Gender im medienethischen Diskurs 3515107185, 9783515107181

Medien sind nicht nur Schauplatz für Gender-Modelle und Verhaltensregeln der Geschlechter, sie formulieren auch Werturte

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German Pages 207 [211] Year 2014

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Table of contents :
INHALTSVERZEICHNIS
GENDER AUS MEDIENETHISCHER SICHT – EINE EINFÜHRUNG
I. GENDER UND ETHIK
GENDER IM MEDIENETHISCHEN DISKURS EINE LEERSTELLE, DIE GEFÜLLT WERDEN SOLLTE
II. REPRÄSENTATION UND KRITIK
EINSEITIGE UND STEREOTYPE GESCHLECHTERROLLEN – ÜBERSCHREITUNG DER RECHTLICHEN GRENZEN IM FERNSEHEN
VON SCHLÜMPFEN, SUPERHELDEN UND STARKEN ADD-ON-SUPERHELDINNEN
GESCHLECHTSSPEZIFISCHE COMPUTERSPIELSOZIALISATION IN DER FAMILIE
„MEIN BABY GEHÖRT ZU MIR.“ ROLLENBILDER IM JUGENDFILM – EIN GESELLSCHAFTLICHER DISKURS IN SEINER FILMISCHEN REPRÄSENTATION
INSZENIERUNG WEIBLICHER GESCHLECHTSKONSTRUKTIONEN IM REALITY TV
TYPISCH FRAU, TYPISCH MANN? EINE ANALYSE VISUELL-NARRATIVER STEREOTYPE IM SPANNUNGSFELD VON GENDER, ETHIK UND MEDIEN
„ZU SCHÖN, UM WAHR ZU SEIN“ – GESCHLECHTER-DIFFERENZEN ALS THEMA DER MEDIENSOZIOLOGIE
III. JOURNALISMUS UND GENDER
DER PRÄSIDENT UND DIE HERAUSFORDERIN – GESCHLECHTERKONSTRUKTIONEN VON SPITZENKRÄFTEN IN DER POLITIK AUS MEDIENETHISCHER PERSPEKTIVE
FRAUEN IM WIRTSCHAFTS- UND FINANZJOURNALISMUS
MEHR MEDIEN-FRAUEN – BESSERE BERUFSMORAL?VERANTWORTUNGSETHISCHE PERSPEKTIVEN FÜR DIE INFORMATIONSVERMITTLUNG IN JOURNALISMUS UND PR
KURZBIOGRAFIEN
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Gender im medienethischen Diskurs
 3515107185, 9783515107181

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Petra Grimm / Oliver Zöllner (Hg.)

Medienethik Franz Steiner Verlag

Schriftenreihe Medienethik - Band 12

Gender im medienethischen Diskurs

Petra Grimm / Oliver Zöllner (Hg.) Gender im medienethischen Diskurs

Herausgegeben von Rafael Capurro und Petra Grimm Band 12

Petra Grimm / Oliver Zöllner (Hg.)

Gender im medienethischen Diskurs

Franz Steiner Verlag

Umschlagfoto: Hochschule der Medien Stuttgart Redaktion: Karla Neef

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2014 Druck: Laupp & Göbel, Nehren Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier. Printed in Germany. ISBN 978-3-515-10718-1

INHALTSVERZEICHNIS

Petra Grimm Gender aus medienethischer Sicht – eine Einführung

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I. GENDER UND ETHIK Larissa Krainer Gender im medienethischen Diskurs. Eine Leerstelle, die gefüllt werden sollte

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II. REPRÄSENTATION UND KRITIK Verena Weigand Einseitige und stereotype Geschlechterrollen – Überschreitung der rechtlichen Grenzen im Fernsehen

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Maya Götz Von Schlümpfen, Superhelden und starken Add-on-Superheldinnen

51

Katrin Schlör Geschlechtsspezifische Computerspielsozialisation in der Familie

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Clarissa Henning „Mein Baby gehört zu mir.“ Rollenbilder im Jugendfilm – ein gesellschaftlicher Diskurs in seiner filmischen Repräsentation

79

Claudia Töpper Inszenierung weiblicher Geschlechtskonstruktionen im Reality TV

103

Katrin Döveling/Jana Fischer Typisch Frau, typisch Mann? Eine Analyse visuell-narrativer Stereotype im Spannungsfeld von Gender, Ethik und Medien

115

Michael Jäckel/Julia M. Derra „Zu schön, um wahr zu sein“ – Geschlechterdifferenzen als Thema der Mediensoziologie

141

6

Inhaltsverzeichnis

III. JOURNALISMUS UND GENDER Elke Grittmann/Tanja Maier Der Präsident und die Herausforderin – Geschlechterkonstruktionen von Spitzenkräften in der Politik aus medienethischer Perspektive

153

Barbara Brandstetter Frauen im Wirtschafts- und Finanzjournalismus

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Bärbel Röben Mehr Medien-Frauen – bessere Berufsmoral? Verantwortungsethische Perspektiven für die Informationsvermittlung in Journalismus und PR

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Kurzbiografien

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GENDER AUS MEDIENETHISCHER SICHT – EINE EINFÜHRUNG Petra Grimm

1

DIE GESCHLECHTERFRAGE – EINE FRAGE DER MEDIENETHIK?

Als Ausgangspunkt für eine Reflexion der Geschlechterfrage könnte folgendes Gedankenspiel dienen: Angenommen, wir dürften vor unserer Geburt entscheiden, wie das Geschlechterverhältnis nach unserer Geburt in der Gesellschaft aussieht, wüssten aber nicht, ob wir selbst als Frau, Mann oder Zwitter geboren werden: Wie würden wir die Freiheitsspielräume der Geschlechter und ihr Verhältnis zueinander bestimmen? Zu vermuten ist, dass sich die Mehrheit – schon aus Eigeninteresse – für eine faire Vereinbarung der Geschlechterbeziehungen, entscheiden würde. „Fairness“ in diesem Sinne heißt: gleiche Freiheitsrechte für jedes Geschlecht in Partnerschaft, Familie und Beruf. Denn sich für ein solches Geschlechterszenario zu entscheiden würde am ehesten das Risiko mindern, aufgrund des Geschlechts Einschränkungen hinsichtlich Karriere, Partnerschaft und Familie in Kauf nehmen zu müssen. Dieses Gedankenexperiment versinnbildlicht letztlich unsere Werteordnung einer liberaldemokratischen Gesellschaft, die sich auf die Grundprinzipien von Gerechtigkeit, Freiheit und Solidarität verständigt hat. So besteht auch de jure und politisch Konsens darüber, dass eine Gleichberechtigung der Geschlechter und eine gerechte Geschlechterordnung gelten sollten. Gleichwohl lassen sich in unserer alltäglichen Lebenswelt und kulturellen Praxis nach wie vor asymmetrische Geschlechterverhältnisse erkennen. Die geringe Anzahl an Frauen in politischen, wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Spitzenpositionen stellt hier nur eine Facette dar. Weitaus facettenreicher bezeugen die Medien, vor allem die populären, dass eine Rollenvielfalt und symmetrische Geschlechterordnung selten dargestellt wird. Medien sind nicht nur Schauplatz für Gender-Modelle und Verhaltensregeln der Geschlechter, sie formulieren auch Werturteile und erzeugen Vorstellungen von Männlichkeit und Weiblichkeit. Sie definieren mit, wie ‚Frauen‘ und ‚Männer‘ sein sollen und was als Abweichung gilt. Ebenso können sie auch alternative Rollenbilder widerspiegeln, formen und weiterentwickeln. Insbesondere für Jugendliche sind die in zahlreichen Unterhaltungs- und Informationsmedien dargestellten Rollenbilder Identifikations- und Lehrmaterial für die eigene Geschlechtsidentitätsbildung. Medien sind insgesamt gesehen somit ein wesentlicher Faktor in der Geschlechterfrage. Selbstkritisch muss sich die Medienethik deshalb fragen, warum sie das Gender-Thema bislang noch nicht ausreichend reflektiert hat. Ein erster Versuch erfolgte im Rahmen des XI. HdM-Symposiums zur Medienethik am 06. Dezember 2011 in Stuttgart, aus dem der vorliegende Band entstand. Eingeladen waren ReferentInnen aus der Medienethik, Mediensoziologie und Medienwissenschaft sowie des

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Petra Grimm

Jugendmedienschutzes und des Journalismus, die sich aus unterschiedlichen Perspektiven dem Themenfeld „Medien, Gender und Ethik“ näherten. Eingebunden in das Symposium war die Verleihung des Medienethik-Awards „META“, mit dem Studierende der Hochschule der Medien die besten journalistischen Beiträge zum Thema „Lebensentwürfe und Geschlechterbilder“ prämierten. 2

MEDIENETHISCHE PERSPEKTIVE

2.1

EbEnEn dEr EthischEn GEndErfraGE

Dass genuin ethische Fragen mit der Gender-Thematik verbunden sind, lässt sich auf unterschiedlichen Ebenen beschreiben: So wäre auf der Makroebene zu reflektieren, inwieweit die Medien die Idee der Geschlechtergleichheit im Sinne gleicher Freiheitsrechte als Grundwert unserer liberaldemokratischen Gesellschaft widerspiegeln. Als zentrales Funktionssystem unserer Gesellschaft können sie Öffentlichkeit für die Themen der ‚sexual politics‘ herstellen, aber auch den Trend zur Desartikulation und Abwertung der Gleichstellung von Frauen und Männern befördern. Nicht unerheblich ist deshalb, wie in Medienunternehmen des Rundfunks, der Presse, der PR und der Werbung sowie in Unternehmen der Informations- und Kommunikationstechnologie, also auf der Mesoebene, Machtstrukturen genderspezifisch ausgeprägt sind. So verdeutlicht z. B. die von über 300 Journalistinnen (von Tageszeitungen, Wochen- und Monatszeitschriften, Online-Redaktionen, Hörfunk und Fernsehen) gegründete Gleichstellungsinitiative ProQuote Medien e. V., dass in Medienunternehmen eine berufliche Gleichstellung von Frauen und Männern bislang noch nicht besteht. Mit der Forderung, „eine verbindliche Frauenquote von 30 Prozent auf allen Führungsebenen bis 2017 – in allen Print- und Onlinemedien, TV und Radio“1 zu erreichen, möchte die Initiative geschlechterungleiche Strukturen in Medienunternehmen verändern. Die bislang unterschiedliche Repräsentation von Frauen und Männern in führenden Medienberufen hat im Kern eine (medien-) ethische Bedeutung, denn letztlich geht es um Fragen der Chancengleichheit (z. B. hinsichtlich einer beruflichen Karriere im Journalismus) und der Sicherstellung von Meinungsvielfalt in den Medien (z. B. hinsichtlich der Gestaltung der MedienAgenda und der Behandlung von Gleichstellungsthemen und Geschlechtervielfalt). Auch auf der individuellen Mikroebene der Akteure lassen sich ethische Fragen reflektieren, wie z. B.: Welche Ausprägungen hat „Gender“ in Entscheidungs- und Handlungsprozessen? Welche Gründe gibt es für die unterschiedlichen Karrieren von weiblichen und männlichen Medienakteuren? Gibt es geschlechterdifferenzierte Beurteilungen von Ereignissen, über die berichtet wird? Welche Verantwortung tragen Medienschaffende bei der Entwicklung und Produktion von Unterhaltungsformaten hinsichtlich der Handlungsfiguren und Stories (z. B. in Kinderserien)?

1

Vgl. www.pro-quote.de.

Gender aus medienethischer Sicht – eine Einführung

2.2

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sEmiosphärE dEr GEschlEchtErdarstEllunGEn

Die Geschlechterfrage auf der Makro-, Meso- und Mikroebene verschränkt sich schließlich auch mit der Semiosphäre2 unserer mediatisierten Lebenswelt, also den in den Medien zirkulierenden Geschlechterdarstellungen. So stellt sich aus medienethischer Sicht die Frage, ob die Medien Rollenvielfalt und Modelle mit flexiblen Lebensentwürfen vermitteln oder ob stereotype Geschlechterrollen und heteronormative Lebensmodelle, die eine Ungleichstellung der Geschlechter befürworten, vorherrschen. Ebenso sollte es Aufgabe einer angewandten Medienethik sein, für die vor allem in der massenmedialen Semiosphäre enthaltenen geschlechterungleichen Beurteilungsschemata (z. B. Objektifizierung, Verdinglichung, ungleiche Wertigkeit der Eigenschaften) zu sensibilisieren. 2.2.1

Stereotypisierung

Stereotype sind generalisierende Vorstellungen, die jemand über eine bestimmte Gruppe von Menschen hat. Stereotype spielen eine entscheidende Rolle bei der Rechtfertigung von Ungleichbehandlungen und können vorhandene Vorurteile verstärken, indem sie diese im medialen Alltag ständig widerspiegeln. Insbesondere realitätsnahe Darstellungen in massenmedialen Unterhaltungsformaten können den Eindruck verstärken, die dargestellten Stereotype entsprächen der „Wirklichkeit“. Besonders das sog. Reality TV bzw. Realitätsfernsehen arbeitet mit Geschlechterstereotypen.3 Weibliche und männliche Stereotype werden häufig so dargestellt, als wenn sie aufgrund ihrer erkennbaren Geschlechtszugehörigkeit bestimmte Eigenschaften und Verhaltensweisen hätten (vgl. Hauber/Schadt, 2012). Dabei wird so getan, als wenn ihre Merkmale natürlich seien und ihrem Wesenskern entsprächen. Das heißt, die Stereotypisierung basiert auf einer Naturalisierung bzw. biologistischen ‚Logik‘, so dass diese Rollenbilder als unabänderlich erscheinen. Die Semiosphäre von Sozialen Online-Netzwerken verdeutlicht, dass eine solche durch populäre Medien evozierte ‚Wirklichkeitskonstruktion‘ von Rollenbildern auch Auswirkungen auf die Selbstinszenierung der Nutzer/innen haben kann. Nimmt man insbesondere die Altersgruppe der Jugendlichen in den Blick, die sich ja noch in der Phase der Geschlechtsidentitätsentwicklung befinden, so scheinen sich viele an diesen populären Vorbildern der Medien zu orientieren, wenn sie sich 2 3

Unter dem Begriff „Semiosphäre“ wird hier die Gesamtheit aller mittels Zeichen vermittelter medialen Äußerungen verstanden, die gleich einer Biosphäre unsere Kommunikationswelt umgibt. Das Reality TV gibt vor, das Leben von Alltagsmenschen zu durchleuchten oder unbekannte Darsteller auf einer öffentlichen Bühne, wie z. B. bei Castingshows, authentisch darzustellen. Auch Scripted-Reality-Formate, die sich an einem Drehbuch orientieren, aber vorgeben, reale Geschehnisse zu zeigen, sind beliebt und erreichen bei Kindern und Jugendlichen Marktanteile von bis zu 25 Prozent. Dabei wird bis zu einem Alter von rund 15 Jahren der geskriptete Charakter der Formate meist nicht erkannt. Es finden Verwechslungen mit Dokumentationen oder nachgespielten ‚echten‘ Geschichten statt (vgl. Götz 2012: 3).

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in den Sozialen Online-Netzwerken selbst präsentieren (vgl. Tillmann 2012; Schär 2013). Jugendliche zeichnen bei ihrer Selbstdarstellung, wie Astheimer/NeumannBraun/Schmidt (2011: 100ff.) zeigen, stereotype Bilder von Weiblichkeit oder Männlichkeit, bei deren Darstellung vor allem die Persönlichkeit und individuelle Besonderheit der Jugendlichen in den Hintergrund und die Rollendarstellung in den Vordergrund tritt. Es werden dabei allerdings keine selbstentwickelten Rollen gelebt, sondern es findet eine Orientierung an den ‚Vorbildern‘ klassischer Geschlechterordnung statt. Diese werden imitiert in dem Glauben, dass die hier gezeigten Bilder die Norm dessen darstellen, was als attraktiv und nachahmenswert gilt. Die Nachahmung hat dabei vor allem mit dem Wunsch nach Zugehörigkeit – respektive der Angst vor Ausgrenzung – zu tun. Aus medienethischer Sicht stellt sich damit die Frage, wie Jugendliche zu einem selbstbestimmten Gender-Identitätsmanagement motiviert werden können, wenn sie sich in der für sie relevanten medialen Lebenswelt präsentieren. Dass die Relevanz der Geschlechterfrage gerade auch in Bezug auf die junge Generation besonders hoch ist und damit auch die Rolle der Medien als Orientierungsinstanz für Jugendliche aus ethischer Sicht zu reflektieren wäre, legen die Befunde zum Point of View der Jugendlichen bezüglich aktueller Gender-Modelle und Rollenbilder nahe. So zeigt die Studie des Sinus-Instituts (Calmbach/Debus 2013), dass traditionelle und unflexible Geschlechterbilder bei Jugendlichen unterschiedlicher Lebenswelten, insbesondere bei den männlichen, durchaus Bestand haben. „Flexible, mehrdimensionale, kritische Geschlechtervorstellungen, die auf einseitige und/oder traditionelle Zuschreibungen (fast) völlig verzichten, existieren kaum – v. a. unter Jungen findet man sie nur selten.“ (Ebd.: 71) Auch die Vorstellungen und Lebensentwürfe der Jugendlichen bezüglich einer Gleichstellung der Geschlechter in Bezug auf Partnerschaft und Arbeitsteilung deuten darauf hin, dass sich die Ethik intensiver mit der Geschlechterfrage befassen sollte. So befürworten Teile der Jugendlichen (insbesondere benachteiligte Jungen und Mädchen sowie bürgerlich-konservative Jungen) eine Machtasymmetrie zugunsten des Mannes. Daneben werden auch leicht abgeschwächte Gleichstellungsmodelle von den Jugendlichen vertreten, die entweder mit leichter Verschiebung zugunsten des Mannes, mit traditioneller Arbeitsteilung oder mit einer Beschützerfunktion des Mannes verbunden sind. Ein Modell, in dem eine Machtverschiebung zugunsten der Frau besteht, existiert unter den Jugendlichen nicht. Wenngleich die Medien für diese asymmetrischen Geschlechterrollenbilder und Modelle in den Köpfen der Jugendlichen nicht als ‚Verursacher‘ gelten können, können sie doch als Normierungs- und Orientierungsinstanz Einfluss auf die eigene Geschlechtsrollenidentität nehmen. 2.3

GEschlEchtErunGlEichE bEurtEilunGsschEmata in dEn mEdiEn

Aus medienethischer Sicht lassen sich im Wesentlichen vier Aspekte geschlechterungleicher Bewertungsschemata identifizieren: Selbstobjektifizierung, ungleiche

Gender aus medienethischer Sicht – eine Einführung

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Wertigkeit dargestellter Geschlechtereigenschaften, Verdinglichung und ungleiche Repräsentanz der Geschlechter. 2.3.1

Selbstobjektifizierung

Die mediale Inszenierung der Selbstobjektifizierung, wie sie in vielen Casting- und Votingshows (z. B. GErmany’s nExt topmodEl) vorgeführt wird, lässt sich als eines der augenfälligsten geschlechterungleichen Schemata identifizieren. So vermitteln hier die Medien, dass die Selbstwertschätzung von jungen Frauen von der Beurteilung des eigenen Körpers durch andere abhängt. Nach Pierre Bourdieu (2012 [1998]) ist diese „Objektivierung durch den Blick und die Reden der anderen“ symptomatisch für den weiblichen Habitus in einer heteronomen Gesellschaft: Die männliche Herrschaft konstituiert die Frauen als symbolische Objekte, deren Sein (esse) ein Wahrgenommenwerden (percipi) ist. Das hat zur Folge, dass die Frauen in einen andauernden Zustand körperlicher Verunsicherung oder besser, symbolischer Abhängigkeit versetzt werden: Sie existieren zuallererst für und durch die Blicke der anderen, d. h. als liebenswürdige, attraktive, verfügbare Objekte. (Bourdieu 2012 [1998]: 117) Dass negative Folgen der Selbstobjektifizierung in Bezug auf das körperliche Wohlbefinden, die Gesundheit und die Selbstwertschätzung, insbesondere bei Jugendlichen, nicht auszuschließen sind, legen empirische Befunde nah: So lassen sich sowohl bei Mädchen als auch bei jungen Frauen Korrelationen zwischen der Nutzung von Fernsehinhalten, die ein sehr schlankes Körperideal in den Vordergrund stellen, und Körperunzufriedenheit sowie Essstörungen feststellen (vgl. Harrison/Hefner 2006: 153, 159ff.). Darüber hinaus gibt es Hinweise darauf, dass eine geringe Körperzufriedenheit bei jungen Mädchen mit einem niedrigen Selbstbewusstsein zusammenhängt (vgl. Dohnt/Tiggemann 2006: 929). Die Körperunzufriedenheit steigt dabei in der Regel mit zunehmendem Medienkonsum. Wenngleich Essstörungen größtenteils Mädchen betreffen, können auch Jungen Körperideale entwickeln, die mit Essstörungen einhergehen oder nur durch exzessiven Muskelaufbau erreichbar sind (vgl. Raufelder/Jagenow/Ittel 2011: 22). Insgesamt betrachtet reichen die Extreme dieser Entwicklungen von einem sehr starken Schlankheitsbedürfnis bis hin zu einer erhöhten Bereitschaft zu Body-Modification (vgl. Koch/Hofer 2011: 236f.). Aus medienethischer Sicht wäre eine Reflexion solcher Inszenierungen von selbstobjektifizierenden Rollenidealen insbesondere in der medienpädagogischen Praxis notwendig. Sich selbst entfalten zu können und in Beziehungen mit anderen ein Verhältnis zu sich selbst (den eigenen Wünschen, Zielen, Überlegungen und Gefühlen) zu finden sowie die Fähigkeit zu einem selbstbestimmten Handeln zu erlernen, sind Eckpfeiler, auf denen ein autonomes Leben beruht. Nach Beate Rösler (2011: 93) ist unter Autonomie „die Fähigkeit von Personen [zu verstehen], über ihr eigenes Leben bestimmen zu können, ihr eigenes Leben zu führen anhand von Gründen,

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Überlegungen, Motiven, Wünschen, die ihre eigenen sind und nicht von anderen [...] aufgezwungen werden.“ Entgegen feministischer Positionen, die das Autonomiekonzept als ein an männlichen Lebensidealen orientiertes verwerfen, vertreten Mackenzie/Stoljar (2000) das Konzept einer „Relational Autonomy“, bei dem der soziale Kontext und die Bedingungen bzw. Möglichkeiten für ein autonomes Leben zu berücksichtigen sind und zudem die Fähigkeit zur Autonomie erst erlernt werden muss. Als Lernfaktor im negativen wie positiven Sinne können in diesem Zusammenhang auch die Medien fungieren. Die massenmediale Verbreitung eines Frauenbildes, bei dem Selbstobjektifizierung und Verdinglichung als ‚natürliches‘ weibliches Verhalten definiert wird, kann Mädchen zur Anpassung an diesen Verhaltenscode motivieren. Damit verringern sich ihre Chancen auf ein autonomes Leben: sich selbst zu entdecken, eigene Werte und Ziele selbst zu bestimmen und sich selbst zu reflektieren. 2.3.2

Verdinglichung

Der zweite Aspekt der Verdinglichung (eine Person bloß als Mittel zu behandeln) bedeutet, jemanden in ethisch unzulässiger Weise zu instrumentalisieren. Für Martha C. Nussbaum (2002: 102) enthält der Begriff der Verdinglichung sieben Aspekte: 1. eine Person zu einem Zweck instrumentalisieren, 2. ihre Autonomie und Selbstbestimmung leugnen, 3. sie als handlungsunfähig betrachten, 4. sie als austauschbar ansehen, 5. ihre Grenzen nicht respektieren, 6. sie als Besitz behandeln und 7. ihre Subjektivität (ihr Erleben und Fühlen) ignorieren. Das Instrumentalisierungsverbot stellt in der Ethik ein Grundprinzip der Moral dar: Nach Immanuel Kants „Selbstzweckformel“ dürfe man weder andere noch sich selbst nie bloß als Mittel behandeln. Eine Person zu verdinglichen heißt, sie als Objekt zu behandeln und zu instrumentalisieren. Verdinglichung ist vornehmlich dann als ethisch unzulässig zu beurteilen, wenn sie auf Ungleichheit bzw. Machtasymmetrie der beteiligten Akteure beruht. Eine Person z. B. als schmückende Dekoration für ein neues PKW-Modell auf einer Automobilmesse vorzuführen oder sie auf ihre Funktion als Lustobjekt (Mittel) zu reduzieren, sind Beispiele für eine Verdinglichung. Inszenierungen der Verdinglichung lassen sich insbesondere bei pornografischen oder sexualisierten Darstellungen (z. B. in populären Musikvideos) finden. Aber auch die in Castingshows wie dEutschland sucht dEn supErstar von Dieter Bohlen vorgebrachten ‚witzigen‘ Sprüche (vgl. Die Welt 2010) sind Beispiele für eine Verdinglichung: „Wenn jemand dicke T… hat, dann holt die Dinger raus“ oder „Der Unterschied zwischen dir und ner Batterie ist: Bei ner Batterie gibt’s auch positiv. Bei dir ist alles scheiße.“ Wenn sich Akteure als Objekt behandeln lassen, gedemütigt werden oder als Lustobjekt inszenieren, wird nicht selten das Argument vorgebracht „Die tun das ja freiwillig“. Wenn eine Person ihrer Instrumentalisierung zustimmt, heißt das nicht, dass die Verdinglichung damit hinfällig ist. Vielmehr ist zu berücksichtigen, ob sie

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auch anders hätte handeln können und falls ja, ob sie sich über die möglichen Konsequenzen ihres Tuns bewusst sind. 2.3.3

Ungleichwertigkeit

Der dritte Aspekt betrifft die Ungleichwertigkeit dargestellter weiblicher und männlicher Eigenschaften in den Medien. Zu reflektieren wäre aus Sicht einer gendersensiblen Medienkritik, inwieweit diese mit machtasymmetrischen Bedeutungen – wie z. B. Stärke, Souveränität, Handlungsfähigkeit versus Schwäche, Fürsorge, Anpassung – verbunden werden. So zeigen z. B. Medienanalysen der Werbung (vgl. Borstnar 2002; Zurstiege, 2011; Holtz-Bacha/Vennemann, 2011), dass eine ungleiche mediale Zuschreibung von Geschlechtereigenschaften (immer noch) in den Werbebotschaften erfolgt und alternative Rollenbilder eher die Ausnahme sind. Aber auch in Unterhaltungs- und Informationsmedien sollte dafür sensibilisiert werden, wenn eine Zuschreibung der Frau zum privaten, häuslichen Raum Familie und Soziales gegenüber der Verortung des Mannes im öffentlichen Raum des beruflichen Erfolgs, der Freiheit und des Abenteuers stattfindet. Denn damit wird eine Geschlechterordnung propagiert, die weder Frauen und Männern die gleichen Freiheitsrechte zusteht noch Rollenvielfalt und flexible Lebensmodelle eröffnet, also letztlich ein gelingendes Leben außerhalb dieser Ordnung nicht vorstellbar macht. 2.3.4

Ungleiche Repräsentanz

Der vierte Aspekt der ungleichen Repräsentanz der Geschlechter bezieht sich auf Nachrichten und Informationsmedien. Nur rund 20 Prozent der Personen, von denen in den Nachrichten in Deutschland zu hören, zu sehen oder zu lesen ist, sind weiblich (vgl. Global Media Monitoring Project 2010: 2). Treten Menschen als Experten oder Kommentatoren in Erscheinung, die Zusatzinformationen zu komplexen Sachverhalten geben, sind diese nur zu rund zehn Prozent weiblich. Dabei wird deutlich, dass weibliche Personen mit autoritärem Status oder Expertenstatus in den Nachrichten deutlich unterrepräsentiert sind (vgl. Global Media Monitoring Project 2010: 4). Auch werden Frauen etwa doppelt so häufig wie Männer mit Bezug auf ihren Partnerschaftsstatus (z. B. „Ehefrau von ...“) genannt (vgl. Global Media Monitoring Project 2010: 4). Diese semantische und quantitative Ungleichheit weiblicher und männlicher Geschlechter in den Informationsmedien wirft die medienethische Frage auf, ob durch diese Darstellung eine verzerrte Wahrnehmung der Geschlechterverhältnisse in unserer Gesellschaft ‚kultiviert‘ wird. Wenn Frauen kaum Expertenstatus zugeschrieben wird oder diese in Führungspositionen nicht über fachliche Kompetenz, sondern über familiäre Kontexte oder Äußerlichkeiten beschrieben werden, zirkulieren asymmetrische Geschlechterrollenbilder in der Semiosphäre, die auch in die Sozialsphäre hineinreichen können. Inwieweit hier Kultivierungseffekte, soziale Vergleichs- und/oder Aneignungsprozesse beobachtbar

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sind, müsste aus rezeptionswissenschaftlicher Sicht vertieft werden und könnte für eine werteorientierte Diskussion der Geschlechterfrage hilfreich sein. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die empirischen Befunde der Medien-Genderforschung Wertefragen aufwerfen und ein Forschungsbedarf für die Medienethik ersichtlich ist. 3

ÜBERBLICK ÜBER DIE BEITRÄGE

Diesen Bedarf verdeutlicht auch der Eröffnungsbeitrag „Gender im medienethischen Diskurs. Eine Leerstelle, die gefüllt werden sollte“ von Larissa Krainer. So zeigt sie anhand einer Meta-Analyse der medienethischen Literatur, dass das Thema „Medien und Gender“ bislang weitgehend eine Nullposition darstellt. Ebenso wird aber auch, wie ihre Ausführungen verdeutlichen, in der Medien-Geschlechterforschung, die insgesamt relativ werteorientiert ist, keine medienethische Reflexion ersichtlich. Eine Verschränkung der Geschlechterforschung mit den Perspektiven der Medienethik findet bislang nur rudimentär im Bereich der feministischen Filmanalyse statt. Larissa Krainer stellt in ihrem Beitrag einen ersten Forschungsentwurf für eine an Genderfragen interessierte Medienethik vor und legt damit eine systematische Roadmap vor, an der sich der medienethische Diskurs zukünftig orientieren könnte. Das Kapitel „Repräsentation und Kritik“ wird von Verena Weigands Überblick über die aus der Perspektive des Jugendmedienschutzes problematischen Darstellungen im Fernsehen eröffnet. In ihrem Beitrag „Einseitige und stereotype Geschlechterrollen – Überschreitung der rechtlichen Grenzen im Fernsehen“ erläutert sie die gesetzlichen Grundlagen und Beurteilungsmaßstäbe, auf deren Basis die Prüferinnen und Prüfer der Kommission für Jugendmedienschutz (KJM) problematische Geschlechterdarstellungen bewerten. Ersichtlich wird, dass das Framing des Jugendmedienschutzes auf dem gesellschaftlichen Konsens über Werte- und Normen basiert und damit den medienethischen Diskurs flankiert. Welche Medieninhalte in diesem Zusammenhang insbesondere als Problemfelder in der langjährigen Programmbeobachtung und Prüfpraxis erkennbar wurden, führt sie beispielhaft auf: Kinderangebote, Talkshows, Reality-Shows (Castingshows, Schönheits-OPSendungen, Scripted Reality) und Erotikformate im Nachtprogramm. Dezidiert auf das Kinderfernsehen geht Maya Götz in ihrem Beitrag „Von Schlümpfen, Superhelden und starken Add-on-Superheldinnen“ ein. Sie beschreibt aus medienanalytischer Perspektive, wie eine Stereotypisierung der Geschlechterdarstellungen auf unterschiedlichen Ebenen nachweisbar ist. U. a. zählt hierzu die im internationalen Diskurs als „Hypersexualisierung“ bezeichnete Tendenz, weibliche Figuren im Kinderfernsehen mit sexualisierten Körperdarstellungen auszustatten und sie an einem normierten Schönheitsideal auszurichten. Des Weiteren legt sie Befunde dar, die eine ungleiche Bewertung von Eigenschaften männlicher und weiblicher Charaktere im Kinderfernsehen erkennen lassen. Dass Kinder durchaus kritisch diesen Klischees gegenüberstehen, wird ebenso deutlich; letztlich sind sie auch ein Hinweis dafür, dass die im Kinderfernsehen repräsentierten Rollenmodelle

Gender aus medienethischer Sicht – eine Einführung

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nicht der Realität entsprechen. Die Verantwortung der Kinderfernsehmacher ist des Weiteren ein Anliegen der Autorin. Besonders hilfreich für die Medienpraxis sind ihre Vorschläge, wie ein Mehr an Gendersensibilität und Diversität in der Kinderfernsehproduktion erreichbar wäre. Welche Rolle Computerspiele in der Mediensozialisation von Kindern aus Genderperspektive einnehmen, vertieft Katrin Schlör in ihrem Beitrag „Geschlechtsspezifische Computerspielsozialisation in der Familie“. Computerspiele sind, wie Medien generell, nicht nur eine wichtige Ressource für die geschlechterbezogene Identitätsbildung, sie sind auch ein wichtiger Agent für die Herstellung von Familie bzw. das doing familiy. Anhand eines Fallbeispiels aus ihrer Studie „Mediensozialisation und Medienerziehung in belasteten Lebenslagen“ veranschaulicht die Autorin, dass das Computerspielen eine gemeinschaftliche Funktion für die Familie erfüllen kann, aber auch Konfliktpotenzial birgt. Ein weiterer Befund ist, dass im Rahmen der Computerspielerziehung weniger generations- als genderspezifische Aspekte zum Tragen kommen. Intergenerative medienpädagogische Projekte, die medienbiografische und genderbezogene Unterschiede berücksichtigen, bieten – so das Fazit der Autorin – die Chance für Konfliktvorbeugung, familiäre Gemeinschaftsbildung sowie medienkritische Reflexion. Ein mediales Angebot, das bislang noch in der (Gendermedien-)Forschung weitgehend vernachlässigt wurde, ist der Jugendfilm. In dem Beitrag „‚Mein Baby gehört zu mir.‘ Rollenbilder im Jugendfilm – ein gesellschaftlicher Diskurs in seiner filmischen Repräsentation“ zeigt Clarissa Henning auf, inwieweit sich die Genderkonstruktion von den 1950er- bis in die 2000er-Jahre in Jugendfilmen verändert hat resp. inwieweit konstante Darstellungsformen der Gendermodelle erkennbar sind. Mittels einer narratologischen Methode, die sich auf eine Beschreibung oberflächlicher Rollendarstellungen nicht beschränkt, sondern deren tiefenstrukturelle Bedeutung rekonstruiert, kann die Autorin eindrucksvoll veranschaulichen, dass bestimmte Rollenaspekte über die Jahrzehnte hinweg in zahlreichen Jugendfilmen tradiert werden – sowohl hinsichtlich weiblicher als auch männlicher Protagonisten. Vor dem Hintergrund, dass Jugendfilme wichtige Identifikationsangebote für ihre Zielgruppe bereitstellen – nicht selten mit einem gewissen Realitätsanspruch – stellen alternative Genderangebote, die Clarissa Henning exemplarisch anhand der aktuellen Filme tributE von panEm – thE hunGEr GamEs (2012) und snow whitE and thE huntsman (2012) beschreibt, aus medienethischer Perspektive wichtige Positivbeispiele dar, die für eine „neue, zeitgemäße Genderkonstruktion im filmischen Diskurs“ bezeichnend sein könnten. Im Fokus der öffentlichen Genderdebatte steht seit geraumer Zeit das Realitätsfernsehen, insbesondere aufgrund der häufig dargestellten stereotypen Geschlechtermodelle. Auf der Grundlage ihrer medienästhetischen und diskursiven Analyse zeigt Claudia Töpper in ihrem Beitrag „Inszenierung weiblicher Geschlechtskonstruktionen im Reality TV“ dezidiert auf, mit „welchen spezifischen Darstellungsformen, Erzählstrategien und diskursiven Mitteln“ Körperlichkeit und Geschlecht in den Reality-TV-Sendungen dEutschland sucht dEn supErstar, GErmany’s nExt topmodEl und biG brothEr semantisiert werden. Ein für die Gendermedienanalyse besonders relevanter Befund ihrer Untersuchung ist, dass ein moralischer Diskurs

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zur Abwertung weiblicher (sexueller) Autonomie bei gleichzeitiger Sexualisierung der Frauen eingesetzt wird, sodass damit „eine paradoxe Gleichzeitigkeit von Sexualisierung und Diskreditierung“ besteht. Mit dieser von Claudia Töpper beschriebenen diskursiven Strategie wird letztlich das längst als überholt geltende Stereotyp der Frau als ‚Heilige & Hure‘ wiederbelebt. Aus medienethischer Sicht erscheint zudem problematisch, dass hegemoniale Moralvorstellungen und Normierungen hinsichtlich vermeintlicher authentischer Tabubrüche im Reality TV funktional eingesetzt werden und damit die Vorstellung alternativer Geschlechtsidentitäten ausgegrenzt wird. Wie das Frauen- und Männerbild in der Doku-Soap bauEr sucht frau sowie in den Daily Soaps GutE ZEitEn, schlEchtE ZEitEn und vErbotEnE liEbE repräsentiert wird, untersuchen Katrin Döveling und Jana Fischer in ihrem Beitrag „Typisch Frau, typisch Mann? Eine Analyse visuell-narrativer Stereotype im Spannungsfeld von Gender, Ethik und Medien“. In einem ersten Schritt fassen sie die bisherigen Befunde zur Geschlechterinszenierung und Stereotypenbildung im Fernsehen zusammen und interpretieren diese aus einem medienethischen Blickwinkel. Darauf aufbauend untersuchen sie die audiovisuellen und narrativen Darstellungsmittel, die zur Inszenierung des Frauen- und Männerbildes in Bezug auf die o. g. Formate erkennbar sind, und rekonstruieren die darin enthaltenen Rollenbilder und Stereotype. Ein interessanter Befund ist u. a., dass in Daily Soaps zwar ein Wandel des Frauenbildes ersichtlich ist (anstelle von Hausfrau und Mutter wird das Bild der starken und gesprächsführenden Karrierefrau repräsentiert), aber die Zuordnung der Frau zum privaten Raum bestehen bleibt. Aus medienethischer Sicht ist zudem sehr hilfreich, dass die Autorinnen in ihrem Resümee einige Desiderata hinsichtlich der Verantwortungsfrage zur Gleichstellung der Geschlechter in den aktuellen Medien aus ihren Befunden ableiten. Mit dem Beitrag „‚Zu schön, um wahr zu sein‘ – Geschlechterdifferenzen als Thema der Mediensoziologie“ reflektieren Michael Jäckel und Julia M. Derra die Themen „Verführung“ und „Schönheit“ mit dem Fokus auf das System der Werbung. Dieses „funktioniert auf Basis geschlechtsklassenspezifischer Zeichen“, deren Bedeutung sie in verschiedenen Facetten herausarbeiten. Ein interessanter Aspekt ist die Frage nach der gesellschaftlichen Mittäterschaft der Frauen an dem Schönheitsdiktat und dessen Normativität, womit die Autoren das oftmals in der öffentlichen Genderdebatte vereinfachte Täter-Opfer-Modell differenzierter betrachten. Inwieweit der Wert der Schönheit zukünftig noch mehr an Bedeutung gewinnt, möglicherweise aber auch durch die mediale Überflutung mit makellos Schönen eine Sättigung erfolgt, sind nur einige Fragen, mit denen dieser Beitrag die Leser/ innen zu einer Reflexion der in Medien und Werbung vermittelten ‚Ekstase der Schönheit‘ anregt. Das dritte Kapitel „Journalismus und Gender“ eröffnen Elke Grittmann und Tanja Maier mit ihrem Beitrag „Der Präsident und die Herausforderin – Geschlechtskonstruktionen von Spitzenkräften in der Politik aus medienethischer Perspektive“. Darin stellen sie zunächst einen „theoretischen Rahmen zur Frage der Anerkennung im Medienkontext“ vor, mittels dessen der Wert der „geschlechtergerechten Anerkennung“ in Bezug auf die journalistische Berichterstattung erläutert wird. Auf der

Gender aus medienethischer Sicht – eine Einführung

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Grundlage des Forschungsprojektes „Spitzenfrauen im Fokus der Medien“ werden ausgewählte Befunde zur personenbezogenen Berichterstattung über die Kandidaten Gesine Schwan und Horst Köhler zur Wahl des Bundespräsidentenamtes (in insgesamt 13 Printmedien von 2008) analytisch verdichtet und aus medienethischer Perspektive reflektiert. Differenziert wird dabei u. a. dargelegt, dass nicht allein die Forderung „nach mehr Sichtbarkeit“ weiblicher Führungskräfte zu einer geschlechtergerechten Medienrepräsentation führt. Zu berücksichtigen ist vielmehr, inwieweit die „medialen Prozesse“ ungerechte Macht- und Geschlechterverhältnisse bei der Darstellung reproduzieren. Auf den Aspekt der sozialen Ungleichheit weisen die Autorinnen zudem hin, wenn sie die „Forderung nach mehr und positiveren Bildern von Frauen in Macht- und Spitzenpositionen“ im Kontext des Neoliberalismus kritisch hinterfragen. In der Forschung bislang weitgehend unberücksichtigt sind „Frauen im Wirtschafts- und Finanzjournalismus“. Barbara Brandstetter zeigt in ihrem gleichlautenden Beitrag auf, in welchen Branchen und Themengebieten des Wirtschaftsjournalismus Frauen tätig sind, welchen Anteil Frauen als Protagonistinnen in der Berichterstattung haben und wie sie dargestellt werden – insbesondere die Metaphorik bei der Berichterstattung über weibliche und männliche Führungskräfte werden von ihr detailliert analysiert. Für die Medienpraxis entwickelt sie sieben Handlungsempfehlungen, deren Umsetzung im Sinne einer geschlechtergerechten Medienethik wünschenswert wäre. Mit ihrem pointierten Beitrag „Mehr Medien-Frauen – bessere Berufsmoral? Verantwortungsethische Perspektiven für die Informationsvermittlung in Journalismus und PR“ schließt Bärbel Röben den vorliegenden Band zur Genderfrage aus medienethischer Sicht ab. Sie nimmt dabei sowohl die Frage nach der Berufsmoral weiblicher und männlicher Journalisten in den Blick als auch die strukturellen Bedingungen der Medienproduktion. Auch die als „Frauendomäne“ geltende PR-Branche wird hinsichtlich der Geschlechtergerechtigkeit von ihr kritisch bewertet. Mit ihrem Fazit „Ethik ist keine Frage des Geschlechts“ stellt sie sowohl die Relevanz der „persönlichen Haltung“ als auch die Notwendigkeit struktureller Veränderungen im journalistischen System heraus, um eine ethische Informationsvermittlung zu ermöglichen. BIBLIOGRAFIE Astheimer, Jörg/Neumann-Braun, Klaus/Schmidt, Axel (2011): MyFace: Die Porträtfotografie im Social Web. In: Neumann-Braun, Klaus/Autenrieth, Ulla (Hrsg.): Freundschaft und Gemeinschaft im Social Web. Bildbezogenes Handeln und Peergroup-Kommunikation auf Facebook und Co. Baden-Baden: Nomos, S. 79-122. Borstnar, Nils (2002): Der Mann als Motiv. Das Konstrukt der Männlichkeit in der Werbung. In: Willems, Herbert (Hrsg.): Die Gesellschaft der Werbung. Kontexte und Texte. Produktionen und Rezeptionen. Entwicklungen und Perspektiven. Wiesbaden: Westdeutscher Verlag, S. 691709. Bourdieu, Pierre (2012): Die männliche Herrschaft. Aus dem Französischen von Jürgen Bolder. Frankfurt/M.: Suhrkamp.

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Calmbach, Marc/Debus, Katharina (2013): Geschlechterbezogene Differenzen und Gemeinsamkeiten unter Jugendlichen verschiedener Lebenswelten. In: Beirat Jungenpolitik (Hrsg.): Jungen und ihre Lebenswelten – Vielfalt als Chance und Herausforderung. Opladen/Berlin/Toronto: Verlag Barbara Budrich, S. 61-121. Die Welt (2010): Die besten Dieter Bohlen-Sprüche bei DSDS. 20.09.2010. Online: http://www. welt.de/fernsehen/specials/dsds/article9675250/Die-besten-Dieter-Bohlen-Sprueche-beiDSDS.html (Abfrage: 15.06.2013). Dohnt, Haley/Tiggemann, Marika (2006): The Contribution of Peer and Media Influences to the Development of Body Satisfaction and Self-Esteem in Young Girls: A Prospective Study. In: Developmental Psychology, 42(5), S. 929-936. Global Media Monitoring Project (2010): Who makes the news? Global Media Monitoring Project 2010. National Report (Germany). Online: http://whomakesthenews.org/images/stories/restricted/national/Germany.pdf (Download: 15.06.2013). Götz, Maya (2012): tv.profiler #02: Eine Unterrichtseinheit zu Scripted Reality. Düsseldorf: Landesanstalt für Medien Nordrhein-Westfalen (LfM). Harrison, Kristen/Hefner, Veronica (2006): Media Exposure, Current and Future Body Ideals, and Disordered Eating Among Preadolescent Girls: A Longitudinal Panel Study. In: Journal of Youth and Adolescence, 35(2), S. 153-163. Hauber, Jasmin/Schadt, Julia (2012): Die deutsche Scripted Reality-Landschaft – Grundmodelle und Regularitäten (Studienarbeit im Fach „Empirische Medienforschung“). Hochschule der Medien, Stuttgart. Holtz-Bacha, Christina/Vennemann, Angela (2011): Mehr als Frühjahrsputz und Südseezauber? Frauenbilder in der Fernsehwerbung und ihre Rezeption. In: Holtz-Bacha, Christina (Hrsg.): Stereotype? Frauen und Männer in der Werbung (2., aktual. u. erw. Aufl.). Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften/Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, S. 88-118. Koch, Thomas/Hofer, Lutz (2011): Immer schlanker und kranker? Models in der Werbung. In: Holtz-Bacha, Christina (Hrsg.): Stereotype? Frauen und Männer in der Werbung (2., aktual. u. erw. Aufl.,). Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften/Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, S. 233-259. Mackenzie, Catriona/Stoljar, Natalie (2000): Introduction: Autonomy Refigured. In: Dies. (Hrsg.): Relational Autonomy. Feminist Perspectives on Autonomy, Agency, and the Social Self. New York/Oxford: Oxford University Press, S. 3-31. Nussbaum, Martha C. (2002): Konstruktion der Liebe, des Begehrens und der Fürsorge. Drei philosophische Aufsätze. Stuttgart: Philipp Reclam jun. Raufelder, Diana/Jagenow, Danilo/Ittel, Angela (2011): Mediennutzung, Freizeitverhalten und Körperzufriedenheit in der früh-pubertären Entwicklungsphase. In: Medien + Erziehung, 55(6), S. 21–33. Rösler, Beate (2011): Autonomie. In: Stöcker, Ralf/Neuhäuser, Christian/Raters, Marie-Luise (Hrsg.): Handbuch Angewandte Ethik. Stuttgart/Weimar: Verlag J. B. Metzler, S. 93-99. Schär, Clarissa (2013): Grenzenlose Möglichkeiten der Selbstdarstellung? Jugendliche Genderinszenierungen im Web 2.0. In: Bütow, Birgit/Kahl, Ramona/Stach, Anna (Hrsg.): Körper – Geschlecht – Affekt. Selbstinszenierungen und Bildungsprozesse in jugendlichen Sozialräumen. Wiesbaden: Springer Fachmedien, S. 99-113. Tillmann, Angela (2012): MyBody – MySelf: Körper- und Geschlechter(re)konstruktionen in sozialen Netzwerken. In: Schuegraf, Martina/Tillmann, Angela (Hrsg.): Pornografisierung von Gesellschaft: Perspektiven aus Theorie, Empirie und Praxis. Konstanz/München: UVK Verlagsgesellschaft, S. 159-168. Zurstiege, Guido (2011): Fit und flott – und ein wenig sexy in schwarz-weiß: Die strukturelle Ambivalenz werblicher Medienangebote. In: Holtz-Bacha, Christina (Hrsg.): Stereotype? Frauen und Männer in der Werbung (2., aktual. u. erw. Aufl.). Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften/Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, S. 119-135.

GENDER IM MEDIENETHISCHEN DISKURS EINE LEERSTELLE, DIE GEFÜLLT WERDEN SOLLTE Larissa Krainer

Als mich Petra Grimm im April 2011 gefragt hat, ob ich beim XI. HdM-Symposium zur Medienethik zum Thema „Medien und Gender“ über das Thema „Gender aus medienethischer Perspektive“ referieren will, habe ich gerne zugesagt, weil ich das Thema wichtig und spannend fand. Bald danach habe ich das mehrfach bereut, was primär am Thema lag, das sich als sehr widerspenstig erwiesen, vor allem aber erstaunliche Leerstellen zutage gefördert hat. 1

ZUM STAND DER DEBATTE IN DER MEDIENETHISCHEN LITERATUR

Eine Analyse von 48 (mehrheitlich deutschsprachigen) Büchern, die meisten davon Sammelbände, darunter sehr frühe Publikationen, wie etwa die ab 1989 von Wolfgang Wunden herausgegebenen Bände zur Medienethik1, und aktuellere, wie etwa das 2010 verlegte Handbuch Medienethik2 und natürlich die in Stuttgart von Petra Grimm und KollegInnen seit 2002 jährlich herausgegebene Schriftenreihe zur Medienethik3, ergab zunächst ein erstaunliches Ergebnis: Nur in den allerwenigsten Texten werden Genderfragen thematisiert.4 In zwei englischsprachigen Büchern (eines davon US-Amerikanisch, eines UK), kommt eine geschlechtsspezifische Thematik immerhin insofern vor, als in je einem Text das Thema „Sexualität“ aufgegriffen bzw. genau genommen jeweils die Frage der Pornografie aus medienethischer Perspektive diskutiert wird, wobei dies immer im Zusammenhang mit der Thematik der Gewalt geschieht.5 In vier Bänden der Schriftenreihe Medienethik (Stuttgart) kommt das Thema fünfmal vor und zwar mit den folgenden Titeln: „Bilder von Transsexuellen – Menschenbilder?“6;

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Vgl. Wunden 1989; Wunden 1996; Wunden 1998. Vgl. Schicha/Brosda 2010. Vgl. Grimm/Capurro 2003; Capurro 2003; Grimm/Horstmeyer 2003; Grimm/Capurro 2004; Grimm/Capurro 2005; Grimm/Capurro 2007; Grimm/Capurro 2008; Grimm 2009; Grimm/Capurro 2010; Grimm/Badura 2011; Grimm/Zöllner 2011. Vgl. Zeitschrift für Kommunikationsökologie 1/2009; Bürger fragen Journalisten e. V. 1996; Funiok 1996; Kos 1997; Kieran 1998; Pötscher 1998; Thomaß 1998; Voß 1998; Gordon/Kittross 1999; Holderegger 1999; Karmasin 1999; Nethöfel 1999; Roegele 2000; Schicha/Brosda 2000; Schockenhoff 2000; Drägert/Schneider 2001; Greis 2001; Hunold 2001; Kolb 2001; Krainer 2001; Leschke 2001; Patra 2001; Weil 2001; Karmasin 2002; Kronen 2002; Schwenk 2002; Förg 2004; Scheule/Capurro et al. 2004; Bentele/Fröhlich et al. 2005; Karmasin 2005; Wilkins/Coleman 2005; Burkhardt 2006; Philosophie 2006; Funiok 2007. Vgl. Kieran 1998; Gordon/Kittross 1999. Vgl. Krah 2002.

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„Heldinnen in Computerspielen“7; „Genderrituale in der Mobilkommunikation“8; „Germany’s next Topmodel – Initiation durch Domestikation. Zur Konzeption der Person in Castingshows“9 sowie: „Das Phänomen Cyberbullying – Genderaspekte und medienethische Konsequenzen“10. Daraus ergibt sich erstens: Die medienethische Debatte ist weitgehend ‚Genderfrei‘. Zweitens: Wenn Gender zum Thema wird, dann zunächst in Hinblick auf Sexualität und in Verbindung mit Gewalt (Pornografie). Drittens: In jüngeren Arbeiten taucht immerhin der Begriff „Gender“ auf, die Rede ist etwa von Genderaspekten und Gender-Ritualen. Das Ergebnis erstaunt nicht zuletzt ob der umfassenden Tradition der Frauen-, Geschlechter- und Genderforschung innerhalb der Publizistik bzw. der Medien- und Kommunikationswissenschaften. Schließlich fällt auf, dass nirgendwo von einer feministischen Medienethik die Rede ist. 2

EXKURS ZUM BEGRIFF DER „FEMINISTISCHEN ETHIK“

Ohne hier auch nur annähernd die breite philosophische Debatte um Geschlechterfragen rekonstruieren zu können, so zeigt ein Blick in jene Literatur, die sich mit den Schlagworten feministische Ethik oder Geschlechtermoral verbindet, dass das Thema der Medien dort zwar deutlich an Relevanz gewinnt, allerdings dabei kaum als Thema der Medienethik verhandelt wird. „Gibt es eine feministische Ethik?“11 fragte etwa 1989 die deutsche Philosophin Annemarie Pieper, die lange in Basel gelehrt hat und gelangt – wie auch andere Autorinnen – zur Auffassung, dass es eine solche gebe. Innerhalb derselben werden allerdings sehr verschiedene Standpunkte vertreten: Solche, die davon ausgehen, dass es eine spezifisch weibliche Moral gebe und solche, die das vehement bestreiten. Dass es eine spezifisch weibliche Moral gebe, hatte als eine der ersten Carol Gilligan behauptet, die unter anderem an der Harvard University bei bzw. mit Lawrence Kohlberg, einem amerikanischen Psychologen und Erziehungswissenschaftler, gearbeitet hat. Kohlberg befasste sich mit der Moralentwicklung vom Menschen und entwickelte ein „Stufenmodell der Moralentwicklung“. Auf Basis von geschlechtsspezifischen Beobachtungen der Moralentwicklung gelangte Kohlberg zur Auffassung, männliche Jugendliche hätten ein höheres Moralempfinden als weibliche.12 Gilligan kritisierte diese Hypothese über eine geringere Entwicklung des Moralbewusstseins bei Mädchen und formulierte 1982 in ihrer berühmt gewordenen Schrift „In a Different Voice“ eine Gegenposition zu Kohlbergs Hypothese. Sie gelangte in ihren Untersuchungen zur Auffassung, dass Frauen in der Konfrontation mit moralischen Dilemmata stärker auf die Tugenden der Rücksicht-

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Vgl. Zaremba 2010. Vgl. Peil 2011. Vgl. Decker 2011. Vgl. Katzer 2011. Vgl. Piper 1998. Vgl. Colby/Kohlberg 1986.

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nahme und der Hilfeleistung Bezug nehmen würden als auf Gerechtigkeit (was die männlichen Probanden mehrheitlich taten). Gilligan schloss daraus, dass es zwei unterschiedliche Moralen gäbe, wenn sie diese auch als jeweils durch die andere ergänzungsbedürftig befand13 – eine Position, auf die beispielsweise die Care-Ethik, die Ethik der Fürsorge, bis heute Bezug nimmt.14 Diese Auffassung wurde allerdings auch vielfach kritisiert. Zum einen deshalb, weil man auch die Position vertreten kann, es müsse doch „eine gesellschaftlich einheitliche Moral geben, damit soziale Interaktionen funktionieren können“15. Zum anderen wurde kritisiert, dass Gilligan davon spricht, dass Frauen eine Präferenz für die interpersonelle Moral hätten, Männer hingegen für die öffentliche Moral. Dagegen wurde eingewandt, dass unterschiedliche Moralurteile vermutlich viel eher Konsequenzen aus geschlechtsspezifischen Vergesellschaftungsformen darstellten oder auch weit mehr mit persönlicher Betroffenheit zu tun hätten, wie etwa eine der heftigsten Kritikerinnen Gilligans, die deutsche Soziologin Gertrud Nummer-Winkler, argumentiert.16 Drittens wurde Gilligans implizite These in Frage gestellt, dass das moralische Urteil von Frauen und Männern genetisch bedingt sei und das Problem des biologischen Determinismus eingewandt.17 Grob lässt sich sagen, dass feministische Ethik im Wesentlichen von zwei Richtungen geprägt ist, eine erste, die eine Kritik der traditionellen Ethik verfasst und einer zweiten, die sich um die Entwicklung alternativer Ansätze bemüht.18 Aus diesem äußerst kurzen Ausflug lässt sich immerhin entnehmen, dass die feministische Ethik nicht nur interessante Fragen aufwirft, sondern zugleich auch ein heißes Pflaster markiert, wenn es, übertragen auf das Feld der Medienethik, zum Beispiel um die Frage geht, ob das moralische Urteil von Frauen und Männern in Bezug auf Medieninhalte gleich oder verschieden ausfällt. Eine explizite Bezugnahme auf Aspekte der Medienethik lässt sich nicht feststellen, Schnittstellen zeigen sich primär in der Pornographiedebatte.19 In jüngerer Zeit ist ein breiter interdisziplinärer Diskurs zu Visualisierung bzw. unserer visuellen Kultur und letztlich auch der Mediatisierung zu beobachten, an dem auch PhilosophInnen mitwirken. 3

GESCHLECHT UND GENDER

Spätestens seit die französische Schriftstellerin und Philosophin Simone de Beauvoir 1949 ihr berühmtes Werk „Das anderer Geschlecht“20 veröffentlicht hat, in welchem sie die Position vertritt, dass strukturelle und nicht etwa biologische Fak13 14 15 16 17 18

Vgl. Gilligan 1982. Vgl. exemplarisch: Conradi 2001. Vgl. Horster 1998, S. 8. Vgl. Nunner-Winkler 1998. Vgl. Nagl-Docekal 1998, S. 48f. Vertiefend siehe etwa: Irigaray 1991; Projektgruppe Ethik im Feminismus 1992; Nagl-Docekal/Pauer-Studer 1993; Praetorius 1995; Nagl-Docekal 1999. 19 Vgl. etwa Schiele 1992. 20 Vgl. Beauvoir 1970.

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toren für die Unterdrückung der Frau verantwortlich zu machen sind, sind Wissenschaftsdiskurse wie öffentliche Debatten mit dem Thema befasst (wenngleich sich natürlich eine ungleich längere wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Thema verfolgen lässt, die an dieser Stelle aber ausgespart bleiben muss). Das große Verdienst der Philosophin war es unzweifelhaft, auf Basis der Existenzphilosophie, die die Existenz des Menschen als Selbstentwurf und weitgehend auch als selbst bestimmbar beschreibt, zum ersten Mal die Geschlechterdifferenz theoretisch zu fassen und das Werden und Geworden-Sein von Frauen nicht als vorbestimmte Determinante, sondern als politische Frage zu beleuchten, wodurch sich erst ein Potential von Veränderung entwerfen lässt. „Man kommt nicht als Frau zur Welt, man wird es“ lautet die grundlegende These von de Beauvoir, die die Geschlechterdifferenz als ethisches Problem begriffen hat.21 Erst ein Denken von Existenz als gestaltbare, als Selbstentwurf und als Werden ermöglicht in weiterer Folge eine Perspektive, die auch Geschlecht, Geschlechtsrollen als gestaltbar und wandelbar begreift, wie dies in der Genderdebatte erfolgt. Der Begriff „Gender“ wird in der heute gebräuchlichen Bedeutung auf den USamerikanischen Forscher John Money zurückgeführt, der ihn 1955 eingeführt hat. Money versuchte in Experimenten zu beweisen, dass Geschlecht nicht vererbt, sondern erlernt sei. Eines seiner Experimente, die er dafür durchführte, scheiterte allerdings in dramatischer Form: 1967 wurde an dem zweijährigen Bruce Reimer nach einer missglückten Beschneidung eine Geschlechtsumwandlung durchgeführt und er lebte fortan als Brenda, ließ später allerdings eine neuerliche Geschlechtsumwandlung durchführen, ehe er 2004 Selbstmord verübte – seine Lebensgeschichte wurde medial vielfach verarbeitet.22 Ungeachtet dessen wurde der Begriff der Geschlechtsrolle von Money übernommen und fand Eingang in die Gender-Theorie, die in Teilen bis heute die Differenz von biologischem und kulturellem Geschlecht betont, das eine für genetisch bedingt, das andere für gestaltbar hält. Dem wiederspricht Judith Butler in ihrem 1990 erstverlegten Buch „Gender Trouble“ („Das Unbehagen der Geschlechter“) vehement, wenn sie nicht nur das soziale Geschlecht als Konstruktion betrachtet, sondern auch das biologische Geschlecht für eine hinterfragbare Wahrheit oder eine kulturelle Interpretation des Körperlichen hält. Das, was man als Gender leben könne, ist ihr zufolge davon abhängig, welche körperlichen Möglichkeiten man habe, die wiederum bereits kulturell interpretiert seien. Bei Butler ist Geschlecht insofern prozessual und kulturell konzipiert und gestaltet sich in Alltagshandlungen performativ aus, ein Begriff, den Butler mit Rückgriff auf Austins Begriff der „performativen Sprechakte“, die das, was sie benennen, erst in Kraft setzen, wählt. Es sind Sprechakte, die Identitäten als männlich oder weiblich markieren, die Performativität der Geschlechter resultiert bei Butler aus dem Zusammenspiel konstativer Feststellungen und direktiver Sprechakte.23

21 Vgl. Komnertz 2005, S. 27. 22 Vgl. BBC Science & Nature 2000. 23 Vgl. Butler 1994.

Gender im medienethischen Diskurs

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In jüngerer Vergangenheit hat sich eine Vielzahl an Begriffen ausdifferenziert, die zeigt, dass sich das Geschlechterthema keineswegs mehr als eindeutige Kategorisierung von Mann und Frau begreifen lässt und haben natürlich insbesondere die neuen Medien auch dazu beigetragen, dass es möglich geworden ist, Geschlechtsrollen zu wechseln, sich andere Identitäten zu geben und auszuprobieren. Dazu einige exemplarische Beispiele: „TransGender“ (Überbegriff für alle Phänomene, bei denen Geschlechtergrenzen überschritten werden), „Travestie“ (Kunstform, bei der das andere Geschlecht – meist parodiert – dargestellt wird), „Transvestiten“ oder „Crossdresser“ (können verschiedene Beweggründe haben, die Kleidung des anderen Geschlechts anzuziehen, müssen aber nicht unbedingt an ein Leben im anderen Geschlecht denken), „Drag-Queens“ (meist homosexuelle Männer, die sich als extrem überzeichnete Frauen verkleiden), „Fetischisten“ (Menschen, die zur sexuellen Stimulierung Kleidung des anderen Geschlechts tragen), „Geschlechtswechsler“ (ein vor allem in Deutschland verwendeter Begriff für die sogenannte „kleine“ Lösung, die Menschen betrifft, die in einer anderen Geschlechtsidentität leben, sich aber keiner Geschlechtsumwandlung unterziehen wollen), „präoperative Transsexuelle“ (Menschen, die noch keine operative Geschlechtsumwandlung vollzogen haben), „ehemals Transsexuelle“ oder auch „postoperative Transsexuelle“ (jene, die die OP bereits vollzogen haben), „Transidentität“ (wird als die bessere Übersetzung von „transsexual“ propagiert, zumal es um Identität und nicht um Sexualität gehe), „Intersexuelle“ (Menschen, die aufgrund von genetischen Besonderheiten schwer einem der beiden Geschlechter zuzuordnen sind), „Hermaphroditismus“ bzw. „Schein-Hermaphroditismus“ (Menschen, die bei der Geburt Geschlechtsmerkmale beider Geschlechter vereinen oder Geschlechtsmerkmale abweichend vom genetischen Geschlecht besitzen), „Bio-Frau“/„Bio-Mann“/„BioMädl“/„Genetic Girl (GG)“ (Ausdrücke für Nicht-Trans-Personen), „Shemale“ bzw. „Hegirl“ (Person mit Brüsten und männlichen Genitalien), „Contragenetisch“ (Zugehörigkeitsempfinden entgegen dem gegebenen biologischen Geschlecht), „Neofrau“ bzw. „Neomann“ (Menschen, die sich dem Wunschgeschlecht vollständig als zugehörig empfinden). Erstaunlich finde ich weniger die Begriffsvielfalt, als eine sich abzeichnende Umkehrung im Sprachgebrauch, wenn Menschen, die zufrieden in ihren Geschlechtsidentitäten leben, mit Bezeichnungen versehen werden, die nahe legen, dass sie die von der Norm abweichenden wären, wie etwa im Falle des „Bio-Mädls“, das als „Nicht-Trans-Person“ gehandelt wird. Eine nähere Betrachtung verdienten sich an dieser Stelle freilich auch die Wertfiguren, die mit den Begriffen konnotiert bzw. in Mediendiskursen verbunden werden, was an dieser Stelle allerdings zu weit führen würde und einer umfassenden diskursanalytischen Aufarbeitung bedürfte. Unzweifelhaft rütteln die Begriffe Geschlecht und Gender mit all ihren Ausdifferenzierungen an der Macht des Heteronormativen, das sie zu unterwandern trachten, mindestens in Frage stellen.

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MEDIEN UND GENDER

Nachdem für die Forschung zum Thema Medien und Gender, die inzwischen doch umfassende und beachtliche Erkenntnisse zu Tage gefördert hat, bereits gute Übersichtspublikationen24 vorliegen, möchte ich mich hier auf einige wenige Bemerkungen dazu reduzieren. Betrachtet man die von Elisabeth Klaus skizzierten drei unterschiedlichen (teilweise auch im historischen Verlauf zu sehenden) Paradigmen der Forschung, nämlich erstens den Gleichheitsansatz, zweitens den Differenzansatz und drittens den (De-)Konstruktivismus, so werden rasch Parallelen zu Fragestellungen innerhalb der Feministischen Ethik sichtbar. Der Gleichheitsansatz nimmt seinen Ausgangspunkt bei aufklärerischen Idealen und deren Freiheits- und Gleichheitsversprechen, denen weniger vertraut als misstraut wird, weshalb sich in diesem Paradigma eine Vielzahl von Studien findet, die Diskriminierung und Trivialisierung von Frauen in den Medien analysieren bzw. nachweisen und dabei primär subjektbezogen vorgehen. Dem Differenzansatz ordnet Klaus Analysen von gesellschaftlichen Strukturen und Machtverhältnissen zu, die Geschlechterdifferenzen im Medienhandeln sichtbar werden lassen. Der De-Konstruktivismus hält ihr zufolge Geschlecht schließlich für eine kulturelle Konstruktion und nimmt insofern eine Analyse von medialen Gendering-Prozessen vor.25 Dass in diesen Arbeiten Wertfragen eine große Rolle spielen, ist naheliegend, aus meiner Kenntnis dieser Debatten ist allerdings dennoch bemerkenswert, dass diese Forschung nicht als medienethische Forschung geframt, gerahmt, verstanden oder eingeordnet wird. Damit sind wir bei einer weiteren Beobachtung angekommen: Forschung zu Medien und Gender ist insgesamt sehr wertorientiert, also ein ethisch motiviertes Unterfangen, zugleich erfolgen kaum Verknüpfungen zwischen den Perspektiven von Medienethik und Medien-Geschlechter-Forschung. Nicht unerwähnt bleiben soll hier allerdings, dass insbesondere im Bereich der Filmanalyse wiederum der Pornographie besondere Aufmerksamkeit geschenkt wurde, wie sich etwa an der umfassenden Arbeit von Gertrud Koch26 ablesen lässt – womit die Pornografie bzw. Analysen sexueller Gewalt nahezu als einzige echte Schnittstelle zwischen philosophischer (feministischer) Ethik, Medien-Geschlechter-Forschung und Medienethik zu benennen ist. 5

GENDER AUS MEDIENETHISCHER PERSPEKTIVE – EIN ERSTER FORSCHUNGSENTWURF

Wie es aussieht, fehlt ein Entwurf für eine feministische, an Genderfragen interessierte Medienethik oder eine strukturierte Bearbeitung von Genderaspekten im Rahmen des medienethischen Diskurses. Um eine solche zu leisten, bräuchte es allerdings kollektive Anstrengungen und wohl auch einen interdisziplinären Aus24 Vgl. exemplarisch Klaus 1998. 25 Vgl. ebd., S. 14ff. 26 Vgl. Koch 1989.

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tausch und einen vertiefenden Dialog über medien- und kommunikationswissenschaftliche Fachgruppen hinweg. Ich möchte vorschlagen, eine solche Bearbeitung anhand verschiedener Grundlagen- und Überblickstexte zur Medienethik gemeinsam vorzunehmen. Nachstehend soll anhand einer solchen Strukturierung27 exemplarisch gezeigt werden, welche Fragen bislang im medienethischen Diskurs noch weitgehend ungestellt geblieben sind, wobei hier unzweifelhaft zahlreiche Ergänzungen sinnvoll und notwendig wären. Immerhin lassen sich aber vereinzelte Forschungsergebnisse darstellen – ein erfreulicher Anfang. 5.1

Grund- und frEihEitsrEchtE

Auf der Ebene der Grund- und Freiheitsrechte lassen sich vor allem zwei relevante Spannungsfelder beschreiben, die auch im medienethischen Diskurs verhandelt werden. Es ist dies zum einen die Frage der Beschränkung der Meinungsfreiheit und zum anderen das heikle Spannungsfeld von Medienfreiheit und Schutz der Privat- und Intimsphäre. Betrachtet man die jährlich publizierte Landkarte der NGO „Freedom House“, die den Stand der Pressefreiheit weltweit skizziert, so zeigt sich, dass nur ca. ein Drittel der Staaten über hinreichende Pressefreiheit verfügt. Noch dramatischer wird der Befund, wenn man nicht Staaten zählt, sondern die in ihnen lebenden Menschen: Nur 16 Prozent der Menschen weltweit lebten 2010 in Ländern, die über eine intakte Pressefreiheit verfügen und damit in Ländern, die Meinungs- und Gewissensfreiheit garantieren. Umgekehrt schränken alle anderen Länder Grundrechte ein, die nicht selten auch das Recht, Selbstreflexion als kritische Urteilskraft auszubilden, die auch öffentlich geäußert werden will – eine zutiefst (medien)ethische Komponente – einschränken. Völlig offen ist, ob sich hier eine Geschlechterdifferenz zeigt, wir verfügen über wenig Wissen über die unterschiedliche Betroffenheit von Frauen und Männern in Bezug auf den Zugang zu Medien, zu Information oder etwa darauf, ob sich der „digital divide“28 auch als Genderkategorie äußert. In ihrer „Déclaration des droits de la femme et de la citoyenne“ (1791) formulierte die französische Bürgerrechtskämpferin Olympe de Gouges (1748-1793): „Die Frau hat das Recht, das Schafott zu besteigen, sie hat gleichermaßen das Recht, die Rednertribüne zu besteigen […]“ als zentralen gesellschaftlichen Wert der Gleichstellung.29 In Anbetracht aktueller Berichterstattung über Länder, die z. B. Frauenrechte generell einschränken oder Homosexuelle verfolgen, darf bezweifelt werden, dass das Recht auf Meinungsäußerungsfreiheit oder Informationsfreiheit keine Genderaspekte mit Werturteilen in sich trüge.

27 Vgl. Krainer 2001. 28 Vgl. Debatin 2002. 29 De Gouges 1791.

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Abb. 1: Kleine Zeitung vom 04. Dezember 2011

Am Sonntag, den 04. Dezember 2011 berichtete die Kleine Zeitung (die auflagenstärkste österreichische Regionalzeitung) über Saudi-Arabien, das einzige Land der Welt, in dem Frauen nicht Auto fahren dürfen. Berichtet wird ferner über ein Gutachten eines „Akademikers“, der darin befürchtet, dass Frauen, wenn sie Auto fahren dürften, zu viel Gelegenheit zu vorehelichem Sex geboten würde (was in Widerspruch zur gebotenen Jungfräulichkeit stünde), mehr noch, es bestünde auch die Gefahr vermehrter Homosexualität und Prostitution – insgesamt ein drohender moralischer Verfall, der in arabischen Ländern bereits auf der Tagesordnung stünde.30 Für mich wirft das gänzlich andere Fragen auf: Wie sollen Frauen in Ländern, in denen sie nicht einmal Auto fahren dürfen, in Ländern, in denen sie ihre Gesichter nicht zeigen dürfen und in der Öffentlichkeit praktisch nicht vorgesehen sind, öffentlich für ihre Rechte eintreten, ihre Wertvorstellungen artikulieren und entsprechendes mediales Gehör finden? Das gelingt ihnen jedenfalls in Saudi-Arabien nur, wenn sie ihr Leben oder zumindest harte Strafen riskieren, wie die autofahrenden protestierenden Frauen. Unabhängig davon, dass dem Artikel natürlich auch Werturteile über vorehelichen Geschlechtsverkehr und Homosexualität zu entnehmen sind, ist ferner noch zu erfahren, dass Frauen in Saudi-Arabien ab 2015 das Wahlrecht eingeräumt werden soll, allerdings nur, wenn ihre Männer ihnen erlauben, es auch wahrzunehmen und wohl auch nur, wenn diese ihre Frauen dann auch zum Wahllokal chauffieren – falls Frauen sich bis dahin noch immer nicht ans Steuer setzen dürfen.31 Einen anderen Indikator für Meinungsfreiheit stellt ein Barometer von „Reporter ohne Grenzen“ dar, die auf ihrer Website tagesaktuell Informationen darüber bieten, wie viele Journalistinnen und Journalisten, Online-Aktivisten und Bürger30 Vgl. Kleine Zeitung, 04.12.2011, S. 16. 31 Vgl. ebd.

