTER

705

Musik u n d D i c h t k u n s t S. 69, 70, 71, 177, 183, 184, 188, 200, 205, 208, 212, 213, 216, 218, 257, 293, 294, 295, 297, 310,

318, 337. 338, 346, 377. 378—380, 435—437. 438. 439. 441, 442, 533, 535, 539, 594, 603, 643/44, 661, 669.

O p e r u n d S i n g s p i e l (vgl. Dramatische Gattung) T a n z k u n s t u n d D i c h t k u n s t S. (341), 376, 379, 380. T h e a t e r u n d D i c h t k u n s t (u. Schauspielkunst) S. 48, 90, 91, 98/99, 98 (T), 102, 114, 160 (T), 160—162, 164,177, 203 (T), 217, 224, 225, (349 T), 427/28, 436, 495, 498, 501/02, 504,

518 (T), 523; das Theatralische: 506, 507, 526, 552, 574, 579, 580 (T), 596 (T), 614, 675, 685.

R e d e k u n s t u n d D i c h t k u n s t S. (68), 86, 164, 176 (T), 212, 246, 305. 332. 377 (T), 429. 538 (T). 570. 645· R a n g s t u f e d e r K ü n s t e S. 21,116, (120), 166/67,175> ( 200 > 2 °8).

216, 247, 311,318/19, 322,378. 379- 386, 391. (440,462), 533·

V e r h ä l t n i s d e r D i c h t k u n s t zu d e n a n d e r e n K ü n s t e n (vgl. Wesen der Dichtkunst: Einlagerung der Poesie i. d. anderen Künste). Wesen und Wert, Würde und Weite der Dichtkunst

W e s e n s b e s t i m m u n g d e r P o e s i e (Definitionen u. andeutende Umschreibungen) S. 13, 15, 28, 63, (64), 80, (81), 85, 104, 113, 116, 118, 121/22, 123, 130, 144, (145), 146, (149), 153,

(154). 155. 164, 165, 166, 167, 176, 177, (183), 186, 195,

202—204, 207/08, 209, 211, 212, (213), 220, 227, (234), 237, 243, 246, (247), 250, 252, 255, 256, 263, 269, (273), 274, 276, 277, 278/79, 280, (281), 288, 300, 306, 308, 318, 319, 320,

(322), 323, 329, 33°. 332, 341/42. 344. 347. 348, 349. 355. (357). 3 6 4. (365. 369). 379. 3®°. 382, 384. 386, 400, 403, 411, 415. (433). 438, 451/52, 454. 455. (458), 459. 460, 462. 463.

468, 473 (T), 492, 597, 606, 632, 683, 687.

A b w e h r e i n e r W e s e n s b e s t i m m u n g (krit. Einwände) S. (188),

2ii, 212, 278, 279, (288, 300), 366, 451, 455, 458, 459, (466), 468.

Autonomie, Eigenrecht und Eigenwert, das In-SichV o l l e n d e t e S. 16, 18, 26—28, 40, 48, 50, 53, 54, 63, 76, 84—86, (88), ioa, 110, 113, 124, 131, 139, 167, (168), 174, 236, 240/41, 243, 319, 337, 357, (386), 408, 440/41, 446, 462, 464, 476, 483, 486, 517, 580, 626, 673 u. ö.

Üb e r s p i t z u n g u n d Ü b e r w i n d u n g (bzw. A u f l o c k e r u n g ) d e s A u t o n o m i e g e d a n k e n s (vgl. romant. Ironie) S. 51, 243, 442/43, 446, 517.

A u s w e i t u n g d e s P o e s i e b e g r i f f s z u m „ P o e t i s c h e n " („Poesie der Poesie", das Dichten über die Dichtung hinaus) S. 200, 45 M a r k w a r d t , Poetik III

706

VERZEICHNIS DER BEGRIFFE, MERK- UND KENNWÖRTER

203, 206, 221, 24I, 245, 246, 247, 261, 262, 273, 279, 292, 295. 296, 303, 306, 313, 322, 326, 330, 355, 361, 362, 363, 391, 42Ο, (466, 472), 554, 562, 6l6, 617, 626, 657.

P r o g r e s s i v e U n i v e r s a l p o e s i e (Universaldichtung u. Dichtung vom Universum) S. 207, 246—250, 252, 262, 311, 391, 392, 580, 581, 599.

D a s S p i e g e l - S y m b o l (Poesie als „Spiegel") S. 69, 224, 237, 263, 278, 312, 347, 382, 394, 399, 404/05.

Poesie u n d Mythologie (Poesie als Mythologie u. Mythologie als Poesie; Mythologie allg.) S. 7, 9, (10). 65t, 169,170,181, 1 8 5 , 1 8 9 , 1 9 0 , 1 9 4 , 1 9 5 , 1 9 7 , 210, 214, 216, 218, 234, 250 (T), 250—256, 259—261, 275—278, 286f., 290, 295, 311—313, 317, 356 (T), 357, 359, 362, 366, 391, 430, 446, 448, 472, 525/26, 582, 591, 599, 640, 681.

Poe sie als B e w ä h r u n g u n d B e w a h r u n g des M e n s c h e n t u m s (Menschheit u. Menschlichkeit, Humanitätsidee) S. 5, 6/7, 14, 17, 19, 20, 25, 52, 59, 62, 63, 65, 93, 103, 113, 119/20, 1 2 2 , 1 3 3 (T), 1 4 0 , 1 5 1 , 1 5 4 , 1 6 3 , 1 6 8 , 250, 329, 337, 370, 509, 517, 522, 523, 525, 537, 544 (T), 549, 587 (T), 597, 617, 631. 638, 643, 684.

P o e s i e als B e w ä h r u n g u n d B e w a h r u n g des G e m ü t s (u. ,,Gemtits"-Begriff) S. 201, 211, 213, 260, 266, (269), 285, 286, 303—305, 323, 326, 331, 332/33, 363, 364, 365, 366/67, 368, 371, (419), 433, 437, 462, 472, 518, 519, 575, 589, 594, 596, 599, 601, 602, 626, 657, 658, 661, 662, 663, 682.

P o e s i e als B e w ä h r u n g u n d B e w a h r u n g des G e f ü h l s (u. Gefühlsbewertung, Primat des Gefühls) S. 17,132,168,184, 185, 187, (207), 340, 341, 347, 368, 369—376, 392,413, (414), 415, 468, 519, 536, 593, 599, 611, 617, 628/29, 630, 631, 635, 638, 639, 641, 643, 645, 647, 648, 649, 658, 660, 664, 682.

Poesie als B e w ä h r u n g u n d B e w a h r u n g des Geistes (u. Primat des „Geistigen") S. 3, 8/9, 12, 16, 18, 24, 27, 31, 51, 70/71, (73, 79), 89/90, 92, 93,104, (108,110), i n , (114), 1 1 5 ,

117, (119), 120,121,132, (133/34). 139. ( J 49). I 5o. 154. (164). 165, 219, 243, 294, 386, 611.

166/67, 181, 186, 188, 189, 190, 196, 204, (208), 209, 220, 221, 223, (224), 228, 2 3 i f . , 237/38, 239/40, (242), 246, 247, 249, 255, (261, 263), 264, 265, (266), 275, 284, 295, 296/97, 298, 300, 302, 304, 318/19, 323, 375/76, 391, 392, 433, 461 u. ö., 515, 518, 519, 557. 559. 597.

T y p e n b i l d u n g der D i c h t k u n s t S. 143 (T), 159, 193—195, 229—233, 248, 343f., 364/65. 368, 388, 402/03, 447, 517, 534. 654·

VERZEICHNIS DER BEGRIFFE, MERK- UND KENNWÖRTER

707

E i n l a g e r u n g d e r P o e s i e in a n d e r e W e r t b e z i r k e (Nation, Religion, Gesellschaft, Philosophie, Sprache usw.) S. 200, 206/07, 244, 246, 279, (306), 470, 537, 613, 618, 620. E i n l a g e r u n g d e r P o e s i e in die a n d e r e n K ü n s t e S. 167,173, 200, 206, 207, 208, 212, 213, 216, 246, 247, 249, 318/19, 378, 379. 380/81, 386, 391, 440, 441. D a s W e s e n d e s e c h t e n D i c h t e r t u m s (vgl. Dichterischer Schaffensvorgang; der Dichter als Träger des Schaffensvorganges). Der dichterieche Schaffens V o r g a n g (Voraussetzungen, Merkmale, Begleiterscheinungen) A l l g e m e i n e s S. 1 (T), 12/13, J 4. 19. 47. 54. 57/58. 78, 79. 80, 82, 83, 84, 88, 89, 93, 95, 102, 106, 110, 112, ϊ2ΐ, 136/37, 139, 148,152,178,186/87, J93> *96- 209, 245, 269, 283, 302, 308, 312, 331, 340, 346/47, 380, 381 (T), 386, 391, 395, 402/03, 412, 414/15. 429. (432). 433. 435. 43 8 · 44°. 443. 454. 4 5 5 - 4 5 8 . 461. 492. 531. 543. 547. 552. 596. 609, 612, 619, 631/32, 633, 637, 639, 645, 688. B e g a b u n g u n d A n l a g e („Dichtungsvermögen", Scheinbegabung u. Fehlanlage) S. 54, 57/58, 87, 95, (98), 110, 160, 180, 185/86, 194, 196, 226, 229, 230, 238, (273), 304, 308, 386, (392). 397- 398. 401. 437. 440, 451. 462, 504. 590. 595. 599. 616, 623, 632, 634, 637, 659, 664, 669, 677, 682, 687, 688. D a s „ R a u s c h h a f t e " u n d d a s „ B e s e s s e n s e i n " („Enthusiasmus" u. Begeisterung) S. 131, 193, 204, 225, 300, 343, (358), 399. 430. 440, 444. 531. 541. 543. 548, 551. 553. 554. 558, (559). 6 " . 6 32. 644, 661, 672, 673, 681. P h a n t a s i e , „ E i n b i l d u n g s k r a f t " („Imagination", Erfindung) S. 29, 57, 87, 98, (145), 153, 155/56, 158, 164, 191/92, 194, 196, 201, 225, 226, 232, 238, 245, 247, 260, 261, 263, 265, 278, 293, 295, 296, (298), 299, 301, 302, 320, 331, (337), 355, 396» 397. 398. 403/04, 408, 415, 430, (439). 440, (456/57). 491, 519, 526, 533, 575, 581/82, 588, 604, 609, 615, 616, 617, 632, 645, 652 (T), 653, 659, 669, 671, 677, 685. Abwehr der k o m b i n i e r e n d e n u n d der selbstherrlichen P h a n t a s i e (das „Mosaikhafte") S. 12,74, 265, 348, 456/57, 460/61, 660, 685. „ T a t k r a f t " u n d K r a f t b e g r i f f S. 13, 14, 15, 17, 18, 21, 56/57, 59, 60, 76, 129,148,152,153,170,171, 519, 563. D e r W i l l e z u m W e r k (u. Dienst am Werk) S. 1,17—19, 26, (83), 101,102, (112), 205, 2ii, 243, 244, 253,578. 45»

708

VERZEICHNIS DER BEGRIFFE, MERK- UND KENNWÖRTER

D i s t a n z h a l t u n g (Erlebnisabstand, Kontemplation) S. 1 3 6 , 1 3 7 , 139, 1 5 1 , 178,185, 186/87, 1 9 3 , 1 9 5 , 1 9 6 , 2 2 3 , 2 2 5 , 2 2 6 , 2 2 8 ,

2 3 0 , ( 2 3 1 ) , 2 4 2 , 2 4 4 , 3 1 2 , 347, 4 1 9 , 4 5 7 , 518, 519, 5 8 1 . „ B e s o n n e n h e i t " S. 3 , 6, ( 4 3 , 4 4 ) , 6 2 , 187, ( 1 9 6 ) , 2 2 5 , 2 2 8 , 2 3 1 , 3 0 0 , 301, 398, 399, 4 0 0 , 4 1 3 , 4 3 3 , 5 4 8 , 5 5 8 , 5 9 3 , 6 6 0 . W e r k w e r d e n und W e r k w a n d l u n g (Umformungs-Vorgang) S. 1 9 , 8 8 , 1 0 1 , 1 1 2 , 412, 4 1 3 , 414/15, 4 4 3 , 4 5 4 , 556, 5 5 8 , 6 1 6 , 633, 6 3 5 · E i n s t i m m u n g und U m s t i m m u n g (Stimmungskultur u. Stimmungskultus) S. 156, 2 0 8 , 2 0 9 , 212, 2 1 3 , 2 2 1 , 2 3 4 , 2 5 4 , 3 0 3 , 305. 353. (354). 381, 3 8 8 , 459. 533. (534. 535). 537. 554. 575. 604.

