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German Pages 151 [180] Year 1955
SAMMLUNG G Ö S C H E N B A N D
265/265a
GESCHICHTE DER CHEMIE IN K U R Z G E F A S S T E R
DARSTELLUNG
von DR.
G E O R G
L O C K E M A N N
Univers.-Professor, Geh. Reg.-Hat
Zweiter Band
VON DER ENTDECKUNG DES SAUERSTOFFS B I S ZUR GEGENWART Mit 16 Bildnissen
WALTER DE GRUYTER & CO. • o r m a l s G. J. G ö s c h e n ' s c h e V e r l a g s h a n d l u n g . J . G u t t e n t a g , V e r l a g s b u c h h a n d l u n g . G e o r g R e i m e r . K a r l J. T r ü b n e r . V e i t & C o m p .
BERLIN
19 55
Alle Rechte, einschl. der Rechte der Herstellung von Photokopien, und Mikrofilmen, von der Verlagshandlung vorbehalten
Inhaltsübersidit V. E n t w i c k l u n g d e r C h e m i e v o n d e r S a u e r s t o f f e n t d e c k u n g bis zur Mitte des neunz e h n t e n J a h r h u n d e r t s . S. 5—57. 1. Umwandlung der Chemie durch Lavoisiers Oxydationstheorie. S. 5—11. 2. Ausbildung der quantitativen Forschungsweise. Stödiiometrie, Atomtheorie, Gasgesetze. S. 11—21. 3. Entdeckung neuer Elemente. Weitere Entwicklung der quantitativen Forschungsweise. S. 22—40. 4. Die drei großen deutschen Forscher: Liebig, Wöhler, Bunsen. S. 41—57. VI. W e i t e r e n t w i c k l u n g d e r C h e m i e i n E i n z e l g e b i e t e n bis in den A n f a n g des z w a n z i g s t e n J a h r h u n d e r t s . S. 57—103. 1. • 2. 3. 4. 5.
Organisch-chemische Forschung. S. 57—78. Organisch-chemische Industrie. S. 78—83. Anorganische u. allgemeine chemische Forschung. S. 83—90. Entwicklung der physikalischen Chemie. " S. 90—99. Anorganisch-chemische Industrie. S. 99—103.
VII. K u r z e r Ü b e r b l i c k ü b e r d i e Entwicklung der C h e m i e in der e r s t e n H ä l f t e des z w a n z i g s t e n J a h r h u n d e r t s . S. 103—134. 1. Allgemeine, physikalische und anorganische Chemie. S. 103—112. 2. Radioaktivität, Umsturz der Grundanschauungen, künstliche Elemente. S. 112—118. 3. Organische Chemie in Forschung u. Industrie. S. 118—134. Schlußwort.
S. 135—136.
Die Nobelpreisträger für Chemie. S. 137. Bücher über Geschichte der Chemie. S. 138—139. Personennamenverzeichnis. S. 140—144. Schlagwortverzeichnis. S. 144—151.
Bildnisse 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16.
Antoine Laurent L a v o i s i e r (1743—1794). John D a 11 o n (1766—1844). Jons Jacob B e r z e I i u s (1779—1848). Louis Joseph G a y - L u s s a c (1778—1850). Midiael F a r a d a y (1791—1867). Justus von L i e b i g (1803—1873). Friedrich W o h l e r (1800—1882). Robert Wilhelm B u n s e n (1811—1899). Adolf von B a e y e r (1835—1917). Emil F i s c h e r (1852—1919). Jacobus Henricus v a n ' t H o f f (1852—1911). Svante A r r h e n i u s (1859—1927). Wilhelm O s t w a 1 d (1853—1932). Walter N e r n s t (1864—1941). Maria S k l o d o w s k a - C u r i e (1867—1934). Otto H a h n (geb. 1879).
Geschichte der Chemie in kurzgefaßter Darstellung Zweiter Band Von der Entdeckung
des Sauerstoffs bis zur
Gegenwart
Durch die Entdeckung des Sauerstoffs wurde für die Chemie ein neues Zeitalter heraufgeführt. Ohne es selbst zu ahnen, gruben die Entdecker S c h e e l e u n d P r i e s t l e y der alles beherrschenden Phlogistontheorie, deren gläubige Anhänger sie beide bis an ihr Lebensende blieben, das Grab. Zur vollen Auswertung der experimentellen Befunde fehlte noch die richtige theoretische Deutung, um aus dem immer verworrener gewordenen Gestrüpp der Phlogistik herauszukommen. Die bisher lediglich qualitativ betriebene Forschungsweise mußte durch eine strenge quantitative Methodik ergänzt werden, für die Maß, Zahl und Gewicht die unbedingte Grundlage bilden. Erst dann konnte sich unter Forträumung mancher überalterter Anschauungen der große Umschwung in der Chemie vollziehen. V. Entwicklung der Chemie von der Sauerstoffentdeckung bis zur Mitte des neunzehnten Jahrhunderts 1. Umwandlung der Chemie durch Lavoisiers Oxydationstheorie Diese große Umwandlung, durch die die Sauerstoffentdeckung recht eigentlich erst ganz vollendet wurde, ging nicht von einem Chemiker aus. Wie das auch sonst mehrfach der Fall gewesen ist, kam der große Reformator aus einem benachbarten Gebiete: L a v o i s i e r war Physiker; er hat kaum eine irgendwie belangreiche chemische Entdeckung gemacht, aber er verstand es, die experimentellen Befunde anderer mit klarem, nüchternem Verstände richtig zu deuten und sie dadurch ihrer wahren Bedeutung nach erst der Wissenschaft dienstbar zu machen.
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V. Von der Sauerstoffentdedcung bis zur Mitte d. 19. Jh.
A n t o i n e L a u r e n t L a v o i s i e r (1743—1794) war der Sohn eines wohlhabenden Pariser Advokaten, der als „conseillier secrétaire" in königlichen Diensten den erblichen Adel erhalten hatte. Statt dem väterlichen Berufe zu folgen, widmete sich der Sohn dem Studium der Naturwissenschaften, besonders der Physik; auch hörte er diemische Vorlesungen bei dem berühmten R o u e l l e (s. Bd. I, S. 102). Frühzeitig machte er sich durch tüchtige Leistungen bemerkbar, so daß er als Einundzwanzigjähriger für eine Preisschrift über die beste Art der Straßenbeleuchtung großer Städte von der Académie des Sciences eine vom König gestiftete goldene Denkmünze erhielt. Nach einer geologischen Forschungsreise bis in die Schweiz wurde er mit 25 Jahren „adjoint chimiste supernuméraire" der Akademie. Einige Jahre später trat er der „Fermier générale" (Institution zur Einziehung del indirekten Steuern) bei und heiratete die damals vierzehnjährige Maria Anne Pierette P a u 1 z e , Tochter eines anderen schwerreichen Generalsteuerpächters, die ihm in kinderloser Ehe als wissenschaftliche Hilfsarbeiterin wertvolle Dienste leistete und mit ihm bei lebhaftem gesellschaftlichen Verkehr ein großes Haus führte. Seine ungewöhnliche Vielseitigkeit und sein außerordentlicher Arbeitseifer waren der Anlaß, daß er zu der Bearbeitung und Begutachtung der allerverschiedensten Fragen herangezogen wurde (Lebensmittelkontrolle, Wasserversorgung auf Seeschiffen, Mesmerismus, Wünschelrute, Luftballonfahrten usw. usw.). Trotz dieser zersplitternden Beanspruchung konnte er sich durch strenge Zeiteinteilung behaupten, indem er die frühen Morgen- und späten Abendstunden für seine wissenschaftlichen Untersudlungen verwendete. Zu all der Vielgeschäftigkeit kam 1776 noch die Leitung der Pulverfabrikation. In dem Gelände der „Salpétriére" stattete er sich das Laboratorium mit den besten und empfindlichsten physikalischen Instrumenten aus und beschäftigte er tüchtiges Hilfspersonal. Bei seiner Neigung zu theatralischem Auftreten pflegte er dort auch allwöchentlich eine Art Schauexperimentieren zu veranstalten, zu dem die hervorragendsten Pariser Gelehrten geladen wurden. Durch den Erwerb eines Landgutes, Fréchines, kam L a v o i s i e r auch nicht nur mit der Landwirtschaft, sondern auch mit der Politik in Berührung. Er wurde in die Provinzialverwaltung von Orléans gewählt, und nach Ausbruch der Revolution (1789) wurde er auch Mitglied der Pariser Stadtvertretung und der Verwaltung des königlichen Schatzes. Selbstverständlich war er auch an der Bearbeitung des neuen metrischen Maß- und Gewichts-
1. Umwandlung der Chemie
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system beteiligt. Aber er wurde auch mit in den Strudel der sich immer mehr überstürzenden revolutionären Ereignisse hineingerissen und zusammen mit anderen Generalpäditem im November 1793 verhaftet. Von seinen zahlreichen Freunden wagten nur drei, darunter der Mineraloge H a u y , für ihn einzutreten. „Nous n'avons plus besoin des savants" war die Antwort des Gerichtspräsidenten. Am 8. Mai 1794 mußte er zusammen mit 28 anderen Generalpäditem das Blutgerüst besteigen und „in den Sack niesen".