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journalistinnen im laufenden Jahr getötet wurden und wie viele inhaftiert sind. Für 2011 zog die Menschenrechtsorganisation die folgende Bilanz: Mindestens 66 Journalisten sind bereits in diesem Jahr während ihrer Arbeit oder wegen ihres Berufs getötet worden. Das sind neun Reporter mehr als im Vorjahr (2010: 57 Journalisten). Auch die Zahl der Festnahmen und Entführungen von Journalisten ist ebenso wie die Zahl der Übergriffe gegen Medienmitarbeiter deutlich gestiegen. 1.044 Journalisten wurden seit vergangenem Januar weltweit festgenommen (2010: 535), 1.959 wurden angegriffen oder bedroht (2010: 1.374), 71 wurden entführt (2010: 51).32

Abb. 2: Barometer Pressefreiheit 201133

Die Daten geben im Allgemeinen allerdings wenig Aufschluss über die Frage, wie sich das Geschlechterverhältnis der Betroffenen gestaltet. Dies hat die Organisation gelegentlich am Internationalen Frauentag in einer Presseaussendung nachgeholt, in der Aussendung von 2005 hieß es etwa: Während die Welt am 8. März den Internationalen Frauentag feiert, ist eine französische Reporterin Geisel im Irak; vier weitere Reporterinnen sind anderswo für ihre Recherchen und Berichte hinter Gittern. Fünf Journalistinnen starben seit dem 8. März 2004 wegen oder während ihrer Arbeit. […] Seit 1992 wurden 636 Journalistinnen und Journalisten wegen oder während ihrer Arbeit getötet, 38 davon waren Frauen.34 Die Zahl der Betroffenen schwankt über die Jahre zwischen sechs und 13 Prozent.35 Gründe für den Anteil wie für die Schwankungen werden kaum thematisiert. Zu vermuten ist freilich, dass der lebensgefährliche Job des Kriegsberichterstatters von Männern dominiert wird. Dass kritische Journalistinnen immer mehr in den Fokus rücken, hat nicht zuletzt der tragische Tod der russischen Autorin, Menschenrechts-

32 33 34 35

Vgl. Reporter ohne Grenzen 2011. Vgl. ebd. Vgl. Reporter ohne Grenzen 2005. Vgl. Reporter ohne Grenzen 2007.

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aktivistin und Journalistin Anna Stepanovna Politkovskaja gezeigt, die eine Vielzahl kritischer Artikel über den Tschetschenienkonflikt verfasst hat und als Oppositionelle und vor allem als Kritikerin des russischen Präsidenten Vladimir Putin bekannt war. Sie wurde am 07. Oktober 2006 im Lift ihres Wohnhauses erschossen, die genaueren Umstände sind bis zur Veröffentlichung diese Textes nicht geklärt. Dass Kritik am russischen Präsidenten geahndet wird, haben unlängst auch drei junge Frauen erfahren, die sich als „Pussy Riot“ mit Protestliedern gegen dessen Regime gewandt hatten und dafür am 17. August 2012 zu zwei Jahren Straflager verurteilt wurden.36 Aber auch in jenen Teilen der Welt, in denen die Meinungsfreiheit garantiert ist, ergeben sich medienrechtliche wie medienethische Probleme – immer drängender wird hier die Frage nach hinreichendem Schutz der Privat- und Intimsphäre von allen Menschen, insbesondere aber von Prominenten, wie jüngst etwa in der Berichterstattung über die vom britischen Premierminister David Cameron eingesetzte Untersuchungskommission zum Abhörskandal rund um Rupert Murdochs Skandalblatt News of the World zu beobachten war, das inzwischen bekanntlich eingestellt wurde. Am 24. November 2011, am elften Tag, an dem die Kommission tagte, hat u. a. die Schauspielerin Sienna Miller ausgesagt. Spiegel Online berichtete dazu: „In sachlicher, jedes Detail vertiefender Befragung zeichneten sie das Bild einer beschämenden medialen Unkultur, in der Menschen gehetzt, überwacht, bloßgestellt, verleumdet und erpresst werden.“ Und die Schriftstellerin J. K. Rowling (die Autorin von Harry Potter) erzählte von Belästigungen, Bedrohungen und Verleumdungen, die sie über 15 Jahre lang durch britische Boulevardmedien erlitten habe.37 Das Grundrecht auf Schutz der Privatsphäre ist der Stoff, aus dem (in der westlichen Welt) inzwischen die meisten medienethischen Debatten gestrickt sind. Immer wieder geht es um die Grenzen des Erlaubten, Paparazzi-Fotos etc. Gibt es hier aber genderspezifische Aspekte? Sind Frauen und Männer unterschiedlich betroffen – oder fragen sie die inkriminierten Inhalte mit unterschiedlichem Interesse nach? Der Fokus für genderspezifische medienethische Forschung ist hier schier unendlich breit. Wie gehen Prominente mit ihrem Schutz der Privat- und Intimsphäre um, wie reagieren Frauen, wie Männer auf unlautere Anfragen, was passiert Menschen, die sich in Hinblick auf sexuelle Neigungen outen, welche Medien bedienen in diesen Fragen welche Zielgruppen und welche Bedürfnisse liegen dem offenkundigen Drang nach Seitenblicken und Schlüssellochperspektiven zugrunde? Und vor allem: Welche Werte bzw. welche Wertverluste werden sichtbar und wie sind sie zu erklären? George Clooney ist es einmal anschaulich gelungen, sich zu wehren und dabei noch einen Journalisten, der sich für sein Privatleben interessierte, öffentlich zu blamieren, wie der Onlineberichterstattung von n-tv zu entnehmen war: Hollywoodstar George Clooney begegnet dem öffentlichen Interesse an seinem Liebesleben gern mit beißender Ironie. So auch während einer 36 Vgl. Donath 2012. 37 Vgl. Patalong 2011.

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Pressekonferenz beim Filmfestival in Toronto zu seinem neuen Politdrama ‚The Ides of March‘, als er die Frage eines Reporters abschmetterte, indem er sich über ihn lustig machte. Dieser hatte von Clooney wissen wollen, ob es schwieriger sei, bei einem Film Regie oder in aller Öffentlichkeit eine Beziehung zu führen. ‚Ich wusste ja, dass das jemand fragen würde. Ich bin sehr enttäuscht von Ihnen. Ich glaube, jeder hier schämt sich gerade für Sie fremd‘38, sagte Clooney mit einem Lachen, fragte den Journalisten nach seinem Namen und empfahl ihm, zu seinem Chefredakteur zu gehen und diesem zu berichten, welche Frage er gerade gestellt habe. Wiederum ist es eine Normverletzung, ein Tabubruch, der begangen, in diesem Falle aber auch als solcher bloßgestellt und lächerlich gemacht wird, indem der Betroffene öffentlich diskreditiert wird. Im Alltagsleben der weniger prominenten Menschen sind es seltener die drängenden JournalistInnen als vielmehr mangelnder Selbstschutz im Umgang mit privaten Informationen (z. B. mangelnde Kenntnis von Sicherheitseinstellungen oder auch mangelnde Kenntnisse in Bezug auf Datenschutz). Cybermobbing, Cyberbullying (das Verbreiten von Beleidigungen, Gerüchten oder Verleumdungen via moderner Kommunikationstechnologien) und Cyberstalking nehmen in grassierendem Ausmaß zu und führen gelegentlich zu dramatischen Ereignissen. Am 14. Mai 2010 hat in Kärnten der 13-jährige Joel Selbstmord begangen, weil er via Internet als homosexuell bezeichnet worden war. Er lief aus dem Haus und warf sich unter den Zug. Seitdem setzt sich seine Mutter dafür ein, die Gefahren von Cybermobbing bekannt zu machen und stellt sich dafür auch den Medien, wie etwa dem ZDF.39 Das Phänomen Cyberbullying grassiert an Schulen, weitet sich inzwischen aber auch deutlich aus. Im internationalen Vergleich bisheriger Studien zeigen sich gravierende Unterschiede in der Erhebung, aber auch in Bezug auf geschlechtsspezifische Unterschiede in Bezug auf die Frage der Betroffenheit oder Durchführung. Für Deutschland hat Catarina Katzer „eine zum Teil stärkere Involviertheit von Jungen“40 festgestellt. Stalking bezeichnet ein Verhaltensmuster, das sich in einer beharrlichen, andauernden und hartnäckigen Belästigung äußert, die die Lebensführung der von Stalking Betroffenen beeinträchtigt41 und zumeist mittels E-Mail, Chat, SMS oder durch die Verbreitung von unerwünschten Inhalten auf einer Website durchgeführt wird. Aus einer Studie über das Cyberstalking-Verhalten in Österreich (Delphi-Befragung, n=747) geht hervor, dass Männer und Frauen zu gleichen Teilen gestalkt werden, Männer werden häufiger durch Frauen gestalkt, Frauen aber zu gleichen Teilen von Männern und Frauen. Zwei Drittel der Befragten gaben an, dass sie sich nicht gegen das Stalking gewehrt haben und das auch nicht beabsichtigen, wobei bei Männern eine größere Bereitschaft herrscht, etwas dagegen

38 39 40 41

N-tv 2011. Vgl. ZDF 2012. Katzer 2011, S. 105. Vgl. Huber 2011, S. 122ff.

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zu unternehmen.42 In den geschilderten Fällen rücken Medien, insbesondere die neuen Kommunikationstechnologien, in den Blickpunkt – als Orte der Blamage (Verleumdung), als Instrumente des privaten Terrors (Verletzung der Privat- und Intimsphäre). In beiden Fällen werden Normen übergangen, ethische (teilweise auch rechtliche) Grenzen diffundiert, außer Kraft gesetzt, überschritten. 5.2

mEdiEnpluralität und mEinunGsviElfalt

Das Vielfaltsgebot stellt eine zentrale medienethische Herausforderung dar, wenn auch die Frage, ob Vielfalt hinreichend gegeben ist, sich nur schwer operationalisieren lässt – ein Maß anzugeben bedeutete, der Vielfalt Grenzen zu setzen. Ungeachtet dessen kann aber danach gefragt werden, ob für die medialen Interessen und Bedürfnisse unterschiedlichster Zielgruppen in hinreichendem Ausmaß Medieninhalte zur Verfügung gestellt werden – auf lokaler, regionaler, nationaler Ebene, in öffentlich-rechtlichen, privatwirtschaftlichen und nichtkommerziellen Medien, in Niveaublättern wie im Boulevard (der natürlich selbst immer wieder zu medienethischen Debatten führt), im Unterhaltungs- wie im Nachrichtenprogramm.43 Und natürlich lassen sich hier auch genderspezifische Fragestellungen entwickeln, wie beispielsweise: Gibt es hinreichend mediale Angebote, die gender-spezifische Fragen behandeln, die sich mit der Thematik des doing gender auseinandersetzen, für junge und ältere Menschen entsprechende Angebote formulieren, für Männer wie Frauen und natürlich auch für all jene, die sich nicht einer dieser beiden Geschlechtstypen zugehörig fühlen? Werden die weiter oben erwähnten Gruppierungen und Themen wie TransGender, Travestie, Geschlechtswechsler bereits ausreichend durch Medien repräsentiert? Welche Geldflüsse, welche ökonomischen Strukturen beeinflussen die Thematisierung in positiver wie negativer Hinsicht? 5.3

mEdiEnökonomiE aus mEdiEnEthischEr pErspEktivE

Fragen der Medienökonomie bewegen den Ethikdiskurs auf mehreren Ebenen: Zum einen sind zunehmende Konzentrationsbewegungen zu beobachten, deren (meist, aber nicht immer) negativer Einfluss auf die Einschränkung der Medien- und Meinungsvielfalt relativ gut erforscht ist, kaum aber die Frage aufgreift, ob sich darin auch genderspezifische Themen zeigen (z. B. auf der Ebene von Entlassungen oder dem Wegfall bestimmter Inhalte etc.). Zum anderen eröffnet die Medienkonvergenz – das Zusammenwachsen unterschiedlicher Medien – ein völlig neues Marktgeschehen und neue Monopolisierungsmöglichkeiten. Wir kaufen heute bereits jedes Smartphone mit angeschlossener Redaktion, aber nicht jede Redaktion ist in der Lage, entsprechende Apps oder Onlineressourcen zur Verfügung zu stellen, was zu gravierenden Nachteilen (in Hinblick auf Nachfrage, damit verbunden auch auf 42 Vgl. Huber 2011, S. 122ff. 43 Vgl. Krainer 2001, S. 57ff.

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Werbebudgets und letztlich wohl auf Qualität als medienethischem Wert) führen kann. Daraus resultieren natürlich viele Themen, die die Mediensteuerung (das Medienmanagement) betreffen. Content muss zunehmend multimediatauglich sein, was die Qualifikationsprofile von JournalistInnen deutlich verändert hat und auch neue Kompetenzprofile von NutzerInnen und AnwenderInnen erfordert. Das Leben mit Medienkonvergenz bedeutet etwa in zunehmendem Ausmaß mit Medien, die immer näher an unseren Körper vorgedrungen sind (wir tragen sie in Hosen- und Jackentaschen, spüren ihre Vibration, fühlen uns ohne sie ein wenig verloren), zu leben. Diese Medien ermöglichen Kontrolle in ungeahntem Ausmaß und bilden zugleich eine unsichtbare Nabelschnur zwischen Eltern und Kindern, eine permanente Kommunikationsinfrastruktur zwischen Partnerinnen und Partnern. Wie wir damit umgehen, was wir schätzen, worunter wir leiden, wie es Familien und Partnerschaften prägt und ihre Kommunikation verändert, welche ethischen Werte Männer und Frauen damit verbinden und welche genderspezifischen Ausformungen darin sichtbar werden – dazu ist noch wenig bekannt (wenngleich die geschlechtsspezifische Mediennutzung vor allem von Jugendlichen bereits recht gut erforscht wurde). Unzweifelhaft haben neue gesellschaftliche Werte unsere Kultur subversiv erobert: Permanente Erreichbarkeit (per Telefon, SMS, E-Mail etc.) ist in Zeiten der Globalisierung, Flexibilität und Instabilität offenkundig zu einem beruflichen Muss und zu einer zentralen Beziehungskategorie geworden. Zu fragen wäre aber beispielsweise auf struktureller Ebene auch, ob sich medienethisch relevante Genderaspekte in Bezug auf die unterschiedliche strukturelle Organisation von Medienbetrieben feststellen lassen. Zeigen sich Differenzen oder Parallelen, wenn man diesbezüglich öffentlich-rechtliche, privatwirtschaftliche, kommerzielle und nichtkommerzielle Medien analysiert? Dass der österreichische Schauspieler, Fernsehmoderator, Sänger und Entertainer Alfons Haider, der sich als homosexuell geoutet hat, bei Dancing Stars im ORF mit einem Mann tanzen konnte, stellte für Österreich ein Novum dar. Niki Lauda, der ehemalige Star der Formel 1 und Fluglinien-Betreiber hat sich zwar über das „schwule Tanzen“ beschwert,44 ansonsten gab es aber wenig Aufregung darüber. Offen bleibt freilich die Frage, ob es ein medialer Versuch war, Sensationslust zu bedienen oder Homosexualität zu enttabuisieren, welche Werte transportiert werden sollten, welche rezipiert werden konnten. In Österreich erscheint es bis heute nahezu undenkbar, dass Homosexuelle zu Ministerehren kommen, die Vorbilder aus anderen Ländern (insbesondere Deutschland) zeigen aber, dass sich offenbar langsam eine mediale Akzeptanz einstellt. Zu forschen gäbe es viel. Immer drängender erscheint aus medienethischer Perspektive aber auch die Frage, inwiefern der Neoliberalismus als äußerer Rahmen der Medienproduktion das mediale Geschehen auf inhaltlicher Ebene prägt. Welche Auswirkungen hat er auf die Prägung des biologischen und die Gestaltung des kulturellen Geschlechts? Wie sehr prägt seine innere Wertfigur (Betonung von Wettbewerb, Konkurrenz und Leistung) das mediale Geschehen auf und hinter den Bildschirmen? Wir sind in

44 Vgl. Der Standard 2011.

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zunehmendem Ausmaß zu einer Leistungsgesellschaft geworden, die sich medial in immer mehr Casting-Sendungen zeigt, in denen Werte wie Ehrgeiz, Konkurrenz und Gewinnen propagiert, Werte wie Solidarität, Kollegialität und Kooperation hingegen hinderlich wirken. Welche Werte vermittelt uns beispielsweise Germany’s Next Topmodel? Frauen, die schlank sind, die heulen, kreischen, sich gegenseitig abwerten und durch Heidi Klum auch regelmäßig abgewertet werden,45 stehen erstaunlich vielen homosexuellen Männern gegenüber, die sie coachen, casten, schminken, begleiten, umarmen und enttäuschen. Junge Frauen, von denen jede gewinnen will, wenn auch immer nur eine gewinnen kann, müssen miteinander wohnen (und gewissermaßen auch kooperieren), obwohl Konkurrenz das oberste Prinzip ist. Und sie werden immer jünger – regelmäßig drängen jugendliche Schülerinnen in die Castingshow. Aber es geht auch noch jünger, wie sich am Thema der „Chadults“ zeigen lässt. Es betrifft zumeist weibliche Kinder, die als junge Frauen verkleidet werden und diese auch spielen, in der Öffentlichkeit auftreten und sogar die Titelseiten von Zeitungscovers küren.46

Abb. 3: Kärntner Tageszeitung vom 04. Dezember 2011

Und Frauen sind neuerdings offiziell austauschbar, wie uns etwa die „Rekord-Dokusoap“ (Eigenbeschreibung) Frauentausch lehrt, die jüngst eine neue Runde mit folgenden Worten einläutete:

45 Vgl. Decker 2011. 46 Vgl. Kärtner Tageszeitung 2011.

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Ihre Familie ist der Hammer und das möchten Sie allen beweisen! Ihre Familie sollte wirklich mal wissen, wie es ohne Sie läuft! Sie wollten immer schon einmal erleben, wie es in anderen Familien zugeht! In Ihren Augen ist Ihre Familie etwas Besonderes, lebendig, abenteuerlustig, ein bisschen verrückt und offen für neue Erfahrungen! Ergreifen Sie jetzt die Chance und bewerben sich bei der RTL II-Erfolgsserie ‚Frauentausch‘! Zehn Tage lang tauschen völlig fremde Familien ihre Mütter und erleben neue Alltagswelten! Unterstellt wird (und es bewahrheitet sich auch immer wieder), dass Frauen ihre Familien öffentlich blamieren möchten oder erleben wollen, wie es in anderen Familien zugeht (mit fremden Männern, fremden Kindern etc.), so als wäre die Familie ein öffentlicher Ort, das Intime jederzeit auswechselbar. Auf RTL II sind es manche Frauen jedenfalls für eine Aufwandsentschädigung von 1500,- Euro tatsächlich.47 5.4

GEndErspEZifischE mEdiEnEthischE vErantwortunG

Auf der Ebene der Verantwortungsträger für Medienethik rücken insbesondere die Politik (als gesetz- und rahmengebende Instanz), die ProduzentInnen und RezipientInnen von Medieninhalten in den Blick, die ihre jeweiligen Beiträge zum doing gender der Mediengesellschaft leisten, die mehr oder minder reflektiert sind und bislang noch kaum in Bezug auf ethische Aspekte, Wertvorstellungen und Wertfiguren untersucht wurden. Insgesamt scheint der Grad individueller wie kollektiver Selbstreflexion in der Thematik erst am Beginn zu stehen, die Rolle der Medien darin ist noch weitgehend ungeklärt. Ein Grund für die mangelnde Aufarbeitung dieser Themen mag darin liegen, dass medienethische Empirie noch eher am Beginn steht und sich im medienethischen Diskurs eine entsprechende Anerkennung erst erobern muss, wenn sie auch inzwischen für unentbehrlich gehalten wird.48 5.5

thEoriE dEr mEdiEnEthik

Auch die theoretische Debatte innerhalb der Medienethik nimmt auf den Genderdiskurs bislang kaum Bezug. Als exemplarisches Beispiel dazu sei das Handbuch Medienethik herangezogen, in dem die folgenden theoretischen Ansätze näher beleuchtet werden: individualethische Ansätze, Konstruktivismus, Systemtheorie, Diskursethik, theologische Perspektiven, Cultural Studies.49 Geschlecht und Gender treten darin nicht als ethische Probleme auf. Im Widerspruchsmodell der Prozess-

47 Vgl. RTL II 2011. 48 Vgl. Rath 2010. 49 Vgl. Schicha/Brosda 2010, S. 21-135.

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ethik50, die auch als medienethischer Ansatz ausgearbeitet wurde,51 ist der Widerspruch der Geschlechter zwar als grundlegender existenzieller Widerspruch (neben anderen wie Alt/Jung oder Leben/Tod) festgehalten, in medienethischer Hinsicht aber noch nicht produktiv verwendet worden. Aus dieser Perspektive ließe sich allerdings prüfen, inwiefern „doing gender“ jeweils als Versuch zu verstehen ist, auf den permanent zu balancierenden existentiellen Widerspruch Antworten zu geben, die zu neuen Maßsetzungen innerhalb der Geschlechterverhältnisse führen sollen oder können, und inwiefern Medien diese Antworten befördern oder behindern. 6

RESÜMEE

Auf wissenschaftlicher Ebene zeigte sich, dass Ansätze der Medienethik bislang kaum das Genderthema expliziert haben, wiewohl die Medien- und Kommunikationswissenschaften eine lange Geschichte der Frauen- und Genderforschung kennen, die sich aber wiederum wenig mit ethischen Fragen befasst hat, wenn darin auch immer wieder Wertfragen diskutiert werden. Insofern wäre es wichtig, sich genau zu überlegen, welche spezifisch ethischen Aspekte darüber hinaus zu analysieren wären. Aus meiner Sicht wäre eine Verschränkung von drei Diskurskreisen sinnvoll und notwendig, um hier zu einer strukturierten Auseinandersetzung gelangen zu können, nämlich dem medienethischen Diskurs, dem genderspezifischen philosophischen Diskurs (insbesondere der feministischen Ethik) und der Genderforschung innerhalb der Medien- und Kommunikationswissenschaften, ehe wir uns empirisch daran machen, dem Thema auf die Spur zu kommen. Die Verantwortung besteht zumindest darin, genderspezifische Aspekte, welche auch immer das sein mögen, sensibel zu beobachten, zu thematisieren und systematisch zu reflektieren. Sie besteht ferner darin, das je eigene „doing gender“ und dessen öffentliche Wahrnehmung zu reflektieren, je breiter die wahrnehmende Öffentlichkeit, umso sorgfältiger. Sie besteht in einer Analyse der dominanten Kultur, die unser Gendering prägt – nicht zuletzt in Hinblick auf die damit verbundenen Werte, die Medien transportieren. Sie betrifft alle, die mit Medien- und Kommunikationsfragen beschäftigt sind, insbesondere natürlich auch uns WissenschaftlerInnen. Sie betrifft alle, die sich in der aktuellen Medienkultur bewegen und in ihr handeln – ProduzentInnen und RezipientInnen, jene, die für die Rahmenbedingungen zu sorgen haben, und alle, die Verantwortung tragen und übernehmen wollen. Sie betrifft alle, die sich oder ihre Kinder der medialen Öffentlichkeit aussetzen, und das tun wir inzwischen alle täglich, in welcher Form auch immer.

50 Vgl. Krainer/Heintel 2010. 51 Vgl. Krainer 2001.

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Larissa Krainer

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EINSEITIGE UND STEREOTYPE GESCHLECHTERROLLEN – ÜBERSCHREITUNG DER RECHTLICHEN GRENZEN IM FERNSEHEN Verena Weigand

In den Medien stoßen Kinder und Jugendliche vielfach auf geschlechterstereotype und sexualisierte Inhalte.1 Dabei geht es in den seltensten Fällen um Werte wie Zärtlichkeit oder gar Liebe. Im Fokus stehen vielmehr fragwürdige Rollenklischees und Mythen wie beispielsweise ständige Verfügbarkeit. Eine Einwicklung, die – vermeintlich harmlos – schon auf den Covern von TV-Magazinen beginnt: So lässt sich das Fernsehprogramm scheinbar am besten mittels Titelbildern tief ausgeschnittener Moderatorinnen in verführerischen Posen verkaufen. Das ist für uns heute so normal, dass kaum einer daran Anstoß nimmt. Übrigens ebenso wenig wie an der Tatsache, dass Männer – wenn sie auf solchen Titelblättern abgebildet sind – im Gegensatz zu ihren Kolleginnen meist seriös und souverän dargestellt werden. Aber das ist ein Thema für sich ... In folgendem Aufsatz wird es um die Fernsehinhalte selbst, nicht um die Werbung dafür gehen. Im Zentrum steht dabei ein Überblick über aus Jugendschutz-Perspektive problematische GeschlechterDarstellungen im Fernsehen. 1

ZUSAMMENHANG ZWISCHEN JUGENDMEDIENSCHUTZ UND MEDIENETHIK

Zu Beginn soll aber die – relevante – Rolle des Jugendmedienschutzes in der medienethischen Diskussion erläutert werden. Denn der Jugendschutz hat neben seinen restriktiven auch wichtige deklaratorische Funktionen. So ist es eine wichtige Aufgabe der Medienaufsicht, der Gesellschaft die Gefahren medialer Bilder im Fernsehen und im Internet bewusst zu machen und sie damit für das Thema Jugendmedienschutz zu sensibilisieren. Viele der jugendschutzrelevanten Inhalte, mit denen die Kommission für Jugendmedienschutz (KJM) in ihrer täglichen Arbeit konfrontiert ist, überschreiten gerade im sexuellen Bereich Tabugrenzen. Indem der gesetzliche Jugendschutz Verstöße exemplarisch ahndet und öffentlich macht, will er nicht zuletzt auch das Problembewusstsein der Öffentlichkeit schärfen. So wird die gesamtgesellschaftliche Debatte um Inhalte, moralische Werte und ihren Wandel immer wieder angeregt. Dieser Wertewandel spiegelt sich übrigens auch in den Beurteilungskriterien der Medienaufsicht, die regelmäßig aktualisiert und ergänzt werden. Der öffentliche medienethische Diskurs übernimmt also eine wichtige Orientierungsfunktion: Denn Jugendmedienschutz kann nur auf Basis eines gesellschaftlichen Konsenses betrieben werden. 1

Vgl. Ring/Weigand 2011.

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Verena Weigand

2

ZUR MEDIENNUTZUNG VON KINDERN UND JUGENDLICHEN

Während die Standpunkte in Sachen Jugendmedienschutz oft sehr kontrovers sind, sind sich die Experten in Bezug auf die Bedeutung der Medien im Leben von Kindern und Jugendlichen heute weitgehend einig: Sie spielen beim Erwachsenwerden eine wichtige Rolle. Dazu einige Zahlen aus den Studien des Medienpädagogischen Forschungsverbunds Südwest: So sehen 76 Prozent der Kinder im Alter von sechs bis 13 Jahren täglich oder fast täglich fern, 22 Prozent mindestens einmal pro Woche. 16 Prozent dieser Altersgruppe spielen bereits täglich bzw. fast täglich am Computer, 46 Prozent mindestens einmal pro Woche.2 Bei den Jugendlichen zwischen zwölf und 19 Jahren ist die Alltagsrelevanz von Medien noch höher: Etwa neun von zehn Jugendlichen nutzen regelmäßig – das heißt mindestens einmal wöchentlich, die Mehrheit davon täglich – ein Handy (91 Prozent), das Internet (89 Prozent) und den Fernseher (89 Prozent).3 Bei der Mediennutzung stoßen Kinder und Jugendliche auf Verhaltensmuster für Mädchen und Jungen, für Frauen und Männer. Dabei spiegeln die Medien bestehende Geschlechterverhältnisse wider, beeinflussen sie aber auch. Medien bilden nicht selten Vorlagen für Selbstinszenierungen, mit denen Jungen und Mädchen ihre Handlungsfähigkeit erproben, durch Bewegung, Kleidung und Sprache und indem sie bestimmte Umgangsformen mit- und gegeneinander ausbilden.4 Das ist nur zu verständlich – schließlich stecken die jungen Mediennutzer inmitten eines Sozialisationsprozesses, der durch Aneignung von Geschlechteridentität geprägt ist.5 Dabei bereichern Medien als relevante Sozialisationsinstanz das Leben von Kindern und Jugendlichen. Sie konfrontieren sie aber auch mit problematischen Inhalten, die sie in ihrer Entwicklung beeinträchtigen können. Das Thema „Geschlechterrollen“ ist in diesem Zusammenhang ein ganz wesentliches: Heranwachsende wachsen heute in einer mediatisierten Gesellschaft auf, die an allen Ecken und Enden mit Geschlechterrollen aufwartet – sei es in Doku-Soaps, im sogenannten „Real-Life-TV“ und natürlich in den klassischen Erotikformaten des Fernsehens. Auch das Internet ist nur so gespickt mit Geschlechterrollen-Klischees: abseits von Pornografie beispielsweise auf diversen Plattformen im Netz bis hin zu online gestellten „Porno-Rap“-Videoclips.6 3

ZIELE DES JUGENDMEDIENSCHUTZES

Die Aufgabe des Jugendmedienschutzes ist es in dem Zusammenhang, Kinder und Jugendliche vor problematischen Inhalten zu schützen. Im Fokus stehen dabei problematische jugendgefährdende oder unzulässige Bilder. Aufgrund der Globalisie-

2 3 4 5 6

Vgl. Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest 2010b. Vgl. Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest 2010a. Vgl. Götz 2011. Vgl. Mühlberger 2011. Vgl. Grimm 2011.

Einseitige und stereotype Geschlechterrollen

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rung, der Konvergenz der neuen Medien und der Entwicklung neuer Techniken werden Kinder und Jugendliche heute täglich damit konfrontiert. Die Medienaufsicht geht bei problematischen Medieninhalten grundsätzlich von einem Wirkungsrisiko für Heranwachsende aus. Denn Kinder und Jugendliche haben einen anderen emotionalen und kognitiven Entwicklungsstand als Erwachsene. Ziel der Medienaufsicht ist es, Einflüsse der Erwachsenenwelt – zum Beispiel im Bereich der Sexualität – die dem Entwicklungsstand von Kindern und Jugendlichen noch nicht entsprechen, so gering wie möglich zu halten und Kinder und Jugendliche bei der Entwicklung zu einer eigenständigen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit zu unterstützen.7 Die Notwendigkeit, Kinder und Jugendliche vor den Gefahren der Medienwelt zu schützen, nimmt angesichts der wachsenden Zahl von jugendschutzrelevanten Inhalten zu. Kinder und Jugendliche, die meist ungleich medienaffiner sind als ihre Eltern oder Lehrer, werden freiwillig oder zum Teil unfreiwillig mit gewaltverherrlichenden, rechtsextremistischen oder sexualisierten und pornografischen Inhalten konfrontiert – auf dem Schulhof, vom älteren Bruder der besten Freundin, oder weil sie sich im Internet bei der URL-Eingabe schlicht vertippt haben. Bei der Bewertung solcher Inhalte spielen Geschmacksfragen keine Rolle: der Jugendschutzmedienschutz hat Verfassungsrang, seine Grundlagen sind in Gesetzen normiert. Gemäß dieser Bestimmungen muss gewährleistet sein, dass Kinder und Jugendliche in ihrer Entwicklung zu selbstbestimmten und verantwortungsbewussten Menschen innerhalb der sozialen Gemeinschaft vom Staat unterstützt werden. Daher muss der Staat Institutionen schaffen, die für Kinder und Jugendliche problematische Medieninhalte kontrollieren. Der Jugendmedienschutz kann als Schranke für die im Grundgesetz verankerten Grundrechte auf Meinungs-, Informations- und Kunstfreiheit wirken. Eine staatliche Vorzensur findet jedoch aus gutem Grund nicht statt. 4

GESETZLICHE GRUNDLAGEN DES JUGENDMEDIENSCHUTZES

Basis des modernen Jugendmedienschutzes sind das Jugendschutzgesetz (JuSchG) des Bundes und der Staatsvertrag über den Schutz der Menschenwürde und den Jugendschutz in Rundfunk und Telemedien (Jugendmedienschutz-Staatsvertrag – JMStV) der Länder. Mit In-Kraft-Treten des JMStV im April 2003 wurde die KJM als zentrale Stelle, die für den Jugendschutz im privaten Rundfunk und in Telemedien zuständig ist, eingerichtet. Als Organ der Landesmedienanstalten wacht die KJM über die Einhaltung der Bestimmungen des JMStV. Die KJM-Stabsstelle mit Sitz in München ist für inhaltliche Fragen, Grundsatzangelegenheiten und die Öffentlichkeitsarbeit der KJM zuständig. Sie ist eine der wenigen Stellen in Deutschland, die sich täglich mit problematischen Rundfunk- und Internetinhalten auseinandersetzt:

7

Vgl. Kommission für Jugendmedienschutz 2011.

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Verena Weigand

Die Mitarbeiter an der Basis müssen gewaltverharmlosende und -verherrlichende, politisch extremistische und pornografische Inhalte verdauen. Sie erhalten deshalb regelmäßig Supervision. Der JMStV unterscheidet in seinen materiellen Regelungen zwischen sogenannten „unzulässigen“ und „entwicklungsbeeinträchtigenden“ Inhalten. Entwicklungsbeeinträchtigende Inhalte sind jugendschutzrelevante Medieninhalte, die geeignet sind, Kinder und Jugendliche in ihrer Entwicklung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit zu beeinträchtigen. Dazu zählen zum Beispiel Darstellungen von Gewalt oder Sexualität, die Kindern und Jugendlichen falsche Vorbilder oder Wertvorstellungen vermitteln oder sie ängstigen können. Diese Angebote dürfen verbreitet werden, wenn Kinder und Jugendliche der betroffenen Altersstufe sie üblicherweise nicht wahrnehmen können.8 Im Rundfunk handelt es sich bei Jugendschutzverstößen vorrangig um entwicklungsbeeinträchtigende Angebote. Hier greift das Mittel der Sendezeitbeschränkung: So dürfen Inhalte, die für Jugendliche unter 18 Jahre nicht geeignet sind, erst ab 23 Uhr gesendet werden. Angebote, die für Jugendliche unter 16 Jahren nicht geeignet sind, können ab 22 Uhr laufen. Und bei Inhalten, die unter zwölf Jahren nicht freigegeben sind, muss der Veranstalter bei der Wahl der Sendezeit dem Wohl jüngerer Kinder Rechnung tragen. 5

DIE PRÜFKRITERIEN DER KJM

Konkreter Beurteilungsmaßstab der KJM-Prüferinnen und Prüfer sind die „Kriterien für die Aufsicht im Rundfunk und in den Telemedien“9. Sie werden regelmäßig aktualisiert und damit – hier sind wir wieder beim Thema Medienethik – an die geltenden Werte und Normen der Gesellschaft angepasst. Denn gerade Fragen der Moral unterliegen dynamischen Prozessen. Und welche Werte und Normen sind maßgeblich für die Prüfpraxis der KJM? Bei den Wirkungsrisiken wird im Rahmen der Bewertung der Inhalte zwischen der „individuellen Dimension“, zum Beispiel einer Ängstigung oder psychischen Destabilisierung der Kinder, und der „sozialen Dimension“ unterschieden. Soziale Dimension bedenkt, dass Kinder und Jugendliche sich in die Gesellschaft mit ihrer Werteordnung insgesamt einfügen können.10 Zu dem Begriff „Werteordnung“ definieren die Prüfkriterien: […] deshalb ist zu beachten, ob bei den medialen Angeboten die freiheitlich-demokratische Grundordnung und die Grundrechte einschließlich ihrer Schranken für Kinder oder Jugendliche als zentraler Maßstab der gesellschaftlichen Werteordnung erkennbar bleiben. Wenn Kinder oder Ju-

8 Vgl. Ring/Hopf 2011. 9 Kommission für Jugendmedienschutz 2010. 10 Vgl. ebd., S. 4.

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gendliche aufgrund ihres Alters abweichende Darstellungen zum Beispiel im Bereich von Menschenwürde, Toleranzgebot, Schutz von Ehe und Familie und Demokratieprinzip nicht mit ausreichender Differenziertheit und Distanz verarbeiten können, ist von einer Entwicklungsbeeinträchtigung auszugehen. Im Hinblick auf die Rechte des Kindes sind Erziehungsziele auch stets die Erziehung im Geist des Friedens, der Würde, der Toleranz, der Freiheit, der Gleichheit und der Solidarität. Auch eine Einwirkung auf diese Erziehungsziele ist somit bedeutsam.11 In den KJM-Prüfkriterien finden sich natürlich auch Aussagen zu einseitigen und stereotypen Geschlechterrollen: Zum einen werden – eher allgemeine – Aussagen unter den Punkten Sexualität und Pornografie getroffen. Hier geht es beispielsweise um das Thema „objekthafte Darstellung“. Dann gibt es in den Kriterien auch ganz konkrete Aussagen: Als problematisch sind demnach Sexualdarstellungen anzusehen, in denen stereotype Geschlechterrollen vermittelt werden, die für Kinder und Jugendliche Vorbildcharakter haben könnten. Solche Geschlechterrollen liegen vor, wenn Frauen oder Männer in einer diskriminierenden – also einseitig dominanten oder unterwürfigen – Sexualität dargestellt und/oder als willige Sexualpartner ohne eigenen Charakter gezeigt werden.12 Außerdem heißt es unter dem Punkt „sexuelle Diskriminierung“: Einseitige Charakterisierungen der Geschlechter (= Objektcharakter, sexuelle Fremdbestimmung, Rollenklischees) sind geeignet, die Wahrnehmung des anderen Geschlechts negativ zu prägen und können den Prozess der sexuellen Selbstfindung Heranwachsender beeinträchtigen.13 Die Medienaufsicht steht heute in Bezug auf Medieninhalte, die stereotype, entwicklungsbeeinträchtigende oder gar als noch problematischer einzustufende Geschlechterrollen vermitteln, zahlreichen Herausforderungen gegenüber. Sie ergeben sich aufgrund zunehmender Konvergenz, neuer Programmentwicklungen sowie neuer technischer Verbreitungsformen. Das Fernsehen spielt – trotz Internet, Handy oder portablen Spielkonsolen – weiter eine wichtige Rolle im Alltag von Kindern und Jugendlichen und bietet Geschlechterrollenklischees eine öffentliche Plattform. Tendenzen zur Sexualisierung und zur Pornografisierung sind immer stärker beobachtbar.

11 Kommission für Jugendmedienschutz 2010, S. 4. 12 Vgl. ebd., S. 17. 13 Ebd., S. 20.

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BEISPIELE EINSEITIGER UND STEREOTYPER GESCHLECHTERROLLEN IM FERNSEHEN 6.1

kindEranGEbotE

Im Jahr 2009 ergab eine Studie im Auftrag des Internationalen Zentralinstituts für das Jugend- und Bildungsfernsehen (IZI): Schon in Zeichentrickfilmen werden Mädchen- und Frauenfiguren (Wespentaille, unrealistisch lange Beine) sexualisiert. Die Folgen: Mädchen erleben ihren eigenen Körper von Anfang an defizitär. Sexualisierung wird bereits für Vorschulmädchen zur Norm. Aber auch bei den männlichen Figuren dominieren Klischees von machohaften Siegertypen oder lustigen Loosern. Dies ist aus pädagogischer Sicht ebenfalls problematisch. Auch wenn es Ausnahmen (Pippi Langstrumpf, Bibi Blocksberg, Wicki etc.) gibt – laut dieser Studie sind Bilder von Jungen und Mädchen bereits im Kinderfernsehen in weiten Bereichen stereotyp.14 6.2

talkshows

Ab Mitte der 1990er Jahre gab es bei den privaten Sendern den Boom der nachmittäglichen Talkshows. „Ilona Christen“, „Hans Meiser“ oder „Arabella Kiesbauer“ verhandelten Themen, die eigentlich in die Privatsphäre gehören, erstmals öffentlich. Mit provokanten Sendungstiteln wie „Wo bleibt deine Ehre – Deine Frau schafft an“, „Du bist nur ein Flittchen“ oder „Für meine Liebe verließ ich meine Kinder“ lag der Fokus auf den Themen Erotik und Sexualität; es wurden aber auch Beziehungs- und Geschlechterrollenmuster transportiert.15 Die Gäste waren keine Experten, sondern in der Regel Privatpersonen aus sozial schwachen Milieus, die ihre persönlichen Probleme ins Fernsehen trugen. Dabei wurden auch sehr private Details – wie Ergebnisse von Vaterschaftstests oder außergewöhnliche sexuelle Vorlieben – öffentlich vorgetragen. Diese „Intimisierung“ wurde ein wesentliches Merkmal der Talkshows.16 Reduzierung, Banalisierung und Klischeehaftigkeit prägten die Geschlechterrollen, die diese Talks darstellten: So war die Beziehungsebene zwischen den Geschlechtern immer desaströs, Konfliktlösung und Kommunikation zwischen Partnern war quasi nicht existent. Eine meist diskriminierende Ausdrucksweise der Talkgäste verstärkte die Stereotype noch. Aus Jugendschutz-Sicht stellte die Fülle dieser Inhalte in den nachmittäglichen Talkshows ein großes Problempotenzial dar: Kinder und Jugendliche wurden hier zum einen mit erotischen und sexuellen Details konfrontiert, die nicht ihrem persönlichen Entwicklungsstand entsprechen und die sie nicht einordnen können. Zum

14 Vgl. Götz 2011, S. 117-120; vgl. hierzu auch den Beitrag von Götz in diesem Band. 15 Vgl. Ring/Weigand 2011, S. 22. 16 Mehling 2005, S. 23.

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anderen besteht die Gefahr, dass Heranwachsende ihnen vorgeführte Geschlechterrollen und Verhaltensmuster übernehmen, weil sie noch in ihrer sexuellen Orientierungsphase sind.17 Eine Problematik, die auch gesellschaftlich wahrgenommen wurde: Die Inhalte der Talks wurden öffentlich viel diskutiert und kritisiert. Dadurch erfuhr der Jugendmedienschutz erstmals viel öffentliche Aufmerksamkeit. Zahlreiche Beschwerden aus der Bevölkerung gingen bei den Landesmedienanstalten ein. Hier begann sich ein Bewusstsein zu entwickeln, das seitdem über die Jahre wächst: So sind in den letzten zwei Jahren (März 2009 bis Februar 2011) knapp 1300 Beschwerden zu Rundfunksendungen bei der KJM-Stabsstelle eingegangen – fünfmal mehr als im vergangenen Berichtszeitraum.18 Dabei standen nicht mehr die kaum mehr existenten Talks, sondern Reality- und Coaching-Formate im Zentrum der Kritik. Obwohl die Verstöße im Internet weit über das hinausgehen, was im Fernsehen zu sehen ist, gehen in der KJM-Stabsstelle nach wie vor mehr als dreimal so viele Beschwerden zu Rundfunk- als zu Telemedien-Angeboten ein. In dem Zusammenhang noch eine Zahl: Seit ihrer Gründung befasste sich die KJM mit 4670 Prüffällen aus Rundfunk und Telemedien19 – etwa ein Viertel davon sind Rundfunk-, drei Viertel Telemedienfälle. 6.3 6.3.1

rEality-shows Castingshows

Im Juni 2012 endete die achte Staffel der Castingshow Germany’s Next Topmodel. Obwohl die Quoten zurückgehen, ist die Sendung immer noch erfolgreich: Die Folgen erreichten bis zu 60 Prozent Marktanteil bei den 12- bis 17-jährigen Mädchen. Der gesamte Inhalt der Sendung dreht sich um das Aussehen, die sehr schlanken Körper der Kandidatinnen und ihre Inszenierung vor der Kamera. Laut Untersuchungen sprechen 75 Prozent der Schülerinnen, die die Sendung regelmäßig sehen, am nächsten Tag auf dem Schulhof darüber.20 Verständlich – denn so inszeniert die Sendung auch ist, ihre Protagonistinnen faszinieren: Schließlich sind die Mädchen in einem ähnlichen Alter wie die Zuschauerinnen. Und sie träumen den gleichen Traum vom unbekannten Aschenputtel, das plötzlich – in schönen Kleidern und mit dem richtigen Styling – zur Prinzessin wird. Letztlich geht es in Germany’s Next Topmodel um nichts anderes als sexuelle Attraktivität. Das altbekannte Märchen hat damit eine ganz neue Präsenz bekommen. So hat man herausgefunden, dass sich regelmäßige Zuschauerinnen von Nichtseherinnen in ihrem Schönheitsempfinden unterscheiden: sie erkennen und schätzen die professionelle Inszenierung. Daraus folgt aber leider auch: der ganz 17 18 19 20

Vgl. Mühlberger 2011. Vgl. Kommission für Jugendmedienschutz 2011, S. 15. Vgl. Kommission für Jugendmedienschutz 2012. Vgl. Götz 2011.

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normale, „unbearbeitete“ Mädchenkörper wird als unschön und defizitär wahrgenommen.21 Auch wenn die KJM in Bezug auf Germany’s Next Topmodel bisher keine Jugendschutz-Verstöße festgestellt hat, so thematisiert sie doch immer wieder das Problempotenzial der Show: Das Darstellen eines extremen Schlankheitsideals, die Reduzierung aller Inhalte auf äußere Attraktivität und das hohe Identifikationspotenzial kann sich gerade auf Mädchen in der Pubertät negativ auswirken. Andere Castingshows, wie zum Beispiel Deutschland sucht den Superstar (DSDS), in denen es nicht primär um das Aussehen geht, vermitteln ebenfalls problematische Geschlechterrollen. Schließlich ist auch hier die äußere Attraktivität von hoher Relevanz. Dazu kommen andere Probleme: Die Casting-Folgen von DSDS präsentieren beleidigende Äußerungen und antisoziales Verhalten als normale Umgangsformen. Außerdem führen sie Verhaltensmodelle vor, die Häme und Herabwürdigung anderer als völlig legitim darstellen. Das wirkt erklärten Erziehungszielen wie Toleranz und Respekt entgegen und kann eine desorientierende Wirkung auf Kinder ausüben. Hier verhängte die KJM im Jahr 2008 ein viel beachtetes Bußgeld von 100.000 Euro.22 Umso erfreulicher, dass auch die neue Casting-Show The Voice of Germany (ProSieben/SAT. 1) sehr erfolgreich war: Hier sah man die Kandidaten nicht, man hörte sie nur. Auch die Kritik beschränkte sich auf die Sache. Quote kann man also auch anders machen! 6.3.2

Schönheits-OP-Sendungen

Anfang 2000 gab es einen – in Bezug auf Geschlechterrollen – perfinden Trend: die Schönheits-OP-Sendungen. Eine fiel durch hohes Problempotenzial und hohe Jugendaffinität besonders auf: MTV strahlte im Jahr 2004 im Hauptabendprogramm eine Unterhaltungssendung mit dem vielsagenden Titel „I Want a Famous Face“ aus. Mittels Elementen aus Dokumentation und Reportage berichtete das Format über jugendliche oder junge erwachsene Protagonisten, die sich einer Schönheitsoperation unterziehen, um ihrem jeweiligen prominenten Idol ähnlich zu sehen. Die KJM problematisierte, dass die Gesundheit wie selbstverständlich für das Erreichen einer subjektiv „noch größeren“ Attraktivität geopfert wird. Die Risiken solcher Operationen waren bei I Want a Famous Face dagegen kein Thema. Schließlich ging es darin um alles andere als um den Stellenwert von Gesundheit und körperlichem Wohlbefinden. Das ist gerade bei Sendungen, deren Zielgruppe vorwiegend Jugendliche sind, sehr kritisch zu sehen. Denn Jugendliche haben – glücklicherweise! – meist erst sehr geringe persönliche Erfahrungen mit Krankheit oder Schmerz gemacht und können deshalb noch nicht beurteilen, welch großen

21 Vgl. Götz 2011. 22 Vgl. Kommission für Jugendmedienschutz 2008.

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Wert körperliche Gesundheit hat. Für sie ist ein perfekt funktionierender Körper noch selbstverständlich. Schönheits-OP-Shows schaffen keinerlei Problembewusstsein bei Jugendlichen. Eine kritische Auseinandersetzung mit den Risiken eines operativen Eingriffs aus ästhetisch-kosmetischen Zwecken findet nämlich nicht statt. Dem Zuschauer wird stattdessen ein rigides Schönheitsideal vor Augen geführt, das durch Eingriffe scheinbar mühelos erreicht werden kann. Bei I Want a Famous Face wurde durch Aussagen und Handeln der Darsteller deutlich, dass die äußere Attraktivität das Wichtigste in ihrem Leben sei. Außerdem vermittelte die Sendung, dass beruflicher Erfolg, aber auch der Erfolg im Privatleben ausschließlich von einem attraktiven Äußeren abhängig sei.23 Die KJM begründete die Verstöße wie folgt: Jugendlichen wird vermittelt, dass der eigene Körper keine feste Größe der Identität ist, sondern durch Eingriffe von außen beliebig gestaltet werden kann. So wird die Bewältigung zentraler Entwicklungsaufgaben gefährdet.24 Auch bei anderen Formaten ähnlichen Inhalts stellte die KJM Verstöße gegen die gesetzlichen Bestimmungen fest. 6.3.3

Scripted Reality am Beispiel von X-Diaries

Im Jahr 2011 wurden insgesamt 60 Folgen des Formats X-Diaries (RTL II) in das KJM-Prüfverfahren eingespeist. Die Sendung lief damals montags bis freitags um 19 Uhr und wurde in der Folgewoche um 12 Uhr – direkt vor der Ausstrahlung verschiedener Zeichentrickserien – wiederholt. Bei X-Diaries, einer Sendung, die nach wie vor läuft, handelt es sich um ein sogenanntes Scripted Reality-Format, bei dem die Handlung von Drehbuchautoren stammt und von Laienschauspielern nachgespielt wird. Das erschließt sich insbesondere jüngeren Zuschauern allerdings nicht unbedingt. Ihnen wird der Eindruck vermittelt, es handle sich um „wahre“ Geschichten: Diese Geschichten erzählen im Fall von X-Diaries die Erlebnisse deutscher Touristen in Urlaubsorten wie Rimini oder Ibiza. Jede Woche werden vier neue Urlaubergruppen vorgestellt, etwa Junggesellenrunden oder abenteuerlustige Freundinnen. Im Mittelpunkt stehen dabei meist Partys, Spaß, Beziehungs- und Familienkonflikte – gespickt mit einschlägigen Klischees. Die einzelnen Episoden werden regelmäßig von zum Teil freizügigen Bildern vom Strand- und Nachtleben unterbrochen und mit Kommentaren wie „auf der Insel lassen die Urlauber alle Tabus hinter sich“ oder „Party machen ist das Ziel aller Urlauber“ versehen. Eine Sendung, die gerade im Hinblick auf die dargestellten Geschlechterrollen problematisch war: So stellte die KJM in weit mehr als der Hälfte der Fälle Verstöße

23 Vgl. Kommission für Jugendmedienschutz 2004b. 24 Kommission für Jugendmedienschutz 2004a.

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wegen einer Entwicklungsbeeinträchtigung für unter 16-Jährige (Sendezeitgrenze 22 bis sechs Uhr) und für unter Zwölfjährige (Sendezeitgrenze 20 bis sechs Uhr) fest. Die Entwicklungsbeeinträchtigung begründete die KJM jeweils vor allem mit der aufdringlichen Darstellung der Themen Sex und Alkohol und der derb-zotigen Sprachwahl. Keine dieser Folgen hatte RTL II vorab der Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen (FSF) vorgelegt. Das änderte sich aufgrund der Entscheidungen – und nicht zuletzt wegen der damit verbundenen Maßnahmen – der KJM: Alle aktuell laufenden Folgen prüfte die FSF vor Ausstrahlung, so dass die nachfolgenden Staffeln aus Sicht der KJM bisher jugendschutzrechtlich unproblematisch waren.25 6.3.4

Nachtprogramm

Der Vollständigkeit halber sei zuletzt auf die klassischen inhaltlichen Problemfelder hingewiesen, wenn es um Geschlechterrollen geht: In den Erotikformaten im Nachtprogramm der privaten Anbieter können Erwachsene täglich Erotik und Sexualität – etwa in Form von Erotikclips oder von Erotikfilmen – sehen. Solche Erotikformate bergen erhebliches medienrechtliches wie auch medienethisches Problempotenzial. Generell sind Erotikformate im Rundfunk zulässig, wenn sie zwischen 23 Uhr und sechs Uhr ausgestrahlt werden, da Kinder und Jugendliche diese Angebote zu dieser Zeit üblicherweise nicht wahrnehmen. Die Aufsicht prüft bei diesen Programmen fortwährend, ob die Grenze zur Pornografie überschritten wird.26 Die genannten Beispiele mögen im Vergleich zu der Fülle an sexualisierten Inhalten im globalen Internet auf ersten Blick wenig dramatisch erscheinen. Doch sie machen eines klar: Die Wurzeln für problematische Geschlechterrollenbilder, die beispielsweise über pornografische Bilder mit ihren Vorstellungen von willigen Frauen und wilden Kerlen mehr als überstrapaziert werden, werden schon ganz früh und im Fernsehen – immer noch das Lieblingsmedium der Kinder – gelegt. Vor allem dort, wo reale Vorbilder im Alltag fehlen, entfalten mediale Geschlechterrollen große Wirksamkeit. BIBLIOGRAFIE Grimm, Petra (2011): Porno im Web 2.0. In: Kommission für Jugendmedienschutz (Hrsg.): Zarte Bande versus Bondage: Positionen zum Jugendmedienschutz in einem sexualisierten Alltag. Berlin: Vistas Verlag, S. 40-62. Götz, Maja (2011): Von Winx Club bis Germany’s Next Topmodel: Sexualisierung im Kinder- und Jugendfernsehen. In: KJM (Hrsg.): Zarte Bande versus Bondage: Positionen zum Jugendmedienschutz in einem sexualisierten Alltag. Berlin: Vistas Verlag, S. 117-134.

25 Vgl. Schwendner/Schirmacher 2011, S. 4. 26 Vgl. Ring/Weigand 2011, S. 23-26.

Einseitige und stereotype Geschlechterrollen

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Kommission für Jugendmedienschutz (2004a): KJM prüft drei Folgen von „I want a famous face“ und eine „Big Brother“-Folge: Jugendschutzverstöße festgestellt. Online: http://www.kjm-online. de/de/pub/aktuelles/pressemitteilungen/pressemitteilungen_2004/pm_092004.cfm (Abfrage: 03.07.2012). Kommission für Jugendmedienschutz (2004b): Schönheitsoperationen als TV-Unterhaltung: KJM-Vorsitzender Ring hält Entwicklung für bedenklich. Online: http://www.kjm-online. de/de/pub/aktuelles/pressemitteilungen/pressemitteilungen_2004/pm_072004.cfm (Abfrage: 03.07.2012). Kommission für Jugendmedienschutz (2008): KJM-Entscheidung zu DSDS: RTL muss 100.000 Euro Bußgeld zahlen. Online: http://www.kjm-online.de/de/pub/aktuelles/pressemitteilungen/ pressemitteilungen_2008/pm_132008.cfm (Abfrage: 03.07.2012). Kommission für Jugendmedienschutz (2010): Kriterien für die Aufsicht im Rundfunk und in den Telemedien. Online: http://www.kjm-online.de/files/pdf1/Kriterien_23_08_2010_final_Internet_mit_logo.pdf (Abfrage: 02.07.2012). Kommission für Jugendmedienschutz (2011): Vierter Bericht der KJM über die Durchführung der Bestimmungen des Staatsvertrags über den Schutz der Menschenwürde und den Jugendschutz in Rundfunk und Telemedien (Jugendmedienschutz-Staatsvertrag – JMStV). Online: http:// www.kjm-online.de/files/pdf1/KJM_4terBericht_Homepage.pdf (Abfrage: 02.07.2012). Kommission für Jugendmedienschutz (2012): Rundfunk- und Telemedienprüffälle im ersten Quartal 2012. Online: http://www.kjm-online.de/de/pub/aktuelles/pressemitteilungen/pressemitteilungen_2012/pm_082012.cfm (Abfrage: 03.07.2012). Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest (Hrsg.) (2010a): JIM-Studie 2010: Jugend, Information, (Multi-)Media. Basisuntersuchung zum Medienumgang 12- bis 19-Jähriger. Online: http://www.mpfs.de/fileadmin/JIM-pdf10/JIM2010.pdf (Abfrage: 02.07.2012). Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest (Hrsg.) (2010b): KIM-Studie 2010: Kinder + Medien, Computer + Internet. Basisuntersuchung zum Medienumgang 6- bis 13-Jähriger. Online: http://www.mpfs.de/fileadmin/KIM-pdf10/KIM2010.pdf (Abfrage: 02.07.2012). Mehling, Gabriele (2005): Erotik und Sexualität im Fernsehen. Eine aktuelle Bestandsaufnahme. In: televizion 18/2005 1, S. 23. Mühlberger, Martina (2011): Jugendsexualität als Entwicklungsaufgabe. In: Kommission für Jugendmedienschutz (Hrsg.): Zarte Bande versus Bondage: Positionen zum Jugendmedienschutz in einem sexualisierten Alltag. Berlin: Vistas Verlag, S. 177-194. Ring, Wolf-Dieter/Hopf, Kristina (2011): Materielle Bestimmungen des JMStV. In: Büscher, Wolfgang/Dittmer, Stefan/Schiwy, Peter (Hrsg.): Gewerblicher Rechtsschutz, Urheberrecht, Medienrecht, Teil 2, Kapitel 16, Rn. 525ff. Ring, Wolf-Dieter/Weigand, Verena (2011): Damals Tutti Frutti, heute youporn: Mediale Bilder von Sexualität aus Jugendschutz-Perspektive. In: Kommission für Jugendmedienschutz (Hrsg.): Zarte Bande versus Bondage: Positionen zum Jugendmedienschutz in einem sexualisierten Alltag. Berlin: Vistas Verlag, S. 11-35. Schwendner, Sonja/Schirmacher, Jutta (2011): Problemfelder 2011. In: kjm informiert 2011/2012. Online: http://www.kjm-online.de/files/pdf1/KJM_informiert_2011_final.pdf (Abfrage: 03.07.2012), S. 4.

VON SCHLÜMPFEN, SUPERHELDEN UND STARKEN ADD-ON-SUPERHELDINNEN Maya Götz

Kennen Sie die Schlümpfe, Bugs Bunny oder Winnie Puuh? Haben Sie schon mal eine Wissenssendung im deutschen Kinderfernsehen gesehen? Zählen Sie doch mal die Männer- und Frauenfiguren … 1 DIE MENSCHHEIT BESTEHT ETWA ZUR HÄLFTE AUS MÄNNERN UND ZUR HÄLFTE AUS FRAUEN – UND DAS KINDERFERNSEHEN? Bei den Schlümpfen kommen auf 104 männliche Wesen zwei weibliche. Bei Janosch sind fast alle Wesen (zumindest in der Fernsehinterpretation) männlich, die Drei Freunde von Helme Heine sind selbstverständlich Buben, so wie auch Pettersson und Findus. Kommen weibliche Figuren vor, sind sie die zu Begehrenden, die Großmütter oder manchmal auch die Zicken – doch eben in den Rollen, die „nicht männlich“ sind. Auch in traditionellen Kinderstoffen gibt es sie, die Heldin, die im Mittelpunkt der Handlung steht, wie z. B. Heidi, Biene Maja oder Pippi Langstrumpf. Mit zunehmender Marktorientierung werden auch gezielt Angebote für Mädchen geschaffen, wie Hannah Montana oder Prinzessin Lillifee. Doch heißt das, dass wir eine angemessene, geschlechtergerechte Repräsentation von Mädchen und Jungen im Kinderfernsehen haben? Welche Bilder bieten wir Mädchen und Jungen? Oder, theoretisch aufgeladener ausgedrückt, wie wird die Kategorie „Geschlecht“ im Kinderfernsehen konstruiert? Im gesamten Programmangebot, so zeigt die bisher weltweit größte Medienanalyse zum Kinderfernsehen in 24 Ländern mit rund 26.500 Hauptfiguren von fiktionalen Sendungen von 2007, sind 68 Prozent aller Hauptfiguren Jungen- oder Männerfiguren – nur 32 Prozent sind Mädchen- oder Frauenfiguren. Das heißt: Auf eine Mädchen- oder Frauenfigur kommen zwei Männer- oder Jungenfiguren. Das deutsche Kinderfernsehen liegt in manchen Stichproben (wie z. B. der von 2007) sogar noch unter dem weltweiten Durchschnitt (vgl. Götz 2013b), in anderen leicht darüber (vgl. Hofmann 2012). Noch einmal eine deutliche Steigerung erhält das Geschlechterverhältnis, wenn es sich nicht um menschliche Wesen handelt: bei Tieren 1:3 und bei Objekten sogar 1:4. Die Genitalien bei einem Tier werden im Kinderfernsehen nicht abgebildet und auch die geschlechterspezifischen Ausprägungen bei z. B. einem Busch (Briegel, der Busch) sind nicht wie von Natur gegeben sichtbar, bzw. wie bei einem Brot (Bernd, das Brot) nicht vorhanden. Dies sind also imaginierte Geschlechterzuweisungen mit der Tendenz: Je konstruierter, desto männlicher! (Vgl. Götz/Lemish 2012) Es gibt sie aber, die Ausnahmen der starken Mädchen, wie z. B. Tupu, ein Mädchen das wild im Central Park lebt, oder Bibi

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Maya Götz

Blocksberg, die mit ihrer Hexenkraft und Impulsivität auch mal Regeln übertritt. Doch bleiben sie zahlenmäßig die Ausnahme. Auch in non-fiktionalen Sendungen, wie den Wissenssendungen, ist die Geschlechtertendenz nicht besser. Ob es Armin, Christoph und Ralph (Sendung mit der Maus, WDR u. a.), Willi (Willi wills wissen, BR), Eric (Pur +, ZDF), Felix (Felix und die wilden Tiere, BR), Peter Lustig bzw. Fritz Fuchs (Löwenzahn, ZDF), Felix (Erde an Zukunft, KiKA) oder Can (Checker Can, BR) sind: Männer erklären im deutschen Kinderfernsehen (wie auch weltweit) Kindern die Welt. Es gibt sie, die Co-Moderatorinnen, wie Shary zu Ralph (Wissen macht Ah!, WDR) bzw. Christine zu Ralph (Du bist kein Werwolf, WDR); in absoluten Ausnahmefällen gibt es auch eine Moderatorin, die alleine den Dingen auf den Grund gehen darf, wie in Karen in Action (BR) oder in Tiersendungen wie Katrin und die Welt der Tiere (SuperRTL) oder Paula und die wilden Tiere (BR). Letztendlich bestätigen sie aber nur die Regel. 2

MENSCHEN HABEN UNTERSCHIEDLICHSTE KÖRPERLICHKEITEN UND GESICHTER – AUCH IM KINDERFERNSEHEN?

Mädchenfiguren im Fernsehen sind fast alle makellos schön, ausgesprochen schlank und haben häufig lange (blonde) Haare. Körperproportionen, die nicht dem Idealgewicht (bzw. einem Wert darunter) entsprechen, oder Gesichtsmerkmale, die vom uniformen Schönheitsideal abweichen, sind nicht zu sehen – es sei denn, als Problem und Thema der Handlung (vgl. Götz 1999). Viele weibliche Figuren im Zeichentrick folgen zudem dem „Kindchenschema“, d. h., die runde Gesichtsform wird durch ein kleines Näschen und große, weit auseinanderstehende Kulleraugen gekennzeichnet (vgl. auch Mühlen Achs 1995: 31). Oft ist dieses Kindchenschema, wie in Mangas, mit sexualisierten Körperdarstellungen, betont langen, schlanken Beinen und einer übertrieben schmalen Taille verbunden (vgl. Spry 2012). Dies sind Tendenzen, die im internationalen Diskurs als „Hypersexualisierung“ bezeichnet werden und die sich, so z. B. in einer Analyse von 4.000 Figuren in 400 erfolgreichen Kinder- und Familienfilmen, bis zu fünfmal häufiger bei weiblichen als bei männlichen Figuren nachweisen lassen. Der Prozentsatz der hypersexualisierten Mädchen- und Frauenfiguren nimmt dann im Zeichentrickbereich noch einmal zu, insbesondere was die Wespentaille angeht: Frauen- und Mädchenfiguren sind fünfmal so häufig hypersexualisiert wie Jungen- und Männerfiguren (vgl. Smith und Cook 2008). Beim Nachmessen des Körpers von in aller Welt erfolgreich vermarkteten Zeichentrickmädchen – zum Beispiel gemessen am Verhältnis von Hüft- zu Taillenbreite, dem sogenannten „Waist-to-Hip-Ratio“ (WHR) – zeigt sich, dass fast jedes zweite Zeichentrickmädchen den WHR-Wert von Barbie (0,6) unterschreitet, obwohl dieser bereits nicht mehr ohne Schönheitsoperation zu erreichen ist. Bei Jungen- und Männerfiguren findet sich eine entsprechende Hypersexualisierung mit einem unerreichbaren V-förmigen Oberkörper nur in Ausnahmefällen. Hypersexu-

Von Schlümpfen, Superhelden und starken Add-on-Superheldinnen

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alisierte Körperbilder findet man somit vor allem bei Mädchen- und Frauenfiguren (vgl. Götz/Herche 2013b). 3

MENSCHEN SIND INDIVIDUELL UNTERSCHIEDLICH – AUCH IM KINDERFERNSEHEN?

In geschlechterspezifischen Inhaltsanalysen von Zeichentricksendungen zeigen sich in diversen US-amerikanischen Studien (vgl. Streicher/Bonney 1974; Barcus 1983; Levinson 1975; Thompson/Zerbinos 1995; Sternglanz/Serbin 1974; Aubrey/ Harrison 2004; Baker/Raney 2007) immer wieder ähnliche Tendenzen: Weibliche Figuren sind im Vergleich weniger aktiv, weniger laut, weniger in verantwortungsvollen Positionen und verhalten sich kindischer als männliche Figuren. Männliche Figuren verhalten sich aggressiver, lauter und werden innerhalb der Handlung häufiger belohnt. Sie zeigen mehr Erfindungsreichtum, stellen mehr Fragen, werden häufiger durch ihre Fähigkeiten inszeniert, lachen mehr, beleidigen mehr und bedrohen andere häufiger. Die weiblichen Zeichentrickfiguren hingegen zeigen mehr Emotionen, werden mehr im Kontext von Beziehungen inszeniert, sind hilfsbereiter, fragen häufiger nach Hilfe und bitten darum, beschützt zu werden. Selbst die Aggression von Zeichentrickfiguren ist deutlich geschlechterspezifisch. Physische Gewalt geht signifikant häufiger von männlichen Figuren aus, während Formen der sozialen Aggression, wie z. B. üble Nachrede, dreimal häufiger von weiblichen Figuren ausgeübt werden (vgl. Luther/Legg 2010). Es gibt sie, die Ausnahmen, die Mädchen- und Frauenfiguren, die im Mittelpunkt stehen, die kraftvoll aktiv sind, eine Mission erfüllen und ihre Ziele mit Durchsetzungskraft verfolgen und hierfür spezielle Kräfte haben, z. B. die Superheldinnen in Zeichentricksendungen wie Kim Possible, Totally Spies oder Powerpuff Girls. Im Geschlechtervergleich gibt es aber stets deutlich mehr männliche als weibliche Superhelden – und wenn, dann sind die Mädchen- und Frauenfiguren in ihren Reaktionen deutlich öfter als (über-) emotional gekennzeichnet, besonders in Krisensituationen. Superheldinnen sind im Vergleich zu Helden eher oberflächlich, machen sich mehr Sorgen über ihr Aussehen und treten oft im Team auf (88 % aller Superheldinnen) (vgl. Baker/ Raney 2007). In diesen Teams werden dann, wie z. B. bei Winx Club, Totally Spies oder Bratz, ausgesprochen klischeehaft ethnischer Hintergrund, Fähigkeiten und Charaktereigenschaften kombiniert (vgl. Schlote 2012). Inhaltlich erzählen die Geschichten, wie eine oder mehrere Hauptfiguren mit einer Herausforderung oder einem Konflikt umgeht bzw. umgehen. Dabei zeigen sich typische Figurenanlagen, die von egozentrisch, vermittelnd und verantwortend zu wehrhaft, planlos oder auch hilflos reichen. Im modernen deutschen Kinderfernsehen finden sich in allen Kategorien Jungen- bzw. Männerfiguren und Mädchenbzw. Frauenfiguren. Allerdings liegt der Männer- bzw. Jungenfigurenanteil bei den Verantwortenden, den Planlosen und den Vermittelnden ca. 80 Prozent und bei den Egozentrischen und Wehrhaften ca. 70 Prozent. Nur bei den Hilflosen findet sich mit einem Anteil von 44 Prozent Mädchen- oder Frauenfiguren eine nahezu gleichmäßige Geschlechterverteilung (vgl. Götz 2006). Es gibt also diverse Rollenanlagen

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– auch für Mädchen- und Frauenfiguren –, nur sind es in den aktiven und prägenden Handlungsmustern vor allem die Jungen- und Männerfiguren, die sich beweisen dürfen. Dabei zeigt sich noch eine andere interessante Tatsache. In der Analyse von erfolgreichen kinderrelevanten Kinofilmen wie Schneewittchen, Plötzlich Prinzessin, Der Zauberer von Oz oder Mulan zeigt sich, dass eine Heldin meist große Aufgaben bestehen muss und sie nur in wenigen Ausnahmen Opfer der Umstände („Fräulein in Bedrängnis“, wie etwa bei Schneewittchen) ist. Gleichzeitig sind alle erfolgreichen Frauenfiguren für ihr Aussehen berühmt oder es wurde, wie in Plötzlich Prinzessin, eine extreme Veränderung hin zu einer allseits geschätzten Schönheit inszeniert. Erzählt wird also vor allem von Schönheit als zentral wertgeschätztem Teil der weiblichen Persönlichkeit und von der Veränderung hin zu dieser Schönheit als äußerem Zeichen für eine positive Entwicklung. Eine entsprechende Narration bei Jungen findet sich nicht. In fast allen Filmen sehnt sich die weibliche Figur zudem nach der großen Liebe, sie erlebt Liebe auf den ersten Blick oder Liebe, die Intrigen überwinden muss, Liebe die über Kommunikation gerettet wird. Im Mittelpunkt der weiblichen Hauptrollen, so das Ergebnis der Analyse, stehen aber immer Schönheit, Anerkennung und die große Liebe (vgl. Smith/Cook 2008). Auch bei Superheldinnen, die das Fernsehen Mädchen anbietet, findet sich ein ähnliches Ergebnis. Zwar bestehen die weiblichen Hauptfiguren im Haupthandlungsstrang Abenteuer und retten ihre Welt, im Nebenstrang geht es jedoch meist um den Wunsch, erotisch begehrt zu werden, und um die Hoffnung auf eine erfüllende Beziehung zu einem Mann (vgl. Prinsloo 2012). Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass es mittlerweile durchaus starke Mädchen- und Frauenhauptfiguren gibt, die im Mittelpunkt der Handlung stehen. Sie sind jedoch zahlenmäßig deutlich seltener als männliche Hauptfiguren, treten meist in Teams auf und haben stereotype Merkmalskombinationen. Sie sind vor allem stereotyp schön und legen besonderen Wert auf ihre erotische Attraktivität für das andere Geschlecht. Die weiblichen Lieblingsfiguren der Mädchen zeigen dabei typische Ausprägungen in der Grundanlage der Figur, der Motivation, den Handlungsmustern, dem Umgang mit Fehlern, dem Körper, Status, Emotionen, der Kommunikation und der Lebensgestaltung auf (s. Tab. 1). Sie sind ein Add-on-Bild von Vorstellungen und Idealen von Frauen. Gerade starke Mädchen sind nicht nur kompetent, auf ihre jeweils eigene Art wehrhaft, fähig in der Beziehungsarbeit, sozial anerkannt usw., sie sind stets auch ausgesprochen schlank und stereotyp schön. Variationen entstehen in der Frage, wie sehr ihre eigenen Fehler und das Erkennen der eigenen Fehler konstituierender Teil der Handlung sind. Die Add-on-Macherin meistert letztendlich alle Herausforderungen, sie rettet wie Disneys Kim Possible in jeder Sendung vielfach die Welt (und wird nur dann schwach, wenn sie verliebt ist). Andere Figuren wie Bibi Blockberg oder Hannah Montana machen zwar vieles falsch, erkennen aber ihre Fehler und korrigieren sie sozial verantwortungsbewusst. Alle weiblichen Figuren haben meist von Geburt an einen herausgehobenen Status oder ein herausragendes Talent. Dieser Status ist gesetzt und wird nur sehr selten in Frage gestellt. Die Mädchenfiguren haben Gefühle, die sie oft selbstreflektierend artikulieren, sind in freundschaftlichen Beziehungen und/oder Familien eingebunden, entsprechen dem Bild der Schönen oder Naiv-Schönen und reflektieren ihr Handeln.

Batman, Superman, Spiderman oder X-Man, Son Goku (Dragon Ball Z), Ben10

Besondere körperliche Fähigkeiten, die nicht intendiert (z. B. durch Unfall) erworben wurden, „zwingen“ die Figur quasi zu einer außergewöhnlichen Position innerhalb der Gesellschaft. Er rettet durch Kampf und beschneidet sich eines ganzheitlichen Lebens.

unmoralisches Handeln, Bedrohung der Gemeinschaft durch andere

actionbetont, ohne zu reflektieren, selbstverständlich gewaltgeprägt

Trial and error-Prinzip

Superheldenmodus: muskulär, Alltagstypmodus: körperliche ‚Makel‘

Beispiele

Grundanlage

Motivation

Handeln

Umgang mit Fehlern

Körper

Typus

Männliche Charaktere Obendrüber-Helden „Macher“ (1a).

regelgeprägter Wettkampf, bei dem meist nicht der eigene Körper, sondern ein Vermittler (Wesen, Technik) den Kampf nach dem Einsatz ihres Trainers/ Meisters durchstehen Fehler sind Anlass zum Lernen von neuen Regeln und strategischem Handeln Jungenkörper eher im Durchschnitt

unmoralisches Handeln, Bedrohung der Gemeinschaft durch andere

Besondere Begabung und eine generationsvererbte Verantwortung führen zu einer außergewöhnlichen Position. Er rettet durch Wettkampf, indem er sich Stück für Stück fortbilden muss.

