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German Pages 361 [367] Year 2020
JUS PRIVATUM Beiträge zum Privatrecht Band 110
ARTIBUS INüäeEN c^lIrfS
Holger Sutschet
Garantiehaftung und Verschuldenshaftung im gegenseitigen Vertrag
Mohr Siebeck
Holger Sutscbet, geboren 1970; 1990-1995 Studium der Rechtswissenschaften in Trier; 1995 Erstes Staatsexamen; 1995-1996 wissenschaftlicher Mitarbeiter; 1998 Zweites Staatsexamen; 1999 Promotion; 2000-2006 wissenschaftlicher Assistent an der Universität Trier; 2005 Habilitation, venia legendi für die Fachgebiete Bürgerliches Recht und Arbeitsrecht; WS 2006/2007 Lehrstuhlvertretung an der Universität Trier.
978-3-16-157955-4 Unveränderte eBook-Ausgabe 2019 I S B N 3-16-148844-X ISBN-13 978-3-16-148844-3 ISSN 0940-9610 (Jus Privatum)
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2006 Mohr Siebeck Tübingen. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Ubersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Guide-Druck in Tübingen aus der Garamond belichtet, auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und von der Buchbinderei Spinner in Ottersweier gebunden.
Für Michaela
Vorwort Die juristische Fakultät der Universität Trier hat vorliegende Schrift im Sommersemester 2005 als Habilitationsschrift angenommen. Rechtsprechung und Literatur sind berücksichtigt bis Mai 2006. Dank schulde ich vornehmlich meinem akademischen Lehrer Professor Dr. Horst Ehmann, der mich während der Assistentenjahre an seinem Lehrstuhl wie auch nach seiner Emeritierung nachhaltig gefördert hat. In kritischem Hinterfragen, Beharrlichkeit und dem Bestreben, Recht sinnvoll zu gestalten, ist er Vorbild. Nach der Emeritierung meines Lehrers war ich dem Lehrstuhl seines Nachfolgers, Herrn Professor Dr. Thomas Raab, zugeordnet. Er hat mir jeden erdenklichen Freiraum gewährt und war stets auf meine Förderung bedacht; auch hat er die Mühen des Zweitgutachtens auf sich genommen und wertvolle Anregungen gegeben. Ich schulde ihm großen Dank. Danken möchte ich auch Frau Professor Dr. Gabriele Burmester (Trier) und Herrn Professor Dr. Rainer Zaczyk (Bonn, ehemals Trier), die aus ihren Personalmitteln eine Bürgschaft für die Erhaltung meiner Assistentenstelle nach der Emeritierung meines Lehrers gewährt haben. Der Deutschen Forschungsgemeinschaft danke ich für die großzügige Unterstützung der Drucklegung. Trier, im Mai 2006
Holger Sutschet
Inhaltsübersicht Einführung
1
§ 1. Historische Entwicklung der Obligation im Uberblick
3
§ 2. Begriffliche Entwicklung der Obligation
17
§3. Geldkondemnation: Grundlagen des Ersatzes des Erfüllungsinteresses
83
§4. Die Haftung auf das Erfüllungsinteresse in anderen Rechtsordnungen
181
§5. Die Haftung auf das Erfüllungsinteresse im BGB alter Fassung
215
§ 6. Die Haftung auf das Erfüllungsinteresse im BGB neuer Fassung
249
§ 7. Die Haftung auf das Integritätsinteresse
283
§8. Zusammenfassende Thesen
309
Schrifttum Sachregister
317 337
Inhaltsverzeichnis Einleitung
§ 1. Historische Entwicklung der Obligation im Uberblick I. Römisches Recht 1. Strengrechtliche Klagen 2. bonae fidei iudicia II. Gemeines Recht III. Der Obligationsbegriff bei Schaffung des BGB: das Prinzip der Einheit der Obligation IV. Nach Inkrafttreten des BGB V. Zusammenfassung
§2. Begriffliche Entwicklung der Obligation I. Die Obligation als Haftung 1. Römisches Recht 2. Schuld und Haftung 3. Ergebnis II. Vom Anspruch zur Leistungspflicht 1. Der Obligationsbegriff Savignys 2. Jherings Theorie der schuldhaften Nichterfüllung a) Darstellung b) Kritik c) Jhering und die Figur des Ubernahmeverschuldens d) Ergebnis 3. Der Obligationsbegriff Hartmanns 4. Kritik der Annahme, die Obligation sei auf eine Handlung des Schuldners gerichtet a) Erfüllung durch Dritte b) Ausbleiben des Erfolges nach Vornahme der Leistungshandlung
XII
Inhaltsverzeichnis
c) Teilbare Leistungen d) Unmöglichkeit im Falle des Untergangs einer Sache e) Die Vereinheitlichung der Leistungsgegenstände f) Der Anspruch im Prozeß und in der Vollstreckung 5. Ergebnis III. Der unerledigte Streit u m den Obligationsbegriff 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7.
Brinz: Obligatio = H a f t u n g Sohm Siber Oertmann Wieacker Jakobs Ergebnis
IV. Die Lehre von der Leistungspflicht 1. Grundlagen der Lehre von der Leistungspflicht a) Wer ist Adressat der N o r m ? b) Was ist Inhalt der Pflicht? (1) Durchsetzbarkeit der Pflicht (2) Pflicht als H a f t u n g s g r u n d
2. Die Beschränkung der Interessehaftung des Schuldners durch die A n n a h m e von Leistungs(sicherungs)pflichten . . . . a) Die N a t u r der Leistungssicherungspflichten b) Die N a t u r der Leistungspflicht c) Leistungsverhalten u n d Erfüllung 3. Erweiterung der H a f t u n g durch Leistungs(sicherungs)pflichten? 4. Das Leistensollen als Inhalt gesetzlicher Bestimmung? a) Leistensollen als Inhalt des § 241 Abs. 1 B G B b) Leistensollen als Inhalt des §194 BGB 5. Der Erfüllungsanspruch im Falle unverschuldeter Nichtleistung 6. Leistungspflicht und Opfergrenze 7. Das Mittel der Erfolgsherbeiführung als Inhalt der Obligation 8. Die Auffassung Lobingers 9. Ergebnis V. Die Lehre von der Schutzpflicht 1. Die Grundlagen der Schutzpflichtlehre 2. Schutzpflichtverletzung als »Leistungspflichtverletzung«? ..
37 39 39 40 41 42 43 43 44 45 46 48 51 52 52 52 53 54 56
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Inhaltsverzeichnis VI. H a n d l u n g und Erfolg 1. H a n d l u n g = Erfolg? 2. Handlung oder Erfolg als Gegenstand der Obligation VII. Zusammenfassung
§3. Geldkondemnation: Grundlagen des Ersatzes des Erfüllungsinteresses I. Die Unterscheidung von Schaden u n d Interesse 1. 2. 3. 4. 5.
Mommsen Neuner Mertens Keuk Knütel
II. Leistung und Geldäquivalent 1. Geldkondemnation und Schadensersatz wegen Nichterfüllung a) Erfüllungsanspruch und Garantiehaftung b) Verschiedenheit von Erfüllungsanspruch und Schadensersatzanspruch? c) U m f a n g des Erfüllungsanspruchs und des Geldersatzanspruchs 2. Keine Geldkondemnation im Falle der Nichterfüllung nicht auf Mehrung des Vermögens gerichteter Obligationen 3. Insbesondere: die Minderung im Dienstvertrag a) Putzkraft als Buchhalterin b) Das Argument des gesetzlich nicht vorgesehenen Gewährleistungsrechts c) Die Entgeltminderung als Interesseersatz 4. Ergebnis III. Die H a f t u n g auf das Interesse als Verschuldenshaftung? 1. Die Nichterfüllung als Verschuldenstatbestand 2. Die H a f t u n g im Falle nachträglicher Leistungshindernisse als Verschuldenshaftung a) Die herrschende Auffassung b) Kritik dieses Verständnisses (1) Verschulden und Vertretenmüssen (2) Beweislast und Darlegungslast
c) Ergebnis
XIII 77 77 80 81
83 84 84 85 86 87 89 90 91 91 93 96 97 99 99 100 102 103 104 104 105 105 107 107 109
113
XIV
Inhaltsverzeichnis
3. Die H a f t u n g im Falle anfänglicher Leistungshindernisse als Verschuldenshaftung IV. Geldäquivalent und Naturalrestitution 1. Ersatz in Geld 2. Ausnahmen? a) Herausgabe regelrechter Handelsware b) Sicherheitsleistung c) Eingeschränkte Differenztheorie beim Tausch d) Urlaubsanspruch 3. Die Auffassung Fischers 4. Die Auffassung Gebauers a) »Weiterentwickelter Schaden« b) »Substitutive Restitution« c) Kosten der Interessebefriedigung durch Drittleistung . . . 5. Ergebnis V. Die Berechnung des Geldäquivalentes 1. Minderwert a) Ausgleich des Fehlbestandes im Vermögen des Gläubigers b) Kein Ausgleich f ü r das Ausbleiben nicht vermögenswerter Leistungen c) Vermögensbezogene Handlungen 2. Herstellungskosten a) Anspruch auf Herstellungskosten als Erfüllungsanspruch b) Arten der Deckungsgeschäfte (1) (2) (3) (4)
Zwangsvollstreckung Materiell-rechtliche Selbstvornahmerechte Minderung Schadensersatz
c) Begrenzung der Herstellungskosten: zur Theorie der Opfergrenze (1) Die Heck'sche O p f e r g r e n z e (2) Rahmenbedingungen einer Theorie der O p f e r g r e n z e (a) Sachschulden (b) Vertretbare H a n d l u n g e n (mit A u s n a h m e der Mangelbeseitigung) (c) Mangelbeseitigung (3) Zusammenfassende Kritik
d) Ersatz »fiktiver« Erfüllungskosten? 3. Ergebnis
114 118 118 119 119 122 123 124 125 125 126 126 128 129 129 130 130 131 132 133 133 136 136 138 138 138
139 139 140 141 145 147 151
152 154
Inhaltsverzeichnis
VI. Der Vorrang der Naturalerfüllung 1. Vorrang der Naturalerfüllung zugunsten des Gläubigers? . . . 2. Vorrang der Naturalerfüllung zugunsten des Schuldners . . . . 3. Insbesondere: die vorzeitige Mangelbeseitigung a) Im Werkvertragsrecht b) Im Mietrecht c) Im Reisevertragsrecht d) Im Kaufrecht 4. Das Verhältnis von Naturalerfüllung und Geldersatz 5. Ergebnis VII. Haftung auf das Interimsinteresse im Falle »unverschuldeten Verzugs« 1. Entschädigung des Vermieters bei verspäteter Rückgabe, §546a Abs. 1 BGB 2. Haftung bei Herausgabepflicht, §292 BGB 3. Geld a) Prozeßzinsen, §291 BGB b) Fälligkeitszinsen gemäß §452 BGB a.F. c) Fälligkeitszinsen im geltenden Recht 4. Gattungsschulden a) Nach Konkretisierung b) Vor Konkretisierung 5. facere 6. Interesseersatz ohne Verschulden VIII. Zusammenfassung
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§ 4 . D i e H a f t u n g auf das E r f ü l l u n g s i n t e r e s s e in a n d e r e n Rechtsordnungen I. Französisches Recht 1. Das Haftungskonzept des Code civil 2. Das vertragliche Haftungsmodell in der französischen Lehre II. Common Law 1. Überblick 2. Historische Entwicklung 3. Verschuldensunabhängige und verschuldensabhängige Haftung
181 181 181 183 187 187 187 189
XVI
Inhaltsverzeichnis
III. U N - K a u f r e c h t IV. Unidroit-Prinzipien V. Principles of European Contract Law 1. Die Haftungsregelung 2. Das Prinzip der H a f t u n g u n d Entlastung 3. Die Reichweite des Entlastungstatbestandes a) Der Wortlaut des Art. 8:108 P E C L b) Die Voraussetzungen der Befreiung c) Insbesondere: die U b e r w i n d u n g des Leistungshindernisses VI. Principles of European Sales Law / Services VII. Gandolfi VIII. Zusammenfassung
§5. Die H a f t u n g auf das Erfüllungsinteresse im BGB alter Fassung I. Das Verständnis der gesetzlichen Regelung auf Grundlage des Prinzips der Einheit der Obligation 1. Das Prinzip der H a f t u n g des Schuldners 2. Das Prinzip der Befreiung des Schuldners a) §275 A b s . l BGB a.F. (1) B e f r e i u n g des Schuldners (2) D a s M i ß v e r s t ä n d n i s : B e s c h r ä n k u n g der B e f r e i u n g s w i r k u n g auf die P r i m ä r l e i s t u n g (3) D a s V e r t r e t e n m ü s s e n i.S.d. §275 Abs. 1 B G B a.F. (a) V e r t r e t e n m ü s s e n als Verschulden gegen sich selbst . . . . (b) D i e E i n b e z i e h u n g vorvertraglicher U m s t ä n d e in d e n Begriff des V e r t r e t e n m ü s s e n s (4) Beweislast, §282 B G B a . E
b) §275 Abs.2 BGB a.F. c) Opfergrenze d) Ergebnis 3. Der Funktionswandel des §275 Abs. 1 B G B a.F. a) Befreiung und Gefahrtragung b) Ergebnis 4. Der Vorrang des Erfüllungsanspruchs a) §283 BGB a.F. (1) F u n k t i o n : E r s p a r e n des Z w a n g s v o l l s t r e c k u n g s v e r s u c h s . . . (2) V o r a u s s e t z u n g e n : kein V e r s c h u l d e n s e r f o r d e r n i s
b) Sonstige Befreiungstatbestände
192 196 201 201 202 203 203 205 206 208 210 212
215 215 215 216 217 217 218 219 219 223 227
228 231 231 232 232 235 236 237 237 238
240
Inhaltsverzeichnis
5. Ergebnis II. Das Verständnis der gesetzlichen Regelung des B G B alter Fassung im 20. Jahrhundert auf Grundlage der überwiegend vertretenen Auffassung 1. Das Prinzip der H a f t u n g des Schuldners a) Gesetzliche Anspruchsgrundlagen des Schadensersatzanspruchs b) Verschulden und verschuldensunabhängige H a f t u n g . . . . c) Die Aufgabe des Prinzips der Einheit der Obligation . . . . 2. Das Prinzip der Befreiung des Schuldners III. Zusammenfassung
§6. Die Haftung auf das Erfüllungsinteresse im BGB neuer Fassung I. Methodische Vorüberlegung II. Das fehlerhafte Verständnis des Rechts alter Fassung als Grundlage des Rechts neuer Fassung: Z u m Prinzip der Einheit der Obligation III. Die Befreiung des Schuldners vom Geldersatz 1. Die H a f t u n g im Falle anfänglicher Leistungshindernisse . . . . a) Die Dogmatik des §311a BGB aus der Sicht des Gesetzgebers b) Die Dogmatik des §31 l a BGB aus der Sicht der Literatur (1) Die überwiegend vertretene Auffassung (2) Die Auffassung Schapps (3) Die (gewandelte) Auffassung von Canaris
c) Die Dogmatik des §311a BGB aus der Sicht der hier vertretenen Auffassung
XVII 241
241 241 241 242 243 244 245
249 249
250 251 251 251 254 254 256 256
258
(1) D i e F u n k t i o n e n von §31 la Abs. 1 u n d Abs. 2 S. 1 B G B (2) Die F u n k t i o n von § 311a Abs. 2 S.2 BGB
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d) Ergebnis 2. Die H a f t u n g im Falle nachträglicher Leistungshindernisse .. a) Die Dogmatik der §§280ff. B G B aus der Sicht des Gesetzgebers b) Die Dogmatik der §§280ff. B G B aus der Sicht der Literatur
264 264 264 266
XVIII
Inhaltsverzeichnis
c) Die Dogmatik der §§280ff. B G B aus der Sicht der hier vertretenen Auffassung (1) Die Haftungskonzeption des § 2 8 0 Abs. 1 B G B (2) Vertretenmüssen i.S.d. § 2 8 0 Abs. 1 S.2 B G B (3) Umfang des Vertretenmüssens
268 268 269 270
d) Geldersatz ohne positiv geregelte Anspruchsgrundlage . .
273
e) Ergebnis
276
3. Der Umfang des Schadensersatzes statt der Leistung
276
IV. Die Befreiung des Schuldners vom Erfüllungsanspruch
278
V. Zusammenfassung
§ 7. Die Haftung auf das Integritätsinteresse I. Grundlagen der Haftung auf das Integritätsinteresse 1. Haftung für Integritätsschäden als Verschuldenshaftung . . . .
279
283 284 284
a) Integritätsschäden durch »unerlaubte Handlung«
284
b) Integritätsschäden durch Nichterfüllung
285
(1) Verletzung der Leistungspflicht (Nichterfüllung) als haftungsbegründendes Verhalten?
286
(2) Verletzung einer Schutzpflicht als haftungsbegründendes Verhalten (3) Das haftungsbegründende Verhalten
c) Integritätsschäden durch Schlechtlieferung (1) Das vertragswidrige Verhalten (2) Das Verschulden
d) Ergebnis 2. Haftung für Integritätsschäden als Garantiehaftung
286 287
288 288 291
293 293
a) Die Auffassung Raapes
293
b) Erfolg und Verhalten als Inhalt der Obligation
295
c) Prototypen der Garantiehaftung auf das Integritätsinteresse
296
(1) Custodia
296
(2) Haftung des Gastwirts
299
(3) Haftung des Frachtführers
300
3. Garantiehaftung und Verschuldenshaftung für Integritätsschäden II. Die konzeptionelle Umsetzung der Schadenshaftung im B G B . .
300 303
1. Vertragswidriges Verhalten als Pflichtverletzung
303
2. Erfolg als Pflichtverletzung
305
III. Zusammenfassung
306
Inhaltsverzeichnis
§ 8. Zusammenfassende Thesen I. Grundlagen der vertraglichen H a f t u n g II. Geldkondemnation
XIX
309 309 311
III. Umsetzung der Erfüllungshaftung im BGB
313
IV. H a f t u n g auf das Integritätsinteresse
316
Schrifttumsverzeichnis
317
Sachregister
337
Einleitung »In einer modernen Welt... wird man dem inneren Sinn des Lebensverhältnisses >Vertrag< besser gerecht, wenn man in den Vertragserklärungen der Parteien grundsätzlich nicht bloß das Versprechen erblickt, daß jeder nach besten Kräften auf die Herbeiführung des zugesagten Erfolges hinwirken wolle, sondern wenn man - was auch rechtspolitisch gesünder ist - dieses Versprechen prinzipiell als die Übernahme einer entsprechenden Garantie auffaßt«. Diesem Votum von Zweigertl Kötz für die Garantiehaftung liegt die Vorstellung zugrunde, das deutsche Recht sei von dem Verschuldensprinzip beherrscht, wodurch es sich von anderen Rechtsordnungen, insbesondere dem common law und Einheitsrechten, grundlegend unterscheide. Vorliegende Arbeit untersucht, inwieweit die Auffassung zutrifft, daß für das deutsche Leistungsstörungsrecht das Verschuldensprinzip gilt. Ihr wichtigstes Anliegen besteht in dem Bemühen um den Nachweis, daß die Haftung des Schuldners für das Leistungsinteresse des Gläubigers im Grundsatz nicht eine Verschuldenshaftung ist, sondern eine Garantiehaftung: soweit die Parteien einen Erfolg zum Gegenstand des Vertrags machen, hat der Schuldner für die Erreichung des Erfolgs einzustehen. Gegenüber der Annahme, im deutschen Recht hafte der Schuldner nur für die verschuldete Nichterfüllung, zeigt die Betrachtung der historischen (§1) und begrifflichen (§2) Entwicklung der Obligation ein ganz anderes Bild: der Schuldner muß den geschuldeten Erfolg bewirken oder statt seiner ein Geldäquivalent leisten. Das Geldäquivalent erscheint nicht als eigener Anspruch, sondern als alternativer Inhalt des Erfüllungsanspruchs (Einheit der Obligation). Damit aber entbehrt der Anspruch auf das Geldäquivalent des Verschuldenserfordernisses. Diese im Erfüllungsanspruch gelegene Haftung findet ihre Grenze dort, wo der Schuldner von der Obligation befreit wird, weil die Voraussetzungen eines Befreiungstatbestandes (§275 B G B ) gegeben sind. Das Konzept, welches der Haftung für das Erfüllungsinteresse zugrunde liegt, ist also die Garantiehaftung mit Entlastungsmöglichkeit. Auf das Verschuldensprinzip hingegen kann die Haftung auf das Erfüllungsinteresse hinsichtlich anfänglicher Leistungshindernisse nicht und hinsichtlich nachträglicher Leistungshindernisse nicht sinnvoll gestützt werden. Die Garantiehaftung des Schuldners für das Erfüllungsinteresse ist darauf gerichtet, dem Gläubiger das in Geld zukommen zu lassen, was ihm in Natur ver-
2
Einleitung
sprochen, aber nicht geleistet wurde (Geldkondemnation). Voraussetzung dieser Haftung ist daher, daß die Schuld darauf gerichtet ist, einen Erfolg im Vermögen des Gläubigers herbeizuführen, welcher durch Geld substituierbar ist. Das ist nicht hinsichtlich aller Leistungsgegenstände der Fall: insbesondere Handlungen können als solche nicht Bestandteil des Vermögens werden. Aus dem Prinzip der Geldkondemnation erklären sich vielfältige Erscheinungen des geltenden Rechts, insbesondere die Zusammenhänge zwischen den verschiedenen »Ansprüchen«, mit denen der Gläubiger dasselbe Ziel, nämlich die Befriedigung seines Leistungsinteresses, verfolgen kann (§3). Ein Blick in die Konzeption der Nichterfüllungshaftung anderer Rechtsordnungen zeigt, daß diese vornehmlich dem Prinzip der Garantiehaftung mit Entlastungsmöglichkeit folgt und daher mit dem hier vertretenen Verständnis des Haftungsrechts, wie es sich aus dem Bau der Obligation ergibt, übereinstimmt (§4). Das B G B alter Fassung war in solcher Weise konzipiert, daß der Ersatz des Erfüllungsinteresses sich aus dem Fortbestand der Obligation ergab, welche einheitlich auf die Naturalleistung oder deren Geldwert gerichtet war (Einheit der Obligation). Von der einheitlichen Obligation wurde der Schuldner entweder befreit oder er blieb verpflichtet. Demgegenüber wurde zum B G B alter Fassung überwiegend die Auffassung vertreten, daß eine »Primärebene« und eine »Sekundärebene« zu unterscheiden seien, daß also die Frage der Befreiung des Schuldners von der Naturalleistung eine andere Frage sei als die Frage nach der Haftung auf das Erfüllungsinteresse. Dieses Verständnis wurde Grundlage des Gesetzes zur Modernisierung des Schuldrechts (§ 5). Den geänderten Vorschriften des B G B neuer Fassung liegt also zum Teil ein Verständnis zugrunde, welches nach unserer Auffassung unzutreffend ist. Die Konzeption des Nichterfüllungsrechts enthält nunmehr Verwerfungen, deren Beseitigung umso erschwerter ist, je mehr Gewicht auf den »Willen des Gesetzgebers«, welcher von einem nicht stringenten Verständnis des Leistungsstörungsrechts ausging, gelegt wird (§6). Anders als die Haftung auf das Erfüllungsinteresse, welche, soweit das Schuldverhältnis auf einen Erfolg gerichtet ist, grundsätzlich als Garantiehaftung zu begreifen ist, ist die Haftung des Schuldners für Schäden grundsätzlich vom Verschulden abhängig. Auch der Integritätsschutz kann aber als Erfolg zum Gegenstand des Vertrags gemacht werden mit der Folge, daß den Schuldner im Falle der Schädigung eine Garantiehaftung trifft (§7).
