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German Pages VI, 243 [242] Year 2020
Johannes Kopp Rüdiger Jacob Jan-Henrik Hafke Robert Thum Hrsg.
Gemeinschaftliche Wohnformen zwischen Entfremdung und Resonanz Zur Lage der wohnenden Klasse in Trier
Gemeinschaftliche Wohnformen zwischen Entfremdung und Resonanz
Johannes Kopp · Rüdiger Jacob · Jan-Henrik Hafke · Robert Thum (Hrsg.)
Gemeinschaftliche Wohnformen zwischen Entfremdung und Resonanz Zur Lage der wohnenden Klasse in Trier
Hrsg. Johannes Kopp Universität Trier Trier, Deutschland
Rüdiger Jacob Universität Trier Trier, Deutschland
Jan-Henrik Hafke Hochschule Trier Trier, Deutschland
Robert Thum Hochschule Trier Trier, Deutschland
ISBN 978-3-658-26048-4 (eBook) ISBN 978-3-658-26047-7 https://doi.org/10.1007/978-3-658-26048-4 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National bibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von allgemein beschreibenden Bezeichnungen, Marken, Unternehmensnamen etc. in diesem Werk bedeutet nicht, dass diese frei durch jedermann benutzt werden dürfen. Die Berechtigung zur Benutzung unterliegt, auch ohne gesonderten Hinweis hierzu, den Regeln des Markenrechts. Die Rechte des jeweiligen Zeicheninhabers sind zu beachten. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informa tionen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag, noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. Planung/Lektorat: Katrin Emmerich Springer VS ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH und ist ein Teil von Springer Nature. Die Anschrift der Gesellschaft ist: Abraham-Lincoln-Str. 46, 65189 Wiesbaden, Germany
Inhalt
Eine kurze Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Johannes Kopp, Rüdiger Jacob, Jan-Henrik Hafke und Robert Thum
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I. Theoretische Verortungen Entfremdetes und resonantes Wohnen. Eine theoretische Einordnung aus soziologischer Perspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rüdiger Jacob und Johannes Kopp Zur Konstruktion von Gemeinschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Robert Thum und Jan-Henrik Hafke
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II. Anwendungen und Explikationen Fallstudien gemeinschaftlichen Wohnens von Hakka Tolou bis zur Abtei St. Matthias . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Robert Thum und Jan-Henrik Hafke
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Gespräche mit Bruder Ansgar und Alois Peitz zum Schammatdorf und der Abtei St. Matthias . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Robert Thum und Jan-Henrik Hafke
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Das Wohnen im Kloster als gemeinschaftliche Lebensform. Ergebnisse einer Befragungsstudie im Kloster St. Matthias . . . . . . . . . Tim Schneider
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VI Inhalt
Das Schammatdorf in Trier – Urban Villagers ? . . . . . . . . . . . . . . . Joanna Koßmann
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Die Idee der Gartenstadt und die Realität des Wohnens: Der Stadtteil Mariahof in Trier . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stefan Schreiber
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Wohnen im Bobinet-Quartier. Zur Neuentwicklung einer urbanen Gemeinschaft . . . . . . . . . . . . . Eva-Marie Förster, Rüdiger Jacob und Johannes Kopp
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Wohnen im Alter. Gemeinschaftlichen Wohnformen als Modell der Zukunft ? Johannes Kopp und Rüdiger Jacob
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Nachbarschaften Paula Fellinger
Eine kurze Vorbemerkung Johannes Kopp, Rüdiger Jacob, Jan-Henrik Hafke und Robert Thum
Im Jahr 2018 feierte man nicht nur, aber natürlich vor allem auch in Trier den zweihundertsten Geburtstag von Karl Marx, der allerdings einmal abgesehen von seiner familialen Wurzeln und vielleicht seiner Liebe zum Wein (vgl. hierzu Baumeister 2018) im Laufe seines späteren Lebens relativ wenig Bezug zu dieser altehrwürdigen Stadt an der Mosel hatte. Ein derartiges Jubiläum ist jedoch ein sehr guter und passender Anlass, sich erneut Gedanken über die heutige Bedeutung der entsprechenden Ideen und ihrer Fortführungen zu machen. Schnell war aber auch klar, dass diese Arbeiten vor allem die konkreten empirischen Auswirkungen in den Blick nehmen sollten und eben nicht auf rein theoretische Diskussionen beschränkt sein sollen. In diesem Kontext fanden im Frühjahr 2016 die ersten Gespräche zwischen der Fachrichtung Architektur der Hochschule Trier und Vertretern der empirischen Sozialforschung und Soziologie an der Universität Trier statt, um sich gegenseitig über die jeweiligen Forschungsansätze und deren potentiellen Bezug zur heutigen Bedeutung der Überlegungen von Marx zu informieren. Der lokalen Tradition folgend fand dieser Informationsaustausch nicht nur in den unterschiedlichen Universitäts- und Hochschulteilen statt, sondern eben auch bei informellen Treffen – Alois Hahn als Gastgeber und zumindest für Teile der Herausgeber auch als spiritus rector sei an dieser Stelle nicht nur dafür, sondern eben auch für viele inhaltlichen Ideen von ganzem Herzen gedankt. Rasch war bei diesen Gesprächen klar, dass beide Disziplinen bei der Thematik des Wohnens in modernen Gesellschaften und vor allem der gemeinschaftlichen Wohnformen und der Frage, wie diese Wohnformen architektonisch zu gestalten sind und welche Resonanz und Akzeptanz sie in der Bevölkerung gewinnen (können), ein hoffentlich fruchtbares Forschungsfeld teilen. Nach etlichen – man ist versucht zu sagen: den unausweichlichen – Verzögerungen und zuerst begeistert diskutierten und später wieder verworfenen Seitenwegen und Verirrungen er© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 J. Kopp et al. (Hrsg.), Gemeinschaftliche Wohnformen zwischen Entfremdung und Resonanz, https://doi.org/10.1007/978-3-658-26048-4_1
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Johannes Kopp, Rüdiger Jacob, Jan-Henrik Hafke und Robert Thum
gab sich mit den Design- und Kulturtagen der Hochschule Trier vom 12. bis zum 14. Oktober 2018 ein Fokalpunkt der gemeinsamen Bemühungen. Die hierfür entwickelte Zielsetzung bestand nun darin, anhand konkreter Beispiele die unterschiedlichen Forschungsperspektiven zu gemeinschaftlichen Wohnformen voranzutreiben und in Gestalt einer Ausstellung zu präsentieren. Die in dem vorliegenden Buch vereinten Überlegungen, Aufsätze und Beiträge beruhen in ihrer Mehrheit auf Plakaten, die für diese Ausstellung erstellt wurden. Während Plakate Informationen möglichst knapp und verdichtet darstellen müssen, bietet die in diesem Buch gewählte Form die Möglichkeit, die Ideen und Überlegungen wieder breiter und hoffentlich auch fundierter darzustellen. Dieser eigentliche Kern wird einerseits durch zwei einleitende Texte zur Vernetzung der jeweiligen Ideen in dem Forschungskontext architekturtheoretischer beziehungsweise sozialwissenschaftlicher Perspektiven und andererseits durch zwei allgemei nere empirischen Analysen zu Nachbarschaften beziehungsweise zu Wünschen und Möglichkeiten des Wohnens im Alter umrahmt. Es freut uns sehr, dass mit diesem Buch die vielfältige Kooperation zwischen Hochschule und Universität fortgeführt werden konnte und die Wissenschaftsallianz Trier sich in der konkreten Zusammenarbeit einer Buchpublikation manifestiert hat. Allen an diesem Projekt beteiligten Personen, vor allem aber den entsprechenden Studierenden, die hier in unterschiedlichster Weise beteiligt waren und die zum Teil hier ja auch selbständig Beiträge verfasst haben und damit die lange Trierer Tradition der Einbindung von Studierenden in Forschungszusammenhänge fortsetzt, den Koordinatoren und Koordinatorinnen der Design- und Kulturtage Trier, aber auch den vielen Trierern und Triererinnen, die uns bei den einzelnen Untersuchungen mit Auskünften zur Verfügung standen, sei an dieser Stelle von Herzen gedankt. Aus dieser Fülle an Personen möchten wir ganz besonders die Mitglieder des Vereins Schammatdorf, der Kleinen Bürgermeisterin des Schammatdorfs, Frau Anja Loch, und stellvertretend für die Benediktiner Abtei St. Matthias Bruder Eucharius, Herrn David Becker von der epg sowie insbesondere den Bewohnern des Schammatdorfs und des Bobinet-Quartiers danken. Ohne die Mithilfe all dieser Menschen wären unsere Forschungen nicht möglich gewesen. Ebenso möchten wir wieder einmal Frau Katrin Emmerich und ihren Mitstreitenden bei Springer VS danken, die uns unterstützt und die Verzögerungen nie beklagt haben. Trier, im Winter 2019/20
Eine kurze Vorbemerkung 3
Literatur Baumeister, Jens, 2018: Wie der Wein Karl Marx zum Kommunisten machte. Ein Philosoph als Streiter für die Moselwinzer. Trier: Verlag The Kottabos.
I. Theoretische Verortungen
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Entfremdetes und resonantes Wohnen Eine theoretische Einordnung aus soziologischer Perspektive Rüdiger Jacob und Johannes Kopp
Im Jahr 1845 erschien nach einem knapp zweijährigen Aufenthalt von Friedrich Engels in England die Schrift „Zur Lage der arbeitenden Klasse in England“ (Engels 1962).1 Diese, sicherlich zu den Frühformen der qualitativen empirischen Sozialforschung zu zählende Studie beschreibt die Lebens- vor allem aber die Wohnsituation und dabei das Elend des Proletariats ähnlich wie viele Romane beispielsweise von Charles Dickens oder später von Emile Zola sehr beeindruckend und auch noch heute bedrückend. In seiner Beurteilung ist Friedrich Engels dann auch sehr klar und eindeutig: Er bezeichnet die geschilderten Verhältnissen als „sozialen Mord“ (Engels 1962: 325).2 Im Jahr 1965 und damit über hundert Jahre später erschien die von Alexander Mitscherlich selbst als Pamphlet bezeichnete Schrift „Die Unwirtlichkeit unserer Städte“ (Mitscherlich 1965) und es erscheint keine gewagte These, wenn man hier bei aller Unterschiedlichkeit eine gewisse Kontinuität der Analyse vermutet. So bezeichnet Mitscherlich (1965: 13) beispielsweise den sozialen Wohnungsbau als „geplanten Slum“ und fragt anschließend eher rhetorisch, machen „unsere Städte (…) dann nicht depressiv“. Betrachtet man andererseits die erstaunlicher Weise relativ unsystematische Forschung zur Wohnzufriedenheit, hier finden sich vor allem regionale, auf einzelne Regionen, Dörfer oder Städte oder gar auf bestimmte Quartiere beschränk-
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Die Arbeit von Hunt (2012) schildert sehr eindrucksvoll und detailreich die entsprechenden biographischen Passagen und macht den Entstehungszusammenhang sehr transparent. Dass eine derartige Deskription auch noch heute wichtige Erkenntnisse liefern kann, zeigt die Studie von Petersen (2019) über St. Petersburg. 2 Gemeinhin wird dem Berliner Maler Heinrich Zille (1858 – 1929) der Satz zugeschrieben, „man kann mit einer Wohnung einen Menschen genauso töten wie mit einer Axt“, der diese These Engels noch einmal pointiert zusammenfasst.
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 J. Kopp et al. (Hrsg.), Gemeinschaftliche Wohnformen zwischen Entfremdung und Resonanz, https://doi.org/10.1007/978-3-658-26048-4_2
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te Studien (vgl. beispielsweise Hanseley/Kaufmann 2004; Maerki 2010), so finden sich hier wiederum immer relativ hohe Zufriedenheitswerte. „Die meisten Menschen sind damit, wie sie wohnen, recht zufrieden“ (Häußermann/Siebel 1996).3 Genau in diesem Spannungsfeld ist die Forschungskooperation angesiedelt, die dem vorliegenden Text zugrunde liegt. Blickt man auf die vorliegenden Arbeiten zur Stadt- sowie zur Wohn- und Architektursoziologie (stellvertretend für eine Fülle von Arbeiten vgl. Schäfers 2010; Eckardt 2012; Häußermann/Siebel 1996; Delitz 2009) so wird deutlich, dass sich diese Felder vor allem anhand der Bemühungen rekonstruieren lassen, bestimmte Wohnformen zu finden, die einerseits die soziologisch und eben auch architekturtheoretisch abgeleiteten Überlegungen mit den subjektiven Perzeptionen und Vorstellungen in Einklang bringen. Es geht um Formen ‚guten Wohnens‘ und die Stadtsoziologie ist dann letztlich häufig ein Projekt der Rekonstruktion und des Abarbeitens dieser unterschiedlichen Versuche und Interventionen, ihrer Erfolge, aber ebenso häufig empirisch eben auch ihres Scheiterns (vgl. noch einmal Schäfers 2010). Das hier dokumentierte Forschungsprojekt zeichnet sich dadurch aus, dass durch die Kooperation von Architektur und Soziologie anhand konkreter Wohnmodelle und -experimente diese Vorstellungen empirisch und analytisch untersucht werden. Dabei haben alle diese Modelle durchaus unterschiedliche Ursprünge und Zielsetzungen, gemeinsam ist allen jedoch, dass sie durchgehend als eine Antwort auf die Frage gedacht waren, wie gutes Zusammenleben funktionieren kann – und zwar sowohl unter architekturtheoretischer wie soziologischer Perspektive. Und das ist keine kleine Aufgabenstellung. Bevor nun jedoch die einzelnen Modelle und empirischen Untersuchungen genauer vorgestellt werden können, sind einige allgemeine Anmerkungen notwendig. So gilt es zuerst, sich noch einmal kurz mit dem Ausgangspunkt der Überlegungen und damit mit der Frage auseinanderzusetzen, wie Wohnen bewertet und auch begrifflich erfasst werden kann (Abschnitt 1.1). In einem zweiten Abschnitt soll dann noch einmal kurz ein Abriss der historischen Siedlungsformen und vor allem den fortschreitenden Urbanisierungsprozess gegeben werden, um die hier untersuchten Modelle, vor allem aber die empirischen Ergebnisse bes3
Dieses Ergebnis findet sich auch in vielen der von uns durchgeführten Regionalstudien. Hier weisen beispielsweise bei Kopp und Jacob (2017) zwei Drittel der befragten Personen eine hohe oder sehr hohe Wohnzufriedenheit aus, Vogelgesang et al. (2016; 2018) berichten ähnliche Werte. Die aktuelle Wohnsituation wird zudem nahezu durchgehend als ein Faktor genannt, der die Lebensqualität und die Lebenszufriedenheit positiv beeinflusst. Insgesamt kann diese Beobachtung die unterschiedlichsten Ursachen haben: So führen einerseits negative Bewertungen der aktuellen Situation dazu, dass man sich bemüht, diese Situation zu ändern. Andererseits werden – ganz im Sinne der Theorie kognitiver Dissonanz – nicht änderbare Umstände kognitiv umgewertet.
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ser einordnen zu können (Abschnitt 1.2). Hierbei wird vor allem die Bedeutung sozialer Nahumwelten noch einmal diskutiert und ihre Einflussmöglichkeiten theoretisch untermauert. Der dritte und letzte Teil dieser Vorbemerkung (Abschnitt 1.3) dient dann dazu, die einzelnen Gegenstände des Forschungsvorhabens und damit auch dieses Buches genauer zu skizzieren.
1.1 Einige Überlegungen zur Bestimmung der Wohnqualität Ausgangspunkt der hier skizzierten Überlegungen war es, dass es schnell und leicht möglich sei, die negative Seite der Wohnverhältnisse zu benennen. Die Not und das Elend, der von Friedrich Engels dokumentierten Gegebenheiten lassen sich unschwer als entfremdet bezeichnen (vgl. für diese Begrifflichkeit und ihre Wurzeln Amlinger 2018 sowie grundlegend Jaeggi 2016). So zitiert Rahel Jaeggi (2016: 22) in ihrem sehr schönen Übersichtsbuch die Definition von Alisdair Mac Intyre, der „Entfremdete ist (…) ‚a stranger in the world that he himself has made‘“. Die Übertragung dieser Begrifflichkeiten auf private Lebensformen mag erstaunen, ist aber begründbar. Auch wenn die Aktualität der Arbeiten von Karl Marx wohl kaum wirklich nachgelassen hat, so liegt der Schwerpunkt eben meistens auf der Seite der Arbeit oder der Produktion und genau dort ist der Begriff der Entfremdung natürlich grundlegend geprägt worden.4 Trotzdem ist die soziale Positionierung des Menschen im Wirtschaftsleben natürlich nur die eine Seite der eben auch mit den Arbeiten von Karl Marx in Verbindung zu bringenden Dichotomie von Produktion und Reproduktion und somit wohl auch nur das halbe Leben. Und wenn man die Marxsche Metapher eines utopischen Lebens als Jäger, Fischer, Hirte und Kritiker als Prognose Glauben schenken will, vielleicht sogar die
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Dabei sind bei der Rezeption der Ideen von Karl Marx sicherlich gewisse themenkonjunkturelle Schwankungen zu beobachten, wie die Diskussion der letzten Jahre über soziale Ungleichheiten aufzeigt. Ein wichtiger Schritt in den letzten Jahren war dabei die sicherlich sehr vielfältige öffentliche Rezeption der Arbeiten von Thomas Piketty (2014) zu den historischen Veränderungen der Einkommens- und vor allem Vermögensverteilung. Hier werden erneut die allgemeinen wirtschaftlichen Entwicklungen in den Mittelpunkt des Interesses gestellt. Aber auch generell wird das Thema der sozialen Ungleichheit immer wieder stark diskutiert (vgl. Atkinson 2016; Fratzscher 2016; Milanovic 2016). Die Zukunft der Arbeit im Zeitalter zunehmender Automatisierung und zunehmender Komplexität und Autonomie entsprechender nichtmenschlicher Lösungen und die entsprechenden Konsequenzen für Gerechtigkeitsvorstellungen bilden sicherlich einen weiteren Schwerpunkt aktueller Diskussionen (Karabarbounis/Neiman 2014; Brynjolfsson/McAfee 2016; Mitchell/Brynjolfsson 2017; Baldwin 2019).
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dauerhaft unwichtigere Seite.5 Wie ist diese im doppelten Sinne andere Seite des entfremdeten Wohnens nun aber zu erfassen und zu bezeichnen ?6 Schnell wird aber auch klar, dass es hierzu auch positive Gegenbilder gibt. Immer wieder werden Lebens- und eben auch Wohnformen entworfen, die die soziale Gemeinschaft stärken sollen. Der Gegenentwurf ist also häufig das gemeinschaftliche Leben. Häufig werden hierbei Dörfer und dorfähnliche Strukturen als Vorbild gesehen (vgl. Reiling 2015). Die entsprechende Bedeutung findet sich aber auch in der Stadtforschung und geht dabei zurück bis auf die Studien der sogenannten Chicago School (vgl. Lindner 2007 oder auch Gans 1962). Die konkrete Operationalisierung ist dabei natürlich nicht einfach: „Kritik an unzureichenden Wohnbedingungen gibt es immer. Seit der Industrialisierung und der damit zusammenhängenden Verstädterung ist die Frage, was eine gute bzw. ‚richtige‘ Wohnung sei, zu einem öffentlichen und (…) politischen Thema geworden“ (Häußermann/Siebel 1996: 214). Der Vorschlag von Häußermann und Siebel lautet dabei, sich an den Bedürfnissen zu orientieren, die die Menschen selbst artikulieren. Man kann nun lange darüber spekulieren, wie denn nun die gegenteilige Ausprägung entfremdeter Wohn- und Lebensformen genannt werden kann – emanzipiertes, befreites oder vielleicht einfach auch gutes Wohnen und Leben sind sicherlich treffende Formulierungen.7 In Anlehnung an die Ideen von Harmut Rosa (2016) könnte man dieses Phänomen des nicht-entfremdeten Wohnens nun 5
Die entsprechende Passage findet sich in der Deutschen Ideologie: „Sowie nämlich die Arbeit verteilt zu werden anfängt, hat Jeder einen bestimmten ausschließlichen Kreis der Tätigkeit, der ihm aufgedrängt wird, aus dem er nicht heraus kann; er ist Jäger, Fischer oder Hirt oder kritischer Kritiker und muß es bleiben, wenn er nicht die Mittel zum Leben verlieren will – während in der kommunistischen Gesellschaft, wo Jeder nicht einen ausschließlichen Kreis der Tätigkeit hat, sondern sich in jedem beliebigen Zweige ausbilden kann, die Gesellschaft die allgemeine Produktion regelt und mir eben dadurch möglich macht, heute dies, morgen jenes zu tun, morgens zu jagen, nachmittags zu fischen, abends Viehzucht zu treiben, nach dem Essen zu kritisieren, wie ich gerade Lust habe, ohne je Jäger, Fischer, Hirt oder Kritiker zu werden“ (Marx/Engels 1990: 33). 6 Dass Natur, aber ebenso gebaute Umwelt einen Einfluss auf Personen, ihre Identitäten und Mentalitäten haben kann, ist die Grundthese des Buches von Hanisch (2019), der dies anhand archetypischer Formationen wie Berg, Fluss, Wald, Industrielandschaft und Ebene zeigen will. 7 In Anlehnung an den Titel einer seit 1960 erscheinenden Zeitschrift wäre selbstverständlich auch ‚Schöner Wohnen‘ eine Überlegung, die die wichtigsten Aspekte anspricht, obwohl konkret vor allem Designaspekte im Mittelpunkt stehen. Wie wichtig das Wohnen im Bereich der reproduktiven, also nicht das Arbeitsleben betreffenden Bereiche ist, zeigt eine kleine Internetrecherche: Unter dem Suchbegriff „schönes Leben“ im Bereich von Zeitschriften werden zuerst nur die entsprechenden Hinweise auf „Schöner Wohnen“, „Mein schönes Landhaus“ und „Schöner Wohnen auf dem Lande“ angezeigt. Während diese entsprechenden Publikationen jedoch schwerpunktmäßig auf die ästhetische Ausgestaltung des Wohnraumes abzielen, sollen in unserem Fokus eher die realen sozialen Interaktionszusammen-
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aber – wie ja schon in der Überschrift dieses Kapitels deutlich wird – auch als resonantes Wohnen bezeichnen, denn immerhin lautet der zentrale Satz dieses wortgewaltigen Werkes: „Resonanz bleibt das Versprechen der Moderne, Entfremdung aber ist ihre Realität“ (Rosa 2016: 624). Dieses Versprechen der Resonanz ist hinsichtlich des Wohnens wohl nahezu durchgängig ein Versprechen auf gelingende Gemeinschaft. In diesem Sinne werden wir die Begriffe resonantes und gemeinschaftliches Wohnen synonym verwenden. Dies bedeutet natürlich nicht, dass alle im Ansatz gemeinschaftlichen Wohnformen – hier sei nur an Wohngemeinschaften oder institutionalisierte Wohnformen wie Kasernen, Heime für Krankenschwestern oder Studierendenwohnheime gedacht – auch automatisch resonante oder nichtentfremdete Wohnformen sind. Resonanz und Gemeinschaft kann scheitern. Eine Vielzahl städtebaulicher Konzepte kann hierfür als Beispiel herangezogen werden. Bevor nun aber genauer auf die in diesem Buch untersuchten Wohnformen und Wohnideen eingegangen werden kann, soll ein kurzer historischer Überblick über unterschiedliche Siedlungsformen und deren Abfolge skizziert werden, um die entsprechenden Projekte besser einordnen zu können.
1.2 Zur Entwicklung der Siedlungsstrukturen und der Bedeutung von Nachbarschaften Auch wenn sich Städte wohl erst vor 7 000 – 5 000 Jahren in Anatolien und Mesopotamien und somit deutlich nach der Sesshaftwerdung der Menschen im Verlaufe der neolithischen Revolution entwickelten (vgl. Pardo 2010) und somit trotzdem selbst eine lange Geschichte aufweisen, so lebte die große Masse der Bevölkerung gleichwohl bis in die jüngste Vergangenheit in (Bauern-)Dörfern auf dem Land (vgl. hierzu Troßbach/Zimmermann 2006). Eine wirklich weitreichende Urbanisierung begann erst mit der industriellen Revolution im 18. und vor allem 19. Jahrhundert und gewann nach dem zweiten Weltkrieg weitere Dynamik. In der Zwischenzeit leben aber wohl seit Mitte des ersten Jahrzehnts der 2000er Jahre mehr als die Hälfte der wachsenden Weltbevölkerung in Städten (United Nations 2015). In Deutschland leben gut drei Viertel der Bevölkerung in einer Stadt
hänge und deren strukturelle Bedingtheit durch architektonische Vorgaben stehen, denn dass die Interaktionen und Zusammenhänge zwischen den Menschen eine der wichtigsten Determinanten des Lebens darstellen ist wohl unbestritten. Niall Ferguson (2018) macht in einer neueren Untersuchung jedoch noch einmal die Zusammenhänge zwischen diesen Interaktionsmustern und baulichen Elementen – nicht umsonst trägt das Buch den Titel „Türme und Plätze“ – klar (vgl. hierzu auch Sennett 2018).
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oder Stadtregion.8 In den ökonomisch entwickelten Staaten hat sich der Anteil der Stadtbevölkerung zwischen 1950 und 2015 von 55 auf 78 Prozent erhöht und wird aller Voraussicht nach weiter steigen.9 Eine städtische Lebensweise ist so gesehen die normale Lebensweise der Menschen in (post-)industriellen Gesellschaften. Dabei wird deutlich, dass die entsprechende soziale Dichte und Gestaltung des Wohnens drastische Folgen haben kann. Letztlich kann die bereits oben mehrfach erwähnte Studie von Friedrich Engels aber auch als eine der frühen Begründungen der Soziologie gesehen werden, denn nicht umsonst gehen die vielfältigen Prozesse der gesellschaftlichen Veränderungen und hierbei vor allem der Industrialisierung und Modernisierung auch mit einer zunehmenden Verstädterung einher. Soziologie ist wesentlich auch als Wissenschaft der Stadt entstanden.10 Vergleichsweise sehr neuen Datums ist auch das rasante Wachstum von Städten bis hin zu hochgradig verdichteten Stadtregionen und Megacities, die mehr Menschen beherbergen als in der vormodernen Zeit ganze Imperien. Vergleichsweise neu ist auch die sehr weitreichende funktionale Trennung verschiedener Lebensbereiche. Zwar wurde die Stadt immer schon vom Land ernährt, abgesehen von Luxusprodukten wie beispielsweise Gewürzen waren dafür aber die Umlandregionen zuständig. Was in der vormodernen Gesellschaft in Stadt und Land in aller Regel zusammenfiel – Wohnen und Arbeiten – ist nunmehr in den Städten in aller Regel getrennt. Mit der Industrialisierung fallen diese Funktionen auseinander, in den meisten Städten gibt es seitdem deutlich unterscheidbare Wohnquartiere, Geschäftsviertel und Industrie- oder Gewerbegebiete – und massenhafte Pendlermobilität mit einer entsprechenden Suburbanisierung (vgl. Schäfers 2010 sowie Gallaher 2014). Für Dörfer lässt sich diese Entwicklung cum grano salis erst seit den 1950er Jahren beobachten und hat seitdem – bedingt durch den Strukturwandel und die Industrialisierung und Mechanisierung in der Land- und Forstwirtschaft – massiv an Dynamik gewonnen.11 Dörfer sind heute keine Bauern
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Die entsprechenden Entwicklungen finden sich beispielsweise auf den Seiten von www.statistica.com. Vogelgesang et al. (2018) zeigen aber auch, wie sich objektive sozialstatistische Kategorien und die subjektiven Wahrnehmungen unterscheiden. 9 http://www.bpb.de/nachschlagen/zahlen-und-fakten/globalisierung/52705/verstaedterung? zahlenfakten=detail 10 Für Deutschland sei hier nur auf Webers Typologie der Städte in „Wirtschaft und Gesellschaft“ (Weber 1980: 727 ff.) oder auf Simmels (1995) Aufsatz über die Großstädte und das Geistesleben verwiesen. Mindestens ebenso wichtig sind die Arbeiten der sog. ChicagoSchool der Soziologie in den USA, die mit den Namen von Robert E. Park, William I. Thomas, Ernest W. Burgess oder Louis Wirth verbunden ist (siehe dazu die sehr guten Überblicksarbeiten von Hahn u. a. 1979, Schäfers 2010 und vor allem Lindner 2007). 11 Deutlich wird das am Wandel des Anteils der Erwerbspersonen im primären Sektor, der im Jahr 1800 bei rund 62 Prozent lag und sich seitdem kontinuierlich auf 39 Prozent im
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dörfer mehr, sondern sozialstrukturell gesehen gleichsam ausgelagerte Vororte der Städte (vgl. Vogelgesang et al. 2018). Gleichwohl prägten die bäuerliche Vergangenheit der Dörfer vielfach immer noch die Mentalitätsformen und das soziale Klima: „Die bäuerliche Geschichte von Dörfern ließ eine spezifische Sozialform ‚Dorf ‘ entstehen, die von ihrer Konstruktion her eine solche Hartnäckigkeit zeigt, dass sie heute noch in Grundzügen vorherrscht. Diese Resistenz lässt uns auch heut noch von der Bäuerlichkeit des Dorfes sprechen, obwohl Bauern längst marginal geworden sind“ (Brüggemann/Riehle 1986: 17). Eine neuere Studie (vgl. Dräger et al. 2018) gibt aber Hinweise darauf, dass diese Einflüsse deutlich zurückgegangen sind und sich nur noch hinsichtlich weniger Punkte finden. Das rasante Wachstum der Industriestädte im 19. und 20. Jahrhundert führte leider auch zu vielfältigen sozialen Problemen. Die (nicht nur) von Marx und Engels beschriebene Verelendung der Industriearbeiter und ihrer Familien war gleichsam nur zur Hälfte dem Faktor Arbeit mit seinen aus heutiger Sicht unmenschlichen Bedingungen geschuldet, und zur anderen Hälfte den katastrophalen Wohnbedingungen in Elendsquartieren. Es entstand mithin ein entfremdetes Wohnen in den Arbeiter- und Elendsvierteln, welches bereits elementare Bedürfnisse nach Schutz etwa vor Kälte oder Nässe nur bedingt befriedigen konnte, von weitergehenden wie denen nach einem eigenen Bett, gar einem eigenen privaten Raum, generell dem Schutz der Privatsphäre oder einem wenigstens minimalen Wohnkomfort gar nicht zu reden. Auch diese Problemdiagnose ist natürlich nicht neu, sondern war den Zeitzeugen durchaus bewusst – es wäre auch kaum möglich gewesen, die negativen Folgen der raschen Industrialisierung für das Leben in den Städten nicht wahrzunehmen. Relativ früh sind deshalb auch Konzepte entwickelt worden, die dieser Entwicklung entgegenwirken sollten. Ein für uns wichtiges Konzept ist das der ‚Neuen Stadt‘ oder Gartenstadt von Ebenezer Howard, das er 1898 in England erstmals vorgestellt und als Modell der planmäßigen Stadtentwicklung dem Wildwuchs der Industriestädte entgegensetzen wollte (vgl. einleitend Schäfers 2010: 67 ff.). „Dabei ging es Howard keineswegs nur (…) um die Schaffung von Gartenstädten, sondern um ein städtisches Siedlungsgebilde für 250 000 Menschen, in dem rund 58 000 Menschen in der Zentralstadt und die übrigen in sechs ringsum gelegenen Gartenstädten mit jeweils rund 32 000 Bewohnern untergebracht werden sollten“ (Lichtenberger 2011: 44). Howard wollte damit auch die verlorengegangene Überschaubarkeit von Städten zurückgewinnen.
Jahr 1895, dann auf 24 Prozent 1950 und auf 2,4 Prozent im Jahr 2000 verringert hat (vgl. die entsprechenden Seiten zur historischen Entwicklung der Beschäftigungsstrukturen bei www. gesis.org).
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Rüdiger Jacob und Johannes Kopp
Nun ist die Stadt des späten 20. und frühen 21. Jahrhunderts zumindest in Europa nicht mehr die rasant wachsende Stadt der industriellen Revolution.12 Immer noch ziehen aber viele Menschen in die Städte und insbesondere in die Ballungsräume, in denen mit dem Wohnungsbedarf auch die Preise für Immobilien und die Mieten steigen und die städtische (Verkehrs-)Infrastruktur zumindest in den sogenannten rush hours häufig überlastet ist.13 Die Folgen dieser Entwicklungen und Urbanisierungsprozesse werden dabei sehr unterschiedlich gesehen. Auf der einen Seite findet sich die Ansicht, dass letztlich nicht nur die entsprechende Verkehrsinfrastruktur überlastet sei, sondern dass sich diese Überlastung in vielfältigen Bereichen findet und letztlich auch der nach wie vor existenten und eher noch weiter ausdifferenzierten funktionalen und räumlichen Trennung von städtischen Bereichen geschuldet sei. Zu diesen aus einer Kombination von hoher Verdichtung und funktionaler Trennung städtischer Räume resultierenden Problemen kamen und kommen – so diese Sichtweise – bis in die jüngste Vergangenheit leider immer wieder auch städtebauliche und architektonische Überlegungen oder Kapriolen, die das Prädikat Entfremdung durchaus beanspruchen könnten – und zwar insbesondere immer dann, wenn die Nachfrage nach – vor allem auch bezahlbarem – Wohnraum hoch sei und man schnell, kostengünstig und platzeffizient Lösungen schaffen wolle. Das Resultat seien dann Wohnblöcke wie beispielsweise in Berlin-Marzahn, Mümmelmannsberg in Hamburg oder Kölnberg in Köln. In Anlehnung an Le Corbusier kann man hier auch von ‚Wohnmaschine‘ sprechen, wobei der entpersonalisierte und eben entfremdete Charakter hier schon in der technischen Bezeichnung mitschwingt.14 12 Ein besonders drastisches Beispiel für das explosionsartige Wachstum von Städten im 19. Jahrhundert ist Chicago. Die Stadt wurde offiziell gegründet am 12. 8. 1833 und hatte zu diesem Zeitpunkt rund 350 Einwohner. Bis 1860 erhöhte sich die Einwohnerzahl auf über 100 000, 1890 lebten dann bereits über eine Million Menschen in Chicago. 13 Übrigens ist diese Überlastung der städtischen Infrastruktur nicht ohne Vorbild in der Geschichte, sondern konnte bereits im Rom der späten Republik und der Kaiserzeit beobachtet werden. Rom mit damals über einer Million Einwohnern war im Wesentlichen eine ‚Mieterstadt‘, die trotz einer beeindruckenden technischen Infrastruktur an ihre Grenzen geraten war (vgl. Lichtenberger 2011: 17 ff.). Überlastungssymptome scheinen sich ab einer bestimmten Größe bei weitgehend ungeplantem, schnellem und unstrukturiertem Wachstum von Städten einzustellen. Das antike Rom, aber eben auch die Industriestädte des 19. Jahrhunderts, die sich allesamt aus mittelalterlichen Städten entwickelt haben, sind dafür gute Beispiele (vgl. noch einmal Lichtenberger 2011: 41 ff.). 14 Die optimistische Vision von Le Corbusier, dass man in solchen Hochhausstädten, in denen hochverdichtet bis zu drei Millionen Menschen wohnen sollten, wirklich leben kann, ist empirisch anzweifelbar. Es ist zu vermuten, dass solche Städte beziehungsweise Stadtteile in der Tat „unwirtlich geworden [sind] (…) und (…) auch die überschaubaren Dimensionen gesprengt“ haben (Lichtenberger 2011: 105; vgl. auch nochmals Mitscherlich 1965).
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Charakteristisch für diese Komplexe sei das vielfach anonyme Wohnen, das durch soziale Anomie bis hin zur Devianz gekennzeichnet sei und eben wohl das Gegenteil einer sozialen Gemeinschaft darstelle. Derartige Wohnmaschinen seien unsozial in dem Sinn, dass es keine funktionierenden und integrierten Nachbarschaften und Stadtteilgemeinschaften gebe. Dabei wird absichtsvoll von Stadtteilgemeinschaften gesprochen, denn Stadtgemeinschaften im eigentlichen Sinn des Wortes könne es nicht geben, da diese zahlenmäßig zu groß und unübersichtlich seien. Hier können auch die Überlegungen der sogenannten socialbrain-Hypothese aufgeführt werden, wonach auch für moderne Menschen die natürliche Gruppengröße aus evolutionären Gründen bei circa 150 Personen liegt, der sogenannten Dunbar-Zahl (vgl. Gamble et al. 2014). Das ja alltäglich zu beobachtende Zusammenleben in größeren Einheiten wie eben in modernen Städten bedarf dann besonderen Mechanismen. Nachbarschaft hat in größeren Städten und kleineren Gemeinden eine unterschiedliche Bedeutung (vgl. Lichtenberger 2011; Mitscherlich 1965). In kleineren Gemeinden meint Nachbarschaft in der Regel eine soziale Nachbarschaft. Nachbarschaft ist hier eine Gruppe mit wechselseitigen Kontakten und ähnlichen Vorstellungen vom Üblichen und Normalen mit geteilten Routinen und Einstellungsmustern (vgl. beispielsweise Vogelgesang et al. 2018). Insofern ist Nachbarschaft eine „sekundäre Sozialisationsinstanz (…) [und] bildet ein Feld latenter und manifester Interaktionen, die in gewisser Hinsicht eine räumliche Sozialordnung bilden und (…) eine Instanz spezifischer Normen und sozialer Kontrolle darstellen“ (Eirmbter 1977: 70 f.). Die insbesondere in kleineren Gemeinden vielfach zu beobachtende Funktion von Nachbarschaft als einer institutionalisierten Hilfsgruppe stellt dabei in zweifacher Hinsicht einen effizienten Konformitätsgenerator dar. Denn wer gewissermaßen auffällig wird, riskiert den Ausschluss aus der Gemeinschaft und damit den Verlust auch ökonomisch wichtiger und häufig alternativloser nachbarschaftlicher Hilfe. Zugleich impliziert die Inanspruchnahme solcher Hilfe aber in aller Regel, dass andere, unter Umständen tiefe Einblicke in das eigene Privatleben bekommen, so dass dieses meist so organisiert wird, dass für Gerede oder gar Sanktionen erst gar kein Anlass besteht. Diese Janusgesichtigkeit der dörflichen Sozialstruktur und Gemeinschaft haben Jeggle und Illien (1978) sehr bildstark als „Not- und Terrorzusammenhang“ bezeichnet. Umgekehrt bedeutet für die Stadt Nachbarschaft zunächst lediglich räumliche Nachbarschaft – in extremer Form ohne jeden Kontakt oder eben nur mit devian ten Kontakten zu den Mitbewohnern. Üblich und normal ist – so diese Sichtweise der Nachbarschaft – soziale Distanz bis hin zur vollständigen Anonymität von Menschen, selbst wenn diese im gleichen Haus, im gleichen Flur, nebeneinander wohnen. Soziale Nachbarschaft muss erst hergestellt werden und basiert auf gezielten Selektionen. Diese Situation wird verstärkt durch die hohe Fluktuation
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gerade in sozialen Brennpunkten beziehungsweise sozial benachteiligten Wohngegenden. In Dörfern, aber auch nicht deprivierten Stadtgebieten ist die Wohndauer typischerweise deutlich länger und insbesondere in Dörfern leben Familien häufig seit Generationen. Mit der unterschiedlichen Bedeutung und Funktion von Nachbarschaft einher gehen unterschiedliche Sichtweisen von Öffentlichkeit und Privatheit in Großstädten einerseits und kleineren und kleinsten Gemeinden andererseits – idealtypisch ließe sich vielleicht von einem städtischen und einem dörflichen Begriff von Öffentlichkeit und Privatheit sprechen.15 Die Achtung vor der privaten Sphäre des anderen ist gerade in der Großstadt entwickelt worden (Pfeil 1972: 239). Öffentlichkeit und Privatheit bezeichnen in Städten typischerweise unterschiedliche Teile eines zusammenhängenden Raumes – die eigene Wohnung, der eigene Garten oder Hof sind privater Raum, die Straße davor, der Park, die Fußgängerzone, Geschäfte, Lokale und so weiter sind öffentliche Räume. Diese Form der sinnhaften Strukturierung eines Raumes basiert auf Bedeutungszuschreibungen. Privatheit als soziale Konstruktion impliziert Zugangsschranken, schirmt gegenüber Dritten ab und etabliert dadurch individuelle Schon- und Freiräume. Die strikte Trennung von benachbarten Räumen in öffentliche und private mit den damit verbundenen unterschiedlichen Normen und Verhaltensstandards in größeren und heterogenen Städten lässt sich in kleineren Gemeinden als Idealtyp in dieser Form nicht beobachten. Typisch ist hier vielmehr ein gemeinsamer Raum, der gerade nicht durch solche eindeutigen mentalen Grenzziehungen gegliedert ist, sondern nur graduell abgestufte Formen von Zugänglichkeit beinhaltet, wobei sich die legitime Zugangsberechtigung an der Frage der Zugehörigkeit oder Nichtzugehörigkeit und auch der Dauer der Zugehörigkeit zu der jeweiligen Gemeinschaft entscheidet. So zeigen beispielsweise die Untersuchungen von Dornheim (1983) und Günter (1980), dass sich wichtige Lebensvollzüge und insbesondere das Ausführen von Arbeiten im Freien abspielen und Höfe, Wohnwege, Gärten und selbst Straßen einen halb-öffentlichen, halb-privaten Charakter haben. Häuser und Wohnungen 15 Auf die populäre Gegenüberstellung von ‚Stadt‘ und ‚Land‘ haben wir an dieser Stelle bewusst verzichtet, weil ‚Land‘ letztlich kein empirisch erfassbares Phänomen ist. Im Unterschied zu Städten oder anderen Siedlungsformen generell ist das Land nicht operationalisierbar, weil seine Grenzen nicht bestimmt werden können. Der Landbegriff ist damit als analytischer Begriff nicht wirklich verwendbar, hat aber natürlich einen heuristischen Wert. Müller (2012 23) bezeichnet beispielsweise Stadt und Land als eine der derzeit zentralen „Dichotomien der europäischen Moderne“. Trotzdem könnten beispielsweise die zunehmende Verbreitung von urban-gardening-Projekten einerseits und die Beobachtungen der Verstädterung von Dörfern unter dem Stichwort „urbane Dörfer“ (Vogelgesang et al. 2016; 2018) als Tendenz dafür angesehen werden, dass diese Dichotomie immer weniger erklärungskräftig wird.
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sind nicht in gleicher Weise unzugänglich, wie das in Städten typischerweise der Fall ist. Neben den schon erwähnten Formen der Nachbarschaftshilfe, die auch den Zugang zu anderen Häusern mit sich bringt, sind wechselseitige Besuche vor allem in kleineren Gemeinden durchaus üblich, was natürlich auch damit zusammenhängt, dass Nachbarschaft und Verkehrskreis häufig identisch sind oder sich zumindest überschneiden. Insofern ist auch die Bedeutung der Begriffe öffentlich und privat in kleineren Gemeinden eine andere als in größeren Städten. Zum einen gibt es eine dörfliche Öffentlichkeit, wobei alles, was innerhalb des Dorfes vorgeht, dorföffentlich ist, auch das „was man eher der häuslich-privaten Sphäre zuschreiben würde“ (Illien 1977: 95). Demgegenüber gilt das als privat, was für das Leben im Dorf weniger relevant erscheint, etwa das, was jemand beruflich tut, insbesondere, wenn er Pendler ist (vgl. Illien 1977: 94). Der Beruf spielt bei Prestigezuschreibungen auch nur eine nachgeordnete Rolle, von größerer Bedeutung für die soziale Geltung sind das Alter, die Herkunft und die individuelle oder familienbezogene Zeit der Ansässigkeit und das Ausmaß des Engagements bei örtlichen Angelegenheiten, insbesondere bei Festen und in Vereinen (Illien 1977: 94). Auch wenn bislang diese Charakterisierung anhand des dörflichen Lebens illustriert wurde, ist die Verbreitung natürlich eine empirische Frage. Selbstverständlich existieren auch gewachsene Stadtviertel, mit denen sich die Bewohner identifizieren und die als Heimat gelten. Voraussetzung dafür ist in der Regel allerdings die „Existenz kleinteiliger, historisch-topographischer Strukturen (ehemalige Dörfer, Vororte, Vorstädte), eine Dominanz des Fußgängerverkehrs, eine gewisse Immobilisierung traditioneller (eingesessener) Schichten und das Vorhandensein lokaler Kommunika tionsstrukturen und Institutionen (Zeitungen, Vereine bzw. Institutionen, Kirchen u. dgl.) sowie damit letztlich das Entstehen von Subkulturen“ (Lichtenberger 2011: 105). Die Studie von Herbert Gans über urban villagers (Gans 1962) belegt dies eindrucksvoll. Darüber hinaus lassen neuere Studien vermuten, dass auch das dörfliche Leben immer mehr urbane Züge annimmt und man durchaus von urbanen Dörfern (Vogelgesang 2016; 2018) sprechen kann. Damit ein Stadtquartier oder Viertel16 lebt und zu einem ‚Kiez oder ‚Veedel‘ wird, braucht es also mehr als nur eines umbauten Raums beziehungsweise eines Ensembles aus Gebäuden, Straßen, Plätzen und Funktionsbereichen. Diese Aspekte, die ja gleichsam einerseits nur das physische Substrat einer spezifischen Sozialstruktur darstellen, diese aber andererseits eben auch prägen, werden vielfach als die primäre Domäne und häufig auch einzige Aufgabe der Stadtplanung und Architektur angesehen. Hier stehen wie auch immer definierte ästhetische Stan16 Der Begriff des „Viertels“ geht zurück auf die ägyptische Hieroglyphe für „Stadt“, bei der ein Kreisring ein Straßenkreuz umschlingt, das die Stadt in vier Viertel gliedert.
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dards oder schlicht auch ökomische Zwänge im Vordergrund. Zwar können bei Stadt- und Bauplanungen Kriterien der Wohn- und Lebensqualität durchaus eine Rolle spielen, diese Kriterien werden aber in aller Regel wiederum von der Planung definiert. Die Frage, welche Bedürfnisse welche Gruppen selbst haben und wie diese sich im Zeitverlauf wandeln, steht dagegen nur selten im Fokus der Aufmerksamkeit von Architektur und Stadtplanung (vgl. dazu Häußermann/Siebel 1996). Dabei ist diese behandelte Thematik entscheidend für die Wohn- und Lebensqualität und die Entwicklung (teil-)städtischer Gemeinschaften. Ein in diesem Sinn nicht entfremdetes Leben betrifft deshalb nicht nur die Arbeitswelt, sondern auch und gerade Wohnen und Rekreation, also die arbeitsfreie Zeit. Interessanterweise hat die ursprünglich marxistisch beziehungsweise sozialistisch inspirierte und orientierte Arbeiterbewegung hinsichtlich des Faktors Arbeit Einiges erreicht: Mitbestimmung, Arbeitsschutzrichtlinien und -gesetze, Absicherung bei Arbeitsunfähigkeit, Human-Ressource-Management und vieles andere mehr wären ohne eine organisierte Arbeiterschaft und starke Gewerkschaften so sicher nicht umgesetzt worden. Bei Fragen der Erwerbsarbeit haben abhängig Beschäftigte – auch und gerade in Großbetrieben des sekundären Sektors insbesondere in der Automobilindustrie wie beispielsweise bei Volkswagen – mittlerweile ein hohes Maß an Einfluss- und Gestaltungsoptionen und -rechten und nutzen diese auch. Geht es dagegen um Wohnen im engeren (Häuser) und erst recht weiteren Sinn wie beispielsweise in Quartieren und Stadtvierteln sieht die Situation deutlich anders aus. Eine – wie auch immer – geartete Beteiligung der (späteren) Bewohner und Bewohnerinnen ist gerade nicht die Regel, sondern findet nur sehr selten und dann in üblicherweise auf deren Initiative statt. Selbst eine sonst auf (anderen) Märkten übliche Bedarfs- und Bedürfnisermittlung, für die die Markt- und Sozialforschung eine Vielzahl standardisierter und bewährter Instrumente zur Verfügung hat, wird kaum je realisiert – und wenn doch, dann im Rahmen von Untersuchungen zur Lebensqualität, die allerdings von Sozialwissenschaftlern durchgeführt und deren Ergebnisse von der Stadtplanung eher nicht zur Kenntnis genommen oder gar genutzt werden. Dies gilt übrigens auch und gerade für Beispiele sogenannter ‚sozialistischer‘ Architektur und Stadtplanung (vgl. Schäfers 2010), also Bauten und Quartieren, die in den sogenannten sozialistischen Staaten realisiert wurden. Die Vorgehensweise der Planung bei der Bebauung entspricht ziemlich genau der auch in kapitalistischen Systemen üblichen Verfahren. Inwieweit die hier skizzierten theoretischen Überlegungen empirisch tragfä hig sind und welche Gegebenheiten dazu führen, dass in bestimmten Vierteln und Bereichen doch funktionierende Gemeinschaften entstehen, ist genau der Gegenstand unserer Arbeiten. Die Frage hinsichtlich des nun eben vielfach städtischen sozialen Lebens lautet – um einmal zwei bekannte Titel der modernen Soziologie
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heranzuziehen – ob wir wirklich einer Situation des „Bowling Alone“ (Putnam 2000) gegenüberstehen oder ob nicht eher die Idee von Claude S. Fischer (1982) eines „To Dwell Among Friends“ gilt.17
1.3 Skizze des Forschungsvorhabens und Aufbau des Bandes Wenn man die bisherige Diskussion kurz zusammenfassen will, so ist zuerst eine zunehmende Urbanisierung zu beobachten. Darüber hinaus muss konstatiert werden, dass die konkreten Wohn- und Lebensumstände einen großen Einfluss auf die Wahrnehmung und Bewertung der individuellen Lebenssituation aufweist und dass hier gerade im städtischen Kontext vielfältige negative Beispiele zu finden sind. Die von unserer interdisziplinären Forschungsgruppe entwickelte Fragestellung ist es nun, nach Konstellationen zu suchen, die sowohl analytisch aus Sicht der Architektur wie der Soziologie als auch aus der Sicht der jeweiligen Bewohner und Bewohnerinnen als Formen guten Lebens und Wohnens – oder eben wie oben diskutiert wurde als resonantes Wohnen und Leben – bezeichnet werden können. In den entsprechenden Diskussionen wurde schnell klar, dass wir unsere Untersuchung regional anlegen wollen und sollen. Die Konzentration der Studien liegt dabei auf zwei, intern auch miteinander verbundenen Projekten. Dies ist einerseits das immer noch aktive Kloster St. Matthias, in dem wohl seit dem 6. Jahrhundert ein klösterliches und somit eben gemeinschaftliches Leben stattfindet. Der andere Schwerpunkt unserer Forschung liegt auf dem sogenannten Schammatdorf. Hierbei handelt es sich um ein in den späten 1970er Jahren konzeptionalisiertes, geplantes und realisiertes Wohngebiet und Wohnprojekt, mit einer sozialen und inklusiven Zielsetzung. Gebaut wurde dieses Projekt auf ehemaligem Gelände des Klosters St. Matthias am rechten Moselufer im südlichen Trier. Bei beiden hier fokussierten Wohnformen wird sowohl die architektonische Gestaltung, deren Zielsetzung und Umsetzung, als auch die subjektiven Erfahrungen der jeweiligen Bewohner – und im Falle des Schammatdorfs eben auch Bewohnerinnen – untersucht. Methodisch wurden Beobachtungen, vor allem aber auch eine genaue Analyse der Baupläne und ihrer Veränderungen, sowie verschiedene Interviewformen eingesetzt. Bei der Analyse des alltäglichen klösterlichen Lebens haben wir leitfadengestützte qualitative Interviews verwendet, die rund 250 Bewohner und Bewohnerinnen des Schammatdorf wurden mit Hilfe eines 17 Richard Sennett (2018) spricht in diesem Zusammenhang auch vom Unterschied von „ville“ und „cité“.
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standardisierten Erhebungsinstruments untersucht (vgl. die einzelnen Abschnitte für mehr Details). Ergänzt werden diese beiden zentralen Untersuchungsobjekte durch zwei weitere Sozialraumanalysen in Trier. Hierbei handelt es sich einerseits um eine, ebenfalls standardisierte Befragung der Bewohner und Bewohnerinnen eines neuen, in einer ehemaligen Textilfabrik beheimateten Wohnprojektes, in dem Arbeiten und Wohnen gemeinsam organisiert sein sollen. Auch in diesem sogenannten Bobinet-Quartier haben wir die Bewohner und Bewohnerinnen nach ihren Meinungen und Einstellungen befragt. Andererseits soll der Stadtteil Mariahof in Trier näher untersucht werden, der – so der entsprechende Internetauftritt der Stadt Trier – in den frühen 1960er Jahren als Gartenstadt-Siedlung entstanden ist und somit explizit in einer langen sozialreformerischen Tradition steht. Mariahof ist der jüngste Trierer Stadtteil und zugleich der einzige, der in einem Zug, nach einem einheitlichen Plan und innerhalb fester Bebauungsgrenzen entstanden ist. Anhand der Entwicklung dieses Stadtbezirkes soll sowohl die Grundidee der Gartenstadt noch einmal vorgestellt werden, vor allem aber auch die eventuell auftretenden Probleme geplanter Wohnanlagen, denn Mariahof gilt heute als eines der Problemviertel der Stadt. Erweitert werden diese Studien durch zwei weitere Arbeiten, die im Rahmen der soziologischen Regionalstudien in Trier entstanden sind und die thematisch die verschiedenen Beiträge abrunden. Hierbei handelt es sich zuerst um eine Untersuchung, die die Wünsche, aber auch Probleme des Wohnens im Alter näher betrachten. Es hieße Eulen nach Athen tragen, hier noch einmal die Wichtigkeit des demographischen Wandels und der Altersstruktur der Bevölkerung zu betonen. Dass dieser Wandel aber eben auch bedeutsame Folgen für die Möglichkeiten und die Wünsche des Wohnens und damit – wie oben gezeigt wurde – eben für einen wichtigen Teil des Lebens haben, ist unbestreitbar. Wir können auch in dieser Hinsicht auf unterschiedliche empirische Studien zurückgreifen, die im Laufe der letzten Jahre erhoben worden sind. In diesen Studien werden die Vorstellungen zum Leben im Alter, aber auch die konkreten Gegebenheiten erhoben, denn gerade im Zuge des demographischen Wandels entstehen hier neue Problemfelder, deren frühzeitige Analyse Interventionen möglich machen könnte. Ein letzter Abschnitt fokussiert noch einmal die Bedeutung von Nachbarschaften für die Lebens- und Wohnzufriedenheit. Oben haben wir die verschiedensten Spekulationen über die Ausgestaltung und Wirkung von Nachbarschaften in Dörfern und Städten vorgestellt. Es ist eine der schönen Seiten wissenschaftlichen Arbeitens, dass man aber eben nicht nur auf Spekulationen angewiesen ist, sondern Tatbestände und Wirkzusammenhänge auch empirisch untersuchen kann. Hinsichtlich der Gestaltung und Wirkung von Nachbarschaften soll dies im letzten inhaltlichen Kapitel dieses Buches geschehen.
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Zur Konstruktion von Gemeinschaft Robert Thum und Jan-Henrik Hafke
Im Sommersemester 2018 begannen wir im Rahmen unseres Masterstudios Architekturtheorie und Konzeptionelles Entwerfen mit den Studierenden eine Untersuchung von gemeinschaftlichen Wohnformen. Das Projekt fand in Zusammenarbeit mit den Kollegen der empirischen Sozialforschung an der Universität Trier statt und sollte anlässlich der Design- und Kulturtage des Fachbereichs Gestaltung der Hochschule 2018 präsentiert werden. Betrachtet wurden zunächst mehrere gemeinschaftliche Wohnformen aus verschiedenen Kulturkreisen und unterschiedlichen Entstehungszeiten, die nach Meinung der Autoren sowohl im architektonischen als auch im kulturhistorischen Kontext beispielhaft sind. Daran anschließend wurden zwei Projekte in Trier zum konkreten Studienthema: Das Kloster St. Matthias und das von den dortigen Mönchen mitinitiierte Schammatdorf, ein gemeinschaftliches Wohnprojekt, in dem Menschen mit und ohne körperliche Beeinträchtigungen zusammenleben. Allen Projekten gemein ist die bewusste Entscheidung der Bewohner für das Zusammenleben aus unterschiedlichen Motiven. Am Anfang steht immer ein gemeinsames Interesse oder Bedürfnis Gleichgesinnter, aus der sich die Lebensgemeinschaft bildet und daraus die Wohnform. Die Mehrzahl der Projekte ermöglicht paradigmatisch einen ganzheitlichen Lebensentwurf innerhalb einer baulichen Struktur. Dabei steht bei den älteren Beispielen, etwa bei den Hakka Tolou oder bei der normannischen Burg Heddingham Castle, häufig das Bedürfnis nach Schutz und Repräsentation im Vordergrund. Das Wohnen und das Arbeiten sind stets verknüpft, somit bilden die Produktions- und die Reproduktionssphäre, um die Begrifflichkeit der politischen Ökonomie zu verwenden, eine räumliche Einheit. Vater, Mutter, Kinder, zusammen mit Knechten und Mägden samt ihren Familien © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 J. Kopp et al. (Hrsg.), Gemeinschaftliche Wohnformen zwischen Entfremdung und Resonanz, https://doi.org/10.1007/978-3-658-26048-4_3
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Robert Thum und Jan-Henrik Hafke
formen eine selbstversorgende Gemeinschaft,1 die der österreichische Historiker Otto Brunner mit dem Begriff ‚Ganzes Haus‘ bezeichnet hat. Der Han in Istanbul ist ein der Karawanserei ähnlicher Bautyp, der Händlern und Handwerkern Unterkunft und Raum zum Arbeiten und Verkaufen im direkten räumlichen Kontext des Basars bot. Die Karawansereien sind darüber hinaus in erster Linie auch Schutzbauten gewesen, die – entlang wichtiger Handelswege gelegen – Händlern und Karawanen temporäre Unterkunft boten. Eine Sonderrolle nehmen Klöster als Orte der gemeinsamen Ausübung des Glaubens im Sinne der „vita communis“ ein, von denen in der Reihe drei Beispiele näher untersucht wurden: Das Kloster St. Matthias in Trier, La Tourette in Éveux und Stella Maris in Málaga. Das Kloster manifestiert sich als komplexe bauliche Anlage, die der gemeinsamen Ausübung des Glaubens als Schwerpunkt des gemeinschaftlichen, festen Regeln folgenden Zusammenlebens (Beten, Arbeiten, Studieren, Wirtschaften, etc.) dient, wobei das Wirtschaften im Laufe der Zeit an Bedeutung verliert und durch das zunehmende parroquiale Wirken nach außen in die Gemeinden und die Umgebung ersetzt wird. Mit dem Beginn der Neuzeit, der Industrialisierung und dem rasanten Bevölkerungswachstum, gingen unmenschliche Lebens- und Wohnumstände einher. Zunächst gefördert durch wenige visionäre, sozialliberale Industrielle, entstanden neuartige gemeinschaftliche Wohnprojekte. Als Beispiele dient hier die Familistère in Guise von 1859, eine Anlage für Arbeiter aus drei Wohnblöcken in räumlicher Nähe, aber trotzdem in klarer Trennung zur Fabrik. Die Moderne bewirkt die Ökonomisierung der Produktion und des Wohnens, es folgt die Trennung von Arbeiten und Wohnen. Die Kernfamilie, selbst ein Produkt der Industrialisierung, wird das Maß von Gemeinschaft. Befreit durch den technischen Fortschritt entfällt die Notwendigkeit gemeinschaftlich zu wirtschaften. Der Ausschluss von Bediensteten aus der Haus- beziehungsweise Wohngemeinschaft stärkt die Bedeutung des Individualraums. Die Bedürfnisse nach Komfort, Hygiene, Freizeit und Privatsphäre nehmen zu. Die Wohnung entwickelt sich im 20. Jahrhundert zur Komfortmaschine, der Philosoph Peter Sloterdijk spricht hier gar von der Wohnung als einer elementaren, egosphärischen Blase.2 Das Zusammenleben wird zum anonymen Nebeneinander, zum entfremdeten Wohnen im Massenwohnungsbau. Das Schammatdorf als gemeinschaftliches, inklusives Wohnprojekt in Trier ist als kritische Reflexion dieser Entwicklung hin zu nicht gemeinschaftlich motivier1 2
Hier überlagern und durchdringend die sachlichen Arbeitsbeziehungen des Haushalts als Betriebsstätte die emotionale Beziehung zwischen den Haushaltsmitgliedern.“ (Häußermann/Siebel 1996) Sloterdijk, Sphären III, Seite 558
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ten, großmaßstäblichen, die Anonymität fördernden Großwohnsiedlungen zu sehen und beruht auf der Idee des Dorfes. Vorbilder mögen die locker gegliederten, gewachsenen Haufendörfer in der Eifel gewesen sein. Tatsächlich war und ist das Dorf mit seiner Überschaubarkeit und den engen sozialen Beziehungen ein Gegenpol der Entfremdung, die man in modernen Vorstädten erkannte und so gewissenmaßen eine Manifestation der Kritik jener Zeit. Gerade die Anzahl der Bewohner und ihre Beziehungen untereinander bilden den Ausgangspunkt der Planung. Erst im aktuellsten Projekt, der „communal villa“, wird diese Trennung durch neue Produktionsformen und digitale Medien wieder auflöst. Die Digitalisierung führt zunehmend zu ortsunabhängigen Arbeitsweisen, zur Aufweichung des uniformen Arbeitstaktes und trägt weiter zur Überlagerung von Arbeit und häuslicher Sphäre bei. Könnte also neben dem Sozialen (Schammatdorf) und dem Spirituellen (Klöster), die Produktion wieder ein Motiv für gemeinschaftliches Leben werden, wie es das Beispiel der Urban Villa von Dogma oder auch die neue Almende- oder Commons-Bewegungen suggerieren ? Nach den einführenden Erwähnungen zur Motivation des Zusammenlebens in den Fallbeispielen soll nun ein Vergleich der geometrischen Beschaffenheit der Beispiele Gemeinsamkeiten und räumliche Muster offenlegen: Mit Ausnahme eines Beispiels liegen die Räume der Gemeinschaft mittig, und werden von privaten Raumbereichen umgeben. Der Innenhof und später der gedeckelte zentrale Innenraum sind emblematische räumliche Fixpunkte als Mitte, Ort der Gemeinschaft und Begegnung. So ist das älteste Beispiel, das Haus des Fauns in Pompei (ab dem 2. Jahrhundert) ein Hofhaus-Komplex, der sich fast über eine komplette Insula erstreckte und das gemeinsame Leben und Wirtschaften in der antiken Stadtgesellschaft widerspiegelt. Die chinesischen Hakka Tolou sind „Wehrwohnbauten“, in deren baulich nach außen geschlossener, mehrgeschossiger, oft ringförmiger Mauer ganze Sippen gemeinsam geschützt auf engem Raum lebten und arbeiteten. Hedingham Castle ist als normannische Burg in Schottland repräsentativer und wehrhafter Herrschaftssitz. Als Turm verfügt das Bauwerk zwar nicht über einen Innenhof, wohl aber über mehrere, übereinander liegende, mittige Gemeinschaftsräume. Auch beim osmanischen Han bilden ein Hof beziehungsweise eine Sequenz von Höfen den Mittelpunkt der Anlage. Das Kloster3 bildet die Komplexität der räumlichen Bedürfnisse der vita communis typologisch mit einer großen Vielfalt von Räumen unterschiedlicher Größe, Funktion und Beschaffenheit ab. Klöster bestehen in der Regel aus Kult-, Gemein3 Der Name Kloster geht auf das lateinische claustrum zurück. Dessen Bedeutung als „verschlossener Ort“ lässt sich in der baulichen Typologie ablesen. Teilweise wird auch der Kreuzgang als claustrum bezeichnet.