Yu-Gi-Oh, Ash (Pokemon), Naruto, Jungenfiguren aus Digimon

Strategen (1b)

eher zu klein und schmächtig für ihr Alter (symbolisieren abgewerteten Jungen)

das Versagen wird zelebriert und als Sieg umdefiniert

gesellschaftliche Konventionen und Machtgefüge werden lustvoll unterlaufen und Regeln übertreten

eigene egozentrische Weltsicht

Normale Jungen, die in ihrem normalen Alltag agieren und sich trotz begrenzter Fähigkeiten und gesellschaftlich nicht akzeptiertem Verhalten Anerkennung und Freundschaft innerhalb der Peer-Group sichern.

Unten-durch-Helden (2) Ich mache es falsch und bin trotzdem der Held Bart und Homer Simpson, SpongeBob, Patrick (SpongeBob), Andy Larkin

hypersexualisiert – nur nicht im Vorschulbereich

Reflexion

z. T. actionbetont, zumindest aber spannungsbetont

unmoralisches Handeln, Bedrohung der Gemeinschaft durch andere

Sie sind von Geburt höhergestellt und damit in Verantwortung für ihre Welt. Wird sie angegriffen, verteidigen sie sie mit den Mitteln, die ihnen zur Verfügung stehen.

Kim Possible, Barbie in … Winx Club, Prinzessin Lillifee, Prinzessin Erdbeer

Weibliche Charaktere Add-on-Heldinnen Add-on-„Macherin“

schön, schlank, z. T. hypersxualisiert

detaillierte Reflexion

Besondere Begabung und eine generationsvererbte Verantwortung führen zu einer außergewöhnlichen Position oder Fähigkeit. Trotzdem macht sie in ihrem Leben vieles falsch. Durch Reflexion und Verstehen erkennt sie jedoch ihren Fehler und verändert ihn. ihr Fehlverhalten, dass zwar durch andere bedingt war, aber zu einer spontanen Reaktion führte spontanes Handeln zum Wohle des eigenen Impulses oder aus Engagement für andere

Ich mache vieles falsch und erkenne meine Fehler Hannah Montana, Bibi Blocksberg

Von Schlümpfen, Superhelden und starken Add-on-Superheldinnen

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nur innerlich

Dominanz- oder Distanzkommunikation

z. T. Beruf, familiäre Situation: vereinsamt

Emotionen

Kommunikation

Lebensgestaltung verlässliche Peer-Group, mit der sie gemeinsam die Herausforderungen meistern

z. T. animetypische Darstellung von Furcht, Freude etc., im Wettkampfmodus meist nur innerlich artikuliert kondensiert, d. h. auf wenige, aber zielführende Worte begrenzt, die das Wesentliche aussprechen

sichtbarer Statusgewinn durch zunehmend höheren Level, Medaillen etc.

diverse Formen: von Dominanz- oder Distanzkommunikation bis kondensiert, aber auch lamentierend meist Mittelstandsmilieu, feste verlässliche Eingebundenheit in Familie und Freunde

diverse Facetten, zelebriert ausgelebt

durch Machthabende abgewertet, durch Freunde anerkannt

meist Schülerin, familiärer Status: als Kind/Jugendliche integriert

z. T. Dominanz- oder Distanzkommunikation, z. T. reflexiv

innerlich z. T. artikuliert

selbstverständlich von Geburt an besonderer, wenn nicht höchster Status

meist Schülerin, familiärer Status: als Kind/Jugendliche integriert

z. T. reflexiv

ausgelebt, z. T. expressiv

besonderer Status

Tab. 1: Typische Ausprägungen der Konstruktion von Geschlecht bei den Lieblingsfiguren der Mädchen und Jungen

Superheldenmodus: vorrübergehende Anerkennung Alltagsmodus: keine Anerkennung

Status

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Die Konstruktion von Männlichkeit in Kindermedien ist ein bisher kaum untersuchtes Feld – oder wie Suzanne Enck-Wanzer and Scott Murray (2011: 59) es formulieren: „There has been a bevy of research on construction of femininities across popular media; however, emphases on the construction of masculinities have, most often, been an afterthought or implied by default.“ Zunächst lassen sich – gewissermaßen als Gegenpol zu den Kennzeichen der Mädchen- und Frauenfiguren – die Kennzeichen der Jungen- und Männerfiguren formulieren: Jungenfiguren kommen deutlich häufiger vor als Mädchen- und Frauenfiguren, in Fernsehserien für Kinder, aber auch in Kinder- und Familienfilmen – und das schon seit Jahrzehnten (vgl. Smith/Cook 2008). Sind es Superhelden, so sind sie im Vergleich zu den Superheldinnen zahlenmäßig häufiger, eher muskulär, weniger emotional, eher „tough“ und bedrohen statt Fragen zu stellen. Zwar sind bei weitem nicht alle männlichen Figuren in traditionellen Geschlechterrollen stereotyp angelegt, dennoch zeigt sich gerade bei den Superhelden ein Trend, dass die männlichen Helden eher in der Lage sind, mit ihren besonderen Kräften umzugehen, kritische Situation zu meistern und häufiger und in größerem Stil die Welt zu retten (vgl. Baker/Raney 2007: 38ff.). Jungenfiguren sind gerade im Vergleich zu den Mädchen- und Frauenfiguren vor allem häufiger und vielfältiger. In einer qualitativen Analyse der für Jungen besonders relevanten Fernsehfiguren arbeiteten Reinhard Winter und Gunther Neubauer zwei grundsätzliche Typen von Figuren heraus: den „Obendrüber-Helden“, der wie Batman oder Superman allen Herausforderungen durch seine besondere Körperlichkeit oder die Hilfe von Technik gewachsen ist. Neben diesen „Tun-Helden“ finden sich außerdem die Strategen, die wie Yu-Gi-Oh den Herausforderungen durch das Erlernen der Regeln und Gesetze der Welt begegnen. Zu den sehr beliebten Figuren gehören auch die „Untendurch-Helden“, die den Anforderungen nicht genügen und gegenüber den Herausforderungen des Lebens sozusagen „untendurch schlüpfen“ (Winter/Neubauer 2013). Diese Typen sind nun mit typischen Eigenschaften und körperlichem Aussehen kombiniert: Der „Obendrüber-Held“ als Tun-Held (Typ 1a), meist der Superheld, entspricht traditionell dominanter Männlichkeit. Er ist durch Dominanz gekennzeichnet, mit Härte und Status ausgestattet, selbstverständlich heterosexuell, körperlich fähig und ausgesprochen kompetitiv angelegt. Implizit grenzt er sich gegenüber weniger statushohen Gruppen (z. B. Homosexuellen) ab (vgl. Cornell 1999). Gleichzeitig tragen diese Figuren meist die abgewerteten Formen von Männlichkeit in sich. Superhelden sind zunächst oft gesellschaftliche Verlierer und/ oder nicht anerkannte Figuren. Sie überwinden dies aber z. B. durch eine besondere Veränderung ihres Körpers (z. B. durch den Biss einer Spinne wie bei Spiderman), wodurch es ihnen gelingt, diesem Status zu entkommen. Andere Obendrüber-Typen wie Yu-Gi-Oh, Ash (Pokémon) oder Naruto, sozusagen die Strategen (Typ 1b), werden in ihrem Lernprozess von einer unauffälligen oder abgewerteten Männlichkeit hin zum Superhelden begleitet. Im Wettkampf eignen sie sich Regeln an, lernen, gezielt Strategien einzusetzen, und wachsen so an ihren Herausforderungen. Bei den für Jungen oftmals hochgradig attraktiven „Untendurch-Typen“ (Typ 2), wie Bart und Homer Simpson oder SpongeBob, wird das Umgehen von Autoritäten

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Maya Götz

kultiviert und durch „Umdefinition“ aus der Abwertung ein Statusgewinn gemacht (vgl. Götz/Winter/Neubauer 2013). 4

FERNSEHMÄDCHEN UND FERNSEHJUNGEN SIND STEREOTYPE

Die medienanalytischen Ergebnisse sind relativ eindeutig: Kinderfernsehen ist auf verschiedenen Ebenen aus geschlechterspezifischer Perspektive stereotyp. Männerund Jungenfiguren kommen in den Hauptrollen häufiger vor, sind dominanter und aggressiver; Frauen- und Mädchenfiguren sind unterrepräsentiert und sexualisiert. Sie werden in bestimmten wiederkehrenden Typen gedacht, bei denen sich in den Mädchen- und Frauenfiguren das Ideal des Add-on-Bildes der starken Frau findet, die alles kann bzw. die Fehler, die ihr aufgrund ihrer ungestümen Art unterlaufen, gesellschaftlich verantwortlich im Laufe der Folge behebt. Bei den Jungenfiguren sind es die Obendrüber-Typen, die alles schaffen, wobei der Superheld oftmals dem Bild klassischer oder besser hegemonialer Männlichkeit entspricht. Er wird ergänzt durch den Strategen, vor allem aber den Untendurch-Typen, der durchaus lustvoll Regeln und gesellschaftliche Verantwortungen unterläuft und trotzdem oder gerade deswegen seinen „coolen Status“ hat. Werden Kinder gefragt, was sie daran stört, wie Mädchen und Jungen im Kinderfernsehen dargestellt werden, kritisieren sie bei den Mädchenfiguren vor allem ihr klischeehaftes, hypersexualisiertes Äußeres, das als unangenehm und abweichend von der eigenen Alltagserfahrung wahrgenommen wird. Kinder nehmen sehr wohl wahr, dass Mädchen im Fernsehen übermäßig geschminkt und deutlich erwachsener gekleidet sind als sie (vgl. Abb. 1). Und dabei würden sie sich doch eigentlich so gerne so widergespiegelt sehen, wie sie sind – vielleicht ein bisschen idealisierter, aber nicht (nur) in Richtung Hypersexualisierung. Kinder kritisieren die Stereotype, bei denen bestimmte Merkmalskombinationen immer wieder neu erzählt werden. Weiblichkeitsklischees, wie das ständig überemotionale Mädchen oder die (blonde) hinterhältige Zicke, stoßen unangenehm auf. Bei der Repräsentation von Jungen und Männern im Fernsehen stört vor allem das ständige und oftmals auch ausschließliche aggressive Kämpfen der männlichen TV-Charaktere. Kinder erkennen die im Vergleich zu den weiblichen TV-Figuren größere Vielfalt der Figurenanlagen bei Jungen, die aber letztendlich klischeehaft zwischen erfolgreichen (Wett-)Kämpfern und sich durchlavierenden dummen Verlierern unterscheidet. Im Alltag erleben sie Jungen als ausgesprochen vielfältig und facettenreich. Diese Vielfalt und vor allem positive Perspektiven, z. B. Strategien des Konfliktmanagements und der Alltagsbewältigung, würden sie sich auch von den TV-Helden wünschen (vgl. Götz/Herche 2013a). Insgesamt, so lässt sich die hier vorgestellte Studie mit ihren diversen Unterstudien zusammenfassen, ergibt sich ein recht klares Bild von einer klischeehaften, mit der Realität nicht stimmigen Genderrepräsentation. Die Hintergründe hierfür sind sicherlich vielfältig und komplex. Im Sinne der Förderung von Qualität und der Unterstützung von Mädchen und Jungen in ihrer Identitätsarbeit lässt sich jedoch feststellen: In einer zunehmend globalisierten und diversen Welt würde es dem

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Kinderfernsehen ausgesprochen guttun, diese Stimmen und Analysen wahrzunehmen und sich selbstkritisch damit auseinanderzusetzen. Wie kommt es, dass in einem Bereich mit bekannter Sensibilität der Zielgruppe und besonderer gesellschaftlicher Verantwortung für Geschlechtergerechtigkeit so wenig Geschlechtersensibilität und so viele Stereotype zu finden sind?

Abb. 1: Bildbriefe an Fernsehschaffende1

5 FERNSEHEN IST VON MENSCHEN GEMACHT – UND KINDERFERNSEHEN VOR ALLEM VON MÄNNERN Wie immer sind die Hintergründe derartiger tradierter Strukturen vielfältig. Zum einen haben sie aber schlicht und ergreifend mit denen zu tun, die die Sendungen herstellen. Ein Beispiel sind die Schlümpfe: einst von einem Mann als Nebenfigur entworfen, später von ca. fünf Männern als Fernsehserie umgesetzt. Sie lassen sich als kreative Verkörperungen einer Eigenschaft interpretieren, die Aussehen, Name und das ganze Sein bestimmt. Der Faule heißt Fauli und ist vor allem faul; der Schlechtgelaunte heißt Muffi und ist vor allem schlecht gelaunt; und der Schlaue heißt Schlaubi und ist vor allem clever. Da die Kreativen – im Sinne Simone de Beauvoirs – selbstverständlich von sich als dem „Normalen“ und damit gewissermaßen dem Neutralen ausgingen, sind 102 Eigenschaften durch männliche Schlümpfe repräsentiert. Die Eigenschaft, die ein männlicher Schlumpf nicht symbolisieren konnte, wird mit einer Frau dargestellt: Schlumpfine. Damit werden Eigenschaft und Geschlecht gleichgesetzt im Sinne von: „Du bist schlau oder du bist Frau.“ Entsprechendes geschah aller Wahrscheinlichkeit nach bei den kreativen Schaffern des Janosch-Universums, der Drei Freunde, Nulli & Priesemut und so weiter.

1

131 Kinder von acht bis elf Jahren aus 21 Ländern schrieben Bildbriefe an Fernsehverantwortliche mit dem Titel „Was mich besonders daran stört, wie Mädchen bzw. Jungen im Kinderfernsehen dargestellt werden“. Vgl. Götz/Herche 2013a.

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Eine Auszählung der verantwortlichen Autoren und Autorinnen von international vermarkteten Kinderfernsehsendungen2 ergibt ein Verhältnis von 69 Prozent Autoren zu 31 Prozent Autorinnen. Bei der verantwortlichen Regie wird dieses Missverhältnis noch einmal gesteigert. Hier kommen auf 86 Prozent Regisseure gerade einmal 14 Prozent Regisseurinnen. Nach wie vor sind die entscheidungstragenden Positionen im Produktionsprozess überproportional oft mit Männern besetzt. Entsprechend spiegelt Kinderfernsehen immer auch das Bild von Männern über Frauen, wodurch Frauen „vorgeführt“ werden. Sie sind die Abweichung vom ‚Normalen‘, das selbstverständlich männlich ist. Damit kommen sie weniger häufig vor und vor allem in Rollen, die „nicht männlich“ sind. Dies muss keine Abwertung sein, sondern kann durchaus wertschätzend und bewundernd und im Sinne einer Inszenierung des Ideals gemeint sein – welches dann oftmals hypersexualisiert ist. Laura Mulvey (1975) fasste dies in der Formulierung des dreifachen „männlichen Blicks“ zusammen. Der (meist männliche) Regisseur inszeniert die Figuren, der (männliche) Kameramann wählt die Perspektive und Bildausschnitte und der (meist männliche) Protagonist, der im Mittelpunkt der Handlung steht, blickt auf die Frauenfiguren und macht sie so auf dreifache Weise zum Objekt seiner Begierde. Diese für den Hollywoodfilm der ersten Filmjahrzehnte formulierte Feststellung gilt gewissermaßen (auch) für das heutige Kinderfernsehen. Es steht nicht unbedingt eine abwertende Absicht hinter der Selbstverständlichkeit von Schönheit und der Hypersexualisierung oder Begrenzung der Figuren auf ihre Attraktivität für das andere Geschlecht. Es sind nur kreative, zum Objekt gemachte Fantasien (Objektivationen) einer bestimmten dominanten Perspektive – und diese ist durch Männer und ihr Aufwachsen als Jungen und Männer geprägt. Dies hat inhaltliche Konsequenzen. Frauen werden im Sinne von Simone de Beauvoir als „die anderen“ konstruiert. Auch in den Wissens- und Dokumentationssendungen des deutschen Kinderfernsehens sind die leitenden Produzenten Männer. Zum Teil sind Frauen in der Redaktion,3 oft sind es aber Männer, die die Entscheidungsmacht haben.4 Dies heißt nicht, dass Frauen an sich geschlechtergerechtere Programme machen würden, es heißt zunächst nur, dass diejenigen, die die Definitionsmacht in den Händen halten, von sich selbst als Normalfall ausgehen und diesen auch in der einen oder anderen Form in den Text hineinschreiben werden. Für Männer erscheint es daher selbstverständlich, dass Männer die Welt erklären, und sie werden immer auch ihre eigenen Erfahrungen als Junge und Mann in dieser Gesellschaft in ihre Kreativität einfließen lassen. Hinzu kommen Marktkräfte, denn Kinderfernsehen ist heute immer auch ein Geschäft. Viele Sendungen werden international koproduziert, da sich die Finanzierung z. B. einer Zeichentricksendung oder einer etwas aufwendigeren Life-ActionSendung meist nicht mehr durch die Kinderfernsehabteilungen bewerkstelligen lässt. Insbesondere im kommerziellen System ist eine Refinanzierung nur durch 2 3 4

Auswertung anhand des Katalogs zur MIPJunior 2010 (n = 473 klar geschlechteridentifizierbare Namen). So z. B. in den Redaktionen von Löwenzahn, Wissen macht Ah! und Checker Can. So z. B. bei Willi wills wissen, Pur+ oderbei der Sendung mit der Maus.

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entsprechende Attraktivität für Werbekunden und vor allem Gewinne aus dem Lizenzgeschäft möglich. Dies führt zu einem oft komplexen Ineinandergreifen von Überlegungen der monetären Verwertbarkeit der Sendungen und ihrer Gestaltung (vgl. Vridstoft 2009). Nicht selten steht die Lizenzfigur vor der kreativen Phase des Erschaffens einer Sendung. Prinzessin Lillifee war zunächst ein Buch, dann eine erfolgreiche Lizenzfigur, bis sie dann zur Kino- und Serienheldin wurde (vgl. Götz/Cada 2009). Hello Kitty war vor allem ein Lizenzprodukt, bis dann eine Serie kreiert wurden. Die Bratz Dolls wurden erfunden, um die Barbie in eine ältere Zielgruppe zu tragen – durch die entsprechende Kindersendung. Die Sendung ist vor allem Werbung für die Produktpalette. Wie die Beispiele illustrieren, sind es meist geschlechterspezifisch bipolare Angebote, die gezielt für Mädchen oder Jungen eines bestimmten Alterssegments entworfen wurden. Die Auswirkungen dieser Entwicklung lassen sich bereits zeigen: Die Lieblingsfernsehfiguren werden zunehmend geschlechterspezifisch und bipolar erzählt (vgl. Götz 2011). 6

DIE PERSPEKTIVE DER MACHER

Sprechen Produzenten und Produzentinnen hierzulande über die Qualität ihrer Fernsehfiguren und Geschichten, können sie auf handwerklicher Ebene relativ tief und vielfältig argumentieren und sind sich bei dem, was eine Figur ausmacht, weitestgehend einig. Dabei beteuern sie, Mädchen- und Jungenfiguren relativ gleich anzulegen. Sie sind sich ihres Wissens über Jungen und Mädchen sicher und argumentieren wie selbstverständlich mit „Das schaut sich kein Junge an“ oder unterteilen Mädchen in zwei Gruppen: die, „die eher dem äußeren Ideal von langen Haaren und Wespentaille und ähnliches nacheifern“ und „[…] die breite Masse, die im Zweifel noch nicht so weit ist, […] noch nicht in Richtung Pubertät geht oder eben auch ‚einfacher‘ drauf ist […], die dann eben auch Figuren wie Pippi Langstrumpf oder Angela Anaconda mag“ (Hackl 2013: 772). Die Kategorie „Geschlecht“ ist ihnen bewusst, ist vor allem aber durch bestimmte Vorannahmen geprägt. Die Notwendigkeit der Mädchen- und Jungenförderung ist für sie eher nicht bedeutsam, Wissen, wie dies aussehen könnte, rudimentär vorhanden. Werden international engagierte Fernsehverantwortliche von Qualitätssendungen gezielt auf die Kategorie „Geschlecht“ angesprochen, entfalten sie Teile ihrer Geschlechterkonstruktion und -zielsetzungen zum Kinderfernsehen. Ähnlich wie Entwicklungsstufen lassen sich dabei Schritte eines Geschlechterbewusstseins bei den einzelnen Fernsehverantwortlichen aufzeigen: 1. Prä-feministisches Bewusstsein, das selbstverständlich von einer vorhandenen Gleichbehandlung von Mädchen und Jungen ausgeht. 2. Numerische Gleichheit: die Bewusstheit eines gewissen zahlenmäßigen Ungleichgewichts und das Anliegen, dies zu verändern. 3. Rollentausch: Die Erkenntnis, dass es bestimmte Stereotype bei den Geschlechterrollen im Kinderfernsehen gibt, und der Ansatz, diese zu erweitern, d. h. Mädchen als Hauptfiguren in Actionserien und Jungen als Hauptfiguren in Serien um zwischenmenschliche Probleme einzusetzen.

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Maya Götz

4. Unterschiedlich und gleichwertig: Das Wissen um geschlechterspezifische Sozialisationstendenzen und der Wille, sie gerade auch in ihrer Unterschiedlichkeit gleichwertig zu behandeln. 5. Post-feministische Ansätze: Aufgrund der Annahme der bereits erreichten Gleichstellung wird der Blick gezielt auf Jungen als benachteiligtes Geschlecht geworfen. Die geführten Diskurse zeigen, dass sich einige Redakteure und Redakteurinnen durchaus tiefergehend mit der Kategorie „Geschlecht“ in ihrem jeweiligen kulturellen Kontext auseinandersetzen. Für viele Fernsehverantwortliche aber ist sie im Alltag keine Kategorie, mit der sie besonders viel arbeiten, und wenn überhaupt, dann jenseits der Ergebnisse der Geschlechterforschung und/oder Mädchen- bzw. Jungenpädagogik (vgl. Lemish 2013). Es bedarf also dringend einer verstärkten Geschlechtersensibilität, vor allem bei den Fernsehproduzierenden. 7

WAS MÜSSTE GETAN WERDEN?

Die medienanalytischen Ergebnisse zeigen sehr eindeutig: Kinderfernsehproduktion – aber nicht nur diese – bräuchte dringend mehr Gendersensibilität. Auf sämtlichen Ebenen der Kinderfernsehproduktion, d. h. vom Drehbuchschreibenden, Kameraund Schnittverantwortlichen und Sounddesign-Gestaltenden über Redaktionen bis hin zu Vermarktern, Lizenznehmern und Mitgliedern in Medienaufsichtsgremien wäre Fortbildung im Bereich der Kinderperspektive im Allgemeinen und der Bedeutung der geschlechtersensibilisierten Perspektive im Besonderen notwendig. Um die Diversität der Erfahrungswelten zu gewährleisten, wäre ein höheres Maß an Gleichstellung (z. B. ein Verhältnis von Minimum 35 bis 65 Prozent) bei der Besetzung von Redaktionen und der Vergabe von Aufträgen an Produktionsfirmen notwendig. Das heißt konkret: mehr Frauen in die Produktionsmacht (und zum Teil mehr Männer in die Redaktionsmacht). Eine Möglichkeit wäre die Entwicklung und Nutzung gezielter, kreativer Techniken, zum Beispiel ein „Genderswitching“, was bedeutet, dass das Geschlecht der Hauptfigur in einem relativ späten Stadium der Figurenkonzeption verändert wird.5 Wie an prominenten Beispielen nachgewiesen werden kann, kann dies zu erstaunlich innovativen und sehr erfolgreichen Figuren führen, weil es die Kreativität befördert, anstatt sie zu bremsen, und es die Kreativen zwingt, sich aus dem Bekannten und Eingefahrenen herauszubewegen. Sinnvoll ist eine gezielte Förderung und Unterstützung von Projekten, die sich auf einer tieferen Ebene mit dem Thema „Gender“ auseinandersetzen und Defizite ausgleichen (z. B. Mädchen, die Technik kompetent nutzen).

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Die Hauptfigur einer Sendung wird in einer späten Phase, z. B. nach der Erstellung des Scripts, im Geschlecht verändert. Der Junge, der von einem Chemikalienlaster überschüttet wird und so Superkräfte bekommt, wird zum Mädchen (Was ist los mit Alex Mack), ein Pathologe, der Kriminalfälle löst, wird in eine Frau umgeschrieben (CSI).

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Auf der Seite der Zuschauenden müsste Mädchen- und Jungenpädagogik Fernsehen viel gezielter und auf einem tieferen Verständnis von Rezeption und Medienkompetenzförderung regelmäßig in die praktische Arbeit einbeziehen. Die Begeisterung für bestimmte Formate und Figuren und die Auseinandersetzung mit den identitätsfördernden, aber auch -begrenzenden Momenten wären hier eine Möglichkeit, dass Mädchen und Jungen selbst Medien dazu nutzen, Charaktere und Geschichten zu erfinden und mit Medien zu artikulieren. Geschlechtersensibilisierte Medienanalysen wären selbstverständlicher und wiederkehrender Teil des Schulunterrichts. Hierfür stehen entsprechend entwickelte und getestete Materialen zur Verfügung. Eine schöne Zukunftsfantasie! Gelingen wird es aber nicht ohne das Zutun u. a. der Politik, die geschlechtergerechtere Bilder für Mädchen und Jungen einfordert, der Forschung, die in Zusammenarbeit mit der Praxis hilft, diese zu entwickeln und regelmäßig auf gelungene Umsetzung hin untersucht, und vor allem Fernsehverantwortlichen, die sich offen und auch selbstkritisch mit ihrem Programm auseinandersetzen. BIBLIOGRAFIE Aubrey, Jennifer Stevens/Harrison, Kristen (2004): The Gender-Role Content of Children’s Favorite Television Programs and Its Links to Their Gender-Related Perceptions. In: Media Psychology, Nr. 2, S. 111-146. Baker, Kaysee/Raney, Arthur A. (2007): Equally Super? Gender-Role Stereotyping of Superheroes in Children’s Animated Programs. In: Mass Communication and Society, Nr. 1, S. 25-41. Barcus, Earle F. (1983): Images of Life on Children’s Television: Sex Roles, Minorities and Families. Westport, CT: Praeger. Cornell, Robert W. (1999): Der gemachte Mann. Konstruktion und Krise von Männlichkeit. Opladen: Leske u. Budrich. Enck-Wanzer, Suzanne M./Murray, Scott A. (2011): „How to Hook a Hottie“: Teenage Boys, Hegemonic Masculinity, and CosmoGirl! Magazine. In: Wannamaker, Annette (Hrsg.): Mediated Boyhoods. Boys, Teens, and Young Men in Popular Media and Culture. Mediated Youth. Nr. 8. New York: Lang, S. 57-77. Götz, Maya (1999): Männer sind die Helden. Geschlechterverhältnisse im Kinderfernsehen. In: TelevIZIon, Nr. 1, S. 35-38. Götz, Maya (2006): Die Hauptfiguren im deutschen Kinderfernsehen. In: TelevIZIon, Nr. 1, S. 4-7. Götz, Maya (2011): What makes them so special? The utility value of children’s favorite heroes and heroines. In: TelevIZIon, Nr. 2, S. 27-32. Götz, Maya (2013a): Von Vorbild bis parasoziale Mutter. Die typischen Beziehungen zur Lieblingsfigur. In: Dies. (Hrsg.): Die Fernsehheld(inn)en der Mädchen und Jungen. Geschlechterspezifische Studien zum Kinderfernsehen. München: Kopäd, S. 217-248. Götz, Maya (2013b): Genderrepräsentation im internationalen Kinderfernsehen. In: Dies. (Hrsg.): Die Fernsehheld(inn)en der Mädchen und Jungen. Geschlechterspezifische Studien zum Kinderfernsehen. München: Kopäd, S. 27-62. Götz, Maya/Cada, Julia (2009): Die Creme von Lillifee „riecht nach Rosa“. Prinzessin Lillifee im Alltag von Familien. In: TelevIZIon, Nr. 2, S. 30-35. Götz, Maya/Herche, Margit (2013a): „Was mich daran nervt, wie Mädchen und Jungen im Kinderfernsehen gezeigt werden...“ – Bildbriefe von Kindern aus 21 Ländern an Fernsehverantwortliche. In: Götz, Maya (Hrsg.): Die Fernsehheld(inn)en der Mädchen und Jungen. Geschlechterspezifische Studien zum Kinderfernsehen. München: Kopäd, S. 803-822. Götz, Maya/Herche, Margit (2013b): Wespentaille und breite Schultern – Der Körper der „globalen“

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GESCHLECHTSSPEZIFISCHE COMPUTERSPIELSOZIALISATION IN DER FAMILIE Katrin Schlör

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EINLEITUNG

Jede(r) dritte Deutsche, ca. 23 Millionen, spielt regelmäßig Computer- und Videospiele (vgl. BIU 2011: 2). Seit Jahren boomt die Games-Branche. 2012 wurden in Deutschland mit 73,7 Millionen Computer- und Videospielen so viele Spiele wie noch nie verkauft. Ein Umsatz von 1,851 Milliarden Euro unterstreicht die Wichtigkeit, die Computergames als Wirtschaftsfaktor in Deutschland haben (vgl. BIU 2013). Besonders auf Heranwachsende üben Computerspiele eine große Faszination aus. In der Familie sammeln Kinder ihre ersten Medienerfahrungen. Sie ist folglich auch für die Computerspielsozialisation1 der prägende Ort und gleichzeitig ein Raum, in dem unterschiedliche generations- und geschlechtsspezifische Bedürfnisse hinsichtlich Medien aufeinandertreffen. Mehr denn je durchdringen verschiedenste Mediengeräte und -inhalte das Familienleben und stellen es vor neue Herausforderungen. Computerspiele funktionieren nicht mehr nur auf dem stationären PC oder einfachen Spielkonsolen, sie sind immer öfter mobil, beispielsweise auf dem Smartphone, nutzbar und in der Regel mit dem Internet und gegebenenfalls einer diffusen Menge an Mitspielenden verbunden. Besonders die Söhne stehen im Fokus der medienerzieherischen familiären Aktivitäten, da ihnen eine weit intensivere und problematischere Nutzung als den Töchtern nachgesagt wird. Dieser Artikel nähert sich dem Thema der geschlechtsspezifischen Computerspielsozialisation in der Familie über eine generelle Zusammenstellung aktueller Befunde zur Mediensozialisation und Computerspielpraxis aus Gender-Sicht. Außerdem setzt er sich mit dem Thema Computerspiele in der Familie unter besonderer Berücksichtigung der Genderperspektive auseinander. Anhand eines Fallbeispiels wird die besondere Rolle der Mutter in einer Ein-Eltern- und später einer Patchwork-Familie mit Tochter und Sohn betrachtet. Abschließend fasst der Artikel die Erkenntnisse zur geschlechtsspezifischen Computerspielsozialisation in der Familie zusammen und liefert Anregungen für eine medienpädagogische Auseinandersetzung mit der Thematik.

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Zum Begriff „Computerspielsozialisation“ als Unterbegriff der „Mediensozialisation“ siehe Lampert/Schwinge/Kammerl/Hirschhäuser 2012, S. 15f.

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GESCHLECHTSSPEZIFISCHE MEDIENSOZIALISATION

Sozialisation als Wechselspiel zwischen Individuum und Umwelt beinhaltet seit jeher die Rolle der Medien. Dabei wirken Medien nicht einfach als externer Umweltfaktor auf Mediennutzer ein, Menschen gestalten vielmehr ihre Lebenswelt aktiv mit und bewältigen in der stetigen Auseinandersetzung mit ihrem medial und nichtmedial geprägten Umfeld wichtige Entwicklungsaufgaben wie beispielsweise die Ausbildung einer Geschlechtsidentität. So wird heute, da Medien eine immer dominantere Rolle in unserem Leben spielen, mehr denn je von Mediensozialisation gesprochen. Diese steht besonders im Kindes- und Jugendalter im Fokus der Medienforschung, ist aber im Sinne des lebenslangen Lernens auch im Erwachsenenalter allgegenwärtig. Es werden folglich nicht nur Kinder von Eltern sozialisiert, vielmehr wird von einer reziproken Mediensozialisation ausgegangen, bei der auch erwachsene Familienmitglieder durch den Einfluss der Kinder Sozialisationsprozesse durchlaufen (vgl. Süss/Lampert/Wijnen 2010: 29). Nicht zu übersehen ist die Rolle der Medien als Sozialisationsagent selbst. Diese wird wichtiger, je älter das Kind wird und löst zusammen mit der immer bedeutender werdenden Funktion der Peer-Group die Eltern als Hauptsozialisationsinstanzen ab (vgl. Süss 2004: 286ff.). 2.1

mEdiEn als rEssourcE Zur GEschlEchtsbEZoGEnEn idEntitätsbildunG

Als wichtige Ressource der Identitätsbildung spielen Medien folglich auch eine zentrale Rolle im Zuge der Auseinandersetzung mit Geschlechterrollenbildern. Medieninhalte und -figuren liefern Vergleichsfolien für ‚typisch‘ männliche und weibliche Eigenschaften (vgl. Süss/Lampert/Wijnen 2010: 48). Mediensozialisation aus geschlechtsspezifischer Perspektive kann auf zwei unterschiedliche Weisen näher betrachten werden. Zum einen beschäftigt sich die Forschung zu Geschlecht und Medien mit der Darstellung von Geschlecht in Medienproduktionen, zum anderen untersucht sie, inwiefern geschlechtsspezifische Mediennutzungsunterschiede vorhanden sind. Studien zur Repräsentation der Geschlechter in den Medien existieren seit den 1970er-Jahren und haben insbesondere das Fernsehen zum Inhalt. Dabei kann auf quantitativer Ebene gezeigt werden, dass weibliche Rollen unterrepräsentiert sind. Bezogen auf qualitative Aspekte zeigt sich eine häufig diskriminierende Darstellung von Frauen, die auf als typisch weiblich erachtete Merkmale reduziert werden, sowie eine Trivialisierung und Entpolitisierung von Themen, die Frauen zugeschrieben werden (vgl. Schmerl 2005a: 128ff.). Bereits in Kindersendungen beginnt die Stereotypisierung von Medienfiguren. Besonders in Trickfilmen liegt der Fokus dabei auf körperlichen Merkmalen. Gängigen Schönheitsidealen folgend werden beispielsweise weibliche Zeichentrickfiguren häufig mit der sogenannten Wespentaille und stark verlängerten Beinen ausgestattet. Nach Herche und Götz (2008) besitzen 65 Prozent der weiblichen Medienfiguren diese unnatürlich sexualisierten Körpermerkmale. Wenngleich ein kausaler Wirkungseffekt nicht unterstellt werden kann, ist dennoch anzunehmen, dass ein nicht allzu kleiner Teil der Mädchen ih-

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ren eigenen Körper als defizitär gegenüber den schönheitsidealisierten Körpern der Medienfiguren erlebt. Dabei durchschauen und kritisieren Kinder laut der Studie „Bildbriefe an FernsehproduzentInnen“ des Internationalen Zentralinstituts für das Jugend- und Bildungsfernsehen durchaus die Stereotypisierung und Inszenierung von Schönheit bezüglich der Mädchenfiguren sowie von Aggressivität bezüglich der Jungenfiguren (vgl. Bulla/Herche 2008; Herche/Bulla 2008). Neben der Geschlechterrepräsentation nehmen Studien zu Mediennutzungsunterschieden zwischen den Geschlechtern eine wichtige Rolle in der Forschung zur geschlechtsspezifischen Mediensozialisation ein. Dabei stehen Unterschiede sowohl quantitativer (Nutzungsdauer, Gerätebesitz etc.) als auch qualitativer Natur (inhaltliche Präferenzen, Aneignungsformen etc.) im Fokus des Erkenntnisinteresses. Die Studien des Medienpädagogischen Forschungsverbundes Südwest (MPFS) liefern repräsentative Daten zur Medienpraxis von Heranwachsenden. Bereits im Kindesalter existieren demnach geschlechtsbezogene Unterschiede in der medial und nicht-medial geprägten Freizeitgestaltung, im Gerätebesitz sowie der konkreten Medienpraxis. Unterschiede zeigen sich aber auch in der Wahl der Vorbilder und Idole, die sich Mädchen in erster Linie in TV und Film sowie in der Musik suchen, Jungen hingegen im Bereich Sport (vgl. MPFS 2013). In Bezug auf die Gruppe der Jugendlichen lassen sich ebenfalls Ungleichheiten hinsichtlich des Gerätebesitzes sowie bezüglich der tatsächlichen Medienbeschäftigung identifizieren. Laut der JIM-Studie verfügen Mädchen mehr als Jungen über Mediengeräte, die auf eine musisch-kreative Medienbeschäftigung zielen (Digitalkamera, Musikabspielgeräte etc.), während Jungen stärker technikorientierte oder multimediale Medien besitzen (Computer/Laptop, Smartphone, Spielkonsole). Weibliche Jugendliche bevorzugen zudem stärker die Beschäftigung mit dem Handy, mit Büchern, Musikhören und dem Fotografieren, während männliche Jugendliche im Vergleich zu Mädchen mehr Zeit am Computer verbringen oder Tageszeitung lesen (vgl. MPFS 2012b: 8ff.). 2.2

doinG GEndEr als Ein aspEkt dEr mEdialEn hErstEllunG juGEndlichEr idEntität

Auf Seiten der qualitativen Forschung findet seit Mitte der 1990er-Jahre ein Paradigmenwechsel statt: „Nicht mehr die Frage ‚Was machen die Massenmedien mit den Frauen?‘, sondern ‚Was machen die Frauen mit den Massenmedien?‘ steht im Mittelpunkt“ (Tillmann/Schuegraf 2011: 22). Zwar wird die Frau als „aktive Mediennutzerin“ angesehen, doch nach wie vor wird Menschen nur ein durch ihr Geschlecht begrenzter Handlungsspielraum zugewiesen. Erst der Konstruktivismus und die Debatte um das Konzept „doing gender“ lenkt den Blick auf die Herstellung von Geschlecht im Zuge bewusster und unbewusster Handlungen. Vor einer verkürzten Rezeption des Ansatzes warnen jedoch Vertreterinnen und Vertreter des dekonstruktivistischen Ansatzes, die nicht nur dem sozialen Geschlecht („gender“) die Verantwortung für menschliches Handeln zuschreiben, sondern auch der Macht des biologischen Geschlechts („sex“) in unserer

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zweigeschlechtlich geprägten Gesellschaft (vgl. Luca 2011: 30; Tillmann/Schuegraf 2011: 22). Folglich kann nicht von einem Determinismus, wohl aber von bestimmten handlungsanleitenden Mustern ausgegangen werden. Dass Medienpraxis immer noch stark von anderen Faktoren geprägt wird, wenngleich sich Jugendliche in geschlechtshomogenen Medienräumen bewegen, konnten etliche genderbezogene Mediennutzungsstudien zeigen: So betont Straub (2006: 230) auf Basis seiner Studie „Medienpraxiskulturen männlicher Jugendlicher“, dass es die männlichen Jugendlichen im Sinne einer homogenen Masse nicht gibt. Vielmehr sind Ähnlichkeiten im Medienhandeln in geschlechtshomogenen jugendkulturellen Gruppen zu suchen. Wie bereits mehrfach nachgewiesen, ist die Rolle der Peer-Group als zentral für die Mediensozialisation zu sehen. Zu ähnlichen Erkenntnissen kommt auch Tillmann (2008: 209), die anhand der Plattform LizzyNet Internetpraktiken von Mädchen untersucht: „Nur Mädchen zu sein, reicht nicht aus, um sich auf LizzyNet verorten und zugehörig fühlen zu können. Damit wird erneut auf die Vielschichtigkeit jugendlicher/weiblicher Lebenswirklichkeit und die Unterschiede innerhalb der Gruppe der Jugendlichen/Mädchen aufmerksam gemacht.“ Forschungsergebnisse wie diese warnen uns vor einer voreiligen Generalisierung typisch weiblicher oder männlicher Mediennutzungsweisen. Ebenfalls lohnt ein Blick auf die allgemeinen Lebensumstände, in die das Medienhandeln eingebettet ist. 3

GENDER UND COMPUTERSPIELE

Eine Medienpraktik, die sowohl von quantitativer als auch qualitativer Seite besonders stark männlichen Nutzern zugeschrieben wird, ist das Computerspielen. Jedoch: Die ‚Männerdomäne‘ Computerspiele bröckelt. Immer mehr Frauen entdecken ihre Leidenschaft für das Spielen. Aktuell beträgt der Anteil an weiblichen Gamern 44 Prozent (vgl. BIU 2011: 2). Dabei zeigen sich starke geschlechtsspezifische Unterschiede sowohl in der Computerspielaffinität und der Genrepräferenz als auch in Bezug auf die Nutzungsdauer und -intensität (vgl. Lampert et al. 2012: 24). 3.1

GEndErspEZifischE untErschiEdE in dEr nutZunG von computErspiElEn

Bereits im Kindesalter spielen Jungen wesentlich lieber, länger und häufiger Computer-/Konsolen- und Onlinespiele als Mädchen (vgl. MPFS 2013: 26ff.). Dieser Effekt verstärkt sich mit zunehmendem Alter. So ist die durchschnittliche tägliche Nutzungsdauer der männlichen Jugendlichen mit 84 Minuten unter der Woche und 120 Minuten am Wochenende annähernd doppelt so hoch wie bei weiblichen Jugendlichen (vgl. MPFS 2012b: 48). Besonders stark zeigen sich die geschlechtsspezifischen Besonderheiten an den Genrepräferenzen der Geschlechter. Während 42 Prozent der Jungen berichten, oft Shooter-Spiele wie beispielsweise Counterstrike zu spielen, geben lediglich 13 Prozent der Mädchen eine häufige Nutzung an. Sie

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präferieren Abenteuer-, Geschicklichkeits- und Simulationsspiele. Rollenspiele, Strategie-, Sport- und Rennspiele werden jedoch von weiblichen wie männlichen Jugendlichen ähnlich häufig gespielt (vgl. Schorb/Kießling/Würfel/Keilhauer: 9). Auch die soziale Einbettung des Computerspielens ist ein Unterscheidungsmerkmal zwischen den Geschlechtern. Auffallend ist, dass Mädchen tendenziell eher alleine spielen, während sich Jungen im Spiel stärker vernetzen, beispielsweise bei Multi-User-Onlinespielen (vgl. MPFS 2012b: 48). Selbst in der Gruppe der Multiplayer-Spielerinnen und -Spieler nennen Mädchen seltener soziale Motive als Jungen. Diese sind jedoch nicht per se als sozial interessierter einzustufen, vielmehr stehen laut Medienkonvergenz-Monitoring wettbewerbsorientierte Motive im Vordergrund, wie das Sich-Messen mit echten Menschen (vgl. Schorb et al. 2008: 17). 3.2

ursachEn: anGEbotsbEZoGEnE und pErsönlichkEitsimmanEntE ErklärunGsmodEllE

Doch wie lassen sich nun diese Unterschiede erklären? Trepte und Reinecke (2010) verweisen auf Eigenschaften von Computerspielen, die eher die Vorlieben männlicher als weiblicher Nutzer bedienen. Ein zentrales Argument, das häufig aufgeführt wird, ist die erhöhte Verbreitung gewalthaltiger oder aggressiver Inhalte, die auch in anderen Medien von Frauen weit weniger rezipiert werden als von Seiten der Männer. Wie bereits in Kapitel 2 in Bezug auf das Fernsehen beschrieben, sind auch in Computerspielen Frauenrollen stark unterrepräsentiert. Da Spielerinnen und Spieler Spielfiguren ihres eigenen Geschlechts bevorzugen, kann sich ein Mangel an Auswahl negativ auf das Spielerleben der Frauen auswirken. Neben der rein quantitativen Unterrepräsentanz weiblicher Spielfiguren stellen Computerspiele Frauen häufig als Randfiguren, hilflose Opfer oder hypersexualisierte Figuren dar. Spielerinnen fällt es folglich auch inhaltlich schwer, sich mit Frauenrollen in Computerspielen zu identifizieren (vgl. Trepte/Reinecke 2010: 236ff.). Bildschirmspiele rücken daher immer stärker in den Fokus des kritischen feministischen Diskurses. Erst unlängst veröffentlichte die Computerspielautorin Helga Hansen auf Süddeutsche.de einen Artikel zu Frauenrollen in Computerspielen (vgl. Hansen 2012). Neben heterosexuellen weißen männlichen Protagonisten – was selbstverständlich eine ebenso einseitige Inszenierung von Geschlecht darstellt – scheinen weibliche Rollen in Spielen nach Meinung der Autorin – als „kämpfendes Sexspielzeug“ tituliert – lediglich ein Eigenschaftsmerkmal zu erfüllen: „Hübsch, schlank und scheinbar ‚stets zu haben‘.“ (Ebd.) Neben den Angebotsfaktoren spielen laut Trepte und Reinecke personenbezogene Aspekte eine zentrale Rolle. Diese sind in erster Linie Produkt der Mediensozialisation der Mädchen und Jungen. Bereits im frühkindlichen Spiel „erlernen“ Kinder geschlechterrollenkonformes Verhalten und erkennen, dass Computerspielen in unserer Gesellschaft als etwas Männliches verstanden wird. Das Elternhaus und die Freunde können diesen Effekt verstärken, indem sie entweder als Gatekeeper fungieren und Computerspiele genderspezifisch vor- oder ausfiltern oder aber

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Nutzung oder Nicht-Nutzung als positiv oder negativ sanktionieren (vgl. Lampert et al. 2012: 25; Trepte/Reinecke 2010: 239f.). Der Einfluss des Elternhauses ist folglich besonders in jungen Kinderjahren als zentral für die Computerspielsozialisation der Heranwachsenden einzuschätzen. Hier wird der Grundstein für die Bewertung von Bildschirmspielen sowie für die Ausprägung von Rollenbildern und -stereotypen gelegt. 4

COMPUTERSPIELPRAXIS IN FAMILIEN

Computerspiele sind nur scheinbar ein neues Phänomen. Bereits Ende der 1950erJahre bzw. Anfang der 1960er-Jahre wurden erste Bildschirmspiele erfunden und verbreitet (vgl. Kent 2001). Trotz dieser annähernd 50-jährigen Erfolgsgeschichte gibt es bislang wenig Untersuchungen zur Computerspielpraxis in Familien. Zwar liefern Kinder- und Jugendmedienstudien, wie sie beispielsweise der Medienpädagogische Forschungsverbund Südwest in regelmäßigen Abständen verfasst, Aufschluss über Nutzungsinhalte, -häufigkeit oder -dauer, doch eine tiefergehende Aussage über die Bedeutung von Computerspielen in Familien lässt sich daraus nur skizzieren. Wenige aktuelle Untersuchungen zur Mediensozialisation und Medienerziehung in Familien haben dieses Desiderat erkannt und liefern wertvolle neue Impulse für die Forschung zur familialen Computerspielpraxis. 4.1

computErspiElsoZialisation in familiEn – doinG family mittEls GaminG

Spielen ist nicht gleich spielen, zumindest wenn man die gängigen Kinder- und Jugendmedienstudien betrachtet. Wenngleich das Computer-, Konsolen und Onlinespielen für zwei Drittel der Kinder (vgl. MPFS 2013: 47) und 42 Prozent der Jugendlichen (vgl. MPFS 2012b: 47) eine selbstverständliche Freizeitbeschäftigung darstellt, wird nur in drei bis vier Prozent der Familien täglich oder mehrmals pro Woche zusammen am Computer gespielt. Im Gegensatz dazu ist das ‚herkömmliche‘ Spielen in Familien als gemeinsame Freizeitbeschäftigung weit verbreitet (vgl. MPFS 2012a). Betrachtet man jedoch die generelle Computerspielnutzung in Familien ohne Wert auf Häufigkeit zu legen, so zeigt sich, dass jede zweite Familie mit Kindern unter 18 Jahren angibt, Computerspiele zu spielen. Ob gemeinsam oder alleine, lässt die Untersuchung des Bundesverbands Interaktive Unterhaltungssoftware e. V. jedoch offen. Dennoch ist die soziale Schicht diesbezüglich unbedeutend. Eine digitale Spielkultur gibt es über alle Einkommensklassen hinweg (vgl. BIU 2011: 7). Die Studie „Computerspiele(n) in der Familie“ verweist darauf, dass Mütter zwar das Spielen mit ihren Kindern zunächst nicht initiieren, im Altersverlauf der Kinder jedoch zunehmend als Spielpartnerinnen in Erscheinung treten (vgl. Lampert et al. 2012: 42). Auch die Computerspiel-Infrastruktur in Familien ist größtenteils gegeben. Fast alle Haushalte mit Kindern verfügen über die nötigen Endgeräte wie Internet und Handy oder Smartphone. 84 Prozent der Familien mit

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Kindern über sechs Jahren geben an, eine Spielkonsole zu besitzen (vgl. MPFS 2012: 56). Wie bereits eingangs erwähnt, interessiert jedoch nicht nur die quantitative Nutzung, sondern auch die Bedeutung der Computerspielpraxis für Familien. Ein Aspekt, der bislang im Rahmen von Forschungsprojekten nur wenig untersucht wurde, ist der Zusammenhang von doing family und Medien in Familien. Unter doing family versteht die Familiensoziologie die alltägliche Herstellungsleistung von Familie im Rahmen von praktischen sowie symbolischen Tätigkeiten wie Ritualen, Alltagshandlungen etc. (vgl. Lange 2007: 20). Medien nehmen als selbstverständlicher Bestandteil der Lebenswelt von Familien eine grundlegende Bedeutung für die Herstellung von Familie ein. Besonders in multilokal lebenden Familien können Medien – auch Computerspiele – wichtige Integrations- und Inklusionsfunktionen erfüllen, um Familienmitgliedern über Distanz ein Wir-Gefühl zu vermitteln und sie in ihrem doing family zu unterstützen (vgl. Schlör 2012: 60ff.). Eggert et al. (2008: 125f.) beschreiben beispielsweise die Funktion eines OnlineRollenspiels als Bindungsglied zwischen einem in Deutschland lebenden Jugendlichen und seinem im Ausland lebenden Bruder sowie das Spielen von Sohn und viel beschäftigtem Vater als gemeinsame Freizeitaktivität. Interessante Aussagen auf Basis einer schwedischen Studie zur intergenerativen Computerspielpraxis in der Familie liefert Aarsand (2007: 250ff.). Er identifiziert verschiedene Funktionen des Computerspielens als soziale Konstruktion des „digital gap“ innerhalb von Familien. Dazu zählt zum einen, von Kindseite aus gesehen, das Computerspielen als „non-adult space“, aber auch als Kontrollinstrument zur Durchsetzung der eigenen erzieherischen Interessen, wie zum Beispiel des Länger-aufbleiben-Dürfens. Eltern hingegen nutzen die Wissenslücke als Kommunikations- und Interaktionsanlass. Auch in Aarsands Ergebnissen spitzt sich die gemeinsame Hinwendung zu Computerspielen auf das „doing something together“ zu. Bereits an diesen Beispielen wird die Dominanz männlicher Aktionsmuster in der familialen Computerspielepraxis deutlich. Diese Einschätzung stützt auch die Studie „Computerspiele(n) in der Familie“. Impulsgeber für die Nutzung von Computerspielen sind in der Regel männliche Bezugspersonen aus dem Familienumfeld. Mütter werden von keinem Befragten als Initiatoren genannt (vgl. Lampert et al. 2012: 35). Erklären lässt sich dies eventuell durch die geringe Erfahrung als Spielerin. Die hauptsächlich weiblichen Haupterziehenden von Kindern verbringen durchschnittlich kaum Zeit mit PC-, Online- oder Konsolenspielen (vgl. MPFS 2013: 62). 4.2

computErspiElErZiEhunG aus GEndEr-pErspEktivE

Nicht nur die Aneignung von Computerspielen in Familien trägt zur Sozialisation der Kinder bei, auch die Computerspielerziehung leistet einen wichtigen Beitrag. Neben allgemeinen Erziehungsthemen wie Zubettgehzeiten oder Hausaufgaben spielen Regeln bezüglich der kindlichen Mediennutzung in Familien eine wichtige Rolle. Dabei unterscheiden Eltern zwischen Regelungen bezüglich der Quantität sowie der Qualität der Medienpraxis (vgl. MPFS 2012a: 18ff.). Lampert et al.

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(2012: 52ff.) beschreiben neben zeitlichen und inhaltlichen Regelungen eine weit verbreitete Praxis von lediglich sporadischen Regeln oder pauschalen Verboten, die als Sanktionen eingesetzt werden. Insbesondere schulische Pflichten werden als Referenz der Computerspielpraxis angesehen und dienen als Orientierungspunkt für ein mögliches Eingreifen der Eltern. Spielen Eltern jedoch selbst Computerspiele, so stehen sie Spielen nicht nur häufiger positiver gegenüber, sie sind auch empfänglicher für eine Form kooperativer Computerspielerziehung, die das gemeinsame Spielen und die Diskussion über Computerspiele ins Zentrum rückt (vgl. Nikken/ Jansz 2004: 13). Mütter machen in Deutschland mit 85 Prozent den Großteil der Haupterziehenden aus. Inwiefern dies Auswirkung auf die Medienerziehung hat, lässt die KIM-Studie 2010 erahnen. Computerspiele landen bei der Rangliste der Interessenschwerpunkte auf dem letzten Platz. Während immerhin die Hälfte der Haupterziehenden das Thema „Kinder und Medien“ als interessant erachtet, stimmen dieser Wertung bei Computerspielen lediglich zehn Prozent der Befragten zu (vgl. MPFS 2011: 60). Auch in der neuen Sonderveröffentlichung miniKIM, die die Medienpraxis der Kinder zwischen zwei und fünf Jahren anhand von Aussagen der Haupterziehenden untersucht, zeigt sich das gleiche Bild (vgl. MPFS 2013: 70). Mütter sind für ihre Kinder laut der FIM-Studie 2012 Ansprechpartner Nummer eins für allgemeine Themen wie Schule oder Freunde sowie für klassische Medienthemen wie Fernsehen, Bücher oder die allgemeine Mediennutzungsdauer. Beim Thema Computerspiele sind Väter und Geschwister jedoch gleichermaßen als Ansprechpartner gefragt. Dennoch stellen Computerspiele ein vergleichsweise wenig in der Familie thematisiertes Feld dar (vgl. MPFS 2012a: 41ff.). Ein Aspekt, auf den verschiedene Studien verweisen, ist die restriktivere Computerspielerziehung der Mütter in Bezug zu den Vätern (vgl. Lampert et al. 2012: 58; Nikken/Jansz 2004: 13). Lampert et al. (2012: 69f.) weisen außerdem darauf hin, dass Computerspiele ein starkes Potential zum Reizthema in der Familie haben. Nicht selten kommt es zu Diskrepanzen in der Wahrnehmung der Computerspielhäufigkeit, die sich oftmals in Streitigkeiten äußert. Auch hier besteht die Annahme, dass die Problemwahrnehmung auf Seiten der Mütter stärker ausgeprägt ist als auf Seiten der Väter. Als Computerspielexperten gelten hingegen mit weitem Abstand die Kinder selbst. Von einem knappen Drittel werden die Väter als Experten wahrgenommen, wobei diese selbst weit mehr von ihrem Können und Wissen überzeugt sind als der Rest der Familie. Die Mütter liegen diesbezüglich in der Einschätzung aller Familienmitglieder auf dem letzten Platz (vgl. MPFS 2012a: 85). Interessanterweise scheint sich die ablehnende und konfliktträchtige Haltung der Mütter zum Thema Bildschirmspiele nicht merklich auf das Thema des Zugangs zu den Spielen zu übertragen. Laut KIM-Studie schenken zumeist Mütter ihren Kindern Computeroder Konsolenspiele (vgl. MPFS 2013: 52). Wie bereits mehrfach in diesem Beitrag erwähnt, beruht die Computerspielpraxis in Familien auf mehreren Faktoren, die sich nicht allein auf das Merkmal Geschlecht zurückführen lassen. Jede Familie ist einzigartig. Daher lohnen sich Einzelfallanalysen, um Handlungsmuster und spezielle Aneignungspraktiken in Familien nachzeichnen zu können. Speziell die qualitative Forschung hat bislang trotz

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intensiver Auseinandersetzung mit dem Forschungsgegenstand „Computerspiele und Gender“ nicht den Blick in die familiale Sphäre eröffnen können. Wenngleich Lampert et al. (2012: 47, 71) in ihrer Studie „Computerspiele(n) in der Familie“ speziell durch ihre genderspezifische Fragestellung diverse neuen Erkenntnisse liefern, verweisen sie mehrmals auf die Desiderate zur Rolle der Mütter im Rahmen der Computerspielsozialisation und -erziehung. Außerdem beschreiben sie die Forschungslücke bezüglich Familien mit computerspielenden Eltern. Das folgende Fallbeispiel aus der Studie „Mediensozialisation und Medienerziehung in Familien in belasteten Lebenslagen“2 sei als empirischer Exkurs zu verstehen, um familiale Computerspielpraktiken insbesondere bezogen auf eine computerspielende Mutter erlebbar zu machen. 5

FALLBEISPIEL FAMILIE CULLEN

Janine Cullen, mittlerweile 35 Jahre, und ihre Kinder Lola (14 Jahre) und Tony (zwölf Jahre), leben nach acht Jahren Ein-Eltern-Familien-Dasein seit ca. eineinhalb Jahren mit dem neuen Partner der Mutter, Tobias, zusammen. Der Vater der Kinder, kürzlich verstorben, hielt auch nach der Trennung vor rund zehn Jahren Kontakt zu seiner Familie. Besonders Tony traf sich bis zu seinem Tod regelmäßig mit ihm.3 Janine Cullen ist bereits seit jungen Jahren begeisterte Computerspielerin. Ihr erstes Gerät bekam sie 1989 mit zwölf Jahren nach Öffnung der Mauer geschenkt. Noch heute hegt sie sehr positive Erinnerungen an dieses Erlebnis: Ja, des war’n ja ganz einfache Videospiele eigentlich so. […] Aber es war mein größtes Glück so. Also des hat dreißig D-Mark gekostet, des weiß ich au noch. Des hab ich von dem Willkommensgeld geschenkt kommen. Computerspielen war für Janine schon immer ein Familienereignis. Als Kind spielte sie zusammen mit ihrem Vater und auch heute noch stehen Konsolenspiele hoch im Kurs, wenn sie mit ihren Kindern die Großeltern besucht. Mario Kart beispielsweise beschreibt sie als ein Spiel, das „Generationen begleitet“. Dennoch sieht sie ihre Mediensozialisation und -erziehung eher kritisch. Auch heute noch, den Enkeln gegenüber, seien ihre Eltern wenig reflektiert und sensibilisiert gegenüber Inhalten, die nicht kind- oder jugendgerecht seien. Als Heranwachsende konsumierte Janine viel Gewalthaltiges. Das änderte sich jedoch in ihrer Schwangerschaft:

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Das Projekt wird aktuell als Promotionsprojekt in der Abteilung Medienpädagogik der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg durchgeführt. Seit 2011 wird es durch die Forschungsförderungsstelle der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg finanziell unterstützt. Erste Ergebnisse finden sich bspw. bei Schlör 2012. Die Fallbeschreibung bezieht sich auf einen Zeitraum von über drei Jahren (Ende 2009 bis Anfang 2013), in denen die Familie von der Autorin begleitet wurde. Alle Namen sind anonymisiert.

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Also, des hat sich so schlagartig: schwanger {klatscht in die Hände}. Hab ich noch auf dr Playstation n Spiel gespielt, „Resident Evil“, und ich weiß, ich war so erschrocken in dr Nacht, ich konnt nicht schlafen, war so erschrocken und ab da war’s aus. Also alles, was so mit Mord und Totschlag und Gewalt war, war auch ab da für mich irgendwie so, keine Ahnung, des ging, des war dann nich mehr interessant. […] Mittlerweile, wenn ich sowas seh, widert’s mich eigentlich nur noch an! Diese kritische Haltung gegenüber gewalthaltigen Computerspielinhalten vertritt sie auch Tony gegenüber, der unter anderem bedingt durch seine Peer-Group und die lockere Einstellung des Vaters bereits früh mit Spielen in Berührung kam, die nicht seiner Altersstufe entsprachen. In ihrer Medienerziehung greift sie dabei auch auf ihre Erfahrung als Spielerin zurück. Beispielsweise spielt sie manche Spiele zunächst selbst, um dann auf Basis ihrer Erlebnisse das Spiel zu erlauben oder nicht. In ihrer Kritik greift sie auch die Spielindustrie an, die ihrer Meinung nach unnötig Gewalt in Spielen einsetzt. Ein Erklärungsmuster, warum ihr Sohn trotz oder vielleicht gerade wegen ihrer pazifistischen Erziehung Freizeitbeschäftigungen mit gewalthaltigem Bezug ausübt, wie entsprechende Spiele und der bislang nicht erfüllte Wunsch nach einer Softair-Waffe, sieht sie in seinem Geschlecht begründet: Aber des is, glaub ich, auch so bisschen des Weibliche. Selbst ein Schwert is ja ne Waffe, obwohl ich die auch schon mal schön finden kann so. Aber des is für mich ne Waffe. Also, und dann irgendwie so dieses, die kommen in dieses Alter, wo Piraten toll sind, und isses halt, was weiß ich, ne Schrotflinte oder was, ich weiß es net! Da kennt er sich ja besser aus. Aber ich, ich persönlich denk: Manchmal vielleicht hätt ich eher mal ihn noch ’n bisschen ausleben lassen, aber weiß nich. Vielleicht is’ auch einfach männlich. Jungs wolln des spieln. Tony selbst sieht in seinen Aktivitäten kein Gewaltpotenzial, sondern lediglich hedonistische und wettbewerbsorientierte Motive. In Bezug auf die Softair-Waffe macht er seine Haltung deutlich: Ich finde Krieg auch scheisse oder irgendwas. Ich bin kein Befürworter von Gewalt oder so. Aber ich find halt dieses irgendwie halt interessant, weil des macht halt auch Spaß. Weil du musst dann halt immer auf alles gefasst sein, und des is ja nich so, dass wir irgendwie Krieg nachspieln wolln. Tobias, der sich seit dem Zusammenzug auch an der Medienerziehung der Kinder beteiligt, verfolgt die gleiche Richtung wie Janine. Dennoch haben sich, seit sie nicht mehr alleinerziehend ist, die Regeln ungewollt gelockert. Mit dem Umzug zusammengefallen ist das Ende ihrer Ausbildung. Seitdem ist sie annähernd vollzeitbeschäftigt („80 Prozent“) und muss als Altenpflegerin auch häufig Schichtarbeit leisten. So können beide nicht immer die Einhaltung der Medienregeln überwachen. Obwohl die Kinder mit zunehmendem Alter verstärkt individuell oder mit

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Freunden Medien nutzen, bemüht sich die Familie um gemeinsame Spielerlebnisse. So wünscht sie sich zusammen von den Großeltern zu Weihnachten eine Wii-Spielkonsole. Während in der Ein-Eltern-Familie Tony häufig außen vor war, da er die Spielpräferenzen seiner Mutter und Schwester nicht teilte, scheint es, als könnte er sich mit dem männlichen Spielpartner Tobias besser arrangieren. Früher flüchtete er sich eher in heimliche Spiele während der Besuche bei seinem Vater, die vermutlich zum einen dem doing family dienten, zum anderen jedoch auch als Machtinstrument gegen die Computerspielregeln der Mutter interpretiert werden können. Neben dem Spielen mit den Kindern und der Herstellung sowie Bestärkung des neuen Familiensystems spielen auch Janine und Tobias häufig gemeinsam Spiele. Dazu ziehen sie sich in die Küche zurück und verbringen dabei Zeit zu zweit. In Anlehnung an das Doing family-Konzept, könnte man dies als doing relationship umschreiben. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Computerspielen für Familie Cullen gemeinschaftsstiftende Funktionen erfüllt. Janine kann in ihrer Computerspielerziehung auf eine breite medienbiografische Erfahrung zurückgreifen. Dennoch stößt auch sie an strukturelle Barrieren. Als schichtarbeitende Mutter kann sie nur auf eine vertrauensbasierte Erziehung bauen und erfährt in der mit dem Vater der Kinder geteilten Erziehung ihre Grenzen. Ihre Erfahrung als Frau setzt sie in Beziehung zu der Entwicklung ihres Sohnes und versucht, seine Motivation für gewalthaltige Spiele aus Gender-Sicht nachvollziehen zu können. Dennoch zeigt sich hier ein besonders wichtiges Feld für die Computerspielerziehung und gleichzeitig ein weniger generations- als mehr ein genderspezifischer familialer Diskurs. 6

FAZIT

Computerspiele bergen ein ambivalentes Potenzial für Praktiken des doing family in Familien. Das Zusammen-Spielen kann die Familiengemeinschaft stärken, ein erhöhtes Problembewusstsein und exzessives Spielen jedoch auch für Konflikte sorgen. Besonders im Fokus stehen dabei männliche Heranwachsende. Medienpraktiken müssen jedoch immer vor der Folie der jeweils vorhandenen strukturellen Voraussetzungen gesehen werden. Es greift folglich zu kurz, den Fokus zu sehr auf die sogenannte Selbstsozialisation zu lenken und Mediennutzung als gänzlich autonome Wahlentscheidung zu begreifen. Stattdessen findet Medien- und folglich auch Computerspielsozialisation immer vor dem Hintergrund einer gesellschaftlich-medialen Angebotsstruktur sowie lebenslagenbezogener Ressourcen statt (vgl. Niesyto 2009: 939ff.). So ist es zum einen auf theoretisch-reflexiver Ebene notwendig, beispielsweise wirtschaftliche Interessen und (männlich geprägte) Produktionsbedingungen der Computerspielindustrie zu hinterfragen und entsprechende Instanzen und Personen in die Verantwortung zu nehmen. Zum anderen bedarf es Konzepte von Seiten der Medienpädagogik, auf deren Basis in der aktiven Medienarbeit mit Jugendlichen Geschlechtsstereotype und problematische Inhalte in Computerspielen thematisiert und reflektiert sowie gegebenenfalls Alternativen entwickelt und aufgezeigt werden. Statt kausal-pauschalisierende Wirkungszusam-

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menhänge zu konstatieren, steht die Schulung der medienkompetenten Aneignung von Computerspielen im Vordergrund, die nach Baacke (1996: 120) Medienkritik und Medienkunde, aber auch Medienhandeln und Mediengestaltung beinhaltet. Ein erhöhter Handlungsbedarf zeigt sich bezüglich Heranwachsenden, die in schwierigen und problembelasteten Lebensumständen aufwachsen. Wenn sie keine adäquate Anlaufstelle für ihre Belange haben, erhöht sich das Risiko für problematisches Computerspielnutzungsverhalten und entsprechende Wirkungszusammenhänge (vgl. Trepte/Reinecke 2010: 243). Neben der Erkundung ihrer Nutzungsmotive und -gewohnheiten gilt es demnach, Angebote zu schaffen, die ihre speziellen Bedürfnisse konstruktiv aufgreifen und sie in ihrem kritischen Nutzerbewusstsein fördern. Dabei muss es sich nicht unbedingt um genderspezifische Angebote handeln. Es kann ebenso vielversprechend sein, durch koedukative informelle Lernsettings Reflexionsprozesse anzuregen und die gemeinsame Freude am Spiel als Bindeglied zwischen hedonistischen Bedürfnissen und verantwortungsvollem Umgang zu nutzen. Ähnlich können intergenerative medienpädagogische Projekte operieren, welche die medienbiografischen und genderbezogenen Unterschiede als Ressourcen nutzen. Diese Ansätze bergen die Chance, Konflikten in Familien vorzubeugen und Computerspielen als Ressource für Gemeinschaft, aber auch für medienkritische Reflexionen zu begreifen. BIBLIOGRAFIE Aarsand, Pål André (2007): Computer- and Video Games in Family Life: The Digital Divide as a Resource in Intergenerational Interactions. In: Childhood 14 (2), S. 235-256. Baacke, Dieter (1996): Medienkompetenz – Begrifflichkeit und sozialer Wandel. In: von Rein, Antje (Hrsg.): Medienkompetenz als Schlüsselbegriff. Bad Heilbrunn: Verlag Julius Klinkhardt, S. 112-124. Bulla, Christine/Herche, Margit (2008): „Sie sind nur dünn und langweilig“. Was Kinder an der Darstellung von Mädchen im Kinderfernsehen stört. Online: http://www.br-online.de/jugend/ izi/deutsch/forschung/MJTV6_Kritik_Maedchen.pdf (Abfrage: 12.04.2013). BIU (Bundesverband Interaktive Unterhaltungssoftware e. V.) (2011): Gamer in Deutschland 2011. Online verfügbar unter http://www.biu-online.de/fileadmin/user_upload/pdf/BIU_Profilstudie_Gamer_in_Deutschland_2011.pdf (Abfrage: 09.04.2013). BIU (Bundesverband Interaktive Unterhaltungssoftware e. V.) (2013): Computer- und Videospiele beliebt wie nie: Deutsche Games-Industrie verkauft 2012 mehr Games. Online: http://www.biuonline.de/de/presse/newsroom/newsroom-detail/datum////computer-und-videospiele-beliebtwie-nie-deutsche-games-industrie-verkauft-2012-mehr-games.html (Abfrage: 09.04.2013). Eggert, Susanne/Gebel, Christa/Wagner, Ulrike (2008): Die vertieften Handlungsschwerpunkte Spielen, Kommunizieren und Produzieren. In: Wagner, Ulrike (Hrsg.): Medienhandeln in Hauptschulmilieus. Mediale Interaktion und Produktion als Bildungsressource. München: Kopaed, S. 119-185. Hansen, Helga (2012): Sexspielzeug. Frauenrollen in Computerspielen. Online: http://www.sueddeutsche.de/digital/frauenrollen-in-computerspielen-sexspielzeug-1.1554509 (Abfrage: 10.04.2013). Herche, Margit/Bulla, Christine (2008): Rowdies, Dummköpfe und Weicheier. Was Kinder an der Darstellung von Jungen im Kinderfernsehen kritisieren. Online: http://www.br-online.de/jugend/izi/deutsch/forschung/MJTV5_Kritik_Jungen.pdf (Abfrage: 12.04.2013). Herche, Margit/Götz, Maya (2008): The global girl’s body. In: Televizion 21 (E), S. 18-19.

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„MEIN BABY GEHÖRT ZU MIR.“ ROLLENBILDER IM JUGENDFILM – EIN GESELLSCHAFTLICHER DISKURS IN SEINER FILMISCHEN REPRÄSENTATION Clarissa Henning

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JUGEND ALS FILMSTOFF

Jugend und Jugendkultur als Ausdruck einer Lebensphase rückte als „gesellschaftliches Phänomen“ erst im vergangenen Jahrhundert zunehmend in den Blick gesellschaftlicher und kultureller Betrachtung. Mit den 1950er-Jahren bekam Jugend die Dimension einer „Problemgestalt“ zugeschrieben und wurde zum Gegenstand gesellschaftlichen Diskurses. Die Jugend begann – zumindest innerhalb des öffentlichen Diskurses, wie ihn der Film repräsentiert – sich gegen Erwartungen und Pflichten, die die Elterngeneration an sie herantrug, aufzulehnen (anfangs sicherlich verstärkt im Konflikt mit einer autoritären Vätergeneration in gesamtgesellschaftlichen Zeiten des Umbruchs), und forderte eine eigenständige Charakterbildung und Rollenfindung aufgrund von eigenen Erfahrungen für sich ein. Blickt man auf das heutige Verständnis von „Jugend“, dann wohnt ihr die Ambivalenz inne, zum einen bis ins (späte) Erwachsenenalter erstrebenswert zu sein und so lange wie möglich erhalten werden zu müssen (zumindest wenn man die in westlichen Kulturen geltenden Schönheitsideale in den Blick nimmt). Zum anderen wird mit dem Lebensalter der Jugend auch eine Lebensphase verbunden, die häufig für Auflehnung gegen herrschende gesellschaftliche Normen und Werte und Bruch mit dieser als allgemeingültig, augenscheinlich regelrecht naturgegebenen Ordnung steht. In Bezug auf das Thema „Genderkonstruktionen im Jugendfilm“ spielt im Besonderen der zweite Aspekt eine entscheidende Rolle, da „[sich in] der ‚Krise‘ insbesondere jene Norm besonders gut beobachten [lässt], die außerhalb der Krisensituation wegen ihrer alle Bereiche durchdringenden Wirkmächtigkeit schwer wahrnehmbar ist“1. Gemeint sind hier Geschlechternormen, die zwar in allen Lebensbereichen wirken, aber selten reflektiert werden. Als Kern der Jugendphase ist das Thema der Rollenfindung konstituierend. Jugendliche befinden sich in einer Lebensphase, in der sie keine Kinder mehr sind, sondern nach Autonomie streben. Da sie jedoch auch noch nicht gesellschaftlichen und kulturellen Anforderungen und Erwartungen eines Erwachsenen gerecht werden können (und wollen), befinden sie sich in einer Phase des Übergangs, der Transformation. Sie gehören demnach einer Phase an, die kulturell nicht definiert ist, für die gesellschaftlich kein eigener Raum vorgesehen ist – sozusagen ein schwarzes Loch, in dem sich die Jugendlichen wiederstreitenden Erwartungen, Wünschen und

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Bestrebungen ausgesetzt sehen. Die Definitionslosigkeit dieses Lebensalters und seiner Funktion innerhalb der Gesellschaft und der Kultur ist also paradoxerweise bezeichnend für „Jugend“. Der öffentliche Diskurs über die sogenannte Adoleszenzkrise fand schon früh durch den Film eine Plattform, im Blick der breiten Masse verhandelt zu werden. So kann der Film als historisches Dokument in dem Sinne verstanden werden, als dass er zwar nicht dokumentarisch die Wirklichkeit, sondern eine Konstruktion möglicher Weltentwürfe darstellt, die jedoch Rückschlüsse auf „das Selbstverständnis der Kultur, in der die Modelle entstanden sind“2 zulässt. Christina von Braun bezeichnet Modelle, die der Bedeutungskonstruktion dienen, wie sie z. B. der Film präsentiert, als „historisch wandelbare Leitbilder oder Idealentwürfe, die dazu beitragen, das Selbstbild und Gesicht der Gesellschaft dieser Epoche zu prägen“3. Schon Siegried Kracauer hielt Film für „die Wirklichkeitskunst schlechthin, die wie keine andere gesellschaftliche Entwicklungsprozesse festhalten konnte“4. Filme sind folglich mediale Modelle gesellschaftlicher und kultureller Wirklichkeit und damit auch ein Teil des derzeit herrschenden Weltbildes, indem sie dieses offenbaren – entweder dadurch, dass sie als richtig anerkannte Werte in ihrer Berechtigung bestätigen oder dadurch, dass sie sie in Frage stellen. Sie sind Teil eines massenmedialen Diskurses, indem sie symbolisch Wirklichkeiten modellieren auf Grundlage einer Basis geteilten kulturellen Wissens.5 Man könnte natürlich dem Gedanken folgen, dass allein schon die Auseinandersetzung an sich die Richtigkeit der filmisch thematisierten Werte und Normen in Frage stellt und deren Bestätigung nur eine Bestätigung auf Zeit bedeuten kann. Wichtig ist jedoch, dass filmische Plots eine Interpretation von Welt, von Wertesystemen und darüber hinaus Lösungsansätze anbieten6, die die Weltsicht und das vermeintliche Wissen über Gesellschaft und Kultur des bzw. der Rezipienten/in beeinflussen können – so auch in Bezug auf Rollenbilder. So führt Christina Holtz-Bacha 2011 für den Bereich der Werbung aus – was unweigerlich auch für das Massenmedium Film gilt, dass „mediale Angebote […] auch in ihrer Sozialisationsfunktion prägende[n] Charakter [besäßen]“7. Sie würden „der Orientierung [dienen], Werte- und Normvorstellungen, Verhaltensvorbilder [vermitteln]“8 und damit festlegen, welche Verhaltensweisen, Charaktereigenschaften und Körperbilder als typisch weiblich oder typisch männlich erwartet werden und folglich als gesellschaftlich akzeptabel gelten.9 Auch wenn man Margreth Lünenborg und Tanja Maier folgt, sind „Kulturen medial vermittelt“, wodurch Medien als „bedeutungsvolle Vermittler von gesellschaftlich dominanten und kulturellen Bedeutungen [zu

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Gräf 2010, S. 11. Braun 2000, S. 19f. Zit. nach: Möhrmann 2000, S. 88. Vgl. Jurga 1997, S. 108. Vgl. Gräf 2010, S. 12. Holtz-Bacha 2011, S. 13. Ebd. 2011, S. 16 Vgl. ebd., S. 17.

