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German Pages 440 [444] Year 1896
Gedichte von
Eduard Mörike. Neunte, mit einem Nachtrag vermehrte Auflage.
Stuttgart. G. I. Köschen'sche Verlagshandlung.
1890.
LouiS BoShercher'S Buchdruckerei, Cannstatt.
Aas Leden des Aichters.
Menigen Dichtern ist so, wie Eduard Monte der Grund-
zug eigentümlich, die Wirklichkeit ihres Lebens mit der poesie erfüllten Innenwelt in den innigsten Einklang zu setzen.
Unablässig folgte er diesem Zug und gelangte in der That dahin, sich derartig in die Romantik seiner Neigungen einHuweben,
daß ihm das prosaische Dasein den Reiz eines
Märchentraumes gewann.
Der äußere Gang seines Lebens
wuß deshalb in stetem Hinblick auf dieses Wesen, Regen
And Entfalten seines Gemütes aufgefaßt werden, und wie einfach der Verlauf des ersteren auch gewesen, er geleitet
zu all den Stadien der Durchgeistigung, wie sie von früher Jugend an bis zu seinem Alter ihm gleichsam ein Doppel leben bereitet hat.
Am 8. September
1804 wurde Eduard Mörike in
Ludwigsburg geboren, in der Heimatsstadt eines Justinus
Kerner, Strauß und Vischer, mit denen ihn im späteren
Leben so manche und teilweise so innige Beziehungen ver binden
sollten.
Sein
Mörike, Gedichte.
Vater
war
Arzt,
eine
kräftige 1
II Natur, die sich aber auch in philosophischen Grübeleien gefielGeweckten, heiteren Geistes war die Mutter, eine schöne Frau^
von der außer dem schalkhaften Zug des Humors ihren: Lieb ling auch die Vorzüge einer edlen, sanften Gesichtsbildung,
vererbt wurden.
Geschwister belebten den Familienkreis^
und während ein älterer Bruder durch mystisch-phantastisches-
Gebaren öfter sein Bewundern erregte, fand Eduard in den
Schwestern, für später namentlich in der nachgeborenen, einer: Halt für die Innigkeit seines Gemüts, an den diese un
gewehrt und sanft sich schmiegen konnte.
Eigene Wege gir:g der blondhaarige Knabe gleichwohb
schon in früher Kindheit.
Sein einsames Hinsinnen liebte
empfangene Eindrücke phantastisch zu verarbeiten und in. phantastischen Spielereien führte er sich dann die inneren
Bilder nochmals anschaulicher zu Gemüt.
Aus der Kindheit
blieb, ihm diese Neigung für das ganze Leben eigen und sie ergötzte ihn um so mehr, als er in Erzählung und Mimik, ein Darstellungstalent besaß, welches andere ungewöhnlich
zu fesseln wußte, und mit dem er auch später noch seine Freunde in guter Stunde erfreute.
Märchen ersinnen, sich
selbst in deren Welt in naivster Selbstvergessenheit versetzen^
war ihm schon früh eine besondere Liebhaberei, wie mancher Vorgang aus seiner Jugend genugsam beweist.
Im seinem 14. Jahr starb der Vater und damit geriet
der heimische Familienkreis in Auflösung.