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schafts-, Wohn- und Wirtschaftsräumen und -gebäuden, häufig in Form von zusammenhängenden Gebäudekomplexen. Die räumliche Anordnung, die Organisation und die Erschließung des Klosterkomplexes funktionieren meist über einen rechteckigen oder quadratischen Innenhof mit Kreuzgang als Erschließungsraum, um den herum die einzelnen Raumbereiche oder Gebäude organisiert sind. Den räumlichen und spirituelle Mittelpunkt stellt die Kirche dar. Der idealtypische Grundriss frühmittelalterlicher Klöster geht meist auf den St. Galler Klosterplan zurück. Im Kloster St. Matthias sind die Grundanlagen benediktinischer Klöster (Basilika, Kreuzgang) gut zu erkennen. Auch in Sainte- Marie de la Tourette lassen sich die typischen klösterlich-räumlichen Merkmale erkennen, werden jedoch noch überlagert durch die Aspekte der vom Architekten Le Corbusier propagierten modernen Architektur. Der Konvent Stella Maris (Santa Maria de Belen) stellt aufgrund der urbanen, innerstädtischen Lage in Malaga eine Sonderform dar: Der Kreuzgang ist dabei als Luftgeschoss zwischen dem Pfarrzentrum und den Wohnzellen konzipiert – es handelt sich hier um ein vertikales, gestapeltes Kloster.4 Die Wohnblöcke des Familistère verfügen über einen Innenhof zur beidseitigen Belichtung und Belüftung der Wohnungen, was typisch ist für die Architektur der Großwohnbauten des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Die mehrwertschaffende Innovation ist eine Glasdachkonstruktion, welche die Höfe als räumliche Mitte jederzeit und witterungsunabhängig nutzbar macht. Die Laubengang-Erschließung liegt an diesem geschützten Innenhof. Das Schammatdorf schließlich stellt eine räumliche Interpretation der Geometrie dörflicher Strukturen dar und folgt der Logik des Clusters.5 Beim Scham4 „Ein Rechteck von 14,30 auf 33,40 Metern mit drei offenen Grundstücksseiten und einer Brandwand für ein äußerst komplexes Raumprogramm: Eine offene Kirche, welche die gesamte Fläche des Grundstücks einnimmt und ein Kloster der Bruderschaft der Barfüßigen Karmeliter. Es war offensichtlich, daß die Kirche auf dem Niveau des Paseo de la Alameda liegt. Diese Bedingung implizierte das Stapeln des Klosters darüber, aufgeteilt in drei Etagen, die erste für das parochiale Gemeinwirken, die zweite für das klösterliche Zusammenleben und die dritte für die Klosterzellen“, mit diesen Worten beschrieb der Schöpfer und Architekt Josè Maria Garcia de Paredes die räumlich-typologischen Bedingungen des Projektes. 5 Das Cluster beschreibt eine dichte Ansammlung bzw. Gruppe von Einzelteilen bzw. Baukörpern, eben entlehnt von ruralen Vorbildern. Ihnen eigen ist die nicht auf gebräuchlichen Geometrien beruhende Anordnung. Häufig spielen eher kontextuelle Aspekte wie die Topografie, Straßen und Kreuzungsläufe oder eine bestimmte klimatische Ausrichtung eine Rolle. Dabei entsteht ein Zwischenraum oder Innenhof von geometrisch relativ freier Form. Dieser ist i. d. R. bei Clustersiedlungen oder Clustergrundrissen meist der Gemeinschaft gewidmet, während die einzelne umgebende Zelle das Private, Individuelle verkörpert. Das Thema der Clusterstruktur in der Architektur lässt sich aus den frühen, vernakulären Bauund Siedlungsformen bis in die Moderne und die Gegenwart verfolgen. So hat etwa Oswald Matthias Ungers in seinem Entwurf „Neue Stadt Köln“ eine Clusterstruktur sowohl inner-
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matdorf bilden mehrere locker um einen Hof gruppierte Häuser eine kleine Einheit, ähnlich etwa wie bei einem ländlichen Gehöft, und mehrere dieser Hofgruppen bilden das Schammatdorf. Dabei sind die Höhen nicht vollends umschlossen und öffnen sich damit zum umgebenden Freiraum, bilden Verbindungen zu anderen Höfen. Es bilden sich feine Abstufungen zwischen Wohnsiedlung, Wohnhof und Wohneinheit, welche die unterschiedlichen Abstufungsgrade des Zusammenlebens (gemeinschaftlich, privat) widerspiegeln. Das jüngste hier behandelte Projekt Communal Villa verfügt, wenn auch als deutlich kompakteres bauliches Volumen, über einen gemeinschaftliche Zentralraum, um den herum die Individualbereiche liegen. Dogma rekonfiguriert die bürgerliche Stadtvilla zu einem Kollektivhaus, einem Atelierhaus für Künstler, in dem die Trennung von Wohnen und Arbeiten aufgehoben ist – ein Brückenschlag zu den älteren hier beschriebenen Projekten. Die Untersuchungsergebnisse sind mithilfe einer grafischen Analyse dargestellt und geben nähere Aufschlüsse über die geometrische Beschaffenheit, die räumliche Ordnung und den strukturellen Aufbau der Beispiele. Dargestellt werden Erschließungszonen, gemeinschaftliche und private Raumbereiche. Zusätzlich zu den grafischen Analysen der oben beschriebenen Beispiele hatten wir die Gelegenheit, durch die Gespräche zur Geschichte des Bautyps Kloster mit Herrn Alois Peitz, Architekt und ehemaligen Diözesanbaumeister im Bistum Trier sowie zur Konzeption und Umsetzung des Schammatdorfs mit Bruder Ansgar, dem ehemaligen Abt des Klosters St. Matthias, wichtige Hintergrundinformation zu sammeln, die weiter unten in einer Zusammenfassung abgedruckt sind.
halb der Wohnbereiche (im Verhältnis der Räume zueinander) bzw. den Wohnbauten (in Relation der Wohnungen zueinander, als auch in der Siedlungsstruktur, also in der Körnung und Anordnung der Gebäude umgesetzt. Dazwischen spannt sich die gemeinsam genutzte Wohnfläche wie eine Sequenz von Plätzen und Wegen auf.
II. Anwendungen und Explikationen
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Fallstudien gemeinschaftlichen Wohnens von Hakka Tolou bis zur Abtei St. Matthias Robert Thum und Jan-Henrik Hafke1
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Ausdrücklicher Dank soll hiermit allen Studierenden ausgesprochen werden, die mit ihrem außergewöhnlichen Engagement einen wertvollen Beitrag zu diesem Kapitel geleistet haben: Studierende: Marta Alves, Philipp Balaskas, Sümeyya Gören, Patricia Gückel, Mischa Horsmans, Jennifer Kirchmann, Katharina Klein, Lisa Kohler, Chantal Leuchtenberg, Verena Mähser, Tobias Müller, Johannes Plum, Alexander Plum, Tim Schilling, Ramona Schlessmann, Jennifer Stroh, Evgenia Wagner; Redaktion: Patricia Gückel, Lisa Kohler
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 J. Kopp et al. (Hrsg.), Gemeinschaftliche Wohnformen zwischen Entfremdung und Resonanz, https://doi.org/10.1007/978-3-658-26048-4_4
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Hakka Tulou Die chinesischen Hakka Tolou sind „Wehrwohnbauten“, in deren baulich nach außen geschlossener, mehrgeschossiger, oft ringförmiger Mauer ganze Sippen gemeinsam geschützt auf engem Raum in lebten und arbeiteten. In einem ringförmigen Volumen von bis zu 80 Meter im Durchmesser und 300 Räumen konnten bis zu 800 Menschen miteinander leben. Die innere Organisation der TulouRundbauten ist für die großfamiliären Strukturen der Bewohner konzipiert. In der Mitte des geschlossenen Kreises befindet sich der Ahnentempel als auch der Versammlungsort und Festplatz für die Gemeinschaft. Konzipiert als burgartige Festungen, bieten sie Raum für Verteidigung und Schutz. Fassadenöffnungen sind nach außen hin stark reduziert. Der Innenraum wird durch einen einzigen Eingang erschlossen, Fensteröffnungen sind nur in den Obergeschossen vorhanden. Der Begriff „Hakka“ stammt aus dem südostchinesischen Kulturraum und bedeutet „an fremdem Ort“. Die Flucht des Hakka Volkes hatte im 4. Jahrhundert begonnen. Ursprünglich kam das Volk aus der nördlichen Ebene des Gelben Flusses, verfolgt von den Herrschern der Tang Dynastie. In den unzugänglichen Tälern Südostchinas fanden Hunderttausende Zuflucht, und einen Ort, an dem sie ihre autonome Kultur versteckt aufbauen konnten. In der Provinz Fujian sind die Tulou-Rundhäuser noch bis heute von Hakka-Familien bewohnt.
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House of the Faun Das „House of the Faun“ (italienisch Casa del Fauno) ist eines der bekanntesten und größten Häuser der antiken Stadt Pompeji. Der Aufbau des Hauses unterschied sich von den umgebenden Häusern, lehnt sich an die Typologie des romanischen Hofhauses an, wird jedoch durch mehrere Säulenhallen und Atrien erweitert. Das Gebäude kann sowohl über einen öffentlichen, als auch über einen privaten Eingang erschlossen werden. Dabei wird deutlich, dass vor allem die linke Seite des Gebäudes die öffentlichen Räume beherbergt, während sich auf der rechten Seite eher private Räume wie Bäder und Küche befinden. Das Besondere an den Privaträumen, die sich immer um ein Atrium anordnen, ist die Wandelbarkeit. Die Räume waren nur spärlich eingerichtet, damit je nach Nutzungsbedürfnis umgeräumt werden konnte. So gab es zu dieser Zeit nicht das typische Schlafzimmer oder das Wohnzimmer, die Räume wurden je nach Bedarf mit Sitzgelegenheiten oder Schlafmöglichkeiten ausgestattet und konnten zu jeder Tages- und Nachtzeit genutzt werden. In die Vorderseite des Hauses waren mehrere Läden eingebettet, die durch grobe Pfeiler voneinander getrennt waren. Die Läden dienten den Bewohnern als Einnahmequelle, auch dies ist ein typisches Merkmal des romanischen Hofhauses.
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Hedingham Castle Hedingham Castle befindet sich in Essex, einer nordöstlich von London gelegenen Grafschaft in England. Die Burg wurde Ende des 11. Jhd. nach dem Vorbild normannischer, rechteckiger Burgen an Stelle einer ehemaligen Motte, einem mittelalterlichen Burgtyp, bestehend aus einem in Holzbau errichtetem Turm, gelegen auf einem künstlichen Erdhügel, errichtet. Das Keep, franz. Donjon, stellen das Herzstück einer Burganlage da. Es handelt sich um den zentralen Wohnturm, der von dem Burgherren bewohnt wurde. Damals erfüllte die Burg zeitgleich die Nutzungsansprüche eines Wohngebäudes und eines militärischen Verteidigungsbaus. Der Eingang befindet sich im ersten Obergeschoss und war damals durch eine Zugbrücke geschützt. Das Eingangsgeschoss war gleichzeitig die Garnison. Nicht Kämpfende und die Familie des Lord konnten in den darüber liegenden Geschossen ausharren. Im 2.OG befand sich die repräsentative Banketthalle der Burg. Sie erstreckt sich über zwei Geschosse mit Galerie im darüber liegenden Geschoss. Im Untergeschoss befand sich das Verlies, das Magazin und ein Brunnen. Alle Etagen werden über eine Wendeltreppe im südwestlichen Turm der Burg erschlossen, welche sich im Uhrzeigersinn wendelt. Die Treppe führt mit Ausnahme des vierten Geschosses stets in den großen Zentralraum der Burg. Um diesen gliedern sich in den massiven Außenmauern diverse weitere Räume und Kammern. So dient der eher öffentliche Zentralraum ebenfalls der Durchwegung.
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Büyük Valide Han Ein Han war eine in der Stadt gelegene Karawanserei und diente als Raststätte für Kaufleute auf Reisen. Jede Karawanserei lag von der Nächsten maximal einen Tagesmarsch entfernt und sollte Etappenziel, Treffpunkt und Begegnungsstätte sein. Die Funktionen sind in erster Linie die einer Unterkunft, eines Lagers und Depots sowie die einer Groß- und Einzelhandelsverkaufsstätte. Der Büyük Valide Han befindet sich im Handelsviertel der Stadt Istanbul und ist von weiteren 101 Hans umgeben. Er hat 210 Zimmer. Der Büyük Valide Han war zudem auch der erste dreihöfige Han. Vier Gebäudetrakte umschließen jeweils einen geräumigen Hof. In diesem werden die Tiere untergebracht und gepflegt. Teilweise werden sie an Ringen in den Arkadengängen im Erdgeschoss festgebunden, um die Waren leichter unter Dach zu bringen Die Menschen und Tiere waren entweder durch Höfe oder Geschosse getrennt. Die Zimmer wurden nicht mit Möbeln versehen. Dies hatte vor allem hygienische Gründe. Die Kaufleute brachten eine eigene Matte zum Schlafen mit. Allgemein befinden sich die Stallungen im Erdgeschoss mit kleinen Fensteröffnungen nach außen. Dadurch, dass der Han in Hanglage lag, wurden die Tiere im Dritten, tiefer gelegenen Hof im Kellergeschoss untergebracht. Die Nutzbarkeit der Höfe als ein Raum der Begegnung steht in Frage.
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Familistère Im nordfranzösischen Städtchen Guise an der Oise eröffnete Jean-Baptiste Andre Godin im Jahr 1846 einen prosperierenden Betrieb zur Herstellung von Öfen und Küchenherden. Die Konzeption des Familistère geht auf den utopischen Entwurf der Phalanstères zurück, den Charles Fourier in den 1820er Jahren entwickelte. Fouriers entwirft ein Bild der völligen Auflösung der Städte, die durch schlossartige Baugruppen, sogenannte Phalanstères, ersetzt werden. In ihnen werden kleine funktionale Gruppen, die autarken Phalanges, zusammengefasst. Gesellschaft müssen sich auf wunderbare Weise von unseren Dörfern und Vorstädten unterscheiden, in denen Familien wohnen, die nichts verbindet und die darum im Gegensatz zueinander handeln. An Stelle eines Chaos von kleinen Häusern, die einander an Schmutz und Hässlichkeit übertreffen, baut eine Phalange sich ein großes Gebäude, das so regelmäßig ist, wie das Grundstück es erlaubt.“ Auch die Misserfolge der Versuche Fouriers hielten Godin davon nicht ab, im Jahr 1859 mit dem Bau eines Flügels des „Palais Social“ (Sozialpalast), dem Familistère, zu beginnen. Da es sich nicht nur gestalterisch an das Phalanstère anschloss, sondern auch die von Fourier geforderten Folgeeinrichtungen miteinbezog, gehörte dieses Unternehmen zu einem großzügig geplanten Gesamtkonzept. Es waren Schule, Theater, Kinder- und Säuglingsheime, Krankenstationen, Läden, Bibliotheken, Badeanstalten, Parkanlagen und große Produktionswerkstätten geplant.
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Sainte-Marie de la Tourette Le Corbusier wählte beim Kloster La Tourette die archetypische Grundform des Vierecks, das einen Innenhof umschließt. Drei Flügel beherbergen das Kloster, im Vierten liegt die Kirche. Der Ostflügel besitzt drei Stockwerke. Im Erdgeschoss befindet sich eine überdachte Plattform, auf der sich fünf rundwandige kleinere Pavillons erheben. Der Vorderste dient dem Klosterpförtner, die Restlichen bilden das Parlatorium. Das Eingangsgeschoss dient dem Studium. In seinen drei Flügeln befinden sich Hörsäle, Bibliothek, Lesezimmer, Gemeinschaftsräume und das Oratorium. Le Corbusier versteckt das Oratorium nicht, sondern verleiht ihm durch die herausgerückte Lage und durch das pyramidenförmige Dach einen besonderen Rang in der Architektur des Innenhofs. Die zwei oberen Stockwerke enthalten die Zellen der Mönche. Der Mönch lebt im Kloster nicht nur in der Gemeinschaft. Wer sich besinnen möchte, wer meditieren und studieren will, muss einen abgeschlossenen Raum für sich haben. Der Mönch findet ihn in der Zelle. Le Corbusier sah die zwei oberen Stockwerke der drei Flügel für die hundert Zellen von La Tourette vor. Die Zelle beschränkt sich auf den Raum für Tisch, Bücherregal, Schrank und Bett. Eine Waschnische erweitert den Raum funktionell. Eine Loggia führt in die frische Luft. Die Zellen sind so angeordnet, dass jede im Lauf des Tages Sonnenschein erhält.
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Santa Maria de Bélen „Ein Rechteck von 14,30 auf 33,40 Metern mit drei offenen Grundstücksseiten und einer Brandwand für ein äußerst komplexes Raumprogramm: Eine offene Kirche, welche die gesamte Fläche des Grundstücks einnimmt und ein Kloster der Bruderschaft der Barfüßigen Karmeliter. Es war offensichtlich, daß die Kirche auf dem Niveau des Paseo de la Alameda liegt. Diese Bedingung implizierte das Stapeln des Klosters darüber, aufgeteilt in drei Etagen, die erste für das parochiale Gemeinwirken, die zweite für das klösterliche Zusammenleben und die dritte für die Klosterzellen“, mit diesen Worten beschrieb der Schöpfer und Architekt Josè Maria Garcia de Paredes die Bedingungen des Projektes. Das Kloster über dem Kirchenschiff beinhaltet drei Raumbereiche. Im unteren befinden sich Gemeinschaftsräume wie das Refektorium, der Kapitelsaal und die Bibliothek. Darüber befindet ein Luftgeschoss als überdachte Terrasse in Analogie zum klösterlichen Kreuzgang. Dieser verbindet den Gemeinschaftsbereich mit den darüber liegenden, auf der Längsseite zurückgesetzten einzelnen Klosterzellen unter dem Dach.
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Communal Villa Die Communal Villa wurde 2015 in Berlin im Rahmen der Ausstellung „Wohnungsfrage“ im Haus der Kulturen der Welt als Prototyp gezeigt. Dogma rekonfiguriert die bürgerliche Stadtvilla zu einem Kollektivhaus, in dem die Trennung von Wohnen und Arbeiten aufgehoben ist. Das kubische Gebäude ist ein Künstleratelier- und Wohnhaus und bietet Raum für die individuellen und gemeinschaftlichen Aktivitäten der Bewohner und Nutzer. Jeder Produzent verfügt über einen Raum mit individuellem Arbeitsbereich. Der zentrale Bereich ist ein offener Raum, der die gesamte freie Höhe des Gebäudes einnimmt und die Struktur des Gebäudes als physische Darstellung des Rasters zeigt. In diesem Bereich sind gemeinschaftliche Funktionen und Nutzungsangebote untergebracht, die darauf abzielen, die Beziehung zwischen den Künstlern durch gemeinsame Aktivitäten zu fördern. Ein Raum bildendes, zweigeschossiges Möbelstück trennt den individuellen vom kollektiven Raumbereich und bildet gleichzeitig die Grundbedürfnisse der Bewohner ab. Es beinhaltet in kompakt-minimierter Form alle Funktionen wie das Baden, das Schlafen oder das Kochen und schafft auf diese Art einen größtmöglichen, zweigeschossigen Raum für das künstlerische Schaffen. Einige fixe Funktionen, wie die Bewohnerzellen, die Erschließung und die Gemeinschaftsküchen, sind in allen Geschossen an gleichbleibenden Positionen vorgesehen. Diese werden durch nicht veränderbare, semi-flexible Bereiche ergänzt, welche sich im nicht natürlich belichteten Gemeinschaftsbereich des Erdgeschosses befinden.
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Prinzip Möbelwand
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Schammatdorf Als Sinnbild für das gemeinschaftliche Wohnprojekt dient das dörfliche Zusammenleben, mit sozial und räumlich überschaubaren Strukturen und einem intakten Nachbarschaftsleben. Das Dorf soll hierbei als soziale Gemeinschaft wirken, in der selbstständig Lebende und Menschen mit unterschiedlichen Beeinträchtigungen als Nachbarn zusammenwohnen. Die primären Zielgruppen sind demnach vor allem hilfsbedürftige und alte Menschen, Menschen mit Beeinträchtigungen, alleinerziehende Frauen, sowie kinderreiche Familien. Das in sich geschlossene Dorf begünstigt nachbarschaftliche Kontakte und Kommunikation. Vor allem durch die gemischten Bewohnerstrukturen der einzelnen Höfe können hilfsbedürftige und alleinstehende Menschen integriert werden. Insgesamt 69 Wohnhäuser mit 114 Wohneinheiten bilden 13 Wohnhöfe und bieten damit Wohnraum für 285 Personen. Die Wohnungsgrößen reichen von 40qm bei Einraumwohnungen bis zu 112qm bei Familienwohnungen mit bis zu fünf Räumen. Sie teilen sich auf in 44 rollstuhlgerechte Wohnungen, 15 rollstuhlfreundliche Wohnungen, 39 Altenwohnungen und 20 Familienwohnungen. Die Ausstattung der Wohnungen ist behindertengerecht, sowie zum größten Teil barrierefrei. Die halböffentlichen Räume, Laubengänge und Höfe geben den Bewohnern die Möglichkeit zu selbstverständlichen Alltagskontakten. Alle Innenhöfe sind gleichermaßen mit einem Baum, Rasenfläche, Sitzbänken und einem Sandkasten ausgestattet. Jeder Hof verfügt im Keller über gemeinschaftlich nutzbare Trockenräume und Stellplätze für Fahrräder und Abstellräume.
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Zusammensetzung Wohnhof
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Abtei St. Matthias Die Abtei überstand die Kriege des 17. Jahrhunderts unzerstört, da sie weit außer halb der mittelalterlichen Stadtbefestigung gelegen war. Der Baubeginn war Ende des 10. Jahrhunderts, fertiggestellt wurde sie zwischen 1024 und 1050. Die dazugehörige romanische Basilika ist eine wichtige Pilgerstätte der Matthiasbruderschaften. Ursprünglich war die Abtei nach dem ersten Trierer Bischof St. Eucha rius benannt, dessen Grab sich in der Krypta befindet. Dieses Grab ist das einzige Apostelgrab auf deutschem Boden und nördlich der Alpen. Der heutige Bau wurde 1127 errichtet. 1920 bekam die Kirche, eine dreischiffige Pfeilerbasilika mit turmbekröntem Westbau und zwei Chorflankentürmen, vom Papst dem Titel einer „Basilica minor“. Die Klostergebäude der Abtei St. Matthias wurden im 13. Jahrhundert unter Abt Johann von Lothringen erbaut. Am besten erhalten ist der Ostflügel. Der ehemalige Kapitelsaal im Erdgeschoß öffnet sich zum Kreuzgang hin in einem Doppelportal. Nach Süden schließen sich der jetzige Kapitelsaal und das Refektorium an. Im Obergeschoss, dem ehemaligen Dormitorium, befindet sich jetzt die Bibliothek. Hervorzuheben ist auch die 1975 rekonstruierte Marienkapelle.
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Gespräche mit Bruder Ansgar und Alois Peitz zum Schammatdorf und der Abtei St. Matthias Robert Thum und Jan-Henrik Hafke
4.1 Das Schammatdorf: Bruder Ansgar im Gespräch mit Robert Thum und Jan-Henrik Hafke „Es braucht eine Architektur, die Nähe und Distanz in eine gute Balance bringt, es braucht von allen Bewohnern akzeptierte, aus den Grundideen des Projektes abgeleitete, plausible Regelungen für das Zusammenleben im Alltag und es braucht jemanden, der – finanziell möglichst unabhängig – nicht nur zu koordinieren und zu moderieren weiß, sondern auch als Mediator akzeptiert ist.“
Robert Thum: Auf der Suche nach einer Architektur der Gemeinschaftlichkeit
sind wir in Trier auf zwei beispielhafte Formen gestoßen, die sich in direkter Nachbarschaft befinden: Zum einen die universelle historische Form des Klosters, hier die Benediktinerabtei St. Matthias, und zum anderen das auf Initiative des Klosters zurückgehende integrative Wohnbauprojekt Schammatdorf. Wie kam es zu der Idee und wie hat sie sich dann konkretisiert ? Bruder Ansgar: Ursprünglich gehörte das Gelände, auf dem das Schammatdorf
errichtet ist, zum landwirtschaftlich genutzten Bereich der Abtei und trug so zum Lebensunterhalt der Gemeinschaft bei. Wirtschaftlich war diese Nutzung nicht, dafür war die Fläche zu klein. So haben wir einen Teil für den sozialen Wohnungsbau an die gbt (heute: Wohnungsbau und Treuhand AG) in Erbbaupacht gegeben. Bei einem zweiten Teil dachten wir zunächst an ein Projekt rein wirtschaftlicher Art als Einkommensquelle für die Abtei. Im Gespräch miteinander haben wir uns dann anders orientiert und nahmen einen großen Abenteuer- und Nachbarschaftsspielplatz in den Blick, den es so hier nicht gab. Der Kontakt mit Paul © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 J. Kopp et al. (Hrsg.), Gemeinschaftliche Wohnformen zwischen Entfremdung und Resonanz, https://doi.org/10.1007/978-3-658-26048-4_5
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Kreutzer, dem damaligen Bürgermeister und Sozialdezernenten der Stadt Trier, brachte uns auf den Gedanken, über neue Formen des Zusammenlebens nachzudenken, die vor allem Integration und Kommunikation ermöglichen und unterstützen sollten. Im Grunde war er der Initiator des Projektes. Robert Thum: Wer waren die Stakeholder in diesem Prozess ? Bruder Ansgar: Wir haben zur „Elterninitiative“, einer Gruppierung junger Eltern in Trier, und dem „Club Aktiv Behinderter und ihrer Freunde e. V.“ Kontakt aufgenommen. Zu dritt wollten wir ein Projekt schaffen, das integrativ und generationsübergreifend kommunikativ sein sollte. Nicht nur die Integration von Menschen mit Behinderungen, sondern auch von Älteren und Jüngeren, von Alleinlebenden und Familien mit Kindern wollten wir in ein Wohnprojekt umsetzen, deutlich anders als der bis dahin übliche soziale Wohnungsbau, wie wir ihn im Schammat vorgefunden haben. Jan-Henrik Hafke: Wie ist es dann zu dem architektonischen Entwurf gekommen ?
Abbildung 4.1 Schammatdorf mit Abtei St. Matthias
Quelle: Schammatdorf
Gespräche mit Bruder Ansgar und Alois Peitz 81
Bruder Ansgar: Rasch gab es einen ersten Entwurf von Klaus Frey, dem Architekten der gbt: aneinander gereihte zweigeschossige Häuser mit Flachdach und mit Eternit verkleideten Fassaden. Dieser Entwurf erschien uns unmittelbar unbrauchbar. In unseren Augen hatte er mit den Leitgedanken Integration und Kommunikation eigentlich nichts zu tun, zudem fehlte ihm jeglicher Charme. Unserer Meinung nach brauchte es kleine Häuser mit Giebel und verputzten Fassaden, einladend gruppiert. In einem Symposion, zu dem die Abtei daraufhin einlud, kamen vier oder fünf Architekten aus unterschiedlichen Regionen Deutschlands zusammen, darunter auch Joachim Brech vom „Wohnbund“. Es wurde diskutiert, wie die Grundidee in Architektur umgesetzt werden könnte. Das Ergebnis war ein neuer, ganz anderer und ansprechender Entwurf von Herrn Frey: jeweils 6 Giebelhäuser unterschiedlicher Grundfläche mit Erd- und Obergeschoss, gruppiert um einen offenen Innenhof. Dieser Entwurf ließ so etwas wie ein „Dorf “ in der Stadt entstehen und wurde dann Stück für Stück umgesetzt. Dass das Schammatdorf, wie es bald genannt wurde, nicht in einem Zug gebaut werden konnte, sondern – die Finanzierung im Rahmen des sozialen Wohnungsbaus stellte sich komplizierter als gedacht dar – in drei Bauabschnitten, war im Rückblick mehr Vor- als Nachteil: Wir konnten Erfahrungen sammeln und Veränderungen vornehmen. So waren wir zunächst von recht kleinen Familien ausgegangen, für die nicht mehr als 3-Zimmer-Küche-Bad-Wohnungen gebraucht würden. Das erwies sich ziemlich schnell als Irrtum. Durch den Ausbau des Dachstuhls konnte im nächsten Bauabschnitt der Realität Rechnung getragen werden: es entstanden Wohnungen mit deutlich größerem Zuschnitt. In unserem Bekanntenkreis gab es Kinder, die Contergan-geschädigt waren und nun in ein Alter kamen, in dem sie sich aus dem Elternhaus lösen und selbständig leben wollten. Als einfältig und von einem unbewussten Vorurteil getragen erwies sich die Planung von nur kleinen Wohnungen (1 – 2 ZKB) für diese Menschen. Warum sollten sie allein bleiben ? So wurden die Pläne entsprechend geändert und rollstuhlgerechte Wohnungen mit 3 und mehr Zimmern geschaffen. All diese Wünsche wurden von der Baugesellschaft positiv aufgenommen und in angenehmer Zusammenarbeit mit dem Architekten und der Bauleitung umgesetzt. An diese Planungs- und Bauphasen denke ich gerne und dankbar zurück. Robert Thum: Wie kam es zu der heutigen Struktur, der Gruppierung von geöffneten Innenhöfen ? Wie haben Sie damals die Größe der Hausgemeinschaften ermittelt ? Bruder Ansgar: Angeregt haben uns die mittelalterlichen Beginenhöfe, wie sie noch heute z. B. in Brügge zu sehen sind. Das sind 20 – 25 kleine Häuser mit Gar-
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ten, gedacht für eine Person, um einen Hof gruppiert, mit einer Kirche und gemeinsam genutzten Räumen. Hier hat jeder seinen eigenen Lebensbereich und doch nimmt man einander wahr, ist Interaktion und Kommunikation gegeben und gut möglich, die soziale Kontrolle aber nicht total. Herr Kreutzer wollte zunächst eine noch stärkere Vergemeinschaftung und dachte daran, in einem jedem Hof nur eine gemeinsame Küche und einen großen gemeinsamen Wohnbereich vorzusehen. Diese Idee hatte er wohl in England kennengelernt, hier aber wurde sie umgehend verworfen: Der Rückzugsbereich, den ein Einzelner ebenso braucht wie eine Familie, muss gewährleistet sein. Vergemeinschaftung kann wachsen, aber nicht verfügt werden. Ein jeder muss seine Türe zumachen können und trotzdem einen kompletten Lebensraum haben. Robert Thum: Wurde die Gruppengröße im Gespräch des Symposiums entwickelt ? Haben sich Soziologen oder Pädagogen daran beteiligt und bestimmte Größen vorgegeben ? Bruder Ansgar: Nicht ausdrücklich. Es ist eher ein Erfahrungswert aus klösterli-
chem Kontext, der sich mit Erkenntnissen der Soziologie deckt. In einer Gruppe von 20 – 25 Personen kennt man sich und weiß um einander. Wird die Gruppe größer, verändert sich die Kommunikation, braucht es andere Formen und auch mehr formelle Regelungen. Kann in einer kleinen Gruppe noch jeder sich an Gespräch, Austausch und Entscheidungen beteiligen, muss eine größere Gruppe Verantwortung delegieren, es wird anonymer. Die Bauform der Wohnhöfe hat sich auch in dieser Hinsicht bewährt. Jan-Henrik Hafke: Gibt es weitere Dinge aus dem Kontext des klösterlichen Zu-
sammenlebens, die dort eingeflossen sind ?
Bruder Ansgar: Ja, nicht 1:1, aber sicher analog. In unserer Gemeinschaft gibt es regelmäßige Gesprächsforen, in denen Fragen des Zusammenlebens angesprochen und diskutiert werden, moderiert vom Abt. Sie standen im Schammatdorf Pate für die sogenannten Hofgespräche, ein Forum, bei dem alle Nachbarn eines Hofes zusammen mit der „Kleinen Bürgermeisterin“ Fragen diskutieren und zu entscheiden suchen, die den ganzen Hof angehen wie etwa die Putzordnung, das Rasenmähen, ein Hoffest oder auch Streitigkeiten. Ein Miteinander braucht mehr als ein Minimum an Struktur. Eine von der Baugesellschaft ausgehängte Hausordnung reicht da nicht aus. Diese Beteiligung der Nachbarn war auch für die Baugesellschaft neu und für ihre Hausmeister immer wieder herausfordernd. Hier hat es sich bewährt, dass es gute und regelmäßige Kontakte auch zwischen der Baugesellschaft, der Abtei als ideellem Träger und den Nachbarn gibt.
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Abbildung 4.2 Wohnhof, Schammatdorf
Quelle: Schammatdorf
Dieses Forum existiert bis heute, war aber gerade zu Beginn des Wohnprojektes wichtig, weil die Nachbarn sich nicht selbst ausgesucht haben, sondern ausgesucht wurden und nun zu einander finden mussten. Das Schammatdorf war ja zunächst deutlich eine Initiative „von oben“, nicht „von unten“. Robert Thum: Das Projekt Schammatdorf strebt eine gleichberechtigte Beziehung von Behinderten und Nichtbehinderten an. Gab es besondere Regeln, um das zu gewährleisten ? Bruder Ansgar: Besondere Regeln gab es nicht, wohl aber Faktoren, die dieses Streben begünstigt haben. Zum einen haben die Grundrisse der Wohnungen einen Proporz vorgegeben: nur bestimmte Wohnungen sind rollstuhlgerecht, es sind jeweils drei im Erdgeschoss eines jeden Hofes. Die übrigen sind rollstuhlfreundlich, das heißt sie ermöglichen den gegenseitigen Besuch, durch die nachträglich errichteten Aufzuganlagen auch im Obergeschoss. Zum anderen wurde mit allen Wohnungsbewerbern ausführlich über die Konzeption des Dorfes ge-
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sprochen und ihre Zustimmung zu einem aktiven Zusammenleben, zu Integration und Inklusion zur Voraussetzung einer Wohnungsvergabe gemacht – wohlwissend, dass eine gegebene Zustimmung nicht einklagbar ist. Trotzdem war Augenhöhe nicht von Anfang an gegeben, sondern ein Lernprozess – auch für mich: Wie gehe ich mit Menschen um, die augenscheinlich anders sind als ich, die sich nicht frei bewegen können und/oder Sprachstörungen haben ? Die Verunsicherung lag eher auf Seiten der Menschen ohne sichtbare Beeinträchtigung. Wenn ich auf das Projekt zurückblicke, ist das Wichtigste, was erreicht wurde, dass Menschen, die hier wohnen, keine oder deutlich weniger Berührungsängste mit Menschen mit Behinderungen haben. Für die Kinder, die hier aufgewachsen sind, gehören Rollstuhlfahrer von Anfang an ganz selbstverständlich zu ihrem Umfeld, sie konnten ohne Vorurteile und Berührungsängste aufwachsen – in meinen Augen ein Segen, der sich nicht verliert. Robert Thum: Das Projekt Schammatdorf ist weder sozialer Wohnungsbau, noch
eine Pflegeeinrichtung. War das ein Problem bei der Finanzierung von öffentlicher Seite ? Bruder Ansgar: Ja, es war zunächst ein Problem. Über Herrn Kreutzer kamen wir in einen guten Kontakt und Austausch mit dem Sozialministerium in Mainz. Nach Anlaufschwierigkeiten – das Schammatdorf passte in keinen vorhandenen „Topf “ – fand es Wohlwollen und wurde schließlich zum Pilotprojekt in Rheinland-Pfalz. Robert Thum: Waren die Bewohner am Planungsprozess beteiligt ? Bruder Ansgar: Nicht unmittelbar, da es ja während der Entwicklung der Idee und des Planungsprozesses nur Zielgruppen, aber keine konkreten Personen gab. Doch gab es früh Interesse bei Mitgliedern des oben schon erwähnten „Club Aktiv Behinderter und ihrer Freunde“. Mit diesem Club wurden auch die Pläne diskutiert und es gab wertvolle Hinweise für das, was ein Rollstuhlfahrer braucht. Der jetzige Leiter des Clubs z. B. ist als junger Mann in einen der ersten Höfe eingezogen und hat einige Jahre (bis er selbst gebaut hat) hier gewohnt. Jan-Henrik Hafke: Der Umstand, dass die Umsetzung des Projektes sich etappenweise vollzog, hat doch ermöglicht, dass die Erfahrung der ersten Bewohner in die weitere Planung mit einbezogen werden konnte ? Bruder Ansgar: Ja, natürlich; all die geschilderten Veränderungen an den Bauplänen gehen auf Anregungen der inzwischen eingezogenen Nachbarn zurück. – Mit
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Abbildung 4.3 Alltagsszenen Schammatdorf
Quelle: Schammatdorf
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Abbildung 4.4 Alltagsszenen Schammatdorf
Quelle: Schammatdorf
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einem schon bei Baubeginn bekannten Mangel glaubten wir leben zu müssen: wegen der geringen Geschoßhöhe waren Aufzüge zunächst finanziell nicht darstellbar. Glückliche Umstände haben später zu einer Nachrüstung geführt; so ist auch das Obergeschoss barrierefrei für alle erreichbar. – Ein anderer deutlicher Mangel hat sich erst deutlich nach Fertigstellung der Wohnanlage herausgestellt: Es fehlt an Platz für die heute üblichen Elektro-Rollstühle. Jan-Henrik Hafke: Die Form der einzelnen Einheiten, die dem Archetyp des Hau-
ses entspricht und die Gruppenbildung um die offenen Höfe herum, bildet quasi eine dörfliche Struktur. Das Kloster als Beispiel einer historisch gewachsenen, gemeinschaftlichen Wohnform, funktioniert aber ganz anders. Gab es Erfahrungen, die dort eingeflossen sind ? Woher kam das Bild des Dorfes und die Gewissheit, dass dieses Motiv das Richtige war ?
Bruder Ansgar: Ja, das Kloster, der „große Nachbar“ funktioniert ganz anders. Hier bestimmt eine stark ausgeprägte Vergemeinschaftung, die auch den Arbeitsalltags einschließt, die Architektur; gleichwohl ist auch dieses große Gebäude um einen Innenhof, den Kreuzgang gebaut. Die Assoziation vom „Dorf in der Stadt“ entstand – wenn ich mich recht erinnere – ziemlich unmittelbar und spontan bei der Beschäftigung mit dem Entwurf der Wohnanlage, den Herr Frey im Anschluss an das Symposium vorgelegt hat. In ihm fanden wir unsere Anliegen wieder und geschickt umgesetzt in um einen offenen Innenhof gruppierte anderthalbgeschossige Giebelhäuser, erschlossen durch einen umlaufenden Laubengang, später erweitert durch ein Gemeinschaftshaus in der Mitte der Höfe. Mit dem Stichwort „Dorf “ verbinden sich in diesem Zusammenhang vor allem seine positiven Merkmale: Überschaubarkeit (statt Anonymität) und Zusammengehörigkeit/Solidarität. – Jan-Henrik Hafke: Neben dem Dorf im Kleinen folgt diese große Anlage auch als
Quartier ähnlichen räumlichen Prinzipien. Aus der Gruppe der einzelnen Dörfer entsteht wieder eine Mitte, das Zentrum. Die späteren Bauabschnitte wurden nicht mehr in dieser räumlichen Logik konzipiert. Bruder Ansgar: Der Grundgedanke ist in allen Bauabschnitten durchgehalten; es
gibt eine einzige Ausnahme: „Hof 11“. Er hat keinen Innenhof. Im Abwägen haben wir uns entschieden, auf die Hof-Form zu verzichten, nicht aber auf diese 10 Wohnungen. – Die Jahre später hinzugenommenen Bungalow-Wohnungen vor der Mauer sind lange vor dem Schammatdorf gebaut worden, sie sind dem Wohnprojekt sozusagen „zugefallen“.
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Abbildung 4.5 Wohnhof und Laubengang, Schammatdorf
Quelle: Schammatdorf
Robert Thum: Auf welche Art und Weise funktioniert das Schammatdorf heute und wie wird es organisiert ? Wie ist das organisatorische Verhältnis von Kloster und Schammatdorf ? Bruder Ansgar: Die Abtei ist Eigentümer von Grund und Boden, auf dem die Bau-
gesellschaft im Erbbaurecht im Rahmen und mit Mitteln des sozialen Wohnungsbaus die Häuser errichtet hat. Das Gemeinschaftshaus in der Dorfmitte ist Eigentum der Abtei, finanziert aus Spenden und dem Bewohnerverein zur Verfügung gestellt. Die Mieter werden von der Abtei der Baugesellschaft vorgeschlagen, die auch die Mietverträge abschließt. Hat die Baugesellschaft den Eindruck, dass ein Mieter seinen Zahlungsverpflichtungen nicht nachkommen kann (weil er z. B. schon in einem früheren Mietverhältnis aufgefallen war), kann sie den Mieter nicht ablehnen, wohl aber die Abtei gegebenenfalls für einen Mietausfall in Regress nehmen.
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Einfluss auf die Belegung zu nehmen und so dafür zu sorgen, dass in einem jeden Hof die „Mischung der Profile“ in der Balance bleibt, war uns von Anfang an wichtig. In der Praxis bedeutet das, dass Interessenten zu einem Gespräch eingeladen werden, an dem die Kleine Bürgermeisterin, der von der Abtei für das Schammatdorf bestellte Bruder sowie ein oder zwei NachbarInnen aus dem Hof teilnehmen, in dem eine Wohnung zu vergeben ist. Im Anschluss tauscht sich der Kreis darüber aus, ob der Interessent der gbt als Mieter vorgeschlagen wird. Robert Thum: Es gibt die Kleine Bürgermeisterin. Existieren darüber hinaus noch weitere Betreuungsangebote ? Bruder Ansgar: Nein, nur die „Kleine Bürgermeisterin“ hat eine feste Anstellung. Sie hat die Aufgabe, Initiativen zu sammeln und Sorge dafür zu tragen, dass sie umgesetzt werden. Sie kümmert sich um den Zusammenhalt der Dorfgemeinschaft wie auch um einzelne BewohnerInnen. Ihr Büro hat sie im Schammatdorfzentrum, für dessen Nutzung und Vergabe sie verantwortlich zeichnet. Einmal in der Woche trifft sie sich mit dem Bruder, der von Seiten der Abtei für das Schammatdorf zuständig ist. Ihr Arbeitsvertrag wird auf Zeit geschlossen. Die Stelle sollte nach Möglichkeit alle 5 – 7 Jahre neu besetzt werden. Ein solcher Wechsel in der Leitung bietet zum einen die Chance, die Grundgedanken der Wohnanlage immer wieder neu zu beleben und so der Routine zu entgehen. Zum anderen kann eine Kleine Bürgermeisterin nicht mit allen BewohnerInnen gleichermaßen guten Kontakt haben. Ein personeller Wechsel macht es leichter, Menschen von neuem anzusprechen und einzubeziehen, die sich ein Stück weit zurückgezogen hatten. Jan-Henrik Hafke: Ist die Dauer der Amtszeit der Kleinen Bürgermeisterin fest-
geschrieben ?
Bruder Ansgar: Ja, sie ist festgeschrieben und eine Änderung bedürfte einer neu-
en Vereinbarung.
Jan-Henrik Hafke: Auch die Zusammensetzung der Auswahlgruppe, die die neu-
en Bewohner auswählt, ist festgeschrieben ?
Bruder Ansgar: Ja, das sind die Kleine Bürgermeisterin sowie der Vertreter der Abtei als „geborene Mitglieder“ und zwei Nachbarn aus dem Wohnhof, in dem eine Wohnung frei geworden und neu zu vergeben ist. Die Nachbarn wechseln und werden vom Hof benannt.
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Robert Thum und Jan-Henrik Hafke
Jan-Henrik Hafke: Sie haben beschrieben, dass es für diese Strukturen keine Vor-
bilder gab, dass alles während des Projekts selbst entstanden ist. Ich könnte mir vorstellen, dass es dadurch aber Vorbild für andere Projekte der Art geworden ist.
Bruder Ansgar: In all den Jahren gab und bis heute gibt es Interesse, das Wohnprojekt Schammatdorf näher kennen zu lernen; viele Besucher fanden es anregend, doch eine „Kopie“, ein zweites Schammatdorf, gibt es meines Wissens nicht. Das liegt wohl vor allem daran, dass es die Abtei als ideellen Träger gibt, einen Träger also, der keine Eigeninteressen vertritt, der weder vom Sozialamt der Stadt noch von der Baugesellschaft als Vermieter abhängig ist, sondern eine unabhängige und zugleich vermittelnde Rolle hat. Ganz entscheidend für das Gelingen des Wohnprojektes ist, dass die Kleine Bürgermeisterin weder bei der Stadt, noch beim Land oder der Baugesellschaft, sondern bei der Abtei angestellt ist. Jan-Henrik Hafke: Es gäbe aber auch andere Klöster oder Abteien, die ein solches Projekt umsetzten könnten ? Bruder Ansgar: Ein Benediktinerkloster in der Schweiz hat sich sehr intensiv mit unserem Wohnprojekt befasst; leider weiß ich nicht, ob dort Ähnliches inzwischen realisiert wurde. Robert Thum: Das Thema des gemeinschaftlichen Wohnens ist ein sehr aktuelles Thema. Die Vereinzelung kommt immer häufiger vor und auch aus sozialen, ökologischen und wirtschaftlichen Gründen wäre eine gemeinschaftliche Lebensform sinnvoll. Was glauben Sie sind die Regeln oder Strukturen, die man braucht, um das erfolgreich zu bewerkstelligen ? Bruder Ansgar: Es braucht eine Architektur, die Nähe und Distanz in eine gute Balance bringt, es braucht von allen Bewohnern akzeptierte, aus den Grundideen des Projektes abgeleitete, plausible Regelungen für das Zusammenleben im Alltag und es braucht jemanden, der – finanziell möglichst unabhängig – nicht nur zu koordinieren und zu moderieren weiß, sondern auch als Mediator akzeptiert ist. Jan-Henrik Hafke: Kann man im Kloster den Abt als einen solchen Mediator se-
hen ?
Bruder Ansgar: Ja, ich glaube, dass solche Kompetenz notwendig zum Profil des Abtes gehört; auch wenn sich diese moderne Vokabel so nicht in der Regel findet, trägt das Leitbild des Hirten immer schon auch die Züge eines Mediators.
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Robert Thum: In ihrer klösterlichen Gemeinschaft gibt es eine über tausendjähri-
ge Erfahrung mit Regeln. Welche der Regula Benedicti sind entscheidend für das Zusammenleben ?
Bruder Ansgar: Eine in meinen Augen ganz entscheidende Aussage findet sich im 4. Kapitel der Regel des Hl. Benedikt. Dort wagt er, das vierte Gebot des Dekalogs abzuändern: Nicht nur die Eltern ehren, sondern „alle Menschen ehren – honorare omnes homines“. Diese weitende und zugleich zuspitzende Konkretion ist eine außerordentliche Herausforderung, sie kennzeichnet benediktinische Spiritualität und ist – heute wie damals – prägende Grundlage für alle Formen von Inklusion. Dieser Eingriff in die Zehn Gebote ist nicht am Schreibtisch entstanden, sondern Frucht seiner Erfahrung alltäglichen Zusammenlebens recht bunt zusammengewürfelter Menschen ganz unterschiedlicher Herkunft, Bildung und Charaktere. Mir ist diese Weisung der Regel kostbar und zugleich Schlüssel (kein einfacher !) für gelingendes Zusammenleben gleich welcher Form. Jan-Henrik Hafke: Kann ein Zusammenleben nur dann funktionieren, wenn es
ein höheres oder gemeinsames Motiv gibt ?
Bruder Ansgar: Ja, es braucht etwas, das sich dem Egozentrismus erfolgreich ent-
gegenzustellen vermag. Es braucht Menschen geübt im Gebrauch von Rück- und Seitenspiegel, gewillt und bemüht, „alle Menschen zu ehren“. – Nur mit genügend in dieser Weise engagierter Menschen wird Zusammenleben gelingen, das diesen Namen verdient.
Bruder Ansgar Schmidt OSB (* 1945, Profess 1967) wuchs in Frankfurt am Main auf. Von 1981 bis 2005 war er Abt der Abtei St. Matthias. Von 2004 bis 2018 Präses der Kongregation von der Verkündigung. 25 Jahre (bis 2004) hat er das Wohnprojekt „Schammatdorf “ verantwortlich begleitet; auf diesen Zeitraum nimmt das Interview Bezug.
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4.2 Vita Communis: Alois Peitz im Gespräch mit Robert Thum und Jan-Henrik Hafke „Damit im Allgemeinen gemeinschaftliche Wohnformen funktionieren, bedarf es Regeln. Die Regel, Ordo, Ordnung, Ordnung schaffen. Die Regel, die man sich gibt, damit eine Gemeinschaft hält, sich trägt und in der nächsten Generation fortsetzt, halte ich für eine der Voraussetzungen damit, solche Gemeinschaften funktionieren. In der Vergangenheit waren es Klöster, heute gilt das auch für weltliche Gemeinschaften.“
Robert Thum: Herr Peitz, Sie waren 30 Jahre als Diözesanbaumeister im Bistum Trier tätig. In der Zeit haben Sie über dreihundert Baumaßnahmen betreut, angefangen von der Renovierung der Hohen Domkirche bis hin zur Rettung der zum Abriss bestimmten ehemalige Klosterkirche St. Maximin. Zudem haben Sie sich intensiv mit der geschichtlichen Entwicklung sakraler, beziehungsweise kirchlicher Bautypologien auseinandergesetzt. Welche Bedeutung hatten die Klöster im Mittelalter ? Alois Peitz: Vielleicht sollte man noch einen Schritt zurück gehen. Seit dem Ju-
den-Christentum und der Entwicklung der Klöster, die im vierten Jahrhundert angefangen hat, war die Welt eine religiös-politische Einheit. Alles was religiös passiert ist, war immer auch weltlich, sodass die Klöster nicht aus unserer heutigen Sicht als rein religiöse Veranstaltung verstanden werden sollten, sondern immer auch als weltlicher Akt. Ab dem vierten Jahrhundert haben sich die Christen vom Judentum gelöst. Vorher waren sie ein Teil davon, nannten sich Juden-Christen. In dieser Weltbewegung von Menschen, die in Ägypten, in Irland, nachweisbar in Syrien, in ihren Häusern wohnten, meditierten über diesen Gott und die Welt, entwickelte sich die Idee: Wir sollten zusammenkommen zum gemeinsamen Beten und auch zum gemeinsamen Essen. Die ersten Klöster sind ganz sicher nüchterne Wohnungen. Man trifft sich zum gemeinsamen Beten, Essen, Diskutieren über diesen Gott und sein Wirken in dieser Welt. Erst im sechsten Jahrhundert, aus Gründen der Organisation solcher Treffen, kommt dann der Heilige Benedikt und erfindet eine Regel, wie man diese Gemeinschaft ordnet. Im 11. Jahrhundert muss das unter der Jugend eine starke Bewegung gewesen sein, sich zu verinnerlichen, mehr zu meditieren und es können gar nicht genug
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Klöster gebaut werden. Von Cluny aus heißt es, ein bestimmter Abstand muss eingehalten werden, ehe das nächste gebaut wird. Das Kloster verstand sich in der Gemeinschaft auch als Familie, mit dem Abt, dem „abbas“ als Vater. Die sollten auch nur eine gewisse Größe haben, maximal 150 Personen sagt Benedikt, lieber viel, viel weniger. In dieser Aussteigerbewegung entstehen dann auch vom 11. bis zum 13. Jahrhundert die Klöster in Trier, von Menschen, die eine andere Lebensweise, mit einer anderen Haltung in dieser Welt leben wollen. Auch um den Trierer Dom herum fangen die Domherren an klösterlicher zu leben. Bischof Popo, um das Jahr Tausend, baut an seinen Dom einen Kreuzgang und ein Refektorium, eine Küche nicht für Mönche, sondern für den Welt-Klerus, der in seinen Kurien lebt, aber zum gemeinsamen Gottesdienst, zu den Stundengebeten und zum gemeinsamen Essen an den Dom in den Kreuzgang kommt. Das war ein klosterähnliches Leben, so wie die anderen, die sich dann ohne solche Dienste am Dom, am Ufer Kathrinen Kloster, Marien Kloster, Martins Kloster als Gemeinschaft gefunden haben und versuchen ihr Leben gemeinsam zu organisieren nach dieser Spielregel des Benedikt. Jan-Henrik Hafke: Und dann gab es doch auch noch die Laien im Kloster. Alois Peitz: Das steht im Zusammenhang zu meiner Aussage über die damalige religiös-politische Einheitswelt. Nicht alle im Kloster, auch die Äbte nicht, waren Priester. Der geweihte Priester ist oft erst mit 50 Jahren zum Priester geweiht worden. Die Priesterweihe steht nicht am Anfang. Die Hälfte waren nicht geweihte, die sogenannten Brüder. Der Begriff ist zwar schwimmend, aber im klassischen Sinn ist der Bruder derjenige, der keine Weihe hat und im Wesen Handwerker, Schlosser oder Bauer ist, der aber darüber hinaus die Meditation und die Vertiefung in den Texten der Heiligen Schrift und der Psalmen sucht. Die Psalmen sind bis heute jeden Tag in allen Klöstern dieser Welt zu hören nach der Vesper. Das ständige Wiederholen der Psalmen-Gesänge, der Takt, der Rhythmus, führt zur Vertiefung, zur Meditation und ist eine Art autogenes Training. So empfinde ich es, wenn ich mitmache, unabhängig von allen Inhalten. Benedikt hat im 6. Jahrhundert diese Psalmen für die Tage ausgesucht und die Regel gilt auch heute noch. Robert Thum: Nach Ihrer Tätigkeit als Diözesanbaumeister haben Sie von 2007 bis 2013 das Benediktinerkloster Tabgha am See Genezareth gebaut und sich konkret mit dem Raumprogramm des Klosters auseinandergesetzt. Welche Rolle spielte dabei die Regel des Benedikt für die bauliche Organisation und Form ?
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Robert Thum und Jan-Henrik Hafke
Alois Peitz: Interessant ist, dass es in der Regel des Benedikt und den anderen Regeln die danach kommen, nirgendwo Bauvorschriften gibt. Das erste, was wir Tabgha gesagt haben, als es zu der Beauftragung mit dem Klosterneubau kam, war: Wir nehmen die Regel des Benedikt, da steht sicher drin wie man ein Kloster organisiert. Kein Wort. Stattdessen ist für alle Bereiche beschrieben welche Haltung eingenommen werden soll, selbst für den Pförtner, wie er zu empfangen und sich zu benehmen hat. Wann er da sein muss und wann nicht. Wo es halb offen und halb geschlossen oder transparent sein muss, das ist ganz exakt beschrieben. Von daher gab es mehr als tausend Jahre diese Auseinandersetzung der Mönche mit der Frage, was es denn baulich heißt, was Benedikt aufgeschrieben hat. Jan-Henrik Hafke: Spielt so etwas wie der St. Gallener Klosterplan, der eigentlich
die Blaupause war für die Klosteranlagen im Mittelalter, noch eine Rolle ?
Alois Peitz: Es gab Mönchs-Synoden zum Bauen von Klöstern, die sich nur mit der
baulichen Umsetzung beschäftigt haben. Ein Ergebnis ist der St. Gallener Klosterplan. Aber es gibt auch andere Ergebnisse von Synoden. Das Ganze hat sich so verfeinert, dass es am Ende auch für uns kaum Abweichungen davon gab. Wenn man zum Beispiel das Refektorium, den Speisesaal, betrachtet, abgesehen von funktionalen Aspekten, wieviele Personen darin essen und wieviel Platz sie benötigen, liest man, dass drinnen absolutes Schweigen herrscht. Während des Essens wird gelesen. Es geht nicht nur in den Mund. Es geht auch in die Ohren. Und es ist ein Bedienen von jedem zu dem anderen. Ich kann nicht sagen, dass ich gerne die Butter hätte, sondern habe eigentlich zu warten, bis der andere entdeckt, dass mir die Butter fehlt. Dann reicht er mir die Butter. Das ist bis heute so. Und aus diesen Haltungsfragen, die man in der Regel des Benedikts findet, ergibt sich, dass es ein Raum ist, an dem man nur außen sitzt. Die Tische sind nur einseitig besetzt damit von vorne das Bedienen möglich ist. Und damit auch das Hören vernünftig klappt steht in dem Raum ein Pult oder im Mittelalter eine Kanzel. Für diesen Speisesaal schreibt Benedikt weiter: erinnert euch an die Bibel, an die Beschreibung des Abendmahls. Da fing es an. Das Refektorium ist eigentlich der Abendmahlssaal. In der Rangfolge ist das Refektorium nach der Kirche der zweite Platz innerhalb des Klosters. Es ist ein Raum, der von der häuslichen Essecke, beziehungsweise Esszimmer, völlig abweicht, weil er dieser Haltung und dieser Art des Miteinanders gerecht werden soll. Das geht dann weiter mit dem Kapitelsaal. Nach der Vesper, dem Abendessen, wird immer noch in allen Klöstern dieser Welt ein Kapitel des Benedikt vorgelesen. Dazu gab es in der Geschichte einen eigenen Raum, den Kapitelsaal. Heute
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Abbildung 4.6 St Galler Klosterplan
Quelle: 12th edition of the Encyclopædia Britannica via wikipedia
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ist das der Besprechungsraum, wo die Mönche sich nach Gottesdienst treffen und den Tag besprechen. Aber es gibt ihn weiter im Raumprogramm. So ergibt sich Raum für Raum aufgrund der detailliert beschriebenen Haltung und des Miteinanders das Bauprogramm wie von selbst. Robert Thum: Der Kreuzgang ist für fast alle Klöster, für die gesamte Typologie,
das signifikanteste Merkmal. Geht das auf den Plan von St. Gallen zurück ?
Alois Peitz: Der St. Gallener Plan ist nicht der Anfang, er ist das Ergebnis einer Auseinandersetzung der Mönche mit der Regel des Benedikts, wie das baulich sein könnte. Es gab immer wieder Besprechungen, zum Beispiel im 13. Jahrhundert in Paris, als der Abt von St. Denis noch einmal eine ähnliche Vertiefung macht und einen Plan entwickelt für seine Klöster. Der Kreuzgang ist das Ergebnis der Beschreibung des Miteinanders, des Gemeinsamen. Die Verbindung des Ganzen, wo außer den festen Zeiten, das Psalmodieren im Schreiten praktiziert wird. Es gab aufgrund von Mönchs-Synoden zeitweise die Regel, dass die Kreuzgänge 33 Meter Kantenlänge haben müssen, entsprechend der 33 Lebensjahre Jesu. So weit ist die Vertiefung in die Meditation, dass man Maße mit solchen Jahreszahlen als Grundlage nimmt. Es gibt andere, die bestimmte Psalme oder Verse als Maß des Kreuzgangs verwenden. Man kann den Kreuzgang aber auch einfach als die Verkehrswegerschließung von der Zelle, in den Kapitelsaal, in das Refektorium deklarieren, der erst später durch die Vertiefung der Mönche mit dem Thema der Meditation seine Bedeutung erlangt. Jan-Henrik Hafke: Wobei es auch Klöster mit direkten Wegen gibt, die gar nicht
über einen Kreuzgang führen. Zum Beispiel Kloster Eberbach: Dort ist es möglich, um den Ablauf des ständigen Gebets Rechnung zu tragen, nachts auch direkt hinunter in die Kirche zu gehen. Alois Peitz: Das hat ganz praktische Gründe. Durch den schnellen Ductus das
Stundengebet alle vier Stunden, wollte man schnell aus dem Schlafsaal zum Betstuhl und zurück gelangen. Robert Thum: Der Raum im Zentrum des Kreuzgangs, der Kreuzganghof, war
also nicht zugänglich und kein Ort für Gemeinschaft ?