Rollenbilder im Jugendfilm

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bewerten sind], die zwischen gesellschaftlichen Gruppen und Individuen vermitteln“ und damit auch „Material [liefern], das Geschlechteridentitäten herstellt“.10 Wenn man diesen Umstand nun mit dem Genre des Jugendfilms11 zusammenführt, ergibt sich eine beachtenswerte Kopplung. Im Jugendfilm ist ein grundlegendes Setting festzustellen, das ihn als solchen konstituiert. Das im Mittelpunkt der Filme stehende Ereignis – meist der Tabubruch durch einen oder mehrere Jugendliche –, das die herrschende Ordnung, wie sie im Film dargestellt wird, in Frage stellt bzw. offenlegt, verweist auf die Identitätsbildung und Rollenfindung Jugendlicher, den Transformationsprozess, der sich anhand eines konkreten Konflikts offenbart und an diesem paradigmatisch verhandelt wird. Wenn man nun zusätzlich in den Blick nimmt, dass Filme ihrerseits wiederum nicht nur der zeitgenössischen Verhandlung der jeweils virulenten Vorstellung von Adoleszenz(krise) dienen, sondern zeitgleich auch der Bildung von Skripten von Männlichkeit und Weiblichkeit dienen, ergo selbst als Identifikationsmaterial für jugendliche Rezipientinnen fungieren können, wird das Spannungsfeld deutlich, in dem sich Jugendfilme speziell bezüglich der Darstellung von Rollenbildern befinden. 2

JUGENDLICHE ROLLENBILDER – ABBILD DES ZEITWANDELS?

Von zwei Grundannahmen soll im Folgenden ausgegangen werden: Filme dienen sowohl als „kultureller Speicher“12 als auch der Bildung von Skripten und Schemata, anhand derer wir Wahrnehmungen vereinfachen, kategorisieren und deuten – was auch im Besonderen für die Wahrnehmung von Gender gilt13. Zum Zweiten kann auch Jugend die Speicherung kultureller Werte zugeschrieben werden, insofern als in ihr alte Werte sowohl tradiert als auch reformiert werden und sich durch jugendliche Renitenz gerade die Werte offenbaren, die gesellschaftlich diskutiert werden müssen oder nicht mehr dem kommenden Zeitgeist entsprechen.14 Im Folgenden sollen drei Jugendfilme verschiedener Jahrzehnte im Hinblick auf deren Konstruktion von Rollenbildern exemplarisch analysiert werden, um aufzuzeigen, inwieweit sich die Repräsentation von Gender im gesellschaftlichen Teildiskurs des Mediums Film von den 1950er- bis in die 2000er-Jahre verändert hat. Die Auswahl der Filme, die hier betrachtet werden, repräsentieren die Genderkonstruktionen der großen Mehrzahl der Filme ihrer Zeit. Sicherlich gibt es Ausnahmen, doch gerade die großen Kinoerfolge des deutschen Filmmarktes im Bereich des Jugendfilms, die vor allem auch ein jugendliches Publikum erreichten,

10 Lünenborg/Maier 2013, S. 35. 11 Ich gehe an dieser Stelle davon aus, dass genrekonstituierende Merkmale nicht nur inhaltliche, also die Erzählhandlung betreffende Konstituenten sein können (wie z. B. im Horrorfilm), oder temporale bzw. lokale Merkmale (wie z. B. im Western), sondern ebenfalls wiederkehrende narrative Strukturen und Erzählmotive. Vgl. Gräf et al. 2012. 12 Gräf 2010, vgl. auch S. 11ff. 13 Vgl. Braidt 2008, S. 132. 14 Vgl. Bernfeld 1991.

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sollen hier der Anschauung dienen, da man sicherlich davon ausgehen kann, dass die dargestellten Rollenbilder – auch durch die zahlreichen Wiederholungen in verschiedenen jugendfilmischen Plots der Zeit – besonderen Einfluss auf das Weltbild der RezipientInnen nahmen. Darüber hinaus ist zu beachten, dass gerade die sehr erfolgreichen Filme häufig über mehrere Generationen hinweg bekannt sind, ohne dass dem Rezipienten bzw. der Rezipientin bewusst ist, welche unterschwelligen Botschaften und Deutungen die Filmhandlung transportiert. Um eine leichtere Vergleichbarkeit der handlungsvorantreibenden Elemente zu gewährleisten, wurden für die Analyse drei Musik-/Tanzfilme ausgewählt. An dem Element „Tanz“ bzw. „Musik“ wird in den jeweiligen Filmen die Problemgestalt Jugend mit unterschiedlicher inhaltlicher Ausrichtung verhandelt, aber im Besonderen drücken die jugendlichen Protagonisten ihre gesellschaftliche und geschlechtliche Rolle über den Tanz aus – insbesondere bei den späteren Filmen. Man kann Tanz hier also, angelehnt an Gräf, als „semantisches Merkmal“ bezeichnen, der „funktionalisiert und semiotisiert [wird], um gesellschaftliche Normen und Werte abzuhandeln“15. Daher werden im Folgenden die Genderkonstruktionen der Filme „Wenn die Conny mit dem Peter“ (D 1958, Regie: Fritz Umgelter), „Dirty Dancing“ (USA 1987, Regie: Emile Ardolino) und „Save the last dance“ (USA 2001, Regie: Thomas Carter) aufgezeigt. Zunächst werden jeweils die dargestellten Facetten der jugendlichen Protagonisten beschrieben, darauf folgend die für die Ereignisstruktur des Films wichtigen Charaktere (auch der Elterngeneration), um abschließend zu einer Gesamtschau der Genderkonstruktion im jeweiligen Film zu kommen. 2.1

das bravE mädchEn und dEr rEchtschaffEnE junGE – „wEnn diE conny mit dEm pEtEr“

Zum Inhalt: Conny und Peter sind Schüler auf dem Internat Schloss Werneck. Musik ist ihre größte Leidenschaft, sodass sie mit anderen Schülern zusammen regelmäßig musizieren und singen und andere Schüler anstiften, dazu zu tanzen. Dieses Verhalten provoziert den Argwohn und Unmut einiger Lehrer, die dieses Verhalten als respektlos und nicht normkonform empfinden. Der Besitzer und Gründer des Internats, Dr. Werneck, will sich von den Zuständen selbst überzeugen und gibt sich als neuer Hausmeister der Schule aus. Dort bekommt er mit, dass sich die Schüler heimlich abends aus der Schule schleichen und auf Festen musizieren, um Geld für Peter zu verdienen, da dieser zwischenzeitlich die Schule verlassen musste. Seine Mutter ist krank und kann das Schulgeld für ihn nicht mehr verdienen. Seine Mitschüler wollen nun das Schulgeld für ihn durch die Auftritte erarbeiten. Bei einem Auftritt werden sie von einer Lehrerin erwischt. Durch die Hilfe des vermeintlichen Hausmeisters bekommen sie das Geld doch noch zusammen und Peter kann zur Schule zurückkehren. Bei einem abschließenden Musikfestival in der Schule gibt

15 Gräf 2010, S. 26.

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Dr. Werneck seine wahre Identität preis und honoriert den Einsatz der Schüler für Peter damit, dass er Musik als neues Schulfach einrichtet und Peter für seine außergewöhnlichen musikalischen Leistungen, die dem Ansehen der Schule zuträglich seien, ein Stipendium gewährt. Zu guter Letzt erhört Conny auch noch Peters bis dahin unerfüllte Zuneigung zu ihr. Wenn man nun einen Blick auf die männlichen Jugendlichen einschließlich des Protagonisten Peter wirft, fällt auf, dass diese von Beginn als aufmüpfig, vornehmlich durch das Musizieren z. B. im Klassenraum, und vorlautes Verhalten charakterisiert sind, so z. B., als Peter während eines Tadels des Direktors diesen verbessert. Des Weiteren wird der Zusammenhalt innerhalb der männlichen Peergroup deutlich, als sie sich gegenseitig bei einer unangekündigten Klassenarbeit helfen zu bestehen. Die Mädchen sind hingegen wesentlich heterogener gezeichnet. Es scheint keinen Cliquenzusammenhalt zu geben, vielmehr zeichnet sich das Verhältnis der Mädchen untereinander durch Konkurrenz um die Aufmerksamkeit des attraktiven Musiklehrers Dr. Fellner aus. So macht sich Connys Mitschülerin Vera über deren Avancen mittels Blumen, die sie dem Lehrer heimlich auf sein Pult stellt, vor anderen lustig, um dann Dr. Fellner vor Connys Augen mit ihren weiblichen Reizen zu bezirzen. Vera ist auch die weibliche Figur, die im weiteren Filmverlauf den größten Raum nach Conny einnimmt. Sie verkörpert aus heutiger Sicht konservative Werte bezüglich der Rolle der Frau in der Gesellschaft. Während einer Unterredung mit dem Direktor, der ihr mit einem Schulverweis droht, da sie die Schuld für den unerlaubten Auftritt der Schüler außerhalb der Schule auf sich nehmen will, um den angebeteten Dr. Fellner von der Verantwortung dafür zu entlasten, antwortet sie auf die Äußerung des Rektors, es sei schade, eine gute Schülerin wie sie zu verlieren: „Über kurz oder lang werde ich ja sowieso heiraten, nicht?“ (01:10:44) Conny hingegen erträumt sich, einmal Musik studieren zu können und nicht Sprachen, wie es ihre Eltern erwarten. Im Kontrast zu Vera wird sie als wesentlich unschuldiger und zurückhaltender in Sachen Liebe charakterisiert, nichtsdestotrotz wird ihr starkes, romantisches Interesse an Dr. Fellner offensichtlich. Die Eltern- bzw. Lehrergeneration wird bezüglich Gendermodellen vornehmlich von dem Musiklehrer Dr. Fellner, dem Internatsgründer Herrn Dr. Werneck und der Lehrerin Frl. Säuberlich dargestellt. Dr. Fellner gibt Veras Avancen der Lächerlichkeit preis, verbittet sich diese jedoch auch nicht, sondern kokettiert eher damit, als er ihr den Rat gibt, dass er am nächsten Abend allerdings erst eine Stunde später auf dem Flur vorbeikäme, wenn sie ihm dort erneut auflauern wolle. Des Weiteren nimmt er die Schüler in Schutz, als sie damit auffliegen, dass sie sich nachts heimlich vom Schulgelände entfernen, um mit Auftritten Geld für Peter zu verdienen. Er steht also für die moralisch „richtigen“ Werte, dass man zur Hilfe eines Freundes, letztendlich für die Rückkehr Peters zu Bildung und schulischer Erziehung, also der Werte, für die das Internat steht, sich ausnahmsweise auch über schulische Ordnung hinwegsetzen darf. Dies wird als Deutungsoption durch Dr. Werneck als oberste richtende Instanz bestätigt, der das Problem des ungezügelten Musizieren dadurch domestiziert, dass Musik als Schulfach, also in die anerkannten Strukturen der schulischen Erziehung, eingebettet wird und damit ja kein normabweichendes

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Verhalten mehr darstellt. Er ist damit derjenige, der Werte als richtig oder falsch vorgibt und auch entsprechende Absolution bezüglich renitentem Verhalten erteilt. Im Kontrast dazu erscheint Frl. Säuberlich (die keinen Doktortitel wie all ihre männlichen Kollegen hat), die streng konservative Werte verfolgt und diese ohne Rücksicht auf die Umstände auch einfordert. Sie wird als autoritätenhörig dargestellt, wohingegen sie Unterstellte auch als moralisch weniger wert einstuft, wie man an ihrem Verhalten gegenüber Dr. Werneck beobachten kann. Bei der ersten Gelegenheit diffamiert sie ihn ohne Zögern als Dieb, als sie noch davon ausgeht, er sei der neue Hausmeister, wohingegen sie klaglos ihre Kündigung entgegennehmen will, als sie feststellen muss, dass er der Internatsbesitzer ist. In diesen Szenen wird sie als Figur der Lächerlichkeit preisgegeben und dient der Belustigung der Zuschauer. So auch in einer Szene, als sie von einem Moment auf den anderen ihre Pflichten vergisst, als der attraktive Sportlehrer sie bezirzt. Dementsprechend wird auch sie als Frau so dargestellt, dass die Aufmerksamkeit eines Mannes sie von jedem Pflichtbewusstsein ablenkt, regelrecht ihren Verstand benebelt, da sie gar nicht bemerkt, dass er das Interesse an ihr nur vorgaukelt. Insgesamt spielen Frauen keine Rolle für die Erzählhandlung oder die Problembehandlung, sie sorgen eher für Slapstickelemente. Selbst Conny bleibt relativ farblos, wohingegen das Schicksal Peters die Filmhandlung bestimmt und innerhalb eines festlichen Aktes – des Schulfestes – seinen Abschluss findet. Wenn man nun die Darstellung der beiden Protagonisten Conny und Peter im Vergleich betrachtet, wird zunächst deutlich, dass Peter, dadurch dass er im Mittelpunkt der Erzählhandlung steht und der Weitergang seines Schicksals die Erzählhandlung vorantreibt, etwas facettenreicher gezeichnet wird als Conny. Er sieht sich in der Pflicht, die Rolle des Versorgers einzunehmen, als seine Mutter krank wird. Ihm wird damit Verantwortungsbewusstsein und Familiensinn zugesprochen. Er teilt Conny seine Zukunftsträume mit – eine Band mit ihr als Sängerin und seine Zuneigung zu Conny wird offenbar. Seine schulischen Leistungen sind eher schlecht, weshalb dann auch ein Stipendium für Leistungen, die dem Ansehen der Schule zuträglich sind, seine weitere Schulbildung dort ermöglicht – theoretisch müsste dieses Stipendium dann auch Conny verliehen werden, da sie beide die Köpfe der Schulband sind, aber um Conny geht es hier eben nicht. So bleibt ihre Enttäuschung darüber, Sprachen studieren zu müssen, unkommentiert. Es wirkt zudem zunächst so, als sei Conny die treibende Kraft bei der Hilfsaktion, heimlich Konzerte zu geben, aber die entscheidenden Impulse und Hilfestellungen zur Konfliktbewältigung geben männliche Figuren (Dr. Werneck, Dr. Fellner). Dramaturgisch interessant ist zudem die musikalische Inszenierung von Gender durch den Auftritt von Conny und Peter auf dem abschließenden Schulfest. Peter trägt zunächst „Sugar Sugar Baby“ vor, ein Lied, in dem es darum geht, dass er bei all den vielen Frauen, die er kennt, nur bei seinem Sugar Baby bleiben kann, wenn sie auch lieb zu ihm ist. Conny singt im Anschluss „Jolly Joker“, das vom Schicksal handelt. So ergibt sie sich dann also auch ihrem Schicksal in dem dritten Stück, das die beiden gemeinsam zum Besten geben, in dem es um romantische Liebe geht. Das Ende des Films wird also schon vorweggenommen – Conny erhört Peters Liebe.

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Die tradierten Rollenbilder werden hier demnach zu keiner Zeit durch die junge Generation, dargestellt durch Conny und Peter, in Frage gestellt und müssen damit auch nicht angepasst werden, sie werden vielmehr in ihrer Richtigkeit bestätigt. Sie muss lieb zu ihm sein, damit er sich keine andere erwählt, und sie ergibt sich diesem, ihrem Schicksal, indem sie seine Liebe erhört. 2.2

ZwischEn sElbst- und frEmdbEstimmunG – „dirty dancinG“

Im Mittelpunkt der Handlung steht Baby, die mit ihren Eltern und ihrer Schwester in ein elitäres Ferienressort fährt. Dort lernt sie den Tanzlehrer Johnny und dessen Tanzpartnerin Penny kennen. Als Penny wegen einer ungewollten Schwangerschaft ausfällt und damit droht, dass sie und Johnny ihren Job verlieren, hilft Baby den beiden, indem sie Pennys Rolle als Johnnys Tanzpartnerin einnimmt – hinter dem Rücken der Eltern. Bei den Tanzproben verlieben sich Baby und Johnny und beginnen eine Affäre. Als Penny nach einer missglückten Abtreibung droht zu verbluten, holt Baby ihren Vater, Dr. Houseman, der Arzt ist, zu Hilfe, der sie rettet. In der Folge glaubt er, dass Johnny für die Schwangerschaft und den Abbruch verantwortlich sei und verbietet Baby den Umgang mit den Tänzern. Als Johnny dann ungerechtfertigter Weise des Diebstahls bezichtigt wird und deshalb gefeuert werden soll, gesteht Baby vor ihrer Familie und dem Hoteldirektor ein, dass sie zur fraglichen Tatzeit mit Johnny zusammen war und macht damit ihre Liebesbeziehung öffentlich. Dennoch wird Johnny gefeuert und verlässt das Ressort. Bei einer festlichen Abschlussveranstaltung des Hotels erfährt der Vater, dass er Johnny bezüglich der Schwangerschaft Unrecht getan hat. Als Johnny dann unerwartet auftaucht und mit Baby den Abschlusstanz tanzt, kommt es zur Versöhnung zwischen Johnny, Baby und dem Vater. Schon in der ersten Szene werden zwei Frauen-Typen einander gegenübergestellt: Baby und ihre Schwester Lisa. Baby wird lesend gezeigt, man hört ihre Stimme aus dem Off erzählen, dass sie sich dem Friedenskorps anschließen will. Zusätzlich wird sie durch die Aussage „Das war der Sommer, in dem ich dachte, dass ich nie einen Jungen finden könnte, der so toll ist wie mein Dad.“ (00:02:14) als noch kindlich markiert. Auch ihr Äußeres vermittelt im Kontrast zu ihrer Schwester Unschuld; sie ist ungeschminkt, hat ihr Haar nicht frisiert und trägt unauffällige Kleidung. Lisa wird hingegen sich schminkend gezeigt, auch im Laufe des Films wird sie als oberflächlich dargestellt, sie interessiert sich nur für ihr Aussehen und Männer, für die sie auch ihre Moral bzgl. Sexualität über Bord wirft, um zu gefallen. Die Schwestern rivalisieren im Kampf um die Aufmerksamkeit des Vaters und verlieben sich jede in einen Hotelangestellten. Erst als beide die Enttäuschung ihrer Liebe erfahren müssen, akzeptieren sie sich gegenseitig in ihrer Unterschiedlichkeit. Im Filmverlauf wird deutlich, dass nicht nur Lisa, sondern auch die Mutter als eher naiv, regelrecht ignorant und oberflächlich dargestellt wird. So informiert der Vater sie weder über die Vorkommnisse bezüglich Pennys missglücktem Schwangerschaftsabbruch, in den Baby involviert war, vielmehr tut er ihre Nachfrage ab, noch bezieht er sie in Entscheidungen im Laufe des Films ein. Beide Frauen stehen

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im Kontrast zu Babys ausgeprägtem Sozialsinn und Bildungsdrang. Auf die Spitze getrieben wird diese Darstellung divergierender weiblicher Rollenbilder in zwei aufeinanderfolgenden Szenen, als die Familie nach gerade beendetem Abendessen vom Hoteldirektor Max und seinem Neffen Neil begrüßt wird und der Neffe sich dann im weiteren Verlauf des Abends mit Baby während des Tanzens unterhält: Mutter: Eine Schande, was alles übriggeblieben ist. In Europa verhungern doch immer noch Kinder. Baby: Ich glaube, Du meinst Südostasien, Ma. Mutter: Ah ja, richtig. Vater: Robbie [Kellner], Baby möchte die Bratenreste nach Südost-Asien schicken. Also alles, was wir nicht schaffen, wickeln sie bitte ein. Max, unser Baby möchte einmal die Welt verändern. Max: Und was willst Du verändern, Lisa? Baby: Lisa hält sich aus allem raus. Robbie: Das ist aber schade. […] Neil: Studierst Du Englisch als Hauptfach, hm? Baby: Nein, ich studiere Wirtschaftswissenschaften. (00:07:44) In diesen zunächst recht unscheinbaren Szenen zu Beginn des Films werden die handelnden Charaktere und deren Beziehung zueinander sowie die in der hier vorgestellten distinguierten Welt geltenden Rollenbilder vorgestellt. Baby wird eindeutig als anders, als nicht der gängigen Norm für eine junge Frau entsprechend markiert, indem sie sich zum einen in abfälligem Ton über Lisas Desinteresse äußert, obwohl diese, wenn man die Mutter betrachtet, ja anscheinend gängigen Gendererwartungen entspricht. Darüber hinaus wirkt der Kommentar des Vaters über Babys Ambitionen gegenüber Robbie jovial, wie man über die unbedachten Äußerungen eines Kindes sprechen würde, wodurch auch der Eindruck erweckt wird, sie sei noch kindlich-naiv oder vielmehr, im Kontrast zu den beiden anderen Frauen gesehen, als seien ihre Pläne, der Friedensbewegung beizutreten, zu belächeln. Zu guter Letzt wird Baby durch ihre Aussage, sie wolle Wirtschaft studieren, zusätzlich als unkonventionell charakterisiert, da nach konservativer Ansicht, wie sie Neil vertritt, junge Damen anscheinend Sprachen studieren. Neil dient auch im weiteren Verlauf des Films dazu, die hier gültigen Vorstellungen von der Rolle einer Frau vorzuführen, indem er mit Baby durchweg gönnerhaft und großväterlich spricht,

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als sei sie ein kleines Kind, obwohl er ihr eigentlich Avancen macht. Er versucht ihr gegenüber einen dominanten Mann zu verkörpern, der alles im Griff hat und alles für sie in die Hand nehmen könnte. Eine weitere Genderkonvention wird mit der Tänzerin Penny dargestellt, die ein vermeintlich lasterhaftes Leben führt, ohne familiäre Anbindung, mit wechselnden Sexualpartnern. Dadurch entspricht sie nicht den Genderkonventionen der elitären Hotelgesellschaft, wofür sie vermeintlich die Konsequenzen zu tragen hat, indem sie ungewollt schwanger wird. Überhöht wird dieser den Zuschauern nahegelegte Interpretationsstrang zusätzlich dadurch, dass sie nach der illegalen Abtreibung des unehelichen Kindes, womit sie eigentlich die Tilgung des Ereignisses und damit die Rückkehr in die Gesellschaft herbeiführen wollte, beinahe stirbt. Zu beachten ist an dieser Stelle, dass die Kontrastierung und Deutung der hier angelegten weiblichen Rollenbilder, verkörpert durch Baby und Penny, durch Farbsymbolik unterstützt wird. Baby trägt den gesamten Film über weiße bzw. helle Kleidung, Penny ausschließlich rote. Interessant ist eine weitere Frauenrolle, die am Rande eingeführt wird. Eine reiche, von ihrem Mann vernachlässigte Ehefrau, ebenfalls Gast in dem Ferienressort, macht sich mit eindeutig sexuellen Absichten an Johnny heran. Als dieser sie jedoch zurückweist, schläft sie mit dem Kellner Robbie. Als sie dann zufällig beobachtet, wie Baby aus Johnnys Zimmer kommt, nimmt sie Rache für die Zurückweisung und bezichtigt ihn ungerechtfertigter Weise des Diebstahls. Hier wird suggeriert, dass die promiske Frau Unheil bedeutet. Die Filmtheorethikerin Laura Mulvey beschreibt die Filmkonvention, dass weibliche Figuren, die sich durch ihre Promiskuität und/oder Egoismus auszeichnen, was innerhalb der Diegese immer zu Unheil führt, durch Tod oder gesellschaftliche Verdammnis erzählerisch „getilgt“ werden. Ebenso hier: Die Ehefrau bleibt am Ende des Films allein zurück, während alle anderen sich versöhnen. Sie verkörpert sexuelles Begehren und außerordentliche Bedrohung zugleich,16 daher wird sie aus der normsetzenden Ferienressortgesellschaft ausgeschlossen. Bezüglich der männlichen Rollenbilder des Films ist zunächst der Vater, Dr. Houseman, zu nennen, der hohe moralische Werte vertritt, die auch über dem Verhältnis zu seiner Tochter stehen. So wendet er sich von ihr ab, als sie sich nicht seinen Erwartungen entsprechend verhält und eigene Entscheidungen trifft, als sie versucht, Penny zu helfen. In der Folge wendet er sich verstärkt Lisa zu, obwohl er vormals ein wesentlich innigeres Verhältnis zu Baby hatte. Das Nichterfüllen von Rollenerwartungen – wobei hier sicherlich nicht nur das Verhätltnis zwischen männlicher und weiblicher Figur, sondern vornehmlich auch die Rollen Vater zu Tochter stark ins Gewicht fallen – führen dazu, aus dem elitären Raum, der sich stellvertretend durch das Ferienressort abbildet, ausgegrenzt zu werden. Demnach verkörpert der Vater die absolut normsetzende Instanz des gesamten Films, dessen Absolution unabdingbar für das Auflösen des im Mittelpunkt der Filmhandlung stehenden Konflikts ist: die Liebe zwischen Johnny und Baby.

16 Vgl. Laura Mulvey in: Braidt 2008, S. 77.

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Johnny, als männlicher Gegenpart zu Dr. Houseman, wird ebenfalls so inszeniert, dass er sich durch hohe moralische Werte auszeichnet, indem er sich aufopfernd um Penny kümmert und ihre Ehre verteidigt. Er ist es auch, der für Babys Ehre und regelrecht Rehabilitation in der elitären Gesellschaft kämpft, als er auf der Abschlussveranstaltung ans Mikrophon tritt und ihre hohe Moralität und Selbstlosigkeit kundtut. Erst das führt dazu, dass der Vater Baby verzeiht und den guten Charakter Johnnys anerkennt. Die Untadeligkeit seines Charakters wird bei ihm auch durch seine offensive Anziehungskraft auf Frauen nicht in Frage gestellt. Er wird zwar von vielen Frauen des Hotels begehrt, doch werden bei ihm wechselnde sexuelle Kontakte durch eine Szene legitimiert, als Baby ihn nach einer gemeinsam verbrachten Nacht darauf anspricht: Johnny: Hör mal. Ich glaube, ich muss Dir da was erklären. Du bist nichts und du hast nichts und plötzlich ziehst du den Anzug an und alle Frauen stürzen sich auf dich und die riechen so gut. Ich hätte nie gedacht, dass Frauen so sein könnten. Ich meine, du hast gar keine Chance, nein zu sagen. Und Geld haben sie auch noch, die können sich alles kaufen. Zwei-, dreimal am Tag drückt dir eine ihren Schlüssel in die Hand, einfach so. Weißt Du, am Anfang denkst du: ‚Bingo, Volltreffer, Du hast es geschafft.‘ Du nimmst die Sache ernst, du denkst, die haben sich alle in dich verknallt. Baby: Ja, ja, ist schon klar, verstehe, du hast sie nur benutzt. Johnny: Nein, nein, du verstehst gar nichts. Kein Wort, es war genau umgekehrt. Die haben mich benutzt. (01:01:21) Johnny wird hier als Opfer der Promiskuität von Frauen dargestellt, der verführt wurde, da er an Liebe glaubte und enttäuscht wurde. Damit ist sein sexuelles Verhalten sozusagen in gängige Werte eingepasst, Sexualität aus Liebe, wobei durchaus auch anklingt, dass er mehrere Frauen hatte und mit der Liebesnacht hoffte, im sozialen Status aufsteigen zu können. Dennoch wird sein Verhalten hier gerechtfertigt, während Pennys Verhalten durch die ungewollte Schwangerschaft stark „sanktioniert“ wird, wenn man der Deutung des Erzählstrangs folgt. Dennoch wird auch Pennys Moralität wiederhergestellt, indem sie Baby darüber aufklärt, dass sie nicht mit jedem schlafe, sondern dachte, Robbie, der Vater ihres unehelichen Kindes, liebe sie. Folglich wird nur Liebe als gesellschaftlich anerkannte Legitimation für Sexualität gesetzt, ob bei Mann oder Frau, aber bei weiblichen Rollenbildern wesentlich eindeutiger. Auch bei den männlichen Genderkonstruktionen gibt es einen Antihelden: der Kellner Robbie. Er verkörpert auf der männlichen Seite die Unmoral. Er hat zum einen Penny unter der Lüge, er liebe sie, geschwängert, übernimmt dann jedoch keinerlei Verantwortung dafür, vielmehr verleumdet er sie. In der Hoffnung, von Dr. Houseman sein Studium finanziert zu bekommen, macht er sich an Lisa heran,

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die er permanent bedrängt, mit ihm intim zu werden. Als diese sich jedoch zu lange ziert, schläft er mit der frustrierten Ehefrau. Abgesehen davon, dass Baby ihn wegen seines Verhaltens zur Rede stellt und Dr. Houseman ihm seine Unterstützung versagt, als dieser erfährt, dass nicht Johnny, sondern Robbie verantwortlich für Pennys Schwangerschaft ist, sieht er sich keinen weiteren Restriktionen ausgesetzt. Sein Verhalten wird zwar als männliche Identifikationsrolle in der filmischen Deutung missbilligt, jedoch zieht es keine Konsequenzen nach sich. Insgesamt werden in „Dirty Dancing“ die vorgeführten Charaktere wesentlich facettenreicher gezeichnet als in „Wenn die Conny mit dem Peter“. Sowohl Baby als auch Johnny kann man als tiefe Charaktere bezeichnen, da sie nicht nur eindimensional gezeichnet sind, sondern ebenfalls ihr Denken und die Motivation für ihr Handeln beleuchtet werden.17 Dabei steht Baby natürlich im Mittelpunkt der Darstellung, um die herum die Handlung und das Ereignis, das die Filmhandlung vorantreibt, aufgebaut werden. Auch wenn auf den ersten Blick der Eindruck vermittelt wird, dass hier ein junges Mädchen dargestellt wird, das sich aus den behütenden Fesseln des Vaters und den gesellschaftlichen Genderkonventionen löst, beeinflussen und entscheiden letztendlich doch zu jeder Zeit die Männer in ihrem Leben, wie ihr Schicksal weitergeht. So ist sie zwar vom ersten Moment an fasziniert von Johnny, aber erst als er sie zum Tanz auffordert, kommt sie mit ihm in Kontakt. Als er die Liebesbeziehung mit ihr wegen des Rauswurfs aus dem Hotel vorerst beendet, akzeptiert sie das klaglos. Den Höhepunkt erreicht die Fremdbestimmtheit durch Johnny bei der Abschlussveranstaltung, als er an den Tisch der Eltern tritt und den berühmten Satz spricht: „Mein Baby gehört zu mir.“ Sie steht daraufhin umgehend wortlos auf und lässt sich von ihm mit sich ziehen in Richtung Bühne. Ähnlich die Beziehung zum Vater: Solange ihr Handeln seinen Vorstellungen entspricht, haben sie ein inniges Verhältnis. Als sie dann Fehlverhalten an den Tag legt, entzieht er ihr seine Aufmerksamkeit und Liebe. Selbst als sie dann das Gespräch mit ihm sucht und sich unter Tränen dafür entschuldigt, dass sie ihn enttäuscht hat, ist er zwar betroffen, sagt aber nichts und verzeiht ihr auch noch nicht. Erst als am Ende Johnny für sie Partei ergreift, scheint der Vater zu erkennen, dass seine Tochter nach wie vor für die von ihm repräsentierten Werte steht und erteilt ihr Absolution, indem er lobt, wie sie getanzt hat und sie in den Arm nimmt. Baby, als Rollen- und Identifikationsbild einer vermeintlich modernen jungen Frau, ergibt sich konservativen Rollenerwartungen, indem sie das tut, was sie von den Männern in ihrem Leben gesagt bekommt. Ihr Handeln scheint auf die Zuneigung und Anerkennung des Vaters und Johnnys ausgerichtet zu sein, wodurch sie auch eher als Trophäe im Machtkampf der beiden Männer fungiert. Regelrecht exemplarisch spricht für diese Deutung, dass sie durch den Kosenamen „Baby“ (eigentlich heißt sie Francis, „wie die erste Frau im Kabinett“, 01:02:35)18 infantili-

17 Zum Aspekt der tiefen und flachen Charaktere siehe z. B. Wulff 1996. 18 Auch in der Namensgebung wird die Spannung, die in der Rollenkonstruktion von Baby angelegt ist, deutlich: einerseits die entindividualisierte, infantilisierte Namensgebung „Baby“ und andererseits die Namensgebung nach einer einflussreichen Frau, die gesellschaftlich einen Umbruch symbolisierte.

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siert wird (was durch die Rolle von Neil noch verstärkt wird) und dass Johnny erst nach der gemeinsam verbrachten Nacht fragt, wie sie eigentlich wirklich heißt – ihr Name und damit ihre Individualität scheint irrelevant. 2.3

das nEuE sElbstbEwusstsEin dEr mädchEn? – „savE thE last dancE“

Die Protagonistin Sara zieht nach dem Unfalltod ihrer Mutter aus der Provinz zu ihrem Vater nach New York. Dort kommt sie an eine Schule, auf die hauptsächlich die afroamerikanische Unterschicht geht. Sie freundet sich mit Chenille an, die sie in ihren Freundeskreis und in ihre Szene einführt, die musikalisch durch die Hip Hop-Tanzszene symbolisiert wird. Von Chenilles Bruder Derek lernt Sara den Tanzstil des Hip Hop und sie verlieben sich ineinander. Nach und nach stellt Derek fest, dass Sarah eigentlich eine passionierte und talentierte Balletttänzerin ist, was sie aber durch den Tod ihrer Mutter aufgegeben hat. Sarah fühlt sich schuldig am Tod der Mutter, da diese auf dem Weg zu Saras Aufnahmeprüfung für die renommierte Ballettschule Juilliard umgekommen ist. Derek ermutigt Sara, erneut an der Aufnahmeprüfung teilzunehmen, um ihren Traum, Primaballerina zu werden, zu verwirklichen. Der Film endet mit der erfolgreich bestandenen Aufnahmeprüfung. Sara wird von Beginn an als intelligent, ehrgeizig und zielstrebig charakterisiert. Zudem ist sie pflichtbewusst und brav. Sie lässt sich zunächst nicht von Jungen beeindrucken, sondern behauptet sich gegenüber Mitschülern, obwohl sie neu an der Schule ist und als Weiße in einer Schule, an der die meisten SchülerInnen einen Migrationshintergrund haben, die Rolle der Außenseiterin einnimmt. Sie kommt jedoch schnell in Kontakt mit Chenille, die Sara in der Schule anspricht und selbstverständlich in ihre Peergroup aufnimmt. Damit wird Chenille als vorurteilsfrei und weltoffen eingeführt. Sie verhält sich Sara gegenüber zudem loyal, als sie von anderen afroamerikanischen Mädchen verbal attackiert wird. Dennoch werden Sara und Chenille im Kontrast zueinander dargestellt: Sara kommt aus einem behüteten, wohlhabenden Leben mit ihrer ihr nahestehenden Mutter. Nun muss sie bei ihrem Vater in einfachen Verhältnissen leben, zu dem sie jahrelang keinen Kontakt hatte, wodurch sie ihn zunächst ablehnt. Dennoch gehört sie zu einer anderen sozialen und gesellschaftlichen Schicht als Chenille, die aus einem desolaten Elternhaus mit drogensüchtiger Mutter, die sie verlassen hat, kommt. Chenille ist zudem alleinerziehende Mutter und lebt bei ihrer Großmutter. Chenille ist vermeintlich sehr tough, sie weiß, was sie will und scheut keine Konflikte. Wenn sie jedoch auf den Vater ihres Sohnes trifft, scheint sie völlig willenlos und lässt sich trotz seines verantwortungslosen Verhaltens bzgl. des gemeinsamen Kindes immer wieder auf ihn ein. Bei den männlichen Rollenbildern im Film kann man einzig Derek hervorheben, der als tiefer Charakter für die Filmhandlung eine weiterführende Rolle spielt. Derek ist trotz seines bildungsfernen und sozial schwierigen familiären Hintergrunds sehr ambitioniert – er möchte Arzt werden. So entsteht eine Konkurrenzsituation während Saras erster Unterrichtsstunde gemeinsam mit Derek in einer Klasse, da beide wie in eine Art Wissens-Wettstreit ausbrechen. Dadurch wird auch er als

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außerordentlich intelligent, besonders im Vergleich zu seinen MitschülerInnen, dargestellt. Somit wird auch schon zu Beginn des Films deutlich, welche Figuren die sind, die zur Identifikation für die Zuschauer angeboten werden, da diese für gesellschaftlich und moralisch zu befürwortende Werte stehen. Darüber hinaus ist Derek sehr selbstbewusst, hilfsbereit und besitzt gute Manieren, da auch er sich Sara trotz der zunächst bestehenden Konkurrenzsituation annimmt, um ihr den Eintritt in die neue Subkultur und die neue Peergroup zu erleichtern. Durch diesen Kontakt, der zunächst nur auf Hilfsbereitschaft beruht, verlieben sie sich, sodass sich Sara ihm gegenüber öffnet und über ihre Schuldgefühle spricht. Sie wirft sich vor, am Tod ihrer Mutter Schuld zu sein, da sie glaubt, die Mutter sei nur deshalb mit überhöhter Geschwindigkeit in den tödlichen Unfall geraten, weil sie sich beeilen musste, um noch rechtzeitig zu Saras Aufnahmeprüfung zu kommen. Neben der Beziehung zu Sara hat Derek ein enges Verhältnis zu seinem Freund Malakai, der wegen einer gemeinsam begangenen Straftat die Schuld auf sich allein genommen hat und dafür im Gefängnis einsaß. Es besteht demnach eine große Loyalität zwischen den beiden, obwohl sie als kontrastierende Rollenbilder inszeniert werden. Malakai ist nach wie vor kriminell, gewalttätig, auch gegenüber Frauen, und sucht die Konfrontation mit anderen Straßenbanden. Derek versucht sich dem zu entziehen, kann aber zunächst aufgrund seines Pflichtgefühls keinen Abstand von Malakai nehmen. Er versucht, ihn von seinen Werten zu überzeugen, was Malakai als Verrat an ihm und ihrer Freundschaft ansieht, genauso wie die Beziehung zu Sara, die er als Grund für Dereks Sinneswandel interpretiert. Derek muss sich also zwischen den Werten, die Sara verkörpert, und denen, die Malakai verkörpert, entscheiden und sagt sich direkt vor einer Bandenkriegauseinandersetzung von Malakai los. Die Situation endet damit, dass Malakai nach einer Schießerei festgenommen wird. Der Film macht damit deutlich, dass das männliche Rollenbild, wie es durch Malakai vetreten wird, gesellschaftlich abgelehnt und geahndet wird bzw. aus der Gesellschaft verbannt wird. In Bezug auf das Verhalten von weiblichen und männlichen Jugendlichen ist bei „Save the last dance“ ein deutlicher Unterschied hinsichtlich der Rollenbilder im Vergleich zu den Filmen der 1980er-Jahre, wie „Dirty Dancing“, festzustellen. Mädchen legen die gleichen Verhaltensweisen an den Tag wie Jungen, im Besonderen im gegengeschlechtlichen Kontakt, sie adaptieren die männlichen Verhaltensweisen, um sich zu behaupten, und treten in einen Wettstreit ein. Ein Beispiel aus „Save the last dance“ soll das verdeutlichen, als Chenille einen Bekannten bittet, Sara einen gefälschten Ausweis zu besorgen, um ihr Eintritt in einen Tanzclub zu verschaffen: Chenille: Snook, die Kleine muss unbedingt ins Steps rein, wir müssen sie ein bisschen unter die Leute bringen, verstehst du? (zu Sara) Gib ihm ’n Zwanziger. Sara: Wofür?

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Snook: Eintritt. Du denkst wohl, dein weißes Näschen reicht, um reinzukommen. Ha, nein, nein, da braucht man schon ’n Ausweis. (zu Chenille) Deine kleine Freundin ist doch ein lahmer Vogel, oder? Ich muss auf meinen Ruf achten, ich kann doch nicht jede Spießerbraut, die mit dem Arsch wackelt, da rein lassen. Sara: Du redest ’n Haufen Scheiße für jemanden, der nichts zu sagen hat. Chenille: Oh. (Lachen, auch von Derek anerkennendes Lachen). (zu Sara) Also, rückst du jetzt den Zwanziger raus, oder nicht? Sara: Ich weiß gar nicht, wo der Laden ist. Chenille: Ich geb Dir meine Adresse, du kommst zu mir und wir gehen zusammen dahin. (zu Snook) Und von Dir will ich ’n Ausweis. Derek: (zu Sara) Im Steps gibt’s kein Squaredance. Sara: Ist schon ok, ich werde Kreise tanzen, wahrscheinlich um dich rum. (anerkennendes Lachen von Derek und Snook) (00:22:34) Obwohl auch in den 1980ern Mädchen bereits tougher und aufmüpfiger dargestellt werden (wenn man z. B. an „Footloose“ von 1984 denkt) und nicht immer so folgsam wie Baby, ist der entscheidende Unterschied, dass sich Mädchen dennoch typisch mädchenhaft verhalten und z. B. rebellieren, indem sie mit ihren Reizen provozieren und sich ihre gesamte Aufmerksamkeit um Jungen dreht, während diese untereinander Kräfte messen, z. B. durch Schlägereien oder Autorennen, und einen dominanten Part gegenüber den Mädchen einnehmen. In „Save the last dance“ werden weibliche und männliche Jugendliche auf den ersten Blick ähnlich dargestellt, ohne ein klar zugeordnetes Abhängigkeits- oder Dominanzverhältnis.19 So werden auch zwei Szenen im Wechsel aneinandergeschnitten, die diesen Eindruck evozieren. Zunächst werden die Mädchen im Sportunterricht beim Basketball gezeigt. Die Szene mündet darin, dass sich Sara mit einem um Derek konkurrierenden Mädchen prügelt. Im Gegenschnitt dazu sieht man, wie auf Derek und Malakai ebenfalls während eines Basketballspiels von einer befeindeten Gang geschossen wird. Dennoch wird hier in Bezug auf die weiblichen Rollenbilder deutlich, dass sich die Motive für Konkurrenz von den 1950er-Jahren bis heute nicht geändert haben: der

19 Interessanterweise wird auch bei der Neuverfilmung von „Footloose“ aus dem Jahr 2011 (USA, Regie: Craig Brewer) bei einer Schlägerei die Darstellung im Vergleich zum Original dahingehend verändert, dass nun auch die Mädchen sich tatkräftig gegen die Angreifer zur Wehr setzen, während sie im Original nur kreischend daneben stehen und ihre männlichen Freunde anfeuern.

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Kampf um männliche Aufmerksamkeit. Wenn es um Männer geht, geraten Mitschülerinnen, Schwestern und sogar beste Freundinnen in Streit, so wie auch Chenille und Sara sich streiten, da Chenille, frustriert von der Verantwortungslosigkeit der meisten Männer ihrer gesellschaftlichen Schicht, Sara beschuldigt, mit Derek Frauen wie ihr einen der wenigen Männer wegzunehmen, die Moral und Anstand besitzen, obwohl es in ihrer „weißen Welt“ doch genug davon gäbe. Dass an dieser Stelle der bis dahin schwelende Konflikt – in diesem Film durch den Tanz symbolisiert – verhandelt wird, seinen Höhepunkt findet, soll an dieser Stelle außer Acht gelassen werden. Wie bei „Dirty Dancing“ steht auch bei „Save the last dance“ das Schicksal einer weiblichen Protagonistin im Mittelpunkt der Handlung. Schon bei „Dirty Dancing“, der stellvertretend für das Gros der Filme seiner Zeit steht (auch wenn die Handlung des Films in den 1960er-Jahren spielt), wird den Zuschauern eine junge Frau präsentiert, die sich aus gängigen Genderkonventionen zu lösen scheint und ihren eigenen selbstbestimmten Weg gehen will. In den 2000er-Jahren wird mit „Save the last dance“ der Eindruck erweckt, dass Rollenbilder und Gendererwartungen keine Rolle mehr spielen, sondern sich die Repräsentationen von Gender im Blick der Öffentlichkeit angenähert haben und damit der Konflikt oder das Befreien aus Gendererwartungen, egal ob auf weiblicher oder männlicher Seite (wenn man z. B. an „Denn sie wissen nicht, was sie tun“ von 1955 denkt), nicht mehr diskutiert werden muss – zumindest wenn man den filmischen Diskurs betrachtet. Wenn man jedoch einen eingehenderen Blick auf die Repräsentation von Genderverhältnissen wirft, der über oberflächliche Verhaltensmerkmale hinweggeht, entsteht ein ganz anderes Bild. So steht bei „Save the last dance“, wie bereits erwähnt, Saras Entwicklung und das Gelingen ihres Schicksals im Mittelpunkt des Interesses. Sie akzeptiert ohnmächtig ihre Situation, dass sie aus ihrem alten Leben herausgerissen wird, und kann nicht aus eigener Kraft an ihrem Traum, Primaballerina zu werden, festhalten. Erst durch Derek kann sie sich mit ihren Schuldgefühlen auseinandersetzen, und nur er kann ihr begreiflich machen, dass sie nicht Schuld am Tod der Mutter ist. So findet sie auch erst durch das Tanztraining und einen Ballettbesuch auf seine Initiative hin zurück zu ihrem Traum und nimmt erneut an der Aufnahmeprüfung für die Ballettschule teil. Er hingegen löst sich aus eigener Kraft aus dem Einfluss Malakais und bekommt aufgrund seiner guten schulischen Leistungen die Zusage für ein Medizinstudium. Im Gegensatz zu Sara, die auch die Beziehung zu Derek beendet, da sie dem gesellschaftlichen Druck nicht standhält, als Weiße eine Beziehung zu einem Schwarzen zu haben, kämpft Derek um die Beziehung. So verwundert es beinahe nicht, dass sie, nach der Trennung von Derek, alleine bei der Aufnahmeprüfung zunächst versagt. Erst als Derek in den Saal gestürmt kommt, um sich mit ihr zu versöhnen, fühlt sie sich bereit, die Prüfung bestehen zu können. Er antwortet für sie auf die Frage der Auswahlkommission der Tanzschule, ob sie nun bereit sei: „Ja, Sir, das ist sie.“ Erst mit Dereks Unterstützung ist sie in der Lage, ihr Schicksal in die Hand zu nehmen bzw. nimmt er es für sie in die Hand. Eine Auffälligkeit, die im Kontext von Gender ebenfalls festzustellen ist, ist die, dass es häufig eine richtende Instanz gibt, die über das Schicksal der jugend-

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lichen ProtagonistInnen entscheidet und damit auch die Deutung festlegt, welche Werte und Normen die richtigen, die gesellschaftlich wünschenswerten sind und damit auch, welche Figuren das erwartete Rollenbild erfüllen bzw. wann sie es wieder erfüllen. Man denke an Dr. Werneck bei „Wenn die Conny mit dem Peter“, an Dr. Houseman bei „Dirty Dancing“ und hier den Vorsitzenden der Auswahlkommission, der Saras Zukunft besiegelt, und damit die repräsentierten Werte in ihrer Richtigkeit bestätigt oder als normerfüllend anerkennt. Bezeichnender Weise wohnt diese schicksalsweisende Autorität, über Recht oder Unrecht zu entscheiden, in der filmischen Konstruktion meist männlichen Figuren inne. 3

ALTE GENDERKONVENTIONEN IN NEUEM GEWAND

Wie bereits festgestellt, hat sich im filmischen Diskurs bezüglich der Genderkonstruktion von den 1950er- bis in die 2000er-Jahre hinein nur auf den ersten Blick etwas verändert. So lassen sich verschiedene Aspekte der Darstellungsformen von Rollen ausmachen, die über die Jahrzehnte hinweg tradiert werden, jedoch eine medienethische Dimension aufweisen, die es kritisch zu diskutieren gilt. Zunächst einmal grundlegend die Darstellung weiblicher Jugendlicher als abhängig von männlichen Bezugspersonen, denen damit auch eine Autoritäts- und Machtposition gegenüber anderen eingeräumt wird, aus medien- und gesellschaftsethischer Sicht kritisch zu hinterfragen. Hinzu kommt, dass im gesellschaftlichen Diskurs über weibliche Interessen, wie sie im Film dargestellt werden, zwar nicht mehr ausschließlich das gesamte Streben auf die Aufmerksamkeit und Liebe eines Mannes ausgerichtet ist, jedoch spielt dieses Merkmal weiterhin eine wichtige Rolle. Sicherlich hat sich besonders die Darstellung von Mädchen als ausgesprochen intelligent, selbstbewusst und zielstrebig verändert, jedoch bleibt der Mann als Mittelpunkt weiblicher Aufmerksamkeit erhalten. Genauso wenig hat sich das präferierte männliche Rollenbild in der filmischen Darstellung gewandelt. Die männlichen Protagonisten stellen sich den an sie angelegten Erwartungen, bekommen zwar Verständnis und Trost von Frauen, müssen aber allein ihren Weg finden, sind autoritär und tragen letztendlich die Verantwortung für das Schicksal anderer, im Besonderen für die von ihnen als „abhängig“ dargestellten Frauen. Wenn man sich nun erneut vergegenwärtigt, dass Filme bei RezipientInnen zur Konstruktion von Bildern von der Welt dienen, Skripte aufgebaut werden, nach denen Wahrnehmungen verstanden, eingeordnet und bewertet werden, um die Komplexität von Eindrücken zu reduzieren, die uns andernfalls bei der Vielzahl an Sinnesreizen, die tagtäglich auf uns einprasseln, überfordern würde, dann ist es als problematisch zu bewerten, dass in Filmen scheinbar überholte Rollenbilder tradiert werden und als präferierte Deutung dem bzw. der ZuschauerIn als Identifikationspotenzial dargeboten werden. Sicherlich kommt zudem noch ungünstig hinzu, dass die Inhalte von Jugendfilmen nicht nur Fiktion sind, sondern auch diskursiven Gehalt haben, indem sie auf eine mögliche Wahrheit oder Realität verweisen und diese verhandeln. Das soll heißen, dass Jugendfilme, die sich als Hauptzielgruppe ja an Jugendliche richten, Situationen und Probleme von Jugendlichen, wie sie in der

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Wirklichkeit stattfinden könnten, widerspiegeln, diese verhandeln und eine Lösung anbieten. Um Identifikation zu ermöglichen, muss ein gewisser Realitätsanspruch gewährleistet sein, auch wenn häufig, außer es handelt sich um kritische Filme über Drogen, Gewalt etc., eine Idealisierung von Liebe und Freundschaft dargeboten wird. Da Jugendliche sich auch in der Realität in einem Findungsprozess befinden, in einem Transformationsprozess, indem sie, wie es in der Entwicklungspsychologie beschrieben ist, Entwicklungsaufgaben bewältigen müssen, um zu einem selbstbestimmten Mitglied der Gesellschaft werden zu können20, können besonders auch Impulse der Massenmedien dazu führen, dass sich unterbewusst ein Bild davon formt, wie ein Mann bzw. eine Frau zu sein hat, um in der hiesigen Gesellschaft anerkannt zu werden und erfolgreich zu sein. Besonders die Vielzahl an medialen Bildern, die die immer gleichen Schemata bezüglich Gender darbieten, vermittelt den Eindruck, dass die medialen Inhalte der Wirklichkeit entsprechen. Zusätzlich überraschend und problematisch kann die Tatsache sein, dass in den Mainstream-Filmen der 2000er-Jahre zumeist gar nicht mehr thematisiert wird, dass es Gendermodelle gibt, die es in Frage zu stellen gilt. Gerade dadurch, dass der Widerspruch von traditionellen Rollenbildern zu neuen Anforderungen an Genderkonstruktionen nicht mehr thematisiert wird, wie noch in „Dirty Dancing“, wird vielmehr der Eindruck vermittelt, als seien männliche und weibliche Figuren „gleich“, was bezüglich des Verhaltens innerhalb der Peergroup, der Gebärden und Sprache der inszenierten Jugendwelten ja auch nahegelegt wird. Erst wenn man reflektiert, wie männliche und weibliche Figuren bezüglich der Bewältigung von Aufgaben, die eigene Zukunft zu bestimmen, Entscheidungen zu treffen, also letztlich Verantwortung für ihr Leben zu übernehmen, dargestellt werden, stellt man fest, dass hier traditionelle Rollenbilder tradiert werden, die man für überholt glaubte. Doch dieser Schritt auf eine Metaebene des Diskurses ist für RezipientInnen sicherlich schwierig, da die inszenierten Geschichten auf der Oberfläche Gleichheit suggerieren, aber mit der Figurenhandlung (Tiefenstrukturebene) gegenteiliges vermitteln. Besonders Mainstream-Filme oder auch Popcorn-Kino, wie es der Name schon impliziert, werden in erster Linie zur Unterhaltung geguckt, spannende, amüsante oder tragische Inszenierungen sind für die Zuschauer von Bedeutung, nicht der Blick auf Deutungen, die darüber hinaus mitvermittelt werden. Daher scheint es umso wichtiger, dass in einem Massenmedium wie dem Film, dem man unweigerlich eine entscheidende Rolle innerhalb gesellschaftlicher Diskurse zugestehen muss, eine zeitgemäße Darstellung von Rollenbildern innewohnen zu lassen, um dadurch auch gesellschaftliche und kulturelle Entwicklungen zu befördern.

20 Vgl. Oerter/Montada 2002, S. 266ff.

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„VERTAUSCHTE“ ROLLENBILDER: ALTERNATIVE GENDERANGEBOTE

Abschließend soll noch ein kurzer Blick auf die derzeitigen Produktionen geworfen werden bzw. sollen zwei Positivbeispiele als Ausblick bezüglich Genderkonstruktionen dienen: „Tribute von Panem – the Hunger Games“ (USA 2012, Regie: Gary Ross) und „Snow White and the Huntsman“ (USA 2012, Regie: Rupert Sanders). „Tribute von Panem“ ist eine Romanverfilmung der Bestsellertrilogie von Suzanne Collins. Die Handlung ist in einer nicht genau zu definierenden Zukunft situiert sowie auch der Ort der Handlung fiktiven Ursprungs ist. Die Protagonistin Katniss lebt in einem der armen Randbezirke der Stadt, während ein elitärer Teil der Bevölkerung im Zentrum der Stadt, dem Kapitol lebt, der über die Randbezirke herrscht. Jedes Jahr veranstaltet das Kapitol ein riesiges Fernsehspektakel, die sogenannten Hungerspiele, an dem aus jedem Randdistrikt ein Junge und ein Mädchen teilnehmen und gegeneinander in einer künstlich geschaffenen Wildnis kämpfen müssen, bis nur noch eine/r am Leben ist. Neben Katniss muss auch der Bäckerssohn Peeta für ihren Distrikt daran teilnehmen. Auffällig ist an dieser Verfilmung, deren Rollenbilder natürlich durch die literarische Vorlage angelegt sind, dass Katniss hier als ‚untypisches‘ Mädchen dargestellt wird. Sie geht mit einem Freund zusammen jagen (worauf die Todesstrafe droht), wodurch sie exzellent mit Pfeil und Bogen umgehen kann. Sie kann Fallen stellen und sehr gut klettern. Sie behütet damit ihre Mutter und Schwester vor drohenden Hungersnöten, ist also die Ernährerin der Familie. Schon direkt zu Beginn äußert sie in einem Gespräch mit Gale, ihrem Jadgkumpanen, dass sie keine Kinder möchte, da sie sie nicht dieser Welt aussetzen wolle. Als sie sich dann freiwillig anstelle ihrer Schwester, die eigentlich ausgelost wurde, meldet, um an den Spielen teilzunehmen, reißt sie sich zusammen und beginnt nicht zu weinen, um ihrer Mutter und Schwester den Abschied zu erleichtern – im Gegensatz zu Peeta. Auch wenn man sich das äußere Erscheinungsbild von Katniss ansieht, fällt auf, dass sie nicht geschminkt ist und ihre Kleidung unauffällig. Als sie dann später von Stylisten für den Auftritt in der Fernsehshow vorbereitet wird, wird deutlich, dass sie nicht den Schönheitsidealen der als pervertiert dargestellten Gesellschaft des Kapitols entspricht. Auch ihre Umgangsmanieren schockieren ihre Mentorin aus dem Kapitol, da sie stets ihre Meinung sagt, teilweise unhöflich ist und sich nicht vor auch handgreiflichen Auseinandersetzungen scheut. Zudem ist es ihr zuwider, sich zu verstellen und ein liebes und lustiges Mädchen darzustellen, wie es die Zuschauer von einem Mädchen erwarten. Ganz anders Peeta, der sich humorvoll und liebenswert präsentiert. So ist es auch er, der während eines Fernsehinterviews seine Liebe zu Katniss gesteht und damit die Tragik offenbart, dass er in den Spielen, selbst wenn er gewönne, seine große Liebe durch den Tod verloren hätte. Wie sich andeutet, werden in dem ersten Teil von „Tribute von Panem“ gängige mediale Rollenbilder regelrecht vertauscht. Sie ist mutig, kann kämpfen und jagen, beschützt andere, hat keinen Respekt vor Autoritäten und amouröse Momente scheinen ihr zuwider. Peeta ist hingegen der sensible, nachdenkliche, der Gefühle zeigt. Er zeichnet sich nicht durch seine

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Kampfkunst aus, sondern kann gut malen, wodurch er ein Meister der Tarnung ist. Er tritt jedoch nicht, wie es sonst für das Modell von Männlichkeit üblich ist, in Konkurrenzkampf mit Katniss, sondern gibt offen zu, dass sie ihm überlegen ist. Auf die Spitze getrieben wird der Tausch klischeehafter Rollen an einer Stelle im Film, als Katniss und Peeta zusammen auf Nahrungssuche gehen und er äußert, er könne ja mit ihrem Bogen jagen gehen, worauf sie ihn irritiert anblickt. Peeta löst die Situation lachend auf, indem er sagt, dass natürlich sie jagen gehe, während er Beeren sammelt. Hier wird also auf die Urform männlicher und weiblicher Rollenbilder, Jäger und Sammler, referiert und sie für diese Situation als absurd dargestellt. Das einzige „männliche“ Attribut, dass ihm zugestanden wird, ist, dass er außergewöhnlich stark ist. Dennoch scheint ihm diese Stärke im Laufe des Films nicht sonderlich viel zu bringen, vielmehr ist es Katniss, die ihn rettet, als er seiner Verwundung zu erliegen droht, indem sie sich dem Kampf mit den anderen Jugendlichen stellt, um an Medizin für ihn zu gelangen. Konsequenterweise wird der finale Kampf unter den letzten drei Überlebenden, zu denen Peeta und Katniss gehören, als gleichberechtigt dargestellt, bis der Konkurrent Peeta in den Schwitzkasten nimmt und damit droht, wenn Katniss ihn mit einem Pfeil erschieße, auch Peeta mit in den Abgrund zu lauernden Raubtieren zu reißen. Daraufhin erweist sich Katniss als so geistesgegenwärtig und schießt ihm in die Hand, sodass Peeta aus dem Schwitzkasten freikommt und den Konkurrenten in den Abgrund stößt. Als dann Katniss und Peeta glauben, sie kämen beide lebend aus dem Spektakel heraus, wird die während der Spiele geänderte Regel, dass zwei Personen aus dem selben Distrikt gewinnen können, wieder aufgehoben. Katniss und Peeta sehen sich in der Situation, dass nun einer von beiden den anderen töten muss. Während Peeta sich opfern will, überzeugt Katniss Peeta davon, dass sich beide gemeinsam töten und niemand gewinnt. Da für die Produzenten des TV-Spektakels ein Doppelselbstmord jedoch ein desaströses Finale wäre, küren sie Katniss und Peeta beide im letzten Moment als Sieger der Spiele. Damit hat Katniss auch dieses Mal ihr Leben und das von Peeta gerettet. Das männliche Rollenbild, wie es durch Peeta präsentiert wird, wird von einer weiteren Figur gestützt: Gale, Katniss’ Jagdkumpan. In den wenigen Momenten, in denen er gezeigt wird, wird deutlich, dass auch er in Katniss verliebt ist und ihn demnach die inszenierte Liebesgeschichte zwischen Peeta und Katniss, die er im Fernsehen verfolgen kann, schmerzt. Mit ihm wird also eine weitere männliche Figur dargestellt, die um die Liebe einer Frau buhlt und der Liebeskummer zugestanden wird. Insgesamt kann man in „Tribute von Panem“ also eine Verkehrung gängiger Rollenbilder feststellen, die aber zu keiner Zeit in Frage gestellt werden oder als außergewöhnlich gelten. Auch bei den anderen Jugendlichen, die aus anderen Distrikten geschickt werden, stehen die Mädchen den Jungen in Kampfeskunst und List in keiner Weise nach. Zwar wird Katniss von ihrem männlichen Mentor aufgezwungen, bei der Inszenierung der tragischen Liebesgeschichte mitzuspielen, um während der Spiele von geneigten Zuschauern protegiert zu werden, aber sie fügt sich dem nur widerwillig. Und letztendlich ist es ihr Mut, ihre Tapferkeit und List, die Peetas und ihr Schicksal besiegelt – zumindest soweit es der erste Teil zeigt.

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Lediglich die Bewohner des Kapitols, wie z. B. die Stylisten, empfinden Katniss als nicht normkonform. Da die Bürger des Kapitols jedoch völlig überzeichnet werden und damit völlig lächerlich, wie Karikaturen, erscheinen, werden deren Werte und Normen als nicht ernstzunehmend bis verabscheuungswürdig inszeniert. Als zweites Beispiel für veränderte Genderkonventionen soll eine aktuelle Märchenverfilmung hervorgehoben werden, die ebenfalls ungewöhnliche Gendermodelle präsentiert: „Snow White and the Huntsman“. Grundlage für den Film ist, wie es der Titel schon sagt, das Märchen von Schneewittchen. Auffällig ist zunächst, dass zu Beginn des Films explizit darauf hingewiesen wird, dass Snow White zwar auch von äußerlicher Schönheit ist, sich jedoch im Besonderen durch ihre innere Schönheit auszeichnet. Hierdurch wird auch der größte Unterschied zu ihrer Stiefmutter Ravenna aufgezeigt, der sich durch den gesamten Film fortsetzt: Ravenna zeichnet sich durch außergewöhnliche äußerliche Schönheit aus, sie ist aber durch und durch böse. Erstaunlicherweise gibt der Film schon zu Beginn eine Begründung für Ravennas Bosheit. In der Hochzeitsnacht, in der sie den König tötet, äußert sie: „Männer nutzen uns Frauen bloß aus. Sie verderben uns und wenn sie endlich fertig sind mit uns, dann werfen sie uns den Hunden zum Fraß vor.“ (00:07:25) Sie ist folglich nur dadurch böse, dass sie schon einmal miterleben musste, wie ihre Liebe und die Liebe anderer Frauen enttäuscht wurde. Sie glaubt, „wenn eine Frau ewig jung und schön bleibt, gehört die Welt allein ihr“ (00:07:41).Ungewöhnlich ist also, dass Motive für die Boshaftigkeit der „bösen Hexe“ genannt werden, während es im Märchen als gegeben gilt, dass die Hexe respektive die Stiefmutter böse ist, ohne dass es einer Erklärung bedarf. Ravenna bekommt hier ein Gesicht nicht nur dadurch, dass sie einen Namen hat (und nicht nur „böse Stiefmutter“ genannt wird), sondern auch, indem ihre Motive thematisiert werden, wenngleich sie trotzdem ihr ‚klassisches Märchenende‘ findet wird (und somit auch das klassische Ende einer Frau im Film, die Verderbnis bringt, wie oben schon erläutert). Damit wird zum einen auch vermittelt, dass innere Schönheit (Snow White) über die körperliche (Ravenna) siegt und damit goutiert wird. Zum anderen werden dem weiblichen Rollenbild hier mit Snow White schon typisch weibliche Werte zugesprochen wie Reinheit und Aufrichtigkeit. Bemerkenswert ist am Rande, dass die böse Stiefmutter in dieser Verfilmung einen Bruder an die Seite gestellt bekommt, der seiner Schwester hörig ist und alles dafür tut, dass sie bekommt, was sie möchte – eine völlig unterwürfige und willenlose Männerfigur also. Beide scheinen jedoch symbiotisch verbunden; als er im Laufe des Films ermordet wird, erlebt sie seine körperlichen Qualen ebenfalls. Snow White wird im Kontakt mit männlichen Figuren als selbstbewusst, bestimmend, mutig und tatkräftig inszeniert. Sie flieht aus eigener Kraft aus dem Turm, in den sie von Ravenna jahrelang gesperrt wurde, indem sie dem Bruder, als dieser sich an sie heranmachen will, einen Nagel in die Wange stößt. Sie entkommt den Soldaten der Königin und rettet sich durch die Abwasserkanäle mit einem Sprung in die Tiefe des Meeres. Im Laufe des Films wird Snow White jedoch auch mit einer übernatürlichen Deutung versehen, indem sie als die Auserwählte, als Inbegriff des Lebens charakterisiert wird. So bekommt sie von einem der Zwerge ein Schwert überreicht, mit dem sie zur Anführerin im Kampf gegen die Königin ernannt wird.

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Folglich ist sie es, die am Ende die Bevölkerung mit einer flammenden Rede mobilisiert, ihr in den Kampf zu folgen und in Rüstung der Armee vorwegreitet. Sie stürmt das Schloss, kämpft sich mit dem Schwert den Weg zur Königin frei und auch der finale Kampf findet zwischen ihr und der Königin statt. Die Männer an ihrer Seite wollen ihr zwar zur Hilfe eilen, werden aber von Ravennas Armee aufgehalten. In der Konsequenz endet der Film damit, dass Snow White die Königin tötet und am Ende zur Königin ernannt wird – ohne dass ein Mann an ihrer Seite steht. Snow White werden zwei Männerfiguren an die Seite gestellt: Huntsman und William. Huntsman ist eigentlich beauftragt, Snow White für die Königin wieder einzufangen, als Gegenleistung würde seine verstorbene Frau wiedererweckt werden. Als dieser Snow White findet, jedoch um seinen Lohn betrogen wird, verbündet er sich mit Snowwhite und bringt ihr das Kämpfen bei. Er nimmt also nicht die klassische Beschützerrolle ein, sondern zeigt ihr, wie sie sich selbst verteidigen kann. Das Verhältnis der beiden zueinander ist zunächst durch gegenseitigen Argwohn gekennzeichnet. Er versucht ihr Anweisungen zu geben, an die sie sich jedoch nicht hält. Im Laufe des Films kommt es z. B. zu einer Auseinandersetzung mit einem Riesen, der Huntsman beinahe tötet. Snow White, die eigentlich im Hintergrund bleiben sollte, stürmt schreiend auf das Monster zu und starrt es wortlos an, woraufhin der Riese von ihnen ablässt. Sie rettet Huntsman demnach durch Unbeugsamkeit, Mut und Willensstärke. Im Kontrast dazu erscheint William. William widersetzt sich seinem Vater und zieht los, um Snow White nach ihrer Flucht aus dem Schloss vor den Verfolgern der Königin zu retten. Als er sie findet, entschuldigt er sich bei ihr dafür, dass er sie damals, als sie als Kind von der Königin verschleppt wurde, nicht gerettet habe, worauf sie nur antwortet, dass lediglich das Heute zähle und ihn stehen lässt. Des Weiteren gesteht er Snow White bei einem einsamen Spaziergang im Wald, dass er sie am liebsten weit fortbringen und beschützen wolle, woraufhin sie die Initiative ergreift und ihn küsst. Allerdings muss Snow White daraufhin feststellen, dass sie nicht William, sondern Ravenna in Verwandlung vor sich hat, die sie bereits vergiftet hat. Der einzige Moment also, in dem sie seine Zuneigung erhört, ist er es gar nicht. William wie auch Huntsman kommen zu spät hinzu, sodass Snow White zunächst der Vergiftung erliegt. Auch Williams Kuss kann sie, entgegen aller Märchenkonventionen, nicht retten. Es wirkt regelrecht, als sei William ein Märchenprinz verloren in einer neuen Welt, die nicht mehr den gängigen Regeln folgt. Auch nachdem sie aus dem Tod erwacht, steht er wie wartend vor der Totenkapelle, doch sie lässt ihn stehen und wendet sich dem Volk zu. Sowohl er als auch Huntsman werden wegen Snow Whites Tod am Boden zerstört gezeigt. Jedoch ist es dann Huntsmans Kuss, der Snow White wieder zum Leben erweckt. Sie erwacht jedoch nicht, wie man bei genauer Betrachtung feststellt, aus romantischer Liebe zwischen diesen beiden Figuren. Den Zuschauern wird die Deutung nahegelegt, dass sie ihn durch ihre absolute Reinheit und Aufrichtigkeit vor der Verkommenheit gerettet hat, in die er nach dem Tod seiner Frau geraten ist, und er sie deshalb nun ebenfalls retten kann. So endet der Film auch nicht damit, dass sie ihn als ihren Mann erwählt, wie auch William nicht, sondern damit, dass sie sich nach ihrer Krönung nur noch einen Blick zuwerfen, als er die letzte Reihe entlanggeht.

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Die Tatsache, dass in dieser Märchenverfilmung mit einer alten, tradierten literarischen Gattung gebrochen wird und es sicherlich interessant wäre, die Auflösung von Gattungsmerkmalen, vor allem auch im Hinblick auf Genderkonventionen, bei einer Gattung mit derart klaren Stilkonventionen zu betrachten, soll an dieser Stelle außen vor bleiben. Festzuhalten bleibt demnach, dass es durchaus möglich ist, neue, zeitgemäße Genderkonstruktionen im filmischen Diskurs zu etablieren, ohne dass es zu Irritationen auf Seiten des Publikums zu kommen scheint, wie es Benshoff und Griffin für andere Filmbeispiele beschreiben, wenn sich männliche Zuschauer eines Kamerablicks aus der weiblichen Perspektive ausgesetzt sähen.21 Vielmehr erscheint es zeitgemäß, wenn auch Männern Gefühle, Ängste, Unsicherheiten und Unvermögen zugestanden werden (wie z. B. bei Peeta). Benshoff und Griffin insistieren zudem, dass nicht nur die gesellschaftliche Konstruktion von Weiblichkeit, sondern auch die von Männlichkeit hinterfragt werden müsse.22 Im Gegenzug wirkt es genauso wenig ungewöhnlich, dass Frauen ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen und bestimmen, ohne dass es der Absolution eines männlichen Blickes bedarf. Es bleibt zu hoffen, dass sich eine Wende auftut und u. a. diese beiden Filme als Vorbild für noch weitere im Hinblick auf Gendermodelle dienen. Ob es etwas zu sagen hat, dass beide Filme dem Fantasybereich zuzuordnen sind, bleibt an dieser Stelle offen. BIBLIOGRAFIE Benshoff, Harry M./Griffin, Sean (2009): America on Film. Representing Race, Class, Gender, and Sexuality at the Movies. 2. Aufl. West Sussex: Wiley-Blackwell. Bernfeld, Siegfried (1991): Theorie des Jugendalters. Schriften 1914 – 1938. Hrsg. von Ulrich Herrmann. (= Sämtliche Werke, Bd. 1) Weinheim/Basel: Beltz Verlag. Braidt, Andrea B. (2008): Film-Genus. Gender und Genre in der Filmwahrnehmung. Marburg: Schüren. Braun, Christina von (2000): Virtuelle Triebe – der Einfluss der neuen Medien auf die „natürliche Ordnung der Geschlechter“. In: Baumann, Heidrun (Hrsg.): „Frauen-Bilder“ in den Medien. Zur Rezeption von Geschlechtsdifferenzen. Münster: Deadalus Verlag, S. 19-44. Gräf, Dennis (2010): Tatort. Ein populäres Medium als kultureller Speicher. Marburg: Schüren. Gräf, Dennis/Großmann, Stephanie/Klimczak, Peter u. a. (2012): Filmsemiotik. Eine Einführung in die Analyse audiovisueller Formate. Marburg: Schüren. Holtz-Bacha, Christina (2011): Falsche (Vor)Bilder? Frauen und Männer in der Werbung. In: HoltzBacha, Christina (Hrsg.): Stereotype? Frauen und Männer in der Werbung. 2. akt. und erw. Auflage. Wiesbaden: VS Verlag, S. 9-24.