L a v o i s i e r s wissenschaftliche Arbeiten liegen eigentlich ganz auf physikalischem Gebiete. Gemeinsam mit dem Mathematiker Pierre Simon de L a p l a c e (1749—1827) konstruierte er ein Eiscalorimeter, mit dem sie sehr genaue Bestimmungen der spezifischen Wärme und der latenten Schmelzwärme verschiedener Metalle ausführten. Sie machten audi physiologische Untersuchungen, indem sie sich bemühten, die durch körperliche sowohl als durch geistige Arbeit entwickelte Wärme zu bestimmen. Die Unveränderlichkeit des Gewichts bei chemischen Vorgängen und die Unzerstörbarkeit des Stoffes suchte L a v o i s i e r experimentell zu beweisen. Charakteristisch für ihn ist die Art und Weise, wie er die alchemistische Anschauung von der Verwandlung von Wasser in Erde experimentell widerlegte. Während S c h e e l e den Beweis auf chemischem Wege führte (s. Bd. I, S. 126), zeigte L a v o i s i e r , daß das Gewicht des beim Kochen des Wassers entstandenen Niederschlages gleich dem Gewichtsverlust des Glasgefäßes war. Experimentelle Entdeckungen auf chemischem Gebiete sind ihm versagt geblieben. Die von ihm ermittelte Zusammensetzung des Gipses aus Kalk, Schwefelsäure und Wasser war bereits 1750 von M a r g g r a f e angegeben (s. Bd. I, S. 98). Vor allem war es das schon von so manchen Forschern ohne entscheidenden Erfolg bearbeitete Problem der Verbrennung und Verkalkung, der Gärung und Atmung, das L a v o i s i e r jahrelang beschäftigte. Die Gewichtszunahme von Blei und Zinn beim Verkalken war schon lange bekannt. Bereits 1630 hatte J e a n R e y (s. Bd. I, S. 13) in seinen „Essays" dafür eine Erklärung zu geben versucht. L a v o i s i e r konnte nun zeigen, daß sich bei der Reduktion der Metallkalke durch Erhitzen mit Kohle etwa die tausendfache Volumenmenge von „fixer Luft" entwickelt. Als er den
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schon im Jahre 1694 in Florenz von Guiseppe A v e r a n i (1662—1738; Prof. d. Jurisprud. in Pisa) und Cipriano Antonio T a r g i o n i (1672—1748; Arzt in Florenz) ausgeführten Versuch wiederholte (1772) und im Fokus eines noch von T s c h i r n h a u s (s. Bd. I, S. 97) herrührenden großen Brennspiegels einen Diamanten „verdampfte", erhielt er dieselbe „fixe Luft", woraus zu schließen war, daß der Diamant nichts anderes als reiner Kohlenstoß sei. — Daß Phosphor beim Verbrennen an Gewkht zunimmt, hatte bereits Hankewitz, der Laboratoriumsgehilfe von Robert B o y l e (s. Bd. I, S. 84), wie auch M a r g g r a f e (s. Bd. I, S. 91) beobachtet. L a v o i s i e r konnte nun auch beim Verbrennen von Schwefel dieselbe Erscheinung feststellen; er suchte sich die Priorität dieser beiden Beobachtungen durch Einreichen eines versiegelten Schreibens bei der Akademie der Wissenschaften zu sichern (Oktober 1772). Mit derartigen Versuchen beschäftigt und eifrigst bemüht, das große Rätsel des Verbrennungs- und Verkalkungsvorganges zu lösen, erhielt L a v o i s i e r im Oktober 1774 eine unverhoffte Hilfe durch P r i e s t l e y , der mit Lord S h e l b u r n als dessen Sekretär nach Paris gekommen war und zusammen mit mehreren Pariser Gelehrten an der Tafelrunde in L a v o i s i e r s gastlichem Hause teilnahm (s. Bd. I, S. 113). Als Priestley nun von seinen Versuchen mit der aus dem roten „Praecipitatus per se" gewonnenen „dephlogistierten Luft" und deren überraschenden Eigenschaften erzählte, da horchten der Gastgeber und die anwesenden Gäste höchst erstaunt auf. Das mußte dieselbe Luftart sein wie die „fluide élastique", über die vor kurzem Pierre B a y e n berichtet hatte (s. Bd. I, S. 134), ohne deren Eigenschaften näher zu prüfen. Auch S c h e e l e hatte von einer „Vitriolluft" oder „Feuerluft" geschrieben (s. Bd. I, S. 127), die er bei Erhitzen einer aus Silberlösung durch Sodazusatz gewonnenen Fällung neben fixer Luft erhalten hatte. L a v o i s i e r erkannte sofort die große Bedeutung des Gehörten und Gelesenen. Sobald es dem Vielbeschäfigten seine Zeit erlaubte, überzeugte er sich von der Richtigkeit durch Wiederholung der Versuche mit den ihm zur Verfügung stehenden reichlichen Mitteln; und im nächsten Frühjahr, am 25. April 1775, hielt er in der Akademie einen Vortrag „über die Natur des Prinzips, welches sich mit den Metallen bei ihrer Verkalkung verbindet und ihr Gewicht erhöht". Aber weder P r i e s t l e y noch S c h e e l e oder B a y e n hat er dabei er-
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wähnt. Und in seinem 14 Jahre später (1789) erschienenen Lehrbuch macht er bei der Besprechung des Sauerstoffs die Bemerkung, dieses Gas sei „fast zur gleichen Zeit" wie von ihm auch von P r i e s t l e y und S c h e e l e entdeckt worden. Das hat noch im Jahre 1800 den inzwischen nach Amerika ausgewanderten P r i e s t l e y zu einer geharnischten Gegenerklärung veranlaßt (s. Bd. I, S. 113). Auch bei einem solch klar denkenden Kopfe wie L a v o i s i e r hat es mehrere Jahre gedauert, bis er sich ganz von den überkommenen Anschauungen losmachen konnte. E r hielt die Feuerluft für eine Verbindung des eigentlichen „principe acidifiant" oder „principe oxygène mit dem damals in der Physik allgemein angenommenen „Wärmestoff". Aus dem „principe oxygène" ist dann der einfachere Name „oxygène" geworden, der als „Sauerstoff" in die deutsche Sprache übergegangen ist. E r wurde als dasjenige Element erkannt, das nicht nur bei der Bildung von Säuren die entscheidende Rolle spielt, das sich vielmehr auch mit den Metallen unter Bildung der „Kalke" oder „Oxyde" verbindet. U m die Erkenntnis der diemischen Zusammensetzung des Wassers hat sich L a v o i s i e r ebenfalls in zahlreichen kostspieligen Versuchen — er soll mehr als 50 000 Livres dafür aufgewendet haben — bemüht, ohne zu einem wirklichen E r gebnis zu gelangen. Erst als er durch den 1783 in Paris weilenden englischen Arzt und Naturforscher Charles B 1 a d g e n (1748—1820) von C a v e n d i s h s Versuchen unterrichtet wurde, hat er sich in gemeinsam mit L a p 1 a c e ausgeführten Versuchen davon überzeugt, daß der Sauerstoff bei der Vereinigung mit Wassers f off nicht, wie er erwartet hatte, eine Säure, sondern einfaches Wasser bildet. E r hat dann in der Akademie wiederum einen Vortrag gehalten, ohne den Namen des eigentlichen Entdeckers anzugeben. Noch heute wird eine Probe von 45 g synthetischen Wassers, in ein Glasrohr eingeschmolzen, in Paris als kostbare L a v o i s i e r - Reliquie aufbewahrt. B e i seinen weiteren Versuchen ist ihm jedoch die Zerlegung des Wassers durch Überleiten von Wasserdampf über glühendes Eisenpulver gelungen, wobei er allerdings nur das Wasserstoffgas wiedergewinnen konnte. I m L a u f e der achtziger Jahre hatte L a v o i s i e r die Anschauungen über die chemischen Vorgänge so weit geklärt,
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V. Von der Sauerstoffentdedcung bis zur Mitte d. 19. Jh.