Alois Peitz: In der Nähe des Refektoriums im Kreuzganghof war oft, angebunden
an den Kreuzgang, die große Brunnenanlage zum Waschen vor dem Essen: Wasche deine Hände ! Es ist aber auch, wenn man die über den Brunnen in den Tex-
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Abbildung 4.7 Abtei St. Matthias, Historische Postkarte 1910
Quelle: wikipedia, siehe: de.m.wikipedia.org/wiki/Datei:Trier,_Rheinland-Pfalz_-_Mathiaskirche_(Zeno_ Ansichtskarten).jpg
ten von Benedikt liest, Hinweis auf das Wasser des Lebendigen und das Wasser des Ewigen, das Thema der Reinigung generell. Es hat immer eine Überhöhung des rein praktischen Gebrauchs gegeben. Jan-Henrik Hafke: Praktischer Gebrauch und Ritual, aber trotzdem ist es kein
Ort der Versammlung. Wir fragen das, denn innerhalb unseres Projekts sind verschiedene Beispiele untersucht worden bei denen der Innenhof gemeinschaftlich genutzt worden ist. Das Familistère in Guise zum Beispiel ist eine Arbeiterwohnsiedlung aus dem 19. Jahrhundert von Godin, eine rektanguläre Anlage mit innenliegenden Laubengängen, die die Wohnungen erschließen. In der Mitte gibt es einen großen Hof, der überdacht wird. Das ist das Herausragende dieser Anlage, dass dieser Hof überdacht und der Gemeinschaft zuteil wird, die ihn für Treffen und Feiern nutzen kann. Das ist ein klarer Unterschied zum klösterlichen Innenhof. Alois Peitz: Ja, völlig richtig. Im Grunde ist das klösterliche Leben ein Einzelleben. Es geht immer zurück auf die Entscheidung des Einzelnen zu einer anderen Le-
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Abbildung 4.8 Bildhauerarbeiten im Kreuzgang der Abtei St. Matthias um 1950
Quelle: Benediktinerabtei St. Matthias
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benshaltung. Das Wohnen für sich in der Zelle. Es gibt die große Gemeinschaft nicht, selbst beim Versammeln zum Essen hat man zu schweigen, im Kapitelsaal werden Kapitel vorgelesen. Den Ort zum Treffen gibt es im Kloster nicht, zum Konzert hören oder Palavern. Es ist nur die Organisation von Einzelnen. Interessant ist, dass das Thema der Einzelnen im Verhältnis zur Gemeinschaft im elften, zwölften Jahrhundert in Synoden diskutiert wurde. Die Klöster sind eine Form der Organisation, um den Einsiedler irgendwie einzufangen, weil man auch erfahren hat, dass das Meditieren allein problematisch ist. Das ist auch eine Bewegung des „In die Welt zurückholen“ und trotzdem sich versenken in der Meditation. Aber im Zentrum steht der Einzelne. Insofern ist das Kloster zunächst kein Modell für das Schammatdorf oder für andere Beispiele gemeinschaftlichen Zusammenlebens. Robert Thum: Le Corbusier war auf seiner Reise nach Italien fasziniert von dem Kartäuser Kloster Chartreuse d’Ema Galluzzo außerhalb von Florenz. Er sah darin die idealtypische Versöhnung von Individuum und Gemeinschaft. In exponierter Lage sind die einzelnen Zellen der Mönche nach außen als klare Baukörper artikuliert. Im Inneren durch den Kreuzgang zusammengefasst. Das asketische und durchstrukturierte Leben entspricht sicherlich auch Le Corbusiers Vorstellung vom modernen gemeinschaftlichen Leben. Gemeinschaft ist eine pragmatische, organisatorische Frage, die die Zurückgezogenheit und Privatheit des Einzelnen ermöglicht. Vielleicht geht es Le Corbusier nicht um dieses gemeinschaftliche Erleben, sondern um die Organisation der Gemeinschaft, die wiederum die Zurückgezogenheit des Einzelnen nebeneinander ermöglicht. Alois Peitz: Die Klöster sind geprägt von der historischen Situation, vom Zeitgeist. Am Anfang stand Benedikt mit der Regel und die Benediktiner. Dann kommt im elften Jahrhundert Bernhard von Clairvaux und sagt: was ihr da macht ist Luxus. Er verfasst ein Manifest gegen den Luxus des Bauens und des Lebens. Das ist die romanische Zeit. Die Klöster die dann entstehen, zum Beispiel Cîteaux und andere, sind absolut zurückgenommen. Danach kommen die Kartäuser. Dann kommen die Mystischen und die Dominikaner, das ist die Zeit der Gotik, die wieder anders mit dieser Lebensweise umgehen. Dann kommen die Jesuiten, das ist die Zeit des Manierismus. Sie organisieren sich auch dementsprechend nicht mehr als Kloster, sondern so das heißt es dann, als Residenz. Ich habe vor ein paar Jahren in Berlin eine Jesuiten-Residenz betreuen dürfen. Das ist der Kloster-Gedanke in völlig anderer Weise, aber ein Kloster, das seiner Zeit entspricht.
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Robert Thum und Jan-Henrik Hafke
Und dann kommt nach der Reformation und nach dem Dreißigjährigen Krieg die Haltung, seine Macht zu demonstrieren. Die Adeligen sind in den Klöstern und feiern ihren Triumph. Das ist weit weg vom ursprünglichen Verständnis von Kloster. Es kommen die Kommenden, das heißt, dass der Staat, der König oder eine Stadt den Abt beruft, einen Adeligen, der mit dem Klosterleben innerlich nicht mehr viel zu tun hat. Da driftet es von den Ur-Ideen ab und wird dann auch stadtbildend. Escorial ist das Schloss oder Mont-Saint-Michel, das Kloster als Festung. Plötzlich werden weltliche Funktionen mit dem Kloster verbunden. Die Entwicklung insgesamt geht vom Einzelnen, der als Anachorit ein Aussteiger ist, über den Versuch im 4., 5. und 6. Jahrhundert das Leben gemeinsam in Klöstern zu organisieren, zu einer zunehmenden Verweltlichung und kippt am Ende. Heute kann es oft nur mit einer äußeren Gewalt oder mit einer unzeitgemäßen Form erhalten bleiben. Es gibt allerdings auch ganz moderne Bewegungen, zum Beispiel begründete Charles de Foucauld eine Klosterbewegung von kleinen klösterlichen Wohnge meinschaften. Die Mönche leben zu dritt in ihrer Wohnung und machen klösterliches Leben, nachdem sie acht Stunden Arbeit hinter sich haben. Erst dann fangen sie an zu meditieren. Es ist eine Form der Wohngemeinschaft, die es weltweit gibt. So gibt es dieselbe Art in ganz modernen Formen, aber immer isoliert. Es bedeutet immer: Ich will für mich meine Beziehung zu Gott auf ganz besondere Weise regeln und schließe mich einer Gemeinschaft an, die das organisiert. Robert Thum: Ora et Labora ist der wohl geläufigste Benediktinische Grundsatz. Welche Rolle spielt die Arbeit für das klösterliche Leben ? Alois Peitz: Mit der Arbeit sind einige explosive Momente im System eingebaut. Zum einen ist da die Armut. Der Mönch gibt das Gelübde der Armut. Er hat kein Geld, verdient nichts. Er wird einfach versorgt. Auf der anderen Seite das Ethos des Fleißigseins. Das wiederum führt bei der Arbeit zum Erfolg. Das Labora in Ora et Labora wird so gut gemacht, dass das Kloster plötzlich ein erfolgreiches Wirtschaftsunternehmen wird. Ihre Arbeit, hier in Trier, ist das Betreiben der Weinberge gegenüber dem Kloster. Sehr schnell haben sie so viel Wein, dass sie dafür Güter brauchen. Man baut bei Mertesdorf das Grünhaus. Irgendwann muss der Abt einen Brief an seine Mönche schreiben, mit der Botschaft ab sofort aufzupassen, und wenigstens Sonntagmorgen in der Zentrale in St. Maximin zu bleiben, solange noch Gottesdienst ist und erst danach auf die Weingüter zu gehen. Denn die Mönche haben nur noch draußen gelebt und das klösterliche Leben brach zusammen.
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Die Klöster hatten so viel Besitz, dass die politisch tätig wurden. Sie waren im 7. und 8. Jahrhundert reichsunmittelbar geworden, unterstanden direkt dem Kaiser und dem Papst und waren von der Stadt Trier unabhängig. Sie kaufen Städte und Dörfer bis nach Koblenz und entlang der Saar. Das kann man heute noch sehen an Namen wie Maximiner Hof oder Maximinerstraße. Da wird das Ora et Labora und die Verpflichtung zur Armut, die Falle, in die sie reintappen. Robert Thum: In der vorindustriellen Zeit gab es die heute übliche Trennung von Wohnen und Arbeiten nicht. Man wohnte da, wo man arbeitete. Mit der Industrialisierung kam es zur räumlichen Trennung. Während die Klöster früher weitgehend autark operierten, waren sie nun eingebunden in die Marktwirtschaft. Aus den Klöstern verschwand die Arbeit, die Klöster an sich waren nicht mehr im ursprünglichen Sinn produktiv. Was bedeutet das für die gemeinschaftliche Organisation ? Alois Peitz: Heute besteht die Gefahr darin, dass die Arbeit wegbricht. Auf der Webseite des Klosters Tabgha zum Beispiel schreiben die Mönche, wie wichtig Ora et Labora ist. Unter Labora verstehen sie das Verschicken eines Rundbriefes oder die Betreuung der Homepage aufbauen. Sie suchen fast verzweifelt dieses Thema Labora noch zu füllen. Wenn das in Klöstern ganz wegbricht, ist das problematisch. Ich kann mir niemanden vorstellen, der nur das Ora Leben kann, dann kannst du nur verzweifeln. Vor sieben Jahren wurde für das Kloster Tabgha in Jerusalem ein Abt gewählt. Die Mönche wählten einen irischen Gelehrten, der in Israel bekannt war durch Vorträge und Vorlesungen an der Hebräischen Universität. Weihnachten 2017 packt eer seinen Koffer und sagt, Ich gehe zurück nach Irland. Tut mir leid. Er tritt aus der Kirche aus und ist jetzt Anglikaner, wie man weiß. In St. Matthias ist einer der Mönche beim Stadtplanungsamt, ein anderer ist am Gericht beschäftigt. Man versucht das durch andere Möglichkeiten heute aufzufangen, aber das ist, glaube ich, die größte Herausforderung für die Klöster alten Stils. Oder aber man versucht, grade in den Benediktiner Klöstern, Aufgaben je nach Lage zu finden. Die Mattheiser in Trier zum Beispiel haben die Aufgabe, im kulturell-wissenschaftlichen Bereich tätig zu werden. In Jerusalem hat das Kloster unter anderem die Aufgabe, sich um die deutschsprachigen Pilger zu kümmern. In Tabgha sind es ganz eindeutig soziale Aufgaben. Sie haben ein Behindertenzentrum aufgrund der warmen Quelle des Jordans für israelische und palästinensische Behinderte, die dort drei Monate mit ihrer Familie leben können. Und die
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Mönche betreuen diese zusammen mit jugendlichen Volontären aus Deutschland und weltweit. Jan-Henrik Hafke: Gibt es Parallelen zu St. Matthias ? Das Kloster St. Matthias ist
ja Mitbegründer des Schammatdorf, es selbst ein integratives Wohnprojekt für Menschen mit Behinderung. Alois Peitz: Ich denke schon, dass die geistigen Väter im Kloster überlegt haben: Wir haben vom Heiligen Benedikt erfahren, wie man Gemeinschaft organisieren kann. Können wir das nicht auch neben dem Kloster anbieten für Gruppen aus der Gesellschaft, die der besonderen Organisation bedürfen ? Der damalige Bruder Ansgar Schmidt fand im Sozialamt der Stadt Trier den Herrn Kreuzer, Bürgermeister und Beigeordneter für Soziales, ein ungeheuer karitativer, charismatischer Typ. Der hatte die Idee eines solchen Projekts und ging auf die Mönche zu. Die Mönche gaben das Grundstück und bestellten die Bürgermeisterin. Das Schammatdorf ging aus diesen zwei Quellen hervor. Jan-Henrik Hafke: Was das klösterliche Leben auszeichnet, ist doch, dass Regeln
geschaffen werden und Orte um diese Regeln auszuüben. Auch damit im Allge meinen gemeinschaftliche Wohnformen funktionieren, bedarf es Regeln. Der Erfolg des Schammatdorfes rührt auch daher, dass es dort ganz klare Regeln des Zusammenlebens gibt, schon bei der Auswahl der Bewerber. Es gibt ganz viele Beispiele, wo solche gemeinschaftlichen Wohnformen nicht funktionieren. Unsere Vermutung ist, dass es eigentlich keine Motivation und deshalb auch keine Regeln für das Zusammenleben gibt. Alois Peitz: Das finde ich sehr gut. Die Regel, Ordo, Ordnung, Ordnung schaffen. Ich habe erlebt, dass Geistliche, die mit dem Zölibat eine besondere Form des Lebens haben, eine vita communis gründen. Mehrfach habe ich Pfarrhäuser in Trier für eine vita communis umbauen müssen, zu viert oder dritt, mit einer Bibliothek, mit einer Küche, und einer Haushälterin. Sobald einer ausschied, hat man keinen neuen Bewohner gefunden. Die vita communis hat sich immer aufgelöst. Die Regel, die man sich gibt, damit eine Gemeinschaft hält, sich trägt und in der nächsten Generation fortsetzt, halte ich für eine der Voraussetzungen damit, solche Gemeinschaften funktionieren. In der Vergangenheit waren es Klöster, heute gilt das auch für weltliche Gemeinschaften.
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Das Wohnen im Kloster als gemeinschaftliche Lebensform Ergebnisse einer Befragungsstudie im Kloster St. Matthias Tim Schneider
Im Laufe der Menschheitsentwicklung war die Kernfamilie die wohl historisch ursprüngliche, vor allem aber häufigste private Lebensform (Hill/Kopp 2013). Gerade die aktuellen Entwicklungen und Diskussionen, die Veränderungen demographischer Grundprozesse und die mit dem Prozess der Modernisierung einhergehenden Individualisierungs- und Wahlmöglichkeiten stellen die Selbstverständlichkeit traditioneller und bewährter sozialer Institutionen in Frage und eventuell machen diese Entwicklungen teilweise sogar neue Lösungen erforderlich. Dies betrifft nicht nur die Organisation sozialer Sicherungssysteme oder die Umgestaltung des Arbeitslebens angesichts zunehmender Automatisierung und der Zunahme sogenannter künstlicher Intelligenz in vielen Bereichen. Eine weitere Aufgaben betrifft auch die Gestaltung der sogenannten Reproduktionssphäre und die in diesem Band zusammengestellten Arbeiten und Überlegungen wollen die Frage prüfen, inwieweit neue und alternative Formen des Zusammenlebens tragfähig und eventuell vielleicht sogar zukunftsweisend sein können. Wie kann gemeinschaftliches Leben also organisiert sein ? Um dieser Frage nachzugehen, soll hier der Blick auf ein eventuell überraschendes Feld geworfen werden, in dem schon seit langer Zeit andere Lebensformen praktiziert werden. Im Laufe der geschichtlichen Entwicklung nehmen klösterliche Wohnformen in diesem Zusammenhang eine besondere Stellung ein, denn sie bilden seit langem eine Alternative zum üblichen Leben im Familienverband. Klöster sind Anlagen, in denen Menschen zusammenleben, um ihr rings um den Glauben zentriertes Leben gemeinsam zu verbringen. Es liegt also nahe, diese im christlichen Zusammenhang mehr als eineinhalbtausend Jahre Tradition einmal näher zu betrachten und daraufhin zu untersuchen, ob sich hier Folgerungen für die allgemeine, hier verfolgte Fragestellung ableiten lassen.1 1
Wie die entsprechenden Überblicksarbeiten, aber selbstverständlich auch die Darstellun-
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 J. Kopp et al. (Hrsg.), Gemeinschaftliche Wohnformen zwischen Entfremdung und Resonanz, https://doi.org/10.1007/978-3-658-26048-4_6
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Es ist einer der Vorteile einer empirisch orientierten Sozialforschung, dass diese Aufgabe nicht allein aufgrund rein theoretischer Spekulationen beantwortet werden muss, sondern dass man sich hierzu mit Hilfe der unterschiedlichsten methodischen Verfahren und Vorgehensweisen der konkreten Lebenswelt zuwenden kann. Bevor wir dieses konkrete Vorgehen und vor allem die entsprechenden empirischen Erfahrungen und Ergebnisse berichten können, erscheint es angebracht, zuerst einige allgemeine Überlegungen zur Geschichte des Klosters und des klösterlichen Lebens voranzustellen (Abschnitt 4.1). In diesem Zusammenhang ist es angemessen, einige soziologische Überlegungen und theoretische Skizzen zum Ideal eines gemeinschaftlichen Lebens zu diskutieren (Abschnitt 4.2). Danach gilt es, kurz das eigentliche methodische Vorgehen zu schildern (Abschnitt 4.3), bevor dann endlich die inhaltlichen Ergebnisse zum gemeinschaftlichen Leben in einem Kloster im 21. Jahrhundert vorgestellt werden (Abschnitt 4.4). Der Versuch, die wichtigsten Ergebnisse zusammenzufassen und ihre Bedeutung für gemeinschaftliches Wohnen in modernen Gesellschaften zu diskutieren, beendet diese Überlegungen (Abschnitt 4.5).
5.1 Zur Geschichte des Klosters und des klösterlichen Lebens Allgemein wird mit dem Begriff Kloster eine bauliche Anlage verbunden, in der die Bewohner in einer gemeinschaftlichen und von der Außenwelt abgegrenzten, auf eine besonders intensive Verwirklichung ihres Glaubens ausgerichtete, Lebensweise zusammenleben (vgl. Frank 1993: 23 f.). Die Klosteranlage selbst besteht aus dem kirchlichen Bauwerk als prachtvollen Mittelpunkt sowie den Wohnund Wirtschaftsgebäuden. Nicht selten wird das Gelände durch hohe Mauern geschützt. Der westliche Kulturraum zeichnet sich insbesondere durch christliche Klöster aus, die größtenteils der katholischen und orthodoxen Kirche zugehörig sind. Dennoch sollen an dieser Stelle sowohl die protestantischen und ökumenischen Klostergemeinschaften wie auch die Einrichtungen asiatischer Religionen eine kurze Erwähnung finden. Diesbezüglich sind insbesondere die Wohnanlagen buddhistischer Mönche sowie die Gebets- und Meditationszentren hinduistischer Gemeinschaften – die ebenfalls als Klöster bezeichnet werden – zu nennen.
gen im Internet rasch klarmachen, finden sich natürlich auch außerhalb des christlichen Bereichs entsprechende Formen, die hier jedoch nicht näher vorgestellt oder diskutiert werden können.
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Das Wort Kloster selbst ist auf das lateinische claustrum zurückzuführen und kann mit ‚verschlossener Ort‘ übersetzt werden. Der Begriff zielt dabei auf die Klausur, den für Außenstehende nicht zugänglichen Wohnkomplex der Mönche, ab. Neben der räumlichen Trennung ist die Namensgebung nicht zuletzt auch auf die bewusst spirituelle Abgrenzung der Ordensleute zurückzuführen. „Die Heimat des christlichen Mönchtums ist der Orient, sein Mutterboden das christliche Eremitenwesen, und dieses ist aus der altchristlichen Askese erwachsen. Nach dem Auftrag Jesu Christi und der Apostel wussten die Christen, dass sie sich nicht an diese Welt verlieren, ihr gleichförmig werden sollten. Damit waren Verzicht und Enthaltsamkeit vielfacher Art angemahnt, um das wahre, das ewige Leben zu gewinnen“ (Schwaiger/Heim 2008: 9). Erste Hinweise auf sich entwickelnde Strukturen werden auf die zweite Hälfte des dritten Jahrhunderts unserer Zeitrechnung datiert (Frank 1993: 20). Zurückzuführen sind diese auf einzelne Christen und Eremiten, die sich in die Wüsten Ägyptens und Palästinas zurückzogen, um dort mit Hilfe einer asketischen Lebensführung durch Einsamkeit und Kontaktlosigkeit die Vervollkommnung der eigenen Seele zu erfahren (vgl. Gleba 2006: 6 f.). Sie verließen dabei ihre Familien, schenkten ihre Besitztümer den Armen und legten sich freiwillig verschiedene Beschränkungen auf. Der heilige Antonius stach seinerzeit aus den zahlreichen namenlosen Wüstenasketen heraus und wird bis heute als Vater dieser Bewegung verehrt (Hawel 1993: 13). Ihm folgte mit der Zeit eine ganze Schar Eremiten und es entstanden informelle Verbindungen zur gegenseitigen Unterstützung und zum geistigen Austausch. Bereits zu dieser Zeit war von asketischem Mönchtum die Rede (Gleba 2006: 6 f.), die auch Regeln für das Zusammenleben innerhalb der Gemeinschaft aufstellten. Dem raschen Zuwachs können dabei vielerlei Gründe zugeschrieben werden: Neben religiöser Überzeugung spielten sicher auch die Suche nach Schutz vor Strafverfolgung als Christ und das Aufgehobensein in einer Gemeinschaft von Gleichgesinnten eine große Rolle. Durch die Menge an Menschen und der damit einhergehenden Unübersichtlichkeit splitteten sich die Gemeinschaften in mehrere Gruppen mit dorfähnlichen Strukturen (Gleba 2006: 9). Mit der Zeit umschlossen einige ihre Zellen mit einer gemeinsamen Mauer, die man jedoch in der Regel nicht als Kloster im traditionellen Sinne ansieht, da hier keine Hierarchie und keine Ordensregeln bekannt sind (Hawel 1993: 44). Diesen Schritt wagte als erster Pachomius um das vierte Jahrhundert unserer Zeitrechnung in der Wüste Theben. Dort errichtete er ein Kloster für mehrere hundert Mönche nach dem heutigen Verständnis. Er hinterließ insgesamt zwölf Männerklöster und zwei Frauenkonvente, in denen ungefähr 12 000 Personen gelebt haben sollen (Hawel 1993: 13). Im Laufe der Zeit weiteten sich diese Gemeinschaften über Italien in Richtung der römischen Provinzen nördlich der Alpen und Pyrenäen aus, sodass die eremitische Lebensform auch in
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Europa bekannt wurde und sich zu einem Lebensideal männlicher und weiblicher Christen entwickelte. Bereits im 5. Jahrhundert galt das Eremiten- und Mönchtum als allgemein üblich und genoss das Renommee eines eigenständigen kirchlichen Standes. Das Mönchtum galt als vornehmste Weise, Gott zu folgen (vgl. Hawel 1993: 14). Dabei weist das Mönchtum vier Änderungen zum Eremitenleben auf, die größtenteils bis zur heutigen Zeit Bestand haben. Alle Mönche leben unter einer verbindlichen Regel und bleiben grundsätzlich in ein und demselben Kloster. Sie gehorchen einem Abt, der in allem die Verfügungsgewalt besitzt. Er wird nicht von den Mönchen gewählt, sondern vom Klosterstifter eingesetzt beziehungsweise vom Vorgänger bestimmt. Nur die Gemeinschaft, das Kloster, darf Vermögen besitzen, der einzelne bleibt nach wie vor besitzlos. Eine unüberwindliche Mauer trennt das Kloster von der Welt und ersetzt dadurch gewissermaßen die trennende Wüste (Hawel 1993: 45 f.). Der Klosteralltag war strikt durchstrukturiert und zeichnete sich durch den Wechsel zwischen Gebet, Arbeit und Erholung aus. Stellte ein Bruder damals fest, dass die praktizierte Lebensweise nicht mehr seinen persönlichen Vorstellungen entsprach, konnte er jederzeit und ohne größere Schwierigkeiten das Kloster verlassen und zu seinem vorherigen Leben zurückkehren. Aus der Klostergemeinschaft ausgeschlossen wurde nur, wer besonders schwerwiegende Verstöße begangen hatte. Aber auch in anderen Regionen entwickelten sich eigenständige Formen klösterlichen Lebens (Frank 1993: 28). Aufgrund der monastischen Prägung der gesamten christlichen Welt zu dieser Zeit entstanden auch in Italien, Nordafrika, Spanien und Südgallien asketische Kreise, aus denen klösterliche Gemeinschaften entstanden sind (Hawel 1993: 52). Mit den Anfängen des Mönchtums im Abendland Mitte des 5. Jahrhunderts wurde auch die Verbindung von Askese und Studium zunehmend zur Selbstverständlichkeit (vgl. Frank 1993: 35 f.). Klöster entwickelten sich in der Folge zu den Zentren des kirchlichen Lebens, ihr Oberhaupt waren die jeweiligen Äbte. Mit der Zunahme der Neugründungen von Klosteranlagen im heutigen Europa nahm auch die Fülle an Klosterregeln zu. Dadurch entstand auch ein breites Mönchstum. Dieser Begriff steht grundsätzlich für eine besondere Lebensform, die vor allen Dingen geistlich geprägt ist. Der Glaube steht im Mittelpunkt der Gemeinschaft und verbindet die verschiedenen Individuen miteinander. Um das eigene Leben einem spirituellen Ziel zu widmen, orientieren sich die Mitglieder der Gemeinschaft an asketischen Idealen (Frank 1993: 181 f.). Auch die Mönche der Moderne bedienen sich dabei offensichtlich insbesondere an den über Jahrhunderte hinweg gesammelten Erfahrungen und Wissensbeständen früherer Ordensgemeinschaften. Die im Kloster praktizierte klösterliche Lebensweise christlicher Mönche und Nonnen wird, wie bereits erwähnt, als monastisch bezeichnet. Das Wort Mönch leitet sich ab vom griechischen μοναχός und kann mit ‚allein Lebende‘ ins Deutsche übersetzt werden (vgl. Schwaiger/Heim 2008:
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10). Somit steht es dem Gemeinschaftsaspekt scheinbar zunächst einmal entgegen. Neben diesen Gesichtspunkten ist die monastische Lebensform in traditionellen Klöstern vor allem durch individuelles Gebet, Einkehr, Stille, körperliche Arbeit, geistiges und geistliches Studium sowie Gastfreundschaft geprägt. Das Leben in der klösterlichen Gemeinschaft ist strikt geordnet. Des Weiteren nehmen neben Gehorsamkeit dem Abt gegenüber, auch Enthaltsamkeit und Nächstenliebe eine zentrale Rolle ein. Außerdem ist der Verzicht auf – übermäßigen – privaten Besitz ein typisches Kennzeichen der Bewohner eines Klosters. Bis auf wenige persönliche Besitztümer wird alles innerhalb der Gemeinschaft geteilt. Ein weiteres Merkmal monastischer Orden ist zudem, dass die Mönche und Nonnen mit ihrem Eintritt in der Regel eine lebenslange Bindung eingehen und nur aufgrund besonders dringlicher Umstände zu einer anderen Gemeinschaft wechseln oder gänzlich mit dem Klosterleben abschließen (vgl. Benediktiner Gemeinschaft 2017b). Klöster übernahmen im Laufe der historischen Entwicklung auch immer mehr politische Funktionen und machtpolitische Aufgaben, dienten aber auch als klassische Bildungsstätten. Beginnend mit der Reformation, spätestens mit der Aufklärung und der zunehmenden Bedeutung von Städten verlieren die Klöster aber diese Aufgaben. Wenn man damit den geschichtlichen Überblick beschließt und sich der heutigen Situation zuwendet, so kann man festhalten, dass es bis heute auf europäischem Boden zahlreiche Klosteranlagen gibt. Die dort lebenden Ordensleute orientieren sich bei ihrer Alltagsgestaltung an den Überlieferungen traditioneller Klostergemeinschaften, vielfältige Parallelen zur klösterlichen Lebensweise vergangener Tage sind immer noch erkennbar. Typische Elemente dieser Lebensform wurden dabei bewusst beibehalten: So gehen die Mönche und Nonnen mit ihrem Eintritt in das Kloster in der Regel immer noch eine lebenslange Bindung ein und werden auch nicht in andere Klöster versetzt. Trotzdem – oder gerade aus diesem Grund – sinken die Zahlen der Menschen, die eine monastische Lebensweise praktizieren möchten, rapide. Insgesamt leben in Deutschland rund 25 000 Personen in etwa 2 300 Klöstern. Mit rund 19 300 Nonnen in 420 Orden stellen Frauen hier die überwiegende Mehrheit (Katholische Kirche in Deutschland 2015). Die meisten Klöster sind zudem katholisch, in den letzten Jahrzehnten finden sich aber auch sogenannte protestantische Kommunitäten. Die katholischen Klöster wurden dabei von rund 430 Orden geleitet. Insgesamt nimmt die Zahl der Ordensmitglieder in Deutschland jedoch drastisch ab.2 In diesem Kontext ist es außerdem 2
Während es im Jahre 1965 hierzulande noch 100 000 Nonnen gab, waren es 2014 nur noch knapp 18 000. Zwischen den Jahren 1994 und 2014 halbierte sich die Zahl sogar. Die Zahl der Novizinnen ging um rund 98 Prozent zurück. Bei den Ordensmännern ist im Vergleich zu 1977 ein Rückgang von 50 Prozent zu verzeichnen.
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interessant, die Altersstruktur der Klosterbewohner in Deutschland zu analysieren: Während 84 Prozent der Ordensfrauen über 65 Jahre alt sind (vgl. Deutsche Ordensobernkonferenz 2017a), ist die gegenwärtige Situation bei den Mönchen mit 55 Prozent derzeit noch etwas entspannter (vgl. Deutsche Ordensobernkonferenz 2017b). Nichtsdestotrotz sind die Folgen spürbar: Viele Konvente haben inzwischen ihre angestammten Sitze verlassen und sind gezwungen, sich mit anderen Klöstern zusammenzuschließen (vgl. Pick 2016).
5.2 ‚Gemeinschaft‘ aus dem Blickwinkel der Soziologie Wahrscheinlich verbindet jeder mit dem Begriff der Gemeinschaft unmittelbar bestimmte Vorstellungen. Auch die Soziologie beschäftigt sich sehr detailliert mit dem Begriff der Gemeinschaft und ist sich dabei selbst uneins, wie dieser in den gesellschaftlichen Kontext einzuordnen ist. Die soziologische Debatte auf diesem Gebiet ist zunächst einmal auf Ferdinand Tönnies’ Schrift ‚Gemeinschaft und Gesellschaft‘ aus dem Jahre 1887 zurückzuführen. Mit Gemeinschaft verbindet die Soziologie besonders enge und vertraute Formen menschlichen Zusammenlebens (Schäfers/Lehmann 2018: 125). Diese beziehen sich auf unterschiedliche Lebensbereiche. Als ursprünglich und gemäß dem menschlichen Wesen werden die Familie, Nachbarschaft, kleine Gemeinden und Freundesgruppen als Gemeinschaft angesehen. Dabei handelt es sich um eine Gruppe, die durch eine positive Verbindung untereinander nach innen und nach außen wirkt. „Das Verhältnis selber, und also die Verbindung, wird (…) als reales und organisches Leben begriffen – dies ist das Wesen der Gemeinschaft“ (Tönnies 2017: 19). Dementgegen steht der Begriff der Gesellschaft, der als ideell und mechanisch gebildet bezeichnet wird. Mit Gesellschaft verbinden sich die Öffentlichkeit und die Welt. Gemeinschaft oder Gesellschaft stehen in einem dauerhaften Spannungsverhältnis. Wird Gemeinschaft im Sinne sozialer Bindungskräfte als soziale Einheit konzipiert, können gesellschaftspolitische Konnotationen und ideologische Verzerrungen des Gemeinschaftsbegriffs vermieden werden. Mit Gemeinschaft ist „keine formale Gruppe gemeint (…), sondern jenes konjunkte Zusammensein von Individuen, über den sich soziale Handlungsbezüge und Zugehörigkeiten erst formieren“ (Grundmann 2006: 14). Wenn Gemeinschaft jedoch aus solch einer Perspektive hergeleitet wird, dann kann sie nicht als Gegenmodell zur Gesellschaft dargestellt werden. Vielmehr bildet sie einen Teil davon. Gemeinschaft und Gesellschaft können demnach als Idealtypen verstanden werden (vgl. Dierschke 2006: 79). Die entstehenden Strukturen neigen dazu, sich von den sozialen Akteuren zu lösen und in der Folge jenseits konkreter Handlungsbezüge als eigene Funk-
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tionsbereiche und Systeme fortzubestehen. Sie geben den Akteuren so spezifische Handlungsrationalitäten vor (vgl. Grundmann 2006: 17). So leben Menschen seit jeher in sozialen Gemeinschaften zusammen. Der Prototyp menschlicher Gemeinschaft ist die Familie und wird daher auch als Grundform der Gemeinschaft bezeichnet. Soziale Gemeinschaften eignen sich besonders gut, um die grundlegenden Charakteristika aller Gemeinschaften zu verdeutlichen. Sie weisen wesentliche Faktoren des sozialen Zusammenlebens wie Intimität, Reziprozität und Kommunikation auf. Soziale Gemeinschaften müssen sich im Alltäglichen neu zusammenschließen und bewähren. Diese Ausgestaltung des Miteinanders kann sich nach Weber dabei von den verschiedenen Formen des privaten Zusammenlebens bis hin zu Beziehungen im öffentlichen Raum erstrecken (vgl. Grundmann 2006: 15 f.). Gemeinschaftlichkeit ist gekennzeichnet durch die Übereinkunft sozialer Akteure über gemeinsame Werte, Ziele und Interessen. Das Gemeinschaftliche ergibt sich dabei durch wechselseitig reproduzierte Handlungsbezüge und Austauschbeziehungen, die sich aus gemeinschaftlich akzeptierten Regeln des Miteinanders herleiten. Durch die Dichte der Kommunikationsstrukturen geht mit der Stärkung des Inneren gleichzeitig auch eine Abgrenzung nach außen einher. Je nach Grad der Strukturiertheit der Beziehungen und der formalen Organisation der Gemeinschaft, wird bei sozialen Gemeinschaften zwischen privater und öffentlicher Lebensführung unterschieden. ‚Intentionale Gemeinschaften‘ versuchen, diese beiden Formen sozialer Gemeinschaft zu vereinen (vgl. Grundmann 2006. S. 22 f.). Dabei deutet sich die Bestimmung von sozialen Gemeinschaften als Phänomen der Moderne an. „Es ist die Suche nach dem ‚Paradies auf Erden‘, dem ‚guten Leben im Hier und Jetzt‘, die letztlich als Ausdruck einer Heilsbewegung angesehen werden kann und nicht selten durch charismatische Führer angeleitet wird“ (Grundmann 2006: 20). Ganz gleich, ob die Intention eine politische, religiöse, esoterische oder ökologische ist, mit ihnen geht nicht selten eine Tendenz zum profanen, weltlichen und oftmals als entfremdet empfundenen Dasein einher. Soziale Gemeinschaften stellen soziale Lebens- und Wohngemeinschaften dar und zeichnen sich durch eine sozialräumlich begrenzte und auf die Lebensführung im Alltag bedachte Organisation des Zusammenlebens aus. „Dazu gehören aber auch (…) religiöse bzw. spiritualistische Lebensgemeinschaften, die einem sozialpolitischen, mitunter auch visionären Ideal folgen, das sich in spezifischen Alltagspraktiken des Zusammenlebens (wie z. B. Ritualen, Regelwerken etc.) ausdrückt“ (Grundmann 2006: 22). Sie sind vor allem auf den Gründungsboom christlicher Klöster im Mittelalter zurückzuführen. Auch andere Kulturkreise kennen Gemeinschaften mit religiösem Hintergrund, die eine Alternative zur modernen Gesellschaftsordnung aufzeigen und es sich zur Aufgabe machen, Individuen bei ihrer Suche nach dem Sinn des Lebens zu begleiten.
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Des Weiteren lassen sich soziale Gemeinschaften vor dem Hintergrund von Modernisierungs- und Individualisierungsprozessen auch gesellschaftstheoretisch bestimmen. Im Zuge von Mobilisierungs- sowie Globalisierungstendenzen und dem damit einhergehenden Verlust von Nahraumbeziehungen, wird sozialen Gemeinschaften vor allem eine Identität stiftende Aufgabe zuteil. Oftmals führen diese mit der Hoffnung, eine gute Gesellschaft bereits im Hier und Jetzt zu finden, zu alternativen Lebensformen. Soziale Gemeinschaften übernehmen dabei die Aufgabe, Menschen mit ihren unterschiedlichen Bedürfnissen nach individueller Lebensführung zu vernetzen und nehmen daher den Charakter einer sozialen Bewegung an. Im Zuge der Industrialisierung und Verstädterung des 19. Jahrhunderts fand mehr und mehr ein Wandel von gemeinschaftlichen zu gesellschaftlichen Sozialverhältnissen statt. Anonymität und Abstraktion innerhalb der Gesellschaft nahmen dabei in großem Ausmaße zu. Bis heute ist die Rückgewinnung gemeinschaftlicher Lebensverhältnisse und Arbeitsformen Ziel sozialer und politischer Bewegungen.
5.3 Methodisches Vorgehen Das grundlegende Interesse dieses Beitrags liegt in der soziologischen Analyse der gemeinschaftlichen Lebensweise in einem Kloster. Schwerpunktmäßig soll dabei die Kombination aus privaten und gemeinschaftlich genutzten Wohnräumen und den daraus entstehenden Unannehmlichkeiten, gleichzeitig aber auch Mechanismen zum Überwinden selbiger näher untersucht werden. Im ersten Moment mögen studentische Wohngemeinschaften als geeignetes Beispiel erscheinen, jedoch sind diese oftmals nur auf einen vergleichsweise kurzen Lebensabschnitt begrenzt und tendenziell eher durch ein hohes Maß an Fluktuation gekennzeichnet. Viel interessanter sind in diesem Zusammenhang klösterliche Lebensgemeinschaften. Wegen ihrer Beständigkeit hinsichtlich der Dauer und Zusammensetzung scheint eine solche Form des Zusammenlebens geeignetere Ansatzpunkte bereitzustellen. Wie oben aber bereits geschildert ist die Zahl der wirklich noch aktiven Klöster und damit eben auch der darin lebenden Mönche und Nonnen relativ klein. Glücklicherweise befindet sich unter den aktiven Klöstern aber auch die Benediktinerabtei St. Matthias in Trier, die hier über eine sehr lange und wechselhafte Geschichte verfügt. Anfang April 2018 fand daher eine Kontaktaufnahme zu dieser Klostergemeinschaft in Trier statt. Nach eingehender Schilderung des Forschungsvorhabens und anschließender Zusage der Unterstützung durch die Verantwortlichen des Klosters konnte mit den Vorbereitungen begonnen wer-
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den.3 Bevor auf das genaue Vorgehen eingegangen werden kann, soll ein kurzer Abriss über die Geschichte des zuständigen Benediktiner-Ordens gegeben werden.
Exkurs zum Benediktiner-Orden Zu den bekanntesten Orden zählt neben dem Franziskanerorden die Gemeinschaft der Benediktiner. Alle Mönche lebten in einer Klostergemeinschaft und praktizierten ein an der jeweils vorherrschenden Ordensregel orientiertes Leben. Zwar beruhen alle Regeln stets auf der Heiligen Schrift, sie weichen inhaltlich jedoch oftmals voneinander ab. Geschuldet ist dies der Tatsache, dass sie meist auf den Begründer des Klosters zurückzuführen waren und zunächst lediglich Einfluss auf die Glaubensgemeinschaft des einzelnen Klosters hatten. Der Orden der Benediktiner ist benannt nach dem heiligen Benedikt von Nursia, der etwa in der Zeit zwischen 480 und 547 unserer Zeitrechnung lebte und 529 das italienische Kloster Monte Cassino circa 140 km südlich von Rom gründete (vgl. Benediktiner Gemeinschaft 2017a). Dennoch kann er nicht als Begründer des Ordens angesehen werden. Benedikt schrieb zwar die Klosterregel, den Orden im heutigen Sinne gab es zur damaligen Zeit allerdings noch lange nicht (vgl. Engelbert 1994: 28). Entstanden ist die Benediktinische Konföderation erst im Jahre 1893 durch Papst Leo XIII. Trotzdem gehen die Anfänge natürlich auf den heiligen Benedikt zurück, da seine Regel bis heute die bedeutendste Grundlage des nach ihm benannten Mönchtums darstellt. Letztendlich gingen die Benediktiner aus verschiedenen Laiengemeinschaften hervor, die ihr Leben nach der Regel Benedikts ausrichteten (vgl. Benediktiner Gemeinschaft 2017a). Ab dem 8. Jahrhundert übernahmen verstärkt Mönche die Rolle des Priesters und widmeten sich außerdem politischen Aufgaben. Folglich entwickelten sich immer mehr Klöster zu mächtigen Institutionen. Gerade im deutschsprachigen Raum leisteten die Benediktiner in diesem Zusammenhang wichtige Kultur-, Bildungs- und Missionsarbeit. Im Mittelalter galten ihre Klöster als politische, wirtschaftliche und religiöse Zentren. Im weiteren Verlauf kam vermehrt Kritik an der Macht des Mönchtums auf, sodass sich seit der ersten Hälfte des 11. Jahrhunderts verstärkt Protestbewegungen bemerkbar machten. Bis 1400 sank der Einfluss der Benediktiner sehr stark. Im 15. Jahrhundert begannen einige Mönche mit geringen personellen und materiellen Mitteln einem Kloster nach dem anderen wieder zu 3
An dieser Stelle darf ganz herzlich Herrn Prof. Dr. Lörsch von der Theologischen Fakultät der Universität Trier gedankt werden, der den Kontakt zum Kloster und den dort Verantwortlichen herstellte und eventuell bestehende Zweifel an der Sinnhaftigkeit eines soziologischen Forschungsansatzes durch sein großes Engagement zu entkräften wusste.
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einem geordneten geistlichen Leben zu verhelfen. In der Folge entstanden Kongregationen einzelner autonomer Klöster, die den Orden zu einer neuen Blütezeit führten. Vor allem mit Beginn des 17. Jahrhunderts war dies an den prächtigen klösterlichen Bauten zu erkennen (vgl. Engelbert 1994: 44.). Dies änderte sich abermals im Zuge des Reichsdeputationshauptschlusses der deutschen Fürsten 1803 in Regensburg und der damit einhergehenden Säkularisation. In Deutschland überlebte keines der Benediktinerklöster (vgl. Engelbert 1994: 46). Mit der Entstehung der Bayerischen und Beuroner Kongregation setzte ab 1830 jedoch ein rascher, wenn auch mühsamer Neubeginn ein. Ein besonderes Augenmerk legten die Benediktiner dabei auf die Pflege der Liturgie, wodurch sie gerade vor dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland einen maßgeblichen Einfluss auf die religiös-kirchliche Erneuerung nehmen konnten. Als Grundsätze des Ordens kennen die Benediktiner neben der Ordensregel sowie dem Leitsatz ora et labora eine Gelübdedreiheit, die alles enthält, was den Benediktinerorden auszeichnet und die ein jeder Benediktinermönch im Laufe seines Ordenslebens ablegt (vgl. Benediktiner Gemeinschaft 2017b): Gehorsam, Beständigkeit und klösterlicher Lebenswandel. Heute gibt es in Deutschland 61 Männer- und Frauenklöster der Benediktiner. 34 davon werden von Mönchen bewohnt, 27 von Nonnen. In Österreich verteilen sich die benediktinischen Ordensleute auf 16 Männer- und vier Frauen klöster, in der Schweiz auf neun beziehungsweise zwölf Klöster. Die einzelnen Benediktinerklöster, auch als Abtei oder Priorat bezeichnet, sind dabei weitestgehend selbständig. Das bedeutet, dass ein übergreifender Dachverband des Ordens nicht existiert. Stattdessen sind die Klöster in Verbänden, den bereits erwähnten Kongregationen, organisiert. Das Oberhaupt dieser Klosterverbände bildet der Abtpräses. Des Weiteren gibt es die eingangs bereits erwähnte Benediktinische Konföderation. Sie wurde 1893 gebildet und stellt eine weltweite Vereinigung des Benediktinerordens dar. Im Jahr 2010 bestand sie aus 20 eigenständigen Kongregationen. Als oberster Repräsentant der Benediktiner Konföderation fungiert der Abtprimas. Er wird alle vier Jahre per Wahl auf dem Äbtekongress in Rom bestimmt. Der Abtprimas hat dabei keine leitende Funktion inne, sondern übernimmt vorwiegend repräsentative Aufgaben. Derzeit besteht die benediktinische Ordensfamilie weltweit aus etwa 40 000 Mönchen und Nonnen. Im Kloster St. Matthias in Trier leben jedoch aktuell gerade einmal elf Mönche.
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Erhebungsmethode Es ist offensichtlich, dass an Anbetracht der Größe des Klosters und der Intention des Forschungsvorhabens hier vor allem qualitative und narrative Verfahren eigensetzt werden müssen. Letztendlich erschienen qualitative Interviews auf Grundlage eines Leitfadens in Hinblick auf die klösterliche Lebensweise als zu untersuchendes Feld – auch durch ihren Charakter eines Alltagsgespräches – am sinnvollsten und erfolgversprechendsten. Im ersten Schritt wurde hierzu eine prägnante Fragestellung ausgearbeitet, mit der das Thema angegangen werden sollte. Diese lautet: Welche Mechanismen müssen greifen, um eine gemeinschaftliche Lebensweise mit der Konstellation aus Privat- und Gemeinschaftsräumen auf Dauer aufrechterhalten zu können ? Um dieser Frage auf den Grund zu gehen, wurden im Zeitraum zwischen Ende April 2018 und Anfang Juni 2018 die zuvor angesprochenen Interviews mit vier der elf aktuell im Trierer Benediktinerkloster St. Matthias lebenden Mönche durchgeführt. Es handelte sich dabei jeweils um Einzelgespräche, welche sich durchschnittlich in einem Rahmen von etwa 45 Minuten bewegten und somit eine sinnvolle Länge aufwiesen (Busse 2003: 30). Aus terminlichen Gründen war es unumgänglich, eines der Interviews zu unterbrechen und an einem anderen Tag fortzusetzen. Ziel sollte es sein, mögliche Gemeinsamkeiten bei den Aussagen der Brüder zu identifizieren, um so im Idealfall die anfangs konstruierte Fragestellung für die untersuchte Gemeinschaft beantworten zu können.
Erhebungsinstrument Die Interviews wurden auf Basis eines im Vorfeld der Gespräche eigens konzeptionierten Leitfadeninterviews durchgeführt. Bei einem Leitfadeninterview handelt es sich um das wahrscheinlich am häufigsten eingesetzte Erhebungsverfahren der qualitativen empirischen Sozialforschung. Hierbei stellt der Gesprächsleiter vorher festgelegte Fragen, die offen beantwortet werden können. Weiter hat er die Aufgabe, das Interview durch den Leitfaden zu steuern. Dabei muss die Reihenfolge der Fragestellung nicht zwingend eingehalten werden. Die Vorgehensweise ist damit weniger strikt als bei den meisten anderen Befragungstechniken der empirischen Sozialwissenschaft. Da keine Antwortmöglichkeiten vorgegeben werden, bleibt der interviewten Person mehr Raum, frei zu berichten und den Gesprächsverlauf so in einem gewissen Rahmen selbst zu beeinflussen (vgl. Meuser 2018: 151 f.). Im vorliegenden Fall kann gleichzeitig sogar von einem Experteninterview – einer besonderen Form des Leitfadeninterviews – gesprochen werden. Wie es der Name in sich trägt, werden in diesem Kontext Experten, also Personen
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mit spezifischem Sonderwissen auf einem bestimmten Gebiet, befragt (vgl. Meuser/Nagel 2018: 76 f.). Das Leitfaden- beziehungsweise Experteninterview der vorliegenden Ausarbeitung gliedert sich in vier große Themenbereiche. Eröffnet wurde das Interview mit Fragen zur Biografie und zum Werdegang des Interviewpartners. Hierunter zählten Angaben zur Person, der Ausbildung vor der Zeit im Kloster und dem Weg bis zum Entschluss, einer Klostergemeinschaft beizutreten. Der zweite Teil umfasste Fragen zum Leben innerhalb der Gemeinschaft in Trier (Anzahl der Bewohner, Altersspanne, Nationalitäten etc.), während der dritte Block mit dem Schwerpunkt ‚Lebensweise‘ den Kern des Interviews darstellte. Wie ist das Kloster aufgebaut ? Welche Räume werden gemeinsam bewohnt und welche privaten Rückzugsmöglichkeiten sind vorhanden ? Der abschließende vierte Teil beschäftigte sich mit dem Kloster St. Matthias generell sowie mit allgemein unklar gebliebenen Aspekten unterschiedlicher Art.
Datenaufbereitung und Datenanalyse Alle durchgeführten Interviews wurden nach vorheriger Rücksprache zwecks weiterer Verwendung im Nachgang mit Hilfe eines Diktiergerätes aufgezeichnet. Es wurde sich im Vorfeld darauf verständigt, die Gesprächsinhalte zu anonymisieren, um ein gewisses Maß an Offenheit bei den gegebenen Antworten zu gewährleisten. An dieser Stelle sei ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die zur Anony misierung verwendeten Bezeichnungen wie ‚der erste Interviewpartner‘ oder ‚Bruder 1; 2; 3 …‘ etc. im weiteren Verlaufe randomisiert wurden, um so eine Zuordnung – etwa über das Geburtsjahr – auszuschließen. An drei Tagen im Feld ergaben sich aus den durchgeführten Interviews so insgesamt knapp 220 Minuten Datenmaterial. Die Aufnahmen ermöglichten im Nachgang eine gezielte soziologische Analyse der Gesprächsinhalte. Mit Hilfe eigens dafür entwickelter Programme erlaubt es diese Vorgehensweise außerdem, besonders interessante Teile des Gespräches zu transkribieren und im weiteren Verlauf des Forschungsberichtes in Form wörtlicher Zitate wiederzugeben. Im vorliegenden Fall wurde dazu die Software MAXQDA verwendet. Aufgrund der Komplexität qualitativer Methoden ist es unmöglich, eine größere Gesamtheit zu untersuchen. Dies ist Aufgabe der quantitativen empirischen Sozialforschung. Vielmehr verfolgt das vorliegende wissenschaftliche Unternehmen den eigenen Anspruch, die exemplarisch auf der Stufe der Mikroebene gewonnenen Erkenntnisse detailliert zu untersuchen, um so von einigen wenigen Bewohnern des Klosters Rückschlüsse auf die gesamte Klostergemeinschaft beziehungsweise das Leben in einer klösterlichen Gemeinschaft ziehen zu können.
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5.4 Zur Analyse der gemeinschaftlichen Lebensweise am Beispiel des Benediktinerklosters St. Matthias Trier Wie eingangs bereits erwähnt, erscheint die Erforschung gemeinschaftlicher Lebensweisen aus soziologischer Perspektive hochinteressant. Gerade die Mischung aus Privat- und Gemeinschaftsräumen sowie dem daraus entstehenden Konfliktpotential und dessen Bewältigung lässt ein genaueres Hinschauen als lohnenswert erscheinen. Die Besonderheiten in einem Kloster im Vergleich zu anderen Wohngemeinschaften liegen dabei auf der Hand: Bis heute findet eine klare Trennung zwischen den Geschlechtern statt. Es gibt eigene Gemeinschaften sowohl für Männer als auch für Frauen. Des Weiteren gehen die Bewohner mit dem Eintritt in das Kloster in der Regel einen lebenslangen Bund ein. Will heißen: auftretende Probleme und Unstimmigkeiten müssen zwangsläufig geklärt werden. Dabei bringt die praktizierte Lebensform aufgrund des Zusammenlebens verschiedener Generationen auf engem Raum sowie die Nutzung von Gemeinschaftsräumen ein enormes Konfliktpotential mit sich. Des Weiteren kommen altersbedingte gesundheitliche Probleme hinzu, die ein solches Leben in Gemeinschaft und Bescheidenheit auf Dauer beschwerlicher werden lassen und mit denen sich die übrigen Bewohner arrangieren müssen. Auch die klar geregelte hierarchische Ordnung und die daraus resultierenden Regeln tragen Spannungspotential in sich.
Die Klostergemeinschaft St. Matthias Trier Als Begründer der Trierer Diözese werden der heilige Eucharius sowie der heilige Valerius verehrt. Ihr Leben und Wirken als Gründerbischöfe wird auf die zweite Hälfte des 3. Jahrhunderts datiert. Es wird angenommen, dass sich bereits im 4. Jahrhundert eine Gemeinschaft von Mönchen in Trier ansiedelte und die Entwicklung mitgestaltete. Bereits im 5. Jahrhundert wird Eucharius als Patron der Kirche erwähnt, der Apostel Matthias trat ihm erst im 12. Jahrhundert zur Seite. Sehr bald gab es schon erste klosterähnliche Gebäude, ehe die bestehende Gemeinschaft um 977 die Regel des heiligen Benedikts übernahm. Unterstützung fanden sie währenddessen bei einem Abt aus Genf. In der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts fand der Bau der noch heute bestehenden Kirche statt. Bei Abrissarbeiten in diesem Zusammenhang wurden im Jahr 1127 die Reliquien des Apostels Matthias entdeckt. Daraufhin ließen die ersten Pilgerströme nicht lange auf sich warten. Im Laufe der Zeit wandelte sich die Mönchkirche zu einer Wallfahrtsstätte. Während dieser Zeit entstand aus dem Volksmund heraus auch der heutige Name des Klosters: St. Matthias. Über Jahr-
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hunderte hinweg galt dieser Ort als etablierter Klosterort. Neben der Klosterge meinschaft St. Matthias gab es in Trier vier weitere Benediktinerabteien, darunter drei Männer- und eine Frauenabtei (Interview 4: 44.51 – 45.03).4 1802 fand im Zuge der Säkularisation unter Napoleon die Aufhebung des Klosters statt. Auch die anderen Abteien wurden in diesem Zusammenhang aufgelöst. Der gesamte Besitz sowie das Inventar wurden ‚unter die Hand der Nation‘ gestellt. Bei den daran anschließenden Verkäufen ersteigerte der Kaufmann Christoph Philipp Nell das Quadrum, die angrenzenden Gebäude sowie den Großteil des alten Grundbesitzes. Im Jahr 1922 konnte das Kloster unter Abt Laurentius Zeller von Mönchen aus dem österreichischen Seckau und Maria Laach zurückgekauft werden. Nachdem der Konvent durch die Gestapo 1941 erneut vertrieben und das Kloster geschlossen wurde, konnte es erst nach Kriegsende wieder besiedelt werden. 1951 übernahmen die Mönche schließlich wieder die Seelsorge der Pfarrei St. Matthias. Die folgenden Jahre waren gekennzeichnet durch den inneren und äußeren Aufbau des Klosters. Die Kriegsschäden an der Kirche und den übrigen Gebäuden waren vergleichsweise marginal, sodass das Quadrum nach einer umfassenden Renovierung relativ zügig wieder von der Gemeinschaft bezogen werden konnte (vgl. Benediktinerabtei St. Matthias ohne Jahr). St. Matthias gilt bis heute als ein eminent geschichtsträchtiger Ort, der gerade durch die Beziehung zur frühen Trierer Kirche auch für das Bistum wichtig ist. Außerdem kommt dem Ort als einziges Apostelgrab nördlich der Alpen eine weitaus überregionale Bedeutung zu (Interview 4: 45.35 – 45.59). Auch heute noch nimmt die Gemeinschaft Einzelgäste und Gruppen auf (Interview 2: 29.17 – 29.51). Neben einer Rückzugsmöglichkeit werden außerdem die Teilnahme an den Gottesdiensten sowie Glaubensgespräche angeboten.
Das Leben im Kloster St. Matthias Der klösterliche Alltag zeichnet sich vor allem durch die individuelle Ausrichtung auf Glaube und Gemeinschaft aus, so auch in der Benediktinerabtei St. Matthias Trier. Welche Eigenarten das Leben in einer Gemeinschaft mit sich bringt, soll im Folgenden verdeutlicht werden. Um einen Eindruck von den Bewohnern
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Die jeweiligen Verweise auf die einzelnen Interviews verwenden die oben erläuterte Nummerierung der Interviews sowie die Angabe des Zeitfensters der jeweils relevanten Äußerung, so dass auch hier gegebenenfalls Replikationen, so komplex diese Materie im Rahmen qualitativer Forschungen auch sein mag, möglich sind. Ein Interview musste wie erwähnt aus Termingründen unterbrochen werden und wurde am nächsten Tag fortgesetzt und wird hier als Interview 4a und 4b bezeichnet.
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des Klosters zu bekommen, werden exemplarisch einige Lebensläufe nachgezeichnet. In welchem Alter sind die Brüder der Gemeinschaft beigetreten ? Welche Voraussetzungen mussten sie erfüllen ? Und welche Beweggründe waren ausschlaggebend, diesen Weg zu gehen ? Gab es beispielsweise ein Schlüsselerlebnis oder handelte es sich vielmehr um einen Entscheidungsprozess ? Außerdem wird die derzeitige Struktur beschrieben, aus der sich die Gemeinschaft zusammensetzt. Wie viele Menschen dort leben, wie groß die Altersspanne ist, welche Nationalitäten vertreten sind und wodurch sich die Gemeinschaft in den Augen der Brüder auszeichnet. Auch das Partnerkloster auf der Huysburg in Sachsen-Anhalt soll an dieser Stelle Erwähnung finden. Des Weiteren beschäftigen wir uns mit den Phasen, die auf dem langen Weg bis zur ewigen Profess, dem Ablegen des Klostergelübdes auf unbestimmte Zeit, durchlebt werden müssen.
Bewohner Derzeit wird die Trierer Benediktinerabtei von insgesamt elf Mönchen bewohnt. Der Ordensbruder im ersten Interview berichtet, dass er 1967 in Düsseldorf geboren wurde. Mit 23 Jahren entschied er sich dazu, einem Kloster beizutreten. Ausschlaggebend war für ihn kein bestimmtes Ereignis, vielmehr handelte es sich bei seiner Entscheidung um einen über Jahre andauernden, schleichenden Prozess im Zuge einiger Pilgerreisen nach Trier zum dortigen Apostelheiligtum. In diesem Rahmen entwickelte sich im Laufe der Zeit Kontakt zur städtischen Klostergemeinschaft St. Matthias (Interview 1: 0.48 – 1.25). Ähnliches hat auch der nächste Gesprächspartner zu berichten. 1963 in einer rund 40 000 Einwohner zählenden nordrhein-westfälischen Stadt geboren, entschied er sich im Jahr 1987 dazu, sein altes Leben hinter sich zu lassen und den Weg einer klösterlichen Lebensweise einzuschlagen. Im Alter von 25 Jahren schloss er sich 1988 der Gemeinschaft in Trier an. Die ersten Kontakte entstanden auch hier über die Jahre durch Pilgerreisen sowie verschiedene Besuche, die bei ihm in Abwesenheit zunehmend ein Gefühl des Fehlens, Suchens und Vermissens hinterließen (Interview 3: 0.15 – 3.04). Rückblickend spricht der Bruder von einer „langsam schleichenden Entwicklung“ (Interview 3: 1.42 – 1.44). Neben der Art und Weise, wie das Mönchtum in der Trierer Benediktinerabtei gelebt wird, spielte auch die Verortung und Organisation als Stadtkloster eine Rolle bei seiner Wahl der Gemeinschaft (Interview 3: 1.54 – 3.04). Auch Mönch 2 hatte schon vor seinem Entschluss, sich der Glaubensgemeinschaft St. Matthias anzuschließen, Kontakt zu den Bewohnern der städtischen Abtei. Er wurde 1976 in Trier geboren und suchte bereits mit 17 Jahren die Stille des Klosters auf, um sich auf die Abschlussprüfung seiner Ausbildung vorzubereiten. Von dort an beschäftigte er sich ständig mit dem Thema Kloster und
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nutze einige weitere Besuchsgelegenheiten, um die Gemeinschaft näher kennenzulernen. 1999 folgte er mit 23 Jahren schließlich diesem Gedanken und schloss sich der Klostergemeinschaft an. Einen speziellen Grund kann auch er rückblickend nicht ausmachen. Vielmehr sei es eine Sache des Gefühls gewesen, berichtet er (Interview 2: 0.15 – 2.00). Auch der vierte Interviewpartner beschäftigte sich bereits früh mit dem Thema Kloster. Geboren wurde er 1975 in Bonn, erste Überlegungen, sich einer klösterlichen Gemeinschaft anzuschließen, fanden bereits zu Oberstufenzeiten statt. Analog der anderen drei Gesprächspartner gab es auch für ihn kein konkretes Ereignis, auf welches er diese Überlegungen zurückführt. Mit etwa 24 Jahren – gegen Ende seines Studiums und der damit einhergehenden Frage, wie es denn weitergehen würde – informierte er sich schließlich zielgerichtet über verschiedene Orden, da die Gedanken aus Schulzeiten immer noch sehr präsent waren. Einen Kontakt zu einer bestimmten Klostergemeinschaft gab es – konträr zu allen anderen interviewten Mönchen – im Vorfeld jedoch nicht. Bei seiner Suche stieß er demnach auf den Benediktinerorden, bevor er letztendlich aufgrund des besonderen Interesses am Stadtmönchtum auf die Gemeinschaft in Trier aufmerksam wurde. Obwohl er sich zunächst einmal lediglich die Lebensweise anschauen wollte und zu keinem Zeitpunkt alternativlos war, verfolgte er stets das Ziel, diese Form des Lebens dauerhaft zu praktizieren. Seit Januar 2002 ist er nun fest im Kloster St. Matthias in Trier beheimatet (Interview 4a: 0.12 – 3.42). Auffällig ist, dass sich alle vier interviewten Ordensbrüder bereits im jungen Alter zwischen 23 und 25 Jahren dazu entschlossen haben, der Gemeinschaft beizutreten und dadurch früh über den weiteren Verlauf ihres restlichen Lebens entschieden haben. Die meisten von ihnen standen dabei bereits lange Zeit vorher in Kontakt zu den Bewohnern des Klosters. Auch die Tatsache, dass die Entscheidung, sich einer derartigen Glaubensgemeinschaft anzuschließen, in allen Fällen als ein schleichender Prozess bezeichnet und nicht etwa mit einem besonderen Schlüsselerlebnis in Verbindung gebracht wird, erscheint sehr interessant.