21 Benshoff und Griffin stellen fest, dass der männliche Blick der Kamera, d. h., die Kamera inszeniert die Figuren so, als betrachte ein Mann die Szene, vor allem bezüglich der Darstellung von Frauen über Jahrzehnte so kultiviert wurde, dass andere Darstellungsweisen, wie z. B. männliche Figuren in ähnlicher Weise wie weibliche (z. B. als Sexobjekt) zu inszenieren, vor allem die männlichen Zuschauer gravierend irritiert habe. Vgl. Benshoff/Griffin 2009, S. 253. 22 Ebd., S. 257.

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Jurga, Martin (1997): Texte als (mehrdeutige) Manifestationen von Kultur: Konzepte von Polysemie und Offenheit in den Cultural Studies. In: Hepp, Andreas/Winter, Rainer (Hrsg.): Kultur – Medien – Macht. Cultural Studies und Medienanalyse. Opladen: Westdeutscher Verlag, S. 127-142. Lünenborg, Margreth/Maier, Tanja (2013): Gender Media Studies. Eine Einführung. Konstanz/ München: UVK. Möhrmann, Renate (2000): „Ich sehe was, was Du nicht siehst.“ Feministische Filmtheorie in der Bundesrepublik Deutschland. In: Baumann, Heidrun (Hrsg.): „Frauen-Bilder“ in den Medien. Zur Rezeption von Geschlechtsdifferenzen. Münster: Deadalus Verlag, S. 85-101. Oerter, Rolf/Montada, Leo (Hrsg.) (2002): Entwicklungspsychologie. 5., vollst. überarb. Aufl. Weinheim/Basel/Berlin: Beltz. Wulff, Hans J. (1996): Charaktersynthese und Parapersion. Das Rollenverhältnis der gespielten Fiktion. In: Vorderer, Peter (Hrsg.): Fernsehen als „Beziehungskiste“. Parasoziale Beziehungen und Interaktionen mit TV- Personen. Opladen: Westdeutscher Verlag. S. 29-52.

FILMOGRAFIE … DENN SIE WISSEN NICHT, WAS SIE TUN (REBEL WITHOUT A CAUSE), USA 1955, Nicholas Ray. DIRTY DANCING (DIRTY DANCING), USA 1987, Emile Ardolino. FOOTLOOSE (FOOTLOOSE), USA 1984, Herbert Ross. SAVE THE LAST DANCE (SAVE THE LAST DANCE), USA 2001, Thomas Carter. SNOW WHITE AND THE HUNTSMAN (SNOW WHITE AND THE HUNTSMAN), USA 2012, Rupert Sanders. TRIBUTE VON PANEM – THE HUNGER GAMES (THE HUNGER GAMES), USA 2012, Gary Ross. WENN DIE CONNY MIT DEM PETER, D 1958, Fritz Umgelter.

INSZENIERUNG WEIBLICHER GESCHLECHTSKONSTRUKTIONEN IM REALITY TV Claudia Töpper

Genderkonstruktionen und sexuelle Orientierung sind Themen, die in fast allen Formaten des Reality TV im Mittelpunkt stehen. Erzählweisen und visuelle Darstellungsmittel der Sendungen schaffen spezifische sexuelle und geschlechtliche Positionen, die bestimmte Geschlechternormen privilegieren, andere herabsetzen oder marginalisieren. Reality TV-Sendungen wird dabei vorgeworfen, vor allem stereotype und traditionelle Geschlechterrollen und Geschlechterverhältnisse zu repräsentieren (vgl. Leone/Chapman/Bisell 2006; Maher 2004; Stephens 2004). Dabei sorgen insbesondere Darstellungen sexualisierter Körper immer wieder für (medien-)öffentliche Diskussionen. So scheinen Entblößungen körperlicher und seelischer Art inzwischen zum üblichen Repertoire von Formaten des performativen Realitätsfernsehens zu gehören.1 Als markante Stilmittel und Inszenierungsmuster lassen sich nicht mehr nur Formen der Emotionalisierung, der Intimisierung, der Personalisierung, der Dramatisierung und der Stereotypisierung nachweisen (vgl. Klaus/Lücke 2003: 208ff.), sondern auch Strategien gezielter Provokationen, die zu Skandalisierungen und dadurch zu gesteigerter Aufmerksamkeit führen sollen (vgl. hierzu auch Lünenborg/Martens/Köhler/Töpper 2011). Die fortwährende Präsentation provokanter Verhaltensweisen und zunehmende Intimisierung im Rahmen der Formate haben tradierte Grenzen zwischen Öffentlichem und Privatem systematisch außer Kraft gesetzt (vgl. Schweer/Schicha/Nieland 2002; Herrmann/Lünenborg 2001). Neben allen kritischen Debatten um die Qualität der Angebote sowie deren moralische Konflikthaftigkeit wird jedoch auch hervorgehoben, dass die zunehmende Darstellung des privaten Alltags zu einem Demokratisierungsschub geführt hat (Bondjeberg 1996). Neben der televisuellen Präsentation gesellschaftlicher Eliten und der Mittelklasse-Dominanz vieler Protagonisten sind Menschen unterschiedlicher Bildungs- und Einkommensschichten zu Darstellern geworden, wenngleich deren Lebenswelten in dramatisierter Form zum Gegenstand der Erzählung werden. Während die Diskussion um Verschiebungen und partielle Auflösungen der Grenzziehungen zwischen Öffentlichem und Privatem die feministische Medienforschung seit langem beschäftigen, setzt sich dieser Beitrag mit einer zusätzlichen Dimension auseinander. Von Interesse ist, mit welchen spezifischen Darstellungsformen, Erzählstrategien und diskursiven Mitteln das Fernsehen an der Konstruktion von Geschlecht und Sexualität beteiligt ist. Dabei ist vor allem von Interesse, 1

Bei Formaten des performativen Realitätsfernsehens handelt es sich nicht um fiktive Erzählungen mit professionellen Darstellern, sondern um Eingriffe in das Leben von Alltagsmenschen. Mit genau diesem Authentizitätsversprechen wird das Fernsehpublikum zum voyeuristischen Beobachter moralischer Grenzverletzungen.

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wie in Sendungen des Reality TV die Körper der weiblichen Kandidatinnen als ein Mittel zur Darbietung, Herstellung und Fortschreibung der Geschlechterpolarität eingesetzt werden. Daran schließt sich die Frage an, inwiefern durch die Darstellungen des weiblichen Geschlechts hegemoniale Geschlechter- und Sexualitätskonstruktionen aufrechterhalten werden und inwiefern die mediale Herstellung von Geschlecht und die damit verstrickte Zweigeschlechtlichkeit und Heteronormativität herrschaftsmächtigen Stabilisierungsmechanismen dient. 1

METHODISCHE VORGEHENSWEISE

Der vorliegende Beitrag zeichnet nach, wie der weibliche Körper in Sendungen wie Deutschland sucht den Superstar (2009), Germany’s Next Topmodel (2009) und Big Brother (2000, 2009) inszeniert wird. Die hier präsentierten Ergebnisse beziehen sich auf medienästhetische Analysen, die im Rahmen eines Forschungsprojekts im Auftrag der Landesanstalt für Medien Nordrhein-Westfalen (LfM) durchgeführt wurden.2 Dabei wurden einzelne ausgewählte Sequenzen exemplarisch hinsichtlich ihrer signifikanten narrativen, dramaturgischen und ästhetischen Struktur untersucht. Zusätzlich wurde die sendereigene Berichterstattung zu den Sendungen sowie die dadurch ausgelöste Presseberichterstattung einer diskursiven Analyse unterzogen. Dabei wurde davon ausgegangen, dass unterschiedliche visuelle und erzählerische Verfahrensweisen „Subjektpositionen im Text [begründen] und für Fragen der Bedeutungsproduktion deshalb so zentral [sind], weil sie über die Verteilung diskursiver Autorität, einer Form von symbolischer Macht, zwischen den männlichen und weiblichen Figuren entscheiden“ (Braidt/Jutz 2002: 298). Anhand der Ergebnisse werden im Rahmen dieses Beitrags vor allem Fragen nach der Herstellung und Verbreitung der Bedeutung von Geschlecht in televisuellen Praktiken des Reality TV insbesondere vor dem Hintergrund ihrer scheinbaren Authentizität dargestellt. Dabei geht es um den Umgang mit Darstellungen von Körperlichkeit, Sexualität, Sprache und Nacktheit sowie die Frage, in welchen Kontexten und in welcher Form pornografische Stilelemente Bedeutung erlangen. Die Ergebnisse geben Aufschluss über die Konstruktion von weiblichem Geschlecht im Zusammenhang mit medialen Repräsentationen und Diskursen und leiten den Blick auf die Konstruktionsmechanismen sowie die Prozesse der Hervorbringung von Geschlechterrollen.

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Im Rahmen eines Forschungsprojekts im Auftrag der Landesanstalt für Medien NordrheinWestfalen (LfM) wurden multimethodisch Formen der Skandalisierung im Reality TV zwischen 2000 und 2009 analytisch erfasst. Vgl. hierzu Lünenborg/Martens/Köhler/Töpper 2011.

Inszenierung weiblicher Geschlechtskonstruktionen im Reality TV

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INSZENIERUNG DES WEIBLICHEN KÖRPERS

vom ErrEGtEn blick Zur pErspEktivE auf das aussErGEwöhnlichE

Exhibitionismus und Voyeurismus sind seit dem Start der Reality Soap Big Brother Teil einer Inszenierungs- und Skandalisierungsstrategie, die den Zuschauer/-innen Tabubrüche versprechen, die in der Regel jedoch – vor allem aufgrund gesetzlicher Regelungen im Sinne des Jugendschutzes – nicht eingelöst werden. Im Rahmen dieser Schau- und Zeigelust betont die redaktionelle Inszenierung gezielt die (sexuelle) Körperlichkeit der Teilnehmer und Teilnehmerinnen. Um den Voyeurismus der Zuschauer zu befriedigen wurden beispielsweise seit Beginn der Reality Soap Szenen gezeigt, in denen sich die Kandidaten und Kandidatinnen mit der täglichen Körperpflege beschäftigen. Dabei wurde es den Bewohnern überlassen, ob sie sich nackt zeigten oder nicht. Allerdings gab es gezielte redaktionelle Eingriffe, die die Körperlichkeit der Kandidaten und Kandidatinnen betonten. So wurde beispielsweise in der ersten Staffel im Jahr 2000 der Warmwasservorrat begrenzt, so dass die Teilnehmer und Teilnehmerinnen gezwungen waren, direkt hintereinander zu duschen. Der täglichen Körperhygiene wurde dadurch ein sexueller Touch verliehen. Daneben wurde versucht, weitere körperbetonte Szenen zu initiieren. So konnten die Kandidatinnen und Kandidaten ihre Körper an zu Verfügung stehenden Fitnessgeräten trainieren und es wurden Wettkämpfe organisiert, in denen beispielsweise die Körper der anderen Kandidaten und Kandidatinnen aus Holz ausgeschnitten werden mussten. Im Laufe der einzelnen Staffeln der Reality Soap lässt sich auf der Ebene der Inszenierung allerdings eine Zuspitzung der Darstellungen von Körperlichkeit feststellen. Während in der ersten Staffel die Duschkabine noch mit Milchglasscheiben verkleidet war und die Szenen nur aus einer einzigen Kameraperspektive aufgenommen wurden, die zumindest ein gewisses Maß an Intimität bot, gibt es schon seit einigen Jahren nur noch ein gemeinschaftliches Badezimmer mit einer freistehenden Badewanne und mehreren Duschkabinen ohne Abtrennung. Darüber hinaus werden weiterhin körperbetonte Spiele initiiert. So mussten beispielsweise die Kandidaten Sascha Sirtl und Annina Ucatis im Jahr 2009 ihre künstlerischen Fähigkeiten beim gegenseitigen Body-Painting unter Beweis stellen, woraufhin die BILD-Zeitung (2009e) titelte: „Saschas mit Farbe beschmierten Finger glitten sanft über die prallen Kurven der freizügigen Blondine.“ An diesem Beispiel zeigt sich eine weitere Inszenierungs- und Diskursivierungsstrategie. Im Rahmen der Sendungen werden gezielt Kandidatinnen ausgewählt, anhand derer sich das Stereotyp einer promisken, (sexuell) freizügigen Frau mit nymphomanischen Zügen darstellen lässt. Unbestritten entwickeln Reality Soaps – basierend auf dem Aussehen und der Persönlichkeit der Kandidaten und Kandidatinnen – möglichst (stereo-)typische Rollenbilder, die im Rahmen der Inszenierung durch das Styling, die Kommentare der Jury und durch die Auswahl

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der gezeigten Szenen elaboriert werden (vgl. Kurotschka 2007: 136).3 Dass dies seit Beginn der Reality Soap Big Brother Teil einer Strategie der Sendung ist, zeigt das Beispiel der Kandidatin Sabrina Lange, die im Jahr 2000 in den Big BrotherContainer einzog. Zuvor hatte sie offen kundgetan, dass sie den Kandidaten Jürgen Milski attraktiv finde und sich prinzipiell mit jedem der Bewohner Sex vorstellen könne. Dadurch wurden bei den Zuschauern voyeuristische Interessen geweckt, die diskursiv sowohl durch die sendereigene Berichterstattung als auch durch die Presseberichterstattung der Boulevardzeitungen – allen voran der BILD-Zeitung – verstärkt wurden. Mit der Kandidatin wurde der „Reizfaktor Sex“ hergestellt, wie auch Der Spiegel (17/2000) bemerkte: „Seit vergangenem Sonntag kommt die blonde, brustbetonte Sabrina, 32, zum Einsatz. Die Nachfolgerin der freiwillig desertierten Langweilerin Jona, 20, bekennt sich zu freiem Liebesspiel und trinkt ‚Sekt höchstens aus dem Bauchnabel‘.“ Zwar wurde das ausgelöste Versprechen auf die Darstellung sexueller Handlungen nicht eingelöst, doch wirkten die Inszenierung der Kandidatin als Sexualobjekt und ihre diesbezüglich getroffenen Aussagen authentisch. Im Jahr 2009 wiederum reichten eine authentisch erscheinende Kandidatin und das alleinige Versprechen auf mögliche sexuelle Handlungen anscheinend nicht mehr aus. Mit der Pornodarstellerin Annina Ucatis zog eine Kandidatin ein, die mit ihren übernatürlich großen, künstlichen Brüsten eher an eine Kunstfigur erinnerte. Die BILD-Zeitung (2009g) hatte bereits Tage vorher ihren Einzug angekündigt. Als Annina Ucatis schließlich beim Duschen das erste Mal nackt zu sehen war, titelte sie: „Porno-Annina versext das Big-Brother-Haus.“ (Bild.de 2009a) Dabei stellte die sendereigene Inszenierung ihre weiblichen Attribute explizit zur Schau. Mit langsamer oder besonders rhythmischer Musik unterlegt fuhr die Kamera in Zeitlupe an ihrem Körper hoch und stellte ihre sekundären Geschlechtsmerkmale betont in Nahaufnahmen aus. Durch Bildnachbearbeitungen erschien ihr Oberkörper funkelnd. Abermals skandalisierte die BILD-Zeitung (2009b) die Szenen, in der Annina Ucatis „ihre prallen 75 G-Brüste ungeniert in die Kamera“ hielt. Mit scheinheiliger Doppelmoral wurden die Leser gefragt: „Wie finden Sie so viel Freizügigkeit im BB-Haus?“, wodurch sich die triviale Doppelmoral eines Mediums offenbarte, das mit der täglichen Abbildung von Nacktaufnahmen seine Verkaufslage sichert. RTL II verwies im Rahmen der sendereigenen Berichterstattung über die Kandidatin Annina Ucatis auf ihre verführerische und aufreizende Seite als „ErotikModel“. Die BILD-Zeitung (2009c) dagegen thematisierte ihre Tätigkeit als Pornodarstellerin sowie ihre vermeintliche Promiskuität. Die geweckten Erwartungen in Bezug auf sexuelle Handlungen vor der Kamera wurden schließlich erfüllt, als Annina Ucatis mit Sascha Schwan intim wurde. Im Gegensatz zur Inszenierung

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Dies liegt vor allem daran, dass Reality Soaps und beispielsweise auch Castingshows ein heterogenes Publikum ansprechen müssen, um erfolgreich zu sein. Dazu werden die Kandidaten und Kandidatinnen nicht nur danach ausgewählt, ob sie besondere persönliche Schicksalsschläge erlebt oder intime Geheimnisse haben, die es gilt innerhalb der Narration der Sendungen aufzudecken, sondern es wird auch darauf geachtet, unterschiedliche Typen abzubilden, die eine Art Tableau divergenter Verhaltensdimensionen und Eigenschaften repräsentieren.

Inszenierung weiblicher Geschlechtskonstruktionen im Reality TV

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sexueller Handlungen zwischen der Kandidatin Kerstin Klinz und dem Kandidaten Alexander Johlig in der ersten Staffel Big Brother, die sich im Schutz einer sich bewegenden Bettdecke und verschwommener Bilder lediglich andeuteten, stellten die Darstellungen aus dem Jahr 2009 aufgrund der Inszenierungsmittel eindeutige Verweise auf die Darstellungskonventionen von Erotik- und Softpornofilmen her. Erotische Musik und Beleuchtung, die Bekleidung von Annina mit einem String, Bikini-Top und High Heels, Nahaufnahmen von Po und Busen sowie dem Austausch von Zärtlichkeiten signalisierten eine deutlichere Zurschaustellung der sexuellen Handlungen im Vergleich zu den Darstellungen der ersten Staffel. Die BILDZeitung (2009f) setzte das Geschehen weiterhin in eine Analogie zur Pornografie: „Die Erotik-Darstellerin zeigt dem Berliner, was sie gelernt hat. Die Pumps bleiben an!“ Als es ein weiteres Mal zu sexuellen Handlungen zwischen den beiden kam, wurde der Verweis auf pornografische Lust, die keine Erschöpfung kennt, noch deutlicher: „3 Mal Sex in 90 Minuten“ (Bild.de 2009d). Die Beispiele zeigen, dass im Vergleich zur ersten Staffel der Reality Soap in Bezug auf sexistische und voyeuristische Darstellungen des Frauenkörpers eine pornographische Steigerung stattgefunden hat. Dabei werden sowohl auf formaler als auch auf diskursiver Ebene eindeutige Bezüge zu Erotik- und Softpornofilmen hergestellt. Der Sexualität und Geschlechtsidentität der Kandidatin Annina Ucatis wurden dabei mittels ästhetischer und diskursiver Verweise auf die Pornografie etwas Außergewöhnliches verliehen. Anhand übertriebener Ästhetisierungen wie funkelnde, glitzernde Brüste und hyperbolischer Beschreibungen ihrer sekundären Geschlechtsmerkmale wie „mega“ oder „riesig“ erscheint sie als eine Art Kunstfigur, die sich von der Norm abhebt. Verweise auf die Pornografie wurden genutzt, um das Außergewöhnliche als Hyperbel sexueller Normen zu betonen (vgl. Butler 2006). Offenbar reichte das Versprechen auf Darstellungen ‚echter‘ sexueller Handlungen zwischen authentisch erscheinenden Kandidaten und Kandidatinnen neun Jahre nach Beginn der Reality Soap nicht mehr aus. Stattdessen ging es nicht mehr allein um Erregung, sondern auch um voyeuristische Schaulust auf das Außergewöhnliche. Die Inszenierung markierte damit zum einen die Grenze zur Normalität, ließ gleichzeitig jedoch auch immer wieder die Kluft zwischen den Darstellungen und der gesellschaftlichen Wirklichkeit aufbrechen und verwies dadurch auf ihren fiktionalen Charakter, anstatt ihn zu verschleiern. 2.2

fEtischisiErunG dEs wEiblichEn körpErs

Ebenso wie in der Reality Soap Big Brother ist die Sexualisierung von Kandidatinnen auch Teil der Strategie von Castingshows. Wie die beiden beschriebenen Big-Brother-Kandidatinnen wurde auch die Deutschland sucht den Superstar-Teilnehmerin Annemarie Eilfeld aus dem Jahr 2009 sowohl auf visueller als auch auf sprachlicher Ebene sexualisiert. Dies begann schon bei ihrer Vorstellung durch den Moderator der Sendung, der sie als „Sexy-Hexy Annemarie“ (Deutschland sucht den Superstar vom 07.03.2009) oder „blondes Gift“ (Deutschland sucht den Superstar vom 14.03.2009) ankündigte. Als sie von dem Jurymitglied Dieter Bohlen in

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der dritten Mottoshow als „Everybody’s Arschloch“ bezeichnet wurde (Deutschland sucht den Superstar vom 21.03.2009), erschien daraufhin ein Artikel in der BILD-Zeitung mit einem Foto der Kandidatin, auf dem sie mit einem knappen Höschen bekleidet zu sehen war – bestickt mit dem Slogan „Everybody’s Arschloch“ (Kuschel 2009). Dieses Bild wurde wiederum in der nachfolgenden vierten Mottoshow gezeigt (Deutschland sucht den Superstar vom 04.04.2009) und vor der Jury und dem Publikum diskutiert. Den Höhepunkt erreichte die Auseinandersetzung, als Annemarie Eilfeld von Dieter Bohlen in der sechsten Mottoshow am 18.04.2009 als „Bitch“ beschimpft wurde. Anhand der vielschichtigen Bezugnahme und Vernetzung zwischen Berichterstattung und Inszenierung im Rahmen der Castingshow wurde ein intermedial diskursives Feld um die Medienfigur Annemarie Eilfeld aufgebaut, in dessen Rahmen moralische Fragen verhandelt wurden. Dabei wurde vor allem Annemarie Eilfelds freizügiger Umgang mit Nacktheit und mit ihrem Körper sowie ihr geschäftstüchtiges Auftreten in der Presse bewertet. Dieses Verhalten wurde in Opposition gestellt zu den von der Sendung in Anspruch genommenen Werten wie Fairness, Ehrlichkeit und Talent, die wiederum durch die Kandidaten und späteren Finalisten Sarah Kreuz und Daniel Schuhmacher verkörpert wurden. Diese wurden immer wieder mit Äußerungen eingeblendet, dass ein Sieg in der Show mit Ehrgeiz und musikalischem Talent erreicht werden solle und nicht durch den Einsatz sexueller Reize. Das offensiv sexualisierte Auftreten von Annemarie Eilfeld wurde als Bedrohung der für die Sendung in Anspruch genommenen Werte inszeniert und auf ästhetischer, narrativer und diskursiver Ebene dämonisiert. So wurde sie sowohl im Rahmen der Sendungen selbst sowie in der zusätzlichen sendereigenen Berichterstattung anhand perspektivischer Verzerrungen und Bildmontagen zynisch als Hexe mit magisch-dämonischen Fähigkeiten inszeniert (Deutschland sucht den Superstar vom 02.05.2009; Explosiv Weekend vom 04.04.2009). Die Kandidatin verlor auf diese Weise ihre körperliche Integrität und Identität. Durch Fragmentierung und visuelle Fixierung auf einzelne Körperteile wurde sie fetischisiert und als bloßes Objekt eines sezierenden Blickes verfügbar gemacht. Ihre Aktaufnahmen für die BILD-Zeitung wurden im Rahmen der Sendung als Normverstoß verhandelt, der unmittelbar ihre Diskreditierung zur Folge hatte, obwohl Aktaufnahmen in der Öffentlichkeit kaum mehr als nennenswerter Tabubruch wahrgenommen werden. Erotische Aufnahmen ihres Kollegen Benny Kieckhäben dagegen, die ebenfalls in einer der Sendungen gezeigt wurden (Deutschland sucht den Superstar vom 21.03.2009), wurden von den Jurymitgliedern zwar als Geschmacksfrage, insgesamt jedoch als mutig konnotiert. Diese verbalen und visuellen Formen der Sexualisierung konstruierten aus der Person Annemarie Eilfeld ein Medienobjekt, dessen Wert ausschließlich an ihrem öffentlichen Auftreten gemessen wurde. Andere Eigenschaften wurden dabei bewusst als nicht entscheidend dargestellt. Annemarie Eilfelds Sexualisierung ging fortlaufend mit einer Abwertung derselben einher. Mit diesem Muster wurde die hegemoniale Deutungsmacht der Jury wiederhergestellt – die vermeintlich sexuell autonom agierende Kandidatin unterlag. Dadurch wurde ihr Abweichen von den für die Sendung festgelegten Werten sinnlich präsent und für die Zuschauer/-innen als

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Bedrohung spürbar. Anhand ihrer durch die Senderregie und der zusätzlichen Berichterstattung bewusst gesteuerten Inszenierung als Fetisch stand mit der Kandidatin Annemarie Eilfeld die (medien-)öffentlich verhandelte Sexualität und Erotik als Norm eines deutschen Superstars auf dem Prüfstand. Einer selbstbestimmten sexuellen Autonomie wurde dabei im Rahmen einer Art Schauprozess mit (medien-) öffentlicher Herabwürdigung entgegengewirkt. 2.3

insZEniErunG dEs wEiblichEn körpErs als ‚arbEitskörpEr‘

Diese klassische Doppelmoral im Rahmen der Inszenierungsstrategien tritt auch in der Castingshow Germany’s Next Topmodel zutage. Darin werden durch die Programmverantwortlichen im Rahmen der zu bewältigenden Aufgaben durch die Kandidatinnen Gelegenheiten gesucht, deren Körper möglichst unbekleidet zu zeigen. So müssen die Teilnehmerinnen in jeder Staffel ein freizügiges Fotoshooting absolvieren, das erzählerisch durch die Konnotation als Mutprobe sowie als zwingend erforderlicher Teil des Berufsbildes ‚Model‘ legitimiert wird. Nicht zuletzt unter Gesichtspunkten des Jugendschutzes ist hier relevant, dass die Teilnehmerinnen zum Teil unter 18 Jahre alt sind. Dem wird von den Verantwortlichen unter anderem dadurch Rechnung getragen, dass nicht wie zum Beispiel bei dem Format Big Brother längere Sequenzen mit vollständig entblößtem Körper gezeigt werden. Stattdessen wird versucht, durch minimale Körperbedeckung, Kameraeinstellungen und notfalls durch Schwärzen oder Verpixeln von Körperstellen komplette Nacktdarstellungen auf dem Bildschirm zu vermeiden. Zwar sind Aussehen und eine attraktive, möglichst erotische Ausstrahlung wichtige Bildaussagen, doch dürfen die Körper der Mädchen nicht obszön wirken, sondern sollen möglichst unschuldig erscheinen. Einer eindeutigen Sexualisierung wird dabei durch Kommentare von Heidi Klum oder anderer Jurymitglieder entgegengearbeitet, die eine zu offensiv erscheinende Erotik ausbremsen. Stattdessen wird Unschuld inszeniert und durch die Verschmelzung von Kindlichkeit und Sexualität werden gezielt jüngere Mädchen als Zielgruppe anvisiert sowie diese jungen, sexualisierten Mädchenkörper einem breiteren Publikum zur Verfügung gestellt. In einer Art ‚Initiationsritus‘ werden Geschlechtsreife und sexuelle Attraktivität ins Bild gesetzt und zelebriert. Die sexuelle Identität der Kandidatinnen wird dabei von vornherein von normierten, dem jeweiligen Werbeumfeld entsprechenden Vorstellungen determiniert. Auch an diesem Beispiel wird deutlich, dass der (sexualisierte) Körper im Kampf um Aufmerksamkeit an Gewicht gewinnt. An dieser Stelle verschränkt sich der Geschlechterdiskurs mit dem neoliberalen Diskurs. Das entspricht Tanja Thomas’ (2007) Analyse, der zufolge Castingshows Identifikationsangebote für das „unternehmerische Selbst“ liefern und neoliberale Werte und Mythen wie Anpassungsbereitschaft, Arbeit am eigenen Körper, Wille zur Selbstausbeutung sowie Selbstvermarktung und Leistungsdenken verkörpern. Castingshows verdeutlichen, wie das (selbstbewusste) performative Aufführen der Körper der jungen Mädchen vor allem nach ökonomischen Regeln funktioniert. Erotik wird als Teil souverän ausgeübter Körperinszenierungsstrategien dargestellt, die ein Leitbild produzie-

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ren, das vorgibt, Schönheit könne und müsse man sich lediglich erarbeiten. Der erotische Körper ist in diesem Fall ein ‚Arbeitskörper‘, der strategisch eingesetzt wird. Scham über Nacktheit ist fehl am Platz und muss überwunden werden. Dabei erscheinen die Körperinszenierungen der jungen Mädchen jedoch als Paradoxien. Einerseits befriedigt die Inszenierung perfekter, erotischer Körper einen Voyeurismus der Zuschauer/innen. Auf der anderen Seite wird die sexuelle Ebene im Rahmen der Narration der Sendung verleugnet. Vor allem die Jurymitglieder und allen voran Heidi Klum sind bemüht die Szenen durch Missbilligung und Maßregelung anscheinend vulgär anmutender Posen zu desexualisieren. 3

FAZIT

Anhand der exemplarischen Analysen zeigt sich, dass die Darstellungen sexueller Handlungen, Sexualisierungen und Nacktheit im Reality TV instrumentalisiert und als Aufmerksamkeitsstrategien eingesetzt werden. Insbesondere das Beispiel Big Brother zeigte, dass die Körper der weiblichen Teilnehmerinnen über Ästhetiken der Andeutung und der Sichtbarmachung sexueller Akte immer stärker als Sexualobjekt inszeniert wurden. Andererseits wird jedoch auf ästhetischer als auch auf narrativer Ebene die Inszenierung (sexualisierter) Frauenkörper moralisch diskreditiert, überzeichnet oder verleugnet. Der Darstellung sexualisierter weiblicher Körper kommt dadurch eine besondere Qualität zu, weil sie paradox konstituiert ist. Parallel zum Prozess der Sexualisierung entfaltet sich nämlich zugleich ein Prozess der moralischen Verurteilung derselbigen. Dadurch entsteht eine paradoxe Gleichzeitigkeit von Sexualisierung und Diskreditierung, die nicht aufgelöst, sondern möglichst verschleiert wird. Dabei werden vor allem die Körper der weiblichen Protagonistinnen zum Austragungsort im Kampf um hegemoniale Deutungsmacht und herrschaftsmächtige Stabilisierungsmechanismen. Mit Hilfe einzelner Protagonistinnen werden Medienfiguren etabliert, anhand derer (medien-)öffentlich verhandelt wird, wie sexualisiert Darstellerinnen in Sendungen des Reality TV auftreten dürfen. Dabei werden implizit moralische Fragen in Bezug auf weibliche Sexualität und Nacktheit verhandelt. Einer offensiv zur Schau gestellten Sexualität und Erotik wird auf erzählerischer Ebene der Sendungen nicht nur entgegengearbeitet, sie wird auch durch die Jurymitglieder diskreditiert und sanktioniert. Sowohl die Jury als auch die begleitende Berichterstattung fungieren dabei als moralische Instanz, bei der gleichzeitig unkenntlich gemacht wird, dass diese auch Urheber der Darstellungen ist. Sexuelle weibliche Autonomie wird diszipliniert, indem sie entweder moralisch verurteilt oder als außergewöhnlich und damit von der Norm abweichend inszeniert wird. Untypische, von hegemonialen Vorstellungen abweichende Verhaltensweisen werden durch das Ausscheiden der jeweiligen Kandidaten und Kandidatinnen bestraft

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und/oder (medien-)öffentlich allenfalls als skurril bewertet.4 Die Sendungen bieten dadurch wenig Spielraum für alternative Entwürfe weiblicher Geschlechtsidentität und Sexualität. Stattdessen gehören Entblößungen körperlicher und seelischer Art, sexistische Beleidigungen und sexualisierte Darstellungen mittlerweile zum üblichen Repertoire des Reality TV. Durch Fokussieren der Aufmerksamkeit auf bestimmte Körperlichkeiten oder Überzeichnen der tatsächlichen Inhalte und Darstellungen werden kommunikativ Tabubrüche konstruiert, die wiederum massenmedial aufgegriffen und skandalisiert werden. Dabei werden bewusst grenzverletzende Situationen geschaffen, die sich am Rande des Tabubruchs bewegen, diese Grenze jedoch nicht überschreiten. Den Boulevardmedien wiederum bietet das Versprechen auf potentielle Tabubrüche die Möglichkeit, moralische Empörung zur Schau zu stellen und gleichzeitig die voyeuristischen Interessen des Publikums zu bedienen. Rechtliche Rahmenbedingungen, die beispielsweise pornographische Darstellungen im Fernsehen verbieten, werden dabei außer Acht gelassen. So entsteht die Illusion, es könne möglicherweise zu skandalösen Grenzüberschreitungen kommen. Statt tatsächlicher Tabubrüche bewegen sich die Darstellungen jedoch am Rande des Zulässigen und spielen mit permanenten sexuellen Verweisen und intimen Geständnissen. Vor allem der Bereich der Sexualität gilt dabei immer noch als ein Refugium, das das größte Versprechen auf Authentizität und Privatheit bereithält. Für oder vor der Kamera inszenierten sexuellen Posen oder Handlungen wird eine spezifische Direktheit nachgesagt – eine Aura der Authentizität, die insbesondere für Sendungen des Reality TV konstituierend ist. Inszenierungen (sexualisierter) weiblicher Körper und Nacktheit in Sendungen des Reality TV lassen sich dabei auch als diskursive visuelle Strategien verstehen, den Sex „zum Sprechen“ zu bringen (vgl. Foucault 1991; Williams 1995). Durch diese „Geständnistechniken“ wird spezifisches Körper- und Geschlechterwissen produziert, das umso „wahrer“ und „authentischer“ erscheint, desto (vermeintlich) unkontrollierter es preisgegeben wird. BIBLIOGRAFIE Bild.de (2009a): Porno-Annina lässt die Hüllen fallen. ...das ging ja schnell. 14.01.2009. Online: http://www.bild.de/unterhaltung/tv/big-brother/porno-annina-zeigt-sich-nackt-7066094.bild. html (Abfrage: 07.04.2013).

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Zwar werden zunehmend Homosexuelle, Transsexuelle oder Transvestiten in Sendungen des Reality TV sichtbarer und zahlreicher, jedoch bringen sie übliche, vorherrschende Heteronormativität nicht ins Wanken. So zog erst kürzlich die Drag-Queen Olivia Jones in das Dschungelcamp der Reality Soap „Ich bin ein Star – Holt mich hier raus!“ ein. Obwohl sie in gewisser Art und Weise heterosexuelle Geschlechterrollen parodiert, imitiert und zum Teil bloßstellt, blieb die übliche Geschlechterdichotomie unberührt. Vielmehr wurde und wird sie vor allem über die Narration der Sendungen gestärkt, denn als Sieger gingen bisher bis auf eine Ausnahme heterosexuelle, nicht von der üblichen Norm abweichende Kandidaten und Kandidatinnen hervor.

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TYPISCH FRAU, TYPISCH MANN? EINE ANALYSE VISUELL-NARRATIVER STEREOTYPE IM SPANNUNGSFELD VON GENDER, ETHIK UND MEDIEN Katrin Döveling, Jana Fischer

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EINLEITUNG

Die aktuelle Medienlandschaft zeigt es erneut und immer noch: Reality-Formate wie die Doku-Soap Bauer sucht Frau (BsF) faszinieren auch nach Jahren noch ein Millionenpublikum. Aber auch die etablierten Daily Soaps binden weiterhin beständig ein beachtliches Publikum und gehören damit ebenso zu den populären Formaten des deutschen Unterhaltungsfernsehens. 9

Einschaltquote in Mio. Zuschauer ab 14 J.

8 7 6 5 4 3 2 1 0

MA 25,3%

MA 24,7% MA 14,0%

MA 13,7% MA 12,9% Dez 2007

MA 18,7% MA 10,5%

Dez 2010

MA 13,0%

MA 7,4%

Dez 2012

Ausstrahlungsmonat BsF

GZSZ

VL

 

Abb. 1: Einschaltquoten in Mio., Zuschauer ab 14 Jahre (eigene Darstellung nach AGF/GfK-Fernsehforschung 2007, 2010, 2012)

Wie die Grafik veranschaulicht, ist den gewählten Sendungen gemein, dass sie seit ihrem Bestehen dauerhaft hohe Einschaltquoten aufweisen (vgl. Abb. 1), wobei Bauer sucht Frau im Vergleich zu den Daily Soaps Gute Zeiten Schlechte Zeiten (GZSZ) und Verbotene Liebe (VL) anhaltend höhere Zuschauerzahlen verzeichnet. Die Zahlen deuten auch auf die gesellschaftliche Relevanz solcher Formate hin. Dabei müssen die Inszenierungsmethoden der Sendungen, die diese anhaltende Faszination bei den Rezipienten auslösen, aus medienethischer Perspektive näher analysiert werden. Anhand von aktuellen Fallbeispielen wird ergründet, ob und inwiefern Frauen und Männer im Unterhaltungsfernsehen performativ und se-

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Katrin Döveling, Jana Fischer

riell-narrativ stereotyp inszeniert werden. Auf dieser Basis werden medienethische Implikationen und Desiderata für künftige Forschung auch und vor allem aus der Perspektive der Genderforschung aufgezeigt. Im Kontext der Genderforschung (vgl. hierzu u. a. Butler 1991, 1995; Gildemeister 2010) und hierbei speziell der Darstellung und Wahrnehmung von Gender (vgl. hierzu Döveling/Kick 2012) und vor dem Hintergrund der andauernden Faszination der oben genannten Formate gilt es, die medial-performative Inszenierung von Frauen und von Männern zu untersuchen. Denn: Zahlreiche Befunde belegen, dass derartige Formate vor allem durch ihre narrative Bildhaftigkeit einen entscheidenden Einfluss auf Normen und Werte von vor allem jungen und jugendlichen Rezipienten nimmt (vgl. Mikos 2007; Wegener 2010a; Hoffmann 2010; Paus-Hasebrink/Bichler 2008; Hug 2010). Durch ihre spezifische Inszenierung vermitteln Daily Soaps Realitätsnähe und binden mit stets offenem Ende das Interesse langfristig (vgl. Mikos 1994: 166; Döveling/Kick 2012: 100; Mikos 1994: 137; Sennewald 2007: 42; Hickethier 2001: 3). So erreichen Daily Soaps über ihre lange Laufzeit (GZSZ seit 1992 und VL seit 1995) dauerhaft ein festes Publikum (vgl. Döveling/Kick 2012: 100). Auch bei Doku-Soaps handelt es sich um ein seriellnarratives Format, welches dem performativen Reality-TV zuzuschreiben ist (vgl. Keppler 1994: 8f.). „Sie [Doku-Soaps] vermischen eine fiktionale Gattung (Serie) mit einer non-fiktionalen (Dokumentation).“ (Klaus/Lücke 2003: 201) Die Charaktere und ihre Handlungen sind meist stereotyp und überspitzt dargestellt (vgl. Faulstich 2008: 139). Dennoch wird die Authentizität des Dargestellten in RealityFormaten betont. Dabei entsteht ein fließender Übergang zwischen Realität und Fiktion. Wirklichkeit wird nicht nur dokumentiert, sondern auch inszeniert. (Vgl. Wegener 1994: 41f.) Wenn Fernsehen demnach „eine emotionale und kognitive Realität beim Zuschauer erzeug[t]“ (Mikos 2012: 51) und somit an der Identitätsbildung der ZuschauerInnen mitwirkt, dann gilt es, die damit verbundenen Handlungs-, Orientierungs- und Deutungsmuster (vgl. Katzman 1972; Machenbach 2000; Götz 2002; Mikos 2007; Nathanson 2008; Wegener 2010b) zu ergründen. Denn Befunde weisen daraufhin, dass es gerade Daily Soap-Fans sind, die Handlungen – und somit möglicherweise auch präsentierte Frauenbilder – als wirklichkeitsnah empfinden (vgl. Russell/Stern/Russell 2005). Shrum (1999: 15) betont: „Apart from the traditional cultivation effect […], soap opera viewing […] appears to cultivate stronger, more accessible attitudes.“ Ebenso als empirisch belegt gilt, dass Frauen im Fernsehen meist stereotyp dargestellt werden (vgl. Döveling/Kick 2012; Sennewald 2007; Weiderer 1995), was aus der Perspektive der Genderforschung die Frage der Verantwortung bezüglich einer Abwertung und Diskriminierung von Frauen aufbringt. Dieser Beitrag knüpft an dieser Stelle an und analysiert das Frauen- und Männerbild anhand von aktuellen Fallstudien. Da die Frau stets in Abgrenzung zum Mann betrachtet wird, sich dies aber nicht immer entsprechend in der Forschung niederschlägt und somit viele Fragen noch unbeantwortet sind, wird hier zunächst ebenso die Interaktion der Geschlechter sowie zusätzlich das Männerbild in seiner narrativ-visuellen Inszenierung betrachtet (vgl. Döveling/Kick 2012: 119).

Visuell-narrative Stereotype im Spannungsfeld von Gender, Ethik und Medien

117

Vor dem Hintergrund der Medien als Sozialisationsagenten und im Kontext der Kultivierungshypothese1 (vgl. Shrum 1999) gilt es aus medienethischer Sicht zu untersuchen, wie in solchen Unterhaltungsformaten Charaktere inszeniert werden und inwiefern damit das Frauen- und Männerbild der Rezipienten geprägt wird. Daher fließen in den hier dargelegten Studien sowohl die audiovisuellen als auch die narrativen Inszenierungsformen der Charaktere in Daily und Doku-Soaps ein. Es ergeben sich dabei folgende Fragestellungen: 1. Welche Erkenntnisse wurden im Bezug auf Geschlechterinszenierung und Stereotype im Fernsehen bisher gewonnen und wie sind diese medienethisch zu bewerten? 2. Anhand welcher audiovisuellen und narrativen Mittel werden Frauen und Männer in den jeweiligen Formaten inszeniert? 3. Welche Stereotype und Rollen lassen sich bei der Inszenierung von Frauen und Männern identifizieren? 4. Welche medienethischen Erkenntnisse und Desiderata lassen sich aus den Ergebnissen schließen? Der Forschungsstand zu medial vermittelten Geschlechterstereotypen zeigt eindeutig, dass Männern mehr Kompetenz beigemessen wird als Frauen, welche sich hingegen eher durch menschliche Wärme auszeichnen. Kompetenz, oder auch Leistungsfähigkeit, umfasst u. a. Eigenschaften wie Führungsqualität und Geschäftstüchtigkeit (vgl. Weiderer 1995; Eckes 2010: 179). Es sind bei den männlichen Eigenschaften vor allem Attribute, die in der Gesellschaft positiv bewertet werden, während den ‚typisch‘ weiblichen Eigenschaften eine geringere Wertigkeit zuteil wird (vgl. Weiderer 1995; Cornelißen 1998). Dies zeigt auch die folgende Einschätzung: „Women who are identified as high in feminity are likely to show high anxiety, low self-esteem, and low social acceptance.“ (Richmond-Abbott 1983: 388) Für die Darstellung der Geschlechter im Unterhaltungsfernsehen lassen sich folgende Forschungsergebnisse zusammenfassen: 1. Insgesamt haben Frauenrollen weniger Handlungsrelevanz (vgl. Wenger 2000: 340). 2. Frauen und Männer werden in Opfer-Täter- oder Opfer-Retter-Beziehungen gezeigt (vgl. ebd.: 345). 3. Die Frau ist dem Mann im sozialen und beruflichen Status sowie in der Paarbeziehung unterlegen (vgl. Weiderer 1995: 310; Externbrink 1992: 117). 4. Die Berufstätigkeit von Frauen ist meist nebensächlich, der Fokus liegt auf dem Privaten, dem Häuslichen; entweder werden Frauen in mütterlich-fürsorglicher Rolle gezeigt oder ihr attraktives Äußeres steht im Vordergrund (vgl. Weiderer 1995: 309; Wenger 2000: 344); 5. Werden Frauen doch in Führungspositionen gezeigt, dann wird dies zumeist verbunden mit Unfähigkeit (vgl. Sennewald 2007: 254ff.; Scheer 2001; Döveling/Kick 2012). 1

Das Konzept der „Kultivierung“ wurde durch Gerbner und Gross (1976) geprägt. Es beschreibt den Einfluss des Fernsehens auf die Realitätsvorstellungen der Rezipienten und geht davon aus, dass diese vor allem bei Vielsehern durch das Fernsehen verzerrt sind.

118

Katrin Döveling, Jana Fischer

Das Fernsehen reproduziert somit medial tradiertes stereotypes Wissen über traditionelle Rollenmuster. Gerade die sozialen Vergleichsprozesse im Sinne der „Social Comparison Theory“ (vgl. Festinger 1954; Döveling 2013) haben einen bedeutenden Einfluss auf den Selbstwert der RezipientInnen.2 Im Kontext der Aneignungsforschung wird ebenso betont, dass Geschlechterrollen schließlich auch durch die Aneignung von in den Medien beobachteten Verhaltensweisen sozial erlernt werden (vgl. Hepp 1998; Charlton/Klemm 1998; vgl. auch Bandura 1979). Durch ihr Einflusspotenzial auf die Selbstbilder von Frauen und Männer sowie auf die Geschlechterbilder in der Gesellschaft sind mediale Geschlechterdarstellungen also durchaus gewichtig und erfordern eine medienethische Betrachtung (vgl. Weiderer 1995: 315ff.). Denn aus den ihnen zugeschriebenen Aufgaben (vgl. Funiok 2011: 13; Schicha/Brosda 2010: 13) lässt sich die Verantwortung der Medienakteure zur gleichberechtigten medialen Darstellung der Geschlechter ableiten. Im Programmauftrag für die öffentlich-rechtlichen Sender, im journalistischen Selbstverständnis und im Jugendschutz-Medienstaatsvertrag ist diese Verantwortlichkeit festgeschrieben, wozu auch gehört, auf stereotype Rollendarstellungen zu verzichten (vgl. BVerfG 2007; Deutscher Presserat 2013; KJM 2010). Lembke (2007: 33) kritisiert dabei allerdings, dass die Richtlinien zu vage bleiben und keine spezifischen Maßnahmen entwickelt wurden. Röben (2013: 177) formuliert hierzu: Der Umgang mit Differenzsetzungen, d. h. mit Menschen vielfältiger Identitäten, in den Medien ist eine berufsethische Herausforderung […]. Denn die hierarchisierende Sortierung dieser Vie[l]falt [sic!], eng verknüpft mit sozialen Ungleichheitslagen, widerspricht dem Gleichheitsprinzip und der demokratietheoretischen Norm, Öffentlichkeit für alle sozialen Gruppen herzustellen. Aus medienethischer Perspektive liegen demnach die mediale Repräsentation der Geschlechter und die entsprechenden Rollenzuschreibungen ebenso im Verantwortungsbereich der Medien. Das Bewusstsein dafür scheint jedoch wenig ausgeprägt. Eine Sensibilisierung für die Problematik muss daher auf den entsprechenden Ebenen ansetzen. Denn: Werden die Inszenierung und damit die gesellschaftlichen Konstruktionsprozesse durch die Medien erfasst, können auch Möglichkeiten des „Undoing Gender“ – also der Dekonstruktion von Geschlechterstereotypen – aufgezeigt werden (vgl. Magin/Stark 2010: 389). Für die vorliegende Analyse gilt es daher zu ergründen, inwiefern tatsächlich eine eindeutige Kategorisierung und eine Zugeschreibung von Eigenschaften in den Sendungen vorgenommen wird, wie diese sich manifestieren und in welchem Kontext sie seriell und narrativ in Szene gesetzt werden. Eine entsprechende Systematik zur Erfassung dessen wird im Folgenden entwickelt.

2

Dabei zeigten die von uns durchgeführten qualitativen Interviews durchaus, dass solche Vergleichsprozesse auch bei Formaten wie Bauer sucht Frau stattfinden (siehe S. 121).

Visuell-narrative Stereotype im Spannungsfeld von Gender, Ethik und Medien

2

119

METHODIK DER FALLSTUDIEN

Die audiovisuellen Darstellungen wurden in der Untersuchung der Daily Soaps mittels einer quantitativen Bildanalyse erfasst, wobei eine spezielle Methodik entwickelt wurde, die das Frauenbild nicht nur visuell, sondern vor allem auch im Kontext der Gespräche ermittelte. Die Herausforderung bei der Bildanalyse war es, den verschiedenen Bedeutungsebenen der Bilder gerecht zu werden (vgl. Grittmann/Ammann 2009: 164). So zeigt ein Bild nicht nur eine konkrete Situation, sondern erhält durch seinen Kontext auch eine symbolische Bedeutung. Visuelle Stereotype umfassen dabei „soziokulturelle Vorstellungen, Deutungsrahmen und Weltanschauungen, die in einer Gesellschaft […] kursieren und die Bildselektion prägen“ (Grittmann/Ammann 2009: 177). Sollen also „Strukturen und Tendenzen nach vorherrschenden und marginalisierten Merkmalen und deren Stabilität oder Veränderungen im Zeitverlauf“ (Grittmann/Lobinger 2011: 145) erfasst werden, kann sich vor allem eine quantitative Bildanalyse als zweckdienlich erweisen (vgl. Döveling/Kick 2012: 104f.). Diese ist in ihrem methodischen Vorgehen an die quantitative Textanalyse angelehnt. Anstelle von Text bilden Bilder die Codiereinheiten. Wichtig dabei ist, dass zudem der beigefügte Text erfasst wird, um die oben beschriebenen Bedeutungsebenen und die kontextuelle Rahmung zu erfassen. Bei Standbildern erfolgt dies über den Begleittext. Für die hier vorliegende Bewegtbildanalyse mussten jedoch die Interaktion und Sprache der Charaktere in den Szenen berücksichtigt werden. So können Stereotype in ihrer audiovisuellen Narration untersucht werden (vgl. Petersen/ Schwender 2009; Döveling/Kick 2012: 105). Insbesondere bei der Analyse von Geschlechter- und Machtkonstellationen stellen sich neben formalen auch inhaltliche Aspekte als bedeutsam heraus (vgl. Holtz-Bacha 2008). Die quantitative Inhaltsanalyse wurde demnach um die speziellen narrativen Elemente der seriellen Formate erweitert, um die geschlechterspezifischen Figurentypen und -bilder systematisch zu erfassen (vgl. Döveling/Kick 2012: 105). Die Fallstudien enthalten demnach ebenso Elemente der Bewegtbildanalyse, die weitgehend standardisiert vor allem das Schnittprotokoll erfasste. Dabei wird das Bewegtbild im Kontext einzelner Aufnahmen betrachtet (vgl. Schwender 2011). Die Codierung erfolgt daher sowohl auf Folgen- als auch auf Szenenebene. Um eine systematische und intersubjektiv nachvollziehbare Codierung auf Szenenebene zu erreichen, mussten Beginn und Abschluss einer Szene im Codebuch genau festgelegt werden. Das Ende einer Szene wurde durch den Wechsel des Settings bestimmt (vgl. Hickethier 2001; Mikos 2008; Döveling/Kick 2012). Dies bedeutet, wechselt der Ort der inhaltlichen Handlung der Szene oder die Personenkonstellation, gilt die Szene als abgeschlossen, ebenso wenn der thematisierte Gesprächsinhalt sich vollständig ändert. Dabei wurden sowohl stabile als auch situative Merkmale der Charaktere erfasst, um den Merkmalen der visuellen Narration in seriellen Formaten Rechnung zu tragen (vgl. Döveling/Kick 2012). Der Schwerpunkt der Fallstudie zu den fiktiven Serien Verbotene Liebe (VL) und Gute Zeiten, schlechte Zeiten (GZSZ) lag auf der Erfassung der Frauenbilder

120

Katrin Döveling, Jana Fischer

und -typen in der visuell-narrativen Darstellung. Ein Modell wurde erarbeitet, das es ermöglicht, die stabilen und situativen Eigenschaften der Darstellung entsprechend zu erheben. Die Frauentypen werden durch die stabilen Eigenschaften, wie z. B. Erwerbstätigkeit oder Familienstand, bestimmt (vgl. Abb. 2). Das Frauenbild ergibt sich erst aus der situativen Präsentation dieser Frauentypen, also deren Art der Darstellung im Beruf oder in der Freizeit und ihrem Auftreten. Somit werden Frauenbilder hier verstanden als ‚Konglomerat von Frauentypen‘, die von den ZuschauerInnen im Kontext sozialer Normentradierung und Wertigkeiten von Familie und Karriere interpretiert werden. (Döveling/Kick 2012: 107)

Kinder

Familien stand

Erwerbstätigkeit

Haltung gegenüber der Frau

Sexualverhalten

Darstellung der Frau im Gespräch

Gesprächsthema

Alter

Tätigkeit der Frau

Form d. Zusammen lebens

Ort der Szene

„Stabile“ Eigenschaften

Situative Eigenschaften

Frauentyp

Mediale Präsentation v. Frauentypen

Frauenbild Abb. 2: Frauenbild (Döveling/Kick 2012: 108)

Anhand dieser Systematik konnten die vielschichtigen Merkmalsausprägungen narrativer Visualisierung in Serien erfasst und mittels einer quantitativen Inhaltsanalyse (vgl. Grittmann/Ammann 2009; Früh 2007: 27; Rössler 2005) ermittelt werden. Innerhalb des Untersuchungszeitraumes wurden jeweils vier Wochen von VL und GZSZ untersucht. Insgesamt wurden zwanzig Folgen beider Serien im Jahr 1995 (ab dem 02.01.1995) sowie zwanzig Folgen im Jahr 2009 (ab dem 05.06.2009) analysiert. Daraus ergeben sich die Folgenanzahl (N = 80) und die jeweiligen Szenenauftritte (N = 1611) (vgl. Döveling/Kick 2012: 109). In der darauffolgenden Fallstudie zu Bauer sucht Frau (BsF) wurde der Blickwinkel um verschiedene Aspekte erweitert und so einerseits um die Berücksichti-

Visuell-narrative Stereotype im Spannungsfeld von Gender, Ethik und Medien

121

gung des Bildes des Mannes ergänzt. Zudem lag ein Schwerpunkt der Studie auf der weitergehenden kontextuellen Rahmung der Darstellung der Charaktere: Es wurde untersucht, inwiefern diese ebenso stereotyp gestaltet sein kann. Denn: „Stereotype Bewertungen […] werden in konkreten, medial konstruierten Situationen, Prozessen und Handlungszusammenhängen vorgenommen.“ (Sielschlott 2011: 16) Insofern entstehen Stereotype durch standardisierte und wiederholte kontextuelle Hinweise (vgl. Lobinger 2009: 112), das bedeutet „dass sich eine typische genderund gruppenspezifische Stereotypisierungen durch die Darstellung in bestimmten Rollen und Handlungskontexten äußert, welche die Stereotype aufrecht erhalten und verstärken können“ (Grittmann/Lobinger, 2011: 158). Um sich diese neue Perspektive anzueignen, wurden vor der quantitativen Bildanalyse zunächst qualitative Interviews durchgeführt. Es handelte sich dabei um teilstandardisierte Interviews (N = 12), die direkt nach der Rezeption im Oktober 2012 durchgeführt wurden. Die Interviews dauerten in der Regel 15 Minuten. Die Probanden waren im Alter von 20 bis 70 Jahre und mit der Sendung vertraut; neun Probanden waren weiblich, drei männlich. Innerhalb dieser qualitativen Rezipientenbefragung wurden die nach der Wahrnehmungen der Rezipienten entscheidenden Aspekte der Inszenierung ermittelt. Denn durch die Befragung direkt nach der Rezeption konnten Eindrücke und soziale Vergleichsprozesse zur Sendung eingefangen und in die Analyse aufgenommen werden. Dabei wurde deutlich, dass auch bei der Rezeption von Bauer sucht Frau soziale Vergleichsprozesse stattfinden: Die Frauen stellen sich manchmal echt an. So die Stadtfrauen. Die waren voll zickig. [Pause] Die wollte kein hartes Brot essen, als wär’s giftig [lacht]. Ich mein, die gehen da ja hin, um Bäuerin zu werden. Da denk ich, hackt’s eigentlich. Warum gehen die denn da überhaupt hin? (weiblich, 21 Jahre) Also grade der eine, der immer so steif war und so abgehackt geredet hat […] Also wenn ich derjenige welche wäre, dann hätte ich mich doch nie für so was gemeldet. Das passt irgendwie net. Ich weiß auch nicht [Pause]. (weiblich, 51 Jahre) Nachdem die Befragten zunächst ihre allgemeinen Eindrücke erzählten und daraufhin immer spezifischer zu dem im Einzelnen Genannten befragt wurden, konnten folgende kontextuelle Rahmungen identifiziert werden: 1. Optische Rahmung: Der Eindruck der Befragten war insbesondere geprägt durch die Darstellung einer „ländlichen Idylle“: Da waren überall nur grüne Wiesen, glückliche Kühe, viele Hühner, wenig Menschen. (männlich, 23 Jahre) Und das sind halt diese Hardcore-Bauernhof-Idylle-Bilder […] immer mit Kätzchen und Babyhühnern oder so.“ (weiblich, 25 Jahre)

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Katrin Döveling, Jana Fischer

Und dann kommt ’ne Fernaufnahme vom Häusel dort, das ist ja schon schön. (männlich, 22 Jahre) Entsprechend wurde die optische Rahmung für die anschließende Bildanalyse operationalisiert. Erfasst wurden demnach der Ort und die Optik der dargestellten Umgebung sowie das Vorkommen von Tieren und der Einsatz von Kameraperspektiven. 2. Musikalische Rahmung: Im Rahmen der Befragung wurde deutlich, dass die Rezipienten vor allem auch den Einsatz von Musik hervorhoben: Immer wenn die Schwulen kamen, kamen da immer so Brokeback Mountain-Lieder [singt], ‚sexy, sexy‘. (weiblich, 20 Jahre) Die Musik war immer zwei Herzen finden sich und alles schön. (männlich, 52 Jahre) Und auch dieses Schlachtding war so [Pause], auch mit der Musik, [singt] ‚dadadadaaaaaam‘, als wär er jetzt aufgehangen worden. (weiblich, 20 Jahre) Die Szenen werden meist von Musik begleitet, die die Bedeutung des Gezeigten beeinflussen und in einen emotionalen Kontext stellen kann (vgl. Pauli 1976; Butler 2007: 120). Um diese musikalische Rahmung der Inszenierung der Charaktere zu erfassen, wurde auf die Erkenntnisse der Filmwissenschaft zurückgegriffen. So wurde der Text-Ton-Bezug erfasst. Es wurde unterschieden, ob die Musik das dargestellte paraphrasiert, ob der Charakter der Musik sich direkt aus dem Charakter der Bilder ableitet oder ob die Musik polarisiert, die Szene erst durch die Musik eine eindeutige Bedeutung bekommt oder ob die Musik die Szene kontrapunktiert, sie also im Gegensatz zu den gezeigten Bildern steht (vgl. Pauli 1976: 104). 3. Sprachliche Rahmung: Den Befragten fiel vor allem das sprachliche Mittel der „Voice-over“ auf. Unter Voice-over3 wird beim Film die Stimme eines Erzählers verstanden, der in einer Szene zwar zu hören, aber nicht zu sehen ist (vgl. Franco/ Matamala/Orero 2010: 18): Wenn dann zum Beispiel gesagt wird: ‚der herzliche Landwirt‘ oder ‚der liebevolle Schweinebauer‘ […]. (weiblich, 24 Jahre) Erst mal fällt auf, dass die Moderatorin ziemlich komische Ansagen hat. Immer diese nervigen Alliterationen […]: ‚der fröhliche Früchtebauer‘. (männlich, 23 Jahre) Reality-TV, und so auch Bauer sucht Frau, wird häufig durch eine Voice-over begleitet (vgl. Reichertz 2010: 233), die dabei als eine Art „narrative Autorität“ betrachtet 3

Im Fall von Bauer sucht Frau spricht die Moderatorin Inka Bause die Voice-over. Zudem ist sie im Verlauf der Sendung immer wieder auch mit ihren Moderationen im Bild zu sehen.

Visuell-narrative Stereotype im Spannungsfeld von Gender, Ethik und Medien

123

werden kann, die aufgrund ihrer scheinbaren Allwissenheit zur Verstärkung, Emotionalisierung, gar Verklärung des Dargestellten beitragen kann (vgl. Schweinitz 2006: 235; Allrath/Gymnich 2006: 247; Burger 2005: 131). Somit ging auch die sprachliche Rahmung durch die Voice-over in die Bildanalyse ein. Hierfür wurden sprachliche Mittel erhoben (wie Alliterationen), die von den Befragten besonders betont wurden, sowie die Wertung durch die Voice-over und deren Funktion in Bezug auf die visuell-narrative Inszenierung der Charaktere. Neben diesen kontextuellen Rahmungen nannten die Befragten auch konkret die Darstellung der Geschlechter: Die Frauen sind einfach offensiver, offener, ehrlicher dem Mann gegenüber und geben mehr von sich Preis als zum Beispiel jetzt die Männer von sich […]. (männlich, 22 Jahre) Er macht halt den Hof und alles und sie entweder im Haus oder muss saubermachen auf dem Hof. (männlich, 23 Jahre) Dabei zeigt sich, dass die Befragten – in Einklang mit bisherigen Forschungsergebnissen (vgl. u. a. Weiderer 1995: 309; Wenger 2000: 344) – die Frauen zum einen als emotional stärker wahrnahmen, zum anderen aber auch die klassischen Rollenverteilungen betonten. Die Ergebnisse der qualitativ gewonnen Daten waren für die nachfolgende Untersuchung einträglich und erkenntnisbringend, da sie auf weitere Faktoren aufmerksam machten, die im Anschluss erhoben wurden und so die quantitative Bildanalyse um entscheidende Kategorien erweiterte. Dazu gehörten die hier als „kontextuelle Rahmungen“ bezeichneten Kategorien der optischen, musikalischen und sprachlichen Rahmung. Zudem wurde die Untersuchung auf die narrativ-visuelle Inszenierung männlicher Charaktere ausgeweitet. Dies war auch durch die gezeigten Personenkonstellationen4 in Bauer sucht Frau bedingt. Die Untersuchung der präsentierten Geschlechterbilder lehnte sich an die Fallstudie zu Daily Soaps an und untersuchte ebenso stabile und situative Merkmale der Charaktere. So konnten die Ergebnisse bezüglich der Frauenbilder verglichen werden. Dabei wurde für die Operationalisierung der Darstellung der Charaktere auf das Stereotype Content Model (vgl. Eckes 2002; Fiske/Cuddy/Glick/Xu 2002) zurückgegriffen, dass die Dimensionen „Kompetenz“ – die eher dem männlichen Stereotyp zuzuordnen ist – und „emotionale Wärme“ – die eher dem weiblichen Stereotyp zuzuordnen ist – umfasst. Es kann vor allem als ein Ergebnis der qualitativen Befragung betrachtet werden, die auf diese Kategorien hinwies, da die Befragten zur Beschreibung der Geschlechter,

4

Bauer sucht Frau ist eine sogenannte Beziehungsshow, die den Prozess des Kennenlernens eines potenziellen Liebespaares zum Inhalt hat. Daher werden in den meisten Szenen die Bauern zusammen mit ihren potenziellen PartnerInnen gezeigt. Die Anzahl der gezeigten Personen beschränkt sich demnach meist auf zwei.

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Katrin Döveling, Jana Fischer

die entsprechenden Adjektive nutzten.5 Daher wurden diese Aspekte in die Analyse integriert. Die quantitative Bildanalyse, die die Ergebnisse der qualitativen Untersuchung aufnahm und durch die Erweiterung der analysierten Kategorien nutzbar machte, konnte demnach die stereotype Darstellung der Geschlechter sowie deren Rahmung systematisch erfassen. Im Untersuchungszeitraum (15. Oktober bis 19. November 2012) wurden sechs Sendungen der 8. Staffel von Bauer sucht Frau analysiert (Folgenzahl N = 6; Szenenauftritte N = 96). Bedingt durch das Format als Beziehungsshow ist die Anzahl der auftretenden Charaktere pro Szene meist auf zwei beschränkt. Zudem ist die Anzahl der Schnitte – im Vergleich zu den Daily Soaps – geringer.6 Die nachfolgende tabellarische Übersicht (vgl. Tab. 1) gibt noch einmal einen Überblick über das Untersuchungsdesign der beiden Fallstudien. Studie 1 Quantitative Bildanalyse

Studie 2 Multimethodendesign: Qualitative Befragung & Quantitative Bildanalyse

Untersuchungsobjekt

Gute Zeiten, schlechte Zeiten Verbotene Liebe

Bauer sucht Frau

Untersuchungszeitraum

02.01.1995-27.01.1995 05.06.2009-03.07.2009

15.10.2012-19.11.2012

Genre

Daily Soap

Doku-Soap

Schwerpunkte

Frauenbild Frauentypen

Frauenbild Männerbild Kontextuelle Rahmung

Methodik

Tab. 1: Untersuchungsdesign der Fallstudien

3

FORSCHUNGSLEITENDE HYPOTHESEN

Die nachfolgenden Hypothesen basieren einerseits auf dem aktuellen Forschungsstand. Zusätzlich wurden andererseits in der zweiten Studie die Ergebnisse der qua-

5

6

Kompetenz wurde demnach durch folgende Adjektivpaare operationalisiert: intelligent-dumm, gesprächslenkend-gesprächsfolgend, selbstbewusst-unsicher, entscheidungsfreudig-zögernd, dominant-untergeordnet, gelassen-angespannt, eloquent-ungeschickt im Ausdruck, passivaktiv. Wärme wurde durch folgende Adjektivpaare operationalisiert: rational-emotional, kühlgefühlvoll, beherrscht-wütend, provozierend-verträglich, offen-verschlossen, authentisch-aufgesetzt, traurig-heiter. Hinzu kommt die schwere Zugänglichkeit der Sendungen, da nur die Folgen analysiert werden konnten, die zum Zeitpunkt der Untersuchung aktuell ausgestrahlt wurden. Die Fallstudie ist demnach aufgrund ihrer eher geringen Fallzahl als explorative Untersuchung zu betrachten. Im Kontext der anderen hier dargelegten Studie und im Hinblick auf den Forschungsstand in diesem Bereich lassen sich, wie nachfolgend dargelegt, jedoch Tendenzen erkennen.

Visuell-narrative Stereotype im Spannungsfeld von Gender, Ethik und Medien

125

litativen Interviews zur spezifischeren Hypothesengenerierung herangezogen, da es vor allem die Wahrnehmung und Beurteilung der visuell-narrativen Inszenierung der Geschlechter durch die Rezipienten ist, die insbesondere im Hinblick auf medienethische Betrachtungen weiteren Erkenntnisgewinn verspricht. In der Analyse des Frauenbildes in der Daily Soap wurde untersucht, welche Rolle vor allem die Erwerbstätigkeit in der Darstellung wie auch in den Gesprächen spielt. Angesichts des zunehmenden Anteils erwerbstätiger Frauen in der heutigen Gesellschaft wurde vermutet, dass die genannten Serien die Darstellung der Berufssituation der Frau vermehrt aufgreifen, sodass dieser 2009 mehr Raum eingeräumt wird als 1995 (vgl. Cornelissen 1998; Peuckert 2008). Da jedoch der Forschungsstand (vgl. Weiderer 1995; Externbrink 1992; Wenger 2000; Scheer 2001) nahelegt, dass das seriell vermittelte Bild von Frauen vorwiegend dennoch auf ihre Beziehung und Familie ausgerichtet ist, wobei Frauen zudem ihren Partnern als untergeordnet dargestellt werden, leiteten folgende Hypothesen die Untersuchung. H1: Wenn Frauen in den Daily Soaps auftreten, dann dominieren andere Themen in ihrer Darstellung als deren berufliche Situation, wie das Privatleben, d. h. Freundschaften oder Beziehungen. Studien (vgl. Weiderer 1995; Externbrink 1992; Wenger 2000) zeigen ebenso eine Dichotomie im Kontext von genderspezifischen Machtverhältnissen und Zuschreibungsprozessen (vgl. Scheer 2001) auf. Diese lässt sich auch auf die Doku-Soap Bauer sucht Frau übertragen, allein schon, weil es sich um eine Beziehungsshow handelt, die stark durch die Darstellung von Frauen und Männern zueinander gekennzeichnet ist. Dies führte zu der zweiten Hypothese. H2: In den (a) Daily Soaps und der (b) Doku-Soap werden Frauen im Verhältnis zu Männern als untergeordnet, d. h. als weniger dominant und durchsetzungsfähig sowie mit niedrigerem Erwerbsrang, dargestellt. Im Zusammenhang mit der Inszenierung der Frau hebt Sennewald (2007) in ihrer Analyse hervor, dass die visuelle Darstellung hierbei wesentlich ist. Die Bekleidung gilt dabei als Indikator für geschlechtliche Inszenierung und Zuschreibung von Charaktereigenschaften wie auch Emotionen (vgl. Sennewald 2007: 49; Maier 2007: 166) und Lebensmodellen (vgl. Döveling/Kick 2012: 110). Daraus lässt sich die folgende Hypothese ableiten: H3: Werden Frauen in den Daily Soaps dargestellt, so lassen sich diese in nur wenige Lebensmodelle einordnen, wobei die Lebensmodelle, wie Familien- oder Karriereorientierung oder die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, nicht gleichermaßen präsentiert werden. Wird diese Betrachtungsweise um das Bild des Mannes ergänzt, so zeigen bisherige Untersuchungen, dass die Darstellung des Mannes meist dessen Machtstellung betont. Dies wiederum geht einher mit einer gewissen emotionalen Kälte. Die Frau

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Katrin Döveling, Jana Fischer

hingegen nimmt die fürsorgliche, mütterliche Rolle ein (vgl. Küchenhoff/Boßmann 1975; Weiderer 1995; Wenger 2000; Klaus 1998). Dies führt zur nachfolgenden Hypothese: H4: Männer werden in der Doku-Soap im Verhältnis zu Frauen als emotional kälter dargestellt. Da die optische, musikalische und sprachliche Rahmung von den Befragten in den qualitativen Interviews als verstärkend zu dem Gezeigten wahrgenommen wurde, galt es, diese Elemente der Rahmung als kontextuelles Merkmal mit einzubeziehen, Zudem zeigen Erkenntnisse anderer Studien, dass die Musik und auch die VoiceOver im Reality-TV meist zur emotionalen Unterstützung des Dargestellten dienen (vgl. Burger 2005: 131; Wegner 1994: 67). Daraus folgt die Hypothese: H5: Die stereotype Darstellung der Charaktere wird in der Doku-Soap durch die optische, musikalische und sprachliche Rahmung unterstützt. 4 4.1

FALLSTUDIEN: DIE ERGEBNISSE Zum frauEnbild in dEn daily soaps

Hat sich nun das Bild der Frauen in den Daily Soaps Gute Zeiten, schlechte Zeiten (GZSZ) und Verbotene Liebe (VL) im Untersuchungszeitraum verändert und wenn ja, wie? Anhand der Studie von Döveling und Kick (2012) konnte aufgezeigt werden, dass Frauen zwar gerade 2009 zunehmend am Arbeitsplatz dargestellt werden (vgl. Abb. 3), jedoch waren die Inhalte ihrer Gespräche ebenso wie ihr Aufenthaltsort (vgl. Abb. 3) und die ausgeübten Tätigkeiten weiterhin vor allem familiärer Natur. Zudem werden die berufstätigen Frauen nicht nur als jung und ledig präsentiert. Dies stellt medienethisch durchaus ein relevantes Ergebnis dar. Denn einerseits werden zwar in den untersuchten Serien kontextuell GenderStereotype ‚bedient‘, andererseits werden im Gegensatz zu vorigen Forschungsbefunden erfolgreiche Frauen gezeigt, die nicht nur jugendlich und alleinstehend waren, sondern auch Karrierefrauen, die ihr Privatleben und ihren beruflichen Erfolg bewältigen und darüber hinaus in Beziehungen leben (43 % der präsentierten Frauen, nur 22 % werden als ledig präsentiert). Dieses ‚All-in-one-Schema‘ stellt ein hervorstechendes Ergebnis der Studie dar. Zudem werden die Frauen in 72 Prozent ihrer Szenenauftritte als eher aktiv sowie in etwa der Hälfte als eher dominant und gesprächslenkend dargestellt.7

7

Bei GZSZ werden die Frauen jedoch als weniger selbstbewusst präsentiert als die Charaktere bei VL. Das Beziehungsleben wird zudem 2009 wieder vermehrt gezeigt.