daß er die alte Phlogistontheorie für völlig überwunden betrachten und seine neue Oxydationstheorie entwickeln konnte. Es wurde alles umgekehrt: Trennung (von Phlogiston) wurde Vereinigung (mit Sauerstoff) und Vereinigung wurde Trennung. Die neue Anschauung konnte sich, auch in seiner nächsten Umgebung, nur langsam durchsetzen. B e r t h o l l e t (1748—1822) schrieb noch 1785 im phlogistischen System, F o u r c r o y (1755—1809) nahm erst im Winter 1786—1787, G u y t o n d e M o r v e a u (1737—1816) noch später die neue Lehre an. Als diese dann als die „Theorie der französischen Chemiker" bezeichnet wurde, betonte L a v o i s i e r , und diesmal mit voller Berechtigung, sein Urheberrecht mit den Worten: „Elle est la mienne!". — Mit den genannten drei Forschern zusammen hat er dann die notwendig gewordene neue Bezeichnungsweise der chemischen Verbindungen und Vorgänge ausgearbeitet und in einer besonderen Schrift „Méthode de nomenclature chimique" 1787 veröffentlicht. Die darin angegebenen Bezeichnungen wie: oxyde de plomb, sulfate de baryte, acide sulfurique, acide sulfureuse usw. sind dann in entsprechender Übersetzung auch in die anderen Sprachen übergegangen. Zwei Jahre später (1789) erschien das von L a v o i s i e r verfaßte zweibändige Lehrbuch „Traité élémentaire de Chymie, présenté dans un ordre nouveau et d'après les découvertes modernes". Obwohl hierin unter den Elementen auch noch Licht und Wärme als gewichtslose Grundstoffe aufgeführt werden, kann man mit dem Erscheinen dieses Buches die ganze grundstürzende Umwandlung der Chemie als abgeschlossen betrachten. Die chemische Revolution war beendet, als die politische begann. Bei seinem Sinn für das Theatralische hat L a v o i s i e r auch nicht versäumt, dieser Tatsache durch eine besondere Veranstaltung Ausdrude zu geben. Auf der Bühne erschien das aus brennbarem Stoff hergestellte „Phlogiston", vom „Oxygène" schwerer Verbrechen beschuldigt und von dem als „Advocatus diaboli" auftretenden Professor S t a h l verteidigt; schließlich aber wurde es zum Feuertode verurteilt und verbrannt, wobei Madame L a v o i s i e r selbst als Opferpriesterin auftrat. L a v o i s i e r s Abhandlungen sind größtenteils in den „Mémoires de l'Académie des Sciences" in den Jahren 1768—1787 erschienen, einige auch in dem „Journal de Physique" und in den
2. Ausbildung der quantitativen Forsdiungsweise
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„Annales de Chimie". Die Herausgabe seiner gesamten Werke verzögerte sidi infolge der turbulenten außen- und innenpolitischen Ereignisse während der nächsten Jahrzehnte sehr. Erst in den Jahren 1862—1893 erschienen sie, von D u m a s und von G r i m a u x herausgegeben, in sechs dicken Bänden unter dem Titel „Oeuvres de Lavoisier". Die neue Sauerstoßlehre fand auch allmählich außerhalb Frankreichs Verbreitung. Bereits 1792 erschien eine deutsche Ubersetzung von L a v o i s i e r s „Traité élémentaire" von S. F . H e r m b s t ä d t (1760—1833; Hofapotheker u. Prof. d. Pharmazie in Berlin). Unter dem Namen „Antiphlogistik" wurde die neue Anschauung gegenüber der alten besonders geltend gemacht. Der aus der Schweiz stammende, später in Göttingen ansässige Arzt Christoph G i r t a n n e r (1760 bis 1800) suchte besonders die Ausbreitung der neuen Lehre in Deutschland zu fördern. Seine Schriften „Neue chemische Nomenclatur für die teutsche Sprache" (1791) und „Anfangsgründe der antiphlogistischen Chemie" (1792) enthalten aber neben vielem Guten auch mancherlei Unrichtigkeiten. —- Die letzten Phlogistiker wurden wohl mit Lorenz Friedrich von C r e l l (1744—1816, Prof. in Helmstedt und nach Aufhebung der dortigen Universität, 1809, in Göttingen) und mit Scheeles altem Freunde Anders Johann R e t z i u s (1742—1821; Prof. in Stockholm) zu Grabe getragen. 2. Ausbildung der quantitativen Forsdiungsweise (Stöchiometrie, Erneuerung der Atomtheorie, Gasgesetze) Nachdem durch L a v o i s i e r gleichzeitig mit seiner Oxydationstheorie ganz allgemein auch der Sinn für die Bedeutung von Maß, Zahl und Gewicht geweckt worden war, ergab sich als nächste Aufgabe, die Gewichtsverhältnisse der miteinander reagierenden chemischen Stoffe zu untersudien und theoretisch zu klären. Die bis dahin fast lediglich qualitativ betriebene chemische Forschung mußte durch quantitative Untersuchungs- und Betrachtungsweise ergänzt werden. Die genaue analytische Waage wurde eins der wichtigsten Forschungsmittel. Lavoisiers Mitarbeiter Louis Bernard G u y t o n d e M o r v e a u (1737—1816; ursprünglich Jurist, später Prof. der Chemie in Dijon u. Paris) hatte sich bereits 1787 auf Anregung von Richard K i r w a n (1735—1812, ebenfalls Jurist;
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V. Von der Sauerstoffentdeckung bis zur Mitte d. 19. Jh.
später Naturforscher u. Präsid. d. Royal Irish Academy in Dublin) mit der Untersuchung der quantitativen Verhältnisse bei der Umsetzung zweier Salze beschäftigt und festgestellt, daß sich bei der doppelten Umsetzung der neutralen Salze Kaliumsulfat und Natriumnitrat wiederum neutrale Salze, Natriumsulfat und Kaliumnitrat, bilden, ohne daß von der einen oder der anderen Base oder Säure ein ungebundener Rest bleibt. Aber er hatte diese wichtige Einzelbeobachtung nicht durch weitere Untersuchungen vervollständigt, so daß er daraus ein allgemeines Neutralitätsgesetz hätte ableiten können. In Deutschland hatte sich schon ein Jahrzehnt früher Carl Friedr. W e n z e l (1740—1793; erst Buchbinder, dann Chirurg, später Chemiker an der Porzellanfabrik in Meißen und Direktor der Freiberger Hüttenwerke) mit ähnlichen Problemen beschäftigt. In seinen 1777 veröffentlichten Vorlesungen über die diemische Verwandtschaft der Körper" kommt er zur Erkenntnis der chemischen Massenwirkung, indem er zeigt, daß die Reaktionsgeschwindigkeit bei der Einwirkung von Säure auf Metall der Stärke der Säure proportional ist. Er nimmt auch für die „Mittelsalze" (Neutralsalze) ein bestimmtes Gewichtsverhältnis von Säure und Base an, kommt aber infolge gewisser Unstimmigkeiten bei seinen aufs sorgfältigste durchgeführten quantitativen Bestimmungen nicht zur wahren Erkenntnis des Neutralitätsgesetzes. Dieses war einem Manne vorbehalten, der sein ganzes Leben mit bewunderungswürdigem Idealismus der Durchführung der einen Aufgabe widmete, die Mathematik in die Chemie einzuführen: J e r e m i a s B e n j a m i n R i c h t e r (1762—1807). In Hirschberg in Schlesien geboren, wurde R i c h t e r von einem Oheim, der Militär-Ingenieur und Stadtbaumeister in Breslau war, frühzeitig gegen eigene Neigung und Fähigkeit veranlaßt, in den Militärdienst einzutreten. Nach sieben völlig ergebnislos verlaufenen Jahren gelang es dem Dreiundzwanzigjährigen, seinen sehnlichsten Wunsch zu erfüllen, indem er sich an der Universität Königsberg zum Studium der Mathematik, der Naturwissenschaften und der Philosophie immatrikulieren ließ. In der Chemie, mit der er sich schon eingehend theoretisch und praktisch beschäftigt hatte, wurde ihm dort allerdings gar nichts geboten. In der Beziehung war er nach wie vor auf sich selbst angewiesen. Um so größer war der Einfluß des Philosophen Immanuel K a n t (1724—1804), der den Satz aufstellte: „In der
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Naturwissenschaft ist nur so viel Wissenschaft anzutreffen, als Mathematik darin enthalten ist." —• Nach vierjährigem Studium promovierte R i c h t e r im April 1789 mit der Dissertation „De usu matheseos in Chemia". In dieser Schrift, die geradezu als Programm für die weitere Entwicklung der Chemie zu betrachten ist, weist er nicht nur auf die Bedeutung der Mathematik für die Klärung der diemischen Begriffe und Anschauungen hin, sondern auch auf den großen praktischen Nutzen einer richtigen mathematischen Berechnung für die chemische Technik. Durch die bittere Not gezwungen, die geplante und begonnene akademische Lehrtätigkeit aufzugeben (1790), schlug sich R i c h t e r einige Jahre in seiner schlesischen Heimat als Landmesser und (1795) als „Bergprobierer" durch, bis er 1798 bei der königlichen Porzellanmanufaktur in Berlin als „zweiter Arkanist" angestellt wurde. Dauernd wissenschaftlich tätig, sowohl experimentell wie schriftstellerisch arbeitend, mußte er sich durch Nebenerwerb, z. B. durch Anfertigung genauer Aräometer und durch, Beschäftigung in den frühen Morgen- und späten Abendstunden, die für seine chemischen Untersuchungen erforderlichen Mittel mühsam verschaffen. Die Nachtstunden auch noch für die Ubersetzung französischer Werke zu Hilfe nehmend, verbrauchte er vorzeitig seine Kräfte. Ähnlich wie S c h e e l e opferte er sein Leben seiner Wissenschaft und starb wie dieser in der Blüte seiner Jahre als Fünfundvierzigjähriger. Unter dem Titel „Über die neueren Gegenstände der Chemie" gab R i c h t e r in den Jahren 1791—1802 in 11 Bänden eine Schriftenreihe heraus, der er als Leitspruch die Worte aus der Weisheit Salomonis (Kap. 11, V. 22), „Alles hat Gott nach Maß, Zahl und Gewicht geordnet", in der griechischen Sprache der „Septuaginta" voransetzte. Sein eigentliches Hauptwerk „Anfangsgründe der Stöchiometrie oder Meßkunst diemischer Elemente" erschien 1792—1793 in drei Bänden. Darin setzt er seine neue Lehre von den stets gleichbleibenden Verbindungsgewichten oder „Äquivalentgewichten" der chemischen Elemente auseinander, indem er sie an zahlreichen Beispielen erläutert. Er ist der eigentliche Entdecker der chemischen Äquivalenz und des Neutralitätsgesetzes. Er hat auch das Wort „Stöchiometrie , abgeleitet von dem griechischen Wort „stoicheion" (Grundstoff oder Element), in die Chemie eingeführt. So deutlich ihm selbst alles vor Augen stehen mochte, so wurde doch das Verstand-
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V. Von; der Sauerstoffentdedcung bis zur Mitte d. 19. Jh.
nis seiner Schriften durch den Umstand sehr erschwert, daß er sich, noch in phlogistischen Anschauungen befangen, nur wenig verständlich auszudrücken vermochte. Ein weiteres Hindernis bestand darin, daß R i c h t e r die Werte der verschiedenen Äquivalentgewichte, nicht auf eine gemeinsame Grundlage bezogen, in ein eigentliches System brachte. Diesen Dienst erwies ihm aber E r n s t G o t t f r i e d F i s c h e r (1754—1831; Mathematik-Professor am Cöllnischen Gymnasium in Berlin), der gelegentlich seiner deutschen Übersetzung von B e r t h o l l e t s „Recherches sur les lois de l'affinité ' (1801) aus R i c h t e r s Äquivalentzahlen eine einheitliche Tabelle schuf, indem er sie alle, auf Schwefelsäure = 100 bezogen, umrechnete. Dadurch, daß B e r t h o l l e t diese Äquivalentsgewichts-Tabelle in sein 1803 erschienenes Buch „Essai de statique chimique" aufnahm, wurde sie allgemeiner bekannt. Bei seiner mathematischen Betrachtungsweise erkannte R i c h t e r auch gewisse gesetzmäßige Beziehungen der Verbindungsgewichte der verschiedenen Elemente untereinander. E r ordnete die Alkali- und Erdalkalimetalle in eine arithmetische Reihe und machte damit den ersten Versuch zur Aufstellung eines periodisdien Systems der Elemente. Dieses Bemühen, das von zwei anderen Forschern erst zwei Menschenalter später zum Erfolg geführt wurde, gereichte ihm infolge eines tückischen Mißgeschickes aber zum Verhängnis. Einer Lücke in seiner Elementenreihe glaubte er mit der von dem Erfurter Pharmazie-Professor Joh. Bartholomaeus T r o m m s d o r f f (1770—1837) entdeckten „Agusterde" ausfüllen zu können. Als sich diese dann als nichts anderes als phosphorsaurer Kalk erwies, fiel der von R i c h t e r mit genialem Blick unternommene Versuch einer periodischen Anordnung der Elemente der Lächerlichkeit anheim.