Von der Mutter
und den Geschwistern getrennt, lebte Eduard Mörike während-
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der nächsten Schuljahre in Stuttgart bei einem Verwandten, dem nachherigen Kousistoriät-Präsidenten von Georgii. Ein behaglicher Hausstand, der vielem Besllch unterrichteter und litterarisch wirkender Männer gastlich geöffnet war, brachte dem stillen, kritisch beobachtenden Knaben neue An regungen. Dem gelehrten Hausherrn galten die Dichter und Philosophen Griechenlands und Roms als die Laren, und der junge Anverwandte, welcher auf dem Gymnasium eben die Sprache derselben gern und mühelos erlernte, gewann damit eine gewisse Vertraulichkeit mit ihnen, die schließlich zu eurer innigen geistigen Freundschaft erstarkte. Die Verhältnisse der Familie bestimmten ihn zum Theologen und dem äußeren Eindruck nach mochte man ihn auch für vortrefflich geeignet zu einem solchen halten. Sein gemächliches Wesen und feine mädchenhaft scheue Sanftmut konnten auuehmen lassen, daß er im pastoralen Dasein dereinst die glücklichste Befriedigung finden werde. Nach den landesüblichen Vorschriften machte er daher mit vierzehn Jahren sein „Landexameu" und fand darnach im niederen Seminar von Urach die Aufnahme als Zögling. Die gebirgig romantische Umgebung, in welche er damit versetzt wurde, wirkte in hohem Maße anregend auf ihn ein. Von jeher für alle Stimmungen in der Natur, in Wald und Feld, ungemein empfänglich, bot ihm die Uracher Landschaft mächtige Eindrücke, denen er schwelgerisch sich hingab, und die ihm Gemüt und Phantasie erweiterten.
IV So erwachte die Poesie in ihm, die träumerisch bisher ge schlummert, indem er im Betrachten der Natur Zwiesprach
mit seiner Seele hielt und nachgrübelnd den Ton und
Ausdruck
suchte,
der diesen
verschiedenen
reinsten und treuesten Wiederhall gäbe.
Einwirkungen
Daneben hielt er
Umgang mit seinen geliebten Griechen, mit Homer und Platon, deren Einfluß ihm das tiefe Gefühl für Formen schönheit lebendig machte und zugleich das Verlangen er
regte, sein eigenes dichterisches Empfinden nach solchen Vor
bildern zur Äußerung zu bringen. Nach dem Kursus im Seminar bezog Mörike mit acht
zehn Jahren 1822 die Hochschule in Tübingen als Stiftler. Philosophie und Theologie war das verlangte Studium und er betrieb es pflichtmäßig, zu verwenden.
ohne besonderen Eifer darauf
Viel mehr dagegen gab er sich seinen poeti
schen Stimmungen und phantastischen Liebhabereien hin, so sehr, daß er einen förmlichen Kultus damit verband.
Die Spielerei des Knaben wiederholte der Jüngling in sinnigerer Ausstattung.
Die Freundschaft mit Studienge-
nossen wurde in den Rahmen eines seltsamen, mit den Reizen
des Geheimnisses und den Schauern der Romantik umhüllten
Zeitvertreibs gestellt. Vor allen war es der gleichfalls poe
tisch begabte Ludwig Bauer, dessen treuherzige Naturwüchsig
keit innige Gemeinschaft mit der Mörike'schen Phantastik hielt; aber auch die hypergenialische Persönlichkeit Waib-
lingers streifte in ihren dämonischen Ausbrüchen öfters die
magischen Kreise, welche die bciben Freunde um sich zu ziehen wußten.
In einsamer Abgeschlossenheit im Walde, in einem
Felsenloch, hi einem verlassenen Brunnenstübchen trieben sie ihr Wesen, machten den Tag zur erkünstelten Nacht, deren
Dunkel eine Lampe matt erhellte, und lasen sich da Homer und Shakespeare vor.
beschworen sie
Niren, Elfen und Geister aller Art
mit ihrer Phantasie.
Auf eine
einsame
Wunderinsel Orplid trimmten sie sich versetzt, wo ein ur
alter König über ein durch die Civilisation heruntergekom-
menes mythisches Menschengeschlecht regierte, und sie statteten
ihre Schöpfung mit eigenen Ideell und einer eigenen, die Götterzeit zurückgehenden Vorgeschichte aus. Märchenstimmung gingen Mörike's
in
Aus dieser
erste Gedichte hervor,
wenigstens die erstell der von ihnr später veröffentlichten,
welche sowohl dell Kreis der Enlpfindungell, in die er sich anl liebsten versenkte, als allch die Reinheit und Anmut der
Gestaltung, die er feinen poetischen Schöpfungen zn geben lvußte, vortrefflich kellnzeichnen. Auch im ällßererl Erscheinen hatte der Jüllgling das
Gepräge des idealisch Schöllen, deln seine Seele in ungestillteni Verlangen huldigte, und wie bestrickend sein Umgang und Wesen für die ihm Nahestehenden schon damals war,
beweist ein Brief seines Freundes Bauer vom 6. September 1823 an ihn, in bem es heißt: „Ich klebe noch am Staub,
aber wenn ich an Dich gedenke, ist mir's, wie wenn ich im Shakespeare gelesen hätte.