Visuell-narrative Stereotype im Spannungsfeld von Gender, Ethik und Medien

100% = Gesamtheit aller Szenen

100%

80%

7,7%

12,2%

12,6% 10,7%

18,7%

Sonstiges Öffentlich

12,2%

60%

127

Beruflich Privat

40%

68,2% 54,9%

20%

0%

1995

2009

N = 1611 (Szenenauftritte)

 

Abb. 3: Szenenorte (eigene Darstellung nach Döveling/Kick 2012: 115)

Zu den Hypothesen: H1: Obwohl die Frauen in der Serien zunehmend im Kontext der Erwerbstätigkeit dargestellt wurden (2009: 77 % erwerbstätig, 1995: 60 %), herrschten unabhängig von deren Berufstätigkeit bei allen weiblichen Charakteren private Gesprächsthemen (2009: 52,7 % private Gesprächsthemen, 12,2 % berufliche; 1995: 44,8 % private Gesprächsthemen und 26,1 % berufliche) und private Aufenthaltsorte (vgl. Abb. 3) vor. Zudem zeigte die Analyse der Tätigkeiten weiblicher Serienfiguren, dass trotz deren Berufstätigkeit eine Dominanz der Darstellung von Freizeitbeschäftigungen (80 % der Tätigkeiten) augenfällig war. Augenscheinlich hierbei ist in beiden Analysejahren, dass berufstätige Frauen häufiger in ihrer Freizeit dargestellt werden als erwerbslose Frauen, was den Anschein erweckt, dass Privates und Berufliches vermeintlich problemlos zu vereinbaren sind. Somit weist die Hypothese widersprüchliche Ergebnisse auf. Denn einerseits steigt die Anzahl der berufstätigen Frauen, andererseits dominiert das Private in der kontextuellen Darstellung. H2a: Die Hypothese konnte nicht bestätigt werden. Frauen in den Serien wurden in beiden Analysejahren in ihren Gesprächen tendenziell als stark dargestellt (vgl. Abb. 4). Zudem wurde die Hälfte der Frauen beider Jahre mit einem Serienpartner in beruflich gleichgestellter Position präsentiert. Hier konnte eine Zunahme in Richtung beruflicher Gleichstellung festgestellt werden.8

8

Während 1995 noch 40 Prozent der Frauen mit einem statushöheren Partner dargestellt wurden, so waren es im Jahr 2009 nur noch ein Drittel (vgl. Döveling/Kick 2012).

128

Katrin Döveling, Jana Fischer

3

*1 = schwach (passiv, untergeordnet, gesprächsfolgend, unsicher) 3 = stark (aktiv, dominant, gesprächslenkend, selbstbewusst)

Mittelwerte*

2,5

2

1995 2009

1,5

1

gegenüber männlichen Gesprächspartnern

gegenüber anderen Gesprächspartnern

 

Abb. 4: Darstellung von Stärke im Gespräch (eigene Darstellung nach Döveling/Kick 2012: 116)

H3: Mittels einer Clusterzentrenanalyse, die die stabilen Merkmale Erwerbstätigkeit, Familienstand und Kinder erfasste, wurde die zweite Hypothese überprüft. Hierbei zeigte sich ebenso, dass diese nicht bestätigt werden konnte. In beiden Jahren wurde der Frauentyp der karriereorientierten Frau am häufigsten dargestellt (vgl. Abb. 5). Sie zeichnete sich zugleich auch durch Kinderlosigkeit aus. Ebenso auffallend war, dass Frauenbilder verschiedenen Alters gezeigt wurden, die in einer festen Partnerschaft leben. Die „Doppelrollenfrauen“ (vgl. Abb. 5), die Beruf und Privates miteinander verbinden konnten, waren der zweithäufigste Frauentyp. Das Bild der ‚traditionellen‘ Ehe-, Hausfrau und Mutter, die sich nur auf den Haushalt und die Erziehung konzentrierte, war nur ein einziges Mal im Jahr 1995 vertreten.

Visuell-narrative Stereotype im Spannungsfeld von Gender, Ethik und Medien

129

100% = alle Frauen des jeweiligen Analysejahres

100%

80%

9

60%

1

6

Sonstige Familienfrau 15

40%

Karrierefrau Doppelrollenfrau

11

20%

0%

4

5

1995

2009

N = 51 Frauen (1995: 25; 2009: 26)

 

Abb. 5: Verteilung der Frauentypen nach Analysejahr (eigene Darstellung nach Döveling/Kick 2012: 118)

4.2

das frauEn- und männErbild in dEr doku-soap

Um die narrative Inszenierung der Charaktere zu erfassen, wurden diese in ihrem Auftreten – ebenso wie in der vorherigen Studie – auf Folgen- und Szenenebene analysiert. Dabei gingen für jeden Charakter jeweils stabile Merkmale wie das Alter in die Erhebung mit ein. Die Personenkonstellationen bei Bauer sucht Frau beschränken sich, entsprechend der Konzeption der Sendung, meist auf die Interaktion von „Bauer“ und „Frau“. Dadurch eignet sich das Format besonders, um die Inszenierung von Geschlechterrollen zu untersuchen. Zudem erweisen sich die Informationen zum sozialen Status der teilnehmenden Frauen meist als unvollständig, da sich die Sendung auf das Private (der Frauen) konzentriert. Daher wurden insbesondere die situativen Merkmale erhoben, da in diesen die Inszenierung der Rollen am deutlichsten wird (vgl. Döveling/Kick 2012: 110ff.). Dafür wurde für jeden auftretenden Charakter dessen Darstellung untersucht.9 Die hier zugrundeliegende Staffel zeichnete sich auch dadurch aus, dass ein homosexuelles Paar teilnahm. Die entsprechenden Charaktere gingen ebenso in die Analyse ein. Dabei zeigte sich, dass das Rollenverständnis männlich-weiblich auch auf dieses Paar übertragen wurde (vgl. Abb. 6 und 7).

9

Dabei war entscheidend, wie sich der Charakter in der jeweiligen Szene gibt, welchen Gesprächs- oder Handlungspart er einnimmt und inwiefern er zum Gespräch oder der Handlung beiträgt. Dabei wurde auf seine Mimik, Gestik und Körpersprache sowie auf den Gesprächsinhalt geachtet.

130

Katrin Döveling, Jana Fischer

Abb. 6: Timo und Denny (Quelle: RTL, Bauer sucht Frau)

Beispielhaft zeigt die obige Szene (vgl. Abb. 6), wie der Bauer Denny den kompetenten und leitenden Part, der potenzielle Partner Timo hingegen den abwartenden, passiven Part einnimmt. Vor allem stellt sich die bildliche Aufteilung (Vordergrund, Mittelpunkt des Bildes, Hintergrund) als kennzeichnend heraus. Während der Bauer Denny im Vordergrund mit rotem Schutzhelm den Baum fällt, steht sein potenzieller Partner im Hintergrund fast schüchtern da und ist in der Landschaft kaum zu erkennen. Die stereotype Dominanz der Rolle wird demnach ebenso im Bildaufbau deutlich. Die Darstellung der Charaktere Denny und Timo im Vergleich entscheidungsfreudig** Komptenez

selbstbewusst*** dominant*** gesprächslenkend*** gelassen*

Wärme

gefühlvoll** emotional** 0%

20%

40%

Denny (n=22)

60%

80%

100%

Timo (n=22)

Exakter Test nach Fischer: ***p < .001; **p < .01; *p < .05

Abb. 7: Charaktere Denny und Timo im Vergleich

 

Visuell-narrative Stereotype im Spannungsfeld von Gender, Ethik und Medien

131

Der Bauer nahm somit die ‚männliche‘, der potentielle Partner die ‚weibliche‘ Rolle ein. Denny, der Bauer, wurde dabei auch signifikant häufiger als entscheidungsfreudig, selbstbewusst, dominant, gesprächslenkend oder gelassen dargestellt. Diese Eigenschaften fallen in den Kompetenzbereich, der dem männlichen Stereotyp zufällt. Timo, der potenzielle Partner, hingegen wurde signifikant häufiger gefühlvoll und emotional dargestellt, Eigenschaften die dem weiblichen Stereotyp zufallen (vgl. Abb. 7). Die Darstellung folgte demnach dem Muster der anderen teilnehmenden Paare. Dies verdeutlichen auch die Tätigkeiten, die die Charaktere ausübten. Dabei zeigt sich die Konzentration der Sendung auf das Private. Da es sich um eine Beziehungsshow handelt, wurden die Charaktere überwiegend bei Freizeitbeschäftigungen, wie einem Picknick oder dem gemeinsamen Frühstück, gezeigt (Bauern: 62,8 %, PartnerInnen: 60,5 %). Die Charaktere unterscheiden sich indes deutlich in der Darstellung von Haushaltstätigkeiten: Frauen bzw. die potenziellen PartnerInnen werden häufiger bei Küchenarbeit oder ähnlichem gezeigt (PartnerInnen: 9,3 %, Bauern: 4,7 %).

Abb. 8: Renate und Dieter (Quelle: RTL, Bauer sucht Frau)

Desweiteren wurde anhand von Adjektivpaaren10 erfasst, welchen Handlungspart die jeweiligen Charaktere bei der dargestellten Tätigkeit einnehmen. Dabei ergaben sich im Hinblick auf die Kompetenz keine Unterschiede. Sowohl die Bauern als auch die PartnerInnen wurden überwiegend souverän dargestellt (Bauern: 63,0 %, PartnerInnen: 55,6 %). Die Gesprächsthemen gingen ebenfalls in die Untersuchung mit ein. Bedingt jedoch durch das Format Beziehungsshow fanden die Gespräche bei Bauer sucht Frau fast ausschließlich zwischen den Bauern und ihren potenziellen PartnerInnen statt. Entsprechend hatten sie auch immer das gleiche Gesprächsthema. Daher wurde auch die Darstellung des Charakters insgesamt in der Szene betrachtet. Hierbei ging der gesamte Gesprächspart oder Handlungspart in die Analyse ein, inwiefern der Charakter also zum Gespräch oder zur Handlung beiträgt. Dabei waren auch seine Mimik, Gestik und Körpersprache sowie der Wortlaut und der Gesprächsinhalt entscheidend. 10 Hierfür wurde anhand des Adjektivpaares unsicher-souverän bestimmt, wie sich der Charakter bei der Ausübung einer Tätigkeit gibt und wie das bewertet wird.

132

Katrin Döveling, Jana Fischer

Darstellung der Charaktere - Bauern und PartnerInnen im Vergleich offen* intelligent*** eloquent** gefühlvoll* emotional** gesprächslenkend** dominant* 0%

10%

20%

30%

40%

50%

Bauern (n = 45)

60%

70%

80%

90%

100%

PartnerInnen (n = 45)

Exakter Test nach Fischer: ***p < .001; **p < .01; *p < .05

 

Abb. 9: Darstellung der Charaktere

Hierbei wurden einige Unterschiede deutlich. Die potenziellen PartnerInnen wurden signifikant häufiger als offen, gefühlvoll und emotional dargestellt (vgl. Abb. 9). Zum einen wird den weiblichen Rollen hier also entsprechend der stereotypen Vorstellung eher emotionale Wärme zugeschrieben. Gleichzeitig waren die potenziellen PartnerInnen in ihrer Darstellung aber auch signifikant häufiger intelligent und eloquent. Damit wurden ihnen also auch Eigenschaften zugeschrieben, die für Kompetenz stehen und damit der männlichen Rollenvorstellung entsprechen (vgl. Abb. 9). Trotzdem blieben sie in ihrer Darstellung dem Mann untergeordnet, denn Männer bzw. hier die Bauern wurden signifikant häufiger als gesprächslenkend und dominant dargestellt (vgl. Abb. 9). Die Hypothesen H2a und H4 konnten demnach im Rahmen der Untersuchung von Bauer sucht Frau bestätigt werden. 4.3

stErEotypE rahmunGEn

Zusätzlich zu den Charakteren und deren Darstellung gingen auch die audiovisuellen Rahmenelemente in die Untersuchung ein. Die optische Rahmung wurde über den Ort der Szene, also ob es sich um eine Innen- oder Außenaufnahme handelt, ob Natur gezeigt wird oder Stadt, sowie über Adjektivpaare, die die gezeigte Umgebung beschreiben, erfasst. Dabei konnte hier das Bild der Probanden von einer ländlichen Idylle bestätigt werden. So weist die große Mehrheit der Szenen Luft- oder Landschaftsaufnahmen der Natur (86,7 %) oder Tieraufnahmen (87,9 %) auf. Die überwiegende Zahl der Szenen fand in ländlicher Umgebung oder auf dem Hof des Bauern statt (91,2 %). Auch die Auswertung der Adjektivpaare zeigte, dass die Umgebung überwiegend hell und farbenfroh war (vgl. Abb. 10).

Visuell-narrative Stereotype im Spannungsfeld von Gender, Ethik und Medien

133

Die musikalische Rahmung wurde ebenfalls über Adjektivpaare, die die Musik beschreiben, sowie über den Bild-Ton-Bezug erhoben. Dabei paraphrasierte die Musik die Szenen überwiegend (65,2 %), d. h. die Musik untermalte die Szene und der Charakter der Musik leitete sich direkt aus dem Charakter der Bilder ab. Weniger hingegen polarisierte die Musik die Szenen (23,6 %), die Musik gab den Szenen also selten erst ihre Bedeutung. Außerdem kontrapunktierte die Musik die Szenen kaum (11,2%). Bei der Auswertung der Adjektivpaare wurde ersichtlich, dass die Musik deutlich häufiger fröhlich und rhythmisch war als traurig und langsam (vgl. Abb. 10). Die Erfassung der sprachliche Rahmung verlief zunächst über Adjektivpaare, die die Voice-Over beschrieben. Zusätzlich gingen die Funktion der Voice-Over, also ob es sich um Information oder Interpretation handelt, und die sprachlichen Mittel in die Untersuchung ein. Dabei zeigte sich, dass in 83,5 Prozent der Szenen eine Interpretation durch die Voice-Over stattfand. Das am häufigsten verwendete sprachliche Mittel war die bildliche Beschreibung (mit 83,5 %) der Szenen. Beispielsweise versuchten dann „der einsame Kuhbauer Dieter“ oder „der herzliche Hobbybauer Hans-Georg“ ihre „Auserwählte“ zu beeindrucken. Aber auch Wiederholungen (58,2 %) fanden sich in der Mehrheit der Szenen. Die Auswertung der Adjektivpaare brachte auch hier hervor, dass die meisten Szenen emotional und heiter durch die Voice-Over kommentiert wurden (vgl. Abb. 10). Optische Rahmung (n>=89) hell

dunkel trist

farbenfroh

  Musikalische Rahmung (n=89) traurig

fröhlich

langsam

rythmisch

 

Sprachliche Rahmung (n=91) emotional

rational

heiter

traurig 0%

20%

40%

60%

80%

100%

Abb. 10: Kontextuelle Rahmung – Adjektivpaare (Quelle: eigene Darstellung)

 

134

Katrin Döveling, Jana Fischer

Insgesamt verdeutlicht die Auswertung der Adjektivpaare, dass das bei Bauer sucht Frau Dargestellte überwiegend durch eine positive Stimmung gerahmt wird. Gleichzeitig ergab die Untersuchung, wie schon in den qualitativen Interviews zum Ausdruck kam, dass die Darstellung der Charaktere durch die entsprechende Rahmung betont wird (vgl. Tab. 2). Das heißt, dass bspw. die Darstellung eines fröhlichen Charakters signifikant häufig mit fröhlicher Musik und einer positiven Voice-Over einherging. Dadurch wurde die stereotype Darstellung der Charaktere, also bspw. die Emotionalität der PartnerInnen, noch stärker hervorgehoben. Die Hypothese H5 konnte demnach im Rahmen der Untersuchung von Bauer sucht Frau ebenfalls bestätigt werden. Musik (n=89)

Darstellung Charaktere

dramatisch

Voice-Over (n=90)

aufdringlich

positiv

heiter

gefühlvoll heiter

-.368**

-.331**

offen

.378**

.379**

.341**

.323**

mitfühelnd

emotional

.311**

.328**

.376**

.397**

Tab. 2: Korrelationskoeffizient Spearmans Rho11; **p < .01

5

FAZIT

Vor allem vor dem Hintergrund der hier untersuchten Formate, die durch Hybridisierung (vgl. Mikos 1994; Klaus/Lücke 2003) gekennzeichnet sind, belegen die dargelegten Befunde, dass diese Verwischung von Fiktion und Realität in den verschiedenen audiovisuellen Darstellungen sowie der Wahrnehmung des Rezipienten weitgehende medienethische Implikationen aufzeigen. Innerhalb der untersuchten Daily Soaps wird zwar ein Frauenbild vermittelt, das durchaus nicht den traditionellen Stereotypen der Hausfrau und Mutter (vgl. u. a. Weiderer 1995; Wenger 2000) entspricht. Auffallend ist hierbei jedoch, dass das Bild der Frau in der gesprächlichen Rahmung stark auf das Private fokussiert ist. Der weitergehende Erkenntnisgewinn der Studie lag demnach vor allem darin, dass durch die Einbettung der Bilder in die dialogischen Kontexte nicht nur weitere Perspektiven für die Geschlechterforschung erzielt wurden, sondern durch das Offenlegen dieses Widerspruchs auch die medienethische Relevanz aufgezeigt wurde. Während die Frau in der Daily Soap durchaus als stark, gesprächsführend und in der Rolle der Karrierefrau dargestellt wurde, war die Rahmung im Gespräch von 11

Aus Gründen der Übersichtlichkeit wurden hier nur die Korrelationen dargestellt, deren Koeffizient (Rho) größer als 0,3 war und die ein Signifikanzniveau (p) von mindestens 0,01 aufwiesen.

Visuell-narrative Stereotype im Spannungsfeld von Gender, Ethik und Medien

135

privaten Themen dominiert. Wie dargelegt, gilt es jedoch, sich im Kontext der Medienethik der Tragweite der Rezeption kulturell tradierter Geschlechterstereotypen und Handlungsmuster nicht nur bewusst zu werden, sondern auch in die weiterführende Analyse zu integrieren und erfassbar zu machen. Die Frage, welche Stereotype und Rollen sich bei der Inszenierung von Frauen und Männern identifizieren lassen, ist demnach anhand der hier vorgestellten Studie nicht eindeutig zu beantworten. Der dargelegte Widerspruch in der Darstellung der Frau warf einerseits einige neue Fragen bezüglich weiterer audiovisueller Inszenierungsmethoden auf, andererseits aber auch Fragen, inwiefern der Mann in diesem Zusammenhang inszeniert wird. Auf Basis dessen wurde in der Fallstudie zu Bauer sucht Frau zunächst die Wahrnehmung und Beurteilung der Rezipienten als erster Schritt zur weiterführenden Hypothesengenerierung in die Analyse einbezogen. Anhand qualitativer Interviews konnten so weitere kontextuelle Rahmungen identifiziert werden, die die Rezeption stereotyper Geschlechterinszenierung untermauern. Da vorherige Untersuchungen des Weiteren zahlreiche Fragen im Hinblick auf die genderspezifischen Darstellung des Mannes in den genannten Formaten unbeantwortet lassen, galt es ebensolche zu berücksichtigen. Somit wurde in der zweiten Studie nicht nur das Bild der Frau, sondern ebenso das Bild des Mannes in seiner kontextuellen Rahmung erfasst. Auf Grundlage der Ergebnisse der teilstandardisierten Befragung wurde zunächst die Bedeutung der musikalischen Untermalung der Szenen sowie der zusätzliche Interpretationsrahmen durch die Voice-Over und die optische Inszenierung der dargestellten Umgebung hervorgehoben. Im Anschluss wurden dahingehend Hypothesen generiert, die die optische, musikalische und sprachliche Rahmung der Darstellung der Charaktere berücksichtigten. Die anschließende Bildanalyse offenbarte sodann, dass der Widerspruch in der Darstellung der Frau ebenso augenfällig wurde. Frauen wurden zwar als intelligenter und eloquenter sowie als offener und emotionaler dargestellt, wodurch sie in der Privatheit der Beziehung zum Mann demgemäß die stärkere Rolle einnahmen. Die Befunde wiesen jedoch eindeutig darauf hin, dass die Inszenierung des Mannes als dominanter Part vorherrschte. Diese Darstellung wurde durch die audiovisuelle Inszenierung mittels der Musik, der begleitenden Voice-Over und der Optik der Szenerie gerahmt. Damit wird die stereotype Darstellung durch die kontextuelle Inszenierung nicht nur betont, sondern durch die deutlich überwiegende positive Darstellung zusätzlich idealisiert, was in den Befragungen offenkundig wurde. Innerhalb der hier dargelegten Studien ließ sich demnach die Frage, anhand welcher audiovisuellen und narrativen Mittel Frauen und Männer in den jeweiligen Formaten inszeniert werden, um weitere Aspekte ergänzen. So bot die Analyse der visuell-auditiv-kontextuellen Rahmung der stereotypen Darstellungen weitere Einsichten in die Gender-Darstellung. Weiterführende Untersuchungen sollten der Vielschichtigkeit der Stereotype und der in der Interaktion stattfindenden Konstruktionsprozesse von Gender quantitativ und qualitativ Rechnung tragen und Darstellung sowie Rezeption in verschiedenen Formaten erfassen. Zum einen geht es um die vermeintliche Realitäts-

136

Katrin Döveling, Jana Fischer

nähe des präsentierten Bildes, zudem konnte hier eine mögliche genderspezifische Rezeption nicht ermittelt werden. Aus medienethischer Perspektive gilt es daher, vor dem Hintergrund der vermeintlich realitätsnahen Darstellung des Alltags dessen Idealisierung als integralen Bestandteil derartiger Formate zu betrachten und in weiterführenden Analysen sowohl in der Darstellung als auch der Rezeption zu berücksichtigen. Methodisch zeigt sich erneut die Fruchtbarkeit der Integration einer qualitativen Analyse, die das Spektrum der Untersuchung auch hier um neue Aspekte erweiterte. Daher gilt es, in künftigen Forschungen diese Seite stärker zu berücksichtigen, da die Wahrnehmung des Präsentierten neben der Darstellung schließlich ebenso einen integralen Bestandteil der medienethischen Betrachtung darstellt. Hinsichtlich der Bedeutung des anhaltend dominanten audiovisuellen Mediums Fernsehen gilt es, dessen Tragweite und Verantwortung in der heutigen Mediengesellschaft Rechnung zu tragen. Insbesondere bei den hier analysierten Formaten, die vor allem für ein jugendliches und junges Publikum fortwährend attraktiv sind, müssen daher hierin vermittelte normativ-kulturell tradierte Handlungsmuster in stereotypen Darstellungen erfasst werden. Eine Sensibilisierung hinsichtlich dieser Thematik stellt damit in der aktuellen Medienlandschaft vor allem unter Berücksichtigung der Sozialisationsinstanz TV (vgl. Döveling 2007; Mikos 2007; Wegener 2010a) eine Herausforderung für unser Fach dar. Wie lässt sich also die Frage nach den medienethischen Erkenntnissen und Desiderata, die sich aus den hier dargelegten Ergebnissen schließen lassen, beantworten? Wie eingangs dargelegt, bleibt vor allem vor den aktuellen Entwicklungen in der Fernsehlandschaft weiterhin die Verantwortung zur gleichberechtigten Darstellung der Geschlechter entscheidend. Dieser Verantwortung müssen sich nicht nur Einzelpersonen stellen, sondern auch Medienunternehmen (vgl. Funiok 2011: 13). Wenn die Wahrung der Menschenrechte einen Grundsatz darstellt, der auch für die Unterhaltungsethik (Hausmanninger 1992: 572) Geltung beansprucht, dann müssen die demokratietheoretischen Normen auch in der medialen TV-Öffentlichkeit gesichert werden (vgl. Röben 2013). Und auch wenn die Quote einen wesentlichen Einfluss auf das Sendeformat und dessen Entwicklung hat, so sollten nicht nur für die öffentlich-rechtlichen Sender Jugendschutz und Moral keine leeren Worthülsen bleiben. Hiermit verbinden wir demnach auch einen Appell an Eltern, schulische Instanzen sowie an das weitere direkte Umfeld der Jugendlichen und jungen Erwachsenen, im interpersonalen Dialog zu einer entsprechenden Medienkompetenz beizutragen. BIBLIOGRAFIE AGF/GfK Fernsehforschung (2012): Basisinformationen Fernsehnutzung. AGF/GfK Fernsehforschung (2010): Basisinformationen Fernsehnutzung. AGF/GfK Fernsehforschung (2007): Basisinformationen Fernsehnutzung. Allrath, Gaby/Gymnich, Marion (2006): Narrative Strategies in Television Series. New York: Palgrave.

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Visuell-narrative Stereotype im Spannungsfeld von Gender, Ethik und Medien

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„ZU SCHÖN, UM WAHR ZU SEIN“ – GESCHLECHTERDIFFERENZEN ALS THEMA DER MEDIENSOZIOLOGIE Michael Jäckel, Julia M. Derra

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MEDIEN UND GESCHLECHT: EINE EINLADUNG ZUM SPIEL

Wenn es einen Bereich auf dieser Welt gibt, der häufig mit dem Wort „typisch“ assoziiert wird, dann sind es die Unterschiede zwischen Männern und Frauen, gefolgt von Unterschieden zwischen Mitgliedern verschiedener Länder oder Kulturen, z. B.: der typische Deutsche oder der typische Franzose. Erstaunlich, dass diese Typen meistens – zumindest auf grammatikalischer Ebene – männlich sind. Für die Medien ist diese Thematik seit jeher eine Einladung zum Spiel gewesen, aber auch für die Rezipienten, die sich mal widerspenstig, mal kreativ an der Genealogie von Images und anderen sozialen Konstruktionen beteiligt haben. Die Antwort auf die Frage „Was machen die Medien mit den Menschen?“ kann ohne eine Antwort auf die Frage „Was machen die Menschen mit den Medien?“ nur eine unvollständige, halbierte, an Container-Metaphern orientierte sein. Denn wer das Typische herausstellt, darf sich – auch in historischer Perspektive – sicher sein, dass ihm das Atypische entgegengehalten wird. Auf eine Welt der Schablonen und Stereotype, auf den Hyperrealismus bzw. die Hyperritualisierung im Sinne Goffmans, folgt eine Gegenwelt von Lebensentwürfen, Besonderheiten und eigenen Lesarten, die sich ebenso Gehör verschaffen. Das Spiel mit den Regeln ist somit auch hier die Regel des Spiels. Im Folgenden soll gezeigt werden, dass die Karten von dieser Welt nicht nur manchmal zu schön sind, um wahr zu sein, sondern manchmal auch deshalb schön sind, weil sie nichts von Wahrheit haben. Der Titel des vorliegenden Beitrags nimmt Bezug auf Werbekampagnen wie beispielsweise die der Marke Lancôme des Unternehmens LÒreal mit der USSchauspielerin Julia Roberts. Diese wurde von der „Advertising Standards Authority“ als etwas eingestuft, das Paul Watzlawick „wirklicher als die Wirklichkeit“ bezeichnet hätte. Professionelle Ästhetisierungstechniken wie die Maske, eine entsprechende Licht- und Kameraführung zusammen mit der Idealisierung durch Retusche und Bildmontage (‚Digitale Chirurgie‘) ermöglichen die Masseninszenierung gepixelter Schönheit1 und perfekter Menschen, die in der Wirklichkeit keine Entsprechung mehr finden (vgl. hierzu: Isert 2007). Ein Gedanke, den bereits Goffman (vgl. 2006 [1959]: 56) in seiner Abhandlung zu Werbedarstellungen betont. Willems und Kautt (1999: 299) sprechen in diesem Zusammenhang auch treffend von einer „sperrige[n] Realität“. 1

Dass es sich beim Empfinden von Schönheit prinzipiell um ein Zusammenspiel vielfältiger, unterschiedlicher Elemente handelt und nicht nur Kleidung, Schminke und die optimale Figur ausschlaggebend sind, ist beim Angewiesensein auf Bildsprache und bei der Konzentration auf visuelle Merkmale schwierig zu demonstrieren und verschwindet daher im medialen Kontext häufig.

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VERFÜHRUNG – WIDER DEN RATIONALEN GEIST

Im Vergleich zu virtuellen Schönheiten bleibt nicht aus, dass „jede reale Erscheinung, jede wirkliche Schönheit verblassen muß“ (Tschirge & Grüber-Hrcán 1999: 55; vgl. dazu auch Penz 1995: 22). Die Werbung, so sorgte sich folglich eine liberale britische Politikerin, „übe Druck auf Frauen und junge Mädchen aus, die sich mit den unrealistischen Abbildungen vergleichen würden“ (Simon 2011). Rezipienten registrieren zwar das Nicht-Entsprechen digitaler Idealkörper, übersehen aber häufig, dass dieses Nicht-Entsprechen aus einem Nicht-Erreichen resultiert, die Sehnsucht nach diesen Körpern somit nie gestillt werden kann. Es geht hier, so Penz (1995: 7; vgl. auch S. 22), um das „niemals ans Ziel kommende Streben nach der idealen Form“. Trotz Wissen über Irrealität, Retusche und digitale Aufbereitung verinnerlicht der Rezipient diese medialen Ideale und wendet sich von unechten, unnatürlichen und virtuellen Körpern demnach nicht ab bzw. betrachtet sie nicht als unbrauchbar als Bezugsgröße. Er entwickelt, so Kornelia Hahn (2002: 295), vielmehr „Sehgewohnheiten“, die das Gefühl der eigenen Unzulänglichkeit auslösen bzw. verstärken können. Verführungen dieser Art sind in der Soziologie ein großes Thema, wenngleich sie nicht unter dieser Vokabel behandelt werden. Klaus Schönbach (2009: 7) begann sein Buch „Verkaufen, flirten, führen“ mit dem Satz: „Wir leben in einem Zeitalter der Persuasion.“ Das Buch ist in weiten Teilen populärwissenschaftlich angelegt, was nicht bedeutet, dass wissenschaftliche Tugenden kielgeholt werden. Schönbach setzt überdies auch auf die Tugenden seiner Leser, denen er am Ende einen Satz aus dem Buch „Yes! 50 secrets from the science of persuasion“ von Goldstein, Martin und Cialdini (2007: 138) mitgibt: „Of course, we know you wouldn’t even think of using this strategy in an unethical manner. After all, we sense much good in you!“ Werbe- und Verkaufsstrategien, Informations- und Aufklärungskampagnen, geschickte Gestaltungen von Spendenaufrufen – das Buch enthält eine Reihe von kompakt zusammengefassten Experimenten, die nicht nur zeigen, dass wir unter bestimmten Bedingungen beeinflussbar sind, sondern uns vielleicht auch bereitwillig beeinflussen lassen, weil wir bestimmte Formen der Kommunikation im Einklang mit unseren persönlichen Überzeugungen sehen. Zur Werbung hat Luhmann (2004: 85) einmal treffend festgestellt: Sie „sucht zu manipulieren, sie arbeitet unaufrichtig und setzt voraus, daß das vorausgesetzt wird“. Ist Verführung also etwas, das dem subjektiv gemeinten Sinn etwas hinzufügt, wovon dieser Sinn nichts weiß? „Weil die Handelnden nie ganz genau wissen, was sie tun, hat ihr Handeln mehr Sinn, als sie selber wissen.“ (Bourdieu 1987: 127) Aus dieser Sicht wird dem homo rationalis, wie Herbert Simon (1993) den modernen Menschen einmal zu charakterisieren versuchte, ein unbewusster Dritter hinzugefügt, der ihn daran hindert, im wahrsten Sinne des Wortes unabhängig zu sein. Verführung scheint somit etwas wider den rationalen Geist zu vermitteln. Dabei ist doch auf einer Seite des Strategiespiels immer Klugheit am Werk, auf der anderen Seite zumindest der Eindruck, es zu sein. Robert Levines Buch „Die große Verführung“, ein anschauliches Werk über Beeinflussungsstrategien, beginnt mit folgender Passage: „In Brooklyn, wo ich aufgewachsen bin, hatten wir eine

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Standardkritik für Intellektuelle parat: ‚Die haben Schulstubengrips, aber keinen Alltagsgrips.‘ Ich fürchte, daß diese Schwäche bei den Akademikern, die eine Universitätslaufbahn einschlagen, weit verbreitet ist. Schließlich bringt man uns in den meisten Fachbereichen bei, Forschungsprojekte durchzuführen und Manuskripte zu schreiben, Vorlesungen zu halten und Prüfungen abzunehmen, und nicht, uns mit List und Tücke durchs Leben zu schlagen.“ (2004: 9) Ob die Geschichte über einen vertrauenswürdigen jungen Mann – der ihn durch seine angenehm-freundliche Art in seiner Gutgläubigkeit bestärkte, ihn ein Reinigungsmittel für seinen Kamin kaufen ließ, am Ende sich der gesamte Vorgang als Scharlatanerie erwies – nun erfunden ist oder nicht: Jeder wird Situationen benennen können, die als enttäuschend erlebt wurden, weil man getäuscht wurde. Aber kaum, dass eine solche Situation eingetreten ist, treten alle verfügbaren inneren Kräfte gegen dieses Unheil an, das unserer Seele zugefügt wurde. Wir neigen dazu, den Fehler in der Situation oder den Umständen zu suchen, aber nicht bei uns selbst. Wenn, dann war es eine momentane Schwäche, keine überdauernde Disposition, schon gar nicht ein „personality trait“. Die Theorie der kognitiven Dissonanz ist hierfür ein gutes Beispiel. Aber es gibt Grenzen der Selbsttäuschung und damit Grenzen des „Schöndenkens“. Der Raucher weiß sich permanent in einer zweideutigen Situation, weil er die Sanktionen einer kurzfristigen Entscheidung, weiter zu rauchen, auf einem unsicheren Zukunftskonto verbuchen kann, aber nicht weiß, ob ein „Zahltag“ eintreten wird. Seine kurzfristige Rationalität verführt ihn zur Fortführung von etwas, von dem er nicht definitiv weiß, ob es ihm eine ungewisse Zukunft bereiten kann (vgl. auch Boudon 1980: 16f.). Wahrscheinlich wird er ebenso kurzfristig den Entschluss fassen, das Rauchen zu lassen. Auf Verführungen reagiert man nicht mit langfristigen Planungen. Das gilt wohl auch für Adam und Eva: Was einst der Apfel symbolisierte, lässt sich durch unzählige Varianten von Genussmitteln ersetzen. Die List der Schlange lässt Eva zur verbotenen Paradiesfrucht greifen. Die List der Werbung ähnelt der List der Schlange in dem Sinne, dass sie ebenfalls Wünsche hervorruft, die vorher noch gar nicht bekannt waren. Da Eva nun diejenige war, die zur verbotenen Frucht griff, erklärt, warum die Frau in der Regel als das schwache Geschlecht charakterisiert wird, das leichter verführt werden kann. Wenn sich darin Schwäche manifestiert, so ruft dies gleichsam nach Kontrolle, nach Herrschaft, die nunmehr dem Mann zufällt. 3 ROLLENSPIELE – FRAUEN UND MÄNNER IN MEDIEN UND WERBUNG Dies zeigt sich beispielsweise in Überlegungen zu der Frage, wer in besonderer Weise der Faszination der Werbung erliegen könnte. Bezüglich der Attraktivität von Auslagekästen im damaligen Wien meinte Adalbert Stifter bereits um die Mitte des 19. Jahrhunderts: „So natürlich, so unschuldig die Auslagen sind: So sehr glaube ich, reizen und verführen sie gerade die untern Klassen vorzüglich des weiblichen Geschlechts zur Begierde nach Luxus und Hoffart, und natürlich auch zu den Wegen dahin.“ (Zit. nach Borscheid 1995: 31) Diese Willensschwäche, die Stifter

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hier konstatiert, wird symptomatisch für die Rolle der Konsumentin im Zuge der Entstehung der modernen Konsumgesellschaft. Schössler sieht die konsumierende Frau den öffentlichen Raum betreten und beschreibt diesen Prozess flankierende Symptome, z. B. Kleptomanie und Kaufrausch (vgl. Schössler 2005: 245f.). Die Pathologisierung des weiblichen Konsums erscheint vor diesem Hintergrund als ein weiterer Abwehrkampf gegen unausweichliche Veränderungen, die mit der Moderne einhergehen (vgl. hierzu auch Lenz 2006). Das Kaufhaus wird zu einem verführerischen und käuflichen Ort. Der Warenfetisch greift um sich (vgl. Schössler 2005). Circa 100 Jahre später führt Vance Packard in „Die geheimen Verführer“ (1958) den US-Amerikanern die Macht von Mrs. Middle Majority vor, eine Frau, die Werbestrategen beim Gestalten ihrer Slogans beachten sollten. Die Macht des Verbrauchers, die Katona (1962) den pauschalen Manipulationsverdachtstheorien einer kritischen Sozialwissenschaft entgegenhält, sei weiblich. So zeigten sich Frauen beim Einkaufen kompetenter, kritischer, geduldiger, was unlängst auch empirisch wieder bestätigt wurde. Der Aussage, Kleidung kaufen macht mir Spaß, stimmten 20 Prozent der Männer, aber 57 Prozent der Frauen zu (vgl. Institut für Demoskopie Allensbach 2012: 27). Der Sieg, wenn man im Falle von Verführung überhaupt davon sprechen kann, fällt den Verführern jedenfalls nicht leicht in die Hand. Beide Seiten lernen. Von Beginn an waren also Vorstellungen von Über- und Unterlegenheit, von Willenskraft und Willensschwäche, von Tugend und Laster in der Welt. Damit wurde ein Basiskonflikt geschaffen, ein endloses Thema der Menschheitsgeschichte, das in der zuständigen Bindestrich-Soziologie als hierarchisch gegliederte Geschlechterordnung firmiert. Hierarchien alleine garantieren aber noch nicht Einfluss, vor allem, wenn es um Gunstbeweise geht. Man könnte das Problem, das sich hier manifestiert, als doppelte Verfügbarkeit über Persuasionswissen bezeichnen. Zwei Akteure, sagen wir Mann und Frau, treffen aufeinander. Der Mann glaubt zu wissen, was Frauen mögen, aber die Frau weiß auch, was der Mann von den Motiven der Frauen zu wissen glaubt. Das Spiel mit diesen Regeln ist die Regel des Spiels. Wer hätte gedacht, dass ein Buch, dessen Untertitel nicht gerade verführerisch wirkt, dazu brillante Beobachtungen enthält. Gemeint ist Luhmanns „Liebe als Passion. Zur Codierung von Intimität“. Das Buch ist auch ein Beitrag zur Mediensoziologie, weil es um die Folgen des Buchdrucks für Vorstellungen und Erwartungen von/an Liebe geht. Dort ist zu lesen: „Schon im 17. Jahrhundert weiß man: die Dame hat Romane gelesen und kennt den Code. Das steigert ihre Aufmerksamkeit. Sie ist gewarnt – und eben dadurch gefährdet. [...] Ebenfalls gelesen hat man die Floskeln und Gesten, die zur Kunst der Verführung gehören. Man hat damit zu rechnen, daß die Damen sie durchschauen, und weiß auch, daß sie trotzdem wirken.“ (Luhmann 1983: 37) Was einst vor allem den Romanen zukam, übernehmen heute auf breiter Front audiovisuelle Medien. Sie entlasten sogar das Nachdenken, in dem sie die Phantasie, die sich auf das Gelesene stützt, durch inszeniertes Anschauungsmaterial ersetzen. Eine Kultivierung von Emotionen kann so auch in einer Verflachung münden (vgl. Winterhoff-Spurk 1999: 70ff.). La Rochefoucauld hat es in einem Aphorismus vorweggenommen: „Manche würden sich niemals verliebt haben, wenn sie nie etwas von der Liebe gehört hätten.“

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Aber das ist nur eine von vielen Rollen, die der Frau zugeschrieben wird. Denn das Bild, das die Werbung vermittelt, ist heute ohne Zweifel ein anderes als vor 50 Jahren. Ebenso ist der Mann des 21. Jahrhunderts heute in Rollen zu sehen, die man ihm früher nicht zugestand. Meistens gelingt es der Werbung mit ihren Inszenierungen Erstaunen hervorzurufen – ein Bild der Wirklichkeit, das uns nicht wirklich vertraut ist. Denn die Werbung neigt dazu, ohnehin ritualisierte Verhaltensweisen zu stilisieren. Dieses Prinzip bezeichnet Goffman (1981: 328) mit dem Begriff „Hyper-Ritualisierung“. Das Ziel, das die Werbedesigner damit erreichen möchten, ist das gleiche, das auch der Mensch in sozialen Situationen anstrebt, nämlich die eigenen Handlungen und sich selbst für andere verständlich zu machen. „Und doch – ob wir nun für ein Bild posieren oder wirklich eine rituelle Handlung ausführen – stets zeigen wir ein Reklamebild, eine ideale Darstellung, die beschwört, wie die Dinge eigentlich sein sollten.“ (Ebd.) Das System der Werbung funktioniert also auf Basis geschlechtsklassenspezifischer Zeichen, die Aspekte für Weiblichkeit und Männlichkeit involvieren. Männer und Frauen werden dabei jedoch nicht einfach nur dargestellt, sondern es werden Vorstellungen darüber präsentiert, wie sie sind bzw. sein sollen. Solch stereotype Vorstellungen gewährleisten ein einfaches und somit schnelles Verständnis der Werbebotschaft, weshalb ihr Einsatz für Werbetreibende besonders lohnend ist. Geht es doch gerade in den Medien darum, Informationen zu vermitteln, die auf den ersten Blick verständlich sind, da die Möglichkeit der Nachfrage in der Regel entfällt. Es ist daher davon auszugehen, dass es für die Werbung besonders zweckmäßig ist, das System der Zweigeschlechtlichkeit aufrecht zu erhalten und als Maß für die gesellschaftliche Bedeutung von Geschlechtstypen zu fungieren. Nach Luhmann (2004: 28) ist nämlich gerade die „öffentliche Rekursivität [...] die Voraussetzung des Schon-Bekannt-Seins und des Bedarfs für weitere Informationen, ein typisches Produkt […] massenmedialer Kommunikation“. Wenngleich Goffmans Analyse der Werbung lange zurückliegt, sind die von ihm identifizierten Konstruktionsprinzipien aufschlussreich: So informiert bspw. die relative Größe von Mann und Frau über die Beschützerrolle, ebenso die Darstellung der Familie; die weibliche Berührung ist sanft, der Mann hält fest, packt an; die Rangordnung spiegelt die soziale Hierarchie wider: der Mann dominiert, erklärt, führt aus, die Frau schaut (weg) oder hört zu; die Körperhaltung dient wiederum als Ausdruck von Über- und Unterordnung; entrückte Blicke stehen für Schutzbedürftigkeit, z.T. spiegeln sie auch typische kindliche Verhaltensweisen, gelegentlich auch Bereitschaft für etwas anderes, oder dass man etwas verbirgt – also etwas Geheimnisvolles. Schließlich gebe sich die Frau gerne dem Schutz des Mannes hin, indem sie sich anlehnt, ohne sexuelle Absichten zu signalisieren. Stattdessen vermittelt ihr Gesichtsausdruck ein „Treibenlassen vor Anker“ (Goffman 1981: 256). Die Frau ist also nicht nur historisch als schwaches Geschlecht gerahmt worden, sondern bis in die Gegenwart in dieser Rolle zu sehen. Gleichzeitig wird aber auch auf eine Ausdifferenzierung und Loslösung von stereotypen Darstellungsprinzipien hingewiesen (vgl. Willems/Kautt 2000; Derra 2006). Spieß spricht in Bezug auf das weibliche Geschlecht z. B. von dem Typ der selbstbewussten, sich selbstverwirklichenden Frau, welche die Rolle der aktiven Verführerin spielt, ohne sich dabei

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verführen zu lassen (vgl. Spieß 1992: 101; oder auch die „neue Müßiggängerin“, Schmerl 1994: 135). Es ist erkennbar, dass die traditionellen Eigenschaften wie Abhängigkeit und Unterwürfigkeit, Konservativität und Selbstlosigkeit ausgedient haben: „Frauen wirken eindeutig unabhängig, selbstbewusst, modern und kompetent und – sie denken an sich selbst. Das Dasein nur für andere und die Aufopferungsbereitschaft sind in den Hintergrund getreten.“ (Derra 2006: 99) Wilk (vgl. 2002: 42) identifiziert im Laufe der Zeit ebenfalls eine zunehmende Präsentation der emanzipierten, selbstbewussten, aktiven und zielstrebigen Frau, die auch den Umgang mit modernen Technologien beherrscht. Sie stellt aber fest, dass die Körper dieser Frauen förmlich widersprüchlich zu der Stärke und dem Selbstbewusstsein ihres Gesichtsausdruckes bzw. Handelns erscheinen. Der Körper dieser Frauen ist leicht untergewichtig, kindlich und androgyn, was im übertragenen Sinne also mit Schwäche, Abhängigkeit und Unsicherheit und damit wieder mit stark traditionellen Typisierungen zu assoziieren wäre. Der Frauenkörper erscheint zwar selbstbewusst, forsch und verteidigt seinen Anspruch auf Individualität, besitzt aber eine homogen erscheinende Form mit Idealmaßen (vgl. Huster 2001: 10, 79, 117-123; auch Wilk 2002; 2008). Wer meint, dass Frauen nun endlich für sich sein können, sieht sich getäuscht. Denn auch wenn die Vorstellung von Frauen als das schwache Geschlecht immer unwirklicher erscheint, gelten Frauen nach wie vor als das schöne Geschlecht. Frauen „müssen [unabhängig von ihrem Erfolg, ihrer Macht oder ihrer Kompetenz; J.D.] immer zusätzlich noch gut aussehen“ (Posch 1999: 22, Hervorhebung im Original; vgl. auch Goleman & Bennett-Goleman 1990: 23). Männer besitzen nach wie vor mehr ‚Ausweich- bzw. Ausgleichmöglichkeiten‘ durch andere Vorzüge und Qualitäten in Form von Status, Macht, Erfolg oder Geld. Für sie ist ein attraktives äußeres Erscheinungsbild lediglich eine „angenehme Begleiterscheinung“ (Posch 1999: 22). Hier stellt somit immer noch Simmels (1971: 23f.) „Bedeutendheit“2 das zentrale Element dar, für Frauen gilt die „Schönheit“ als die Vollkommenheit der in sich geschlossenen, alle ihre Seinselemente nach ihrer eigenen inneren Harmonie abstimmenden Existenz.3 Infolgedessen wird Weiblichkeit auch in der Werbung stärker mit jugendlicher Schönheit gleichgesetzt als Männlichkeit (vgl. Willems & Kautt 1999: 317). Das führt gleichzeitig dazu, dass besonders der alte Körper, der als „nicht schön“ deklariert wird, bei Frauen bildlich ausgeblendet wird – vor allem in Werbeanzeigen, in denen jugendliche Schönheit als käufliches Gut angepriesen wird (vgl. Derra 2012: 2

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Bedeutendheit erscheint hier als die machtwillige und Form gebende Beziehung auf ein reales und ideelles Äußeres, ausgerichtet auf Leistung, Gewinn, Erkenntnis, Wirksamkeit. Der männliche Körper wird als bedeutend definiert, ersichtlich an einer stärkeren Ausprägung der für die Arbeit wirksamen Muskeln und Ausdruck von Kraft als Ausrichtung auf seine Zweckmäßigkeit. Bedeutung wird bei Simmel (1971: 24) somit verstanden als die „Möglichkeit des Aus-sich-Heraustretens, der wirksamen Berührung mit dem Draußen“. Schön sein wird hier in einem abstrakten Sinn verstanden, „der jede Verengung der Schönheit, etwa auf ein hübsches Gesicht, natürlich ablehnt“ (Simmel 1971: 23), Schönheit als Geschlossenheit des Gesamtseins in sich selbst. Simmel (vgl. 1971: 22-25) konstatiert der Frau insgesamt eine größere Disposition für die Schönheit, wodurch die Schönheitsqualität der weiblichen Erscheinung näher liege als der männlichen.

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242-248). Um die alterslosen Werbedarstellerinnen der Gruppe der Älteren zuzuordnen und die entsprechende Produktzielgruppe zu erreichen, werden stattdessen der Produktname bzw. die Produktbeschreibung oder andere Hinweise im Textteil als Erkennungsmarken verwendet. Die weibliche Zunahme von Erwerbstätigkeit, Kompetenz, Stärke, Macht und Selbständigkeit einhergehend mit der neuen Weichheit bzw. Gefühlsbetontheit von Männern hat neue soziale Leitbilder hervorgebracht. Ein Nebeneffekt ist jedoch, dass diese sich nicht nur in einem stärkeren Kontrollbewusstsein über den Lebensalltag niederschlagen, sondern neue Attraktivitätsvorstellungen und Schönheitsideale befördern. Schönheit wird in mehrfacher Hinsicht zu einem Medium der Konkurrenz. Frauen konkurrieren untereinander, sind anfälliger für Schönheitsideale als Männer, reagieren aber auf die Beurteilung ihrer Beziehung zu Männern in Abhängigkeit von der Hierarchie der optischen Attraktivität. Was bedeutet das? Sozialpsychologen der Universität von Kalifornien baten 82 Paare, ihre persönlichen Probleme zu diskutieren. Die Gespräche vor der Kamera verliefen harmonisch, wenn nach optischem Eindruck die Frau attraktiver als der Mann war, im umgekehrten Falle ging es deutlich ruppiger zu. Der Mann ließ seine Überlegenheit zur Geltung kommen. Die Forscher sehen darin die Fortwirkung eines evolutionspsychologischen Phänomens. Der Mann sieht die Chance auf Besseres und glaubt auch an diesen Anspruch. Ist der Mann dagegen weniger attraktiv (im Vergleich zu seiner Frau), kümmert er sich viel intensiver um sein Gegenüber. Das Werben um die Gunst nimmt sozusagen kein Ende (vgl. Zittlau 2008). Wichtig ist in diesem Diskurs allerdings, dass Frauen nicht ausschließlich als wehrlose Opfer der vorgegebenen Schönheitsideale und Schönheitsvorstellungen betrachtet werden sollten, sondern dass sie im Sinne von „Gesellschaftsmitgestalterinnen“ gleichfalls als Mittäterinnen und Täterinnen angesehen werden müssen, die aktiv beteiligt sind. Es ist somit nicht bloß die Männerwelt, die diese Vorschriften vorgibt, sondern eben auch das weibliche Geschlecht selbst, welches diese Vorstellungen mit vorantreibt. Was Frauen somit häufig vehement kritisieren, wird von ihnen selbst bis zur letzten Konsequenz praktiziert (vgl. Vogt 1994: 98f.; Degele 2008: 73; auch indirekt bei Freedman 1989: 52). 4

MASSENWARE SCHÖNHEIT?

Wenn es in diesem Kampf um Schönheit einen tertius gaudens gibt, dann ist es die Industrie, die davon lebt und ideales Aussehen als käuflich erwerbbar präsentiert. Hervorgebracht werden homogene, standardisierte und unerreichbare Körper. So genannte göttliche Schönheiten, die sich quasi von der natürlichen Dimension entfremdet haben und für ein unerreichbares Ideal stehen, für eine Freiheit, die nicht irdisch zu sein scheint. Hierfür steht auch die Erwartung, „outside of time“ (Katz 1995: 70) leben zu können. Diese Sehnsucht wie auch die Gestaltung eines idealen, ewig jungen Körpers durch Chirurgie, Biotechnik und Individualisierung bzw. Pluralisierung der Techniken der invasiven Selbstgestaltung scheinen heute zum ersten Mal greifbar

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(vgl. Tschirge & Grüber-Hrcán 1999: 92f.; Schulz 2002; Bublitz 2006: 358; Herrmann 2006: 71; Smaxwil 2007: 153). Die operative oder kosmetische Verjüngung greift an, was die Natur geschaffen oder ein unkontrolliertes Leben verursacht hat. Die Fixierung des Individuums auf den störrischen, widerspenstigen, biologisch determinierten Körper erfährt damit eine Loslösung. Handelt es sich bei mit Botox gestrafften Gesichtern, silikonausgepolsterten Brüsten, mit Implantaten angehobenen Wangenpartien oder durch Extensions verdichtetere Haare um keine Einzelfälle mehr, wird künstliches Aussehen vertraut und damit quasi als „natürlich“ angesehen und ihrem Vorhandensein zugleich der Status der Selbstverständlichkeit zugeschrieben. Ein Rückgang ausschließlich natürlicher Körper durch den zunehmenden Einsatz künstlicher Schönheitskomponenten bewirkt damit auch eine erhöhte Akzeptanzschwelle gegenüber stärker entnatürlichten Körpern in Medien und Werbung. Demzufolge bleibt abzuwarten, ob mediale, künstlich erzeugte Körperbilder zukünftig überhaupt noch den Schein der Natürlichkeit wahren müssen oder noch stärker dem Schema folgen: „zu schön, um wahr zu sein“. Medien und Werbung vermitteln das Gefühl, „sich sein Wunsch-Ich nach jugendlichen Normen einfach neu konstruieren zu können“ (Zybok 2005: 215). Durch das Potenzial genetischer Neubildung entsteht ein neues Bewusstsein von Macht, den eigenen Körper im Sinne eines „Technokörpers“ (Kimbrell 1997) kontrollieren und nach Belieben konstruieren zu können. Die Umgestaltung des Körpers wird zur Technik einer Selbstermächtigung. Die kulturell zur Verfügung stehenden Techniken greifen dabei in die Natur des Körpers ein. Eine Befreiung bzw. Erlösung kann somit nur durch diese „Entnatürlichung“ (Strick 2008: 215) des Körpers bewirkt werden. Das Ergebnis ist eine Spirale des Selbstzweifels, die sich wie folgt charakterisieren lässt: „Der Verlust des guten Aussehens gehört immer zum Risiko des schönen Aussehens.“ (Derra 2012: 175) Das Dorian Gray-Syndrom steht in der Literatur für den verführerischen Glauben an die ewige Jugend. Oscar Wildes Hauptfigur verkauft seine Seele an den Teufel und wird auf diese Weise zum Opfer einer Sehnsucht nach altersloser Schönheit. So erweist sich die Formulierung, ein Opfer der Verführung geworden zu sein, als etwas zeitlos Gültiges. Zugleich werden wir Zeuge, dass es auch in der Moderne unentwegt Vertreibungen aus dem Paradies gibt, weil man es auf Erden sucht. Der Mensch, so schrieb Alois Hahn in seiner „Soziologie der Paradiesvorstellungen“, „ist eben nicht durch fixe Bedürfnisse und Instinkte beschrieben. Er zeugt immer neue Begierden, wenn die alten gestillt sind.“ (Hahn 1976: 34) Er benötigt dazu weder einen Teufel noch einen Gott. Das Glück der Menschen, so Hirschman (1984), sei immer enttäuschungsbedroht, weil die Erfüllung eines Wunsches gelegentlich auch zur Qual werden kann. Gäbe es also das Paradies auf Erden, wäre eine kollektive Gleichgültigkeit die Folge. Man müsste nicht mehr enthaltsam sein, keine der beiden tragischen Erfahrungen machen, wie sie George Bernard Shaw beschrieb: „Die eine ist, daß man nicht bekommt, was man sich sehnlichst wünscht, die andere ist, daß man es bekommt.“ (Zit. nach: Hirschman 1984: 67f.) Die Hoffnung, dass diese irdischen und menschlichen Makel der Vergangenheit angehören, wenn Zeit als Variable entfällt, gehört wohl zu den

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irrationalsten und menschlichsten sozialen Glücksvorstellungen, die Kultur hervorgebracht hat. Nicht nur die alten Römer wussten: „Rara sunt cara.“ Das Seltene ist wertvoll, nur gelegentlich bewegt man sich jenseits des Limitierten. Im übertragenen Sinne heißt das demnach, wenn alle Menschen schön sind, verliert die Schönheit an Wert. Da ein schönes Aussehen prinzipiell ein „schöner als“ ausdrückt, wie beispielsweise Bovenschen (vgl. 2006: 21) ausführt, kann infolgedessen nicht mehr von Schönheit im eigentlichen Sinne gesprochen werden, sondern das Schöne muss in neuer Form als das Herausgehobene aus der Masse entstehen. Aber auch die Umkehrung muss beachtet werden: Unter der Bedingung, dass sich der Wert jedes Guts steigert, wenn es seltener wird, ist die logische Konsequenz, dass der Erhalt jugendlicher Schönheit und körperliche Perfektion in einer zunehmend alternden Gesellschaft attraktiv erscheinen. Genauso ist somit möglich, dass Schönheit in Zukunft noch stärker über Jugend und Jugendlichkeit definiert wird, wenn junge Menschen und damit natürlich-junge Körper durch die Alterung der Gesellschaft zur Minderheit avancieren. Anlehnend daran kann einer weiteren Überlegung nachgegangen werden: Kommt es zu einer „televisionären Überflutung mit perfekter und virtueller Schönheit“ (Tschirge & Grüber-Hrcán 1999: 66) und zur Dominanz des (virtuell oder technisch-chirurgisch erzeugten) Perfekt-Makellosen in der Welt des Aussehens? Oder geht der Trend wieder zur Natürlichkeit bzw. zur Naturbelassenheit des Aussehens, weil das Natürliche zur Rarität wird und damit wieder den Status von etwas Besonderem erlangt? Es bleibt abzuwarten, welcher Körper in Zukunft verführerischer erscheinen wird. BIBLIOGRAFIE: Borscheid, Peter (1995): Am Anfang war das Wort. Die Wirtschaftswerbung beginnt mit der Zeitungsannonce. In: Borscheid, Peter/Wischermann, Clemens (Hrsg.): Bilderwelt des Alltags. Werbung in der Konsumgesellschaft des 19. und 20. Jahrhunderts. Festschrift für Hans Jürgen Teuteberg. Stuttgart: Steiner, S. 20-43. Boudon, Raymond (1980): Die Logik des gesellschaftlichen Handelns. Eine Einführung in die soziologische Denk- und Arbeitsweise. Neuwied et al.: Luchterhand. Bourdieu, Pierre (1987): Sozialer Sinn. Kritik der theoretischen Vernunft. Frankfurt am Main: Suhrkamp. Bovenschen, Silvia (2006): Älter werden. Notizen. 4. Aufl. Frankfurt am Main: S. Fischer. Bublitz, Hannelore (2006): Sehen und Gesehenwerden – Auf dem Laufsteg der Gesellschaft. Sozial- und Selbsttechnologien des Körpers. In: Gugutzer, Robert (Hrsg.): Body Turn. Perspektiven der Soziologie des Körpers und des Sports. Bielefeld: transcript, S. 341-361. Campbell, Colin (1987): The Romantic Ethic and the Spirit of Modern Consumerism. Oxford: Basil Blackwell. Degele, Nina (2008): Normale Exklusivitäten – Schönheitshandeln, Schmerznormalisieren, Körper inszenieren. In: Villa, Paula-Irene (Hrsg.): Schön normal. Manipulationen am Körper als Technologien des Selbst. Bielefeld: transcript, S. 67-84. Derra, Julia M. (2006): „Darf ich auch einmal irgendwo nicht reinpassen? – Du darfst!“ Eine inhaltsanalytische Untersuchung von Frauendarstellungen in Anzeigenwerbung ausgewählter Zeitschriften mit anschließender Befragung einer entsprechenden Rezipientengruppe. Trier. Unveröffentlichte Magisterarbeit.

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Michael Jäckel, Julia M. Derra

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DER PRÄSIDENT UND DIE HERAUSFORDERIN – GESCHLECHTERKONSTRUKTIONEN VON SPITZENKRÄFTEN IN DER POLITIK AUS MEDIENETHISCHER PERSPEKTIVE Elke Grittmann und Tanja Maier

In den vergangenen Jahren haben die Medien breit über das Thema Quotenregelungen in Führungspositionen berichtet und es zur öffentlichen Diskussion gestellt. Auch die jüngsten medialen Debatten über Erziehungsgeld, Gender Wage Gap oder Altersabsicherung scheinen eine neue Aufmerksamkeit für Fragen der Geschlechtergerechtigkeit in Deutschland zu belegen. Bei solchen Auseinandersetzungen gerät schnell in den Hintergrund, dass Medien nicht nur als Foren öffentlicher Diskurse zu betrachten sind. Forderungen nach Gleichheit und Gerechtigkeit richten sich ebenso auf die Medien selbst.1 Eine Forderung ist beispielsweise, dass Frauen in politischen Positionen mehr Sichtbarkeit in den Medien erhalten sollen. Diese Sichtbarkeit wird in der Forschung zum einen in Hinblick auf Quantität untersucht (vgl. z. B. Röser/Müller 2012). Aus kulturtheoretischer Perspektive ist Journalismus zum anderen vielmehr als Akteur zu begreifen, der gleichermaßen Bedeutungsmuster hervorbringt, die im Kreislauf von Produktion, Inhalten und Rezeption zirkulieren. Solche Bedeutungsmuster wurden auch in Bezug auf die Kategorie Geschlecht über Jahrzehnte beobachtet (vgl. dazu z. B. den Überblick von Klaus 2005: 215ff.; Pantti 2007). In der Art und Weise, wie Personen und ihr Handeln beschrieben und gezeigt werden, werden vergeschlechtlichte Identitäten hergestellt. Seit die amerikanische Soziologin Gaye Tuchman (1978) symbolische Annihilation, die Trivialisierung und Marginalisierung von Frauen in den Medien festgestellt hat, lassen sich in Bezug auf die Berichterstattung über politisches Personal zwar Veränderungsprozesse hinsichtlich expliziter Diskriminierungen beobachten, dennoch werden nach wie vor vergeschlechtlichte Konstruktionen offensichtlich (vgl. den Überblick in Lünenborg/Maier 2012). In ihrem Beitrag „Transformative Anerkennung: Medienethik und Geschlechtergerechtigkeit“ plädiert Sigrid Kannengießer (2011) daher dafür, solche medialen Kommunikationsmuster als Gegenstand der Medienethik zu definieren. Sie greift dazu Nancy Frasers zweidimensionale Konzeption von Gerechtigkeit auf, die sich zum einen auf sozioökonomische Umverteilung, zum anderen auf die Anerkennung des Subjekts bezieht. Fehle diese Anerkennung, so Fraser, dann führe dies

1

Vgl. dazu beispielsweise das Global Media Monitoring Project, das seit 1995 alle fünf Jahre die Präsenz und Stereotypisierung von Frauen im Vergleich zu Männern in Nachrichtenmedien (Print, Hörfunk, Fernsehen) im internationalen Vergleich erhebt. (An der aktuellen Studie 2010 waren 108 Länder beteiligt). Eine der Hauptforderungen des Projekts ist Geschlechtergleichheit in der Berichterstattung, die anhand des Indikators Präsenz geprüft wird. Vgl. GMMP Report 2010.

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Elke Grittmann und Tanja Maier

zu kultureller Ungleichheit (vgl. Fraser 2003, zit. nach Kannengießer 2011: 334). Gerade Medien wird dabei eine wichtige Rolle zugeschrieben. Kannengießer geht dabei noch weiter: Mediale Identitäts- und Rollenzuschreibungen begründen auch die gesellschaftlichen Geschlechterverhältnisse (vgl. ebd.: 336). Allerdings soll im Folgenden die Differenzierung von Ökonomie (sozioökonomische Umverteilung) und Kultur (Anerkennung der Subjekte) überwunden werden, die dieser Argumentation zugrunde liegt. Produktiver erscheint hier der Begriff der „Anerkennung“ von Johanna Schaffer (2008: 20, Hervorhebung im Original): „Zum einen ist Anerkennung die Grundlage für die Lesbarkeit und Verstehbarkeit spezifischer Subjektpositionen – im Sinne von Erkennbarkeit. Hier garantiert sie die Wirklichkeit und Wahrhaftigkeit dessen, was anerkannt wird. Zum anderen sind Verhältnisse der Anerkennung mit der Dimension der Belehnung mit Wert verbunden [...].“ An diese Konzeptionen knüpft dieser Beitrag empirisch und theoretisch an. Die empirische kommunikations- und medienwissenschaftliche Geschlechterforschung ist insofern relevant, weil sie durch empirische Studien Erkenntnisse über solche Konstruktionen erbringen kann. Angesichts der breiten Debatte der vergangenen Jahre über Frauen in Führungspositionen stellt sich somit die Frage, inwiefern auch der Journalismus an der Konstruktion solcher soziokulturellen vergeschlechtlichten Bedeutungsmuster in der Text- und visuellen Berichterstattung beteiligt ist. Während die Richtung, die sich mit Verteilungsfragen beschäftigt, mit quantifizierbaren Parametern arbeitet, lässt sich die Frage der Anerkennung allein durch qualitative (de)konstruktive Ansätze untersuchen. Im Folgenden soll dazu zunächst der theoretische Rahmen zur Frage der Anerkennung im Medienkontext entwickelt werden und anschließend anhand einer exemplarischen Analyse gezeigt werden, auf welche Art und Weise in der medialen Berichterstattung über politische Spitzenkräfte Geschlechterdifferenzen erzeugt werden. Daran schließt die Diskussion der Befunde aus medienethischer Perspektive sowie die der Herausforderungen an, die sich der Medienethik stellen. 1

GESCHLECHTERKONSTRUKTION UND MEDIENETHIK AUS THEORETISCHER PERSPEKTIVE

Es kann keine Rede davon sein, dass Journalismus einfach ‚die Wirklichkeit‘ abbildet oder spiegelt. Sowohl durch sprachliche Äußerungen als auch durch Bilder werden in journalistischen Kommunikationsprozessen Bedeutungen hervorgebracht. Diese Bedeutungen entstehen nach Stuart Hall (1997: 28ff.) durch „Repräsentation“. Mediale Repräsentationen sind nicht ‚frei erfunden‘, sondern sie referieren auf Wirklichkeit. Wie es Antke Engel (2002: 16) anlehnend an Hall formuliert: „Repräsentation bildet keine Wirklichkeit ab, sondern produziert Bedeutung, indem sie auf Wirklichkeit referiert und diese dabei konstruiert.“ Mediale Repräsentationen sind gleichermaßen wirklichkeitskonstituierend und dies betrifft auch die Herstellung von Geschlecht. Geschlecht wird so gesehen nicht als natürliche Eigenschaft aufgefasst, sondern ist als Ergebnis eines Herstellungsprozesses zu begreifen, an dem Medien mitwir-

Geschlechterkonstruktionen von Führungskräften in der Politik

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ken, indem sie an bestehende Normen anknüpfen und Diskurse (re)produzieren. Sie erzeugen dadurch Vorstellungen von Männlichkeit und Weiblichkeit und definieren gleichermaßen mit, wie Subjekte sein sollen und was gleichzeitig als Abweichung gilt. Diese medialen Geschlechterbilder basieren wiederum auf gesellschaftlichen Entwürfen von Männlichkeit und Weiblichkeit. Da Geschlechterverhältnisse nicht nur sozial hergestellt, sondern ebenso soziokulturell erzeugt werden, kommt medialen Repräsentationen von Subjekten eine wichtige Bedeutung zu. Dies gilt insbesondere für die Zuschreibung von Personen, zu deren Alltag die Rezipierenden selbst keinen Zugang haben. Mediale Repräsentationen können hier besonders Vorstellungen von Gruppen oder gesellschaftlichen Bereichen prägen. Mediale Repräsentationen produzieren somit Wissen über die gesellschaftliche Relevanz von politischen Persönlichkeiten, sie geben eine Vorstellung davon, wer zu den machtvollen und anerkannten Personen gehört und wer nicht, sie produzieren Aussagen, wie Frauen und Männer in der Politik sind, wie sie sein sollen und wie nicht. Sie können zugleich selbst zum Angebot für eigene Identitätskonstruktionen werden. Denn (Geschlechter)Identitäten und damit auch (Geschlechter)Körper werden unter anderem durch mediale Repräsentationen, wie sie zum Beispiel der politische Journalismus anbietet, geformt und in Auseinandersetzung mit diesen verändert (vgl. Hall 1994: 200). Die Konstruktionsleistung von Journalismus wird in besonderer Weise mit Blick auf die öffentliche Wahrnehmung von politischen Spitzenkräften offensichtlich. Medien bzw. die darin tätigen Akteure tragen damit aus medienethischer Sicht eine Verantwortung für die (Geschlechter)Repräsentationen, welche sie erzeugen und verbreiten. Die Journalistik und insbesondere die Journalismusforschung konzentrieren sich in der Erforschung ethischer Standards im Berufsfeld häufig auf die Analyse von Einzelfällen oder journalistischem Handeln im Sinne professioneller Selbstverpflichtungen und Normen, die allein als journalismusspezifisch definierte Arbeitsweisen und Kriterien verstanden werden.2 Solche sozialen Verhaltensweisen stellen neben der häufig anzutreffenden Diskussion von Einzelfällen eine viel beachtete Dimension von Medienethik dar. Insgesamt lassen sich nach Rüdiger Funiok fünf Ebenen philosophisch-ethischer Diskussionen unterscheiden. Funiok (2002: 272f.) differenziert in Anlehnung an Irrgang und Bayertz folgende idealtypischen Ebenen philosophisch-ethischer Argumentation: 1. Urteile, die sich auf einen konkreten Fall beziehen, 2. Regeln oder Normen, wie beispielsweise die Regeln des Pressekodex, 2

Dies lässt sich beispielsweise an großen Studien zum Journalismus in Deutschland (vgl. Weischenberg/Malik/Scholl 2006) und im internationalen Vergleich (vgl. Plaisance/Skewes/Hanitzsch 2012) ablesen. In der repräsentativen Journalismusstudie von Weischenberg/Malik/ Scholl (2006: 45f.), bei der rund 1540 Journalistinnen und Journalisten befragt wurden, wird Geschlecht lediglich als soziales Strukturmerkmal in Bezug auf die Berufsgruppe berücksichtigt. Als kulturelle Dimension journalistischer Ethik wird sie jedoch in der Befragung ausgeblendet. Die Analyse journalistischer „Methoden und Moral“ (ebd.: 167) bezieht sich allein auf Aspekte journalistischer Recherchemethoden (vgl. ebd.: 174ff.). Auch das jüngere international vergleichende „Worlds of Journalism Project“ (vgl. z. B. Plaisance/Skewes/Hanitzsch 2012) berücksichtigt Geschlecht allein in Bezug auf Einstellungen, nicht jedoch als Gegenstand des ethischen Selbstverständnisses des Journalismus (vgl. Hanitzsch/Hanusch 2012).

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3. Grundüberzeugungen oder Haltungen, die durch die Ethik begründet werden sollen, 4. ethische Prinzipien und schließlich 5. ethische Theorien. Betrachtet man Journalismus aus kulturtheoretischer Perspektive (vgl. Lünenborg 2005), so werden ethische Fragen erstens nicht nur auf der Ebene der Arbeitsweisen, sondern gerade in der Berichterstattung im Zuge journalistischer Bedeutungszuschreibung relevant. Zwar wird von einigen Journalistinnen und Journalisten immer wieder behauptet, sie würden lediglich „Wirklichkeit abbilden“ (Lünenborg/Maier 2012). Dass durch die angeblich rein wirklichkeitsbezogene Beschreibung auch gleichzeitig Bedeutung hergestellt wird, wird durchaus in der Praxis medienethisch reflektiert. So richtet sich Ziffer 12 der Publizistischen Grundsätze des Deutschen Presserats, der freiwilligen Selbstkontrolle der deutschen Presse, explizit gegen „Diskriminierungen“. Der Pressekodex schreibt hier: „Niemand darf wegen seines Geschlechts, einer Behinderung oder seiner Zugehörigkeit zu einer ethnischen, religiösen, sozialen oder nationalen Gruppe diskriminiert werden.“ Der Pressekodex fordert in der Richtlinie 12.1 eine besondere Sensibilität bei der Nennung ethnischer oder nationaler Zugehörigkeit im Kontext von Straftaten, da „die Erwähnung Vorurteile gegen Minderheiten schüren könnte“ (Deutscher Presserat 2013). Die Leitlinie, durch die Berichterstattung nicht zu diskriminieren, ist somit als eine Aufforderung zur Unterlassung formuliert. Geschlechtergerechte Anerkennung bezieht sich jedoch nicht nur auf die Ebene der professionellen Regeln und Normen, sie berührt grundlegende ethische Prinzipien und Theorien von sozialer Gerechtigkeit. Eine Untersuchung von medialen Geschlechterkonstruktionen richtet das Interesse nicht nur auf Diskriminierungen, sondern auf die Frage, wem die Medien auf welche Art und Weise Anerkennung zuteilwerden lassen. Die „Belehnung“ dieser Anerkennung „mit Wert“ als sozioökonomische Kategorie, wie sie Schaffer bezeichnet hat, wird dabei als wichtiges Kriterium in der medialen Repräsentation mit berücksichtigt. 2

METHODISCHE VORGEHENSWEISE

Die folgende Fallstudie präsentiert Befunde aus einem größeren Forschungsprojekt, welches die medialen Geschlechterrepräsentationen von Spitzenkräften in Politik, Wirtschaft und Wissenschaft vergleichend analysiert und sowohl den Produktionskontext als auch die Rezeption erforscht (vgl. Lünenborg/Röser 2012b).3 Das Forschungsinteresse der Bild- und Textanalyse ist es, Geschlechterpositionierungen, -konstruktionen und mögliche Veränderungen in der visuellen und sprachlichen Darstellung von Führungskräften zu untersuchen. Im Kontext des Forschungspro-

3

Es handelt sich um das Projekt „Spitzenfrauen im Fokus der Medien“. Ihm liegt ein Projektdesign zugrunde, welches verschiedene Dimensionen der Medienkommunikation umfasst. Im Zentrum stehen quantitative und qualitative Text- und Bildanalysen sowie qualitative Kontextanalysen, die sich mit der Produktion und der Rezeption dieser Medieninhalte und -bilder beschäftigen.