Aber nicht nur als Theoretiker hat R i c h t e r großes geleistet, auch auf den Gebieten der analytischen und präparativen Chemie ist er erfolgreich tätig gewesen. Im Laboratorium der Porzellan-Manufaktur arbeitete er ein Trennungsverfahren für Kobalt und Nickel aus sowie eine neue Darstellungart von „Goldpurpur", wobei er die damals noch ganz unbekannten Eigenschaften der kolloidalen Lösungen näher erforschte. Über R i c h t e r und seinem wissenschaftlichen Werke waltete ein sonderbares Mißgeschick. Unter dem Einfluß seines großen
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Lehrers K a n t blieb ihm der atomistische Gedanke fremd, dessen Anwendung seine neue Lehre viel verständlicher gemacht haben würde. Erst in seinem Todesjahr (1807) wurde D a 11 o n s Atomtheorie durch die Veröffentlichimg von Th. T h o m s o n (s. S. 17) der Öffentlichkeit bekannt. Und als dann im Zusammenhang damit auch die von R i c h t e r mühsam gewonnenen Erkenntnisse Anerkennung fanden, wurde infolge eines Versehens von B e r z e l i u s nicht er, sondern W e n z e l für den Entdecker des Äquivalenz- und Neutralitätsgesetzes erklärt. Erst ein Menschenalter später (1840) ist durch H. H. H e s s (s. S. 92) in Petersburg der verhängnisvolle Irrtum aufgeklärt und R i c h t e r s wahres Verdienst gewürdigt worden. Eigenartigerweise hat H e s s als Begründer der Thermochemie ein ähnliches Schicksal erlitten.
Ganz anderer Ansicht als Richter war der bedeutende französische Chemiker Claude Louis B e r t h o l l e t (1748 bis 1822; Professor in Paris; Napoleons wissenschaftlicher Begleiter nach Italien und Ägypten; gründete 1807 in seinem Landhaus in Arçeuil bei Paris die „Société d'Arçeuil", mit eigener wissenschaftlicher Zeitschrift; arbeitete über Ammoniak, Schwefelwasserstoff, Blausäure, Chlor und dessen bleichende Wirkung usw.). Er vertrat den Standpunkt daß die quantitative Zusammensetzung der chemischen Verbindungen keine konstante sei, sondern von den jeweils miteinander reagierenden Mengen abhinge. Dieser Anschauung lag der richtige Gedanke des auch von W e n z e l (s. S. 12) geahnten Massenwirkungsgesetzes zugrunde. Sein Landsmann Joseph Louis P r o u s t (1755—1826; Apotheker in Paris; später als Professor in Spanien (Segovia u. Madrid); in der Kriegszeit völlig ausgeplündert, nach Frankreich zurück, zuletzt in Angers) dagegen suchte durch sorgfältige quantitative Analysen, ähnlich wie R i c h t e r , die Konstanz der Zusammensetzung chemischer Verbindungen oder das Gesetz der konstanten Proportionen zu beweisen, was ihn in einen jahrelangen heftigen Streit mit B e r t h o l l e t verwickelte. Die experimentell gefundenen Gesetzmäßigkeiten wurden erst durch Einführung einer neuen Betrachtungsweise ganz allgemein verständlich. Diesen für die weitere Entwicklung des gesamten Gebietes der Chemie und Physik entscheidenden Fortschritt brachte die Aufstellung der quantitativen Atomtheorie durch John D a 11 o n (1766—1844). Als Sohn eines armen Webers in Eaglesfield in Cumberland geboren, erhielt der junge D a 11 o n einen guten Unterricht in
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Mathematik und Naturwissenschaften, und von einem wohlhabenden Freund des Vaters, dem Instrumentenmacher R o b i n s o n , wurde er in seiner weiteren Ausbildung sehr gefördert. Frühzeitig regte sich bei ihm ein starker Drang, die erworbenen Kenntnisse anderen belehrend mitzuteilen. Ein geborener Schulmeister, erteilte er schon mit 12 Jahren Unterricht, auch an Schüler, die älter waren als er selbst, und mit 15 Jahren wurde er bereits als Lehrer an der Privatschule eines nahen Verwandten in dem benachbarten Flecken Kendal angestellt. Diese belehrende Tätigkeit hat er durch Schulunterricht oder öffentliche Vorträge sein ganzes Leben hindurch mit besonderer Hingabe ausgeübt. Von 1793 ab war er an der Warrington-Academy in Manchester tätig, wo auch P r i e s t l e y einst unterrichtet hatte (s. Bd. I S. 110). Als die Anstalt nach 6 Jahren von Manchester fort verlegt wurde, blieb D a 11 o n dort, seine wissenschaftlichen Forschungen und die unterrichtende Tätigkeit als Privatlehrer fortsetzend. Er wurde Mitglied und von 1817 an Präsident der „Literary and Philosophical Society", in deren Gebäude er sich ein Laboratorium einrichtete. Während neben anderen Zweigen der Naturwissenschaft besonders die Meteorologie von Anfang an sein lebhaftes Interesse erregte, fing er erst in Manchester an, sich mit Chemie zu beschäftigen. Seine wissenschaftlichen Leistungen fanden allmählich immer mehr öffentliche Anerkennung. Die „Royal Society" ernannte ihn 1822 zu ihrem Mitgliede und verlieh ihm 1826 die große goldene Denkmünze. Die Universitäten Oxford und Edinburgh verliehen ihm die Doktorwürde, und von 1833 ab erhielt er auch eine kleine königliche Pension. An sich selbst entdeckte er die Rot-Grün-Farbenblindheit, die deshalb in England „Daltonsickness" oder „Daltonisme" genannt wird. Auch als berühmter Mann ist er seiner einfachen, bescheidenen Lebensweise treu geblieben. D a 11 o n s wissenschaftliche Arbeiten gingen von der Meteorologie aus und führten ihn bei der Untersuchung der Luft zur Chemie und zur näheren Beschäftigung mit Gasen überhaupt. Indem er alle Vorgänge genau messend verfolgte, entdeckte er, ungefähr gleichzeitig mit G a y - L u s s a e (s. S. 19) 1802 das Gesetz der allgemeinen gleichmäßigen Wärmeausdehnung der Gase; sonderbarerweise fand er denselben Wert (0,00375 = 1/266) für den Ausdehnungs-Koeffizienten wie G a y - L u s s a c ; erst sehr viel später ist dieser Wert, wiederum von zwei Forschem unabhängig voneinander, von
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dem deutschen Physiker Heinrich Gustav M a g n u s (1802 bis 1870; Prof. in Berlin) und dem Franzosen Henri Victor R e g n a u l t (s. S. 40) auf 0,00365 = 1/273 berichtigt worden. Bei seinen genauen Luftanalysen (mit Stickoxyd) stellte D a 11 o n fest, daß der Sauerstoffgehalt der Luft unabhängig von der Höhe immer derselbe ist. Er fand, daß bei Gasgemischen jedes einzelne Gas sich so verhält, als ob es allein in dem Räume wäre, daß der Cesamtdruck des Gasgemisches gleich der Summe der Einzeldrucke ist. Dabei konnte er die von dem ihm befreundeten Fabrikbesitzer William H e n r y (1774—1836) 1803 gefundene Gesetzmäßigkeit, daß die Löslichkeit der Gase in indifferenten Flüssigkeiten dem jeweiligen Druck entsprechend ist, bestätigen. Über die Ergebnisse seiner Absorptionsversuche hielt D a 11 o n am 21. Oktober 1803 in der „Literary and Philosophical Society" in Manchester einen Vortrag, dem er zum besseren Verständnis der gefundenen Gesetzmäßigkeiten einige allgemeine theoretische Betrachtungen über die Natur der Gasteilchen anfügte. In diesen beiläufigen Ausführungen, bei denen er nicht mehr als sieben Zuhörer hatte, entwickelte er in kurzen Zügen seine Atomtheorie und teilte auch die von ihm ermittelten Werte der „verhältnismäßigen Sclnvere der kleinsten Teilchen" von 6 Elementen (H, N, C, O, P, S) und 13 chemischen Verbindungen mit. Diese erste Atomgewichtstabelle, deren W e r t e allerdings noch sehr ungenau sind, wurde 1805 in den „Memoires" der Gesellschaft abgedruckt, blieb aber zunächst völlig unbeachtet, bis sich Thomas T h o m s o n (1773—1852; eigentlich Arzt, um die Chemie durch zahlreiche Untersuchungen von Mineralien und PflanzenStoffen sowie durch ausgezeichnete Lehrbücher sehr verdient) der D a 11 o n sehen Lehre mit großem Eifer annahm und sie in der 1807 erschienenen dritten Auflage seines Buches „A new System of Chemistry" veröffentlichte. D a 11 o n s eigenes Hauptwerk „A new System of Chemical Philosophy", in dem er in den Abschnitten „Uber die Konstitution der Körper" und „Uber chemische Zusammensetzung" seine Theorie auseinandersetzte und auch eine erweiterte und verbesserte Atomgewichtstabelle brachte, begann erst 1808 zu erscheinen.