D a s B e w u ß t e und U n b e w u ß t e S.

227—334,

235, 249, 297,

307/08, 374—376, 3 9 9 , 4 0 0 , 4 0 1 , 4 1 4 u . ö „ 5 7 7 , 6 4 4 ,

650.

P o e t i s c h e „ R e f l e x i o n " S. 1 4 4 , 2 0 9 , 2 2 1 , 2 2 4 , 235—237, 2 4 4 , 2 4 5 , 2 4 6 , 2 5 2 , 2 6 0 , 3 0 0 , 3 4 0 , 364, 3 7 0 , 3 9 0 , 3 9 4 u. ö„ 5 4 4 , 634. 6 3 9 · D e r D i c h t e r als Träger des S c h a f f e n s v o r g a n g e s (der Dichter als Dichter, bes. der „echte Dichter") S. 1 (T), 14, 4 4 , 4 8 / 4 9 , ( 5 8 f . ) , 8 i , 8 2 , 8 7 , 9 0 , 9 3 / 9 4 , 95, 1 0 2 , 1 1 2 , 114, 121/22, 1 6 7 , 1 8 5 , 1 8 6 , 2 4 2 , 2 4 4 , 2 6 3 , ( 2 6 6 , 2 6 8 ) , 272, 283, 289, 3 0 0 , 3 0 4 , 305, 3 3 9 , 3 4 4 , 3 4 7 , 3 4 8 , 369, 380 ( T ) , 4 5 3 ( T ) ,

4 5 7 ( T ) — 4 5 9 - 4 6 0 , 4 6 1 / 6 2 , 5 7 5 , 5 9 5 , 5 9 9 , 6 0 0 , 604, 607, 611/12, 616, 617, 620, 639, 664, 672, 679, 683, 686 (T).

V e r h ä l t n i s v o n P r o d u z i e r e n und T h e o r e t i s i e r e n (bzw. Kunstwollen u. Kunstschaffen) S. (1—5), 7 , 1 2 / 1 3 , 1 7 > τ^Ιτ9> 2 0 — 2 4 , 26, 2 8 , ( 3 2 ) , 48/49, 5 o , 5 i , 5 7 , 5 8 , 5 9 , 6o, 6 2 / 6 3 , ( 6 4 . 6 6 , 7 0 ) , 7 7 / 7 8 , 79/80, 8 1 , 8 4 , 8 6 , 87/88, 9 3 , 9 6 , 97/98. 100, 1 0 1 , ( 1 0 4 ) , 1 0 6 , 1 0 7 / 0 8 , 1 1 2 , 1 4 7 , 1 5 7 , 1 8 3 , 1 8 6 , 1 9 4 , (208), 216, 2 2 7 , 231, 2 3 6 , ( 2 4 2 , 2 5 0 ) , 2 5 3 , 2 5 8 , ( 2 6 2 / 6 3 ) , 268, 2 7 0 , 2 7 1 , 282, 314/15, 322> 32Ö> 338, 358, 3 6 8 , 3 7 0 — 3 7 2 , 373- 376, 3 8 0 , 383, 4 0 4 , 411, 4 2 0 , 426, 4 3 2 , 4 4 2 , 4 4 3 , 4 4 6 , 4 6 8 , 4 7 4 , 514, 5 2 0 , 5 2 1 , 5 2 8 , 5 3 0 , 5 3 1 , 5 5 5 , 5 5 6 , 5 6 1 , ( 5 7 0 ) , 5 7 2 , 5 7 4 , 576, 5 7 9 , 5 8 6 , 5 9 5 , 5 9 6 , 5 9 7 , 5 9 8 , 6 0 0 , 6 0 3 , 6 2 0 , 6 2 3 , 6 2 7 , 6 2 9 , 632, 6 4 2 , 6 4 9 , 6 5 8 , 6 5 9 , 6 6 3 , 6 6 8 , 672, 6 7 5 , 6 7 8 , 6 8 1 , 6 8 5 , 688. Verhältnis von Kunstwert-Schaffendemund KunstwertA u f n ö h m e n d e m (Berücksichtigung u. Reagieren d. Kunstwert-Aufnehmenden) S. (3), 2 4 , 34, (38, 4 1 ) , 4 2 , 4 5 , 5 1 . 5 2 . 55- 57, 6 1 , 6 2 , 6 4 , 6 5 , 6 8 , 7 0 , ( 7 7 ) , 80, 8 5 , 92, 9 4 , 9 8 , 9 9 ( T ) , 1 0 1 / 0 2 , 1 0 9 , 1 1 5 ( T ) , 119, 139, 1 4 1 , 154, 1 7 6 , 2 0 1 , 2 x 4 (T), 2 3 7 , 2 7 1 , 272, 2 8 3 , 286, 288, 2 8 9 u. ö„ 3 3 3 , 358/59» 380, 3 8 2 , 416, 4 3 0 , 4 3 3 / 3 4 . 4 5 6 , 4 8 9 . 49». 5 2 2 . 6 5 8 .

VERZEICHNIS DER BEGRIFFE, MERK- UND KENNWÖRTER

709

Haltung und Gestaltung Verhältnis und Zusammenwirken von „ H a l t u n g und s t a l t u n g " (Allgemeines) S. 24, 25, (34, 44), 49, 59, 186, 192 u. ö „ 424, 444, 489, 492, (503), 520, 548, 552, 628, (645/46). D a s „ B i l d e n d e " S. 6, 8 , 1 0 , 1 8 , 20, 55, 57, 60, 76 (T), 90, 91,

Ge110, 596, 101,

110, 140/41, 1 4 2 , 1 5 6 , 167, 1 7 0 , 1 9 5 , 208, ( 2 1 5 T ) , 2 6 4 , 3 0 4 ,

319. 345. 513. 52Ö> 533, 534- 535, 59*.

68°-

D a s „ B e d e u t e n d e " (als Wertgeltung u. Sinngeltung) S. 8, 9, 78, 79, 81, 89, 95, 181, (194), 195, 336, 385, 521, 526, 544, 591, 680. D a s „ I d e a l i s c h e " S. 8, 12, 13, 14, 15, 16, 23, 24, 25, 32, 37, 38, 40, 46, 74, 78, 87, 92, 93, 94, 110, 121, 122, 141, 145, 146, 150, 154, 166, 167, 185, 186, 193, 194, 195 u. ö., 544, 549, (550), 554, 602. D a s V o l l k o m m e n e u n d V o l l e n d e t e (Das In-Sich-Vollendete) S . 4 . 2 3 , 2 5 , 3 6 , 4 1 , 47 ( T ) , 4 8 , 49, 5 0 , 53/54, 6 3 , 75, 7 6 , 7 8 ,

82, 85, 96, 110, (113), 116, 164, (179, 195), 198, 199, 242, 263, 375, 484. 510, 513, 518, 533. W a h r h e i t u n d W a h r h a f t i g k e i t (u. Echtheit) S. 69, 82, 85 (T), 86, 87, (88), 90/91, 92, 94, 98, (105), 113, 117, 151, 158/59, 272, 305, 341, 355, 361, 364, 365- 366, 434, 454, 459, 531, 601, 630, 634, 638, 649, 673, 687, 688. E d l e E i n f a l t u n d s t i l l e G r ö ß e (bzw. Vorformen u. abgeleitete P r ä g u n g e n ) S . 4 , 3 1 , 3 6 , 38/39, 4 3 , 45/46, 6 5 , 94, 1 1 2 ,

115,

144, 251, 453/54, 5o8, 534, (554), (662), 689. „ R u h e " u n d „ S t i l l e " (das „Heitere") S. 17, 34, 37, 43, 45, 46, 4 7 , 6 2 , 63, 69, 121/22, 135, 1 3 7 , 139, 1 4 9 , 1 5 2 , 1 5 6 , 1 5 9 , 161, 163, 187, 226, 248 u. ö., 310, 513, 546, 573.

„ G r ö ß e " u n d „ W ü r d e " (das Große u. Würdige) S. 31, 37, 38/39, 43, 45, 92> (93), 102, 107, 113, 117, 122, 130 (T), 135, 152, 161, 162, 175, 180, 187, 313, 314, 315, 407, 409, 519, 522, 524/25, 5 2 7 , 5 2 8 , 5 3 7 .

D a s „ H e r o i s c h e " u n d „ S t o i s c h e " S. 43/44, 66, 103, 134/35, 1 4 2 , 1 6 1 , 1 6 3 , ( 1 9 2 T ) , 193, 1 9 4 , 3 0 5 , 315/16, 3 3 3 , 549, 5 5 0 ,

554, 678. V e r h ä l t n i s v o n E i n h e i t u n d G a n z h e i t S. 3, 4, 5, 13, 15, 17, 18, 25, 32,37, (39), 46,47,48,49, 50, 52/53, 56, 59, 76, 84/85, 9 3 , 1 1 0 , 1 3 9 , 1 4 3 , 1 4 5 , 1 5 2 , 1 5 4 , 185/86, 1 9 1 , 193/94, 2 2 1 ,

226, 251, (330), 397, 490, 495, 524, 544, 562, 659/60. T o t a l i t ä t S. 3, 5, 13, 16, 24, 137, 139, 140, 145, 154, 157, 158, 159, 178, 183, 185, 205, 225 u. ö., 408, 493, 495, 534, 544.

710

VERZEICHNIS DER BEGRIFFE, MERK- UND KENNWÖRTER

D a s A l l g e m e i n e u n d B e s o n d e r e S. 10, 12, 13, 15/16, 20, 25, 35, 41, 67, 79/80, 94, 121, 130, 148, 155, 157, 165, 258, 318, 320, 409, 495, 496, 502, 505. D a s N a i v e u n d S e n t i m e n t a l e (vgl. Natur und Dichtkunst) D i e r o m a n t i s c h e I r o n i e S. 27,144,196, 200, 203, 204, 205, 212, 221, 222, 223, 226, 235—246, 260, 270, 275, 292, 317, 326, 338, 364, 368, 370, 411, 419, 423/24, 426/27, 430, 458, 567. 572, 575. 578. 591» 604, 612, 618, 641, 671, 672, 685.

209, 312, 429, 663,

G e s t a l t u n g ( F o r m u n g ) u n d „ G e s t a l t " S. 3, 10, 17, 18, (20), 21, 26, 29, (43), 49, 53, 54, 55. 57. 58. 59- 60, 64/65, 72, 77. 78, 79, 81, (82), 84, 88, 90, 101,102, 107, 108,109, 110,114, 118,125/26, 127,129,132, 137,144, 149.181,186, 191,192, 196 u. ö., 208,288,298,307,312,320,327,330, (372), 381/82, 405, 415/16, 422, (434), 441, 443, 454. 462, 466, 491, 493. 494, 496, 500, 504, 507, 512, 513, 520, 527, 542, 547, 548, 552, 553, (555), 601, 606, 616, 642, 645/46, 681. D a r s t e l l u n g s b e g r i f f S. 10, (14), 61, 63, 77, 80, 81, 83,129, 130, 146, 157, 168, 170, 171, 181, 191, 267, 269, 388, 390, 399, 404, 434, 489, 493, 548, 578, 667, 673. K l a r h e i t (Reinheit) S. 2, 94, 110, 122, 151, 156, 180, 185, 224, 225, 348. 363/64. 365. 537. 612. A u s g l e i c h s s t r e b e n (das „schöne Gleichgewicht") S. 24—26, (29). 34. 35. 38. 43. 44. 87. 94. 97. 100—102, 103, 108, 113, 137, 147, 150, 158, 185, 193, 195, 224, 505, 546. 547, 554, 663. H a r m o n i e S. 2, 16, 39, 43, 45, 88, 113, (132), 136, 137, 148, 156, 162, 164, 168, 186, 321, 481, 490, 566. G e g e n s t ä n d l i c h k e i t (u. Gegenstands-Bezogenheit) S. 10,12/13, 15.18, 35, 73, 8 7 , 1 2 9 , 1 3 0 , 1 4 3 , 1 4 5 , 1 5 5 , 1 6 7 , 1 8 4 , 200 u. ö „ 495.496.510,513. 5*4.521.535.549.553.557.578.619,621. V e r h ä l t n i s v o n S t o f f u n d F o r m S. 2, 12, 14,15, (25), 49, 107, 108,129/30,132, 137, 139, 160,163,192, 205, 227, 244, 255, 260, 264, 267, 274, 282, 309, 312, 329/30, 350, 372, 388, 389, 398, 403, 404, 405, 420, 465, 466, 469, 492, 500, 506, 508, 526, 529, 530, 531, 542, 557, 617, 619, 632, 653, 654, 667, 669. V e r h ä l t n i s v o n M o t i v u n d F o r m (u. Sondermotiv) S. 43, 44, 78, 82, 87, 97, 107, 108, 118, (158), 159, 160, 189, 227, 239, 267, 270, 274, (322), 334, 388, (407), 445, 456, 458. 464. 525, 526, 552, 553, 600, (615), 616, 617, 622, 624, 632, 640, 643, 657, 666/67, 669, 675.