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jektes wurden die Textanalyse (vgl. Maier/Lünenborg 2012) und die Bildanalyse (vgl. Grittmann 2012) getrennt voneinander in zwei Projektteilen durchgeführt, das methodische Vorgehen wurde dabei aufeinander bezogen und abgestimmt. Im Folgenden werden ausgewählte Befunde aus der qualitativen Textanalyse sowie der qualitativen Bildanalyse zusammengetragen und analytisch verdichtet. Die vorliegende Analyse fokussiert dabei auf die Berichterstattung über zwei ausgewählte Persönlichkeiten in der Politik: nämlich Gesine Schwan und Horst Köhler. Gegenstand ist die personenorientierte Berichterstattung über Schwan und Köhler in insgesamt dreizehn informations- und unterhaltungsorientierten Printmedien. Als Tageszeitungen decken Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ), Süddeutsche Zeitung (SZ) und die tageszeitung (taz) die überregionale Qualitätspresse ab. Die Zeit ist ergänzend als politische Wochenzeitung, Bild als Boulevardzeitung berücksichtigt. Der Zeitschriftenmarkt mit seiner speziellen Zielgruppenorientierung ist einbezogen durch die Nachrichtenmagazine Der Spiegel und Focus, die Wirtschaftsmagazine Capital und manager magazin, die Illustrierten Stern, Bunte und Superillu sowie die Frauenzeitschrift Brigitte. Der Untersuchungszeitraum der Textanalyse betrug sechs Monate (01. April bis 30. September 2008), der Analysezeitraum der qualitativen Bildanalyse umfasste rund zwei Monate4, die innerhalb dieses Untersuchungszeitraumes lagen. Der Forschungsprozess orientierte sich an den Arbeitsschritten und -phasen der Grounded Theory (vgl. Strauss 1998) in Hinblick auf die Verdichtung, Strukturierung und den Vergleich des Bild- bzw. Textmaterials sowie das Schreiben von Memos. Abweichend davon wurden vorab Dimensionen entwickelt, auf die hin Aussagemuster (Text) sowie Bildmotive und -darstellungsstrategien aus dem Material herausgearbeitet wurden. Die Dimensionen beziehen sich auf: - situativer Gesamtkontext (privat/öffentlich): Politische Öffentlichkeit ist auch aus Geschlechterperspektive ein vermachteter Raum. Bis zur Mitte des ersten Jahrzehnts des 21. Jahrhunderts war die Thematisierung des familiären und privaten Kontextes von Politikerinnen eine wesentliche Strategie, um sie zu vergeschlechtlichen und Vorstellungen von traditioneller Weiblichkeit aufzurufen (vgl. Pantti 2007). Damit war gleichermaßen eine Hierarchisierung bzw. Abwertung verbunden. Dichotomien von Öffentlichkeit und Privatheit, Information und Unterhaltung, Relevanz und Trivialisierung, die traditionell mit Geschlechterdifferenzen verknüpft waren, sind in den vergangenen Jahren in Bewegung geraten (vgl. Lünenborg 2009: 7). Somit stellt sich die Frage, inwiefern in der Berichterstattung Privatheit und Öffentlichkeit heute aus Geschlechterperspektive thematisiert werden. - Körperkonstruktionen (Körper, Gestik, Mimik, Beziehung/Interaktion): Die Naturalisierung und Essentialisierung von Geschlecht geschieht in Bild

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Die Zeitungen wurden in der Zeit vom 20.05. bis zum 11.07.2008 ausgewertet, die monatlich erscheinenden Zeitschriften von Mai bis Juli, die wöchentlich und 14-täglich erscheinenden Ausgaben vom 15.05. bis zum 11.07.2008.

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und Text über Beschreibungen von Körpern, von Gestik, Mimik und körperlicher Interaktion. Medien eröffnen damit Subjektpositionen und Identitätsangebote, über die (Geschlechter)Identitäten und -Körper ausgehandelt werden können. Geschlecht ist jedoch nur eine Kategorie sozialer Positionierung neben schichtbezogenen, ethnischen oder nationalen Identitätskonstruktionen. Die Analyse bezieht sich insbesondere auf die Beschreibung von Kleidung und Aussehen, von Gestik und Mimik sowie auf körperliche Interaktion im Bild. - textspezifische Bezeichnungen (Personenbezeichnung, Charakterisierungen): Die Dichotomisierung von Geschlecht entsteht auch durch Bezeichnung und Charakterisierung von Personen in den journalistischen Narrationen. Gleichermaßen werden hier Normen und Werte artikuliert, anhand derer Personen Anerkennung zu- oder abgesprochen wird. - bildspezifische ästhetische Darstellungsstrategien bei der Aufnahme/Herstellung und Präsentationsstrategien im Kontext des Layouts: Nicht nur die Wahl des Bildmotivs, sondern auch der Einsatz bildspezifischer Gestaltungsmöglichkeiten, wie die Wahl der Perspektive, des Bildausschnitts oder der Platzierung von Bildern im Layout, kann den Eindruck von Status und Macht der repräsentierten Personen erzeugen. Die Frage ist, ob sie auch zur Differenzierung von Geschlecht eingesetzt werden. 3

GESCHLECHTERKONSTRUKTIONEN IN DER POLITIK AM BEISPIEL VON GESINE SCHWAN UND HORST KÖHLER 3.1

öffEntlichE privathEitEn – dEr situativE kontExt

Im Untersuchungszeitraum von April bis September 2008 zeichnete sich bereits der Wahlkampf um das Amt des Bundespräsidenten im Mai 2009 ab. Die SPD nominierte die Politikwissenschaftlerin Gesine Schwan, Präsidentin der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder). Sie trat damit zum zweiten Mal als Kandidatin an. Auch der Amtsinhaber Horst Köhler teilte im Untersuchungszeitraum, genauer im Mai 2008 öffentlich mit, dass er für eine zweite Amtszeit kandidieren wolle. In der Berichterstattung beziehen sich Anlass und Hauptthema vornehmlich auf damit zusammenhängende professionell-berufliche Themen. So stehen in der Berichterstattung der Tageszeitungen die Nominierung von Schwan und die erneute Kandidatur von Köhler und deren politische Ziele im Vordergrund. Auch visuell werden beide im beruflichen Kontext präsentiert. Gerade Schwan wird in dieser Phase ihrer Ernennung zur Kandidatin der SPD bei öffentlichen Auftritten, wie beispielsweise Pressekonferenzen, gezeigt. Die Ikonografie dieser Aufnahmen knüpft an bekannte Bildmotive politischen Handelns an. Dazu gehören beispielsweise Reden, Gespräche, Begegnungen oder Begrüßungen (vgl. Grittmann 2007). Köhler erscheint daneben ebenso in einer bekannten Ikonografie des Bundespräsidenten, wie beispielsweise Motiven von repräsentativen Auftritten bei bzw. Begegnungen

Geschlechterkonstruktionen von Führungskräften in der Politik

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mit einzelnen gesellschaftlichen Gruppen oder am Schreibtisch im Bundespräsidentenamt (z. B. Focus, 19.05.08). Dennoch spielen auch private Kontexte durchaus eine Rolle. Auf sprachlicher Ebene finden sich beispielsweise in Porträts und Reportagen Passagen über Schwan und Köhler als Privatpersonen – und zwar sowohl in den Informations- als auch in den Unterhaltungsmedien. Private und intime Details thematisiert die Berichterstattung sowohl bezogen auf Köhler als auch auf Schwan. Zumindest auf der Ebene der Thematisierung und Visualisierung wird somit eine geschlechterdifferente Zuordnung des Öffentlichen an Männer und des Privaten an Frauen unterlaufen. Thematisierungs- und Visualisierungsstrategien unterscheiden sich jedoch durch die Art und Weise der Vergeschlechtlichung. Einen solchen privaten Kontext stellen zum Beispiel sportliche Interessen dar. Bezogen auf Schwan finden sich in der sprachlichen Berichterstattung kurze Erwähnungen sportlicher Aktivitäten. So wird Schwan in einem Interview in Bunte (22.05.08) gefragt, ob sie ihrem Mann zuliebe mit dem Pferdesport begonnen habe. Im Stern (29.05.08) wird thematisiert, wie Schwan gerne gemeinsam mit ihrem Mann auf dem Wannsee segelt, und dabei auch schon einmal gekentert sei und von einem ihrer Studenten aus dem Wasser gefischt wurde. Unterstützt wird dieses Bild durch eine historische Aufnahme von Schwan als junge Frau beim Segeln. Durch die Fotografie wird die im Text betonte sportliche Vorliebe von Schwan noch stärker hervorgehoben. Schwan wird somit in einer gesellschaftlich angesehenen Sportart präsentiert, die mit sozialem Prestige einer mittleren oder oberen Schicht verbunden ist. Allerdings wird ihr sportliches Handeln nicht mit Wert belehnt, da sie in diesem Kontext nicht als unabhängige und eigenständige Persönlichkeit erscheint. Die zugleich soziale Positionierung Schwans in einem sozialen Milieu wird noch um den Aspekt der Bildung ergänzt: In weiteren Aufnahmen wird Schwan als Jugendliche im privaten Umfeld am Klavier sitzend und als Aktive bei einer Schultheateraufführung gezeigt (vgl. ebd.). Köhler wird ebenfalls in der sprachlichen und visuellen Berichterstattung als Sportfan und aktiver, erfolgreicher Sportler repräsentiert. Zum Beispiel beschreibt ihn die Illustrierte Bunte (31.07.08) als leistungsstarken Marathonläufer und großen „Sportfan“, der zudem Handball liebt und gerne Triathlet wäre. Der Spiegel (19.05.08) zeigt Köhler beim Zieleinlauf beim Marathon. Köhler erscheint zwar als Individualsportler – im Gegensatz zu Politikern, die im populären Männerfußball als Kumpel präsentiert werden, wie es beispielsweise bei Kurt Beck der Fall war. Es handelt sich jedoch auch beim Marathon um einen populären Massensport, der ebenfalls Volksnähe aufweist und gleichzeitig für einen Breitensport mit einem hohen Leistungsanspruch und Durchhaltevermögen steht. Einen weiteren wichtigen privaten Kontext bildet die journalistische Thematisierung und Visualisierung der Familie. Schwan wird dabei mit einem Vokabular der Fürsorglichkeit für die Familie beschrieben. Laut Berichterstattung kümmert sie sich schon immer um das Glück in der Familie. So schreibt die tageszeitung (19.06.08): „Der Vater war Lehrer, die Mutter Fürsorgerin, die sich keineswegs auf eine klassische Frauenrolle beschränkte. Beide waren aktiv gegen die Nazis. Die Mutter gründete später erfolglos mehrere Parteien, für Frieden und für Frauen.

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Und wenn die Debattenwogen daheim hochschlugen, hat Gesine vermittelt. Ein unbedingter Wunsch nach Harmonie, danach, dass sich doch alle irgendwie verstehen mögen, treibt sie auch heute.“ Der Stern (29.05.08) betont, dass Schwan sich schon immer „intensiv“ und „angetrieben von ihrer eigenen leidvollen Erfahrung“, nämlich dem Tod ihres ersten Ehemannes, um andere „kümmert“. Glück scheint Schwan in ihrer Familie zu suchen und laut Stern auch gefunden zu haben. An ihrem 65. Geburtstag, den Schwan im Jahr 2008 im Kreise ihrer Familie feierte, will die Journalistin als scheinbar ‚neutrale‘ Zeugin eine besondere Stimmung eingefangen haben, nämlich Familienglück und Geborgenheit: „Sie hat einen Teil ihrer Familie um sich versammelt, ihren Mann Peter Eigen, ihre Adoptivtochter Dorle, den Enkel Adrian. ‚Der ist heute wichtig‘, sagt Gesine Schwan, als sie ihn auf den Arm nimmt. Ein Gefühl von Geborgenheit ist zu spüren: ihre Familie.“ (Ebd.). Beglaubigt wird dieses Deutungsmuster durch Aufnahmen von Schwan, die sie im familiären Kontext, z. B. mit ihrem Mann, Bruder oder Enkel, sowohl in ihrer Jugend als auch in der aktuellen Lebenssituation zeigen. Damit erscheinen ihre familiäre Fürsorge und Geborgenheit nicht nur als situative Momente, sondern als wesentliche Eigenschaften von Schwan. Die Berichterstattung inszeniert hier im privaten Kontext eine Fürsorglichkeit und Familiennostalgie, welche Reproduktion als weiblich konnotiert. Gerade die Illustrierten, Bunte, Superillu und der Stern, thematisieren sowohl sprachlich als auch visuell Schwans Privatleben. Ihre berufliche Karriere findet dagegen kaum Beachtung. In der visuellen Kommunikation sind Aufnahmen von Schwan in ihrer Tätigkeit als Wissenschaftlerin oder Präsidentin die Ausnahme (vgl. z. B. taz, 11.07.08). Während Schwan als fürsorgliche Ehefrau und Mutter erscheint, wird Köhler in einem „Superillu-Sommerinterview mit dem Bundespräsidenten und seiner Ehefrau“ unter der Headline „Das Geheimnis unserer langen, glücklichen Ehe“ als Staatsmann mit intaktem Eheleben porträtiert (Superillu, 24.07.08). Dabei findet eine Idealisierung der Heterosexualität und eine Reproduktion von heteronormativen Beziehungsstrukturen statt. Visuell wird das Privatleben von Köhler nur mit „seiner Ehefrau“ Eva Köhler sichtbar gemacht. Es ist somit Eva Köhler, die als Ehefrau das Private verkörpert. Es mag mit seiner Rolle als Amtsinhaber zusammenhängen, dass seine Biographie nicht mehr in dem Umfang wie bei Schwan medial aufbereitet wird. Ein Vergleich mit der Berichterstattung während seiner ersten Kandidatur wäre hier aufschlussreich. Im Gegensatz zu Schwan wird Köhler somit auf der visuellen Ebene auch nicht durch Momente aus seinem Privatleben charakterisiert. Allein Aufnahmen von Auftritten mit der Ehefrau im Rahmen oder am Rande seiner offiziellen Amtstätigkeit erzeugen einen privat erscheinenden Moment. Horst und Eva Köhler werden z. B. bei der Afrikareise 2006 lachend auf einer Bootsfahrt gezeigt, wobei sie sich an ihn schmiegt und er locker seinen Arm auf ihre Schulter legt (Stern, 15.05.08). Köhler erscheint in allen Medienbeiträgen überwiegend in seiner Funktion als Staatsoberhaupt.

Geschlechterkonstruktionen von Führungskräften in der Politik

3.2

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körpErkonstruktionEn

Auf den ersten Blick fällt bei Schwan eine sprachliche Differenziertheit auf, wenn über ihren Körper und seine Einkleidungen geschrieben wird. Ihre Frisur, Bekleidung, die Accessoires oder Schuhe werden detailliert beschrieben und dabei (Geschlechter)Differenzen reproduziert. In einem Artikel der Süddeutschen Zeitung (27.05.08) heißt es beispielsweise: „Da steht sie nun, die neue SPD-Doppelspitze. Der schwere Mann mit Bart und Meckie-Frisur im hellen Sommeranzug […]. Neben ihm die schlanke, hochgewachsene Dame mit dem Lockenkopf, im blutroten Kostüm, schwarzen, hochhackigen Pumps und filigranen Perlenbällchen an den Ohren.“ Dem (unattraktiven) „Mann“ im dennoch professionell wirkenden männlichen Anzug steht die (attraktive) „Dame“ gegenüber, deren Bekleidungsinventar auf klassische Versatzstücke weiblicher Kleidung der Moderne verweist (vgl. hierzu Ellwanger 1999: 15ff.). Die Kleidungsstücke in ihrer medialen Darstellung sind nicht nur weiblich bzw. männlich konnotiert, sondern auch daran beteiligt, Geschlecht sichtbar zu machen und herzustellen (vgl. ebd.: 9, 15f.). Der Referenzpunkt für weibliche Kleidung ist für die journalistische Berichterstattung auch der weiblich konnotierte Bereich der Mode bzw. des Modekonsums. In einem Interview in der Bild (23.06.08) wird sie auf einen angeblichen „Schuh-Tick“ angesprochen, und der Stern (29.05.08) schreibt: „Heute kauft sie ihre Designerkostüme bevorzugt secondhand“. So beschreibt etwa die Zeit (29.05.08) Gesine Schwans Look explizit als „etwas altmodisch hochgesteckte Locken“, die tageszeitung (28.05.08) kommentiert „Schwans Prachthaare“, „diese rieselnd sich türmende Fülle“. Hier werden modische Normen und Werte artikuliert, an denen Schwan gemessen wird. Frisur und Kleidung werden in den Bildern sichtbar. Aber erst im Kontext der sprachlichen medialen Thematisierung im Text oder der Bildunterzeile erhalten sie die Bedeutung als etwas Außergewöhnliches. In dem bereits erwähnten taz-Kommentar (28.05.08) wird der Blick im Porträt von Gesine Schwan durch die Bildunterzeile „Haarwunder: Gesine Schwan“ nicht nur auf die Haare gelenkt, Gesine Schwan wird dadurch als ganze Person charakterisiert. Sie hat nicht einfach Haare – sie ist ein „Haarwunder“. Wie bereits im privaten Kontext wird durch diese Betonung nicht nur Geschlecht, sondern auch sozialer Status hergestellt. So regt die tageszeitung (28.05.08) an „nur an den frechen Graumecki mit spielerischen Nackenlocken“ von Kurt Beck zu denken: „Hier demonstriert jemand Jugendlichkeit, zitiert doch gleichzeitig den Look des Präkariats und passt sich dem demografischen Wandel an“, während Schwan an das „Frauenideal des Empire“ anknüpft, die „neckisch ungezügelte Weiblichkeit“ jedoch aufbricht und modifiziert. Mittels der Einkleidungen von Weiblichkeit und den kulturellen Interessen (Segeln etc.) wird ein weiblicher, bildungsbürgerlicher Habitus aufgerufen. Der Körper wird somit nicht nur geschlechtlich sichtbar gemacht, sondern auch zum Bedeutungsträger ihres sozialen Status. Die Beschreibung des Aussehens von Köhler wird in der Berichterstattung hingegen als politische Performance relevant. Sein Körper wird ebenfalls geschlechtlich sichtbar gemacht und dabei auch mit seinem politischen Handeln verknüpft. So beginnt die Süddeutsche Zeitung (21.05.08) einen Beitrag, indem die Zeitung

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anhand von Körperkonstruktionen die Frage aufwirft, wie sich der Bundespräsident auf dem politischen Parkett bewege: „Der Mann betritt den Saal, und nichts ist zu hören. Er muss leise Sohlen tragen. Mittelgroß ist er, mittelschwarz ist sein Anzug, mittelgrau ist sein Haar geworden. In wenigen Schritten eilt er nach vorn, er will Platz nehmen und kein Aufhebens machen. […] Köhler schreitet nicht, er stolziert nicht, er gibt nicht den eitlen Storch, wie das mancher seiner Vorgänger durchaus genussvoll zelebrierte. Horst Köhler zelebriert gar nichts. Würde sich das Publikum nicht vor seinem Auftritt erheben – es würde ihn vielleicht gar nicht bemerken.“ Über Körperkonstruktionen (ein Leisetreter von durchschnittlicher Statur und gewöhnlichem Aussehen) beschreibt die Zeitung seine berufliche Persönlichkeit; er trete dezent auf, zeige seine Macht nicht. Der männliche Körper wird zum Austragungsort von Status und Macht. Bei Schwan bleibt der professionelle Status bezogen auf die medialen Körperkonstruktionen hingegen nachgeordnet oder unsichtbar. In den Bildern werden sowohl Köhler als auch Schwan in typischen politischen Momenten gezeigt, die sie als politisch Handelnde darstellen: in der formellen wie informellen Rede, im Gespräch mit Kolleginnen und Kollegen oder gesellschaftlichen Gruppen sowie bei Begrüßungen. Die Gestik entspricht bei beiden der professionellen rhetorischen Gestik der Politik (vgl. dazu auch Grittmann 2012). Auffällig ist dabei, dass Köhler in einer stets ruhigen, statuarischen und aufrechten Haltung präsentiert wird, die ihn würdevoll erscheinen lässt (z. B. Focus, 26.05.08). Besonders in Porträts wird diese Haltung zum Charakteristikum von Köhler. Schwan wird in ähnlicher Körperhaltung bei einer Rede als Professorin visualisiert (taz, 11.07.08). In einem Beitrag des Spiegel (26.05.08) werden beide in dieser Haltung gezeigt, frontal, halbfigurig, allein Köhler wird bildfüllend repräsentiert (vgl. ähnlich SZ, 28.05.08). Damit findet Schwan in leicht abweichender Form ebenfalls die Anerkennung durch die Repräsentation in einer bekannten Formel politischer Macht. Im Gegensatz zu Köhler erscheint Schwan aber immer wieder mit schief gelegtem Kopf (z. B. SZ, 16.06.08; FAZ, 27.05.08) oder labiler, schiefer Haltung (z. B. FAZ, 27.05.08). Gerade die labile Haltung ist eine typische vergeschlechtlichte Körperkonstruktion (vgl. Mühlen Achs 2003). Diese Vergeschlechtlichung wird auch in den Beziehungsfotos mit Ehepartner sichtbar: Aufnahmen im Stern zeigen Eva Köhler im Moment, als sie sich an die Schulter ihres Mannes anlehnt (Stern, 15.05.08), Schwan an die ihres Mannes Peter Eigen (Stern, 29.05.08). 3.3

tExtbEZoGEnE charaktErisiErunGEn und bildästhEtischE darstEllunGsstratEGiEn

Sieht man sich die in den Texten verwendeten Bezeichnungen und Charakterisierungen an, dann fällt auf, dass die journalistische Berichterstattung Schwan als erfolgreiche Persönlichkeit anerkennt. Gesine Schwan wird beispielsweise als „fröhliche Intellektuelle“ (Spiegel, 26.05.08) charakterisiert, die der „Inbegriff des gediegenen weltoffenen deutschen Bildungsbürgertums“ (SZ, 27.05.08) sei. Sie wird insgesamt als intelligente und intellektuelle Persönlichkeit charakterisiert. Die Bericht-

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erstattung verwendet vor allem Berufs- und Funktionsbezeichnungen wie „Universitätspräsidentin“, „Professorin“ oder „Präsidentschaftskandidatin“. Nur selten finden sich trivialisierende Bezeichnungen wie „Schwänin“ oder „Gesine“ (Stern, 29.05.08). Geschlechterdiffenzierende Benennungen, die über die vergeschlechtlichte berufliche Bezeichnung (wie Politiker/Politikerin bzw. Wissenschaftler/Wissenschaftlerin) hinausgehen, fallen mit Blick auf die Umschreibungen der Person ins Auge, mittels derer sich Schwan (wie auch Köhler) knapp und anschaulich charakterisieren lassen. Bei Schwan reicht dabei das Bezeichnungsrepertoire von der „Mutter der Kompagnie“ (SZ, 16.06.08) oder „Herbergsmutter“ (SZ, 29.05.08) über „die gute Seele“ und „Menschenfängerin“ (Zeit, 29.05.08) bis zur „Dame“ an Becks Seite (SZ, 27.05.08). Offensichtlich rekurriert die Berichterstattung hier auf stereotype Zuschreibungen, wobei auch auf ein Vokabular der Emotionalität und der Nähe zurückgegriffen wird. Sie erscheint als Person, die zwar durchsetzungsfähig, zielstrebig, selbstsicher, entschlossen, intelligent, ausdrucksstark und extrovertiert ist, zugleich wird sie als fürsorglich und harmoniebedürftig beschrieben. „Freundlichkeit ist ihre friedvolle Waffe gegen Politikverdrossenheit“, schreibt die Zeit (29.05.08). Die Frankfurter Allgemeine Zeitung (29.07.08) meint, sie „wäre eine Bundespräsidentin mit außerordentlichen menschlichen und fachlichen Begabungen für dieses Amt“ (FAZ, 29.07.08). Ihre „ausgestrahlte Freude beleidigt nie das Leiden der anderen“ (ebd.), und sie „habe ihr ganzes Berufsleben lang, Menschen mit ihrer offenen Art für sich gewinnen können“ (Spiegel, 26.05.08). Die bereits im privaten Kontext beschriebene Fürsorge für andere wird in der Berichterstattung auch im beruflichen Kontext fortgeschrieben. Die vermeintliche ‚natürliche Nähe‘ von Frauen zu Häuslichkeit, Fürsorge für andere und die Abhängigkeit von Männern bleibt ungebrochen. Horst Köhler wird in der journalistischen Berichterstattung vor allem als souveräner Staatsmann beschrieben. Er wird etwa als „Aufrüttler“ und „kämpfender Präsident“ charakterisiert, der wie kein anderer deutlich und ungeschminkt sage, was er für richtig hält (FAZ, 16.05.08). Er wird aber auch als Leisetreter charakterisiert, der sich mit dem Eindruck herumschlagen muss, „weder durchschlagkräftig noch wichtig“ (SZ, 21.05.08) zu sein. Offensichtlich greift die Berichterstattung immer wieder auf Bezeichnungen zurück, die mit Zuschreibungen von Männlichkeit verbunden sind. Er erscheint als „Hausherr im Schloss Bellevue“ (SZ, 21.05.08), als „Kerl“ (FAZ, 16.05.08) und als der „erste Mann des Staates“ (SZ 23.05.08). Der Spiegel (19.05.08) kritisiert, Köhler habe sich „zum obersten Politikverdrossenen des Landes aufgeschwungen“, zur Beschreibung dieses Politikstils greift das Magazin auf ein tradiertes, aber auch gebrochenes Männlichkeitsbild zurück. Er sei „eine Art Ritter gegen das System geworden, ein Don Quijote im Sturm auf die bösen Windmühlen der Politik“. Die Süddeutsche Zeitung (23.05.08) vergleicht ihn mit „Parzival“, einem „Tor“, der mehrere Jahre braucht, bevor aus ihm ein „wackerer und ungestümer Ritter“ wird. Und weiter: „Er steht vor dem politischen Betrieb wie der Junge am See, der Kiesel übers Wasser hüpfen lässt und sich freut, wenn sie drei-, vier-, fünfmal hüpfen.“ (Ebd.) Nicht in jedem Fall ist Köhler somit als ungebrochen männlich-machtvoll charakterisiert, er erscheint auch als tragische, zuweilen lächerliche Gestalt.

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In der Berichterstattung lässt sich also kein einfacher Defizitdiskurs ausmachen, der Gesine Schwan im Gegensatz zu Horst Köhler per se als mangelhafte Persönlichkeit charakterisiert. Dennoch greift die Berichterstattung immer wieder auf Geschlechterskripte zurück. Es sind dabei nicht nur sprachliche Charakterisierungen, die eine unterschiedliche, geschlechterdifferierende Anerkennung erzeugen. Auch visuelle Aufnahme- und Präsentationstechniken werden so eingesetzt, dass sie die Differenzierungen entlang der Kategorie Geschlecht noch verstärken. Der statuarische Eindruck von Horst Köhler wird in den Porträts beispielsweise unterstützt durch die Kameraperspektive, z. B. von unten (s. Spiegel 09.06.08), oder den Bildausschnitt, durch den Köhler bildfüllend und dadurch raumeinnehmend wirkt (z. B. Focus, 26.05.08; Bild, 27.05.08). Der Gegensatz von Schwans labiler Haltung wird besonders dann betont, wenn Aufnahmen von Köhler (aufrecht) und Schwan (schief, labil) einander gegenübergestellt werden (z. B. Spiegel, 09.06.08). Dieser sogenannte ‚Third Effect‘ erzeugt eine zusätzliche Bedeutung über die Einzelaufnahmen hinaus, beide werden als Kontrahenten präsentiert, in deren Haltung tradierte Vorstellungen von Status, Macht und Geschlecht aufgerufen werden. 4

DISKUSSION: MEDIENETHIK UND ANERKENNUNG

Im Zusammenhang mit Diskussionen um eine geschlechtergerechte Berichterstattung wird immer wieder die Forderung laut, dass es mehr Medienbilder von weiblichen Führungskräften brauche. Die Befunde der vorliegenden Studie zeigen aber, dass es aus einer Geschlechterperspektive nicht ausreicht, einfach nach mehr Bildern oder nach mehr Sichtbarkeit in den Medien zu verlangen. Schaffer (2008: 55ff.), die sich ausführlich mit Fragen der Sichtbarkeit beschäftigt hat, hat verschiedene Argumente gegen überhöhte Sichtbarkeitseuphoriken systematisiert. Sie wendet unter anderem ein, dass mit ‚mehr Sichtbarkeit‘ auch eine höhere Einbindung in normative Identitätsvorgaben verbunden sein könne. Mit Rückgriff auf bekannte (Geschlechter)Bilder kann mediale Sichtbarkeit auch bedeuten, dass bestehende Macht- und damit auch Geschlechterverhältnisse reproduziert werden – über den normierenden Prozess tradierter Darstellungskonventionen. Eine geschlechtergerechte Medienethik in der Medienrepräsentation thematisiert unter anderem, welchen Werten und Normen die medialen (Geschlechter)Bilder folgen (vgl. Kannengiesser 2011: 341). Dabei reicht es aber nicht aus, das machen die Medienbilder machtvoller Personen besonders deutlich, nur Stereotype, Trivialisierungen und Diskriminierungen zu analysieren. In der Berichterstattung über Frauen und Männer in Spitzenpositionen findet sich kein einfacher Defizitdiskurs, der ‚die Frauen‘ per se als mangelhaft inszeniert. Vielmehr gilt es den Blick auf die medialen Prozesse zu richten, mittels derer Geschlechterdifferenzen reproduziert werden. Damit geht es nicht um die Suche nach „Unterschieden“ – hier in der medialen Berichterstattung –, sondern um die „Prozesse der Unterscheidung“ (Gildemeister 2004: 136). Im vorliegenden Fall zeigt sich dann zum Beispiel, dass die Prozesse des Unterscheidens bzw. die medialen Prozesse der Differenzproduk-

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tion nicht einfach in Form einer einfachen dualistischen Anordnung zu verstehen sind: etwa die emotionale Politikerin auf der einen und der rationale Politiker auf der anderen Seite. Die Repräsentationen lassen sich mit Schaffer (2008: 60, 70, 92f.) als eine „Anerkennung im Konditional“ beschreiben. Eine mediale Form der Differenzproduktion, welche eine Seite der Differenz mit mehr Souveränität auflädt. Eine solche „bedingte Anerkennung“ (ebd.: 60) meint, dass Anerkennung nur solange möglich ist, wie die Macht der dominanten Subjektpositionen nicht zur Disposition steht. Für den vorliegenden Kontext bedeutet dies, dass Politikerinnen so lange medial anerkannt werden, wie der Status, das Prestige sowie die Leistungen und Erfolge von Politikern bzw. Politik als männliches Geschäft nicht grundlegend unterlaufen werden. Es zeigt sich somit, dass die Berichterstattung eine Form der Anerkennung für Politikerinnen schafft, zugleich aber den normativen Wertehorizont der Gesellschaft (re)produziert: Es gibt Frauen und Männer, Politik folgt Werten und Normen, die männlich definiert und konnotiert sind. Konstruktionen von Weiblichkeit erscheinen dabei als abweichende Varianten von Professionalität. Zudem ist die Anerkennung der medialen Subjektpositionen unmittelbar mit der Schicht der Politikerinnen verknüpft. Das wird am Beispiel der visuellen Repräsentation von Gesine Schwan besonders deutlich. Konstruktionen von Weiblichkeit sind verschränkt mit Konstruktionen einer Identität aus einer Mittel- bzw. Oberschicht, wie es sowohl auf der Ebene von Privatheit/Öffentlichkeit, als auch bei den visuellen Körperkonstruktionen sichtbar wurde. Kurt Beck – dies sei hier ergänzend angemerkt – erscheint dagegen als Vertreter einer Arbeiterschicht, die weitaus weniger Anerkennung erfährt. Entsprechend gilt es aus einer medienethischen Perspektive auch danach zu fragen, wer erkennbar ist und wer eben auch nicht, wem in der journalistischen Berichterstattung Anspruch auf Teilhabe zugestanden wird und wem nicht. Eine weiße, gebildete und bürgerliche Politikerin im Schloss Bellevue ist in der journalistischen Berichterstattung zumindest in Teilen denkbar und erkennbar. Doch wie sieht es mit der Anerkennung und der politischen Teilhabe einer transsexuellen Person oder einer Frau mit Migrationshintergrund im Zusammenhang mit der Wahl zum Bundespräsidenten aus? Es geht somit nicht nur um die Frage, wer auf welche Art und Weise repräsentiert wird, sondern auch, wer in welchen Kontexten nicht repräsentiert bzw. gar nicht repräsentierbar ist. Aus medienethischer Sicht gilt es zu bedenken, dass mit der Forderung nach mehr und positiveren Bildern von Frauen in Macht- und Spitzenpositionen, also beruflich profilierten Frauen an der Spitze der Gesellschaft, leicht neoliberale Logiken und ein konservativ geprägter Feminismus aufgerufen werden können (vgl. Klaus 2008: 177f.). Sabine Hark und Ina Kerner (2007: 93) haben solche Positionen als einen „weichgespülten Spartenfeminismus“ bezeichnet, „der unter Gerechtigkeit den Zugang einiger Weniger zu den Eliten der Republik versteht und daher auch bloß jene betreffen muss, denen genau dies zuzutrauen ist“. Diese Entwicklung steht letztlich unter den neoliberalen Vorzeichen einer verstärkten gesellschaftlichen Spaltung und damit verbundener Entsolidarisierungsprozesse mit all denen, die sich vermeintlich weniger gut durchsetzen und nicht hart genug an sich und ihrem beruflichen und ökonomischen Erfolg arbeiten. Fragen der Anerkennung müs-

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sen somit auch Fragen nach Ungleichheit und Gerechtigkeit fokussieren. Damit geraten auch Fragen danach in den Blick, „ob und wie mediale (Macht)Diskurse ethnische, soziale, kulturelle und gesellschaftliche Vielfalt aufnehmen und welche Konzepte von Diversität und Vielfalt, Inklusion und Exklusion, Integration und Desintegration dabei sichtbar werden“ (Wischermann/Thomas 2008: 9). Aus medienethischer Sicht gilt es nicht zuletzt, die Veränderungspotenziale zu diskutieren, unter denen anerkennende Repräsentationen von Geschlecht überhaupt möglich sind, und danach zu fragen, wie und unter welchen Bedingungen anerkennende Medienrepräsentationen entstehen können (vgl. z. B. Schaffer 2008; Engel 2009). BIBLIOGRAFIE Ellwanger, Karen (1999): Kleiderwechsel in der Politik? Zur vestimentären Inszenierung der Geschlechter im Raum des Politischen. In: FrauenKunstWissenschaft, Nr. 28, S. 7-29. Engel, Antke (2002): Wider die Eindeutigkeit. Sexualität und Geschlecht im Fokus queerer Politik der Repräsentation. Frankfurt/Main: Campus. Engel, Antke (2009): Bilder von Sexualität und Ökonomie. Queere kulturelle Politiken im Neoliberalismus. Bielefeld: transcript. Funiok, Rüdiger (2002): Medienethik. In: Neverla, Irene/Grittmann, Elke/Pater, Monika (Hrsg.): Grundlagentexte zur Journalistik. Konstanz: UVK, S. 270-287. Gildemeister, Regine (2004): Doing Gender: Soziale Praktiken der Geschlechterunterscheidung. In: Becker, Ruth/Kortendiek, Beate (Hrsg.): Handbuch Frauen- und Geschlechterforschung. Theorie, Methoden, Empirie. Wiesbaden: VS , S. 132-141. GMMP (2010): Who Makes the News. Global Media Monitoring Project Report 2010. Online: http:// www.whomakesthenews.org/images/stories/website/gmmp_reports/2010/global/gmmp_global_report_en.pdf (Download: 30.06.2011). Grittmann, Elke (2007): Das politische Bild. Fotojournalismus und Pressefotografie in Theorie und Empirie. Köln: von Halem. Grittmann, Elke (2012): Der Blick auf die Macht. Geschlechterkonstruktionen von Spitzenpersonal in der Bildberichterstattung. In: Lünenborg, Margreth/Röser, Jutta (Hrsg.): Ungleich mächtig. Das Gendering von Führungspersonen aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft in der Medienkommunikation. Bielefeld: transcript, S. 127-171. Hall, Stuart (1994): Die Frage der kulturellen Identität. In: Ders.: Rassismus und kulturelle Identität. Ausgewählte Schriften 2. Hamburg: Argument Verlag. Hall, Stuart (1997): The Work of Representation. In: Ders. (Hrsg.): Representation. Cultural Representations and Signifying Practices. London: Sage, S. 13-74. Hanitzsch, Thomas (2011): Populist Disseminators, Detached Watchdogs, Critical Change Agents and Opportunist Facilitators: Professional Milieus, the Journalistic Field and Autonomy in 18 Countries. In: International Communication Gazette, Nr. 6, S. 477-494. Hanitzsch, Thomas/Hanusch, Folker (2012): Does Gender Determine Journalists’ Professional Views? A Reassessment Based on Cross-National Evidence. In: European Journal of Communication, Jg. 27, Nr. 3, S. 257-277. Hanitzsch, Thomas/Seethaler, Josef (2009): Journalismuswelten: Ein Vergleich von Journalismuskulturen in 17 Ländern. In: Medien & Kommunikationswissenschaft, Nr. 4, S. 464-483. Hark, Sabine/Kerner, Ina (2007): Der neue Spartenfeminismus. In: Feministische Studien, Nr. 1, S. 93-96. Kannengiesser, Sigrid (2011): Transformative Anerkennung: Medienethik und Geschlechtergerechtigkeit. In: Böhm, Alexandra/Kley, Antje/Schönleben, Mark (Hrsg.): Ethik – Anerkennung –

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QUELLENVERZEICHNIS Bild

27.05.2008: Liebe Frau Professorin Gesine Schwan, … Post von Wagner. S. 2. 23.06.2008: Gesine Schwan stärkt SPD-Chef den Rücken! S. 2. Bunte 22.05.2008: Treten Sie an, Frau Schwan? S. 54-59. 31.07.2008: Nachgefragt…bei Bundespräsident Horst Köhler. S. 110. Focus 19.05.2008: Schwan-Gesänge. S. 28-29. 26.05.2008: Duell ums Bellevue. S. 24-28. Frankfurter Allgemeine Zeitung 16.05.2008: Der Aufrüttler. S. 18. 27.05.2008: Schwan geht auf die Linkspartei zu. S. 1. 29.07.2008: Eine Fleiß- und Beißliberale. S. 33. Der Spiegel 19.05.2008: Der Politikverdrossene. S. 26-27. 26.05.2008: Alle an die Dreckschleudern. S. 22-29. 09.06.2008: Kandidaten verärgern Parteien. S. 15. 16.06.2008: Verärgert über Attacken. S. 17. 23.06.2008: Halbe Männer, Ganze Frauen. S. 42-53. Süddeutsche Zeitung 21.05.2008: Allein, es fehlt der Glanz. S. 3 (Bayern). 23.05.2008: Köhler - warum? S. 4 (Bayern). 27.05.2008: Rettung in Rot. S. 3 (Bayern). 28.05.2008: Große Schmerzen und keine Therapie. S. 6. 29.05.2008: So ist hier studentisches Leben. S. 11. 16.06.2008: Zwei Herzen und ein Ziel. S. 3 Stern 15.05.2008: „Die Finanzmärkte sind zu einem Monster geworden“. S. 40. 29.05.2008: Mein lieber Schwan. S. 30. Superillu 24.07.2008: Das Geheimnis unserer langen, glücklichen Ehe. S. 28-32. die tageszeitung 28.05.2008: Rieselnd sich türmende Fülle. S. 14. 19.06.2008: Sie meint, sie kann. S. 5. 11.07.2008: Schwan tritt an. S. 17. Die Zeit 29.05.2008: Red Bull. S. 4.

FRAUEN IM WIRTSCHAFTS- UND FINANZJOURNALISMUS Barbara Brandstetter

Bilanzen analysieren, Entwicklungen an den Märkten beobachten, über wirtschaftliche Zusammenhänge schreiben – Wirtschaftsjournalismus begeisterte lange Zeit fast ausschließlich Männer. Das hat sich in den vergangenen Jahren geändert. Im Wirtschaftsjournalismus arbeiten heute zwar immer noch größtenteils Männer, doch der Anteil an Redakteurinnen steigt. Laut Weischenberg, Malik und Scholl lag der Anteil an weiblichen Wirtschaftsredakteuren 2005 bei 37 Prozent.1 Das entsprach dem Anteil von 37 Prozent Frauen im Journalismus insgesamt.2 Unter Chefredakteuren und Ressortleitern in den Wirtschaftsmedien dominierten Anfang 2012 jedoch nach wie vor Männer.3 Der vorliegende Text gibt einen Überblick über Forschungsergebnisse und Erhebungen zu Frauen im Wirtschaftsjournalismus und arbeitet anschließend Lösungsansätze für die Praxis heraus. Der erste Teil widmet sich der Frage, wie groß der Anteil von Frauen im Wirtschafts- und Finanzjournalismus in Deutschland ist. Dabei wird darauf eingegangen, um welche Branchen und Themengebiete sich Redakteurinnen im Wirtschaftsjournalismus kümmern.4 Der zweite Teil zeigt auf, welchen Anteil Frauen als Protagonisten in der Berichterstattung im Wirtschaftsteil haben (quantitative Analyse) und wie diese dargestellt werden (qualitative Analyse).5 Der dritte Teil beschäftigt sich mit der Frage, ob Journalisten in der Wirtschaftsberichterstattung unterschiedliche Metaphern verwenden, wenn sie Männer und Frauen porträtieren. Denn mit Sprachbildern vermitteln Redakteure immer auch eine bestimmte Sicht auf Personen und Sachverhalte.6 Der letzte Teil des Aufsatzes widmet sich der Frage, welche Handlungsanweisungen aus den Ergebnissen für die Praxis folgen könnten.

1 2 3 4 5

6

Vgl. Weischenberg et al. 2006a, S. 48. „Im Aktuellen, in der Wirtschaft und in der Politik sind Frauen heute längst nicht mehr so deutlich unterrepräsentiert wie noch vor zwölf Jahren.“ Ebd. Vgl. Weischenberg et al. 2006a, S. 45. Vgl. Wiegand 2012, S. 38. Grundlage für die Analyse bildet zum einen das Impressum des Manager Magazins und die Website manager-magazin.de sowie die Angaben zu den einzelnen Redakteuren im Impressum von Wirtschaftswoche und wiwo.de. Entscheidende Grundlage für diesen Teil bildet die sehr umfassende und herausragende Studie von Lünenborg und Röser (2012), die im Rahmen eines Verbundprojekts die mediale Repräsentation von weiblichen und männlichen Führungskräften in Politik, Wirtschaft und Wissenschaft analysiert haben. In einer eigenen Analyse wurde untersucht, wie Manager Magazin und Wirtschaftswoche im Jahr 2012 über die weiblichen Vorstände in den Dax-30-Konzernen berichteten. Vgl. Lakoff/Johnson 1980, S. 10.

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1

FRAUEN IM JOURNALISMUS

Zu Frauen im Journalismus liegen inzwischen zahlreiche Studien vor.7 Medien in Deutschland sind, anders als noch eine der ersten Studien zum Thema Anfang der 1980er-Jahre konstatiert, keine reine Männerdomäne mehr.8 Der Anteil an Frauen im Journalismus steigt. Seit einigen Jahren ist zudem ein Trend zu beobachten: Je jünger die Journalisten, desto höher ist der Anteil an Frauen (s. Abb. 1). Seit Jahren bewerben sich in Deutschland an den Journalistenschulen und auf Volontariate mehr Frauen als Männer. Es findet eine Feminisierung des Berufs statt – zumindest bei den Zwanzigjährigen und in bestimmten Ressorts.

über 65 Jahre

50 50

55 bis 65 Jahre

88

12

46 bis 55 Jahre

66

34

36 bis 45 Jahre

Männer

26 bis 35 Jahre

44

bis 25 Jahre

42 0

20

40

Frauen

64

36 56

59 60

80

100

Abb. 1: Altersgruppen der Journalisten nach Geschlecht9

Eine vertikale Analyse des Berufsbilds zeigt jedoch, dass Frauen in Führungspositionen in den Medien kaum vertreten sind. In den Leitungsfunktionen dominieren Männer. Gerade einmal zwei Prozent aller Chefredakteure der rund 360 Tages- und Wochenzeitungen sind weiblich.10 Diese Zahlen veranlassten die Initiative „Pro Quote“ 2012 in einem offenen Brief Chefredakteure, Intendanten und Verleger aufzufordern, in den kommenden fünf Jahren 30 Prozent der Führungspositionen mit Frauen zu besetzen.11

7

Vgl. u. a. Lünenborg/Röser 2012; Global Media Monitoring Project 2010; Holtz-Bacha/KönigReiling 2007; Klaus 2005. 8 Vgl. Neverla/Kanzleiter 1984. 9 Vgl. Weischenberg et al. 2006a, S. 60. 10 Vgl. Pro Quote 2012. 11 „Wir fordern, dass mindestens 30 Prozent der Führungspositionen im Laufe der nächsten fünf Jahre mit Frauen besetzt werden – und zwar auf allen Hierarchiestufen. Schaffen Sie das?“ Pro Quote 2012.

Frauen im Wirtschafts- und Finanzjournalismus

171

Frauen sind in den Medien oft freiberuflich tätig. Bei den fest angestellten Redakteuren liegt der Anteil an Frauen bei 34,7 Prozent. Unter den freiberuflich tätigen Journalisten sind 45,1 Prozent weiblich. Das ist das Ergebnis der Studie von Weischenberg, Malik und Scholl aus dem Jahr 2005.12 Viele Frauen mit Kindern scheinen sich für eine freie Tätigkeit im Journalismus – und somit auch für eine oft unsichere und geringere finanzielle Absicherung – zu entscheiden. Verlage kürzen seit Jahren Autorenhonorare. Auch sind klassische Karrierewege als freier Autor oft ausgeschlossen. Frauen sind nicht nur verhältnismäßig häufig als freie Mitarbeiter tätig. Frauen verdienten 2005 im Journalismus in Deutschland rund 500 Euro im Monat weniger als Männer – und zwar unabhängig von der Hierarchiestufe. Männer erhalten durchschnittlich 2400 Euro im Monat, Frauen knapp 1900 Euro.13 „Frauen werden also noch immer (auch) im Journalismus ökonomisch diskriminiert, weil sie für die gleiche Arbeit weniger Geld bekommen.“14 2

FRAUEN IM WIRTSCHAFTSJOURNALISMUS

Frauen sind im Wirtschaftsjournalismus keine Exoten mehr. Die Zeiten, in denen Interviewpartner aus der Wirtschaft die Journalistin für eine Sekretärin gehalten haben, dürften der Vergangenheit angehören. Die Zahl der Wirtschaftsjournalistinnen steigt. Trotzdem präferiert der Großteil der Journalistinnen nach wie vor die Berichterstattung über Mode, Wellness, Lifestyle, Familie, Kinder oder Soziales.15 Es gibt kaum wissenschaftliche Erhebungen zu Frauen im Wirtschaftsjournalismus.16 Die Studie von Weischenberg, Malik und Scholl aus dem Jahr 2005 beziffert den Anteil an weiblichen Wirtschaftsjournalisten auf 37 Prozent. Dies entspricht exakt der 2005 von den Wissenschaftlern ermittelten Frauenquote in Medien in Deutschland.17 Die Zahlen werden von einer Erhebung des Wirtschaftsjournalist aus dem Jahr 2012 weitgehend gestützt.18 Die Zeitschrift hat zwölf Wirtschaftstitel nach deren Frauenanteil in den Redaktionen gefragt (inklusive Layout und Online). Auch wenn die Erhebung nicht strengen wissenschaftlichen Kriterien genügt und Tageszeitungen sowie audiovisuelle Medien ausspart, lassen sich aus den Ergebnissen der Umfrage Tendenzen ableiten. Danach waren Anfang 2012 von 823 Stellen

12 13 14 15 16

Vgl. Weischenberg et al. 2006b, S. 350. Vgl. Weischenberg et al. 2006b, S. 352. Ebd. Vgl. Weischenberg et al. 2006a, S. 48. Eine der wenigen umfassenden Studien zu Frauen im Wirtschaftsjournalismus haben Lünenborg/Röser 2012 vorgelegt. 17 Vgl. Weischenberg et al. 2006a, S. 45, 48. 18 Vgl. Wiegand 2012, S. 38f. Wiegand ermittelt zwar eine geringere Frauenquote. Dies lässt sich jedoch damit erklären, dass nicht alle Mediengattungen – insbesondere audiovisuelle Medien, in denen Frauen vergleichsweise stark vertreten sind – berücksichtigt wurden.

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267 in den befragten Wirtschaftsmedien mit Frauen besetzt. Das entspricht einem prozentualen Anteil von 32,1 Prozent.19 Der vergleichsweise hohe Anteil an Frauen in den Redaktionen von Focus Money und Manager Magazin erklärt sich nach Angaben des Wirtschaftsjournalist damit, dass viele Frauen in Schlussredaktionen, Gestaltung und Dokumentation arbeiten. Würden in der Erhebung ausschließlich Redakteure berücksichtigt, fiele der Frauenanteil bei einigen Wirtschaftsmagazinen geringer aus.20 Paritätisch besetzt mit Männern und Frauen ist lediglich die Redaktion des Wirtschaftsmagazins Brand eins – eine der wenigen Wirtschaftszeitschriften, die von einer Chefredakteurin (Gabriele Fischer) geleitet werden. Ohnehin sind Frauen in leitender Funktion in den Wirtschaftsmedien rar. Gerade einmal zehn bis 16 Prozent der Führungspositionen in den befragten Wirtschaftsmedien sind mit Frauen besetzt (vgl.Tab. 1).21 Neben Gabriele Fischer gab es 2012 lediglich noch eine weitere Chefredakteurin: Stefanie Burgmaier. Sie leitete zur Zeit der Erhebung Börse Online.

Zeitschrift

Anzahl Männer

Anzahl Frauen

Anteil Frauen (in %)

Frauen in Führungspositionen – Anmerkungen

Brand eins

7

7

50

Gabriele Fischer, Chefredakteurin

Focus Money

53

19

35,8

viele Frauen in Schluss- und Nachrichtenredaktion

Gruner + Jahr (FTD, Capital, Impulse, Börse Online)

268

92

34,3

Stefanie Burgmaier, Chefredakteurin; Isabelle Arnold, geschäftsführende Redakteurin; Cosima Jäckel, Chefin vom Dienst

Manager Magazin

82

28

34,1

viele Frauen in Gestaltung und Dokumentation

Handelsblatt

201

62

30,8

viele Frauen in Bildredaktion und Gestaltung; Nicole Bastian, Chefin der Finanzzeitung

Euro, Euro am Sonntag

63

18

28,6

Monika Hammerl, Chefin vom Dienst; Christine Schille, Art Direction; Daniela Meyer, Chefreporterin

Wirtschaftswoche

98

27

27,6

Angela Kurzdörfer, Chefin vom Dienst; Fanziska Bluhm, Online-Chefin

Börsen-Zeitung

53

14

26,4

Angela Wefers, Leiterin des Berliner Außenbüros; Annette Becker, Leiterin der Rhein-Ruhr-Redaktion in Düsseldorf

Tab. 1: Auswertung des Frauenanteils in den Redaktionen (inklusive Layout und Online, ohne Sekretariate; Stand: Anfang 2012)

19 Vgl. Wiegand 2012, S. 38. 20 Vgl. ebd. 21 Vgl. ebd., S. 38f.

Frauen im Wirtschafts- und Finanzjournalismus

173

Seit der Analyse des Wirtschaftsjournalist Anfang 2012 hat sich im Wirtschaftsjournalismus viel verändert. Der Verlag Gruner + Jahr hat einen Großteil seiner Wirtschaftsmedien verkauft, die Financial Times Deutschland eingestellt. Künftig verlegt der Hamburger Verlag nur noch Capital und Business Punk.22 Der Chefredakteur von Impulse, Nikolaus Förster, führt das Magazin nach einem Management-by-out weiter.23 Börse Online hat der Finanzen-Verlag in München gekauft.24 Stefanie Burgmaier hatte ein Konzept für ein Management-by-out vorgelegt, Gruner + Jahr entschied sich jedoch dafür, das Magazin an den Münchener Verlag zu verkaufen.25 Entscheidend ist jedoch nicht nur die Anzahl der Frauen in den Wirtschaftsmedien. Wichtig sind ebenso die Bereiche und Themen, über die die Redakteurinnen schreiben. Dem Impressum von Wirtschaftswoche, Manager Magazin sowie den Online-Portalen wiwo.de und manager-magazin.de kann entnommen werden, dass Männer in Wirtschaftsredaktionen ‚harte‘ Themen wie Finanzmärkte, Derivate, Steuern, Maschinenbau oder Automobilindustrie präferieren. Redakteurinnen widmen sich überwiegend ‚weicheren‘ Themen wie Karriere, Lifestyle, Nachhaltigkeit oder Porträts. Die Online-Redaktion des Manager Magazin zählt beispielsweise zwölf Männer und fünf Frauen.26 Von den fünf Frauen beschäftigen sich zwei mit Lifestyle, also eher ‚weichen‘ Wirtschaftsthemen. Das entspricht einem Anteil von 40 Prozent. Von den zwölf Männern kümmert sich einer um die Themen Berufe und Karriere – ein Anteil von gerade einmal acht Prozent. Für die Print-Redaktion und die Redaktion der Wirtschaftswoche zeichnet sich ein ähnliches Bild.27 Von den 50 Redakteuren bei der Wirtschaftswoche (Print) sind acht Frauen.28 Von diesen acht arbeiten drei im Ressort Management und Erfolg – ein Anteil von 37,5 Prozent. Von den männlichen Kollegen beschäftigt sich einer mit den ‚weicheren‘ Themen Management und Erfolg – ein verschwindend kleiner Anteil von gerade einmal 2,38 Prozent. Von diesen Zahlen hebt sich lediglich die Online-Redaktion der Wirtschaftswoche, wiwo.de, ab. Das Portal wird zum einen unter dem Chefredakteur Roland Tichy von einer Frau, Franziska Bluhm, geleitet. Zum anderen ist die Frauenquote in der sieben Köpfe starken Redaktion vergleichsweise hoch.29 Neben Franziska

22 23 24 25 26

Vgl. Gruner + Jahr, Pressemitteilung vom 23.11.2012. Vgl. Gruner + Jahr, Pressemitteilung vom 10.01.2013. Vgl. Gruner + Jahr, Pressemitteilung vom 11.01.2013. Vgl. Lungmus 2013. Gezählt wurden Herausgeber, Chefredakteur, Chef vom Dienst und die Redaktion. Quelle: Impressum, Stand 3/2013. 27 In der Print-Redaktion sind inklusive Chefredakteur, Stellvertreter, Chef vom Dienst, Chefreporter, Reporter, Redaktion und Autoren insgesamt 27 Redakteure beschäftigt – acht Frauen und 19 Männer (Quelle: Impressum, Stand 3/2013). Davon kümmern sich 15,8 Prozent der Redakteure um ‚weiche‘ Themen wie Kultur oder modernes Leben. 62,5 Prozent der Frauen kümmern sich um die Themen Karriere und Porträts. 28 Vgl. Impressum der Wirtschaftswoche, Heft 14/2013, Zahlen ohne CvD, Creative Director und Büros. 29 Vgl. Angaben im Impressum auf wiwo.de, Stand: 28.03.2012.

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Bluhm arbeiten weitere drei Frauen fest für wiwo.de – das entspricht einer für den Wirtschaftsjournalismus überdurchschnittlich hohen Frauenquote von 50 Prozent. Bei wiwo.de kümmern sich die Redakteurinnen um Themen wie Finanzmärkte, Unternehmen und Technologie. Von den drei Redakteuren behandeln zwei vor allem politische Themen.30 Karriere machen im Wirtschaftsjournalismus vor allem diejenigen, die gute Kontakte zu den „Zirkeln der Wirtschaftsmacht“ haben, in Pressespiegeln auftauchen und exklusive Geschichten schreiben – im Journalistenjargon: Scoops produzieren. Wer sich überwiegend mit ‚weichen‘ Themen wie Karriere oder Lifestyle beschäftigt, erhält nur schwer Zugang zu mächtigen Kreisen in der Wirtschaft. Im schlimmsten Fall wird gar unterstellt, dass sich die Redakteure überhaupt nicht mit Finanzmärkten, Steuerthemen oder Bilanzen auskennen. Eine Karriere im Wirtschaftsjournalismus ist somit schwierig. Für die Präferenz von Themen wie Karriere oder Lifestyle kommen unterschiedliche Erklärungsansätze in Betracht. Zum einen wäre es möglich, dass einige Frauen kein großes Interesse haben, in einflussreiche Zirkel in der Wirtschaft aufgenommen zu werden. Einige Studien zeigen, dass Frauen mitunter Karriere an anderen als den üblichen Kriterien wie Einkommen und Macht messen. „Frauen hingegen scheinen ihre Karriere viel häufiger an subjektiven Kriterien zu messen: Selbstverwirklichung, Erfüllung und Verantwortung.“31 Ein weiterer Erklärungsansatz für die Präferenz von ‚weichen‘ Themen könnte die bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie sein. Themen wie Karriere oder Lifestyle sind nicht an aktuelle Ereignisse gebunden, was die Arbeitszeit planbarer macht. Es könnte jedoch auch sein, dass einige Frauen sich Themen wie Derivate, Finanzen oder Bilanzen nicht zutrauen oder sich dafür nicht interessieren.32 3

VEREINBARKEIT VON BERUF UND FAMILIE

Beruf und Familie sind im Wirtschaftsjournalismus schwer miteinander zu vereinbaren. Insbesondere in Tageszeitungen und in der Finanz- und Unternehmensberichterstattung sind Frauen nach wie vor in der Minderheit. Ein Grund für den geringen Anteil an Frauen in diesen Bereichen sind sicher die restriktiven und oft familienfeindlichen Arbeitszeiten. Der tägliche Redaktionsschluss am Abend ist nicht kompatibel mit den Öffnungszeiten vieler Kindergärten. Zudem erfordert die Arbeit als Wirtschaftsjournalist auch Abendtermine – allein schon, um Kontakte zu knüpfen und sich ein Netzwerk aufbauen zu können. In den vergangenen Jahren haben einige Verlage und Sender reagiert. So unterhält beispielsweise Burda in München

30 Vgl. Angaben im Impressum auf wiwo.de, Stand: 28.03.2012. 31 Groll 2008. 32 Meine langjährige Erfahrung in Redaktionen, Journalistenschulen und an der Hochschule zeigen, dass viele Frauen sich die Themen oft nicht zutrauen oder aber kein Interesse an diesen Themen haben.

Frauen im Wirtschafts- und Finanzjournalismus

175

und Offenburg einen Betriebskindergarten33, der WDR betreibt mehrere Kindertagesstätten und die Angestellten der Axel Springer AG können ihren Nachwuchs inzwischen auch in den betriebseigenen Kindergärten betreuen lassen.34 Interessant wäre zweifelsohne zu beobachten, ob die verbesserten Betreuungsmöglichkeiten zu einer höheren Quote an festangestellten Frauen im Wirtschaftsressort führen. Oder ob sich aufgrund der besseren Betreuungsmöglichkeiten und der damit einhergehenden besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf mehr Redakteurinnen für Nachwuchs entscheiden. Die Geburtenrate von Journalistinnen lag 2005 im Schnitt bei 0,5 Kindern und damit deutlich unter der bundesweiten Rate von 1,4 Kindern.35 4

FRAUEN ALS PROTAGONISTEN IN DER WIRTSCHAFTSBERICHTERSTATTUNG

In den Wirtschaftsteilen der Medien bleiben Männer meist unter sich. Gerade einmal fünf Prozent der Experten und Manager, die in der Wirtschaftsberichterstattung auftauchen, sind weiblich. Männer dominieren in den Artikeln über Unternehmen, Finanzen und wirtschaftliche Entwicklungen. Das ist ein Ergebnis der groß angelegten Studie „Spitzenfrauen im Fokus der Medien“36. In dem Sammelband, den Lünenborg und Röser herausgegeben haben, haben Wissenschaftler die mediale Repräsentation von weiblichen und männlichen Führungskräften in Politik, Wirtschaft und Wissenschaft untersucht. Der Untersuchungszeitraum war vom 1. April bis zum 30. September 2008.37 In diesen Zeitraum fiel die Pleite der Investmentbank Lehman Brothers am 15. September 2008. Die Insolvenz der Bank löste die Finanzkrise aus. Doch dieses Ereignis fand de facto unter Ausschluss von Expertinnen aus der Wirtschaft oder der Finanzindustrie statt, wie die Studie von Röser und Müller belegt. Die Abwesenheit von Frauen in der Wirtschaftsberichterstattung, insbesondere auch zu virulenten Themen von internationalem Interesse wie die Finanz- oder Eurokrise, kann den Medienkonsumenten das Bild vermitteln, dass Frauen zu Wirtschafts- und Finanzthemen nichts beizutragen haben. Ein aus Sicht der Frauenförderung verheerendes Signal. Schließlich vermitteln Medien bestimmte Sichtweisen und Einstellungen zu Themen oder Personen: „Was wir über unsere Gesellschaft, ja über die Welt, in der wir leben, wissen, wissen wir durch die Massenmedien.“38 Nun könnte man argumentieren, dass Wirtschaftsjournalisten die sozialen Begebenheiten abbilden. Frauen sind in leitenden Positionen in der Wirtschaft nach wie vor unterrepräsentiert (vgl. Abb. 2). Nach Informationen des DIW waren Ende 2012 in den 200 größten Unternehmen in Deutschland gerade einmal vier Prozent

33 34 35 36 37 38

Vgl. Burda, Pressemitteilungen vom 13.07.2012 und 14.08.2008. Vgl. Axel Springer AG, Pressemitteilungen vom 31.08.2010 und 26.05.2008. Vgl. Weischenberg et al. 2006a, S. 46. Vgl. Röser/Müller 2012, S. 53ff. Vgl. Lünenborg/Röser 2012. Luhmann 1996, S. 9. Vgl. hierzu auch Kleinsteuber 1991, S. 63.

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aller Vorstandsposten mit Frauen besetzt. Der Anteil weiblicher Aufsichtsratsmitglieder lag bei 13 Prozent.39 Bislang werden alle Dax-30-Konzerne ausschließlich von Männern geleitet. 95

100 90

88

83

80

80 70 60 50 40 30 20 10

männlich 20

17 5

12

weiblich

0

Abb. 2: Geschlechterverhältnis der erwähnten Personen (statusunabhängig) in den drei Gesellschaftsbereichen und gesamt (Anteil in %)40

Röser und Müller (2012) argumentieren, dass die strukturelle Dominanz der Männer durch redaktionelle Auswahlprozesse weiter verstärkt wird. Dafür sprechen die Unterschiede zwischen den Mediengattungen. So liegt der Frauenanteil in den Berichten der Wirtschaftstitel bei zwei Prozent, in unterhaltenden Illustrierten hingegen bei 20 Prozent.41 „Offenbar führt der thematische Schwerpunkt ‚Wirtschaft‘ aber nicht zu einer stärkeren Präsenz von weiblichen Spitzenkräften, sondern im Gegenteil zu einer bevorzugten Darstellung männlicher Führungspersönlichkeiten.“42 Die wachsende Zahl an weiblichen Journalisten im Wirtschaftsressort hat bislang nicht dazu geführt, dass der Anteil an Frauen in der Wirtschaft, über die berichtet wird, gestiegen ist. Die Daten des Global Media Monitoring Projects (GMMP) zeigen keinen offenkundigen Zusammenhang zwischen dem Anteil an weiblichen Berichterstattern eines Landes und der Anzahl der weiblichen Protagonisten in den Medien.43 Dieses Ergebnis wird durch Studien von Lünenborg gestützt.44 Redakteu-

39 40 41 42 43 44

Vgl. Holst/Schimeta 2013, S. 3ff. Vgl. Röser/Müller 2012, S. 46. Vgl. ebd., S. 53. Ebd., S. 54. Vgl. GMMP 2010. Vgl. Lünenborg 2001.

Frauen im Wirtschafts- und Finanzjournalismus

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rinnen scheinen dieselben männlichen Quellen zu konsultieren wie ihre männlichen Kollegen. Für dieses Ergebnis gibt es verschiedene Erklärungsansätze. Einer ist die Arbeitsökonomie von Redakteuren. In den vergangenen Jahren wurde in den Wirtschaftsmedien Personal abgebaut, die zur Verfügung stehende Zeit für Recherchen ist gesunken.45 Journalisten greifen daher gerne auf bekannte Experten aus ihrem Netzwerk zurück. Das sind meist Männer. Entscheidend bei der Auswahl der Experten ist nicht das Geschlecht, sondern Persönlichkeit und/oder Fachexpertise, leichte Erreichbarkeit und Unkompliziertheit beim Abstimmen von Zitaten. Ob es sich dabei um eine Frau handelt oder nicht, spielt bei der Suche nach O-Ton-Gebern in der Regel keine Rolle.46 5 DIE ROLLE VON FRAUEN IN DER WIRTSCHAFTSBERICHTERSTATTUNG Seitdem die Vizepräsidentin der Europäischen Kommission, Viviane Reding, eine verbindliche Frauenquote in den Mitgliedsländern der Europäischen Union fordert, ist das Thema in den Medien omnipräsent. Inzwischen hat sich vor allem in den Dax-30-Unternehmen etwas bewegt. In den 30 größten börsennotierten Unternehmen in Deutschland ist die Anzahl der Frauen in Vorständen bis Ende 2012 im Vergleich zum Vorjahr von sieben auf 15 gestiegen. So sitzt beispielsweise Margret Suckale im Vorstand der BASF, Elke Strathmann bei Continental oder Angela Titzrath bei der Deutschen Post. Ein Blick auf Artikel zu weiblichen Vorständen47 in Wirtschaftswoche und Manager Magazin zeigt: Thematisiert wird in den Texten vor allem ihre Rolle als Frau. In den Artikel wird angesprochen, wie sie sich in der Männerwelt durchgesetzt haben und wie sie Familie und Karriere miteinander vereinbaren. Das Manager Magazin widmet keiner der Frauen einen größeren Artikel. Die Namen der weiblichen Vorstände tauchen jedoch in Texten auf, die eine mögliche Frauenquote thematisieren.48 Ähnlich sieht es bei der Berichterstattung der Wirtschaftswoche aus. Themen wie Frauenquote oder Frau und Karriere

45 Vgl. hierzu Weischenberg et al. 2006a, S. 80. Danach ist der zeitliche Aufwand für Recherche von 140 Minuten (1993) auf 117 Minuten (2005) gesunken. 46 Lünenborg (1997) argumentiert auf der Grundlage von Interviews, dass gendersensible Berichterstattung lediglich für einen kleinen Teil der Journalistinnen als relevant gilt. Keuneke/ Kriener/Meckel (1997) kommen zum Ergebnis, dass das Geschlecht für Entscheidungen keine Relevanz habe. 47 Bei wiwo.de und manager-magazin.de wurden die Namen der 15 weiblichen Vorstände in den Dax-30-Unternehmen in die Suchmaske eingegeben und analysiert, was Anlass und Thema der Artikel waren. Analysiert wurden Artikel, die 2012 erschienen sind. 48 Viele der Namen tauchen 2012 in den folgenden drei Artikeln auf: Mann über Board (9/2012), Tour des femmes (2/2012), Männerland in Frauenhand (3/2012). Darüber hinaus finden sich im Manager Magazin 2012 kaum Berichte über die weiblichen Vorstände der Dax-30-Unternehmen.

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sind oft der einzige Anlass, über weibliche Vorstände zu schreiben.49 Maier und Lünenborg stellen in ihrer Analyse fest: „In Teilen der Berichterstattung werden die Unternehmerinnen und Managerinnen nicht nur als berufliche Persönlichkeit, sondern auch als private Person charakterisiert. Dies betrifft in besonderem Maße ihr Familienleben.“50 Interessant wäre es zu analysieren, wie diese Art der Wirtschaftsberichterstattung das Bild, das sich Mediennutzer von Frauen machen, beeinflusst. Der Spiegel-Kolumnist Jan Fleischhauer kritisierte beispielsweise die Titelgeschichte des Stern, die im März 2012 erschien.51 Dabei handelt es sich um einen Artikel, in dem seiner Meinung nach drei erfolgreiche Journalistinnen mit vier noch erfolgreicheren Frauen darüber reden, wie toll es sei, als Frau erfolgreich zu sein. „Das Ganze war von so bestürzender Einfalt, dass ich beim Lesen kurzzeitig den Verdacht hatte, es müsse sich um ein besonders perfides Manöver handeln, Frauen lächerlich zu machen.“52 6

METAPHORIK IN DEN PORTRÄTS VON MANAGERN UND MANAGERINNEN

Wenn Journalisten über komplizierte und für den Laien nur schwer verständliche Themen schreiben, nutzen sie häufig Metaphern. Die Funktion von Sprachbildern besteht darin, eine abstrakte Domäne durch Rückgriff auf einen anderen, dem Menschen vertrauten Erfahrungsbereich zu erschließen.53 Journalisten verwenden Sprachbilder jedoch auch, um auf subtile Art und Weise eine bestimmte Sichtweise auf Sachverhalte oder Personen zu vermitteln.54 Wenn das Manager Magazin im September 2012 einen Artikel zur Frauenquote mit „Mann über Board“55 betitelt, so weckt dieses Wortspiel eine Assoziation an die Schifffahrt. Geht ein Mann über Bord, impliziert dies, dass Gefahr in Verzug ist und gehandelt werden sollte. Auch wenn von einer „beispiellosen Welle der Weiblichkeit“ die Rede ist, die in den vergangenen Monaten durch die Vorstandsetagen „rollte“, nutzt der Autor ein Bild aus dem Bereich der „Natur“, um anschaulich zu beschreiben, dass Unternehmen Frauen in die Vorstände berufen haben. Dieses Sprachbild vermittelt jedoch zugleich, dass die Unternehmen dieser Entwicklung wehrlos ausgesetzt waren.

49 Die meisten Artikel finden sich über die Suchmaske von wiwo.de über Margret Suckale, Vorstand bei der BASF. In ihrem Fall findet sich ein Artikel, in dem sie sich ausschließlich über den Standort Ludwigshafen und das Geschäft der BASF äußert (wiwo.de vom 13.06.2012). 50 Maier/Lünenborg 2012, S. 97. 51 Vgl. Stern 10/2012: Wie Frauen gewinnen. 52 Fleischhauer 2012: „Man stelle sich nur für einen Moment vor, drei Auto-Journalisten würden vier Auto-Manager unter der Überschrift ‚Yes he can‘ dazu befragen, wie es ihnen nur gelungen ist, eine so tolle Karriere zu machen.“ 53 Vgl. Lakoff/Johnson 1980. S. 4. 54 Vgl. ebd., S. 10: „The very systematicity that allows us to comprehend one aspect of a concept in terms of another […] will necessarily hide other aspects of the concept.“ 55 Werle 2012, S. 104-111.

Frauen im Wirtschafts- und Finanzjournalismus

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Klaus Werle, der Autor des Artikels, bedient sich zudem zahlreicher Metaphern aus dem Herkunftsbereich Krieg und Militär. So findet ein „Kampf der Geschlechter“ statt, die Männer haben sich in den „Festungen“ Finanzen, Entwicklung und Vertrieb verschanzt und die „Funken im Geschlechterkampf“ stieben heftig. Dadurch wird das Bild eines Kampfes zwischen Frauen und Männern evoziert. Das Personalressort hat sich zum „Paradeplatz von Pumps und Perlenketten“ entwickelt. Ein Rückgriff auf diese Metaphern vermittelt den Eindruck, dass es in den Personalabteilungen nicht um fachliche Kompetenzen geht, sondern vor allem das Äußere eine Rolle spielt. Maier und Lünenborg konstatieren in ihrer Analyse, dass „viele Beschreibungen auf[fallen], die den beruflichen Status der weiblichen Spitzenkräfte negieren“56. Danach finden sich in der Wirtschaftsberichterstattung die „listige Witwe“, die „femme fatale“, das „Party-Girl“ auf der einen und das „Managerdenkmal“, der „Leitwolf im internationalen Banken-Ranking“ und der „Bahn-Gebieter“ auf der anderen Seite.57 7

ANLEITUNGEN FÜR DIE PRAXIS

Frauen sind in den Wirtschaftsmedien sowohl als Berichterstatter als auch als Protagonisten und gefragte Experten unterrepräsentiert. 1. Mehr Frauen im Wirtschaftsressort sind ein Gewinn für die Redaktion. Nicht, dass Frauen bessere Wirtschaftsredakteure sind. Aber sie bringen womöglich andere Aspekte oder Ansichten in Diskussionen in den Konferenzen ein. Insofern können sie dazu beitragen, einen Wirtschaftsteil zu konzipieren, der stärker auf Interessen von Frauen eingeht. Das ist insbesondere für Verlage relevant, die sich seit einigen Jahren mit der Frage beschäftigen, wie sie Frauen als Leserinnen gewinnen können. Wer Frauen als Leser gewinnt, ist für potenzielle Werbekunden attraktiv. Schließlich treffen Frauen rund 80 Prozent der Kaufentscheidungen.58 Und nicht nur die. „Hat sich bei Männern noch nicht herumgesprochen, dass das Leseverhalten in Familie und Gesellschaft in der Hauptsache von Frauen bestimmt wird?“59 2. Frauen in Wirtschafts- und Finanzredaktionen können im Journalismus jedoch nur dann etwas bewegen und Karriere machen, wenn sie über ‚harte‘ Wirtschaftsthemen wie Makroökonomie, Unternehmensberichterstattung oder Finanzen schreiben. Wer über Lifestyle oder Karriere schreibt, kann dies auch für eine Frauenzeitschrift machen. 3. In der Ausbildung von Journalisten und PR-Fachleuten sowie in Redaktionen und Pressestellen sollte auf das Thema Gendering aufmerksam gemacht werden. Viele Journalisten machen sich heute keine Gedanken, ob 56 57 58 59

Maier/Lünenborg 2012, S. 98. Ebd., S. 98ff. Vgl. Nielsen 2011. Di Lorenzo 2012.