§ 1. Historische Entwicklung der Obligation im Uberblick I. Römisches Recht Die ursprüngliche W i r k u n g des Schuldverhältnisses im altrömischen Recht besteht in der Haftung des Schuldners 1 . Erfüllt er ein Versprechen, das ihn z u m Schuldner macht, nicht, so w i r d er mit seiner Person dem Zugriff des Gläubigers unterworfen. Indem der Schuldner die Leistung erbringt, wird dieses Zugriffsrecht des Gläubigers beseitigt. In dieser Vorstellung schuldet der Schuldner nicht 2 , sondern er haftet nur. Die Leistung erfolgt nicht zur Erfüllung einer Schuld, sondern zur A b w e n d u n g des Zugriffs des Gläubigers auf die Person des Schuldners. Mit dem Gedanken, daß der Schuldner nicht bloß in eigenem Interesse die Haftung vermeiden soll, sondern daß er sich im Interesse des Gläubigers durch Leistung befreien soll, tritt die Vorstellung der Schuld neben die Haftung 3 . In vorklassischer Zeit umfaßt der Begriff der obligatio daher bereits beides: Schuld und Haftung 4 . Das dem römischen Recht typische aktionenrechtliche Denken führt dazu, daß der jeweilige Inhalt der obligatio wesentlich dadurch bestimmt wird, welche actio der Gläubiger aus dem Schuldverhältnis erheben kann. Hierbei ist im wesentlichen zu unterscheiden zwischen strengrechtlichen Klagen und bonae fidei iudicia. 1. S t r e n g r e c h t l i c h e K l a g e n Im Falle der Stipulation w a r die Verpflichtung des Schuldners auf die Herbeiführung eines bestimmten Erfolgs gerichtet; eine Feststellung von Verhaltenspflichten des Schuldners kam nicht in Betracht. Für die Klage des Gläubigers w a r daher Käser, Das römische Privatrecht I, §§ 39f.; Kaser/Knütel, Römisches Privatrecht, § 32 Rdz. 3. Käser (Das römische Privatrecht I, §39 II 3) spricht von einer Obliegenheit; Zimmermann, Law of Obligations, S. 5. 3 Käser, Das römische Privatrecht I, §40 III. 4 Käser, Das römische Privatrecht I, § 113; Rheinstein, Die Struktur des vertraglichen Schuldverhältnisses im anglo-amerikanischen Recht, S. 124f.; Jakobs, Unmöglichkeit und Nichterfüllung, S. 173; Kaser/Knütel, Römisches Privatrecht, §32 Rdz. 21. 1
2
4
§ 1. Historische
Entwicklung
der Obligation
im
Überblick
nicht entscheidend, wie der Schuldner sich verhalten hatte, sondern alleine, ob der Erfolg eingetreten oder nicht eingetreten war. War allerdings der Erfolg unmöglich geworden, so konnte eine Verurteilung nicht stattfinden: der Schuldinhalt war in solchem Falle gegenstandslos. Wegen des Prinzips der Geldkondemnation 5 hatte die Verurteilung zwar nicht auf die unmögliche Leistung zu lauten, sondern auf Zahlung einer Geldsumme. Jedoch setzte die Verurteilung voraus, daß die Klageformel 6 wahr war 7 , und an dieser Voraussetzung fehlte es im Falle der Unmöglichkeit. Eine Änderung der Klageformel kam aber nicht in Betracht, weil infolge der Strenge der Formularklage nur diese bestimmte Klage mit dieser Formel erhoben werden konnte 8 . Dies führte dazu, daß im Falle der Unmöglichkeit eine Verurteilung des Schuldners notwendig ausscheiden mußte 9 ; es kam weder darauf an, ob die Unmöglichkeit - nach heutigem Verständnis - eine anfängliche oder nachträgliche, noch darauf, ob es eine zu vertretende oder nicht zu vertretende war 10 . Freilich führte diese Auffassung zu einer Haftungslücke zumindest hinsichtlich der nachträglichen Unmöglichkeit, deren Eintritt der Schuldner verschuldet hatte. Diese Haftungslücke wurde überwunden durch die perpetuatio obligationis, die Fiktion 11 des Fortbestandes des Leistungsgegenstandes 12 . Diese Fiktion ließ die Verurteilung des Schuldners in eine bestimmte Summe Geldes zu. Angenommen wurde eine perpetuatio obligationis allerdings lediglich dann, wenn die Unmöglichkeit während des Verzugs des Schuldners eintrat oder dann, wenn der Schuldner die Unmöglichkeit durch positives Tun herbeiführte 13 ; trat die Unmöglichkeit hingegen infolge eines Unterlassens des Schuldners ein, wurde keine perpetuatio obligationis angenommen, weil hierdurch der Pflichteninhalt des 5 Käser, Das römische Zivilprozeßrecht, §54 IV 1; anders sodann im Kognitionsverfahren, Kaser/Hackl, Das römische Zivilprozeßrecht, §74 I 2. 6 Die intentio war auf die ursprüngliche Leistung zu richten; der Geldwert, in den verurteilt wird, gehörte hingegen erst zur condemnatio (Kaser/Hackl, Das römische Zivilprozeßrecht, §45 II mit Fn. 7). 7 Die intentio war als Bedingung formuliert (Kaser/Hackl, Das römische Zivilprozeßrecht, § 45 II). Die Unmöglichkeit der Leistung hatte zur Folge, daß die Bedingung für die Verurteilung nicht vorlag. 8 Windscheid meinte, zur Entwicklung der perpetuatio obligationis habe die Erwägung geführt, daß der Umfang des zu leistenden Interesses von dem ursprünglichen Leistungsgegenstand abhängig ist (Lehrbuch des Pandektenrechts, 7. Aufl., §264 Fn. 7). Träfe dies zu, so hätte es der perpetuatio obligationis auch bei Innominatkontrakten bedurft, was aber gerade nicht der Fall war; Brinz, Lehrbuch der Pandekten 2,1, §266 Ziff. 3. 9 Käser, Das römische Privatrecht I, S. 513; Kley, Unmöglichkeit und Pflichtverletzung, S. 74f. 10 A.A.Jakobs, Unmöglichkeit und Nichterfüllung, S. 178ff., der die perpetuatio obligationis alleine durch das Vertretenmüssen bedingt sieht; dagegen Harke, JbJgZivRWiss 2001, S.40 mit Fn. 49. 11 Anders Flume, Rechtsakt und Rechtsverhältnis, S. 104. 12 Käser, Das römische Privatrecht I, S. 513f.; Kley, Unmöglichkeit und Pflichtverletzung, S. 75; Zimmermann, Law of Obligations, S. 784f. 13 Rabel, FS Bekker, S. 195, der diesen Satz auch auf die bonae fidei iudicia bezieht (s. auch S.201); Käser, Das römische Privatrecht I, S.514.
I. Römisches
Recht
5
Schuldners erweitert worden wäre. Der darin liegenden Inkonsistenz dieser Auffassung, daß auch die Verpflichtung des Schuldners zum Unterlassen der Herbeiführung der Unmöglichkeit durch positives Tun eine Erweiterung des Pflichteninhalts gegenüber dem Wortlaut der stipulatio begründete, verschloß man sich 14 . Ebenso wie bei der strengrechtlichen Obligation die Erweiterung der Schuldnerpflichten ausschied, weil nur der Erfolg, nicht aber ein Verhalten geschuldet war, mußte andererseits der Umstand unberücksichtigt bleiben, daß der Erfolg nicht eintrat, obgleich der Schuldner sich sorgfältig verhalten hatte 15 . Die Berücksichtigung dieses Umstandes hätte eine Reduzierung des Schuldinhalts auf sorgfältiges Verhalten bedeutet. Dies aber war gerade nicht der Inhalt der Obligation; diese ging vielmehr auf Herbeiführung des versprochenen Erfolges. Trat dieser nicht ein, so konnte der Schuldner sich der Verurteilung nur im Falle der nicht zu vertretenden Unmöglichkeit, nicht aber in sonstigen Fällen entziehen 16 . Das Unvermögen und die bloße Schwierigkeit der Leistung waren daher grundsätzlich17 unbeachtlich. 2. bonae fidei iudicia Die bonae fidei iudicia, zu denen insbesondere Klagen aus Kaufvertrag gehörten 18 , sind hingegen auf quidquid darefacere oportet exfide bona gerichtet 19 . Diese Klageformel erlaubt es dem Richter, den Pflichteninhalt des Vertrages20 zu bestimmen und das Verhalten des Schuldners hieran zu messen. Eine Verurteilung in eine bestimmte Summe Geldes findet dann statt, wenn der Schuldner gegen diese Harke, JbJgZivRWiss 2001, S.42, 44. Es ist daher schief, wenn Käser (Das römische Privatrecht I, § 1 1 9 1 1 ) diesen Tatbestand unter der Uberschrift »Die Obligationsverletzungen« abhandelt. Richtig stellt er (im Hinblick auf Geld- und Gattungsschulden) fest: »Die Leistung bleibt objektiv immer möglich«. Die Nichterbringung der möglichen Leistung verhilft der Klage also zum Erfolg; ein Verschulden des Beklagten, worauf der Begriff »Obligationsverletzung« hindeutet, ist für die Verurteilung nicht erforderlich. 16 Ausgehend von dem Begriff der Obligationsverletzung meint Käser (Das römische Privatrecht I, § 119 12) gerade umgekehrt, àie perpetuatio ohligationis habe nur die zu vertretende Unmöglichkeit und die Unmöglichkeit während des Schuldnerverzugs als Tatbestände der Obligationsverletzung zugelassen. Diese Annahme ist unverträglich mit den Grundsätzen des Formularprozesses, nach denen der Kläger die actio gerade nicht auf den Tatbestand einer Obligationsverletzung stützen konnte. 17 Ausnahmsweise kam ein Ruhen der Verpflichtung in Betracht; Harke, JbJgZivRWiss 2001, S. 43 mit Fn. 68. 18 Käser, Das römische Privatrecht I, § 114 IV und § 130 V. 19 Käser, Das römische Privatrecht I, § 114 IV. 2 0 Zu der Verrechtlichung ursprünglich ethischer Pflichten Käser, Das römische Privatrecht I, § 114IV 1 : »Sie [sc. die Prätoren] stützen diese Klagen mangels einer lex auf die bona fides und damit auf eine ethische, mithin zunächst außerrechtliche Verhaltensbindung, die sie aber in eine rechtliche Gebundenheit umprägen und damit in einer Reihe von Rechtsgeboten konkretisieren«. Diese Entwicklung durchläuft jüngst (nochmals) Schur, Leistung und Sorgfalt, S. 96ff. 14
15
6
§ 1. Historische
Entwicklung
der Obligation
im
Überblick
Pflichten verstoßen hat 21 . Entscheidend für die Verurteilung ist also nicht das Ausbleiben der Erfüllung, sondern das Verhalten des Schuldners. Hat etwa der Verkäufer die Unmöglichkeit der Leistung nachträglich herbeigeführt, indem er die Sache zerstört oder den Sklaven freigelassen hat, so wird er auf die Klage des Käufers hin verurteilt, nicht, weil die versprochene Leistung ausbleibt, sondern weil der Verkäufer sich nicht so verhalten hat, wie er es hätte müssen. Der Vorstellung einer perpetuatio obligationis bedurfte es im Falle der Unmöglichkeit nicht, weil die Klageformel durch ihre Flexibilität die Verurteilung aufgrund des Verstoßes gegen Verhaltenspflichten zuließ 22 . Ebensowenig bedurfte es überhaupt Unmöglichkeitsregeln, denn die Klageformel wie auch das Urteil waren im Falle zu vertretender Verzögerung und im Falle zu vertretender Unmöglichkeit identisch, auf die Möglichkeit der Leistung kam es daher nicht an. Die bonae fidei iudicia eröffneten zugleich die Möglichkeit, die Bindung des Schuldners an das Schuldverhältnis über die Pflicht zur Leistungserbringung hinaus zu erweitern und auch aus der Verletzung von Schutz- und Treuepflichten zu verurteilen 23 . Die Flexibilität dieser Klage ermöglicht es also, den Inhalt der Obligation über die Leistungserbringung hinaus zu erweitern und weitere Verhaltenspflichten zu ihrem Inhalt zu machen.
II. Gemeines
Recht
Im gemeinen Recht erscheint die Schadensersatzhaftung wegen Nichterfüllung lediglich als anderer Gegenstand der Obligation. Die Obligation wurde als einheitlich begriffen; eine Aufgliederung in Primärleistung und Sekundärleistung fand nicht statt 24 . Der Schuldner war entweder obligiert oder frei. War er obligiert, so schuldete er die Leistung und, wenn er sie nicht erbrachte, ein Geldäquivalent25; war er frei, so schuldete er weder die Leistung noch ein Äquivalent. UraKley, Unmöglichkeit und Pflichtverletzung, S.72ff. Zimmermann, Law of Obligations, S.806f. 23 Käser, Das römische Privatrecht I, § 114 IV 3. 24 Neuner, Wesen und Arten der Privatrechtsverhältnisse, S. 67; Dernburg, Pandekten, §23 V: »Bei allen Obligationen ist Geldersatz der eventuelle Gegenstand der Obligation. Er ist dem Gläubiger stets zu gewähren, wenn ihm das Geschuldete nicht geleistet wird und wenn sich diese Leistung nicht oder nicht füglich erzwingen läßt.« 25 Mommsen, Interesse, S.65, für den Fall des anfänglichen unbehebbaren Sachmangels: »In diesen Fällen muß, da die Obligation trotz der theilweisen Unmöglichkeit ihrem ganzen Umfange nach wirksam ist, ein Äquivalent für die Leistung, soweit sie nicht beschafft werden kann, prästirt werden«; für den Fall anfänglicher Hindernisse, die keine »wahre Unmöglichkeit« begründen: »Die Obligation ist in diesen Fällen regelmäßig wirksam, und eben deshalb ein Äquivalent für die Leistung zu geben«; S.65f. für den Fall der nachträglichen zu vertretenden Unmöglichkeit: »... so ist immer ein Äquivalent für den ursprünglichen Gegenstand der Obligation zu prästiren«; S. 66 für den Fall nachträglicher Hindernisse, die keine »wahre Unmöglichkeit« begründen: »Da diese auf die Wirksamkeit der Obligation keinen Einfluß haben, so ist hier der Schuld21 22
II. Gemeines Recht
7
stritten war lediglich, ob der Schuldner stets (sofern keine Befreiung eintrat) das Interesse zu leisten hatte, wie Mommsen meinte, oder ob er nur im Falle einer Verschuldung das Interesse leisten mußte 26 , im übrigen aber nur den »gemeinen Werth« 27 . Man glaubt, daß im Falle der verschuldeten Unmöglichkeit die Obligation eine Veränderung erleide, indem ihr ursprünglicher Gegenstand in eine Geldleistung umgesetzt wird 2 8 . Windscbeid29 unterscheidet im Anschluß an Mommsen30 die anfängliche von der nachträglichen Unmöglichkeit; innerhalb der anfänglichen Unmöglichkeit unterscheidet er die objektive und die subjektive Unmöglichkeit, innerhalb der nachträglichen Unmöglichkeit die schuldhafte und die nicht schuldhafte; dieses Modell sollte das des B G B werden 31 . Die anfängliche objektive Unmöglichkeit lasse eine Forderung weder auf die Leistung selbst noch auf ein Geldäquivalent entstehen 32 ; die anfängliche subjektive Unmöglichkeit hindere die Entstehung des Forderungsrechtes nicht, dieses habe aber ein Geldäquivalent statt der unmöglichen Leistung zum Gegenstand 3 3 . Im Falle nachträglicher nicht schuldhafter Unmöglichkeit (worunter auch das Unvermögen begriffen wird) sei der Schuldner frei; im Falle des Verschuldens müsse der Schuldner das Interesse des Gläubigers leisten. Für den Fall, daß der Schuldner zur Leistung des Interesses verpflichtet bleibt, nimmt Windscheid den Fortbestand der ursprünglichen Forderung, nunmehr gerichtet auf einen anderen Gegenstand, an 34 : » D a s dabei stattfindende rechtliche Verhältniß ist nicht etwa so zu denken, daß das bisher bestandene Forderungsrecht durch die eingetretene Unmöglichkeit der Leistung untergegangen, zugleich aber durch die Verschuldung des Schuldners ein anderes Forderungsrecht gegen denselben begründet worden sei. Sondern das jetzt vorhandene Forderungsrecht ist das alte ...«
ner verpflichtet, ein Äquivalent zu leisten«; endlich hinsichtlich der alleine auf dem Willen des Schuldners beruhenden Nichterfüllung: »Hier kann es gleichfalls nicht zweifelhaft sein, daß, sofern die ursprüngliche Leistung nicht erzwungen werden kann, ein Äquivalent geleistet werden muß.« 26 Arndts, Pandekten, §206. 27 Arndts, Pandekten, §222. 28 Brinz, Lehrbuch der Pandekten, 2,1, §264; auch §281 (S.344); Arndts, Pandekten, §250. 2 9 Insgesamt zum folgenden Lehrbuch des Pandektenrechts, 7. Aufl., §264. 3 0 Die Unmöglichkeit der Leistung in ihrem Einfluß auf obligatorische Verhältnisse, 1853. 31 Vgl. U. Huber, Leistungsstörungen I, S. 77; Coing, Europäisches Privatrecht, Band II, S.464. 32 §315. 33 §315: »Ist die Unmöglichkeit eine bloß subjective, so thut sie der Gültigkeit des Vertrages keinen Eintrag; der Schuldner muß statt der Leistung, welche ihm unmöglich ist, dem Gläubiger sein Interesse in Geld vergüten«. 34 §264 Fn. 7.
§ 1. Historische
8
Entwicklung
der Obligation
im
Überblick
Im Falle nachträglicher schuldhafter subjektiver Unmöglichkeit bleibe auch der Gegenstand des Forderungsrechts derselbe und die Beitreibung eines Geldäquivalentes sei lediglich ein Notbehelf 35 . An anderer Stelle 36 formuliert Windscbeid den Gedanken so: »Das Forderungsrecht kann, ohne seine Existenz zu verlieren, verändert werden« und erläutert die Wendung »ohne seine Existenz zu verlieren« mit den Worten 37 : »das jetzt vorhandene Forderungsrecht ist kein neu erzeugtes; es ist kein anderes Individuum, als das früher vorhandene Forderungsrecht«. Unter einer solchen »Veränderung des Forderungsrechts« 38 begreift Windscheid insbesondere auch die Unmöglichkeit der Leistung. Ob Windscheid eine Verurteilung des Schuldners zu einer unmöglichen Leistung zulassen wollte, ist unklar, seine Bemerkungen hierzu erscheinen widersprüchlich. Einerseits meinte er, im Falle schuldhafter nachträglicher Unmöglichkeit könne »das Forderungsrecht auf den ursprünglichen Leistungsgegenstand ebensowenig fortbestehen, wie es darauf hätte entstehen können; es besteht nur mit verändertem Leistungsgegenstand fort« 39 . Andererseits meint Windscheid, im Prozeß berufe sich der Kläger auf sein Forderungsrecht und der Schuldner müsse nicht bloß Unmöglichkeit der Leistung darlegen und beweisen, sondern auch sein fehlendes Verschulden, weil nicht jede irgendwie eingetretene Unmöglichkeit der Leistung das Forderungsrecht aufhebe40.
III. Der Obligationsbegriff bei Schaffung des BGB: das Prinzip der Einheit der Obligation Bei Schaffung des B G B war die Unterscheidung des römischen Rechts zwischen strengrechtlichen und anderen Klagen längst überwunden. Der im Hinblick auf die strengrechtlichen Klagen entwickelten Unmöglichkeitsregeln des römischen Rechts hätte es daher dann nicht mehr bedurft 41 , wenn man als Inhalt der Obligation alleine die Schuldnerpflichten, nicht den zu bewirkenden Erfolg angesehen hätte. Im Hinblick darauf wurde die Vorschrift des §275 Abs. 1 B G B a.F. in der zweiten Kommission für entbehrlich gehalten, weil sie nur etwas Selbstverständliches ausspreche, nämlich daß der Schuldner nichts schulde, was er nicht ver-
§264 Fn. 7. §327. 3 7 §327 Fn. 1. 38 So die Überschrift zu Ziffer VI. des Ersten Kapitels. 3 9 §264 Fn. 7. 4 0 § 265 Fn. 17. Die Stelle läßt die Möglichkeit zu, daß der Antrag des Klägers auf Schadensersatz gerichtet ist, erzwingt diese Interpretation aber nicht. 41 Weshalb Rubel dem Gesetzbuch vorgeworfen hat, sein Heil in der Stipulationstheorie zu suchen; FS Bekker, S.201. 35
36
III.
Obligationsbegriff
bei Schaffung
des BGB: das Prinzip der Einheit der Obligation
9
sprochen habe 4 2 . Inhalt des Erfüllungsanspruchs ist aber, wenn die Parteien einen E r f o l g z u m Gegenstand des Schuldverhältnisses gemacht haben, dieser Erfolg, nicht aber ein Verhalten des Schuldners und deshalb dient eine Regelung wie die des § 2 7 5 A b s . 1 B G B a.F. dazu, den Schuldner von der darin gelegenen Garantiehaftung zu befreien 4 3 . D i e Einheitlichkeit der Obligation liegt der K o n z e p t i o n des B G B zugrunde 4 4 . E s w u r d e nicht einmal erwogen, den auf dem B o d e n des gemeinen Rechts selbstverständlichen Satz 4 5 , daß der Schuldner, wenn er die bestehende Verpflichtung nicht erfüllt, ein »Äquivalent zu prästiren« habe, besonders
auszusprechen.
D u r c h den einklagbaren Erfüllungsanspruch 4 6 und dessen Vorrang vor Schadensersatzansprüchen drohte allerdings die Einheitlichkeit der Obligation, die unter d e m Prinzip der G e l d k o n d e m n a t i o n keiner E r w ä h n u n g bedurfte und deren man sich nicht einmal bewußt zu werden brauchte, zwar nicht vergessen zu werden, jedoch war die Sicherung des Vorrangs des Erfüllungsanspruchs ein erster A n s a t z zur Trennung
des »Primärleistungsanspruchs« von d e m » S e k u n d ä r a n s p r u c h «
und somit ein erster Schritt weg von der Einheitlichkeit der Obligation. S o schrieb v. Kübel in der B e g r ü n d u n g seines Vorentwurfes 4 7 : »... ebensowenig, als der Schuldner d e m G l ä u b i g e r statt der N a t u r a l e r f ü l l u n g etwas anderes, etwa ein Äquivalent aufdringen kann, [kann] der G l ä u b i g e r nach seinem Belieben v o n d e m Schuldner statt N a t u r a l e r f ü l l u n g ein Äquivalent verlangen 4 8 ... J e d e s Schuldverhältnis berechtigt und verpflichtet eben nur zu derjenigen L e i s t u n g , auf welche es gerichtet ist. E s m ü s s e n also b e s o n d e r e G r ü n d e vorhanden sein oder eintreten, welche d e m G l ä u b i g e r das Recht gewähren, statt der N a t u r a l e r f ü l l u n g o d e r neben derselben etwas A n d e r e s o d e r Weiteres zu verlangen«.
In dieser Formulierung erscheint das Schuldverhältnis nicht mehr auf G e l d als alternativen Inhalt der Obligation gerichtet, vielmehr wird der Geldersatz ausdrücklich als »etwas A n d e r e s « bezeichnet, auf welches das Schuldverhältnis nicht gerichtet ist. Hinsichtlich der infolge eines von d e m Schuldner zu vertretenden U m s t a n d e s nachträglich eingetretenen und der zufälligen U n m ö g l i c h k e i t bemerkt v. Kübel hingegen an anderer Stelle:
Mugdan, S.528f. Den Eingang der Unmöglichkeitsvorschriften in das Gesetz begreift Harke als »List der Vernunft« (JbJgZivRWiss 2001, S.47): der Erfüllungsanspruch sei an die Stelle der strengrechtlichen Klage getreten und bedürfte der Unmöglichkeitslehre, um den Schuldner von der im Erfüllungsanspruch angelegten Erfolgshaftung zu befreien, weil ein nicht zu bewirkender Erfolg nicht geschuldet sein dürfe. 44 Zimmer, N J W 2002, 2. 45 Würthwein, Zur Schadensersatzpflicht wegen Vertragsverletzungen im Gemeinen Recht des 19. Jahrhunderts, S.69ff. 4 6 Zu dessen Entstehung Nehlsen-von Stryk, AcP 193 (1993), 529ff. 4 7 Recht der Schuldverhältnisse, S. 857. 4 8 Dieser Satz geht wohl zurück auf Neuner, Wesen und Arten der Privatrechtsverhältnisse, S. 67. 42 43
§ 1. Historische Entwicklung der Obligation im Überblick
10
»Während die erstere das Bestehen des Schuldverhältnisses unberührt läßt und nur demselben einen anderen Gegenstand an Stelle des ursprünglichen Leistungsgegenstandes giebt, wirkt die »unverschuldete« Unmöglichkeit als Aufhebungsgrund der Verbindlichkeit des Schuldners« 49 .
Der entscheidende Punkt für die Haftung des Schuldners ist also der Fortbestand der Obligation, nicht das Verursachen der Unmöglichkeit. Das Verursachen der Unmöglichkeit hat nur keine befreiende Wirkung, das Bestehen des Schuldverhältnisses bleibt hiervon unberührt. Die Wirkung ist »nur« die, daß ein anderer Gegenstand an die Stelle des ursprünglichen Leistungsgegenstandes tritt. Die Auffassung, daß die eingetretene Unmöglichkeit die Obligation zum Erlöschen bringe und durch die Verschuldung eine neue Obligation entstehe, sei »weder mit dem Wesen des Schuldverhältnisses vereinbar, noch quellenmäßig richtig.« 50
Auch bei v. Kübel ist somit die Obligation auf die Primärleistung und in zweiter Linie, wenn der Schuldner nicht befreit wird, auf Geld gerichtet. Die Aussage, das Schuldverhältnis sei nicht auf etwas anderes als die Primärleistung gerichtet, ist somit ausschließlich im Hinblick auf den Vorrang des Erfüllungsanspruchs zu verstehen. Wenn aber Unmöglichkeit vorliegt und deshalb der Vorrang des Erfüllungsanspruchs entfallen muß, so tritt auch in der Ansicht v. Kübels mit Selbstverständlichkeit ein Äquivalent an die Stelle des ursprünglichen Leistungsgegenstandes, wenn nicht der Schuldner von der Obligation befreit wird. Planck hatte in der ersten Kommission beantragt, die Vorschrift wie folgt zu fassen51: »Wird die geschuldete Leistung zufolge eines von dem Schuldner zu vertretenden Umstände? ganz oder theilweise unmöglich, so verwandelt sich mit diesem Zeitpunkte die Verbindlichkeit des Schuldners in eine Verbindlichkeit zum Ersätze des dem Gläubiger durch die Nichterfüllung verursachten Schadens«.
Die Mehrheit beschloß, weder das Fortbestehen der Verbindlichkeit noch die Verwandlung der Verbindlichkeit auszusprechen: »es sei bedenklich von einem Fortbestande der früheren Obligation zu reden, da, so richtig die Fortdauer der Obligation sei, die Verbindlichkeit zum Schadensersatze jedenfalls einen anderen Gegenstand habe, so daß bei wörtlichem Verständniß eine Art von Widerspruch oder doch eine Inkorrektheit sich herausstelle. ... Auch die Ausdrucksweise des Antrags 1 unterliege ähnlichen Bedenken. Wenn von einer Verwandlung der ursprünglichen Obligation geredet werde, so gewinne es nämlich umgekehrt den Anschein, die alte Obligation sei völlig erloschen und durch eine neue ersetzt.« 52
49 50 51 52
Recht der Schuldverhältnisse, S. 860. Recht der Schuldverhältnisse, S. 861. Jakobs/Schubert, Die Beratung des Bürgerlichen Gesetzbuchs II, S.259. Jakobs/Schubert, Die Beratung des Bürgerlichen Gesetzbuchs II, S.260.
III.