VERZEICHNIS DER BEGRIFFE, MERK- UND KENNWÖRTER

711

K o m p o s i t i o n S. (95), 9 6 , 1 0 7 , 1 0 8 , 1 6 0 , 1 8 2 , 183, (190), 191, 429, 435. 438, 504. 505. 513. 526, 531. 544. 552, 557. 580, 596. 619, 636, 641, 644, 645, 650, 662. K u n s t t e c h n i k S. 2, 15, 17, 60, 79, 84, 88, 98, 106, 108, (118), 123, 1 2 8 , 1 2 9 , (139), (190/91), 196, 223, (282, 283), 339, 400, 429, 435, 441, 557, 662, 674, 678, 681, 682.

Gesetz und Freiheit A l l g e m e i n e s S. 2/3, 4 , 1 0 / 1 1 , 1 2 , 1 4 , 1 5 , 1 6 , 1 8 , 23, 24—28,49, 52, 74, 88/89, I0 3> 106, 119, 125/26, 129, 131, 133, 134, 135, i36/37. I39> Ϊ43. 144. *57. ^ 8 , 17 8 . ( l 8 3 ) . 209, 210, 211, 230, 241, 259—263, 269, 314—316, 321, 380, 392, 417/18, 438, 449, 490, 495, 496, 497, 5 0 1 — 5 1 4 , 5 " . 5 ι 6 / ! 7 . 531. 532, 535, 538/39, 5*9, 574. 59^, 603, 6 i 2 , 615, 617, 633, 637, 646, 649/50, 661, 662, 669, 670, 678/79, 681. K u n s t g e s e t z u n d N a t u r g e s e t z (Verbindlichkeit des Gesetzmäßigen; auch Gestaltungsgesetz) S. 2/3, 4, 10/11, 14, 18, 22, 23, (24), 27, 47, 49, (59, 73), 74, 88/89, 103, 106, 119, 1 2 6 , 1 2 9 , (134), 138, (139), 143, 144, 157,158, 178, 183, 209, 211, 212, 237, 321, 351, 392, 438, 449, 461, 490, 495, 496, 497, 501. 5 0 2 . (503). 504. 505. 5o6, 507, 508, 510, 511, 512, 513. (514. 516), 517, 520, 529, 530, 531, 535, 538/39, 546. 549. 553, 555, 557. 637, 639, 641, 646, 650, 658, 661, 662, 674, 678, 680. K u n s t g e s e t z u n d S i t t e n g e s e t z S. (18), 24, 52, (54), 55, 56, 103, 129, 131, 133, 134, 135/36, 137/38, 170, (417/18), (490), 511/12, 516, 517, 525, 527—529, 531, 532, 569, 633. F r e i h e i t s b e g r i f f u n d F r e i h e i t s g e f ü h l (Freiheit des Geistes u. Gemüts, Willensfreiheit) S. 24, 27, 56, (84, 99), 121, 126—128,132/33.135. *3 6 .137/38, 148, 244, 285, 314, (341), 386, 390, 408, 417/18, 419, 423, 511, 516, 517, 525, 558, 584, 604, 642, 649/50, 656, 663, 673. I d e n t i t ä t v o n G e s e t z u n d F r e i h e i t (Freiwilligkeit usw.) S. 24, 26, 55, 128,129, 131/32,134/35, 137, (143), 175, 314, 649/50. L o c k e r u n g u n d A u f l ö s u n g d e r G e s e t z m ä ß i g k e i t (Unverbindlichkeit des Gesetzmäßigen u. Systemfeindschaft) S. 15, 24, 26, 27 u. ö., 193, 209, 210, 212, 262, 269, 380, 390, 461, 6x0. Z w e c k f r e i h e i t u n d E i g e n g e s e t z l i c h k e i t d e r K u n s t (vgl. Wesen der D i c h t k u n s t : Autonomie). „ S p i e l " - B e g r i f f u n d „ F r e i h e i t i n d e r E r s c h e i n u n g " S. 14, 26, 27, 126, 127, 129, 131, 132, 137, 138, 148, 175, 176, 200, 245, 310, 417/18, 5 1 7 , 537/38, 573.

712

VERZEICHNIS DER BEGRIFFE, MERK- UND KENNWÖRTER

N o t w e n d i g k e i t u n d S c h i c k s a l (Notwendigkeit in Leben u. Kunst) S. 22—25, (58), 76, 101, 122, 208, 314—316, 333, 386/87, 429, 449/50, 502, 511, 519, 527—529. 574. 576, 647, 673· D a s D ä m o n i s c h e (als heimliches Gesetz u. unheimliches Gesetz) S. 23, 78, 8 7 , 1 0 1 , 1 0 4 , 1 7 7 , 236, 371,424, 425, 430,432, 439, 443. 502» 503. 575. 576, 623, 631, 639, 644/45, 647, 678. D a s M a g i s c h e (als heimlich-unheimliches Gesetz) S. 227, 259, 261, 262, 269, 297, 300, (304), 371, 372, 402, 403, 430, 467, 593. 594. 605, 633/34, 652 (T), 666. R e g e l f r e i h e i t u n d „ F r e i h e i t i n d e r R e g e l " (bzw. Gesetz u. Regel) S. 15, 114/15, 127—129, 144, 157,196, 209, 212, 272, 273. 309. 386, 387, 390, 400, 401 (T). Das „ W i l l k ü r l i c h e " und „ U n w i l l k ü r l i c h e " ; „ A b s i c h t " u n d P h a n t a s i e f r e i h e i t (äußere Setzung u. inneres Gesetz) S. 27, (58), 76, 106, 132, 153, 185, 203, 209, a n , 212, 224/25, 230, 235, 236, 237,239. 241, 243,249, 259—263, 265, 267, 269, 278, 284, 293, 300, 348, 381, 415, 431, 441, 547. 575. 581/82, 619, 647. D a s G e s e t z d e r A n t i k e u n d d e s G r i e c h e n t u m s S. 1, 2, 5 12, 20, 21, (22, 24), 25, 30—34, 37—39, 40, 43. 46, 60—66, 72, (77), 80, 84, 86, 88, 89, 94,103,106, 112, 115, 138, 144, 155, (160), 163, (170!), 179. l 8 2 . 251, 252, (264, 276), 281, 310, 315. 317. 334. 390. 48I, 489 (T), 508, 510, 514. 519. 523. 541. 544 (T), 549, 551, 553. 554. 556, (558), 562 (T), 571/72, 5»°. 585. (589). 637· L o c k e r u n g u n d A b w e h r d e s G e s e t z e s d e r A n t i k e S. 46, 61, 62, (71), 77, (89), 106, 146, (155), (165), 169/70, 171—173. 178/79, 217, 252, 310,334, 394,445. 514. (541.549). 554. 585· D a s B e w u ß t e u n d U n b e w u ß t e (äußere Setzung u. inneres Gesetz; vgl. Wertkategorien: Typusbegriff, Symbolbegriff usw.) D a s W u n d e r b a r e u n d W u n d e r l i c h e (als Durchbrechung des Gesetzmäßigen; vgl. Religion, Volk und Einzelbegriffe) Wertkategorien: Typusbegriff, Stilbegriff, Symbolbegriff, das Schöne und Erhabene u. a. T y p u s b e g r i f f S. 12, (14), 17, 20, 21, aa—25, (32), 35, 36, 39, 56, 65. 67, 78, 93, 9 4 , 1 2 1 , 1 2 2 , 1 2 8 , 1 3 5 , 1 4 1 , 1 5 0 , 1 5 2 , 1 5 3 , 1 5 9 . 189, 3x8, 409, 494/95. 496, 498. 502, 506, 518, 526, 580, 602, 643, 670, 672. S t i l b e g r i f f (nicht vorab auf Sprachstil bezogen) S. 13, 15, 21, 81, 8a (T), 83, 84, 129, 163, 190/91, 217 (T), 385, 495—499. 501, 505/06, 509. 513. 530. 540. 546.

VERZEICHNIS DER BEGRIFFE, MERK- UND KENNWÖRTER

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S y m b o l b e g r i f f (u. das Symbolische) S. 12, (13), 15, 17, 21, 22, 78, 79, 80, 90, 93,123,148,177, 189,195, 202 (T), 248, 250, 256—258, 261, 288, 295, 309, 311/12, 313, 318, 319, 376, 493/94. 496, 498. 506, 510, 512, 525, 533, 594, 599, (600), 640, 680. A l l e g o r i e S. 13, 36, 39, 78, 79, 80,123,185,189, 257/58, 271, 295, 311, 318, 320, 338, 493, 519, 538, 539, 657, 681. V e r h ä l t n i s v o n S y m b o l u n d A l l e g o r i e S. 78/79, 80, 123, 189, 257/58, 271, 295, 311/12, 318, 320, 493, (519). D a s W e s e n h a f t e u n d „ W e s e n t l i c h e " S. 3, 5, 13, 18, 20, 21, 22,23,38,56,75,81—84,87,93,129,167,490,496,510,630. D a s G a t t u n g s h a f t e (Menschheitsgattung, vgl. Typusbegriff) S. 22, 25, 35, 39, 59, 120, 135, 159, 321, 496, 501/02. D a s C h a r a k t e r i s t i s c h e u n d I n d i v i d u e l l e S. 12, 15, 17, 20, 22, 24, 37, 38, 46, 56, 83, 90, 94,110,128 u. ö., 165, 220, 530, 603, 604, 643. D a s S c h ö n e (die Schönheit) S. 3, 12, 13 (T), 14, 18, 21 (T), 23, (24), 26, 27, 28, 29, 31, 32, 35, 36, 37, (39), 40 (T), 41/42, 43. 50. 54 ( T ). 59. 7 6 . 77. 84. 9°. " 3 > 121, 124, 125, 126/27, 128—131, 133, 136, 137/38, 141/42, 147, 175, 180, 196, 206, 215 (T), 242, 263, 264, 296, 319 (T), 320, 375—77. 383 (T), 385 (T), 387. 415. 489. 492, 514—5 J 7. 525. 527. 538. 548. 570, 599. 638. 649, 651 (T), 683. D a s E r h a b e n e (u. Verhältnis von sittlicher u. ästhetischer Schönheit) S. (24, 37, 43/44), 117, 125, 134, 136, 142, 152, (194), 367. 383. 385 (T). 405—409. 418, 426, 427, 443, 449, 450, 522, 525, 527, 528, 531, 553, 554, 573, 651 (T), 655, 659, 665, 669. D a s P a t h e t i s c h e S. 134 (T), 134/35,142,148, 428, 449, 520, 527, 530. 531. 641, 670. D e r H u m o r (das „umgekehrt Erhabene") S. 104, 237, 238, 239, 243. 367. 385. 389. 4 0 5 — 4 " . 417. 418—426, 427, 443, 500, 579. 643. 647. 652. 434. 566, 618, 624, 662, 665, 671, 679.