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die interviewten Ansprechpartner männlich oder weiblich sind. Ziel sollte sein, dass Wirtschaftsjournalisten bei der Suche nach Experten nicht immer auf den erstbesten Mann zurückgreifen, sondern dass sich die Berichterstatter die Mühe machen, eine Frau zu suchen, die ebenfalls als Expertin zitiert werden kann. Auch sollten Pressestellen bei Anfragen von Journalisten nach Experten überlegen, ob nicht auch eine Frau aus dem Konzern zum Thema Auskunft geben könnte. Journalisten sollten darauf aufmerksam gemacht werden, dass sie mit Metaphern in ihren Artikeln und Beiträgen auch immer bestimmte Sichtweisen transportieren. Sie sollten zum einen die Metaphern in Pressemitteilungen hinterfragen60 und sich überlegen, welche Sicht der Dinge sie mit der Verwendung bestimmter Sprachbilder vermitteln. Lakoff plädiert in diesem Zusammenhang für einen „bewussten Journalismus“61. Spitzenfrauen in der Wirtschaft sollten Netzwerke mit Journalistinnen unterhalten. So könnten sie spannende Themen oder Interviews Wirtschaftsredakteurinnen andienen. In diesem Fall profitieren beide Seiten: Die Managerin wird mit ihrer Fachexpertise in der Presse zitiert und die Journalistin hat ein attraktives Thema, über das sie schreiben kann. Ähnlich wie in den MINT-Fächern sollten Dozenten in journalistischen Ausbildungseinrichtungen darauf achten, Frauen für Wirtschafts- und Finanzthemen zu begeistern und sie darin bestärken, dass jeder in der Lage ist, sich in wirtschaftliche Themen einzuarbeiten. Es wäre wünschenswert, dass Journalisten in ihren Artikeln über weibliche Führungskräfte in der Wirtschaft nicht primär über die Managerin als Frau berichten, sondern über ihre Fachexpertise – wie dies heute schon selbstverständlich bei Managern der Fall ist. Frauen aus der Wirtschaft sollten sich mit Sachthemen, Studien oder interessanten Thesen in die Medien bringen. BIBLIOGRAFIE

Axel Springer AG (2008): „Wolkenzwerge“ – Die Kindertragesstätte bei Axel Springer feierlich eröffnet/Ursula von der Leyen sprach Grußwort. Pressemitteilung vom 26.05.2008. Online: http:// www.axelspringer.de/presse/-Wolkenzwerge-Die-Kindertagesstaette-bei-Axel-Springer-feierlich-eroeffnet-Ursula-von-der-Leyen-sprach-Grusswort_88474.html (Abfrage: 28.03.2013). Burda (2008): Beruf und Leben in Balance. Pressemitteilung vom 14.08.2008. Online: http://www. hubert-burda-media.de/karriere/work-life-balance/work-life-balance-beruf-und-leben-in-balance_aid_12692.html (Abfrage: 28.03.2013).

60 Lakoff (2009: 177) fordert, dass Journalisten auch überlegen sollten, welche Sichtweisen von Politikern mit bestimmten Sprachbildern transportiert werden: „Unabhängig davon, ob Journalisten ‚nur‘ […] politische Missstände kritisieren wollen, sollten sie beispielsweise darauf eingehen, welche Metaphern die Politiker verwenden und wie sie mit deren Weltsicht zusammenhängen.“ 61 Lakoff 2009, S. 179.

Frauen im Wirtschafts- und Finanzjournalismus

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Barbara Brandstetter

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MEHR MEDIEN-FRAUEN – BESSERE BERUFSMORAL? VERANTWORTUNGSETHISCHE PERSPEKTIVEN FÜR DIE INFORMATIONSVERMITTLUNG IN JOURNALISMUS UND PR Bärbel Röben

Das Image von Medienschaffenden ist schlecht: PR-Fachleute sind „Sektglashalter“, „Drahtzieher“ oder „Beziehungsmakler“ ohne Moral (Ahrens/Knödler-Bunte, zit. nach: Fröhlich/Kerl 2012: 180) und Journalisten sind „unmoralisch, oberflächlich und zu mächtig“ (Donsbach, zit. nach: Röben 2013: 38). Gilt das auch für die Frauen in beiden Professionen? Oder handeln sie moralischer? Wird die Informationsgebung ethischer, wenn sie in der Mehrheit sind? Welche Rolle spielt die Positionierung der Geschlechter am Arbeitsplatz? Wie hängt diese wiederum mit den gängigen Zuschreibungen „männlich“ und „weiblich“ zusammen, die vor allem Frauen diskriminieren? 1

GRETCHENFRAGE: HANDELN FRAUEN MORALISCHER?

Medienschaffende in Journalismus und Public Relations vertreten mehrheitlich verantwortungsethische Positionen (vgl. Röben 2013: 34, 37). Dabei gibt es Unterschiede zwischen den Geschlechtern.1 Der Stellenwert von Ethik bei PR-PraktikerInnen wird in der Berufsfeldforschung u. a. mit der Frage nach den als wichtig erachteten Kenntnissen für die Tätigkeit in der Öffentlichkeitsarbeit ermittelt. Bei einem Ranking im Jahr 2000 schafft es Ethik bei den PR-Frauen ins obere Drittel der Relevanzskala, während die Berufsmoral bei den PR-Männern in die untere Hälfte der relevanten Wissensgebiete verbannt wird (vgl. Wienand 2003: 252). PR-Forscherin Ulrike Röttger (2010: 303) verweist zudem auf die verbreitete Annahme, dass Frauen von Natur aus beziehungsfähiger als Männer sind, stärker dialogorientiert agieren und in der Öffentlichkeitsarbeit damit eher Formen der symmetrischen – und ‚ethisch wertvolleren‘ – Kommunikation praktizieren. In der Studie „Journalismus in Deutschland“, bei der umstrittene Recherchemethoden als Indikator für das ethische Selbstverständnis der Medienschaffenden dienen,

1

Die Kategorisierung von „Frau“ und „Mann“ wird hier nicht als naturgegeben betrachtet, sondern als gesellschaftlich konstruierte Zuschreibung, die mit – an Machtinteressen gebundenen – Ungleichheitslagen zusammenhängt.

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Bärbel Röben

gibt es nur graduelle Unterschiede zwischen den Geschlechtern, d. h. bei Männern fällt die Zustimmung zumeist nur geringfügig höher aus als bei Frauen (vgl. Weischenberg/Malik/Scholl 2006: 177, 304). Bei Frauen steht die Berufsmoral also tendenziell höher im Kurs als bei ihren männlichen Kollegen, aber das öffentliche Ethik-Image wird immer noch von letzteren geprägt, denn: Entscheidend für ethisches Verhalten scheint die berufliche Sozialisation, weniger eine geschlechtsspezifische Prägung zu sein – im Journalismus stärker als in der PR-Branche. Dieser Befund kann als Beleg für das Gendering in den Professionen interpretiert werden, d. h. die geschlechtsgebundenen Macht- und Deutungsstrukturen. (Röben 2013: 100) 2

FRAUEN – DIE DISKRIMINIERTE MEHRHEIT

Diese Macht- und Deutungsstrukturen werden gestützt durch die in der Gesellschaft dominanten Wertvorstellungen. Anne Wizorek veranschaulicht das im Zusammenhang mit der Debatte über Sexismus im Frühjahr 2013: Eine Gesellschaft und Kultur, die allgemein das Wesen und Handeln von Frauen abwertet und Frauen wie Männer auf bestimmte Stereotype beschränkt (stark vereinfacht: Frau muss nur gut aussehen und nichts können, Mann ist der Jäger und Macher), sieht dann eben wenig bis keinen Anlass, übergriffiges Verhalten überhaupt zu bestrafen. Ein Verhalten, das mit herabwürdigenden Blicken und Bemerkungen beginnt, bis zum tätlichen Übergriff geht und eingesetzt wird, um Macht auszuüben. (Wizorek 2013: 1; Hervorhebung BR). Auslöser der „Sexismus-Debatte“ war ein Porträt des FDP-Spitzenpolitikers Rainer Brüderle, das Laura Himmelreich (2013) unter dem Titel „Der Herrenwitz“ am 24. Januar 2013 im Stern veröffentlichte. Der Titel des Beitrags bezieht sich auf eine anzügliche Bemerkung des Politikers zur Oberweite der Journalistin. Der Artikel hatte heftige Reaktionen zur Folge und Wizorek, freie Beraterin für digitale Strategien und Onlinekommunikation, rief Mädchen und Frauen auf, ihre Erfahrungen zu twittern – unter dem Hashtag „Aufschrei“. Tausende folgten ihrer Aufforderung. Durch die „Sexismus-Debatte“ wurde deutlich, wie stark Frauen in der Bundesrepublik trotz Allgemeinem Gleichbehandlungsgesetz, das es seit 2006 gibt, noch diskriminiert werden – allein aufgrund ihrer Geschlechtszugehörigkeit. Ursache und Folgen sind ungleiche Machtverhältnisse zwischen den verschiedenen Gruppen der Gesellschaft – hier zwischen Frauen und Männern. Wizorek (2013: 2): „Um uns von unserer sexistischen Gesellschaft endlich zu verabschieden, bedarf es einer verschränkten Verantwortungsübernahme in Politik, Medien, Bildungseinrichtungen und Privatem.“ Wollen Medien diese Verantwortung für eine dem Gleichheitsprinzip verpflichtete demokratische Vielfaltsgesellschaft übernehmen,

Mehr Medien-Frauen – bessere Berufsmoral?

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dann haben sie die Aufgabe, sich mit den gängigen Unterscheidungen und vorhandenen Ungleichheitslagen auseinanderzusetzen und Öffentlichkeit für alle sozialen Gruppen herzustellen – und allen die Teilhabe am Selbstverständigungsprozess der Gesellschaft zu ermöglichen. Verantwortungsethische Informationsvermittlung prägt die Medienbilder, wurzelt aber auch in den Strukturen der Medienproduktion, denn mediale Präsentationen sind „keine Zufallsproduktionen, sondern von den Interessen derjenigen geleitet, die aufgrund politischer, ökonomischer, kultureller Ressourcen über Deutungsmacht verfügen“ (Röben 2013: 179). Die Deutungsmacht ist ungleich verteilt – und das hat Folgen für die Inhalte, aber auch die Strukturen der Informationsvermittlung. Wenn Führungskräfte ihre Macht ausnutzen und Mitarbeitende wegen ihres Geschlechts diskriminieren, dann ist das Sexismus. Das gibt es in einem Medienbetrieb genauso wie in jedem anderen Betrieb, der hierarchisch strukturiert ist, doch: Da sind die Medien eben besonders, dass sie diejenigen sind, die der Gesellschaft sagen, wo es Probleme gibt, wo es moralische Schwierigkeiten gibt, aber genau das auf sich selbst zu beziehen, das scheint ihnen wirklich schwer zu fallen. Bis dato. (Ursula Bub-Hielscher in: Brökerhoff/Schober 2013) Die Fernseh-Reporterin hatte Übergriffe eines Kameramanns erlebt und darüber im NDR-Medienmagazin Zapp berichtet, das erstmalig die in der Gesellschaft verorteten „moralischen Schwierigkeiten“ in den eigenen Reihen thematisierte. Die AutorInnen des Beitrags, Daniel Brökerhoff und Tina Schober (2013), resümieren: „Gerade im Journalismus gibt es starke Abhängigkeitsverhältnisse. Meist sind es Männer, die entscheiden, wer arbeiten darf, wer einen Auftrag bekommt.“ Heißt das nun, dass Medien-Frauen im „Männerberuf“ Journalismus stärker diskriminiert werden als in der „Frauendomäne“ Öffentlichkeitsarbeit?2 3

„MÄNNERBERUF“ JOURNALISMUS

Diskriminierung drückt sich auf vielfältige Weise aus: zahlenmäßig unterrepräsentiert im Vergleich zum Bevölkerungsanteil, geringere Chancen auf Führungspositionen oder schlechtere Bezahlung. Zahlenmäßig sind Frauen in den Medien auf dem Vormarsch. Beispiel Nachrichten: 1971 wurde Wibke Bruhns erste Nachrichtensprecherin im ZDF. Anfang 1990 waren ein Drittel der NachrichtensprecherInnen Frauen (vgl. Klaus 2005: 151) und 2010 stieg ihr Anteil auf über 50 Prozent (vgl. GMMP 2010a). Auch in den Führungspositionen hat der Frauenanteil zugenommen. 2012 kamen sie bei den

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Bei der Beantwortung dieser Frage stütze ich mich im Folgenden auf meine Ausführungen in Röben 2013, S. 90-99.

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Bärbel Röben

ZDF-Nachrichten auf 27,3 Prozent und bei den ARD-Nachrichten sogar auf 41,6 Prozent (vgl. Pieper/Bauer 2012: 8f.). Diesen Erfolg verdanken die Journalistinnen engagierten Kolleginnen in ARD und ZDF, die sich Mitte der 1970er-Jahre für eine Verbesserung der Beschäftigungssituation von Frauen einsetzten und Frauenförder- bzw. Gleichstellungspläne forderten (vgl. Klaus 2005: 152). Seit Ende der 1980er-Jahre gibt es diese in den ARD-Rundfunkanstalten – mit Ausnahme des Bayerischen Rundfunks, der erst 1997 nachzog. Beim ZDF existieren seit 1995 Gleichstellungspläne. Die Privatsender haben keine vergleichbaren Vereinbarungen.3 Die Gleichstellungspolitik der Öffentlich-Rechtlichen habe vermutlich auch wesentlich dazu beigetragen, die Zahl von Frauen in Führungspositionen von 1990 an zu erhöhen, schreibt Genderforscherin Susanne Keil (2000: 53, 210). Als die Medienfrauen vor vierzig Jahren wegen ihrer Benachteiligung und Unterrepräsentation aufbegehrten, versuchte man, ihre Kritik wegen fehlender Zahlen als subjektiven Eindruck von Emanzen zu entkräften. 1976 präsentierte die Journalistin Ursula von Welser deshalb empirische Daten für den WDR. Zunächst wurde ihre Erhebung als unwissenschaftlich zurückgewiesen, auf Drängen von Personalrat und Gewerkschaft dann aber doch veröffentlicht und fortgeschrieben (vgl. Klaus 2005: 152f.). Acht Jahre später erstellten die Kommunikationsforscherinnen Irene Neverla und Gerda Kanzleiter (1984) die erste wissenschaftliche Studie zu Journalistinnen in Rundfunk, Zeitungen und Zeitschriften und lieferten harte Daten für die Unterrepräsentation und Diskriminierung der dort arbeitenden Frauen. Journalistinnen machten damals unter 20 Prozent des Redaktionspersonals aus (vgl. ebd.: 46). Ihr Anteil stieg 1993 auf etwa ein Drittel und 2005 auf 37 Prozent, bei den Freien sogar auf 45 Prozent (vgl. Weischenberg/Malik/Scholl 2006: 45-47). Auch wenn die Zahl der Journalistinnen in den Medien gestiegen ist, bleibt ihr Einfluss auf die Inhalte doch begrenzt, solange die Chefredaktionen und Ressortleitungen in deutschen Medienhäusern weiterhin eine Männerdomäne sind. Die Positionierung von Frauen im Journalismus verdeutliche ich an den beiden repräsentativen empirischen Berufsfeld-Untersuchungen „Journalismus in Deutschland“, die der Medienwissenschaftler Siegfried Weischenberg mit seinem Team 1993 und 2005 erstellte, und ergänze sie durch Befunde, die Medien- und Genderforscherin Elisabeth Klaus zusammengestellt hat, sowie aktuellere Einzelstudien. Journalistinnen sind in den verschiedenen Mediengattungen unterschiedlich stark vertreten. 1993 arbeiten sie überwiegend bei Zeitschriften, wo sie 39 Prozent des Personals ausmachen. 2005 stagniert der Frauenanteil hier, steigt aber im Fernsehen auf 41 Prozent, gefolgt vom Hörfunk mit 40 Prozent (vgl. Weischenberg/Malik/ Scholl 2006: 48). Elisabeth Klaus (2005: 159f.) erklärt diese Entwicklung mit dem Arbeitskräftebedarf im privaten Rundfunk, bei dem die Beschäftigungsbedingungen aber prekärer sind als bei den öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten. Besonders bei Tageszeitungen sind Journalistinnen spärlich vertreten. 1993 landen sie mit einem

3

Siehe etwa Bayerischer Rundfunk 2012.

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Frauenanteil von 30 Prozent hinter den Anzeigenblättern (21 Prozent), die 2005 allerdings auf 40 Prozent kommen, während bei den Tageszeitungen nur 34 Prozent des Redaktionspersonals weiblich ist (vgl. Weischenberg/Malik/Scholl 2006: 48). Auch in den Ressorts variiert der Frauenanteil stark – entlang traditioneller Rollenmuster und Identitätskonstruktionen. Während die Ressorts Ratgeber, Soziales und Service auf einen Frauenanteil von fast Zweidritteln kommen, sind Wirtschaft und Politik mit gut einem Drittel eher Männerdomänen (vgl. Weischenberg/ Malik/Scholl 2006: 48). Für das Politikressort gilt das auch noch 2010: „Der Anteil der Frauen unter den Politikjournalisten liegt mit 32,0 % insgesamt etwas niedriger als der Durchschnitt im Journalismus insgesamt (37,0 %).“ (Lünenborg/Berghofer 2010: 9). Am stärksten unterrepräsentiert sind Journalistinnen im Sportressort mit 17 Prozent weiblichem Personal (vgl. Weischenberg/Malik/Scholl 2006: 48). Die Kölner Medienwissenschaftlerin Daniela Schaaf, die stereotype Bilder von der „jungen Wilden“ und „schönen Spielerin“ in Berichten zur Frauen-Fußball-Weltmeisterschaft 2011 untersuchte, stellte fest, dass Männer in den Sportredaktionen 92 Prozent der Reporter und sogar 99 Prozent der Entscheider stellen.4 Im Sportressort zeigt sich in extremer Form, wie es um die Position von Journalistinnen innerhalb der Hierarchie von Medienbetrieben steht: Sie sind weiterhin am unteren Ende der Karriereleiter zu finden. Ihren Anteil an den VolontärInnen konnten sie von 46 Prozent im Jahre 1993 auf 50 Prozent 2005 steigern (vgl. Weischenberg/Malik/Scholl 2006: 46). 2010 erhielten Frauen fast 70 Prozent der vom WDR ausgeschriebenen Volontariate und Traineestellen (vgl. Krasser 2011: 8). Bei den RedakteurInnen konnten Frauen ihren Anteil zwischen 1993 und 2005 von 32 auf 39 Prozent erhöhen. In gehobenen Positionen mit Leitungs- und Weisungsbefugnis sind sie 2005 mit 22 Prozent weiterhin in der absoluten Minderheit und unterdurchschnittlich vertreten. Ihre Aufstiegschancen variieren nach Medien: Bei Privatfunk und Anzeigenblättern sind über ein Viertel der Chefpositionen weiblich besetzt. Dagegen liegt ihr Anteil bei Tageszeitungen und Nachrichtenagenturen unter zehn Prozent (vgl. Weischenberg/Malik/Scholl 2006: 46). Die Situation scheint sich nicht zugunsten von Frauen zu verändern, wie der Verein Pro Quote 2012 feststellt: „98 Prozent der Chefredakteure deutscher Tageszeitungen und die meisten Entscheider in TV- und Hörfunksendern sowie Online-Redaktionen sind Männer.“ Auch beim Einkommen werden Frauen in den Medien benachteiligt. Journalistinnen verdienen fast ein Viertel weniger als ihre männlichen Kollegen. Das ist nicht nur damit zu erklären, dass sie weniger Leitungspositionen bekleiden oder weniger Berufsjahre aufzuweisen haben. Alleine die weibliche Geschlechtszugehörigkeit begründet einen Einkommensunterschied von rund 500 Euro bei gleicher Arbeit, haben Weischenberg und sein Team festgestellt. So verdient ein Redakteur im Durchschnitt 2.400 Euro im Monat, eine Redakteurin nur 1.900 Euro (vgl. Weischenberg/Malik/Scholl 2006: 64).

4

Vgl. Norddeutscher Rundfunk 2011 (Interview mit Daniela Schaaf in der Sendung Zapp am 25.05.2011 im NDR-Fernsehen).

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Die gleiche Begründung wird im ersten Gleichstellungsbericht der Bundesregierung 2011 auch für die in allen Berufen festgestellte Lohnlücke zwischen den Geschlechtern angeführt. Sie sei nur damit zu erklären, dass Männer höhere Einkommen erzielen, weil sie Männer sind und zwar unabhängig davon, ob sie höher motiviert oder qualifizierter sind als Frauen. Frauen dagegen erzielen geringere Einkommen allein aufgrund der Tatsache, dass sie Frauen sind. (Sachverständigenkommission 2011: 120) Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass der Lohnabstand mit dem Alter steigt: Während über 40-jährige Frauen mehr als ein Viertel weniger als Männer verdienen, beträgt der Unterschied bei den unter 25-Jährigen gerade einmal 2,5 Prozent (vgl. ebd.: 118). So wird verständlich, dass junge Frauen oft keine Diskriminierung wahrnehmen. Zu ähnlichen Befunden kommen Margreth Lünenborg und Simon Berghofer (FU Berlin) in einer Studie über Politikjournalistinnen und -journalisten, die sie 2010 im Auftrag des Deutschen Fachjournalisten-Verbandes erstellten: „Das Geschlechterverhältnis und die Gehaltsdifferenz verschlechtern sich zu Lasten der Frauen mit steigendem Alter und ansteigender Hierarchie.“ (Lünenborg/Berghofer 2010: 50). Beim Einkommen stellten sie „markante Unterschiede zwischen Männern und Frauen“ fest. Politikjournalistinnen kämen auf ein Durchschnittseinkommen von 2.600 Euro, ihre männlichen Kollegen verdienten durchschnittlich 3.000 Euro (vgl. ebd: 11). Auch in der Hierarchie zeige sich „eine deutliche Unterrepräsentation von Frauen auf allen Ebenen“ (ebd.: 18). Auf Redaktionsebene stellen sie ein knappes Drittel des Personals, bei den Führungskräften sinkt ihr Anteil auf 17 Prozent. 4

JOURNALISTINNEN: MIT DER QUOTE GEGEN DIE „GLÄSERNE DECKE“?

Die begrenzten Karrierechancen von Frauen werden mit der „gläsernen Decke“ erklärt, einer unsichtbaren Barriere, auf die sie auf ihrem Weg in Spitzenpositionen stoßen. Unter diesem berufs- und länderübergreifenden „Glass-Ceiling“-Effekt versteht man, dass kulturell geprägte Geschlechterbilder eher Männern Entscheider- und Führungsqualitäten zuschreiben und damit den beruflichen Aufstieg von Frauen behindern (vgl. Weischenberg/Malik/Scholl 2006: 46). Unter dem Titel „Die männliche Meinungsmacht in den Medien“ thematisierte das NDR-Medienmagazin Zapp die frauenlosen Chefsessel in Deutschland bereits im Februar 2011 (vgl. Datta/Gundlach 2011). Danach haben die überregionalen Zeitungen ihre Führungspositionen alle mit Männern besetzt – bis auf die Tageszeitung taz, die mit Ines Pohl bereits eine Chefredakteurin hat und auf eine Frauenquote von 50 Prozent kommt. Handelsblatt-Chef Gabor Steingart verkündete im Februar 2011, er wolle den Frauenanteil in den nächsten fünf Jahren von 14 auf 30 Prozent steigern:

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In einer Welt, die sich verändert, einer Arbeitswelt, die sich verändert, wo Frauen auf allen Etagen in die Firmen drängen, in die Berufe, in die neuen Berufe drängen, muss eine Wirtschafts- und Finanzzeitung mit der Zeit gehen, sich anpassen. Also wir tun das nicht aus Gutmenschentum. Ich glaube, wir Zeitungen tun das im eigenen Interesse. (Steingart in: Datta/ Gundlach 2011) Bereits im Oktober 2011 hatte er eine Quote von 22 Prozent erreicht (vgl. Krasser 2011: 8)5. Auch die Fernsehsender reagierten inzwischen. Beim WDR sind 31,3 Prozent der Führungskräfte weiblich, beim NDR 23,8 Prozent. Eine von ihnen ist Patricia Schlesinger, Leiterin „Kultur und Dokumentation“ beim NDR-Fernsehen: Ich glaube, eine Quote könnte beide Seiten unter Druck setzen. Zum einen die Männerriegen, die entscheiden sich im Zweifel eher für einen Mann, der nicht schwanger wird oder die Kinder nicht hat in der Betreuung. Und auch für die Frauen, die sich auch gerne aus ihrer Komfortzone nicht so wegbewegen wollen und sagen, ich möchte gar nicht in die Hitze einer Küche, in die Hitze einer Führungsebene. Von daher glaube ich, eine Quote täte allen ganz gut. (Schlesinger in: Datta/Gundlach 2011) Mit diesem Beitrag gehörte die Zapp-Redaktion zu den Preisträgern des Medienethik-Award META 2011, der zum Thema „Gender – Lebensentwürfe und Geschlechterbilder“ ausgeschrieben war. Die Auszeichnung wird alljährlich von Studierenden der Stuttgarter Hochschule der Medien für fachkundige und ethisch verantwortungsvolle Informationsvermittlung vergeben (vgl. Hochschule der Medien 2011). In überregionalen Magazinen seien Frauen zwar auf dem Vormarsch zu den Spitzenpositionen, auf „regionaler Zeitungsebene sieht es frauenquotenmäßig mager aus“, bilanzierte die Journalistin Senta Krasser im Herbst 2011 nach einer Recherche zu weiblichen Führungskräften in deutschen Medienhäusern (vgl. Krasser 2011: 9). Wenige Monate später im Februar 2012 starteten Journalistinnen, die in Print- und Onlinemedien, bei Radio und Fernsehen arbeiten, ihren Aufruf „pro Quote“ und gründeten im Juni einen Verein. Seine Mitglieder fordern für die deutschen Medien eine Frauenquote von mindestens 30 Prozent auf allen Hierarchiestufen, die im Laufe der nächsten fünf Jahre umzusetzen ist. Auf der Pro Quote-Website (2013c) findet sich eine Statistik zum GeschlechterVerhältnis an der Spitze von 16 wichtigen deutschen Redaktionen – von der Bildzeitung über den Spiegel bis zum Handelsblatt. Die Zahlen ergeben sich aus dem jeweiligen Impressum und Auskünften der Verlage und werden ständig aktualisiert. Im Februar 2013 haben nur die Zeit (30,4 %) und die taz (50 %) die 30-Prozent-Marke für weibliche Führungskräfte erreicht. Schlusslichter beim Frauenanteil in Spitzenpositionen sind die FAZ mit 8,7 Prozent und die Süddeutsche Zeitung mit 9 Prozent.

5

Im Februar 2013 sind es 23 Prozent. Vgl. Pro Quote 2013c.

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Bärbel Röben

Zu den ersten Unterzeichnerinnen des Aufrufs gehörten viele jüngere Journalistinnen, die keine „Quoten-Frau“ sein wollten und überzeugt waren, dass allein ihre berufliche Qualifikation entscheidend für ihre Karriere sei. Doch ihre beruflichen Erfahrungen führten dazu, dass sie inzwischen anders darüber denken – wie z. B. die ZDF-Moderatorin Dunja Hayali: Die Quote ist und bleibt ein Miststück, aber wenn es nicht anders geht, wenn sich kaum einer an Artikel 3 des Grundgesetzes hält, dann muss sie halt übergangsweise einspringen. Traurig genug in einem angeblich doch so fortschrittlichen und aufgeklärten Land. (Pro Quote 2012) 5

„FRAUENDOMÄNE“ PUBLIC RELATIONS

Da die PR-PraktikerInnen überwiegend weiblich sind, wird die Branche auch als „Frauendomäne“ bezeichnet. Erfahren Medienfrauen hier deshalb weniger Diskriminierung als ihre Kolleginnen im Journalismus? Hinsichtlich ihrer zahlenmäßigen Repräsentation sieht es bei den PR-Frauen bedeutend besser aus. Als sich die Public Relations/Öffentlichkeitsarbeit in der 1980er- und 1990er-Jahren zu einem ausdifferenzierten Kommunikationsmanagement entwickelte, boomte die Branche und der Bedarf an Arbeitskräften stieg. Medienfrauen ergriffen die Chance und ihr Anteil an den PR-Fachleuten kletterte von damals 13 Prozent auf über 40 Prozent (vgl. Wienand 2003: 189). Er steigerte sich bis 2005, als etwa 40.000 Personen hauptberuflich in der Branche arbeiteten, auf 53 Prozent (vgl. Fröhlich 2008: 435). 2011 betrug der Anteil der PR-Frauen mit weniger als fünf Jahren Berufstätigkeit sogar 82 Prozent.6 Die Genderforscherin Johanna Dorer (2010: 142) erklärt den Zustrom von Medienfrauen in die Öffentlichkeitsarbeit auch damit, das es hier noch flachere Hierarchien gab als in den von Männern dominierten prestigeträchtigeren „Kernbereichen des Journalismus“ und bessere Karrierechancen. Der Zustrom hält an, doch die Zahl nimmt mit längerer Berufsdauer wieder ab – sei es wegen einer Familiengründung oder noch häufiger wegen mangelnder Karrierechancen. In den führenden Positionen dominierten auch in der PR weiterhin die Männer, konstatierte die Münchener Medienforscherin Romy Fröhlich 2011.7 Bereits 2005 erstellte die Professorin am Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung zusammen mit Sonja B. Peters und Eva-Maria Simmelbauer eine erste, immer noch aktuelle geschlechtsspezifische Berufsfeldstudie (vgl. Fröhlich/Peters/Simmelbauer 2005). Detailliert weisen die Wissenschaftlerinnen darin nach, dass Frauen – obwohl sie die Mehrheit der Beschäftigten in der PR-Branche stellen – beim Gehalt, bei der Aufgabenverteilung und bei Karriere-

6 7

Vgl. Fröhlich 2011. Zur Entwicklung des Frauenanteils in der PR-Branche vgl. auch Schiel/ Pawlitzek 2012, S. 3. Vgl. auch Röttger 2010, S. 303: ein Drittel Frauen in Leitungsfunktionen.

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chancen benachteiligt sind. Zur Aktualisierung ziehe ich genderspezifische Daten aus der Berufsfeldstudie von PR-Forscherin Ulrike Röttger (2010) heran sowie Befragungen zur Geschlechtergerechtigkeit im Berufsfeld PR, die Patricia Schiel und Dustin Pawlitzek 2012 als Bachelorarbeiten vorlegten (vgl. Schiel/Pawlitzek 2012). Frauen sind in den einzelnen PR-Bereichen, wie Agenturen, Behörden, NonProfit-Organisationen, Unternehmen oder in der selbständigen PR-Beratung, unterschiedlich stark vertreten. Nach einer ersten repräsentativen Befragung 2002 bilden sie im Agentursektor die Mehrheit der Beschäftigten. Über 40 Prozent der PR-Frauen arbeiten bei Agenturen – etwa doppelt so viele wie in Unternehmen, in denen die meisten PR-Männer tätig sind. Männer dominieren ebenfalls in Behörden und NonProfit-Organisationen (vgl. Fröhlich/Peters/Simmelbauer 2005: 81). Auch nach der Berufsfeldstudie von Röttger (2010: 306) arbeiten in den Agenturen mehrheitlich Frauen, die zudem meist jünger und besser ausgebildet sind als ihre männlichen Kollegen. Nach der „aktuellen Momentaufnahme des PR-Berufsfeldes“ von Schiel und Pawlitzek (2012: 21) sind beide Geschlechter 2012 vor allem im Agentursektor beschäftigt, wobei Frauen noch in einer hauchdünnen Mehrheit sind (48,5 % zu 45,2 %).8 Trotz flacherer Hierarchien gibt es bei den verschiedenen Tätigkeiten und Berufsrollen auch in der PR-Branche eine vertikal strukturierte geschlechtsspezifische Arbeitsteilung: Frauen arbeiten eher als TechnikerInnen, die Konzepte kreativ umsetzen. Männer sind eher im Management zu finden, das Kommunikationsstrategien entwickelt und Aufgaben verteilt (vgl. Fröhlich/Peters/Simmelbauer 2005: 106-108). Frauen bekleiden damit überwiegend statusniedrigere Positionen ohne Leitungs- und Weisungsbefugnisse. Die Männerdominanz breche in den jüngeren Jahrgängen aber auf, stellte Röttger (2010: 281) fest, die PR-ExpertInnen in Hamburg befragte: Bei den unter 39-jährigen Führungskräften machen Frauen schon mehr als die Hälfte der Beschäftigten aus. Die Dominanz der Männer und der Vormarsch der jüngeren PR-Frauen werden 2012 bestätigt. Der Großteil der Männer besetzt mit 43,9 Prozent Führungspositionen, Frauen nur zu gut 24 Prozent. Die weiblichen Kräfte im PR-Management arbeiten mit 44,5 Prozent überwiegend in mittleren Positionen. Das sei vor allem auf ihr jüngeres Alter und den großen Anteil von Agenturangestellten der Stichprobe zurückzuführen, schreiben Schiel und Pawlitzek (2012: 9). Die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Berufsrolle (Manager oder Techniker) hat hierarchischen Charakter und damit auch Einfluss auf die Einkommensverhältnisse. Da Frauen in der hierarchisch niedrigeren Technikerrolle stärker vertreten sind, werden sie tendenziell auch schlechter bezahlt. Doch auch bei gleicher Rollenzugehörigkeit erhalten PR-Männer bessere Gehälter als ihre Kolleginnen. Frauen sind jeweils in den untersten Gehaltsstufen der beiden Tätigkeitsbereiche am stärksten vertreten (vgl. Fröhlich/Peters/Simmelbauer 2005: 96f.).

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Diese Agenturdominanz ist nicht verwunderlich, da die Befragten aus der Gruppe der DPRGMitglieder rekrutiert wurden und Agenturbeschäftigte dort häufiger organisiert sind als andere PR-Fachleute. Vgl. Röttger 2010, S. 296.

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Dass PR-Frauen weniger als ihre männlichen Kollegen verdienen, ist nicht mit weniger Berufserfahrung oder niedrigeren Positionen zu erklären, sondern wie bei Journalistinnen und anderen berufstätigen Frauen mit ihrer weiblichen Geschlechtszugehörigkeit (vgl. auch Röttger 2010: 283f.). Ein derartiges Lohngefälle wird in den USA mit dem Begriff „One-Million-Dollar-Penalty“ umschrieben, d. h. Frauen haben nach 45 Berufsjahren eine Million Dollar, d. h. ein Drittel weniger als Männer verdient (vgl. Wienand 2003: 189). Auch 2012 bekommen Frauen trotz gleicher Berufserfahrung weniger als ihre männlichen Kollegen. Bei sechs bis zehn Berufsjahren verdienen 57,1 Prozent der Männer mehr als 4.500 Euro, während nur 23,6 Prozent ihrer weiblichen Kolleginnen diese Summe erhalten. Mit zunehmender Berufserfahrung gleicht sich die Entlohnung allerdings an. Bei 16 bis 20 Berufsjahren befinden sich 68 Prozent der weiblichen und 78,9 Prozent der männlichen PR-Fachkräfte in einer der Gehaltsklassen oberhalb der 4.500 Euro-Grenze (vgl. Schiel/Pawlitzek 2012: 21). Die Verringerung der Lohnschere mit Zunahme von Berufserfahrung und Alter der PRFrauen ist interessant, da es für den Journalismus (vgl. Lünenborg/Berghofer 2010: 50) und allgemein in allen Berufssparten (vgl. Sachverständigenkommission 2011: 118) eine stärkere Lohndiskriminierung älterer Frauen gibt. Röttger stellte in ihrer PR-Berufsfeldstudie fest, dass Frauen in allen Altersstufen weniger verdienen als ihre männlichen Kollegen. Bei Behörden sei der Einkommensabstand zwischen den Geschlechtern am geringsten (vgl. Röttger 2010: 284). 6

PR-FRAUEN: TROTZ FEMINISIERUNG DER BRANCHE IN DIE FREUNDLICHKEITSFALLE?

Wenn es in einem Beruf mit hohem Frauenanteil zu Einkommenseinbußen und Prestigeverlust kommt, bezeichnet man das als quantitative Feminisierung. PRPraktikerInnen in Deutschland sehen die möglichen Folgen nicht so kritisch wie die in den USA, wo es bereits Ende der 1970er-Jahre einen Gender Switch gab, d. h. die Zahl der Frauen im PR-Berufsfeld steigt auf über die Hälfte (vgl. Fröhlich 2008: 440f.). Der Aussage, die Feminisierung wirke sich negativ auf die Einkommensstruktur in der PR aus, stimmten 2002 weniger als die Hälfte der befragten PRFrauen zu (vgl. Fröhlich/Peters/Simmelbauer 2005: 129). Auch 2012 sehen über die Hälfte der PR-Frauen keine Benachteiligungen (vgl. Schiel/Pawlitzek 2012: 10). Eine qualitative Feminisierung der PR-Branche wird in Deutschland dagegen kontroverser diskutiert als in den USA. US-WissenschaftlerInnen sprechen von einer „revolution of the heart“ oder einem „feminist model of leadership“ im Zuge der qualitativen Feminisierung des Berufsfeldes und bewerten sie positiv. Anders in Deutschland, wo die Ambivalenz dieser zunächst positiv klingenden Zuschreibungen für PR-Frauen in dem von Romy Fröhlich geprägten Begriff der „Freundlichkeitsfalle“ thematisiert wird: Konsensorientierung und Kommunikationsstärke, die für Frauen zunächst eine wichtige Einstiegsqualifikation für den PR-Beruf sind, werden später häufig zum ‚Karrierekiller‘, wenn diese ihnen zugeschriebenen Eigen-

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schaften in mangelnde Durchsetzungskraft und Konfliktfähigkeit oder schwach ausgebildete Führungsqualitäten umgedeutet werden (vgl. Fröhlich 2008: 441). Romy Fröhlich sieht die Berufschancen für Frauen in den Public Relations 2011 durchwachsen: Es wird sicherlich etwas weiter bergauf gehen. Wir werden sicherlich in den nächsten Jahren einen weiteren bescheidenen Anstieg von Frauen in PR-Führungspositionen beobachten. Das wird sich aber hauptsächlich im Agentursektor abspielen. Hier sind schon seit knapp zehn Jahren ca. 80 Prozent der Berufseinsteiger Frauen. Aus diesem Heer wird der Agentursektor rekrutieren müssen, vor allem angesichts des drohenden Fachkräftemangels. Auf Unternehmensseite prognostiziere ich allerdings weiterhin nur eine sehr, sehr schleichende Entwicklung des Frauenanteils unter Führungskräften. Denn: In dem Maße, in dem sich das vergleichsweise schlecht bezahlte Agentursegment zunehmend feminisiert, werden sich im deutlich besser bezahlten und prestigeträchtigeren Unternehmenssegment Männerbastionen umso deutlicher herausbilden.9 Auch in den Experteninterviews, die Schiel und Pawlitzek 2012 führten, wird der Fachkräftemangel als Motor für mehr Chancengleichheit in den PR-Spitzenpositionen angeführt. Und „weil der weibliche Talentpool nicht mehr unbeachtet bleibe, sei eine gesetzliche Frauenquote auch entbehrlich“, argumentieren männliche Führungskräfte. Expertinnen, die gegen eine Quote sind, befürchten, dass eine solche Regelung die Akzeptanz von Frauen in Führungspositionen eher verschlechtern würde. Die Befürworterinnen meinen, mit der Einführung einer Quote werde es auch strukturelle Veränderungen in der Unternehmenskultur hin zu einer ausgewogeneren Work-Life-Balance geben (vgl. Schiel/Pawlitzek 2012: 14f.). 7

DISKRIMINIERUNG VON FRAUEN IN JOURNALISMUS UND PR

Medienfrauen werden immer noch diskriminiert – sie verdienen weniger als ihre männlichen Kollegen und auf ihrem Karriereweg nach oben stoßen sie an eine „gläserne Decke“. Erstaunlicherweise betrifft das auch PR-Praktikerinnen, die – anders als Journalistinnen – in ihrem Berufsfeld die Mehrheit der Beschäftigten bilden. Wie ist das zu erklären? Die Medienwissenschaftlerin Elisabeth Klaus beschreibt in ihrem Standardwerk „Kommunikationswissenschaftliche Geschlechterforschung“10 drei sich ergänzende Ansätze der Gender Studies, die aus unterschiedlichen erkenntnistheoretischen

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Romy Fröhlich im Interview mit der Münsteraner Akademie für Kommunikationsmanagement com+plus im August 2011; Hervorhebungen BR. Vgl. Complus Münster 2011. 10 Vgl. auch die von Klaus ständig aktualisierte Literaturübersicht zur Kommunikationswissenschaftlichen Geschlechterforschung. Online: http://www.uni-salzburg.at/pls/portal/docs/1/2083309.pdf (Abfrage: 09.03.2013).

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Perspektiven die Analyse dieser Diskriminierungen ermöglichen: Gleichheits-, Differenz- und (De-)konstruktivistischer Ansatz (vgl. Klaus 2005: 14-26). Im folgenden referiere ich ihre Ausführungen zur Benachteiligung von Journalistinnen und ergänze das durch andere Quellen zu PR-Frauen. Nach dem Gleichheitsansatz, der die Diskriminierung (von Frauen) kritisiert, ist die „Ausrichtung der journalistischen Berufsanforderungen am männlichen Lebenszusammenhang“ für die Benachteiligung von Journalistinnen verantwortlich. Die Arbeitsstrukturen orientieren sich am traditionellen Lebensentwurf von Männern, deren (Ehe-)Frau sie bei der Erfüllung der beruflichen Anforderungen unterstützt. Diese bedeuten im Journalismus vor allem zeitliche Verfügbarkeit (unregelmäßige Arbeitszeiten, Termindruck, Konferenzen). Das führe dazu, dass die Vereinbarkeit von Beruf und Familie und andere Lebensentwürfe, die traditionell Frauen zugeschrieben werden, schwerer umsetzbar sind (vgl. Klaus 2005: 171-177). Auch heute ist das auf gesellschaftliche Rollenerwartungen fußende Vereinbarkeitsproblem für Frauen immer noch relevant (vgl. Hein/Hildebrandt 2013: 20). So haben 67 Prozent der Journalistinnen keine Kinder. Dass Kinder zum Karriereknick werden können, verdeutlicht auch die Altersstruktur im Journalismus: Bei den unter 30-Jährigen sind mehr als die Hälfte weiblich, in der Altersgruppe 31 bis 40 Jahre kommen Frauen nur noch auf 40 Prozent und bei den 36- bis 45-Jährigen reduziert sich ihr Anteil weiter auf 36 Prozent (vgl. Weischenberg/Malik/Scholl 2006: 47). Ein ähnliches Bild zeigt sich in der PR-Branche: Auch hier werden von den Beschäftigten „lange Arbeitszeiten und ständige Verfügbarkeiten“ erwartet (vgl. Schiel/Pawlitzek 2012: 14). Da verwundert es nicht, dass 78,8 Prozent der PRFrauen keine Kinder haben und 64 Prozent von ihnen unter 35 Jahre alt sind, während die Männer in den älteren Altersgruppen überwiegen. Auch scheint eine Familiengründung für Frauen ein Ende der Berufstätigkeit zu befördern (vgl. Schiel/ Pawlitzek 2012: 6f.). Der Differenzansatz, der die gesellschaftlich bedingten unterschiedlichen Lebenswelten von Männern und Frauen in den Blick nimmt, erklärt die Benachteiligung von Journalistinnen mit der „Dominanz von Männern in der betrieblichen Öffentlichkeit“. Sie hätten in den Redaktionen Kommunikationskulturen geschaffen, durch die Frauen in ihrer journalistische Arbeit behindert und ihre Leistungen herabgesetzt würden. Der Kommunikationsstil sei geprägt von einem rauen Umgangston, sexistischen Äußerungen (vgl. Sexismus-Debatte 2013), Konkurrenz und Profilierung etwa bei den teilweise „sinnentleerten“ Redaktionskonferenzen. Die „männliche Karrierekultur“, gestützt durch Seilschaften, die auf informellen Wegen beruflichen Aufstieg befördern können, belohne traditionell männliches Verhalten. So würden Einzelleistungen und Selbstinszenierungen zumeist höher bewertet als Teamarbeit und Anerkennung der Leistung anderer (vgl. Klaus 2005: 177-180). Auch in der PR-Branche dominieren Männer. „Boys Clubs“, exklusive männliche Netzwerke, erhalten bestehende patriarchalische Machtstrukturen, indem sie den Führungsnachwuchs überwiegend aus ihren eigenen Reihen rekrutieren. Karriere wird durch Profilierung gemacht. Anderseits hat die Familie nach der Geburt des ersten Kindes bei vielen Frauen Priorität gegenüber dem Beruf (vgl. Schiel/ Pawlitzek 2012: 14f.).

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Nach dem (de-)konstuktivistischen Ansatz, der die Unterscheidungen zwischen „männlich“ und „weiblich“ als Konstrukte aufdeckt, wurzelt die Benachteiligung der Journalistinnen in der „Reproduktion des Geschlechterdualismus von Männern und Frauen am Arbeitsplatz“. Das führe zu unvereinbaren Verhaltenserwartungen an sie. Im „heterosexuellen Kommunikationsgeflecht“ der Redaktionen sollen die Journalistinnen sich „wie eine Frau“ verhalten. Wenn sie diesen Erwartungen entsprechen, werden sie aber in ihrer fachlich-professionellen Kompetenz, die sich ja an Männern zugeschriebenen Verhaltensweisen orientiert, abgewertet. Dieses Dilemma verdeutlicht Sissy de Mas, die das „Aktuelle Sportstudio“ im ZDF 1980/81 moderierte: Ich weiß nicht, nach welchen Maßstäben gemessen wird, aber wahrscheinlich muss eine Frau ein bisschen Valerien, ein bisschen Kürten, ein bisschen Friedrichs sein, und dieses Bisschen sollte nach Möglichkeit das Beste sein. Dann sollte sie wahrscheinlich auch noch sexy aussehen und erst dann hat sie die Chance anzukommen. (Zit. nach: Klaus 2005: 184) Von Moderatorinnen wird im Gegensatz zu ihren Kollegen immer noch mehr physische Attraktivität erwartet. Das ist sicherlich ein weiterer Grund für die geringe Repräsentanz von älteren Frauen auf dem Bildschirm (vgl. Rheinische Post 2012). Wenn Männer und Frauen in den Medien diese traditionellen Erwartungen entlang der Grenzziehung zwischen „Weiblichkeit“ und „Männlichkeit“ reproduzieren, dann verstärken sie damit den Frauen diskriminierenden Geschlechterdualismus in den Redaktionen (vgl. Klaus 2005: 181-185). Dass diese sexistischen Geschlechterkonstrukte auch im Jahre 2013 noch die Arbeit von Journalistinnen behindern, erlebte Annett Meiritz, die für Spiegel Online über die Piraten-Partei berichtet und mit dem Gerücht konfrontiert wurde, sie würde sich „mit Körpereinsatz Informationen aus der Partei verschaffen“. Meiritz (2013): Der Punkt ist, dass für weibliche Berichterstatter noch immer andere Regeln gelten als für männliche und dass diese Ungleichbehandlung meine Arbeit behindert. [...] Das ist es, was mich aufregt. Ich kenne viele männliche Journalisten, für die es selbstverständlich ist, sich mit einem Politiker zum Abendessen zu treffen. Bei den Piraten reicht es schon, wenn man sich in einem Café mit einem Informanten trifft, um eine Affäre angedichtet zu bekommen. [...] Die Regeln, die für Männer selbstverständlich sind, müssen endlich auch für uns Frauen gelten. Dazu gehört, dass geschicktes Netzwerken als das betrachtet wird, was es ist: Kontaktpflege. 8

FAZIT UND AUSBLICK: ETHIK IST KEINE FRAGE DES GESCHLECHTS

Berufsmoral ist eine Frage der persönlichen Haltung – unabhängig von der Geschlechterzuordnung, denn diese Zuordnung basiert auf einem kulturellen Kons-

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truktionsprozess („Doing Gender“), der Gefühle, Denken und Körperlichkeit der Menschen prägt. Ihr damit verbundenes unterschiedliches Handeln als Männer oder als Frauen ist Ausdruck einer Individualität, die sich herleitet aus Geschlechterdefinitionen, -positionierungen und -identifikationen. Es kommt also darauf an, welche gesellschaftlichen Erwartungen durch die Konstruktion von Geschlecht an Menschen als Männer oder Frauen gestellt werden und wie diese damit umgehen – ob sie sich rollenkonform oder widerständig verhalten und ob sie aufgrund ihrer sozialen Positionierung überhaupt eine Wahl haben. Die gesellschaftlichen Erwartungen infolge von Grenzziehungen zwischen „männlich“ oder „weiblich“ haben soziale Ursachen und Folgen. Wenn Frauen in den Medien aufgrund ihres Geschlechts benachteiligt werden, hängt das mit dem normativen Referenzrahmen in der Bundesrepublik zusammen, der zur Zeit neoliberal geprägt ist – von Werten wie Kampf und Wettbewerb, Leistung und Erfolg: „Nur wer sich an diese konventionell mit Männlichkeit verbundenen Verhaltensweisen und Werte anpasst, kann Deutungsmacht erlangen.“ (Röben 2013: 179) Und nur wer Deutungsmacht besitzt, hat Einfluss auf Geschlechterkonstruktionen und Wertvorstellungen. Um auf dem Weg nach oben nicht zu sehr männlichkonventionell sozialisiert oder wie in der PR-Branche durch die „Freundlichkeitsfalle“ gestoppt zu werden, ist eine Quote notwendig. Die unterstützen auch Männer wie Stern-Reporter Frank Ochmann: Die Mischung macht’s. Wo Männer allein entscheiden und dabei ungehindert ihre Machtspielchen ausfechten können, wird es einseitig, kurzsichtig und riskant – für alle. Nicht nur im Journalismus, doch selbstverständlich auch da. Wer aber machtvolle Privilegien erst einmal schätzen gelernt hat, gibt sie freiwillig nicht her, wenn er ein ‚richtiger Kerl‘ ist. Darum müssen die Verhältnisse, müssen die Regeln im Interesse aller geändert werden. Das ist auch möglich, denn schließlich sind selbst ‚richtige Kerle‘ auf sich allein gestellt machtlos. Bündnisse wie ‚Pro Quote‘ können helfen, sie daran zu erinnern. (Pro Quote 2013a) Das Bündnis wird mittlerweile von über 4.000 Medienschaffenden – auch aus der PR – unterstützt (vgl. Pro Quote 2013b). Denn Veränderungen gelingen nur durch solidarisches Handeln derjenigen, die in Journalismus und PR Benachteiligungen erfahren, das neoliberale Normensystem kritisch hinterfragen und für eine andere Arbeits- und Unternehmenskultur eintreten. Wie die aussehen könnte, beschreibt der Verein Pro Quote (2013d) in zehn Punkten, u. a.: Frauen sorgen nachweislich für mehr Effizienz in Führungsteams. Davon profitieren alle. Gemischte Führungsteams sind kreativer, der Kommunikationsstil verändert sich. Auch davon profitieren alle. Konferenzen werden kürzer. Die Quote schont die Nerven. Frauen in Führungspositionen sorgen für eine familienfreundlichere Arbeitskultur. Das dient Müttern wie Vätern.

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Bessere Witze, mehr Vielfalt, mehr Begeisterung, mehr Inspiration. Qualität kommt von Quote.11 Führen diese strukturellen Veränderungen auch zu einer ethischeren Informationsvermittlung, d. h. dass allen sozialen Gruppen die Teilhabe ermöglicht wird, ohne einige zu benachteiligen?12 In Ziffer 12 des Pressekodex heißt es: Niemand darf wegen seines Geschlechts, einer Behinderung oder seiner Zugehörigkeit zu einer ethnischen, religiösen, sozialen oder nationalen Gruppe diskriminiert werden. (Deutscher Presserat 2011: 153). Die Umsetzung dieses Postulats wird kontrovers diskutiert. Die einen plädieren für eine inhaltliche Regulierung, wie das Diskriminierungsverbot im Pressekodex, die anderen für strukturelle Veränderungen in der Zusammensetzung des Redaktionspersonals. Zu letzteren gehört Journalistikprofessor Horst Pöttker, der diesen Ansatz in Bezug auf ethnische Minderheiten vertritt. Er kritisiert auf Medieninhalte bezogene Diskriminierungsverbote und plädiert für die Lösung medienethischer Fragen auf struktureller Ebene durch „Diversifikation des Redaktionspersonals“, um den „moralisch notwendigen Minderheitenschutz ohne problematische Einschränkung der professionell notwendigen Äußerungsfreiheit“ anzustreben (vgl. Pöttker 2002: 276). Überträgt man diesen Ansatz auf die weibliche „Minderheit“ in den Medien, würden die medialen Präsentationen auch anders aussehen, wenn hier mehr Frauen arbeiteten. Die Ergebnisse des jüngsten Global Media Monitoring Project bestätigen immerhin für den Nachrichtenjournalismus, dass Frauen in den Beiträgen weiblicher Autorinnen bedeutend häufiger thematisiert werden. Nur in elf von 120 Artikeln männlicher Reporter stehen Frauen im Fokus, während weibliche Berichterstatterinnen Frauen in elf von 39 Beiträgen ins Zentrum der Geschichte stellen (vgl. GMMP 2010a: 5). Aber: Die alten Geschlechterstereotype werden nur selten aufgebrochen: In terms of challenging stereotypes, 10 % of stories reinforced genderstereotypes, 1 % challenged stereotypes, and 89 % neither challenged nor reinforced gender stereotypes. There appears to be thus little development toward a gender sensitive and therefore stereotype-challenging reporting. (GMMP 2010b: 5) Um das zu verändern, bedarf es noch mehr Menschen in Führungspositionen, die sensibilisiert sind für Diskriminierungen nach Geschlecht und anderen Unterscheidungen!

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Zu Chancengleichheit durch Diversity Management und Gender Mainstreaming vgl. auch Krell 2008. 12 Für den folgenden Abschnitt vgl. Röben 2013, S. 123f.

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KURZBIOGRAFIEN Prof. Dr. Barbara Brandstetter Geboren 1973 in Ulm. Studium der Volkswirtschaftslehre, Romanistik (Schwerpunkt: kognitive Linguistik) und Journalistik an der Universität Hamburg sowie Studium der Literaturwissenschaften (Lettres modernes) an der Université Paul-Valéry in Montpellier, Frankreich. 2008 Promotion an der Universität Hamburg: „Gemeinsames Europa? Zur Metaphorik von Wirtschaftsberichten in deutsch- und französischsprachigen Printmedien“. 2001-2003 Wirtschaftsvolontariat an der Axel-Springer-Journalistenschule. 2003-2006 Wirtschafts- und Finanzredakteurin bei Welt, Welt Online und Berliner Morgenpost. 2006-2009 Teamleiterin Verbraucherfinanzen bei Welt, Welt am Sonntag, Welt Kompakt, Welt Online und Berliner Morgenpost (Schwerpunkte: Altersvorsorge, Steuern, Versicherungen, Geldanlage). 2009-2011 Stellvertretende Redaktionsleitung (verantwortliche Redakteurin) bei Welt Kompakt. Seit 2009 Jurymitglied Verbraucherjournalistenpreis, vergeben vom Markenverband. Seit März 2011 Professorin für Wirtschaftsjournalismus an der Hochschule NeuUlm. Seit 2012 Leitung des Studienschwerpunkts „Crossmedialer Journalismus“ im Studiengang Informationsmanagement. Seit 2013 Leitung Kompetenzzentrum Media & User Experience sowie Leitung Campus TV. Arbeitsschwerpunkte: Wirtschafts-, Finanz- und Verbraucherjournalismus sowie -kommunikation, Metaphorik, Verständlichkeitsforschung, Usability. Dr. Julia Maria Derra Geboren 1981 in Walporzheim. Studium der Soziologie, Psychologie und Pädagogik an der Universität Trier. 2006-2010 Wiss. Mitarbeiterin an der Universität Trier, u. a. im Projekt „Männlich und Weiblich im Spiegel der Werbung“. 2010 Promotion zum Dr. phil. an der Universität Trier mit einer Arbeit zum Thema „Schönheitsideale“. Seit 2012 Projektmanagerin bei Great Place to Work® Deutschland in Köln. Arbeitsschwerpunkte: Demografischer Wandel und Gerontologie, Medien-/Werbe-/ Konsumforschung, Geschlechter- und Attraktivitätsforschung.

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Kurzbiografien

Dr. Katrin Döveling Geboren 1970 1990-1999 Diplôme d’Etudes Supérieures Françaises, Troisième Degré, Université des Sciences Humaines, Strasbourg, Frankreich, Diplôme Affaires Internationales et Marketing Centre Europe, Institut Privé d’Enseignement Supérieur, Spécialisation Troisième Année, Strasbourg, Frankreich, Studium (Abschluss M.A.) Sozialwissenschaften, Psychologie, Medienwissenschaft, Heinrich-Heine-Universität, Düsseldorf. 1996-1998 Programmleiterin des internationalen Kooperationsprogramms der Hongkong Baptist University und der Heinrich-Heine-Universität für das Institut für Internationale Kommunikation. 1996-2000 Dozentin am Institut für Internationale Kommunikation, HeinrichHeine-Universität, Düsseldorf mit dem DAAD (Deutscher Akademischer Austauschdienst), dem PAD (Pädagogischer Austauschdienst), dem DFHI (DeutschFranzösisches Hochschulinstitut): Europäische Wirtschafts- und Handelspolitik, Interkulturelle Kommunikation. 2001 DAAD-Dissertationsstipendium an der University of California, Berkeley, USA. 2002-2003 Wissenschaftliche Mitarbeiterin, Kommunikationssoziologie und -psychologie, Universität Erfurt. 2004 Promotion in Medien- und Kommunikationswissenschaft an der Universität Erfurt (Dissertation: Emotionen in der Medienberichterstattung als bedürfnisrelevante Handlungsantriebe in Vergemeinschaftungsprozessen. Eine theoretische Verortung, Forschungsperspektive und Fallstudie). 2004 Wissenschaftliche Mitarbeiterin, Institut für Kommunikations- und Medienwissenschaft, TU Ilmenau. 2006-2009 Wissenschaftliche Assistentin, Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft, Freie Universität Berlin. 2007, 2009 Invited Visiting Professor, Université Val de Marne, Paris, Frankreich, Dozentin an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster, Institut für Kommunikationswissenschaft. 2009-2013 Professorin „Strukturen der öffentlichen Kommunikation“, Institut für Kommunikationswissenschaft, Technische Universität Dresden. 2013-2014 Forschungssemester, Marie-Reiche-Research Fellow, Technische Universität Dresden. Arbeitsschwerpunkte: Emotionsforschung, Medienethik, Visuelle Kommunikation, Unterhaltungsforschung, Stereotypenforschung, Medienaneignung, -effekte und -nutzung. Jana Fischer, M.A. Geboren 1987 in Stuttgart. Studium der Kommunikationswissenschaft (B.Sc.) an der Universität Hohenheim. Studium der Angewandten Medienforschung (M.A.) an der Technischen Universität Dresden.

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Seit 2013 wissenschaftliche Mitarbeiterin und Promovendin am Institut für Kommunikationswissenschaft der TU Dresden. Arbeitsschwerpunkte: Online-Kommunikation, Medienethik, Visuelle Kommunikation. Dr. Maya Götz Geboren 1967 in Hamburg. Studium an der PH Kiel – Lehramt an Grund- und Hauptschulen und Magistra der Pädagogik. 1998 Promotion an der Gesamthochschule Kassel mit der Dissertation „Mädchen und Fernsehen“. 1999-2003 wissenschaftliche Redakteurin am Internationalen Zentralinstitut für das Jugend- und Bildungsfernsehen (IZI) beim Bayerischen Rundfunk, dem sie seit 2003 als Leiterin vorsteht. Seit 2006 Leiterin des PRIX JEUNESSE INTERNATIONAL, dem international renommiertesten Festival und Netzwerk für Kinderfernsehen weltweit. Ihr Hauptarbeitsfeld ist die Forschung im Bereich „Kinder/Jugendliche und Fernsehen“. Daneben arbeitet und veröffentlicht sie im Themenbereich geschlechterspezifischer Rezeptionsforschung. Sie führte über 80 Studien zum Kinder- und Jugendfernsehen durch und publizierte über 200 Artikel sowie verschiedene Bücher zu dem Thema. Sie ist leitende Redakteurin der Fachzeitschrift TelevIZIon. Prof. Dr. Petra Grimm Geboren 1962 in München. Studium der Neueren Deutschen Literatur, Kommunikationswissenschaft und Theaterwissenschaft an der Ludwig-Maximilians-Universität in München. 1991-1998 Dozentin an der Universität Kiel, Institut für Neuere Literatur und Medien sowie Institut für Pädagogik. 1994 Promotion an der Ludwig-Maximilians-Universität in München zum Thema „Filmnarratologie“. 1994-1998 Dezernentin für Programmaufsicht und Medienforschung bei der Unabhängigen Landesanstalt für Rundfunk und neue Medien (ULR), Kiel. Seit 1998 Professorin für Medienforschung/Kommunikationswissenschaft an der Hochschule der Medien (HdM), Stuttgart. Seit 2000 Ethikbeauftragte der Hochschule der Medien. 2006-2010 Dekanin der Fakultät Electronic Media. Seit 2010 Gewähltes Senatsmitglied der Hochschule der Medien. 2011 Preisträgerin des Landeslehrpreises Baden-Württemberg. Mitgliedschaft: Fokusgruppe „Internet-Kinderschutzzentrum“ des Bundesfamilienministeriums; Stellv. Mitglied der Kommission für Jugendmedienschutz (KJM); Mitglied der Fachgruppe „Kommunikations- und Medienethik“ der Deutschen Gesellschaft für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft (DGPuK). Mit-Herausgeberin der Schriftenreihe Medienethik, Stuttgart: Franz Steiner Verlag.

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Arbeitsschwerpunkte: Medienethik, Online Privacy, Gewalt in den Medien und Cybermobbing, Mediennutzung von Kinder und Jugendlichen. Dr. Elke Grittmann Geboren 1966. Studium Kunstgeschichte, Journalistik und Kommunikationswissenschaft und Politische Wissenschaft, Universität Hamburg. 1992-1998 PR-Beraterin, Studiengangsleiterin Weiterbildung PR. 1998-2002 Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Hamburg. 2002-2003 Graduiertenstipendium, Universität Hamburg. 2003-2009 Dozentin, Wissenschaftliche Mitarbeiterin an den Universitäten Hamburg und Lüneburg. 2006 Promotion an der Universität Hamburg zum Thema Politik in der visuellen Kommunikation („Das politische Bild. Fotojournalismus und Pressefotografie in Theorie und Empirie“, Köln: von Halem, 2007). 2009-2012 Vertretungsprofessuren an den Universitäten Lüneburg, Augsburg und Münster. Seit WS 2012 Gastprofessorin an der Leuphana Universität Lüneburg. Arbeitsschwerpunkte: Visuelle Kommunikation/Visuelle Kultur; Erinnerungskultur und Journalismus; Gender und Medien; Transnationale/-kulturelle Kommunikation; Wissenschaftskommunikation; Methoden der Bildanalyse. Clarissa Henning M.A. Geboren 1981 in Mainz. Studium der Neueren Deutschen Literatur- und Medienwissenschaft, Psychologie, Ältere Deutsche Literatur- und Deutsche Sprachwissenschaft an der Justus-LiebigUniversität Gießen und Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. Seit 2008 Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Hochschule der Medien Stuttgart. Seit 2011 Doktorandin im Fachbereich Filmwissenschaft der Universität Passau. Arbeitsschwerpunkte: Medienwissenschaft, Medienethik. Prof. Dr. Michael Jäckel Geboren 1959 in Oberwesel. Studium der Soziologie, Geschichte, Politikwissenschaft an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Seit 1996 Professor für Soziologie an der Universität Trier. Seit 2011 Präsident der Universität Trier. Arbeitsschwerpunkte: Allgemeine Soziologie, Mediensoziologie, Konsumsoziologie, Soziologie der Zeit.

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ao. Univ.-Prof. Mag. Dr. Larissa Krainer Geboren 1967 in Klagenfurt/Celovec. Studium der Philosophie und Kommunikationswissenschaft an der Universität Klagenfurt. 1986-1998 journalistische Tätigkeit bei verschiedenen Medien in Österreich. 1995-1997 Landesgeschäftsführerin von amnesty international Kärnten. Vorsitzende des kirchlich-politischen Menschenrechtsbeirates des Landes Kärnten. Seit 1998 Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Klagenfurt. Mitglied der Fakultät für Interdisziplinäre Forschung und Fortbildung. 2001 Habilitation zum Thema Medien und Ethik. Von 07/2009 bis 02/2011 Professorin für Kommunikationswissenschaften am Institut für Medien- und Kommunikationswissenschaft (Vertretungsprofessur). Derzeit: Institutsvorständin am Institut für Interventionsforschung und Kulturelle Nachhaltigkeit (IKN). Arbeitsschwerpunkte: Medienethik, Prozessethik, Interventionsforschung, Kulturelle Nachhaltigkeit, Nachhaltigkeitskommunikation, Wissenschaftstheorie, Konflikt- und Entscheidungsmanagement. Dr. Tanja Maier Geboren 1972 in Aalen. 1994-1999 Studium Sozialwesen an der Hochschule Bremen. 1999-2004 Aufbaustudiengang Kulturwissenschaftliche Geschlechterstudien an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg. 2005 Promotion an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg zum Thema „Gender und Fernsehen“. 2006-2008 Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentrum für interdisziplinäre Medienwissenschaft, Georg-August-Universität Göttingen. 2008-2010 Wissenschaftliche Mitarbeiterin im BMBF-Verbundprojekt „Spitzenfrauen im Fokus der Medien“ an der Universität Siegen und der FU Berlin. Seit 2010 Sprecherin der DGPuK-Fachgruppe „Medien, Öffentlichkeit und Geschlecht“. 2011-2012 Gastdozentur für Visuelle Kommunikation an der FU Berlin. 2012-2013 Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienkultur, Leuphana Universität Lünenburg. Seit 3/2013 Postdoc (DFG, Eigene Stelle) am Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft, FU Berlin. Dr. Bärbel Röben Geboren 1958 in Oldenburg. Studium der Publizistikwissenschaft, Soziologie und Romanistik an der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster. 1984 Promotion zum Thema „Der Ideologiegehalt von Medienrealität, dargestellt

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am Beispiel der Chile- und Afghanistan-Berichterstattung in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und im Neuen Deutschland“ (Lit-Verlag 1985). 1986/87 Hörfunkvolontariat beim Hessischen Rundfunk in Frankfurt/Main, danach freie Medien- und entwicklungspolitische Fachjournalistin. 1989-1992 Nachrichtenredakteurin beim HR-Hörfunk. Seit 1997 Lehrbeauftragte (Dortmund, Hannover - ab 2007 Medienethik). 2000-2002 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Journalistik Dortmund. Zur Zeit freie Journalistin und Medienwissenschaftlerin in Attendorn / Sauerland. Arbeitsschwerpunkte: Medien, internationale und interkulturelle Kommunikation, Entwicklungspolitik, Migration und Frauen. Jüngste Buchveröffentlichung: Medienethik und die „Anderen“. Multiperspektivität als neue Schlüsselkompetenz. Wiesbaden. Springer VS Verlag 2013. Dipl.-Wirt.-Ing. (FH) Katrin Schlör Geboren 1982 in Tübingen. Studium der Medienwirtschaft an der Hochschule der Medien (HdM) in Stuttgart Seit 04/2010 Promotion an der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg, Abteilung Medienpädagogik. Thema: „Mediensozialisation und Medienerziehung in Familien in belasteten Lebenslagen“. Seit 08/2010 Stipendiatin der Landesgraduiertenförderung Baden-Württemberg. Seit 10/2011 zertifizierte freie medienpädagogische Referentin (u. a. für das Landesmedienzentrum Baden-Württemberg und die Aktion Jugendschutz). Seit SoSe 2013 Lehrbeauftragte, PH Ludwigsburg, Seminare: „Kinder- und Jugendmedienschutz“, „Konzepte der (medien)pädagogischen Eltern- und Familienarbeit“. Arbeitsschwerpunkte: medienpädagogische Arbeit mit Eltern und Familien, Doing Family und Medien, Familienfotografie, kindliche und jugendliche Medienwelten. Kontakt: www.die-medientdecker.de. Dipl.-Medienwissenschaftlerin Claudia Töpper Geboren 1976 in Lindlar. Studium der Medienwissenschaft an der Hochschule für Film und Fernsehen „Konrad Wolf“ in Potsdam-Babelsberg. 2004-2008 Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der HFF „Konrad Wolf“ in Potsdam-Babelsberg. 2008-2009 Mitarbeit an Forschungsstudien zu Familienfernsehen und Erzählstrukturen im Kinder- und Jugendfernsehen im internationalen Vergleich. 2009-2010 Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Freien Universität Berlin. Seit 2006 Lehrbeauftragte an der HFF „Konrad Wolf“ in Potsdam-Babelsberg. Seit 2010 Mitglied der Arbeitsgruppe Kindheit, Jugend und neue Medien (AKJM). Derzeit tätig als freiberufliche Medienwissenschaftlerin im Bereich Medienforschung und Medienpädagogik und Arbeit an einer Dissertation zum Thema „Formen und Funktionen ästhetischer Wissensrepräsentationen im Kinderfernsehen“.

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Arbeitsschwerpunkte: qualitative Medienanalyse, Populärkultur, Medienaneignung von Kindern und Jugendlichen. Verena Weigand Verena Weigand ist Leiterin der Stabsstelle der Kommission für Jugendmedienschutz (KJM), Referentin für Jugendschutz und Medienpädagogik der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien (BLM) und stellvertretende Vorstandsvorsitzende der Stiftung Medienpädagogik Bayern. Daneben ist sie u. a. Vorstandsvorsitzende des Vereins Programmberatung für Eltern e.V., Vorstandsmitglied des Vereins Internet-ABC, Mitglied des Steering Committee des EU-Projekts Klicksafe, stellvertretendes Mitglied des Vergabeausschusses Games der Bayerischen Staatsregierung und Fachbeirätin der Stiftung Zuhören. Zuvor war sie als Autorin und Redakteurin bei Jugendzeitschriften und Fachverlagen tätig, arbeitete als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Ludwig-Maximilians-Universität München und leitete ein gymnasiales Tagesheim. Sie studierte Erziehungswissenschaften, Psychologie, Jura, Buchwissenschaft und Verlagswesen.

medienethik Herausgegeben von Rafael Capurro und Petra Grimm.

Franz Steiner Verlag

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ISSN 1610–2851

Petra Grimm / Rafael Capurro (Hg.) Menschenbilder in den Medien – ethische Vorbilder? 2002. 159 S. mit zahlr. Abb., kt. ISBN 978-3-515-09990-5 Rafael Capurro Ethik im Netz 2003. 278 S., kt. ISBN 978-3-515-08173-3 Petra Grimm / Sandra Horstmeyer Kinderfernsehen und Wertekompetenz 2003. 257 S. mit 26 Abb. und 33 Tab., kt. ISBN 978-3-515-08365-2 Petra Grimm / Rafael Capurro (Hg.) Krieg und Medien Verantwortung zwischen apokalyptischen Bildern und paradiesischen Quoten? 2004. 184 S., kt. ISBN 978-3-515-08436-9 Petra Grimm / Rafael Capurro (Hg.) Tugenden der Medienkultur Zu Sinn und Sinnverlust tugendhaften Handelns in der medialen Kommunikation 2005. 182 S. mit 8 Abb., kt. ISBN 978-3-515-08799-5 Petra Grimm / Rafael Capurro (Hg.) Wirtschaftsethik in der Informationsgesellschaft Eine Frage des Vertrauens?

2007. 144 S. mit 33 Abb., kt. ISBN 978-3-515-09005-6 7. Petra Grimm / Rafael Capurro (Hg.) Informationsund Kommunikationsutopien 2008. 161 S. mit 4 Abb., kt. ISBN 978-3-515-09266-1 8. Petra Grimm / Rafael Capurro (Hg.) Computerspiele Neue Herausforderungen für die Ethik? 2010. 154 S. mit 6 Abb., kt. ISBN 978-3-515-09570-9 9. Petra Grimm / Oliver Zöllner (Hg.) Medien – Rituale – Jugend Perspektiven auf Medienkommunikation im Alltag junger Menschen 2011. 199 S. mit 28 Abb., kt. ISBN 978-3-515-09884-7 10. Petra Grimm / Heinrich Badura (Hg.) Medien – Ethik – Gewalt Neue Perspektiven 2011. 278 S. mit 17 Abb., kt. ISBN 978-3-515-09906-6 11. Petra Grimm / Oliver Zöllner (Hg.) Schöne neue Kommunikationswelt oder Ende der Privatheit? Die Veröffentlichung des Privaten in Social Media und populären Medienformaten 2012. 360 S. mit 33 Abb., kt. ISBN 978-3-515-10296-4

Medien sind nicht nur Schauplatz für GenderModelle und Verhaltensregeln der Geschlechter, sie formulieren auch Werturteile und erzeugen Vorstellungen von Männlichkeit und Weiblichkeit. Sie definieren mit, wie ‚Frauen‘ und ‚Männer‘ sein sollen und was als Abweichung gilt. Insbesondere für Jugendliche sind die in den Medien dargestellten Rollenbilder Identifikationsmaterial für die eigene Geschlechtsidentitätsbildung. Selbstkritisch muss sich die Medienethik deshalb fragen, warum sie das Gender-Thema bislang noch nicht ausreichend reflektiert hat. Dieser Band geht medienethischen Fragen hin-

sichtlich der unterschiedlichen Repräsentation von Frauen und Männern in führenden Medienberufen und deren Bedeutung für die Medien­ agenda oder die Behandlung von Themen nach und untersucht die in den Medien zirkulierenden Geschlechterdarstellungen: Herrschen in den Medien Rollenvielfalt und flexible Lebensentwürfe vor oder stereotype Geschlechterrollen und Lebensmodelle, die eine Ungleichstellung der Geschlechter befürworten? „Gender im medienethischen Diskurs“ sensibilisiert so für die vor allem in massenmedialen Angeboten enthaltene ungleiche Wertigkeit dargestellter Geschlechtereigenschaften.

www.steiner-verlag.de Franz Steiner Verlag

ISBN 978-3-515-10718-1