Obligationsbegriff
bei Schaffung
des BGB: das Prinzip der Einheit der Obligation
11
Die Mehrheit ging also davon aus, es sei richtig, daß die Obligation fortdauere; bedenklich sei nur, von dem Fortbestand der früheren Obligation zu reden, da die Obligation sich insoweit von der früheren Obligation unterscheide, als sie einen anderen Gegenstand habe. Die Obligation an sich aber, also ungeachtet ihres Gegenstandes, bleibt bestehen. Die Einheitlichkeit der Obligation hat im B G B Ausdruck gefunden in der Vorschrift des § 767 Abs. 1 S. 2 B G B , wonach für die Verpflichtung des Bürgen der jeweilige Bestand der Hauptforderung insbesondere auch dann maßgebend ist, wenn die Hauptverbindlichkeit durch Verschulden oder Verzug des Hauptschuldners geändert wird. Mit dieser Regelung soll insbesondere der Fall erfaßt werden, daß der Hauptschuldner schuldhaft die Unmöglichkeit herbeiführt 53 . Dieser Fall wird also als Änderung der Hauptverbindlichkeit begriffen. Die Hauptverbindlichkeit wird nicht aufgehoben, sie wird lediglich geändert, indem nunmehr nicht die Leistung selbst ihren Gegenstand bildet, sondern das in Geld bemessene Interesse des Gläubigers. Gleiches gilt daher im Falle des § 1210 Abs. 1 S. 1 B G B : »das Pfand haftet für die Forderung in deren jeweiligem Bestand«, also auch in dem Fall, daß Geldersatz an die Stelle der ursprünglichen Leistung getreten ist 54 . Dieser allgemeine Gedanke muß bei allen akzessorischen Sicherungsrechten gelten. Auf dieser Grundlage: der Einheit der Obligation kann sich nicht die Frage stellen, ob der Schuldner von der Leistungspflicht befreit ist, gleichwohl aber das Erfüllungsinteresse in Geld leisten muß. Er wird entweder befreit, dann schuldet er weder die Leistung noch Geldersatz; oder er wird nicht befreit, dann schuldet er grundsätzlich die Leistung, und, wenn deren Erbringung nicht möglich ist, statt ihrer Geldersatz. In letzterem Falle wird nicht angenommen, daß der Schuldner von der Leistungspflicht befreit werde, statt dessen aber Geldersatz schulde. Der Schuldner wird vielmehr überhaupt nicht befreit, er bleibt obligiert. Die O b ligation beinhaltet also stets die Leistung und für den Fall deren Unerbringbarkeit den Geldersatz. O b die Leistung aber möglich oder unmöglich ist, ist an sich für die Schuld des Schuldners ohne Bedeutung; lediglich der Gegenstand der Schuld ändert sich. Folgerichtig bestimmte §275 Abs. 1 B G B a.F., daß der Schuldner nur dann frei wird, wenn die Leistung infolge eines Umstandes unmöglich wird, den er nicht zu vertreten hat 55 . Alleine die nicht zu vertretende Unmöglichkeit beendet das Obligiertsein des Schuldners. Die zu vertretende Unmöglichkeit hat diese Wirkung nicht, der Schuldner bleibt obligiert, alleine der Gegenstand der Obligation ändert sich. Die Wirkung, daß der Schuldner nunmehr Schadensersatz zu leisten hat, ergab sich demnach nicht erst aus §280 B G B a.F., sondern bereits daraus, daß Mugdan, S.370f. Mü¥,oA/Damrau, § 1210 Rdz. 2; Staudinger/Wz'egaW (2002), § 1210 Rdz. 4; SoergePAffabersack, §1210 Rdz. 3. 55 Wieling, FS Sturm, S. 1135ff. 53 54
§ 1. Historische Entwicklung der Obligation im Überblick
12
die zu vertretende Unmöglichkeit keine befreiende W i r k u n g hatte. Letztlich ist der Grund der Verpflichtung zum Geldersatz daher ebenso wie der Grund der Verpflichtung zur Erbringung der Naturalleistung das Leistungsversprechen. Der Schuldner w i r d von seinem Versprechen nicht befreit, er hat weiter hierfür einzustehen. M a n mag nun einwenden, nach dieser Ansicht müsse der Schuldner weiterhin zur Leistung und nicht zu Geldersatz verpflichtet sein; diese Konsequenz hätten die Gesetzesverfasser aber gerade nicht gezogen, wie §280 B G B a.F. zeige. Dieser Einwand aber geht von einer anderen Vorstellung aus, nämlich von der Verschiedenheit zwischen Leistungspflicht und Geldersatzpflicht; nur bei Verschiedenheit dieser Pflichten kann man fragen, ob der Schuldner von der Leistung frei w i r d oder nicht und sodann, ob er Geldersatz schuldet oder nicht. Geht man hingegen, wie es die Gesetzesverfasser getan haben, von einem einheitlichen Obligiertsein des Schuldners aus, so kann man nur fragen, ob der Schuldner obligiert bleibt und sodann, welchen Inhalt die Obligation hat. Mit größter Selbstverständlichkeit gingen die Gesetzesverfasser davon aus, daß der Schuldner im Falle der zu vertretenden Unmöglichkeit, da die Leistung nun eben nicht mehr erbracht werden kann, statt ihrer ein Geldäquivalent schuldet. U n d eben dies regelte § 280 BGB a.F.: die Frage, wann der Gläubiger statt der Leistung Geldersatz verlangen kann. Er ist Befreiungstatbestand für den Gläubiger von dessen Beschränkung auf den Erfüllungsanspruch 5 6 . Deutlich zeigt sich dieses Verständnis der Obligation bei der Behandlung des anfänglichen Unvermögens im Gesetzgebungsverfahren. Nach damaliger Vorstellung bedurfte es keiner Regelung dieses Sachverhaltes, weil das Schweigen des Gesetzes die A n t w o r t beinhaltete 5 7 : das anfängliche Unvermögen hat mangels Regelung im Gesetz keinen Einfluß auf die Obligation. Damit ist alles gesagt: die Obligation besteht ungeachtet des anfänglichen Unvermögens und folglich muß der Schuldner, wenn er die bestehende Obligation unerfüllt läßt, das Interesse leisten. Der Vorwurf, das BGB alter Fassung enthalte diesbezüglich eine Lücke 5 8 , w a r niemals zutreffend 5 9 . Selbst wenn man zugestehen wollte, daß der Text im Falle positivistischer Auslegung 6 0 anders verstanden werden könnte, so wäre denJakobs, Unmöglichkeit und Nichterfüllung, S.72ff. RGZ 69, 355, 357; Würthwein, Zur Schadensersatzpflicht wegen Vertragsverletzungen im Gemeinen Recht des 19. Jahrhunderts, S.236. 58 Titze, Die Unmöglichkeit der Leistung nach Deutschem Bürgerlichen Recht, S. 251 f.; Soergel12/M. Wolf, §306 Rdz. 25; Larenz, Schuldrecht I, §8 II (S. 100); Palandt"/Heinrichs, Vorb v §275 Rdz. 4; MüKo*/Emmerich, Band2, Vor §275 Rdz. 11; Fikentscher, Schuldrecht, Rdz. 329 (»Redaktionsversehen«); Eichenhof er, JuS 1989, 777; Raab, Austauschverträge mit Drittbeteiligung, S. 267; Berghoff, Die Unmöglichkeit und ihre Rechtsfolgen nach dem BGB und dem Einheitlichen Kaufrecht, S.37. 59 U. Huber, Leistungsstörungen I, S. 531: »beredtes Schweigen«. 60 Zum Gesetzespositivismus in der Zeit nach Inkrafttreten des BGB Picker, AcP 201 (2001), 777ff. 56 57
IV. Nach Inkrafttreten
des BGB
13
noch nicht der Vorwurf zu erheben, daß das anfängliche Unvermögen nicht geregelt wurde, sondern es wäre der Vorwurf zu erheben, daß der Grundsatz: im Falle der Nichterfüllung einer bestehenden Verbindlichkeit ist das Interesse zu leisten, nicht besonders formuliert wurde. Bemängeln könnte man auch die Regelung des Zeitpunktes, ab dem der Gläubiger im Falle anfänglichen Unvermögens Schadensersatz verlangen kann 61 . Für den Fall des im Synallagma stehenden Anspruchs ergab sich die Antwort des Gesetzes auf die Frage, wann der Gläubiger zum Geldersatz übergehen darf, aus §326 BGB a.F.62, für den Fall nicht synallagmatischer Ansprüche aus §§286 Abs. 2, 283 BGB a.F. Der Gläubiger mußte also im gegenseitigen Vertrag eine Nachfrist setzen; im Falle nicht synallagmatischer Ansprüche konnte er Schadensersatz verlangen, wenn der Schuldner sich in Verzug befand und das Interesse des Gläubigers infolge des Verzugs entfallen war oder, sofern diese Voraussetzung nicht vorlag, nach Ablauf einer angemessenen Frist nach rechtskräftiger Verurteilung des Schuldners zur Leistung. Zumindest der lange Weg über §283 BGB a.F.63 sollte dem Gläubiger jedoch nach nicht erst moderner 6 4 Anschauung im Falle anfänglichen Unvermögens erspart sein. Hierfür hielt das Gesetz eine Regelung nicht bereit und dies - nur dies - mag man kritisieren.
IV. Nach Inkrafttreten
des BGB
Nach Inkrafttreten des BGB wurden die positiv-rechtlichen Regelungen einer teilweise harschen Kritik unterworfen 6 5 . Zugleich aber wurde der Buchstabe des Gesetzes von dem Willen seiner Verfasser gelöst, was dazu führen konnte, daß sich das Unterlassen der Statuierung des Prinzips: der verschuldensunabhängigen Einstandspflicht für die Erfüllung der bestehenden Verbindlichkeit als Fehler erwies. Bereits 1907 schrieb Krückmann unter ausdrücklicher Ablehnung einer »unbedingten Schadloshaltungspflicht«:
61 So insbesondere Dernburg, Pandekten II, S. 131; dagegen Kleineidam, Unmöglichkeit u n d U n v e r m ö g e n nach dem bürgerlichen Gesetzbuche für das Deutsche Reich, S. 47ff. 62 U. Huber, Leistungsstörungen I, S. 151 bezeichnet die Vorschrift zu Recht als »Kernstück«. 63 Auf den die Motive insbesondere hinsichtlich des anfänglichen U n v e r m ö g e n s verweisen, Motive II, S. 54. 64 Bereits 1900 meinte Schollmeyer (BGB, V o r b e m e r k u n g zu §§275-283, Ziff. 3 a), der Gläubiger k ö n n e im Falle dauernden U n v e r m ö g e n s sofort Schadensersatz wegen N i c h t e r f ü l l u n g verlangen; ebenso Kisch, Die W i r k u n g e n der nachträglich eintretenden Unmöglichkeit der E r f ü l lung bei gegenseitigen Verträgen, S. 123; das Reichsgericht entschied in diesem Sinne erstmals 1908 ( R G Z 69, 355). 65 Insbesondere von Rabel (FS Bekker, S. 171 ff.), Krückmann (AcP 101 (1907), lff.) u n d Fischer (FS v. Arnsberg, S. lff.).
14
§ 1. Historische
Entwicklung
der Obligation
im
Überblick
»Eine Schadensersatzpflicht läßt sich nur auf Verschulden gründen oder unter dem G e sichtspunkt der unterlassenen Anzeige von den hindernden Umständen rechtfertigen« 6 6
und behauptete damit, daß die Haftung des Schuldners wegen Nichterfüllung sich auf dessen Verschulden gründe, obgleich diese Auffassung noch von v.
Kübel
ausdrücklich abgelehnt worden war 6 7 . Zugleich entwickelte sich zunehmend der Gedanke, daß der Primärleistungsanspruch und der Schadensersatzanspruch wegen Nichterfüllung verschiedene Ansprüche seien, womit der Gedanke der Einheitlichkeit der Obligation, der den Regelungen des B G B zugrunde liegt, verlassen wurde. Die Abwendung von diesem Prinzip wurde Grundlage zahlreicher Irrtümer. So glaubten manche, § 2 7 5 Abs. 1 B G B a.F. sei falsch formuliert, die Worte »den er nicht zu vertreten hat« seien zu streichen, weil die Befreiung von der Primärleistungspflicht sich auch auf die zu vertretende Unmöglichkeit beziehen müßte 6 8 . In dieser Vorstellung ist also §275 B G B a.F. ein Befreiungsgrund alleine von der Primärleistungspflicht, während über den Schadensersatzanspruch damit keine Aussage getroffen sein soll. § 2 8 0 Abs. 1 B G B a.F. wurde demgegenüber als Anspruchsgrundlage begriffen; die Befreiung des Schuldners im Falle nicht zu vertretender Unmöglichkeit ergibt sich in dieser Sichtweise sodann daraus, daß die Voraussetzungen der Anspruchsgrundlage des § 2 8 0 B G B a.F. nicht erfüllt sind. Konsequent hielt diese Auffassung das B G B für lückenhaft hinsichtlich der Frage, ob der Schuldner im Falle anfänglichen Unvermögens Schadensersatz leisten müsse; eine Anspruchsgrundlage für diese Konstellation fehlte. Dieses Verständnis des B G B ist Grundlage des Gesetzes zur Modernisierung des Schuldrechts geworden, wie dessen Begründung allenthalben zeigt. Obgleich eine solche gesetzliche Regelung, wie sie diesem Verständnis entspricht, möglich sein mag, so war sie doch nicht die gesetzliche Regelung. Infolge der Einheitlichkeit der Obligation bedurfte es keiner Anspruchsgrundlage für den Fall der Nichterfüllung: die Haftung wegen Nichterfüllung war Bestandteil des Erfüllungsanspruchs und es war dieser selbst, der sich in die Interesseforderung verwandelte. § 2 7 5 B G B a.F. war ein Befreiungsgrund, der die Obligation aufhob; damit war der Schuldner von der Primärleistung wie auch von der Interesseforderung befreit 6 9 . Die fortbestehende Verpflichtung des Schuldners, der AcP 101 (1907), 129. v. Kübel, Recht der Schuldverhältnisse, S. 861. 68 Fikentscher, Schuldrecht, Rdz. 337; Palandt^/Heinrichs, § 275 Rdz. 24; Staudinger/Löwisch (2001), §275 Rdz. 58; Esser/Schmidt, Schuldrecht I 2, §22 IV (S. 12); Meincke, AcP 171 (1971), 22ff.; Rohde, Die Unmöglichkeit der Leistung bei Gattungsschulden, S.41 ff.; Kuhlmann, Leistungspflichten und Schutzpflichten, S.176ff.; Rödl, Die Spannung der Schuld, S. 41 ff.; Raab, Austauschverträge mit Drittbeteiligung, S. 234f.; Gillig, Nichterfüllung und Sachmängelgewährleistung, S.96 66 67
6 9 Die Befreiung von der Obligation erfolgt kraft §275 Abs. 1 B G B insgesamt, also weder ausschließlich hinsichtlich der »Primärleistung«, noch ausschließlich hinsichtlich des »Schadensersatzes« (so aber Wilhelm/Deeg, J Z 2001, 225). Richtig Rubel, Warenkauf I, S. 148f.
IV. Nach Inkrafttreten
des
BGB
15
den Eintritt der Unmöglichkeit zu vertreten hatte, ergab sich ebenso wie diejenige des anfänglich unvermögenden Schuldners daraus, daß der Erfüllungsanspruch fortbestand, weil der Schuldner nicht gem. §275 B G B a.F. befreit wurde (und der Vertrag auch nicht gem. § 306 B G B nichtig war 70 ). Es bedurfte hierfür keiner »gesetzlichen«, positiv normierten Anspruchsgrundlage. Die Vorschrift des §280 B G B a.E erlaubte dem Gläubiger, den Interesseanspruch bereits ab dem Eintritt der Unmöglichkeit geltend zu machen, er mußte also nicht den Weg des §283 B G B a.F. beschreiten, der ihm dies erst nach erfolglosem Ablauf der Nachfrist nach rechtskräftiger Verurteilung des Schuldners zur Leistung ermöglicht hätte. Die Vorschrift des §280 B G B a.F. war also nicht eine Anspruchsgrundlage, sondern eine Bestimmung des früheren Zeitpunktes, zu dem der Gläubiger den Interesseanspruch verfolgen konnte, sie war in der F o r m u l i e r u n g / ^ o f c ' 7 1 Befreiungsgrund für den Gläubiger von seiner Beschränkung auf den Primärleistungsanspruch 72 . Dieses Verständnis des B G B lag diesem nicht lediglich zugrunde, sondern war Gesetz geworden. Es wäre unrichtig zu glauben, der Buchstabe des Gesetzes habe auch das hiervon abweichende »moderne« Verständnis des B G B ermöglicht. Zwar ließ sich §280 B G B a.F. seinem Wortlaut nach als Anspruchsgrundlage verstehen. Nicht zu erklären war jedoch die Vorschrift des §275 Abs. 1 B G B a.F., die den Schuldner eben nur befreite, wenn die Unmöglichkeit infolge eines nicht von ihm zu vertretenden Umstandes eingetreten war, nicht aber dann, wenn die U n möglichkeit infolge eines von ihm zu vertretenden Umstandes eingetreten war. Mit dieser Regelung ist die Annahme, der Schuldner werde auch in letzterem Falle von der Primärleistungspflicht befreit, schlechthin unvereinbar. Die »Korrektur« des §275 Abs. 1 B G B a.F. durch Streichung der Worte »den er nicht zu vertreten hat« 73 sollte also die Regelung des B G B nicht »richtig« machen, sondern sie sollte das B G B dem veränderten Verständnis anpassen, das gerade nicht Gesetz geworden war. Erkennt man aber an, daß §275 Abs. 1 B G B a.F. eine Befreiungsregel war, so ergibt sich hieraus ohne weiteres, daß die Haftung des nicht befreiten Schuldners keiner Anspruchsgrundlage mehr bedurfte und also §280 B G B a.F. keine Anspruchsgrundlage war, sondern Befreiungstatbestand für den Gläubiger. Weiter ergibt sich die Haftung des Schuldners für anfängliches Unvermögen ohne weiteres daraus, daß er von der Obligation nicht befreit wurde; einer Anspruchs70 Schief ist ferner die Auffassung gewesen, die Haftung des Schuldners für anfängliches Unvermögen ergebe sich aus einem Gegenschluß aus §306. Die Wirksamkeit eines Vertrages ergibt sich daraus, daß die Parteien kraft ihrer Privatautonomie Verträge abschließen können. Sie ergibt sich nicht erst daraus, daß der Vertrag von der Rechtsordnung nicht für unwirksam erklärt wird. Ansonsten wäre auch anzunehmen, daß sich die Gültigkeit eines nicht formbedürftigen Vertrages aus einem Gegenschluß aus § 125 B G B ergebe. 71 Unmöglichkeit und Nichterfüllung, S. 72ff. 72 So auch schon zuvor Himmelschein, AcP 135 (1932), 273 und später M ü K o 4 / E m m e r i c h , Band2, Vor §275 Rdz. 19; Huber, Gutachten Leistungsstörungen, S. 700. 73 Nachweise unten §5 Fn. 12.
16
51. Historische
Entwicklung
der Obligation
im
Überblick
grundlage für die Haftung bedurfte es nicht. Diese Konsequenzen ergeben sich notwendig aus der Ausgestaltung des §275 Abs. 1 B G B a.F. als Befreiungsgrund von der einheitlichen Obligation. Das hiervon abweichende Verständnis ist also mit allen Folgeirrtümern nicht Inhalt des Gesetzes gewesen.
V^ Zusammenfassung Im römischen Recht ist die Obligation zunächst bloße Haftung, später Schuld und Haftung. Die strengrechtlichen Klagen führen im Falle der Nichtleistung zur Verurteilung in eine Summe Geldes, weil die Erfüllung ausgeblieben ist. Die bonae fidei iudicia hingegen führen zur Verurteilung in eine Summe Geldes, wenn der Schuldner gegen Verhaltenspflichten verstoßen hat. Im gemeinen Recht ist die Haftung wegen Nichterfüllung lediglich ein anderer Gegenstand der Obligation, welche also einheitlich auf Erfüllung oder Ersatzleistung im Falle der Nichterfüllung gerichtet ist (Einheit der Obligation). Dieses Verständnis der Obligation wurde den Regelungen des B G B zugrunde gelegt. Deutlich zeigt sich dies zum einen an der Regelung des §275 Abs. 1 B G B a.F., wonach der Schuldner befreit wurde, wenn die Leistung infolge eines nicht von ihm zu vertretenden Umstandes unmöglich wurde. Hatte der Schuldner den Umstand, der zu der Unmöglichkeit führte, zu vertreten, so wurde er selbstverständlich nicht befreit, denn er blieb ja gerade verpflichtet (nämlich zur Leistung des Interesses, also des alternativen Gegenstandes der Obligation). Zum anderen zeigt sich die Einheit der Obligation an der »fehlenden« Regelung des anfänglichen Unvermögens. Indem keine »Regelung« vorhanden ist, ist die Rechtslage auf dieser Grundlage völlig klar: der Schuldner wird von der Obligation nicht befreit und also hat er im Falle der Nichterfüllung den alternativen Gegenstand (das Interesse) zu leisten. Schon bei der Schaffung des B G B aber wurde durch die Unklarheit darüber, wie die »Umwandlung« des Inhalts des Forderungsrechts im Falle der Nichterfüllung zu denken sei, ein erster Schritt hin zu einer Aufspaltung der einheitlichen Obligation in verschiedene Ansprüche (»Primäranspruch« und »Sekundäranspruch«) getan. Nach Inkrafttreten des B G B vollzog sich ein allmählicher Wandel des Verständnisses, welcher vornehmlich darauf beruhte, daß infolge einer positivistischen Auffassung der Regelungen (insbesondere der Vorstellung, §280 B G B a.F. sei eine »Anspruchsgrundlage«) das nicht ausdrücklich im Gesetz formulierte Prinzip der Einheit der Obligation in Vergessenheit geriet und stattdessen angenommen wurde, der Erfüllungsanspruch und der Anspruch auf Schadensersatz wegen Nichterfüllung seien verschiedene Ansprüche. Auf der Grundlage dieses Verständnisses mußte sodann die Beschränkung der Befreiungswirkung des §275 Abs. 1 B G B a.F. auf nicht zu vertretende unmöglichkeitsverursachende Umstände ebenso verfehlt erscheinen wie die Nichtregelung der Haftung im Falle anfänglichen Unvermögens.
§2. Begriffliche Entwicklung der Obligation Das Verständnis der H a f t u n g des Schuldners wird maßgeblich geprägt durch das Verständnis des Wesens der Obligation. Nach heutigem Verständnis ergibt sich die Erfüllungsklage aus dem Vertrag, sie setzt nichts weiter voraus als das vertragliche Versprechen. Sie erscheint daher als ein Recht, welches dem Gläubiger alleine aus der Tatsache des Vorliegens eines Vertrags erwächst. Die Erfüllungsklage ist Recht des Gläubigers, nicht Sanktion 1 . Der Erfüllungsanspruch setzt also nur voraus, daß der Gläubiger noch nicht bekommen hat, was ihm versprochen wurde; er setzt nicht ein Fehlverhalten des Schuldners voraus. D e m vertraglichen Erfüllungsanspruch entspricht daher ein Verständnis der Obligation als ein Bekommensollen des Gläubigers. Heute hingegen wird das wohl überwiegende Verständnis des Vertrags weniger von dem Bekommensollen des Gläubigers geprägt, als vielmehr von dem Leistensollen des Schuldners. Das Schuldverhältnis wird nicht verstanden als ein »Erfüllungsprogramm«, sondern als ein »Verhaltensprogramm« 2 ; einen vorläufigen H ö h e p u n k t hat diese Entwicklung darin gefunden, daß §241 B G B n u n m e h r mit »Pflichten aus dem Schuldverhältnis« überschrieben ist. Das Verhältnis dieser Auffassungen zueinander erscheint, w e n n nicht widersprüchlich, so doch zumindest nicht konzis: w e n n der Vertrag nicht ein »Erfüllungsprogramm« ist, sondern ein »Verhaltensprogramm«, so läge es in der Konsequenz dieser Auffassung, die Klage auf Erfüllung als Sanktion f ü r eine A b weichung von diesem Verhaltensprogramm anzusehen. Voraussetzung des Erfül1 U. Huber, Leistungsstörungen II, S. 147; S o e r g e l n ! W i e d e m a n n , Vor §275 R d z . 2 5 . Schlechtriem, Schuldrecht, Allgemeiner Teil (5.Aufl.), Rdz.273 (und Schlechtriem/Schmidt-Kessel, Schuldrecht, Allgemeiner Teil (6. Aufl.), Rdz. 466), bezeichnet hingegen den Erfüllungsanspruch als »Rechtsbehelf«, wobei unklar bleibt, ob der Erfüllungsanspruch eine »Pflichtverletzung« voraussetzt. 2 Larenz, Schuldrecht I, §2 (S.6ff.); Gernhuher, Das Schuldverhältnis, § 2 III (S.15ff.); Pa\znAx.bi/Heinrichs, §241 R d z . 5 f f . ; M ü K o V K r a m e r , Band2a, §241 R d z . l 4 f f . ; Soergel I2 /7i?ic/>mann, §242 R d z . l 3 2 f f . ; Esserl Schmidt, Schuldrecht I 1, § 5 II (S.87ff.) u n d § 6 (S.lOOff.); £. Schmidt, Das Schuldverhältnis, Rdz. 30ff.; Schlechtriem, Schuldrecht, Allgemeiner Teil (5. Aufl.), R d z . 124ff. u n d Schlechtriem/Schmidt-Kessel, Schuldrecht, Allgemeiner Teil (6. Aufl.), Rdz. 159ff. D e n Begriff des »Verhaltensprogramms« verwenden z.B. Deutsch, A c P 202 (2002), 900 (für Sorgfalt schlechthin); Däuhler, N J W 2001, 3731. E r m a n n IWestermann, §241 R d z . 2 spricht von »Pflichtenprogramm«, ebenso Schlechtriem, Schuldrecht, Allgemeiner Teil (5. Aufl.), GattungsRdz. 268; Brox/Walker, Allgemeines Schuldrecht, §22 Rdz. 67. Vgl. auch Lemppenau, schuld u n d Beschaffungspflicht, S. 65.