714

VERZEICHNIS DER BEGRIFFE, MERK- UND KENNWÖRTER

Genie, Geschmack, Talent, Virtuosentum u. a. G e n i e b e g r i f f S. 6 29, (47), 55—58, 83,110,144, 152,177, (192), 196, 219—227, 229, 240, 272, 301, 305, 306, 324, 366/67, 386, 390, 391, 396—399, 400, 401, 412, 413, 415, (421), 460/61, 568, (588), 594, 621, 664, 684. G e s c h m a c k s b e g r i f f S. 3/4, 6 (T), 34, 35, 36, 37, 40, 41, 57, 109/10, 112, 121/22, 134, 140, 141, 162, 173, 174 (T), 175, 219, 222, 305, 367, 404, 519, 528, 569, 576, 621, 635, 658/59. V e r h ä l t n i s v o n G e n i e u n d G e s c h m a c k (Abstand, Annäherung u. Deckung) S. 6,57, 58,110,134,174, 219, 222/23, 226, 229, 231. 235. 334, 387. 664. T a l e n t S. 224, 226, 301, 387, 396—398, 399, 406, 555, 621, 622, 662. V i r t u o s e n t u m S. 58, 209, 213, 221, 222, 254, 284, 397, 430/31, 433. 554. 575. 613. 678/79. L i t e r a t e n t u m u n d D i c h t e r t u m S. 58 u. ö., 221, 416/17, 576, 595, 612, 666, 669, (670), 673, 683, 684. P u b l i z i s t i k u n d D i c h t e r t u m S. 99, 109, (142), 290, 333, 337 u. ö., 645, 656, 657, 659. D i l e t t a n t i s m u s S. 58 (T), 398 (T), 401, (416, 430), 486, 575, 620. K r i t i k e r t u m u n d A n r e g e r t u m (Kritiker u. Anreger) S. (7), 72, 84, 109, i n , 118, (122), 168, 176, 211, 214, (215), 218 (T), 221, 273, 323, 352, 374, 383, 395, 396, 412, 413/14, (427), 435. 436, 443/44. 452, 485—489. 497. 519. 569. 573. 574/75. 576. 589. 600, 622, 628 (T), 648, 652, 653, 675. Dichtungsgattungen (Sonderformen u. Arten) A l l g e m e i n e s S. 4, 45, 64, 71, 95 (Τ), φί., io2, 105/06,107, 122, 125,146,153,157,159,160,167,181,182,192/93,194—196, 200, 206, 218, 248, 282, 290, 312—317, 321/22, 323 (T), 325, 332—334. 335 (T). 349. 35 6 —359. 360, 362, 388, 392/93, 428, 445f., 449, 469, 506/07, 557, (559), 568, 577, 596. 603, 621, 645, 669. G a t t u n g s b e g r i f f S. 97,107,118,153, 157/58,183, (192), 193/94. 195/96,200,206,249,282, 3i2f., 321, 332f., (349,388), 428f., 437. 447. 448/49. 547· G a t t u n g s g l i e d e r u n g (u. Unterscheidung durch Merkmale) S. 95—98, 105—107, 108, 146, 159, 160, 167/68, 177, 189, 192. 193/94. 195/96, 218, 282, 312—317, 321, 322, (325), 332—334. (349). 35 6 —359. 388, 392/93, 428—30, 447, 503, 571. 639. L o c k e r u n g u n d A u f l ö s u n g d e r G a t t u n g s g r e n z e n S. 100, (104), 193, 206, 246, 248, (290), 359, 507, 603, 624, 669.

VERZEICHNIS DER BEGRIFFE, MERK- UND KENNWÖRTER

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A n e r k e n n u n g d e r G a t t u n g e n u n d A r t e n (u. Beibehaltung der Grenzen u. Begründung der Gesetze) S. 64, 95 f., 105/06, 118, 122, 146, 153, 157/58, 193. (218). 282, (290), 437, 449. R a n g d e r G a t t u n g S. 96, 160, 313, 321, 325/26, 547, 571. V o l l k o m m e n h e i t d e r G a t t u n g (als Merkmal dichter. Vollkommenheit) S. 114/15, 118, 122, 125, 157/58, 167, 193, 196, (282).

Dramatische Gattung (Theorie des Dramas) A l l g e m e i n e s (u. Rangstufe) S. 95f., 100, 114, 116 (T), 118, 135, 146, 148 (T), 150, (153), 159, (161), 163, 189, 192 (T), 194, 217 (T), 266, 271, 272, 279, 283 (T), 286 (T), 313—317, 321, 325. 333/34. 349. 358, 359/60, 369. 375. 381, 392/93. 4 " . 416,427 (T), 428—430,434,435,436/37,445—450.463.469. 5o6f., 5 2 6 ! , 532,552,558,559, 570,571—574,577.608,615, 616, 621, 625,627,628,631, 634,639—641, 645/46,658,665, 675—679, 684, 685. W e s e n u n d W i r k u n g d e s D r a m a s S. 68, 86/87, 101/02, 104, 114, 116, 117, 136, (138/39). 159. 163, 194. 217, 271, 272, 283, 286. 313. 3*4—3*7. 321/22, 333, 375, 384, 392/93. 428, 429, 431, 434/35, 437, 448/49, 450, (469), 615, 677. D a s D r a m a t i s c h e S. 95, 100, 104, 105, 106, 135, 195, 313, 379, 410, 430, 435, 447, 503, 506, 507, 508, 523, 526, 527, 531, 549, 552, 616, 639, 644, 660, 676, 678. S c h i c k s a l s b e g r i f f d e s D r a m a s (u. Schicksalsdrama) S. 22, 23, 97, 100, 103, 117, 314—316, 331. 448—450. 475. 528, 574. 586, 616, 617, 623, 631, 641, 642, 647/48, 673, 675, 681. I n h a l t , M o t i v , P e r s o n e n b e s t a n d (Personengruppierung u. Sprachstil) S. 86, 97, 98, 101, 1x7/18, (159), 189, 195, 271, 279/80, 283, 286, 313,314, 3151x6,322, 333/34.349.416,445. 448, 465, 526, 553, 599, 616, 622/23, 633, 635, 636, 639, 640/41, 643, 645/46, 677, 678, 680, 681, 682. K o m p o s i t i o n u n d S t r u k t u r (dramat. Handlung) S. 86/87, 97, 102, 159, 195/96, 283, 313/14. 379- 392/93. 416, 4*8/29, 526, 531, 646, 656, 660, 678, 681, 682. D e r C h o r i m D r a m a S. 148 (T), 428, 523, 524, 526, 640. D a s T r a g i k o m i s c h e (auch jenseits des Dramas) S. 367, 426/27, 430, 618, 631 (T), 639, 641, 643, 648, 660, 661, 665/66. T r a g ö d i e (u. Schauspiel) S. 24, 101, 102, 103, 116 (T), 117, 118, 147,148,159,160,161,163,192,194,271,279,313, 315—317, 322, 333. 384. 415. 437. 448, 449. 450. 516, 543, 546, 555, 570, 586, 639, 641, 647, 648, 677. D a s T r a g i s c h e (auch jenseits des Dramas) S. 97, 100, 101, 103, 115 (T), 116/17, I I 8 · 134. 184, 185, 194/95. 271, 3*4—3 i 6,

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VERZEICHNIS DER BEGRIFFE, MERK- UND KENNWÖRTER

320, 367, 370, 372, 410, 425, 426, 445, 446, 447, 522, 547, 555, 629, (634), 639, 641, 642, 647, 648, 658, 659, 660, 662, 665, 685. D a s D r a m a als M i s c h f o r m von L y r i k und E p i k (u. lyrische u. epische Faktoren im Drama) S. 159/60, 313/14, 319, (359), 447, 506, 615, 616, 624, 640, 660. D r a m a und B ü h n e (Rückwirkung der Bühnenerfordernisse usw.) S. 90, 102, 114, 160 (T), 161, 272, 393, 431, (434), 436, 677, 681, 685. H i s t o r i s c h e s und n a t i o n a l e s D r a m a (Weltanschauungsdrama, Seelendrama) S. 86/87, JI 7> 217, 266, 286 (T), 286/87, 448465. 47°. 5o6, 507, 508, 526, 615, 616, 621, 624, 639, 640, 649, 677. R e l i g i ö s e s D r a m a (u. Schicksalsdrama) S. 279/80, 315, 316, 416, 431, 445 f., 448—450, 553, 615, 616, 624. M o t i v , P e r s o n e n b e s t a n d und S t r u k t u r des L u s t s p i e l s S. 102, 192, 215 (T), (270), 317, 322, 333, (409), 410, 419, 428/29, 431, 436, 461, 546,· 574, 579, 615, 618 (T), 639, 641, 668, 684/85 (T). Oper und S i n g s p i e l , M e l o d r a m a S. 5, 70, 90—92, (100), 272, 3 I 3> 3 5 9 . 3 7 9 . 4 2 7 . 4 2 8 , 4 3 5 / 3 6 , 4 3 8 , 4 4 3 . 4 6 4 . 6 1 5 , 6 2 7 , 680.

U n t e r s c h e i d u n g des D r a m a s v o n R o m a n und E p o s S. 95 (T)f„ 159, 192 (T), 217, 272, (313), 314, 322, 359/60, (429).

V o l k s s t ü c k und M ä r c h e n s t ü c k S. (283), 349, 350, 428, 572, 685. Epische Gattung (Epos, Roman, Novelle usw.) A l l g e m e i n e s S. 45, 64—67, 74, 95 (T), 105, 107/08, 117, (145), 146, 151 (T), 153 (T), 167, 177, 182, 213, 214, (216), 217, 238, 239, 248, 260, (271), 272, 278, 280, 312, 321, 356f., 392, 401 (T), (415), 429, 432, 469, 507, 556, 626, 659. D a s E p i s c h e (u. Epik) S. 95 (T)f„ 105/06, 117, (167), 177, 183, (194), 213, 217, 272, 319, 321, 322, 356, 416, 469, 503, 506, 507. 5o8, 526, 547, 556, 572, 574, 577. 595, 622, 624, 625, 626, 640, 646, 658/59, 660/61, 669, 679, 686. W e s e n und W i r k u n g des E p o s (u. Rangstufe) S. 64—67, 74, 105, 114, 117, 151, 153 (T), 154, 158, 159, 167, (171, 174), 182 (T), 194, 217, 218, 248, 290, 312, 322, 356/57, 358, 392, 411, 571, 626. M o t i v , I n h a l t , P e r s o n e n und S t i l im E p o s (u. Komposition) S. 49, 64, 65—67, (95), 105/06,114,153,158,159,167, (177), 182, 190, 194, 217, 248, (271), 312, (321), 322. V o l k s e p o s und K u n s t e p o s S. 65/66, 356—360, 364, (366), 626.

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S o n d e r f o r m e n d e s E p o s S. 64, 66/67, 238, 35^/57» 359. 392, 472, (556), 659. V e r h ä l t n i s v o n E p o s u n d M y t h o s (Märchen, Roman u. Mythos) S. 67, 194, 312, 356, 357, 362, 364. V e r h ä l t n i s v o n E p o s u n d R o m a n S. 117, 214, 312, 313,359/60, 366. W e s e n u n d W i r k u n g d e s R o m a n s (u. Rangstufe) S. 95, 96, 105/06, 214 (T), 216, 234 (T), 312/13, 325, 341, 393, 395, 401 (T), (403), 411, (415), 432, 438, 453, 457, 458, 504, 559, 566 (T), 567, 571, 574 (T), 581, 595, 596, 598, 601, 624, 629, 651 (T), 656, 683. M o t i v , I n h a l t , P e r s o n e n u n d S t i l im R o m a n (u. Komposition) S. 58, 96/97, 151, 178, (278), 312/13, 339. 340. 402. 412, 457, 458, 504, 506, 507, 550, 558, 599, 655, 656, 680. H u m o r i s t i s c h e r R o m a n S. 238, 360, 392, 664. S o n d e r f o r m e n d e s R o m a n s (Briefroman, Bildungsroman) S. 48, 96, 97, (98, 178, 208), 238, 239, 336, 455, 468, 504, 506, 558, (595), 624, 656, 666. W e s e n , W e r d e n u n d W i r k u n g d e r N o v e l l e (u. Rangstufe) S. 107, 108/09, (208, 216), 325, 360, 392, (422), 43a, 433/34. 435. 437. 438. 440. (456/57). 458. 5o6, 507. 512, 573/74. 575. 576, 577. 605, 616, 624, 631, 634, 645/46, 647, 660, 669, 672, 686. I n h a l t , M o t i v , P e r s o n e n u n d S t i l in der N o v e l l e S. 108, 507. 635, 636, 643, 686. K o m p o s i t i o n u n d S t r u k t u r d e r N o v e l l e S. 107, 108, 573, 605, 641, 645/46, 647. S o n d e r f o r m e n der N o v e l l e (Charakter-, Künstler-, Märchennovelle usw.) S. 208, 512, 686. E r z ä h l u n g (u. Verserzählung) S. 108, (117), 238,432, 433/34,440, 467/68, 646, 647 (T), 673, 682. S a g e S. 64, 66, 67, 322, 323 (T), 350, 351 (T)—355. 357. 3 6i > 363. 463, 526, 620, 622, 626, (640). M ä r c h e n S. 158, 177, 200, 201, 202, 263, 269 (T), 270, 278, 282, 322, 323 (T), 325, 326, 360, 361—63, 392, 428, 433, 437, 464, 5o6, 572, 574, 580, (629), 670, 671, 672, 683 (T). D a s M ä r c h e n h a f t e S. 200, 201, 202, 360, 361/62, 430, 433, 463 u. ö„ 572, 596, 602, 603, 605, 637, 643. V o l k s b u c h S. 287, 291, 323 (T), 325, 335 (T), 336, 337, 338, 350, 352. 354. 465 (T), 572. 575· I d y l l e (Prosa- u. Versidylle, u. d. „Idyllische") S. 4, (113), 146, (151), 159. (199). 360, 367, (403, 414), 420, 421, 631, 659, 660. L e g e n d e S. 350, 368, 465, 466, 572, 577, 609, 622, 624, (640).