Gemeinschaft Die Gemeinschaft besteht heute aus den beiden benediktinischen Mönchsklöstern St. Matthias Trier sowie der Huysburg in Sachsen-Anhalt. Aufgrund der angespannten wirtschaftlichen Situation des Klosters Huysburg zu Zeiten der DDR haben die beiden Gemeinschaften, welche schon vorher der gleichen Kongregation angehörten, im Jahr 2004 fusioniert (Interview 1: 43.33 – 44.08). Seither sehen sich die Mönche selbst als „eine Gemeinschaft an zwei Orten“ (Interview 2: 42.33 – 43.37). Organisatorisch gesehen stellt St. Matthias die Abtei dar, die Huysburg ist das abhängige Priorat. Gleichzeitig ist der Trierer Abt auch Kopf der rund 600 km
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entfernten Huysburg; das dortige Hausoberhaupt ist der Prior. Mindestens zweimal jährlich finden Treffen der gesamten Gemeinschaft statt – dabei wird zwischen den Orten Trier und Huysburg als Gastgeber abgewechselt (vgl. Interview 4b: 36.43 – 38.35). Die Klostergemeinschaft zählt aktuell 18 Glaubensbrüder. Elf davon sind in Trier und sieben auf der Huysburg beheimatet. Alle sind deutsche Staatsbürger (vgl. Interview 1: 3.18 – 3.38). Die Altersspanne liegt zwischen 41 und 86 Jahren (vgl. Interview 2: 4.13 – 4.20). Eine Ausnahme stellt mit Mitte 30 der derzeit einzige Novize der Gemeinschaft dar, welcher auf der Huysburg lebt (vgl. Interview 1: 14.21 – 14.25). Die Gemeinschaft St. Matthias Trier war und ist eine vergleichsweise kleine Glaubensgemeinschaft (vgl. Interview 4b: 14.15 – 14.35). Bis heute wird bei den Benediktinern strikt zwischen Männer- und Frauenklöstern unterschieden. In Trier gibt es in der Gegenwart jeweils eins. Neben dem Männerkloster in Trier-Süd befindet sich das der Frauen im Stadtteil Kürenz (vgl. Interview 3: 27.51 – 28.59). Zusätzlich zu der festgelegten, gemeinsamen Erholungszeit in Form einer Rekreation5 zum gegenseitigen Austausch am Sonntagabend (vgl. Interview 2: 8.25 – 8.33), kann die übrige freie Zeit abseits des durchstrukturierten Alltages sowohl alleine als auch in der Gemeinschaft verbracht werden. Das können neben Spaziergängen im Klostergarten beispielsweise auch Spieleabende oder das gemeinsame Schauen eines Filmes sein. Generell gibt es viele verschiedene Möglichkeiten, die je nach Interesse des jeweiligen Bruders variieren (vgl. Interview 1: 7.42 – 8.09). Es ist üblich, dass im Kloster nur besondere, vornehmlich runde Geburtstage in kleinem Rahmen gefeiert werden. Ansonsten sind die Ordensnamenstage von besonderer Bedeutung (vgl. Interview 1: 8.18 – 8.40). Bereits am Vorabend wird dem Bruder beim Abendessen zu diesem Anlass gratuliert. Währenddessen darf er, genau wie bei den Mahlzeiten am Namenstag selbst, neben dem Abt Platz nehmen. Beschenkt wird sich innerhalb der Gemeinschaft nicht. Üblicherweise lädt der jeweilige Bruder zu einer Rekreation oder einem kleinen Umtrunk ein. Außerdem werden auch runde Profess-Jubiläen gefeiert (vgl. Interview 4a: 15.27 – 20.06). An hohen kirchlichen Feiertagen wie Weihnachten und Ostern herrscht für die Mönche eine strikte Anwesenheitspflicht im Kloster. An Weihnachten werden zudem bewusst keine Gäste beherbergt (vgl. Interview 1: 9.12 – 9.31). Der 27. Dezember ist der sogenannte ‚Besuchstag‘, an dem jeder Bruder die Möglichkeit hat, seine Familie zu Hause zu besuchen (vgl. Interview 2: 10.56 – 11.29). An Ostern hingegen werden gezielt Gäste eingeladen, um die Feiertage im Kreise der klösterli5 Als Rekreation wird ein Zusammentreffen der Gemeinschaft bezeichnet. Diese kann beispielsweise in Form einer entspannten Erzählrunde vonstattengehen (Interview 2: 8.25 – 8.33).
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chen Gemeinschaft zu begehen (vgl. Interview 2: 10.56 – 11.29). „Wobei, man muss halt immer wieder sagen, meine Brüder hier sind ja sozusagen für mich meine Familie“ (Interview 3: 10.15 – 10.20). Die Fluktuation innerhalb der Gemeinschaft ist sehr unterschiedlich. Es gab Zeiten, in denen viele junge Menschen gekommen sind, dann über viele Jahre hinweg wieder niemand (vgl. Interview 1: 13.18 – 13.48). Vor zwei bis drei Jahren gab es einen relativ starken Einbruch, in dessen Folge fünf Brüder das Kloster verlassen haben und aus der Gemeinschaft beziehungsweise dem Orden ausgeschieden sind. In den letzten zehn bis 15 Jahren kamen immer wieder neue Interessenten vorbei, von denen allerdings niemand dauerhaft geblieben ist. Dies ist nicht zuletzt auch auf unterschiedliche Grundsatzvorstellungen hinsichtlich der Ausgestaltung der Lebensform innerhalb der Gemeinschaft in der jüngsten Vergangenheit zurückzuführen. Inzwischen hat sich die Situation aber wieder beruhigt (vgl. Interview 3: 15.16 – 16.39). Ein Ausschluss aus der Klostergemeinschaft ist nach der feierlichen Profess nur bei besonders gravierenden Vergehen – wie es etwa die Verwicklung in einen Mord oder Kindesmissbrauchs darstellen würden – möglich (vgl. Interview 2: 14.46 – 16.14). ‚Exklaustriert‘ wird das innerhalb der Orden genannt. Dies stellt jedoch eine absolute Ausnahme dar und dies haben die Interviewpartner in ihrer Zeit im Kloster bisher auch noch nicht erlebt. Viel mehr verlassen Brüder von sich aus den Orden. Auch dann werden sie exklaustriert und verlieren bis zu ihrem endgültigen Ausscheiden jegliche Konventsrechte zur Mitsprache. Dies kann auf Grundlage unüberwindbarer Konflikte innerhalb der Gemeinschaft oder aber anderer Gründe geschehen. Oftmals wollen diejenigen, die austreten, die im Kloster praktizierte Lebensform nicht mehr leben und etwas ganz Anderes machen (vgl. Interview 1: 12.05 – 13.16).
Weg in die Gemeinschaft Generell gibt es verhältnismäßig wenige Vorgaben, die erfüllt sein müssen, um einer Mönchsgemeinschaft beitreten zu können. Grundvoraussetzung ist neben dem Geschlecht das Bekenntnis zum Katholizismus (vgl. Interview 3: 37.57 – 38.04). Von kirchenrechtlicher Seite wird ansonsten lediglich die Volljährigkeit vorausgesetzt. Erfahrungsgemäß ist die geistige Reife in Anbetracht einer solch folgenreichen Entscheidung jedoch noch nicht genügend ausgeprägt, weshalb die Gemeinschaft in Trier beispielsweise entweder eine abgeschlossene Berufsausbildung oder ein Studium als notwendige Grundlage zum Beitritt benennt. Die in diesem Rahmen erworbene Selbstständigkeit und Lebenserfahrung sind von enormer Bedeutung für das klösterliche Leben in der Gemeinschaft (vgl. Interview 2: 38.40 – 39.31). Heutzutage sind die Interessenten jedoch meist 30 Jahre und älter, so
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dass eine Altersgrenze heute keine Rolle mehr spielt (vgl. Interview 1: 14.21 – 14.41). Weiter sind aber auch psychische Gesundheit und Belastbarkeit erforderlich, da der straffe Tagesablauf und die damit einhergehenden Anforderungen eine gesunde mentale Verfassung des Einzelnen voraussetzen (vgl. Interview 1.: 41.51 – 42.41). Zuerst gibt es den sogenannten Interessentenstatus. Der Interessent kommt vorbei, führt unverbindliche Gespräche mit den Mönchen und schaut sich alles an. Wenn sich bei diesen Gesprächen das Interesse konkretisiert und verdichtet, kann der Interessent eine sogenannte Kandidatur antreten, die mindestens ein Jahr dauert. In dieser Zeit sollte der angehende Bruder öfter – nicht zwangsläufig in regelmäßigen Abständen – im Kloster gewesen sein, um den Alltag sowie die Gemeinschaft kennenzulernen. Auch die Mönche bekommen so die Gelegenheit, sich ein Bild über den Anwärter zu machen. Wenn der Kandidat sich im Laufe der Zeit dazu bereit fühlt, das Noviziat zu beginnen, muss dieser hierzu zunächst eine Bitte um Zulassung verfassen. Darüber hat sich die Gemeinschaft dann zu beraten (vgl. Interview 4b: 29.59 – 31.25). „Es [das Noviziat] ist eher nicht als Probezeit vom Kloster zu sehen, sondern um sich selbst zu prüfen“ (Interview 2: 41.11 – 41.16). Dem folgt das auf zwei Monate reduzierte Postulat. Der Interessent wohnt dem Klosteralltag bei, ist allerdings noch nicht eingekleidet und hat auch noch keinen Ordensnamen6 erhalten. Ziel des Ganzen ist das praktische Eingewöhnen. Mit Beginn des einjährigen Noviziats erhält der angehende Bruder gleichzeitig den Habit, also die Ordenstracht, sowie den Ordensnamen. Auch kirchenrechtlich ist dies nun ein klarer Status (vgl. Interview 4b: 29.59 – 31.56). Von jetzt an geht er nicht mehr seiner ursprünglichen Tätigkeit nach, sondern verbringt den gesamten Tag in der Gemeinschaft. Dabei wird die eine Hälfte des Tages der Arbeit im Kloster und die zweite Hälfte dem Studium der Theologie sowie der Haus- und Ordensgeschichte gewidmet (vgl. Interview 2: 40.14 – 41.16). Besuche zu empfangen oder abstatten, ist in dieser Zeit nicht erlaubt. Es handelt sich um eine sehr besondere und prägende Phase auf dem Weg zur ewigen Profess. Nach diesem Jahr erfolgt zunächst die zeitliche Profess samt Ablage der ersten Gelübde. Die darauffolgenden drei Jahre, in denen einer klaren Tätigkeit im Kloster nachgegangen wird, besteht theoretisch immer noch die Möglichkeit, die Gemeinschaft ohne Weiteres zu verlassen (vgl. Interview 4b: 31.57 – 32.39). Diese Zeit wird als „TrigeminalProfess“ (Interview 3: 38.52 – 38.56) bezeichnet. Mit der anschließenden feierlichen Profess bindet sich der Bruder an Ort und Gemeinschaft. Diese Beständigkeit am 6
Der Abt erstellt zu Beginn des Noviziats eine Liste möglicher Namen, welche zu dem jeweiligen Bruder passen könnten. Der Bruder grenzt die Auswahl anschließend nach eigenem Belieben auf zwei bis drei Namen ein, auf deren Grundlage der Abt eine Entscheidung trifft. Der Ordensname muss sich dabei nicht zwangsläufig auf den bürgerlichen Namen beziehen (vgl. Interview 2: 9.42 – 10.31).
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Ort oder „stabilitas“ ist eine typisch benediktinische Regel (vgl. Interview 1: 0.48 – 2.12). Bei reibungslosem Durchlauf aller Stadien vom ersten Kontakt bis zur ewigen oder feierlichen Profess vergehen mindestens fünf bis sechs Jahre (vgl. Interview 3: 13.37 – 14.01). Die im Vorfeld an die Zeit im Kloster erworbenen beruflichen Qualifikationen sind unter Umständen sehr verschieden, genau wie die Wege zum Glaube (vgl. Interview 4b: 15.23 – 16.44). Es gibt auch Quereinsteiger, die erst vergleichsweise spät den Weg in die Gemeinschaft finden (vgl. Interview 4b: 29.29 – 29.57). Doch gerade eine solche Mischung kann einen besonderen Beitrag zur Vielfalt in Hinblick auf das Leben im Kloster beitragen.
Organisation Den nächsten inhaltlichen Schwerpunkt bildet die Analyse der Strukturen der Gemeinschaft. Neben dem hierarchischen Grundsatz, sollen sowohl die Ämter als auch deren Einstufung im benediktinischen Kontext näher betrachtet werden. Der zweite Teil thematisiert die Aufgabenverteilung innerhalb des Klosters. Wer entscheidet darüber ? Welche Faktoren spielen diesbezüglich eine Rolle ? Und welche Mittel stehen der Gemeinschaft zur Verfügung, um das traditionelle Klosterleben bestreiten zu können ? Ist es auch in der modernen Zeit des 21. Jahrhunderts noch möglich, seine Lebensweise nach den über die Jahrhunderte überlieferten Tugenden auszurichten ? Um nicht zuletzt auch diese Frage zu klären, wurden die interviewten Mönche nach den festen Elementen ihres durchstrukturierten Tagesablaufes befragt. Hierarchie: In einer Klostergemeinschaft existieren feste Strukturen und hierarchische Grundsätze, an denen sich alle Bewohner des Klosters orientieren müssen (vgl. Interview 1: 3.49 – 4.07). Die Hierarchie innerhalb der Gemeinschaft orientiert sich immer noch an den Regeln des Benedikt von Nursia (vgl. Interview 1: 3.49 – 4.07). Das Oberhaupt des Klosters stellt demnach der Abt dar, an zweiter Stelle folgt der Prior als sein Vertreter. Des Weiteren gibt es den jährlich gewählten Seniorenrat, der aus zwei Brüdern der Gemeinschaft besteht und als Beratungszirkel des Abtes fungiert. Im Anschluss daran ist das Professalter, also das Alter beim Eintritt in die Gemeinschaft, ausschlaggebend (vgl. Interview 2: 4.28 – 4.43). Daraus ergibt sich eine klar geregelte Rangfolge. So kann es beispielsweise vorkommen, dass ein Mönch älter ist und in der Konventsordnung trotzdem hinter jemanden steht, der unter Umständen jünger ist (vgl. Interview 4a: 5.42 – 5. 54). Dennoch ist im Kloster St. Matthias eine basisdemokratische Grundstruktur zu erkennen, da der Abt mittels einer geheimen Wahl und einer notwendigen Zwei-
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drittelmehrheit vom Konvent bestimmt wird. Auch der Seniorenrat geht aus einer Wahl hervor, lediglich der Prior wird nach Rücksprache mit den Brüdern durch den Abt ernannt (vgl. Interview 2: 4.45 – 5.00). Aufgabenverteilung: Wie überall sonst ist es auch innerhalb der Klostergemeinschaft notwendig, dass unter den Brüdern eine feste Aufgabenverteilung stattfindet. Nur so kann die Gemeinschaft funktionieren (vgl. Interview 3: 5.21 – 5.41). Über die Zuständigkeiten entscheidet der Abt nach Beratung mit dem Prior und dem Seniorenrat. Dabei werden die individuellen Fähigkeiten der Brüder berücksichtigt und überlegt, wer für welche Aufgaben wohl am besten geeignet ist (vgl. Interview 1: 4.49 – 5.23). Hat beispielsweise ein Mönch in seinem vorklösterlichen Leben einen Beruf erlernt, kann er diesen – je nach Art des Berufes – auch innerhalb der Gemeinschaft ausüben (vgl. Interview 1: 5.49 – 6.03). Die verantwortlichen Brüder fungieren demnach als Hauptansprechpartner, werden in gewisser Weise aber auch von Mitarbeitern des Klosters unterstützt. Dies kann bei Arbeiten in der Küche, der Wäscherei, der Verwaltung oder der Tätigkeit als Hausmeister vorkommen (vgl. Interview 4a: 6.16 – 6.38). Die Verteilung der Zuständigkeiten ist jedoch keineswegs starr. Vielmehr können Aufgaben auch kurz- und längerfristig variieren (vgl. Interview 1: 5.23 – 5.39). Dinge wie Spül- oder Tischdienste wechseln beispielsweise wöchentlich (vgl. Interview 4a: 7.29 – 7.36). Dementgegen gibt es Tätigkeiten, die besondere Fähigkeiten beziehungsweise Kenntnisse erfordern, sodass die Zuständigkeiten tendenziell eher auf einen längeren Zeitraum ausgelegt sind. So ist einer der interviewten Brüder derzeit mit dem Kantorendienst, also der Rolle als Vorsänger und Chorleiter im Gottesdienst, betraut und zuständig für die Pflege des Mönchsfriedhofes (vgl. Interview 4b: 0.12 – 0.55). Neben ihren Aufgaben innerhalb der Gemeinschaft gehen drei Brüder zudem konventionellen Erwerbstätigkeiten außerhalb der Klostermauern nach. Da St. Matthias ein Stadtkloster ist, ist es zusätzlich möglich, einen Beruf in der Stadt auszuüben (vgl. Interview 1: 6.08 – 6.13). Es gibt einen Richter am Amtsgericht, einen Städteplaner bei der Stadtverwaltung sowie einen Mönch, der als Schulseelsorger und Religionslehrer tätig ist (vgl. Interview 2: 7.28 – 7.54). Außerdem werden zwei Stellen der Pfarrseelsorge durch Brüder der Gemeinschaft betreut (vgl. Interview 4a: 9.23 – 9.28). Neben der Erwerbstätigkeit außerhalb des Klosters werden auch innerhalb des Klosters Einkommen erzielt. Diese ergeben sich beispielsweise aus den Einnahmen des Klosterladens, den Pachteinnahmen, den vermieteten Immobilien sowie nicht zuletzt auch aus Spenden (vgl. Interview 1: 6.41 – 7.40). Die erwirtschafteten Gelder kommen dabei im Sinne der Gütergemeinschaft in kompletter Höhe der Gemeinschaft zugute (vgl. Interview 2: 7.19 – 7.27). Längst nicht alle Brüder, die arbeiten, erzielen mit ihrer Tätigkeit auch Einkommen im eigentlichen Sinne. So wird durch regelmäßige und eigenständige
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Instandhaltungs- und Reparaturarbeiten auf der anderen Seite versucht, die Ausgaben möglichst zu minimieren (vgl. Interview 1: 14.50 – 15.50). Das ist auch bei einem Interviewpartner der Fall. Er selbst ist handwerklich versiert und hat vor seinem Eintritt in die Gemeinschaft eine Ausbildung zum Maler und Lackierer abgeschlossen. Während seiner Zeit im Kloster hat er sich zusätzlich die Arbeiten eines Schreiners angeeignet (vgl. Interview 1: 5.49 – 6.36). Tagesablauf: Das Leben in einem Kloster ist zu großen Teilen durchstrukturiert und enthält neben den Gebetsterminen einige weitere feste Elemente, welche den Tagesablauf prägen (vgl. Benediktinerabtei St. Matthias Trier ohne Jahr). Im Benediktinerkloster St. Matthias sieht der Tagesablauf folgendermaßen aus: An einem gewöhnlichen Wochentag startet der Tag um 5.45 Uhr mit dem Morgengebet. Anschließend findet eine gemeinsame Tagesbesprechung im Kapitelsaal statt. Dort werden anstehende Termine berichtet sowie Neuigkeiten ausgetauscht. Es folgt eine stille Zeit zum persönlichen Gebet oder zur Lektion, ehe um 8.30 Uhr Arbeitsbeginn ist. Arbeitszeit ist bis 12.00 Uhr, um 12.30 Uhr findet das Mittagsgebet statt. Um 12.45 Uhr geht es zum gemeinsamen Mittagessen ins Refektorium, also dem klösterlichen Speisesaal. Typisch für den Benediktinerorden ist dabei, dass hieran auch angemeldete (Haus-)Gäste teilnehmen können. Für gewöhnlich sind dafür 20 Minuten vorgesehen. Im Anschluss daran ist Mittagspause, die bis 14.00 oder 14.30 Uhr dauert. Bis 18.00 Uhr folgt dann eine erneute Arbeitszeit, bevor die Glocken um kurz vor 18.15 Uhr zur Vesper und Eucharistiefeier einladen. Um 19.10 Uhr gibt es Abendessen, der Abschluss des offiziellen Teils des Tages findet mit der Komplet7 um 20.00 Uhr statt. Anschließend bleibt Zeit zur freien Verfügung mit Nachtruhe (vgl. Interview 1: 16.36 – 16.39). Es besteht die Möglichkeit zum Fernsehen, Lesen oder Zusammensitzen (vgl. Interview 3: 17.53 – 17.59). Dies soll allerdings so ablaufen, dass kein anderer gestört wird (vgl. Interview 1: 16.40 – 16.43). In der Gemeinschaft gibt es demnach insgesamt vier Gebetszeiten. Die Brüder verbringen dabei täglich etwa zwei Stunden in der Kirche. Hinzu kommt das persönliche Gebet, dessen Häufigkeit und Umfang jedem selbst überlassen sind. Im Normalfall bewegt sich das persönliche Gebet in einem Zeitrahmen von etwa einer halben Stunde bis Stunde. Zeitpunkt und Ort variieren dabei von Mönch zu Mönch (vgl. Interview 2: 19.53 – 20.51). Ein Mönch handhabt es beispielsweise so, dass er sich vor dem Mittagessen 30 Minuten Zeit dafür nimmt (vgl. Interview 3: 18.36 – 18.59).
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Die Komplet bezeichnet in der Klostergemeinschaft das Abend-, Nacht- beziehungsweise Schlussgebet (vgl. Interview 2: 17.55 – 19.23).
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Aufgrund der Erwerbstätigkeit außerhalb des Klosters kann der Tag bei eini gen Brüdern jedoch etwas variieren. So berichtet beispielsweise ein anderer Gesprächspartner, dass er sich nach dem Morgengebet und der daran anschließenden Tagesbesprechung um 6.30 Uhr gerne noch Zeit für Yoga und sein persönliches Gebet nimmt, bevor für ihn gegen 9.00 Uhr der Arbeitstag abseits der Klostermauern beginnt. In der Regel kehrt er erst zwischen 17.00 Uhr und 17.30 Uhr zurück, weshalb er das Mittagsgebet und das Mittagsessen nicht im Kreise der Gemeinschaft begehen kann. Zur Vesper und Eucharistiefeier um 18.15 Uhr schließt er sich den anderen Brüdern und deren Tagesablauf wieder an (vgl. Interview 4b: 3.26 – 3.43).
Das Leben ausgerichtet auf Glaube und Gemeinschaft Dass der klösterliche Alltag – in der modernen Zeit mehr denn je – ein enormer Kontrast zur Lebensweise außerhalb der Klostermauern darstellt, klingt zunächst einmal trivial. Die in den Interviews getätigten Aussagen haben noch einmal bekräftigt, dass sich die Individuen den Idealen des Glaubens sowie der Gemeinschaft unterordnen. Um nun die anfängliche Frage nach den Mechanismen, welche die Klostergemeinschaft beieinander halten, zu beantworten, ist es notwendig, noch ein wenig tiefer in die Strukturen einer solch speziellen Lebensform einzutauchen. Wie genau lebt ein einzelner Mönch, der sein komplettes Leben auf den Glauben und die innerklösterliche Gemeinschaft ausgerichtet hat ? Das Hauptgebäude des Klosters ist ein sogenanntes Quadrum, ein quadratisches Gebäude. Die Kirche stellt dabei eine Seite dar, die von drei Flügeln umgeben ist (vgl. Interview 1: 17.27 – 17.34). Das spiegelt auch die klassische Klosterstruktur wider. Die Kirche ist in der Regel im Norden angesiedelt, das quadratische Gebäude findet im Süden daran Anschluss (vgl. Interview 4b: 4.45 – 4.57). Daraus ergibt sich in der Mitte ein Innenhof, in dem sich der Kreuzgang befindet. Im ersten Stock der Flügel ist der Wohnbereich der Mönche – die innere Klausur – untergebracht. Auch in St. Matthias ist dieser Bereich abgeschlossen und ausschließlich für die Brüder zugänglich (vgl. Interview 1: 17.35 – 17.46). Neben dem Erdgeschoss dieser Flügel (vgl. Interview 3: 19.39 – 19.43) stellt auch der Neubaubereich über dem Klosterladen Möglichkeiten zur Unterbringung von Gästen bereit (vgl. Interview 2: 21.08 – 21.17). Die räumliche Situation im Kloster stellt sich so dar, dass jeder der Brüder eine eigene Zelle, sein Zimmer, besitzt. Insgesamt ist für etwa 20 Brüder Platz (vgl. Interview 1: 18.31 – 18.38). Daneben gibt es Räume, die der gesamten Gemeinschaft zur Verfügung stehen. Dazu zählen neben der Teeküche vor allem auch das
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Wohnzimmer sowie das Konventszimmer. Dort finden auch die bereits erwähnten Rekreationen beziehungsweise die Konventssitzungen statt (vgl. Interview 1: 18.43 – 19.01). Da die Zellen in der Regel lediglich Waschbecken, jedoch keine Nasszellen enthalten, werden außerdem die Toilettenanlagen und Duschen geteilt. Dazu gibt es ein Gemeinschaftsbad mit Sanitäranlagen und Duschen (vgl. Interview 3: 20.35 – 20.42). Die Brüder kommen sich dabei aber nicht in die Quere. Es ist genug Platz, so dass alle aneinander vorbeikommen (vgl. Interview 1: 19.26 – 19.46). Dann gibt es noch eine aus zwei Zimmern bestehende Krankenstation im Erdgeschoss des Klosters – die sogenannte Infirmerie – für die kranken Brüder, die mit behindertengerechten Bädern ausgestattet ist (vgl. Interview 4b: 5.41 – 6.10). Die Größe der Zellen variiert dabei, im Durchschnitt sind sie zwischen 14 und 15 Quadratmetern groß. Die Teeküche misst rund 20 Quadratmeter, das Konventszimmer 25 Quadratmeter (vgl. Interview 3: 20.49 – 21.34). In Bezug auf die Gäste des Klosters findet eine klare Unterteilung in äußere und innere Klausur statt (vgl. Interview 4b: 5.19 – 6.10). So wird beispielsweise das Refektorium mit den Gästen geteilt (vgl. Interview 2: 21.55 – 21.59), während die Zellen der Brüder für Außenstehende eben nicht zugänglich sind. Als private Rückzugsorte dienen lediglich die eigene Zelle oder das eigene Arbeitszimmer – sofern vorhanden (vgl. Interview 1: 19.49 – 20.09) – und je nach Witterung das große Gelände des Klostergartens (vgl. Interview 2: 22.58 – 23.07). Die Einrichtung der Zellen hängt von den Bedürfnissen des Einzelnen ab. Teilweise sind die Brüder sehr karg und spartanisch eingerichtet, andererseits haben einige auch persönliche Gegenstände wie Fotos, Bilder oder Pflanzen in ihrem Zimmer. Grundsätzlich ist das jedem selbst überlassen. Dennoch kommt zwangsläufig der Aspekt der Zweckmäßigkeit dazu, da die Zelle oftmals auch als Arbeitszimmer genutzt wird und der Platz relativ begrenzt ist (vgl. Interview 4b: 6.54 – 7.52). Was es auf den Zellen jedoch nicht gibt sind Fernseher, Musikanlagen oder luxuriöse Möbel (vgl. Interview 1: 20.53 – 21.12). Im gesamten Haus finden sich lediglich zwei Fernseher für die Gemeinschaft, weshalb die Brüder sich untereinander abstimmen müssen, was geschaut wird (vgl. Interview 3: 23.09 – 23.40). Durch Laptops und das Internet können diese Schwierigkeiten mittlerweile natürlich mehr und mehr umgangen werden (vgl. Interview 4b: 7.54 – 8.03). Den Mönchen ist es gestattet, ihre freie Zeit nach eigenem Interesse zu gestalten. Da diese unter der Woche sehr begrenzt ist, bietet sich hierzu oftmals nur am Wochenende die Gelegenheit (vgl. Interview 4b: 9.46 – 10.36). Einen Internetzugang besitzt jeder Mönch, sofern er das möchte. Dieser darf dabei auch für private Zwecke verwendet werden (vgl. Interview 1: 22.39 – 23.03). Ein Mobiltelefon beziehungsweise Smartphone haben inzwischen auch fast alle Brüder (vgl. Interview 1: 23.07 – 23.21). Der Gebrauch ist jedoch sehr unterschiedlich. Viele verwenden es lediglich außerhalb des Klosters, um erreichbar zu sein oder für den Fall,
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dass etwas passiert (vgl. Interview 4b: 10.46 – 11.45). Diesbezüglich gibt es bereits eine Regelung: Internet und Smartphones sollen nach 22.00 Uhr nicht mehr benutzt werden. Wie die Umsetzung ist, ist jedoch kaum zu überprüfen. Ansonsten ist es jedem freigestellt – besonders in der Fastenzeit – den Umgang damit nochmals bewusst zu hinterfragen. Klare Regelungen gibt es derzeit nicht, moderne Medien stehen aber auf der Agenda (vgl. Interview 4b: 11.49 – 12.29). Neben dieser im Vergleich zum früheren Mönchtum doch vergleichsweise fortschrittlichen Art und Weise zu leben, gibt es aber auch klare Einschränkungen, welche die Brüder mit ihrem Eintritt in die Gemeinschaft in Kauf nehmen. So verzichtet der Einzelne auch heute noch zum großen Teil auf Eigenbesitz. Alles was er benötigt, wird ihm von der Gemeinschaft zur Verfügung gestellt. Dabei kann es durchaus auch zu Einschränkungen kommen (vgl. Interview 3: 26.03 – 26.31). Oftmals können Verzichte aber auch als Gewinn angesehen werden, da sie von Abhängigkeit befreien. Ein Bruder berichtet beispielsweise, dass er früher viel ferngesehen habe, heute hingegen entscheidet er sich gezielt für interessante Inhalte und spart so Zeit (vgl. Interview 1: 24.04 – 24.58). Die Gemeinschaftsräume sind so eingerichtet, dass sich alle damit identifizieren und wiederfinden können (vgl. Interview 4b: 13.40 – 13.48). Derzeit entspricht der Standard des Wohnbereiches jedoch mehr oder weniger dem der 1950er oder 1960er Jahre. Das ist der Tatsache geschuldet, dass die Mönche, die 1922 nach der Säkularisation zurückgekommen sind, das Kloster zunächst einmal wieder herrichten mussten. Erst nach dem Krieg konnte es wieder richtig bewohnbar gemacht werden (vgl. Interview 4b: 12.41 – 13.01). Zwar wird daran gearbeitet, dennoch ist das nur Stück für Stück möglich, da bei einer kompletten Renovierung Beträge im sechsstelligen Bereich anfallen würden (vgl. Interview 3: 26.55 – 27.24). Den Sanitärbereichen beispielsweise ist es mittlerweile auch anzusehen, dass sie noch aus dieser Zeit stammen. Diese sollen demnächst in Angriff genommen werden. Dabei geht es grundsätzlich um den Zustand des Bades, das Prinzip der gemeinsamen Nutzung stellt nicht das Problem dar. Auch anderes ist allgemein in die Jahre gekommen (vgl. Interview 4b: 13.01 – 13.40). Dennoch ist die Lebensweise unter den genannten Umständen für die Mönche in Ordnung, immerhin handelt es sich um ein sehr schönes und auch sehr altes Haus mit schönen, alten Räumen. Das bringt trotz allem eine große Lebensqualität mit sich (vgl. Interview 1: 25.12 – 26.22).
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Auftretende Konflikte Natürlich gibt es auch Konflikte innerhalb der Gemeinschaft, darüber sind sich alle interviewten Mönche einig. Dabei handelt es sich einem Interviewpartner zufolge um Konflikte die es überall gibt, wo Menschen miteinander zu tun haben. Ob das in der Familie ist, in der Partnerschaft oder wo auch immer (vgl. Interview 1: 9.43 – 10.01). Ein anderer Bruder würde es sogar als unnormal empfinden und sich Gedanken machen, wenn es im Zusammenleben innerhalb der Klostergemeinschaft zu keinerlei Konflikten käme (vgl. Interview 3: 11.24 – 11.42). Die Spanne der Unstimmigkeiten reicht dabei von alltäglichen Situationen, wenn beispielsweise etwas liegen geblieben ist, bis hin zu größeren Konflikten. In der Gemeinschaft sollte es dann aber auch möglich sein, diese anzusprechen. Das funktioniert jedoch nicht immer (vgl. Interview 4a: 22.36 – 23.18). „Und ich versuche eigentlich auch immer das so nach der Benediktsregel zu handhaben, dass man vor Sonnenuntergang noch Frieden schließt“ (Interview 2: 12.32 – 12.43). Der Interviewpartner empfindet es als einen ganz wichtigen Aspekt, nicht mit dem Unwohlsein oder im Streit in die Nacht zu gehen (vgl. Interview 2: 12.44 – 12.54). Sehr unüblich ist es, dass man sich anschreit, Türen knallt oder gar handgreiflich wird. Der Bruder merkt in diesem Zusammenhang an, dass er es in manchen Situationen dennoch als hilfreich empfinden würde, einfach einmal die Türe zuzuschlagen, um seinen Unmut abzubauen. Nicht immer ist alles mit ruhigen Worten zu lösen, da im Eifer des Gefechts oftmals eine falsche Wortwahl gefunden wird und das die Sache gelegentlich noch schlimmer macht (vgl. Interview 4a: 23.57 – 24.34). Zudem gibt es je nach Vorfall auch Situationen, in denen die betroffenen Mönche eine Zeit lang mehr oder weniger wortlos aneinander vorbeigehen. Irgendwann haben beide dann aber immer wieder das Gefühl, dass ein normaler Umgang miteinander wieder funktioniert (vgl. ebd.: 24.36 – 24.48).
Das Beziehungsgespräch als Konfliktbewältigung Um entstandene Konflikte zu lösen, gibt es zunächst natürlich einmal die Möglichkeit, den betreffenden Bruder selbst unter vier Augen bezüglich des Anliegens oder Problems anzusprechen. Des Weiteren ist es ebenso möglich – sofern gewünscht – den Abt mit einzubeziehen (vgl. Interview 1: 10.15 – 10.39). Es gibt aber auch Angelegenheiten, die es notwendig machen, vor der gesamten Gemeinschaft angesprochen zu werden. Das kann zum Beispiel dann der Fall sein, wenn Konflikte mehrere Brüder betreffen. Im Kloster St. Matthias wurde dazu die Institution des sogenannten Beziehungsgespräches – kurz B-Gespräch – geschaffen (vgl.
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Interview 1: 10.02 – 10.14). In diesem Rahmen besteht für jeden Mönch die Möglichkeit, sein Anliegen in großer Runde vorzubringen. Grundsätzlich wird jeder aussprechen gelassen, bevor sein Gegenüber seine Sicht der Situation darstellen darf. Anschließend haben auch alle anderen das Recht zu sagen, wie sie die Sache sehen. Die Gemeinschaft dient als Vermittler und kann weitere Lösungsansätze mit einfließen lassen, die zur Klärung des Problems beitragen (vgl. Interview 3: 11.43 – 13.01). Ein Interviewpartner erinnert sich, dass gerade in der Vergangenheit viele Probleme innerhalb der Gemeinschaft über dieses Gespräch gelöst werden konnten, weshalb derzeit wieder verstärkt daraufgesetzt wird (vgl. Interview 3: 11.43 – 13.01). Auch aus einem anderen Gespräch heraus wurde deutlich, dass sich die Beteiligten im Grunde genommen gelegentlich gegenseitig an den Grund ihres Zusammenlebens erinnern müssen. „Das ist eine Lebensgemeinschaft, das geht quasi durch dick und dünn“ (Interview 2: 16.15 – 16.17).
Ständiges Bewusstwerden über den Grund des Zusammenlebens Ein wesentlicher Aspekt ist sicherlich auch, dass sich die Bewohner des Klosters ständig vor Augen führen, weshalb sie sich dazu entschlossen haben, ihr Leben nach diesen Grundsätzen zu gestalten. Auf Grundlage des Glaubens als tragfähige Basis gibt es vielfältige Motive, welche die Brüder mit der Ausgestaltung ihrer Leben verbinden und immer wieder in Erinnerung rufen. So würde ein Leben alleine oder in einer Partnerschaft zwar weitere Dinge ermöglichen, andere – für das Leben als Mönch zentrale – jedoch eben nicht (vgl. Interview 4b: 24.24 – 24.35). Mönch zu sein ist eine bewusst gewählte Lebensform, deshalb bedeutet sie für die Bewohner eines Klosters eben auch alles (vgl. Interview 1: 35.57 – 36.12). Ihr gesamtes Denken und Handeln orientiert sich an ihrem Ideal und ist vor allem der Gemeinschaft gewidmet. Im Mittelpunkt steht die Nachfolge Jesu, Gott zu suchen und als Gemeinschaft dem Evangelium zu folgen. Das hat einen noch höheren Stellenwert, als die tägliche Arbeit. Gerade in Bezug auf den heiligen Benedikt ist es besonders wichtig, dass dem Gottesdienst nichts vorgezogen wird. Dadurch kann es auch schon mal passieren, dass Arbeiten unterbrochen werden müssen oder liegen bleiben, da die Gebetszeiten in einer solchen Lebensgemeinschaft einfach einen wesentlich höheren Stellenwert besitzen. Letztendlich schützt dieser strukturierte Tagesablauf mit festgelegten Gebetszeiten die Mönche selbst auch vor Stress und den daraus resultierenden Krankheiten, wie sie heutzutage beispielsweise in der freien Wirtschaft verstärkt vorkommen. Ein Mönch stellt in diesem Zusammenhang fest, dass er und seine Mitbrüder allgemein doch sehr ausgeglichen sind (vgl. Interview 1: 36.13 – 37.10).
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Ein weiterer wichtiger Anspruch der Gemeinschaft an sich selbst ist es, einen Raum für alle Menschen zu schaffen, wo sie mit ihren Sorgen und Problemen Aufnahme finden können. Auch auf der Suche nach Stille und Ruhe möchte die Klostergemeinschaft einen Anlaufpunkt bieten (vgl. Interview 2: 35.53 – 36.20). Für Mönche steht das christliche Handeln im Vordergrund, Herkunft oder Religion spielen dabei keine Rolle. Allein der Mensch als solcher zählt für sie (vgl. Interview 1: 37.11 – 37.49). Letztendlich zeichnen die Interviews in ihrem jeweiligen Kontext alle das Bild, nach dem die Brüder mit der Ausgestaltung ihres Lebens in der Gemeinschaft der Erfüllung einer Sehnsucht nachgehen. Sie fühlen sich auf einem Weg und richten ihr tägliches Handeln zielgerichtet am Beispiel Jesu aus. Dabei möchten sie durch ihr Leben auch ein Stück weit Zeugnis von der Liebe geben, die sie selbst erfahren (vgl. Interview 3: 34.50 – 35.40).
Der Glaube als zentrales Element Nun hat sich im Verlaufe dieser Studie gezeigt, dass diese zweifelsohne außergewöhnliche Ausgestaltung des eigenen Lebens in der Praxis ein hohes Maß an individueller Einschränkung sowie durchstrukturierte Vorgaben durch die Gemeinschaft mit sich bringt. Trotz einiger „Höhen und Tiefen“ (Interview 1: 38.03 – 38.04) sind sich dennoch alle interviewten Mönche einig, dass sie auch nach vielen Jahren mit dieser Lebensweise zufrieden sind und ihre persönliche Erfüllung darin finden (vgl. Interview 3: 36.47 – 36.59). In diesem Zusammenhang erscheint aus soziologischer Perspektive ein weiterer Punkt sehr interessant: Im Verlaufe der Gespräche hat sich herauskristallisiert, dass Glaube und Christusbeziehung offenbar die stärkste und tragfähigste gemeinsame Basis für die Gemeinschaft darstellen. Aus allen Interviews geht deutlich hervor, dass die religiöse Verankerung eine Grundlage schafft, auf die sich alle auch in Zeiten von Schwierigkeiten und Problemen zurückbesinnen, um an dieser Form des Lebens innerhalb der Gemeinschaft festzuhalten (vgl. Interview 3: 37.08 – 37.37). Zwei Zitate aus den Gesprächen verdeutlichen das an dieser Stelle besonders gut: „Ich denke ganz hilfreich ist, dadurch, dass wir da kontinuierlich miteinander reden und das da halt auch eine Basis gegeben ist, die trägt und die uns halt auch ermöglicht, auch gerade in die Vergebung rein zu gehen“ (Interview 4a: 24.49 – 25.05) sowie „wenn das Fundament so stimmt, trägt das schon“ (Interview 1: 38.07 – 38.11). Ohne den Aspekt des Glaubens und der sich daran orientierenden Regeln würde es sich den Mönchen zufolge bloß um eine Kommune oder klassische Wohngemeinschaft handeln. Die unterschiedlichen Charaktere sowie das fehlen-
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de Regelwerk würden ein Zusammenleben auf Dauer wahrscheinlich unmöglich machen, da Konflikte sehr schnell zu eskalieren drohen würden. In der Folge wäre die Fluktuation sehr groß, die Ausprägung eines gemeinsamen Geistes unmöglich (vgl. Interview 1: 38.13 – 39.21). Auch das lässt sich mit Hilfe zweier Passagen aus den Interviews untermauern: „Dann [ohne den religiösen Aspekt] wären wir nur eine WG. Und als WG glaube ich, würden wir, glaube ich, ja, vielleicht keine zwei Wochen zusammenleben hier“ (Interview 2: 38.15 – 38.24) und „was natürlich in der Natur der Sache liegt, ist die notwendige Affinität im weitesten Sinne zu Glaube und Kirche. Also, ohne das würde man wahrscheinlich jetzt sich schwerlich auf diesen Weg machen“ (Interview 4b: 16.07 – 16.19). Die Klostertradition spricht diesbezüglich für sich. Diese Form des Zusammenlebens muss in gewisser Weise tragfähig sein, ansonsten würde es christliche Klöster nicht bereits seit so vielen Jahrhunderten geben (vgl. Interview 4b: 28.38 – 28.49).
5.5 Gewonnene Erkenntnisse und Ausblick Anfänglich berichteten alle Brüder, dass der Entschluss, sich einer monastischen Gemeinschaft anzuschließen, jeweils das Ergebnis eines über Jahre hinweg dauernden Prozesses darstellte. Keiner der Mönche sprach von einem konkreten Schlüsselerlebnis, das ihn zu diesem Schritt bewegt habe. Auch der weitere Weg bis zur feierlichen Profess, den ein jeder durchlaufen muss und welcher mindestens fünf bis sechs Jahre beansprucht, soll die Besonderheiten samt den Eigenheiten, die damit einhergehen, aufzeigen. Diese Zeit dient der Vorbereitung darauf, das gesamte übrige, weltliche Dasein im Sinne der Gemeinschaft und nach dem Glauben auszurichten. Mit dem feierlichen Eintritt in die Glaubensgemeinschaft trifft somit ein jeder Bruder eine bewusste Entscheidung mit allen positiven wie auch negativen Konsequenzen dieses Schrittes. Alleine schon die in dieser Zeit gemachten Erfahrungen scheinen den Individuen eine gewisse Stabilität mit auf den weiteren klösterlichen Weg zu geben. Des Weiteren kristallisierte sich aus den Gesprächen heraus, dass das Leben in einer Klostergemeinschaft für ihre Mitglieder vor allem optimale Voraussetzungen bietet, ihren Alltag am Leben Christi auszurichten. Im Detail bedeutet dies, der Geschwindigkeit der modernen Welt zu entfliehen um – soweit dies in der heutigen Zeit noch möglich ist – in Askese zu leben. Der durchstrukturierte Tagesablauf mit den festgelegten Gebetszeiten dient dabei nicht zuletzt auch dem Eigenschutz der Mönche, wie einige von ihnen in den Gesprächen bewusst hervorhoben. So sind typische stressbezogene Krankheitsbilder, wie sie im Zuge der Arbeitswelt des 21. Jahrhunderts verstärkt auftreten, im Kloster nicht existent.
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Ein dritter – und für diese Studie von essentieller Bedeutung – Erkenntnisgewinn ergibt sich daraus, dass alle geführten Interviews gezeigt haben, dass die Gemeinschaft der Brüder in erster Linie durch ihren Glauben sowie ihrer Beziehung zu Christus zusammengehalten wird und die menschliche Ebene, die soziale Organisation des Zusammenlebens und Teilens nur unter diesem Gesichtspunkt für sie sinnvoll und dauerhaft umsetzbar erscheint. Es erweckt den Eindruck, als würde der Glaube den Grundsatz eines tragfähigen Gerüstes für die Klostergemeinschaft darstellen. Der Glaube steht für jedes Mitglied klar im Vordergrund und schweißt die Mönche zusammen, um so selbst schwerere Zeiten miteinander zu meistern. In diesem Kontext kommt vor allem den Institutionen zur Bewältigung auftretender Konflikte eine relevante Rolle zu. Nur, wenn sich jedes Individuum innerhalb des Klosters ständig den Grund des Zusammenlebens vor Augen führt und das Gemeinwohl als oberstes Gut ansieht, kann diese Lebensform auf Dauer funktionieren. Die Untersuchungen lassen die Schlussfolgerung zu, dass vor allem der Glaube als Hauptgrund für das Funktionieren des Zusammenlebens unter den im gesamten Verlauf dieser Ausarbeitung bereits ausgiebig geschilderten Lebensverhältnissen angesehen werden muss. Aus der in diesem Zusammenhang studierten Lektüre sowie den Interviews gehen keine anderen Mechanismen hervor, denen eine ähnliche Kraft zuzusprechen wäre. An dieser Stelle soll nochmals darauf hingewiesen werden, dass es christliche Klöster immerhin seit rund 1 600 Jahren gibt. Dennoch gilt es zu konstatieren, dass klösterliche Lebensgemeinschaften seit eini gen Jahrzehnten sinkende Mitgliederzahlen zu verkraften haben. Auch aus den geführten Interviews ging dies deutlich hervor. Zwar gibt im Kloster St. Matthias aufgrund der aktuellen Altersstruktur noch keinen Grund zur Sorge, dennoch befindet sich auch in ihren Reihen aktuell nur ein Novize. In Zeiten weitreichender Säkularisierung und einer Ferne zur amtlichen Kirche erscheint das Leben im Kloster dann auch sicherlich nicht als Alternative zu den auftretenden Problemen der Moderne und als Lösungsprinzip für funktionierende gemeinschaftliche Wohnformen. Unsere Studie hat jedoch gezeigt, dass funktionierende gemeinschaftliche Wohnformen – und das Kloster St. Matthias ist genau das – sich nur mit Hilfe einer gemeinsamen Wertebasis halten lassen. Die anderen in diesem Band zusammengestellten Teilstudien können zeigen, ob es sich hierbei um ein allgemein gültiges Prinzip handelt.
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Das Schammatdorf in Trier – Urban Villagers ?1 Joanna Koßmann
Zumindest hinsichtlich idealisierter Lebensvorstellungen stehen Dörfer wieder im Fokus der medialen Aufmerksamkeit (vgl. Baumann 2016). Man trifft auf Bilder der Dorfromantik, man inszeniert das dörfliche (Zusammen-)Leben im Einklang mit einer intakten Natur und freundlichen und hilfsbereiten Nachbarn, man liest vom gesunden und ruhigen Leben und dazu passenden Lebensmitteln. Häufig macht dieser Agrarromatizismus Anleihen bei einer pauschalisierenden Stadtkritik, wonach die städtische Lebenswirklichkeit ungesund, Anomie fördernd oder sogar dissozial sei, die Verhältnisse auf dem Land dagegen als gesund, harmonisch, geordnet und in sich ruhend und stabil angesehen werden. Dorf und Landleben sind dabei die veränderungsresistenten Fixpunkte in einer sich ansonsten permanent und rapide wandelnden und wohl auch bedrohlichen (städtischen) Welt. Betrachtet man auf der anderen Seite die soziodemographische Realität, so kann doch eine gewisse Verwunderung über den Dorfenthusiasmus entstehen. Denn grob und damit sicher sehr vereinfachend gesagt, leben immer weniger Menschen auf dem Dorfe, die Urbanisierung schreitet sowohl national wie international rasch voran und selbst bei den verbleibenden Siedlungstypen in ländlichen Regionen lässt sich die Sozialfigur des urbanen Dorfes beobachten (vgl. hierfür Vogelgesang et al. 2015; 2016; 2018). Vielleicht lässt sich dieser scheinbare Widerspruch durch den Hinweis auf eine alte und berühmte Studie von Herbert Gans (1962) zu den „Urban Villagers“ lösen, die die positiven Funktionen dorfähnlicher Strukturen im Bostoner West1
Diese Untersuchung konnte nur durch die tatkräftige Unterstützung vieler Menschen möglich gemacht werden. Wir danken den Bewohnerinnen und Bewohnern, die an der Befragung teilgenommen und uns dadurch einen Einblick in ihre Lebenswelt gestattet haben. Ebenso sei Frau Anja Loch als Kleine Bürgermeisterin und Herrn Eucharius Wingenfeld als Ansprechpartner aus der Abtei St. Matthias für die Unterstützung, die hilfreichen Informationen sowie ihren Rat gedankt.
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 J. Kopp et al. (Hrsg.), Gemeinschaftliche Wohnformen zwischen Entfremdung und Resonanz, https://doi.org/10.1007/978-3-658-26048-4_7
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End für die soziale Integration und die Lebensqualität der damals hauptsächlich italo-amerikanischen Bevölkerung in diesem Viertel untersuchte. Die Menschen suchen vielleicht auch heute gar nicht mehr wirklich das dörfliche Leben, sondern sehnen sich eher nach der Gemeinschaft, die dieser Lebensform üblicherweise zugeschrieben wird. Es geht vielleicht weniger um Dorf oder Stadt als vielmehr um Geborgenheit, Integration oder – um den viel missbrauchten Begriff wieder zu beleben – um Heimat, und dies durchaus in einem utopischen Sinne. Ziel dieses Beitrags soll es deshalb sein, anhand eines konkreten Beispiels empirisch zu untersuchen, ob und inwieweit derartige Funktionen auch in geplanten und städtischen Umgebungen erbracht werden können. Das konkrete Beispiel hierfür liefert das in diesem Band ja mehrfach behandelte Projekt Schammatdorf in Trier. Während in den anderen Beiträgen die architektonische und planerische Perspektive im Mittelpunkt steht, sollen in dem hier vorliegenden Beitrag mit Hilfe einer Untersuchung der Bewohner und Bewohnerinnen des Schammatdorfs die subjektiven Empfindungen und Wahrnehmungen fokussiert werden.
6.1 Zur Geschichte und Struktur des Schammatdorfs: einige kurze Vorbemerkungen Die Untersuchung von konstruierten Gemeinden stellt für die Gemeinde- und Stadtsoziologie einen interessanten Ansatzpunkt dar, da gerade die Evaluation der angestrebten Ergebnisse einen sinnvollen Gradmesser für das Verständnis sozialer Prozesse und für die theoretische Erfassung der entsprechenden Entwicklungen liefern kann. Fehlen diese Erkenntnisse, sind erfolgreiche Eingriffe und damit die Erreichung der gewünschten Ziele oder Veränderungen zumindest relativ unwahrscheinlich.2 Konstruierte Gemeinschaften oder Wohnkonzepte beinhalten meist Überlegungen rund um die Sozialstruktur und Soziodemografie der Wohnenden, deren Ausprägung damit gewissermaßen reglementiert wird. Darüber hinaus kann je nach Nachbarschaftskonzept die Idee verfolgt werden, die sozialen Interaktionen, Beziehungen sowie Gruppen innerhalb der Gemeinde nach einem bestimmten Leitbild zu formen. Auf Grundlage ihres konzeptionellen Hintergrunds ist die Gemeinde mit anderen Erwartungen an sich und ihren Erfolg konfrontiert. „Denn eine noch so gut konzipierte und durchdachte geplante Nachbarschaft ist letztlich abhängig vom nachbarlichen Engagement der einzel2 Natürlich entstehen auch historische Dörfer und Städte nicht rein zufällig oder aus dem Nichts heraus. Bei diesen meist sehr langfristigen Entwicklungen spielt jedoch eine große Zahl weiterer Faktoren eine bedeutsame Rolle, so dass kausale Rückschlüsse noch schwerer zu ziehen sind als sonst.
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nen Bewohner des Gemeinwesens. Nur wenn die Planung tatsächlich den Bedürfnissen und Interessen der Menschen im Wohnquartier entspricht, wird sie sich mit Erfolg verwirklichen lassen“ (Hall 1984: 238). Es handelt sich beim Schammatdorf um ein vor bald 40 Jahren begründetes integratives Wohnprojekt mit sozialer Zielsetzung im südlichen Teil des Stadtgebiets von Trier. Es wurde im Schatten der Benediktinerabtei St. Matthias im Ortsbezirk Trier-Süd, genauer im Ortsteil Matthias, erbaut. Die Wohnanlage ist von dem Gelände des Klosters im Norden und Westen begrenzt und dehnt sich Richtung Osten bis zu den Bahngleisen und in Richtung Süden bis zum Wohngebiet „Im Schammat“ aus.3 Die Wohnanlage ist von drei Seiten abgeschirmt und lediglich im Süden offen zu anderen Wohngegenden und somit räumlich relativ isoliert. Im Jahr 1972 gaben die Benediktinermönche der Abtei St. Matthias ihre Landwirtschaft endgültig auf. Von den verschiedenen Optionen bezüglich der Nutzung des brachliegenden Lands, die zur Verfügung standen, entschieden sich die Mönche für eine soziale Nutzung. Mit der Idee eines Abenteuerspielplatzes wandten sie sich im Jahr 1974 an den damaligen Sozialdezernenten der Stadt Trier, Bürgermeister Paul Kreutzer. Da Schwierigkeiten bei einer freien Planung perzipiert wurden, wurde stattdessen die Schaffung eines behindertengerechten Wohnraums vorgeschlagen, der den betroffenen Menschen ein eigenständiges Leben bieten sollte. Die Abtei nahm diese Idee an und so entstand das Konzept des Schammatdorfs ab dem Jahr 1974 über einen Zeitraum von zwei bis drei Jahren in Kooperation mit dem Sozialdezernat der Stadt Trier. Die Wohnungsbau und Treuhand AG (gbt)4 übernahm die Bebauung des Geländes auf Basis eines Erbpachtvertrages mit einer Laufzeit von 99 Jahren (vgl. insgesamt Hall 1984). Das Schammatdorf wurde aus verschiedenen Handlungsmotivationen sowie -begründungen heraus entwickelt. Ein Ursachenbündel rekurriert auf die unterschiedlichen Probleme städtischen Wohnens. Dazu gehören die Vereinsamung von einzelnen Menschen, die negativen Auswirkungen der Anonymität der Stadt, der mangelnde Spielraum für Kinder, die Segregation von Randgruppen sowie die Gefahr der gesellschaftlichen Entmündigung von Menschen mit Beeinträchtigungen (vgl. Schammatdorf 2016: 1). Die Mönche handelten aus ihrem christlichen Glauben und ihrer Überzeugung heraus, dass im sozialen Raum Initiativen ergriffen werden sollen, die auch ablesbar sind (Hall 1984). Die Motivation der Stadt 3
Schammat leitet sich ab von Campi Sancte Matthiae oder Les Champs de St. Matthias, also den Feldern von Sankt Matthias (vgl. Hall 1984: 49). 4 Die Abkürzung „gbt“ stammt von dem im Jahr 1939 eingeführten Namen „Gemeinnützige Baugesellschaft mbH Trier“ und wird seit dem Jahr 1958 als Markenzeichen verwendet (vgl. Wohnungsbau und Treuhand AG (gbt) o. J.). Aus diesem Grund wird diese Abkürzung im Folgenden stellvertretend verwendet.
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Trier hat der damalige Bürgermeister Kreutzer in einem Brief an den Abt von St. Matthias zum Ausdruck gebracht. Er berief sich auf das Bundessozialhilfegesetz hinsichtlich alter und behinderter Menschen sowie das Jugendwohlfahrtsgesetz hinsichtlich Kinder und damit der allgemeinen Pflicht der Stadt zur Daseinsvorsorge sowie -fürsorge (vgl. Hall 1984: 107).5 Es gibt – so das Schreiben – keine „dringlichere soziale Aufgabe (…) als die, alleinstehenden und pflegebedürftigen alten Menschen sowie Behinderten, für die die eigene Familie nicht mehr sorgen kann, menschenwürdige Wohn- und Lebensmöglichkeiten zu schaffen. Dasselbe gilt für die Notwendigkeit, die Sozialisationsbedingungen für sog. unvollständige Familien zu verbessern, indem die soziale Isolierung sowohl der alleinstehenden Elternteile wie auch ihrer Kinder aufgehoben wird“ (Hall 1984: 109). Die Begründung der gbt bezog sich auf die Probleme der auf dem Wohnungsmarkt Benachteiligten und den Wunsch, dem entgegenzuwirken (vgl. Hall 1984: 110). Nicht nur in der gemeinsamen Handlungsmotivation, sondern auch in der Finanzierung waren die drei Akteure eingebunden. Der Bau im Zeitraum 1979 – 1984 wurde aus Mitteln des sozialen Wohnungsbaus von 15 Millionen DM ermöglicht (vgl. Schammatdorf 2016: 1). Aus diesem Grund wurden die Wohnungen, insbesondere die für Behinderte und Senioren, nach den Richtlinien des sozialen Wohnungsbaus gebaut. Die gbt tritt als Bauträger auf, weil sie das Wohnprojekt über Mittel des sozialen Wohnungsbaus finanzierte, und hat dessen Verwaltung übernommen (vgl. insgesamt Hall 1984). Das Schammatdorfzentrum aus dem Jahr 1987 wurde gesondert finanziert, unter anderem über die Fernsehaktion Sorgenkind (vgl. Monz 1991: 90) und über die Abtei St. Matthias (vgl. Friedrich 2001: 84). Der Gewinn, der aus der Pacht zwischen Abtei und gbt resultiert, fließt in das Schammatdorf zurück. Die Mittel zum Bau eines angrenzenden Kinderspielplatzes wurden von der Stadt Trier bereitgestellt. Das Schammatdorf versteht sich als ein „gemeinschaftliches integratives Wohnprojekt mit sozialer Zielsetzung“ und als einen Ort der Vielfalt. Es verfolgt die Ziele, hilfsbedürftigen und beeinträchtigen Menschen ein selbständiges und selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen, das solidarische Miteinanderwohnen zu fördern, eine gute engagierte Nachbarschaft zu sein sowie Toleranz und Wertschätzung in der Begegnung zu leben. Diese Zielsetzung steht unter der Triade Kommunikation – Integration – Partizipation. Durch die Konzipierung der Wohnanlage kommt es zu einer Förderung der Sensibilisierung bezüglich der Probleme Benachteiligter, Vorurteile sollen abgebaut werden und eine differenziertere Wahrnehmung hinsichtlich des Themas Behinderung kann entwickelt werden (vgl. Schammatdorf 2016; 2017). In dieser Idee zeigt sich eine abgewandelte 5
Der Brief von Bürgermeister Kreutzer vom 18. März 1974 findet sich als verkürzter Abdruck in Hall (1984).
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Form des Konzepts der inszenierten Nachbarschaften (Häußermann/Siebel 1996). Dieses Konzept zeichnet sich durch eine Öffnung der privaten Sphäre des Wohnens gegenüber einer eng umgrenzten Nachbarschaft aus. Unter dem Begriff ist die Organisation sozialer Netze gemeint, worüber bestimmte Haushaltsfunktionen gemeinschaftlich erledigt (beispielsweise Kinderbetreuung, füreinander Einkaufen, Kochen) sowie Isolation und Anonymität durchbrochen werden können. Dadurch ergibt sich ein Zusammenspiel aus praktischen Überlegungen und dem Interesse an engerer Kommunikation. Diese inszenierten Nachbarschaften können als Ersatz für ein ausdünnendes Verwandtschaftsnetz dienen (vgl. Häußermann/Siebel 1996: 320 f.). Die Träger erwarten von den Bewohnern des Schammatdorfs, dass sie die Nachbarrolle bewusst übernehmen und für die Teilnahme eines derartigen partnerschaftsorientierten Wohnversuchs bereit sind. Diese Vorstellung des Konzepts wird im Rahmen der Bewerbungsgespräche an die potentiellen Mieter herangetragen (vgl. Hall 1984: 115). Der Adressatenkreis des Schammatdorfs teilt sich in drei Gruppen auf. ■■ erstens hilfsbedürftige Menschen, um einer Aussonderung aus dem Leben der Gesellschaft entgegenzuwirken und ihnen die Unterbringung in Heimen oder dergleichen zu ersparen ■■ zweitens Alleinerziehende und ihre Kinder, weil sie in vielen Fällen persönliche, familiäre oder wirtschaftliche Belastungen tragen ■■ drittens Menschen, die aufgrund ihrer lokalen Gebundenheit (beispielsweise Hausfrauen/-männer und Kinder) oder persönlicher Motivation verstärkt nach Kontakten im Wohnbereich suchen (vgl. Hall 1984: 111 f.). Um die Segregation von einzelnen Gruppen zu vermeiden, waren und sind Diversität und Heterogenität der Bewohnerschaft das Anliegen der Initiatoren (vgl. Schammatdorf 2016: 10). Dass der Wunsch nach dieser Art der Zielgruppe auch erfüllt ist, wird unter anderem durch die Wohnungsvergabe gelöst. Die Bewerbungen für eine Wohnung gehen an den Kleinen Bürgermeister (Schammatdorf 2017).6 Danach folgt ein Vorstellungsgespräch mit dem Hofsprecher, einem Vertreter der Abtei sowie dem Kleinen Bürgermeister. Der daraus resultierende Belegungsvorschlag wird dann an die gbt weitergeleitet. Die Auswahl der Mieter erfolgt nach bestimmten Kriterien. Aufgrund der sozialen Zielsetzung bewerben sich vermehrt auf Hilfe Angewiesene. Aus diesem Grund ist dann zu klären, welche körperliche Behinderung, materielle Nöte, persönliche Konflikte sowie psy6
Da dieses Amt aktuell von einer Frau eingenommen wird, wird im Folgenden die Formulierung „Kleine Bürgermeisterin“ gewählt, wenn von der aktuellen Amtsträgerin die Rede ist. Als neutrale Bezeichnung für das Amt wird „Kleiner Bürgermeister“ benutzt.