§2. Begriffliche
18
Entwicklung
der
Obligation
lungsanspruchs wäre dann aber nicht das vertragliche Leistungsversprechen, sondern die schuldhafte Nichterfüllung. Es liegt auf der Hand, daß die Konstruktion des Begriffs der Obligation von dem Anspruch des Gläubigers (Bekommensollen) her sich dogmatisch von der Konstruktion der Obligation von der Pflicht des Schuldners (Leistensollen) her grundlegend unterscheidet. Der Begriff der Nichterfüllung nimmt je nach Ausgangspunkt eine ganz andere Bedeutung an. Vom Bekommensollen aus betrachtet bezeichnet Nichterfüllung das Ausbleiben der Leistung. Eine solche Konstruktion, wie sie etwa dem breach of contract des englischen Rechts zugrunde liegt 3 , drängt zum Verständnis der Nichterfüllungshaftung als Garantiehaftung. Vom Leistensollen aus betrachtet bezeichnet Nichterfüllung ein Verhalten des Schuldners; diese Konstruktion drängt zum Verständnis der Nichterfüllungshaftung als Verschuldenshaftung. Einen Unterschied kann der verschiedene dogmatische Ausgangspunkt nur machen in den Fällen, in welchen das Ausbleiben der Erfüllung nicht auf einem Fehlverhalten des Schuldners beruht. Eine Befreiung des Schuldners führt solchenfalls zu einer Fuge zwischen Schuld und Haftung, indem die Schuld weiter reicht als die Haftung des Schuldners. In der Praxis beruht die Nichterfüllung zumeist auf einem schuldhaften Verhalten des Schuldners oder ist doch wegen einer - in den Augen der herrschenden Meinung - ausnahmsweise anzunehmenden Garantiehaftung zu vertreten, so daß er jedenfalls haftet 4 . Auch im Falle schuldloser Nichterfüllung, wenn also der unterschiedliche dogmatische Ausgangspunkt sich auf die Rechtslage auswirkt, trägt der Schuldner aber jedenfalls die Gegenleistungsgefahr, was sich von der Nichterfüllungshaftung nur dann und nur insoweit unterscheidet, als der Wert der Leistung den Wert der Gegenleistung übersteigt. Ist etwa eine Maschine im Wert von 1 Mio. für 1 Mio. verkauft, so muß der Verkäufer auch im Falle schuldloser Nichtleistung den erhaltenen Kaufpreis zurückzahlen. Ist die Maschine 1,2 Mio. wert, so muß er jedenfalls 1 Mio. zahlen und es fragt sich nur, ob er zudem auch den Mehrwert in Höhe von 200.000 zahlen muß. Alleine in dieser Frage liegt der Unterschied zwischen Garantiehaftung und Verschuldenshaftung. Den Stellungnahmen in der Literatur scheint hingegen oftmals die Vorstellung zugrunde zu liegen, es gehe um die Entscheidung, ob der Schuldner solchenfalls 1,2 Mio. zahlen oder nicht zahlen muß 5 . Daraus erklärt sich die Annahme, der Schuldner müsse im Falle fehlenden Verschuldens von der Haftung befreit werden. Zieht Dazu unten §4 II (S.187ff.). U. Huber, Leistungsstörungen I, S. 662. 5 Vgl. zu diesem Problem mangelnder Berücksichtigung der Gefahrtragung etwa Picker, JZ 2003, 1036, der meint, im Falle schuldlosen Diebstahls der Kaufsache müsse der Verkäufer von der Pflicht zur Leistungserbringung befreit werden, weil er den Mehraufwand, der mit der Rückholung der aufgefundenen Sache verbunden ist, nicht versprochen habe; zutreffend dagegen Canaris, J Z 2004, 215, der darauf hinweist, daß der Verkäufer, wenn er die Sache nicht zurückholt, den Kaufpreis einbüßt, wohingegen Picker aaO. meint, der Kaufpreis werde durch den Mehraufwand aufgezehrt. 3
4
I. Die Obligation
als
Haftung
19
man hingegen in Erwägung, worum es richtigerweise nur gehen kann, nämlich um die Frage der Befreiung des Schuldners von der Pflicht zur Zahlung des Mehrwertes, so ist das vorschnelle Bekenntnis zur Verschuldenshaftung jedenfalls erneuter Prüfung zu unterziehen. Die Geltung des Verschuldensprinzips für das heutige deutsche Leistungsstörungsrecht vor wie nach der Modernisierung des Schuldrechts entspricht überwiegender Meinung 6 . Das kritische Hinterfragen dieser Auffassung erfordert daher zunächst die Untersuchung, wie sich diese Auffassung entwickelt hat.
I. Die Obligation als Haftung 1. R ö m i s c h e s R e c h t Im altrömischen Recht ist die obligatio zunächst gleichbedeutend mit Haftung. Die Haftung des Schuldners wird durch besonderes Haftungsgeschäft begründet, welches dem Gläubiger ein Zugriffsrecht auf die Person des Schuldners gibt 7 . Ein solches Haftungsgeschäft ist insbesondere das nexum, mit dem sich der Schuldner in die Schuldknechtschaft des Gläubigers begibt 8 . Die Verbindung von nexum und Leistung, also die Bindung des Gläubigers in der Weise, daß er im Falle der Leistung nicht auf den Schuldner zugreifen darf, erfolgt über den Gedanken der fides 9 . Von diesem Zugriffsrecht kann sich der Schuldner lösen, indem er die Leistung erbringt. Die Leistung ist also nicht Gegenstand einer Rechtspflicht, der Schuldner soll nicht leisten, sondern er kann leisten; die Leistung ist Last, nicht 6 Larenz, Schuldrecht I, §20 (S.275ff.); Esser/Schmidt, Schuldrecht I 2, §25 II (S.56ff.); Fikentscher, Schuldrecht, Rdz.330; Emmerich, D a s Recht der Leistungsstörungen, §5 III 2 und §9 III 1; M ü K o E m m e r i c h , Band2, §275 R d z . 2 ; E r m a n W / B a t t e s , §275 R d z . 4 ; Erman'VWesiermann, §280 Rdz.16; Stzudingir/Löwisch (2001), Vorbem zu §§275-283 R d z . 4 , §275 R d z . l , §276 Rdz. lff.; Staudinger/Löwisch (2004), Vorbem zu §§275-278 Rdz.22ff.; Löwisch, A c P 165 (1965), 421 ff.; Westermann/Bydlinski/Weber, BGB-Schuldrecht, Allgemeiner Teil, 6/1 f.; Brox/ Walker, Allgemeines Schuldrecht, §20 R d z . l ; Palandt 6 1 /Heinrichs, Vorb v §275 R d z . 6 , §276 Rdz. 3; Eckert, Schuldrecht, Allgemeiner Teil, Rdz. 228-, Jakobs, Gesetzgebung im Leistungsstörungsrecht, S. 19ff.; U. Huber, Gutachten Leistungsstörungen, S. 717; Lindacher, Phänomenologie der >VertragsstrafeAlles was an ihm liege, für diesen Zweck zu versuchenc so muss er von Rechtswegen die strengere Auslegung gegen sich gelten lassen.« 3 0 4
VII.
Zusammenfassung
Ursprünglich wird die Obligation als im wesentlichen auf Haftung des Schuldners hin angelegt begriffen. Auf verschlungenen Pfaden ändert sich das Verständnis dahingehend, daß die Obligation auf eine Handlung des Schuldners gerichtet sei und der Schuldner nur im Falle schuldhaften Verhaltens hafte. Die Voraussetzung dieser Auffassung, daß die Obligation auf eine Handlung des Schuldners gerichtet sei, ist indessen mit vielfältigen Erscheinungen des geltenden Rechts unvereinbar. Die Ausrichtung der Schuld auf ein Bekommensollen des Gläubigers einerseits, der Haftung auf schuldhaftes Verhalten des Schuldners andererseits führt zu Verwerfungen, die unter Wahrung des Verschuldensprinzips nur dann zu beseitigen sind, wenn man die Befreiung des Schuldners im Falle jeglicher Schuldlosigkeit in Kauf nimmt; eine Lehre, die sich zu Recht nicht durchgesetzt hat. Die Nichtbefreiung des Schuldners trotz Schuldlosigkeit hat zur Konsequenz, daß von einem Verschuldensprinzip keine Rede sein kann. Die Lehre von der Leistungspflicht führt demgegenüber dazu, daß der Kraftanstrengungslehre der Weg geebnet wird, wonach der Schuldner, der einen Erfolg versprochen hat, für dessen Herbeiführung nicht alle erforderlichen Mittel einzusetzen hat, sondern nur in irgend einer Weise beschränkte Mittel; diese Lehre führt also nicht zu einer Begründung der Haftung des Schuldners, sondern zu ihrer Begrenzung. Demgegenüber ist es richtig, die Vereinbarung eines Erfolges 303 Gernhuber, Das Schuldverhältnis, §2 IV 2 c (S.23f.); vgl. auch MusielakAFoersfe, §253 Rdz.32; MüKo-ZPO/Iö&e, §253 Rdz. 137; Stein/Jonas/Schümann, §253 Rdz.59. 304 Hartmann, Die Obligation, S.201.
82
5 2. Begriffliche
Entwicklung
der
Obligation
durch die Parteien dahin auszulegen, daß der Schuldner den Erfolg zur Vermeidung seiner Haftung schlechthin bewirken muß, welche Mittel auch immer dazu nötig sein sollten; die Vereinbarung einer Verhaltenspflicht hingegen führt regelmäßig nur zur Haftung für schuldhaftes Verhalten. Anders als der Lehre von der Leistungspflicht kommt der Lehre von der Schutzpflicht eine sinnvolle Funktion zu, indem diese die Haftung des Schuldners für Integritätsschäden begründet. Die Haftung des Schuldners folgt also dem Inhalt der Obligation. Ist die Obligation auf eine Handlung gerichtet, so haftet der Schuldner grundsätzlich nur für die Einhaltung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt. Ist die Obligation hingegen auf einen Erfolg gerichtet, so haftet der Schuldner in Ansehung des Erfüllungsinteresses grundsätzlich für die Erreichung des Erfolges schlechthin.
§3. Geldkondemnation: Grundlagen des Ersatzes des Erfüllungsinteresses Im Falle der Nichterfüllung ist dem Gläubiger grundsätzlich das Interesse zu leisten. Das Interesse ist insoweit der Geldwert der ausgebliebenen Leistung. An die Stelle der Leistung tritt also Geld, der Leistungsgegenstand wird durch Geld substituiert. Der Anspruch des Gläubigers auf Erfüllung ist gerichtet auf die Befriedigung des Erfüllungsinteresses. Wird dieses nicht vermittels der naturalen Leistung befriedigt, so ist es in Geld zu befriedigen. Hier wie dort wird der Erfüllungsanspruch befriedigt. Die Darstellung der Geldkondemnation nach Voraussetzungen und Inhalt ist Aufgabe dieses Abschnitts. Die Substituierung des Leistungsgegenstandes durch Geld hat mit einem »Schaden« nichts zu tun und also auch nicht mit einem »Schadensersatzanspruch«. Demgegenüber wird das »positive Interesse« zumeist als »Schaden« begriffen und also denkt man, der Schuldner schulde das positive Interesse dann, wenn der Gläubiger einen Schadensersatzanspruch habe. Der deutsche Jurist assoziiert mit dem Begriff des Schadens die Differenztheorie Mommsens und führt den Schadensbegriff des BGB auf Mommsen zurück. Mommsens zweite Abteilung der »Beiträge zum Obligationenrecht« trägt den Titel »Zur Lehre von dem Interesse«, und so erscheint es, als seien Interesse und Schaden lediglich zwei verschiedene Begriffe für dasselbe, nämlich dasjenige, was dem Geschädigten zu ersetzen ist1. Zumeist wird diese Gleichsetzung von Interesse und Schaden nicht reflektiert; sie offenbart sich aber etwa darin, wenn die Begriffe Schadensersatz wegen Nichterfüllung und positives Interesse synonym verwandt werden. Die Gleichsetzung dieser Begriffe führt notwendig zu der Annahme, der Nichterhalt der versprochenen Leistung müsse sich als Schaden darstellen, damit der Gläubiger Ersatz für die versprochene Leistung verlangen könne. Die Einordnung als Schaden hat zur Folge, daß dieser Ersatzanspruch sowohl hinsichtlich der Voraussetzungen wie auch hinsichtlich der Folgen als Schadensersatzanspruch begriffen wird: nach dem Grundsatz des Verschuldensprinzips sei ein Schaden nur im Falle des Verschuldens zu ersetzen und, wenn er zu ersetzen ist, richte sich al1 Vgl. etwa Lange/Schiemann, Schadensersatz, §2 IV; Staudinger u / Schiemann, Vorbem zu §§249ff. Rdz.48; Jauernig 1 '/Teichmann, Vor §§249-253 Rdz.5; Palandt 65 /Heinrichs, Vorb v §249 Rdz. 16; Rahel, Warenkauf I, S. 165ff.; Rengier, Die Abgrenzung des positiven Interesses vom negativen Vertragsinteresse und vom Integritätsinteresse, S. 41 ff.
84
§3. Geldkondemnation:
Grundlagen
des Ersatzes des
Erfüllungsinteresses
les weitere nach den Vorschriften der §§249ff. B G B . Die Notwendigkeit dieser Konsequenzen steht und fällt mit dem Ausgangspunkt: der Gleichsetzung von Interesse und Schaden.
I. Die Unterscheidung 1.
von Schaden und Interesse
Mommsen
Mommsen
definiert das Interesse als
»die Differenz zwischen dem Betrage des Vermögens einer Person, wie derselbe in einem gegebenen Zeitpunkte ist, und dem Betrage, welchen dieses Vermögen ohne die Dazwischenkunft eines bestimmten beschädigenden Ereignisses in dem zur Frage stehenden Zeitpunkte haben würde« 2 .
Auf Fälle der Nichterfüllung wendet Mommsen die Differenzhypothese allerdings nicht an, er ermittelt nicht die Differenz zwischen dem Vermögen des Gläubigers, wie es ist, und dem Vermögen, wie es im Falle der Erfüllung sein würde; vielmehr läßt Mommsen ganz schlicht an die Stelle der Leistung ein Geldäquivalent treten. Zur Erläuterung dieses Gedankens muß man sich zunächst in Erinnerung rufen, welche Wirkungen Mommsen der Unmöglichkeit der Leistung beilegt. Er untersucht die Frage, unter welchen Voraussetzungen eine Unmöglichkeit überhaupt vorliegt und unter welchen Voraussetzungen die Unmöglichkeit eine »wahre« ist, das heißt eine solche, die von der Rechtsordnung anerkannt wird mit der Wirkung, daß der Schuldner von den nachteiligen Folgen der Nichterfüllung befreit wird 3 . Im Falle der schuldhaft herbeigeführten Unmöglichkeit liegt eine solche wahre Unmöglichkeit nicht vor, eine Befreiung des Schuldners tritt nicht ein 4 . Die Wirkung der verschuldeten Unmöglichkeit ist also nicht etwa, daß der Gläubiger das Recht erwirbt, Schadensersatz zu verlangen, sondern die Folge ist keine. Indem die verschuldete Unmöglichkeit keine Wirkung hat, bleibt alles, wie es ist: der Schuldner ist zur Bewirkung der versprochenen Leistung verpflichtet 5 . Konsequenterweise läßt Mommsen grundsätzlich die Klage des Gläubigers auf die ursprüngliche Leistung zu 6 . Und Mommsen fährt fort: »Die Wirkungen der verschuldeten Unmöglichkeit zeigen sich erst, wenn erfüllt werden soll, indem dann allerdings eine Verwandlung des ursprünglichen Gegenstandes der O b l i gation in ein Äquivalent (das Interesse) eintreten muß« 7 . 2 3 4 5 6 7
Mommsen, Mommsen, Mommsen, Mommsen, Mommsen, Mommsen,
Interesse, S.3. Unmöglichkeit, Unmöglichkeit, Unmöglichkeit, Unmöglichkeit, Unmöglichkeit,
S.2f. S. 229. S.229f. S. 230. S. 230.
/. Die Unterscheidung
von Schaden
und
Interesse
85
Von einer Verpflichtung des Schuldners zur Leistung von Schadensersatz ist also überhaupt nicht die Rede. Der Schuldner hat nicht einen Schaden zu ersetzen, sondern er hat für den Gegenstand der Obligation ein Äquivalent zu leisten. Dieses Äquivalent - das Interesse - ersetzt den Gegenstand der Obligation, den Leistungsgegenstand selbst, nicht einen Schaden 8 . 2.
Neuner
Neuner9 unterscheidet zwei Arten von Schadensersatzansprüchen, nämlich denjenigen, welcher die Wiedergutmachung des Schadens als solchen zum Gegenstand hat und denjenigen, welcher neben oder an die Stelle eines rechtsverfolgenden Anspruchs tritt 10 . Unter rechtsverfolgenden Ansprüchen versteht Neuner den Erfüllungsanspruch und die dinglichen Ansprüche auf Herausgabe, Beseitigung einer Störung und Unterlassung künftiger Störung 11 . Für den Fall der Nichterfüllung der möglichen Leistung nimmt Neuner als Untergrenze 12 des Schadensersatzes den objektiven Wert des Leistungsgegenstandes an, weil der Schadensersatzanspruch an die Stelle des Erfüllungsanspruchs trete 13 . Im Falle der Unmöglichkeit der Leistung könne nichts anderes gelten: ebensowenig, wie der Schuldner sich gegenüber dem Erfüllungsanspruch darauf berufen könne, daß die zur Erfüllung erforderlichen Geldopfer größer seien als der objektive Wert der Leistung oder daß das Interesse des Gläubigers geringer sei als dieser Wert, könne er sich auch gegenüber dem Schadensersatzanspruch hierauf berufen, denn durch die Unmöglichkeit könne seine Lage nicht verbessert werden 14 . Den objektiven Wert entnimmt Neuner dem Verkehr, der darüber bestimme, ob und welcher Wert dem Gut zukomme 15 . Als den die Schadensersatzverpflichtung auslösenden Umstand erkennt Neuner die Verletzung des obligatorischen Rechts 16 . Eine nähere Darlegung, inwiefern das obligatorische Recht im Falle der Nichterfüllung verletzt sein soll, erfolgt nicht. Auch der darin liegende Widerspruch, daß die Verletzung des Rechts nur den Anspruch auf Ersatz des Wertes dieses Rechts, nicht aber den Anspruch auf
Mommsen, Interesse, S. 8ff. Neuner, AcP 133 (1931), 277ff. 10 Neuner, AcP 133 (1931), 291. 11 Neuner, AcP 133 (1931), 291 Fn.51. 12 Stets soll es dem Gläubiger freistehen, ein höheres Interesse nachzuweisen, Neuner, AcP 133 (1931), 296. 13 Neuner, AcP 133 (1931), 293. 14 Neuner, AcP 133 (1931), 293f. 15 Neuner, AcP 133 (1931), 306f. 16 Neuner, AcP 133 (1931), 291, passim; für das heutige Recht vertritt diese Auffassung insbesondere Katzenstein, JURA 2004,590; ders., JURA 2005,73f.; Haberzettl, Verschulden und Versprechen, S. 19f., 36, 84, 85ff., 97 und passim. 8 9
86
53. Geldkondemnation:
Grundlagen
des Ersatzes des
Erfüllungsinteresses
Ersatz des Wertes des Gegenstandes, auf das sich das Recht bezieht, und um dessen Ersatz es Neuner alleine geht, wird nicht erkannt. 3.
Mertens
Die Untersuchung von Mertens über den Begriff des Vermögensschadens17 ist eine vornehmlich deliktsrechtlich ausgerichtete Arbeit. Ausführungen hinsichtlich der Nichterfüllung von Verträgen enthält sie lediglich in einem bestimmten, eng begrenzten Zusammenhang. Mertens unterscheidet vier verschiedene Erscheinungsformen des Vermögensschadens18, nämlich die Vermögensgutsbeeinträchtigung19, die Vermögensfunktionsstörung 20 , die Belastung des Vermögens21 und den Minderbestand an Geld oder geldwerten Gütern 22 . Innerhalb der ersten dieser Erscheinungsformen, der Vermögensgutsbeeinträchtigung, unterscheidet Mertens zwischen der Beeinträchtigung des Eigentums und anderer Rechtspositionen mit Ausschließlichkeitswirkung einerseits23 und dem Vermögensschaden in Form einer Beeinträchtigung von Vermögensgütern ohne Ausschließlichkeitswirkung andererseits24. Letztere Form des Vermögensschadens soll dann vorliegen, wenn eine Forderung des Geschädigten beeinträchtigt worden ist. Der Schädiger habe grundsätzlich den Ausfallwert dieser Forderung zu ersetzen, welcher in dem Wert des Gegenstandes, auf den sich die Forderung bezieht, bestehe 25 , abzüglich eines Risikoabschlages dafür, daß die Forderung auf den Gegenstand gegenüber dem Gegenstand selbst ein wirtschaftliches Minus darstellt26. Diese Kürzung um den Risikoabschlag soll aber dann nicht stattfinden, »wenn der Schuldner selbst die Forderung beeinträchtigt; er kann sich nicht darauf berufen, daß er sie nicht hätte bezahlen können oder wollen, da er für einen Nichterfüllungsschaden in voller H ö h e haftet« 2 7 .
Diese Untersuchung ist in zweierlei Hinsicht unzureichend. Zum einen versteht Mertens den Schaden im Falle der Nichterfüllung in der Beeinträchtigung der Forderung. Im Falle einer zum Schadensersatz verpflichtenden Nichterfüllung wird aber nach der dargelegten Konzeption des B G B die Forderung gerade nicht »beeinträchtigt« in dem Sinne, daß die Forderung unterginge und der Gläubiger Der Begriff des Vermögensschadens im Bürgerlichen Recht, 1967. 18 Mertens, Der Begriff des Vermögensschadens im Bürgerlichen Recht, 19 Mertens, Der Begriff des Vermögensschadens im Bürgerlichen Recht, 20 Mertens, Der Begriff des Vermögensschadens im Bürgerlichen Recht, 21 Mertens, Der Begriff des Vermögensschadens im Bürgerlichen Recht, 22 Mertens, Der Begriff des Vermögensschadens im Bürgerlichen Recht, 23 Mertens, Der Begriff des Vermögensschadens im Bürgerlichen Recht, 24 Mertens, Der Begriff des Vermögensschadens im Bürgerlichen Recht, 25 Mertens, Der Begriff des Vermögensschadens im Bürgerlichen Recht, 26 Mertens, Der Begriff des Vermögensschadens im Bürgerlichen Recht, 27 Mertens, Der Begriff des Vermögensschadens im Bürgerlichen Recht, 17
S. 156ff. S. 156. S. 158. S. 162. S. 164. S. 156. S. 158. S. 75. S. 75, 158. S. 158; ebenso S. 75.
I. Die Unterscheidung
von Schaden und
Interesse
87
also die Forderung verlöre, vielmehr behält er die Forderung und diese wechselt allenfalls ihren Inhalt, indem sie nicht mehr auf die Primärleistung, sondern auf Geldzahlung gerichtet ist. Zum anderen ist das Konzept Mertens' inkonsistent. Seine Untersuchung ist auf die Klärung der Frage gerichtet, worin der Vermögensschaden des Geschädigten besteht. Selbst wenn man zugesteht - was, wie dargelegt, unrichtig ist - , daß der Vermögensschaden im Falle der Nichterfüllung in der Beeinträchtigung der Forderung besteht, so bleibt die Frage, in welcher Höhe der Schädiger Ersatz zu leisten hat; nach der Konzeption Mertens richtet sich die Höhe nach der Einbuße, die der Geschädigte erleidet und folglich müßte der Schädiger alleine diesen Wert der Forderung, also abzüglich des »Risikoabschlags«, zahlen. Weshalb die Höhe des Vermögensschadens von der Person des Schädigers abhängen soll, erklärt Mertens nicht. Die Aussage, daß der Schuldner als Schädiger für den Nichterfüllungsschaden »in voller Höhe« haftet, erklärt nicht, weshalb diese Höhe eine andere sein soll als in dem Fall, daß ein Dritter die Forderung beeinträchtigt. Wenn sich aus dem Begriff des Vermögensschadens ergibt, daß der Ersatzanspruch in dem Wert der beeinträchtigten Forderung (Wert des Gegenstandes abzüglich Risikoabschlag) besteht, so ist diese Höhe die »volle Höhe« des Nichterfüllungsschadens. Denkt man das Konzept Mertens' zu Ende, so würde also der Schuldner der Forderung in der überschießenden Höhe haften, ohne daß dem Gläubiger insoweit ein Vermögensschaden entstanden ist. Diese Konsequenz kommt in der Schrift von Mertens freilich nicht zum Ausdruck.
4. Keuk Für Keuk2% besteht ein Schaden nicht in der Differenz zweier Gesamtvermögen, sondern in der Addition des konkreten, objektbezogenen Schadens und des entgangenen Gewinns; die Differenzhypothese Mommsens sei nur eine deutsche Formulierung dieser Addition, nicht hingegen eine Methode zur Ermittlung des Schadens 29 . In foro erfolge die Schadensermittlung stets objektbezogen 3 0 , was schon im Hinblick auf §253 Abs. 2 Nr. 2 Z P O erforderlich sei 31 . Der Schaden sei also stets ein realer, müsse aber in Geld umgerechnet werden (rechnerischer Schaden) 32 . Interesse und Schaden sind für Keuk gänzlich verschiedene Dinge 3 3 . Während der Schaden in der Beeinträchtigung gegenwärtiger Vermögenspositionen besteht, knüpfe das Interesse an einen künftigen Zustand an, der nicht wirklich ist 28 29 30 31 32 33
Vermögensschaden und Interesse, 1972. Keuk, Vermögensschaden und Interesse, Keuk, Vermögensschaden und Interesse, Keuk, Vermögensschaden und Interesse, Keuk, Vermögensschaden und Interesse, Keuk, Vermögensschaden und Interesse,
S. 16f. S. 20f. nebst Fn. 42. S.31f. S. 21 f. S. 52.
88
53. Geldkondemnation:
Grundlagen
des Ersatzes des
Erfüllungsinteresses
und erst herbeigeführt werden soll 34 ; mit dem Begriff des Interesses sei nicht die Vorstellung eines Schadens, sondern umgekehrt die eines Vorteils verbunden 3 5 . Das Interesse sei nicht auf den Unterschied zweier Vermögen bezogen, sondern auf den Unterschied zweier Verhaltensweisen des Schuldners, nämlich des ordnungsmäßigen und des ordnungswidrigen Verhaltens 3 6 . Der Inhalt des Interesses ergebe sich aus der Gegenüberstellung dieser Verhaltensweisen. Im Falle der Verpflichtung zur Leistung eines Gegenstandes hätte der Gläubiger etwa bei ordnungsgemäßem Verhalten des Schuldners den Gegenstand in sein Vermögen erhalten 3 7 . Wo sich ein ordnungswidriges Verhalten hingegen nicht in einem bestimmten Erfolg niederschlage, entbehre das Interesse eines Gegenstandes 3 8 . Entscheidend für die Bestimmung der Ersatzpflicht sei nicht die Unterlassung der schadenstiftenden Handlung, sondern die Frage, wie der Gläubiger bei ordnungsgemäßem Verhalten Schädigers stünde 3 9 . Der Anspruch auf das positive Interesse gehe dahin, den Zustand herzustellen, daß der Gläubiger den spezifischen Gegenstand, u m den sein Vermögen erweitert werden sollte, erhalten hat; der Wert dieses Gegenstandes ist dem Gläubiger zu gewähren 4 0 . Für Keuk stellt sich dies als Schaden in der Erscheinungsform entgangenen Gewinns dar 41 . Der Anspruch auf Ersatz des Erfüllungsinteresses sei wie der Erfüllungsanspruch durch das Schuldverhältnis begründet, der Gläubiger fordere das Erfüllungsinteresse kraft seines vertraglichen Rechtes auf die Leistung; Naturalleistung und Leistung des notwendigen Geldäquivalentes seien zwei Formen der Verwirklichung des vertraglichen Rechts des Gläubigers 4 2 . Keuk geht stets davon aus, daß der Schuldner haftet und untersucht nur die Frage, welchen Inhalt der zu leistende Ersatz hat. Die Voraussetzungen der Haftung sind nicht ihr Anliegen und werden ausgeklammert. Mit der Aussage, daß N a t u ralleistung und Ersatzleistung nur zwei Formen der Verwirklichung des vertraglichen Rechts des Gläubigers seien, daß der Gläubiger das Erfüllungsinteresse kraft seines vertraglichen Rechts auf Leistung fordere, ist aber bereits eine These angelegt, die von Keuk nur nicht ausgesprochen wird: der Anspruch auf das Erfüllungsinteresse kann keinen anderen Voraussetzungen unterliegen als der Erfüllungsanspruch.