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F a b e l S. 7 (T), 68/69 (T), 71.177-

S a t i r e u n d d a s „ S a t i r i s c h e " (u. Verssatire) S. 109, 146/47, 173. 238. 317. 4o8, 411, (414), 419 (T), 420, 421, 423, 424, 464 (T), 573. 577, 579. 643. (656), 657, 658, 664.

Lyrische Gattung (u. Sonderformen der Lyrik) A l l g e m e i n e s S. (25), 60—64,

I0

5>

IJ

9 (T)> 120/21, 148, 160,

167/68,171, 193/94, 213, 227. 248, (255, 280, 299), 314, 319, 321, 323, 325/26, 333, 358, 388, 411, 413, 416, 436, 447, 450, 465, 469, 489 (T), 499/500, 504/05, (518, 552), 555, 557, 558/59, 595. 620, 621, 624, 644, 658, 682, 686.

D a s L y r i s c h e (auch in anderen Gattungen) S. 63, 105, 106, 118, 193, 227, (303), 388, 447, 503, 506, 523, 527, 547, 552, 555. 558, 614, 615, 616, 659, 660, 686.

A b h e b u n g d e r L y r i k v o n D r a m a t i k u n d E p i k (u. Rangstufe) S. 118, 154, 160, 167, 193/94. (213), 248/49, 314, 319, 321,

(333), 388, 413. 447. (469). 571· W e s e n , W i r k u n g u n d W e r t d e r L y r i k S. 118, 120, zai, (122), 154, 160, (167), Z93/94, 249, 314, 32z, 333, 388, 392, 4zz,

413. (447). 454. 461, 465. 466, 519· L y r i k a l s U r f o r m (u. Rang der Lyrik) S. 63, 64, 160, (167), 393, 4 " , 471· L i e d h a f t e u n d v o l k s l i e d h a f t e L y r i k S. 64, 106, 118, (119), 323. 335 (T), 336, 342 (T)—346, 349- 392- 447. (451). 461. (464), 469, 47z (T), 472, 526, 527, 618, 621, 644. H y m n e u n d O d e S. 66,106, 118, z8z, 186,189,192, 253 (T), 325, 392, 527» 554—59- 602 ,(T), 603, 604 (T), 605 (T).

D a s H y m n i s c h e S. 188, 549, 552, 553, 555, 556, 559. B a l l a d e u n d R o m a n z e (das Balladeske) S. 74, 107, (119), 234, 238, 270, a8a, 358, 392, 465, 468, 469, 523—26, 531, 552, 575, 611 (T), 612 (T), 617 (T), 618, 639, 640.

E l e g i e (u. Sonett) S. 118, Z46, Σ47, (197), 392, 447, 453, 46z, 506, 513. 554, 677·

S i n n g e d i c h t u n d E p i g r a m m (bes. lyr. Epigramm) S. 16,60 (T), 6z, 62, 63, 109, (467), 487, 506.

I d e e n g e d i c h t u n d L e h r g e d i c h t S. 86 (T), 167, 499, 500, 507, 523, 524, 526, 527, 531, 556, 601, 602, 605.

Einzelbegriffe D a s D y n a m i s c h e S. 4, 34, 43, 44, 45, 56, 62, 86, Z29, 131, 136, 137, 138, 147, 148, 156, Z65, 207, 216, 249, 300, 375, 376, 392, 393 u. ö. 513, 526, 541, 645.

VERZEICHNIS DER BEGRIFFE, MERK- UND KENNWÖRTER

719

D a s S t a t i s c h e u n d S t a t u a r i s c h e S. 4, 5, 37, 39, 43, 45, 72, (80), 129, 131, 137, 139, 148, 161, 165, 172, 183, 374, 506, 513. 514· S t a t u e , F r e i s t a t u e S. 20, 80, 81, (161), 513. R u n d u n g („Rtinde", Rotundität) S. 21, 62, 100, 102, 205. S i m p l i z i t ä t S. 31, 115, 144, 392. D a s S u b j e k t i v e (Subjektivismus) S. 51, 53, 168, 206, 212, 278, 313. 359. 39». 657· E m o t i o n s b e g r i f f S. 18, 54, 303, 418. I l l u s i o n s b e g r i f f S. 92, 148, 176, 271, 272, 273, 407, 413, 522, 528, 685. N a t u r a l i s m u s (u. „naturalistisch") S. 91, 93, 266, 390, 420, 441, 456, 604/05, 641, 682. „ W i t z " , „ S c h e r z " (u. Esprit) S. 79, 238, 364, 410, 417, 4x9, 423, 424, 572, 580, 654 (T). G r a z i e S. 31, 131,162, 374/75. 379. 42i. 461. 5*9A n m u t S. 130 (T), 131,132, 133. A r a b e s k e S. 124, 130, 214, 297 (T), 298, 566 (T), 567. B e g r i f f d e s „ S c h w e b e n s " (Schwebezustand, romant. Reservat gegenüber der klass. Gegenständlichkeit, entspricht etwa dem Begriff des „Scheinens" i. d. Aufklärungspoetik) S. 262, 263, 329. 330, 396. 573. 574. 576. 580, 589. 644. 650. 684'. K a r i k a t u r S. 409, 411, 430, 440, 458, 506, 579, 580, 670, 672. M a t h e m a t i k u n d P h y s i k S. 41, 206/07, 252, 259, 260, 26a, 297 (T). 3 " . 328 (T), 334. D i e „ C h a o s " - V o r s t e l l u n g S. 101, 224/25. D i e U n i v e r s u m - V o r s t e l l u n g S. 242, 246, 247, 248, 249, (250), 263, 580, 599. K o s m o s u n d „ A l l " S. 56, 164, 204, 277, 335, 344, 359, 390, 493, 524. 569/70. D a s O r p h i s c h e S. 23, 179, 203, 293. D a s D i o n y s i s c h e S. 38, 325, 540, 541, 562, 645. „ E n e r g i e " - B e g r i f f S. 4, 62/63, 67, 76, (137,147), 207, 376, 379. D a s „ W e r d e n d e " (werdend Wandelbare) S. 177, 192 (T), 195, 207/08, 244, 249,343, 346, 377.

K l i m a (u. „Himmelsstrich") S. 33, 37, 62. S c h e m a u n d S c h e m a t i s m u s (Klassifikation, Mechanismus) S. 9. 65. 79. I o 6 . J 93. (194). I9 6 . 224, 258, 318, 387, 393, 396, 529, 646, 681. S p i e g e l - S y m b o l (vgl. Wesen u. Wert der Dichtkunst) V e r h ä l t n i s v o n E i n d r u c k u n d A u s d r u c k S. 339, 372, 373, 374. 380. 381—83. 541·

720

VERZEICHNIS DER BEGRIFFE, MERK- UND KENNWÖRTER

L i e b e s b e g r i f f (d. Romantik) S.

243, 260—62, 280, 329, 341/42,

418, 459, (610), 629.

„ G e g e n w a r t des G e i s t e s " S. 186, 196, 223, 239, 240, 433. E c h t e V i e l f a l t u n d l a u t e Größe S. 4, 20, 199, 316, 325, 350, 474, 508, 650, 670, 689.

A b s t r a k t i o n (das Abstrakte) S. 8, 10, 12, 13, (51), 119, 123, 168, 175, 176, 185, 189, 292, 298, 313, 323, 326, 455, (552), 615, 685.

„ I d e e n " - G e f ü h l e S. 169, 172, 205, (301), 332, 536, 649. Vision (das Visionäre) S. 12, 193, 204, (358), 440, 444, 500, 511, 522, 557· 596, 598, 599. 6 o 1 · 6 o 2 · 605, 644, 645. Manier S. 82, 83, 90, 93, 129, 163, 217. S e n s i t i v e V o r s t e l l u n g S. 10, 229, 235, 490. T h e o s o p h i e S. (114), 262, 564, 585. D e d u k t i v , i n d u k t i v (bes. i. d. Ästhetik) S. 35, 73,128,146,157, 168, 174,183, 194 u . ö „ 313, 331, 534.

D a s „Sein", S e i n s g e f ü h l , E x i s t e n z v o r s t e l l u n g S. 58, 143. W e s e n s s c h a u S. 13, 75, 83, 84, 125, 602, 632. D a s „ i n n e r e Auge" S. 73, 491, 500, 513, 602. „ I n t e l l e k t u e l l e A n s c h a u u n g " als „ ä s t h e t i s c h e A n s c h a u u n g " S. 141, 194, 232, 235, 263, 264, 302, 308, 318. W i r k l i c h k e i t des W u n d e r s u n d W u n d e r der W i r k l i c h k e i t S. 78, 268, 354. (433)· F o r m u l i e r t e u n d g e s t a l t e t e C h a r a k t e r i s t i k (bzw. „vermischte" Charaktere) S. 117, 416, 517/18. Z u s a m m e n w i r k e n des W u n d e r b a r e n u n d W u n d e r l i c h e n S . 201/02, 208, 270, 271, 274, 432, 433, 434, 566, 580, (598), 604, 624, 670, 671, 673/74.

Der T r a u m u n d d a s T r a u m h a f t e S. 177, 202, 203, 204, 261, 262, 271, 326, 374, 461, 596, 598, 599, 600, 601, 603, 604, 605, 637, 644, 671, 686.

„Schöne Seele" S. 4, 111, 113, 131/32, 134, (171), 401, 658. I n n e r l i c h k e i t (u. Innigkeit) S. 193, 263, (283), 304, 305, (309, 310, 318), 326/27, 330, 333, 336, 341, 342, 380, 394, 399,404, 405, 411, 418, 437, 441, 453/54. 4 6 2 , 661, 663, 681, ( v g l .

Wesen der Poesie: Gemüt). T r i v i a l r o m a n t i k S. 199, 332, 463, 474, 475, (681). S c h a u e r r o m a n t i k S. 432, (450), 574, 576, 644, 667,

671, 672.

W o r t s p i e l S. 209, (306), 428, 579, 685

M e t a p h e r (Gleichnis, „Bild") S. 61 (T), 95, 189, 194, 204, 295, 657, 658. 659.

VERZEICHNIS DER BEGRIFFE, MERK- UND KENNWÖRTER

721

T o d e s p r o b l e m S. 61 u. ö., 586, 593, 606, 628/29. L y r i s c h e T y p e n b i l d u n g (erlebte Meditation, Geistig-Visionäre usw.) S. 61, 63, 645. D i c h t e r und D e u t e r (Dichter und Denker) S. 87, (93), 132,133, XJ5,149,185, 308, 306, 606, 639, (688), 689. D r a m e n als „ d i a l o g i s i e r t e R o m a n e " (Drama in Briefform, Romandrama) S. 97, 624. K a t h a r s i s S. 100/01, 647 u. ö. W e l t a n s c h a u u n g S. 132,169, *ηη, 28ο, 304, (312), 496,6oo, 605, 623, 624, 638, 661, 666, 671, 677, 680, 682, 688. „ V o l k " und „ P ö b e l " , der „ g r o ß e H a u f e n " S. 283, 288, (684).