D a 11 o n dachte sich die Atome in Kugelgestalt und bezeichnete sie durch kleine Kreise, die er zur Kennzeichnung der verschiedenen Elemente mit Punkten und Strichen ver2
L o c k e m a n n , Geschichte d e r C h e m i e
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sah. Während die früheren aus der Alchemistenzeit stammenden Symbole, auch die unter L a v o i s i e r s Einfluß 1787 von Jean Henri H a s s e n f r a t z (1755—1827; französischer Berg- u. Hüttenmann, zeitweilig Mitarbeiter von Lavoisier) und Pierre Auguste A d e t (1763—1832; Prof. in Paris) vorgeschlagenen Elementarzeichen (Striche, Dreiecke, Quadrate, Halbkreise usw.) nur qualitative Bedeutung hatten, suchte D a 11 o n zum ersten Male eine quantitative Zeichensprache einzuführen, bei der jedes Zeichen nicht nur ein bestimmtes Element, sondern ein Atom von bestimmtem Gewicht bedeutet. Er setzte auch Molekularformeln zusammen, wobei er die einfachste Zusammensetzung annahm, z. B-: Wasser aus einem Atom Wasserstoff und einem Atom Sauerstoff zusammengesetzt ( S O ) , oder Ammoniak aus einem Stickstoff- und einem Wasserstoffatom ( T'O ) usw. Als dann die Daltonsche Bezeichnungsweise bei der Vielzahl der Elemente nicht mehr ausreichte, wurden von anderen statt der Punkte und Striche die Anfangsbuchstaben der Elemehtnamen in die kleinen Kreise gesetzt. Dies wurde aber, wie überhaupt fast jede von anderen ausgehende Neuerung, von D a 11 o n abgelehnt.
Auf Grund seiner atomistischen Anschauung sprach er 1804 auch das Gesetz der mu'tiplen Proportionen aus, dessen Richtigkeit er durch die quantitative Analyse von Methan (CH4) und Äthylen (C2H4) bestätigte. Im übrigen war er von der Richtigkeit seiner Atomtheorie so fest überzeugt, daß er eine experimentelle Nachnrüfung für unnötig hielt. Diese erfolgte dann von anderen Forschern. Hieran beteiligte sich William Hyde W o l l a s t o n (1766 bis 1828; ursprünglich Mediziner, widmete sich dann ganz der chemischen und physikalischen Forschung; er entdeckte z. B. 1804 die Metalle Palladium und Rhodium und lehrte das Platin schmiedbar zu machen, auch wies er (18fW die Identität der neuentdeckten Elemente Columbium und Tantalium nach). Er bestätigte das Gesetz der multiplen Proportionen, indem er nachwies, daß sich der Kohlen'äuregehalt in den neutralen und sauren Carhonaten wie 1 :2 verhält. W o l l a s t o n führte auch den Namen „Äquivalent" ein. Aber indem er diese Bezeichnung auch im Sinne von Atom benützte, richtete er eine gewisse Begriffsverwirrung an. deren endgültige Aufklärung langer wissenschaftlicher Auseinandersetzungen bedurft hat. Er stellte auch Betrachtungen über
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die räumliche Anordnung der Atome an, wobei er bereits auf das Tetraedermodell hinwies, 6 5 Jahre vor L e B e 1 und v a n t ' H o f f (s. S. 70). Der Aufgabe einer genauen Bestimmung der Atomgewichte haben sich dann eine Reihe anderer Forscher unter dem bedeutungsvollen Vorangang von B e r z e l i u s unterzogen. In Frankreich war in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts der bedeutendste Forscher auf dem G î b ' e t der Chemie und Physik Joseph Louis G a y - L u s s a c (1787—1850). Als Sohn eines Juristen in St. Léonard in der Provinz Limousin geboren, erhielt G a y - L u s s a c in Paris seine Ausbildung, wo er von B e r t h o 11 e t (s. S. 15) besonders gefördert wurde. In seinem Forschungseifer schreckte er vor keiner Schwierigkeit :md Gefahr zurück. Er ist bei seinen experimentellen Versuchen zweimal schwer verletzt worden. Zur Erforschung der Atmosphäre unternahm er 1804 teils zusammen mit dem Physiker Jean Bapt. B i o t (1774—1S62) Luftballonfahrten bis zu 7000 m Höhe. Bei B e r t h o l l e t in Arcueil lernte er den von seiner Weltreise zurückgekehrten Alexander von H u m b o l d t (1769—1859) kennen, mit dem er zunächst Versuche zur Bestimmung der miteinander reagierenden Gasmengen ausführte und dann eine Reise nach Italien machte, um den nächsten Winter bei ihm in Berlin zuzubringen. Später wurde er Professor der Physik und der Chemie an verschiedenen Pariser wissenschaftlichen Anstalten (Sorbonne, Ecole polytechnique, Jardin des Plantes, Universität). Zusammen mit Dominique François A r a g o (1786—1853; Professor an der Ecole Polytechnique) gab er 1809—1840 die „Annales de Physique et de Chimie" heraus. G a y - L u s s a c s wissenschaftliche Leistungen sind mancherlei Art. 1802 entdeckte er (gleichzeitig mit D a 11 o n) das Gesetz der gleichmäßigen Wärmeausdehnung der Gase. 1805 bewies er zusammen mit AI. v o n H u m b o l d t , daß die Vo'umina der miteinander reagierenden Gasmengen Sauerstoff und Wasserstoff (die von verschiedenen anderen fehlerhaft ermittelt worden waren) genau im Verhältnis 1 :2 zueinander stehen. Diese Beobachtung ergänzte er später (1808—1809) durch Versuche mit mehreren anderen Gasen (NH3 + HCI, 2 SO2 + O2, usw) zu dem allgemeinen Satze, daß die Volumina der miteinander reagierenden Gase und auch einer dabei entstehenden gasigen Verbindung in einem einfachen ganzzahligen Verhältnis zueinander stehen. E r hat 2*
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die Chemie noch durch eine große Zahl wichtiger Arbeiten wesentlich gefördert. Nach der Entdeckung des Jods durch C o u r t o i s (s. S. 29) hat er die Eigenschaften d'eres neuen Elements genau erforscht; er hat Jodwasserstoff und jodsaure Salze, die freie Jodsäure selbst hergestellt. Er hat die flüssige Blausäure gewonnen und deren Zusammensetzung ermittelt (1815). Dabei zeigte er, daß das Cyan (CN) als zusammengesetztes Radikal auch in freiem Zustande existieren kann, und er hat damit das erste Beispiel für die später so bedeutungsvolle Radikaltheorie gegeben. Indem er durch genaue Elementaranalyse die gleiche prozentuelle Zusammensetzung verschiedener organischer Stoffe mit den verschiedensten Eigenschaften (Zellulose, Zucker, Stärke, Gummi) nachwies, gab er Veranlassung zur Bildung des Begriffes der Isomerie. Durch Erhitzen von Holz-Sägespänen, Baumwolle, Zucker usw. mit Ätzkali konnte er Oxalsäure darstellen. Die genaue Bestimmung der Siedepunkte organischer Flüssigkeiten benutzte er zur Prüfung von deren Reinheit. Mit den verschiedensten Schwefelverbindungen hat er eingehende Versuche ausgeführt. Die damalige Schwefelsäurefabrikation hat er durch Einschalten eines besonderen Turmes zum Auffangen der nitrosen Gase, des „Gay-Lussac-Turmes wesentlich verbessert (1827). Außerdem ist er der eigentliche Schöpfer der Maßanalyse oder Titrimetrie; durch die er nicht nur der Wissenschaft, sondern auch der chemischen Industrie einen besonders wertvollen Dienst erwiesen hat. Von ihm stammen die Bezeichnungen „Bürette", „Pipette". Er hat 1824 die Chlorimetrie (Chlorkalkbestimmung), 1828 die Alkalimetrie (Sodabestimmung), 1832 die Silber- und Chloridbestimmung eingeführt. Gay-Lussacs hervorragendster wissenschaftlicher Mitarbeiter war Louis Jacques T h e n a r d " ) (1777—1857; bäuerlicher Herkunft; Schüler von Vauquelin und Berthollet; Professor der Chemie in Paris; später geadelt und zum Pair von Frankreich ernannt). Bei ihren gemeinsamen Forschungsarbeiten gelang ihnen die Darstellung von freiem Bor und von fast wasserfreier Flußsäure. Nach D a v y s (s. S. 26) Entdeckung der Alkali- und Erdalkalimetalle (1807—1808) konnten sie zeigen, daß sich diese nicht nur durch den elektrischen Strom, sondern auch durch Erhitzen der Oxyde mit Eisen oder •) Die Schreibweise Thénard mit Akzent ist nicbt richtig.