Keuk, Vermögensschaden und Interesse, S. 52f. Keuk, Vermögensschaden und Interesse, S. 54. 36 Keuk, Vermögensschaden und Interesse, S.54f. 37 Keuk, Vermögensschaden und Interesse, S. 56. 38 Keuk, Vermögensschaden und Interesse, S. 58. 39 Keuk, Vermögensschaden und Interesse, S. 59ff. 40 Keuk, Vermögensschaden und Interesse, S. llOf. 41 Keuk, Vermögensschaden und Interesse, S. 50f., 111. Freilich verträgt sich diese Aussage kaum mit der These Keuks, daß Schaden und Interesse nichts gemein haben; kritisch auch Knütel, AcP 202 (2002), 581 Fn.113. 42 Keuk, Vermögensschaden und Interesse, S. l l l f . 34 35
I. Die Unterscheidung von Schaden und Interesse
89
Unreflektiert erscheint die Gleichsetzung des die Ersatzpflicht auslösenden Verhaltens des Schuldners mit dem durch dieses Verhalten zu bewirkenden E r folg. D e m liegt offenbar die Vorstellung zugrunde, daß der Schuldner stets zu einem bestimmten Verhalten verpflichtet sei und durch dieses Verhalten stets ein bestimmter Erfolg erreicht werden solle. Indem im Falle der Nichterfüllung das Interesse des Gläubigers an dem ordnungsmäßigen Verhalten des Schuldners zu ersetzen sein soll, muß aber zumindest angenommen werden können, daß durch dieses ordnungsgemäße Verhalten der Erfolg auch erreicht worden wäre. Dieses K o n z e p t Keuks
versagt im Falle der infolge eines von dem Schuldner zu vertreten-
den Umstandes eingetretenen Unmöglichkeit. Ist die Leistung erst einmal unmöglich geworden, so kann der Schuldner sich verhalten, wie er will: unter keinen Umständen wird es noch zur Bewirkung des Erfolges k o m m e n . A n die Verursachung der Unmöglichkeit soll aber nach Keuk
nicht anzuknüpfen sein, will sie
doch gerade nicht das »schadenstiftende« Verhalten berücksichtigen, sondern nur das Unterlassen der Erweiterung des Vermögens des Gläubigers. N a c h dieser Konzeption ist eine auf das Verhalten des Schuldners gründende Ersatzpflicht daher nur dann zu begründen, wenn man das Unterlassen der Erfüllung selbst dann noch als ordnungswidriges Verhalten begreift, wenn die Erfüllung bereits unmöglich ist. Das aber zeigt, daß es auf das Verhalten des Schuldners eben nicht ank o m m t : entscheidend ist nur, daß der Gläubiger die Leistung nicht erhalten hat, entscheidend ist alleine das Ausbleiben des Erfolges; der Anknüpfung an das Verhalten des Schuldners bedarf es nicht nur nicht, sie ist auch schädlich.
Knütel
5.
Jüngst hat C. Knütel43
den Begriff des Interesses wiederum untersucht und in E r -
innerung gerufen, daß der Begriff des Interesses mit dem Begriff des Schadens nichts gemein hat 4 4 . E r unterscheidet das allgemeine Interesse, das jeder Gläubiger gleichermaßen hat und das ein Geldäquivalent des vertraglichen Erfüllungsanspruchs sei sowie das besondere Interesse, das gerade dieser eine Gläubiger an der Leistung hat (entgangener Gewinn, Verfall von Vertragsstrafen) 4 5 . D i e Verpflichtung zur Leistung des allgemeinen Interesses werde bereits durch den Vertragsschluß (verhalten, bedingt) begründet; »die Pflicht zur Leistung in Natur und in Geld nach Maßgabe des allgemeinen Interesses sind zwei Erscheinungsformen ein und derselben Sache, des vertraglichen Erfüllungsanspruchs« 46 .
43 44 45 46
Knütel, Knütel, Knütel, Knütel,
AcP AcP AcP AcP
202 202 202 202
(2002), (2002), (2002), (2002),
555ff. 572. 573. 575f.; Hervorhebung im Original.
90
§3. Geldkondemnation:
Grundlagen
des Ersatzes des
Erfüllungsinteresses
Die im Gesetz fehlende Differenzierung zwischen allgemeinem und besonderem Interesse sei auf die mangelhafte Ausbildung des Interessebegriffs, namentlich die Gleichsetzung mit dem Schaden, zurückzuführen 47 . Daß im Falle der Nichterfüllung ein Schaden nicht entstehe, zeige sich daran, daß das Vermögen des Gläubigers gleich bleibe. Der an die Stelle des Erfüllungsanspruchs tretende Schadensersatzanspruch wegen Nichterfüllung ersetze den Erfüllungsanspruch, nicht aber einen Schaden. Auch eine Vermögensmehrung bleibe nicht aus, weil der Gläubiger den Gewinn in Form des Anspruchs auf Leistung bereits mit Vertragsschluß gemacht habe 48 . Die Gleichsetzung von besonderem und allgemeinem Interesse sei verfehlt, weil hinsichtlich des letzteren der Grundsatz der Naturalerfüllung nicht zur Anwendung komme, ein Mitverschulden nicht in Betracht komme und Entwicklungen nach dem Erfüllungszeitpunkt (etwa der Umstand, daß der Gläubiger den Leistungsgegenstand verschenkt oder verbraucht hätte) unerheblich seien 49 . Auch eine Vorteilsausgleichung finde nicht statt 50 . Die Voraussetzungen des Anspruchs auf Ersatz des allgemeinen Interesses benennt Knütel dahin, daß die Voraussetzungen der §§280 Abs. 1, 281 Abs. 4, 283 B G B vorliegen müssen, »das heißt: sobald der Käufer Schadensersatz verlangt hat oder sobald die Leistung infolge eines Umstandes unmöglich geworden ist, den der Verkäufer zu vertreten hat« 51 ; der Schuldner habe das allgemeine Interesse zu vergüten, »soweit und solange er nicht infolge einer nicht zu vertretenden Unmöglichkeit insgesamt befreit wird« 52 . Knütel läßt damit offen, unter welchen Voraussetzungen der Schuldner die Nichtleistung zu vertreten und also das Interesse zu leisten hat.
II. Leistung und
Geldäquivalent
Als Destillat dieser Untersuchungen läßt sich festhalten: Interesse bezeichnet denjenigen Wert, um den das Vermögen des Gläubigers erhöht werden soll. Im Falle der Nichterfüllung tritt ein Geldäquivalent an die Stelle des Leistungsgegenstandes, um diesem Interesse zu genügen. Diese Lehre hat eine unausgesprochene Voraussetzung und eine unausgesprochene Folge. Unausgesprochene Voraussetzung ist, daß die Obligation darauf gerichtet sein muß, das Vermögen des Gläubigers zu erhöhen. Das ist indessen bei weitem nicht in allen Obligationen der Fall, so daß die Lehre von der Geldkondemnation einzuschränken ist auf diejenigen Fälle, in denen das Vermögen des 47 48 49 50 51 52
Knütel, Knütel, Knütel, Knütel, Knütel, Knütel,
AcP AcP AcP AcP AcP AcP
202 202 202 202 202 202
(2002), (2002), (2002), (2002), (2002), (2002),
579. 581. 582. 586. 575. 575; Hervorhebung im Original.
II. Leistung und
Geldäquivalent
91
Gläubigers erhöht werden soll. In denjenigen Fällen, in denen die Obligation nicht auf Mehrung des Vermögens angelegt ist, k o m m t es grundsätzlich nicht in Betracht, daß an die Stelle der nicht erbrachten Leistung ein Geldäquivalent tritt. Die unausgesprochene Folge der Lehre ist, daß der Anspruch auf das Geldäquivalent denselben Voraussetzungen unterliegen muß wie der Erfüllungsanspruch, weil diese Ansprüche identisch sind: es ist der Erfüllungsanspruch selbst, der auf die Leistung in N a t u r und alternativ auf Geldersatz gerichtet ist. Wenn aber der Geldersatzanspruch mit dem Erfüllungsanspruch identisch ist, so teilt er dessen Voraussetzungen. Daraus ergibt sich, daß der Geldersatzanspruch nur den Vertragsschluß zur Voraussetzung hat. Vertretenmüssen hingegen gehört nicht zu seinen Voraussetzungen.
1. Geldkondemnation und Schadensersatz wegen Nichterfüllung Rechtsordnungen, die keinen durchsetzbaren Erfüllungsanspruch haben, wie das römische R e c h t und im Grundsatz das englische Recht, knüpfen den Geldersatz an den Erfüllungsanspruch. Im römischen Recht war die intentio auf die ursprüngliche Leistung zu richten, die condemnatio lautete sodann aber grundsätzlich auf Zahlung einer Geldsumme 5 3 . Das Bestehen des Erfüllungsanspruchs war hiernach also Voraussetzung für die Verurteilung zur Geldzahlung. D i e Geldzahlung stellt sich als der Inhalt des Erfüllungsanspruchs dar, den dieser durch das Urteil erhält; durch das Urteil wird der Gegenstand des Erfüllungsanspruchs geändert 5 4 . a) Erfüllungsanspruch
und
Garantiehaftung
D e r Erfüllungsanspruch erfordert einen Entstehungstatbestand, also ein wirksames Rechtsgeschäft oder gesetzliches Schuldverhältnis. D e r vertragliche Erfüllungsanspruch entsteht aufgrund des angenommenen
Leistungsversprechens.
Sein Entstehen setzt kein Verschulden voraus 5 5 . Das Erfüllungsinteresse ist der Gegenstand des Erfüllungsanspruchs; primär ist das Erfüllungsinteresse natural zu befriedigen, ausnahmsweise aber tritt Geld an die Stelle des primären Leistungsgegenstandes. D e r Anspruch auf das Erfüllungsinteresse in der einen wie in der anderen F o r m ist der Erfüllungsanspruch und setzt kein Verschulden voraus. Indem das Bestehen des Erfüllungsanspruchs ein Verschulden des Schuldners nicht voraussetzt, handelt es sich um einen Garantieanspruch 5 6 . A m deutlichsten Käser/Hackl, Das römische Zivilprozeßrecht, §45 II mit Fn. 7. Wagner, JZ 1998, 485. 55 MüKo 4 /Emmerich, Band 2, §276 Reiz. 24; vgl. auch Haberzettl, Verschulden und Versprechen, S.20. 56 U. Huber, Leistungsstörungen I, S. 528ff., der freilich aus dieser richtigen Erkenntnis nicht die gebotenen konsequenten Folgerungen zieht; ähnlich für das österreichische Recht Jud, Schadenersatz bei mangelhafter Leistung, S. 117f. 53 54
92
§3. Geldkondemnation:
Grundlagen
des Ersatzes des
Erfüllungsinteresses
wird dies im Falle der Entstehung des Anspruchs durch Vertragsschluß: hier entsteht der Erfüllungsanspruch aufgrund der beiderseitigen Willenserklärungen; sodann besteht er unabhängig davon, wie der Schuldner sich verhält. An keiner Stelle der gedanklichen Prüfung des Bestehens des Erfüllungsanspruchs also ist zu erwägen, ob den Schuldner ein Verschulden trifft. Der Schuldner ist zur Erfüllung verpflichtet, und zwar nicht, weil ihn ein Verschulden träfe, sondern weil er die Erfüllung versprochen hat. Der vielzitierte Satz der Motive 57 , der Schuldner übernehme mit dem Vertragsschluß zugleich eine Garantie für seine Leistungsfähigkeit, ist dahin zu verstehen, daß die Garantie in dem Vertragsschluß selbst liegt 58 . Der Schuldner verspricht nicht die Leistung und gibt daneben (konkludent) die Erklärung ab, zur Leistung in der Lage zu sein und hierfür einstehen zu wollen. Soweit gegen diese Vorstellung eines doppelten Versprechens Kritik erhoben wurde mit dem Argument, der Schuldner wolle eine solche Garantieerklärung nicht abgeben 59 , hat diese Kritik nie verfangen: die Haftung des Schuldners ergab sich gerade nicht aus einer irgendwie gearteten besonderen Erklärung neben dem Versprechen zur Leistung, sondern alleine daraus, daß der Schuldner zur Leistung verpflichtet war 60 . Die Haftung des Schuldners für die Erfüllung ist, ebenso wie die Verpflichtung zur Erfüllung, nicht verschuldensabhängig 61 ; so war jedenfalls die Rechtslage bis zum 1.1. 2002. Der Schuldner mußte, wenn er eine bestehende Verbindlichkeit nicht erfüllte, Schadensersatz wegen Nichterfüllung leisten. Diese Folge trat spätestens nach rechtskräftiger Verurteilung des Schuldners zur Leistung und einer hiernach abgelaufenen angemessenen Frist ein 62 ; unter besonderen Umständen konnte der Gläubiger auch bereits früher Schadensersatz wegen Nichterfüllung verlangen. Solange aber der Erfüllungsanspruch bestand, war nicht zweifelhaft, daß der Schuldner im Fall der Nichterfüllung »Schadensersatz« leisten mußte, Motive II, S. 45. U. Huber, Leistungsstörungen I, S.528; Ballerstedt, FS Nipperdey (1955), S.270. 59 Titze, Die Unmöglichkeit der Leistung nach Deutschem Bürgerlichen Recht, S. 249 (»Vergewaltigung des Parteiwillens«); Brecht, JherJb. 53 (1908), S.275; Esser/Schmidt, Schuldrecht 1/2, §22 III ( S . l l f . ) ; Eichenhofer, JuS 1989, 780; Gudian, N J W 1971, 1240f.; Grunewald, J Z 2001, 435f.; Wagner,}Z 1998,493; Staudinger 11 /Ostler, §440 Rdz 6; Koller, Die Risikozurechnung bei Vertragsstörungen in Austauschverträgen, S. 269; Berghoff, Die Unmöglichkeit und ihre Rechtsfolgen nach dem B G B und dem Einheitlichen Kaufrecht, S. 60ff. 60 Diese Möglichkeit wird von Titze (Die Unmöglichkeit der Leistung nach Deutschem Bürgerlichen Recht, S. 250) gesehen, jedoch verneint mit dem Satz »Aber ganz abgesehen davon, dass aus der Nichtbefreiung des Schuldners noch durchaus nicht seine Verpflichtung zum Schadensersatz folgt, indem ja dazwischen als ein Drittes immer noch die Möglichkeit bloßen Wertersatzes übrig bleibt, so lässt sich aus §275 ein solches argumentum e contrario überhaupt nicht ableiten«. Wie hier Rabel, FS Bekker, S. 230; ders., Warenkauf I, S. 146f.; U. Huber, Leistungsstörungen I, S.528; Ballerstedt, FS Nipperdey, S.270; wohl auch Schreiber, Schuld und Haftung, S.24. 61 Würthwein, Zur Schadensersatzpflicht wegen Vertragsverletzungen im Gemeinen Recht des 19. Jahrhunderts, S.231. 62 Würthwein, Zur Schadensersatzpflicht wegen Vertragsverletzungen im Gemeinen Recht des 19. Jahrhunderts, S.74. 57 58
II. Leistung
und
Geldäquivalent
93
sondern zweifelhaft konnte allenfalls sein, ab welchem Zeitpunkt der Gläubiger »Schadensersatz« statt der Primärleistung verlangen konnte. Indem aber die Haftung wegen Nichterfüllung nichts weiter voraussetzte als das Bestehen des Erfüllungsanspruchs und einen Tatbestand, der den Gläubiger von der Beschränkung auf den Primärleistungsanspruch befreite, war diese Haftung des Schuldners verschuldensunabhängig, also eine Garantiehaftung. Ohne jedes Verschulden des Schuldners konnte also der Gläubiger »Schadensersatz« wegen Nichterfüllung verlangen, wenn der Schuldner nur eine bestehende Verbindlichkeit nicht erfüllte. Der Schuldner konnte sich demgegenüber nicht mit dem Einwand entlasten, daß ihn kein Verschulden treffe: das Verschulden war gerade nicht Voraussetzung seiner Verpflichtung und damit auch nicht Voraussetzung seiner Haftung 6 3 . Mommsen formulierte dies deutlich: »In den Fällen endlich, in welchen das Interesse den nachfolgenden Gegenstand der Obligation bildet, ist die verpflichtende Thatsache nicht die Culpa des Schuldners, sondern die Nichterfüllung der Obligation« 6 4 .
Die Vorstellung, daß das Verschulden selbst es sein könnte, welches die Haftung des Schuldners für die Nichterfüllung begründet, wurde zwar vor Inkrafttreten des BGB bereits vertreten, jedoch wies v. Kübelbs diese Vorstellung ausdrücklich zurück; aus den Materialien ergibt sich kein Hinweis darauf, daß von der Meinung v. Kübels abgerückt worden wäre. b) Verschiedenheit von Erfüllungsanspruch
und Schadensersatzanspruch ?
Die Einsicht, daß der Geldersatz, welchen der Schuldner anstelle der Leistung zu zahlen hat, lediglich ein anderer Inhalt des Erfüllungsanspruchs selbst ist und daher keinen anderen Voraussetzungen unterliegen kann, wird verstellt durch den Begriff des »Schadensersatzes wegen Nichterfüllung«, den das BGB a.F. verwendete, in zweierlei Hinsicht: zum einen wird der Schadensersatzanspruch als vom Erfüllungsanspruch verschiedener Anspruch begriffen 66 und zum anderen wird die Reichweite des Schadensersatzanspruches wegen Nichterfüllung von der Reichweite des Erfüllungsanspruches unterschieden. Die Formulierungen der §§280, 286, 325, 326, 283 BGB a.F. erweckten den Eindruck, der Schuldner schulde nicht mehr Erfüllung, sondern Schadensersatz wegen Nichterfüllung. Diese Vorstellung beruht auf der Ansicht, Erfüllungsanspruch und Schadensersatzanspruch wegen Nichterfüllung seien notwendig verschiedene Ansprüche. Unsere bisherige Untersuchung hat demgegenüber ergeben, daß das gemeine Recht und infolgedessen auch das BGB alter Fassung von 63 Würthwein, Zur Schadensersatzpflicht wegen Vertragsverletzungen im Gemeinen Recht des 19. Jahrhunderts, S. 106ff. 64 Mommsen, Interesse, S. 139; ebenso ders., Die Lehre von der Mora, S. 19f. 65 v. Kübel, Recht der Schuldverhältnisse, S. 861. 66 Vgl. nur Latenz, Schuldrecht I, § 22 I (S. 333) mit Fn. 1.
94
§3. Geldkondemnation:
Grundlagen
des Ersatzes des
Erfüllungsinteresses
der Einheitlichkeit der Obligation ausgegangen sind, wonach der Schuldner entweder obligiert bleibt oder frei wird, nicht aber gleichzeitig (hinsichtlich des Erfüllungsanspruchs) frei werden und (hinsichtlich des Schadensersatzanspruchs) obligiert bleiben kann 67 . Die Einheitlichkeit der Obligation bedingt, daß Geldersatz statt der Leistung aufgrund des einheitlichen Obligiertseins zu leisten ist. Nicht der Grund der Verpflichtung ändert sich, nur der Gegenstand der Schuld ändert sich; nicht der Anspruch ändert sich, sondern der Inhalt des Anspruchs ändert sich. Was dem Gläubiger in Natur nicht zuteil wird, ist ihm in Geld zu ersetzen. Der Gläubiger kann also Geldzahlung statt des ursprünglichen Leistungsgegenstandes nicht aufgrund eines Schadensersatzanspruches verlangen, sondern aufgrund seines Erfüllungsanspruches. Dieses Verständnis des Geldersatzes ist vielfach noch klar ausgesprochen; so heißt es bei v. Kübel: »Bei eingetretener objektiver Unmöglichkeit ist freilich der ursprüngliche Forderungsgegenstand nicht mehr vorhanden; das Forderungsrecht auf diesen Gegenstand kann also nicht mehr bestehen; aber auch in diesem Falle ist es der Anspruch auf die Erfüllung, welchen der Gläubiger mit der Geltendmachung des Erfüllungsinteresses verfolgt; denn durch die Verschuldung des Schuldners hat sich ohne Wechsel des Verpflichtungsgrundes hier nur der Leistungsgegenstand verändert« 6 8 .
Die dieser Begründung zugrunde liegende Vorschrift (Abschn. I Tit. 3 III § 1 des Vorentwurfs) lautet 69 : »Kann der Schuldner die ihm obliegende Verbindlichkeit nicht oder nicht vollständig erfüllen, weil er eine ihm ganz oder theilweise unmögliche Leistung versprochen hat, oder weil die Leistung zufolge eines von dem Schuldner zu vertretenden Umstandes ganz oder theilweise unmöglich geworden ist, so besteht die Verbindlichkeit demungeachtet und der Gläubiger kann den Ersatz des ihm durch die Nichterfüllung unmittelbar oder mittelbar verursachten Schadens verlangen«.
v. Kübel setzt also in der Norm als Rechtsfolge Schadensersatz wegen Nichterfüllung fest, entnimmt diese Rechtsfolge aber, wie die Begründung zeigt, nicht einem von dem Erfüllungsanspruch verschiedenen Schadensersatzanspruch, sondern dem Erfüllungsanspruch selbst. Gegenstand des Erfüllungsanspruchs ist also, wenn die Voraussetzungen der Umstellung vorliegen, der Ersatz des Erfüllungsinteresses in Geld. Allerdings wurde die Auffassung vertreten, der Schadensersatzanspruch wegen Nichterfüllung aus §283 BGB a.F. unterscheide sich grundsätzlich von dem Erfüllungsanspruch 70 . Diese Auffassung wird gestützt auf zwei Entscheidungen des Reichsgerichts.
67 68 69 70
Oben § 1 II und III (S.6ff.). v. Kübel, Recht der Schuldverhältnisse, S. 862. v. Kübel, Recht der Schuldverhältnisse, S. 849. So Staudinger/Löwisch (2001), §283 Rdz.26; MK.VEmmerich, Band 2, §283 Rdz.23.
II. Leistung und Geldäquivalent
95
Im ersten Fall 7 1 war die beklagte Verkäuferin in einem Vorprozeß rechtskräftig zur Leistung eines Kraftfahrzeuges an den Käufer verurteilt worden. Später brach ein Streik aus, der die Beklagte zur Lieferung außerstande setzte. Die Beklagte machte daraufhin von einem unter anderem für den Streikfall vorgesehenen vertraglichen Rücktrittsrecht Gebrauch, während der Kläger eine Nachfrist mit Ablehnungsandrohung setzte. In dem Verfahren, über welches das Reichsgericht zu entscheiden hatte, begehrte der Kläger nunmehr Schadensersatz wegen Nichterfüllung, während die Beklagte sich demgegenüber auf den erfolgten Rücktritt berief. Das Reichsgericht verurteilte antragsgemäß und führte hinsichtlich des Rücktrittsrechts aus 72 : »Auf diese Vertragsbedingung kann aber die Beklagte im jetzigen Rechtsstreit nicht mehr zurückkommen, denn der Kläger macht nicht Rechte aus dem ursprünglichen Vertragsverhältnis der Parteien geltend, sondern den an die rechtskräftige Verurteilung des Schuldners zur Leistung anknüpfenden gesetzlichen Schadensersatzanspruch des § 2 8 3 B G B . «
Es versteht sich, daß die Beklagte nach rechtskräftiger Verurteilung zur Leistung nicht mehr von dem Vertrag zurücktreten konnte. Hierzu bedarf es aber nicht der Vorstellung, daß der Schadensersatzanspruch des § 2 8 3 B G B a.F. ein anderer Anspruch als der ursprüngliche Erfüllungsanspruch sei, gar, daß der Schadensersatzanspruch nicht aus dem ursprünglichen Vertragsverhältnis stamme. Mit dem A b schluß des Vorprozesses war vielmehr das Gestaltungsrecht der Beklagten erloschen und deswegen ein Rücktritt nicht mehr möglich: §283 B G B a.F. benannte abschließend den einzigen Fall, der den Schuldner noch befreien konnte, nämlich die nachträgliche nicht zu vertretende Unmöglichkeit. Ein solcher Fall war aber nicht vorgetragen, der Streik begründete schon keine Unmöglichkeit und wäre jedenfalls, weil sich die Beklagte im Verzug befand, von dieser zu vertreten gewesen, wie das Reichsgericht feststellte 73 . Indem dieser einzige noch in Betracht kommende Befreiungsgrund nicht vorlag, war der Klage stattzugeben. Die rechtskräftige Verurteilung perpetuierte den Erfüllungsanspruch und machte ihn rücktrittsresistent. Ein Beweis für die Verschiedenheit von Erfüllungsanspruch und dem Schadensersatzanspruch des §283 B G B a.F. läßt sich der Entscheidung daher nicht entnehmen. In dem zweiten Fall 7 4 , der für die These der Verschiedenheit des Schadensersatz- von dem Erfüllungsanspruch angezogen wird 7 5 , hatte die Klägerin unter anderem vier Kisten bei der Beklagten eingelagert und ein rechtskräftiges Urteil auf Herausgabe erstritten. Nach erfolglosem Zwangsvollstreckungsverfahren verlangte die Klägerin Schadensersatz, wohingegen die Beklagte sich darauf berief,
71 72 73 74 75
R G Z 107, 233. R G Z 107, 233, 235. R G Z 107, 233, 234f. R G Z 109,234. M K 3 / E m m e r i c h , §283 Rdz.27 Fn.67.
96
§3. Geldkondemnation:
Grundlagen
des Ersatzes des
Erfüllungsinteresses
daß nach dem Lagervertrag alle Ansprüche binnen drei Monaten vom Tag der Ablieferung an verjähren. Das Reichsgericht führte aus: »Dieser Herausgabeanspruch gewann damit, daß die Klägerin das ihm stattgebende rechtskräftige Urteil erwirkte, eine neue Rechtsgrundlage: für ihn begann ... nunmehr eine dreißigjährige [Verjährung] ... Die vertragliche Dreimonatsfrist war von der Klägerin dadurch gewahrt worden, daß sie unstreitig innerhalb dieser Zeit auf Herausgabe klagte. ... Indem die Klägerin jetzt Schadensersatz wegen Nichterfüllung des Herausgabeanspruchs begehrt, verfolgt sie nur diesen Anspruch weiter, jedoch in der veränderten Gestalt, die er kraft G e setzes ( § 2 8 3 B G B . ) durch die vollstreckungsweise festgestellte Unmöglichkeit der Leistung erhalten hat« 7 6 .