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chische Krankheiten und deshalb welcher Intensitätsgrad an Hilfsbedürftigkeit vorliegen. Zu den Aspekten, die bei der Beurteilung dieser Bereiche wesentlich sind, zählen beispielsweise inwieweit ein Umzug diese Probleme lösen oder minimieren kann, welche Erwartungen der Bewerber diesbezüglich hat und inwieweit das Angebot des Schammatdorfs dem Bewerber ein selbständigeres Leben ermöglichen kann. Hierbei wird auch die bestehende Wohnsituation miteinbezogen, also ob ein aktueller Anlass für einen Umzug besteht. Ein weiterer Gesichtspunkt bezieht sich auf die Kommunikationsbereitschaft der Bewerber, deren Einstellung zur Nachbarschaft sowie ihre Motivation zur Bewerbung. Darüber hinaus ist interessant, ob der Bewerber berufliche (soziale) Qualifikationen und Kompetenzen besitzt oder Interessen hat, die in das Dorfleben eingebracht werden können (Hall 1984). Neben all diesen Kriterien, die den Bewerber betreffen, ist auch zu prüfen, ob überhaupt eine angemessene Wohnung zur Verfügung steht. Außerdem wird bei der Belegung der Wohnhöfe darauf geachtet, dass die Bewohnerschaft heterogen ist. Die „Unselbständigen“ sollen von den „Selbständigen“ unterstützt werden, beispielsweise durch Handreichungen. Hiermit sind aber nicht umfangreiche mechanische Dienstleistungen, wie beispielsweise eine Reinigung der Wohnung, gemeint. Es sollen keine Helfer-Hilfeempfänger-Beziehungen entstehen, sondern die Gegenseitigkeit stellt die Grundlage für das Zusammenleben dar. Deshalb sind die Freiwilligkeit und die Individualsphäre des Einzelnen ausschlaggebend für dieses Konzept. Aus diesem Grund gilt es zu beachten, dass kein Bewohner überfordert wird: Die Relation von „Unselbständigen“ und „Selbständigen“ soll 1:4 betragen und nicht trag- oder leistbare Aufgaben müssen von professionellen Diensten übernommen werden. Zu weiteren formellen Kriterien bei der Auswahl gehören außerdem noch das Alter, das Geschlecht, die Anzahl der potentiell einziehenden Personen, der Familien- und Berufsstand sowie das Jahreseinkommen. Letzteres ist relevant dafür, ob es eine Vermietung im Rahmen des sozialen Wohnungsbaus zulässt. Wenn dies nicht der Fall ist, ist zu klären, ob eine besondere Kompetenz oder Motivation des Bewerbers vorliegt, die dessen Einzug wünschenswert macht (vgl. Hall 1984: 114 ff.). Die Wohnungsvergabe lässt sich wie folgt zusammenfassen: „Die Vergabe der Wohnungen orientiert sich zu einem Großteil unabhängig von den Bedürfnissen der Einzelnen an der von der Dorfleitung vorgegebenen Infrastruktur eines konkreten Hofes. Es gilt für die Entscheidungsträger (1) nach subjektivem Ermessen einzuschätzen und (2) nach objektiven Kriterien abzuwägen, ob (1) ein Interessent in einen konkreten Hof integriert werden kann und ob (2) durch eine zu treffende Belegung das anzustrebende, ausgewogene Verhältnis zwischen Hilfsbedürftigen und selbständig Lebenden gewahrt wird, ob nicht bestimmte Adressatengruppen durch eine Neubelegung in einem Hof überproportional stark, andere hingegen gar nicht vertreten sind“ (Hall 1984: 119). Wünsche
Das Schammatdorf in Trier – Urban Villagers ? 141
der Bewohner werden bei der Wohnungsvergabe beachtet und mit der Bewerberliste abgeglichen (vgl. Kerl 2019). Die Grundidee des Schammatdorfs beruht also auf einer durch Heterogenität und eben gerade nicht durch Homogenität erzeugten Gemeinschaft. Monz (1991: 90) beschreibt die Idee hinter dem Leitbild Dorf wie folgt: „Das Schammatdorf soll zur humaneren Gestaltung der gemeinsamen nachbarschaftlichen Lebensbedingungen in einer Wohnanlage beitragen und beispielhaft sein. (…) Konkret geht es um die Revitalisierung der menschlichen Aspekte der früheren Dorfgemeinschaften, soweit diese in den anonymen städtischen Großsiedlungen verlorengegangen sind. Über bewußt akzeptierte und lebendig gestaltete Nachbarschaften sollen neue Gemeinschaftsbeziehungen entstehen, die bewahren und aktivieren, was verloren zu gehen droht. Sie sollen im konkreten Fall durch individuelle Absicherung in der nachbarlichen Gemeinschaft helfen“ (Monz 1991: 90). Das Dorf ist also hier mit dem Bild von Gemeinschaft, Verbundenheit und Integration verbunden. Als überschaubares und in sich geschlossenes Dorf soll es das Nachbarschaftsgefühl und die Identität mit dem Wohnquartier fördern (vgl. Friedrich 2001: 92). An diesem Leitbild orientierte sich auch die bauliche Gestaltung des Wohnprojekts. Eine Wohnanlage zu schaffen, die sowohl Integration als auch Kommunikation unter ihren Bewohnern ermöglicht, sollte auch durch die bauliche Gestaltung ermöglicht werden (vgl. Schammatdorf 2016: 2 f.). Über vier Bauphasen zwischen 1979 und 1994 hinweg wurden die Wohnhöfe erweitert und dadurch die Anzahl an Nachbarn erhöht und mehr Raum für Vielfalt geschaffen. Dabei besteht die Mehrzahl der Höfe aus mehreren zweigeschossigen Giebelhäusern mit je zwei Wohnungen. Ein fast geschlossener Innenhof von etwa 150 Quadratmetern entsteht durch die Anordnung der Häuser. Die Wohnungstüren sind zum Innenhof ausgerichtet. Die Innenhöfe stellen mit Tischen und Bänken einen möglichen Kommunikationsort dar. Die Hofarchitektur dient als Vermittlung zwischen privatem und öffentlichem Bereich, durch den jeder den Grad an Nähe und Distanz zum Nachbarn selbst bestimmen kann. Durch diese Struktur werden Treffpunkte für die Bewohner geschaffen und dadurch die Bildung von Primärgruppen unterstützt. Man kann auch und gerade im Schammatdorf sehr gut zwischen den einleitend erwähnten öffentlichen, halböffentlichen sowie privaten Räumen unterscheiden, wodurch ein Ausgleich zwischen Alleinsein und Zusammensein möglich ist. Während die Wohnanlagen mit ihren Fußwegen sowie den wenigen Straßen und dem Dorfzentrum öffentliche Bereiche sind, ist die Wohnung ausschließlich privat. In der Wohnung gibt es keine Gemeinschaftsräume, sodass gesichert ist, dass sich jeder Nachbar zurückziehen kann, wenn er will. Durch die Ausrichtung der Türen und des Küchenfensters zum Innenhof ist ein Blick in den halböffentlichen Raum möglich. Dementsprechend stellen der Hof selbst sowie der Innenhof halb-
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öffentliche Bereiche dar (vgl. Hall 1984: 77 ff.). Es ist zu erkennen, dass der private Raum auf die Bereiche ausgerichtet ist, in denen die Kommunikation zwischen den Nachbarn stattfinden soll. Ein weiterer Faktor, der die Kommunikation durch eine hohe funktionale Nähe unterstützen soll (Hahn et al. 1979), ist die Verbundenheit der Wohnungen innerhalb der Kernhöfe mit einem Laubengang. Ein ähnliches Argument gilt für die im Schammatdorf zu findenden Sackgassen dar. Kurze Wege, ein barrierereduzierter Wohnraum und Aufzüge, aber auch generationenübergreifendes Wohnen, eine schnelle Hilfe im Alltag, Rückzugsmöglichkeit und Gemeinschaft sowie regelmäßige Treffpunkte und Möglichkeiten, sich zu beteiligen sind die Vorteile dieses Wohnprojekts. Die Abbildung 6.1 gibt einen Eindruck der Wohnsituation im Schammatdorf.
Abbildung 6.1 Das Schammatdorf im Überblick im Jahr 1980 und im Detail
Quelle: Schammatdorf 2017
Das Schammatdorf in Trier – Urban Villagers ?
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In der Abbildung 6.2 fi ndet sich ein Lageplan, bei dem auch die einzelnen Bauphasen differenziert werden können. Hier wird auch deutlich, dass das Schammatdorf keine Durchgangsstraße besitzt und somit verkehrsberuhigt ist, die gestrichelten Linien sind breitere Fußwege. Im Zentrum der Kernhöfe befi ndet sich das Dorfzentrum mit einem großen Versammlungsraum, mehreren Gruppenräumen, einer rollstuhlgerechten Küche, das „Kneipchen“ und das Büro des Kleinen Bürgermeisters. Schon anhand dieses Lageplans wird deutlich, dass sich die in der letzten Bauphase errichteten Gebäude deutlich von den alten Höfen unterscheiden. Die in den 1970er und 1980er Jahren errichteten Teile bilden jeweils in sich geschlossene Einheiten, während die sogenannten Neuen Höfe eher offen sind und in sich weniger strukturiert. Das Schammatdorf allgemein weist eine differenziere Organisationsstruktur auf: Die Dorfleitung setzt sich aus einem Mitglied der Abtei St. Matthias und einem Sozialpädagogen als „Kleiner Bürgermeister“ zusammen. Sie ist für die gemeinwesenorientierte Arbeit zuständig, während die gbt für die Verwaltung der Wohnungen verantwortlich ist (Hall 1984: 116). Die Anstellung eines Sozialpädagogen war ursprünglich nur für die ersten Jahre des Wohnprojekts geplant gewesen. Nach den ersten sieben Jahren zeigte sich jedoch, dass diese
Abbildung 6.2
Lageplan des Schammatdorfs
Abtei St. Matthias Hof 11
Hof 9
Spiel- und Sportplatz
Hof 15
13a
Hof 27
Par plat kz Kin derg
Hof 25
Hof 23 31 33 35 3743a
Legende: 1979 1980 1981-1984 1987 1994 Quelle: eigene Darstellung
Sch
amm at
Hof 19
Schammatdorfzentrum
arte n
Im
Hof 17
Hof 13
43 41 39
45 47 49 49a
51
53 Neue Höfe 55 59 61 63 gbt- 69 Büro
67 65
63a
57
Hof 21
144
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Stelle unverzichtbar ist (Schammatdorf 2016). Zum Aufgabenbereich gehört unter anderem Beratung, Vermittlung bei Konflikten und die Durchführung der Vorstellungsgespräche mit Wohnungsbewerbern.7 Außerdem ist diese Position mit einer Mitgliedschaft im Vorstand des Vereins verbunden. Den Verein „Schammat dorf e. V.“ gibt es erst seit dem Jahr 1984. Er wurde eingerichtet, um eine solidarisch gelebte Nachbarschaft sowie ein aktives Dorfleben zu fördern und die Interessen nach außen zu vertreten (vgl. Schammatdorf 2017). Darüber hinaus gibt es noch eine Stadtteilzeitung, den „Dorfboten“, der einmal im Quartal kostenlos an alle Bewohner und Bewohnerinnen verteilt wird und ein wichtiges Element in der Kommunikation und Partizipation im Schammatdorf darstellt (Schammatdorf 2016: 13). Über die Jahre hinweg ist das Schammatdorf gewachsen und zählt mittlerweile elf Wohnhöfe mit insgesamt 140 Wohnungen, davon sind 44 rollstuhlgerecht. Insgesamt leben 248 Bewohnerinnen und Bewohner im Schammatdorf. Rund 40 Wohnungen und damit etwa ein Viertel sind seit dem Jahr 2003 ins Eigentum der jeweiligen Bewohner übergegangen. Mit 57 Prozent stellen die Bewohnerinnen die Mehrheit. Etwa 15 Prozent sind Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren, ein Viertel der Bewohner und Bewohnerinnen ist über 60 Jahre alt. Die Wohnungen sind zwischen 50 und 128 Quadratmetern groß und haben bis zu fünf Zimmer sowie jeweils Küche und Bad. Mit mehr als 55 Prozent ist der 1-Personen-Haushalt der häufigste Haushaltstyp, gefolgt von 2-Personen-Haushalten (19 Prozent), Familienhaushalten (14 Prozent), Haushalten von Alleinerziehenden (über 10 Prozent) und einer Wohngemeinschaft. Jeweils etwa ein Drittel der Bewohner wohnt in 1-Personen- und Familienhaushalten. Fast ein Fünftel wohnen in 2-PersonenHaushalten, etwas mehr als ein Sechstel in Alleinerziehenden-Haushalten und nur ein Prozent der Bewohner sind in einer Wohngemeinschaft (vgl. Schammatdorf 2016; 2017; 2018).
7
Peter Kappenstein, der erste Kleine Bürgermeister, fasste seine Aufgabenbereiche wie folgt zusammen: Planung, Organisation und Durchführung, Verwaltung, Beratung, Verlaufsund Erfolgskontrolle sowie handwerkliche Tätigkeiten (vgl. Hall 1984: 121).
Das Schammatdorf in Trier – Urban Villagers ? 145
6.2 Zielsetzung und Design der Studie Das Schammatdorf ist eine besondere Form des sozialen Wohnungsbaus8, gilt als ein erfolgreich implementiertes Projekt im Bereich integriertes Wohnen und ist mit mehreren Preisen ausgezeichnet worden.9 Gerade erfolgreiche soziale Innovationen bedürfen jedoch regelmäßiger Evaluation und dem Mut zur Kritik. Erste Vorgespräche und Erfahrungen zeigen, dass intern einzelne Punkte durchaus kontrovers diskutiert werden. Wird beispielsweise die Größe des Dorfs und damit sein Erfolg zu einem Problem ? Existiert ein Unterschied und eine Distanz zwischen Kern- und Neuen Höfen ? Inwieweit ist das Verhältnis von Nähe und Distanz noch balanciert und wie hat sich die Haltung und die Partizipationsbereitschaft entwickelt ? Müsste man aufgrund der sich ändernden Altersstruktur – das Schammatdorf ist für viele zur Heimat geworden, die Mobilität ist sehr gering und dadurch die Altersstruktur sehr einseitig – politische Steuerungen implemen tieren ? Um diese Fragen empirisch anzugehen und die Positionierung der Bewohnerinnen und Bewohner zu erfahren, haben wir uns entschlossen, eine entsprechende Befragung zu konzipieren. Dabei müssen immer zwei Aspekte geklärt sein: Der Fragebogen und damit die interessierenden Konstrukte und die Auswahl der zu befragenden Personen. Das Forschungsinteresse besteht darin, das Schammatdorf vor dem Hintergrund seines konstruierten Ursprungs zu untersuchen. Im Rahmen der Untersuchung wird der Fokus auf fünf unterschiedliche Themengebiete gelegt. Einen großen Raum nimmt in dieser Befragung die allgemeine Wahrnehmung der Lebensumstände im Schammatdorf ein. Für ein ganzheitliches Bild beinhaltet dieser Fragenkomplex nicht nur Faktoren, die das Schammatdorf intern, sondern auch solche, die die Einbettung des Wohnprojekts in der Stadt betreffen. Dadurch werden nicht nur die Rahmenbedingungen des direkten, sondern auch des erweiter-
8 Das Schammatdorf wurde zwar durch Mittel des sozialen Wohnungsbaus finanziert, allerdings ist es von einer reinen Sozialsiedlung abzugrenzen. Denn im Schammatdorf wohnen auch Menschen, die keinen Wohnungsberechtigungsschein besitzen: „Doch um die Vielfalt zu erhalten und eine Ghettobildung zu verhindern, haben wir Wohnungen stets auch an Besserverdienende vergeben. Die zahlen dann mehr“ (Kerl 2019, mit Frau Anja Loch, Kleine Bürgermeisterin, im Interview). Konzeptuell ist dies in der Hinsicht gewollt, da diese Bewohner die „unselbständigen“ Bewohner stützen können. Doch ist dies ein deutlicher Unterschied zu den klassischen Wohngegenden mit Sozialwohnungen. 9 So erhielt das Wohnprojekt schon den 1. Preis im Bundeswettbewerb „Beispielhafte Behindertenwohnungen“ (vgl. Monz 1991: 91) sowie Auszeichnungen vom Bundesministerium für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau aus dem Jahr 1982 (vgl. Friedrich 2001: 84) und von der Landesregierung von Rheinland-Pfalz im Jahr 1996 (vgl. Stadt Trier 2011).
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ten Wohnraums untersucht. Ein weiterer großer Block bezieht sich auf die Nachbarschaft und Gemeinschaft. Zu diesem Block zählen beispielsweise Aspekte der Beziehungen zwischen den Nachbarn sowie Freundschaftsstrukturen, aber auch die Partizipation an gemeinschaftlichen Aktivitäten. Um das subjektive Bild von Nachbarschaft und Gemeinschaft zu komplementieren, wurde nach Störfaktoren in der Nachbarschaft gefragt, woraus Konfliktpotentiale abgeleitet werden können. Hierdurch kann die romantisierte Interpretation einer Dorfgemeinschaft, die das Schammatdorf imitieren soll, gut mit dem vorangegangenen Fragenblock kontrastiert werden. Das Schammatdorf steht aber nicht nur für Verbundenheit, sondern auch für Integration. Aus diesem Grund wurde das Thema Integration sowie deren Umsetzung im Schammatdorf in einem eigenen Teil innerhalb des Fragebogens abgefragt. Einen weiteren interessanten Faktor stellt auch die Ortsbindung dar. Ein starkes Gemeinschaftsgefühl und lange Traditionen können das Gefühl der Heimat verstärken, welches einen Einfluss auf die allgemeine Zufriedenheit und eine (vielleicht daraus folgende) mögliche Planung eines Wegzugs haben kann. Während das Gemeinschaftsgefühl in vorherigen Fragenkomplexen abgefragt wird und höchst subjektiv ist, ist Tradition etwas, was erst aus einer über die Zeit hinweg gewachsenen Gemeinde entstehen kann. Ein anderer Aspekt, der aufgrund seines hohen Stellenwertes in der Konzeptualisierung des Schammatdorfs in der Befragung nicht fehlen darf, ist die Bedeutung der baulichen Gestaltung für das Wohnen und Leben. Den letzten Faktor in der Befragung stellt die Selbstidentifikation mit dem Wohnprojekt dar. Dieses Zugehörigkeitsgefühl kann ein zentraler Faktor in der Eingliederung in eine Gemeinschaft sein und steht dadurch auch in Verbindung zu den vertretenen Einstellungen in den Blöcken Nachbarschaft und Gemeinschaft, Integration sowie Ortsbindung. Diese Themenkomplexe sind um die Erhebung einiger soziodemografischer Faktoren ergänzt, wodurch die Sozialstruktur der Gemeinschaft erfasst und mögliche Einflussfaktoren auf die oben genannten Schwerpunkte untersucht werden können. Um einen auch verallgemeinerbaren Datenbestand zu erhalten, wurde nach Rücksprache mit den Kooperationspartnern, der Abtei und vor allem den Bewohnerinnen und Bewohnern eine Vollerhebung aller Wohneinheiten des Dorfes angestrebt. Hierzu wurden Anfang August 2018 – also nach den Schulferien – ein Fragebogen an alle Haushalte verteilt, verbunden mit der Bitte, den ausgefüllten Bogen bis Monatsende abzugeben. Als Auswahldesign haben wir uns für eine Vollerhebung der Wohnungen entschieden, bei der ein Erwachsener pro Haushalt um das Ausfüllen des Fragebogens gebeten wurde. Da dies zwei Drittel aller Erwachsenen (140 von 210 Erwachsenen) einschließt sowie bei zwei Drittel aller Haushalte nur ein Erwachsener aufgeführt wird (78 Single- und 15 Alleinerziehende-Haushalte von 140 Haushalten), wurde nach Rücksprache mit der Kleinen Bürgermeisterin auf eine Vollerhebung aller Bewohner und Bewohnerin-
Das Schammatdorf in Trier – Urban Villagers ? 147
nen verzichtet. Falls sich mehrere Erwachsene in einem Haushalt befinden, wurde derjenige um das Ausfüllen der Fragebögen gebeten, der zuletzt Geburtstag hatte. Alles in allem wurden 47 Bögen zurückgegeben. Dies ergibt eine Ausschöpfungsquote von 34 Prozent. Insgesamt ermöglicht dies einen guten Blick auf die Einstellungen und Bewertungen der Bürgerinnen und Bürger im Schammatdorf. Bevor die inhaltlichen Einschätzungen vorgestellt werden, sollen vorab einige demographische Variablen dargestellt werden, anhand derer wir überprüfen, wie verlässlich wir mit unseren Daten auf die Bewohner und Bewohnerinnen des Schammatdorfs Rückschlüsse ziehen können.
6.3 Soziodemografie der Stichprobe Zu den klassischen soziodemografischen Merkmalen gehören beispielsweise das Geschlecht, das Alter, die (Schul-)Bildung, die Berufstätigkeit, die Nationalität, die Religionszugehörigkeit und das Einkommen. Da es sich beim Schammatdorf um ein soziales Wohnprojekt handelt und die Abfrage bestimmter Merkmale den Integrationscharakter in den Augen der Bewohner als diskriminierend empfunden werden könnte, wurden auf die drei letztgenannten Merkmale verzichtet. Aus demselben Grund wurde auch das Vorliegen einer geistigen oder körperlichen Behinderung nicht abgefragt. Ergänzt wurden die Merkmale hingegen um die Abfrage der Wohndauer, der Hofart und der Personenanzahl im Haushalt. Von den Befragten sind gut zwei Drittel weiblich. Dementsprechend sind die Frauen in der Umfrage verglichen mit ihrem Anteil von 57 Prozent im Schammatdorf generell (Schammatdorf 2018) leicht überrepräsentiert. Die befragten Personen sind zwischen 33 und 89 Jahre alt, der Mittelwert liegt bei 58 Jahren. In der Abbildung 6.3 findet sich eine vergleichende Darstellung der klassierten Altersverteilung im Datensatz und im Schammatdorf generell (Schammatdorf 2018). Bedenkt man, dass im Schammatdorf insgesamt knapp 20 Prozent unter 20 Jahre alt sind und somit hier kaum zur Auswahlgesamtheit gehören, sind die Unterschiede relativ gering und man kann davon ausgehen, dass hinsichtlich der Altersverteilung keine Verzerrungen zu erwarten sind. Die befragten Personen wohnen im Schnitt seit über 16 Jahren im Schammatdorf, wobei dies den Medianwert darstellt. Einige haben die Anfänge in den 1980er Jahren miterlebt, einige sind gerade erst zugezogen. Wie ein genauerer Blick auf den Lageplan (Abbildung 6.2) zeigt, zeichnen sich vor allem die in den ersten Bauphasen errichteten Gebäude durch eine Dorfstruktur und ein Dorfzentrum aus, die neueren – in der Abbildung violett gefärbten – Höfe liegen etwas abseits. In der Stichprobe sind mit überwiegender Mehrheit von fast 90 Prozent die Kernhöfe vertreten, nur jeder achte Befragte kommt aus
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Abbildung 6.3 Vergleich der klassierten Altersverteilung zwischen Stichprobe und dem Schammatdorf im Allgemeinen (in Prozent)
70 Jahre und älter 60 bis unter 70 Jahre 50 bis unter 60 Jahre 40 bis unter 50 Jahre unter 40 Jahre 0
5
10
Stichprobe
15
20
25
30
35
40
Schammatdorf
Quelle: Schammaterhebung 2018 sowie Daten aus Schammatdorf e. V. 2018
dem Neuen Hof. Dies ist jedoch kein Ergebnis unterschiedlicher Teilnahmebereitschaft, sondern entspricht der Gesamtverteilung. Über 50 Prozent der befragten Personen geben bezogen auf ihren Haushalt an, dass sie allein wohnen. 60 Prozent der Befragten aus Mehrpersonen-Haushalten wohnen mit einer, 35 Prozent mit zwei und knapp 5 Prozent mit drei Personen zusammen. 44,7 Prozent der Befragten führen ihren (Ehe-)Partner und 19,1 Prozent Kinder als weitere Haushaltsmitglieder an. Betrachtet man sich als letztes soziodemographisches Merkmal die Bildung, so hat rund ein Drittel der Befragten das Abitur erlangt. Je knapp über ein Fünftel haben die Fachhochschulreife oder Mittlere Reife. Weniger als ein Fünftel der Befragten hat den Volks- oder Hauptschulabschluss. Aufgrund der besonderen Struktur der Stichprobe – es wurde ja jeweils nur ein erwachsenes Haushaltsmitglied befragt – und der breiten Altersverteilung ist ein Vergleich mit der Bildungssituation insgesamt sehr schwierig. Es ist jedoch durchaus davon auszugehen, dass das durchschnittliche Bildungsniveau auch im Vergleich eher hoch ist. Ähnlich problematisch ist ein Vergleich der Beschäftigungsstruktur zwischen dem Schammatdorf und beispielsweise der Stadt Trier. Hier fehlt es an sinnvoll zu verwendenden Vergleichsdaten und deshalb sollen die Zahlen des Schammatdorfs für sich stehen. Betrachtet man sich hier die Antworten auf die Frage nach der aktuellen Erwerbstätigkeit, so geben circa 28 Prozent der befragten Personen an, vollzeit-
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erwerbstätig zu sein, weitere 17 Prozent sind teilzeiterwerbstätig. Fast die Hälfte der Personen ist in Rente. Jeder Zwölfte ist nicht erwerbstätig. Schon aus diesen wenigen Analysen wird deutlich, dass sich die Bewohner und Bewohnerinnen des Schammatdorfs sicherlich von der allgemeinen Bevölkerung unterscheiden. Wie ja schon bei der Schilderung der Geschichte und des Rekrutierungsprozesses der Bewohner und Bewohnerinnen deutlich geworden ist, ist das Schammatdorf ein Wohnprojekt mit einer sicherlich hoch engagierten Bevölkerung. Ob sich das auch in der Bewertung der konkreten Aspekte hinsichtlich des Dorflebens widerspiegelt, ist Thema der folgenden Analysen.
6.4 Allgemeine Wahrnehmung und Bewertung der Wohnanlage Um einen ersten Eindruck über die Einschätzung des Lebens im Schammatdorf zu erhalten, haben wir den Bewohnern und Bewohnerinnen eine Liste mit den unterschiedlichsten Aspekten vorgelegt, die auf einer Schulnotenskala von sehr gut bis mangelhaft bewertet werden sollten. In der Abbildung 6.4 finden sich die jeweiligen Durchschnittsnoten.
Abbildung 6.4 Bewertung einzelner Aspekte des Lebens im Schammatdorf (Noten von 1 bis 5, arithmetisches Mittel) Bebauung / Architektur Dorfverein und Gruppen Entfernung zu Arbeitsplatz, Schule, etc . Erscheinungsbild Freizeitmöglichkeiten Gemeinschaft Gemeinschaftsaktivitäten Lage innerhalb von Trier Lebensqualität Natur und Landschaft Soziales Engagement der Dorfbewohner Umsetzung der Inklusion Vielfältigkeit der Nachbarschaft 1
Quelle: Schammaterhebung 2018
1,2
1,4
1,6
1,8
2
2,2
2,4
2,6
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Schon ein erster Blick zeigt, dass nahezu alle Bereiche gut bewertet werden, einzig die Bewertung der Freizeitmöglichkeiten liegt mit einem Wert von 2,6 etwas schlechter aber immer noch zwischen gut und befriedigend. Weitere Analysen zeigen, dass sich hier so gut wie keine wirklichen Unterschiede für die einzelnen soziodemographischen Variablen wie Geschlecht und Alter finden lassen. Jedoch bewerten die Bewohner und Bewohnerinnen der neuen Höfe einzelne Aspekte deutlich schlechter. Dies gilt etwa für den Dorfverein und Gruppen mit einem Mittelwert von 3,0 im Vergleich zu 2,2 für die Personen aus den alten Höfen, die Gemeinschaft (3,3 zu 2,2), die Gemeinschaftsaktivitäten (3,2 zu 2,2), das soziale Engagement der Dorfbewohner (3,4 zu 2,2) und die Vielfältigkeit der Nachbarschaft (2,8 zu 1,8). Es ist anzunehmen, dass die vorgegebenen Aspekte nicht unabhängig voneinander sind und dementsprechend gewisse Strukturen oder latente, nicht direkt beobachtbare Dimensionen in den Bewertungen vorhanden sind. Über eine Hauptkomponentenanalyse10 ist es möglich, die vorhandenen Daten zu wenigen voneinander unabhängigen Faktoren zusammenzufassen. Auf dieser Grundlage ergeben sich drei Dimensionen, die sich sowohl theoretisch als auch statistisch sinnvoll trennen lassen und 73 Prozent der Varianz erklären. ■■ Die erste Dimension bezieht sich dabei auf die Charakteristiken, auf die bei der Konzeption des Schammatdorfs Wert gelegt wurden. Dazu zählen nicht nur Aspekte hinsichtlich des Gemeinschaftslebens, wie die Gemeinschaft selbst, gemeinschaftliche Aktivitäten, der Dorfverein und Gruppen, das soziale Engagement der Bewohner, die Umsetzung der Inklusion sowie die Vielfältigkeit der Nachbarschaft, sondern auch Aspekte zur Bebauung und Architektur sowie zum Erscheinungsbild und darüber hinaus zur Lebensqualität. ■■ Die zweite Dimension bezieht sich auf Aspekte, die das Schammatdorf zusätzlich als Wohnort bietet, also die Lage des Schammatdorfs innerhalb von Trier, die Natur und Landschaft sowie Freizeitmöglichkeiten. ■■ Die dritte und letzte Dimension fasst die Mobilität zusammen und damit den Aspekt der Entfernung zum Arbeitsplatz, zur Schule und Ähnlichem. Im direkten Vergleich der Mittelwerte dieser drei Faktoren zeigt sich, dass die Mobilität mit 1,8 am besten abschneidet, gefolgt von den Wohnortvorteilen mit 2,0 und den konzeptionellen Charakteristika mit einem Wert von 2,2. Um den Befragten die Möglichkeit zu geben, weitere Aspekte zu nennen, die in der allgemeinen Bewertung nicht berücksichtigt wurden, wurden zwei offene Fragen formuliert. 10 Bei der Hauptkomponentenanalyse wurde eine Varimax-Rotation vorgenommen und die Kaiser-Normalisierung angewandt.
Das Schammatdorf in Trier – Urban Villagers ? 151
Zwei Drittel der Befragten haben positive Aspekte zum Schammatdorf genannt. Mehr als ein Viertel der Untersuchungsteilnehmer sprechen die Begegnung auf Augenhöhe und den guten Umgang an. Jeweils ein Fünftel zählen die Umsetzung der Idee und der Ideale des Schammatdorfs durch die Nachbarn, das Schammatdorf als Dorf in der Stadt sowie das Angebot an Freizeit- und gemeinsamen Aktivitäten auf. Ein Sechstel schätzt es, dass es keine Anonymität gibt. Etwas mehr als die Hälfte der Befragten haben zusätzlich negative Aspekte genannt, wobei dies jedoch häufig idiosynkratische Einzelnennungen sind. Fast jeder fünfte Teilnehmer hat aber den schlechten Umgang und die soziale Kontrolle und fast jeder Sechste den baulichen Zustand der Wohnungen bemängelt. Auffällig hierbei ist, dass die meisten Befragten sowohl bei den guten als auch bei den schlechten Aspekten den Umgang und die Kommunikation zwischen den Nachbarn geäußert haben. Nachbarschaftliche Beziehungen sind häufig durchaus komplex und sollen deshalb im nächsten Abschnitt noch einmal genauer betrachtet werden.
6.5 Nachbarschaft und Gemeinschaft Es war ein Anliegen der Initiatoren des Wohnprojektes, eine heterogene Nachbarschaft zu gestalten. Dieser Aspekt wird auch von den Bewohnern und Bewohnerinnen positiv bewertet, in der gerade vorgestellten Bewertung erzielen die beiden Facetten Inklusion und Vielfältigkeit Bewertungen von 2,2 und 1,9 und werden somit als gut bezeichnet. Wenn man die Vielfältigkeit und Buntheit auf einer Skala von 1 für gering und 5 für hoch direkt einschätzen lässt, so wird hier ein Wert von 3,8 erreicht. Diese positive Einschätzung wird auch nicht durch die oben diskutierten sozialstrukturellen Aspekte beeinflusst. Die Bewertung ist in allen sozialen Gruppen im Schammatdorf durchgängig positiv. Im Schammatdorf existieren verschiedene Ansatzpunkte, die Kommunikation im Schammatdorf zu fördern. Zu formellen kommunikativen Strukturen gehören beispielsweise die Mitgliederversammlungen des Vereins und die öffentlichen Vorstandssitzungen. Informell wird die Kommunikation unterstützt durch vielfältige Gruppenangebote, nachbarschaftliche Teams sowie Hofgespräche und entsprechende Hoffeste (Schammatdorf 2018). Der Gemeinschaftssinn, auf den eine Nachbarschaft baut, zeigt sich und wird auch durch die Teilnahme an gemeinschaftlichen Aktivitäten gefördert. 95,3 Prozent nehmen an den wiederkehrenden gemeinschaftlichen Aktivitäten teil. In der Abbildung 6.5 finden sich die entsprechenden Werte für die einzelnen Bereiche. Interessant ist die sehr hohe Beteiligung an öffentlichen Vorstandssitzungen. Hierbei werden die Bewohner nicht nur formell über Aktuelles informiert, son-
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Abbildung 6.5 Regelmäßige Teilnahme an gemeinschaftlichen Aktivitäten (in Prozent)
öffentliche Vorstandssitzung Spieleabend Kneipchen Schachgruppe Sport Montagsgruppe Sonntagsmittagessen 0
10
20
30
40
50
60
Quelle: Schammaterhebung 2018
dern sie können auch die Dorfpolitik mitgestalten. Stark genutzt werden auch die gemeinsamen Sonntagsmittagessen, der freitagabendliche Treffpunkt im Kneipchen oder die Montagsgruppe für Senioren. Zusammenfassend lassen sich diese Aktivitäten als geselliges Zusammensitzen beschreiben.11 Natürlich ist auch von Interesse, wie das Verhältnis unter den Nachbarn aussieht. Hierbei wurden die Bewohner zuerst gefragt, wie sie das Verhältnis zwischen den Nachbarn allgemein einschätzen. Hierzu wurden sechs Aussagen vorgelegt und die Zustimmung zu diesen Items erhoben. In der Abbildung 6.6 finden sich Anteile der Personen, die diesen Aussagen zustimmen.12 Es ist deutlich, dass das Verhältnis zwischen den Nachbarn im Schammatdorf generell als harmonisch und hilfsbereit eingeschätzt wird. Die jeweils überwiegende Mehrheit gibt an, dass Vertrauen zwischen den Nachbarn herrscht und Verträglichkeit sowie Hilfsbereitschaft verbreitet sind. In einem zweiten Schritt ist es jedoch auch von Interesse, wie die konkreten nachbarschaftlichen Verhältnisse der 11 Der relativ geringe Wert der Montagsgruppe entsteht auch dadurch, dass dieses Angebot explizit altersspezifisch ist. Ähnliches gilt auch für die Krabbelgruppe, die von niemanden in der Stichprobe genutzt wird und die wir deshalb auch in der Abbildung nicht berücksichtigt haben. 12 Hierfür wurde die ursprünglich vierstufige Skala mit den Ausprägungen „stimme völlig zu“, „stimme eher zu“, „stimme ehr nicht zu“ und „stimme überhaupt nicht zu“ dichotomisiert.
Das Schammatdorf in Trier – Urban Villagers ? 153
Abbildung 6.6 Einschätzung der allgemeinen nachbarschaftlichen Beziehungen (Zustimmung in Prozent)
Die Menschen hier helfen sich gegenseitig Hier kennen sich die Menschen gut Man kann den Menschen in der Nachbarschaft vertrauen Die Menschen kommen gut miteinander aus Die Menschen hier haben gemeinsame Werte Die Menschen engagieren sich für das Schammatdorf 0
20
40
60
80
100
Quelle: Schammaterhebung 2018
einzelnen Personen ausgestaltet sind. Um diese Intensität der Beziehung zu den Nachbarn feststellen zu können, wurde den Untersuchungsteilnehmern ein Set von Statements vorgelegt, die unterschiedliche Intensitäten der nachbarschaftlichen Beziehungen beschreiben. In der Tabelle 6.1 findet sich jeweils der Anteil der Personen, für die die entsprechende Aussage zutrifft. Um die schon mehrfach beschriebene Differenzierung zwischen alten und neuen Höfen zu erfassen, haben wir auch dies in der Erhebung berücksichtigt. Wie zu erkennen ist, unterscheidet sich die Intensität und Nähe in den Beziehungen zwischen den Nachbarn sehr stark danach, ob es sich um einen Nachbarn aus dem eigenen oder aus einem anderen Hof handelt. Nicht verwunderlich ist, dass die Abnahme an engeren Beziehungen zu Nachbarn aus anderen Höfen weitaus größer ist als zu Nachbarn aus dem eigenen Hof. Ein Faktor für die Differenzen zwischen den Höfen könnte die räumliche Distanz sein. Der Postbote fragt beispielsweise beim direkten Nachbarn nach, ob er dort die Post für einen abwesenden Nachbarn abgeben kann. Auch hinsichtlich des Ausleihens könnte ein kürzerer Weg präferiert werden. Ebenso kann dies der Fall sein, wenn ein Einkauf ansteht, dass der direkte Nachbar darum gebeten wird, den fehlenden Gegenstand mitzubringen. In diesem Fall kann auch die Unterstützung und Integration körperlicher Beeinträchtigten eine Rolle spielen. Und wer in der Nähe ist, der schaut kurz beim direkten Nachbarn nach dem Rechten, wenn dieser im Urlaub ist.
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Joanna Koßmann
Tabelle 6.1 Nachbarschaftliche Aktivitäten (in Prozent) eigener Hof
andere Höfe
wir grüßen uns, wenn wir uns sehen
91,5
91,5
wir führen (kurze) Gespräche, wenn wir uns treffen
91,6
70,2
wir nehmen die Post für die Nachbarn an
95,7
8,5
wir gratulieren bei Familienfesten
74,5
27,7
wir leihen uns gegenseitig Gegenstände aus
89,4
34,0
wir erledigen Einkäufe füreinander
61,7
19,2
wir laden uns gegenseitig nach Hause ein
46,8
34,0
wir helfen uns gegenseitig bei der Kinderbetreuung
10,6
6,4
wir machen gemeinsame Unternehmungen
34,0
21,3
wir hüten das Haus, wenn Nachbarn im Urlaub sind
68,1
12,8
In Anlehnung an die entsprechenden Forschungen (vgl. Vogelgesang et al. 2018) lassen sich diese einzelnen Abfragen zu einer sogenannten Gutman-Skala transformieren, die die Intensität der nachbarschaftlichen Beziehungen erfasst. Diese Skala umfasst vier denkbare Skalenpunkte, beginnend mit einem nicht vorhandenen nachbarschaftlichen Verhältnis. Empirisch würde das bedeuten, dass keinerlei der genannten Tätigkeiten vorkommen. Die nächste Stufe wird als Einhaltung sozialer Normen bezeichnet und umfasst das gegenseitige Grüßen, kurze Gespräche und die Annahme von Post. Ein gutes nachbarschaftliches Verhältnis zeichnet sich durch die Gratulation bei Festen, das gegenseitige Ausleihen von Gegenständen und eventuellen Einkäufen aus. Die verbleibenden Tätigkeiten werden mit einem freundschaftlichen nachbarschaftlichen Verhältnis gleichgesetzt. Im Gegensatz zur sonst üblichen Konstruktion derartiger Skalen reicht es hier aus, wenn eine der Tätigkeiten durchgeführt wird. Unabhängig davon, ob es ein Nachbar aus dem eigenen oder aus anderen Höfen ist, haben die Befragten meist freundschaftliche Verhältnisse zu den anderen Bewohnern. Dennoch ist ein deutlicher Unterschied hinsichtlich der räumlichen Distanz erkennbar. Die Bewohner und Bewohnerinnen wurden aber auch direkt danach gefragt, zu wie vielen Nachbarn sie im Schammatdorf ein freundschaftliches Verhältnis hegen. Die Abbildung 6.8 bestätigt nochmal, dass das Zusammenleben im Schammatdorf durchaus harmonisch und freundschaftlich ist, dass aber die räumliche Nähe eine wichtige Determinante für Freundschaften darstellt: Mit Nachbarn aus dem eigenen Hof werden häufiger Freundschaften geschlossen als mit Nachbarn aus anderen Höfen.
Das Schammatdorf in Trier – Urban Villagers ? 155
Abbildung 6.7 Stufen der nachbarschaftlichen Beziehungen (in Prozent)
kein nachbarschaftliches Verhältnis
Einhaltung sozialer Normen
Gutes Nachbarschaftsverhältnis
Freundschaft 0
20
eigener Hof
40
60
80
100
andere Höfe
Quelle: Schammaterhebung 2018
Abbildung 6.8 Freundschaften im Schammatdorf (in Prozent)
Zu (fast) allen Nachbarn
Zu den meisten Nachbarn
Zu einigen Nachbarn
In der Nachbarschaft zu niemandem 0
10
eigener Hof Quelle: Schammaterhebung 2018
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30
andere Höfe
40
50
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Abschließend wurden die Bewohnerinnen und Bewohner gefragt, wo ihre Freunde, die sie regelmäßig treffen, wohnen. Fast die Hälfte der Befragten gibt an, dass diese Freunde zu gleichen Teilen im Schammatdorf und außerhalb wohnen. Wiederum über ein Drittel gibt an, dass ihre Freunde überwiegend außerhalb des Schammatdorfs wohnen. Die große Mehrheit pflegt also engeren sozialen Kontakt zu Menschen außerhalb des Schammatdorfs. Lediglich 17,1 Prozent der Befragten haben überwiegend Freunde, die im Schammatdorf leben. Davon haben drei Viertel der Befragten angegeben, Freunde überwiegend aus dem eigenen Hof zu haben. Der enge Kontakt und die gegenseitige Hilfsbereitschaft scheinen also hauptsächlich dann Faktoren in der Freundschaftsbildung zu sein, wenn dies durch eine geringe räumliche Distanz gefördert wird.
6.6 Störfaktoren und Konfliktpotential Dass es bei einer Nachbarschaft auch zu Störungen und Konflikten zwischen verschiedenen Parteien kommen kann, ist nicht neu. Fast drei Viertel der befragten Personen bejahen die Frage, ob es Dinge im Schammatdorf gibt, die sie stören. Um dies genauer zu untersuchen, haben wir einerseits mit Hilfe einer vierstufigen Skala gefragt, wie sehr man sich durch einige klassische Dinge – Lärm, Feueroder Grillgeruch, soziale Kontrolle und Beobachtung oder Einschränkungen in der Freizeitgestaltung – gestört fühlt. Wenn man auch hier wieder die Skala dichotomisiert und nur die Personen betrachtet, die sich stark oder sehr stark gestört fühlen, so ergibt sich auch hier ein relativ positives Bild: Rund ein Fünftel beklagt den Feuer- und Grillgeruch beziehungsweise die soziale Kontrolle, circa 10 Prozent Lärm oder Einschränkungen in der Freizeitgestaltung. Betrachtet man noch einmal die enge Bebauung des Schammatdorfs erscheinen das erstaunlich geringe Werte, die von einer relativ großen Toleranz zeugen. Für den Fall, dass die vorgegebenen Störfaktoren nicht das mögliche Konfliktpotential abdecken, wurden die Befragten in einer offenen Frage darum gebeten, für sie weitere oder andere Störfaktoren zu nennen. Wir haben die hier aufgeführten Antworten dann wiederum zu Kategorien zusammengefasst, deren Nennungen in der Abbildung 6.9 zu sehen sind. Die häufigste Nennung ist das Verhalten und die Einstellungen der Nachbarn als Störfaktoren.13 Darüber hinaus wird auch hier an zweithäufigster Stelle der bauliche Zustand der Wohnungen bemängelt. Neue Aspekte sind hingegen Pro13 Interessant daran ist, dass bereits in der Untersuchung von Widmayer (1986: 188) „Klatsch und Tratsch“ der häufigste und „Kleinbürgerlichkeit“ der zweithäufigste Grund für Ärger über Nachbarn war.
Das Schammatdorf in Trier – Urban Villagers ? 157
Abbildung 6.9 Störfaktoren im Schammatdorf (in Prozent)
Verhalten und Einstellungen der Nachbarn
Mängel an der Bausubstanz
Probleme durch Haustiere (Hunde, Katzen)
Parkplatzsituation 0
5
10
15
20
25
Quelle: Schammaterhebung 2018
bleme durch Hunde und Katzen sowie die Parkplatzsituation im Schammatdorf, die das Konfliktpotential im Schammatdorf erhöhen. Generell zeigt sich aber, dass die Nachbarschaft als harmonisch eingestuft wird und das Konfliktpotential zwar vorhanden ist, aber die Wahrnehmung der Gemeinschaft nicht darunter leidet.
6.7 Integration Integration kann als Grundbegriff der Soziologie strukturell und prozessual verstanden werden. Aus der strukturellen Perspektive ist ein soziales Gebilde als integriert zu bezeichnen, wenn sich seine Mitglieder zugehörig fühlen, eine Einheit bilden und sich wechselseitig akzeptieren. Aus der prozessualen Perspektive wird die Integration als ein dauerhafter Prozess gesehen, indem das soziale Gebilde und all seine Mitglieder sich um ein Wir-Bewusstsein sowie Akzeptanz bemühen müssen, um den Integrationszustand zu erhalten oder zu verbessern (vgl. Schäfers 2006: 170). Es ist aber auch möglich, dass eine Gemeinde keine integrale Einheit bildet, obwohl sie eine lokale Einheit mit eigenen Werten und Zielen und sozialen Interaktionen darstellt. Faktoren dafür könnten beispielsweise das Zusammensiedeln ethnisch verschiedener Gruppen wie im u. s.-amerikanische Süd-
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Joanna Koßmann
westen, kulturell verschiedener Gruppen etwa durch unterschiedliche Sprachen oder Klassenunterschiede sein. Auch biologische Gründe können zu einer mangelnden Integration führen: Beispielsweise gelten Kinder als zur Familie zugehörig, aber häufig nicht zur Gemeinde, da sie den Gemeinderegelungen nur teilweise unterworfen sind (vgl. König 2006). Im Schammatdorf geben 82,6 Prozent der Befragten an, dass es Bewohner gibt, die wenig oder sogar gar kein Interesse an einer Integration in die Dorfgemeinschaft haben. Es gibt niemanden in dieser Umfrage, der dieser Aussage gänzlich widerspricht, denn die verbleibenden Personen geben an, dies nicht beurteilen zu können. Dennoch werden die Beziehungen sowohl zwischen Nachbarn ohne und mit Behinderungen als auch zwischen den älteren und jüngeren Nachbarn als gut eingeschätzt. Ebenso wird der zahlenmäßige Anteil der Menschen mit Inklusions bedarf als genau richtig eingestuft. So zeigt sich auch, dass in der allgemeinen Wahrnehmung kein Unterschied zwischen Nachbarn mit und ohne Behinderungen gemacht wird. Nahezu 90 Prozent der befragten Personen stimmen dieser Aussage zu. Die Mehrheit der Befragten lehnt jedoch eine Inklusion eher ab und verfolgt weiter eine Integration: Eine große Mehrheit von 75 Prozent will Nachbarn mit Behinderungen in den nachbarschaftlichen Pflichten entlasten und eine Minderheit stimmt zu, dass Nachbarn mit Behinderungen dieselben Aufgaben erfüllen sollen, wie alle anderen Nachbarn auch. Inwieweit diese Antwort eventuell davon abhängt, dass der Befragte selbst eine Beeinträchtigung hat, kann leider nicht untersucht werden, da dieses Merkmal nicht erhoben wurde. Sofern die Entlastung beeinträchtigter Nachbarn und damit gegebenenfalls eine Belastung nicht-beeinträchtigter Nachbarn kein Konfliktpotential birgt, so ist für den Integrationscharakter eine essentielle Voraussetzung erfüllt. Da der zahlenmäßige Anteil der beeinträchtigten Menschen, die zu entlasten wären, als genau richtig eingeschätzt wird, scheint dies der Fall zu sein. Es zeigen sich hier aber interessante Zusammenhänge mit der Wohndauer. Je länger die befragten Personen im Schammatdorf wohnen, desto mehr stimmen sie der Aussage zu, dass Nachbarn mit Behinderungen bei ihren nachbarschaftlichen Pflichten unterstützt werden sollten und desto weniger stimmen sie der Aussage zu, dass Nachbarn mit Behinderungen dieselben Aufgaben erfüllen sollen wie alle anderen Nachbarn auch. Bewohner, die dem Konzept der Integration aus älteren Tagen angehören, hängen anscheinend stärker daran und möchten sich dementsprechend dem neuen Gedanken einer Inklusion weniger öffnen.
Das Schammatdorf in Trier – Urban Villagers ? 159
6.8 Ortsbindung und Bewertung der baulichen Gestaltung Die große Mehrheit der Befragten gibt an, dass sie gerne im Schammatdorf lebt. Ihre Zufriedenheit drückt sich auch darin aus, dass eine ebenso große Mehrheit rückblickend wieder in das Schammatdorf ziehen würde. Dadurch ist es auch nicht überraschend, dass eine Vielzahl der Befragten nicht beabsichtigt, irgendwann in der Zukunft umzuziehen. Nur etwas mehr als zehn Prozent sagen, dass sie entweder umziehen müssen oder möchten. Zu den wichtigsten Gründen dieser – daran sei erinnert: recht kleinen – Gruppe gehören familiäre Gründe oder, dass es demjenigen nicht (mehr) gefällt, eine zu kleine Wohnung, der Wunsch, zurück in die Heimat zu ziehen, sowie der Beginn eines anderen Lebensabschnitts genannt. Dennoch fühlt sich die sehr große Mehrheit an ihren Wohnort gebunden und möchte das Schammatdorf nicht so schnell verlassen. Heimat als Ort, der Aktivitäten eröffnet, zu dem sich Menschen zugehörig fühlen und welcher Möglichkeiten der Identifikation bietet: all dies trifft auf das Schammatdorf zu. Neben dem Gemeinschaftssinn und der Integration als Mittelpunkt des Wohnprojekts spielte auch die bauliche Gestaltung bei der Konzeptualisierung eine zentrale Rolle. Das Schammatdorf wurde mit der Intention angelegt, die Kommunikation zwischen den Nachbarn zu fördern. Um zu überprüfen, ob dies erfolgreich war, wurde nach der allgemeinen Bewertung der baulichen Gestaltung sowie ihrem Einfluss gefragt. Mit einer durchschnittlichen Schulnote von 2,5 wird sie als gerade noch gut wahrgenommen. Bei der Bewertung konnte ein signifikanter Unterschied, abhängig davon ob die Befragten in den Kern- oder Neuen Höfen wohnen, gefunden werden. Die Bewohner aus den Kernhöfen bewerten die bauliche Gestaltung mit 2,3 deutlich besser, als Bewohner aus den Neuen Höfen mit 3,5. Um diesen Aspekt genauer zu analysieren, wurde danach gefragt, welchen Einfluss die bauliche Gestaltung nach Wahrnehmung der Bewohner und Bewohnerinnen auf bestimmte Bereiche hat. In der Abbildung 6.10 finden sich wiederum die entsprechenden dichotomisierten Zustimmungswerte. Auch wenn es nur ein einziges Item gibt, dass auf eine mehrheitliche Zustimmung trifft – gut die Hälfte stimmt zu, dass durch die bauliche Gestaltung eine stärkere Verbundenheit zum eigenen Hof entsteht – so ergibt sich insgesamt doch eine sehr positive Einschätzung. Nur sechs Prozent sehen keinerlei positiven Einfluss der baulichen Struktur, im Durchschnitt werden mehr als drei Aspekte als positiv genannt. Um den Aspekt der Integration noch weiter zu komplementieren, wird nun kurz auf die Selbstidentifikation der Bewohner mit dem Schammatdorf eingegangen. Um zu erfahren, inwieweit sich die Befragten dem Schammatdorf zugehörig fühlen, wurden sie danach gefragt, ob sie sich als Schammatdörfler beziehungsweise Schammatdörflerin identifizieren. Zwei Drittel der Befragten stimmen die-
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Abbildung 6.10 Wahrgenommener Einfluss der baulichen Gestaltung (in Prozent)
Bessere Integration in die Gemeinschaft Entstehung freundschaftlicher Beziehungen Geringere Verbundenheit zu anderen Höfen Konflikte mit den Nachbarn Gefühl der Kontrolle Motivation, die Anlage zu pflegen Teilnahme am Gemeinschaftsleben 0
10
20
30
40
50
60
Quelle: Schammaterhebung 2018
ser Selbstbeschreibung zu. Bei einem derart verbreiteten Identifikationsgrad mit der Wohngegend kann es interessant sein, ob es signifikante Unterschiede zwischen den Bewertungen der Bewohner und Bewohnerinnen gibt, die sich als Schammatdörfler verstehen und denen, die so nicht empfinden. Die Schammatdörfler bewerten beispielsweise die bauliche Gestaltung und bestimmte allgemeine Aspekte im Schammatdorf deutlich besser. Es zeigt sich also eine positive Korrelation mit dem Identifikationsgrad und diesen Bewertungen. Dies ist ebenso der Fall für die Bewertung der Gemeinschaft und der Gemeinschaftsaktivitäten.
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6.9 Schlussbemerkung „Was das Schammatdorf betrifft, ist es zu früh, von einem Erfolg oder Mißerfolg des Wohnexperimentes zu sprechen. Die bisherige Entwicklung bestätigt jedoch trotz der beschriebenen rückläufigen Tendenzen die Gesamtkonzeption der Wohnanlage. Ob sich dieses nachbarliche Engagement auf Dauer halten wird, wird die Zukunft zeigen. Doch selbst wenn das Schammatdorf in 10 oder 20 Jahren eine ganz normale Wohnsiedlung sein sollte, bleiben doch die bisherigen Erfolge, die konkrete positiven Erfahrungen Einzelner und die dadurch zum Teil wesentliche Verbesserung ihrer Lebensverhältnisse zumindest in der Anfangsphase des Wohnversuches“ (Hall 1984: 238).
So endet eine der früheren Schammatdorf-Studien, die im Jahr 1983 durchgeführt wurde. Nun 35 Jahre später zeigt sich, dass die Idee sich bewährt hat und heute noch wichtig ist. Zwar gibt es Streitereien und Störfaktoren im Schammatdorf, diese sind aber größtenteils allgemeiner Natur. Es lassen sich dementsprechend keine spezifischen Probleme erkennen, die aus der Konzipierung und dem gelebten Konzept des Projekts ergeben. Zwar erreicht das Schammatdorf dadurch nicht das utopische Idealbild, aber schlussendlich scheinen die Störfaktoren dennoch nicht zu überwiegen und es zeigt sich ein zu großen Teilen harmonisches Bild in der Gemeinde. Die große Mehrheit der Bewohner wohnt gerne dort und möchte auch nicht wegziehen, denn das Schammatdorf bedeutet für sie Heimat. Ein starker Gemeinschaftssinn lässt sich nicht nur dadurch vermuten, da der Umgang miteinander generell gut ist, sondern weil Vertrauen untereinander existiert sowie reziproke Hilfsbereitschaft zwischen den Nachbarn empfunden wird. Ebenso wird ein gemeinschaftlicher Sinn dadurch erkenntlich, dass der Großteil der Bewohner an wiederkehrenden gemeinschaftlichen Aktivitäten teilnimmt. Zur hohen Zufriedenheit mit dem Wohnort passt auch, dass der Großteil allgemeiner Aspekte zu den Lebensumständen gut bis sogar sehr gut bewertet wird. Es lässt sich natürlich argumentieren, dass unzufriedene Nachbarn sich nicht geäußert haben, weil sie nicht an der Befragung teilgenommen haben oder schon weggezogen sind. Generell mag dies sicherlich zutreffen. Dennoch zeigt sich in der hohen durchschnittlichen Wohndauer, dass das Schammatdorf eine gewisse Lebensqualität hat und beibehalten hat, weshalb viele Bewohner nicht wegziehen möchten. Es zeigen sich in den Verhältnissen unter den Nachbarn deutliche Unterschiede darin, ob es sich um Nachbarn aus dem eigenen Hof oder aus einem der anderen Höfen handelt: Ein engeres Verhältnis findet sich in der räumlichen Nähe wieder. Lediglich die bauliche Gestaltung dieses Wohnprojekts zeigt Probleme. Sie wird allgemein nur mäßig gut benotet und in den offenen Nennungen wird die Bausubstanz bemängelt. Aufgeteilt nach Hoftypen zeigt sich ein schlechtes Bild in den Neuen Höfen. Ebenso wird der Gedanke hinter der Konzipierung der Architektur
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wenig wahrgenommen, da diese scheinbar wenig integrierend wirkt und die Teilnahme am Gemeinschaftsleben wenig beeinflusst. Dennoch ist erkennbar, dass die Integration im Schammatdorf umgesetzt wird, denn es wird kein Unterschied zwischen den Nachbarn gemacht und unselbständige Nachbarn werden unterstützt. Dem Idealtypus einer gelungenen Integration, in dem alle Bewohner gemeinsam ein soziales Netz bilden (vgl. Friedrich 2001: 93) und wirklich keinerlei Unterschiede gemacht werden, erfüllt das Schammatdorf zwar nicht gänzlich, ist aber nahe dran. Als ein sehr auffallender Faktor in der Untersuchung des Schammatdorfs stellte sich die Selbstidentifikation mit dem Wohnprojekt heraus. Es zeigen sich deutliche Unterschiede im Antwort- und Bewertungsverhalten zwischen Personen, die sich als Schammatdörfler bezeichnen und denen, die das nicht tun. Für die Bedeutung einer konstruierten Gemeinschaft ist insbesondere das Ergebnis interessant, dass die Selbstidentifikation (neben Alter und Hof) einen deutlichen Effekt auf die Bewertung der Gemeinde hat. Zur allgemeinen Zufriedenheit mit dem Wohnort, der hier gut bewertet wird, soll noch kurz eine Bemerkung hinsichtlich des Sicherheitsgefühls gemacht werden. Im Rahmen der Führung durch das Schammatdorf antwortete die Kleine Bürgermeisterin auf die Frage, ob es im Schammatdorf Kriminalität gebe, dass dies nicht der Fall sei. Zwar wurde diesbezüglich nichts in dieser Untersuchung erhoben, dennoch lässt sich die anscheinend fehlende Kriminalität und dadurch die hohe Sicherheit als positive Faktoren in der Lebens- und Wohnqualität im Schammatdorf einordnen. Dass sich das Schammatdorf über die Jahrzehnte transformiert hat und gewachsen ist, zeigt sich in vielen Aspekten. Bei der ersten Begegnung im Schammatdorf wurde darauf hingewiesen, dass die Gärten der Wohnungen so konzipiert sind, dass keine Büsche oder dergleichen die Raumabschnitte voneinander trennen, sodass ein privater Garten entstehen könnte. Bei der Begehung vor Ort lässt sich jedoch beobachten, dass dies nicht mehr der Fall ist. Durch Büsche und Bepflanzungen sind abtrennbare Gartenflächen erkennbar. Das Schammatdorf hat sich in dieser Hinsicht von seinem ursprünglichen Ideal entfernt. Eine weitere Veränderung über die Zeit hinweg betrifft die aktuelle Kleine Bürgermeisterin. Sie ist die erste Sozialpädagogin in diesem Amt, die nicht auch ein Nachbar im Schammatdorf ist. Als Grund nennt sie unter anderem, dass die Abgrenzung zur Arbeit einfach ist und sie dadurch nicht zwischen den Stühlen sitzt. Ein anderer interessanter Aspekt, der eine Veränderung betrifft, bezieht sich auf die Integration. In Gesprächen mit dem Zuständigen aus der Abtei St. Matthias betonte dieser, dass ein Unterschied zwischen Integration und Inklusion im Schammatdorf gemacht wird. Integration wird bereits gelebt, aber es wird versucht, sich in Richtung Inklusion zu wandeln. Als Beispiel fiel das Rasenmähen. Während bisher (im Sinne einer Integration) Bewohner von der Pflicht des Rasenmähens entbunden werden, falls sie dazu nicht in der Lage sind, und dementsprechend die
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anderen Nachbarn dies übernehmen, wird jetzt der Versuch (im Sinne einer Inklusion) gestartet, dass jeder Nachbar hierfür selbstverantwortlich ist. Kann der Nachbar in diesem Fall die Pflicht nicht erfüllen, so muss er sich darum kümmern, dass jemand (auch gegen Entgelt) diese Aufgabe übernimmt. Aktuell gibt es, laut dem Zuständigen, allerdings noch Nachbarn, die damit nicht gänzlich einverstanden sind. Auch in der Befragung stimmte eine Mehrheit dafür, dass Nachbarn mit Behinderungen bei ihren nachbarschaftlichen Pflichten unterstützt und davon gegebenenfalls entlastet werden sollen, und damit nicht dazu verpflichtet sind, dieselben Aufgaben wie alle anderen Nachbarn zu erfüllen. Aufgrund sozialer Erwünschtheit oder dem Vorliegen einer eigenen Beeinträchtigung könnte dies aber auch ein verzerrtes Ergebnis sein. Bezugnehmend auf das eingangs dargebrachte Zitat lässt sich sagen, dass es sich bei diesem Wohnexperiment nach fast 40 Jahren von einem Erfolg sprechen lässt. Es ist bisher über die Jahrzehnte weder an der sozialen Zielsetzung, noch an einer Segregation von Randgruppen gescheitert. In dieser Hinsicht ist es den Mitwirkenden des Schammatdorfs gelungen, nicht nur eine Gemeinde, sondern auch eine Gemeinschaft zu konstruieren.