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Kohle darstellen lassen; sie konnten auch die Amide und die Superoxyde von Kalium und Natrium darstellen (1810) und Baryumoxyd durch Erhitzen an der Luft ebenfalls in ein Superoxyd überführen. Mit letzterem gelang dann 1818 T h e n a r d , das Wasserstoffsuperoxyd zu gewinnen. Von ihren sonstigen gemeinsamen Arbeiten sei nodi das Verfahren der Elementaranalyse organischer Stoffe hervorgehoben, wobei sie Kaliumchlorat als Oxydationsmittel benutzten. T h e n a r d hat außerdem über Fettsäuren, Ätherarten, Galle usw. gearbeitet, hat auch den Traubenzucker im diabetischen Harn nachgewiesen. — Die Bleiweißherstellung hat er verbessert und den analytischen Nachweis von AZumintumverbindungen durch Glühen mit Kobaltnitrat („T h e n a r ds Blau") angegeben.
Die aufgefundenen Gesetzmäßigkeiten veranlaßten 1811 Amedeo A v o g a d r o C o m t e d i Q u a r e g n a (1776—1856; Prof. am Lvceum in Vercelli, von 1820 ab an der Universität Turin) zu der Annahme, daß von den verschiedensten Gasen in gleich großen Räumen unter gleichen äußeren Bedingungen (Druck und Temperatur) die gliche Anzahl von Molekeln vorhanden sei. Dieselbe Ansicht äußerte drei Jahre später André Marie A m p è r e (1775—1836; Prof. der Physik in Paris). Diese „Avogadrosche Hypothese" oder „Avogadrosche Regel machte mit einem Schlage das Verhalten der Gase verständlich. Trotzdem ist sie anfangs wenig beachtet, und es hat viele Jahre gedauert, bis sie ganz allfeme-:n als eine der wichtigsten Grundlagen der ganzen Chemie und Physik angenommen wurde. Als dann genauere Bestimmungen der Atomgewichte in den meisten Fällen ganzzahlige Vielfache des Gewichts vom Wasserstoff ergaben, sprach 1815 der englische Arzt William P r o u t (1786—1850), zunächst anonvm, die Hvoothese aus, alle Elemente seien aus Wasserstoff ah Urstoff zusammengesetzt. Unabhängig von ihm trat bald darauf (1818) in Deutschland Joh. L. G. M e i n e c k e (1781—1823; Prof. der Phys;k an der Ingenieurschule in Kassel, später an der Universität Halle) mit derselben Ansicht hervor. Diese „Proutsche Hypothese" mußte später bei weiterer Verfeinerung der Atomgewichtsbestimmungen wieder aufgegeben werden, hat dann aber nach hundertjäh-igem wechselvollen Schicksal durch die Ergebnisse der „Kernphysik" in den „Neutronen" und „Protonen als Bausteinen der Elemente eine glänzende Bestätigung gefunden.
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3. Entdeckung neuer Elemente und weitere Entwicklung der quantitativen Forschungsweise Während zu der Zeit, als S c h e e l e starb (17S6) und als L a v o i s i e r seine neue Oxydationstheorie entwickelte, nur wenig mehr als zwei Dutzend Elemente bekannt waren, wurde die Chemie gegen Ende des 18. und zu Anfang des 19. Jahrhunderts durch die Auffindung einer größeren Zahl neuer Elemente bereichert. Einer der erfolgreichsten Entdecker war Martin Heinrich K l a p r o t h (1743—1817). In Wernigerode a. Harz als Sohn eines Schneidermeisters geboren, widmete sich K l a p r o t h dem pharmazeutischen Beruf und „konditionierte" als Apothekerlehrling und Gehilfe in Quedlinburg, Hannover, Berlin und Danzig. In Berlin, wo er sich bei P o t t und M a r g g r a f e (s. Bd. I, S. 95 u. 97) besonders in der analytischen Chemie ausbildete, trat er dem Besitzer der Schwanen-Apotheke V a l e n t i n R o s e d . Älteren (1736—1771; Erfinder des „Roseschen Metalls", einer Blei-Wismut-Zinn-Legierung) besonders nahe. Nach dessen Tode übernahm er mit der Leitung der Apotheke auch die Erziehung des unmündigen Sohnes V a l e n t i n R o s e d. Jüngeren (1762—1807), und als auch dieser frühzeitig starb, die Erziehung von dessen beiden Söhnen H e i n r i c h R o s e (1795—1864; später Prof. der Chemie und Pharmazie) und G u s t a v R o s e (1798—1873; später Prof. der Mineralogie in Berlin). Er erwarb sich dann eine eigene Apotheke. 1797 wurde er als Lehrer der Chemie an die Artillerieschule berufen, und 1810 erhielt er bei der Eröffnung der Berliner Universität das Ordinariat für Chemie. Bereits nach drei Jahren traf den Siebzigjährigen ein Schlaganfall, von dem er sich nicht wieder erholte, so daß er die letzten vier Lebensjahre untätig verbringen mußte.
K l a p r o t h hat sich in der analytischen Chemie so sehr ausgezeichnet, daß er von B e r z e l i u s der „größte analytische Chemiker Europas genannt wurde. Auf ihn sind die endgültigen Bezeichnungen „Kali" und „Natron" im heutigen Sinne zurückzuführen. Den Silikataufschluß hat er durch die Kalischmelze im Silbertiegel verbessert; er hat ferner das sorgfältige Trocknen und Glühen der Niederschläge eingeführt und den Brauch, nicht nur die Endergebnisse, sondern die Einzelgewichte der erhaltenen Niederschläge anzugeben. Bei dieser gewissenhaften Arbeitsweise ist es ihm geglückt, eine Reihe unbekannter Grundstoffe aufzufinden. In der
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Pechblende, die für ein eisen- und auch wolframhaltiges Zinkerz gehalten wurde, wies er 1789 ein unbekanntes Element nach, das er dem 1781 von Friedr. Wilh. H e r s c h e l entdeckten Planeten Uranus zu Ehren Uranium nannte. Er ahnte nicht, daß er damit den „Urahn der Elemente" entdeckt hatte, der mit seiner verborgenen Kernenergie anderthalb Jahrhunderte später den zweiten Weltkrieg beenden sollte. Nachdem K l a p r o t h s Befund von mehreren anderen, auch von B e r z e l i u s (1823), bestätigt worden war, erbrachte 1841 Eugène Melchior P é l i g o t (1811—1890; Prof. u. Münzwardein in Paris) den Nachweis, daß die Reduktion des neuen Elements nur bis zum Oxydul geführt hatte, aus dem durch weitere Reduktion das eigentliche Uranmetall erst noch gewonnen werden mußte. Noch im gleichen Jahre der Uranentdeckung fand K1 a p r o t h in dem aus Ceylon stammenden Zirkon einen unbekannten Bestandteil, den er Zirkonerde nannte. Erst 35 Jahre später (1824) hat B e r z e l i u s daraus das metallische Zirkonium gewinnen können. 1793 wies K l a p r o t h in einem von Adair C r a w f o r d (1749—1795; Chemie-Prof. an der Milit.-Akademie in Woolwich) in der Nähe des schottischen Dorfes Strontian aufgefundenen Mineral ebenfalls eine unbekannte Erde nach, die unabhängig von ihm auch von Thomas H o p e (1766—1844; Chemie-Prof. in Edinburgh) entdeckt wurde und den Namen Strontianerde erhielt. Das metallische Strontium wurde 1808 von D a v y elektrolytisch abgeschieden (s. S. 28), aber erst 1855 von B u n s e n in wirklich reinem Zustande gewonnen (s. S. 56). Bei der Untersuchung des Rutils, der damals für eine Art Granat oder Turmalin galt, erhielt K l a p r o t h 1795 eine „weiße Erde", das Oxyd eines unbekannten Metalles, das er nach den „Ursöhnen der Erde" Titanium nannte. Er konnte dann auch zeigen, daß es sich um dasselbe Element handelte, das der englische Pfarrer Will. G r e g o r (1762 bis 1817) 1789 in einem bei Menachan in Comwall vorkommenden Mineral gefunden hatte. Das metallische Titan ist dann von B e r z e l i u s durch Schmelzen des Fluorids mit metallischem Kalium gewonnen, aber erst 1857 von W ö h 1 e r als solches erkannt worden. Gleichzeitig mit Louis Nicolas V a u q u e l i n (1763—1829; Pharmazeut, Schüler u. Nachfolger von Fourcroy, später
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Professor d. Chemie u. Pharmazie in Paris; in der anorganischen und organischen Chemie vielfach erfolgreich tätig) fand K1 a p r o t h 1797 in dem sibirischen roten Bleispat ein unbekanntes Element, das wegen der lebhaften Farben seiner Verbindungen den Namen Chrom erhielt (griechisch: „to chroma" = die Farbe). Die von V a u q u e l i n im selben Jahre gemachte Entdeckung der Beryllerde in dem altbekannten Mineral (von dem der Name „Brille" abgeleitet ist) konnte K l a p r o t h bestätigen. Bis dahin hatte man den Beryll für eine Verbindung von Tonerde, Kalk und Kieselerde angesehen. Das metallische Beryllium selbst wurde erst 1828 von W ö h 1 e r und von Ant. Alex. B u s s y (1794 bis 1882; Chemie-Prof. a. d. Ecole de Pharm, in Paris) nach demselben Verfahren wie beim Aluminium dargestellt (s. S. 45). K l a p r o t h konnte seine Funde noch um einige weitere vermehren. In dem siebenbürgischen Golderz, in dem schon 1782 Franz Joseph M ü l l e r Frhr. von R e i c h e n s t e i n (1740—1825; Leiter des siebenbürg. Berg- u. Hüttenwesens in Wien) ein unbekanntes Element vermutet hatte, wies K l a p r o t h 1798 dieses tatsächlich nach, ebenso in dem Schrifterz oder Sylvanit. Nach „der alten Mutter Erde" (lat. „tellus") nannte er es Tellurium. Der finnische Chemiker Johan G a d o l i n (1760—1825; hatte 1794 in einem bei Ytterby in Schweden aufgefundenen Mineral, das dann den Namen Gadolinit erhielt, 1794 eine unbekannte Erde gefunden, die von dem Schweden A. G. E k e b e r g (1767—1813) bei einer erneuten Untersuchung 1798 als Yttererde bezeichnet wurde. K l a p r o t h sowohl wie V a u q u e l i n stellten 1800 diesen Befund durch genaue Analyse sicher. Das neue Element Yttrium selbst wurde wiederum von W ö h 1 e r 1828 durch Schmelzen mit metallischem Kalium gewonnen (s. S. 50). In einem anderen, bis dahin für Tungstein gehaltenen schwecjischen Mineral wies K l a p r o t h 1803 ebenfalls eine noch unbekannte Erde nach, die er ihrer hellbraunen Farbe wegen „Ochroit" (griechisch: „ochros" = blaß, bleich) nannte. B e r z e l i u s und H i s i n g e r machten zur selben Zeit den gleichen Fund und, nannten das neue Element Cerium (s. S. 32). Von den sonstigen wissenschaftlichen Leistungen K l a p r o t h s sei noch der Nachweis des „pflanzlichen Alkalis" (Kalium) im Feldspat und die Entdeckung der Meilithsäure [CefCOOH)«] in dem in
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Braunkohlengruben vorkommenden „Honigstein" erwähnt. Ein besonderes . Verdienst um den Fortschritt der Chemie in Deutschland hat er sich dadurch erworben, daß er bereits 1793 als einer der ersten durch einen Vortrag in der Preußischen Akademie der Wissenschaften für die neue Lehre L a v o i s i e r s eintrat. •—• Von K l a p r o t h s schriftstellerischen Arbeiten ist vor allem sein 1795 bis 1810 in fünf Bänden erschienenes Werk „Be'träge zur chemischen Kenntnis der Mineralkörper" bemerkenswert, das lange Zeit die Grundlage für exakte Mineralanalysen gebildet hat.