Will man diese Entscheidung zur Stützung der These verwenden, der Erfüllungsanspruch und der Schadensersatzanspruch seien verschieden, so könnte hierfür allenfalls sprechen, daß das Reichsgericht von einer »neuen Rechtsgrundlage« spricht. Damit aber würde die Auffassung des Reichsgerichts aus dem Zusammenhang gerissen und verfälscht: aus der neuen Rechtsgrundlage wird nicht ein neuer Anspruch hergeleitet, sondern es ist der Herausgabeanspruch selbst, der auf eine »neue Rechtsgrundlage« insoweit gestützt wird, als eine neue, in ihrer Laufzeit von dem Vertrag unabhängige Verjährungsfrist mit Rechtskraft des U r teils in Gang gesetzt wird. Es ist aber keine Rede davon, daß die Klägerin statt des Herausgabeanspruchs nunmehr einen davon verschiedenen Schadensersatzanspruch geltend mache, im Gegenteil: die Klägerin »verfolgt... diesen Anspruch«, also den Herausgabeanspruch, weiter, »jedoch in der veränderten Gestalt, die er kraft Gesetzes ... erhalten hat«. Mit dem Anspruch aus §283 B G B a.E verfolgt die Klägerin also ihren vertraglichen Erfüllungsanspruch, der nunmehr auf Geldersatz gerichtet ist. Die angezogene Entscheidung spricht also nicht gegen, sondern für unsere These. c) Umfang des Erfüllungsanspruchs
und des
Geldersatzanspruchs
Mit dem Erfüllungsanspruch soll das Interesse des Gläubigers am Erhalt der Leistung zunächst in Natur befriedigt werden. Demzufolge kann der Geldersatzanspruch wegen Nichterfüllung, wenn das hier dargelegte Verständnis zutrifft, nicht über dieses Interesse, welches nunmehr in Geld bemessen wird, hinausgehen. Nur das Interesse am Erhalt des Leistungssubstrats selbst ist also vom Schadensersatz wegen Nichterfüllung, soweit dieser Geldkondemnation für den ursprünglichen Leistungsgegenstand ist, umfaßt 77 . Nicht hierzu gehören also etwa verwirkte Vertragsstrafen, die Belastung mit Schadensersatzansprüchen, Kosten der Rechtsverfolgung oder Schäden an sonstigen Rechtsgütern des Gläubigers,
R G Z 109, 234, 236f. Richtig Kisch, Die Wirkungen der nachträglich eintretenden Unmöglichkeit der Erfüllung bei gegenseitigen Verträgen, S. 128; Haberzettl, Verschulden und Versprechen, S.46. 76 77
II. Leistung und
Geldäquivalent
97
die aufgrund der Nichterfüllung eingetreten sind 78 . Diese Schadenspositionen werden aber dem Begriff des Schadensersatzes wegen Nichterfüllung subsumiert 7 9 . Indem der Anspruch damit Schadenspositionen aufnimmt, die der Erfüllungsanspruch von vornherein nicht umfassen kann, erscheint der Schadensersatzanspruch als ein notwendig anderes Gebilde als der Erfüllungsanspruch. Nach hier entwickeltem Verständnis ist hingegen der Schadensersatzanspruch wegen Nichterfüllung nicht ein einheitliches Gebilde, welches, wenn der Anspruch gegeben ist, sämtliche Schadenspositionen umfaßt und, wenn der A n spruch nicht gegeben ist, den Ersatz sämtlicher Schadenspositionen ausschließt. Vielmehr verbergen sich hinter der Formulierung »Schadensersatz wegen Nichterfüllung« zwei verschiedene Ansprüche, von denen der eine der ursprüngliche Erfüllungsanspruch ist, dessen Inhalt sich in eine Geldleistung statt des ursprünglichen Leistungssubstrats gewandelt hat und somit auf das Erfüllungsinteresse gerichtet ist, während der andere Anspruch ein Schadensersatzanspruch ist, der auf den Ersatz von Schäden infolge der Nichterfüllung gerichtet ist 80 .
2. Keine Geldkondemnation im Falle der Nichterfüllung nicht auf Mehrung des Vermögens gerichteter Obligationen Soweit eine Obligation nicht darauf gerichtet ist, das Vermögen des Gläubigers zu erhöhen, kann das Ausbleiben der Leistung nicht dazu führen, daß dem Vermögen des Gläubigers nunmehr in Form der ausgebliebenen Erhöhung etwas fehlte, was durch ein Geldäquivalent auszugleichen wäre 8 1 . Im Falle der Nichterfüllung solcher Obligationen kann zwar ein Schaden entstehen, der gegebenenfalls zu ersetzen ist; das Ausbleiben der Leistung selbst aber führt nicht dazu, daß ein Geldäquivalent zu prästieren ist. Darüber, ob die Obligation auf Mehrung des Vermögens des Gläubigers gerichtet ist, entscheidet der Leistungsgegenstand. Ein Vertrag kann darauf gerichtet sein, daß der Gläubiger einen Gegenstand auf Zeit oder auf Dauer erhält. Im Falle der Erfüllung erfährt sein Vermögen eine Steigerung u m den Wert des Gegenstandes oder um den Wert der Nutzungsmöglichkeit. Im Falle der Nichterfüllung ist dieser Wert, u m den das Vermögen nicht vermehrt wurde, zu ersetzen 8 2 .
Hierzu unten §7 (S.283ff.). U. Huber, Leistungsstörungen II, S. 260ff.; Palandt 61 /Heinrichs, §325 Rdz. 14ff.; Soergel12/ Wiedemann, Vor §275 Rdz.30; MüKo 4 /Emmerich, Band2, §325 Rdz.50ff., insbesondere Rdz. 54; Rubel, Warenkauf I, S. 168; unklar Esser/Schmidt, Schuldrecht I 1, §7 I (S. 116f.). 80 So auch Wendehorst, Anspruch und Ausgleich, S. 466, 484ff. 81 Vgl. Savigny, System 1, S.377f.; Bardo, Die »abstrakte« Berechnung des Schadensersatzes wegen Nichterfüllung beim Kaufvertrag, S. 89ff. 82 Bardo, Die »abstrakte« Berechnung des Schadensersatzes wegen Nichterfüllung beim Kaufvertrag, S. 89ff. 78
79
98
§3. Geldkondemnation:
Grundlagen
des Ersatzes des
Erfüllungsinteresses
Sind Dienste welcher Art auch immer geschuldet, so verhält es sich völlig anders. Das Erbringen von Diensten ist seiner Natur nach vorübergehend. Die erbrachten Dienste werden nicht zu einem Bestandteil des Vermögens des Gläubigers, sein Vermögen wird um diese Dienste nicht vermehrt 8 3 . Zwar können die Dienste etwas Bleibendes schaffen, wenn sie beispielsweise auf die Produktion von Gütern gerichtet sind, an denen der Gläubiger Eigentum erwirbt. Auch dann aber sind es nicht die Dienste selbst, die in das Vermögen des Gläubigers eingehen, sondern nur das Produkt dieser Dienste. Sind die Dienste hingegen nicht auf Produktion von Gegenständen gerichtet, so bleibt dem Gläubiger nach der Erbringung der Dienste - nichts. Es heißt diesen grundlegenden Unterschied zu verkennen, wenn in der Literatur allgemeine Fragen des Nichterfüllungsschadens anhand des Kaufvertrages zum Teil bewußt 8 4 , überwiegend aber unbewußt stellvertretend für alle Verträge erörtert werden 8 5 . Wenn der »beauftragte« Anwalt untätig bleibt, wie ist dann der Nichterfüllungsschaden zu berechnen? Kann der Mandant seinen »Schaden« abstrakt oder konkret berechnen? Welcher O r t und welche Zeit sind der Schadensberechnung zugrunde zu legen? Kommt die Differenz- oder die Austausch- oder die abgeschwächte Differenztheorie zur Anwendung? Die Fragen sind ohne jeden Sinn und ihre Sinnlosigkeit beruht darauf, daß der Vertrag nicht darauf gerichtet ist, das Vermögen des Mandanten um ein bestimmtes Gut, das in der Dienstleistung selbst besteht, zu vermehren 8 6 . Nur wenn das Vermögen um ein Gut vermehrt werden soll, kann gefragt werden, nach welchen Grundsätzen, nach welcher Methode der Wert dieses Gutes, das dem Vermögen hätte zugeführt werden sollen, der aber nicht zugeführt wurde, berechnet werden soll. Die hypothetische Mehrung des Vermögens kann aber nicht berechnet werden, wenn das Vermögen überhaupt nicht gemehrt werden sollte. Der auf eine solche Leistung gerichtete Erfüllungsanspruch hat daher - anders als der auf Mehrung des Vermögens gerichtete Erfüllungsanspruch - nicht einen Geldbetrag mit dem Ziel des Ausgleichs eines Minderwerts im Vermögen des Gläubigers zum alternativen Inhalt. Im Falle der Nichterfüllung kann daher der Gläubiger nicht den in Geld bemessenen Wert der Leistung (Minderwert) als Sub83 Vgl. Neuner, AcP 133 (1931), 295f. hinsichtlich des Auftrags, wo allerdings unklar bleibt, ob Neuner die Begriffe Interesse und Wert der Leistung auf die Ausführung des Auftrags selbst oder auf dessen Ergebnis bezieht. 84 Keuk, S. 109 Fn. Knütel, AcP 202 (2002), S. 561 Fn. Bardo, Die »abstrakte« Berechnung des Schadensersatzes wegen Nichterfüllung beim Kaufvertrag, S. 89 (Kauf-, Werk- oder Mietvertrag). 85 Dieser Unterschied wird insbesondere dadurch verkannt, daß man jegliche Leistung als »Wertbewegung zwischen zwei Interessenkreisen« begreift; so Enneccerus/Lehmann, Recht der Schuldverhältnisse, S. 5f. 8 6 Vgl. Zugehör, ZGS 2003, 272ff., der für die Fälle, daß ein Mandant von dem Rechtsberater Schadensersatz statt der Leistung verlangen kann, stets ein Beispiel bildet, in welchem dem Mandanten ein Vermögensschaden entstanden ist.
II. Leistung und
Geldäquivalent
99
stitution für die ausbleibende Leistung verlangen; unter Umständen kommt aber der Ersatz von Herstellungskosten in Betracht 87 . Womöglich kann der Gläubiger Schadensersatz verlangen 88 , was jedoch die Entstehung eines Schadens voraussetzt 89 . Entsteht kein Schaden, so bleibt die Nichterfüllung, sofern auch ein Ersatz von Herstellungskosten nicht in Betracht kommt, vom Verlust des Gegenleistungsanspruchs abgesehen sanktionslos. Diese Sanktionslosigkeit der Nichterfüllung war ehemals der Grund dafür, ein Vermögensinteresse an der Leistung als Voraussetzung eines wirksamen Leistungsversprechens zu verlangen 90 , denn wo dieses fehlt und die Rechtsordnung demzufolge nicht auf die Nichterfüllung reagiert, fällt es schwer, überhaupt eine Bindung des Schuldners anzunehmen, welche über das Gebiet der Moral hinaus und in das Recht hinein reicht. Der Gesetzgeber des B G B hat sich sehenden Auges für die Wirksamkeit solcher Verträge entschieden und dabei auf die Möglichkeit der Vereinbarung von Vertragsstrafen verwiesen 91 .
3. I n s b e s o n d e r e : die M i n d e r u n g im Dienstvertrag a) Putzkraft
als
Buchhalterin
In einem vom B A G entschiedenen Fall 92 war eine Arbeitnehmerin als Leiterin der Buchhaltung zu einem Bruttomonatslohn in Höhe von 1450 D M eingestellt worden, ohne daß sie auch nur annähernd über die zur Ausübung der Tätigkeit hinreichenden Kenntnisse verfügte; ihre Arbeitsleistung bestand sodann überwiegend darin, »die Firmenräume zu säubern«. Die Arbeitgeberin maß der von der Arbeitnehmerin erbrachten Leistung einen Wert von 600 D M brutto monatlich zu und verlangte den ausgezahlten überschießenden Lohn zurück. Das B A G wies die Klage ab und führte aus, der Sache nach mache die Klägerin einen Minderungsanspruch geltend, den das Arbeitsvertragsrecht nicht vorsehe; zu einem Schaden habe sie nichts vorgetragen. In seiner Anmerkung zu dem Urteil erblickte Möschel den Schaden darin, daß die Klägerin für das versprochene Entgelt keine adäquate Leistung erhalten habe; im Ergebnis stimmte er der Entscheidung deswegen zu, weil der Klägerin die fehlende Eignung der Beklagten frühzeitig bekannt geworden und der Schadensersatzanspruch daher gem. §254 B G B ausgeschlossen sei. Konsequent ist das freilich nicht: der Hinweis auf §254 B G B hätte Dazu unten V 2 (S. 133ff.). Weshalb Hirte, Berufshaftung, S. 11 ff. unter der Überschrift »Anwaltshaftung« zu Recht alleine die Schadenshaftung, nicht hingegen die Nichterfüllungshaftung thematisiert. 89 Dazu unten V 1 b (S.131f.). 90 So noch Neuner, Wesen und Arten der Privatrechtsverhältnisse, S. 64ff.; dagegen Windscheid/Kipp, §250 mit Fn.3. 91 Motive II, S. 3; zur Vertragsstrafe als Mittel der Erfüllungssicherung Lindacher, Phänomenologie der »Vertragsstrafe*, S. 51 ff. 92 AP Nr. 71 zu §611 B G B Haftung des Arbeitnehmers m. Anm. Möschel. 87 88
100
§3. Geldkondemnation:
Grundlagen
des Ersatzes des
Erfüllungsinteresses
nur dazu führen können, den Schadensersatzanspruch für den Zeitraum zu versagen, der nach dem Zeitpunkt liegt, zu dem die Klägerin das Arbeitsverhältnis hätte beenden können. b) Das Argument
des gesetzlich
nicht vorgesehenen
Gewährleistungsrechts
Das B A G lehnt die Rückforderung des Lohnes mit der Begründung ab, das Arbeitsvertragsrecht sehe kein Minderungsrecht vor 93 . Diese Vorstellung beruht auf der Grundannahme, daß ein Minderungsrecht nur bestehen könne, wenn es gesetzlich vorgesehen sei. Das Minderungsrecht erscheint dieser Vorstellung also als ein spezieller Rechtsbehelf des Gewährleistungsrechts, und in Schuldverhältnissen, deren gesetzliche Regelung kein besonderes Gewährleistungsrecht vorsieht, kann es auf dieser Grundlage kein Minderungsrecht geben. Diese Auffassung wird dem Äquivalenzprinzip des gegenseitigen Vertrags nicht gerecht. Jeder Gläubiger einer Leistung verspricht die Gegenleistung für die vollständige und mangelfreie Leistung und nicht für eine Leistung, die hinter der vertraglichen Vereinbarung zurückbleibt 94 . Bleibt die Leistung hinter der vertraglichen Vereinbarung zurück, so kann der Schuldner, der nicht vollständig erfüllt hat, für die nicht vertragsgemäße Leistung auch nicht die vertragliche Gegenleistung verlangen. Er kann sie nur insoweit verlangen, als er ordnungsgemäß erfüllt hat. Dies ergibt sich aus der synallagmatischen Verknüpfung von Leistung und Gegenleistung. Der Gläubiger hat die Gegenleistung nicht abstrakt versprochen, sondern er hat sie versprochen im Austausch gegen das Versprechen der Leistung. Der Schuldner begehrt von dem Gläubiger die Gegenleistung aufgrund dessen Versprechens, das Versprechen des Gläubigers begründet den Anspruch auf die Gegenleistung. Das Versprechen der vollständigen Leistung gilt aber nur für den Fall der vollständigen Erbringung der Gegenleistung und nicht für den Fall der Leistung, die hinter der vertraglichen Vereinbarung zurückbleibt 95 . Für die nicht vollständige Leistung hat der Gläubiger nicht die gesamte Gegenleistung versprochen und folglich fehlt es für das Verlangen des Schuldners nach der vollständigen Gegenleistung an einem anspruchsbegründenden Tatbestand. Die Auffassung, der Arbeitgeber müsse für eine hinter der vertraglich vereinbarten Leistung zurückbleibende Arbeitsleistung das volle Entgelt zahlen, weil das Arbeitsvertragsrecht kein Gewährleistungsrecht vorsehe 96 , verkennt die Bedeutung der Gewährleistungsrechte. Die Gewährleistungsrechte vor allem des AP Nr. 71 zu §611 B G B Haftung des Arbeitnehmers sub 1 a a.E. Vgl. Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht, S.235. 95 Es trifft daher nicht zu, wenn Motzer (Die »positive Vertragsverletzung« des Arbeitnehmers, S. 186f.) meint, der Lohnanspruch entstehe alleine aufgrund des bestehenden Arbeitsvertrags, weil die Mangelfreiheit der Arbeitsleistung nicht zur Bedingung seiner Entstehung erhoben sei. 96 B A G aaO.; StaudingerARz'cAWz', §611 Rdz.473; Dietz/Wiedemann,]uS 1961,118; für den Arztvertrag Jaspersen, VersR 1992, 1432f.; vgl. auch Beuthien, ZfA 1972, 74. 93
94
II. Leistung und
Geldäquivalent
101
Kauf- und Werkvertragsrechts sind entstanden aus den ädilizischen Rechtsbehelfen, der actio quanti minoris und der actio redhibitoria. Diese sind im römischen Recht für den Kauf entwickelt worden, eine Übertragung des allgemeinen Gedankens auf andere Vertragstypen hat nicht stattgefunden. Auch nach der Rezeption 97 ist es lediglich bei der Fortschreibung dieser kaufrechtlichen »Besonderheit« geblieben; dies hat sich im deutschen Recht bislang kaum geändert. Man begreift die Minderung weiterhin als kaufrechtliches (werkvertragliches, mietvertragliches, reisevertragliches) Sonderrecht. Der actio quanti minoris liegt indessen der ganz einfache Gedanke zugrunde, daß der Käufer sein Geld für »gute Ware« versprochen hat und nicht für schlechte Ware; hat der Verkäufer aber nicht »gute Ware« geliefert, so hat er auch die für die gute Ware versprochene Gegenleistung nicht verdient, er kann seinen Anspruch auf die volle Gegenleistung nicht auf das Versprechen des Käufers stützen, weil der Käufer nicht die volle Gegenleistung für mangelhafte Ware versprochen hat 98 . Dieser Gedanke ist ohne weiteres zu verallgemeinern: jeder Gläubiger, nicht bloß der Käufer, verspricht die Gegenleistung für die vertraglich vereinbarte Leistung und der Schuldner kann nicht für eine dahinter zurückbleibende Leistung die volle Gegenleistung verlangen, weil sie dafür nicht versprochen ist 99 . Die positive Regelung des kaufrechtlichen Gewährleistungsrechts innerhalb des Kaufvertragsrechts hindert an sich nicht die Erkenntnis dieses allgemeinen Gedankens 100 . Auch andernorts finden sich innerhalb einzelner besonderer Schuldverhältnisse Regelungen, deren Grundgedanke gleichermaßen bei allen besonderen Schuldverhältnissen Anwendung finden muß 101 . Wie sich im Arbeitsvertragsrecht zeigt, hat sich aber die Regelung des kaufrechtlichen (mietvertraglichen, werkvertraglichen, reisevertragrechtlichen) Gewährleistungsrechts als schädlich erwiesen, indem es als Beleg dafür herangezogen wird, daß es außerhalb dieser besonderen Regelung ein Minderungsrecht nicht gebe. Die positive Regelung des allgemeinen Gedankens im Rahmen nur einzelner besonderer Schuldverhältnisse hat also dazu geführt, daß dem allgemeinen Gedanken seine Geltung aberkannt wird. Für das anglo-amerikanische Recht erweist es sich demgegenüber bezüglich dieses Problems als Vorteil, daß eine Rezeption jedenfalls nicht so stattgefunden hat, wie dies auf deutschem Boden der Fall war 102 . Ein besonderes kaufvertragliches oder sonstiges besonderes Gewährleistungsrecht gibt es im englischen Recht 97 H i e r z u Going, Europäisches Privatrecht, B a n d l , S. 7ff.; Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, S. 97ff. 98 Reinicke/Tiedtke, N J W 1986, 10. 99 Vgl. Ullrich, N J W 1984, 586. 100 Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht, S.235; Peukert, A c P 205 (2005), 457; vgl. auch Soergel 1 2 / Kraft, § 6 1 1 R d z . 1 1 4 . 101 Siehe beispielsweise z u m Auftragsrecht Erman/Ehmann, Vor § 6 6 2 R d z . 17, 19, 64, 70f. 102 Rheinstein, Die Struktur des vertraglichen Schuldverhältnisses im anglo-amerikanischen Recht, S. 14, 46ff.; Going, Europäische Grundlagen des modernen Privatrechts, S. lOf. Tendenziell abweichend Zimmermann, J U R A 2005, 293.
102
§3. Geldkondemnation:
Grundlagen
des Ersatzes des
Erfiillungsinteresses
nicht, es bedarf auch keiner besonderen Regelungen. Das Prinzip des breach of contract beruht schlicht darauf, daß ein Vertragspartner nicht das erfüllt, was er versprochen hat, und unter diesem Konzept versteht es sich von selbst, daß der Verkäufer, wenn er eine mangelhafte Sache liefert, nicht die Gegenleistung in ihrem vollen U m f a n g verlangen kann 1 0 3 . Was unter deutscher Doktrin als Gewährleistungsrecht gilt, ist im c o m m o n law lediglich eine Ausprägung des allgemeinen Konzeptes der H a f t u n g f ü r breach of contract 1 0 4 , weshalb Rheinstein feststellen konnte, daß der Fall der Leistung einer mangelhaften Sache geradezu der Prototyp des breach of contract sei 105 . c) Die Entgeltminderung
als
Interesseersatz
Sowohl das Urteil wie auch dessen Kritik 1 0 6 bleiben der Vorstellung verhaftet, die Klägerin mache einen Schaden geltend. Damit wird die Sachlage verkannt. Die Klägerin macht nicht einen Schaden geltend, sondern sie macht geltend, daß ihr Interesse am Erhalt der versprochenen Leistung nicht befriedigt wurde 1 0 7 . Mit einem Schaden hat das nichts zu tun, weshalb auch entgegen der Meinung Möscbelslos §254 BGB nicht zur A n w e n d u n g gelangt. Die Beklagte hat die Tätigkeit als Leiterin der Buchhaltung versprochen und sodann nicht diese Leistung erbracht, sondern die nur geringerwertige Tätigkeit als Reinigungskraft. Der Klägerin ist nicht ein Schaden entstanden, sondern sie hat den Mehrwert der Tätigkeit als Leiterin der Buchhaltung gegenüber der Tätigkeit als Reinigungskraft nicht erhalten. Es fragt sich also, ob die Beklagte der Klägerin diesen Mehrwert in Geld zu ersetzen hat. Im gegenseitigen Vertrag kann dieser Geldersatzanspruch verschiedene Formen annehmen 1 0 9 , unter anderem eben auch die F o r m der Minderung oder - gleichbedeutend - den des sog. »kleinen Schadensersatzes«. Stets geht es nicht u m Ausgleich eines Schadens, sondern um Ersatz des Interesses am Erhalt der Leistung in Geld. Diese Sichtweise eröffnet nun den Weg zur Klärung der Frage, ob der Dienstberechtigte den ihm entgangenen Mehrwert in Geld verlangen kann. Der Äquivalenzgedanke, der zur Anerkennung der Minderung auch dort drängt, w o ein gesetzliches Gewährleistungsrecht nicht vorhanden ist, hat gedanklich zur Voraussetzung, daß dem Gläubiger ein G u t zum Verbleib in seinem Vermögen versprochen ist; wird nur eine geringerwertige als die versprochene Leistung erbracht, so wird das Vermögen nicht um den Betrag erhöht, um den es vereinbarungsgemäß 103
M c G r e g o r on damages, Rdz. 875. Vgl. auch Applebey, C o n t r a c t Law, 23.2. 105 Rheinstein, Die Struktur des vertraglichen Schuldverhältnisses im anglo-amerikanischen Recht, S. 155. 106 B A G A P N r . 71 zu §611 B G B H a f t u n g des Arbeitnehmers m. A n m . Möschel. 107 O b e n § 3 1 (S.84ff.). 108 B A G A P Nr. 71 zu §611 B G B H a f t u n g des Arbeitnehmers m. A n m . Möschel sub II 3. 109 D a z u unten § 3 V(S.129ff.). 104
II. Leistung
und
Geldäquivalent
103
erhöht werden sollte und daher ist dieser Betrag auszugleichen 110 . Diese G r u n d e r wägung trifft nun aber im Falle des Dienstvertrags nicht zu: Dienste sind von vorübergehender N a t u r und als solche nicht dazu bestimmt, Bestandteil des Vermögens des Gläubigers zu werden. Allenfalls die Ergebnisse der Dienste, nicht aber die erbrachten Dienste selbst verbleiben im Vermögen des Gläubigers. Bleiben geschuldete Dienste aus, so kann der Gläubiger nicht Ersatz dafür verlangen, daß eine geschuldete Mehrung seines Vermögens ausgeblieben sei 111 . Demzufolge kann der Gläubiger solchen Geldersatz auch dann nicht verlangen, w e n n andere als die geschuldeten Dienste oder die geschuldeten Dienste in anderer als der geschuldeten Qualität erbracht werden. In allen Fällen leistet der Schuldner zwar nicht das, was er versprochen hat; es kann aber nicht gesagt werden, der Gläubiger erhalte nicht, was ihm versprochen ist, weil der Gläubiger gar nichts erhalten soll. Freilich: wenn ein Schaden entsteht, so kann der Gläubiger vom Schuldner Schadensersatz verlangen, sofern die Voraussetzungen des Schadensersatzanspruchs vorliegen 112 . Wenn der Gläubiger aber nicht Ersatz eines Schadens, sondern Ersatz seines Interesses verlangt, so setzt das voraus, daß die ausgebliebene Leistung Bestandteil seines Vermögens hätte werden sollen und w o es hieran fehlt, k o m m t der Interesseersatz nicht in Betracht. Daraus ergibt sich, daß der Dienstberechtigte, der nur geringerwertige als die versprochenen Dienste »erhält«, zwar Ersatz eines etwaigen Schadens, nicht aber Ersatz seines Interesses am Erhalt der Leistung in Geld verlangen kann 1 1 3 - weder in der F o r m der Minderung 1 1 4 noch in der Form des »kleinen Schadensersatzes«. Er m u ß sich daher anderer Instrumentarien, insbesondere der A b m a h n u n g u n d der Kündigung, bedienen 115 .