46 M a r k w a r d t, Poetik II!

Verzeichnis der Namen (Namen moderner Forscher sind nur dann einbezogen worden, wenn sie im darstellenden Text Erwähnung gefunden haben. Vornamen wurden nur in Zweifelsfallen angedeutet, bes. um Verwechslungen zu vermeiden. Die über 476 hinausgehenden Zahlen betreffen die Anmerkungen.) Abbt, Thomas 2. 7, 25 Abel 5 68 Addison, Jos. 38 d'Alembert 6 1 6 Alexander v. Württemberg 467 Alexis, Willib. 5 9 1 , 622 Altenstein 380 Anzengruber 439 Aristophanes 242, 3 1 7 , 685 Aristoteles 86, 100, 1 0 1 , 136, 314, 406, 499. 6 5 1 Arnim, Achim v. 274, 323, 326, 335 340, 3 4 2 - 5 0 , 352, 353, 357, 359, 3 6 3 - 6 5 . 430, 451. 455. 465. 467. 468,471,586,590/91,607,608/09, 610, 6 1 3 . 6 1 7 , 618/19, 6 2 0 - 2 5 , 642, 677, 686 Arnim, Bettina v. 340, 501 Ast, Friedrich 3 1 0 , 318, 3 1 9 , 454 d'Aubignac, H&elin 67 Auerbach, Berthold 345 Augustenburg, Herzog v. SchleswigHolstein· 1 1 4 , 142 Ayrenhoff, Cornelius v. 172 Baader, Franz v. 203, 295, 296, 467, 5 6 3 - 6 5 . 577, 582/83, 585, 591, 665 Balzac 668 Barlach, Ernst 439, 574 Batteux 47, 50, 264, 265, 386 Baudelaire, Ch. 668 Baumgarten, A. G. 7, 10, 36, 37, 69, 140, 165, 229, 235, 3 1 7 , 318, 395, 490 Baumecker 121 Beathie, J . 6 5 1 B^ranger 463

Bernard 6 1 5 Bernhardi, A. F . 218/19, 248/49, 294, 298, 384 Berkeley 236 Bethmann-Unzelmann (vgl. Unzelmann) Bettex, A. 1 7 3 Beulwitz, C. v. 112 Bilfinger 229 Birken 220 Bismarck 565 Blankenburg, Freiherr v. 96, 574, 651 Boccaccio 605 Böckmann, Paul 188 Bode 96 Bodmer 172, 284, 287, 318, 625 Böhlendorf 178, 179 Böhm, W. 137, 180 Böhme, Jakob 203, 228, 254, 295. 296. 431. 564. 565. 576, 585 Boisser^e, Melchior 610 Boisserle, Sulpiz 610 Bölsche, Wilh. 267, 593 Bonald 564 Borghini 30 Böttiger 99, 153 Bouterwek, Friedr. 167, 247, 249. 256. 318, 3 8 9 - 9 3 , 394.

277, 583.

248, 399.

651

Brämer 47 Brecht, Bertolt 605 Breitinger 229, 304, 318, 373 Brentano, Clemens 216, 227, 322, 323. 326, 334. 335. 3 3 8 - 4 2 , 343, 347, 350. 351, 359. 396, 429. 451, 459. 465,

278, 337. 353. 501,

V E R Z E I C H N I S D E R NAMEN

576, 579. 583. 586, 590. 607, 608/09, 6 1 1 - 1 8 . 620, 623. 625. 642, 671, 677, 683, 685, 686 Brentano, Christian 614 Brockes, Heinr. 190, 403, 689 Brunck, Rich. Friedr. Ph. 488 Bruno, Giordano 512 Büchner, Georg 429, 579, 615, 675 Burger, H . O. 473 Bürger, G. A . 4, 11, 119, 120, 121, 122, 172, 173, 176, 234, 273, 283, 288, 337, 345, 351, 354. 358. 493, 518, 519, 618/19, (654), 670 Burke, Ed. 55, 123, 174, 235, 284, 383. 384. 385, 489 Busch, Wilh. 439 Büsching 352, 610 Byron 360 Callot, Jacques 439, 441, 667 Calderon 252, 316, 434, 442, 443, 614, 615, 627 Carstens, Asmus Jakob 481 Cartesius (vgl. Descartes) Cervantes 417 Chambray, Rolland Frtert 31 Chamisso 325, 326, 439, 462 —65 C h i c y , Helmine v. 463 Cicero 32, 651 Claudius, Matthias 265 Clodius, C. Α . H. 248, 318, 3 8 5 - 8 9 , 406 Collin, Heinr. Jos. v. 24, 382, 570 Condillac 564 Contessa, Karl Wilh. Salice 666 Cornelius, Peter 440 Cramer, C. F . 109 Creuzer 356, 591, 609, 610 Croce, Benedetto 89, 500 Cuvier 497 Dalberg, K . Th. 115, 519 Dante 252, 312, 327, 359, 442, 618 Darwin 497 Daub, K a r l 609, 665 Denis 170, 255 Descartes 41, 512, 565 Devrient, Ludw. 427, 436, 668 Diderot 106, 436, 651 40 Ε

723

Dietze, Richard 451 Dilthey 179 Docen 352 Dolce, Lodovico 30 Dostojewski 667 Dubos 38, 651 Dürer 289, 440, 587 Dussault 571 Dusch 651 Dyroif, A . 328 Eberhard 156 Eckermann 86, 108, 146 Edelmann, Joh. Christian 496 Eichendorff 199, 279/80, 281, 318, 3 2 5 - 2 7 . 333. 335. 43°. 443. 4 5 0 - 6 2 , 4 6 5 - 6 7 . 472, 547. 583. 585. 679. 6 8 2 - 8 5 , 6 8 5 - 9 0 Empedokles 553 Engel, J. J. 159, 211, 252, 253, 651 Engels, Friedr. 497 Ernst, Fritz 424 Euripides 163, 570/71 Ewald 109 Fölibien, Andr£ 31, 34 Ficinus, Marsilius 500 Fichte 200, 204, 215, 218, 232/33, 235—37. 243. 247. 249. 259, 262, 264, 266, 269, 294, 297, 298, 302, 306, 308, 319, 328, 329, 539, 543, 557. 562, 594 Fielding, H . 96 Fiesel, E v a 299 Fleming 289 Fletcher, J. 271 Flögel 406 Fontane 420, 680, 682 Forster 487 Fossetier 665 Fouquö, Friedr. Baron de la Motte 288. 327, 416. 435. 436, 440, 454. 462—64, 466, 622 Fresnoy, Chr. Alphonse du 31 Friedrich Wilhelm I V . 565 Garrick 224 Garve 2, 90, 164—66, 188, 377, 383 Gautier, Th. 668

724

V E R Z E I C H N I S D E R NAMEN

Geibel 120, 443 Geliert 141, 171, 304, 401, 419, 420 George, Stefan 483 Gerstenberg 29, 32, 253, 393 Gessner, Salomon 2, 4, 5, 62, 162, 439 Gleim 109, 172 Gluck 435, 436 Goethe 1 , 4 — 1 1 , 13 — 18, 21—24, 26, 28, 31, 32. 34. 44. 46. 4 7 - 5 4 . 56 — 60, 65. 71—112, 117, 125, 128, 129, 132—34, 136—38, 140, 143, 146, 147, 149—55. 157. 161, 163—65, 167—69, 170, 171, 173, 174, 177, 183, 187, 189, 199, 207, 210, 216, 234, 243, 250, 258, 264, 265, 267, 271, 272, 281, 282, 283, 284, 286, 288, 290, 297, 298, 303, 307, 312, 313, 315, 316, 319/20, 325. 331. 339. 346. 3 5 ' . 352, 354. 355. 360. 366, 378, 393. 394. 396. 398, 404, 422, 435, 436, 439, 440, 446, 447, 452, 458, 462, 463, 465, 473. 4 / 6 . 4® 1 · 4® 2 · 4®5. 486—89, 490—504,504—14, 515, 517, 520, 521, 525, 526, 531, 534, 537, 545, 549. 551. 552. 554—56, 559. 567. 57°. 574. 575. (580), 595—98. 6oo/01/02, 604/05, 615/16, 620, 622, 627, 646, 649, 658, 661, 666, 75. 677, 678/79, 681, 685, 688 Goethe, Aug. v. 675 Goldsmith, A. 238 Goldsmith, O. 96, 394 Gontard, Susanne 255 Görres, J . v . 46, 143, 296, 300, 323, 327, 3 2 8 - 3 6 , 337. 338. 341. 349, 352, 353. 358. 368, 383—85. 403. 451, 465, 467, 591, 607, 610, 625, 626 Gottschall, Rudolf v . 423 Gottsched 2, 37, 158, 284 Gozzi 322, 428 Goya 439. 44° G r a b b e 266, 286. 332, 337, 464, 580 Gracian 140 G r a v i n a 34 Griepenkerl, Karl Friedr. 86 Gries, Joli. 610

Grillparzer 27, 390, 475, 608, 615, 623, 677, 682 Grimm, J a c o b 7, 66, 68, 201, 202. 234. 255, 296, 323. 325, 327, 337—39. 346. 351/52, 3 5 3 - 6 6 . 463. 471. 472, 575. 582, 584, 590, 607/08, 609, 610, 625, 626, 689 G r i m m , Wilhelm 201, 323, 346, 351. 353. 3 6 i . 362, 363, 463. 575. 590, 607; 608, 609, 610, 625 Grimmelshausen 656 Gryphius, Andreas 350, 518, 624 Gryphius, Chr. 350 Günderode, Karoline v. 562, 609 Hagen, v . d. 352, 610, 625 H a m a n n , Georg 4, 60, 176, 184, 187, 188, 204, 209, 218—20, 228, 230, 258, 293, 296, 298, 309, 340, 365, 375. 393. 395. 4 " . 4 2 3 . 564, 65«. 655. 675, 682 Hamerling, Hob. 120 H a n k a m e r , P a u l 443, 446 H a r d e n b e r g , F r . v. (vgl. Novalis) H a r r i s , J . J . 4, 204, 376 H a r t l 392 H a r t m a n n , E . v. 309 H a u f f . Wilh. 591, 622 Hauffe, Friederike 467 H a u p t m a n n , G e r h a r t 439, 682 Havenstein, E . 301, 302 H a y m , R . 70, 169, 175, 177 Hebbel, F r i e d r . 194, 195, 320, 334, 393. 467, 468, 5°7. 608, 631 Hecker, Max 21 Hegel 25, 160, 179, 182, 183, 186, 194. 195, 210, 331. 526, 539, 54». 542, 543. 548, 554. 564. 5&5. 604. 608, 665 Heine, Heinr. 141, 332, 467, 468, 475, 606 Heinse, Wilh. 29, 46, 59, 179, 216, 218, 341, 381 Helvetius 508 Hemsterhuis, Franziskus 9, 155, 204, 218, 293, 296, 297, 298, 302, 361, 562, 580, 594 H e r d e r 4—7. 9, n . 14, 16, 17. 25, 28, 29, 33. 35, 36. 42—45. 5 ° . 54.