In der entdeckungsfreudigen Zeit um die Jahrhundertwende wurden auch von anderen Chemikern noch mehrere neue Elemente aufgefunden. In den Rückständen der mit Königswasser behandelten P'atinerze konnten noch vier weitere Metalle nachgewiesen werden: 1802 Iridium (Name abgeleitet von dem griechischen „iris" = Regenbogen, wegen der verschiedenen Farben seiner Verbindungen) und 1804 Osmium (griechisch: „osme" = Geruch, wegen des eigentümlichen Geruchs des flüchtigen Oxyds) von Smithson T e n n a n t (1761 bis 1815, Schüler von Black; nach größeren Auslandsreisen Prof. der Chemie in Cambridge). Im gleichen Jahre (1804) entdeckte W. H. W o l l a s t o n (s. S. 18) Palladium (benannt nach dem 1802 von 0 1 f e r s entdeckten kleinen Planeten Pallas) und Rhodium (vom griechischen „to rhodon" = die Rose, wegen der rötlichen Farbe der sauren Salzlösungen). Das sechste Platinmetall Ruthenium wurde erst 40 Jahre später (1845) von Carl C l a u s aufgefunden (s. S. 85). Die nächste Entdeckungswelle wurde ausgelöst durch die um die Jahrhundertwende lebhaft entwickelte Elektrochemie. Diese nahm 1780 ihren Ausgang von der Entdeckung des Anatomie-Professors Luigi G a 1 v a n i (1737—1798) in Bologna (Zucken von Froschschenkeln bei der Berührung von zwei miteinander verbundenen verschiedenen Metalldrähten), die aber erst von dem Physiker Alessandro V o 11 a (1745—1827) in Paoia richtig gedeutet wurde. Dieser stellte 1793 die elektrische Spannungsreihe der Metalle auf, und 1798 erklärte Johann Wilhelm R i t t e r (1776—1810; damals Student in Jena, später Akademie-Professor in München; Entdecker der photochemischen Wirkung des ultravioletten Lichtes), daß die Voltasche Spannungsreihe übereinstimmt mit der Reihenfolge der Metalle in ihrer Verwandtschaft zum Sauerstoff und in ihrer wechselseitigen Ausfällbarkeit aus Lösungen. „Die An-
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kündigung darf nicht befremden", sagte er, „daß das System der Elektricität zugleich das System der Chemie und umgekehrt werden wird." Durch diese Erkenntnis wurde R i t t e r (wie O s t w a 1 d sagt) der Begründer der wissenschaftlichen Elektrochemie. Im Jahre 1800 erfand V o 11 a seine elektrische Säule, bestehend aus übereinander geschichteten Plattenpaarcn von Kupfer und Zink, jeweils durch eine mit verdünnter Schwefelsäure getränkte Filzscheibe getrennt, und schuf damit das erste Hilfsmittel zur Erzeugung ziemlich starker elektrischer Ströme. Diese aufsehenerregende Entdeckung wirkte außerordentlich befruchtend auf die weitere experimentelle Naturforschung. Noch im Entdeckungsjahre selbst konnten William N i c h o l s o n (1753—1815; Handelsmann u. Wasserbau-Ingenieur in London) und Sir Anthony C a r 1 i s 1 e (1768—1840; Chirurg u. Anatomie-Prof. in London) das Wasser durch den elektrischen Strom in Wasserstoff und Sauerstoff zerlegen, nachdem dieses bereits 1789 den Holländern Joh. Rudb. D e i m a n (1743—1808; Arzt in Amsterdam) und Adriaan Paets von T r o o s t w i j k (1752—1837; Handelsmann in Amsterdam) mit Hilfe der Reibungselektrizität gelungen war. Die auch noch von verschiedenen anderen beobachteten elektrolytischen Erscheinungen wurden (1805) von dem zwanzigjährigen Deutschbalten Theodor Freiherrn von G r o 11 h u ß (1785—1822; Privatgelehrter u. Gutsbesitzer in Litauen) in der Weise gedeutet, daß beim Durchgang des elektrischen Stromes durch die Lösung zwischen den einzelnen Molekeln ein Austausch der positiven und negativen Elektrizität stattfinde und daß sich an den Polen die in Freiheit gesetzten Bestandteile abscheiden, während sie sich in der Lösung selbst immer wieder kettenartig miteinander verbinden. Zu besonders glänzenden Erfolgen führten die neuen elektrischen Hilfsmittel in den Händen des jugendlichen Humphry D a v y (1778—1829), den seine Entdeckungen zum „berühmtesten Chemiker Europas" machten. Aus einfachen Verhältnissen stammend — sein Vater war Holzschnitzer in Penzance in Cornwall — wurde D a v y bei einem praktischen Arzt in die Lehre gegeben, wo er seine ungewöhnliche naturwissenschaftliche Begabung durch unermüdliches Selbststudium zur höchsten Leistungsfähigkeit ausbildete. Als Zwanzigjähriger trat er in das „Pneumatische Institut" von Dr. Beddoes
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in Clifton bei Bristol ein, wo er die berauschende Wirkung des Stickstoffoxyduls (N 2 0) entdeckte, das infolgedessen den Namen „Lachgas" (laughing-gas) erhielt. Seine Tüchtigkeit verschaffte ihm nach drei Jahren (1801) eine Anstellung an der von dem Philanthropen Graf R u m f o r d (1753—1814) gegründeten „Royal Institution" in London. Hier hatte er für ein gebildetes Laienpublikum Exp^rimentalvorlesungen zu halten. Das tat er mit solchem Erfolg, daß er bereits nach wenigen Monaten zum ordentlichen Professor ernannt wurde. Er spielte bald in den höheren Gesellschaftsschichten eine große Rolle, wurde 1812 als S i r H u m p h r y D a v y geadelt und heiratete eine wohlhabende Witwe, der zu Gefallen er seine Professur niederlegte. Mit seiner Frau unternahm er größere Reisen nach Frankreich und Italien, auf deren erster (1814) er den jungen Michael F a r a d a y (s. S. 36) als Sekretär und Reisemarschall mitnahm. In seinen Koffern führte er chemische und physikalische Instrumente mit, so daß er unterwegs seine experimentellen Untersuchungen mit gewohnter Eilfertigkeit fortsetzen konnte. Infolge übergroßer Anstrengung erlitt er einige Male einen völligen körperlichen und geistigen Zusammenbruch. Auf der Rückkehr von seiner letzten, ohne seine Gattin unternommenen Italienreise starb er als Einundfünfzigjähriger in Genf, wo er auch begraben wurde. Die wissenschaftlichen Leistungen, durch die D a v y die Welt in Staunen versetzte, vollbrachte er mit Hilfe der \'oltaschen Säule. Die sich zwischen den Kupfer- und Zinkplatten und der Säure oder Salzlösung abspielenden Vorgänge suchte er in der Weise zu erklären, daß er die Voltasche Kontakttheorie mit einer auch von andeien vertretenen chemischen Theorie verknüpfte. Durch weitgehende Reinigung des Wassers, wobei er an Stelle der zu jener Zeit noch besonders leicht angreifbaren Glasgefäße solche aus Gold verwendete, konnte er nachweisen, daß bei der elektrischen Zerlegung des Wassers nicht, wie andere Forscher meinten, Alkali und Säure erzeugt werden, sondern nur Wasserstoff und Sauerstoff. Bei weiteren Versuchen mit galvanischen Elementen, die er durch feuchte Stoffstreifen miteinander verband, beobachtete er Erscheinungen, die später als „Wanderung der Ionen" bezeichnet wurden. Der Eindruck von D a v y s Leistungen war so groß, daß ihm 1806 der von N a p o l e o n für Entdeckungen auf dem Gebiete der Elektrizität gestiftete Preis zuerkannt wurde, den 5 Jahre zuvor