4. E r g e b n i s Die H a f t u n g auf das Erfüllungsinteresse ergibt sich aus dem Erfüllungsanspruch selbst. Diese H a f t u n g ist nicht H a f t u n g für einen Schaden. Sie unterliegt daher nicht den Voraussetzungen eines Schadensersatzanspruches. Der »Schadensersatzanspruch wegen Nichterfüllung« des BGB a.F. ist ein hybrides Gebilde, wel110
U n t e n §3 V I a)(S.130f.). U n t e n §3 V 1 b) (S.131f.); a.A. Ullrich, N J W 1984, 586; Härtung, Schlechtleistung u n d Vergütungsanspruch im Recht des selbständigen Dienstvertrages, S. 119ff. 112 D a z u unten § 7 (S.283ff.). 113 A u c h eine Berechnung der G e l d k o n d e m n a t i o n nach den Herstellungskosten k o m m t nicht in Betracht, weil die Arbeitsleistung als unvertretbare H a n d l u n g anzusehen ist; dazu unten V 2 b) (1) (S. 136ff.). 114 A . A . Schlechtriem/Schmidt-Kessel, Schuldrecht, Allgemeiner Teil (6. Aufl.), R d z . 557, der meint, der Dienstberechtigte könne die M i n d e r u n g im Wege des Teilrücktritts herbeiführen. 115 Vgl. Dietz/Wiedemann, JuS 1961, 117; Roth, VersR 1979, 494ff.; Kramer, M D R 1998, 324ff.; Peukert, A c P 205 (2005), 454ff. Aus der neueren Rechtsprechung B A G N J W 2004, 2545 u n d B A G N J W 2005, 90; dazu Fnemel/Walk, N J W 2005, 3669. 111
104
§3. Geldkondemnation:
Grundlagen des Ersatzes des Erfüllungsinteresses
ches zwei verschiedene Ansprüche enthält. Soweit der »Schadensersatz wegen Nichterfüllung« auf das Interesse gerichtet ist, handelt es sich nicht um einen Schadensersatzanspruch, sondern um den Erfüllungsanspruch, welcher nicht mehr auf die ursprüngliche Leistung, sondern auf Geld gerichtet ist. N u r insoweit der »Schadensersatz wegen Nichterfüllung« auf den Ersatz von Schäden gerichtet ist (Vertragsstrafen, Belastung mit Schadensersatzansprüchen, Kosten der Rechtsverfolgung, Schäden an sonstigen Rechtsgütern), handelt es sich um einen Schadensersatzanspruch. D e r Anspruch auf Geld statt der Leistung setzt voraus, daß dem Vermögen des Gläubigers nach dem Vertrag eine geldwerte Leistung zugeführt werden sollte. Das ist nur dann der Fall, wenn dem Vermögen ein Gegenstand auf Dauer oder auf Zeit einverleibt werden soll. Es ist dann nicht der Fall, wenn Dienste jedweder Art geschuldet sind, denn diese können nicht zum B e standteil eines Vermögens werden. Die Nichterfüllung einer solchen Schuld hat also nicht die Pflicht zum Ersatz eines Minderwertes im Vermögen des Gläubigers zur Folge. Abhilfe kann insoweit die Vereinbarung einer Vertragsstrafe schaffen.
III.
Die Haftung auf das Interesse als
Verschuldenshaftung?
Infolge des Prinzips der Geldkondemnation ist also grundsätzlich in jedem Fall der Nichterfüllung das Leistungsinteresse des Gläubigers, sofern dieses Vermögenswert hat oder natural hergestellt wird, in Geld auszugleichen. Das ergibt sich aus dem Wesen der Obligation, welches darin besteht, daß der Schuldner eine Leistung versprochen und also zu bewirken hat; wenn nicht in Natur, so doch in Geld. Daraus ergibt sich bereits, daß die Haftung des Schuldners auf das Interesse nicht davon abhängig gemacht ist, daß den Schuldner ein Verschulden trifft. Die überwiegende Meinung steht dem entgegen; im folgenden sollen daher noch die Voraussetzungen aufgezeigt werden, die erfüllt sein müßten, damit sich die H a f tung auf das Interesse überhaupt als Verschuldenshaftung begreifen läßt, wobei sich zeigen wird, daß eine Konstruktion der Nichterfüllungshaftung hinsichtlich nachträglicher Leistungshindernisse sinnvoll nicht möglich und hinsichtlich anfänglicher Leistungshindernisse überhaupt nicht möglich ist.
1. D i e N i c h t e r f ü l l u n g als V e r s c h u l d e n s t a t b e s t a n d Oftmals ist die Vorstellung der Haftung des Schuldners im Falle der Nichterfüllung von der Annahme geprägt, der Schuldner handle schuldhaft, indem er nicht erfülle. Die Handlung, an welche nach diesem Konzept die Haftung anknüpft, ist also das Unterlassen der Herbeiführung der Erfüllung. Dieses Verständnis erweist sich bei näherer Betrachtung als unzutreffend, weil die Fälle der U n m ö g lichkeit mit diesem Konzept nicht zu erfassen sind.
III.
Die Haftung
auf das Interesse als
Verschuldenshaftung?
105
Die Erfassung des Tuns ist relativ einfach, kann es doch als physiologischer und mit den Sinnen wahrnehmbarer Vorgang in der Außenwelt »begriffen« werden. Das Unterlassen hingegen läßt sich nicht in gleicher Weise aus sich selbst heraus erkennen; vielmehr bedarf das Unterlassen der Spiegelung in einem hypothetischen Tun, um als Handlung erkannt werden zu können. Das Unterlassen ist nicht Handlung an sich selbst, sondern es ist Handlung dadurch, daß ein bestimmtes Tun unterlassen wird 116 . Im Falle der Unmöglichkeit ist es definitionsgemäß ausgeschlossen, daß der Schuldner durch ein bestimmtes Tun Erfüllung bewirken kann: könnte er es, so läge keine Unmöglichkeit vor. Im Falle der U n möglichkeit kann also zwar dem Schuldner eventuell vorgeworfen werden, daß er die Unmöglichkeit herbeigeführt hat. Es kann ihm aber jedenfalls nicht vorgeworfen werden, daß er die Erfüllung unterläßt, denn das Unterlassen der Erfüllung hat im Falle der Unmöglichkeit keine Handlungsqualität 1 1 7 . Fehlt es aber bereits an einer Handlung des Schuldners, so ist der Verschuldenshaftung der Boden entzogen. Die Haftung im Falle der Nichterfüllung kann daher (zumindest im Falle der Unmöglichkeit), sofern sie Verschuldenshaftung sein soll, nicht auf das Unterlassen der Erfüllung gestützt werden. Im Falle der Unmöglichkeit ist also die Nichterfüllung niemals verschuldet.
2. Die Haftung im Falle nachträglicher Leistungshindernisse als Verschuldenshaftung a) Die herrschende
Auffassung
Gewissermaßen als »Prototyp« der Haftung des Schuldners im Falle der Nichterfüllung wurde §280 Abs. 1 BGB a.F.118 angesehen 119 : 116 Radbruch, D e r Handlungsbegriff in seiner Bedeutung f ü r das Strafrechtssystem, S. 135ff.; L K / J e s c h e c k , StGB, Vor § 13 Rdz.90. 117 L K / J e s c h e c k , StGB, Vor §13 R d z . 9 2 m w N . ; M ü K o - S t G B / F r e u n d , Vor §§13ff. Rdz. 120ff.; SK-StGB/Rudolphi, Vor §13 R d z . 2 ; Schönke/Schröder/Stree, StGB, Vorbem §§13ff. R d z . 141 ff.; Lackner/Kühl, §13 R d z . 5 ; Tröndle/Fischer, §13 R d z . 3 , 14; Roxin, Strafrecht, Allgemeiner Teil, B a n d l l , §31 Rdz.5ff.; Maurach/Gössel/Zipf, Strafrecht, Allgemeiner Teil, Teilband 2, § 46 R d z . 49; Wessels/Beulke, Strafrecht, Allgemeiner Teil, R d z . 708; Kühl, Strafrecht, Allgemeiner Teil, §18 Rdz.30; Krey, Deutsches Strafrecht, Allgemeiner Teil, B a n d 2 , R d z . 326; Eben, Strafrecht Allgemeiner Teil, S. 176; Brehm, J Z 1974, 574; Schapp, J Z 1993, 639. 118 F ü r den Fall nachträglicher Unmöglichkeit im Synallagma stehender Verpflichtungen soll freilich nicht §280 B G B a.F., sondern §325 B G B a.F. die »Anspruchsgrundlage« f ü r den »Schadensersatzanspruch« des Gläubigers sein ( M ü K o * / E m m e r i c h , B a n d 2 , §280 R d z . 3 , §325 R d z . 5 ; Staudinger/LöwiscA (2001), §280 R d z . 3 ; Palandt 6 1 /Heinrichs, §280 R d z . 2 ) . Selbst w e n n dies richtig wäre, w o r a n wegen der F u n k t i o n des § 325 BGB a.F. Zweifel bestehen (dazu u n t e n § 5 I 4 b) (S. 240f.)), änderte dies nichts daran, daß die H a f t u n g konzeptionell nach beiden Vorschriften dieselben Voraussetzungen hat, nämlich die nachträgliche Unmöglichkeit der Leistung, die auf einem U m s t a n d beruht, den der Schuldner zu vertreten hat. 119 Vgl. Schur, Leistung u n d Sorgfalt, § 3 II (S. 69ff.): »Das gesetzliche Modell der Leistungspflichtverletzung entwickelt anhand der nachträglichen Unmöglichkeit«.
106
§3. Geldkondemnation:
Grundlagen
des Ersatzes des
Erfüllungsinteresses
»Soweit die Leistung in Folge eines von dem Schuldner zu vertretenden Umstandes unmöglich wird, hat der Schuldner dem Gläubiger den durch die Nichterfüllung entstehenden Schaden zu ersetzen«.
Mit den Worten »zu vertretenden« verwies die Vorschrift auf §276 B G B a.F., wonach der Schuldner grundsätzlich Vorsatz und Fahrlässigkeit zu vertreten hatte und hierin sah man das Verschuldensprinzip verwirklicht. § 2 8 0 B G B a.F. wurde also verstanden als Ausprägung der Verschuldenshaftung. Dieser Tatbestand: »Soweit die Leistung in Folge eines von dem Schuldner zu vertretenden Umstandes unmöglich wird« muß nun, soll das aufgezeigte Verständnis zutreffen, die aufgezeigten Elemente enthalten: Verhalten, Verletzung und Kausalität. Es liegt auf der Hand, daß das Unmöglichwerden der Leistung an sich kein Verhalten des Schuldners ist 120 , sondern nur kausal durch ein solches verursacht sein kann. Wenn also § 2 8 0 Abs. 1 B G B a.F. ein Verhalten als Element des Tatbestandes aufweisen soll, muß - wie Schur121 mit Recht ausführlich dargelegt hat - angenommen werden, daß dieses in dem von dem Schuldner zu vertretenden Umstand liegt. Üblicherweise wird angenommen, daß das Vertretenmüssen zur Frage des Verschuldens gehört, im dreistufigen Aufbau 1 2 2 also der Ebene der Schuld zuzuordnen ist. Nimmt man den zu vertretenden Umstand in den Tatbestand auf, so ist damit aber der dreistufige Aufbau noch nicht notwendig aufgegeben. Denn die Aufnahme des zu vertretenden Umstandes in den Tatbestand ist ja nur deshalb erforderlich, weil der Verschuldenstatbestand zwingend eines Verhaltens als Anknüpfungspunkt bedarf; ob dieses Verhalten aber schuldhaft oder schuldlos ist, hat für dessen Tatbestandsmäßigkeit keine Bedeutung. Die Worte »zu vertretenden Umstandes« haben in § 2 8 0 Abs. 1 B G B a.F. nach dieser Lesart also eine doppelte Funktion: zum einen besagen sie, daß ein Verhalten des Schuldners ursächlich für das Unmöglichwerden der Leistung geworden sein muß; insoweit gehören sie zum Tatbestand der Vorschrift. Zum anderen besagen sie, daß die Haftung nur eintritt, wenn dieses Verhalten des Schuldners schuldhaft ist; insoweit gehören sie zur »Schuld«. Der Aufbau des Tatbestandes des § 2 8 0 Abs. 1 B G B a.F., gedacht als Verschuldenshaftungstatbestand, stellt sich also so dar: »Verletzung« ist das Unmöglichwerden der Leistung, »Verhalten« ist dasjenige, welches die Unmöglichkeit verursacht hat, worin bereits liegt, daß das Verhalten für die Verletzung kausal geworden sein muß. Rechtswidrigkeit und Schuld können sodann auf das verletzende Verhalten bezogen werden. Legt man der Vorschrift des § 2 8 0 Abs. 1 B G B a.F. diese Auffassung zugrunde, so hätte die Vorschrift auch folgendermaßen formuliert sein können: »Soweit der 120 Musielak, AcP 176 (1976), 481; Stoll, FS v. Hippel, S. 535; unklar Stade, Die Rechtsgutverletzung und die Schädigung als Tatbestandsmerkmale der positiven Forderungsverletzung, S.68ff. 121 Leistung und Sorgfalt, S.68ff. 122 Dazu Deutsch, Allgemeines Haftungsrecht, Rdz.43ff.; Medicus, Schuldrecht I, Rdz.301.
III.
Die Haftung
auf das Interesse als
Verschuldenshaftung?
107
Schuldner die Unmöglichkeit der Leistung rechtswidrig und schuldhaft herbeiführt, hat er dem Gläubiger den durch die Nichterfüllung entstehenden Schaden zu ersetzen«. b) Kritik dieses
Verständnisses
Das dargelegte Verständnis des §280 Abs. 1 B G B a.F. als Verschuldenshaftungstatbestand hat zwei Voraussetzungen, die keineswegs selbstverständlich sind: zum einen, daß der Eintritt der Unmöglichkeit als »Verletzung« zu begreifen ist 123 ; zum anderen, daß den Schuldner die Rechtspflicht trifft, sich die Leistung nicht unmöglich zu machen 124 . Selbst wenn man aber diese Prämissen als richtig unterstellt, bleibt das aufgezeigte Verständnis des §280 Abs. 1 B G B a.F. problembehaftet. Dies soll im folgenden dargelegt werden anhand der Fälle, in denen der Schuldner über Verschulden hinaus haftet wie auch an der Frage der Beweislast. (1) Verschulden
und
Vertretenmüssen
Der Schuldner kann über Verschulden hinaus haftbar sein auch für das zufällige Unmöglichwerden der Leistung. Diese Fälle wurden von §280 Abs. 1 B G B a.F. dadurch erfaßt, daß er von dem »zu vertretenden Umstand« sprach, auf dem die Unmöglichkeit beruht: der Begriff des Vertretenmüssens umfaßt den Fall der Haftung, welche gegenüber derjenigen nur für Verschulden geschärft ist: den Fall des § 287 S. 2 B G B sowie den Fall, daß den Schuldner aufgrund Vereinbarung eine schärfere Haftung trifft. Die Fälle des §287 S.2 B G B lassen sich noch mit der dargelegten Konzeption des §280 Abs. 1 B G B a.F., also dessen dreistufigem Aufbau, in welchem ein Verhalten des Schuldners Element des Tatbestandes ist, vereinbaren, indem angenommen wird, daß das Unterlassen rechtzeitiger Erfüllung die tatbestandsmäßige Handlung darstellt 125 . Zur Begründung der Haftung des 123 Es gehörte im gemeinen Recht zu den wohl nie erkannten Inkonsistenzen des Leistungsstörungsrechts, daß man einerseits annahm, die Unmöglichkeit, welche auf einem von dem Schuldner zu vertretenden Umstand beruht, habe keinen Einfluß auf die Obligation, andererseits aber die Herbeiführung der Unmöglichkeit als »Verletzung«, nachteilige Veränderung der Obligation begreifen wollte. Wenn die Forderung des Gläubigers auch nach Eintritt der Unmöglichkeit fortbesteht, ist nicht ersichtlich, wie sie sollte verletzt sein können, insbesondere, wenn an die Stelle der notwendig ausbleibenden Leistung das gesamte Interesse des Gläubigers in Geld tritt und somit eine Änderung der Werthaltigkeit der Forderung nicht stattfindet. Für das heutige Recht gilt entsprechendes zumindest für den Fall der möglichen Leistung: hier behält der Gläubiger zunächst den Erfüllungsanspruch und es ist daher nicht ersichtlich, wie dieser sollte verletzt sein können; inkonsistent ist daher insbesondere die Ansicht Katzensteins (JURA 2004, 590 und J U R A 2005, 73f. und J U R A 2005, 218f.). 124 Dazu oben §2 IV 2 (S. 58ff.). 125 Schur, Leistung und Sorgfalt, S. 89f. Allerdings ist Schur der Auffassung, §287 S.2 B G B erweitere nicht die Unmöglichkeitshaftung, sondern die Verzugshaftung (S. 90ff.). Zu diesem Ergebnis gelangt Schur - folgerichtig - durch die Annahme, daß § 280 Abs. 1 B G B a.F. nur den Fall zum Inhalt habe, daß der Schuldner die Unmöglichkeit durch eigene Handlung herbeiführt, woran es in den Fällen des §287 S.2 B G B gerade fehle. Das Konzept Schurs beruht freilich auf
108
§3. Geldkondemnation:
Grundlagen
des Ersatzes
des
Erfüllungsinteresses
Schuldners bedürfte es nach dieser Konzeption nicht der Vorschrift des §287 S. 2 BGB, denn die Haftung ergäbe sich schon aus §280 Abs. 1 BGB a.F.: das Verhalten (Unterlassen rechtzeitiger Erfüllung) hat kausal die Verletzung (Unmöglichkeit) herbeigeführt; treten Rechtswidrigkeit (Vertragswidrigkeit) und Verschulden hinzu, so liegt der Gesamttatbestand vor. Die Funktion des §287 S.2 BGB ist dann darin zu sehen, daß durch diese Vorschrift klargestellt oder angeordnet wird, daß die Zurechnung der Unmöglichkeit zum Handeln des Schuldners nicht dadurch unterbrochen wird, daß die Unmöglichkeit unmittelbar aufgrund eines zufälligen Ereignisses und nur mittelbar infolge der Handlung des Schuldners eingetreten ist 126 . Von großer Bedeutung für unsere Zwecke sind hingegen die Fälle, in denen der Schuldner kraft Vereinbarung auch den Zufall zu vertreten hat. Bleibt man bei dem aufgezeigten Modell des §280 Abs. 1 BGB a.F. stehen, so bedarf es, bevor sich überhaupt die Frage nach dem Vertretenmüssen stellt, der Tatbestandsmäßigkeit, welche ein Verhalten des Schuldners voraussetzt, welches für die Unmöglichkeit kausal geworden ist. Daran fehlt es in den Fällen, in welchen ein Zufall die Unmöglichkeit herbeigeführt hat, bevor der Schuldner in Verzug geraten ist. Dieser Eintritt der Unmöglichkeit ist also nicht tatbestandsmäßig in dem dargelegten Sinn, so daß sich die Frage, ob der Schuldner den Umstand, auf dem die Unmöglichkeit beruht, zu vertreten hat, gar nicht mehr stellt. Dieser Fall kann von §280 A b s . l BGB a.F. daher nur dann erfaßt werden, wenn der Satz wieder aufgegeben wird, ein Verhalten des Schuldners sei notwendiges Tatbestandsmerkmal 127 . Dann kann jeder die Unmöglichkeit verursachende Umstand, auch der zufällige, als tatbestandsmäßig begriffen werden mit der Folge, daß das Vertretenmüssen (auf der Ebene der Schuld) auf diesen Umstand bezogen werden kann. Wenn aber jeder Umstand, der die Unmöglichkeit herbeiführt, tatbestandsmäßig ist, dann folgt daraus, daß das Vorliegen eines solchen Umstandes kein Tatbestandsmerkmal neben der Unmöglichkeit sein kann: wenn Unmöglichkeit vorliegt, dann ist der Tatbestand stets gegeben unabhängig davon, auf welchem Umstand der Eintritt der Unmöglichkeit beruht. Legt man der Vorschrift des §280 Abs. 1 BGB a.F. dieses Verständnis zugrunde, so lautet der Tatbestand: »Soweit die Leistung unmöglich w i r d , . . . « . Auf der Ebene der »Schuld« ist sodann zu differenzieren: soweit der Schuldner nur für Verschulden haftet, bedarf es einer Handlung, welche die Unmöglichkeit herbeigeführt hat und welche dessen Annahme, daß §280 A b s . l BGB a.F. gerade das Verständnis zugrunde liege, welches Schur der Vorschrift beilegen will, nämlich die Anordnung der Haftung für schuldhaftes Verhalten. Diese These ihrerseits bleibt aber bei Schur unbegründet und ist nach unserer Auffassung unzutreffend. 126 Vgl. Palandt 6 5 /Heinrichs, §287 Rdz.3. 127 Diese Auffassung vertritt Haberzettl, Verschulden und Versprechen, S.120f., für §280 Abs. 1 BGB neuer Fassung im Falle einer besonders vereinbarten Garantiehaftung. Vgl. auch Keilmann, Dem Gefälligen zur Last, S. 180f.
III. Die Haftung auf das Interesse als
Verschuldenshaftung?
109
rechtswidrig und schuldhaft ist; soweit der Schuldner darüber hinaus haftet, bedarf es keiner weiteren Voraussetzungen. In dieser Sichtweise ist freilich §280 Abs. 1 B G B a.F. kein Verschuldenshaftungstatbestand mehr, sondern die Vorschrift ist ein janusköpfiger Tatbestand, der ein Verschuldenshaftungstatbestand dann ist, w e n n der Schuldner nur für Verschulden haftet, hingegen ein verschuldensunabhängiger Tatbestand, soweit der Schuldner darüber hinaus haftet. Diese fast tautologische Umschreibung der Funktion des §280 A b s . l BGB a.F. legt offen, daß die Frage der Haftung des Schuldners sich nicht nach dieser Vorschrift richtet, daß also § 2 8 0 Abs. 1 B G B a.F. selbst nicht die Voraussetzungen benennt, unter denen der Schuldner haftet, daß sich diese Frage vielmehr alleine nach dem Vertretenmüssen bemißt 1 2 8 , welches seinerseits in § 2 8 0 Abs. 1 BGB a.F. gerade nicht geregelt wird. In der dargelegten Lesart, welche die Haftung für Verschulden w i e auch die Zufallshaftung umfaßt, setzt § 2 8 0 Abs. 1 BGB a.F. nur die Unmöglichkeit der Leistung voraus, sagt aber nichts darüber aus, ob der Schuldner im Falle der Unmöglichkeit haftet. Vielmehr haftet der Schuldner, wenn er haftet und er haftet nicht, wenn er nicht haftet; für die Frage des O b der Haftung ist also § 2 8 0 Abs. 1 BGB a.F. unergiebig. Weist man also §280 Abs. 1 BGB a.F. die Funktion zu, im Falle der Unmöglichkeit der Leistung die Anspruchsgrundlage für Schadensersatz zu sein sowohl im Falle der Haftung nur für Verschulden wie auch im Falle darüber hinausgehender Haftung, so ist dieses Konzept unvereinbar mit der dargelegten Konzeption des § 2 8 0 Abs. 1 BGB a.F. als Verschuldenshaftungstatbestand. v. Kübel hat dies klar erkannt, indem er ausführt: »Bei eingetretener objektiver Unmöglichkeit ist freilich der ursprüngliche Forderungsgegenstand nicht mehr vorhanden; das Forderungsrecht auf diesen Gegenstand kann also nicht mehr bestehen; aber auch in diesem Falle ist es der Anspruch auf die Erfüllung, welchen der Gläubiger mit der Geltendmachung des Erfüllungsinteresse verfolgt; denn durch die Verschuldung des Schuldners hat sich ohne Wechsel des Verpflichtungsgrundes hier nur der Leistungsgegenstand verändert. Dasselbe gilt in ganz besonderem Maße dann, wenn der Schuldner nach dem betreffenden Schuldverhältnis über eine eigentliche Verschuldung hinaus haften muß.«u »In ganz besonderem Maße« gilt dies im Falle verschärfter Haftung deswegen, weil es ansonsten an jedem Tatbestand fehlte, der eine Haftung auf das Leistungsinteresse begründen könnte.
(2) Beweislast
und
Darlegungslast
U m sich die Beweislastverteilung im Falle des § 2 8 0 Abs. 1 B G B a.F. klar zu machen, betrachten wir zunächst nochmals den Aufbau dieses Tatbestandes, w i e er 128 Himmelschein, AcP 135 (1932), 273 und 280; Esser/Schmidt, Schuldrecht I 2, §28 II 1 (S. 120). 129 v. Kübel, Recht der Schuldverhältnisse, S. 862; Hervorhebung von mir.
110
§3. Geldkondemnation:
Grundlagen
des Ersatzes des
Erfüllungsinteresses
sich darstellt, wenn es sich um einen Verschuldenshaftungstatbestand handelt: der Gesamttatbestand setzt sich zusammen aus Tatbestand, Rechtswidrigkeit und Schuld; die Elemente des Tatbestandes sind ein Verhalten des Schuldners, Unmöglichkeit der Leistung und Kausalität zwischen diesen Elementen. Nach allgemeinen Beweislastgrundsätzen ist das Vorliegen des Gesamttatbestandes von dem Kläger, also dem Gläubiger zu beweisen. Gegenüber dieser Beweislastverteilung wich die gesetzliche Regelung ab, indem §282 B G B a.F. bestimmte: »Ist streitig, ob die Unmöglichkeit der Leistung die Folge eines von dem Schuldner zu vertretenden Umstandes ist, so trifft die Beweislast den Schuldner«. Damit wird nicht nur, wie mitunter formuliert wird 130 , die Beweislast hinsichtlich des fehlenden Verschuldens bzw. Nichtvertretenmüssens dem Schuldner auferlegt. Vielmehr wird zunächst die Beweislast für die Kausalität zwischen »Umstand« und Unmöglichkeit dem Schuldner auferlegt, was zur Ebene des Tatbestandes gehört. Darin erschöpft sich die Bedeutung des §282 B G B a.F. noch nicht. Obgleich der Wortlaut eine Beschränkung auf die Beweislaständerung hinsichtlich der Kausalität nahelegt131 - was dem Gläubiger also erst dann helfen würde, wenn er bereits das Vorhandensein einer Handlung des Schuldners nachgewiesen hat-, erstreckt sich die Beweislastveränderung auch auf das Vorbandensein eines solchen Umstandes, der die Unmöglichkeit herbeigeführt hat 132 , also darauf, daß ein Verhalten des Schuldners vorliegt, welches an sich geeignet ist, die Unmöglichkeit herbeigeführt zu haben 133 . Auch insoweit ist die Beweislastumkehr auf die Ebene des Tatbestandes, nicht auf diejenige des Verschuldens bezogen. Erst wenn es darum geht, ob ein erwiesenes Verhalten des Schuldners, welches erwiesenermaßen kausal für die Unmöglichkeit wurde, schuldhaft oder nicht schuldhaft war, ist die Beweislastumkehr des §282 B G B a.F. auf die Ebene des Verschuldens bezogen. Nun könnte man meinen, es sei für das Wesen des Verschuldenshaftungstatbestandes unerheblich, ob die Beweislastumkehr sich nur auf die Ebene des Verschuldens oder auch auf die Ebene des Tatbestandes beziehe; entscheidend sei alleine, welche Tatbestandsmerkmale Voraussetzung der Haftung seien und es sei nur eine zweitrangige Frage, wer das Vorliegen dieser Tatbestandsmerkmale zu beweisen habe. Indessen fragt es sich, welchen Sinn es haben soll, für einen Anspruch Voraussetzungen aufzustellen, die gar nicht vorliegen müssen. Im Prozeß braucht der Gläubiger, der Schadensersatz gemäß §280 Abs. 1 B G B a.F. begehrt, außer der Entstehung des Erfüllungsanspruchs lediglich die Unmöglichkeit dar-
130 131 132 133
Palandt 61 /Heinrichs, §282 Rdz. 1; Stzudinger/Löwisch (2001), §282 Rdz. 1. }AüKo4/Emmerich, Band2, §282 Rdz. 13. Staudinger/Löwisch (2001), §282 Rdz. 10. Larenz, Schuldrecht I, §24 I b) (S. 371); Haberzettl, Verschulden und Versprechen, S. 116.