VERZEICHNIS DER NAMEN

55. 57. 6 0 - 7 1 , 7 2 - 7 4 , 7 6 - 7 8 , 81, 85, 86, 89, 93, 99, 104, 106, 107, 1 1 2 , 119, 129, 133, 134, 155—57. l 6 ° . 163,165—67,168— 178, 180, 182, 184, 188, 191, 195, 204, 207, 209, 218, 230, 245, 248, 2 5 3 - 5 7 . 284, 288, 2 9 2 - 9 4 , 295, 296, 298, 300, 302, 3 1 1 , 323—25, 327. 329. 334. 337. 341. 342. 351. 352. 353. 358, 361, 365. 376—78. 384. 390, 391. 393—99. 4 « . 444. 471, 472, 482, 487—90, 492, 493, 496, 497. 5 " . 5 1 2 . 5*4. 5i6, 530, 534,535—39, 542, 543,546, (55t), 564. 582, 588, 593, 603, 606, 610, 619, 625, 628, 636, 651, 684 Herder, Karoline 99 Hermes, Joh. Timotheus 109, 395, 403 Hesiod 65 Hesse 666 Heufeld, Franz 98 Heyne 150 Heyse, K. W. L. 319 Heyse, Paul 120, 319, 439, 605 Hippel, Th. Gottlieb v. 238, 420, 423, 663, 664 Hirt, Aloys 46 Hirt, Ernst 392 Hitzig, E. 435, 464 Hobbes 408 Hoffmann, Ε. Τ. A. 201—03, 208, 238. 239, 259, 270, 274, 278, 322, 325—27. 338. 368, 375, 379, 422—43, 445, 450, 456, 458, 459, 463, 464, 577. 604, 627, 664—69, 669—74, 677, 679, 680, 686, 687, Hogarth 439 Holbach 497 Hölderlin, Friedrich 5, 8—11, 13, 15, 16, 18, 23, 82, 83, 100, 143, 146, 151, 154, 155, 178—97, 210, 215, 216, 225, 249, 254, 308, 3 1 1 . 320, 329. 334. 369. 378. 380, 503, 512, 528, 539—48, 548—59, 578, 603, 630, 644, 647 Hölderlin, Karl 545 Holberg 585 Holtei 685 46 E ·

725

Home 1 3 1 , 651 Homer 34, 43, 45, 63—67, 150, 171, 174, 178, 180, 182, 183, 190, 194, 290, 358. 392. 481, (434). 435. 444 Horaz 327 Houwald, Ernst v. 450, 475 Huch, Ricarda 202, 230, 441, 475 Hufeland 329 Hugo, Gustav 356 Hugo, Victor 358 Hülsen, Aug. Ludw. v. 215, 421 Humboldt, Wilh. v. 5, 7—11, 14, 21, 46, 49, 53. 56, 66, 85, ti8, 140, 143, 149 - 6 8 , 174, 181, 183, 187, 197. 205, 207, 218, 248, 315, 329, 334. 339. 388, 397. 5°3. 510. 5 3 2 - 3 5 , 537. 547. 564 Hume 639 Hummel, Joh. Erdmann 440 Hutcheson 651 Iffland 350, 436, 477 Immermann, Karl 144, 160, 286, 475. 541. 577 Jacobi, Fr. H . 90, 496, 561, 563 Jacobi, Joh. G. 393, 396, 401 Jean Paul 96, 143, 145, 199, 200, 203, 208, 223, 224, 238—40, 248, 261, 263, 273/74, 298, 329, 330, 337. 360, 367, 368, 385, 3 8 7 - 9 0 , 393-422, 4 2 3 , 4 2 5 - 2 7 , 4 3 5 , 4 4 3 , 458, 468, 603, 621, 632, 647, 650-58, 658-64 Jonson, Ben 685 Jordan, Wilh. 153, 357 Jung-Stilling 109, 610 Kaindl 564 Kaiser, Georg 682 Kant 1, 10, 16, 26, 28, 40, 48, 51, 55, 86, 87,92, i n , 1 1 3 . 1 1 4 , 1 1 5 , 1 1 7 , 119, 123—25, 126, 130—36, 168, I 7 ° . 173—76, 184, 194, 200, 232, 235—37. 245. 247, 298, 301, 302, 306, 308, 316, 328, 369, 370, 372, 373. 375. 384-86, 392, 406, 409, 4 r 6 , 474. 485. 4 8 9. 496. 497. 514· 515. 517. 519. 520. 536, 538, 543,

V E R Z E I C H N I S D E R NAMEN

726

5 5 ° . 552. 557. 562, 569. 628, 633,

Küntzel, G . 169

634,638,647,648,651,677

K u n z (Verleger) 432

Karsch 463, 464

Küster 68

Kauffmann

Lamarck 497

444

L a u b e , Heinr. 168, 675

Kaufmann 220 Keller,

Gottfr.

160, 345, 439,

663,

666, 671 Kerner, Justinus 325, 465—69,

565

Kierkegaard 565

L a v a t e r 109, 220, 228, 2 3 0 Leibniz 1, 8, 54, 85, 132, 1 3 4 ,

228,

2 2 9 , 2 4 8 , 328, 511/12, 5 5 0 ,

552,

557

Kilian 328

Lenau 475, 565

Kind 450

Lenz 20, 22, 182, 209, 230, 315, 350,

Kleist, Heinr. v . 44, 112, 132,

144,

410. 655

180, 1 8 3 — 8 5 , 187, 194, 207, 2 2 5 ,

Leo, Carl Friedr. 436, 668

227, 228, 229, 2 3 1 — 3 3 , 2 4 2 , 243,

L e s s i n g 1, 6 , 3 0 , 3 4 — 3 6 , 4 3 , 4 4 , 5 1 ,

249. 251, 254, 258, 259, 261, 360,

54, 60, 61, 68, 69, 85, 98, 9 9 , 1 0 1 ,

365—68, 369—83,

109,

384, 385, 401,

117,

ix8,

135,

136,

156,

4°4> 4 ° 5 . 4*4· 4 Ϊ 5 . 4 2 5 . 4 2 7 . 4 2 8 ,

1 6 3 — 6 5 , 174, x88, 196, 201, 207,

434. 435, 437. 465. 487. 507. 530.

211, 218, 225, 227, 231, 237, 263,

543, 548—50, 552, 5 5 3 - 5 5 .

574.

284, 287, 293, 294. 343. 37°. 373.

576, 591, 599, 600, 602, 616, 617,

378, 380, 391, 392, 411, 420, 425,

621,

623,626-637,637-650,659,

487. 493. 497. 498, 516, 518, 520,

660/61, 6 6 5 , 6 6 6 , 6 6 9 , 6 7 5 - 7 9 , 682

528, 569, 570, 571, 579, 588, 625,

Kleist, Marie v. 379

628, 630, 631, 636, 651. 675, 681

Klingemann, Aug. 98 Klopstock

109,

168,

Lewin, 170/71,

173,

385—89. 392. 393. 404. 493. 531. 537. 554, 555. 559. 567. 569. 585. 588, 603, 6x1, 616, 618, 666, 675, 683

Rahel

Ense,

(vgl. V a r n h a g e n

Leyden, Lukas v. 587 Libotschan, Hajek v. 613 Lichtenberg 8 , 5 8 , 1 0 9 , 1 6 5 , 224, 420, 423

Kluckhohn

284

Lilienstern, Rühle v. 225, 288,

Knebel 487

Lillo, George 445, 447

Knigge 487

Lipps 408

Koch, Erduin Julius 625

Liscow 238, 419, 420, 423

Köckeritz 632

Litt, T h . 176

Kolbe, K . Wilh. 440

Locke 236, 328

König, Joh. Ul. 223

Loeben,

Kopisch, Aug. 439

Otto

Heinr.

v.

204,

Lomazzo 30

Korff, Η. A. 2 5 , 2 6 , 9 4 ,

121,127,128,

146, 147, 175, 371, 4x3, 415, 418 Gottfr.

Graf

373

295, 297. 443. 450—54. 610

K ö p p e n 182

Körner,

v.

Rahel)

19. (91). x i 2 ,

113.

115, 1 2 5 — 2 7 , (129), 159

Longin 385, 651 Louise (Herzogin) 75 Ludwig, O t t o 1 4 1 , 1 6 0 , 166, 196, 495. 611

Körner, J . 215, 259, 358 Köslin 473

Magenau 557

Köstlin, Heinr. 690

Maler Müller (vgl. Müller,

Kotzebue 99, 109, 163, 337, 436, 685

Manilus 195

Kraus, K . v. 353

Manso 109

Kreutzer, Konrad 359, 615

Marc, Julia 672

Kuhlman, Quirinus 220.

Marmontel, J . F r . 272

Friedr.)

VERZEICHNIS DER NAMEN

Martens, O. J . D. 619 Martin, St. 564, 565, 585 Matthisson 119, 122, 123, 518/19 Mayer, Karl 465—68 Meier, G. Friedr. 188, 204, 376 Mendelssohn, Dorothea (vgl. Schlegel, D.) Mendelssohn, Henriette 675 Mendelssohn, Moses 28, 50, 51, 53, 55, 115, 117, 123, 204, 235, 241, 376, 496, 515, 517, 520, 651, 675 Mengs, Raphael A. 30, 493 Mercier 88 Merck, Joh. Heinr. 96, 33s, 358 Merkel, Garlieb 99, 233, 301 Meyer, Conr. Ferd. 439 Meyer, Heinr. 18, 21, 72, 75, 76, 78—80, 87, 88,107, 133, 281, 282, 493/94. 503/04 Meyer, R. M. 432, 437 Meyer, Wilh. 390 Michaelis, H . S. 619 Miller 325 Milton 31, 585 Mnioch 443, 444 Molifcre 639 Montesquieu 33, 37, 616 Mörike 475 Moritz, Karl Phil. 4—6, 8, i r , 13— 17, 21. 25, 26, 28, 30, 46—60, 63. 71. 72. 75-8O, 84—90, 93, 113, 114, 123, 124, 129, 138, 140, 152. 153. 154. 156. 164, 167, 170, 187, 207, 223, 226, 237, 241, 248, 263—65, 304, 306, 319, 396, 398, 447, 481, 482, 4 8 3 - 8 7 , 488, 492, 493. 496. 499. 504. 5°8. 510. 513. 517 Möser 287 Mosheim 465 Müller, Adam 242, 243, 384—85, 564, 586, 653 Müller, Friedr. (Maler M.) 3, 172, 188, 205, 325, 439, 536, 557, 622, 649 Müller, Joh. v. 355 Müller, Wilh. 465, 467 Müllner, Adolph 315, 416, 431, 445, 4 4 8 - 5 0 , 475

727

Muratori 38 Musset, A. de 579, 615, 668 Myller, F. H . 284, 625 Napoleon 161 Naumann 353 Neuffer 541, 542, 545, 547, 557 Nicolai 28, 30, 109, 172, 269, 337, 575, 619, 685 Nietzsche 1 0 3 , 1 4 3 , 1 7 9 , 335, 540/41, 653 Novalis (Hardenberg, Fr. v.) 1 3 , 1 7 7 , 196, 199, 201—03, 206, 208, 2 1 1 , 215—216, 219,220,222—24, 2 37· 239. 244. 246. 2 49. 250. 259. 261, 262, 266, 267, 273, 278, 279, 284, 285, 290, 297, 298, 299—307, 381, 394. 397. 398, 409, 4 « . 433. 453. 458, 57. 545. 547. 565. 566, 568,582,587,592-95,595 - 6 0 6 , 628 Obenauer 139, 169 Oehlenschläger, Adam Gottlob 674 Oertel 1 1 7 Oeser, Friedr. 30, 84 Opitz 51, 284 Ovid 327 Pascal 238, 665 Paulowna, Katharina (Großfürstin) 615 Peguilhen 676 Petersen, J . 104, 105 Petrarca 603 Petsch, Robert ioo, 103, 310, 320 Pfeiffer, Franz 361 Piles, Roger de 31, 32 Pindar 1 5 1 , 152, 181, 189, 194. 554 Pinder, Wilh. 83 Platen 286, 390, 475 Platner 651 Plato (Piaton) 12, 14, 32, 170, 242, 3°9. 552, 562 Plotin 12, 14, 69, 138, 229, 309, 500 Poe, Edgar Allan 431, 667 Poiret, Pierre 565 Pope 31, 651 Poussin 69

728

VERZEICHNIS DER NAMEN

Proklus 32 Quintilian 651 Raabe 663 Rabelais 417 Rabener, Gottl. Wilh. 419, 420, 657 Racine (91), 570/71 Radowitz (General) 567 Raffael 31, 220 Ramler 109, 265 Raupach, E . 347, 619 Rehm, W . 150, 181 Reichardt, Joh. Friedr. 109, 172, 213. 342. 436 Reil, J. C. 202, 203 Reinhold 115, 386, 557 Richardson, Jonathan 31, 34 Richardson, S. 96 Riedel, Fr. Justus 28, 40, 55, 123, 174. 175. 235. 241. 298, 489, 537, 651, 664 Riehl, H. W . 470 Riemer, Fr. Wilh. 497 Riepe, Chr. 460 Ritter, J. W. 260, 297, 577 Rohrmann 436 Rosa, Salvator 440 Röse, Ferdinand 443 Rosegger 439 Rossini 435 Rowe, Elisabeth 603 Rousseau 112, 143, 225, 340, 361, 445. 564. 631, 649, 674 Rubens 31 Runge, Phil. Otto 439 Salzheim, A. 440 Sand, G. 668 Savigny, Karl v. 296, 356, 564, 610 Schack, Graf 120 Scheffel, Victor v. 439 Schelling, Fr. Wilh. Jos. 15, 16, 27, 46, 97, 141, 148, 160, 179, 182, 183, 186, 206, 210, 215, 218, 225, 228, 229, 231—33, 242, 243, 249, 251, 254, 258, 259, 261, 264, 266, 296, 298, 306, 307/08, 309—19, 322, 328, 329, 376, 386, 391, 394,