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V o l t a für seine „Säule" erhalten hatte. Alles das wurde jedoch noch überstrahlt durch die Leistungen, die er im folgenden Jahre (1807) vollbrachte, indem er aus geschmolzenen Alkalien durch starken elektrischen Strom metallisches Kalium und Natrium abschied. Die überraschenden Eigenschaften dieser Metalle, die von dem Verhalten der sonstigen Metalle so sehr abweichen — sie schwimmen auf Wasser unruhig herum, entzünden sich selbst und verschwinden grell leuchtend mit lautem Knall —, sind zugleich symbolhaft für das Wesen ihres Entdeckers. Die von D a v y vorgeschlagenen Namen Potassium und Sodium fanden nur in England und Frankreich Beifall. Ludwig Wilhelm G i l b e r t (1769—1824; Professor d. Chemie u. Physik in Halle und in Leipzig; Herausgeber der „Annalen der Physik") schlug dagegen die Namen Kalium und Natronium vor, und ß e r z e l i u s kürzte den letzteren in Natrium ab. D a v y glückte 1808 auch die Darstellung der Erdalkalimetalle Calcium, Strontium und Baryum, die er unter Anwendung von Quecksilberelektroden zunächst als Amalgame gewann. Das auf dieselbe Weise dargestellte metallische Magnesium war ziemlich unrein und konnte erst 1829 von L i e b i g und von B u s s y (s. S. 24) in reinem Zustande gewonnen werden. — Aus der Tonerde ein Metall abzuscheiden, wollte D a v y nicht gelingen. Durch eingehende Versuche mit Salzsäure und deren Verbindungen konnte D a v y 1810 den Beweis erbringen, diß die sogenannte „oxydierte Salzsäure" nicht weiter zerlegbar und als ein Element zu betrachten ist, für das er den Namen „chlorine" oder „chloricgas" vorschlug (griech. : „chloros" = grünlich-gelb). Statt dessen ist von G a y - L u s s a c der einfachere Name Chlor eingefüh t. Der von Joh. Salomo Christoph S c h w e i g g e r (1779—1857; Prof. in Erlangen u. in Halle; Herausgeb. d. Journ. f. Physik u. Chemie) vorgeschlagene Name „Halogen" wurde dann nach der Entdeckung von Jod und Brom für alle drei Elemente als Gruppenbezeichnung eingeführt. — D a v y entdeckte auch das explosive Chlordioxyd, ferner stellte er Phosphortri- und -pentachlorid und die phosphorige Säure dar. Die Flußsäure, die bereits A m p è r e (s. S. 21) für eine Wasserstoifverb'ndung eines unbekannten Elements erklärt hatte, erwies D a v y ebenfalls als sauerstofffrei. Das freie Fluor zu gewinnen, ist aber erst 1886 Henri M o i s s a n gelungen (s. S. 95).
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Im Jahre 1811 entdeckte der Seifen- und Salpetersieder Bernard C o u r t o i s (1777—1838) in Paris in der aus Seetangasche gewonnenen Mutterlauge das Jod (griech.: „ioeidés" = veilchenblau), dessen näherer Untersuchung sich G a y L u s s a c widmete (s. S. 20). Aber auch D a v y wurde von der neuen Entdeckung angelockt. Während seines Pariser Aufenthalts (1813) führte er mit den ihm durch A m p è r e übermittelten Jodproben mit Hilfe seines Reise-Instrumentariums, teils auch im Laboratorium des jungen C h e v r e u l (s. S. 58), Versuche aus —• er stellte Jodwasserstoff und verschiedene andere Jodverbindungen dar, auch den von C l é m e n t und D é s o r m e s (s. S. 99) inzwischen entdeckten Jodstickstoff mit seiner explosiven Eigenschaft — , und er beeilte sich trotz aller gesellschaftlichen Beanspruchungen so sehr, daß er seinem Rivalen G a y - L u s s a c mit seiner Veröffentlichung tatsächlich zuvorkam. Eine Erfindung, zu der D a v y durch die sich häufenden Schlagwetterkatastrophen in den englischen Kohlengruben veranlaßt wurde, ist die der Sicherheitslampe (1815), in der die brennende Flamme durch ein engmaschiges Drahtnetz von der Außenluft abgetrennt ist. Diese überaus segensreiche Erfindung hat D a v y s Namen zwar sehr populär gemacht, hat ihm aber auch einen verdrießlichen langwierigen Prioritätsstreit mit dem Verbesserer der Dampfmaschine, George S t e p h e n s o n (1781—1848) eingetragen. Bei den Untersuchungen über Verbrennungsvorgänge entdeckte er auch noch die katalytische Wirkung erwärmter Platindrähte auf brennbare Gasgemische. Den weiteren experimentellen Ausbau der auf der Atomhypothese beruhenden quantitativen Forschung verdankt die Chemie in erster Linie einem Manne, der die Fähigkeiten eines ausgezeichneten Experimentalforschers, eines Theoretikers, Organisators und Lehrers in seltenster Weise in sich vereinigte. Das war der Schwede Jons J a c o b B e r z e l i u s (1779—1848). In Wäversunda (Ostgotland) im Hause der mütterlichen Großeltern geboren — der Vater war Schulleiter in Linköping —, mußte der junge B e r z e l i u s nach dem frühen Tode der Eltern (1783, 1788) schon als Schüler selbst für sein Fortkommen sargen. Durch Erteilung von Unterricht und Betätigung in der Landwirtschaft erzwang er sich die Möglichkeit des Medizinstudiums in
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Uppsala, wo er sich als „Werkstudent" aber alsbald auch eingehend mit der Chemie beschäftigte. Mit eiserner Energie überwand er alle Schwierigkeiten. Nach bestand?nem medizinischen Staatsexamen wurde er 1802 als unbesoldeter „Adjunkt" am „Chirurgischen Institut" in Stockholm, angestellt. Der Bergwerksbesitzer W. H i s i n g e r (1776—1852), in dessen Hause er wohnte, wu/de sein persönlicher Freund und wissenschaftlicher Mitarbeiter. Durch Beteiligung an einem gewerblichen Unternehmen geriet er in sehr große Schulden, deren Abtragung ihn viele Jahre lang schwer belastete. Im Jahre 1807 zum Professor ernannt, wurde er im folgenden Jahre in die Schwedische Akademie der Wissenschaften aufgenommen, die ihn bereits 1810 zum Präsidenten wählte und dsren ständiger Sekretär er von 1818 ab war. Seine wissenschaftlichen Verdienste fanden auch öffentliche Anerkennung. Gelegentlich der Krönung Bemadottes zum König von Schweden (1818) wurde er geadelt, und später (1835) wurde er noch in den Freiherrnstand erhoben. Bei alledem widmete er sich unbeirrt weiter mit ungeheurem Fleiß der chemischen Forschung und bildete in seinem Akademie-Laboratorium auch junge strebsame Schüler, jeweils immer nur einen oder zwei, zu tüchtigen Forschern aus; darunter die Deutschen Chr. Gottlieb G m e 1 i n (s. S. 102), H e i n r i c h und G u s t a v R o s e (s. S. 22), Friedrich W ö h 1 e r (s. S. 47), Gustav M a g n u s (s. S. 17). Wie manche andere Experimentalforscher erlitt auch B e r z e l i u s (1809 beim Arbeiten mit Knallgold) einen schweren Explosionsunfall, der ihn der geschädigten Augen weg=n monatelang zum Aufenthalt im Dunklen zwang. Einige Male (1818 und 1835) mußte er seine ständige Überanstrengung mit einem völligen körperlichen und geistig-seelischen Zusammenbruch büßen. In größeren Reisen suchte und fand er wieder Erholung. Im Alter von 56 Jahren heiratete er noch ein 24jähriges Mädchen. Zuletzt von einem schweren gichtischen Leiden geplagt, starb er, immer noch völlig klaren Geistes, kurz vor Vollendung seines 69. Lebensjahres. Die wissenschaftlichen Leistungen von B e r z e l i u s liegen auf allen Gebieten der Chemie. Sie gingen auch bei ihm von der Voltaschen Säule aus. Bereits 1802 konnte er gemeinsam mit seinem Freunde und Gönner H i s i n g e r feststellen, daß die Alkalisalze beim Durchgang des elektrischen Stromes in Säure und Base zerlegt werden. Dieser Befund wurde für ihn die Grundlage seiner später (1819) entwickelten
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elektrochemischen Theorie und seines dualistischen Systems. Er betrachtete die E]ektriz : tät als „primum movena" aller chemischen Vorgänge und übertrug diese Anschauung auch auf die Elementar-Atome, die er als elektrisch dipolar auffaßte mit einer — außer beim neutralen Wasserstoff — überwiegenden positiven oder negativen elektrischen Ladung. Entsprechend der Voltaschen Spannungsreihe ordnete er die Elemente in eine elektrochemische Reihe, die von dem stärksten elektropositiven Kalium über den neutralen Wasserstoff bis zum (damals) stärksten negativen Element, dem Sauerstoff, führt. Sein auf dem dipo'aren Prinzip beruhendes dualistisches System legt er auch seinen Anschauungen über die chemischen Verbindungen zugrunde: Durch Vereinigung des Sauerstoffs mit den Metallen entstehen die hasischen Oxyde ( K 2 O ) , durch Vereinigung mit den Metalloiden die sauren Oxyde (SO3) als Verbindungen erster Ordnung, durch Vereinigung der bisischen und der sauren Oxyde entstehen die neutralen Sähe (K?0, S O 3 ) als V e r b i n d u n g e n z