Aber das ist mir lieb, daß nur
VI dann Dein ganzes wunderbares Selbst vor mir steht, wenn
sich die gemeinen Gedanken wie müde Arbeiter schlafen legen und sich die Wünschelrute meines Herzens nach den verborge
nen Urmetallen herabsenkt." Im Jahre 1826 verließ Mörike als Theologe die Uni
versität und bekleidete an verschiedenen Orten des Landes
die Stelle eines Hilfspredigers und Vikars.
Wie er aus
seiner phantasievoll verklärten Innenwelt nur ungern zu der pflichtmäßigen Ausübung seines Berufsamtes.heraustrat, so
lag ihm auch das der Jugend sonst so natürliche Verlangen
fern, die gewohnte liebe Heimat einmal mit einer, neue Hori zonte eröffnenden Umschau in der Fremde zu vertauschen.
Ihm genügte, ein paar kleine Postreisen von einer schwäbi
schen Landschaft in die andere zu machen, um sich dabei in der Freiheit eines Poetenlebens vollauf beglückt zu sehen.
Da sah er, was er in seinen seelischen Beziehungen zu sich
kannte, dieselbe Natur, mit welcher er seine Herzensplau dereien zu halten gewohnt war;
da
begegnete er jenen
Gestalten und Sitten des heimischen Volks, denen er das
innerste Wesen in ernsten und schalkhaften Zügen abzulauschen liebte.
Mehr wollte er nicht; Fremdes und Größeres sollte
nicht auf ihn einstürmen.
Ein gut Teil seiner Gedichte
ist aus jener Zeit und gleicht Tagebuchblättern seiner poeti
schen Entwicklung. Die Mußestunden des Vikariatsamts reiften aber auch die größere Arbeit eines Romans, der dann in zwei Bänden
VII 1832 erschien.
Es war der „Maler Nölten".
Um ihn zu
würdigen, darf man heilte nicht außer Acht lassen, daß er in
dem Jdeenkreis der Zeit vor fünfzig Jahren wurzelt. Damals
glühte noch die Wunderblume der Romantik im Goldlicht ihrer sinkenden Sonne. Tiecks Märchen hatten schwärmerische Verehrer, Jean Pauls Schriften hielt man wie ein Evange
lium in Ehren, La Motte-Fouque war noch Mode, E. T. A.
Hoffmanns Spllk- und Koboldgeschichten nicht minder.
Auf
der Bühne herrschten die Schicksalstragödien von Zacharias
Werner, Müllner unb Grillparzer, und des alten Goethe „Wahlverwandtschaften" mit ihrem poetischen Fatalismus übten in erneuter Anziehungskraft ihren Reiz auf einen gro
ßen Teil der deutschen Leserwelt aus.
In naher Verwandtschaft mit solchen Zeugen eines umfassenden geistigen Gärungsprozesses trat „Maler Nölten" in deren Reihen.
Bei seiner übergroßen Subjektivität folgte
Mörike mehr den poetischen Neigungen und Anregungen
seiner Natur, als daß er sich um das technische Außen
werk einer größeren Komposition genügend gekümmert hätte. So verwob er verschiedene Erzählungen ineinander und be-einträchtigte damit in der älteren Form den Eindruck des
«Ganzen.
Dieses Ganze aber charakterisierte ihn als den
Dichter, der nichts als Dichter sein wollte und der mit Geistern, Schicksalsmächten und Dämonen von Jugend auf vertrauten
Umgang hielt.
Sie alle müssen ihm wie einem ihrer Meister