Literatur Baumann, Christoph, 2016: Die Lust am Ländlichen – Zur Persistenz und Variation idyllischer Ländlichkeit. Informationen zur Raumentwicklung 2016/2: 249 – 259. Friedrich, Alexander, 2001: Integriertes Wohnen im Alter. Altersgerechte Siedlungsentwicklung am Beispiel Trier-Schammatdorf. Unveröffentlichte Diplomarbeit. Mimeo. Trier. Gans, Herbert J. 1982: The Urban Villagers: Group and Class in the Life of Italian-Americans, The Free Press. Aktualisierte und erweiterte Ausgabe. Hahn, Alois; Schubert, Hans-Achim, Siewert, Hans-Jörg, 1979: Gemeindesoziologie. Eine Einführung. Kohlhammer Verlag. Hall, Hans-Jürgen 1984: Geplante Nachbarschaft und nachbarliches Engagement. Eine Darstellung und kritische Reflexion des Schammatdorfes in Trier. Unveröffentlichte Diplomarbeit. Mimeo. Trier. Häußermann, Hartmut, Siebel, Walter, 1996: Soziologie des Wohnens. Eine Einführung in Wandel und Ausdifferenzierung des Wohnens. Juventa Verlag Weinheim und München. Häußermann, Hartmut, Siebel, Walter, 2004: Stadtsoziologie: Eine Einführung. Campus. Kerl, Verona, 2019: Das Schammatdorf in Trier: Eine Dorfidylle mitten in der Großstadt. Trierischer Volksfreund vom 18. Februar 2019. König, René, 2006: Soziologische Studien zu Gruppe und Gemeinde. René König Schriften XV. VS.
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Monz, Heinz, 1991: Wohnungsbau und Stadtgestaltung als soziale Aufgabe. Entstehen und Wirken der gbt in Trier. Wissenschaftlicher Verlag Trier. Schäfers, Bernhard, 2006: Stadtsoziologie: Stadtentwicklung und Theorien-Grundlagen und Praxisfelder. Springer VS. Schammatdorf, 2016: Das Schammatdorf. Trier. Unveröffentlichter Text. Schammatdorf, 2017: Herzlich willkommen im Schammatdorf. Trier. Unveröffentlichte Präsentation. Schammatdorf, 2018: Sammlung diverser allgemeiner Statistiken. Trier. Stand: 01. 03. 2018. Unveröffentlichte Daten. Stadt Trier 2011: Trier-Tagebuch (aus: Stadttrierische Chronik), URL: https://www. trier.de/rathaus-buerger-in/aktuelles/rathaus-zeitung/trier-tagebuch/_348/. Stand: 29. 03. 2011. Abruf: 19. 03. 2019. Vogelgesang, Waldemar, Kopp, Johannes, Jacob, Rüdiger, Hahn, Alois, 2015: Urbane Dörfer. Räumliche Entgrenzungsprozesse und parzellierte Gemeinschaftsformen. SWS-Rundschau 55: 279 – 305. Vogelgesang, Waldemar, Kopp, Johannes, Jacob, Rüdiger, Hahn, Alois, 2016: Urbane Dörfer. Städtische Lebensformen im dörflichen Kontext. Aus Politik und Zeitgeschichte (APuZ) 66: 35 – 40. Vogelgesang, Waldemar, Kopp, Johannes, Jacob, Rüdiger, Hahn, Alois, 2018: Stadt – Land – Fluss. Sozialer Wandel im regionalen Kontext. Wiesbaden: Springer VS. Widmayer, Magdalene 1986: Nachbarschaftskonflikte: Eine theoretische und empirische Analyse aus ökopsychologischer Sicht. Trier. Unveröffentlichte Diplomarbeit. Wohnungsbau und Treuhand AG (gbt) o. J.: Das Unternehmen. URL: https://www.gbttrier.com/das-unternehmen/. Abruf: 19. 03. 2019.
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Die Idee der Gartenstadt und die Realität des Wohnens: Der Stadtteil Mariahof in Trier Stefan Schreiber
Seit der Industrialisierung und der damit einhergehenden rapide zunehmenden Verstädterung mit zum Teil einem explosionsartigen Wachstum der Bevölkerung werden Konzepte und Programme einer Synthese aus städtischen und ländlichen Lebensweisen diskutiert. Die darin häufig zum Ausdruck kommende Großstadtkritik griff insbesondere das Phänomen der Verdichtung in den Städten mit (Industrie-)Arbeitsplätzen und einen in der ersten Phase der Industrialisierung besonders hohen Bedarf an Arbeitskräften auf. Eine daraus resultierende Knappheit an angemessenem Wohnraum, vornehmlich für die Klasse der Arbeitenden, das Marxsche Proletariat, sowie katastrophale Wohnbedingungen und -verhältnisse spiegeln nur einige der verheerenden Folgen wider. Diese Verhältnisse entwickelten sich so dramatisch, dass es verschiedene Bemühungen seitens Organisationen, Vereinen oder auch einzelnen einflussreicheren Personen gab, sich eine umfassende Übersicht über die prekären Wohnverhältnisse zu schaffen. Dadurch können aus den Ergebnissen zielorientierte Reformen abgeleitet werden mit der Prämisse, die allgemeinen technischen und hygienischen Aspekte zu verbessern. Ihr Plädoyer strebte in seiner Gesamtheit Einfamilienhäuser an, um auch den Bedürfnissen und Wünschen der Bewohnenden gerecht zu werden (vgl. Schollmeier 1990: 11).1 In der städtebaulichen Diskussion gegen Ende des 19. Jahrhunderts herrschte ein Widerstreit zwischen den technisch-funktionellen und den ästhetischen Aspekten der neu zu erschließenden Wohnviertel oder -quartiere. Die Verantwortlichen für die Planung dieser neuen Wohngebiete waren zunächst überwiegend
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Auch Engels berühmte Studie zur Lage der arbeitenden Klasse in England war durch diese Wohnverhältnisse inspiriert.
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 J. Kopp et al. (Hrsg.), Gemeinschaftliche Wohnformen zwischen Entfremdung und Resonanz, https://doi.org/10.1007/978-3-658-26048-4_8
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Stefan Schreiber
aus dem Ingenieurwesen, doch die Aufgabe der Synthese dieser beiden Anforderungen, die gleichsam Bedürfnisse des Seins und des Bewusstseins befriedigen, wurde zunehmend Architekturschaffenden übertragen. Ihr Ziel war es nun, eine praktische, jedoch ebenso ästhetische Umsetzung verschiedener wohnungsreformierender Aspekte, welche von gemeinnützigen Wohnungsbaugesellschaften und -genossenschaften gestellt worden waren, zu verwirklichen. Die „Wohnungsfrage“ ist mithin kein neues Phänomen, denn seit mindestens 170 Jahren werden unterschiedliche Wohnformen und Wohnkonzepte diskutiert, wobei die Idee der Gartenstadt aufgrund ihrer nicht nur häuslichen, sondern des umfassenderen städtebaulichen Ansatzes eine besondere Rolle einnimmt.
7.1 Das Gartenstadtkonzept von Ebenezer Howard Das Konzept der Gartenstadt wurde Ende des 19. Jahrhunderts als Reaktion auf das schnelle und unregulierte Wachstum der englischen Industriestädte und dem Entstehen von Elendsvierteln, wo die arbeitende Klasse unter miserablen hygienischen Verhältnissen und stark beengtem Wohnraum leben musste, entwickelt (vgl. Schumpp 1972: 77 f.). Der einflussreichste und meist rezipierte Gegenentwurf zu diesen Städten sollte die sogenannte „Town Country“ des Genossenschaftssozialisten Ebenezer Howard (1850 – 1928) werden, welches er in seinem Buch „Tomorrow. A Peaceful Path to Real Reform“ (1898) vorstellt. Bereits vier Jahre später, 1902, erschien eine Neuauflage des Buches unter dem Titel „Garden Cities of Tomorrow“. Howard legte damit den Grundstein für viele künftige ökologisch-humanistische Bauprojekte. Er verstand seine Idee der Gartenstadt als unmittelbar praktisch anwendbare Anleitung für eine bessere Wohn- und Lebensform. Diese Art von sozialreformerischen städtebaulichen Ideen fußt allerdings auf Voraussetzungen, welche mit einem sozialen, gesellschaftlichen sowie politischen Wandel einhergehen. Hier wurde beispielsweise eine neue Gesundheitsgesetzgebung vorgestellt, welche für eine Verbesserung der hygienischen Verhältnisse, insbesondere in den Städten Sorge zu tragen hätte. Ebenso eine Grundvoraussetzung war für Howard eine Überführung des Bodens in Gemeineigentum (vgl. Schumpp 1972: 77 f.). Howards Ansatz sieht den Umzug aus der Industriegroßstadt in eine ländlichere, grünere Gegend mit städtischen Charakter vor, um, wie Kampffmeyer es postulierte, eine Synthese von Stadt und Land zu bewirken (vgl. Kampffmeyer 1913: 18 ff.). Zentral für Howard ist dessen „Three Magnets Theory“, darin skizziert er die jeweiligen Anziehungskräfte beziehungsweise Negativeffekte des Stadt- sowie des Landlebens und begründet, daraus ableitend, die Alternative einer „Town Country“, welche die von ihm benannten Vorteile der beiden vermeintlichen Gegensät-
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Abbildung 7.1 Three-Magnets-Theorie nach Howard
Quelle: Howard (1968: 57)
ze vereinen und den Menschen ein gesünderes und glücklicheres Leben ermöglichen soll. Die negativen Aspekte, die er für das Leben in der Stadt beschrieb, sind einer seits die Abwesenheit von Natur, hohe Mietpreise, viele Arbeitslose, die Entstehung von Elendsviertel sowie die industriebedingt verschmutzte Luft. Die positiven Aspekte der Stadt wären hingegen die gesellschaftlichen Möglichkeiten, höhere Löhne als auf dem Land, eine ausgebaute Straßenbeleuchtung und diverse Freizeitangebote. Das „Land“ beschreibt Howard als Idylle mit schöner und vitaler Natur, Wiesen und Wäldern, blauem Himmel, reiner Luft2 und günstigen Grundpreisen, die sich auch auf die Mieten auswirken. Nachteilig sind für ihn aber das Fehlen sozialer Bindungen aufgrund der geringen Besiedlung, verhältnismäßig niedrige Löhne trotz langer Arbeitszeiten sowie ein mangelndes Freizeitangebot.
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Man fühlt sich hier ein wenig an die Vielzahl aktueller Zeitschriften zum Landleben mit Titeln wie „Landlust“, „Liebes Land“ oder „Mein schöner Landgarten“ erinnert.
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Eine Gartenstadt nach Howards Vorstellung ist „naturnah“ angelegt (das heißt, es gibt viele Grünflächen und Parks in der Stadt), hat sauberes Wasser und reine Luft. An dieser Stelle sei noch einmal an die Entstehungszeit dieser Ideen erinnert, um verständlich zu machen, dass solche für uns heute selbstverständlichen Aspekte des Lebens in Stadt und Land in der Frühindustrialisierung nicht gegeben waren, teilweise mit der Konsequenz, dass es in vielen europäischen Großstädten im 19. Jahrhundert immer wieder zu schweren Cholera-Epidemien kam (vgl. dazu Evans 1996; Winkle 1997). Des Weiteren sollen luftdurchflutete Häuser mit großen Nutzgärten, bei dennoch niedrigen Mietpreisen, gebaut werden. Darüber hinaus können dann hohe Bezahlungen bei gleichzeitig zuträglichen Einkaufspreisen von Gütern verwirklicht werden. Die Stadtgemeinschaft soll genossenschaftlich organisiert werden. Howards primäres Ziel war die weiträumigere Verteilung der Bevölkerung auf das Land und damit die Förderung der Abwanderung aus den überbevölkerten Großstädten und den prekären Verhältnissen dort, mittels eines Bebauungsplans. Dies bedeutet jedoch nicht eine Abkehr der fortschreitenden Industrialisierung und der damit verbundenen Möglichkeiten, vielmehr war es sein Erstreben, die industriellen Tendenzen zu unterstützen, allerdings die Fabriken aus den Städten in eine rurale Gegend zu verlagern und den Erwerbstätigen die Nähe zum Arbeitsplatz unter besseren Lebensbedingungen zu ermöglichen. Ebenfalls sah er kein Hindernis darin, Gartenstädte auch mit Hilfe privater Investitionen zu erschließen, jene müssten jedoch nach der Fertigstellung in Gemeindebesitz überführt werden. Für die Förderung seines Konzepts etablierte er bereits im Jahre 1898 die „Garden City Association“, die sich unter anderem aus Tätigen in den Bereichen der Künste, der Architektur, des Unternehmertums, aus Gelehrten, aber auch aus Beschäftigten zusammensetzte (vgl. Kampffmeyer 1990a: 98 f.). Die eigentliche Stadt soll nach Howard nur ein Sechstel des vorgesehenen Gesamtgebietes einer Gartenstadt ausmachen und eine Bevölkerungszahl von 30 000 nicht überschreiten. Des Weiteren ist ein Grüngürtel vorgesehen, der die gesamte Fläche umschließt und eine landwirtschaftliche Nutzung ermöglicht, damit die Autarkie der Gartenstadt garantiert ist. Zusätzlich verhindert der Grüngürtel eine unkontrollierte Ausbreitung der Siedlungsfläche und dient damit als gleichsam „natürliche“ Grenze der Stadt. Die Visualisierung für das erste Gartenstadtkonzept erfolgte in einem Diagramm, wobei Howard ausdrücklich betonte, dass es sich hierbei nur um eine schematische Darstellung handele (vgl. Abbildung 7.2). Am Rande seiner kreisförmigen Konzeption liegen Industrie- und Gewerbegebiete, während sich nach innen gen Zentrum die Wohngebiete anschließen und damit die Nähe zum Arbeitsplatz hergestellt wird. Die Größe der einzelnen Parzellen der Wohnhäuser sollen mindestens 210 Quadratmeter betragen und in einer Form von Erbpacht an Baugenossenschaften vergeben werden, um Spekulationen
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Abbildung 7.2 Schematischer Aufbau einer Gartenstadt
Quelle: Howard (1968: 61)
zu vermeiden. Die Bevölkerungszahl erschließt sich nach Howards Vorstellung aus der Familienzusammensetzung, welche im Schnitt aus fünf Personen besteht, worauf er auch die Quadratmeteranzahl der einzelnen Grundstücke fundiert. Im Zentrum der Gartenstadt liegt ein großer Park mit Gemeinschaftseinrichtungen wie einer Stadthalle oder einem Museum. Diese und weitere Kultureinrichtungen sollen von einer Einkaufspassage umgeben sein, die sich zu einer grünen Seite hin öffnet, um eine ästhetisch ländliche Wahrnehmung zu garantieren. Eine Eisenbahnlinie umfährt Howards konzentrische Stadt. Diese ist eine Verbindung mit einer bereits bestehenden Hauptstrecke, die Anbindung der Industrie und des Gewerbes schaffen soll, aber auch einer Isolierung der Einwohnenden der Gartenstadt vorbeugen soll, sodass diese einem geschäftigen und sozialen Treiben auch in Nachbarstädten nachgehen können (vgl. Kampffmeyer 1990a: 90 f.). Howard entwarf außerdem noch ein weiteres Diagramm (vgl. Abbildung 7.3), in welchem sich mehrere seiner Gartenstädte zu einer Gruppe zusammenschließen und einen Mittelpunkt, ähnlich einer Zentralstadt, umschließen. Diese Zen-
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Abbildung 7.3 Expansion der Gartenstadt
Quelle: Howard (1968: 145)
tralstadt durfte eine Bevölkerungszahl von 58 000 nicht überschreiten und ist somit annähernd doppelt so groß wie die umliegenden Gartenstädte. Für Howards Visualisierung des Gartenstadtkonzepts lassen sich drei prägnante Einflüsse konstatieren. Zum ersten sind hier die bis dahin schon bekannten utopischen Stadtmodelle, insbesondere sozialistisch geprägter Strömungen, zu nennen. Namentlich für solche sozialistischen Siedlungsmodelle gilt es hier Robert Owen, einen britischen Unternehmer und ein Begründer des Genossenschaftswesens, sowie Charles Fourier, einen französischen Gesellschaftstheoretiker und Kritiker des Kapitalismus, zu erwähnen. Jedoch sind deren Siedlungspläne eng mit einer Neuordnung sozialer Umstände verknüpft und übersehen den Eigennutzen und die Individualität des Einzelnen in zu intensivem Ausmaße, als dass es für die damalige Zeit eine realistische Alternative bot. Des Weiteren sei-
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en aber noch die Planungen von James Silk Buckingham, eines britischen Forschungsreisenden und Schriftstellers, genannt, dessen utopisches Stadtmodell „Victoria“ einen markanten Bezug zur Zeit der Renaissance darstellt. Mit dieser gehen aber auch eindeutige Zuweisungen zu sozialen Schichten einher, sodass sie für ein Stadtmodell aus Genossenschaftsperspektive zu distinktiv wären. Der zweite prägende Einfluss, den Howards Konzept inkorporierte, wirkt sich auf die zeitgenössische Großstadtkritik und die mit den Großstädten einhergehenden Problemen wie mangelnder Wohnraum, Ver- und Entsorgung, Hygiene standards und das Bodenrecht aus. Das Bodenrecht und dessen steigende Preise bewegten Howard dazu, sich für günstigere Erschließungen des Bodens einzusetzen – ein weiterer Grund für ihn, seine Gartenstadt in einer ländlicheren und damit günstigeren Gegend anzusiedeln. Dieser Einfluss geht auf den englischen Autor Thomas Spence zurück, der sich in noch stärkerem Ausmaß für die Vergesellschaftung von Boden- und Grundbesitzen positionierte (vgl. Howard 1968: 120 ff.). Der dritte und für die phänotypische Gestaltung der Gartenstadt sehr entscheidende Einfluss findet sich in den damaligen englischen Arbeitshäusern beziehungsweise retrospektiv betrachtet fortschrittlichen Industriesiedlungen wieder. Denn aufgrund der geradezu explodierenden Bevölkerungsanzahl in den Städten hatte dies, insbesondere für sozioökonomisch schwächere Schichten, verheerende Folgen, wie beispielsweise die drastische Verschlechterung des Wohnungsstandards und dessen Aufrechterhaltung. In den notdürftig errichteten Vierteln für die arbeitende Klasse wurde, initiiert von Spekulierenden im Bereich des Bauwesens, vorrangig der sogenannte „backto-back“ Haustyp verwendet. Dieser bot nur – jedoch immerhin – ein Mindestmaß an Behausung und Komfort, obgleich er sanitäre sowie hygienische Nachteile mit sich zog. Daraus resultierte eine Tendenz zu Vororten und Wohnparkanlagen, die schon seit dem frühen 19. Jahrhundert festzustellen ist. Personen, welche dafür die finanziellen Mittel aufbringen konnten, nutzen diese, jedoch betraf dies nur einen geringen Anteil der Mittelschicht und der Oberschicht. Diese Wohnparkanlagen bildeten wiederum für einige wenige philanthropisch eingestellte Industrielle ein Vorbild für die Errichtung solcher Anlagen für die eigene Belegschaft. Die Anlagen wurden in eher ländlicheren Umgebungen angesiedelt, denn dies ermöglichte eine differierende und abwechslungsreichere Bebauung der Arbeitshäuser, die so auch eine geringere Baudichte aufwiesen und aufgrund dessen zusätzliche öffentliche Freiräume boten. Umgesetzt wurden diese recht progressiven Ideen beispielsweise von Philanthropen wie W. H. Lever, G. Cadbury und J. Rowntree, die eine Gemeinsamkeit für die Verfechtung sozialer Reformen teilten. Dies scheint einer der bedeutendsten Einflüsse auf Howard zu sein, da diese Verwirklichungen von Stadtvierteln schon vor seiner Zeit aufgetreten sind.
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7.2 Die deutsche Rezeption des Gartenstadtkonzeptes In Anlehnung an Howard entstand im Jahre 1902 auch in Deutschland eine Gartenstadtbewegung. Sie verstand ihre Aufgabe in der Vereinigung der zeitgenössischen Reformideen, welche sich auf soziale, ethische sowie künstlerische Aspekte bezogen – am besten erfüllbar durch die Gartenstadt. Planung und Bau der Wohneinheiten orientierte sich, wie im fast zwei Jahrzehnte später gegründeten Bauhaus, an praktischen und zweckmäßigen Erwägungen. Die oberste Prämisse bestand in der Schaffung eines gemeinschaftsfördernden Charakters, der auch durch die Anlage der Häuser repräsentiert werden sollte. Dies konnte mittels eines einheitlichen Konstrukts aus einer halboffenen Bauweise von Doppel- und Reihenhäusern mit Garten gewährleistet werden. Auch hier wurde für jedes Einzelhaus eine eigene Grünfläche angedacht, die es ermöglichte, eine autarke landwirtschaftliche Bewirtschaftung zu garantieren. Geplant war zudem eine Trennung von Verkehrs- und Wohnstraßen samt Vorgärten, die bei den vorgesehenen schmalen Straßen für ausreichend Belüftung und Besonnung des gesamten Quartiers sorgen konnten. Durchgangsverkehr sollte möglichst vermieden werden, worin sich auch ein Unterschied zur englischen Gartenstadtidee Howards manifestiert. Denn dies bedeutete ein Ausbleiben des industriellen Faktors sowie der Bewirtschaftung der Grünfläche, jedoch war der Grüngürtel als solcher zu erhalten. Allerdings wurde absichtlich kein festes Schema für die genauere architektonische Anlage und Gestaltung festgelegt, damit die künstlerische Freiheit der Architekturschaffenden und deren Beteiligung an der Konzeption der Gartenstädte sichergestellt werden kann (vgl. Schollmeier 1990: 40). Ein frühes, wenn doch auch sehr wörtliches Verständnis von „Gartenstädten“ existierte bereits, doch dieses war geprägt durch Beispiele wie Düsseldorf und Bonn, in denen durch Begrünungsmaßnahmen eine hohe Anzahl großer Gärten angelegt wurden. Das Ziel der Deutschen Gartenstadt-Gesellschaft waren jedoch weitreichendere Bestrebungen, das Leben der Bevölkerung inniger mit der Natur zu gestalten, während die Art der Verwirklichung – ob durch genossenschaftliche oder kapitalwirtschaftlichere Maßnahmen – eine weniger zentrale Rolle spielte. Allerdings wurde angemerkt, dass genossenschaftliche Bestrebungen die besseren Voraussetzungen, insbesondere die künstlerischen Gestaltungen betreffend, bieten könnten (vgl. Osthaus 1990: 119 f.). Die Deutsche Gartenstadt-Gesellschaft (DGG), 1902 gegründet, war ebenfalls stark durch utopische und sozialreformerische Gedanken geprägt, wenn nicht sogar stärker als Howard selbst (vgl. Hart 1902). Die DGG initiierte zwei Ausschüsse, welche mittels der Vorteile, die aus beiden Perspektiven herausgearbeitet wurden, eine Mustergartenstadt begründeten und als Vorbild für weitere Umsetzungen des Modells dienen sollten. Ihr Ziel bestand darin, eine Verbesserung der allgemei-
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nen Lebensumstände zu erreichen und gegen die Arbeiterabwanderung vorzugehen. Ab 1904 betrachtete die DGG zunehmend weniger die Aspekte der Natur als solche und konzentrierte sich zunehmend auf den ökonomischen Bereich, da dieser eine höhere Erfolgschance für die Partizipation von Gewerbebetreibenden in die Projekte versprach. Die grundsätzlichen Tätigkeiten bestanden jedoch darin, die Idee Howards zu verbreiten. Die Prämisse allerdings blieb stets die Lösung der Wohnungsfrage, die aufgrund der Spekulationen der Grund- und Bodenpreise angestoßen wurde. Ihr Lösungsansatz bestand in der Abschaffung des Einzeleigentums. Im Laufe der Zeit wurde jedoch eine Abkehr des lebensreformierenden Engagements feststellbar, die DGG nimmt zunehmend die Disposition eines Organes ein, welches die verschiedenen Reformbewegungen der damaligen Zeit widerspiegelt. Bis 1905 zählte die DGG circa 200 Mitglieder und erreicht mit ihren Bemühungen, primär aus Flugschriften bestehend, noch nicht ihr Ziel. Im weiteren Verlauf gründete die DGG im Jahre 1907 die erste deutsche Gartenstadtgenossenschaft in Karlsruhe und begann 1909 mit dem Bau der ersten Gartenstadt Dresden-Hellerau (vgl. Schollmeier 1990: 69 f.). Ein markantes Problem für die Gartenstadt in Deutschland bestand darin, dass kein einheitliches Konzept der konkreten Bebauungsweise vorlag, man hatte sich lediglich auf gewisse Grundprinzipien geeinigt, die eine Gartenstadt erfüllen sollte. Dies zeigt, dass sich auch eine Form der Abkehr vom Howardschen Gartenstadtkonzept manifestierte, da es in England durchaus klare Vorstellungen bezüglich der Bauweise und Gestaltung gab. In Deutschland hingegen sollte die Planung einer Gartenstadt die künstlerische Freiheit der Architekten nicht einschränken, ebenfalls um deren Partizipation zu garantieren (vgl. Hartmann 1976: 28 ff.). Konsens für die DGG und der Entwicklung eines Gesamtkonzeptes für deutsche Gartenstädte herrschte in dem Wunsch der Schaffung von mustergültigen Wohnverhältnissen, deren vorrangige Bauform das Einfamilienhaus mit Garten sein sollte. Das Einzelhaus sollte jedoch nicht selbstständig und damit entfremdet werden, sondern mit anderen Einzelhäusern zu einem Gesamtbild verschmelzen, um so den genossenschaftlichen Charakter zu erzielen und zu einer künstlerischen Einheit konvergieren. Jedoch fehlte noch der letzte Schritt zur vollständigen Umsetzung einer solchen Gartenstadt. Grundsätzlich bejahte die Gartenstadtbewegung die Stadt, wollte diese aber primär in reformierter Weise sehen. Dies führte dazu, dass in Deutschland wohl bis auf Ausnahme von Dresden-Hellerau ausschließlich Gartenvorstädte geschaffen wurden, die zwar eine relative Nähe für die Beschäftigten zu den Arbeitsplätzen bot, doch die eigentlich konstitutive Lebensgrundlage in Form von Arbeitsstätten fehlte. Howards Idee lässt sich grundsätzlich als Stadt im Garten und nicht als Stadt mit Gärten, wie es häufig realisiert wurde, paraphrasieren (vgl. Kampffmeyer 1990b: 370 f.).
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7.3 Der Stadtteil Mariahof in Trier Die Entstehungsgeschichte Mariahof ist einer von 19 Ortsbezirken der Stadt Trier. Der Name geht auf das Gut Mariahof zurück, welches von Georg Johann von Nell Mitte des 19. Jahrhunderts erbaut wurde, nachdem der einstige Klosterbesitz von St. Matthias erworben wurde. Nach dem Zweiten Weltkrieg herrschte, wie in vielen Städten Deutschlands, akute Wohnungsnot in Trier und es bestand ein dringender Bedarf an Bauland. So erfolgte der Verkauf des „Gut Mariahof “ Ende der 1950er Jahre an die Stadt und ein Wettbewerb für Ideen zur Stadtplanung, für eine Fläche von 40 Hektar unter dem Motto „Gartenstadt Mariahof “, wurde ausgeschrieben. In den darauffolgenden Jahren begannen die Bauarbeiten, die aufgrund der vorangegangen Gesamtplanung des Stadtteils, ganz im Stil einer Gartenstadt, zügig abgeschlossen wurden, sodass im Jahre 1962 die ersten Familien in die Bertulfstraße einziehen konnten. Mitte der 1960er Jahre ist die Grundschule eröffnet worden und 1968 wurde der Bau der Wohnsiedlung komplett abgeschlossen. Mariahof ist damit der jüngste eigenständige Ortsbezirk Triers und wirkte auch exemplarisch für spätere Bauprojekte im Stadtgebiet. Jedoch finden sich abweichend von der ursprünglichen Konzeption einer Gartenstadt in Mariahof nicht nur Einfamilienhäuser – typischerweise in Form von Eigenheimen – sondern auch Reihenhäuser und Etagenmietshäuser. Auch Gärten selbst existieren – wenn überhaupt – fast ausschließlich als Ziergärten, welche sich primär bei den Einfamilienhäusern finden. Zudem sind sie in der Regel kleinflächig. Grünflächen im Zentrum der Siedlung sind nahezu ausschließlich in Form von Rasenflächen zwischen den mehrgeschossigen Wohnblocks vorzufinden. Eine großflächige Ansiedlung von Arbeitsplätzen war ebenfalls nicht geplant. Mariahof ist aufgrund dessen vornehmlich ein Wohnstadtteil.
Der Bebauungsplan Die Gründung des Stadtteils Mariahof gilt als eines der größten Bauprojekte Triers und der „gbt – Wohnungsbau und Treuhand AG“ der 1960er Jahre. Die Ausschreibung eines Ideenwettbewerbes für die Erschließung des von der Stadt rund sieben Kilometer entfernten Hügels versprach eine große positive Resonanz mit weiten Ausblicken auf die Stadt und Teile des Hunsrücks. Diesen Wettbewerb konnte Professor Kühn aus Aachen für sich entscheiden, dessen Vision, wiederum im Sinne einer Gartenstadt, eine kostengünstige Erschließung des neuen „Satellitenstadtteils“ beinhaltete. Der Verkehr sollte primär über eine Ringstraße geregelt
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werden, von der aus sternenförmig Stichstraßen abgehen, sodass im inneren des Ringes ausreichend Platz für die zentralen Einrichtungen, wie Kindergarten und Schule, Sparkasse und Post sowie einen Sportplatz und ein Geschäftszentrum vorgesehen werden konnte. Des Weiteren wurden im Bebauungsplan verschiedene Etagenmietshäuser vorgesehen, die sich ebenfalls im inneren des Straßenrings befinden. Die Eigenheime (Einzel- und Reihenhäuser) wurden dagegen am äußeren Rand angelegt und machen einen Anteil von 50 Prozent der Siedlungsfläche aus. Die zentrale Intension des „Bauvorhabens Mariahof “ war, wie bereits erwähnt, die Schaffung neuen Wohnraumes. Die insgesamt 843 Wohnungen und Einfamilienhäuser in Mariahof wurden durch öffentliche Mittel gefördert. Sozialpolitische Vorgaben der Stadt hatten Familien mit Kindern im Fokus, sodass die Mietwohnungen vorrangig aus Drei- und Vierzimmerwohnungen bestanden. Ebenso wurden beim Verkauf der Eigenheime Familien mit Kindern bevorzugt. Dies führte dazu, dass Mariahof ein sehr kinderreicher Stadtteil wurde. Dass dies bei der Planung des Stadtteils insgesamt aber nicht ausreichend bedacht wurde, zeigte sich bei der Grundschule, die schon während der Bauzeit auf das doppelte ihrer ursprünglich vorgesehenen Kapazität angehoben werden musste. Das ursprünglich großräumig geplante Geschäftszentrum erfuhr schon während der Bauphase diverse Einschränkungen, denn die Nachfrage seitens Geschäftsleuten und Gewerbetreibenden fiel geringer aus, als zunächst erwartet. Eine minimale Grundversorgung des Stadtteils durch Einkaufsläden konnte nur mit deutlichen Anstrengungen der gbt erreicht werden, während sich simultan eine zunehmende Altenwohnungsnot herauskristallisierte. Dies führte zu einer Umstrukturierung des ursprünglichen Bebauungsplans: Flächen, die ursprünglich für Geschäfte und Gewerbe geplant waren, wurden als neue Bauflächen für Altenwohnungen ausgewiesen. Weitere zusätzliche Altenwohnungen (mit höherem Standard) wurden zu einem späteren Zeitpunkt in der Wohnanlage der Trebetasiedlung erbaut, sodass letztlich ein Bestand von über 100 Altenwohnungen in Mariahof vorzufinden waren. Die Trebetasiedlung wurde in den Jahren 1973 – 1976 als Eigentumssiedlung erbaut. Für die Erbauung sollte das Gut Mariahof als Vorbild dienen, in Form einer Hofbildung und Laubengängen, welche einen gemeinschaftsfördernden Charakter suggerieren. Die Trebetasiedlung hat 178 Wohneinheiten, bestehend aus Zwei-, Drei-, Vier- und Fünfzimmerwohnungen, teilweise auch Maisonettewohnungen, und Gemeinschaftseinrichtungen wie einem Schwimmbad, einer Sauna und zwei Tiefgaragen (vgl. Monz 1991: 59 ff.).
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Der Stadtteil Mariahof heute Im Jahr 2019 verzeichnet Mariahof eine Bevölkerung von 3 031 Einwohnern, welche dort mit Erst- und Zweitwohnsitz gemeldet sind und auf einer Gesamtfläche von 7,04 Quadratkilometern leben. Mitte September des Jahres 2012 feierte Mariahof mit einem Stadtteilfest sein 50-jähriges Bestehen. In den letzten Jahren wurden weitere Baumaßnahmen durchgeführt, welche zu einer Vergrößerung Mariahofs beitrugen. Hierzu gehört die Errichtung von knapp 30 Wohneinheiten in Gebäudekomplexen mit drei Etagen im Jahre 2016. Weitere Sozialwohnungen wurden im darauffolgenden Jahr gebaut. Aktuell soll der bisher landwirtschaftlich genutzte Bereich zwischen Mariahof und dem Brubacher Hof für eine weitere Bebauung genutzt werden. Jedoch ist dieses Projekt sehr umstritten und bis zum jetzigen Stand weiterhin in der Diskussion. Das einstig militärisch genutzte Sperrgebiet des Mattheiser Waldes wurde zum Naturschutzgebiet erklärt und dient nun der Naherholung, während das Zentrum Mariahofs aus überwiegend kahlen, gräulichen Gebäuden besteht in denen zunehmend kaum noch Dienstleistungsunternehmen für die Nahversorgung vorzufinden sind. Eine aktuelle Altersverteilung in Mariahof im Vergleich zu Gesamt-Trier wird in Abbildung 7.4 dargestellt (die Angaben aus Mariahof sind enthalten). Die hierfür verwendeten Daten entstammen des Einwohnermeldeamtes der Stadt Trier und beziehen sich auf die Angaben der mit Erst- und Zweitwohnsitz gemeldeten Personen. In Abbildung 7.4 sind deutliche Diskrepanzen zwischen der Altersverteilung in Mariahof und der Triers erkennbar. Diese sind der Wohnungsvergabepolitik
Abbildung 7.4 Altersverteilung (Jahre) in Mariahof und Trier (in Prozent) 25 20 15 10 5 0 unter 20
20-29
30-39
40-49 Mariahof
50-59
60-69
70 und älter
Trier
Quelle: MESO-Einwohnerbestand (Bestandsstatistik zum 31. 12. 2017) und eigene Berechnungen
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der Stadt geschuldet. Im Vergleich zur Gesamtstadt leben in Mariahof deutlich mehr Menschen unter 20 und über 70 Jahren.
Zur Verortung und Konstitution der Quartiere in Mariahof Der Stadtteil Mariahof lässt sich in vier relativ homogene Quartiere untergliedern, deren ungefähre geographische Verteilung der Abbildung 7.5 entnommen werden kann. Quartier A (Abbildung 7.6) wird begrenzt durch die Trebetastraße, den Brubacherhof und der Straße ‚An der Härenwies‘ und stellt ein Mischgebiet dar, in dem sich neben den Wohneinheiten auch eine Kfz-Werkstatt und das Gut Mariahof befinden. Den häufigsten Gebäudetyp stellen Wohnhochhäuser dar, aber
Abbildung 7.5 Quartiere im Stadtteil Mariahof
Quelle: Map tiles by OpenStreetMap contributions, under CC-BY-SA 2.0. Data by OpenStreetMap, under ODbL (Visualisierung durch eigenes Programm)
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Abbildung 7.6 Quartier A, Gut Mariahof
Quelle: Eigene Darstellung
auch Wohnhäuser mit Balkonen. Vor den Gebäuden befinden sich kleine Wiesenflächen und zudem eigens ausgewiesene Stellflächen für PKWs sowie öffentliche Parkplätze. Das Quartier B, dargestellt in Abbildung 7.7, bildet den Außenring um das Zentrum Mariahofs und ist ein reines Wohngebiet mit überwiegend schräg versetzten Einfamilienhäusern mit Bungalowcharakter. In der Regel haben die Häuser (Zier-)Gärten, einen Balkon oder eine Terrasse. Auch hier finden sich eigens ausgewiesene Stellflächen sowie öffentliche Parkplätze. Weitere Grünflächen bietet der Grüngürtel, welcher den gesamten Stadtteil umschließt und durch einen Rundwanderweg erschlossen ist. Das Quartier C (Abbildung 7.8) liegt im Zentrum von Mariahof. Dieses ist ein Mischgebiet, in dem sich auch ein kleines Nahversorgungszentrum befindet – mit einer inzwischen aber sehr überschaubaren Anzahl an Dienstleistungsunternehmen. Hierzu gehören ein Frisiersalon, eine Bäckerei und Poststelle, eine Rechtsanwaltskanzlei, eine Arztpraxis, eine Apotheke und ein Geldautomat der Sparkasse. Die Gebäude sind überwiegend Wohnhochhäuser, die von Personen in tendenziell prekären Lebens- und Beschäftigungsverhältnissen bewohnt werden. Sie verfügen nur selten über einen Balkon und die Fassaden wirken vielfach abgetragen und sanierungsbedürftig auch aufgrund der frei hängenden Verkabelungen an den Außenwänden. Die Stellflächen für PKWs befinden sich am Straßenrand, deren Belag, wie auch bei den öffentlichen Wegen, häufig lädiert ist.
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Abbildung 7.7 Einfamilienhäuser Quartier B
Quelle: Eigene Darstellung
Abbildung 7.8 Wohngebäude Quartier C
Quelle: Eigene Darstellung
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Abbildung 7.9 Wohngebäude Papageienviertel
Quelle: Eigene Darstellung
Ein weiteres Quartier bildet das sogenannte „Papageienviertel“ (die Trebetasiedlung) (Abbildung 7.9) neben dem Gut Mariahof. Der verdichtete und bunt gestrichene (daher die umgangssprachliche Namensgebung) hofartige Wohnkomplex zeichnet sich durch Wohnungen mit Balkonen, gemeinschaftlich nutzbare Dachbalkone, Tiefgaragenstellplätze und weitere gemeinschaftliche Infrastruktur, wie ein Hallenschwimmbad und einen Sportraum, aus. Mariahof ist als Stadtteil, der in den 1950er und 1960er Jahren fertiggestellt wurde, ein Bezirk im Umbruch. Die Generationen der Erstbeziehenden in Quartier B stellen primär die höheren Altersklassen dar und näheren sich allmählich ihrem Lebensende. Aufgrund der steigenden Immobilienpreise sowie der annähernd städtischen jedoch grünen und ruhigeren Lage des Quartiers werden diese vielfach durch gutsituierte Familien ersetzt, die aber häufig ebenfalls nicht zu den jüngeren Kohorten zählen. Rund 40 Prozent der Einwohner sind älter als 50 und weitere 11 Prozent älter als 40 Jahre. Jüngere Menschen wohnen insbesondere in Quartier C, respektive in den Etagenmietshäusern. Mit dieser Altersdifferenzierung in den Quartieren korrespondiert eine sozialstrukturelle Divergenz. Während in Quartier B überwiegend Familien mit höheren Bildungsabschlüssen und entsprechenden Einkommen leben, finden sich in Quartier C dagegen vermehrt Alleinerziehende und Menschen in prekären (Beschäftigungs-)Verhältnissen oder Beziehende von Transferleistungen. Im ersten Trierer Bildungsbericht aus dem Jahre 2010 wird Mariahof zu den Stadtbezirken mit hoher sozialer Belastung ge-
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zählt, da der Anteil der Arbeitslosen, der Menschen, die in Bedarfsgemeinschaften leben oder Hilfen zur Erziehung erhalten deutlich über dem städtischen Durchschnitt in Trier liegt. Mariahof rangiert hier mit Trier-West und Nells-Ländchen in Trier-Nord in der „Spitzengruppe“ aller Trierer Stadtbezirke. Mit einer Übergangsquote von lediglich 22 Prozent der Grundschüler die auf ein Gymnasium wechseln positioniert sich Mariahof sogar als Schlusslicht (vgl. Schreiber et al. 2011). Dies ist der geplanten und durch den sozialen Wohnungsbau im Zentrum des Stadtbezirks realisierten sozialen Heterogenität des Gebiets geschuldet. Von einer Durchmischung und daraus resultierenden sozialen Kontakten als Basis und Voraussetzung für die Etablierung von Ortsgemeinschaften kann allerdings keine Rede sein. Mariahof ist auf vergleichsweise engem Raum segregiert und desintegriert – was sich im Übrigen bereits durch die heterogene Bebauung manifestiert und durch diese auch perpetuiert wird.
7.4 Anwendungen und Verwirklichungen des Gartenstadtkonzeptes Ist Mariahof denn – zumindest im Ansatz – eine Gartenstadt ? Um diese Frage zu beantworten, wird die Siedlung verglichen mit der Gartenvorstadt Mannheim und der Gartenstadt Dresden-Hellerau. Diese beiden Gebiete weisen umfangreiche Komponenten auf, welche für die Konzeption und Realisierung von Garten(vor)städten in Deutschland charakteristisch sind.
Die Gartenvorstadt Mannheim Die Universitätsstadt Mannheim, welche sich im Dreiländereck mit Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Hessen befindet, etablierte sich aufgrund der günstigen Lage am Rhein ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts als Industrie- und Handelszentrum. Dies veranlasste die Stadt zur Erbauung neuer Wohngebiete respektive der Garten(vor)stadt Mannheim. 1909 entstanden in diesem Zuge die ersten Planungsideen für die ausgewählte Baufläche des neuen Stadtteils, der an der Südwestecke des Käfertaler Waldes, ungefähr vier Kilometer nördlich vom Zentrum Mannheims entfernt, angesiedelt werden sollte. 1910 wurde die Gartenvorstadtgenossenschaft gegründet, welche insbesondere die Verbesserung der Wohnverhältnisse und der Etablierung neuer Arbeiterwohnungen zum Ziel hatte. Bei der Bebauung der Gesamtfläche sollten primär Häuser mit maximal drei Wohnungen und den dazugehörigen Nebengebäuden, wie Waschküche und Gemein-
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schaftsräume, errichtet werden. Darüber hinaus sollte gewährleistet sein, dass vier Fünftel aller Wohnungen Geringverdienenden zur Verfügung stehen. Ein Fünftel hingegen sollte mit Ein- und Zweifamilienhäusern bebaut werden für zukünftige Bewohnende des mittleren Bürgerstandes (vgl. Schollmeier 1990: 82 ff.). Es galt vorab Mustertypen der Häuser zu erstellen, die wiederum durch die Genossenschaft genehmigt werden mussten. Auf den ersten Blick erscheinen diese Vorschriften wie strenge Regulierungen, jedoch sind dies pragmatische Voraussetzungen die deckungsgleich mit der Vorstellung der Deutschen Gartenstadtbewegung sind, um weiterhin den gemeinschaftsfördernden Charakter der Siedlung zu erhalten. Die finanziellen Mittel zur Bebauung stammen aus Darlehen der Landesversicherungsanstalt Baden, der Stadtgemeinde Mannheim, diverser genossenschaftlicher Führungskräfte und von Privatpersonen sowie aus Eigenmitteln der Gartenvorstadtgenossenschaft. Die Architekten Herrmann Esch und Arno Anke erhielten den Auftrag für die Erstellung eines Bebauungsplans der neuen Gartenstadt. Die Grenzstraßen, welche das Gebiet bereits umschlossen, sollen nach den Architekten als Verkehrsstraßen dienen, um Durchgangsverkehr innerhalb des Stadtteils zu vermeiden. Zusätzlich wurde eine ellipsoide Ringstraße eingefügt, die den weiteren Verkehr weitestgehend abfangen sollte. Durch zwei weitere gerade Straßen – gekreuzt an den breitesten Punkten – sollte in der Mitte der sich schneidenden Straßen ein geräumiger Freiplatz entstehen. Insgesamt waren breite, promenadenartige Straßen vorgesehen, von einer Breite bis zu 20 Meter, die eine offene Wirkung erzielen. Auch an weiteren Kreuzungspunkten der Wohnstraßen wurden im Bebauungsplan Räume für öffentliche Plätze vorgesehen. Hier wiederum lassen sich immer häufiger Diskrepanzen zu der ursprünglichen Gartenstadtidee feststellen, da konstitutive Merkmale an zahlreichen Punkten abgeändert wurden oder in dieser Form nie möglich gewesen wären, wie die Gewährleistung der wirtschaftlichen Autarkie. Jedoch sollte an der ursprünglichen Planung von Gartenparzellen festgehalten werden, für die eine Fläche von 200 Quadratmetern eingeplant wurde. Im Jahre 1912 wurden die ersten 40 Wohnungen in Form von Reihen- und Gruppenhäusern erbaut und im darauffolgenden Jahr weitere 76. Aufgrund der hohen Nachfrage und der generell steigenden Wohnungsgesuche wurden diese zumeist durch Verlosung vergeben. Ende 1914 wohnten bereits 174 Familien, sowie diverse Einzelpersonen, beispielsweise Verwitwete oder Alleinstehende, in der Gartenvorstadt, die so ungefähr 850 Einwohner zählte (vgl. Schollmeier 1990: 83). Durch die sich vermehrt ansiedelnden Fabriken rund um den Industriehafen war die Nähe zum Arbeitsplatz ebenfalls gewährleistet. Der ursprüngliche Bebauungsplan von Esch und Anke wurde häufig überarbeitet und verändert (beziehungsweise teilweise erst gar nicht umgesetzt).
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Trotzdem sollte die umfassende Begrünung der gesamten Fläche schon in der Planung nicht außer Acht gelassen werden, da diese wieder Bezüge zum Gartenstadtkonzept Howards herzustellen ersuchte (vgl. Schollmeier 1990: 87 f.).
Die Gartenstadt Dresden-Hellerau Die Gartenstadt Hellerau ist das Paradebeispiel für die Realisierung des Gartenstadtkonzepts in Deutschland, da diese sowohl die erste als auch einzige deutsche Gartenstadt ist mit einer eigenen industriellen Basis und so zumindest in ihrer Entstehungs- und primären Wirkungszeit autark intakt ist. Die Gründung der Gartenstadt Hellerau ist dem Ausbau des Unternehmens „Deutsche Werkstätten“ zuzuschreiben, da dieses unter der Leitung des Sozialreformers Karl Schmidt-Hellerau wiederum einen neuen Standort suchte, welcher gleichsam auch eine neue Wohnstätte für dessen Beschäftigte bieten sollte. Dies diente insbesondere dazu, den bereits benannten städtespezifischen und daraus resultierenden gesellschaftlichen, gesundheitlichen wie hygienischen Konsequenzen entgegenzuwirken. An ihrer Entstehung war der Architekt Richard Riemerschmid maßgeblich beteiligt, der auch verantwortlich für die Konzeptualisierung und Umsetzung war, zumal dessen Erstreben eines ganzheitlichen Konzeptes im Vordergrund stand (vgl. Laudel 2008: 40 f.). Hellerau befindet sich am nördlichen Rand zu Dresden und ungefähr sechs bis sieben Kilometer vom Dresdner Stadtzentrum entfernt und erschließt eine Fläche von 140 Hektar. Am südlichen Rand von Hellerau befindet sich eine nicht bebaubare Landfläche, welche aus einem alten militärischen Exerziergelände besteht und somit keine einschneidende Vergrößerung Helleraus zulässt und dadurch auch keine spekulativen Bauten. Diese Verortung der Bebauungsfläche für die zu entstehende Gartenstadt ist ganz nach dem Leitgedanken Howards. Riemer schmids Plan für Hellerau sah fünf Bauzonen vor, welche eine gemeinsame Sozialstruktur jedoch mit einer distinktiven Bebauung aufweisen sollte. Diese Bauzonen gliedern sich in die erste Zone der Kleinhausviertel, die zweite Zone mit Landhausvierteln, eine dritte welche ein Viertel für die dazugehörigen Werkstättengebäude inkorporierte sowie eine vierte Zone für diverse Wohlfahrtseinrichtungen. Die letzte Bauzone sollte vorerst frei gehalten werden für sonstige spätere Bebauungen oder zur angemessenen Vergrößerungen der Gartenstadt, wobei hier die ursprünglich geplante Grundfläche von 140 Hektar nicht überschritten werden kann. Die einzelnen Zonen sollen durch Hauptverkehrs-, Wohn- und Zubringerstraßen separiert werden und so in den reinen Wohngebieten wohltuende Ruhe und Gemütlichkeit vermitteln ohne durch den industriellen Verkehr beeinträchtigt zu werden.
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Als Vorbild für den Gartenstadtentwurf Riemerschmids sollten natürlich gewachsene Ortschaften dienen, um einen möglichst großen Wohlfühlcharakter mit idyllischer Atmosphäre zu erhalten, der die Fusion von Stadt und Land erneut verdeutlichen sollte. Ein markantes Mittel, um dieses Ziel zu erreichen, war die Vermeidung von gradlinigen Straßenverläufen. Des Weiteren wurde eine künstlerische Bebauung der Gartenstadt ermöglicht und durch eine explizit dafür gegründete Bau- und Kunstkommission gesichert. Dieser wurde die Verantwortung für die möglichst „natürliche“ Konstruktion übergeben. Außerdem wurden die jeweiligen Flächen mit einer geringeren Baudichte ausgewiesen, als vorschriftsmäßig zulässig gewesen wäre, um das subjektive Gefühl von Freiheit (durch weitläufigeren Raum) sowie mehr Platz für Grünflächen und Zwischenräume zu schaffen. Die ebenda genannte Kommission, die ebenso etwaige Bauten genehmigen musste, wurde aus diversen Gründen im Jahre 1913 wieder aufgelöst, primär aufgrund von Unstimmigkeiten über das weitere Voranschreiten der Gartenstadt (vgl. Arnold 1993: 332 ff.). Die zukünftigen Bewohner und Bewohnerinnen der Gartenstadt Hellerau wurden im Vorhinein mittels eines Fragebogens nach ihren eigenen Wünschen und Erwartungen sowie Ansprüchen an ihr neues Heim befragt, woran sich auch die Wohnungszuteilung orientierte. Anhand dieser Befragung wurde deutlich, dass ein ausgeprägtes Nachbarschaftsverhältnis gewünscht wurde und weniger segregiertes Wohnen, woran bereits schon deutlich wird, dass die zukünftigen Einwohnenden an einer sozialen Gartenstadt interessiert waren und die Einzugswünsche nicht vorrangig durch günstigen und arbeitsplatznahen Wohnraum motiviert ist. Baubeginn der Gartenstadt war im Jahr 1909. Mittels genormter und standardisierter Bauten sowie Einrichtungen, die von der Fabrik der Deutschen Werkstätten errichtet wurden, sollten die Kosten günstig gehalten werden und somit auch die späteren Mietpreise, welche für eine Jahresmiete von 220 Mark errechnet war. Nach Einzug jedoch wurde diese bereits auf 250 erhöht und letztendlich betrug die Miete auf der Abrechnung 275 Mark, was für viele der dort Lebenden deutlich zu teuer war und damit im weiteren Verlauf eine eher besser gestellte Klientel angesprochen wurde als ursprünglich beabsichtigt. Insbesondere das Kleinhausviertel verschmolz zu einem architektonischen Gesamtbild, welches wiederum den gemeinschaftsfördernden Charakter der Gartenstadt aufzeigen sollte. Im Jahre 1909 zogen die ersten 10 Familien in ihre neuen Häuser und ein Jahr darauf etablierten sich die Deutschen Werkstätten in der neuen Fabrik, während Hellerau nur vier Jahre später, im Jahre 1913, bereits eine Einwohnerschaft von 1 900 Personen verzeichnen konnte. Im selben Jahr wurde Hellerau durch eine Straßenbahn an Dresden angebunden, wodurch das Gesamtkonzept der Gartenstadt eine noch höhere Resonanz
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erfuhr. Mit Hilfe der Wohlfahrtseinrichtungen, welche diverse Geschäftshäuser, eine Post, eine Schule, ein Gasthaus und ein Verwaltungsgebäude vorsahen, die kulturelle, soziale sowie ökonomische Ansprüche mit einem ländlicheren Leben verknüpften, wuchs Hellerau zum Inbegriff der Gartenstadtidee und zum Paradebeispiel der Darstellung sozialen Fortschritts heran. Nicht zuletzt war auch der genossenschaftlich motivierte Hintergedanke der, dass sich an solch einem idyllischen Ort auch ein natürlich höheres soziales Bewusstsein entwickeln würde. Letztendlich müssen auch gewisse Diskrepanzen und Alleinstellungsmerkmale der Gartenstadt Dresden-Hellerau eingeräumt werden. Aufgrund der Mietpreiserhöhungen – im Vergleich zu den vorher postulierten jährlichen Mietpreisen – sprach die Lebensweise eine finanziell eher gehobene Schicht der damaligen Zeit an, dennoch darf nicht verkannt werden, dass es konkrete und auch ausgeführte Bestrebungen gab, die Wohnverhältnisse zumindest für einen Teil der Belegschaft deutlich zu verbessern. 1912 besuchte Ebenezer Howard selbst die Gartenstadt Hellerau und vermerkte einen positiven ersten Eindruck, insbesondere bezüglich des Kleinhausviertels. Er würdigte den deutschen Charakter, welcher in Hellerau widergespiegelt werde und dass es eben nicht bloß eine Kopie der englischen Gartenstadt sei. Indessen benannte er auch die Gartenstadt Letchworth als einzig richtige englische Gartenstadt (vgl. Arnold 1993: 353). Retrospektiv betrachtet stellt sich nun aber die Frage weshalb die Umsetzung des Gartenstadtkonzeptes in Hellerau weitgehend funktionierte, respektive ein autarkes städtisches Landleben stilisiert werden konnte. Ein wesentlicher Beitrag ist Karl Schmidt-Hellerau zuzuweisen. Dieser vermochte durch die neue Standortvergabe an die Fabrik der Deutschen Werkstätten und deren sozialreformerischen Bestrebungen für gesündere und naturbezogenere Lebensbedingungen ihrer Mitarbeitenden mittels der Howardschen Gartenstadt dieses Konzept umzusetzen. Ebenfalls ist hier das Stichwort Kooperation zu nennen, bestehend aus Architektur, Sozialreformen, Bauwesen, Visionen und letztendlich auch des Ethos der Bewohnenden, die dafür Sorge zu tragen hatten, den Erhalt der Gartenstadt und des dahinterstehenden Bewusstseins zu gewährleisten. Nach vielen Wirkungsjahren unter dem Motto „Leben und Arbeiten, Kultur und Natur“ und als exemplarisches Beispiel für weitere Gartenstadtbestrebungen wurde Hellerau im Jahre 1950 nach Dresden eingemeindet (vgl. Helas 2008: 186 ff.).
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7.5 Konzeptuelle Divergenzen und Konvergenzen zu Mariahof Die Gartenvorstadt Mannheim Für die Gartenvorstadt Mannheim muss zunächst postuliert werden, dass sie häufig nicht im Fokus der Betrachtung deutscher Gartenstädte liegt. Dies lässt sich womöglich durch die Art und Weise der Bebauung erklären, da, gerade im Süden Deutschlands, nicht selten der primäre Fokus beim Bau solcher Objekte auf eins der gängigsten Merkmale der Autarkie einer Gartenstadt verzichtet wurde. Darüber hinaus wurden diese meist an eine bereits wirtschaftlich sowie politisch abhängige Bezugsstadt gekoppelt und nicht als eigenständige Stadt erbaut, womit sie sich den Namen „Gartenvorstadt“ verdient machte (vgl. Schollmeier 1990: 79). Des Weiteren fehlt ein eigenständiges Zentrum im Stadtteil. Somit kann in diesem Siedlungsgebiet kein eigener Kern und weiterreichend keine städtische Entfaltung ausgemacht werden. Außerdem fehlt eine weitere wichtige Komponente der Gartenstadt: die Gemeinschaftshäuser. Nachträglich wurde ein dafür angedachtes Gebäude dem Stadtteil hinzugefügt, doch wurde dieses für die Nutzung eines Restaurants zur Verfügung gestellt. Die Besonderheiten, die in Mannheim auszumachen sind, liegen vor allem in den Unterschieden ihrer städtebaulichen Disposition. Die Verwendung von geometrischen Figuren und Achsenbezügen sowie der Einbezug rechtwinkliger Kreuzungen ist als Angleichung an die Kernstadt Mannheim zu interpretieren und schlägt somit die Brücke und Zugehörigkeit zur Gartenvorstadt. Die Applikation gerader Linien erinnert ebenso an die Innenstadt der entsprechenden Bezugsstadt und die Einsparung des Zentrums der Gartenvorstadt lässt sich möglicherweise durch die relative Nähe zum Zentrum der Kernstadt (nur 4 km) erklären (vgl. Schollmeier 1990: 185 ff.). Nichtsdestotrotz hat die Gartenvorstadt Mannheims ihren Namen verdient, da der Fokus der konstitutionellen Planung auf der genossenschaftlichen Errichtung von Wohnungen für die arbeitende Klasse lag, die ebenso eine Nähe zum Arbeitsplatz gewährleistete sowie zumindest den Anspruch erhob günstige Mieten für die Bewohnenden zu stellen.
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Die Gartenstadt Dresden-Hellerau Hellerau war kein ausschließliches Wohn- und Arbeitsgebiet, vielmehr sollte es alle weiteren Vorzüge des städtischen und ländlichen Lebensstils vereinen und diese auch durch diverse Interventionen in den Alltag und die Bebauung integrieren und inkorporieren. So ist zum einen für Hellerau die körperliche Arbeit im Garten zu benennen, die nicht nur als eine sinnvolle Freizeitbeschäftigung, sondern auch als gesundheitsfördernde Erziehungsmaßnahme erachtet wurde (vgl. Arnold 2008: 28 ff.). Auch wenn es immer wieder Kontroversen zwischen den Bewohnenden und der Gartenstadtgesellschaft beziehungsweise der Baugenossenschaft gab, etwa wie die zur Verfügung stehenden Grünflächen genutzt werden sollten (als Zier- oder Nutzgärten), so wurden diese durch kostenlosen Zugang zu Literatur, Vorträgen, Wettbewerben für den schönsten Garten und auch der Kooperation mit der hiesigen Gärtnerei letztendlich ausgeglichen (vgl. Peschel 2008: 158 ff.). Der Blick auf das Gesamtkonstrukts Helleraus zeigt, wie integriert die einzelnen Baugruppen letztlich sind, verbunden durch Gartenflächen und gemeinschaftsfördernde Freiräume, die – ganz im Sinne der Gartenstadt – als erweiterter Wohnraum wahrgenommen werden. Hier greift der idyllische Leitgedanke, der vergleichsweise in Mariahof in dieser Form nicht ausgeführt wurde, da hier die zwar grünen, jedoch weitestgehend unbenutzten Flächen zwischen den Wohnkomplexen nicht integrativ in den Bebauungsplan aufgenommen wurden und als Gemeinschafts- und Begegnungsflächen einfach nicht genutzt werden. Für Hellerau sind genau zu diesem Anlass explizite Eckausbildungen und Sitzplätze geschaffen worden, die als Verweilpunkte einladen sollen und somit soziale Interaktionen fördern. Bei der Betrachtung Helleraus zu späteren Zeitpunkten lassen sich ebenfalls eine deutliche Verschmelzung von Innen- und Außenraum erkennen, auf die wiederum vor allem durch die Baugenossenschaft wert gelegt wurde. Für Hellerau lässt sich damit festhalten, dass die Architektur und Komposition der Gartenstadt die damalige zeitgenössische Wirtschafts-, Sozial-, und Kulturgeschichte widerspiegelt. Auch wenn rückwirkend gesagt werden muss, dass Riemerschmids Gesamtkonzept – aufgrund der Beteiligung weiterer Architekten und ebenso auch wegen einschneidender Ereignisse wie der wirtschaftlichen Inflation Mitte der 1920er Jahre oder durch den zweiten Weltkrieg – in seiner Form nicht vollendet wurde, lässt sich trotz allem noch heute eine Kontinuität erkennen. Diese kennzeichnet sich einerseits durch eine homogene Dachlandschaft, respektive rote Ziegeldächer, ebenfalls die Kleinhäuser, welche denen aus organisch (natürlich) gewachsenen Kleinstädten ähneln, sowie die Überwindung der Eingemeindung an Dresden, als Teil der Großstadt und nicht, um es harsch zu formulieren, als ausgesiedelte Exklave (vgl. Helas 2008: 189 f.).
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Die Gartenstadt Mariahof In Mariahof ist dagegen lediglich die Idee des Wohnens im Grünen umgesetzt worden und dies auch primär für die Bewohnenden des Quartiers B. Eine landwirtschaftliche Nutzung und Versorgung dieser Grünflächen, die für Howard konstitutiv war, sucht man vergebens. Ganz im Gegenteil sehen aktuelle Planungen sogar vor, die angrenzenden landwirtschaftlichen Flächen zu bebauen. Auch Nutzgärten sind in Mariahof nicht vorzufinden. Freie, zu den Häusern gehörende Flächen in Quartier B werden primär als Ziergärten genutzt, während in Quartier C individuelle Nutzflächen schon bei der Planung nicht vorgesehen waren. Lediglich zwischen den Wohnkomplexen liegen Grünflächen, die jedoch nicht genutzt werden und eher bauvorschriftlichen Maßnahmen der entsprechenden Zeit geschuldet sind. Auch Schrebergärten, als Alternative zu Hausgärten, waren in Mariahof selbst nicht vorgesehen. Zwar gibt es einen Kleingartenverein Mariahof, jedoch befinden sich diese Gärten außerhalb des eigentlichen Siedlungsgebiets. Wohnen und Arbeiten sind weitgehend voneinander getrennt, de facto ist Mariahof eine reine Wohnsiedlung. Die wenigen Dienstleistungsunternehmen vor Ort bieten nur kaum zusätzliche Arbeitsplätze, während eine Nahversorgung faktisch nicht mehr existent ist – Lebensmittelladen und Gastronomie wurden teilweise schon vor Jahren geschlossen. Der öffentliche Raum, der zum Verweilen einlädt und damit auch Gelegenheiten für Begegnungen und Interaktionen bietet, ist in Mariahof nicht wirklich vorhanden. Das inzwischen größtenteils von Leerständen dominierte Stadtteilzentrum erfüllt diese Funktion ebenfalls nicht, wozu übrigens nicht unwesentlich auch die sehr beton- und zementgeprägte Gestaltung der Gebäude und Plätze beiträgt. Zur Erinnerung, Mariahof wird als der Gartenstadtteil Triers deklariert. Die prägnante Trennung der Bebauung mit Einfamilienhäusern am Rand und von schlichten Wohnkomplexen – häufig ohne Balkone – im Zentrum, stehen im Gegensatz zum Howardschen Gartenstadtkonzept und fördern weder das Gemeinschaftsgefühl noch bietet Mariahof einen dafür ausgelegten Raum für Interaktionen. Im Gegenteil, mittels der differenzierten Bebauung werden Segregation und Abgrenzung gefördert und manifestiert. Der baulichen Ungleichheit korrespondiert eine sozialstrukturelle. Entsprechend unterschiedlich ist auch die Bewertung der Lebensqualität in den Quartieren. In einer Bürgerbefragung, die im Jahr 2017 in Trier zu den Themen Lebensqualität und Sicherheit durchgeführt wurde, bewerteten die Bewohner und Bewohnerinnen des Quartiers B ihre Lebensqualität im Durchschnitt auf einer Skala von ‚sehr gut (1)‘ bis ‚mangelhaft (5)‘ mit der Note 2,3. Im Quartier C fällt die Durchschnittsnote mit 3,2 deutlich schlechter aus. Diese Einschätzung spiegelt sich auch in den Kommentaren aus zwei Expertengesprächen, die in Mariahof geführt wurden, wider.