404, 448, 467, 473, 474. 501, 539, 543. 548, 552. 554. 564, 577. 594. 606—07, 665, 677, 685, 690 Schelling, Karoline 565 Schenk, E. v. 424 Schiller 1, 3, 4, 7—19, 21—24, 26, 42, 44—46, 48, 51, 58, 59, 61, 65, 73, 78, 80, 82, 85, 87, 8 9 - 9 1 . 93—95. 105—07, 109, n i , 1 1 2 — 149. 150, 151, 153, 155—58, 166—73, 175, 176, 177, 1 7 9 - 8 1 . 184, 187, 191,198—200, 230, 245, 250, 262, 271 282, 283, 286—88, 3«>7. 310, 314—18, 320, 325, 329, 33°. 334 341. 357. 365. 369. 370. 375. 376, 381. 384. 386, 398, 401—03, 406, 408, 409, 428, 429, 436, 443. 445. 447—49. 457. 469. 470 485, 486, (493, 494), 495, 496, (501), 502, 508, 511, 513, 5 1 4 - 2 1 , 5 2 1 - 3 2 , 534/35. 537. 539. (541). 543. 546, 5 4 6 - 5 7 . 562, 568, 569, 574, 575. 586, 598, 601, 602, 605, 615, 620, 631, 638/39, 646/47, 649, 654, 655, 658, 661, 670, 677, 678, 679, 681, 685, 688 Schinkel 481 Schlegel, Aug. Wilh. 3, 27, 57, 91, 95. !97. 203, 204, 206, 207, 212, 216—18, 222, 225, 226, 231, 233, 234. 245. 247—49, 255, 256, 258, 2 6 3 - 6 6 , 268/69, 276, 281, 283, 287—89, 290, 294, 298, 299, 3 ° i . 307, 318, 323, 357, 358, 383, 384, 387, 404, 463, 501, 532 (T), 570/71, 575. 582, 585. 595. 606, 607, 610, 618, 653, 674, 677, 684/85 Schlegel, Dorothea 453 Schlegel, Friedrich 155, 157, 177, 180, 182, 197, 199, 200, 203, 206—208, 211, 212, 2 1 3 — 1 5 , 2 1 6 — 2 i , 225, 233, 234, 237, 239, 244/45, 246,250-56.258/59, 260, 262, 263, 267, 275—77, 278, 287, 289/90, 295, 298, 300, 303, 305, 37. 310. 3 " . 317. 3!8, 322, 329. 357. 362, 383, 384, 391, 396, 397.

VERZEICHNIS DER NAMEN

419, 446. 451. 453. 501. 532 (T), 561, 562, 563, 565, 566, 567. 568/69/70, 573. 575. 580/81. 582, 585. 587. 595. 600. 604. 606, 607, 610, 618, 653, 683, 684, 685 Schlegel, Joh. Adolf 188, 265, 266 Schlegel, Joh. Elias 88, 407, 518, 588 Schlegel, Karoline 307 Schleiermacher 206, 213, 214, 218, 228, 234, 246, 248, 254, 263, 276, 277. 285, 303—05. 467. 564. 566, 567. 677 Schmid, Leopold 564 Schmid, Siegfried, 192 Schopenhauer 135, 266, 483, 548, 608 Schreiber, Alois 619 Schreyvogel 570 Schröder, Fr. Ludw. 91, 98, 114, 501 Schubart, Chr. Daniel 325, 337 Schubert, Gotthilf Heinr. v. 202, 203, 259, 565. 577 Schultz, Franz 9, 29, 310 Scliultze, G. 302 Schütz, Wilh. v. 622 Schwab, Gustav 325, 421, 465/66, 467, 468 Scott, W. 591, 621 Sengle, Fr. 100 Seumc 99, 428 Shaftesbury 31, 37, 113, 131, 138, 141, 375, 401, 482, 519, 654 Shakespeare 5, 6, 9, 24, 96, 104, (160), 269, 270, 273, 283, 286, 312, 315. 3» 6 . 358, 426, 429, 430, 434. 57°. 577. 627, 637. 646 Silesius, Angelus 550 Sim rock 465 Smollct 96 Soden, Graf v. 622 Solger, K. W. Ferd. 160, 3 1 9 - 2 1 , 608 Sophokles 150, 181, 192, 194, 546, 627, 646 Spielhagen, Friedr. 158, 633 Spinoza 1, 21, 81, 228, 252, 254, 259, 277, 328, 495—97, 509, 510, 585 Spitteier, K. 359 Spontini 435

729

Spranger, Eduard 140, 156 StaSl, Mme.de 463, 571,606,674,677 Steffens, Hendrik 329, 359, 452, 565, 577 Stein, Charl. v. 75, 488/89 Sterne 238, 298 Stifter, Adalbert 267, 388, 421, 422, 666 Stolberg, Chr. 109 Stolberg, Fr. Leopold 109, 1 1 5 , 170, »73. 537. 559 Storm 211, 443, 507, 686, 687 Strich, Fritz 154 Stuckert 446 Sudermann 648 Sulzer 2, 33, 141, 172, 188, 218, 230, 264, 287, 303, 304, 401, 519, 651, 657 Süßmilch, J . P. 365, 564 Swift 238 Talma, Franfois Joseph 161 Tencin, Madame de 616 Thomasius 188 Thorwaldsen 675 Thümmel, Moritz v. 420, 658 Tieck 107, 199, 208, 209, 2 1 1 , 216— 18, 220, 22i, 225—27, 237, 243, 257, 258, 267, 268, 269—73, 278, 281—83, 284—87, 289, 291. 319. 325. 336, 338. 349. 351. 353. 359. 398, 4 2 2 - 2 4 , 435, 447, 458, 467, 501, 506, 533, 565, 566, 567, 5 7 2 - 7 7 , 5 7 8 - 8 0 , 582, 587. 590, 591. 595. 597, 600, 603, 622, 624, 625, 627, 639, 642, 669, 671, 675. 677, 678, 684/85 Tieck, Christian Friedr. 675 Tobler, Georg Christoph 71, 72 Tumarkin, Anna 230 Tyrius, Maximius 32 Uhland 323, 325, 347, 421, 463, 465—74, 619, 690 Ulshöfer, R . 446 Unger, R . 59, 324 Unruh, Fritz v. 682 Unzelmann, Friederike (Bethmann-U.) 91, 501, 677

730

VERZEICHNIS D E R NAMEN

Uz, Joh. Peter 421 Varahagen v. Ense, K . A . 462, 501, 616 Varnhagen v. Ense, Rahel 279, 501, 565, 616 Velten, Johannes 614 Vico, Giambattista 68, 72, 229, 293, 375 Vietor. K. 385 Vischer, Fr. Th. 160. 394, 594, 655 Volkelt, J . 410 Voltaire 238, 271, 392 Voß, J. H . 151, 153, 345, 347, 487. 559. 590. 619 Wackenroder 199,203,208—10, 217, 218, 220, 228, 243, 272, 276, 278, 2 8 1 - 8 4 , »89. «93. «97. 379. 577. 585. 587. 605. 625, 671 Wagner, Adolf 428 Wagner, Heinr. Leopold 88 Wagner, Richard 313, 428, 567, 627 Walzel, Oskar 138,258,259,297—99, 304. 358 Webb, Daniel 377, 378 Weber, Carl Maria v. 435, 464 Weckherlin 289 Wedekind, Frank 646 Weise, Christian 121, 190, 518, 546 Wekhrlin, Ludw. 487

Werner, Zacharias 199, 227, 279/80, 325. 416, 4 3 5 - 3 7 . 4 4 3 - 4 8 , 450, 462, 583, 586, 614, 617, 668, 669, 670, 674-82 Wezel, F. G. 238 Wickram, Jörg 656 Wieland 1, 28, 39, 70,82,96,99, 162, 241, 298, 374, 401, 417, 420, 425, 438, 504, 508, 527, 558, 5 7 ' . 573. 579, 588, 603, 642, 646, 658, 678/79, 682 Wienbarg, Ludolf 142, 343, 390, 469

277, 442. 613, 671,

112, 418, 552, 637, 391,

Winckelmann 1—4, 12, 14, 16, 21, 28—46, 47, 60, 62, 63, 65, 66, 69, 7«. 74. 75. 77. 78. 84, 85, 87, 88, 93. 129. 131. '54. 162, 166, 179, 187, 207, 257, 282, 310, 335, 393, 394. 4 7 8 - 8 3 , 493. 494. 510. 514. (520), 534, 535, 541,544. 549. 610 Wolf, Friedr. Aug. 150, 182 Wolff, Chr. 188, 376 Wolzogen, C. v. (vgl. Beulwitz, C.v.) Worringer 408 Xenophon 32 Young 387 Zinzendorf 304 Zola 265

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Walter de Gruyter · Berlin · New York

Grundriß der germanischen Philologie Unter Mitwirkung zahlreicher Fachgelehrter b e g r ü n d e t v o n HERMANN PAUL, h e r a u s g e g e b e n v o n W E R N E R B E T Z

Groß-Oktav

12. Band: Altgermanische Religionsgeschichte. Von JAN DE VRIES. 3., unveränderte Auflage. 2 Bände. Ganzleinen. 1. Band: Hinleitung — Vorgeschichtliche Perioden — Religiöse Grundlagen des Lebens — Seelen- und Geisterglaube — Macht und Kraft — Das Heilige und die Kultformen. X L I X , 505 Seiten mit 11 Tafeln und 13 Textabbildungen. 1970. DM 56,— 2. Band: Die Götter — Vorstellungen über den Kosmos — Der Untergang des Heidentums. VI, 492 Seiten mit 12 Karten, 11 Tafeln, 9 Textabbildungen. 1970. DM 56,— 13. Band: Geschichte der deutschen Poetik. Von BRUNO MARKWARDT. 5 Bände und Ergänzungsband. Ganzleinen. 1. Band: Barock und Frühaufklärung. 3., um einen Nachtrag erweiterte Auflage. X I I , 512 Seiten. 1964. DM 5 4 , — 2. Band: Aufklärung, Rokoko, Sturm und Drang. 2., unveränderte Auflage. VIII, 692 Seiten. 1970. DM 54,— 4. Band: Das neunzehnte Jahrhundert. VIII, 750 Seiten. 1959. DM 58,— 5. Band: Das zwanzigste Jahrhundert. VIII, 1032 Seiten. 1967. DM 128,— 14. Band: Geschichte der deutschen Elegie. Von FRIEDRICH BEISSNER. 3. Auflage· X V I , 246 Seiten. 1965. Ganzleinen DM 28,— 15./16. Band: Altnordische Literaturgeschichte. Von JAN DE VRIES. 2., völlig neubearbeitete Auflage. 2 Bände. Ganzleinen. 1. Band: Vorbemerkungen — Die heidnische Zeit — Die Zeit nach der Bekehrung bis zur Mitte des zwölften Jahrhunderts. VIII, 359 Seiten. 1964. DM 66,— 2. Band: Die Literatur von etwa 1150—1300. Die Spätzeit nach 1300. X , 577 Seiten. 1 Karte. 1967. D M 110,— 17. B a n d : Deutsche Wortgeschichte. V o n FRIEDRICH MAURER und FRIEDRICH

STROH. 2., neubearbeitete Auflage. 3 Bände. Ganzleinen. 1. Band: VIII, 492 Seiten. 1959. DM 2. Band: VI, 619 Seiten. 1959. DM 3. Band: Register, bearbeitet von HEINZ RUPP. VI, 186 Seiten. DM

35,— 44,— 1960. 18,—

18. Band: Schwedische Sprachgeschichte. Von ELIAS WESS£N. 3 Bände. Ganzleinen. (Dt. Fassung der schwedischen Ausgabe SUZANNE OHMAN) 1. Band: Laut· und Flexionslehre. X , 314 Seiten. 1970. DM 98,— 2. Band: Wortbildungslehre. X , 186 Seiten. 1970. DM 64,— 3. Band: Grundriß einer historischen Syntax. X , 378 Seiten. 1970. DM 120,—

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