III.
Die Haftung
auf das Interesse als
Verschuldenshaftung?
111
zulegen und zu beweisen 134 . Aus §282 B G B a.F. folgte indessen nicht, daß der Gläubiger auch von der Darlegungslast befreit wird, weil die hiernach vorgesehene Beweislastumkehr zugunsten des Gläubigers erst dann eingreift, wenn »streitig« ist, ob die Unmöglichkeit infolge eines von dem Schuldner zu vertretenden Umstandes eingetreten ist. Streitig kann dieser Umstand aber erst dann sein, wenn beide Parteien hierzu vorgetragen haben. Trotz Beweislastumkehr müßte also zunächst der Gläubiger vortragen, die Unmöglichkeit sei infolge eines schuldnerischen Verhaltens eingetreten; und wie sollte er das ohne Kenntnis von dem Umstand, auf dem die Unmöglichkeit beruht, tun? Die ins Blaue hinein aufgestellte Behauptung des Gläubigers, ein Verhalten des Schuldners sei kausal geworden für die Unmöglichkeit, ist jedenfalls nicht hinreichend substantiiert, um den Anforderungen an die Darlegungslast genügen zu können. Aus der Erkenntnis, daß der Gläubiger in aller Regel keine Kenntnis von den die Unmöglichkeit begründenden Tatsachen hat, resultiert die richtige allgemeine Auffassung, daß der Gläubiger das Verhalten des Schuldners, welches die Unmöglichkeit verursacht haben könnte, nicht nur nicht zu beweisen hat, sondern daß der Gläubiger diesbezüglich auch nichts behaupten muß 135 . Im Prozeß braucht deshalb der Gläubiger nur - neben dem Bestehen des Schuldverhältnisses - die Unmöglichkeit zu behaupten, mehr nicht. Damit ist die Klage schlüssig; im Falle der Säumnis des Beklagten wird der Klage durch Versäumnisurteil stattgegeben. Solange der Schuldner nicht einwendet, er habe die Unmöglichkeit nicht zu vertreten, ist dieser Umstand für den Prozeß ohne jede Relevanz 136 . Danach darf festgehalten werden: der Verschuldenshaftungstatbestand des §280 Abs. 1 B G B a.F., wenn er denn ein solcher sein soll, setzt voraus, daß ein rechtswidriges und schuldhaftes Verhalten des Schuldners ursächlich für die Unmöglichkeit geworden ist. Im Prozeß spielt es indessen keine Rolle, worauf die Unmöglichkeit beruht, solange der Schuldner nicht einwendet, die Unmöglichkeit sei infolge eines von ihm nicht zu vertretenden Umstandes eingetreten. Rechtswidrigkeit und Verschulden sind auf das Verhalten des Schuldners bezogen; auch hierzu bedarf es daher keiner Darlegungen, um den Anspruch des Gläubigers zu begründen. Von dem Gesamttatbestand - bestehend aus Verhalten des Schuldners, Verletzung, Kausalität zwischen Verhalten und Verletzung, Rechtswidrigkeit und Verschulden - verbleibt nach Abzug aller Elemente, derer der Gesamttatbestand im Prozeß zufolge der Verteilung der Darlegungs- und Beweislast entkleidet wird, alleine die Verletzung (Unmöglichkeit) übrig. Ein Haftungstat134 Unzutreffend daher Soergel , 2 /Wiedemann, § 275 Rdz. 76: bleibe der Erfolg aus, so müßten Verhaltenspflichten benannt werden, die der Schuldner konkret verletzt habe und an die der Vorwurf der Pflichtwidrigkeit anknüpfe. 135 Rosenberg, Die Beweislast, S. 43 ff. (zur Behauptungslast), S.52 und S. 342 (zur Behauptungs- und Beweislast im Falle der Nichterfüllung). 136 Weshalb Larenz (Schuldrecht I, §24 I b (S.372)) in der Regelung des §282 B G B a.F. »ein Stück Erfüllungsgarantie« erblickte.
112
§3. Geldkondemnation:
Grundlagen
des Ersatzes des
Erfüllungsinteresses
bestand, dessen hinreichender Bestandteil alleine das Merkmal »Unmöglichkeit« ist, kann kein Verschuldenshaftungstatbestand sein, weil ihm bis auf das Merkmal der Verletzung alle weiteren wesentlichen Merkmale eines Verschuldenshaftungstatbestandes fehlen 137 . Im Prozeß also wird nicht die Frage aufgeworfen, ob den Schuldner ein Verschulden trifft. Das (schuldlose) Verhalten des Schuldners wird im Prozeß nur dann thematisiert, wenn er sich auf Befreiung gemäß §275 Abs. 1 B G B a.F. beruft. Verschulden ist also nicht Voraussetzung der Haftung, sondern fehlendes Verschulden ist Voraussetzung der Befreiung. Demgegenüber meint Schur, aus der Beweislastverteilung könne nicht auf die Natur des Haftungstatbestandes rückgeschlossen werden, vielmehr seien die materiellrechtliche und die prozeßrechtliche Seite zu unterscheiden. Das entspricht schon im Ansatz nicht unserem Verständnis von dem Zusammenhang zwischen materiellem Recht und Prozeßrecht. Die Begründung Schurs ist folgende: »Die Notwendigkeit, diese Perspektive zu unterscheiden, ergibt sich vor allem daraus, daß die sich aus § 2 8 2 B G B ergebende Regelung der Darlegungs- und Beweislast doch möglicherweise aus einem etwas anderen gedanklichen Zusammenhang herrührt, der dann auch leicht zu verschobenen Perspektiven auf die hier gegebene Problemstellung führt.« 1 3 8
Dieser Begründung fehlt jeder innere Gehalt. Warum sollte §282 B G B a.F. aus einem »anderen gedanklichen Zusammenhang« herrühren und aus welchem? Als »verschobene Perspektive« will Schur offenbar ansehen, daß unter Berücksichtigung der Beweislastverteilung des §282 B G B a.F. die Vorschrift des §280 B G B a.F. nicht als Verschuldenshaftungstatbestand angesehen werden kann. Diese Perspektive ist aber nicht eine verschobene Perspektive auf die Frage (»die hier gegebene Problemstellung«), ob §280 B G B a.F. Verschulden zur Voraussetzung hat oder nicht hat, sondern diese Perspektive ist die einzig mögliche und daher richtige Perspektive auf diese Problemstellung, weil sie anerkennt, unter welchen Voraussetzungen dem Schadensersatzverlangen des Gläubigers stattgegeben wird. Nicht diese Perspektive ist also verschoben, sondern es ist die Auffassung Schurs, welche sich selbst auf dem Weg zur richtigen Erkenntnis hinderlich ist, indem sie als unumstößliches Dogma ansieht, daß § 280 B G B a.F. eine Verschuldenshaftung sein müsse und diesem Gesichtspunkt alles andere unterordnet 139 . Im Falle der Betrachtung der Beweislastverteilung ist es die forensische Realität, die sich diesem Dogma unterordnen muß: obgleich nachweislich und auch von Schur nicht bestritten Verschulden nicht Gegenstand des Prozesses zu sein braucht und daher 137 Vgl. Kohler, J Z 2004, 962, der aus der prozessualen Situation ableitet, daß §280 Abs. 1 S. 2 B G B eine Einwendungsnorm ist. 138 Leistung und Sorgfalt, S. 80. 139 Vgl. bereits Mataja, Das Recht des Schadensersatzes vom Standpunkte der Nationalökonomie, S. 13: »Und diese Annahme [keine Schadensersatzpflicht ohne Schuld] ist der Gegenwart sozusagen in Fleisch und Blut übergegangen, sie tritt nicht nur als eine allgemeine Regel neben anderen auf, sondern wird wie eine Zwangsjacke gehandhabt, der sich alles ob wohl ob übel fügen muß.«
III. Die Haftung auf das Interesse
als
Verschuldenshaftung?
113
schlechterdings nicht Voraussetzung des Obsiegens sein kann, soll es dennoch Voraussetzung des materiell-rechtlichen Anspruchs sein können. Hinter den Worten Schurs verbirgt sich also offenbar die Vorstellung, vom Prozeß könne nicht rückgeschlossen werden auf die materiell-rechtliche Rechtslage; wenn im Prozeß Verschulden nicht Voraussetzung des Obsiegens sei, so könne daraus nicht abgeleitet werden, daß Verschulden auch nicht Voraussetzung des materiellrechtlichen Anspruches sei. Wenn das richtig wäre, so fragte es sich allerdings, welchen Anspruch der Gläubiger denn dann im Prozeß überhaupt erfolgreich geltend macht; der materiell-rechtliche Anspruch könnte es ja in dieser Sichtweise nicht sein, setzt dieser doch Verschulden voraus. Die Sichtweise Schurs könnte daher nur dann richtig sein, wenn das prozessual geltend gemachte Recht ein von dem materiell-rechtlichen Anspruch verschiedenes Recht wäre. Das aber ist abzulehnen: zwar wird der Streitgegenstand nicht von dem materiell-rechtlichen Anspruch her bestimmt 1 4 0 , jedoch ist dasjenige, was der Kläger mit der Klage durchzusetzen sucht ebenso wie dasjenige, was ihm durch Urteil zugesprochen wird, das subjektive Recht, also der ihm gegen den Beklagten zustehende materiell-rechtliche Anspruch 1 4 1 . Das schließt es aber aus, den Prozeß als einen »anderen gedanklichen Zusammenhang« zu begreifen, der zu einer »verschobenen Perspektive« auf das materielle Recht führt. Materielles Recht und im Prozeß geltend gemachtes Recht ist ganz dasselbe und folglich können die Voraussetzungen des Rechts in materieller und in prozessualer Perspektive keine unterschiedlichen sein. c)
Ergebnis
Es ist nicht möglich, die Haftung im Falle nachträglicher Leistungshindernisse nach dem Modell des §280 Abs. 1 BGB a.F. sinnvoll als Verschuldenshaftung zu verstehen. Jede Verschuldenshaftung setzt ein Verhalten des Schuldners voraus. Wenn die Leistung unmöglich ist, dann ist deren Nichterbringung kein Verhalten, weil ein Unterlassen nur dann Handlungsqualität hat, w e n n das Tun, welches unterlassen wird, möglich ist. Demnach kann eine Verschuldenshaftung nicht auf das Nichterfüllen gestützt werden. Auf die Herbeiführung des Leistungshindernisses kann prinzipiell eine Verschuldenshaftung gestützt werden. Jedoch sind mit einem solchen Verständnis nicht diejenigen Fälle zu erfassen, in denen der Schuldner über Verschulden hinaus nicht bloß für eigene Handlungen, sondern auch sonstige Ereignisse haftet. Eine solche Haftung für Zufall setzt zwingend voraus, daß der Haftungstatbestand gerade kein Verhalten des Schuldners beinRosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozeßrecht, §95 (S.530ff.). Siber, JherJb 50 (1906), 80ff.; Schreiber, Schuld und Haftung, S.5f.; Saenger, Einstweiliger Rechtsschutz und materiellrechtliche Selbsterfüllung, S.154f., 163; Stein/Jonas/Brehm, ZPO, vor §1 Rdz. 5ff., 9; MüKo-ZPO/Lüke, Einleitung Rdz. 7; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozeßrecht, § 1 III (S.2f.). 140 141
114
53. Geldkondemnation:
Grundlagen
des Ersatzes des
Erfüllungsinteresses
haltet. Zudem braucht der Gläubiger im Prozeß ein Verhalten des Schuldners nicht bloß nicht zu beweisen, sondern nicht einmal zu behaupten; er kann sich vielmehr auf die Behauptung des Vertragsschlusses und der Unmöglichkeit beschränken, um eine schlüssige Klage zu erheben. Damit entbehrt der prozessual geltend gemachte Anspruch der Voraussetzung eines Verhaltens des Schuldners und also auch der materiell-rechtliche Anspruch. Es ist daher nicht möglich, die Haftung des Schuldners im Falle nachträglicher Leistungshindernisse nach dem Modell des §280 Abs. 1 B G B a.F. als Verschuldenshaftung zu begreifen.
3. Die Haftung im Falle anfänglicher Leistungshindernisse als Verschuldenshaftung Im Falle der anfänglichen Unmöglichkeit steht der Anknüpfung des Verschuldens an die Herbeiführung der Unmöglichkeit von vorneherein entgegen, daß diese Handlung nicht rechtswidrig sein kann: vor Vertragsschluß war der Schuldner nicht verpflichtet, die Leistung nicht unmöglich zu machen 142 . Als Anknüpfungspunkt des Verschuldens käme somit nur der Vertragsschluß in Betracht, und dies scheint - wenn man davon ausgeht, daß diese Vorschrift eine Verschuldenshaftung begründet - die Konzeption des §311a Abs. 2 B G B zu sein 143 . Die Diskussion um diese Vorschrift gibt ein beredtes Zeugnis dafür ab, wie wenig die Voraussetzungen der Verschuldenshaftung in der deutschen Zivilrechtsdogmatik reflektiert werden: lediglich die Frage der Kausalität wird eingehend erörtert 144 , nicht jedoch herausgearbeitet, daß der Verschuldensvorwurf auf ein Verhalten des Schuldners bezogen sein muß und daß als dieses Verhalten lediglich das Schließen des Vertrags in Betracht kommt. Zumeist wird als das Verhalten, welches die Haftung begründet, der Verstoß gegen eine vorvertragliche Informationspflicht genannt. Das kann ja aber nicht der entscheidende Punkt sein, denn wenn der Schuldner die Informationspflicht schuldhaft verletzt, den Vertrag aber sodann nicht abschließt, kommt eine Haftung selbst dann nicht in Betracht, wenn - was freilich nur schwer vorstellbar ist - ein Schaden entstanden sein sollte. Ohne Vertragsschluß also keine Haftung. Richtiger als die Auffassung, Haftungsgrund sei die Verletzung einer vorvertraglichen Informationspflicht, ist daher die Ansicht, Haftungsgrund sei das Schließen des Vertrags trotz Kenntnis oder zu vertretender Unkenntnis des Leistungshindernisses 145 . Kenntnis und Unkenntnis bezeichnen etwas Inneres. Sie sind kein (äußeres) Verhalten, sondern können lediglich auf Rubel, FS Bekker, S.219f.; Titze, Unmöglichkeit, S.96f.; Wilhelm/Deeg,JZ 2001, 230; U. ZIP 2000, 2151 und 2278; Canaris, FS Heldrich, S. 15; Fest, J U R A 2005, 734. 143 Dazu unten §6 III 1 (S. 251 ff.). 144 Dazu z.B. Altmeppen, D B 2001, 1400; Meier, J U R A 2002, 188. 145 Vgl. BT-Drucks. 14/6040, S. 164: »Außerdem soll gesetzlich geregelt werden, dass der Schuldner auf das positive Interesse haftet, wenn er den Vertrag abschließt, obwohl er weiß oder fahrlässig nicht weiß, dass die Leistung objektiv unmöglich ist«; Reinking, ZGS 2003, 144. 142
Huber,
III.
Die Haftung
auf das Interesse als Verschuldenshaftung
?
115
ein solches bezogen sein. Das Verhalten, an welches eine Verschuldenshaftung notwendig anknüpfen muß, kann daher nicht Kenntnis oder Unkenntnis sein. Folglich m u ß das Verhalten, an welches eine Verschuldenshaftung im Falle anfänglicher Leistungshindernisse anknüpft, das Schließen des Vertrags sein. Bevor man also die Frage der Kausalität erörtert, muß zunächst gefragt werden, ob das Schließen eines Vertrags an sich überhaupt als eine rechtswidrige und schuldhafte H a n d l u n g begriffen werden kann, welche einen Erfolg herbeigeführt hat; eine Erwägung, die verdeckt bleibt hinter der Formulierung, die Pflichtverletzung sei der »Vertragsschluß trotz des anfänglichen Ausschlusses einer Leistungspflicht« 146 . Der Erfolg in diesem Sinne besteht nun offenbar nicht in der U n m ö g lichkeit, denn diese bestand schon vor Vertragsschluß, kann also durch diesen nicht herbeigeführt worden sein. Der Erfolg kann also nur in der Nichterfüllung der Verbindlichkeit erblickt werden. N a c h diesem Konzept m u ß man sich also vorstellen, daß der Schuldner durch das Schließen des Vertrags die Nichterfüllung seiner Verbindlichkeit herbeiführt. In der Tat ist vorstellbar, den Vertragsschluß als condicio sine qua non f ü r die Nichterfüllung zu begreifen, denn ohne Vertragsschluß gäbe es keine Verbindlichkeit, die nicht erfüllt wird 1 4 7 . Probleme bereitet dabei allerdings die Vorschrift des §275 Abs. 1 BGB, wonach ein Anspruch auf die Leistung nicht entsteht. Indem der Vertragsschluß keine Verbindlichkeit auf die unmögliche Leistung erzeugt, wird er deshalb doch nicht kausal f ü r die Nichterfüllung dieser Verbindlichkeit. Das Verschuldensprinzip setzt notwendig die Verwirklichung eines Erfolges durch eine H a n d l u n g des Schuldners voraus, u n d w o es an diesen Voraussetzungen fehlt, ist kein R a u m f ü r Verschulden. Das Verschuldensprinzip hätte es also erfordert, im Falle der anfänglichen U n m ö g lichkeit den Erfüllungsanspruch bestehen zu lassen, damit sich in dessen Nichterfüllung ein Erfolg verwirklichen kann, für den eine H a n d l u n g des Schuldners kausal geworden ist 148 . Selbst w e n n aber der Erfüllungsanspruch bestehen bliebe, eine H a n d l u n g des Schuldners (Vertragsschluß) also kausal f ü r einen Erfolg (Nichterfüllung des Erfüllungsanspruchs) wäre, bliebe fraglich, ob daran ein Verschuldensvorwurf gek n ü p f t werden könnte. Indem nämlich als Handlung das Schließen des Vertrags identifiziert wird, müßte im Rahmen der sich sodann anschließenden weiteren P r ü f u n g diese Handlung als rechtswidrig und schuldhaft begriffen werden k ö n nen. Die Frage ist also, ob man das Schließen eines Vertrages (in Kenntnis oder »fahrlässiger Unkenntnis« der mangelnden Leistungsfähigkeit) als rechtswidrige u n d schuldhafte H a n d l u n g begreifen kann 149 . 146
Otto, J U R A 2002, 5. Altmeppen, D B 2001, 1400. 148 Siehe dazu unten § 6 III 1 c) (1) (S.259ff.). 149 Dies n i m m t offenbar Häublein, N J W 2003,392 Fn. 51 an: »Ist die Leistung bereits vor Vertragsschluss gänzlich unmöglich, wird man statt von einer Aufklärungspflicht des Verkäufers von einer Pflicht z u m Nichtabschluss des Vertrags auszugehen haben«. So w o h l auch Flume, 147
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§J.
Geldkondemnation:
Grundlagen
des Ersatzes des
Erfüllungsinteresses
Das zunächst merkwürdig Anmutende dieser Konstruktion liegt darin, daß die schädigende Handlung eine doppelte Bedeutung entfaltet, indem sie durch die Begründung des Erfüllungsanspruchs erst die Voraussetzung ihrer schädigenden Wirkung selbst schafft. Im Regelfall der Schädigung besteht ein Rechtsgut schon vor der Schädigung, welches sodann durch die schädigende Handlung in seinem Bestand beeinträchtigt wird. Vor Vertragsschluß besteht aber kein Erfüllungsanspruch, der sodann durch den Vertragsschluß geschädigt werden könnte. Vielmehr erzeugt die Handlung »Vertragsschluß« erst das Rechtsgut (Erfüllungsanspruch), welches durch dieselbe Handlung geschädigt wird. Diese Merkwürdigkeit erweist sich als Problem der Kausalität, denn das Hinwegdenken der schädigenden Handlung führt nicht bloß zum Entfallen der Schädigung, sondern es führt gleichzeitig auch zum Entfallen des geschädigten Rechtsguts. Hätte der Schuldner den Vertrag nicht abgeschlossen, so wäre kein Erfüllungsanspruch entstanden. Schon deshalb kann der Vertragsschluß also niemals kausal werden für die Nichterfüllung und also scheidet es aus, im Falle anfänglicher Unmöglichkeit eine Verschuldenshaftung aus dem Vertragsschluß abzuleiten. Indessen greift die Problematik der dargestellten Konzeption über diese Kausalitätsfrage hinaus. Die tiefer liegende Frage ist, ob der auf Abschluß eines Vertrags gerichteten Willenserklärung überhaupt ein Unrechtsgehalt innewohnen kann. Die Privatautonomie gewährleistet die Vertragsabschlußfreiheit. Im Rahmen dieser Freiheit können Privatrechtssubjekte Rechtsgeschäfte vornehmen, deren Wirkung nach der Rechtsordnung deswegen eintritt, weil sie gewollt ist 150 . Die auf Vertragsschluß gerichtete Willenserklärung bringt den Erfüllungsanspruch deswegen hervor, weil dieser gewollt ist. Die Begründung des Erfüllungsanspruchs setzt also die Anerkennung der Willensfreiheit voraus. Wollte die Rechtsordnung diese Willensbetätigung als rechtswidrig begreifen, so müßte sie deren Wirkungen negieren, also den Erfüllungsanspruch versagen, obwohl dieser gewollt ist 151 . Wenn der Schuldner im Falle anfänglicher Unmöglichkeit die unmögliche Leistung verspricht, dann läßt die Rechtsordnung diese Willenserklärung wirksam sein (§ 311 a Abs. 1 B G B ) , der Erfüllungsanspruch entsteht also (auf die Widersprüchlichkeit zu § 2 7 5 B G B ist oben hingewiesen), weil er gewollt ist 152 . Durch diese Anerkennung der Wirkung der Willensbetätigung anerkennt die Rechtsordnung gleichzeitig die Rechtmäßigkeit dieser Willensbetätigung; wäre die auf Vertragsschluß gerichtete Willenserklärung als rechtswidrige Handlung AcP 193 (1993), 109: der Verkäufer hätte den Vertrag nicht abschließen dürfen; anders aber l l l f . : die Haftung beruhe darauf, daß der Verkäufer den Käufer über das Leistungshindernis hätte unterrichten müssen. 150 Mot. I, S. 126. 151 Vgl. Flame, Das Rechtsgeschäft, S.342f. 152 Es ist daher ganz schief, wenn Brecht meint, die Haftung könne sich daraus ergeben, daß der Schuldner zur Abgabe des Leistungsversprechens nicht geeignet war (JherJb. 53, 227). Der Schuldner kann zwar zur Erfüllung, nicht aber zur Abgabe des Leistungsversprechens »ungeeignet« sein.
III.
Die Haftung
auf das Interesse als
Verschuldenshaftung?
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zu begreifen, so könnte sie diese Wirkung nicht haben 153 . Wenn nun aber die nämliche Handlung diejenige Handlung sein soll, welche den Vorwurf des Verschuldens begründen soll, um die Haftung des Schuldners im Falle der Nichterfüllung auf der Grundlage des Verschuldensprinzips zu rechtfertigen, so müßte diese eine Handlung 1 5 4 dem Gläubiger gegenüber zugleich als rechtmäßig und als rechtswidrig begriffen werden. Eine Handlung kann aber derselben Person gegenüber nur entweder rechtmäßig oder rechtswidrig sein, sie kann nicht beide Eigenschaften zugleich haben. Die Gegenauffassung 155 bemüht Beispiele, die sämtlich die These der zugleich rechtswidrigen und rechtmäßigen Handlung nicht zu tragen geeignet sind. Im Falle des Eigentumserwerbs nach § 950 BGB kommt es für den Eigentumserwerb in keiner Weise darauf an, ob die zu diesem führende Handlung eine rechtmäßige oder rechtswidrige ist; das Gesetz knüpft die Folge des Eigentumserwerbs schlicht an die bezeichnete Handlung an, sei diese rechtmäßig oder rechtswidrig. Erfolgte die Handlung unter verbotenem Eingriff in fremdes Recht, so war die Handlung rechtswidrig. Diese rechtswidrige Handlung hat dennoch den Eigentumserwerb des Handelnden zur Folge und nichts zwingt dazu, die Handlung in Ansehung dieses Eigentumserwerbs als eine rechtmäßige zu begreifen. In gleicher Weise gilt dies für den Fall der Vollstreckung eines Urteils, wenn diese Vollstreckung die Voraussetzungen des §826 BGB erfüllt 156 : die Vollstrekkung ist rechtswidrig, sie kann nicht als im Hinblick auf die Vorschriften der Zwangsvollstreckung rechtmäßig und im Hinblick auf §826 BGB als rechtswidrig begriffen werden. Der Fall der Veräußerung einer an A verkauften Sache an B schließlich hat mit Rechtswidrigkeit nichts zu tun; hier geht es ausschließlich um Vertragswidrigkeit, und es versteht sich, daß dieselbe Handlung im Verhältnis zu einem Vertragspartner vertragsgemäß und zugleich im Verhältnis zu einem anderen Vertragspartner vertragswidrig sein kann 157 . Rechtmäßigkeit und Rechtswidrigkeit derselben Handlung im Verhältnis zu demselben Vertragspartner schließen sich hingegen aus. Es ist danach de lege lata wie de lege ferenda ausgeschlossen, die Haftung im Falle anfänglicher Unmöglichkeit auf das Verschuldensprinzip zu gründen 158 . De lege lata muß das Verschuldensprinzip bereits deshalb versagen, weil infolge der 153 So w o h l auch U. Huber, Leistungsstörungen I, S. 537: » D a ß der Schuldner - wissentlich oder unwissentlich - einen Gegenstand zu leisten verspricht, den er nicht hat, ist keine >Leistungsstörung«Redaktion«