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In Quartier B bestehen danach gute und teilweise auch freundschaftliche Nachbarschaftsverhältnisse im engeren Wohnumfeld. Nachbarschaft ist hier nicht nur räumliche, sondern auch soziale Nachbarschaft. Die Lebensqualität als Resultat, sowohl sozialer Kontakte und Beziehungen als auch objektiver Merkmale des Wohnumfelds – Wohnen im Eigentum, Freiraum rund ums Haus, Privatsphäre etc. – wird gut bewertet. Ganz anders sieht es dagegen in Quartier C aus. Nachbarschaft in den großen Wohnkomplexen ist vielfach nur räumlich bedingte Nähe, die Verhältnisse sind anonym und distanziert. Interaktionen der Bewohnenden sind nicht unbedingt von Vertrauen und wechselseitigem Wohlwollen geprägt. Darüber hinaus wurden die Wohnungen als solche und das Wohnumfeld als durchaus optimierungsfähig bezeichnet, dementsprechend schlecht fällt auch die Bewertung der Lebensqualität aus. Diese Faktoren führen letztendlich dazu, dass man Mariahof alles in allem nicht als eine Gartenstadt bezeichnen kann, da konstitutive Merkmale nicht erfüllt werden.
7.6 Schlussbemerkung Nach der Betrachtung der Stadtplanung, ihren Aufgaben und Krisen, die sie gemeistert hat und dem Wandel dem sie unterliegen kann, wird ebenso deutlich mit welchen Problemen und Herausforderungen sie seit jeher zu kämpfen hat. Die Vorzüge und Attraktivität der Städte birgt ihre Problematiken, wie die der immanenten Wohnungsfrage und das nun schon seit mehr als 100 Jahren, ohne ausreichende respektive tatsächlich, zu genüge verwirklichte Alternativen zu bieten. Wohnen wird zunehmend immer mehr entfremdet. Lösungen, wie das Gartenstadtkonzept, bieten Ansätze zur Verbesserung, doch wird dieses oft nicht adäquat umgesetzt und wie oben erläutert, bleiben die Missstände bestehen. So ist auch der Stadtteil Mariahof in Trier keine faktische Gartenstadt wie in Howards Vision, sondern stellt ein Konglomerat verschiedener Wohnformen, Baustile und Bevölkerungsschichten dar, ohne dass es zu einer, wie auch immer gearteten, Integration, einem Wir-Gefühl der Masse, der Bewohnenden und folglich einer sozialen Gemeinschaft gekommen wäre (vgl. Hahn et al. 1979: 153). Letztlich zeichnet sich diese Problematik aber nicht nur in Mariahof ab. Denn obwohl die Idee Howards in Großbritannien sowie in Deutschland, insbesondere am Anfang des 20. Jahrhunderts, Anklang fand, konnte dies ein stetig oft ungeplantes oder unzureichend voraussehbares Wachstum der Großstädte nicht verhindern. Ein kleiner, wenn auch nicht tatsächlich zielführend erfolgreicher Gewinn ist die Adaption der Gartenstadtidee vielerorts (vgl. Hahn et al 1979:
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149) – wenn auch in abgewandelter Form. Die Gartenstadtidee hat viel Verbreitung erfahren und somit besitzt sie die Chance wieder in das Bewusstsein der Verantwortlichen für Städteplanung, Architektur und Politik zu treten, um besonders die Wohnverhältnisse für Menschen, gerade in prekären Lebenssituationen, zu verbessern und menschenwürdiger zu gestalten. Dennoch sollen auch die Gemeinsamkeiten Mariahofs mit der Idee einer Gartenstadt festgehalten werden. Diese beinhalten einerseits eine Differenzierung des Wegesystems, der primären Aufteilung in Verkehrs- und Wohnstraßen, wobei hier erneut die Bewohnenden des Quartier C durch die unmittelbare Nähe der Verkehrsstraße benachteiligt werden. Zumindest für die Einzelhäuser lassen sich rückwärtige Gartenflächen feststellen, diese werden jedoch nicht als Nutzgärten zur Versorgung, sondern primär als Zier- und Verweilgärten genutzt. Die Unterschiede überwiegen, wobei wenige Divergenzen der topographischen Gegebenheit und damit platztechnischen Anlässen geschuldet sein mögen. Auch der Einfluss lokaler Merkmale durch die Bezugsstadt Trier lassen sich in Mariahof schwierig ausfindig machen. Insgesamt ist Mariahof deshalb als keine gelungene Verwirklichung des Gartenstadtkonzeptes zu beurteilen, doch scheint anhand der Verbesserungsvorschläge der Befragten ein Interesse am Ausbau und der Schaffung eines integrativen Sozialgefüges zu bestehen. Dies könnte durch die Aufwertung gemeinschaftlicher, öffentlicher Flächen geschehen, die zum Verweilen, interagieren und kommunizieren einladen.
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Wohnen im Bobinet-Quartier Zur Neuentwicklung einer urbanen Gemeinschaft1 Eva-Marie Förster, Rüdiger Jacob und Johannes Kopp
Nur wenige Entwicklungen werden bei der soziologischen Analyse der modernen Stadtentwicklung so vehement diskutiert, wie die zukünftige Veränderungen der Stadt und der Wandel in der Gestaltung dieser urbanen Räume (Sennett 2018). Unstrittig ist die Tatsache, dass Städte – und zwar wohl in ihren sehr unterschiedlichen Ausprägungen beginnend in den Begriffen der Raumordnung mit Mittelzentren über Oberzentren bis hin zu Ballungsräumen oder den aktuell diskutierten sogenannten Schwarmstädten – zunehmend an Attraktivität und damit eben auch an Bevölkerung gewinnen. Betrachtet man die Logik der Motive dieser Veränderungen und der sie bedingenden Migrationsbewegungen wird deutlich, dass hierbei die lange Zeit damit einhergehende und beobachtbare Suburbanisierung keinen gangbaren und insgesamt auch aus vielfältigen – unter anderem auch der ökologischen – Perspektiven keinen wünschenswerten Weg darstellt (vgl. Gallaher 2014; Montgomery 2015). Suburbane Räume, teilweise weit von Zentrum entfernte Vororte einerseits oder Trabantensiedlungen andererseits erfüllen gerade die in städtisches Leben gesetzten Erwartungen kaum. Urbanes Leben spielt sich eben gerade nicht in den Vororten ab. Da auch die Ideen von Le Corbusier zur sogenannten vertikalen Stadt heute zunehmend kritisch gesehen werden (vgl. insgesamt Fitting 2002; Wang 2004; Holm 2011), ist die aktuell vielfältig diskutierte Zielsetzung häufig eher die der Transformation und Umnutzung vorhandener Flächen und Gebäuden (vgl. beispielsweise Brake/Herfert 2012; Merz 2012). Unter-
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Auch die dieser Untersuchung zugrundeliegende Erhebung konnte nur durch die tatkräftige Unterstützung vieler Menschen möglich gemacht werden. Vor allem danken wir den Bewohnerinnen und Bewohnern des Bobinet Quartiers für die Teilnahme an der Befragung. Ebenfalls bedanken möchten wir uns bei Herrn Becker von der EGP für seine tatkräftige Unterstützung.
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 J. Kopp et al. (Hrsg.), Gemeinschaftliche Wohnformen zwischen Entfremdung und Resonanz, https://doi.org/10.1007/978-3-658-26048-4_9
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schiedlichste Projekte sind dabei in den letzten Jahren und Jahrzehnten als Folge der Veränderungen in der industriellen Welt und des Wandels von einer Industriein eine Dienstleistungsgesellschaft sowie in etlichen Städten als Folge der Umwandlung ehemals militärischer Nutzungen großer innenstadtnaher Gebiete und der seit einiger Zeit dadurch entstehenden Möglichkeiten der Konversion realisiert worden. Die steigende Nachfrage nach Wohnraum, das knappe Angebot an Neubauflächen gerade in Großstädten und auch eine häufig gegebene grundsätzliche Attraktivität des Standortes sowie Besonderheiten der vorhandenen Architektur machen die Umnutzung bestehender Funktionsgebäude zu einer reizvollen Aufgabe. „Immer mehr Büro-, Gewerbe- und Industriegebäude, soziale Infrastruktureinrichtungen und sonstige Nichtwohnimmobilien werden zu Wohnraum umgewandelt“, so dass Bundesamt für Bau-, Stadt- und Raumforschung im Jahr 2015 in einer Vorschau auf eine von dem Institut zusammengestellte Dokumentation von Fallstudien (BBSR 2015). Besonders attraktiv für solche Umwandlungen sind häufig ehemalige Fabrikgebäude und Produktionsanlagen aus dem 19. und frühen 20. Jahrhundert. Die meist damit einhergehende Gentrifizierung (Glass 1964), also die mit der baulichen Aufwertung verbundene Veränderung der sozialen Zusammensetzung der Wohnbevölkerung und deren Folgen für das soziale Leben und die Attraktivität der Quartiere und Stadteile, ruft jedoch immer wieder auch Kritik hervor (vgl. als Überblick Holm 2012) und zwar insbesondere dann, wenn alteingesessene Bewohnergruppen durch neue, finanzstärkere verdrängt werden. Ein sehr prominentes Beispiel für eine solche Entwicklung ist die Umwandlung des ehemaligen Arbeiterviertels am Prenzlauer Berg in Berlin in ein Viertel von „Yuppies, Bobos und Lohas. (…) ein Verdrängungsprozess, der nicht ohne Konflikte verlief “ (Dörfler 2015). Bei Gentrifizierungsprozessen muss mithin zwischen Quartieren, die immer schon Wohngebiete waren – in alleiniger oder dominanten Nutzung wie etwa die Altbaugebiete in Prenzlauer Berg oder Berlin Kreuzberg – und Industrie- und Militärbrachen unterschieden werden. Bei ersteren kommt es in der Regel zu den skizzierten Verdrängungsprozessen, bei letzteren nicht, einfach weil in den umgenutzten Gebäuden und Arealen vorher niemand wohnte. Ein Bespiel für eine Quartiersentwicklung des letztgenannten Typus ist das Bobinet-Areal in Trier mit dem sich anschließenden ehemaligen Bahnausbesserungswerk. Wir wollten an diesem konkreten Beispiel untersuchen, wie eine derartige Veränderung der Nutzungsstrukturen aussieht und wie diese von den Bewohnern angenommen, umgesetzt und weiterentwickelt wird. Das BobinetQuartier in Trier-West ist ein ehemaliges Fabrikgelände, das seit der Fabrikschließung 2010 zu einem – so die Eigendarstellung auf der Projekthomepage www. bobinet.quartier.de – „lebenswerten Quartier“ entwickelt wurde und wird, „in
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Abbildung 8.1 Das Bobinet-Quartier
Quelle: eigenes Bild
dem man arbeiten und leben kann“. Die Abbildung 8.1 vermittelt einen ersten Eindruck des Geländes. Um diesen Fragen nachzugehen haben wir auch hier in Kooperation mit dem Bauträger, aber unter voller inhaltlichen und wissenschaftlichen Autonomie eine Befragung im Sommer 2018 organisiert, deren Ergebnisse im Mittelpunkt dieses Beitrages stehen. Bevor wir auf die einzelnen Aspekte jedoch genauer eingehen, soll noch kurz der historische Hintergrund und die konkrete Verortung etwas deutlicher gemacht werden.
8.1 Der Ausgangspunkt: Trier-West und die Bobinet-Fabrik Im Trierer Westen, auf dem flussabwärts gesehen linken Moselufer, entsteht zu Beginn des 20. Jahrhunderts langsam ein neuer Stadtteil, anfänglich geprägt vor allem durch zwei damals noch kaiserliche Kasernen, die Hornkaserne einerseits und die Gneisenaukaserne andererseits, bald jedoch auch durch verschiedene Industriegebiete und ab den 1910er Jahren auch durch die Eisenbahnlinie, die damals von Berlin bis an die Westgrenze des Deutschen Reiches führte und primär strategische Bedeutung hatte. Die Region Trier gehörte seit dem Wiener Kongress 1815 zur preußischen Rheinprovinz und bleib Teil des späteren Bundeslandes Preußen bis zu dessen Auflösung 1945 durch die Alliierten. Trier war ein
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zentraler Eisenbahnknotenpunkt. Aus diesem Grund wurde hier auch eine entsprechende Infrastruktur angesiedelt, so vor allem 1911 das Bahnausbesserungswerk als Hauptwerkstätte der preußischen Staatseisenbahnen im Westteil des Reiches. Trier-West ist deshalb in seinen Anfängen vor allem eine Siedlung von Bahnarbeitern und Militärs gewesen. Das Bahnausbesserungswerk grenzt unmittelbar an das Gelände der ehemaligen Bobinet-Fabrik an. Diese wurde 1950 zwischen der Eurener Straße und der heutigen Bundesstraße 51, kurz vor dem westlichen Moselufer durch die Deutsche Bobinet GmbH gegründet. Bereits zehn Jahre später war die Bobinet-Fabrik, ein Hersteller von Spezialtextilien, mit über 800 Mitarbeitern einer der wichtigsten Arbeitgeber in der Stadt. In den nächsten Jahren bis zum Beginn der 1990er erlebte das Unternehmen seine Blütezeit mit Jahresumsätzen im zweistelligen Millionenbereich und schaffte sich einen weltweiten Kundenstamm. Dann wechselte auch aufgrund der strukturellen Veränderung der Branche die Unternehmensausrichtung hin zu Textilverkleidungen für die Automobilindustrie. Zu Beginn der 1990er Jahre jedoch sah das Werk sich der Wirtschaftskrise ausgesetzt und stand kurz vor dem Aus, was in den Folgejahren zunächst zu einigen Besitzerwechseln und letztendlich der Insolvenz und Schließung der Fabrik im Jahr 2008 führte. Die zu diesem Zeitpunkt noch dort beschäftigten gut 100 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen wurden arbeitslos.2 Im Anschluss wurde das Betriebsgelände an die EGP GmbH verkauft, die diese Flächen seitdem revitalisiert und aus der Industriebrache ein neues innerstädtisches Wohnquartier entwickelt, welches aber auch Räume und sonstige Infrastruktur für Arbeitsplätze – zu nennen ist hier beispielsweise der bobinet coworking space – und Gewerbebetriebe bietet. In dieser Konzeption steckt auch der Versuch, die seit der industriellen Revolution zu beobachtende Tendenz der Trennung von Arbeit und Wohnen, von Produktion von Waren und Reproduktion der Arbeitskraft – um diese Begriffe von Karl Marx zu verwenden – aufzuheben, auch wenn das Vorgehen natürlich eher praktisch als theoretisch begründet ist. Vor diesem Hintergrund ist es nicht uninteressant, sich noch einmal vor Augen zu führen, was eigentlich in der Bobinetfabrik produziert wurde. Obwohl dank moderner Informationsmedien vielfältig erkundbar, zählt der Begriff Bobinet sicherlich nicht zum allgemeinen Wissensfundus. Es handelt sich bei Bobinet – so der entsprechende Eintrag in Wikipedia – um eine bestimmte Textilform, genauer eine durchsichtige, netzartige Textilie, also um ein Geflecht, das aus einer Reihe Kettfäden und zwei bis vier schräg verlaufenden Schussfäden besteht. Bei der Herstellung wird der Schuss auf einer sehr schmalen Spule (Bobine) zwischen den
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Diese historische Skizze der Entwicklung des Bobinet-Betriebes stützt sich auf entsprechende Informationen der bereits oben erwähnten Homepage des Bobinet-Quartiers.
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Abbildung 8.2 Die Bobinet-Struktur
Quelle: Wikipedia-Eintrag Bobinet
Kettfäden durchgezogen und umschlingt sie dabei, wie es in der Abbildung 8.2 skizziert ist. Die Skizze zeigt die Struktur eines Bobinet-Tülls mit einer Kette (hellgrün) und zwei blauen und roten Schussfäden. Auf diese Weise entstehen wabenförmige quadratische oder rechteckige Öffnungen. Zum Verarbeiten werden am häufigsten Garne aus Baumwolle, Seide, Polyamid und Polyester verwendet. Es ist eine zumindest überlegenswerte Analogie, ob ähnlich wie bei der Bobinet-Textilie auch in diesem Wohnviertel und generell in urbanen Quartieren die unterschiedlichen Aspekte des gemeinschaftlichen Lebens und die unterschiedlichen sozialen (Interessen-)Gruppen zu einer stabilen und belastbaren Gemeinschaft verwoben werden sollen. Aufgabe unserer kleinen Studie ist es dann, sozusagen die Reißfestigkeit der neu entstehenden sozialen Beziehungen empirisch zu untersuchen.
8.2 Die Entstehung eins Wohnquartiers Wie bereits erwähnt, wurde im Anschluss an das betriebliche Ende der BobinetWerke in Trier das gesamte Betriebsgelände an die EGP GmbH verkauft, die seit 2012 das Gebiet umgestaltet. Die EGP umreißt diese Zielsetzung so: „DAS BOBINET-QUARTIER // Im Trierer Westen, auf dem Gelände der ehemaligen Textilfabrik BOBINET, entsteht gerade ein Quartier zum Wohnen, Leben und Arbeiten. Das rund 37 000 m² große, ehemalige Betriebsgelände wurde 1914 erbaut und in
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Abbildung 8.3 Das Wohnquartier
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Abbildung 8.4 Bobinet-Höfe
Quelle: eigenes Bild
den Wirtschaftswunderjahren der 1950er ausgebaut. Die beeindruckende Industriearchitektur ist durchgehend erhalten und bildet die Kulisse für ein unverwechselbares Quartier“ (www.bobinet-quartier.de). Eine – ebenfalls auf der Homepage befindliche Graphik – zeigt die verschiedenen Bauabschnitte und soll einen ersten Überblick über die Ausmaße und unterschiedlichen Bereiche des Projektes geben. In verschiedenen Wohnformen – Lofts, neu gebauten Apartments, sogenannten Sky-Boxen, dies ist die hier verwendete Bezeichnung für die insgesamt nur drei verfügbaren Penthäuser auf dem Dach des Projektes, kurzfristig zu mietenden Apartments – entstehen und entstanden hier mehr als 100 Wohneinheiten, die mittelfristig mehreren hundert Menschen Wohnraum bieten.
8.3 Die Wohnbevölkerung im Bobinet-Quartier Um nun zu erfahren, wie die Wohnbevölkerung das Leben im Quartier beurteilt, hat unserer Forschungsgruppe in Kooperation mit der EGP eine Befragung konzipiert, die alle Haushalte auf dem Gelände erfassen sollte. Die Befragung fand im August und September 2018 statt und erzielte eine Responsequote von mehr als 30 Prozent, einen Wert, der für eine gute Akzeptanz der Befragung in der Zielpopulation spricht. Im Folgenden sollen die Ergebnisse dieser Datenerhebung kurz vorgestellt und durch selbständig durchgeführte Beobachtungen und während Besichtigungen geführten Gespräche ergänzt werden (vgl. zu dieser Form des Flanierens in der Tradition der Chicago-School vgl. Lindner 2007).
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Wer wohnt eigentlich im Bobinet-Quartier ? Um diese Frage zu beantworten, schauen wir auf einige wichtige soziodemographische Strukturmerkmale und zuerst auf die Altersverteilung. Hierzu haben wir die Angaben in fünf Kategorien unterteilt (vgl. Abbildung 8.5). Die größte Gruppe stellen die Personen zwischen 30 und 40 Jahren. Im Vergleich zur Trierer Bevölkerung insgesamt – hier können wir auf eine Untersuchung aus dem Jahr 2017 zurückgreifen – leben im Bobinet-Quartier eher jüngere Menschen. Die Menschen hier sind im Schnitt fünf Jahre jünger als die Wohnbevölkerung in Trier insgesamt, aber auch als die sonstige Bevölkerung in Trier-West. Die Geschlechterverteilung ist nahezu ausgeglichen. Rund ein Drittel der Haushalte bilden sozusagen normale Kernfamilien, bei denen Eltern mit ihren Kindern gemeinsam wohnen. Kinderlose Paare finden sich in etwa 10 Prozent der Haushalte, Singles ohne Kinder und momentan auch ohne Partner stellen rund 13 Prozent der Stichprobe. Ein gutes Viertel der Haushalte bilden sogenannte nichteheliche Lebensgemeinschaften, bei denen eine Person zusammen mit ihrem Partner – und in diesem Quartier auch durchgängig ohne Kinder – leben. Diese Personen sind relativ jung – ihr durchschnittliches Alter beträgt 30 Jahre. Der Bildungsgrad der Bewohner und Bewohnerinnen des Bobinet-Quartiers ist sehr hoch. Mehr als 60 Prozent haben Abitur, rund ein Viertel die Fachhochschulreife. Auch dies ist ein im Vergleich zur Trierer Bevölkerung insgesamt ein hoher Wert. Insgesamt spiegeln sich in der Verteilung der soziodemographischen Faktoren die
Abbildung 8.5 Klassierte Altersverteilung im Bobinet-Quartier (in Prozent)
60 Jahre und älter
50 und unter 60 Jahren
40 und unter 50 Jahren
30 bis unter 40 Jahre
unter 30 Jahre 0
Quelle: Bobinetbefragung 2018
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Wohnen im Bobinet-Quartier 201
Besonderheiten des Wohnangebots des Bobinet-Quartiers wider. Die Bewohner und Bewohnerinnen im Bobinet-Quartier sind jung und gut gebildet.
8.4 Die Wohnformen und Wohnzufriedenheit im Bobinet-Quartier Neben der Frage, wer im Quartier wohnt, ist es auch wichtig zu wissen, wie die Menschen hier wohnen. Eine erste Antwort auf diese Frage differenziert zwischen Miete und Eigentum. 87 Prozent wohnen in einer Eigentumswohnung und dementsprechend 13 Prozent zur Miete. Auch diese Verteilung unterscheidet sich mehr als deutlich von den Wohnverhältnissen in den anderen Gebieten in Trier. Insgesamt wohnen nicht einmal 20 Prozent in Eigentum, dann jedoch meist in einem eigenen Haus und damit aufgrund der Bebauung eben in schon deutlich älteren Gebäuden. Zwar kann man aus den wenigen hier wiedergegebenen Befunden nicht zweifelsfrei die Sozialstruktur der Bewohner des Bobinet-Quartiers ableiten, gerade die Vergleiche mit anderen Untersuchungen der Arbeitsgruppe machen aber deutlich, dass in diesem Quartier wohl vor allem eher jüngere, gut gebildete und in der Konsequenz auch eher gutverdienende Personen leben. Diese recht homogene sozialstrukturelle Zusammensetzung der aktuellen Wohnbevölkerung ist primär der Lage und Ausstattung des Quartiers und der
Abbildung 8.6 Bobinet-Höfe
Quelle: eigenes Bild
202
Eva-Marie Förster, Rüdiger Jacob und Johannes Kopp
Wohneinheiten geschuldet. Um hier zu wohnen, bedarf es eines eher überdurchschnittlichen Einkommens, die Wohnlage lässt sich durchaus mit dem Adjektiv „exklusiv“ charakterisieren. Die Lage im Trierer Westen mit guter Erreichbarkeit der A1 von Trier nach Luxemburg oder auch der Alternativroute über die B49 zur deutsch-luxemburgischen Grenze an der Sauer ist insbesondere für Pendler nach Luxemburg attraktiv und diese zählen auch zur Zielgruppe bei der Quartiersentwicklung. Natürlich wollten wir auch wissen, wie zufrieden die Bewohner mit dem Leben und Wohnen in ihrem Quartier sind und wie gern sie dort leben. Als Antwortmöglichkeiten zu dieser Frage standen vier Optionen zur Verfügung: gar nicht gern – weniger gern – gern – sehr gern. Gemessen daran ist die Wohnzufriedenheit sehr hoch, wie in der Abbildung 8.7 zu sehen ist. Keine der befragten Personen wählt die Kategorie „gar nicht gern“ oder „weniger gern“. Dies sind – gerade auch im Vergleich mit anderen Befragungen – überragend positive Bewertungen. Wir haben darüber hinaus auch die allgemeine Einschätzung der Lebensqualität im Quartier erfragt, die natürlich nicht unabhängig von der eigenen Einschätzung ist. Die Lebensqualität im Bobinet-Quartier wird von der Hälfte als gut, von der anderen Hälfte sogar als sehr gut eingestuft. Damit finden wir in diesem Wohnquartier deutlich bessere Bewertungen als in unseren anderen regionalen Untersuchungen. Die leichten Unterschiede hinsichtlich der
Abbildung 8.7 Wohnzufriedenheit (in Prozent)
gar nicht gern
weniger gern
gern
sehr gern 0 Quelle: Bobinetbefragung 2018
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eigenen Zufriedenheit und der allgemeinen Lebensqualität im Wohnquartier lassen sich durch einige Punkte erklären, die wir in einer offenen Abfrage erhoben haben. Wir haben alle Befragten gebeten, Aspekte zu nennen, die sie im Quartier stören oder ärgern, die ihnen besonders gut gefallen oder die sie gerne ändern würden. Wenn man die offenen Angaben über die störenden Faktoren zusammenfasst, so sind es vor allem zwei Bereiche, die angesprochen werden: Einerseits sind das Müll und Dreck („Zigarettenkippen, Papier“, „Taubendreck“) und andererseits der Autoverkehr im Quartier („wildes Parken“, „Verkehrsberuhigung wird nicht durchgesetzt“, zu schnelles Fahren“, „keine Rücksicht auf Spielstraße“). Nahezu durchgängig werden als positive Faktoren aber die Nachbarschaft und die Gemeinschaft, die Mischung von Jung und Alt sowie das Miteinander und das angenehme Wohnklima genannt. Fast ebenso häufig weisen die Befragten auch auf die architektonische Gestaltung hin. Positiv sei „die Gestaltung der Wohnungen im Industriestil“, die „Einzigartigkeit der Wohnform“, dass „ein Maximum der ursprünglichen Architektur“ erhalten sei oder eben generell „die Bebauung“. Gewünscht werden allerdings mehr Grünflächen und Bäume, „Gemeinschaftsräume“ sowie generell eine Verkehrsberuhigung und eine bessere Anbindung an den öffentlichen Personennahverkehr („nähere Bushaltestelle“).
Abbildung 8.8 Bewertung einzelner Aspekte des Bobinet-Quartiers (Durchschnittsnoten auf einer Skala von 1 „sehr gut“ bis 5 „mangelhaft“) Verkehrsaufkommen Entfernung Schule/Arbeitsplatz Parkmöglichkeiten Bebauung und Architektur Erscheinungsbild des Quartiers Verhältnis Bewohner-Arbeitseinpendler Engagement der Bewohner Lage in Trier Freizeitmöglichkeiten Vielfältigkeit der Nachbarschaft Gemeinschaft 1
Quelle: Bobinetbefragung 2018
1,5
2
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3
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204
Eva-Marie Förster, Rüdiger Jacob und Johannes Kopp
Die Befragten wurden auch gebeten mit Hilfe einer Schulnotenskala von 1 (sehr gut) bis 5 (mangelhaft) einzelne Aspekte des Quartiers zu bewerten. Hier sind für alle Teilaspekte die Durchschnittsnoten abgebildet. Vor allem die Lage, die Diversität der Nachbarschaft und die Gemeinschaft werden sehr positiv bewertet. Das Verkehrsaufkommen, das Verhältnis der Bewohner und der Arbeitseinpendler zueinander und die Freizeitmöglichkeiten werden hingegen eher kritisch gesehen. Wie ja schon bei den offenen Anmerkungen deutlich wurde, wird vor allem die bauliche Gestaltung durch die Bewohner und Bewohnerinnen sehr gelobt. Auch hier haben wir wieder um eine Evaluation mit Hilfe einfacher Schulnoten gebeten. In der Abbildung 8.8 finden sich die entsprechenden Ergebnisse. In Anbetracht dieser insgesamt sehr positiven Ergebnisse ist es dann auch nicht erstaunlich, dass nahezu alle Bewohner und Bewohnerinnen rückblickend wieder in das Bobinet-Quartier ziehen würden. Natürlich muss man bei der Interpretation dieser Ergebnisse berücksichtigen, dass die Befragten – wir erinnern an die hohe Eigentumsquote und die nicht ganz niedrigen Immobilienpreise im Quartier – aus eigener Entscheidung und freiwillig in das Quartier gezogen sind und mithin bei den positiven Bewertungen auch Rationalisierungsstrategien dieser Entscheidungen einen Einfluss haben können. Diese greifen aber in aller Regel nicht mehr, wenn die Diskrepanzen zwischen den Erwartungen hinsichtlich der Wohn- und Lebensqualität bei der Kaufentscheidung und den späteren realen Erfahrungen deutlich auseinanderklaffen. Insofern gehen wir davon aus, dass
Abbildung 8.9 Bewertung der baulichen Gestaltung des Bobinet-Quartiers (in Prozent)
mangelhaft ausreichend befriedigend gut sehr gut 0 Quelle: Bobinetbefragung 2018
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Wohnen im Bobinet-Quartier 205
die Erwartungen an das Quartier zumindest aktuell weitgehend erfüllt worden sind und die positiven Bewertungen auch als Zufriedenheitsurteile gedeutet werden können: Die große Mehrheit der Bewohner lebt gerne in dem neuen Quartier. Aufgrund der Tatsache, dass das Bobinet-Quartier ein recht neues Wohnprojekt ist und wir es nur mit sogenanntem Erstbezug zu tun hatten, muss auch die sonst zu berücksichtigende Selbstselektion nicht weiter beachtet werden. Eine der Zielsetzungen des Bobinet-Quartiers ist es, mit Hilfe baulicher Arrangements und entsprechender gestalterischer Maßnahmen, den sozialen Zusammenhalt und die Gemeinschaftsbildung zu erleichtern. Wir haben deshalb für eine Reihe von möglichen Konsequenzen dieser Gestaltung danach gefragt, ob diese tatsächlich eingetreten sind. In der Abbildung ist jeweils der Anteil der Personen abgebildet, die diese Fragen bejaht haben. Ganz offenkundig hat die bauliche Gestaltung nach der Einschätzung der großen Mehrheit der Bewohner insbesondere die gemeinschaftsförderlichen Ziele erreicht,
Abbildung 8.10 Folgen der baulichen Gestaltung (in Prozent)
erhöht Motivation für Teilnahme am Gemeinschaftsleben führt zu Konflikten
führt zu Abgrenzungen
führt zu freundschaftlichen Beziehungen
bessere Integration in die Gemeinschaft 0 Quelle: Bobinetbefragung 2018
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Eva-Marie Förster, Rüdiger Jacob und Johannes Kopp
8.5 Das Bobinet-Quartier als Nachbarschaftsgenerator Bobinet bezeichnet wie schon erwähnt ursprünglich eine Textilform, die durch die spezielle Technik eine hohe Stabilität und Formgebung ermöglicht. Gelingt es nun dem Bobinet-Quartier, diese Verflechtung auch in einem Netzwerk ihrer Bewohnerinnen und Bewohner, der einzelnen Personen, zu erzeugen. Wurde und wird hier eine soziale Gemeinschaft erzeugt oder mindestens der Entstehungschancen unterstützt ? Um dies zu ermitteln, haben wir insgesamt acht Interaktionen aufgeführt, die man bei einem guten nachbarschaftlichen Verhältnis beobachten kann. Dies beginnt beim einfachen Grüßen und kurzen Gesprächen bis hin zu gegenseitigen Einladungen und gemeinsamen Unternehmungen. Je mehr dieser Interaktionen realisiert werden, umso enger ist das nachbarschaftliche Netz. In der folgenden Abbildung findet sich eine Kerndichteschätzung dieser Skala, die einen Wertebereich von 0 bis 8 aufweist. Im Durchschnitt werden mehr als 5 dieser Interaktionen realisiert. Die Graphik zeigt, dass es ein hohes Maß nachbarschaftlicher Interaktion und Integration im Bobinet-Quartier gibt. Dies wird auch deutlich, wenn man die Beteiligung
0
.05
.1
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.2
Abbildung 8.11 Gelebte nachbarschaftliche Interaktionen (Kerndichteschätzung für einen Wertebereich von 0 bis 8)
0
Quelle: Bobinetbefragung 2018
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6
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Wohnen im Bobinet-Quartier 207
am Gemeinschaftsleben analysiert. Mit 91 Prozent ist eine sehr große Mehrheit der Ansicht, dass sich die Menschen hier für das Quartier engagieren. Wenn man – wie in verschiedenen anderen Studien auch (vgl. Vogelgesang et al. 2018) – aus diesen Angaben eine Skala der nachbarschaftlichen Kontakte bildet, die der Logik von Gutman-Skalen (vgl. Schnell et al. 2018) folgt, bildet, zeigt sich, dass gut 70 Prozent der befragten Personen freundschaftliche Beziehungen – und damit den höchsten erreichbaren Wert – zu ihren Nachbarn unterhalten.
8.6 Quartiersbildung als Zukunftsoption der Städteplanung Die Ergebnisse der Befragung zeigen, dass die Zielsetzung, eine echte Gemeinschaft in einer innerstädtischen Konversionsfläche zu schaffen, wohl in weiten Teilen erreicht wurde. Die bauliche Gestaltung stößt einhellig auf große Akzeptanz und ihr werden vielfältige positive Funktionen zugeschrieben. Die Frage, ob die Bobinet in der realisierten Form ein Gemeinschaftsgenerator ist, kann bejaht werden. Inwieweit dieses Modell jedoch verallgemeinerbar ist, muss kritisch reflektiert werden, denn allein aufgrund der soziodemographischen und soziostrukturellen Zusammensetzung haben die Bewohner und Bewohnerinnen des Bobinet-Quartiers sicher Möglichkeiten und strukturelle Vorgaben, die nicht überall gegeben sind. Trotzdem zeigt dieses Beispiel, dass es grundsätzlich möglich ist, Gemeinschaften in Stadtquartieren durch eine Kombination aus baulichen Gestaltungselementen und zielgruppenspezifischen Angeboten zu bilden – in dieser Hinsicht weisen das Bobinet-Quartier und das Schammatdorf strukturelle Ähnlichkeiten auf. Wichtig und nach unserer Bewertung entscheidend ist in beiden Fällen, dass sich die Bewohner und Bewohnerinnen bewusst für das Leben in dem jeweiligen Quartier entschieden haben und mit sich mit diesem auch identifizieren – in Anlehnung an einen vielleicht bekannten Werbeslogan bedeutet dies, dass man dort nicht nur wohnt, sondern auch lebt.
Literatur BBSR – Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (Hg.), 2015: Umwandlung von Nichtwohngebäuden in Wohnimmobilien. Dokumentation von Fallstudien BBSR-Online-Publikationen 10/2015. Berlin. Mimeo. Brake, Klaus, Herfert, Günter (Hg.): Reurbanisierung. Materialität und Diskurs in Deutschland. Wiesbaden: Springer VS. Dörfler, Thomas, 2015: Gentrification in Prenzlauer Berg ? Milieuwandel eines Berliner Sozialraums seit 1989. Bielefeld. Transcript
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Eva-Marie Förster, Rüdiger Jacob und Johannes Kopp
Fitting, Peter, 2002: Urban Planing/Utopian Dreaming: Le Corbusier’s Chandigarh Today. Utopian Studies 13: 69 – 93, Gallaher, Leigh, 2014: The End of the Suburbs. Where the American Dream is Moving. New York: Penguin. Glass, Ruth, 1964: London: aspects of change. London: MacGibbon & Kee. Holm, Andrej, 2011: Das Recht auf Stadt. Blätter für deutsche und internationale Politik 8/2011: 89 – 97. Holm, Andrej, 2012: Gentrification. S. 661 – 688 in: Frank Eckardt (Hg.): Handbuch Stadtsoziologie. Wiesbaden: Springer VS. Lindner, Rolf, 2007: Die Entdeckung der Stadtkultur. Soziologie aus der Erfahrung der Reportage. Mit einem aktuellen Nachwort. 2. Auflage. Frankfurt/New York: Campus. Merz, Marcus, 2012: Hamburg – Reurbanisierungsprozesse in einer wachsenden Stadt. S. 304 – 322 in: Klaus Brake, Günter Herfert (Hg.): Reurbanisierung. Wiesbaden: Springer VS. Montgomery, Charles, 2015: Happy City. Transforming Our Lives through Urban Design. New York/London: Penguin Books. Schnell, Rainer, Hill, Paul B., Esser, E., 2018: Methoden der empirischen Sozialforschung. Berlin: De Gruyter. Sennett, Richard, 2018: Die offene Stadt. Eine Ethik des Bauens und Bewohnens. München: Hanser Berlin. Vogelgesang, Waldemar, Kopp, Johannes, Jacob, Rüdiger, Hahn, Alois, 2018: Stadt – Land – Fluss. Sozialer Wandel im regionalen Kontext. Wiesbaden: VS Verlag. Wong, K. M. Grace, 2004: Veritcal cities as a solution for land scarcity: the tallest pub lic housing development in Singapore. Urban Design International 9: 17 – 30.
Wohnen im Alter Gemeinschaftlichen Wohnformen als Modell der Zukunft ? Johannes Kopp und Rüdiger Jacob
Wohl kaum ein sozialwissenschaftlich relevantes Thema hat in den letzten Jahren mehr Aufmerksamkeit erregt als die Diskussion um den sogenannten demographischen Wandel. Auch wenn der Begriff eigentlich vieldeutig und amorph ist, versteht man in der aktuellen Diskussion darunter vor allem die Alterung der Bevölkerungsstruktur und die sich daraus ergebenden Möglichkeiten, vor allem aber die damit verbundenen Herausforderungen und Probleme. Die Verschiebung der Altersstruktur ist sowohl durch den Rückgang der Geburtenzahlen in der Bundesrepublik – im Westen der Republik seit den späten 1960er Jahren, im Osten seit den frühen 1970er Jahren – als auch die erfreulicher Weise sinkende Mortalität und wohl auch sinkende Morbidität zurückzuführen. Trotz alledem ist insgesamt aber damit zu rechnen, dass „infolge der demographischen Entwicklung […] der Anteil Hochaltriger und damit einhergehend der Anteil von Personen mit Unterstützungs- und Pflegebedarf in Deutschland weiter steigen“ (Spangenberg et al. 2013: 251) wird. Damit gehen die vielfältigsten sozialpolitischen Probleme einher, die beispielsweise gerade in Grenzregionen wie Trier noch einmal verstärkt werden (vgl. dazu die unterschiedlichsten Beiträge zu dieser Problematik in Münnich/Kopp 2019). Der demographische Wandel beschreibt aber idealerweise nicht nur die Veränderungen der einzelnen Altersgruppen, sondern berücksichtigt auch die unterschiedlichen Lebensweisen und Lebensvorstellungen, die sich auf die konkrete Situation der Personen auswirkt. In dem in diesem Abschnitt fokussierten Problemfeld müssen vor allem zwei weitere demographische Entwicklungen berücksichtigt werden: Einerseits ist zu beobachten, dass generell das Trennungs- oder Scheidungsrisiko in den letzten Jahrzehnten angestiegen ist und, obwohl hinsichtlich der Ehedauer heute historische Rekordwerte erzielt werden, heute eben auch relativ viele Beziehungen nicht durch den Tod, sondern durch die Menschen – oder genauer genommen: durch die Gerichte – getrennt werden. Auch wenn es hierbei © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 J. Kopp et al. (Hrsg.), Gemeinschaftliche Wohnformen zwischen Entfremdung und Resonanz, https://doi.org/10.1007/978-3-658-26048-4_10
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9
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Johannes Kopp und Rüdiger Jacob
zu einer hohen Quote von zweiten – und eventuell weiteren – Eheschließungen kommt (vgl. Shafer/James 2013), sind diese Beziehungen hinsichtlich des Lebens im Alter weniger zuverlässig (vgl. dazu die verschiedenen Beiträge in Hill/Kopp 2015). Darüber hinaus berichten neuere Studien, dass es gerade in höherem Alter beziehungsweise nach langer Ehe eine Steigerung des Trennungs- beziehungsweise Scheidungsrisikos gibt (Lengerer 2016; Nowossadek/Engstler 2013: 20). Verstärkt wird diese Problematik durch die sinkenden Fertilitätszahlen sowie die vor allem für Frauen in den letzten fünfzig Jahren extrem verbesserten Möglichkeiten der Bildung, Ausbildung und Berufstätigkeit. Trotz der emotional immer noch sehr starken intergenerationalen Beziehungen (Steinbach/Kopp 2008; 2010) stellen all diese Entwicklungen eine große Herausforderung im Bereich des Wohnens und eventuell der Pflege älterer Menschen dar.
9.1 Zielsetzung und Fragestellung In dem vorliegenden Beitrag sollen diese Entwicklungen nun nicht in ihren Größenordnungen und gegenseitigen Abhängigkeiten untersucht werden – hierfür müssten andere Datenbestände und vor allem auch andere Analyse- und Simulationstechniken verwendet werden (vgl. aber für ein derartiges Projekt Münnich et al. 2020). Vielmehr soll hier auf eine Diskussion eingegangen werden, die in diesem Zusammenhang neue Wohnformen gerade auch für Personen im höheren Alter propagieren und hierbei unter anderem auf Mehr-Generationen-Häuser, betreutes Wohnen, Alters-Wohngemeinschaften und viele andere Formen mehr Bezug nehmen (vgl. hierbei unter anderem Kricheldorff 2008; Gierse/Wagner 2012; Jann 2015; Kraselmann 2017, Wonneberger 2018; Henseling et al. 2018; Spellerberg 2018). Hier sollen und können nun nicht die grundlegenden Ideen dieser unterschiedlichen Modelle vorgestellt und gegeneinander abgewogen oder gar die bisherigen Erfahrungen mit diesen ja immer noch relativ seltenen Konstellationen erhoben und diskutiert werden. Vielmehr geht es darum, die Einstellungen gegenüber sehr unterschiedlichen und heterogenen Lebensformen in der Bevölkerung zu betrachten und somit die Akzeptanz neuer Formen des Zusammenlebens und darunter eben auch von Formen gemeinschaftlichen Lebens zu untersuchen. Hierfür können wir auf unterschiedliche Erhebungen zurückgreifen, die an der Universität Trier im Rahmen der dort seit Jahrzehnten durchgeführten Regionalstudien im Bereich der Wohn- und Siedlungsforschung durchgeführt wurden und die hier nun unter diesem neuen Aspekt noch einmal analysiert werden. Diese Studien sind natürlich in ihrer Verallgemeinerbarkeit durch diesen regionalen Aspekt immer eingeschränkt, in ihrer Zusammenschau erlauben sie je-
Wohnen im Alter 211
doch durchaus einen empirisch fundierten und auch über den regionalen Tellerrand hinaus interpretierbaren Einblick in soziale Geschehnisse und Prozesse.1 Aufgabenstellung dieses Beitrages ist es also, anhand regionaler Erhebungen die Akzeptanz neuer und gemeinschaftlicher Wohnformen für das Leben im Alter zu untersuchen und dabei diese – eventuell ja auch fehlende – Akzeptanz auf sozialstrukturelle und vor allem Umstände der jeweiligen Lebenssituation zurückzuführen.
9.2 Datengrundlage Für die folgenden Überlegungen und Analysen kann vor allem auf zwei Untersuchungen zurückgegriffen werden. Dies ist einerseits eine Erhebung in einer kleinen Gemeinde von etwas mehr als 1 000 Einwohnern, die in der Südeifel – nur wenige Kilometer von der Stadt Trier entfernt – liegt und die in ihrer Infra- und Sozialstruktur als typisches stadtnahes Dorf bezeichnet werden kann (vgl. für die gesamte Studie und weitere Details Vogelgesang et al. 2018). Da wir eine detaillierte Analyse einer dörflichen Gemeinschaft, ihrer Strukturen und Vernetzungen, der Wünsche, Bewertungen und Erwartungen ihrer Mitglieder durchführen wollten, haben wir versucht, auf ein breites Methodenspektrum zurückzugreifen. Im Rahmen unserer Studie wurden Dokumentenanalysen, systematische teilnehmende Beobachtungen, Expertengespräche und Einzelinterviews und Gruppendiskussionen durchgeführt. Im Mittelpunkt stand jedoch eine breit angelegte schriftliche, standardisierte Haushaltsbefragung aller Einwohner ab 14 Jahre. Aufgrund des breiten thematischen Spektrums haben wir die schriftliche Befragung in vier Wellen in einem jeweils einmonatigen Abstand im Frühjahr 2014 durchgeführt. Die einzelnen Befragungsteile hatten dabei jeweils einen thematischen Schwerpunkt: Die Fragebögen wurden von Mitgliedern des Dorfvereins mit der tatkräftigen Unterstützung des örtlichen Briefträgers in der Woche vor dem Befragungstag in alle Haushalte verteilt und an den jeweiligen Stichtagen von den Studierenden des Forschungsprojekts wieder eingesammelt. Insgesamt haben sich von den 931 Zielpersonen 421 an mindestens einer Befragungswelle beteiligt, dies entspricht – bezogen auf die Grundgesamtheit – einer Ausschöpfungsquote von 1
Die meisten dieser Untersuchungen entstanden entweder in Studienprojekten der Universität Trier und unter der engagierten Mitwirkung vieler Studierender oder im Zusammenhang mit durch öffentliche Träger wie Gemeinden, Gesundheitsämter, Landkreisen oder ähnlichem initiierten kleineren Forschungsprojekten an der Universität. Um diese regionalen Studien in ihrer Breite auch für weitere zusammenfassende oder vergleichende Reanalysen zu nutzen, werden sie im Moment im Datenarchiv von gesis aufbereitet und werden dort zeitnah verfügbar sein (vgl. www.gesis.org).
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Johannes Kopp und Rüdiger Jacob
45 Prozent.2 Die Motivation zur Teilnahme ist in hohem Maß abhängig von der Identifikation mit dem Dorf und dem Interesse an Fragen der dörflichen Gemeinschaft, dass hierdurch aber die Einschätzung der verschiedensten Wohnmodelle beeinflusst wird, ist eher unwahrscheinlich. Den zweiten Datensatz bildet die Befragung der Bevölkerung in einer Gemeinde, die sich ebenfalls nur einige Kilometer außerhalb Triers am südlichen Moselufer und damit an den nördlichen Ausläufern des Hunsrücks befindet. Die Befragung geht auf die Initiative der Gemeinde zurück, die die mit dem demographischen Wandel verbundenen Veränderungen fundiert angehen und deshalb ein Meinungsbild der Bevölkerung erstellen wollte. Entsprechend der Angaben des Einwohnermeldeamtes bestand die Grundgesamtheit aus insgesamt 1 026 Personen, von denen jedoch einige wenige zum Zeitpunkt der Befragung verzogen waren. Insgesamt liegen 460 Fragebögen zur Auswertung bereit, das entspricht einer Responsequote von knapp 45 Prozent. Die Responsequote entspricht damit dem in anderen Studien in der Region erreichten Niveau und liegt deutlich über Responseraten bei bundesweiten postalischen Befragungen. Die Ausschöpfungsquote insgesamt ist deshalb als sehr befriedigend einzustufen und ermöglicht valide und belastbare Aussagen. Betrachtet man die Antwortbereitschaft noch etwas genauer, so sind allerdings doch deutliche Unterschiede bei den einzelnen Altersgruppen festzustellen. Während bei den unter 35 Jahre alten Zielpersonen lediglich jeder Dritte den Fragebogen ausgefüllt zurückgegeben hat, steigt dieser Wert in der uns hinsichtlich der Fragestellung des demographischen Wandels am meisten interessierenden Gruppe der 50 bis unter 65 Jahre alten Personen auf über 52 Prozent und sinkt dann wieder auf Werte um die 40 Prozent (vgl. insgesamt Kopp/Jacob 2017). Betrachtet man beide Studien gemeinsam, so liegen insgesamt Informationen über 873 Personen vor, die sich nahezu gleich auf die beiden betrachteten Gemeinden verteilen.
2
Die Beteiligung an den vier Befragungswellen war sehr unterschiedlich, an der ersten Welle haben sich 378 Personen beteiligt, an der zweiten 288, an der dritten 260 und an der letzten 232. Alle vier Fragebögen haben 176 Personen beantwortet.
Wohnen im Alter 213
9.3 Aktuelle Wohnsituation und altersgerechtes Wohnen In einem ersten Analyseschritt soll untersucht werden, wie denn die aktuelle Wohnsituation der Bevölkerung und hierbei natürlich vor allem der älteren Bevölkerung ist. Das Ergebnis ist relativ klar und auf den ersten Blick vielleicht auch überraschend: Rund drei Viertel der befragten Personen wohnen in einem eigenen Haus. Um dieses Ergebnis einschätzen zu können, benötigt man entsprechende Vergleichszahlen. Hierzu wurden die Personen im ALLBUS berücksichtigt, die für sich selbst angaben, in einem ländlichen Dorf zu wohnen.3 Darüber hinaus kann man davon ausgehen, dass es durchaus erhebliche Unterschiede zwischen dem Leben auf dem Lande und dem Leben in der (Groß-)Stadt geben mag. Aus diesem Grund wurde als zweite Differenzierungsperspektive die Situation in Großstädten betrachtet, wobei auch hier die genaue Einschätzung den befragten Personen überlassen wurde. Mehr als ein Sechstel der Befragten sieht sich selbst als Bewohner einer Großstadt. Es sei erwähnt, dass der Rand oder Vororte einer Großstadt eine eigene Antwortkategorie darstellt. Wie unterscheiden sich nun die Wohnformen zwischen diesen drei gerade definierten Gruppen ? In Abbildung 9.1 findet sich die Antwort auf diese Frage. Leicht ist der Graphik zu entnehmen, dass sich in unseren Untersuchungen die typische Verteilung der Wohnformen findet, die auch in der gesamten Bundesrepublik für ein Leben auf dem Lande bezeichnend ist. Rund drei Viertel der Haushalte lebt in einem eigenen Haus, nur ungefähr jeder Sechste in einer Mietwohnung. Vergleicht man dies mit den Ergebnissen der Großstadt, so zeigt sich dort das nahezu perfekte Gegenbild: In der Großstadt wohnen 76,5 Prozent in einer Mietwohnung und die Eigentumsquote beträgt lediglich 22 Prozent, wobei knapp die Hälfte davon nicht in einem Haus, sondern einer Eigentumswohnung lebt. Schon in den Vororten sinkt der Anteil der Mietwohnungen jedoch auf unter 50 Prozent und die Eigentumsquote steigt dementsprechend auf knapp 50 Prozent 3 Die ALLBUS-Untersuchungen sind eine regelmäßig wiederholte sozialwissenschaftliche Befragung der allgemeinen Bevölkerung und über www.gesis.org für Reanalysen erhältlich. In der empirischen Sozialforschung werden die objektiven Raumordnungsgrößen beispielsweise durch die sogenannten BIK-Regionen abgebildet. Grundlage der hier vorgestellten Analyse sind jedoch die subjektiven Einschätzungen, die Großstädte, den Rand oder die Vororte dieser Großstädte, Mittel- und Kleinstädte, das ländliche Dorf sowie Einzelgehöfte oder freistehende Häuser auf dem Lande unterscheiden. Während nach den BIK-Regionen nur rund drei Prozent der Bevölkerung auf dem Land oder in Dörfern und Regionen bis 2 000 Einwohnern leben, geben in der subjektiven Einschätzung 37,6 Prozent an, in einem ländlichen Dorf zu leben. Weitere 1,6 Prozent geben an, auf einem Einzelgehöft oder ähnlichem zu leben. Diese letzte Gruppe wurde in unserer Untersuchung und damit im Folgenden nicht weiter betrachtet, obwohl sie sich kaum von den Bewohnern in ländlichen Dörfern unterscheiden sollte.
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Johannes Kopp und Rüdiger Jacob
Abbildung 9.1 Wohnformen im Vergleich (in Prozent)*
Haus (Eigentum)
Haus (Miete)
Wohnung (Eigentum)
Wohnung (Miete) 0
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Deutschland (Land)
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Deutschland (Großstadt)
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Regionalsstudien
* Da diese Frage nur in der Eifelgemeinde gestellt wurde, ist die Datengrundlage der Graphik natürlich deutlich kleiner . Vielfältige Gespräche vor Ort zeigen jedoch, dass sich kaum Unterschiede zwischen den Gemeinden ergeben . Quelle: eigene Studien; ALLBUS 2014
an. Betrachtet man nun die Immobilien in unseren Daten genauer, so haben rund ein Viertel ihr Haus gekauft, ein Sechstel geerbt und rund 56 Prozent haben ihr Haus selbst gebaut – oder wohl genauer: bauen lassen. Das durchschnittliche Haus ist 50 Jahre alt und somit im Jahr 1965 gebaut worden. Problematisch werden Wohnformen letztlich aber erst dann, wenn die Perso nen nicht mehr im Vollbesitz ihrer körperlichen Kräfte sind, sondern mit gewissen Einschränkungen leben müssen. Um das quantifizieren zu können, haben wir eine Skala eingesetzt, die vier alltägliche Anforderungen – ist man in der Lage, Einkaufstaschen zu tragen, Treppen zu steigen, längere Strecken bergauf zu gehen und schwerere Gegenstände (wie eine Kiste mit Mineralwasser) zu heben – erfragt. Die Skala misst nun, wie viele dieser Aufgaben man nur mit Mühe oder gar nicht mehr erledigen kann. Der Wertebereich liegt somit zwischen 0, hier liegen keinerlei Einschränkungen vor, und 4, wenn man keine dieser Aufgaben mehr mühelos bewältigen kann. In der Abbildung 9.2 findet sich nun der Verlauf der Skalenwerte in Abhängigkeit vom Alter, wobei hier sogenannte lowess-Schätzer verwendet werden (vgl. Cleveland 1979). Leicht ist zu erkennen, dass die Personen bis etwa zu ihrem vierzigsten Lebensjahr so gut wie ohne Einschränkungen leben, dass danach aber die Probleme
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0
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1
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Abbildung 9.2 Index körperlicher Einschränkungen in Abhängigkeit vom Lebensalter
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Quelle: eigene Studien; lowess-Schätzer
stetig und akzelerierend größer werden. Trotz alledem ist insgesamt jedoch nur eine kleine Gruppe betroffen, denn der ja von 0 bis 4 reichende Index nimmt erst mit mehr als 70 Jahren einen Wert von über 0,5 ein. Insgesamt weisen nur 2,3 Prozent aller befragten Personen einen Wert von 1,5 oder größer auf. Die Einschränkungen nehmen also zwar mit dem Lebensalter zu, sind aber zumindest bei den von uns befragten Personen insgesamt relativ gering. Hierbei gilt es natürlich zu bedenken, dass gerade Menschen mit relativ gravierenden Einschränkungen auch generell eine geringere Teilnahmebereitschaft an sozialwissenschaftlichen Erhebungen zeigen, so dass wir eventuell positiv verzerrte Ergebnisse erhalten.
9.4 Wünsche an das Wohnumfeld Wenn man sich nun dafür interessiert, wie das Wohnen im Alter gestaltet sein kann, so können hier ja sehr unterschiedliche Dinge von Bedeutung sein. Einer der wichtigsten Vorteile einer empirisch orientierten Sozialforschung ist es nun, dass man nicht versuchen muss, die unterschiedlichen Aspekte nach meist recht idiosynkratrischen Kriterien zu bewerten, sondern den betroffenen Personen selbst
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diese Bewertung überlassen kann. Wir haben deshalb in die Erhebungen eine Frage integriert, die nach der Wichtigkeit der unterschiedlichsten Dinge – beginnend mit dem Kontakt zu Gleichaltrigen, dem Kontakt zu Jüngeren, über Pflegedienste und Einkaufsservice bis hin zu Fahrdiensten und Freizeitmöglichkeiten – für ein „Wohnen im Alter“ erfasst. Untersucht man die Antworten so ergibt sich ein ganz einfaches und klares Bild: Letztlich sind zwei Dimensionen für die befragten Personen zu unterscheiden: Dies ist einerseits die soziale Eingebundenheit und andererseits die Infrastruktur der Gemeinde – insbesondere hinsichtlich der Güter des täglichen Bedarfs. Betrachtet man sich die Verteilung dieser beiden Dimensionen mit Hilfe eines sogenannten Kerndichteschätzers auf einer Skala von 1 für „überhaupt nicht wichtig“ bis 4 „sehr wichtig“ (vgl. Abbildung 9.3) wird deutlich, dass – vielleicht wenig überraschend – beide Dimensionen von den befragten Personen im Durchschnitt als mehr als wichtig eingeschätzt werden. Die Mittelwerte beider Skalen liegen über 3,0. Ein Leben im Alter bedingt in der Sicht der von uns befragten Bürgerinnen und Bürger also sowohl materielle Aspekte als auch soziale Eingebundenheit oder eben – um noch einmal auf die Begrifflichkeiten des ja in Trier geborenen So zialwissenschaftler Karl Marx zurückzukommen – das Sein und das Bewusstsein.
0
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Abbildung 9.3 Wichtigkeit sozialer Eingebundenheit und der Infrastruktur für ein Leben im Alter
1
2 soziale Eingebundenheit
Quelle: eigene Studien; Kerndichteschätzer
3
4 Infrastruktur
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9.5 Evaluation von Wohnszenarien für ein Leben im Alter Im Mittelpunkt der hier zu präsentierenden Überlegungen steht die Frage, wie sich die Bürgerinnen und Bürger ein Wohnen im Alter vorstellen. Wir hatten dazu einige Wohnoptionen zusammengestellt und die befragten Personen gebeten jeweils anzugeben, ob dies die Wohnform sei, in der sie im Alter gerne leben möchten, oder ob man so nur wohnen könnte, wenn es nicht anders ginge oder ob man so nicht leben möchte. Dabei wurden den befragten Personen insgesamt acht unterschiedliche Optionen vorgelegt, beginnend mit dem Wohnen im eigenen Haus beziehungsweise in der eigenen Wohnung, über das Wohnen in einem Haus mit den eigenen Kindern, einer Wohngemeinschaft für Senioren, einer sogenannten Mehrgenerationen-Wohngemeinschaft, dem betreuten Wohnen in einer Seniorenanlage, dem ambulant betreuten Wohnen in der eigenen Wohnung, dem ambulant betreuten Wohnen in einer Wohngemeinschaft bis hin zu einem Senioren- beziehungsweise Altersheim. In der Abbildung 9.4 finden sich zusammenfassend die Antworten auf diese Fragen. Die Ergebnisse sind dabei relativ eindeutig und lassen sich in den vier folgenden Punkten schlagwortartig zusammenfassen. ■■ Die von nahezu allen Personen gewünschte Lebensform im Alter ist schlicht und einfach die Fortführung der jetzigen Wohnform. Mehr als 97 Prozent sehen im Wohnen im eigenen Haus beziehungsweise der eigenen Wohnung die Form, in der sie auch im Alter gerne und mit erster Präferenz wohnen würden. ■■ Nahezu spiegelbildlich wird das Leben in einem Alters- oder Seniorenheim durchgehend abgelehnt. Weniger als drei Prozent sehen hier ihre Idealvorstellung, knapp 30 Prozent sehen darin eine im Notfall akzeptable Form, aber mehr als zwei Drittel äußern klar, so nicht wohnen zu wollen. ■■ Auf den ersten Blick vielleicht erstaunlich ist es, dass auch das Zusammenleben mit den Kindern nicht durchgängig positiv bewertet wird. Zwar geben knapp die Hälfte der befragten Personen an, im Alter so leben zu wollen, für mehr als ein Siebtel der befragten Personen ist dies aber eine eher negativ bewertete Option. Dabei müssen hier nicht von vornherein negative intergenerationale Beziehungen unterstellt werden. Vielmehr kann es sich bei diesen Antworten um die durchaus rationale und nachvollziehbare Vermutung handeln, dass ein sehr enges Miteinanderwohnen und die sicherlich zunehmende Asymmetrie der Beziehung mit zunehmenden Alter ein großes Konflikt potential beinhaltet, dass die ja meist sehr positiven Beziehungen negativ belastet.
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Abbildung 9.4 Bewertung verschiedener Wohnformen im Alter
Seniorenheim/Altenheim
ambulant betreutes Wohnen in Wohngemeinschaft ambulant betreutes Wohnen in eigener Wohnung
betreutes Wohnen in Seniorenanlage
Mehrgenerationen-WG
Wohngemeinschaft mit Senioren
Haus mit Kindern
eigenes Haus 0 so möchte ich nicht wohnen Quelle: eigene Studien
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so könnte ich wohnen
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so möchte ich leben
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■■ Betrachtet man sich abschließend die hier eigentlich im Mittelpunkt des Interesses stehenden gemeinschaftlichen Wohnformen, so werden diese in der öffentlichen Diskussion häufig als zukunftsweisende Modelle bezeichnete Ideen in der allgemeinen Bevölkerung eher skeptisch betrachtet. Eine Mehrgenerationen-Wohngemeinschaft erscheint gerade einmal für jeden fünften Befragten eine wünschenswerte Alternative, eine Wohngemeinschaft mit anderen Senioren und Seniorinnen erscheint nur jedem Achten wünschenswert. Nur eine Minderheit von einem Viertel beziehungsweise einem Drittel lehnt diese Formen jedoch generell ab. Für die meisten stellen sie mögliche, aber eben nicht besonders wünschenswerte Lebensformen dar. Bei all diesen Ergebnissen muss natürlich berücksichtigt werden, dass hier sehr unterschiedliche Personen mit sehr unterschiedlichen soziodemographischen Merkmalen zusammengefasst werden. Um nun wenigstens ansatzweise den Einfluss der unterschiedlichen Faktoren zu prüfen, haben wir eine Variable gebildet, die die Akzeptanz der beiden gemeinschaftlichen Wohnformen – einer Wohngemeinschaft mit anderen Senioren und Seniorinnen sowie einer Mehrgenerationen-Wohngemeinschaft – widerspiegelt. In einem nächsten Schritt haben wir dann sogenannte logistische Regressionen durchgeführt, bei denen wir gleichzeitig verschiedene soziostrukturelle Variablen wie etwa das Alter und das Geschlecht, aber auch die jeweilige Heimatgemeinde, kontrolliert haben. Dabei zeigt sich, dass die Chance, eine dieser beiden Formen als Wunschform des Lebens im Alter zu benennen, eher bei den jüngeren befragten Personen zu finden ist – mit höherem Alter und damit eben wohl auch mit größerer Betroffenheit und Aktualität hinsichtlich dieser Fragen sinkt die Akzeptanz jedoch sehr deutlich. Wenn man selbst gemeinschaftliche Aspekte (vgl. oben Abschnitt 9.4) für wichtig für das Leben im Alter hält, steigt die Akzeptanz dieser gemeinschaftlichen Wohnformen erwartungsgemäß natürlich auch an. Insgesamt ist es aber gerade einmal jeder Fünfte, der sich derartige gemeinschaftliche Lebensformen wünscht. Zwei Drittel der befragten Personen können sich derartige Wohnformen jedoch vorstellen, wenn es nicht anders ginge.
9.6 Gemeinschaftliche Wohnformen als Antwort auf die Problematik des Wohnens im Alter ? Die hier vorgestellten und diskutierten gemeinschaftlichen Wohn- und Lebensformen für ein Leben im Alter können natürlich keine Lösung für die allgemeine Frage, wie Wohnen im Alter im Zusammenhang des demographischen Wandels zu gestalten sei, bieten. Die Ergebnisse liefern aber doch einen ersten Einblick in
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Johannes Kopp und Rüdiger Jacob
die momentane Akzeptanz gemeinschaftlicher Lebensformen für ein Leben im Alter und damit natürlich auch einen wichtigen Hinweis darauf, welche Formen wirklich eine Realisierungschance zukommt. Es bleibt festzuhalten, dass Formen gemeinschaftlichen Lebens im Alter jenseits der eigenen Familie – so stark sie auch ab und an in der öffentlichen und wissenschaftlichen Diskussion zu finden sind (vgl. hierzu noch einmal Kricheldorff 2008; Gierse/Wagner 2012; Jann 2015; Kraselmann 2017, Wonneberger 2018; Henseling et al. 2018; Spellerberg 2018) – in der allgemeinen Bevölkerung eher skeptisch aufgenommen werden. Die Lebensform, die immer noch am meisten gewünscht wird, ist die einfache Fortführung der aktuellen Lage. Privatheit ist nicht nur, aber wohl gerade auch im Alter eine wichtige Dimension. Bei der Planung und Realisierung neuer Wohnprojekte gilt es dies zu bedenken. Wichtig ist darüber hinaus natürlich auch die Überlegung, dass in den allermeisten Fällen die aktuelle Wohnsituation auch das Ergebnis von individuellen Wahlprozessen ist. Die Menschen wohnen – natürlich unter Berücksichtigung ihrer vor allem auch finanziellen Möglichkeiten und Restriktionen – ja meistens so, wie es ihnen gefällt. Dies spiegelt sich beispielsweise in der durchgehend hohen Wohnzufriedenheit (Häußermann/Siebel 1996 sowie die Hinweise im Abschnitt 1 dieses Buches) wider. Auch wenn sich in vielfältiger Weise gemeinschaftliche Wohnformen auf lokaler Ebene bilden, so sind dies bislang nur Pilotprojekte, deren Strahlkraft sich wohl erst zeigen muss. Ob sich hieraus wirklich tragfähige und vor allem weit verbreitete Alternativen für ein Wohnen im Alter entwickeln, ist zumindest anzweifelbar.
Literatur Cleveland, William S., 1979: Robust Locally Weighted Regression and Smoothing Scatterplots. Journal of the American Statistical Association 74: 829 – 836. Gierse, Christine, Wagner, Michael, 2012: Gemeinschaftliche Wohnprojekte – Eine Wohnform für alle sozialen Lagen und Lebensalter ? Zeitschrift für Sozialreform 58: 59 – 82. Häußermann, Siebel, Walter, 1996: Soziologie des Wohnens. Eine Einführung in Wandel und Ausdifferenzierung des Wohnens. Weinheim/München: Juventa. Henseling, Christine, Krauß, Norbert, Specht Alexandra, Behrendt, Siegfried, Wieland, Simon, Jänicke, Clemens, von Bodelschwingh, Arnt, 2018: Soziale, ökologische und ökonomische Effekte und Potenziale gemeinschaftlicher Wohnformen. Arbeitsbericht im Rahmen des BMBF-Forschungsvorhabens „Von Pionieren zur städtischen Praxis – Potenziale gemeinschaftlichen Wohnens zur Lösung demographischer und sozialer Herausforderungen“. Mimeo. Berlin.
Wohnen im Alter 221
Hill, Paul Bernhard, Kopp, Johannes (Hg.), 2015: Handbuch Familiensoziologie. Wiesbaden: Springer VS. Jann, Antonia, 2015: Age-Wohnmatrix. Bedürfnisse statt Begriffe ins Zentrum stellen. Zeitschrift für Gerontologie und Geriatrie 48: 164 – 168. Kopp, Johannes, Jacob, Rüdiger, 2017: Leben im Alter. Befragung der Bürgerinnen und Bürger in Riol. Mimeo. Trier. Kraselmann, Benjamin, 2017: Lernen aus biographischer Perspektive. Untersuchungen zu gemeinschaftlichen Wohnformen älterer Menschen. Wiesbaden: Springer VS. Kricheldorff Cornelia, 2008: Neue Wohnformen und gemeinschaftliches Wohnen im Alter. S. 237 – 247 in: Sylvia Buchen, Maia S. Maier (Hg.): Älterwerden neu denken. Wiesbaden: VS Verlag. Lengerer, Andrea, 2016: Partnerschaftliches Zusammenleben im Alter. S. 15 – 40 in: Johannes Stauder, Ingmar Rapp, Jan Eckhard (Hg.): Soziale Bedingungen privater Lebensführung. Wiesbaden: Springer VS. Münnich, Ralf, Kopp, Johannes (Hg.), 2019: Pflege an der Grenze. Entwicklungen – Fragestellungen – Herangehensweisen. Wiesbaden: Springer VS. Münnich, Ralf, Schnell, Rainer, Kopp, Johannes, Stein, Petra, Zwick, Markus, Dräger, Sebastian, Merkle, Hariolf, Obersneider, Monika, Richter, Nico, Schmaus, Simon, 2020: Zur Entwicklung eines kleinräumigen und sektorenübergreifenden Mikrosimulationsmodells für Deutschland. Erscheint in: Marc Hannappel, Johannes Kopp (Hg.): Mikrosimulationen. Methodische Grundlagen und ausgewählte Anwendungsfelder. Wiesbaden: Springer VS (in Vorbereitung). Nowossadeck, Sonja, Engstler, Heribert, 2013: Familie und Partnerschaft im Alter. Report Altersdaten 3/2013). Mimeo: Berlin: Deutsches Zentrum für Altersfragen. Schulz-Nieswandt, Frank, Köstler, Ursula, Langenhorst, Frank, Marks, Heike, 2012: Neue Wohnformen im Alter. Wohngemeinschaften und Mehrgenerationenhäuser. Stuttgart: Kohlhammer. Shafer, Kevin, James, Spencer L., 2013: Gender and socioeconomic status differences in first and second marriage formation. Journal of Marriage and Family 75: 544 – 564. Spangenberg, Lena, Glaesmer, Heide, Brähler, Elmar, Kersting, Anette, Strauß, Bernhard, 2013: Nachdenken über das Wohnen im Alter. Einflussfaktoren auf wohnbezogene Zukunftspläne und Wohnpräferenzen in einer repräsentativen Stichprobe ab 45-Jähriger. Zeitschrift für Gerontologie und Geriatrie 46: 251 – 259. Spellerberg, Annette (Hg.), 2018: Neue Wohnformen – gemeinschaftlich und genossenschaftlich. Erfolgsfaktoren im Entstehungsprozess gemeinschaftlichen Wohnens. Wiesbaden: Springer VS. Steinbach, Anja, Kopp, Johannes, 2008: „When will I see you again ?“ Intergenerational contacts in Germany. S. 88 – 104 in: Chiara Saraceno (ed.): Intergenerational Relations in Family and Society. Cheltenham/Northampton MA.: Edgar Elgar. Steinbach, Anja, Kopp, Johannes, 2010: Determinanten der Beziehungszufriedenheit: Die Sicht erwachsener Kinder auf die Beziehungen zu ihren Eltern. S. 95 – 116 in: Andreas Ette, Kerstin Ruckdeschel, Rainer Unger (Hg.): Potenziale intergenerationaler Beziehungen: Chancen und Herausforderungen für die Gestaltung des demografischen Wandels. Würzburg: Ergon.
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Johannes Kopp und Rüdiger Jacob
Vogelgesang, Waldemar, Kopp, Johannes, Jacob, Rüdiger, Hahn, Alois, 2018: Stadt – Land – Fluss. Sozialer Wandel im regionalen Kontext. Wiesbaden: VS Verlag. Wonneberger, Eva, 2018: Neues Wohnen auf dem Lande. Demografischer Wandel und gemeinschaftliche Wohnformen auf dem Lande. Wiesbaden: Springer VS.
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Nachbarschaften Paula Fellinger
Nachbarschaft macht einen erheblichen Teil unseres Umfeldes aus, sowohl aus räumlicher als auch aus sozialer Perspektive. Wir werden erwiesenermaßen substanziell davon beeinflusst, in welcher physischen Umgebung wir leben, aber vor allem von den Menschen, die in unmittelbarer Nähe von uns wohnen und den sozialen Beziehungen, die wir mit diesen eingehen. „Räume sind keine absoluten Einheiten, sondern ständig (re)produzierende Gewebe sozialer Praktiken“ (Kessel/Reutlinger 2007: 19). Nachbarschaft kann als ständiger Begleiter unseres Sozialisationsprozesses und somit als einer der zentralen Sozialisationsakteure verstanden werden. Nachbarschaft ist ein kultur- und zeitübergreifendes, folglich also ein universales Phänomen. Nur in den seltensten Fällen lässt sich von Menschen behaupten, dass sie völlig unabhängig und isoliert von jeglicher Nachbarschaft leben. Längst ist in der Sozialpädagogik oder auch auf kommunalpolitischer Ebene bekannt, dass Ansätze zur attraktiven Nachbarschaftsgestaltung als effektive Präventionsmaßnahmen gegen delinquentes Verhalten und als Beitrag zur Förderung eines gelungenen Stadtbildes genutzt werden können. Gute Nachbarschaftsverhältnisse stellen somit eine Ressource dar, die aktuell auch vor dem Hintergrund drohender Versorgungsengpässe, gerade in ländlichen Bereichen, sichergestellt und zusätzlich ausgebaut werden sollten. Um stabile Nachbarschaftsstrukturen zu fördern sind wissenschaftliche Analysen und empirische Erhebungen über die vorliegenden Nachbarschaftsverhältnisse unverzichtbar. Die genaue Ausgestaltung der Nachbarschaft und deren evaluative Einschätzung kann jedoch sehr unterschiedlich sein. Siebel (2009: 9) konstatiert einen Funktionsverlust nachbarschaftlicher Beziehungen, sieht eine Verfallsgeschichte der – vor allem dörflichen – Gemeinschaft und einen zunehmenden Rückzug in die eigene Privatheit und bezieht sich dann auf rein geographische Definitio© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 J. Kopp et al. (Hrsg.), Gemeinschaftliche Wohnformen zwischen Entfremdung und Resonanz, https://doi.org/10.1007/978-3-658-26048-4_11
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Paula Fellinger
nen von Nachbarschaft allein aufgrund der räumlichen Nähe und jeden sozialen Bezug.1 Trotz dieser offensichtlichen Brisanz erfährt das Thema seitens wissenschaftlicher Forschung vergleichsweise wenig Aufmerksamkeit. Dabei ist dessen Relevanz besonders aus soziologischer Perspektive keineswegs zu unterschätzen. Nachbarschaft nimmt sowohl sozialen, als auch räumlichen Einfluss auf die Umwelt, respektive die Individuen und deren Verhalten und stellt somit eine soziale Wirklichkeit dar, die nur „soziologisch erklärt und erkannt werden kann“ (Vierecke 1972: 14). Doch wie kann Nachbarschaft wissenschaftlich strukturiert erfasst werden ? Wie lassen sich gute Nachbarschaftsverhältnisse auf Basis empirischer Erkenntnisse von schlechten Nachbarschaftsverhältnissen trennen ? Was genau wird überhaupt im soziologischen Kontext unter guten Nachbarschaftsverhältnissen verstanden ?
10.1 Begriffliche Annäherung Auch wenn der Begriff der Nachbarschaft recht häufig verwendet wird und weit verbreitet ist, wirft jene Bezeichnung bei genauerer Betrachtung doch einige Unklarheiten auf. Definitionen die unsere Vorstellungen von Nachbarschaft präzisieren sollen sind zahlreich, jedoch inhaltlich keineswegs kohärent oder setzen unterschiedliche Schwerpunkte (vgl. Schnur 2012: 453 ff.). Die Unschärfe des Begriffes ist zum einen darauf zurückzuführen, dass sich die unterschiedlichsten Disziplinen wie Rechts- und Sozialwissenschaften oder Sozialpädagogik mit Nachbarschaft auseinandersetzen und entsprechend auch immer fachspezifisch Aspekte hervorheben und somit andere Sichtweisen vernachlässigen. Zum anderen treten aber auch innerhalb der einzelnen Disziplinen nicht selten Unklarheiten oder Widersprüche bezüglich der Nachbarschaftsdefinition auf. So kann Nachbarschaft in der Soziologie einerseits soziale Beziehungen, andererseits aber auch die Gruppe, welche sich aufgrund dieser Beziehungen bildet, beschreiben (vgl. Hamm 1973: 14). In sozialwissenschaftlicher, vor allem aber soziologischer Verwendung des Begriffes treten zwei Aspekte besonders deutlich hervor: Zum einen räumliche Nähe und zum anderen soziale Interaktion (vgl. Rohr-Zänker/Müller 1998: 8). So 1
Siebel (2009: 9 ff.) warnt jedoch vor einem allzu pessimistischen Bild des Lebens in der Großstadt, denn hier ließe sich vielmehr von einem Wandel der Beziehungen ausgehen: Rein räumlich vorgegebene Beziehungen würden durch Wahlverwandtschaften ersetzt. Jedoch schwingt auch bei dieser These die Vermutung mit, dass die rein nachbarschaftlichen Kontakte unwichtiger werden.
Nachbarschaften 225
definiert beispielsweise Siebel Nachbarschaft als „soziales Beziehungsgeflecht aufgrund räumlicher Nähe des Wohnens“ und integriert somit beide Aspekte (Siebel 2009: 8).
10.2 Räumliche Nähe und soziale Interaktion Der Begriff Nachbarschaft leitet sich aus dem althochdeutschen „nahgiburo“ ab, was so viel meint wie der nahe Wohnende oder der nahe Bauende (vgl. Vierecke 1972: 15). Damit bezieht sich die Bezeichnung in ihrer ursprünglichen Bedeutung primär auf den Aspekt der räumlichen Nähe, welcher in aktuelleren soziologischen Nachbarschaftsdefinitionen immer noch eine notwendige, jedoch keine hinreichende Bedingung darstellt. Auch wenn das Vorhandensein von physischer Nähe als diskriminatorisches Kriterium zur Abgrenzung von Nachbarschaft nicht vernachlässigt werden darf, muss gleichzeitig auch immer nach dem Vorhandensein sozialer Interaktionen, dem zweiten essentiellen Bestandteil von Nachbarschaft, gefragt werden, da diese sozialen Beziehungen keineswegs automatisch aus räumlicher Nähe resultieren (vgl. Zänker-Rohr/Müller 1998: 12). Dementsprechend definiert Hamm Nachbarschaft als „eine soziale Beziehung, die maßgeblich aus der Ursache physischer Nähe sich begründet und aufrechterhalten wird“ (Hamm 1973: 74). Auch Vierecke (1972: 15) sieht sowohl das Kriterium des Raumes, als auch der sozialen Beziehungen als wesentliche Bestandteile einer soziologischen Nachbarschaftsdefinition. Generell muss hierbei allerdings festgehalten werden, dass weder soziale Beziehungen noch räumliche Nähe in diesem Kontext konkret definiert oder abgegrenzt werden. Gerade das Kriterium der vorausgesetzten räumlichen Nähe variiert mit der vorliegenden Bauform und kann somit an keine fixe Maßzahl gebunden werden (vgl. Zänker-Rohr/Müller 1998: 12). Soziale Interaktionen können durch beispielsweise klimatische oder städtebauliche Faktoren gefördert oder gehemmt werden und lassen sich deshalb auch kaum standardisieren oder normieren (vgl. Hamm 1972: 67).
10.3 Nachbarschaft im Stadt- Landvergleich Stark beeinflusst werden sowohl die räumliche Distanz, als auch soziale Interaktionen durch die vorhandenen Strukturen des jeweiligen Wohnortes. So spielt Nachbarschaft auf dem Land immer noch eine größere Rolle als in der Stadt. Im ruralen Raum sind tendenziell stärkere soziale Kontrolle und eine größere Relevanz der geteilten Normen und Werte festzustellen (vgl. Vogelgesang et al 2018: 4).
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Paula Fellinger
Folglich kann also davon ausgegangen werden, dass auch Nachbarschaftsbeziehungen in ländlichen beziehungsweise dörflichen Kontexten eine gesteigerte Relevanz zugesprochen wird und sich somit engere Beziehungen ausbilden. Unter einer Stadt versteht sich gängiger Weise ein „geschlossenes Siedlungsgebiet mit hoher Bebauungsdichte und größerer Bevölkerungszahl, einer differenzierten Sozialstruktur und Arbeitsteilung“ (Vogelgesang et al 2018: 15). Dementsprechend können Dörfer im Gegensatz dazu als Siedlungsgebiete mit geringerer Bevölkerungszahl und -dichte, Arbeitsteilung und sozialer Differenzierung verstanden werden. Auch die Ursprünge der soziologischen Nachbarschaftsforschung beschäftigten sich mit der Tatsache, dass Nachbarschaft in Städten und Dörfern ein unterschiedlicher Stellenwert zugeschrieben wird. Dies wurde besonders zu Zeiten der Urbanisierung relevant. „Mit der industriellen Urbanisierung wurde die Arbeit aus dem Wohnzusammenhang herausgelöst (…) damit schwand die ökonomische Angewiesenheit auf die Nachbarn“ (Siebel 2009: 8). So wurde zu Beginn der soziologischen Stadtforschung primär der Frage nachgegangen, welche Formen sozialer Interaktion in Städten Nachbarschaftsbeziehungen ersetzten (vgl. RohrZänker/Müller 1998: 10). Nicht nur in der Kunst äußerten sich viele Schaffende kritisch gegenüber der Urbanisierung, auch viele Tätige im wissenschaftlichen Bereich und somit auch innerhalb der Soziologie standen diesen Entwicklungen pessimistisch gegenüber. Sie verbanden mit der zunehmenden Urbanisierung auch zwangsläufig einen Rückgang der Nachbarschaft und den damit verbundenen sozialen Interaktionen. Dabei wurden nicht selten das Landleben und die Vergangenheit idealisiert (vgl. Hamm 1973: 55). Doch auch im urbanen Kontext kann durchaus noch von Nachbarschaft gesprochen werden, auch wenn die Gewichtung von Öffentlichkeit und Privatheit sich hier eher zu Gunsten des letzteren verschiebt. Sowohl im städtischen als auch im ländlichen Kontext sind öffentliche und private Räume strikt vonein ander trennbar. Dementsprechend sind nahezu alle Lokalitäten eindeutig der Öffentlichkeit – beispielsweise Straßen, Parks oder Lokale – oder dem privaten Raum – wie die eigene Wohnung, der Garten oder Innenhof – zuzuordnen. In Abhängigkeit von jener Zuordnung gelten auch dementsprechende Verhaltenserwartungen und Ansprüche (vgl. Jacob et al. 2013: 3). So gelten beispielsweise Kleidungsstile, die in der Öffentlichkeit als auffällig eingestuft werden würden im privaten Raum durchaus als angemessen.
Nachbarschaften 227
10.4 Soziale Distanz Um zu messen, wie eng oder wie lose die Beziehungen zwischen den einzelnen in Nachbarschaft lebenden Personen sind, wurden verschiedene Kategorien erstellt, die Beziehungen unterschiedlicher Intensität voneinander abgrenzen. Hierzu legte Klages eine besonders häufig zitierte Einteilung vor. Er unterscheidet insgesamt drei nachbarschaftliche Verhaltensweisen: Erstens das zeremonielle Verhalten, welches im Wesentlichen das Befolgen von Anstandsregeln, wie beispielsweise das Grußverhalten oder die Beteiligung an Familienereignissen oder Todesfällen beinhaltet. Als zweiten Verhaltenstypen beschreibt Klages das Solidaritätsverhalten, welches vorliegt, wenn einander Gegenstände ausgeliehen werden, Besorgungen für einander erledigt werden oder Unterstützung in Krankheitsfällen geboten wird. Die dritte und engste Verhaltensweise, die Klages beschreibt, ist das individuelle Kontaktverhalten. Dieses liegt vor, wenn nachbarschaftliche Beziehungen freundschaftlichen Charakter annehmen (vgl. Klages 1968: 104). Wenn operationalisiert werden soll, wie fremd oder wie nahe sich Personen innerhalb einer Nachbarschaft oder auch innerhalb vergleichbarer sozialer Systeme sind, wird häufig auf das Konstrukt der sozialen Distanz zurückgegriffen. Distanz meint im soziologischen Sinne immer zwischenmenschliche Distanz (vgl. Steinbach 2004: 27), sie verhält sich umgekehrt proportional zur Menge der sozialen Interaktion (vgl. Hamm 1973: 96). Je nach Ausmaß der sozialen Distanz können nachbarschaftliche Verhältnisse freundschaftlich, oberflächlich oder sogar konflikthaft strukturiert sein (vgl. Schnur 2012: 456). Dabei wird die soziale Distanz immer subjektiv von den in Nachbarschaft Lebenden wahrgenommen und kann somit nicht direkt, sondern nur über diverse Indikatoren erhoben werden. Nichtsdestotrotz ist sozialer Abstand ebenso wie physischer Abstand durch Messbarkeit charakterisiert (vgl. Steinbach 2004: 27). Grundlegende Anhaltspunkte zur Operationalisierung sozialer Distanz lieferte 1933 Emory Bogardus. Er entwickelte eine Guttman-Skala, die mittels sechs Items das Verhältnis beziehungsweise die soziale Distanz zwischen Angehörigen unterschiedlicher ethnischer Gruppierungen messen sollte. Hierbei werden den Befragten sich in ihrer Intensität steigernde Aussagen über die geduldete Nähe zu Personen diverser ethnischer Ursprünge vorgelegt. Die Befragten werden dazu aufgefordert, anzugeben, welchen Aussagen sie zustimmen und welche Aussagen sie ablehnen. Das erste und damit auch schwächste Item fragt ab, ob eine Person spezifischen Ursprunges im eigenen Land toleriert werde. Das letzte und somit stärkste Item misst die Einstellung gegenüber der Einheirat in die eigene Familie. Da sich der Grad der Aussagen sukzessive steigert ist davon auszugehen, dass Befragte, die bereits beim ersten Item Ablehnung äußern auch allen folgenden Items ablehnend gegenüberstehen. Umgekehrt sollten Befragte, die der letzten Aussage
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Paula Fellinger
zustimmen auch die vorhergehenden Aussagen bejahen. Eine solche Skala lässt sich nicht nur zur Erhebung von Verhältnissen zwischen ethnischen Gruppen anwenden, sondern auch auf andere Kontexte übertragen. Inwiefern dies im Kontext der Nachbarschaft möglich ist, soll im Folgenden diskutiert werden.
10.5 Operationalisierung sozialer Distanz innerhalb des Nachbarschaftskontextes Die Operationalisierung sozialer Distanz innerhalb der Nachbarschaft birgt einige Besonderheiten und auch daraus resultierende Schwierigkeiten. Da soziale Distanz nicht direkt abgefragt, sondern über – von Befragten subjektiv empfundene – Indikatoren erhoben werden muss, sollte stets bedacht werden, dass zwischen dem tatsächlichen Verhalten der Befragten und deren Angaben nicht zu vernachlässigende Ambivalenzen liegen können. Auch die Wahl der Stichprobe gestaltet sich bei einer Nachbarschaftsbefragung schwieriger als bei manch anderer Erhebung, da die Zielgruppe in der Regel schwieriger zu kontaktieren ist. Gewöhnlich werden Nachbarschaftsumfragen mittels postalischer Befragungen erhoben, weshalb ein auf geringe Rücklaufquoten zurückzuführender Selektionsbias in einigen Fällen möglich ist (vgl. Diekmann 2010: 516). Im Folgenden soll sich genauer damit auseinandergesetzt werden, welche Operationalisierungsverfahren zur Erhebung sozialer Distanz innerhalb des Nachbarschaftskontextes geeignet sind. Dazu wird auf die Daten von insgesamt drei Erhebungen zurückgegriffen, die im Laufe der letzten Jahre im Rahmen der Lehr- und Forschungstätigkeiten der Professur für empirische Sozialforschung an der Universität Trier erhoben worden sind.2 ■■ Die erste Erhebung ist der sogenannte Lebensqualitätssurvey für den Landkreis Trier-Saarburg in Rheinland-Pfalz. Mit Hilfe einer postalischen Befragung wurden insgesamt 2 663 Personen ab 18 Jahren neben einer Fülle andere Dinge auch nach ihrer Wohnsituation und ihrer Nachbarschaft befragt (vgl. Vogelgesang et al. 2019).
2
Die Daten und weitere Informationen zu den Erhebungen sind über gesis, das Leibniz-Institut für Sozialwissenschaften und den dortigen Datenbestandskatalog kostenfrei für Reanaly sen verfügbar. Die entsprechenden Nummern lauten ZA 5540, ZA 5542 und ZA 5544. Weitere Informationen unter www.gesis.org.
Nachbarschaften 229
■■ Ebenfalls schriftlich wurden im Frühjahr 2014 die Bewohner und Bewohnerinnen einer kleinen Gemeinde in der Südeifel, genauer in der Gemeinde Aach in Rheinland-Pfalz befragt. Die Zielpopulation waren hier alle Personen ab 14 Jahren, so dass auch Aussagen über Jugendliche und ihre Einstellungen und Lebensverhältnisse möglich waren (Jacob et al. 2019a sowie für eine umfassende Auswertung der Daten Vogelgesang et al. 2018). ■■ Letztlich wurden auch die Daten einer 2015 im Eifelkreis Bitburg-Prüm (ebenfalls Rheinland-Pfalz) durchgeführten Befragung hinzugezogen. Insgesamt wurden hier 1 413 Bürgerinnen und Bürger befragt (vgl. Jacob et al. 2019b). Alle Daten entstammen postalischen Befragungen und wurden, gemessen an der Bevölkerungsdichte und der Einwohnerzahl, in eher ländlich geprägten Regionen durchgeführt. Da in allen drei Fragebögen zur Erhebung der sozialen Distanz identische Items verwendet wurden und auch soziodemographische Angaben gleichermaßen abgefragt wurden, lassen sich die drei Ursprungsdatensätze problemlos zu einem gemeinsamen Datenbestand zusammenfügen. Hierdurch können die folgenden Analysen auf eine sehr breite Datenbasis zurückgreifen. In der vorliegenden Analyse wurden nur Fälle berücksichtigt, die bei den Angaben zu ihren Nachbarschaftsverhältnissen vollständige Auskunft gaben. Hierdurch verringert sich die Fallzahl noch einmal, ohne dass wirkliche Änderungen der Ergebnisse zu beobachten sind. Insgesamt umfasst der vorliegende Datensatz 4 327 Fälle, dabei wurden nur die Angaben von volljährigen Befragten berücksichtigt, um eine einheitliche Altersspanne zu erzielen. Über die Hälfte der verwendeten Daten (61,5 Prozent) entstammen der Befragung in Trier-Saarburg. Den kleinsten Anteil machen mit 6,5 Prozent die Angaben der Befragten in Aach aus (vgl. Tabelle 10.1): In allen drei Erhebungen wurde den Befragten eine aus acht identischen Aussagen bestehende Itembatterie vorgelegt, die sich an der sozialen Distanz-Skala von Bogardus orientiert. Es handelt sich dabei um unterschiedliche Tätigkeiten, die in nachbarschaftlichen Verhältnissen vorkommen können. Die Befragten hatten bei jeder einzelnen Aussage die Möglichkeit zuzustimmen oder anzugeben,
Tabelle 10.1 Zusammensetzung der Datenquelle (in Prozent) Quelle
n
Anteil
Trier-Saarburg
2 663
61,5
Aach Bitburg-Prüm
282
6,5
1 382
31,9
230
Paula Fellinger
Tabelle 10.2 Nachbarschaftliche Aktivitäten (in Prozent) wir führen (kurze) Gespräche, wenn wir uns treffen
85,4
wir nehmen die Post für die Nachbarn an
81,3
wir grüßen uns, wenn wir uns sehen
78,0
bei Sterbefällen gehen wir zur Beerdigung
76,0
wir gratulieren bei Familienfesten
66,2
wir leihen uns gegenseitig Gegenstände aus
52,9
wir laden uns gegenseitig nach Hause ein
38,7
wir erledigen Einkäufe füreinander
18,4
dass die entsprechende Handlung nicht durchgeführt wird oder das Ereignis nicht vorkommt. In der Tabelle 10.2 finden sich die einzelnen Items und bereits die Häufigkeiten, mit denen die entsprechenden Ereignisse stattfinden beziehungsweise Handlungen durchgeführt werden. Die Tabelle ist bereits nach der Häufigkeit positiver Antworten sortiert, in den Fragebögen war die Reihenfolge nicht geordnet. Da einige Items, wie beispielsweise „bei Sterbefällen gehen wir zur Beerdigung“ oder „wir leihen uns gegenseitig Gegenstände aus“ bedarfsabhängig sind, ist es im vorliegenden Fall sinnvoll, Aussagen mit vergleichbarer Intensität zu verschiedenen Ebenen zusammenzufassen. Diese zusammengefassten Ebenen steigern sich dann ebenfalls in der Intensität des nachbarschaftlichen Kontakts und sind in der Tabelle 10.3 dargestellt. Dort finden sich auch die von uns gewählten Bezeichnungen der einzelnen Ebenen des Nachbarschaftsverhältnisses: Dabei beschreibt Ebene 0 eine äußerst distanzierte Nachbarschaftsbeziehung: Man grüßt sich nicht und führt nicht einmal kurze Alltagsgespräche. Dieser Ebene wurden all diejenigen zugeordnet, die keine der acht Aussagen als zutreffend bewerteten. Insgesamt gaben nur 1,3 Prozent der Befragten an, in diesen sehr distanzierten Nachbarschaftsverhältnissen zu leben. Wir bezeichnen die Situation als anonymisierte Nachbarschaft.3
3
An dieser Stelle wird ein Problem der vorliegenden Analysen deutlich. Wir kategorisieren die Nachbarschaften mit Hilfe der Angaben von einzelnen Personen und können natürlich in keinerlei Weise kontrollieren, ob die Wahrnehmungen einer konkreten Nachbarschaft durch verschiedene Personen nicht sehr heterogen sind. Aus diesem Grund ist die eventuell leichtfertige Gleichsetzung der subjektiven Wahrnehmung mit dem realen Charakter einer Nachbarschaft sehr vorsichtig zu interpretieren.
Nachbarschaften 231
Tabelle 10.3 Stufen nachbarschaftlicher Nähe Bezeichnung
Items
Ebene 0
Anonymität
kein Item wird bejaht
Ebene 1
Einhaltung sozialer Normen
wir führen (kurze) Gespräche, wenn wir uns treffen wir nehmen die Post für die Nachbarn an wir grüßen uns, wenn wir uns sehen
Ebene 2
gutes nachbarschaftliches Verhältnis
bei Sterbefällen gehen wir zur Beerdigung wir gratulieren bei Familienfesten wir leihen uns gegenseitig Gegenstände aus
Ebene 3
Freundschaft
wir laden uns gegenseitig nach Hause ein wir erledigen Einkäufe füreinander
Die Ebene 1 steht für ein Verhältnis, in dem grundlegende soziale Regeln und Normen eingehalten werden. Man grüßt sich, spricht ab und an miteinander, wenn man sich zufällig trifft oder nimmt auch schon einmal die Post füreinander an – gerade in modernen Zeiten eine eventuell zunehmende und zeitintensivere Aufgabe. Die soziale Interaktion innerhalb der Nachbarschaft beschränkt sich hier mehr oder weniger auf die Erfüllung der reziproken Verhaltenserwartungen. Zur Erinnerung: dieser Ebene wurden Befragte zugeordnet, die angaben, dass mindestens eine der Aussagen „Wir führen (kurze) Gespräche, wenn wir uns treffen“, „Wir nehmen für den anderen die Post an“ oder „Wir grüßen uns, wenn wir uns sehen“ für sie zutrifft, die Aussagen höherer Intensität jedoch ablehnen. Rund 13 Prozent der hier befragten Personen führt derartige Nachbarschaftsverhältnisse. Gaben die Befragten zusätzlich an, einander Gegenstände auszuleihen oder an Beerdigungen oder Familienfesten teilzunehmen, gehen wir davon aus, dass sie gute nachbarschaftliche Beziehungen unterhalten. Dies trifft in unserer Operationalisierung in dem vorliegenden Datensatz für 43,9 Prozent der befragten Personen zu. Die letzte und damit höchste Ebene beschreibt eine Beziehung, in der zusätzlich Einkäufe füreinander erledigt werden oder gegenseitig Einladungen nach Hause ausgesprochen werden, wobei natürlich auch beide Dinge vorliegen dürfen. Diese von uns als freundschaftliches Nachbarschaftsverhältnis bezeichnete Stufe erreichen 41,4 Prozent der Befragten. Da die vorliegende Skala den Anspruch erhebt, die Itemcharakteristik einer Guttman-Skala aufzuweisen, müssen nun die entsprechenden Gütekriterien, der Reproduzierbarkeitskoeffizient und alternativ der Skalierbarkeitskoeffizient berechnet werden, um diese Vermutung und damit die Güte der Messung überprüfen zu können. Liegt eine perfekte, skalengetreue Guttman-Skala vor, weisen
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Paula Fellinger
beide Koeffizienten einen Wert von 1 auf. Zur Berechnung des Reproduzierbarkeitskoeffizienten stellte Guttman folgende Formel auf: CR = 1 −
F n∙m
Dabei stellt F die Anzahl der tatsächlich aufgetretenen Fehler, also der nicht skalengetreuen Antwortmuster, dar, n die Anzahl der Befragten und m die Anzahl der Items. Insgesamt antworteten bei einer Fallzahl von 4 327 Personen 1,6 Prozent der Befragten nicht skalengetreu, was schließlich einer Fehlerzahl von 68 Fällen entspricht. Da Ebene 0 genau genommen keine eigenständige Ebene ist, sondern über die Analyse der restlichen Ebenen erhoben wird, werden zur Berechnung des Reproduzierbarkeitskoeffizienten nur Ebene 1 bis 3 als Items berücksichtigt. Letztlich lässt sich der Reproduzierbarkeitskoeffizient unserer Skala wie folgt berechnen: CR = 1 −
68 = 0,99 4327 ∙ 3
Auch wenn ein derart hoher Reproduzierbarkeitskoeffizient darauf schließen lässt, dass die hier verwendete Skala durchaus die Itemcharakteristik einer GuttmanSkala aufweist, sollte angemerkt werden, dass jener Koeffizient einen Unterwert von 0 nicht erreichen kann, was auch den verhältnismäßig hohen Mindestwert von 0,85 erklärt, der in der Literatur für eine sinnvolle Guttman-Skala gefordert wird (vgl. Borg/Staufenbiel 2007: 128). Positiv auf den vorliegenden Reproduzierbarkeitskoeffizienten wirkt sich auch die hohe Fallzahl aus. Schließlich hat natürlich vor allem die Zusammenfassung der drei Ebenen das Fehlerpotential der Skala reduziert, denn es reicht ja aus, wenn jeweils eine der Aktivitäten der jeweiligen Ebene positiv beantwortet wurde. Auch wenn Guttman selbst den Reproduzierbarkeitskoeffizienten zur Überprüfung der Güte seiner Skalen vorschlug, wird nun ebenfalls auf den Skalierbarkeitskoeffizienten zurückgegriffen, da dessen Ergebnisse unsensibel gegenüber der Schwere der Items sind und er auch eine Untergrenze von 0 erreichen kann und somit intuitiv besser zu interpretieren ist. Der Skalierbarkeitskoeffizient berechnet sich wie folgt: CR = 1 −
F F max
Nachbarschaften 233
Tabelle 10.4 Zur Berechnung des Reproduzierbarkeitskoeffizienten Ebene
Ebene erreicht
1
2
3
4 226
3 653
1 821
86
569
2 491
Ebene nicht erreicht
Dabei beschreibt F erneut die tatsächlich vorhandene Fehlerzahl und Fmax die maximal mögliche Fehleranzahl. Um Fmax zu berechnen werden alle Fälle summiert, die Ebene 1 oder 2 nicht erreichten, da hier potentiell die Möglichkeit besteht, dass diese Fälle eine höhere Ebene wiederum bejahen und somit nicht skalengetreu antworten. In unserem Fall beträgt die Anzahl der möglichen Fehler damit 659 + 86 = 745 Fälle. F kann von der vorherigen Rechnung übernommen werden. Somit ergibt sich folgender Skalierbarkeitskoeffizient: CR = 1 −
68 = 0,91 745
Da bei empirischen Daten immer mit Abweichungen vom theoretischen Idealwert zu rechnen ist und der Mindestwert für den Skalierbarkeitskoeffizienten bei 0,6 liegt, ist der hier erzielte Skalierbarkeitskoeffizient von 0,91 durchaus als sehr zufriedenstellend anzusehen (Borg/Staufenbiel 2007: 128). Sowohl der Reproduzierbarkeitskoeffizient als auch der Skalierbarkeitskoeffizient untermauern die Annahme, dass es sich bei der verwendeten Skala um ein geeignetes Instrument zur Erhebung sozialer Distanz handelt. Die These, dass die, auf zusammengefassten Ebenen basierende Skala den Itemcharakteristik einer Guttman-Skala aufweist, kann ebenfalls als bekräftigt verstanden werden.4
4
Gleiche Berechnungen wurden auch für die nicht zu Ebenen zusammengefassten Aussagen durchgeführt. Hierbei beträgt F = 2.986 und Fmax = 7.332. Folglich ergibt sich ein Reproduzierbarkeitskoeffizient von 0,91 (der Mindestwert wird also überschritten) und ein Skalierbarkeitskoeffizient von 0,59 (der Mindestwert wird also knapp verfehlt). Hierbei muss bedacht werden, dass die Bedarfsabhängigkeit diverser Items für nicht skalengetreue Antwortmuster verantwortlich sein kann.
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10.6 Zur Situation der Nachbarschaft Die Qualität nachbarschaftlicher Beziehungen kann mit dem oben vorgestellten Instrument offensichtlich recht gut und valide erhoben werden. Wie ist es nun um die Qualität der Nachbarschaft bestellt ? Leben die Menschen eher anonym oder in eher freundschaftlich geprägten Umgebungen ? In der Abbildung 10.1 findet sich eine erste Antwort auf diese Frage. Das Ergebnis ist dabei relativ eindeutig und klar. Die nachbarschaftlichen Verhältnisse in Deutschland – oder zumindest in den untersuchten Regionen – sind gut ! Nur 1,3 Prozent der Personen leben in einer für sie anonymisierten Nachbarschaft. Und auch nur etwa jede achte Person gibt an, dass nur die normativ sozial vorgegebenen Höflichkeiten ausgetauscht werden. Jeweils gut vier von 10 befragten Personen geben an, entweder ein gutes nachbarschaftliches Verhältnis oder sogar ein freundschaftliches Verhältnis in der Nachbarschaft zu haben. Vermutungen, dass in modernen Gesellschaften die Menschen vereinzelt und einsam leben, kann zumindest mit unseren Daten und damit sicherlich für ein eher ländliches Gebiet eher deutlich widersprochen werden. Trotz alledem soll im Folgenden nun untersucht werden, ob es hinsichtlich einiger klassischer soziodemographischer Dimensionen eben doch Unterschiede in der Ausgestaltung der nachbarschaftlichen Beziehungen beobachten lassen.
Abbildung 10.1 Zur Qualität der nachbarschaftlichen Beziehungen
freundschaftliche Nachbarschaft
gute Nachbarschaft
Einhaltung sozialer Normen
Anonymität
0
5
10
15
20
25
30
35
40
45
50
Nachbarschaften 235
Unterschiede zwischen Männern und Frauen ? Eine erste immer wieder thematisierte Dimension können dabei Unterschiede zwischen Männern und Frauen darstellen. Um dies zu überprüfen, findet sich in der Abbildung 10.2 die Verteilung hinsichtlich der Einschätzung der Nachbarschaftsqualität für Männer und Frauen. Schon auf den ersten Blick ist erkennbar, dass es so gut wie keine Unterschiede gibt. Frauen wählen die beiden Einschätzungen der rein durch Normen geprägten Nachbarschaft, aber auch der freundschaftlichen Nachbarschaftsbeziehungen ein klein wenig häufiger. Prüft man mit Hilfe eines χ2-Tests, ob es überhaupt einen Effekt des Geschlechts gibt, ist dieser Test negativ. Auch der Mittelwert der Einstufungen ist mit 2,25 für Männer und Frauen identisch. Zumindest bei einer bivariaten Betrachtung lassen sich also keine Unterschiede festhalten und die Vermutung, dass Frauen stärker sozial integriert seien (BMFSFJ 2019) und dies sich vielleicht auch in der Gestaltung von Nachbarschaftsbeziehungen niederschlägt, findet hier keine Unterstützung.
Abbildung 10.2 Unterschiede in den nachbarschaftlichen Beziehungen zwischen Männern und Frauen
freundschaftliche Nachbarschaft
gute Nachbarschaft
Einhaltung sozialer Normen
Anonymität 0
5
10
Frauen
15
20
Männer
25
30
35
40
45
50
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Unterschiede mit Hinblick auf die Erwerbstätigkeit ? Um gute nachbarschaftliche Beziehungen zu etablieren und zu erhalten, braucht man natürlich vor allem auch Zeit. Nun sind in den vorhandenen Daten verständlicher Weise keinerlei Informationen über die Zeitverwendung enthalten (vgl. hierzu Statistisches Bundesamt 2017, um einen ersten Einblick in die Komplexität derartiger Erhebungen zu bekommen). Einen ersten Eindruck erhält man jedoch, wenn man die Erwerbstätigkeit der Personen kontrolliert. Rund 41 Prozent der befragten Personen ist vollzeiterwerbstätig, weitere 21 Prozent sind teilzeitbeschäftigt. Gut 37 Prozent gehen keiner Erwerbstätigkeit nach, wobei dies – wie weiter unten noch ausführlicher thematisiert wird – natürlich stark alters- und eben auch geschlechtsabhängig ist. Zwar finden sich hier hoch signifikante Unterschiede zwischen den einzelnen Gruppen, ein genauer Blick auf die Tabelle zeigt jedoch, dass das grundlegende Muster – es überwiegen gute oder gar freundschaftliche Nachbarschaftsbeziehungen – durchgängig zu finden ist und die Charakterisierung der Nachbarschaft als anonym in allem Teilgruppen nur sehr selten ist. Bemerkenswert ist jedoch, dass vollzeiterwerbstätige Personen deutlich häufiger nur nachbarschaftliche Beziehungen führen, die durch die Einhaltung sozialer Normen geprägt sind. Es ist zu vermuten, dass aufgrund der Erwerbstätigkeit eventuell einfach keine Zeit für eine intensivere Pflege der Beziehungen in der Nachbarschaft bleibt. Die entsprechenden Effekte sind auch statistisch bedeutsam, man muss jedoch bedenken, dass die jeweiligen Effektstärken relativ gering sind – die Unterschiede der Einschätzung der nachbarschaftlichen Verhältnisse sind also nur zu einem geringen Teil durch Unterschiede in der Erwerbstätigkeit zu erklären.
Tabelle 10.5 Nachbarschaftsbeziehungen und Erwerbstätigkeit (Spaltenprozente) erwerbstätig ? Nachbarschaftstyp
nein
teilzeit
vollzeit
Anonymität
2,1
1,0
1,5
Einhaltung sozialer Normen
9,9
10,5
17,3
gute Nachbarschaft
45,1
44,6
42,0
freundschaftliche Nachbarschaft
42,9
43,9
39,3
Nachbarschaften 237
Altersunterschiede ? Ein weiterer wichtiger Aspekt der Soziodemographie ist das Alter. Es lassen sich leicht verschiedene Mechanismen denken, wie Alter und die nachbarschaftlichen Verhältnisse zusammenhängen – hier sei etwa nur daran erinnert, dass natürlich die Erwerbstätigkeit, aber auch die Art und Weise, wie man wohnt, also etwa zur Miete oder in Eigentum – sicherlich vom Alter abhängt. Bevor derartige Zusammenhänge – aufgrund der Datenlage jedoch nur ansatzweise – untersucht werden können, sollen in einem ersten Schritt die Zusammenhänge beschrieben werden. Hierzu wird der Mittelwert der entsprechenden Bewertungen berechnet, wobei eine Bewertung als Anonymität mit dem Wert 0, ein nachbarschaftliches Verhältnis, das den sozialen Normen entspricht mit dem Wert 1, gute nachbarschaftliche Beziehungen mit 2 und freundschaftliche Beziehungen mit dem Wert 3 berücksichtigt werden. In der Abbildung 10.3 finden sich nun die Mittelwerte der Qualität der jeweiligen Nachbarschaften für die einzelnen Altersklassen. Auch wenn sich keine gradlinige Korrelation zwischen der sozialen Distanz zur Nachbarschaft und dem Alter der Befragten feststellen lässt, sind dennoch altersspezifische Beziehungsmuster erkennbar. Es wird deutlich, dass Nachbarschaftsverhältnisse mit dem Durchlaufen verschiedener Lebensphasen enger und letztlich auch wieder distanzierter werden. Die Alterskohorte der unter 30-jährigen erreicht die niedrigste Durchschnittsebene des Nachbarschaftsverhältnisses.
Abbildung 10.3 Einschätzung der nachbarschaftlichen Beziehungen im Lebensverlauf
80 Jahre und älter 70 bis unter 80 60 bis unter 70 50 bis unter 60 40 bis unter 50 30 bis unter 40 unter 30 Jahren 2
2,1
2,2
2,3
2,4
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Gerade die höchste, die freundschaftliche Ebene, wird von der jüngsten Altersgruppe deutlich seltener erreicht. Dies könnte darauf zurückzuführen sein, dass gerade junge Leute häufig Kontakte zu vom Wohnort weiter entfernt lebenden Bezugsgruppen pflegen (vgl. Rohr-Zänker/Müller 1998: 19). Personen mittleren Alters stehen nur selten in keinerlei Kontakt zu ihrer Nachbarschaft, nur 0,9 bis 1,2 Prozent der Befragten zwischen 40 und unter 60 Jahren bewerten ihre Nachbarschaft als anonymisiert. Im Gegensatz dazu stellt die Gruppe der 70 bis unter 80 Jahre alten Personen hier mit 2,5 Prozent den höchsten Anteil, die zumindest in ihrer Nachbarschaft nahezu isoliert leben. Die durchschnittlich höchste Nachbarschaftsebene erreichen Personen zwischen 51 und 60 Jahren, danach fällt die Anzahl der durchschnittlich erreichten Ebenen wieder ab. Es lässt sich also festhalten, dass besonders junge und ebenso ältere Menschen durchschnittlich weniger intensive Beziehungen zu ihrer Nachbarschaft führen. Anders ausgedrückt: Die engsten Nachbarschaftsverhältnisse führen Menschen in der mittleren Lebensphase. Dies kann womöglich über die in jener Phase recht ausgeprägte Familienbezogenheit erklärt werden. Dabei können gerade jüngere Kinder einen Anreiz darstellen, sich um gute Nachbarschaftsverhältnisse zu bemühen und nachbarschaftliche Hilfsangebote, beispielsweise bei der Kinderbetreuung, in Anspruch zu nehmen (vgl. Rohr-Zänker/Müller 1998: 19).
Zum Einfluss der Wohnform. Eigentum oder Miete ? Die hier analysierten Befragungen wurden ja – wie oben berichtet – zum größten Teil in eher ländlichen Regionen in Rheinland-Pfalz durchgeführt. Dort ist die Eigentumsquote – wie nahezu durchgehend in ländlichen Regionen – relativ hoch. Es ist ein Spezifikum des Immobilienmarktes in Deutschland, dass die Mobilität hier relativ gering ist. Hier sind nun sehr unterschiedliche Effekte auf die Qualität der nachbarschaftlichen Beziehung möglich. Langfristige Interaktionen führen meist zu positiven gegenseitigen Einstellungen und somit auch zu besseren Beziehungen. Andererseits ist es aber auch möglich, dass sich kleinere Konflikte manifestieren und verselbständigen. Generell gilt jedoch, dass innerhalb von Miets- oder Mehrfamilienhäusern eventuell deutlich höhere Konfliktpotentiale entstehen als in Häusern, die ja doch eine größere physische Distanz innerhalb der Nachbarschaft mit sich bringen. Um wenigstens ansatzweise diese verschiedenen Prozesse zu bewerten, findet sich in der Abbildung 10.4 wiederum der Mittelwert der Bewertung der Nachbarschaftsbeziehungen für die einzelnen Wohnformen. Die Unterschiede sind frappant und natürlich statistisch signifikant. Während knapp 44 Prozent der Personen, die in einem eigenen Haus leben, freundschaftliche Nachbarschaftsbeziehungen haben, sind es bei den Wohnungsmietern und
Nachbarschaften 239
Abbildung 10.4 Einschätzung der nachbarschaftlichen Beziehungen in Abhängigkeit der Wohnform
eigenes Haus
gemietetes Haus
Eigentumswohnung
Mietwohnung
1,8
1,9
2
2,1
2,2
2,3
2,4
-mieterinnen gerade einmal 27,9 Prozent. Leider konnte in der Befragung nicht geklärt werden, was eigentlich jeweils unter dem Begriff der Nachbarschaft verstanden wird. So ist es möglich, dass die eventuell vielfältigeren Nachbarschaften bei Mietwohnungen hier schlechter bewertet werden als die meist nur wenigen direkten Nachbarn bei eigenen Häusern, die zudem ja meist auch eine gewisse physische Distanz aufweisen.
‚You’ll never walk alone‘ In der sozialen Welt sind Ereignisse nicht monokausal bestimmt. Zur Erklärung einer interessierenden soziologischen Größe genügt in aller Regel der Verweis auf eine einzige Bestimmungsgröße nie – soziologische Prozesse sind multikausal, verschiedene Faktoren bestimmen den Ausgang einer sozialen Situation. Um diesen Prozessen ansatzweise gerecht zu werden, kommen unterschiedliche multivariate Analyseverfahren zum Einsatz. Hierdurch ist es vor allem auch möglich, zusammenhängende soziale Prozesse einzeln zu bewerten. So ist es in dem hier behandelten Fall unklar, ob vielleicht der Alterseffekt nicht allein darauf zurückzuführen ist, dass sich in den einzelnen Altersklassen auch die Wohnsituation und die Erwerbstätigkeit unterscheidet. Als einfachstes Verfahren soll deshalb hier auf sogenannte logistische Regressionen (vgl. einführend Kopp/Lois 2013) zurück-
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Paula Fellinger
gegriffen werden. Hierbei wird der Einfluss bestimmter Variablen auf das Eintrittsrisiko eines bestimmten Ereignisses geschätzt. Als abhängige Variable dient hier die Einschätzung der nachbarschaftlichen Situation als freundschaftlich, also die positivste Bewertung der Nachbarschaft. In der Abbildung 10.5 finden sich nun die sogenannten odds-ratio-Werte, die die Veränderungen der Chancen wiedergeben. Die jeweiligen Referenzwerte werden mit dem Wert 1 angegeben. Die entsprechenden odds-ratio-Werte sind dann als multiplikativer Effekt zu verstehen: Ein Wert von 0,9 bedeutet so beispielsweise ein Rückgang der Chance um 10 Prozent, ein Wert von 2,10 eine Steigerung um 110 Prozent. Zuallererst ist einmal auch bei diesem Modell festzuhalten, dass die Erklärungsleistung relativ gering ist. Trotzdem lassen sich einige vorläufige Folgerungen mit Hilfe dieser Analyse unterstützen: ■■ Auch multivariat finden sich keine Hinweise darauf, dass sich die Geschlechter in der Einschätzung ihrer Nachbarschaft unterscheiden. Der entsprechende Effekt ist sehr klein und statistisch nicht bedeutsam. ■■ Vor allem nicht oder nicht mehr erwerbstätige Personen bewerten ihre Nachbarschaft deutlich positiver. Die Chance, diese als freundschaftlich einzustufen, ist in dieser Gruppe im Vergleich zu den vollzeiterwerbstätigen Personen um 30 Prozent höher. Dabei ist dies – und das kann eben mit Hilfe dieser Art von Modellierung geprüft werden – kein Alterseffekt, denn das Alter wird ja kontrolliert. ■■ Relativ junge, aber auch Personen über 60 Jahre sehen ihre Nachbarschaften insgesamt eher kritisch. Die mittleren Altersklassen zwischen 30 und 60 weisen eine größere Chance auf, freundschaftliche Nachbarschaftsbeziehungen vorzuweisen. ■■ Der stärkste Effekt kommt jedoch auch multivariat der Wohnform zu. Das Wohnen in einem – vor allem eigenen – Haus ist hier der größte Einzeleffekt. Hier finden sich deutlich mehr freundschaftliche nachbarschaftliche Beziehungen als in anderen Formen – und dies ist ebenfalls nicht auf das Alter zurückzuführen.
Nachbarschaften 241
Abbildung 10.5 Bestimmungsgrößen für eine freundschaftliche nachbarschaftliche Beziehung Mietwohnung (RK) Eigentumswohnung gemietetes Haus* eigenes Haus*** unter 30 Jahre (RK) 30 bis unter 40** 40 bis unter 50*** 50 bis unter 60* 60 bis unter 70 70 bis unter 80 80 Jahre und älter vollzeit erwerbstätig (RK) teilzeit erwerbstätig nicht erwerbstätig *** männlich (RK) weiblich 0,8
0,9
1
1,1
1,2
1,3
1,4
1,5
1,6
1,7
1,8
1,9
10.7 Fazit Die vorliegende Analyse hat aufgezeigt, dass Nachbarschaft als wissenschaftlicher Untersuchungsgegenstand keineswegs ausschöpfend untersucht ist und sowohl aus theoretischer als auch aus methodischer Perspektive kein wirklich konsistentes Bild erkennbar ist. Dabei darf nicht vergessen werden, dass eine ausführliche Analyse von Nachbarschaftsverhältnissen als Grundlage für Verbesserungen oder Stabilisierungen der nachbarschaftlichen Ressourcen dient. Genau diese Stärkung nachbarschaftlicher Netzwerke sollte jedoch gerade in Zeiten zunehmend strukturschwacher ländlicher Gebiete angestrebt werden. Auch wenn sich die Ergebnisse dieser Untersuchung nur begrenzt generalisieren lassen, da die Daten in eher ländlichen Regionen erhoben wurden und folg-
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lich nur beschränkte Aussagekraft über urbane Kontexte besitzen, lässt sich festhalten, dass gerade Erwerbsstatus, Alter und Wohnform deutlichen Einfluss auf die Intensität der nachbarschaftlichen Beziehungen nehmen. Als Anlass zur Intervention könnte hierbei der Umstand, dass besonders häufig ältere und somit tendenziell hilfsbedürftigere Menschen ohne Kontakt zu Nachbarschaft leben, interpretiert werden. Die These, dass das Geschlecht relevanten Einfluss auf die Nachbarschaftsbeziehungen habe, konnte hingegen nicht verhärtet werden. Es konnte außerdem gezeigt werden, dass die vorliegende Skala die Itemcharakteristik einer Guttman-Skala aufweist und ein valides und unkompliziertes Instrument zur Erhebung sozialer Distanz innerhalb der Nachbarschaft darstellt. Die verwendeten Items können in zukünftigen Nachbarschaftsuntersuchungen Verwendung finden und somit einen Beitrag zur nachdrücklichen Erforschung von Nachbarschaftsbildern liefern.
Literatur Borg, Ingwer; Staufenbiel, Thomas, 2007: Lehrbuch Theorien und Methoden der Skalierung. Vierte Auflage. Bern: Huber. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ), 2019: Frauen und Männer in der zweiten Lebenshälfte – Älterwerden im sozialen Wandel. Zentrale Befunde des Deutschen Alterssurveys (DEAS) 1996 bis 2017. Mimeo. Berlin: Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Diekmann, Andreas, 2010: Empirische Sozialforschung. Grundlagen, Methoden, Anwendungen. Vierte Auflage. Reinbek: rororo. Hahn, Alois, Schubert, Hans-Achim, Siewert, Hans-Jörg, 1979: Gemeindesoziologie. Eine Einführung. Stuttgart: Kohlhammer. Hamm, Bernd, 1973: Betrifft: Nachbarschaft – Verständigung über Inhalt und Gebrauch eines vieldeutigen Begriffs. Düsseldorf: Bertelsmann. Jacob, Rüdiger, Kopp, Johannes, Vogelgesang, Waldemar, 2019a: Leben in Aach (2014). GESIS Datenarchiv Köln. ZA5542. Köln: Mimeo. doi:10.4232/1.13351 Jacob, Rüdiger, Kopp, Johannes, Kaucher, Mareike, 2019b: Lebensqualitätssurvey Bitburg-Prüm (2016). GESIS Datenarchiv Köln. ZA5544. Köln: Mimeo. Datenfile Version 1.0.0, doi:10.4232/1.13353 Jacob, Rüdiger, Sischka, Philipp, Helsper, Anke, 2013: Lebensqualität im Landkreis Trier-Saarburg. Trier: Mimeo. Kessl, Fabian, Reutlinger, Christian, 2007: Sozialraum. Eine Einführung. Wiesbaden: Springer VS. Klages, Helmut, 1968: Der Nachbarschaftsgedanke und die nachbarliche Wirklichkeit in der Großstadt. Schriftenreihe des Vereines Kommunalwissenschaften e. V. Berlin. Zweite Auflage. Stuttgart: Kohlhammer. Klockhaus, Ruth, 1975: Einstellung zur Wohnumgebung. Empirische Studie an zwei Wohnarealen in Nürnberg-Langwasser. Göttingen: Hogrefe.
Nachbarschaften 243
Kopp, Johannes, Lois, Daniel, 2013: Sozialwissenschaftliche Datenanalyse. 2. Auflage. Wiesbaden: Springer VS. Rohr-Zänker, Ruth, Müller, Wolfgang, 1998: Die Rolle von Nachbarschaften für die zukünftige Entwicklung von Stadtquartieren. Expertise im Auftrag der Bundesforschungsanstalt für Landeskunde und Raumordnung. Oldenburg: Mimeo. Schnur, Olaf, 2012: Nachbarschaft und Quartier. S. 449 – 474 in: Frank Eckardt (Hg.): Handbuch Stadtsoziologie. Wiesbaden: Springer VS. Schur, Olaf (Hg.), 2000: Nachbarschaft, Sozialkapital und Bürgerengagement: Potenziale sozialer Stadtteilentwicklung ? Eine Analyse am Beispiel von vier Wohnquartieren des Stadtteils Moabit (Berlin-Tiergarten), Arbeitsberichte des Geographischen Instituts der Humboldt-Universität zu Berlin, Heft 48. Berlin: Mimeo. Statistisches Bundesamt (Hg.), 2017: Wie die Zeit vergeht. Analysen zur Zeitverwendung in Deutschland. Wiesbaden: Statistisches Bundesamt. Steinbach, Anja, 2004: Soziale Distanz. Ethnische Grenzziehung und die Eingliederung von Zuwanderern in Deutschland. Wiesbaden: VS. Siebel, Walter, 2009: Ist Nachbarschaft noch möglich ? S. 8 – 13 in: Daniel Arnold (Hg.): Nachbarschaft. München: Callwey-Verlag. Van Ham, Maarten, Manley, David, Bailey, Nick, Simpson, Ludi, Maclennan, Duncan, 2012: Neighbourhood Effects Research: New Perspectives. Dordrecht: Springer. Vierecke, Kurt Dieter, 1972: Nachbarschaft. Ein Beitrag zur Stadtsoziologie. Soziologische Studien, Band 4. Köln: Bachem. Vogelgesang, Waldemar, Kopp, Johannes, Jacob, Rüdiger, Hahn, Alois, 2018: Stadt – Land – Fluss. Sozialer Wandel im regionalen Kontext. Wiesbaden: Springer VS. Vogelgesang, Waldemar, Jacob, Rüdiger, Kopp, Johannes, 2019: Lebensqualitätssurvey Trier-Saarburg (2012/2013). GESIS Datenarchiv Köln. ZA 5540. Köln: Mimeo. doi:10.4232/1.13349